L. Annaeus Seneca
Apocolocyntosis Die Verkürbissung des Kaisers Claudius Lateinisch I Deutsch
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L. Annaeus Seneca
Apocolocyntosis Die Verkürbissung des Kaisers Claudius Lateinisch I Deutsch
Übersetzt und herausgegeben von Anton Bauer
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Powarad by LATINSCAN
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 7676
Alle Rechte vorbehalten © 1981 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2005 RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN-13: 978-3-15-007676-7 ISBN-10: 3-15-007676-5 www.redam.de
Apocolocyntosis SIVe Ludus demorte Claudii Neronis Die Verkürbissung des Kaisers Claudius oder Satire auf den Tod des Claudius Nero
1 (1) Quid acturn sit in caelo ante diern III. idus Octobris anno novo, initio saeculi felicissirni, volo rnernoriae tradere. nihil nec offensae nec gratiae dabitur. haec ita vera. Si quis quaesiverit unde sciarn, prirnurn, si noluero, non respon debo. quis coacturus est ? ego scio rne liberurn facturn, ex quo suurn diern obiit ille, qui verurn proverbiurn fecerat aut regern aut fatuurn nasci oportere. (2) Si libuerit respondere, dicarn quod rnihi in buccarn venerit. quis unquarn ab historico iuratores exegit? tarnen si necesse fuerit auctorern producere, quaerito ab eo qui Dru sillarn euntern in caelurn vidit : idern Claudiurn vidisse se dicet iter facientern ••non passibus aequis« . Velit nolit, necesse est illi ornnia videre, quae in caelo aguntur : Appiae viae curator est, qua scis et divurn Augusturn et Tiberiurn Caesarern ad deos isse. (3 ) Hunc si interrogaveris, soli narrabit : corarn pluribus nunquarn verburn faciet. narn ex quo in senatu iuravit se Drusillarn vidisse caelurn aseendentern et illi pro tarn bono nuntio nerno credidit, quod viderit, verbis conceptis affir rnavit se non indicatururn, etiarn si in rnedio foro horninern occisurn vidisset. Ab hoc ego quae turn audivi, certa clara affero, ita illurn salvurn et felicern habearn.
1 (1) Was sich am 13 . Oktober' im Himmel zutrug, im ersten Jahr einer neuen Zeitrechnung', zu Beginn des segens reichsten Zeitalters, das will ich der Nachwelt zur Erinne rung überliefern. Nichts, weder Haß noch Sympathie soll mich dabei auch nur im geringsten lenken. Was ich berichte, hat sich wahrhaftig so ereignet. Falls einer fragen sollte, woher ich denn mein Wissen habe, so werde ich, wenn ich nicht will, zunächst gar nicht antworten. Wer wollte mich auch dazu zwingen ? Ich weiß, daß ich ein freier Mann geworden bin in dem Augenblick, da jener das Zeitliche gesegnet hat, der das Sprichwort wahr werden ließ, daß man entweder zum König oder zum Trottel bereits geboren sein müsse.' (2) Gefällt's mir aber zu antworten, so will ich sagen, was mir gerade in den Schnabel kommt. Wer hat schon einmal von einem Historiker vereidigte Zeugen verlangt ? Wenn's aber doch nötig sein sollte, einen Bürgen vorzuführen, so möge man den fragen, der schon Drusilla einst zum Himmel auffahren sah :' der wird dann auch beteuern, er habe Clau dius >humpelnden SchrittsNimis rustice< inquies >Cum omnes poetae, non contenti ortus et occasus describere, ut etiam medium diem inquie tent, tu sie transibis horam tarn bonam ?< (4) lam medium curru Phoebus diviserat orbem et propior nocti fessas quatiebat habenas obliquam flexo deducens tramite lucem : 3 (1) Claudius animam agere coepit nec invenire exitum poterat. turn Mercurius, qui semper ingenio eius delectatus esset, unam e tribus Parcis seducit et ait : >quid, femina crudelissima, hominem miserum torqueri pateris ? nec
Die Verkürbissung des Kaisers Claudius
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ich nun ohne Umschweife berichten - so wahr ich ihm Glück und sonst noch alles Gute wünsche. 2 (1) Schon hatte Phoebus zusammengezogen auf engerer Bahn den Lichtkreis, es wuchsen bereits die Stunden des finsteren Schlafes, schon auch mehrte Selene ihr Reich in siegreichem Kampfe, und es zerstreute ein garstiger Winter des fruchtbaren H erbstes köstliche Gaben, und spät erst- vom Gott des Weines noch weitres Altern erbittend- dann pflückte der Winzer die spärlichen Trauben.' (2) Ich glaube, besser versteht man mich, wenn ich sage : Der Monat war der Oktober, der Tag war der 13. Oktober, die Stunde kann ich dir nicht genau angeben : denn eher wird es noch unter den Philosophen Übereinstimmung geben als bei den Uhren, doch muß es zwischen zwölf und eins gewesen sein. ' (3) »Das ist viel zu kunstlos«, wird man sagen, ,.zumal alle Dichter - nicht damit zufrieden, Sonnenauf- und -Unter gänge auszumalen - selbst die Mittagszeit nicht in Ruhe lassen, da willst du über eine so gepriesene Stunde einfach hinweggehen ?« Nun denn : (4) Schon sah Phoebus die Mitte der Kreisbahn hinter sich liegen, und so schüttelte- näher der Nacht- er die schläfrigen Zügel, lenkte in rundem Bogen die sinkende Sonne hinunter, 3 (1) als schließlich Claudius seine Seele in Bewegung zu setzen begann, doch konnte er für sie keinen Ausgang finden.• Da nahm Merkur 10 , der ja schon immer am Talent dieses Mannes Gefallen gefunden hatte, eine der drei Par zen 1 1 zur Seite und sagte : ,. Wie kannst du, grausames Weib, den armen Teufel sich denn so quälen lassen? Soll ihm, der
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Apocolocyntosis
unquam tarn diu cruciatus cesset? annus sexagesimus quartus est, ex quo cum anima luctatur. quid huic et rei publicae invides ? (2) Patere mathematicos aliquando verum dicere, qui illum, ex quo princeps factus est, omnibus annis, omnibus mensi bus efferunt. et tarnen non est mirum si errant et horam eius nemo novit ; nemo enim unquam illum natum putavit. fac quod faciendum est : »dede neci, melior vacua sine regnet in aula. «< (3 ) Sed Clotho >ego mehercules< inquit >pusillum temporis adicere illi volebam, dum hos pauculos, qui supersunt, civitate donaret< - constituerat enim omnes Graecos, Gallos, Hispanos, Britannos togatos videre - >scd quoniam placet aliquos peregrinos in semen relinqui et tu ita iubes fieri, fiat< . (4) Aperit turn capsulam et tres fusos profert : unus erat Augurini, alter Babae, tertius Claudii. >hos< inquit >tres uno anno exiguis intervallis temporum divisos mori iubebo, ne illum incomitatum dimittam . non oportet enim eum, qui modo se tot milia hominum sequentia videbat, tot praece dentia, tot circumfusa, subito solum destitui. contentus erit his interim convictoribus . < 4 (1) haec ait e t turpi convolvens stamina fuso abrupit stolidae regalia tempora vitae. at Lachesis redimita comas, ornata capillos,
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sich so lange geschunden hat, wirklich niemals ein Abgang beschieden sein ? Vierundsechzig Jahre sind es j etzt, 12 daß er mit seiner Seele ringt. Warum bist du ihm und seinem Staat so böse ? (2) Laß nun die Astrologen endlich einmal die Wahrheit prophezeien, " die ihn, seit er Kaiser geworden ist, jedes Jahr und j eden Monat erneut zu Grabe tragen. Aber es ist ja nicht verwunderlich, wenn sie irren und keiner seine Todesstunde kennt ;" hat ihn doch kein Mensch je als fertig geboren betrachtet. 1 5 Drum tu, was endlich getan werden muß : >Gib ihn dem Tod, ein Besserer herrsch' im verwaisten Palaste. ne demite, Parcae< Phoebus ait >vincat mortalis tempora vitae ille mihi similis vu!tu similisque decore nec cantu nec voce minor. felicia lassis
Die Verkiirbissung des Kaisers Claudius
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Flechten und Stirn bekränzt vom Schmucke pierischen Lorbeers," zieht mit glücklich führender Hand aus der schneeweißen Wolle glänzende Fäden, die, wenn sie versponnen, im Nu ihre Farbe wechseln. Ihr Werk bewundern erstaunt die göttlichen Schwestern : denn in edles Metall verwandelt sich einfache Wolle, goldene Zeiten steigen hernieder von prächtigem Garne. Und sie kennen kein Maß und ziehen beglückende Fäden, freudig fülln sie die Hände und süß scheint ihnen die Arbeit. Ganz von allein scheint's eilt das Werk, und mühelos fließen weich die Fäden herab von der rasch sich drehenden Spindel. Sie übertreffen die Jahre des Nestor und die des Tithonus. 23 Phoebus ist da und spornt an mit Gesang und freut sich der Zukunft, schlägt bald fröhlich die Laute, bald reicht er den Parzen die Wolle, hält mit Gesang sie am Wirken und täuscht sie über die Mühe. Während sie preisend das Spiel und die Lieder des B ruders hervorheben, spinnen sie mehr als das übliche Maß, und menschliches Ausmaß schon übersteigt das gepriesene Werk. »0 nehmt nichts, ihr Parzen, davon ihm weg« , sang Phoebus, »j a spreng er des irdischen Daseins Schranken, mir ähnlich im Antlitz, mir ähnlich an Schönheit, gleich an Gesangskunst und Stimmgewalt mir. Glückselige Zeiten
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saecula praestab it legumque silentia rumpet. qualis discutiens fugientia Lucifer astra aut qualis surgit redeuntibus Hesperus astris, qualis cum primum tenebris Aurora solutis induxit rubicunda diem, Sol aspicit orb em lucidus et primos a carcere concitat axes : talis Caesar adest, talem iam Roma Neronem aspiciet. flagrat nitidus fulgore remisso vultus et adfuso cervix formosa capillo. < (2) Haec Apollo. at Lachesis, quae et ipsa homini formosis simo faveret, fecit plena manu et Neroni multos annos de suo donat. Claudium autem iubent omnes xaLQOvtEc;, EUcp'I']IJ.OÜVtEc; bt3tEJ.lltELV OOJ.lvae me, puto, concacavi meolim< inquit >magna res erat deum fieri : iam fabam mimum fecistis . itaque ne videar in personam,
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weil dieser seine Schwester, ein ganz liebreizendes Mädchen, das jedermann eine Venus nannte, lieber seine Juno nennen wollte. « '' (3) ••Warum, möchte ich wissen, mußte es auch gerade seine Schwester sein ?p. c. vos testes habeo, ex quo deus factus sum, nullum me verbum fecisse : semper meum negotium ago . sed non possum amplius dissimulare et dolorem, quem gravio rem pudor facit, continere. (2) In hoc terra marique pacem peperi ? ideo civilia bella compescui ? ideo legibus urbem fundavi, operibus ornavi, ut - quid dicam p. c. non invenio : omnia infra indignationem verba sunt. confugiendum est itaque ad Messalae Corvini, disertissimi viri, illam sententiam : »pudet imperiiIch muß mich für das Reich schämen!Ich weiß von nichtset venire nos nuntiabelua centicepsClaudius< inquit >venietdie hundertköpfige Bestie•, 123 lag. Ein wenig verliert er jetzt doch die Fassung, wie er diesen schwarzen, strähnigen Köter sieht, dem man sicher nicht im Dunkeln begegnen möchte - sonst war er nur gewöhnt, sein weißes Schoßhündchen zu hätscheln -, dann aber ruft er mit lauter Stimme : »Claudius kommt!« (4) Unter Händeklatschen kommen sie nunmehr hervor und singen : »Wir haben ihn gefunden, nun freun wir uns!« 12 4 Da waren der designierte Konsul Gaius Silius , der ehemalige Prätor Juncus, Sextus Traulus, Marcus Helvius, Trogus,
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equites R. quos Narcissus duci iusserat. medius erat in hac cantantium turba Mnester pantomimus, quem Claudius decoris causa minorem fecerat. (5) Ad Messalinam - cito rumor percrebuit Claudium venisse - convolant : primi omnium liberti Polybius, Myron, Harpocras, Amphaeus, Pheronactus, quos Claudius omnes, necubi imparatus esset, praemiserat. deinde praefecti duo Iustus Catonius et Rufrius Pollio. deinde amici Saturninus Lusius et Pedo Pompeius et Lupus et Celer Asinius consula res, novissime fratris filia, sororis filia, generi, soceri, socrus, omnes plane consanguinei. (6) Et agmine facto Claudio occurrunt. quos cum vidisset Claudius, exclamat : >:n:av1:a cpCA.oov :n:A.i]Qll . quomodo huc venistis vos?< turn Pedo Pompeius : •quid dicis, homo crudelissimc ? quaeris quomodo ? quis enim nos alius huc misit quam tu, omnium amicorum interfector? in ius eamus : ego tibi hic seilas ostendam>Alles ist. voll von Freun den ! 12' Wie seid ihr denn hierher gekommen ? « Darauf fährt ihn Pedo Pompeius an : »Was sagst du da, du brutaler Kerl ? Du fragst noch wie ? Wer anders als du hat uns hierherge schickt, du Mörder aller deiner Freunde ? Los, ab ! Vors Gericht gehen wir jetzt: ich werd' dir gleich zeigen, wo hier die Richter sitzen . « 1 4 (1) Und e r führte ihn vor das Tribunal des Aeacus :127 der leitete die Untersuchungen nach der Lex Cornelia"' über Meuchelmörder. Pedo beantragt, er solle ihn als Kläger zulassen und reicht die Klageschrift ein : ermordet seien 35 Senatoren, 221 römische Ritter, an sonstigen Bürgern >soviel wie Sand am Meer.