Innovationen im sektoralen Marketing
Hartmut H. Holzmçller ´ Arnold Schuh (Herausgeber)
Innovationen im sektoralen Marketing Festschrift zum 60. Geburtstag von Fritz Scheuch Mit 58 Abbildungen und 15 Tabellen
Physica-Verlag Ein Unternehmen von Springer
Professor Dr. Hartmut H. Holzmçller Universitåt Dortmund Lehrstuhl fçr Marketing Otto-Hahn-Straûe 6 44221 Dortmund
[email protected] Ass.-Professor Dr. Arnold Schuh Wirtschaftsuniversitåt Wien Institut fçr Absatzwirtschaft Abteilung Marketing Augasse 2±6 1090 Wien Ústerreich
[email protected] ISBN 3-7908-1585-3 Physica-Verlag Heidelberg Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Physica-Verlag Heidelberg ein Unternehmen von Springer Science+Business Media GmbH springer.de ° Physica-Verlag Heidelberg 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Einbandgestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11419198
88/3153-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Geleitwort Dieser Sammelband ist Professor Dr. Fritz Scheuch zu seinem sechzigsten Geburtstag gewidmet. Herausgeber und Autoren wünschen zu diesem Anlass alles Gute, Glück und Gesundheit und an der beruflichen Tätigkeit weiterhin so viel Freude, wie er sie seit vielen Jahren ausstrahlt. Aus der Zusammenarbeit mit Fritz Scheuch, die sich über mehrere Jahrzehnte, sehr verschiedene Aufgabenfelder und unterschiedliche Positionen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns erstreckt, hat sich mir ein facettenreiches Bild des Jubilars erschlossen. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als Forscher hat mich Fritz Scheuch durch seine Themenwahl beeindruckt. Mit großer fachlicher Sensibilität hat er frühzeitig neue Gestaltungsfelder im Marketing identifiziert, die für die wirtschaftliche Entwicklung von zentraler Bedeutung sind, aber theoretisch-konzeptionell noch nicht aufgearbeitet waren. Neben der sehr grundsätzlichen und oftmals wohl auch bahnbrechenden Auseinandersetzung mit Investitionsgüter-, Export- und Dienstleistungsmarketing hat er sich mit einer Fülle von aktuellen und für die Praxis relevanten Aufgabenstellungen beschäftigt. Dabei ist durchgängig beobachtbar, dass die wissenschaftliche Absicht von einem hohen Realitätsbezug und der Interaktion mit Entscheidern und Unternehmen bzw. Institutionen gekennzeichnet ist. Als akademischer Lehrer hat Fritz Scheuch eine große Zahl von Marketingstudierenden geprägt, die heute in vielen Branchen wirtschaftliche Prozesse nachhaltig beeinflussen. Wobei die Hinführung zur reflektierenden Erkenntnis und zu einer entscheidungsbezogenen Grundhaltung ein Leitprinzip seiner von ihm gepflogenen Hochschulausbildung ist. Die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen didaktischen Instrumenten, wie beispielsweise der Fallstudienmethode und die Definition von Lehraufgaben als Verantwortlichkeit des Institutsteams sind darauf ausgerichtet, produzierendes Lernen in den Vordergrund zu stellen. Ein weiteres zentrales Prinzip seiner Arbeit ist die dauernde Auseinandersetzung mit Prozessen, Methoden und Strukturen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Praxis im Rahmen der universitären Ausbildung. Dies hat sich einer beachtlichen Fülle von Praktikerkolloquien, Projektseminaren und einer großen Zahl von praxisorientierten kooperativen Diplomarbeiten und Dissertationen manifestiert. Die angewandte Seite der wissenschaftlichen Aktivitäten von Fritz Scheuch betrifft seine Tätigkeit als Berater und Weiterbildner, wobei die Beratungsprojekte offensichtlich häufig von seiner Vorliebe für Komplexität, wie sie sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit findet, geprägt sind. Führungsverantwortung hat er im Rahmen der universitären Selbstverwaltung auf allen Ebenen und in vielen Bereichen übernommen. Die am Institut installierten Teamstrukturen haben zu viel beachteten Ergebnissen in der Forschung und Lehre geführt. Sein überaus hohes En-
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Geleitwort
gagement für Anliegen der Wirtschaftsuniversität Wien ist gekennzeichnet von Loyalität und Identifikation. Als Rektor hat er nachhaltig die Stellung der Wirtschaftsuniversität Wien in der österreichischen und internationalen Universitätslandschaft weiter entwickelt und gestärkt. Menschlich sind für Fritz Scheuch seine Familienorientierung, seine Vielseitigkeit und seine mannigfaltigen Interessen charakteristisch. Es lässt sich vortrefflich mit ihm, neben neuen Entwicklungen in den Wissenschaften, über klassische Musik, allgemeine gesellschaftliche Veränderungen und aktive Sportausübung diskutieren. Der vorliegende Band soll in einer Periode voller Schaffenskraft den Jubilar motivieren, kurz inne zu halten, sich über im Leben Erreichtes zu freuen und die Beiträge in diesem Band als Dank und Wertschätzung von langjährigen Kooperationspartnern, Schülern und Mitarbeitern anzunehmen.
Leo Wallner Vorsitzender des Vorstandes der Österreichischen Lotterien Ges.m.b.H. Generaldirektor der Casinos Austria AG Präsident des Österreichischen Olympischen Comité Mitglied des IOC
Vorwort Das Letzte, was Fritz Scheuch sich zu seinem sechzigsten Geburtstag gewünscht hat, ist eine Festschrift. In einem Lebensabschnitt, der voll ist mit neuen Vorhaben, laufenden Projekten und den Standardverpflichtungen eines Hochschullehrers, passt so ein Sammelband nicht nahtlos hinein. Warum wir uns doch diese Aufgabe gestellt haben, hat zwei Gründe. Erstens soll damit der Dank einer nunmehr doch sehr großen Zahl von langjährigen Kooperationspartnern sowie ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für freudvolles und anregendes Zusammenarbeiten im akademischen Bereich übermittelt werden. Zweitens ist uns in vielen Gesprächen mit Personen, die ihre akademische Sozialisation bei Fritz Scheuch durchlebt haben, aufgefallen, dass sie gewisse Muster der Realitätsfilterung entwickelt haben, die diese Gruppe von Menschen von anderen akademischen Gruppierungen unterscheidet. Die vorliegende Festschrift ist der Versuch, einen Teil dieser Besonderheit einzufangen und damit für die Gruppe identitätsstiftend zu wirken und möglicherweise Fritz Scheuch und sein Team an der Wirtschaftsuniversität Wien anzuregen, sich künftig über die hier angestrebte Vertiefung in der Befassung mit Aspekten des sektoralen Marketing hinaus weiter systematisch mit differenziertem Marketing zu befassen. Mit seinen Arbeiten zum Investitionsgüter-, Export- und insbesondere Dienstleistungsmarketing hat Fritz Scheuch der auf Sektoren des Marketing bezogenen Forschung im deutschen Sprachraum deutliche Impulse gegeben und die wissenschaftliche Diskussion nachhaltig geprägt. An der Abteilung für Marketing des Instituts für Absatzwirtschaft ist der sektorale Ansatz in der Forschung und Lehre sowohl Programm als auch Programmatik. Was lag also näher, als sich im Rahmen dieses Sammelbandes der Frage der „Innovationen im Sektoralen Marketing“ zu widmen. Wir haben als Autoren Personen eingeladen, die in unterschiedlicher Beziehung zu Fritz Scheuch stehen. Eine erste Gruppe sind langjährige Kooperationspartner aus Forschung und Lehre, eine zweite umfasst Personen, die als Kollegen mit ihm zusammen gearbeitet haben, und die dritte, auch größte Gruppe sind gegenwärtige und ehemalige Mitarbeiter von Fritz Scheuch, die ihre wesentliche akademische Sozialisation in seinem Umfeld erfahren haben. Zudem haben wir die Söhne des Jubilars, beide promovierte Betriebswirte, eingeladen, Beiträge aus ihren jeweiligen Berufsfeldern zu verfassen. Im ersten Teil des Bandes versuchen sich die Herausgeber an der Aufgabe, die Rolle und Bedeutung der sektoralen Ansätze zu beleuchten. Entwicklungslinien über die letzten Jahrzehnte werden nachgezeichnet, die Abgrenzungsproblematik bei der Charakterisierung einzelner Sektoren grundlegend diskutiert und der Versuch der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der sektoralen Betrachtungsweise unternommen.
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Vorwort
Daran schließt eine Aufarbeitung des Forschungstandes in den zentralen und als etabliert geltenden Sektoren des Marketing an. Geprägt vom jeweiligen Sektor und dem individuellen Blickwinkel der Autorin bzw. des Autors werden der Stand in der Abgrenzungsdiskussion, der Fortschritt in der einschlägigen sektoralen Forschung, zentrale Forschungsergebnisse und erwartete künftige Entwicklungen in den jeweiligen Bereichen vorgestellt. Im Detail findet die Auseinanderssetzung mit Marketing für Fast Moving Consumer Goods, Handelsmarketing, Investitionsgütermarketing, Dienstleistungsmarketing, Internationales Marketing, Nonprofit-Marketing und Marketing für Klein- und Mittelbetriebe statt. Der dritte Teil des Sammelbandes fokussiert auf den Einsatz innovativer Methoden und Techniken in einzelnen Sektoren des Marketing. Der Bogen der Beiträge ist hier breit gespannt und reflektiert Innovationen, die sich auf spezifische Verfahren und Techniken in der Marketingplanung beziehen sowie solche, die auf methodische Aspekte der Marketingforschung wie die Datenerhebung und neue Analyse- und Prüfverfahren abstellen. Im vierten Teil wird die Perspektive gedreht und Herausforderungen im sektoralen Marketing aus der Praktikersicht betrachtet. Die vorgestellten Beispiele bieten einen illustrativen Überblick über ausgewählte Entscheidungssituationen, die u.a. von der strategischen Positionierung eines Distributors im Markt, über die Preispolitik im hoch kompetitiven Mobilfunkmarkt und Markterweiterungsstrategien im Kaffeemarkt bis zum Marketing von Immobilien reichen. Sie ergänzen die wissenschaftliche Perspektive und regen zur weiteren systematischen Auseinandersetzung mit der Thematik des sektoralen Marketings an. Die Herausgeber danken der Österreichischen Lotterien Ges.m.b.H. und der Codico Ges.m.b.H. & Co. KG für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung der Festschrift. Unser Dank gilt aber auch Dipl.-Vw. Katharina Wetzel-Vandai für die effiziente Betreuung des Projekts von Seiten des Verlags und Dipl.-Kffr. Bettina Böhm für die umsichtige redaktionelle Gestaltung des Bandes.
Hartmut H. Holzmüller Arnold Schuh
Dortmund und Wien, Februar 2005
Inhaltsverzeichnis
I. Facetten des sektoralen Marketing Sektorales Marketing – Impulsgeber für Wissenstransfer und Innovation im Marketing Arnold Schuh und Hartmut H. Holzmüller
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II. Forschung in den Sektoren des Marketing Marketing Fast Moving Consumer Goods – Der Nukleus der sektoralen Sichtweise Hartmut H. Holzmüller
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Handel im Spannungsfeld von Marketing, Distribution und Kooperation Herbert Kotzab
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Investitionsgütermarketing bzw. Business-to-Business Marketing – Zentrale Erklärungs- und Managementansätze Arnold Schuh
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Dienstleistungsmarketing – Entwicklung und künftige Perspektiven Dieter Scharitzer
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Internationales Marketing – Entwicklung, Status und Trends Barbara Stöttinger
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Entwicklungen und Trends im Nonprofit-Marketing Claudia Klausegger
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Marketing für Klein- und Mittelbetriebe – Spezifische Betrachtungslinien im 143 Objektbereich Dietmar Rößl
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Inhaltsverzeichnis
III. Innovative Methoden und Techniken in den Sektoren Heuristiken in der Produktpolitik Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
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Zur qualitativen Konsumentenforschung Renate Buber
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Daten- und Messäquivalenz in der internationalen Marktforschung Thomas Salzberger
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Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen Arne Floh
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Formalisierung qualitativer internationaler Marketingforschung – Grundsätze und Anwendungsfall Elfriede Penz und Rudolf R. Sinkovics
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IV. Umsetzungs- und Anwendungsfelder Management von Marketingevent-Projekten Roland Gareis
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Marketing für den Immobilien-Bereich – Ein Plädoyer für alternative Ansätze Alexander Scheuch
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BauMax: Profilierung im „Do-It-Yourself“-Handel durch professionelle Kommunikationspolitik Michael Scheuch
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Wie innovative Marken Märkte gestalten – Das Beispiel Nescafé Andreas Nentwich
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Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten – Eine Case Study aus der Mobilfunkbranche in Österreich Reinhard Zuba
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Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer
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Inhaltsverzeichnis
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Transaktionsfernsehen Andreas Büchelhofer
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Erlebniswelten als innovatives Instrument des Kulturmarketing Monika Koller
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Codico: Mit Fokussierung und Kundennähe zum Erfolg in der Distribution von elektronischen Bauelementen Heinrich Hawlik und Sven Krumpel
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Autorenverzeichnis
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I. Facetten des sektoralen Marketing
Sektorales Marketing – Impulsgeber für Wissenstransfer und Innovation im Marketing Arnold Schuh und Hartmut H. Holzmüller Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien und Lehrstuhl für Marketing, Universität Dortmund
Einleitung Unter dem Blickwinkel des problemlösungs- bzw. entscheidungsorientierten Ansatzes wird Marketing als eine Menge von Entscheidungen und Durchführungsmaßnahmen zur Gestaltung von Austauschbeziehungen angesehen (Kotler 1976; Meffert 1986). Die generelle Aufgabenstellung der Marketingwissenschaft besteht somit in der Erarbeitung von theoretischen Erklärungen zum Verhalten der Marktteilnehmer sowie theoretisch begründbaren Vorgangsweisen bei der Lösung von Entscheidungsproblemen auf der Ebene des Marketing-Managements (Scheuch 1998). Mit der Ausrichtung auf Austauschbeziehungen ist der Marketingbereich aber noch sehr allgemein beschrieben. Es bedarf daher einer zusätzlichen Präzisierung, um den Objektbereich genauer erfassen und um homogene Aussagensysteme entwickeln zu können. Diese Transformationsleistung von einer allgemeinen Aussagenebene auf die Anwendungsbereiche des Marketing in der Praxis wird auf einer „mittleren“ Generalisierungsebene vom sektoralen Marketing erbracht. Statt generelle Aussagen zur Beeinflussung von Austauschbeziehungen auf Märkten direkt auf singuläre Entscheidungssituationen in der Marketingpraxis zu übertragen, wird als Zwischenstufe ein Bestand an Marketingwissen und Marketingmethoden angeboten, der die jeweiligen sektoralen Besonderheiten berücksichtigt. Der mittlere Generalisierungsgrad wird durch Umschreibungen wie Dienstleistungen, Industriegüter oder Systemgeschäft angedeutet und setzt somit über der Branchenebene an (Scheuch 2002a). Sektorales Marketing beschäftigt sich mit der Identifizierung von vermarktungsrelevanten Besonderheiten in speziellen Anwendungsbereichen, der Generierung theoretischer Aussagensysteme zur Erklärung der Tauschprozesse zwischen den Marktteilnehmern und der Wirkung von Marketinginstrumenten sowie mit der theoriegestützten Entwicklung von sektorspezifischen Marketingprogrammen. In der deutschsprachigen Marketingforschung haben sich im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte – neben dem mit dem allgemeinen Marketing gleichgesetzten Referenzsektor Konsumgütermarketing – das Dienstleistungsmarketing,
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das Handelsmarketing, das Investitionsgüter- bzw. Business-to-Business Marketing, das internationale Marketing, und das Marketing für Nonprofit-Organisationen als wesentliche Sektoren etabliert (Meffert 1992; Scheuch 1986). Obwohl in den Anwendungsbereichen und Ausprägungsformen nicht überschneidungsfrei (z.B. Vermarktung investiver Dienstleistungen auf Auslandsmärkten), bieten die Marketingsektoren einen Orientierungs- und Organisationsrahmen für die Marketingforschung und für die Anwender von Marketingerkenntnissen. Eine Abstraktionsebene tiefer in diesem praxisorientierten Konkretisierungsprozess ist das branchenspezifische Marketing angesiedelt, wo die Wirksamkeit von Marketingprogrammen im Kontext produktspezifischer, rechtlicher, ethischer, kunden- und wettbewerbsbezogener Besonderheiten erforscht wird (Tscheulin u. Helmig 2001). Banken-, Versicherungs-, Krankenhaus-, Kino- und Hotelmarketing teilen sich zwar dienstleistungsspezifische Elemente, sind allerdings auch aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen unterschiedlich genug, um eine weitere Differenzierung rechtzufertigen. Die Ausdifferenzierung muss auf Branchenebene allerdings nicht enden. So ist eine weitere Untergliederung des Bankenmarketing nach den Unternehmenstypen Universal-, Investment- und Spezialbanken vorstellbar, die wiederum nach Zielgruppe (Großunternehmen, Klein- und Mittelbetriebe, Freie Berufe, Haushalte), Organisationsform, geographischer Präsenz und dominanter Kontaktform (Filiale, Internet, Außendienst, Call-Center) in weitere Subgruppen aufgeteilt werden können. Das Beispiel zeigt, dass die Suche nach einem akzeptablen Generalisierungsniveau von Marketingaussagen von der Kreativität des Marketingwissenschafters sowie von Überlegungen zur Zweckmäßigkeit und theoretischen Fruchtbarkeit des gewählten Abgrenzungskriteriums bestimmt wird. Die Herausbildung von sektoralen Perspektiven, also die Wahl des Blickwinkels auf den Realbereich, kann somit als das Ergebnis eines heuristischen Entscheidungsprozesses in einer Vorstufe der Theorieentwicklung gesehen werden, sowohl aus der individuellen Sicht des Forschers, der den „richtigen“ Grad der Generalisierung für seine Forschung sucht, als auch aus kollektiver Sicht, indem sich die Forschergemeinschaft auf bestimmte Leitperspektiven verständigt, die die Forschung auf Teilfachgebiete fokussieren soll und die Wissensakkumulation fördert. Die Adoption von Perspektiven in der Scientific Community lässt sich mit einem evolutionären Prozess vergleichen, in dem jene Perspektiven im wissenschaftlichen Diskurs überleben, die auf die aktuellen Herausforderungen in der Marketingpraxis eingehen (z.B. Bedeutungsgewinn des Dienstleistungssektors, Globalisierung der Märkte, Verlagerung von gemeinnützigen Aufgaben vom Staat auf karitative Organisationen) und gleichzeitig eine hohe theoriebezogene Ergiebigkeit erwarten lassen. In der Entwicklungsgeschichte des Fachgebiets spiegelt sich der Auf- und Abstieg dieser vorherrschenden Perspektiven wider, die in einem bestimmten Zeitabschnitt Forscher angezogen und eine Leitfunktion für den „sektoralen“ Forschungszweig übernommen haben (Meffert 1992; Meffert 2000a; Tietz 1993). Ziel dieses Beitrags ist es, die Rolle und die Bedeutung des sektoralen Ansatzes im Marketing zu beleuchten. Beginnend mit einem historischen Rückblick werden
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die Entwicklungslinien des sektoralen Marketing und die das Fach prägenden Perspektiven dargestellt. Es folgt ein Überblick über die wesentlichen in der Literatur vorzufindenden Abgrenzungskriterien und zu den Grundsätzen der Typologiebildung. In einem weiteren Schritt wird der sektorale Ansatz im Theorieentwicklungsprozess positioniert und seine Bedeutung für die Marketingwissenschaft diskutiert. Eine zusammenfassende Beurteilung und ein kurzer Ausblick schließen den Beitrag ab.
Entwicklungslinien im sektoralen Marketing Der historische Rückblick zeigt, dass das Marketingdenken einem ständigen Wandel ausgesetzt war, der sich in der Abfolge von vorherrschenden Forschungsansätzen in der Marketingwissenschaft widerspiegelt. Dabei muss zwischen dem auf den Objektbereich bezogenen Perspektivenwandel und den forschungsprogrammatischen Schwerpunktverlagerungen unterschieden werden. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf den Wandel im betrachteten Realitätsausschnitt, der sich v.a. in der Wahl des Spektrums der anvisierten Austauschbeziehungen ausdrückt. Die Darstellung der die Theorieentwicklung nicht nur im Marketing, sondern in der gesamten Betriebswirtschaftslehre nachhaltig prägenden Forschungsparadigmen, die vom verhaltenswissenschaftlichen über den entscheidungsorientierten, systemtheoretischen und situativen Ansatz bis hin zum informationsökonomischen Ansatz reichen, bleibt hier ausgeklammert (Meffert 2000a). Im deutschsprachigen Raum ist die Entwicklung des Faches durch die Handelsbetriebslehre (1910-1950), die Entwicklung der betrieblichen Absatzlehre (1925-1970), die Rezeption der angelsächsischen Marketinglehre (1965-1975) und – ab 1970 – durch den Ausbau der Marketing-(Management)-Lehre geprägt (Hansen u. Bode 1997; Meffert 1992). Die frühe Phase des Marketing war von drei Betrachtungsweisen gekennzeichnet, nämlich von der funktionalen, der institutionenorientierten und der warentypologischen Perspektive. Die Ursprünge des Marketing im deutschsprachigen Raum gehen auf die Handelsbetriebslehre zurück. Die Lehre von den Handelsfunktionen kann als Wegbereiter einer funktionalen Absatztheorie angesehen werden (Oberparleiter 1918). Die Absatztheorie widmete sich damals der Analyse der mit dem Absatz von Waren verbundenen Marktprozesse. Ziel der Forschung war es, die wesentlichen Funktionen des Handels zu identifizieren und zu beschreiben, in Haupt- und Nebenfunktionen zu ordnen und die damit verbundenen Risiken aufzuzeigen. Später erfolgte eine Ausweitung der Funktionalbetrachtung auf die dem Handel vor- und nachgelagerten Stufen, also auf den gesamten Absatzprozess von der Produktion bis zum finalen Konsum, und es wurde dafür der Begriff Absatzwirtschaft eingeführt (Schenk 1974). Erwähnenswert ist, dass der Absatzprozess in dieser „klassischen Phase“ sowohl aus einem einzelwirtschaftlichen als auch volkswirtschaftlichen Blickwinkel (MakroEbene), nämlich unter dem Aspekt des Warendurchlaufs von der Erzeugung über den Handel bis zum Letztverbraucher, untersucht wurde. In der Folge kam es zu
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einer Umbenennung der Handelsfunktionen in Absatzfunktionen und zu einer stärkeren Ausrichtung auf die optimalen Auswahl, Gestaltung und Kombination der Absatzfunktionen, die schon die Weiterentwicklung in die Lehre vom Marketing-Management andeuteten. McCarthy entwickelte 1960 in den USA mit der Formulierung der „4 P’s“ das Grundkonzept des Marketing-Mix als managementorientiertes Programm für marktgerichtete Aktivitäten (McCarthy 1960). Die funktionale Sichtweise hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung einer institutionenorientierten Forschung, speziell im Handelsbereich. Die Aufgliederung in Absatzfunktionen erlaubt eine genauere Beschreibung, wie einzelne Absatzorgane ihre betrieblichen Leistungen vermarkten. Ordnungsschemata von Absatzfunktionen wie jenes von Schäfer (1966), der zwischen den Teilfunktionen Absatzvorbereitung, Absatzanbahnung, Vorratshaltung für den Verkauf, Absatzdurchführung, finanzielle Durchführung des Absatzes und Erhaltung der Absatzbeziehungen sowie zahlreichen Unterfunktionen unterschied, ermöglichten einen rationelleren Zugang zur Planung und Steuerung der Absatztätigkeiten und bildeten die Grundlage für eine realitätsnahe Bildung von Typen von Absatzorganen. Die institutionenorientierte Absatztheorie machte die Deskription und Klassifikation empirisch vorfindbarer absatzwirtschaftlicher Organe zum Forschungsgegenstand (Engelhardt 2000; Tietz 1974). Sie trug mit ihrer Beschäftigung mit den verschiedenen Betriebsformen des Handels und mit der Dynamik der Betriebsformen maßgeblich zu einem besseren Verständnis des Handelsbetriebs bei (Nieschlag 1954). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die funktionale Absatztheorie v.a. deskriptiv-analytisch zur Erklärung des Absatzprozesses und den dabei involvierten Tätigkeiten beigetragen hat. Sie hat ein betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte überbrückendes Erklärungsprinzip geschaffen und Anregungen für die Bildung funktionaler Absatztypen, die Erforschung der Absatzkosten/-erträge und eine neue Sicht auf das Produktivitätsproblem des Handels geliefert (Schenk 1974; Marre 1974). Kritisch ist anzumerken, dass die Forschung nicht über das deskriptive Aussagenniveau hinauskam und erst mit Gutenberg (1955) die moderne Absatztheorie begründet wurde (Schneider 1983). Gutenberg hat die mikroökonomische Theorie als theoretische Grundlage in die Betriebswirtschaftslehre eingebracht und mit seiner Forschung zur optimalen Kombination des absatzpolitischen Instrumentariums das Programm der erst später aufkommenden entscheidungsorientierten Absatztheorie vorweggenommen (Kaas 2000). In den USA hat der so genannte Commodity Approach, der waren- bzw. gütertypologische Ansatz, historisch gesehen den Zugang zum Fachgebiet geprägt. Die warenorientierte Absatztheorie betrachtet die absatzwirtschaftlichen Entscheidungen unter dem Aspekt des Gutscharakters. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass in Abhängigkeit der jeweiligen Produktcharakteristika unterschiedliche Kaufentscheidungstypen vorherrschen, die wiederum die Wahl der einzusetzenden Instrumente und die Absatzgestaltung bestimmen (Knoblich 1995). Bereits 1925 hat Copeland zwischen Convenience, Shopping and Specialty Goods unterschieden und die damit verbundenen absatzpolitische Konsequenzen aufgezeigt. Speziell in der amerikanischen Literatur zum Industrial Marketing sind starke Einflüsse gü-
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tertypologischer Ansätze zu erkennen (Backhaus 1997). Frey und Albaum (1965) verweisen beispielsweise auf die typische Unterscheidung in Rohstoffe, Halbfabrikate, Betriebsstoffe, Installationen und unterstützende Ausrüstung (später noch ergänzt um Dienstleistungen) bei Industriegütern. Die Unterteilung von Gütern nach Spezialitäten, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter spielt heute wieder eine gewichtige Rolle bei der optimalen Gestaltung von Business-to-Business Vertriebsund (Internet-)Geschäftsmodellen. Auch in der Absatzlehre im deutschsprachigen Raum hat dieser Ansatz Tradition und hat wesentlich zur Entstehung der sich vom Konsumgütermarketing emanzipierenden Marketingspezialisierungen Investitionsgüter- und Dienstleistungsmarketing beigetragen (Backhaus 1997; Knoblich 1969; Scheuch 1982). Obwohl die Bedeutung von Produkteigenschaften für Marketingentscheidungen keinesfalls zu leugnen ist, zeigen tiefergehende Analysen, dass die mit dem Produktkauf im Zusammenhang stehenden Merkmale des Kaufentscheidungsprozesses beim Nachfrager eine validere Erklärung für die Gestaltung des Marketingeinsatzes liefern. Bis zum Ende der 1960er Jahre dominierte die Vorstellung, dass Marketing eine betriebliche Hauptfunktion von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen sei. In ihrem Artikel „Broadening the Concept of Marketing“ setzten sich Kotler und Levy (1969) für die Übertragung der klassischen Marketingprinzipien auf nichterwerbswirtschaftliche Organisationen ein. Alle Organisationen, also auch Museen, Schulen und öffentliche Verkehrsbetriebe bieten Leistungen an, bedienen Märkte, nutzen Marketinginstrumente und wollen ihre Kunden zufrieden stellen. Es ist daher sinnvoll, wenn das Management von Nonprofit-Organisationen auf den vorhandenen Wissensbestand und das hoch entwickelte Instrumentarium des „Business-Marketing“ zurückgreift und für seine Zwecke adaptiert. Sozialkampagnen, die die Verhaltensänderungen in der Gesellschaft hinsichtlich bestimmter sozialer Anliegen wie Bildungsreformen, Familienplanung, Verkehrssicherheit oder die Verringerung des Zigarettenkonsums zum Gegenstand haben, lassen sich unter Anwendung der „Social Marketing“-Perspektive wirksamer verbreiten und realisieren (Kotler u Zaltman 1971; Fine 1981). Das Social Marketing bewirkte eine Diskussion über die Aufnahme sozialer Zielaspekte in das Zielsystem erwerbswirtschaftlicher Unternehmen, die als „Deepening“-Bewegung in die Literatur eingegangen ist und in der Folge Ansätze wie das „Human Concept of Marketing“ (Dawson 1969) und das ökologische Marketing (Fisk 1974) hervorbrachte. Mit seinem Beitrag „A Generic Concept of Marketing“ geht Kotler (1972) noch über die Erweiterung auf nicht-kommerzielle Transaktionen hinaus. Darin entwirft er drei Erkenntnisstufen des Marketing. Auf der ersten Erkenntnisstufe wird Marketing als betriebliche Absatzfunktion aufgefasst, bei der der Absatz von Produkten oder Leistungen gegen Bezahlung an bestimmte Zielgruppen im Mittelpunkt steht. Auf der zweiten Erkenntnisstufe erfolgt die Ausweitung auf alle Organisation-Klienten-Beziehungen, eben auch auf nicht-kommerzielle Austauschbeziehungen. In der letzten Erkenntnisstufe, dem „generischen Marketing“, versteht sich Marketing als eine auf alle Beziehungen einer initiativen sozialen
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Einheit (Individuum, Gruppe, Organisation, Nation) mit Interessentengruppen (Aktionäre, Mitarbeiter, Lieferanten, Absatzmittler, Käufer, Öffentlichkeit, Mitbewerber) anwendbare Sozialtechnik, deren Ziel die Erreichung einer angestrebten Reaktion vom Markt ist. Mit dieser Ausweitung des Marketingbegriffs ist auch eine Verschiebung von einer institutionenorientierten zu einer funktionalen bzw. problemlösungsorientierten Marketingperspektive zu erkennen: die Aufgabe von Marketing besteht darin, zu untersuchen, wie Transaktionen mit Austauschpartnern geschaffen, stimuliert, ermöglicht und bewertet werden (Kotler 1972). Das „Broadening-Concept“ und „Generic Marketing-Concept“ bewirkten Anfang der 1970er Jahre eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Marketingwissenschaft, die sich in einer enormen Ausdifferenzierung niederschlug. Die Ausdifferenzierung der Marketingkonzeption erfolgte entlang mehrerer Entwicklungslinien (Raffee 1995): x Nonprofit- bzw. Social Marketing: Von erwerbswirtschaftlichen auf nichtkommerzielle Organisationen (Nonprofit-Organisationen, öffentliche Betriebe und Verwaltung, Marketing für soziale Anliegen) x Vom Konsumgütermarketing als alleinigen Referenzsektor zum Marketing für die verschiedensten Produktbereiche (Investitionsgüter, Dienstleistungsmarketing etc.) x Beschaffungsmarketing (Koppelmann 1993; Raffee 1979): Von der exklusiven Ausrichtung auf die Absatzseite hin zu allen anderen Unternehmensfunktionen mit Marktbezug (Lieferantenbezogenes Beschaffungsmarketing, Personal-, Finanzmarketing) x Internes Marketing (Bruhn 1995): Von Transaktionen mit externen Interessentengruppen zur Einbeziehung interner Austauschprozesse x Makro-Marketing (Hunt 1983): Von der einzelwirtschaftlichen zu einer gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Betrachtungsebene x Internationales Marketing: Vom nationalen Marketing zum internationalen bzw. globalen Marketing. Diese Dynamik in der Marketingforschung seit den 1970er Jahren ist das Resultat mehrerer Faktoren. Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs wurden für die Marketingforscher neue Arbeitsgebiete eröffnete, die es abzudecken galt und deren rechtzeitige Besetzung gleichzeitig eine persönliche Profilierungschance bot. Neben der konzeptionellen Öffnung, die den Transfer auf andere Unternehmens- und Wirtschaftsbereiche freigab, und den Motivationen der Marketingforscher förderten Nachfragefaktoren den Aufschwung. In den 1970er Jahren begannen sich in Europa viele Produktmärkte von Verkäufer- zu Käufermärkten zu drehen. Der Absatzmarkt wurde damit zum Engpassfaktor, das Marketing zur dominanten Engpassfunktion in den Organisationen. Die Marketinglehre lieferte ein Rezept, wie Organisationen unter diesen veränderten Marktbedingungen erfolgreich sein können. Dieser Nachfragesog nach Marketingwissen bildete eine weitere Komponente, die den Aufschwung des Marketinggedankens und den Spezialisierungsdrang in unzähligen Anwendungsbereichen erklärt. Retrospektiv las-
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sen sich nun jene Perspektiven, oft institutionelle Bereiche des Marketing genannt, identifizieren, die sich in diesem evolutionären Spezialisierungsprozess durchgesetzt haben und sich zwischen 1970 und 2005 als Teildisziplinen etablieren konnten. Neben dem Konsumgütermarketing, das vielfach unausgesprochen mit dem allgemeinen Marketing gleichgesetzt wird, sind das folgende Sektoren: das Dienstleistungsmarketing, das Handelsmarketing, das Investitionsgütermarketing, das internationale Marketing und das Nonprofit- bzw. Social-Marketing (Meffert 2000a; Scheuch 1996; Tietz et al. 1995). Der steigende Anteil von Dienstleistungen an der volkswirtschaftlichen aber auch der einzelwirtschaftlichen Wertschöpfung als produktbegleitende oder eigenständig angebotene Dienstleistung förderte die Beschäftigung mit den Besonderheiten der Dienstleistung und deren Implikationen für die Produktion und Vermarktung (Lovelock 1984; Meyer 1983; Scheuch 1982). Während am Anfang gutstheoretische und produktionstheoretische Überlegungen das Dienstleistungsmarketing prägten, rückten später Fragen der Qualität und der Kundenzufriedenheit in den Vordergrund (Scheuch 2002a). Mit dem Drei-Phasen-Schema von Donabedian (1980), der zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschied, dem Gap-Modell und später dem SERVQUAL-Konzept wurden Grundsteine zur Operationalisierung und Messung von Dienstleistungsqualität gelegt (Parasuraman et al. 1985 u. 1988). Das Dienstleistungsmarketing hat sich heute als wichtiges Teilfachgebiet des Marketing etabliert (Meffert u Bruhn 1995; Meyer 1998) und stößt in seiner Dynamik selbst schon an (sektorale) Grenzen. Dies wird in der manchmal schwierigen Abgrenzung zum Qualitätsmanagement, zur Personalwirtschaft sowie in der fortschreitenden Ausdifferenzierung nach Dienstleistungsbranchen (z.B. öffentliche Verwaltung, Nonprofit-Organisationen, freie Berufe etc.) bzw. Absatzsituationen (z.B. industrielle Dienstleistungen, Dienste über das Internet) sichtbar. Das Handelsmarketing hat historisch gesehen eine besondere Stellung in der Marketingwissenschaft. Die Beschäftigung mit den Handelsfunktionen und den Betriebsformen des Handels stellt – wie zuvor beschrieben – den Ausgangspunkt der Absatztheorie im deutschsprachigen Raum dar. Ein neuer Aufschwung gelang in den 1970er Jahren mit der Verbreitung neuer moderner Betriebsformen (Supermarkt, Verbrauchermarkt, Discounter, Einkaufszentren etc.). Dies führte zu einer Wiederbelebung des Konzepts der Dynamik der Betriebsformen (Nieschlag 1954). Mit der Verschiebung der Machtverhältnisse von der Industrie zum Handel ging auch die Emanzipation des Handels einher, die sich in der verstärkten Beschäftigung mit Profilierungsstrategien für Handelsbetriebe niederschlug (Oehme 1983). Die Einführung computergestützter Warenwirtschaftssysteme und Kassensysteme förderte die Weiterentwicklung von Erfolgsrechnungs- und Managementkonzepten (Direct Product Profitability, Category Management) und die tiefergehende Kooperation mit den Lieferanten in der Supply Chain (Tietz 1993). Die enge Verzahnung von Beschaffungs- und Absatzseite, die sich als Folge der Mittlerstellung des Handels ergibt, und die damit verbundenen Sortiments-, Standortund Vertriebsformentscheidungen, die in der Wahl der Betriebsform zusammen-
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geführt werden, stellen die zentralen identitätsstiftenden Bezugspunkte des Handelsmarketing dar. Die Vermarktung von Investitionsgütern zeichnet sich dadurch aus, dass Wirtschaftsgüter an Organisationen abgesetzt werden, die diese zur Erstellung der eigenen Leistungen und in Folge zur Fremdbedarfsdeckung benötigen (Engelhardt u. Günter 1981; Scheuch 1975). Die Definition zeigt, dass im Grunde nicht Gütereigenschaften für die Abgrenzung entscheidend sind, sondern die Kombination aus Nachfragertyp (Organisation) und Verwendungszweck (Fremdbedarfsdeckung), was im englischen Fachbegriff Business-to-Business-Marketing zum Ausdruck kommt. Die Vermarktungssituation von Investitionsgütern lässt sich durch extensive Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in der Anbieter-NachfragerBeziehung, Gruppenentscheidungssituationen auf der Nachfragerseite bei bedeutenden Anschaffungen, dem Interesse an längerfristigen Geschäftsbeziehungen und instrumentellen Besonderheiten wie beispielsweise der höheren Bedeutung des persönlichen Verkaufs und der Absatzfinanzierung charakterisieren. Folgerichtig setzen die Forschungsprogramme daher v.a. beim organisationalen Beschaffungsverhalten, der Interaktion in Netzwerken und der Entwicklung und Gestaltung von Geschäftsbeziehungen an (Backhaus 1997). Wesentliche Impulse für die allgemeine Marketingtheorie kommen derzeit vom wertorientierten Marketingsansatz, der im Business-to-Business-Marketing breiten Zuspruch findet und sich mit der Bestimmung, Schaffung und Vermittlung von Wert beschäftigt (Anderson u. Narus 1999). Die zunehmende Internationalisierung der Unternehmen schlug sich in Forschungsrichtungen nieder, die sich mit den Besonderheiten des Marketing auf Auslandsmärkten beschäftigten. Aus dem Blickwinkel des internationalen Marketing interessieren der Einfluss der Umwelt- und Marktbedingungen des Auslandsmarktes auf die Gestaltung des lokalen Marketingprogramms sowie Koordinations- und Integrationsaspekte, die sich aus der simultanen Marktbearbeitung mehrerer Ländermärkte ergeben (Holzmüller u. Schuh 1998; Scheuch 1996). Am Anfang noch als Export- (Keegan 1980; Scheuch 1979), Außenhandelsmarketing (Meissner 1981) oder Internationales Marketing (Kulhavy 1981; Meffert u. Althans 1982) bezeichnet, kam es im Zuge der Globalisierung zur Weiterentwicklung in das Globale Marketing (Kreutzer 1989; Keegan 1989). Der Vollendung des europäischen Binnenmarktes und der politischen und wirtschaftlichen Öffnung Mittelosteuropas wurde mit Marketingansätzen, die auf die markant veränderten Markt- und Branchenbedingungen eingingen, entsprochen („Euro-Marketing“ Tietz 1989; Schuh u. Holzmüller 2003). Mit der zunehmenden Regionalisierung und Globalisierung bisher national definierter Produktmärkte stellt sich verstärkt die Frage nach dem Identitätskern des internationalen Marketing (Sheth 2001). Die trotz des Abbaus tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse weiterhin existierenden kulturellen Unterschiede auf Kundenseite, die Frage nach der Konvergenz der nationalen Marktstrukturen und die mit der Globalisierung zusammenhängenden Markterschließungs- und Marketing-Mix-Entscheidungen stellen
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ausreichende Bezugspunkte dar, um das Fortbestehen der Perspektive zu legitimieren. Mit Nonprofit-Marketing ist das Marketing nicht-kommerzieller Organisationen bzw. Institutionen gemeint (Kotler 1975; Hasitschka u. Hruschka 1982). Auch Organisationen wie Theater, Spitäler, Parteien und karitative Organisationen verfolgen Beeinflussungsziele, die sich unter Zuhilfenahme der Marketingtechnologie effizienter verwirklichen lassen. Das Nonprofit-Marketing geht von der Annahme prinzipieller Gleichartigkeit der Austauschprozesse wie im Business-Marketing aus. Die Besonderheiten dieses Sektors ergeben sich daraus, dass bedarfswirtschaftliche bzw. soziale Ziele und nicht das Gewinnziel das organisationale Oberziel darstellen, Leistungsempfänger nicht unbedingt die Zahler sind, sondern die Bezahlung der Leistung zum Teil von Dritten (Spendern, Sponsoren, Gebietskörperschaften) erbracht wird und Austauschprozesse durch eine Vielfalt an Wirtschaftsgutkategorien gekennzeichnet sind (Scheuch 1986 u. 2002b). Erfolgreiches Nonprofit-Marketing bzw. Management zeichnet sich daher durch die Fähigkeit aus, ein Netzwerk an Beziehungen mit allen relevanten Interessentengruppen aufbauen zu können und im Sinne der Mission der Organisation zu managen. Nonprofit-Marketing ist mit Social-Marketing nicht deckungsgleich. Unter SocialMarketing versteht man das Marketing für soziale Ziele (Kotler u Zaltman 1971). Die Social-Marketing-Perspektive definiert sich über den aktuellen sozialen Zielinhalt (z.B. Bekämpfung des Hungers auf der Welt), nicht aber über den Organisationscharakter. Das bedeutet, dass per definitionem auch erwerbswirtschaftliche Unternehmen Social Marketing betreiben, wenn sie in ihrer Unternehmenspolitik verstärkt humanitäre oder ökologische Ziele verfolgen, und dass nicht alle Nonprofit-Organisationen unbedingt soziale Ziele als Hauptziele aufweisen müssen und damit einen sozialen Auftrag verfolgen (z.B. wissenschaftliche Vereinigungen). Der Transfer und die Implementierung von Methoden des BusinessMarketing in Nonprofit-Organisationen leiden noch immer unter Akzeptanzbarrieren auf Empfängerseite. Mit der Konsolidierung der Staatsbudgets, der Reduzierung von Subventionen und der zunehmenden Übertragung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben auf Nonprofit-Organisationen hat das Marketing für diese Organisationen jedoch an Bedeutung gewonnen, da sie auf Spenden, Sponsorships und die Mitwirkung ehrenamtlicher Mitarbeiter angewiesen sind, um ihre Mission erfüllen zu können, und dabei gleichzeitig unter einem verstärkten Legitimationsdruck gegenüber den diversen Interessentengruppen stehen. Es kommt allerdings nicht überraschend, dass diese Ausbreitung des Marketing in neue Anwendungsbereiche auch Kritik hervorgerufen hat. So listet Voeth (2002) 160 Beispiele für Teilperspektiven im Marketing auf, die von Aktienmarketing, über E-Mail-Marketing, Handwerksmarketing, Mega-Marketing, Mode-Marketing und Permission-Marketing bis zu Werkstoffmarketing und Zulieferermarketing reichen. Als Hauptgefahren einer derartigen Auffächerung werden der Verlust des Identitätskerns des Marketing und die Verwässerung der Marketingkonzeption durch die so genannten „Bindestrich-Marketing“-Varianten genannt (Meffert 2000b). Das überzogene Streben nach Praxisorientierung, das
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sich in der zunehmenden Spezialisierung auf branchenbezogene Marketingthemen ausdrückt, wird als problematisch eingeschätzt, da damit, so die Befürchtung, der Anspruch nach der Schaffung genereller Aussagensysteme aufgegeben wird (Homburg 2000; Tietz 1993). Die intensive Beschäftigung mit den (vermeintlichen) Besonderheiten spezieller Branchen und die Definition des eigenen wissenschaftlichen Selbstverständnisses über die Spezialisierung können leicht zu einer Abwendung vom Generalisierungsanspruch führen. In diesem Zusammenhang ist es zum Vorwurf der Theorielosigkeit der Aussagensysteme im Marketing nicht weit. Die sektorale Orientierung ist zu sehr an der Ordnung des Fachgebietes mittels Klassifikationsschemata bzw. Typologien interessiert, was zur Vernachlässigung der vertiefenden Forschung und des Modelldenkens führt (Schneider 1983). Die vorgebrachten Argumente erinnern zum Teil an die alte Kontroverse, ob Marketing eine Wissenschaft oder Kunst(lehre) sei (Hunt 1983; Schmalenbach 1911). Die extreme Betonung der Anwendungsorientierung, die die oberste Aufgabe des Marketing in der Bereitstellung von Problemlösungen für die Praxis sieht, bewirkt eine stark instrumentale Ausrichtung des Faches und fördert die Generierung von technologischen Aussagen ohne theoretischen Unterbau. Es werden praxisbezogene Handlungsanleitungen entwickelt, die sich zwar in der Marketingpraxis durchaus bewähren können, denen aber vielfach die theoretische Erklärung fehlt. Wenngleich sich trefflich darüber diskutieren ließe, in welchem Umfang das Idealmodell, nämlich technologische Aussagen nur auf Basis theoretischer Erklärungssysteme einzusetzen, realistisch ist, so besteht doch Einigkeit darüber, dass eine Technologiedominanz in der Forschungsprogrammatik (auf Kosten der Theorieentwicklung), bei der der Auf- und Ausbau eines hochentwickelten technologischen Aussagensystems im Mittelpunkt steht, keine Leitkonzeption für die Marketingwissenschaft sein kann (Chmielewicz 1979; Müller-Hagedorn 2000). Mit dem Verweis auf die Schaffung von Theorien mittleren Generalisierungsgrades, also über der Aussagenebene auf Branchenniveau, stellen Vertreter des sektoralen Ansatzes klar, dass sie neben dem pragmatischen Forschungsziel, das in der Unterstützung der Transferleistung von der Theorie zur Praxis besteht, auch einen theoretischen Anspruch verfolgen (Scheuch 2002a). Die Einigung auf sektorale Leitthemen im wissenschaftlichen Diskurs zur Bündelung der Forschungsanstrengungen wie beispielsweise jenes des organisationalen Beschaffungsverhaltens im Investitionsgütermarketing unterstreicht das Bestreben, einen Beitrag zur Theorieentwicklung des Faches zu leisten. Das Hinterfragen der sektoralen Grenzen und die Suche nach sektorübergreifenden Gemeinsamkeiten (z.B. Transaktionstypenbzw. Geschäftsbeziehungsforschung als gemeinsames Forschungsthema im Investitionsgüter, Konsumgüter und Dienstleistungsmarketing) machen deutlich, dass sektorale Forschung mit der Arbeit an einer allgemeinen Marketingtheorie nicht nur vereinbar ist, sondern auch wesentlich dazu beitragen kann (Backhaus 1998; Scheuch 1998).
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Arten von Marketing-Sektoren Die Bildung sektoraler Marketingfelder setzt geeignete Abgrenzungskriterien voraus. Daher ist es in einem ersten Schritt notwendig, einen passenden Merkmalskatalog zu erstellen, also geeignete Merkmale zu sammeln, zu definieren und zu ordnen. Geeignetes Merkmal heißt, dass es marketingrelevant sein muss und klassen- bzw. typusdifferente Marketingeinsatz- und Reaktionsmuster erwarten lässt (Hasitschka 1980). Mit der Eignung oder Zweckmäßigkeit („Usefulness“) eines Merkmals wird die wesentlichste (materielle) Anforderung an die Bildung von Klassifikationsschemata angesprochen (Hunt 1983). Die substantielle Qualität einer Typologie wird allein an ihrem Beitrag zur Strukturierung der Realität, um Hypothesen zu finden und später zu testen, gemessen. Dazu zählt als eine Art von Vorprüfung, ob das Schema mit dem zu untersuchenden Phänomen wirklich korrespondiert („Adequacy for specifying the phenomenon“). Setzt die Bildung von Gütertypologien wirklich am Gutscharakter an oder handelt es sich dabei nicht eher um das Kaufverhalten der Nachfrager wie am Fall des „Investitionsguts“ demonstriert? Als weitere (formale) Anforderungen an Klassifikationen sind folgende zu nennen (Hunt 1983): die konsistent einheitliche Anwendung der gewählten Merkmale (Einheitlichkeit), die wechselseitige Exklusivität der gebildeten Merkmalskategorien auf derselben Klassifikationsebene, also die Unmöglichkeit der mehrfachen Zuordnung (Eindeutigkeit), sowie die kollektiv erschöpfende Abdeckung aller möglicher Ausprägungen, d.h. jede in der Realität vorkommende Ausprägung muss einer Klasse zuordenbar sein (Vollständigkeit). Wie kritische Analysen von Typologien im sektoralen Marketing zeigen, sind Verletzungen dieser Anforderungen an die Typenbildung durchaus anzutreffen. Die Verletzung der Einheitlichkeit wird am Beispiel der unsauberen Verwendung des Leistungsbegriffs bei der Abgrenzung von Dienstleistungen (Engelhardt et al. 1993) aufgezeigt. Die eindeutige Zuordnung von Realphänomenen scheitert oft an der gewählten Klassenbildung, etwa im Fall der Zuordnung der Handelsleistung zur Sachgutoder Dienstleistungskategorie. Die Einführung von Übergangskategorien (z.B. gemischte Leistungsangebote im Sinne von Sachgut-Dienstleistungsbündel) stellt zwar auf den ersten Blick eine Lösung dar, verschiebt und verschärft aber nur die Problematik, da nun zwei Klassengrenzen statt einer festzulegen sind (Chmielewicz 1979). Der Konstruktion von mehrdimensionalen Typen kann man sich von zwei Richtungen nähern, nämlich indem das Merkmalssystem aus einer Theorie deduktiv abgeleitet wird (Typologie) oder indem es induktiv aus empirischen Beobachtungen ermittelt wird (Taxonomie). Weitere Begriffe für die Unterscheidung dieser beiden grundsätzlichen Zugänge zur Klassifikation sind „Logical Partitioning“, „deduktive Klassifikation“ bzw. „a priori Klassifikation“ für die Typologie sowie „Grouping“, „induktive Klassifikation“ oder „ex post Klassifikation“ für die Taxonomie (Hunt 1983). Bei Typologien handelt es sich um theoretisch hergeleitete Merkmalskombinationen (Wolf 2000). Sie beruhen auf a priori Annahmen und ihre Herleitung folgt konzeptionell-rational. Um sinnvolle Kategorisierungen zu er-
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zielen, sind gute Kenntnisse des untersuchten Phänomens a priori erforderlich, da es sich sonst um reine Spekulation handeln würde. Die Mehrzahl der im sektoralen Marketing (und in der Betriebswirtschaftslehre generell) anzutreffenden mehrdimensionalen Klassifikationen sind Typologien. Dabei sind wiederum zwei Wege der Typenbildung zu unterscheiden: die synthetische Typenbildung und die analytische Typeninterpretation Knoblich (1995). Bei der synthetischen Typenbildung werden die Ausprägungen als relevant erachteter Kriterien nach der Regeln der Kombinatorik miteinander verknüpft. Erst in einem weiteren Schritt wird beurteilt, ob bestimmte damit produzierte Kombinationen überhaupt in der Realität vorfindbar bzw. sinnvoll sind. Bei der analytischen Typeninterpretation beginnt die Analyse bei einem ausgewählten Typus (z.B. der „klassische“ Markenartikel), der in seine marketingrelevanten Ausprägungen zerlegt wird (Konsumgut, Marke, täglicher Bedarf, verpackungsbedürftiges Gut, hohe Bekanntheit etc.) und aus diesen dann auf die auszeichnenden Merkmale geschlossen wird, die dann als Grundlage für eine Gütertypologie dienen können. Dem gegenüber sind Taxonomien auf empirischem Weg bestimmte Variablenkombinationen (Miller u. Friesen 1984). Bei Taxonomien handelt es sich um Klassifikationsschemen, die erhobene reale Phänomene in sich gegenseitig ausschließende Sets von Subgruppen zerlegen. Im Unterschied zu den Typologien steht bei ihnen die Ausschöpfung der informationellen Reichhaltigkeit des jeweiligen Datenmaterials im Vordergrund. Unter Einsatz multivariater Analysemethoden wie der Faktorenanalyse und der Clusteranalyse werden aus dem vorliegenden Datenmaterial Typen von Entscheidungssituationen im Marketing ermittelt. Marquard (1981) ermittelte mit Hilfe der Faktorenanalyse aus 36 Beurteilungsmerkmalen neun Faktoren – technische Komplexität, Komplexität des Kaufprozesses, Seriosität des Herstellers, Individualität des Abnehmerproblems, Bedeutung der Dienstleistungskomponente, ökonomische Komplexität, geographische Vermarktungseinflüsse, Bedeutung des Direktvertriebs und des Preises –, die nachfolgend zur Gruppierung von 110 Investitionsgütern in sieben Cluster verwendet wurden. Dabei konnten zwei Extremtypen identifiziert werden: die Individualtransaktion und die Routinetransaktion. In der Marketingliteratur sind zur Abgrenzung von sektoralen Schwerpunkten folgende Kriterien anzutreffen (Hasitschka 1980; Knoblich 1995; Scheuch 1986; Tscheulin u. Helmig 2001): x Gutscharakter: Die Abgrenzung nach der Güterart beruht auf der Erkenntnis, dass Produkte mit gleichen Merkmalsausprägungen auch bestimmte, gleichartige Marketingmaßnahmen bewirken – es besteht eine Art „Sachzwang“ für einen gewissen „Grundmix“ (Becker 1993). Auf einer ersten Differenzierungsebene lassen sich das Marketing für Sachgüter, Dienstleistungen und Nominalgüter abgrenzen. Weitergehende Differenzierungen sind beispielsweise die nach Nutzungsdauer (Verbrauchs- vs. Gebrauchsgut), Kaufhäufigkeit, Erklärungsbedürftigkeit, Verderblichkeit und Kaufgewohnheit (Convenience-, Shopping- und Specialty Goods).
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x Zielgruppe: Hier wird grundsätzlich zwischen externen und internen Zielpersonen („Internes Marketing“) unterschieden sowie ob beim Tauschpartner individuelle Beschaffungsprozesse oder organisierte, mit mehreren involvierten Personen und Gruppenentscheidungen („Organizational Buying“), erfolgen. x Wirtschaftsstufe des Nachfragers: nach der Wirtschaftsstufe wird in Konsumgütermarketing und Business-to-Business-Marketing unterschieden. x Regionale Reichweite: nach dem geographischen Raum, in dem Marketing betrieben wird, lassen sich Binnenmarketing, internationales Marketing, EuroMarketing und globales Marketing unterscheiden. x Branche: darunter versteht man die Branche bzw. Institution, für die Marketing betrieben wird (z.B. Banken-, Versicherungs-, Apotheken-, Krankenhaus-, Tourismus-, Handelsmarketing). Der Branchenbegriff leidet unter Eindeutigkeit, da differenzierte Branchenkataloge meist historisch gewachsene, standespolitisch motivierte Zusammenfassungen von Unternehmen in Fachverbänden, Innungen und Kammern darstellen. x Zielinhalte des Anbieters: Anknüpfungspunkt stellt das dominante Oberziel in einer Organisation dar, wobei die dichotome Unterscheidung zwischen erwerbs- und bedarfswirtschaftlichen Zielinhalten zwischen Business- bzw. Profit-Marketing und Nonprofit-Marketing differenziert. Die eindimensionale Klassifikation von Sektoren hat sich bei der Benennung von Schwerpunkten in Forschung und Lehre als Konvention durchgesetzt (Konsumgütermarketing, Investitionsgütermarketing, Dienstleistungsmarketing, Handelsmarketing, internationales Marketing etc.). Vom Anspruch der eindeutigen Zuordnung her problematisch ist, dass diese Abgrenzung nicht immer trennscharf ist, da die Sektoren nach verschiedenen, oft komplementär anwendbaren Gesichtspunkten definiert wurden. Um dem mehrdimensionalen Charakter von Marketingentscheidungen gerecht zu werden, ist es v.a. aus der Sicht der Hypothesenbildung sinnvoll, Typologien zu entwickeln, die aus der Kombination mehrerer als relevant erachteter Kriterien resultieren. Den in der obigen Aufzählung angeführten Kriterien kann grundsätzlich Marketingrelevanz zugeschrieben wird, sodass sie eine sinnvolle Typenbildung erlauben sollten. Hasitschka (1980) hebt in seiner dreidimensionalen Marketing-Typologie den Zielinhalt, den Gutscharakter und die Zielperson(en) als grundlegend für die Charakterisierung von Tauschvorgängen hervor. Bei den weitergehenden Differenzierungsschritten ist eine stärkere Ausrichtung nach Produktsektoren ganz im Sinne des Commodity Approach zu erkennen. Es gilt zusätzliche Kriterien zu finden, die über die grundlegenden Merkmale hinaus die sektorspezifischen Vermarktungsbedingungen reflektieren und die Herleitung weiterer Varianten von Vermarktungssituationen ermöglichen. Im Konsumgütermarketing leitet Miracle (1965) anhand von neun Merkmalen mit jeweils fünfstufiger ordinaler Ausprägung fünf Produkttypen mit ähnlichen Erfordernissen für das Marketing ab, für die sich spezifische Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes des Marketing-Mix ziehen lassen. Unter den Kriterien finden sich solche, die auf Produkteigenschaften abstellen (Preis, Rate der technischen/modischen Änderung, technische Komplexität) und solche, die Mehrzahl,
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die auf das Kauf- und Verwendungsverhalten Bezug nehmen (u.a. Bedeutung jedes einzelnen Kaufs für den Abnehmer, aufgewendete Zeit und Mühe für den Kauf, Kaufhäufigkeit). Meffert (1986) weitet in seiner „warenspezifischen Analogiemethode“ die Produktanalyse konsequent auf den gesamten Marketing-Mix aus. Im Investitionsgüter-Marketing erfreuen sich Produkttypologien ebenfalls einer hohen Beliebtheit, wenngleich kaufverhaltensbezogene Ansätze die wissenschaftliche Diskussion bestimmen. Der Kaufklassenansatz unterscheidet zwischen dem Neukauf, den modifizierten Wiederholungskauf und dem identischen Wiederholungskauf, wobei die drei Kaufklassen durch die Kombination von Neuheit des Problems, Informationsbedarf und Betrachtung neuer Alternativen gebildet werden (Robinson et al 1967). Kirsch und Kutschker (1978) ermittelten auf empirischem Weg relevante Unterscheidungskriterien und verknüpfen dann die aus der Faktorenanalyse gewonnen Faktoren Wert des Investitionsobjekts, Neuartigkeit des Problems und Grad des induzierten organisatorischen Wandels beim Kunden zu drei Grundtypen von Investitionsentscheidungen. Als Typen stechen der „reine Wiederholungskauf“ sowie jener Investitionstyp, bei dem ein „neues Problem mit großer Wertdimension“ zur Entscheidung ansteht, hervor. Aktuellere Arbeiten widmen sich den Transaktionstypen und Geschäftstypen im Industriegütermarketing (Backhaus 1997; Kleinaltenkamp 1994; Meyer et al. 1998; Plinke 1992). Der Individualisierungsgrad der Leistung, die Intensität der Anbieter-NachfragerBeziehung, der Marktfokus (Einzelkunde vs. Segment), das Wirksamwerden eines Kaufverbunds und die Ausrichtung an der Einzeltransaktion oder am Wiederholungskauf werden als relevant für die Abgrenzung erkannt und zu Geschäftstypen zusammengeführt. Geläufig ist die pragmatische Abgrenzung von Geschäftstypen in Zuliefergeschäft, Anlagengeschäft, Produktgeschäft und Systemgeschäft (Backhaus 1997). Im Dienstleistungsbereich verwendet Scheuch (1982) die Kategorien Merkmale des Verrichtungsträgers, Merkmale der Verrichtung, den Anwendungsbereich beim Empfänger und den Zweckbezug der Verrichtung zur Konstruktion eines mehrdimensionalen terminologischen Systems für Dienstetypen. Bereits die vorgestellte Auswahl gibt einen Einblick in die Vielfalt an Perspektiven und Merkmalskombinationen in der Marketingliteratur. Es ist das Bemühen zu erkennen, sinnvolle Abgrenzungskriterien zu finden, die unterschiedliche Marketingimplikationen hervortreten lassen, und Gewichtungen bzw. Rangordnungen unter den Kriterien herzustellen (Hasitschka 1980). Insbesondere im Investitionsgütermarketing ist die Weiterentwicklung in der wissenschaftlichen Diskussion nachvollziehbar. Die früher vorherrschenden Produkttypologien wurden durch aussagekräftigere kaufverhaltensbezogene Merkmale abgelöst, deduktiv-theoretische Herleitungsschemata um empirisch-induktive Vorgangsweisen ergänzt. Die Typologien haben hier ihre Bedeutung für die Vorstrukturierung theoretischer Forschung bewiesen und wichtige Impulse für die Theorieentwicklung in diesem Sektor gegeben.
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Begründung des sektoralen Ansatzes Als Identitätskern der Marketingwissenschaft lassen sich Austauschbeziehungen festhalten. Die Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltung spezieller Austauschbeziehungen konstituiert die Marketing-Wissenschaft als Teildisziplin der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Raffee 1995). Für eine tiefergehende Bearbeitung des Objektbereichs ist es notwendig, eine Präzisierung vorzunehmen, indem auf „spezielle Austauschbeziehungen“ fokussiert wird. Die Perspektive der sektoralen Vertiefung, bei der auf Anwendungsbereiche des Marketing abgestellt wird, hat sich – wie der vorangegangene historische Rückblick eindrucksvoll zeigt – als äußert fruchtbar erwiesen (Scheuch 1998). Das sektorale Marketing erfüllt eine Brückenfunktion zwischen Theorie und Praxis und ist damit fest in der Tradition der anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre verankert. Ausgangspunkte für die sektorale Betrachtung sind Veränderungen im Realbereich und in den theoretischen Arbeitsgebieten der Marketingforscher. Die rasante Verbreitung des Internet und World Wide Web hat u.a. zur Entstehung neuer Geschäftsmodelle bzw. Vertriebskanäle (E-Channels), Kontakt- und Kommunikationsformen sowie zur zunehmenden Automatisierung von Marketingprozessen geführt. Für das Marketing ergeben sich daraus neuartige Anwendungssituationen, die durch den Einsatz internetspezifischer Marketingmethoden auf der Anbieterseite, durch das Aufkommen von neuen Typen von Intermediaries sowie durch die Art der Nutzung des Internet durch die Nachfrager geprägt werden. Anbietern stehen plötzlich neue Instrumente der Kontaktnahme und des Verkaufs zur Verfügung, deren Wirkung und Effizienz anfangs aber noch unklar sind. Zur Erklärung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Kaufverhalten zwischen virtueller und physischer Welt gilt es, die klassischen Modelle des Kaufverhaltens (z.B. wahrgenommenes Risiko, Produktwahl, Kundenbindung) in dieser neuen Anwendungssituation zu prüfen. Bei einer derart wesentlichen Entwicklung im Technologiebereich überrascht es nicht, dass sich sofort Marketingforscher gefunden haben, die sich der Untersuchung der Besonderheiten von Austauschbeziehungen zwischen Marktpartnern über dieses Medium und den daraus resultierenden Marketingimplikationen gewidmet haben. Eine Nichtbeachtung des neuen Phänomens Internet im Marketing wäre wohl schwer begreifbar. Zu sehr tangiert es klassische Fragestellungen des Marketing. Trotzdem ist es legitim, die Frage zu stellen, ob die Forschung unter der Spezialisierung „Internet-Marketing“ oder, breiter gefasst, als Teil des „Technologiemarketing bzw. High-Tech-Marketing“, das den Einfluss aller Arten moderner Technologien auf den Marketingeinsatz zum Untersuchungsgegenstand hat, erfolgen soll. Auch ist die Einordnung jeweils als Subkategorie im Consumer-Marketing und im Business-to-Business-Marketing vorstellbar. Die Suche nach sinnvollen Unterscheidungsmerkmalen für die Bildung von Kategorien von Austauschbeziehungen zählt im Kontext der Theoriebildung zum Entdeckungszusammenhang (Schanz 1988). Begriffsbildung, Klassifikation und
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Typenbildung stellen die abstrahierende Zuordnung realer Phänomene zu zweckmäßig definierten Merkmalsklassen bzw. –systemen dar, wodurch eine erste grobe Ordnung eines umfassenden Objektbereichs ermöglicht wird (Chmielewicz 1979; Hasitschka 1980). Begriffs- und Klassenbildungen sind nicht wahrheitsfähig, sie lassen sich nur nach ihrem heuristischen Wert beurteilen. Zweckmäßigkeit und Fruchtbarkeit sind jene Kriterien, die aus materieller Sicht für die Qualität einer Klassifikation ausschlaggebend sind (Scheuch 1996). Unter theoretischer Zweckmäßigkeit ist die Eignung zur Hypothesenbildung zu verstehen, d.h. es gilt alternative Abgrenzungen im Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen den gewählten Abgrenzungen, dem Geltungsbereich und der Prüfbarkeit von Hypothesen zu beurteilen. Dabei handelt es sich um einen kreativen Akt des Forschers, der marketingrelevante Unterschiede in den Austauschprozessen durch eine geeignete Wahl des Merkmals und seiner Ausprägungen erfasst. So haben die Materialität des Wirtschaftsguts oder seine nationale Herkunft („Country-of-Origin“) aus Marketingsicht eine stärkere Auswirkung auf die Qualitätsbeurteilung durch den Käufer als beispielsweise die Rechtsform des anbietenden Unternehmens oder Marktstrukturen. Mit Fruchtbarkeit wird auf die Anzahl der generellen Aussagen abgestellt, die aufgrund der gewählten Abgrenzung erzeugt werden. Je größer die Menge an generalisierbaren Aussagen, desto höher ist die Fruchtbarkeit im Sinne der wissenschaftlichen Kreativität einzuschätzen. Die Überlegenheit der sektoralen Marketingabgrenzung gegenüber den branchenspezifischen Aussagensystemen wird mit dem Argument der höheren Fruchtbarkeit begründet. Unter Anwendung von sektoralen Kriterien wie dem Gutscharakter oder der Art der Zielpersonen bzw. Wirtschaftsstufe (Letztverwender bzw. Haushalte vs. Organisationen) lassen sich marketingrelevante Differenzierungen vornehmen, die Variationen in Entscheidungssituationen in der Realität abdecken, welche parallel in verschiedenen Branchen auftreten, und sich damit aus wissenschaftstheoretischer Sicht durch einen höheren Erklärungswert auszeichnen. Da das Spektrum an möglichen Aussagen von singulären Aussagen, die nur für den Einzelfall gelten, bis zu generellen Aussagen, die einen maximalen sachlichen und raum-zeitlich unbegrenzten Geltungsbereich aufweisen, reicht, ist eine Entscheidung bezüglich des adäquaten Niveaus zu treffen. Obwohl als Ideal in allen Wissenschaften die Entwicklung von theoretischen Aussagensystemen auf höchstem Allgemeinheitsniveau angestrebt wird, sehen sich Sozial- und Wirtschaftswissenschafter (im Gegensatz zu den Naturwissenschaftlern) bei der Realisierung dieses Anspruchs mit größeren Schwierigkeiten konfrontiert. Aussagen mit einer „mittleren Reichweite“ in Bezug auf den sachlichen und raum-zeitlichen Geltungsbereich sind demnach sinnvolle Zwischenschritte in der Annäherung an die Entwicklung einer allgemeinen Marketingtheorie. Die sektoralen Aussagensysteme können als Plattform für weitere Abstrahierungsschritte dienen, wenn gezielt nach Gemeinsamkeiten zwischen Sektoren gesucht wird (z.B. Transaktions- bzw. Geschäftsbeziehungstypen als gemeinsamer Nenner des Dienstleistungs-, Investitions- und Konsumgütermarketing).
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Die Frage nach der geeigneten Abgrenzung des Objektbereichs des Marketing impliziert ein Werturteil im Entdeckungszusammenhang. Derartige Werturteile können nicht durch Wahrheitsentscheid, sondern nur aufgrund der normativen Abwägung von Pro- und Contra-Argumenten festgelegt werden (Chmielewicz 1979). In Tabelle 1 sind die Pro- und Contra-Argumente des sektoralen Marketingansatzes im Hinblick auf seinen Beitrag zur Entwicklung der Marketingwissenschaft gegenübergestellt. Tabelle 1. Gegenüberstellung der Pro- und Contra-Argumente für ein sektorales Marketing
Pro-Argumente x Strukturierung des Objektbereichs und Sprachregelung durch einheitliche Begriffe x Fokussierung der Forschungsanstrengungen auf ein gemeinsames Leitthema innerhalb der Marketingsektoren x Entwicklung von Theorien mittleren Generalisierungsniveaus
x Wichtige Transferfunktion zwischen Marketingtheorie und Praxis
Contra-Argumente x Abgrenzungsdiskussionen entwickeln Eigenleben auf Kosten der Theoriebildung x Sektorale Besonderheiten werden dem unterstellten Differenzierungsanspruch nicht gerecht x Sektoral ausgerichtete Forschung vernachlässigt integrative Perspektive – fehlender wissenschaftlicher Synergieeffekt x Überzogene Praxisorientierung verhindert die Förderung einer allgemeinen Marketingtheorie
x Entstehung wissenschaftlicher Institutionen sichert Forschung und Lehre im Spezialbereich („Institutionelle Spezialisierung“)
Ein Vorteil der sektoralen Herangehensweise ist, dass mit der Klassifikation von speziellen Kategorien von Austauschbeziehungen eine Ordnungsleistung erbracht wird, die es ermöglicht, Begriffe zu definieren und über die Sprachregelung ein Kommunikationsinstrument zwischen den Forschern zu schaffen. Die Sektorenbildung erlaubt die Konzentration der Forschungsanstrengungen auf einen abgegrenzten Objektbereich und unterstützt damit die sektorale Wissensakkumulation. Dieser Spezialisierungsprozess kann als wechselseitiger Stimulierungsprozess gesehen werden, der Impulse durch Initiativen von Wissenschaftern als auch aus der Praxis enthält. In sektoralen Schwerpunkten entstehen oft Leitthemen, die der sektoralen Forschung eine Programmatik geben. Im Dienstleistungsmarketing haben sich die „Qualität“ und „Kundenzufriedenheit“ als solche Leitthemen herausgebildet, im Investitionsgütermarketing das „organisationale Beschaffungsverhalten“ und in letzter Zeit die „Geschäftsbeziehung“. Sie bilden Kristallisationspunkte für die Forschung und tragen zur Schaffung von kritischer Masse in der Wissensproduktion bei, die notwendig ist, um im Fachbereich und in
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der Praxis Aufmerksamkeit zu erregen, Bekanntheit zu erlangen und weitere Ressourcen zu gewinnen. Neue Sektoren bieten den Forschern die Chance zur Profilierung, indem sie den Wissens- und Methodentransfer von der allgemeinen Marketingtheorie soweit anwendbar durchführen und zugleich die Erforschung der sektorspezifischen Besonderheiten initiieren. Sie treffen im entsprechenden Wirtschaftssektor häufig auf Unternehmen und Organisationen, die wiederum ein spezifisches Ausbildungsund Forschungsinteresse haben und auf die Kooperation mit der wissenschaftlichen Forschung angewiesen sind. Dadurch wird der Transfer von Marketingwissen in die neu erschlossenen Sektoren ermöglicht, der sich in einem Professionalisierungsschub im Marketing-Management niederschlägt. Gleichzeitig erlaubt die intensive Beschäftigung mit sektorspezifischen Marketingentscheidungen die Entwicklung von sektorspezifischen Theorien (vgl. dazu Theorien mittlerer Reichweite, Bourgeois 1979). Mit Theorien mittlerer Reichweite bzw. mittleren Generalisierungsgrades wird versucht, im Geltungsbereich auf die sektorspezifischen Verhältnisse eingeschränkte Aussagensysteme zu generieren, die als Transformator zwischen der allgemeinen Marketingtheorie und der Praxis in beide Richtungen funktionieren, also allgemeine Aussagen auf den Anwendungsbereich hin übersetzen helfen sowie über die Identifikation sektoraler Gemeinsamkeiten zur allgemeinen Theorieentwicklung beitragen können. Mit der institutionellen Verankerung sektoraler Forschung auf den Universitäten kommt es zu einer Verstärkung des Spezialisierungseffekts (Chmielewicz 1984). Die sektorale Perspektive findet nun auch Eingang in den Lehrbetrieb und in die berufsfeldbezogene Ausbildung, und die Entstehung einer sektoralen Identität, die v.a. in der Frühphase für die Mobilisierung von Ressourcen und die Diffusion der Thematik in die Praxis wichtig ist, wird mit diesem Schritt begünstigt. In der Wissenschaftsgemeinschaft spiegelt sich dieser Prozess im Aufkommen neuer Spezialforschungsfelder wider. Die Gründung neuer, auf Sektoren spezialisierter Journals (z.B. Journal of Services Marketing, Journal of Industrial Marketing Management, Journal of Euro-Marketing) sowie von spezialisierten Sub-Kommissionen in wissenschaftlichen Vereinigungen wie den Special Interest Groups der American Marketing Association (z.B. Retailing & Retail Management, Global Marketing, Services Marketing, Sports & Special Events Marketing, Marketing and Society/Ethics, Tourism, Hospitality & Leisure Marketing) sind Belege für diesen Institutionalisierungsprozess. Den Vorteilen des sektoralen Marketing wird eine Reihe von Nachteilen und Gefahren gegenüber gestellt. Der Vorwurf der ausufernden und wenig gehaltvollen Diskussion von Klassifikationsschemata und der Verhaftung in der vorwissenschaftlichen Phase ist v.a. im historischen Zusammenhang mit dem Wettstreit um die besseren Typologien bei Handelsfunktionen zu sehen (Schneider 1983). In den modernen sektoralen Spezialisierungen seit den 1970er Jahren hat u.E. rasch eine theoretisch-empirische Durchdringung des Objektbereichs stattgefunden, wenngleich in manchen Gebieten am Anfang längere Debatten zur richtigen Abgren-
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zung und Strukturierung des Objektbereichs nicht zu leugnen sind (z.B. Dienstleistungsmarketing, Nonprofit-Marketing). Empfindlich trifft jedenfalls der Vorwurf, dass sektorale Besonderheiten ihrem Differenzierungsanspruch nicht gerecht werden. Fern und Brown (1984) hinterfragen in ihrem Beitrag die Industrial/Consumer Marketing Dichotomie und behaupten, dass die Unterschiede innerhalb jeder Teilperspektive größer als die sektoralen Unterschiede sind. Die gutsbezogene Abgrenzung erfüllt nicht die Anforderungen an Klassifikationsschemata, da die Bezugsebene (Gutsart, Markt, Kaufverhalten, Marketinginstrumente) nicht klar festgelegt ist und das konstitutive Merkmal der Dichotomie, der Kauf durch Organisationen, keine eindeutige Zuordnung von Wirtschaftsgütern zulässt. Güter, die sowohl von privaten Letztverwendern als auch von Organisationen erworben werden, können abhängig von der Kaufsituation sowohl Konsumgüter als auch Investitionsgüter sein. Engelhardt et al. (1993) zeigen wiederum auf, dass die Abgrenzung zwischen Dienstleistung und Sachgut auf einem falschen logischen Ansatz beruht. Die Autoren weisen nach, dass die Abgrenzung der Dienstleistung anhand der Dimensionen Bereitstellungsleistung, Leistungserstellungsprozess und Leistungsergebnis nicht eindeutig ist. So wird die Bereitschaft eines Anbieters, eine Leistung zu erbringen, auch den Sachgüterproduzenten zugesprochen. Die Immaterialität des Leistungsergebnisses als zentrales Differenzierungskriterium ist auch nicht immer eindeutig zuordenbar, da in der Realität häufig gemischte Leistungsbündel anzutreffen sind, die sich am ehesten als Kontinuum auf einer Materialitätsskala darstellen lassen. Schließlich scheitert noch die Prozessdimension als klares Klassifikationsmerkmal, die bei Dienstleistungen auf die Integration des externen Faktors abstellt, da dadurch jene Sachgüter, die kundenindividuell erstellt werden, sich zu Dienstleistungen wandeln würden. Stattdessen wird die Aufgabe der SachleistungDienstleistung-Dichotomie und der Übergang zu Leistungsbündeln als Absatzobjekte vorgeschlagen, die nach dem Grad der Immaterialität des Leistungsergebnisses und nach dem Integrativitätsgrad typologisch – aber ohne Klassengrenzen – differenziert werden. Im Bereich des internationalen Marketing fordert Sheth (2001) die Aufgabe der Trennung nach regionalen Absatzmärkten. Die fortschreitende Globalisierung der Märkte löst zunehmend nationale Grenzen als nachhaltiges Unterscheidungskriterium auf. Er prophezeit die Transformation hin zum integrierten Marketingkonzept, in dem es zu einer verstärkten Ausrichtung auf transnationale Gemeinsamkeiten und der internationalen Koordination und Integration von funktionalen Aktivitäten kommen wird. Diese Beispiele machen deutlich, dass aufgrund der Verletzung von Prämissen bei der Bildung sektoraler Merkmalssysteme gewichtige Einsprüche vorgebracht werden können. Die in der Marketingliteratur vorzufindenden Typologien helfen zwar bei der Gegenüberstellung von Extremtypen, verlieren aber an Differenzierungskraft und Erklärungswert in den Übergangszonen zwischen den Klassen. Die Lösung dieser Problematik wird auf zweifache Weise angestrebt: durch die Bildung neuer, verbesserter Typologien sowie durch die bewusste Reduzierung der Funktion von Typologien auf den heuristischen Wert. Mit dem Ersatz mangelhaf-
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ter durch neue, verbesserte Typologien wird ein Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion geleistet, insbesondere dann, wenn über die Reparatur formaler Defizite (fehlende Klassen, eindeutige Zuordenbarkeit von Elementen etc.) hinaus materiell neue Anstöße für die Theorieentwicklung geliefert werden. Die Leistungstypologie von Engelhardt et al. (1993) oder das Konzept der Kontraktgüter (Schade u. Schott 1991), mit dem die Trennung von Dienstleistungs- und Investitionsgütermarketing überwunden werden soll, sind gute Beispiele für die Suche nach ergiebigeren Abgrenzungen. Die Problematik der starren Klassengrenzen wird durch die inhaltliche Neuformulierung meistens nicht gelöst. Daher gibt es eine Tendenz, auf klassifikatorische Abgrenzungen gänzlich zu verzichten und auf fließende Übergänge zwischen den Kategorien zu setzen. Damit erfährt die Funktion der Typologie eine Verschiebung von der exakten Begriffsbestimmung hin zum heuristischen Erklärungswert, der sich aus der Grobbestimmung der zu erwartenden Marketingimplikationen aufgrund der Position eines Realphänomens im aufgespannten Merkmalsraum ergibt. Neben der inhaltlichen Kritik an der Art der sektoralen Abgrenzung wird insbesondere auf die Behinderung der Entwicklung einer allgemeinen Marketingtheorie verwiesen. Der sektorale Ansatz begünstige die Etablierung von künstlichen, intradisziplinären Grenzen (Fern u. Brown 1984). Statt sich der Förderung von generellen Aussagensystemen zu widmen und zur Identifikation von Gemeinsamkeiten von Marketingphänomenen beizutragen (z.B. Kundenwissen, Kaufhäufigkeit, Marktstruktur, Kaufrisiko), wird nach – wie sich später herausstellt oft vermeintlichen – sektoralen Besonderheiten gesucht. Das bedeutet parallele Forschung und Lehre unter verschiedenen Titeln sowie Redundanz bei Publikationen, wenn diese in verschiedenen spezialisierten wissenschaftlichen Zeitschriften (statt in allgemein ausgerichteten) veröffentlicht werden. Führungskräften ist mit der Vermittlung allgemeiner fundamentaler Marketingkonzepte, Marketingmethoden und Marketingzusammenhänge vielfach mehr gedient, da diese ihnen oft neue Wege aufzeigen, welche Möglichkeiten zur Vermarktung in ihrem Bereich sonst noch bestehen (z.B. Übertragung von Markenstrategien aus dem Konsumgütermarketing in den Nonprofit- oder Industriegüterbereich), womit ein kreativer Beitrag zur Überwindung mentaler Branchen- bzw. Sektorgrenzen geleistet wird (Fern u. Brown 1984). Weiters wird die Gefahr gesehen, dass die sektorale Ausrichtung in eine überzogene Praxisorientierung umschlagen kann, die zu einer Vernachlässigung der Arbeit an der Marketingtheorie führt (Homburg 2000). Die vorliegenden Wissensbestände und theoretischen Beiträge in den einzelnen Marketingsektoren sprechen unseres Erachtens gegen diese Befürchtung. Mehr Anstrengungen können aber sicherlich mit dem Ziel der besseren (Rück-)Integration der sektoralen Erkenntnisse in eine allgemeine Marketingtheorie unternommen werden. Die fortschreitende sektorale Ausdifferenzierung, die in den letzten Jahrzehnten im Marketing stattgefunden hat, belegt, dass sich die damit verbundenen positiven Aspekte gegenüber den Einwänden durchgesetzt haben – soweit die Entwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin mit rationalen Argumenten überhaupt abbildbar ist. Die Gegenüberstellung der Pro- und Contra-Argumente zum sektoralen Mar-
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keting dient daher eher der Bewusstmachung der mit der sektoralen Differenzierung einhergehenden Konsequenzen und bietet eine Bezugsbasis für den wissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich der gewünschten zukünftigen Entwicklung. Dass zu dieser Frage keine einheitliche Meinung unter Marketingwissenschaftern existiert, kommt nicht überraschend. Eine Umfrage unter deutschsprachigen Marketingforschern kommt zum Ergebnis, dass eine kontroverse Auffassung hinsichtlich der Breite des anzuvisierenden Objektbereichs besteht (Franke 2000). Gefragt, ob sich die Marketingwissenschaft eher auf die Absatzfunktion erwerbswirtschaftlicher Unternehmen fokussieren oder breit im Sinne des Generic Concept ausgerichtet sein soll, ergeben sich bei den Antworten zwei dominante Gruppen, die zu den entgegengesetzten Endpunkten hin tendieren. Obwohl sich eine leichte Tendenz zu einer weiteren Fassung des Objektbereichs erkennen lässt, ist die Gruppe mit der klassischen Ausrichtung erstaunlich groß.
Fazit und Ausblick Die Frage nach der Bedeutung des sektoralen Marketing für die Marketingwissenschaft berührt auf zentrale Weise das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis. Die Positionierung der Betriebswirtschaftslehre und damit auch des Marketing als anwendungsorientierte Wissenschaft beinhaltet die Bereitstellung von Problemlösungen für die Wirtschaftspraxis. Im Selbstverständnis seiner Proponenten trägt das sektorale Marketing in mehrfacher Hinsicht zu diesem Wissenstransfer bei, nämlich einerseits im Transfer von allgemeinem Marketingwissen auf neue Anwendungssituationen im Sinne des Broadening Concept und andererseits in der Reintegration sektoral erworbener Erkenntnisse in einen allgemeinen Bestand an Marketingwissen. Im Zuge der Beschäftigung mit Problemstellungen in ausgewählten Sektoren der Praxis kommt es zu einer Übertragung und Anpassung der allgemeinen Marketingkonzeption auf die vorherrschenden Vermarktungsbedingungen, wodurch den Praktikern ein besseres Verständnis der Marktprozesse und der Möglichkeiten ihrer Beeinflussbarkeit geboten wird. Diese Spezialisierung sorgt für eine bessere wissenschaftliche Durchdringung des Sektors, da die Besonderheiten der Transaktionsprozesse, die Marktteilnehmer und speziellen Rahmenbedingungen, die Wertigkeit der Marketinginstrumente sowie die Reaktionsmuster auf den Marketingeinsatz erforscht und dokumentiert werden. Ohne die Ergebnisse dieses Spezialisierungsprozesses quantitativ bemessen zu können, gibt ein Blick in aktuelle Standardwerke zum Investitionsgütermarketing (Backhaus 2003), Dienstleistungsmarketing (Lovelock u. Wirtz 2003; Scheuch 2002) oder Internationalen Marketing (Keegan u. Schlegelmilch 2000) Auskunft über die umfangreiche Forschung, die in all diesen Spezialbereichen in den letzten Jahrzehnten geleistet wurde. Fast alle dieser Spezialisierungen (auf sektoraler Ebene) bewirkten einen ungeheuren Produktivitätsschub, zum Nutzen der Praxis, die davon durch dem Kontext besser entsprechende theoretische Aussagensysteme, Anwendungsforschung und -beratung und – wenn der Fachbereich sich auch
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in der Ausbildung verankern konnte – durch besser (vor)ausgebildete Mitarbeiter profitiert. Umgekehrt gewinnt die allgemeine Marketingtheorie durch die sektorspezifische Forschung, da die Forschung in den Marketingsektoren oft „Vorlauffunktion“ erfüllt, also aktuelle Themen in sektoralen „Lead-Markets“ früher erfasst und bearbeitet, sowie generell zur Vertiefung in allgemeinen Themenbereichen des Marketing beiträgt (z.B. Impulse des Investitionsgütermarketing für die Anbieter-Nachfrager-Interaktion und Geschäftsbeziehungsforschung oder des Dienstleistungsmarketing für das Relationship-Marketing und die Einbeziehung des Kunden in die Leistungserstellung). In ihrem Beitrag „Evolving to a New Dominant Logic for Marketing“ sehen Vargo und Lusch (2004) die Dienstleistung zum neuen Bezugsobjekt für das (allgemeine) Marketing aufsteigen, was sich in einem multiplen Perspektivenwechsel hinsichtlich der zentralen Tauschobjekte, der Rolle von Gütern und Kunden, der Interpretation von Wert und der Gestaltung der Anbieter-Nachfrager-Interaktion niederschlagen wird. Diese beobachtete Perspektivenverschiebung wirft auch die Frage auf, wie das Verhältnis von allgemeiner zu sektoraler Marketingtheorie eigentlich zu verstehen ist. So fordert Meffert (2000b) die verstärkte Hinwendung zur Entwicklung einer allgemeinen Theorie des Marketing, um die vielbeklagte Spezialisierungsfalle zu vermeiden. Implizit gründet die Vorstellung von einer allgemeinen Marketingtheorie, so unser Eindruck, auf einer funktional-instrumentellen Perspektive, die primär an der Herbeiführung und Beeinflussung von Einzeltransaktionen von Produkten in Konsumgütermärkten ausgerichtet ist. Wenn man so will, kann die allgemeine Marketingtheorie ebenfalls als sektoral angesehen werden, nämlich als Spezialisierung im Konsumgüterbereich. Es verwundert daher nicht, dass die Notwendigkeit einer allgemeinen Marketingtheorie als Klammerfunktion der Teiltheorien zwar im Grunde als sinnvoll anerkannt wird, aber, provokant formuliert, außer „Lehrbuchtheorien“, die eine Ansammlung von Konzepten, Prinzipien, Modellen, Methoden und wesentlichen empirischen Erkenntnissen in einem normativ-ausgerichteten Handlungsschema darstellen, wenige inhaltliche Ansätze zu einer solchen allgemeinen Theorie erkennbar sind (Bartels 1986; Bruhn 2000; Hunt 2002). Integrativ angelegte Modelle von hohem Abstraktionsgrad wie jenes von Bartels (1968) zu einer General Theory of Marketing haben bisher keine große Akzeptanz in der Gemeinschaft der Marketingwissenschafter gefunden (Hunt 1971). Im Gegensatz dazu läuft die Ausdifferenzierungs- und Vertiefungswelle ungebrochen weiter. Ständig werden neue Perspektiven vorgestellt („BindestrichMarketing“) und wird die inhaltliche und methodische Vertiefung in den verschiedensten Anwendungsbereichen vorangetrieben. Analog zum Produktlebenszyklus-Modell ist die Frage zu stellen, wo das Marketing in seiner Entwicklung angelangt ist. Ist es tatsächlich im Reifestadium oder in der Rückgangsphase angelangt, wie es der Bedeutungsrückgang des Marketing als organisatorische Funktion vermuten lässt (Hansen u. Bode 1997; Webster 1992)? In den klassischen sektoralen Bereichen gibt es Anzeichen der Erschöpfung, die sich in einer abnehmenden Publikationstätigkeit beispielsweise im Investitionsgütermarketing (Engelhardt 1998) und im Handelsmarketing ausdrückt. Die
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noch expansive Forschung im Dienstleistungsmarketing stößt immer stärker an Grenzen zu anderen Unternehmensfunktionen und sieht, so scheint es, ihr Wohl in der branchenbezogenen Vertiefung. Diese sektorinterne Ausschöpfung führt jedoch auch dazu, dass Innovationen wieder in der Integration und fachübergreifenden Zusammenarbeit mit anderen Teilperspektiven bzw. Teildisziplinen der Betriebswirtschaftslehre gesucht werden. Beispiele dafür sind die Forschung zu den industriellen Dienstleistungen (Homburg u. Garbe 1999) oder zum internen Marketing (Bruhn 1995), wo der besonderen Rolle des Personals in der Ausführung von Diensten stärkere Beachtung geschenkt wird. Gleichzeitig kommen aus einzelnen Sektoren zentrale Forschungsimpulse für das allgemeine Marketing, die auf einen „Relaunch“ des allgemeinen Marketing hindeuten. Anzeichen finden sich dafür im Dienstleistungsmarketing, das die aktuelle Diskussion der Transformation vom klassischen Transaktionsmarketing zum Relationship-Marketing prägt (Bruhn 2000; Vargo u. Lusch 2004) sowie im Investitionsgütermarketing, das mit den Forschungsarbeiten zum Interaktionsansatz, zu den Transaktions- und Geschäftsbeziehungstypen und zum wertorientierten Marketing wesentliche Beiträge für ein umfassenderes Verständnis von Marketingprozessen, für die stärkere Einbindung in allgemeine ökonomische Theorien (z.B. Transaktionskostenansatz) und damit für die Weiterentwicklung des ganzen Faches liefert (Backhaus 1998). Diese Beispiele zeigen, dass die Grundauffassung des sektoralen Marketing, eine Wissensvermittlung in beide Richtungen zu ermöglichen, keine Leerformel ist, sondern tatsächlich stattfindet und dass das sektorale Marketing ein wesentlicher Träger der Innovation in den Marketingwissenschaften ist. Der Wissenstransfer erfolgt nicht unidirektional vom Allgemeinen zum Speziellen, als reine Übertragung des Marketingkonzepts auf neue Anwendungsbereiche, sondern auch in die umgekehrte Richtung, indem sektorale Forschungserkenntnisse wichtige Beiträge für eine integrative allgemeine Marketingtheorie liefern und diese sogar in der Weiterentwicklung prägen, wenn nicht gar bestimmen. Es ist also durchaus möglich, dass in den Marketingsektoren mehr allgemeines Marketing zu entdecken ist als im so genannten allgemeinen Marketing.
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II. Forschung in den Sektoren des Marketing
Marketing Fast Moving Consumer Goods – Der Nukleus der sektoralen Sichtweise Hartmut H. Holzmüller Lehrstuhl für Marketing, Universität Dortmund
Problemstellung Die Differenzierung des Marketing nach unterschiedlichen Sektoren bzw. institutionellen Bereichen, die von spezifischen Besonderheiten hinsichtlich der Transaktionsprozesse zwischen den Marktteilnehmern und des Marketingeinsatzes geprägt sind, ist in der Disziplin akzeptiert (z.B. Scheuch 1996, Meffert 2000, Homburg u. Krohmer 2003). Die Diskussion und Analyse von Spezifika in den einzelnen Sektoren erfolgt im Vergleich zum allgemeinen oder „Mainstream“Marketing. Die nicht nach sektoralen Gesichtspunkten differenzierte allgemeine Auseinandersetzung mit dem Fach erfolgt beispielsweise in einführenden Lehrbüchern in den zentralen Kapiteln. Meist wird im Anschluss an diese Inhalte die sektorale Sichtweise aufgearbeitet und der Leserschaft unter dem Titel „institutionelles“ oder „sektorales Marketing“ vermittelt. Die unterschiedlichen sektoralen Bereiche werden üblicherweise an Hand ausgewählter Kriterien von der allgemeinen Betrachtungsweise abgegrenzt. Diese Abgrenzungsarbeit wird so geleistet, dass implizite Annahmen über die Spezifika von Märkten und Marktprozessen im Referenzbereich gemacht werden, die aber nie so deutlich herausgestellt werden, wie dies bei den spezifizierten Sektoren der Fall ist. Damit liegt aus unserer Sicht eine konzeptionelle Lücke in der sektoralen Analyse vor, die in der uns bekannten bisherigen Diskussion nur wenig Beachtung gefunden hat. Eine genauere Spezifikation der Charakteristika des allgemeinen Marketing scheint geeignet zu sein, die Diskussion und Analyse in den Marketingsektoren zu schärfen, und damit auch zur besseren Durchdringung eines nicht näher beschriebenen Ausgangsbereichs beizutragen. Aus unserer Sicht scheint es zweckmäßig zu sein als Ausgangssektor, quasi als sektoralen „Nukleus“, das Konsumgütermarketing bzw. – hier noch genauer gefasst – das Marketing für Fast Moving Consumer Goods (FMCG-Marketing) zu verwenden, das implizit als Vergleichbasis für die unterschiedlichen Sektoren bzw. institutionellen Bereiche dient. Zielsetzung dieses Beitrags ist eine auf der Tradition der sektoralen Sichtweise basierende Spezifikation des FMCGMarketing zu leisten, welche in der Folge eine gezieltere Auseinandersetzung mit
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den Besonderheiten in einzelnen Sektoren des Marketing stimuliert. Zuerst wird eine Abgrenzung des Nukleus erarbeitet, entsprechende Spezifika werden identifiziert und auf ihre Bedeutung zur analytischen Durchdringung des Bereichs hin untersucht. Darauf aufbauend werden Forschungsfelder identifiziert, die den Sektor prägen, und künftige Entwicklungslinien der Forschung in diesem Bereich aufgezeigt.
FMCG-Marketing
Verbrauchsgüter FMCG Markierte Güter
Konsumgüter
Abb. 1. Einordnung des FMCG-Marketing
Der Bereich des allgemeinen Marketing ist in entsprechenden Lehrbüchern nicht explizit abgegrenzt. Aus der historischen Entwicklung des Fachs und einer „Mainstream“-Orientierung heraus steht implizit das Konsumgütermarketing und Markenartikelmarketing im Vordergrund. Beide Felder sind bezogen auf zentrale Merkmale für eine sektorale Differenzierung, wie beispielsweise Kaufentscheidungssituationen oder Marktreaktionen, zu heterogen. Die Nutzung des Konsumgütermarketings als Basisfeld der sektoralen Betrachtung erscheint problematisch, weil diese Abgrenzung vorrangig auf den Typus der Kundengruppe bzw. die Wirtschaftsstufe abstellt – im Gegensatz zum an gewerblich-institutionellen Kunden orientierten Investitionsgütermarketing (Scheuch 1975). Damit umfasst dieser Sektor aber Vermarktungsprozesse von materiellen (Sachgüter) und immateriellen (Dienstleistungen) Gütern und beinhaltet damit eine Unschärfe, die für eine stringente sektorale Diskussion nicht zweckmäßig ist. Gleiches gilt für den Objektbereich des Markenartikelmarketing, weil dabei auch die Markierung von Dienstleistungen und Investitionsgütern eingeschlossen ist (Meffert u. Burmann 2000, Esch
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2004). Um eine möglichst homogene Konstellation im Vermarktungsprozess beschreiben zu können, positionieren wir den Nukleus der sektoralen Betrachtung im Überschneidungsbereich von Konsumgüter- und Markenartikelmarketing und konzentrieren uns in diesem Bereich auf Verbrauchsgüter, klammern damit Gebrauchsgüter und Dienstleistungen als Teilbereiche des Konsumgütermarketing aus (vgl. Abbildung 1). Das FMCG-Marketing ist damit definiert als jener Sektor des Marketing, der die Vermarktung von materiellen Verbrauchsgütern in markierter Form an Endverbraucher bzw. Haushalte umfasst. Wie bei jeder Typologie sind die Ränder der einzelnen konstituierenden Kriterien unscharf. So sind die Unterscheidungen von Gebrauchs- und Verbrauchsgütern, materiellen und immateriellen Gütern, markierten und unmarkierten Produkten sowie Haushalten und Organisationen nicht trennscharf. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass der so definierte Sektor sich gut als Referenzbereich für die in der Disziplin entwickelten Sektoren eignet. Diese Fokussierung auf einen engen Teilausschnitt der Disziplin kann unseres Erachtens dazu beitragen, die Beschäftigung mit impliziten Annahmen über das „Mainstream“-Marketing anzuregen. Aus der Analyse der typischen Gutseigenschaften, der Vermarktungspraktiken und dem Kauf- bzw. Kundenverhalten lassen sich unter Einbezug der in der Definition genutzten Kriterien folgende teilweise überlappenden und interdependenten Charakteristika des Sektors identifizieren (vgl. dazu auch Meffert 1993): x x x x x
Private Nachfrager (Haushalte) sind Kunden bzw. Zielgruppe Hersteller sind das steuernde Willenszentrum der Marketingaktivitäten. Tangible Verbrauchsgüter sind Gegenstand der Vermarktung. Markierte Güter werden vermarktet. Eine große Zahl von Nachfragern, hohe Kauffrequenz und Absatzmengen sind typisch. x Anonyme Hersteller/Kunden-Beziehungen dominieren. x Eine hohe Professionalisierung im Marketing auf reifen Märkten liegt vor. Mit dem Typologisierungsmerkmal private Haushalte als Nachfrager wird auf eine bestimmte Art von Kaufentscheidungsprozessen fokussiert. Oftmals liegen Individualentscheidungen vor, das persönliche Involvement ist gering, habitualisierte Kaufakte sind beobachtbar und affektive Determinanten (Emotionen, Motive etc.) der Kaufentscheidung spielen eine vergleichsweise große Rolle (KroeberRiel u. Weinberg 2003). Die Konsumenten disponieren über ihr eigenes Vermögen bzw. Einkommen und stehen unter keinem direkten Rechtfertigungsdruck bzw. sind zu keiner Transparenz bezüglich des Kaufentscheidungsprozesses gezwungen (Kotler et al. 2005, 254). Die Marketingimplikationen, die daraus resultieren, finden ihren Niederschlag u.a. in der großen Bedeutung der Beeinflussung affektiver Komponenten des Kaufverhaltens, im hohen Werbedruck und breiter distributiver Präsenz.
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Das Faktum, dass FMCG-Marketing typischer Weise von Herstellern initiiert und gesteuert wird, grenzt den Bereich vom Handelsmarketing (Müller-Hagedorn 2002, Schröder 2002) ab. Die Marketingplanung steht vor der Herausforderung, dass die Distributions- bzw. Vertriebspolitik häufig in indirekter und mehrkanaliger Form erfolgt und damit spezifische Komplexitäts- und Steuerungssituationen gemeistert werden müssen, die zu spezifischen Aufgabenstellungen wie Preisbindung und -durchsetzung, Trade-Marketing, Distributionssteuerung, Push- und Pull-Strategien führen (Homburg et al. 2002). Spannungen, Zielkonflikte und Machtkämpfe sind prägend für die Interaktion zwischen Herstellern und Handelsorganisationen (Olbrich 2001) und daraus resultierende Maßnahmen des TradeMarketing sind kennzeichnend für den Sektor. Die Tangibilität bzw. der materielle Charakter der Güter führt dazu, dass in Kaufentscheidungsprozessen einfache Bewertungen und Qualitätstests (z. B. Verkostung, optische und haptische Beurteilungen) von Konsumenten durchgeführt werden können, die zu geringerem wahrgenommen Risiko in der Kaufsituation führen (Kotler et al. 2005). Dies wird ebenfalls gestützt durch die verbrauchsorientierte Kauf- und Nutzungssituation (Ruhfus 1976), für die typisch ist, dass Kaufakte durch geringen Warenwert und die weite Verbreitung von Produktangeboten (hohe Distributionsquoten) gekennzeichnet sind. Dadurch dass Markenartikel Gegenstand der Vermarktungsprozesse sind, ergeben sich die typischen Wirkungsmuster auf Konsumentenseite, wie beispielsweise Orientierungshilfe, Signalisierung gleich bleibender Qualität, Risikoreduktion, Vermittlung von Erlebniswerten oder Möglichkeiten zur sozialen Distinktion (Meffert u. Burmann 2000). Auf Seite der Hersteller ist es gegengleich möglich, Differenzierungsstrategien zu sehr ähnlichen Konkurrenzprodukten, Positionierungsvorteile, Generierung eines Preispremiums, Schaffung einer Markenplattform etc. zu realisieren (Meffert u. Bruhn 1987). FMCG-Marketing ist gekennzeichnet von großen Absatzmengen. Dies resultiert aus der großen Anzahl von Kunden und der hohen Frequenz der Kaufakte, was den Einsatz von massenmarktbezogenen bzw. flächendeckenden Marketinginstrumenten wie breit gestreuter Werbung, universellen Vertriebsstrategien und mehrkanaligen Distributionssystemen bedingt (Mellerowicz 1963, Domschke u. Drexl 1996). Aus dem Volumen, der Vielschichtigkeit und der breiten Streuung der Marketingprozesse ergeben sich u. a. für Marketer eine vergleichsweise hohe öffentliche Exponiertheit und damit latente Risikopotentiale im Hinblick auf die Skandalisierung von Fehlern, Unfällen und Fehlverhalten (vgl. Schuh u. Holzmüller 1992a). Charakteristisch für den Sektor ist auch der hohe Grad der Anonymität in der Hersteller/Kunden-Beziehung, die Ausfluss der Massenmarktorientierung sowie der häufig mehrstufigen und mehrkanaligen Distributionsstruktur ist. Im Unterschied zu anderen Marketingsektoren sind Marketer im Bereich der FMCG was die Individualisierung, Interaktion und Selektion bei der Kundenbindung betrifft vor besonders schwierige Aufgaben gestellt (Diller 1996). Typischerweise stehen
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psychologische Kundenbindungsursachen im Vordergrund, während vertraglichen, ökonomischen und technisch-funktionalen Bindungsmotiven wenig Bedeutung zu kommt (Meyer u. Oevermann 1995). Schließlich weist das FMCG-Marketing einen hohen Grad an Professionalisierung auf. Marketing hat in diesem Sektor eine sehr lange Tradition und einen hohen Stellenwert (z. B. McCarthy 1960, Stanton 1964). Die Bedeutung des Marketing hat sich zudem durch die fortschreitende Marktsättigung, die vor allem in Industriestaaten beobachtbar ist (Gordon et al. 1991, Meffert 2000, 261), erhöht. Als Konsequenz aus der Tradition und den schwierigen Wettbewerbsbedingungen ist ein breites Angebot an Angebots- und Auftragsmarktforschung entstanden, vielschichtige und hochspezialisierte Marketingdienstleistungen mit klarem Focus auf FMCG (z. B. Werbe-, Medien- und Promotionsagenturen, Produktionsfirmen für Werbegestaltung) und sehr differenzierte einschlägige Ausbildungsangebote kennzeichnen den Sektor (z. B. ZAW 2004, GWA 2004, Metro Group 2004). Typische Warengruppen des FMCG-Marketing umfassen die Angebotsbereiche Nahrungs- und Genussmittel, Getränke, Körperpflege- und Kosmetikprodukte, Arzneimittel, Wäsche- und Kleidungspflege, Reinigungsmittel, Papier- und Schreibwaren, Zeitungen und Zeitschriften, Tabakwaren sowie Tiernahrung.
Leitfragen im FMCG-Marketing In der Auseinandersetzung mit einzelnen Sektoren des Marketing steht neben der Befassung mit der Abgrenzung bzw. Charakterisierung der Teilausschnitte des Fachs und der Identifikation der entsprechenden Marketingimplikationen auch immer die Beschäftigung mit den besonderen Herausforderungen an die Marketingplanung und -gestaltung im Vordergrund (z. B. Backhaus 2003, Scheuch 2002, Keegan et al. 2002, Hasitschka u. Hruschka 1982). In Bezug auf das FMCGMarketing lassen sich fünf Leitfragen hervorheben, die die wissenschaftliche Diskussion im Sektor prägen (vgl. Abb. 2). Die erste Frage bezieht sich auf die Besonderheiten im Hinblick auf die Verhaltensweisen und Reaktionsmuster von Kunden beim Kauf und Konsum von FMCG. Ein weiterer Problemkreis betrifft die Gestaltung und Realisierung der Markenpolitik bei materiellen Gütern des täglichen Bedarfs. Als dritter Fragenbereich stellt sich zentral die Gestaltung und Führung von Distributions- und Vertriebssystemen. Zudem gilt es im gegenständlichen Sektor dem Charakter der Marktsituation, nämlich der in allen Industriestaaten vorliegenden Marktsättigung und den daraus resultierenden Spezifika im Vermarktungsprozess besonderes Augenmerk zu widmen. Schließlich ist die Frage der Handhabung des hohen Innovationsdrucks von besonderer Relevanz für den FMCG-Sektor.
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Markenpolitik
Konsumentenverhalten
Innovationsdruck
FMCGMarketing
Vertriebspolitik
Marktsättigung Abb. 2. Leitfragen des FMCG-Marketing
Konsumentenverhalten Aus der Tatsache, dass die Nachfrage in diesem Sektor idealtypisch von privaten Haushalten ausgeht, resultiert eine Fülle von spezifischen Konsequenzen. Ein großer Teil der Kaufakte wird von Individuen getätigt und daher sind Kauf- und Konsumentscheidungen häufig von Spontaneität und Emotionen gekennzeichnet (Rook 1987, Rook u. Fisher 1995). In vielen Fällen entscheiden Konsumenten ohne Rechtfertigungsdruck und der Erwartung der Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung, wie dies bei Kaufentscheidungen von Investitionsgütern der Fall ist (Scheuch 1975). Damit gewinnen Marketingtechniken an Bedeutung, die es erlauben, Kaufimpulse zu setzen, spontane Kaufanreize zu schaffen und Marktangebote emotional zu färben (Kroeber-Riel u. Esch 2004). In ähnlicher Weise sind aber auch Mehrpersonenentscheidungen typisch, wie beispielsweise Einkäufe, die von Familien oder in einer Gruppe getätigt werden. In solchen Situationen verändern sich Kaufentscheidungsprozesse deutlich und nähern sich – von den unterliegenden Prozessen her betrachtet – stärker solchen, wie sie im Investitionsgüterbereich vorzufinden sind, an (Dalhoff 1980, Kirchler 1989 und 1993). Schließlich gilt es noch solche Kaufentscheidungen zu bedenken, in denen eine Person aus einem Haushalt als Delegierter einer oder mehrer Haushaltsmitglieder Einkaufsentscheidungen trifft und damit bis zu einem gewissen Grad Nachvollziehbarkeit und Rechtfertigungsdruck höher werden (Assael 1998). Das Kauf- und Konsumverhalten im Kontext von tangiblen Verbrauchsgütern ist durch einige Spezifika gekennzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass im Durchschnitt der Fälle Kaufakte vorliegen, die einen relativ geringen Wert betreffen. Damit sind Kauf- und Konsumentscheidungen angesprochen, die geringes ökonomisches und soziales Risiko aufweisen, was sich häufig, wenn gleich nicht
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immer, in geringem Involvement und größerer Habitualisierung niederschlägt (z. B. Diller u. Goerdt 1997, Poiesz u. de Bout 1995). Die Tangibilität von FMCG erlaubt Konsumenten, dass Produkte im Gegensatz zu beispielsweise Dienstleistungsangeboten geprüft und getestet werden können, was wiederum das wahrgenommene Risiko selbst bei Erstkäufen reduziert. Vor dem Hintergrund der relativ geringen Kosten persönlicher Vergleiche, also beispielsweise der Durchführung von Probekäufen von Konkurrenzprodukten, stellt sich im FMCG-Marketing die Frage, ob und aus welche Weise emotionaler Mehrwert tragfähig vermittelt werden kann (Rossiter u. Percy 2001, Esch u. Langner 2001), um nachhaltige Markentreue aufzubauen. Für den größten Teil von Verbrauchsgütern ist zudem charakteristisch, dass eine hohe Einkaufsfrequenz vorliegt, welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Low-Involvement und Habitualisierung bzw. Effizienzüberlegungen im Rahmen von Kaufentscheidungen weiter erhöht. Zugleich gilt es aber auch zu berücksichtigen, dass die Neigung nach Abwechslung und Veränderung (Variety Seeking) ein zentrales Motiv des Konsumentenverhaltens darstellt, das im Widerspruch und damit im Wettstreit mit eingefahrenen Verhaltensmustern steht (Bänsch 1995). Im Hinblick auf die konstatierten anonymen Hersteller/Kunden-Beziehungen gilt es zu klären, ob die stark aus der Dienstleitungsforschung geprägte Konzeption des Beziehungsmarketing in diesem Sektor von Relevanz ist, oder ob die Markentreue nicht über völlig unterschiedliche Mechanismen aufgebaut wird. Kundenbindungsmaßnahmen, Brand Communities und Direktmarketing kommt in diesem Zusammenhang an anderer Stellenwert zu, als dies bei Gebrauchsgütern und Dienstleistungen der Fall ist. Markenpolitik Das FMCG-Marketing ist das klassische Einsatzfeld für das Instrumentarium der Markenpolitik. Aufgrund der Nachfrage durch private Haushalte und der daraus resultierenden großen Bedeutung subjektiver Produkteigenschaften, also der relativ geringen Bedeutung von objektiven physikalisch-technischen Produkteigenschaften, kommt der Markenpolitik eine große Bedeutung zu (Esch 2004, 33). Die Markierung von Waren erlaubt die Betonung von ästhetischen und symbolischen Produkteigenschaften. Es können assoziative Markenwelten um das Produkt herum gestaltet werden, die insbesondere auf soziale, epistemische, emotionale und konditionale Nutzendimensionen abstellen (Sudharsan 1995). Die vom Markenartikelhersteller beabsichtigte enge Steuerung der Vermarktungsaktivitäten bis hin zum Letztverbraucher steigert zusätzlich die Bedeutung der Markenpolitik. Die typischen indirekten und mehrkanaligen (Multi-Channel) Distributionssysteme erfordern eine starke Markenpolitik, weil diese in der Lage ist, akquisitorisches Potential aufzubauen, das die Kooperationswilligkeit des Handels erhöht und zudem die Vertriebsteuerung über mehrere Absatzkanäle in
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synergetischer Weise oftmals erst möglich macht (Esch 2004, 469). Den Produkten wird damit eine eigene „Persönlichkeit“ (Aaker 1997) gegeben, die sie in den Augen der Konsumenten unverwechselbar, eigenständig und individueller erscheinen läßt und damit „robuster“ für die Herausforderungen in unterschiedlichen Vertriebswegen macht. So werden durch die Markierung Pull-Strategien erst ermöglicht und damit eine höhere Kooperationsbereitschaft beim Handel erreicht (Tomczak et al. 2001). In Mehrkanalsystemen ist die Markenpolitik eine sehr zweckmäßige Form, um Synergieeffekte, wie z.B. die Stützung der Marktpräsenz durch Verweise auf die Distribution auch über hochwertige Vertriebswege, zu nutzen. Schließlich ist die Bedeutung der Markierung von materiellen Produkten für den Aufbau von akquisitorischem Potential am POS bedeutsam. Erst über Markenpolitik wird es möglich, dass die kommunikative Wirkung des Erscheinungsbilds von Produkten, Selbstpräsentation, Nutzenkommunikation etc. in effizienter und unverwechselbarere Weise erfolgt (Scheuch 1996, 288). Die tangible Natur der FMCG und das Charakteristikum der Verbrauchsgütereigenschaft bieten ideale Möglichkeiten der Markierung, die beispielsweise in anderen Sektoren wie dem Dienstleistungs- und Investitionsgütermarketing nicht oder nicht in diesem Ausmaß gegeben sind. Die stoffliche Eigenschaft der Marktangebote, die großen Produktmengen, die bedeutsame Rolle der physischen Präsenz von Produkten am POS sowie bei der Lagerung und Verwendung in Haushalten (Hasenauer u. Scheuch 1981) bieten einen ausgezeichneten Gestaltungsspielraum für die Markenpolitik (Esch u. Langner 2000). Die hohe Kauffrequenz, die kennzeichnend ist für FMCG, ist Basis für die Bedeutung der Entlastungsfunktion von Marken in Kaufentscheidungsprozesse von Konsumenten. Mit der Entwicklung von Markenpräferenzen werden Marken zu Schlüsselinformationen, die von Konsumenten zur Vereinfachung von Kaufprozesse heran gezogen werden (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 282). Damit wird in einem nächsten Schritt auch oftmals der Grad des wahrgenommenen Risikos eines Kaufaktes abgebaut. Die Markenpolitik liefert die Möglichkeit, dass Konsumenten im Rahmen von Kaufentscheidungen auf zentrale Schlüsselreise zurück greifen. Damit erst werden habitualisierte Kaufentscheidungsprozesse ermöglicht. Aus dem Blickwinkel der weitgehend anonymen Hersteller/Kunden-Beziehung kommt der Marke eine wesentliche Bedeutung bei der Durchsetzung von Hersteller-gesteuerten Strategien zu. Die Marke dient als Identifikationsfläche, die eine „Verpersönlichung“ der Beziehung zu den Markenprodukten und in der Folge zum produzierenden Unternehmen ermöglicht („Meine Marke“, Fournier 1998, Aaker 1997). Mit gezielter Markenpolitik wird es möglich, eine subjektive Sphäre der Vertrautheit und Beziehung herzustellen, die aus Konsumentensicht der objektiv gegebenen Anonymität entgegen wirkt. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Kontext die Gestaltung von Markenhierarchien bzw. Mehrmarkenpolitik. Insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Unternehmensmarke, Marken von Sub-Brands oder Markenfamilien, Einzelmarken und Typenbezeichnungen sind ein herausforderndes Analysefeld in der Wirkungsforschung und ein komplexes
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Gestaltungsfeld im FMCG-Marketing (Andresen u. Nickel 2001, Meffert u. Perrey 2001). Schließlich sind der hohe Sättigungsgrad der FMCG-Märkte und die daraus resultierende Professionalisierung im Marketing weitere wesentliche Faktoren, welche die Bedeutung von Markenprodukten steigern. Die Markierung von Ware ist ein effizientes Mittel zur Produktdifferenzierung, ein Instrument zur effektiven Kommunikation in durch Informationsüberlastung und flüchtiges Informationsverhalten gekennzeichneten Märkten sowie im Umgang mit erlebnisorientierten und postmodernen Konsumenten (z. B. Smart Shoppers, hybride Konsumenten, Esch u. Wicke 2001). Vertriebspolitik Die private Nachfrage impliziert häufig, dass Käufe von FMCG wenig geplant und oftmals spontan erfolgen. Unterschiedliche Bedarfssituationen, die zu unmittelbaren Kaufakten führen, erfordern eine breite Verfügbarkeit von entsprechenden Produkten. Zum Vertrieb von FMCG werden daher leistungsfähige Vertriebssysteme benötigt, die typischer Weise universell, mehrstufig sowie mehrgeleisig sind und damit häufig nicht von den Produzenten im alleinigen Verfügungsbereich organisiert werden können. Indirekte Multi-Channel-Strukturen sind daher in diesem Sektor typisch (Nieschlag et al. 2002, 916). Solche Distributionsstrukturen bedingen ein gut entwickeltes Instrumentarium zur in kooperativer Weise zu realisierenden Beeinflussung von Distributionsorganen auf den zwischengeschalteten Wirtschaftsstufen, die sowohl Konflikte entlang einzelner Absatzkanäle, als auch zwischen diesen gering halten sollen (Specht 1998, 285). Typische Herangehensweisen bzw. Lösungsansätze, die im FMCG-Marketing entwickelt wurden, sind Key-Account Management (Homburg et al 2002), Supply Chain Management (Arnold et al 2001), Category Management und Efficient Consumer Response Konzepte (von der Heydt 1999). Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Absatzkanäle hinsichtlich ihrer Effizienz, Positionierung und offerierten Serviceangebote ergeben sich sehr unterschiedliche Kosten- und Verkaufsituationen (z. B. Vertrieb von Erfrischungsgetränken über Supermärkte, Kioske, Tankstellen, Gastronomie, Automaten- und Eventvertrieb), die zu nicht standardisierbaren Marketingmaßnahmen am POS führen. Die unmittelbare Konsequenz, die daraus für die Marketingplanung resultiert, ist die Vermeidung von zu komplexen und zu detaillierten Vertriebskonzepten und die geschickte Steuerung durchgängiger Preisaussagen bzw. –positionen (Preisempfehlung). De weiteren gilt es, klare und einfache symbolische Produkteigenschaften (z. B. Markenlogos, Verpackungsformen) und breit gefächerte Kommunikationspolitik zu nutzen (Esch 2004, 177). Tangible Verbrauchsgüter werden in der Kaufsituation nach dem Erscheinungsbild bewertet, was gezielte Maßnahmen der Qualitätssicherung entlang der vertriebsbezogenen Logistikkette erfordert. So gilt es u. a. zu vermeiden, dass Pro-
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dukten am POS angesehen werden kann, wie weit diese transportiert, wie oft sie umgeschlagen und wie lange sie gelagert wurden. Die materiellen Eigenschaften von Gütern führen auch dazu, dass der Verpackungs- und Packungsgestaltung eine bedeutsame Rolle zukommt. In den einzelnen Stufen entlang der Logistikkette (z. B. Produktionslager, Transport, Zwischenlager, POS, Heimtransport, Lagerung im Haushalt, Verbrauchssituation) haben Verpackung und Packung spezifische Funktionen zu erfüllen, die typischerweise in dieser differenzierten Form nur für FMCGs bedeutsam sind (Specht 1998, 111). Die Tatsache, dass Markenartikel Gegenstand des Vermarktungsprozesses in diesem Sektor sind, führt im Hinblick auf die Vertriebspolitik zu besonderen Ansprüchen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Produkten. Damit ist einerseits die Nutzung möglichst vieler differenter Absatzkanäle sowie ein hohe Distributionsquote in den einzelnen Vertriebsschienen angesprochen. Andererseits ist die Vermeidung von Lagerlücken und Stock-Outs von prioritärer Bedeutung, weil die Marktposition einer Marke auch sehr stark von deren tatsächlicher Verfügbarkeit abhängt (Nieschlag et al. 2002, 953). Das Spezifikum der großen Zahl von Nachfragern, hoher Kauffrequenz und den daraus resultierenden großen Absatzzahlen führt zu besonderen Herausforderungen in der Vertriebslogistik im Hinblick auf das zu bewältigende Volumen. Verstärkt wird diese Problemstellung durch die bereits angesprochene Zahl von unterschiedlichen Absatzkanälen, die erfolgskritische universelle Präsenz und die hohe Lieferbereitschaft. Mit Bezug auf den Sättigungsgrad vieler FMCG-Märkte stellt sich in der Vertriebspolitik die vergleichsweise hohe Austauschbarkeit von Produkten hinsichtlich des Grundnutzens und der objektiven Produkteigenschaften als besondere Herausforderung, der wiederum nur durch universelle und zeitlich geschlossene Präsenz an den unterschiedlichen POS eines Produktes begegnet werden kann, da die nicht gegebene Verfügbarkeit bei Low-Involvement Kaufsituationen häufig zum Markenwechsel führt (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 612). Marktsättigung Märkte für FMCG sind wohl die am besten dokumentierten und marktforscherisch am genauesten erfassten Märkte. Aus der kommerziellen Marktforschung ebenso wie der Auftragsforschung von Dritten steht periodisch eine Fülle von Marktdaten zur Verfügung, die das Marktgeschehen mit hoher Transparenz abbildet. So sind häufig Handels- und Verbraucherpanels, Kaufkraftstromanalysen, Medienbeobachtungen, Mediaanalysen und Lebenstiluntersuchungen zu finden. Angebote der ad-hoc Forschung, wie beispielsweise Konzepttests, Produktakzeptanztests, UseTests, Werbepretests, Testmarktstudien, Imageanalysen oder Produktnutzenuntersuchungen, ergänzen das Repertoire an genutzten Marktforschungsinstrumenten im FMCG-Marketing (Berekoven et al. 1999). Über den Bereich der Marktforschung hinaus existiert ein hochspezialisiertes Angebot von spezifischen Serviceanbietern, wie beispielsweise Werbeagenturen, Mediaagenturen, Promotionsunternehmen, Werbegestaltern, Druckereien, Medienhäuser und Rack-Jobbers, die
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unterstützende Dienstleistungen im Kommunikations- und Vertriebsbereich offerieren. Dieses Branchenumfeld sorgt für eine Fülle und Qualität an MarketingExpertise, wie sie in keinem der anderen Marketingsektoren verfügbar ist. Aus dem Blickwinkel der privaten Nachfrager ist das Güterangebot dadurch gekennzeichnet, dass in vielen Bereichen, wie z.B. bei Waschmitteln, Kosmetikprodukten und Nahrungsmitteln die Basistechnologien, die in der Produktion eingesetzt werden, ausgereizt sind. Produktdifferenzierung ist daher entlang objektiver Produktmerkmale kaum möglich bzw. von so geringem Ausmaß, dass diese von Konsumenten nicht als kaufentscheidend wahrgenommen werden. Damit ist die Betonung ästhetischer und symbolischer Produkteigenschaften und das Angebot von Zusatzleistungen, die das Kauf- und Verwendungsrisiko der Kunden reduzieren, von zentraler Bedeutung (Chernatony u. McDonald 1998). Besonders bezeichnend für den Sektor ist das komplexe Zusammenspiel zwischen Herstellern und Händlern. Grundsätzlich waren FMCG-Märkte in den letzten Jahren von einer steigenden Machtposition des Handels gegenüber der Industrie geprägt, die sich u.a. aus den Konzentrationstendenzen im Handel, der damit einhergehenden Emanzipation des Handels von der Industrie und der Nutzung seiner distributiven Stärke (z.B. aktive Führung von Handelsmarken) ergab (Homburg u. Krohmer 2003, 727). Dennoch existiert eine Fülle von Synergieeffekten zwischen den Wirtschaftstufen, wie beispielsweise laufende Produktverbesserungen, Produkt- und Promotioninnovationen durch die Hersteller, die für den Handel besondere Erfolgschancen eröffnen. In umgekehrter Weise profitiert die Herstellerseite von innovativen Handelskonzepten, die mehr Kundennähe und ein höheres akquisitorisches Potential für FMCG bedeuten (Barth et al. 2002). Aus dem Charakteristikum der großen Zahl von Nachfragern, der Kauffrequenz und den sich daraus ergebenden großen Absatzmengen resultieren in der Regel komplexe und gut eingespielte Logistik- bzw. Vermarktungsprozesse. Selbst vergleichsweise geringe Veränderungen solcher Strukturen, wie beispielsweise die Eliminierung eines Absatzkanals oder die Verstärkung von „Below-the-Line“Aktivitäten zu Lasten des klassischen Marketingbudgets, können zu deutlichen Veränderungen in den Mengenstrukturen führen. Dies führt insgesamt dazu, dass neue Ideen im Marketing überaus vorsichtig geprüft werden und eine generelle Tendenz zum Abtesten der erwarteten Marktreaktion mit Hilfe von Marktforschung besteht (Hammann u. Erichson 2000). Damit ergibt sich ein für den Sektor typisches Spannungsfeld im Rahmen der Innovationspolitik zwischen der Orientierung an der bestehenden Marktsituation (Schlagwort „Market Driven“) und einer eher mutigen Ausrichtung an Ideen und Visionen, die auf Wettbewerbsvorteile durch radikale Marktführerschaft („Market Driving“) abstellt (Kumar et al. 2000, Jaworski et al. 2000).
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Innovationsdruck Aus der typischen Nachfragesituation, also den breit gestreuten und sich relativ rasch wiederholenden Kaufakte, resultieren Habitualisierungs- und Routineeffekte, die einerseits von Vorteil für die Marketer sind, weil sich damit eine geringere Volatilität im Markenwechsel ergibt. Andererseits sind Habitualisierung und Routinesierung im Kaufverhalten Ansatzpunkte zur Verschiebung der Markenpräferenz (Variety Seeking Behavior, Helmig 1996). Die Suche nach Abwechslung, der Reiz Neues auszuprobieren und das Experimentieren in „kleinen Rahmen“ sind Beweggründe von Konsumenten, die im FMCG-Marketing zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen genutzt werden können. Gelingt es Herstellern, ihre Produkte so zu vermarkten, dass eine hohe Aktualität des Angebots wahrgenommen wird, im Rahmen der Markenfamilie genügend an Variation geboten und eine entsprechende Markendynamik aufgebaut werden kann (Andresen u. Nickel 2001, Esch 2004, 240), dann ist dies ein probates Mittel, Markenwechseltendenzen gering zu halten. Aus dem Blickwinkel der Hersteller/Händler-Interaktion liefert eine aktive Innovationspolitik, die auf laufende Produktveränderung bzw. –verbesserung oder Innovationen im Vermarktungsprozess bzw. des Marktauftritts abstellt, ein zentrales Argument gegenüber dem Handel, die Attraktivität des eigenen Angebots zu unterstreichen und die daraus resultierenden Vorteile für die Handelspartner zu belegen. Im Vergleich zu anderen Sektoren, wie z. B. dem Dienstleistungs- und Investitionsgütermarketing, ergeben sich aus der Vermarktung tangibler Massengüter viele Möglichkeiten der inkrementalen Produktanpassung und –veränderung. Eine Fülle an Details, die das Produkt an sich und dessen Verpackung in technisch-physikalischer, ästhetischer und symbolischer Hinsicht betreffen, lassen sich gestalten und über lange Zeiträume hinweg variieren. Darüber hinaus erlaubt die Markierungsstrategie Innovationen, die auf die Positionierung, das angestrebte Image der Marke und schließlich die Markenwelt abzielen, zu realisieren. In vielen Fällen ist davon auszugehen, dass auch vergleichsweise geringe Änderungen am Produkt, wie z.B. neue Verwendungshilfe oder Designvariationen, aufgrund der hohen Absatzzahlen und distributiven Präsenz vergleichsweise große Breitenwirkung erzielen können (Kotler et al. 2005, 545). Auch im Hinblick auf die eher anonyme Hersteller/Kunden-Beziehung ermöglich eine aktive produkt- bzw. markenorientierte Innovationspolitik eine Intensivierung der emotionalen Bindung an eine Marke, die u. a. über die Dimensionen Aktualisierung des Markenauftritts, produkttechnischer Fortschritt und verbesserte Problemlösung für die Kunden erfolgen kann.
Entwicklungsfelder in der FMCG-Forschung Aus der Beschäftigung mit den Charakteristika des Sektors und der Analyse typischer Implikationen für die Marketingplanung und -realisation lassen sich in einem nächsten Schritt einzelne Felder in der Forschung identifizieren, die aus derzeitiger Sicht die künftige betriebliche und akademische Forschung im FMCG-
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Bereich bestimmen wird. Naturgemäß sind diese Einschätzungen subjektiv und sollten auch nicht als erschöpfend verstanden werden. Zentrales Anliegen des Abschnitts ist es, bedeutsame künftige Fragestellungen und Entwicklungen zu reflektieren und möglicherweise neue Forschungsideen zu stimulieren. Marktforschung Sowohl in der kommerziellen als auch in der akademischen Marktforschung zeichnet sich eine zunehmende Hinwendung zu qualitativen Forschungsmethoden ab (z. B. Hirschmann u. Holbrook 1992, Buber et al. 2004). Die explizite Hinwendung in diesem Forschungsparadigma zur klaren Definition von Gütekriterien und Erhöhung der Nachvollziehbarkeit werden dazu führen, dass die Akzeptanz in der Disziplin weiter steigt (Steinke 2003). Einerseits werden qualitative Vorstudien im Rahmen von zu quantitativen Forschungsvorhaben an Bedeutung gewinnen, weil sie zu einem unverzichtbaren Qualitätsmerkmal werden. Parallel dazu werden Strategien einer gemischten methodischen Herangehensweise, die beide Forschungsansätze kombinieren, häufiger eingesetzt werden (Bartunek u. Seo 2002). Andererseits wird der ausschließlich qualitativen Analyse von Aufgaben- und Problemstellungen im Marketing von FMCG größerer Stellenwert eingeräumt werden. Neben Forschungsdesigns, die auf die Generierung von Textmaterial und dessen systematische Analyse abstellen, werden in zunehmendem Maße ethnographische und anthropologische Forschungsmethoden eingesetzt werden (Girtler 2001, Hitzler et al. 2001). Dies gilt insbesondere für die Identifikation schwacher Signale im Hinblick auf die Marktentwicklung bzw. die Sensibilisierung von Produktentwicklung und Produktmanagement für die Marktentsprechung radikaler Innovationen. Eine weitere Herausforderung an die Marketingforschung ergibt sich aus der gestiegenen und weiter steigenden Verfügbarkeit individualisierter Kaufdaten, die sich aus der Verknüpfung von Kunden- bzw. Pay-Back-Karten und Datenmaterial von Scannerkassen ergeben. Aus diesen Datenmengen lassen sich mit Hilfe von Analyseverfahren, die Vorgänge aus der Biologie simulieren (Neuronale Netze und genetische Algorithmen), Muster erkennen, die beispielsweise zur Bestimmung des optimalen Einsatzes von Marketinginstrumenten (Klemz 1999) sowie zur Klassifikation von Objekten (Dorigo u Sirtori 1991) eingesetzt werden. Mit Hilfe von Data Mining werden große Datenmenge verstärkt mit anspruchsvollen, automatisierten Methoden analysiert werden und bedeutsame Ergebnisse für die Planung des FMCG-Marketing liefern (Berry u. Linoff 1997, Cabena et al 1998). Dabei wird eine zentrale künftige Herausforderung die Interpretation und kritische Analyse entsprechender Forschungsergebnisse sein (Hippner u. Wilde 2001).
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Technologieorientierung Technologische Entwicklungen werden von Seiten der Nachfrager ebenso wie der Anbieter den Druck in Richtung ständiger Neuerungen erhöhen. Aus dem Blickwinkel der Konsumenten ist ein wesentlicher Treiber für diese Entwicklung die Veränderung im Informationsverhalten, die insbesondere durch die elektronischen Medien und die breit verfügbaren Informationsbasis geprägt ist. Anbieterbezogen sind es Einflussgrößen wie die Beschleunigung des Forschungs- und Produktentwicklungsprozesses durch neue Engineering-Technologien, verbesserte Patentund Musterschutzdokumentationen und weltweite F&E-Kooperationsnetzwerke. Zum einen ist für den FMCG-Bereich eine auf die Qualitätsdimension bezogene Innovationswelle zu erwarten, die aus neuen Einsichten in der Biologie, der Gentechnologie und der Mikro- bzw. Nanotechnologie stammen. Das heißt, dass in sehr traditionellen Branchen, wie beispielsweise der Nahrungsmittelindustrie, völlig neue und revolutionäre Wege in der Mehrausstattung von Produkten in Richtung Gesundheitswirkung (Functional Food-Produkte) beschritten werden (Lähteenmäki et al 2000). In ähnlicher Weise sind spektakuläre Veränderungen im Bereich von Kosmetikprodukten und Reinigungsmitteln zu erwarten. Neue Erkenntnisse aus der Mikro- und Nanotechnologie werden Packungen, Sicherheitsstandards und Funktionsweise von Gütern des täglichen Bedarfs radikal ändern. Zum anderen werden technische Entwicklungen zu einer höheren ConvenienceOrientierung im Rahmen der Vermarktung von FMCG führen. Flächendeckender Einsatz von RFID-Technologie, die verstärkte Nutzung elektronischer Bestellsysteme und die Verknüpfung von anbieterbezogen Informationssystemen mit den mobilen, individuellen Kommunikationsgeräten von Konsumenten werden dazu führen, dass die Distributions- und Vertriebssysteme der Hersteller – vermutlich in enger Kooperation mit Händlern – sehr stark verändert werden (z. B. Metro Group 2003 und 2004). Kundenbeziehung Aufgrund der Veränderungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien ist zu erwarten, dass die bisher existierende physische und psychische Distanz zwischen Herstellern von FMCG und Konsumenten sich in Richtung einer geringeren wahrgenommenen Distanz entwickeln wird. Schon heute liegen erste Forschungsergebnisse vor, die sich mit der Bedeutung von kundeninitiierten Kontakten mit Herstellern aus Kundensicht bzw. den typischen Herausforderungen der Handhabung solcher Kontakte beschäftigen (Bowman u. Narayandas 2001). Künftig wird dieses Aufgabenfeld für Hersteller von FMCG weitaus größere Bedeutung gewinnen und insbesondere im Hinblick auf die Nutzung dieser Kontaktsituationen mit tatsächlichen oder potentiellen Konsumenten zu Marktforschungszwecken entscheidende Bedeutung zur Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen zukommen.
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Die Veränderungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien werden aber über kundeninitiierte Kontakte hinaus die Tendenz zur Reduktion der bislang typischen Hersteller/Konsumenten-Anonymität verstärken. Damit erscheint es möglich, in diesem Bereich zumindest segmentbezogene Kundenwerte zu ermitteln (Ambler 2002). Auch werden im Bereich der FMCG die Möglichkeiten zur kundenindividuellen Anpassung von Produkten (Mass Customization) verbessert werden (Gilmore u. Pine 1997). Zwar waren die Erwartungen in diesem Bereich in den Anfängen der Bewegung stark überzogen und haben zu entsprechenden Enttäuschungen geführt, dennoch ist mittel- bis langfristig ein interessantes Potential zur individualisierten Gestaltung von Massenprodukten gegeben (Piller 2001). Ein weiterer Bereich, der für die Gestaltung von Kundenbeziehungen im FMCG-Marketing wesentlich ist und künftig an Bedeutung gewinnen wird, ist die Markenführung als Instrument der Kundenbindung. Insbesondere von Relevanz für die Gestaltung der Beziehung zu den Kunden erscheint die Markenarchitektur und deren spezifische Verbindung zur Reputation im Sinn von Corporate Social Responsibility zu sein. Typische Fragestellungen sind, wie Unternehmensmarken (Corporate Brands) durch unterschiedliche Maßnahmen des Stakeholder Management und der Öffentlichkeitsarbeit eine entsprechende Imageposition bzw. Reputation entwickeln können (Andresen u. Nickel 2001). Des Weiteren stellt sich die Frage der Relation zwischen Unternehmensmarke, Markenfamilien und einzelner Produktmarke. Das Wirkungsgefüge zwischen unterschiedlichen Ebenen innerhalb einer komplexen Marketingarchitektur, wie sie für viele Hersteller im Bereich des FMCG-Marketing typisch ist, stellt eine wichtige Determinante im Kundenbeziehungsmanagement dar, die bislang nicht hinreichend untersucht wurde. Internationale Marktbearbeitung Eine zentrale Herausforderung im Rahmen der grenzüberschreitenden Marketingforschung stellt die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von spezifisch auf Marketingerfordernisse zugeschnittenen Kulturkonzepten dar. In vielen Fällen stellen sich die gebräuchlichen Kulturkonzeptionen (z.B. Hofstede 1980, Tompenaars 1993, Schwartz 1992) hinsichtlich der Erklärungskraft für das Konsumentenverhalten oder Konkurrenz- bzw. Anbieterstrategien unzureichend dar, weil sie aus anderer fachlicher Perspektive entwickelt wurden bzw. von einem zu hohen Generalisierungsgrad ausgehen. Daher wird in verstärktem Maß die Entwicklung von bereichsspezifischen Kulturkonzepten gefordert, die unmittelbare Relevanz für die internationale Marketingplanung haben. Wobei in letzter Zeit verstärkt auf Kulturkonzeptionen abgestellt wird, die ältere statische Vorstellungen aufgeben, und ein Kulturverständnis in den Vordergrund stellen, das auf Heterogenität innerhalb kultureller Gruppierungen, individueller Multikulturalität und einer dynamischkonstruktionistische Kulturgenese basiert (Singh et al. 2005). Vielversprechende Ansätze in dieser Hinsicht stellen Konzepte mittlerer Reichweite dar, wie bei-
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spielsweise Konsumentenethnozentrimus, wahrgenommene Kulturgebundenheit und Marktmilieus (Shimp u. Sharma 1987, Schuh u. Holzmüller 1992b, Lentz et al. 2005). Aus der einschlägigen Literatur aber auch aus der Dokumentation praktischer Fälle geht deutlich hervor, dass trotz der langen Tradition der Forschung im internationalen Marketing in der grenzüberschreitenden Vermarktung von FMCG eine Reihe von zentralen Aufgaben unbefriedigend gelöst sind. So hat beispielsweise die rasante Entwicklung in den Informations- und Kommunikationstechnologien dazu geführt, das heute ganz neue Mechanismen der Koordination und Kooperation in den Organisationen internationaler Unternehmen möglich sind, die in der Folge zu neuen Formen der grenzüberschreitenden Marktbearbeitung führen können. Diese neuen Formen der organisatorischen Gestaltung von Vermarktungsprozessen sind weitgehend unerforscht, obwohl sich vielversprechende Ansätze in der organisationalen Transnationalisierungsforschung als Ausgangspunkt solcher Forschungsbemühungen anbieten (Wink 2003, Hannerz 1996). Ein weiteres Aufgabenfeld in diesem Kontext betrifft die internationale Markenführung und die entsprechende Produktgestaltung. FMCG unterscheiden sich hinsichtlich der Kulturgebundenheit von Produkten sehr deutlich, so sind beispielsweise Nahrungsmittel und Getränke tendenziell stärker kulturgebunden und erfordern damit einen höheren Grad an ästhetischer Anpassung an Bedingungen in Auslandsmärkten, während dies für Kosmetikprodukte oder Reinigungsmittel nicht in diesem Ausmaß der Fall ist (Holzmüller u. Schuh 1995). Die spezifische Herausforderung im Rahmen der Vermarktung von FMCG ist es, Markenkonzepte zu entwickeln, die über kulturelle Einheiten hinweg eine einheitlichen Marktauftritt ermöglichen und darunter in der Produktplanung noch ausreichenden Spielraum für Marktanpassung zu lassen (Müller u. Gelbrich 2004, 611).
Zusammenfassung Zielsetzung des vorliegenden Beitrags war es, den Versuch zu unternehmen, im Rahmen einer sektoralen bzw. institutionellen Betrachtung sich mit jenem Teilausschnitt des Marketing zu beschäftigen der als allgemeines oder „Mainstream“Marketing bezeichnet wird. Im Rahmen der Beschäftigung mit einzelnen Sektoren des Marketing wird oftmals eine Abgrenzung zu einem nicht näher spezifizierten Kern des Marketing vorgenommen, ohne das konkret geklärt ist, was diesen „Nukleus“ der Disziplin ausmacht. Als einen ersten Versuch der Auseinandersetzung mit diesem Kern haben wir den Sektor des FMCG-Marketing im Überschneidungsbereich von Konsumgüter- und Markenartikelmarketing identifiziert. In der Tradition der sektoralen Herangehensweise wurden kennzeichnende Charakteristika für diesen Bereich des Marketing herausgearbeitet und in der Folge typische Leitfragen, die den Sektor kennzeichnen diskutiert. In einem nächsten
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Schritt wurden Felder mit besonderer Bedeutung für die künftige Forschung im FMCG-Marketing angesprochen. Die Beschäftigung mit dem Kern- und Referenzbereich der Disziplin scheint ein wichtiger Schritt für eine differenzierte Betrachtungsweise zu sein. Durch die Auseinandersetzung mit dem „Nukleus“ soll die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten mit anderen Teilperspektiven des Faches stimuliert, durch die Kontrastierung die Befassung mit den Spezifika in den einzelnen Sektoren geschärft und eine stärkere Geschlossenheit der sektoralen Betrachtungsweise evoziert werden.
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Handel im Spannungsfeld von Marketing, Distribution und Kooperation Herbert Kotzab Department of Operations Management, Copenhagen Business School
Einleitung Der Handel – nicht nur in Österreich – unterliegt einer komplexen strukturellen Veränderung. Wie Teller (2004) deutlich ausführt, konnten folgende Tendenzen seit den 1960ern zunächst im Lebensmittelhandel, der aber als Treiber der Dynamik für viele Handelsbranchen gilt, festgestellt werden: Reduktion der Geschäftsflächen bei gleichzeitig steigender Bedeutung großflächiger Geschäftsformate, Umsatzkonzentration bei synchroner Abflachung der Gesamtumsatzentwicklung und steigender Anteil der Selbstbedienung bei gleichzeitiger Steigerung von Arbeitsplätzen. Aus der Perspektive der betriebswirtschaftlichen Forschung stellt sich daher das Gebiet Handel als äußerst attraktiv dar, da es aus unterschiedlichen Blickwinkel begriffen werden kann. Dominierend ist natürlich die Marketingperspektive, denn Handel kann lt. Mulhern (1997, 3) als “the culmination of the marketing process” aufgefasst werden. Liebmann/Zentes (2001) oder Barth et. al. (2002) wiederum können als prominente Beispiele einer ganzheitlichen Managementlehre des Handels interpretiert werden. In den nachfolgenden Abschnitten wird Handel aus der Perspektive der Distribution besprochen, wo ein institutionell und funktional begriffener Handel in einen anschließend in einen ressourcen-orientierten Erklärungsansatz überführt wird. Im Anschluss daran erfolgt eine Debatte zum markt- und netzwerkorientierten Handelsmanagement, das im Rahmen des Supply Chain Management als Vorwärts- und Rückwärtsintegration des funktionalen und institutionellen Handels verstanden werden kann. Die Ausführungen sollen als Weiterführung und Würdigung der von Scheuch (1996) vorgestellten Handelsdiskussion aufgefasst werden.
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Herbert Kotzab
Das Handelsverständnis von Scheuch
Eine sektorale Auffassung im Spannungsfeld eines funktional und institutionell geprägten Handelsbegriffs Im Kapitel 15 behandelt Scheuch (1996) den Themenbereich Handelsmarketing, den er als typischen sektoralen Marketingentscheidungstatbestand auffasst. Der Objektbereich wird der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Tradition folgend funktional und institutionell begrifflich abgegrenzt, um anschließend die Marketingaufgaben des Handels näher zu beleuchten. Interessanterweise diskutiert Scheuch (1996) Handel nicht vor dem Hintergrund der Dienstleistung, was womöglich auf die im Handelsmarketing vorfindbaren Unterscheidungskriterien zurückzuführen sein mag, wodurch sich dieses als eigenständiger sektoraler Marketingentscheidungsbereich determiniert (siehe dazu die Diskussion in Scheuch 2002, 5 ff.) Sehr wohl diskutiert Müller-Hagedorn (1997, 59 ff.) den Handel als Teil des Dienstleistungssektors und kommt zu folgendem Ergebnis: x Einerseits sprechen einige Besonderheiten des Handels wie das Vorhalten eines Bestandes an Potentialfaktoren, die Mitwirkung des Kunden an der Leistung und eine partielle Immaterialität der Leistung dafür, Handel als Dienstleistung anzuerkennen, x andererseits hat der Handel üblicherweise lagerfähige Waren beschafft, um diese seinen Kunden anzubieten, womit der dienstleistungsspezifische Tatbestand der gleichzeitigen Produktion und Konsumption nicht erfüllt wird. Müller-Hagedorn (1997, 62) schlägt daher vor, Handel in einem SachleistungsDienstleistungs-Kontinuum anzusiedeln. Viel mehr erkennt Scheuch (1996, 511 ff.) das Problem der nicht eindeutigen Abgrenzbarkeit funktionaler und institutioneller Erklärungsversuche, die bei ausschließlicher Anwendbarkeit zu ungenügenden Ergebnissen führt: „Die Problematik der Beschreibung des Objektbereichs in funktionaler Hinsicht besteht darin, dass diese Abgrenzung keine Aussagen mit Erklärungskraft für die Erscheinungsformen absatzpolitischer Instrumente zulässt.....Andererseits sagt die institutionelle Abgrenzung als „organisatorische Verselbständigung“ noch nichts über die konkreten, situationsabhängigen Aufgaben und damit einzusetzenden absatzpolitischen Instrumentalausprägungen aus“ (Scheuch 1996, 511 f.). Die von Brandes (2003) erschienene Publikation „Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs“ kann als Beispiel dazu herangezogen werden, denn sowohl in funktionaler als auch in institutioneller Hinsicht lassen sich die Befunde deutlich am Beispiel doch scheint eine Generalisierbarkeit schwierig (= niedrige externe Validi-
Handel im Spannungsfeld von Marketing, Distribution und Kooperation
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tät), denn alle Versuche der Aldi Konkurrenz haben bislang keine Früchte getragen. Tabelle 1. Die größten (Einzel-)Handelsunternehmen der Welt (Quelle: Deloitte/Stores 2004; eine länderspezifische Auswahl). Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 31 37 52 53 54 57 65 81 96 100 107 111 125 145 146 148 156
Name Wal-Mart Stores Inc. Carrefour Home Depot Kroger Metro AG Target Ahold Tesco Costco Companies Sears Albertsons Aldi Safeway JCPenney Intermarché Rewe Kmart Walgreens Edeka/AVA Lowe’s J Sainsbury Ito-Yokado Auchan CVS Tengelmann Delhaize Group Woolworth El Corte Ingles Loblaw IKEA Migros Genossenschaft COOP Italia Lotte Shopping Metcash S Group Spar Austria Group Norges Gruppen Dansk Supermarked Pao de Acucar Dairy Farm International Sonae/Modelo Continente Grupo Gigante
Herkunftsland USA France USA USA Germany USA Netherlands Great Britain USA USA USA Germany USA USA France Germany USA USA Germany USA United Kingdom Japan France USA Germany Belgium Australia Spain Canada Sweden Switzerland Italy South Korea South Africa Finland Austria Norway Denmark Brazil Hong Kong Portugal Mexico
Umsatz in Mio. US-D 229,524 65,001 58,247 51,760 48,349 42,722 40,755 40,071 37,993 35,698 35,626 33,837 32,399 32,347 31,688 31,404 30,762 28,681 26,514 26,491 26,460 27,245 26,071 24,182 23,209 19,569 15,225 10,910 10,900 10,033 9,884 8,560 6,575 5,403 5,246 4,956 4,473 4,344 3,413 3,354 3,346 3,274
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Die typischen Marketingentscheidungen im Handel Jeder, der sich aber mit dem betriebswirtschaftlichen Forschungsfeld „Handel“ beschäftigt weiß, dass ‚Handel’ mehr ist als nur billig einzukaufen und teuer zu verkaufen. HandelsmanagerInnen haben tagtäglich mehr oder weniger komplexe Entscheidungen zu treffen, um die eigentliche Handelsleistung zu vollbringen: Ein leistungsgerechtes Bündel an Gütern/Dienstleistungen ihrem Kundenkreis zuzuführen (vgl. Levy/Weitz 2004). Die typischen Managemententscheidungen betreffen sowohl die strategische als auch die operative Ebene wie die auszugsweise vorgestellten Beispiele belegen (siehe u.a. Berekoven 1995): x x x x x x x
Auswahl von Zielmärkten Auswahl von Produkten und Sortimentzusammenstellung Auswahl von Standorten von Geschäftslokalen Verhandlungen mit Lieferanten Mitarbeitermotivation und –training Preisfindung Merchandising etc.
Für Scheuch (1996, 514 ff.) ist der für den Handel charakteristische Aufgabenkatalog kein allgemein gültiger, sondern von situativen Einflussfaktoren abhängig. Dazu zählen zunächst Abhängigkeiten auf Basis der Wirtschaftsstufe (Frage nach Groß- oder Einzelhandel), der Absatzregion (Frage nach Binnen- oder Außenhandel), der Wirtschaftsgüter (Frage nach reinem Warenhandel oder Verbundhandel) und der Betriebsform (z.B. ambulanter, semi-stationärer oder stationärer Handel). Diese Entscheidungen unterliegen heute verstärkt den Faktoren einer globalen Wirtschaft, denn auch Handelsunternehmen haben sich zu ‚Global Players’ entwickelt, wie die Tabelle 1 aufzeigen soll (Deloitte/Stores 2004, Levy/Weitz 2004, 4).
Überführung eines funktionalen und institutionellen Distributionsbegriffs in einen ressourcen-orientierten Handelsbegriff
Handel – ein Distributionsorgan? Distribution kann als die Gesamtheit aller Aktivitäten und Institutionen aufgefasst werden, die notwendig sind, um eine erfolgreiche Verbindung zwischen Produktion und Konsumption zu ermöglichen (u.a. Anderson/Coughlan 2002). Für Sparks (1999, 1) ist die Verbindung dann erfolgreich, wenn die geforderten Produkte am erforderlichen Ort für den Käufer verfügbar sind.
Handel im Spannungsfeld von Marketing, Distribution und Kooperation
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Gemäß Scheuch (1996) werden im Rahmen der Distribution bestimmte "Diskrepanzen" überbrückt, welche den Ausgleich von Raum-, Zeit-, Qualitäts- und Quantitäts-Disparitäten; Güter- und Informationsströme bzw. die Übertragung von Eigentum, Kosten und Risiko betreffen (= Marketingflows; siehe Abbildung 1).
Abb. 1. Flussmodell der Distribution (in Anlehnung an Ahlert 1991)
Somit können Distributionstätigkeiten als typische Flussaktivitäten, die einen Realgüterfluss, Informationsfluss und den Fluss von Nominalgütern betreffen. In der heutigen Diktion kann auch von Prozessaktivitäten gesprochen werden (Specht 1998). Grundsätzlich stehen der Verknüpfung eines Konsumpunktes mit einem Produktionspunkt zwei Möglichkeiten offen: x die direkte Verbindung ohne Einschaltung von Zwischenstufen (siehe Abbildung 2) x die indirekte Verbindung über die Einschaltung von Zwischenstufen (siehe Abbildung 3).
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Zeit
Raum
Quantität
Qualität
Konsum
Produktion
Realgüterfluss
Informationsfluss
Nominalgüterfluss
Abb. 2. Basiskonfiguration eines direkten Distributionskanals
Konsum
Absatzkanalteilnehmer
Absatzkanalteilnehmer
Absatzkanalteilnehmer
Absatzkanalteilnehmer
Produktion
Zeit
Raum
Quantität
Qualität
Abb. 3. Basiskonfiguration eines indirekten Distributionskanals
Im Falle einer indirekten Verbindung kann davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Organisationsformen der Prozessaktivitäten von unterschiedlichen unabhängigen Akteuren übernommen werden, die zu unterschiedlichen Ergebnissen (= Leistung des Distributionskanals) führen können.
Handel im Spannungsfeld von Marketing, Distribution und Kooperation
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Als mögliche Organisationsstrategien stellen Bowersox/Morash (1989) x die Prozessseparation, die eine Aufgabenspezialisierung erlauben und das Auftreten von Intermediären fördern; x die Prozessverschiebung (Postponement), welche die kundenspezifische Ausgestaltung des Leistungsangebots so weit wie möglich gegen Ende des Absatzkanals erlaubt; x die Prozessbeschleunigung, die vorwiegend den Nominal- und Informationsfluss betreffen und die im Kanal auftretende Unsicherheit zwischen den Akteuren reduzieren soll. Die unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten im Rahmen dieser Strategien helfen die Effizienz des Distributionskanals wesentlich zu steigern, indem Kosten gesenkt und Servicelevels erhöht werden können (Bowersox/Morash 1989, 63). Wie bereits erwähnt kann das Zusammenspiel solcher Flussaktivitäten in einem Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie erfolgen. Im Falle einer hierarchischen Organisationsform (= direkte Distribution) übernehmen betriebseigene Organe die spezifischen Distributionsaufgaben. Im Falle einer marktlichen Organisation (= indirekte Distribution) übernehmen Intermediäre, wie der Handel Distributionsaufgaben. Coughlan et al. (2001) oder Ahlert (1999) interpretieren Handel als Glied innerhalb eines solchen indirekten Distributionskanals, das spezifische Aufgaben zur räumlichen und zeitlichen Überwindung übernimmt. Handel ist demnach ein Distributionsorgan. Funktionales, institutionelles und ressourcen-orientiertes Handelsverständnis In der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Forschung wird der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellte Erklärungsansatz aus zwei Perspektiven erkannt (siehe dazu Berekoven 1995; Hansen 1990; Liebmann/Zentes 2001 und Scheuch 1996): x Handel als ein wertschöpfendes Funktionsbündel = funktionales Verständnis x Handel als kennzeichnende Institution eines Absatzkanals, das Handelsfunktionen übernimmt = institutionelles Verständnis Im ersten Fall wird Handel (im Sinne des Marketing) als Austauschaktivität verstanden um die durch Arbeitsteilung entstandenen Unterschiede zu überwinden (siehe Scheuch 1996, 510 bzw. Barth et al. 2002). Diese Aufgaben können als Transformationsaufgaben verstanden werden, die von allen Beteiligten (auch von privaten Haushalten) zu übernehmen sind. Implizit ist hier der Prozesscharakter in diesen Ausführungen bereits erkennbar. Vor dem Hintergrund eines ressourcenbasierten Ansatzes (siehe Freiling 2001; Barney 1999 oder Grant 1991) lassen sich
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Herbert Kotzab
die von Oberparleiter (1955) entwickelten Handelsfunktionen in folgende generische Ressourcen bündeln (siehe auch Abbildung 4): x Marketingressourcen: Die Summe aller Aktivitäten, die dazu dienen ein kundenspezifisches Leistungsbündel dem Markt anzubieten x Logistikressourcen: Die Summe aller Aktivitäten, die dazu dienen dieses kundenspezifische Leistungsbündel dem Markt zuzuführen x Erleichterungsressourcen: Die Summe aller Aktivitäten, die im Sinne des von Scheuch (1996) vorgeschlagenen Dualitätsprinzips, vor- und nachgelagerten Kunden die Kaufprozesse erleichtern.
Raum
Zeit
Quantität
Marketingressourcen =
Logistikressourcen = Die Summe aller Aktivitäten, die dazu dienen dieses kundenspezifische Leistungsbündel dem Markt zuzuführen
Erleichterungsressourcen = Die Summe aller Aktivitäten, die vor- und nachgelagerten Kunden die Kaufprozesse erleichtern
Abb. 4. Ressourcenorientiertes Handelsverständnis
Konsum
Produktion
Die Summe aller Aktivitäten, die dazu dienen ein kundenspezifisches Leistungsbündel dem Markt anzubieten
Markt
Distribution: Gesamtheit aller Aktivitäten und Institutionen aufgefasst werden, die notwendig sind um eine erfolgreiche Verbindung zwischen Produktion und Konsumption zu ermöglichen Qualität
Hierarchie
Es gilt dabei zu berücksichtigen, dass es sich bei den hier vorgestellten Ressourcen um generische Handelsressourcen handelt, die bei jeder Verknüpfung eines Konsumpunkts mit einem Produktionspunkt auftreten, unabhängig davon, wer diese Aufgaben übernimmt (Markt-Hierarchie-Kontinuum; siehe Abbildung 4). Im Falle des Einschaltens von Zwischenstufen ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich um ko-produktive Prozesse (= Dienstleistungscharakter?) im Sinne von Normann/Ramirez (1994) handelt, da die unterschiedlichen Kombinationen der drei Basisressourcen nicht in einer sequentiellen, sondern in einer multi-direktionalen Art und Weise zu erfolgen hat (zur Ko-Produktion siehe auch Grün/Brunner 2002). Das Ergebnis einer solchen Vorgehensweise wird von Normann/Ramirez (1994) als „value constellation“, im vorliegenden Fall als handelspezifische Wertkonfiguration bezeichnet.
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Was das institutionelle Verständnis betrifft, so übernehmen im Zuge einer arbeitsteilig organisierten Wirtschaft spezialisierte Institutionen die angeführten Ressourcen (vgl. Berekoven 1995; Hansen 1990; Müller-Hagedorn 1998, und Scheuch 1996). Handel wird somit als wirtschaftlich-rechtlich unabhängige Einheit, die Produkte/Dienstleistungen ein- und ohne wesentliche technische Veränderung verkauft definiert. Abhängig davon an welche Kunden weiterverkauft wird, kann zwischen Großhandel, der an Wiederverkäufer vertreibt und Einzelhandel, der an Endverbraucher verkauft, unterschieden werden (siehe Abbildung 5). Wie aus der Abbildung 5 ersichtlich, verstehen sich die unterschiedlichen Ausprägungsformen des institutionellen Handels als das Ergebnis einer Funktionsgleichung, welche die unterschiedlichen Austauschaktivitäten oder Ressourcen als Variablen berücksichtigt. Das Ergebnis dieser Gleichung resultiert in unterschiedlichen Betriebsformen, die sich als kombinationsspezifische Zusammensetzung von Marketing- Logistik- und Erleichterungsressourcen zusammensetzen. Das betrifft auch in weiterer Folge den betriebsformencharakteristischen Marketing-Mix, der für die erfolgreiche Ausgestaltung notwendig ist.
Konsum
Produktion Distribution = f (M, L, E) Einzelhandel = Handel an den Endverbraucher
Großhandel = Handel an den Wiederverkäufer
Regionale KooperaAusrichtung tionsform Marketing y y y y
Binnen-GH Aussen-GH Transit-GH etc.
y y
Vertikaler y Verbund Rückwärtsintegrierter y Verbund
Kollektierender GH Distribuierender GH
y y y y y
Kaufhaus Supermarkt Fachmarkt etc.
Hybrid
Versand
Stationär
y y y
Spezialversand Internet TVshopping etc.
y y y
Strassenmärkte Partyverkäufe etc.
Abb. 5. Institutionelles Handelsverständnis
Scheuch (1996, 510 ff.) hat diesbezüglich festgestellt, dass diese Ausprägungsformen einem situationsspezifischen Veränderungsprozess unterliegen, der in der Literatur als „The wheel of retailing“ (McNair 1931) oder als „Das Gesetz der Dynamik der Betriebsformen im Handel“ (Nieschlag 1954) seine Würdigung erhalten hat. Die jüngsten Entwicklungen im Handel sind eindeutig dem Themenbereich Informationstechnologie zuzuschreiben (siehe Teller 2004). Der zunehmende Anteil Internet-gestützter Handelsformen (Schlagwort ECommerce; u.a. Ahlert et al. 2001) zeigt deutlich das bereits angesprochene ‚Funktionen/Institutionen’-Dilemma. Der Einsatz des Internet fördert die von Pi-
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cot et al. (2001) vorgestellte grenzenlose Unternehmung, wonach hybride Organisationsformen des Handels, verstärkt entstehen. Dazu zählt u.a. die Hauszustellung, die wie Schnedlitz et al. (2004) eindrucksvoll demonstrieren, eine Renaissance erhalten hat. Dabei kann festgestellt werden, dass neben logistischen Entscheidungstatbeständen auch Vertikalisierungsstrategien mit Kunden und Lieferanten für den Handel wichtiger werden (siehe u.a. Albers/Peters 1997).
Logistik und Supply Chain Management als marktorientierte Ausprägungen handelsspezifischer Wettbewerbsstrategien
Von der funktionenorientierten Kernkompetenz des Handels zur endverbraucherorientierten Ausgestaltung der Versorgungskette Noch bevor netzwerkorientierte Beziehungsgeflechte in der betriebswirtschaftlichen Forschung als interessante Untersuchungsobjekte gehandelt werden, begreift Scheuch (1996) Handelsbetriebe als Organisationen, die in komplexen Marktsystemen mit vielfältigen Interessentengruppen kontinuierliche Austauschbeziehungen unterhalten. Erst seit Mitte der 90er Jahre werden sowohl in der Handelspraxis als auch in der Handelsforschung logistischer Fragestellungen verstärkt diskutiert (u.a. Toporowski 1996; Kotzab 2004; Zentes 1997; Schnedlitz/Teller 1999 oder Kotzab/Schnedlitz 1999). Zahlreiche Erfolge im Handel können auf IT-gestützte Logistiksysteme zurückgeführt werden, welche die Verfügbarkeit der Produkte am POS erheblich erhöhen konnten, ohne jedoch die Kosten in Gebühr zu beanspruchen (z.B. Kotzab 1997; Fisher/Raman 2001), Raman et al. 2001), Cachon 2001). Gudehus/Brandes (1997) bezeichnen die Logistik als Kernkompetenz des Handels. Fisher et al. (2000) kennzeichnen dieses charakteristische Zusammenspiel als ’Rocket Science Retailing’, das heutzutage erfolgreiche von weniger erfolgreichen Handelsunternehmen unterscheidet. Auch das Supply Chain Management (SCM) wurde als geeignetes Instrument des Handelsmanagement eher vernachlässigt, obwohl zahlreiche empirische Beispiele belegen, wie SCM die Wettbewerbsfähigkeit von Handelsunternehmen stärken kann (z.B. Foscht et al. 2000). Im Rahmen des SCM erfolgt zwischen unabhängigen Akteuren eine hybride Kooperation auf Basis einer strategisch orientierten Vertrauensallianz, wodurch eine Win-lose-Situation in eine Win-win-Situation umgewandelt wird (Ahlert 1999). SCM ist eine strategische, kooperationsorientierte, unternehmensübergrei-
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fende Managementphilosophie, die zu Leistungsverbesserungen bei allen beteiligten Partnern führt, wobei alle Aktivitäten endverbraucherorientiert erfolgen (siehe Kotzab 2000). Somit bedeutet SCM strategische Marktorientierung, Vernetzung und Entwicklung und Ausschöpfen von Potentialen, das lt. Liebmann/Zentes (2001) eine Grundkonzeption jedes fortschrittsfähigen Handelsunternehmens darstellt. Die endverbraucherorientierte Ausgestaltung des gesamten Fließsystems benötigt zur optimalen Ausschöpfung aller Wettbewerbspotentiale vor allem Einbeziehung der Handelsstufe (Stichwort Gatekeeper-Funktion), was jedoch in der akademischen Diskussion trotz der zahlreichen empirischen Befunde (siehe insbesondere die Ergebnisse der Efficient Consumer Response Forschung bei Kotzab 1999 oder Corsten 2004), noch nicht den Durchbruch erlangt hat (Kotzab 2002). „Handelsbetriebe können in unterschiedlichen kooperativen Beziehungen tätig werden“ (Scheuch 1996, 518). Vor dem Hintergrund des SCM können die von Scheuch (1996, 518 ff.) weiter angeführten horizontalen und vertikalen Zusammenarbeitsmöglichkeiten in das von Kotzab/Schnedlitz (1999) vorgestellten Vertikalisierungsmodell überführt und ausgebaut werden. Marktorientierte Ausgestaltung von Kooperationen im Absatzkanal Kotzab/Schnedlitz (1999) stellen auf Basis eines allgemeinen SCM-Modells (Cooper et al. 1997) den ersten handelspezifischen SCM-Ansatz vor, der in der Abbildung 6 zunächst überblicksmäßig vorgestellt wird. Daraus ist ersichtlich, dass das Modell auf drei Basiskomponenten aufbaut, das auf die Handelsstufe entsprechend umgelegt und verändert wurde: x Supraorganisationale Verantwortungskonfiguration (= Struktur): Dabei geht es um den Aufbau einer unternehmensübergreifenden Organisationsstruktur, die auf alle Beteiligte umgelegt wird. Wie die Abbildung 6 zeigt, betrifft die Ausweitung des Modells auf der Ebene des Handels um die drei typischen Funktionsbereiche Beschaffung, Handelsmarketing und Handelslogistik. x Kundenorientierte interorganisationale Transformationspotentiale (= Prozesse): Die Ausführung dieser Prozesse erfolgt in bi- bzw. multi-direktionaler Weise, womit der Charakter von Austauschbeziehungen unterlegt wird. Dadurch soll auch eine Leistungssteigerung der gesamten Versorgungskette im Sinne der vorhin angesprochenen ‘value constellation’ erreicht werden (siehe Tabelle 2). x Zielorientierte Anweisungen (= Managementkomponenten): Die Anweisungen sind als handlungsorientierte Guidelines aufzufassen, mit deren Hilfe die Supply Chain Prozesse erfolgreich umgesetzt werden können (siehe Tabelle 2).
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Information
Tier 2 supplier
Flow
Manufacturer Tier 1 supplier
Logistics
Purchasing
Costumer
Marketing, sales
Consumer / End - costumer
PRODUCTIION PRODUC T FLOW FLOWS
Production
R&D
Finance
CUSTOMER RELATIONSHIP MANAGEMENT CUSTOMER SERVICE MANAGEMENT DEMAND MANAGEMENT ORDER FULFILLMENT MANUFAC MANUFACTURING FLOW MANAGEMENT MANUFACTORING U RING FLOW MANAGEMENT T PROCUREMENT PRODUCT DEVELOPMENT AND COMMERCIALIZATION RETURNS
PURCHASING
MARKETING
PHYSICAL DISTRIBUTION
ORDER SERVICE MANAGEMENT
SUPPLIER RELATIONSHIP MANAGEMENT
COSTUMER RELATIONSHIP MANAGEMENT
DEMAND MANAGEMENT
PRODUCT DEVELOPMENT AND COMMERCIALIZATION
Abb. 6. Ein allgemeines Supply Chain Management Modell für den Handel (adaptiert von Kotzab/Schnedlitz 1999).
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Tabelle 2. Überblick zu kundenorientierten Transformationspotentialen und zielorientierten Anweisungen aus der Perspektive eines handelsspezifischen SCM-Ansatzes. Quelle: adaptiert und erweitert von Kotzab/Schnedlitz (1999). Basisprozesse des SCM gemäß Cooper et al. (1997) Order fulfillment Customer Service Management Procurement Manufacturing flow Management
Customer Relationship Management Demand Management
Product development and commercialization Basisanweisungen des SCM gemäß Cooper et al. (1997) Planning and control.....
Umlegung auf Handelsebene Order service management
.... bezieht sich auf die Fähigkeit und Anzahl des elektronischen Datenaustauschs ... Supplier Relationship Man- .... betrifft die Fähigkeit und agement Anzahl von Partnerschaftsprogrammen mit Lieferanten auf Basis von POSDatenaustausch (siehe z.B. Buzzell/Ortmeyer 1995)... .... betrifft die Anzahl und Fähigkeit Beziehungen mit Endkunden einzugehen, z.B. den Aufbau und die Durchsetzung von Kundenbindungsprogrammen.... .... bezieht sich auf die Anzahl und Fähigkeit auf Basis von POS-Daten unternehmensübergreifende Prognosemodelle einzusetzen... .... bezieht sich auf die Fähigkeit in Kooperation mit Lieferanten die Neuproduktentwicklung von der Innovation bis zur Ladenverfügbarkeit durchgängig zu gestalten .... Umlegung auf die Handelsebene
Product flow facility structure ...
Product structure ...
Risk and reward structure .....
Work structure ....
Fortsetzung der Tabelle
..... konkretes Einsetzen von abteilungs- und unternehmensübergreifenden Projektgruppen und deren Leistungsüberprüfung (z.B. Category Management). .... konkrete Ausgestaltung der physischen Netzwerkkonfiguration für Beschaffungs-, Produktions- und Distributionszwecke (z.B. Verbund Handelsfiliale-HandelszentraleHandelslagerstufe-LieferantenlagerstufeLieferantenzentrale). ... eindeutige Ausgestaltung der Einbeziehung von Lieferanten bei der Produktgestaltung (z.B. Eigenmarkenstrategien). .... klare Ausgestaltung der Entlohnungsund Risikosysteme (z.B. klare Rabattstaffeln, Austausch von Verkaufsförderungsinformationen). .... konkrete Umsetzung abteilungsübergreifender Strukturen (z.B. CRPArbeitsgruppen).
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Basisanweisungen des SCM gemäß Cooper et al. (1997) Information flow facility structure .....
Power and leadership structure ........
Culture and attitude ......
Management Methods ......
Umlegung auf die Handelsebene ..... konkrete Ausgestaltung der informatorischen Netzwerkkonfiguration für Beschaffungs-, Produktions- und Distributionszwecke (z.B. durchgängige Verwendung von EAN-Strichcode- und EANCOMStandards). ..... klare Bestimmung der treibenden Kraft in der Versorgungskette (z.B. Vergabe der Category Captain Rolle). .... eindeutige Festlegung der Verhaltensweisen, die eine durchgängige Unternehmenskultur fördern (z.B. unternehmensübergreifende Handbücher). ... eindeutige Ausgestaltung eines durchgängigen Berichtswesens und Festlegen von allgemein gültigen Leistungskennziffern (z.B. Cash-to-Cash-Cycle; Open Book Accounting).
Als anschauliches Beispiel eines solchen Zutritts kann der Efficient Consumer Response (ECR)-Ansatz der Konsumgüterwirtschaft hervorgehoben werden, der in Österreich eindrucksvoll umgesetzt wurde (siehe Glavanovits/Kotzab 2002).
Schlusswort In der heutigen Wirtschaft ist der Handel nicht wegzudenken. Die Leistung des Handels kann an seinem Anteil am BIP beurteilt werden, der im Schnitt mehr als 10 % beträgt und eine steigende Tendenz aufweist (vgl. OECD 2004). Levy/Weitz (2004) prognostizieren für die USA einen Beschäftigtenanteil von 17 % des gesamten Arbeitsmarktes, d.h. 26 Millionen Personen werden zukünftig eine Tätigkeit im Handel versehen. In der Europäischen Union gehen bislang mehr als 23 Millionen Arbeitnehmer in diesem Wirtschaftssektor einer Beschäftigung nach, womit der Handel mit einem Beschäftigtenanteil von ca. 12 % auch in Europa zu einem der wichtigsten Arbeitgeber geworden ist (OECD 2004). Trotz des dominanten Auftretens bestimmter Großformen des Handels, ist hervorzuheben, dass die Mehrzahl von rund 75 % aller Handelsunternehmen der Gruppe der Mikro-, Klein- und Mittelbetrieben zuzurechnen ist. Auch in Österreich ist dieses Muster erkennbar (KMU 2004). Was die jüngste wirtschaftliche Entwicklung dieser Betriebe betrifft, so stellt sich diese nicht erfreulich dar. Es kann vermutet werden, dass die negative Entwicklung auch als Folge einer fehlenden Marktorientierung gewertet werden kann.
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Es gilt festzuhalten, dass der im Handel festgestellte Wandel durchwegs Großunternehmen zuzurechnen ist (Schnedlitz 1994, Teller 2004). Diese von Schnedlitz (1997) als durchrationalisierte Verkaufsmaschinen bezeichneten Handelsformen haben mit vertikalisierten Wertschöpfungsketten ihre jeweiligen Branchen revolutioniert. Die aktuelle Entwicklung im Handel (Stichwort Karstadt-Krise) zeigte eines wieder deutlich auf: „Es gibt im Handel keine Branchenkonjunktur, sondern eine Firmenkonjunktur“ (Schnedlitz et. al. 1996, 42) oder anders ausgedrückt: Es gibt keine Branchenflaute, sondern eine Firmenflaute.
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Investitionsgütermarketing bzw. Business-toBusiness Marketing – Zentrale Erklärungs- und Managementansätze Arnold Schuh Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Einführung Die Vermarktung von Investitionsgütern, also solchen Gütern, die von Organisationen zum Zweck der Erstellung eigener Leistungen für die Fremdbedarfsdeckung erworben werden, weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die eine differenzierte Betrachtung in der Marketingforschung nahe legt und damit die Etablierung des Investitionsgütermarketings (IGM) als eigenständige Teildisziplin des Marketings rechtfertigt. Die Vermarktungssituation von Investitionsgütern ist durch extensive Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse in der Anbieter-Nachfrager-Beziehung, die Gruppenentscheidungssituation auf der Nachfragerseite, dem Interesse an längerfristigen Geschäftsbeziehungen und durch instrumentelle Besonderheiten (z.B. höhere Bedeutung des persönlichen Verkaufs, der Kontrahierungsund Finanzierungspolitik) gekennzeichnet. Sie unterscheidet sich somit wesentlich von jener auf Konsumgütermärkten, die entwicklungsgeschichtlich gesehen die Konzeption des Marketings maßgeblich prägte. Von einer Spezialisierung der Forschung auf Investitionsgütermärkte ist eine Bereicherung des Wissensstandes zum Marketing bei Transaktionen in Investitionsgütermärkten zu erwarten. Ein besseres Verständnis davon, nach welchen Kriterien Kundenunternehmen ihre Lieferanten auswählen, wie sie ihren Beschaffungsprozess organisieren, worauf sie in Geschäftsbeziehungen Wert legen und auf welche Marketinginstrumente sie am besten ansprechen hilft dem Anbieter in der Gestaltung seines Marketingeinsatzes. Die gewonnenen empirischen Erkenntnisse stimulieren die Entwicklung von sektorbezogenen Modellen, Methoden und Managementkonzepten, die beispielsweise von Segmentierungsverfahren für Investitionsgütermärkte, über Modelle zur Auswahl attraktiver Kunden, „Competitive-Bidding“-Modellen bis hin zur Erstellung von „Customer Value“-Modellen reichen. Die grundlegende Ausrichtung der Marketingkonzeption, nämlich die Erforschung absatzpolitischer Entscheidungen in Organisationen, die die Kundengewinnung und Kundenerhaltung zum Gegenstand haben, wird dadurch nicht aufgehoben, sondern weiter vertieft (wie z.B. die Untersuchung der Wirkung von
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individualisierten Leistungsangeboten auf das Kundenverhalten) oder um kontextspezifische Besonderheiten ergänzt (z.B. Anbieterverhalten bei Ausschreibungen, Lieferantenfinanzierung im Anlagengeschäft). Das Resultat dieser Spezialisierung sind dem Anwendungsbereich besser angepasste theoretische Aussagensysteme, was in Folge eine Verbesserung der Entscheidungsqualität bei den betrachteten Problemstellungen bewirkt. Weiteres führt die Forschung in speziellen Anwendungsbereichen zu einem generellen Erkenntnisfortschritt im Marketing, wenn die dort anzutreffenden speziellen Absatzkonstellationen eine Vorreiter-Rolle für allgemeine Entwicklungen im Marketing einnehmen. So sind wesentliche Überlegungen des heute vorherrschenden wertorientierten Marketingansatzes (s. aktualisierte Marketingdefinition der American Marketing Association 2004) im IGM zu finden, da der rationale und monetär-komparative Zugang in der Bewertung von Leistungsangeboten bei der Beschaffung von Investitionsgütern grundsätzlich stärker verbreitet – und daher der Forschung besser zugänglich ist – als im Konsumgütermarketing. Dies spiegelt sich u.a. in einem umfangreichen Methodenrepertoire zur Wertanalyse wider, das von der Marketingpraxis in Business-toBusiness Kontext inspiriert ist und aus der breiten Einsatzerfahrung in diesem Sektor schöpft. Mit dem vorliegenden Beitrag wird versucht, die Rolle und Bedeutung des Investitionsgütermarketings als eigenständige Teildisziplin des Marketings zu beleuchten. Dabei wird zuerst auf die Abgrenzung und interne Strukturierung des Fachgebietes eingegangen, dann werden zentrale Erklärungs- und Managementansätze des IGM vorgestellt. Im letzten Teil erfolgen eine zusammenfassende Beurteilung sowie ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der IGM-Forschung.
Das Investitionsgütermarketing als eigenständige Teildisziplin des Marketings Bei der Suche nach Kriterien zur Abgrenzung und Strukturierung des Marketings in Investitionsgütermärkten bieten sich die Eigenschaften der Austauschobjekte und Austauschprozesse als Ansatzpunkte an (Plinke 1991). Mit der Schaffung möglichst homogener Objektbereiche soll die Ableitung gezielter Aussagen über die Ausgestaltung des Marketingprogramms ermöglicht werden. Dabei sind zwei Betrachtungsebenen zu unterscheiden: die Abgrenzung des IGM von anderen Teilgebieten des Marketings sowie die weitere Differenzierung innerhalb des IGM selbst. Was die Abgrenzung des IGM als Teildisziplin des Marketings betrifft, ist die Frage, ob Gütereigenschaften oder Merkmale des Nachfragers und der Verwendung das zweckmäßigere Kriterium darstellen, klar entschieden. Die Verwendung von Gütereigenschaften als Abgrenzungskriterium, wie die Betrachtung von Investitionsgütern als Produktivgüter, die in den Kundenbetrieben in verschiedenster Form in den Dienst der Produktion gestellt werden, hat sich als zu
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wenig trennscharf in seinen Konsequenzen für marketingstrategisches Verhalten herausgestellt (Scheuch 1975). Der Nachfragertyp und der Verwendungszweck haben sich als überlegen in der Aufgabe erwiesen, erkennbare Unterschiede im Investitionsgüterbereich begrifflich zu differenzieren und damit die Grundlage für ein homogenes Aussagensystem im Investitionsgütermarketing zu liefern. Als Investitionsgüter werden daher Wirtschaftsgüter bezeichnet, deren Absatz nicht an private Letztverwender, sondern an Organisationen erfolgt (Backhaus 1997; Engelhardt u. Günter 1981; Scheuch 1975). Als Organisationen werden formale, zielorientiert gegründete, geordnete Personenmehrheiten verstanden, die sowohl privatwirtschaftlich orientierte Unternehmen als auch nicht privatwirtschaftlich orientierte Organisationen umfassen. Zu letzteren zählen unter anderem öffentliche Einrichtungen, Behörden und Ämter, Ausbildungsinstitutionen, Sportvereine, Kirchen und religiöse Vereinigungen, politische Parteien, Kulturinstitutionen und Interessentengruppen. Neben der Art der Abnehmer, nämlich Organisationen, ist noch der Verwendungszweck für die begriffliche Abgrenzung wichtig. Diese Organisationen beschaffen Produkte und Dienstleistungen mit der Absicht, damit eigene Wirtschaftsgüter für die Fremdbedarfsdeckung zu erstellen, also erwerben die Leistungen entweder zur eigenen Verwendung, zum Weiterverkauf (im Fall des Produktionsverbindungshandels), zur Weiterverarbeitung oder als Komponente, die unverändert in das eigene Angebot eingeht. Entscheidend ist, dass die Vermarktung nicht auf Konsumgütermärkten, sondern auf Investitionsgütermärkten stattfindet. Diese Auffassung spiegelt sich auch im englischen Fachbegriff „Business-toBusiness-Marketing“ wider, mit dem auf die Zielgruppe der Geschäftskunden abgestellt wird, die Wirtschaftsgüter für die direkte oder indirekte Nutzung in ihrem eigenen Leistungserstellungsprozess beziehen (Anderson u. Narus 2004). Mit der Ausrichtung auf den Abnehmertyp und den damit verbundenen Beschaffungsentscheidungsprozess wurde jenes Differenzierungskriterium gefunden, das begriffskonstitutiv für die Teildisziplin des IGM ist. Diese Unterschiede in der Kaufmotivation und im Kaufentscheidungsprozess, der typischerweise als ein mehrere Personen und organisatorische Einheiten umfassender, formalisierter und in unterschiedliche Beschaffungsphasen unterteilbarer Problemlösungs- und Entscheidungsprozess beschrieben werden kann, sind es, die die Vermarktung von Leistungen in Investitionsgütermärkten prägen und damit vom Konsumgütermarketing abgrenzen. Die Entwicklung sinnvoller theoretischer Aussagensysteme und praxisrelevanter Marketingprogramme im Investitionsgüterbereich wird nur dann von Erfolg getragen sein, wenn es gelingt, die Vielfalt der Erscheinungsformen, wie beispielsweise die Vermarktung von Anlagen, von Komponenten oder von Energieträgern, nach zweckmäßigen Subkategorien zu ordnen (Kleinaltenkamp 1994). Die Literatur kennt unzählige Versuche zur internen Strukturierung des IGM, im Folgenden werden die bekanntesten Ansätze zur Unterscheidung von Teilkategorien des IGM vorgestellt:
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x Gütereigenschaften x Kauf- bzw. verwendungsbezogene Merkmale x Transaktionstypen bzw. Geschäftstypen Der so genannte warentypologische Ansatz oder „Commodity Approach“, der in der amerikanischen Literatur zum Industrial bzw. Business-to-Business Marketing stark verbreitet ist, unterscheidet zwischen Rohstoffen, Halbfabrikaten, Betriebsstoffen, Zubehör, Komponenten, Dienstleistungen, sowie kleineren und größeren Anlagen (Haas 1992). Obwohl damit homogene Teilklassen gebildet werden, treffen die generellen Vorbehalte gegenüber Gütertypologien zu, nämlich auf Gütereigenschaften und damit auf ein nur bedingt vermarktungsrelevantes Kriterium zurückzugreifen (Scheuch 1975). Mit der Hinwendung zu kauf- und verwendungsbezogenen Merkmalen als Gliederungskriterium wird die Marketingrelevanz jedenfalls erhöht. Obwohl die Beschäftigung mit dem organisationalen Beschaffungsverhalten ein zentrales Element der sektorspezifischen Forschung darstellt, haben sich der Kaufklassenansatz von Robinson et al. (1967), bei dem zwischen Neukauf sowie modifiziertem und identischen Wiederkauf unterschieden wird, die Kauftypologie von Kirsch und Kutschker (1978), die auf den Dimensionen Wert des Investitionsobjekts, Neuartigkeit des Problems und Grad des induzierten organisatorischen Wandels beruht, oder die Differenzierung nach Individual- und Routinetransaktionen als forschungsleitende Konzeptionen nicht durchsetzen können. Der Grund dafür ist, dass sich diese Ansätze entweder auf relativ isolierte Aspekte des Beschaffungsverhaltens von Organisationen beziehen oder nur Extremtypen abbilden, wodurch es ihnen nicht gelang, einen umfassenden Erklärungswert für sich zu beanspruchen. Allerdings gehen einzelne Überlegungen wie die Unterscheidung nach Individual- und Routinetransaktion in die später entwickelten und breiter angelegten Transaktionstypologien ein. Plinke (1992) setzt bei der Transaktionssituation an, um unterschiedliche Arenen des industriellen Marketings zu unterscheiden. In seiner 2x2-Felder Transaktionstypologie unterscheidet er nach dem Fokus der Markterfassung durch den Anbieter (Einzelkunde vs. Marktsegment/Gesamtmarkt) und dem dominierenden Kaufmuster (einmaliger Kauf vs. Wiederholungskauf) vier Transaktionstypen, nämlich das Transaction-Marketing, Relationship-Marketing, Projekt-Management und Key-Account-Marketing. Daraus resultieren unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich des Grades der Individualisierung des Angebots sowie der Bedeutung der Kundenbindung. Der Geschäftstypenansatz stellt eine (begriffliche) Weiterentwicklung des Transaktionsansatzes dar (Backhaus et al. 1994). Die Differenzierung der Geschäftstypen basiert dabei auf der Einschätzung der mit dem Kauf verbundenen Unsicherheitsprobleme. Abhängig vom Vorliegen einer Quasirente und den daraus resultierenden Abhängigkeiten zwischen Marktpartnern lassen sich das Produkt-, Anlagen-, Zuliefer- und Systemgeschäft unterscheiden (Backhaus 1997). Im Produktgeschäft werden Leistungen, die auf einen anonymen Markt gerichtet sind und bei denen keine Kaufverbunde vorkommen, offeriert.
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Beim Anlagengeschäft handelt es sich um komplexe Projekte, die kundenindividuell erstellt werden und in einem isolierten Kaufprozess abgewickelt werden. Im Systemgeschäft werden Produkte vermarktet, die auf einen anonymen Markt gerichtet sind, wo jedoch durch eine „Systemarchitektur“ Kaufverbunde zwischen den einzelnen Kaufentscheidungen erzeugt werden. Im Zuliefergeschäft werden spezifische Leistungen für Einzelkunden erstellt, mit dem eine längerfristige Geschäftsbeziehung eingegangen wird. Der Transaktionstypen- bzw. Geschäftstypenansatz ermöglicht die Integration der Nachfrager- und Anbieterperspektive. Während sich die Geschäftstypen eher an Merkmalen der Transaktionssituation des Nachfragers orientieren, gilt es diese um den Blickwinkel des Anbieters zu ergänzen. Für den Anbieter stellt sich die Transaktionssituation als Wettbewerbssituation dar (Plinke 1991). Basierend auf der Art des komparativen Konkurrenzvorteils wählt der Anbieter die Wettbewerbsarena, wobei zwischen dem Marketing auf anonymen Märkten bzw. Marktsegmenten, Marketing in längerfristigen Geschäftsbeziehungen und Marketing beim einzelnen Auftrag unterschieden wird. Den Transaktions- bzw. Geschäftsartentypologien kommt heute eine paradigmatische Rolle im IGM zu (Kleinaltenkamp u. Plinke 1996; Meyer et al. 1998). Die Typologie der Geschäftsarten bestimmt im hohen Maße die Gestaltung der Geschäftsbeziehung und die grundsätzliche Ausrichtung in der Marketingbearbeitung. Interessanterweise bietet die Orientierung an Transaktionstypen wie beispielsweise dem Transaction-Marketing und dem Relationship-Marketing wieder einen Anknüpfungspunkt für ein Zusammenwachsen von Konsum- und Investitionsgütermarketing zugunsten einer allgemeinen Typologie (Backhaus 1998; Fern u. Brown 1984).
Erklärungs- und Managementansätze des Investitionsgütermarketings Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über jene Erklärungs- und Managementansätze gegeben, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Forschungsprogramm im IGM gehabt haben und es (bis) heute prägen. Die Gliederung spiegelt in gewisser Weise auch die historische Entwicklung des Fachgebiets wider. Am Beginn standen die Total- und Partialmodelle zum organisationalen Beschaffungsverhalten, die wesentlich zum Verständnis der Kundenperspektive auf Anbietersicht beitrugen. Die Interaktionsansätze greifen den Prozess der wechselseitigen Beeinflussung bei Investitionsgütertransaktionen auf und eröffnen einen neuen Bezugsrahmen für die Analyse von dyadischen Geschäftsbeziehungen und Netzwerken, an denen mehrere Parteien beteiligt sind. Als Ansätze, die die aktuelle Diskussion im IGM bestimmen, werden der Geschäftsbeziehungsansatz, der sich aus der Transaktionstypen- und Interaktionsforschung heraus entwickelte, und der wertorientierte Marketingansatz, d.i. ein integrierter Managementansatz, bei dem die Schaffung von Kundennutzen und monetären Kundenvorteilen Ausgangspunkt für Marketingmaßnahmen sind, vorgestellt.
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Partialmodelle zum organisationalen Beschaffungsverhalten Unter organisationalem Beschaffungsverhalten werden jene Entscheidungsprozesse verstanden, durch die sich im Rahmen von formalen Organisationen der Bedarf an einzukaufenden Produkten und Diensten manifestiert und die alternativen Produkte, Marken und Lieferanten identifiziert, bewertet und schließlich einer Entscheidung zugeführt werden (Webster u. Wind 1972a). Zur Erklärung dieses komplexen Phänomens lassen sich in der Literatur Partial- sowie Totalmodelle finden. In den Partialmodellen werden nur einzelne Einflussfaktoren in ihrer Wirkung auf das Beschaffungsverhalten analysiert, während die Totalmodelle einen umfassenderen Erklärungsanspruch im Hinblick auf die einbezogenen Variablen und ihr Zusammenwirken erheben (Backhaus 1997; Scheuch 1975). Von den Partialmodellen werden folgende drei Gruppen kurz präsentiert: Phasenkonzepte, Kauftypen und Buying-Center Konzepte. Organisationale Beschaffungsentscheidungen folgen in der Regel einem festgelegten Prozedere, das aus verschiedenen Phasen mit spezifischen Aufgaben und Entscheidungsprozessen besteht. Ausgehend vom Phasenschema der allgemeinen Entscheidungstheorie unterscheiden Backhaus und Günter (1976) folgende konkretisierbare Phasen im Beschaffungsprozess von Organisationen: Voranfrage bzw. Problemerkennung, Angebotserstellung, Kundenverhandlung, Abwicklung und Gewährleistung. Obwohl die Phasen nicht immer in der gleichen Abfolge auftreten müssen und in ihrer Bedeutung nach Kaufsituationen variieren können, sind sie ein unverzichtbares Element in der Marketingplanung im IGM. Da Beschaffungsentscheidungen in Organisationen formalisiert ablaufen, bietet das Phasenkonzept einen wichtigen Ansatzpunkt für eine effektive Marktsegmentierung und den Einsatz von Marketingaktivitäten. Es gilt, die Entscheidungsprozesse auf Anbieter- und Nachfragerseite zueinander in enger und korrespondierender Beziehung stehend zu verstehen. Scheuch (1975) entwickelt auf Basis der Phasen des Beschaffungsentscheidungsprozesses in Kombination mit verschiedenen Kauftypen ein phasendifferenziertes Modell zum Marketing-Mix-Einsatz, das eine Vorlage für Schwerpunktaktivitäten im Anbieterverhalten liefert. Eine weitere wichtige Gruppe an Einflussfaktoren ist im Kauftyp zusammengefasst. Zu den kauftypspezifischen Faktoren zählen u.a. der Investitionswert und der Kaufanlass bzw. Wiederholungsgrad des Kaufprozesses. Der relative Investitionswert – aus Sicht der nachfragenden Organisation – erklärt in hohem Maße das Involvement, die Extensivität und damit auch Dauer des Entscheidungsprozesses und Umfang und Zusammensetzung des Einkaufsgremiums. Ähnliches gilt für den Kaufanlass bzw. Wiederholungsgrad des Kaufs (Robinson et al. 1967). Beim Erstkauf sind ein intensives Informationssuchverhalten und eine sehr rationale Vorgehensweise bei der Bewertung und Auswahl der Lieferanten zu erwarten. Beim modifizierten Wiederkauf kann die beschaffende Organisation bereits auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen, was die Entscheidungssituation erleichtert, zugleich werden auch neue Alternativen, allerdings in eingeschränktem Umfang, berücksichtigt. Der identische Wiederkauf entspricht einer Routinekauf-
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situation. Die drei Kaufklassen sind durch drei Dimensionen charakterisiert: Neuheit des Problems, Informationsbedarf und Einbeziehung neuer Alternativen. Im „Buygrid“-Modell vereinen Robinson et al. (1967) das Kaufklassen- und Kaufphasenkonzept zu einem gemeinsamen Modell mit einem umfassenden Erklärungsanspruch. Zusammenfassend gesehen hat der Kaufklassenansatz unzählige empirische Untersuchungen und weiterführende konzeptionelle Arbeiten hervorgebracht und nimmt damit eine herausragende Bedeutung in der Literatur zum Investitionsgütermarketing ein. Allerdings ist er alleine nicht tragfähig genug, organisationales Beschaffungsverhalten ausreichend zu erklären (Backhaus 1997). Einen zentralen Schritt bei der Analyse des Entscheidungsprozesses in der beschaffenden Organisation bildet das Buying-Center Konzept. Es dient der Analyse der Beteiligtenstruktur am organisationalen Beschaffungsprozess. Unter einem Buying Center wird die gedankliche Zusammenfassung aller am Kaufprozess beteiligten Personen bezeichnet (Webster u. Wind 1972b). Für einen Investitionsgutanbieter ist es wichtig zu wissen, wer die Mitglieder des Buying Centers (Person, Funktion) sind, welche Rolle sie im Beschaffungsprozess einnehmen und wie stark ihr Einfluss auf die Entscheidung ist. Speziell die Rolle der Beteiligten hat in der Literatur große Beachtung gefunden. Eine hohe Bekanntheit erlangte das Rollenkonzept von Webster und Wind (1972b), bei dem fünf verschiedene Rollen innerhalb des Buying-Centers unterschieden werden: Einkäufer, Verwender, Beeinflusser, Informationselektierer und Entscheider. Die Beteiligten können durchaus auch mehrere Rollen innehaben. Aus struktureller Sicht erlaubt das Konzept, die mit der Rolle verbundenen Erwartungen in der Akquisitionspolitik gezielt anzusprechen (z.B. differenzierte Argumentation für Verwender, Einkäufer und Entscheider) und die Bedeutung der Rollenträger in der jeweiligen Kaufsituation (z.B. Rolle des Einkäufers im Erstkauf vs. Routinekauf) besser abschätzen zu können. Diese Informationen sind für konkrete Verkaufsmaßnahmen noch um individuelle Daten zu ergänzen, die Auskunft über das generelle Informationsverhalten, den Einstellungen gegenüber einzelnen Produkten und Marken sowie Präferenzen für Lieferanten geben. Beim Verkauf innovativer Produkte treffen Anbieter beim Nachfrager häufig auf Widerstand. Es formieren sich Opponenten, die den Kauf verhindern, verzögern oder verändern wollen. Der technische und wirtschaftliche Nutzen der Anschaffung werden in Frage gestellt, die Risken des Vorhabens in der Argumentation besonders hervorgestrichen. Das Promotoren-/Opponenten-Modell von Witte (1976) dient der Identifikation von Fach- und Machtpromotoren im BuyingCenter. Dabei handelt es sich um jene Personen, die die Beschaffungsentscheidung auf fachlicher und machtpolitischer Ebene im Sinne des Anbieters aktiv beeinflussen und – idealerweise im koalitionären Zusammenwirken als „Promotoren-Gespann“ – den Widerstand der internen „Verhinderer“ und „Bremser“ überwinden helfen können. Damit wird der Analyse des Buying-Centers eine weitere Facette hinzugefügt, vor allem weil das Konzept generalisierbar und auf nichtinnovative Typen von Beschaffungsentscheidungen übertragbar erscheint. Das Promotoren-Konzept unterstreicht, wie wichtig beide Rollen, nämlich einerseits
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die Förderung des Überzeugungsprozesses in der Kundenorganisation mit fachlichen Argumenten, und andererseits die Unterstützung dieser Argumentation auf der geschäftspolitischen Ebene durch einen Machtträger, der die potentiell positiven Effekte der Anschaffung für das Gesamtunternehmen erkennt, für den Vermarktungserfolg des Anbieters sind. Totalmodelle zum organisationalen Beschaffungsverhalten Bei den Totalmodellen zur Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens lassen sich Struktur- und Prozessmodell unterscheiden. Das umfassendste Strukturmodell ist das so genannte „Webster/Wind“-Modell. Webster und Wind (1972a) definieren in einer Art von Schichtenmodell vier Gruppen von Einflussfaktoren, die die Kaufentscheidung in Organisationen bestimmen: Umweltbezogene, organisationsbezogene, interpersonale und intrapersonale bzw. individuelle Determinanten. Veränderungen im Umweltbereich (z.B. Konjunktur, Rechtsvorschriften) stellen Auslöser für Veränderungen in der Beschaffungspolitik von Unternehmen dar. Mit den organisationsbezogenen Bestimmungsfaktoren sind die verwendete Technologie, die Organisationsstruktur und Organisationsziele sowie die Organisationsmitglieder gemeint, die den strukturellen Rahmen der Beschaffungsentscheidung bilden. Darin eingebettet ist das BuyingCenter, dessen Mitglieder aufgabenbezogene und nicht-aufgabenbezogene Zielvorstellungen verfolgen, die sie mit der Beschaffungsentscheidung zu erfüllen versuchen. Als letzte Einflussgröße ist das individuelle Entscheidungsverhalten der Mitglieder des Buying-Centers zu beachten, das innerhalb der organisationalen Vorgaben durch eine eigene Motivations-, Persönlichkeits- und Präferenzstruktur geprägt ist. Der Beitrag des Webster/Wind-Modells liegt in der Bereitstellung eines umfassenden Bezugrahmens, in dem relevante Einflussgrößen auf den Kaufprozess geordnet und in einen Beziehungszusammenhang gebracht werden und der auf einer deskriptiven Ebene die integrative Analyse des Beschaffungsverhaltens erlaubt. Als Beispiel für ein Prozessmodell, in dem die Modellierung des Ablaufs des Beschaffungsprozesses zentrales Anliegen ist, sei das Prozessmodell von Sheth (1973) erwähnt. Es kombiniert drei Partialmodelle, nämlich die psychologischen Entscheidungsgrößen der Beteiligten (v.a. die Erwartungen der Einkäufer, Techniker und Verwender), die Rahmenbedingungen, die die kollektive Entscheidungsfindung bestimmen (z.B. Zeitdruck, empfundenes Risiko, Ziele der Organisation, Grad der Dezentralisation), und die Konfliktlösungsmechanismen (Problemlösung durch Informationssammlung, Überreden bei der Kriteriengewichtung, Verhandeln, „Austricksen“). Trotz des interessanten Strukturierungsversuchs leidet das Modell an mangelnder Operationalisierung der einzelnen Variablen und der Beziehungen untereinander, auch ein expliziter Phasenbezug fehlt. Zusammenfassend gesehen, bilden die verschiedenen Erklärungsansätze zum Beschaffungsverhalten von Organisationen die grundlegende Wissensbasis für das
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IGM. Sie setzen direkt beim begriffskonstitutiven Kriterium des IGM an und unterlegen den Anspruch der Eigenständigkeit mit einer Fülle an Forschungsarbeiten, die den Kaufprozess aus verschiedenen Perspektiven heraus analysieren. Dieser Fülle an theoretisch-konzeptionellen Beiträgen und empirischen Studien ist es zu verdanken, dass wir heute einen relativ gut abgesicherten Erkenntnisstand zu den wesentlichen Einflussfaktoren, ihrem Zusammenwirken und dem Ablauf von organisationalen Beschaffungsentscheidungen besitzen. Auf der Anbieterseite schlägt sich dieses Wissen in einer verbesserten Marketingplanung nieder. In Segmentierungsmodellen wird der „Schichtencharakter“ von organisationalen Beschaffungsentscheidungen nachgebildet, indem stufige Segmentierungsverfahren entworfen werden, die eine schrittweise Analyse ausgehend von umweltbezogenen über innerorganisatorische bis hin zu den individuellen Merkmalen der Mitglieder von Buying-Centers vorsehen (Gröne 1977; Scheuch 1975). Die Kaufanlässe und Kaufphasen finden Eingang als Segmentierungskriterien und verfeinern damit die Analysequalität. In der Marktbearbeitung ermöglichen die Kenntnisse des Beschaffungsprozesses einen differenzierten Zutritt, bei dem die Maßnahmen auf die verschiedenen Kaufsituationen besser abgestimmt werden können. Zugleich bilden die „historischen“ Ansätze aus den 1970-80er Jahren das Fundament und den Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung in Richtung Interaktionsansätze und Geschäftstypologien. Interaktionsansätze Während die klassischen Modelle des organisationalen Beschaffungsverhaltens dem SR- bzw. SOR-Paradigma (Stimulus-Organism-Response) verhaftet sind, greifen die Interaktionsansätze eine Besonderheit des IGM auf, nämlich die starke wechselseitige Beeinflussung der Teilnehmer. Auf Investitionsgütermärkten bringt die isolierte Betrachtung von Verkaufs- und Kaufaktivitäten nur limitierte Einsichten, vielmehr interessieren die Interaktionen zwischen den involvierten Parteien und die daraus resultierenden Effekte. Interaktionsprozesse zeichnen sich dadurch aus, dass das Transaktionsgeschehen prozessual als gegenseitige Beeinflussung und individuelle Reaktion auf Aktionen des Transaktionspartners interpretiert wird. Systemtheoretisch gesehen entsteht zwischen den Beteiligten ein zeitlich begrenztes, aufgabenorientiertes Zwischensystem aus Mitgliedern des Buying- und Selling-Centers, das als „Transaction Center“ bezeichnet wird (Koch 1978). Abhängig von der Art (Personen oder Organisationen) und der Zahl der Beteiligten (zwei oder mehr als zwei) wird zwischen dyadisch-personalen und dyadischorganisationalen sowie multipersonalen und multiorganisationalen Interaktionsansätzen unterschieden (Kern 1990). Die personalen Ansätze thematisieren die Interaktion zwischen Personen und haben für den persönlichen Verkauf Bedeutung erlangt. So wird in „Matching-Studien“ nachgewiesen, dass die Ähnlichkeit zwischen Verkäufer und Kunde in bestimmten persönlichen Eigenschaften den Interaktionserfolg bestimmt. Die multipersonalen Interaktionsansätze wiederum eignen sich für die Analyse von Rollen- und Machtkonflikten im Transaction Center (Backhaus 1997). Die organisationalen Interaktionsansätze lösen sich von der ein-
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seitigen Betrachtung der involvierten Personen und berücksichtigen die Einbettung der handelnden Personen in ihren jeweiligen Organisationen. Dies führt beim dyadisch-organisationalen Typ zur Ergänzung der personenbezogenen Analyse um organisatorische Einflussfaktoren. So konnte festgestellt werden, dass korrespondierende Funktions-, Hierarchie- und Entscheidungsstrukturen im Buying- und Selling-Center den Verhandlungsverlauf positiv beeinflussen (Koch 1987). Als ein zentrales Forschungsprogramm im Rahmen des multiorganisationalen Ansatzes, bei dem mehr als zwei Personen und Organisationen beteiligt sind, sei hier der Ansatz der IMP-Group (Industrial Marketing and Purchasing Group) erwähnt (Backhaus 1997). Bei diesem Interaktionsmodell handelt es sich um ein Netzwerk-Konzept, das auf die dauerhaften Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager abstellt (Backhaus u. Büschken 1997). Das Modell umfasst vier Kernelemente: den Interaktionsprozess selbst, die beteiligten Parteien, die Umwelt und die Atmosphäre, in der die Interaktion stattfindet (Hakansson 1982). Im Interaktionsprozess lassen sich zum einen kurzfristige Episoden, in denen Produkte, Informationen und Geld ausgetauscht werden, und zum anderen langfristige Beziehungen unterscheiden. Die einzelnen Episoden schaffen ein Beziehungsgeflecht zwischen den Partnern, das als Atmosphäre bezeichnet wird. Die Atmosphäre drückt sich in Form von Macht- und Abhängigkeitsrelationen und kooperativen und konfliktären Beziehungen aus. Die dauerhafte Geschäftsbeziehung wird vor allem durch wirtschaftliche Überlegungen bestimmt. Schließlich werden die Geschäftsbeziehungen von Umweltfaktoren wie der Marktstruktur, Marktdynamik, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen und der Internationalität der Märkte beeinflusst. Mit diesem Modell lassen sich einzelne Transaktionsepisoden aber auch längerfristige Geschäftsbeziehungen analysieren. Mit der Untersuchung von Beziehungen innerhalb von Netzwerken wird das ursprünglich dyadisch angelegte Forschungskonzept um zusätzliche Marktteilnehmer erweitert. Um die komplexen Netzwerkstrukturen methodisch noch erfassen zu können, geht man in der Analyse von einem zentralen Anbieterunternehmen und seiner „fokalen Beziehung“ zu einem wichtigen Abnehmer aus (Anderson et al. 1994). Ziel der Forschung ist es, die Auswirkungen der Teilnetzwerke, in die der Anbieter und der Kunde jeweils eingebunden sind, auf die fokale Geschäftsbeziehung zu erklären. Mit der Interaktionsforschung wird ein Beitrag zum besseren Verständnis von Geschäftsbeziehungen als Ergebnis von einer Kette von Transaktionen im Zeitablauf geliefert. Die hohe Bedeutung einzelner Konstrukte wie Sympathie, Know-How und Macht, wahrgenommenes Risiko, Ähnlichkeit, Konflikt, Vertrauen und Nähe sowie Anpassung bei Interaktionsprozessen konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden (Backhaus u. Büschken 1997). Trotzdem ist der Bereich v.a. durch deskriptive Analysen gekennzeichnet. Erklärungsansätze, die bei der zielgerichteten Steuerung von Interaktionsprozessen und Geschäftsbeziehungen helfen könnten, sind hingegen selten (Backhaus 1997). Diesem Defizit versucht man mit dem Geschäftsbeziehungsansatz zu begegnen, der als Synthese von Transaktionstyp- und Inter-
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aktionsprozessforschung angesehen werden kann und dessen Vertreter auf die Gewinnung von operativ-umsetzbaren Gestaltungsaussagen abzielen. Geschäftsbeziehungsansatz Die Erkenntnis, dass die Art und Dauer der Geschäftsbeziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden eine wesentlichen Einfluss auf den Economic Value bzw. Shareholder Value haben, hat zu einem Aufschwung der Forschung in diesem Bereich beführt (Reichheld u. Sasser 1990; Helm u. Günter 2003). Dabei interessiert, wann eine enge Geschäftsbeziehung zwischen einem Anbieter und Abnehmer sinnvoll ist und welche Einflussfaktoren ihren Erfolg bestimmen. Unter Geschäftsbeziehung versteht man jede aus wirtschaftlichen Motiven heraus aufrecht erhaltene Folge von Interaktionen zwischen zwei wirtschaftlich tätigen Organisationen oder Personen (Diller 2001). Diese können geplant sein oder sich schleichend, durch wiederholte Einzelentscheidungen im Zeitablauf ergeben, sind nicht zwingend an vertragliche Strukturen gebunden und spielen sich auf mehreren Beziehungsebenen (Sach-, Organisations-, Macht- und Emotionsebene) ab. Speziell in Investitionsgütermärkten sind der Aufbau und die Erhaltung von Geschäftsbeziehungen wichtig, weil durch den hohen Spezialisierungsgrad die Kundenzahl oft sehr beschränkt ist, sodass die Ertragspotentiale bei bestehenden Kunden bestens genutzt werden müssen, und die Qualität produktbegleitender Leistungen wie beispielsweise die Just-in-Time-Belieferung oder kundenindividuelle Finanzierungspläne ein wesentliches Differenzierungsmerkmal gegenüber Mitbewerbern darstellt. Eine enge Zusammenarbeit schlägt sich in niedrigeren Transaktionskosten und höherer Qualität bei komplexen Leistungsangeboten nieder. Kundenspezifische Investitionen (z.B. individualisierte Beratungsleistungen, Vernetzungen in den Logistik- und EDV-Systemen) schaffen gegenseitige Abhängigkeiten und tragen zu einer höheren Bindung des Kunden an den Anbieter bei („Lock-in-Effekt“). Der Einsatz von Beziehungsmarketing und seine Ausgestaltung, also die bewusste Orientierung am längerfristigen Beziehungserfolg und die daraus resultierende Bereitschaft, in eine bestimmte Geschäftsbeziehung zu investieren, sind strategische Entscheidungen des Anbieters. Empirische Studien zeigen, dass in Investitionsgütermärkten eine Vielzahl von Beziehungstypen anzutreffen ist. Cannon und Perreault (1999) haben anhand so genannter „Buyer-Seller Relationship Connectors“, zu denen die Intensität des Informationsaustausches, operativer Verkettungen, Verträge, Kooperationsnormen und partnerbezogene Anpassungen gehören, mehrere Beziehungstypen unterschieden, die u.a. von der einfachen Kauf- und Verkaufsbeziehung, über die vertraglich-geprägte Transaktion bis hin zur „Der Kunde ist König“-Beziehung reichen, in der der Verkäufer seine Leistungen im hohem Maße auf die Kundenwünsche abstimmt. Nicht alle Kunden wollen enge Geschäftsbeziehungen mit ihren Lieferanten, vielen reicht die zuverlässige Auftragserfüllung. Enge Geschäftsbeziehungen werden vom Kunden dann gesucht, wenn ihm die Liefersi-
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cherheit wichtig ist, wenige alternative Lieferanten verfügbar sind und die Beschaffung komplex ist. Dieses differenzierte Bild findet sich auch bei einer Untersuchung von „Beziehungsstilen“, verstanden als intuitive Handlungsmuster im Umgang mit industriellen Kunden (Diller u. Ivens 2004). Es zeigt sich, dass jeder Beziehungstyp unterschiedliche Maßnahmenprogramme erfordert und dass Anbieter in der Lage sein müssen, ein Portfolio an verschiedenen Geschäftsbeziehungen zu managen. Vertrauen und Commitment sind dabei wesentliche Bestimmungsfaktoren für die Entstehung und den Aufbau von langfristigen Geschäftsbeziehungen. Forschungsbedarf lässt sich hier vor allem in der Untersuchung der Effektivität von Gestaltungsmaßnahmen orten, die zur Entwicklung und Erhaltung von Geschäftsbeziehungen eingesetzt werden können. Studien wie jene zum „Beziehungspromotor“ (Walter 1999) schlagen wiederum eine Brücke zwischen dem Buying-Center-Konzept und dem Beziehungs- und Netzwerk-Management. Wettbewerbs- und wertorientierte Marketingansätze Die Investitionsgütermärkte wurden in den 1980-1990er Jahren von markanten Veränderungen im Branchenumfeld erfasst. Der Wandel vom klassischen Verkäufermarkt hin zum wettbewerbsintensiven Käufermarkt, die zunehmende Globalisierung, die sich vor allem im Vordringen neuer Wettbewerber aus Südostasien bemerkbar machte, und ein beschleunigter technischer Fortschritt führten zu einer verstärkten Beachtung von Wettbewerbsaspekten in der IGM-Konzeption (Droege et al. 1993). Unter diesen verschärften Wettbewerbsbedingungen gilt es, einen komparativen Konkurrenzvorteil zu erlangen, d.h. den Kundennutzen zusätzlich noch in einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil des Anbieters zu verankern (Backhaus 1997). Die Quelle eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils stellt zum einen der Kostenvorteil dar, zum anderen die besonderen Problemlösungsfähigkeiten eines Unternehmens, die aus den spezifischen Ressourcen und dem Management der Geschäftsprozesse erwachsen. Mit seinem Konzept der Anwenderwirtschaftlichkeit nimmt Große-Oetringhaus (1990) eine weitere Präzisierung des Kundennutzens vor, indem er ihn als Beitrag zum Kundengewinn interpretiert und dafür den Begriff „Kundenvorteil“ einführt. Den Geschäftskunden interessiert primär, welche Auswirkung die Leistungsangebote verschiedener Anbieter auf seinen Gewinn haben. Er wird unter mehreren Angeboten jenes wählen, das ihm den höheren Gewinnbeitrag verspricht. Will nun ein Anbieter bei einem Geschäftskunden erfolgreich sein, muss er die Bestimmungsfaktoren des Kundengewinns verstehen, die Gewinnveränderungsmöglichkeiten seiner eigenen Leistungskonzeption ausloten und schließlich sein Angebot so gestalten können, dass dem Kunden daraus ein Kundenvorteil, ein im Vergleich zu seinen Mitbewerbern höherer Gewinnbeitrag, erwächst. Mit der Monetarisierung des Kundennutzens in Form des Kundenvorteils wird die Brücke zum wertorientierten Marketingansatz („Value-Based Marketing“) geschlagen. Dabei wird Marketing als ein Managementprozess verstanden, in dem es um die Bestimmung, Schaffung und Vermittlung von Wert an definierte Zielmärk-
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te und Zielgruppen geht (Anderson u. Narus 1999). Anbieter, die ihr Marketingprogramm wertorientiert gestalten, werden mit einem gerechten Anteil am Wertgewinn partizipieren und so ihre gegenwärtige und zukünftige Ertragskraft nachhaltig verbessern. Hier wird die Verbindung zum Shareholder-Value-Ansatz deutlich, dessen Vertreter die Kernaufgabe des Marketings in der Entwicklung und im Management von immateriellen Ressourcen – wie sie Kundenbeziehungen und Marken darstellen – mit dem Ziel der Steigerung des Economic Value sehen (Doyle 2000). Der ausgeprägt rationale Zugang bei der Bewertung des Nutzens von alternativen Leistungsangeboten hat die Verbreitung des „Value-based Marketing“ im Business-to-Business-Sektor gefördert, was sich u.a. in einem breiten Methodenrepertoire zur Wertbestimmung niederschlägt. Dieses reicht von Verfahren zur Wertermittlung und Wertmessung (z.B. technische Wertanalyse, Feldexperiment) bis hin zu so genannten Wertmodellen („Value Models“), die vom Anbieter erarbeitete datengestützte Nachweise der Vorteilhaftigkeit von Leistungsangeboten für den Kunden darstellen (Anderson u. Narus 1998). Obwohl in der praktischen Umsetzung keineswegs problemfrei (Schuh 2002), stellt der wertorientierte Marketingansatz eine strukturierte Handlungsanleitung für das Businessto-Business Marketing dar. Mit der Verankerung in einem zentralen Konstrukt der ökonomischen Theorie, dem „Wert“, eröffnen sich Anbindungen zu finanzwirtschaftlich-orientierten Ansätzen wie dem Economic Value und Shareholder-Value sowie zu organisatorischen Ansätzen wie dem Management von Geschäftsprozessen (Srivastava et al. 1999).
Zusammenfassende Beurteilung der Forschung zum Investitionsgütermarketing und Forschungsausblick Mit dieser zusammenfassenden Beurteilung der Forschung soll versucht werden, den Beitrag des IGM zum Erkenntnisfortschritt in der Marketingwissenschaft herauszuarbeiten und einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des IGM zu geben. Bei einer derartigen Beurteilung sind die Vorteile, die aus der Spezialisierung auf die besonderen Marketingprobleme des Gegenstandsbereichs resultieren, mit den Nachteilen, die durch die Vernachlässigung von Synergien mit verwandten Themenbereichen entstehen, zu vergleichen. Ausschlaggebend für die gesamthafte Erfolgsbeurteilung ist schließlich die wissenschaftliche Ergiebigkeit, die die Spezialisierung bewirkte. Im Fall des IGM dominieren bisher eindeutig die Vorteile aus der Spezialisierung, allerdings wird für die Zukunft ein größeres Potential in der Reintegration in allgemeine Marketingtheorien gesehen. Die gütertypologische Forschung hat zweifellos zu einer großen Vielfalt an produktspezifischen Wissensständen (z.B. Anlagen-, Energie-, Rohstoff-Marketing) beigetragen, womit gerade der Praxis konkrete Handlungsanleitungen zur Verfügung gestellt werden konnten. Die Schwäche der Gütertypologien liegt aber in der Vernachlässigung von produktübergreifenden Gemeinsamkeiten, was zugleich die theoretische Fundierung er-
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schwert (Scheuch 1975). Es überrascht daher nicht, dass sich das Kauf- und Verwendungsverhalten aufgrund der überlegenen Erklärungskraft als Ansatzpunkt für ein sektorales Marketingprogramm durchsetzte. Mit der Wahl der organisationalen Beschaffung als Abgrenzungskriterium für das IGM wurde ein breites Forschungsfeld eröffnet, das sich durch eine große wissenschaftliche Ergiebigkeit auszeichnet und Anknüpfungspunkte zu allgemeinen Marketingtheorien aufweist – zu Recht definiert sich das IGM bis heute über dieses Forschungsfeld. Die klassischen Kaufphasen-, Kaufklassen-, Buying-Center- und Promotoren-Modelle stellen Standardwerke in der Marketingwissenschaft dar. Mit den Modellen zum Interaktionsprozess zwischen Anbieter und Nachfrager wurde die StimulusResponse-Denkweise aus dem Konsumgütermarketing überwunden und ein eigenständiger, der Realität auf Investitionsgütermärkten besser entsprechender Ansatz gewählt. Obwohl der Interaktionsansatz aufgrund der forschungstechnischen Schwierigkeiten bei der Analyse von komplexen Netzwerk-Phänomenen zuletzt an Schwung verloren hat, bilden die gewonnenen Erkenntnisse eine wesentliche Grundlage für die aktuelle Forschung im Bereich der Geschäftstypen und –beziehungen. Mit der Fokussierung auf Geschäftsbeziehungen bindet sich das IGM wieder im allgemeinen Marketingprogramm ein, wo gegenwärtig Fragen der Kundenbeziehung, der Kundenbindung und des Kundenwerts die Diskussion prägen. Es kann zweifelsohne behauptet werden, dass die Forschung zu Geschäftsbeziehungen im Business-to-Business Bereich eine Vorreiter-Rolle im Fach Marketing spielt. Gleiches trifft ebenfalls auf den wertorientierten Marketingansatz zu. Der wertorientierte Marketingansatz stellt einen integrativen Bezugsrahmen dar, der die konsequente Ausrichtung aller Maßnahmen und Geschäftsprozesse auf die Generierung und Realisierung eines Kundenvorteils ermöglichen soll. Vertreter des IGM sind hier führend an der Entwicklung beteiligt und liefern wichtige konzeptionelle und methodische Beiträge (z.B. Wertmodelle, Methoden der Wertanalyse, Kundenintegration in der Leistungserstellung). Damit wird schon angedeutet, wohin sich das Investitionsgütermarketing in der Zukunft entwickeln könnte. Es hat den Anschein, dass sich das von Backhaus (1998) „integriertes Y“ genannte Szenario durchsetzen könnte. In diesem Szenario zur Entwicklung des IGM bewegen sich die verschiedenen Spezialbereiche des Marketings nicht nur aufeinander zu, sondern entdecken ihre gemeinsamen theoretischen Verankerungen wieder. Der Geschäftsbeziehungsansatz sowie das wertorientierte Marketingkonzept sind Beispiele für ein solches übergeordnetes allgemeines Theoriegebäude, in dem die Marketing-Spezialbereiche wieder zusammenfinden könnten. Generell sind aus heutiger Sicht eher konvergente Entwicklungen zwischen den Spezialdisziplinen zu erkennen, was aus der inhaltlichen Annäherung in den Forschungsfeldern resultiert. So sind Überschneidungen des IGM mit dem Dienstleistungsmarketing (z.B. Leistungsbündel als Absatzobjekte), dem Beziehungsmarketing (z.B. Kundenbindungsprogramme im Handel) und dem Strategischen Management (z.B. Wettbewerbs- und Wertorientierung) erkennbar. Die aus einer besser abgestimmten Forschung (z.B. Verwendung gemeinsamer Begriffe und Konstrukte) erzielbaren Synergieeffekte sollten die Konvergenz weiter fördern. Das hätte zur Folge, dass auf der Theorieebene der Spezialisierungs-
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drang zugunsten der Nutzung allgemeiner Marketingtheorien (z.B. Transaktionskostentheorie) abnehmen würde. Diese Entwicklung muss aber nicht mit einer Abkehr von der sektoralen Forschung verbunden sein. Über die Wahl der Investitionsgütermärkte als bevorzugtes Untersuchungsfeld kann der Forscher einen engen Sektorbezug beibehalten und seine Forschungskompetenz über die Transferfunktion zwischen allgemeiner und sektorspezifischer Aussagenebene und das angeeignete sektorale Erfahrungs- und Methodenwissen definieren. Inhaltlich könnte das IGM durch die Integration in umfassendere theoretische Aussagensysteme gewinnen. Vertreter des Faches konstatieren bereits eine nachlassende Forschungsdynamik (Engelhardt 1998). Die IGM-Forschung hat sicherlich ein gewisses Reifestadium erreicht, was auf einen hohen Ausschöpfungsgrad der mit der Spezialisierung verbundenen Forschungspotentiale schließen lässt. Innovationen werden heute durch die Zusammenarbeit mit anderen Teildisziplinen gesucht wie im Fall der industriellen Dienstleistungen (Homburg u. Garbe 1999). Diese Kooperationen bergen dann Chancen, wenn es ihnen gelingt, die Kernthematik des IGM, die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen in Investitionsgütermärkten, mit den Hauptströmungen in der allgemeinen Marketingforschung zu verbinden. Die stärkere Anbindung an die übergeordnete allgemeine Marketingtheorie ist aus heutiger Sicht ein viel versprechender Ansatz, um dem IGM eine neue Perspektive und neuen Antrieb zu verschaffen.
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Dienstleistungsmarketing – Entwicklung und künftige Perspektiven Dieter Scharitzer Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Die Entwicklungsgeschichte im Rückblick Beinahe vergleichbar mit einer gelungenen Produkteinführung stellt sich die Entwicklung der Dienstleistungsmarketingforschung in den letzten 25 Jahren dar. Sie zeigt den beeindruckenden Entwicklungspfad dieses sektoralen Themas in der Marketingforschung, das auch ganz gut mit dem bekannten Bild des Produktlebenszykluses beschrieben werden kann: Die Phase der Pioniere, Wachstum, eine Ausdifferenzierung des Themas die schon fast bis zur Sättigung führt und berechtigte Fragen eines Relaunches, einer Aktualisierung und Neuorientierung des Forschungsfeldes aufwirft, um auch in den nächsten Jahrzehnten attraktiv und aktuell zu sein. Die Pionierphase – Dienstleistungsmarketing als eigenständiger Forschungsbereich Die Pionierphase rund um das Zeitfenster der auslaufenden 70er und beginnenden 80er Jahre ist charakterisiert durch die Suche nach einer Abgrenzungsmöglichkeit des Forschungsobjektes „Dienstleistung“. „New concepts are necessary if service marketing is to succeed“ (Shostack 1977) Mit diesem Satz leitete damals die Autorin Lynn Shostack einen ihrer zahlreichen Artikel ein, der zur damaligen Zeit den Start zu einer Aufbruchstimmung in der Marketingforschung signalisierte. Als eine der ersten formulierte sie Hypothesen, allerdings noch ohne empirische Untersuchungsergebnisse, die auf marketingrelevante Unterschiede bei der Vermarktung von Dienstleistungen im Vergleich zu Konsum- und Investitionsgütern hinwiesen. In ihrem „Molecular Model“ (Shostack 1977) strich sie vor allem das Merkmal der „Immaterialität“ (Intangibility) als Unterscheidungskriterium hervor und schuf damit eine erste gutsorientierte Systematik.
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Dienstleistungsmarketing als eigenständigen Forschungsschwerpunkt zu etablieren war bei den Pionierautoren unumstritten, doch kam die Frage nach der Marketingrelevanz der Unterscheidung von Konsumgütern und Dienstleistungen auf. Provokant wurde die Frage gestellt: „Service Marketing: Different products, similar strategy?“ (Enis u. Roering 1981) Die Autoren gestehen sehr wohl den Unterschied des „Produktes“ ein, sehen aber vor allem in der instrumentellen Umsetzung der marketingrelevanten Verschiedenheiten keinen großen Handlungsbedarf zur Umorientierung. Die theoretische Entwicklung im Dienstleistungsmarketing widerspricht aus der heutigen Sicht diesen Autoren, da vor allem in guts- und produktionstheoretischer Hinsicht Merkmale für Dienstleistungen entwickelt worden sind, die bei konsequenter Umsetzung auch Auswirkungen auf die Anwendung des klassischen Marketinginstrumentariums haben. Mit überraschend kurzer Verzögerung wurde dieses neue Forschungsfeld auch in der deutschsprachigen Forscherszene aufgenommen und es gab erste grundlegende Publikationen zu diesem Thema (Maleri 1973, Scheuch 1982, Meyer 1983, Corsten 1985). Die Autoren der ersten Stunde hatten sich hauptsächlich zum Anliegen gemacht, eine Präzisierung und Eingrenzung des Forschungsfeldes zu betreiben. Im Wesentlichen gab es drei Strukturierungsvarianten: Volkswirtschaftliche Abgrenzung Die international übliche Gliederung der volkswirtschaftlichen Leistung nach der Drei-Sektorentheorie zeigt sich vor allem bei Statistiken des tertiären Sektors den Dienstleistungen - problematisch. Die heterogene und stetig wachsende Angebotsseite und die unscharfe Abgrenzung der Dienstleistungen von Sachgütern sind die Hauptgründe, dass die Gliederung zum Teil unbefriedigend ist (geringe Tiefe) und die Zurechnung von Leistungen zu bestimmten Sektoren nicht immer eindeutig ausfallen kann. Taxative Aufzählung von Branchen Der Versuch, das Forschungsfeld „Dienstleistungen“ über eine Liste von Branchen und Leistungen zu definieren war auch nicht wirklich zielführend, da es einerseits durch die rasante Marktentwicklung einer laufenden Anpassung, Erweiterung und Ausdifferenzierung bedurft hätte – man bedenke nur bspw. dass mit den neuen Medien wie Internet verbundene Dienstleistungen damals völlig unbekannt waren. Gleichzeitig stellte sich die Grundfrage, die auch bei der volkswirtschaftlichen Abgrenzung zutrifft, was bei einer derartigen Gliederung gewonnen wird, da hinsichtlich der marketingrelevanten Implikationen keine Aussagen durch die Systematisierung gemacht werden können.
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Konstitutive Merkmale und gutstheoretische Abgrenzung Letztendlich durchgesetzt hat sich der Versuch einer Orientierung an den konstitutiven Merkmalen, die anhand charakteristischer Merkmale von Dienstleistung aufzeigen, dass es vor allem auch marketingrelevante Unterschiede zu herkömmlichen Konsumgütermarketingentscheidungen gibt, die eine Grundlage der Ausdifferenzierung der sektoralen Dienstleistungsmarketingforschung bieten. Bereits die ersten Autoren zum Thema Dienstleistungsmarketing haben erkannt, dass relevante Unterscheidungsmerkmale zu den anderen Marktangeboten in der Beschaffenheit des „Gutes“ selbst liegen. So findet man bspw. bei Scheuch „Dienste“ folgendermaßen charakterisiert (vgl. Scheuch 1982): „Dienste sind: x immaterielle Güter bzw., als Abgrenzung zu anderen immateriellen Gütern ´Verrichtungen´ (dieser Begriff umfasst sowohl Handlung als auch Duldung von Aktionen);“ x produzierte Güter, d.h. zu ihrer Erstellung ist eine Faktorkombination gegeben (der Anbieter einer Dienstleistung, seine Geräte, Räumlichkeiten, Personal etc.), deren Tätigwerden zum Zustandekommen einer Verrichtung führt;“ x ursprüngliche Güter, die Gegenstand von abgeleiteten Gütern sein können (z.B. Ansprüche auf zukünftig zu erbringende Leistungen, wie Buchung einer Flugreise, der Erwerb einer Eintrittskarte etc.);“ x Realgüter, deren Bewertung durch Nominalgüter ausgedrückt wird und die Gegenstand von Marktpreisen sind;“ Die Definition von Scheuch beinhaltet im wesentlichen zwei theoretische Erklärungsansätze, die sich in der Marketingforschung zu Diensten etabliert haben und die darüber hinaus auch Anhaltspunkte geben, warum dienstleistungsspezifische Besonderheiten bei der Vermarktung auftreten: x der gutstheoretische Ansatz x der produktionstheoretische Ansatz. Zur Definition, Abgrenzung und Systematisierung von Dienstleistungsmarketing als eigener sektoraler Forschungsschwerpunkt liegen heute unzählige Publikationen und Forschungsergebnisse vor, deren Kernaussagen hier zusammengefasst werden sollen. Die umfangreiche und weitgehend deckungsgleiche einschlägige englisch- und deutschsprachige Literatur fokussiert vor allem auf die Abgrenzung von Dienstleistungsangeboten durch ein Aufzeigen wesentlicher guts- und produktionstheoretischer Unterschiede vor allem gegenüber dem Vermarktungsgegenstand materieller Konsumgüter. Wesentliche Merkmale sind dabei: x die physische Immaterialität und der Verrichtungscharakter der Leistung
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x die fallweise notwendige Simultanität der Leistungserstellung und Leistungsabgabe die eine örtliche und zeitliche Kongruenz der Verrichtungspotentiale und Leistungsempfänger erforderlich macht x die beschränkte Speicherbarkeit und Lagerfähigkeit x die Einbeziehung des „externen Faktors“ in der Form der Person oder des Verfügungsobjektes des Leistungsempfängers an dem die Dienstleistung zu verrichten ist, in allen Phasen des Leistungsdesigns- und Leistungserstellungsprozesses. Nicht zuletzt aufgrund der konstitutiven Merkmale, allen voran die Immaterialität, die Berücksichtigung des Kunden als externen Faktor und den produktionstheoretischen Überlegungen war das beherrschend Thema der nun folgenden Jahre bereits vorgezeichnet: die intensive Befassung mit dem Thema Qualität in Zusammenhang mit Dienstleistungen. Die Wachstumsphase – Das Thema „Qualität“ in der Dienstleistungsmarketingliteratur Nicht zuletzt wegen der Komplexität des Dienstleistungsproduktes lassen sich besondere Anforderungen an Qualitätsmaßstäbe, -messung, und -sicherung und allgemein das Qualitätsmanagement eines Anbieters erwarten. „TQM“ - Total Quality Management ist das Schlagwort der 90er Jahre, wenn es um die Suche zukünftiger, strategischer Erfolgsfaktoren marktorientierter Unternehmen geht. Das heißt keineswegs, dass die Themen „Qualität“ und „Qualitätssicherung“ bei der Leistungserstellung erst erfunden wurden. Sie waren nur bisher stark an den industriellen Fertigungsprozess geknüpft, wo in der Produktionskette von Gütern immer wieder Kontrollpunkte zur Überprüfung der Qualitäts- und Verarbeitungsstandards eingefügt werden. TQM löst sich von dieser rein produktionsorientierten Sicht und nimmt Bezug auf das gesamte Leistungssystem eines Unternehmens und schließt sowohl den technischen als auch den menschlichen Bereich in das Qualitätsmanagement ein. Aufbauend auf den gutsimmanenten Merkmalen der Dienstleistungen haben nun eine Reihe von Autoren Modelle entwickelt, die - in ihrem Weg durchaus verschieden, im Ergebnis aber vielfach ähnlich - Erklärungsansätze zu Fragen und Problemen der Dienstleistungsqualität suchen: x Was macht bei Dienstleistungen die „Qualität“ aus? x Wo kann man bei dem sehr komplexen Faktorbündel „Dienstleistungen“ mit der Beurteilung der Qualität ansetzen? x Welche Dimensionen und konkretisierte Merkmale einer Dienstleistung können einer Bewertung unterzogen werden? x Wie kann dem prozessualen Charakter der Leistungserstellung bei Dienstleistungen in einem Modell Rechnung getragen werden?
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x Kann man aus Modellen Hypothesen für eine empirische Überprüfung ableiten? x Wie kann Qualität aus Kundensicht gemessen werden? x Welche Möglichkeiten bieten unter anderem auch Marketingaktivitäten um Qualität nachhaltig zu sichern und Kundenbeziehungen positiv zu entwickeln? Stellvertretend für viele Publikationen sei an dieser Stelle nur auf ein paar von zentraler Bedeutung hingewiesen, die vor allem die Eckpfeiler der Qualitätsforschung bei Dienstleitungen über mehrere Jahre hinweg gebildet haben. Die Ausführungen von Valerie Zeithaml (1981) stammen noch aus den Anfängen der Dienstleistungsmarketingforschung, in denen es vorwiegend um die Abgrenzungsproblematik zwischen Dienstleistungen und Sachgütern ging. Nicht nur bei Dienstleistungen sondern auch bei materiellen Produkten nimmt der Konsument vor, während und nach neuen oder extensiven Kaufentscheidungen Risiko und Unsicherheit wahr. Der Konsument reagiert darauf mit verstärkter Informationseinholung vor, während und auch noch nach dem Kauf/der Inanspruchnahme der Verrichtung. Zeithaml benennt die drei Stufen ihres Modells „Search Qualities“, „Experience Qualities“ und „Credence Qualities“, und versucht damit eine Abgrenzung von Dienstleistungen zu Sachgütern. Viele Autoren machten diese Drei-Phasen-Sicht später auch zur Grundlage ihrer Modelle wie bspw. auch Meyer und Mattmüller (1987). Diese Phaseneinteilung eignet sich gleichzeitig auch gut für eine systematische Analyse der Beeinflussmöglichkeiten mit Instrumenten des Dienstleistungsmarketing, wie es Scheuch (2001) ausführlich schildert und in zahlreichen Entscheidungsheuristiken darlegt. Vereinfacht geht es dabei um das Aufzeigen dienstleistungsspezifischer Implikationen für Marketingentscheidungen vor, während und nach der Inanspruchnahme der Leistung durch den Kunden. Fordert man von Dienstleistungsanbietern hohe Problemlösungskompetenz, so unterscheidet Berry (1986) zwei unterschiedliche, situationsspezifische Dimensionen der Qualität: die Routinekomponente und die Ausnahmekomponente. Die Routinekomponente beschreibt das Qualitätsniveau einer Dienstleistung, wie es regulär, unter normalen Umständen, vom Anbieter geboten werden kann. Der Kunde hat Erwartungen bezüglich des typischen Verlaufes eines geschäftlichen Kontaktes, dem Dienstleister ist der Ablauf vertraut, der Leistungsprozess vielleicht sogar weitgehend standardisiert und auch für Mitarbeiter ist die Leistungserstellung Routine, bspw. die Entgegennahme eines Überweisungsauftrages am Bankschalter, die Erstellung eines Kontoauszuges, die Ein- und Auszahlung von Bargeldbeträgen. Besondere Qualitäten erwartet der Kunde vom Dienstleister in Ausnahmesituationen („Non-Routine Service“), wenn es zu unvorhergesehenen Störungen des routinierten Ablaufes kommt. Diese können einerseits in Minderleistungen oder Fehlverhalten auf Anbieterseite begründet sein („Problems“) oder durch vom
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Anbieter unerwartete, weil ungewöhnlich oder besonders individuelle Kundenwünsche („Exeptions“) verursacht werden. Berry führt zu dieser Ausnahmekomponente der Leistungsqualität aus, dass sie für den Anbieter sowohl Chance als auch Risiko darstellt. So wäre es dem Anbieter durch rasches und richtiges Reagieren in dieser Ausnahmesituation möglich, die Erwartungen des Kunden bei weitem zu übertreffen und damit den Eindruck einer besonders guten Leistungsqualität und hoher Problemlösungskompetenz zu hinterlassen. Diese Überlegungen bilden auch heute noch die wesentliche Basis zur Entwicklung von Kundenservicebereichen (Customer Care) in Unternehmen, insbesondere die Grundlage für modernes Anfrage- und Beschwerdemanagement. Doch auch die Gefahr, den Kunden sehr zu enttäuschen, ist in diesen sensiblen Situationen besonders groß. Erst durch gutes und geschultes Personal, eine klare Unternehmensphilosophie und klare Handlungsanweisungen und durch Bewusstseinsbildung beim Kunden, wie er aus seiner Sicht zu einer optimalen Lösung eines Ausnahmefalles beitragen kann, ist die Leistungsqualität trotz einer Störung der Routine zu gewährleisten. Shostack beschäftigte sich nicht nur als eine der ersten Forscherinnen mit der Emanzipation des Dienstleistungsmarketings (Shostack 1977), sie widmete in der Folge dem Leistungserstellungsprozess größere Aufmerksamkeit. Shostack zeigte mit ihrer Methode des „Blueprinting“, wie der komplexe Erstellungsprozess einer Dienstleistung grafisch dargestellt und anschließend analysiert werden kann. „Blueprinting“ stellt kein eigenes Qualitätsmodell dar, ist aber eine häufig eingesetzte Technik im Vorfeld von Qualitätsstudien, da damit Kontaktpunkte ausgemacht werden, in denen der Konsument mit Leistungspotentialen eines Anbieters in Berührung kommt und dort qualitative Stärken und Schwächen beurteilen kann (vgl. die „Kontaktpunktanalyse“ bei Stauss 1991 zur Identifikation der „Augenblicke der Wahrheit“). Diese für den Konsumenten unmittelbar sicht- und bewertbaren Kontakte trennt Shostack durch die „Line of Visibility“ von Abläufen, die ebenso Teil des Leistungserstellungsprozesses sind, die aber „Back-Stage“ ohne Kundenkontakt ablaufen. Diese sind für den Konsumenten nur mittelbar bewertbar, indem bei späteren Kontakten oder beim Leistungsergebnis die Auswirkungen dieser Prozesse erkennbar werden. Eine weitere Anwendung der Technik des „Blueprinting“ ergibt sich bei der Entwicklung neuer oder verbesserter Dienstleistungsangebote. Durch strukturelle Veränderungen des Angebotes bei einzelnen Kontaktpunkten können Charakteristika des Marktangebotes und die Leistungsqualität wesentlich beeinflusst werden. Seit der Mitte der 80´er Jahre haben sich die amerikanischen Forscher Parasuraman, Berry und ihre Kollegin Zeithaml intensiv mit der Frage der Dienstleistungsqualität beschäftigt. Zahlreiche Publikationen dokumentieren die international bekannten und anerkannten Forschungsergebnisse zur Definition von Qualitätsdimensionen, der Erstellung eines Gap-Modells zur Ergründung der Störgrößen bei Dienst-
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leistungen und schließlich das von ihnen „SERVQUAL“ benannte, standardisierte Messinstrument, mit dem anhand eines multi-attributiven Erhebungsinstrumentes Dienstleistungsqualität gemessen werden kann (Parasuraman 1985, 1988; Zeithaml 1990,1992). Im deutschsprachigen Raum waren es Meyer u. Mattmüller (1987) die mit ihrem Qualitätsmodell aufhorchen ließen. Die beiden Autoren orientieren sich am DreiPhasen-Schema von Donabedian (1980) (Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität) und erweitern es um zwei wichtige Denkschritte. Zum einen widmen sie sich detailliert der Rolle und dem Einfluss des Nachfragers („externer Faktor“) auf den Verrichtungsprozess und damit auf das Ergebnis und die Leistungsqualität. Andererseits liegt auch diesem Modell eine prozessorientierte Betrachtung von Dienstleistungen zugrunde, wobei von den Verfassern eigentlich vier Phasen unterschieden werden, wenn man die Folgequalität getrennt von der Ergebnisqualität als eigenständige Kategorie betrachten würde. Die Potentialqualität ist ähnlich der Strukturqualität bei Donabedian (1980) zu verstehen, allerdings wird die Betrachtung um die Nachfrageseite erweitert. Dabei verstehen Meyer und Mattmüller unter dem Begriff Integrationspotential, „die beim Kunden vorhandenen Grundeinstellungen bezüglich seiner physischen, intellektuellen oder emotionalen Mitwirkung an der eigentlichen Dienstleistungserstellung“. Diese „können positiver, neutraler oder negativer Art sein und die komplexe Qualität entsprechend unterschiedlich vordeterminieren (z.B. erschwert eine ängstliche Grundhaltung eines Patienten von vornherein die Behandlung durch den Zahnarzt)“ (Meyer, u. Mattmüller 1987). Unter Interaktivitätspotentialen verstehen die Autoren Einflüsse auf den Verrichtungsprozess, die dadurch entstehen, dass sich auch die Nachfrager untereinander (beispielsweise in einem Wartezimmer) wechselseitig beeinflussen können (positiv, neutral oder negativ). Bei der Prozessqualität wird untersucht, wie sich das Aufeinandertreffen von Angebots- und Nachfragepotential vollzieht. Hier interessieren die Autoren vor allem die Einflüsse, die aus Wechselwirkungen zwischen Anbietern und Nachfragern resultieren. Wie reagiert der Dienstleister auf den Kunden als „externen Faktor“? Wie nimmt der „externe Faktor“ in dieser Phase Einfluss auf die Gestaltung des Leistungsprozesses und in der Folge auch auf die Gesamtqualität? Schließlich wird auch bei Meyer u. Mattmüller die Ergebnisqualität angeführt, allerdings mit der wichtigen Unterscheidung in „prozessuales Endergebnis“ - welches sich direkt am Ende einer Verrichtung als Ergebnis der Dienstleistung zeigt - und „Folgequalität“ - das ist jener Beobachtungszeitraum, in dem jetzt durchaus noch über Jahre hinweg die Folgen einer Verrichtung beobachtet werden kann. In diesem Bereich wird eine Bewertung der Leistungsqualität immer schwieriger, da die Frage auftritt, ob der Konsument noch immer eine kausale Ursache-Wirkungsbeziehung zu einer einmal erhaltenen Dienstleistung herstellen kann, oder ob es im Laufe der Zeit schon zu einer Reihe von leistungsfremden Störgrößen gekommen ist, die jetzt das
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Gesamtergebnis von früher verändern. (Beispiel: Lange Zeit nach einer geglückten Krebsoperation erkrankt der Patient an einem anderen Leiden. Es stellt sich jetzt die Frage, ob noch ein Zusammenhang mit der früheren Operation, die man besser machen hätte können, hergestellt werden kann oder ob das neue Leiden ganz andere Ursachen hat). Vor allem im Bereich dieser Langzeitqualität (Meyer u. Mattmüller führen den Begriff der Dauerqualität ein) sind der subjektiven Wahrnehmung seitens des Leistungsempfängers Tür und Tor geöffnet. Diese Qualität kann daher nur sehr schwer objektiv messbar gemacht werden. Neben Fragen der Modellierung beherrschte vor allem differenzierte Ansätze zur Messung von Dienstleistungsqualität aus Kundensicht die Diskussion in der Fachliteratur. Ähnlich wie bei den Modellen gibt es auch bei den Marktforschungsmethoden ein reiches Repertoire, aus dem es gilt, zielabhängig und situationsspezifisch die geeignetste Vorgangsweise auszuwählen. Beobachtende Verfahren, wie beispielsweise die Durchführung von Testbesuchen im Rahmen von Mystery Shopping Projekten und die Durchführung von Kundenzufriedenheitsbefragungen als Primärerhebungen in Zusammenhang mit der Qualitätsforschung eines Unternehmens wurden empfohlen und werden auch noch heute als die gängigsten Instrumente in der Praxis eingesetzt, wenn es um die Erforschung der Qualität aus Kundensicht geht. Die Messung von Dienstleistungsqualität mit unterschiedlichen Befragungstechniken stellte das wahrscheinlich häufigste Thema der Dienstleistungsforschung seit den späten 80er bis weit in die 90er Jahre dar. Die Forscher sind in aller Welt auf der Suche nach Untersuchungsdesigns, die Befragungstechniken zu standardisierten Qualitätsmessverfahren entwickeln: diese sollen möglichst auf verschiedenste Branchen anwendbar sein und die bereits dargestellten Qualitätsmodelle und gültigen Operationalisierungsansätze für einen subjektiven, kundenorientierten Qualitätsbegriff berücksichtigen. Das bekannteste und umstrittendste Messdesign, das mit einer Doppelskala arbeitet, bei der die Kundenerwartungen und –erfahrungen getrennt voneinander erhoben werden, ist das häufig zitierte Messverfahren SERVQUAL des amerikanischen Autorentrios Parasuraman, Berry und Zeithaml (1988). SERVQUAL wurde nach langjährigen Vorstudien (Parasuraman 1985) als standardisiertes, attributorientiertes Verfahren zur Messung von Dienstleistungsqualität vorgestellt. In einem mehrstufigen Projekt wurden basierend auf Daten aus vier klassischen Dienstleistungsbranchen (Kreditkartenunternehmen, Banken, Reparaturwerkstätten, Telekommunikationsanbieter) fünf Dimensionen der Dienstleistungsqualität ausgearbeitet: tangibles, reliability, responsiveness, assurance, empathy. Diese fünf Dimensionen wurden in einem standardisierten Fragebogen durch 22 Fragestellungen operationalisiert. In Bezug auf das Gap-Modell von Parasuraman (1985) wurde damit ein Instrument zur Evaluation von Gap 5 („Qualitätslücke“) geschaffen, bei dem die Qualitätswahrnehmung aus Kundensicht dadurch erklärt wird, dass der Maßstab für
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Zufriedenheit ein erreichen oder Übertreffen der vorhandenen Erwartungen der Kunden ist. SERVQUAL setzte Ende der 80er Jahre einen Meilenstein in der Qualitätsforschung bei Dienstleistungen, war aber von Anfang an nicht unumstritten. Einer der ersten Angriffspunkte war der hohe Anspruch, ein branchenübergreifendes, standardisiertes Messinstrument zu sein. In einer Reihe von replikativen Untersuchungen wurde dieser Anspruch angezweifelt, da es aufgrund der Heterogenität des Dienstleistungssektors immer wieder zu Abänderungen der Fragebatterien kommen musste. Auch bei interkulturellen Vergleichsuntersuchungen stellten sich Abweichungen von den Ergebnissen der Amerikaner heraus. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass die Ursprungsstichprobe der Ausgangsstudie 1985 drei sehr homogene Dienstleistungsbereiche enthielt (Banken, Kreditkartenunternehmen und Wertpapierbroker), sodass SERVQUAL eine höhere Anwendbarkeit in diesen Branchen zeigt. Umgekehrt werfen die Autoren replikativen Untersuchungen vor, dass dabei von der originalen 22-Item-Fragenbatterie abgegangen wird, sodass eine Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben ist. Methodisch wird vor allem der Einsatz der Doppelskala sehr kritisch beurteilt (vgl. Hentschel 1990; Liljander, Strandvik 1993a) b)). Mögen die Meinungen bezüglich der methodischen Ansprüche von SERVQUAL auch auseinander gehen, das Langzeitprojekt der Autoren Parasuraman, Berry und Zeithaml hat im Bereich der Qualitätsforschung bei Dienstleistungen viel bewegt. Jedenfalls wurde der wissenschaftliche Diskurs über viele Jahre hindurch angeheizt und hat dazu geführt, dass wir heute über eine sehr ausdifferenzierte Wissensbasis zu Fragen der Qualitätsforschung bei Dienstleistungen verfügen, die auch von der Wirtschaftspraxis gut aufgenommen wird. Ausdifferenzierung und Sättigung – Die Dienstleistungsforschung gewinnt an Breite und Tiefe Wie kaum ein Thema hat die Qualitätsforschung in Zusammenhang mit Dienstleistungen einen Bereich thematisch sowohl in die Breite als auch Tiefe ausdifferenziert. Kritisch kann dabei auch angemerkt werden, dass dadurch manchmal die Abgrenzungen des Forschungsobjektes wieder schwieriger wurde. Die Kundenzufriedenheitsforschung ist keine Besonderheit von Dienstleistungen sondern erlebte vor dem Hintergrund des Objektbereichs geradezu eine Renaissance. Ebenso war das Thema Total Quality Management in den 90er Jahren keineswegs ein Monopol für Dienstleistungsfragen. Im Gegenteil – Normungsinitiativen wie im Rahmen der DINISO 9000 Serie nahmen Ihren Ursprung in der Industrie und sind bis heute manchmal nur schwer erfolgreich in Dienstleistungsunternehmen anzuwenden. Das Qualitätsthema in Zusammenhang mit Dienstleistungen war derart vorherrschend, das es auch erste kritische Stimmen gab, die auf eine notwendige Ver-
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breiterung des Forschungsbereiches hinwiesen: „During most of the 1990s, the field became too caught up in service quality measurement and debating the pros and cons of alternative methodologies.“ (Berry 2000) Trotzdem kam es nicht zu einem Rückfall in die Zeiten der Diskussionen des Dienstleistungsobjektes vor dem Hintergrund der Gutstheorie, sondern es setzte sich der Stellenwert der Kundenbetrachtung durch, bei dem es vor allem um Fragen der Kundenbeziehung (customer relation management) und des Kundenverhaltens ging. Die Verbindung zur Zeit der Qualitätsforschung stellte die differenzierte Erforschung der Kundenzufriedenheit dar, doch wandte man sich nun nicht nur mehr den messtheoretischen Problemen zu, sondern stellte sich vor allem Fragen der Beziehungsgestaltung und der Beziehungspflege vor dem Hintergrund des marketingrelevanten Einsatzes von verschiedenen Beeinflussungsmöglichkeiten. Einen Überblick über Schwerpunkte der dienstleistungsbezogenen Forschung geben Meyer und Fichtel in Ihrem Beitrag zu Trends und Zukunft der Dienstleistungsforschung (2003). Sie katalogisierten aus den führenden Journalen der Dienstleistungsforschung – das Journal of Service Research, das Journal of Services Marketing und das International Journal of Service Industry Management insgesamt 194 Artikel im Zeitraum von 01/2000 bis 05/2002. Die dabei ersichtliche Gewichtung der Themenfelder in diesem Zeitraum ist in Abbildung 1 dargestellt, aus der auch ein weiteres mal der nach wie vor dominierende Schwerpunkt der qualitätsbezogenen Forschung hervorsticht, kunden- und kundenbeziehungsbezogene Themen folgen. Erst im unteren Drittel finden die Autoren strategische Fragestellungen, Themen des Service Designs, methodische Fragen und eine Auseinandersetzung mit der Dienstleistungstheorie. Diese Auswertung bestätigten den Kontrapunkt zu den ersten Forschungsschwerpunkten der frühen 80er Jahre, wo heute nur mehr wenig zu grundlegenden Fragen der Dienstleistungstheorie und Präzision und Definition des Objektbereiches geforscht wird. An dieser Stelle muss allerdings auch einmal praktische Relevanz der Dienstleistungsmarketingforschung der vergangenen 2 Jahrzehnte angesprochen werden. Gerade die Themen die die Hitliste der Abbildung 1 anführen, sind auch wesentlich in der Unternehmenspraxis verankert und haben dort unwidersprochen große Bedeutung für die Qualität von Kundenbeziehungen und sind damit von grundlegender Bedeutung für den nachhaltigen Unternehmenserfolg.
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Service Quality CRM Consumer Behavior Customer Satisfaction other Internal Marketing / HRM Service Encounter / Serv. Exp. Technology Strategy Performance Service Design Methodology DL-Theory 0%
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Abb. 1. Gewichtung von Themenfeldern der Dienstleistungsforschung 2000-2002 (übernommen von Meyer/Fichtel 2003)
Dabei stehen die genannten Themen in der Regel nicht nebeneinander sondern zeigen erst durch die Vernetzung eine optimierte Wirkung. Das Thema „Service Engineering“ ist in diesem Zusammenhang in aller Munde, da es für die integrative Aufgabe der Planung, Entwicklung und Implementierung neuer Dienstleistungskonzepte bzw. konkrete Dienstleistungsangebote steht. Hier rückt die Managementaufgabe in den Mittelpunkt, die Anforderungen der Unternehmens-, Mitarbeiter- und Kundenziele, unter gegebenen Rahmenbedingungen seitens vorgegebener Ressourcen, Geschäftsprozesse und Technologien in marktfähige Dienstleistungsangebote umzusetzen, die stetig wachsenden Qualitätsforderungen der Zielgruppen genügen. Diese Aufgabe stellt auch eine besondere Herausforderung an die MitarbeiterInnenqualifikation für derartige integrative Konzeptionen dar.
Zukünftige Perspektiven der Dienstleistungsmarketingforschung In der deutschsprachigen Dienstleistungsmarketingforschung manifestiert sich die Bedeutung und differenzierte Betrachtungsweise des Themas nicht zuletzt im sehr umfassenden Herausgeberwerk von Anton Meyer (1998) „Handbuch Dienstlei-
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stungs-Marketing“, dass alleine durch seinen beachtenswerten Umfang deutlich macht, was in den vergangenen 20 Jahren an Forschung geleistet wurde. Zurecht stellt sich die Frage, was kann da in den nächsten 20 Jahren noch an weiterer Erkenntnis kommen? Mehr als zu Beginn der 80er Jahre stellt sich auch heute wieder die Frage der Abgrenzung des Objektbereiches. In den Marktangeboten der Unternehmen sind Produkte und Dienstleistungen so stark zusammengewachsen, dass heute das Problem besteht, dass bei großzügiger Betrachtung fast alles auch unter einer Dienstleistungsperspektive zu betrachten ist. Um einen erfolgreichen Absatz der Angebote von klassischen Industriebetrieben zu gewährleisten bedarf es entsprechender flankierender Dienstleistungen in Verkauf und Beratung, Logistik oder AfterSales, die eine Verwischung der ursprünglichen Abgrenzung des Produkt- und Dienstleistungsmarketings in fast allen Angebotsbereichen verursachen. Kaufen Unternehmen wirklich noch das Kopiergerät selbst oder vielmehr die Leistungsfähigkeit, in einem bestimmten Umfang und Qualität den Ausdruck und die Vervielfältigung von Dokumenten zu gewährleisten? Konkurriere ich mit unterschiedlichen Qualitäten von Walzstahl oder ist es nicht vielmehr das gesamte Leistungsbündel von Produkt-, Logistik-, Know-How- und Finanzierungsangeboten die das optimale Gesamtangebot ausmachen. In diesem Zusammenhang bedarf es besonderer Disziplin und einem klaren Focus auf den relevanten Dienstleistungspart, um zu keiner unglaubwürdigen Ausdehnung des Dienstleistungsmarketinganspruchs zu führen. Neben einer Neubelebung der Diskussion um die gutstheoretische Abgrenzung, die vielleicht dem Objektbereich klarer fassen lässt, ist eine ähnliche Abgrenzungsaufgabe auch in manchen thematischen Schwerpunkten zu leisten. Die Qualitäts- und Kundenzufriedenheitsforschung ist dabei symptomatisch, da Sie einen sehr großen Themenbereich für das Dienstleistungsmarketing vereinnahmt, ohne dabei immer klar zu sagen, ob es sich dabei überhaupt noch um dienstleistungsspezifische Aussagen und Anwendungen handelt. Umgekehrt stellt sich die Frage, inwieweit beispielsweise Themen der Qualitätssicherung, Prozesskontrolle und Zertifizierung noch von der Dienstleistungs(-marketing-)forschung vereinnahmt werden können. Man könnte sonst die provokante Gegenhypothese wagen, ob nicht das moderne Qualitätsmanagement viele Marketingfragen berücksichtigt und damit den Marketingbereich vereinnahmt. Auch aus der Sicht einer sektoralen Aufsplittung der Marketingforschungsbereiche zeichnet sich ein weiterer Differenzierungsbedarf der Dienstleistungsforschung ab. Nimmt man beispielsweise die zunehmende Bedeutung der NPOForschung, so zeigt sich, dass hier einerseits alle dienstleistungsrelevanten konstitutiven Merkmale zutreffen, sie sind jedoch kein Alleinstehungsmerkmal, um den Sektor abzugrenzen. Vielmehr ist es hier das Zielsystem, dass die Non-Profit Organisation charakterisiert, wobei jedoch die Frage besteht, ob sich in klassischen Marketingtechniken daraus Besonderheiten ableiten lassen. Gleiches gilt für den öffentlichen Sektor, wo sich in Zusammenhang mit Verwaltungsmarketing oder
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der besseren Vermarktung kommunaler Leistungen einerseits typische Dienstleistungsmarketingspezifika erkennen lassen, andererseits eine Ausdifferenzierung der Marketingmaßnahmen von Besonderheiten der Kundenbeziehung der betroffenen Adressaten abhängt. Der Bürger hat gegenüber der Hoheitsverwaltung in der Regel keine Wahlmöglichkeit wie unter Marktbedingungen. Themen wie Kundenzufriedenheit, die im wesentlichen auch auf Sanktionsmöglichkeiten des Nachfragers in Form eines veränderten Nachfrageverhaltens führen, müssen hier differenzierter betrachtet werden. Auch Fragen der Internationalisierung und Globalisierung von Dienstleistungen werden vergleichbar mit der Sachgüterproblematik immer häufiger gestellt. Vergleichbar mit der ursprünglichen Kritik an der Eigenständigkeit einer Dienstleistungsmarketingforschung Ende der 70er Jahre stellt sich die Frage nach dem Forschungspotential aus der Sicht der Internationalen Managementforschung. Zeigen Erkenntnisse aus der interkulturellen Verbraucherforschung und verschiedenen Cross Cultural und Cross Sectoral Studien eine Besonderheit des Untersuchungsobjekts „Dienstleistung“ oder ist hier die gutstheoretischen Grundlage von untergeordneter Bedeutung. Viele Forschungsfragen zu Themen der Dienstleistungsprodukten, der kulturspezifischen Dienstleistungswahrnehmung oder grenzüberschreitenden Fragen der Dienstleistungs-Logistik und der Gestaltung mehrstufiger Service Delivery –Prozesse stehen noch zu weiteren Befassung an. Mit Sicherheit interessant und belebend auf die Dienstleistungsforschung wird sich die technologische Entwicklung im Bereich neuer Kommunikationstechnologien insbesondere elektronischer Medien auswirken, wie sie das Internet und die weltweite Vernetzung mit Kabel- oder Funktechnologien mit sich bringt. Diese neuen Technologien ermöglichen Dienstleistungsangebote in Form neuer Primärleistungen, erweiterter Serviceangebote aber auch neuer Organisationsmodelle für den Kundenkontakt eines Unternehmens. Die bekannten 4 P’s des Marketing-Mix können beispielsweise durch das Internet dazu führen, dass die Technologie selbst das Produkt darstellt, dass Preisbildungsfragen neu aufgeworfen werden, jedenfalls aber Fragen der Bezahlformen und der Sicherheitsstandards schon heute besondere Aktualität haben. Das Internet bietet darüber hinaus nicht nur erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten mit Kunden, es kann auch die Entgegennahme der Kundenorder, manchmal sogar der Leistungslieferungsprozess darüber abgewickelt werden, wie bspw. im Falle des Herunterladens von Musiktiteln. Bewerbung, Leistungsbestellung, -lieferung und Bezahlung können damit im selben Medium abgewickelt werden. Hier ergeben sich durch den Technologieschub neue Herausforderungen der Dienstleistungsmarketingforschung. Auch zeigt sich beispielsweise im Bereich von „remote services“, dass die neuen Technologien zunehmend das Präsenzkriterium und das Erfordernis eines direkten Kundenkontakts in Zusammenhang mit Leistungslieferungsprozessen in Frage stellen. Ob es um die Wartung einer technischen Anlage geht, Konzepte des Distance-Learnings oder medizinische Eingriffe, die über große Distanzen hinweg computer-ferngesteuert vorgenommen werden können, zeigen ein breites Entwicklungspotential für neue Dienstleistungsangebote bei zunehmender Technisierung der Gesellschaft. In die-
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sem Zusammenhang rücken vor allem wieder Fragen der Technologieakzeptanz auch für den Marketer in den Mittelpunkt. Erklärungsmodell zur vom Kunden wahrgenommenen ‚Usability’ und der ‚Ease of Use’ (Davis 1989) gehören in Zukunft wahrscheinlich zum fixen Bestandteil bei der Evaluierung neuer technologiebasierter Dienstleistungsangebote. Man sollte natürlich nie den Fehler begehen und sagen, in einem Bereich wurde schon genug geforscht. Deshalb soll dieser Beitrag einerseits die herausragenden Entwicklungsschritte eines Forschungsbereiches in den letzten 25 Jahren aufzeigen, wo sich dienstleistungsbezogene Forschung in der Marketingliteratur seit den frühen 80er Jahren deutlich emanzipiert hat. Auf der anderen Seite sollte man, wenn man das Bild des Produktlebenszyklusses am Schluss noch einmal aufgreift, nach dieser erfolgreichen Zeit einmal innehalten und darüber reflektieren, was geschehen ist und wo in Zukunft die erfolgreichen Forschungsinitiativen zu setzen sind, damit man in den nächsten 20 Jahren nicht noch immer von den „goldenen Pionierzeiten“ in der Zeit 1980 – 2000 spricht sondern neue Herausforderungen sucht und auf neue Themenbereiche dienstleistungsbezogener Forschung neugierig wird.
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Internationales Marketing – Entwicklung, Status und Trends Barbara Stöttinger Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Internationales Marketing als unternehmerische Realität In den letzten Dekaden hat sich das unternehmerische Umfeld, d.h. die politischen, wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen, in einer erstaunlichen Dynamik fundamental verändert. Die schrittweise Abschaffung von Handelsbarrieren, der sich die WTO verschrieben hat, politische Veränderungen, wie die Öffnung der Märkte Zentral- und Osteuropas oder die wirtschaftliche Integration innerhalb von Regionen, wie der Europäischen Union, der NAFTA oder des MERCOSUR, haben dazu geführt, dass internationale Wirtschaftsbeziehungen stark zugenommen haben. Damit sind für Unternehmen enorme Wachstumsmöglichkeiten außerhalb ihres Heimmarktes entstanden. Die Weiterentwicklung von Kommunikations- und Informationstechnologien haben diese Entwicklungen unterstützt und dafür gesorgt, dass dieses Potential nicht nur großen, sondern auch kleineren Unternehmen leichter zugänglich ist (Katsikeas 2003, Kotabe 2003, Terpstra, 2000 #12, Lazer u. Shaw 2000). Aktivitäten auf internationalen Märkten sind daher ein integraler Bestandteil unternehmerischen Handelns geworden, das Management dieser Auslandsaktivitäten ein Schlüsselfaktor unternehmerischen Erfolges (Cavusgil 1998, Picot 2002). Diese Veränderungen schlagen sich letztlich auch in Zahlen nieder. So ist in den letzten dreißig Jahren eine Zunahme des internationalen Handelsvolumens von $ 200 Mrd. auf über $ 7,6 Billionen zu verzeichnen. Für viele Unternehmen liegen die Wachstumsraten im transnationalen Handel oft deutlich über jenen am Heimmarkt (Czinkota u. Ronkainen 2003). Die wachsende Verflechtung zwischen Märkten führt jedoch auch dazu, dass es nicht ausreicht, Auslandsmärkte isoliert für sich zu betrachten und zu bearbeiten. Sich in einem globalen Marktumfeld zu bewähren, heißt, Interdependenzen anzuerkennen und in Betracht zu ziehen, dass strategische Aktivitäten in einem Land den Erfolg in anderen Märkten beeinflussen (Deligonul 2003, Meffert u. Bolz 1992). Während in der unternehmerischen Realität internationale Marktaktivitäten stark an Bedeutung gewonnen haben, stellt sich die Frage, inwieweit sich dies auch in einer einschlägigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung wiederfindet.
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Diesem Thema geht der vorliegende Beitrag nach. Nach einem Überblick über die Entstehung und den Stellenwert des internationalen Marketings im Rahmen des Marketing bzw. der BWL wird auf wesentliche Forschungsströme eingegangen, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf potentielle Forschungsfelder, die eine wissenschaftliche Auseinandersetzung bereichern und vertiefen können.
Internationales Marketing als Teil eines Ganzen? Um seinen Status als eigenständige Disziplin zu legitimieren, muss ein Forschungsfeld seine Untersuchungsgrenzen abstecken und eigenständige Gestaltungsempfehlungen bezüglich Gegenstandsbereich und Methodenspektrum zulassen. Dies gilt auch für das internationale Marketing. Sieht man sich die einschlägige Diskussion an, trifft man auf eine lebhafte Diskussion, inwieweit internationales Marketing den Titel einer eigenen Disziplin oder Teildisziplin im Rahmen der internationalen Betriebswirtschaftslehre verdient oder sich nicht viel mehr als Anwendungsfeld für – nationale – Marketingtheorien darstellt (Deligonul 2003, Meffert u. Bolz 2001). Nicht selten wurden in der Vergangenheit Forschungsleistungen zu internationalen Marketingaspekten als von nachrangiger Bedeutung innerhalb der Marketingwissenschaft gesehen. Begründet wurde dies häufig damit, dass die Entwicklung grundlegender Theorien im internationalen Marketing entweder nicht vorhanden oder noch nicht so weit gediehen ist wie in anderen Bereichen des Marketings, z.B. dem Konsumentenverhalten oder der Distributionspolitik, oder des Management, wie dem strategischen Management oder der Organisationsforschung (Katsikeas 2003, Meffert 2002). Im Gegensatz zu diesen Forschungsfeldern hat das internationale Marketing erst in den 1980er Jahren wirklich umfassenderen Niederschlag in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefunden (Meffert 2002). Die Tatsache, dass Theorien oder theoretische Konzepte im Bereich des internationalen Marketings noch nicht so weit entwickelt sind, lässt daher noch nicht notwendigerweise den Schluss zu, dass der Status als (Teil-) Disziplin nicht gerechtfertig ist. Ungeachtet der Einschätzung des Entwicklungsstandes stellt sich die Frage, was eine disziplinäre Eigenständigkeit gegenüber dem „nationalen“ Marketing rechtfertigen würde. In der Diskussion darum wird das Argument vorgebracht, das internationale Marketing sei lediglich ein Spezialfall des inlandsmarktbezogenen Marketing unter verschiedenen nationalen Kontextfaktoren (Meissner 1995). Demgegenüber steht die gegenteilige Einschätzung, dass nationale Marketingaktivitäten als vereinfachter Spezialfall des internationalen Marketing zu sehen sind (Meffert u. Bolz 2001). In der Tat weisen viele auslandsmarktbezogene Entscheidungen keine prinzipiellen Spezifika im Vergleich zur auf den Heimmarkt orientierten Geschäftstätigkeit auf. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass die Verlagerung der Unternehmensak-
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tivitäten auf internationale Märkte mehr als nur eine graduelle Veränderung für Unternehmen darstellt. Zum einen erhöht sich die Komplexität der Einflussfaktoren, die auf Entscheidungen wirken, mit jedem Auslandsmarkt, der bearbeitet wird. Da man sich im Vergleich zum Heimmarkt in einer oft wenig vertrauten Umgebung bewegt, erhöhen sich die Unsicherheit und das Risiko, suboptimale Entscheidungen zu treffen. Zum anderen bedeutet, auf Auslandsmärkten tätig zu sein, mit Situationen fertig zu werden, die sich in der Form für den Heimmarkt nicht stellen. Dazu zählen beispielsweise der Umgang mit Länderrisiken, Wechselkursschwankungen oder die Führung von multikulturell zusammengesetzten Teams, um nur einige zu nennen. Der Zeitablauf und die damit verbundenen Lerneffekte können zwar dazu führen, dass sich aufgrund der zunehmenden Marktkenntnis Unsicherheit und Informationsbedarf reduzieren. Was jedoch ungeachtet dieser Effekte nach wie vor im Vergleich zum nationalen Kontext als Besonderheit des internationalen Marketing bleibt, ist der Koordinationsbedarf, der zwischen den verschiedenen Märkten zu leisten ist, und der mit zunehmender Internationalisierung konstant bleibt bzw. wächst (Backhaus et al. 2003).
Stand der Forschung im internationalen Marketing – Ein Überblick Während Fragen der Abgrenzung bzw. der Rechtfertigung des internationalen Marketings als einer eigenen Disziplin nach wie vor in Diskussion sind, ist das Feld in den letzten Jahrzehnten von einer umfangreichen Forschungstätigkeit gekennzeichnet. Dies ist letztlich auch in einer Reihe von synoptischen State-of-theArt-Beiträgen dokumentiert, die über die Jahre entstanden sind. Dazu zählen u.a. die Arbeiten von Albaum und Peterson (1984), Li und Cavusgil (1991), Aulakh und Kotabe (1993), Douglas und Craig (1992) oder Kotabe (2003). Wurde in den frühen Beiträgen (z.B. Albaum u. Peterson 1984) noch der fragmentarische und explorative Charakter der Forschungsarbeiten im internationalen Marketing hervorgestrichen, so wiesen die jüngeren Beiträge auf eine gewisse Konsolidierung in einzelnen Forschungsrichtungen und z.T. beachtlichen Forschungsoutput in diesen Teilbereichen (z.B. Country-of-Origin-Forschung) hin. Im Folgenden werden Forschungsströme vorgestellt, die in den letzten Jahren verstärkte Beachtung gefunden haben, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Eines der wesentlichen Merkmale, die „nationale“ von „internationalen“, d.h. grenzüberschreitenden Marketingaktivitäten unterscheidet, ist die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Umfeldbedingungen in den einzelnen Märkten, in denen Unternehmen aktiv sind. Die in der Literatur häufig als ökonomisches, kulturelles, technologisches und politisch-rechtliches Umfeld zusammengefassten Kontextfaktoren variieren von Land zu Land. Das Verständnis für die jeweiligen Umfeldbedingungen ist von besonderer Bedeutung, um entscheiden zu können, in wieweit Marketingstrategien im jeweiligen Markt angepasst bzw. mit anderen Märkten standardisiert werden können (Cavusgil u. Zou 1994). Dieser Verschiedenartigkeit
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wurde in zahlreichen Forschungsarbeiten vor allem in den 1980er Jahren Rechnung getragen. Angeregt durch die wirtschaftlichen Entwicklungen in einzelnen Regionen, wie Japan, den Tigerstaaten Asiens oder China entstanden in dieser Zeit zahlreiche Beiträge, die sich mit den Marktgegebenheiten in diesen Regionen beschäftigt haben (Kotabe 2003). Bei der Einschätzung der vorliegenden Forschungsarbeiten weisen Douglas und Craig (1992) darauf hin, dass eine Vielzahl dieser Untersuchungen deskriptiver und landesspezifischer Natur sind. Sie orten daher Handlungsbedarf, was die Vernetzung von Märkten in Regionen und die Auswirkung dieser veränderten räumlichen Marktkonfiguration auf Unternehmensstrategien betrifft. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang die Beschäftigung mit der Europäischen Union und ihren Auswirkungen dar (Katsikeas 2003). Im Vergleich zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Makrokontext war jene mit dem einzelwirtschaftlichen Kontext auf Unternehmens- und Konsumentenebene deutlich umfassender und intensiver (siehe z.B. Douglas u. Craig 1992, Kotabe 2003). Zur Strukturierung soll ein Ansatz herangezogen werden, auf den sich auch Kotabe (2003) bzw. Douglas und Craig (1992) beziehen. Sie unterscheiden fünf verschiedene Schwerpunktbereiche: (a) KonsumentInnenforschung, (b) Markteintrittsentscheidungen, (c) lokale Marktbearbeitung und Marketing-Mix, (d) globale Marketingstrategien und (e) Besonderheiten der internationalen Marketingforschung. Letzteres findet in einem Beitrag an anderer Stelle dieses Buches breiten Raum und wird daher hier nicht behandelt.
Internationale KonsumentInnenforschung Die internationale KonsumentInnenforschung hat sich mit verschiedenen Themenstellungen beschäftigt. Dazu gehören der Einfluss von Kultur auf das KonsumentInnenverhalten (s. beispielsweise McCort u. Malhotra 1993), die globale Homogenität/Heterogenität von KonsumentInnen hinsichtlich bestimmter Einstellungen oder Verhaltensweisen (siehe exemplarisch Steenkamp et al. 1999), die letztlich auch in der Diskussion der internationalen Marketing-Mix-Entscheidungen ihren Niederschlag gefunden hat, und die universale Gültigkeit von Käuferverhaltensmodellen aus den USA im internationalen Einsatz (siehe z.B. Malhotra u. McCort 2001, Samli et al. 1993). Besonders große Aufmerksamkeit im Rahmen der internationalen Konsumentenforschung hat die sogenannte Country-of-Origin-Forschung auf sich gezogen. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass es zahlreiche metaanalytische Arbeiten gibt, die eine Zusammenschau über den Forschungsbereich bieten (z.B. Papadopoulos u. Heslop 1993, Peterson u. Jolibert 1995). Manche Autoren gehen sogar soweit zu sagen, dass die umfassende Auseinandersetzung mit C-O-O der wissenschaftlichen und praktischen Bedeutung dieses Effekts nicht unbedingt entspricht (z.B. Douglas u. Craig 1992). Inhaltlich geht die C-O-O-Forschung der Frage nach, inwieweit das Herkunftsland eines Produktes Auswirkungen auf die Wahr-
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nehmung und die Bewertung desselben durch die Konsumenten hat. Untersucht wurde die Existenz, die Bedeutung und die Stärke des Phänomens für unterschiedliche Produktkategorien (Verlegh u. Steenkamp 1999). Zu den spezifischen Themenstellungen gehören beispielsweise, welche Produktkategorien sich in Kombination mit welchen Herkunftsländern besonders eignen, oder wie sich der Herkunftslandeffekt auf Einstellungen und Kaufintention auswirkt. Weiters wurde analysiert, wie Konsumenten C-O-O im Zusammenhang mit der Informationsverarbeitung und –aktivierung nutzen. Andere Studien wiederum wandten sich der Frage zu, in wieweit C-O-O Konsumenten, die mit der Produktkategorie noch nicht vertraut sind, durch seinen summativen Charakter als Surrogat für die Evaluierung von einer Vielzahl an Produkteigenschaften dienen kann. Zudem wurde erforscht, welche Faktoren die Bildung einer C-O-O-Bewertung beeinflussen. Insgesamt gesehen, und dies könnte die eingangs erwähnte Skepsis für die starke Betonung der C-O-O-Forschung unterstreichen, zeigten Peterson und Jolibert (1995) in ihrem meta-analytischen Beitrag, dass der Herkunftslandeffekt bei der Wahrnehmung von Produktqualität und –zuverlässigkeit eine größere Rolle spielt, während dessen Auswirkung auf die Kaufintention äußerst gering ist.
Markteintrittsentscheidungen Die Wahl der Organisationsform für den Eintritt in internationale Ländermärkte ist eine jener Fragestellungen, die spezifisch für das internationale Marketing ist. Während die Bearbeitung neuer Ländermärkte für Unternehmen, die bereits international aktiv sind, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Integration in die bestehende internationale Geschäftstätigkeit zu sehen ist, stellen Markteintrittsentscheidungen für bislang national orientierte Unternehmen einen kritischen Entwicklungsschritt dar (Douglas u. Craig 1992). Inhaltlich gesehen teilen sich die Forschungsarbeiten in diesem Bereich in zwei Kategorien: die eine beschäftigt sich mit der Internationalisierung als Prozess an sich, d.h. was Unternehmen dazu bewegt, ihre Unternehmensaktivitäten zu internationalisieren, bzw. wie dieser Prozess verläuft. Eine andere Gruppe von Forschungsarbeiten konzentriert sich stärker auf die Wahlentscheidung zwischen unterschiedlichen Markteintrittsalternativen, und was im konkreten bei einzelnen Alternativen in der Umsetzung zu berücksichtigen ist. Ihren Ursprung hat die Frage nach der Wahl der Markteintrittsalternative in den grundlegenden Theorien der internationalen Unternehmung (für eine umfassende Darstellung s. Kutschker u. Schmid 2002). Sie liefern Ansätze, warum Unternehmen ihre Aktivitäten internationalisieren (z.B. aus der Sicht der Transaktionskostentheorie), bzw. wie dieser Internationalisierungsprozess abläuft (z.B. UppsalaAnsatz). Während erster vorwiegend eingesetzt wurde, um die Entscheidung zwischen verschiedenen Markteintrittsalternativen zu beurteilen (z.B. Buckley u. Casson 1998), beschäftigt sich die letztere mit der Internationalisierung von Unternehmen aus Prozesssicht. Allen voran haben Johanson und Vahlne (1977, 1990) mit ihren Beiträgen die Internationalisierung der Marktbearbeitung als schrittweise
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Entwicklung dargestellt, der durch Export in ähnliche Ländermärkte beginnt und sich dann in psychisch weiter entfernten Märkten und mit stärkerem organisatorischen Engagement (z.B. in Form von Joint Ventures oder Tochterfirmen). Rund um diese „Uppsala-Schule“ hat sich denn auch eine intensive Forschungsrichtung etabliert. Mitte der 1990er Jahre regte sich jedoch zunehmend Kritik an der Annahme, dass Internationalisierungsprozesse schrittweise und geographisch gesehen in konzentrischen Kreisen ausgehend vom Heimmarkt erfolgen. Mit dem Aufkommen sogenannter Born Globals, d.h. Unternehmen, die relativ früh in ihrer Unternehmensgeschichte bereits substantielle, internationale Marketingaktivitäten setzen, wurden diese traditionellen Annahmen stark hinterfragt (Gabrielsson u. Kirpalani 2004, Knight u. Cavusgil 1996, Madsen u. Servais 1997, Oviatt u. McDougall 1994). Während die traditionelle Internationalisierungstheorie davon ausgeht, dass die schrittweise internationale Expansion vor allem durch die Lerneffekte bedingt ist, die Unternehmen auf Auslandsmärkten erzielen müssen, zeigte sich, dass Born Globals diese Erfahrungen anderweitig kompensieren. Sie lernen von ihren Konkurrenten, von anderen Branchen oder bringen durch ihre, im früheren Berufsleben international aktiven Manager die notwendige internationale Erfahrung ein. Trotz der umfangreichen Literatur, die sich mit der Internationalisierung von Unternehmen beschäftigt muss man festhalten, dass bisherige Ansätze Fragen nach der Motivation zu internationalisieren, nach der geographischen Ausdehnung, nach dem zeitlichen Ablauf oder der Art und Weise, wie Internationalisierungsbemühungen angegangen werden, nach wie vor nur partiell Erklärungen liefern können (Kutschker u. Schmid 2002). Haben sich Unternehmen dazu entschlossen, international aktiv zu werden bzw. gehen internationalen Aktivitäten schon seit einiger Zeit nach, dann stellt sich die Frage, welcher Organisationsform(en) sie sich bedienen. Zahlreiche Forschungsarbeiten entwickeln Modelle, die die Wahl zwischen potentiellen Markteintrittsund -bearbeitungsalternativen, wie Export, Lizenzvergabe, kooperative Formen, wie Joint Ventures oder strategische Allianzen, oder einer Tochtergesellschaft in Ausland zu erklären versuchen (z.B. Buckley u. Casson 1998, Madhok 1997, Malhotra et al. 2003). Export als Markteintrittsalternative vor allem für Klein- und Mittelbetriebe findet seit langem große Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Von unterschiedlichen Faktoren, die zur Aufnahme von Exportaktivitäten führen (z.B. Dichtl u. Koeglmayr 1990), zu jenen, die derartige Geschäfte erfolgreich machen bzw. sie behindern, bis hin potentiellen Exportfördermaßnahmen, die Unternehmen bei ihren Aktivitäten unterstützen können (Cavusgil u. Yeoh 1994, Singer u. Czinkota 1994) reichen die Forschungsarbeiten. In ihrer Synopsis bieten Leonidou und Katsikeas (1996) einen umfassenden Überblick über jene Ansätze, die die Aufnahme und Entwicklung von Exportaktivitäten zu erklären suchen. Ausgehend von einer umfassenden Übersicht über die strukturellen und methodologischen Charakteristika der unterschiedlichen Modellansätze entwickeln sie daraus jene konzeptionellen Aspekte, die sich als wesentlich für den Entwicklungsprozess von Exportaktivitäten herausgestellt haben. Weitaus weniger Beachtung hat dabei jedoch die Tatsache gefunden, dass Unternehmen sich aus
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dem Exportgeschäft wieder zurückziehen. Dies dürfte wohl mit einer eingeschränkten Informationsfreude einhergehen, da ein Ausstieg aus dem internationalen Geschäft wohl auch als Scheitern gesehen wird (Pauwels u. Matthyssens 1999). Ebenso fanden Faktoren, die Exportaktivitäten hemmen, geringere Beachtung (siehe z.B. Leonidou 1995a, Leonidou 1995b). Erfolgreiche Exportaktivitäten und Faktoren, die diesen Erfolg begünstigen, fanden ebenfalls breiten Widerhall in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Vom Einfluss, den die Marktorientierung von Unternehmen hat (Rose u. Shoham 2002), über bestimmte Ressourcen und Fähigkeiten (Zou et al. 2003), der Organisationsstruktur (Beamish et al. 1999) bis hin zum Einfluss der Integration neuer Kommunikationstechnologien wie des Internet auf den Exporterfolg (Prasad et al. 2001) reichen die Beiträge, um exemplarisch einige herauszugreifen. Da gerade die Exportforschung durch eine Fülle an Publikationen gekennzeichnet ist, kommt synoptischen Beiträgen in diesem Bereich eine wichtige Rolle zu. Zou und Stan (1998) geben einen Überblick über Studien zu den Determinanten des Exporterfolges zwischen 1987 und 1997. Leonidou, Katsikeas und Samiee (2002) konzentrieren sich in ihrer Synopsis auf Studien, die spezifisch den Einfluss marketingstrategischer Entscheidungen auf Exporterfolg untersuchen. Der Beitrag von Balabanis, Theodosiou und Katsikea (2004) beleuchtet themenspezifisch umfassend, substantiell jedoch kursorisch bisherige Forschungsbemühungen, um in weiterer Folge zu einer Forschungsagenda im Bereich „Exportmarketing“ zu gelangen. Während der Einfluss unabhängiger Variablen auf den Exporterfolg als abhängige Variable in zahlreichen Arbeiten untersucht wurde, widmeten sich vergleichsweise spät Forschungsarbeiten der umfassenden Operationalisierung des Konstrukts. Als wesentliche Beiträge in dem Zusammenhang kann eine eigene Ausgabe des Journal of International Marketing (1998, Vol.6, Iss.3) genannt werden, die sich in verschiedenen Beiträgen konzeptionell und empirisch mit den Dimensionen von Exporterfolg auseinandersetzt. Weitere Aspekte der Exporttätigkeit, wie die Nutzung bzw. Wirkung von Exportförderprogrammen (siehe z.B. Gillespie u. Riddle 2004) oder von exportbezogenen Informationen (siehe z.B. Diamantopoulos u. Souchon 1999, Souchon et al. 2003) haben weniger Aufmerksamkeit erhalten. Joint Ventures als kooperative Markteintritts- und -bearbeitungsalternative haben ebenfalls zahlreiche Forschungsbemühungen auf sich gezogen. Thematisch liegen die Schwerpunkte dabei auf Erfolgsfaktoren, Selektionskriterien für die Partnerwahl und das Knowledge Management in JV (Kotabe 2003). Obwohl die Beschäftigung mit Joint Ventures zu den am umfangreichsten beforschten Gebieten in der strategischen Kooperationsforschung zählt, bleibt der Erkenntnisstand fragmentarisch und hinsichtlich einer Theorieentwicklung limitiert. Diesen Umstand zeigen Robson et al. (2002) in ihrem Beitrag auf und bringen wertvolle Ansätze zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung in diesem Bereich. Was die vom Management beeinflussbaren Charakteristika von JV betrifft, wurde der Fit zwischen den Partnern besonders häufig empirisch untersucht, wobei der kulturellen
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Distanz besondere Bedeutung beigemessen wurde (Luo u. Chen 1997). Weitaus weniger Beachtung haben strategische Überlegungen in bezug auf Aspekte der Produktion, Technologie oder F&E gefunden (Robson et al. 2002). Was Erfolgsfaktoren von JV betrifft, so zeigte sich in bisherigen Forschungsarbeiten, dass dieser stark durch die positive Einstellung der jeweiligen Muttergesellschaften gegenüber unternehmerischen Kooperationen, durch das Entstehen umfassender Beziehungen und Zielkongruenz zwischen den beteiligten Partnern beeinflusst werden. Kooperationen mit Unternehmen im staatlichen Besitz sind hingegen weniger von Erfolg gekrönt (Beamish 1985). Dem Beziehungsaspekt, wie z.B. dem Umgang mit Konflikten, dem Entwickeln von Vertrauen und oder der Kontrollund Kooperationsfähigkeit kommt für dem Erfolg ebenfalls hohe Bedeutung zu (Buchel 2003, Choi u. Beamish 2004). Wesentlich ist auch, dass die Marketingstrategien von JV auf einer soliden Produktqualität und starken Distributionskanälen beruhen (siehe z.B. Luo u. Chen 1997), wobei ein entsprechendes Anreizsystem und geringe Fluktuation im Management den Erfolg ebenfalls begünstigen (siehe z.B. Lyles u. Baird 1994). Was externe Einflussfaktoren betrifft, so sind die generelle Profitabilität einer Branche (Luo 1999, Tiessen u. Linton 2000) und die Realisierung von wirtschaftlichen und steuerlichen Anreizen wesentlich für den Erfolg von JV (Osland u. Cavusgil 1996). Was den Zusammenhang zwischen organisationalem Lernen und dem Erfolg von JV betrifft, so deuten bisherige Forschungsarbeiten in keine eindeutige Richtung (Lyles u. Salk 1996, Lyles et al. 1999).
Lokale Marktbearbeitung – Marketing-Mix Innerhalb dieses thematischen Schwerpunkts hat die Diskussion, inwieweit Unternehmen ihre Marketingaktivitäten an lokale Besonderheiten anpassen oder nach globalen Synergien durch Standardisierung suchen sollen, besonders breiten Widerhall gefunden. Ein wesentlicher Meilenstein in dieser Diskussion ist der Beitrag von Levitt (1983). Während sich über die Jahre die Begrifflichkeiten geändert haben – in den 1970ern wurde von Standardisierung vs. Adaptierung, in den 1980ern von Globalisierung vs. Lokalisierung, in den 1990ern von globaler Integration vs. lokaler Anpassungsfähigkeit gesprochen -, hat sich am grundsätzlichen Kräftefeld nichts geändert. Die Auffassung, dass die beiden Gegenpole einander ausschließen und daher als dichotom zu betrachten sind, ist jedoch in den Hintergrund getreten. Vielmehr geht man davon aus, dass ein Abgleich zwischen beiden stattfinden muss, um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein (Kotabe 2003). Trotz der Tatsache, dass diese Diskussion bereits einige Dekaden in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geführt wird, ist der Erkenntnisstand fragmentarisch und widersprüchlich. Untersucht wurden Antezedenzbedingungen, ihr Einfluss auf marketingstrategische Entscheidungen, d.h. Standardisierung vs. Adaptierung in den einzelnen Marketing-Mix-Bereichen und deren Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg (siehe z.B. Kustin 2004, Samiee u. Roth 1992). Der
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Großteil der entstandenen Forschungsarbeiten beschäftigte sich dabei mit den Entscheidungen multinationaler Unternehmen aus den USA oder Europa für wirtschaftlich entwickelte Märkte. Die Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragestellungen auf wirtschaftlich weniger entwickelten Märkten bzw. im Hinblick auf den Export nimmt einen deutlich geringeren Stellenwert ein (Schuh 2000, Theodosiou u. Leonidou 2003). Internationale Produktpolitik Betrachtet man Forschungsarbeiten im Bereich der internationalen Produktpolitik, so beschäftigen sich diese mit der Entwicklung und dem Erfolg neuer Produkte für internationale Märkte (siehe beispielsweise Kotabe 2003, Li 1999, Yeoh 1994) und die bereits angesprochene Standardisierungsdiskussion. Letzteres bezieht sich darauf, Chancen zu identifizieren, die eine Standardisierung begünstigen (Douglas u. Craig 1992). Theodosiou und Leonidou (2003) vermerken in ihrer MetaAnalyse, das produktpolitische Entscheidungen im Vergleich zu den anderen Marketing-Mix-Entscheidungen zu jenen zählen, die am häufigsten standardisiert werden. Daraus erwarten sich Unternehmen Skaleneffekte in F&E und Produktion, eine raschere Diffusion bei neuen Produkten angesichts immer kürzer werdender Produktlebenszyklen und Koordinationsvorteile (siehe z.B. Walters u. Toyne 1989). In den einschlägigen Untersuchungen zeigte sich, dass Produktmerkmale, wie Qualität und Design, aber auch Markenbezeichnungen sehr selten adaptiert werden. After-Sales Service, Garantiebedingungen und Verpackung hingegen werden häufiger den lokalen Gegebenheiten angepasst (siehe z.B. Boddewyn u. Grosse 1995, Cavusgil et al. 1993, Shoham u. Albaum 1994). Internationale Kommunikationspolitik Kommunikationspolitische Maßnahmen und hier in erster Linie die Werbung haben das umfassendste Forschungsinteresse innerhalb des Marketing-Mix angezogen (Agrawal 1995, Solberg, 2002). Sprachliche Unterschiede, Medienverfügbarkeit, staatlicher Einfluss, wirtschaftliche Entwicklung und die Aktivitäten des Wettbewerbs gehören zu den Faktoren, die die Anpassung von Werbemaßnahmen beeinflussen (Akaah 1991, Oszomer et al. 1991). Andere kommunikationspolitische Instrumente, wie Verkaufsförderung, Public Relations oder persönlicher Verkauf, werden laut den Ergebnissen der einschlägigen Untersuchungen meist lediglich moderat angepasst (Boddewyn u. Grosse 1995, Oszomer et al. 1991). Internationale Distributionspolitik Themenstellungen in der internationalen Distributionspolitik umfassen Kooperation/Konflikt im Distributionskanal, Erfolgsbewertungen und wie bereits immer wieder angesprochen die Standardisierungs-/Differenzierungsdebatte. Kooperation bzw. Konflikt in Distributionskanälen ist ein populäres Forschungsfeld (siehe z.B.
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Balabanis 1998, Bello u. Gilliland 1997). Dabei werden unterschiedliche Kontrollmechanismen und ihre Erfolgswirksamkeit ebenso untersucht wie Beziehungsaspekte zwischen Hersteller und Distributionspartnern (Bello u. Gilliland 1997, Cavusgil u. Kirpalani 1993). Im Gegensatz zu den bereits besprochenen Elementen des Marketing-Mix finden in der internationalen Distributionspolitik deutlich häufiger Anpassungen statt. Abhängig sind diese vor allem von Konsumentengewohnheiten, vorhandener Infrastruktur, aber auch von unternehmensinternen Faktoren, wie Umsatzvolumen oder Bedeutung des internationalen Geschäfts (Oszomer et al. 1991, Rosenbloom et al. 1997, Theodosiou u. Leonidou 2003) Internationale Preispolitik Sieht man sich die Literatur zu diesem Instrumentalbereich an, dann stellt man fest, dass vergleichsweise wenig wissenschaftliche Beschäftigung damit stattgefunden hat. Gleichzeitig wird dieser Umstand seit Jahren ohne nennenswerte Resonanz moniert (siehe z.B. Cavusgil 1998, Myers u. Cavusgil 1996, Stöttinger 2001). Der Umgang mit Parallelimporten und grauen Märkten (Cavusgil u. Sikora 1988, Myers u. Griffith 1999) oder die Preispolitik multinationaler Unternehmen auf internationalen Märkten (siehe z.B. Samiee 1987) gehören dabei zu jenen Themenstellungen, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Sieht man sich an, welches Interesse Preisfestsetzung und – anpassung auf internationalen Märkten geweckt hat, so bleibt der Stand der Theorieentwicklung hinter der praktischen Relevanz des Themas deutlich zurück. Insofern ist der Beitrag von Myers, Diamantopoulos und Cavusgil (2002) als substantiell und entscheidend für die Weiterentwicklung dieses Teilbereiches zu werten. In ihrer Arbeit haben sie nicht nur den aktuellen Stand der Forschung systematisch und umfassend aufgearbeitet, sie machen darüber hinaus Vorschläge, wie Forschung in der internationalen Preispolitik weiter entwickelt werden könnte.
Globale Marketingstrategien Die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten hat dazu geführt, dass nicht nur marketingbezogene Fragestellungen eine internationale Dimension erhalten, sondern auch Aktivitäten wie Management oder Finanzierung. In den letzten Jahren ist es daher immer stärker zu einer disziplinenübergreifenden Auseinandersetzung gekommen, wobei unterschiedliche Richtungen wie International Business, Management oder Organizational Behavior mit internationalen Marketingaspekten interagieren und sich schwerpunktmäßig mit multinationalen Unternehmen auseinandersetzen (Douglas u. Craig 1992). Eine umfassende Aufarbeitung dieser Literatur würde den gegenwärtigen Rahmen sprengen. Ansatzweise sollen jedoch die wichtigsten Forschungsströmungen und ausgewählte Publikationen angeführt werden. Douglas und Craig (1992) identifizierten zwei Schlüsselbereiche, denen sie Implikationen für das internationale Marketing zuschreiben: den
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theoretischen Grundlagen der Strategieentwicklung und der Konzeptionalisierung von globalen Wettbewerbsstrategien. Ersteres befasst sich damit, die Aktivitäten von multinationalen Unternehmen (MNCs) zu erklären. Zu den theoretischen Ansätzen, die in diesem Zusammenhang weite Verbreitung gefunden haben, gehören unter anderem Dunnings (1988) Eklektisches Paradigma, die Theorie der Internalisierung (siehe z.B. Buckley u. Casson 1976, Rugman 1986), der Portersche Diamantansatz (siehe z.B. Porter 1990), der Netzwerkansatz (siehe z.B. Hakansson 1982), der in der IMP Group seine Heimstätte hat, oder der ressourcenbasierte Ansatz (siehe z.B. Tallman 1991), um nur einige zu nennen. Für eine umfassendere, systematische Darstellung der verschiedenen Ansätze und ihres Beitrags zur IBLiteratur sei auf Kutschker und Schmid (2002) verwiesen. Ein Aspekt, der eng mit globalen Wettbewerbsstrategien verbunden ist, ist jener der strategischen Allianzen. Unternehmen sehen immer stärker eine Chance in der Bildung strategischer Allianzen in unterschiedlichen Bereichen, um dem zunehmenden Wettbewerbsdruck auf internationalen Märkten standzuhalten. Umfassende Forschungstätigkeit hat sich daraus entwickelt, aus der exemplarisch einige Zitate herausgegriffen werden. In ihrem Beitrag gehen Varadarajan und Cunningham (1995) den konzeptionellen Grundlagen von strategischen Allianzen nach, andere Arbeiten beschäftigen sich damit, wie strategische Allianzen erfolgreich gestaltet werden können (Brouthers et al. 1995, Dussauge u. Garrette 1995) Ein Aspekt, der in der internationalen Marketingforschung ebenfalls große Beachtung gefunden hat, sind die analytischen Techniken der grenzüberschreitenden Forschung. Gerade in den letzten Jahren haben hier aus methodischer Sicht zahlreiche Beiträge zu einer deutlichen Weiterentwicklung in diesem Bereich geführt (siehe exemplarisch Steenkamp u. Baumgartner 1998). Da jedoch dieser Themenstellung an anderer Stelle in diesem Buch breiter Raum gegeben wird, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Versucht man nun eine abschließende Beurteilung der Forschungsleistungen im internationalen Marketing vorzunehmen, so stellt sich dies in einem sich dynamisch entwickelnden Forschungsfeld freilich als äußerst schwierig dar. Bisherige Beurteilungen dieser Art geben eine durchaus differenzierte Stellungnahme dazu ab. Während Cavusgil und Li (1995) die Entwicklung hin zu einem integrierten und systematischen Forschungsgebiet erkennen, sieht Kotabe (2003) dies schon wesentlich skeptischer und verweist auf zahlreiche unterentwickelte Bereiche im Internationalen Marketing, wie z.B. der internationalen Marktsegmentierung (Walters 2003). Auch Literatursynopsen in verschiedenen Teilbereichen, in denen bereits umfangreiche wissenschaftliche Auseinandersetzung stattgefunden hat, kommen nicht selten zu eher enttäuschenden Ergebnissen, indem sie darauf hinweisen, dass Konzeptionalisierungsprobleme eine theoretische Weiterentwicklung und die Validierung existierenden Wissens bislang nur eingeschränkt ermöglicht haben (Katsikeas et al. 2000, Walters 2003). Abgesehen von diesen Schwachstellen, an denen gerade aufgrund der methodischen Weiterentwicklung in der internationalen Marketingforschung Ansätze zu einer Vertiefung des Wissens gegeben sind, sollen im folgenden einige Themenfelder und Entwicklungen aufgezeigt
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werden, die in Zukunft als untersuchenswert gelten könnten. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich dabei nicht um eine erschöpfende Erfassung, sondern um aus Sicht der Autorin interessante Entwicklungspfade handelt.
Trends und Entwicklungslinien im internationalen Marketing Ein Diskussionspunkt, der in jeder Publikation dieser Art zum Internationalen Marketing an dieser Stelle aufkommt, ist, inwieweit internationales Marketing seinen Stellenwert in der akademischen Welt und der Unternehmenspraxis gefunden, verloren hat bzw. dabei ist, ihn wiederzufinden. Die Meinungen dazu sind naturgemäß divergierend. Was die wissenschaftliche Anerkennung betrifft, so wurde in der Einleitung dazu schon kurz Stellung genommen. In letzter Zeit zeigte sich z.B. in den USA, das zweifelsohne einen großen Einfluss in der International Scientific Community hat, dass auf Internationales Marketing oder International Business spezialisierte Lehrstühle immer stärker in die funktional orientierten, d.h. allgemeinen Marketinglehrstühle integriert werden, da eine eigenständige Position inhaltlich nicht gerechtfertigt erscheint. Ähnliches gilt für die Rezeption von internationalen Marketingthemen in führenden akademischen Publikationen. In den Jahren 2001/2002 waren beispielsweise lediglich 5% aller Beiträge im Journal of Marketing bzw. dem Journal of Marketing Research mit internationalem Marketingbezug. Im Journal of International Business Studies belief sich der Vergleichswert auf 11% (Walters 2003). Auch die Rankings international orientierter Fachzeitschriften liegen unter den national ausgerichteten Marketingjournalen. Verantwortlich gemacht wird dafür mangelnde konzeptionelle Stringenz (im Vergleich zu anderen Teilbereichen des Marketing), schwache Operationalisierung der Konstrukte und schließlich mangelhafte empirische Umsetzung. Um hier zu einer Weiterentwicklung und zu einer Repositionierung im Vergleich zu anderen Marketingteilbereichen zu gelangen, sollte verstärkt auf das sich in den letzten Jahren dynamisch weiterentwickelnde Methodenrepertoire des internationalen Marketings zurückgegriffen werden. Eine methodisch saubere Vorgehensweise scheint aus heutiger Perspektive die „Eintrittskarte“ in die bislang national ausgerichteten Top-Journals zu sein. Die Akzeptanz in diesen Medien wiederum wird dazu beitragen, die Reputation des Internationalen Marketing in der einschlägigen Scientific Community positiv zu beeinflussen. Gleichzeitig muss jedoch auch anerkannt werden, dass international ausgerichtete Forschungsprojekte deutlich mehr an Komplexität mit sich bringen und daher den beteiligten Forschungen mehr abverlangen. Hier muss auf Seiten der Herausgeber und Gutachter ebenso ein Umdenken stattfinden (Walters 2003). Neben der mangelnden wissenschaftlichen Anerkennung wird immer wieder auch die mangelnde Praxisrelevanz von Forschungsarbeiten im internationalen Marketing moniert. So sehen Czinkota und Ronkainen (2003) in ihrem Manifest für das Internationale Marketing die Themenwahl und der Zugang zu deren Bear-
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beitung zu stark an den limitierenden Auflagen der Top-Journale und Editoren orientiert. Dies führt wohl dazu, dass Forschungsbeiträge „allen Regeln der Kunst“ entsprechen, ihre praktische Relevanz jedoch beschränkt bleibt. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zum Bemühen, die wissenschaftliche Reputation der internationalen Marketingforscher zu heben, wie dies in dem vorangegangenen Abschnitt ausgeführt wird. Ein Lösungsweg könnte der stärkere Ausbau von Fachzeitschriften sein, die beiden Ansprüchen – der wissenschaftlichen Stringenz und der Praxisrelevanz – gerecht werden. Ein Beispiel ist das Journal of International Marketing, das zielgruppengerecht für Wissenschafter und Praktiker neue Erkenntnisse aus dem internationalen Marketing darstellt. Was Themenschwerpunkte betrifft, die zukünftig stärker in den Vordergrund treten sollten, so bieten Douglas and Craig (1992), Cavusgil (1998) oder Kotabe (2003) zahlreiche Ansatzpunkte zu den Fragestellungen, die im Rahmen dieses Beitrags aufgearbeitet wurden. Sie gehen umfassend auf unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Teilgebiete, wie der Mode-of-EntryForschung, den internationalen Marketing-Mix oder die Erfolgsfaktorenforschung im internationalen Marketing ein. Dies soll daher an dieser Stelle nicht mehr erfolgen. Vielmehr werden drei Themenfelder vorgestellt, die aus aktueller aber auch langfristiger Sicht mehr Beachtung verdienen. Ein Schwerpunkt, der mehr Auseinandersetzung verdient, ist die Beschäftigung mit den Emerging Markets, d.h. Schwellenländern, die sich durch eine hohe Dynamik auf dem Weg von wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern zu Industriegesellschaften auszeichnen. Samli (2004) nennt sie in seinem Buch auch die Forgotten Majority. Ländermärkte wie Brasilien, Russland, Indien oder China werden mittelfristig deutlich höhere Wachstumsraten aufweisen als die westlichen Industrienationen, die bislang stark im Fokus von Wissenschaftern und Unternehmen gestanden sind. Dies bedeutet nicht, dass bislang keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Märkten erfolgt ist. Sie war jedoch nicht selten fokussiert darauf, internationale Marketingansätze, die sich auf entwickelten Märkten etabliert haben, so anzupassen, dass sie in den Emerging Markets einsetzbar sind. Betrachtet man beispielsweise den Teilbereich der Marktsegmentierung, so konzentrierten sich einschlägige Beiträge vorwiegend darauf, wie multinationale Konzerne ihre, für diese Märkte als Prämiumprodukte zu bezeichnende Produkte vermarkten können. Ausgeblendet blieb dabei jedoch der Großteil der KonsumentInnen in diesen Märkten, die nicht über die für MNCs und ihre Prämiumprodukte erforderlichen finanziellen Ressourcen verfügen. Dennoch haben sie differenzierte Wünsche und Bedürfnisse, Lebensstile und Verhaltensweisen. Die bislang häufig dazu herangezogene Standardisierungs-/Adaptierungsdebatte, die davon ausgeht, wie in wirtschaftlich entwickelten Ländern praktikable Marketingansätze in diesen Schwellenländern angepasst zum Einsatz kommen können, greift hier möglicherweise zu kurz. Während es bereits Ansätze gibt, einen für diese Märkte eigenständigen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln (Manrai u. Manrai 2001), ist der Bedarf nach einer intensiveren Beschäftigung mit diesen Märkten nach wie vor stark (Bello 2004).
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Ein weiterer Aspekt ist die Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien und hier in erster Linie das Internet für internationale Marketingaktivitäten. Ihnen wird zugesprochen, die Art und Weise, wie Geschäfte getätigt, Zielgruppen angesprochen oder Produkte und Dienstleistungen vertrieben werden, fundamental zu verändern (Schlegelmilch u. Sinkovics 1998). Zwar kommt kaum ein Beitrag im internationalen Marketing ohne die Erwähnung von ICT aus, der angesprochene Paradigmenwechsel lässt sich in der internationalen Marketingliteratur jedoch in der Form noch nicht beobachten (Morgan-Thomas u. Bridgewater 2004). In seinem Beitrag geht Yip (2000) der Frage nach, welche Auswirkungen das Internet auf globale Marktbearbeitungsstrategien hat, und identifiziert diese zusammengefasst in der Verringerung der geographischen Distanz und den damit einhergehenden Kosteneinsparungen, die in vielerlei Hinsicht realisiert werden können. Was dies für die theoretischen Konzepte im internationalen Marketing (z.B. in der Internationalisierungsforschung) bedeutet, ist erst ansatzweise erfolgt. In Verbindung mit den Emerging Markets ergibt sich ebenfalls neues Potential. Einerseits bezieht sich dies auf die Erreichbarkeit und Bearbeitung von Zielgruppen in diesen Märkten, die einen Zugang zu Internet und ICT haben, auch für mittlere und kleinere Unternehmen, die nicht über die Ressourcenausstattung ihrer multinationalen Konkurrenten verfügen. Andererseits erlauben die neuen Technologien aber auch Unternehmen aus den Schwellenländern eine raschere Internationalisierung und kostengünstigere Erreichbarkeit von Zielgruppen in internationalen Märkten. Eine theoretische Auseinandersetzung und empirische Überprüfung fehlt jedoch zum Gutteil noch (Bello 2004). Ein letzter Aspekt, der verstärktes Interesse verdient, ist die Tatsache, dass Globalisierung von Marketingaktivitäten, von jenen, die davon profitieren sollten d.h. den Konsumenten -, in zunehmendem Maß skeptisch gesehen wird. KonsumentInnen werden oft als die größten Nutznießer der Globalisierung gesehen. Ein umfassendes Produktangebot, eine enorme Auswahl zu attraktiven Preisen, etc. soll den Lebensstil nicht nur einer kleinen Elite, sondern auch von Käuferschichten mit geringerer Kaufkraft positiv verändern. Der Widerstand gegen die Globalisierung wird zunehmend aggressiver und erhält nicht zuletzt durch ICT eine weltweite Breitenwirkung. Dies manifestierte sich nicht zuletzt in den jüngsten Konfrontationen in Davos, Salzburg, Quebec oder Genua beim jeweiligen Weltwirtschaftsgipfel, aber auch bei Initiativen gegen international tätige Unternehmen (s. beispielsweise MacDonalds und den Dokumentarfilm „Supersize me“ über die negativen Auswirkungen der Ernährung mit Produkten des Unternehmens). Vielfach wird Globalisierung dabei verkürzt als Amerikanisierung bzw. als Vormachtstellung globaler Marken dargestellt, die lokale Initiativen unterdrückt. Hier stellen sich u.a. Fragen, nach der Entstehung und Verbreitung derartiger negativer Einstellungen und Emotionen, bzw. was auch im Sinne der KonsumentInnen für eine entsprechende Aufklärung getan werden kann. Dabei müssen sich internationale Marketingforscher wohl stärker in den Dienst der Konsumenten und anderen Anspruchsgruppen als in den der Unternehmen stellen, die ebenfalls in den Genuss der Vorteile der Globalisierung kommen sollten. Eine stärkere Berücksichtigung ihrer Anliegen in der wissenschaftlichen Forschung oder eine intensivere
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Kommunikation mit diesen Anspruchsgruppen als neutraler Beobachter erscheint erforderlich. In der Rückschau betrachtet ist das Internationale Marketing auf seinem Weg zu einer anerkannten Teildisziplin im Rahmen der BWL durchaus nähergekommen. Gerade die Konsolidierung von Forschungsarbeiten in den unterschiedlichen Bereichen zeigt, dass etliches in Richtung Theorieentwicklung bereits passiert ist. Gleichzeitig gilt es noch vieles zu tun. Die unternehmerische Praxis und ihre zunehmende Internationalisierung wird jedoch dazu führen, dass internationale Marketingthemenstellungen in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen, was wiederum die Nachfrage nach einschlägigen Forschungsleistungen und gleichzeitig den Druck erhöht, methodisch saubere und inhaltlich sinnvolle Arbeit zu leisten.
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Entwicklungen und Trends im NonprofitMarketing Claudia Klausegger Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Einführung – definitorische Abgrenzung und sektorale Kategorisierung Nonprofit Organisationen (in Folge kurz NPOs genannt) spielen im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben eine wichtige Rolle. Ihre Tätigkeitsfelder reichen vom Kultur- und Erholungsbereich, über den Sport, das Bildungs- und Erziehungswesen, das Gesundheitswesen und Katastrophenhilfe, das Sozialwesen, die Parteien bis hin zu Bürgerinitiativen, berufsständischen Interessensvertretungen und Umweltschutzorganisationen. Aufgrund der Vielseitigkeit, speziellen Besonderheiten und Relevanz hat sich der NPO-Sektor seit Ende der 80er Jahre eigenständig etabliert und nimmt sowohl in der Praxis als auch in der Forschung an Bedeutung zu. Diese Entwicklung entspricht auch der von Salamon u. Anheier (1996) gestellten Forderung, dass „The nonprofit sector has recently come to occupy a central place in the debate over the future of social welfare and development policy throughout the world.“ Der Begriff „Nonprofit Organisation“ wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich abgegrenzt. Der Versuch das Definitionsproblem durch Negativabgrenzung zu lösen, hat in der Vergangenheit zu zahlreichen Missverständnissen geführt. Das häufigste besteht darin, dass NPOs keine Gewinne erzielen dürften oder würden. Diese fehlerhafte Vermutung resultiert aus einer vielfach falschen Übersetzung des Ausdrucks „nonprofit“, der eigentlich „not for profit“ meint, und nicht wie mitunter missverständlicher Weise angenommen als „no profit“ interpretiert wird. Das Wort Nonprofit soll lediglich die Abgrenzung gegenüber den gewinnorientierten Unternehmen zum Ausdruck bringen. Dieser definitorische Zugang kommt ursprünglich aus dem amerikanischen Nonprofit Sektor, der NPOs im Gegensatz zu Europa in stärkerem Maße als Alternative bzw. Widerpart zu gewinnorientierten Unternehmen sieht. In Europa werden NPOs auch als nicht staatliche Unternehmen verstanden, weshalb sich neben dem NPO Begriff auch die Bezeichnung NGO (Nongovernmental Organisation) etabliert hat.
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Ein anderer traditionell in der Literatur zu findender definitorischer Zugang zu NPOs erfolgt über die Besonderheit der Zielkonzeption (Scheuch 1996, 2002). NPOs verfolgen primär Sachziele und unterscheiden sich dadurch von gewinnorientierten Unternehmen, die Formalziele - insbesondere das der Gewinnerzielung anstreben. Zentrales Oberziel in NPOs ist die Mission, die die Gründungsabsichten und gewollten Tätigkeiten umfasst. Von dieser grundsätzlichen Absicht (z.B. Pflege zeitgenössischer Musik) sind Aktivitätsfelder abzuleiten, für die in Folge konkrete Maßnahmenziele entwickelt werden müssen. Die konkreten Maßnahmenziele (Leistungsziele) sind nicht nur Mittel zur Erfüllung des Oberziels, sondern auch komplementär zur Erzielung von Einnahmen (Sicherung der Ressourcen). Die Sicherung von Ressourcen erfolgt aber nicht primär über den Verkauf von Leistungen, sondern über Spenden, Sponsoring, Subventionsgeber etc. (Scheuch 1996). Die Maßnahmen von NPOs haben Beeinflussungswirkung auf alle Adressaten im Marktsystem. Kommunikative Maßnahmen und die Leistungsabgabe der NPOs beeinflussen sowohl Kunden, Sponsoren, Subventionsgeber als auch die allgemeine Öffentlichkeit - teilweise ohne Direktkontakt - in ihrer Einstellung zu deren Existenz und Aufgaben. Auch in vielen anderen in der Literatur zu findenden Definitionsversuchen von NPOs dominieren zumeist Einzelaspekte, wie bei der Abgrenzung von NPOs über den steuerlichen Status (die Rechtsform der NPO), die Abgrenzung über die wichtigsten Einkommensquellen (z.B. mehr als die Hälfte der Einnahmen müssen aus Beiträgen von Mitgliedern und Spenden stammen) oder deren gesellschaftliche Rolle (dem Gemeinwohl dienend). Jeder dieser Definitionszugänge erfasst relevante und wichtige Teilsaspekte von NPOs, reicht aber für sich genommen nicht aus, um dem Gesamtphänomen gerecht zu werden. International gesehen hat sich daher aus dem „John Hopkins Project“ (Salamon u. Anheier 1992), dem international größten Vergleichsprojekt, das sich mit der Bedeutung des NPO-Sektors auseinandersetzt, die Definition über einen Merkmalskatalog entwickelt, der versucht der Komplexität des Sektors gerecht zu werden. Demzufolge charakterisiert eine NPO (Badelt 2002, in Anlehnung an Salamon u. Anheier 1992): x Ein Mindestmaß an formaler Organisation. x Die Organisationen sind private, d.h. nicht staatliche Organisationen. x Es dürfen keine Gewinne bzw. Überschüsse an Eigentümer oder Mitglieder ausgeschüttet werden. x Sie weisen ein Mindestmaß an Selbstverwaltung bzw. Entscheidungsautonomie auf und x sie sind durch ein Mindestmaß an Freiwilligkeit gekennzeichnet. Auch wenn keines der Kriterien absolut trennscharf ist, entspricht diese Unschärfe der Grenzen sehr gut den auch in der Realität des Sektors unscharfen Trennlinien zwischen NPOs und anderen Organisationen.
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Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der NPO Sektor sehr heterogen und in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Salamon u. Anheier (1996) entwickelten daher zusätzlich zum international anerkannten Merkmalskatalog eine Internationale Standardklassifikation der NPOs, das sog. „universal classification scheme“ (ICNPO), um NPOs anhand ihrer Tätigkeitsbereiche zu klassifizieren und eine länderübergreifende einheitliche und vergleichbare Typologisierung zu gewährleisten. Die Abgrenzung wurde ursprünglich in den 80er Jahren entwickelt zur Klassifizierung aller NPOs und NGOs. 1999 wurde die taxative Aufzählung vereinfacht und das neue System reduziert die Anzahl auf zehn Überkategorien (u.a. Kultur und Erholung, Bildung und Forschung, Gesundheitswesen, Soziale Dienste, Umweltdienste) und 400 Subkategorien. Zur Oberkategorie „Kultur und Erholung“ gehören beispielsweise die Subbereiche Büchereien, Theater, Museen, Sportwesen, Zoos etc. Bei der Auseinandersetzung mit dem Nonprofit-Sektor ist aufgrund der dargestellten Charakteristika der Organisationen eine Reihe marketingrelevanter Besonderheiten zu berücksichtigen. Zu diesen gehört vor allem die Art der Austauschbeziehung in NPOs. Während in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen Leistungen gegen Zahlungen getauscht werden, werden in Hilfsorganisationen (z.B. Caritas, Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz), Geld (z.B. Spenden) bzw. Leistungen (z.B. Zeitwidmung bei ehrenamtlicher Tätigkeit oder Blutspende für das Rote Kreuz) gegen ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung und Dankbarkeit („sozialer Nutzen“) getauscht. Je nach Art und Inhalt der auszutauschenden Kategorie ist die Motivation im Einzelfall als Ansatzpunkt für die Entwicklung von marktbeeinflussenden Maßnahmen zu sehen. Neben diesem Spezifikum listet Bruhn in seiner jüngsten Veröffentlichung zum „Marketing für NonprofitOrganisationen“ (2004) noch eine Reihe weiterer in der Literatur diskutierter Besonderheiten auf: x Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des relevanten Marktes, x Probleme, die mit der Charakterisierung des Produktes/der Leistung verbunden sind, x vielfach weniger eindeutige Bestimmung der Nachfrager und Konsumenten bzw. Empfänger/Verwender der Leistung, x häufig individualisierte Leistungen, d.h. weniger Standardisierungspotenzial, x Hemmschwellen gegenüber dem „Vermarkten“ auf Kunden- und Anbieterseite, x Interpretationsschwierigkeiten des Preises bzw. der Gegenleistungspolitik bei „kostenlosen“ bzw. kostenlos dem Empfänger zur Verfügung gestellten Leistungen und eine x besondere Bedeutung der Mitarbeiter für die Leistungserbringung. Obwohl sich, wie an späterer Stelle noch detaillierter ausgeführt, der NPO Sektor als eigenständige Teil-Disziplin des Marketings etabliert hat, müssen auch die Besonderheiten anderer Sektoren, insbesondere des Dienstleistungsmarketings und des Internationalen Marketings berücksichtigt werden. Zumeist sind die von NPOs angebotenen Leistungen immateriell, sodass die sektoralen Besonderheiten
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von Dienstleistungen berücksichtigt werden müssen. Gleichzeitig ist ein immer größer werdender Anteil der NPOs international tätig (z.B. ÖRK, Greenpeace), so dass auch grenzüberschreitende Fragestellungen eine große Bedeutung haben.
Kurzabriss der Entstehungsgeschichte des NPOMarketings Die Idee „Marketing“ in Nonprofit Organisationen zu bringen, hat seine Geburtsstunde zwischen 1969 und 1973 in einer Reihe von Artikeln von Kotler u. Levy (1969), Kotler u. Zaltman (1971) und Shapiro (1973). Diese Beiträge stellen die Hypothese auf, dass die Grundprinzipien „erfolgreichen“ Marketings auf nichtkommerzielle Bereiche übertragbar sind. Die genannten Autoren führen folgende Hauptargumente an, dass die Methoden und Instrumente des kommerziellen Marketings auch im sozialen Bereich greifen (Ansatz des „Broadenings“): x Produkte sind nicht auf tangible Erscheinungsformen beschränkt, sondern können auch eine Person, eine Dienstleistung oder eine Idee sein. x Organisation agieren unter anderem mit Konsumenten, unabhängig davon ob es sich um Käufer oder potentielle Käufer handelt, oder ob eine Dienstleistung an Kranken und Bedürftigen erbracht wird. x Auch für NPOs sind die Fragen der „4 Ps“ relevant. Im Zuge des Ansatzes des „Broadenings“ wurde das Betätigungsfeld des Marketings auf nicht-kommerzielle Organisationen erweitert (u.a. Marketing öffentlicher Institutionen, Generic-Marketing im Sinne der Vermarktung von „ideas, goods and services“). Neben dem „Broadening“ ist aber auch auf die Diskussion um das „Deepening“ des Marketings (Human Concept of Marketing, soziale Verantwortung des Marketings) hinzuweisen, die Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum geführt wurde. Dieser Diskussion entstammen zahlreiche konzeptionelle Ansätze, die eine Aufwertung der Dimension sozialer Verantwortung und die Erweiterung der bislang vornehmlich gewinn- und rentabilitätsdominierten Marketingkonzeptionen von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen vornahmen. In diesem Zusammenhang entstanden die Konzepte des „Human Concept of Marketing“ und des „Ethical Marketing“. Die 70er und 80er Jahre können als Wachstumsphasen dieser Philosophie bezeichnet werden und zeigen einen deutlichen Schritt zunehmender Akzeptanz. Der wachsende Einsatz von Marketing in nichtkommerziellen Feldern zeigte aber gleichzeitig auch die Grenzen der Übertragbarkeit auf und die Wissenschaft begann sich verstärkt mit spezifischen Fragestellungen zum NPO-Marketing auseinanderzusetzen und die Robustheit der aus dem profitorientierten Bereich übernommenen Konzepte und Instrumente zu prüfen. Gleichzeitig ist diese Periode auch durch eine verstärkte Auseinandersetzung mit den typologischen Besonder-
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heiten von NPOs gekennzeichnet. Hasitschka u. Hruschka (1982) entwickelten Anfang der 80er Jahre einen NPO spezifischen morphologischen Kasten zur Klassifikation von NPOs anhand von vier marketingspezifischen Merkmalen. Erstes Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Frage, für wen die Non-Profit Organisation tätig ist. Ist eine NPO ausschließlich für ihre Mitglieder aktiv, so spricht man von einer „Eigenleistungs-Non-Profit Organisation“. Werden aber Leistungen für einen Personenkreis außerhalb erbracht, so spricht man von einer „FremdleistungsNon-Profit Organisation“. In diesem Zusammenhang wird häufig auch der Begriff Drittleistungs-Non-Profit Organisation verwendet. Die weiteren drei Kriterien umfassen den Gutscharakter (Individualgut vs. Kollektivgut), die Verwendungssituation (Arbeits- oder Freizeitkontext) und die Trägerschaft (Freiwilligkeit oder Zwang). In den Folgejahren wurde dieser Ansatz laufend erweitert u.a. durch Horak (1993), Heister (1994) Lung (1998) und Mayrhofer u. Scheuch (2002). Erst in den späten 80er Jahren entwickelte sich die Nonprofit Marketing Idee zu einem eigenständigen Sektor, was seinen Niederschlag in diverseren Subkategorien fand (z.B. Marketing für das Gesundheitswesen, Marketing für Bildung, Standort- und Regionenmarketing). Diese Periode kann auch als Beginn des sog. „Social Marketing“ gesehen werden (Kotler u. Roberto 1989, Manoff 1985). Die 80er Jahre waren neben diversen wissenschaftlichen Publikationen auch von Erfahrungsberichten von NPOs geprägt. Zusätzlich zu der wachsenden Anzahl an Artikeln in traditionellen Marketingjournalen entstanden auch eine Reihe neuer Zeitschriften (z.B. Journal of Health Care Marketing, Health Marketing Quaterly, Nonprofit and Voluntary Sector Marketing). 1986/87 wurde das komplexeste deutschsprachige NPO-Managementmodell entwickelt, das sog. Freiburger Management-Modell für NPOs, das seither laufend ausgebaut wurde (Schwarz et al. 1999). Dieses konzeptionell umfassendste NPO-Management-Modell basiert auf einer marketing-orientierten Interpretation des NPO-Zwecks, einem MarketingAnsatz, der neben der Leistungsadressatenebene auch die Ressourcenbeschaffung und die Marketing-Aktivitäten im Innenbereich einbezieht, betrachtet das NPOMarketing als Management der wichtigsten Austauschbeziehungen und berücksichtigt dadurch die höhere Komplexität im Vergleich zum Profitmarketing. D.h. die grundsätzliche Marketing-Logik wird zwar übernommen, aber modifiziert in den Bereichen, in denen einige zusätzliche Besonderheiten zu berücksichtigen sind und ergänzt um gänzlich neue Bereiche (z.B. Fundraising, kooperative Werbung) (Schwarz et al. 1999). Typisch für die Auseinandersetzung mit dem NPO-Sektor in den neunziger Jahren ist die immer wieder geäußerte Kritik, dass sich „erst langsam die Erkenntnis beginnt durchzusetzen, dass auch NPOs als zielgerichtete, produktive und arbeitsteilige Systeme zu betrachten sind, die ohne professionelles Management nicht auskommen“ (Schwarz 1993) und die in NPOs tätigen Manager erkannten, dass „Gutes tun“ und die besten Vorsätze kein Substitut für Organisation, Führung und gute Resultate sind (Drucker 1989). Als Gründe für die Management-Defizite der NPOs werden in der Literatur mangelndes Management-Wollen, Management-Können und Management-Tun genannt (Schwarz 1996).
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Zusammenfassend lässt sich aus der historischen Betrachtung festhalten, dass sich die Beschäftigung mit dem NPO Marketing-Management in der Vergangenheit im Wesentlichen auf drei Themenfelder konzentrierte (Stauss 1987). Erstens die Diskussion über die Zweckmäßigkeit des Broadenings, zweitens typologische Strukturierungen und die Frage, inwiefern sich die allgemein gültigen Marketing Strukturen aus dem erwerbswirtschaftlichen Sektor auf NPOs übertragen lassen und drittens die Entwicklung konkreter strategischer und operativer MarketingManagement Tools.
Aktuelle Themenfelder und Trends im NPO-MarketingManagement Betrachtet man die gegenwärtige Entwicklung des Marketing-Managements im NPO-Sektor, so liegt der Schwerpunkt der Forschungsfragen u.a. auf folgenden Themen: x Trend zu verstärkter Kundenorientierung/Qualitätsmanagement in NPOs x Fragen der Mittelbeschaffung aufgrund knapper werdender Ressourcen/Nutzung der Möglichkeiten „Neuer Medien“ x Kooperationen im NPO-Sektor sowie x Erfolgsmessung-, Marketing-Controlling in NPOs. Im vorliegenden Abschnitt wird auf diese vier marketingmanagementrelevanten und derzeit in der NPO-Forschung dominierenden Themenfelder eingegangen. Bei der Auswahl der behandelten Fragen ist anzumerken, dass in der NPO-spezifischen Marketingliteratur fast ausschließlich von einem weit gefassten Marketingbegriff ausgegangen wird und die Marketingbetrachtung daher sehr eng mit einer Marketing-Managementperspektive verbunden ist. Trend zu verstärkter Kundenorientierung/Qualitätsmanagement in NPOs NPOs zeichneten sich über lange Zeit durch eine stark innenzentrierte Aufgabenerfüllung aus. Aufgrund eines wachsenden Konkurrenzdrucks und der knapper werdenden finanziellen Mittel in vielen NPO-Branchen, setzt sich immer stärker eine außenorientierte Dienstleistungshaltung sowohl bei der Leistungserstellung als auch bei der Mittelbeschaffung durch. Dieser Entwicklungstendenz folgt auch die aktuelle NPO-Marketingforschung und schenkt dem Kunden- und Qualitätsbegriff verstärkt Aufmerksamkeit. Aus einer Marketingperspektive lehnt sich die derzeitige Qualitätsdiskussion im NPO-Sektor stark an den Ansätzen und Konzepten aus dem profitorientierten Dienstleistungsmarketing an, da die meisten NPOs im tertiären Sektor tätig sind. Die Beiträge konzentrieren sich vorrangig auf die Besonderheiten bei der Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Qualität, die in
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NPOs mehrfach zu berücksichtigen sind (u.a. Spannungsfeld aufgrund unterschiedlicher Interessen der einzelnen Anspruchsgruppen, mitunter Fehlen eines Marktpreismechanismus, besondere Nachfragebedingungen, z.B. assymetrische Information und Probleme der Qualitätsfestlegung und -sicherung aufgrund der Immaterialität des Leistungsangebots). Die Qualitätsdiskussion in NPOs ist auch eng mit der Analyse der komplexen und vielfach unterschiedlichen Erwartungen und Wünschen ihrer Anspruchsgruppen verknüpft. In diesem Zusammenhang hat die Auseinandersetzung mit dem sog. Stake-Holder-Ansatz und dem damit verbundenen Umgang mit unterschiedlichen Erwartungsansprüchen besondere Bedeutung. Zusätzlich werden bei der Entwicklung und Analyse der Leistungsdimensionen neben der betriebswirtschaftlicher Sichtweise - aufgrund des gesellschaftlichen Auftrags, den NPOs in ihrer Mission festgelegt haben - auch makroökonomische Qualitäts- und Leistungsdimensionen verstärkt analysiert. Die Diskussion über Qualität und Leistung bedingt daher einen interdisziplinären Zugang, d.h. eine Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen, die über das Marketing und andere betriebswirtschaftliche Funktionen hinausgehen. Betrachtet man die Literatur zum Qualitätsmanagement im NPO-Sektor stellt man fest, dass die Anzahl der Publikationen zum Themenfeld „Qualitätsmanagement“, v.a. was das Qualitätsmanagement für soziale Einrichtungen betrifft, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat (vgl. Schubert u. Zink 1997, Eversheim et al. 1997). Es fehlen allerdings auch derzeit noch vielfach eigenständige aufgrund der jeweiligen fachlichen Logik der NPO begründete Ansätze der Qualitätsgestaltung und Ansätze die über eine betriebswirtschaftliche bzw. isolierte Marketing-Betrachtungsweise hinausgehen. Fragen der Mittelbeschaffung aufgrund knapper werdender Ressourcen/Nutzung der Möglichkeiten „Neuer Medien“ Die Basis für die wachsende Bedeutung der Forschung zur Mittelaufbringung bildet die Entwicklung der NPO-Praxis. Immer mehr gemeinnützige Organisationen geraten in finanzielle Schwierigkeiten, weil staatliche Zuschüsse gekürzt oder gestrichen werden. Um die Ausfälle auszugleichen bzw. eine finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, sind diese Organisationen gezwungen, sich selbst aktiv um die Beschaffung finanzieller Mittel zu bemühen. International agierende Organisationen vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum verfügen häufig über ein professionelles Fundraising; deutlich schwieriger gestaltet sich die Mittelaufbringung kleiner NPOs. Ein wesentlicher Teilbereich der aktuellen NPO-Marketingforschung beschäftigt sich daher mit Fragen der Mittelbeschaffung, insbesondere dem Fundraising bzw. der Spendenakquirierung. Auch wenn sich weder in der deutschsprachigen noch in der internationalen wissenschaftlichen Literatur eine einheitliche Abgrenzung und eindeutige Definition des Begriffs Fundraising findet, ist den meisten Definitionen gemeinsam, dass bei der Betrachtung des Fundraising der Austausch-
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beziehung zwischen Spender und NPO sowie der Gratifikationserwartung des Spenders eine zentrale Bedeutung zukommt. Die grundsätzliche Aufgabe des Fundraising besteht definitionsgemäß darin, dem potenziellen Spender angemessenen Gratifikationen im Verhältnis zu seinen mit der Spende verbundenen Kosten anzubieten (Raffée et al. 1983). Die Definitionen des Begriffs Fundraising variieren in der Literatur aber nicht nur bezüglich der betrachteten FundraisingZielgruppe, sondern auch bezüglich der betrachteten Spendenart. Benötige Ressourcen können Finanzleistungen (aus Private Giving, Corporate Giving, Foundation Support oder Public Support), aber auch Sachleistungen (z.B. Sachspenden, Dienst-, einschließlich Arbeitsleistungen (z.B. secondment)), Rechte (z.B. Schirmherrschaft, Ausnahmerechte auf besondere Werbezeiten etc.) und Informationen (z.B. aus kostenpflichtigen Datenbanken) sein (Urselmann 1999). Wichtig ist eine Abgrenzung von Spende und Sponsoring vorzunehmen, wobei Spenden nach einer allgemein gängigen Definition freiwillige und unentgeltliche Zuwendungen in Form von Geld, Geltwerten, Vorteilen und Sachwerten sind (Schauhoff 2000). Sponsoring beruht im Gegensatz zur Spende auf dem Prinzip der „marktmäßigen“ bzw. marktadäquaten Leistung und Gegenleistung. Die in der Forschung derzeit behandelten Fragen zur Mittelaufbringung betreffen sowohl das Sponsoring als auch Spenden. Beim Sponsoring steht neben der begrifflichen Abgrenzung, vor allem die Frage „marktadäquater Gegenleistungen“ (vgl. Kooperationen im NPO-Sektor) im Vordergrund. Zusätzlich findet sich in der Literatur auch eine Reihe von praxisorientierten Büchern (Haibach 1998, Urselmann 1999), die sich mit den Voraussetzungen für erfolgreiches Fundraising und den verschiedenen Fundraising Methoden auseinandersetzen. Der Forschungszweig zum Thema Spenden setzt sich mit der Akquisition von Spenden als Herausforderung für das Marketing auseinander. Dabei wird sowohl die Leistungsfähigkeit des Marketingansatzes im Spendensektor analysiert, als auch das konkrete Spenderverhalten (Schneider 1996). Das Spendenverhalten der Bevölkerung wird empirischen Befunden zufolge, maßgeblich durch das Vertrauen an die spendensammelnde Organisation beeinflusst. Die Frage „Wofür wird die Spende verwendet?“ steht im Zentrum der Spender-Motivation1. Eine zentrale Aufgabe des NPO-Marketings ist es in diesem Zusammenhang Vertrauen zu schaffen. Die in den letzten Jahren in vielen Ländern eingeführten Spendengütesiegel geben für die Spendenwerbung und Spendenverwendung Standards vor und versuchen dadurch das Vertrauen in die mit dem Spendensiegel ausgezeichneten Organisationen zu erhöhen. Seit November 2001 gibt es auch in Österreich mit dem österreichischen Spendengütesiegel ein System von strengen, objektiven, nachvollziehbaren und für ei1
Daten zum Spendenmarkt in Österreich finden sich auf der Homepage der Interessensvertretung österreichischer gemeinnütziger Vereine: http://www.iogv.at/startset.html) oder beim Österreichischen Institut für Spendenwesen (http://www.spendeninstitut.at/) (Zugriff: 23.11.2004).
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ne außenstehende Person überprüfbare Kriterien, nach denen beurteilt werden kann, dass eine Spendenorganisation zu Recht das Vertrauen der Spender/innen verdient. Unabhängige Wirtschaftstreuhänder/innen überprüfen - anhand sehr umfassender, auf die Besonderheiten von NPO eingehender Grundsätze - die Aufbringung, Verwaltung und Verwendung von Spendenmitteln. Damit soll die Öffentlichkeit und die einzelnen Spender die „Sicherheit“ bekommen, dass Spenden so verwendet werden, wie sie es wollen.
Abb. 1. Das österreichische Spendengütesiegel2
Das österreichische Spendengütesiegel sieht überdies eine laufende Weiterentwicklung der Prüfinhalte vor. Das Spendengütesiegel ist ein System der freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Organisationen gehen damit eine Informationsverpflichtung gegenüber Spendern und der Öffentlichkeit ein. Ähnliche Systeme gibt es auch in der Schweiz, Deutschland, Schweden und den USA3. Aus Marketingsicht anzumerken ist, dass derzeit noch keine Befunde vorliegen, die sich mit den marketingrelevanten Auswirkungen des Spendensiegels beschäftigen. Ein relativ junger Forschungszweig zur Mittelbeschaffung in NPOs beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Einsatzes und den Grenzen der InternetKommunikation (Hohn 2001). Viele österreichische Nonprofit Organisationen (NPOs) nutzen bereits die Möglichkeiten „neuer Medien“ auf vielfältige Weise. In der Vergangenheit ließen schmale Budgets, Unklarheiten über die Kosten/NutzenRelation und eine gewisse Skepsis bezüglich der Akzeptanz die Gemeinnützigen zögern. Inzwischen setzt aber ein Großteil der NPO-Branche das Internet für seine kommunikativen Tätigkeiten ein. Auch im NPO-Sektor gewinnen daher Fragestellungen betreffend die Spender-Akzeptanz, die optimale Website-Gestaltung, die Entwicklung von Content Management Systemen und Tools für Online-Spenden an Bedeutung. In Bezug auf die Internet-Kommunikation als auch das Mediennutzungsverhalten der (potenziellen) Spender besteht derzeit noch erheblicher Forschungsbedarf. Dabei haben empirischen Befunden zufolge (Schneider 1996) die unterschiedlichen Spender-Zielgruppen z.B. desinteressierte Zufallsspender, informationsbedürftige Intensivspender, skeptische Spendenverweigerer, impulsive Aktionsspender und leichtgläubige Gewohnheitsspender unterschiedliche Bedürfnisse und 2
Detaillierte Informationen finden sich unter der offiziellen Homepage des österreichischen Spendengütesiegels: http://www.osgs.at/ (Zugriff: 23.11.2004). 3 http://www.osgs.at/PM_141101/PM_141101_pt7.pdf (Zugriff: 23.11.2004).
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Gratifikationserwartungen an NPOs und erfordern in Folge einen differenzierten Einsatz des Instrumentariums. Für den strategischen Einsatz der Internet-Kommunikation für das Fundraising wird der gesamte Spendenprozess betrachtet. In ihrer empirischen Untersuchung beobachte Schneider (1996), dass die Zahl der Spenden, die über das Internet getätigt werden bei Katastrophen und Notsituationen mit starker Medienpräsenz signifikant höher ist, was die Vermutung nahe legt, dass Internet die Potenzialabschöpfung bei Impulsspenden unterstützt. Gerade dann, wenn das Involvement der Spender hoch ist, scheint das Internet ein geeignetes Instrument zu sein. Es ist aber auch davon auszugehen, dass mit zunehmender Akzeptanz und Erfahrung, finanzielle Transaktionen über das Internet abzuwickeln, die Bereitschaft der Bevölkerung tendenziell wachsen wird, auch über das Internet zu spenden. Zu hinterfragen ist allerdings, ob durch das Internet in Folge neue Spenderzielgruppen erreicht werden können, oder ob die Online-Spenden die Spenden auf herkömmlichen Wegen substituieren. Die Diskussion über Chancen mittels Internet-Kommunikation neue Spenderzielgruppen zu erreichen, ist vor allem vor dem Hintergrund stagnierender Spendenmärkte zu betrachten. Neben der Erschließung neuer Spenderkreise wird aber auch die Spenderbindung in der Forschung verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt (Sargeant 2001, Bruhn 2002 ) mit dem Ziel, die Einnahmen der NPO langfristig zu sichern. Eine wesentliche Marketingüberlegung im Rahmen der Fundraisingforschung liegt darin, dass unter dem Gesichtspunkt der Spender- und Sponsorenbindung es notwendig ist, die Mittelaufbringung nicht nur unter dem Aspekt des Beschaffungsmarktes zu analysieren, sondern es unter der Perspektive des Absatz- bzw. Beziehungsmarketings zu betrachten. Dabei geht es einerseits um die Auseinandersetzung mit Fragen einer zielgruppenadäquaten Ansprache und zum anderen um das Angebot von Leistungen im Sinne eines spezifischen Nutzens für Spender bzw. Sponsoren. Kooperationen im NPO-Sektor Der wachsende Wettbewerb der NPOs untereinander um knapper werdende Ressourcen bzw. den Absatz ihrer Leistungen haben dazu geführt, dass sich der Verdrängungswettbewerb unter den NPOs verstärkt hat. Für NPOs mittlerer Größe und kleiner Größe stellt sich die Frage sich entweder ausreichend große Nischen im lokalen Umfeld zu suchen und/oder Netzwerke bzw. Kooperationen zu bilden. Für NPOs bedeutet diese Entwicklung, die Notwendigkeit nicht nur ein (Grund-) verständnis von Sponsoring und seinen Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln, sondern auch Kooperationsprojekte zu erstellen, die für potentielle Partner einen relevanten Nutzen darstellen. Die Forschung betreffend die Kooperationen im NPO-Sektor lässt sich strukturell in folgende Bereiche gliedern. Der erste Teil der Forschungsaktivitäten stellt die unterschiedlichen Formen der Kooperationen zwischen profitorientierten Or-
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ganisationen (kurz POs genannt) und NPOs dar. Die Kooperationsformen reichen von Mäzenatentum über Sponsoring karitativer Organisationen bis hin zur Etablierung langfristiger, kooperativer Beziehungen zu Unternehmen aus dem Nonprofit Bereich (Austin 2000, Peters 2000). Definiert man Kooperationen durch die Enge der Zusammenarbeit der Kooperationspartner, so lässt sich ein Kooperationskontinuum erstellen, auf welchem Partnerschaften aufgrund ihrer Ausgestaltung als entweder philanthropisch, austauschend oder integrativ eingeordnet werden können (Austin 2000). Zudem wird eine Bewegungsmöglichkeit auf diesem Kontinuum unterstellt, sodass Kooperationen von weniger intensiven Stufen der Kollaboration zu Niveaus intensiverer Zusammenarbeit hinaufwandern können (Austin 2000). Ein zweiter Teil setzt sich mit den Erwartungen bzw. Bedenken, die profitorientierten Unternehmen gegenüber Kooperation haben, auseinander. Seitens der POs werden in der Literatur (Mayer 2004) als wichtigste Ziele für das Eingehen von Kooperationen das Verfolgen gemeinsamer sozialer Ziele, Image-, Personalbzw. Absatzziele genannt. Die NPOs sehen die Sensibilisierung des Partners für ihre Zielsetzungen und Aufgaben, mögliche Imagegewinne und die Erschließung von zusätzlichen Finanzierungsmitteln als zentrale Ziele. Als größte Hemmnisse in der Zielerreichung oder beim Eingehen von Kooperationen sehen die POs fehlende Ressourcen, den oft geringen oder unklaren Nutzen solcher Kooperationen und die in Österreich bis auf wenige Sonderfälle nicht vorhandene Spendenabsetzbarkeit. Die NPOs hingegen sehen fehlendes Interesse der Unternehmen und die fehlenden Ressourcen als die größten Hindernisse für Kooperationen an (CSR Austria 20034). Ein weiteres in der Literatur noch nicht hinreichend behandeltes Problem stellt die Nutzenbewertung von PO-NPO Kooperationen dar. Derzeit besteht sowohl in der Praxis als auch der einschlägigen NPO-Forschung ein Mangel an quantitativen und qualitativen Methoden, um den Erfolg solcher Kooperationen zu messen und zu dokumentieren. Deswegen stehen noch immer viele Unternehmen Kooperationen mit NPOs und ihrem Nutzen mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Was die Entwicklung der Zukunft betrifft, prognostizieren sowohl NPOForscher als auch Praktiker, dass die Relevanz und Bedeutung von Kooperationen weiter steigen wird was auch das zahlenmäßige Wachstum der Kooperationen und die stärkere Integration innerhalb der PO-NPO Partnerschaften belegen. Erfolgsmessung – Marketing-Controlling für NPOs Viele NPOs unterliegen bei der Verwaltung ihrer Budgets einem zunehmenden ökonomischen Legitimationsdruck. Die Belastung der Entscheidungsträger durch diesen Legitimationsdruck, verbunden mit einem Erfolgsdruck, einer Intranspa4
http://csr.m3plus.net/website/pictures/CSR_Studie.pdf (Zugriff: 23.11.2004)
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renz der Märkte, interaktiven Beziehungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen, einer Komplexität der Zielsysteme und unterschiedlichen Mitarbeitertypen haben sowohl in der Theorie als auch der NPO-Praxis zur einer stärkeren Auseinandersetzung mit Controllingfragen (Horak 1995) geführt, im Rahmen dessen Fragen der Effizienz und Effektivität behandelt werden. Analysiert man die wenigen Beiträge zum (Marketing-)Controlling in NPOs, so lassen sich diese in zwei Gruppen teilen. Ein Teil der Arbeiten beschäftigt sich mit den Problemen der Entwicklung und des Einsatzes von Marketing-Controlling in NPOs und ein anderer Teil setzt sich mit Lösungsansätzen zur Bewältigung der spezifischen NPO-Controllinganforderungen auseinander. Den Arbeiten, die sich mit den Problemen des Marketing-Controllings für NPOs beschäftigen, ist durchwegs gemeinsam, dass sie darauf hinweisen, dass es in NPOs nur begrenzt möglich ist, operationale (=messbare) und konsensuelle Kriterien für den Marketing-Erfolg zu definieren. Als Folge unklarer Effizienzkriterien diagnostizieren Forscher, eine Tendenz der Praxis zu stark symbolischritueller Abwicklung von Evaluationen (Tassie et al. 1998, Simsa 2002) und einer Überbewertung ökonomisch-quantitativer Kontrollgrößen. Die aktuellen Beiträge zum Marketing-Controlling in NPOs beschäftigen sich mit der Entwicklung eines auf die jeweilige NPO zugeschnittenen Controllingsystems (Eschenbach u. Horak 1999, Nullmeier 1998, Henning 2003) zur Optimierung der Arbeit insbesondere des Fundraising als wesentlichem Finanzierungselement der NPO korrespondierend mit der Reflexion der Ziele und Strukturen der einzelnen NPO. Marketing-Controlling dient dabei als qualitätssichernde Maßnahme und sorgt dafür, dass jeder Mitarbeiter der NPO sich und seine Tätigkeit im Rahmen der Ziele und Pläne kontrollieren kann. Marketing-Controlling hat eine Planungs-, Kontroll- und Informationsfunktion, um die Erreichbarkeit festgelegter Ziele durch den Einsatz der gewählten Marketing-Mix-Maßnahmen zu überprüfen, und die Entscheidungsträger mit den für eine Feinjustierung und Optimierung des NPO-Marketings notwendigen Informationen zu bedienen (Paton 1996, Heiner 1998). D.h. die in der Literatur speziell für den NPO-Sektor entwickelten Ansätze des Marketing-Controllings, versuchen die Potentiale der NPOs besser auszuschöpfen. Die NPOs müssen im Rahmen eines systematischen Prozesses eine Strategieplanung vornehmen, wodurch eine prozessorientierte Steuerung der gesamten Organisationsstruktur der NPO an sich, der Fundraisingsmaßnahmen sowie des Ressourceneinsatzes zu erfolgen hat. Das Ziel dieser Beiträge ist es, die zentralen kritischen Erfolgsfaktoren für ein wirkungsorientiertes sowie wertschöpfungsbezogenes Management der NPOs im Hinblick auf ihr individuelles, besonderes Anliegen herauszuarbeiten. Dabei werden typische für die NPO wichtige Fundraisingmaßnahmen und Organisationsfragen kritisch insbesondere auf ihre spendenertrags- und imagesteigernden Verknüpfungen und ebenso im Zusammenhang mit Maßnahmen der Organisationsentwicklung auf ihre Problemlö-
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sungserheblichkeit geprüft und die Umsetzungsmaßnahmen auf ihre Nachhaltigkeit untersucht.
Zusammenfassung und Ausblick Betrachtet man die Diffusion des Marketings im NPO-Management, so lässt sich aus heutiger Sicht - mit wenigen Ausnahmen - konstatieren, dass in vielen NPOs das Marketing eine relativ hohe Akzeptanz erzielt hat. Diese Einstellung steht aber in einigen Fällen diametral zur Sichtweise der Spender, die kritisch die Verwaltungs- und Marketingausgaben von NPOs beobachten. Durch die Entwicklung und Einführung des Spendensiegels in einigen europäischen Ländern wurde versucht, eine Versachlichung dieser Diskussion anzustreben; inwieweit das durch diese Maßnahme auch wirklich gelungen ist, ist bis dato aber noch nicht hinreichend erforscht. Bei einer Analyse der Entwicklungen der NPO-Praxis muss davon ausgegangen werden, dass sich NPOs auch in Zukunft in einem Spannungsfeld sich verändernder Rahmenbedingungen bewegen werden. Dazu zählen u.a. zunehmender Rechtfertigungsdruck, Zeitdruck, knapper werdende Mittel, Rückzug der öffentlichen Hand, rasche technologische Entwicklungen, Wertewandel, Veränderungen der Finanzierungsstruktur, zunehmende Krisenanfälligkeit, stärkere Konkurrenzbeziehungen und zunehmender Informationsbedarf. NPOs stehen auch in den nächsten Jahren auf einem Prüfstand, wobei vor allem historisch gewachsene NPOs, ihr Selbstverständnis (ihre Mission) laufend klären müssen, um eine eigene und unverwechselbare Identität zu entwickeln, auf deren Basis entsprechende erfolgreiche Marketingkonzepte entwickelt werden können. Betreffend der in der Forschung und Praxis, in der Vergangenheit häufig gestellten Frage, können bzw. was können NPOs von der Wirtschaft lernen, ist aus heutiger Sicht anzumerken, dass dieser Ansatz für die Zukunft zu kurz greift, da sich die NPO-Forschung bereits als eigenständige Forschungsdisziplin etabliert hat. Es muss daher verstärkt NPO-spezifische Grundlagenforschung betrieben werden und gleichzeitig auch an der Entwicklung geeigneter Konzepte und Problemlösungen weitergearbeitet werden, um die gegenwärtig noch bestehenden Marketing-Managementdefizite (u.a. im fehlende marktbezogene Konkretisierungen im strategischen Bereich, mangelnde Datenbasis, wenig Erfahrungen beim Einsatz „Neuer Medien“, unvollständige Maßnahmenevaluierung, mangelnde Ausbildung der NPO-Manager) sukzessive abzubauen und die in der Vergangenheit und Gegenwart auch zahlenmäßig belegbare erfolgreiche Entwicklung des NPO-Sektors auch in der Zukunft sicherzustellen. Aufgrund der vielfach noch fehlenden theoretischen Ansätze im NPO-Sektor, wird in der Literatur auch die Forderung postuliert, dass sich die wissenschaftliche NPO-Forschung neben der kontinuierlichen weiteren Entwicklungen von unterstützenden Marketinginstrument-
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en, in Zukunft verstärkt auf Theoriebildung konzentrieren sollte, um ein entsprechendes Fundament für die zukünftige NPO-Forschung zu liefern. Was die konkreten inhaltlichen Themenfelder der NPO-Marketing-Forschung betrifft, wird es vermutlich aufgrund der Internationalisierung vieler NPOs und des Entstehens von (internationalen) Kooperation zu einer weiter wachsenden Bedeutung internationaler Fragestellungen kommen. Weiterhin relevant werden auch in Zukunft – aufgrund der Kürzungen staatlicher Unterstützung – Finanzierungsfragen bleiben und aus Marketingsicht steht vor allem die Suche und Analyse alternativer Formen der Mittelaufbringung im Vordergrund. Desgleichen werden Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen bei der Mittelverwendung an Stellenwert gewinnen. Die voraussichtlich auch in Zukunft mit der Mittelaufbringung verbundenen vermehrten Kooperationen mit dem erwerbswirtschaftlichen Sektor, werden eine Reihe neuer Fragen und Probleme (z.B. Problem der „Kommerzialisierung“ von NPOs, Erhalt der Unabhängigkeit des Sektors, Vereinbarkeit von professionellen Managementansätzen mit ehrenamtlicher Arbeit) aufwerfen. Eine Entwicklung, die sich ebenfalls bereits derzeit abzeichnet, ist die wachsende Bedeutung von ethischen Fragen im Nonprofit-Bereich. NPOs stehen sowohl unter öffentlichem Legitimationsdruck was ihren Tätigkeitsbereich betrifft („es ist nicht automatisch gut, was eine NPO macht“) als auch deren Mittelverwendung (Schlagwort „Missmanagement“ von Spenden, Spendenskandale). Eine abschließende themenübergreifende Forderung für die zukünftige NPOForschung liegt aufgrund der bereits mehrfach angesprochenen Besonderheiten des Nonprofit-Sektors auf einer stärkeren Zusammenarbeit über Disziplinen und Fachrichtungen hinweg (Eschenbach u. Horak 2003). Als Beispiel sei an dieser Stelle exemplarisch auf eine Initiative im deutschsprachigen Raum hingewiesen, den an der Wirtschaftsuniversität in Wien bestehenden interdisziplinären Forschungsschwerpunkt „Funktion und Management von Nonprofit Organisationen“ (http://www.wu-wien.ac.at/npo/forschung/home.htm), im Rahmen dessen bereits eine ganze Reihe interdisziplinärer NPO-spezifischer Publikationen entstanden sind (u.a. Handbuch der Nonprofit Organisationen (Badelt 2002), Führung der Nonprofit Organisation (Eschenbach u. Horak 2003), Fallstudien zum NonprofitManagement (Buber u. Meyer 1997).
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Marketing für Klein- und Mittelbetriebe – Spezifische Betrachtungslinien im Objektbereich Dietmar Rößl Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, Wirtschaftsuniversität Wien
Problemstellung Nach dem gutstheoretischen Zutritt können aus den Eigenschaften von Gütern Thesen bezüglich des Kaufentscheidungsverhaltens und der spezifischen Ausgestaltung des Marketinginstrumentariums abgeleitet werden (Aspinwall 1962; Miracle 1965). Über die Zusammenfassung marketingaffiner Güter entstehen Dienstleistungs-, Investitionsgüter-, Kontraktgütermarketing, etc. Der Objektbereich „Klein- und Mittelbetriebe“ umfasst hingegen sehr unterschiedliche, teilweise in anderen Marketingteildisziplinen bereits behandelte Unternehmen, die heterogene Produkte auf sehr unterschiedlichen Märkten anbieten: z.B. Unternehmen der Massenproduktion im Konsumgüterbereich und mehrstufiger Distribution, Zulieferer zu Großbetrieben, Unternehmungen am lokalen Markt, Nischenanbieter am Weltmarkt, viele Dienstleistungsunternehmen, selbständige Handwerker als auch in einem größeren Verbund integrierte Vertragspartner, Forschungsbüros und Werbeagenturen, freie Berufe, Handelsbetriebe, etc. Hier sollen folgende Fragen geklärt werden: Durch welche spezifischen Problemkonstellationen ist Marketing von KMU gekennzeichnet? Welche Sichtweisen und Entwicklungen sind hier zu konstatieren und können diese zu einer Neukonzeption eines umfassenden KMU-Marketing verbunden werden?
Die Problematik der Abgrenzung des Objektbereichs Klein- und Mittelbetriebe Zur Abgrenzung von KMU wurden neben quantitativen Kriterien, die zwischen Mikro-, Klein-, Mittel- und Großbetrieben trennen, Merkmalskataloge zur qualitativen Abgrenzung entwickelt (Pleitner 1986, 7; Pfohl 1997, 19). Diese Kataloge zielen mal stärker auf Familienbetriebseigenschaften, mal stärker auf die
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dem Gewerbe- bzw. Handwerksbegriff eigene Betonung der individualisierten Leistungserstellung (Gutersohn 1977, 211) und der dominanten Rolle des Unternehmers (Baumol 1968, 66), etc. ab und definieren damit unterschiedliche Objektbereiche (zu dieser Problematik im Einzelnen Mugler 1998, 20 ff). Die unterschiedlichen Kataloge können nicht konsistent zusammengeführt werden. Nur um die Problematik zu illustrieren, sollen exemplarisch einige zentrale Kriterien genannt werden: x dominante Rolle des Unternehmers (seine Persönlichkeit, sein Netzwerk, seine Ressourcen) x geringe Formalisierung und damit geringe Rigidität der Organisation und hohe Flexibilität der Organisation x relativ zur Unternehmensgröße tritt das Problem der mangelnden Teilbarkeit von Produktionsfaktoren (wirtschaftliche und technische Mindestkapazitäten von Ressourcen) verschärft hervor, woraus eine die Unternehmensentwicklung begrenzende Ressourcenlage resultiert (z.B. Fehlen von Spezialisten) x auf die Unternehmensgröße bezogen relativ deutliche Entwicklungsprozesse über den Lebenszyklus x es werden in unmittelbarem Kundenkontakt individualisierte Leistungen nach Kundenwunsch erstellt, wobei kleine – vorwiegend lokale oder regionale (Carson 1985a, 7) – Märkte differenziert bearbeitet werden. Die einzelnen Kriterien sind nicht trennscharf – leicht lassen sich Großbetriebe finden, auf die ein Merkmal zutrifft, und ebenso KMU, für die es nicht gilt –, umso weniger kann der gesamte Kanon an vorgeschlagenen Kriterien eine konsistente Abgrenzungsleistung erbringen. Dennoch können über diese Eigenschaftsbatterien in ihrer Summe – insbesondere auf Basis einer lebenszyklusbezogenen Betrachtung – tatsächlich spezifische Organisations-, Führungs- und Ressourcenprobleme identifiziert werden, die die spezifische Behandlung von KMU in der Betriebswirtschaftslehre – nicht zuletzt aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedeutung – mehr als rechtfertigen. Der Abgrenzung des Objektbereichs KMU liegt aber keine spezifische Marketingproblemstellung zu Grunde, auch kann aus seiner Umschreibung kein KMUspezifisches und zugleich allen KMU gemeinsames Marketingproblem abgeleitet werden. Daher kann es das Marketing für KMU nicht geben. Sehr wohl kann man aber Aspekte identifizieren, die zwar KMU-spezifisch, aber nicht allen KMU gemeinsam sind, und solche, die zwar nicht KMU-spezifisch, aber doch in Ausschnitten dieses Objektbereichs von besonderer Relevanz sind, sodass KMUMarketing je nach betontem Spezifikum unterschiedliche – sich mit dem Objektbereich KMU partiell deckende partiell darüber hinausgehende – Problembereiche adressiert (ähnlich Meyer 2000, 4 f).
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Alternative Kriterien zur Bestimmung eines KMUspezifischen Marketing x Marketing-Defizite Aus den Kriterien „Dominanz des Unternehmers“ und „begrenzende Ressourcen“ wurden folgende – hier stark verkürzt zusammengefasste – marketingrelevante Aspekte abgeleitet (Gilmore et al. 2001): aufgrund seines umfassenden Aufgabenbereichs und generalistischer bzw. technischer Vorbildung begrenztes Management- und Marketingwissen und für Marketingfragen begrenztes Zeitbudget des Unternehmers (Carson 1985a, 8; Schäfer 1992, 3) keine ausgebaute Marketingabteilung mit Spezialisten (Carson 1985a, 8; Belz u. Travella 1999, 7), keine Anwendung aufwändiger – für Großbetriebe entwickelte (Borschberg u. Staffelbach 1990, 15) – Instrumente im Bereich der Marktforschung und der Planungs-, Dokumentations- und Kontrollinstrumente (Smith 1990, 1997) informelles, reaktives Marketing, Vernachlässigung der strategischen Ebene (Dodge u. Robbins 1992; Fuller 1994); am täglichen Problemlösen orientiertes und von den aktuellen personellen Ressourcen und Prioritäten determiniertes Entscheidungsverhalten (Scase u. Goffee 1980; Hass 1997, 11) Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich KMU-Marketing als ein auf diese Mangelsituation angepasstes Marketing auffassen. Allerdings vernachlässigt diese Betrachtung tendenziell Mittelbetriebe und auch professionell geführte Kleinbetriebe. x Die Familienbetriebseigenschaft Unter Betonung der Verbindung des Unternehmens mit dem familiären Background des Eigentümerunternehmers könnte ein Objektbereich „Familienbetrieb“ definiert werden, wiewohl nicht jeder Kleinbetrieb hier zuzuordnen und umgekehrt nicht jeder Familienbetrieb ein KMU ist. Versucht man aus dieser Perspektive marketingspezifische Aussagen zu generieren, kommen Aspekte wie die Nutzung des Begriffs „Familienbetrieb“ und seiner Attribuierungen in der Kommunikationspolitik und die Marketingrelevanz des privaten Verhaltens der mit dem Unternehmen verbundenen Familienmitglieder – soweit es am lokalen/regionalen Markt bzw. durch Medien transportiert am relevanten Markt sichtbar ist – ins Blickfeld. Ein geschlossenes spezifisches Aussagengebäude im Sinne eines „Marketing für Familienbetriebe“ scheint aber nicht sinnvoll entwickelbar. x Veränderungen im Lebenszyklus Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die meisten Unternehmen als Kleinbetriebe gegründet werden und sich über Vorgründungs-, Gründungs-, Nachgründungsphasen über Wachstums- und Krisenphasen zu größeren Einheiten entwickeln, werden spezifische Marketingaussagen zu den Themenkomplexen
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Gründungsmarketing, Marketing in Wachstumsphasen, etc. zu generieren gesucht. Ein „Gründungsmarketing“ ist dabei insofern deutlich unterscheidbar, als das Marketingobjekt weniger die Marktleistung als vielmehr das Unternehmen selbst ist, das gegenüber den verschiedenen Stakeholder-Gruppen (Kapitalgeber, Arbeitnehmer, etc.) zu vermarkten ist (Rößl 1998, 2000a). Die Neuigkeit („Liability of Newness“) und auch die Kleinheit („Liability of Smallness“) von Unternehmen implizieren aber auch auf Seiten des Abnehmers spezifische Unsicherheiten und damit spezifische Marketingkonsequenzen. Ein Objektbereich „Unternehmen in Wachstums- bzw. Schrumpfungsphasen“ korreliert einerseits mit dem Objektbereich KMU, als diese Phasen – bezogen auf die absolut gesehen kleine Unternehmensgröße – relativ starke Veränderungen bedeuten und ihre Marketingrelevanz daher im Kontext von KMU stärker in den Vordergrund tritt. Andererseits ist nicht jedes wachsende bzw. schrumpfende Unternehmen ein KMU. Versucht man aus dieser Veränderungsperspektive marketingbezogene Aussagen zu generieren, kommen Aspekte wie die Gestaltung einer flexiblen Marketingorganisation, die Qualität der Marketingplanung (McLarty 1998), Veränderungen der Kalkulationsgrundlagen für die Preispolitik, die Überwindung der Marketingimplikationen der „Liability of Adolescence“ (z.B. Kommunikationswirkungen von Organisationsänderungen im Bereich der Kundenschnittstellen), etc. in das Blickfeld. x Entrepreneurial Behavior Auf Basis einer oft impliziten Subsumtion von Small Business Management unter Entrepreneurship (z.B. Morris et al. 2002a, 5) oder auch einer expliziten Gleichsetzung von Entrepreneurship und Gründungsmanagement (z.B. Gruber 2004, 79) kann man versuchen, KMU-Marketing als Marketing in einem „Entrepreneurial Context“ zu fassen, das aber wiederum einen unklaren Deckungsbereich mit dem Objektbereich KMU aufweist (z.B. IKEA, Amazon), da Entrepreneurship nicht auf bestimmte Organisationen beschränkt ist. x Die Dienstleistungsorientierung Eine Analyse der Gutseigenschaften der Leistungen von KMU fördert eine starke Dominanz von Dienstleistungen bzw. eine hohe Bedeutung von Dienstleistungskomponenten auch bei materiellen Gütern zu Tage. Dies korreliert mit der Individualisierung der Leistung, die entsprechende Kundenberatungen, Feststellung von situativen Bedingungen beim Kunden, Planungsarbeiten, oft auch Montage- und Einschulungs- und nachfolgende Serviceleistungen nach sich zieht. x Die Individualisierung im direkten Kundenkontakt Ausgehend vom Gewerbe- und Handwerksbegriff wurde die individualisierte Leistungserstellung im direkten Kundenkontakt als Abgrenzungskriterium gesehen. Da dieses Kriterium ein Charakteristikum der Leistung und der Relation zum Kunden anspricht, können für einen so definierten Objektbereich spezifi-
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sche Marketingaussagen generiert werden. Allerdings deckt sich dieser Bereich nur partiell mit KMU (z.B. individualisierte Investitionsgüter und Mass Customization durch Großbetriebe auf der einen Seite und Mittelbetriebe der Serienund Massenfertigung auf der anderen Seite). x Die räumliche Begrenzung des Aktivitätsradius und die Kundennähe Eine weitere Möglichkeit, einen Objektbereich mit spezifischen Marketingimplikationen zu definieren, ist die Verankerung des Unternehmens am lokalen/regionalen Markt. Dieses Abgrenzungskriterium ermöglicht zwar durchaus die Ableitung von objektbereichsspezifischen Marketingaussagen i. S. eines „lokalen Marketing“, allerdings sind nach diesem Kriterium nicht alle KMU umfasst. x Die Flexibilität und personenbezogene Fertigung als Marketingargument Ein weiterer spezifischer Aspekt für ein KMU-Marketing ergibt sich durch die Nutzung KMU-spezifischer Organisationseigenschaften im Marketing, wenn etwa die Organisation der Kundenschnittstelle auf KMU-spezifische Charakteristika abstellt (z.B. Beratungstermin am Sonntag, etc.) oder wenn in der Kommunikation KMU-bezogene Imageattribute verwendet werden („vom Chef persönlich bedient“, „guter Handwerkstradition verpflichtet“, etc.). Allerdings verwenden auch Großbetriebe solche Imagewerte in vom Kommunikationsadressaten in keiner Weise mehr auf ihre Glaubwürdigkeit hinterfragten Werbeaussagen und der flexible Beratungstermin ist grundsätzlich auch im Großbetrieb realisierbar. Durch Betonung bestimmter Merkmale bzw. Merkmalskombinationen dieser Auflistung entstanden verschiedene Konzeptionen eines KMU-Marketing.
Die Konzeptionen eines KMU-Marketing Das Defizitmodell – Managerial Marketing Die traditionelle Konzeption des KMU-Marketing kann als Defizitmodell bezeichnet werden, da Defizite der KMU im Vergleich zu Großbetrieben durch den verstärkten und adäquat angepassten Einsatz des klassischen Managerial Marketing ausgeglichen werden sollten. Man ging von der Dominanz des Unternehmers und den damit einhergehenden Know-how- und Zeitdefiziten und von der spezifischen Ressourcenlage aus. Daraus resultieren zwei – in der entsprechenden Literatur oft verzahnte – Zielsetzungen eines KMU-Marketing: x Zuerst sah man im KMU Defizite in der Anwendung von Marketing. Man spricht den Unternehmern „negative attitudes to marketing, the perception of marketing as a cost“, und die Meinung zu, ohnehin ihre Kunden und Märkte zu kennen, etc. (d’Amico 1978, 42; Carson 1985b, 45; McDaniel u. Parasuraman 1985: 4; zur Kritik an diesen Befunden s. Meziou 1991). Um diese Situation zu überwinden, müsse Marketing in einer adäquaten Form an den Unternehmer herangebracht werden und daher das allgemeine Marketingwissen vor dem
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Hintergrund der Marketing-Know-how-Defizite entsprechend „übersetzt“ werden (z.B. Schäfer 1992). Das Resultat waren eine Reihe von im Kern lediglich simplifizierten – regelmäßig pragmatisch orientierten – Darstellungen (z.B. Kenny u. Dyson 1989; Sterrett u. Sterrett 1989; Schäfer 1992; Wolf 1994; Herrmann 1998; Patten 1998). x Mit der empirischen Aufarbeitung des Management in KMU wurden spezifische Charakteristika sichtbar, die im Vergleich zu Großbetrieben als Defizite [„constraints“ (Boughton 1983, 36ff; Carson 1985a, 9; Chaston u. Mangles 2002, 7)] bewertet wurden. Vor diesem Hintergrund versuchte man, das allgemeine Marketing an die spezifische Ressourcen- und Bedingungslage des KMU anzupassen (z.B. mangelnde Ressourcen für Marktforschung, intuitives Entscheidungsverhalten, mangelnde Spezialisten, enger räumlicher Aktionsradius, etc.), orientiert sich aber an der Logik des Managerial Marketing (z.B. Mayer 1995, 6, 145). Ein KMU-Marketing muss daher diese Defizite berücksichtigen. Carson (1985b, 42) etwa fragte: „To what extend do the tried and tested methods used with professional managers from lager companies need to be adapted?“ Ein so verstandenes KMU-Marketing beschränkt sich auf die Transformation des allgemeinen Marketing in ein „Low-Cost Marketing“ (Weinrauch et al. 1991), wobei diese Transformationen entweder unter pragmatisch-normativer Orientierung und/oder vor der Hintergrundfolie „Markt- und Kundennähe“ erfolgen und im Objektbereich besonders relevant erscheinende Aspekte, wie z.B. Verkaufsförderung, Reklamation, Zulieferungen oder Kundengespräch betonen (z.B. Borschberg u. Staffelbach 1990; Schwalbe 1993; Katz u. Katz 1997; Maitland 1998; Moi 2002). Nach dem Defizitmodell kann KMU-Marketing auf die Fassung reduziert werden: KMU-Marketing ist allgemeines Marketing unter Vernachlässigung der eher als „sophisticated“ zu bezeichnenden Bereiche und unter Betonung von für manche KMU als besonders relevant erscheinenden Aspekten. Soweit man dieser KMU-Marketingkonzeption folgt, kann auf das gut elaborierte Aussagengebäude des allgemeinen Marketing zurückgegriffen werden. Um das Managerial Marketing auf die Ressourcenlage im KMU zu adaptieren, sind lediglich da oder dort kreative Interpretationen im Sinne eines „Mosquito-Marketing“ bzw. „Guerilla Marketing“ (Levinson 1990; Levinson u. Godin 1996) und „Low-Cost Marketing“ erforderlich, ohne dass aber dadurch die Logik des Managerial Marketing geändert würde. Das Managerial Marketing ist auf den Absatzmarkt fokussiert, kaum funktionalbereichsübergreifend und schwerpunktmäßig operativ orientiert. Einerseits wird es gerade in dieser Ausrichtung der Problemlage bestimmter KMU gerecht. Andererseits erfordert die Situation vieler KMU umfassendere Marketingkonzeptionen: Da geht es um strategische, marktorientierte Unternehmensführung, um unternehmens- und unternehmerbezogene Beziehungen zu vielfältigen Stake-
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holder-Gruppen, um Absatzmärkte und Marketingentscheidungen, die mit anderen Umweltbereichen und metaökonomischen Aspekten interdependent verwoben sind, etc. Aber es sind nicht nur spezifische Konstellationen, die alternative Marketingkonzeptionen erfordern, es sind mitunter auch die Ressourcen des KMU (z.B. die Persönlichkeit des Unternehmers), die ein innovationsorientiertes und veränderungstragendes Marketing ermöglichen und sohin nahe legen. Relationship-Marketing als alternative Konzeption Unter Relationship-Marketing versteht man das Marketing über das Management von individuellen Beziehungen zu (potentiellen) Kunden und von Netzwerken (z.B. Gummesson 1987). Diese Betrachtung hatte drei allgemeine und eine KMUspezifische Wurzel: x Erstens wurde der Kern des Marketing immer weniger in der Gestaltung von Angeboten i.e.S., sondern in der integrativen Gestaltung von Austauschprozessen, die in Austauschbeziehungen eingebettet sind, gesehen (Bagozzi 1975), x zweitens führte die Aufarbeitung des Organizational Buying zur Analyse von langfristigen Zuliefer- und Kooperationsbeziehungen (z.B. Hakansson et al. 1976; Hakansson u. Wootz 1979; Hakansson u. Johanson 1988) x und drittens lenkte die Beschäftigung mit der Kontaktorganisation und mit Koordinationsproblemen im Rahmen des Dienstleistungsmarketing (z.B. Scheuch 1982, 108ff) das Augenmerk auf – teilweise langfristige – Leistungsprozesse (Scheuch 2002, 168f) und deren Beziehungscharakter (Gummesson 1987). x Im KMU-Kontext legten zusätzlich Spezifika wie Kundennähe, Individualisierung der Leistung im direkten Kundenkontakt die Betrachtung von Marketing als die Gestaltung von Austauschbeziehungen nahe (Rößl 1994, 1995). Trotz der oft herausgestrichenen Bedeutung der Austauschbeziehung hat die Marketingforschung „largely neglected the relationship aspect of buyer-seller behavior while tending to study transactions as discrete events“ (Dwyer et al. 1987, 11). In dieser Kundenbeziehung werden unsichere Erwartungen und unsichere Versprechungen gehandhabt, indem einerseits Unsicherheiten verringert werden sollen, und/oder andererseits jenes Vertrauen aufgebaut werden soll, das bestehende Unsicherheiten akzeptabel macht. Nur dann können in dieser Beziehung unsichere Leistungen ausgetauscht werden. Marketing bzw. die „Produktgestaltung“ bezieht sich daher nicht nur auf die Gestaltung der zu erstellenden Leistung, sondern auch auf die Gestaltung der Glaubwürdigkeit von Versprechungen und Erwartungen innerhalb der Kundenbeziehung (Kaas 1992, 43). Relationship-Marketing kommt den Marketingbedingungen von KMU aus mehreren Gründen entgegen (z.B. Rößl 2000b, 2000c): x Aus den idealtypischen Produkteigenschaften von KMU resultieren hohe Unsicherheiten des Kunden:
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individualisierte Leistung = hohe Uniqueness der Leistung hoher Dienstleistungsanteil = hoher Anteil von Credence Qualities (mangelnde a priori Prüfbarkeit der Leistungen) Leistung erstreckt sich nicht selten über einen längeren Zeitraum und hat Kontraktguteigenschaften (Planungen, Vereinbarungen, Durchführungen, Adaptierungen, Service, etc.). Diese Unsicherheiten können durch Eigenschaften des Unternehmens (z.B. neu am Markt, Unternehmensübergabe, laufende Organisationsänderungen im Zuge von Wachstumsprozessen, inkonsistentes Verhalten am Markt, etc.) noch verstärkt werden. In dieser Konstellation bietet der Prinzipal-Agent-Ansatz einen geeigneten Raster zur Analyse des Problems und zur Ableitung von Handlungsempfehlungen. x Gleichzeitig erfolgt die Individualisierung der Leistung oft in direktem Kundenkontakt, womit KMU in einer Beziehung mit dem Kunden stehen. Der Beziehungsaspekt wird unter der Bedingung eines lokal agierenden Unternehmens noch verstärkt, da ein größerer Ausschnitt des Unternehmens/Unternehmers sichtbar ist: So sind z.B. nicht nur die Mitarbeiter im Verkaufsraum, sondern auch die in der Werkstatt (Erscheinungsbild, Auftreten) marketingrelevant. Womit jeder Mitarbeiter als „Teilzeitmarketer“ (Gummesson 1987, 17) gesehen werden muss. Nicht nur das Verhalten des Unternehmens, sondern ebenso das nicht unternehmensbezogene Verhalten des Unternehmers und der mit ihm in Verbindung gebrachten Personen sind marketingrelevant. Der Relationshipansatz folgt in seiner Kombination mit dem Prinzipal-AgentAnsatz als Analyseraster der Logik der gutstheoretischen Betrachtung im Marketing: Eigenschaften des Produktes i.e.S. (z.B. unklarer Erfolg des Tennisunterrichts) und des Unternehmens (z.B. neu am Markt) und der Koordination der Austauschbeziehung (z.B. Platzreservierung über das Internet) ziehen spezifische Unsicherheiten nach sich (z.B. Weiber u. Adler 1995). Marketinghandeln muss daher i.S. des MUT-Ansatzes (Management of Uncertainties and Trust, Rößl 1998, 2000a) diese Unsicherheiten bewältigbar machen, d.h., abbauen und/oder durch Anreize akzeptabel machen und/oder durch Vertrauensaufbau kompensieren. Da KMU häufig zumindest eines, wenn nicht eine Kombination der folgenden Charakteristika aufweisen, zeigt sich die besondere Adäquanz des RelationshipMarketing für ein KMU-Marketing: direkter Kundenkontakt, individualisierte und damit einzigartige Leistung, Kontraktgutcharakteristik, Dienstleitungseigenschaften der Marktleistung, lokaler Aktionsradius. Auch empirisch ist die Relevanz des Relationshipansatzes für KMU belegt: Die Unternehmer meinen, dass Relationship-Management eine für den Mittelstand besonders geeignete Vorgehensweise ist und sprechen diesem Bereich höchste Priorität zu (Belz u. Travella 1999, 13f,
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17). Dennoch liegt kein arteigenes Moment von KMU-Marketing vor. Auch großbetriebliche Produkte sind in Beziehungen eingebettet – soweit es sich um Konsumgüter handelt, sind diese allerdings weniger als persönliche Beziehungen, sondern als Beziehungen zum Marktsegment oder als durch IT gemanagte Beziehungen (eCRM) anzusehen. Entrepreneurial Marketing als alternative Konzeption Schränkt man den Objektbereich eines KMU-Marketing auf solche Prozesse ein, bei denen der Boden für den Markterfolg durch neue Kombinationen von Ressourcen und Handlungen und damit durch die Änderung von „Spielregeln“ am Markt erst geschaffen oder zu schaffen versucht wird, kann ein entrepreneurial Marketing (EM) abgegrenzt werden. Entrepreneurship ist „the process of creating value by bringing together a unique package of resources to exploit an opportunity“ (Stevenson et al. 1989) „it serves as the innovative change agent that moves organizations and society forward“ (Miles u. Arnold 1991, 51 unter Bezugnahme auf McClelland 1976) und ist a priori nicht auf einen bestimmten Organisationstypus begrenzt (Bygrave 1989; Morris u. Kuratko 2001). Diese und ähnliche Formulierungen können Entrepreneurship nicht stringent definieren, sondern beschreiben lediglich die Dimensionen, entlang denen es sich als Kontinuum aufspannt. Entrepreneurial Marketing kann auf zwei Entwicklungen zurückgeführt werden: x Zum einen führten die Entwicklungen zum Entrepreneurship zur Frage des Marketing in einem Entrepreneurial Context, wobei es in diesem Zusammenhang immer wieder zu meist impliziten Verkürzungen des an sich sehr weit gefassten Begriffs Entrepreneurship auf Unternehmungen und dann auf Phasen dynamischer und innovativer Unternehmensentwicklung (Gründung, Wachstum) kommt. x Zum anderen wurde ausgehend von Alderson (1965) die Trennung von Innovation und Marketing überwunden und gefordert, dass Marketing das Produkt und den Kontext, in dem das Unternehmen operiert, laufend hinterfragen und Marktveränderungen nicht nur feststellen, sondern initiieren soll (Zeithaml u. Zeithaml 1984; Simmonds 1986). Morris et al. konzeptualisieren EM als „the proactive identification and exploitation of opportunities“ (2002a, 12; 2002b, 5) durch „innovative, risk-taking“ (2002a, 1) „unplanned, non-linear, visionary marketing actions“ (2002b, 4) und mit Chaston (2000, 7) soll es als ein Marketingverhalten definiert werden, das darauf zielt, „established market conventions during the process of developing new solutions“ aufzubrechen. Entrepreneurial Marketing versteht sich auch als Gegenbewegung gegen die Formalisierung des Marketingprozesses (Chasten u. Mangles 2002, vii), gegen die Fokussierung auf operative Fragen und auf die Bearbeitung von bestehenden anstatt auf die Schaffung von neuen Märkten und gegen das
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Ignorieren von turbulenten Umwelten (Morris et al. 2002b, 2). Entrepreneurial Marketing „has been […] associated with marketing activities in firms which are small“ (Morris et al. 2002b, 4). Marketing für Gründungsunternehmen wird ebenfalls oft dem EM zugerechnet (Morris et al. 2002a, 5) oder EM wird als Marketing von (jungen oder kleinen) Wachstumsunternehmen unter turbulenten Bedingungen (Bjerke u. Hultmann 2002, 16f; Gruber 2004, 80f) definiert. Auch wenn Gründungs- und Wachstumsstrategien häufig mit EM korrelieren, können wir diesen engen Begriffsfassungen nichts abgewinnen: Wenn tatsächlich das Marketing aller Gründungsunternehmen bzw. aller jungen Wachstumsunternehmen als entrepreneurial und gleichzeitig das anderer Unternehmen als nicht entrepreneurial gesehen werden könnte, dann ist die in letzter Zeit versuchte Etablierung des Begriffs überflüssig, dann reichen eben Begriffe wie „Gründungsmarketing“ oder „Wachstumsmarketing“ vollkommen aus. Der Begriff wurde aber gerade eingeführt, um der Heterogenität von Entwicklungsprozessen gerecht zu werden – schließlich zeigen Chell et al. (1991) überzeugend auf, dass nicht alle Kleinbetriebe gleichermaßen auch Entrepreneurial Firms seien, sondern man zwischen dem Small Business Owner und dem Small Business Entrepreneur unterscheiden muss. Die Gleichsetzung von EM mit dem Marketing junger Wachstumsunternehmen ergibt auch deshalb keinen Sinn, da ein bestimmtes Marketingverhalten eines Unternehmens erst durch sein Ergebnis (erzieltes Wachstum) sich als „entrepreneurial“ darstellen würde. Zu Recht wehren sich die Verfechter der engen Abgrenzung aber dagegen, EM als allgemeingültige Marketing-Philosophie darzustellen – wie es z.B. Zeithaml u. Zeithaml (1984) nahe legen –, schließlich zeigen Miles u. Arnold (1991, 58ff) auf, dass „Marketing Orientation“ und „Entrepreneurial Orientation“ zwar korrelieren, dass sie aber nicht die gleiche Unternehmensphilosophie beschreiben. Marketing lässt sich nur unter eher turbulenten Umweltbedingungen als „entrepreneurial“ beschreiben. Mit der hier vertretenen weiten Begriffsbildung wird somit nur die Auffassung formuliert, dass EM einerseits nicht auf alle Gründungs- und Wachstumsunternehmen zutrifft und andererseits nicht auf diese beschränkt ist. Marketingproblemkonstellationen
KMU-Marketing
entrepreneurial Marketing
Wachstumsmarketing
Gründungsmarketing
Abb. 1. Entrepreneurial Marketing als Teilmenge der Marketingkonstellationen
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Entrepreneurial Marketing spielt im KMU-Kontext jedenfalls eine Rolle (z.B. hochgradig innovative Gründungen, Wachstumsunternehmen, etc.), kann aber der Heterogenität der Marketingprobleme von KMU nicht gerecht werden. Die Texte zum EM verbinden klassische Marketingthemen (Positionierung, Segmentierung) mit Innovations- und Gründungsmanagement (z.B. Baier u. Bleschak 1996; Lodish et al. 2001), andere verbinden Marketinggrundlagen mit Netzwerk- und Relationship-Management zu einem EM (Carson et al. 1995), wiederum andere zielen konsequent auf „New Venture Creation“ durch das Identifizieren und Aufbrechen von bestehenden Marktkonventionen und integrieren Dienstleistungsmarketing und Aspekte des organisationalen Lernens und des Intrapreneurship (Chaston 2000). Entrepreneurial Marketing stellt somit (noch) kein sorgfältig ausformuliertes und abgegrenztes Gebiet dar, einheitliche Begriffe und Konzepte fehlen noch. Unseres Erachtens macht es zur Schärfung der Diskussion Sinn, in Ansätze des Entrepreneurial Innovationsmarketing und des Entrepreneurial Relationship-Marketing zu unterscheiden: Entrepreneurial Innovationsmarketing „EM represents a different approach to envisioning the business itself […]. The business is viewed as an ‚innovation factory’ […].“ (Morris et al. 2002a, 12; 2002b, 13) Beim Entrepreneurial Innovationsmarketing geht es darum, wie Innovationsideen generiert und bewertet, neue Problemlösungen am Markt gegenüber unsicheren und skeptischen Kunden platziert und gegenüber Konkurrenten und Imitatoren verteidigt werden können. Aspekte eines solchen Marketing sind damit z.B. x im Sinne des „Expeditionary Marketing“ von Hamel u. Prahalad (1992) potentielle Marktchancen vor den Konkurrenten zu sehen, nicht nur den Kundenwünschen zu folgen, sondern die Kunden zu neuen Lösungen zu führen, wobei es sowohl um Innovationen auf der Produktebene als auch auf der Ebene der Organisation der Kundenschnittstellen geht: „[…] EM seeks […] initiatives that lead the customer, as well as the more conventional marketing emphasis on incremental improvements […] that follow customers.“ (Morris et al. 2002b, 7). x im Sinne eines „Subversive Marketing“ (Bonoma 1986) die Rigidität der Marketingorganisation aufzubrechen, Intrapreneurship zu stimulieren, damit innerorganisationale Regeln gebrochen werden, wenn sie einem „Entrepreneurial Behavior“ entgegenstehen, wenn die routinisierten „[m]arketing practices are out of step with marketplace requirements“ (Bonoma 1986, 113). [Als Beispiel für am offiziellen Budget vorbeilaufende innovative Produktentwicklungen kann die Entwicklung von Chrysler zu Beginn der 90-er Jahre genannt werden (The Economist 1994, 81f)]. x im Sinne eines „Proactive Marketing“ (Zeithaml u. Zeithaml 1984; Chaston 2000) bestehende Marktkonventionen durch die Neudefinition von Ressourcen und durch ihre neue Kombination zu brechen. Die externen Konstellationen
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und die resultierenden Abhängigkeiten werden hier grundsätzlich als „manageable“ betrachtet: Über Maßnahmen zur Reduktion der eigenen Abhängigkeit bzw. Erhöhung der Abhängigkeit des anderen und Kooperationen, etc. werden Beziehungen kalkulierbarer bzw. das Unternehmen weniger verletzbar. Entrepreneurial Relationship-Marketing Den Ansätzen des Entrepreneurial Relationship-Marketing ist der Versuch gemeinsam „Word-of-Mouth-Communication“ zu steuern. Sie bauen auf die exponentielle Diffusion von Kommunikationsinhalten – so wie Viren in einer Population diffundieren. Bei den Kommunikationsadressaten soll schließlich ein konsistentes und – weil von peers kommuniziert – anschlussfähiges und glaubwürdiges Produktimage in einer die Reaktanz reduzierenden Weise ankommen. Es wird versucht, persönliche den Kommunikator stark involvierende laterale Mundzu-Mund-Kommunikation innerhalb der Zielgruppe, die verbal und nonverbal erfolgen kann, zu stimulieren, um so hohes Involvement im Sinne von „conviction, passion, zeal, enthusiasm“ (Morris et al. 2002a, 12) zu generieren. „Viral marketing“ wird dabei regelmäßig mit Kommunikation unter Nutzung von Webpages, e-mail, etc. in Verbindung gebracht. „Buzz marketing“ (Rosen 2000) betont hingegen die Erzeugung von „buzz“ im Sinne von „Aufregung“ auch „Irritation“ am Markt (z.B. Informationen werden nur einer kleinen Gruppe von „Insidern“ gegeben oder ein neues Produkt wird von einer fokalen Person genutzt in der Erwartung, die Aufregung am Markt wird für die notwendige Kommunikationsleistung sorgen). Und „radical marketing“ (Hill u. Rifkin 1999) zielt durch den – eventuell durch eCRM-tools unterstützten – Einsatz von one-to-one customer communications auf das Aufbauen von Communities, sodass die Produkte über diese Communities „Kultstatus“ erhalten (z.B. Harley Davidson ist wohl das inzwischen klassische Beispiel aus der Marketingliteratur). Generell geht es hier darum, dass Netzwerke zur Kommunikation subjektiver Produkteigenschaften identifiziert und/oder generiert und dann instrumentalisiert werden, womit das Produkt seine konkreten Imagewerte aus dieser Kommunikationsleistung von Netzwerken erlangt. Während im managerial Marketing die Kommunikationspolitik (Inhalte als auch Kommunikationswege) wesentlich durch das Unternehmen geprägt wird, werden hier Kommunikationsinhalte an ausgewählten Schnittstellen in die Netzwerke „eingespeist“ und so das Netzwerk „infiziert“. x Damit müssen Imagekomponenten ausgewählt und eine „Aura“ bestimmt werden, die zum einen mit den sonstigen Marketingentscheidungen konsistent sind und die zum anderen geeignet erscheinen, dass Kommunikatoren durch Thematisierung dieser „Aura“ ihre eigene Positionierungs- und Kommunikationsabsichten fördern. x Es müssen Kommunikatoren in Verbindung mit ihren Netzwerken identifiziert und ausgewählt werden, die einigermaßen erwartbar die Botschaften weiter tra-
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gen und weiterentwickeln werden und deren eigene Imageattribute nicht im Widerspruch zur anvisierten „Aura“ stehen. All die genannten Ansätze können aufgrund ihrer starken Fokussierung auf den flexiblen Einsatz von Kommunikationstechniken und vor allem aufgrund ihrer Übertragbarkeit auf Kommunikation am lokalen Markt für den KMU-Bereich relevant sein (Morris et al. 2002a, 9). Sie setzen nämlich voraus, dass Personen einen starken Einfluss aufeinander haben; aufgrund der lokalen Verankerung von Personen sind ihre Social als auch ihre Professional Networks („Buddy Lists“) tendenziell lokal begrenzt.
Resümee Wir haben gesehen, dass aus der Abgrenzung des Objektbereichs Klein- und Mittelbetrieb kein KMU-spezifisches und zugleich allen KMU gemeinsames Marketingproblem abgeleitet werden kann, daher kann es das Marketing für KMU nicht geben. Weder das Defizitmodell noch die alternativen Konzeptionen sind für sich gesehen tragfähige Konzepte für ein umfassendes KMU-Marketing. Die mitunter heftig ausgetragene Diskussion bezüglich der Vorherrschaft der Konzeptionen (Gummesson 1987; Bjerke u. Hultman 2002) übersieht u.E., dass die Begründungen für die jeweilige Konzeption in unterschiedlichen und gleichzeitig unklar kommunizierten Abgrenzungen des Objektbereichs liegen, und kann daher leicht über eine typologische Betrachtung überwunden werden: weit kurz gering
Standardprodukt (vorhandener Markt) innovatives Produkt (Markt wird durch Ändern der Regeln erzeugt)
Nähe zum einzelnen Kunden Zeitdimension Kosten des Wechsels des Austauschpartners
eng lang hoch
Marketing gestaltet Transaktionen
Marketing gestaltet Beziehungen
Managerial (Dienstleistungs-) Marketing
Managerial Relationship-Marketing
Entrepreneurial Marketing Entrepreneurial Entrepreneurial RelationInnovationsmarketing ship-Marketing
Abb. 2. Die Aspekte eines umfassenden KMU-Marketing (adaptiert nach Chaston u. Mangles 2002: 13)
KMU-Marketing stellt sich damit als Aussagengebäude dar, das einerseits das allgemeine Marketing, insbesondere das Dienstleistungsmarketing nutzt und darauf aufbaut, und andererseits jene Aspekte betont, die zwar KMU-spezifisch, aber nicht allen KMU gemeinsam sind (z.B. Kundennähe am lokalen Markt) oder die
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zwar nicht KMU-spezifisch, aber doch in Ausschnitten aus diesem Objektbereich von besonderer Relevanz sind (Entrepreneurial und Relationship-Marketing). Marketing für KMU adressiert daher spezifische Besonderheiten, die jeweils verschiedene, sich partiell mit KMU überlagernde Objektbereiche aufspannen. x Dort, wo es tendenziell um isolierte Transaktionen von bekannten Produkten ohne gravierende Vorleistungen der Austauschpartner oder eines der Partner geht, ist das klassische Marketing adäquat. Wobei die Fragen der Anwendbarkeit und die Frage des Transfers von Marketingwissen getrennt werden müssen: Wenn aus didaktischen Gründen Texte vereinfacht und z.B. die Cluster-Analyse nicht behandelt werden, ist das eine Sache, dass die Cluster-Analyse auch im KMU sinnvoll anwendbar ist (Reutterer 1993), eine andere. x Dort, wo Transaktionen aufgrund ihrer lokalen Begrenztheit und/oder aufgrund von riskanten Vorausleitungen in langfristige Beziehungen eingebettet sind, können das Aussagengebäude des Relationship-Marketing und der PrinzipalAgent-Ansatz als theoretischer Hintergrund genutzt werden. x Dort wo bestehende Marktbedingungen innovativ verändert werden, das innovative Produkt dennoch aber nicht in eine langfristige Beziehung eingebettet sein muss, kann auf ein EM i.S. eines Entrepreneurial Innovationsmarketing zurückgegriffen werden. x Und in Bereichen schließlich, in denen die Veränderung der Regeln und die Schaffung des Marktpotentials gerade in der anderen Art der Nutzung und Stimulierung und Aktivierung von Beziehungen, Netzwerken und Communities besteht, scheinen Ansätze des Entrepreneurial Relationship-Marketing zielführend, wiewohl hier die Defizite in der Forschung mehr als augenfällig sind.
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III. Innovative Methoden und Techniken in den Sektoren
Heuristiken in der Produktpolitik Winfried J. Steiner und Harald Hruschka Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Universität Regensburg
Einführung Der Neuproduktgestaltung kommt in der heutigen Zeit hoher Wettbewerbsintensitäten und immer kürzer werdender Innovationszyklen eine herausragende Bedeutung zu. Die in zahlreichen empirischen Studien zur Ursachenerforschung von Produkterfolgen/-misserfolgen gewonnenen Erkenntnisse belegen dabei, dass die Einbeziehung von Käuferpräferenzen und die Berücksichtigung von Konkurrenzeinflüssen als die wesentlichen Determinanten für eine erfolgversprechende Produktentwicklung anzusehen sind (vgl. z.B. Cooper 1981, Maidique/Zirger 1984, DeBrentani 1989). Die Orientierung an Käuferpräferenzen bildet die Grundlage dafür, dass ein Produkt von den Konsumenten überhaupt als Kaufalternative in Betracht gezogen wird, während die Konkurrenzbedingungen des Produktmarktes den Profitabilitätsgrad eines Produktangebotes determinieren. Daneben spielen natürlich auch Einflussfaktoren, die insbesondere die technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit von Produkten betreffen (z.B. Zeit- und Investitionsanforderungen für Forschung und Entwicklung, Produktions- und Marketingerfahrung, Kosten- und Technologievorteile gegenüber der Konkurrenz) eine wichtige Rolle für den späteren Markterfolg von Produkten (vgl. z.B. Urban/Hauser 1993, Moore/Pessemier 1993). Mit der Entwicklung anerkannter Methoden zur Messung von Käuferpräferenzen wie der Multidimensionalen Skalierung (MDS) und der Conjoint-Analyse hat sich die Marketingforschung auch intensiv der Frage nach der optimalen Gestaltung von Produkten gewidmet. In der einschlägigen Literatur findet sich heute eine Vielzahl von Modell- und Lösungsansätzen für diese Problemstellung (vgl. beispielsweise Albers/Brockhoff 1977, 1979, 1980, Albers 1977, 1979, 1982, 1989, Gavish/Horsky/Srikanth 1983, Sudharshan et al. 1987, 1988, 1995, Choi et al. 1990, 1992, Horsky/Nelson 1992, Gruca/Klemz 2003, Marks/Albers 2001 für Ansätze auf der Basis von MDS-Daten bzw. Zufryden 1977, Green/Krieger 1985, 1987a, 1987b, 1992, 1997, Kohli/Krishnamurti 1987, Dobson/Kalish 1988, 1993, Kohli/Sukumar 1990, Choi/DeSarbo 1993, Gaul/Aust/Baier 1995, Gutsche 1995, Nair/Thakur/Wen 1995, Balakrishnan/Jacob 1996, Chen/Hausman (2000), Steiner/Hruschka 2000, 2002, 2003 für Ansätze auf der Basis von Conjoint-Daten). MDS-basierten Ansätzen ist dabei die Zielsetzung gemeinsam, nach optimalen
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Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
Produktpositionen im Raum der von den Konsumenten subjektiv wahrgenommenen kaufrelevanten Eigenschaftsdimensionen zu suchen. Die Problematik der konkreten Gestaltung von Produkten wird durch Reparametrisierung dieser psychologischen Eigenschaftsdimensionen als Funktion objektiver (physischer) Produkteigenschaften angegangen (vgl. z.B. DeSarbo/Rao 1984, 1986 oder Albers 1989). Im Gegensatz dazu verfolgen Ansätze auf Basis der Conjoint-Analyse unmittelbar das Ziel, optimale Produktprofile (d.h. optimale Ausprägungskombinationen physischer Produkteigenschaften) zu bestimmen. Besondere Sorgfalt sollte dabei der Identifikation der für die Konsumenten kaufrelevanten physischen Produkteigenschaften im Vorfeld der Analysen gewidmet werden. Vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung und Akzeptanz der ConjointAnalyse in der Unternehmenspraxis, die sowohl für den US-amerikanischen als auch den europäischen Markt dokumentiert ist (vgl. z.B. Cattin/Wittink 1982, Wittink/Cattin 1989, Wittink/Vriens/Burhenne 1994 und Baier 1999), soll im Weiteren nicht näher auf MDS-basierte Ansätze eingegangen werden. Insbesondere hat sich die MDS-basierte Forschungsrichtung auch nicht stärker mit der heute für viele Produktmärkte sehr relevanten Frage einer gewinnorientierten Einführung mehrerer Produktvarianten auseinandergesetzt. Bevor nun ausgewählte Lösungsansätze bzw. Heuristiken für eine optimale Produktgestaltung auf der Basis von Conjoint-Daten vorgestellt werden, sollen zunächst die grundlegenden Möglichkeiten zur Spezifikation eines Marktmodells, welches den Kern in entsprechenden Optimierungsansätzen bildet, vorgestellt und diskutiert werden. Mit heuristischen Entscheidungsprozessen in der Produktpolitik hat sich bereits Scheuch (1977) beschäftigt.
Spezifikation des Marktmodells
Modellkomplexität Ziel einer optimalen Gestaltung von Produkten ist die Lösung des Entscheidungsproblems, wie viele Produkte einer bestimmten Produktkategorie mit welchen Ausprägungen der von den Konsumenten als kaufrelevant erachteten physischen Produkteigenschaften von einem Unternehmen am Markt angeboten werden sollen, um ein vorgegebenes Unternehmensziel bestmöglich zu realisieren. Dazu sind zunächst wie bereits einleitend hervorgehoben die Präferenzstrukturen der potentiellen Käufer und die Konkurrenzsituation des relevanten Produktmarktes problemadäquat zu erfassen. Weiterhin ist ein geeignetes Kaufentscheidungsmodell (entweder auf der Ebene einzelner Konsumenten oder auf Segmentebene) zu wählen, um das am Markt beobachtete Kaufverhalten konsistent abbilden zu können. Die Komplexität des Entscheidungsproblems wird außerdem maßgeblich von der Entscheidung des Unternehmens über die Anzahl der neu zu gestaltenden Produk-
Heuristiken in der Produktpolitik
165
te (Produkteinführung) bzw. umzugestaltenden Produkte (Produktmodifikation) sowie von der zugrunde gelegten ökonomischen Zielsetzung (z.B. Marktanteil, Gewinn) determiniert. Bei der Einführung von neuen Produkten kann es sich ferner um eine Erweiterung einer bereits existierenden Produktlinie („Produktdifferenzierung“) oder einen erstmaligen Eintritt eines Unternehmens in einen bereits bestehenden bzw. neuen Produktmarkt („Produktinnovation“) handeln. Mit einer Produktlinienerweiterung wird eine bessere Anpassung des Produktangebotes an heterogene Käuferpräferenzen bei gleichzeitiger Verbesserung des bisherigen Zielerreichungsgrades angestrebt. Modellkomponenten
Präferenzmodellierung Die Ableitung der Präferenzstrukturen der Konsumenten erfolgt im Rahmen von Conjoint-Analysen ausgehend von Befragungs- oder Kaufverhaltensdaten unter Verwendung dekompositioneller Analysemethoden. Dabei werden den Konsumenten zunächst im Rahmen eines Erhebungsdesigns unterschiedliche Eigenschaftsprofile, bestehend jeweils aus einer bestimmten Ausprägungskombination von kaufrelevanten Eigenschaften, zur Beurteilung (Ranking oder Rating) vorgelegt. Die Aufgabe der Probanden kann auch darin bestehen, aus wechselnden Sets von Eigenschaftsprofilen (Choice-Sets) jeweils den am meisten präferierten Stimulus auszuwählen. Anschließend werden aus den erhobenen Gesamtnutzenbzw. Wahlurteilen i.d.R. mittels regressionsanalytischer Methoden intervallskalierte Teilnutzenwerte („Teilpräferenzwerte“) für die Ausprägungen der kaufrelevanten Eigenschaften geschätzt. Individuelle bzw. segmentspezifische Gesamtnutzenwerte der Konsumenten für ein bestimmtes Produkt(profil) lassen sich dann als Funktion der geschätzten Teilnutzenwerte für die konkreten Eigenschaftsausprägungen dieses Produktes ermitteln1. Dabei wird in der Praxis sowie in bisher entwickelten Modell- und Lösungsansätzen zur optimalen Produktgestaltung vornehmlich von einem additiven Teilnutzenwertmodell, das Unabhängigkeit und Diskretheit der einbezogenen Produkteigenschaften voraussetzt, ausgegangen:
Vij
¦ ¦O
ikl
x jkl
(1)
lL k K k
I : Menge der Segmente bzw. Abnehmer ( i 1,..., I ); 1
Auf eine detailliertere Betrachtung der Conjoint-Analyse soll an dieser Stelle verzichtet werden. Zu Grundlagen und methodischen Weiterentwicklungen der Conjoint-Analyse vgl. beispielsweise Green/Srinivasan (1978, 1990), Baier (1999) oder Steiner/Baumgartner (2004).
166
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
J J 1
: :
K
:
: L k
Vij : O ikl : x jkl :
Menge der bisher existierenden Produkte ( j 1,..., J ); Menge der bisher existierenden Produktvarianten ( j 1,..., J 1 ) des betrachteten, eine Neuprodukteinführung planenden Anbieters, Jˆ1 Jˆ ; Menge der kaufrelevanten, physischen Produkteigenschaften ( k 1,..., K ) bzw. ( k 1,..., K 1 ) bei Berücksichtigung des Preises als (K+1)-ter Eigenschaft; Menge der potenziell realisierbaren Eigenschaftsausprägungen der k-ten Produkteigenschaft ( l 1,..., L k ) ; (deterministische) Nutzenbewertung eines Konsumenten im i-ten Segment (des i-ten Konsumenten) für das j-te Produkt; Teilnutzenwert des i-ten Segments (Konsumenten) für die l-te Eigenschaftsausprägung von Produkteigenschaft k, O ikl ( k 1,..., K ) , O i ( K 1)l 0 ; Binärvariable mit x jkl 1 , falls das j-te Produkt die l-te Eigenschaftsausprägung von Produkteigenschaft k besitzt, und x jkl 0 sonst.
Ausgangspunkt von Optimierungsrechnungen für eine möglichst effiziente Produktgestaltung bilden somit als Ergebnis einer Conjoint-Analyse vorliegende Teilnutzenwerte O ikl einer repräsentativen Menge von Konsumenten ( i I ) für ) annahmegemäß unpotenziell realisierbare Eigenschaftsausprägungen ( l L k abhängiger kaufrelevanter Produkteigenschaften ( k K ) . Kaufverhaltensmodellierung Die Modellierung realen Produktwahlverhaltens von Konsumenten erfordert neben der Zugrundelegung eines geeigneten Präferenzmodells auch die Spezifikation eines Wahlmodells, das den Zusammenhang zwischen Präferenzen und definitiven Kaufentscheidungen konsistent abzubilden vermag. Dabei lassen sich grundsätzlich deterministische und probabilistische Wahlmodelle unterscheiden. In deterministischen Kaufverhaltensmodellen wird davon ausgegangen, dass ein Konsument das am stärksten präferierte Produkt mit Sicherheit kauft. Um einen Konsumenten i zu einem Wechsel auf ein neues Produkt bewegen zu können, muss folglich der Nutzen Vi ( neu ) der neuen Produktalternative höher als der sog. Status-Quo-Nutzen Vi0 seines bisher bevorzugten Produktes sein: Vi ( neu ) ! Vi 0
max Vij
(2)
jJˆ
Für viele Produktkategorien und individuelle Kaufsituationen wird diese sog. First-Choice-Regel jedoch eine zu strenge Kaufverhaltensannahme darstellen. Grund dafür sind vom Analytiker häufig nicht oder nur schwer beobachtbare bzw. kontrollierbare Einflussfaktoren des Kaufverhaltens (z.B. situative Einflüsse, zwischenzeitliche Präferenzänderungen, fehlende Berücksichtigung kaufrelevanter
Heuristiken in der Produktpolitik
167
Eigenschaften im Modell, Messfehler), die einen sicheren Schluss von Käuferpräferenzen auf tatsächliche Kaufentscheidungen nicht zulassen. Für Produkte mit überdurchschnittlichen (unterdurchschnittlichen) Nutzenbewertungen kann eine Vernachlässigung solcher stochastischen Einflüsse dann auf aggregierter Marktebene zu einer Überschätzung (Unterschätzung) des erzielbaren Marktanteils führen. Unabhängig von der betrachteten Produktkategorie und Kaufsituation ist bei einer segmentspezifischen Modellierung des Kaufverhaltens infolge des unvermeidlich entstehenden Informationsverlustes bei einer aggregierten Betrachtung eine rein deterministische Modellierung grundsätzlich problematisch (vgl. z.B. Sudharshan et al. 1988). Eine wesentlich flexiblere Anpassung an reales Kaufverhalten ermöglichen probabilistische Wahlmodelle, die mit Kaufwahrscheinlichkeiten arbeiten. In Verbindung mit der optimalen Produktgestaltung haben sich dabei mit dem verallgemeinerten Bradley-Terry-Luce-Modell (BTL) und dem konditionalen multinomialen Logit-Modell (MNL) zwei Modellierungsvarianten etabliert. Im verallgemeinerten BTL-Modell ergibt sich die Kaufwahrscheinlichkeit Pij eines Konsumenten i (bzw. eines Konsumenten im Segment i) für ein Produkt j als Funktion seiner annahmegemäß konstanten deterministischen Nutzenbewertungen ( Vi1 ,..., Vij ,..., ViJ ) bezüglich der als Kaufalternativen in Betracht gezogenen Produkte (Green/Krieger 1992, Gaul et al. 1995):
Pij
VijD
(3)
J
¦V
D im
m 1
Basierend auf vorab geschätzten Teilnutzenwerten ermöglicht dieses Wahlmodell, das intrinsisch probabilistisches Kaufentscheidungsverhalten unterstellt, durch Feineinstellung des Parameters D (D t 0) eine Modellkalibrierung auf reale Marktanteilsdaten (vgl. z.B. Brockhoff 1999). Für D o f lässt sich dabei auch die First-Choice-Regel annähern. Im Gegensatz zum verallgemeinerten BTL-Modell wird beim konditionalen Logit-Modell (MNL) wieder von deterministischem Entscheidungsverhalten der Konsumenten ausgegangen. Durch die zusätzliche Berücksichtigung einer stochastischen Nutzenkomponente wird jedoch der Tatsache Rechnung getragen, dass gegebenenfalls nicht alle Einflussfaktoren des Kaufverhaltens im Modell erfassbar sind. Das konditionale Logit-Modell lässt sich unter der Annahme identisch und unabhängig extremwertverteilter Fehlergrößen herleiten und führt zu folgendem Ausdruck für die Kaufwahrscheinlichkeit Pij (McFadden 1974, Hruschka 1996):
168
Pij
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
e
PVij
(4)
J
¦e
PVim
m 1
Ähnlich wie beim verallgemeinerten BTL-Modell kann hier ausgehend von vorliegenden Teilnutzenwerten die Modellkalibrierung auf reale Marktanteilsdaten durch nachträgliche Feinjustierung des Skalierungsparameters P ( P ! 0) erfolgen (vgl. z.B. Choi/DeSarbo/Harker 1990). Daneben kommt das konditionale MNL-Modell insbesondere im Rahmen der wahlbasierten Conjoint-Analyse zum Einsatz. Die Teilnutzenwerte lassen sich dann aus den Wahlentscheidungen des Befragungsexperiments ableiten, wodurch sich ein unmittelbarer und theoretisch fundierter Zusammenhang zwischen Produktnutzen und Kaufwahrscheinlichkeiten herstellen lässt (vgl. z.B. Louviere/Woodworth 1983, Batsell/Louviere 1991). Schließlich lässt sich auch mit dem konditionalen MNL-Modell für P o f die First-Choice-Regel approximieren. Die beiden probabilistischen Kaufverhaltensmodelle (3) und (4) eignen sich in der dargestellten Form insbesondere für eine segmentspezifische Modellierung des Kaufverhaltens, da jeweils alle am Markt verfügbaren Produktalternativen in die Berechnung der Kaufwahrscheinlichkeiten einfließen. Bei individueller Modellierung empfiehlt sich eine differenziertere Betrachtung des Wahlverhaltens einzelner Konsumenten durch die Bezugnahme auf individuelle Choice Sets. Unternehmensbezogene Entscheidungsgrößen
Ökonomische Zielsetzungen Für erwerbswirtschaftliche Unternehmen wird in der Regel die Gewinnerzielung das wichtigste ökonomische Kriterium zur Bewertung von Produktentscheidungen sein. Bei dieser Zielsetzung stellt sich für einen betreffenden Anbieter die Aufgabe, unter Berücksichtigung der Käuferpräferenzen, der aktuellen Konkurrenzsituation sowie von Kostenaspekten jenes Produktprofil bzw. jene Zusammensetzung der Produktlinie zu finden, die den Gesamtgewinn maximiert. Die Lösungskomplexität dieses Optimierungsproblems wird vom klassischen Zielkonflikt zwischen Gewinnorientierung auf Anbieterseite und Nutzenorientierung auf Konsumentenseite determiniert. Besonders ausgeprägt ist dieser Zielkonflikt dann, wenn die für einen Anbieter potenziell profitabelsten Produkte gleichzeitig von den Konsumenten am geringsten präferiert werden. Eine besondere Rolle im Optimierungsprozess kommt deshalb auch dem Preis zu, der einerseits die Profitabilität von Produkten beeinflusst (höherer Preis führt zu höherem Stückdeckungsbeitrag), andererseits aber auch in die Präferenzbildung der Konsumenten einfließt (höherer Preis bewirkt geringere Präferenz und niedrigeren Marktanteil). Der Zielkonflikt kann aber ebenso die Kostenseite betreffen, wenn die Realisation der vom Kon-
Heuristiken in der Produktpolitik
169
sumenten höher präferierten Produkteigenschaften auch mit höheren Kosten für das Unternehmen verbunden ist. Diese jeweils gegenläufigen Tendenzen von Preis- und Kosteneffekten begünstigen das Auftreten lokaler Optima und erfordern die Entwicklung robuster Lösungsverfahren, die sich unabhängig vom Ausmaß des Zielkonfliktes möglichst selten „irreführen“ lassen. Die in Abschnitt 4 vorzustellenden Heuristiken besitzen diese Eigenschaft und ermöglichen eine gute Lösung des Gewinnansatzes. Optimierungsmodelle und Lösungsansätze zur gewinnorientierten Produktgestaltung auf Basis von Conjoint-Daten haben beispielsweise Green/Krieger (1985, 1992), Dobson/Kalish (1988, 1993), Kohli/Sukumar (1990), Gaul et al. (1995), Gutsche (1995), Nair et al. (1995) und Steiner/Hruschka (2002) vorgestellt. Freilich sind auch Situationen denkbar, in denen Marktanteilsziele von Interesse sein können. So kann beispielsweise ein Unternehmen im Rahmen einer Penetrationsstrategie auf ein schnelles Absatzwachstum abzielen. Entsprechende Ansätze zur absatzmaximalen bzw. auch umsatzmaximalen2 Produktgestaltung finden sich ebenfalls in der einschlägigen Literatur (vgl. z.B. Zufryden 1977, Kohli/Krishnamurti 1987, Gutsche 1995, Nair et al. 1995, Balakrishnan/Jacob 1996). Längerfristig ist eine primäre Orientierung an Marktanteilen jedoch umso weniger ratsam, je stärker sich der Trade-off zwischen Produktgewinnen und Produktpräferenzen auswirkt, d.h. je weniger Marktanteils- und Gewinnziele harmonieren. Für eine gewinnorientierte Produktgestaltung sind damit auch entscheidungsrelevante Kosten in die Modellierung zu integrieren (vgl. z.B. auch Bauer et al. 1996). Eine modellgerechte Kostenerfassung bedeutet im vorliegenden Fall eine Aufschlüsselung relevanter Kosten auf einzelne Ausprägungsgrade physischer Produkteigenschaften, was insbesondere bei einer notwendigen Operationalisierung fixer Markteinführungskosten aufgrund des pauschalen Charakters von Fixkosten mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein kann3. In diesem Fall wird vorgeschlagen, die gesuchten Teilfixkostenparameter ausgehend von Expertenurteilen bezüglich der jeweils gesamten Markteinführungskosten für ausgewählte Produktkonzepte dekompositionell zu schätzen (vgl. z.B. Albers 1989, Gaul et al. 1995). Diese Vorgehensweise kann prinzipiell auch zur Aufschlüsselung variabler Produktionskosten auf einzelne Eigenschaftsausprägungen heran2
3
Wird wie bisher in Ansätzen zur optimalen Neuproduktgestaltung üblich von einem fixen Marktvolumen ausgegangen, so sind Absatzmaximierung (Umsatzmaximierung) und mengenmäßige (wertmäßige) Marktanteilsmaximierung identisch. Im Zusammenhang mit Ansätzen zur optimalen Produktpositionierung haben Marks/Albers (2001) allerdings einen Ansatz vorgestellt, bei dem das Marktvolumen in Abhängigkeit vom Produktnutzen und dem eingesetzten Marketingbudget der Branche variieren kann. Fixe Markteinführungskosten beinhalten alle für die Produktentwicklung und Einführungskampagne anfallenden Ausgaben. Markteinführungskosten sind dann explizit in die Optimierung einzubeziehen, wenn beispielsweise für unterschiedliche Produktvarianten mit unterschiedlich hohen Produktentwicklungskosten zu rechnen ist (vgl. z.B. Albers 1989).
170
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
gezogen werden, falls entsprechende Kostendaten nicht unmittelbar verfügbar sind. Die Operationalisierung von Kosten für ein Produkt j erfolgt in Modellen zur optimalen Produktgestaltung in der Regel ebenfalls über linear-additive Funktionen, d.h. bezüglich der variablen Kosten über einen linear-additiven Teilstückkostenansatz (vgl. z.B. Green/Krieger 1992, Gutsche 1995) K
c (var) j
Lk
¦¦ c
(var) ( j) kl
x jkl
(5)
k 1 l 1
sowie bezüglich der designabhängigen fixen Markteinführungskosten über einen linear-additiven Teilfixkostenansatz (vgl. z.B. Gaul et al. 1995, Steiner/Hruschka 2002) K
c
( fix ) j
Lk
¦¦ c
( fix ) ( j) kl
x jkl .
(6)
k 1 l 1
Für Optimierungsrechnungen ist eine vollständige Parametrisierung dieser Kostenfunktionen vorauszusetzen. Ein- und Mehrproduktentscheidungen Eine weitere anbieterspezifische Entscheidungsgröße betrifft die Anzahl der Produkte, für die ein optimales Produktdesign zu ermitteln ist. Von Einproduktentscheidungen kann gesprochen werden, wenn es sich um einen erstmaligen Markteintritt eines Unternehmens mit einem neuen Produkt oder die Erweiterung einer bereits bestehenden Produktlinie eines Anbieters um eine neue Produktvariante handelt. Die sukzessive Einführung jeweils einer neuen Produktvariante eines Anbieters zu gegebenen Zeitpunkten unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Konkurrenzsituation sowie der bereits etablierten Produkte der eigenen Produktlinie wird auch als sequentielle Produktlinienerweiterung bezeichnet. Entsprechend beziehen sich Mehrproduktentscheidungen auf die simultane Einführung mehrerer Neuproduktvarianten. Beim erstmaligen Markteintritt eines Anbieters spricht man dann auch von einer simultanen Produktlinieneinführung, bezogen auf einen bereits etablierten Anbieter von einer simultanen Produktlinienerweiterung4. Im Falle einer Produktlinienerweiterung sind zur Berücksichtigung von Kannibalisierungseffekten grundsätzlich alle Produkte der Produktlinie, d.h. auch die bereits etablierten Produktvarianten, in die Optimierungsrechnungen einzubeziehen. 4
Die Modifikation eines Produktes lässt sich modelltechnisch in die Elimination des betreffenden Produktdesigns und die Einführung eines neuen Produktdesigns zerlegen und folglich unter den Begriff der Produkteinführung subsumieren.
Heuristiken in der Produktpolitik
171
Optimierungsprobleme Durch die diskrete Natur der Produkteigenschaften in Conjoint-Modellen führt nun die Suche nach optimalen Produkten unabhängig von der konkreten Spezifikation des Marktmodells zu kombinatorischen Optimierungsproblemen. Für Einprodukt-Entscheidungen wird der Lösungsraum in Abhängigkeit von der jeweiliˆ k ) einer kaufrelevanten gen Anzahl Lk der realisierbaren Ausprägungen (l L ˆ ) durch die auf dem kartesischen Produkt Eigenschaft k ( k K
L
k
(7)
k K
definierte endliche Menge potenzieller Neuproduktdesigns festgelegt. Das optimale Produktdesign lässt sich demnach grundsätzlich durch vollständige Enumeration aller möglichen Ausprägungskombinationen ermitteln. Für Problemstellungen mit einer großen Anzahl kaufrelevanter Produkteigenschaften und Eigenschaftsausprägungen (z.B. 10 Eigenschaften à 5 Ausprägungen, 10 L 9.765.625 möglik 1 k che Produktprofile) kann eine exakte Lösung trotz der jüngsten Leistungssprünge im Hardware-Bereich allerdings noch immer zu rechenaufwendig und damit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ineffizient sein. Dies gilt natürlich erst recht für Mehrprodukt-Entscheidungen, für welche die Anzahl aller theoretisch möglichen Kombinationen von Produktdesigns in Abhängigkeit von der Anzahl R einzuführender Produktvarianten aus
§ Lk · ¨ kK ¸ ¸ ¨ © R ¹
(8)
resultiert und mit zunehmendem R exponentiell steigt. Zahlreiche Forscher(gruppen) haben sich daher mit der Entwicklung geeigneter heuristischer Lösungsmethoden befasst. Auch die leistungsstärksten Heuristiken können das Auffinden der global optimalen Lösung dann zwar nicht garantieren (vgl. dazu auch Scheuch 1996), ermöglichen aber meist gute Näherungslösungen bei Rechenzeiten im Sekundenbereich. So berichten Kaul/Rao (1995) von um bis zu einem Faktor 200 kürzeren Rechenzeiten für Heuristiken bereits bei EinproduktEntscheidungen verglichen mit exakten Lösungsverfahren. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen zur Spezifikation des Marktmodells lassen sich nun unterschiedliche Optimierungsprobleme in Abhängigkeit davon formulieren, ob x die First-Choice-Regel oder ein probabilistischer Ansatz zur Modellierung des Kaufverhaltens gewählt wird, x als ökonomische Zielsetzung die Maximierung des Marktanteils oder Gewinns verfolgt wird,
172
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
x eine Ein- oder Mehrproduktentscheidung betrachtet wird. Tabelle 1 zeigt, dass die einschlägige Literatur für jede denkbare Problemstellung bereits mindestens einen entsprechenden Modell- und Lösungsvorschlag hervorgebracht hat. Tabelle 1: Optimierungsmodelle zur Produktgestaltung auf Basis von Conjoint-Daten
Einprodukt-Entscheidung Deterministisches Wahlmodell (First Choice)
Probabilistisches Wahlmodell (BTL, MNL)
Zufryden (1977)* Kohli/Krishnamurti (1987)* Balakrishnan/Jacob (1996)
Green/Krieger (1990, 1992) Gutsche (1995)
Mehrprodukt-Entscheidung Deterministisches Wahlmodell (First Choice)
Probabilistisches Wahlmodell (BTL, MNL)
Green/Krieger (1985, 1987a, 1987b) McBride/Zufryden (1988) Dobson/Kalish (1988, 1993) Kohli/Sukumar (1990) Nair et al. (1995)
Gaul et al. (1995) Gutsche (1995) Steiner/Hruschka (2002, 2003)
* Ohne grundlegende Modifikationen ausschließlich zur Marktanteilsmaximierung geeignet. Zunächst fällt auf, dass sich die Forschungsbemühungen im Hinblick auf die Kaufverhaltensmodellierung noch bis in die 1990er Jahre hinein sehr stark auf die First-Choice-Regel konzentriert haben. Die Ausführungen in Abschnitt 2 haben jedoch deutlich gemacht, dass eine probabilistische Wahlmodellierung wesentlich flexibler ist und aufgrund der quasi impliziten Berücksichtigung der First-ChoiceRegel grundsätzlich vorteilhaft erscheint. Entsprechend „unbeweglich“ im Hinblick auf eine probabilistische Kaufverhaltensmodellierung sind auch viele der Lösungsheuristiken, die speziell für First-Choice-Ansätze entwickelt wurden. Ausnahmen hiervon bilden allerdings der genetische Algorithmus von Balakrishnan/Jacob (1996) und die Greedy-Heuristik von Green/Krieger (1985). Weiterhin ist festzuhalten, dass alle für probabilistische Optimierungsprobleme vorgeschlagenen Heuristiken ohne (größere) Modifikationen sowohl zur Gewinn- als auch
Heuristiken in der Produktpolitik
173
Marktanteilsmaximierung bzw. darüber hinaus auch zur Optimierung unter jeder anderen beliebigen ökonomischen Zielgröße geeignet sind. Im Folgenden sollen nun jene Heuristiken vorgestellt werden, die unabhängig von Kaufverhaltensmodell und ökonomischer Zielgröße gewissermaßen universell einsetzbar sind und damit eine hohe Flexibilität im Hinblick auf eine optimale Produktgestaltung ermöglichen, ohne gleichzeitig gegenüber spezielleren Heuristiken an Leistungsstärke einzubüßen. Dabei lassen sich die für MehrproduktEntscheidungen einsetzbaren Heuristiken danach klassifizieren, x ob die gesuchten Produktprofile für die einzuführenden Neuproduktvarianten sowie deren Zusammensetzung in der Produktlinie in einem Schritt auf Grundlage von Teilnutzenwerten (und Teilkosten bzw. Teildeckungsbeiträgen) konstruiert werden oder x ob eine möglichst optimale Kombination von Neuproduktvarianten ausgehend von einer Referenzmenge bereits vollständig spezifizierter Produktkandidaten und damit auf der Basis von Gesamtnutzenbewertungen (und Stückdeckungsbeiträgen) bestimmt wird. Im letzteren Fall kann die Referenzmenge je nach Problemgröße entweder alle kK L k potenziell realisierbaren Produktdesigns umfassen oder sich auf eine kleinere Menge in die engere Auswahl gezogener Neuproduktprofile beziehen. Mit der Problemstellung der Vorselektion geeigneter Produktkandidaten haben sich Green/Krieger (1987a, 1987b) beschäftigt.
Ausgewählte Heuristiken zur optimalen Produktgestaltung
Die Divide-et-Impera-Heuristik für Einprodukt-Entscheidungen Für ihr Decision-Support-System SIMOPT (SIMulation and OPTimization) haben Green/Krieger (1990, 1992) neben einer vollständigen Enumeration für kleinere Problemlösungsräume folgende Divide-et-Impera-Heuristik als Lösungsverfahren zur Suche nach einem (gewinn)optimalen Neuproduktdesign entwickelt: 1. Verteile die (K+1) kaufrelevanten Produkteigenschaften auf H (disjunkte) Klassen. 2. Berechne für alle L ¦ kKˆ Lk Eigenschaftsausprägungen durchschnittliche (0) (0) Teilnutzenwerte Okl( ) 1/ I ¦ iIˆ Oikl und wähle als Startlösung ( l1 ,...., l K 1 ) für jede Eigenschaft die Ausprägung mit dem höchsten durchschnittlichen Teilnutzenwert. 3. Für iter 1,2,....
174
(a)
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
für h
1,...., H
ermittle durch vollständige Enumeration für die in der h-ten Gruppe befindlichen Produkteigenschaften die zielfunktionsmaximale (Teil)Ausprägungskombination bei gegenüber der letzten Iteration unveränderten Eigenschaftsausprägungen in den übrigen Gruppen; (b)
( iter )
( iter )
( iter 1)
( iter 1)
falls sich mit f ( l1 ,....,l K 1 ) f ( l1 ,....,l K 1 ) der Zielfunktionswert gegenüber der letzten Iteration nicht mehr verbessert hat, ende ( iter ) ( iter ) mit ( l1 ,....,l K 1 ) als heuristischer Lösung ( l1*,...., l K* 1 ) des Entscheidungsproblems.
Für die Divide-et-Impera-Heuristik ist festzuhalten, dass bei gegebener Anzahl kaufrelevanter Produkteigenschaften eine feinere Klassenstruktur zwar kürzere Rechenzeiten ermöglicht, gleichzeitig dann aber auch das Risiko für das Auffinden nur suboptimaler Lösungen steigt. Nachteilig auf das Approximationsverhalten der Heuristik wirkt sich außerdem das Vorliegen starker Interaktionseffekte zwischen Produkteigenschaften unterschiedlicher Gruppen aus. Bei der Klassenbildung sollte deshalb eine minimale Zwischengruppenkorrelation von Teilnutzenwerten angestrebt werden. Greedy-Heuristiken für Mehrprodukt-Entscheidungen Als Lösungsverfahren für eine (gewinn)optimale Produktliniengestaltung adaptieren ebenfalls Green/Krieger (1985) folgende, zuvor bereits im Zusammenhang mit Fragestellungen der optimalen Standortplanung erprobte und bewährte GREEDYHEURISTIK: 1. Lege die Anzahl R simultan einzuführender Neuproduktvarianten fest. Beginne
. mit der Leermenge R den bezüglich der Zielfunktion optimalen 2. Wähle aus der Referenzmenge Z Neuproduktkandidaten z1* als erstes Produkt für die Produktlinie aus. (nerweiterung) und damit als erstes Produkt für R 3. Selektiere für r 2, 3,... schrittweise jeweils eine weitere Neuproduktvariante , bis die gewünschte Produktlinienbreite R (bzw. J R im Falle eiz r* in R 1 ner simultanen Produktlinienerweiterung) erreicht wird oder durch die zusätzliche Aufnahme eines weiteren Neuproduktkandidaten in die Produktlinie der Zielfunktionswert nicht verbessert wird. Bestimme dazu in jeder Iteration r un \R mit z * jenes Proter den noch verbleibenden Neuproduktkandidaten Z r duktprofil, das bei zusätzlicher Aufnahme in die Produktlinie einen maximalen Zuwachs des Zielfunktionswertes verspricht.
Heuristiken in der Produktpolitik
175
Die Gefahr des Auffindens nur suboptimaler Lösungen mit der GreedyHeuristik hängt vom Ausmaß des erläuterten Zielkonfliktes zwischen Gewinnorientierung auf Anbieterseite und Nutzenorientierung auf Konsumentenseite ab und ist umso höher, je weniger die für einen Anbieter profitableren Produkte von den Konsumenten präferiert werden. Zur Verbesserung der mit der Greedy-Heuristik ermittelten Lösung schlagen Green/Krieger deshalb vor, mit der sog. GreedyInterchange-Heuristik noch ein Austauschverfahren anzuschließen. Ausgehend von der Greedy-Lösung wird dabei versucht, durch den sequentiellen Austausch einzelner in der Lösungsmenge befindlicher Neuproduktvarianten gegen Referenzprodukte außerhalb dieser Lösungsmenge eine bessere Zusammensetzung der Produktlinie(nerweiterung) zu finden. Mit LINEOP (LINE OPtimization) entwickeln Green/Krieger (1987a) auch ein computergestütztes Optimierungssystem, das neben der Greedy-Heuristik noch zwei weitere Heuristiken sowie eine vollständige Enumeration bereitstellt. Gaul et al. (1995) formulieren mit PROLIN ein Optimierungsmodell zur (gewinnorientierten) PRObabilistischen ProduktLINiengestaltung. Basierend auf den Erkenntnissen eines Simulationsvergleichs von 18 alternativen Lösungsverfahren für 480 simulierte Märkte empfehlen die Autoren die Advanced-Greedy-Heuristik, die in folgenden Schritten abläuft: 1. Lege die Anzahl R simultan einzuführender Neuproduktvarianten fest. Beginne
. mit der Leermenge R 2. (a) Wiederhole für r 1,..., R 1 be(a1) Bestimme unter den potenziell realisierbaren, noch nicht in R jener Z Neuproduktkanfindlichen Produktprofilen die Menge Z didaten, die isoliert betrachtet bei Aufnahme in die Produktlinie zu den höchsten Zielfunktionszuwächsen führen würden. jenen Neuproduktkandidaten (a2) Nehme mit z r* aus der Menge Z als r-te Neuproduktvariante in R auf, der unter Berücksichtigung der fiktiven Aufnahme eines weiteren Neuproduktkandidaten z ( z z z r* ) aus der Menge Z („Ergänzungsprodukt“) einen maximalen Anstieg der Zielfunktion ermöglicht ( z r* kann dabei in der Regel mittels vollständiger Enumeration ermittelt werden). (b) Wähle als Neuproduktvariante R das die Aufnahme der ( R 1) -ten Neuproduktvariante in die Produktlinie bedingende Ergänzungsprodukt. 3. Überprüfe für r 1,..., R anhand der Auswahlregel aus 2(a), ob sich durch ei befindlicher Pronen sequentiellen Austausch bereits in der Lösungsmenge R dukte gegen Neuproduktkandidaten z aus Z der Zielerreichungsgrad noch verbessern lässt. Wiederhole diesen Austauschvorgang solange, bis sich der Zielfunktionswert gegenüber der letzten Iteration nicht mehr verändert.
176
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
Eine zunehmende Anzahl Z „bester“ Produkte, die jeweils für die Aufnahme in die Produktlinie in Betracht gezogen werden, wirkt sich positiv auf die Approximationsgüte der Heuristik bei gleichzeitig allerdings steigenden Rechenzeiten aus. Die Advanced-Greedy-Heuristik zeichnet sich gegenüber der „einfachen“ GreedyHeuristik durch ein wesentlich besseres Worst-Case-Verhältnis zwischen heuristischer und optimaler Lösung (2/R gegenüber 1/R für R t 2 ) aus. Genetische Algorithmen für Ein- und Mehrprodukt-Entscheidungen Bereits mehrfach wurde die Leistungsstärke genetischer Algorithmen für Problemstellungen der optimalen Produktgestaltung demonstriert, so beispielsweise von Gutsche (1995) und Balakrishnan/Jacob (1996) für Einprodukt-Entscheidungen sowie von Steiner/Hruschka (2002, 2003) für MehrproduktEntscheidungen. Im Folgenden soll auf den Produktlinien-Fall abgestellt werden, da dieser Einprodukt-Entscheidungen als Spezialfall beinhaltet. Im Gegensatz zu Greedy-Heuristiken, welche die gesuchte Produktlinienlösung schrittweise durch die Aufnahme jeweils eines weiteren Produktes konstruieren, wird hier der Lösungsraum simultan nach der optimalen Kombination von R Produktprofilen durchforstet. Die Entwicklung genetischer Algorithmen geht auf Holland (1975) und die Erkenntnis zurück, dass Lebewesen mit einer höheren Fitness langfristig besser überleben können („Survival of the Fittest“). Für eine umfassende Abhandlung zu Genetischen Algorithmen sei auf Goldberg (1989) verwiesen. Genetische Algorithmen arbeiten mit einer Population sogenannter Strings, mit denen zulässige Lösungspunkte eines Optimierungsproblems in zumeist binär kodierter Form abgebildet werden. Jedem String kann durch Einsetzen der korrespondierenden zulässigen Lösung in die Zielfunktion der betreffenden Optimierungsaufgabe dann auch ein seiner Fitness entsprechender Zielfunktionswert zugeordnet werden. Bezogen auf die vorliegende Problemstellung werden durch die Strings zulässige Kombinationen von Ausprägungen der kaufrelevanten Produkteigenschaften repräsentiert, so dass mit einer Population von G Strings folglich G mögliche Lösungen für die Zusammensetzung der gesuchten Produktlinie(nerweiterung) vorliegen. Jeder String besteht je nach in Betracht gezogener Anzahl R einzuführender Neuproduktvarianten und bei K+1 kaufrelevanten Eigenschaften aus R ( K 1) eigenschaftsspezifischen Stringsegmenten (Substrings), die sich jeweils aus L k binär kodierten Stringpositionen für die L k potenziell realisierbaren Ausprägungen der betreffenden Produkteigenschaft zusammensetzen. Der ( k r ( K 1)) -te Substring wird dann durch genau eine ‘Eins’ für das Vorliegen der jeweiligen Ausprägung der k-ten Produkteigenschaft beim r-ten Neuprodukt an der entsprechenden Stringposition repräsentiert. Ausgehend von einer üblicherweise zufällig generierten Startpopulation von Stringlösungen werden nun durch Anwendung der genetischen Operatoren Reproduktion (Selektion), Crossover und Mutation sukzessive Populationen von Nach-
Heuristiken in der Produktpolitik
177
kommen erzeugt. Die Reproduktion steuert dabei die Umsetzung des Survival-ofthe-Fittest-Prinzips, indem Strings mit höheren Fitnesswerten auch eine höhere Wahrscheinlichkeit erhalten, zur Nachkommenerzeugung in den „Heiratspool“ aufgenommen zu werden. Für die Implementierung des Reproduktions-Operators steht eine Vielzahl von Selektionstechniken zur Verfügung (vgl. z.B. Goldberg 1989, Michalewicz 1996). Ist der Heiratspool angelegt, so wird durch Crossover und Mutation die nächste Generation erzeugt. Dazu werden beim Crossover jeweils zwei der reproduzierten Strings zufällig (ohne Zurücklegen) ausgewählt und mit einer vorab festgelegten Crossover-Wahrscheinlichkeit gekreuzt. Nach zufälliger Fixierung einer oder mehrerer Crossover-Stellen entstehen dann durch den Austausch einander entsprechender Stringabschnitte zwischen den beiden Strings zwei Nachkommen, die ihre „Eltern“ ersetzen. Schließlich werden in der neu erzeugten Nachkommengeneration noch vereinzelt Stringpositionen zufällig verändert. Zweck dieser Mutation ist die Aufrechterhaltung einer gewissen Heterogenität von Stringlösungen in der Population, die zur Durchforstung weiter Teile des zulässigen Lösungsraums notwendig ist und eine vorzeitige Konvergenz des genetischen Algorithmus gegen lokale Optima vermeiden hilft. Zusammenfassend lässt sich die Arbeitsweise genetischer Algorithmen wie folgt darstellen:
1. Erzeuge eine Startpopulation P0 von Stringlösungen und berechne die bezüglich der betreffenden Zielfunktion korrespondierenden Fitnesswerte für die Strings. 2. Für W 0,1,2,... Generationen, wiederhole solange, bis eine spezifizierte Abbruchbedingung erfüllt ist: (a) Erzeuge die nächste Generation PW1 durch Anwendung der genetischen Operatoren Reproduktion, Crossover und Mutation; (b) Berechne Fitnesswerte für die aktuelle Population von Strings; (c) Überprüfe die Abbruchbedingung. Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der genetischen Operatoren und Abbruchbedingungen in den einzelnen Optimierungsansätzen sei auf die entsprechenden Publikationen verwiesen. Steiner/Hruschka (2002) können für ihr Optimierungsmodell PROCON (PROduktliniengestaltung auf Basis der CONjointAnalyse) im Rahmen einer Simulationsstudie mit 324 Testdatensätzen ein im Vergleich zur Greedy-Heuristik von Green/Krieger (1985) besseres Approximationsverhalten des genetischen Algorithmus nachweisen, wenngleich auch der GreedyHeuristik eine hohe Approximationsgüte attestiert werden kann.
Zusammenfassung Nicht zuletzt aufgrund aktueller ökonomischer Rahmenbedingungen erweist sich die Neuproduktgestaltung als bedeutsame Aufgabe der Unternehmensführung. Die Bestimmung der Anzahl der in einer Kategorie angebotenen Produkte und die
178
Winfried J. Steiner und Harald Hruschka
Festlegung von deren physischen Eigenschaften sollen die bestmögliche Realisierung vorgegebener Unternehmensziele gewährleisten. Der Einsatz heuristischer Methoden bei der Neuproduktgestaltung läßt sich durch die extrem hohe Anzahl zulässiger Lösungen (insbesondere bei Mehrproduktentscheidungen) und die damit verbundenen exponentiell steigenden Rechenzeiten rechtfertigen. Auf der Nachfrageseite geht der Beitrag in Übereinstimmung mit dem in Wissenschaft und Praxis dominierenden Ansatz vom additiven Teilnutzenwertmodell aus, auf dem alternativ deterministische oder probabilistische Kaufverhaltensmodelle aufbauen. Auf der Unternehmensseite wird unter den ökonomischen Zielgrößen insbesondere auf den Gewinn abgestellt. Dies impliziert die Relevanz nicht nur von Präferenzeffekten physischer Produkteigenschaften, sondern auch von Kosten, die durch diese Eigenschaften bedingt sind. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf universell einsetzbare Heuristiken ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Kaufverhaltensmodell oder eine bestimmte ökonomische Zielgröße.
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Zur qualitativen Konsumentenforschung Renate Buber Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Problemstellung In endverbrauchernahen Branchen sind die Märkte in Bewegung. Kundenorientierung und Kundennähe gehören zu den wesentlichen Zielen einer marktorientierten Führung eines Unternehmens. Im Verhalten von Konsumenten sind seit Jahren gravierende Veränderungen beobachtbar.1 Allerdings die Dynamik, die diese Entwicklung prägt, kann als neu bezeichnet werden (Szallies 1991); „neue Konsumenten“ (Liebmann 1996, 41) werden unter verschiedenen Etiketten, aber auch mit unterschiedlichen Inhalten diskutiert (zum Beispiel Woopies (Well off Older People), Generation X, TechnoNomaden, Moby/Doby (Mom/Daddy Old Baby Young), Eurokonsumenten, Dinks (Double Income, no Kids), Neue Familie etc.). Wo Smart Shopping das Verhalten der Konsumenten prägt, wo Konsumenten sowohl das Einsparen wie das Verschwenden in ihrem Verhaltensrepertoire haben (hybride und multioptionale Konsumenten) (Detloff 2004, 183), wird es immer schwieriger das Ziel der Kundenbindung zu erreichen. Auch die Verfolgung der Ziele der Marken- und Produkttreue stellt Unternehmen immer wieder vor neue Herausforderungen. Markenkenner schätzen, dass 80 Prozent aller neu eingeführten Produkte spätestens nach einem Jahr wieder aus den Regalen verschwinden (Engeser 2003, 65)2. Offensichtlich wissen Marketing- und Produktmanager trotz ausgeklügelter Tests und wochenlanger Befragungen von Konsumenten offenbar noch immer viel zu wenig darüber, was Konsumenten wirklich wollen, wie sie fühlen, denken und handeln (Engeser 2003, 65-67; Katzensteiner u. Leendertse 2003). Die „neuen“ Konsumenten sind im Marketingprozess nicht passive Empfänger von zum Beispiel Marketingbotschaften, sondern interaktive Mitspieler. Sie versuchen immer mehr die Kontrolle über den Kaufentscheidungsprozess zu bekom1
2
Zu Konsumententrends vgl. Eggert (1999) und zur Entstehung des heutigen „Consumerism“ vgl. etwa Gabriel u. Lang (2002, 7-26). Zum „commitment marketing“ vgl. etwa Hofmeyr u. Rice (2002).
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Renate Buber
men (Evans 2001, 5; Gabriel u. Lang 1995); sie reagieren immer öfter auf Marketingmaßnahmen nicht im erwarteten Sinn. Schneider (2000, 129) spricht sogar von einem Paradigmenwechsel im Konsumverhalten, nämlich jenem vom Massenkunden als passivem Leistungsempfänger zum Kunden als Co-Produzenten eines Gesamtleistungs-Erlebnis-Pakets. Zur Illustration der Herausforderungen, denen sich verbrauchernahe Branchen hinsichtlich des Wandels des Verhaltens von Konsumenten stellen müssen, werden in diesem Beitrag Konsumententypen skizziert. Eine Diskussion der Unterschiede zwischen der positivistischen und der verstehenden Forschungsrichtung in der Konsumentenforschung leitet über zu einer genaueren Befassung mit der qualitativen Konsumentenforschung. Schlussendlich wird der Methodenpluralismus als Herausforderung für die Informationsgewinnung in der Konsumentenforschung diskutiert.
Konsumententypen Die Kundenorientierung gehört zu den primären Zielsetzungen im MarketingManagement. Eine Förderung „rentabler“ Kundengruppen sowie eine längerfristige Kundenbindung wird durch effizientere Ansprache der Kunden hinsichtlich ihrer individuellen Bedarfs- und Interessenlagen angestrebt (Foscht et al. 2000, 25; Reutterer u. Schnedlitz 1999, 1139). Gerade diese Bedarfs- und Interessenlagen unterliegen aber einem permanenten Wandel (Engeser 2003).3 Es ist daher umso wichtiger, über die bisherigen Verhaltensweisen als auch die zukünftigen Verhaltensabsichten der Konsumenten gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen genauestens Bescheid zu wissen, um die Beziehung zu den Konsumenten für die Zukunft zu stabilisieren beziehungsweise auszuweiten (Homburg u. Bruhn 2000, 3-36)4. Hinter dem Wandel des Konsumentenverhaltens steht ein Wandel der Selbstkonzepte (vgl. Schüppenhauer 1997, 135ff., 1998, 14ff.) von einem Konsumenten, dessen Leben von folgenden Motti geprägt ist: „Ich bin, was ich habe“ oder „Ich bin, was ich ausgeben kann“ (konsistentes Verhalten), „Ich bin, wie ich lebe“ oder „Ich bin, wie ich es [das Geld] ausgebe“ (hybrides Verhalten) bis hin zum Motto „Ich lebe, wie ich gerade bin“ oder „In ist, was einen Kick gibt oder ganz einfach 3
4
Gabriel und Lang (1995) sprechen sogar vom „Unmanageable Consumer“. Die zahlreichen „Gesichter“ des Konsumenten (zum Beispiel Aktivist, Rebell, Entdecker) werden mit Hilfe verschiedenster theoretischer Konzepte (Lebensstil, Einstellungen) fokussiert. Vgl. dazu etwa die Typologie des Freizeitkonsumenten von Opaschowski (1991, 116120); er unterscheidet zwischen Normal-, Versorgungs-, Spar-, Anpassungs-, Erlebnis-, Geltungs-, Kultur- und Anspruchskonsument. Oppitz (1991, 146-150) untersucht die Bedeutung von Kindern auf den Lebensstil der Eltern und kommt zu folgender Lebensstiltypologie: familienorientierte Alternative, prestigebewusste Konsumierer, dynamische Weltenbummler, kleinbürgerliche Häuslebauer, Otto-Normalverbraucher.
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anders ist“ (multioptionales Verhalten) (Foscht et al. 2000, 30; Liebmann 1996, 42). Konsistenter Konsument Der konsistente Konsument, „Otto Normalverbraucher“ (Szallies 1991, 52-58), verhält sich zumindest bezüglich einer Produktgruppe einheitlich; es gibt sozusagen „durchgezogene Motive“, die den Konsumenten zum „Regelkonsumenten“ machen (Szallies 1991, 53). Sein Verhalten bleibt über die Zeit relativ stabil (Liebmann 1996, 41f.). Der Konsument ist in einer solchen Situation relativ leicht berechenbar; er wird auch als „transparent und pflegeleicht“, „planbar“ und „zuverlässig“ bezeichnet; es geht ihm zum Teil noch um Selbsterhaltung (Schüppenhauer 1997, 7; 1998, 14 und die dort zitierte Literatur). Hybrider Konsument Die Bedürfnisse der Konsumenten werden differenzierter, ihre Ansprüche steigen, ihre Zufriedenheit sinkt, ihr Kaufverhalten wird „hybrid“ (Schmalen 1994); das heißt, es orientiert sich immer seltener an stabilen, in unterschiedlichen Situationen durchgehaltenen Wertordnungen und Präferenzen. Ein und derselbe Konsument gibt im gleichen Produktfeld einmal viel Geld aus, bei anderen Kaufanlässen fühlt er sich als „Schnäppchen-Jäger“ und kauft äußerst preisbewusst (Liebmann 1996, 43). Das Ziel des Konsumenten ist die Selbstentfaltung, wenn der Lebensstil auch zum Teil hybride ist, so wird aber die Hybridität konsistent gelebt; der Konsument bleibt trotzdem bis zu einem gewissen Grad einschätzbar (Schüppenhauer 1998, 15). Aber es ist auch evident, dass in solchen Situationen die Orientierung an einer begrenzten, hierarchisch mehr oder weniger klar geordneten Anzahl von Motiven immer seltener und entsprechende Modelle des Käuferverhaltens immer weniger aussagekräftig werden“ (Haller 2000, 377f.). Multioptionaler Konsument Der multioptionale Konsument, „Markus Möglich“, hält sich „für alles alle Optionen“ offen (Szallies 1991, 53). „Der Konsument wechselt die Rollen und seine Gruppenzugehörigkeit. Es gibt eigentlich kein festes Prinzip mehr, alles wird unstetig und fließend... Der Konsument wird damit immer unberechenbarer und schafft mehr Unterschiede in seinem Konsumverhalten“ (Liebmann 1996, 44). „Nicht nur, dass er nicht mehr zu steuern ist, viel schlimmer, er dreht den Spieß um und steuert selbst. Der Konsument bestimmt immer stärker das Produkt“ (Stolz 1994, 67, zitiert nach Schüppenhauer 1997, 9). „Dies gilt vor allem für die Konsumpioniere: Die Kids/Jugendlichen, Subkultur-Gruppen oder auch Freizeitanhänger. Es gilt aber auch zunehmend für Konsumenten generell und damit sogar für die Senioren, die sich Orientierung suchend an die Pioniere anlehnen“ (Schüppenhauer 1997, 6).
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Die Ziele der Konsumenten sind Selbstverwirklichung im Sinne einer Selbstinszenierung und auch Selbstentgrenzung, „das heißt, mit zunehmender Optionenfülle werden die Wünsche immer differenzierter, so dass der Konsument immer unzugänglicher für bloße Nutzenargumentationen wird. Preisgünstigkeit, Produktqualität, Distributionsbreite oder auch umfassender Service werden zu basics oder zumindest im Vergleich zur Befriedigung des Anspruchs nach Vielfalt immer weniger relevant“ (Schüppenhauer 1998, 15). „Die Zeiten eines ein für allemal gültigen Wissens über Kunden sind vorbei“ (Liebmann 1996, 48)5. Die Dynamik und der Wandel sowie die Vielfalt des Konsumentenverhaltens stellen sowohl eine inhaltliche wie auch methodische Herausforderung an die Konsumentenforschung dar.
Wissenschaftstheoretische Perspektiven in der Konsumentenforschung Die Begriffe Konsumentenverhalten und Konsumentenforschung wurden Mitte der 60er Jahre eingeführt, als sich die empirische Marketingforschung etablierte und die Erforschung des Konsumentenverhaltens zum vorrangigen Gegenstand der Marketingforschung wurde (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 4)6. „Unter Konsumentenverhalten im engeren Sinne versteht man das beobachtbare ‚äußere’ und das nicht beobachtbare ‚innere’ Verhalten von Menschen beim Kauf und Konsum wirtschaftlicher Güter“7 (Kroeber-Riel 1995, Sp. 1234). Die Konsumentenforschung ist eine angewandte Verhaltenswissenschaft. Als zentrale Ziele der wissenschaftlichen Konsumentenforschung sind das Verstehen und Erklären des Verhaltens von Konsumenten sowie die Ableitung von Handlungsempfehlungen zur Beeinflussung des Konsumentenverhaltens zu sehen (Kroeber-Riel 1995, Sp. 1235). „Dieser Satz birgt jedoch eine Menge Zündstoff in sich, denn erstens wehren sich viele Marketingforscher vehement dagegen, dass sie Sozialtechniken zur Beeinflussung von ‚Verhalten’ entwickeln sollen, zum anderen verbergen sich hinter den Begriffen ‚Erklären’ und ‚Verstehen’ zwei Forschungsparadigmen, die von vielen Forschern durchaus als diametral erlebt werden“ (Gröppel-Klein u. Weinberg 2000, 81). 5
6
7
Liebmann diskutiert auch noch den „paradoxen Konsumenten“, der nach dem Prinzip der Selbstbeschränkung aber auch dem Prinzip der Selbstinszenierung handelt und sich weiter zu entgrenzen versucht (Liebmann 1996, 45). Einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Konsumentenforschung bieten Gröppel-Klein u. Weinberg (2000). Im weiteren Sinne versteht man unter Konsumentenverhalten das Verhalten der Letztverbraucher von materiellen und immateriellen Gütern in einer Gesellschaft, also auch das Verhalten von Wählern, Museumsbesuchern oder Patienten (Kroeber-Riel 1995, Sp. 1234).
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Die Konsumentenforschung hat sich aus der empirischen Marketingforschung entwickelt und war daher anfangs rein positivistisch geprägt. Sie verfolgte das Ziel, Gesetzmäßigkeiten über das Verhalten zu formulieren und zu prüfen sowie an die Praxis weiterzugeben (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 8). Die empirische Konsumentenforschung kann heute als der stärkste Zweig der angewandten Verhaltenswissenschaft bezeichnet werden (Kroeber-Riel u. Weinberg 20003, 5; Behrens 1995). Die positivistische Richtung geht von erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnissen aus. Demnach ist die Forschung darauf ausgerichtet, generalisierbare Aussagen, also Theorien und Hypothesen zu formulieren und diese empirisch zu überprüfen. Diese Aussagen sollen dazu dienen, das Konsumentenverhalten zu erklären und Prognosen über das Verhalten zu erstellen sowie Empfehlungen über die Beeinflussung des Verhaltens abzugeben (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 15). „Immer wiederkehrende Probleme sind dabei die Operationalisierung und Messung theoretischer Begriffe. Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse müssen daher sorgfältigen Reliabilitäts- und Validitätsprüfungen unterzogen werden. Grundsätzlich geht der positivistische Ansatz also davon aus, dass mittels verhaltenswissenschaftlicher Ansätze Problemlösungsstrategien für das Marketing entwickelt werden“ (Gröppel-Klein u. Weinberg 2000, 81f.; vgl. dazu auch KroeberRiel u. Weinberg 2003, 15). Der positivistische Forschungszugang wurde mehrfach kritisiert; zwei der am häufigsten genannten Kritikpunkte8 seien hier angeführt (Gröppel-Klein u. Weinberg 2000, 82): x Blinder Empirismus/Pseudo-Forschung: Mini-Fragestellungen wurden untersucht, ad-hoc Hypothesen aufgestellt, um die gesamte Bandbreite der multivariaten Analysemethoden ausprobieren zu können. x „Critical Incidents“: Die Suche nach Gesetz- und Regelmäßigkeiten im menschlichen Verhalten ist zum Scheitern verurteilt, wenn einmalige Ereignisse im Leben eines Konsumenten erklärt werden sollen, die erheblichen Einfluss auf zukünftige Konsumentscheidungen ausüben können. Einige der Kritikpunkte hat die verstehende Richtung der Konsumforschung aufgegriffen, die sich in den 80er Jahren als Gegenrichtung zum Positivismus entwickelt hat (Gröppel-Klein u. Weinberg 2000, 83). Im angloamerikanischen Sprachraum wird diese Forschungsrichtung auch als „interpretive, naturalistic, qualitative, humanistic“ bezeichnet (Calder u. Tybout 1989, 199). Bei dieser Forschungsrichtung stehen das Verstehen und Interpretieren des Konsumentenverhaltens im Vordergrund. Es werden keine quantifizierbaren und generalisierbaren Erklärungen und keine Sozialtechniken zur Beeinflussung des Verhaltens angestrebt (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 15). Das Verhalten der Konsumenten wird mittels semiotischer und hermeneutischer Verfahren aus einem symbolischen oder re8
Vgl. dazu die Unterschiede zwischen den Fragen von Gutachtern bei der Beurteilung von qualitativen Studien, je nachdem ob die Gutachter wenig oder mehr Erfahrung in qualitativer Methodologie haben (Marshall u. Rossman 1999, 203).
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alen Sinnzusammenhang erschlossen (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 15). Interpretativ orientierte Forscher verwerfen die Idee, dass Konsumenten erforscht werden können wie die physische Welt; anstatt dessen behaupten sie, dass Forscher die Bedeutung von Phänomenen aus der Perspektive der involvierten Konsumenten betrachten müssen (Ozanne u. Hudson 1989, 1). Hirschmann (1987, 205) spricht in diesem Zusammenhang von der Bewegung der Marketingforschung in Richtung „Humanism“ und der „Knowledge-for-Knowledge-Sake“ Norm. Auch die verstehende Konsumentenforschung ist kritischen Stimmen ausgesetzt. Nicht zuletzt könnte auch das rasche Anwachsen der in der Konsumforschung angewandten innovativen interpretativen Methoden9 der Grund für die mangelnde Akzeptanz interpretativer Techniken per se sein. Aber „es ist zu vermuten, dass die kognitive Forschungsperspektive in den nächsten Jahren mehr und mehr durch alternative Ansätze ergänzt wird. Das Suchen nach Alternativen richtet sich auf die Entwicklung von nicht-verbalen Messmethoden und auf Verhaltensmodelle, in denen die sensualen und emotionalen Erfahrungen des Menschen eine Schlüsselrolle spielen“ (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 26; vgl. dazu auch Zaltman 1997).
Qualitative Konsumentenforschung
Abgrenzung10 „Qualitative Forschung ist kein einheitliches, monolithisches Forschungsprogramm, sondern vielmehr ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Methodologien und Forschungspraktiken. Eine feste, allgemeingültige oder verbindliche Bestimmung dessen, was unter qualitativer Forschung zu verstehen ist, existiert nicht“ (Steinke 1999, 15 unter Bezug auf Marshall u. Rossman 1999, 2-4). 9
Nach einer beispielhaften Aufzählung von Shankar und Goulding (2001, 8) gehören dazu etwa “the philosophy and methods of existential-phenomenology, post-structuralism, post-modernism, hermeneutics, introspection, critical theory and literary theory” an. 10 „Der Terminus ‚qualitativ’ ist mit unglücklichen Konnotationen verbunden: So beinhaltet beispielsweise auch die quantitative Forschung qualitative Phasen (u.a. bei der Interpretation der Ergebnisse) und qualitative Forschung ist auch – wenngleich erst in einem späteren Stadium des Forschungsprozesses – quantifizierbar. Quantifizierungen sind in der qualitativen Forschung nicht ausgeschlossen (Soeffner 1989). Bereits umgesetzt wird Quantifizierung qualitativer Forschung in zahlreichen Computerprogrammen zur Auswertung qualitativer Daten (vgl. z. B. Engel & Wuggening 1995)“ (Steinke 1999, 17). Dennoch wird der Begriff „qualitative Forschung“ bzw. „qualitative Methoden“ in diesem Beitrag verwendet, da es sich mittlerweile um einen gängigen Begriff handelt. Zum Einsatz von qualitativer Software vgl. etwa Richards (2004), Buber et al. (2004b), Buber u. Zelger (2000).
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Der Begriff der qualitativen Konsumentenforschung findet sich auch bei Calder und Tybout (1989, 199), die die vielfältigen Labels der Forschungszutritte auf die drei Klassen „interpretive, qualitative, and scientific consumer research“ reduzieren. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihres Zieles und der Art des Wissens, das produziert werden soll. Jedenfalls verfolgen aber alle drei Forschungszutritte das Ziel, das Verhalten der Konsumenten besser zu verstehen (Calder u. Tybout 1989, 199); und zwar im x interpretativen Ansatz hinsichtlich eines Kontextes beziehungsweise bestimmten Wissenssystems und eines Referenzrahmens für dieses Wissen, x qualitativen Ansatz hinsichtlich des „Wie“ Konsumenten ihr eigenes Verhalten interpretieren und ihm Bedeutung geben, x traditionellen, wissenschaftlich empirischen Ansatz hinsichtlich von Theorien, die einer rigorosen empirischen Testung ausgesetzt sind. Interpretation ist in diesem Fall eine Sache der Theorieanwendung und leitet sich vom empirischen Testen der Theorie ab. Es ist offensichtlich, dass der qualitative Forschungszugang auch als eine Version des interpretativen Forschungszuganges gesehen werden kann; Verhalten wird vom Standpunkt des Wissens („Ideas“) des Konsumenten interpretiert. Calder und Tybout (1989, 189) vertreten die Auffassung, dass eine getrennte Betrachtung dieser beiden Forschungszugänge sinnvoll ist: Die Anwendung eines Wissenssystems („System of Ideas“), von denen Konsumenten noch nie gehört haben im Vergleich zum Entdecken des Wissens („Ideas“), das Konsumenten anwenden, sind sehr verschiedene Forschungszutritte. Der qualitative Forschungszugang hat sich inzwischen auch in der deutschsprachigen Konsumforschung etabliert und der Begriff wird hier auch oft umfassend für nicht-positivistische Forschungszutritte verwendet. Steinke (1999, 16ff.) folgend, kann qualitative Konsumforschung charakterisiert werden durch (1) unterschiedliche Forschungsperspektiven - (a) Nachvollzug des subjektiv gemeinten Sinns, (b) Deskription sozialen Handelns und sozialer Milieus, (c) Rekonstruktion deutungs- und handlungsgenerierender Strukturen) -, (2) Theoriebildung mittels induktivistischer Orientierung und Theorieentdeckung per abduktiver Haltung, (3) die Kontextualität von Erhebung und Analyse, (4) die Orientierung am Alltagsgeschehen beziehungsweise am Alltagswissen der Konsumenten, (5) das Prinzip der Offenheit, (6) die Analyse von Fällen, (7) die Gegenstandsangemessenheit der Methoden und (8) die Zirkularität des Vorgehens. Demnach steht im Mittelpunkt der qualitativen Forschungsperspektive der Konsument, seine Sichtweisen, Weltbilder, lebensgeschichtlichen Erfahrungen, Hoffnungen und Handlungsmöglichkeiten. Wenn die Bedeutung von Handlungen (zum Beispiel der Einkauf eines preisgünstigen Produktes bei einem Discounter) beziehungsweise Äußerungen (Antworten auf Fragen in einem narrativen Interview) des Konsumenten verstanden werden soll, muss der soziale, kulturelle, situative, biographische und historische Kontext, in dem diese Handlungen beziehungsweise Äußerungen eingebettet sind und aus dem sie ihre Bedeutung be-
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ziehungsweise ihren Sinn beziehen, in die Untersuchungen einbezogen werden. Dies erfordert, dass der Kontext von Äußerungen nicht nur bei der Erhebung und Dokumentation, sondern auch bei der Auswertung berücksichtigt werden muss.11 Die Orientierung einer Untersuchung am Alltagsgeschehen erfordert, dass ein Konsument etwa hinsichtlich seines Wohlbefindens in einem Einkaufszentrum vor Ort befragt werden sollte (Buber et al. 2004a, 62). Handelt es sich um eine Untersuchung zu geplanten Einkäufen, wäre zu überlegen, ob die Befragung in der Wohnung der Konsumenten stattfinden sollte. Mit der Berücksichtigung des Offenheitsprinzips soll abgesichert werden, dass die alltäglichen Relevanzsetzungen und Bedeutungszuschreibungen der Konsumenten in Erfahrung gebracht werden und im Verlauf der Untersuchung nicht vorschnell unter bekanntes Wissen subsummiert werden. Darüber hinaus werden im vorhinein die Forschungsschritte nicht exakt definiert; ein Wechsel zwischen Auswertungs- und Erhebungsphase während des Verlaufes einer qualitativen Studie ist möglich, falls es für die Theoriegenerierung erforderlich ist. Wengleich qualitative (verstehende) Konsumentenforschung per definitionem nicht das primäre Ziel verfolgt, Sozialtechniken zur Beeinflussung von Konsumentenverhalten zu entwickeln, muss an dieser Stelle schon erwähnt werden, dass es für eine Vielzahl von Studien (insbesondere Auftragsstudien) trotzdem wichtig sein wird, auch nach einer theoriebasierten Ableitung von Implikationen für das marketingpolitische Handeln Ausschau zu halten. Die qualitative Konsumentenforschung kann heute ihren Platz in der Konsumentenforschung deutlich behaupten und hat einen wertvollen Beitrag zum Detailreichtum hinsichtlich der Erforschung von Konsumsituationen geleistet (Levy 2003, 5). Dies gilt jedoch primär für die angloamerikanische Konsumforschung. Bewertungskriterien Die Formulierung von Bewertungskriterien qualitativer Forschung spielt eine zentrale Rolle bei der Legitimierung qualitativer Forschung und der Sicherung eines festen Platzes qualitativer Forschung in der Landschaft empirischer Sozialforschung insgesamt und empirischer Konsumentenforschung im besonderen. Abbildung 1 zeigt im Überblick die von Steinke (1999, 2003) auf Basis der oben genannten Charakteristika qualitativer Forschung entwickelten Kernkriterien zur Bewertung qualitativer Forschung. Darüber hinaus sind noch die Kohärenz als wissenschaftstheoretisches Minimalkriterium und die pragmatische Relevanz der entwickelten Theorien als Bewertungskriterien zu nennen (vgl. dazu Steinke 1999, 239-248). 11
Vgl. dazu die Erläuterungen von Steinke (1999, 32f.) zum Einbeziehen des Kontextes bei der Objektiven Hermeneutik nach Oevermann, bei der zusammenfassenden und der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring, der Grounded Theory nach Glaser und Strauss sowie der Konversationsanalyse und bei narrativen Analysen.
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Eine ausführliche Diskussion von Wegen zur Erreichung der Anforderungen an qualitative Forschung findet man bei Steinke (1999, 204-248) aus der Sicht der qualitativen Sozialforschung. Wallendorf und Belk (1989) formulieren unter Bezugnahme auf Lincoln und Guba (1985) „credibility, transferability, dependability, confirmability, and integrity“ als Bewertungskritierien und beschreiben folgende Techniken zur Überprüfung der Einhaltung dieser: (a) prolonged engagement/persistent observations, (b) triangulation of sources, methods, and researchers, (c) regular on-site team interaction, (d) negative case-analysis, (e) debriefings by peers, (f) member checks, (g) seeking limiting exceptions, (h) purposive sampling, (i) reflexive journals, and (j) independent audit. Ohne an dieser Stelle genauer auf die einzelnen Prüftechniken zur Beurteilung der Qualität einer qualitativen Studie eingehen zu können, sei angemerkt, dass eine lückenlose Erfüllung der Beurteilungskriterien, insbesondere die umfassende Dokumentation des Forschungsablaufes, zweifellos viel Zeit in Anspruch nimmt und ein gewisses Vorwissen im Umgang mit dem qualitativen Forschungszugang erfordert.
Kriterium Beschreibung des Kriteriums Intersubjektive Nach- Eine (kritische) Verständigung über eine empirische vollziehbarkeit Studie zwischen Forschern bzw. zwischen Forscher (der eine Studie durchführt) und Leser (der Studie) soll möglich sein. Indikation des ForInwiefern sind Erhebungs- und Auswertungsmethoden schungsprozesses und (Gegenstandsangemessenheit) und darüber hinausgeder Bewertungshende methodische Entscheidungen, die während des kriterien Forschungsprozesses getroffen wurden, indiziert? Inwiefern ist das Sampling indiziert? Passen die verwendeten Methoden zueinander? Inwiefern sind die der Studie zugrunde gelegten Bewertungskriterien indiziert? Empirische Veranke- Theorien werden auf Basis von Empirie generiert und rung der Theorieauch geprüft, das heißt, Bildung und Überprüfung von bildung und -prüfung Hypothesen sollen empirisch begründet sein. Limitation Herausfinden der Grenzen der Verallgemeinerbarkeit der entwickelten Theorie durch Beschreibung der Kontexte und Herausfiltern der Bedingungen und Kontexte, auf die die Ergebnisse noch zutreffen. Reflektierte Subjekti- Inwiefern erfolgt die konstituierende Rolle der Subjekvität tivität des Forschers für die Theorienbildung reflektiert? Abb. 1. Kernkriterien zur Beurteilung qualitativer Forschung (nach Steinke 1999, 204239)
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Kritik an qualitativer Forschung Qualitative Konsumentenforschung erlaubt das umfassende Verstehen der Motivation, des Verwendungsverhaltens oder etwa der Einstellung von Konsumenten. Neben den Vorteilen der qualitativen Forschungsrichtung des Konsumentenverhaltens werden nach wie vor auch Kritikpunkte angeführt, die sich rund um Klarheit, methodologische Verstöße und das Mischen von Methoden ohne klare Erklärung und Begründung des „Warum“ und „Wie“ ansiedeln. Levy (2003, 5-6)12 fasst wie folgt zusammen: x „Die dunkle Seite“: Es besteht ein Konflikt zwischen der traditionellen Suche nach der Wahrheit und dem Nutzen und dem unreflektierten Fokus auf Individualismus und Relativismus. x Zu viel Psychologie: Konsumentenforschung ist zu stark von Psychologie dominiert und idealisiert die früheren Zeiten, in denen qualitative Forschung noch komfortabel war – was nur schwer der Fall war. Eine befragte Person formuliert ihre Gedanken folgendermaßen: „My perception is that the field was very comfortable within qualitative methods early in its development, but along the way, someone decided that for either speed of analysis or rigor we needed to move to surveys, with scales to complete, or experiments with lots of control. Then people got interested in qualitative methods again, but only as defined by the rigor identified as ethnography. As each wave builds, in order to defend the value of whichever method someone prefers, everyone seems to have criticized the other methods or worse, assert that the other methods are of no value. The academic world has been most vicious about this“ (S 5). x Extreme: Die gegenwärtige Forschung wurde von dem Mittelweg der Forschung abgelenkt, indem sie entweder zu abstrakt und unrealistisch – aber dafür kontrolliert – oder zu konkret und beschreibend – und deswegen ungeeignet für Verallgemeinerung – ist. x Musterinterpretation: Die Entwicklung geht in die Richtung des Erforschens von Komplexität. Der Hauptverdienst der qualitativen Forschung ist die Feldforschung, deren Ziel es ist, Situationen zu erklären, und eher über deren Charakteristika und „tiefere“ Beziehungen zu lernen als – oder in Ergänzung zu – die Frequenzen von Verbalisationen der Befragten zu untersuchen (zu messen und zu korrelieren). „We now … give more attention to finding tensions that consumers operate within rather than point estimate of their preferences ... some people call this postmodern, others just call it appreciating complexity“ (S 6). x Kreisläufe, erweiterte Methoden und Theorien: Konsumentenforschung verläuft kreislaufartig und umfasst ein breites Spektrum an Theorien; zahlreiche verschiedene Forschungsmethoden kommen zum Einsatz und eine Vielfalt an Themen wird erforscht. Die Studien zielen einerseits auf das Festhalten von 12
Levy fragte einige bedeutende Persönlichkeiten in der Konsumentenforschung nach den Leistungen der Konsumentenforschung. Allerdings erhielt er auch negative Sichtweisen als Antworten (Levy 2003, 5).
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Realitäten ab, andere suchen nach dahinter liegenden oder mehr grundlegenden Prozessen. x Die Liebe zu den Details: Zu Beginn waren die umfassenden Modelle von Howard and Sheth in den Sechziger Jahren, mit denen die grundlegenden Einflussfaktoren und Prozesse des Konsumentenverhaltens identifiziert wurden. Seither kam hinsichtlich der Anwendungsbereiche („Scopes“) nicht viel hinzu. Seit dieser Zeit wird an Details gearbeitet.
Methodenpluralismus Aufgrund der Vielfalt der Verhaltensweisen der Konsumenten und den permanenten Veränderungen ihres Verhaltens wird die Identifikation der individuellen Bedarfs- und Interessenlagen der Konsumenten mehr und mehr erschwert. Um im Wettbewerb bestehen zu können, ist es unabdingbar, neues Wissen über aktuelles und künftiges Konsumentenverhalten zu generieren. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit neuen Methoden zur Informationsgewinnung über Ursachen des Konsumentenverhaltens, der Motive und Einstellungen, die das Verhalten von Konsumenten prägen und die von den Marketingforschern verstanden werden müssen. Einerseits erschweren ständige Veränderungen des Konsumentenverhaltens die Planbarkeit der gezielten Marketingmaßnahmen und anderseits wird dadurch eine konsequentere und noch gezieltere Marktforschung notwendig. In methodischer Hinsicht ist die Marketingforschung noch immer von einer Mainstream-Richtung dominiert. Sie ist charakterisiert durch die Analyse großer, durch Befragung gewonnener Datensätze mit Hilfe komplexer statistischer Methoden. Eine methodische Offenheit gegenüber alternativen Ansätzen ist wünschenswert. Es steht außer Frage, dass die Analyse von durch (zumeist schriftliche) Befragung gewonnenen Datensätzen – mit Hilfe anspruchsvoller statistischer Methoden – die Marketingforschung vorangebracht hat. Allerdings hat der „Siegeszug“ dieser Vorgehensweise dazu geführt, dass alternative methodische Designs derzeit ein Schattendasein führen, das ihrem Anwendungspotential in der Marketingforschung nicht gerecht wird; beispielhaft seien systematische MetaAnalysen, qualitative und interpretative Forschung genannt (Homburg 2000, 356 f.). Die kognitiven Erklärungsansätze dominieren in der Konsumentenforschung (Kroeber-Riel u. Weinberg 2003, 23). Dies kommt auch in den angewandten Methoden zum Ausdruck: Nach Kroeber-Riel und Weinberg (2003, 23f.) werden etwa 80 bis 90 Prozent aller empirischen Untersuchungen mittels Befragungen und anderer verbaler Meßmethoden durchgeführt; dementsprechend wird die Bedeutung von Emotion und Motivation, als Konstrukte im Rahmen der aktivierenden Prozesse zur Erklärung von Konsumentenverhalten vernachlässigt.
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„Die klassische Marktforschung unterstellt konsistente Konsumenten und Zielgruppen. Multioptionale Konsumenten und Berührungsgemeinschaften erfordern dagegen ein anderes Analyse-Instrument, das Monitoring. Monitoring basiert auf einer teilnehmenden Beobachtung und Interpretation von Prozessen, wie sie beispielsweise in Berührungsgemeinschaften stattfinden. Ziel ist, möglichst früh Veränderungen bemerken und aufgreifen zu können. Die Grundlage für die bewusstseinsbildende Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Phänomenentstehung bilden Beschreibungen des Konsum-Alltags (Szene-Treffs, Events, SzeneZeitschriften, Leben auf öffentlichen Straßen und dgl.), kombiniert mit einem Hintergrundwissen aus der permanenten Lektüre von Trendstudien, Trendlettern und Trendbüchern sowie phänomenologischen Expertisen beispielsweise von Psychologen oder Soziologen. Demgegenüber setzt die klassische Marktforschung auf der Befragung von Personen auf und versucht, repräsentative Fakten und Veränderungen zu speziellen Themen nachzuweisen. Über das Monitoring entwickelt sich dagegen mit der Zeit ein verinnerlichtes Erfahrungs- und Handlungswissen zu übergreifenden Kontexten“ (Schüppenhauer 2000, 422; vgl. dazu auch Liebmann 1996, 50). „Die klassischen Planungsinstrumente, die vorwiegend aus der Zeit des linearen Management stammen, müssen im neuen Kontext überdacht werden. Die klassischen Managementfunktionen wie Analysieren und Planen werden in immer stärkerem Maße durch neue Instrumente wie Entdecken und Erfinden ergänzt. In letzter Konsequenz ergibt sich daraus, dass alle klassischen Instrumente zumindest ergänzt werden müssen. Die Ergänzung der Instrumente der Marktforschung hat dabei Basischarakter“ (Liebmann 1996, 49). Demgegenüber steht, dass Fragestellungen in der Konsumentenforschung sehr oft nicht zeitgemäß sind; wie der Marketingexperte Zaltman es ausdrückt: „Viele Unternehmen schaffen es nicht, in den Kopf der Käufer zu gelangen“ (Engeser 2003, 68). Aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen drängen sich immer mehr Fragestellungen hinsichtlich des Verstehens von Konsumentenverhalten auf, was ein Abgehen von konventionellen Methoden notwendig macht; gemeint sind damit traditionelle, dem positivistischen Paradigma verhaftete Methoden der Konsumentenforschung.13 In den 80er und 90er Jahren kann man eine wachsende Anwendung qualitativer, interpretativer Methoden im Marketing, insbesondere in Studien zum Konsumentenverhalten feststellen. Das führte zu einer Spaltung zwischen Forschern hinsichtlich ihrer methodologischen Orientierung – eine Spaltung in positivistisch und interpretativ orientierte Forscher (Goulding 1999).
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Vgl. dazu das Interview mit Harvard-Professor Gerald Zaltman (Katzensteiner u. Leendertse 2003, 71) und die Diskussion über die Notwendigkeit von qualitativer Forschung von Levy (2003).
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Es gibt viele akzeptierte qualitative, naturalistische, interpretative Methoden, wie Ethnographie, Phänomenologie, Grounded Theory, Hermeneutik, Ethnoscience, Diskursanalyse, konzeptionelle Beschreibung, Ethnomethodologie, thematische Analyse und Konstruktivismus. Alle haben ihre eigenen Philosophien und Strategien, aber es existiert auch ein gewisses Maß an Überschneidung hinsichtlich der Quellen der Daten, die gesammelt und verwendet werden, üblicherweise Interviews und Beobachtungen (Goulding 1999, 3). Wie auch immer, das Hauptproblem tritt dann auf, wenn bei den Grundprinzipien einer Methode ein Kompromiss eingegangen wird (Skodol-Wilson u. Ambler-Hutchinson 1996, zit. nach Goulding 1999). Für die verschiedenen Forschungsrichtungen gibt es zahlreiche Pro- und Kontraargumente. Liegt es dem Forscher an der Weiterentwicklung des Wissens über das Verhalten von Konsumenten, so liegt es nahe, für einen Methodenpluralismus zu plädieren, den Vertreter der verschiedenen Forschungsrichtungen unterstützen können.14 Nachdem das Konsumentenverhalten einer permanenten Veränderung unterliegt und der positivistische Zugang sich in der Konsumentenforschung seit Jahrzehnten etabliert hat, gilt es hier auf Hindernisse bei der Entwicklung des interpretativen und qualitativen Ansatzes zu fokussieren, was nur durch konstruktive Kritik erfolgen kann. In diesem Sinne fordern Calder und Tybout (1989, 207) mehr Anstrengung, um stärkere, wahrheitsgetreuere qualitative Schlussfolgerungen in qualitativen Studien zu erreichen. Sie gehen davon aus, dass dann Fragen hinsichtlich methodologischer Fehler einfacher angesprochen werden können. Die Lösung kann aber nicht in der Abkehr von positivistischer Forschung liegen, sondern wird in einem methodologischen Pluralismus in der Konsumentenforschung gesehen, der etwa auch von Calder und Tybout (1989, 199) gewünscht wird. Die Konsumentenforschung kann durch das Explorieren und die Ermutigung von Vielfalt in den verwendeten Methoden nur profitieren (Ozanne u. Hudson 1989, 1)15.
Resumee „Ohne Zweifel werden die Bilder vom ‚Neuen Kunden’ von zunehmender Komplexität gekennzeichnet“ (Liebmann 1996, 37). Statt dem Ziel der Komplexitäts14
Als Beispiel sei auf die Illustration von qualitativer Datengewinnung in Form eines Fragebogens von Gordon u. Langmaid (1988) verwiesen. 15 Vgl. dazu auch den Beitrag von Hudson u. Ozanne (1988) zum Vergleich des positivistischen und den interpretivistischen Ansatzes. Sie kommen dabei zu dem Schluss, dass die beiden Forschungsrichtungen nicht vergleichbar sind, da sie auf unterschiedlichen Zielen und philosophischen Annahmen beruhen.
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reduktion in der Konsumentenforschung sollten sich Forscher um die Anerkennung der Komplexität des Konsumentenverhaltens bemühen. Die Suche nach Daten, die ein umfassendes Verstehen des Verhaltens und der Einstellungen der Konsumenten erlauben, muss forschungsleitend sein. Die Forscher sollten bei der Methodenwahl auch offen sein und für den Fall, dass eine Problem- beziehungsweise Fragestellung die Anwendung sowohl der positivistischen (quantitativen) wie auch der interpretativen (qualitativen) Forschungsrichtung erfordert, sollte der Methodenpluralismus den Vortritt vor einer einseitigen Ausrichtung der Studie erhalten. „The effective researcher is a straddler, using both soft and hard data to develop a comprehensive understanding of consumer attitudes and behaviors“ (Seymour 1988, 42).
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Daten- und Messäquivalenz in der internationalen Marktforschung Thomas Salzberger Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit Wenn Unternehmen in neue Märkte eintreten, so bringt dies typischerweise eine zusätzliche Komplexitätssteigerung mit sich, die sich aus landesspezifischen Nebenbedingungen ergeben (Scheuch 1996). Diese Wissensdefizite werden unter anderem durch Informationsbeschaffung im Rahmen der Marktforschung kompensiert. Die erhöhte Komplexität ergibt sich nicht allein aus der Andersartigkeit fremder Märkte. Auch innerhalb der Landesgrenzen ist der Markt schließlich nur in Ausnahmefällen homogen. Marktsegmente können sich zum Beispiel darin unterscheiden, welche Funktion ein Produkt für den Konsumenten erfüllt oder welche Ansprüche an das Produkt gestellt werden. Bei aller Heterogenität wird jedoch ein kulturell uniformer Bezugsrahmen unterstellt. So ermöglicht beispielsweise eine gemeinsame Sprache eine einheitliche Verbalisierung von Fragen an Auskunftspersonen im Zuge der Informationsbeschaffung. Eine akkordierte Auffassung von der Rolle der Frau in der Gesellschaft ermöglicht oder aber erschwert den Einsatz von Frauen als Interviewer. Eine gemeinsame Historie, sowie ein einheitliches Rechtssystem gewährleisten bis zu einem gewissen Grad gemeinsame Werte. Für den Einwand, dass national definierte Bezugsräume keineswegs immer einen solchen gemeinsamen Referenzrahmen aufweisen müssen, lassen sich jedoch sehr leicht Belege finden. Viele Länder sind durch eine Pluralität gleichberechtigter Landessprachen gekennzeichnet, so dass durchaus nicht sichergestellt ist, dass im Zuge der Informationsbeschaffung darauf vertraut werden kann, dass alle Auskunftspersonen die gleiche Sprache sprechen. Umgekehrt bedeutet aber auch die immer weiter reichende Verbreitung des Englischen als Zweitsprache nicht, dass davon ausgegangen kann, dass alle nicht-muttersprachlich Englisch sprechenden Personen die Vielschichtigkeit der Sprache in gleicher Weise beherrschen. Nationale Minderheiten können sich ebenfalls im Lebensstil und in den gesellschaftlichen Werten erheblich von der Majorität unterschieden. Subkulturen bedienen sich oftmals eines eigenen Jargons und ihre Umgangsformen stehen nicht selten im Widerspruch zum gesellschaftlichen Konsens der Mehrheit.
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Dennoch werden diese Unterschiede innerhalb eines Landes offenbar als nicht so gravierend wahrgenommen, als dass sie in der Marktforschung besonders berücksichtigt werden müssten. Ein einheitlicher Interpretationsrahmen gewährleistet, so wird unterstellt, die gleiche Funktionsweise des Datenerhebungsapparates. Dieser Rahmen wird gemeinhin als Kultur bezeichnet. Kultur ist als äußerst komplexes, mehrdimensionales Phänomen zu verstehen, als System von Werten, Grundsätzen, Verständigungsformen, und vielem mehr (s. Salzberger 1999). Wenngleich sich die Mitglieder der Gesellschaft auf diesen Dimensionen unterscheiden können, so wird doch angenommen, dass diese Unterschiede innerhalb einer Kultur im Vergleich zu Unterschieden zwischen Kulturen gering sind.
Besonderheit der internationalen Marktforschung Die Besonderheit der internationalen Marktforschung liegt also darin, dass Angehörige unterschiedlicher Kulturen vergleichend untersucht werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Bezugssysteme so unterschiedlich sind, dass nicht notwendigerweise von einer einheitlichen Funktionsweise der Erhebungsinstrumente auszugehen ist. Dies hat weitreichende Konsequenzen von der operativen Durchführung der Marktforschungsaktivitäten bin hin zur interpretativen Analyse der Ergebnisse (s. Holzmüller 1995 für eine ausführliche Diskussion der Äquivalenzaspekte in der interkulturellen Forschung). Das letztlich entscheidende Kriterium ist dabei die Aussagenqualität der erhobenen Daten (Salzberger et al. 2001). Im Folgenden befassen wir uns ausschließlich mit quantitativen Daten im Sinne von Messungen. Vergleichbarkeit bezieht sich dabei darauf, ob Messwerte tatsächlich für Angehörige verschiedener Kulturen die gleiche Bedeutung haben. Im Prinzip ist Vergleichbarkeit ein dichotomes Merkmal. Messwerte sind vergleichbar, wenn die Indikatoren interkulturell invariant sind, andernfalls sind sie nicht vergleichbar. Nur invariante Indikatoren ermöglichen die Ableitung einer gemeinsamen Metrik. Nun ist aber die Invarianz aller Indikatoren in der Praxis ein Ausnahmefall. Zumindest einzelne manifeste Variablen können in ihrer Relation zur latenten Variablen kulturabhängig sein. Solange jedoch eine hinreichend große Zahl von Items verfügbar ist, die eine äquivalente, also über Kulturgrenzen hinweg gültige, Definition der Metrik der latenten Variable ermöglichen, so lassen sich auch kulturabhängige Indikatoren mit dieser Metrik verknüpfen. Voraussetzung dafür ist, dass sich diese Indikatoren lediglich quantitativ unterscheiden. Nur dann lässt sich der Unterschied zwischen Kulturen durch eine additive Größe ausgleichen. Dies bedeutet, dass Datenäquivalenz nur teilweise, partiell, vorliegen muss, um Messäquivalenz zu begründen. Messäquivalenz bezieht sich dabei auf die Messwerte der Personen, welche auf der Basis der Responsedaten geschätzt werden. Datenäquivalenz kann daher niemals „etabliert“ werden. Die Feststellung, ob Datenäquivalenz gegeben ist, ist vielmehr ein Erkenntnisprozess. Nur bei partieller Datenäquivalenz kann der Forscher versuchen, durch geeignete Korrekturfaktoren, Messäquivalenz herzustellen, also zu etablieren.
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Interkulturelle Validität als messtheoretisches Problem Da Messäquivalenz, wie oben erwähnt, auf der Invarianz der Beziehung von latenter und manifester Variablen beruht, welche wiederum das Gütekriterium der Validität berührt, ist die Frage der Messäquivalenz unmittelbar ein messtheoretisches Problem. Das Kernproblem interkultureller quantitativer Marktforschung besteht also darin, zu demonstrieren, dass das Erhebungsinstrument interkulturell valide ist. Somit ergeben sich im Grunde durch das Überschreiten von Kulturgrenzen zwar zusätzliche, aber keine völlig neuartigen Validierungsprobleme. Operativ lässt sich die Vergleichbarkeit jedoch nicht auf teststatistische Analysen und Korrekturen reduzieren. Mangelnde Messäquivalenz muss nämlich nicht notwendigerweise bedeuten, dass ein Konstrukt nicht in vergleichbarer Weise messbar wäre. Im Zuge der Durchführung einer Datenerhebung sind zahlreiche Entscheidungen zu treffen, die letztlich zu fehlender Vergleichbarkeit führen können, auch wenn das Konstrukt tatsächlich interkulturell vergleichbar existiert. Dies ist selbst dann denkbar, wenn dieselben Items bei äquivalenter Administration invariant wären. Der Befund der mangelnden Vergleichbarkeit wäre demnach ein Artefakt der Durchführung. Interkulturelle Vergleichbarkeit kann sich daher streng genommen nicht auf das Erhebungsinstrument per se beziehen, sondern schließt auch die Form der Administration ein (schriftlich, mündlich, online, etc.; identifiziert oder anonym; u.v.m.).
Kultur und Nationalität In den bisherigen Ausführungen wurde Kultur mit Nationalität weitgehend gleichgesetzt. Allerdings zeigen die zitierten Beispiele, dass Nationen bei weitem nicht immer kulturell homogen sind. Dennoch kann die Gleichsetzung von Nation und Kultur durchaus sinnvoll sein, dann nämlich, wenn die Unterschiede zwischen zwei Nationen messtheoretisch von größerer Bedeutung sind, als die Unterschiede innerhalb einer Nation. Letztere können beispielsweise auf den Wohnort (städtisches oder ländliches Umfeld), auf das Alter, das Geschlecht, den sozialen Status, und vieles andere mehr zurückzuführen sein. Wenn Nationalität stellvertretend für Kultur herangezogen wird, so impliziert dies die Hypothese, dass Kultur als Hintergrundphänomen dafür verantwortlich ist, dass unterschiedliche Nationalitäten zu einem unterschiedlichen Responseverhalten führen könnten, während Angehörige derselben Nationalität ein vergleichbares Responseverhalten zeigen. Die Nationalität ist dabei zwar ein nahe liegendes Kriterium, aber nicht das einzig mögliche. Im Falle von sprachlich inhomogenen Ländern wie beispielsweise Kanada, die Schweiz oder Belgien, ist die Nationalität allein wohl ein untaugliches Abgrenzungs- bzw. Einordnungskriterium. In diesen Fällen wäre die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe ein entsprechendes zusätzliches Kriterium, welches innerhalb einer Nation heranzuziehen ist. Eine leicht abgrenzbare Volksgruppenzugehörigkeit wäre ein weiteres auf dieser Ebene anzusiedelndes Merkmal.
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Der Einsatz der Merkmale Kultur, Sprache und/oder Volksgruppe als Definitionskriterium der Gruppen ist nicht als Operationalisierung von Kultur zu verstehen. Vielmehr sind diese Attribute nur für die Bestimmung der Messäquivalenz als brauchbare Annäherung an Kultur zu sehen. Der entscheidende Vorteil liegt in der einfachen Identifizierung der Variablen, die zudem nur in nominaler Ausprägung vorliegen. Für den praktischen Einsatz eines Messinstruments ist es vorteilhaft, die Gruppenzugehörigkeit einer Person rasch und unkompliziert feststellen zu können. Mit der „Verkürzung“ von Kultur auf Nationalität und Sprache ist allerdings auch ein wesentlicher Nachteil verbunden. Es ist nicht klar, worin sich die so definierten Kulturen eigentlich unterscheiden. Dies erschwert die Formulierung von Hypothesen, welche manifesten Variablen sich kulturspezifisch verhalten könnten. Bei Vorliegen von partieller Invarianz eines Messinstruments, besteht somit die Gefahr, durch Korrektur von nicht invarianten Items explorativ-datengesteuert vorzugehen. Darunter leidet die Verallgemeinerbarkeit von Erkenntnissen kulturell bedingter Funktionsunterschiede von Messinstrumenten. In einem größeren Zusammenhang betrachtet, kann Kultur sowohl eine messtheoretische als auch eine substanztheoretische Rolle spielen (s. Abb. 1). Im Rahmen der Bestimmung der interkulturellen Validität von Konstrukt 1 kommt Kultur in Form von Nationalität/Sprache messtheoretische Bedeutung zu (Problemfeld A). Für die Formulierung von inhaltlich begründeten messtheoretischen Hypothesen (Problemfeld A’), ist die Verkürzung von Kultur auf Nationalität/Sprache in der Regel unzureichend. Dafür bedarf es einer substanziellen Theorie der Kultur (Problemfeld B). Freilich ist die Sichtweise von Kultur als quantitatives Phänomen nur eine Hypothese. Die Möglichkeit, dass Kultur lediglich in qualitativ unterschiedlichen Ausprägungen vorliegt, erscheint nicht unplausibel. Eine weitere Form des Kultureinflusses manifestiert sich im Problemfeld C bzw. C’. Kultur wirkt dabei als moderierende Variable auf die Relation von Konstrukt 1 und Konstrukt 2. Um diesen Moderatoreffekt empirisch zu prüfen, müssen die kontinuierlichen Ausprägungen auf Kulturdimensionen in diskrete Klassen zusammengefasst werden. Alternativ können auch die nominalen Ausprägungen Nationalität/Sprache herangezogen werden und inhaltliche Hypothesen auf eine Operationalisierung von Kultur gegründet werden (Problemfeld C’). Voraussetzung für eine Bestimmung der moderierenden Wirkung von Kultur ist die interkulturelle Validität der Messung der beteiligten Konstrukte. Schließlich kann Kultur selbst als Antezedenzbedingung auftreten und dabei beispielsweise als kausal beeinflussende Größe auf Konstrukt 2 wirken.
Daten- und Messäquivalenz in der internationalen Marktforschung
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Land (Nation)
Kultur
Kultur als moderierende Variable
Sprache
Volksgruppe
Kultur als Antezedenzbedingung
B Operationalisierung von Kultur
D C Konstrukt 1 A
C‘ Konstrukt 2
A A‘
Abb. 1. Das Phänomen Kultur in der internationalen Marktforschung
Ein besonderes Problem ergibt sich bei der Operationalisierung von Kultur (Problemfeld B). Die Messung von Kultur als vieldimensionales, äußerst komplexes Konstrukt stellt nicht nur inhaltlich eine Herausforderung dar. Der Sachverhalt der interkulturellen Validität (Problemfeld A) gilt für die Messung von Kultur selbst ebenfalls. Sollen nämlich Messwerte kultureller Attribute von Subjekten aus verschiedenen Kulturen auf einer Dimension abgebildet werden, so ist zunächst zu demonstrieren, dass das Messmodell dies überhaupt erlaubt. Dabei kann auf keine Operationalisierung von Kultur zurückgegriffen werden. Daraus folgt, dass Problemfeld A’ in diesem Fall nicht definierbar ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für jedes kulturübergreifendes Forschungsvorhaben, im Zuge dessen Messungen in vergleichbarer Weise vorgenommen werden sollen, die Invarianz der Messinstrumente eine unabdingbare Voraussetzung darstellt.
Methoden der Überprüfung der interkulturellen Validität Kultur ist bloß ein mögliches Abgrenzungskriterium von Gruppen, die sich messtheoretisch unterscheiden können. Es kommt der Variablen Kultur also kein einzigartiger Stellenwert zu. Daher gibt es auch keine Methoden, die speziell der Überprüfung der interkulturellen Validität dienten. Da die Frage der Messäquivalenz Validität innerhalb der Kulturen voraussetzt, lässt sich die Vorgehensweise auch nicht von der zu Grunde gelegten Messtheorie trennen. Somit ist zunächst, wie in jedem quantitativen Forschungsprojekt, eine Messtheorie zu wählen und im zweiten Schritt, die interkulturelle Invarianz des Messinstruments zu prüfen.
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Thomas Salzberger
Messtheorien in der Marketingwissenschaft In den empirischen Sozialwissenschaften im Allgemeinen und in der Marketingwissenschaft im Besonderen, lassen sich zumindest vier unterschiedliche Zugänge zum Problem der Messung identifizieren. Messung bezieht sich dabei auf latente Konstrukte, die sich einer direkten Quantifizierung entziehen. Während einfache Konstrukte, wie beispielsweise das Alter eines Konsumenten oder die Verwendungsdauer eines Produkts durch einen Konsumenten, unmittelbar an eine physikalische Dimension anknüpfen (in diesem Fall die Zeit), bedürfen Konstrukte wie Einstellung, Zufriedenheit, Qualitätswahrnehmung und dergleichen, manifester Indikatoren die die zu messende latente Größe abbilden bzw. mit ihr in Relation stehen. Hier beschränken wir uns auf vier Theorien, die die Schätzung metrischer Größen vorsehen. Theorien, die sich auf eine Rangordnung beschränken (wie z.B. nonparametrische Item Response Theorie, Mokken 1997, Molenaar 1997, Sijtsma u. Molenaar 2002), bleiben hier ebenso außer Betracht wie nicht-kumulative Modelle (Unfolding Modelle, Andrich 1995, 1996). x Die bei weitem am meisten verbreitete Theorie basiert auf der klassischen Mess- oder Testtheorie (CTT, Lord u. Novick 1968). Der wichtigste Impuls für den Transfer der CTT von der Psychometrie in die Marketingwissenschaft ging von Churchill (1979) aus. Die CTT ist heute die Standardmethode zur Beurteilung der Messgüte im Marketing. Eine Verallgemeinerung dieser Theorie stellt die Generalizability-Theorie (z.B. Shavelson u. Webb 1991) dar. x Modelle mit formativen Indikatoren werden als Alternative zur auf reflektiven Indikatoren basierenden CTT genannt (MacKenzie 2003, Jarvis et al. 2003, Rossiter 2002, Diamantopoulos u. Winklhofer 2001). x Als Gegenparadigma zur CTT ist die Item Response Theorie (IRT) zu sehen, als dessen wichtigster Begründer Lord (1980) zu nennen ist. IRT bezeichnet dabei eine äußerst umfangreiche Familie von Messmodellen (s. Embretson u. Reise 2000 für einen umfassenden Überblick). Der bedeutendste Unterschied zur CTT liegt in der Annahme eines nicht-linearen Zusammenhangs von latenter und manifester Variable. x Als eine spezielle Klasse innerhalb der IRT wird sehr häufig (aber nur aus der Sicht der IRT) die Familie der Raschmodelle gesehen. Dabei handelt es sich um Messmodelle, die auf Rasch (1960) zurückgehen. Formal lassen sich Raschmodelle in die IRT eingliedern bzw. stellen sie Spezialfälle komplexerer IRTModelle dar. Da sich Raschmodelle aber durch besondere Eigenschaften auszeichnen, werden sie hier als eigenständige Rasch Messtheorie (RMT) behandelt. Auf eine ausführliche Darstellung der Theorien wird hier verzichtet. Im Folgenden wird die Diskussion dieser Ansätze auf die für die Bestimmung der interkulturellen Validität relevanten Grundlagen beschränkt.
Daten- und Messäquivalenz in der internationalen Marktforschung
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Grundlagen der klassischen Testtheorie (CTT) Die CTT geht von einer Dekomposition des manifesten Scores über alle Items (X) in zwei nicht beobachtbare Komponenten aus: X=T+E. Dabei handelt es sich zum einen um den wahren Score T (true score), zum anderen um die Messfehlerkomponente E, die mit T unkorreliert ist. Da der Erwartungswert von E gleich 0 ist, ist der Erwartungswert von X gleich T. Auf der Ebene aggregierter Größen wird die Reliabilität eines Messinstruments definiert als das Verhältnis der Varianz der wahren Werte und der Varianz der beobachteten Werte (Traub 1994). Da sich dieser Quotient nicht berechnen lässt (die Varianz der wahren Werte ist unbekannt), wird die Reliabilität stets geschätzt. In der Praxis wird dazu überwiegend Cronbachs Alpha herangezogen. Da die Reliabilität durch die Messfehlervarianz ebenso beeinflusst wird, wie durch die Varianz der wahren Werte, ist sie kein objektives Gütemaß des Messinstruments. Unter objektiv ist dabei unabhängig von den herangezogenen Personen zu verstehen. Weiter setzt die Schätzung von Varianzen die Normalverteilung des Merkmals in der Grundgesamtheit voraus. Aus diesen Gründen sind die CTT und ihre zentralen Gütekriterien auch nicht invariant gegenüber den Personen in der Stichprobe. Daraus erklärt sich der hohe Stellenwert repräsentativer Stichproben für die Schätzung Gütekriterien einer Skala. Y iv = O i0 + O i [ v + G iv
(1)
wobei: Yiv ... manifester Score von Item i, Person v; Oi0… Intercept des Items i; Oi. ..... Faktorladung des Items i; [v ..... Faktorwert (Faktorscore) von Person v; Gi. ..... stochastischer Fehlerterm Wird das Messmodell auf die einzelnen Items bezogen und die Beziehung von latenter Variablen und der manifesten Variable für jedes Item spezifisch geschätzt, so wird das sogenannte W-kongenerische Messmodell (Steyer u. Eid 2001) unterstellt. Die Reliabilität der Skala ist umso höher, je stärker die einzelnen Items korrelieren. Durch eine konfirmatorische Faktorenanalyse lässt sich das Messmodell im Sinne der Konstruktvalidität überprüfen. Dabei gehen als Input die ItemInterkorrelationen ein. Korrelationen sind jedoch ebenfalls stichprobenabhängig und damit nicht invariant. Ein weiteres Problem stellt die unmittelbare lineare Beziehung von unbeobachtbarem Messwert und manifestem Itemscore dar. Während ersterer theoretisch weder nach oben noch nach unten begrenzt ist und eine kontinuierliche Größe darstellt, kann der Itemscore nur einige wenige diskrete Werte annehmen. Vor allem die damit verbundene Restriktion des Wertebereichs macht den linearen Zusammenhang im Grunde unplausibel. Auch die Annahme eines metrischen Skalenniveaus auf Seiten des manifesten Itemscores ist schwer zu begründen.
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Thomas Salzberger
Formative Modelle (Indices) Die CTT geht von einer kausalen Beziehung des latenten wahren Scores (true score) und der manifesten Indikatoren aus. Die latente Variable wird als Ursache für die Interkorrelationen der manifesten Variablen gesehen, welche die latente „reflektieren“. Im Gegensatz zu reflektiven Indikatoren, gehen formative Modelle davon aus, dass die manifesten Variablen die latente Variable kausal beeinflussen. Es wird also ein Regressionsmodell spezifiziert mit den manifesten Indikatoren als Regressoren und der zu messenden latenten Variablen als Regressand. Als Konsequenz dieser Sichtweise ist die Forderung aufzustellen, dass die Indikatoren unkorreliert sein sollen. Andernfalls wäre das Problem der Multikollinearität gegeben. Mit der Vorstellung, Messungen könnten mittels formativer Indikatoren vorgenommen werden, sind eine Reihe von Problemen verbunden. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass aus diesem Modell abgesehen von nicht perfekter Korrelation so gut wie gar keine Anforderungen an die empirischen Daten gestellt werden. Folglich kann so von jedem Set von manifesten Variablen behauptet werden, dass ein latentes Konstrukt gemessen wird. Formative Modelle sehen Messungen im Grunde als „Numerical Trick“ (Borsboom et al. 2003), was inkonsistent mit der Theorie der latenten Variable ist. Formative Modelle scheiden daher als Messmodelle aus. Es handelt sich vielmehr um Zusammenfassungen von Variablen, deren Messung vorausgesetzt wird. Formative Modelle bauen somit auf Messmodellen auf, sie können sie aber nicht ersetzen. Item Response Theorie (IRT) Item Response Theorie (IRT) bezeichnet eine umfassende Familie von Modellen für unterschiedliche Responsedaten (dichotome bzw. polytome Itemformate, multiple choice, usw.). Während diese psychometrischen Modelle beispielsweise in der Psychologie, der Pädagogik oder den Medizinwissenschaften zunehmend an Stellenwert gewinnen, finden sich in der Marketingwissenschaft bislang nur wenige Anwendungen (Balasubramaniam u. Kamakura 1989, Singh et al. 1990, Singh 2004). Während für die CTT der Gesamtscore der Ausgangspunkt ist, nimmt die IRT unmittelbar Bezug auf die Antwort einer Person bei einem Item. Personen und Items werden auf einer gemeinsamen Dimension abgebildet. Sie lassen sich daher unmittelbar miteinander vergleichen. Die Item Response ergibt sich einerseits aus der Charakteristik der Person v (formalisiert durch einen Personenparameter Tv) und andererseits der Charakteristik des Items i (s. Gl. 2). Die Zahl der Itemparameter hängt vom konkreten Modell ab, sowie von der Anzahl der möglichen Antwortkategorien. Im einfachen Fall dichotomer Items bildet ein Parameter ai die Diskriminanz des Items ab, ein weiterer Parameter bi steht für die Position des Items auf der latenten Dimension. Neben der Bezeichnung Birnbaummodell (Birnbaum 1968), ist auch Two-Parameter Logistic Model (2pl) gebräuchlich. Der Diskriminanzparameter findet in der CTT eine Entsprechung im Ladungsparameter im Rahmen der Faktorenanalyse (Wright 1996). Der Positionsparameter entspricht in der CTT am ehesten dem Itemintercept. Da in die Faktorenanalyse in der Regel nur Iteminterkorrelationen eingehen, sind die Mittelwerte
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der Items jedoch irrelevant. Dennoch können die Itemmittelwerte modelliert werden als Konstante in der Regression des Faktorscores auf den manifesten Itemscore (s. O10 in Gl. 1). Gerade in der internationalen Forschung ist dies essentiell, um einen möglichen additiven Bias zu entdecken. Bei gegebener Verteilung und Positionierung der Personen ist der Itemmittelwert umso höher, je leichter dem Item zugestimmt wird. Analog ist in der IRT der Positionsparameter des Items umso kleiner, je leichter dem Item zugestimmt wird. Dieser Zusammenhang ist unmittelbar ersichtlich aus der Formulierung des Modells für dichotome Items. Abb. 2 stellt die Wahrscheinlichkeit einer zustimmenden Antwort als Funktion der Itemund Personenparameter grafisch dar. Die Kurve wird als Itemcharakteristikkurve (ICC) bezeichnet. Auf Grund unterschiedlicher Diskriminanzparameter sind die ICCs unterschiedlicher Items grundsätzlich nicht überschneidungsfrei.
(2)
P(avi =x | G i , Ev , ai ) 1 Item 1
0.5
Item 2 0 -4
-3
-2
-1
Gi = 0
1
2
3
4
Gi , E v
Abb. 2. Itemcharakteristkurven im 2pl
Die Wahrscheinlichkeit der Item Response wird als logistische Funktion der Modellparameter spezifiziert. Die Wahrscheinlichkeit einer zustimmenden Antwort ist umso höher, je größer der Personenparameter Tv bzw. je kleiner der Itemparameter bi. Der Diskriminanzparameter ai moderiert diese Beziehung. Die wichtigste Verallgemeinerung des Modells ist jene für polytome Datenformate. Das Graded Response Modell von Samejima (1997) spezifiziert dementsprechend bei k Antwortkategorien k-1 Itempositionsparameter. Für die Schätzung der Personen- und Itemparameter werden üblicherweise Maximum Likelihood Methoden herangezogen. Allerdings lassen sich diese Parameter nicht unabhängig voneinander schätzen. Da modellkonforme Items unter-
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schiedlich diskriminieren können, ist es nicht belanglos, welche Items eine Person zustimmend beantwortet. Dadurch ist eine Schätzung der Personenparameter nicht unabhängig von den Itemparametern. Damit besteht für IRT Modelle mit Itemdiskriminanzparameter die gleiche Abhängigkeit von der Verteilung der Personen wie in der CTT. Für Raju et al. (2002) besteht der einzige Unterschied zwischen CTT und IRT in der unterschiedlichen Definition des True Scores. Tatsächlich lässt sich der True Score bei IRT Modellen als erwarteter Score auf Grund der Personen- und Itemparameter definieren und der beobachtete Score dementsprechend in eine wahre und eine fehlerbestimmte Komponente zerlegen. Dies ist allerdings bei jedem stochastischen Messmodell der Fall. Wesentlich differenzierter skizziert Singh (2004) die Unterschiede zwischen CTT und IRT. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die CTT Items favorisiert, die eine hohe Interkorrelation aufweisen. Dies führt dazu, dass Items ausgewählt werden, die einander sehr ähnlich sind und daher eine annähernd ähnliche Position einnehmen (ähnliche Itemmittelwerte). Die Itemselektion nach der IRT führt zu einer wesentlich breiteren Repräsentation der zu messenden Dimension. Ungeachtet der Parallelen von IRT und CTT, handelt es sich um miteinander nicht vereinbare Modelle. Die CTT geht von einer linearen Beziehung von Personenmaß und Itemscore aus. IRT-Modelle spezifizieren eine nicht-lineare Relation. Auch wenn Singh (2004) letzteres als das allgemeinere Modell sieht, subsummiert die logistische Form einer non-linearen Beziehung keine lineare Relation. Allerdings wird auch im Rahmen der IRT der Gesamtscore einer Person als lineare Funktion der manifesten Itemscores berechnet (die Gewichtung hängt von der Diskriminanz der Items ab). Dieser wird jedoch nicht unmittelbar als Personenmaß gesehen, sondern als Grundlage für die Schätzung des Personenparameters. Rasch Messtheorie (RMT) Ausgehend vom 2pl lässt sich das Raschmodell (Rasch 1960) für dichotome Daten formal als Sonderfall dadurch ableiten, dass der Diskriminanzparameter über alle Items gleich 1 gesetzt wird. Damit verschwindet der Diskriminanzparameter ai aus der Modellformulierung und das Modell wird in der IRT üblicherweise als oneparameter logistic model (1pl) bezeichnet. Aus Sicht der IRT ist damit das Raschmodell lediglich ein Sonderfall, der sich als Vereinfachung eines allgemeineren Modells ergibt. Zwar spricht der generelle wissenschaftliche Imperativ der Sparsamkeit bei der Modellparameterisierung für das Raschmodell, ein wesentlicher praktischer Nutzen wird dem - aus IRT-Sicht zu - einfachen Modell allerdings kaum zugeschrieben. Tatsächlich hat das Raschmodell eine völlig andere, von allgemeineren IRTModellen unabhängige Genese. Das besondere Charakteristikum des auf Rasch (1960) zurückgehenden Modells, ist die Kompatibilität des Modells mit theoretischen Überlegungen bezüglich der für Messungen zu stellenden Anforderungen an empirische Daten. Das dabei wesentliche Prinzip ist jenes der Unabhängigkeit der Messung einer Person von konkreten Items sowie von Personen, die sonst noch Gegenstand der Messung sind. Gleiches gilt für die Items. Die Schätzung des Parameters eines Items muss grundsätzlich unabhängig sein von der Charakteristik
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anderer Items und der Personen, die dazu herangezogen werden. Rasch nennt dieses Prinzip spezifische Objektivität (Rasch, 1977). Eine unmittelbare Konsequenz ist die Forderung nach Stichprobenunabhängigkeit der Itemparameter. Invarianz ist damit ein wesentliches Element des Raschmodells. Dies führt dazu, dass im Unterschied zum 2pl Modell im Raschmodell alle ICCs stets parallel sind. Die wichtigste Verallgemeinerung des Modells betrifft die Ausweitung auf polytome Antwortformate (Andrich 1978, 1988). Anwendungen des Raschmodells im Marketing liegen ebenfalls vergleichsweise wenige vor, exemplarisch seien Soutar et al. (1990), Soutar u. Cornish-Ward (1997), Soutar u. Ryan (1999), Ewing et al. (2001) und Salzberger et al. (2002) genannt. Empirische Überprüfung der Messäquivalenz In der Marketingwissenschaft wird die Überprüfung der Messäquivalenz üblicherweise als eigenständiges Problem gesehen. Tatsächlich baut, wie bereits dargestellt, interkulturelle Validität als Voraussetzung für Vergleichbarkeit der Messungen auf intrakultureller Validität auf. Die Überprüfung der Messäquivalenz ist daher bloß eine Erweiterung der Validitätsbestimmung innerhalb der gewählten Messtheorie. Insofern ist jede methodische Empfehlung gleichzeitig ein Plädoyer für eine bestimmte Messtheorie. In einem umfangreichen Review der Probleme der interkulturellen Forschung, empfehlen Schaffer und Riordan (2003) zur Bestimmung der Messäquivalenz zwei „best-practice statistical approaches“, nämlich die Kovarianz-Struktur-Analyse und die Item Response Theory. Erstere ist in diesem Fall gleichbedeutend mit der konfirmatorischen Faktorenanalyse (CFA) für den Mehrgruppenfall, wie sie durch Steenkamp u. Baumgartner (1998) in der Marketingwissenschaft populär gemacht wurde. Die Formulierung von zwei ‚bestpractice approaches’ ist insoweit problematisch, als zu klären ist, wie zwei unterschiedliche Ansätze gleichzeitig am besten geeignet sein können. Dies ist nur dann möglich, wenn den empirischen Daten Priorität gegenüber den Modellen eingeräumt wird. Das Ziel ist dann die bestmögliche Erklärung der Daten. Für diese Sichtweise spricht auch die Verwendung des Begriffs ‚statistical approach’ an Stelle von ‚measurement approach’. Tatsächlich handelt es sich bei Modellen zur theoretischen Erklärung von Messungen primär um Messtheorien und nicht um statistische Theorien. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie mit dem Problem der interkulturellen Vergleichbarkeit umzugehen ist, wenn die vorgeschlagenen Methoden zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Letztlich ist auf die Grundlagen der Messtheorie Bezug zu nehmen und zu klären, welcher Theorie der Vorzug gegeben werden soll. Vergleich der Messtheorien Auf der Basis der in den empirischen Sozialwissenschaften verbreiteten Definition von Messung nach Stevens (1946, 1951), ist es schwierig, zwischen unterschiedli-
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chen Ansätzen zu differenzieren. Nach dieser Definition ist Messung eine Zuordnung von Numeralien zu Objekten gemäß einer Regel. Damit ist sowohl die CTT als auch die IRT vereinbar. Selbst formative Modelle stehen dazu nicht in Widerspruch. Die Definition nach Stevens geht in ihren Ursprüngen darauf zurück, dass in der Psychologie Messungen im Sinne der Naturwissenschaften nicht möglich erschienen (s. dazu die ausführliche Darstellung des historischen Hintergrunds bei Michell 1999). Messung als Zuordnung von Numeralien ist hingegen stets möglich. Eine Folge der Akzeptanz dieser Definition ist die völlig divergente Entwicklung der Bedeutung des Begriffs der Messung in den Naturwissenschaften einerseits und in den Sozialwissenschaften andererseits. In den Naturwissenschaften ist Messung die Identifikation eines Werts einer quantitativen Variable, ausgedrückt in einer Maßeinheit, die selbst eine Ausprägung dieser Variable darstellt (s. Michell 1990). Messung ist also damit befasst, quantitative Relationen zu identifizieren, also zu entdecken. Die Bezugnahme auf nummerische Werte ist, so Michell (1990), „literal and not merely metaphorical“. Messung ist demzufolge ein empirischer Erkenntnis- und Entdeckungsvorgang und keine Zuordnung von Werten. In den Sozialwissenschaft wird Messung im Vergleich dazu wesentlich ‚liberaler’ gesehen. Selbst die Zuordnung von Werten zu bloß qualitativ unterschiedlichen Objekten kann als Messung interpretiert werden (Nominalskala). Vergleicht man Attribute wie Länge, Masse oder Druck mit Zufriedenheit, Einstellung oder Loyalität, so ist es im Grunde evident, dass Messungen, also Quantifizierungen, in den Sozialwissenschaften wesentlich schwieriger sind als in den Naturwissenschaften. Es mutet geradezu paradox an, dass in der Praxis der Forschung sozialwissenschaftliche Messungen aber mindestens so leicht zu erzielen sind, wie naturwissenschaftliche. Sollen jedoch sozialwissenschaftliche Messungen den gleichen Stellenwert wie naturwissenschaftliche haben, so sind an erstere die gleichen Anforderungen zu stellen wie an letztere. Luce und Tuckey (1964) haben die diesbezüglichen Voraussetzungen formuliert, die empirische Daten erfüllen müssen. Neben der Lösbarkeit (solvability) und der Archimedischen Bedingung (s. Michell 1990), ist die ‚Double Cancellation’ Bedingung die wichtigste Voraussetzung für Quantifizierungen. Dabei wird auf Grund ordinaler Beziehungen in der Datenmatrix eine quantitative Struktur erschlossen. Die Datenmatrix ergibt sich als Kombination von Item und Person mit der entsprechenden Response (s. Tabelle 1). Dabei werden Personen und Items entsprechend ihrer Position auf der latenten Dimension geordnet. Tabelle 1. Schematische Darstellung der Response einer Person auf ein Item als Vergleich einer Person und eines Items (vgl. Michell 1990). … Person a Person b Person c …
… … … … … …
Item x … Ax Bx Cx …
Item y … ay by cy …
Item z … az bz cz …
… … … … … …
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‚Double Cancellation’ ist dann erfüllt wenn gilt: falls ay tbx und bz t cy dann az t cx. Die ‚Double Cancellation’ Bedingung restringiert die Datenmatrix stark. Zunächst impliziert sie die Unabhängigkeit der Spalten und Zeilen in der Matrix. Dies bedeutet, dass die Rangordnung der Personen unabhängig davon sein muss, welches Item herangezogen wird. Umgekehrt muss die Rangordnung der Items unabhängig von den Personen sein. Diese Voraussetzung ist gleichbedeutend mit einer Überschneidungsfreiheit der Itemcharakteristikkurven. Andernfalls ist die Rangordnung der Items abhängig von der Positionierung der Personen. Das twoparameter logistic model entspricht dieser Voraussetzung nicht. Über diese einfache Rangordnung hinausgehend, erfordert ‚double cancellation’ parallele Itemcharakteristikkurven (Karabatsos 2001). Allgemeinere IRT-Modelle widersprechen diesen Prinzipien, dass heisst, sie stellen an die Daten nicht die Anforderungen, die für die Erschließung quantitativer Strukturen zu formulieren sind. Das Raschmodell ist hingegen mit diesen Bedingungen kompatibel. Allerdings ist festzuhalten, dass nur die Antwortwahrscheinlichkeiten nach dem Raschmodell der ‚double cancellation’-Bedingung notwendigerweise entsprechen. Auf Grund des probabilistischen Charakters des Modells treten bei den empirisch festgestellten Anwortanteilen Abweichungen auf, die auch im Widerspruch zur ‚double cancellation’ stehen können. Zur Zeit steht noch kein Test zur Verfügung, der eine Überprüfung auf probabilistische Einhaltung der ‚double cancellation’ ermöglicht. So bleiben Daten-Modell-Fittests die bislang einzige Möglichkeit, wobei aber ungeklärt ist, inwieweit diese Verfahren für diesbezügliche Verletzungen sensitiv sind. Neben der CFA-Methode im Rahmen der CTT wird daher im Folgenden die Überprüfung der Messäquivalenz im Rahmen des Raschmodells dargestellt. Messäquivalenz im Rahmen der CTT Die empirische Überprüfung der Messäquivalenz im Rahmen der CTT erfordert die Erweiterung des kongenerischen Modells um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Kulturgruppen. Statistisch lässt sich dies im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse für mehrere Gruppen (vgl. Horn u. McArdle 1992; Jöreskog 1971; Singh 1996; Sörbom 1974), realisieren. Im Marketing haben vor allem Singh (1995), Mullen (1995) und Steenkamp u. Baumgartner (1998) diesen Ansatz propagiert. Der Ausgangspunkt ist die Konstruktvalidität des Messmodels innerhalb der Kulturen. Diese ist dann gegeben, wenn das Messmodell innerhalb der Kulturen einen zufrieden stellenden Modellfit aufweist. Schon auf diesem Niveau besteht ein eingeschränkter Grad an Äquivalenz, da die in der CFA spezifizierten Restriktionen die gleiche Konfiguration der latenten und manifesten Variablen in allen betrachteten Gruppen bedingen. Diese Form der Äquivalenz wird daher als konfigurale Invarianz bezeichnet. Sie ist im Grunde ein Indiz dafür, dass das Konstrukt in ähnlicher Weise existiert, die Messwerte lassen sich aber nicht notwendigerwei-
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se auf derselben Metrik abbilden. Im nächsten Schritt werden daher die Ladungsparameter in allen Gruppen auf gemeinsame Schätzwerte restringiert. Dies ist gleichbedeutend mit gleicher Diskriminanz der Items. Führt die Einführung dieser Beschränkungen zu keiner signifikanten Verschlechterung des Modellfits gegenüber dem Modell der konfiguralen Invarianz, so besteht metrische Invarianz. Da Ladungsparameter vom absoluten Niveau der Itemscores grundsätzlich unabhängig sind, ist metrische Invarianz allerdings keine Garantie für die Absenz additiver Biases. Da jedoch Vergleiche über Kulturen hinweg zumeist gerade an Mittelwertsunterschieden interessiert sind, ist der Ausschluss solcher Verzerrungen unbedingt erforderlich. In Faktorenanalysen mit nur einer Gruppe bleiben Itemmittelwerte zumeist außer Betracht, weil diesbezügliche Unterschiede zwischen Items – im Unterschied zur IRT und zur Rasch-Messtheorie – zum einen nicht interpretiert werden und zum anderen eigentlich vermieden werden sollen. Im Mehrgruppenfall ist die Berücksichtigung der Itemmittelwerte aber essentiell. Allerdings interessieren auch hier nicht die Unterschiede zwischen den Items, sondern vielmehr Abweichungen innerhalb der Items über die Gruppen. Bei einem additiven Bias handelt es sich also um einen Mittelwertsunterschied eines manifesten Items in verschiedenen Gruppen bei gleicher Ausprägung auf der latenten Variable. Eine solche Verzerrung ist also stets relativ. Die Überprüfung, ob die Items frei von additiven Biases sind, erfolgt wiederum durch Einführung von Beschränkungen und Vergleich des Modellfits mit dem Ausgangsmodell. Bei keiner signifikanten Verschlechterung der Modellgüte spricht man von skalarer Invarianz. In der Praxis ist es unwahrscheinlich, dass alle Items völlig invariant sind. Für die Etablierung einer gemeinsamen Metrik ist dies allerdings gar nicht erforderlich. Bereits zwei skalar invariante Items definieren eine gemeinsame Skala. Aus Gründen der Stabilität sind freilich mehr als zwei Items wünschenswert. Andere Items lassen sich durch kulturspezifische Parameterschätzungen mit dieser Metrik verknüpfen. Eine detaillierte Darstellung findet sich bei Steenkamp u. Baumgartner (1998). Die Bestimmung der Messäquivalenz mittels CFA für mehrere Gruppen ist innerhalb der CTT zweifelsohne die beste Methode. Sie kann freilich die grundsätzlichen Probleme der CTT nicht überwinden. Auch ist die theoretische Unabhängigkeit der Ladungsparameter und der konstanten Itemintercepts in der Regressionsgleichung der latenten und der manifesten Variablen in der Praxis nur bedingt gegeben. Bei einem größeren Itemmittelwertsunterschied kommt es durch die Beschränkung der möglichen Werte der manifesten Variablen zwangsläufig zu Plafondeffekten in mindestens einer Kultur, was sich auf den Ladungsparameter auswirkt (s. dazu Salzberger et al. 1999). Ein weiteres Problem ist die grundsätzlich mangelnde Invarianz des Messmodells. Aus diesem Grund sind repräsentative Stichproben unbedingt erforderlich. Da jedoch auch andere Variablen die Messäquivalenz bedrohen können (beispielsweise das Alter der Personen), kann eine ungleiche Repräsentanz dieser Variable in den Kulturgruppen zu einer scheinbar kulturell bedingten mangelnden Invarianz führen. Dies kann nur dadurch überprüft werden, indem zunächst die Invarianz auf der Basis möglicher anderer Variablen,
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die mit Kultur teilweise konfundiert sind, überprüft wird. Technisch ist dies allerdings insoweit aufwändig, als für jede Variable eine neue Generierung der Datenmatrix als Input für die Strukturgleichungssoftware erforderlich ist. Schließlich ist auch zu beachten, dass ein additiver Bias, der alle Items in der gleichen Weise beeinflusst, generell, also auch durch andere Verfahren, nicht entdeckbar ist. Diese Möglichkeit ist gerade im interkulturellen Bereich nicht völlig unplausibel. So könnte etwa die Tendenz, einer Frage zuzustimmen kulturell determiniert sein. Messäquivalenz im Rahmen der RMT Der Ansatzpunkt für die Überprüfung der Messäquivalenz ist die grundsätzliche Forderung nach Invarianz, also Stichprobenunabhängigkeit der Itemparameter, im Rahmen des Raschmodells. Die Überprüfung dieser Modelleigenschaft stellt einen wichtigen Aspekt der Modellprüfung dar. Invarianz ist daher ein allgemein gültiges Prinzip, dass nicht auf interkulturelle Validität beschränkt ist. Für die praktische Prüfung der Daten auf Messäquivalenz stehen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung. Eine Möglichkeit, die Gültigkeit eines kulturübergreifenden Modells in seiner Gesamtheit zu prüfen, bietet der Likelihood-QuotientenTest von Andersen (1973). Dabei werden zunächst die Itemparameter aus über alle Kulturen gepoolten Daten geschätzt. Anschließend werden in separaten Analysen gruppenspezifische Parameter geschätzt. Der Likelihood-Quotienten-Test vergleicht die Wahrscheinlichkeit (Likelihood) der Daten auf der Grundlage der Parameterschätzung in der Gesamtgruppe mit der Likelihood der Daten auf der Basis der gruppenspezifischen Parameterschätzungen. Wenn die Itemparameter in verschiedenen Kulturen übereinstimmen, so lassen sich Messwerte über diese Populationen hinweg vergleichen. Bei interkultureller Gültigkeit des Raschmodells besteht somit Messäquivalenz im Sinne der skalaren Invarianz im Rahmen des faktorenanalytischen Ansatzes. Wenn das Raschmodell zwar innerhalb der Kulturen gilt, die Itemparameter sich aber zwischen den Kulturen unterscheiden, so entspricht dies der konfiguralen Invarianz. Analog zur partiellen Invarianz, besteht auch im Raschmodell die Möglichkeit, Items mit kulturspezifischer Funktionsweise mit der gemeinsamen Metrik zu verbinden. Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines Sets an Items, welches die latente Dimension kulturübergreifend definiert. Items, die eine gruppenspezifische Position am latenten Kontinuum einnehmen, zeigen „Differential Item Functioning“ (DIF). Auf Grund der Voraussetzung gleicher Itemdiskriminanz im Raschmodell ist das Item dennoch gleich stark mit der zu messenden Dimension assoziiert. Dennoch sollten plausible Anhaltspunkte vorliegen, warum ein bestimmtes Item in verschiedenen Gruppen eine unterschiedliche Position aufweist. Im Raschmodell ist die Rangordnung der Items nämlich ein wesentlicher Aspekt der Konstruktvalidität. Werden für ein Item mehrere, gruppenspezifische Parameter geschätzt, so kann die Itemhierarchie in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein. Es sollten daher vorab theoretisch begründete Vermutungen über die I-
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temhierarchie angestellt werden. Aus Sicht der CTT oder auch der allgemeineren IRT ist dies kaum ein Problem, da auch eine intrakulturell variierende Abfolge der Items modellierbar ist. DIF ist im Raschmodell damit sowohl eine messtheoretische als auch eine substanztheoretische Frage. Da die konkrete Vorgehensweise der Identifikation von DIF-Items von der eingesetzten Software abhängt, beziehen wir uns im Folgenden exemplarisch auf RUMM 2020 (Andrich et al. 2003). DIF wird dabei durch eine zweifacheVarianzanalyse der Residuen bestimmt. Die Residuen ergeben sich als Abweichung des tatsächlichen und des erwarteten Itemscores, welcher auf Grund der Item- und Personenparameter bestimmt wird. Zunächst werden die Personen in Klassen eingeteilt. Der erste Faktor der Varianzanalyse ist das Klassenintervall am latenten Kontinuum. Der zweite Faktor wird repräsentiert durch die Gruppierungsvariable Kultur. Der Effekt des ersten Faktors spiegelt den allgemeinen Fit des Items wider, während Signifikanz des zweiten Faktors DIF anzeigt. Diese Form des DIF wird auch als uniformes DIF bezeichnet, da sich das Item zwischen den Kulturen nur hinsichtlich seiner Position am latenten Kontinuum unterscheidet. Eine signifikante Wechselwirkung hingegen deutet darauf hin, dass die Steigung der ICC und damit die Diskriminanz des Items in den betrachteten Gruppen unterschiedlich sind. In diesem Fall wird von non-uniformen DIF gesprochen. Bei uniformem DIF kann das Item in formal getrennte Versionen für unterschiedliche Kulturen aufgespaltet werden, um kulturspezifische Parameter zu schätzen. Nonuniformes DIF impliziert eine Modellverletzung in zumindest einer Kultur. In diesem Fall empfiehlt sich daher ebenfalls ein solches Aufspalten, wobei aber ein mangelnder Fit des Items in zumindest einer Kultur zu erwarten ist.
Schlussbetrachtung In der quantitativen interkulturellen Marketingforschung ist die Frage der Messäquivalenz stets zu stellen. Ob Messwerte über Kulturgrenzen hinweg vergleichbar sind, also auf derselben Dimension in derselben Metrik abgebildet werden, ist zunächst ein messtheoretisches Problem. Mangelnde Äquivalenz kann, muss jedoch nicht die Folge der Gestaltung der Administration der Datenerhebung sein. Diesbezügliche Bemühungen um Äquivalenz können die Invarianz des Messinstruments zwar ermöglichen aber nicht garantieren. Eine qualitative Argumentation der Messäquivalenz muss daher zwangsläufig zu kurz greifen sein. Welche Methode zur empirischen Überprüfung der Messäquivalenz eingesetzt wird, ergibt sich zwangsläufig aus der zu Grunde gelegten Messtheorie. Eine Bewertung, welche Methode nun besser geeignet ist, ist damit gleichbedeutend mit der Frage, welche Messtheorie grundsätzlich adäquater ist. Im Paradigma der CTT bietet sich die konfirmatorische Faktorenanalyse für mehrere Gruppen an. Diese Erweiterung der CFA stellt zweifelsohne den im Rahmen der Möglichkeiten der CTT leistungsfähigsten Ansatz dar. Insbesondere
Daten- und Messäquivalenz in der internationalen Marktforschung
215
mit der Rasch Messtheorie steht allerdings eine innovative Methode zur Verfügung, die auf Grund der theoretischen Fundierung dem Ideal der Messung in den Naturwissenschaften wesentlich näher kommt. Die grundsätzliche Forderung nach Invarianz der Itemparameter im Raschmodell macht zudem deutlich, dass die Frage der Messäquivalenz in der interkulturellen Forschung kein genuines Problem darstellt. Vielmehr ist die Vergleichbarkeit von Messungen immer dann zu stellen, wenn Elemente einer demo- oder psychografisch heterogenen Population verglichen werden sollen. Da die Anknüpfung von DIF-Items an die gemeinsame Metrik im Grunde mit dem Prinzip der spezifischen Objektivität in konfliktärer Beziehung steht, kommt substanztheoretischen Überlegungen zum Einfluss der Kultur auf das Zustandekommen einer Messung ein hoher Stellenwert zu. Während für die Bestimmung der interkulturellen Validität eines Skala die Nationalität als Kriterium nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen nicht ungeeignet ist, stellt eine substanztheoretische Fundierung des Phänomens Kultur eine unablässige Voraussetzung für die Verallgemeinerbarkeit von messtheoretischen Erkenntnissen.
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Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen Arne Floh Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Einleitung Kundenbindung und Kundenbindungsprogramme haben in den vergangenen Jahren in Praxis und Wissenschaft stark an Bedeutung gewonnen. Gestiegener Wettbewerb, stetiger Anstieg der Kundenbedürfnisse bei verringerten Möglichkeiten der Produktdifferenzierung lösten eine Phase der internen Orientierung aus, an die sich eine Phase der externen Orientierung – hin zum Kunden eines Unternehmens – anschloss. Ein höheres Kostenbewusstsein führte zu der Erkenntnis, dass viele Kundenbeziehungen während der ersten Jahre ihres Bestehens unprofitabel sind, weshalb eine Verschiebung der Marketingaktivitäten auf die Pflege und Gestaltung von möglichst langfristigen Geschäftsbeziehungen zu beobachten war. Auf Seiten der Wissenschaft vollzog sich die Entwicklung dahin gehend, dass einzelne Vertreter der Scientific Community postulierten, dass es für eine erfolgreiche Unternehmensführung unabdingbar sei, die gesamten Geschäftsbeziehungen in das Zentrum der Marketingaktivitäten zu stellen und diese Beziehungen mit all ihren Facetten zu bewerten und zu pflegen. Die begleitende, umfassende Diskussion über einen Paradigmenwechsel vom so genannten Transaktionsmarketing zum Beziehungsmarketing führte zu einer nützlichen Akzentuierung einzelner Marketingaspekte und schuf so das gedankliche Umfeld für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Kundenbindung. Das Kundenbindungsmanagement kann in diesem Zusammenhang als ein Teilaspekt des umfassenden Ansatzes des Relationship Marketing bezeichnet werden. Mit dem rasanten Aufstieg der Technologie wurden der Kundenbindung zusätzliche Möglichkeiten und Einsatzgebiete erschlossen. Gerade das Internet ist mit seinen Besonderheiten (z. B. Interaktions- bzw. Individualisierungsmöglichkeit) aus der Sicht vieler Marketingautoren prädestiniert, um geeignete Maßnahmen zur Bindung von Kunden zu setzen. Die Realität sprach leider eine andere Sprache. Nach einem anfänglichen „Hype“ Mitte der 90er Jahre trat in den Jahren danach zunehmend Ernüchterung auf den neuen Märkten ein. Als Ursache für die zahlrei-
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Arne Floh
chen, teilweise spektakulären Insolvenzen wurden u. a. mangelnde Kundenbindung und Wiederkäufe verantwortlich gemacht (Reichheld u. Schefter 2000). Dieser Artikel gliedert sich inhaltlich in zwei Teile und hat sich zur Aufgabe gemacht, das Konstrukt Kundenbindung im Kontext elektronischer Geschäftsbeziehungen zu untersuchen. Beginnend mit einer umfangreichen konzeptionellen Aufarbeitung (Definition, Einflussfaktoren) werden im zweiten Teil die Arten von elektronischen Geschäftsbeziehungen nach den teilnehmenden Marktpartnern erörtert, die Gutseigenschaft als Determinante zur Bildung von elektronischer Kundenbindung diskutiert und zu guter Letzt verschiedene Möglichkeiten (Instrumente) der Bindung von Kunden im Internet vorgestellt.
Konzeptionelle Aufarbeitung des Konstruktes Kundenbindung
Begriffsbestimmung In der deutschsprachigen Literatur herrschte lange Zeit Unklarheit und Uneinigkeit über das Begriffsverständnis von Kundenbindung. Neben einer sauberen konzeptionellen Aufarbeitung des Begriffsinhaltes fehlte vor allem eine systematische Abgrenzung zu verwandten Konstrukten (wie z. B. Treue, Loyalität) sowie eine theoretisch-konzeptionelle Durchdringung und darauf aufbauende Vorschläge der Operationalisierung. Erst mit den Arbeiten von Diller (1995, 1996), Meyer u. Oevermann (1995), Nieschlag et al. (1998) bzw. Homburg und Bruhn (2000) konnte diese wissenschaftliche Lücke weitgehend geschlossen werden. Die umfangreichste Konzeptualisierung stammt dabei von Diller, der eine anbieter-, kunden- und geschäftsbeziehungsbezogene Definition von Kundenbindung liefert, um anschließend alle drei Sichtweisen in eine integrierte Sichtweise zusammenzuführen. Bei dieser Definition der Kundenbindung wird ein intensitätsmäßig abstufbares Verhalten von Kunden angenommen, welches im Fall einer Ex-post-Betrachtung direkt beobachtbar ist. Der Zeitbezug, der für den Wiederholungskauf zugrunde gelegt wird, hängt vor allem von der Kauffähigkeit in der jeweiligen Produktgattung ab. Eine Gegenüberstellung ausgewählter Definitionen von Kundenbindung liefert Tabelle 1.
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
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Tabelle 1. Ausgewählte Begriffsbestimmungen
Autor, Jahr
Definition
Meyer u. Oevermann 1995
„Die aktuelle Kundenbindung umfasst einerseits das bisherige Kauf- und Weiterempfehlungsverhalten und andererseits die zukünftigen Wiederkauf-, Zusatzkauf- (Cross-Selling-) und WeiterempfehlungsAbsichten (Goodwill) eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen, die aus psychologischen, situativen, rechtlichen, ökonomischen oder technologischen Bindungsursachen resultieren.“
Nieschlag et al. 1994
„Unter Kundenbindung versteht man das Bemühen, Abnehmer mit ökonomischen, sozialen, technischen oder juristischen Mitteln an einen Lieferanten zu ketten.“
Diller 1995
Homburg u. Bruhn 2000
„Kundenbindung liegt dann vor, wenn innerhalb eines zweckmäßig definierten Zeitraums wiederholte Informations-, Güter- oder Finanztransaktionen zwischen zwei Geschäftspartnern stattfinden (Ex-postBetrachtung) bzw. geplant sind (Ex-anteBetrachtung).“ „Kundenbindung umfasst sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, sowohl die bisherigen Verhaltensweisen als auch die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren beziehungsweise auszuweiten.“
Für eine umfassende Konzeptualisierung von Kundenbindung greift eine Analyse von Begriffsdefinitionen jedoch zu kurz. Aus diesem Grund wird auf die Vorgehensweise von Bagozzi (1984) zur Definition von Konstrukten zurückgegriffen. Die Konzeptualisierung wird dabei aufgrund der Bestimmung einer attributiven, dispositionalen und strukturellen Definition vorgenommen. Bei der attributiven Definition beschreibt man die mögliche Operationalisierung eines Konstruktes. Wirkungseffekte und Folgen von Kundenbindung werden bei der dispositionalen Definition erörtert und die Verbindung zu anderen Konstrukten oder Variablen wird im Rahmen der strukturellen Definition vorgenommen.
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Arne Floh
Attributive Definition In der aktuellen Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass Kundenbindung aus den Dimensionen bisheriges Verhalten und zukünftige Verhaltensabsicht besteht. Diese beiden Dimensionen unterteilen sich wieder in unterschiedliche Faktoren. Wiederkauf und Weiterempfehlung sind dabei dem bisherigen Verhalten zuzurechnen, Wiederkaufabsicht, Zusatzkaufabsicht und Weiterempfehlungsabsicht werden der Dimension Verhaltensabsicht zugeordnet. Kundenbindung
Konstrukt
Dimensionen Verhaltensabsichten
Bisheriges Verhalten
Faktoren
Wiederkauf
Weiterempfehlung
Wiederkaufabsicht
Zusatzkaufabsicht
Weiterempfehlungsabsicht
Abb. 1. Operationalisierung des Konstruktes Kundenbindung (Quelle: Homburg u. Fassnacht 1998)
Diese Operationalisierung enthält eine verhaltens- und eine einstellungsorientierte Komponente, indem das tatsächliche Handeln und die Verhaltensabsicht berücksichtigt wird. Zusätzlich erstreckt sich das Konstrukt sowohl auf die Vergangenheit (bisherige Käufe, Weiterempfehlungen) als auch auf die Zukunft (geplante Käufe, Weiterempfehlungen). Abbildung 1 veranschaulicht grafisch die attributive Konzeptualisierung des Konstruktes Kundenbindung. Zu diesem Zweck wurde exemplarisch auf die Arbeit von Homburg u. Fassnacht (1998) zurückgegriffen. Darstellungen von anderen Autoren unterscheiden sich nur unwesentlich von der oben angeführten Grafik. Dispositionale Definition Der positive Effekt von Beziehungsmarketing, langfristigen Geschäftsbeziehungen und Kundenbindung konnte bereits mehrfach empirisch nachgewiesen werden
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
223
(Hallowell 1996, Reinartz u. Krafft 2001). Demnach kann eine Steigerung der Kundenbindung bzw. Senkung der Abwanderungsrate um 5 % eine Steigerung der Profitabilität in Abhängigkeit von der jeweiligen Branche zwischen 25 und 85 % bewirken (Reichheld u. Sasser 1990). Die umfassendste konzeptionelle Aufarbeitung der Wirkungseffekte von Kundenbindung stammt von Diller (1995). Nach Ansicht dieses Autors lassen sich drei große Zielsektoren (Sicherheit, Wachstum und Gewinn/Rentabilität) unterscheiden. Als Sicherheitsziel kann das Streben nach Existenzsicherung bezeichnet werden. Es stellt in der Regel die übergeordnete Zielsetzung einer Unternehmung dar (Becker 1993). Die Absicherung der Existenz erfolgt im Falle der Kundenbindung über die Pflege des Kundenstamms. Kundenbindung ist somit in der Zielhierarchie den Marktzielen zuzuordnen (Scheuch 1996). Die Wirkungseffekte im Rahmen der Sicherheitsziele werden durch höhere Stabilität der Geschäftsbeziehungen, höhere Auskunftsbereitschaft der Kunden, höhere Toleranzschwelle und geringere Kontaktmöglichkeit der Konkurrenz erzielt. Wachstumseffekte werden in erster Linie durch eine höhere Kundenpenetration erzielt. Unter Kundenpenetration („Share of Customer“) versteht man die Ausschöpfung des kundenspezifischen Umsatzpotentials durch einen bestimmten Anwender. Konzentriert der Kunde seine Einkäufe bei einem Anbieter, so gewinnt dieser Marktanteile gegenüber den Wettbewerbern dazu. Darüber hinaus entsteht ein Anreiz zu häufigeren und größeren Einkäufen (Diller 1995). Kundenempfehlungen werden ebenfalls in die Gruppe der Wachstumseffekte eingeordnet. Weiterempfehlungen sind negative, neutrale oder positive Berichterstattungen eines Kunden über die objektiv und/oder subjektiv wahrgenommenen Merkmale einer Anbieterleistung (Helm u. Günter 2000). Schließlich gibt es noch die monetär messbare Gruppe der Wirkungseffekte. Kosteneinsparungen bei langfristigen Geschäftsbeziehungen sind häufig dadurch möglich, dass Kosten der Kundenakquisition vermieden werden können, wenn an die Stelle von Neukundenumsätzen solche bereits vorhandener Kunden treten. In diesem Falle entstehen Opportunitätsgewinne, deren Höhe oft unterschätzt wird, weil die Kosten der Akquisition selten erfasst werden (Diller 1995). Aus den bereits genannten Wirkungseffekten von Kundenbindung resultiert schließlich eine Erlös- und Umsatzsteigerung. Diller vergisst nicht auf mögliche Gefahren von Kundenbindung hinzuweisen und nennt in diesem Zusammenhang einseitige Kundenstruktur, mögliche Reaktanz von Kunden beim Versuch, Bindung bzw. Wechselbarrieren aufzubauen, und negative Mund-zu-Mund-Werbung (Diller 1995).
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Arne Floh
Strukturelle Definition Bruhn (2001b) liefert eine vollständige Erfolgskette des Beziehungsmarketings mit den wesentlichen Bausteinen Beziehungsmarketing, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und ökonomischer Erfolg. Bruhn geht dabei von der Grundstruktur einer Erfolgskette aus: Input des Unternehmens – Wirkungen beim Kunden – Output für das Unternehmen. Eine grafische Darstellung der Wirkungskette liefert Abbildung 2. Den Ausgangspunkt der Erfolgskette bildet das Beziehungsmarketing. Übertreffen die konkreten Produkt- und Dienstleistungserfahrungen die Erwartungen wird üblicherweise der Zustand der Kundenzufriedenheit erreicht. Unternehmensexterne moderierende Faktoren •Heterogenität der Kundenerwartungen •Marktbezogene Dynamik Marktbezogene Komplexität
Relationship Marketing
•Variety-Seeking-Motive •Image •Alternativenzahl •Bequemlichkeit der Kunden
Kundenzufriedenheit
•Individualität der Dienstleistung •Heterogenität des Leistungsspektrums •Leistungskomplexität
•Wechselbarrieren •Möglichkeit vertraglicher Bindungen •Funktionaler Verbund der angebotenen Leistungen
•Ertragspotential der Kunden •Leistungsbedürfnis der Kunden •Preisbereitschaft •Kundenfluktation
Kundenbindung
Ökonomischer Erfolg
•Ausgestaltung des Kundeninformationssystems •Mitarbeiterfluktation •Restriktionen bei der Preisfestlegung •Breite des Leistungsangebotes
Unternehmensinterne moderierende Faktoren
Abb. 2. Erfolgskette Kundenbindung (Quelle: Bruhn 2001b)
Kundenzufriedenheit steht in einem direkten Zusammenhang mit der Bindung eines Kunden, sie stellt dabei aber keine hinreichende Bedingung für wiederholte Transaktionen dar. Unternehmensexterne moderierende Faktoren (z. B. VarietySeeking-Behavior) sind dafür verantwortlich, dass zufriedene Kunden nicht immer zu Stammkunden werden. Der Anbieter kann wiederum der eventuellen Wechselbereitschaft des Kunden mit verschiedensten Maßnahmen entgegenwirken (moderierende unternehmensinterne Faktoren). Schließlich führt Kundenbindung (durch Up- und Cross-Selling) zum ökonomischen Erfolg. Dabei stellt das Leistungsbedürfnis des Kunden einen moderierenden Faktor für diesen Zusammenhang dar. Wenn ein Kunde bereits alle Leistungen eines Anbieters in Anspruch nimmt, können auch durch Erhöhung der Kundenbindung keine Cross-Selling-Potentiale ge-
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
225
nutzt werden. Dieser Umstand würde den letzten Schritt der Erfolgskette schließlich unmöglich machen. Einflussfaktoren Da die Bindung von Kunden an eine Leistung oder eine Geschäftsbeziehung verschiedene Ursachen haben kann, wird die Identifikation solcher Einflussgrößen als der wichtigste Gegenstandsbereich der konzeptionellen und empirischen Kundenbindungsforschung bezeichnet (Gerpott 2000). Marktbezogene Determinanten Anzahl und Größe der Markteilnehmer Vollkommenheit des Marktes Intensität der Konkurrenzbeziehungen Verhalten der Marktteilnehmer Anzahl der Wirtschaftsstufen Art der Wirtschaftsstufen (B2B, B2C) Art des Gutes Vielfältigkeit der Produktalternativen Attraktivität des Konkurrenzangebotes
Anbieterbezogene Determinanten Qualitätsmerkmale der Leistungserstellung Produkt-, Liefer-, Servicequalität, etc. Absatzpolitisches Instrumentarium Treuerabatte, Kundenevents, etc Kundenbindungsinstrumente Kundenclubs, Mitgliederkarten, Call Center, etc. Wechselbarrieren Rechtliche, technologische, politische und ökonomische Faktoren
Kundenbindung
Kundenbezogene Determinanten Demografische Merkmale Alter, Familienstand, etc. Sozioökonomische Merkmale Einkommen, Ausbildung, Beruf Psychografische Merkmale Commitment, Involvement, Trust, Variety-Seeking-Behaviour, Satisfaction Merkmale des Kauf-/Verwendungsverhalten Verwendungshäufigkeit/Markentreue
Beziehungsbezogene Determinanten Kommunikationsmedium Art, Anzahl, Eigenschaften Geschäftsbeziehung Dauer, Intensität und Stabilität Interaktivität Integrationswirkung Wechselseitige Informationsversorgung Individualisierung
Abb. 3. Kategorisierung möglicher Einflussfaktoren auf das Konstrukt Kundenbindung
Um dieser Forderung der Kundenbindungsforschung gerecht zu werden, wurde basierend auf den Pionierarbeiten in diesem Bereich (Bruhn 2001a, Meyer u. Oevermann 1995) eine Klassifikation möglicher Einflussgrößen erstellt. Die einzelnen Determinanten der Kundenbindung lassen sich demnach in vier Kategorien einteilen, die sowohl direkt einen Einfluss auf Kundenbindung ausüben, als auch sich gegenseitig bedingen (Floh 2004). So kann beispielsweise die Anzahl der Marktteilnehmer (z. B. Monopolist) sowohl einen direkten Einfluss auf die Kundenbindung haben als auch die Leistungen des Anbieters, die Zufriedenheit des Kunden oder die Dauer der Geschäftsbeziehung beeinflussen. Abbildung 3 stellt die einzelnen Kategorien und deren Einfluss auf die Kundenbindung noch einmal grafisch dar. Exemplarisch wurden für jede Gruppe mögliche Ausprägungen vorgenommen. Grundsätzlich lassen sich folgende Kategorien unterscheiden:
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Arne Floh
x Marktbezogene Determinanten sind von den Aktivitäten eines Unternehmens unabhängig. Sie zielen auf die Marktstruktur u. Ä. ab (Bruhn u. Homburg 2000). Die Zahl verfügbarer Alternativen oder die Attraktivität des Konkurrenzangebotes (Peter 1998) können als Vertreter dieser Gruppe genannt werden x Anbieterbezogene Determinanten der Kundenbindung beziehen sich auf die Aktivitäten des Anbieters (Bruhn 2001a). Dazu zählen u. a. der Einsatz des absatzpolitischen Instrumentariums, Wechselbarrieren ökonomischer, psychischer oder sozialer Natur oder die Teilnahme an einem Bonusprogramm (Sharp u. Sharp 1997) x Kundenbezogene Determinanten stehen die (psychografischen) Merkmale des Kunden im Vordergrund, welche die Bereitschaft zur freiwilligen Kundenbindung beeinflussen. Dazu zählen u. a. Zufriedenheit (Anderson u. Sullivan 1993, Homburg et al. 1999), Variety-Seeking-Behaviour oder Involvement des Produktkaufes (Bloemer u. Kaspar 1995) x Zu den beziehungsbezogenen Determinanten sind zum Beispiel Anzahl und Art des Kommunikationsmediums oder die Dauer der Geschäftsbeziehung zu rechnen (Sriram u. Mummalanei 1990)
Kundenbindung im Internet Die Bindung der Kunden an das Unternehmen des Anbieters wird durch das Internet als Medium der Geschäftsbeziehung bzw. möglicher Interaktionen vielfach beeinflusst. Durch den Wegfall persönlicher Kontakte einerseits, und der nicht vorhandenen Möglichkeit, Güter vor dem Kauf zu begutachten oder gar auszuprobieren, herrschen vielfach Vorbehalte seitens der Konsumenten gegenüber Transaktionen bzw. wiederkehrenden Transaktionen im Internet. Der Schaffung von Vertrauen bzw. der Visualisierung der elektronisch verfügbaren Produkte kommt daher eine herausragende Bedeutung zu. Die Eigenschaften eines Produktes haben – neben den teilnehmenden Akteuren – einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von interaktiven Geschäftsbeziehungen. Diesen Hindernissen stehen zahlreiche zusätzlichen Möglichkeiten bzw. Instrumente zum Aufbau von Kundenbindung im Internet gegenüber. Im Rahmen des zweiten Teils dieses Beitrages wird auf diese Gegebenheiten Bezug genommen und der Einfluss der Gutseigenschaft als Determinante bei der Bildung von elektronischer Kundenbindung analysiert, eine Typologie der möglichen Geschäftsbeziehungen (nach teilnehmenden Akteuren) erstellt und abschließend eine Auflistung möglicher Instrumente zur Bindung von Kunden im Internet präsentiert.
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
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Die Gutseigenschaft als Determinante bei der Bildung von elektronischer Kundenbindung Nicht jedes Produkt ist gleichermaßen und per se für den Vertrieb im Internet geeignet. Diese leidvolle Erfahrung mussten bereits viele Unternehmen machen, die den beeindruckenden Absatzprognosen von E-Commerce ohne begleitendes Marketingkonzept gefolgt sind. Von Bossiazky (1997) nennt Musik, Reisen, Dienstleistungen und Verbrauchsgüter als Produktgruppen, die für den Online-Verkauf besonders geeignet sind. Diese Aufzählung besitzt den Mangel einer fehlenden theoretischen Herleitung. Bliemel u. Theobald (1997) entwickelten anhand von Produkteigenschaften ein Kriteriensystem, welches unabhängig von Konsumentenbeurteilungen ist, und die Unterscheidung beliebiger Produkte in Internet- und Nicht-Internet-Güter erlaubt. Nach eingehender explorativer Untersuchung konnten schließlich folgende sechs Determinanten der Produkteignung zum Internetvertrieb extrahiert werden: x Preis [-]: Geldbetrag, den der Käufer bereit ist, zu zahlen. x Komplexität [-]: Anzahl der Eigenschaften, auf die der Käufer bei der Kaufentscheidung für ein Produkt Wert legt. x Beratungsbedarf [-]: Käufer wünscht sich eine persönliche Beratung oder möchte das „reale Produkt“ sehen. x Emotionale Aspekte [-]: Beim Kauf dieses Produktes stehen nicht logischrationale, sondern vor allem gefühlsbedingte Faktoren im Vordergrund. x Standardisierungsgrad [+]: Der Standardisierungsgrad gilt als gering, wenn sich Produkte von unterschiedlichen Anbietern in wesentlichen Eigenschaften unterscheiden. x Digitalisierungsgrad [+]: Das Kernprodukt lässt sich via elektronische Medien übertragen. In einer umfangreichen Studie mit über 1900 Befragten und 37 zufällig ausgewählten Produkten konnte der empirische Gehalt der sechs Determinanten verifiziert werden. Alle Kriterien lieferten einen hochsignifikanten Beitrag zur Erklärung der beobachteten Streuung. Den höchsten Zusammenhang mit der unabhängigen Variable Kaufwahrscheinlichkeit (Korrelationskoeffizient) wiesen die Determinanten Beratungsbedarf und Digitalisierungsgrad auf (Bliemel u. Theobald 1997). Kierzkowksi et al. (1996) gingen einen Schritt weiter und entwickelten ein Portfolio, welches die Kategorisierung von Produkten bezüglich der Eignung zu Electronic Customer Relationship Marketing zum Ziel hat. Die beiden Achsen bilden dabei „Potential für Bildung von individuellen Geschäftsbeziehungen“ und „Eignung zum Vertrieb mit interaktiven Medien“. Anschließend wurde eine Zuordnung der verschiedenen Produkte zu den beiden Dimensionen vorgenommen. Abbildung 4 stellt die Ergebnisse der Zuordnung grafisch dar.
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Arne Floh
Eignung zum Vertrieb mit interaktiven Medien
Hoch
Nachrichtendienste
Software
Finanzdienstleistungen
Versicherungen Musik
Feinkostläden Bücher
Interaktive Spiele
Reisebüros Sportartikel
Spielzeug
Autos Haushaltsgeräte
Bekleidung
Medizinische Leistungen Elektronik
Güter des täglichen Bedarfs Benzin, Kraftstoffe
Schmuck
Baby-Artikel
Niedrig Niedrig
Hoch
Potential für Bildung von individuellen Geschäftsbeziehungen
Abb. 4. Eignung verschiedener Güter und Branchen für die Bildung elektronischer Kundenbindung
Die Ergebnisse von Kierzkowski et al. (1996) decken sich mit jenen von Bliemel u. Theobald (1997). Finanzdienstleistungen, Bücher, Musik, Reisen stellen jene Produktgruppen dar, die sich am besten für die elektronische Gestaltung von individuellen Geschäftsbeziehungen eignet (rechter, oberer Quadrant der Grafik), während Benzin/Kraftstoffe und Güter des täglichen Bedarfs als ungeeignet eingestuft werden. Typologie elektronischer Geschäftsbeziehungen Die Einsatzbereiche des Internets sind nicht nur hinsichtlich ihrer Funktionen, sondern auch in Bezug auf die teilnehmenden Marktpartner sehr vielfältig. Dem besseren Verständnis dient in weiterer Folge eine Unterscheidung der möglichen Kombinationen von elektronischen Geschäftsbeziehungen nach den teilnehmenden Akteuren. In der Literatur unterscheidet man drei Gruppen von Marktteilnehmern (Riggert 2000): x Endverbraucher (Consumer) x Unternehmen (Business) x Öffentliche Einrichtungen (Administration)
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
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Tabelle 2. Typologie möglicher elektronischer Geschäftsbeziehungen (Zerdick et al. 2001) NACHFRAGER
Consumer
Consumer-toConsumer (C2C) z. B. Auktionen (OneTwoSold), Kleinanzeigen
Consumer-to-Business (C2B) z. B. Bewerber- und Absolventendatenbanken
Business
Business
Business-to-Consumer (B2C) z. B. Kundenbestellungen
Business-to-Business (B2B) z. B. E-Procurement
Administration
ANBIETER
Consumer
Administration-toConsumer (A2C) z. B. Abwicklung von Unterstützungsleistungen
Administration-toBusiness (A2B) z. B. öffentliche Ausschreibungen
Administration Consumer-toAdministration (C2A) z. B. Steuererklärung, Wohnsitzanmeldung Business-toAdministration (B2A) z. B. Einkommenssteuererklärung
Administration-toAdministration (A2A) z. B. Transaktionen zwischen Behörden
Es ergeben sich somit – wechselseitige Rolleneinnahme als Anbieter und Nachfrager vorausgesetzt – folgende neun Kombinationen unterschiedlicher Geschäftsbeziehungen: Business-to-Consumer (B2C) bezeichnet die geschäftliche Verbindung zwischen Unternehmen und Endverbrauchern, wobei besonders der elektronische Vertrieb im Vordergrund steht. Unternehmen präsentieren sich und ihre Produkte im WWW. Kunden haben die Möglichkeit die Waren rund um die Uhr im Internet zu bestellen (Schitter 2003). Unter Business-to-Business (B2B) versteht man die elektronische Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen. Die Einsatzbereiche umfassen alle Wertschöpfungsstufen und Geschäftsprozesse. Durch diese Kombination elektronischer Geschäftsbeziehungen ergeben sich für die Unternehmen zahlreiche Verbesserungen: Differenzierung vom Wettbewerb, Erzielung strategischer Wettbewerbsvorteile, verbesserte Kundenbindung, Beschleunigung der Geschäftsabwicklung, Vergrößerung des Absatzpotentials etc. (Herrmanns 2001). Transaktionen, bei denen der Privatkunde als Anbieter und Unternehmen als Nachfrager agieren, werden als Consumer-to-Business (C2B) bezeichnet. Eine
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Arne Floh
Applikation in diesem Bereich stellen sog. Reverse-Auction-Modelle dar, bei denen Kunden Produkte mit einer bestimmten Spezifikation zu einem bestimmten Preis anfragen und Unternehmen daraufhin ein Angebot unterbreiten (Schitter 2003). Unter Consumer-to-Consumer (C2C) versteht man die elektronische Geschäftsverbindung zwischen privaten Endverbrauchern. Die prominenteste Anwendung in diesem Bereich stellen sicherlich Online-Auktionsplattformen (z. B. OneTwoSold) dar, die vielfach auch als virtuelle Flohmärkte bezeichnet werden (Maier u. Pützfeld). Im Administration-to-Administration-Bereich (A2A) tauschen öffentliche Einrichtungen, wie Verwaltungsstellen, Magistratsabteilungen oder Bezirksämter untereinander, meist über ein eigens errichtetes Intranet, Informationen aus (Schitter 2003). Elektronische Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Einrichtungen des öffentlichen Lebens werden unter Administration-to-Business (A2B) bzw. unter Business-to-Administration (B2A) zusammengefasst. Als Beispiel können die Ausschreibungen von Bund und Ländern genannt werden. Unternehmen sind somit sehr schnell in der Lage, sich Informationen über mögliche Aufträge und deren Abwicklungsmodalitäten zu beschaffen (Maier u. Pützfeld 2002). Unter Administration-to-Consumer (A2C) und Consumer-to-Administration (C2A) versteht man die geschäftlichen Verbindungen zwischen Endverbrauchern und öffentlichen Einrichtungen. Durch diesen Typ elektronischer Geschäftsbeziehungen kommen viele Konsumenten in den Genuss, „Amtswege“ bequem von zu Hause zu erledigen. Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang die Abgabe der virtuellen Steuerklärung genannt (Maier u. Pützfeld 2002). Instrumente elektronischer Kundenbindung Die Umsetzung einer Kundenbindungsstrategie erfolgt durch den operativen Einsatz der Kundenbindungsinstrumente. Im Rahmen elektronischer Geschäftsbeziehungen stehen neben den „klassischen“ Kundenbindungsmöglichkeiten (wie z. B. Kundenclub, Rabatt- und Bonussysteme etc.) zahlreiche Kommunikationsdienste des Internets (z. B. FAQ, Newsgroups, Kundenforen etc.) zur Verfügung. Nachfolgende Tabelle gibt dem Leser einen Überblick über die wichtigsten Instrumente. Dabei wurde eine zweifache Gliederung nach absatzpolitischem Instrumentarium und Art der Wirkung auf den Kunden (Interaktion, Zufriedenheit und Wechselbarrieren) vorgenommen. Für eine detaillierte Diskussion der einzelnen Instrumente sei auf die einschlägigen Werke der Fachliteratur (z. B. Conrady 2002) verwiesen.
Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
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Tabelle 3. Instrumente elektronischer Kundenbindung (Quelle: Conrady 2002) Fokus Interaktion Produktbaukästen Produktpolitik
Preispolitik
Kommunikationspolitik
Distributionspolitik
Kundendatensatz zur Informationsgewinnung
Emails Chats mit Testimonials FAQ Kundenforen Gästebuch Visit durch den Kunden Gratisproben Besonderer Lieferservice
Fokus Zufriedenheit Zusatzleistungen Webbasierter Support Content Management Wettbewerb über WWW mit Prämien oder Geldpreisen
Zugang zu geschützten Bereichen Elektronische Kundenzeitschrift Web-Cams OnlineBestellung Kataloge (klick and order)
Fokus Wechselbarrieren Individuelle technische Standards Zusätzliche Services Rabatt- und Bonussysteme Preisdifferenzierung Preisbundling Rabattgewährung bei Bestellungen übers Internet E-Mails mit hohem Informationswert Spezielle Kommunikationskanäle Kostenpflichtige Newsletter Just-in-TimeKonzepte
Schlussbetrachtung Dieser Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, eine umfangreiche Konzeptualisierung von Kundenbindung vorzunehmen und anschließend exemplarische Besonderheiten bei der Bindung von Kunden im Rahmen elektronischer Geschäftsbeziehungen zu behandeln. Nach der Analyse der einzelnen Begriffsbestimmungen wurde eine umfassende Konzeptualisierung von Kundenbindung nach der von Bagozzi (1984) vorgeschlagenen Einteilung in attributive, dispositionale und strukturelle Merkmale eines Konstruktes vorgenommen. Dabei zeigte sich, dass das Konstrukt durch die Indikatoren Kauf und Weiterempfehlungen zu operationalisieren ist und somit eine Einstellungs- und Handlungskomponente aufweist. Zusätzlich wird eine Unterscheidung in vergangenes und zukünftiges Verhalten vorgenommen. Bei der Analyse der Wirkungseffekte konnten erhöhte Stabilität der Geschäftsbeziehungen, höhere Toleranzschwelle der Kunden und erhöhte Kundenpenetration identifiziert
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werden. Dies schlägt sich wiederum in einer Steigerung des Umsatzes bzw. des Unternehmensgewinnes nieder. Bezüglich der Verbindung zu anderen Konstrukten wurde eine Erfolgskette mit den Elementen Beziehungsmarketing, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und ökonomischer Erfolg präsentiert. Schließlich wurde die Vielzahl an möglichen Einflussfaktoren anhand vier verschiedener Faktoren (Markt, Anbieter, Kunde und Geschäftsbeziehung) kategorisiert. Im Rahmen der Besonderheiten bei der Gestaltung von elektronischen Geschäftsbeziehungen wurde zunächst auf die unterschiedliche Eignung verschiedenster Produkte und Dienstleistungen verwiesen. Es hat sich heraus gestellt, dass Güter mit hohem Standardisierungsgrad und hohem Digitalisierungsgrad gute Voraussetzungen für den Vertrieb im Internet und die Bildung von Kundenbindung im Internet aufweisen. Bei der Unterscheidung von Geschäftsbeziehungen nach teilnehmenden Akteuren im Internet konnten neun verschiedene Kombinationen ermittelt werden. Den Abschluss dieses Beitrages bildeten die verschiedensten Instrumente zur Bildung von elektronischer Kundenbindung. Kundenbindung stellt nach eingehender Analyse das Schlüsselkonstrukt für die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen und damit einhergehendem wirtschaftlichem Erfolg dar. Dies trifft in besonderem Maße für elektronische Geschäftsbeziehungen zu. Die Besonderheiten des Internet beeinflussen die Schaffung von Kundenbindung nachweislich. Nur wer das Internet als Chance erkennt, wird langfristig einen Wettbewerbsvorteil erzielen können.
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Kundenbindung bei elektronischen Geschäftsbeziehungen
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Formalisierung qualitativer internationaler Marketingforschung – Grundsätze und Anwendungsfall Elfriede Penz und Rudolf R. Sinkovics Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien und Manchester Business School
Einleitung Die Bedingungen internationaler Geschäftstätigkeit ändern sich nachhaltig und ständig aufs Neue. Die Herausforderungen, die sich daraus ergeben sind für Firmen ebenso groß wie für Marketingforscher. Etablierte Forschungsmethoden müssen vor dem Hintergrund neuer oder in Entwicklung befindlicher Forschungsmöglichkeiten und –bedingungen evaluiert werden. Craig und Douglas (2001) weisen auf neue technologische Innovationen hin, welche die Art und Weise revolutionieren, in welcher Marketingforscher und -praktiker mit Organisationen und Konsumenten in unterschiedlichen geographischen Umfeldern interagieren. Diese Interaktion ist von substantiellen Schwierigkeiten gekennzeichnet, denn grenzüberschreitende Forschung bedeutet konzeptionelle und auch methodische Herausforderungen. Die Übertragung von traditionellen und im nationalen Kontext vertrauten Forschungsmethoden und –praktiken auf den internationalen Kontext ist daher nicht immer möglich (McDonald 1985). Die Entscheidung einer angemessenen Forschungsstrategie für den internationalen Marketingsektor ist üblicherweise eine Funktion der zur Verfügung stehenden Informationen und des existierenden Anwendungswissens im betreffenden Forschungsfeld (Churchill und Iacobucci 2002). Der überwiegende Teil der Literatur im Marketing ist auf präzise Forschungsfragen hin ausgerichtet, welche mit robusten quantitativen Methoden überprüft werden können. Viele Ausgangssituationen für empirische Forschungsprojekte zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass nur wenige empirische Befunde vorliegen und existierende Forschungsergebnisse unterschiedliche Interpretationen zulassen. Gerade für Forschungsfragen im dynamischen internationalen Marketingsektor ist daher die Verwendung von kreativen und flexiblen Forschungsdesigns gefordert. Ghauri und Grønhaug (2002) empfehlen explorative und qualitative Forschungsmethoden. Vielfach wird auch argumentiert, dass qualitative Methoden besonders geeignet sind Bedeutungsmuster und hinter quantitativen Informationen versteckte Inhalte hervorzukehren
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(Ruyter und Scholl 1998) sowie einen gesamtheitlichen Blick auf den Themenbereich offenzulegen (Denzin und Lincoln 1998). Diskussionen über Forschungsmethodologien und kulturvergleichende Ansätze sind seit mehr als dreißig Jahren Gegenstand der Forschung (Cavusgil und Das 1997; Holzmüller 1995; Knight et al. 2003). Signifikante Beiträge existieren zu solchen Problemfeldern wie Forschungsdesign, Stichproben, Datenerhebung und Datenanalyse, Reliabilität und Validität und auch der spezifischen Anwendung von Forschungsergebnissen für sektorale Entscheidungen (Harris 2000; Nasif et al. 1991; Samiee und Jeong 1994). Die Integration von positivistischen und interpretativen Methodologien in flexible und reflexive Forschungsansätze wird angeregt (vgl. Coviello und Jones 2004; Easterby-Smith und Malina 1999), dennoch sind aus unserer Sicht methodologische Überlegungen hinsichtlich qualitativer Forschung und der Analyse von Textdaten selten.
Problemdarstellung Die Literatur bietet ein ansehnliches Repertoire an konzeptionellen Arbeiten über qualitative Methoden (Bickman und Rog 1997; Denzin und Lincoln 1994). Die Anwendung dieser qualitativen Ansätze für den Forschungsalltag im internationalen Marketing läuft allerdings nur schleppend an. Hintergrund scheinen Bedenken bezüglich eingeschränkter Replikaktionsmöglichkeiten zu sein, sowie Schwierigkeiten, die mit der Koordination von internationalen Forschungsteams verbunden sind. Miles (1979) weist darauf hin, dass qualitative Daten quasi ein ‚attraktives Ärgernis’ darstellen: Sie bieten unbeschränkte Sicht auf reale Probleme. Wir bauen auf diesem Argument auf und wollen in diesem Beitrag die Nützlichkeit der Analyse und Interpretation qualitativer Daten für die internationale Marktforschung diskutieren. Die Anwendung von Standards in der qualitativen Forschung und formalisierten Prozeduren in der Datenerhebung und -analyse ist gerade für grenzüberschreitende Marketingforschung von Bedeutung. Die zunehmende Verbreitung von qualitativer Analysesoftware (CAQDAS, Computer Assisted Qualitative Data Analysis Software) hilft Marketingforscher und Praktiker formalisierte Prozeduren zu verfolgen und ihre Arbeit auf eine solide Basis zu stellen (Crawford et al. 2000). Qualitative Forschungsmethodik wird einerseits in konzeptionellen Beiträgen, in denen spezielle Software und deren Vorteile dargestellt werden, behandelt. Andererseits existieren Artikel, welche qualitative Ansätze für bestimmte Forschungssituationen vorstellen. Der vorliegende Beitrag stellt eine Integration dieser beiden Perspektiven dar: Es werden Aspekte qualitativer Forschung im internationalen Marketing diskutiert und diese anschließend anhand eines konkreten Anwendungsfalles Schritt für Schritt unter Einsatz einer qualitativen Analysesoftware, nämlich N*Vivo, erläutert.
Formalisierung qualitativer internationaler Marketingforschung
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Bei dem Anwendungsbeispiel handelt es sich um Wissensmanagement in einem internationalen Beratungskontext. Firmenmanager wurden zu Tiefeninterviews eingeladen und bezüglich betrieblicher Praxis von Wissenssammlung und Wissensübermittlung befragt. Daten wurden aus drei verschiedenen Ländern gesammelt, kodiert und in einem strukturierten und formalisierten Vorgang ausgewertet.
Konzeptioneller Rahmen
Qualitative Forschung Qualitative Forschung umfasst eine Reihe von explorativen Methoden wie etwa Gruppendiskussionen und Tiefeninterviews. Zwar ist es schwieriger mittels qualitativer Methoden Phänomene exakt und in standardisierter Form präzise abzubilden, jedoch bieten diese Methoden eine interessante gesamtheitliche Perspektive an, um Hintergrundinformationen und Grundlagen zu bestimmten Objektbereichen zu erfassen. Darüber hinaus ist ihre Augenscheinvalidität überzeugend (Miles 1979, S.590). Interessanterweise dominiert in Methodendiskussionen ein eher separatistischer und ausgrenzender Blickwinkel. Qualitative Methoden werden nicht als zulässige Forschungsvarianten anerkannt, sondern jeweils in Beziehung auf quantitative Methoden definiert. Anstatt die Vorteile der jeweils anderen Methodik anzuerkennen und eine Integration zu versuchen, wird in der Literatur zumeist die Dichotomie von Sieber (1973) als „historischer Antagonismus“ bezeichnet - betont. Dieser Fokus auf die Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen, positivistischen und nicht-positivistischen oder numerischen und nicht-numerischen Methoden limitiert die Möglichkeiten für Forscher, anstatt diese zu verbreitern (Catterall 1998). Ein besonders starker Kritikpunkt der häufig gegenüber qualitativen Forschungsmethoden geäußert wird, ist der vermeintliche Mangel an Replikationsfähigkeit, Reliabilität und Validität. Aber selbst die Sichtweise, dass qualitative Forschung als eine Ergänzung oder Vorstufe zu quantitativer Forschung genutzt werden kann (Bartunek und Seo 2002), ist problematisch. Denn schließlich impliziert dieser Ansatz eine Überlegenheit der quantitativen Methodologie gegenüber qualitativen, wobei qualitative Forschung ‚nur’ als Vorbereitung für ‚ernste’ und ‚solide’ Methodik dient. Wir treten in diesem Beitrag für eine weniger dichotome Sichtweise ein und plädieren für Methodenpluralismus. Entsprechend Brannen (1992) versuchen wir eine Integration der beiden paradigmatischen Sichtweisen und hoffen damit die Grundlagen für ‚gute’ qualitative Forschung definieren zu können.
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Viele Autoren sprechen von ‚guter’ qualitativer Forschungsarbeit, wenn es möglich ist empirische Befunde leicht zu replizieren, d.h. zu wiederholen und hinsichtlich ihrer Reliabilität zu bekräftigen. Dies würde für die Forschungspraxis bedeuten, dass Datensätze für andere Forscher zur Verfügung gestellt werden sollten. Unter Berücksichtigung der dokumentierten Analyseschritte sollten sich für gute qualitative Forschungsarbeit die gleichen Ergebnissen erzielen lassen (Griggs 1987). Leider erfordert dieser Ansatz nicht nur eine Duplizierung des Forschungsaufwandes, sondern auch die Berücksichtigung von expliziten Regeln für die Datenkodierung, den Umgang mit Antwortverweigerung und unterschiedlichen Interpretationen, die in qualitativer Forschung kaum existieren (Marshall 2002). Andere Autoren argumentieren, dass es in qualitativer Forschung aufgrund der Komplexität des Forschungsumfeldes ohnehin nicht möglich sei ein einziges und allgemein gültiges Abbild der Realität zu erfassen. Dementsprechend wären Diskussionen über die Reliabilität und Validität völlig unangebracht und würden für die Analyse von Textdaten keinerlei Nutzen stiften. Marshall (2002) betont in diesem Zusammenhang, dass es selbst für zwei Forscher, die den gleichen wissenschaftstheoretischen Hintergrund mitbringen und die gleichen theoretischen Konzepte verwenden, undenkbar wäre auf der Grundlage von einem bestimmten Datensatz zu identischen Ergebnissen zu kommen. Es ist unser Ziel in diesem Beitrag weniger dogmatisch an die Diskussion heranzugehen und die Entwicklung und Anwendung von praktischen Regeln für die Codierung und Analyse qualitativer Daten zu unterstützen. Gerade im internationalen Marketing erscheint es uns wichtig die empirische Datenarbeit genau voranzutreiben, zu ‚bürokratisieren’ (Miles 1979) und somit einen Beitrag zur Replikaktionswürdigkeit zu leisten. Die Entwicklung brauchbarer Forschungsergebnisse und –wissens, das nicht nur für einen kulturellen oder nationalen Kontext Gültigkeit besitzt, sondern überregionale Bedeutung hat, erfordert den Einsatz von Forscherteams. Dementsprechend geht es um die Zusammenführung von mehrsprachigen Interviews, Transkripten und Interview-Codes. Dies ist nur durch formalisierte Vorgangsweisen möglich. Die Globalisierung der internationalen Marketingforschung Die Bedeutung von internationalen Themen ist seit mehr als 25 Jahren kontinuierlich angewachsen. Mittlerweile sind Begriffe wie ‚global’, ‚international’ oder ‚multinational’ zu Modewörtern gewachsen. In der akademischen Literatur wurden Beiträge mit großer Begeisterung aufgenommen (siehe etwa Buckley und Casson 1976; Levitt 1983; Perlmutter 1969), und die Zahl an Fachjournalen mit einschlägigen Themen hat rasant zugenommen. Hinsichtlich der Bedeutung dieser Entwicklung für die internationale Marketingforschung ist zu sagen, dass sich gerade durch den zunehmenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien massive Effizienz- und Produktivitätsvorteile erzielen lassen. Die technologischen Entwicklungen ermöglichen neuerdings die Datenerhebung und – auswertung auf einer globalen Basis (Cateora und Ghauri 2000). Craig und Doug-
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las (2001) betonen die Wichtigkeit von aktuellen und umfassenden Informationen, weisen jedoch auf die Koordinationsproblematik hin, diese Informationen aus mehreren und heterogenen Forschungsumwelten zusammenführen zu müssen. Eine Reihe von Publikationen hat sich den methodischen und empirischen Herausforderungen bezüglich komplexer Datenanalyse und multi-kulturellen Vergleichen beschäftigt (z.B. Brislin et al. 1973; Cavusgil und Das 1997). Der Großteil der Publikationen in diesem Kontext fokussiert allerdings auf quantitative Forschung. Die wachsende Bedeutung qualitativer Forschung Entgegen aller Bemühungen und Anreize von Seiten jener Forscher, welche für internationale Marketingforschungsprojekte mit Vorliebe auf Fragebogen zurückgreifen, zeigt sich eine entmutigende Tendenz. Die Erzielung brauchbarer Rücklaufquoten ist immer schwerer möglich (siehe etwa Fahy 1998; Harzing 2000). Darüber hinaus gibt es für quantitative Studien auf internationalem Niveau eine Vielzahl praktischer Hindernisse. Etwa eine unüberschaubare Anzahl an Beteiligten in internationalen Forschungsteams, Mehrsprachigkeit, Probleme von Kontaktadressen und die Herausforderung mit Äquivalenzaspekten konstruktiv umzugehen. Qualitative Methoden sind außergewöhnlich flexibel (de Ruyter und Scholl 1998) und können problemlos an spezifische Forschungsprobleme angepasst werden, ohne große Stichproben zu erfordern (Sykes 1990). Manager zeigen sich mehr und mehr besorgt über die Unmengen an Informationen, welche Grundlage für informationsunterstützte Entscheidungen darstellen sollen. Scanner-Daten, große quantitative Transaktionsdatenbanken und konsolidierte internationale Konsumentenbefragungen sind sowohl Traum als auch Alptraum für Marketingmanager. Trotz enormer technologischer Fortschritte in der Datenspeicherung und –auswertung scheint die schiere Informationsflut vielfach den Blick auf die zugrundeliegenden Muster zu verstellen. Qualitative Methoden stellen in diesem Zusammenhang kreative Möglichkeiten dar aus den Datenmassen sinnvolle Informationen und Schlussfolgerungen zu ziehen (Livingston 1994) und Manager zeigen ein zunehmendes Interesse an diesen Möglichkeiten (Zimmerman und Szenberg 2000). Maclarlan und Catterall (2002) unterstreichen die Bedeutung von Textanalyse als computergestütztes Instrument. Die Interaktion mit dem Computer bietet sehr gute Möglichkeiten mit kulturellen Problemen des grenzüberschreitenden Marketings umzugehen. In einem kontrastierenden Bezug zur Globalisierungsliteratur existieren konzeptionelle und empirische Beiträge, die den linearen und einförmigen Charakter der Marktentwicklungen ablehnen. Firat (1997) etwa spricht von Fragmentierung statt von Universalisierung und diskutiert die Transformation der internationalen Konsumentenlandschaft hin zu vielschichtigen, interdependenten Kulturen und Segmenten. Brown (2004) illustriert pointiert seinen postmodernen Ansatz mit dem Aufruf zu Ironie, Nostalgie, Einbeziehung statt Ausgrenzung, und kluger Mediennutzung. Qualitative Forschungsansätze bieten ein außergewöhnlich mäch-
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tiges Repertoire (z.B. ethnographische Methoden, projektive Techniken) um das internationale Marketingumfeld zeitgemäß zu repräsentieren. Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie haben auch enorme Fortschritte für die qualitative Forschung gebracht. Lee und Fielding (1991) illustrieren eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Nutzung von Computern oder Multimedia Anwendungen für qualitative Forschung. Gerade bezüglich der Auswertung von textbasierten Daten, auf welche das Hauptaugenmerk in diesem Beitrag gelegt wird, existieren eine zunehmende Zahl von Softwarelösungen (Miles und Huberman 1994; Titscher 2000). Im vorliegenden Fall stellen Transkripte von Experteninterviews die Datengrundlage und den Ausgangspunkt für softwaregestütze formalisierte Auswertungen. Qualitätsaspekte qualitativer Forschung Konstrukt-, Methodenfehler und Äquivalenz: Qualitative internationale Marketingforschung die sich den Ansprüchen wissenschaftlicher Seriosität stellt, muss sich dem Themenfeld Konstrukt-, Methodenfehler sowie Äquivalenz widmen. Die Konzepte sind miteinander stark verbunden (Poortinga 1989). Ein Konstrukt- oder Methodenfehler deutet darauf hin, dass bestimmte Faktoren äquivalente Messungen vereitelt haben. Ein Konstruktfehler kann auftreten, wenn es etwa ungenaue Abgrenzungen von Konstrukten in der Datenerhebung in mehreren Ländern gibt und somit unterschiedliche Antwortreaktionen auftreten. Ein Methodenfehler kann dann auftreten, wenn durch kulturelle Neigungen wie soziale Erwünschtheit (Hui und Triandis 1989) auf bestimmte Fragestellungen systematisch unterschiedliche Antwortreaktionen erfolgen. Piekkari und Welch (2004) erörtern weiters die besondere Bedeutung der Sprache in Interviewsituationen, was im qualitativen Forschungszusammenhang dem entspricht, was im quantitativen Kontext unter ‚stimulus’-Fehler verstanden wird. Salzberger, Sinkovics und Schlegelmilch (1999) diskutieren das Thema der Äquivalenz für quantitative Forschung. Unter konzeptionellen Gesichtspunkten sind die Aspekte der Konstruktäquivalenz, Datenerhebungsäquivalenz und Datenverarbeitungsäquivalenz allerdings auch für die qualitative Textanalyse von Bedeutung. Marktforscher sind dementsprechend dazu angehalten, ihre internationalen qualitativen Daten in miteinander vergleichbarer Form zu erheben, z.B. über Interviews oder Beobachtungen. Für Fokusgruppen ist neuerdings Software verfügbar, welche es den Gruppenmitgliedern erlaubt direkt, d.h. unter Ausschaltung eines Moderators, miteinander zu interagieren (Kiely 1998). Erfahrungsberichte sind allerdings spärlich und es ist nicht klar wie gut diese Methodik bei Fokusgruppen mit Mitgliedern aus mehreren Ländern funktioniert. Äquivalenzerfordernisse bezüglich der Datenverarbeitung erfordern schließlich Maßnahmen um die Interviewdaten in vergleichbaren, systematischen und standardisierten Codiersystemen verfügbar zu machen. Dies ist ein Bereich der besonders gut mit qualitativer Analysesoftware wie N*Vivo bewältigt werden kann. N*Vivo erlaubt das Arbeiten mit mehreren Gruppen und ist somit prädestiniert für qualitative
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internationale Marketingforschung. Das Ziel qualitativer internationaler Marketingforschung ist es, die verschiedenen Länderresultate einem Vergleich zu unterziehen. Die Äquivalenz der Daten ist dafür eine notwendige Bedingung, welche dann erreicht werden kann, wenn die vordem beschriebenen Äquivalenzaspekte Berücksichtigung gefunden haben. Reliabilität und Validität: Die Konzepte Reliabilität und Validität spielen in der Beurteilung der Qualität empirischer Forschung eine herausragende Rolle (Nunnally 1978). Für qualitative Forschung ist der Stellenwert dieser Konzepte jedoch umstritten. Manche argumentieren, dass aufgrund der unterschiedlichen paradigmatischen Sichtweisen zwischen qualitativer und quantitativer Forschung eine simple Übernahme dieser Konzepte auf qualitative Forschung nicht vernünftig sei. Leider hat dies zu einer Unsicherheit bezüglich dessen geführt was als „guter“ qualitativer Forschungsbeitrag zu verstehen ist. Die Entwicklung von wichtigen alternativen Qualitätskriterien wurde damit verhindert und dies hat der qualitativen Forschung nicht immer gedient (Borman et al. 1986). Vor diesem Hintergrund haben etwa Kirk und Miller (1986) oder LeCompte und Goetz (1982) versucht, die Konzepte der Reliabilität und Validität für die qualitative Forschungspraxis zu überdenken. Lincoln und Guba (1984) sowie Denzin (1994) schlagen die Verwendung alternativer Terminologie und alternativer Formen der Qualitätsbewertung für qualitative Forschung vor: Übertragbarkeit, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit, sowie Bestätigungsfähigkeit. Glaubwürdigkeit wird dabei von Guba und Lincoln (Guba und Lincoln 1989) als verwandt mit interner Validität verstanden. Das Hauptaugenmerk liegt in der Erreichung einer Übereinstimmung zwischen den Realitäten, die von Interviewten geschaffen werden und denen die von Forschern stammen. Übertragbarkeit weist Ähnlichkeiten mit paralleler Validität oder Generalisierbarkeit in quantitativer Forschung auf. Verlässlichkeit ist ein Gütekriterium, welches Ähnlichkeiten mit Reliabilität aufweist und auf die Stabilität der Ergebnisse im Zeitablauf abzielt. Bestätigungsfähigkeit entspricht schließlich der Objektivität in quantitativer Forschung. Internationale Marketingforscher müssen den Nachweis erbringen, dass ihre Daten und die daraus entwickelten Erkenntnisse nicht nur Abbilder ihrer eigenen Phantasie darstellen. Die Schlussfolgerungen ihrer Untersuchungen müssen logisch und in sich stimmig sein und Umstände des Untersuchungsobjektes widerspiegeln. Die Zielsetzung der Validität in qualitativer Forschung schließlich bedingt die Erbringung von Nachweisen dafür, wie die Daten interpretiert wurden. Gute qualitative Forschung erfordert formalisierte und offengelegte Methoden (Merton 1949). Nur unter dieser Bedingung der Offenlegung von Methoden und Logik kann die Forschungsgemeinde die Validität qualitativer Forschung beurteilen.
Methodenüberblick und Empirie Die im konzeptionellen Rahmen dargestellten Aspekte werden nun im methodischen Teil anhand einer empirischen Untersuchung im Bereich Wissensmanage-
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ment illustriert. N*Vivo dient als Software um Stabilität und Qualität der Datenanalyse im interkulturellen Kontext zu diskutieren. Wissensmanagement als konzeptioneller Hintergrund für die Anwendung von N*Vivo Wissensmanagement im Kontext von internationalen Unternehmen hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen (Bennett und Gabriel 1999; Buckley und Carter 2002; Mudambi 2002). Marketingmanager in multinationalen Unternehmen sind gefordert in immer kürzerer Zeit Entscheidungen von zunehmender Komplexität zu treffen. Erfolg und Misserfolg eines Unternehmens sind sehr stark von der Wahrnehmung von Markttrends abhängig. Deshalb ist die Fähigkeit eines Unternehmens den Markt zu überblicken, sich an ständig ändernde Marktbedingungen anpassen zu können und marktfähige Innovationen zu schaffen enorm wichtig. Dazu ist es notwendig sich neues Marktwissen anzueignen, dieses Wissen zu verwalten und zu nutzen und schließlich das erworbene Wissen im Unternehmen den Managern und Mitarbeitern zugänglich zu machen (Schlegelmilch und Penz 2002). Die Rolle von Wissensressourcen in der Erreichung und Erhaltung von Wettbewerbsvorteilen wurde bereits recht umfangreich in der Literatur behandelt (siehe Davenport und Prusak 1998; De Geus 1988; Kim 1993; Prahalad und Hamel 1990; Stata 1990). Ebenso der Transfer von Wissen innerhalb von multinationalen Unternehmen (vgl. Foss und Pedersen 2002). Innerhalb von Wissensmanagement spricht man auch von einer Wertkette, die aus den Phasen (i) Wissensbildung, (ii) Wissensspeicherung, (iii) Wissensweitergabe und (iv) Wissensanwendung besteht (Shin et al. 2001): Die (i) Herausbildung von Wissen wird als eine sehr wichtige Funktion von Marketing in einer wissensbasierten Wirtschaft gesehen (Achrol und Kotler 1999) und besteht z.B. in der Vernetzung von Personen basierend auf ihrem Kontakt zu Kunden oder der Einspeisung von neuen Erkenntnissen aus der Marktforschung in bestehendes Wissen (Shin et al. 2001). Das so erworbene bzw. veränderte Wissen soll in der (ii) zweiten Phase gespeichert werden. Dies geschieht in Form von Erfahrungen und persönlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter, eines ganzen Teams oder Unternehmens durch z.B. implizite Regeln, und durch Berichte oder Datenbanken (Bennett und Gabriel 1999). Danach kann das (iii) Wissen ausgetauscht werden. Ein Marktforschungsprojekt, welches von internen und externen Personen betreut, aufgezeichnet und in der Wissensmanagement-Datenbank eingetragen wurde, wird beispielsweise in der Marketingabteilung besprochen und Implikationen daraus gemeinsam diskutiert (Shin et al. 2001). Schließlich wird das erworbene Wissen im Marketing angewandt um die Leistung zu steigern (Absatzsteigerung, Erhöhung der Qualität) und den Unternehmenserfolg zu erhöhen (Demarest 1997). In Bezug auf die individuelle Ebene von Wissensmanagement, nämlich die Bereitschaft von Mitarbeitern ihr Wissen zu teilen, gibt es jedoch noch wenig empirische Forschungsbeiträge. Wissensweitergabe ist mit Mechanismen interpersonaler
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Beziehungen zwischen Managern und Mitarbeitern verbunden. Die Art der Interaktion zwischen Managern und deren Mitarbeiter, die spezifischen organisatorischen und Umweltfaktoren sowie soziale Faktoren beeinflussen nachweislich Wissensweitergabe. In Firmen, wie zum Beispiel IT Beratungen, in denen Wissensweitergabe und seine Implementierung wichtig sind, beeinflusst das Management das Verhalten indirekt über Normen, Werte und Kultur. Diese hängen jedoch von sozialen Beziehungen, der Bildung von Identität und Ideologien und nicht vom Verhalten der Mitarbeiter selbst ab. Deshalb ist es auch schwierig, das Ergebnis von solchen Managementstilen zu messen (Hislop 2003; Kärreman und Alvesson 2004). Der Erfolg von Wissensmanagement hängt von der Bereitschaft der Mitarbeiter ihr Wissen zu teilen, ab. Mitarbeiter jedoch zeigen oft ziemlich starken Widerstand dagegen (Hislop 2003). Der empirische Teil dieser Untersuchung bezieht sich einerseits auf die Beziehung zwischen Wissensmanagement und persönlichen Beziehungen und wendet andererseits konzeptionelle und methodische Betrachtungen zur qualitativen Forschung im internationalen Management an. Eine wissensbasierte Industrie wurde gewählt um die Manager-Mitarbeiter-Beziehung empirisch zu untersuchen. Dabei nehmen wir an, dass eine sozio-ideologische Form von Kontrolle die sogenannten Wissensarbeiter steuert. Forschungsdesign und Entwicklung der Hypothesen Um die folgende, qualitative Studie wissenschaftstheoretisch zu fundieren, wurde Corbin und Strauss‘ „Grounded Theory“ Ansatz (Corbin und Strauss 1990; Strauss und Corbin 1998) gewählt, die eine analytische Logik zur Bewertung von solchen Studien vorschlagen. N*Vivo wurde als geeignete Software identifiziert, die große Mengen von Daten in verschiedenen Formaten speichert und organisiert und somit den Austausch zwischen den involvierten Forschern mit ihren verschiedenen kulturellen Hintergründen ermöglicht. Forschungsfragen wurden auf der Basis existierender Literatur zu Wissensmanagement und interpersonalen Beziehungen entwickelt. Dabei wurde insbesondere auf Schlüsselquellen zu Wissensmanagement (Bennett und Gabriel 1999; Buckley und Carter 2002; Mudambi 2002), zu HR Management und motivationalen Aspekten (Hislop 2003; Kim 1993; MacNeil 2003) zurückgegriffen und der Bezug zu Wissensarbeitern (Ardichvili et al. 2003; Kubo und Saka 2002; Osterloh und Frey 2000; Osterloh et al. 2002; Smith und Rupp 2003) hergestellt. Es wurde darauf geachtet Forscher bias zu kontrollieren1. Die Forschungsfragen lauten:
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Unterschiedliche Antwortformate und Bedingungen im qualitativen Interview wurden berücksichtigt, um eine Äquivalenz der Forschung zu erhalten. Während zum Beispiel deutsche Manager die Interviewer in ihr Büro einluden, wählten die österreichischen Manager eher eine informelle Umgebung, wie zum Beispiel die Kantine oder informelle
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x Welche Sichtweise von Wissensmanagement haben Manager internationaler Firmen mit Marketingaufgaben? Subjektive, persönliche und objektive Perspektiven? x Wie beeinflusst die Beziehung zwischen Manager und Mitarbeiter das Wissensmanagement? Wie gehen Manager mit Motivation, Belohnung und Fehlern um? x Wie ist die Beziehung zwischen dem Unternehmen (der Unternehmenskultur, den Zielen, etc.) und seinem Humankapital (Manager, Mitarbeiter) von einer Manager Perspektive? Stichprobe und Kontext Textdaten, die durch halbstandardisierte Interviews, Beobachtungen und Unternehmensdaten im Sinne eines „Grounded Theory“ Ansatzes (Strauss und Corbin 1998) gesammelt wurden, dienten als Grundlage für die Bildung einer Theorie zur interpersonalen Beziehung zwischen Managern und Mitarbeitern. Wissensintensive, internationale Unternehmen, die in zumindest zwei Märkten tätig sind, waren die Grundlage der Datenerhebung, da bei diesen Unternehmen aufgrund des höheren geographischen Einzugsgebietes erfolgreiche Wissensmanagementprozesse und -instrumente gefordert sind. Zu Beginn der Untersuchung wurden zwei Unternehmen ausgewählt und untersucht. Drei Manager von zwei internationalen Beratungsunternehmen wurden telefonisch oder persönlich kontaktiert und gebeten an der Studie teilzunehmen. Die Auswahl basierte auf der Größe der Unternehmen, der Geographie, und ihres Kerngeschäfts. Unternehmen aus Österreich, Deutschland und Italien wurden ausgewählt, da erwartet wurde, dass zwar die geographische Nähe hoch sei, aber die psychographischen Eigenschaften der Personen eher unterschiedlich sind. Externe Validität wurde erreicht, indem Manager aus unterschiedlichen Unternehmenssektoren ausgewählt wurden und deren Antworten verglichen werden können. Im weiteren Verlauf wurde ein theoretisches Datensammlungsverfahren nach Creswell (1997) angewandt. Das heißt, dass gemäß der sich entwickelnden Theorie weitere Untersuchungsteilnehmer ausgewählt wurden (sechs Manager in vier Unternehmen) und hinsichtlich einer Bestätigung oder Widerlegung der bereits identifizierten Aspekte und des damit verbundenen Kontexts untersucht wurden. Weitere Interviews wurden deshalb mit Managern mit ähnlichem Kontext (Beratungsunternehmen) mit komplementären Hintergrund (IT Firmen oder Technologie-basierte Beratungen in einem internationalen Umfeld) geführt. Weitere Unternehmen aus verschiedenen Sektoren wurden ausgewählt, um Unterschiede
Besprechungsräume. Die italienischen Manager dagegen wollten sich eher außerhalb der Büros treffen, zum Beispiel in Cafés.
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feststellen zu können, wie z.B. ein italienischer Manager aus einer NichtTechnologie basierten Beratung. Entwicklung des Instruments und Datenerhebung Um funktionale und konzeptionelle Äquivalenz zu garantieren, wurde zuerst geklärt, ob Wissensmanagement in den befragten Unternehmen die gleiche oder eine ähnliche Funktion erfüllt. Daher wurden Informationen (zum Beispiel von FirmenWebseiten, internationalen Tochterunternehmen, Medienberichten und der Teilnahme an Wissensmanagement-bezogenen Veranstaltungen) über die Unternehmen gesammelt und hinsichtlich ihres Verständnisses und ihrer Anwendung von Wissensmanagement ausgewertet. Dieser Aspekt wurde auch bei der Datenerhebung berücksichtigt: der Interviewleitfaden begann mit der Frage, wie Wissensmanagement im Unternehmen gesehen wird und was genau es bedeutete. Während alle drei Manager aus dem gleichen Beratungsunternehmen von „Information“ als wesentlichen Bestandteil von Wissensmanagement sprachen, verwendeten die anderen Manager den Begriff „Wissen“. Das Speichern von Information und Wissen unterstützt ihrer Meinung nach die Mitarbeiter und führt zur Herstellung von Kontakten untereinander. Zusammengefasst kann man sagen, dass die befragten Personen unter dem Begriff Wissensmanagement ähnliches verstanden und es ähnlich definierten. Geringe Unterschiede können auf unterschiedliche Verantwortlichkeiten der Befragten und der Geschäftsart zurückgeführt werden. Bei der Entwicklung eines Messinstrumentes ist die Validität, das heißt die Nützlichkeit des Instrumentes (Nunnally 1978) ein wichtiger Faktor. Bevor der Interviewleitfaden eingesetzt wurde, wurde er daher an Managern aus Österreich und Italien getestet. In Bezug auf die Datensammlung wurde der Prozess standardisiert und damit die Äquivalenz der Forschungsmethoden, der Untersuchungseinheiten und der Verwaltung gewährleistet. Interkulturelle Fragestellungen wurden in zwei intensiven Trainings diskutiert. Die Interviewer wurden mit den notwendigen Fakten zur Durchführung der Interviews vertraut gemacht, und über den Hintergrund und die Positionen der Manager innerhalb des Unternehmens informiert (Welch et al. 2002). Zusätzlich wurde die sprachliche Problematik bei der Durchführung von Expertengesprächen ausreichend diskutiert (Marschan-Piekkari et al. 1999). Ein stufenweiser Interviewprozess (Grunert und Grunert 1995) wurde vorgeschlagen, da er hilft Fragen abzuklären, Interpretationen von Antworten während des Interviews zu verifizieren und Konsequenz in der Nachverfolgung von aufkommenden Themen während des Interviews zu gewährleisten (Arksey und Knight 1999; Kvale 1996; Lee 1999; Rubin 1995; Strauss und Corbin 1998).
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Interviews Insgesamt wurden neun Interviews in Unternehmen aus drei Ländern durchgeführt. Vier österreichische, zwei italienische und drei deutsche Unternehmen nahmen an der Studie teil. Die Interviews fanden zwischen März 2003 und März 2004 statt. Die Befragten gehörten der höheren oder mittleren Managementebene an und waren innerhalb ihres Unternehmens für Wissensmanagement verantwortlich. Die Interviews wurden zumeist in den Büros der Befragten in Englisch, Deutsch oder Italienisch durchgeführt und dauerten zwischen einer und zwei Stunden. Um die Ergebnisse replizierbar zu machen, wurden die erhaltenen Daten auf Tonband aufgenommen, digitalisiert und in der Originalsprache transkribiert. Zusätzlich erstellte jeder Interviewer eine Zusammenfassung des Interviews in Englisch als eigenes Dokument. Spezielle Schritte und Fragen in der Datenerhebung Drei vorgeschlagene Vorgehensweisen wurden angewandt, um Konstruktvalidität (Lee 1999) zu erreichen: (1) mehrere Quellen von Plausibilität , (2) Erstellung einer Plausibilitätsabfolge, und (3) Rückmeldung an Informanten (Yin 2003). (1) Mehrere Quellen von Plausibilität: Kommentare der Interviewten, Beobachtungen während der Interviewsituation und Umgebungsfaktoren (physikalische Faktoren wie Gebäude, Eingang, etc.) wurden aufgeschrieben. Die Infrastruktur der Büros und das Verhalten der Mitarbeiter wurden ebenfalls beobachtet und notiert. Unter anderem wurden visuelle Materialien wie Werbungen und Regeln für Mitarbeiter, die zum Beispiel auf den spezifischen Unternehmenswebseiten kommuniziert wurden, in die Analyse mit einbezogen um die Konstruktvalidität zu erhöhen. Zusätzlich nutzten Forscher ihre Notizen um die Relevanz der jeweiligen Informationen hinsichtlich der übergeordneten Forschungsfrage zu beurteilen. Jeder Forscher wurde instruiert, die einzelnen Quellen hinsichtlich des zu untersuchenden Konzeptes zu bewerten. Dann wurden die Kommentare diskutiert und eine gemeinsame Bewertung der verwendeten operationalen Messungen vorgenommen. (2) Erstellung einer Plausibilitätsabfolge: Wie von Yin (2003) und Lee (1999) vorgeschlagen wurde ein logischer, sequentieller Prozess, der rekonstruiert und von externen Beurteilern vorweggenommen werden kann, eingehalten. Bei der Auswahl der Unternehmen sollten die Forscher zunächst Feldnotizen über die Kontaktsituation machen, z.B. über die Kontaktfrequenz, wie war die Atmosphäre und der erste Eindruck, wie ging die Terminvereinbarung vor sich. Anschließend wurden die Interviews in der jeweiligen Sprache (Englisch, Deutsch und Italienisch) durchgeführt und transkribiert. Notizen, die bei der Durchführung der Interviews gemacht wurden, ergänzten die anfänglichen Beobachtungen. Die Zusammenführung verschiedener Informationsquellen gemeinsam mit der Datenanalyse versprach hohe Konstruktvalidität.
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(3) Schlüsselinformanten: Der dritte Schritt bestand darin, wichtigen Informanten die vorläufigen Berichte und Beobachtungen der Interviewer vorzulegen und bei nicht korrekter Wiedergabe der Informationen diese zu berichtigen. Die Forscher wurden, wie von Yin (2003) vorgeschlagen, durch den Erhebungsprozess anhand eines Protokolls geleitet um die Reliabilität der Studie zu erhöhen. Das Protokoll sollte eine Wiederholung und Replikation der Verfahren ermöglichen. Das Protokoll wurde gemeinsam im Team mithilfe von N*Vivo (Modelling und Memo Funktionen) erarbeitet und enthielt die Zielsetzungen der Studie, spezifische Verfahren und den Interviewleitfaden. Später wurden die Notizen als grober Leitfaden für die Dokumentation der Erfahrung der Forscher verwendet. Analyse Die Datenanalyse bestand aus mehreren Schritten, nämlich dem (a) Organisieren der Daten, dem (b) Kodieren der Daten, den (c) Suchprozessen und dem (d) Modellieren. Organisation der Daten Zu Beginn wurde ein neues Projekt unter N*Vivo definiert, welches aus verschiedenen Dokumenten bestand. Ein wesentlicher Bestandteil waren die Transkripte in Originalsprache der neun Interviews. Zusätzlich wurden die niedergeschriebenen Beobachtungen der Interviewer und Unternehmensinformationen (auch Bildmaterial) inkludiert. Drei Forscher stellten das Kernteam dar, jeder der drei beherrschte eine der verwendeten Sprachen perfekt (Englisch, Deutsch und Italienisch). Alle drei waren mit den anderen Sprachen vertraut, was als Voraussetzung für die Entwicklung eines gemeinsamen Kodierschemas galt. Zusätzlich wurde ein Interview mit einem italienischen Unternehmen, das nicht den zuvor definierten Kriterien entsprach, in Rom durchgeführt um innerhalb des Landes Vergleiche hinsichtlich der Manager-Mitarbeiter Beziehung ziehen zu können. Dieses Vorgehen ermöglichte eine Prüfung der Validität und diente als Indikator für Reliabilität. Unter dem Bereich „Attribute“ in N*Vivo wurden im Projekt zusätzlich zum qualitativen Textmaterial quantitative Unternehmensdaten integriert, die einen guten Einblick in den Unternehmenshintergrund und die Organisationsstruktur lieferten.
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Kodierung der Daten Das gesammelte Datenmaterial wurde schließlich kodiert. Dieser Vorgang ist ein wesentlicher Schritt im analytischen Prozess. Der Kodiervorgang ist eine fortwährende Interpretation und Untersuchung der Textdaten von verschiedenen Perspektiven und hängt von der Anzahl und der jeweiligen, involvierten Forscher ab. Zwei Kodierstrategien wurden angewandt: (a) a-priori und (b) a-posteriori Kategorisierung. Bei der Analyse der Daten wurde mit der a-priori Kategorisierung begonnen. Basierend auf der relevanten Literatur und Informationen aus Experteninterviews wurde ein englisches Kategorienschema entwickelt, bevor die Erhebung der Daten begann. A-posteriori Kategorisierung wurde nach der Erhebung der Daten in Österreich, Deutschland und Italien angewandt. Empirische Indikatoren basierten auf dem mehrsprachigen Datenmaterial und wurden im weiteren Analyseprozess verwendet. Die Interviewsprache wurde beim Kodieren der Daten beibehalten. Später wurden die Kodes einheitlich in Englisch übersetzt, um die weitere Analyse und Vergleichbarkeit zu erhöhen. Zusätzlich erhöhte dies die Reliabilität, da die Diskussionen der Forscher über ein einheitliches Kategorienschema in Englisch abgehalten wurden. Das vorgeschlagene Kategorienschema wurde laufend gemeinsam ergänzt. Dadurch kann verhindert werden, dass ein einzelnes Kategorienschema (des „etic“ Ansatzes) entsteht. Es bewirkt, dass Länderbesonderheiten sichtbar werden und eine Äquivalenz der Daten entsteht. Die Festlegung der Größe des Kategorienschemas erforderte eine Ausgewogenheit zwischen Breite und Tiefe. Das Kategorienschema kann als Funktion des Forschungsprozesses gesehen werden und entwickelt sich mit der Zeit (Marshall 2002). Daher wurde jede Textpassage genau nach den in der Literatur vorgeschlagenen Prozessen durchgeführt: Offenes, axiales und selektives Kodieren. Offenes Kodieren wird meistens zur Entdeckung von Kategorien und zur Identifikation von neuen Konzepten verwendet. In dieser Phase der Kodierung fügte jeder Forscher unabhängig voneinander Kategorien hinzu, die in gemeinsamen Treffen diskutiert und angepasst wurden. Es wurden zu Beginn ungefähr 130 Kategorien durch offenes Kodieren gebildet. Axiales Kodieren wendet die Kategorien und Konzepte auf die empirischen Daten an. Kategorien werden auf ihre Unterkategorien bezogen und Überschneidungen von Kategorien identifiziert. Das Ziel des axialen Kodierens liegt darin, dass die Kategorien an Tiefe gewinnen. Jene Kategorien, die die gleichen Konzepte darstellten, wurden zusammengefasst. Die Anzahl der Kategorien wurde auf acht Hauptkategorien reduziert2. Schließlich
2
Diese Hauptkategorien waren: „companies goals“, „role of management“, „company culture“, „concept of knowledge management“, „origin of the knowledge management
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wurde selektives Kodieren angewandt. Bei dieser Art des Kodierens werden die Kategorien noch integriert und verfeinert um eine Theorie zu bilden. Konzepte wurden erstellt und Aussagen herangezogen, um das Phänomen zu erklären. Die Textdaten wurden verringert und, wie von Lee (1999) oder Strauss/Corbin (1998) vorgeschlagen, eine gewünschte Abstraktionsebene für das Projekt erreicht. Suchprozesse Der nächste Schritt bestand darin, mittels Suchprozessen eine Theorie auf Basis der Daten zu erarbeiten. N*Vivo erlaubt es Forschern unendlich viele Suchprozesse durchzuführen. Die Software liefert den Schlüsselbegriffen entsprechende Textstellen als Output. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Unternehmen-Manager-Mitarbeiter Beziehung und zielte auf die Analyse der Manager-Perspektiven hinsichtlich des Wissensmanagements ab. Folglich wurden in N*Vivo zum Beispiel die Kategorien „Importance of Employee“, „Communication“, „Utility of Knowledge“, etc. genauer untersucht. Es wurden auch sogenannte Matrix Intersections von verschiedenen Kategorien gebildet und die Ergebnisse als neue Kategorien abgebildet. Für auf E-Business spezialisierte Unternehmen spielte beispielsweise die Bildung von Netzwerken eine sehr wichtige Rolle im Rahmen von Wissensmanagement. Beratungsunternehmen dagegen setzten Wissensmanagement dazu ein, das vorhandene Wissen ihrer Mitarbeiter optimal nutzen und im Unternehmen verteilen zu können. Die Suchergebnisse in N*Vivo wurden auch dazu genutzt, Häufigkeiten zu berechnen und Tabellen in SPSS zu exportieren, was eine deskriptive Analyse und folglich eine Formalisierung und Strukturierung der Daten ermöglicht. Die Suchprozesse und Matrix Intersections wurden auch zur Analyse von länderübergreifenden Unterschieden verwendet. Nur für einen Befragten, einen italienischen Berater, hingen zum Beispiel Wissensmanagement und Teamorientierung zusammen. Er beschrieb sein Unternehmen als ein Unternehmen für und von Menschen und ein Gefühl von Zusammenhalten innerhalb des Unternehmens. Er bemerkte auch, dass die genaue Ausrichtung nach internationalen Zielen die Arbeit weniger angenehm macht. Bei all den anderen Aussagen war Wissensmanagement sehr stark an Fragen der Organisationsstruktur, flache Hierarchie und den Konflikt zwischen Technikern und Management gekoppelt. Es schien, als ob diese Perspektiven Unterschiede aufgrund des nationalen Kontexts widerspiegelten, obwohl sicherlich nicht zu stark verallgemeinert werden kann.
system“, „implementation of the knowledge management system“, „measures of knowledge management“, und „ideal knowledge management“.
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Modellbildung Im letzten Schritt der N*Vivo Analyse wurden Dokumente, Kategorien, Attribute und Notizen verwendet. Die grafische Darstellung half in der Bildung von Kategorien und ermöglichte die visuelle Erstellung eines Kategorienschemas. Die Modellbildung half beim Erstellen des Projektes sowie in der grafischen Darstellung des Forschungsprozesses. Weiters unterstützt die Visualisierung bei Problemen der Kodifizierung und bei sprachlichen Unstimmigkeiten innerhalb des Forscherteams. Schließlich half es bei der Konzeptionalisierung von Ideen, die im Laufe des Kodierens und der diversen Suchprozesse entstanden. Die Modelle in N*Vivo können als „lebende Organismen“ verstanden werden, denn sie entstehen und verändern sich parallel zum Analyseprozess, werden von den Forschern angepasst und verfeinert. Diskussion Als Ergebnis des qualitativen Forschungsprozesses liegen die konsolidierten Interpretationen der beteiligten Forscher zur Beziehung zwischen Managern und Mitarbeitern vor, die im Wesentlichen bisher bekannte Ergebnisse widerspiegeln. In einigen Bereichen ist es jedoch gelungen, zusätzliches Wissen zu generieren. Wissen zu teilen wird als wichtiger Teil von Wissensmanagement in internationalen Unternehmen verstanden. Die meisten Manager sehen in Wissensmanagement ein Werkzeug zum Speichern von Informationen. Zusätzlich zu diesen bekannten Ergebnissen wurde jedoch immer wieder auf die Beziehungsdimension aufmerksam gemacht. Beziehungsdynamiken zwischen Managern und ihren Mitarbeitern beeinflussen stark das Ausmaß und die Tiefe der Wissensteilung. Innerhalb der benutzten Wissensmanagement-Systeme spielen technische Aspekte eine wesentliche Rolle. Unter dieser Voraussetzung können Beziehungen zwischen Mitarbeitern ermöglicht, die Entwicklung von informellen Netzwerken zwischen Kollegen unterstützt und Kommunikation generell erhöht werden. Bei Beratungsunternehmen sehen Manager ihre Mitarbeiter als Gruppe von „Schauspielern“, denen Regieanweisungen gegeben werden müssen und die zusammenkommen müssen, um Probleme zu lösen. Im Gegensatz dazu sehen Manager in elektronischen bzw. Computer-Unternehmen im Wissensmanagement ein System, das die Mitarbeiter unterstützen kann. Zusammenfassend konnte keine „beste“ Vorgangsweise im Umgang mit Wissen und seinem Management gefunden werden. Wissensmanagement ist sehr stark von der Kultur eines multinationalen Unternehmens, von den Kulturen, in denen die einzelnen Individuen leben und der Art wie zum Beispiel Manager und Mitarbeiter miteinander umgehen, abhängig.
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Um diese Aspekte zu erfassen wurden kulturelle Unterschiede und Ähnlichkeiten im Forschungsprozess integriert. Das passierte in der Art, wie die Manager angesprochen und interviewt wurden und wie sie auf die Fragen reagierten. Die Untersuchung zeigte, dass österreichische und italienische Manager eher in flachen Hierarchien dachten und nicht die Kontrollfunktion von Wissensmanagement erwähnten. Ihrer Meinung nach sollten Tätigkeiten die Mitarbeiter zufrieden stellen was durch Wissensmanagement ermöglicht werden kann. Der Grounded-Theory Ansatz und der Einsatz einer Software zur Analyse der Textdaten unterstützte den Forschungsprozess folgendermaßen: Das durch die Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Interviews entstandene, implizite Wissen der Interviewer konnte explizit gemacht werden, indem es aufgeschrieben, aufgenommen, transkribiert und analysiert wurde. Das explizite Wissen, wie die hierarchischen Dimensionen in Unternehmen und die Branchenunterschiede, die vor der Durchführung der Interviews bereits feststanden, konnte in implizites Wissen transformiert werden, welches in der Interviewsituation (der Interaktion zwischen Interviewer und interviewten Manager) und zur Beobachtung erforderlich war. Schließlich führte die kontinuierliche Diskussion zwischen den Forschern und die laufende Aktualisierung der Informationen, ihrer Analyse und ihrer Daten (Strauss und Corbin 1994) zu einer Vertiefung und Verbesserung der qualitativen Forschungsschritte und generell einer erhöhten Vertrauenswürdigkeit und Qualität der Forschung.
Zusammenfassung Qualitative internationale Marketingforschung ist mit den Austauschbeziehungen zwischen geographisch verteilten Unternehmungen und Konsumenten beschäftigt. Aufgrund der fundamentalen Unterschiede, die sich durch diese Dislozierung gegenüber lokalen Forschungsbemühungen ergeben ist es nicht weiter verwunderlich, dass etablierte und strukturierte Methoden und Praktiken aus dem heimatlichen Marketing nicht immer erfolgreich angewendet werden (McDonald 1985). Insofern sind auch Bedenken bezüglich Qualitätsaspekten qualitativer Forschung, i.S. hoher Subjektivität und allenfalls niedriger Reliabilität erklärbar. Dieser Hintergrund hat sicherlich dazu beigetragen, dass qualitative Forschungsansätze im internationalen Marketing bislang eine nicht so große Akzeptanz gefunden haben. Wir schlagen in diesem Beitrag die Verwendung von Forschungsstandards vor, deren Anwendung im Forschungsprozess und insbesondere im Zusammenhang mit der Analyse qualitativer Textdaten, dazu mithelfen kann, diesen Kritikpunkten entgegenzuwirken. Durch die Berücksichtigung der Aspekte Glaubwürdigkeit bzw. Validität, Verlässlichkeit bzw. Reliabilität, Übertragbarkeit bzw. Generalisierbarkeit und Bestätigbarkeit bzw. Objektivität im qualitativen Forschungsprozess wird die Logik des Forschers transparent gemacht. Dadurch gewinnen Interpretationen an Substanz. Die Anwendung von formalisierten Prozessen und der
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Einsatz von Analysesoftware, hier am Beispiel N*Vivo illustriert, hilft und unterstützt Marketingforscher. Es vereinfacht die Zusammenarbeit bei internationalen Projekten und stärkt den Einblick in die Logik und die Transparenz der Dokumentation. Formalisierung bedeutet nach unserer Ansicht nicht Verstärkung („Rigor“), nicht Rigidität.
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Welch C, Marschan-Piekkari R, Penttinen H, Tahvanainen M (2002) Corporate Elites as Informants in Qualitative International Business Research. International Business Review, 11 (5): 611-628 Yin R K (2003) Case Study Research: Design and Methods. 3rd ed., Thousand Oaks, CA.: Sage Publications Zimmerman A S, Szenberg M (2000) Implementing International Qualitative Research: Techniques and Obstacles. Qualitative Market Research: An International Journal, 3 (3): 158-164
IV. Umsetzungs- und Anwendungsfelder
Management von Marketingevent-Projekten Roland Gareis Projektmanagement Group, Wirtschaftsuniversität Wien
Marketingevent-Projekte sind Eventprojekte, die der Realisierung eines Marketingziels dienen. Eventprojekte sind durch die Erfüllung erlebnisorientierter Dienstleistungen, die Interaktion mit den Event-Teilnehmern und die strukturell bedingte Projektdynamik charakterisiert. Professionelles Projektmanagement ermöglicht einen adäquaten Umgang mit dieser Komplexität und Dynamik von Marketingevent-Projekten. Wesentliche Dokumente des Projektmanagement werden exemplarisch am KundenbindungsProjekt „One Dragon Tour“ dargestellt.
Events als kommunikationspolitische Marketinginstrumente von Organisationen und von Städten Events stellen eine Alternative zu den klassischen Kommunikationsinstrumenten des Marketings dar. Sie ermöglichen die direkte Interaktion mit Zielgruppen und sie ermöglichen es, Werbebotschaften in erlebbare Ereignisse umzusetzen. Im Vergleich zu anderen kommunikationspolitischen Instrumenten sollen Events vor allem folgende Kriterien erfüllen: x Events sind von Unternehmen initiierte Veranstaltungen ohne Verkaufscharakter x Events unterscheiden sich bewusst von der Alltagswirklichkeit der Zielgruppe x Events setzen Werbebotschaften in tatsächlich erlebbare Ereignisse um, d.h. inszenierte Markenwelten werden erlebbar x Events werden zielgruppenfokussiert ausgerichtet und stehen für eine hohe Kontaktintensität x Events sind interaktionsorientiert; Kunden werden aktiv über die Verhaltensebene mit einbezogen x Events sind Bestandteil des Konzepts integrierter Unternehmenskommunikation (Sistenich 1999, 62 ff) Marketingziele, die durch Events unterstützt werden können, sind z.B. die Präsentation eines neuen Produkts, die Neupositionierung einer Organisation, die
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Roland Gareis
Steigerung des Bekanntheitsgrads oder des Images einer Organisation, der Erhalt bzw. der Aufbau von Partner- und Kundenbeziehungen oder die Etablierung eines neuen Vetriebskanals. Marketingevents können sich auf ein Produkt, eine Organisation oder auch auf eine Stadt bzw. Region beziehen. Die Auftraggeberschaft zur Durchführung eines Events liegt daher einerseits bei Organisationen und andererseits bei Stadtverwaltungen. Ein (unternehmensbezogener) Marketingevent ist eine Veranstaltung, die „multisensitiv vor Ort von ausgewählten Rezipienten erlebt und als Plattform zur Unternehmenskommunikation genutzt wird“ (Bruhn 1997). „Stadtmarketing umfasst alle Aktivitäten, die dem Ziel dienen, die Attraktivität einer Kommune für die verschiedenen Zielgruppen zu erhöhen. Diese Aktivitäten müssen – um als Stadtmarketing zu gelten – auf einem strategisch durchdachten Wettbewerbskonzept basieren, das den lokalen Spezialisierungsvorteilen durch die Positionierung der Stadt im Wettbewerb der Kommunen Rechnung trägt“ (Mauer 2002, 19). Ziel des Stadtmarketings ist die Förderung des Images einer Stadt, um dadurch die Attraktivität für die Bewohner und deren Identifikation mit der Stadt zu steigern und auch den Tourismus zu erhöhen. Werden Events von Organisationen in Unternehmen oder von Städten als absatzpolitische Instrumente eingesetzt, „… stellen sie komplexe Begleitmaßnahmen zu sonstigen Instrumentalentscheidungen dar. In diesem Fall treten Eventplanungsinhalte im Kontext der absatzpolitischen Inhalte auf: x Ist-Analyse, Soll-Planung x strategische Marketingentscheidungen, operative Marketingziele x Maßnahmenplanung für absatzpolitische Instrumente, produkt- und programmpolitische Entscheidungen x distributions-, preis-, konditionen- und kommunikationspolitische Entscheidungen x Events als integrative Instrumente und Umsetzungserfordernisse“ (Scheuch 2003, 98)
Eventmarketing Nickel definiert Eventmarketing als „…systematische Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle von Events innerhalb der Kommunikationsinstrumente Werbung, Verkaufsförderung, Public Relations“ (Nickel 1998, 5). Graf versucht Klarheit bezüglich des Begriffs „Event-Marketing“ zu schaffen, indem er in „klassisches“ Event-Marketing, worunter der Verkauf eines Events als
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Produkt verstanden wird, und in „konstruktives“ Event-Marketing, worunter der Verkauf eines Produktes durch Events verstanden wird, unterscheidet (Graf 1998, 34). Dieser Klärungsversuch wird hier dahingehend unterstützt als für Events, die der Realisierung von Marketingzielen dienen, der Begriff „Marketingevent“ verwendet wird.
Marketingevent-Projekte Ein Projekt ist eine temporäre Organisation zur Durchführung eines relativ einmaligen, kurz- bis mittelfristigen, strategisch bedeutenden Geschäftsprozesses (Gareis 2004, 42). Der Geschäftsprozess der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung eines Marketingevents kann der Organisationsform des Projekts bedürfen. Marketingevent-Projekte stellen eine Schnittmenge von Marketingprojekten und Eventprojekten dar (siehe Abbildung 1). Marketingevent-Projekte sind jene Menge der Marketingprojekte, die einen Event als zentrale Kommunikationsform einsetzen. Zur Definition von Marketingevent-Projekten sind in der Tabelle 1 Beispiele von Event-, Marketing-, Marketingevent- und Stadtmarketing-Projekten dargestellt.
Marketingprojekte
MarketingeventProjekte
Eventprojekte
Abb. 1. Projektart „Marketingevent-Projekt“
Die Organisation eines Marketingevents kann entweder ein eigenständiges Projekt sein oder kann auch einen Teil eines Marketingprojekts darstellen. Ein wesentlicher Inhalt eines Projekts zur Einführung eines neuen Produkts kann z.B. ein Marketingevent sein. Im Rahmen eines Marketingprogramms können mehrere Marketingprojekte zur Realisierung eines übergeordneten Programmziels kombiniert werden. Dazu können auch Marketingevent-Projekte gehören Stadtmarketing-Initiativen erstrecken sich meist über längere Zeiträume, in denen mehrere Projekte und Aktivitäten durchzuführen sind. Als Organisationsform für Stadtmarketing-Initiativen empfehlen sich daher Programme. Ein Programm ist eine temporäre Organisation zur Erfüllung eines einmaligen Geschäftsprozesses großen Umfangs. Die Organisation der Wiener Festwochen ist z.B. nicht nur ein Projekt,
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sondern ein Programm mehrerer Veranstaltungsprojekte, eines FestivalMarketingprojekts, eines Sponsoringprojekts, etc.
Tabelle 1. Beispiele von Event-, Marketing-, Marketingevent- und Stadtmarketingprojekten
Event-Projekte x Organisation eines Sportevents, z.B. Skispringen am Berg Isel x Organisation eines Kulturevents, z.B. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker x Organisation eines Wissenschaftsevents, z.B. ProjektmanagementWeltkongress in Wien x etc. Marketing-Projekte x x x x x
Produktentwicklung Einführung eines Produkts (auf einem neuen Markt) Werbekampagne für ein Produkt (auf einem bestehenden Markt) Implementierung eines neuen Vertriebssystems etc.
Marketingevent-Projekte x x x x x
Produkt-Image-Event, z. B.100x News Kundenbindungs-Event, z.B. One Dragon Tour Store-Opening-Event Präsentation einer neuem Modelinie, z.B. Modeschau-Event etc.
Stadtmarketing-Projekte x x x x x
Festival, z.B. Wiener Festwochen Stadtfest, z.B. Wiener Stadtfest Musikfestival am Wiener Rathausplatz Themenstrasse, z.B. Flohmarkt in der Neubaugasse in Wien etc.
Management von Marketingevent-Projekten
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Projektmanagement Die Entscheidung, einen Geschäftsprozess, wie z.B. die Organisation eines Marketingevent, formal als Projekt durchzuführen, hat den Einsatz von professionellem Projektmanagement zur Folge. Projektmanagement ist ein Geschäftsprozess projektorientierter Organisationen, der die Teilprozesse Projektstart, Projektkoordination, Projektcontrolling und Projektabschluss und eventuell die Bewältigung einer Projektdiskontinuität beinhaltet. Projektmanagement ist von den in einem Projekt zu erfüllenden „inhaltlichen“ Geschäftsprozessen, wie z.B. die Planung eines Events, die Beschaffung von Dienstleistungen für den Event, die Vorbereitung des Event, etc., zu unterscheiden (siehe Abb. 6: Balkenplan des Projekts „One Dragon Tour“). Der Einsatz von Projektmanagement-Methoden und unterschiedlicher Kommunikationsformen im Projekt ermöglicht einen adäquaten Umgang mit der Komplexität und Dynamik von Projekten. Methoden, wie z.B. der Projektzieleplan, der Projektstrukturplan, der Balkenplan, das Projektbudget, das Projektorganigramm und die Projekt-Umwelt-Analyse, unterstützen die Kommunikation im Projekt und geben den Mitgliedern der Projektorganisation Orientierung für die Projektarbeit. Wesentliche Kommunikationsformen in Projekten sind Einzelgespräche, z.B. zwischen dem Projektmanager und einzelnen Projektteammitgliedern, Sitzungen des Projektteams und des Projektauftraggeberteams, sowie Workshops, z.B. zum Projektstart oder zum Projektabschluss. Der Nutzen des Einsatzes eines professionellem Projektmanagement in Marketingevent-Projekten liegt in der Sicherung der Qualität des Prozesses der Projektdurchführung und der Qualität der Projektergebnisse. Beispiele des Einsatzes von Projektmanagement-Methoden für ein Marketingevent-Projekt sind in der folgenden Fallstudie - Projekt „One Dragon Tour“ - dargestellt. Nicht jeder Marketingevent bedarf aber einer Projektorganisation zur Durchführung. Wenn die strategische Bedeutung, der Umfang der zu erfüllenden Geschäftsprozesse, die benötigten Ressourcen und das Risiko nicht hoch sind, entsteht kein wesentlicher Nutzen durch ein professionelles Projektmanagement. Ein Marketingevent, der z.B. nicht in Projektform organisiert wurde, war die Feier des 20-jährigen Bestehens des Universitätslehrgangs „Internationales Projektmanagement“ der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung dieses Events stellte für die durchführende Organisation Projektmanagement Group zwar einen einmaligen Geschäftsprozess dar, der von einer Arbeitsgruppe erfüllt wurde, jedoch ohne die Methoden des Projektmanagement umfassend anzuwenden.
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Management von Marketingevent-Projekten: Fallstudie „One Dragon Tour“ (Klein 2004)
Vorprojektphase Connect Austria ist seit Oktober 1998 mit der Marke One als Mobilfunkbetreiber in Österreich aktiv. Geschäftskunden stellen eine wichtige Zielgruppe von Connect Austria dar. Bereits 1999 wurde durch eine Eventschiene eine Kundenbindungsaktion für Geschäftskunden etabliert. Dafür wurde die Sportart des Drachenboot-Rennens ausgewählt. Die Dragon Tour ist ein sportlicher Wettkampf an mehreren Standorten in Österreich. Die konkurrierenden Teams bestehen aus je 20 Personen und einer Begleitmannschaft. Neben dem sportlichen Auftritt wird auch die Kreativität des Auftritts der Teams von einer Jury bewertet. Die besten 3 Teams eines Rennens qualifizieren sich für das Finalrennen. Als internen Event wird auch ein Rennen für One-Mitarbeiter veranstaltet. Teilnehmer der One Dragon Tour sind vor allem bestehende B2B-Kunden von One, aber auch potenzielle Neukunden werden eingeladen. Die One Dragon Tour wird aus dem Marketingbudget von Connect Austria finanziert. Zusätzliche Einnahmequellen werden durch Sponsoringaktivitäten erschlossen. Bei dem Projekt „One Dragon Tour“ handelt es sich um ein repetitives Kundenbindungsprojekt, das die Durchführung mehrerer Drachenboot-Rennen im Jahr 2003 beinhaltet. Im Jahr 2002 wurde das Projekt wenig professionell vor allem mittels To DoListen gemanagt. Dadurch wurden Momentaufnahmen offener Aufgaben von unterschiedlichen Rollenträgern geschaffen. Die Aufgabenverteilung erfolgte durch den Projektmanager einer Eventagentur in Sitzungen, der Arbeitsfortschritt wurde per Email kontrolliert. Das Projekt wurde als Projekt der Eventagentur definiert, die durch One zu erfüllenden Aufgaben waren daher weder im Projektressourcenplan noch im Projektbudget beinhaltet. One-Mitarbeiter wurden nicht als Teil der Projektorganisation verstanden. Dadurch wurde weder eine ganzheitliche Projektsicht geschaffen noch eine entsprechende Projektmanagement-Dokumentation für das Projekt des Jahres 2003 zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Universitätslehrgangs „Internationales Projektmanagement“ im Jahr 2003 wurde das Projekt „One Dragon Tour“ als eines der Trainingsprojekte bearbeitet. Dadurch wurde eine Grundlage zum professionellen Projektmanagement des Projekts im Jahr 2003 geschaffen. Wesentliche Veränderungen im Management stellten
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Abb. 2. Drachenboot-Rennen
x die Schaffung eines Projektauftraggeberteams aus je einem Vertreter von One und der Eventagentur, x die Integration von One-Mitarbeitern in die Projektorganisation, x die Berücksichtigung der One-Ziele, wie z.B. Kundenbindung und Akquisition neuer Geschäftskunden, in den Projektzielen und x die Definition von Arbeitspaketen, die von One-Mitarbeitern durchzuführen waren, dar. Projektziele In der Abbildung 3 ist der Projektzieleplan des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Es wurde dabei in Hauptziele, die zur erfolgreichen Durchführung der One Dragon Tour zu realisieren sind, und in Zusatzziele, die zusätzlich zur erfolgreichen Projektdurchführung zu realisieren sind, unterschieden. Die Definition der Nicht-Ziele dient der schärferen Abgrenzung der Projektgrenzen.
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Projektname: One Dragon Tour
PROJEKTZIELEPLAN
Hauptziele
Adaptiert per...
Durchführung von Kunden-Events in Wien, Graz, Mondsee und Pörtschach sowie eines Incentive-Events für One-Mitarbeiter ebenfalls in Wien Teilnahme von Key Accounts, von bestehenden und neuen B2B-Kunden, von One-Lieferanten in 50 Booten je Event Akquisitiion von Kooperationspartnern für die Events (Sponsoring: € 70.000.-) Sicherung einer Medienpräsenz im Ausmaß von 100 000 Kontakten durch die Events Beitrag zur Bindung bestehender B2B-Kunden und Gewinnung neuer B2BKunden Zusatzziele
Adaptiert per...
Entwicklung einer Standard-Projektdokumentation für zukünftige Marketingevent-Projekte Belegen von Drachenboot-Rennen als Sportart durch One Nicht-Ziele
Adaptiert per...
Einladung von Prominenten zu den Events Version: 2.0
Datum: 03.12.2002
Ersteller: projekt inteam
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Abb. 3. Projektzieleplan: One Dragon Tour
Betrachtungsobjekte des Projekts In der Abbildung 4 sind die Betrachtungsobjekte des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Es wird ersichtlich, dass ein Marketingevent-Projekt die Durchführung mehrerer Events zum Inhalt haben kann. Im vorliegenden Projekt werden Events in Wien, Graz, Mondsee und Pörtschach veranstaltet. Die Betrachtungsobjekte ermöglichen die Operationalisierung der Projektziele, unterstützen bei der Entwicklung des Projektstrukturplans und ermöglichen die Definition von Projektteammitgliedern.
Management von Marketingevent-Projekten
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Projektname:
BETRACHTUNGSOBJEKTEPLAN
One Dragon Tour
Betrachtungsobjektart
Betrachtungsobjekt
Events
Incentive
Adaptiert per ...
Wien Graz Mondsee Pörtschach (FINALE) Infrastruktur
Veranstaltungste chnik Logistik (inklusive Boote) Catering Unterbringung (Eventpersonal) Eventorte Behörde (Genehmigung, Auflage, Grundstücke)
Programm
Rennen Rahmenprogramm
Teilnehmer
Key Accounts Bestehende B2B Kunden Neuer B2B Kunden Conne ct Lieferanten
Eventpersonal
Sicherheitspersonal (Security, Ärzte,...) Eventbetreuung
Finanzen
Sponsoren ONE -Finanzen
Marketing
ONE -Homepage Agentur -Homepage Präsentationsunterlagen (Grafik, Text, Inhalte) Akquisition PR-Arbeit
Version: 2.0
Datum: 03.12.2002
Ersteller: projekt inteam
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Abb. 4. Betrachtungsobjekte des Projekts „One Dragon Tour“
Projektstrukturplan In der Abbildung 5 ist der Projektstrukturplan des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Typische Phasen von Marketingevent-Projekten sind Projektmanagement, Planung, Beschaffung, Event-Sponsoring und Event-Marketing, EventVorbereitung, Event-Durchführung und Event-Nachbereitung. Die Planungsphase
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beinhaltet nicht nur die Planung der Inszenierung des Events sondern auch die Planung der Beschaffung, des Sponsorings, des Marketings und z.B. der Kontrolle des Eventerfolgs.
Abb. 5. Projektstrukturplan des Projekts „One Dragon Tour“
Projekttermine In der Abbildung 6 ist der Projektbalkenplan des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Typisch für Eventprojekte ist die lange Planungs- und Vorbereitungsphase in Relation zur kurzen Dauer des jeweiligen Events. Durch die Fixierung des Termins der Eventdurchführung ergibt sich ein hohes Risiko von Eventprojekten.
Management von Marketingevent-Projekten
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Abb. 6. Projektbalkenplan des Projekts „One Dragon Tour“
Projektkostenplan In der Abbildung 7 ist der Projektkostenplan des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Der hohe Kostenanfall unmittelbar vor, während und unmittelbar nach dem Event ist typisch für Eventprojekte. Beim Projekt „ONE Dragon Tour“ handelte es sich um ein Projekt mit einer Dauer von 9 Monaten, einem Budget von etwa € 600.000.- und einem personellen Ressourcenbedarf von etwa 250 Personentagen. Dabei sind die Ressourcen der Teilnehmer und deren Opportunitätskosten nicht berücksichtigt.
Abb. 7. Projektkostenplan des Projekts „One Dragon Tour“
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Projekt-Umwelt-Analyse In der Abbildung 8 ist die Projekt-Umwelt-Analyse des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Die Bedeutungen der einzelnen Projektumwelten für den Projekterfolg sind durch die Zahlen 1-5 ausgedrückt, wobei „eins“ eine hohe Bedeutung ausdrückt. Da diese Analyse eine Zeitpunktbetrachtung darstellt, können sich diese Bewertungen im Zeitablauf verändern.
Sponsoren Behörden
Anrainer
ONE Connect Austria
¾Kleine Zeitung ¾One ¾und andere
¾Gemeinde ¾Abgaben ¾Umweltbehörde ¾Tourismusbehörde
¾B2B - Abteilung ¾Marketing ¾Personal (Incentive) ¾alle Mitarbeiter
p
q
o
n-o
n
Dragon Tour Wettbewerber B2BKunden q - r n-o o n Lieferanten ¾Catering ¾Logistik ¾Technik ¾Künstler ¾Hotels
Teilnehmer
r o
Projekt organisation ¾Projektauftraggeber One ¾Projektauftraggeber Agentur ¾Projektmanager/in ¾Projektteammitglied ¾Projektmitarbeiter/in
¾Bestehende B2B-Kunden ¾B2B Key Accounts ¾Neue Kunden
Zuschauer Agentur Medien ¾Radio ¾TV ¾Print ¾Online
Abb. 8. Projekt-Umwelt-Analyse des Projekts „One Dragon Tour“
Durch den Dienstleistungscharakter von Marketingevents ergeben sich besondere Akzente. Die Teilnehmer sind Nutzer und Produktionsfaktoren gleichzeitig. „Deren Erwartungen, Risikowahrnehmungen, gestaltbare Erlebnisse, Qualitätseindrücke vor, während und nach dem Event, die Teilnehmerzufriedenheit, etc. sind in der Planung der Prozesse, der Betreuung und der Feststellung der Ergebnisse bzw. Erfolgskontrolle zu beachten“ (Scheuch 2001, 100). Projektorganisation In der Abbildung 9 ist die Liste der Projektrollen des Projekts „One Dragon Tour“ dargestellt. Es wird zwischen Individualrollen und Teamrollen sowie zwischen Projektteammitgliedern und Projektmitarbeitern unterschieden. Projektteammitglieder arbeiten im Vergleich zu Projektmitarbeitern intensiver am Projekt mit, nehmen daher an Projektteamsitzungen teil und sind auch für das Projektmarketing – gemeinsam mit dem Projektauftraggeberteam – verantwortlich. Graphisch
Management von Marketingevent-Projekten
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können die Projektrollen und deren Beziehungen zueinander in einem Projektorganigramm dargestellt werden (siehe Abbildung 10). Projektname:
PROJEKTROLLEN
One Dragon Tour One
Projektrollen
Name
Telefon
e-mail
Projektauftraggeberteam Projektmanager/in Projektteam Subteam Infrastruktur Subteam Marketing Subteam Teilnehmerservice Subteam Inhaltliches Programm Projektteammitglied Event-Umsetzung Projektteammitglied Infrastruktur Projektteammitglied Marketing Projektteammitglied Inhaltliches Programm Projektteammitglied Teilnehmer Service Projektmitarbeiter/in Infrastruktur Incentive, Wien Projektmitarbeiter/in Infrastruktur Graz Projektmitarbeiter/in Mondsee Projektmitarbeiter/in Infrastruktur Pörtschach Projektmitarbeiter/in Marketing Projektmitarbeiter/in Inhaltliches Programm Projektmitarbeiter/in Teilnehmer Service Version: 2.0
Datum: 03.12.2002
Ersteller: projekt inteam
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Abb. 9. Liste der Projektrollen des Projekts „One Dragon Tour“
Eventprojekte sind durch eine hohe Dynamik charakterisiert. Diese drückt sich z.B. in der sich im Zeitablauf verändernden Organisation aus. Die Planung- und Vorbereitungsarbeiten werden meist von einigen wenigen Mitgliedern der Projektorganisation erfüllt. Zur Durchführung des Events sind hingegen meist viele Mitglieder notwendig. Außerdem können die „Rollen in der zeitlichen Struktur von Eventprojekten von „Projektumwelten“ zu Projektmitarbeitern und Teammitgliedern wechseln“ (Scheuch 2001, 93). Die Dynamik von Eventprojekten drückt sich auch im zeitlichen Anfall der Projektkosten aus (siehe Abbildung 8: Projektkostenplan des Projekts „One Dragon Tour“).
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Abb. 10. Projektorganigramm des Projekts „One Dragon Tour“
Formen der Projektkommunikation In der Abbildung 11 ist der Plan der formalen Projektkommunikationen im Projekt „One Dragon Tour“ dargestellt. Zusätzlich zu diesen formalen Kommunikationsstrukturen sind informelle Kommunikationen (persönliche Gespräche, Telefonate, Emails, Subteamsitzungen) im Rahmen der Projektkoordination zu erfüllen. Zur Projektkommunikation sind die oben dargestellten Projektdokumentationen als Instrumente einzusetzen. Weiters sind To Do-Listen und Protokolle zu erstellen.
Ausblick Die Planung, Vorbereitung und Durchführung eines Marketingevents wird in der Praxis von den durchführenden Unternehmen häufig nicht als formales Projekt definiert. Damit werden auch die Potenziale des Projektmanagement, wie z.B. die Sicherung einer effizienten Projektdurchführung und die Förderung der Kreativität in der Event-Inszenierung, nicht genutzt.
Management von Marketingevent-Projekten
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Abb. 11. Formale Projektkommunikation im Projekt „One Dragon Tour“
Optimierungspotenziale liegen weiters in der Wahrnehmung von Marketingevents als Teile umfassender Marketingprogramme. Die integrativen Leistungen des Programmmanagement können zur Optimierung der Ergebnisse von Marketingevent-Projekten beitragen. Bei Marketingevent-Projekten handelt es sich für die projektdurchführenden Organisationen oft um repetitive Projekte. Produkt-Launches, Store-Openings, etc. werden öfter im Lebenszyklus einer Organisation durchgeführt. Die Abteilungen „Corporate Communication“ oder „Marketing“ größerer Unternehmen können gemeinsam mit Werbe-, PR- oder Event-Agenturen Standardprojektpläne entwickeln, die im Einzelfall kurzfristig adaptiert werden können. Relevante Standardprojektpläne für Marketingevent-Projekte sind z.B. Standard-Betrachtungsobjektepläne, Standard-Projektstrukturpläne, Standard-Meilensteinpläne, und Standard-Funktionendiagramme.
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Marketing für den Immobilien-Bereich – Ein Plädoyer für alternative Ansätze Alexander Scheuch CPI Immobilien AG, Wien
Inhalt und Zielsetzung des Beitrags Der vorliegende Beitrag versucht ausgehend von einer allgemeinen Darstellung der Immobilienbranche und deren Charakteristika Schlussfolgerungen hinsichtlich geeigneter Marketingstrategien abzuleiten, wobei insbesondere auf ausgewählte Below the line-Aktivitäten, die sich in der operativen Umsetzung als Alternative zur klassischen Werbung bewährt haben, eingegangen wird. Weiters beabsichtigt der Beitrag mit sogenannten „Quasi-Gesetzen“ im Immobilien-Bereich aufzuräumen, die durch die Medien bzw. die „vereinheitlichte Meinung“ geprägt werden. In diesem Zusammenhang werden aktuelle Themen des Immobilienmarktes wie Rendite, Lagepolitik, Mietermarkt sowie Maßnahmen der Eigenkapitalisierung von Immobilienunternehmen vor dem Hintergrund charakteristischer Fehlerquellen für Marketingansätze in der Immobilienbranche näher analysiert.
Wirtschaftliches Umfeld und Marktteilnehmer Die Immobilienbranche ist trotz im Einzelfall gegebener internationaler Verflechtungen durch stark regionale Aspekte sowohl hinsichtlich des jeweiligen Immobilienvermögens als auch hinsichtlich der Kunden gekennzeichnet. Unter Kunden sind hierbei sowohl profan Käufer und Mieter von Wohn-, Büro- oder Gewerbeimmobilien zu verstehen, aber auch Investoren, Aktionäre oder Gesellschafter von Immobilienunternehmen, die in zunehmendem Maße dem Trend anderer Branchen in Richtung Börsenotierung, Kapitalerhöhungen oder anderer Maßnahmen der Eigenkapitalisierung folgen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich primär auf den österreichischen Immobilienmarkt, wenngleich viele Aussagen auch international für die Immobilienbranche zutreffend sind. Die angesprochene Regionalität ist unter zwei Aspekten zu betrachten, da einerseits lokal und vom Produkt her spezialisierte Unternehmen im ImmobilienBereich (etwa nur Wohnimmobilien in Wien) durchaus bundesweit oder sogar in-
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Alexander Scheuch
ternational Investoren ansprechen können, im ungekehrten Fall jedoch auch heimische Unternehmen, die hinsichtlich des Immobilienvermögens stark ins Ausland expandieren (etwa nach Osteuropa) dennoch überwiegend lokales, heimisches Investorenpublikum als Zielgruppe betrachten. Analysiert man die Markteilnehmer nicht nur hinsichtlich der Schwerpunkte ihres Immobilienvermögens und deren Investoren, sind zahlreiche weitere Differenzierungen vorzunehmen. So unterscheidet sich insbesondere der Büroimmobilienmarkt erheblich vom Wohnimmobilienmarkt, am österreichischen Markt freilich zulasten des Büromarktes. Dieser ist nach wie vor durch erhebliche Überkapazitäten und daraus resultierende Leerstandquoten gekennzeichnet, selbst wenn manche Experten eine leichte Entspannung sehen. So findet man etwas in der Bundeshauptstadt Wien kaum ein sogenanntes Tower-Projekt, welches sich einer befriedigenden Mietauslastung rühmen kann. Da die Entscheidungen am Büromarkt langfristiger ausfallen als im Wohnimmobilien-Bereich, und in der Regel erheblich höhere Kapitalsummen gebunden sind, entstehen ungeachtet der aktuellen Situation immer noch zahlreiche neue Projekte. Hinzu kommt, dass die Büroimmobilie z.B. hinsichtlich der technischen Infrastruktur und Ausstattung wesentlich schneller „veraltet“ als die Wohnimmobilie und sich deshalb in bezug auf die Rendite schneller amortisieren müsste, was angesichts der geschilderten Leerstandsproblematik (von einzelnen Ausnahmen abgesehen) schwierig erscheint. Positiver stellt sich die Situation für den Wohnimmobilienmarkt dar. Insbesondere aufgrund des deutlichen Rückgangs des großvolumigen Neubaus (hochgeschossige Siedlungsbauten) ab Mitte der 90er Jahre, kann hier im Gegensatz zum Büromarkt keinesfalls von erheblichen Überkapazitäten gesprochen werden. Vielmehr kommt Themenbereichen wie Stadterneuerung und Revitalisierung im geförderten und ungeförderten Bereich zunehmende Bedeutung zu. So ergaben Analysen für die Bundeshauptstadt Wien, dass allein in den Bezirken innerhalb des Wiener Gürtels (d.h. in den Bezirken Wien 3. bis Wien 9.) rund 2.500 unsanierte Objekte aus der Gründerzeit existieren, die für zahlreiche Entwickler und Anbieter eine ertragreiche Nische am Immobilienmarkt eröffnet haben. Im Zuge des Schwerpunktes auf Sanierung und innere Stadtentwicklung ist von einer Erhöhung der Wohnqualität im Zinshaussegment, einer Verbesserung der Infrastruktur sowie mittelfristig durch die spürbare Reduktion der Bautätigkeit von einer moderaten Preissteigerung auszugehen. Im Neubaubereich lässt sich ein ähnlich positives Bild nicht generell festhalten. Insbesondere jener Bereich des Neubaus, der sich im Hochpreissegment positioniert hat, unterliegt zuweilen konjunkturellen Schwankungen, und ist sowohl hinsichtlich Vermietung als auch Verkauf schwieriger einzuschätzen als das Mittelpreissegment. Auf dahingehende Überlegungen wird weiter unten noch näher eingegangen. Neben der Unterscheidung nach der Art der Immobilie ist weiters nach dem Unternehmensgegenstand und der „Fertigungstiefe“ der Immobilienunternehmen zu differenzieren. So sind unter den Marktteilnehmern sowohl reine Maklerunternehmen, die ihre Erträge vorrangig aus Handelserlösen und Vermittlungsprovisio-
Marketing für den Immobilien-Bereich 277
nen erwirtschaften, Bauträger und Immobilienentwickler, die sich eines externen Vertriebsapparates bedienen, sowie eine kleine Anzahl an Unternehmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine größtmögliche Wertschöpfung zu erzielen und dabei alle Teilbereiche und relevanten Gewerbe eigenständig abzudecken, vertreten. Ingesamt entsteht gemeinhin der Eindruck, dass der österreichische Immobilienmarkt durch eine geradezu unüberschaubare Anzahl von Nischenanbietern mit sehr spezialisierter Ausrichtung hinsichtlich Unternehmensgegenstand und Geschäftsfelder geprägt ist. Aus diesen Ausführungen wird unweigerlich klar, dass flächendeckende (überregionale) und undifferenzierte Marketingmaßnahmen in der Regel nicht zielführend sind, und bei den Marketingansätzen der Unternehmen auf den stark differenzierten Immobilienmarkt Bedacht zu nehmen ist.
Below the line-Aktivitäten als sinnvolle Alternative zur klassischen Werbung
Streuverluste klassischer Werbung Aus der eingangs dargelegten Regionalität, der starken Unterteilung des Immobilienmarktes sowie damit verbunden auch der Zielgruppen sind klassische Werbestrategien, die auf Instrumente wie Print- oder TV-Werbung abzielen, auf deren Sinnhaftigkeit hinsichtlich Streuverluste zu hinterfragen. Neben den behaupteten Streuverlusten stellt sich die Frage, inwieweit klassische Werbung überhaupt geeignet ist, das Käufer bzw. Mieterverhalten am Immobilienmarkt zu beeinflussen. Alternative Ansätze Aufgrund der vom Verfasser in diesem Zusammenhang aufgestellten These, dass klassische Werbemaßnahmen für den Immobilien-Bereich nur bedingt effizient und sinnvoll sind, seien im folgenden einige Überlegungen angestellt, wie unter Berücksichtigung dieser behaupteten Situation in der marketingmäßigen Umsetzung erfolgreich vorgegangen werden kann. Die Ausführungen beziehen sich dabei auf die Bereiche Internet und Online-Marketing, Eventmarketing sowie Direktmarketing. Internet und Online-Marketing Ein immer wichtiger werdender Aspekt ist auch für den Immobilienmarkt der Internet bzw. Online-Bereich. Heute sind Plattformen im Internet, wo aktuelle Immobilien angeboten werden, nicht mehr wegzudenken. Waren diese vor einigen Jahren häufig noch belächelt worden, weil als einzig „wahres“ Instrument zur Be-
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Alexander Scheuch
werbung von Immobilienangeboten stets die Platzierung von Wortanzeigen im Tagesprint galt, wird der Anteil jener Interessenten (ob Käufer oder Mieter), die über das Internet beziehungsweise einschlägige Immobilien-Plattformen ihre Immobiliensuche starten und sich informieren, kontinuierlich größer. Umso mehr überrascht vor dem Hintergrund dieser Überlegung, wie wenig ausgereift, zuweilen höchst dürftig in Inhalt und grafischer Darstellung viele Websites von durchaus anerkannten Immobilienanbietern gestaltet sind. Dies ist deshalb frappierend, als die Kosten für die Erstellung und regelmäßige Wartung einer Immobilien-Website im Vergleich zu den Kosten von Printkampagnen geradezu vernachlässigbar sind. Zur laufenden, im Idealfall tagesaktuellen Darstellung und Wartung der Angebote auf der Website des jeweiligen Unternehmens haben sich sogenannten „Redaktionssysteme“ bewährt, die es Immobilienunternehmen und deren Mitarbeitern ermöglichen, unabhängig des in der Regel extern von Werbeagenturen erstellten Layouts bzw. des grafischen Aufbaus der Website, bestimmte Teilbereiche (z.B. Immobilienangebote) eigenständig zu warten und zu verändern. Je besser und aktueller diese Bereiche gestaltet werden, desto effizienter wird das persönliche Gespräch bzw. der Besichtigungstermin mit einem potentiellen Mieter oder Käufer vorbereitet. Im Idealfall kommen die Mieter bzw. Käufer z.B. bereits mit ausgedruckten Plänen und wenig verbleibenden offenen Fragen zur Besichtigung. Jedenfalls kann aber eine bessere Vorselektion unterstützt werden, die etwa mit Wortanzeigen im Immobilienteil von Zeitungen bei weitem nicht so präzise möglich ist. Eine vernünftige Investition in den Internet-Bereich kann somit auch zur einer Effizienzsteigerung im Vertrieb bzw. unter den Verkaufsmitarbeitern eines Immobilienunternehmens beitragen. Die weiter oben erwähnten, zumeist maklerunabhängigen ImmobilienPlattformen im Internet stellen in weniger detaillierter Form für eine Erstselektion relevante Eckdaten zu Angeboten von Einzelmaklern und Immobilienanbietern dar, auch von jenen, die keine unternehmenseigene Website besitzen oder betreiben möchten. Die Anbieter, die ihre aktuellen Angebote auf diesen Plattformen darstellen, zahlen dafür Werbekosten an die Betreiber, die in der Regel abhängig von der Anzahl der Angebote kalkuliert werden, jedoch von den vergleichbaren Kosten deutlich unter den Kontaktpreisen von Inseraten im Print-Bereich liegen. Die Benutzerfreundlichkeit dieser Plattformen hängt in erster Linie von den Suchmenüs ab, mit welchen Begriffen und mit welchen Teilschritten sich der Sucher seinem Suchergebnis nähern kann. Trotz der Erfolge von Anbietern und Betreibern solcher Plattformen ist anzuraten, eine unternehmenseigene Website zu gestalten und zu betreiben. Die Anfragen und Interessenten, die aus den globaleren Plattformen kommen, sind als sinnvolle Ergänzung zu sehen, können jedoch die detaillierte Darstellung des eigenen Unternehmens gegenüber den Kunden nicht ersetzen. So kann auf einer unternehmenseigenen Website zusätzlich auf Bereiche eingegangen werden, die sich nicht ursächlich mit dem jeweiligen Einzelangebot befassen, aber die Kompetenz des Unternehmens in einem bestimmten Marktsegment unterstreichen können.
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Dafür geeignet sind Rubriken wie die Mitarbeiter des Unternehmens, die Geschichte des Unternehmens, ausgewählte Referenzprojekte oder aktuelle Unternehmenskennzahlen. Alle diese Aspekte können eine Vertrauensbasis zwischen Anbieter und Kunden aufbauen, sodass der Kunde auch einen Eindruck erhält, „wer“ hinter dem Immobilienangebot steht. Eventmarketing Aktivitäten im Eventmarketing-Bereich eigenen sich aufgrund folgender Spezifika des Immobilienmarktes hervorragend für die Bewerbung von Immobilien: x Starke regionale Tätigkeit von Immobilienunternehmen x Zumeist klar abgrenzbare Zielgruppen x Immobilie als tangibles Gut, das beworben bzw. präsentiert werden soll. Hinsichtlich der Kosten-Nutzen Betrachtung gilt ähnliches wie für den OnlineBereich, denn durch die angeführten Kriterien kann mit einer punktuellen Veranstaltung für eine wichtige Zielgruppe oft derselbe Effekt erzielt werden, wie mit klassischen Werbekampagnen. Der Effekt kann für den Immobilien-Bereich etwa in konkreten Interessenten für ein bestimmtes Objekt oder eine Wohnung liegen. So haben sich insbesondere Immobilien-Präsentationen, Neuvorstellungen von fertiggestellten Objekten, Open-house Events etc. bewährt, die bei einer gut geplanten Vorbereitung oft den Grundstein für erfolgreiche Verkaufsgespräche bzw. konkrete Verkaufsabschlüsse bilden, da diese Veranstaltungen häufig von konkret interessierten Personen besucht werden, die aus demselben Bezirk kommen oder gerade einen Wohnortwechsel in Betracht ziehen. Diese Veranstaltungen haben weiters den Vorteil, dass man bei ein und demselben Event auch verschiedene Zielgruppen kombinieren kann. So ist bei der Neuvorstellung einer Immobilie am Markt denkbar, zunächst zu Beginn (z.B. am Vormittag) das Projekt der FachPresse vorzustellen, anschließend der Öffentlichkeit bzw. interessierten Kunden (z.B. am Nachmittag) und beispielsweise als Abschluss (z.B. Abendveranstaltung) ausgewählten Vertriebspartnern, d.h. Multiplikatoren, die das Produkt ihrerseits ihren Kunden anbieten. Diese positiven Aussagen, die Immobilienunternehmen die Durchführung solcher Events empfehlen, lassen sich hingegen nicht uneingeschränkt positiv auf den Bereich von einschlägigen Messeveranstaltungen umlegen. Leider ist hierbei, zumindest am österreichischen Markt, eine „Entwertung“ von Messeveranstaltungen, die den Immobilien-Bereich inhaltlich betreffen, dahingehend zu beobachten, als frühere Fachmessen immer mehr zu „Boulevardveranstaltungen“ mutieren. Damit ist gemeint, dass die Zielgruppen, an die sich die Messeveranstalter wenden möchten, immer unschärfer werden, oft ein „roter Faden“ durch das Messekonzept fehlt, und in Folge dieses diffusen Zustands häufig Messeaussteller berichten, an ihren Messeständen zwar eine hohe Publikumsfrequenz beobachten zu können, jedoch daraus nur ein höchst unbefriedigender Anteil an konkreten Interessenten, Geschäftsabschlüssen oder sinnvoll verwertbaren, d.h. nachzubearbeitenden Neukontakten resultiert. Diese zuweilen spärliche „Ausbeute“ ist jedoch mit hohen
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Kosten für Messestandgestaltung, Miete, gebundene Personalkapazitäten (insbesondere bei mehrtägigen Veranstaltungen), zu erstellende Vertriebsunterlagen etc. verbunden. Messeveranstalter reagieren auf diese Erfahrungen meist mit dem Argument der guten Möglichkeit der Imagewerbung für die ausstellenden Unternehmen. Freilich ist dieser Effekt aufgrund schwerer Messbarkeit nicht verifizierbar, wird aber nach Ansicht des Verfassers erheblich überbewertet. Direktmarketing In den letzten Jahren haben sich in den Konzepten von Marketingabteilung bei Unternehmen verschiedenster Branchen immer häufiger Ansätze wiedergefunden, die man unter den Begriff Direktmarketing subsumieren kann. Themenbereiche wie „Direct-Mail“, „Database-Marketing“ oder „One-to-one-Marketing“ sind hier zu nennen. Gemeinhin ist allen diesen Ansätzen der Versuch, Streuverluste klassischer Werbung zu minimieren und konkrete Zielgruppen mit unterschiedlich gut fundierter Datenbasis zu bearbeiten bzw. an diese zu kommunizieren. Derartige Marketingaktivitäten scheinen für den Immobilienmarkt geradezu prädestiniert, wobei neben elektronischen und schriftlichen Kommunikationsmaßnahmen auch ergänzend persönliche Kontakte und Gespräche von hoher Wichtigkeit sind. Die relevanten Zielgruppen, die für Direktmarketingaktivitäten im Immobilien-Bereich Bedeutung haben, sind u.a.: x x x x
Presse, Journalisten Vertriebspartner (Makler, Finanzdienstleister) Opinion-Leader, wie z.B. Steuerberater, Wirtschaftstreuhänder etc. Bestehende Kunden und Interessenten des Unternehmens
Ein entscheidender Faktor für erfolgreiches Direktmarketing für den Immobilien-Bereich ist dabei die Kontinuität, d.h. die laufende Bearbeitung dieser Zielgruppen. Häufig entstehen konkrete Geschäfte in Hinblick auf Immobilien erst aus einer langfristigen Kundenbeziehung heraus, daher sollten diese Zielgruppen laufend seitens des Unternehmens informiert werden. Gute Anlässe, d.h. „Aufhänger“ für solche Aktivitäten sind z.B.: x x x x
Präsentation aktueller Geschäftsergebnisse (Bilanzen) Erscheinen des neuen, aktuellen Geschäftsberichtes Vorstellung neuer, aktueller Immobilien-Projekte Personelle Veränderungen im Umfeld des Unternehmens (z.B. in der Öffentlichkeit bekannte neue Aufsichtsratsmitglieder) x Kapitalmaßnahmen (z.B. Kapitalerhöhungen, Börseeinführungen etc.) Wichtiger als die Häufigkeit solcher Informationen ist dabei wie erwähnt die Kontinuität der Maßnahmen, da in der Immobilienbranche der langfristigen Vertrauensbildung eine hohe Bedeutung zukommt. Diese Aussage ist insbesondere in Zusammenhang mit „indirekten“ oder „passiven“ Kunden relevant. Damit ist gemeint, dass es sinnvoll ist, laufend auch diese Opinion-Leader mit Informationen
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zu versorgen, da zwar beispielsweise ein Steuerberater nicht direkt Kunde des Unternehmens ist oder Wohnungen erwirbt, aber möglicherweise von potentiellen Kunden beim Vergleich zwischen verschiedenen Anlagemodellen und deren steuerlichen Konzeption konsultiert wird. In diesem Fall kann es sich jedenfalls als nützlich oder sogar für die Kaufentscheidung ausschlaggebend erweisen, wenn die Vertrauensperson des Kunden den Anbieter des Produktes bereits seit vielen Jahren kennt und über dessen Geschäftsentwicklung einen Überblick hat. In Ergänzung zu schriftlicher Kommunikation im Zuge von Direkt-Mail Aktionen sollten die oben erwähnten Zielgruppen auch persönlich durch Mitarbeiter oder durch das Management des Immobilienunternehmens in größeren zeitlichen Abständen kontaktiert werden. Als Anlassfälle eignen sich ebenso die oben erwähnten Punkte, solche Kontakt sind in der Regel ein Mal pro Jahr ausreichend, z.B. im Zuge der Präsentation der Jahresergebnisse. Auch hier gelten die getroffenen Aussagen hinsichtlich Kontinuität. Der Aufbau persönlicher Kontaktnetzwerke wird kurzfristig vielleicht nicht sofort zu mehr Verkaufsabschlüssen führen, sich jedoch mittelfristig als von unschätzbarem Wert für das jeweilige Unternehmen erweisen.
„Quasi-Gesetze“ im Immobilien-Bereich und deren marketingmäßige Fehlinterpretationen
Rendite versus Lage: Die „Perversion“ des Immobilienmarktes Die „Perversion“ des Immobilienmarktes basiert auf der Tatsache, dass teure Luxuslagen in der Regel vergleichsweise die niedrigsten Renditen aufweisen und dadurch auch nur bedingt für Investmentprojekte geeignet sind. Genau jene teuren Luxusobjekte im oberen Preissegment sind es jedoch, die für Medien und Journalisten von großem Interesse in der Berichterstattung sind und entsprechend euphorisch bewertet und damit indirekt beworben werden, wenngleich sie ein sehr kleines Segment des Käufer- und Mietermarktes mit ihrer Botschaft abdecken. Freilich ist es erheblich interessanter über einen Luxus-Dachbodenausbau in der Inneren Stadt Wiens zu berichten, als beispielsweise über ein Zinshaus in durchschnittlicher Lage, wie wohl diese „leistbaren“ Lagen in der Regel einen weitaus besseren und auch konstanteren Vermietungsgrad aufweisen, sofern wichtige Kriterien wie etwa eine gute Verkehrsanbindung an das öffentliche Verkehrsnetz gegeben sind. Durch die einseitige Medienberichterstattung wird hier somit zusammenfassend ein Zustand suggeriert, der sich fernab der Realität und der Käufer- und Mieterbedürfnisse manifestiert. Daher argumentieren zahlreiche Projektentwickler und Bauträger, dass für sie sehr teure Lagen wie etwa im 1. Wiener Gemeindebezirk und traditionelle Randlagen in Wien 13. oder Wien 19. nicht interessant sind, da sie die erheblich höheren Erstinvestitionen bzw. Anschaffungskosten (Grund-
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stückspreise oder Einkaufspreise unsanierter Objekte) durch höhere Mieten oder Verkaufspreise nicht proportional kompensieren können. Verlässt man hingegen diese Luxuslagen und widersteht dem „Lage-Denken“, ist das Verhältnis zwischen den erzielbaren Miet- bzw. Kaufpreisen und dem eingesetzten Kapital erheblich attraktiver. Insofern lässt sich auch nachvollziehen, warum beispielsweise der Wiener Zinshausmarkt für ausländische Investoren attraktiv ist, die auf ihren Heimatmärkten Preisniveaus wie im 1. Wiener Gemeindebezirk oder sogar deutlich darüber vorfinden. International ist der heimische Immobilienmarkt daher auch deutlich unterdurchschnittlich hinsichtlich der Preisniveaus bei Miete und Kauf positioniert. Dieser Umstand sollte dennoch nicht Anlass zu überzogenen Annahmen über ein deutlich ansteigendes Preisniveau in Österreich geben. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass abgesehen vom Motiv der ausschließlichen Eigennutzung, wo wirtschaftliche Renditeüberlegungen eine untergeordnete Rolle spielen mögen, Luxuslagen für Investitionen jeglicher Art aufgrund der dargestellten Aussagen zur Rendite, aber auch aufgrund steuerlicher Kennziffern (z.B. Liebhaberei) nur bedingt geeignet sind. Der Mietermarkt und dessen Bedürfnisse Vor dem Hintergrund der oben angestellten Überlegungen hinsichtlich der Rendite und der Sinnhaftigkeit von Investments in teure Lagen überrascht der Umstand, dass zahlreiche Anbieter nach wie vor Produkte wie die sogenannten Vorsorgeoder Anlagewohnungen in diesen Luxuslagen anbieten. Diese Direktinvestitionen in Immobilien bzw. Wohneinheiten sollten vom Konzept her der sicheren Veranlagung mit interessanter Rendite für die Investoren dienen. Betrachtet man aber den Immobilienmarkt mit den Augen eines Selbstnutzers, d.h. was einem selbst gefallen würde, folgt man unweigerlich der oben skizzierten Fehlinterpretation. Das Charakteristikum einer Anlagewohnung ist in erster Linie eine gute und kontinuierliche Vermietbarkeit, da die Erträge aus dieser Investition (von steuerlichen Aspekten und Abschreibungsmöglichkeiten abgesehen) ausschließlich aus der Miete und somit von den Mietern kommen. Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg dieser Immobilienveranlagungsform ist somit die Orientierung nach den Bedürfnissen des Mietermarktes, und nicht nach den Ansichten und Annahmen des Investors, der die Wohnung nicht selbst zu nutzen gedenkt. Diese Tatsache wird, wenn sie auch banal erscheinen mag, häufig missachtet, was sich in Leerstandsproblemen oder unattraktiven Mietrenditen für die Investoren niederschlagen kann. Das breite Mieterpublikum fokussiert in der Regel auf „leistbare“, d.h. mittelpreisige Lagen, die eine gute Verkehrsanbindung aufweisen, sowie auf Wohnungsgrößen im Bereich von 2- bis 3-Zimmer Wohnungen. Daraus folgt, dass genau diese Wohnungen bestens geeignet für Investoren bzw. für die Produktkategorie der Anlagewohnungen sind. Großflächige Dachgeschosswohnungen oder teure Lagen hingegen erfüllen diese Kriterien nicht und sprechen nur ein sehr dünnes Marktsegment an, das sich derartige Wohnungen leisten kann oder will. Diese Lagen und Wohnungen eignen sich sinnvollerweise nur für den Eigenbe-
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darf, wenn die Vermietung oder die Erwirtschaftung einer attraktiven Rendite nicht im Vordergrund des Investments steht. Diese Aussagen gelten gleichermaßen auch für Immobilienunternehmen, die in die ausschließliche Vermietung gehen. Hier kommt die Rendite nicht einem „zwischengeschalteten“ externen Investor, der eine Anlagewohnung erworben hat, sondern den Immobilienunternehmen direkt zugute. Viele Immobilienunternehmen, die Anlagewohnungen anbieten, halten in der Regel auch ein Immobilienvermögen, das im Eigenportfolio verbleibt und ausschließlich vermietet wird. In der Vermarktung wird generell häufig der Fehler gemacht, genau mit jenen Objekten zu werben, die sich von den Bedürfnissen des breiten Mietermarktes erheblich entfernen, weil die trügerische Ansicht vertreten wird, dass teure oder luxuriös ausgestattete Wohneinheiten leichter zu bewerben und in Folge zu verwerten sind. Dabei wird insbesondere übersehen, dass solche Wohneinheiten in den meisten Fällen wesentlich schwieriger zu vermieten sind, oder dass die prognostizierten Mieteinnahmen, die die Basis für Kalkulationen, Finanzierungen und steuerliche Berechnungen bilden, am Markt nicht realisierbar sind. Eine steuerliche und liquiditätsmäßige Prognoserechnung ist nur dann realistisch haltbar, wenn mit tatsächlich und auch nachhaltig erzielbaren Mieten kalkuliert wird. Genau aus diesem Grund sollten Investoren, die den Erwerb von Anlagewohnungen ins Auge fassen, nach Kriterien selektieren, die auf die Bedürfnisse der Mieter ausgerichtet sind. Luxuslagen und teure Dachgeschosswohnungen sind für Anlagemodelle dieser Art ungeeignet bzw. hinsichtlich der dauerhaften Vermietbarkeit zu riskant. da wie weiter oben erwähnt mittelfristig auch nicht von erheblichen Wertsteigerungen wie in den letzten Jahrzehnten ausgegangen werden kann, die die nachteiligen Effekte hinsichtlich Rendite und Vermietbarkeit kompensieren könnten. Der überschätzte Trend zu Dachgeschossausbauten Ähnliche Aussagen lassen sich für den bedeutendsten, aktuellen „Modetrend“ am Wohnimmobilienmarkt, nämlich die Beliebtheit von Dachgeschossausbauten, treffen. Vor allem in Zusammenhang mit alter Bausubstanz entstanden und entstehen etwa am Wiener Immobilienmarkt in großer Zahl Dachbodenausbauten verschiedenster Qualität und Preisklasse. Häufig ist es für Entwickler jedoch wirtschaftlich sinnvoller, keine aufwendigen oder luxuriösen Ausbauten zu planen und umzusetzen, sondern einfache Lösungen zu wählen, also im Zweifelsfalls beispielsweise statt einem LuxusPenthouse mehrere Wohnungen mittlerer Größe und Preiskategorie anzubieten. Es gibt bei Altbauten sogar vielfach Objekte, wo mitunter aus wirtschaftlichen Überlegungen gar kein Dachbodenausbau umgesetzt werden sollte, wenn das Haus ohne einen solchen eine höhere Rendite bezogen auf das investierte Kapital aufweisen sollte.
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Dies hängt damit zusammen, dass Dachbodenausbauten häufig massive bautechnische, statische und in der Regel sehr kostenintensive Investitionen in das Objekt bedingen. Häufig ist der Fehler zu beobachten, dass bei Ankäufen von Objekten vor Sanierung oder Dachbodenausbau der generellen Bewilligungsfähigkeit eines solchen Ausbaus und der daraus resultierenden Schaffung von Neuwohnfläche die alleinige Bedeutung beigemessen wird. Die Tatsache, dass realistischerweise eine Baubewilligung zu erwarten ist, also alle relevanten Vorgaben der Magistrate hinsichtlich Bauhöhen, Schutzzonen oder Gestaltung und Veränderung des Dachstuhls (Ansteilung des Dachstuhls, Gaupen-Lösungen etc.) eingehalten werden können, bedeutet noch lange nicht, dass dies im Verhältnis zu den daraus resultierenden Kosten auch wirtschaftlich zielführend ist. Die bauliche Realisierung der bewilligbaren Vorhaben zieht teilweise massive bauliche Eingriffe in die Grundsubstanz des Hauses nach sich (Unterfangungen, Einbau von Trägern etc.), die mit entsprechenden Kosten verbunden sind. Ungeachtet dessen bedingt ein Dachbodenausbau auch weitreichende andere Investitionen wie z.B. einen Lifteinbau oder die Erneuerung der Steigleitungen im Haus. Daraus wird verständlich und nachvollziehbar, dass viele Immobilienunternehmen einen Dachbodenausbau nur dann ins Auge fassen, wenn das gesamt Resthaus auch durchgreifend saniert und auf einen modernen Standard gebracht wird. Die utopische Vorstellung vieler Privatinvestoren, auf ein „marodes“ Althaus ein modernes Dachgeschoss aufbauen zu können, hat sich zumeist als trügerisch erwiesen oder negative Erfahrungen nach sich gezogen, wenn auf diese Investoren nicht kalkulierte Kosten zukamen. Wer etwa über die Dächer Wiens blickt, wird erkennen, wie viele Dachbodenausbauten in einem nicht zu Ende gebauten Zustand (angefangen, halbfertig) zu sehen sind. Beim Ankauf unsanierter Objekte sollte aus diesen Erfahrungen und Beobachtungen folgend im Rahmen der Selektion der Häuser besonderes Augenmerk auf diese bautechnischen und statischen Aspekte gelegt werden. In diesem Zusammenhang sind viele, auf den ersten Blick banal oder nebensächlich erscheinende Kriterien zur Vermeidung von „Fehleinkäufen“ wesentlich, von denen nachstehend einige exemplarisch angeführt sind: x Flächenwidmungs- und Bebaubarkeitsplan, Bebauungsbestimmungen x Kellersituation: ist das gesamte Gebäude unterkellert, gibt es schon FundamentSondierungsgrabungen, wie hoch ist der Keller? x Gibt es die Möglichkeit von Auto-Stellplätzen auf eigenem Grund? x Gibt es die Möglichkeit einen Aufzug nachträglich einzubauen? x Gibt es die Möglichkeit bestandsfreie Wohnungen zusammenzulegen? x Ergeben Zusammenlegungen Nutzflächengewinne durch Einbeziehung von Gangflächen zur Wohnnutzfläche? x Rohdachbodensituation: Höhe des Kniestockes, Höhe des Firstes, Sondierungsöffnungen zur Prüfung der Qualität der Dachbodendecke, Anordnung der Kaminwände, Ausblick hofseitig.
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Leider wird jedoch auch hier die Meinung des Investorenpublikums häufig durch einschlägige Medien geprägt und dabei – weil „dankbarer“ Gegenstand von Artikeln und Fachbeiträgen – zuviel Augenmerk auf den Altmieterbestand, die erzielbare und verwertbare Neuwohnfläche durch einen Ausbau des Dachbodens sowie die Lage des Objektes gelegt. Durch die inflationäre Verwendung von Dachbodenausbauten im Marketing von Immobilienunternehmen wird dieser Eindruck weiter verstärkt. Verständlich ist dies durchaus, lässt sich werbetechnisch mit solchen schönen Referenzprojekten wesentlich mehr „anfangen“ als mit vergleichsweise unspektakulären Regelgeschosswohnungen. Wenn man Inserate, Imagebroschüren oder Geschäftsberichte von Immobilienunternehmen analysiert, werden auch hier Darstellungen von Dachböden forciert, selbst bei Unternehmen, wo dieses Geschäftsfeld vielleicht gar nicht das eigentliche Kerngeschäft bildet. Immobilienwertpapiere und deren Kursentwicklung Immobilienwertpapiere aller Art erfreuen sich bei Anlegern in den letzten Jahren großer Beliebtheit. Diese Tatsache resultiert einerseits aus der schwierigen Entwicklung der Aktienmärkte und damit verbundener schlechter Erfahrungen vieler Anleger, anderseits aus der vermeintlichen Annahme, dass eine Investition in Immobilienwertpapiere per se, d.h. allein aufgrund des Segments, in das investiert wird, sicherer sei als eine Investition in Aktien oder ähnliche Wertpapiere einer anderen Branche. Dabei werden viele Punkte übersehen, die entscheidend dafür sind, ob eine derartige Investition tatsächlich sicher und ertragreich ist. Zunächst ist festzuhalten, dass Immobilienwertpapiere den Investor in den seltensten Fällen direkt an Immobilien beteiligen, sondern in der Regel an Unternehmen, die mit Immobilien handeln bzw. diese bewirtschaften. Die einzige Ausnahme stellen allenfalls jene Beteiligungen dar, die sich an den strengen Grundsätzen einer mündelsicheren Veranlagung orientieren, wo beispielsweise Investoren die Möglichkeit eines direkten Zugriffs auf ein lastenfreies Immobilenportfolio eingeräumt wird. Diese Variante kommt bereits einer direkten Immobilienveranlagung sehr nahe, also dem Erwerb von Wohneinheiten oder ganzen Objekten, und zwar auch hinsichtlich der Rendite, da diese ebenfalls ausschließlich aus generierten Vermiet- oder Handelserlösen resultieren kann, also realistischerweise bei Erwartungen von 3– 5% p.a. positioniert sein dürfte. Der überwiegende Teil der am Markt bekannten Wertpapiere verbrieft hingegen eine Beteiligung an den Geschäftsergebnissen der Unternehmen oder an den Kursgewinnen des jeweiligen Papiers. Dabei ist zunächst zu beachten, dass in beiden Fällen der Immobilienbestand der Unternehmen kreditbelastet ist. Realisiert der Investor nunmehr seine Rendite aus erzielten Kursgewinnen, d.h. aus An- und Verkauf des Papiers, entscheiden nicht die Qualität des Immobilienportfolios oder die Jahresergebnisse des Unternehmens über die Rendite, sondern einzig die Börsemechanismen, also somit die gehandelten Stückzahlen des Wertpapiers und da-
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mit verbunden die laufende Nachfrage durch Neuzeichner. Ist ein Immobilienwertpapier daher auf Kurswertsteigerungen konzipiert, ist das in der werblichen Umsetzung häufig verwendete Argument der Immobilie als sichere Anlageform nur bedingt zutreffend, da die Kursentwicklung vom Markt, also der Börseentwicklung abhängt. Das bedeutet, dass sich derartige Immobilienwertpapiere vom Charakter her nicht elementar von Wertpapieren anderer Branchen unterscheiden. Börsenotierte Immobilienunternehmen, die hohe Kapitalsummen über derartige Papiere am Markt aufnehmen, sind daher häufig gezwungen, einen wirksamen Strukturvertrieb über Finanzdienstleister, Vermögensberater oder Banken zu unterhalten, um laufende und ausreichende Neuzeichnungen und einen Handel des Wertpapiers sicherzustellen. In der werblichen Umsetzung und der Informationspolitik der Unternehmen werden diese Aspekte zumeist völlig unterschlagen. Analysiert man etwa Printanzeigen von börsenotierten Immobilienunternehmen, wird wie oben erwähnt die Behauptung aufgestellt, dass diese Wertpapiere eine besonders hohe Sicherheit bieten, wie sie nur bei Immobilien gegeben sei. Ähnlich stellt sich die Situation bei Immobilienfonds dar, die Kursentwicklung oder Wertzuwächse in der Regel über die Bewertung des Immobilienportfolios darstellen. Immobilien jeglicher Art (Wohn-, Büro-, Gewerbeimmobilien) besitzen jedoch real nur jenen Wert, der im Falle einer Veräußerung am Markt realistisch erzielbar ist, ungeachtet des Wertes, der in den den Bewertungen zugrundeliegenden Schätzgutachten ausgewiesen wird. Zahlreiche Immobilienfonds sind insbesondere am deutschen Immobilienmarkt in einen schlechten Ruf geraten, weil teilweise erhebliche Überbewertungen unterstellt werden, und von Experten im Ansatz die Gefahr der Ausprägung einer sogenannten „Immobilien-Blase“ gesehen wird. Aufgrund dieser Gefahrenquellen und der aufgezeigten Problematik der Kursbildung und Kursentwicklung an den Börsen gehen manche Anbieter den Weg, die Renditen für die Investoren nicht aus Kurszuwächsen darzustellen, sondern aus dem operativen Geschäftsergebnis zu erwirtschaften bzw. auszuschütten. Man spricht in diesem Fall von „Dividenden-Papieren“, wo die Ausschüttungen aus den Ergebnissen der Unternehmen erfolgen. Diese Wertpapiere sind häufig als Genussrechte, Schuldverschreibungen oder andere aktienähnliche Formen konzipiert, d.h. sie verbriefen im Gegensatz zu Aktien zumeist kein Stimmrecht in der Hauptversammlung der Gesellschaften. Weiters besitzen diese Papiere durch das Charakteristikum der Ausschüttung in der Regel keine spekulativen Elemente und eigenen sich somit nicht für kurzfristige Kursgewinne. Die Anbieter dieser Wertpapiere empfehlen daher ihren Investoren einen mittel- bis langfristigen Veranlagungshorizont.
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Das Konzept einer integrierten Wertschöpfungskette Am österreichischen Immobilienmarkt haben sich einige Marktteilnehmer zum Ziel gesetzt, ihr Ertragspotential über den Kernbereich der Vermieterlöse sowie der Handelserlöse aus Immobilientransaktionen hinausgehend zu erweitern und somit zusätzliche Ertragsquellen zu nutzen. Exemplarisch soll dieses Konzept in gebotener Kürze am Beispiel der CPI Immobilien Gruppe, die sich auf die Entwicklung und Bewirtschaftung von Wiener Gründerzeithäusern spezialisiert hat, verdeutlicht werden. Die CPI Immobilien AG entwickelt und bewirtschaftet Immobilien, die folgende Eigenschaften erfüllen: x Innerstädtische Lagen in Wien x Historische Gebäude und Stilbauten x Überwiegend Wohnimmobilien Im Rahmen dieser Strategie ist die CPI Immobilien AG gemeinsam mit ihren Tochtergesellschaften in folgenden Geschäftsfeldern tätig: x x x x x
Revitalisierung innerstädtischer sowie infrastrukturell attraktiver Immobilien Entwicklung gut vermietbarer Ertragsobjekte zur Vorsorge Entwicklung von Zinshaus-Projekten für Großinvestoren Errichtung von Stilwohnungen und Dachgeschossausbauten Immobilienverwaltung und Objektreinigung
Die CPI Immobilien AG konzentriert sich somit auf ein relativ klar definiertes und abgegrenztes Segment am Immobilienmarkt und erbringt dabei alle wesentlichen Leistungen selbst. Diese Unternehmensstrategie bewirkt, dass alle Geschäftsbereiche innerhalb der Gruppe abgedeckt werden können, und dadurch eine geschlossene Wertschöpfungskette rund um das definierte Immobiliengeschäft aufgebaut wird. Im Zuge der kontinuierlichen Expansion wurden entsprechend dieser Unternehmensstrategie in den vergangenen Geschäftsjahren sukzessive folgende operative Tochterunternehmen integriert, die alle zusätzliche Gewinnbeiträge für die CPI Immobilien AG erwirtschaften: DIO Bau & Planungen GmbH Die DIO Bau & Planungen GmbH konzentriert sich auf die im Zuge von Revitalisierungen von Zinshäusern anfallenden Maßnahmen, die überwiegend von eigenen Mitarbeitern abgedeckt werden. In dieser Firma ist ein eigenes Planungsbüro integriert, das einen wichtigen Beitrag zur Qualität der Umbau- und Ausbaumaßnahmen leistet und eine enge Abstimmung zwischen Ankauf, Planung und baulicher Umsetzung ermöglicht. Typische Schwächen bei der Immobilienentwicklung können dadurch ausgeschlossen werden. CPI Bauträger und Immobilienverwaltung GmbH Diese Tochterfirma ist bei Projektgeschäften für mittlere und große Einzelinvestoren für gesamte Zinshausprojekte tätig. In dieser Gesellschaft werden insbesonde-
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re noch zu entwickelnde Immobilien angeschafft und gemeinsam mit DIO Bau revitalisiert. CPI Marketing GmbH Alle Marketingaktivitäten werden von dieser Tochtergesellschaft geplant und umgesetzt. Darüber hinaus wird der Verkauf entwickelter Immobilien abgewickelt. Für Investoren wird die laufende Vermietung der erworbenen Wohnungen sichergestellt. CPI Hausverwaltung GmbH Diese Tochtergesellschaft verwaltet die im Eigentum der CPI Immobilien Gruppe stehenden als auch fremde Liegenschaften. Dies führt zu Synergien, einer Verbesserung des Dienstleistungsgrades und stabilisiert die Ertragskraft der CPI Immobilien AG. Konsequenzen einer integrativen Unternehmensstrategie Die Vorteile einer solchen Konzeption liegen einerseits in einer breiteren Ertragsbasis für das jeweilige Immobilienunternehmen bzw. die jeweilige Muttergesellschaft, da ein wesentlich geringerer Teil an Erträgen an externe Anbieter oder Dienstleistungsunternehmen abfließt als gemeinhin üblich. Andererseits können durch aktive Steuerung viele Prozessabläufe optimiert werden. Für die Immobilienbranche betrifft dies insbesondere die Bereiche Immobilienankauf, Planung und die bauliche Umsetzung. In der Regel können Fehler und daraus resultierende Kosten-, Zeit- oder Ergebnisabweichungen, die in diesem Spannungsfeld entstehen, nachträglich in der Verwertung bzw. in der Vermarktungsphase hinsichtlich der erzielbaren Rendite kaum kompensiert werden. Die Nachteile oder Gefahren einer solchen Konzeption sind dagegen in der Tatsache zu sehen, dass zwar die Erträge überwiegend in der eigenen Unternehmensgruppe verbleiben, damit verbunden jedoch entsprechende Verantwortungen, Haftungen und Verbindlichkeiten, die nicht auf externe Unternehmen, z.B. Bauträger, Architekten, Hausverwaltungen oder Makler abgewälzt werden können. Auch ist hinsichtlich des Immobilienankaufs und des Projektmanagements der verschiedenen Bauvorhaben vornehmlich auf eine kontinuierliche Auslastung der „hauseigenen“ Baufirma Bedacht zu nehmen. Dies hat konsequenterweise zur Folge, dass Wachstumsschritte der jeweiligen Unternehmensgruppe ebenfalls nur kontinuierlich erfolgen können. Rasante Expansionsschritte, wie z.B. durch Börsegänge und Kapitalerhöhungen, sind nur bedingt zielführend hinsichtlich des erwirtschaftbaren Ergebnisses und sollten daher sehr behutsam und umsichtig vorgenommen werden.
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Zusammenfassende Erkenntnisse Der vorliegende Beitrag versucht zu verdeutlichen, dass viele – von Medien und anderen Opinion-Leader geprägte – Annahmen über den Immobilienmarkt und seine Mechanismen durchaus kritisch zu hinterfragen sind, bzw. für die Entwicklung des Marktes wichtige Tendenzen nicht hinreichend berücksichtigt, oder aber diese beschönigt werden. Zusammenfassend kommt der Beitrag u.a. zu folgenden wesentlichen Aussagen, die teilweise von der „vereinheitlichten Meinung“ abweichen, und auf die in den Marketingstrategien von Immobilienunternehmen spezifischer und sensibler eingegangen werden sollte: x Der Immobilienmarkt sollte nicht aus dem Blickwinkel des Unternehmens betrachtet werden, sondern aus dem Blickwinkel der relevanten Zielgruppen. x Der Mietermarkt hat häufig weitaus andere Bedürfnisse als Immobilienanbieter aus der Betrachtungsweise eines „Selbstnutzers“ unterstellen. x Teure Lagen weisen in der Regel für Entwickler und Betreiber von Wohnimmobilien vergleichsweise die niedrigsten Renditen auf. x Im Marketing wird in der Regel zu wenig auf spezifische Below the lineAktivitäten eingegangen, klassische Werbung mit hohen Streuverlusten dominiert. x Internet erlangt auch am Immobilienmarkt immer mehr Bedeutung und eignet sich idealerweise für die Immobilienselektion seitens der Interessenten. x Dachbodenausbauten bei alter Bausubstanz sind ein aktueller Modetrend, für die Entwickler jedoch allenfalls im Zuge einer durchgreifenden Sanierung des Gesamtobjektes betriebswirtschaftlich sinnvoll und zu rechtfertigen. x Immobilienwertpapiere unterstellen eine hohe Sicherheit für den Anleger, häufig unterliegen sie jedoch denselben Mechanismen wie der Aktienmarkt in anderen Branchen.
BauMax: Profilierung im „Do-It-Yourself“-Handel durch professionelle Kommunikationspolitik Michael Scheuch bauMax AG, Klosterneuburg
bauMax – Das Unternehmen bauMax als eines der erfolgreichsten Familienunternehmen in Österreich startet seine Unternehmensgeschichte als „Do-it-yourself“-Einzelhandelsunternehmen im Jahr 1976 mit der Eröffnung des ersten Baumarktes in Kindberg, Österreich. Durch die Eröffnung weiterer Filialen errang das Unternehmen 1983 erstmals die Marktführerschaft in Österreich, die bis heute erhalten blieb. Mit einem Marktanteil von rund 26% liegt bauMax deutlich vor dem größten Wettbewerber. Schritte wie der Aufbau eines neuen Logistikzentrums, die Bildung einer Einkaufskooperation „toomax“ mit REWE, AVA und Coop oder auch das konzernweite Strategieprojekt „best in class“ ermöglichten nicht nur in Österreich eine erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens. Mit der Entscheidung der Expansion nach Zentral- und Osteuropa im Jahr 1989 wurde der Grundstein für eine nach wie vor anhaltende Expansion und Internationalisierung gelegt. Nach dem Markteintritt in Tschechien und Ungarn 1992 folgten Slowakei, Slowenien, und Kroatien. Derzeit wird der Markteintritt in Bulgarien und Rumänien vorbereitet. 2004 wird von dem Konzernumsatz von knapp einer Milliarde Euro knapp die Hälfte von den Märkten in den Reformländern Mittelosteuropas erwirtschaftet. Die Geschäftstätigkeit von bauMax beruht auf der Idee des Do-it-yourself. Das Ziel ist es, diese Idee an möglichst viele Menschen in Österreich und in den so genannten bauMax-Expansionsländern weiter zu vermitteln und den Kunden bei der Durchführung ihrer Bau- und Heimwerkerprojekte behilflich zu sein. Dabei setzt bauMax auf absolute Kundennähe und Kundenzufriedenheit, mit vielen individuellen Serviceleistungen, mit einem neuen Marktkonzept, mit einem reichhaltigen Sortiment und mit den besten Preisen.
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Zunehmende Bedeutung der Kommunikationspolitik im Handelsunternehmen Die Kommunikationspolitik ist im Handelunternehmen ein wichtiges Profilierungsinstrument und gewinnt zunehmend an Bedeutung im Marketing-Mix. Ist dies nur eine altbekannte Floskel, die gerne in Vorträgen oder wissenschaftlichen Beiträgen als Einleitung genutzt wird? In der Tat gibt es einige Indizien, die darauf schließen lassen, dass das Handelsmarketing und im Speziellen die Kommunikationspolitik vor neuen Herausforderungen steht. Auch wenn diese stark von Branche und Region abhängen, lassen sich einige häufig auftretende Gründe für die gestiegene Bedeutung der Kommunikationspolitik finden. Kampf um Marktanteile auf gesättigten Märkten Immer häufiger ist der Einzelhandel mit der Situation konfrontiert, auf gesättigten Märkten zu agieren. Dies trifft vor allem auf Wirtschaftsregionen wie Europa oder den USA zu. In der Regel sind in die Wachstumsraten innerhalb der wichtigsten Branchen des Einzelhandels wie z.B. Lebensmittel, Textil, Möbel, Sport oder auch Do it yourself (DIY) im einstelligen Prozentbereich. Signifikante Umsatzsteigerungen, die für Einzelhandelsunternehmen aufgrund ständig wachsender Kosten (Personal, Energie, Infrastruktur,…) lebensnotwendig sind, können auf gesättigten Märkten ausschließlich über wachsende Marktanteile generiert werden. Die dafür notwendige Profilierung gegenüber den Wettbewerbern muss über eine Differenzierung erreicht werden. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, sich von Wettbewerbern abzugrenzen, kam es in den letzten Jahren in zahlreichen Branchen zu zum Teil bedenklichen Angleichung von Sortimenten und Angeboten. Handelsunternehmen stehen somit vor der Herausforderung, sich durch innovative und kreative Ausgestaltung des Marketing-Mix am Markt zu profilieren. Die reine Unterscheidung über das Angebot ist kaum mehr möglich. Häufig wird der Versuch unternommen, sich in erster Linie über den Preis von den Wettbewerbern zu differenzieren. Dabei wird vom Handelsmanagement die Preistransparenz auf der Konsumentenseite häufig überschätzt und jene unter den Wettbewerbern am Markt nicht selten unterschätzt: x Konkrete Vorstellungen über einen angemessen Preis eines Produktes sowie über den jeweiligen Preis bei den Wettbewerbern liegen bei den meisten Kunden nur bei einem geringen Prozentsatz des Sortiments vor. Artikel, die derart stark im Fokus der Kunden stehen und bei denen dadurch eine hohe Preistransparenz besteht, werden häufig als „Eckartikel“ bezeichnet. Eine vor wenigen Jahren in der Do-it-yourself-Branche durchgeführte Studie zeigt einmal mehr auf, was von den Handelsketten nur selten erkannt wird: Der Anteil der Artikel, von denen Kunden eine konkrete Preisvorstellung haben, ist äußerst gering.
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x Andererseits wird die Preistransparenz unter den Wettbewerbern am Markt nicht selten unterschätzt. Vor allem bei jenen Artikeln, die im Fokus der Kunden stehen und/oder in der Werbung eingesetzt werden, werden selbst die geringsten Preisänderungen von den jeweils anderen Wettbewerbern am Markt sofort erkannt und im Falle von Preissenkungen innerhalb von kurzer Zeit eingestellt. Das Ziel, die Preise der Konkurrenz zu unterbieten, bedeutet damit zwangsläufig das Auslösen einer Preisspirale nach unten und damit sinkende Margen für alle Wettbewerber, ohne sich nachhaltig bei den Kunden profiliert zu haben. Die Profilierung ausschließlich über den Preis ist damit für viele Unternehmen (vor allem, wenn sich keine reinen Diskonter sind) eine Sackgasse. Andere Argumente gegenüber dem Kunden müssen gefunden und möglichst effizient kommuniziert werden. Das Aufbauen einer Argumentationslinie in der Kommunikation, die über die reine Preispositionierung hinausgeht, erfordert neben einer eigenständigen Positionierung besonderes Geschick in der Kommunikationspolitik. Auch für bauMax ist der Kampf auf weitgehend gesättigten Märkten eine allgegenwärtige Herausforderung. So stagniert in Österreich, dem Ursprungsland des Familienunternehmens, in dem rund die Hälfte des Konzernumsatzes generiert wird, der Markt für Do-it-yourself-Produkte seit den 1990er-Jahren. Gleichzeitig hat Österreich die größte Baumarktdichte in Europa. In den vergangen Jahren sind vier Wettbewerber aus Deutschland mit offensiven Konzepten in den Markt eingetreten. Das Resultat ist ein bedingungsloser Verdrängungswettbewerb sowie ein massiver Preisverfall, der auf die preisaggressive Marktbearbeitung neu eintretender Wettbewerber zurückzuführen ist Die Kommunikationskonzepte werden zu dem Schlüssel im Konkurrenzkampf. Um im Verdrängungswettbewerb als Sieger hervorzugehen, ist es nicht ausreichend, die richtigen strategischen Entscheidungen hinsichtlich der Wunschpositionierung gefällt zu haben. Erst die effiziente Kommunikation des Leistungsangebots dem Kunden gegenüber ermöglicht den Erfolg am Markt. Handelsunternehmen müssen als Marke positioniert werden Die Zeiten, in denen Handelsunternehmen als reine Vertriebsschiene von starken Industriemarken fungieren sind längs vorbei. Parallel zur Markenpolitik der Lieferanten ist der Handel aufgefordert, zunehmend selbst als Marke am Markt aufzutreten. Bestandteile der Marke sind dabei nicht nur das Sortiment und damit die Marken der Lieferanten. Eine Reihe weiterer Komponenten wie beispielsweise Serviceleistungen, Ladenatmosphäre, Personal oder Handelsmarken beeinflussen das Markenbild des Einzelhändlers aus Sicht der Konsumenten. Die Marke muss gezielt mit den der Positionierung entsprechenden Inhalten aufgeladen werden. Selbstverständlich erfordert der Aufbau einer erfolgreichen Marke für ein Handelsunternehmen strategische Entscheidungen. Die Positionierung der eigenen Marke im Vergleich zum Wettbewerb wird von Einzelhandelsunternehmen in der
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Tat als hochrangig, strategische Fragestellung gesehen. Hinsichtlich der „Umsetzung der Marke“ kommt der Kommunikationspolitik jedoch die tragende Rolle zu. Die Kerninhalte der Marke müssen in ein paar wenigen, prägnanten Sätzen formuliert werden können. Der Erfolgsfaktor dabei ist die schnelle Verständlichkeit für die Zielgruppe in Wort oder Bild. Ein guter Slogan ist dabei die Grundlage einer erfolgreichen Kommunikation. Aber nicht nur die Prägnanz der Marke muss beachtet werden. Nur durch die gleichzeitige Konstanz in der Kommunikation kann die Marke nachhaltig am Markt aufgebaut werden. bauMax hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich als Do-it-yourself-Kette mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis positioniert. Mit dem Slogan „Großer Wert und kleiner Preis“ konnte die Marke bauMax nachhaltig aufgeladen werden. Der „Große Wert“ äußerst sich für den Kunden in erster Linie in Form von Kompetenz in den vier Sortimentsbereichen (Bauen, Wohnen, Werkzeug und Garten), in der Produktqualität, Beratungsqualität sowie in zahlreichen zusätzlichen Serviceleistungen, die über das normale Leistungsangebot eines Einzelhändlers hinausgehen. Der „Kleine Preis“ im Slogan von bauMax hingegen steht für die Garantie des besten Preises am Markt, für Dauertiefpreise, Mengenrabatte, „-10%-Tage“ (Tage, an denen Kunden 10%-Rabatt auf alle regulären Artikel erhalten) oder auch für Rabatte, die an Mitglieder des bauMax-Kundenklubs, ausgegeben werden. Die Prägnanz und Zuordenbarkeit zum Unternehmen des Slogans „Großer Wert und kleiner Preis“ werden vor allem bei Markforschungsstudien, in denen Assoziationen zu bauMax abgefragt werden, deutlich. Selbst nach einer vierjährigen Pause bei der Image-Werbung im TV wird die Marke bauMax von den Kunden noch immer mit dem Slogan verbunden. Doch der Slogan, mit dem die Marke bauMax aufgeladen ist, stand nicht immer außer Diskussion. Im Jahr 1989 wurde ein Relaunch der Marke mit dem Projekttitel „bauMax 2000“ erarbeitet: Nach der ersten intensiven Expansionsphase des Unternehmens war die Neuigkeit des Baumarktkonzepts nicht mehr zugfähig genug. Der Konsument hatte sich daran gewöhnt und wollte bereits mehr als die reine Versorgung mit Waren. Einkaufserlebnis und emotionelle Ansprache gewannen an Bedeutung. Der Mensch sollte stärker in den Mittelpunkt der Kommunikation gerückt werden und emotionaler angesprochen werden als bisher. Das gesamte Unternehmen wurde den neuen Herausforderungen angepasst. Von internen Strukturen über Sortimente bis hin zu einem komplett neuen Auftritt im Markt durch ein verändertes Ladenkonzept reichte die Neuausrichtung des Unternehmens. Auch ein neuer kommunikativer Auftritt sollte bauMax 2000 begleiten: Der neue Slogan lautete: „Gut zu wissen, einer ist immer für dich da – der bauMax“ und wurde in erster Linie über eine stark emotional ausgerichtete ImageKampagne im Fernsehen transportiert. Nur kurze Zeit nach Einführung der Kampagne wurde deutlich: Alles an dem Relaunch der Marke bauMax war richtig – nur nicht die Kommunikation. Zu viele Markenwerte wurden über Bord geworfen. Der Slogan wurde falsch verstanden, die Kampagne war zwar von der kreativen Ausgestaltung gelungen, jedoch deutlich zu intellektuell und entsprach nicht dem Markenerlebnis, mit dem die Kunden vor Ort in den Märkten konfrontiert wurden.
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Die Kampagne wurde abgesetzt und durch vertraute Markeninhalte ersetzt. Neben dem Einsatz des „Selfman“, einer neuen Symbolfigur für den Do-it-yourselfGedanken, entschloss man sich den „Großen Wert“ und den „Kleine Preis“ neu aufleben zu lassen. Zu der Positionierung von bauMax als Marke gehört damit nicht nur ein prägnanter Slogan. Das, wofür die Marke steht, muss tagtäglich im Kontakt zu den Kunden aufs Neue bewiesen werden. Die Kommunikation einer Marke kann nur funktionieren, wenn sie mit Inhalten aufgeladen ist, die der Realität entsprechen. Die steigende Informationsüberlastung der Konsumenten als Kommunikationsbarriere Die steigende Informationsüberlastung der Konsumenten stellt eine weitere Entwicklung dar, die die Bedeutung der Kommunikationspolitik unterstreicht. Werbung ist mittlerweile für den Kunden nicht nur allgegenwärtig. Die Anzahl an Informationen und Kommunikationsappellen nimmt stetig zu. Dies reicht von Werbeblöcken im TV über Mailings und Flugblätter in den Briefkästen bis hin zu Newsletter per Email. Die Flut an Werbebotschaften, die auf den Konsumenten einwirkt, steigt kontinuierlich. Die Folge dieser Entwicklung ist klar: Es wird immer schwieriger, zum Kunden durchzudringen. Konsumenten nehmen als Reaktion auf die Informationsüberlastung Werbebotschaften sehr selektiv wahr. Ein Beispiel, diese Entwicklung zu veranschaulichen, sind die Recall-Werte z.B. von TV-Spots: Der Gesamtaufmerksamkeitswert (Recall) setzt sich aus Spontanerinnerung und gestützter Erinnerung an eine Spot am Tag nach der Ausstrahlung zusammen. Lag beispielsweise in Österreich laut eines renommierten Marktforschungsinstitutes vor wenigen Jahren der durchschnittliche Recall-Wert eines TV-Spots bei rd. 40%, so befindet er sich heute bei 30%. Grund für die immer schwächer werdende Erinnerung der Konsumenten an gesehene TV-Spots ist nicht etwa eine Verschlechterung der Qualität der Spots. Es ist die Informationsüberlastung, die die Kunden immer selektiver Botschaften aufnehmen lässt. Diese Entwicklung kann über alle Werbemittel und –kanäle hinweg beobachtet werden. Die Kommunikation muss immer geschickter, durchdachter, prägnanter und „lauter“ werden, um in der Fülle an Informationen wahrgenommen zu werden. Austauschbare und unkreative Werbung wird nicht mehr wahrgenommen.
Besonderheiten der Kommunikationspolitik im Handel Im Vergleich zur Produktwerbung der Hersteller sind im Handel zahlreiche Besonderheiten der Kommunikationspolitik zu berücksichtigen:
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Der Verkaufsraum als Werbeträger Die Verkaufsräume einer Einzelhandelskette können als Werbeträger genutzt werden. Im Gegensatz zur Industrie hat der Einzelhandel die Möglichkeit, die Verkaufsräume als Kommunikationsmedien zu nutzen. Bei bauMax zieht sich die Kommunikation am „Point of sale“ (POS) vom Storedesign über Preisauszeichnung bis hin zur Unterstützung bestimmter Promotions am POS. Selbst für das bauMax-Kundenbindungsprogramm dessen Kernelement die Kundenkarte darstellt, ist die Filiale ein zentraler Werbeträger. Von der Kommunikation von für Club-Mitglieder vergünstigte Artikel bis hin zur Darstellung der allgemeinen Leistungen des Programms für den Kunden, nimmt der Point of sale die Rolle des Transporteurs von Botschaften ein. Die Verkaufsräume sind damit einerseits ein wesentlicher Bestandteil in der Kommunikation von Imagebotschaften. Bei bauMax geht es dabei in erster Linie um die Umsetzung des Markeninhalts und Unternehmensslogans „Großer Wert und kleiner Preis“. Andererseits dienen die Filialen zur Unterstützung bestimmter zeitlich begrenzter Aktionen/Promotions (z.B. „Parkettwochen“, „Gartenopening“, „Weihnachtsmarkt“) durch den Einsatz von entsprechendem POS-Material wie Bodenkleber, Deckenhänger oder Plakate. Nicht zuletzt die Millionen an Kundenkontakten, die ein Einzelhandelskonzern wie bauMax Jahr für Jahr im Verkaufsraum hat, wertet den Point of sale in seiner Kommunikationsbedeutung auf. Werbeerfolgskontrolle Einzelhandelsunternehmen haben in der heutigen Zeit wesentlich bessere Möglichkeiten der Werbeerfolgskontrolle als die Industrie. Mit der Einführung von Scannerkassen und geschlossenen Warenwirtschaftssystemen haben Einzelhandelsunternehmen die Informationshoheit in der Wertschöpfungskette gegenüber der Industrie gewonnen. Von Warenkorb- und Verbundanalysen bis hin zur Überprüfung von Direct Marketing-Maßnahmen für registrierte Kunden (Kundenclubs) reicht die Palette der Möglichkeiten der Werbeerfolgskontrolle. Der Industrie hingegen fehlen sowohl Informationen über den Zusammenhang zwischen einem bestimmten Artikel und dem gesamten Warenkorb (Beispielsweise die Analyse von Verbundeffekten), als auch die Verbindung eines Kaufverhaltens mit einer identifizierbaren, namentlich bekannten Person. Die große Herausforderung für den Einzelhandel liegt jedoch in der Implementierung entsprechender Systeme zur Ermöglichung von Analysen und Erfolgskontrollen. Jahrelang kämpften die Unternehmen mit dem Problem, über ungeheure Daten- und Informationsschätze zu verfügen, diese aber nicht auswertbar und nutzbar gestalten zu können. Mit dieser Problemstellung sah sich auch bauMax konfrontiert. Mit der Einführung eines Data Warehouse sowie der Implementierung von Data Mining- und Customer Relationship Management-Systemen wurde der Grundstein für eine effiziente Werbeerfolgskontrolle gelegt.
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Schnelle Reaktion der Kunden auf Kommunikation In Verbindung zu stehen mit der verbesserten Möglichkeit der Werbeerfolgskontrolle ist auch die dritte Besonderheit der Kommunikationspolitik im Einzelhandel: Die Reaktionen der Kunden auf Kommunikationsmaßnahmen erfolgen in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen. Handelsunternehmen wie bauMax investieren traditionellerweise den überwiegenden Teil des Werbebudgets in schnell bzw. kurzfristig wirksame Kommunikationsmaßnahmen. Allen voran ist an dieser Stelle die Flugblattwerbung zu nennen, die nach wie vor die wichtigste Kommunikationsschiene zum Kunden bedeutet. Der Erfolg der Flugblattwerbung ist bereits unmittelbar nach Ablauf der Preisgültigkeit der jeweiligen Aktion präzise einzuschätzen. Wird mit derartigen Werbemitteln kein Effekt beim Konsumenten innerhalb weniger Tage erzielt, bleibt der Erfolg aus. Aber auch Direct Marketing-Maßnahmen oder themenbezogene Promotions wirken sich in verhältnismäßig kurzer Zeit direkt auf Umsatz und Ergebnis aus. Direct Marketing-Maßnahmen bei bauMax zielen zumeist darauf ab, dem Adressaten einen Marktbesuch in absehbarer Zeit schmackhaft zu machen. Dies geschieht entweder durch die Zusendung von Gutscheinen und Coupons oder durch die Ankündigung aktueller Events und Aktionen. Der Erfolg von Direct Marketing-Maßnahmen ist somit bereits nach wenigen Wochen konkret zu bewerten. Haupteinflussfaktor auf den Erfolg ist dabei die präzise Zusammenstellung der Zielgruppe, die im Idealfall auf den Interessensgebieten und dem Einkaufsverhalten der Kunden basiert. Kommunikation von Leistungen Die Kommunikation von Leistungen des Handels erfordert häufig höheres Geschick als Produktwerbung der Industrie. Die Argumentation der Industrie basiert zumeist auf der Darstellung der Vorteile eines Produktes. Die kommunikative Argumentation eines Einzelhändlers, dessen Sortiment über mehrere Zehntausend Produkte verfügt, stellt eine besondere Herausforderung dar und ist in der Regel komplexer als jene der Industrie. Der Einzelhändler ist gefordert, losgelöst von der Industrie eine eigenständige Identität zu finden und steht vor der Herausforderung, dass seine Kernleistung nicht materialisiert ist, wie bei einem Sachgut. Das Geschick des Handelsmarketings liegt deshalb darin, nicht zum Getriebenen der Herstellermarken zu werden. Die Argumentation zum Kunden hin sollte die Gesamtleistung des Einzelhändlers widerspiegeln. Dazu gehören beispielsweise für bauMax neben Produkten bzw. Sortiment und Preisen auch Bereiche wie Service, Ladenatmosphäre, Handelsmarken oder das Filialnetz. In Summe ergibt sich daraus für die Kommunikationspolitik eine hochgradig diffizile Problemstellung.
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Werbekostenzuschüsse der Industrie Eine weitere Besonderheit der Handelskommunikation sind Werbekostenzuschüsse der Industrie. Für die Kommunikationsleistung des Handels werden von den Lieferanten einerseits jährliche Kostenzuschüsse eingefordert, die zumeist im Rahmen von Lieferantenjahresgesprächen verhandelt werden. Die Industrie zahlt Werbekostenzuschüsse für die allgemeine Unterstützung des Absatzes durch die Kommunikation des Einzelhändlers. Darüber hinaus existiert eine enge Zusammenarbeit bei unregelmäßigen bzw. punktuellen Maßnahmen. Der Verkauf von Leistungen wie Seiten in Gutscheinheften des Händlers oder Einschaltungen in Katalogen, Sondermailings bzw. kundenspezifischen Email-Newslettern an die Industrie ist bei bauMax bereits Standard. Interessant an dieser Entwicklung im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Händler ist der Aspekt, dass das Einzelhandelsunternehmen mit dem Verkauf von Medialeistungen eine Funktion übernimmt, die nicht zu dessen Kernkompetenzen zählt. Deshalb liegt die Lösung der professionellen Vermarktung des Media-Angebotes häufig im Outsourcing dieser Aufgabe an externe Spezialisten wie Agenturen.
Kommunikationspolitik bei bauMax am Beispiel der Flugblattwerbung
Bedeutung des Flugblattes in der Kommunikationspolitik Das Flugblatt ist für bauMax wie für weite Teile des Einzelhandels das wichtigste Kommunikationsmedium. Es ist keine Seltenheit, wenn Einzelhandelsunternehmen die Hälfte ihres Kommunikationsbudgets oder mehr in die Produktion und Verteilung von Flugblättern investieren. Dies liegt vor allem daran, dass das Flugblatt ein äußerst impulsstarkes Medium ist. Selbst bei Verweigerungsquoten der Empfänger von 50% und mehr in manchen Regionen sind mit Flugblättern noch immer attraktive Kontaktpreise zu erreichen. Eine aktuelle Studie aus Österreich zeigt, dass rund ein Drittel der Österreicher sämtliche Flugblätter durchsehen und gerne lesen. Ein weiteres Drittel beschäftigt sich zumindest mit den Flugblättern bestimmter Firmen, deren Angebote von Interesse sind. Verglichen mit anderen Medien hat das Flugblatt eine äußerst attraktive Kosten-Nutzen-Relation. Mit rund zwei Millionen Stück verfügt das bauMax-Flugblatt über eine höhere Auflage als die am meisten gelesene österreichische Tageszeitung, die „Krone“. Die Kosten für die Produktion und Verteilung einer Flugblattseite liegen zwischen 15 und 30% der Kosten für ein ganzseitiges Inserat in der genannten Tageszeitung. Selbst unter den Annahmen, dass die gesamte Auflage der Tageszeitung gelesen wird,
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sowie, dass zwischen 30 und 50% der Flugblätter nicht gelesen werden, wird die Attraktivität der Flugblattwerbung im Einzelhandel deutlich. Für die Kommunikationspolitik stellt sich zunächst die prinzipielle Frage, welche Inhalte mit dem Flugblatt transportiert bzw. welche Ziele verfolgt werden sollen. Traditionellerweise ist das Flugblatt stark aktionsgetrieben. Im Vordergrund stehen Produkte und Preise. Dabei handelt es sich in der Regel um Produkte mit Aktionspreisen, die nur für einen bestimmten Aktionszeitraum gelten. Es wird deutlich, dass mit dem Flugblatt in erster Linie kurzfristige Umsatzziele verfolgt werden. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Prospektwerbung zusätzlich eine hervorragende Plattform bietet, über Produkt und Preis hinausgehende Botschaften zu transportieren: Die Vermittlung von Image wirkt sich mittel- und langfristig auf den Umsatz aus. Ziele der Flugblattwerbung Mit der Flugblattwerbung werden bei bauMax folgende Ziele verfolgt: x Frequenzziele: Stark aktionsgetriebene Werbemittel zielen immer darauf ab, möglichst viele Kunden durch Sonderangebote in die Filialen zu locken. Frequenz bedeutet im Einzelhandel immer, dass man die Möglichkeit hat, sich dem Kunden mit seinem Sortiment, seinen Preisen und seinem Service sowie seinen Leistungen zu präsentieren. Es besteht dadurch die Möglichkeit, den Kunden, abgesehen von den Artikeln aus dem Flugblatt, aufgrund derer er die Filiale aufgesucht hat, zu überzeugen und zu begeistern. x Umsatz- und Deckungsbeitragsziele: Selbst wenn die Spannen bei Sonderangeboten niedrig bis im Extremfall sogar negativ sind, stehen hinter jedem Flugblatt Umsatz- und Deckungsbeitragsziele. Es muss dabei beachtet werden, dass der Erfolg eines Flugblattes nicht nur am Umsatz und am Deckungsbeitrag mit in Aktion befindlichen Artikeln gemessen werden kann. Umsatz und Deckungsbeitrag mit nicht in Aktion befindlichen Artikeln, die sich ebenfalls im Warenkorb eines Kunden befinden, der aufgrund von Sonderangeboten die Filiale aufgesucht hat, sind ebenfalls auf die Flugblattaktion zurückzuführen und dieser zuzurechnen. Die hohe Kunst der Preisgestaltung von Aktionsartikeln liegt in der Optimierung des verursachten Aktionsdeckungsbeitrages. Sind die Aktionspreise zu hoch, ist das Flugblatt nicht zugkräftig und der Erfolg bleibt aus. Wird das Pricing zu niedrig angesetzt, kommen zwar viele Konsumenten in den Markt und kaufen Aktionsartikel und Artikel aus dem regulären Sortiment. Jedoch leidet der Deckungsbeitrag und kann in Summe suboptimal sein. Der „Aktionsumsatz“ hängt aber nicht nur von der Artikelauswahl und dem Pricing ab, sondern auch in starkem Ausmaß von der Gestaltung des Flugblattes (Umfang, Anzahl der Artikel etc.). Weiter sind deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Länden zu erkennen. Vor allem Kunden in Ländern in Zentralund Osteuropa reagieren auf Sonderangebote deutlich stärker als Kunden in westeuropäischen Ländern. Diese Erfahrung hat auch bauMax im Rahmen sei-
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ner Kommunikationspolitik gemacht. Die Aktionsanteile (prozentueller Umsatzanteil von Aktionsartikel am Gesamtumsatz im Zeitraum einer bestimmten Aktion) sind beispielsweise in zentral- und osteuropäischen Ländern bis zu doppelt so hoch wie in Österreich. Flugblattgestaltung Obwohl Flugblätter wie beschrieben stark produkt- und preisorientiert sind, gibt es bei der Gestaltung äußerst unterschiedliche Fokussierungen. Das Spektrum in der Einzelhandelslandschaft zeigt alle Varianten auf: x Einerseits kann die Zielrichtung sein, ausschließlich sonderangebotsorientierte, aktionistische Flugblätter zu produzieren. Das Arbeiten mit Preisreduktionen und der Verkauf von Sonderposten (extra für eine Aktion eingekaufte Artikel) stehen dabei im Vordergrund. Dadurch soll der Marke des Einzelhändlers ein preisaggressives Image verliehen werden. Flugblätter dieser Kategorie werden häufig von Lebensmitteleinzelhandelsketten und Diskontern eingesetzt. x Dem gegenüber steht die Zielrichtung, mit dem Flugblatt schwerpunktmäßig Sortimentskompetenz und Professionalität zu vermitteln. Um dies zu erreichen, muss man sich mit der Darstellung des Sortiments zu den jeweiligen Themen möglichst kompetent präsentieren. Wesentlicher Faktor ist die Darstellung der Tiefe des Sortiments. Dabei wiederum sollten innerhalb der präsentierten Produktgruppen Artikel der Einstiegspreislage bis hin zu Markenartikeln in den höheren Preisklassen dargestellt werden. Unterstützt werden kann die Vermittlung der Professionalität mit der zusätzlichen Vermittlung von Serviceleistungen oder Anwendungstipps, aber auch mit der Zusammenfassung von Produkten zu Themenschwerpunkten (z.B. Parkettwochen, Farbenwochen, Fliesenwochen, Gartenopening,…) oder Heimwerkerprojekten. Doch die beiden aufgezeigten, möglichen Fokussierungen müssen nicht zwangsläufig ein Widerspruch sein: bauMax setzt mit seinen Flugblättern auf ein Gleichgewicht zwischen Sortimentskompetenz und Preisaggressivität. Die Flugblattinnenseiten sind von der Idee geprägt, Sortimentstiefe in den beworbenen Produktgruppen zu demonstrieren. Dies kann nur durch das Präsentieren mehrer Produkte aus einer Produktgruppe erreicht werden. Produkte müssen aus diesem Grund in gesamten Produktblöcken (auf Produktgruppen-Ebene) dargestellt werden. Ein einziger Artikel einer Produktgruppe darf nicht für sich allein stehend präsentiert werden. Diese Vorgangsweise macht es notwendig, aus der Warengruppensicht in einzelnen Flugblättern auf Themen zu verzichten, da der Fokus darauf liegt, Kompetenz zu zeigen und nicht zwangsläufig das gesamte Sortiment. Gleichzeitig wurde mit einem neuen Konzept für Darstellung bestimmter besonders attraktiver Angebote garantiert, dass die Preisaggressivität des Flugblattes nicht verloren geht. Dabei handelt es sich um Artikel, die durch außergewöhnlich attraktive Verkaufspreise die Preisführerschaft am Markt demonstrieren. Die Darstellung dieser Artikel hebt sich von jener der restlichen beworbenen Produkte auf
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der Flugblattdoppelseite deutlich ab: Sie erhalten nicht nur mehr Platz auf der Flugblattseite. Er wird auch grafisch deutlich in den Vordergrund gestellt und wird dadurch zum „Eye-Catcher“ auf der Seite (Abb. 1).
Abb. 1. Innenseite eines bauMax Flugblatts
Neben der Kommunikation von Produkten und deren Preise, wird mit dem Flugblatt eine weitere Botschaft an die Konsumenten ausgesandt: Der Unternehmensslogan bzw. dessen Umsetzung. „Großer Wert und kleiner Preis“ zieht sich durch das gesamte Flugblatt. Neben dem Slogan auf der Titelseite steht Wert und Preis bereits auf der Seite 2 und 3 umfangreicher Platz zur Verfügung (Abb. 2). Mit „Wir garantieren den besten Preis“ und „Wir garantieren den besten Service“ sowie einer Reihe von Informationen, die Auskunft geben, was hinter den beiden Versprechen an die Kunden steckt, wird aufgezeigt, dass der Slogan der Marke bauMax mit einer Reihe von Maßnahmen aufgeladen ist. Die strikte Trennung von Informationen zum „Großen Wert“ und zum „Kleinen Preis“ wird auch durch die jeweilige Hintergrundfarbe unterstrichen: Preisinformationen sind rot, Serviceinformationen gelb.
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Abb. 2. Umsetzung „Großer Wert und kleiner Preis“
Auf den Folgeseiten finden sich allgemeine Informationen abwechselnd zum „Großen Wert“ und „Kleinen Preis“ in Form von Fußzeilen auf jeder linken Seite des Flugblattes. In Summe wird mit jedem Flugblatt aufs Neue durch zahlreiche Preis- und Wertinformationen der Slogan gezielt aufladen. Die wichtigste Seite eines Flugblattes ist jedoch die Titelseite. Gelingt es mit der Titelseite die Aufmerksamkeit des (potenziellen) Kunden zu erregen bzw. Interesse zu wecken, steigt die Chance signifikant, dass das Flugblatt durchgesehen wird. Der Gestaltung der Titelseiten wird damit zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor für das gesamte Flugblatt. bauMax setzt bei der Auswahl der Titelseiten zunächst auf die Saisonalität. Das Thema, das auf der Titelseite des Flugblattes präsentiert wird, sollte unter Berücksichtigung der Saison aktuell sein und über Breitenwirkung verfügen. Weiters wird versucht, über die Titelseite Emotion und/oder Humor zu transportieren. Immer neue Ideen, wie der Saison angepasste Themen (oft verhilft auch ein gewisses Maß an Selbstironie zu einem sympathischen Auftritt) transportiert werden können, müssen gefunden werden. Dieser Herausforderung müssen sich die Kommunikationsabteilung von bauMax sowie die betreuende Werbeagentur permanent stellen. Zusätzlich hat es sich bewährt, nicht gänzlich auf die Abbildung von Produkten auf der Titelseite zu verzichten. Dies liegt einerseits daran, dass die abgebildeten Produkte Lust auf mehr machen sollen. Andererseits genießen Produkte auf der Titelseite eine ganz besondere Aufmerksamkeit des Betrachters. Auf die damit verbundenen Umsätze sollte nicht verzichtet werden.
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Die vielleicht größte Gefahr bei der Gestaltung der Flugblätter ist die Überladung mit Informationen. So wie TV-Spots, Print-Anzeigen oder Plakate sehr einfache und klare Botschaften vermitteln müssen, um wahrgenommen zu werden, können auch Flugblätter an der Wahrnehmungsschwelle der Konsumenten scheitern, wenn sie nicht klar aufgebaut und auf die notwendigen Informationen reduziert werden. Die Frage, wie viele Produkte und Zusatzinformationen auf einer Flugblattseite dargestellt werden sollen, steht dabei im Zentrum. Selbstverständlich bewirken doppelt so viele Produkte auf einer Flugblattseite nicht doppelt so viel Umsatz, da sich auch die Größe der Produktabbildung auf den erzielten Effekt bei den Kunden auswirkt. Zusätzlich muss ein Gleichgewicht zwischen Information und Stimmungsbildern, die zwar einerseits Platz kosten, aber andererseits eine erhöhte Aufmerksamkeit beim Betrachter hervorrufen, gefunden werden. Verteilung und Streugebiete Unabhängig von der Gestaltung der Flugblätter ist die Frage, wie das Flugblatt zum Konsumenten gelangen soll. Die beiden wichtigsten Möglichkeiten sind einerseits Postwurfsendungen über Verteilerunternehmen und andererseits die Beilage in Zeitungen oder Zeitschriften. Vorteile der Beilage in anderen Medien sind geringere Verweigerungsraten, zielgruppenspezifischere Verteilung und ein möglicher Imagetransfer vom Trägermedium auf das Flugblatt. Dem gegenüber stehen zumeist höhere Kosten als bei Postwurfsendungen. Nachdem es beispielsweise hinsichtlich der Verweigerungsraten von Postwurfsendungen starke regionale Unterschiede gibt, ist auch die Entscheidung über die Transportart des Flugblattes zum Konsumenten regional zu treffen. Damit in Zusammenhang steht die Frage der Bestimmung der Streugebiete. Mittels entsprechenden Geo-Marketing-Systemen wird das Einsatzgebiet der Flugblätter festgelegt. Parallel dazu werden Erfolgskontrollen der Streugebiete mittels Postleitzahlenbefragungen in den Märkten durchgeführt. Dabei werden Kunden an der Kasse nach der Postleitzahl ihres Wohnortes befragt. Im Rahmen des Warenwirtschaftssystems wird die Information über die Postleitzahl mit der Einkaufssumme verknüpft. Dadurch ist es möglich, nicht nur den Anteil der Kunden aus bestimmten Postleitzahlen zu bestimmen, sondern auch den Anteil des Umsatzes. Diese Informationen stellen die Grundlage für weitere Optimierungsentscheidungen hinsichtlich der Streugebiete dar.
Fazit Flugblattwerbung ist im Einzelhandel eines der wichtigsten – und für viele Handelsunternehmen sogar das wichtigste - Instrument, die Marke eines Handelsunternehmens zu profilieren. Dies liegt einerseits daran, dass der Handel stark produkt- und preisgetrieben ist. Die Flugblattwerbung wird im Kommunikations-Mix
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trotz der Bedeutung anderer klassischer Medien (z.B. TV, Printmedien, Hörfunk) sowie trotz neuer Trends in der Kommunikation, wie beispielsweise die Kommunikation mit den Kunden über elektronische Medien, in dem umfangreichen Ausmaß wie derzeit bestehen bleiben, solange die Mehrheit der Kunden und potenziellen Kunden Prospekte als Informationsquelle nutzen. Flugblätter sind durch ihre Kosten-Nutzen-Relation nach wie vor das effizienteste Kommunikationsmedium für Produkt- und Preiswerbung. Doch die Rolle der Flugblätter in der Kommunikation beschränkt sich längst nicht mehr auf Produkt und Preis. Immer stärker wird der Prospekt auch für den Transport von Image-Botschaften genutzt. Das große Geschick liegt darin, die richtigen, zur Markenaussage passenden Signale an den Leser zu senden. Die graphische Gestaltung der Flugblätter sowie die Auswahl der dargebotenen Artikel beeinflussen in hohem Maße die Wahrnehmung der Kunden hinsichtlich Preis-, Sortiments- und Servicekompetenz. Auf den ersten Blick erscheint der Prospekt als Werbemittel wenig innovativ. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die wahren Weiterentwicklungen (neben der graphischen Optimierung und Anpassung an die Markenaussage) im Bereich der Steuerung und Erfolgskontrolle liegen. Moderne Warenwirtschaftssysteme und darauf aufbauende Analyseinstrumente, wie beispielsweise Data Warehouse- und Date Mining-Lösungen, ermöglichen nicht nur eine wesentlich präzisere Auswahl der Artikel für das Flugblatt (z.B. automatisierte Artikelvorschläge basierend auf Preiselastizitäten). Auch die detaillierte Erfolgskontrolle unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit des Prospektes führt zu einem schnellen Feedback für den Produktverantwortlichen und beeinflusst dadurch ebenfalls den Inhalt der nachfolgenden Flugblätter. Darüber hinaus werden GeomarketingSysteme für eine immer genauere Steuerung der Flugblattstreuung genutzt. Wie für das Flugblatt stellt sich für die gesamte Kommunikationspolitik eines Einzelhandelsunternehmens die Frage: Gibt es einheitliche, allgemeingültige Richtlinien? Wohl kaum. Dennoch können einige Tipps genannt werden, die für die effiziente Gestaltung der Marktkommunikation dieser Branche hilfreich sind: x „Keep it simple!“: Der Kern der Marke eines Handelsunternehmens muss in wenigen Sätzen formulierbar sein. Genauso klar und einfach sollte die darauf aufgebaute Kommunikation gestaltet sein. x „Klotzen, nicht kleckern!“: Hat man sich auf strategischer Ebene für eine Positionierung und in weiterer Folge für eine Botschaft an den Markt entschlossen, heißt es, diese muss mit dem maximal möglichen Nachdruck durch die Kommunikation platziert werden. Kunden nehmen nur wenige, prägnante Werbebotschaften wahr. Will man mit seiner Marke nicht untergehen, heißt es „Klotzen und nicht kleckern!“. x „Konsequenz und Beständigkeit!“: Der Aufbau einer Marke durch die Kommunikationspolitik braucht einen langen Atem. Nicht nur der Nachdruck der Botschaft ist für den Erfolg verantwortlich. Markeninhalte müssen mit Konsequenz über alle zur Verfügung stehenden Medien und Werbemittel über lange Zeit transportiert werden. Dementsprechend entscheidend ist eine gut überlegte
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und langfristig orientierte Positionierung, die die Basis für die darauf aufbauende Kommunikation darstellt. Gleichzeitig lassen sich einige typische Fehler, die häufig von der Kommunikationspolitik begangen werden, nennen: x Das Aufladen der Kommunikation mit Inhalten, die nicht der Realität entsprechen, führt innerhalb von kurzer Zeit zu nachhaltig negativen Reaktionen der Kunden. Nach dem Motto „Good advertising kills a bad product faster“ muss man sich immer bewusst sein, dass Kunden falsche Werbebotschaften nicht verzeihen. x Oft lockt die Versuchung, zugunsten kreativer Ideen den Markenkern zu vernachlässigen oder gar aufzugeben. Besonders die permanente Anforderung an die Kommunikation, neu und frisch zu wirken, um von den Kunden wahrgenommen zu werden, führt oft zu einer zu schwachen Berücksichtigung der langfristig aufgebauten Kernelemente der Marke. x Damit im Zusammenhang steht auch die Gefahr, mittels stark humoristischer Werbung oder dem Einsatz von Prominenten als Testimonials, die ursprüngliche Botschaft zu überlagern. Weder ein „Gag“ noch eine eingesetzte bekannte Persönlichkeit sollten den Kern der Kommunikation ausmachen. Sie sollten wenn, dann nur ein Mittel sein, um die eigentliche Botschaft zu verstärken oder in eine Form zu bringen, die beim Kunden ankommt. Schließlich muss sich die Kommunikationspolitik der Gegenwart immer einer zentralen Frage stellen: Wie versteht der Kunde die Botschaft? Denn zuerst muss die Kommunikation beim Kunden ankommen, dann erst bei der Werbepreisverleihung in Cannes!
Wie innovative Marken Märkte gestalten – Das Beispiel Nescafé Andreas Nentwich Nestlé Österreich Ges.m.b.H., Wien
Zur Geschichte von Nescafé Die Entstehungsgeschichte von Nescafé begann im Jahr 1930, als die brasilianische Regierung Nestlé, schon damals ein internationales Unternehmen mit speziellem Know-how im Kondensieren und Pulverisieren von Milch und Kakao, damit betraute, ein Konservierungsverfahren für Kaffeeüberschüsse zu entwickeln. Die ursprüngliche Idee bestand darin, Kaffee zu rösten, zu mahlen, unter Beigabe von Wasser aufzubrühen, einzudampfen und anschließend zu Pulver zu verarbeiten. Die besondere Herausforderung war es jedoch, das für den Kaffeegenuss unerlässliche natürliche Aroma im Verarbeitungsprozess zu behalten. Nach sechsjähriger Forschungsarbeit gelang es dem bei Nestlé angestellten Lebensmitteltechniker Max Morgenthaler, diese Aufgabe durch Zugabe von Kohlehydraten zu lösen. Im Jahre 1952 konnte Nescafé dann endlich zu 100% aus Bohnenkaffee hergestellt werden. Als weitere technologische Meilensteine entwickelte Nestlé für Nescafé 1965 die Gefriertrocknung, (Nescafé Gold) und 1967 einen neuen Agglomerationsprozess für sprühgetrocknete Produkte (Nescafé Classic) und konnte damit die Qualität für löslichen Bohnenkaffee signifikant steigern. Im April 1938 wurde erstmals löslicher Bohnenkaffee unter der Marke Nescafé auf den Markt gebracht. Von der Schweiz ausgehend fand das neue Produkt nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Weg nach Frankreich, Großbritannien und in die USA, welche mit der Versorgung ihrer Soldaten wiederum einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Verbreitung von Nescafé leisteten. In den 50er Jahren erschloss das neue Getränk vor allem die Zielgruppe der jungen Leute, die damals Cafés frequentierten, um aktuelle Musik hören zu können. Und Nescafé war an Bord der Apollo 11, als am 20. Juli 1969 die ersten Menschen den Mond betraten. Dieser „raketenhafte Aufstieg“ hat sich fortgesetzt. Heute ist Nestlé der größte Kaffeehersteller der Erde, mit Produktionsstandorten in 35 Ländern. Von den im Jahr 2003 täglich etwa 1,6 Milliarden getrunkenen Tassen Kaffee entfiel knapp ein Viertel auf Nescafé. Dies entspricht etwa 4.300 konsumierten Tassen je Sekunde. Nescafé dominiert die Kategorie „Löslicher Bohnenkaffee“ mit einem Weltmarktanteil von 58%. Die Marke Nes-
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café wird in der aktuellen Studie von Interbrand (Juni 2004) mit knapp 12 Milliarden US$ bewertet. Damit belegt sie im weltweiten Marken-Ranking den 23. Gesamt-Platz, als drittwichtigste Lebensmittelmarke hinter Coca Cola und Pepsi, aber klar vor den Mitbewerbern Kellogg’s, Danone, Kraft und der Unternehmensmarke Nestlé selbst.
Der Kaffee-Konsument in Österreich Der österreichische Konsument liegt mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 7 kg Rohkaffee im weltweiten Spitzenfeld der Kaffeetrinker (vgl. Tabelle 1). Auch im Vergleich zu ähnlichen Getränke-Kategorien in Österreich spielt Kaffee eine besondere Rolle (vgl. Tabelle 2). Tabelle 1. Pro-Kopf-Verbrauch von Rohkaffee in ausgewählten Import-Ländern Angaben in kg
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Gesamt
4,64
4,60
4,64
4,70
4,53
4,56
4,54
U.S.A.
4,10
4,00
4,14
4,24
3,96
4,09
3,95
E.U. Österreich Belgien/Luxemburg Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Irland Italien Niederlande Portugal Spanien Schweden Großbritannien
5,57 8,11 6,38 9,91 10,56 5,69 7,16 4,19 1,45 4,95 9,84 3,79 4,49 8,78 2,43
5,56 8,17 5,69 8,97 11,00 5,68 7,22 4,31 1,59 5,08 9,19 3,75 4,63 8,46 2,46
5,53 8,20 7,54 9,57 11,71 5,49 7,01 3,87 1,49 5,16 7,56 4,30 4,67 8,47 2,62
5,53 8,44 5,29 9,66 11,43 5,70 7,46 3,69 2,17 5,14 5,71 4,79 5,12 8,70 2,27
5,37 6,57 7,32 8,84 11,26 5,50 6,70 4,27 1,31 5,36 7,21 4,08 4,60 8,00 2,37
5,29 7,74 5,52 9,66 11,01 5,31 6,90 3,47 2,29 5,44 6,47 4,47 4,27 8,49 2,19
5,36 7,10 9,14 9,02 11,24 5,54 6,59 5,18 2,08 5,36 6,10 4,30 4,33 8,33 2,19
Andere Importländer Zypern Japan Norwegen Schweiz
3,21 4,14 2,83 9,77 7,82
3,16 3,24 2,90 9,18 6,03
3,22 3,92 2,91 9,52 6,84
3,36 4,32 3,00 10,56 7,25
3,43 5,37 3,17 8,79 6,90
3,57 4,34 3,31 9,46 6,80
3,52 4,48 3,27 9,15 6,78
Quelle: International Coffee Organization, Juni 2004
Wie innovative Marken Märkte gestalten
309
Auffällig beim heimischen Kaffeekonsum ist die Vielfalt, und zwar sowohl in der Art der Zubereitung als auch in der Konsum-Gelegenheit (Ort und Zeit), und daraus resultierend in der Produktwahl (siehe Tabelle 3). Bei der Zubereitung registriert man analog zum Ethno-Trend bei Food im letzten Jahrzehnt eine Verdrängung traditioneller Varianten (Melange, großer Brauner, kleiner Schwarzer) durch internationale Trendprodukte (Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato). Geprägt werden diese Trends einerseits durch die Etablierung internationaler LadenKonzepte für den Außer-Haus-Konsum mit junger, moderner Positionierung (Segafredo, Starbucks), andererseits durch die zunehmende Angebotsvielfalt im Kaffeemaschinen-Markt, welche die herkömmliche Filterkaffee-Zubereitung angreift. Tabelle 2. Kaffee-Verkauf im trad. LEH im Vergleich zu verwandten Getränken Warengruppe Röstbohnenkaffee Löslicher Bohnenkaffee Eiskaffee Ready-to-trink Schwarz-Tee Koffeinhältige Softdrinks (Cola-Getränke) Energydrinks
2002 422.467,8 38.216,1 1.887,8 22.455,8 142.245,7 12.019,5
2003 439.219,0 40.824,5 2.895,7 22.637,2 148.275,4 14.606,1
Angaben in Liter (umgerechnet auf das konsumierfertige Produkt nach Nestlé-Standards) Basis: Traditioneller Lebensmitteleinzelhandel exkl. Hofer, Lidl Quelle: A.C. Nielsen
Nur jeder zehnte Österreicher ab 14 Jahren (15% der Frauen, 5% der Männer) trinkt nach eigenen Angaben nie Kaffee. Etwa 60% der Konsumenten genießen Kaffee mehrmals täglich, ein Drittel sogar drei Tassen und mehr, und zwar meistens morgens (69%) und nachmittags (47%). 30% der Männer, aber nur 20% der Frauen trinken Kaffee auch vormittags und nach dem Mittagessen. Lediglich abends (11%) bzw. zu nächtlicher Stunde (4%) ist der Kaffeekonsum eher gering.1 Während drei Viertel der Österreicher Röstbohnenkaffee trinken, sind nur 15% (21% der 1-Personen-Haushalte) deklarierte Verwender von löslichem Bohnenkaffee. Diese nennen neben dem bevorzugten Geschmack (27%) vor allem die schnelle Zubereitung (65%) und praktische Handhabung (31%) als wichtigste Verwendungsgründe. Hervorgehoben wird weiters die einfache Portionsdosierung (11%), womit sich löslicher Bohnenkaffee besonders für den Konsum am Arbeitsplatz und für Zwischendurch empfiehlt. Nichtverwender kritisieren in erster Linie den Geschmack (56%) und das mangelnde Aroma (23%).2
1 2
Quelle: Info Research International – Brandtrack 6/2001 Quelle: Sensor Marktforschung – Consumer-Insights 3/2004
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Andreas Nentwich
Tabelle 3. Konsumierte Kaffee-Varianten gewichtet nach Verwendungssituation Rezept/Produkt Röstbohnenkaffee Lösl. Bohnenkaffee
Frühstück 74 60
EntNach d. Arbeits- Kick zw.durch spanung Essen platz 41 22 36 34 47 60 50 44
Für Gäste 93 19
Nescafé Gold div. Sorten Nescafé Classic Nescafé Cappuccino
30 12 17
27 9 11
26 23 13
24 12 14
24 14 8
8 7 4
Milchkaf., Melange, Latte Kl. Brauner, Cappuccino Mokka, Espresso
94 27 12
58 18 11
36 14 10
59 17 8
58 13 8
77 18 14
Basis: Anzahl der Nennungen – n = 150 = Nescafé-Verwender Quelle: Sensor Marktforschung (2004)
Ziele für Nescafé in Österreich Da Nescafé den Markt für löslichen Bohnenkaffee auch in Österreich bis zum heutigen Tag klar dominiert, muss das Ziel für diese Marke mit einer breiteren Perspektive versehen werden. Angesichts der Tatsache, dass Kaffee zu den meistkonsumierten Getränken in Österreich gehört, jedem deklarierten Verwender von löslichem Bohnenkaffee aber immer noch fünf Konsumenten von Röstbohnenkaffee gegenüberstehen, besteht die Hauptaufgabe für Nescafé darin, seinen Anteil an den getrunkenen Tassen (Cup Share) im Gesamtmarkt kontinuierlich zu erhöhen. Das vorhandene Potential gilt es sowohl in den Haushalten als auch im vielfältigen Außer-HausKonsum zu erschließen. Angesichts der immer noch vorhandenen Imagedefizite bezüglich Geschmack und Aroma bei löslichem Bohnenkaffee muss das definierte Marktanteilsziel klar mit dem Ziel einer deutlichen Imageaufwertung der Marke Nescafé bei gegenwärtigen Nichtverwendern verknüpft werden. Aus diesen beiden Marktzielen leiten sich konsequenterweise folgende Instrumentalziele für die Marke Nescafé in Österreich ab: x ganzheitlicher Kommunikationsauftritt, der es den österreichischen Konsumenten ermöglicht, die Genuss-Welt von Nescafé mit allen Sinnen zu erleben; x Angebot eines innovativen Top-Sortiments, das den hohen, vielfältigen Konsumentenansprüchen der österreichischen Kaffeetrinker bezüglich Aroma, Geschmack und Genuss ebenso gerecht wird wie den Bedürfnissen (der Konsumenten und aller Wiederverkäufer im Foodservice-Geschäft) bezüglich Convenience in der Zubereitung und Aufbewahrung;
Wie innovative Marken Märkte gestalten
311
x ausgewogene Preispolitik, welche die qualitative Überlegenheit von Nescafé gegenüber Konkurrenzprodukten unterstreicht, gleichzeitig Konsumenten und Handel ein faires Preis-/Leistungs-Verhältnis vermittelt; x optimale Marktabdeckung aller möglichen Konsumpunkte, und zwar im Handel, in alternativen Absatzkanälen (ATC = „Alternative Trade Channels“, wie z.B. Tankstellen, Kioske), der Gastronomie in allen Ausprägungen und bei Großverbrauchern; Der oft erwähnte Österreich-Bezug in der Zielformulierung signalisiert klar die Notwendigkeit der Berücksichtigung von lokal stark ausgeprägten Unterschieden im Kaffeegeschmack. Im Gegensatz zu anderen internationalen Getränke-Marken, wie z.B. Soft-Drinks, werden bei Nescafé trotz eines weltweit ähnlichen optischen Auftritts (Glasform, Submarken, Kommunikationsinhalte) die „Blends“ (Mischung der Kaffeesorten) und damit die Geschmacksintensität auf die Konsumentenbedürfnisse des jeweiligen Landes abgestimmt.
Die 4-Säulen-Strategie von Nestlé Nestlé bekennt sich klar zu einem kontinuierlichen Wachstumskurs. Wachstum bedeutet nicht nur das Erschließen neuer Märkte oder die Akquisition von Unternehmen, sondern ein gesundes, internes Wachstum aller strategischen Geschäftszweige, und zwar in allen Kontinenten. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass internationale Markenartikelhersteller sich vor allem in den entwickelten Märkten in Europa und den USA beweisen müssen, um ihre Position abzusichern oder gar zu verbessern. Nestlé hat sein Geschäft auf vier strategische Säulen gestellt, welche die weltweite, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichern sollen: Effizienz Nestlé durchleuchtet laufend alle Unternehmensabläufe auf mögliche Verbesserungen. Effizienzprojekte werden dort durchgeführt, wo die Nutzung verfügbarer Ressourcen optimiert werden kann. Durch das Erschließen von Synergie-Potential kann bei gleichem Mittel-Einsatz der Output signifikant gesteigert werden bzw. derselbe Output mit geringerem Aufwand erzielt werden. Das betrifft Forschung und Entwicklung, Produktion und Kommunikation ebenso wie z.B. Organisationsabläufe in der Logistik. Das größte derzeit laufende Projekt unter dem Titel „GLOBE“ befasst sich mit einem weltweit einzuführenden SAP-unterstützten Planungs- und Steuerungssystem, das langfristig die Kosten für IT signifikant reduzieren wird.
312
Andreas Nentwich
Innovation/Renovation Nestlé bewertet eine Marke anhand ihrer Kapazität für Renovation und Innovation. Die ständige Belebung des bestehenden Produkt-Portfolios gilt als bedeutendes Standbein des Wachstumskurses. Der Umsatzanteil neuer Produkte an den Gesamtverkäufen stellt eine der wichtigsten Kennzahlen dar. Innovationen müssen klar positionierbar sein, für den Konsumenten einen nachvollziehbaren Zusatznutzen bringen und die Marke stärken („brand strenghtening instead of brand stretching“). Renovation kompensiert einen verlorenen Wettbewerbsvorteil (USP) gegenüber der Konkurrenz oder baut einen vorhandenen USP aus. In beiden Fällen gilt die 60/40-Regel: Nestlé-Produkte müssen im Vergleichstest von mindestens 60% der Konsumenten bevorzugt werden. Bei all diesen Anforderungen wird darauf geachtet, nichts an Schnelligkeit einzubüßen. Nach dem Motto „make it – test it – sell it“ versucht Nestlé immer, Bedürfnisse früh zu erkennen, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und schließlich Entscheidungen rasch durchzusetzen. Verfügbarkeit Nestlé verfolgt die klare Strategie, den Konsumenten immer dann ihre Produkte anzubieten, wenn sich eine Konsumgelegenheit ergibt, und zwar unabhängig von Tageszeit und Ort („whereever – whenever – however“), ohne jedoch selbst die Funktion des Händlers zu übernehmen. Diese flexible Bedarfsdeckung stellt einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Handelsmarken dar. Angesichts des hohen Impuls-Charakters der strategischen Nestlé-Kategorien Wasser, Eis, Kaffee und Süßware gilt es, im Handel ebenso wie im OOH-Bereich (OOH = „Out-of-home“, wie z.B. Systemgastronomie) kreative und effektive Platzierungsmöglichkeiten zu finden, die über eine reine Regalpräsenz hinausgehen. Zudem steigt auch die Bedeutung des Automaten-Geschäfts. Kommunikation Aus der Sicht von Nestlé soll Kommunikation für die Konsumenten eine sinnvolle Hilfestellung bieten, um basierend auf ausreichend Information Kauf- bzw. Konsumentscheidungen zu treffen. Dementsprechend übernimmt Nestlé die Verantwortung dafür, dass allen Kommunikationsinhalten überprüfbare Fakten zugrunde liegen. Dies betrifft natürlich vor allem ernährungs- und gesundheitsbezogene Aussagen. Für Nestlé bedeutet Kommunikation mehr als nur der Einsatz klassischer Medien. Ziel ist es, jede Möglichkeit zu nutzen, um den Konsumenten „Good Food, Good Life“ (der weltweit eingesetzte Unternehmensslogan) zu vermitteln. Dementsprechend wählt Nestlé einen Ansatz, der intern als „360o Communication“ be-
Wie innovative Marken Märkte gestalten
313
zeichnet wird. Die nachfolgenden Beispiele für Nescafé in Österreich werden dem Leser diesen vielfältigen Zutritt verdeutlichen.
Abb. 1. Nestlé Consumer Relationship Panel
Kommunikation bei Nestlé ist interaktiv. Daher finden Konsumenten auf allen Packungen das „Consumer Relationship Panel“, eine abgebildete Banderole mit dem Nestlé Qualitätsversprechen, dem Nestlé Garantie-Siegel und einer Einladung zur Kontaktaufnahme (telefonisch, schriftlich oder per Internet) mit dem Nestlé Konsumenten-Service, um mehr über das gewählte Produkt und seine Verwendungsmöglichkeiten zu erfahren oder Nestlé eine Bewertung bzw. Anregungen für Verbesserungen zukommen zu lassen.
Maßges
außerhalb des Geschäfts
chneide rte Konz epte au f dem W eg
im Geschäft
am Regal
zum PO P
Produkt/ Verpackung
s bis nauftritt s Marke e d g n u rte Plan Integrie
P zum PO
Abb. 2. Path-to-Purchase (integrierte POP-Planung)
Kaufentscheidungen werden je nach Warengruppe bis zu 80% erst direkt am Einkaufsort (POP = „Point of Purchase“) getroffen. Daher begleitet Nestlé die Konsumenten sinnbildlich auf diesem Weg zum Kauf (P2P = „Path to Purchase“) und legt einen besonderen Schwerpunkt auf POP-Kommunikation, die vom Packungsdesign selbst über die Platzierungshilfen (Displays) bis zur Ausnutzung aller Gestaltungsmöglichkeiten im und vor dem Kaufort reicht.
Marketingmaßnahmen für Nescafé in Österreich Basierend auf den formulierten Zielen für Nescafé in Österreich und unter Berücksichtigung der wichtigsten Aspekte der 4-Säulen-Strategie von Nestlé werden
314
Andreas Nentwich
nachstehend beispielhaft einige Marketingmaßnahmen skizziert. Zur besseren Orientierung für den Leser gibt Abb. 3 einen chronologischen Überblick über den Maßnahmenkatalog. Der Weg der Konsumenten NESCAFÉ bekannt
Ziel:
NESCAFÉ interessiert
NESCAFÉ probiert
NESCAFÉ verwendet
Probiermöglichkeit
Frequenz steigern
Bindung fördern
• Produkt• qualität • (60/40) • Differen- • zierung (Sortiment) • bedarfsgerechte größere Packungen („Upsizing“)
CRM Loyalitätsprogramme Renovation (Aktualisierung der Marke)
begleitet von NESCAFÉ bekannt machen
Interesse fördern
loyale NESCAFÉ Intensivverwender
NESCAFÉ unbekannt
Maßnahmen: • Erhältlichkeit • Attraktive • Positionierung • Sichtbarkeit (Bedarfsdeckungsmotiv) • Retail/OOH • Nutzenstiftung • • Preis-/ Leistungsverhältnis
P2PKommunikation Verkostung, Gratismuster Konsumenteninfo/PR Events Call-toAction
Abb. 3. „Growth-Driver“-Modell für Nescafé
Visualisierung der Marke Nescafé im OOH-Geschäft Neben der augenscheinlichen Präsenz im Handel mit Produkten für den Privatkonsum zu Hause bietet Nescafé ein umfangreiches Sortiment für den VendingBereich (Kaffee-Automaten und Gastronomielösungen). Obwohl Nescafé diesen Markt mit knapp 90% klar dominiert, wissen die Österreicher bis jetzt kaum, welche Kaffee-Marke sie in diesem Fall genießen. Die logische Maßnahme besteht daher in der Visualisierung der Marke Nescafé im Außer-Haus-Konsum, um generell ihre Präsenz zu steigern und gleichzeitig Vorbehalte von vermeintlichen Nichterverwendern durch eine nunmehr bewusst positiv erlebte Konsum-Situation abzubauen. Die Umsetzung reicht von der Kooperation mit Automaten-Aufstellern („Maschinen-Branding“), über die Einrichtung von Kaffee-Ecken („Nescafé-Corner“) in Handelsgeschäften unterschiedlicher Branchen bis zum Franchise-Konzept der Nescafé-Bar in ökonomisch gerechtfertigten Hochfrequenzlagen.
Wie innovative Marken Märkte gestalten
315
a)
c)
b)
d)
Abb. 4. Beispiele für den Markenauftritt von Nescafé im OOH-Bereich: a) Nescafé Corner im Wiener Verkehrsbüro b) Nescafé Bar im Haupbahnhof Innsbruck c) und d) Nescafé Maschinen für Großverbraucher und Gastronomie
Offensive Werbung zur Qualitätspositionierung der Marke Nescafé Angesichts der immer noch großen Vorbehalte der Nichtverwender gegenüber löslichem Bohnenkaffee wurde in der neuen Werbelinie unter dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ neben der bequemen und schnellen Zubereitung bewusst die hohe Produktqualität (Geschmack und Aroma) von Nescafé im Vergleich zu herkömmlich zubereiteten Kaffees thematisiert. In diese Image-Kampagne eingebettet lernten die Konsumenten die verbesserte Qualität von Nescafé Classic, ein gelungenes Rezept für Nescafé Latte und den neuen Nescafé Espresso kennen. Unterstützt wurde die TV-Kampagne durch Print-Sujets für das Premiumprodukt Nescafé Gold, welche ganz bewusst die Überlegenheit von Nescafé gegenüber Filterkaffee ansprach.
316
Andreas Nentwich
Harald Schmidt kommt in sein Büro und winkt die Kamera heran. Er zieht aus seiner Jackentasche einen Löffel... „Übrigens, ich hab jetzt auch eine Espressomaschine. Die hab’ ich mir gerade in der Kantine geklaut, hihihi...“ Damit bereitet er sich einen NESCAFE Espresso zu. „Jetzt kann ich mir auch immer einen schönen Espresso nach dem Essen machen.“
Dabei imitiert er die Geräusche einer Espressomaschine.
Er trinkt und ist zufrieden. „Ahhhh...“ „Klasse!“ Off-Sprecher: Nescafé Espresso. Nur echt mit der Crema
Abb. 5. Beispiele aus der Mediakampagne Nescafé 2004: TV-Spot Nescafé Espresso Print-Sujet Nescafé Gold
Die Nescafé-Initiative „Geschmackstest“ Die größte Chance, einen potentiellen Neuverwender für Nescafé zu gewinnen, liegt in einem für den Konsumenten zufriedenstellenden Erstkontakt mit der Marke. Daher spricht Nescafé im Jahr 2004 mit Verkostungen und Gratisprobenverteilungen insgesamt 4 Millionen Konsumenten in Österreich an. Gemäß dem Postulat der optimalen Produktverfügbarkeit gilt es auch bei diesen Aktivitäten, die Konsumenten zielgruppengerecht zur richtigen Zeit an jenem Ort anzusprechen, wo die angebotene Geschmacksprobe auch willkommen ist. Daher konzentrierte sich das Event-Team besonders auf die Frühstückszeit und überraschte die Konsumenten in Pendlerzügen, den Wiener Linien, an Universitäten, Schulen und im morgendlichen Verkehrsstau mit einer frischen Tasse Nescafé. Nachmittags wurden in Büros Nescafé Espresso Corner eingerichtet. Bei einer klassischen Verkos-
Wie innovative Marken Märkte gestalten
317
tung im Handel wechselt das Produktangebot während des Tages bis zu viermal. Dabei werden auch die auf den Packungen kommunizierten Rezeptideen umgesetzt. Darüber hinaus wird im Rahmen von Kooperationen mit verschiedenen Anbietern von Komplementärprodukten (z.B. BRAUN, NÖM, ÖLZ, Zeitungen) die Konsumentenansprache in einem attraktiven Umfeld genutzt.
a)
c)
b)
d)
Abb. 6. Beispiele für Nescafé Verkostungen und Gratisprobenverteilung: a) „Nescafé Studienbeihilfe“ (morgendliche Verteilung vor Universitäten) b) „Nescafé Bürosampling (nachmittägliche Verkostungen in Bürohäusern) c) „Nescafé Rocket-Man“ (Verkostungen im öffentlichen Dienst) d) „Nescafé Latte“ (Themenverkostung in Kooperation mit NÖM)
Das POP-Konzept für Nescafé Espresso Die Einführung des ersten löslichen Espresso unter der Marke Nescafé stellte in vielerlei Hinsicht eine besondere Herausforderung dar. Erstmals wandte sich die Marke für löslichen Bohnenkaffee an die Verwendergruppe mit den höchsten Qualitätsansprüchen. Weiters verlangt das Produkt eine andere Wasserdosierung als herkömmliche Nescafé-Produkte. Schließlich galt es, ein Nischenprodukt mit vergleichsweise geringer Umschlagshäufigkeit am POP im kompetitiven Umfeld attraktiv zu inszenieren. Da die Kommunikation der hohen Qualität von Nescafé Espresso („mit perfekter Crema“) in der TV-Kampagne zufriedenstellend abgedeckt wurde, konzentrierte man sich am POP auf die Thematisierung der optimalen Wasserdosierung und
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Andreas Nentwich
entschloss sich die Einführung mit einer Tassen-Promotion zu kombinieren. Dies sicherte die gewünschten Platzierungen und damit den Einsatz von Werbematerialien (Deckenhänger, Regalstopper und Display-Steckplakate). Außerdem wurde parallel zum gelernten Glas auch eine Packung mit Portionssticks eingeführt, um die preisliche Eintritts-Schwelle für einen Erstkauf zu reduzieren
a)
b)
c)
Abb. 7. POP-Kommunikation für Nescafé Espresso: a) Regalstopper (direkt am Fachboden angebracht) und Deckenhänger b) Verkostung (Plakat, Verkostung in Original Nescafé Espresso Tassen) c) Display (mit „Crowner“ = Steckplakat)
Wachstumsbringer im Sortiment von Nescafé Mit dem Ziel einer kontinuierlichen Erhöhung des Cup Shares für Nescafé bei gleichzeitig klarer Dominanz des Marktes für löslichen Bohnenkaffee gilt es, laufend neue Produkte einzuführen, die den aktuellen Konsumbedürfnissen optimal entsprechen und dem hohen Qualitäts- und Frischeanspruch gerecht werden. Nachfolgend sind einige Trendprodukte von Nescafé beschrieben, die in der jüngeren Vergangenheit einen wesentlichen Beitrag zur Ausweitung des Marktes für löslichen Bohnenkaffee geleistet haben. Die dazugehörigen Marktzahlen finden sich im Kapitel „Erfolgskontrolle“.
Wie innovative Marken Märkte gestalten
319
Nescafé Cappuccino Nescafé erkannte Anfang der 90er Jahre das Potential des aus Italien kommenden Cappuccino, die bis dahin dominierenden heimischen Milchkaffee-Zubereitungen (Melange, „Verlängerter“) zu verdrängen und bot als erster ein lösliches Produkt in Einzelportions-Sachets an. In weiterer Folge ergänzte Nescafé im Jahr 2002 das Sortiment angesichts des gestiegenen Bedarfs um Vorteilsdosen für Intensivverwender. Nescafé Frappé Ebenso Anfang der 90er Jahre, also lange vor Marktreife der „Ready-to-Drink“Dosenprodukte, schuf Nestlé mit dem Produkt „Nescafé Frappé“, eine mit kalter Milch im Shaker zuzubereitende Kaffeemischung, ein saisonales Gegengewicht für den Markt der Heißgetränke und konnte so das zumindest ansatzweise vorhandene Sommerloch in dieser Warengruppe schließen. Nescafé Gold Festtagsmischung Zum 30jährigen Jubiläum von Nescafé Gold brachte Nestlé unter der Marke Nescafé Gold die Sorte Festtagsmischung auf den Markt. Das zu 100% aus feinsten keniatischen Arabica-Bohnen gewonnene Produkt bildete mit seinem feinen Aroma eine Alternative zu den etablierten Röstbohnenkaffees mit ähnlicher Positionierung und trug wesentlich dazu bei, die bisher von Nescafé nur schwach abgedeckte Konsum-Situation „Wenn Gäste kommen“ zu besetzen. Nescafé Classic – Neue Qualität Seit 2003 gibt es Nescafé Classic dank der Entwicklung eines innovativen Aromarückgewinnungsverfahrens in einer neuen Geschmacksdimension. Um diese inhaltlich nüchterne Botschaft für den Konsumenten besser erlebbar zu machen, wurde im Rahmen der TV-Kampagne das Rezept „Nescafé Latte“ kommuniziert und mit passenden POP-Maßnahmen (On-Pack-Promotion mit Milchschäumer, Verkostungen, Cross-Communication auf NÖM-Milchpackungen) verstärkt. Absatz in Tonnen
Umsatz in 1.000 Euro 34.355
19.787
23.599
37.220
1811 1485
9.302
406
580
1970
1980
806 1992
2000
2002
Abb. 8. Die langfristige Entwicklung der Warengruppe „Löslicher Bohnenkaffee“ im traditionellen Lebensmitteleinzelhandel (Quelle: A.C. Nielsen)
320
Andreas Nentwich
Erfolgskontrolle Der Markt für löslichen Bohnenkaffee in Österreich ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen (siehe Abb. 8). Diese Entwicklung ist untrennbar mit der Marke Nescafé verbunden, die mit innovativer Produktpolitik und kontinuierlicher Investition in die Kommunikation den Wachstumsmotor für diese Kategorie bildet. So konnte beispielsweise3 x mit der Einführung von Nescafé Cappuccino Portionspackungen ein Markt geschaffen werden, der heute 15 Millionen Euro groß ist; x mit Nescafé Frappé in den Sommermonaten der gesamte KaffeespezialitätenMarkt bis zu 20% erweitert werden; x für Nescafé Classic mit dem Qualitätsrelaunch - gemeinsam mit dem Kommunikation für Nescafé Latte - eine Umsatzsteigerung von 14% innerhalb eines Jahres erzielt werden; x mit Nescafé Espresso ein neues Segment geschaffen werden, dass in der Einführungszeit bereits 7% Umsatzanteil in der Haupt-Kategorie „Löslicher Bohnenkaffee Pur“ generierte; Nescafé ist der generische Kategoriebegriff. So nennen 93% aller Österreicher die Marke, wenn sie nach löslichem Bohnenkaffee gefragt werden. 100% aller Österreicher kennen Nescafé. In 20% aller österreichischen Haushalte wird Nescafé getrunken. Die Österreicher kaufen im Lebensmitteleinzelhandel Nescafé für 272.000 Tassen, das entspricht einem Verbrauch von 33 Tassen pro Einwohner.4 Tabelle 4. Der Kaffeemarkt in Österreich 2003 Basis: Menge % Wert Lebensmitteleinzelhandel inkl. Diskonter Tonnen Mio. Euro Gesamtmarkt: 29.947 192,4 Röstbohnenkaffee 27.381 91% 148,8 Löslicher Bohnenkaffee (LBK) 2.566 9% 43,6 Segmente LBK: LBK pur 783 31% 23,8 LBK Mixes (Capp., Frappé, Melange,...) 1.783 69% 19,8 Marktteilnehmer LBK: Nescafé LBK 1.010 39% 23,8 Kraft Foods (Jacobs, Maxwell) LBK 608 24% 8,2 Restl trad. LEH LBK 341 13% 5,2 Hofer, Lidl LBK 607 24% 6,4 Quellen: A.C. Nielsen (traditioneller. Lebensmitteleinzelhandel), GfK (Diskonter)
%
77% 23% 55% 45% 55% 19% 12% 15%
Der österreichische Lebensmitteleinzelhandel erlöste 2003 mit etwa 1.000 Tonnen Nescafé knapp 24 Mio. Euro (zu Endverbraucherpreisen inkl. 20% USt). Damit entfielen 12% der im Lebensmitteleinzelhandel für Kaffee getätigten Kon3 4
Quelle: A.C. Nielsen Quellen: Sensor Marktforschung, GfK, A.C. Nielsen
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sumausgaben auf Nescafé. Als Qualitätsmarke erzielte Nescafé mit € 23,56 bei den Verbrauchern einen durchschnittlichen Kilopreis, der um 85% über jenem der Konkurrenz liegt.5 Die Marke Nescafé dominiert die Warengruppe „Löslicher Bohnenkaffee“ klar mit 55% Wertanteil, und hält die Marktführerschaft in beiden Segmenten, wobei der Wertanteil im puren Segment 65% (Nescafé Gold 41%, Classic 24%), im Bereich der Spezialitäten (LBK Mixes) 40% beträgt (Quellen vgl. Tabelle 4). Da bei löslichem Bohnenkaffee der Kernverwenderschicht besondere Bedeutung zukommt, so stehen im Segment Pur 20% der Verwender-Haushalte für mehr als 60% der gekauften Menge,6 und 55% der Konsumenten angeben, beim Kauf von löslichem Bohnenkaffee besonders auf die Marke zu achten, bilden die Sympathiewerte von Nescafé einen Schlüsselfaktor für den langfristigen Erfolg. Bei einer von Sensor Marktforschung 2004 durchgeführten qualitativen Imageuntersuchung erhielt die Marke Nescafé von ihren Verwendern einen Sympathiewert von 1,5 (auf einer 7stufigen Skala, wobei 1 „sehr sympathisch“ war) und ließ damit die Konkurrenz (Eduscho/Tchibo 2,8 - Jacobs 3,4 – Maxwell 4,0 – Handelsmarken 4,2-4,7) klar hinter sich. 97 Prozent der deklarierten NescaféKonsumenten gaben an, mit der Marke gute Erfahrungen gemacht zu haben, 69% lobten dabei vor allem den Geschmack („wie Kaffee schmecken soll“). Gleichzeitig stellten die Nichtverwender von Nescafé der Marke ein eher durchschnittliches Zeugnis aus, der Sympathiewert lag in dieser Gruppe bei 3,8 und damit hinter der Konkurrenz (Eduscho/Tchibo und Jacobs 3,2). Sie begründeten dies weiterhin vor allem mit dem vermeintlichen Defizit in Geschmack und Aroma im Vergleich zu dem von ihnen bevorzugten Röstbohnenkaffee. Nichtverwender charakterisierten den klassischen Konsumenten von löslichem Bohnenkaffee als eher ältere Einzelperson (50+), die mangels Kaffeemaschine und zugunsten einer schnellen, sparsamen Zubereitung auf ein zufriedenstellendes Geschmackserlebnis verzichtet. Tatsächlich präsentierte die Auswertung der GfK-Haushaltspaneldaten7 die Intensivverwender – gemessen am repräsentativen Bevölkerungsdurchschnitt – als x jüngere (überproportionaler Anteil der Hausfrauen zwischen 35 und 49 Jahren) x Bewohner eines personenreichen Haushalts (Anteil der HH mit 5 Personen und mehr ist mit 17% doppelt so hoch)
5
6 7
Aufgrund der unterschiedlichen Herstell- und Zubereitungsverfahren lassen sich Tonnagen und damit auch Kilopreise von löslichem Bohnenkaffe nicht mit herkömmlichen Röstbohnenkaffee vergleichen. So reichen beispielsweise bei NESCAFÉ Gold zwei Gramm des Granulats für die Zubereitung einer Tasse Kaffee. Quelle: GfK Consumerscan –HeavyBuyer-Analyse 2002 Quelle: GfK Consumerscan –HeavyBuyer-Analyse 2002
322
Andreas Nentwich
x vorwiegend aus der C-Schicht (D/E-Schicht ist stark, die Schichten A/B leicht unterrepräsentiert) Die Auflösung dieser Polarisierung und der positive Imagetransfer von loyalen Nescafé-Konsumenten zu den skeptischen Nichtverwender bleibt die größte Herausforderung für die Marke.
Ausblick Trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass Nescafé die weltweit führende Kaffee-Marke repräsentiert, gilt es langfristig, die Vorbehalte der noch immer großen Gruppe der Nichtverwender von löslichem Bohnenkaffee besonders ernst zu nehmen, diese aktiv anzusprechen und letztendlich von Qualität und Geschmack des Nescafé-Sortiments zu überzeugen. Deswegen arbeitet Nestlé kontinuierlich an der Stärkung des Images von löslichem Bohnenkaffee allgemein und damit von Nescafé im speziellen, wenn es um Frische, Aroma und Kaffeegenuss geht. Die damit verbundene fortwährende Kommunikation ist in erster Linie darauf ausgerichtet, den Verwenderkreis von löslichem Bohnenkaffee sukzessive zu erweitern. Der Erfolg dieser Vorgehensweise wird sich jedoch nur dann einstellen, wenn damit ein entsprechendes Leistungsangebot einhergeht. Dies wiederum bedingt laufende Investition in Forschung und Entwicklung zur Optimierung der Herstellverfahren für Nescafé ebenso wie die stete Entwicklung bedürfnisgerechter Produkte. Nestlé wird im Sinne der Kontinuität die gewählte Offensiv-Strategie für die Marke Nescafé auch in den nächsten Jahren fortsetzen und so deren langfristigen Erfolg sicherstellen.
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten – Eine Case Study aus der Mobilfunkbranche in Österreich Reinhard Zuba mobil com austria AG & Co. KG, Wien
Einleitung und Einordnung des Beitrags in der Marketingforschung Die gegenständliche Case Study beschreibt aus der Sicht des größten österreichischen Mobilfunkanbieters mobilkom austria und am Beispiel der Produktmarke A1 die strategische-, wie auch operative Vorgangsweise in der preislichen Repositionierung im hochdynamischen Markt der Sprachtelefonie. Aus der Sicht der Forschungsperspektive ist die Case Study im sektoralen Marketingansatz dem Dienstleistungsmarketing zuzuordnen (vgl. Scheuch 1996, S. 471 ff; Scheuch 2001, S. 8). Wird die Betrachtung aus der Perspektive des funktionalen Marketingansatzes gewählt behandelt die Case Study die Thematik der Preispolitik im Dienstleistungsmarketing (vgl. Meffert u Bruhn 1997, S. 399 ff; Scheuch 1996, S. 330 ff). Weiters kommen Aspekte der Positionierung und der Generierung von Wettbewerbsvorteilen im Beitrag zur Anwendung (Porter 1989, S. 31 ff; Kotler u Bliemel S.468 ff).
Der österreichische Mobilfunkmarkt und mobilkom austria mobilkom austria operiert am europäischen Markt mit Ausrichtung auf Zentralund Osteuropa als Gruppe von vier operativen Gesellschaften in Österreich, Kroatien, Slowenien und Liechtenstein. Der österreichische Markt ist durch eine Population von rund acht Millionen Einwohnern und einer Mobilfunkpenetration von 89,7%1 gekennzeichnet (vgl. 1
Der Wert bezieht sich auf den Durchschnittswert 2003. Dabei handelt es sich um die SIM Karten Penetration, das bedeutet die Anzahl der SIM Karten im Bundesgebiet in Relation zur Gesamtbevölkerung (SIM = Subscriber Identification Module).
324
Reinhard Zuba
Abb. 1). Die Mobilfunkpenetration in Österreich ist damit eine der höchsten Europas. Mit abnehmender Expansion bewegte sich der Markt bereits in den vergangenen Jahren vom Akquisitionsmarkt, bei dem die Neukundengewinnung im Mittelpunkt steht, hin zum Retentionmarkt, wo es primär um das Halten der Kunden geht. Das ist eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird. 2003 ist mobilkom austria mit rund 3,2 Millionen Kunden Marktführer in Österreich. Die Anzahl der Mitarbeiter betrug 2315. Der Umsatz belief sich 2003 auf 1.617,2 Millionen Euro (EUR), das EBITDA2 auf 576.6 Millionen EUR, das EBIT3 betrug 340.7 Millionen EUR, der durchschnittliche ARPU4 36,9 EUR.
Penetrationsentwicklung Mobilfunk in Österreich Market Penetration in Percent
100 89,7
80
76,7
60
82,2
83,1
2001
2002
52,9
40 28,7
20
14,6 7,5
0
1996
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1998
1999
2000
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Quelle: mobilkom austria, Marktforschung 2003
Abb. 1. Penetrationsentwicklung Mobilfunk in Österreich seit 1996
Im Jahr 2003 ist die mobilkom austria eine strategische Partnerschaft mit Vodafone, dem größten Mobilfunkanbieter weltweit, eingegangen. Der Nutzen der Partnerschaft liegt vor allem in der Erzielung von Synergieeffekten, die aus der gemeinsamen Produktentwicklung und Marketingaktivitäten, dem gemeinsamen Account Management, der Nutzung von internationalen Einkaufsvorteilen und dem weltweiten Know-How Sharing resultieren.
2
Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization Earnings before Interest and Taxes 4 Average Revenue per Unit (User) 3
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
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Am österreichischen Markt operieren Ende 2003 fünf Netzwerkoperatoren (MNO5) und zwei kleine virtuelle Netzwerkoperatoren (MVNO6) beziehungsweise Service Provider (SP). mobilkom austria ist mit gut 43% Marktführer, gefolgt von T-Mobile Austria mit rund 29% und ONE mit 19%. Telering, erst im Frühjahr 2000 gelauncht, hält relativ moderate 9%, ist aber sehr stark expansiv. Den geringsten Marktanteil hat Hutchison mit der Produktmarke „3“ mit 0,3 %. Hutchison ist als letzter MNO im Mai 2003 in den österreichischen Markt eingetreten. Marktanteile Mobilfunk Österreich Ende 2003 Hutchison 0,3% Telering 8% One 19% mobilkom austria 43,3%
T-Mobile Austria 29%
Quelle: mobilkom austria, Marktforschung 2003
Abb. 2. Marktanteile7 Mobilfunk Österreich Ende 2003
Die Entwicklung des Marktes ist durch eine relativ stabile Position vom mobilkom austria gekennzeichnet. Sehr dynamisch entwickelte sich seit September 2002 Telering am österreichischen Markt. Dieses Wachstum von Telering kam zum einen aus der weiteren Erhöhung der Marktpenetration auf knapp 90%8, zum anderen aus Marktanteilsgewinnen.
5 6
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Mobile Network Operator Mobile Virtual Network Operator: Im Gegensatz zu MNO, die ein komplettes eigenes Mobiles Telekommunikationsnetz betreiben, sind MVNO bei MNO quasi eingemietet und nutzen große Teile der Netzinfrastruktur des MNO. Mengenmäßig, basierend auf den Teilnehmern der Betreiber Vgl. Abb 2. Die Steigerung der Penetration von 2001 auf 2002 betrug 0,9 Prozentpunkte jene von 2002 auf 2003 betrug 6,6 Prozentpunkte!
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Reinhard Zuba
Der österreichische Markt im internationalen Kontext Der folgende Abschnitt versucht den österreichischen Mobilfunkmarkt im internationalen Kontext hinsichtlich seiner Wettbewerbsintensität darzustellen und zu kategorisieren. Zugleich wird damit bereits ein Teil der Ausgangsituation der Case Study beschrieben. Der Ansatz der Kategorisierung der Wettbewerbsintensität basiert auf zwei grundlegenden Erklärungsdeterminanten (vgl. Abb. 3):
Abb. 3. Europäische Mobilfunkmärkte im Überblick
x Das relative Preisgefälle zwischen dem billigsten und dem teuersten Mobilfunkanbieter im Markt – bewertet auf Basis eines definierten Warenkorbs an Sparchtelefonietarifen. x Die Marktcharakteristik: Sie beschreibt den Konzentrationsgrad sowie das Konkurrenzverhalten im jeweiligen nationalen Markt. Die Dimension der Marktcharakteristik kann in drei grundsätzliche Kategorien unterteilt werden: x Turbulent: Nationale Märkte mit 4-5 MNO und mehreren SP/MVNO letztere agieren eher aggressiv.
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
327
x Windig: 3-4 MNO und einige SP/MNO, die sich eher passiv am Markt verhalten. x Ruhig: 2-3 MNO und wenige bis keine SP/MVNO. Letztere zeichnen sich auch hier durch eher zurückhaltendes Marktverhalten aus. Auf der Dimension des Preisgefälles erfolgt die Kategorisierung nach der Annahme, dass Märkte mit einem Preisgefälle von bis zu 20% als stabil einzuschätzen sind. Märkte mit einem Preisgefälle über 20% lösen bei den im Markt agierenden Teilnehmern massive Reaktionen in strategischer Hinsicht aus, die über die üblichen operativen Marktbearbeitungsaktivitäten hinausgehen können. Weiters zieht ein derart großes Preisgefälle die Aufmerksamkeit potenzieller neuer Marktteilnehmer auf sich. Als turbulente Märkte können Ende 2003 beispielsweise die skandinavischen Märkte (ausgenommen Norwegen) bezeichnet werden. Ein typisches Beispiel für einen turbulenten Markt ist Dänemark. Auf diesem Markt fand und findet noch immer eine extreme Preisschlacht statt, hervorgerufen durch das hohe Preisgefälle zwischen den Providern und dem Eintritt mehrer MVNO (insbesondere Telmore) im Jahr 2003. Relativ stabil trotz hoher Dichte an Playern war zum Zeitpunkt der Analyse der finnische Markt einzuschätzen. Im Gegensatz dazu befanden sich die Märkte Frankreich, Polen, Spanien und Norwegen in einer ruhigen und stabilen Marktsituation. Das bedeutet wenige Wettbewerber und ein geringes Preisgefälle im Markt. In einer Mittelposition („windig“) befand sich der deutsche Markt. Relativ geringe Preisunterschiede und eine für die Marktgröße wirtschaftlich vertretbare Anzahl an Playern ließ den Markt relativ stabil erscheinen. In Österreich stellte sich die Situation so dar, dass der Sprachtelefoniemarkt für die Marktgröße von acht Millionen Einwohnern eine relativ hohe Dichte an Playern aufwies. Aufgrund des hohen Preisgefälles, das durch einen der preisaggressiven Herausforderer am Markt bewirkt wurde, war Österreich in die Kategorie der „windigen und instabilen“ Märkte einzureihen.
Die Ausgangssituation Das Ende des Jahres 2003 stellt die Ausgangssituation für die Case Study dar. In den kommenden Monaten war mit Reaktionen aller etablierten Marktteilnehmer auf die unbefriedigende Marktsituation zu rechnen. Wir bei mobilkom austria fragten uns, in welche Richtung sich der österreichische Markt entwickeln würde: x Wie werden die bestehenden Anbieter reagieren? x Welche Maßnahmen werden sie setzen? x Wird das große Preisgefälle neue Mitbewerber anziehen?
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Reinhard Zuba
x Wird vor dem bestehendem Preiskampf eine Marktbereinigung stattfinden – wenn ja, mit welchem Zeithorizont? Manifestiert hat sich das Preisgefälle am österreichischen Markt durch aggressive Preispläne, welche durch die zentrale Preisbotschaft „1 Cent pro Minute im eigenen Netzwerk“ gekennzeichnet waren. Mit Ende 2003/Anfang 2004 setzten erste Reaktionen im Markt ein. Weitere drei Mitbewerber folgten dem Preisführer mit Tarifsenkungen. Damit waren innerhalb von 4-6 Wochen vier der fünf MNO mit 1 Cent Tarifen bzw. 0 Cent Tarifen im Markt. Im selben Zeitraum änderte sich das bisherige Preispremium von mobilkom austria von rund 10% auf über 33% zum Großteil der Mitbewerber im Markt. Deutlich zu beobachten war zu diesem Zeitpunkt die Verschiebung des Preisgefüges im Absinken des Anteils bei Neukunden bzw. Gross Adds (GA9) Shares der mobilkom austria. Der Preiskampf startete insbesondere im Residential-Segment10, es war aber zu befürchten, dass der hohe Preisdruck auch auf das Business-Segment ausstrahlen würde.
Strategische Alternativen von mobilkom austria
Die Marke A1 Die Produktmarke A1 von mobilkom austria ist als Premium Brand im österreichischen Mobilfunkmarkt positioniert. Als Markenwerte sind Qualität, Innovation, Individualität sowie Preis-/Leistung definiert (vgl. Abb. 4). Permanente Marketingaktivitäten laden die Marke in diesen Kernwerten auf. Als Beispiel dafür sind Sponsoringaktivitäten und Kooperationen im Bereich des Sports (Formel 1, Beach Volley Ball, Österreichisches Herren Ski Team, etc.) und dem Kulturbereich (Wiener Fest Wochen, Viennale, etc.) zu nennen. Weiters manifestieren permanente Produktinnovationen und die beste Netzqualität Österreichs die Werte Innovation und Qualität. Permanentes Monitoring der Imagedimensionen in rollierenden quantitativen Marktforschungsuntersuchungen zeigen die Aufladung der Marke entsprechend der Imagedimensionen (vgl. Abb. 5). Aus den Ergebnissen geht deutlich hervor, dass sich A1 gegenüber den Mitbewerbern in den Dimensionen „Netzqualität“ (net quality), „beste Marke für das Geschäftsleben“ (best brand for business), „vertrauenswürdig“ (trustworthy), „bietet einen guten Service“ (service), „spricht mich an“ (attracts me) und „bietet neueste Technologien“ (technology) klar positiv abhebt. 9
Unter Gross Adds (GA) versteht die Mobilfunkbranche die Anzahl an Neukunden. Unter dem GA Share ist demnach der Anteil der GA eines Unternehmens an den Gesamt GA des Marktes in einer Periode zu verstehen. 10 Privatkundensegment
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
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Abb. 4. Markenwerte A1
Abb. 5. Imagewerte A1
Deutlich schwächer ist die Wahrnehmung in den Dimensionen: „preisgünstig“ (value for money) und „bietet preisgünstige Tarife“ (tarifs). Hinsichtlich dieser Dimensionen ist erkennbar, dass der Preisführer im Markt diese Dimensionen klar für sich besetzt. Auffallend ist ebenso, dass nur A1 und der Preisführer klare Positionen besetzen und der Rest des Mitbewerbsumfelds hinsichtlich seines Imageprofils relativ undifferenziert ist.
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Reinhard Zuba
Zielsetzung des Pricing Redesigns Zielsetzung des Pricing Redesigns bei A1 war in operativer Hinsicht in erster Linie die Rückgewinnung der Führerschaft in den Gross Adds Shares und die damit verbundene Steigerung der absoluten Gross Adds. Weiters beinhaltete die Zielsetzung der Maßnahme aus strategischer Perspektive eine deutliche Eindämmung des Gross Adds Wachstums des preisorientierten Angreifers. Aufgrund der Instabilität des Marktes (vgl. Abb. 3), musste es erklärtes Ziel der gesetzten Maßnahmen, die Entschlossenheit des Marktführers zu demonstrieren einen Preiskampf in jedem Falle mitzugehen, um so die Attraktivität des österreichischen Marktes für eventuelle Neueinsteiger zu reduzieren. Alle gesetzten Maßnahmen sollten hinsichtlich ihrer Wirkung möglichst flexibel einsetzbar sein, sodass im Falle einer weiteren Veränderung des Preisgefüges – sowohl nach unten wie auch nach oben – nachjustiert werden konnte. Schließlich war als Nebenbedingung mit höchster Priorität, wie bei jeder Marketingaktivität, die Optimierung des Net Present Values (NPV) zu berücksichtigen. Als wesentliche Prozessschritte in der Entwicklung des Pricing Redesigns 2004 sind zu nennen: 1. Detaillierte Mitbewerber- und Umfeldanalyse 2. Europäisches Benchmarking 3. Evaluierung der Gefahr von „Doing-Nothing“ (Baseline Szenarien) Szenarien versus Maßnahmenalternativen inklusive „Wargaming“ 4. Entwicklung verschiedener strategischer Alternativen 5. Evaluierung der Alternativen und Auswahlentscheidung 6. Implementation und operative Umsetzung der gewählten Alternative 7. Permanentes Reviewing der Maßnahme und Finetunning. Auswahl und Entscheidung für eine strategische Alternative Vor dem Hintergrund der Markenpositionierung und der Position als Marktführer am österreichischen Markt zeigt Abb. 6 die evaluierten strategischen Alternativen für mobilkom austria. Dimensionen der Bewertung sind die Massivität der Reaktion (defensiv versus aggressiv) seitens mobilkom austria und die Positionierung der Marke (Beibehalten der Premium-Positionierung versus Umstieg auf Preisführerschaft). Unter den Alternativen bei Beibehaltung der bestehenden Positionierung ist als defensivste Variante die Fortführung der bisherigen Marktbearbeitung zu nennen. Diese zeichnet sich durch aggressive Preis-Promotions (u.a. einmalige Gesprächsgutschriften, Entfall von Grundentgelten, etc...) in verschiedenen Segmenten aus und erzielte in der Vergangenheit die erwünschten Erfolge. Zukünftig ist aber von dieser Alternative, aufgrund des stark gesunkenen generellen Preisniveaus, eine abnehmende Erfolgswahrscheinlichkeit zu erwarten. In ihrer Signalwirkung deut-
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
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lich stärker zu bewerten sind die Alternativen „1 Cent“-Optionen (als aufpreispflichtiges Tarifmodul mit monatlichem Grundentgelt) bei bestehenden Tarifen einzuführen bzw. neue „1 Cent“-Tarife mit ausgewählten Rufdestinationen um 1 Cent zu launchen. Die strategische Alternative „Pricing Redesign“ geht von einer Optimierung des gesamten Tarifportfolios aus – allerdings nicht unter Aufgabe der Positionierung als Premium Marke und damit auch nicht der Preis Premiums. Bei dieser Variante ist das Preis-Premium allerdings wieder auf ein vom Kunden akzeptiertes Maß zu reduzieren. Die Premium Positionierung in ausgewählten Segmenten aufzugeben beinhaltet die Alternative “Low Price Offers für ausgewählte Segmente“. Würde man diesem Weg folgen, müsste für diese Option auch der Launch einer Subbrand überlegt werden, da ein derart aggressives Pricing mit der Markenpositionierung nicht zusammenpassen würde. Als aggressivste Form der Reaktion wurde noch die Änderung der „Gesamtpositionierung in Richtung Low Price“ evaluiert. Diese strategische Maßnahme hätte den massivsten Marktimpact aber auch die massivsten Auswirkungen auf Umsatz und Kostenstruktur.
Abb. 6. Überblick über mögliche strategische Optionen von mobilkom austria
Mittels Punktbewertungsmodell wurden die verschiedenen Alternativen bewertet. Folgende interne und externe Dimensionen flossen in die Bewertung ein: x Impact auf den Low Price Anbieter (Impact auf GA Share, Raschheit der Wirkung) x Impact auf mobilkom austria (Interne Kannibalisierung, Impact auf den ARPU der Kunden, Zeitdauer der Implementierung, EBITDA Impact) x Markt Impact (Einfluss auf das Marktpreisniveau, Herausforderung weiterer Mitbewerberaktivitäten, Einfluss auf den Eintritt weiterer Marktteilnehmer, Zielgerichtetheit der Maßnahmen) x Reversibilität (mit und ohne Konsolidierungsszenario)
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Vor dem Hintergrund dieser Bewertungskriterien schnitten die Varianten „Pricing Redesign als Premium Marke“ und „1 Cent Optionen“ als beste ab. Die Vorteile beider wurden in tariflichen Maßnahmen verschmolzen und werden in den kommenden Abschnitten unter dem Namen „Pricing Redesign“ weiter ausgeführt. Das nachfolgende Kapitel gibt nun einen Überblick über die operative Ausgestaltung des Tarifmodells und dessen Implementierung.
Operative Umsetzung der Strategie Die operative Umsetzung der Pricing Redesigns kombiniert mit der 1 Cent Option war von folgenden Zielsetzungen getrieben: x Schaffung einer emotionalen Unique Selling Proposition (USP), die sich in einer starken Gross Adds Erhöhung ausdrückt x Steigerung der Minutes of Use (MoU)11 x Effektives Mittel zur Reduktion des Churns12 Weiters stand die Operationalisierung des Pricing Redesigns vor folgenden Herausforderungen: x Benefit für das Unternehmen versus Wünsche der Kunden: Aufgrund der günstigeren Gesamtkostenstruktur der Onnet-Telefonie13 sind unternehmensseitig Tarifmodelle zu bevorzugen die gerade diese Tarifkomponente in den Vordergrund stellen (Community Tarife)14. Auf der Kundenseite zeigten Marktforschungsergebnisse den deutlichen Bedarf an sogenannten Flat Tarifen15. Gerade in Marktsegmenten die hohe Convenience-Orientierung aufwiesen. Derartige Tarife sind insbesondere für Marktführer von geringerem Vorteil, da alle Destinationen, auch jene auf welchen Interconnection Gebühren anfallen, für den Kunden gleich attraktiv sind. Aufgrund des vielversprechenden Potenzials des Marktsegments entschloss man sich jedoch, dieses mit Flat-Tarifen zu bedienen und dafür eine weniger attraktive Kostenstruktur in Kauf zu nehmen. x Kreuzsegment Preisdruck: Durch die Veränderung des Price Levels im Residential Segment war es auch notwendig im Business Segment preisseitig zu reagieren. Die Lösung war ein über beide Segmente schlüssiges Gesamtpricing das nahezu gleichzeitig in beiden Segmenten gelauncht wurde (vgl. Abb.7). Über beide Segmente wurde der Ansatz der aufpreispflichtigen Optionen ge11
Telefonieminuten Unter Churn versteht man in der Mobilfunkbranche die Abwanderung der Kunden. 13 Telefonie im eigenen Netzwerk 14 Bei der Telefonie innerhalb des eigenen Netzwerks fallen keine Interconnection Gebühren an. Diese werden üblicherweise zwischen den MNO für die Vermittlung des Traffics und der Nutzung des Netzwerks verrechnet. Interconnection Gebühren werden in Österreich von der Regulierungsbehörde festgelegt. 15 Flat Tarife zeichnen sich durch ein einheitliches Pricing in allen Destinationen aus. Diese Tarifstruktur wird vor allem von convenienceorientierten Konsumenten bevorzugt. 12
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
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wählt. Diese machten es dem Kunden möglich, individuell auf sein Telefonieverhalten abgestimmte Tarifoptionen zusätzlich zum Basistarif auszuwählen.
Abb. 7. Die neue Tarifstruktur von A1
Um zwischen dem Residential und Business Segment zu differenzieren wurde im ersteren Segment eine emotionale 1 Cent Welt geschaffen. Auszuwählende Optionen waren die „1 Cent Onnet“-Option und die „Friends“-Option16, auf denen der Hauptfokus in der Kommunikation lag. Beide Optionen konnten gegen ein monatliches Grundentgelt von 5 Euro vom Kunden gewählt werden. Im Business Segment, das grundsätzlich auf eine Kundengruppe mit höherer Nutzung abzielt, gilt grundsätzlich die Regel der höheren Grundentgelte und niedrigeren variablen Gebühren. Daher war es sinnvoll - was auch durch Marktforschungsergebnisse validiert wurde-, hier auf „0 Cent“-Optionen zu setzen. In Summe wurden in der Business Tariflandschaft drei Optionen neu angeboten: 0 Cent im eigenen Netzwerk, 0 Cent ins Festnetz und 5 Cent in ein anderes Mobilfunknetz. Alle Optionen waren gegen einen monatlichen Aufpreis von 5 Euro erhältlich.
Ergebnisse des Pricing Redesigns Das in der Case Study beschriebene Pricing Redesign war in mehrerer Hinsicht erfolgreich. Betrachtet man zunächst die strategische Komponente, dann ist es gelungen, bis auf weiteres das Eindringen neuer relevanter Mitbewerber in den österreichischen Markt zu verhindern (vgl. Abb. 8). Am österreichischen Markt agiert nach wie vor, gemessen an der Gesamtbevölkerung von rund acht Millionen Einwohnern, eine hohe Anzahl an MNO und MVNO. Das massive Eindringen von weiteren MVNO wie im dänischen Markt konnte allerdings verhindert werden.
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Die Friends Option ermöglicht es dem Konsumenten sich 3 Friends in einem beliebigen Netz auszuwählen und zu diesen um 1 Cent pro Minute zu telefonieren. .
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Das Price Premium von A1 konnte durch das Pricing Redesign gehalten werden, wurde aber auf ein von den Konsumenten akzeptiertes Niveau reduziert. Auch die Positionierung von A1 als Premium Brand wurde trotz neuem Pricing bestätigt.
Abb. 8. Der österreichische Markt nach dem Pricing Redesign
Weiters ist es gelungen, den Gross Adds Share des Preisführers wieder auf ein durchschnittliches Niveau zu senken und selbst wieder den ersten Rang zu erlangen (vgl. Abb. 9). Zusammenfassend gesehen, konnten durch die getroffenen preispolitischen Maßnahmen die Ziele in strategischer wie auch in operativer Hinsicht erfüllt werden. Das Pricing Redesign war somit für das Unternehmen mobilkom austria ein voller Erfolg und half gleichzeitig bei der Stabilisierung des gesamten Marktes.
Pricing-Strategien in hochkompetitiven Märkten
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Abb. 9. Entwicklung GA Shares
Literatur AT Kearney (2004) Analyse Mobilfunk Österreich 2004. Studie im Auftrag von mobilkom austria Kotler P, Bliemel F (2001) Marketing Management. 10. Aufl., Schäffer Pöschel, Stuttgart Meffert H, Bruhn M (1997) Dienstleistungsmarketing. Grundlagen – Konzepte – Methoden. 2. Aufl., Gabler, Wiesbaden Mobilkom Austria (2003) Marktforschungsuntersuchungen zu Kundenzufriedenheit und Marktanalyse. Fessel Gfk Porter M (1989) Wettbewerbsvorteile (Competitive Advantage). Campus, Frankfurt Scheuch F (1996) Marketing. 5. Aufl., Vahlen, München Scheuch F (2001) Dienstleistungsmarketing. 2. Aufl., Vahlen, München
Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer HiTec Marketing, Wien und Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Einer der faszinierendsten Hochtechnologiebereiche ist die Weltraumtechnologie. Ein wichtiger Bereich der sogenannten Space Industry ist die Satellitennavigation, deren technologische Innovationen primär aus dem militärischen Bereich stammen. Ebenso waren die ersten Applikationen von Satellitennavigationssystemen (GNSS) ausnahmslos militärischer Natur (z.B.: Steuerung von sogenannten Smart Bombs). Obwohl diese militärische Nutzung weiter ausgeweitet wird, gewinnen zivile Applikationen bereits seit 1996 mehr und mehr an Bedeutung (vgl. Pupée K. 2003). Dadurch entsteht der Bedarf, sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht im allgemeinen und aus Sicht des Hochtechnologie Marketing, sowie Business Development im speziellen mit der wertschöpfenden Nutzung dieser Technologie zu beschäftigen und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Nachdem sich in den letzten Jahren zivile Applikationen primär auf betriebswirtschaftliche Dienste beschränkt haben, welche von privaten Personen und Unternehmen genutzt werden, entwickelt sich derzeit ein Markt für Applikationen im hoheitlichen Bereich. Dies bedeutet, dass nicht nur Unternehmensflotten (z.B. Taxis), sondern auch Flotten von Feuerwehr, Rettung und Polizei Dienste einsetzen, welche auf der Ortung per Satellit aufbauen. Nachdem für Anwendungen im privaten und betrieblichen Bereich Geschäftsmodelle entwickelt wurden, stellt sich nun die Frage, ob diese Geschäftsmodelle auf Anwendungen bei öffentlichen Organisationen d.h. Einsatzorganisationen übertragbar sind und welche Kriterien für diese Übertragbarkeit ausschlaggebend sind. Dieser Frage wird in der Fallstudie, deren Hintergrund das europäische Forschungsprojekt SCORE (Service of Coordinated Operational Emergency & Rescue Using EGNOS) ist, näher beleuchtet.
Satellitennavigation Bevor auf Details zum Thema Geschäftsmodelle für location based services bei hoheitlichen Notfalldiensten eingegangen wird, erfolgt im ersten Teil dieses Kapitels eine kurze Einführung in das Thema Satellitennavigation. Dieser Teil dient
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Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer
dazu, Personen, welche mit Satellitennavigation nicht vertraut sind, die Prinzipien der Technologie zu erklären. Für Personen mit Erfahrung im Bereich Satellitennavigation bringt dieses Kapitel keinen Wissenszuwachs. Im zweiten Teil des Kapitels wird das künftige europäische Satellitennavigationssystem GALILEO vorgestellt. Dies erfolgt, da dieses System einen Sprung in der verfügbaren Technologie bedeutet, welcher eine Adoption von ortsensitiven Diensten bei hoheitlichen Notfalldiensten fördert. Einführung in die Welt der Satellitennavigation In den Satelliten eines Global Navigation Satellite System (GNSS) befinden sich, um eine maximale Genauigkeit zu erreichen, Atomuhren. Die Satelliten senden ein Signal mit der Information zu welcher Uhrzeit das Signal abgeschickt wurde. Da die Geschwindigkeit, mit welcher das Signal die Distanz zurücklegt, bekannt ist, kann das Empfangsgerät aus der zeitlichen Differenz zwischen der Absendezeit und der Ankunftszeit des Signals, die genaue Entfernung zum Satelliten errechnen. Wenn das Empfangsgerät Signale von 4 verschiedenen Satelliten erhält, kann es Längen- und Breitengrad, sowie die Höhe und damit die genaue Position bestimmen (vgl. D. Grejner-Brzezinska in H.A. Karimi u. A. Hammad 2004). Das Gerät gibt, meist über eine graphische Darstellung, die Position bekannt. Dafür braucht der Benutzer des Gerätes kein Fachwissen darüber, wie das Navigationssystem funktioniert. Er muss lediglich mit dem Gerät vertraut sein und wissen, wie er dieses bedienen muss (z.B. wie das Gerät eingeschaltet wird) (vgl. McNamara 2004). Die Benutzerfreundlichkeit der Geräte ist daher von großer Bedeutung für die Technologieakzeptanz. Das derzeit wichtigste GNSS ist das amerikanische GPS (militärische Bezeichnung NAVSTAR), welches seit 1994 voll funktionsfähig ist und dem U.S. Department of Defence untersteht. (vgl. McNamara 2004, 50) Galileo Die Europäische Union und die ESA (European Space Agency) entwickeln ein europäisches GNSS System. Dieses bringt den großen Vorteil mit sich, dass es sich dabei um ein ziviles GNSS handelt, welches nicht von einem außereuropäischen Militär kontrolliert wird. Außerdem wird es sich bei Galileo um ein GNSS der nächsten Generation handeln. Dies soll für den Benutzer eine höhere Genauigkeit (in Meter) und eine bessere Verlässlichkeit bringen, dass die angegebene Position mit der tatsächlichen Position übereinstimmt. Diese Integritätsinformation (EGNOS) ob das Signal verwendet werden kann oder nicht (da es außerhalb einer bestimmten Toleranzweite ist), ist ein wesentlicher Unterschied zu GPS und ermöglicht die Nutzung im Bereich von Notfalldiensten (z.B. Rettung, Feuerwehr,
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Polizei) und anderen Wirtschaftssektoren (z.B. zivile Luftfahrt), in welchen die Integrität und Verfügbarkeit von entscheidender Wichtigkeit für die Technologieakzeptanz ist (vgl. http://europa.eu.int/comm/dgs/energy_transport/galileo/). Im Hochtechnologiemarketing misst man diese Akzeptanz mit Methoden, wie dem ETAM (Extended Technology Acceptance Monitor), worauf in dieser Fallstudie jedoch nicht näher eingegangen wird. (vgl. Kim 1996 und Morris 1996)
Anwendungen Ortsensitiver Dienste (location based services) Dieses Kapitel befasst sich mit Diensten (vgl. R. Hasenauer, F. Scheuch 1969), welche auf der Ortung durch Satellitennavigation basieren. Im Folgenden wird der Begriff des ortsensitiven Dienstes näher definiert und eine Einteilung in verschiedene Kategorien von Diensten vorgenommen. Bei einem ortsensitiven Dienst wird allgemein die Position in den Datenverarbeitungsprozess integriert. (vgl. H.A. Jacobson 2004). Weiters handelt es sich bei ortsensitiven Diensten um informationsbasierte Dienste (vgl. Viardot E. 1999,. 8). Ortsensitive Dienste werden in 7 verschiedene Kategorien eingeordnet. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 85 ff) x Infotainment Dienste: In diese Kategorie fallen die Darstellung der derzeitigen Position auf einer Karte und die automatische Navigation zu einem eingegebenen Zielort. Diese Information kann um Wetter- und Verkehrsinformationen erweitert werden. Dynamische Verkehrsinformationen sind Informationen, welche die Reisezeit optimieren können (vgl. Jagoe 2002, 120 f). Eine wichtige Eigenschaft dieser Dienste besteht darin, dass der Benutzer aktiv werden muss, um sie zu nutzen um eine verkehrsbezogene, ortsensitive Information zu erhalten. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 86-87) x Aufspürdienste: Bei diesen Diensten kann die Position des Benutzers eines entsprechenden Gerätes festgestellt werden. Die wichtigsten Dienste sind Flottenmanagement, Alarmierungssysteme, Workforce Management, Management der mobilen Zulieferkette, die Beobachtung von Kindern und älteren, sowie gebrechlichen Personen. Damit kann die derzeitige Nutzung von Mobiltelefonen, zur Überwachung mobiler Mitarbeiter weiter ausgebaut werden (vgl. Jauréguiberry 2003, 105-107). Eine wesentliche Eigenschaft eines solchen Dienstes ist, dass eine hohe Zahl von mobilen Einheiten parallel geortet wird. Bei der Anwendung eines solchen Aufspürdienstes muss der Anwender, welcher die Position anfordert nicht jedoch der geortete Benutzer tätig werden (vgl. H.A. Jacobson 2004, 87)
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Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer
x (Selektive) Informations-Verbreitungs-Dienste: Diese Dienste verbreiten Informationen, abhängig von der Position der Benutzer. Ein Beispiel für einen solchen Dienst ist Werbung, welche selektiv erfolgt und den Standort des Benutzers berücksichtigt. Eine Information kann entweder allen Benutzern, welche ein bestimmtes Gebiet betreten, automatisch zur Verfügung gestellt werden oder je nach Nutzerprofil, übersandt werden. Ein deutliches Charakteristikum dieser Kategorie von Diensten ist der Umstand, dass die Information übersandt wird, ohne das der Benutzer tätig werden muss. Es handelt sich somit um ein klassisches push Service. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 87-88) x (Selektive)-Informations-Anforderungs-Dienste: Diese nicht verkehrsbezogenen Dienste werden vom Benutzer in Abhängigkeit von seiner Position selektiv angefordert. Der Unterschied zu den selektiven Informations Verbreitungsdiensten besteht darin, dass es sich um ein pull Service handelt, d.h. der Benutzer wird innerhalb eines Gebietes und eines von ihm definierten Nutzerprofiles aktiv Dienste anfordern. x Standort basierte Spiele: Diese Dienste zielen in erster Linie auf junge, mobile Benutzer ab. Bis jetzt haben sich noch keine wesentlichen Eigenschaften gebildet, mit welchen man diese Dienste beschreiben kann. Der Benutzer, d.h. Spieler, erhält beispielsweise in verschiedenen Gebieten unterschiedliche Informationen, welche er für ein erfolgreiches Spiel braucht. Eventuell kann man mit anderen Spielern kooperieren, welche sich in der Nähe oder an einem bestimmten Standort befinden. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 88) x Notrufdienste: Diese Dienste werden von den Entwicklungen in Nordamerika getrieben. Dort muss bei einem 911 Notruf, die Position des Anrufers an die Notrufabfragestelle übermittelt werden. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 88) In Anlehnung daran gibt es in der Europäischen Union die Initiative E112, dass bei einem Notruf ebenfalls eine Standortinformation übermittelt wird. (vgl. European Commission, 29. Juli 2003) x Ortsensitive Preisgestaltung: Dieser Dienst ermöglicht eine ortsensitive Preisgestaltung. Wenn der Benutzer beispielsweise an seiner Wohnadresse den Dienst nutzt wird ein anderer Tarif verrechnet als von einem anderen Ort. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 88) Ortsensitive Preisgestaltung zielt darauf, Benutzer von Festnetztelefonen zum Umsteigen auf Mobiltelefone zu animieren (vgl. Jaguo 2002, 130).
Merkmale von ortsensitiven Diensten Die verschiedenen Anwendungen von ortsensitiven Diensten wurden im obigen Kapitel beschrieben. Nun sollen die wichtigsten Merkmale, welche man diesen Diensten zuschreiben kann, nochmals kurz dargestellt werden.
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x Aktives (pull) versus passives (push) Verhalten des Benutzers: Der Benutzer muss entweder aktiv werden, um die ortsabhängigen Informationen zu erhalten oder er erhält sie anonym und automatisch auf sein Gerät übermittelt. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 89) x Direkte versus indirekte Erstellung eines Benutzerprofils: Es gibt zwei Wege zur Erstellung eines Benutzerprofils. Bei der direkten Erstellung wird der Benutzer direkt befragt. Bei der indirekten Erstellung wird die Anwendung der Dienste beobachtet und aus den daraus gewonnenen Informationen ein Profil erstellt. Bei der indirekten Erstellung eines Benutzerprofils ist der Datenschutz ein wichtiges Thema. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 89) x Verfügbarkeit des Benutzerprofils: Das Benutzerprofil kann entweder am Gerät oder zentral beim Anbieter des ortsensitiven Dienstes gespeichert sein. Im ersten Fall wird bei einer aktiven Abfrage durch den Benutzer, der relevante Teil des Benutzerprofils mit gesandt. Allerdings wird es dadurch unmöglich Benutzer adäquate push Dienste anzubieten. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 89) x Szenarios der Interaktion: Grundsätzlich können 4 verschiedene Szenarien der Interaktion zwischen Informationsanbieter und -benutzer unterschieden werden. Im 1. Szenario sind Anbieter und Nutzer stationär. Ein Beispiel dafür sind konventionelle Informationsdienste. Im 2. Szenario ist der Informationsanbieter stationär und der Benutzer mobil. Im 3. Szenario ist der Informationsanbieter mobil und der Benutzer stationär. Dies ist zum Beispiel bei floating car data Diensten der Fall, bei welchen über die Position der Fahrzeuge im Zeitverlauf Rückschlüsse auf die Verkehrslage gezogen werden können. Im 4. Szenario sind beide mobil. Ein Beispiel dafür sind Dienste zur Feststellung der Position eines Freundes. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 89-90). x Quelle der Standortinformation: Der Standort kann über das Gerät des Benutzers festgestellt werden, wie es bei der Nutzung von Satellitennavigation der Fall ist. Eine andere Möglichkeit besteht in der Feststellung des Standortes durch ein terrestrisches Kommunikationsnetz, wie es beispielsweise durch die Zellortung bei GSM Telefonen möglich ist. Ein weiterer Ansatz ist die Kombination aus Ortung durch das Gerät und ein terrestrisches Netz. Diese Kombination ist A-GPS, wobei das GPS Signal über ein terrestrisches Netz übertragen wird, um die Vorteile der beiden Technologien zu verbinden. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 90) x Genauigkeit der Standortinformation: Die Genauigkeit der Standortinformation reicht von ein paar Kilometern, über eine Genauigkeit von mehreren hundert Metern, zu weniger als einem Meter. Die Genauigkeit hat einen wesentlichen Einfluss auf die Art von Dienst, welcher angeboten werden kann. x Aufzeichnung der Interaktion: Bei manchen Diensten wird der Status des Benutzers aufgezeichnet. Dies bedeutet, dass die letzten Positionen aufgezeichnet werden. Dies erfolgt bei allen
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Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer
Diensten, welche es einer zentralen Stelle ermöglichen sollen, die Bewegungen der Benutzer nachzuvollziehen. x Art der Informationsquelle: Informationsquellen können statisch oder dynamischer Natur sein. Statisch sind Informationen, welche sich nicht oder nur in langen Zeitabständen verändern. (z.B. Landkarten). Im Gegensatz dazu sind Verkehrsinformationen dynamisch, sich immer wieder verändernde Informationen. (vgl. H.A. Jacobson 2004, 90)
Ortsensitive Dienste für öffentliche Einsatzorganisationen Nachdem nun die verschiedenen Anwendungen von ortsensitiven Diensten dargestellt wurden stellt sich die Frage, welche davon für öffentliche Einsatzorganisationen im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgaben anwendbar sind. Der Begriff Einsatzorganisationen fasst in diesem Text Polizei, Rettung und Feuerwehr zusammen. x Notruf E112 Dienste: Auf den ersten Blick sind Notruf E112 Dienste diejenigen, welche am ehesten im hoheitlichen Bereich angesiedelt sind. Zugleich sind ortsensitive Notrufe ein wichtiger Treiber für die Anwendung weiterer ortsensitiver Dienste im öffentlichen Bereich. Wenn eine Person in Not 112 (europäische Notrufnummer) oder eine der nationalen Notrufnummern (in Österreich z.B. 133 Polizei, 122 Feuerwehr, 144 Rettung) wählt, wird man mit einer Notrufabfragestelle verbunden. Bei Notrufen von Mobiltelefonen ist es für den Anrufer oft schwer seinen Standort zu beschreiben. (vgl. Carter W. 2000, 53) Daher wird künftig auch in der Europäischen Union die Position des Anrufers der Notrufabfragestelle übermittelt. (vgl. European Commission, 29 July 2003) Die Verknüpfung der Positionsinformation mit dem Inhalt des übermittelten Notrufes erfüllt eindeutig die Definition eines ortsensitiven Dienstes. Darüber hinaus stellt die Information über den Standort des Notrufers die wesentlichste Information für die Notrufabfragestelle dar, um in der Lage zu sein einen Einsatz einzuleiten Die Bekanntgabe des genauen Ortes des Notfalls ermöglicht den sinnvollen Einsatz von weiteren ortsensitiven Diensten. x Aufspürdienste: Wenn bekannt ist, wo sich die Person in Not befindet, ist es von Interesse im Sinne der Optimierung der Einsatzlogistik zu wissen, wo sich die zur Verfügung stehenden, passenden Einsatzfahrzeuge befinden. Dabei kann man von der Prämisse ausgehen, dass diese auf den jeweiligen Stationen verfügbar sind, sofern sie sich dort als einsatzbereit gemeldet haben. Dies ist auch der operationale Prozess, welcher derzeit bei den meisten Notfalldiensten eingesetzt wird. Unterstützt wird dieser Prozess durch Einsatzleitrechner, welche dem Disponenten helfen den Überblick über Einsätze und Ressourcen zu bewahren (Carter W. 2000, 50).
Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder
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Tabelle 1. Merkmale von LBS bei hoheitlichen Diensten
Pull versus push
Direkte versus indirekte Erstellung eines Benutzerprofils Verfügbarkeit des Benutzerprofils Szenarios der Interaktion Quelle der Standortinformation Genauigkeit der Standortinformation Aufzeichnung der Interaktion
Art der Informationsquelle
Notruf E112 Aufspürdienste Dienst Push: die Person in Pull: Einsatzkräfte Not muss anrufen werden von der Leitstelle aufgespürt
Kein Benutzerprofil des Notrufes bekannt Nicht verfügbar Szenario 2 KommunikationsNetz (z.B. GSM), GNSS, A-GNSS < 50 Meter
Der Anruf wird aufgezeichnet, keine Aufzeichnung im Zeitverlauf Dynamisch / statisch bis zum Eintreffen der Helfer
Infotainmentdienste
Push: Zielort und Navigation erfolgt automatisch Pull: Informationen über Verkehr, Wetter können nachgefragt werden Direkt: Leitstelle er- Direkt: Leitstelle erfasst direkt Daten der fasst direkt Daten der Fahrzeuge Fahrzeuge
Bei Leitstelle zentral verfügbar Szenario 2, 4
Bei Leitstelle zentral verfügbar Szenario 2, 3
GNSS, A-GNSS
GNSS, A-GNSS
< 20 Meter (Fahrzeuge); < 10 Meter (Personen) Aufzeichnung erfolgt zu Kontroll- und Optimierungszwecken
< 10 Meter
Sehr dynamisch (alle 5 sec.)
Aufzeichnung erfolgt zu Kontroll- und Optimierungszwecken Statisch: Straßenkarte dynamisch: Verkehr, Wetter, Einsatzziel
Der Prozess kann dadurch optimiert werden, dass man den Standpunkt von Fahrzeugen, welche sich nicht auf der Station befinden aufspürt und das verfügbare Fahrzeug entsendet, welches dem Einsatzort am nächsten ist. (vgl Michelis E. 2001) x Infotainmentdienste: Wenn die Position des Einsatzortes bekannt ist und das Einsatzfahrzeug mit einem GNSS Navigationsgerät ausgestattet ist, kann das Fahrzeug mit Hilfe des Gerätes im Fahrzeug auf der optimalen Route zum Einsatzort geführt werden (vgl. Helschger, Ostienate-Decanis, Monet, Vitalbo u. Broquier 2001). Um diesen Prozess möglichst effizient zu gestalten, sollten dabei die geographischen Koordinaten des Einsatzortes automatisch an das Navigationsgerät im Einsatzfahrzeug übermittelt werden. Eine weitere Optimierungsmöglichkeit besteht in der Berücksichtigung der aktuellen Verkehrsverhältnisse und gegebenen Falls der Wetterlage.
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Martin Bodenstorfer und Rainer Hasenauer
Merkmale von ortsensitiven Diensten, bei öffentlichen Einsatzorganisationen Nachdem kurz dargestellt wurde, welche ortsensitiven Dienste bei zivilen Einsatzdiensten (Polizei, Feuerwehr und Rettung), im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit angewandt werden können, stellt die Tabelle 1 Merkmale dieser Dienste in Form einer Matrix übersichtlich dar (siehe Tabelle 1). Neben den Merkmalen, welche in der Tabelle dargestellt werden ist die Integrität für die ortsensitiven Dienste für Notfalldienste, ein wesentliches Merkmal. Sollte eine Position angegeben werden, welche mit der tatsächlichen nicht übereinstimmt, kann dies zu einer deutlichen Verzögerung der Einsatzkette und somit zu fatalen Folgen führen.
Geschäftsmodelle Grundsätzlich legt ein Geschäftsmodell die Rollen und Verbindungen zu den Kunden, Partnern und Zulieferern eines Unternehmens fest (vgl. Weill u. Vitale 2001). Das einfachste Geschäftsmodell im Dienstleistungssektor besteht aus zwei teilnehmenden Partnern, einem Unternehmen, welches seine Dienstleistung anbietet, und einem Konsumenten, welcher die angebotenen Dienstleistungen konsumiert und dafür bezahlt. In der unten stehenden Graphik wird dieses Geschäftsmodell präsentiert. An der zur Verfügungsstellung von Gütern können jedoch auch deutlich mehr Organisationen beteiligt sein. Daraus resultieren komplizierte Geschäftsmodelle, mit mehreren Dutzend daran beteiligten Unternehmen. Ein solches Geschäftsmodell ist nur schwer nachvollziehbar. Die einzelnen Verbindungen und Interaktionen zwischen den Partnern sind so kompliziert, dass nur schwer festgestellt werden kann, ob die Abläufe effizient gestaltet sind oder nicht.
Dienstanbieter
Dienstleistung
Gebühr
Dienstabnehmer (Kunde)
Abb. 1. Einfaches Geschäftsmodell für Dienstleistungen (Bodenstorfer M. 2002)
Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder
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Bestandteile eines Geschäftsmodells Nachdem nun der Begriff des Geschäftsmodells erklärt und exemplarisch ein Eindruck der Vielfältigkeit von Geschäftsmodellen vermittelt wurde, werden in diesem Kapitel die Bestandteile eines Geschäftsmodells näher erläutert. x Kernstrategie: Die Kernstrategie ist das Zentrum der Hauptbestandteile eines Geschäftsmodells, um welches sich die anderen Bestandteile, „Brücken“ und Erfolgsfaktoren gliedern. Man kann erst dann festlegen, welche Ressourcen und Partner man braucht, wenn die Kernstrategie festgelegt wurde (vgl. Hamel 2000, 72). In Bezug auf ortsensitive Dienste für Notfalldienste besteht die Mission darin, Personen in Not rascher Hilfe zu bringen, indem Notrufe und die zur Verfügung stehenden Ressourcen geortet werden. Der Zielmarkt für ortsensitive Dienste im öffentlichen Bereich sind Organisationen, welche ihre Aufgaben mobil erfüllen und bei welchen die Zeit zum Erreichen eines bestimmten Ortes kritisch für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Aufgaben ist. Die Grundlage der Differenzierung ist die genaue, zuverlässige Ortung, die es ermöglicht den Grundprozess der Einsatzleitsysteme zu modifizieren. x Strategische Ressourcen: Die strategischen Ressourcen stellen das „silberne Besteck“ des Unternehmens dar. Sie sind die Einsatzfaktoren, welche dem Unternehmen zur Erreichung der strategischen Ziele zur Verfügung stehen. Ressourcen sind eine wichtige Voraussetzung um erfolgreiche, neue Dienste entwickeln zu können (vlg. Cooper/Edgett 1999, 27). Diese Ressourcen können für gewöhnlich nicht kurzfristig beschafft werden, sondern müssen über einen längeren Zeitraum aufgebaut werden. Eine drastische Veränderung der strategischen Ressourcen kann zu einer ebenso starken Innovation des Geschäftskonzeptes führen. Der Hauptbestandteil der strategischen Ressourcen wird in drei Unterpunkte gegliedert (vgl. Hamel 2000, 75). Die Kernkompetenzen für einen ortsensitiven Dienst bei Einsatzorganisationen müssen neben der Kompetenz im Bereich Satellitennavigation, auch im Bereich der vorhandenen Einsatzleitsysteme gegeben sein. Das strategische Anlagegut, welches Berücksichtung finden muss, ist das Kommunikationssystem, welches einerseits in Krisensituationen verfügbar sein muss und andererseits dazu geeignet sein muss, die erforderliche Menge an Daten zu übertragen. Außerdem sind die Einsatzleitsysteme, welche derzeit genutzt werden, um die Einsätze optimal zu leiten, ein strategisches Anlagegut. Die Kernprozesse, welche beherrscht werden müssen sind zuerst die Ortung der Personen in Not, ebenso wie der Einsatzkräfte und die Verknüpfung dieser Information mit anderen Informationen. Außerdem muss die Standortinformation in den Alarmierungsprozess so eingebunden werden, dass die Einsatzlogistik optimiert wird. x Wert stiftendes Netzwerk: Der Anbieter eines ortsensitiven Mehrwertdienstes ist gefordert sich Partner zu suchen. Hamel gliedert die Teilnehmer des Wert stiftenden Netzwerkes in drei
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Teile (vgl. Hamel 2000, 88). Dabei gibt es die verschiedensten Strukturen, wie das Netzwerk aufgebaut sein kann (vgl. Lendrum 2000, 76-78). Zulieferer für einen ortsensitiven Dienst bei Einsatzorganisationen sind beispielsweise Hersteller von Navigationschips für Kommunikationsgeräte, Anbieter von digitalen Karten, welche die Anforderungen der Einsatzorganisationen erfüllen (z.B. Einzeichnung von Hydranten, etc.) oder Hersteller von PDA, welche als Navigationsgeräte in Fahrzeugen genutzt werden können. Partner sind Unternehmen deren Produkte wichtig für die erfolgreiche Implementierung eines ortsensitiven Dienstes sind. Diese Partner sind beispielsweise Lieferanten der bestehenden Einsatzleitrechner und Funkanlagen. Ein wichtiger Punkt innerhalb eines Geschäftsmodells für die Bereitstellung eines ortsensitiven Dienstes im B2B Bereich sind mögliche Allianzen, welche die Partner eingehen können. Die Typen strategischer Allianzen lassen sich, ausgenommen einer Sonderform (komplementäre Allianz), anhand von zwei Merkmalen, welche jeweils in drei Ausprägungen vorliegen, charakterisieren (vgl. Mahrdt 1998, 49-87). x Kundenschnittstelle: Die Kundenschnittstelle beschreibt das Zusammentreffen von Kunden und Anbietern. Dieser Hauptbestandteil eines Geschäftsmodells gliedert sich in vier Unterpunkte. Diese Unterpunkte sind die Ausführung & Betreuung, Information, Beziehungsdynamik und die Preisstruktur. (vgl. Hamel 2000, 80). Die Ausführung d.h. Installation und Betreuung der Anwendungen von ortsensitiven Diensten sollte durch ein lokales Unternehmen erfolgen, dessen Mitarbeiter die Landessprache der Benutzer sprechen. Informationen sollten so umfangreich wie möglich zur Verfügung gestellt werden, um Adoptionsbarrieren und Vorurteile gegen die Anwendung von Aufspür- und Infotainmentdiensten bei Einsatzorganisationen zu minimieren. Die Beziehungsdynamik sollte dadurch geprägt sein, dass die Anwendung von ortsensitiven Diensten immer wieder den neuen Anforderungen und technologischen Fortschritten angepasst wird. Die Preisstruktur sollte der Größe der Einssatzorganisation angepasst sein. Im Allgemeinen ist eine Preisstrategie zu wählen, welche auf die öffentlichen Budgets Rücksicht nimmt und die Anschaffungskosten über mehrere Jahre verteilt, damit dadurch die jährlichen Haushaltsbudgets nicht gesprengt werden.
Kriterien der Gestaltung eines Geschäftsmodells für LBS im Privaten / Betrieblichen Bereich Im folgenden Abschnitt werden Kriterien für ein Geschäftsmodell beschrieben, welche bei der Anwendung eines ortsensitiven Mehrwertdienstes im privaten, betrieblichen Bereich wesentlich sind.
Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder
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x Eigenständiges (vom primären Geschäftsprozess unabhängiges) System: Ein GNSS basiertes Navigationssystem, welches es privaten PKW Benutzern und Außendienstmitarbeitern ermöglicht ein Fahrziel auf einer optimalen Route zu erreichen, ist ein eigenständiges System (Infotainment). Wenn dieses System dazu genutzt wird die Position und zurückgelegten Routen zu ermitteln (Aufspürdienst), dann betrifft dies, mit einigen Ausnahmen, z.B.: Taxiflotten, nicht den Kern des Geschäftszweckes eines Anwenders und muss daher nicht zwingend mit bestehenden Systemen verbunden werden. x Optimale Unterstützung der Geschäftsprozesse zur Maximierung des Unternehmenswertes: Bei betrieblicher Anwendung von Navigationsdiensten ist das übergeordnete Ziel die Maximierung des Unternehmenswertes. Die operationalen Ziele sind darauf ausgerichtet, die Außendienstmitarbeiter besser koordinieren zu können, Wegstrecken bzw. –kosten zu minimieren und auf Anfrage rascher bei Kunden zu sein. x GNSS muss maximalen ROCE liefern: Das System wird so ausgewählt, dass der Return on Capital Employed (ROCE) der beschafften Lösung höher ist, als jener alternativer Systeme. x Nutzung allgemein zugänglicher Kommunikationsnetze (z.B.: GSM, UMTS): Private Betriebe, welche keine öffentlichen Aufgaben erfüllen, verfügen grundsätzlich nicht über ein eigenes terrestrisches Kommunikationssystem (d.h. Funknetz). Aus diesem Grund werden für die Sprachkommunikation, ebenso wie für die Datenübermittlung (z.B. Informationen über die Position eines Fahrzeuges), allgemein angebotene Kommunikationsnetze verwendet. x Ausfall führt zu wirtschaftlichem Schaden: Wenn der ortsensitive Mehrwertdienst nicht oder nicht in voller Funktionalität verfügbar ist, führt dies zu wirtschaftlichen Schäden für das Unternehmen. So fährt z.B. ein Außendienstmitarbeiter in Folge des Ausfalls des Systems längere Wegstrecken. Ein weiteres Szenario wäre, dass die Zentrale den Einsatz der technischen Servicemitarbeiter nicht mehr dynamisch und Anlass bezogen planen kann, sondern auf fixe, vorausgeplante Arbeitspläne zurückgreifen muss. x Betreiberauswahl basiert auf wirtschaftlicher und technischer Analyse: Da das den ortsensitiven Mehrwertdienst nutzende Unternehmen nicht darauf spezialisiert ist einen solchen Dienst zu entwickeln und zu betreiben, das Geschäftsmodell jedoch dem Kriterium des maximalen ROCE entsprechen muss, wird die Entwicklung und der Betrieb eines solchen Dienstes von anderen Unternehmen durchgeführt. Der Betreiber wird dabei nach wirtschaftlichen und technischen Kriterien ausgewählt.
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Kriterien der Gestaltung eines Geschäftsmodells im hoheitlichen Bereich Im folgenden Abschnitt werden Kriterien für ein Geschäftsmodell beschrieben, welche bei der Anwendung eines ortsensitiven Dienstes im hoheitlichen Bereich wesentlich sind. x Muss mit bestehenden Einsatzleitsystemen kompatibel sein: Der ortsensitive Dienst muss mit bestehenden Einsatzleitsystemen kompatibel sein. Dies bedeutet, dass es zu Allianzen und Partnerschaften zwischen Anbietern von ortsensitiven Diensten und Einsatzleitsystemen kommen muss, damit sichergestellt ist, dass die Systeme kompatibel sind und sich dadurch gegenseitig ergänzen. x Optimale Unterstützung des hoheitlichen Auftrages: Das Geschäftsmodell muss berücksichtigen, dass der ortsensitive Dienst nicht zur Optimierung eines Unternehmenswertes, sondern zur optimalen Unterstützung von hoheitlichen Aufgaben beschafft wird. Das Ziel ist somit eine Optimierung der Servicequalität für den Bürger unter der Nebenbedingung des Prinzips der sparsamen Mittelverwendung x GNSS muss kostenminimal sein: Organisationen, welche hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, sollen diese mit minimalen Kosten optimal erfüllen. Dies bedeutet, dass eine vorgeschriebene Servicequalität mit minimalem Aufwand realisiert werden soll. Aus diesem Grund muss ein ortsensitiver Dienst, bei vorgeschriebener Servicequalität, minimale Kosten verursachen. x Nutzung eines privaten Kommunikationsnetzes (z.B. 4m Funk, Tetra, Tetrapol): Bei Organisationen, welche hoheitliche Aufgaben erfüllen, muss auch in Krisensituationen, in welchen allgemein zugängliche terrestrische Kommunikationsnetze ausfallen, eine interne Kommunikation gewährleistet sein. Aus diesem Grund muss für die Datenübertragung eine Kompatibilität mit leistungsfähigen Funknetzen, wie beispielsweise Tetra, gewährleistet sein. x Ausfall führt zu Schaden an Menschen und Gütern: Sollte ein ortsensitiver Dienst, welcher ein integrativer Bestandteil der Einsatzleitung und Koordination ist, ausfallen, so kann dies negative Folgen für Menschen und Güter haben. Wenn beispielsweise nach dem Ausfall des ortsensitiven Dienstes ein Notarztfahrzeug direkt an einem Haus vorbeifährt, in welchem eine Person ohnmächtig ist und von Anwesenden die Notrufabfragestelle angerufen wurde, der Alarm aber nicht an dieses Fahrzeug, sondern an ein weiteres mehrere Kilometer entferntes übermittelt wird, so kann dies zu dramatischen Folgen für die Person in Not führen. Aus diesem Grund sind besonders hohe Standards in Bezug auf Verlässlichkeit, Verfügbarkeit, Genauigkeit und Integrität der Navigationsinformation notwendig. Darüber hinaus muss im Fall des Falles die Haftung eindeutig definiert sein.
Location Based Services – Geschäftsmodelle und Einsatzfelder
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x Finanzierung muss jährliche Budgetbelastung minimieren: Die Finanzierung einer Investition wird so gestaltet sein, dass die jährlichen Budgetbelastungen minimiert werden. Dies hat bei PPP Modellen zur Folge, dass der Kapitalwert der Investition als Prüfkriterium nachrangig gesehen wird.. x Betreiberauswahl basiert auf technischer und rechtlicher Grundlage: Bei der Auswahl der Betreiber kommt rechtlichen Kriterien eine wesentliche Rolle zu. Für hoheitliche Organisationen ist es wichtig, dass der Dienst auch in Krisensituationen verfügbar ist und sie die Servicequalität kontrollieren können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die technische Stabilität des Systems, welche ebenfalls wesentlich für die permanente Verfügbarkeit des ortsensitiven Dienstes ist. Aus rechtlicher Sicht muss die Haftung des Staates bei einem Versagen des ortsensitiven Dienstes genau definiert werden.
Zusammenfassung und Ausblick Ortsensitive Mehrwertdienste werden nun auch von hoheitlichen Diensten vermehrt genutzt. Für die Anbieterkonsortien stellt sich die Frage ob die Kriterien für Geschäftsmodelle für ortsensitive Mehrwertdienste, sowie diese selbst, auf Dienste für Polizei, Feuerwehr oder Rettung übertragbar sind. Dieser Text erklärt kurz den Begriff eines ortsensitiven Dienstes (location-based services) und gibt einen Überblick über die verschiedenen Anwendungen und Kriterien dieser innovativen Dienste. Abschließend werden die Kriterien der Gestaltung eines Geschäftsmodells für LBS im Privaten / Betrieblichen Bereich mit denen für die Gestaltung eines Geschäftsmodells im hoheitlichen Bereich gegenübergestellt. In Zukunft werden neue Technologien z.B. Galileo oder S-UMTS Marketing und Business Development Experten immer wieder vor neue Aufgaben stellen, wenn es gilt maßgeschneiderte Geschäftsmodelle für diese Technologien und ihre Märkte zu erstellen. Ortsensitive Dienste als Vorstufe zu kontext-, inhalts- und zeitsensitiven Diensten werden in Zukunft sowohl für hoheitsrechtliche wie für gemein- und einzelwirtschaftliche Aufgaben zunehmend an Bedeutung gewinnen. Antriebskräfte dafür sind die steigende globale Mobilität, die globale Informationsvernetzung und der sich daraus ergebende Sachzwang einer hohen Echtzeitqualität für alle Handlungen der an der globalen Vernetzung beteiligten Akteure. Damit wird auch für die betriebswirtschaftliche Forschung der Echtzeitdienst, erbracht von Menschen oder digitalen Software Agenten oder Mensch-Maschine-Systemen in das Zentrum des Forschungsinteresses rücken.
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Transaktionsfernsehen Andreas Büchelhofer 1-2-3.tv GmbH, Unterföhring
Einleitung Das werberefinanzierte Fernsehen – in Deutschland auch Privatfernsehen genannt – hat nach seinen anfänglichen Startschwierigkeiten ab dem Jahr 1988 ein eindrucksvolles Wachstum aufgewiesen. Dieses Wachstum ist ab dem Jahr 2000 unterbrochen worden; die Branche musste sogar erstmals Rückschläge in Kauf nehmen. Netto-Werbeausgaben-TV
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
1984
5.000 4.500 4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0
Abb. 1. Entwicklung Netto-Werbeausgaben TV Deutschland 1984-2003, Quelle: Nielsen Media Research (2003)
Diese Krise löste selbstverständlich auch eine Suche nach neuen Erlösmodellen aus, um von der allgemeinen Werbekonjunktur unabhängiger zu werden. Dabei waren und sind vor allem Erlöse aus Telefon-Gewinnspielen für die Fernsehsender einfach in bestehende Formate sowie Werbepausen zu implementieren. Auch auf längere Sicht ist kein hohes Wachstum der klassischen Werbeausgaben zu erwarten. Medienkonzerne sind somit darauf angewiesen, in neue Geschäftsfelder zu investieren. Das Geschäftsfeld „Telefon-Gewinnspiele“ ist bereits
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Andreas Büchelhofer
an seiner Sättigungsgrenze angelangt und beginnt bereits in Konflikt mit dem Kerngeschäft der Werbeeinahmen zu geraten. Daher müssen weitere Geschäftsfelder gefunden werden, bevorzugt solche, die nicht in Zielkonflikt mit diesen Kerngeschäftsaktivitäten stehen. Der vorliegende Beitrag soll dazu dienen, einerseits die Gemeinsamkeiten zwischen den Formen des Transaktionsfernsehens und andererseits Unterschiede zum werberefinanzierten Fernsehen herauszuarbeiten. Dies ist vor allem wichtig für das Management der Privatfernsehstationen. Nach einer Begriffsdefinition werden die Erscheinungsformen des Transaktionsfernsehens differenziert. Dies soll primär dazu dienen, der Praxis die Möglichkeit der Analogienbildung zu erleichtern und damit Kreativität auszulösen. In einem zweitem Schritt werden die Erscheinungsformen des Transaktionsfernsehens beschrieben und entsprechende Marktdaten angeführt, die wiederum dazu beitragen, die Bedeutung einzelner Formen des Transaktionsfernsehens einzuordnen.
Transaktionsfernsehen In der Literatur findet man nur wenige Definitionen zu dem Praxisbegriff „Transaktionsfernsehen“. In der Goldhammer-Studie T-Commerce 2008 schreiben die Autoren (GoldMedia GmbH 2003, S 18): „Unter T-Commerce werden sämtliche Umsätze gefasst, die über den Fernseher als Distributions- und Vermarktungsmedium realisiert werden. Für den englischen Begriff „T-Commerce“ hat sich in Deutschland auch der Begriff „Transaktionsfernsehen“ etabliert. Hierunter sind alle Fernsehdienste zu fassen, die eine messbare Transaktion, den Verkauf eines Produktes oder eine Dienstleistung (oder die direkte Anbahnung der Transaktion) zwischen Anbieter und Zuschauer zum Ziel haben.“ Aus dieser Definition umfassen nach Ansicht der Autoren T-Commerce folgende Bereiche: x Pay-TV und Pay-per View (VD, NvoD), x TV-basierte Produktverkäufe (Teleshopping, Direct-Response-TV [DRTV], TV basiertes Merchandising und Licensing), x Reiseshopping, x TV-basierte Telefon-Mehrwertdienste. Aus der Aufgabenstellung, aus einer gemeinsamen Branchen- und Marktsicht sektorale Theorien zu erstellen (Scheuch 1989, S 473 ff.), stellt sich die Frage, ob der sehr weit gespannte Begriff T-Commerce eng genug gefasst ist, um den Anforderungen zu entsprechen.
Transaktionsfernsehen
353
Die Bereiche „Pay-TV“ und „TV basiertes Merchandising und Licensing“ stellen in der Marketingpraxis aus Sicht des Autors ein sehr unterschiedliches Phänomen dar. Durch die für das Merchandising-Geschäft notwendigen Erfolgsstrukturen, wie z. B. die Auswahl von Lizenzprodukten oder Vertriebsvereinbarungen mit Lizenznehmern ist dieser Markt im Vergleich zu dem später genau definierten engeren Begriff des Transaktionsfernsehens mit sehr unterschiedlichen Problemstellungen beschäftigt. Pay-TV erfährt zwar wie die anderen Geschäftsmodelle eine Finanzierung durch den Endkunden, doch ist diese nicht direkt und spontan. Die Kaufentscheidungsprozesse der Konsumenten bei der Auswahl von Pay-TV sind in der Regel aufgrund des lange andauernden „Dauerschuldverhältnisses“ des Abonnements extensiv. In der Regel können Pay-TV Sender auch keinen eigenen, frei zugänglichen Kanal nutzen, um spontane Bestellungen auszulösen. Die Vermarktungsaufgaben eines Pay-TV-Sender sind den Problemstellungen der Konsumgüterindustrie sehr ähnlich. Beide sind auf die Nutzung fremder Medien und zum Teil auch auf den direkten Verkauf (Vertrieb) angewiesen. Neben der richtigen Kommunikationspolitik sind die Erfolgsfaktoren des Pay-TV: x die Beschaffung von geeignetem Content, x die Bündelung und das Pricing desselben und x die Vermarktung und Distribution gemeinsam mit Vermarktungspartnern unter der Nutzung „externer“ Medien.1 Den letzten Erfolgsfaktor hat „Pay-TV“ mit dem Geschäftsmodell des „TVbasierten Merchandising und Licensing“ gemeinsam. Auch dieses ist in seiner Problemstellung eher der klassischen Marktkommunikation und den üblichen Distributionsmodellen zuzuordnen. Alle anderen Formen des Transaktionsfernsehens verfolgen ein Geschäftsmodell mit folgenden Charakteristika: x Direkte (spontane) Bereitschaft des Endkunden ist erforderlich, x Umsätze, Erlöse und Profit können direkt aus dieser Interaktion abgeleitet werden, x es sind keine weiteren Distributionsstufen für die Erbringung des Kundennutzens erforderlich, x für die Vermarktung und auch „Neukundengewinnung“ kann vorwiegend das eigene (bzw. bei Formaten das inhärente) Medium verwendet werden.2 1
2
Selbstverständlich hätte man an dieser Stelle genauso treffend und der allgemeinen Marketingliteratur besser entsprechend „Kommunikationspolitik“ schreiben können. Der Autor legt bei der Begriffswahl wert darauf, dass beim Pay-TV eben das eigene Medium nicht für die wesentliche Neukundenakquisition herangezogen werden kann. Die Verwendung des eigenen Mediums sowohl für den akquisitorischen Teil der Distribution, als auch zur Kommunikation stellt eine besondere Herausforderung des Transaktionsfernsehen dar.
354
Andreas Büchelhofer
Der Autor möchte daher den Begriff „Transaktionsfernsehen“ enger fassen: „Unter Transaktionsfernsehen versteht man alle Fernsehformate, die sich über eine direkte Interaktion mit dem Endkunden refinanzieren. Für die Erbringung des Kundennutzens werden keine weiteren Distributionsstufen benutzt“. Des Weiteren kann man die Erscheinungsformen des Transaktionsfernsehens nach Art der Erlösquelle und der relativen Dauer des Transaktionsformats unterscheiden.3
Tabelle 1. Differenzierung der Erscheinungsformen des Transaktionsfernsehens nach Dauer Art Erlöse/ Dauer Mehrwertnummern Warenerlöse
Vermittlungsprovisionen
Spot (30 Sekunden) Gewinnspiel DRTV-Spot
Reise-DRTV
Format (halbe Stunde) einzelnes Format Infomercial
Fenster (1 Stunde bis 3 Stunden) Call-In.-Strecken (z.B. Call In auf DSF) Fenster
ReiseInfomercial
Reise-Fenster (z.B. Sonnenklar auf Neun Live)
Sender (24 Stunden) Neun Live HSE 24, QVC, RTL Shop, 12-3.tv Sonnenklar, TV-Travelshop
Im vorliegenden Beitrag wird transaktionsbasiertes Fernsehen, dessen Sendedauer weniger als drei Stunden pro Tag umfasst (Spots und Formate), von dem Begriff des Transaktionsfernsehens abgegrenzt. Dies wird dadurch begründet, dass es sich hierbei um eine Ausprägung handelt, bei der vor allem der Medienzukauf eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren darstellt. Bei Fensterprogrammen (insbesondere Fenster von mindestens drei Stunden) und vor allem bei 24 Stunden-Sendern müssen andere ökonomische Vorraussetzungen geschaffen werden. Die Geschäftsmodelle unterscheiden sich von Spots4 und Infomercials vor allem in der Notwendigkeit, Stammzuschauer und damit Stammkunden zu gewinnen. Das Betreiben eines eigenen Senders stellt daher für das Management und für die Erlösstruktur eine vollkommen andere Rahmenbedingung dar. Transaktionsfernsehen im engeren Sinn wird daher definiert als: „Unter Transaktionsfernsehen im engeren Sinn versteht man alle Fernsehsender und Betreiber von Fensterformaten von mindestens drei Stunden, die sich über
3
4
DRTV Spots: Direkt-Verkaufs-Spots, Kurzformen unter 1 Minute. Infomercials: Einbettungen in redaktionelle Formate Fenster: Gekaufte Sendezeit (Fremdnutzung) „DRTV-Spots und -Infomercials sind Spots oder Sendungen mit werblichem Charakter, bei denen der Werbetreibende den Zuschauer über das Einblenden einer Telefonnummer zur direkten Kontaktaufnahme auffordert, um Produkte zu ordern oder Informationen über angebotenen Produkte oder Dienstleistungen abzurufen.“ Nach Schätzungen der Gold Media umfasst der Markt 2002 208 Mio. €.
Transaktionsfernsehen
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eine direkte Interaktion mit dem Endkunden refinanzieren. Für die Erbringung des Kundennutzens werden keine weiteren Distributionsstufen benutzt“. Die Gesamtmarktentwicklung nach dieser Definition sieht in Deutschland wie folgt aus:
Nettoumsatz in Mio. €
1200 1000
NUTV TV Travel Shop
800
Sonnenklar Neun Live
600
RTL Shop
400
QVC HSE /HOT
200 0 1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Abb. 2. Entwicklung Nettoumsatz Transaktionsfernsehen Deutschland 1997-2003, Quelle: Unternehmensdaten: TV-Travelshop und Sonnenklar 2003, Experteneinschätzung
Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Begriffsfindung ist die Abgrenzung zur wichtigsten Erscheinungsform der Finanzierung von Geschäftsmodellen der Branchen „Medien“, nämlich der „werberefinanzierten Medien“. Bei allen werberefinanzierten Medien besteht eine Dreiecksbeziehung zwischen Inhalteanbietern, Werbekunden und Rezipienten (Zerdick et al. 2001) (vgl. Abbildung 3). Inhalteanbieter schafft Möglichkeit zur zielgruppenorientierten Ansprache, Reichweiten und Werbeumfeld
befriedigt Rezipientenbedürfnisse nach Unterhaltung, Entspannung und Information
zahlt für Werbemöglichkeit
verschafft dem Medium Reichweiten und Zielgruppen
bietet Produkte oder Dienstleistungen
Werbekunde
Rezipient kauft (evtl.) beworbene Produkte und schafft so Einnahmen
Abb. 3. Dualer Markt
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Die gleichzeitige Bearbeitung von zwei Märkten (der Werbemarkt und der Zuschauermarkt) hat mannigfache Auswirkungen auf die Zielsetzungen und die Organisation eines Unternehmens. In der Regel ist der Verkauf von Werbezeiten und die Gestaltung von Programminhalten strikt getrennt. Diese Trennung von redaktionellen Inhalten und der Vermarktung derselben führt zu zahlreichen Implikationen, die in der Publizistik und in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur abgedeckt werden. Diese Besonderheit des werberefinanzierten Fernsehens führt zu folgenden Implikationen bzw. Abgrenzungskriterien des Transaktionsfernsehens: 1. Transaktionsfernsehen ist unabhängig von der Werbewirtschaft! Dieser Satz mag als selbstverständlich gelten, aber ausgehend von seiner Implikation können für das Transaktionsfernsehen zwei wichtige Freiheitsgrade abgeleitet werden: x Transaktionsfernsehen ist unabhängig von jungen Zielgruppen, während das werberefinanzierte Fernsehen bedingt durch die Zielsetzungen der Werbewirtschaft junge Zielgruppen ansprechen muss. x Der größte Teil der Werbeausgaben wird zum Aufbau von Marken verwendet (Branding). Dabei ist es für die meisten Marken wichtig, möglichst früh (im Sinne von Lebensalter) in das Bewusstsein der Konsumenten zu dringen. Verstärkt wurde dieser Trend auch durch die deutschen Privatsender, die durch ihre jüngere Positionierung Vorteile gegenüber den öffentlich-rechtlichen Stationen sahen. So wird bei Darstellungen der Werbepreise und Reichweiten der Privatsender ausschließlich die „Währung“ 18-49 Jahre verwendet.5 2. Transaktionsfernsehen ist unabhängig von der Vollverbreitung! Wieder ist es der Gegensatz zum werberefinanzierten Fernsehen, der eine wichtige Implikation darstellt. Das werberefinanzierte Fernsehen steht gegenüber der Werbewirtschaft in Konkurrenz, möglichst preiswerte Angebote zu machen, um deren Bedürfnis einen optimalen „Schaltplan“ abzudecken. Diese Auswahlprozesse werden im Allgemeinen als „Mediaselektionsverfahren“ bezeichnet (Scheuch 1989, S 427 f.). Hier ergibt sich für Sender ohne eine bundesweite Vollverbreitung ein nahezu unüberwindbares Problem. Aufgrund der Anwendung heuristischer Verfahren werden Sender mit nur teilweiser Verbreitung nicht in näheren Betracht gezogen und daher von vorne herein aus der Entscheidung ausgeschlossen. Diese Problemstellung (keine Vollverbreitung) war am Anfang des Privatfernsehens nahezu unbekannt.6 Erst Mitte der 90er Jahre waren „Neugründungen“ von Sendern mit knappen Verbreitungswegen konfrontiert. 5
6
Allerdings ist Fernsehen ganz grundsätzlich eine Freizeitbeschäftigung für ältere Menschen. Selbst beim jüngsten der Privatsender der 1. Generation, Pro7, ist das Durchschnittsalter 42 Jahre (!). Anfangs gab es zwar politische Restriktionen, Sender Bundesland für Bundesland zuzulassen, dies Problemstellung wurde aber von den Senderbetreibern relativ rasch gelöst.
Transaktionsfernsehen
357
Exkurs: Die Entwicklung der Verbreitungssituation in Deutschland Als Anfang der 80er Jahre das Privatfernsehen in Deutschland eingeführt wurde, war der hauptsächliche Verbreitungsweg die analoge Terrestrik. Der rasche und nahezu vollständige Ausbau des analogen Kabelnetzes war politisch motiviert. Jedenfalls verhalf er dem privaten Fernsehen zu einer sehr raschen Durchdringung. Erst Anfang der 90er Jahre kam das Satellitenfernsehen dazu. Vor allem in den „Neuen Bundesländern“ hat sich das Satellitenfernsehen sehr rasch durchgesetzt. Seit Mitte der 90er Jahre stellt das analoge Kabelfernsehen den Engpass für die weitere Entwicklung des Privatfernsehens und die Entwicklung innovativer Mediendienste dar. Die Mangelverwaltung fand bis zum Verkauf der Kabelnetze der deutschen Telekom an private Investoren durch die regionalen Landesmedienanstalten statt. Noch heute haben die landespolitisch motivierten „Anstalten“ im so genannten „must carry“-Bereich die Entscheidungshoheit darüber, wer in deutschen Kabelnetzen übertragen (werden) darf. Für die Entwicklung neuer werberefinanzierter Sender war die Einschränkung der möglichen Gesamtreichweite der Hauptgrund ihres Misserfolges. Amerikanische Sender wie „Nickelodeon“ oder der „Wetterkanal“ hat der Markt bereinigt. Noch dazu sind viele der amerikanischen Sendermodelle (wie eben „Nickelodeon“ und der „Wetterkanal“) neben den Werbeeinnahmen auf Einnahmen durch den Kabelnetzbetreiber angewiesen. Es handelt sich dabei also um eine Art „Pay-TV“ ohne direkte Beziehung zum Endkunden; diese wird durch den Kabelnetzbetreiber hergestellt. Die amerikanischen Kabelnetzbetreiber wissen um die unterschiedliche Bedeutung von Sende(r)inhalten, um diese auch selbst zu „packagen“, d. h. den Kabelnetzkunden Zusatzpakete mit Mehrkosten anzubieten. Dadurch wird „Mehrwert“ beim Endkunden abgeschöpft. Nur ein Teil davon wird an den Sender weitergegeben. Fehlen diese „Nebeneinkünfte“, so sind werberefinanzierte Sender zunächst zu 100 % von Werbeeinnahmen abhängig und scheiterten, wie oben beschrieben, nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Vollverbreitung. Fazit: Da das Transaktionsfernsehen weder auf Werbeeinnahmen noch auf indirekte Pay-TV Einnahmen angewiesen ist, ist das Transaktionsfernsehen auch nicht von der Vollverbreitung ihres Signals unabhängig. Daher können trotz knapper Verbreitungsressourcen neue Geschäftsmodelle (wie z. B. 1-2-3.tv) erfolgreich gestartet werden.
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USA – HSN, QVC 1982 hatte der Besitzer einer Radiostation in Tampa, Florida ein Problem: Ein Werbekunde, der Schulden beim Sender hatte, ging in Konkurs und hinterließ aus der Konkursmasse eine Palette elektrischer Dosenöffner. Der Besitzer der Station, Roy Speer, versuchte daher, diese Waren über seinen Radiosender anzubieten und siehe da, in wenigen Minuten konnte er alle Dosenöffner zu einem respektablen Preis verkaufen. Ermutigt durch diesen Vorfall verkaufte er immer öfter Restposten über das Medium Radio. Nach nur zwei Jahren war er so erfolgreich, dass er eine lokale Fernsehstation kaufte – mit der These, dass Fernsehen ein noch tauglicheres Medium zum Verkauf von Ware sein musste. Er nannte den Sender HSN „Home Shopping Network“. Das Verkaufsfernsehen war geboren. In den nächsten Jahren wuchs der Sender über den stetigen Zukauf von Kabelplätzen. Gemeinsam mit dem Konkurrenten QVC wuchs der Markt bis zum Jahr 2000 auf über 4 Milliarden Dollar Europa – erste Versuche in Frankreich In Europa hingegen war und ist der Markt des Home Shoppings durch einen Mangel an Verbreitungswegen, und anfangs auch der juristischen Möglichkeiten, sehr stark eingeschränkt. Nur wenige Länder entwickelten Privatfernsehen und parallel dazu die notwendigen Verbreitungswege, vor allem Kabelnetze. Südeuropa verfügt bspw. bis heute über keine nennenswerte Infrastruktur. Bis auf Deutschland (bzw. deutschsprachiger Raum) und England gibt es in Europa keine Länder, die genügend Kabel- und Satellitenhaushalte aufweisen, um Geschäftsmodelle wie das Home Shopping zu refinanzieren. Die Mindestverbreitung liegt aus der Erfahrung des Autors bei ca. zehn Millionen Haushalten.
in million Austria France Germany Italy Poland Romania Spain United Kingdom
TV HH 3,25 22,71 36,20 21,26 12,89 7,24 13,84 24,87
Satelliten 1,56 5,62 14,46 4,49 2,35 0,23 2,49 7,13
Kabel 1,23 3,34 20,13 0,12 4,81 4,05 0,84 3,47
Abb. 4. Kabel-/Sat-Verbreitung in Europa (Quelle: SES-Astra 2004)
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So blieben in Europa zunächst alle warenrefinanzierten Transaktionsmodelle auf DRTV-Spots, Infomercial-Formate und Fenster beschränkt. In der Fensterbewirtschaftung war Frankreich Pionier und Wegbereiter. Noch heute sind die Home Shopping Fenster der privaten Stationen TF1 und M6 Umsatz- und Deckungsbeitragslieferanten der Sender.7 Die Überlegung der vorwiegend aus Werbeerlösen finanzierten Sender war einfach. Morgens sind durch die geringe Menge von Zusehern Formate durch die Werbewirtschaft kaum finanzierbar. Dies liegt vor allem daran, dass Werbekunden sich in ihrer Mediaplanung neben den reinen Kontaktzahlen (GRP) auch nach absoluten Reichweiten orientieren, um Überschneidungen in ihren Mediaplänen zu vermeiden und so möglichst rasch eine hohe Nettoreichweite zu erzielen (siehe dazu auch S. 11). Erst am englischen Markt, der sowohl von der Infrastruktur als auch von der Marktgröße den Notwendigkeiten des Home Shopping Sender Geschäftsmodells entsprach, startete der erste europäische Home Shopping Sender QVC! Der deutsche Markt 1994 besuchte Georg Kofler, damals Chef des erfolgreichen Privatsenders Pro7, sowohl HSN. Nur ein Jahr später wurde aus einer Projektgruppe von Pro7 ein Joint Venture mit dem größten Versandhändler Europas gegründet, der Quelle AG. Das Konzept schien durchdacht. Pro7 hatte Kompetenzen im Bereich Fernsehproduktion und Verbreitung, die Quelle in den Bereichen Beschaffung, Logistik und Call Center. Ein unschlagbares Team. H.O.T, Home Order Television ging am 15. Oktober 1995 On Air. Doch zunächst galt es, einen Sender, der 24 Stunden Werbung veranstaltete, in ein Rechtssystem einzufügen, das diese Form des Fernsehens in Deutschland nicht vorsah. Basierend auf einer Versuchslizenz der Bayerischen Medienanstalt (BML) startete der Sender zunächst im Sendegebiet Münchens, um im Dezember 1995 sein Signal auch bundesweit über Satelliten zu übertragen. Die BML war Anfangs sehr bemüht, den Rechtsstatus zu gewährleisten. Und so musste zunächst jede Verkaufsshow die aufgezeichnet wurde von Juristen abgenommen werden, um die Freiheit von jeder „meinungsbildenden Form“ zu überprüfen! So wurde in einer werberefinanzierten, üblicherweise teuren, Produktionsweise ein Format hergestellt, das mit seinem „Hochglanz“ wie eine eigenartige Nachahmung des amerikanischen Originals erschien. Der Erfolg war beschränkt. Erst ein Jahr später wurde das Geschäftsmodell auf den Live-Betrieb umgestellt. Folgende positive Veränderungen konnten durch den 7
Allerdings ist der Beitrag relativ gering, gemessen am Gesamtumsatz des Unternehmens. So hat TF1 bei einem konsolidierten Gesamtumsatz von 1.540 Mio. € einen Umsatz von 73 Mio. € durch Teleshopping aufgewiesen (Net Profit 3,2 Mio. €). Dies ist weniger als 5 % des Gesamtumsatzes.
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Live-Betrieb erzielt werden (dabei kann nach externen (Verbesserung der Attraktivität) und internen Effekten (Verbesserung der Planungsoptionen) unterschieden werden): x Attraktiveres Programm durch sehr geringe Wiederholungsraten, aktuellen Bezug und erhöhte Interaktivität zum Endkunden (so wurden z. B. Kunden per Telefon in das Studio verbunden, um dort mit dem Moderator über das Produkt zu sprechen). x Stark verbesserte Planungsmöglichkeiten, da nach jedem Produktauftritt neue Daten in die Planung einfließen können. Dadurch auch Verbesserung der Lagerumschlagsgeschwindigkeit. Die Wachstumseffekte waren enorm, wie man in der Abbildung.2 sieht.
Reiseshopping „Der große Erfolg von Reiseshopping im TV liegt nach Meinung der Programmmverantwortlichen sowie der Reiseveranstalter in der Beschaffenheit des Themenbereichs: Reisethemen liefern fernsehtaugliche Bilder“ (GoldMedia GmbH 2003, S 130). Die ersten Versuche bzgl. Reiseshopping wurden im deutschsprachigen Raum 1995 von H.O.T. unternommen. Teil des H.O.T-Konzeptes war es, von Anfang an Pauschalreisen zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt, gab es aber noch keine erfahrenen Direktvermarkter von Reisen. Die fehlenden Servicestrukturen (Call Center, IT-Systeme) erzeugten hohe variable Kosten, die dann in der Folgezeit trotz guter Umsätze zu negativen Deckungsbeiträgen führten. Diese niedrigen Deckungsbeiträge waren allerdings auch Folge der allgemein niedrigen Margen in der Touristik die ca. zwischen 10 % und 15 % liegt.8 Das Management von H.O.T. entschied zu diesem Zeitpunkt, dass nur mit geeigneten Backend-Prozessen und einer sich erst entwickelnden „Zulieferindustrie“ das Geschäftsmodell Reiseshopping erfolgreich umgesetzt werden könnte. Daher wurden die Aktivitäten bis zum Jahr 1999 eingestellt. 1998 startete in Großbritannien der erste Reiseshoppingkanal „TV-Travelshop“. Der britische Reisemarkt war zu diesem Zeitpunkt schon stärker durch Direktmarketing geprägt. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren war von Anfang an ein eigenes verkaufsorientiertes Call Center. Der schnelle Erfolg von Travelshop UK lies das H.O.T.-Management die strategische Wichtigkeit des Themas neu bewerten. Daher startete 1999 H.O.T. eine wöchentliche Sendung. In dem Format „Urlaubsreif“ wurden sämtliche BackendProzesse zu den „Lieferanten“ der Reisen, d. h. den Veranstaltern, ausgelagert. Diese Veranstalter waren ausschließlich auf die direkte Vermarktung von Reisen 8
Zum Vergleich: Die Durchschnittsmarge im Home Shopping liegt bei ca. 45 %!
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ausgerichtet und daher spezialisiert. Sie verfügten über eigene Call Center, die Reisen waren in ihrer Preisstruktur weniger komplex und daher besser und einfacher zu verkaufen. Aus dem Format und mit der Kernmannschaft von „Urlaubsreif“ (bedingt durch die große Gesellschafteridentität war dies möglich) wurde bereits 2001 ein ähnliches Format auf dem Sender „Neun Live“ geschaffen: „Sonnenklar“. Sonnenklar startete täglich live zwischen 17.15 Uhr und 20.15 Uhr. Gleichzeitig wurden alle Reiseshopping-Aktivitäten bei HSE Home Shopping Europe (vormals H.O.T.) eingestellt. Im März 2003 startete Sonnenklar zusätzlich einen 24 Stunden-Sender auf Astra Analog und in den Kabelnetzen von Baden-Württemberg. Bereits im Juni 2001 begann der erste deutsche 24 Stunden-ReiseshoppingSender Deutschlands: „TV Travel Shop“, ein Joint Venture des bereits oben erwähnten TV Travelshop UK und des deutschen Touristikkonzerns TUI. Der Sender wurde von Anfang an über Astra Analog und im Kabelnetz von Niedersachsen verbreitet. Das Programm wird aufgezeichnet. Die Hoffnung des Touristikkonzern TUI war es, bereits bestehende „Packages“ über Cross Selling Aktivitäten zu vermarkten. Die Rechnung ging nicht auf. Während in Großbritannien „Lockangebote“ zu Anrufen im Call Center führen, die dort von verkaufserfahrenen Mitarbeitern in zum Teil gänzlich andere Reisen gewandelt werden, versuchte die TUI mit Touristik-Angeboten „von der Stange“ zu arbeiten. So wurden beispielsweise in Großbritannien auf einer On Air präsentierten Reise zehn zusätzliche aber unterschiedliche Reisen verkauft. In Deutschland ist der Schnitt nur 1:2. Die Strategie war daher mäßig erfolgreich. 2003 übernahm die TUI den Direkt-Vermarkter „Berge und Meer“, und mit dem Produktportfolio des Spezialisten konnten Umsatzsteigerungen erzielt werden. Diese liegen jedoch weit hinter den Erfolgen des Marktführers Sonnenklar, der von Anfang an eine stärkere Kooperation zu verschiedenen Direktanbietern angestrebt hatte. Grundsätzlich ist aus Sicht des Autors das Wachstum der Reiseshoppingkanäle beschränkt. Dies liegt vor allem an folgende Rahmenbedingungen: x Zu geringe Anzahl an Stammkunden. Da der durchschnittliche Deutsche nur zwei Mal im Jahr verreist, ist faktisch eine hohe Kaufhäufigkeit wie z. B. bei Home Shoppingsendern (über 5 Kaufakte pro Kunde durchschnittlich!) nicht möglich. x Niedrige Margen, starker Preiswettbewerb. Es gibt nahezu keine Endkundenbranche, bei der die Kaufmotive so stark preisgetrieben sind und gleichzeitig die Vergleichsmöglichkeiten (zumindest den Preis betreffend) so hoch sind. x Starke Abhängigkeit von einem oligopolistischen Beschaffungsmarkt. Nur wenige deutsche Veranstalter sind in der Lage Produkte, die sich über das Medium Fernsehen verkaufen lassen können, zu erstellen. x Da die für das Fernsehen erforderlichen Spontankäufe nur durch sensationelle Eckpreislagen ausgelöst werden können, führt dies zu einem sehr eingeschränkten Produktportfolio. Die Einschränkung besteht in der Destination einerseits
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und in der Reisezeit andererseits, da sich nur wirklich günstige Reisen außerhalb der Saisonzeiten abbilden lassen, und daher der Vertriebsweg Fernsehen von der Tourismusindustrie vorwiegend als „Ausschleusungsstrategie“ verwendet wird!
Auktions-TV Im Jahr 2000 startete in Großbritannien ein neuer Home Shopping-Sender, der statt Festpreisen mit einem flexiblen Preismodell arbeitet: „bid-up.tv“ verkauft seine Waren gegen Höchstgebot und ist daher dem Geschäftsmodell einer Auktion nicht unähnlich. Im Gegensatz zu einer Auktion werden jedoch ausschließlich Neuwaren in höheren Stückzahlen präsentiert. Pro Auktion wird immer nur eine begrenzte Anzahl des Produktes (sonst käme es nicht zu einer Preisbildung) angeboten. Der „Rufpreis“, d. h. Startpreis, ist in der Regel ein Pfund. Die Preisbildung erfolgt am Ende der „Auktion“. Es bezahlen alle Teilnehmer, die den Zuschlag erhalten, den niedrigsten Preis des Teilnehmers der gerade noch berücksichtigt wird. Das Konzept startete äußerst erfolgreich und konnte schon im zweiten Geschäftsjahr bei einem Umsatz von 86 Millionen € den Break-Even erreichen. Dabei war es nach Aussage des Managements wichtig, kein „Me Too“ Konzept auf den Markt gebracht zu haben: „I think those who have tried to compete head on with QVC were mad“ said Ashley Faull, Bid-up.tv Founder, citing on the failures of the „well backed Shop! and HSE“ (New Market Media 2003). Die besondere Herausforderung des Businessmodells ist die Planung. Während im herkömmlichen Home Shopping Endpreise geplant werden können, ist der Einfluss beim Auktionsfernsehen nur auf die jeweilige Mengenplanung beschränkt. Nur so sind die Margen beeinflussbar. Gleichzeitig jedoch kann die Planung nicht von einem Erfolg überrascht werden, die Mengen sind starr und bei einer Übernachfrage erhöht sich die Marge nur gering, da die Preis/Absatzfunktion ab einem bestimmten Schwellwert relativ konstant bleibt. Im April 2004 gründeten Henning Schnepper und der Autor die 1-2-3.tv GmbH mit dem Ziel, Deutschlands ersten Auktionssender zu starten. Zu den Gesellschaftern gehören neben den geschäftsführenden Gesellschaftern Dr. Andreas Büchelhofer und Henning Schnepper die Venture Capital-Unternehmen Wellington Partners, 3i, Target Partners sowie die Cuneo AG. Damit ist 1-2-3.tv das erste deutsche Medienunternehmen das durch Risikokapitalgeber finanziert wird. Seit dem 1. Oktober wird 1-2-3.tv von 8 bis 18 Uhr ausgestrahlt. Die Sendezeit wird bis zum Frühjahr 2005 auf 24 Stunden ausgeweitet werden. Das neue Programm ist bundesweit über Astra Analog und Digital zu empfangen.
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1-2-3.tv bietet ein Sortiment von hochwertigen Markenartikeln, die aus Lagerüberhängen und im internationalen Markt erworben werden. Die Angebote werden über eine niedrig tarifierte Servicenummer (01805 – 123 050, 12 Cent/Min.) über die Tastatur des Telefons abgegeben. Nach Zustandekommen des Kaufs wird die Ware durch den Partner DHL per Nachnahme oder gegen Rechnung ausgeliefert.
Mehrwertnummernfernsehen Historisch hat sich die Interaktion mit dem Zuschauer über das Medium Telefon aus so genannten TED Umfragen entwickelt. Die bekanntesten Formate sind „Wetten dass..?“ und der „Eurovision Song Contest“. Im Jahr 1996 startete in den Niederlanden das erste ausschließlich aus Mehrwertnummern refinanzierte Format mit dem Sender „Veronika“ namens „Call TV“. In der Sendezeit von 9 Uhr bis 16.15 Uhr konnte Call-TV bis zu 110.000 Calls pro Tag generieren und damit Einnahmen erzielen, die die günstigen Produktionskosten und Kosten für Gewinnspiele bei weitem übertrafen. Damit wurde ein Deckungsbeitrag generiert, der weit über den möglichen Werbeinnahmen eines Free-TV-Senders liegt. Betrieben wurde der Produktionsbetrieb von „Endemole“. 1998 wurde das Konzept von Endemole nach Deutschland exportiert. Call TV startete ein drei Stunden Fenster bei RTL2. Später wurde das Konzept inhaltlich mit „Big Brother“ verknüpft und damit noch erfolgreicher („Big Brother Nachtquiz“). Zu dieser Zeit entwickelte die Deutsche Telekom ein so genanntes „Flat Fee“Tarifverfahren. In der Nummerngasse 01037xx werden kurze Anrufe bereits am Ortseinwahlknoten mit einer einfachen Ansage („Sie haben leider nicht gewonnen!“) abgefangen, nur etwa 5 % (der so genannte Vorzählfaktor) der Anrufer werden auf einen Sprachcomputer weitergeleitet. Von dort aus können potentielle Gewinner in das Studio gestellt werden. Dort müssen Fragen der Moderatoren beantworten werden, um schließlich und endlich in den Genuss eines (Geld-) Gewinnes zu kommen. Bereits im Juni 1997 dachte das Management von H.O.T. an die Gründung eines ausschließlich durch Mehrwertnummerneinnahmen refinanzierten Spartenkanals nach. Aus diesen Überlegungen wurde im Jahr 2000 ein Businessplan für den von der Kirchgruppe übernommenen „Frauensender TM3“ erstellt. Einzigartig an diesem Transaktionskonzept ist es, dass ein bestehender Spartenkanal zu einem Transaktionsfernsehkanal umgewandelt werden konnte. Dies ist bei handelsorientierten Sendern aus medienrechtlichen Gründen nicht möglich. So konnte der Großteil der Kabelverbreitung behalten und die Basis für ein sehr einfaches und erfolgreiches Geschäftsmodell geschaffen werden – Neun Live.
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Bereits 2003 konnte ein positiver EBITDA von 29,3 Mio. € verbucht werden. Allerdings steht Neun Live aufgrund seines „Spielsucht“ erzeugenden Programms unter Kritik. Dies liegt unter anderen auch an der sehr einfachen Gewinnspielmechanik, die bereits oben beschrieben wurde und somit als dreistufiges „Losverfahren“ bezeichnet werden könnte und damit bereits sehr nahe am Glückspiel positioniert ist. Die Nachteile bei Neun Live liegen nicht nur in der potentiellen Rechtsproblematik (Abgrenzung zum Glücksspiel), sondern auch in der letztendlich nicht stattfindenden vollständigen Interaktion (Erfassen von Kunden, Auswertung von Stammkundenverläufen etc.) mit dem Endkunden.
Ausblick Durch die Digitalisierung sowohl der Kabel- als auch der Satellitenhaushalte werden die Verbreitungsmöglichkeiten und Verbreitungskosten im deutschsprachigen Raum nachhaltig gesenkt. Spätestens in den Jahren 2007/2008 werden auch kritische Massen erreicht werden. Nach Erfahrung des Autors liegen diese bei etwa 10 Millionen Haushalten. Ab diesem Zeitpunkt wird es zu einem vermehrten Auftreten neuer Formen des Transaktionsfernsehens kommen. Bereits heute bilden sich Marktteilnehmer, die diese Chancen nutzen werden. Für Medienkonzerne und Kabelgesellschaften werden die Wachstumspotentiale des Transaktionsfernsehens wesentlich Bedeutung gewinnen. Die Beschäftigung mit den Wirkweisen und Erscheinungsformen der bestehenden Modelle bekommen so eine noch höhere Wichtigkeit für die Praxis. Der Autor hofft mit seiner Arbeit einen Teil dazu beigetragen zu haben, diese Entwicklung zu unterstützen. Es wäre wünschenswert, dass sich auch die wissenschaftliche Theorie den Transaktionsfernsehen mehr Aufmerksamkeit schenkt, um bessere Entscheidungshilfen für diese Branche zu erarbeiten.
Literatur GoldMedia GmbH (2003) Consulting & Research, New Market Media (14. March 2003) Nielsen Media Research GmbH (2003) T-Commerce 2008 – Marktpotenziale für transaktionsbasierte Dienste im deutschen TV-Markt Scheuch F (1989) Marketing. 3. Auflage, Vahlen, München Zerdick A, Picot A, Schrape K (2001) Die Internet Ökonomie - Strategien für die digitale Wirtschaft. 3. Auflage, Springer, Berlin-Heidelberg-New York
Erlebniswelten als innovatives Instrument des Kulturmarketing Monika Koller Institut für Absatzwirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Marketing für Kulturangebote Der Begriff des Kulturmarketing wird hinsichtlich des Objektbereichs üblicherweise sehr eng definiert. Es geht um die Gestaltung der Austauschbeziehung von Kunst- und Kulturanbietern und den Konsumenten dieser Kulturangebote (Terlutter 2000). Als Kulturgüter werden dabei typischerweise Angebote der „Hochkultur“ gesehen, wie beispielsweise Musik (Oper, klassisches Konzert, etc.), Sprache (Literatur, Theater, etc.), bildende Kunst (Architektur, Museen, etc.) und dergleichen. Letztlich sind auch das historische Erbe eines Landes und seine Versinnbildlichungen und Symbole Gegenstand des Kulturmarketing. Als Beispiel ist das Schloß Schönbrunn als architektonische Manifestation der imperialen Vergangenheit Österreichs zu nennen oder auch Kaiserin Elisabeth („Sisi“) als Personifizierung der Historie. Ein grundlegender Unterschied zwischen allgemeinem, kommerziell orientierten Marketing und Marketing für Kulturgüter besteht im Ausgangspunkt. Kommerzielles Marketing geht vom Markt aus, also von Bedürfnissen von Austauschpartnern. Auf der Basis von Marktanalysen wird ein neues oder modifiziertes Produkt entwickelt, das geeignet ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Mit Hilfe von Marketingstrategien und Marketinginstrumenten wird das Produkt in der Folge auf den Markt gebracht. Der Markt ist damit sowohl Ausgangs- als auch Endpunkt des wirtschaftlichen Prozesses (Schmutz 2002). Natürlich ist dies eine idealtypische Betrachtung. Nicht selten stehen am Beginn Produkte (wie beispielsweise technologische Innovationen), deren Markt erst gefunden und oftmals erst entwickelt werden muss. Im Falle des Kulturmarketing ist dies jedoch bestimmendes Merkmal. Der Ausgangspunkt ist das Produkt, sprich der kulturelle Inhalt. Die Aufgabe des Kulturmarketing besteht nun darin, zu klären, welche Marktsegmente an diesem Produkt interessiert sein könnten bzw. sollten und wie diese zu erreichen sind. Ausgangspunkt des Kulturmarketing ist das Produkt, Endpunkt ist der Markt (Colbert 1999 zitiert nach Schmutz 2002; Ayen 2002).
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Kulturmarketing als sektorale Besonderheit? Der Versuch, die sektoralen Besonderheiten des Kulturmarketing zu bestimmen, stößt insoweit auf Schwierigkeiten, als die Vielzahl unterschiedlicher Facetten von Kulturangeboten und der zahlreichen Wechselwirkungen Probleme aufwirft. Eine zentrale Zielsetzung des Kulturmarketing ist die Orientierung an gesellschaftlichen oder bildungspolitischen Erfolgsgrößen. Damit überschneiden sich die Objektbereiche Kulturmarketing und Non-Profit-Marketing deutlich (Bock 2002; Klein 2003). Der Begriff Marketing impliziert bereits, dass dabei betriebswirtschaftliche Aspekte keinesfalls nebensächlich sind. Vielmehr ist gerade die Kostendeckung oder in Einzelfällen sogar die Erzielung eines betriebswirtschaftlichen Gewinns ein Aspekt, der in den letzten Jahrzehnten deutlich an Gewicht zugenommen hat (Klein 2002). Freilich soll dies nicht zu einer „Kommerzialisierung“ der Kultur führen. Zweifelsohne entsteht daraus ein Spannungsfeld zwischen kultureller Authentizität einerseits und ökonomischen Zielen andererseits. Die immaterielle Zielsetzung der Kulturvermittlung und die materielle Zielsetzung der Mittelaufbringung müssen allerdings nicht zwangsläufig konfliktär sein (Feldmann 2002). Der Schlüssel zum optimalen Gestaltungsmix eines Kulturangebotes liegt in der Erlebnisorientierung. Die zentrale Zielsetzung besteht damit in einem möglichst authentischen Erleben von Kultur im Kopf des Besuchers. Die hohe Bedeutung des Erlebnisaspekts ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Konsum von Kulturangeboten großteils nicht nur in der Freizeit stattfindet, sondern auch als Freizeitgestaltung gesehen wird. Gerade der Freizeit wird heute im Sinne eines Werte- und Emotionswandels immer mehr Bedeutung beigemessen. In der Rangfolge von Lebensbereichen wird die Freizeit wenn nicht über, so zumindest als gleichrangig mit der Arbeits- und Berufswelt gereiht (Bachleitner 1998). Kulturmarketing hängt weiters eng mit dem Marketing für Regionen (s. Scheuch 2003a) und dem Tourismusmarketing zusammen. Dabei kommt es zu einer wechselseitigen Beeinflussung. Zum einen kann ein Kulturgut eine Region aufwerten. Als Beispiel ist hier das Guggenheimmuseum in Bilbao zu erwähnen, welches der Attraktivität von Bilbao einen deutlichen Impuls verliehen hat (Bartsch 2004). Zum anderen hängt die Vermarktung von Kulturgütern eng vom Tourismusmarketing ab. So besteht das Potenzial von Schloß Schönbrunn im Wesentlichen aus den Besuchern von Wien. Schließlich lassen sich auch Besonderheiten des Dienstleistungsmarketing (s. Scheuch 2002) im Kulturmarketing wieder finden. Insbesondere die Immaterialität, die fehlende Lagerfähigkeit, die Veränderlichkeit und Heterogenität des kulturellen Produktes sind typische Phänomene einer Dienstleistung. Vor allem aber ist die starke Besucherbeteiligung, sprich die Integrativität (Klein 2001) von Bedeutung. Kultur lässt sich nicht passiv vermitteln, sondern nur durch aktive Beteili-
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gung des Besuchers. Das Erleben von Kultur so unterhaltsam, so spielerisch wie möglich zu gestalten – bei Wahrung der Authentizität – ist letztlich eine pädagogische Herausforderung. Aufgrund der aufgezeigten Facetten des Kulturangebots, erscheint es weder möglich, noch sinnvoll, eine trennscharfe sektorale Abgrenzung von Kulturmarketing vorzunehmen. Kulturmarketing, aus einer sektoralen Perspektive betrachtet, ist vielmehr als Bereich mit den Merkmalen eines integrativen Sektors zu verstehen, d.h., dass spezifische sektorale Problematiken unterschiedlicher Bereiche gemeinsam auftreten (s. Scheuch 1998).
Die Erlebniskomponente Im vorangehenden Abschnitt wurde der hohe Stellenwert der Vermittlung von Erlebnissen im Kulturmarketing betont. Die Bedeutung der Erlebniskomponente ist natürlich nicht auf den Objektbereich der Kulturgüter beschränkt. Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit hat sich zur Erlebnisgesellschaft (Opaschowski 1998) gewandelt. Dementsprechend steht das Erlebnis im Zentrum jeder MarketingKonzeption, quer über alle Sektoren. So spricht man z.B. im Handelsmarketing von Erlebnis-Shopping, so genannte Erlebniswelten der Industrie verkörpern eine erlebniszentrierte Markendarstellung. Das Streben des hybriden Konsumenten, des in diesem Zusammenhang so genannten „homo eventus“ (Müller 2001) nach Erleben und Erlebnissen stellt die Konsumentenverhaltensforschung und das Marketing im Allgemeinen vor neue Herausforderungen. Die Erlebnisqualität wird zum zentralen Kaufkriterium, der Fokus verschiebt sich weg vom Versorgungskonsum hin zum Erlebniskonsum. Die weltweit hohen Zuwachsraten bestätigen dies eindrucksvoll, Produkte ohne Erlebniswert verlieren zunehmend an Bedeutung (Opaschowski 1998). In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es die „service“ economy, die die Gemüter beschäftigte, heute befinden wir uns inmitten des Zeitalters der „experience“ economy. Egal ob Sachgüter oder Dienstleistungen vertrieben werden, letztendlich muss ein Unternehmen danach trachten, ein Erlebnis zu inszenieren, welches beim Konsumenten einen hohen Erinnerungswert hat (s. dazu in Zarem 2000, Interview mit Tim Sanders, Yahoo! ValueLab). Diese zunehmende Erlebnisorientierung findet seinen Niederschlag unter anderem in der Vielzahl der so genannten „tainment-formulas", welche, abgeleitet vom klassischen Entertainment, vom Shopotainment (als Vergnügen gestaltetes Einkaufen, auch das angesprochene Erlebnisshopping), über das Sportotainment (sportliche Ereignisse als Events organisiert) bis hin zum Edutainment reichen, um hier nur einige der Wortkreationen zu zitieren. Gerade das Edutainment steht in einem engen Zusammenhang mit dem Kulturmarketing, geht es doch in beiden Fällen um die Vermittlung von – im weitesten Sinne – Bildungsinhalten durch interaktive Elemente in unterhaltsamer und motivierender Form (Grötsch 2001).
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Während im klassischen, kommerziell ausgerichteten Marketing die Erlebniskomponente letztlich der Absatzförderung dient, wird in einer Erlebniswelt die Vermittlung des Erlebnisses selbst zentrales Anliegen. In der Praxis beschränken sich Erlebniswelten allerdings nicht auf den Objektbereich, welcher der Definition von Kulturmarketing zu Grunde liegt. Der Kulturbegriff wird dabei ausgedehnt und geht über Phänomene der „Hochkultur“ im engeren Sinne hinaus. Zwischen den beiden Extremen „Hochkultur’“ auf der einen und „populäre Kultur“ auf der anderen Seite liegt eine enorme Spanne von möglichen Kulturformen (Colbert 2002). Beispielsweise existieren die Begriffe der Ess- oder Trinkkultur. Im konkreten Fall von Wein kann man von Weinkultur sprechen. Die unmittelbare Zielsetzung des „Weinkulturmarketings“ ist dementsprechend nicht nur der Absatz eines alkoholischen Getränks, sondern vielmehr die Vermittlung von Wissen rund um Wein, wie beispielsweise Sortenkunde, Herstellungsverfahren, historische Aspekte, und vieles mehr. Produkte wie Küchengeräte oder Staubsauger aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts finden sich heute bereits in historischen Museen als Illustration von „Wohnkultur“. Was einst zeitgenössischer Gebrauchsgegenstand war, wird retrospektiv betrachtet zum Kulturgut. Im Rahmen dieses Beitrags soll der Begriff des Kulturguts bewusst weiter gefasst sein und Phänomene wie Musikkultur ebenso einschließen wie Weinkultur. Das entscheidende Abgrenzungskriterium soll vielmehr sein, dass nicht die unmittelbare Absatzförderung im Vordergrund steht, sondern dass es um die pädagogische Vermittlung von Kultur bzw. des kulturellen Hintergrunds eines Produktes (Terlutter 2000) geht. Zielsetzung dieses Beitrags ist es, vor diesem Hintergrund die Konzeption von Erlebniswelten als Gestaltungselement des Kulturmarketing näher zu beleuchten, um anschließend anhand von ausgewählten „Best-Practice-Beispielen“ eine erfolgreiche Umsetzung der Erlebnisorientierung im Kulturmarketing zu zeigen. Bevor jedoch in der Folge auf die Besonderheiten von Erlebniswelten im Kontext des Kulturmarketing eingegangen wird, bedarf es einer Bestimmung der Begriffe Erlebnis sowie Erlebniswelt, wie sie diesem Beitrag zu Grunde liegen. Das Erlebnis – eine Begriffsbestimmung Die Verwendung der beiden Begriffe Erlebnis und Erlebniswelt hat heute in der Praxis oftmals bereits inflationären Charakter, eine klare Definition der Begriffe hingegen ist schwer zu finden (Vester 2004). Nach Kagelmann (1998) ist das Erlebnis ein Ereignis, welches vom Normalen, Gewohnten mehr oder weniger stark abweicht und die Neugier, Reizsuche, Abwechslung und Spannung ebenso befriedigt wie soziale Bedürfnisse, wobei die Auswahl oder Akzeptanz eines Ereignisses vom individuellen Lebensstil abhängig ist (Kagelmann 1998). Unter einer Erlebniswelt ist der Rahmen zu verstehen, in welchem das Erlebnis inszeniert oder vermittelt wird. Eine Erlebniswelt ist demenstprechend ein künstlich geplanter, kommerzieller Freizeit- oder Urlaubsbereich, in dem versucht wird, den dafür in
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der Regel Eintritt zahlenden Besucher besonders viele Funktionen zu vermitteln und dabei als besondere Dienstleistung emotionale Erlebnisse für einen begrenzten Zeitraum zu schaffen. Es geht zum einen um Angebotsvielfalt, zum anderen jedoch auch um Gefühle wie Spass, Freude und Glückszustände (Kagelmann 1998). Wie kann nun eine Erlebniswelt aussehen? Welche besonderen Ausprägungsformen in Bezug auf Inhalte, die durch das „Instrument“ Erlebniswelt transportiert werden sollen, können beobachtet werden? Diesen Fragen widmet sich der folgende Abschnitt.
Konzeption von Erlebniswelten – eine theoretische Basis Nach Vester (2004) können drei Dimensionen des Erlebens und der Erlebnisse unterschieden werden: die kognitive, die affektive, die lokomotorische oder behaviorale (Vester 2004): x Die kognitive Dimension: Das Erleben beinhaltet Wahrnehmungen. Wahrnehmungen wiederum beruhen auf Unterscheidungen. Wahrnehmung oder Kognition differenziert und kontrastiert. Je lebhafter eine Wahrnehmung ist, desto eher wird das Wahrgenommene für real gehalten (Roth 1994). Eine kontrastarme, indifferente Wahrnehmungswelt löst weniger Kognitionen aus als eine differenzierte, „aufregende“. x Die affektive Dimension: Wenn die Wahrnehmung des oben genannten Unterschieds auch gefühlsmäßig anspricht, die Differenzen mit Affekten belegt sind, wenn die Unterscheidung auch einen emotionalen Unterschied macht, so wird das Erlebnis intensiver. Sobald ein Ereignis Emotionen, also innere Erregungen, die angenehm oder unangenehm empfunden und mehr oder weniger bewusst erlebt werden (Kroeber-Riel 1984), hervorruft, hat es auch einen größeren Erlebniswert. Die Inszenierung von Erlebnissen ist daher auch bemüht, Emotionen anzusprechen, zu transportieren oder überhaupt zu produzieren. Zu unterscheiden sind Erlebnisse einerseits hinsichtlich der Stärke oder Intensität der gefühlten Emotionen, andererseits hinsichtlich der Vielfalt und Differenziertheit des Spektrums der hervorgerufenen Emotionen. x Das Erlebnis wird komplett, wenn nicht nur Unterschiede wahrgenommen und Emotionen gefühlt werden, sondern wenn darüber hinaus auch ein Bewegungs(lokomotorisch) oder Verhaltensimpuls (behavioral) erfolgt. Das Erlebnis kann sich innerlich in Form innerer Bewegtheit bemerkbar machen, die zugleich körperlich erfahren wird oder auch tatsächliches Verhalten nach sich ziehen kann. Die drei Erlebniskomponenten lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten. Ein starker Kontrast führt nicht nur zu intensiveren Kognitionen, sondern begünstigt auch Emotionen und Verhaltensimpulse. Die Erlebnisdimensionen sind also nicht als additiv zu sehen, sondern im Sinne einer wechselseitigen Potenzierung:
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Gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeiten erweitern das emotionale Spektrum, was wiederum zu neuen Wahrnehmungen führen kann (Vester 2004). Eine durch Emotionen vermittelte Steigerung des Aktivierungsniveaus führt zu einer erhöhten Sensibilisierung des Individuums (im vorliegenden Fall des Besuchers eines als Erlebniswelt gestalteten Kulturangebotes) gegenüber bestimmten Reizen (Kroeber-Riel 1984) und damit zu einer verbesserten Informationsverarbeitung. Für die Gestaltung von Erlebniswelten lassen sich daraus folgende Empfehlungen ableiten. Durch eine multisensuale, auf visuelle, akustische, haptische oder taktile, olfaktorische, thermale und gustatorische Reize (Nickel 1998a; Meinicke 2003) zielende Ansprache soll möglichst alle Sinne des Besuchers erreichen. Stressfaktoren, die die Informationsverarbeitung stören könnten, sollen minimiert werden (Meinicke 2003). Schließlich ist die Einbindung des Besuchers in die Inszenierung des Erlebnisweltthemas im Sinne einer metaphorischen Integrativität des externen Produktionsfaktors, für die Erlebnisvermittlung entscheidend. Die Ansprache über verschiedene Sinneskanäle führt zu einer tieferen Verarbeitung der Eindrücke, es entstehen zusätzliche Assoziationen, was wiederum zu einer Verbesserung der Erinnerung führt. Je mehr verstärkende Reize beim Erleben vorhanden sind, desto mehr gedächtniswirksame Assoziationen werden hergestellt (Nickel 1998a). Oder wie Scheuch (2003b) es in Bezug auf die besondere Aktivierungswirkung durch eine Eventsituation ausdrückt, welche zu einer spezifischen Eventerfahrung führt: „Experience als Ergebnis der im Event konzentrierten Attacke auf das Sensorium der Teilnehmer“ (Scheuch 2003b). Das Gestalterteam der Erlebniswelt steht vor der Herausforderung, zum Aufbau eines starken inneren Gedächtnisbildes, die konzeptionell gegebenen, positionierungsrelevanten Bedeutungen (im vorliegenden Fall die bereits bestehenden kulturellen Inhalte) in multisensual wahrnehmbare Einheiten zu verschlüsseln (Nickel 1998a). Die erlebniszentrierte Gestaltung eines Kulturangebotes lässt eine Systematisierung in einzelne Erlebnisaspekte, sowohl aus Anbieter- als auch aus Nachfragerperspektive, zu. In der Folge wird ein Überblick über die wichtigsten Erlebnisaspekte, welche im Zuge einer empirischen Untersuchung unterschiedlicher Erlebniswelten von Goronzy (2004) herausgefiltert wurden, gegeben (Goronzy 2004): Inszenierungserlebnisse x Thematisierung: Eine Erlebniswelt orientiert sich deutlich an einem Leitmotiv und bezieht ihre Gestaltung darauf. Eine gute Thematisierung ist dabei durchgängig, detailreich und schließt alle Bereiche mit ein. x Storytelling: Zur Gestaltung und Vermittlung der Inhalte bedient man sich einer Geschichte. Dabei kann die Erlebniswelt an eine bekannte Erzählung erinnern oder eine eigene kreieren.
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x Vermeidung von Unzufriedenheit: Ein positiver Gesamteindruck ist auch von Themen wie Sauberkeit, Servicequalität und Sicherheit der Erlebniswelt abhängig.1 Besuchererlebnisse x Multioptionalität: Eine Erlebniswelt stellt für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Besucher verschiedene Angebote bereit. x Interaktionsmöglichkeiten: Der Besucher kann selbstständig in das Geschehen eingreifen, sich informieren oder in spielerischer Weise eingebunden werden. x Kognitive Erlebnisse: Dies bedeutet die Möglichkeit, etwas Neues dazuzulernen oder seine Allgemeinbildung zu verbessern. x Körperliche Erlebnisse: Außergewöhnliche Körpergefühle bis hin zur Grenzerfahrung2 x Sinnliche Erlebnisse: Außergewöhnliche Sinneserfahrungen x Soziale Erlebnisse: Erlebnisse, die aus der gemeinsamen Interaktion mit Familienmitgliedern oder Freunden entstehen x Vergnügen: Spannung, Faszination und Spass, Aspekte, mit denen Erlebniswelten sehr häufig assoziiert werden. x Entspannung: Ruhe und Zeit zum Nachdenken Die Inszenierungserlebnisse, welche durch die inhaltliche Ausgestaltung der Erlebniswelt hervorgerufen werden, bilden in gewissem Maße die Basis, welche vom Anbieter geschaffen wird, um die Besuchererlebnisse hervorrufen zu können. Die Erlebnisaspekte des Besuchererlebnisses können unabhängig voneinander einzeln oder gemeinsam, aber auch konkurrierend auftreten. So ist die Forderung nach Spannung einerseits und gleichzeitiger Entspannung andererseits wahrscheinlich schwieriger zu erreichen als andere Erlebniskombinationen. 1
Besucher von Kultureinrichtungen oder –veranstaltungen akzeptieren mangelhaftes Service tendenziell immer weniger. So kristallisierten sich als Ergebnis empirischer Servicetests in ausgewählten Kultureinrichtungen folgende Erfolgsfaktoren für eine positive Gesamtbewertung der Service-Komponente heraus: Interaktion des Museumspersonals mit den Besuchern, allgemein-inhaltliche Aspekte der Kultureinrichtung (wie z.B. Architektur, Treffpunkt für soziale Kontakte, Vermittlung von Allgemeinwissen) sowie der erste Eindruck beim Betreten der Kultureinrichtung, symbolisiert durch die Eingangssituation einschließlich einem Übersichtsplan (s. dazu Klein 2003). 2 Erlebniskonsum wird in den verschiedensten Intensitätsgraden erfahrbar. Im Sinne der Erlebnisspirale kann von einer möglich einsetzenden Erlebnisinflation gesprochen werden. Der so genannte „Thrilling Effekt“, welcher Erlebnissteigerung durch „Angstlust“ hervorruft, wäre ein Beispiel für eine mögliche Grenzerfahrung in diesem Zusammenhang (Bachleitner 1998). Die Überreizung des Erlebniskonsums führt oftmals bereits zu fließenden Grenzen zwischen Zusatznutzen und Nutzlosigkeit (Opaschowski 2000). Diese Diskrepanz ist in Überlegungen der Nutzenaspekte sowohl auf Anbieterseite als auch auf Nachfragerseite, wie sie in der Folge der Ausführungen dieses Beitrags dargestellt werden, ebenfalls zu berücksichtigen.
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Die Einbindung der Besucher in die Inszenierung der transportierten Inhalte einer Erlebniswelt ist als einer der bedeutendsten Faktoren in der Gestaltung zu sehen. Unterscheidet man in aktive und passive Beteiligung der Besucher, so stellt die Gestaltung aktiver Beteiligungsmöglichkeiten im Sinne einer erhöhten Integrativität eine weitaus schwierigere Herausforderung dar als eine passive Einbindung in Form eines „den Besucher mit Informationen Berieselns“ oder z.B. des „Zusehens“ als Zuschauer (Meinicke 2003). Da aber gerade die aktive Einbindung des Besuchers dafür ausschlaggebend ist, ob überhaupt bzw. wie intensiv ein Erlebnis wahrgenommen wird, ist die Integration des Besuchers entscheidend für die Erfüllung der Erwartungen der Besucher. In der Themengestaltung muss die psychologische Erlebniserfahrung Berücksichtigung finden. Stimmen das vorgeprägte Erlebnisbild und das vom Besucher erfahrene Erlebnisbild der Themenübersetzung nicht überein, kann es zu kognitiven Dissonanzen beim Besucher kommen (Meinicke 2003). Darüber hinausgehend birgt das Konzept Erlebniswelt durch seinen spezifischen Charakter auch ein erhöhtes Gefahrenpotential für ein Scheitern des Projektes. Hier sind neben den oben angesprochenen Diskrepanzen zwischen vorgeprägtem Erlebnis durch die Thematisierung und dem tatsächlichen Erleben des Besuchers Fehler in der Konzeption der Inszenierung (wie z.B. unspektakuläre Attraktionen mit diffuser Thematik), unzureichende gastronomische Versorgung, Zielgruppenkonflikte in der inhaltlichen Gestaltung, überzogenes Pricing bis hin zu unprofessioneller PR zu nennen (Penz u. Rösch 2004). Werden Erwartungen der Besucher nicht erfüllt, wird also kein Erlebnis im Besucher induziert, so bedeutet dies letztlich auch aus Anbietersicht ein Scheitern. Dies ist sowohl im Sinne einer Verfehlung der pädagogisch-immateriellen Zielsetzung zu verstehen, als auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Diese Erfolgsüberlegungen können auch als Nutzenaspekte für den Betreiber der Erlebniswelt zum einen und als Nutzenaspekte für den Besucher zum anderen bezeichnet werden. Die Nutzenaspekte für den Nachfrager, sprich den Besucher, können vereinfacht in kognitiven, sozialen und emotionalen Nutzen unterteilt werden (Meinicke 2003). Diese drei Nutzenkategorien sind als eine Art Überkategorie für die oben beschriebenen Besuchererlebnisse nach Goronzy (2004) zu verstehen. Die Nutzenaspekte für den Anbieter richten sich hingegen danach, um welche Art von Erlebniswelt es sich handelt und welche Ziele mit dem „Instrument“ Erlebniswelt verfolgt werden. Die nachfolgende Abbildung 1 gibt eine Übersicht über die unterschiedlichen Arten von Erlebniswelten und deren Ziele.
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Erlebniswelten
Touristische Erlebniswelten
(z.B. Freizeit- und Erlebnisparks/ Themenparks, auch privatwirtschaftlich betriebene Kulturangebote)
Loisium Kellerwelt
Erlebniswelten in der Industrie
Erlebniswelten der öffentlichen Hand
(z.B. Kunden- und Besucherzentren, Brand Lands/Parks, Corporate Lands, Brand Livings, Brand Spots, Einkaufserlebniscenter)
(z.B. Städtische Zoos, Museen, Dokumentationsstätten)
Swarovski Kristallwelten
Haus der Musik
ZIELE
- Großteils materieller Nutzen für den Betreiber (Profit Center)
- Materieller und Immaterieller Nutzen für den Betreiber (Cost Center und/oder Profit Center)
- Erlebnisse für den Besucher (Unterhaltung, Bildung)
- Erlebnisse für den Besucher und Informationen (die ihm u.U. wirtschaftliche Vorteile bzgl. seines Konsumentenverhaltens geben können)
- Immaterieller Nutzen des Betreibers (Erfüllung des Bildungsauftrags), meist Cost Center - Informationen und Erlebnisse für den Besucher
Abb. 1. Arten von Erlebniswelten und deren Ziele (modifiziert übernommen von Meinicke 2003, ergänzt um eigene Inhalte)
Wie in Abbildung 1 ersichtlich, ergeben sich jeweils nach der thematischen Ausrichtung einerseits und den Zielsetzungen der Betreiber andererseits drei Hauptuntergliederungen: touristische Erlebniswelten, Erlebniswelten in der Industrie und Erlebniswelten der öffentlichen Hand. Diese Formen lassen sich in der Praxis nicht trennscharf abgrenzen. Es geht vielmehr um den Versuch einer idealtypischen Kategorisierung. Touristische Erlebniswelten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie privatwirtschaftlich organisiert sind. Der Objektbereich reicht dabei von Freizeitparks bis zu klassischen Kulturgütern. Entscheidend ist dabei, dass das Erlebnis selbst das Produkt darstellt. Die Bezeichnung „touristisch“ ist insofern problematisch, als das Publikum sicherlich nicht nur aus Besuchern außerhalb deren gewohnter Umge-
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bung besteht, sondern auch die lokale Bevölkerung zur Zielgruppe zählt. Aus der privatwirtschaftlichen Orientierung folgt jedenfalls zwangsläufig, dass eine profitorientierte Ausrichtung oder zumindest eine vollständige Kostenabdeckung im Vordergrund steht. Im Falle kultureller Güter kann diese Ausrichtung zugunsten der Vermittlung von Kultur (im weitesten Sinne) relativiert werden. Erlebniswelten in der Industrie sind dadurch charakterisiert, dass konkrete Produkte bzw. Marken ein Kernelement darstellen. Das Erlebnis ist nicht das Produkt selbst, es dient vielmehr der Inszenierung eines Produktes oder einer (Unternehmens-)Marke. Industrielle Erlebniswelten können sowohl profitorientiert als auch nicht profitorientiert konzipiert sein. Schließlich steht bei Erlebniswelten der öffentlichen Hand tendenziell die immaterielle Nutzenstiftung (wie z.B. Erfüllung des Bildungsauftrages) im Vordergrund. Allerdings kann auch ein öffentliches Kulturgut betriebs- und formal privatwirtschaftlich vermarktet werden, so dass profitorientierte Zielsetzungen ebenfalls eine Rolle spielen können. Im Folgenden werden die drei unterschiedlichen Arten von Erlebniswelten kurz vorgestellt, bevor im anschließenden Abschnitt drei ausgewählte in Österreich angesiedelte Erlebniswelten diese Bereiche mit Beispielen illustrieren. Touristische Erlebniswelten Freizeitparks bzw. Vergnügungsparks gelten aus Gründen der historischen Entwicklung als die reinste und typischste Form von Erlebniswelten (z.B. „Disneyland“). In der neueren Diskussion sind Freizeitparks jene großflächig in sich abgeschlossenen Freizeitanlagen, welche in erster Linie schwerpunktartig auf Unterhaltung („fun“) setzen, großteils kommerzieller aber auch nichtkommerzieller Art sind und als Ausflugsziele, also keine touristischen Destinationen per se, gelten. Darauf aufbauend sind Themenparks demnach idealtypischerweise jene Freizeitparks, welche über die soeben dargestellten primären Charakteristika hinausgehend zusätzlich noch ihre Thematiken in häufig unverwechselbarer, durchkontrollierter und planvoller Weise aufbereiten, über ein multioptionales Angebot verfügen und über ihre Eigenschaft als Ausflugsziel hinaus zu regelrechten touristischen Destinationen werden (Kagelmann 2004). Erlebniswelten in der Industrie Industrieerlebniswelten sind thematisierte, komplexe und multifunktionale Einrichtungen an der Schnittstelle von Wirtschaft, Unterhaltung, Geschichte, Konsum und Freizeit. Privatwirtschaftliche Industriewelten werden von Unternehmen als Marketing-Instrumente eingesetzt. Die Zielsetzungen reichen von der Imagepflege und der Produktwerbung über einen gewissen Konsumentendialog und Versuchen der Kundenbindung bis hin zu Absatz und Mitarbeitermotivation (Steinecke 2001).
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Interaktiv umgesetzte Themenbereiche reichen von der Darstellung der Unternehmensgeschichte über Produktionsverfahren bis hin zu Produktinformationen und/oder auch Verkaufsaktivitäten. In der Konzeption solcher Markenerlebniswelten wird versucht, eine erfolgreiche Strategie der Markenführung durch eine interaktive Komponente im Bereich der direkten Schnittstelle zum Kunden zu erweitern. Mit dieser besonderen Form der Erlebniserfahrung wird versucht, dem Kunden die jeweiligen Markenwerte bestmöglich zu vermitteln. In den letzten Jahren haben die Erlebniswelten in der Industrie national sowie international stark an Bedeutung gewonnen (Thunig 2004). Klassische Beispiele so genannter Brandlands3 sind Unternehmen der Automobilindustrie, wie z.B. die VW-Autostadt in Wolfsburg4, oder auch Legoland5. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Swarovski Kristallwelten6 in Wattens in Tirol näher betrachtet. Erlebniswelten der öffentlichen Hand Das Hauptziel der Betreiber der Erlebniswelten dieser Kategorie ist es, einen immateriellen Nutzen zu generieren indem ein bestimmter gesellschaftlicher Auftrag erfüllt wird (wie z.B. öffentliche Museen, städtische Tiergärten etc.). Für die Gestaltung der Erlebniswelt selbst ergeben sich insofern keine wesentlich anderen Rahmenbedingungen im Vergleich zu touristischen Erlebniswelten, als auch hier gilt, das Erlebnis selbst ist das Produkt.
„Wein – Kristalle – Musik“– Drei Beispiele für Erlebniswelten in Österreich An dieser Stelle werden die Loisium Kellerwelt im niederösterreichischen Langenlois, die Swarovski Kristallwelten in Wattens in Tirol sowie das Haus der Musik im 1. Wiener Gemeindebezirk vorgestellt7, um exemplarisch im Sinne von „BestPractice-Beispielen“ zu zeigen, wie eine Erlebnisorientierung in der Marketingkonzeption erfolgreich umgesetzt werden kann.
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Solche markengebundenen Themenparks werden als Weiterentwicklung bzw. Ergänzung der bisher üblichen Marketingevents von Unternehmen bezeichnet und werden in Zukunft weiterhin eine verstärkte Nutzung als Instrument der Unternehmenskommunikation erfahren (Nickel 1998b). 4 s. dazu www.autostadt.de, Stand 16.11.2004 5 s. dazu www.lego.com, Stand 16.11.2004 6 s. dazu www.swarovski.com, Stand 16.11.2004 7 Hierzu gilt der Dank der Autorin den Marketingverantwortlichen der jeweiligen Unternehmen für deren Informations- und Kooperationsbereitschaft in Form von Gesprächen, schriftlichen Auskünften sowie Zusendung von Informationsmaterialien.
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Loisium Kellerwelt Die Loisium Kellerwelt8 im niederösterreichischen Langenlois wurde am 19. September 2003 eröffnet. Das Motto der Erlebniswelt lautet: „Den Wein mit allen 5 Sinnen genießen“. Ursprungsgedanke im Vorfeld der Gestaltung war es, das Kulturgut Wein in einer authentischen Art und Weise zu präsentieren, welche in dieser Form einzigartig ist. Die Erlebniswelt Loisium Kellerwelt kann im Sinne der Terminologie nach Meinicke (2003) zum Bereich der touristischen Erlebniswelten gezählt werden. Inhaltlich erfüllt sie auch einen Bildungsauftrag, wie er für die Kategorie der Erlebniswelten der öffentlichen Hand typisch ist. Da die Loisium Kellerwelt9 jedoch privatwirtschaftlich betrieben wird, ergibt sich die Einteilung dieser KulturErlebniswelt in die Kategorie der touristischen Erlebniswelten. Die Vermittlung des Kulturguts Wein erfolgt im Rahmen einer „Weinreise“. Thematisch beginnt diese Reise im oberirdisch angelegten Besucherzentrum. Dieses wurde vom amerikanischen Stararchitekten Steven Holl geplant. Davon ausgehend betritt man durch ein weithin sichtbares Tor die unterirdische KellerErlebnis-Welt. Rund 12 Stationen umfasst die interaktive, fast einen Kilometer lange Entdeckungsreise. Multimedial werden die Sinne der Besucher angesprochen und es werden sowohl Informationen über die historische Entwicklung des Weins als auch über die aktuellen Trends im Weinbau vermittelt. Im ersten Jahr konnte eine Besucherzahl von 90.000 Besuchern erreicht werden, was der Planung der Verantwortlichen entspricht10. Die Geschlechterverteilung der Besucher ist ausgewogen, den Schwerpunkt der Besucher (65%) bilden Gäste aus Wien und Niederösterreich. 90% der Besucher kommen aus dem Inland, 10% aus dem Ausland (Tendenz steigend). Nach einjährigem Bestehen wurden im Sinne eines aktiven Lebenszyklus-Managements einer touristischen Attraktion auch bereits Nachjustierungen in Bezug auf die inhaltliche sowie die organisatorische Gestaltung vorgenommen. So wurde die sinnliche Stimulierung der Besucher durch mehr Dekorationen gefördert. Weiters wurden verstärkt Führungen, nachträglich Audioguides und detailreichere Beschriftungen eingeführt, alternierende
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Alle hier dargestellten Informationen beziehen sich auf Quellen wie Presseaussendungen der Loisium Kellerwelt, Gespräche mit Verantwortlichen des Unternehmens sowie auf die Online-Präsenz unter www.loisium.at, Stand 16.11.2004. 9 s. dazu Pressetexte Loisium 2003, 2004 (www.loisium.at, Stand 16.11.2004), wobei hier anzumerken ist, dass das Projekt durch Mittel der Regionalförderung des Landes Niederösterreich sowie EU-Fördermitteln unterstützt wurde. Aufgrund der überwiegenden Charakterisierungsmerkmale, die eine Einteilung in die Art der touristischen Erlebniswelten nahe legt, wird von der Autorin jedoch an dieser Kategorisierung festgehalten. 10 Hier ist anzumerken, dass der Tourismus der Region einer saisonalen Abhängigkeit unterworfen ist (Dezember, Januar und Februar sind sehr besucherschwache Monate).
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Ausstellungen werden geplant, das Sortiment im dazugehörigen Shop wurde erweitert sowie ein wechselndes Sortiment der Vinothek festgesetzt. Aus Sicht der Betreibergesellschaft des Loisium verläuft der Betrieb nach einem Jahr höchst zufriedenstellend, das Konzept der Erlebniswelt Loisium Kellerwelt – Weinvisionen Langenlois ist erfolgreich gestartet. Swarovski Kristallwelten Die Swarovski Kristallwelten11 wurden anlässlich des 100jährigen Unternehmensjubiläums der Firma Swarovski im Jahr 1995 eröffnet. Sie gehen über die Präsentation des Produktes Kristall weit hinaus. Die außergewöhnlichen Räumlichkeiten, in welchen die magische Welt des Kristalls mit allen Sinnen erlebbar gemacht wird, sind oftmals Schauplatz zahlreiche kulturelle Veranstaltungen wie z.B. Lesungen und Konzerte. Der USP (Unique Selling Proposition) der Swarovski Kristallwelten ist klar in der Einzigartigkeit und Faszination des Produktes Kristall zu sehen. Diese Einzigartigkeit des Produktes der Firma Swarovski in Verbindung mit einem auf Tourismus ausgerichteten Marketingkonzept führt zu Besucherzahlen von rund 700.000 Personen pro Jahr. Das Verhältnis von Gruppen und Individualreisenden ist ausgewogen (50:50), hauptsächlich kommen die Besucher aus Österreich, Deutschland und Italien, aber auch verstärkt aus Asien, da der Bekanntheitsgrad von Swarovski in diesen Ländern sehr hoch ist. Saisonale Schwankungen in den Besucherzahlen werden versucht durch zusätzliche kulturelle Veranstaltungen im Winter auszugleichen. Die außergewöhnlichen Räumlichkeiten der Kristallwelt werden auch gerne von Externen als exklusiver Veranstaltungsort angemietet. Die Kristallwelten stehen auch für die Wandlung des Unternehmens Swarovski von einer reinen B2B (Business to Business) über eine B2C (Business to Consumer) hin zu einer C2C Orientierung („Culture to Consumer“) - eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Interpretation dieser Abkürzung, die jedoch – ganz im Sinne der Erlebnisphilosophie – Aufmerksamkeit erregt. Forschung und Entwicklung hat in der Firma Swarovski einen hohen Stellenwert. Diese dynamische, innovative Ausrichtung spiegelt sich im Zugang, das „Instrument“ einer Marken-Erlebniswelt als erfolgreiche Unternehmenskommunikation einzusetzen, wider. Zum Erfolg trägt selbstverständlich auch der vorhandene Shop bei, in welchem alle aktuellen Produkte aus Swarovski Kristall sowie die Präzisionsgeräte der Swarovski Optik angeboten werden.
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Quellen dieser hier dargestellten Inhalte sind sowohl Gespräche als auch schriftliche Informationen der Verantwortlichen des Unternehmens sowie die Online-Präsenz unter www.swarovski.com, Stand 16.11.2004.
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Ende 2003 konnte mit einem Investitionsvolumen von 15 Mio. Euro eine Erweiterung der Kristall-Erlebniswelt auf die doppelte Fläche realisiert werden. Neben der Intensivierung der thematischen Umsetzung der neuen Erlebniskomponenten wurde auch die Gastronomie neu konzipiert um der Forderung nach Einheit von Form und Inhalt noch besser gerecht zu werden. Haus der Musik Klangmuseum Das Haus der Musik12 wurde am 16. Juni 2000 eröffnet. Es ist an der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kulturellen Lebens orientiert. Es setzt sich zum Ziel, in einer internationalen Ausrichtung die Kenntnis von Musik zu mehren und deren Verständnis und Wertschöpfung zu fördern. Ganz im Sinne einer klassischen Erlebnisorientierung, wie im konzeptionellen Teil dieses Beitrags dargestellt, wird die Konzeption des Haus der Musik von drei Säulen getragen: Edutainment, Infotainment und Entertainment. Tradition und Innovation werden sinnvoll verbunden und ergeben eine zeitgemäße Präsentation. Das Haus der Musik erfüllt unumstritten einen kulturellen Bildungsauftrag. Ursprünglich privatwirtschaftlich organisiert, wurde das Haus der Musik mit 15. Januar 2005 von der Wien Holding GmbH übernommen13, welche sich im Besitz der Gemeinde Wien befindet. Folglich ist das Haus der Musik im Sinne der Terminologie nach Meinicke (2003) in den Bereich der Erlebniswelten der öffentlichen Hand einzuordnen. In sieben Erlebnisbereichen wird Musik hör-, sicht- und spürbar gemacht. Das Kulturgut Musik, mit spezifischem Augenmerk auf seinen besonderen Stellenwert in Österreich, wird im Haus der Musik zu einem Erlebnis. Der USP des Haus der Musik besteht darin, in Österreich sowie darüber hinaus das einzige Museum zum Thema Musik zu sein, welches sich zeitgemäß mit der Thematik auseinander setzt. Dies erfolgt sowohl wissenschaftlich fundiert als auch spielerisch und teilweise mittels High-Tech-Installationen. Eine großzügige Regelung der Öffnungszeiten (täglich von 10 – 22 Uhr) unterstreicht diese Besonderheit. Die Besucherzahl pro Jahr beläuft sich auf ca. 170.000 Personen (Tendenz steigend). Daten aus dem Jahr 2003 folgend ist das Verhältnis nationaler und internationaler Besucher ausgewogen (50:50), ca. ein Drittel der Gesamtbesucherzahl entfällt auf SchülerInnen. Als Zweck des Besuches konnten u.a. Kriterien wie Musikinteresse, Bildungsreise und Kulturtourismus ermittelt werden.
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Quellen dieser hier dargestellten Inhalte sind sowohl Gespräche als auch schriftliche Informationen der Verantwortlichen des Unternehmens sowie die Online-Präsenz unter www.hdm.at, Stand 16.11.2004. 13 Bericht Der Standard, 15.01.2005, S. 33
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Schlussbetrachtung und Ausblick Der wachsende Trend hin zur Erlebnisorientierung der Gesellschaft, welche in einen Großteil der Bereiche des Alltags bereits Einzug gehalten hat bzw. in naher Zukunft Einzug halten wird, bietet eine Vielzahl neuer, innovativer Ansätze für das Marketing. Den Anbieter stellt diese Entwicklung aber auch gleichzeitig vor zusätzliche Herausforderungen. Erlebniswelten sind zum einen Ergebnisse zum anderen jedoch auch Motor dieser Entwicklungen. Der Versuch, durch Interaktion und Emotion Wissen sowie Werte zu transportieren, ist besonders für ein Kulturangebot eine gute Möglichkeit, dem Besucher die kulturellen Inhalte zu vermitteln. Unter Kulturangebot ist an dieser Stelle nicht nur ein Phänomen klassischer „Hochkultur“ zu verstehen. Im Grunde kann für jedes Produkt ein kultureller Rahmen formuliert werden, der die Geschichte des Produktes ebenso umfasst wie Produktions- und Konsumationsbedingungen. Kulturmarketing wird damit im Extremfall vom Gegenstandsbereich zum Marketinginstrument. Erlebniswelten wiederum sind ein zeitgemäßes, geeignetes Instrument, Kultur zu vermitteln. Die in diesem Beitrag dargestellten Erlebniswelten Loisium Kellerwelt, Swarovski Kristallwelten und das Haus der Musik sind als exemplarische Erfolgsbeispiele dafür zu sehen. Sowohl in der Marketingforschung als auch der Marketingpraxis werden die Begriffe Erlebnis und Erlebniswelt sicherlich auch in Zukunft weiterhin eine zentrale Thematik bleiben, nach der Devise, welche bereits im 18. Jahrhundert von Jean-Jacques Rousseau vertreten wurde und seitdem ein beliebtes Zitat in Zusammenhang mit Event- und Erlebnismarketing geworden ist: „Nicht wer am ältesten wird, hat am längsten gelebt, sondern wer am stärksten erlebt hat. Mancher wird mit hundert Jahren begraben, der bei seiner Geburt gestorben war“ (Rousseau 1762 zitiert nach Opaschowski 1998).
Literatur Ayen H (2002) Marketing für Theaterbetriebe. Praxishandbuch für Kulturmanager. Luchterhand, Neuwied Bachleitner R (1998) Erlebniswelten: Faszinationskraft, gesellschaftliche Bedingungen, Effekte. In: Rieder M, Bachleitner R, Kagelmann H J (Hrsg) ErlebnisWelten. Zur Kommerzialisierung der Emotionen in touristischen Räumen und Landschaft. Profil Verlag, München Wien, 43-57 Bartsch O (2004) Das Wunder von Bilbao. Lebendige Stadt 8: 34-35 Bock S (2002) Marketing in der Soziokultur und Bildungsarbeit. In: Klein A (Hrsg.) Innovatives Kulturmarketing. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 241-258 Colbert F (2002) Marketing und Konsumentenverhalten im Bereich Kunst. In: Klein A (Hrsg.) Innovatives Kulturmarketing. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 40-53
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Feldmann B (2002) Modernes Opernmarketing am Beispiel der Bayrischen Staatsoper. In: Klein A (Hrsg.) Innovatives Kulturmarketing. Nomos Verlagsgesellschaft, BadenBaden, 54-59 Goronzy F (2004) Erlebniszoos: das Tier als Erlebnis. In: Kaglemann H J, Bachleitner R, Rieder M (Hg) Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne. Profil Verlag, München Wien, 29-38 Grötsch K (2001) Psychologische Aspekte von Erlebniswelten. In: Hinterhuber H H, Pechlaner H, Matzler K (Hrsg) Industrie Erlebnis Welten. Vom Standort zur Destination. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 69-82 Kagelmann H J (1998) Grundlegende Bemerkungen zum organisierten Vergnügen. In: Rieder M, Bachleitner R, Kagelmann H J (Hrsg) Erlebniswelten. Zur Kommerzialisierung der Emotionen in touristischen Räumen und Landschaften. Profil Verlag, München Wien: 58–94 Kagelmann H J (2004) Themenparks. In: Kagelmann H J, Bachleitner R, Rieder M (Hrsg) Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne. Profil Verlag, München Wien, 160-180 Klein A (2001) Kultur-Marketing. Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München Klein A (2002) Innovatives Kulturmarketing. In: Klein A (Hrsg.) Innovatives Kulturmarketing. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 11-20 Klein A (2003) Besucherbindung im Kulturbetrieb. Ein Handbuch. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden Kroeber-Riel W (1984) Konsumentenverhalten. Vahlen, München Meinicke B (2003) Erlebniswelten als Instrument der Kundenbindung. Neue Wege in der deutschen Automobilindustrie. Dissertation, GeoAnwenderzentrum Universität Augsburg, Augsburg Müller W (2001) Erlebnismarkt und Menschenbild. Rahmenbedingungen von Erlebnismärkten und Konsequenzen für die Führungskultur in Unternehmen. Berneux, Düsseldorf Nickel O (1998a) Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen erfolgreicher Marketingevents. In: Nickel O (Hrsg) Eventmarketing. Grundlagen und Erfolgsbeispiele. Vahlen, München, 121-148 Nickel O (1998b) Zukünftige Professionalisierungspotentiale beim Eventmarketing. In: Nickel O (Hrsg) Eventmarketing. Grundlagen und Erfolgsbeispiele. Vahlen, München, 281-302 Opaschowski HW (1998) Vom Versorgungs- zum Erlebniskonsum. Die Folgen des Wertewandels. In: Nickel O (Hrsg) Eventmarketing. Grundlagen und Erfolgsbeispiele. Vahlen, München, 25-38 Opaschowski HW (2000) Erlebniswelten im Zeitalter der Eventkultur. Kathedralen des 21. Jahrhunderts. B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut, Hamburg Penz O, Rösch S (2004) Misserfolge und Scheitern von Erlebniswelten. In: Kagelmann HJ, Bachleitner R, Rieder M (Hrsg) Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne. Profil Verlag, München Wien, 39–46 Roth G (1994) Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp, Frankfurt am Main Scheuch F (1998) Sectoral Marketing Decisions as a Field of Research. Der Markt 37/145: 59-67 Scheuch F (2002) Dienstleistungsmarketing. Vahlen, München
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Scheuch F (2003a) Marketing für Regionen. Der Markt 42/164: 45 - 57 Scheuch F (2003b) Eventmarketing. Der Markt 42/165: 89 - 101 Schmutz T (2002) Erst die Pflicht und dann die Kür: Marketing im Musikbetrieb. In: Klein A (Hrsg) Innovatives Kulturmarketing. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 195-208 Steinecke A (2001) Industrieerlebniswelten zwischen Heritage und Markt: Konzepte – Modelle – Trends. In: Hinterhuber H H, Pechlaner H, Matzler K (Hrsg) Industrie Erlebnis Welten. Vom Standort zur Destination. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 85–101 Terlutter R (2000) Lebensstilorientiertes Kulturmarketing. Besucherorientierung bei Ausstellungen und Museen. Gabler, Wiesbaden Thunig C (2004) Marken-Erlebnis - warum sich Themenparks rechnen. Absatzwirtschaft 3: 26-33 Vester H G (2004) Das Erlebnis begreifen. Überlegungen zum Erlebnisbegriff. In: Kagelmann H J, Bachleitner R, Rieder M (Hrsg) Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne. Profil Verlag, München Wien, 9–15 Zarem JE (2000) Experience Marketing. Folio: The Magazine for Magazine Management Fall: 28-32
Codico: Mit Fokussierung und Kundennähe zum Erfolg in der Distribution von elektronischen Bauelementen Heinrich Hawlik und Sven Krumpel Codico Ges.m.b.H. & Co. KG, Perchtoldsdorf
Einleitung Die Firma Codico ist ein mittelständischer Distributor von elektronischen Bauelementen mit Sitz in Perchtoldsdorf bei Wien. Dem Unternehmen ist es gelungen, sich unter schwierigen Branchenbedingungen zu behaupten und seine Marktposition im relevanten Markt auszubauen. Dies ist vor allem auf eine vorausschauende Internationalisierung, die konsequente Konzentration auf attraktive Marktsegmente und eine umfassende Kunden- und Wertorientierung zurückzuführen. Der folgende Beitrag beginnt mit einem Überblick über die Produkte und die aktuelle Struktur des elektronischen Bauelementemarktes. Dann folgt ein Kurzprofil von Codico. Die Darstellung der Branchenstruktur und der Lieferkette soll einen Einblick in das Beziehungsgeflecht der Branchenteilnehmer geben und die Position des Distributors in der Lieferkette verdeutlichen. Aktuelle Diskussionsthemen in der Komponentenhersteller-Distributor-Beziehung ergänzen die Branchendarstellung. Abschließend werden die Eckpfeiler der Unternehmens- und Marketingstrategie von Codico erläutert.
Elektronische Bauelemente und Marktüberblick Als elektronische Bauelemente (auch Komponenten genannt) bezeichnet man all jene Teile, die in einem elektronischen Gerät enthalten sind. Es sind dies aktive, passive und elektro-mechanische Bauelemente und Trägerplatten („Leiterplatte“), auf denen diese Bauelemente montiert sind. Gehäuse, Bedienfelder, Displays oder Flachbildschirme usw. zählen in dieser Abhandlung nicht zu den elektronischen Bauelementen. Aktive Bauelemente sind: Computer Chips, Speicherbausteine und optoelektronische Anzeigeelemente und Displays. Passive Bauelemente haben die Eigenschaft, dass sie elektrische Energie entweder in Wärme umwandeln, speichern o-
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der übertragen. Sie sind daran erkennbar, dass ohne ein Anlegen einer elektrischen Spannung an diese Bauelemente kein elektrischer Strom in ihnen fließt. Wichtige passive Bauelemente der Elektrotechnik sind der Widerstand, der Kondensator, die Spule und der Transformator. Steckverbinder und Kabelkonfektionen findet man überall, wo elektrische Energie fließt oder Signale - auch in Form von Lichtwellen - übertragen werden. Steckverbinder sind Schnittstellen. Sie ermöglichen eine rationelle Montage von Baugruppen zu kompletten Geräten bzw. die Zusammenstellung von Geräten zu Systemen und Netzen. Steckverbinder werden in der gesamten Industrieelektronik, Telekommunikation, Medizin- und Datentechnik, in Kraftfahrzeugen, in der Unterhaltungselektronik und in Haushaltsgeräten eingesetzt. Der weltweite elektronische Bauelementemarkt wird für 2005 auf knapp US-$ 500 Mrd. geschätzt. Dabei ist folgende Verteilung nach Produktgruppen und regionalen Absatzmärkten zu erkennen. Verteilung nach Produktgruppen: x x x x
Aktive Bauelemente ca. 75 % Passive Bauelemente ca. 7 % Elektromechanische Bauelemente ca. 8 % Leiterplatten ca. 10 %
Die größte Einzelkategorie innerhalb der elektronischen Bauteile sind mit einem 50% Anteil am Gesamtmarkt die integrierten Schaltkreise (IC = Integrated Circuits). Sie zählen zu den aktiven Bauelementen und machen daher ca. 2/3 der aktiven Bauelemente aus. Verteilung nach Absatzmärkten: x x x x
USA ca. 29 % Europa ca. 20 % Japan ca. 20 % Restlicher asiatisch-pazifischer Raum ca. 31 %
Die USA hatten lange Zeit die Position des größten Bauelemente-Verbrauchers inne. Der rasante wirtschaftliche Aufschwung Chinas und der asiatischen „TigerStaaten“ hat zu einer Verlagerung des Hauptabsatzmarktes in den asiatischpazifischen Raum geführt. Der europäische Markt hat eine absolute Größe von etwa US-$ 100 Mrd. wobei dieser Anteil durch weitere Fertigungsverlagerungen in außereuropäische Niedriglohnländer abnehmen wird. Der deutsche Bauelementemarkt ist der größte und damit der wichtigste Regionalmarkt in Europa. Nach einem maximalen Anteil von etwa 30 % sank der deutsche Anteil am europäischen Volumen ab und wird 2005 etwa 23% betragen. In absoluter Zahl sind das etwa US-$ 23 Mrd. Der österreichische Markt hat eine Größe von ungefähr 5 % des deutschen Marktes (ca. US-$ 1 Mrd.).
Fokussierung und Kundennähe in der Distribution von elektron. Bauelementen
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Das Unternehmen Codico Codico wurde Ende 1977 gegründet. Die beiden Gründer hatten vorher schon jahrelang in der Branche der elektronischen Bauelemente gearbeitet, wollten aber unabhängig sein, was zur Gründung von Codico führte. Der Vertrieb von elektronischen Bauelementen war in den 1980er Jahren in Österreich noch eher ein Agenturgeschäft. Erst gegen Ende der 1980er Jahre begann sich dieses Agenturgeschäft in ein Handelsgeschäft umzuwandeln, weil die Kundschaft frei Haus beliefert werden wollte, um sich die komplizierte, langwierige und daher auch kostenintensive Einfuhrabwicklung bei Warenimporten zu ersparen. Im Jahr 1980 erwirtschaftete Codico einen Umsatz in der Höhe von knapp 1 Mio €, davon ca. 75 % in Österreich und ca. 25 % in den benachbarten sozialistischen Ländern. Firmen mit großen Namen, die zum Teil heute nicht mehr existieren, wie Eumig oder Minerva gehörten damals zur Kundschaft. Etwa Mitte der 1990er Jahre kam Codico zur Überzeugung, dass die klassische funktionale Gliederung der Organisation nach Einkauf, Administration und Verkauf nicht mehr den Marktanforderungen entsprach. Es wurde eine Divisionalisierung nach den Hauptgruppen bei den elektronischen Bauteilen in Aktive Bauelemente, Passive Bauelemente und Verbindungstechnik vorgenommen. Mit dieser Reorganisation schaffte Codico eine Organisationsform synchron zu der ihrer wesentlichsten Abnehmer, die ihre Einkaufs- und teilweise auch Entwicklungsabteilungen produktorientiert gliedern. Diese Organisationsstruktur hat sich sehr bewährt, weil sie unter anderem auch den Erfordernissen nach zunehmendem Fachwissen der Verkaufsmitarbeiter entsprach. Die Wende in den sozialistischen Nachbarländern brachte 1989/1990 einen Einschnitt in der Unternehmensentwicklung. Bisher wesentliche Abnehmer und Produktionsfirmen im RGW-Raum begannen an Bedeutung zu verlieren, gleichzeitig fehlte noch eine auf privatem Kapital aufgebaute Industrie. Heute weisen die ehemals sozialistischen Länder die gleichen Marktstrukturen wie die „westlichen“ Länder auf und haben den Transformationsprozess von einer Zentralverwaltungswirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft mehr oder weniger abgeschlossen. Für Codico stellte dies eine zusätzliche Herausforderung dar, weil anstelle der ehemals wenigen staatlichen Importfirmen nun eine Vielzahl von neuen Kunden zu betreuen war. Unklare Finanzverhältnisse auf Kundenseite verschärften die Absatzsituation in der frühen Transformationsphase. Codico nutzte seine Pionierposition in den Reformstaaten Mittelosteuropas aus um die Marktposition zu stärken. Heute ist Codico mit Tochtergesellschaften und Kooperationen in zehn Ländern der Region präsent. Nach dem Ausbau der Marktposition in Mittelosteuropa wagte man Ende der 1990er Jahre den Eintritt in den deutschen Markt, dem wichtigsten Ländermarkt in Europa. Dies war rückblickend gesehen eine strategisch wichtige und richtige Entscheidung, wenngleich der Start nicht leicht war. Deutschland wird immer wieder als Exportkaiser tituliert. Dies hat u.a. seinen Grund in der
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ausgeprägten Qualitätsorientierung, wofür deutsche Produkte weltweit geschätzt werden. Diese Qualität wiederum beruht auf einem enorm vorsichtigen Entwicklungs- und Einkaufsverhalten, verbunden mit strikten Qualitätssicherungssystemen, die von einem Newcomer einen langen Atem abverlangen, da es Jahre dauern kann, bevor es zu einer wesentlichen Beauftragung kommt. Heute erzielt Codico mit 70 Mitarbeitern einen Umsatz von € 42,7 Mio. Je ein Drittel stammt aus Deutschland, Österreich und dem mittelosteuropäischen Raum. Die Kunden sind heute hauptsächlich in den Bereichen Industrieelektronik, KfzElektronik, Datentechnik und Telekommunikation zu finden. Die Unterhaltungselektronik spielt – wie in Europa im Allgemeinen – keine Rolle mehr. Die wesentlichen Lieferanten von Codico stammen aus den USA, Deutschland, Italien, Japan und Taiwan. Sie produzieren in vielen Fällen an mehreren Standorten weltweit.
Branchenstruktur und Lieferkette Die folgende Grafik (Abb.1) gibt einen Überblick über die Branchenteilnehmer und die Lieferkette im Markt für elektronische Bauelemente. Sie stellt die Marktstruktur in Großbritannien im Jahr 2003 dar, die repräsentativ für die Distributionssysteme in Westeuropa und Nordamerika ist. Die Zahl der Marktteilnehmer, die Größe des Marktes und der prozentuelle Anteil am wertmäßigen Umsatz in den einzelnen Distributionskanälen mag in den verschiedenen Ländermärkten variieren, doch die distributive Struktur ist auf allen Märkten ähnlich. Im Folgenden werden vier Gruppen von Marktteilnehmern näher beschrieben. Der Bauelementehersteller Diese Kategorie von Unternehmen hat in den letzten Jahren besonders unter dem Markteinbruch gelitten. Die Komponentenhersteller beliefern die kleine Gruppe jener Kunden (Key Accounts unter den OEMs und EMSs), auf die der Großteil der Umsätze entfällt, direkt und überlassen das übrige Geschäft den unabhängigen Distributoren. Der europäische Bauelementehersteller sucht ständig nach Wegen, um den Absatz an seine wichtigsten Kunden zu sichern. Dazu zählt primär ein günstiger Verkaufspreis, der wiederum nur durch günstige Löhne in der Fertigung erreicht werden kann. Dies wird in der Zukunft zu weiteren Rückgängen bei der Belegschaft in den europäischen Werken und Niederlassungen der Bauelementehersteller führen.
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Components market
Electronic Manufacturing Services (EMS)
Original Equipment Manufacturers (OEM) (End Customers)
EMS Market = € 2.9 bn.
20,000 buying points for electronic components in over 8000 companies
Components Market Distribution Market = € 5.5 bn. = € 1.7 bn. 2500 Suppliers
500 Franchised Distributors
250 EMS firms
Component maker supplies direct to OEM 65% of sales by value
Component maker to EMS
33% of sales Component Maker/Supplier
24% of distributors sales
Franchised Distributor
4% of distr. sales
Electronic Manufacturing Services
Distributor supplies to OEM 72% of their sales
Other Resale outlets 2% of sales
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Communications (Phone/Fax, Data exchange..) I.T. (Computers & Peripherals) Data Processing (Office, Shop & Acct. Equip.) Consumer Elec‘s (Brown & White Goods) Industrial (Medical, Security, Lighting...) Automotive (Instruments, Control & Alarm) Military & Aero (Radio/Radar, Nav.., Space…) Over 95% of OEM accounts (by number) are served only by distributors
Abb. 1. Lieferkette für elektronische Bauelemente in Großbritannien im Jahr 2003 (Quelle: Europartners)
Üblicherweise entfallen zwischen 25% und 45% der Umsätze der Bauelementehersteller auf die unabhängigen Distributoren. In den letzten Jahren ist der prozentuelle Anteil der durch die Distribution geschleusten Erzeugnisse deutlich gestiegen, womit die Bedeutung des unabhängigen Distributionskanals gewachsen ist. Die Bauelementehersteller bieten technische Unterstützung, Design-In sowie Verkaufsförderungsunterstützung an, wobei diese Leistungen Werbung, technische Seminare, Unterstützung beim Außenengineering, internetgestützte Unterstützung usw. beinhalten. Der Franchised-Distributor und andere Einzelhändler Der Großteil der Kunden auf den wesentlichen Märkten der Welt wird von Franchised-Distributoren, d.s. Distributoren, die mit Komponentenherstellern Ver-
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triebsverträge für die entsprechenden Absatzmärkte abgeschlossen haben, versorgt. Diese Gruppe gewinnt zunehmend an Bedeutung, da die Komponentenhersteller immer stärker dazu übergehen, große Kunden nicht mehr direkt zu beliefern, sondern sie an die Franchised-Distributoren abzugeben. Es gibt jedoch immer noch zahlreiche Distributoren, Bausatz-Bereitsteller (Kitter), Lieferanten auf dem Graumarkt und Repräsentanten, die keine Franchisepartner sind. Auf dem europäischen Markt ist ihr Absatzanteil im Vergleich zu den Franchised-Distributoren eher gering. Da jedoch weiterhin Lieferungen nicht mehr gängiger oder schwierig zu beschaffender Produkte mit kurzer Vorlaufzeit benötigt werden, hat dieser Sektor seinen Anteil am Gesamtmarkt halten können. Die Verfügbarkeit internetgestützter Dienste hat es ermöglicht, neue Distributionsvarianten einzuführen, um diese Bedürfnisse des Markts zu erfüllen. Dazu zählen beispielsweise Trader, die Lagerüberbestände aufkaufen und anschließend weiterverkaufen und Distributoren, die sich ausschließlich auf aufgekündigte und daher nicht mehr direkt bei Herstellern verfügbaren Komponenten konzentrieren. Electronic Manufacturing Services (EMS) Die Abwanderung großer Electronic Manufacturing Services-Unternehmen, auch „Bestücker“ genannt, aus Westeuropa nach Osteuropa, China und Mexiko ist mittlerweile fast abgeschlossen. Die bekanntesten weltweit tätigen Gruppen wie Solectron und Flextronics haben mittlerweile fast keine nennenswerten Produktionsstandorte mehr in Europa oder Nordamerika. Dennoch verfügen die EMSUnternehmen weiterhin über große und wachsende Infrastrukturen in diesen Regionen, und diese Unternehmen werden möglicherweise Hand in Hand mit den lokalen Markenherstellern (OEM) die Erholung in Europa und den USA vorantreiben. Markenhersteller, Gerätehersteller (Original Equipment Manufacturers - OEM) Die Orginial Equipment Manufacturers stellen die Endkunden in der Lieferkette dar und sind in allen Branchen zu finden, in denen elektronische Bauteile als Komponenten in deren (Marken-)Produkte eingehen. Die wesentlichen Branchen sind die Kommunikations- und Informationstechnik, Konsumgüter, Industrieelektronik, der Automobilbereich sowie militärische Anwendungen und die Luft- und Raumfahrt. Diese Markenhersteller produzieren mittlerweile immer weniger selbst und vergeben einen Großteil ihrer Produktion an Subauftragnehmer (Bestücker, EMS). Dennoch stellt der OEM-Kanal weiterhin ein wichtiges Abnehmersegment sowohl für die Komponentenhersteller als auch für die FranchiseDistributoren dar. Das von den Distributoren in Nordamerika und Europa verwendete Geschäftsmodell hat sich kaum geändert.
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Aktuelle Spannungsfelder in der Beziehung zwischen Bauteilhersteller und Distributor Hersteller von Bauelementen nutzen den indirekten Absatzkanal, um eine bessere Marktabdeckung zu erreichen sowie aus Kostengründen. Mit Hilfe der Distributoren lassen sich auch Produkthersteller mit kleinerem Bestellvolumen effizient erreichen. Obwohl dieser Grundsatz u.E. auch unter den sich ständig ändernden Marktbedingungen weiterhin Gültigkeit hat, überprüfen die Komponentenhersteller ständig ihre Distributionsstrategien unter dem Aspekt der Wirksamkeit und Effizienz. Franchise-Distributoren können in diesem System nur dann erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, dem Komponentenhersteller ihren Wertbeitrag in der Vermarktung seiner Produkte klar zu machen. Es ist nur verständlich, dass Hersteller und Distributor zu manchen Fragen unterschiedliche Ansichten vertreten. Im Folgenden werden einige dieser „Meinungsverschiedenheiten“, die die aktuelle Diskussion prägen, kurz vorgestellt. Design-In Beim Design-In handelt es sich um eine Dienstleistung von Distributoren in der Entwicklungs-(Design-)phase neuer Produkte, in der Distributoren versuchen, Bauteile von Herstellern, die sie vertreten, in Geräte-Prototypen zu „platzieren“. Design-In setzt ein sehr hohes Maß an technischem Wissen über die technischen Möglichkeiten von Komponenten voraus. Viele Hersteller glauben, dass einige Großdistributoren zu keinem wirksamen Design-In imstande sind. Besonders deutlich tritt dieses Problem bei Herstellern von Erzeugnissen mit geringerem Wert oder bei kleineren Herstellern zutage, die den Eindruck haben, keine ausreichende Aufmerksamkeit seitens der Verkäufer und Außendienstingenieure des Distributors zu erhalten. Die Distributoren ihrerseits sind der Meinung, dass die Hersteller sie nicht mit einer ausreichenden Bruttomarge für ihre Design-InBemühungen belohnen. Die Design-Arbeit des Distributors findet immer weniger Anerkennung, was aus der Abwanderung der Produktion entweder direkt oder über den EMS-Kanal ins Ausland resultiert. Diese Frage wird im Abschnitt über die Design-Win-Registrierung eingehender behandelt. Lagerbestände Der Einbruch des Markts im Jahr 2001 führte dazu, dass den Distributoren beträchtliche Bestände in den Lagern blieben und es ihnen schwer fiel, eine angemessene Umschlagsrate zu erzielen. Obwohl das Problem der durch den Marktabschwung verursachten überschüssigen Lagerbestände mittlerweile gelöst worden ist, wird dem optimalen Lagerbestand weiterhin große Aufmerksamkeit geschenkt, da die Distributoren eine Wiederholung dieser Situation befürchten. Dazu kommt, dass die Distribution gezwungen ist, mehr und mehr Bestände für bestimmte Kunden zu „reservieren“. Dies hat bewirkt, dass die für alle Kunden frei verfügbaren Lagerbestände zurückgegangen sind und dass die Hersteller mit mehr „Kompensationsaufträgen“, d.s. Aufträge, die aus Versorgungssicherungsgründen
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bei mehreren Herstellern gleichzeitig platziert werden, konfrontiert werden. Die Hersteller reagieren darauf, indem sie den Distributoren Anreize geben, Lagerbestände anzulegen, bei denen es sich in deren Augen um „überschüssige“ Bestände handelt. Lagerbestände, die der Marketingleiter des Herstellers als Aktivposten im Sinne einer raschen Kundenbelieferung betrachtet, stellen in den Augen des Finanzchefs des Distributors eine Belastung dar. Das letzte Wort in dieser Debatte hat sicherlich das Management des Distributors, das in einer strengen Bestandskontrolle der Schlüssel zum Erfolg eines Distributionsunternehmens sieht. Globale Distributoren Die Globalisierung der gesamten Lieferkette im Elektroniksektor hatte entscheidenden Einfluss auf die Märkte für elektronische Bauelemente. Die großen Distributionsgruppen wie Arrow, Avnet oder Future haben sich dem Trend angeschlossen und globale Organisationen gebildet, die in der Lage sind, die Produkte in praktisch jedes Land der Welt zu liefern. Diese Distributionsgruppen suchen weiter nach Möglichkeiten zur Erweiterung ihrer Dienstleistungen, die das zentrale Geschäft der Komponentendistribution ergänzen. Allerdings hat die mangelnde Rentabilität alle großen Gruppen dazu bewogen, nach Wegen zu suchen, die Kosten dieser wertschaffenden Dienstleistungen auf die Kunden umzulegen. Doch trotz des Vorhabens der großen Distributoren, die wertschöpfenden Dienstleistungen in Rechnung zu stellen, haben sie unter dem Druck der schlechten Marktbedingungen in den vergangenen drei Jahren diesbezüglich wenig erreicht. Die Dienstleistungen sind in den Preis eingeflossen, da die Distributoren ebenso wie die Hersteller versuchen, den Preisverfall zu bremsen. Doch bei einer Erholung des Markts werden die Distributoren versuchen, sich in Form von Gebühren auf diese Dienstleistungen für die erhöhte Wertschöpfung entschädigen zu lassen. Globale Preisgestaltung Obwohl die dazu benötigten Werkzeuge seit einigen Jahren vorhanden sind, geht der Markt nur langsam zu globalen Preisvereinbarungen über. Dafür gibt es mehrere Gründe: x Erstens sinkt die Zahl der großen Montagestandorte, die in der Lage sind, globale Strategien zu verfolgen. Der Grund dafür ist die durch den Zusammenbruch des Markts in den Jahren 2001/2002 verursachte stetige Umstrukturierung der EMS- und OEM-Produktionseinheiten. x Zweitens üben die Komponentenabnehmer kaum Druck zur Verfolgung globaler Strategien aus. Während ein Unternehmen bestrebt sein mag, die Tätigkeit all seiner Werke zu koordinieren, herrscht insbesondere in Schwächephasen des Marktes ein intensiver interner Wettbewerb um Produktionsaufträge zwischen den Werken. Ein voll ausgelastetes Werk ist die wichtigste Voraussetzung für die Maximierung der Gewinne, weshalb in großen Unternehmen, in denen die Produktionskosten genau gesteuert und überwacht werden können, die Beschaffung ein Schlüsselelement der Wettbewerbsfähigkeit darstellt. Die lokale Be-
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schaffung wird aber stets nach einem Geschäft suchen, das „besser als jenes ist, das die Beschaffungsabteilung in der Zentrale abschließen kann“. Da sich die Bauelementehersteller dieses Konflikts bewusst sind, bieten sie die besten Preise nicht auf globaler Ebene an, um ihren lokalen Verkaufsabteilungen Verhandlungsspielraum zu geben. x Drittens verlieren jährlich oder sogar halbjährlich ausgehandelte globale Vereinbarungen auf einem Markt, auf dem sich die Materialpreise rasch ändern, laufend ihre Gültigkeit, weshalb eine flexible Beschaffung vor Ort oftmals wirtschaftlicher ist. Insbesondere für die EMS-Unternehmen ist die Fähigkeit wichtiger, für verschiedene Standorte im Designstadium die Preise vorauszusagen als die Fähigkeit, einen globalen Preis auszuhandeln. Allerdings wird kaum etwas getan, um diese Fähigkeit zu erwerben. Geschützte Bestände Geschützte Lagerbestände nehmen im Wesentlichen zwei Formen an: Erstens werden die noch im Besitz des Distributors befindlichen Bestände in den Anlagen des Kunden aufbewahrt (hier wird üblicherweise von „Kommissionsbeständen“ gesprochen). Dieses Verfahren wird von den Distributoren nicht begrüßt, da sie ihre Bestände auf diese Art nicht optimal nutzen können. Wenn die OEM diese Methode mit den elektronischen „Ship to line“-Programmen vergleichen, die das gesamte Lager des Distributors nutzen, ziehen sie oft letztere Programme vor, da sie so Zugang zu sehr viel umfassenderen Beständen haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der OEM nicht über eine reguläre Produktion von Standardprodukten verfügt. Zweitens gibt es die „reservierten“ Bestände in den eigenen Lagern des Distributors. Diese Regelung ist häufiger anzutreffen und findet eher die Zustimmung der Distributoren, da die Lagerbestände weiterhin ihrer Kontrolle unterliegen. Wenn der Markt wie in den letzten drei Jahren eine Schwächephase durchmacht, verliert die Frage der „geschützten Bestände“ an Bedeutung, obwohl sie weiter ein Thema ist. Der Grund dafür ist, dass der Endabnehmer erkennt, dass er, wenn er wie in den letzten zwei Jahren „geschützte Bestände“ hat, die an niemand anderen verkauft werden können, auch dann für die für ihn reservierten Bestände verantwortlich ist, wenn der Markt plötzlich einbricht und er die Produkte nicht mehr benötigt. Nutzt er hingegen die Bestände, über die der Distributor verfügt, so übernimmt dieser das Absatzrisiko. Dennoch liegen in den Regalen der Distributoren immer noch große Mengen „geschützter Bestände“. Design-In-Registrierung Unter Design-In-Registrierung (auch Design-Win genannt) versteht man die Meldung des Distributors an den Bauteilehersteller über ein erfolgreiches „Design-In“ bei einem Kunden. Mit dieser Meldung eines „Design-Wins“ werden ab dem Zeitpunkt der Meldung alle weiteren Aktivitäten in Bezug auf das neue Produkt und insbesondere die Lieferung der entsprechenden Komponenten für die Serien-
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fertigung ausschließlich über den Distributor abgewickelt, der sein „Design-In“ an den Komponentenhersteller gemeldet hat. Die Design-In-Registrierung stellt weiterhin ein Problem für die Industrie dar. Die strukturellen Veränderungen, die die Industrie in den letzten Jahren durchlaufen hat, haben die Verfolgung von Design-Wins beträchtlich erschwert. Das Problem ist, dass ein Distributor oder Repräsentant, der Ressourcen in das Design-In investiert, für den Aufwand entlohnt werden muss. Wird er beispielsweise von (s)einem Hersteller nicht für die zusätzliche Anstrengung entlohnt, so wird er seine Engineering-Ressourcen einfach anderswo einsetzen. Die Komponentenhersteller treffen im Allgemeinen Vereinbarungen mit ihren Distributoren, die diesen eine zusätzliche Bruttomarge garantieren, wenn ein Design-In gelingt. Problematisch kann es werden, wenn es darum geht, das Projekt zu verfolgen. In der Vergangenheit war dies einfacher, da die meisten Aufträge aus dem Inland kamen. Mittlerweile ist die Situation sehr viel komplexer, da das Design-In beispielsweise in den USA, die Anlaufphase der Produktion bei einem örtlichen OEM in den USA und die Massenproduktion bei einem EMS-Unternehmen in Taiwan erfolgt, der von einem EMS-Anbieter in Malaysia unterstützt wird. Damit der Distributor seine Kommission für den Design-Win erhalten kann, muss das Projekt vom Komponentenhersteller durch die gesamte Lieferkette verfolgt werden. Dazu kommt, dass ein Distributor, der Ressourcen in einen Design-Win investiert, diesen trotz der Anerkennung seiner Leistung an einen anderen Distributor verlieren kann, wenn dieser eine bessere Beziehung zum Volumenproduzenten hat. Folglich wird der Distributor keine Ressourcen investieren, wenn er nicht für die Anstrengung belohnt wird. Möglicherweise sollte die Industrie nach einer einfacheren Methode suchen, um die Design-In-Leistungen der Distributoren zu honorieren. Es werden mittlerweile mehr Design-Wins anhand der Teilenummer für eine begrenzte Zahl von Herstellern mit kundenspezifischen Designs verfolgt, ein Verfahren, das den Herstellern sowie den Repräsentanten bzw. Distributoren eine gute Beobachtung der Verwendung ermöglicht. Die Bauelementehersteller sind der Ansicht, dass die großen Distributoren im Allgemeinen über gute Systeme zur Verfolgung von Desgin-Wins verfügen, während ihre Design-In-Ressourcen unzureichend sind. Auf der anderen Seite sind die kleineren, technisch ausgerichteten Distributoren möglicherweise schwächer im Tracking, jedoch gut im Design-In. Electronic Manufacturing Services weiterhin bestimmender Faktor Das Konzept der Electronic Manufacturing Services dürfte seine Wurzeln im Vertrieb von Bauelementen haben. Unternehmen wie SCI und Solectron schufen eine neue Ebene in der Elektronikindustrie. Es waren die Distributoren, die erstmals auf den Gedanken kamen, Erzeugnisse wie Kabelbäume, Schaltungen und andere
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grundlegende Produkte zu niedrigeren Kosten als die traditionellen Hersteller produzieren zu können. Diese Dienste brachten erstmals Produkte mit einer sichtbaren zusätzlichen Wertschöpfung in die Distribution, waren rentabel und eröffneten zusätzlich neue Einsatzmöglichkeiten für viele der auf Lager gehaltenen Produkte. Die EMS-Unternehmen entwickelten dieses Konzept lediglich weiter, wobei sie anfangs Leiterplatten montierten und später in andere Bereiche vordrangen, als den Herstellern klar wurde, dass sie Kapital freimachen konnten, indem sie die rasch wachsende Sachkenntnis der EMS-Unternehmen nutzen. Die Parallelen zur Distribution liegen auf der Hand. Die Hersteller arbeiten mit Distributoren zusammen, weil diese sehr viel besser in der Lage sind als die Hersteller selbst, deren Produkte auf den Markt zu bringen. Zudem ist ein moderner Distributor dank seiner technischen Kenntnisse imstande, Geräte mit beträchtlicher Sachkenntnis und sehr rentabel zu vermarkten, zu verkaufen und in Designs zu integrieren. Das Geschäftsmodell der Distribution zählt mittlerweile zu den am weitesten entwickelten überhaupt. Die EMS-Unternehmen auf der anderen Seite haben versucht, Produktion und Montage in eine hohe Kunst zu verwandeln, was ihnen jedoch nicht wie geplant gelungen ist. In den letzten drei Jahren haben die EMS-Unternehmen ihr Versprechen der schlanken Lagerwirtschaft nicht halten können, und es haben sich gewaltige Material-Überschüsse angesammelt. Zudem leiden sie aufgrund des Zusammenbruchs der Telekommunikationsmärkte unter Überschusskapazitäten. Sie mussten Lagerüberschüsse abschreiben und aufgrund der Werksschließungen große Gewinneinbußen hinnehmen. Reduktion der Lieferanten Anfang der 1990er Jahre begannen die OEMs, die Zahl ihrer Lieferanten zu reduzieren. Ihr Ziel war es, die Kosten zu senken und das Serviceniveau zu heben, indem sie mit weniger, aber größeren Lieferanten zusammenarbeiteten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnte davon ausgegangen werden, dass die Notwendigkeit solcher Programme und Maßnahmen geringer werden würde. Diese Prognose ist jedoch nicht eingetreten, die Reduktion der Lieferanten ist weiter im Gange. Weltweit suchen die großen OEM nach Möglichkeiten zur Kostensenkung, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten – mit einer Reduzierung der Zahl der Lieferanten sollten noch weitere Kosteneinsparungen möglich sein. Doch mittlerweile ist zu beobachten, dass die Reduktion der Lieferanten in einigen Fällen lediglich zu einer Senkung des Serviceniveaus führte. Wichtiger als die Zahl der Lieferantenbeziehungen eines OEM ist die Qualität dieser Beziehungen. Selbstverständlich können die Beziehungen um so besser sein, je geringer ihre Zahl ist, da weniger Schnittstellen gleichbedeutend mit mehr Zeit für die Pflege der Beziehungen ist. Doch in vielen Fällen dient die Reduktion der Lieferanten nicht dazu, die Zusammenarbeit zu verbessern, sondern soll die Lieferanten mit der Drohung einer Trennung „unter Kontrolle halten“, womit oft der gegensätzliche Effekt, nämlich verschlechterte Beziehungen, erzielt wird.
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Unternehmensstrategie von Codico Vor dem beschriebenen Branchenhintergrund ist es Codico in den letzten 30 Jahren gelungen, beständig zu wachsen. Selbst die schlimmste Rezession in der Geschichte des Bauteilemarkts in den Jahren 2001-02 mit Markteinbrüchen bis zu 30% konnte Codico ohne Verluste überstehen. Geschickt wurden die sich ergebenden Chancen ergriffen und mit den Stärken des Unternehmens kombiniert wie die SWOT (Strengths-Weaknesses-Opportunities-Threats)-Analyse zeigt (Abb. 2).
Stärken
Schwächen
- Breite Kunden/Lieferantenbasis - Starkes technisches Team - Größter Distributor in Österreich - Sehr flexible Logistik - Schlanke Organisation in Zentralund Osteuropa
- Fehlende ausgebildete Techniker für noch schnelleres Wachstum - Fehlende Marktmacht bei Lieferanten
- Wachstum in Deutschland & Zentral- und Osteuropa - geschätzter Partner bei Design-In Produkten - Fusionen großer Lieferanten
- Produktionsabwanderung - Große Schadenersatzfälle - Abgang von Schlüssel-Mitarbeitern - Fusionen großer Lieferanten
Chancen
Risken
Abb. 2. SWOT-Analyse von Codico
Zwei wesentliche Schritte waren es, die aus Marketingsicht die Grundlage für die Erfolgsgeschichte dieses mittelständischen Distributors ausmachen: x Die internationale Expansion nach Mittelosteuropa und nach Deutschland x Die klare Fokussierung auf attraktive Märkte und Kunden und die konsequente Wertorientierung in der Kundenbeziehung. Mit der breiten Präsenz in Mittelosteuropa gelang es Codico, am wirtschaftlichen Aufschwung nach der Wende teilzuhaben. Heute ist Codico in 10 Ländern präsent und hält in den einzelnen Ländern führende Marktpositionen im Distributionsbereich. Mit der Präsenz in dieser Region ist Codico auch für Produktionsverlagerungen der Kunden von West- nach Osteuropa gewappnet, für jene nach Südostasien wird gerade an Lösungen für wichtige Kunden gearbeitet. Aus wettbewerbsstrategischer Perspektive zeichnet sich das Vorgehen von Codico
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durch die konsequente Orientierung an Problemlösungen für den Kunden aus. Dem Kunden wird nicht nur eine Logistiklösung, sondern auch technische Entwicklungsunterstützung geboten (Design-In). Das Codico Leistungsspektrum umfasst daher: x Technische Entwicklungsunterstützung durch technische Vertriebsingenieure (dzt. ca. 20 Mitarbeiter) bei Bedarf durch technische Spezialisten unserer Lieferanten x Logistische Leistung (Handel) Lager Logistikvereinbarungen mit Kunden (Kanban, „Ship to stock“, „Ship to line“, Konsignationslager, Pufferlager, Qualitätsvereinbarungen etc.) Im Vergleich zu den Mitbewerbern weist Codico ein eher enges Produktsortiment mit einer hohen Value-Added-Komponente auf (Abb. 3). Design-In Aktiv CODICO
Leistungsfokus
Lokale Spezialisten
Dealer, Trader
Multinationale Distributoren
Verbindungstechnik Passiv
Multinationale Broad-Liner
Logistik Enge Produktlinie
Sortimentsbreite
Breite Produktlinie
Abb. 3. Wettbewerbspositionierung von Codico im elektronischen Bauteilemarkt
Als weitere Elemente dieser Strategie lassen sich erkennen: x Konzentration der Beratungsleistung auf mittelgroße OEM-Unternehmen, die die Entwicklungsunterstützung des Distributors schätzen. Die großen Endprodukthersteller haben eigene Entwicklungsabteilungen und wollen eher von den Komponentenherstellern direkt betreut werden. x Positionierung beim Kunden als „Solution Provider“, der sich durch technische Kompetenz, schnelle Auftragsbearbeitung und logistische Sonderleistungen von der Konkurrenz abhebt. Auf der Beschaffungsseite arbeitet Codico gerne mit innovativen, oft spezialisierten Komponentenherstellern zusammen, die sich keine eigene Vertriebsorganisation leisten können und auf die Zusammenarbeit mit zuverlässigen und kompetenten Vertriebspartnern setzen.
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Codico ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein Unternehmen mit der konsequenten Umsetzung der Grundprinzipien des Marketings, nämlich x dem rechtzeitigen Besetzen attraktiver Märkte, x der Auswahl der richtigen Kunden, die ein Value-Added-Leistungsangebot schätzen, x der professionellen Betreuung dieser Kunden in technischer, logistischer aber auch menschlicher Hinsicht, x der ständigen Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten in der Kundenbeziehung und bei der Akquisition neuer Kunden, x der laufenden Anpassung der Organisationsstruktur und internen Systeme an die neuen Erfordernisse, und einem starken Teamgeist („Codico-Spirit“) auch in Zeiten der Globalisierung erfolgreich in einer schwierigen Branche bewähren kann.
Autorenverzeichnis Mag. Martin F. Bodenstorfer, Jahrgang 1976, arbeitet seit Oktober 2002 als Researcher bei dem von Prof. Scheuch mitgegründeten außeruniversitären Forschungsinstitut HiTec Marketing. Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, von Oktober 2001 bis September 2002 Projektassistent an der Abteilung Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien (Prof. Dr. Fritz Scheuch). Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Hochtechnologie-Marketing in Forschungsprojekten der Europäischen Union. Kontakt: Vereinigung High Tech Marketing, Lothringerstraße 14/6, A-1030 Wien,
[email protected] Dr. Renate Buber, Jahrgang 1954, Assistenzprofessorin am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Handel und Marketing. Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Psychologie an der Universität Wien. 2004 Visiting Professor an der Bond University, Gold Coast, Australien und seit 2002 Mitglied der Visiting Faculty am Institute of International Studies der Rhamkhamhaeng University, Bangkok, Thailand. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Qualitative Marketingforschung, Konsumentenverhaltensforschung, NPO-Marketing. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Handel und Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien,
[email protected] Dr. Andreas Büchelhofer, Jahrgang 1963, geschäftsführender Gesellschafter der 1-2-3. tv GmbH. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Von 1988 bis 1992 als Assistent am Institut für Absatzwirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch) beschäftigt. Promotion an der Wirtschaftsuniversität Wien. Danach Marketingleiter der ORF Werbung. Marketingleiter, Geschäftsführer und schließlich Vorstandsvorsitzender der HOT Deutschland AG/München. Geschäftsführender Gesellschafter der Contex GmbH. Geschäftsführer der OnAirReisen GmbH (Neckermann Urlaubswelt TV). Kontakt: 1-2-3.tv, Medienallee 24, D-85774 Unterföhring, andreas@buechelhofer. de Dr. Arne Floh, Jahrgang 1974, Universitätsassistent an dem Institut für Absatzwirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung Marketing – (Prof. Dr. Fritz Scheuch), Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität. Doktorand und Universitätsassistent an der Abteilung Marketing Prof. Scheuch, an der Wirtschaftsuniversität Wien. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Beziehungsmarketing, Beziehungsqualität, Kundenbindung, Kundenabwanderung und –rückgewinnung. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, arne.floh@wu-wien. ac.at
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Autorenverzeichnis
Univ. Prof. Dkfm. Dr. Roland Gareis, Jahrgang 1948; seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls für Projektmanagement an der Wirtschaftsuniversität Wien; seit 1983 gemeinsam mit Prof. Dr. Fritz Scheuch Leiter des Universitätslehrganges "Internationales Projektmanagement" an der Wirtschaftsuniversität Wien; seit 1983 Geschäftsführender Gesellschafter der Roland Gareis Consulting GmbH. Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien; Habilitation an der Technischen Universität am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft; Professor for Construction Management am Georgia Institute of Technology in Atlanta, Georgia; Gastprofessor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, an der Georgia State University in Georgia und an der University of Quebec in Montreal, Kanada; Vorstandsvorsitzender von Projekt Management Austria; 1998-2003 Director of Research der IPMA International Project Management Association. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Maturity der projektorientierten Organisation; Zusammenhang zwischen Geschäftsprozessmanagement und Projektmanagement; Emotionen in Projekten. Kontakt: Projektmanagement Group der Wirtschaftsuniversität Wien, Franz Kleingasse 1, A-1190 Wien,
[email protected] Dr. Rainer Hasenauer, Jahrgang 1944, seit 1999 Unternehmer, Geschäftsführender Gesellschafter der Trust & Value UnternehmensBeratung GmbH, Gründungsbeteiligung an mehreren Hochtechnologiefirmen (www.imagination.at, www.tttech.com, www.en-o-de.com). Studium Betriebswirtschaft, 1967-1980 gemeinsame Forschung, Lehre und Publikationen mit Prof Dr. Fritz Scheuch. Gastprofessur (1992-1997), ab 1998 Honorarprofessur am Institut für Absatzwirtschaft, Ordinariat Prof. Scheuch, an der Wirtschaftsuniversität Wien, Schwerpunkt Forschung und Lehre über Technologiemarketing und High Tech Marketing, Gründung des außeruniversitären Forschungsinstitutes HiTec Marketing (www. hitec.at ) 1998 gemeinsam mit Prof. Dr. Fritz Scheuch und Dr. Walter Aigner. Kontakt: Trust&Value UnternehmensBeratung GmbH, Lothringerstraße 14/8, A1030 Wien,
[email protected] Dr. Heinrich Hawlik, geb. 1939 in Wien, ist emeritierter Geschäftsführer der Fa. Codico Ges.m.b.H. & Co. KG. Studium an der damaligen Hochschule für Welthandel in Wien, Promotion 1962. Nach Tätigkeiten bei der Bull AG und Ingelen 1969 Mitbegründer der HAWA (Elektronische Bauelemente). 1978 Gründung von Codico, Geschäftsführer bis 2004. Dr. Hawlik steht heute Codico nach wie vor beratend zur Verfügung. Kontakt: Codico Ges.m.b.H. & Co. KG, Mühlgasse 8688, A-2380 Perchtoldsdorf,
[email protected] oder
[email protected] Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller, Jahrgang 1955, seit 1998 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Dortmund, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Psychologie an der Universität Wien. Assistent, Assistenzprofessor und a.o. Universitätsprofessor am Institut für Absatzwirtschaft, Ordinariat Prof. Dr. Fritz Scheuch, an der Wirtschaftsuniversität Wien. Visiting Scholar am Baruch College, City University of New York. Gastprofessuren an der Darla Moore School of Management, University of South Carolina; Universität Hohenheim, Stuttgart; School of Business and
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Economics, Boise State University, Idaho; IECS Strasbourg, Université Robert Schuman und Université Nancy 2, Nancy. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Psychometrische Marketingforschung, Interkulturelles Marketing, Konsumentenverhaltensforschung, Marketing und Technik. Kontakt: Lehrstuhl für Marketing, Universität Dortmund, D-44221 Dortmund, hartmut.holzmueller@ udo.edu Prof. Dr. Harald Hruschka, Jahrgang 1953, seit 1992 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Regensburg. Studium der Handelswissenschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien mit anschließendem Doktorat aus Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Nach Tätigkeit als Unternehmensberater zunächst Assistent am Institut für Absatzwirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien, nach Erhalt der venia docendi für Betriebwirtschaftslehre Assistenzprofessor dortselbst, danach Leiter der Abteilung für Betriebswirtschaftslehre und Operations Research am Institut für Höhere Studien in Wien. Visiting Scholar an der University of Amherst und der University of California San Diego La Jolla, Gastprofessuren an der Universität Wien und an der Humboldt Universität zu Berlin. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Markenwahlmodelle, Preisabsatzfunktionen, Preispolitik von Herstellern und Handelsbetrieben, Direktwerbung, semiparametrische und seminonparametrische multivariate Datenanalyse, hierarchische Bayes’sche Modelle. Kontakt: Lehrstuhl für Marketing, Universität Regensburg, D-93053 Regensburg,
[email protected] Dr. Claudia Klausegger, Jahrgang 1965, Assistenzprofessorin an dem Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seit 1990 Universitätsassistentin und Lehrbeauftragte am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch). Vortragende an der Universität in Kiev und am Pädagogischen Institut des Bundes. Forschungsschwerpunkte: Marketing in NPOs, Dienstleistungsmarketing, Marktforschung und Konsumentenverhaltensforschung. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien,
[email protected] Mag. Monika Koller, Jahrgang 1978, seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch) an der Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Forschungsschwerpunkte: Konsumentenverhaltensforschung, Handelsmarketing. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien,
[email protected] Prof. Dr. Herbert Kotzab, Jahrgang 1965, seit 1999 am Department of Operations Management der Copenhagen Business School, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien mit Schwerpunkt Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch). Universitätsassistent am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Handel und Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien. Visiting Scholar
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am Center for Transportation Studies am Massachusetts Institute of Technology. Gastprofessuren an der Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Organisation und Materialwirtschaft, und am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Handel und Marketing. Wiener Preis für Handelsforschung 1997 und Kardinal-Innitzer Forschungsförderungspreis 2003. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Distributionssysteme, Handelslogistik und SCM, elektronischer Handel und Distributionssysteme, Kundenorientierte Wertschöpfungsketten. Kontakt: Department of Operations Management, Copenhagen Business School, Solbjerg Plads3, DK-2000 Frederiksberg,
[email protected] Mag. Sven Krumpel, Jahrgang 1965, seit 1998 Geschäftsführer bei Codico. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien, Spezialisierung auf Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch) sowie Unternehmensführung/ Controlling. Von 1990 bis 1993 Product Manager bei Kodak, von 1993 bis 1998 Sales and Marketing Manager Europe/Africa/Middle East bei Kodak. Kontakt: Codico Ges.m.b.H. & Co. KG, Mühlgasse 86-88, A-2380 Perchtoldsdorf, sven.krumpel @co-dico.at Dr. Andreas Nentwich, Jahrgang 1963, seit 2002 Prokurist Vertrieb und Mitglied der Geschäftsleitung bei Nestlé Österreich, Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, währenddessen 1986 – 1989 Vertragsassistent am Institut für Absatzwirtschaft, Ordinariat Prof. Dr. Fritz Scheuch. Tätigkeit im Bereich Konsumgüter bei Kodak, A.C. Nielsen, Maresi und Nestlé mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb. Kontakt: Nestlé Österreich Ges.m.b.H., A-1051 Wien,
[email protected] Dr. Elfriede Penz, Jahrgang 1972, seit 1999 Universitätsassistentin an der Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Internationales Marketing und Management. Studium der Psychologie an der Universität Wien, Institut für Psychologie und an der Universität La Sapienza in Rom. Ausgebildete Kulturmanagerin (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Wien). Lehrtätigkeit an der Universität Wien, an der Manchester Business School, der Universität Ljubljana und der Aston University. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Konsumentenverhalten und -fehlverhalten, Theorie der sozialen Repräsentationen. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Internationales Marketing und Management, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, elfriede.
[email protected] Prof. Dr. Dietmar Rößl, Jahrgang 1958, seit 1997 ao.Univ.-Prof. am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe an der Wirtschaftsuniversität Wien, Vice-President des European Council for Small Business. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Doktoratsstudium bei Prof. Dr. Fritz Scheuch. Vertrags-, Projekt- und Universitätsassistentenpositionen am Institut für BWL der Klein- und Mittelbetriebe und am Forschungsinstitut für das Genossenschaftswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien. Visiting Lecturer an der Universität Banska Bystrica, Gastprofessuren an der Universität Pilsen und
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der Freien Universität Bozen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: zwischenbetriebliche Kooperation, Informationsökonomie, Relationship-Management von Klein- und Mittelbetrieben, entrepreneurial und local Marketing von Klein- und Mittelbetrieben. Kontakt: Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, dietmar.
[email protected] Dr. Thomas Salzberger, Jahrgang 1965, seit 1993 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch) an der Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Handelswissenschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Psychologie an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Marketingforschung, Psychometrie, Interkulturelles Marketing, Konsumentenverhaltensforschung. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, thomas.
[email protected] Dr. Dieter Scharitzer, Jahrgang 1966, Assistenzprofessor und Lehrbeauftragter an dem Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien. Studium und Promotion an der Wirtschaftsuniversität Wien, (Prof. Dr. Fritz Scheuch) seit 1990. Forschungsschwerpunkte: Dienstleistungsmanagement, Marketingkonzepte, Qualitätsmanagement und Dienstleistungsqualität, Marktforschung, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheitsforschung insbesondere in Zusammenhang mit Change-Prozessen und Dienstleistungen im Profit-/Non-Profit-Bereich und der öffentlichen Verwaltung. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien,
[email protected] Dr. Alexander Scheuch, Jahrgang 1971, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien, Spezielle BWL: Unternehmensführung, Bankbetriebslehre. Dissertation: Tourismus und Freizeitwirtschaft. Von 1996 bis 2002 bei Austrian Airlines tätig, u.a. ab 1999 als Marketingleiter Österreich. Seit Juli 2002 Vorstand der CPI Immobilien AG, ab 2003 auch Geschäftsführer der CPI Marketing GmbH sowie Vorstandsmitglied der EVS Medizintechnik AG. Umfassende nebenberufliche Erfahrung in Projektbetreuung, Workshops und Fachvorträgen an Fachhochschulen, Tourismusschulen sowie anderen schulischen Einrichtungen, laufende Tätigkeiten im journalistischen Bereich sowie Moderationen und Marktforschungsprojekte. Kontakt: CPI Immobilien AG, Hahngasse 3, A-1090 Wien, alexander.scheuch @cpi.co.at Dr. Michael Scheuch, Jahrgang 1975, seit 2004 Leiter Kommunikation/Werbung bei bauMax AG. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien mit Schwerpunkt Handel und Marketing sowie Unternehmensführung und Controlling. Auslandsstudium an der University of California Los Angeles (UCLA). Dissertation an der Wirtschaftsuniversität Wien. Consultant bei Simon, Kucher & Partners, Strategie und Marketing Consultants. Marketing Projektmanagement bei bauMax AG mit den Schwerpunkten Marketingprozessmanagement
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sowie Customer Relationship Management. Kontakt: bauMax AG, Aufeldstraße 17-23, A-3400 Klosterneuburg,
[email protected] Dr. Arnold Schuh, Jahrgang 1958, Universitätsassistent und seit 1998 Assistenzprofessor am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch) der Wirtschaftsuniversität Wien. Gastprofessor am College of Business and Economics an der University of Kentucky, Lexington, USA, und Visiting International Business Scholar an der Moore School of Business der University of South Carolina, Columbia, USA. Seit 2001 Adjunct Associate Professor of International Business Studies an der Carlson School of Management, University of Minnesota, Minneapolis, USA. Akademischer Leiter des International MBA an der Wirtschaftsuniversität Wien. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Strategiewandel im internationalen Unternehmen, der Einfluss der Globalisierung bzw. Europäisierung auf die Marketingstrategie und Marketingorganisation, Marketing in Mittel- und Osteuropa. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2, A-1090 Wien,
[email protected] Dr. Rudolf R. Sinkovics, Jahrgang 1966, seit 2001 Lecturer of International Business an der Manchester Business School (vormals UMIST-Manchester School of Management), Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Assistent am Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung Marketing (Prof. Dr. Fritz Scheuch), an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Abteilung für Internationales Marketing und Management. Visiting Lecturer an der University of Otago, New Zealand und Visiting Scholar an der Michigan State University, USA. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Interkulturelles Marketing, Globalisierung und International Business, Dimensionen des internationalen Firmenerfolges. Kontakt: The University of Manchester, Manchester Business School (East), PO Box 88, Manchester M60 1QD, United Kingdom,
[email protected] Privatdozent Dr. Winfried J. Steiner, Jahrgang 1965, wissenschaftlicher Oberassistent am Lehrstuhl für Marketing an der Universität Regensburg, Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Bayerischen Vereinsbank AG, Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Augsburg, Promotion und Habilitation an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg, Vertretung des Lehrstuhls für Marketing an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2004. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Neuproduktplanung, spieltheoretische Ansätze in der Produktpolitik, Conjoint-Analyse, Verkaufsförderung, Absatzreaktionsfunktionen, semi- und nichtparametrische Regression. Kontakt: Lehrstuhl für Marketing, Universität Regensburg, Universitätsstr. 31, D-93053 Regensburg,
[email protected] Dr. Barbara Stöttinger ist a.o. Universitätsprofessorin, Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung für Internationales Marketing und Management, der Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschafts-
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universität Wien, Auslandssemester in den USA, Frankreich und Großbritannien, danach wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Absatzwirtschaft, Ordinariat Prof. Dr. Fritz Scheuch. Lehrbeauftragte für Marketing und Internationales Marketing u.a. an der Universität Budapest, der Universität Laibach, der Bordeaux Business School, der Aston Business School (UK), in den MBA Programmen der Texas A&M University (USA), dem International MBA Program der Wirtschaftsuniversität Wien oder dem Executive MBA Programm der University of Tampa, Florida. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Internationale Preispolitik, pan-europäisches Marketing, internationales KonsumentInnenverhalten. Kontakt: Institut für Absatzwirtschaft, Abteilung für Internationales Marketing & Management, Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, barbara.stoettinger @wu-wien.ac.at Dr. Reinhard Zuba, Jahrgang 1969, seit 2000 im Marketing von mobilkom austria, derzeit hält der die Position des Head of Voice und ist Deputy des Head of Marketing. Reinhard Zuba studierte Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Psychologie an der Universität Wien. Seinen wissenschaftlichen Background erwarb er sich als Assistent, am Institut für Absatzwirtschaft, Ordinariat Prof. Dr. Fritz Scheuch. Parallel dazu folgten Lehraufträge für das Fach Marketing an verschiedenen österreichischen Fachhochschulen. Seine Praxistätigkeit startete er als Product- und Key Account Manager im Bereich der Fast Moving Consumer Goods bei Henkel Austria. Reinhard Zuba ist Lektor an Institut für Absatzwirtschaft, Prof. Dr. Fritz Scheuch, an der Wirtschaftsuniversität Wien. Kontakt: mobilkom austria AG & Co. KG, Obere Donaustraße 33, A-1020 Wien,
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