Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament· 2. Reihe 93
Manabu Tsuji
Glaube zwischen Vollkommenheit und Verw...
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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament· 2. Reihe 93
Manabu Tsuji
Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament • 2. Reihe H e r a u s g e g e b e n von Martin Hengel u n d Otfried Hofius 93
Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes von
Manabu Tsuji
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme: Tsuji, Manabu: Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung: eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes / von Manabu Tsuji. - Tübingen: Mohr, 1997 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament: Reihe 2; 93) ISBN 3-16-146620-9
© 1997 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroni schen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständigem Werkdruck papier der Papierfabrik Niefern gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinde rei Heinr. Koch, Tübingen. ISSN 0340-9570
Für Yuko
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Som mersemester 1995 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern an genommen worden ist. Während dem Arbeitsgang schwebte mir wiederholt eine Frage vor: Warum und wo zu beschäftige ich mich konzentriert mit dem Jakobusbrief? Sie führte mich schliesslich zu einer Selbsterkenntnis, deren ich mir früher nicht bewusst gewesen bin: Mein Interesse an dieser kleinen Schrift des Neuen Testaments ist nicht etwa rein theologisch motiviert, sondern mit der Geschichte der Kirche Japans, meiner Heimat, eng verbunden. Anders als die Kirche Westeuropas, die in ihrer langen Geschichte mit der Kultur des Landes untrennbar verknüpft war, steht unsere Kirche als religiöse Minderheitsgruppe in beständiger Sorge über das Verhältnis zur Gesellschaft unseres Landes als nichtchristli cher Umwelt. Dementsprechend ist bei uns die Frage nach der Mission sehr brennend: Was ist Mission überhaupt? Wie sollen wir unseren Glauben in der nichtchristlichen Ge sellschaft bezeugen? Da tritt verständlicherweise das Thema »Glaube und Werke« ganz in den Vordergrund. Dies ist m.E. besonders seit Ende der 60er Jahre klar; der Nihon Kirisuto Kyodan (the United Church of Christ in Japan), dem ich angehöre, hat 1967 ein Kriegsschuldbekenntnis abgelegt, in dem er die Verantwortung für die von ihm beim 2. Weltkrieg begangenen Sünden bekennt (dt. Text in: L. VISCHER [Hg.], Reformiertes Zeugnis heute, Neukirchen-Vluyn 1988, S. 32). Dabei ist es zu heftigen innerkirchlichen Kontroversen um das soziale Engagement der Kirche gekommen (dazu vgl. J. W. GRANT [Hg.], Die unierten Kirchen, Stuttgart 1973, S. 213f.). Diese noch nicht gelöste Frage nach dem Verhältnis von Glaubensbekenntnis und sozialem Engagement der Christen bildet den Hintergrund meiner Arbeit. In diesem Sinne weiss sich diese exegetische Ar beit mit dem Kontext japanischen Christentums verbunden, auch wenn zumal Leser in westlichen Ländern in ihr keine »ostasiatische« Farbe finden mögen. Ich denke, dass die se in den Passagen zum Ausdruck kommt, wo man den Eindruck erhält, dass ich über die Grenze einer »objektiven« historischen Forschung hinausfrage. Die ursprüngliche Fassung der Dissertation wurde Ende 1994 abgeschlossen. Bei der Überarbeitung habe ich zusätzlich neuere Literatur bis Juli 1995 berücksichtigt; die kürzlich erschienenen Werke von W. R. BAKER und zumal von M. KLEIN, der viele ge meinsame Themen behandelt, waren mir leider erst bei der Überarbeitung zugänglich. Aus zeitlichen Gründen musste ich die Überarbeitung auf das Notwendigste beschränken. Zu Dank bin ich sehr vielen Menschen verpflichtet; hier möchte ich nur einige wenige Namen nennen. Zu allererst möchte ich meinem Doktorvater, Prof. Samuel VOLLENWEIDER herzlich danken. Er hat mich vom Anfang bis zu Ende dieser Arbeit mit unerschöpflicher Geduld und Ermutigung begleitet. Darüber hinaus hat er mein ganzes Leben in der Schweiz mit grosser Freundlichkeit betreut.
VI
Vorwort
Prof. Ulrich Luz hat mich nicht erst beim Korreferat, sondern schon im Lauf der Ar beit durch hilfreiche Anregungen und kritische Rückfragen unterstützt. Ihm sei herzlich gedankt. Auch meinen japanischen Freunden, HIROISHI Nozomu (Zürich) und Dr. HARAGUCHI Takaaki (Tokyo), die eine frühere Fassung des Manuskripts lasen und mit vielen kritischen Bemerkungen reagierten, gilt mein aufrichtiger Dank. Ferner bin ich meinem Freund, Andreas H. RUSTERHOLZ (Zürich) tiefsten Dank schuldig, der das Manuskript sprachlich mit grosser Sorgfalt korrigierte. Durch seine Hilfe ist diese Arbeit erst lesbar geworden. Er hat mir ausserdem bei der Arbeit am Com puter viel technische Hilfe geleistet. Ich möchte auch VDM Stefan MÜNGER (Bern) dan ken, der die überarbeitete Fassung sprachlich kontrolliert hat. Mein Jakobus-Studium geht auf eine Seminararbeit zurück, die ich vor zehn Jahren an der theologischen Fakultät der Kwansei Gakuin Universität (Nishinomiya, Japan) ge schrieben habe. Bei dieser Gelegenheit möchte ich meinen japanischen Lehrern danken: ProflF. KOBAYASM Nobuo und YAMAUCHI Ichiro (beide Kwansei Gakuin) sowie Prof. TAGAWA Kenzo (Osaka). Für die finanzielle Unterstützung bedanke ich mich bei der Eidgenössischen Stipen dienkommission für ausländische Studierende (Schweiz) und meiner Alma mater, Kwan sei Gakuin Universität, die durch ihr Stipendium meinen vierjährigen Studienaufenthalt in Bern ermöglichten. Prof. Martin HENGEL und Prof. Otfried HOFIUS möchte ich für die freundliche Auf nahme dieser Arbeit in die WUNT 2. Reihe herzlich danken. Dem ersteren bin ich auch für seine kritische Bemerkungen und Anregungen zu Dank verpflichtet. Dem MohrVerlag, insbesondere Herrn Rudolf PFLUG, danke ich für die freundliche Betreuung bei der Drucklegung. Ich kann nicht versäumen, meine Eltern, Pfr. TSUJI Ken und TSUJI Miyo, mit tiefstem Dank für ihre langjährige Unterstützung zu nennen. Es ist mein Vater, der mir einen er sten Anstoss zur Jakobusforschung gab. Den letzten, aber grössten Dank bin ich meiner Frau schuldig. Ohne ihre Geduld, Ermutigung, und überhaupt unser doch freudvolles Zusammenleben in Bern wäre diese Arbeit nie möglich gewesen. Ihr widme ich dieses Werk mit voller Liebe.
Bern, im August 1995 TSUJI Manabu
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen
XI
Einleitung
1
1. Fragestellung 2. Zum Status quaestionis 3. Aufgabenstellung 4. Arbeitsverfahren
1 1 3 4
1. Der Jakobusbrief als christlicher Diasporabrief
5
1.1 Die »literarische Gattung« des Jakobusbriefes 1.1.1 Forschungsgeschichte zur Gattung des Jakobusbriefes 1.1.1.1 Epistel/Brief 1.1.1.2 Diatribe 1.1.1.3 Paränese 1.1.1.4 Homilien-Auszug 1.1.1.5 Allegorisches Testament 1.1.2 Rehabilitation des Jakobus-»Briefes« 1.1.2.1 Zum Ziel der Gattungsbestimmung 1.1.2.2 Schlussteil des Briefes 1.1.2.3 Briefkorpus 1.1.2.4 Ergebnis 1.2 Der Jakobusbrief als christlicher »Diasporabrief« Vorüberlegung 1.2.1 »Diasporabrief«-Tradition im Frühjudentum 1.2.2 Diasporabrief-Tradition und Jakobusbrief 1.2.2.1 Präskript des Jakobusbriefes 1.2.2.2 Die Anfechtungsthematik 1.2.2.3 Folgerung 1.2.3 Diasporabrief-Tradition im Frühchristentum 1.2.3.1 Das Aposteldekret (Act 15,23-29) 1.2.3.2 Der erste Petrusbrief 1.2.3.3 Der Judasbrief 1.2.3.4 Der zweite Petrusbrief Exkurs: Die Johannesapokalypse 1.2.3.5 Andere frühchristliche Briefe 1.2.3.6 Folgerung 1.3 Christlicher Hintergrund des Präskriptes des Jakobusbriefes 1.3.1 Die Verfasserfrage Vorbemerkung: Forschungsstand 1.3.1.1 Argumente für Jak als Pseudepigraphon 1.3.1.2 Argumente für die Authentizität 1.3.1.3 Gegenkritik Exkurs: Die Mitarbeiter-Hypothese und die Zwei-Stufen-Hypothese 1.3.1.4 Schlussfolgerung
5 5 5 6 7 10 11 12 12 13 14 17 18 18 18 22 22 25 26 28 28 29 32 33 34 35 36 38 38 38 39 40 41 43 44
VIII
Inhaltsverzeichnis
1.3.2 Jakobus als Gottes Knecht 1.3.3 Zu den Adressaten des Jakobusbriefes als den »zwölf Stämmen« 1.3.3.1 »Alle Christen« als Fiktion 1.3.3.2 Jakobus als »Leiter der Gesamtkirche« 1.4 Ergebnisse
44 47 47 48 50
2. Die inhaltliche Kohärenz und das Gesamtthema des Jakobusbriefes
51
2.1 Hauptmotive im Jakobusbrief: Forschungsgeschichtiicher Rückbück 2.1.1 Glaube und Werke 2.1.2 Vollkommenheit 2.1.3 Weisheit 2.1.4 Anfechtung/Versuchung und Geduld 2.1.5 Offene Frage 2.2 Struktur des Briefes und Grundthema des Kap. 1 2.2.1 Disposition des Jakobusbriefes 2.2.2 Grundmotiv und Einleitung (Jak 1) 2.2.2.1 Jak 1,2-12 2.2.2.2 Jak 1,13-27 2.2.2.3 Zusammenfassung 2.3 Hauptteil (Jak 2,1-5,6) und Gesamtthema 2.3.1 Jak 2,1-26: Arme und Reiche 2.3.1.1 Jak 2,1-13 Exkurs: Zur Auslegung von Jak 2,1 2.3.1.2 Jak 2,14-26 2.3.1.3 Fazit von 2,1-26 2.3.2 Jak 3,1-4,12: innergemeindliche Streitigkeiten Vorüberlegung: Zur thematischen Einheit von Jak 3,1-4,12 2.3.2.1 Jak 3,1-12 2.3.2.2 Jak 3,13-18 2.3.2.3 Jak 4,1-10 Exkurs: Zur Deutung von Jak 4,5 2.3.2.4 Jak 4,11-12 2.3.2.5 Fazit von 3,1-4,12 2.3.3 Jak 4,13-5,6: Reiche und weltliche Gesinnung Vorüberlegung: Zur Einheit von Jak 4,13-5,6 2.3.3.1 Jak 4,13-17 2.3.3.2 Jak 5,1-6 2.3.4 Zusammenfassung: Hauptteil und Gesamtthema 2.4 Schlussteil (Jak 5,7-20) und das Gesamtthema 2.4.1 Struktur des Schlussteils 2.4.2 Jak 5,7-12 2.5 Schlussfolgerungen 2.5.1 Disposition des Jak 2.5.2 Inhaltliche Kohärenz des Jak
51 52 53 55 56 58 59 59 63 64 67 72 73 73 73 74 77 78 79 79 80 81 82 84 87 88 89 89 90 91 92 93 93 94 97 97 97
3. Der theologische Hintergrund des Jakobusbriefes
100
3.1 »Vollkommen« (xeXetoq) und »zweiseelig« (5i\|rvxoq) 3.2 Begierde (fente^ia, fjöovrO 3.3 Welt (Köauod 3.4 »Wort« und »Gesetz der Freiheit« 3.4.1 Funktion des Gesetzes im Kontext des Briefes 3.4.2 »Gesetz der Freiheit«
100 104 106 108 108 HO
Inhaltsverzeichnis
IX
3.5 Weisheit (owpia) 3.6 Jesusüberlieferung im Jakobusbrief 3.6.1 Voraussetzungen der Analyse 3.6.2 Überlieferungsgeschichtliche Analyse 3.6.2.1 Jak 1,5; 4,2f. (Mt 7,7/Lk 11,9; vgl. Lk 6,38a) 3.6.2.2 Jak l,6f. (Mk ll,23f./Mt 21,21f.) 3.6.2.3 Jak 5,12 (Mt 5,33-37) 3.6.2.4 Jak 4,9 (Lk 6,25) 3.6.2.5 Jak 1,2 (Mt 5,llf./Lk6,22f.) 3.6.2.6 Jak l,22f. (Mt 7,24.26/Lk 6,46f.49) 3.6.2.7 Jak 2,5 (Mt 5,3/Lk 6,20) 3.6.2.8 Jak 2,8 (Mk 12,28-34/Mt 22,39/Lk 10,27) 3.6.2.9 Jak 3,12 (Mt 7,16-18; 12,33-35/Lk 6,43f.) 3.6.2.10 Jak 4,10 (Mt23,12/Lk 14,11; 18,14. Vgl. Jak l,9f.) 3.6.2.11 Jak 4,11 (Mt 7,lf./Lk 6,37f. Vgl. Jak 5,9) 3.6.2.12 Jak 5,9 (Mk 13,29/Mt 24,33) 3.6.3 Ergebnis der Analysen 3.7 Zusammenfassung
116 118 118 119 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 129 130 133
4. Die Adressaten des Jakobusbriefes
134
Vorbemerkung 4.1 Arme und Reiche in der Gemeinde 4.1.1 Arme und Reiche im Jakobusbrief 4.1.1.1 Die »Reichen«: Christen oder NichtChristen? 4.1.1.2 Die Armen und die Reichen — wer sind sie? 4.1.1.3 Position des Jakobus und ihr Hintergrund 4.1.2 Arme und Reiche im Frühchristentum 4.1.2.1 Gemeinde des Paulus (1 Kor) 4.1.2.2 Nachpaulinische Gemeinden 4.1.2.2.1 Haustafeln 4.1.2.2.2 Gemeinde im ersten Timotheusbrief 4.1.2.2.3 Gemeinde hinter den lukanischen Schriften 4.1.2.2.4 Gemeinden in der Johannesapokalypse 4.1.2.2.5 Die korinthische Gemeinde im ersten Clemensbrief. 4.1.2.3 Gemeinde hinter dem »Hirten des Hermas« 4.1.2.4 Ergebnis 4.1.3 Jakobus im (nach-)paulinischen Kontext 4.2 Streitigkeiten in der Gemeinde 4.2.1 Streitigkeiten im Jakobusbrief 4.2.1.1 Innergemeindliche Konflikte und die »Weltlichkeit« 4.2.1.2 Anteil der Lehrer 4.2.1.3 Rekonstruktion des Gemeindebildes 4.2.2 Streitigkeiten in frühchristlichen Gemeinden 4.2.2.1 Der erste Korintherbrief 4.2.2.2 Die Pastoralbriefe 4.2.2.3 Der erste Clemensbrief 4.2.2.4 Der Hirt des Hermas 4.2.3 Ergebnisse 4.3 Schlussfolgerung
134 135 135 135 141 145 149 149 155 155 157 159 163 165 166 168 170 172 172 173 175 178 178 179 180 182 183 184 186
X
Inhaltsverzeichnis
5. Der Antipaulinismus des Jakobusbriefes
187
Vorbemerkung zum Thema: »Jakobus und Paulus« 5.1 Die Kenntnis der Rechtfertigungslehre des Paulus bei Jakobus 5.1.1 Sprachliche Übereinstimmungen 5.1.2 Das Abraham-Beispiel (Jak 2,21-23) 5.1.3 »Gott ist ein einziger« (Jak 2,19) 5.1.4 Folgerung 5.2 »Werke« und »Gesetzeswerke«: ein Missverständnis? 5.3 Ergebnisse
187 189 189 190 192 193 194 199
6. Ergebnisse und Konsequenzen
200
6.1 Aufhebung des Dibelius'schen »Kontextverbotes« 6.1.1 Formale Einheitlichkeit 6.1.2 Inhaltliche Kohärenz 6.2 Briefsituation des Jakobusbriefes 6.2.1 Der theologische Hintergrund des Verfassers 6.2.2 Rekonstruktion der Adressatengemeinden 6.2.3 Jakobus und Paulus 6.3 Konsequenzen
200 200 201 201 201 202 202 203
Literaturverzeichnis Register Autorenregister Stellenregister Sachregister Griechisches Begrifferegister
205 221 221 223 241 243
Vorbemerkungen 1. Die benützten Arbeiten werden von Anfang an abgekürzt zitiert; bei Kommentaren zum Jakobusbrief nur Verfassername, bei anderen Kommentaren Verfassername und Kurzform der kommentierten Schrift, sonst Verfassername und erstes Substantiv im Titel (Ausnahmefälle sind jeweils im Literaturverzeichnis angemerkt). Die Abkürzungen folgen im Prinzip S. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie: Abkürzungsverzeichnis, Ber lin/New York 1994 (aber z.B. 1 Kor statt I Kor). Die Abkürzungen der rabbinischen Schriften folgen H. L. Strack/G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, Mün chen 1982, S. 330-332. Zusätzliche Abkürzungen sind: 2
7
BA Bar BDR ParJer SBLSBS SifDt WBC
W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. Aufl. hg. von K. u. B. Aland Baruch F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 17. Aufl. bearbeitet von F. Rehkopf. Paralipomena Jeremiae Society of Biblical Literature, Sources for Biblical Study Sifre zu Dtn Word Biblical Commentary
2. Die Bibel-Zitate erfolgen in der Regel nach der Zürcher-Bibel. Ausnahmefalle sind jeweils angemerkt. Die Zitate aus sonstiger Literatur werden aus den im Litera turverzeichnis genannten Quellen genommen. Ausnahmefalle sind jeweils angemerkt. 3. Ergänzungen mit [ ] sowie Auslassungen mit [...] stammen von mir. 4. Alle Texte sind nach der schweizerischen Schreibweise geschrieben, also mit »ss« statt »ß« (z.B.: »dass« statt »daß«).
Einleitung 1. Fragestellung Die vorliegende Untersuchung geht von zwei miteinander verbundenen Fragen aus, die für die historisch-kritische Forschung grundlegend sind: Was veranlasste die Entstehung des Jakobusbriefes, und wozu wurde er abgefasst? Unser Anliegen ist, Jak möglichst vor dem Hintergrund seiner Abfassungs verhältnisse zu lesen. Formuliert man dies in Anlehnung an sprachwissenschaftliche Kategorien, so handelt es sich um den textpragmatischen Aspekt; d.h. wir verstehen unseren Text »als Instrument [...], das der Verfasser benützt, um sowohl sprachliche Kommunikation herzustellen als auch den Leser situationsgemäss zu beeinflussen und zu einem bestimmten Handeln zu bewegen« . 1
2
2 . Zum Status quaestionis Unsere Fragestellung könnte vielleicht als allzu umfassend und unspezifisch erscheinen. Es gilt aber, sie erneut aufzuwerfen, denn die Kernfragen der historischen Jakobus-For schung sind, besonders seit dem Kommentar v o n M Dibelius (1921; vgl. unten), zumeist mit grosser Zurückhaltung und ohne allgemeinen Konsens beantwortet worden. Dafür gibt es zwei Gründe: a) Es gibt nur spärliche Belege ausserhalb des Jak, die dazu dienen können, seine Ent stehungsverhältnisse zu verdeutlichen. Unter den Exegeten findet sich kein Konsens, ob Jak eine literarische Beziehung zu anderen christlichen Schriften hat. 3
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2
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Die Abkürzung »Jak« heisst »der Jakobusbrief«. Den Verfasser des Briefes bezeichnen wir als »Jakobus«, ungeachtet des Problems, ob der Verfasser wirklich der Herrenbruder ist. Zur Verfasserfrage vgl. unten 1.3.1. Egger, Methodenlehre 135. Vgl. auch Frankemölle (I 43f), der bereits einen Versuch vorlegte, unter diesem Aspekt Jak zu analysieren. Seinen Folgerungen können wir aber nur teilweise zustimmen. Am häufigsten erörtert wurde das Verhältnis zu 1 Petr. Es wird aber meistens als voneinander un abhängige Aufnahme einer gemeinsamen paränetischen Tradition erklärt. Dagegen kürzlich Hengel, Jakobusbrief 269 Anm. 26: Der 1 Petr habe den Jak »wohl [...] gelesen und später >verarbeitettraditionelle< Ansicht kann nur bedingt einem Initiator zugewiesen werden. Church nennt zuerst den Kommentar von J. B. Mayor (1892), der aber, wie sie richtig bemerkt, die literarische Gattung des Jak nicht in Frage stellte, sondern sich lediglich der traditionellen Ansicht anschloss. Demgegenüber war es für F. O. Francis (1970) kein leichtes, den brieflichen Charak ter des Jak zu verteidigen, denn dieser war schon damals umstritten und wurde zumeist negiert. Francis versuchte, den Eröffhungs- und den Schlussteil des Jak in Analogie zur hellenistischen Epistolographie zu begreifen. Hiernach habe Jak 1 eine Doppelstruktur (1,2-11/12-25), bei der es sich um Vorstellung und Wiedervorstellung der im Briefkor3
1
2
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Zur Definition von »Form/Gattung« vgl. Berger, Formgeschichte 9: »Form ist die Summe der stili stischen, syntaktischen und strukturellen Merkmale eines Textes, d.h. seine sprachliche Gestalt. [...] Gattung ist eine Gruppe von Texten aufgrund gemeinsamer Merkmale verschiedener (d.h. nicht nur formaler) Art.« Church, Forschungsgeschichte. Zum forschungsgeschichtlichen Überblick vgl. auch Klein, Werk 1532, der sich dabei aber nicht auf die »literarische Gattung« des Jak beschränkt, sondern auch inhalt liche Aspekte (z.B. Jakobus als »Fortfuhrung der Verkündigung Jesu«, oder als »antipaulinische Po lemik«) mit erwägt. Church, aaO. 13f.
6
Der Jakobusbreif als christlicher Diasporabrief
pus behandelten Themen handle. Diese Struktur sei gewöhnlich sowohl in privaten und offiziellen hellenistischen Briefen als auch in »secondary letters« zu finden, »which for one reason or another lack situational immediacy« . Zu ihnen zählt er auch Jak. In bezug auf den Schlussteil nennt er drei Elemente: »(1) eschatological Instruction, (2) thematic reprise, and (3) reference to prayer«: »The strictly epistolary fiinction of these elements is born out by comparison with other early Christian letters and general Hellenistic epistolography.« Ferner meint er, Jak 5,12-20 entspreche der Eidformel und dem Gesund heitswunsch der hellenistischen Epistolographie. Seine Analyse wird zwar Jak 5,12ff. mehr oder weniger gerecht, stösst allerdings besonders bei Jak 1 auf Schwierigkeiten. Im Anschluss an die formgeschichtliche Analyse von Francis unterstreicht auch P. H. Davids (1982) den Charakter des Jak als Epistel. R. P. Martin (1988) akzeptiert ebenso die Ansicht von Francis, freilich nicht ohne Vorbehalte. Der Haupteinwand gegen diese Gattungsbestimmung bleibt jedoch nach wie vor die Feststellung, dass ausser in 1,1 Jak briefliche Merkmale fehlen. Aus dieser — auch h$ute noch umstrittenen (s. unten 1.1.2) — Erkenntnis sind Versuche hervorgegangen, Jak einer anderen Gattung zuzuordnen. 4
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1.1.1.2 Diatribe Einer der frühesten Versuche, die von der Negation des brieflichen Charakters des Jak ausgehen, findet sich bei J. H. Ropes (1916), der Jak als Diatribe identifiziert. Er meint, in Jak fänden sich nicht nur charakteristische Züge der Diatribe, nämlich »the truncated dialogue with an imagery interlocutor« (2,18f.) und »the brief question and answer« (5,13f.) , sondern auch »other habitual phrases and modes of expression which give a well-marked and easily recognisable form to the diatribe« . 11
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1 2 1 3
Francis, Form 111. AaO. 126 (beide Zitate). AaO. 125. Dies betrifft vor allem die »Doppelstruktur« in Jak 1; dazu s. unten 2.2.1. Zur Kritik vgl. aber vor allem Church, Forschungsgeschichte 31-36. Davids, 24, wobei er betont, Jak sei kein wirklicher Brief, sondern eine literarische Epistel. Vgl. auch ders., Epistle 3628. Martin, xcviii. Etwa Ropes, 6; Dibelius, 15; Michl, 15; Schnider, 13; neuerdings Schnelle, Einleitung 446. Ropes, 3.6-18. Diatribe »ist der Stil der kynisch-stoischen Volkspredigt« (Bultmann, Stil 3; vgl. auch Schmidt, KP II 1577f.); dagegen nimmt aber Stowers, Diatribe 175, an: »The diatribe is a type of discourse employed in the philosophical school. [...] The form of the diatribe and the way it functions presupposes a student-teacher relationship.« Seine These wurde von Aune, Testament 200-202; Ber ger, Formgeschichte 111; Bailey/Vander Broek, Forms 40, u.a. akzeptiert. Kritisch aber Schmeller, Diatribe 415, wonach die Festlegung der »Diatribe« auf die Schultradition einseitig ist: »Der [...] vielfältige Sitz der >Diatribe< und der sehr verschiedenartige Einsatz von >Diatribenstil< im Rom und den anderen Paulusbriefen läßt [...] eine Beschränkung dieses Stils auf eine >Schultätigkeit< nicht zu« (aaO. 436). Ropes, 12 (beide Zitate). AaO. 13. Etwa: Formeln wie |xfi «XavaoGe (1,16), 8&eu; & yvövai (2,20), xi otpeXoq (2,14.16); Übergang mit Einwand (2,8), mit Frage (2,14; 4,1; 5,13) oder mitdye (4,13; 5,1); ironische Impe rative (5,1; vielleicht 4,9); Apostrophe (4,13-5,6) usw.
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Forschungsgeschichte zur Gattung
Obwohl Jak unbestritten diatribenartige Züge enthält, bleibt es fraglich, ob man den Brief gesamthaft als Diatribe bezeichnen kann. Es gilt ja, wie M. Dibelius gegen Ropes zu Recht bemerkt: »dass ein Text kleine Diatriben enthält [...] und gelegentlich auch sonst stilistische Mittel der Diatribe verwendet [...], macht ihn noch nicht zu einer Diatri be« . Diese Gattungsbestimmung gilt wohl nur für 2,14ff, weil man den Dialog mit ei nem fiktiven Gesprächspartner — einem wichtigen Merkmal der Diatribe — nur in 2,14ff. rekonstruieren kann. Es ist deshalb fragwürdig, aufgrund weniger diatribenartiger Abschnitte den ganzen Brief als Diatribe zu bestimmen. 14
15
1.1.1.3 Paränese Die literarische Gattungsbestimmung des Jak als »Paränese«, die unter dem Namen von M. Dibelius (1921) allgemein bekannt ist, ist nicht dessen originaler Vorschlag, sondern er hat Vorgänger, die auf die Verwandtschaft des Jak mit den alttestamentlichen Weis heitsbüchern sowie antiken Paränesen hinwiesen. Trotzdem hat dieser Auslegungs strom ohne Zweifel erst mit dem Jakobuskommentar von Dibelius seinen Höhepunkt erreicht; er hat seine Vorgänger übertroffen, indem er den ganzen Jak als Paränese be zeichnet hat. Dibelius versucht, die Verlegenheit der Exegeten angesichts der seltsamen In kohärenz des Jak zu überwinden, indem er Merkmale der Paränese auf Jak anwendet: Jak habe keine Theologie, denn Paränese sei eine Sammlung überlieferten Gutes und biete dem Verfasser keinen Raum für Schöpfung und Entwicklung eigener Ideen. Ausserdem sei es verfehlt, von Jak einen systematischen Gedankenfortschritt zu fordern, weil in paränetischer Literatur nicht gedankliche, sondern nur formale Verbindungen die Aufreihung der Mahnungen leiten würden. Die Argumentation von Dibelius für die Gattung »Paränese« ist stark von der Form geschichte bestimmt, wenn er seine Aufmerksamkeit primär auf einzelne Tradi tionsstücke richtet, zwischen gesammelten Materialien nur formale Verbindung aner kennt und den Verfasser des Jak lediglich als Sammler einzelner Überlieferungen an sieht . Wenn die Identifizierung des Jak mit der Paränese durch formkritische Analyse ein zelner Materialien in Jak begründet ist, taucht konsequenterweise die Frage nach der 16
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Dibelius, 14 Anm. 2. Dibelius sieht in 2,1-3,12 als eine Art der Diatribe an (ebd.). Church, Forschungsgeschichte 89 bemerkt ferner: »James does not appear to dwell on one theme as seems necessary to be classed a diatribe.« Wifstrand, Problems 177f. weist darauf hin, dass die von Ropes genannten Charakteristika nicht auf die Diatribe beschränkt werden können. Vgl. Kürzdörfer, Charakter 3-9. Dibelius, 35f. AaO. 20f. »Es wird ein Spruch einem anderen angefügt, lediglich weil dasselbe Wort oder ein Wort desselben Stammes in beiden Sprüchen vorkommt.« Dieses Mittel heisst Stichwort-Verbindung (aaO. 21). Diesen Verzicht auf den gedanklichen Zusammenhang nennt Popkes, Adressaten 11, »Kontext verbot«. Dibelius, Formgeschichte 2: »Die Verfasser [sc. der Evangelien] sind nur zum geringsten Teil Schriftsteller, in der Hauptsache Sammler, Tradenten, Redaktoren.«
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Gestalt der ganzen Schrift auf: Kann Jak vom Anfang bis zum Ende unter dem Begriff »Paränese« subsumiert, d.h. als Sammlung überlieferten Gutes, verstanden werden? Dass man nicht alle Teile des Jak als Paränese bezeichnen kann, ist zu Recht schon von manchen Forschern bemerkt worden. K Kürzdörfer fuhrt 2,1-13; 2,14-26 und 3,112 als Abschnitte an, die nicht mit den paränetischen Briefteilen des Neuen Testaments verglichen werden können. K Berger zählt weiter 4,1-4 und 5,1-6 als unparänetische Teile auf. G. Schule lehnt die Vorstellung überhaupt ab, dass »eine Schrift, die sich einzig dem Vortrag von Paränese gewidmet hat«, in neutestamentlicher Zeit existierte. Diesen aufgezählten Stellen werden wir weiter den Rest von Kap. 4 (4,5-17) hinzufugen können: 4,5-10 ist mit V.l-4 stark verbunden. Und weder 4,1 lf. noch 4,13-17 gehören zur Spruchparänese, sondern vielmehr zur Gattung des prophetischen Scheltworts. Schliesslich bleiben uns nur 1,1-26 und 5,7-20, deren Gattung wir guten Gewissens als Paränese bezeichnen dürfen. Trotz dieser Schwierigkeiten hat die Ansicht von Dibelius in der Jakobus-Forschung grossen Anklang gefunden, wobei man mutatis mutandis eine »paränetische« Gattung herausgearbeitet hat. F. Mussner (1964) unterscheidet sich im Grunde genommen nicht von Dibelius, wenn er die Gattung des Jak als »paränetische Didache« bezeichnet. Nur will er hinter den einzelnen Paränesen folgenden Zusammenhang sehen, der die Auswahl der Stoffe bestimmt habe. »Der Wille zu einem entschiedenen Christentum der Tat, wie es auch Jesus in der >Bergpredigt< gefordert hat« . Die Bezeichnung »paränetische Didache« ist offenbar in der angenommenen Beziehung auf die Lehre Jesu begründet. Für K Kürzdörfer (1966) ist die Bezeichnung »Paränese« als Gattung zu vieldeutig und dem Neuen Testament fremd: Zur Paränese gehören so verschiedene Faktoren wie 21
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Church, Forschungsgeschichte 109 Anm. 59: »As a form-critic, Dibelius' primary concern was the Sitz im Leben of individual form-critical units taken in isolation, rather than the Sitz im Leben of the document as a whole. He failed to grasp that materials in James, however, are not isolated units« (Betonung von Church). Vgl. auch Perdue, Paraenesis 247; Popkes, Adressaten 17. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass Paränese als Gattung eine ganze Schrift umfassen kann. Dibelius schweigt sich dazu aus, als ob dies auf der Hand läge. Aber man sollte nicht verges sen: Paränese ist im Prinzip nichts mehr als eine Gattung der Einzelüberlieferungen in den Evange lien und den Paulusbriefen. Dibelius überschritt also die Grenze der Paränese tatsächlich, als er diese Gattung auf Jak angewendet hat. Kürzdörfer, Charakter 122: »Solche ausführlichen Mahnungen findet man in der neutestamentlichen Briefparänese nur gelegentlich (vgl. Rom 13,1-7; 1 Thess 5).« Vgl. auch Trocme, Eglises 660-669, der sich besonders mit drei Beispielen (2,2f.l5f.; 3,9f.) beschäftigt. »Dans ces trois developpements, l'auteur compose d'une facon plus personnelle et plus rh&orique que dans le reste du livre, oü il se contente d'aligner des sentences et des exhortations traditionelles et ne se lance dans des digressions un peu neuves que tres brevement.« (aaO. 662) Berger, Formgeschichte 147: »Denn weder sind die Invektiven gegen die zerstrittene Gemeinde (4,14) und die Reichen (5,1-6), noch ist eine symbuleutische, mit Diatribe/Dialexis angereicherte Ar gumentation wie die in 2,14-26 einfach mit >Spruchweisheit < zu vergleichen.« Schille, Gespaltenheit 71. Zur Gattung prophetischer Verkündigung vgl. z.B. Fohrer, Einleitung 384ff. (zu dem schuldaufweisenden Spruch, 388). Zum »Scheltwort« vgl. Sato, Q 175-183. Selbst in den Achtziger- und Neunzigerjahren ist diese Gattungsbestimmung noch mehr oder weni ger akzeptiert worden; vgl. Schräge (1985), 6; Ruckstuhl (1985), 5; Schmder (1987), 13f; Hoppe (1989), 10; Hartin, James (1991) 18-21. Mussner, 24.
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Trost, imperativische Ausfuhrungen, Spruchgruppen bzw. Spruchreihen, didaktische Anwendungen, Ausrichtung von Gleichnissen, Abschiedsreden usw. Ausserdem kommt der Begriff Paränese nur ganz selten im Neuen Testament vor. Er schlägt daher vor, Jak statt als Paränese als Paraklese (gr. napaKkr\avc/ rcapaKOte©) zu bezeichnen; ein Begriff der im NT häufig verwendet wird. Dahinter steckt die Absicht, durch diese Bezeichnung, die »in der urchristlichen Literatur [...] die gegenseitige Seelsorge der Gemeindeglieder im urchristlichen gottesdienstlichen Leben« bezeichnet , den Sitz im Leben des Jak in Verbindung mit gottesdienstlicher Praxis zu bestimmen. Er meint ferner, in Jak 5,19f, wo vom »Irrweg« die Rede ist, die alle Paränesen in Jak verbindende Klammer finden zu können: Die Paränesen in Jak »wollen vor solchen >Irrwegen< warnen« . Sein Vorschlag muss allerdings mit der Schwierigkeit fertigwerden, dass gerade in Jak der Terminus 7iapaKaÄ£(ü/7tapaKÄJiaiGrundeinweisungGrundeinweisung< ist mit der Anfech tungsthematik verbunden.« Jakobus gebe sie aber nicht einfach wieder, sondern greife sie als Rahmengattung (l,2ff./5,7-20) auf, damit er die Adressaten »an die >Anfange< des Christenwegs, an die Grundlagen, die Ausgangssituation, die Mahnungen und Warnun gen« erinnere. Darum sei diese Rahmengattung nicht auf die Gesamtgestalt des Jak anzuwenden; in bezug auf die Gesamtgestalt wagt es Popkes nur, von der Gattung »Rundbrief« zu sprechen. 39
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1.1.1.4 Homilien-Auszug Die Ansicht, dass Jak eine Zusammensetzung von Homilien-Auszügen sei, geht nach C. L. Church a u f M Luther zurück. Church nennt aber G. H. Rendali (1927) als den er sten wichtigen Vertreter dieser Ansicht. Nach Rendall sei Jak weder ein Brief für Korrespondenz noch eine Gelegenheitshomilie noch eine Diatribe, »but like the Sermon on the Mount it is a compendium of the utterances which from time to time James, at the centre of Jewish Christianity, was wont to address to those who accepted or were prepared to give a Sympathie hearing to the Christian Interpretation of Jesus, as fulfilling the Messianic expectation« . Dabei spiele es keine Rolle, ob alles von Jakobus selbst, oder von einem Reporter niedergeschrieben wurde; »all have a physiognomy of their own, and preserve the accent and vocabulary of the teacher, in reproducing the gist of that which was most vital, impressive and permanent in his message.« Durch die Idee, Jak als Kompilation zu betrachten, versucht Rendall unzweifelhaft, die Inkohärenz zwischen den einzelnen Aussagen verständlich zu machen. B. Reicke (1964) wendet den Homilien-Charakter auf neutestamentliche Briefe im allgemeinen an: »The heart of the [NT] epistles is generally a doctrinal section followed by a series of admonitions. These may be regarded as following the forms of Jewish, Greek, and Christian preaching.« Die inhaltliche Inkohärenz führt Reicke aber nicht auf 43
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Popkes, aaO. 176. Ebd. AaO. 177. AaO. 183f. »Aber diser Jacobus [...] wirfit so vnordig eyns yns ander, das mich dunckt, es sey yrgend eyn gut frum man gewesen, der ertlich spruch von der Apostelln Jungern gefasset, vnnd also auffs papyr geworffen hat, oder ist villeicht aus seyner predigt von eynem andern beschrieben« (WA. DB 7, 386); vgl. Church, Forschungsgeschichte 157f. Church, aaO. 160-164. Zu Vorgängern von Rendall vgl. aaO. 158-160. Vgl. Rendall, Epistle 14. 33. AaO. 33. Ebd. Vgl. aaO. 109. Reicke, xxxi.
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Kompilation zurück, sondern darauf, dass der Verfasser die Materialien gemäss der Si tuation der Adressatengemeinden angeordnet habe. Auch P. H. Davids (1982) zählt zu den Vertretern dieser Richtung, wenn er Jak als ein Zwei-Stufen-Werk betrachtet: »The epistle is very likely a two-stage work. The first stage is a series of Jewish Christian homilies, sayings, and maxims [...]. The second stage is the compilation of an epistle by editing these pieces together into a whole« . Dabei seien vom Herrenbruder Jakobus selber die erste, und vielleicht auch die zweite Stufe durchgeführt worden. Church bemerkt aber mit Recht eine grundsätzliche Schwierigkeit, auf welche die homiletische Gattungsbestimmung stösst: sie kann keine Abschrift einer jüdischen Syn agogen-Predigt aus neutestamentlicher Zeit vorweisen, die als Analogie für eine formge schichtliche Identifizierung unentbehrlich wäre. Darum kann sich diese Bestimmung als Homilien-Auszug lediglich auf den Eindruck berufen, den die Lektüre des Jak zu wecken vermag, obwohl dieser Eindruck freilich nicht völlig von der Hand zu weisen ist, denn Jak will ja in der Gemeinde vorgelesen werden. 50
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1.1.1.5 Allegorisches Testament Die Hypothese von A Meyer (1930), dass hinter Jak eine jüdische (pseudepigraphische) Urschrift stehe, die der Patriarch Jakob als Testament den zwölf Stämmen Israels hinter lassen habe, ist ein typisches Beispiel für den Versuch, ein verstecktes Ordnungsprinzip in Jak zu finden. Demzufolge sei Jak eine jüdische Schrift, die später leicht christianisiert wurde. Bei dieser Urschrift handle es sich um »eine (versteckte) Allegorese über die Namen und Kennzeichen von Personen aus des Patriarchen Jakob Familie und Umge bung« . Dabei sei aber damit zu rechnen, dass der christliche Bearbeiter durch Verkürzung des ursprünglichen Textes die Allegorese unklar gemacht habe. Diese nur mit gewalttätiger Textanalyse mögliche Interpretation findet heutzutage mit Recht keine Resonanz mehr. Ebensowenig einleuchtend ist der Versuch von M. Gertner (1962), auf eine andere Weise als Meyer die verborgene Kohärenz des Jak zu finden. Er meint Jak als eine Midrasch-Homilie über Ps 12 und Hos 10,1-4 begreifen zu* können: Die fünf Kapitel des Jak 54
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AaO. 7. Davids, 12. Vgl. zu dieser Hypothese den Exkurs: »Die Mitarbeiter-Hypothese und die Zwei-Stufen-Hypothese« (aufS. 43). Church, Forschungsgeschichte 191. »The data cited by Thyen and others are literary texts in which the structures of argumentation and methods of dealing with scripture have no doubt been influenced by the practice of the synagogues rather than sermons themselves« (ebd.). Vgl. Meyer, Rätsel 167-176. AaO. 286. Vgl. die Liste aaO. 282f. AaO. 302. Zu Reaktionen auf Meyers These vgl. Church, Forschungsgeschichte 202-207. Gertner, Midrashim 283-291.
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entsprächen thematisch den ersten fünf Versen von Ps 12, dessen Vorlage wiederum Hos 10,1-4 sei. 59
1.1.2 Rehabilitation des Jakobus-»Briefes« 1.1.2.1 Zum Ziel der Gattungsbestimmung Bei der Frage nach der literarischen Gattung handelt es sich selbstverständlich um den Versuch, die ganze Gestalt des Jak als möglichst einheitlich zu begreifen. Dieser Versuch hat mit der Schwierigkeit fertigzuwerden, dass Jak keine inhaltliche Kohärenz zwischen den einzelnen Teilen zu haben scheint. Die oben erwähnten Identifikationsversuche mit der Diatribe, der Paränese, dem Homilien-Auszug und dem allegorischen Testament er scheinen insofern als konsequent, als sie die Zusammenhangslosigkeit erklären können. Trotzdem haben alle diese Versuche ihre Tücken. Es ist zwar begreiflich, dass man die Gattung unserer Schrift aufgrund einzelner Ma terialien, die Jak beinhaltet, bestimmen wollte. Denn man wollte durch die Gattungsbestintmung erklären, warum der Inhalt des Briefes keine Kohärenz zu zeigen scheint. Ist dies aber ein methodisch berechtigtes Verfahren? Bei der Gattungsbestimmung sollte es sich eigentlich nicht darum handeln, zu fragen, welche Materialien die Schrift beinhaltet, sondern darum, die Art und Weise der Kommunikation zwischen Verfasser und Leser zu erfassen. Dies ist erst in der neueren Jakobus-Forschung betont worden. Geht man von diesem Aspekt aus, wird logischerweise die Briefformel in Jak 1,1 primär in Frage kommen; denn als Leser beginnt man mit 1,1 ! Bei der Suche nach der literarischen Gattung des Jak muss man sich also zuerst der Frage zuwenden, wozu der Verfasser durch die Briefformel mit seinen Lesern Kontakt aufnehmen wollte, und war um er dies ausgerechnet durch ein derart rätselhaftes Präskript, wie es Jak 1,1 darstellt, versuchte. 60
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AaO. 284. Zur Kritik vgl. Mussner, 58; Church, Forschungsgeschichte 209ff.; Klein, Werk 19 Anm.29. Vgl. Church, Forschungsgeschichte 269. Wuellner, Jakobusbrief 35, meint, »dass Erforschung litera rischer Gattungen [...] wertlos bleiben, wenn sie nicht mit Erforschung der Funktion oder des situa tiven Gebrauchs verbunden werden«. Vgl. auch Berger, Formgeschichte 9: »Für die Gattungsbe stimmung entscheidend ist, welches Element auf den Leser den stärksten Eindruck macht«. Frankemölle, I 66: »Unzweideutig will Jakobus, dass sein Schreiben als Brief an konkrete Adres saten, darüber hinaus aufgrund seiner Bedeutung als Rundbrief an alle Christen verstanden werden soll.« Kürzdörfer hat ganz recht, wenn er meint, dass die Frage nach dem Sitz im Leben des Jak erst geklärt werden kann, wenn man die redaktionelle Rahmung des Briefes berücksichtigt (Charakter 104). Dabei geht er aber nicht von Jak 1,1, sondern von 5,191 aus und kommt deswegen zu einem unrichtigen Schluss. Soweit man wie bisher Jak 1,1 als literarische Einkleidung bei der Gattungsbestimmung ausser acht lässt, wird dieses umstrittene Präskript unerklärt bleiben. Es kann nur in Verbindung mit der Funk tion des ganzen Briefes verstanden werden, wie wir unten zu zeigen versuchen. Auch Klein, Werk 38f., begeht diesen methodischen Irrtum, wenn er die Gattung des Jak als Mahnrede mit einem brieflichen Rahmen definieren will.
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Es empfiehlt sich allerdings, zuvor eine Vorüberlegung darüber anzustellen, inwiefern der Verfasser die ganze Schrift als Brief gestalten wollte: Hat er das briefliche Präskript einfach als sekundäres Element, das in der Schrift keine Rolle mehr spielt, dem Hauptteil hinzugefügt? Oder lässt nicht nur 1,1, sondern die ganze Schrift briefliche Merkmale erkennen? Gegen die opinio communis wollen wir hier einwenden, dass Jak ausser in 1,1 auch sonst einen brieflichen Charakter aufweist. Dies soll nun anhand des Schlussteils und des Briefkorpus des Jak überprüft werden. 63
1.1.2.2 Schlussteil des Briefes Was die Exegeten davon abhielt, den Jak der Gattung des Briefes zuzuweisen, ist vor allem die Beobachtung, dass dem Schluss des Jak jeglicher Briefcharakter, d.h. der Schlussgruss fehle. Mir scheint aber, dass es eine vorschnelle Entscheidung ist, wegen des Fehlens eines Schlussgrusses den Briefcharakter des Jak zu verneinen. Denn dabei bleibt ausser acht, dass nicht unbedingt alle antiken Briefe einen Schlussgruss haben. Unter den ausserbiblischen griechischen Briefen finden sich solche ohne Schlussgruss. Aber auch unter den frühjüdischen Briefen war der Schlussgruss nicht die Regel: So haben z.B. die zwei Ein leitungsbriefe des 2 Makk (1,1-9; 1,10-2,18) keinen Schlussgruss, was nach /. Taatz und J. A. Fitzmyer durchaus den Gepflogenheiten der aramäischen Epistolographie ent spricht. Auch im Baruchbrief findet sich kein brieflicher Schlussgruss (syrBar 86,3). Er kann ferner nicht nur in ursprünglich semitisch geschriebenen Briefen fehlen, sondern auch in Briefen, die auf Griechisch geschrieben worden sind: z.B. 1 Makk 12,6-18 und 12,19-23. Das Fehlen des Schlussgrusses kann demnach nicht das entscheidende Argument ge gen den Briefcharakter des Jak sein. Hat Jak aber wirklich keinen Briefschluss? Dass der Schlussteil des Jak mit 5,7 be ginnt, ist unzweifelhaft. Der Abschnitt (5,7-20) ist aber weiter zu unterteilen in: V.7-12; 13-18; 19f. In 5,7-12 greift Jakobus das Thema der Geduld, das er in 1,2-12 behandelt hat, wieder auf (thematische Reprise); dieser Rahmenbau zeigt deutlich, dass der Verfas64
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Hier lassen wir die textkritisch unbegründete Hypothese von L. E. Elhott-Binns ausser acht, nach dem Jak 1,1 nachträglich der Schrift hinzugefügt worden sei (Christianity 47f.; vgl. auch Kürzdörfer, Charakter 28f. Anm. 3). So Exler, Form 69-77, bes. 69. »Yet a large number of ofificial letters are found without any final salutation. If we could attach much value to definite numbers, we might observe that the closing salutation is missing in about one third of the official letters beginning with the formula: A - to B Xaipeiv.« (ebd.) Vgl. P. Tebt 16 (114 v. Chr.); 29 (ca. 110 v. Chr.); 34 (ca. 100 v. Chr.); 314 (2. Jh. n. Chr.); 413 (2. od. 3. Jh. n. Chr.); 414 (2. Jh. n. Chr.); 416 (3. Jh. n. Chr.); 417 (3. Jh. n. Chr.); P. Oxy 528 (2. Jh. n. Chr.); 744 (1 v. Chr.). So auch Francis, Form 125; Hartin, James 32; erneut Weima, Endings 30: »Although the majority of ancient Hellenistic letters end with a farewell wish, this form is not so firmly established as to suggest that it was considered an essential element in the clo sing of every letter.« Taatz, Briefe 27; Fitzmyer, Notes 217. Vgl. auch Josephus, Ant XVI 166-173. Dort finden sich fünf Briefe, die mit der Formel »X an Y Xaipeiv« beginnen. Aber keiner von ihnen hat eine Schlussformel.
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ser mit einer Wiederaufnahme des Themas des Briefanfangs beabsichtigt, den Brief abzu runden. Welche Funktion hat dann der übrige Abschnitt (5,13-20)? V.13-18 enthält eine Gebetsparänese, wie sie sich häufig in neutestamentlichen Briefschlüssen findet (Eph 6,18; Phil 4,6; Kol 4,2; 1 Joh 5,14f; Jud 20), »was sich in dieser Häufigkeit durch die paganen Belege nicht erklären lässt« . V.19f. kann man mit K. Berger der Gattung des Ketzerschlusses, d.h. einer »Verhaltensanweisung gegenüber Abweichlern« zuweisen (Rom 16,17f; 2 Thess 3,14f; 1 Tim 6,20f; Tit 3,9-11; Jak 5,19f; 2 Petr 3,17; 1 Joh 5,16f.[-19]; Jud 22f; Hebr 13,9-16). Daraus geht hervor: Trotz des Fehlens eines brieflichen Schlussgrusses spricht der Schlussteil des Jak, der die für neutestamentliche Briefe charakteristischen kleineren Gattungen (Gebetsparänese, Ketzerschluss) enthält, nicht gegen eine Zuweisung zur brieflichen Gattung. 67
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LI.2.3 Briefkorpus Dass dem »Briefkorpus« des Jak briefliche Züge fehlen, ist nicht so klar, wie die meisten Autoren glauben machen wollen. Denn beim Vergleich des Jak mit der antiken Epistolographie gibt es m.E. ein Problem, das man bisher nicht genug berücksichtigte, d.i. die Kürze und Vielfalt des antiken Briefes. Erstens ist zu beachten, dass die meisten antiken Briefe überhaupt zu kurz sind, als dass man ihre »Mitte« mit dem Mittelteil des Jak in formaler Hinsicht vergleichen könnte; diese Beobachtung gilt auch für die paulinischen Briefe, die, abgesehen von Phlm, viel länger sind als gewöhnliche private Briefe der Antike, mit denen sie öfters verglichen werden. Der andere, wohl wichtigere Faktor ist die Vielfalt des Briefkorpus. Man muss auch bei Jak berücksichtigen, was H. Frankemölle in seinem Kommentar zu 1 Petr sagt: »Ein Überblick über hellenistische Briefe [...] sowie über jüdische Briefe [...] zeigt, dass das Altertum keine verbindlichen Regeln für die Abfassung eines Briefes kennt. Die Vielfalt 72
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Francis, Form 124, leitet aus der Analyse von Jak 5,7-11 und 1 Joh 5 zwei gemeinsame Elemente der Schlussform eines Briefes her: »eschatological Instruction and thematic reprise«. Kaum überzeugend ist die Ansicht von Baasland, Form 3657, dass die Geduld-Thematik nicht nur in V.7-11, sondern bis V.20 erläutert werde. Frankemölle, Netz 177, merkt an, dass »das Gebet des Glaubens« (5,15) einen Kontrast zur negativen Aussage von l,6f. bilde. Kann man aber bemerken, dass dem »nicht von ungefähr« (ebd.) so ist? Berger, Gattungen 1348. Dort erwähnt Berger auch Gebetswünsche (Rom 15,30-32; Eph 6,19f.; Kol 4,3f.; Hebr 13,18f). Vgl. auch ders., Formgeschichte 141f. Francis, Form 125, weist auf die Paral lelität zum Gesundheitswunsch der Adressaten in den hellenistichen Briefen. Zum Topos Ge sundheitswunsch vgl. White, Light 200-202; ders., Literature 1734f. Berger, Formgeschichte 142-144. Zitat (142) dort kursiv gedruckt. Vgl. auch ders., Gattungen 1349. Aber bei Jak 5,19f., anders als bei sonstigen genannten Stellen, ist vom Ausschluss der Abweichler nicht die Rede. Ausserdem ist es m.E. bei Jak schwierig, einigermassen klar zwischen »moralischen Sündern« und »Abweichlern in der Lehre« zu unterscheiden, wie Berger (Formgeschichte 142) es tut. Vgl. auch Schnider/Stenger, Studien 81-83. So auch Klein, Werk 37f. Zum Schlussteil des Jak vgl. auch Hartin, James 32f. White, Literature 1739; vgl. auch Doty, Letters 34.
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des Inhalts und die pragmatische Intention (Privatbrief, Geschäftsbrief, politischer oder philosophischer Brief u.a.) bestimmen seine Form.« Wenn ein Briefkorpus, wie J. L. White definiert, zwei Grundfunktionen dient, nämlich »(1) to disclose or seek Informa tion, and (2) to make requests or commands«, dann weicht der Mittelteil des Jak, der viele Mahnungen enthält, nicht von dieser Definition ab. Es ist zu bemerken, dass man, sei es bewusst, sei es unbewusst, den griechischen Pri vatbrief als Standardtyp der Brieflichkeit voraussetzt, wenn man neutestamentliche Briefe behandelt. Das verengt aber das Blickfeld der neutestamentlichen Briefforschung. Bei der Erforschung der neutestamentlichen Briefe müsste sowohl die formale wie die inhalt liche Vielfalt der christlichen und der nichtchristlichen Briefe berücksichtigt werden. 73
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Diese Voraussetzung der neutestamentlichen Briefforschung ist vor allem auf A. Deissmann zu rückzuführen, der eine Unterscheidung zwischen Brief und Epistel vertreten hat: Der Brief, »seinem innersten Wesen nach intim und persönlich, ist [...] für den Adressaten oder die Adressaten, nicht aber für die Öffentlichkeit oder eine Öffentlichkeit bestimmt«, während die Epistel als literarische Kunst form auf die Öffentlichkeit abziele. Nach diesem Massstab seien die Paulusbriefe wirkliche Briefe, denn »sie sind von Paulus nicht für die Öffentlichkeit und die Nachwelt geschrieben, sondern für die Adressa ten«. Andererseits sei Jak eine Epistel, denn er habe »nichts von der unwiederholbaren Einzelheit der brieflichen Situation, in die uns die Paulusbriefe stellen, sondern lauter ganz allgemeine Fragen, die zum grössten Teil auch in unseren kirchlichen Verhältnissen noch denkbar wären.« Seine Definition des Briefes lässt erkennen, wie stark sein Kriterium für die Brieflichkeit am Privatbrief orientiert ist. Damit schliesst Deissmann die Möglichkeit aus, dass ein Brief auf verschiedene Adressatengruppen (nicht »Publikum«) abzielt, was m.E. bei Jak der Fall ist. 76
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Die Autoren, die den brieflichen Charakter des Mittelteils des Jak ablehnen, weisen vor allem auf das Fehlen einer konkreten Briefsituation hin. Zwar verrät Jak, anders als die paulinischen Briefe, scheinbar keine persönlichen Be ziehungen zwischen Schreiber und Adressaten. Man darf aber daraus nicht eine »Situationslosigkeit« des Jak herleiten, denn dieses Urteil setzt voraus, dass der Privat brief als Standardtyp eines Briefes gilt. Beziehungen zur Situation der Adressaten, allerdings nicht so persönliche wie bei Privatbriefen, fehlen auch in Jak nicht. Sie begegnen erst in 2,2ff. Dies dürfte zwar keine historisch genaue Wiedergabe dessen sein, was bei den Adressaten passierte, sondern ist 81
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Frankemölle, 1 Petr 17f. Vgl. auch ders., 167. mite, Literature 1736. Darauf weist Berger, Gattungen 1333, hin: »Der Ausgangspunkt zur Beurteilung der frühchristli chen Briefliteratur im ganzen ist ein Vergleich zwischen Paulusbriefen und hellenistischen Pri vatbriefen. Diese Basis ist sowohl auf der christlichen wie auch auf der nichtchristlichen Seite zu schmal.« So mchMullins, Formulas 389; ferner Stowers, Typification 85f. Deissmann, Licht bes. 194-206. Vgl. Doty, Classification 190, der eine Liste von Deissmanns Erwäh nungen von Brief, Epistel und deren Vergleich aufstellt. AaO. 194. AaO. 198. AaO. 206. Sein Kriterium der Brieflichkeit stösst schon bei Rom auf Schwierigkeiten, denn die »intimen und persönlichen« Beziehungen zwischen Paulus und den römischen Adressaten fehlen, weil Paulus sie nicht persönlich kennt. Und man wird diesen Brief ohne zu zögern als »literarisch« kennzeichnen können; Rom ist jedoch nach seiner Definition keine »Epistel«, denn Paulus hat ihn weder für die Öffentlichkeit noch für die Nachwelt geschrieben. Zur Kritik vgl. weiter Doty, Classification 191f. Vgl. z.B. Dibelius, 15; Schnider, 6.
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wohl eher ein »stilisierter« Fall. Aber das spricht nicht gegen die Aktualität dieses Bei spiels. Man soll sodann die Aoristform der Verben in V. 4.6a (SteKpiGtixe, k/eveoGe, f|tt|idoaxE) berücksichtigen. Jakobus gebraucht nur hier den Indikativ-Aorist im Nach satz, der dem Vordersatz mit ei/fedv entspricht (vgl. 2,2: fcdv). Wollte Jakobus lediglich von einer Möglichkeit reden, hätte er wohl wie in 4,4 den Indikativ-Präsens im Nachsatz verwendet, oder einen ei-Vordersatz, wie z.B. in 2,8.9.11. Diese auffällige Aoristform spricht m.E. dafür, dass das Beispiel 2,2ff. einen Tatbestand der Situation der Adressaten widerspiegelt. Dass Jak konkrete Briefsituationen kennt, geben sodann die folgenden zwei wichtigen Abschnitte des Briefes zu erkennen: 2,14-26 und 3,1-12. Trotz der Divergenz der Inter pretationen sind sich die Exegeten darin einig, dass in 2,14-26 Jakobus einem (laut man chen Auslegern »missverstandenen«) Paulinismus gegenübersteht. Der Abschnitt setzt voraus, dass dieser Paulinismus irgendwie auf die Adressaten Einfluss ausübt. Die Ak tualität des Problems des Lehrers, das Jakobus in 3,1-12 beschreibt, lässt sich durch die Beobachtung erkennen, dass er dort auffälligerweise das Subjekt »wir« wiederholt ver wendet (V. 1.2.9; vgl. auch V.6 »unter unsern Gliedern«). Das weist nicht nur darauf hin, dass Jakobus auch Lehrer ist, sondern auch, dass er von einem für ihn und die Adressaten aktuellen Problem redet, das mit Lehrern zusammenhängt. Diese Abschnitte werden im Zusammenhang mit der aktuellen Situation der Adressaten behandelt (s. unten 4.2.1 und 5.2). Aus obigen Überlegungen wird klar, dass Jak einen brieflichen Charakter hat. Er ent spricht der Definition des »Briefes« durch eine unter dem Namen von Libanius überlieferte Schrift: »ein gewisser schriftlicher Verkehr mit jemandem, von dem man fern ist« . Jak ist keineswegs ein Traktat ethischer Mahnungen wie z.B. Prov, Sir oder Weish, sondern eine Konversation mit Adressaten. Man muss aber dann die Frage beantworten, warum Jakobus die Briefsituation so indirekt angibt. Dies lässt sich aufgrund des Rundbrief-Charakters des Jak verstehen (vgl. Jak 1,1): Jak wendet sich primär an die Gemeinden, die die Briefsituation zunächst be trifft, im Hinterkopf wissend, dass er auch in anderen Gemeinden gelesen werden wird. 83
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Dibelius, 161. Nach dem edv-Vordersatz: Indikativ-Präsens (2,14.17; 4,4); Indikativ-Futur (4,15; 5,15); ImperativPräsens (5,19); Verb weggelassen (2,15). Nach dem ei-Vordersatz: Indikativ-Präsens ([1,23;] 2,8.9; 3,3); Indikativ-Perfekt (2,11); Imperativ-Präsens (1,5; 3,14); Verb weggelassen (1,26; 3,2; 4,11). Grammatisch lassen sich die drei Verben in V.4.6a als futurischer Ind.Aor. verstehen (BDR §333,2; 373,1b). Das schliesst aber nicht die Aktualität der Aussage aus. Hinzugefugt sei, V.6a bildet einen Gegensatz zu V.5b, wo von Gottes aktualer Tat die Rede ist, und deshalb der Eindruck verstärkt wird, dass die »Ihr« tatsächlich den Armen »verachtet« haben. Z.B. Dibelius, 220; Mussner, 18; neuerdings Hoppe, 70. Zum Thema Jakobus und Paulus, s. unten 5.1-2. Ferner soll 3,13-17 in Zusammenhang mit dem vorhergehenden Abschnitt gelesen werden: »weise und verständig« (V.13) bezieht sich auf Lehrer. Dazu s. unten 4.2.1.2. EittOToXiuaioi xapaKTfpe^ (Epistolary Styles) 2, in: Malherbe, Theorists 66f. So auch Heiligenthal, Werke 43: »Da die Epistel nicht an eine bestimmte Gemeinde in einer konkre ten Konfliktsituation gerichtet ist, muss sie relativ feste, vergleichbare Gemeindestrukturen mit >typischen< Konfliktpunkten voraussetzen, da sonst ihre Paränesen ins Leere gehen würden«. Als primäre Adressaten werden, wie unten in 4.1-2 verdeutlicht wird, nachpaulinische Gemeinden in Frage kommen. Auch Sato, Jakobusbrief 71, vermutet eine primäre und eine weitere Leserschaft: »Der Autor hat die Schrift primär mit der Absicht geschrieben, die [...] bedauerliche Lage des fuhrenden Kreises der ihm vertrauten Kirche(n) zu kritisieren und zu berichtigen. Seiner Meinung
Rehabilitation des Jakobus-»Briefes«
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1.1.2.4 Ergebnis Bei der Bestimmung der literarischen Gattung des Jak ist von der Briefformel in 1,1 aus zugehen, durch die der Verfasser des Jak auf seine Leser einwirken will. Darüber hinaus hat Jak nicht nur in 1,1 brieflichen Charakter, sondern auch in seinem Schlussteil (5,720). Ferner lässt sich der Briefkorpus, dem die Briefsituation entnommen werden kann, in die briefliche Gattung einordnen, wenn man deren Vielfalt berücksichtigt. So kann man Jak vom Anfang bis zum Ende als Brief begreifen.
nach ist eine ähnliche Problematik aber in vielen anderen Kirchen — zumindest latent — vorhan den.« Dabei meint Sato, die konkrete Kritik des Jak gelte seinen primären Lesern, während die all gemeingültige Mahnung einen weiteren Leserkreis berücksichtige. Mir scheint es aber schwierig zu sein, zwischen konkreter Kritik und allgemeingültiger Mahnung so strikt zu unterscheiden. Dies gilt auch für Hengel, Jakobusbrief 265, der wie Sato zwei Empfängergruppen annimmt, d.h. alle Chris ten und »die Gemeinden, die Paulus kennen bzw. gar von ihm gegründet sind«.
1.2 Der Jakobusbrief als christlicher »Diasporabrief«
Vorüberlegung Liest man Jak als Brief, so gilt es des weiteren zu fragen, was für ein Brief er ist. Es han delt sich also dabei nicht mehr um die Frage nach der Gattung, sondern um die Frage, welcher Brief-Tradition Jak angehört. Dass die Briefformeln in Jak 1,1 und in 1 Petr bei jüdischen Briefen Analogien finden, wird ab und zu erwähnt. Trotzdem ist man mW. aber auf diesen Zusammenhang bisher nicht näher eingegangen, wohl wegen des Urteils, dass sich der Briefcharakter des Jak auf das Präskript beschränkt. Da wir glauben, gezeigt zu haben, dass die Gesamtgestalt des Jak als Brief zu lesen ist, ist nun diese Analogie zum Diasporabrief näher zu betrachten. Im folgenden soll ge zeigt werden, 1) dass es im Frühjudentum eine Tradition des Diaspora-Briefes gab, 2) dass Jak sich sowohl formal wie thematisch an diese Brieftradition anschliesst, so dass man bei Jak von einem christlichen Diasporabrief sprechen kann, und 3) dass diese Tradi tion auch in anderen frühchristlichen Briefen begegnet. 89
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1.2.1 »Diasporabrief«-Tradition
im Frühjudentum
In bezug auf die frühjüdische Tradition des »Diasporabriefes« ist vor allem auf /. Taatz zu verweisen, die überzeugend darlegt, dass es unter frühjüdischen Briefen solche gibt, die »die grundlegende Funktion [haben], die Einheit des jüdischen Volkes in der Gemein schaft von Mutterland und Diaspora zu stärken« . Dazu gehören nach Taatz: a) die Einleitungsbriefe zu 2 Makk (2 Makk 1,1-9; 1,10-2,18); b) die Briefe der Jeremia-Baruch Tradition (Jer 29; EpJer; syrBar 78-86 [87]; ParJer 6,19-25; 7,24-34); c) rabbinische Briefe (Empfehlungsschreiben an die Diaspora; drei Briefe von Gamaliel I.; zwei Briefe von Simeon ben Gamaliel und Jochanan ben Zakkai); d) Briefe der Elephantine-Kolonie (Aramaic Papyri No. 21; 30) und e) Briefe der Bar-Kochba-Zeit aus der Wüste Juda. 91
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Etwa bei Schnider, 25f., der ausdrücklich von »Anlehnung an die Gattung des jüdischen Diaspo rabriefes« spricht; er verweist auf Sann IIb und syrBar 78-87. Ferner bei Popkes, Adressaten 183f. (2 Makk 1,1-9; 1,10-2,18; Jer 29,4-23; syrBar 78,1-86,2), und bei Aune, Testament 185 (pSanh I,2,18d; Sanh IIb; TSanh 11,6; syrBar 77,17-19; 78,1-86,3). Vgl. auch Klein, Werk 185-190. Vgl. Schnider, 13: »Mit der Feststellung, dass der Verfasser des Jak seinem Werk mit dem briefli chen Präskript zunächst die Form des Diasporabriefes gibt, ist aber die Frage nach der Bestimmung der literarischen Gattung des Jak noch nicht ganz beantwortet. Denn der Textverlauf des Jak enthält keine weiteren Merkmale der Briefform.« Taatz, Briefe 104. Hg. vonA Cowley, 60-65.108-119.
»Diasporabhef«-Tradition im Frühjudentum
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a) Eine Beziehung zwischen Palästina und der Diaspora belegen die zwei Einleitungsbriefe zum 2. Makkabäerbuch (2 Makk 1,1-9; 1,10-2,18). Diese Briefe sind von Jerusalemer Juden an die ägyptische Diaspora gerichtet, und fordern die Adressaten zur Feier des Laubhüttenfestes im Monat Chaleu (od. Kislew) auf. Nach der Angabe des Datums in 2 Makk 1,9 (»Im Jahre 188«) ist der erste Brief »zwischen dem Frühjahr von 124 und dem von 123« geschrieben worden. Die Echtheit des zweiten Briefes ist umstritten. b) Die Tradition der Briefe, die sich an die Diaspora richten, lässt sich auf den Brief des Propheten Jeremia (Jer 29,1-23) zurückfuhren. Diesen Brief hat Jeremia »von Jerusalem aus an den Rest der Ältesten der Verbannten [...] und an die Priester und Propheten und alles Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel in die Verbannung geführt hatte« (Jer 29,1) gesandt. Der Brief ist nicht von vornherein als Teil des Jer abgefasst, sondern erst später bei der Zusammenstellung des Prophetenbuches darin aufgenommen worden. Und die Einheit von Kap. 27-29 ist auch sekundär aufgebaut worden. Die Epistula Jeremiae, die zu den alttestamentlichen Apokryphen gehört, will angeblich eine Abschrift eines Briefes sein, den Jeremia an die nach Babylon Weggeführten gesandt hat (vgl. Überschrift). Diese Schrift ist aber Pseudonym, und wohl im 3. oder 2. Jh. v. Chr. in Babylon geschrieben worden. Bei EpJer handelt es sich, wie in Jer 29, um eine prophetische Mahnrede an die Diasporajuden in Babylon. Dass die Tradition des Diasporabriefes im 1. Jh. n. Chr. weiterlebte, bezeugt der Baruchbrief (syrBar 78-86). Der Brief, der höchstwahrscheinlich als der letzte Teil von syrBar abgefasst wurde, richtet sich »an die neuneinhalb Stämme [...], die jenseits des 93
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Die Absenderangaben der beiden Briefe sind: »die jüdischen Brüder in Jerusalem und im Lande Judäa« (2 Makk 1,1) und »die (Brüder) in Jerusalem und die in Judäa und der Rat und Judas« (1,10). Vgl. 2 Makk 1,9.18. Habicht, 2. Makkabäerbuch 200. Die meisten Autoren sind der Meinung, dass er ein späteres Produkt ist (vgl. Habicht, aaO. 199f), während kürzlich Taatz die Authentizität des Briefes unterstützte und ihn auf 164/163 v. Chr datierte (Briefe 29-44). Ausnahmen sind Aramaic Papyrus 30 (von Elephantine nach Judäa) und der Brief Jeremias an Baruch in parJer 7,24-34 (von Babel nach Jerusalem). In 2 Chr 21,12b-15 findet sich ein Brief des Propheten Elia an den König Joram. Aber das ist kein Brief an die Diaspora. Wie Taatz überzeugend beweist, haben Kap. 27-29 besondere Namensschreibungen. »[W]ahrscheinlich sind die Kapitel als selbständige Einheit bereits vor der Zusammenstellung des Prophetenbuches weitergegeben worden« {Taatz, Briefe 47. Betonung von Taatz). Z.B. die Namen »Nebukadrezar« -istrn?l33 (25,1.9; 32,1 u.a.)/»Nebukadnezar« -ISN£DD3 (27,8.20; 28,3.11.14; 29,1.3. Dagegen 29,21 mit i ) und »Jeremia« ^nyKurzform r r p T (2^,1; 28,5f. 10-12.15; 29,1. Dagegen 29,29f.) Thiel, Redaktion 11-19, schreibt diese Arbeit der deuteronomistischen Redaktion (D) zu. Der Septuaginta-Text (LXX Jer 36) zeigt auffällige Abweichungen von MT (z.B. fehlen V. 16-20 in der LXX). Das spielt aber im Rahmen unserer Fragestellung keine Rolle. Schürer, History 111,2 744, vermutet im 2. Jh. v. Chr., vorausgesetzt, dass 2 Makk 2,lf. auf diesen Brief anspielt. Eissfeldt, Einleitung 737: »Indes ist es auch ohne dies nur wahrscheinlich, dass wir unseren Brief nicht später als im 2. Jahrh.v.Chr. ansetzen müssen.« Wolff, Jeremia 149 Anm. 4, nimmt Anfang des 3. Jh. v. Chr. an. Das beweist überzeugend Bogaert, L'Apocalypse I 67-78. So auch Taatz, Briefe 59. Anders Sayler, Promises 98-101. Der Baruchbrief ist aber nicht Fiktion im Rahmen des syrBar geblieben, sondern ist wohl tatsächlich an die »Diaspora« verschickt worden. Die Existenz der vielen syrischen Hands
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Der Jakobusbreif als christlicher Diasporabrief
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Flusses waren«. Diese auffällige Adressatenangabe wird verständlich, wenn man mit ei nem früheren Brief rechnet, der gemäss syrBar 77,17-26 an die babylonische Diaspora geschickt worden war. Wahrscheinlich haben Bogaert und Taatz recht, wenn sie das Verhältnis dieser zwei Briefe damit erklären, dass der Verfasser des syrBar nur einen Brief (syrBar 78-86) geschrieben habe, weil er schon den Brief eines anderen Verfassers an die babylonische Diaspora kannte. »In der fiktiven Situation des beginnenden 6. Jh.v.Chr. konnte Diaspora aber ausser dem babylonischen Exil der Südstämme nur die von der assyrischen Deportation betroffenen Nordstämme bezeichnen.« Daraus kann man mit Taatz schliessen, dass sich der Baruchbrief in Wirklichkeit an die gesamte jüdische Diaspora richtet. Die Ermahnung zur Verlesung des Briefes in den Versamm lungen (syrBar 86,1) legt die Vermutung nahe, dass der Brief in den Synagogen der Dia spora tatsächlich verlesen wurde. c) Andere Rundbriefe an die Diaspora finden sich unter den rabbinischen Briefen: In Sanh 1 lb; p.Sanh 1,2,18d; TSanh 11,6 sind drei Briefe von Rabbi Gamaliel I. überliefert; der erste Brief richtet sich an die Juden in Ober- und Unter-Galiläa, und der zweite an die Juden »des Südens«. Beachtenswert ist die Adressatenangabe des dritten Briefes: »An unsere Brüder, die Einwohner der babylonischen Diaspora, und an unsere Brüder in Medien, und an die ganze übrige jisraelitische Diaspora CarfyTJ Knrf?! ^ "»Wo ?!)« (Sanh 1 l b ) . Dieser Brief richtet sich ohne Zweifel an die gesamte Diaspora. 102
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Taatz bezweifelt die Echtheit dieser Briefe: »Vielmehr dürften mit den Briefen die Zustände nach der Zerstörung des Tempels auf die Zeit vor der Zerstörung übertragen worden sein.« Wenn sie recht 107
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Schriften, die nur den Baruchbrief enthalten (vgl. die Liste in Bogaert, aaO. 43f), belegt dies (mit Taatz, aaO. 63). Die Entstehungszeit des syrBar kann man nicht genau bestimmen. Bogaert vermutet 96 n. Chr., d.h. am Anfang der Herrschaft von Nerva (aaO. 295). Klijn vertritt zwischen 100 und 130 n. Chr. (Baruch-Apokalypse 114), denn syrBar enthalte eine weiter entwickelte theologische Re flexion als 4 Esr, der wohl um die Wende des 1. Jh. n. Chr. entstanden ist. Da es aber kein entschei dendes Argument gibt, kann man die Entstehungszeit nicht genauer festsetzen als zwischen 70 und 130 n. Chr. So auch Taatz, aaO. 60. Bogaert, aaO. 80; Taatz, aaO. 63. Anders Charles, APOT II 476 (Der verlorene Brief sei in Bar 1,13; 3,9-4,29 erhalten); Schmid, Baruch 59 (Bar 3,9-4,4). Es wäre aber schwer zu erklären, warum der Brief ins Baruchbuch so eingefugt wurde, dass man den originalen Brief, anders als beim Baruch brief in syrBar 78-86, nicht mehr erkennen kann. Taatz, aaO. 63. Taatz, aaO. 63. Sie vermutet weiter, dass der Brief als kurze Zusammenfassung der Apokalypse ge schrieben worden ist. Taatz, aaO. 73: »Mit der Versammlung ist die Gemeindeversammlung in der Synagoge gemeint, wobei beginnend in Palästina und im ersten Jh.n.Chr. in die Diaspora übergreifend mit crwaycoyri die Versammlung wie auch das Gebäude bezeichnet wurde.« Bogaert, L'Apocalypse I 157-161, weist auf Constitutiones Apostolorum V, 19,8-20,3 hin, wonach die Juden am 10. des Monates Gorpiaios neben Klageliedern auch das Baruchbuch lasen. Trotz des Zitats von Bar 3,36-38 (V,20,3) vermutet Bogaert, dass diese Erwähnung von »Baruch« die Verlesung der Baruchapokalypse od. des Baruchbriefes in Synagogen wiederspiegelt. »L'auteur des Constitutions Apostoliques a pu connaitre une tradition selon laquelle un livre de Baruch se lisait dans les synagogues lors de l'anniversaire de la prise de Jerusalem. II y aura vu le livre canonique de Baruch, le seul qu'il connaissait.« (aaO. 160f.) Übersetzung von L. Goldschmidt (Der Babylonische Talmud Bd. VIII, 501). p.Sanh I,2,18d nennt nach »Medien« weiter »die Einwohner des Exils von Griechenland« (Übersetzung von G. A. We wers, Talmud Yerushalmi IV/4,22). Taatz, Briefe 89.
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»Diasporabrief«-Tradition im Frühjudentum
hat, bezeugen diese Briefe, dass die Tradition des Diasporabriefes auch in der Zeit nach 70 n.Chr. noch bekannt war, und dass solche Briefe auch für die Zeit vor 70 n.Chr. nichts fremdes waren.
Diese Briefe belegen den kultischen Zusammenhalt zwischen Palästina (od. Jerusa lem) und der Diaspora wenigstens für die nachchristliche Zeit: Bei den ersten zwei Brie fen handelt es sich um die Einforderung des Zehnten der Feldprodukte (Oliven, Ähren). Der dritte Brief, der an die ganze Diaspora gerichtet ist, gibt die Einschaltung der 30 Tage kund. In dieser Hinsicht erinnern sie an die Einleitungsbriefe zu 2 Makk. Eine sehr starke Ähnlichkeit mit den ersten zwei Briefen von Gamaliel I. weisen die Briefe von Simeon ben Gamaliel und Jochanan ben Zakkai auf: Diese nur in MHG zu Dt 26,13 überlieferten Briefe fordern die Juden im Süden und in Galiläa dazu auf, die Feld produkte zu verzehnten. Hier kann man eine überlieferungsgeschichtliche Berührung vermuten. Sie belegen die Verbreitung dieser Briefgattung. Diese Briefe zeigen auf, dass es im Frühjudentum eine Tradition des »Diasporabriefes« gab. Durch solche Briefe wurde versucht, den Zusammenhalt zwi schen Mutterland und Diaspora zu bewahren. Aus vorchristlicher Zeit sind Briefe belegt, die an gewisse Orte in der Diaspora gesandt wurden. Briefe dieses Typs finden sich auch in nachchristlicher Zeit, aber es fällt auf, dass es daneben auch Rundbriefe an die gesamte Diaspora gibt. z.B. der Baruchbrief und der dritte Brief des Gamaliel I. Bei den Diasporabriefen handelt es sich öfters um kultische Anweisungen an die Diasporajuden (2 Makk; Briefe Gamaliels I.; Briefe von Simeon ben Gamaliel und Jocha nan ben Zakkai; Aramaic Papyrus 21). Darüber hinaus hat man der Diaspora auch verschiedene ethische Mahnungen gesandt (Jer 29; EpJer; Baruchbrief). Diese Diasporabriefe wurden meistens zuerst auf Hebräisch oder Aramäisch ge schrieben, dann zur Verbreitung ins Griechische, oder in eine weitere Sprache übersetzt. Es ist also nicht zu bezweifeln, dass Briefe dieser Art unter den grie chischsprachigen Juden bekannt waren. 108
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Auch in bezug auf die Absender weisen diese Briefe eine Analogie zu den Briefen in 2 Makk auf: Im Kontext ist als Absender zwar nur Gamaliel I. genannt, aber in den Briefen wird die 1. Person Plural verwendet. Die Absender sind also, wie der dritte Brief verrät, Gamaliel I. und seine »Genossen«. Mit »Genossen«, die der gesamten Diaspora die Einschaltung kundgeben können, wird nichts ande res als das Synedrium gemeint sein. Es sind also, wie bei 2 Makk, von den Jerusalemer Autoritäten abgesandte Briefe. Zur Analyse vgl. Taatz, Briefe 84f. Die anderen, von Taatz behandelten Briefe greifen wir hier nicht mehr auf. Denn sie tragen m.E wenig zur Analyse des Jak bei. Doch belegen auch sie die Intensität des Briefverkehrs zwischen Jeru salem/Palästina und der Diaspora. An Babylon (Jer 29; EpJer); Ägypten (2 Makk 1,1-9; 1,10-2,18). Vgl. auch Aramaic Papyrus 21 (Elephantine). An Babylon (parJer 6,19-25; ein verlorener Brief, den syrBar 77,17-26 erwähnt); Alexandria (p.Hag 77d), Galiläa (Briefe von Gamaliel I. sowie von Simeon ben Gamaliel und Jochanan ben Zakkai). Bei Aramaic Papyrus 30 geht es auch um Tempel und Opferkult. Die zwei Briefe in parJer 6,19-25; 7,24-34 schildern einen privaten Briefwechsel zwischen Baruch und Jeremia, obwohl der Brief des Baruch den babylonischen Juden von Jeremia öffentlich verlesen wurde (parJer 7,12-23). Die Originalsprache der syrBar ist noch umstritten. Während man oft ein semitisches Original an nimmt (vgl. z.B. Charles, APOT II 472-474), vermutet Bogaert Griechisch als Originalsprache. Vgl. Bogaert, L'Apocalypse 353-380; Klijn, Baruch-Apokalypse 110f.; Taatz, Briefe 59f.
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Der Jakobusbrief als christlicher Diasporabrief
1.2.2 Diasporabrief-Tradition
und Jakobusbrief
Nach diesem Einblick in die jüdische Diasporabrief-Tradition soll nun erwogen werden, wie sehr Jak durch sie geprägt ist. Dies sei zuerst anhand des Präskripts unter formalem, dann anhand der Anfechtungs-Thematik unter thematischem Aspekt durchgeführt.
/. 2.2.1 Präskript des Jakobusbriefes »Jakobus, Gottes und des Herrn Jesu Christi Knecht, den zwölf Stämmen in der Zer streuung freudigen Gruss.« Das Präskript des Jak entspricht eindeutig der griechischen Briefformel: A an B Xaipeiv. Die griechische Form des Jak wird von vielen Exegeten in Kontrast zur ori entalischen Form, die Absendernamen und Gruss auf zwei Sätze verteilt, gesehen. Nicht zu übersehen ist aber, dass »semitisch denkende Briefschreiber, wenn sie in grie chischer Sprache schrieben, normalerweise auch das korrekte griechische Formular be nutzten.« Die griechische Form erscheint z.B. in 1 Makk 12,6: »Der Hohepriester Jonatan, der Hohe Rat des Volkes, die Priester und das übrige Volk der Juden entbieten den Spartanern, den Brüdern, ihren Gruss! (kovaGccv äpxiepew; Kai fj yepowia xov eOvoix; Kai oi iepei