Stefan Krummaker Wandlungskompetenz von Führungskräften
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Information – Organisation – Prod...
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Stefan Krummaker Wandlungskompetenz von Führungskräften
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Information – Organisation – Produktion Herausgegeben von Professor Dr. Hans Corsten, Professor Dr. Michael Reiß, Professor Dr. Claus Steinle und Professor Dr. Stephan Zelewski
Die Schriftenreihe präsentiert Konzepte, Modelle und Methoden zu drei zentralen Domänen der Unternehmensführung. Information, Organisation und Produktion werden als Bausteine eines integriert angelegten Managementsystems verstanden. Der Erforschung dieses Bereiches dienen sowohl theoretische als auch anwendungsorientierte Beiträge.
Stefan Krummaker
Wandlungskompetenz von Führungskräften Konstrukterschließung, Modellentwicklung und empirische Überprüfung
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Claus Steinle
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Hannover, 2007
1. Auflage April 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Nicole Schweitzer Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0730-7
Geleitwort
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Geleitwort Ein „Nachdenken" über die Wandlungskompetenz von Führungskräften unter einer Reflexion vorliegender Konzeptrudimente, und zwar im Duktus einer sichtenden und dabei immer detaillierter werdenden Analyse, einer zunächst globalen Phänomenerschließung und Skizzierung von Anforderungen an das Führungkräftehandeln, einer literaturanalytischen Phänomeneingrenzung und Entwicklung eines Bezugsrahmens, einer minutiösen inhaltlichen Erschließung des Konstrukts Wandlungskompetenz von Führungskräften über eine qualitative Studie, einer entsprechenden Hypothesenentwicklung, eine quantitative Studie zur Hypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung sowie die Entwicklung erster Praxishinweise ist vor dem Hintergrund der vielfältigen Anforderungen, die sich aus Änderung und Wandel als den zentralen Führungsaufgaben ergeben, dringend notwendig, aber auch höchst kompliziert. Die Notwendigkeit resultiert daraus, dass sich Unternehmungen gegenwärtig einer ständig wachsenden Umweltdynamik und -komplexität ausgesetzt sehen. Dies fordert von Unternehmungen, sich in Hinblick auf die Marktleistungen, aber auch die Ressourcen und Kompetenzen immer wieder neu zu positionieren, um so die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. auszubauen. Dabei kommt dem Umgang mit Änderung und Wandel als Führungsaufgabe eine besondere Bedeutung zu und zwar gerade deshalb, weil organisationaler Wandel vom Ausnahmefall zu einem Alltagsphänomen für Führungskräfte geworden ist. In der Praktiker- sowie der Beraterliteratur dominieren phasenbezogene Rezeptologien, die bei einer entsprechenden Anwendung einen planerisch vorgezeichneten Verlauf von Wandlungsprozessen versprechen. Dabei bleibt aber durchweg offen, was denn eigentlich Führungskräfte in die Lage versetzt, Wandlungsprozesse erfolgreich in die gewünschte Richtung zu lenken, bzw. welche Kompetenzen hierfür erforderlich sind. Es entsteht der Eindruck – und dieser gilt auch für die wenigen wissenschaftlichen Konzeptrudimente –, dass entsprechende Wandlungskompetenzen schlicht vorausgesetzt werden. Die Komplexität eines umfassenden und dabei auch an den Ursachen des Erfolgs entsprechender Wandlungskompetenz von Führungskräften ausgerichteten Vorgehens zeigt sich zunächst darin, dass es für die Beforschung dieser „neuen“ Kompetenz in den einzelnen Sozialwissenschaften zwar immer wieder – allerdings häufig sehr aspektorientierte und disziplinverhaftete – Hinweise, Umrisse und Andeutungen gibt, die den Bereich der Wand-
VI
Geleitwort
lungskompetenz als bedeutsam für den Wandlungserfolg akzentuieren, inhaltlich aber leider nur sehr oberflächlich anreißen. Einigermaßen konkrete Hinweise zu den Inhalten einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz lassen sich weder in der Betriebswirtschaftslehre noch in der (Sozial-)Psychologie oder der Politologie feststellen. Auch das zweite damit verbundene Fragenfeld, was denn die kritischen Faktoren sind, welche die Entstehung und Ausprägung der Wandlungskompetenz von Führungskräften beeinflussen wird zwar in seiner Bedeutung erkannt – allerdings liegen bis heute kaum Vorstellungen oder Antwortskizzen vor. Somit steht die Entwicklung eines entsprechenden Konzepts noch aus, das auch gestaltungszentrierte Implikationen – über die Postulatsebene hinausgehend – liefern könnte. Genau dieser Forschungslücke wendet sich Stefan Krummaker mit seiner umfangreichen Dissertation zu. Die grundlegende Idee, sich intensiv mit der Wandlungskompetenz von Führungskräften konzeptionell und empirisch-eruierend sowie -prüfend auseinander zu setzen und hierbei eine umfassende Auffächerung und Konkretisierung vorzunehmen – letztlich ganzheitlich zu arbeiten – ist exzellent angegangen und informativ sehr gehaltvoll durchgeführt worden. Mit dem differenziert ausformulierten und hinsichtlich seiner Herleitung bestens begründeten Rahmenkonzept und der bemerkenswerten qualitativen Eruierung sowie der quantitativen Überprüfung wird insgesamt ein ausgezeichnetes Basiskonzept für die gegenwärtig noch bestehende Lücke im Argumentationsfeld „Wandlungskompetenz von Führungskräften“ erarbeitet, dem eine weite Verbreitung in Wissenschaft und Praxis zu wünschen ist.
Claus Steinle
Vorwort
VII
Vorwort Die Initiierung und Durchführung von Veränderungen in Unternehmen gilt heute als wichtige Daueraufgabe von Führungskräften, ohne die ein erfolgreicher Wandel nicht möglich ist. Untersuchungen zeigen, dass organisationaler Wandel bereits 30 bis 40 Prozent der täglichen Arbeitszeit von Führungskräften beansprucht. In vielen hochgradig innovativen Branchen und in sehr dynamischen Wettbewerbsumfeldern ist der Anteil sogar noch höher. Bemerkenswert ist, dass eine relativ einfache Vorstellung darüber vorherrscht, wie Führungskräfte Veränderungen in Unternehmen durchführen. Einerseits kursieren unterschiedliche Heldengeschichten über Topmanager, die nahezu im Alleingang ein ganzes Unternehmen umgekrempelt und Veränderungen durchgeführt haben. Anderseits wird immer wieder betont, dass Führungskräfte in organisationalen Wandlungsprozessen versagen und anstelle eines hohes Engagements für die durchzuführende Veränderung mit Ablehnung oder sogar aktiven, sabotierenden Widerstand reagieren. Diese stereotypen Bilder von Führungskräfteverhalten in Wandlungssituationen hat mich zu der Frage geführt, wie eine Kompetenz zur erfolgreichen Initiierung und Umsetzung organisationaler Wandelungsprozesse aussieht und welche Faktoren eine derartige Wandlungskompetenz beeinflussen. Zwischen den anfänglichen Fragen und den möglichen Antworten lag ein langer Weg, auf dem mich viele Personen unterstützt haben. Sie alle haben dazu beigetragen, dass dieser Weg kein einsamer war und dass ich ihn erfolgreich zu Ende gegangen bin. Zunächst möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Claus Steinle danken, der es mir ermöglicht hat, an seinem Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu arbeiten und zum Thema Wandlungskompetenz von Führungskräften zu forschen. Das nette, unkomplizierte Umfeld, die ständige Gesprächsbereitschaft, das konstruktive Feedback auf meine Ideen sowie die vielen Freiräume haben mich immer wieder inspiriert und motiviert. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Klaus-Peter Wiedmann für die Übernahme des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Johann-Matthias Graf von der Schulenburg für den Vorsitz der Prüfungskommission und Frau Dr. Christina Hoon für die beratene Teilnahme an der Disputation. Bei der Suche nach den Forschungsfragen konnte ich auf wertvolle Hinweise von Frau Prof. Dr. Heike Bruch zurückgreifen. Zudem bin ich ihr sehr dankbar für die beiden kurzen Forschungsaufenthalte an ihrem Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen.
VIII
Vorwort
Die empirischen Untersuchungen in dieser Arbeit wären ohne die großartige Unterstützung von Frau Anja Papathanassis, Herrn Prof. Dr. Alexis Papathanassis, Frau Dr. Anne Ernst, Frau Dr. Manola Märtens, Frau Dr. Katja Schumann, Frau Sabine Schröder und Herrn Jens Kahlmeyer nicht möglich gewesen. Sie haben mir die Türen in die befragten Unternehmen geöffnet, Gesprächspartner vermittelt, die Untersuchung als Promotoren begleitet und die Ergebnisse mit mir diskutiert. Sehr geholfen haben mir auch die vielen konstruktiven Gespräche mit meinen Kollegen Herrn Timm Eichenberg und Herrn Alexander Bolz. Meiner Kollegin Frau Verena Eßeling danke ich für die finale inhaltliche Prüfung des Manuskripts. Weitere sehr akribische und ausdauernde Unterstützung beim Korrekturlesen habe ich von Frau Mirjam Barnert, Frau Katja Herrmann und Herrn Hans-Bruno Ziezold erhalten. Zwei Menschen gilt mein ganz besonderer Dank. Mein ehemaliger Kollege und sehr guter Freund Herr Dr. Bernd Vogel hat mich bei dieser Arbeit mit seinem fachlichen und methodischen Wissen sehr stark unterstützt und stand immer wieder für stundenlange Diskussionen bereit. Sein Wissen und seine außergewöhnlichen Motivationsfähigkeiten haben mich auf dem gesamten Weg hochgradig inspiriert, meine Leistungsbereitschaft und Leidensfähigkeit erhöht und mir sehr starken Antrieb gegeben. Diese perfekte Mischung aus freundschaftlicher und fachlicher Unterstützung ist sicherlich ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor dieser Arbeit gewesen. Die Unterstützung, die mir meine Frau Simone gegeben hat, lässt sich kaum in Worte fassen. Neben der nicht ermüdenden Diskussionsbereitschaft, ihren vielen Ideen, inhaltlichen Impulsen und den zahllosen Korrekturläufen hat sie immer an mich geglaubt – auch wenn ich den Glauben an mich bereits verloren hatte – und mir dadurch außergewöhnlich viel Kraft gegeben. Die Aussage „Du schaffst das, davon bin ich ganz fest überzeugt“ werde ich nie vergessen. Danke auch für die Geborgenheit und die zwischenzeitlichen Ablenkungen. Auch hierdurch habe ich immer wieder Energie tanken können. Abschließend danke ich meinen Eltern. Auch sie haben immer an mich geglaubt und mich außergewöhnlich unterstützt. Ich bin stolz, solche Eltern zu haben! Ihnen und meiner Frau Simone ist diese Arbeit gewidmet.
Stefan Krummaker
Inhaltverzeichnis
IX
Inhaltsverzeichnis Seite Geleitwort ............................................................................................................................V Vorwort .............................................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis.............................................................................................................. IX Abbildungsverzeichnis..................................................................................................XVII Tabellenverzeichnis........................................................................................................ XIX Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. XXI 1 Wandlungskompetenz von Führungskräften: Kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen.......................................................................................................1 1.1 Änderung und Wandel als zentrale Führungsaufgaben sowie Erkenntnisdefizite zu den Inhalten und Einflussfaktoren einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz................................................................................................1 1.2 Forschungsfragen sowie Zielsetzung der Arbeit .......................................................4 1.3 Multiparadigmatische Forschungsmethodik als wissenschaftstheoretische Positionierung sowie Aufbau der Arbeit ...................................................................7 2 Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln .........................................................................................15 2.1 Charakteristika sowie Prozesstheorien des organisationalen Wandels....................15 2.1.1 Wandel als Ergebnis und Prozess tiefgreifender Veränderungen: Eine Begriffserschließung .......................................................................................15 2.1.2 Kernmerkmale organisationalen Wandels: Tiefenwirkung als zentrales Charakteristikum .............................................................................................16 2.1.3 Erklärungsansätze zum Prozessverlauf organisationalen Wandels.................19
X
Inhaltsverzeichnis
2.2 Führungskräfte als zentrale Akteure von und in organisationalen Wandlungsprozessen ...............................................................................................23 2.2.1 Führungskräfte: Begriffsklärung sowie ebenenbezogene Auffächerung des Betrachtungsobjekts..................................................................................23 2.2.2 Einflussnahme auf und Gestaltbarkeit von organisationalem Wandel durch Führungskräfte ......................................................................................24 2.2.2.1
Voluntarismus als dominante Denkrichtung: Führungskräfte als „Lenker“ des Wandels ................................................................24
2.2.2.2
Entwicklung eines moderaten Gestaltungsverständnisses: Führungskräfte als erfolgskritische „Beeinflusser“ organisationalen Wandels ..........................................................................26
2.2.3 Handlungsanforderungen an Führungskräfte in organisationalen Wandlungsprozessen.......................................................................................28 2.2.3.1
Phasenbildung als Heuristik zur Reduktion der Komplexität von organisationalem Wandel sowie zur Identifikation führungskräftebezogener Aufgabenschwerpunkte...........................28
2.2.3.2
Phasenorientierte Auffächerung des Tätigkeitsspektrums von Führungskräften in Wandlungsprozessen ........................................30
2.2.3.3
Transformationale Führung als Handlungsmaxime in organisationalen Wandlungssituationen ..........................................34
2.3 Ausprägungsformen und Gründe für unterschiedliches Führungskräfteverhalten in organisationalen Wandlungssituationen ..............................................36 2.3.1 Wandlungsaffines und wandlungsaverses Führungskräfteverhalten als hierarchieebenenunabhängige Phänomene .....................................................36 2.3.2 Widerstand und Bereitschaft als Grundhaltungen von Führungskräften in Wandlungssituationen.................................................................................38 2.3.2.1
Ausprägungen und Ursachen führungskräftebezogener Wandlungswiderstände ....................................................................38
2.3.2.2
Bereitschaft als Gegenpol zu Wandlungswiderständen ...................40
2.3.3 Bereitschaft sowie spezielle Fähigkeiten von Führungskräften: Voraussetzungen eines erfolgreichen Handelns in Wandlungssituationen.....42 2.4 Zwischenfazit: Bereitschaft und Fähigkeiten als Merkmale einer wandlungsbezogenen Kompetenz von Führungskräften .........................................43
Inhaltverzeichnis
XI
3 Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Entwicklung eines Bezugsrahmens..............................................................................45 3.1 Ergebnisse einer Literaturanalyse zum Verständnis von Wandlungskompetenz in Theorie und Praxis...............................................................................................45 3.2 Kompetenzen: Begriffserschließung, Erklärungsmodelle und Kernmerkmale .......48 3.2.1 Der Kompetenzbegriff: Bedeutungsvielfalt sowie divergierende Forschungsperspektiven in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ......................................................................................................48 3.2.2 Wandlungskompetenzen als personenbezogenes und handlungsorientiertes Konstrukt......................................................................................51 3.2.3 Entwicklung eines relationalen Kompetenzverständnisses: Wandlungskompetenz als kontextabhängiges Handlungsrepertoire einer Führungskraft ..................................................................................................55 3.2.4 Kernmerkmale einer Wandlungskompetenz von Führungskräften.................57 3.3 Wandlungskompetenz von Führungskräften als bereitschafts- und fähigkeitsgeprägtes sowie kontextabhängiges Phänomen: Entwicklung eines Bezugsrahmens ........................................................................................................60 3.3.1 Aspekte einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz ....................60 3.3.1.1
Wandlungsbereitschaft: Antriebskraft wandlungsbezogener Aktivitäten........................................................................................60
3.3.1.2
Wandlungsfähigkeit: Zusammenspiel verschiedener wandlungsbezogener Einzelfähigkeiten...........................................63
3.3.2 Kompetenzpotenziale: Persönlichkeitsmerkmale als Grundlage einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz ...........................................67 3.3.3 Der wahrgenommene Wandlungskontext als zentrale Einflussgröße auf die Ausprägung von Wandlungskompetenz .............................................69 3.4 Zwischenfazit: Zusammenfassung der Erkenntnisse und Forschungsdefizite zur Wandlungskompetenz von Führungskräften .....................................................74 4 Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung des Konstrukts Wandlungskompetenz von Führungskräften .............................................................79 4.1 Forschungsdesign: Fallstudienanalyse als Forschungsmethodik sowie Darstellung des qualitativen Forschungsprozesses..................................................79 4.1.1 Anwendungsfelder qualitativer Forschung sowie Ziele und Kernmerkmale von Fallstudienuntersuchungen......................................................79
XII
Inhaltsverzeichnis
4.1.2 Phasenorientierte Fallstudienanalyse zur Theorieentwicklung als Untersuchungsmethodik: Der Forschungsprozess in der Übersicht ...............82 4.1.3 Auswahl des Fallstudienobjekts sowie Erläuterung des untersuchten Wandlungsprozesses: Der Wandel zum integrierten Touristikkonzern bei der TUI AG ...............................................................................................85 4.1.4 Methoden der Datenerhebung: Kombination von Dokumentenrecherche und Interviewtechnik.......................................................................................90 4.1.5 Qualitative Inhaltsanalyse: Verbindung von induktiver und deduktiver Vorgehensweise zur Entwicklung eines forschungsleitenden Kategoriensystems ..........................................................................................92 4.2 Inhalte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften und deren Auswirkung auf den Wandlungsprozess..................................................................95 4.2.1 Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit als Konstruktelemente einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz ..................................95 4.2.2 Wandlungsbereitschaft von Führungskräften: Charakteristika sowie Konstruktabgrenzung ......................................................................................97 4.2.2.1
Veränderungsdrang, Zielorientierung und Entschlossenheit als Kernaspekte von Wandlungsbereitschaft.........................................97
4.2.2.2
Abgrenzung von Wandlungsbereitschaft zu verwandten Konstrukten....................................................................................100
4.2.3 Wandlungsfähigkeit: Elemente eines Fähigkeitskanons zur Führung von Wandlungsprozessen..............................................................................102 4.2.3.1
Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen sowie mikropolitisches Geschick als wichtige Fähigkeiten von Führungskräften .............................................................................102
4.2.3.2
Anreizorientierte Aufgabenverteilung und Timing von Wandlungsaufgaben als Grundlage einer effizienten Mitarbeiterführung in Wandlungssituationen ................................105
4.2.3.3
Transformationale Führungsfähigkeiten als zentrale Aspekte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften ........................108
4.3 Effekte führungskräftebezogener Wandlungskompetenz: Gesteigertes Anstrengungsniveau und Zufriedenheit der Geführten sowie erhöhte Führungseffizienz als Erfolgsaspekte ....................................................................111 4.4 Zwischenfazit: Übersicht der inhaltlichen Ausprägung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz und ihrer Effekte......................114
Inhaltverzeichnis
XIII
5 Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz ....................................................117 5.1 Die postulierten Modellzusammenhänge im Überblick ........................................117 5.2 Kompetenzpotenziale: Persönlichkeitsmerkmale und Wissen wandlungskompetenter Führungskräfte.................................................................119 5.2.1 Proaktivität: Ausgangspunkt von Initiativverhalten in Wandlungssituationen ...................................................................................119 5.2.2 Ausdauer: Basis eines langanhaltenden wandlungsunterstützenden Führungskräfteverhaltens in Wandlungsprozessen.......................................122 5.2.3 Empathie: Einfühlungsvermögen als Grundlage einer erfolgreichen Mitarbeiterführung ........................................................................................126 5.2.4 Prozess- und Fachwissen sowie Kenntnis zentraler Promotoren- und Opponentenstrukturen als Determinanten von Wandlungskompetenz .........131 5.3 Der wahrgenommene Wandlungskontext als zentrale Determinante der Wandlungskompetenz von Führungskräften .........................................................136 5.3.1 Inhaltsbereiche eines stimulierenden Wandlungskontexts sowie vermutete Wirkbeziehungen: Eine Übersicht ...............................................136 5.3.2 Anreizwirkung des Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts von Wandlungsobjekten.......................................................................................137 5.3.3 Der empfundene Wandlungsnutzen für die Unternehmung als individueller Anreizimpuls............................................................................140 5.3.4 Wahrgenommene Führungskräfteunterstützung: Einflussnahme des Führungsverhaltens von Vorgesetzten auf die Wandlungskompetenz .........143 5.4 Die individuelle Einstellung einer Führungskraft gegenüber organisationalem Wandel als Mediator..............................................................................................146 5.4.1 Wandlungseinstellung von Führungskräften: Darstellung vermuteter Konstruktdimensionen und Wirkbeziehungen..............................................146 5.4.2 Kognitive Dimension: Teilaspekte sowie Effekte einer individuellen kognitiven Haltung von Führungskräften in Wandlungssituationen ............148 5.4.2.1
Entstehung von individueller Handlungsenergie durch wandlungsaufgabenbezogene Selbstwirksamkeit ..........................148
5.4.2.2
Aspekte und Wirkung von Selbstbestimmungs- und Einflussnahmeempfinden auf den Wandlungsprozess...................153
XIV
Inhaltsverzeichnis
5.4.2.3
Wirkung der eingeschätzten persönlichen Bedeutung des Wandlungsprozesses auf die Entwicklung einer positiven Wandlungseinstellung....................................................................157
5.4.2.4
Zusammenführung der identifizierten kognitiven Dimensionen von Wandlungseinstellung zum Konstrukt „wandlungsbezogenes Empowerment“..........................................160
5.4.3 Emotionale Dimension: Wandlungsgerichtete Gefühle als konstitutives Element einer Wandlungseinstellung von Führungskräften .........................164 5.5 Zwischenfazit: Zusammenschau der zentralen Erkenntnisse zur Entstehung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz .........................................171 6 Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung .......177 6.1 Design der quantitativen Studie: Fragebogenuntersuchung als Forschungsmethodik..............................................................................................177 6.1.1 Der quantitative Forschungsprozess im Überblick .......................................177 6.1.2 Konstruktion des Fragebogens sowie Design und Durchführung eines Pretests ..........................................................................................................178 6.1.3 Stichprobenbestimmung für die Hypothesen- und Modellprüfung sowie zentrale Merkmale der Teilstichproben in der Hauptuntersuchung..............183 6.2 Qualitätsmerkmale quantitativer Studien sowie Skalenentwicklung auf Basis von explorativen Faktorenanalysen .......................................................................186 6.2.1 Reliabilität und Validität als zentrale Gütekriterien einer quantitativen Untersuchung ................................................................................................186 6.2.2 Entwicklung von Messskalen zur Überprüfung des Hypothesenmodells Wandlungskompetenz von Führungskräften.................................................189 6.2.2.1
Skalen zur Messung von Wandlungskompetenz und ihrer Effekte ............................................................................................189
6.2.2.2
Messskalen zur Erfassung der Kompetenzpotenziale ....................193
6.2.2.3
Skalen zur Messung des wahrgenommenen Wandlungskontexts..194
6.2.2.4
Messinstrumentarium zur Erhebung der Wandlungseinstellung ...196
6.3 Test der Einzelhypothesen mittels Regressionsanalysen und konfirmatorischer Faktorenanalysen ...................................................................................................197 6.3.1 Kernmerkmale der Analysemethoden...........................................................197 6.3.1.1
Potenziale und Grundstruktur von Regressionsanalysen ...............197
Inhaltverzeichnis
6.3.1.2
XV
Vorgehensweise sowie Gütekriterien konfirmatorischer Faktorenanalyse .............................................................................199
6.3.2 Deskriptive Statistik sowie Korrelationen der Modellvariablen...................204 6.3.3 Test der einzelnen Modellhypothesen...........................................................207 6.4 Überprüfung des Gesamtmodells durch Strukturgleichungsanalysen ...................215 6.4.1 Potenziale und Anwendungsbereiche von Strukturgleichungsmodellen ......215 6.4.2 Ergebnisse der Strukturgleichungsanalyse....................................................217 6.4.2.1
Spezifikation des Strukturgleichungsmodells, Analyse der Modellgüte sowie Bestimmung der Regressionskoeffizienten ......217
6.4.2.2
Analyse der indirekten und totalen Beeinflussungseffekte im Strukturgleichungsmodell ..............................................................221
6.5 Zwischenfazit: Überblick der Ergebnisse aus der quantitativen Studie ................223 7 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zur Wandlungskompetenz von Führungskräften, Praxishinweise sowie Grenzen der durchgeführten Studie ............................................................................................................................227 7.1 Überblick der Untersuchungsresultate und Ergebnisinterpretationen ...................227 7.2 Praxishinweise zur Förderung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz..233 7.2.1 Einleitende Überlegungen zur Stärkung der Wandlungskompetenz in Unternehmungen und zu Ansatzpunkten einer nachhaltigen Kompetenzentwicklung von Führungskräften ..............................................233 7.2.2 Anregungen zur langfristigen Förderung der Kompetenzpotenziale von Führungskräften ............................................................................................235 7.2.2.1
Stärkung der Proaktivität durch Flexibilisierung des organisationalen Kontrollsystems sowie Vorleben gewünschter Verhaltensweisen ...........................................................................235
7.2.2.2
Förderung von Ausdauer durch die Vermittlung von CopingStrategien sowie transformationales Führungsverhalten vorgesetzter Führungskräfte...........................................................237
7.2.2.3
Entwicklung der individuellen Wissensbasis durch Beobachtungslernen, aktionsbasiertes Lernen und Prozesslernen .........240
7.2.3 Ansatzpunkte zur Steigerung des Anreizgehalts von Wandlungsobjekten sowie der Führungskräfteunterstützung in Wandlungsprozessen .................242 7.2.3.1
Erhöhung des Anreizes von Wandlungsobjekten durch stimulierende Aufgabenkonfigurationen sowie Kommunikation des Wandlungsnutzens...................................................................242
XVI
Inhaltsverzeichnis
7.2.3.2
Steigerung der Führungsunterstützung in Wandlungsprozessen durch vertrauensorientierte Führung von Vorgesetzten.................246
7.3 Einschränkung der empirischen Aussagekraft und deren Implikationen für die weitere Forschung............................................................................................252 7.3.1 Studienübergreifende Grenzen der empirischen Betrachtung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz ..........................................252 7.3.2 Studienspezifische Einschränkungen der empirischen Erkenntnisse sowie Hinweise für zukünftige qualitative und quantitative Untersuchungen.............................................................................................255 7.4 Erweiterungsmöglichkeiten des entwickelten Modells zur Wandlungskompetenz von Führungskräften ...........................................................................258 Literaturverzeichnis.........................................................................................................263 Anhang ..............................................................................................................................317
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildungsverzeichnis Seite Abb. 1.1: Aufbau der Arbeit sowie wissenschaftstheoretische Positionierung in den einzelnen Kapiteln..............................................................................................13 Abb. 2.1: Wandlungstypen und deren Tiefenwirkung .......................................................18 Abb. 2.2: Prozesstheorien des organisationalen Wandels..................................................20 Abb. 2.3: Phasenüberlappendes Prozessschema zum organisationalen Wandel ...............30 Abb. 2.4
Gründe führungskräftebezogener Wandlungswiderstände ................................40
Abb. 3.1: Literatursynopse zu den Inhalten einer wandlungsbezogenen Kompetenz .......47 Abb. 3.2: Perspektiven und Kernannahmen des persönlichkeitsbezogenen und handlungsorientierten Kompetenzverständnisses ..............................................54 Abb. 3.3: Kompetenzmodell in Anlehnung an Bartram/Robertson/Callinan ....................55 Abb. 3.4: Kernmerkmale von Wandlungskompetenz ........................................................60 Abb. 3.5: Charakteristika von Change Leadern und Change Managern nach Caldwell....64 Abb. 3.6: Elemente transformationaler Führungsfähigkeit................................................66 Abb. 3.7: Bezugsrahmen zur Wandlungskompetenz von Führungskräften.......................76 Abb. 4.1: Phasenorientierte Theorieentwicklung und Umsetzung am Fallbeispiel „TUI AG“...........................................................................................................84 Abb. 4.2: Verortung von Wandlungsbereitschaft im Handlungsphasenkontinuum nach Heckhausen..............................................................................................102 Abb. 4.3: Zusammenschau der Inhalte und Effekte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften ...............................................................................................115 Abb. 5.1: Die vermuteten Modellzusammenhänge in der Übersicht ...............................118 Abb. 5.2: Merkmale von Proaktivität...............................................................................122 Abb. 5.3: Aspekte von Ausdauer .....................................................................................126 Abb. 5.4: Charakteristika von Empathie ..........................................................................131 Abb. 5.5: Kerninhalte wandlungsbezogenen Wissens von Führungskräften...................135 Abb. 5.6: Einflussnahmemöglichkeiten des wahrgenommen Wandlungskontexts .........137 Abb. 5.7: Vermutete Mediationsbeziehungen in der Übersicht.......................................148 Abb. 5.8: Kognitive Dimension des Konstrukts Wandlungseinstellung..........................161 Abb. 6.1: Der quantitative Forschungsprozess im Überblick ..........................................178 Abb. 6.2: Voraussetzungen für eine Mediation ...............................................................214 Abb. 6.3: Strukturgleichungsmodell zur Analyse des entwickelten Hypothesenmodells ..........................................................................................218 Abb. 7.1: Zusammenfassung der zentralen empirischen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ..........................................................................................233 Abb. 7.2: Ansatzpunkte zur Förderung von Wandlungskompetenz in der Übersicht .....251
Tabellenverzeichnis
XIX
Tabellenverzeichnis Seite Tab. 5.1: Die Hypothesen des Modells Wandlungskompetenz von Führungskräften in der Übersicht ................................................................................................175 Tab. 6.1: Skala zur Messung der Wandlungsbereitschaft von Führungskräften.............190 Tab. 6.2: Skala zur Messung von Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen...........190 Tab. 6.3: Skala zur Messung von mikropolitischem Geschick .......................................191 Tab. 6.4: Skala zur Messung von Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben......191 Tab. 6.5: Skala zur Messung von Wissen........................................................................194 Tab. 6.6: Skala zur Messung von verspürter Neuartigkeit und persönlicher Herausforderung...............................................................................................194 Tab. 6.7: Skala zur Messung der wahrgenommenen Unterstützung durch die direkt vorgesetzte Führungskraft................................................................................196 Tab. 6.8: Fit-Indizes zur Beurteilung der Modellgüte von CFA-Modellen ....................204 Tab. 6.9: Mittelwerte, Standardabweichungen und Cronbachs Alpha sowie Korrelationen zwischen den Modell- und Kontrollvariablen...........................205 Tab. 6.10: Standardisierte direkte, indirekte und totale Effekte im Strukturgleichungsmodell .............................................................................................222 Tab. 6.11: Übersicht der falsifizierten und nicht falsifizierten Modellhypothesen............225
Abkürzungsverzeichnis
XXI
Abkürzungsverzeichnis Abb. AG AMOS ANOVA bzw. ȕ ca. CFA CFI dir. Ed./Eds. et al. Ș f. ff. FVW GmbH Ȗ H H. Hrsg. indir. ivv Jg. KG ȟ Mgmt. Mio. MLQ Mrd. MW n N n/a No. Nr. o. Jg.
Abbildung Aktiengesellschaft Analysis of Moment Structure Analysis of Variance beziehungsweise Beta-Koeffizient (standardisierter Regressionskoeffizient) cirka Confirmatory Factor Analysis Comparative Fit Index direkt Editor/Editors et alii Eta – Bezeichnung für abhängige Variablen im Strukturgleichungsmodell folgend fortfolgend Fremdenverkehrswirtschaft Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gamma – Bezeichnung für Regressionskoeffizienten im Strukturgleichungsmodell Hypothese Heft Herausgeber indirekt Informationsverarbeitung für Versicherungen GmbH Jahrgang Kommanditgesellschaft Ksi – Bezeichnung für unabhängige Variablen im Strukturgleichungsmodell Management Millionen Multifactor Leadership Questionnaire Milliarden Mittelwert Stichprobenumfang Grundgesamtheit / Population not available Number Nummer ohne Jahrgang
XXII
OCB openbc ÖVB p p. PCLOSE pp. ij QUEM r R2 R2 korr. RMSEA s S. SAP SAS Sp. SPSS SRMR Tab. TUI u.a. VGH Vgl./vgl. VIF Vol. WK z.B. z.T. ZUMA ȗ
Abkürzungsverzeichnis
Organizational Citizenship Behavior Open Business Club Öffentliche Versicherung Bremen Signifikanzniveau page Probability of Closeness of Fit pages Phi – Bezeichnung für Korrelationskoeffizienten zwischen latenten Konstrukten im Strukturgleichungsmodell Qualifikations-Entwicklungs-Management neue Länder Korrelationskoeffizient nach Pearson Bestimmtheitsmaß korrigiertes Bestimmtheitsmaß Root-Mean-Square-Error-of-Approximation Standardabweichung Seite(n) Systems, Applications, and Products in Data Processing Statistical Analysis System Spalte Statistical Package for the Social Sciences Standardized-Root-Mean-Square Residual Tabelle Touristik Union International und andere / unter anderem Versicherungsgruppe Hannover vergleiche Variance Inflation Factor Volume Wandlungskompetenz zum Beispiel zum Teil Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen Zeta – Bezeichnung für Fehlerterme abhängiger latenter Variablen im Strukturgleichungsmodell
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
1
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
1.1
Änderung und Wandel als zentrale Führungsaufgaben sowie Erkenntnisdefizite zu den Inhalten und Einflussfaktoren einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz
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In vielen Theorien zum organisationalen Wandel1 werden Führungskräfte als wichtige Akteure des Wandels verstanden.2 Das Erkennen von Wandlungsnotwendigkeiten sowie die Initiierung und Umsetzung von Änderung und Wandel3 gehört neben den traditionellen Managementfunktionen wie Planung, Kontrolle, Organisation und Mitarbeiterführung zu den zentralen Funktionen von Führungskräften.4 In der Literatur findet sich eine Vielzahl an Hinweisen, dass insbesondere der Umgang mit Änderungen und Wandel eine sehr anspruchsvolle Herausforderung darstellt. Yukl betont hierzu z.B.: „Leading change is one of the most important and difficult leadership responsibilities. For some theorists, it is the essence of leadership and everything else is secondary.“5 Bemerkenswert ist, dass, obwohl der Umgang mit organisationalem Wandel zu einem Alltagsphänomen für Führungskräfte geworden ist6 und sich die Wissenschaft seit vielen Jahrzehnten mit Fragen des Wandels von Organisationen beschäftigt,7 nur wenige Erkenntnisse darüber vorliegen, wie Wandel erfolgreich von dieser Personengruppe initiiert und umgesetzt werden kann. Conger/Spreitzer/Lawler merken in diesem Zusammenhang an: „(…) our knowledge of (…) the leadership of change, remains limited. We are in the Bronze Age in terms of our insight.“8 Oftmals beschränkt sich die Betrachtung der Führung von Wandel auf relativ einfach gehaltene „rezeptartige“ Aufgabenkataloge, die unter Bezeichnungen wie „Eight-Stage Pro-
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Vgl. für eine grundlegende Übersicht unterschiedlicher Erklärungsansätze zu organisationalem Wandel Van de Ven/Poole (1995), S. 512ff. sowie Perich (1992), S. 157ff. Vgl. exemplarisch Kotter (1996); Tichy/Devanna (1986); Krüger/Janz (2002); Nadler (1995); Kanter/Stein/Jick (1992); Tushman/Romanelli (1985). Vgl. zur Abgrenzung dieser beiden Begriffe und weiterer Termini zur Bezeichnung organisationaler Veränderungen Abschnitt 2.1.1. Vgl. Steinle (1995), S. 299 sowie ähnlich Krüger (2006), S. 107. Yukl (2006), S. 284. Vgl. hierzu auch Kanter/Stein/Jick (1992), S. 369. Vgl. Bruch/Vogel/Krummaker (2006), S. 302. Vgl. z.B. Pettigrew/Woodman/Cameron (2001), S. 697, die den herausragenden Stellenwert von organisationalem Wandel in der sozialwissenschaftlichen Forschung betonen. Conger/Spreitzer/Lawler (1999), S. XXXV.
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Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
cess of Creating Major Change“9 oder „Ten Commandments for Executing Change“10 bei entsprechender Anwendung einen erfolgreichen Verlauf von Wandlungsprozessen in Aussicht stellen. Offen bleibt hierbei allerdings weitestgehend, was Führungskräfte in die Lage versetzt, ein erfolgreiches Handeln in Wandlungssituationen durchzuführen bzw. welche Kompetenzen diese Aufgaben erfordern. Higgs/Rowland stellen in einer Literaturrecherche fest, dass das aufgabenbezogene „what to do“ in Wandlungsprozessen die Frage nach der Befähigung zur Erfüllung von entsprechenden Handlungsaufforderungen, dem „how to do“, dominiert.11 Es entsteht der Eindruck, dass die Kompetenzen von Führungskräften zum erfolgreichen Umgang mit Wandlungssituationen häufig stillschweigend vorausgesetzt werden. Vielfach ist zudem die Vorstellung verbreitet, erfolgreiche Führungskräfte seien sogenannte „born leaders“12, denen nahezu „magische Führungseigenschaften“13 angeboren sind und daher die Führung von und in Wandel aufgrund einer Art natürlichen Befähigung beherrschen. Die Betrachtung ist hierbei auf generische Persönlichkeitseigenschaften14 herausragender, oftmals auch als „heroisch“15 bezeichneter, Führungskräfte gerichtet und nicht auf die Kompetenz, welche diese Personengruppe befähigt, organisationalen Wandel zu initiieren und erfolgreich umzusetzen. Gerade Kompetenzen gelten aber in den Verhaltenswissenschaften als die zentrale Basis einer erfolgreichen Leistungserstellung.16 Eine Vernachlässigung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz klammert somit eine wichtige kritische Erfolgsgröße bei der Erforschung organisationaler Wandlungsphänomene aus. In der Literatur finden sich zwar Hinweise, die betonen, dass von Führungskräften mit Wandlungskompetenz eine neue Kompetenz gefordert wird, „(…) die in bisherigen Anforderungsprofilen nicht vorkam, nämlich die Fähigkeit, Veränderungen zu initiieren und erfolgreich zu betreiben.“17 Allerdings lassen sich bis auf die Anmerkungen, dass eine derartige Kompetenz als Ergänzung zur strategischen, sozialen und personalen Kompetenz von 9 10 11 12
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Vgl. Kotter (1996), S. 21. Vgl. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 382f. Vgl. Higgs/Rowland (2000), S. 10. Hiervon geht insbesondere die eigenschaftstheoretische Führungstheorie aus. Vgl. hierzu z.B. Neuberger (2002), S. 223ff.; Yukl (2006), S. 180ff. Vgl. z.B. Nadler/Tushman (1989), S. 200. Vgl. hierzu ausführlich Zaccaro/Kemp/Bader (2004), S. 101ff. Vgl. Nadler (1995), S. 218, der betont: „(…) ‚heroic leader’ (…) it refers to a special quality that enables the leader to mobilize and sustain activity within an organization through specific personal actions combined with perceived personal characteristics.” Vgl. z.B. Boyatzis (1983), S. 23; Spencer/Spencer (1993), S. 9. Sauder (1997), S. 1170.
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Führungskräften zu verstehen ist und sich durch „Wandel initiieren und gestalten“, „Beharrungstendenzen überwinden“, „rasches und flexibles Handeln“ und „schneller und besser lernen“18 auszeichnet, keine konkreten Anhaltspunkte zu den Inhalten einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz identifizieren. Jochmann fächert Wandlungskompetenz zwar weiter auf und betont, dass die „(…) dahinter stehende Veränderungsbereitschaft einerseits und Veränderungsbefähigung andererseits (…) wichtige Bausteine von klassischen Anforderungsprofilen oder aktuellen Kompetenzprofilen (…)“19 sind. Mit dem Hinweis, dass eine derartige Kompetenz z.B. das Beherrschen von Projektmanagement und anderer Changemanagement-Instrumente umfasst,20 bleibt Jochmann allerdings sehr allgemein und lässt konkrete Anhaltspunkte zu den speziellen Fähigkeiten von Führungskräften zur Initiierung und Durchführung von organisationalem Wandel vermissen. Mit der Akzentuierung von Bereitschaft als Baustein von Wandlungskompetenz findet sich ein Hinweis, dass diese spezifische Kompetenz nicht nur Fähigkeiten umfasst. Allerdings sind auch hier bis auf die Anmerkung, dass es sich um „Bereitschaft für Veränderungen auf den Ebenen Inhalte/Know-how, Anwendung, Verhalten und Einstellung (…)“21 handelt, keine weiterführenden Überlegungen zu Aspekten von Wandlungsbereitschaft festzustellen. Zudem lassen sich in der Literatur keine konkreten Anhaltspunkte identifizieren, welche Faktoren die Entstehung und Ausprägung einer Wandlungskompetenz von Führungskräften beeinflussen. Higgs/Rowland ist diese Erkenntnislücke bewusst und sie kündigen an, zukünftige Forschungen auch auf „Understanding what drives competencies“22 auszurichten. Bis heute liegen von den Autoren allerdings noch keine Forschungsergebnisse vor. Es wird demnach in der Literatur weder direkt betrachtet, was Führungskräfte persönlich antreibt, eine Bereitschaft zur Initiierung und Umsetzung von Wandlungsprozessen aufzubauen, noch aufgrund welcher Einflussfaktoren sich bestimmte Wandlungsfähigkeiten ergeben bzw. sich in ihrer Ausprägung unterscheiden. Das Wissen um diese Inhalte und Einflussfaktoren stellt aber eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung der 18 19 20 21 22
Vgl. Sauder (1997), S. 1170. Jochmann (1999), S. 44. Vgl. Jochmann (1999), S. 45. Jochmann (1999), S. 45. Higgs/Rowland (2000), S. 20.
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Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
Wandlungskompetenz von Führungskräften23 – und in der langfristigen Perspektive der gesamten Unternehmung24 – dar. Ohne die Kenntnis entsprechender Hebel können weder die Fähigkeiten noch die Bereitschaft von Führungskräften direkt gestärkt und langfristig gefördert, sondern lediglich eher allgemeine Qualifizierungsmaßnahmen wie z.B. die Vermittlung von Changemanagement-Methoden durchgeführt werden. Zusammenfassend lassen sich mit fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen sowohl zu den Inhalten als auch den Einflussfaktoren einer Wandlungskompetenz von Führungskräften zwei grundlegende Forschungslücken identifizieren, die in dieser Arbeit gefüllt werden sollen.
1.2
Forschungsfragen sowie Zielsetzung der Arbeit
Die identifizierten Erkenntnisdefizite zur Wandlungskompetenz von Führungskräften konstituieren die beiden grundlegenden Forschungsfragen25 dieser Arbeit: 1. Inhaltliche Beschreibung der Wandlungskompetenz von Führungskräften Welche Aspekte umfasst die Wandlungskompetenz von Führungskräften? 2. Identifikation von Einflussgrößen auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften Welche Faktoren beeinflussen die Ausprägung der Wandlungskompetenz von Führungskräften? Beide Forschungsfragen besitzen einen sehr allgemeinen Charakter und werden im Laufe der Arbeit über die Formulierung von Hypothesen, die sich als vermutete Antworten auf spezifische Teilfragen der beiden Fragestellungen verstehen lassen,26 weiter ausdifferenziert.27
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Vgl. hierzu die Überlegungen von Barker (1997), S. 343ff., der seinen Beitrag mit der Frage tituliert: „How can we train leaders if we do not know what leadership is?“. Vgl. zur Notwendigkeit einer ebenenübergreifenden Entwicklung von Führungskompetenz Bruch/Vogel/ Krummaker (2006), S. 301. Vgl. zur Bedeutung und den Anforderungen an Forschungsfragen z.B. Punch (2005), S. 32ff., Yin (2003), S. 21f.; Miles/Huberman (1994), S. 22ff.; de Vaus (2004), S. 17ff. Vgl. Punch (2005), S. 38. Vgl. auch Miles/Huberman (1994), S. 25, die empfehlen, mit generellen Forschungsfragen zu beginnen und diese im Forschungsverlauf weiter auszudifferenzieren.
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Die generelle Zielsetzung der Arbeit liegt somit in der Beantwortung der formulierten Forschungsfragen und empirischen Überprüfung der abgeleiteten Unterfragen bzw. ihrer postulierten Antworten. Da die Betriebswirtschaftslehre eine praktisch angewandte Wissenschaft28 darstellt, ist hierbei nicht nur ein abstrakter, sondern auch ein praxisrelevanter Erkenntnisfortschritt zu erzielen. Diese Zielvorgaben sollen in dieser Arbeit über die nachstehend erläuterten vier spezifischen Teilziele erreicht werden. Zudem sind die grundlegenden Forschungsschritte kurz dargestellt, die aus den Zielsetzungen resultieren. Dabei wird erkennbar, dass die Suche nach Antworten auf die beiden Forschungsfragen bzw. die Verfolgung der formulierten Forschungsziele als iterativ verknüpfter Forschungsprozess zu verstehen ist. (1)
Theoriebasierte Erschließung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz und ihrer Einflussfaktoren
Auf Basis einer Literaturdurchsicht zum organisationalen Wandel und zu Berufskompetenzen soll eine theoriebasierte Vorstellung zur Wandlungskompetenz von Führungskräften entwickelt und mögliche Inhalte und Einflussfaktoren in einen forschungsleitenden Bezugsrahmen überführt werden. Da sich in der Literatur, wie dargestellt, kaum eine direkte Thematisierung von Wandlungskompetenz oder der Fähigkeit und Bereitschaft von Führungskräften zur erfolgreichen Initiierung und Durchführung von organisationalem Wandel findet, erfolgt zusätzlich eine Betrachtung allgemeiner Überlegungen zum wandlungsgerichteten Vermögen und Antrieb von Organisationsmitgliedern. Zudem wird in der allgemeinen Kompetenzliteratur nach Hinweisen zur möglichen Gestalt einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz gesucht und geprüft, wie sich diese Erkenntnisse für die Beantwortung der beiden Forschungsfragen nutzbar machen lassen. (2)
Empirisch-qualitative Exploration zur Entwicklung eines Hypothesenmodells
Da sich trotz einiger Anhaltspunkte aus der Literatur nur eine sehr rudimentäre Vorstellung zur Wandlungskompetenz von Führungskräften entwickeln lässt, soll das Untersuchungsphänomen anhand einer explorativ-qualitativen Studie induktiv weiter erschlossen werden. Hierdurch erfolgt eine Weiterentwicklung des theoretischen Bezugsrahmens zu einem Hypothesenmodell, welches entsprechend der beiden Forschungsfragen Postulate zu den Inhalten und den Einflussfaktoren einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz umfasst. 28
Vgl. hierzu Fülbier (2005), S. 18f. bezugnehmend auf Schmalenbach (1911/1912).
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Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Empirisch-quantitative Überprüfung des Hypothesenmodells
Die empirisch-qualitative Theorieentwicklung generiert zwar Antworten auf die beiden primären Forschungsfragen, prüft diese aber nicht. Ziel der empirisch-quantitativen Untersuchung ist es daher, zunächst die aufgestellten Einzelhypothesen und im Anschluss das Gesamtmodell zu testen und zu analysieren, ob sich die induktiv entwickelten Vermutungen zu den Inhalten und Einflussfaktoren führungskräftebezogener Wandlungskompetenz falsifizieren lassen29 oder die empirischen Daten auf eine mögliche Generalisierbarkeit des Hypothesenmodells hinweisen. (4)
Hinweise zur Förderung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Zur Erreichung des pragmatischen Erkenntnisziels dieser Arbeit sind konkrete Empfehlungen zu entwickeln, wie sich Wandlungskompetenz von Führungskräften auf allen Führungskräfteebenen fördern lässt und somit einen Beitrag zur Stärkung der Wandlungskompetenz der Gesamtunternehmung leisten kann. Die abschließende Zielsetzung liefert somit einen direkten Beitrag zur Erhöhung des Entwicklungsvermögens von Unternehmungen und implizit zur Verbesserung ihrer Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit. Der Zielkanon dieser Arbeit ermöglicht somit die Verfolgung der vier grundlegenden von Chmielewicz formulierten Wissenschaftsziele der betriebswirtschaftlichen Forschung: Begriffslehre, Wirtschaftstheorie, Wirtschaftstechnologie und Philosophie.30 Unter Begriffslehre wird das Ziel verstanden, einen Begriff – in diesem Fall die Wandlungskompetenz von Führungskräften – zu präzisieren und zu definieren. Hierzu tragen die theoretische und empirisch-qualitative Phänomenerschließung bei. Das Wirtschaftstheorie-Ziel ist auf die Identifikation von Ursache-Wirkungszusammenhängen ausgerichtet. Diesem Ziel kann durch die Theorieentwicklung und Theorieprüfung in dieser Arbeit entsprochen werden. Wirtschaftstechnologie repräsentiert das pragmatische Wissenschaftsziel der Betriebswirtschaftslehre. Hier werden die Ursache-Wirkungszusammenhänge in Ziel-MittelRelationen, sprich, in Instrumente und Methoden zur Lösung der untersuchten Problemstellung überführt. Dieses Ziel soll über die Entwicklung von Hinweisen zur Förderung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz erreicht werden. Das letzte Wissenschaftsziel bezieht sich unter der Bezeichnung Philosophie auf die Formulierung von normativen Aussagen (Werturteile) zum Untersuchungsobjekt. Derartige Aussagen werden in dieser 29 30
Vgl. zum Falsifikationsprinzip beim Hypothesentest Bortz/Döring (2003), S. 22. Vgl. hierzu und im Folgenden Chmielewicz (1994), S. 8ff.
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Arbeit zwar aufgrund des jungen Forschungsstands nicht explizit entwickelt, stellen aber einen logischen nächsten Schritt dar, der sich aus der nachhaltigen erfolgreichen Bewährung bestimmter Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung ergibt. Der nachfolgende Abschnitt zeigt, an welchen Forschungsparadigmen sich diese Arbeit bei der Realisierung der aufgestellten Ziele bzw. Beantwortung der beiden Forschungsfragen orientiert. Im Anschluss wird dargestellt, wie sich die Zielumsetzung konkret im Aufbau der Arbeit widerspiegelt.
1.3
Multiparadigmatische Forschungsmethodik als wissenschaftstheoretische Positionierung sowie Aufbau der Arbeit
Zur Erreichung der Forschungsziele bzw. Beantwortung der Forschungsfragen dieser Arbeit kommt eine multiparadigmatische Forschungsmethodik zum Einsatz. Ein Paradigma lässt sich nach Kuhn bezeichnen als „(…) universally recognized scientific achievements that for a time provide model problems and solutions to a community of practitioners.”31 Es reflektiert den Modus operandi einer wissenschaftlichen Disziplin32 und spiegelt eine bestimmte Ansicht wider, wie Wissenschaft durchgeführt werden sollte.33 Paradigmen besitzen demnach forschungsleitenden Charakter und geben bestimmte Forschungsmethoden vor. Das funktionalistische und das interpretative Paradigma gelten in der betriebswirtschaftlichen Forschung als dominante Paradigmen.34 Während dem funktionalistischen Paradigma eine positivistische35 Sichtweise zugrundeliegt, die hypothetisch-deduktiv nach objektiven Regeln und Zusammenhängen sucht, aus denen sich generalisierbare Erkenntnisse ableiten
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35
Kuhn (1962), S. viii. Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 19. Vgl. Punch (2005), S. 27. Vgl. insbesondere Burrell/Morgan (1979), S. 22, welche die vier Paradigmen sozialwissenschaftlicher Theoriebildung Funktionalismus, Interpretativismus, radikaler Strukturalismus und radikaler Humanismus unterscheiden. Scherer (2006), S. 35 merkt an, dass das funktionalistische Paradigma die sozialwissenschaftliche Theoriebildung dominiert. Wyssusek (2004), S. 398 betont, dass das interpretative Paradigma in jüngerer Zeit eine immer stärkere Verbreitung findet. Vgl. vertiefend zu diesen Paradigmen und ihrer Anwendung in der Theoriebildung Gioia/Pitre (1990), S. 585ff. Vgl. Burrell/Morgan (1979), S. 26.
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Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
lassen,36 ist das interpretative Paradigma auf eine induktive Erkundung des zu untersuchenden Phänomens und eine subjektive Deutung der erhobenen Daten ausgerichtet.37 In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Forderungen, insbesondere für junge Forschungsfelder, unterschiedliche Paradigmen zu einer multiparadigmatischen Forschungsstrategie zu verbinden.38 Gioia/Pitre merken zu den Potenzialen einer derartigen Forschungsstrategie an: „Multiparadigm approaches offer the possibility of creating fresh insights because they start from different (…) assumptions and, therefore, can tap different facets of organizational phenomena and can produce markedly different and uniquely informative theoretical views of events under study.”39 Eine multiparadigmatische Forschungsstrategie lässt sich demnach als Metatriangulation40 verstehen, die nicht nur versucht, eine Theorie durch die Kombination unterschiedlicher Methoden innerhalb eines bestimmten Paradigmas zu entwickeln, sondern hierbei zusätzlich auf Forschungsmethodiken und spezielle Perspektiven auf das Forschungsobjekt aus anderen wissenschaftlichen Denkrichtungen zurückgreift.41 Zur Verknüpfung des funktionalistischen und interpretativen Paradigmas kommen in dieser Arbeit sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsmethodiken42 zum Einsatz. Zudem wird zur theoretischen Erschließung des Phänomens Wandlungskompetenz von Führungskräften auf Literatur aus beiden wissenschaftlichen Denkrichtungen zurückgegriffen. Qualitative Forschung bzw. Beiträge, welche sich auf qualitative Forschungsergebnisse beziehen, lassen sich primär dem interpretativen und quantitative Forschung eher dem funktionalistischen Paradigma zuordnen.43 Die multiparadigmatische Vorgehensweise in
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Vgl. z.B. Scherer (2006), S. 35f.; Burrell/Morgan (1979), S. 25ff. Vgl. Kromrey (2002), S. 31; Gioia/Pitre (1990), S. 588; Burrell/Morgan (1979), S. 28ff. Vgl. insbesondere Schultz/Hatch (1996), S. 530 sowie Lewis/Grimes (1999), S. 673ff., die auf S. 674 mit der Tabelle 1 eine Literatursynopse zur multiparadigmatischen Forschung anbieten. Gioia/Pitre (1990), S. 591. Vgl. Lewis/Grimes (1999), S. 676. Der Begriff „Triangulation“ entstammt der Trigonometrie und bezeichnet ein Verfahren, dass zur Bestimmung einer unbekannten Größe unterschiedliche Messverfahren mit dem Ziel einer präziseren Messung durch Methodenvariation zur Anwendung bringt – vgl. Lamnek (2005), S. 158. Vgl. Gioia/Pitre (1990), S. 596. Vgl. Punch (2005), S. 27, bezugnehmend auf Creswell (1994). Der Autor betont, dass quantitative und qualitative Forschung selbst stellenweise als unterschiedliche Paradigmen bezeichnet werden. Vgl. auch Punch (2005), S. 241ff., der unterschiedliche Möglichkeiten einer Metatriangulation für diese beiden Paradigmen aufzeigt. Vgl. Lamnek (2005), S. 272, Abbildung 4.10. Der Autor verwendet allerdings nicht den Begriff „funktionalistisch“, sondern „ätiologisch“, mit welchem die Vorgehensweise der Ursachenforschung beschrieben wird, (vgl. Lamnek (2005), S. 713), die letztendlich ein Ziel des funktionalistischen Wissenschaftsparadigmas darstellt.
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dieser Arbeit spiegelt sich, wie nachstehend skizziert, im Forschungsprozess bzw. der Beantwortung beider Forschungsfragen wider. (1)
Multiparadigmatische literaturbasierte Analyse des Phänomens Wandlungskompetenz von Führungskräften
Um eine erste Vorstellung über die Gestalt des Phänomens Wandlungskompetenz von Führungskräften zu erhalten und die Forschungslücke hinsichtlich relevanter Inhalte und Einflussfaktoren dieser Kompetenz zu spezifizieren, kommt eine multiparadigmatische Literaturrecherche zur Anwendung. Hierbei wird in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. der Managementforschung, Organisationstheorie, Individualpsychologie, Organisationspsychologie und den allgemeinen Verhaltenswissenschaften nach theoretischen Überlegungen sowie empirisch-qualitativen und empirisch-quantitativen Hinweisen zur führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz und ihren konstituierenden und beeinflussenden Faktoren gesucht. (2)
Interpretative empirisch-qualitative Hypothesenentwicklung
Die empirisch-qualitative Exploration44 der Wandlungskompetenz von Führungskräften folgt dem interpretativen Paradigma.45 Hierzu kommt eine Fallstudie bei der TUI AG zur Anwendung, in deren Rahmen Führungskräfte befragt sowie Dokumente zum Führungskräfteverhalten im Wandlungsprozess recherchiert werden. Die anschließende Datenauswertung generiert induktiv-interpretativ subjektive Annahmen46 zu möglichen Inhalten und Einflussfaktoren einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz und bildet hieraus eine (erste) Theorievorstellung und Hypothesen. (3)
Multiparadigmatische Verknüpfung von empirisch-qualitativen Ergebnissen und Theorie
Die Ergebnisse aus der qualitativen Untersuchung werden in einem nächsten Schritt um theoretische Überlegungen sowie qualitative und quantitative Erkenntnisse aus Studien verwandter Forschungsfelder erweitert und so zu einer Theorie verknüpft, die Elemente unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen und Denkrichtungen aufweist.47 Die Ent-
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45 46 47
Vgl. zur Exploration allgemein ausführlich Bortz/Döring (2003), S. 355ff. Eine „(…) empirischqualitative Exploration [Hervorhebungen im Original] trägt durch besondere Darstellung und Aufbereitung von qualitativen Daten dazu bei, bislang vernachlässigte Phänomene, Wirkungszusammenhänge, Verläufe etc. erkennbar zu machen.“ – Bortz/Döring (2003), S. 386. Vgl. Gioia/Pitre (1990), S. 588. Vgl. hierzu auch Klimecki/Gmür (1996), S. 6. Vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen Vogel (2003), S. 12.
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wicklung des Hypothesenmodells folgt damit nicht nur dem interpretativen Paradigma, sondern ergänzt die subjektiven Deutungen um „objektive“ Erkenntnisse aus quantitativen Untersuchungen.48 (4)
Quantitativ-funktionalistische Hypothesenprüfung
Das funktionalistische Paradigma ist weniger auf die Theorieentwicklung gerichtet, sondern primär auf ihre Prüfung und Verbesserung.49 In der Regel wird versucht, eine bestehende oder neu entwickelte Theorie durch Hypothesenprüfungen zu falsifizieren. Hierzu kommt in dieser Arbeit eine zweistufige quantitative Vorgehensweise zur Anwendung. Im ersten Schritt werden die Einzelhypothesen im Sinne isolierter Postulate über Inhalte oder Einflussfaktoren der Wandlungskompetenz von Führungskräften mittels Regressionsanalysen getestet. Der zweite Schritt nimmt eine ganzheitliche Perspektive ein und prüft das Hypothesenmodell – und somit simultan alle aufgestellten Hypothesen – anhand von Strukturgleichungsanalysen. Hierdurch soll untersucht werden, ob die empirischen Daten eine Generalisierbarkeit der entwickelten Theorie andeuten oder die identifizierten Inhalte und Einflussfaktoren der Wandlungskompetenz von Führungskräften auf die Spezifität des in der qualitativen Studie betrachteten Fallstudienobjekts zurückzuführen sind, respektive das Ergebnis etwaiger Fehlinterpretationen bei der Datenauswertung darstellen. (5)
Multiparadigmatische Entwicklung von Ansatzpunkten zur Förderung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz
Die Hinweise zur Förderung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz beziehen sich zum einen auf eine multiparadigmatisch entwickelte und getestete Theorie. Zum anderen wird wiederum eine multiparadigmatische Literaturrecherche durchgeführt und in unterschiedlichen Forschungsfeldern und Studien nach Ansatzpunkten zur praxisorientierten Entwicklung einer derartigen Kompetenz gesucht. Nach Darlegung der Forschungsfragen, Zielsetzungen, wissenschaftstheoretischen Positionierungen und Skizzierung des Forschungsprozesses in dieser Arbeit lässt sich der Aufbau der Arbeit präzisieren.
48
49
Vgl. z.B. Abschnitt 5.4.2.4, wo die qualitativ identifizierten Elemente der kognitiven Dimension von Wandlungseinstellungen mit unterschiedlichen quantitativen Forschungsergebnissen zum Empowerment verglichen und im Anschluss zum Konstrukt wandlungsbezogenes Empowerment zusammengeführt werden. Vgl. Gioia/Pitre (1990), S. 590.
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Kapitel 2 definiert zunächst mit tiefergreifendem Wandel das Betrachtungsfeld organisationaler Veränderungen in dieser Arbeit und stellt Erklärungsansätze zum Prozessverlauf von Wandel in Organisationen dar. Darauf aufbauend werden Führungskräfte als zentrale Akteure von und in Wandlungssituationen charakterisiert sowie Möglichkeiten einer gestaltenden Einflussnahme auf den Wandlungsverlauf durch diese Personengruppe diskutiert. Es folgt eine Betrachtung des Aufgabenspektrums und Verhaltens von Führungskräften in Wandlungssituationen. Hierbei wird das dominierende Bild von Führungskräften aus dem Topmanagement als Protagonisten des Wandels und Führungskräften anderer hierarchischer Ebenen als „Blockierer" wichtiger organisationaler Veränderungen relativiert und gezeigt, dass Bereitschaft und Widerstand gegenüber organisationalem Wandel personenindividuelle Phänomene darstellen, welche sich auf allen Führungsebenen zeigen. Das Kapitel endet mit der Überlegung, dass es sowohl einer Bereitschaft als auch bestimmter Fähigkeiten bedarf, um organisationalen Wandel erfolgreich zu initiieren und umzusetzen. Kapitel 3 stellt einleitend die Ergebnisse einer Analyse zum Verständnis von Wandlungskompetenz in Theorie und Praxis dar. Zur theoretischen Erschließung von Wandlungskompetenz erfolgt zunächst eine Analyse der Kompetenzliteratur und Prüfung, ob und in welchem Umfang sich allgemeine Überlegungen zu Kompetenzen auf das Untersuchungsphänomen übertragen lassen. Hierbei ist zu erkennen, dass sich Wandlungskompetenz als spezifisches Handlungsrepertoire einer Führungskraft zur erfolgreichen Initiierung und Umsetzung organisationalen Wandels verstehen lässt, welches vom Wandlungskontext und den individuellen Kompetenzpotenzialen beeinflusst wird. Die hieran anknüpfende Literaturrecherche ist darauf gerichtet, einerseits diese beiden potenziellen Einflussfaktoren sowie andererseits die vermuteten Teilaspekte von Wandlungskompetenz, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit, vertiefend hinsichtlich ihrer Inhalte und Wirkbeziehungen zu analysieren. Der rudimentäre theoretische Erkenntnisstand zur führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz wird abschließend in einen forschungsleitenden theoretischen Bezugsrahmen überführt. Kapitel 4 erläutert zu Beginn die Potenziale qualitativer Fallstudienforschung zur Entwicklung einer Theorie führungskräftebezogener Wandlungskompetenz. Hieran anknüpfend wird der Fallstudienforschungsprozess bei der TUI AG, welcher die Grundlage sowohl für Kapitel 4 als auch Kapitel 5 bildet, ausführlich dargestellt und die Vorgehensweise bei der Datenerhebung und Datenauswertung aufgezeigt. In beiden Kapiteln erfolgt zunächst eine qualitativ-interpretativen Datenanalyse, der sich eine Verknüpfung der empirischen Unter-
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Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
suchungsergebnisse mit den Resultaten einer multiparadigmatischen Literaturrecherche anschließt. Die Theorieentwicklung in Kapitel 4 bezieht sich auf die erste Forschungsfrage zur inhaltlichen Beschreibung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz und eruiert Aspekte von Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit. Zudem erfolgt eine Analyse der Effekte führungskräftebezogener Wandlungskompetenz. Kapitel 5 widmet sich der zweiten Forschungsfrage und generiert explorativ-qualitativ Hypothesen zu den Einflussfaktoren führungskräftebezogener Wandlungskompetenz. In Anlehnung an den theoretischen Bezugsrahmen erfolgt zunächst eine inhaltsanalytische Erschließung des Konstrukts Kompetenzpotenziale und im Anschluss des Einflussfaktors Wandlungskontext. Zudem wird eine ausführliche inhaltliche Beschreibung und Analyse möglicher Wirkbeziehungen des Konstrukts Wandlungseinstellung vorgenommen, das sich bei der Auswertung des Datenmaterials aus der empirisch-qualitativen Studie als zentrales Konstrukt im Hypothesenmodell herauskristallisiert. Kapitel 6 stellt einleitend den Aufbau der quantitativen Studie dar und erläutert die Konstruktion des Fragebogens sowie das Design der Fragebogenuntersuchung. Daran anknüpfend werden die Validitäts- und Reliabilitätskriterien der Studie beschrieben, die verwendeten Messskalen vorgestellt sowie die Analysemethoden und die zugrundegelegten Gütemaße charakterisiert. Die Modellprüfung erfolgt in zwei Schritten. Zuerst werden Regressionsanalysen und konfirmatorische Faktorenanalysen zum Test der in Kapitel 4 und 5 entwickelten Einzelhypothesen durchgeführt und vor dem Hintergrund einer Betrachtung der Signifikanzen bzw. Gütekriterien geprüft, ob sich die Hypothesen falsifizieren lassen. Im zweiten Schritt erfolgt der Test des Gesamtmodells anhand von Strukturgleichungsanalysen und die Prüfung der Modellgüte. Kapitel 7 fasst die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studie zusammen und interpretiert diese abschließend. Es folgt die Entwicklung unterschiedlicher Hinweise zur nachhaltigen Stärkung der Wandlungskompetenz von Führungskräften. Der Fokus liegt hierbei auf einer indirekten Kompetenzförderung über die Setzung von Rahmenbedingungen, welche die einzelnen Kompetenzpotenziale steigern und den Anreizgehalt des Wandlungskontexts erhöhen sollen. Den Abschluss der Arbeit bilden eine kritische Betrachtung der Grenzen beider Studien sowie Überlegungen zur Modellerweiterung für zukünftige Forschungen.
Wandlungskompetenz von Führungskräften als kritische Erfolgsgröße in und von Wandlungsprozessen
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Die Abbildung 1.1 stellt den Aufbau der Arbeit in einer Übersicht dar und zeigt die forschungsparadigmatische Ausrichtung der einzelnen Kapitel auf. Forschungsparadigma
Kapitel Kapitel 2
Multiparadigmatische Literaturrecherche
• • • • •
Definition des Betrachtungsfelds organisationaler Veränderungen Charakterisierung von Führungskräften als zentrale Akteure von und in Wandel Betrachtung des Aufgabenspektrums von Führungskräften in Wandlungssituationen
• • • • •
Ergebnisse einer Literaturdurchsicht zur Wandlungskompetenz von Führungskräften Ausweitung der Recherche auf die allgemeine Kompetenzliteratur
• • • • •
Erläuterung der Potenziale qualitativer Fallstudienforschung zur Theorieentwicklung
• • • •
Übersicht des zu entwickelnden Hypothesenmodells
• • • • •
Darstellung des quantitativen Forschungsprozesses Erläuterung der Fragebogenkonstruktion und des Untersuchungsdesigns Beschreibung der Validitäts-/Reliabilitätskriterien, Messskalen und Analysemethoden
• •
Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse beider Studien Entwicklung von Hinweisen zur Förderung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
• •
Kritische Reflexion der Grenzen beider Studien Überlegungen zur Modellerweiterung für zukünftige Studien
Analyse des Führungskräfteverhaltens in Wandlungsprozessen Bereitschaft und Fähigkeit als Grundlage eines erfolgreichen Führungskräftehandelns
Kapitel 3
Identifikation der Einflussfaktoren Kompetenzpotenziale und Wandlungskontext Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung und Eruierung von Wirkbeziehungen Überführung der Erkenntnisse aus der Literaturrecherche in einen Bezugsrahmen
Kapitel 4
Interpretatives Paradigma & Multiparadigmatische Literaturrecherche
Charakterisierung des Fallstudienforschungsprozesses bei der TUI AG Darstellung der Vorgehensweise bei der Datenerhebung und Datenauswertung Analyse der Inhalte von Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit Eruierung des Effekts von Wandlungskompetenz
Kapitel 5 Erschließung von Kompetenzpotenzialen Analyse des Konstrukts Wandlungskontext Identifikation des Konstrukts Wandlungseinstellung sowie Eruierung von Inhalten und Wirkbeziehungen
Kapitel 6 Funktionalistisches Paradigma
Multiparadigmatische Literaturrecherche
Einzelhypothesentest mit Regressionsanalysen und konfirmatorischen Faktorenanalysen Prüfung des Gesamtmodells anhand von Strukturgleichungsanalysen
Abb. 1.1: Aufbau der Arbeit sowie wissenschaftstheoretische Positionierung in den einzelnen Kapiteln
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
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2
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
2.1
Charakteristika sowie Prozesstheorien des organisationalen Wandels
2.1.1
Wandel als Ergebnis und Prozess tiefgreifender Veränderungen: Eine Begriffserschließung
Die Forschungsansätze zum Wandel von Organisationen sind zwar umfangreich, stellen jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Perspektiven, die vielfach nur auf einen Teilbereich des komplexen Phänomens Wandel fokussieren, ein intransparentes und stark fragmentiertes Theoriegebäude dar.1 Je nach Betrachtungswinkel ergeben sich unterschiedliche implizite oder explizite Wandlungsverständnisse,2 die sich in alternativen Auffassungen zum Management des organisationalen Wandels und den Aufgaben von Führungskräften äußern. Vor einer genaueren Durchdringung organisationalen Wandels stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Begriffs Wandel. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur finden sich mit „Wandel“, „Veränderung“, „Transformation“ und „Change“ unterschiedliche Begriffsvariationen, die vielfach uneinheitlich oder sogar synonym verwendet werden und somit die begriffliche Standortbestimmung erschweren.3 Trotz dieser Begriffsvielfalt lassen sich in den unterschiedlichen Definitionsangeboten Ähnlichkeiten erkennen. Zum einem wird mit allen Begriffen die Dynamik von Entitäten (Organisationen, Unternehmungen, Gruppen usw.) beschrieben und zum anderen beinhalten diese fast immer eine implizite oder explizite Prozesssicht. Kanter/Stein/Jick definieren Change beispielsweise als „(...) movement between some discrete and rather fixed ‘states’, so that organizational change is a matter of being in State 1 at Time 1 and State 2 at Time 2”4 und Steinle betont, dass Änderung und Wandel als geplante oder evolutionäre Bewegungen von einem Anfangszustand zu einem Ziel- oder Endzustand verstanden werden können.5 Der Aspekt „Zustandsveränderung“6 lässt sich
1 2 3
4 5 6
Vgl. z.B. Perich (1992), S. 122; Van de Ven/Poole (1995), S. 510f. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 145. Vgl. hierzu exemplarisch die Aussage von Ulrich (1995a), S. 6, der zu den unterschiedlichen Begriffsverständnissen anmerkt: „Der Ausdruck ‚Wandel’ steht in der deutschsprachigen Literatur auch für das amerikanische ‚Change’, was ebenso gut mit Veränderung hätte übersetzt werden können und damit etwas weniger gewichtig erschienen wäre.“ Kanter/Stein/Jick (1992), S. 9. Vgl. Steinle (2005), S. 679. Vgl. Weik (1998), S. 138, die Wandel als „(…) Zustandsveränderung, d.h. Verschiedenheit (NichtIdentität) zu zwei gegebenen Zeitpunkten“ definiert.
16
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
ebenfalls in vielen Definitionen identifizieren.7 Deeg/Weibler verbinden die Prozess- und Ergebnisperspektive und bieten zudem eine Abgrenzung von Wandel und Veränderungen an: „Wandel resultiert aus Veränderungsvorgängen (…). Zum einem ist unter Wandel eine (ex-post beobachtbare) eingetretene Veränderung (Zustandsperspektive) oder eine (noch) andauernde Veränderung (Prozessperspektive) zu verstehen.“8 Steinle hebt zusätzlich hervor, dass (Ver)Änderungen im Gegensatz zu Wandel eine geringere Eingriffs- und Bewegungsintensität besitzen.9 Diesem Verständnis folgend kann Wandel eine gewisse Tiefenwirkung attestiert werden. Der „neue“ Zustand weist im Falle eines Wandels somit eine größere Verschiedenheit vom Anfangszustand auf als bei (Ver-)Änderungen. Übertragen auf Organisationen bedeutet dies, dass sich der Zielzustand z.B. als erhebliche Differenz in Strategien, Strukturen und/oder Ressourcen zeigen kann.10 Zur Verdeutlichung der Tiefenwirkung stellen einige Autoren dem Wandlungsbegriff noch Bezeichnungen wie „tiefgreifend“,11 „fundamental“,12 oder „transformativ“13 voran oder bezeichnen diesen als „Wandel 2. Ordnung“14 bzw. „Second-Order-Change“15. In dieser Arbeit wird mit dem Begriff „Wandel“ zum einen der Prozess des tiefgreifenden Veränderns (Prozesssicht) sowie zum anderen das Prozessergebnis (Zielzustand) bezeichnet.
2.1.2
Kernmerkmale organisationalen Wandels: Tiefenwirkung als zentrales Charakteristikum
Die Unterscheidung organisationaler Veränderungen nach ihrer Tiefenwirkung lässt sich als zentrales Differenzierungskriterium in der Literatur feststellen. Den Ausgangspunkt
7
8 9
10
11 12 13
14 15
Vgl. exemplarisch Goodman/Kurke (1982), S. 1, die Change als „(…) alteration of one state to another (…)” charakterisieren, sowie Rüegg/Stürm (2001), S. 263. Deeg/Weibler (2000), S. 147. Vgl. Steinle (2005), S. 679. Vgl. zur ausführlichen Abgrenzung der beiden Begriffe Steinle (1985), S. 536f. Vgl. Reiß (1997a), S. 9 sowie ähnlich van de Ven Poole (1995), S. 512: „Change (…) is an empirical observation of difference in form, quality, or state over time in an organizational entity.“ Vgl. z.B. Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 17ff. Vgl. z.B. Gomez/Müller-Stewens (1995), S. 135. Vgl. Krüger (1994), S. 358. Transformation wird vielfach zur Bezeichnung tiefgreifender Veränderungen benutzt, welche sich auf die gesamte Organisation beziehen – vgl. exemplarisch Levy/Merry (1986), S. 5. Vgl. Staehle (1999), S. 900f. Vgl. Watzlawick/Weakland/Fisch (1974), S. 10 sowie Nutt/Backoff (1997), S. 238ff.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
17
bildet die Vorstellung, dass jedes System eine Tiefenstruktur aufweist, die sich nach Haken als „collective modes (...) which define the order of the overall system“ 16 definieren lässt. Sie stellt übertragen auf Unternehmungen eine spezifische Basiskonfiguration dar, die sich aus Grundüberzeugungen, Werthaltungen, Produkt-, Markt- und Technologieausrichtungen sowie der Macht- und Kontrollverteilung zusammensetzt17 und das Verhalten des Systems Unternehmung determiniert.18 Nach Müller-Stewens/Lechner geht die verhaltensinduzierende Wirkung vom „Kern der Tiefenstruktur“ aus, welcher die von den Unternehmungsmitgliedern weitgehend geteilten „kognitiven Regelwerke“ und die daraus resultierenden Handlungsmuster der Unternehmung umfasst.19 Die Autoren bezeichnen diesen Kern auch als Identität, auf welche sich das System permanent bei Interaktionen mit der In- und Umwelt bezieht. Die Oberflächenstruktur bildet die aus der Tiefenstruktur resultierenden, zum größten Teil sichtbaren Systemelemente, wie z.B. Regeln oder Prozesse ab.20 Wandel mit geringer Tiefenwirkung, auch als inkrementaler Wandel bezeichnet, ist darauf ausgerichtet, das System Unternehmung innerhalb der herrschenden Logik der Systemidentität zu optimieren.21 Dies geschieht, indem Elemente der Oberflächenstruktur in kleinen Schritten, z.B. durch Prozessmodifikationen oder Variationen im Produktprogramm, an veränderte In- und Umfeldbedingungen angepasst werden, was zu einer Art Feinkalibrierung der Unternehmungskonfiguration22 bzw. zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess23 führt. Das von der Tiefenstruktur transportierte Unternehmungsparadigma, welches Annahmen über Mechanismen und Regeln „(…) wie das Geschäft funktioniert (…)“24 beinhaltet, wird dabei nicht in Frage gestellt. Wandel mit großer Tiefenwirkung ist hingegen darauf ausgerichtet, einen neuen „richtigen Weg“ für die Unternehmung durch Herausforderung und Neudefinition der Tiefenstruktur vorzunehmen,25 mit dem Ziel, das herrschende Paradigma26 durch ein neues zu ersetzen.
16 17 18 19 20
21 22 23
24 25 26
Haken (1981), S. 17. Vgl. Gebert (2000), S. 3 unter Bezugnahme auf Gersick (1991), S. 13ff. Vgl. Schreyögg/Noss (2000), S. 39. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 573. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 572. Zum Verhältnis von Oberflächen- zu Tiefenstruktur vgl. ausführlich Stricker (1997), S. 73ff. Vgl. Gebert (2000), S. 3. Vgl. Schreyögg/Noss (2000), S. 39. Vgl. Nadler/Tushman (1995), S. 22. Die Autoren sprechen davon, dass in Unternehmungen selbst in Perioden relativen Gleichgewichts ständig Verbesserungen und Modifikationen stattfinden. Vgl. Gomez/Müller-Stewens (1995), S. 138. Gomez/Müller-Stewens (1995), S. 138. Vgl. zum Paradigmabegriff und Merkmalen von Paradigmen Kuhn (1962), S. 23.
18
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Da ein schlagartiger Paradigmenwechsel in der Regel nicht möglich ist, entsteht ein Übergangsprozess, der vielfach aufgrund der Tatsache, dass Elemente der alten und neuen Tiefenstruktur nebeneinander bestehen, durch Paradigmenkämpfe gekennzeichnet ist.27 Die Aussagen zur Länge des Übergangsprozesses und somit zur Dauer eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses unterscheiden sich erheblich. Während Tushman/Romanelli in ihrem Modell des unterbrochenen Gleichgewichts von sehr kurzen Übergangsphasen ausgehen,28 halten andere Autoren einen langfristigen kontinuierlichen Wandlungsverlauf29 auf der Basis von organisationalen Lernprozessen für möglich.30 Im Rahmen der Diskussion um die Wandlungstiefe zeigt sich in der Literatur eine verbreitete dichotome Sichtweise, die lediglich die beiden Extremausprägungen Wandel der Oberflächenstruktur und paradigmatische Veränderung der Tiefenstruktur unterscheidet. Ein graduelles Verständnis, welches unterschiedliche Abstufungen der Tiefenwirkung umfasst, lässt sich nur vereinzelt konstatieren. Eine Ausnahme bildet Krüger, der in Anlehnung an das „Zwiebelmodell“ von Perich31 mit Restrukturierung, Reorientierung, Revitalisierung und Remodellierung unterschiedliche Wandlungstypen identifiziert, die in ihrer Reihenfolge an Tiefenwirkung zunehmen (vgl. Abbildung 2.1):32
Oberflächenstruktur
RESTRUKTURIERUNG (Strukturen, Prozesse, Systeme)
Inkrementaler Wandel
REORIENTIERUNG (Strategien)
REVITALISIERUNG (Verhaltensweisen)
Tiefenstruktur
REMODELLIERUNG (Selbstverständnis)
Fundamentaler Wandel
Abb. 2.1: Wandlungstypen und deren Tiefenwirkung Quelle: In Anlehnung an Krüger (1994), S. 359 27 28 29 30 31 32
Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 560. Vgl. Tushman/Romanelli (1985), S. 171 sowie Romanelli/Tushman (1994), S. 1141. Vgl. Gebert (2000), S. 4. Vgl. Schreyögg/Noss (1995), S. 176ff. sowie Schreyögg/Noss (2000), S. 45ff. Vgl. Perich (1992), S. 151. Vgl. hierzu und im Folgenden Krüger (1994), S. 358ff. Vgl. zur Reorientierung sowie zur Remodellierung (welche die Autoren als „re-creation“ bezeichnen) auch Tushman/Romanelli (1985), S. 179.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
19
Als Restrukturierung bezeichnet Krüger die Optimierung von Strukturen, Prozessen und Systemen bei unveränderter Unternehmungsstrategie. Während dieser Typus die Veränderung der Oberflächenstruktur beschreibt, lassen sich ein Strategiewechsel, eine Veränderung zentraler Fähigkeiten und Verhaltensweisen der Unternehmungsmitglieder (Revitalisierung) sowie eine Modifikation von Werten und Überzeugungen (Remodellierung) den tiefgreifenden Veränderungen zuordnen. Die Abstufungen machen deutlich, dass tiefgreifender Wandel nicht nur als paradigmatische Veränderung des Systemkerns zu begreifen ist, sondern auch andere Wandlungstypen eine gewisse Eingriffstiefe in das System Unternehmung aufweisen. Zudem wird in Abb. 2.1 verdeutlicht, dass sich die Wandlungstypen nicht nur auf einen Bereich oder ein bestimmtes Objekt beziehen, sondern weitere Veränderungen zur Folge haben (müssen). Dies bedeutet, dass eine Reorientierung nicht nur auf die Implementation einer neuen Strategie beschränkt ist, sondern zudem Veränderungen bestimmter Prozesse oder Systeme (Restrukturierung), etablierter Verhaltensweisen (Revitalisierung) sowie eventuell sogar einen langfristigen Wandel von Werten und Überzeugungen (Remodellierung) zur Folge hat.33 Eine alleinige Fokussierung auf fundamentale Veränderungen, die vielfach mit dem Begriff Wandel oder den verwendeten Synonymen verbunden wird, würde sich einerseits trotz der immer wieder akzentuierten zunehmenden Turbulenz und Dynamik lediglich auf ein sehr seltenes Phänomen beziehen34 sowie andererseits wichtige Aspekte tiefgreifender Veränderungen ausblenden. Diese Arbeit löst sich von der traditionellen dichotomen Betrachtung und versteht Wandel als „tiefergreifende“ Veränderungen,35 die sich nicht nur auf die isolierte Optimierung von Strukturen oder Prozessen bezieht, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente des Systems Unternehmung umfasst. Als eine Art Mindestanforderung gilt die Ausrichtung des Wandels auf eine grundlegende (Teil)Strategieänderung in einem Unternehmungsbereich.
2.1.3
Erklärungsansätze zum Prozessverlauf organisationalen Wandels
Nach der Klärung des Wandlungsbegriffs und zentralen Charakteristika von Wandel erhebt sich die Frage, durch welche Faktoren oder Kräfte organisationale Wandlungsprozesse 33 34 35
Vgl. zur Verknüpfung der vier Wandlungstypen auch Krüger (2002), S. 41f. Vgl. Gomez/Müller-Stewens (1995), S. 137. Eine ähnliche Auffassung wurde schon früh von Kirsch/Esser/Gabele vertreten, die nicht nur die fundamentale Form des Wandels als tiefgreifend bezeichnen – vgl. Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 18.
20
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
initiiert werden und wie sich der Wandlungsprozess im Zeitverlauf vollzieht. Van de Ven/Poole haben auf der Grundlage einer sehr umfangreichen Dokumentenanalyse36 mit Evolution, Lebenszyklus, Dialektik und Teleologie vier Basistheorien zur Veränderung von Organisationen identifiziert (vgl. Abb. 2.2): EVOLUTION
Variation
DIALEKTIK
Selektion
These
Retention
Konflikt
Synthese
Antithese Wandel als „natürlicher” Auswahlprozess
Wandel aufgrund mikropolitischer Auseinandersetzungs- und Einigungsprozesse
Wandlungsprozess nicht/kaum beeinflussbar
Wandlungsprozess durch dominierende politische Koalition initiier- und steuerbar
LEBENSZYKLUS
TELEOLOGIE
Phase 4 Tod
Unzufriedenheit
Phase 1 Gründung
Phase 3 Reife Phase 2 Wachstum
Wandel als sequenzieller systemimmanenter Alterungsprozess
Strategieumsetzung
Strategiesuche Strategieformulierung
Wandel als Such-, Planungs- und Umsetzungsprozess Wandlungsprozess beeinflussbar bzw. steuerbar
Wandlungsprozess nicht/kaum beeinflussbar
Abb. 2.2: Prozesstheorien des organisationalen Wandels Quelle: In Anlehnung an Van de Ven/Poole (1995), S. 520
In Anlehnung an die Erkenntnisse biologischer Evolutionsprozesse gehen evolutionstheoretische Ansätze des organisationalen Wandels37 davon aus, dass sich Veränderungen in Unternehmungen durch eine stetige Wiederkehr von Variation, Selektion und Retention vollziehen.38 Als Variation wird jede Art von Veränderung in einer Organisation, unab-
36
37
38
Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 513. Die Autoren haben 200.000 Quellenangaben gesichtet sowie eine genauere Prüfung von 2000 Abstracts und eine detaillierte Analyse von 200 Artikeln vorgenommen. Diese Analyse ergab zwanzig Erklärungstheorien des Wandels, die in einem nächsten Schritt aufgrund ähnlicher Muster zu vier Basistheorien verdichtet wurden. Den am weitesten verbreiteten evolutionstheoretischen Ansatz in der Organisationslehre stellt der „Population-Ecology-Ansatz“ nach Hannan/Freeman (1977) dar. Dieser beruht auf der Annahme, dass Organisationen und Organismen bestimmte Ähnlichkeiten besitzen. Der Forschungsfokus von Hannan/Freeman bezog sich ursprünglich nicht auf organisationale Wandlungsprozesse, sondern auf die Erklärung der Existenz einer Vielzahl an unterschiedlichen Organisationsformen. Zur ausführlichen kritischen Würdigung evolutionstheoretischer Erklärungsansätze organisationalen Wandels vgl. z.B. Kammel (2000), S. 127ff. sowie Kieser (1992), Sp. 1764ff. Vgl. zum Verlaufsprinzip der organisationalen Evolution auch ausführlich Deeg/Weibler (2000), S. 149.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
21
hängig davon, ob diese zufällig oder geplant ist, bezeichnet.39 Im Wettbewerb um die knappen Ressourcen, wie z.B. Kundengruppen oder qualifizierte Mitarbeiter, lässt die Umwelt durch ein Selektionsverfahren nur diejenigen Unternehmungen überleben, welche am besten an die gegenwärtige Situation angepasst sind.40 Die Retention entfaltet trägheitsinduzierende Kräfte, welche die Evolutionsdynamik stabilisieren und dazu beitragen, dass gut angepasste Organisationen über einen längeren Zeitraum hinweg erhalten bleiben und sich reproduzieren.41 Lebenszyklustheorien konzeptualisieren organisationalen Wandel als einen vorgezeichneten Entwicklungsprozess. Organisationen besitzen nach dieser Grundvorstellung eine Art „(…) logic, program, or code that regulates the process of change and moves the entity from a given point of departure toward a subsequent end that is prefigured in the present state.”42 Ähnlich wie bei Alterungsprozessen von Lebewesen durchschreitet eine Organisation bestimmte Lebensphasen, die in der Regel in Entstehung, Wachstum, Reife und Tod unterschieden werden.43 Einzelne Lebensphasen können weder übersprungen noch ausgelassen werden. Innerhalb der einzelnen Phasen verlaufen evolutionär-inkrementelle Wandlungsprozesse, die durch Krisenperioden, welche aus spezifischen Problemen der jeweiligen Phase resultieren, unterbrochen werden und einen revolutionär-fundamentalen Übergang in die nächste Entwicklungsstufe erzwingen.44 Der „vorprogrammierte“ Entwicklungsprozess45 kann zwar durch Umfeldfaktoren beeinflusst werden, jedoch nicht die vorgesehene systemimmanente Entwicklungslinie unterbrechen.46 Dialektische Wandlungstheorien fußen auf der Annahme, „(…) that the organizational entity exists in a pluralistic world of colliding events, forces, or contradictory values that compete with each other for domination and control.”47 Die divergierenden Ansprüche der
39 40 41
42 43
44 45 46 47
Vgl. Aldrich (1979), S. 28. Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 939f. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 518. Ohne Retention würden Organisationen nicht in der Lage sein, Veränderungen, z.B. Prozessinnovationen oder neue Organisationsformen, zu bewahren und langfristig einen Nutzen daraus zu ziehen, vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 149. Van den Ven/Poole (1995), S. 515. Ein prominentes Beispiel für ein Lebenszykluskonzept stellt das Wachstumsmodell von Greiner (1972) dar. Hiernach durchläuft jede Unternehmung die fünf Entwicklungsphasen Wachstum durch Kreativität, Wachstum durch straffe Führung, Wachstum durch Delegation, Wachstum durch Koordination und Wachstum durch Teamgeist. Vgl. Schulte-Zurhausen (2005), S. 331. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 552. Vgl. Kammel (2000), S. 125. Van de Ven/Poole (1995), S. 517. Die nahezu identische Aussage findet sich auch bei Van de Ven (1992), S. 178.
22
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Stakeholder einer Unternehmung sind einem ständigen Auseinandersetzungs- und Einigungsprozess unterworfen.48 Stabilität entsteht durch ein relatives Kräftegleichgewicht der unterschiedlichen Interessengruppen, so dass keine Partei ihre Ansprüche dominant durchsetzen kann. Organisationaler Wandel tritt hingegen auf, wenn eine Gruppe von Stakeholdern aufgrund ihrer Machtverhältnisse das gegenwärtige Paradigma (These) durch ihre Ansprüche (Antithese) herausfordert und somit eine Veränderung des Status quo im Sinne einer Synthese herbeiführt.49 Teleologische Wandlungstheorien gehen davon aus, dass Organisationen, ihre Einheiten und/oder Akteure über klare Zielvorstellungen und ein Streben diese zu erreichen verfügen.50 Treten Abweichungen bei der Zielerreichung auf oder zeichnen sich diese ab, wird solange ein Zyklus der Strategieformulierung, -umsetzung und -evaluation durchlaufen, bis das angestrebte Ziel erreicht ist oder aufgrund einsetzender Lernprozesse eine Zielmodifikation stattfindet.51 Der Wandel ist somit im Gegensatz zu den Evolutions- und Lebenszyklustheorien absichtsgeleitet und dessen Verlauf wird im hohen Maße vom Handeln der Wandlungsakteure (Mitarbeiter, Führungskräfte oder Organisationseinheiten wie z.B. Gruppen) beeinflusst. Dem teleologischen Wandlungsverständnis sind eine Vielzahl von Theorieansätzen zum geplanten Wandel und organisationalen Lernen zuzuordnen.52 Mit Blick auf die unterschiedlichen Erklärungstheorien stellt sich die Frage, inwiefern das Betrachtungsobjekt „Führungskräfte“ auf Wandlungsprozesse Einfluss nehmen bzw. diese initiieren kann. Zum Teil beinhalten die dargestellten Theorien bereits implizite Annahmen zur Gestaltbarkeit des Wandels durch Führungskräfte, diese werden im folgenden Abschnitt nach einer eingehenden Klärung des Führungskräftebegriffs aufgegriffen und ausführlich vor dem Hintergrund der Frage nach der Steuerung von Wandlungsprozessen diskutiert.
48
49 50 51 52
Eine ähnlich Vorstellung liegt dem Aushandlungsprozess zwischen Stakeholdern bei der Festlegung von Unternehmungspolitik in der „unternehmungspolitischen Arena“ zugrunde – vgl. Steinle (2003), S. 200f. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 24 benutzen eine ähnliche Methaper, indem sie Organisationen bezeichnen als „(…) a battle-ground for multiple stakeholders, who are each trying to shape the organization’s activities in ways that will further their own interests.“ Vgl. Kammel (2000), S. 130. Vgl. Deeken (1997), S. 8. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 516. Vgl. die Übersicht bei Van de Ven/Poole (1995), S. 516.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
2.2
Führungskräfte als zentrale Akteure von und in organisationalen Wandlungsprozessen
2.2.1
Führungskräfte: Begriffsklärung sowie ebenenbezogene Auffächerung des Betrachtungsobjekts
23
In der Literatur lassen sich aufgrund einer Vielzahl von wissenschaftlichen Teildisziplinen, die sich dem Führungsphänomen zuwenden, unterschiedliche Versuche zur Umschreibung, Abgrenzung und Definition des Begriffs „Führung“ identifizieren.53 Ulrich hebt hervor, dass vielen Führungsverständnissen „(...) die zweck- oder zielgerichtete Einflussnahme (...) [Hervorhebungen im Original]“54 inhärent ist und unterscheidet entsprechend des Objekts, auf welches diese Einflussnahme bezogen ist, in einen personalen und institutionalen Führungsbegriff.55 Unter personaler Führung wird die auf Leistung und Zufriedenheit ausgerichtete Beeinflussung von Menschen im Interaktionsfeld „Führer-Folger“ verstanden.56 Beim institutionalen Führungsbegriff stellt eine Institution – im betriebswirtschaftlichen Kontext in der Regel eine Unternehmung – den Gegenstand der Einflussnahme dar.57 Dieses Führungsverständnis richtet sich somit auf die Unternehmungsführung im Sinne einer Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des sozialen Systems Unternehmung.58 Darüber hinaus findet der institutionale Führungsbegriff in der Literatur auch Anwendung zur Bezeichnung von Personen(gruppen), die in einer Unternehmung Führungstätigkeiten ausüben.59 Hierbei wird als Differenzierungskriterium häufig die Stellung der Führungskraft in der Hierarchie herangezogen und die Ebenen des sogenannten unteren Managements (Lower Management), mittleren Managements (Middle Managements) und oberen Managements (Topmanagement) unterschieden.60 Das Topmanagement erstreckt sich je nach Unternehmungsstruktur, Steuerungsphilosophie und Größe auf die oberste oder die beiden obersten Hierarchiestufen und umfasst z.B. den 53
54 55
56 57 58 59 60
Vgl. Steinle (1978), S. 14ff. Der Autor zeigt ausführlich die Führungsverständnisse aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Betrachtungswinkeln auf. Vgl. zur uneinheitlichen Verwendung des Führungsbegriffs auch Wunderer/Grunwald (1980), S. 52f. sowie zur Explikation des Führungsbegriffes in der Betriebswirtschaftslehre Wild (1974), S. 153ff. Ulrich (1995b), Sp. 799. Vgl. Ulrich (1995b), Sp. 799 sowie ähnlich Ulrich (1970), S. 317 und Staehle (1999), S. 72. Zu einer ähnlichen Differenzierung, die als „Führung im engeren Sinne“ (Personalführung) und „Führung im weiteren Sinne“ (Unternehmungsführung) bezeichnet wird, vgl. Steinle (1995), S. 299 sowie Krüger (1994), S. 23. Vgl. Steinle (1978), S. 27. Vgl. Ulrich (1995b), S. 799. Vgl. Ulrich (1984), S. 110ff. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 6. Vgl. z.B. Thom (1995), Sp. 1214; Schierenbeck (2003), S. 95 sowie Janz (1999), S. 10, Abbildung B-1.
24
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Inhaber, Geschäftsführer, etwaige geschäftsführende Gesellschafter, Vorstandsmitglieder, Bereichsvorstände oder Leiter größerer Tochtergesellschaften.61 Als mittleres Management werden in der Regel die Führungskräfte „zwischen“ Topmanagement und LowerManagement bezeichnet.62 Typische Positionsbezeichnungen sind z.B. Bereichsleiter, Hauptabteilungsleiter, Abteilungsleiter oder Abteilungsdirektoren.63 Das Lower Management bildet das Bindeglied zu den operativ tätigen Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung und bekleidet Positionen wie Unterabteilungsleiter, Gruppenleiter oder Meister. Einige Autoren verzichten sogar auf eine Unterscheidung zwischen mittlerer und unterer Führungsebene und rechnen alle Führungskräfte unterhalb des Topmanagements und oberhalb der Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung dem mittleren Management zu.64 Dieser Arbeit liegt das Verständnis zugrunde, dass Führungskräfte Personen mit Personalverantwortung darstellen,65 deren Handlungen auf die Führung von Mitarbeitern und Unternehmungen ausgerichtet ist. Führung im Kontext von organisationalem Wandel kann demnach als „Mitarbeiterführung im Wandel“ und „Führung des Wandlungsprozesses“ aufgefasst werden.
2.2.2
Einflussnahme auf und Gestaltbarkeit von organisationalem Wandel durch Führungskräfte
2.2.2.1 Voluntarismus als dominante Denkrichtung: Führungskräfte als „Lenker“ des Wandels Nach der Klärung des Führungsbegriffs wird nachfolgend der Fokus auf die Führung des Wandlungsprozesses gelenkt und die Frage untersucht, ob und in welchem Umfang Führungskräfte Einfluss auf das Phänomen des organisationalen Wandels und dessen Verlauf nehmen können. Den in Abschnitt 2.1.3 vorgestellten Prozesstheorien ist jeweils ein bestimmtes Steuerungsverständnis inhärent, welches in einem Kontinuum mit den beiden Endpolen „Voluntarismus“ und „Determinismus“ abgebildet werden kann.
61
62 63 64 65
Vgl. Janz (1999), S. 9f. Der Autor unterteilt diese Ebene noch einmal in das Topmanagement im engeren Sinne, zu dem lediglich Vorstandsmitglieder oder die Geschäftsführung zählen, und das Topmanagement im weiteren Sinne, welches zusätzlich Hauptabteilungsleiter und Bereichsleiter umfasst. Vgl. z.B. Gabele (1978), S. 199. Vgl. hierzu und im Folgenden Schierenbeck (2003), S. 95. Vgl. Huy (2001a), S. 73. Vgl. Eckardstein (1995), Sp. 786.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
25
Voluntarismus lässt sich im Kontext organisationaler Veränderung definieren als „(…) die bewusste, durch menschlichen Willen geprägte Steuerung des Wandels.“66 Nach voluntaristischem Verständnis kann organisationaler Wandel rational und zielorientiert geplant und durch die Einleitung bestimmter Maßnahmen nach den Vorstellungen von Führungskräften umgesetzt werden. Eine voluntaristische Akzentuierung des Managementhandelns lässt sich insbesondere bei den teleologischen Wandlungstheorien konstatieren,67 allerdings kann auch bei dialektischen Erklärungsansätzen, die von stark dominierenden politischen Koalitionen ausgehen, eine absichtsgeleitete Vorstellung organisationalen Wandels festgestellt werden.68 Die in der Literatur diskutierten „Theorien des geplanten Wandels“ weisen alle eine mehr oder weniger starke voluntaristische Prägung auf. Insbesondere in Veröffentlichungen zu tiefgreifendem Wandel wird immer wieder die herausragende Stellung von Führungskräften aus dem Topmanagement als „Heroic Leader“69, „Magic Leader“70 oder „Transformational Leader“71 betont, die organisationale Wandlungsprozesse aufgrund ihres Informationsvorsprungs, ihrer Macht sowie außergewöhnlicher Eigenschaften und Fähigkeiten zielgerichtet steuern.72 Tushman/Romanelli heben z.B. hervor „(...) only executive leadership can (...) initiate a strategic reorientation“73 und Tichy/Devanna bezeichnen das Topmanagement als „Protagonisten des Wandels.“74 Die Gegenposition zum Voluntarismus bildet die deterministische Sichtweise, nach der „(...) sich organisationaler Wandel gleichsam natürlich, durch unsichtbare Kräfte gelenkt, in vorbestimmten Bahnen und ohne Chance eines wirkungsvollen Zutuns von Seiten des Managements“
75
vollzieht. In einer weiteren Auffächerung der wirkenden Kräfte lassen
sich ein aus der Eigendynamik und Selbstorganisation von Organisationen resultierender Innendeterminismus sowie ein umfeldinduzierter Außendeterminismus unterscheiden.76 Den Lebenszyklusmodellen liegt das innendeterministische Verständnis zugrunde, dass 66
67 68 69 70 71 72 73 74
75
76
Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 232. Voluntarismus ist die philosophische Lehre, die den Willen als Grundprinzip des Seins ansieht. Vgl. van den Ven/Poole (1995), S. 516. Vgl. Perich (1992), S. 186. Zum Begriff der dominierenden Koalition vgl. Kirsch (1988), S. 147ff. Vgl. z.B. Nadler (1995), S. 218. Vgl. z.B. Nadler/Tushman (1989), S. 200. Vgl. z.B. Tichy/Devanna (1986). Vgl. Perich (1992), S. 189f. Tushman/Romanelli (1985), S. 180. Vgl. Tichy/Devanna (1986), S. 6. Die Autoren sprechen nicht direkt vom Topmanagement, sondern von „Transformational Leaders“, welche sie jedoch in Abgrenzung zum Mittleren Management diskutieren, was die Vermutung einer Zuordnung zur oberen Führungsebene erlaubt. Perich (1992), S. 186. Determinismus stellt eine Denkrichtung dar, „(…) daß alle Phänomene notwendigerweise das Ergebnis der vorher gegebenen Bedingungen seien.“ – Fröhlich (2002), S. 125. Vgl. Perich (1992), S. 186 sowie Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554.
26
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
systemimmanente Kräfte den Wandel entsprechend des Entwicklungspfades lenken und Führungskräfte hierdurch auf bestimmte Handlungsweisen innerhalb der einzelnen Entwicklungsphasen festgelegt sind.77 Sie besitzen keine Möglichkeit, steuernd oder gestaltend auf den Verlauf des Entwicklungsprozesses einzuwirken. Ein etwas abgemildertes Gestaltungsverständnis zeigen die außendeterminierten evolutionstheoretischen Wandlungsmodelle.78 Hiernach können Führungskräfte die Variationen, welche die Organisation hervorbringt, zwar beeinflussen, die Selektion wird jedoch von der Umwelt vorgenommen.79 Führungskräfte fungieren nach dieser Vorstellung als „Kultivierer“80, die Rahmenbedingungen für organisationalen Wandel schaffen und die sich im Zeitablauf herausbildenden strukturellen Trägheitstendenzen81 beeinflussen. Vor dem Hintergrund der dargestellten voluntaristischen und deterministischen Verständnisse zur Gestaltung von organisationalem Wandel erhebt sich die Frage nach der Positionierung in dieser Arbeit. Hierzu werden nachfolgend Elemente beider Sichtweisen zusammengeführt und in eine moderate Gestaltungsvorstellung überführt.
2.2.2.2 Entwicklung eines moderaten Gestaltungsverständnisses: Führungskräfte als erfolgskritische „Beeinflusser“ organisationalen Wandels Aus der Kritik an den streng-deterministischen82 und voluntaristischen Steuerungsverständnissen83 und der Ansicht, dass sich Entwicklungsphasen in Evolutionsprozessen zumindest in Form von „Systemirritation“ einem Gestaltungshandeln von Führungskräften zuführen lassen,84 entstanden Überlegungen zu einem evolutorischen Management. Dieses Managementverständnis folgt der Vorstellung, „(...) dass die Entwicklungsprozesse nicht einfach sich selbst überlassen werden können (...),“85 sondern von Führungskräften in ei-
77 78 79 80
81
82
83
84
85
Vgl. Kammel (2000), S. 125. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554. Vgl. z.B. Baum (1996), S. 78. Vgl. Reiß (1997a), S. 15. Der Autor hebt hervor, dass Führungskräften nach den Evolutionsansätzen eher die Rolle von „Gärtnern“ als „Gentechnologen“ zukommt und sich ihre Rolle vielfach auf ein passives Beobachten und Diagnostizieren beschränkt. Das Konzept der strukturellen Trägheit („structural inertia“) geht zurück auf Hannan/Freeman (1977), S. 930f. Rumelt (1993), S. 103 definiert Inertia als „(...) the strong persistence of existing form and function.” Vgl. zur Kritik bezogen auf den Determinismus und Fatalismus evolutionstheoretischer Ansätze exemplarisch Staehle (1999), S. 912f; Ulrich (1984), S. 120. Vgl. zur kritischen Betrachtung des streng-voluntaristischen Ansatzes z.B. Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 232. Eine ähnliches Gestaltungsverständnis ist auch in der (neueren) Systemtheorie zu identifizieren. Vgl. z.B. Kasper (1995), S. 193ff. Ulrich (1984), S. 120.
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27
nem gewissen Umfang beeinflusst werden können und müssen.86 Ein evolutorisches Management fungiert als Katalysator oder „Facilisator“ und ist einerseits auf die Aufrechterhaltung, Bereicherung und Verstärkung potenzieller Varietät gerichtet, andererseits aber auch auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen zur Kanalisierung der Variationsvielzahl von Organisationsveränderungen.87 Eine derartige Vorstellung von Management verlässt die rigide Sichtweise der Nicht-Beeinflussbarkeit organisatorischen Wandels durch die Organisationsmitglieder und lenkt das Verständnis in Richtung einer Verschmelzung deterministischer und voluntaristischer Wirkungseinflüsse im Sinne eines gemäßigten Voluntarismus.88 Diese Arbeit folgt der Grundidee einer Zusammenführung beider Perspektiven und nimmt eine Hybridposition zwischen Machbarkeitsideologie und Fatalismus89 ein, die von der Ansicht gekennzeichnet ist, dass sich Unternehmungen grundsätzlich durch Führungskräftehandeln beeinflussen lassen, diese Einflussnahme jedoch von innen- und aussendeterministischen Kräften mitbestimmt wird, so dass „(…) die sich entfaltende organisatorische Komplexität nicht nur Ausdruck manageriellen Gestaltungswillen ist, sondern – aus Sicht der Führung – auch nicht intendierte ‚Nebenwirkungen’ aufweist.“90 Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2.1.2 skizzierten Überlegung, dass tiefgreifende Veränderungen in Unternehmungen zwar auch grundsätzlich durch selbstorganisatorische organisationale Lernprozesse möglich sind, wird die Annahme vertreten, dass bei der Mehrzahl von Wandlungsaktivitäten der Impuls bzw. die Einleitung des Wandlungsprozesses von Führungskräften ausgeht.91 Der initiierte Wandlungsprozess kann allerdings nicht punktgenau in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, sondern lediglich eine beabsichtigte Entwicklung probabilistischer92 erscheinen lassen.93 Ulrich betont, dass das Ausmaß an „Probabilistik“, im Sinne der Wahrscheinlichkeit des Eintretens der intendierten Verän86
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93
Als prominente Vertreter eines evolutionären Managements gelten insbesondere die St. Galler Wissenschaftler Fredmund Malik, Hans Ulrich, Gilbert Probst und Peter Dyllick. Vgl. Probst (1987), S. 113 sowie S. 117. Zur zusammenfassenden Übersicht der zentralen Ideen eines evolutorischen Managements vgl. Kieser/Hegele/Klimmer (1998), S. 99ff. Vgl. Kirsch/Esser/Gaebele (1979), S. 232. Perich (1992), S. 193 bezeichnet diese Zwischenform auch als „Interaktionismus“. Vgl. Reiß (1997a), S. 15. Stetter (1994), S. 267 weist darauf hin, dass sich ein gemäßigt voluntaristisches Gestaltungsverständnis aufgrund der Vielzahl an Implementierungsproblemen und Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Wandel über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554. Vgl. auch Perich (1992), S. 194 in Anlehnung an Tichy (1983), S. 147. Probabilismus beschreibt die wissenschaftstheoretische Auffassung, dass es keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Wahrscheinlichkeiten gibt – vgl. Fröhlich (2002), S. 345. Vgl. Schwaninger/Körner (2003), S. 77.
28
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
derung, von „(…) System zu System und auch im Ablauf der Zeit verschieden sein (…)“94 kann. Die Unbestimmtheit eines Systems steigt mit der Anzahl seiner Freiheitsgrade.95 Hieraus resultiert, dass der Einfluss von Führungskräften auf die Gestaltung der Unternehmungsentwicklung mit steigender Komplexität von Wandlungsprozessen abnimmt.96 Einfache Wandlungsvorhaben, wie z.B. die Optimierung eines Controllingsystems, werden sich demzufolge mit einer höheren Wahrscheinlichkeit durch Führungskräftehandeln in eine intendierte Richtung entwickeln lassen, als revolutionär-paradigmatische Umwürfe. Die gestaltende Einflussnahmemöglichkeit von Führungskräften auf organisationalen Wandel im Sinne von Aktivitätsmustern und Aufgabenfeldern wird in den nachfolgenden Abschnitten anhand eines typischen Wandlungsverlaufs aufgezeigt.
2.2.3
Handlungsanforderungen an Führungskräfte in organisationalen Wandlungsprozessen
2.2.3.1 Phasenbildung als Heuristik zur Reduktion der Komplexität von organisationalem Wandel sowie zur Identifikation führungskräftebezogener Aufgabenschwerpunkte Eine Unterteilung von Wandlungsprozessen in unterschiedliche Phasen hat eine lange Tradition und lässt sich in vielen Wandlungskonzepten identifizieren.97 Nahezu alle in der Literatur zu konstatierenden Phasenmodelle folgen der Lewin’schen Grundlogik zum Prozessverlauf eines geplanten Wandels. Ausgehend von der Theorie eines sozialen Kräftefelds, in der sich retardierende Kräfte, welche an der derzeitigen Situation festhalten, und akzelerierende Kräfte, die auf einen Wandel drängen, gegenüberstehen, hat Lewin ein dreiphasiges Wandlungsmodell entwickelt.98 Nach seiner Vorstellung können soziale Systeme nur dann langfristig überleben, wenn sich ein Gleichgewicht zwischen retardierenden und akzelerierenden Kräften einstellt. Überwiegen retardierende Kräfte, ist der Widerstand
94 95 96
97
98
Ulrich (1970), S. 117. Vgl. Ulrich (1970), S. 118. Vgl. alternativ auch die Diskussion zum Umfang des Handlungsspielraums von Führungskräften im Rahmen strategischer Wandlungsprozesse bei Kammel (2000), S. 131ff. sowie vertiefend die dort angegebene Literatur. Vgl. zur Übersicht der unterschiedlichen in der Literatur diskutierten Phasenmodelle z.B. die Aufstellungen bei Mohr (1997), S. 72; Kanter/Stein/Jick (1992), S. 376; Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 582; Steinle (1985), S. 187ff. sowie die umfassende Synopse zur Vielfalt wandlungsbezogener Strukturierungsansätze bis 1976 bei Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 3f. Vgl. Lewin (1947), S. 34f. Hervorzuheben ist, dass die Untersuchungen von Lewin auf das Verhalten von Gruppen ausgerichtet waren und erst später eine Übertragung der Erkenntnisse auf Organisationen erfolgte.
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gegenüber organisationalem Wandel derart groß, dass notwendige Veränderungen in der Unternehmung nicht oder zu spät erfolgen. Dominieren hingegen akzelerierende Kräfte, befindet sich die Unternehmung in einem permanenten Prozess des Wandels und verliert dadurch an überlebensnotwendiger Systemstabilität.99 Um einen Wandlungsprozess zu initiieren, muss nach der Vorstellung von Lewin das bestehende Gleichgewicht, welches sich in bestimmten Verhaltensweisen und Gewohnheiten der Organisation und ihrer Mitglieder manifestiert, „aufgetaut“ werden (1. Phase „unfreezing). Nach „Vorbereitung“ bzw. Aktivierung der vom Wandel betroffenen Organisationsmitglieder erfolgt die geplante Veränderung vom alten zum anvisierten neuen Gleichgewicht (2. Phase „moving“), indem neue Verhaltensweisen gesucht, entwickelt und implementiert werden. Diese Übergangsphase ist durch eine hohe Dynamik und Unsicherheit charakterisiert und symbolisiert einen „(…) Zustand zwischen dem ‚nicht mehr sein’ und dem ‚noch nicht sein’.“100 In einem letzten Schritt gilt es, das neu erlangte Gleichgewicht in der Unternehmung zu fixieren bzw. zu stabilisieren (3. Phase „freezing“) und die in der „Moving-Phase“ entstandene Unruhe und Unsicherheit abzubauen.101 Weiterentwicklungen des Lewin’schen Grundkonzepts nehmen vielfach eine stärkere Differenzierung des Wandlungsprozesses vor und unterscheiden in der Regel zwischen fünf102 und acht103 Wandlungsphasen. Moderne Phasenvorstellungen wie z.B. das von MüllerStewens/Lechner rücken zudem von der streng lineareren episodisch-deterministischen Vorstellung eines Wandlungsverlaufes ab, indem sie diesen als phasenüberlappend modellieren (vgl. Abbildung 2.3):
99 100 101 102 103
Vgl. Lewin (1947), S. 13ff. Perich (1992), S. 209. Vgl. Lewin (1947), S. 34f. Vgl. exemplarisch Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 610ff. und Krüger (2002), S. 49ff. Vgl. z.B. Kotter (1996), S. 33ff.
30
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Initialisierung / Sensibilisierung
Konzipierung
Mobilisierung
Implemementierung
Integration / Konsolidierung
Zeit
Abb. 2.3: Phasenüberlappendes Prozessschema zum organisationalen Wandel Quelle: In Anlehnung an Krüger (2002), S. 49 sowie Gomez/Müller-Stewens (1994), S. 142 und MüllerStewens/Lechner (2005), S. 610
Trotz der stellenweise zu konstatierenden Kritik an Phasenmodellen, welche insbesondere auf die zugrunde liegende Gleichgewichtslogik sowie die Konzeptualisierung von Wandel als Ausnahmefall gerichtet ist,104 kann festgehalten werden, dass Phasenverständnisse aufgrund der Tatsache, dass sie die Komplexität von Wandlungsprozessen schrittweise reduzieren und bestimmte Aktivitäts- bzw. Handlungsmuster von Führungskräften identifizieren, vor allem einen stark heuristischen Wert haben.
2.2.3.2 Phasenorientierte Auffächerung des Tätigkeitsspektrums von Führungskräften in Wandlungsprozessen Die im Rahmen des gemäßigt voluntaristischen Gestaltungsspektrums wahrgenommenen wandlungsbezogenen Aufgaben bzw. durchgeführten Aktivitäten von Führungskräften lassen sich anhand des in Abbildung 2.3 dargestellten Phasenmodells systematisieren. Initialisierungs-/ Sensibilisierungsphase Den Ausgangspunkt eines geplanten organisationalen Wandels stellen individuelle oder kollektive Beobachtungs- und Wahrnehmungsprozesse der Unternehmungssituation durch Organisationsmitglieder oder externe Stakeholder und die daraus abgeleitete Erkenntnis der Notwendigkeit einer Veränderung dar.105 In Abhängigkeit der spezifischen Situation und des Zeitpunkts der Wahrnehmung lassen sich mit Abwarten, Reagieren und Proagieren 104 105
Vgl. insbesondere Schreyögg/Noss (2000), S. 40ff. und Schreyögg (2003), S. 542ff. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 570f. sowie S. 611ff.; Krüger (2002), S. 49f.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
31
drei grundlegende Strategien106 als Ergebnis dieser Reflektionsprozesse ableiten. Während reaktiver Wandel in der Regel aus der Wahrnehmung einer akuten Bedrohung oder Krisensituation resultiert, wird proaktiver Wandel durch ein Erkennen potenzieller Chancen und Risiken ausgelöst.107 Die Erkenntnis einer Wandlungsnotwendigkeit kann von allen Ebenen in der Unternehmung ausgehen.108 Oftmals sind es Führungskräfte aus dem Topmanagement, die aufgrund ihres ebenenübergreifenden Wissens über die Unternehmung und ihre relevante Umwelt Wandlungsbedarfe frühzeitiger erkennen als andere Organisationsmitglieder.109 Nach Kanter/Stein/Jick übernehmen sie die Rolle von „Change Strategists“, welche verantwortlich sind, „(…) for identifying the need for change, creating a vision for the desired outcome, deciding what change is feasible, and choosing who should sponsor and defend it.“110 Wichtige Wandlungsimpulse können auch vom mittleren Management ausgehen, da diese Personengruppe aufgrund ihrer Nähe zum Tagesgeschäft und zu wichtigen Kunden Probleme häufig eher und dezidierter wahrnimmt, als hierarchisch höher gestellte Führungskräfte.111 Die letztendliche Entscheidung zur Initialisierung eines Wandlungsprozesses geht fast immer vom Topmanagement aus.112 Nachdem die Entscheidung für den Wandel erfolgt ist, stellen sich als Kernaufgabe dieser Phase die Vermittlung eines Gefühls der Wandlungsdringlichkeit („sense of urgency“)113 und Entwicklung einer Wandlungsvision114 sowie der Aufbau einer aus mehreren Promotoren115 bestehenden Wandlungskoalition.116
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107 108
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Vgl. Krüger (2004), Sp. 1609f. sowie ähnlich, allerdings ohne „abwartende Strategie“ Nadler/Tushman (1995), S. 23ff. Da eine abwartende Haltung keinen Wandlungsprozess einleitet, wird diese Strategie nicht vertiefend betrachtet. Vgl. Nadler/Tushman (1995), S. 26ff. sowie ähnlich Krüger (2002), S. 20. Vgl. Stricker (1997), S. 110. Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten des Einstiegs in Wandlungsprozesse Glasl (1975), S. 152, der neben der Top-Down-Strategie eine Bottom-Up-, Multiple-Nucleus-, Bi-Polare- sowie eine vom mittleren Management ausgehende Middle-Outward-Strategie unterscheidet. Vgl. Krüger (2002), S. 50. Der Autor hebt hervor, dass insbesondere die Führungsebene unterhalb des Vorstands Anregungen und Impulse für organisationalen Wandel liefert. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 377. Vgl. insbesondere Huy (2001a), S. 73ff. Vgl. z.B. Tushman/Romanelli (1985), S. 209. Vgl. Kotter (1996), S. 35ff. Vgl. Krüger/Janz (2002), S. 130. Zum Promotorenmodell vgl. Witte (1973), S. 14ff. sowie zur Weiterentwicklung dieses Modells insbesondere Hauschildt/Chakrabarti (1988), S. 384ff.; Gemünden/Walter (1995), S. 971ff. sowie im Kontext organisationaler Wandlungsprozesse z.B. Krüger (1998), S. 234f.; Steinle/Krummaker/Glaschak (2004); Krüger/Janz (2002), S. 127 ff; Bach (2002), S. 175ff. Vgl. Kotter (1996), S. 51ff.
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Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Konzipierungsphase Nach dem Wandlungsanstoß bzw. schon während der Initialisierungs-/Sensibilisierungphase gilt es, die Stoßrichtung des Wandels über Wandlungsziele zu konkretisieren und ein Grobkonzept zu entwickeln, aus welchem unterschiedliche Wandlungsprogramme abgeleitet werden können.117 Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfolgt insbesondere bei tiefgreifendem Wandel wiederum durch das Topmanagement,118 welches jedoch häufig von Führungskräften aus dem mittleren Management aufgrund ihrer vielfältigen Ideen und ihres Wissens119 unterstützt wird. Der Einbezug der mittleren Führungsebene ist allerdings von Geheimhaltungserfordernissen des organisationalen Wandels abhängig. Ein zu frühes Bekanntwerden von Wandlungsdetails kann unter bestimmten Umständen z.B. bei geplanten Börsengängen oder Fusionen zu einer Gefährdung des anvisierten Wandels führen.120 Mobilisierungsphase Ziel der Mobilisierungsphase ist es, „Energie“ in das zu wandelnde System Unternehmung zu bringen,121 um dadurch eine aktive Bewegung in Richtung des anvisierten Zielzustands in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten.122 Hierzu müssen bei den betroffenen Organisationsmitgliedern bzw. allen relevanten Stakeholdern bestehende Akzeptanzen für das „Neue“ gestärkt, Bereitschaften gegenüber dem Wandel aufgebaut und Willensbarrieren reduziert sowie entsprechende Fähigkeiten zur Bewältigung wandlungsbezogener Aufgaben vermittelt werden.123 Es wird erkennbar, dass diese Phase kein isoliert zu betrachtender und zeitlich eindeutig abzugrenzender Prozess ist, sondern die ersten Mobilisierungsaktivitäten bereits in der Sensibilisierungsphase beginnen und fast bis zum Ende des Wandlungsprozesses andauern. Aufgabe des Topmanagements ist es, aktiv und durchgehend an dieser Phase mitzuwirken, indem es z.B. gezielt Promotoren für den Wandel einsetzt, an größeren Kommunikationsveranstaltungen teilnimmt, durch symbolische Führung die Wandlungsinhalte konsequent vorlebt und somit seinen Willen zur Veränderung glaubhaft zeigt sowie entsprechende Anreize zum Wandel aufbaut.124 Deeken betont, dass den operativen Führungskräften in der Mobilisierungs-, aber auch der nachstehend diskutierten Im117 118 119 120
121 122 123 124
Vgl. Krüger (2002), S. 51f. Vgl. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 377. Vgl. Huy (2001a), S. 73. Vgl. Krüger/Janz (2002), S. 132. Bei der Fusionsvorbereitung von Daimler Benz und Chrysler im Jahre 1998 waren lediglich einige wenige Führungskräfte aus dem Topmanagement beider Konzerne beteiligt, vgl. Fokken (1999), S. 82. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 619. Die Autoren bezeichnen diese Phase als „Roll-Out“. Vgl. zur ausführlichen Erschließung des Begriffs Mobilisierung Deeken (1997), S. 26ff. Vgl. Krüger (2002), S. 53f. Vgl. Krüger/Janz (2002), S. 132f. sowie Gomez/Müller-Stewens (1995), S. 144.
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plementierungsphase eine Schlüsselrolle zukommt.125 Sie sind diejenigen, welche den Wandel über Projektarbeit umsetzen und aufgrund ihrer „Multiplikatorwirkung“ bei einer aktiven Unterstützung des Wandlungsprozesses in hohem Maße zu einer erfolgreichen Aktivierung der Organisationsmitglieder beitragen. Implementierungsphase In der Implementierungsphase wird das Wandlungskonzept über unterschiedliche Wandlungsprogramme und -projekte umgesetzt. Während bei der Konzipierung des Wandels nur eine kleine Gruppe von Führungskräften tätig ist, sind bei der Konzeptumsetzung im Grenzfall sämtliche Führungskräfte und Mitarbeiter involviert.126 Einen besonderen Stellenwert nehmen hierbei Führungskräfte aus dem mittleren Management ein, die als sogenannte „change implementors“127 die Funktion von Projektleitern wahrnehmen und z.B. Projektpläne entwickeln, Projektportfolios koordinieren, Teilprojekte initiieren, Tests durchführen und in den von ihnen geleiteten Geschäftsbereichen als Promotoren des Wandels auftreten.128 Integrations- / Konsolidierungsphase Wie bereits angesprochen, schließt der Wandlungsprozess nicht mit „Einfrierungsaktivitäten“, die das neue bzw. veränderte Unternehmungsparadigma für einen längeren Zeitraum sichern sollen, sondern vielmehr mit einer Überführung des Wandels in einen kontinuier129
sowie einer Nutzbarmachung von Erfahrungen für den
130
Es stellt sich die Herausforderung, systemoptimierende
lichen Verbesserungsprozess organisationalen Lernprozess.
bzw. integrationsunterstützende Folgeprojekte zu definieren, die unternehmungskulturelle Verankerung des Neuen zu unterstützen und die entwickelte Offenheit der Organisationsmitglieder gegenüber Wandel zu erhalten, um so die Organisation für zukünftige Veränderungen zu flexibilisieren.131 Zentrale Akteure in dieser Phase sind die Betroffenen des
125 126 127 128 129 130 131
Vgl. hierzu und im Folgenden Deeken (1997), S. 32 und S. 201ff. Vgl. Krüger (2002), S. 55. Vgl. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 378. Vgl. insbesondere Huy (2001a), S. 73ff. Vgl. Krüger (2002), S. 58. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 630. Vgl. Krüger (2002), S. 57ff.; Kotter (1996), S. 145ff.
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Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Wandels („change recipients“) deren Unterstützung ausschlaggebend für den langfristigen Wandlungserfolg und zukünftige wandlungsbezogene Aktivitäten ist.132 Träger der Integrations- und Konsolidierungsphase sind in der Regel Führungskräfte aus dem Linienmanagement auf der Ebene von Gruppen- und Bereichsleitern, denen aufgrund des Abschlusses des eigentlichen Programm- und Projektmanagements die Aufgabe der Verankerung des Wandels übertragen wurde.133
2.2.3.3 Transformationale Führung als Handlungsmaxime in organisationalen Wandlungssituationen In der Literatur zu organisationalem Wandel wird im Rahmen der Diskussion um zentrale Aufgaben und Tätigkeiten von Führungskräften oftmals eine Verbindung zur transformationalen Führungstheorie hergestellt.134 Der Begriff „transformationale Führung“ wurde in Abgrenzung zur „transaktionalen Führung“ erstmals von Burns135 verwendet und von Bass136 einige Jahre später in die Organisationspsychologie eingeführt. Während die transaktionale Führung auf einer Art „Aushandlungsprozess“ beruht, bei der die Führung von Mitarbeitern über eine Inaussicht- und Bereitstellung von Belohnungen für erbrachte bzw. zu erbringende Leistung erfolgt, ist die transformationale Führung auf eine Erhöhung des Leistungsergebnisses durch Veränderung der Bedürfnisse, Werte und Ziele von Mitarbeitern ausgerichtet.137 Die Transformation erfolgt nicht auf der Basis von materiellen Anreizen, sondern durch spezielle Führungsaktivitäten, wie eine besondere persönliche Ausstrahlung, Inspiration, intellektuelle Anregung und individuelle Behandlung der Geführten.138 Ein transformationales Führungsverhalten kann ein Gefühl von Begeisterung erzeu-
132
133 134
135 136 137
138
Vgl. Kanter/Stein/Jick (1992), S. 379f. Als „change recipients“ bezeichnen die Autoren diejenigen Organisationsmitglieder, die sich an den Wandel anpassen müssen und diesen durch ihr Verhalten nachhaltig prägen. Vgl. Krüger (2002), S. 58. Vgl. insbesondere von der Oelsnitz (1999); Tichy/Devanna (1986) und Eisenbach/Watson/Pillai (1999), die in ihren Beiträgen organisationalen Wandel und transformationale Führung zusammenführen. Vgl. Burns (1978), S. 19f. Vgl. Bass (1985) und Bass (1998). Vgl. bspw. Bass/Steyrer (1995); Gebert/Rosenstiel (2002), S. 219ff.; Ridder (1999), S. 476; Boerner (2004), Sp. 319f. sowie ausführlich Neuberger (2002), S. 195ff. Eine ähnliche Diskussion zeigt sich bei der Unterscheidung zwischen „Management“ und „Leadership“, vgl. Hegele-Raih (2004), S. 37. Während Manager als „Verwalter einer Unternehmung“ eher einem transaktionalen Führungsverständnis zuzuordnen sind, finden sich die unter Leadership diskutierten Führungsaktivitäten in der transformationalen Führungsidee wieder, vgl. Eberl/Koch/Dabitz (1999), S. 241. Dies kann auch als Begründung dafür angesehen werden, dass in der angloamerikanischen Literatur der Ausdruck „Transformational Leadership“ Verwendung findet. Vgl. zur ausführlichen Gegenüberstellung von Management und Leadership insbesondere Kotter (1990) sowie Conger/Kanungo (1998), S. 9. Vgl. Bass (1985), S. 14ff.
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gen,139 zum Aufbau von Vertrauen und Loyalität beitragen,140 es den Geführten erleichtern, vom Status quo abzurücken,141 ein hohes Verpflichtungsgefühl gegenüber der Führungskraft und der Unternehmung induzieren142 und verbesserte Leistungen zur Folge haben.143 Transformationale Führung beschränkt sich dabei nicht nur auf das Topmanagement, sondern kann auch von Führungskräften der mittleren und unteren Führungsebene eingesetzt werden.144 Auch wenn sich die Überlegungen zur transformationalen Führung nicht ausschließlich auf Wandlungssituationen beziehen,145 deuten doch die vielfältigen Ausführungen in der Literatur daraufhin, dass die transformationale Führungstheorie wichtige Hinweise zur erfolgreichen Wahrnehmung der diskutierten Kernaufgaben geben kann.146 Kritisch ist allerdings anzumerken, dass gerade in früheren Veröffentlichungen transformationale Führung vielfach in einen engen Zusammenhang mit den bereits skizzierten heroischen Führungskräftebildern gebracht worden ist.147 Insbesondere aufgrund der Nähe zur charismatischen Führungstheorie148 wird häufig davon ausgegangen, dass transformational agierende Führungskräfte bestimmte angeborene, nicht bzw. nur im sehr geringen Umfang erlernbare Eigenschaften aufweisen, die sie zu dieser Art der Führung befähigen.149 Neuere Veröffentlichungen rücken jedoch von dieser rigiden Vorstellung ab und betonen die Erlernbarkeit transformationaler Führungsinhalte.150
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Vgl. Shamir/House/Arthur (1993), S. 577. Vgl. auch Wunderer (2006), S. 82, der von einer emotionalen Ausrichtung der transformationalen Führung spricht. Vgl. Yukl (2006), S. 262. Vgl. Bruch/Vogel (2005), S. 128. Vgl. Bass (1998), S. 22. Vgl. Avolio (1999), S. 42. Vgl. Bruch/Vogel (2005), S. 128 und die dort zitierte Literatur. Die transformationale Führungsforschung bezieht sich z.B. auch auf militärische und politische Kontexte, vgl. Bass (1985); Bass (1998). Vgl. auch Bass/Riggio (2006), S. 3, bezugnehmend auf Avolio/ Yammarino (2002) betonen, dass transformationale Führung in nahezu allen Unternehmungssituationen und Branchen von Bedeutung ist. Vgl. z.B. Bass (1985), S. 28 rekurrierend auf Bennis (1983), der schon früh hervorhebt, dass sich transformationale Führung insbesondere für neuartige Situationen sowie in Phasen des Zweifelns und der Unsicherheit in Organisationen, die Wandlungsprozessen in der Regel inhärent sind, anbietet. Vgl. auch Tichy/Ulrich (1984), S. 59ff. Vgl. Eberl/Koch/Dabitz (1999), S. 242. Vgl. Ridder (1999), S. 476; Yukl (2006), S. 270ff.; Wunderer (2006), S 246. Laut Bass ist Charisma ein konstituierendes Element transformationaler Führung, vgl. Bass (1998), S. 5. Vgl. zur charismatischen Führung insbesondere House/Shamir (1995) und Conger (1989). Vgl. hierzu insbesondere die Diskussion um die charismatische Führung im Rahmen der Eigenschaftstheorie, z.B. Ridder (1999), S. 475. Der Autor unterstreicht in diesem Zusammenhang noch einmal den engen Zusammenhang zwischen charismatischer und transformationaler Führung, vgl. Ridder (1999), S. 476. Vgl. z.B. Bass/Riggio (2006), S. 142ff.; Bass (1998), S. 102ff.; Avolio (1999), S. 130ff.
36
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Offen bleibt jedoch sowohl bei den diskutierten wandlungsbezogenen Kernaufgaben von Führungskräften, als auch weitgehend in der transformationalen Führungstheorie, was Führungskräfte veranlasst, derartige Tätigkeiten, wie z.B. gezielt Mitarbeiter als Promotoren des Wandels zu gewinnen, durchzuführen. Die Literatur transportiert vielfach implizit das Bild eines bestimmten Typus von Führungskraft, welchem eine hohe Motivation gegenüber Wandlungsprozessen inhärent ist und darüber hinaus alle Fähigkeiten zur Initialisierung und erfolgreichen Durchführung von organisationalen Wandlungsprozessen besitzt.151 Im nachfolgenden Abschnitt wird das Führungskräfteverhalten in Wandlungsprozessen differenziert aufgefächert und nach Gründen für ein wandlungsunterstützendes Handeln gesucht.
2.3
Ausprägungsformen und Gründe für unterschiedliches Führungskräfteverhalten in organisationalen Wandlungssituationen
2.3.1
Wandlungsaffines und wandlungsaverses Führungskräfteverhalten als hierarchieebenenunabhängige Phänomene
Das in wandlungsbezogenen Veröffentlichungen verbreitete voluntaristisch geprägte Steuerungsverständnis, welches letztendlich auch dem transformationalen Führungsansatz zugrunde liegt, geht vielfach von einer herausragenden Stellung des Topmanagements und einem damit verbundenen friktionsfreien Top-Down-Verständis der Führung von Wandlungsprozessen und Mitarbeitern aus.152 Verbunden hiermit ist die Vorstellung von weitestgehend veränderungspassiven Führungskräften auf den nachfolgenden Leitungsebenen und wandlungsaversen Mitarbeitern, die durch bestimmte Stimuli des Topmanagements „angetrieben“ bzw. durch eine Transformation von Werten, Motiven und Einstellungen zum Wandel „geführt“ werden müssen. In der Literatur lassen sich relativ wenige kritische Aussagen zu dieser ausgeprägten Exponierung identifizieren. Probst konstatiert z.B.: „Illusorisch die Annahme, Topmanager seien neben besser bezahlten auch (...) veränderungsbereitere, flexiblere und offenere Menschen“.153 Vielmehr findet nach Meinung des Autors auf dieser Leitungsebene lediglich seltener eine Diskussion über mangelnde wandlungsbezogene Bereitschaften und Fähigkei151
152 153
Vgl. Ansoff (1988), S. 205, der herausstellt, dass Führungskräfteverhalten vielfach die Annahme zugrundeliegt: „(...) ‘reasonable people will do reasonable things’, and that managers will, therefore, welcome new ways of thinking and will cooperate wholeheartedly.“ Vgl. hierzu und im Folgenden Eberl/Koch/Dabitz (1999), S. 243f. Probst (2000), S. 3.
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ten statt. Beer vertritt einen ähnlichen Standpunkt, in dem er betont, „(...) only a very limited number of leaders possess the will and skill needed to transform their business.“154 Führungskräfte der nachfolgenden Führungsebene gelten oftmals als „Trägheitselemente“155 der Unternehmung, die eine geringe Offenheit und eher boykottierende Haltung gegenüber organisationalem Wandel besitzen.156 Strebel setzt diese Führungskräfte mit den Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung gleich und unterstellt: „For many employees, however, including middle managers, change is neither sought after nor welcomed. It is disruptive and intrusive. It upsets the balance.”157 Die Wandlungsaversion des mittleren Managements wird oftmals damit begründet, dass Führungskräfte dieser Leitungsebene häufig selbst Gegenstand des Wandels sind, d.h. sich im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen insbesondere ihre Tätigkeitsfelder stark verändern oder ihre Positionen aufgrund von Hierarchieabbau obsolet werden.158 Einige Autoren argumentieren hingegen, dass Führungskräfte aus dem mittleren Management zu Unrecht als Blockierer organisationalen Wandels dargestellt werden, da diese aufgrund ihrer vielfältigen Ideen aus der operativen Tätigkeit, informellen Netzwerkkontakte, Wissen um die Stimmung bei den Mitarbeitern sowie der von ihnen wahrgenommenen Ausgleichsfunktion zwischen Stabilität und Flexibilität einen erheblichen Beitrag zum erfolgreichen Verlauf von organisationalem Wandel leisten.159 Das mittlere Management übernimmt nach dieser Vorstellung oftmals die Rolle von „Change Agents“,160 die als „(...) ‚helfende Profis’ (...) einen organisatorischen Wandel stimulieren, führen und stabilisieren
154
155 156 157 158 159
160
Beer (1999), S. 129. Vgl. auch Krüger (1993), S. 363, der hervorhebt: „Ganz im Gegensatz zu dem öffentlichen Erscheinungsbild sind Manager nicht durchgehend sehr risikofreudig. Mangel an Mut oder Selbstvertrauen sind auch im Topmanagement unter der Oberfläche keineswegs selten.“ Vgl. Huy (2002), S. 32. Vgl. z.B. Schirmer (2003), S. 2f.; Biggart (1977), S. 420. Strebel (1996), S. 86. Vgl. Schirmer/Smentek (1994), S. 63. Vgl. Huy (2001a), S. 73ff.; Vgl. auch Kotter (1996), S. 46f., der den Führungskräften auf der mittleren und unteren Leitungsebene die Funktion von „key playern“ in Wandlungsprozessen zuspricht. Vgl. des Weiteren Schirmer (2003), S. 1ff., der auf die politischen Aktivitäten von mittleren Managern fokussiert und diese Führungskräfte als „Master of Change Politics“ bezeichnet. Zur Rolle des mittleren Managements als „Mediatoren“ im Strategiewandlungsprozess vgl. Hoon (2003), S. 150ff. und die dort angegebene Literatur. Vgl. zum Terminus „Change Agent“ ausführlich die Begriffserschließung und -abgrenzung bei Mohr (1997), S. 98ff.
38
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
(...)“161 sowie aufgrund ihrer Multiplikator- und Transmissionsfunktion den Wandel zu den Mitarbeitern „tragen“, erklären und Akzeptanz für das Neue schaffen.162 Es deutet sich an, dass ein wandlungsunterstützendes Verhalten von Führungskräften nicht oder nur zum Teil auf die hierarchische Position zurückzuführen ist. Zur Durchdringung der Frage, welche Faktoren Einfluss darauf nehmen, dass Führungskräfte eine wandlungsaffine oder wandlungsaverse Haltung einnehmen, wird die Blickrichtung auf das einzelne Individuum und dessen Reaktionen gegenüber organisationalen Wandel gerichtet. Nach Scott-Jackson lassen sich mit „Widerstand“ und „Bereitschaft“ zwei grundlegend unterschiedliche wandlungsbezogene Reaktionsmuster identifizieren,163 die sich sowohl in einer konkreten Verhaltensausprägung,164 wie z.B. der aktiven Unterstützung oder Blockade eines Wandlungsprozesses, als auch in einer bestimmten kognitiven Haltung gegenüber einer durchzuführenden Veränderung zeigen.165 Da der Fokus in dieser Arbeit primär auf wandlungsverhaltensbeeinflussende Phänomene gerichtet ist werden Widerstand und Bereitschaft nachfolgend als kognitive Haltungen gegenüber organisationalem Wandel verstanden.
2.3.2
Widerstand und Bereitschaft als Grundhaltungen von Führungskräften in Wandlungssituationen
2.3.2.1 Ausprägungen und Ursachen führungskräftebezogener Wandlungswiderstände Die „klassische“ Literatur zur Organisationsentwicklung und Innovationsforschung geht in weiten Teilen davon aus, dass Menschen eine latente Beharrungstendenz immanent ist, die dazu führt, dass Mitarbeiter an gleichgewichtigen Zuständen in Organisationen festhalten und bei einer etwaigen Bedrohung des von ihnen präferierten Status quo generell mit
161 162
163
164
165
Kirsch/Esser/Gabele (1979), S. 279. Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2002), S. 209. Gabele (1978), S. 216 sieht im mittleren Management die eigentlichen Träger des Wandels. Vgl. Scott-Jackson (1999), S. 97 sowie S. 104ff. Der Autor identifiziert mit „Resilience“ (Belastbarkeit bzw. positiver Umgang mit Stress) ein drittes Reaktionsmuster. Die weiteren Ausführungen von ScottJackson lassen jedoch die Vermutung aufkommen, dass es sich hierbei vielmehr um eine verhaltensbeeinflussende Größe handelt und nicht um eine Reaktion auf Wandel. Vgl. zu unterschiedlichen Facetten des Widerstandsverhaltens in Wandlungssituationen z.B. Staehle (1999), S. 977. Vgl. auch Krüger (2002), S. 22, der betont, dass sich Bereitschaft z.B. in einer Promotorentätigkeit zeigt. Vgl. insbesondere Piderit (2000), S. 786, die Widerstände als Einstellungen gegenüber Wandel versteht.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
39
Ablehnung reagieren,166 was sich in aktiven oder passiven Widerständen zeigt.167 Geprägt von dieser Vorstellung betrachten viele Managementansätze Widerstände als negative Kräfte, die „aufgebrochen“ und beseitigt werden müssen.168 Lawrence bezeichnet Widerstände hingegen als Warnsignale, die von Organisationsmitgliedern aus unterschiedlichen Gründen ausgesendet werden und stellt sich somit schon früh gegen eine pauschalisierte Stigmatisierung wandlungsablehnender Haltungen als Wandlungsprobleme.169 Eine ähnliche Auffassung vertritt Mohr, der Widerstände als Symptome interpretiert, die eine gründliche Eruierung der zugrundeliegenden Ursachen erfordern und betont: „Es reicht nicht aus, zu verstehen, wie Individuen sich verhalten, sondern es gilt zu erforschen, warum sie sich in einer bestimmten Weise verhalten.“170 Aufgrund der verbreiteten Auffassung, dass Mitarbeiter und Führungskräfte der mittleren und unteren Hierarchieebenen organisationalen Wandel gleichermaßen ablehnen, lassen sich in der Literatur nur wenige differenzierte Überlegungen und empirische Untersuchungen zu den Gründen führungskräftebezogener Wandlungswiderstände identifizieren. Die nachstehende Abbildung 2.4 liefert eine Synopse diskutierter Ursachen für die Ablehnung und den aktiven Widerstand von Führungskräften gegenüber organisationalen Wandlungsprozessen:
166
167 168
169
170
Vgl. z.B. Böhnisch (1979), S. 28 sowie Cummings/Worley (2001), S. 156, die betonen: „(...) organization members generally do not support change unless compelling reasons convince them to do so.“ Vgl. Kotter/Schlesinger (1979), S. 107; Conner/Clements (1998), S. 39. Vgl. z.B. Schein (1994), S. 243ff. Die Grundidee zu dieser Vorstellung liefert die Kräftefeldanalyse von Lewin, in welcher sich wandlungsbehindernde und wandlungsförderliche Kräfte gegenüberstehen, vgl. Lewin (1947), S. 13ff. Lawrence (1954), S. 65 führt hierzu an: „When resistance does appear, it should not be thought of as something to be overcome. Instead, it can best be thought of as a useful red flag – a signal that something is going wrong [Anm. d. Verf.; Hervorhebungen im Original].” Zaltman/Duncan/Holbek (1973), S. 62 bezeichnen Widerstände sogar als „healthy phenomenon“, welches jedoch aufgrund der Tatsache, dass es sich gegen die persönlichen Werte der Change Agents richtet, mit einer abwertenden Assoziation verbunden ist. De Jager (2001), S. 25ff. unterscheidet zwischen rationalen und irrationalen Wandlungswiderständen und spricht den rationalen Widerständen eine Art Filterfunktion zu, die dazu beiträgt, aus den unterschiedlichen Wandlungsmöglichkeiten die geeignete auszuwählen. Mohr (1997), S. 119. Vgl. auch Bovey/Hede (2001), S. 536.
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Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Ursachen für Wandlungswiderstände bei Führungskräften
• drohender Macht- und Kontrollverlust • Arbeitsüberlastungen und limitierte Ressourcen • fehlende Fähigkeiten und Erfahrungen mit Wandlungssituationen • Ängste um den Arbeitsplatz • Skepsis gegenüber der Wandlungsnotwendigkeit und dem verfolgten Wandlungsweg
• •
Unsicherheit über das Ausmaß und die Auswirkung des Wandels Risikoaversion sowie mangelnde Bereitschaft, neue Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu entwickeln
• befürchteter Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust, weil ehemals unterstützte Ziele und Strategien in Frage gestellt werden müssen
• Trägheit und Verharrung in nicht mehr aktuellen Erfolgsmustern Abb. 2.4 Gründe führungskräftebezogener Wandlungswiderstände Quelle: Prosci (2003), S. 17 und Ansoff (1988), S. 210f. sowie zu einzelnen Aspekten auch Schirmer/Smentek (1994), S. 76f.; Bach (2000), S. 109; Krüger (1994), S. 363; Rumelt (1993), S. 114; Huy (2002), S. 232
Die Übersicht verdeutlicht, dass eine pauschalisierte Zuschreibung von Widerstandsverhalten aufgrund inhärenter Beharrungstendenzen wichtige Ursachen einer führungskräftebezogenen Ablehnung organisationaler Veränderungen ausblendet. Es kristallisiert sich heraus, dass vielmehr die individuelle Wahrnehmung und Einschätzung der Wandlungssituation sowie die darauf aufbauende Erwartung zukünftiger Entwicklungen darüber (mit)entscheidet, ob Führungskräfte eine ablehnende Haltung und/oder aktiven Widerstand zeigen.
2.3.2.2 Bereitschaft als Gegenpol zu Wandlungswiderständen Der Bereitschaftsbegriff findet zwar im allgemeinen Sprachgebrauch und in verhaltenswissenschaftlichen Veröffentlichungen breite Anwendung, jedoch lässt sich keine eindeutige Explikation oder inhaltliche Bestimmung dieses Begriffs identifizieren. Die Betrachtung einer Bereitschaft zum Wandel wird insbesondere in der klinischen Psychologie und Psychotherapie im Rahmen von Sucht- und Depressionstherapien vorgenommen.171 Da der Analysefokus hier allerdings auf der Entstehung von Bereitschaft zur Lösung schwerwiegender persönlicher Probleme und nicht auf der Untersuchung des individuellen Antriebs 171
Vgl. z.B. Miller/Rollnick (2002), S. 11, die Bereitschaft als eine Art Antriebs- und Priorisierungskraft verstehen, welche die „willingness“ und „ability for change“ verbindet und je nach selbst eingeschätzter Wichtigkeit der Veränderung eine Handlung initiiert oder diese verzögert.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
41
zur Bewältigung organisationaler und somit fremder Problemsituationen liegt, ist eine Übertragung der Erkenntnisse aus diesen Forschungsgebieten auf organisationalen Wandel nur sehr eingeschränkt möglich.172 Im Kontext organisationaler Veränderungen erlangte der Bereitschaftsbegriff („readiness for change“) im Zuge der Diskussion um Wandlungswiderstände Einzug in die betriebswirtschaftliche sowie arbeits- und organisationspsychologische Literatur. Die empirischen Untersuchungen von Faunce173 im Jahr 1960 und Trumbo174 ein Jahr später gelten als erste Veröffentlichungen zur Wandlungsbereitschaft von Mitarbeitern. Armenakis/Harris/Mossholder vergleichen Bereitschaft für organisationalen Wandel mit Lewins Vorstellung des „unfreezing“. Der Status des individuellen „mentalen Aufgetautseins“, welcher sich auch als Offenheit gegenüber Veränderungen interpretieren lässt, zeigt sich in den „(...) organizational members’ beliefs, attitudes, and intentions regarding the extent to which changes are needed and the organization’s capacity to successfully make those changes.“175 Bereitschaft kann somit nach Auffassung der Autoren als „kognitiver Vorbote“ von Wandlungsunterstützung oder Wandlungsblockade interpretiert werden. Scott-Jackson rückt Bereitschaft ebenfalls in die Nähe der Lewin’schen Auftauphase und bezeichnet diese ähnlich wie Armenakis/Harris/Mossholder als eine Form des Offenseins bzw. ein Prozess des sich Öffnens gegenüber Wandel, der dem eigentlichen Engagement von Individuen im Wandlungsprozess vorgeschaltet ist.176 Nach dieser Sichtweise lässt sich Bereitschaft als wichtige Voraussetzung eines wandlungsinitiierenden und aktiv unterstützenden Handelns177 und somit als Gegenpol178 zum Widerstand gegenüber organisationalem Wandel verstehen. Offen bleiben in der Literatur allerdings weitestgehend die Gründe einer Bereitschaft von Führungskräften gegenüber organisationalem Wandel. Darüber finden sich bis auf die Merkmale einer positiven Haltung und einer Offenheit gegenüber Veränderungen keine konkreten Charakteristika dieses Phänomens.
172 173 174
175 176 177 178
Vgl. Scott-Jackson (1999), S. 109f. Vgl. Faunce (1960). Vgl. Trumbo (1961). Dieser Autor entwickelte als erster eine Skala zur Messung von Wandlungsbereitschaft. Vgl. zur Würdigung dieser Skala z.B. Wulf (2001), S. 19f. sowie Scott-Jackson (1999), S. 259ff. Armenakis/Harris/Mossholder (1993), S. 681. Vgl. Scott-Jackson (1999), S. 109. Vgl. Scott-Jackson (1999), S. 122f. Vgl. Piderit (2000), S. 783.
42
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
2.3.3
Bereitschaft sowie spezielle Fähigkeiten von Führungskräften: Voraussetzungen eines erfolgreichen Handelns in Wandlungssituationen
Die Vorstellung von Bereitschaft als Vorbote eines unterstützenden Handelns darf nicht vernachlässigen, dass Führungskräfte über entsprechende Fähigkeiten verfügen müssen, um die Aktionsbereitschaft in Handlungen umzusetzen.179 Fähigkeiten lassen sich als latente und realisierte Potenzialgrößen verstehen,180 die zur Durchführung einer Tätigkeit notwendig sind.181 Im Gegensatz zu Fertigkeiten, die sich auf eine spezifische und enger eingegrenzte Aufgabe beziehen (z.B. die Erstellung eines Projektplans), besitzen Fähigkeiten einen allgemeineren Charakter (z.B. Umgang mit unstrukturierten Problemstellungen) und ermöglichen einen erfolgreichen Leistungsvollzug in relativ heterogenen Aufgabensituationen.182 Fähigkeiten zur Bewältigung von wandlungsbezogenen Aufgaben stellen demnach den Erfolg nicht nur in einem bestimmten, sondern in unterschiedlichen Wandlungsprozessen in Aussicht. Da Wandlungsaufgaben allerdings andere bzw. ergänzende als die in Routinesituationen bewährten Fähigkeiten erfordern, stellen Wandlungsfähigkeiten einen bestimmten Ausschnitt des Fähigkeitssets von Führungskräften dar.183 Interessanterweise werden trotz der weit verbreiteten „rezeptartigen“ Aufgabenkataloge zur erfolgreichen Durchführung organisationaler Wandlungsprozesse die hierfür erforderlichen Fähigkeiten nur selten direkt benannt und vertiefend diskutiert. Dies führt zu der Vermutung, dass Wandlungsfähigkeiten von Führungskräften entweder stillschweigend vorausgesetzt werden oder implizit die Annahme vorherrscht, bestimmte Aufgaben wie z.B. die Entwicklung einer Vision für den organisationalen Wandlungsprozess sind auf eine entsprechend ähnliche Fähigkeit, in diesem Fall visionäres Denken, zurückzuführen.184 Problematisch ist, dass hierbei mögliche alternative oder ergänzende Fähigkeiten
179
180 181 182
183
184
Vgl. Steinle (1975), S. 60ff. und die dort angegebene Literatur. Steinle hebt auf S. 62 hervor: „Die Realisation eines intendierten Ergebnisses setzt sowohl eine willentliche Aktionsbereitschaft voraus (Wollen), als auch die entsprechende Fähigkeit (Können), um die willentliche Bereitschaft zum Tragen kommen zu lassen.“ Vgl. Steinle (1975), S. 63. Vgl. Rosenstiel (2003), S. 66. Vgl. Gebert/Rosenstiel (1992), S. 58 bezugnehmend auf Fleishman (1966), S. 149 und Hoyos (1974), S. 129. Vgl. zu einem Definitionsangebot von Wandlungsfähigkeit Krüger (2002), S. 22, der diese definiert als die „(...) auf geeignetem Wissen und Können beruhende Möglichkeit eines einzelnen bzw. einer Organisationseinheit oder der Unternehmung insgesamt, Wandlungsprozesse erfolgreich durchzuführen.“ Dieses Begriffsangebot lässt über die Formulierung „geeignet“ darauf schließen, dass es sich hierbei um spezielle Fähigkeiten handelt, die nicht dem allgemeinen Aufgabenset für Routineaufgaben entstammen. Vgl. hierzu das von Volpert (1983), S. 71 karikierte „Puddingkochvermögen“. Der Autor betont, dass nicht pauschal von der Annahme ausgegangen werden kann, dass der Aufgabe, einen schmackhaften Pudding zu kochen, ein Puddingkochvermögen zugrundeliegt.
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
43
zur erfolgreichen Erledigung wandlungsbezogener Aufgabenstellungen ausgeblendet werden. Der Grundzusammenhang zwischen Fähigkeit und Bereitschaft wird in den Verhaltenswissenschaften vielfach auch als multiplikative Verknüpfung dargestellt, dessen Ergebnis die Leistungserbringung185 einer Person repräsentiert.186 Verbunden mit dieser Vorstellung ist die Annahme, dass ein hohes Leistungsergebnis unterschiedliche Ursachen haben kann. Aufgrund der multiplikativen Beziehung wird das gleiche Leistungsniveau bei einer Führungskraft z.B. durch eine hohe Bereitschaft und mittlere Fähigkeiten und bei einer anderen Führungskraft durch eine mittlere Bereitschaft und hohe Fähigkeiten erreicht.187 Im Gegensatz zu einer additiven Verknüpfung führt die Erhöhung des Bereitschafts- und/oder Leistungsniveaus um eine Einheit zu einer Steigerung des Leistungsergebnisses um ein Vielfaches.188 Fehlen allerdings spezielle Fähigkeiten gänzlich, z.B. notwendige Projektmanagementfähigkeiten zur Tätigkeit in einem Wandlungsprojekt, besteht die Gefahr, dass trotz vorhandener Bereitschaft keine Handlung aufgenommen wird oder lediglich ein „blinder Aktionismus“ stattfindet, der kein oder ein ineffizientes Leistungsergebnis zur Folge hat.
2.4
Zwischenfazit: Bereitschaft und Fähigkeiten als Merkmale einer wandlungsbezogenen Kompetenz von Führungskräften
Die Ausführungen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass viele Wandlungstheorien Führungskräften eine besondere Bedeutung bei der Initiierung und Durchführung von Wandlungsprozessen zusprechen. Auch wenn deterministischen Theorien ein sehr eingeschränktes Steuerungsverständnis zugrundeliegt, wird hier in der Regel zumindest von einer leichten Beeinflussbarkeit der im Evolutionsprozess hervorgebrachten Variationen oder der Ausprägungen einzelner Lebensphasen ausgegangen.
185
186 187
188
Das Leistungsergebnis kann als Grad der Erreichung der an Individuen gestellten Leistungsanforderungen charakterisiert werden. Vgl. Steinle (1978), S. 42 sowie ähnlich Fröhlich (2002), S. 281. Vgl. Staehle (1999), S. 819 bezugnehmend auf Vroom (1964), S. 203ff. und Schanz (1993), S. 61ff. Vgl. zu einem Rechenbeispiel und zur Visualisierung dieses Zusammenhangs ausführlich Rosenstiel (2001), S. 39ff. Angenommen, die Bereitschaft ist auf einer Skala von 1 bis 10 mit 4 und die Fähigkeit mit 6 ausgeprägt, dann ergibt sich ein theoretisches Leistungsergebnis von 4x6 = 24. Die Erhöhung der Bereitschaft um eine Einheit auf 5 führt zu einem Leistungsergebnis von 5x6 = 30 und somit zu einer Leistungssteigerung von 6 Einheiten.
44
Organisationaler Wandel: Phänomenerschließung sowie Anforderungen an das Führungskräftehandeln
Die Einflussnahme auf organisationalen Wandel konkretisiert sich wie gezeigt in der Wahrnehmung einer Vielzahl von Wandlungsaufgaben, die sich grundsätzlich in direkt gestaltende (z.B. Entwicklung von Teilstrategien, Projektplanung usw.) und mitarbeiterführungsbezogene Aktivitäten (z.B. Vermittlung der Wandlungsnotwendigkeit, Entwicklung von Begeisterung usw.) unterscheiden lassen. Die Literatur zeichnet hierbei vielfach das Bild eines omnipotenten und hochmotivierten Topmanagements, welches sämtliche Fähigkeiten besitzt, die notwendigen Wandlungsaufgaben erfolgreich durchzuführen und degradiert Führungskräfte nachfolgender Führungsebenen zu passiven, trägen und ängstlichen Organisationsmitgliedern, die zum Teil mit heftigem Widerstand auf Veränderungen reagieren. Die unterschiedlichen Gründe für Widerstandsverhalten haben allerdings gezeigt, dass weniger die hierarchische Führungsposition, sondern vielmehr individuelle Wahrnehmungen und Einschätzungen der Wandlungssituation darüber entscheiden, ob Führungskräfte eine unterstützende oder blockierende Haltung einnehmen. Die Überlegungen zur multiplikativen Verknüpfung von Bereitschaft und Fähigkeit haben eindrucksvoll verdeutlicht, dass Führungskräfte nicht nur ein wandlungsbezogenes Fähigkeitspotenzial, sondern darüber hinaus ein bestimmtes Bereitschaftsniveau benötigen, um erfolgreich in Wandlungssituationen handeln zu können. Diese starke Beziehung führt zu der Vorstellung, dass beide Konstrukte die Kernelemente einer spezifischen wandlungsbezogenen Kompetenz bilden, die eine Führungskraft in die Lage versetzt, organisationale Wandlungsprozesse erfolgreich zu initiieren und durchzuführen. Eine derartige Wandlungskompetenz, welche die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften verknüpft, findet in der Literatur zwar, wie im einleitenden Kapitel betont, Erwähnung,189 ist aber weitgehend unerschlossen. Das Kapitel 3 versucht, diese Erkenntnislücken zu verringern und generiert basierend auf einer Literaturrecherche eine Vorstellung zu den Inhalten und Einflussfaktoren einer Wandlungskompetenz von Führungskräften.
189
Vgl. z.B. Chrobok (1999); Jochmann (1999), Scott-Jackson (1999); Higgs/Rowland (2000); Sauder (1997), S. 1170.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
45
3
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Entwicklung eines Bezugsrahmens
3.1
Ergebnisse einer Literaturanalyse zum Verständnis von Wandlungskompetenz in Theorie und Praxis
Das Kapitel 3 hat die Entwicklung eines Bezugsrahmens zu den Inhalten und Einflussfaktoren einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz zum Ziel. Den Ausgangspunkt bildet eine Analyse zur Verwendung des Begriffs Wandlungskompetenz sowie zur Klärung der teilweise synonym benutzten Termini Veränderungs- und Changekompetenz und der englischsprachigen Begriffsvariationen Change Competence, Change Competency und Change Competencies in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und praxisorientierten Veröffentlichungen. Zur Erweiterung und Vertiefung des Kompetenzverständnisses wird die Analyse im Anschluss auf die allgemeine Kompetenzforschung ausgeweitet und hier nach Modellen und Determinanten gesucht, die einen Erklärungsbeitrag zur Erschließung des Phänomens Wandlungskompetenz leisten können. Basierend auf den Erkenntnissen aus der allgemeinen Kompetenzforschung erfolgt eine Literaturanalyse zu den möglichen Inhalten und Einflussfaktoren einer Wandlungskompetenz von Führungskräften. Das Kapitel schließt mit der Zusammenführung der Ergebnisse in einen theoretischen Bezugsrahmen. Bei der einleitenden Begriffsrecherche wurde auf unterschiedliche Literaturdatenbänke,1 die Forschungsplattform „ProQuest Dissertations & Theses“,2 den Social Science Citation Index3 sowie verschiedene Internetsuchmaschinen4 zurückgegriffen. Es zeigte sich, dass der Begriff Wandlungskompetenz zumindest in den Titeln von Zeitschriften- und Buchbeiträgen, bei der Verschlagwortung sowie den häufig im Rahmen von Datenbankabfragen mit berücksichtigten Kurzzusammenfassungen von Artikeln keine Verwendung findet. Die
1
2
3
4
Herangezogen wurden alle deutschen Verbundkataloge wie z.B. GBV, SWB, HBZ und KOBV, das Literaturarchiv des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs, der Informationspool für Wirtschafts-, Sozialwissenschaften, Psychologie und Politik (WISO), die deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften, Deutsche Nationalbibliothek sowie der österreichische Verbunds- und der schweizerische Landesbibliothekskatalog. Die Datenbank „ProQuest Dissertation & Theses“ umfasst ca. zwei Millionen Einträge zu angloamerikanischen Dissertationen und Master Theses aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – vgl. http://www.proquest.com. Der Social Science Citation Index ist ein interdisziplinarischer Index, welcher auf über 1700 Zeitschriften aus ca. 50 unterschiedlichen Teilbereichen der Sozialwissenschaften sowie mehr als 3300 Zeitschriften aus anderen wissenschaftlichen und technischen Bereichen rekurriert, vgl. http://www.isiknowledge.com. Einbezogen wurden die Suchmaschinen Google, Google Scholar, Metager und Yahoo Search.
46
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Internetrecherche lieferte kaum verwertbare Ergebnisse. Einige Treffer beziehen sich auf den Aspekt der organisationalen Wandlungskompetenz, vertiefen diesen allerdings nicht weiter. Eine begriffliche oder inhaltliche Präzisierung individueller Wandlungskompetenz lässt sich nicht feststellen. Der Terminus Changekompetenz lässt sich in der deutschsprachigen Literatur kaum,5 und die englischsprachigen Begriffspendants in deutschen und angloamerikanischen Veröffentlichungen nur sehr vereinzelt identifizieren.6 Scott-Jackson bildet hierbei eine Ausnahme und bietet in seiner Dissertation eine sehr weit gefasste Begriffsdefinition an, indem er Change Competence als „(...) the organisation’s and/or the individual’s ability to respond more effectively to change“7 bezeichnet. Der Ausdruck Veränderungskompetenz findet insbesondere in personalwirtschaftlichen8 und berufspädagogischen Zeitschriften9 sowie Veröffentlichungen von Beratungsunternehmungen10 eine gewisse Verbreitung. Chrobok stellt ein Definitionsangebot für Veränderungskompetenz vor, indem er diese als „(...) die Fähigkeit, die Aufgabe zur (permanenten) Veränderung von Unternehmen und Verwaltungen erfüllen zu können“11 charakterisiert. Die in der Literatur verwendeten Begriffsverständnisse zeigen, dass eine Vorstellung wandlungsbezogener Kompetenzen dominiert, die stark auf Fähigkeiten fokussiert. Zwar betont Scott-Jackson, dass Wandlungskompetenz die Aufrechterhaltung einer hohen Motivation gegenüber Wandel trotzt Unsicherheiten umfasst,12 und Higgs/Rowland identifizieren ein hohes Verpflichtungsgefühl gegenüber Wandlungszielen als Inhaltskomponente eines „Change Management Competencies Clusters“,13 allerdings werden diese Aspekte
5
6
7 8 9
10
11 12 13
Es lassen sich bei der Internetrecherche einige wenige Treffer bei Beratungsunternehmungen feststellen, die Schulungen zur Erlangung von Changekompetenz anbieten. Eine inhaltliche Ausdifferenzierung wird jedoch nicht vorgenommen. Laut Social Science Citation Index lassen sich keine Artikeltitel identifizieren, die sich konkret auf diese Termini beziehen. Eine Datenbankrecherche an der British Library ergab zwei Treffer zum Begriffspaar „Change Competence“, vgl. Higgs/Rowland (2000) sowie Scott-Jackson (1999). Scott-Jackson (1999), S. 3. Vgl. Jochmann (1999); Sauder (1997). Vgl. z.B. Witthaus (2001) sowie Haeske (2001). Veränderungskompetenz wird in der Berufspädagogik und Bildungsökonomie vielfach als Fähigkeit eines Individuums zur Anpassung an sich verändernde Arbeits- und Lebenssituationen verstanden und weniger als ein aktives Gestalten von Veränderungen. Vgl. z.B. das Kompetenzmodell von Diebold, welches explizit eine Veränderungskompetenz beinhaltet, Hägele (2001), S. 10f., Abb. 2 und 3. Chrobok (1999), S. 172. Vgl. auch Sauder (1997), S. 1170. Vgl. Scott-Jackson (1999), S. 3. Vgl. Higgs/Rowland (2000), S. 13.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
47
nicht vertiefend diskutiert und nehmen neben der Vielzahl fähigkeitsbezogener Inhalte einen sehr geringen Stellenwert ein. Eine explizite Unterscheidung in Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit lässt sich lediglich bei Jochmann feststellen,14 allerdings findet sich auch hier bis auf den Hinweis, dass Wandlungskompetenz eine Bereitschaft zur Verhaltensänderung und eine aktive persönliche Verbesserungsmotivation umfasst, keine detaillierte Betrachtung des individuellen Antriebs von Organisationsmitgliedern in Wandlungssituationen. Die nachstehende Synopse in Abbildung 3.1 liefert eine Zusammenschau der unter dem Terminus Wandlungskompetenz und den entsprechenden Begriffsvariationen diskutierten Inhalte in der Literatur. Allerdings werden diese nur bei Sauder und Jochmann direkt auf Führungskräfte bezogen: Change Management Competencies Cluster Higgs/Rowland (2000) Change Competence Scott-Jackson (2000) Veränderungskompetenz Jochmann (1999)
Veränderungskompetenz Sauder (1997)
• • •
Change Execution
Maintaining high levels of performance despite the disruption caused by change
•
Maintaining high levels of motivation despite the uncertainties caused by change
•
Maintaining mental and physical health despite the stress caused by change
•
Maintaining the opportunities presented by change
•
Bereitschaft für Veränderungen auf den Ebenen Inhalte/Know-how, Anwendung, Verhalten und Einstellung
•
Beherrschen der wichtigsten Tools im Change Management
•
• • •
Aktive persönliche Verbesserungsmotivation
Beherrschen eines effektiven Projektmanagements
•
Überzeugungsarbeit in der erfolgskritischen Umsetzungsphase
•
Beharrlichkeit und Frustrationstoleranz
• •
Rasches und flexibles Handeln
• • • • •
Change Initiation
•
• •
Change Impact Change Facilitation
Change Presence Change Technology
Change Leadership Change Learning
Hohes intellektuelles Potenzial Offenheit und Neugierde
Wandel initiieren und gestalten Beharrungstendenzen überwinden
Schneller und besser lernen
Abb. 3.1: Literatursynopse zu den Inhalten einer wandlungsbezogenen Kompetenz Quelle: Higgs/Rowland (2000), S. 12f.; Scott-Jackson (1999), S. 3; Jochmann (1999), S. 45f.; Sauder (1997), S. 1170.
Auffällig ist, dass viele Komponenten wie z.B. „Wandel initiieren und gestalten“ oder „Change Execution“ sehr allgemein gehalten sind und eher den Charakter von Wandlungsaufgaben tragen und weniger als Fähigkeiten zu verstehen sind. Auch hier entsteht der in Abschnitt 2.3.3 erwähnte Eindruck, dass entsprechende Fähigkeiten entweder stillschweigend vorausgesetzt werden oder sich die Fähigkeiten direkt aus der Aufgabenstellung ab-
14
Vgl. Jochmann (1999), S. 44.
48
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
leiten lassen. Offen bleibt bei allen Beiträgen zur Wandlungskompetenz, welche Faktoren die Entstehung und Ausprägung einer derartigen Kompetenz beeinflussen. Aufgrund der wenigen Veröffentlichungen zur Wandlungskompetenz, dem vernachlässigten Aspekt der Bereitschaft sowie fehlender Erkenntnisse zu möglichen Einflussfaktoren einer derartigen Kompetenz empfiehlt sich eine Ausweitung der Recherche auf die allgemeine Kompetenzforschung. Da sich in der Literatur unterschiedliche Kompetenzverständnisse feststellen lassen und zudem Begriffe wie Fähigkeiten oder Schlüsselqualifikationen stellenweise synonym oder ohne klare Abgrenzung Verwendung finden, erfolgt vor der Suche nach Erklärungsmodellen und Kompetenzmerkmalen zunächst eine grundlegende Erschließung des Kompetenzbegriffs.
3.2
Kompetenzen: Begriffserschließung, Erklärungsmodelle und Kernmerkmale
3.2.1
Der Kompetenzbegriff: Bedeutungsvielfalt sowie divergierende Forschungsperspektiven in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen
In der wissenschaftlichen Literatur und in Veröffentlichungen von Praktikern werden eine Vielzahl unterschiedlicher Kompetenzarten diskutiert, wie z.B. Managementkompetenz,15 Sozialkompetenz,16 Fach- und Methodenkompetenz,17 Umsetzungskompetenz,18 Interkulturelle Kompetenz,19 Emotionale Kompetenz,20 Handlungskompetenz21 oder Innovationskompetenz.22 Des Weiteren haben sehr viele Beratungsunternehmungen einen eigenen Kompetenzschwerpunkt entwickelt und mit einer speziellen Bezeichnung versehen,23 was die Bedeutungsvielfalt des Terminus Kompetenz weiter erhöht. Trotz des hohen Verbreitungsgrads ist der Kompetenzbegriff in der Literatur wenig klar gefasst. Bis heute hat sich keine einheitliche Kompetenzdefinition oder -theorie herausge-
15 16 17 18 19 20 21 22 23
Vgl. z.B. Jetter/Köcher/Kopp/Skrotzki (2000). Vgl. z.B. Wunderer/Dick (2002). Vgl. z.B. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XVI. Vgl. insbesondere Wunderer/Bruch (2000). Vgl. z.B. Fritz (2001). Vgl. z.B. Steiner (2003). Vgl. z.B. Wottreng (2004). Vgl. z.B. Gerig (1998), S. 203ff. Vgl. z.B. Sarges (2002), S. 291ff. AT Kearney spricht sich z.B. eine spezielle „Industrie-Kompetenz“ zu, SAP betreibt ein spezielles „Customer Competence Center“ und die Aberdeen Group bietet ihren Kunden eine spezielle „End-to-End-Competency“ – vgl. zu den Inhalten dieser Kompetenzen die Webseiten der jeweiligen Beratungsunternehmungen.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
49
bildet.24 Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich aufgrund der speziellen Forschungsperspektiven in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedliche Kompetenzverständnisse entwickelt haben.25 Hieraus resultiert, dass der Kompetenzbegriff einen theorierelativen Charakter besitzt; „(…) er hat nur innerhalb der spezifischen Konstruktion einer Theorie eine definierte Bedeutung. Außerhalb jeglichen theoretischen Rahmens ist der Kompetenzbegriff bedeutungslos.“26 Eine Begriffserschließung ist somit nur aus dem Blickwinkel einer bestimmten wissenschaftlichen Disziplin möglich. Allerdings lassen sich auch innerhalb einzelner Disziplinen unterschiedliche Definitionen und Begriffsverständnisse feststellen,27 was eine eindeutige Bergriffserschließung erschwert bzw. unmöglich erscheinen lässt. Türk kritisiert, dass Kriterien zur Festlegung von Kompetenzverständnissen oftmals relativ willkürlich gewählt werden und weitestgehend auf persönlichen Überzeugungen der Autoren beruhen und weniger auf einer dezidierten theoretischen Fundierung.28 Die darüber hinaus zu konstatierende synonyme Verwendung oder sprachliche Variation des Kompetenzbegriffs durch Termini wie z.B. Schlüsselqualifikationen,29 skills, capabilities, capacities oder invisible assets30 führt zu weiteren Unschärfen bei der Erschließung und Abgrenzung des Kompetenzbegriffs. Zur Erlangung eines spezifischen Begriffsverständnisses sowie zur Eingrenzung der verschiedenen Theorieansätze und Konstrukte, empfiehlt sich die Definition einer Analyserichtung, die den Fokus dieser Arbeit widerspiegelt. Da sich die Betrachtung auf das individuelle Führungskräfteverhalten im Kontext organisationaler Wandlungssituationen bezieht, kann die Untersuchungsperspektive primär auf individuumsbezogene Berufskompetenzen (job competency)31 ausgerichtet werden. Diese Einschränkung blendet organisationale Kompetenzen, welche insbesondere im Zuge der ressourcenorientierten Ansätze32 und
24
25 26 27 28 29
30 31 32
Vgl. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. IX sowie Staudt et al. (2002), S. 157. Vgl. hierzu auch die Aussagen von Erpenbeck (1996), S. 9: „Wer auf die Kompetenzdefinition hofft, hofft vergeblich“ sowie von Weinert (2001), S. 46: „There are many different theoretical approaches, but no single common conceptual framework.” Vgl. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 14. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XII. Vgl. Weinert (1999), S. 4. Vgl. Türk (1989), S. 86. Vgl. z.B. Wunderer/Bruch (2000), S. 66. Die Autoren betonen jedoch, dass der Kompetenzbegriff nicht in allen Ansätzen zur Schlüsselqualifikationsforschung verwendet wird. Vgl. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 15 z.T. unter Rückgriff auf Rasche (1994), S. 113. Vgl. zum Terminus Berufskompetenzen z.B. Bernien (1997), S. 25 und Albrecht (1997), S. 98f. Vgl. zum Resourced-based View z.B. Wernerfelt (1984) oder Barney (1991).
50
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Kernkompetenzendebatte33 in den letzen zwanzig Jahren verstärkt in den Mittelpunkt des betriebswirtschaftlichen Interesses gerückt sind, sowie gruppenbezogene Kompetenzen34 aus der weiteren Betrachtung aus. In den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die auf eine Erforschung von Berufskompetenzen ausgerichtet sind, können zwei zentrale Kompetenzverständnisse identifiziert werden. Während in der klassischen Organisationstheorie und in Teilen der Arbeitswissenschaften Kompetenzen als eingeräumte Handlungsbefugnisse zur Aufgabenerfüllung verstanden werden,35 lässt sich in der Organisations- und Arbeitspsychologie36 sowie in den Personal-37 und Erziehungswissenschaften38 eine qualifikationsbezogene Begriffsauffassung feststellen, die Kompetenzen als Handlungsvoraussetzungen versteht.39 Wandlungskompetenz erfordert zwar gewisse Handlungsbefugnisse, allerdings steht der Aspekt nicht im Vordergrund dieser Arbeit, so dass nachfolgend grundlegend dem Kompetenzverständnis aus der Organisations- und Arbeitspsychologie und den Personalwissenschaften gefolgt wird. Der nächste Abschnitt stellt die zentralen Überlegungen aus der Theorie zu diesem Kompetenzverständnis dar, erläutert die beiden grundsätzlichen Denkrichtungen bei der Erklärung von Kompetenzen und entwickelt eine spezifische Kompetenzvorstellung für diese Arbeit.
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35
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37
38 39
Vgl. z.B. Prahalad/Hamel (1990). Eine starke Thematisierung erfuhren Kernkompetenzen in der deutschsprachigen Literatur durch Krüger/Homp (1997). Eine Übersicht zur Entwicklungshistorie der organisationalen Kompetenzbetrachtung in Theorie und Praxis findet sich bei Horton (2000), S. 308ff. Gruppenbezogene Kompetenzen finden in der Literatur nur vereinzelt Erwähnung und Betrachtung. Vgl. Weinert (1999), S. 3, der hervorhebt „Competence can be attributed to individuals, social groups or institutions“. Vgl. auch die Überlegungen von Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), die mit interorganisationalen Netzwerken eine ganz spezifische Gruppenperspektive einnehmen. Vgl. z.B. Bleicher (1980), Sp. 1056f. (klassische Organisationstheorie) sowie Zapf/Frese (1992), Sp. 1957 (Arbeitswissenschaften) sowie die tabellarische Aufstellung bei Wunderer/Bruch (2000), S. 62f., Abbildung B-19. Vgl. z.B. Rosenstiel (2003), S. 148. Neben diesen beiden spezifischen Forschungsrichtungen, die auf das Verhalten von Personen in Organisationen bzw. im Arbeitskontext ausgerichtet sind, findet eine Kompetenzbetrachtung auch in anderen psychologischen Teildisziplinen wie z.B. der Motivationspsychologie statt – vgl. z.B. White (1959). Vgl. z.B. Klimecki/Gmür (2005), S. 202ff.; Hentze/Graf/Kammel/Lindert (2005), S. 91f.; Berthel/Becker (2003), S. 265. Vgl. z.B. Vonken (2005); Hofmann (2000); Brommer (1992). Vgl. Rosenstiel (2003), S. 148, der von Kompetenzen als Dispositionen spricht.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
3.2.2
51
Wandlungskompetenzen als personenbezogenes und handlungsorientiertes Konstrukt
Die Erforschung individueller Kompetenzen wurde stark durch einen Beitrag von McClelland aus dem Jahr 1973 geprägt, in welchem der Autor die These aufstellt, dass die in den USA bei Bewerbungen an Schulen und um Arbeitsplätze vielfach Anwendung findenden Intelligenztests nicht geeignet sind, den Berufserfolg oder Leistungen eines Individuums vorherzusagen und daher durch „Kompetenztests“, welche die eigentlichen Leistungstreiber aufdecken, ersetzt werden sollten.40 Den Einzug in den betriebswirtschaftlichen Kontext erfuhr die Kompetenzbetrachtung insbesondere durch die viel zitierte Monografie von Boyatzis mit dem Titel „The Competent Manager“ in welcher der Autor unterschiedliche Managementkompetenzen identifiziert und in ein integriertes Kompetenzmodell überführt hat.41 Boyatzis definiert Kompetenzen als „(...) an underlying characteristic of a person (…)”42 und bezeichnet diese weiter als „(...) causally related to effective and / or superior performance in a job.“43 Dieses Begriffsverständnis weist einen Persönlichkeits- und Leistungs- bzw. Ergebnisbezug auf.44 Der Persönlichkeitsbezug wird über die Formulierung „underlying characteristic of a person“ hergestellt. Boyatzis versteht hierunter „(...) a motive, trait, skill, aspect of one’s self-image or social role, or a body of knowledge which he or she uses.”45 Kompetenzen umfassen nach dieser Vorstellung nicht nur fähigkeitsbezogene Elemente („skills“), wie in den meisten bis dahin und stellenweise noch heute zu identifizierenden Kompetenzmodellen, sondern auch motivationale Aspekte („motive“), welche Anreize zur Ausrichtung des Verhaltens auf eine bestimmte Aufgabe bzw. Zielerreichung generieren.46 Die Leistungs- und Ergebnisdimension dieser Definition („related to effective and / or superior performance in a job“) stellt eine Relation der personenbezogenen Merkmale zur spezifi40
41
42 43 44 45
46
Vgl. McClelland (1973). Sarges (2002), S. 285 hebt hervor, dass dieser Artikel den Grundstein der nachfolgenden „Competency-Bewegung“ gelegt hat. Vgl. Boyatzis (1982). Der Autor identifiziert neunzehn „generic competencies“, die erfolgreiche Führungskräfte besitzen sollten. Boyatzis (1982), S. 21 in Anlehnung an Klemp (1980). Boyatzis (1982), S. 23. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 68. Boyatzis (1982), S. 21. Eine ähnliche Definition stellen Spencer/Spencer (1993), S. 9 vor: „A competency is an underlying characteristic of an individual that is causally related to criterion-referenced effective and/or superior performance in a job or situation [Hervorhebungen im Original].“ Vgl. Weinert (2001), S. 46f. Hierbei handelt es sich nicht um eine völlig neuartige Erkenntnis, denn White hat bereits im Jahr 1959 im Rahmen seiner Arbeit zur Motivationspsychologie Kompetenzen als motivationales Konzept verstanden. Vgl. White (1959), S. 317f. sowie zur Konzeptwürdigung Ritter/Gründer (1976), Sp. 922f.
52
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
schen Tätigkeit des Individuums in der Unternehmung her47 und impliziert somit, dass sich Kompetenzen einer Verallgemeinerung entziehen.48 Dieses Kompetenzverständnis ermöglicht eine klare Unterscheidung von Kompetenzen und Qualifikationen. Während Qualifikationen alle Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten umfassen, über die eine Person bei der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verfügen muss,49 beinhalten Kompetenzen darüber hinaus auch motivationale Elemente. Dies bedeutet, dass Kompetenzen nicht ausschließlich auf individuelle Qualifikationen zurückzuführen sind.50 Vielmehr lassen sich Kompetenzen aufgrund der individuellen Motive, Werte und Grundorientierungen, die dieses Konstrukt mit prägen, als persönlichkeitsbezogene Phänomene verstehen, die einen deutlichen Unterschied zu den objektivierbaren und in der Regel recht problemlos überprüfbaren Qualifikationen51 einer Person darstellen. Trotz des Einbezugs der Leistungs- und Ergebnisdimension in die Begriffsdefinition kritisieren einige Autoren, dass Boyatzis’ persönlichkeitsbezogenes Kompetenzverständnis („trait-based approach“)52 primär einen eigenschaftstheoretischen Charakter aufweist53 und plädieren für eine handlungsorientierte Kompetenzbetrachtung („behavioral view“), die stärker auf die Anforderungen zur Erledigung einer bestimmten Arbeitssituation ausgerichtet ist54 und somit insbesondere den vom Kompetenzträger durchzuführenden Aufgaben als Bezugsgrößen des Handelns ein stärkeres Gewicht zukommen lässt. Kompetenzen umfassen nach dieser Vorstellung „(…) nicht einfach nur ein ‚Wissen im Kopf oder im Gedächtnis’, sondern Wissen im Verständnis eines praktischen Handlungsvollzugs (…)“,55 welches als spezifisches kognitives Handlungsmuster verstanden werden kann. Diese aufgabenbezogenen Handlungsmuster liefern die Grundlage zur Erzielung qualitativ hochwertiger
47 48 49 50 51 52
53 54
55
Wunderer/Bruch (2000), S. 68 Vgl. Woodruffe (1992), S. 17 sowie ähnlich Bernien (1997), S. 25. Vgl. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XXIX. Vgl. hierzu und im Folgenden Wunderer/Bruch (2000), S. 86. Vgl. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XI. Der stellenweise auch in deutschsprachigen Publikationen Verwendung findenden Begriff „traits“ wird nachfolgend mit dem Begriff „Persönlichkeitsmerkmale“ übersetzt. Yukl (2006), S. 180f. definiert traits als „(…) a variety of individual attributes, including aspects of personality, temperament, needs, motives and values. Personality traits are relatively stable dispositions to behave in a particular way.” Vgl. auch Zaccaro/Kemp/Bader (2004), S. 103f. Zur Eigenschaftstheorie vgl. insbesondere die Ausführungen von Heckhausen (1989), S. 55ff. Vgl. Kurz/Bartram (2002), S. 229 sowie Warr/Conner (1992), S. 96ff. Da eine effiziente Aufgabenerledigung in Wandlungsprozessen ein bewusstes, absichtsgeleitetes und zielorientiertes Agieren erfordert, wird der Begriff „behavioral“ nicht mit verhaltensbezogen, sondern handlungsorientiert übersetzt. Vgl. zur Abgrenzung von Verhalten und Handlung z.B. Fröhlich (2002), S. 216; Bruch (2003), S. 27f. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 29.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
53
Arbeitsleistung.56 Kompetenzen besitzen demnach eine konkrete „Abschlussfähigkeit“, unter der Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch eine Ausrichtung auf die Aufgaben- und Zielerreichung und somit die Leistungserbringung einer Person verstehen.57 Allerdings stellen Kompetenzen kein konkretes Verhalten dar, sondern sind diesem vorgelagert und leiten es an: „The competency is not the same thing as performance, but it is what enables performances to occur.“58 Eine genauere Analyse des persönlichkeitsbezogenen und handlungsorientierten Kompetenzverständnisses zeigt, dass sich die beiden Denkrichtungen zum einem im Analysefokus bei der Bestimmung der für erfolgreiche Arbeitsleistung erforderlichen Kompetenzen und zum anderen in der Erklärung kompetenzrelevanter Einflussgrößen unterscheiden.59 Vertreter eines persönlichkeitsbezogenen Kompetenzverständnisses nehmen eine subjektgerichtete Perspektive ein und untersuchen, welche Persönlichkeitsmerkmale erfolgreiche von weniger erfolgreichen Führungskräften unterscheiden. Die Differenz wird auf besondere Eignungsmerkmale bzw. Kompetenzen zurückgeführt. Handlungsorientierte Forschungsansätze sind hingegen objektbezogen ausgerichtet und analysieren ausgehend von der Aufgabe, welche Handlungen oder Handlungsmuster zur erfolgreichen Aufgabenbewältigung benötigt werden. Der Fokus liegt somit nicht auf Persönlichkeitsmerkmalen, sondern auf den durchzuführenden Aufgaben bzw. erforderlichen Handlungen. Eine Analyse, welche Persönlichkeitsmerkmale deren Entstehung beeinflussen, erfolgt nur selten.60 Das handlungsorientierte Kompetenzverständnis impliziert zudem, dass eine Bestimmung von Kompetenzen erst nach der Leistungskonkretisierung möglich ist. Sarges betont, dass aufgrund der Verbreitung beider Ansätze in der Praxis kompetenzbezogene Anforderungslisten meist „(…) ein Potpourri von Traits, Motiven, Werten, Verhal56
57
58 59 60
Vgl. Bartram/Robertson/Callinan (2002), S. 7. Die Autoren definieren Kompetenzen als „(...) sets of behaviours that are instrumental in the delivery of desired results or outcomes“. Vgl. hierzu auch Bernien (1997), S. 25 sowie Woodruffe (1992), S. 17. Vgl. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 27, die betonen, dass hierunter das Vermögen einer Person zu verstehen ist, eine Tätigkeit auch zu einem Abschluss zu bringen und somit ein anvisiertes Ziel zu erreichen. Abschlussfähigkeit bedeutet jedoch nicht nur eine Orientierung an gesetzten Standards oder Zielen, sondern auch an den Handlungserwartung von Organisationsmitgliedern. Vgl. hierzu Wollert (1997), S. 328f. sowie Schuler/Barthelme (1995), S. 93, die diesen Aspekt in Bezug auf Sozialkompetenzen diskutieren. Kurz/Bartram (2002), S. 230. Vgl. hierzu und im Folgenden Sarges (2000), S. 113f. Baitsch (1996), S. 7 merkt hierzu kritisch an: „(…) die phänomenologisch ausgerichtete Frage nach der Kompetenz einer Person beschränkt sich auf das Realisierte und vernachlässigt das Potential, sie unterstellt eindeutige Verhältnisse zwischen Phänomen und generierender Basis (…). Die eigentliche psychologische Frage nach den Handlungen generierenden und steuernden Grundlagen und ihrer Veränderung wird nicht gestellt.“
54
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
tensweisen, Einstellungen, Fertigkeiten, Wissensbeständen usw.“61 darstellen. Mit Blick auf die in Abschnitt 2.2.3.2 diskutierte Vielzahl unterschiedlicher wandlungsgerichteter Aufgaben und Handlungsempfehlungen und die in Abschnitt 2.3.3 festgestellte Vernachlässigung konkreter Wandlungsfähigkeiten drängt sich in Bezug auf den Umgang mit organisationalem Wandel allerdings die Vermutung auf, dass in Theorie und Praxis ein eher handlungsorientiertes Verständnis dominiert. Die nachstehende Abbildung fasst die Betrachtungsperspektiven der beiden Ansätze und deren zentrale Annahmen zusammen (vgl. Abb. 3.2): Persönlichkeitsbezogene Perspektive
Handlungsorientierte Perspektive
Subjektbezogener Analysefokus
Person
Objektbezogener Analysefokus
Kompetenz
Kompetenzen als Summe persönlichkeitsgebundener Attribute, wie Werte, Motive, Wissen, Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften, die zur effizienten Aufgabenerledigung beitragen.
Handlung
Aufgabe
Kompetenzen als tätigkeitsbezogene Handlungsmuster, die Personen in die Lage versetzen, eine Aufgabe erfolgreich zu erledigen.
Abb. 3.2: Perspektiven und Kernannahmen des persönlichkeitsbezogenen und handlungsorientierten Kompetenzverständnisses
Es kann festgehalten werden, dass das Kompetenzverständnis von Boyatzis und die hier anknüpfenden Überlegungen anderer Autoren die Kompetenzvorstellung aus Abschnitt 2.4 stützen. Wandlungskompetenz lässt sich demnach, wie angenommen, nicht nur als Fähigkeitsbündel verstehen, sondern zudem als energetisches Phänomen im Sinne einer Bereitschaft zur Initiierung und Durchführung von organisationalem Wandel. Es deutet sich an, dass sowohl die persönlichkeitsbezogene als auch die handlungsorientierte Kompetenzperspektive einen Beitrag für die weitere Erschließung von Wandlungskompetenz leisten können. Im nachfolgenden Abschnitt werden daher die beiden Perspektiven zusammengeführt und für die Entwicklung einer Vorstellung zur Entstehung von Wandlungskompetenz genutzt.
61
Sarges (2000), S. 114.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
3.2.3
55
Entwicklung eines relationalen Kompetenzverständnisses: Wandlungskompetenz als kontextabhängiges Handlungsrepertoire einer Führungskraft
Bartram/Robertson/Callinan verbinden in ihrem Kompetenzmodell die persönlichkeitsbezogene und handlungsorientierte Perspektive und subsumieren die individuellen leistungsrelevanten Persönlichkeitsmerkmale unter dem Begriff „competency potential“, welcher eine bestimmte individuelle Neigung beschreibt, in einer gewissen Art und Weise zu handeln.62 Das eigentliche Kompetenzverständnis der Autoren ist hingegen handlungsorientiert und versteht Kompetenzen als „(…) sets of behaviours that are instrumental in the delivery of desired results or outcomes [Hervorhebungen im Original].“63 Kompetenzen stellen demnach ein Handlungsrepertoire dar, welches aus den Kompetenzpotenzialen hervorgeht. Allerdings erlangt in der Regel nur ein Ausschnitt dieser Kompetenzpotenziale Kompetenzwirksamkeit. Die Abweichung zwischen Kompetenzpotenzialen und Kompetenzen begründen die Autoren mit dem Einfluss von Kontextgrößen, die von den Individuen je nach Ausprägung als Antriebskräfte oder Barrieren interpretiert werden und somit die Wahrscheinlichkeit der Überführung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale in Kompetenzen und in einem nächsten Schritt in Handlungen beeinflussen. Nicht umgesetzte Potenziale stellen demnach keine Kompetenzen, sondern lediglich Prädispositionen von Kompetenzen dar.64 Die Abbildung 3.3 verdeutlicht dieses Kompetenzverständnis.
Kontext
KompetenzPotenziale
Kompetenzen
Handlung
Leistung/ Ergebnis
Abb. 3.3: Kompetenzmodell in Anlehnung an Bartram/Robertson/Callinan Quelle: In Anlehnung an Bartram/Robertson/Callinan (2002), S. 765
Bartram/Robertson/Callinans Kompetenzmodell vereint somit drei zentrale Aspekte. Kompetenzen wird (1) über die Vorstellung von Kompetenzpotenzialen ein klarer Persönlich-
62 63 64
65
Vgl. hierzu und im Folgenden Bartram/Robertson/Callinan (2002), S. 7ff. Bartram/Robertson/Callinan (2002), S. 7. Vgl. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 30, bei denen die Dispositionen lediglich die „gedanklichen Voraussetzungen“ umfassen. Vgl. auch Wunderer/Bruch (2000), S. 70. Die Autoren stellen zwar eine Beziehung zwischen Leistung/Ergebnis und Kontext dar, thematisieren diesen Sachverhalt jedoch nicht weitergehend. Das Element „Handlung“ findet sich nicht im Ursprungsmodell der Autoren. Es wurde lediglich mit aufgenommen, um die Handlungsorientierung des Kompetenzmodells von Bartram/Robertson/Callinan zu veranschaulichen.
56
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
keitsbezug und (2) eine Ausrichtung auf Handlungen sowie Leistungsergebnisse zugesprochen. Darüber hinaus zeigt sich (3), dass der Kontext Einfluss auf die Ausprägung von Kompetenzen nimmt.66 Kurz/Bartram verdeutlichen das Kompetenzmodell anhand des Beispiels eines Musikers, der ein bestimmtes Repertoire an Musikstücken beherrscht (Kompetenzen), welches auf seinen individuellen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften (Kompetenzpotenziale) basiert, wie z.B. Improvisationsfähigkeit oder Beherrschung von Jazz.67 Die eigentliche Handlung unterscheidet sich von den Kompetenzen dahingehend, dass ein bestimmtes Musikstück ausgewählt und bestmöglich gespielt wird. Die Beurteilung der Leistung erfolgt hierbei nicht durch den Musiker selbst, sondern durch das Publikum, welches diese durch entsprechenden Applaus kommentiert. Bestimmte Kontextfaktoren, wie z.B. das Verhalten des Dirigenten, können dazu führen, dass gewisse Kompetenzpotenziale, beispielsweise das Vermögen, ein Musikstück auch lauter, leiser oder rockiger zu interpretieren, nicht zur Ausprägung gelangen. Die Vorstellung, dass Kontextfaktoren Einfluss auf die Ausprägung von Kompetenzen nehmen, erweitert die entwickelte Kompetenzvorstellung zu einem relationalen Verständnis, bei dem sich „(...) bestimmte Personenmerkmale erst in Verbindung mit Situationsgegebenheiten – also in der spezifischen Handlungskonstellation – als (In-)Kompetenz“68 erweisen. Demnach lassen sich lediglich für ähnliche Kontexte Aussagen über erfolgsrelevante Kompetenzinhalte treffen. Generische Kompetenzen existieren nach dieser Sichtweise nicht, bzw. lassen nicht in jeder Situation eine erfolgreiche Leistung erwarten.69 Die Übertragung der Überlegungen aus diesem Abschnitt auf das Untersuchungsobjekt Wandlungskompetenz ermöglicht die Entwicklung einer Arbeitsdefinition. Demnach kann eine führungskräftebezogene Wandlungskompetenz definiert werden als ein auf individuellen Persönlichkeitsmerkmalen basierendes und durch Kontextfaktoren beeinflusstes Handlungsrepertoire einer Führungskraft, welches einer erfolgreichen Durchführung wandlungsbezogener Aufgaben zugrundeliegt.
66
67 68 69
Vgl. hierzu auch Weinert (2001), S. 58. Er hebt hervor, dass die meisten Kompetenzdefinitionen lediglich individuumszentriert ausgerichtet sind und keinen konkreten Kontextbezug aufweisen. Fischer/Bullock/Rotenberg/Raya (1993), S. 113 kritisieren diese Sichtweise und betonen: „People do not have competences independent of context.“ Vgl. hierzu Kurz/Bartram (2002), S. 230. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 93. Generische Kompetenzen sind Kompetenzen, die in unterschiedlichen Situationen gleichermaßen einen Handlungserfolg in Aussicht stellen. Spencer/Spencer (1993), S. 19ff. stellen zwar ein generisches „Kompetenzverzeichnis“ vor, schränken dessen Aussagekraft aber gleichzeitig ein indem sie betonen: „Many competencies may be irrelevant to any given job.“ – Spencer/Spencer (1993), S. 23.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
57
Das Kompetenzmodell von Bartram/Robertson/Callinan bietet zwar eine erste Vorstellung zur Entstehung und Ausprägung einer wandlungsbezogenen Kompetenz, diskutiert allerdings keine konkreten Inhalte der einzelnen Modellelemente. Offen bleibt somit, wie ein Handlungsrepertoire zum erfolgreichen Umgang mit Wandlungssituationen konkret aussieht, welche Persönlichkeitsmerkmale diesem zugrundeliegen und welche Kontextgrößen als Einflussfaktoren wirken. Da das Model bisher nur theoretisch diskutiert wurde und qualitative Untersuchungen zu einer etwaigen Modellerweiterung sowie quantitative Studien zur Signifikanz der postulierten Zusammenhänge noch ausstehen, lässt sich nicht ausschließen, dass es weitere oder andere Wirkbeziehungen gibt, die bisher keine Berücksichtigung gefunden haben. Im Abschnitt 3.3 wird daher eine Literaturanalyse zu möglichen Inhalten der einzelnen Modellelemente in Bezug auf eine führungskräftebezogene Wandlungskompetenz sowie hinsichtlich etwaiger Modellerweiterungen durchgeführt. Zuvor erfolgt allerdings im nächsten Abschnitt eine Erschließung weiterer Merkmale einer Wandlungskompetenz von Führungskräften, die aus der entwickelten Kompetenzvorstellung resultieren.
3.2.4
Kernmerkmale einer Wandlungskompetenz von Führungskräften
Neben den im vorherigen Abschnitt herausgearbeiteten drei zentralen Charakteristika Persönlichkeitsbezug, Handlungsorientierung und Kontextabhängigkeit lassen sich aus dem entwickelten Kompetenzverständnis mehr oder weniger explizit weitere Annahmen und Merkmale von Wandlungskompetenzen ableiten. Unter Kompetenzpotenzialen werden sowohl kognitive (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Erfahrungen) als auch energetische Persönlichkeitsmerkmale (Motive, Werte) zusammengefasst. Demnach stellt Wandlungskompetenz ein kognitiv und energetisch70 geprägtes Konstrukt dar und lässt sich nicht nur, wie bereits erwähnt, auf ein bestimmtes Fähigkeitsbündel zurückführen, welches eine erfolgreiche Durchführung von Wandlungsaufgaben in Aussicht stellt.
70
Vgl. zur Akzentuierung der energetischen Dimension z.B. Spencer/Spencer (1993), S. 12. Die Autoren betonen, dass die energetischen Persönlichkeitsmerkmale die Antriebskraft bilden, vorhandenes Wissen oder Fähigkeiten zur Anwendung zu bringen.
58
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Trotz der Kontextabhängigkeit und Handlungsorientierung stellen Kompetenzen aufgrund des Persönlichkeitsbezugs ein situationsübergreifendes Handlungsrepertoire71 dar. Dies bedeutet, dass wandlungskompetentes Handeln in der Regel kein einmaliges Phänomen darstellt, sondern auch in anderen, ähnlichen Situationen stattfindet.72 Wandlungskompetenz lässt sich somit ein gewisses Maß an Übertragbarkeit und Generalisierbarkeit zuschreiben. Die Sichtweise wird auch von Kurz/Bartram vertreten, die betonen, dass sich Kompetenzen nicht nur in einer einmaligen guten Leistung widerspiegeln, sondern sich insbesondere durch die „(...) ability to generalize and to transfer knowledge and skills from one job task or role to another“73 auszeichnen. Der Einfluss von Kontextfaktoren führt jedoch dazu, dass Kompetenzen in unterschiedlichen Intensitätsgraden zur Ausprägung gelangen und sich teilweise nur eingeschränkt auf andere Situationen transferieren lassen.74 Im Extremfall kann die Einflussnahme so hoch sein, dass mehrere Kompetenzpotenziale nicht in Kompetenzen überführt werden und kein kompetentes Verhalten gezeigt wird. Die Vorstellung unterschiedlicher Intensitäten von Wandlungskompetenz führt zu einer graduellen Sichtweise von Wandlungskompetenz, welche je nach Kompetenzwirksamkeit der Kompetenzpotenziale zwischen den beiden Polen „kompetent“ und „inkompetent“ unterschiedliche Kompetenzgrade unterscheidet.75 Da sich Kompetenzen über Leistungskonkretisierungen zeigen, kann ihnen in einem gewissen Umfang eine Beobachtbarkeit und Messbarkeit zugeschrieben werden. Zur Anwendung kommen in der Praxis einerseits unterschiedliche objektive Messverfahren, die darauf ausgerichtet sind, anhand bestimmter vordefinierter Kriterien Kompetenzen zu erkennen und quantitativ zu analysieren sowie andererseits subjektive Erhebungen, bei denen durch Methoden der qualitativen Sozialforschung versucht wird, auf bestimmte Kompetenzen zu schließen.76 Bei qualitativen Messverfahren oder einer Zieloffenheit der Wandlungsaufgabe obliegt die Einschätzung, ob sich eine Person als kompetent erwiesen hat, der
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73 74
75 76
Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 70. Die Autoren rekurrieren bei ihrer Charakterisierung von Kompetenzen auf Erkenntnisse der Schlüsselqualifikationsforschung. Vgl. exemplarisch Yukl (2006), S. 175, der betont, dass Persönlichkeitsmerkmale stabile Verhaltensneigungen reflektieren. Kurz/Bartram (2002), S. 230. Vgl. hierzu z.B. Fischer/Bullock/Rotenberg/Raya (1993), die hervorheben, dass sich Kompetenzen im Zusammenspiel von Person und Kontext entwickeln und verändern. Wunderer/Bruch (2000), S. 91f. Vgl. zur Kompetenzforschung ausführlich Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XX sowie die Beiträge im Herausgeberband Erpenbeck/Rosenstiel (2003), in welchem ausführlich unterschiedliche quantitative und qualitative Messverfahren vorgestellt werden.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
59
subjektiven Beurteilung des Beobachters,77 woraus in einem gewissen Maße eine soziale Konstruiertheit von Kompetenzen resultiert.78 Kompetenzen weisen des Weiteren eine bedingte Erlernbarkeit auf. Während sich insbesondere Fertigkeiten und Wissen durch Trainingsmaßnahmen relativ problemlos vermitteln lassen,79 stellt sich die Frage, in welchem Maße Persönlichkeitsmerkmale wie Motive, Werte oder Grundorientierungen entwickelt werden können. Die stark eigenschaftstheoretisch geprägte traditionelle Führungstheorie geht davon aus, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die „gute“ Führungskräfte ausmachen, angeboren sind und nicht erlernt werden können.80 Clauß et al. weisen jedoch darauf hin, dass Dispositionen nicht nur individuelle Anlagen einer Person, sondern auch Entwicklungsresultate umfassen.81 Auf Basis dieser Aussage lässt sich die Vermutung ableiten, dass Kompetenzpotenziale durch einen selbstorganisierten oder fremdinduzierten Lernprozess in einem gewissen Umfang verändert werden können.82 Spencer/Spencer zeigen jedoch anhand eines „Eisbergmodells“ und „konzentrischen Kreismodells“, dass sich nicht alle Kompetenzpotenziale auf derselben Ebene beim Kompetenzträger verorten lassen, sondern mehr oder weniger „tief“ in der Persönlichkeit verankert sind.83 Auf der Oberfläche des Eisbergs bzw. dem äußeren Kreis des Modells sind die zum Teil sichtbaren, relativ einfach zu verändernden Fähigkeits- und Wissenspotenziale des Kompetenzträgers angesiedelt, während sich am Fuße des Eisbergs bzw. im innersten Kreis der verdeckte Persönlichkeitskern der Kompetenzen befindet. Je stärker die Kompetenzpotenziale an diesen Persönlichkeitskern gebunden sind, desto langwieriger, schwieriger und aufwendiger erweisen sich bestimmte Entwicklungsprogramme.84 Die nachstehende Abbildung stellt die identifizierten Kernmerkmale von Kompetenzen in einer Übersicht dar (vgl. Abb. 3.4):
77 78
79 80
81 82
83 84
Vgl. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. XI. Vgl. Sydow/Duschek/Möllering/Rometsch (2003), S. 28. Die Autoren betonen, dass dieser Aspekt von den meisten kompetenzbasierten Ansätzen in der Literatur nicht thematisiert wird. Vgl. Spencer/Spencer (1993), S. 11. Zur Übersicht der zentralen Annahmen und Kritikpunkte zur Eigenschaftstheorie der Führung vgl. exemplarisch Ridder (1999), S. 471ff. Vgl. Clauß et al. (1995), S. 126. Vgl. Yukl (2006), S. 181 rekurrierend auf Bouchard et al. (1990): „There is considerable evidence that traits are jointly determined by learning and by an inherited capacity to gain satisfaction from particular types of stimuli or experiences.” Vgl. Spencer/Spencer (1993), S. 11. Vgl. auch Wunderer/Bruch (2000), S. 72f. bezugnehmend auf McClelland/Winter (1971).
60
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Beobachtbarkeit/ Messbarkeit Handlungsorientierung
Gradualität
Übertragbarkeit/ Generalisierbarkeit
Situationsübergreifende Ausprägung
Charakteristika von Wandlungskompetenz
Kontextabhängigkeit
Persönlichkeitsbezug
Bedingte Erlernbarkeit
KognitivEnergetische Prägung
Abb. 3.4: Kernmerkmale von Wandlungskompetenz
3.3
Wandlungskompetenz von Führungskräften als bereitschafts- und fähigkeitsgeprägtes sowie kontextabhängiges Phänomen: Entwicklung eines Bezugsrahmens
3.3.1
Aspekte einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz
3.3.1.1 Wandlungsbereitschaft: Antriebskraft wandlungsbezogener Aktivitäten Die allgemeine Kompetenzliteratur liefert zwar, wie in den vorherigen Abschnitten erläutert, eine Vielzahl von Hinweisen zur energetischen Prägung von Kompetenzen, allerdings wird diese nur sehr selten direkt mit dem Begriff Bereitschaft bezeichnet. Eine Ausnahme bildet die Definition von Handlungskompetenz bei Staudt/Kriegesmann, die betonen: „Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft bestimmen (…) zusammen die individuelle Handlungskompetenz, die eng mit Persönlichkeitseigenschaften verbunden ist.“85 Die Autoren diskutieren allerdings bis auf einen kurzen Hinweis auf die Bedeutung von Motivstrukturen nicht vertiefend, welche Persönlichkeitsmerkmale in der Handlungsbereitschaft abgebildet sind oder diese beeinflussen. Auch andere Veröffentlichungen, die den energetischen Charakter von Kompetenzen betonen, spezifizieren diese Antriebskraft nicht weiter.
85
Staudt/Kriegesmann (2002), S. 36.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
61
Offen bleibt somit, ob es sich hierbei um eine Motivation, Einstellung, Intention oder einen festen Willen handelt, wandlungskompetentes Verhalten zu zeigen. Da sich in der Kompetenzliteratur keine detaillierten Erkenntnisse zum Bereitschaftsaspekt von Kompetenzen finden, wird im Folgenden auf theoretische Überlegungen und Forschungsergebnisse zur Bereitschaft von Organisationsmitgliedern gegenüber Wandel zurückgegriffen. In diesen Veröffentlichungen wird allerdings die Bereitschaft eines Individuums nicht im Zusammenhang mit dessen Fähigkeiten betrachtet. Zudem lässt sich keine konkrete Bezugnahme auf die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften feststellen. Wie in Abschnitt 2.3.2.2 erläutert, wird Wandlungsbereitschaft von einigen Autoren als eine Form des Offenseins bzw. ein Prozess des sich Öffnens gegenüber Wandel verstanden. Auch wenn der Begriff „readiness for change“ in der englischsprachigen Literatur seit mehr als 40 Jahren Verwendung findet, heben Desplaces/Beauvais hervor: „(…) it is a phenomenon that remains understudied.“86 Einige Autoren betonen, dass Wandlungsbereitschaft kein Persönlichkeitsmerkmal darstellt,87 sondern als Einstellung88 gegenüber organisationalem Wandel zu verstehen ist,89 und entwickeln in Anlehnung an das „klassische“ triadische Einstellungsmodell von Rosenberg/Hovland90 eine drei Dimensionen umfassende Konstruktvorstellung. Wandlungsbereitschaft setzt sich hiernach aus einer kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen (intentionalen) Dimension zusammen.91 Dies bedeutet, dass Führungskräfte mit einer positiven Einstellung gegenüber organisationalem Wandel z.B. überzeugt sind, dass der Wandel sinnvoll für die Unternehmung ist (kognitiv), Begeisterung verspüren (emotional) und eine starke Handlungsabsicht (intentional) aufbauen. Während in früheren Veröffentlichungen vielfach davon ausgegangen wurde, dass zwischen den drei Dimensionen Konsis-
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89
90 91
Desplaces/Beauvais (2004), S. 1. Vgl. Desplaces/Beauvais (2004), S. 5 sowie Holt/Armenakis/Harris/Feild (2004), S. 30, die betonen: „(…) readiness is defined as a state, not a trait, which implies that readiness does not occur in a vacuum (…).” Nach Staehle (1999), S. 176 können Einstellungen als „(...) individuelles, in sich geschlossenes und relativ stabiles System von Gedanken, Gefühlen und Handlungsprädispositionen charakterisiert werden, das menschliches Verhalten gegenüber Sachen und Personen in bestimmten Situationen beeinflusst.“ Vgl. Desplaces/Beauvais (2004), S. 5f.; Holt/Armenakis/Harris/Feild (2004), S. 30; Holt/Armenakis/ Feild/Harris (2004), S. 5; Vakola (2005), S. 3 sowie indirekt Piderit (2000), S. 786ff., die Widerstände als Einstellungskonstrukt modelliert. Vgl. Rosenberg/Hovland (1960), S. 1ff. Vgl. Rosenberg/Hovland (1960), S. 3 sowie vertiefend z.B. die hieran anknüpfenden Überlegungen von Meinefeld (1977), S. 29f. und Triandis (1975), S. 10ff.
62
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
tenz herrscht,92 werden in neueren Aufsätzen Überlegungen zur Entstehung von wandlungsbezogenen Einstellungen trotz ambivalenter Ausprägung der drei Dimensionen aufgestellt.93 In der Einstellungsforschung wird seit jeher kontrovers über den Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten diskutiert.94 Viele Untersuchungen haben lediglich geringe Korrelationen zwischen diesen beiden Größen festgestellt,95 so dass einige Autoren den Einfluss von Einstellungen auf das Handeln von Individuen abschwächen oder sogar gänzlich in Frage stellen.96 Da Kompetenzen allerdings einen handlungsanleitenden Charakter besitzen und Wandlungsbereitschaft als Dimension von Wandlungskompetenz verstanden wird, ist eine Gleichsetzung von Bereitschaft und Einstellungen problematisch, da sie den kompetenzinhärenten Absichtsgehalt zur Durchführung wandlungsgerichteter Aufgaben nicht hinreichend berücksichtigt. Einige Autoren fordern daher, Intention als eigenständiges Konstrukt zu betrachten und „lediglich“ die kognitive und emotionale Dimension als Einstellung zu verstehen.97 Jimmieson/White/Peach folgen indirekt dieser Vorstellung und trennen in ihrer Untersuchung zur Wandlungsbereitschaft von Organisationsmitgliedern Einstellungen und Intentionen.98 Nach ihrem Verständnis lässt sich Intention als die der Handlung am nächsten stehende Determinante auffassen. Die Forschungsergebnisse aus der Einstellungsforschung führen zu der Überlegung, Wandlungsbereitschaft als intentionales Konstrukt zu verstehen, welches die relativ feste Absicht einer Führungskraft zur Handlungsaufnahme im Wandlungsprozess ausdrückt. Dieses Verständnis spiegelt auch die Kompetenzsichtweise von Spencer/Spencer wider, die betonen: „Competencies always include an intent (…).“99 Wandlungsbezogene Kognitionen und
92 93
94
95 96
97
98
99
Vgl. z.B. Triandis (1975), S. 11. Vgl. Piderit (2000), S. 787ff. Die Autorin merkt hierzu an: „The simplest case of ambivalence to imagine is the case in which an individual's cognitive response to a proposed change is in conflict with his or her emotional response to the proposal” – Piderit (2000), S. 787. Vgl. z.B. Triandis (1975), S. 20ff. Vgl. auch Piderit (2000), S. 786f., die kurz den Diskussionsstand zur Drei-Komponenten-Theorie in der Literatur aufzeigt. Vgl. hierzu auch Eagly/Chaiken (1993), S. 10ff. Vgl. exemplarisch die schon früh geübte Kritik von Fishbein (1967), S. 477ff. Vgl. für eine Übersicht Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 170ff. Vgl. z.B. Triandis (1975), S. 20, der von einer schwachen Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten spricht. Diese Zwei-Komponenten-Vorstellung wurde bereits früh von Rosenberg zur Diskussion gestellt – vgl. Rosenberg (1960), S. 15 sowie die Interpretation hierzu bei Meinefeld (1977), S. 29f. Vgl. auch Eagley/Chaiken (1993), S. 13, bezugnehmend auf Bagozzi/Burnkrant (1979) und Bagozzi/Burnkrant (1985). Vgl. auch die Kritik an der Drei-Komponenten-Theorie bei Roth (1967), S. 99ff. sowie zusammenfassend Balderjahn (1995), Sp. 543f. Vgl. hierzu und im Folgenden Jimmieson/White/Peach (2004), S. 5. Die Untersuchung der Autoren basiert auf der Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen – vgl. hierzu z.B. Ajzen (1991). Spencer/Spencer (1993), S. 12.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
63
Emotionen bilden demnach ein eigenständiges Konstrukt, nämlich die individuelle Haltung gegenüber einer Wandlungssituation. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich anbietet, Wandlungsbereitschaft als Intention von Führungskräften zur Handlungsaufnahme in organisationalen Wandlungssituationen und nicht als Wandlungseinstellung zu verstehen. Allerdings fehlen empirische Untersuchungen, die diese Überlegung stützen. Darüber hinaus lassen sich in der Literatur keine konkreten Hinweise zur Ausprägung einer führungskräftebezogenen Wandlungsbereitschaft identifizieren. Das Konstrukt bleibt damit bis auf die Vorstellung, dass Wandlungsbereitschaft eine relative feste Absicht widerspiegelt, weitgehend inhaltsleer.
3.3.1.2 Wandlungsfähigkeit: Zusammenspiel verschiedener wandlungsbezogener Einzelfähigkeiten Die Wandlungsfähigkeit einer Führungskraft wurde in Abschnitt 2.3.3 einleitend als spezieller Ausschnitt aus dem (Gesamt)Fähigkeitsset bezeichnet, der einer erfolgreichen Tätigkeit in unterschiedlichen Wandlungssituationen zugrundeliegt. Verwirrend ist die Verwendung des Fähigkeitsbegriffs in der Kompetenzliteratur und die Einordnung von Fähigkeiten in entsprechende Modellvorstellungen. Zum einen grenzen nur wenige Autoren die Termini Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen und Erfahrungen voneinander ab,100 und zum anderen findet der Fähigkeitsbegriff sowohl bei der Betrachtung von Persönlichkeitsmerkmalen (Kompetenzpotenziale)101 als auch der Beschreibung von Kompetenzen Verwendung.102 Wie in Abschnitt 2.3.3 dargelegt, werden Fähigkeiten in dieser Arbeit als Vermögen zur Realisierung erfolgreicher Leistungen in relativ heterogenen Aufgabensituationen verstanden. Fähigkeiten besitzen demnach einen klaren Handlungs- und Leistungsbezug,103 was eine starke Nähe zu dem hier entwickelten Kompetenzverständnis erkennen lässt. Fähigkeiten sind aber nicht mit Kompetenzen gleichzusetzen, da sie keinen expliziten energetischen Charakter besitzen. Der Oberbegriff Wandlungsfähigkeit reflektiert das Zusammenspiel unterschiedlicher wandlungsgerichteter Einzelfähigkeiten und repräsentiert somit die Handlungsfähigkeit einer Führungskraft in organisationalen Wandlungssituationen. Erst 100
101 102 103
Eine Ausnahme bildet z.B. die Abgrenzung von Kompetenzelementen bei Wunderer/Bruch (2000), S. 71. Vgl. z.B. die Kompetenzdefinition von Boyatzis (1982), S. 21. Vgl. z.B. Erpenbeck/Rosenstiel (2005), S. 40, die Kompetenzen als Handlungsfähigkeiten bezeichnen. Vgl. Steinle (1975), S. 61f.; Gebert/Rosenstiel (1992), S. 58 und die dort zitierte Literatur.
64
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
wenn die Wandlungsfähigkeit mit Bereitschaft zusammentrifft und dadurch aktiviert wird, kann nach dem hier entwickelten Verständnis von Wandlungskompetenz gesprochen werden. In der Kompetenzliteratur finden sich keine direkten Hinweise zu den etwaigen Inhalten einer Wandlungsfähigkeit von Führungskräften, so dass zur weiteren Analyse, wie schon bei der Erschließung von Wandlungsbereitschaft, auf theoretische Überlegungen und Forschungsergebnisse aus wandlungsbezogenen Veröffentlichungen zurückgegriffen wurde. Allerdings lassen sich auch hier, wie bereits in Abschnitt 2.3.3 betont, unter dem Fähigkeitsbegriff keine konkreten Inhalte feststellen, so dass die Suche auf die unterschiedlichen Begriffsvariationen dieses Terminus ausgeweitet wurde. Caldwell diskutiert unter dem Begriff „attributes“, den er als „(…) a mix of skills, knowledge, capabilities, competencies and personal characteristics (…)”104 versteht, verschiedene Merkmale von „Change Managern“ und „Change Leadern“. Der Autor charakterisiert Change Leader als Initiatoren organisationalen Wandels und verortet sie im Topmanagement.105 Change Managers hingegen sind dem mittleren Management zuzurechnen und mit der Aufgabe der Durchführung von Wandel betraut. Die nachstehende Abbildung 3.5 stellt die von Caldwell identifizierten Merkmale absteigend nach ihrer in einer vierstufigen Delphi-Studie festgestellten Bedeutung dar: Change Leader
• • • • • • • • • •
Inspiring vision Entrepreneurship Integrity and honesty Learning from others Openness to new ideas Risk-taking Adaptability and flexibility Creativity Experimentation Using power
Change Manager
• • • • • • • • • •
Empowering others Team building Learning from others Adaptability and flexibility Openness to new ideas Managing resistance Conflict resolution Networking Knowledge of the business Problem solving
Abb. 3.5: Charakteristika von Change Leadern und Change Managern nach Caldwell Quelle: In Anlehnung an Caldwell (2003), S. 288, Tabelle 1 und S. 289, Tabelle 2
Auch wenn diese Charakteristika von Führungskräften nicht explizit nach Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen unterschieden werden, lässt sich erkennen, dass z.B. „managing 104 105
Caldwell (2003), S. 287. Vgl. hierzu und im Folgenden Caldwell (2003), S. 285ff.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
65
resistance“, „inspiring vision“ oder „conflict resolution“ einen deutlichen Fähigkeitsbezug aufweisen und „creativity“ oder „risk taking“ eher Persönlichkeitsmerkmale darstellen. Problematisch erweist sich die von Caldwell vorgenommene Aufgabenzuschreibung, die nicht berücksichtigt, dass dem Topmanagement auch in der Umsetzungsphase wichtige Aufgaben zukommen106 und die mittlere Führungsebene häufig in die Initiierung von Wandlungsprozessen einbezogen ist bzw. von ihr zentrale Wandlungsimpulse ausgehen.107 Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Kernmerkmale von Change Managern und Change Leadern gibt zwar eine Orientierung zu etwaigen Inhalten einer Wandlungsfähigkeit von Führungskräften, allerdings basieren die Forschungsergebnisse nicht auf einer Feldstudie,108 sondern der Bewertung unterschiedlicher, in einer Dokumentenanalyse identifizierter möglicher Attribute durch eine Expertengruppe.109 Den Experten wurde hierbei nicht die Möglichkeit eingeräumt, die Attributs-Auflistung zu ergänzen. Darüber hinaus kamen keine Interviews oder teilnehmenden Beobachtungen zum Einsatz. Das handlungsorientierte Kompetenzverständnis dieser Arbeit erfordert allerdings eine Kompetenz- bzw. Fähigkeitsanalyse, die an den Wandlungsaufgaben ansetzt und nicht isoliert Persönlichkeitsmerkmale oder Fähigkeiten zusammenstellt, von denen vermutet wird, dass sie eine erfolgsförderliche Wirkung besitzen. Demnach ist nicht auszuschließen, dass wichtige Aspekte der Wandlungsfähigkeit von Führungskräften nicht berücksichtigt wurden. Weitere Hinweise zu möglichen Inhalten einer Wandlungsfähigkeit finden sich in der Literatur zur transformationalen Führung. Die in Abschnitt 2.2.3.3 kurz erwähnten vier Führungsaktivitäten der transformationalen Führung, persönliche Ausstrahlung, Inspiration, intellektuelle Anregung und individuelle Behandlung, lassen sich auch als Fähigkeiten einer Führungskraft verstehen.110 Verbunden sind hiermit unterschiedliche Teilfähigkeiten, die in Abbildung 3.6 beispielhaft dargestellt sind:
106 107 108
109 110
Vgl. z.B. Krüger/Janz (2002), S. 133f. Vgl. z.B. Huy (2001a), S. 73ff. Vgl. zur Feldstudie, die in der Literatur auch als Feldforschung bezeichnet wird, z.B. Kromrey (2002), S. 96f. Vgl. hierzu und im Folgenden Caldwell (2003), S. 288. In der Literatur finden sich zur Bezeichnung dieser Führungsaktivitäten u.a. Begriffe wie „Merkmale“ (vgl. Hentze/Graf/Kammel/Lindert (2005), S. 344) oder „Techniken“ (vgl. Neuberger (2002), S. 199), die den fähigkeitsbezogenen Charakter dieser Aktivitäten betonen.
66
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Transformationale Führungsfähigkeiten Persönliche Ausstrahlung (idealized influence)
Inspiration (inspirational motivation)
Geistige Anregung (intellectual stimulation)
Individuelle Behandlung (individualized consideration)
• •
Enthusiasmus vermitteln
•
Über eine fesselnde Zukunftsvision motivieren
•
Etablierte Denkmuster aufbrechen
•
Als Identifikationsperson wirken
Mitarbeiter individuell beachten
•
Neue Sichtweisen auf alte Probleme vermitteln
Mitarbeiter individuell führen und fördern
• •
• •
•
Hohe moralische Standards setzen Entwicklung von Vision und Mission
Bedeutung von Zielen und Aufgaben hervorheben
Kreativität fördern
•
•
•
•
• •
Erkennen individueller Bedürfnisse und Wünsche Mgmt. by walking around
...
Motivation zum innovativen Handeln ...
• •
Emotional begeistern Entwicklung von Vision und Mission ...
•
...
Abb. 3.6: Elemente transformationaler Führungsfähigkeit Quelle: In Anlehnung an Wunderer (2006), S. 82; Bruch/Vogel (2005), S. 129 bezugnehmend auf Bass/Avolio (1994); Bass (1998), S. 5f.
Sashkin hat in einer Analyse von acht Führungsmodellen, die sich grob an der transformationalen Führungstheorie orientieren, festgestellt, dass in fast allen Ansätzen die drei Kernaspekte Kommunikation (insbesondere von Visionen), Schaffung von Handlungsspielräumen (Gelegenheiten zur Entfaltung) und Berücksichtigung der individuellen Interessen von Mitarbeitern zu finden sind.111 Da in einer Vielzahl unterschiedlicher theoretischer und empirischer Arbeiten die Bedeutung transformationaler Führung für eine erfolgreiche Durchführung von Veränderungsprozessen betont wird,112 lässt sich die Vermutung aufstellen, dass die diskutierten Führungsfähigkeiten Bestandteile bzw. Teilfähigkeiten einer Wandlungsfähigkeit von Führungskräften darstellen. Allerdings bezieht sich transformationale Führung, wie in Abschnitt 2.2.3.3 kurz angerissen, nicht ausschließlich auf organisationalen Wandel, sondern z.B. auch auf politische und militärische Kontexte. Daher ist nicht auszuschließen, dass für organisationale Wandlungsprozesse weitere spezifische wandlungsgerichtete Fähigkeiten von Führungskräften relevant sind, die aufgrund der relativ generalistischen Ausrichtung des transformationalen Führungsansatzes bisher nicht berücksichtigt worden sind. Deutlich wird, dass sich die Wandlungsfähigkeit nicht als eine Einzelfähigkeit verstehen lässt, sondern als ein Aggregat aus unterschiedlichen Teilfähigkeiten, die sich sinnvoll ergänzen, z.B. die Vermittlung von Enthusiasmus und Entwicklung einer fesselnden Vision, und im Zusammenwirken die Erfolgswahrscheinlichkeit des wandlungsbezogenen Handelns erhöhen. 111 112
Vgl. Sashkin (2004), S. 190f. Vgl. z.B. Eisenbach/Watson/Pillai (1999), S. 83; Tichy/Devanna (1986), S. 27ff.; Krüger (2006), S. 111.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
3.3.2
67
Kompetenzpotenziale: Persönlichkeitsmerkmale als Grundlage einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz
In Abschnitt 3.2.3 wurden Kompetenzpotenziale als Persönlichkeitsmerkmale charakterisiert, die der Wandlungskompetenz von Führungskräften zugrundeliegen. Sie lassen sich als Verhaltensneigungen verstehen und umfassen eine Vielzahl unterschiedlicher individueller Attribute, wie Motive, Grundorientierungen, Fertigkeiten, Erfahrungen, Werte usw., die in der englischsprachigen und teilweise auch deutschsprachigen Literatur unter dem Oberbegriff „Traits“ zusammengefasst werden. Da es sich bei dem Kompetenzmodell von Bartram/Robertson/Callinan um ein generisches Modell handelt, lassen sich hieraus keine konkreten Inhalte wandlungskompetenzrelevanter Persönlichkeitsmerkmale ableiten. Auch in anderen kompetenzgerichteten Veröffentlichungen sind keine Hinweise zur inhaltlichen Ausprägung wandlungsrelevanter Kompetenzpotenziale von Führungskräften zu finden, so dass die Suche abermals auf die Literatur zum organisationalen Wandel ausgeweitet wurde. Allerdings zeigen sich hier nur wenige Anhaltspunkte. Judge/Thoresen/Pucik/Welbourne stellen fest: „(…) very little research has taken a psychological focus in investigating the process of organizational change. Neglected is the possibility that successful coping with change lies within the psychological predispositions of individuals experiencing the change.”113 Die Autoren stellen in einer Studie fest, dass „interne Kontrollüberzeugung (locus of control)”, „Selbstwirksamkeit (self-efficacy)”, „Selbstwertgefühl (self-esteem)“, „positives Gefühlsleben (positive affectivity)“, „Offenheit für Erfahrungen (openness to experience)“, „Toleranz von Mehrdeutigkeiten (tolerance for ambiguity)“ sowie „Risikoaffinität (negative risk aversion)“,114 die Bewältigung115 organisationalen Wandels positiv beeinflussen. Der Fokus von Judge/Thoresen/Pucik/Welbourne liegt somit auf Persönlichkeitsmerkmalen zum Umgang mit empfundenem wandlungsinduzierten Stress und weniger auf der Hervorbringung eines Handlungsrepertoires zur erfolgreichen Durchführung von Wandlungsprozessen. Zudem wird implizit von einem reaktiven Führungskräfteverhalten ausgegangen, dass darauf ausgerichtet ist, die Konsequenzen eines unausweichlichen orga-
113 114 115
Judge/Thoresen/Pucik/Welbourne (1999), S. 107. Judge/Thoresen/Pucik/Welbourne (1999), S. 108ff. Die Autoren sprechen von „Coping“ und greifen auf das Begriffsverständis von Folkman/Lazarus/Gruen/ DeLongis (1986), S. 572 zurück, die Coping definieren als: „(…) the person’s cognitive and behavioral efforts to manage (reduce, minimize, or tolerate) the internal and external demands of the personenvironment transaction that is appraised as taxing or exceeding the person’s resources.“
68
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
nisationalen Wandels bestmöglich zu bewältigen. Die Untersuchung blendet somit die in Abschnitt 2.2.3.2 dargestellte Aufgabe einer proaktiven Wandlungsinitiierung aus. Wanberg/Banas diskutieren mit Selbstwertgefühl, Optimismus und dem persönlichen Kontrollempfinden den Einfluss von drei Persönlichkeitsmerkmalen auf die Offenheit gegenüber Wandel von Organisationsmitgliedern.116 Die Autoren beziehen ihre Überlegung allerdings nicht direkt auf Führungskräfte, sondern rekurrieren ähnlich wie Judge/Thoresen/ Pucik/Welbourne auf die Anpassung von Organisationsmitgliedern an Wandel und vernachlässigen somit ebenenfalls proaktive Handlungsanforderungen. Vakola/Tsaousis/Nikolaou untersuchen den Einfluss der sogenannten „Big Five Persönlichkeitsmerkmale“117 auf die Einstellung von Organisationsmitgliedern gegenüber Wandel und stellen sehr signifikante positive Korrelationen der vier Merkmale Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen sowie eine sehr signifikante negative Korrelation von emotionaler Stabilität118 mit dem Einstellungskonstrukt fest.119 Die Autoren verstehen Einstellungen gegenüber Wandel als eindimensionales Konstrukt, welches der traditionellen Einstellungsforschung folgend kognitive, emotionale und intentionale Elemente umfasst.120 Bei der Datenauswertung wird allerdings nur der Einfluss der „Big Five“ auf das Gesamtkonstrukt betrachtet und keine separate Analyse der Wirkung auf intentionale Aspekte von Einstellungen gegenüber Wandlungssituationen, die nach dem in Abschnitt 3.3.1.1 entwickelten Verständnis die Bereitschaft einer Führungskraft reflektieren, vorgenommen. Zudem lassen sich die „Big Five“ primär als Grundorientierung einer Führungskraft verstehen und vernachlässigen somit andere Aspekte von Kompetenzpotenzialen, wie Wissen oder Fertigkeiten. Darüber hinaus erfolgt keine explizite Betrachtung des Einflusses der „Big Five“ auf die Wandlungsfähigkeit oder das Führungshandeln in Wandlungsprozessen.121
116 117 118
119 120 121
Vgl. Wanberg/Banas (2000), S. 132f. Vgl. hierzu Yukl (2006), S. 196ff. und die dort zitierte Literatur. Unter den einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen werden die folgenden Charakteristika einer Person diskutiert: Extraversion: (aktiv, impulsiv, gesellig, dominant, gesprächig), Emotionale Stabilität: (unbekümmert, mutig, optimistisch, gelassen), Verträglichkeit (freundlich, flexibel, vertrauensvoll, kooperativ), Gewissenhaftigkeit (verlässlich, sorgfältig, organisiert, ausdauernd) und Offenheit für Erfahrungen (einfallsreich, vielseitig, aufgeschlossen) – vgl. Wunderer (2006), S. 139. Vakola/Tsaousis/Nikolaou (2004), S. 100, Tabelle 3. Vgl. Vakola/Tsaousis/Nikolaou (2004), S. 96f. Es wurden allerdings Untersuchungen zum allgemeinen Einfluss der „Big Five“ auf Leadership durchgeführt – vgl. hierzu z.B. Judge/Bono/Ilies/Gerhardt (2002).
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
69
In der Literatur finden sich zwar eine Vielzahl weiterer führungskräftebezogener Auflistungen von Persönlichkeitsmerkmalen,122 allerdings fehlen hier einerseits konkrete Betrachtungen zum Einfluss einzelner Merkmale auf die Bereitschaft und/oder Fähigkeit von Führungskräften sowie andererseits spezifische empirische Untersuchungen zur Bedeutung in organisationalen Wandlungssituationen. Aus diesem Grund werden diese generischen Merkmale aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in der Trait-Forschung zwar Hinweise zur Bedeutung und den Inhalten führungskräftebezogener Persönlichkeitsmerkmale finden. Allerdings sind diese Überlegungen nicht direkt auf die beiden Konstrukte Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbereitschaft gerichtet, sondern fokussieren lediglich auf ähnliche Phänomene wie z.B. die Wandlungseinstellung oder die Bewältigung wandlungsinduzierter Stresssituationen. Aufgrund des sehr allgemeinen und abstrakten Charakters vieler Persönlichkeitsmerkmale (z.B. der „Big Five“), aus denen sich keine direkten Hinweise auf mögliche Verhaltenseffekte ableiten lassen,123 empfiehlt es sich, auf eine unreflektierte Übertragung auf das Betrachtungsobjekt Wandlungskompetenz zu verzichten. Yukl stellt implizit die Notwendigkeit einer Feldforschung zur Bestimmung der relevanten Kompetenzpotenziale in Wandlungssituationen heraus, indem er betont: „It is difficult to interpret the relevance of abstract traits except by examining how they are expressed in the actual behavior of leaders.”124
3.3.3
Der wahrgenommene Wandlungskontext als zentrale Einflussgröße auf die Ausprägung von Wandlungskompetenz
Die Ausführungen in Abschnitt 3.2.3 haben gezeigt, dass sich Kompetenzen als kontextabhängiges Phänomen verstehen lassen. Nach der Vorstellung von Bartram/Robertson/Callinan besitzt der Kontext einen moderierenden Einfluss125 auf die Beziehung zwischen Kompetenzpotenzialen und Kontext. Während sich im Modell ohne Kontexteinfluss von einer konstanten Einflussnahme der Kompetenzpotenziale auf die Kompetenz ausgehen lässt (z.B. führt die Erhöhung des Selbstwertgefühls um eine Einheit im Zeitablauf kon-
122
123 124 125
Vgl. insbesondere die sehr ausführliche Diskussion bei Yukl (2006), S. 180ff. und Zaccaro/Kemp/Bader (2004), S.109ff., die eine Übersicht zur Trait-Forschung im Leadership geben. Vgl. Yukl (2006), S. 207. Yukl (2006), S. 207. Von einem moderierenden Einfluss kann gesprochen werden, wenn eine Moderatorvariable den Einfluss einer unabhängigen auf eine abhängige Variable verändert – vgl. Bortz/Döring (2003), S. 6.
70
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
stant zu einer Steigerung der Kompetenz um 0,4 Einheiten), zeigen sich in einem Modell mit Kontexteinflüssen, je nach Ausprägung der moderierenden Variable „Kontext“, unterschiedliche Wirkeffekte.126 Dies bedeutet, dass eine negative Kontextausprägung (z.B. ein schlechtes Arbeitsklima im Projekt) den Einfluss eines oder mehrerer Kompetenzpotenziale abschwächt und eine positive Ausprägung (z.B. Zusammenarbeit mit netten Kollegen) die Wirkung verstärken kann. In den Verhaltenswissenschaften werden Kontextfaktoren (stellenweise auch als „Situation“ oder „Umwelt“ bezeichnet)127 insbesondere im Zusammenhang mit der Analyse von Determinanten menschlichen Verhaltens untersucht.128 Das heutige Grundverständnis fußt auf der Lewin’schen Feldtheorie die schon früh Verhalten als eine Funktion von Person, im Sinne individueller Prädispositionen, und Umwelt zu beschreiben versuchte.129 Unter Umwelt versteht Lewin den das Individuum umgebenden psychologischen Lebensraum, von dem Anreizwirkungen auf das (potenzielle) Verhalten ausgehen. Ein alternatives Kontextverständnis vertritt die Annahme, dass keine objektive Umwelt („Wirklichkeit“) für ein Individuum existiert, sondern Personen sich in einem Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess „ihre“ subjektive Umwelt „konstruieren“.130 Verhaltensstimulierende Impulse des Kontexts lassen sich demnach als Ergebnis einer individuellen Wirklichkeitskonstruktion verstehen, die vor dem Hintergrund der persönlichen Erfahrungen und Erwartungen vorgenommen wird.131 Diese Arbeit folgt der moderaten konstruktivistischen Sichtweise vieler Autoren, dass ein realer objektiver Kontext wie z.B. eine bestimmte Unternehmungskultur oder eine Kommunikationsstrategie zwar existiert, dieser aber erst Bedeutung erlangt, wenn Individuen ihn wahrnehmen sowie für sich interpretieren und dadurch objektiven in subjektiven anrei-
126
127 128
129 130
131
Vgl. Hair et al. (2006), S. 201ff. und hier insbesondere die Illustration des Effekts anhand eines Beispiels auf Seite 202. Vgl. zur Begriffsverwendung und -unterscheidung Staehle (1999), S. 157. Vgl. z.B. Bandura (1986), S. 23f.; Vogel (2003), S. 109 konstatiert, dass sich in der Literatur zu individuellem Handeln ein triadischer Bezugsrahmen etabliert hat, welcher neben persönlichen Eigenschaften einer Person und abhängigen Größen wie Führungsverhalten oder Lernen, Kontextgrößen als zentrale Einflussfaktoren des Handelns ansieht. Vgl. hierzu und im Folgenden Lewin (1939), S. 878. Vgl. hierzu insbesondere Rüegg-Stürm (2000), S. 201 und die dort angegebene Literatur sowie Stricker (1997), S. 39ff. Vgl. zusammenfassend zu den unterschiedlichen Positionen im Konstruktivismus Staehle (1999), S. 68. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 569ff.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
71
zenden Kontext übersetzen.132 Das bloße Vorhandensein eines Kontextfaktors besitzt demnach keinen verhaltensrelevanten Einfluss. Aus diesem Grund wird Kontext in Wandlungssituationen nachfolgend als subjektiv wahrgenommener Wandlungskontext verstanden. In der Kompetenzliteratur finden sich keine expliziten Ausführungen zu den Inhalten eines stimulierenden Wandlungskontexts. Mögliche Hinweise zu dessen Ausprägungen lassen sich allerdings aus den Überlegungen von Wunderer/Bruch zur Umsetzungskompetenz, welche die Autoren als mitunternehmerische Schlüsselqualifikation zur wertschöpfenden Implementierung einer innovativen Idee verstehen,133 ableiten. Hier steht nicht nur die kontinuierliche Ideenumsetzung im Sinne eines inkrementalen Wandels im Fokus der Betrachtung, sondern auch die Implementierung von Innovationen mit größerer Tiefenwirkung.134 Wunderer/Bruch identifizieren die beiden zentralen Inhaltsbereiche struktureller Kontext, welcher die Unternehmungskultur, Unternehmungsstrategie und organisatorischen Rahmenbedingungen umfasst sowie Beziehungskontext, der den Austausch des mitunternehmerischen Organisationsmitglieds mit den verschiedenen Stakeholdern widerspiegelt.135 Der allgemeine Charakter dieser beiden Kontextbereiche legt zwar eine Nutzbarmachung für die weitere Erschließung des Wandlungskontexts nahe. Allerdings kann aufgrund der fehlenden expliziten Fokussierung auf Führungskräfte136 und Vernachlässigung der Initiierung von innovativen Ideen137 nicht ausgeschlossen werden, dass andere oder weitere Kontextfaktoren stimulierend auf die Ausprägung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz wirken. Zur weiteren inhaltlichen Bestimmung eines wandlungskompetenzförderlichen Kontexts wird daher auf theoretische Überlegungen und Forschungsergebnisse aus der Literatur zu organisationalem Wandel zurückgegriffen.
132
133 134 135 136
137
Vgl. hierzu und im Folgenden Bruch (2003), S. 174ff. und die dort erwähnten Vertreter eines moderaten konstruktivistischen Verständnisses. Vgl. zur Übersetzung von objektiven in subjektiven Kontext die Verweise bei Bruch in Fußnote 111 auf Hackman (1970), Hacker (1978) und Volpert (1992). Wunderer/Bruch (2000), S. 91. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 107ff. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 119ff. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 31. Die Autoren beziehen sich auf Mitunternehmer, die sie als Mitarbeiter mit überdurchschnittlicher unternehmerischer Motivation und Qualifikation verstehen. Auch wenn die Autoren immer wieder Bezüge zur Ideengenerierung herstellen, steht doch der Umsetzungsprozess und nicht wie bei Wandlungskompetenz der gesamte Wandlungsprozess im Mittelpunkt.
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Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Einige wenige Überlegungen zum Einfluss des Kontexts auf wandlungsbezogene Fähigkeiten finden sich in der Literatur zur transformationalen Führung. Bass betonte schon früh: „We need to learn the extent to which organizational climate, structure, task, and objectives can give rise to the need for more transformational and more transactional leadership”,138 und Aviolo/Bass merken an, dass nur wenig zu den kontextuellen Umständen einer erfolgreichen transformationalen Führung bekannt ist.139 Pawar/Eastman heben hervor, dass zwar in vielen Veröffentlichungen die Bedeutung kontextueller Faktoren betont wird, es allerdings hierzu keine systematische Erschließung gibt.140 Die Autoren identifizieren, basierend auf einer Literaturanalyse, die vier zentralen kontextuellen Einflussfaktoren transformationaler Führung: (1) Anpassungsorientierung der Organisation an Wandel, (2) Vernetzung organisationaler Einheiten mit ihren relevanten Umwelten, (3) einfache und flexibe Organisationsstrukturen und (4) „familiäre“ Unternehmungsführung.141 Eine empirische Überprüfung dieser Kontextfaktoren wurde von Pawar/Eastman allerdings nicht vorgenommen. Weitere Hinweise zu möglichen Inhalten eines wandlungskompetenzförderlichen Kontexts zeigen sich in der Literatur zur Wandlungsbereitschaft von Organisationsmitgliedern. Wanberg/Banas stellen u.a. fest, dass die Bereitstellung wandlungsbezogener Informationen und die Partizipation am Wandlungsprozess die Offenheit gegenüber organisationalem Wandel erhöht. Allerdings beziehen die Autoren, wie im vorherigen Abschnitt festgestellt, ihre Überlegungen nicht direkt auf Führungskräfte und verstehen unter Offenheit gegenüber Wandel eine eher reaktive als proaktive Haltung. Weitere Untersuchungen identifizieren z.B. das Reorganisationsvermögen der Organisation, die Unternehmungskultur142 und Gruppennormen143 als wichtige kontextuelle Einflussfaktoren auf die Wandlungsbereitschaft von Organisationsmitgliedern, fokussieren allerdings wiederum nicht auf Führungskräfte. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Kompetenzliteratur und den Veröffentlichungen zu organisationalem Wandel zwar unterschiedliche Kontextfaktoren diskutiert werden, von denen sich verhaltensbeeinflussende Wirkungen in Wandlungssituationen
138 139 140 141 142 143
Bass (1985), S. 168. Vgl. Avolio/Bass (1988), S. 44. Vgl. Pawar/Eastman (1997), S. 86. Vgl. Pawar/Eastman (1997), S. 91ff. Vgl. Jones/Jimmieson/Griffiths (2005), S. 363ff. Vgl. Jimmieson/White/Peach (2004), S. 9.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
73
annehmen lassen. Allerdings sind die theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen entweder nicht direkt auf Führungskräfte gerichtet oder fokussieren nur einen Teilbereich von Wandlungskompetenz. Eine grundlegende Unterscheidung in einen strukturellen und beziehungsgerichteten Kontext scheint sich zwar anzubieten, erfordert aber eine dezidierte inhaltsbezogene Beschreibung, die z.B. Aussagen darüber trifft, wie eine flexible Organisationsstruktur aufgebaut oder die Beziehung zu anderen Mitgliedern ausgestaltet sein sollte, damit Führungskräfte diese als positiv stimulierend empfinden. Mit Blick auf die Handlungsorientierung von Wandlungskompetenz, mit der eine klare Ausrichtung von Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit auf bestimmte wandlungsgerichtete Aufgaben verbunden ist, erhebt sich die Vermutung, dass die durchzuführenden Aufgaben einen weiteren wichtigen kontextuellen Einflussbereich bilden. Der Aspekt einer stimulierenden Wirkung von Arbeitsaufgaben findet zwar in den angeführten Veröffentlichungen keine explizite Berücksichtigung, wird aber als zentraler Anreizimpuls in der organisations- und arbeitspsychologischen Literatur unter dem Begriff „job characteristics“144 diskutiert. Allerdings erfolgt auch hier keine konkrete Betrachtung des Einflusses des aufgabenbezogenen Kontexts auf die Wandlungsfähigkeit oder Wandlungsbereitschaft von Führungskräften. Hervorzuheben ist abschließend, dass in den meisten der hier diskutierten Veröffentlichungen, im Gegensatz zu der Modellvorstellung von Bartram/Robertson/Callinan, Kontext nicht als Moderator, sondern als direkter Einflussfaktor auf Bereitschaft, Offenheit oder transformationale Führungsfähigkeiten verstanden wird. Offen bleibt, ob ein möglicher moderierender Einfluss von Kontextfaktoren bewusst ausgeschlossen oder schlichtweg nicht berücksichtigt worden ist. Diese Unklarheit führt zu drei möglichen Überlegungen hinsichtlich der Wirkung eines wahrgenommenen Wandlungskontexts: (1) der Wandlungskontext wirkt als Moderator auf die Wirkbeziehung zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz, (2) der Wandlungskontext besitzt einen direkten Einfluss auf die Wandlungskompetenz, (3) der Wandlungskontext besitzt sowohl einen moderierenden als auch direkten Einfluss auf die Wandlungskompetenz.
144
Vgl. insbesondere Hackman/Oldham (1976), S. 255ff.; Hackman/Oldham (1980), S. 71ff.; Piccolo/ Colquitt (2006), S. 329ff. sowie Oldham/Cummings (1996), S. 610, die allerdings nicht direkt von „job characteristics“, sondern von „job complexity“ sprechen.
74
3.4
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Zwischenfazit: Zusammenfassung der Erkenntnisse und Forschungsdefizite zur Wandlungskompetenz von Führungskräften
In diesem Kapitel wurde die Vorstellung entwickelt, dass sich die Wandlungskompetenz einer Führungskraft als bereitschafts- und fähigkeitsgeprägtes Handlungsrepertoire verstehen lässt, welches einer erfolgreichen Tätigkeit in Wandlungssituationen zugrundeliegt. Diese Auffassung grenzt Wandlungskompetenz von anderen Begriffen ab, die das Tätigkeitsvermögen von Individuen beschreiben. Wandlungskompetenz bildet somit keine „modische Worthülse“145 oder Begriffsvariation, sondern stellt durch die klare Akzentuierung des energetischen Aspekts „Bereitschaft“, der deutlichen Handlungsorientierung und der Kontextabhängigkeit ein eigenständiges Konstrukt dar. Die Übertragung des Kompetenzmodells von Bartram/Robertson/Callinan auf das Betrachtungsobjekt Wandlungskompetenz führt zu einem grundlegenden Bezugsrahmen, welcher die Annahmen zu den Inhalten und Einflussfaktoren einer derartigen Kompetenz abbildet. Die Literaturanalyse zu den einzelnen Inhaltsbereichen dieses Bezugsrahmens zeigte allerdings nur wenige konkrete Erkenntnisse. Viele der identifizierten und diskutierten Inhalte werden in einem anderen Kontext betrachtet, beziehen sich lediglich auf ein ähnliches, nicht aber das betrachtete Phänomen oder decken nur einen Teilbereich des analysierten Aspekts ab. Nachfolgend wird kurz der Erkenntnisstand zu den einzelnen Inhaltsbereichen und Wirkbeziehungen zusammengefasst. Wandlungsbereitschaft: Die Literaturanalyse hat gezeigt, dass Wandlungsbereitschaft primär als wandlungsbezogene Einstellung verstanden wird. Problematisch ist hierbei, dass diese Sichtweise den handlungsanleitenden Charakter von Bereitschaft und somit auch von Wandlungskompetenz nicht hinreichend widerspiegelt. Zudem liegt der Betrachtungsfokus in der Literatur nicht auf Führungskräften. Aus diesem Grund lassen sich bis auf die Annahme, dass Bereitschaft als Handlungsintention aufzufassen ist, keine konkreten Erkenntnisse zu den Inhalten einer Wandlungsbereitschaft von Führungskräften aus den Veröffentlichungen zur Wandlungseinstellung von Organisationsmitgliedern ableiten. Wandlungsfähigkeit: Zu den möglichen Inhalten des Fähigkeitsaspekts von Wandlungskompetenz finden sich in der Literatur unterschiedliche Hinweise. Insbesondere die umfangreichen theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen zur transforma-
145
Vgl. Erpenbeck/Rosenstiel (2003), S. 41.
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
75
tionalen Führung deuten daraufhin, dass die vier grundlegenden Führungsfähigkeiten personale Ausstrahlung, Inspiration, geistige Anregung und individuelle Behandlung potenzielle Inhalte von Wandlungsfähigkeit darstellen. Da sich die Forschung zur transformationalen Führung allerdings nicht ausschließlich auf tiefgreifenden organisationalen Wandel bezieht, kann für diese spezielle Situation die Bedeutung weiterer oder anderer Fähigkeiten nicht ausgeschlossen werden. Zudem lassen sich in der Literatur keine Hinweise zum Zusammenwirken der transformationalen Führungsfähigkeiten oder anderer Fähigkeiten mit Wandlungsbereitschaft identifizieren. Kompetenzpotenziale: Die in der Literatur diskutierten Persönlichkeitsmerkmale beziehen sich weder direkt auf die Wandlungsbereitschaft noch auf die Wandlungsfähigkeit von Führungskräften. Es wird zwar der Einfluss auf ähnliche Phänomene, wie die Anpassung an organisationalen Wandel oder die Bewältigung des empfundenen wandlungsinduzierten Stress betrachtet, allerdings lässt sich trotz des situationsübergreifenden Charakters von Kompetenzpotenzialen nicht pauschal davon ausgehen, dass die selben Verhaltensneigungen auch die Wandlungskompetenz von Führungskräften beeinflussen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, wie in Abschnitt 3.3.2 erläutert, die in der Literatur diskutierten Verhaltensneigungen nicht unreflektiert auf Kompetenzpotenziale zu übertragen, sondern durch Feldforschung relevante Persönlichkeitsmerkmale zu identifizieren, die das Betrachtungsobjekt führungskräftebezogene Wandlungskompetenz determinieren. Wahrgenommener Wandlungskontext: Es hat sich gezeigt, dass in der Literatur zwar unterschiedliche Kontextfaktoren zu finden sind, von denen sich verhaltensbeeinflussende Wirkung in Wandlungssituationen vermuten lassen. Allerdings sind die Überlegungen und Untersuchungen entweder nicht explizit auf Führungskräfte gerichtet oder beziehen sich nur auf einen Teilbereich von Wandlungskompetenz. Da sich die meisten der in der Literatur diskutierten Kontextfaktoren dem strukturellen Kontext oder Beziehungskontext zuordnen lassen, deutet sich an, dass diese beiden generellen Kontextbereiche auch einen Einfluss auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften besitzen. Zudem zeigen sich Hinweise, dass Wandlungsaufgaben wichtige Kontextgrößen darstellen können. Unklar ist, ob der Kontext die Wirkbeziehung zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz moderiert und/oder direkt auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften wirkt. Die Abbildung 3.7 fasst den auf Basis der Literaturanalyse generierten Erkenntnisstand zu den Inhalten und Einflussfaktoren von Wandlungskompetenz zusammen. Da sich diese
76
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
Erkenntnisse nur zu einem geringen Teil direkt auf die Wandlungskompetenz bzw. die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften beziehen, kann die Abbildung 3.7 nicht als Vorstellung über die Wirklichkeit des untersuchten Phänomens und somit als Modell verstanden werden.146 Vielmehr stellt die Abbildung 3.7 einen Bezugsrahmen147 dar, der auf Basis von Analogieschlüssen aufgestellte Vermutungen über Beziehungen und mögliche Inhalte der einzelnen Konstrukte enthält. Dieser Bezugsrahmen soll die weitere Forschung strukturieren, sie aber nicht auf die abgebildeten Wirkbeziehungen, Konstrukte und Inhaltsbereiche eingrenzen.
Wandlungskontext
• • •
Struktureller Kontext Beziehungskontext
Wandlungskompetenz Wandlungsbereitschaft Kompetenzpotenziale
•
Intentional
Leistungsergebnis/ Effekt
•
Erfolgreich
Wandlungsfähigkeit
• • • •
Persönliche Ausstrahlung Inspiration Geistige Anregung Individuelle Behandlung
Abb. 3.7: Bezugsrahmen zur Wandlungskompetenz von Führungskräften
Im Gegensatz zum Kompetenzmodell von Bartram/Robertson/Callinan wurde die Möglichkeit einer direkten Einflussnahme des Kontexts auf die Wandlungskompetenz in den Bezugsrahmen mit aufgenommen. Da sich die Handlung einer Führungskraft in einer Leistung bzw. einem Effekt widerspiegelt und in dieser Arbeit nicht die Handlung selbst im Fokus des Interesses steht, wird nachfolgend nur die Wirkung der Wandlungskompetenz auf das Leistungsergebnis bzw. den Effekt betrachtet. Abschließend lässt sich festhalten, dass zwar eine gewisse Grundvorstellung über mögliche Inhalte und Einflussfaktoren einer Wandlungskompetenz von Führungskräften besteht, diese aber viele Erkenntnislücken umfasst. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass
146
147
Vgl. zum Modellbegriff und Anforderungen an Modelle z.B. Stachowiak (1989), S. 219ff.; Vgl. auch Kreisel (1980), S. 438. Bezugsrahmen lassen sich nach Heimbrock (2000), S. 10 verstehen als: „(…) konzeptionelle Ordnungsschemata (…), die die problemrelevanten Begriffe, Komponenten und die zwischen ihnen angenommenen Wirkungszusammenhänge abbilden.“
Wandlungskompetenz von Führungskräften: Phänomeneingrenzung sowie Bezugsrahmen
77
weitere Inhalte oder Wirkbeziehungen existieren, so dass sich die Überführung in ein quantitatives Forschungsdesign, welches „lediglich“ die identifizierten Elemente und Beziehungen betrachtet und somit eine Entdeckung weiterer Faktoren ausblendet, nicht anbietet. Die beiden nachfolgenden Kapitel sind aus diesem Grund auf eine ausführliche qualitative Erschließung möglicher weiterer oder anderer Inhalte, Konstrukte sowie Einflussfaktoren und einer hierauf basierenden Entwicklung einer Modellvorstellung zur Wandlungskompetenz von Führungskräften gerichtet.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
4
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung des Konstrukts Wandlungskompetenz von Führungskräften
4.1
Forschungsdesign: Fallstudienanalyse als Forschungsmethodik sowie Darstellung des qualitativen Forschungsprozesses
4.1.1
Anwendungsfelder qualitativer Forschung sowie Ziele und Kernmerkmale von Fallstudienuntersuchungen
79
Ziel dieses Kapitels ist die empirisch-qualitative Theorieentwicklung zu den Inhalten und Erfolgseffekten einer Wandlungskompetenz von Führungskräften. Einleitend wird der Aufbau von Fallstudienuntersuchungen und die Vorgehensweise bei der Fallanalyse erläutert. Es schließt sich eine ausführliche Darstellung des Fallstudienobjekts TUI AG und des dort untersuchten Wandlungsprozesses an. Hiernach erfolgt die inhaltsanalytische Erschließung des Wandlungskompetenzkonstrukts und die Nutzbarmachung des generierten Wissens für die Hypothesenentwicklung. In den letzten Jahrzehnten hat die qualitative Forschung in vielen wissenschaftlichen Disziplinen stark an Bedeutung gewonnen.1 Vor dem Hintergrund der Vielzahl unterschiedlicher Paradigmen und Methodiken, die unter der Bezeichnung „Qualitative Forschung“ diskutiert werden, lässt sich dieser Forschungsansatz als multidimensional und pluralistisch charakterisieren.2 Lamnek merkt hierzu an: „Qualitative Sozialforschung wurde zu einem Omnibusbegriff, der sich aus wissenschaftstheoretischen Positionen und unterschiedlichen Theorieschulen ableiten lässt und unter den sich eine Vielzahl konkreter empirischer Forschungsverfahren problemlos subsumieren lassen.“3 Diese begriffliche und inhaltliche Breite erschwert die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses und einer klaren Abgrenzung zur quantitativen Forschung. Als zentrales Unterscheidungskriterium lässt sich allerdings herausstellen, dass die qualitative Forschung primär auf eine Theorieentwicklung ausgerichtet ist, während der Schwerpunkt der quantitativen Forschung bei der Theorieprüfung liegt.4
1
2 3 4
Vgl. zur Entwicklung und Verbreitung des qualitativen Denkens in der Wissenschaft z.B. Mayring (2002), S. 9ff. Vgl. Punch (2005), S. 134. Lamnek (2005), S. 33. Vgl. Punch (2005), S. 16. Zur dezidierten Gegenüberstellung von quantitativer und qualitativer Forschung vgl. Bortz/Döring (2003), S. 298ff.
80
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Auch wenn in der Literatur betont wird, dass qualitative Forschung mehr als eine Exploration unbekannter Phänomene oder eine Erschließung von Gegenstandsbereichen mit geringem theoretischen Erkenntnisstand umfasst,5 liegen doch gerade in diesem deskriptiven und iterativ-erkundenden Vorgehen und der darauf aufbauenden Suche nach erklärenden Hypothesen die zentralen Stärken dieser Forschungsmethodik.6 Aufgrund der weitgehenden Erkenntnisleere zur inhaltlichen Ausprägung und den Einflussfaktoren von Wandlungskompetenz bei Führungskräften, bietet die qualitative Forschung ein erhebliches Potenzial zur Generierung von Wissen über dieses Phänomen. Die Fallstudie bzw. Fallanalyse gilt innerhalb der qualitativen Forschung als zentraler Ansatz zur Erschließung komplexer, gering erforschter Bereiche von sozialen Systemen und zur Identifikation relevanter Einflussfaktoren.7 Kernziel der fallstudienbezogenen Forschung ist es, einen bestimmten Fall8 in seinem spezifischen Kontext unter Einnahme einer holistischen Forschungsperspektive zu erfassen, tiefgreifend zu analysieren und schließlich möglichst umfassend zu verstehen.9 Hierbei kommen unterschiedliche Erhebungsinstrumente und Auswertungstechniken zur Anwendung, so dass die Fallstudienforschung mehr als nur eine spezifische Forschungsmethodik darstellt, sondern sich vielmehr als umfassenden Forschungsansatz10 bzw. Forschungsstrategie11 verstehen lässt, welche eine Vielzahl methodischer Vorgehensweisen umfasst. In der Literatur zeigen sich unterschiedliche Anwendungsbereiche von Fallstudien. Das Spektrum reicht von der Phänomenexploration12 über eine Theorieentwicklung13 bis hin zur Hypothesenprüfung.14 Es herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber vor, wie viele unterschiedliche Fälle betrachtet werden müssen, um Aussagen mit einem sinnvollen Validitätsgehalt treffen zu können. Insbesondere bei der fallstudienbasierten Theorieent5 6 7
8
9
10 11 12
13 14
Vgl. insbesondere Lamnek (2005), S. 90ff. Vgl. hierzu die Ausführungen zur Stärke qualitativer Daten von Miles/Huberman (1994), S. 10. Vgl. insbesondere Yin (2003), S. 1ff; Stake (2000), S. 435; Punch (2005), S. 141; Lamnek (2005), S. 298ff.; Mayring (2002), S. 41ff. Nach Miles/Huberman (1994), S. 25 stellt ein Fall ein „(...) phenomenon of some sort occuring in a bounded context“ dar. Vgl. Punch (2005), S. 144 sowie Yin (2003), S. 13, der insbesondere die kontextbezogene Analyse als zentrales Merkmal von Fallstudien herausstellt. Hier liegt nach Meinung des Autors die zentrale Abgrenzung zu Forschungsmethodiken wie Experimenten oder Fragebogenuntersuchungen. Vgl. Witzel (1982), S. 78 sowie Lamnek (2005), S. 299, der von einem Forschungsapproach spricht. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 534. Vgl. Kromrey (2002), S. 523. Diese, von vielen Autoren als reduktionistisch angesehene Funktion der Fallstudienanalyse, ist insbeondere im quantitativen Forschungsparadigma verbreitet, vgl. z.B. Lamnek (2005), S. 303f. Vgl. z.B. Eisenhardt (1989) und Gersick (1988). Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 579ff.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
81
wicklung zeigt sich ein konträres Meinungsbild.15 Während z.B. Eisenhardt zur Entwicklung komplexer Theorien vier bis zehn unterschiedliche Fallstudien empfiehlt,16 stellen Dyer/Wilkens die Stärke von Einzelfallstudien heraus und führen unterschiedliche Beispiele aus der Managementliteratur hierfür an.17 Ziel der qualitativen Studie in dieser Arbeit ist es, zum einem das Phänomen Wandlungskompetenz von Führungskräften inhaltlich zu beschreiben und zum anderen eine Theorie über dessen Entstehung zu entwickeln. Hierzu wird eine sogenannte instrumentelle Einzelfallstudie durchgeführt, bei der nicht die Analyse des Fallbeispiels im Sinne eines Verstehens der untersuchten Unternehmung im Vordergrund steht, sondern die Untersuchung und Erklärung eines bestimmten Phänomens innerhalb dieses Falls – hier die Wandlungskompetenz von Führungskräften –, um generalisierbare Erkenntnisse für eine Theorieentwicklung abzuleiten.18 Stake merkt zu dieser Art der Einzelfallstudie an: „The case is of secondary interest, it plays a supportive role, and it facilitates our understanding of something else.“19 Die Generalisierbarkeit von Einzelfallstudienergebnissen wird in der Literatur immer wieder kontrovers diskutiert.20 Yin schwächt diesen Kritikpunkt ab und argumentiert, dass die Fallstudienforschung nicht die statistische Generalisierung zum Ziel hat, die darauf ausgerichtet ist, aus der betrachteten Fallstudie allgemeingültige und somit repräsentative Aussagen über eine Grundgesamtheit abzuleiten.21 Eine statistische Generalisierung würde die Auswahl einer repräsentativen Stichprobe und die Trennung von Untersuchungsgegenstand und Kontext erfordern, die in der Fallstudienforschung weder beabsichtigt noch möglich ist.22 Vielmehr wird bei instrumentellen Fallstudien23 eine sogenannte „analytische Genera-
15
16 17
18 19 20
21 22 23
Vgl. zur Übersicht und zur Reflexion des Diskussionsstands zur Theorieentwicklung aus Einzelfallstudien Hoon (2003), S. 54 und die dort zitierte Literatur sowie Hoon (2005), S. 7ff. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 545. Vgl. Dyer/Wilkins (1991), S. 614f. Der Beitrag der Autoren kritisiert direkt die Empfehlung von Eisenhardt zur Verwendung multipler Fallstudien. Vgl. Stake (2000), S. 437. Stake (2000), S. 437. Vgl. z.B. Larsson (1993), S. 1519; Stake (1995), S. 7f.; Eisenhardt (1989), S. 545; Eisenhardt (1991), S. 620ff.; Dyer/Wilkins (1991), S. 613ff. sowie die jeweils in den Artikeln zitierte Literatur. Für eine ausführliche Diskussion zur Generalisierbarkeit von Fallstudienergebnissen vgl. die Ausführungen von Punch (2005), S. 145. Vgl. Yin (2003), S. 37 und S. 38 Box 7. Vgl. Senger/Österle (2004), S. 5. Dieses Verallgemeinerungsstreben bezieht sich nicht auf alle Arten von Fallstudien, sondern insbesondere auf die weit verbreitete und in dieser Arbeit zur Anwendung kommende instrumentelle Fallstudie. Andere Fallstudientypen wie z.B. die intrinsische Fallstudie (vgl. Stake (2000), S. 437) haben vielmehr zum Ziel, nur den einen untersuchten Fall genauer zu verstehen. Vgl. hierzu auch Punch (2005), S. 146.
82
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
lisierung“ angestrebt, die darauf ausgerichtet ist, auf Basis der Fallstudienergebnisse eine neue Theorie zu generieren oder eine bestehende Theorie weiterzuentwickeln, von der sich annehmen lässt, dass sie sich auch in weiteren Fallstudien widerspiegelt.24 Das Ziel instrumenteller Fallstudienuntersuchungen ist somit nicht die vollständige Verallgemeinerung aller Aspekte des betrachteten Falls, sondern die Identifikation von Merkmalen aus denen sich eine generalisierbare Theorie entwickeln lässt. Dies erfordert ein hohes Abstraktionsvermögen bei der Datenanalyse und eine Konzentration auf diejenigen Aspekte im Datenmaterial, von denen sich eine Generalisierbarkeit annehmen lässt.25 Fallbezogene Spezifika werden hierbei ausgeblendet. Zur Prüfung der analytischen Verallgemeinerung empfiehlt Yin die Suche nach Ergebnisreplikationen in weiteren Fallstudien und betont: „Once such direct replications have been made, the results might be accepted as providing a strong support for the theory, even though further replications had not been performed.“26 Der Forschungsprozess in dieser Arbeit folgt einer ähnlichen Logik. Auf Basis der Einzelfallstudie wird die im Bezugsrahmen abgebildete Vorstellung einer möglichen Theorie zur Wandlungskompetenz von Führungskräften erweitert, präzisiert und in ein Hypothesenmodell überführt. Der sich in der Arbeit anschließende quantitative Forschungsschritt testet die Hypothesen und versucht so festzustellen, ob sich die Erkenntnisse aus der Einzelfallstudie und somit die entwickelte Theorie auf die untersuchte Stichprobe übertragen lassen.27
4.1.2
Phasenorientierte Fallstudienanalyse zur Theorieentwicklung als Untersuchungsmethodik: Der Forschungsprozess in der Übersicht
Der Aufbau und Ablauf der Fallstudienuntersuchung in dieser Arbeit orientiert sich an der „Roadmap“ von Eisenhardt zur fallstudienbasierten Theorieentwicklung.28 Die Autorin kombiniert unterschiedliche Teilbereiche der qualitativen Fallstudienuntersuchung wie z.B.
24
25 26 27
28
Vgl. Smaling (2003), S. 5. Der Autor empfiehlt zum besseren Verständnis anstelle des von Yin verwendeten Begriffspaars „analytical generalization“ den Terminus „theoretical generalization“. Vgl. hierzu Punch (2005), S. 147. Yin (2003), S. 37. Insbesondere die Entwicklung von Hypothesen und ihre anschließende Prüfung stellt Punch (2005), S. 146 als zentrale Möglichkeit zur Generalisierung von Einzelfallstudienerkenntnissen heraus. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 532.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
83
den Grounded Theory-Ansatz von Glaser/Strauss29, die Überlegungen von Yin30 zum Design von Fallstudien und die von Miles/Huberman31 vorgeschlagenen Methoden zur Datenauswertung und entwickelt hieraus ein achtstufiges Phasenkonzept. Der Theorieentwicklungsprozess startet mit einer Definition der Forschungsfrage(n) und einer Suche nach möglichen „a priori Konstrukten“, die im Sinne eines forschungsleitenden Bezugsrahmens erste theoriebasierte Vermutungen, z.B. über die Existenz möglicher Variablen innerhalb der zu entwickelnden Theorie, enthalten.32 Dieses Vorgehen widerspricht zwar der ursprünglichen strikten Forderung des Grounded Theory-Ansatzes, ohne jegliches Vorverständnis in die Untersuchung einzusteigen,33 stellt aber insofern eine sehr realitätsnahe Modifikation dar, weil zu den meisten Phänomenen in der Regel eine theoretische Vermutung oder ein Vorwissen aus der Literatur existiert.34 Die Orientierung an einem Bezugsrahmen eröffnet die Möglichkeit, dieses Vorverständnis als weitere Datenquelle zu betrachten und in die Untersuchung mit einzubeziehen. Der Bezugsrahmen muss bei der Fallanalyse allerdings veränderungsoffen sein und darf die Betrachtungsperspektive nicht einschränken, da ansonsten die Gefahr besteht, alternative Variablen oder Wirkbeziehungen nicht zu erkennen. Die nachstehende Abbildung 4.1 stellt den Theorieentwicklungsprozess von Eisenhardt in der Übersicht dar und skizziert dessen Umsetzung in dieser Arbeit. Die einzelnen Phasen dieses Prozesses werden ausführlich in den beiden nachfolgenden Abschnitten unter Bezugnahme auf das Fallstudienobjekt TUI AG erläutert. Das vorgestellte Ablaufschema ist dabei nicht als deterministische Schrittfolge zu verstehen, sondern stellt ein iteratives Konzept dar, bei welchem einzelne Prozessschritte mehrfach (angedeutet durch den Kreis mit den Pfeilspitzen in Abbildung 4.1) oder sogar parallel durchlaufen werden.
29
30 31 32 33
34
Vgl. hierzu insbesondere Glaser/Strauss (1967); Glaser (1978); Strauss (1987); Strauss/Corbin (1998) sowie zur Anwendung in der Managementforschung Locke (2005). Der Grounded Theory-Ansatz stellt eine Methode zur induktiven Theorieentwicklung aus qualitativen Daten dar. Im deutschsprachigen Raum wird diese auch als „gegenstandsbezogene Theoriebildung“ übersetzt, vgl. Mayring (2002), S. 103. Vgl. Yin (1981); Yin (2003). Vgl. Miles/Huberman (1994). Vgl. Eisenhardt (1989), S. 536ff. Vgl. Lamnek (2005), S. 106. Vgl. zur Entwicklungshistorie des Grounded Theory-Ansatzes und Abschwächung dieses strikten Postulats Charmaz (2006), S. 4ff. sowie vertiefend Abschnitt 4.1.5. Vgl. hierzu und im Folgenden Eisenhardt (1989), S. 536. Vgl. als Beispiel für einen Grounded TheoryForschungsprozess mit theoriebasierten Vorüberlegungen Isabella (1990) sowie zu einer Fallstudienuntersuchung auf Basis von „a priori Konstrukten“ Bourgeois/Eisenhardt (1988) und Eisenhardt/Bourgeois (1988).
84
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Roadmap Case Study Research (Eisenhardt 1989)
Konkretisierung Fallstudie „TUI AG”
Getting Started
Definition der Forschungsfrage (Kapitel 1) und Suche/ Entwicklung eines theoretischen Bezugsrahmens (Kapitel 3)
Selecting Cases
Auswahl der TUI AG als Fallstudienobjekt
Crafting Instruments and Protocols
Methodentriangulation: Dokumentenanalyse und Interviews - Entwicklung des Gesprächsleitfadens
Entering the Field
Datenerhebung bei der TUI AG - insgesamt 17 Interviews / Durchsicht ca. 1000 Seiten wandlungsbezogener Dokumente
Analysing Data
Softwareunterstützte Datenauswertung: Kombination aus induktiver und deduktiver Kategorie-/Codeentwicklung
Descriptive Analysing & Shaping Hypotheses
Inhaltliche Phänomenerschließung und Hypothesenentwicklung (Kapitel 4 und 5)
Enfolding Literature
Vergleich der Ergebnisse mit Erkenntnissen/Konstrukten aus der Literatur (Kapitel 4 und 5)
Reaching Closure
Entwurf eines Hypothesenmodells und Überleitung zur quantitativen Studie (Kapitel 5)
Abb. 4.1: Phasenorientierte Theorieentwicklung und Umsetzung am Fallbeispiel „TUI AG“ Quelle: In Anlehnung an Eisenhardt (1989), S. 533.
Zur Erhöhung der Qualität des Forschungsprozesses und des aus dem Datenmaterial generierten Wissens orientiert sich die Fallstudienanalyse an den von Yin vorgeschlagenen Validitäts- und Reliabilitätskriterien. Der Autor empfiehlt z.B. eine Methodenkombination zur Verbesserung der Konstruktvalidität, den Einbezug von Theorie zur Steigerung der externen Validität, einen Vergleich von Fallstudienergebnissen mit im Vorfeld theoretisch er-
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
85
mittelten Vermutungen über das Untersuchungsobjekt (Bezugsrahmen) zur Erhöhung der internen Validität sowie eine ausführliche Dokumentation des Forschungsprozesses mit dem Ziel, die Reliabilität der Untersuchung zu fördern.35
4.1.3
Auswahl des Fallstudienobjekts sowie Erläuterung des untersuchten Wandlungsprozesses: Der Wandel zum integrierten Touristikkonzern bei der TUI AG
Die Auswahl des Fallstudienobjekts stellt insbesondere bei Einzelfallstudien eine zentrale Entscheidung dar, die den weiteren Forschungsprozess nachhaltig determiniert und einen sehr starken Einfluss auf die Güte der Forschungsergebnisse nimmt.36 Während, wie bereits erwähnt, bei quantitativen Untersuchungen eine Repräsentativität der Stichprobe („statistical sampling“)37 angestrebt wird, erfolgt die Selektion der Untersuchungsobjekte bei qualitativen Studien in der Regel bewusst subjektiv.38 Bei diesem auch als theoriegeleitete Stichprobenziehung („theoretical sampling“)39 bezeichneten Selektionsprozess steht die Überlegung im Vordergrund, ob das ausgewählte Fallstudienobjekt geeignet ist, einen Wissensbeitrag zur Beantwortung der definierten Forschungsfrage(n) zu generieren.40 Zur Theorieentwicklung empfiehlt sich, wie im letzten Abschnitt dargestellt, eine Auswahl von Fallstudienobjekten, die keine Extrembeispiele darstellen, sondern vielmehr erwarten lassen, dass die Erkenntnisse übertragbar sind bzw. zur Entwicklung eine generalisierbaren Theorie beitragen.41 Bezieht sich die Einzelfallstudie z.B. auf eine Unternehmung, stellt sich zudem die Frage, welche Teilbereiche bzw. welche Personen(-gruppen) für die Untersuchung von Interesse sind, so dass in der Regel noch einmal ein sogenanntes „within-case sampling“ durchge-
35 36 37 38
39
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41
Vgl. Yin (2003), S. 33ff. und insbesondere die Abbildung 2.3 auf Seite 34. Vgl. z.B. Miles/Huberman (1994), S. 27; Stake (2003), S. 446; Eisenhardt (1989), S. 536. Vgl. Lamnek (2005), S. 313. Vgl. zur Übersicht unterschiedlicher Methoden der Stichprobenziehung im quantitativen und qualitativen Forschungsprozess z.B. Kromrey (2002), S. 271ff. Das „theoretical sampling“ gilt als zentrale Grundstrategie der von Glaser/Strauß (1967) entwickelten „grounded theory“. Vgl. hierzu auch Locke (2005), S. 54ff. Vgl. hierzu Eisenhardt (1989), S. 537 und die dort aufgeführten Beispiele sowie Bortz/Döring (2003), S. 405. Je nach theoretischer Vorgabe wird hierbei nach typischen oder untypischen Fällen gesucht. Vgl. hierzu auch die sechs Empfehlungen zur Planung der Stichprobenziehung von Miles/Huberman (1994), S. 34. Vgl. zur Übersicht von möglichen Arten der Stichprobenziehung bei Fallstudien insbesondere Miles/Huberman (1994), S. 28 bezugnehmend auf Kuzel (1992) und Patton (1990). Vgl. auch Eisenhardt (1989), S. 537.
86
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
führt wird, welches wiederum der Idee einer theoriegeleiteten Stichprobenziehung folgt.42 Hierdurch entstehen vielfach unterschiedliche Betrachtungseinheiten innerhalb der Einzelfallstudie im Sinne von „Fallstudien in der Fallstudie“43 bzw. „embedded case studies“44. Als Fallstudienobjekt zur inhaltlichen Erschließung des Phänomens „Wandlungskompetenz von Führungskräften“ und zur anschließenden Theorieentwicklung wurde die TUI AG ausgewählt, die aus der ehemaligen Preussag AG hervorgegangen ist. Der untersuchte Wandlungsprozess lässt sich aus der Konzernperspektive als tiefgreifender Wandel mit Paradigmenwechsel charakterisieren, bei dem die Preussag AG innerhalb weniger Jahre durch gezielte Investitionen und Desinvestitionen von einem Industrie- zu einem Dienstleistungskonzern transformiert worden ist. Die hieraus resultierenden Wandlungsteilprozesse in den unterschiedlichen Konzernbereichen, wie z.B. Synergiehebungs- bzw. Integrationsprojekte, Restrukturierungen oder Entwicklung neuer Teilstrategien, stellen typische Fälle für Unternehmungswandel dar, so dass sich dieses Fallstudienobjekt zur Theorieentwicklung eignet. Aufgrund der Vielzahl an Wandlungsteilprozessen lag somit ein informationsreicher „intensity case“45 vor, der das Phänomen Wandlungskompetenz von Führungskräften sehr facettenreich, aber nicht als Extrembeispiel fokussiert. Die nachfolgenden Ausführungen spiegeln den Entwicklungsverlauf des Wandlungsprozesses vom Industrie- zum Touristikkonzern bei der Preussag/TUI bis zum Zeitpunkt der Fallstudienuntersuchung im Januar/Februar 2004 wider und zeigen wesentliche Eckpunkte und Ereignisse auf. Der Anstoß zum Wandlungsprozess der Preussag AG zur TUI AG erfolgte mit dem Erwerb der Hapag Llyod AG im September 1997 und dem Verkauf der Preussag Stahl AG im Januar/Februar 1998.46 Die Preussag AG stellte bis zu diesem Zeitpunkt eine Finanzholding mit konglomerater Portfoliostruktur dar, die in den Geschäftsfeldern Energie, Handel, Logistik und Gebäudetechnik tätig war und zum Ende des Geschäftsjahres 1996/1997 einen Jahresumsatz von knapp 14 Mrd. Euro erwirtschaftet hatte. Das neue Geschäftsfeld Touristik galt aufgrund seiner Wachstumspotenziale als attraktiver Tätigkeitsbereich. Dar-
42 43 44 45 46
Vgl. Miles/Huberman (1994), S. 29. Vgl. Stake (2003), S. 447. Vgl. Yin (2003), S. 40, Abbildung 2.4 sowie S. 42. Vgl. Miles/Huberman (1994), S. 28. Die nachfolgenden Ausführungen zum Wandlungsprozess der Preussag AG zur TUI AG beziehen sich primär auf Unternehmungsveröffentlichungen, wie Geschäftsberichte, Mitarbeiterzeitschriften und Beiträge auf der Webseite www.tui.com sowie Artikel aus der Financial Times Deutschland und dem Fachblatt „Fremdenverkehrswirtschaft“ (FVW).
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über hinaus war es aufgrund der mittelständischen Strukturen in der deutschen Touristikbranche möglich, mit wenigen gezielten Akquisitionen schnell eine marktführende Stellung einzunehmen. Im Laufe des Jahres 1998 wurde die Touristiksparte durch den Erwerb der Mehrheitsanteile der Touristik Union International GmbH & Co. KG (TUI), einer knapp fünfundzwanzigprozentigen Beteiligung an der britischen Touristik- und Finanzdienstleistungsgruppe Thomas Cook sowie dem Erwerb der First Reisebüro Management GmbH & Co. KG stark ausgebaut. Es folgte eine Bündelung der touristischen Aktivitäten in einer Zwischenholding. Zudem schloss sich ein Verkauf weiterer Beteiligungen aus den nicht-touristischen Geschäftsfeldern an. Der Konzern hat sich durch die getätigten Investitionen und Desinvestitionen in etwas mehr als einem Jahr zu einem führenden europäischen Dienstleistungskonzern für Touristik und Logistik gewandelt. Im Geschäftsjahr 1998/1999 wurden mit touristischen Aktivitäten bereits nahezu 7 Mrd. Euro Umsatz generiert, was einem Anteil von knapp 44% des Konzernumsatzes entsprach. Im Mai 2000 erwirbt die Preussag AG für knapp 3 Mrd. Euro den britischen Touristikkonzern Thomson Travel und muss im Gegenzug aus kartellrechtlichen Gründen die Beteiligung an Thomas Cook verkaufen. Im Herbst des selben Jahres werden zwei Vorstandsmitglieder für das touristische Geschäftsfeld berufen und zum Jahresbeginn 2001 die Führungsaufgaben der touristischen Zwischenholding in die Preussag AG verlagert. Das zentrale Geschäftsmodell in der Touristiksparte der Preussag AG stellt die integrierte touristische Wertschöpfungskette dar.47 Ziel dieses Modells ist es, durch eine integrative Abstimmung der einzelnen Stufen der touristischen Wertschöpfung (Buchung einer Urlaubsreise – Zusammenstellung der Reise durch einen Reiseveranstalter – Flug – Transfer – Hotel) einerseits höhere Erträge als im traditionell renditeschwachen Touristiksektor zu generieren und andererseits die Kundenbindung zu erhöhen. Zur Hebung von Synergien zwischen den unterschiedlichen touristischen Bereichen wurden verstärkt Integrationsprogramme und -projekte initiiert, die z.B. den Aufbau gemeinsamer Plattformen für das Management der Flugzeugflotte oder den zentralisierten Einkauf von Hotelbetten zum Ziel hatten. Mit der Umstrukturierung des Vorstands und der Überführung operativer Steuerungsaufgaben auf die Konzernzentrale hat sich die Preussag AG auf Konzernebene innerhalb we47
Vgl. zur touristischen Wertschöpfungskette der Preussag AG Frenzel (2002), S. 438. Vgl. zur Grundidee und zum Aufbau der touristischen Wertschöpfungskette Freyer (2004), S. 281ff.; Bastian (2004), S. 34ff.; Steinle/Krummaker/Oehr (2004), S. 868f. sowie Poon (1993), S. 209ff.
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niger Jahre von einer Finanzholding zu einem operativen Stammhauskonzern mit völlig neuer Geschäftsausrichtung gewandelt.48 Der Vorstandsvorsitzende Dr. Michael Frenzel wird vom Manager Magazin zum „Manager des Jahres 2000“ gewählt. Jury-Mitglieder begründen ihre Entscheidung z.B. mit Aussagen, wie er habe „(…) aus einem Bauchladen denkbar schwacher Assets strategisch klug einen Touristikkonzern zusammengebaut“49 oder „Michael Frenzel ist ein kluger, mutiger, ja radikaler Stratege (…) einer, der kühl rechnet, aber Risiken nicht scheut.“50 Die touristischen Aktivitäten werden auch im Jahr 2001 weiter ausgebaut und ab Herbst 2001 unter der weltweiten Dachmarke „World of TUI“ gebündelt. Aufgrund der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York im September 2001 sind für die Wintersaison 2001/2002 sowie für die Sommersaison 2002 erhebliche Buchungsrückgänge zu verzeichnen. Verstärkt wird diese rückläufige Entwicklung durch eine abflauende Konjunktur in Europa. Der Konzern hofft auf eine baldige Verbesserung der Situation und reagiert kurzfristig mit Kosteneinsparungsprogrammen. Des Weiteren wird versucht, mit starken Preissenkungen die Nachfrage für Flug- und Hotelkapazitäten zu aktivieren. Im August 2002 erfolgt die Umbenennung des Konzerns von Preussag AG in TUI AG. Frenzel begründet dies als konsequenten Schritt im Wandlungsprozess des Konzerns vom Industriekonglomerat zum Touristikkonzern. Die Buchungsrückgänge haben sich aufgrund von Krisenängsten und allgemeiner Konsumzurückhaltung in der Konzernbilanz 2002 stark bemerkbar gemacht. Während der Konzernumsatz lediglich um 2,2 Prozent zurückging, reduzierte sich das Ergebnis vor Steuern im Geschäftsfeld Touristik um mehr als 37 Prozent. Zudem folgte die TUI Aktie dem starken Abwärtstrend an den Kapitalmärkten und verlor im Laufe des Jahres 2002 rund 43 Prozent gegenüber dem Jahresauftaktkurs. Mit dem Verkauf der Preussag Energie GmbH Anfang 2003 trennt sich die TUI AG von einem renditestarken Geschäftsfeld und unterstreicht somit trotz Krisen im Touristiksektor die Fokussierung auf das touristische Geschäft. Der drohende Irak-Krieg führt dazu, dass die Buchungen für die Sommersaison 2003 gegenüber dem bereits schwachen Vorjahr nochmals stark rückläufig sind. Der Konzern reagiert mit einer Kapazitätsreduktion und plant, den sogenannten „Low Cost-Bereich“ weiter auszubauen. Der Grundstock hierfür 48
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Vgl. zur Abgrenzung der unterschiedlichen Varianten von Holdingorganisationen Schulte-Zurhausen (2005), S. 280ff. sowie Krüger (1994), S. 264ff. – insbesondere Abb. XII/10, S. 269. Machatschke (2000), S. 102. Machatschke (2000), S. 102.
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wurde bereits Ende 2002 mit der Aufnahme des Flugbetriebs der konzerneigenen Low Cost Airline Hapag Lloyd Express gelegt. Des Weiteren soll die in die Kritik geratene touristische Wertschöpfungskette51 durch ein „Bausteinprinzip“52 flexibilisiert werden. Frenzel führt hierzu an: „Der tiefgreifende Wandel in unserer Branche bietet uns die Möglichkeit neue Märkte zu erschließen, größeres Wachstum zu generieren und unsere TopPosition in Europa weiter auszubauen. (...) wir begreifen den Wandel als Chance und nicht als Bedrohung.“53 Zusätzlich wurden weitere Kostensenkungsprogramme verabschiedet und der Vorstand abermals umstrukturiert. Mit dem Ende des Irak-Kriegs steigen die Buchungszahlen wieder leicht an. Der Abwärtsverlauf scheint Ende 2003 gestoppt. Die TUI AG kündigt für die Sommersaison 2004 durchschnittliche Preissenkungen von 8,5 Prozent an und plant einen weiteren Abbau von Überkapazitäten sowie eine Einräumung von Frühbucherrabatten, um so dem stark gestiegenen „Last Minute Trend“ entgegenzuwirken. Begleitet wird diese neue Strategie von weiteren Kostensenkungsmaßnahmen. Zum Ende des Geschäftsjahres 2003 lag der Konzernumsatz bei über 20 Mrd. Euro. Davon entfielen 12,6 Mrd. Euro auf die Touristik und 3,9 Mrd. auf die Logistik. Zum Konzernergebnis von 913 Mio. Euro hat die Touristiksparte mit 208 Mio. Euro und die Logistik mit knapp 314 Mio. Euro beigetragen.54 Die Logistiksparte behauptete sich damit als zweites Standbein des Konzerns.55 Der Wandlungsverlauf zeigt, dass die TUI AG (1) aufgrund des durchgeführten tiefgreifenden Wandels vom Industrie- zum Touristikkonzern, (2) der Vielzahl unterschiedlicher typischer Wandlungsteilprozesse und den (3) hieraus resultierenden reichhaltigen wandlungsbezogenen Führungsaktivitäten ein geeignetes Fallstudienobjekt zur Analyse der Wandlungskompetenz von Führungskräften darstellt.
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Vgl. Rudzio (2003), S. 19. Als zentraler Kritikpunkt gilt neben der geringen Flexibilität vor allem die hohe Fixkostenbelastung aufgrund des Besitzes eigener Flugzeuge und Hotelbetten. Vgl. Preuß (2003), S. 4. Insbesondere durch den Einsatz von Online-Plattformen und neuen Buchungssystemen soll dem Kunden ein „dynamisches Zusammenstellen“ (Dynamic Packaging) einer Reise aus unterschiedlichen Komponenten ermöglicht werden – vgl. Schmidt (2004), S. 17. TUI (2003), S. 3. Einen ganz erheblichen Anteil am Konzernergebnis stellt der Gewinn aus der Veräußerung des Energiebereichs dar. Die restlichen Konzernumsätze entfallen zu 11% auf den Bereich Handel und zu 3% auf sonstige Konzernaktivitäten.
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Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
4.1.4
Methoden der Datenerhebung: Kombination von Dokumentenrecherche und Interviewtechnik
Nach der Auswahl der TUI AG als Fallstudienobjekt wurde eine Dokumentenrecherche56 durchgeführt, die unterschiedliche Arten von Unternehmungsveröffentlichungen57 sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge58 umfasste, welche die allgemeine Situation der Preussag/TUI und ihrer Tochtergesellschaften sowie den Wandlungsprozess und daraus abgeleitete Veränderungsteilprozesse zum Thema hatten. Insgesamt erfolgte eine Durchsicht von weit über 1000 Textseiten, die sich auf den Wandlungsprozess der Preussag/TUI AG von Ende 1997 bis Ende 2003 beziehen. Die als relevant erachteten Textstellen wurden markiert und zur späteren computergestützten Analyse in eine Textdatei übertragen. Ziel der Dokumentenrecherche war es, zum einem das Untersuchungsobjekt und seinen Wandlungsprozess näher kennenzulernen,59 um hierdurch ein entsprechendes Vorwissen für die Interviews aufzubauen, und zum anderen die Dokumente als weitere Datenquelle neben den geführten Interviews in den späteren inhaltsanalytischen Datenauswertungsprozess einzubeziehen.60 Durch diese Datentriangulation61 soll eine Erweiterung des Betrachtungsfokus und eine Erhöhung der Ergebnisvalidität ermöglicht werden.62 Auf Basis der Dokumentenrecherche erfolgte eine Identifikation typischer Wandlungsteilprozesse und -projekte, von denen angenommen wurde, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur inhaltlichen Erschließung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz sowie zur Entwicklung einer Theorie über deren Entstehung liefern können. Der Grundidee des Theoretical Samplings folgend schloss sich ein „within-case sampling-Prozess“ zur Aus56
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Der Begriff „Dokumentenrecherche“ soll zum Ausdruck bringen, dass es sich hierbei um eine bewusste Sammlung und Durchsicht von relevanten Dokumenten handelt. Die Dokumentenrecherche ist der eigentlichen qualitativen dokumentenbezogenen Inhaltsanalyse (vgl. Abschnitt 4.1.5) vorgeschaltet und kann somit als Teilbereich einer Dokumentenanalyse verstanden werden. Vgl. zum Stellenwert und zur Anwendung von Dokumentenanalysen z.B. Ballstaedt (1987); Mayring (2002), S. 46ff.; Shank (2002), S. 140f. In die Analyse wurden insbesondere Geschäftsberichte, Mitarbeiterzeitschriften und Pressemitteilungen einbezogen. Hierbei wurde auf Veröffentlichungen aus der Wirtschaftspresse und aus Fachzeitschriften zurückgegriffen. Vgl. z.B. Mayring (2002), S. 47, der hervorhebt, dass sich die Dokumentenanalyse insbesondere auch zur Erschließung zurückliegender (historischer) Ereignisse eignet. Vgl. z.B. Kromrey (2002), S. 310ff., der die Dokumentenanalyse der „empirischen Inhaltsanalyse“ zuordnet. Vgl. zur Triangulation im qualitativen Forschungsprozess ausführlich Flick (1995a). Die Datentriangulation stellt nach Patton (1988), S. 60 eine von vier Triangulationsmethoden in der qualitativen Forschung dar. Vgl. hierzu auch ausführlich Denzin (1978), S. 340ff. Vgl. Yin (2003), S. 97ff.; Eisenhardt (1989), S. 537f. sowie Punch (2005), S. 184 zum Stellenwert von Dokumenten im Rahmen der Methodentriangulation bei Fallstudienuntersuchungen sowie Grounded Theory-Studien.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
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wahl von Untersuchungsbereichen und Gesprächspartnern für den interviewbasierten nächsten Analyseschritt an. Insgesamt wurden siebzehn Personen aus unterschiedlichen Konzernbereichen in Deutschland, Griechenland und England ausgewählt. Hiervon lassen sich vier Personen dem Topmanagement zurechnen (Geschäftsführung und Vorstand) sowie dreizehn dem mittleren und unteren Management63 (Abteilungs-/Bereichsleitung und Projektleitung). Die Anzahl der Befragten wurde vor der Untersuchung nicht festgelegt, sondern der theoriegeleiteten Stichprobenziehung folgend, nach einer groben Analyse des jeweils zuvor geführten Gesprächs überlegt, ob ein weiteres Interview aus dem selben oder einem anderen Konzernbereich zusätzliche Erkenntnisse für die inhaltliche Phänomenerschließung liefern kann.64 Da nach siebzehn Interviews eine gewisse „theoretische Sättigung“ festzustellen war, wurde auf weitere Gespräche verzichtet. Die Gesprächsgrundlage bildete ein auf Basis des theoretischen Bezugsrahmens und der Dokumentenrecherche entwickelter Interviewleitfaden mit neun offenen Fragen.65 Da die Interviews in unterschiedlichen Konzerngesellschaften geführt werden sollten, wurde der Gesprächsleitfaden auf deutsch und englisch erstellt, in beiden Sprachen getestet und anschließend leicht modifiziert.66 Die Gesprächsführung erfolgte offen und lehnte sich an die „episodisch-narrative Interviewtechnik“67 und das „Behavioral Event Interview“68 an. Letzteres wurde gewählt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich Kompetenzen aus einer handlungsorientierten Perspektive erst nach dem Handlungsvollzug zeigen. Die
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Eine eindeutige Zuordnung zum mittleren oder unteren Management war aufgrund der unterschiedlichen Hierarchie- und Projektstrukturen bei den befragten Gesellschaften bzw. Unternehmungsbereichen nicht immer möglich. Vgl. Locke (2005), S. 53 sowie Punch (2005), S. 214f. Vgl. zum Gesprächsleitfaden Anhang 1 und Anhang 2. Die Verständlichkeit der entwickelten Fragen wurde von mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität Hannover sowie einem Mitarbeiter der Universität St. Gallen überprüft. Die Übersetzung der Fragen ins Englische hat ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hannover mit muttersprachlichen Englischkenntnissen durch Rückübersetzung ins Deutsche verifiziert. Der Leitfaden-Test wurde mit einer deutsch- und einer englischsprachigen Führungskraft aus der TUI AG durchgeführt. Vgl. Lamnek (2005), S. 262f. Die auch „nur“ als episodisches Interview bezeichnete Befragungstechnik stellt eine Kombination aus offenen Erzählungen (narratives Element) und einer Beantwortung zielgerichteter Fragen dar. Diese Form des Interviews kann somit als schwach strukturierte und offene leitfadenorientierte Befragung charakterisiert werden, die insbesondere zur Theorieentwicklung eingesetzt wird – vgl. zur Abgrenzung gegenüber anderen Interviewarten auch Lamnek (2005), S. 382. Da die Begriffsverwendung und -abgrenzung für unterschiedliche Interviewtechniken uneinheitlich ist und eine geringe Trennschärfe aufweist, wird der Typus des episodischen Interviews in ähnlicher Form auch unter den Termini „Leitfadengespräche“ (vgl. Atteslander (2003), S. 156f. und die dort angegebene Literatur) und „problemzentriertes Interview“ (vgl. Mayring (2002), S. 67ff.) diskutiert. Das Behavioral Event Interview wurde speziell zur Kompetenzmessung entwickelt und stellt eine besondere Form des „Critical Incidents Interviews“ dar, bei dem versucht wird, über die nacherzählende Beschreibung wichtiger Situationen und das dort gezeigte Verhalten Rückschlüsse auf Kompetenzen einer Person zu erlangen – vgl. Boyatzis (1982), S. 41ff. bezugnehmend auf McClelland (1975).
92
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
geführten Gespräche dauerten zwischen 30 und 60 Minuten. Die anschließende Transkribierung69 der jeweiligen Tonbandmitschnitte ergab einen Gesprächsprotokollumfang von knapp 300 Seiten.
4.1.5
Qualitative Inhaltsanalyse: Verbindung von induktiver und deduktiver Vorgehensweise zur Entwicklung eines forschungsleitenden Kategoriensystems
Der Datenerhebung schließt sich die Phase der inhaltlichen Datenauswertung an. Die transkribierten Interviews sowie die ausgewählten Dokumente lassen sich als Informationsträger für bestimme Sachverhalte verstehen,70 die es im Rahmen der Inhaltsanalyse71 zu erkennen und zu verstehen gilt. Auch wenn Miles/Huberman sechs grundlegende Gemeinsamkeiten der in der Literatur diskutierten qualitativen Analysemöglichkeiten identifizieren,72 so gilt das Spektrum von Analysemethoden doch als sehr breit gefächert und durch den spezifischen Forschungsansatz bzw. das Forschungsparadigma des Forschenden geprägt.73 Stark verbreitete Auswertungskonzepte stellen im englischsprachigen Raum die von Glaser und Strauss für Grounded-Theory-Studien vorgeschlagene Vorgehensweise zur Datenauswertung74 und das inhaltsanalytische Methodenkonzept von Miles/Huberman75 sowie in Deutschland die Analysetechnik von Mayring76 dar. Die Analyse qualitativer Daten erfolgt bei nahezu allen Auswertungsmethoden durch die Entwicklung eines Kategoriesystems, einer Zuordnung von Textbausteinen zu den unterschiedlichen Kategorien und Subkategorien – dem sogenannten codieren77 – sowie einer
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Vgl. zur Notwendigkeit und zu Techniken der Transkribierung z.B. Kuckartz (1999), S. 56ff. und Silverman (2000), S. 829ff. sowie ausführlich Silverman (1993), S. 115ff. Vgl. Kromrey (2002), S. 311. Nach Merten (1995), S. 15 lässt sich die Inhaltsanalyse als „(...) eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes geschlossen wird“ definieren. Vgl Miles/Huberman (1994), S. 9. Vgl. Punch (2005), S. 194 sowie ausführlich zu den verschiedenen Positionen und Arten der Inhaltsanalyse in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie zur Abgrenzung der Vorgehensweisen im quantitativen und qualitativen Forschungsparadigma Lamnek (2005), S. 478ff. Glaser (1978), S. 56ff. schlägt ein zweistufiges und Strauss (1987), S. 58ff. ein dreistufiges Datencodierungsverfahren zur inhaltsanalytischen Auswertung vor. Vgl. auch Locke (2005), S. 64. Vgl. Miles/Huberman (1994), S. 10ff. und hier insbesondere die Abb. 1.4 auf S. 12. Die Autoren entwerfen ein iteratives Auswertungsverfahren mit vier Analysephasen. Vgl. Mayring (2003), S. 42ff., der ebenfalls ein mehrstufiges Konzept zur qualitativen Inhaltsanalyse vorstellt. Strauss/Corbin (1998), S. 3 definieren codieren als „The analytical processes through which data are fractured, conceptualized, and integrated to form theory.“
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
93
anschließenden Suche nach Kausalitäten zwischen Kategorien, Subkategorien und Codes78 im Sinne einer Modell- bzw. Hypothesenentwicklung.79 Grundsätzlich wird zwischen einem induktiv und deduktiv entwickelten Kategoriesystem unterschieden.80 Bei der praktischen Umsetzung der Kategoriebildung wird die deduktive und induktive Methodik allerdings vielfach kombiniert,81 indem ein „(...) a priori aufgestelltes, grobes Kategorieraster bei der Durchsicht des Materials ergänzt und verfeinert wird.“82 Bei der im Rahmen der Fallstudie TUI AG durchgeführten Inhaltsanalyse kam aufgrund der Tatsache, dass zu den Inhalten und Einflussfaktoren des Untersuchungsphänomens Wandlungskompetenz von Führungskräften theoretische Überlegungen in Form eines Bezugsrahmens vorlagen, ebenfalls eine Kombination aus deduktiver und induktiver Vorgehensweise zur Anwendung.83 Das entwickelte Kategoriesystem wurde im Verlauf der Analysephase offen für neue Kategorien gehalten, so dass die Möglichkeit bestand, etwaige unbekannte Aspekte des Phänomens während des Auswertungsprozesses zu entdecken.84 Auch wenn diese deduktiv-induktive Methode dem ursprünglichen radikalen Induktivismus des Grounded Theory-Ansatzes85 widerspricht, folgte die Inhaltsanalyse dennoch weitestgehend dem von Strauss/Corbin vorgeschlagenen mehrstufigen Codierungsverfahren86 und greift zudem ergänzend auf Elemente aus dem Konzept von Miles/Huberman zurück. Die Grundlage des Analyseprozesses bildete die deduktive Ableitung von Basiskategorien aus dem theoretischen Bezugsrahmen, die mit den Begriffen aus dem Abschnitt 3 „Kompetenzpotenziale“, „Wandlungskontext“, „Wandlungsbereitschaft“ und „Wandlungsfähigkeit“ bezeichnet worden sind. Hieran schloss sich ein mehrstufiger iterativer Analysepro-
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Vielfach werden die Begriffe „Kategorie“ und „Code“ auch synonym verwendet – vgl. hierzu z.B. Kuckartz (1999), S. 46 und S. 75ff. sowie zur Begriffserläuterung S. 95f. Vgl. Friedrichs (1982), S. 316; Atteslander (2003), S. 225; Merten (1995), S. 98. Vgl. zu den Kriterien eines inhaltsanalytischen Kategoriesystems Holsti (1969), S. 95. Vgl. z.B. Bortz/Döring (2003), S. 330. Vgl. Kuckartz (1999), S. 96 sowie Flick (1995b), S. 165. Bortz/Döring (2003), S. 330. Das theoretische Vorwissen wurde hier wie bei Hoon (2005), S. 8 als „offenes Konzept“ verstanden, welches die weitere Datensammlung und -analyse zwar leitet, aber auch durch das empirische Material selbst (weiter) präzisiert wird. Vgl. zur Notwendigkeit einer offenen Grundhaltung in der qualitativen Forschung Flick (1995b), S. 150f. rekurrierend auf Freud (1912), S. 377. Glaser und Strauss lehnen in ihrem Basiswerk „The Discovery of Grounded Theory“ jegliche Art vorgefasster Theorien ab und polemisieren in ihrem Buch die zu diesem Zeitpunkt in den Sozialwissenschaften sehr stark verbreitete logisch-deduktive Forschung. Vgl. hierzu insbesondere Glaser/Strauss (1967), S. 37 sowie Locke (2005), S. 33f. Das induktive Postulat der Grounded Theory wurde allerdings später insbesondere von Strauss aufgeweicht – vgl. hierzu z.B. Strauss (1987), S. 11ff. sowie Kuckartz (1999), S. 78. Vgl. Strauss/Corbin (1998), S. 55ff.
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Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
zess an, beim dem grundlegend dem von Strauss/Corbin empfohlenen „Open Coding“, „Axial Coding“ und „Selective Coding“87 gefolgt worden ist. Das Open Coding kam aufgrund der deduktiven Kategorievorgaben in leicht abgeschwächter Form zur Anwendung und hatte zum Ziel, das Datenmaterial „eröffnend“ zu durchdringen und induktiv weitere Kategorien und Subkategorien zu identifizieren. Dieser Datenerschließungsschritt führte zu 29 Kategorien, Subkategorien und sogenannten In-Vivo-Codes88, denen insgesamt 608 Textstellen aus den Transkripten und den zusammengetragenen Dokumenten zugeordnet worden sind. Das sich anschließende axiale Codieren suchte dann nach Verbindungen zwischen den Kategorien und eröffnet somit das selektive Codieren, bei welchem ein systematisches „In-Beziehung-Setzen“ und weitere inhaltliche Verfeinerungen der Kategorien erfolgten. Begleitet und ergänzt wurden diese Codierungsverfahren durch das inhaltsanalytische Konzept von Miles/Huberman.89 Dieses ist ebenfalls iterativ ausgerichtet, betrachtet allerdings den Vorgang des eigentlichen Codierens nur als einen von vier Analyseschritten. Dieses Konzept eröffnet den Analyseprozess mit der Datensammlung, welcher sich eine Datenreduktion durch Codieren, Datendarstellung und einer Ziehung von Schlussfolgerungen anschließen. Die Analysemethode von Miles/Huberman folgt zwar grundlegend dem Codierungsverfahren der Grounded Theory, ist aber weniger strikt induktiv ausgerichtet und stützt somit die deduktiv-induktive Vorgehensweise in dieser Arbeit: „Our own approach is sometimes more deductive; it may begin with an orienting set of relationships or constructs and derive from them a provisional coding system (…).“90 In der Grounded Theory und auch im inhaltsanalytischen Konzept von Miles/Huberman wird als ergänzende Methodik zur Codierung die Erstellung von sogenannten Memos empfohlen.91 Diese können nach Glaser verstanden werden als „(...) theorizing write-up of ideas about codes and their relationships as they strike the analyst while coding (...).“92 Primäres Ziel des „Memoring“ ist es somit, Ideen, vermutete Zusammenhänge oder Zwi-
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Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Strauss/Corbin (1998), S. 101ff. Diese drei Kodierungsschritte lassen sich bei der praktischen Inhaltsanalyse allerdings nicht klar trennen, sondern gehen ineinander über – vgl. hierzu Wiedemann (1995), S. 443. Bei der In-Vivo-Codierung wird die Kategorie nach einer bestimmten auffälligen Begrifflichkeit aus dem Datenmaterial benannt – vgl. Strauss/Corbin (1998), S. 105. Vgl. hierzu und im Folgendem Miles/Huberman (1994), S. 10ff. und hier insbesondere die Abbildung 1.4 auf S. 12. Miles/Huberman (1994), S. 14, Fußnote 5. Vgl. Glaser/Strauss (1967), S. 108 sowie Miles/Huberman (1994), S. 72ff. Glaser (1978), S. 83.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
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schenergebnisse im Analyseprozess schriftlich zu fixieren, um hierdurch den Übergang vom unstrukturierten Datenmaterial zur Theoriebildung zu unterstützen.93 Im durchgeführten Analyseprozess wurden insgesamt 164 Memos erstellt. Die technische Umsetzung der beschriebenen Inhaltsanalyse erfolgte computergestützt mit Hilfe der Software MAXQDA94, welche insbesondere bei der Codierung sowie der Erstellung von Memos und der anschließenden Theoriebildung eine erhebliche Hilfestellung geleistet hat. Die nachfolgenden Abschnitte des Kapitels 4 sowie Kapitel 5 stellen die Ergebnisse des Datenauswertungsprozesses dar. Während Kapitel 4 die Frage fokussiert, wie sich eine führungskräftebezogene Wandlungskompetenz inhaltlich beschreiben lässt und welche Effekte von ihr ausgehen, widmet sich Kapitel 5 der Identifikation von Einflussgrößen auf die Entstehung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz und der Entwicklung eines hypothesenbasierten Erklärungsmodells.
4.2
Inhalte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften und deren Auswirkung auf den Wandlungsprozess
4.2.1
Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit als Konstruktelemente einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz
In Kapitel 3 wurde aufgrund unterschiedlicher Hinweise aus der allgemeinen Kompetenzliteratur sowie vereinzelter Aussagen aus wandlungsbezogenen Veröffentlichungen die Überlegung aufgestellt, dass sich das Konstrukt Wandlungskompetenz aus den beiden Dimensionen Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit zusammensetzt. Im Rahmen der Inhaltsanalyse bildeten beide Begriffe jeweils eine eigenständige Subkategorie unter dem Dach der Oberkategorie Wandlungskompetenz. Da sich aus handlungsorientierter Perspektive eine Kompetenz erst nach dem Handlungsvollzug analysieren lässt, wurde bei der Codierung nach Aussagen gesucht, die auf eine im Wandlungsprozess zur Anwendung gebrachte Fähigkeit und eine konkretisierte Bereitschaft hinweisen.
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Vgl. Punch (2005), S. 202. Vgl. zu den Leistungsmerkmalen und zur Anwendung von MAXQDA ausführlich Kuckartz (1999) sowie allgemein zu den Potenzialen und Grenzen computergestützter Analysen qualitativer Daten Weitzman (2000) sowie Atteslander (2003), S. 239ff.
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Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Die vermutete Zweidimensionalität des Konstrukts Wandlungskompetenz zeigt sich auch in den Interviews. Einige Befragte brachten wandlungsbezogene Fähigkeiten in einen direkten Zusammenhang mit den Antriebskräften von Führungskräften. Beispielsweise wurde in einer Aussage die Bereitschaft im Sinne eines „Appetits“ auf Wandel in Verbindung mit der konkreten Fähigkeit gesetzt, diese Veränderung auch voranzutreiben: „You need to have an appetite for it and you need to be able to drive it.”95 In einem anderen Interview betont ein Befragter bei der Beschreibung des idealtypischen Verhaltens von Führungskräften im Rahmen der Umsetzung von Wandlungsprozessen: „(...) die Eigenschaft einer Person, das umzusetzen, bedingt natürlich als allererstes die persönliche (…) Veränderungsbereitschaft.“96 Die Aussagen deuten darauf hin, dass Fähigkeits- und Bereitschaftsdimension eng miteinander verknüpft sind. Trotz dieser Nähe kann davon ausgegangen werden, dass Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit unterschiedliche Konstrukte sind (Diskriminanz), die beide einen Beitrag zur Erklärung (Konvergenz) von Wandlungskompetenz leisten. Diskriminanz und Konvergenz stellen somit die beiden Anforderungen an die Validität des Konstrukts Wandlungskompetenz dar.97 Dies bedeutet, dass sich Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit einerseits klar voneinander unterscheiden lassen müssen, da ansonsten die angenommene Zweidimensionalität des Konstruktes nicht aufrecht erhalten werden kann. Andererseits ist aber zur Einhaltung des Konvergenzkriteriums eine gewisse Korrelation zwischen beiden Konstrukten erforderlich, so dass sich annehmen lässt, sie bilden gemeinsam das Konstrukt Wandlungskompetenz von Führungskräften. Aus diesen Anforderungen lässt sich eine Hypothese zur Diskriminanz (Hypothese 1a) und eine Hypothese zur Konvergenz (Hypothese 1b) des Konstrukts Wandlungskompetenz von Führungskräften ableiten:
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Interview 3, Absatz 59. Anmerkung: Die Software zur Inhaltsanalyse ordnete den transkribierten Interviews und den Ergebnissen der Dokumentenrecherche Absätze zu, so dass zur Identifikation der jeweiligen Aussagen nachfolgend immer auch der jeweilige Absatz mit angeführt wird. Interview 10, Absatz 27. Vgl. auch Interview 5, Absatz 15 und 47; Interview 6, Absatz 55; Interview 8, Absatz 41; Interview 9, Absatz 25; Interview 12, Absatz 29 sowie Interview 16, Absatz 26ff. und Absatz 34. Vgl. hierzu und im Folgenden Spreitzer (1995), S. 1446 bezugnehmend auf Campbell/Fiske (1959) sowie ergänzend Bortz/Döring (2003), S. 202 und Schnell/Hill/Esser (2005), S. 156ff.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Hypothese 1a:
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Das Konstrukt Wandlungskompetenz von Führungskräften besteht aus den beiden unterschiedlichen Dimensionen Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit.
Hypothese 1b: Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit leisten beide einen Beitrag zum Konstrukt Wandlungskompetenz. Die Hypothesen 1a und 1b reflektieren somit das bereits in Kapitel 3 entwickelte Grundverständnis von Wandlungskompetenz als dyadisches Konstrukt. Die nachfolgenden Abschnitte nehmen konkreten Bezug auf die eingangs formulierte Forschungsfrage zu den Inhalten einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz und erweitern die im Abschnitt 3.3.1 vorgenommene theoriebasierte Erschließung der beiden Teildimensionen Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit um die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse. Da es sich bei Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit um latente Konstrukte98 handelt, die sich nicht direkt, sondern lediglich über Indikatoren beobachten lassen, stellt sich die Notwendigkeit der induktiven Identifikation von Merkmalen, die als Aspekte dieser beiden Konstrukte verstanden werden können. Die qualitative Inhaltsanalyse wurde, wie bereits in Abschnitt 4.1.5 betont, von einer offenen aspekterkundenden Haltung geleitet. Sie war nicht darauf ausgerichtet, die in Abschnitt 3.3.1 diskutierten Inhaltsbereiche zu replizieren. Es wurde soweit wie möglich versucht, bei der Datenauswertung nicht auf theoretisches Vorwissen zurückzugreifen, um bei der Analyse keine bestimmte Suchrichtung vorzugeben oder zu früh Schlussfolgerungen zu ziehen.
4.2.2
Wandlungsbereitschaft von Führungskräften: Charakteristika sowie Konstruktabgrenzung
4.2.2.1 Veränderungsdrang, Zielorientierung und Entschlossenheit als Kernaspekte von Wandlungsbereitschaft Der Eruierung von Aspekten einer führungskräftebezogenen Wandlungsbereitschaft lag die in Abschnitt 3.3.1 skizzierte Vorstellung zugrunde, dass sich diese als relativ feste Absicht 98
Hierbei handelt es sich um Konstrukte, die sich einer direkten Beobachtung und somit einer Messung entziehen. Vgl. hierzu ausführlich Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 339. Vielfach finden hierfür auch die Begriffe „latente Variable“ oder „hypothetisches Konstrukt“ Verwendung. Vgl. auch Rost (2004), S. 30.
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Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
zur Handlungsaufnahme in Wandlungssituationen verstehen lässt. Es wurde ebenfalls betont, dass Wandlungsbereitschaft kein lang überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal, sondern vielmehr einen spezifischen kontextbeeinflussten Aktivierungszustand darstellt. Es kann demnach vermutet werden, dass sich Wandlungsbereitschaft insbesondere in energetischen, intentionalen Merkmalen widerspiegelt. Diese Vorstellung sollte allerdings lediglich zur ersten Sensibilisierung dienen und die induktive Erkundung weiterer Merkmale nicht einschränken. Die Inhaltsanalyse deutet darauf hin, dass sich eine wandlungsbereite Führungskraft dadurch auszeichnet, dass sie den Wunsch bzw. Willen besitzt, den Status quo herauszufordern und einen etwaigen Zustand angenehmer Trägheit99 („comfort zones“100) zu verlassen. Dieses zeigen Aussagen, wie: „Eine Bereitschaft loszulassen von der Situation, in der ich jetzt bin und mich auf was Neues einzulassen.“101 „The first thing is that you have to be willing to challenge the business model.”102 Hinweise zur Wandlungsbereitschaft lassen sich allerdings nicht nur in Textpassagen zum Eintritt von Führungskräften in den Wandlungsprozess identifizieren, sondern insbesondere auch in Ausführungen zu Aktivitäten im Wandlungsverlauf. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass Wandlungsbereitschaft entweder ein länger anhaltender Zustand ist oder sich immer wieder von Neuem entwickelt. Berichte über das eigene Wandlungsengagement oder das anderer Führungskräfte werden immer wieder in Verbindung mit Begriffen wie Engagement, Entschlossenheit oder Veränderungsdrang gebracht.103 Dies zeigen Aussagen wie: „(...) aber letztlich muss man einfach diesen Drang haben, so ein Projekt am Ende erfolgreich (...) durchzubringen.“104
99
100 101 102 103 104
Vgl. zu den Merkmalen dieses Zustands – allerdings dargestellt auf kollektiver Ebene – Bruch/Vogel (2005), S. 42ff. Vgl. Interview 3, Zeile 77. Vgl. zur Begriffserläuterung auch Bruch/Ghoshal (2004), S. 143f. Interview 10, Absatz 27 sowie zur fast identischen Aussage Interview 4, Absatz 40. Interview 3, Absatz 43. Vgl. exemplarisch Interview 7, Absatz 7 sowie Interview 12, Absatz 29. Interview 4, Absatz 52.
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99
Ein Befragter beschreibt seine Bereitschaft mit der Aussage, dass er bereit sei, für den Wandlungsprozess sehr hart zu kämpfen, dies allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt.105 Diese Einschränkung lässt die Vermutung aufkommen, dass Wandlungsbereitschaft kein „blindes“, unreflektiertes Engagement darstellt, sondern eine energetische Disposition, die von der Führungskraft bewusst gesteuert werden kann. Es deutet sich weiter an, dass Wandlungsbereitschaft mit einer klaren Zielorientierung verbunden ist bzw. Energie für ein zielorientiertes Handeln von Führungskräften bereitstellt. Ein Befragter bringt seine Bereitschaft für ein durchgeführtes Integrationsprojekt mit einer Antriebskraft für einen Marathonlauf in Verbindung: „(...) it’s like you are running a marathon (…) you are continuing to run.”106 Eine andere Führungskraft beschreibt ihr Engagement für ein Wandlungsprojekt mit der Aussage: „(...) wenn ich einen Weg als richtig erkenne, dann marschiere ich diesen Weg, und wenn ich dafür drei Mal um irgendeine Ecke rum gehen muss, um das Ziel zu erreichen, weil ich den gerade nicht gehen kann, dann gehe ich halt drei Mal um die Ecke rum (...).“107 Beide Aussagen lassen vermuten, dass Wandlungsbereitschaft auch einen Antrieb liefert, ein gefasstes Ziel mit Hartnäckigkeit und Ausdauer zu verfolgen. Ähnlich wie bei dem Hinweis zur Vermeidung eines „blinden“ Engagements wird auch hier vor einer unreflektierten Zielorientierung gewarnt, indem der Hinweis erfolgt, dass die Gefahr besteht, das Ende des „Marathons“ nicht zu erkennen und einfach weiterzulaufen: „You eventually ending up running on your own. The marathon is not there anymore….”108 Die Inhaltsanalyse deutet darauf hin, dass Wandlungsbereitschaft die relativ feste Absicht reflektiert, ein hohes Engagement in Wandlungssituationen zu zeigen. Das Konstrukt spiegelt einen verspürten Drang wider, Wandlungsprozesse zu initiieren und/oder mit einer
105 106 107 108
Vgl. Interview 13, Absatz 57. Interview 1, Absatz 53. Interview 16, Absatz 42. Interview 1, Absatz 53.
100
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gewissen Nachhaltigkeit umzusetzen. Wandlungsbereitschaft lässt sich demnach als zielfokussierte und ausdauerinduzierende Handlungsdisposition verstehen, welche Energie für das Führungskräftehandeln in organisationalen Wandlungssituationen bereitstellt. Ähnliche Merkmale zeigen sich auch bei dem von Bruch entwickelten Modell zum Führungskräftehandeln.109 Die Autorin charakterisiert ein erfolgreiches Handeln von Führungskräften als energetisch und fokussiert. Ein möglicher Analogieschluss, der sich aus den Ergebnissen der qualitativen Studie ziehen lässt, ist, dass sich Wandlungsbereitschaft als zentrale Determinante eines erfolgreichen Handelns110 von Führungskräften in Wandlungssituationen interpretieren lässt.
4.2.2.2 Abgrenzung von Wandlungsbereitschaft zu verwandten Konstrukten Basierend auf den in der Inhaltsanalyse identifizierten Aspekten von Wandlungsbereitschaft ist nunmehr eine differenzierte Abgrenzung dieses Phänomens von den verwandten Konstrukten Motivation, Einstellung und Volition möglich. Die Aussagen der befragten Führungskräfte stützen die in Abschnitt 3.3.1.1 theoriebasiert entwickelte Annahme, dass Wandlungsbereitschaft als Intention zur Initiierung und/oder nachhaltigen Unterstützung von Wandlungsprozessen verstanden werden kann. Diese Vorstellung grenzt Wandlungsbereitschaft implizit von einer Motivation gegenüber organisationalem Wandel ab. Motivation stellt einen komplexen Aktivierungsprozess dar, welcher einem Verhalten Richtung, Intensität und Ausdauer verleiht.111 Allerdings führt Motivation nicht zwangsläufig zu einer Handlungsinitiierung, sondern resultiert zunächst in einer Motivationstendenz,112 die aufgrund der in der Regel vorliegenden Vielzahl an unterschiedlichen, zum Teil konkurrierenden Motivationstendenzen in einem nächsten Schritt in eine Handlungsabsicht im Sinne der hier diskutierten Intention überführt werden muss, um handlungswirksamen Charakter zu erlangen. Da angenommen werden kann, dass Individuen mehr Motivationstendenzen „produzieren“ als Intentionen, können Intentionen und somit auch Wandlungsbereitschaft als der Motivation nachgelagertes und „näher“ an
109 110
111
112
Vgl. hierzu und im Folgenden Bruch (2003), S. 64ff. sowie Bruch/Ghoshal (2005), S. 107. Vgl. Bruch/Ghoshal (2002), S. 64, die hervorheben, dass energetisch-fokussiert handelnde Führungskräfte erfolgreicher sind als andere Führungskräfte. Vgl. grundlegend zum Motivationsbegriff Fröhlich (2002), S. 303; Nerdinger (2003), S. 98 sowie ausführlich Rheinberg (2004), S. 13ff. Vgl. aber auch Heckhausen (1989), S. 10f., der darauf hinweist, dass Motivation in der Psychologie als Sammelbezeichnung für eine Vielzahl verhaltensaktivierender Prozesse verwendet wird, was eine eindeutige Begriffsabgrenzung oder Konstrukterstellung erschwert. Vgl. hierzu und im Folgenden insbesondere Heckhausen (1989), S. 11f.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
101
der eigentlichen Handlung bzw. Handlungsinitiierung positioniertes Konstrukt verstanden werden.113 Die identifizierten Aspekte von Wandlungsbereitschaft stützen zudem die in Abschnitt 3.3.1.1 vorgenommene Unterscheidung von Einstellung und Bereitschaft. Der starke Absichtsgehalt, die deutliche Zielorientierung und der geäußerte Veränderungsdrang deuten darauf hin, dass eine Wandlungsbereitschaft mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zur Handlungsaufnahme in Wandlungssituationen führt, als eine Wandlungseinstellung. Gollwitzer/Malzacher unterstreichen diese Überlegung indirekt, indem sie betonen: „Während eine Einstellung zunächst nur die Evaluation der Ausführung eines Verhaltens bedeutet, ist die Verhaltensintention bereits das Ergebnis einer Entscheidung, das Verhalten auszuführen, und repräsentiert daher die Bereitschaft einer Person zu handeln.“114 Die Inhaltsanalyse zeigt, dass sich Wandlungsbereitschaft zwar als relative feste Handlungsabsicht verstehen lässt, es allerdings Ereignisse gibt, wie z.B. bestimmte Entscheidungen aus dem Topmanagement, welche die Bereitschaft reduzieren und dazu führen, dass keine Handlung aufgenommen wird.115 Dies führt zu der Überlegung, dass Wandlungsbereitschaft keinen unumstößlichen Handlungswillen (Volition) darstellt. Wandlungsbereitschaft lässt sich demnach in einem Motivations-Handlungskontinuum, wie es Heckhausen in seinem „Rubikon-Modell“ aufspannt, zwischen Überschreitung des „Rubikons“116 und der entwickelten Motivationstendenz verorten. Die Abbildung 4.2 verdeutlicht die Positionierung von Wandlungsbereitschaft in diesem handlungspsychologischen Phasenmodell:
113 114 115 116
Vgl. zur Verdeutlichung Heckhausen (1989), S. 13, Abbildung 1.1. Gollwitzer/Malzacher (1996), S. 431. Vgl. Interview 13, Absatz 57. Vgl. zum Rubikon-Modell ausführlich Heckhausen (1989), S. 212 sowie Gollwitzer (1996). Das Modell wurde nach dem Fluss Rubikon benannt, welchen Cäsar im Jahr 49 vor Christus nach langen Überlegungen überschritt und damit unwiderruflich einen Bürgerkrieg eröffnet hat – vgl. Rheinberg (2004), S. 183ff.
102
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
Motivationstendenz
„Rubikon”
Intentionsinitiierung
Intentionsrealisierung
Intentionsdesaktivierung
WandlungsBereitschaft
Abb. 4.2: Verortung von Wandlungsbereitschaft im Handlungsphasenkontinuum nach Heckhausen Quelle: In Anlehnung an Heckhausen (1989), S. 13, Abb. 1.1 sowie S. 212, Abb. 6.5
Diese Abbildung zeigt auch, dass Heckhausen das Intentions-Konstrukt phasenbezogen auffächert und selbst die Handlungsphase noch mit dem Begriff „Intentionsrealisierung“ belegt. Das Verständnis von Intention ist somit weitreichender als das von Bereitschaft. Es wird trotz der eingangs skizzierten Nähe von Intention und Bereitschaft deutlich, dass diese beiden Konstrukte nicht deckungsgleich sind. Übertragen auf das Betrachtungskonstrukt bedeutet dies, dass Wandlungsbereitschaft nur einen Teilbereich der Wandlungsintention eines Individuums umfasst, nämlich das Ergebnis des Intentionsbildungsprozesses.
4.2.3
Wandlungsfähigkeit: Elemente eines Fähigkeitskanons zur Führung von Wandlungsprozessen
4.2.3.1 Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen sowie mikropolitisches Geschick als wichtige Fähigkeiten von Führungskräften Die Interviews lassen vermuten, dass eine grundlegende Fähigkeit von Führungskräften darin besteht, die in der Wandlungsbereitschaft abgebildete Entschlossenheit und Zielorientierung in entsprechende Handlungen zu überführen.117 Eine Führungskraft berichtet z.B. davon, wie sie versucht hat, ihre Zielvorstellung von einer veränderten Einkaufsorganisation für Hotelkapazitäten auch gegen den Widerstand einiger Geschäftsführer von Tochtergesellschaften durchzusetzen.118 Viele Befragte berichten nicht nur von ihrem eigenen Vorgehen bei der Willensdurchsetzung, sondern heben insbesondere das starke Durchsetzungsvermögen des Vorstandsvorsitzenden Dr. Michael Frenzel im Wandlungsprozess der Preussag zur TUI hervor und merken hierzu z.B. an:
117 118
Vgl. z.B. Interview 3, Absatz 59; Interview 9, Absatz 25; Interview 17, Absatz 41. Vgl. Interview 6, Absatz 71ff.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
103
„(...) er hat eine gewisse Vision und die verfolgt er auch mit einer … an Deutlichkeit nicht zu übertreffenden Durchsetzungskraft.“119 Die Interviews lassen erkennen, dass ein hohes Durchsetzungsvermögen gepaart mit einem ausgeprägten Entscheidungsvermögen nicht nur die Verfolgung gesetzter Ziele unterstützt, sondern zudem einen wichtigen Stellenwert im vorgeschalteten Zielsetzungsprozess einnimmt.120 Insbesondere in tiefgreifenden Wandlungssituationen, die vor allem in der Konzeptions- und Umsetzungsphase des Wandlungsprozesses von einer umfassenden Suche nach neuen Wegen geprägt sind, leisten Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen einen zentralen Beitrag, die vielfach zu konstatierenden endlosen, stark politisch motivierten Diskussions- und lähmenden Suchprozesse zu kanalisieren und in eine gewollte Richtung zu lenken. Eine befragte Führungskraft merkte in Bezug auf einen festgefahrenen Diskussionsprozess an: „(...) sie zermürben die Leute in Diskussionen. Und deswegen können sie nur einfach dann irgendwann mal von oben sagen, so, ich weiß, dass bei diesen fünf Entscheidungen, die ich jetzt hier treffe, mindestens eine drin ist, die falsch ist. Aber die gehe ich ganz bewusst, weil mir sehr klar ist, dass mindestens vier davon sehr, sehr überlebensnotwendig sind, und da ich auch weiß, dass ihr nicht in der Lage seid, im Grunde genommen, Euch ohne große Kämpfe zu einer Entscheidung durchzuringen, treffe ich die Entscheidungen.“121 Die Inhaltsanalyse deutet zudem darauf hin, dass die Fähigkeit des Erkennens und situationsadäquaten Reagierens auf mikropolitisches Verhalten von Organisationsmitgliedern eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Durchsetzen und Entscheiden in Wandlungsprozessen darstellt. Es wurde immer wieder betont, dass aufgrund der Tiefenwirkung des Wandels bei der Preussag/TUI und den hieraus resultierenden vielfältigen Veränderungen, politisches Verhalten und die richtige Reaktion hierauf eine der wichtigsten Herausforderungen dargestellt hat.122 Viele Führungskräfte merkten in diesem Zusammenhang z.B. an:
119 120
121 122
Interview 5, Absatz 15. Vgl. z.B. Interview 2, Absatz 29. Vgl. auch Interview 11, Absatz 57, in welchem hervorgehoben wird, dass ohne ein hohes Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen von Führungskräften kein Weiterkommen in dem durchgeführten Integrationsprojekt möglich war. Interview 13, Absatz 21. Vgl. z.B. Interview 16, Absatz 34: „Es gibt Politik, und das ist sicherlich eine der großen Herausforderungen, die die Preussag und der Vorstand der Preussag gehabt haben (…).“
104
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
„(…) one ability is understanding political issues and learning how to handle them.”123 „(...) Die Schwierigkeiten sind sicherlich, die bestimmten politischen Rahmenbedingungen richtig zu interpretieren und auch selber richtig mit beeinflussen zu können.“124 Ähnliche Fähigkeiten, wie die in der Inhaltsanalyse festgestellten, finden sich auch in einer Veröffentlichung von Spencer/Spencer zu allgemeinen Berufskompetenzen. Die Autoren fassen unter dem Begriff „Impact und Influence Cluster“125 sämtliche Fähigkeiten der Einflussnahme eines Organisationsmitglieds auf andere zusammen. Die Autoren beziehen sich nicht nur indirekt auf ein Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen, sondern in dem von ihnen identifizierten Teilcluster „Organizational Awareness“126 auch auf die Fähigkeit der Identifikation politischer Strukturen. Ein ähnliches Verständnis mikropolitischer Fähigkeiten findet sich bei Clarke/Meldrum, die hierunter „(…) the ability to read other people’s behaviours and to see where organizational power really lies“127 verstehen. Ein derartiges mikropolitisches Geschick128 umfasst z.B. die Fähigkeit von Führungskräften, Machtund Beziehungskonstellationen, Entscheidungsträger, Meinungsführer, informelle Führer129 und Promotoren130 zu erkennen sowie politisch motiviertes Verhalten zu verstehen und hierauf adäquat zu reagieren.131 Die identifizierten Fähigkeiten Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen und mikropolitisches Geschick stellen zwar in nahezu jeder Situation eine zentrale Voraussetzung für
123 124 125
126
127
128
129 130
131
Interview 3, Absatz 86. Interview 5, Absatz 9. Vgl. hierzu und nachfolgend Spencer/Spencer (1993), S. 44f. Die Autoren definieren auf Seite 44: „Impact and Influence expresses an intention to persuade, convince, influence or impress others, in order to get them support the speaker’s agenda; or the desire to have a specific impact or effects on others.“ Organizational Awareness umfasst nach Spencer/Spencer (1993), S. 48 allerdings nicht nur die Kenntnis organisationsinterner Beziehungs- und Einflussnetzwerke, sondern auch aller anderen (externen) Verbindungen der Organisation zu seinen Stakeholdern. Clarke/Meldrum (1999), S. 77. Vgl. zur Bedeutung der Fähigkeit von Change Agents mit Mikropolitik in Wandlungssituationen umzugehen z.B. Buchanan/Claydon/Doyle (1999), S. 20 und die dort angegebene Literatur. Ein richtiger Umgang mit (Mikro)Politik wird in der englischsprachigen Literatur oftmals als „political astuteness“ bezeichnet – vgl. z.B. Gandz/Murray (1980), S. 239; Clarke/Meldrum (1999), S. 77ff. Dieser Begriff wird in dieser Arbeit mit mikropolitischem Geschick übersetzt – vgl. zu einer ähnlichen Begriffsverwendung Wunderer/Bruch (2000), S. 340. Vgl. Wunderer/Bruch (2000), S. 340. Ein Gesprächspartner weist z.B. explizit auf die Notwendigkeit einer Aktivierung der richtigen Qualität und Quantität von Promotoren hin – vgl. Interview 10, Absatz 35. Vgl. Spencer/Spencer (1993), S. 48.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
105
erfolgreiches Führungskräftehandeln dar, doch erlangt dieses Fähigkeitsbündel insbesondere in Wandlungssituationen aufgrund der Tatsache, dass hier eine besonders hohe Entscheidungsdichte und oftmals stark politisch motivierte Prozesse zu konstatieren sind, einen besonders hohen Bedeutungsgehalt.132 Eine schwache Ausprägung dieser Fähigkeiten würde eine führungskräftebezogene Willensdurchsetzung stark erschweren oder unmöglich machen und somit eine Umsetzung von Wandlungsvorhaben verzögern oder sogar gänzlich blockieren.
4.2.3.2 Anreizorientierte Aufgabenverteilung und Timing von Wandlungsaufgaben als Grundlage einer effizienten Mitarbeiterführung in Wandlungssituationen In enger Verbindung mit der Durchsetzung getroffener Entscheidungen im Wandlungsprozess steht die Frage nach der Verteilung der daraus resultierenden Aufgaben sowie der entsprechenden aufgabenbezogenen Verantwortungen und Rechte.133 In der Regel schnürt die Führungskraft Aufgabenpakete und überträgt diese in einem Delegationsprozess auf die geführten Mitarbeiter.134 Die Inhaltsanalyse zeigt, dass eine personen- und situationsadäquate Delegation als wichtige Fähigkeit von Führungskräften in Wandlungssituationen angesehen wird.135 Der besondere Stellenwert lässt sich darauf zurückführen, dass zum einen aufgrund des Neuartigkeitscharakters wandlungsbezogener Aufgaben oftmals keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, welche Mitarbeiter sich für die Aufgabenerledigung in der Art eignen, dass sowohl ein hohes Leistungsergebnis als auch Zufriedenheit136 bei den jeweiligen Mitarbeitern entsteht. Zum anderen stellt sich die Herausforderung, freie Leistungskapazitäten für eine wandlungsbezogene Aufgabenerledigung bei den geführten Mitarbeitern und/oder Führungskräften zu erkennen und die zeitliche Belastung der zu verteilenden Arbeitspakete richtig einzuschätzen, so dass diese eine anreizinduzierende Wirkung entfalten können und gleichzeitig die betreffenden Personen nicht überlasten. Hinweise auf eine hohe bzw. zu hohe Arbeitsbelastung zeigten sich in den Gesprächen z.B. in Aussagen, wie: 132
133
134
135 136
Vgl. zu der Bedeutung dieser Fähigkeiten im Kontext organisationaler Wandlungssituationen auch Yukl (2006), S. 27. Vgl. hierzu auch das im Rahmen der Stellenbildung diskutierte Kongruenzprinzip bei Bleicher (1980), Sp. 1057, welches eine Übereinstimmung von Aufgaben, Verantwortung und entsprechenden Rechten zur Aufgabenerledigung fordert. Vgl. zur Delegation von Aufgaben ausführlich Yukl (2006), S. 98ff.; Steinle (2005), S. 637ff. sowie grundlegend zum Delegationsbegriff und den zentralen Merkmalen von Delegation Bruch (1996), S. 13ff. sowie Grün (1987), Sp. 137ff. Vgl. z.B. Interview 16, Absatz 34. Vgl. zur Leistung und Zufriedenheit als Kernziel der Führung Steinle (1978), S. 41.
106
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„To give you an idea, I was working something like 16 hours a day, every day including weekends, and that for a period of over a year.”137 Einige Gesprächspartner wiesen explizit auf eine sehr hohe bzw. eine zu hohe Veränderungsdichte und -häufigkeit und einen daraus resultierenden Wunsch nach einer (kurzen) Wandlungspause hin: „(…) a number of people in the company felt enough is enough. We had enough change, we don’t want any more. Let us have a period of stability before we have more change.“138 Eine Führungskraft aus dem Topmanagement hob explizit hervor, dass die Überforderung von Mitarbeitern bei sehr großen Wandlungsprojekten nicht nur auf die hohe zeitliche Belastung zurückzuführen ist, sondern auch aus der hohen Komplexität bei der Umsetzung von großen Projekten resultiert und es sich daher empfiehlt, Wandlungsprozesse schrittweise durchzuführen sowie die von den Mitarbeitern durchzuführenden wandlungsbezogenen Aufgabenpakete richtig aufzuteilen.139 Ein anderer Gesprächspartner wies darauf hin, dass im Konzernverbund der TUI sehr viele Wandlungsprozesse parallel durchgeführt und auch immer wieder neue Wandlungsvorhaben initiiert werden, so dass die Gefahr besteht, abgeschlossene Wandlungsprojekte nicht ausreichend in Form einer „Digestive-Phase“ 140 zu verdauen. Neben einer Zuordnung von Wandlungsaufgaben, welche die individuell unterschiedlichen Kapazitäten der geführten Mitarbeiter berücksichtigt, deutet die Inhaltsanalyse darauf hin, dass zudem der Wandlungsfrequenz – im Sinne, wie häufig ein Mitarbeiter an Wandlungsprozessen beteiligt ist – eine große Bedeutung bei der Aufgabendelegation zukommt. Einige Aussagen lassen erkennen, dass zu hohe Wandlungsfrequenzen bei Mitarbeitern zu wandlungsbezogenen Ermüdungserscheinungen führen können:
137 138 139 140
Interview 1, Absatz 39. Interview 3, Absatz 55. Vgl. auch Interview 2, Absatz 67 und Interview 9, Absatz 53. Vgl. Interview 13, Absatz 65. Vgl. Interview 5, Absatz 60. Ähnliche Hinweise finden sich bei Brown/Eisenhardt (1997), S. 21ff. Die Autoren beziehen sich allerdings nicht direkt auf den Aspekt der individuellen Wandlungskapazität von Mitarbeitern, sondern zeigen für die Gesamtunternehmungsebene, dass Unternehmungen, die Veränderungen schrittweise choreographieren und entweder reibungslose Übergänge oder festgelegte Pausenzeiten zwischen einzelnen Veränderungsprojekten etablieren, erfolgreicher sind, als Unternehmungen, die sehr große und komplexe Veränderungsprojekte durchführen, die durch eine hohe Anzahl paralleler Veränderungsprojekte geprägt sind.
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„(…) slowly people are getting tired, because there is to much change for people to handle.”141 Aufgrund des auch bei der TUI in Grundzügen zu beobachtenden Phänomens der „Beschleunigungsfalle“142, welches durch eine starke Zunahme von Wandlungsaktivitäten bei steigender Geschwindigkeit und eine dauerhaft hohe wandlungsbezogene Aktivitätsintensität gekennzeichnet ist,143 besteht die Gefahr einer erheblichen Stressbelastung, die bei den im Wandlungsprozess involvierten Mitarbeitern zu einer „Wandlungsmüdigkeit“144 oder im Extremfall sogar zu Burnout-Syndromen145 führen kann. Huy hebt hervor, dass die Wandlungsmüdigkeit einen wesentlichen Einfluss auf die individuelle Aufnahmefähigkeit von Wandel ausübt146 und somit vermutet werden kann, dass hierdurch auch die Wandlungsbereitschaft von Organisationsmitgliedern negativ beeinflusst wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die große Herausforderung im Rahmen der Delegation wandlungsbezogener Aufgaben nicht nur in der fähigkeitsgerichteten Weitergabe von Aufgabenpaketen, Verantwortungen und entsprechenden Rechten liegt. Die Datenanalyse deutet darauf hin, dass eine wichtige Fähigkeit von Führungskräften darin besteht, die individuelle Wandlungskapazität und die etwaige Notwendigkeit wandlungsbezogener „Ruhezeiten“147 bei den geführten Mitarbeitern zu erkennen sowie bei der inhaltlichen und zeitlichen Taktung von Wandlungsprozessen148 zu berücksichtigen.
141 142 143
144
145 146 147
148
Interview 1, Absatz 15. Vgl. hierzu Zaugg/Thom (2003), S. 200, die dieses Phänomen als „acceleration trap“ bezeichnen. Der Wandlungsprozess der Preussag AG zur TUI AG weist bereits an sich eine hohe Wandlungsintensität auf. Diese wird allerdings durch die im Zuge von Terrorkrisen und Konjunkturflauten initiierten Restrukturierungs- und Strategieprojekte nochmals stark erhöht. Vgl. zu den Konsequenzen zunehmender Wandlungsaktivitäten im Sinne einer „Beschleunigungsfalle“ auch Bruch/Vogel (2005), S. 78ff. Vgl. zu Wandlungsmüdigkeit (im Englischen „Change Fatigue“) auch Buchanan/Claydon/Doyle (1999), S. 30 und S. 33 sowie die Kurzfallstudie bei Gratton/Truss (2003), S. 80, welche die wandlungsbezogene Ermüdung bei der Lloyds Bank darstellt. Vgl. grundlegend zu diesem Syndrom Maslach (1982) sowie Cordes/Dougherty (1993). Vgl. Huy (2001b), S. 617. Vgl. Zaugg/Thom (2003), S. 200, welche – allerdings nicht bezogen auf einzelne Mitarbeiter, sondern die Gesamtunternehmung – in Anlehnung an das „Punctuated Equilibrium Modell“ von Tushman/ Romanelli (1985) „conscious phases of consolidation“ („islands of tranquillity“) nach einem transformationalen Wandel fordern. In der Literatur lassen sich zwar empirische Untersuchungen und Gestaltungshinweise zum Timing und zur Unterteilung von Wandlungsprozessen in unterschiedliche Phasen bzw. Sequenzen identifizieren (vgl. z.B. Meyer/Stensaker (2005), S. 17ff.; Amis/Slack/Hinings (2004); Bennebroek Gravenhorst/Werkman/Boonstra (2003), S. 88; Beer/Eisenstat/Spector (1990), S. 160ff. Allerdings nehmen diese fast ausschließlich eine gesamtunternehmungsbezogene Betrachtungsperspektive ein oder fokussieren, wie betroffene Organisationsmitglieder auf eine bestimmte Taktung oder Prozessgestaltung reagieren. Eine Analyse, wie individuell delegierte wandlungsbezogene Aufgaben und/oder der zeitliche Umfang bzw. die Häufigkeit der Involvierung in Wandlungsprozesse auf Mitarbeiter wirken, wird hierbei nicht vorgenommen.
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4.2.3.3 Transformationale Führungsfähigkeiten als zentrale Aspekte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften Die Ausführungen in Abschnitt 3.3.1.2 deuteten auf eine starke Nähe der vier transformationalen Führungsfähigkeiten persönliche Ausstrahlung, Inspiration, geistige Anregung und individuelle Behandlung zum Konstrukt Wandlungsfähigkeit hin. Die transformationalen Führungsfähigkeiten stellten bei der Datenauswertung allerdings keine deduktiv abgeleiteten Kategorien von Wandlungsfähigkeit dar, um die angestrebte Offenheit im Analyseprozess nicht zu beeinträchtigen. Allerdings zeigten sich trotz der induktiven Grundhaltung eine Vielzahl von Hinweisen in den Interviews, welche die Vermutung zur hohen Bedeutung dieser Fähigkeiten im Wandlungsprozess stützen. Viele Interviewpartner stellten explizit die Bedeutung der Entwicklung und Vermittlung einer stimulierenden, deutlichen Wandlungsvision für den eigenen Handlungsantrieb und den der Geführten heraus und betonten somit die Bedeutung einer persönlichen Ausstrahlung von Führungskräften „I can say what motivated me,(…) there was a vision, saying what we are doing has never been done in the industry before and we have the opportunity to change our industry as we know it.”149 „(…) you must get a clear vision. It may be a large one, but you must get a clear vision. If you don’t have clarity of goals and objectives, then you wont be successful (…).”150 Es wurde mehrfach drauf hingewiesen, dass sich wandlungsbezogene Ziele und Visionen vor allem durch ein Vorleben der gewünschten Verhaltensweisen im Sinne eines „Leading by Example“151 vermitteln lassen. Dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Michael Frenzel sowie dem ehemaligen TUI Deutschland Geschäftsführer und späteren Vorstandsmitglied Dr. Ralf Corsten wurde von vielen Gesprächspartnern attestiert, dass sie es durch ihr inspirierendes Verhalten und ihre geistigen Anregungen geschafft haben, viele Mitarbeiter und Führungskräfte für den Wandlungsprozess zu begeistern, etablierte Sichtweisen aufzubrechen und neue Denkanstöße zu vermit-
149 150 151
Interview 1, Absatz 31. Interview 3, Absatz 81. Vgl. Interview 1, Absatz 78; Interview 7, Absatz 87.
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109
teln. Hierzu hat nach Aussage der Gesprächspartner insbesondere die sichtbare starke Verbundenheit mit der Vision des Aufbaus des weltweit führenden Touristikkonzerns beigetragen. Dies zeigen Hinweise, wie: „Also Corsten würde ich beschreiben als Visionär (....) Er hat klare Ziele,(...) die ist er gegangen und es war immer deutlich, wohin es ging (...).“152 „Frenzel ist halt jemand, der wirklich da sehr visionär denkt und quasi über ein paar Jahre hinweg eine Zielvorstellung entwickelt, wo man hin möchte und (...) vorantreibt.“153 Die Interviews lassen erkennen, dass das visionär geprägte Führungshandeln von Dr. Frenzel und Dr. Corsten andere Führungskräfte und Mitarbeiter stimuliert hat, sich für den Wandel zu engagieren.154 Sie wurden beide z.B. als „Integrationsfiguren“155 oder „zentrale Treiber“156 bezeichnet, die eine starke Sogwirkung auf die Mitarbeiter im Wandlungsprozess ausgeübt haben. Beiden wurde zudem zugesprochen, dass sie immer ein offenes Ohr für die Fragen der Mitarbeiter und Führungskräfte hatten und versuchten, die Bedürfnisse und Besorgnisse der Mitarbeiter individuell bei ihrem Führungshandeln zu berücksichtigen: „(…) it was easy you go to his office, say ‘can I see Dr. Corsten?’, he was an extremely busy man…but he always had five minutes to see you.”157 „Ich habe beispielsweise mir einen Termin bei Frenzel geben lassen. Einfach um meine Sorge loszuwerden – und habe mich mit Corsten unterhalten, um das loszuwerden. Alleine einfach wird man damit nicht fertig (…).“158 Sehr viele Gesprächspartner haben darüber hinaus immer wieder die zentrale Bedeutung einer ausgeprägten Kommunikationsfähigkeit, welche sich mehr oder weniger direkt in allen vier transformationalen Führungsaspekten widerspiegelt, betont. Die besondere Her-
152 153 154 155 156
157 158
Interview 6, Absatz 56. Interview 4, Absatz 32. Vgl. z.B. Interview 15, Absatz 57. Interview 16, Absatz 26. Vgl. z.B. Interview 2, Absatz 21; Interview 4, Absatz 29; Interview 9, Absatz 17; Interview 10, Absatz 21; Interview 14, Absatz 12. Interview 7, Absatz 91. Interview 15, Absatz 45.
110
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
ausforderung einer wandlungsbezogenen Kommunikation liegt nach Aussage eines Interviewpartners vor allem darin, einen zunächst nur schemenhaft erkennbaren Weg in die Zukunft überzeugend zu verdeutlichen und dabei den geführten Mitarbeitern und Führungskräften Nutzenpotenziale aufzuzeigen, die insbesondere bei Integrationsprojekten oftmals erst mittel- bis langfristig konkretisierbar sind und somit keine schnellen, direkt motivationswirksamen Effekte erzielen.159 Die Gespräche zeigen, dass sich eine erfolgreiche Kommunikation von Führungskräften nicht nur auf die Vermittlung der Wandlungsvision und Wandlungsziele beschränkt. Sie sollte nach Ansicht einiger Befragter darüber hinaus offen und ehrlich über mögliche Wandlungsprobleme informieren160 und zudem sicherstellen, dass die kommunizierten Wandlungsinformationen auch die adressierten Empfänger erreichen und nicht in politischmotiviert aufgebauten „Lehmschichten“ 161 versanden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich alle vier transformationalen Führungsfähigkeiten grob in den Interviews widerspiegeln. Die qualitative Studie stützt somit die Vermutung aus Abschnitt 3.3.1.2, dass persönliche Ausstrahlung, Inspiration, geistige Anregung und individuelle Behandlung Aspekte einer Wandlungsfähigkeit von Führungskräften darstellen. Die Inhaltsanalyse zeigt allerdings, dass Wandlungsfähigkeit nicht mit transformationaler Führung gleichzusetzen ist, sondern mit Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen, mikropolitischem Geschick sowie Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben weitere Fähigkeiten umfasst, die einen zentralen Einfluss auf den Führungserfolg in Wandlungssituationen andeuten. Zu den Inhalten einer Wandlungsfähigkeit von Führungskräften lässt sich die nachstehende Hypothese formulieren: Hypothese 1c:
Die Wandlungsfähigkeit einer Führungskraft setzt sich zusammen aus den unterschiedlichen Dimensionen „Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen“, „mikropolitisches Geschick“, „Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben“ sowie den vier transformationalen Führungsfähigkeiten „persönliche Ausstrahlung“, „Inspiration“, „geistige Anregung“ und „individuelle Behandlung“.
159 160 161
Vgl. Interview 12, Absatz 37. Vgl. Interview 16, Absatz 46. Vgl. Interview 15, Absatz 23.
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4.3
111
Effekte führungskräftebezogener Wandlungskompetenz: Gesteigertes Anstrengungsniveau und Zufriedenheit der Geführten sowie erhöhte Führungseffizienz als Erfolgsaspekte
In den bisherigen Ausführungen wurde betont, dass Wandlungskompetenz superiores bzw. erfolgreiches Führungskräftehandeln in Wandlungssituationen anleitet. Allerdings blieb offen, wie sich ein derartiges Handeln inhaltlich beschreiben lässt. Die Inhaltsanalyse deutet auf unterschiedliche Erfolgsaspekte von Wandlungskompetenz hin, die sich (1) in verbesserten Eigenleistungen der Führungskräfte sowie (2) in einer erhöhten Leistungsorientierung und (3) gesteigerten Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter zeigen. Dabei wird deutlich, dass diese Effekte eng miteinander verbunden sind. Eine Führungskraft berichtet z.B. von der Integration zweier Funktionsbereiche und wie sie es geschafft hat, die Mitarbeiter von den neuen Strukturen und Prozessen zu überzeugen und sie anzuspornen, sich Mühe zu geben, die Integration erfolgreich durchzuführen.162 Das visionäre, aktive Vorleben der neuen Strukturen und die Ermutigung der Geführten, sich auf das Neue einzulassen und es aktiv mitzugestalten, führte bei dieser Personengruppe nicht nur zu einer gesteigerten Leistungsbereitschaft, sondern hatte zudem eine erhöhte Zufriedenheit zur Folge. Auch eine andere Führungskraft greift indirekt die Zufriedenheit der Geführten auf und betont, dass dieser Aspekt ein wichtiges Ziel des Führungshandelns im durchgeführten Wandlungsprozess darstellt: „To keep them happy, I always tried… meeting their needs and give them comfort about their worries….”163 In einem anderen Interview schildert eine Führungskraft, wie sie das Führungsverhalten ihres Vorgesetzten empfunden und darauf mit einer erhöhten Leistungsbereitschaft reagiert hat.164 Der erhoffte Erfolg eines effizienten Führungshandelns in Wandlungsprozessen wird in einem anderen Gespräch beschrieben mit: „Sie müssen den Druck im Grunde genommen dann auch von unten wieder spüren, dass die Leute sagen, ja ich will! Ich verstehe, warum ich mich verändern
162 163 164
Vgl. hierzu und im Folgenden Interview 15, Absatz 9ff. Interview 7, Absatz 61. Vgl. Interview 1, Absatz 39ff.
112
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
muss. Ich verstehe, warum etwas anders wird. (…) Diese positiven Energien müssen Sie rauskriegen.“165 Die Aussagen zum gesteigerten Leistungsverhalten stehen oftmals in Zusammenhang mit visionärem Führungsverhalten von Vorgesetzten und einem empfundenen hohen Wandlungsengagement hierarchisch höher gestellter Führungskräfte.166 Hieraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass die Wandlungsbereitschaft einer Führungskraft die geführten Mitarbeiter „anstecken“ und bei ihnen ebenfalls zur Entwicklung einer erhöhten Bereitschaft führen kann. In einem Interview wird z.B. hervorgehoben, dass die Unterstützung des Wandlungsprozesses durch das Topmanagement dazu geführt hat, dass viele Touristiker im Konzernverbund dem Wandel gegenüber ebenfalls positiv aufgeschlossen waren und eine hohe Leistungsorientierung bzw. ein ausgeprägtes Anstrengungsniveau gezeigt haben. 167 Die in der Inhaltsanalyse identifizierten Effekte von Wandlungskompetenz deuten auf eine starke Nähe zu den in der transformationalen Führungsforschung diskutierten Erfolgsaspekten außergewöhnliches Anstrengungsniveau und Zufriedenheit der Geführten sowie Führungseffizienz hin.168 Ein außergewöhnliches Anstrengungsniveau spiegelt die Motivation eines Geführten wider, mehr Leistung zu erbringen als es die formale Rollenanforderung vorsieht.169 Ein derartiges, in der angloamerikanischen Literatur häufig im Zusammenhang mit „Organizational Citizenship Behavior“170 diskutiertes Extra-Rollen-Verhalten, wird nach Shamir/House/Arthur insbesondere durch ein charismatisches Führungsverhalten, welches einen Teilbereich der transformationalen Führung darstellt, stimuliert.171 Da transformationale Führungsfähigkeiten als Elemente von Wandlungsfähigkeit verstanden werden, lässt sich die Annahme aufstellen, dass ein wandlungskompetentes Führungsverhalten das Po165 166 167 168 169 170
171
Interview 13, Absatz 15. Vgl. z.B. Interview 16, Absatz 26. Vgl. Interview 16, Absatz 26. Vgl. Bass/Avolio (2000), S. 1 und S. 54 sowie Bass (1985), S. 213 und S. 218f. Vgl. Rosenstiel (2003), S. 17. Vgl. hierzu z.B. Organ (1988) und Organ (1990). Vgl. zusammenfassend zu den Merkmalen eines derartigen „Zusatzengagements“ z.B. Staehle (1999), S. 571ff. Vgl. für eine Übersicht zu alternativen Konzeptionalisierungen von Extra-Rollenverhalten Matiaske/Weller (2003), S. 105f. Vgl. Shamir/House/Arthur (1993), S. 587. Hinweise, dass das Auftreten von Organizational Citizenship Behavior (OCB) signifikant mit transformationaler Führung verbunden ist, finden sich auch bei Gebert/Rosenstiel (2002), S. 235ff. rekurrierend auf Deluga (1995). Deluga untersucht allerdings lediglich den Zusammenhang von „Charismatischer Führung“ und OCB und bezieht sich somit nur auf einen Teilbereich der Transformationalen Führung.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
113
tenzial besitzt, ein hohes Anstrengungsniveau bei den geführten Mitarbeitern zu induzieren. Der zweite diskutierte Erfolgseffekt Zufriedenheit tritt dann ein, wenn Mitarbeiter eine individuelle Bedürfnis-, Motiv- oder Zielbefriedigung verspüren.172 Diese kann z.B. durch eine individuelle Behandlung der Geführten im Führungsprozess erreicht werden.173 Zudem lässt sich davon ausgehen, dass die identifizierte Wandlungsfähigkeit „Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben“ ein Zufriedenheitsgefühl fördert. Der letztgenannte Erfolgseffekt Führungseffizienz bezieht sich auf die eigene Leistung der Führungskraft und spiegelt damit die Vermutung wider, dass die richtigen wandlungsbezogenen Kompetenzinhalte dazu beitragen, eine Arbeitsaufgabe effektiver und effizienter durchzuführen, was sich z.B. in einer erfolgreichen Projektarbeit zeigt.174 Da während des Führungshandelns unterschiedliche Kompetenzen zur Anwendung gelangen, zwischen denen negative Korrelationen auftreten können und deren Wirkungen zum Teil zeitversetzt eintreten, gestaltet sich eine Identifikation derjenigen Kompetenzinhalte mit dem höchsten Erfolgseffekt allerdings als schwierig.175 Die vermuteten Erfolgseffekte von Wandlungskompetenz lassen sich zu folgender Hypothese zusammenfassen: Hypothese 2:
Die Wandlungskompetenz einer Führungskraft hat einen positiven Einfluss auf den Führungserfolg in Wandlungssituationen, ausgedrückt in außergewöhnlichem Anstrengungsniveau und hoher Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter sowie wandlungsbezogener Führungseffizienz.
172 173 174
175
Vgl. z.B. Steinle (1978), S. 42 sowie Rosenstiel (2003), S. 77. Vgl. Bass (1985), S. 82ff.; Bass (1998), S. 6. Vgl. Bass/Avolio (2000), S. 54, die diesen Erfolgseffekt u.a. über die an Führungskräfte gerichtete Frage „I lead a group that is effective“ ausdifferenzieren. Vgl. Yukl (2006), S. 10f. Der Autor spricht hier allerdings nicht von Kompetenzen, sondern von Messkriterien eines effizienten Führungshandelns. Diese Kriterien spiegeln allerdings realisierte Kompetenzinhalte wider, z.B. ob die Führungskraft den Entscheidungs- und Problemlösungsprozess in einer Gruppe positiv beeinflusst hat.
114
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
4.4
Zwischenfazit: Übersicht der inhaltlichen Ausprägung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz und ihrer Effekte
Die qualitative Studie konnte einen Beitrag zur Konkretisierung der rudimentären inhaltlichen Vorstellung von führungskräftebezogener Wandlungskompetenz und den hieraus resultierenden Effekten leisten. Die Inhaltsanalyse deutet darauf hin, dass sich führungskräftebezogene Wandlungsbereitschaft als spezifischer Aktivierungszustand verstehen lässt, der Antriebsenergie für und in Wandlungsprozessen bereitstellt. Wandlungsbereitschaft zeigt sich insbesondere in einer klaren Zielorientierung, im Entschluss, einen Wandlungsprozess nachhaltig und mit hohem Engagement durchzuführen bzw. zu unterstützen sowie dem Wunsch, den Status quo in der Unternehmung herauszufordern. Der starke Absichtsgehalt und inhärente Handlungsdrang erhärten die Vermutung, dass Wandlungsbereitschaft ein intentionales Konstrukt ist und sich klar von wandlungsbezogenen Einstellungen und verwandten Konstrukten wie Motivation und Volition abgrenzen lässt. Wandlungsfähigkeit zeigt sich als mehrdimensionales Phänomen, welches neben den vier transformationalen Führungsfähigkeiten auch das Vermögen zur anreizoptimalen Delegation von Wandlungsaufgaben und Willens- bzw. Zieldurchsetzung umfasst. Es deutet sich somit an, dass in Wandlungssituationen nicht nur sogenannte „weiche Führungsfähigkeiten“, wie Visionsentwicklung, Kommunikationsvermögen oder Führen durch Vorbildfunktion von Bedeutung sind. Aufgrund vielfältiger, oftmals politisch motivierter, Verzögerungen oder Blockaden in Wandlungsprozessen nehmen darüber hinaus mikropolitisches Geschick sowie „hartes“ Durchsetzen und Entscheiden einen zentralen Stellenwert ein. Zudem zeichnet sich ab, dass ein anreizinduzierender Zuschnitt und die zeitliche Taktung von Wandlungsaufgaben bzw. Wandlungs(teil)prozessen einen wichtigen Ansatzpunkt zur Motivation der geführten Mitarbeiter in Wandlungsprozessen liefert. Es ist deutlich zu erkennen, dass die einzelnen Fähigkeitsdimensionen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften zu stützen und wandlungsbezogene Zielsetzungen zu realisieren. Während in der Literatur nur sehr allgemeine und nicht auf organisationale Wandlungssituationen bezogene Aussagen zu den Effekten von Kompetenz festzustellen sind,176 weist
176
Vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2.
Qualitative Fallstudie zur inhaltlichen Erschließung der Wandlungskompetenz von Führungskräften
115
die Inhaltsanalyse auf einige konkrete Inhalte hin. Es deutet sich an, dass die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit sowohl einen positiven Effekt auf die eigene Leistung der Führungskraft (Führungseffizienz) als auch auf das Anstrengungsniveau und die Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter und/oder Führungskräfte besitzt. Die Abbildung 4.3 fasst die identifizierten Inhalte und Effekte von Wandlungskompetenz zusammen und zeigt mögliche Aspekte und Dimensionen der betrachteten Konstrukte auf:
Wandlungskompetenz H1a
H1b
Wandlungsbereitschaft
• • • • • •
Infragestellung des Status Quo Veränderungsdrang Keine Verharrung in „Comfort Zones” Engagement bei der Wandlungsumsetzung Zielorientierung Entschlossenheit
H1c Wandlungsfähigkeit
Wandlungskompetenz-Effekt
Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen
H2
Anstrengungsniveau der Geführten Zufriedenheit der Geführten
Mikropolitisches Geschick Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben
Führungseffizienz
Transformationale Führungsfähigkeit Persönliche Ausstrahlung
Inspiration
Geistige Anregung
Individuelle Behandlung
Abb. 4.3: Zusammenschau der Inhalte und Effekte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften
Nachdem in diesem Kapitel basierend auf der qualitativen Fallstudienanalyse eine Vorstellung zu den Inhalten und Effekten einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz entwickelt worden ist, fokussiert das Kapitel 5 auf die Einflussfaktoren dieses Konstrukts und
überführt
die
Überlegungen
in
ein hypothesenbasiertes
Erklärungsmodell.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
117
5
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung führungskräftebezogener Wandlungskompetenz
5.1
Die postulierten Modellzusammenhänge im Überblick
Ziel des Kapitels 5 ist die inhaltsanalytische Erschließung von Einflussfaktoren auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften und die Identifikation von Wirkbeziehungen. Im Vordergrund steht somit die Frage, welche Faktoren wie auf das Konstrukt Wandlungskompetenz bzw. auf die beiden Teildimensionen Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit wirken und wie ein entsprechendes Erklärungsmodell aussehen kann. Die Analyse des Datenmaterials folgt dem in Abschnitt 4.1.5 erläuterten Vorgehen. Vorausgegangen ist die im letzten Kapitel dargestellte Eruierung der Aspekte von Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit, da ohne ein entsprechendes Wissen hierüber eine Identifikation von Einflussfaktoren nicht möglich ist. Geleitet wurde die Datenauswertung von dem in Kapitel 3 entwickelten Bezugsrahmen. Die beiden deduktiv abgeleiteten Basiskategorien Kompetenzpotenziale und Wandlungskontext gaben hierbei die grundlegende Analyserichtung vor. Eine weitere Ausdifferenzierung hinsichtlich möglicher Subkategorien wurde nicht vorgenommen, um die induktive Grundhaltung nicht einzuschränken. Zudem stellten die im Bezugsrahmen vermuteten Wirkbeziehungen eine gewisse Orientierung bei der Durchdringung des Datenmaterials dar. Allerdings wurde auch hier versucht, eine offene Analyseperspektive einzunehmen, um etwaige alternative Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren und dem Zielkonstrukt Wandlungskompetenz zu erkennen. Die Abbildung 5.1 vermittelt einleitend eine Übersicht der in den nächsten Abschnitten postulierten Inhalte und Aspekte von Einflussfaktoren, Wirkungszusammenhänge und Hypothesen. Die weißen Kreise geben dabei, wie auch in Abbildung 4.3, die jeweiligen Hypothesennummern an. Kreise, die sich innerhalb der vermuteten Einflussfaktoren befinden, bezeichnen Hypothesen zu den Inhalten dieses Faktors bzw. Konstrukts, während diejenigen oberhalb von Pfeilen Hypothesen zu vermuteten Wirkbeziehungen repräsentieren. Die nachfolgenden Abschnitte sind so aufgebaut, dass zunächst die im Rahmen der Datenauswertung identifizierten Inhalte der Basiskategorien und vermuteten Wirkbeziehungen dargestellt werden. Hieran schließt sich, wie in der „Roadmap“ zur phasenorientierten The-
118
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
orieentwicklung erläutert,1 ein Vergleich der empirischen Ergebnisse mit Erkenntnissen aus der Literatur an. Dieser Prozessschritt hat die Erweiterung der Erkenntnisbasis zum Ziel, um hierdurch die Validität und Generalisierbarkeit der entwickelten Hypothesen zu erhöhen.2 Kapitel 5 Wahrgenommener Wandlungskontext
Kapitel 4 Wandlungskompetenz
Wandlungsobjekt Neuartigkeits-/ Herausforderungsgehalt Eingeschätzte Nutzen für die Unternehmung
Wandlungseinstellung Wandlungsbereitschaft Empowerment Wandlungsfähigkeit
Führungskräfteunterstützung
Selbstwirksamkeit
Topmanagement
Direkter Vorgesetzter
Durchsetzungs-/Entscheidungsvermögen
Wandlungskompetenzeffekt
Selbstbestimmtheit
Mikropolitisches Geschick
Anstrengungsniveau der Geführten
Einflussnahmemöglichkeit
Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben
Zufriedenheit der Geführten
Transformationale Führungsfähigkeiten
Führungseffizienz
Persönliche Bedeutung
Kompetenzpotenziale
Persönliche Ausstrahlung Proaktivität
Emotionen
Ausdauer
Empathie
Inspiration Geistige Anregung Individuelle Behandlung
Wissen
Abb. 5.1: Die vermuteten Modellzusammenhänge in der Übersicht
Nachstehend werden zunächst die identifizierten Inhalte der Kompetenzpotenziale dargestellt. Die Eruierung von Kompetenzpotenzialen orientierte sich an der in Abschnitt 3.3.2 entwickelten Vorstellung, dass sich diese als generelle Verhaltensneigungen im Sinne dominanter Handlungsentwürfe eines Individuums verstehen lassen. Die Analyse wurde demnach auf persönlichkeitsbezogene Phänomene von Führungskräften gerichtet, von denen anzunehmen ist, dass sie die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit nicht nur einmalig, sondern in unterschiedlichen Wandlungssituationen beeinflussen. Am Ende des Analyseprozesses kristallisierten sich mit Proaktivität, Ausdauer, Empathie und Wissen vier potenzielle Inhalte der Kompetenzpotenziale von Führungskräften heraus. Die Ergebnisse zu den einzelnen Inhalten werden in den folgenden vier Abschnitten vorgestellt. 1 2
Vgl. Abschnitt 4.1.2, Abbildung 4.1. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 545.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
119
5.2
Kompetenzpotenziale: Persönlichkeitsmerkmale und Wissen wandlungskompetenter Führungskräfte
5.2.1
Proaktivität: Ausgangspunkt von Initiativverhalten in Wandlungssituationen
Die Auswertung der Interviews lieferte eine Vielzahl von Hinweisen auf mögliche Kompetenzpotenziale, die eine Zielorientierung sowie initiatives und vorausschauendes Handeln von Führungskräften in Wandlungssituationen beeinflussen bzw. dieses anleiten. Bei der Beschreibung des eigenen Antriebs im Wandlungsprozess oder den Aktivitäten anderer Führungskräfte wurden immer wieder Aussagen getroffen, wie: „(...) ich schaue über bestimmte Dinge sehr kritisch, sicherlich…, aber dass bestimmte Dinge kommen werden, sehe ich ja auch und die muss ich vorantreiben, also ich muss möglichst einer der ersten sein, damit die anderen aufholen müssen.“3 „(...) er ist sicherlich auch eher jemand, sage ich mal, der eine gewisse Zukunftsorientierung hat. Der nach vorne blickt, was so die Entwicklung im Markt angeht und insofern auch immer weit genug vorne ist, um nicht an den kleinen Problemen von heute zu scheitern.“4 Im Zusammenhang mit Initiativverhalten von Führungskräften erfolgte zudem oftmals eine Nennung bestimmter grundlegender Fähigkeiten, welche die Entstehung eines derartigen Verhaltensmusters anleiten bzw. unterstützen, wie z.B. strategisches Denken5, die Fähigkeit, über den „Tellerrand“ hinauszuschauen,6 ein Erkennen und Reflektieren von bestimmten Entwicklungen im In- und Umfeld der Unternehmung,7 Zukunftsorientierung8 oder ein gewisses Maß an Risikobereitschaft.9
3 4 5 6 7 8 9
Interview 6, Absatz 93. Interview 12, Absatz 29. Vgl. z.B. Interview 5, Absatz 53. Vgl. z.B. Interview 3, Absatz 71, hier als “think outside the box” bezeichnet. Vgl. z.B. Interview 10, Absatz 9. Vgl. z.B. Interview 4, Absatz 29. Vgl. z.B. Interview 4, Absatz 38.
120
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Die dargestellten Aussagen weisen eine sehr starke Nähe zu den in der Literatur diskutierten Kernmerkmalen der Konstrukte „Proaktivität“10, „Personal Initiative“11 und „Taking Charge“12 auf. Die gemeinsame Basis dieser Konstrukte liegt in der Erklärung und/oder Beschreibung eines proaktiven Verhaltens von Organisationsmitgliedern, welches definiert werden kann als „(...) taking initiative in improving current circumstances or creating new ones; it involves challenging the status quo rather than passively adapting to present conditions.“13 Proaktive Organisationsmitglieder zeigen ein Verhalten, dass über die Anforderungen an die wahrzunehmende Rolle in der Unternehmung hinausgeht.14 Ihnen wird zugeschrieben, dass sie überdurchschnittliche Leistungen erbringen, Mitarbeiter erfolgreich führen, ein hohes Verpflichtungsempfinden gegenüber den Unternehmungszielen besitzen, unternehmerisch denken und handeln und eine hohe Integrität aufweisen.15 Zudem wird bei „Taking Charge“ explizit darauf hingewiesen, dass ein derartiges Handeln „(...) inherently change-oriented and aimed at improvement“16 ist, und somit über das in unterschiedlichen Forschungsansätzen fokussierte Extra-Rollenverhalten von Organisationsmitgliedern, welches primär auf die Erklärung einer außergewöhnlichen Leistung innerhalb des Status quo in einer Unternehmung gerichtet ist,17 hinausgeht. Diese Verhaltensmuster und Charakteristika können eine mögliche Erklärung für einige der im vorherigen Kapitel diskutierten Inhalte einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz liefern. Es deutet sich z.B. an, dass Proaktivität Einfluss auf die Fähigkeit der Visionsentwicklung und Visionsumsetzung im Wandlungsprozess nimmt.18 Crant/Bateman haben in einer Studie eine positive Korrelation zwischen Proaktivität und charismatischer
10 11 12 13 14 15
16 17
18
Vgl. insbesondere Bateman/Crant (1993); Crant (1996); Crant (2000). Vgl. insbesondere Frese/Kring/Soose/Zempel (1996); Frese et al. (1997); Fay (1998). Vgl. Morrison/Phelps (1999). Crant (2000), S. 436. Vgl. Frese/Kring/Soose/Zempel (1996), S. 38. Vgl. Campbell (2000), S. 55ff. Diese fünf zentralen Charakteristika sind das Ergebnis einer umfassenden Literaturrecherche des Autors. Vgl. zum Aspekt des unternehmerischen Denkens und Handelns auch Crant (1996), S. 44ff., der feststellt, dass Proaktivität einen starken Einfluss auf die Absicht unternehmerisch zu agieren, ausübt. Morrison/Phelps (1999), S. 403. Vgl. Morrison/Phelps (1999), S. 404. Die Autoren grenzen „Taking Charge“ insbesondere gegenüber Organizational Citizenship Behavior (vgl. insbesondere Organ (1988)), aber auch den Konstrukten „Voice“ (vgl. insbesondere Withey/Cooper (1989)), „Issue Selling“ (vgl. insbesondere Ashford/ Rothbard/Piderit/Dutton (1998)) und „Personal Initiative“ (vgl. Frese/Kring/Soose/Zempel (1996)) ab. Vgl. z.B. Nadler/Tushman (1995), S. 26f., die antizipierendes Führungskräfteverhalten im Zusammenhang mit visionärer Führung in Wandlungssituationen diskutieren.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
121
Führung festgestellt.19 Da sich Charisma als Synonym für persönliche Ausstrahlung verstehen lässt,20 ist zu vermuten, dass Proaktivität Einfluss auf die transformationalen Führungsfähigkeiten und somit auch auf Wandlungsfähigkeit nimmt. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass proaktive Führungskräfte etwaige Bedrohungen und Chancen im In- und Umfeld der Unternehmung früher wahrnehmen und aufgrund ihres inhärenten Veränderungsdrangs einen entsprechenden Wandlungsprozess frühzeitiger initiieren als andere Organisationsmitglieder.21 Ein weiteres zentrales Merkmal von Proaktivität ist Hartnäckigkeit, die sich darin zeigt, dass eine bestimmte Zielorientierung auch bei Widerständen und Rückschlägen aufrecht erhalten wird.22 Dieses Charakteristikum liefert Hinweise auf eine mögliche Beeinflussung der Wandlungsbereitschaft von Führungskräften, die sich, wie in Abschnitt 4.2.2.1 dargestellt, u.a. in Zielstrebigkeit und Entschlossenheit äußert. Die in der Literatur diskutierten Forschungsströme zur Proaktivität von Organisationsmitgliedern unterscheiden sich grundlegend in der Erklärung des gezeigten Verhaltens.23 Während Bateman/Crant und Frese/Kring/Soose/Zempel proaktives Verhalten primär auf das Vorhandensein eines entsprechenden proaktiven Persönlichkeitsmerkmals zurückführen,24 entsteht ein derartiges Verhalten nach der Vorstellung von Morisson/Phelps durch das Zusammenwirken von Persönlichkeitsmerkmalen und anreizenden Einflüssen bestimmter Kontextfaktoren, wie z.B. der angenommenen Offenheit des Topmanagements gegenüber Wandel oder bestimmte Gruppennormen, die in einem positiven Zusammenhang mit organisationalen Veränderungen stehen.25 Diese Arbeit folgt der Vorstellung von Crant, der vorschlägt, eine Synthese der beiden Erklärungsansätze vorzunehmen.26 Nachfolgend wird Proaktivität als relativ stabiles Kompetenzpotenzial im Sinne einer dominanten Verhaltensneigung verstanden, welche in ihrer
19 20
21 22 23
24
25 26
Vgl. Crant/Bateman (2000), S. 69. Vgl. z.B. Bass (1998), S. 5, der die transformationale Führungsfähigkeit „idealized influence“ mit charismatischer Führung gleichsetzt. Vgl. Bateman/Crant (1993), S. 105 sowie Fay (1998), S. 41. Vgl. Frese/Kring/Soose/Zempel (1996), S. 38; Fay (1998), S. 36; Bateman/Crant (1999), S. 64. Vgl. zur Gegenüberstellung der beiden grundlegenden Erklärungsrichtungen ausführlich Crant (2000), S. 437. Vgl. Bateman/Crant (1993), S. 104 und Frese/Kring/Soose/Zempel (1996), S. 38. Die letztgenannten Autoren bezeichnen „Personal Initiative“ zwar nicht direkt als Disposition, allerdings kann aufgrund der Betonung der Langfristigkeit und des situationsübergreifenden Charakters proaktiven Verhaltens auf ein entsprechendes Persönlichkeitsmerkmal geschlossen werden. Vgl. zu dieser Schlussfolgerung auch Crant (2000), S. 443f. Vgl. Morrison/Phelps (1999), S. 405f. Vgl. Crant (2000), S. 454. Vgl. auch Bateman/Crant (1999), S. 66: „Proaction (...) is a function of both individual disposition and the work environment.”
122
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Wirkung auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften durch bestimmte Einflussfaktoren aus dem Arbeitsumfeld determiniert werden kann. Abbildung 5.2 fasst die identifizierten Merkmale von Proaktivität zusammen: Merkmale von Proaktivität
• • • • • •
Vermögen, über den „Tellerrand” hinauszuschauen
• • •
Unternehmerisches Denken und Handeln
Zukunftsorientierung Risikobereitschaft Herausforderung des Status quo Überdurchschnittliche Leistungsorientierung Hohes Verpflichtungsempfinden gegenüber den Unternehmungszielen Hohe Integrität Wandlungsorientierte Grundhaltung
Abb. 5.2: Merkmale von Proaktivität
5.2.2
Ausdauer: Basis eines langanhaltenden wandlungsunterstützenden Führungskräfteverhaltens in Wandlungsprozessen
Die Analyse der geführten Interviews deutet darauf hin, dass eine zentrale Herausforderung in Wandlungssituationen darin besteht, proaktives selbstinduziertes Verhalten gegen etwaige Enttäuschungen, Durststrecken und Barrieren im Wandlungsverlauf abzusichern. Im Zusammenhang mit der Schilderung von Schwierigkeiten bei Wandlungsprojekten fielen z.B. Begriffe wie Geduld27 oder Standhaftigkeit28. Rückblickend auf die Tätigkeit in bestimmten Wandlungsprojekten wurden z.B. Aussagen getroffen, wie: „(...) geholfen hat mir, dass ich sehr beharrlich bin.“29 „(…) show stamina in following the goals and not changing the goals every three months, depending from where the wind blows.”30
27 28 29 30
Vgl. Interview 2, Absatz 65. Vgl. Interview 17, Absatz 51. Interview 11, Absatz 61. Interview 1, Absatz 35.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
123
Des Weiteren wurde bei der Beschreibung der zentralen Treiber des Wandlungsprozesses immer wieder das Engagement und die Ausdauer dieser Personen hervorgehoben,31 die sie trotz Kritik sowie konjunktur- und terroranschlagsbedingter Marktveränderungen, welche die Erreichung bestimmter (Teil)Ziele des Wandels zumindest kurzfristig in Frage stellten, aufrecht erhalten haben. Die verfeinerte inhaltsanalytische Betrachtung der Effekte von Ausdauer bei Führungskräften lässt Hinweise erkennen, dass eine derartige Verhaltensneigung im Zusammenhang steht mit positivem Denken,32 konstruktivem Umgang mit Rückschlägen33 und einem erhöhten Verantwortungsgefühl.34 Das Phänomen des ausdauernden Führungskräfteverhaltens in Wandlungsprozessen lässt sich nur bedingt anhand der Konstrukte zur Proaktivität bzw. proaktivem Verhalten von Organisationsmitgliedern erklären. Die unterschiedlichen Ansätze heben zwar die Bedeutung von Ausdauer bei initiativem Verhalten hervor,35 thematisieren diesen Aspekt jedoch nicht vertiefend. Crant betont z.B.: „Proactive people (...) take action, and persevere until meaningful change occurs,“36 erläutert allerdings nicht, weshalb Personen Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen bei der Zielerreichung zeigen oder warum die proaktive Handlungsenergie auch bei Rückschlägen erhalten bleibt. Eine Suche nach weiterführenden Erklärungen lenkt die Betrachtung auf das in der angloamerikanischen Literatur diskutierte Konstrukt „Psychological Hardiness“37, welches sich ins Deutsche mit „Ausdauer“ bzw. „Widerstandsfähigkeit“ übersetzen lässt. Ausdauer beeinflusst den Prozess der Wahrnehmung, Interpretation und des Umgangs mit Stresssituationen,38 zu denen auch Wandlungsprozesse zählen,39 und führt dazu, dass be-
31
32 33 34 35 36 37
38 39
Vgl. z.B. Interview 12, Absatz 29; Interview 4, Absatz 32; Interview 15, Absatz 51; Interview 16, Absatz 26. Eine Führungskraft merkt im Zusammenhang mit dem lang anhaltenden Engagement des Vorstandsvorsitzenden Dr. Frenzel an: „ (...) er ist schon mit Leib und Seele Touristiker und ist davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist und insofern ist er auch immer der Treiber gewesen.“ – Interview 9, Absatz 17. Vgl. Interview 15, Absatz 68. Vgl. Interview 16, Absatz 42. Vgl. Interview 13, Absatz 57. Vgl. z.B. zur „Personal Initiative“ Fay (1998), S. 36. Crant (2000), S. 439. Vgl. z.B. Kobasa/Maddi/Kahn (1982); Maddi (1999a); Maddi (1999b); Maddi et al. (2002); Maddi/Khoshaba/Pammenter (1999); Maddi/Khoshaba (2005); Maddi (2005); Cole/Feild/Harris (2004), S. 65ff.; Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 467f. Zur Entwicklung und zum Stand der „Hardiness-Forschung“ vgl. ausführlich Maddi (2002) sowie die Literaturrecherche von Hamilton/James (2004), S. 2f. Vgl. Cole/Feild/Harris (2004), S. 66. Matteson/Invancevich (1987), S. 10f. identifizieren außergewöhnliche, veränderte Situationen als potenzielle Stressquellen (Stressoren). Zudem heben die Autoren den starken Einfluss von Unsicherheit – die Wandlungsprozessen inhärent ist – auf die Entstehung von Stress hervor. Vgl. auch Lazarus/Folkman (1984), S. 12, die „major changes“ als zentrale Stressoren ansehen.
124
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
stimmte Wandlungsereignisse als eher interessante, herausfordernde Ereignisse aufgefasst werden und nicht als Belastungen.40 Personen mit Ausdauer halten auch bei Rückschlägen und hoher zeitlicher Beanspruchungen ihren Optimismus aufrecht.41 Sie betrachten stressinduzierende Ereignisse aus einer ganzheitlichen Perspektive und versuchen, durch die Entwicklung eines tieferen Verständnisses, eine Chance aus der betreffenden Situation abzuleiten.42 Hieraus resultieren ein geringeres Stressempfinden,43 eine höhere Toleranz für Ambiguität und Unsicherheit44 sowie eine Tendenz zu entscheidungsfreudigem Verhalten45 und ein Streben nach konstruktiven Problemlösungsstrategien.46 Kets de Vries/Balazs haben in einer Studie zum Stellenabbau festgestellt, dass Führungskräfte, die Ausdauer besitzen, konstruktiv mit dem Verlust des Arbeitsplatzes umgegangen sind.47 Sie haben sich nicht mit der Klärung von Schuldfragen aufgehalten, sondern vielmehr nach Gründen für die Entlassung gesucht, die Situation als Herausforderung und Chance für einen neuen, alternativen Karrierepfad interpretiert und sich aktiv nach einem neuen Job umgesehen. Empirische Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Ausdauer eine zentrale Grundlage erfolgreicher transformationaler Führung darstellt.48 Die Ausführungen lassen erkennen, dass Proaktivität und Ausdauer sich gegenseitig ergänzen. Während Proaktivität ein selbstinduziertes, außergewöhnliches Führungsverhalten in Wandlungsprozessen anstößt, schafft Ausdauer die Grundlage dafür, dass die proaktiven, zielorientierten Antriebskräfte verstärkt, lang anhaltend aufrecht erhalten und gegen Widerstände, Enttäuschungen und „Durststrecken“ verteidigt werden. Das Zusammenwirken der beiden Konstrukte schafft darüber hinaus die Basis für eine erfolgreiche antizipierende Wahrnehmung von Chancen und Risiken in Wandlungssituationen sowie die Anwendung konstruktiver Problemlösungsstrategien.
40 41 42
43 44 45 46 47 48
Vgl. Maddi (1999a), S. 85; Maddi (1999b), S. 85ff.; Britt/Adler/Bartone (2001), S. 54. Vgl. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 468. Vgl. Florian/Mikulincer/Taubman (1995), S. 687. Vgl. Maddi/Hightower (1999), S. 97. Die Autoren bezeichnen diese Herangehensweise an stressvolle Situationen, die insbesondere von Personen mit Ausdauer gezeigt wird, als „transformational Coping“. Vgl. Maddi et al. (2002), S. 74. Vgl. Kets de Vries/Balazs (1997), S. 40. Vgl. Maddi (1999a), S. 68. Vgl. Florian/Mikulincer/Taubman (1995), S. 687 und die dort angegebene Literatur. Vgl. Kets de Vries/Balazs (1997), S. 40. Vgl. Maddi/Khoshaba (2005), S. 35f., u.a. bezugnehmend auf Bartone/Snook (1999). Die Autoren sprechen nicht direkt von transformationaler Führung, sondern von Leadership. Sie diskutieren unter diesem Begriff aber die selben Erfolgeffekte wie in der transformationalen Führungstheorie.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
125
Die Hinweise in der Literatur zum dispositionalen Charakter von Ausdauer49 sowie die vielfach zu konstatierende Verwendung des Ausdrucks „hardy persons“50 deuten darauf hin, dass sich Ausdauer wie Proaktivität als generelle Verhaltensneigung51 interpretieren und somit als Persönlichkeitsmerkmal bzw. Kompetenzpotenzial verstehen lässt.52 Allerdings kann, wie bei Proaktivität, davon ausgegangen werden, dass bestimmte Faktoren Einfluss auf die Verhaltenswirksamkeit von Ausdauer nehmen. Ein Vergleich der Erkenntnisse aus der Ausdauerforschung mit den identifizierten Inhalten von Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit lässt eine starke Einflussnahme von Ausdauer auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften vermuten. Die mit Ausdauer verbundenen Phänomene, wie reduziertes Stressempfinden, Toleranz von Unsicherheitssituationen und Optimismus können als potenzielle „Lieferanten“ von lang anhaltender Handlungsenergie interpretiert werden, die sich in den identifizierten Wandlungsbereitschaftsaspekten Zielstrebigkeit und Entschlossenheit äußert. In diesem Zusammenhang kristallisiert sich auch heraus, dass sich die im Abschnitt 4.2.2.1 von einer Führungskraft mit Hilfe der Metapher eines Marathonlaufs dargestellte Schilderung zur persönlichen Antriebskraft im Wandlungsprozess anhand des Ausdauer-Konstrukts näher erklären lässt. Die Effekte von Ausdauer, wie entscheidungsfreudiges Verhalten oder die Suche nach kreativen Problemlösungen, deuten eine Einflussnahme dieses Kompetenzpotenzials auf die Fähigkeiten von Führungskräften an. Es lässt sich vermuten, dass Ausdauer z.B. das Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen determiniert. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass Ausdauer die Basis für eine lang anhaltende und relativ widerstandsresistente Anwendung bestimmter Wandlungsfähigkeiten darstellt. Ausdauer scheint zudem eine wichtige Voraussetzung für die von einem Interviewpartner geforderte Hinterfragung der eigenen Tätigkeit und Position in Wandlungssituationen zu sein, auch wenn dies gegebenenfalls dazu führt, dass sich die Führungskraft selbst überflüssig macht.53
49 50 51
52
53
Vgl. z.B. Low Ma (1996), S. 589. Vgl. z.B. Hamilton/James (2004), S. 2; Cole/Feild/Harris (2004), S. 66; Lloyd/Atella (2000), S. 155. Vgl. Kets de Vries/Balazs (1997), S. 40, die eine Vielzahl situationsübergreifender Verhaltensmuster aufzeigen, die von Ausdauer angeleitet werden. Vgl. auch Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 465, die Ausdauer als „individual disposition“ bezeichnen sowie Maddi/Khoshaba/Pammenter (1999), S. 118, die von „dispositional hardiness“ sprechen. Vgl. Interview 14, Absatz 20.
126
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Anzumerken ist, dass nicht jede Ausprägung proaktiven und ausdauernden Verhaltens als effizient eingeschätzt werden kann.54 Es lässt sich vermuten, dass ein Führungskräfteverhalten in Wandlungsprozessen, welches von Übereifer, einem unreflektierten „Festbeißen“ an Problemen oder unbeirrtem Weiterverfolgen nicht mehr adäquater Wege geprägt ist, ein suboptimales Wandlungsergebnis zur Folge haben wird. Die Neigung von Führungskräften zu ausdauerndem Verhalten in Wandlungsprozessen kann dann als effizient eingeschätzt werden, wenn sie den aus der Unternehmungsstrategie abgeleiteten Wandlungszielen folgt,55 auf sinnvolle Verbesserung ausgerichtet ist56 und die Erreichung der in Abschnitt 4.3 identifizierten Erfolgsaspekte von Wandlungskompetenz unterstützt. Die Abbildung 5.3 stellt die diskutierten Aspekte von Ausdauer in einer Übersicht dar: Aspekte von Ausdauer
• • Positives Denken / Optimismus • Konstruktiver Umgang mit Rückschlägen • Hohes Verantwortungsbewusstsein • Geringes Stressempfinden • Toleranz für Ambiguität und Unsicherheit • Tendenz zu entscheidungsfreudigem Verhalten • Streben nach konstruktiven Problemlösungen • Interpretation von neuen Situationen als Geduld
Herausforderung und Chance
Abb. 5.3: Aspekte von Ausdauer
5.2.3
Empathie: Einfühlungsvermögen als Grundlage einer erfolgreichen Mitarbeiterführung
In der Inhaltsanalyse lassen sich Hinweise identifizieren, dass die Wandlungskompetenz von Führungskräften auch von Kompetenzpotenzialen beeinflusst wird, die sich direkt auf die Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitern bzw. Gruppen in Wandlungssituationen beziehen. Dies zeigt sich insbesondere in den Aussagen zum Führungsverhalten im Wandlungsprozess. Hier wird immer wieder der Stellenwert eines Zuhörens und Hineinversetzens in die Situation der Geführten betont. Auffällig ist, dass diese Faktoren sehr
54 55
56
Vgl. Crant (2000), S. 455; Bateman/Crant (1999), S. 66. Vgl. z.B. Frese/Kring/Soose/Zempel (1996), S. 38, die fordern, dass Initiative immer der Mission einer Organisation entsprechen muss. Vgl. Crant (2000), S. 439 sowie Morrison/Phelps (1999), S. 403.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
127
häufig als erfolgskritisch für die Mitarbeiter- und Gruppenführung hervorgehoben worden sind: „(…) you must understand that there are people working in this company for like thirty or forty years and they have identified so much with TUI (…).”57 Eine Führungskraft stellt explizit heraus, dass die Einnahme der Perspektive der Betroffenen in Veränderungsprozessen von zentraler Bedeutung ist: „(...) jetzt kommt ein neues System, da haben die Mitarbeiter Angst, da haben die Not! Kann ich als Mitarbeiter damit umgehen? Bin ich überhaupt qualifiziert? Verliere ich meinen Job? Macht er alles schlanker? (...).“58 Eine andere Führungskraft berichtet davon, dass sie die Sorgen und Ängste der Mitarbeiter, die von einer Integration zweier Funktionsbereiche betroffen waren, als eine der ersten gespürt und den Vorstand hierüber informiert hat.59 Im Zusammenhang mit derartigen Schilderungen wird immer wieder das Vermögen von Führungskräften herausgestellt, sich in andere Kulturen und Mentalitäten zu versetzen60, ein offenes Ohr für die Belegschaft zu haben61 oder ein Gespür für die Wirkung bestimmter Entscheidungen auf die betroffenen Mitarbeiter zu besitzen.62 Die dargestellten Aussagen zeigen eine starke Nähe zu dem in den Verhaltenswissenschaften diskutierten Phänomen der Empathie.63 Obwohl sich bisher keine einheitliche Theorie zur Erklärung des Empathie-Konstruktes durchgesetzt hat,64 lässt sich in der Literatur eine Art Grunddefinition identifizieren, welche Empathie als „(...) transposing oneself into the thinking, feeling and acting of another (...)“65 charakterisiert. Empathische Führungskräfte besitzen demnach ein Einfühlungsvermögen66 in andere Organisationsmitglieder, indem
57 58 59 60 61 62 63
64 65 66
Interview 1, Absatz 22. Vgl. ähnlich Interview 7, Absatz 53. Interview 6, Absatz 83. Interview 15, Absatz 45. Vgl. Interview 14, Absatz 23; Interview 15, Absatz 62. Vgl. Interview 2, Absatz 29. Vgl. Interview 1, Absatz 74; Interview 2, Absatz 17. Vgl. grundlegend zum Stand der Empathieforschung Duan/Hill (1996) und die dort angegebene Literatur sowie ergänzend z.B. Omdahl (1995), S. 13ff.; Aronson/Wilson/Akert (2004), S. 409ff.; Arnold (2005), S. 127f. Vgl. Sexton/Whiston (1994), S. 26; Gladstein (1983), S. 470. Dymond (1950), S. 344. Vgl. Duan/Hill (1996), S. 261f. rekurrierend auf Lipps (1903), die herausstellen, dass der Ursprung der Empathieforschung auf die Anfang des 20. Jahrhunderts von Lipps entwickelte Theorie der Einfühlung zurückzuführen ist.
128
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
sie entweder deren Perspektive einnehmen (kognitive Empathie)67 und/oder Gefühle teilen (emotionale bzw. affektive Empathie).68 Empathie fördert ein kooperatives und taktvolles Führungsverhalten69 und schafft somit nicht nur eine verbesserte Beziehung innerhalb der Führungsdyade oder zwischen der Führungskraft und dem geführten Team,70 sondern ermöglicht auch ein verbessertes Verstehen der Standpunkte anderer Organisationsmitglieder und Stakeholder.71 In der Empathieforschung lassen sich unterschiedliche Erklärungsansätze für empathisches Verhalten identifizieren. Wie bereits bei der Betrachtung der Konstrukte Proaktivität und Ausdauer, wird auch hier diskutiert, ob es sich eher um ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal72 oder eine situationsspezifische Verhaltensneigung73 handelt, welche von bestimmten kontextuellen Stimuli hervorgerufen bzw. beeinflusst wird.74 Das Empathieverständnis in dieser Arbeit folgt der auch für die Kompetenzpotenziale Proaktivität und Ausdauer eingenommenen Sichtweise und betrachtet Empathie als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal einer Führungskraft, welches in seiner Wirkung durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden kann.75 Empathie findet in der Literatur zudem insbesondere im Rahmen der Diskussion von emotionaler Intelligenz Beachtung.76 Empathie wird hier als zentrales Element der Konstruktkomponente „Social Awareness“ angesehen77 und gilt als Kernfähigkeit erfolgreicher Führungskräfte78 sowie als Grundlage einer effizienten Teamleistung.79 Auch wenn Empathie
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68
69
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71
72
73 74
75 76 77 78 79
Vgl. zur Theorie der Perspektivenübernahme („perspective taking“) und den Zusammenhang mit Empathie Parker/Axtell (2001). Vgl. zu dieser Unterscheidung ausführlich Gladstein (1983), S. 468 sowie Reynolds (1982), zitiert nach Omdahl (1995), S. 15. Vgl. van Scotter/Motowidlo (1996), S. 526. Die Autoren benutzen allerdings nicht den Empathiebegriff, sondern sprechen von „interpersonal faciliation“, diskutieren hierunter allerdings die nahezu selben Inhalte. Vgl. Batson (1991), S. 93ff. und 218ff. sowie Batson/Coke (1981), S. 172, wo eine generelle Verbesserung der Interaktionsbeziehungen zwischen Individuen hervorgehoben wird, da durch Empathie Hilfsbereitschaft erhöht und Agressionen abgebaut werden. Empathie stellt somit auch eine Grundlage prosozialen Verhaltens dar – vgl. Aronson/Wilson/Akert (2004), S. 435f. sowie Eisenberg (1986), S. 41. Vgl. z.B. Parker/Axtell (2001), S. 1089, die den Einfluss von Perspektivenübernahme auf (interne) Lieferanten betrachten. Vgl. Hogan (1969), S. 309, der von „empathic disposition“ spricht, oder Davis (1983), S. 113, welcher das Begriffspaar „dispositional empathy“ verwendet. Vgl. z.B. Batson/Coke (1981), S. 185. Vgl. hierzu und im Folgenden sowie ausführlich zur Übersicht von Vertretern der jeweiligen Verständnisse Duan/Hill (1996), S. 262f. Vgl. zur Synthese dieser beiden Perspektiven auch Parker/Axtell (2001), S. 1086. Vgl. hierzu insbesondere Goleman (1995); Goleman (1998); Goleman (2000). Vgl. Goleman/Boyatzis/McKee (2002), S. 255. Vgl. Goleman (1998), S. 94f. Vgl. Luca/Tarricone (2001), S. 373f. Vgl. zur Diskussion von Empathie als Grundlage eines effizienten Führungsverhaltens auch Kellett/Humphrey/Sleeth (2002), S. 527 und die dort angegebene Literatur – insbesondere Cooper/Sawaf (1997), S. 48ff. sowie Yukl (2006), S. 202.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
129
immer wieder eine Nähe zu Altruismus zugesprochen wird,80 darf hierunter laut Goleman kein unreflektiertes Eingehen auf die Emotionen der Mitarbeiter und eine „sozialromantische“ Bedürfnisbefriedigung verstanden werden, sondern vielmehr ein „(...) thoughtfully considering employees’ feelings – along with other factors – in the process of making intelligent decisions.“81 Nach diesem Verständnis verbessert Empathie aufgrund des Einfühlens in die Perspektiven und Emotionen anderer Organisationsmitglieder die Wissensbasis der Führungskraft und ermöglicht dadurch den Einbezug weiterer Informationen in führungsbezogene Entscheidungsprozesse. Eine Verbindung von emotionaler Intelligenz und organisationalem Wandel, und somit indirekt auch von Empathie und Wandel, stellt z.B. Yukl her, der betont: „(…) emotional intelligence [helps; Anmerkung des Verfassers] a leader to determine who needs to be influenced to support change and how to do it.“82 Die Bedeutung von Empathie in wandlungsbezogenen Führungssituationen wird vor allem in der transformationalen Führungsliteratur diskutiert und dort als Basis einer Transformation des Denkens und Handelns von Geführten angesehen.83 Empathischen Führungskräften wird die Fähigkeit zugesprochen, die Aufnahmebereitschaft der Mitarbeiter für organisationale Veränderungen zu erhöhen.84 Avolio/Gibbons heben hervor, dass Empathie als wichtige Determinante der transformationalen Führungsfähigkeiten Stimulation und individuelle Behandlung verstanden werden kann.85 Die Autoren argumentieren, dass das empathische Potenzial, welches eine Führungskraft besitzt, insbesondere über die individuelle Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Geführten sichtbar wird. Es lassen sich in der Literatur zudem Hinweise auf einen Zusammenhang von persönlicher Ausstrahlung und Empathie identifizieren.86 Diese Überlegungen deuten auf eine Wirkung von Empathie auf die Wandlungsfähigkeit einer Führungskraft hin. Diese Annahme wird durch die Untersuchung von Mandell/Pherwani gestützt, die eine signifikante Einflussnahme emotionaler Intelligenz, und
80 81 82 83 84 85
86
Aronson/Wilson/Akert (2004), S. 409f. Goleman (1998), S. 100. Yukl (2006), S. 445. Vgl. z.B. Crawford (2005), S. 8. Vgl. Huy (1999), S. 334f. Vgl. Avolio/Gibbons (1988), S. 296 z.T. rekurrierend auf Bass (1985). Vgl. zur kritischen Diskussion von empathischem Führungsverhalten als Element eines charismatischen Führungsstils Bryman (1992), S. 49. Vgl. Nadler/Tushman (1990), S. 83.
130
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
somit indirekt auch von Empathie, auf die transformationalen Führungsfähigkeiten festgestellt haben.87 Die Erkenntnisse aus der transformationalen Führungstheorie und die Ergebnisse der Inhaltsanalyse führen zu der Vermutung, dass Empathie eine positive Wirkung auf das Vermögen einer Führungskraft besitzt, Wandlungsaufgaben entsprechend der individuellen Kapazitäten der geführten Mitarbeiter zu verteilen. Es lässt sich annehmen, dass empathische Führungskräfte die Fähigkeit besitzen, sich in die wandlungsbezogene Aufgabenbelastung der Mitarbeiter hineinzuversetzen und ein Gespür dafür haben, welche Mitarbeiter überlastet sind oder sich zu viel zumuten und so frühzeitig Anzeichen einer zu hohen Stressbelastung wahrnehmen.88 Indem Führungskräfte die Perspektive der Geführten einnehmen, eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, individuelle anreizoptimale Aufgabenpakete zu schnüren. Darüber hinaus kann die Überlegung aufgestellt werden, dass das Vermögen eines Hineinversetzens in die Gefühle und Standpunkte anderer Organisationsmitglieder eine zentrale Grundlage für ein frühzeitiges Erkennen und adäquates Umgehen mit Mikropolitik in Wandlungsprozessen darstellt sowie die Basis für einen erfolgreichen Zielumsetzungs- bzw. Zieldurchsetzungsprozess liefert. In der Literatur wird nicht nur der Einfluss von Empathie auf die Fähigkeiten und das Handeln von Führungskräften diskutiert, sondern auch dessen Wirkung auf die Motivation und das Engagement von Organisationsmitgliedern. Studien stellen z.B. die Bedeutung von Empathie als Motivator und Lieferant von Energie für ein Engagement in der Unternehmung heraus. Empathie wird hier als Antriebskraft altruistischen Verhaltens angesehen89 und übt indirekt einen wichtigen Einfluss auf das Verpflichtungsempfinden von Führungskräften gegenüber der Unternehmung aus.90 Diese Erkenntnisse führen zu der Überlegung, dass Empathie auch das intentionale Konstrukt Wandlungsbereitschaft beeinflusst und sich somit eine Wirkung auf beide Dimensionen des Wandlungskompetenzkonstrukts ergibt.
87
88
89 90
Mandell/Pherwani (2003), S. 396f. Eine starke Korrelation zwischen emotionaler Intelligenz und transformationaler Führung wurde auch von Gardner/Stough (2002), S. 73 festgestellt. Hinweise, die diese Überlegung stützen, finden sich z.B. bei Huy (1999), S. 335, der bemerkt: „Emotional experiencing also translates into sensitivity to the impact of the timing, pacing and sequencing of the various change actions.” Vgl. Huy (1999), S. 334 rekurrierend auf Salovey/Mayer (1990). Vgl. Abraham (2000), S. 170 und S. 180f., die einen Einfluss von emotionaler Intelligenz, und somit indirekt auch Empathie, auf das Commitment von Führungskräften feststellt.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
131
Die Abbildung 5.4 zeigt abschließend die identifizierten Charakteristika von Empathie: Charakteristika von Empathie
• Einfühlungsvermögen in die Situation von Geführten • Gespür für die Wirkung von Entscheidungen • Fähigkeit zuzuhören • Sensibilität für andere Kulturen und Mentalitäten • Vermögen der Perspektivenübernahme • Teilen von Gefühlen • Zeigen eines kooperativen und taktvollen Führungsverhalten
Abb. 5.4: Charakteristika von Empathie
5.2.4
Prozess- und Fachwissen sowie Kenntnis zentraler Promotoren- und Opponentenstrukturen als Determinanten von Wandlungskompetenz
Die Auswertung der Interviews führt zu der Vermutung, dass neben den identifizierten Persönlichkeitsmerkmalen auch das Wissen einer Führungskraft einen wichtigen Einfluss auf die Wandlungskompetenz besitzt. Die Inhaltsanalyse zeigt, dass das Wissen über die Funktionsweise der Unternehmung und deren zentrale Geschäftsprozesse einen wichtigen Stellenwert in Wandlungsprozessen einnimmt.91 Einerseits ermöglicht es Führungskräften, das Verhalten von Organisationsmitgliedern besser einzuschätzen und etwaige „getarnte“ Befürworter des Wandlungsprozesses, die aus opportunistischen Gründen eine Unterstützungsrolle einnehmen und versuchen, durch gezielte „Einflüsterungen“ ihre eigenen Interessen über die Ziele des Wandlungsprozesses zu stellen, zu demaskieren. Eine Führungskraft merkt in diesem Zusammenhang an: „(…) wenn man das Geschäft nicht so gut kennt, kommen viele auf einen zu, die einem erklären, wie das Geschäft denn läuft (…). Wenn Sie das Geschäft nicht kennen, ist es natürlich extrem schwer, solche politischen Einflüsterungen in geeigneter Weise zu parieren.“92 Andererseits stellt das Wissen über die Funktionsweise der Unternehmung und die wichtigsten Geschäftsprozesse die Grundlage für das Treffen richtiger Entscheidungen in
91 92
Vgl. Interview 3, Absatz 59; Interview 6, Absatz 61; Interview 9, Absatz 25; Interview 12, Absatz 57. Interview 16, Absatz 34.
132
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Wandlungssituationen dar.93 Die Interviews weisen darauf hin, dass nicht nur das allgemeine Prozesswissen94 eine zentrale Rolle einnimmt, sondern insbesondere auch fachbzw. branchenspezifisches Wissen. Von den Gesprächspartnern wurde immer wieder die Bedeutung eines touristischen Fachwissens hervorgehoben, welches insbesondere die Kenntnisse der spezifischen Abläufe des Geschäfts und die entsprechenden Branchenspielregeln umfasst.95 Dieses Fachwissen musste aufgrund der Tatsache, dass die Preussag in ein völlig neues Geschäftsfeld eingetreten ist, erst aufgebaut bzw. versucht werden, vorhandenes touristisches Wissen in den Tochtergesellschaften zu erkennen und zu nutzen. Die Inhaltsanalyse verdeutlicht, dass ein mangelndes touristisches Fachwissen langwierige Entscheidungsprozesse, suboptimale Zielsetzungen und eine ineffiziente Projektarbeit zur Folge haben kann.96 Viele Führungskräfte haben zudem berichtet, dass ihnen Wissen um die Promotoren und Opponenten des durchgeführten Wandlungsprozesses geholfen hat, Barrieren zu umgehen97 und Entscheidungen durchzusetzen oder gewisse Organisationsmitglieder gezielt für spezifische Aufgaben im Wandlungsprozess zu aktivieren.98 Letzteres spiegelt die nachstehende Aussage zur Auswahl geeigneter Promotoren für Wandlungsprozesse wider: „(...) Sie brauchen eben Leute, die sehr weltoffen sind, die sehr wenig politisch sind, die ein sehr starkes Gespür für den Markt haben und Veränderungen am Markt ernst nehmen. Also Leute, die ganz einfach noch nicht allzu festgefahren sind (...) davon gibt es erfahrungsgemäß in Unternehmen immer einige und einige sind eher dann von einem ganz anderen Naturell, nämlich eher sehr starr in dem was sie machen.“99 Führungskräfte benötigen nach Meinung eines Befragten nicht nur das Wissen, welche Mitarbeiter als Promotoren für den Wandlungsprozess gewonnen werden können, sondern
93 94
95
96 97 98 99
Vgl. z.B. Interview 9, Absatz 25. Vgl. zu Prozesswissen auch von Krogh/Venzin (1995), S. 421 und die dort angegebene Literatur. Die Autoren definieren diese Wissenskategorie als Wissen über Abläufe und Zusammenhänge. Vgl. z.B. Interview 1, Absatz 1 und Absatz 53; Interview 2, Absatz 11; Interview 10, Absatz 39; Interview 12, Absatz 23 und 61. Vgl. z.B. Interview 11, Absatz 59. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 71 und Interview 8, Absatz 74. Vgl. z.B. Interview 7, Absatz 25. Interview 13, Absatz 21.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
133
darüber hinaus auch Kenntnis darüber, wie viele dieser Mitarbeiter es erfordert, um eine kritische Masse an Unterstützungsverhalten zu aktivieren.100 In der Literatur wird Wissen als konstitutives Element von Kompetenzen,101 Voraussetzung von Handlungsfähigkeit102 und Grundlage des Treffens „guter“ Entscheidungen103 verstanden. Kirkpatrick/Locke unterstreichen in ihren „Six traits on wich leaders differ from non-leaders“104 die Bedeutung von Wissen und identifizieren nahezu identische Inhalte führungskräftebezogenen Wissens wie in der Inhaltsanalyse und merken an: „Effective Leaders have a high degree of knowledge about the company, industry, and technical matters.“105 Nach Floyd/Wooldridge ist der Bottom-up-Einflussnahmeprozess des mittleren Managements auf Strategieveränderungen vor allem dann besonders erfolgreich, wenn die Führungskräfte umfangreiches Wissen über Kunden, Unternehmungsressourcen und Pläne des Topmanagements besitzen und dieses Wissen in den Einflussnahmeprozess einbringen.106 Wunderer/Bruch fokussieren auf die Bedeutung von Wissen bei der Umsetzung betrieblicher Innovationen und betonen, dass ein derartiger Umsetzungsprozess ohne ein gefestigtes Fachwissen nicht erfolgreich verlaufen kann.107 Die identifizierte Bedeutung des Wissens um Promotoren- und Opponentenstrukturen spiegelt sich auch in der Literatur wider, indem z.B. der Stellenwert der Entwicklung und des bewussten Einsatzes von Unterstützern,108 aber auch der Umgang mit Opponenten109 als erfolgskritische Führungsaufgaben in Wandlungsprozessen herausgestellt werden. Diese Tätigkeiten basieren auf dem Wissen, welche Personen als offensichtliche und potenzielle Promotoren sowie verdeckte und offen agierende Opponenten110 in der Unternehmung allgemein bzw. speziell in Wandlungssituationen gelten. Ein Wissen, das sich nicht nur auf die Kenntnis der jeweiligen Organisationsmitglieder bezieht, sondern zudem deren
100 101
102
103 104 105 106 107 108 109 110
Vgl. Interview 10, Absatz 33 und 35. Vgl. Roos/von Krogh (1992), S. 425 sowie von Krogh/Roos (1995), S. 62, die betonen, dass Kompetenzen sowohl einen wissens- als auch aufgabenspezifischen Charakter besitzen und nur dann von einer Kompetenz gesprochen werden kann, wenn ein Fit zwischen Wissen und Aufgaben besteht. Vgl. z.B. Loasby (1998), S. 2ff. sowie Steinle (1975), S. 64f., der Metawissen im Sinne von Wissen über die richtige Verhaltensantwort als eine der zentralen Determinanten von individueller Funktionstüchtigkeit definiert. Vgl. Talaulicar (2004), Sp. 1642. Kirkpatrick/Locke (1991), S. 49. Kirkpatrick/Locke (1991), S. 55. Vgl. auch Kotter (1982), S. 39. Vgl. Floyd/Wooldridge (1997), S. 470f. Wunderer/Bruch (2000), S. 324. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 642; Steinle/Krummaker/Glaschak (2003), S. 419ff. Vgl. Bach (2002), S. 175ff. Vgl. Bach (2002), S. 176f.
134
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Bedürfnisse und Wissen umfasst, gilt als wichtige Einflussgröße auf die transformationale Führungsfähigkeit „individuelle Behandlung“, welche wiederum eine wichtige Voraussetzung für die individuelle Aktivierung von Promotorenpotenzial bzw. der Abschwächung von Opponentenverhalten darstellt. Die Hinweise aus der Inhaltsanalyse und Überlegungen in der Literatur deuten darauf hin, dass Wissen einen zentralen Einfluss auf die Wandlungsfähigkeit von Führungskräften besitzt. Eine schwach ausgeprägte oder wandlungsaufgaben-inadäquate Wissensbasis kann zur Folge haben, dass bestimmte Fähigkeiten nicht oder nur in abgeschwächter Form zur Anwendung gelangen. Mangelnde Kenntnisse über Promotoren und Opponenten können z.B. dazu führen, dass wichtige Entscheidungen verzögert getroffen werden oder sich nicht durchsetzen lassen, was den Zieldurchsetzungsprozess erheblich erschwert.111 Zudem kann angenommen werden, dass sich fehlendes Wissen negativ auf die Kommunikationsfähigkeit und das Führen durch Vorbildfunktion von Führungskräften auswirkt. In der Literatur finden sich keine direkten Hinweise zur Einflussnahme von Wissen auf die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften. Allerdings zeigen sich indirekte Anhaltspunkte auf einen Zusammenhang beider Konstrukte in den Ausführungen zu mentalen Modellen, welche sich als „(…) subjektive Wissensgefüge über komplexe Sachverhalte (…)“112 verstehen lassen. Ihnen wird zugesprochen, auf die Herausbildung von Akzeptanz positiven Einfluss zu nehmen.113 Es wird argumentiert, dass positive Erfahrungen mit Wandlungssituationen die Akzeptanz des durchgeführten Wandels erhöhen. Da sich Wissen u.a. aus Erfahrungen zusammensetzt – z.B. Erfahrungen im Umgang mit Opponenten oder bestimmten Prozessabläufen – lässt sich eine ähnliche Wirkung auf die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften vermuten. Es kann z.B. angenommen werden, dass ein umfängliches Wissen über die zentralen Geschäftsprozesse und Branchenstrukturen sowie die Kenntnis der Unterstützer und Blockierer dazu beiträgt, dass Führungskräfte eine positive unterstützende Haltung gegenüber Wandlungsprozessen aufbauen, die in einem Veränderungsdrang resultiert und einer Ver-
111
112 113
Vgl. z.B. Interview 3, Absatz 59, in welchem darauf hingewiesen wird, dass Mitarbeiter eher gewillt sind, einen Wandlungsprozess zu unterstützen, wenn sie erkennen, dass die wandlungsbezogenen Entscheidungen von Führungskräften auf fundiertem Wissen über die Unternehmung und seine Prozesse basieren. Fröhlich (2002), S. 475. Vgl. hierzu und im Folgenden Bach (2002), S. 173 rekurrierend auf Wiendieck (1992), Sp. 91, der Akzeptanz als aktive Handlungsbereitschaft bezeichnet.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
135
harrung in „comfort zones“ entgegenwirkt. Denkbar ist aber auch, dass hiervon ein positiver Einfluss auf die Entschlossenheit und Zielorientierung von Führungskräften in Wandlungssituationen ausgeht. Folglich kann die Annahme aufgestellt werden, dass das Wissen einer Führungskraft neben der Wandlungsfähigkeit auch die Wandlungsbereitschaft und somit das Zielkonstrukt Wandlungskompetenz beeinflusst. Die folgende Abbildung fasst die identifizierten Kerninhalte eines wandlungsbezogenen Wissens von Führungskräften zusammen (vgl. Abb. 5.5): Kerninhalte wandlungsbezogenen Wissens von Führungskräften
• Kenntnis von Promotoren- und
Opponentenstrukturen in der Unternehmung
• Wissen über die notwendige kritische Masse an
Unterstützungsverhalten für Wandlungssituationen
• Sehr gute Kenntnisse der Funktionsweise der Unternehmung und ihrer zentralen Geschäftsprozesse
• Hohes Fach- und Branchenwissen Abb. 5.5: Kerninhalte wandlungsbezogenen Wissens von Führungskräften
Die in Kapitel 5.3 aufgestellten Vermutungen zur Zusammensetzung des Konstrukts Kompetenzpotenziale und dessen Wirkung auf die Wandlungskompetenz einer Führungskraft lassen sich in den nachstehenden beiden Hypothesen abbilden: Hypothese 3a:
Das Konstrukt wandlungsbezogene Kompetenzpotenziale von Führungskräften setzt sich aus den vier Dimensionen „Proaktivität“, „Ausdauer“, „Empathie“ und „Wissen“ zusammen.
Hypothese 3b: Wandlungsbezogene Kompetenzpotenziale haben einen positiven Einfluss auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften.
136
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
5.3
Der wahrgenommene Wandlungskontext als zentrale Determinante der Wandlungskompetenz von Führungskräften
5.3.1
Inhaltsbereiche eines stimulierenden Wandlungskontexts sowie vermutete Wirkbeziehungen: Eine Übersicht
Der Analyse des Wandlungskontexts lag das in Abschnitt 3.3.3 entwickelt Verständnis zugrunde, dass sich der relevante wandlungsbezogene Kontext als derjenige Ausschnittsbereich der Umwelt verstehen lässt, der von einem Individuum in einem individuellen Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess als persönlich bedeutend eingeschätzt worden ist und von dem handlungsanreizende Impulse ausgehen. Bei der Analyse möglicher Aspekte eines wandlungsrelevanten Kontexts kristallisierte sich heraus, dass insbesondere vom Wandlungsobjekt, im Sinne des Gegenstandsfelds organisationaler Veränderungen,114 und der verspürten Führungskräfteunterstützung zentrale Anreize in Wandlungssituationen ausgehen. Die verfeinerte Analyse dieser beiden als Subkategorien zu verstehenden Kontextfelder zeigte, dass sich die Stimuli des Wandlungsobjekts weiter differenzieren lassen in den empfundenen Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts des Wandels und den eingeschätzten Nutzen des Wandels für die Unternehmung. Die aus der Führungskräfteunterstützung resultierenden Anreize können unterschieden werden in Stimuli, die von einer wahrgenommenen Unterstützung des direkten Vorgesetzten und des Topmanagements ausgehen. Die Analyse der Wirkbeziehung orientierte sich an den in Kapitel 3 diskutierten möglichen Einflussnahmebereichen des Kontexts auf Kompetenzen. Basierend auf den Ausführungen in der Literatur wurden die nachstehenden Überlegungen zu möglichen Wirkeinflüssen aufgestellt: (1) der Wandlungskontext wirkt als Moderator auf die Wirkbeziehung zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz, (2) der Wandlungskontext besitzt einen direkten Einfluss auf die Wandlungskompetenz, (3) der Wandlungskontext besitzt neben dem moderierenden auch einen direkten Einfluss auf die Wandlungskompetenz. Wie bereits einleitend erwähnt, stellten diese Vorüberlegungen allerdings keine strikten Suchrichtungen bei der Datenauswertung dar. Die Abbildung 5.6 verdeutlicht die Analyseorientierung bei der Eruierung möglicher kontextueller Wirkbeziehungen: 114
Vgl. zur Bestimmung von Wandlungsobjekten die Ordnungsperspektiven bei Steinle (2005), S. 699ff.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Wandlungskontext
(2) (3)
137
Wandlungskompetenz
Wandlungsbereitschaft
(1) (3) Wandlungsfähigkeit Kompetenzpotenziale
Abb. 5.6: Einflussnahmemöglichkeiten des wahrgenommen Wandlungskontexts
Ein möglicher Hinweis auf einen Moderationseffekt wäre z.B. eine Abschwächung oder Erhöhung der Wirkung von Proaktivität auf die Wandlungsbereitschaft aufgrund des Einflusses einer bestimmten Kontextgröße, wie z.B. die empfundene Unterstützung durch das Topmanagement. Aus diesem Grund wurden noch einmal alle Textpassagen zu Proaktivität, Ausdauer, Empathie und Wissen analysiert, um festzustellen, ob sich hier Anzeichen für eine kontextuelle Beeinflussung erkennen lassen. Die Analyse der Wirkbeziehungen zeigte zwar, wie in den nachfolgenden Abschnitten dargestellt, Hinweise auf eine direkte Einflussnahme des Wandlungskontexts auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften. Überraschenderweise ließen sich in den Interviews allerdings keine Anhaltspunkte zu dem vermuteten Moderationseffekt finden.
5.3.2
Anreizwirkung des Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts von Wandlungsobjekten
Die Inhaltsanalyse lässt erkennen, dass Führungskräfte insbesondere dann einen Anreiz durch die Wandlungssituation verspüren, wenn sie den Eindruck haben, an etwas herausforderndem Neuen mitzuwirken,115 das ihnen ermöglicht, den persönlichen Horizont zu
115
Vgl. z.B. Interview 11, Absatz 53.
138
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
erweitern116 und Routinearbeiten um neue „spannende“ Aufgabeninhalte,117 wie z.B. internationale Projektarbeit,118 zu ergänzen. Dies verdeutlichen exemplarisch Aussagen, wie: „(…) das war eins meiner schönsten Projekte, weil das war wirklich Neuland.“119 „Also, wichtig für mich war, endlich mal was Neues machen zu können. (…) es kam natürlich hinzu bei Apollo, dass es ein internationales Projekt ist, das hat ja immer einen eigenen Charme, mit neuen Erfahrungen, das war natürlich sehr, sehr toll oder ist ja auch noch toll (…) ein Stückchen Mitgestaltung von Zukunft, aktiv Mitgestalten der Zukunft.“120 Die Ausführungen einer anderen Führungskraft zum persönlichen Antrieb im Wandlungsprozess legt die Vermutung nahe, dass durch den Stimulus des Neuartigkeitsgehalts wandlungsbezogener Tätigkeiten eine langfristige motivatorische Wirkung entfacht werden kann, welche es ermöglicht, die Wandlungsbereitschaft gegen lange Durststrecken und Enttäuschungen im Wandlungsprozess abzusichern.121 Ein Vergleich der Aussagen aus der Studie zum Anreizgehalt von Wandlungsobjekten mit dem Diskussionsstand in der Literatur zeigt, dass hier weniger von einer positiven Wirkung ausgegangen wird, sondern, wie im Abschnitt 2.3.2.1 skizziert, dass Organisationsmitglieder Neuerungen in der Regel als Bedrohungen des Status quo ansehen und hieraus ein Stressempfinden resultiert, welches zu Widerständen gegenüber dem betreffenden Wandlungsprozess führt.122 Diese vermutete generelle Ablehnungshaltung blendet allerdings die Diskussion in der Literatur zur Anreizwirkung der Arbeitsgestaltung auf die Motivation von Mitarbeitern aus.123 Hier wird argumentiert, dass komplexe und herausfordernde Tätigkeiten einen starken Motivationsimpuls liefern: „When jobs are complex and
116 117 118 119 120 121 122
123
Vgl. z.B. Interview 15, Absatz 64. Vgl. z.B. Interview 12, Absatz 35. Vgl. z.B. Interview 2, Absatz 37. Interview 6, Absatz 11. Interview 8, Absatz 55. Vgl. hierzu Interview 1, Absatz 31, Absatz 33, Absatz 46 und Absatz 47. Ein Beispiel von vielen ist die Studie von Wanberg/Banas, in welcher die Teilhypothese formuliert wird, dass die Offenheit gegenüber organisationalem Wandel mit dem Grad der individuellen Betroffenheit abnimmt. Überlegungen, dass Organisationsmitglieder ihre persönliche Betroffenheit auch positiv wahrnehmen können, werden nicht vorgenommen – vgl. Wanberg/Banas (2000), S. 134 z.T. bezugnehmend auf Ashford (1988). Bei der Hypothesenüberprüfung wurde allerdings festgestellt, dass die persönliche Betroffenheit keinen signifikanten Einfluss auf die Offenheit gegenüber Wandel nimmt. Anzumerken ist hierbei allerdings, dass dieses Teilkonstrukt lediglich anhand eines sehr allgemein gehaltenen Items gemessen worden ist – vgl. hierzu Wanberg/Banas (2000), S. 136 sowie den Appendix auf S. 142. Vgl. hierzu exemplarisch Hackman/Oldham (1980), S. 69ff.; Steinle (1978), S. 68ff.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
139
challenging, individuals are likely to be excited about their work activities (…).”124 Insbesondere in Wandlungssituationen kann davon ausgegangen werden, dass Wandlungsaufgaben eine horizontale und vertikale Erweiterung des Tätigkeitsspektrums von Führungskräften zur Folge haben125 und dadurch die beschriebene motivationsförderliche Herausforderung und Komplexität erzeugen. Holt/Armenakis/Feild/Harris beziehen sich in ihrer Untersuchung zwar nicht explizit auf die Überlegungen zur Arbeitsgestaltung, sondern betrachten die Anreizwirkung des Neuartigkeitsgehalts von Wandlungsobjekten aus der Perspektive der individuell verspürten Valenz.126 Die Autoren argumentieren, dass die Interpretation unterschiedlicher sogenannter Wandlungsthemen die Entstehung von Wandlungsbereitschaft determiniert. Eines dieser Themen stellt die persönliche Valenz des Wandlungsobjektes dar, welche die Autoren als Einschätzung „(…) that the change will benefit the employee personally“127 charakterisieren. Bei Holt/Armenakis/Feild/Harris stehen zwar vielmehr Aspekte der persönlichen Vorteilsnahme aus der Wandlungssituation, wie z.B. Arbeitserleichterungen oder die Verbesserung der persönlichen Situation128 im Fokus der Betrachtung und weniger der Stimulus des Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts von Wandlungsobjekten, allerdings unterstreichen die Überlegungen der Autoren die Vermutung, dass sich nicht von einer generellen Ablehnungshaltung gegenüber organisationalem Wandel ausgehen lässt. Vielmehr wird der Wandlungsanreiz in einem differenzierten Interpretationsprozess auf den individuellen Aufforderungsgehalt geprüft und darauf aufbauend eine bestimmte Reaktion ausgewählt. In der Inhaltsanalyse zeigen sich auch einige Hinweise darauf, dass von Wandlungsobjekten Stress bzw. Gefühle der Überlastung ausgehen können. Es deutet sich allerdings an, dass die Ursache hierfür weniger im Neuartigkeitscharakter wandlungsbezogener Aufgaben liegt, sondern vielmehr im Eindruck, einer zu hohen Wandlungsdichte ausgesetzt zu
124 125
126 127 128
Oldham/Cummings (1996), S. 610. Vgl. zu diesen in der Literatur auch als „Job Enlargement“ und „Job Enrichment“ bezeichneten Erweiterungen des Tätigkeitsspektrums Rosenstiel (2003), S. 107. Vgl. hierzu und im Folgenden Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 4f. Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 8. Vgl. hierzu die unterschiedlichen Items der Messskala „personal valence“ im Appendix, Tabelle 3 bei Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 33.
140
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
sein.129 Hieraus resultiert z.B. das Empfinden, nicht in der Lage zu sein, die Vielzahl unterschiedlicher Wandlungsaktivitäten bewältigen zu können.130 Insgesamt überwiegen in den Interviews allerdings die Aussagen zu positiven Anreizimpulsen des Neuartigkeitsgehalts von Wandlungsobjekten, so dass sich, zumindest für die durchgeführte Fallstudie und die Fokusgruppe der Führungskräfte, die in der Literatur dominierende Ansicht der generellen Ablehnungshaltung gegenüber organisationalen Neuerungen deutlich abschwächen lässt. Die Inhaltsanalyse und Überlegungen aus der Literatur liefern somit klare Anzeichen für eine mögliche Einflussnahme des wahrgenommenen Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts auf die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften. Darüber hinaus deuten die Interviews implizit auf eine etwaige Wirkung dieser Anreize auf die Wandlungsfähigkeit hin. Hierauf weisen z.B. Aussagen zu einem ausgeprägten Kommunikationsverhalten131 oder visionärem Denken und Handeln132 in als besonders innovativ eingeschätzten Wandlungsprojekten hin. Zudem zeigen sich Hinweise in den Interviews, dass Führungskräfte, die ein Wandlungsprojekt als besonders spannend empfinden, versuchen, diesen Eindruck über ihr Führungsverhalten, z.B. mit Hilfe eines hohen Durchsetzungsvermögens133 oder einem ausgeprägten Vorleben der notwendigen bzw. erwünschten Verhaltensweisen,134 auf die geführten Mitarbeiter zu übertragen.
5.3.3
Der empfundene Wandlungsnutzen für die Unternehmung als individueller Anreizimpuls
Die Auswertung der Interviews lässt erkennen, dass Wandlungsobjekte nicht nur dann eine Anreizwirkung entfalten, wenn Führungskräfte für sich selbst einen positiven Stimulus im Sinne eines individuellen Nutzens empfinden, sondern auch dann, wenn sie eine positive Bedeutung des Wandels für die Unternehmung vermuten. Die nachfolgenden beiden Interviewpassagen geben die Antworten von zwei Führungskräften auf die Frage des individuellen Antriebs im Wandlungsprozess wieder. „Weil ich von der Strategie insgesamt überzeugt war und mit der Möglichkeit der Investitionen, gegeben durch eine Preussag, auf einmal die Touristik in einer neu129 130 131 132 133 134
Vgl. z.B. Interview 9, Absatz 53. Vgl. Interview 1, Absatz 46. Vgl. z.B. Interview 2, Absatz 61. Vgl. z.B. Interview 3, Absatz 75. Vgl. Interview 15, Absatz 31ff. Vgl. Interview 1, Absatz 55ff. und Absatz 78.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
141
en Liga gespielt hat und man über Akquisitionen nachdenken konnte, die in einer alten TUI nicht möglich gewesen wären. Und das war ein Anreiz, das zu machen.“135 „Die klare Erkenntnis, dass wir so nicht überleben werden. Dass wir nicht in der Lage wären, in einem Markt der Überkapazitäten als Veranstalter überhaupt zu überleben. (…) das ist eigentlich die Dimension, die mich da treibt, persönlich treibt.“136 Es lässt sich erkennen, dass eine Anreizwirkung des Wandlungsobjekts hier in der eingeschätzten Chance liegt, durch ein (pro)aktives Engagement für den Wandel die Stellung der Unternehmung am Markt zu verbessern oder eine bestehende bzw. sich abzeichnende Krise abzuwenden. Diese Aussagen reflektieren die Überlegungen in der Literatur zur Entstehung von reaktivem und proaktivem Wandel137 und der damit verbundenen Diskussion, ob die Initialisierung und/oder Unterstützung von Wandlungsprozessen einer wahrgenommenen Krisensituation bedarf oder ob auch von der antizipativen Wahrnehmung einer Einflussnahmemöglichkeit auf die Entwicklung der Unternehmung Anreizwirkungen ausgehen können.138 Dem eigentlichen Antrieb geht in beiden Fällen eine Bewertung des Wandlungsnutzens für die Unternehmung voraus. Die angeführten Interviewextrakte zeigen, dass bei einer positiven Nutzeneinschätzung eine positive Anreizwirkung induziert werden kann, welche in einem nächsten Schritt die Wandlungsbereitschaft der Führungskräfte stimuliert. Kommt dieser Bewertungsprozess hingegen zu dem Ergebnis, dass durch das Wandlungsobjekt kein oder zu wenig Nutzen gestiftet wird, entsteht oftmals eine negative Stimulanz im Sinne einer abwartenden, ablehnenden oder blockierenden Haltung.139 Eine Führungskraft berichtet z.B. über die Durchführung eines Integrationsprojekts bei einer Konzerntochter, bei welchem aufgrund eines nicht erkannten bzw. negativ eingeschätzten Wandlungsnutzens auch von den verantwortlichen Führungsebenen Widerstände ausgingen:
135 136 137
138
139
Interview 14, Absatz 25. Interview 13, Absatz 45. Vgl. z.B. Nadler/Tushman (1995), S. 23ff. und die Ausführungen zur Initialisierung von Wandlungsprozessen in Abschnitt 2.2.3.2. Vgl. hierzu z.B. das in Kapitel 2 kurz skizzierte Lebenszyklusmodell von Greiner (1972) und das Modell des unterbrochenen Gleichgewichts von Tushman/Romanelli (1985). Vgl. Interview 6, Absatz 25; Interview 8, Absatz 45.
142
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
„There was not much benefit to be gained and in some cases (…) it was even a negative business case. So it cost more than it produced in benefit. So it was never popular. It was very, very difficult to get the business case accepted.”140 Hinweise zu diesen festgestellten Anreizwirkungen von Wandlungsobjekten finden sich ebenfalls in der bereits zuvor zitieren Untersuchung von Holt/Armenakis/Feild/Harris.141 Die Autoren identifizieren mit „organizational valence“ und „discrepancy“ zwei weitere Wandlungsthemen, die einen Einfluss auf die Entstehung von Wandlungsbereitschaft nehmen. Die von den Organisationsmitgliedern verspürte organisationale Valenz des Wandels wird definiert als „(…) extent to which one feels that the organization will or will not [Hervorhebungen im Original] benefit from the implementation of the prospective change.“142 Sie reflektiert z.B. die Einschätzung der Zieladäquanz durchzuführender Veränderungen oder Vermutungen über aus dem Wandlungsprozess resultierenden Effizienzsteigerungen. Discrepancy hingegen spiegelt die Einschätzung der Organisationsmitglieder über die Eignung des Wandlungsobjekts wider, eine wahrgenommene Lücke zwischen der Organisation und ihrer Umwelt zu schließen. Holt/Armenakis/Feild/Harris definieren diesen Begriff als „(…) extent to which one feels that there are or are not [Hervorhebungen im Original] legitimate reasons and needs for the prospective change.“143 Die Autoren fassen nach einer Faktorenanalyse beide Wandlungsthemen unter dem Oberbegriff „appropriateness“ zusammen, der sich als Angemessenheit übersetzen lässt und sowohl die eingeschätzte Notwendigkeit eines Wandels als auch die vermutete Eignung des Wandlungsprojekts zur Lösung eines spezifischen Problems ausdrücken soll. Da diese beiden Bewertungen eine Nutzeneinschätzung ausdrücken, wird diese Art der Anreizwirkung nachfolgend als Stimulus des eingeschätzten Nutzens eines Wandlungsobjektes für die Unternehmung bezeichnet. Es lassen sich in den Interviews und der Literatur, ähnlich wie bei der Anreizwirkung des Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalts organisationaler Veränderungen, deutliche Hinweise auf eine mögliche Wirkbeziehung zwischen dem eingeschätzten Wandlungsnutzen und der Wandlungsbereitschaft von Führungskräften feststellen. Eine etwaige Einflussnahme auf die Wandlungsfähigkeit hingegen deutet sich wiederum eher indirekt an, 140 141 142 143
Interview 3, Absatz 59. Vgl. hierzu und im Folgenden Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004) S. 8. Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 32. Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 31.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
143
z.B. über Aussagen zu einem harten Durchsetzen von Entscheidungen aufgrund der erkannten Notwendigkeit des Wandels.144 Letztendlich liefern auch die Hinweise in den Interviews zur Überzeugung des Topmanagements vom Wandlungsnutzen145 und den hieraus resultierenden Führungsaktivitäten146 Anhaltspunkte auf eine Determinierung der Wandlungsfähigkeit. Diese Anzeichen führen zu der Vermutung, dass ein wahrgenommener Wandlungsnutzen sowohl die Wandlungsbereitschaft als auch die Wandlungsfähigkeit determiniert und sich somit von einer Einflussnahme auf das Zielkonstrukt Wandlungskompetenz von Führungskräften ausgehen lässt. Die Überlegungen zu den Aspekten eines stimulierenden Wandlungsobjekts lassen sich in der folgenden Hypothese zusammenfassen: Hypothese 4a:
Die Anreizwirkung des Wandlungsobjekts setzt sich aus den beiden Teildimensionen „Verspürte Neuartigkeit und persönliche Herausforderung“ und „Eingeschätzter Nutzen des Wandels für die Unternehmung“ zusammen.
5.3.4
Wahrgenommene Führungskräfteunterstützung: Einflussnahme des Führungsverhaltens von Vorgesetzten auf die Wandlungskompetenz
In der Inhaltsanalyse finden sich Hinweise, dass nicht nur vom Wandlungsobjekt eine zentrale Anreizwirkung auf die Wandlungskompetenz ausgeht, sondern zudem vom wahrgenommenen Unterstützungsverhalten hierarchisch höher gestellter Führungskräfte. Es deutet sich an, dass dieser Stimulus noch weiter differenziert werden kann, einerseits in einen Anreiz, welcher von der empfunden Unterstützung des direkten Vorgesetzen147 und andererseits von der des Topmanagements ausgeht.148 Eine Führungskraft wies z.B. darauf hin, dass Wandlungsbereitschaft im mittleren Management nur dann entstehen kann, wenn eine starke Unterstützung durch das Topmanagement verspürt wird:
144 145 146
147 148
Vgl. Interview 13, Absatz 32ff. und Absatz 57. Vgl. z.B. Interview 9, Absatz 17; Interview 10, Absatz 21. Vgl. exemplarisch Interview 4, Absatz 32; Interview 5, Absatz 15 und Absatz 47; Interview 16, Absatz 26. Vgl. z.B. Interview 1, Absatz 41. Vgl. z.B. Interview 8, Absatz 41.
144
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
„I mean the people who drive change, I say, are middle to senior manager …, however, they can not do it successfully unless they have strong support from above, strong and visible support from above.”149 Es ist erkennbar, dass von einer empfundenen starken Verpflichtung des Topmanagements gegenüber dem durchgeführten Wandlungsprozess und einer klar kommunizierten Wandlungsvision zentrale Unterstützungssignale ausgehen, welche die Führungskräfte als wichtiges Zeichen dafür interpretieren, dass sie mit ihrer eigenen Unterstützung des Wandlungsprozesses nicht alleine gelassen werden und sich mit ihren Wandlungsaktivitäten auf dem richtigen Weg befinden. Dies spiegelt z.B. die nachstehende Aussage wider: „(…) wenn ich das jetzt mal aus der Managementebene betrachte, dann hat Herr Frenzel da selber schon eine ganz, ganz wesentliche Rolle gespielt, indem er auch uns gegenüber immer sehr klar sein Commitment zur Touristik und zum Tourismus bekundet hat und ganz klar gesagt hat, Ihr seid meine Zukunft und mit Euch gestalte ich die neue Preussag-Welt.“150 Die Unterstützung durch das Topmanagement wird von den Führungskräften aufgrund mangelnder unmittelbarer Kontakte oftmals nur indirekt über z.B. bestimmte Publikationen im Intranet oder öffentliche Auftritte wahrgenommen. Dahingegen stellt die individuelle Einschätzung des Unterstützungsverhaltens von direkten Vorgesetzten eine Bewertung der unmittelbar in der Dyade oder in der Gruppe verspürten Hilfeleistungen oder des Hilfsangebots im Wandlungsprozess dar. Die Inhaltsanalyse zeigt, dass hier insbesondere Vertrauen151 und das Gefühl, Rückendeckung zu bekommen,152 motivationssteigernd wirken. Insbesondere die Wahrnehmung einer Rückendeckung wird von einer Führungskraft als zentrale Motivationsquelle angeführt: „Like for example you all working very hard on this integration project and then you realize that half of the people don’t know what that is and the other half of the people laugh at you. Eventually you feel isolated and then obviously reduce the motivation, because if you are a front line warrior, you need to know two things,
149 150 151 152
Interview 3, Absatz 63. Interview 16, Absatz 26. Vgl. z.B. Interview 15, Absatz 17. Vgl. z.B. Interview 13, Absatz 13.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
145
you need to know that there is a backline, that is going to support you, and you need to know that you are considered a hero back home – to make an analogy.”153 In der Literatur lassen sich zwar einige Veröffentlichungen zum Einfluss einer empfundenen Führungskräfteunterstützung auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern identifizieren,154 allerdings ist hier die Betrachtung nicht primär auf die verspürte Unterstützungswahrnehmung von Führungskräften in organisationalen Wandlungssituationen gerichtet. Zudem wird oftmals auch nicht explizit das Unterstützungsverhalten des Topmanagements fokussiert,155 sondern vielmehr das des direkten Vorgesetzten.156 Cole/Bruch/ Vogel definieren die Wahrnehmung eines unterstützenden Führungskräfteverhaltens als „(…) the degree to which employees form general impressions that their superiors appreciate their contributions, are supportive, and care about their subordinates’ well-being.“157 Untersuchungen zeigen, dass ein derartiges Verhalten z.B. die Initiative von Geführten steigert und deren Kreativität am Arbeitsplatz erhöht158 sowie Einfluss auf die Emotionen von Geführten nimmt.159 Bruch stellt in ihrer Untersuchung zum Handeln von Führungskräften die Überlegung auf, dass das Führungsverhalten des Topmanagements die Zielsetzung und das Streben von Führungskräften, etwas zu erreichen, beeinflusst.160 Hieraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass eine wahrgenommene Führungsunterstützung einen positiven Effekt auf die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften besitzt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Interviews einen deutlichen Einfluss der wahrgenommenen Führungskräfteunterstützung auf die Wandlungsbereitschaft erkennen lassen. Wirkungen auf die Wandlungsfähigkeit deuten sich insbesondere im ersten dargestellten Interviewextrakt an, in welchem betont worden ist, dass Führungskräfte ohne eine sichtbare Unterstützung hierarchisch übergeordneter Führungskräfte nicht effizient im Wandlungsprozess agieren können. Abschließend lassen sich für die vermuteten zentralen wandlungskontextbezogenen Annahmen die folgenden Hypothesen aufstellen: 153 154 155
156 157 158 159 160
Interview 1, Absatz 41. Vgl. zur Übersicht insbesondere Oldham/Cummings (1996), S. 611f. und die dort zitierte Literatur. Vgl. Bruch (2003), S. 187, die betont, dass ihr keine Studie bekannt ist, welche das Unterstützungsverhalten des Topmanagements in inkrementellen Wandlungsprozessen untersucht. Vgl. Amabile et al. (1996), S. 1160. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 466 rekurrierend auf Eisenberger et al. (2002), S. 565. Vgl. Oldham/Cummings (1996), S. 611 sowie Amabile et al. (1996), S. 1160 und S. 1172. Vgl. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 8 sowie S. 23. Vgl. Bruch (2003), S. 187.
146
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Hypothese 4b: Das Konstrukt „Führungskräfteunterstützung“ setzt sich aus den beiden Dimensionen „Unterstützung durch das Topmanagement“ und „Unterstützung durch die direkt vorgesetzte Führungskraft“ zusammen. Hypothese 4c:
Der wahrgenommene Wandlungskontext setzt sich aus den beiden Teilkonstrukten „Wandlungsobjekt“ und „Führungskräfteunterstützung“ zusammen.
Hypothese 4d: Der wahrgenommene Wandlungskontext hat einen positiven Einfluss auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften.
5.4
Die individuelle Einstellung einer Führungskraft gegenüber organisationalem Wandel als Mediator
5.4.1
Wandlungseinstellung von Führungskräften: Darstellung vermuteter Konstruktdimensionen und Wirkbeziehungen
Die offene Grundhaltung während der Datenauswertung führte dazu, dass bei der Analyse der Einflussgrößen der Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften nicht nur die dargestellten Kompetenzpotenziale und Kontextgrößen aufgefallen sind, sondern sich weitere mögliche Determinanten herauskristallisiert haben. Die Inhaltsanalyse zeigte immer wieder die Schilderung bestimmter kognitiver Eindrücke bzw. mentaler Haltungen gegenüber Wandlungssituationen und einer daraus resultierenden Anreizwirkung auf das Engagement und die Anwendung bestimmter Fähigkeiten. Zudem ließ sich erkennen, dass Wandlungsprozesse zur Entstehung unterschiedlicher Emotionen beitragen können, die ebenfalls einen Impuls auf die Bereitschaft und Fähigkeiten von Führungskräften ausüben. Der weitere Analyseverlauf führte zu der Vermutung, dass insbesondere von den vier kognitiven Eindrücken wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung und Einflussmöglichkeit auf die Wandlungssituation sowie persönliche Bedeutung des Wandlungsprozesses eine Wirkung auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit ausgeht. Zudem wurde deutlich, dass sich die identifizierten wandlungsbezogenen Gefühle der Führungskräfte in positive Emotionen, wie z.B. Freude und Enthusiasmus, und negative Emotionen, wie z.B. Angst und Frustration, unterscheiden lassen. In den nachfolgenden Ab-
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
147
schnitten werden die Ergebnisse der inhaltsanalytischen Betrachtung dieser Eindrücke und Emotionen beschrieben und die festgestellten möglichen Einflussnahmen auf das Konstrukt Wandlungskompetenz dargestellt. Die Analyse möglicher Wirkbeziehungen lieferte auch Hinweise darauf, wie derartige kognitive Zustände und Gefühle entstehen und welchen Stellenwert sie in einem Erklärungsmodell zur Wandlungskompetenz von Führungskräften einnehmen können. Wie die nachfolgenden Abschnitte zeigen, deuten die Interviews darauf hin, dass sich diese Zustände als Ergebnisse mehrstufiger iterativer Bewertungsprozesse verstehen lassen, in die Kontextfaktoren und Kompetenzpotenziale einbezogen sind. Hier kann z.B. eine Art Prüfung erfolgen, ob für den verspürten Wandlungsanreiz durch den Neuartigkeitsgehalt eines Wandlungsprojekts auch genügend Wissen und Ausdauerreserven zur Verfügung stehen, um eine erfolgreiche Handlung aufzunehmen. Das Ergebnis dieser Bewertungsprozesse stellen wandlungsbezogene kognitive und emotionale Zustände dar, von denen Einflüsse auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit ausgehen. Diese beiden Phänomene deuten auf eine sehr starke Nähe zu dem in Abschnitt 3.3.1.1 diskutierten Einstellungskonstrukt hin, welches sich als kognitiv und emotional geprägte Haltung gegenüber einem bestimmten Objekt verstehen lässt. Eine Übertragung dieser Überlegung auf den Untersuchungskontext führt zu der Annahme, dass eine derartige Wandlungseinstellung als Mediator zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz sowie zwischen wahrgenommenem Wandlungskontext und Wandlungskompetenz agiert.161 Die Wandlungseinstellung kann entweder die gesamte Anreizwirkung des Kontexts und/oder der Kompetenzpotenziale auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit (totale Mediation) oder einen Teil der Einflussnahme (partielle Mediation) vermitteln.162 Im Fall einer totalen Mediation zeigt sich somit keine direkte Wirkung des wandlungsrelevanten Kontexts und/oder der Kompetenzpotenziale auf Wandlungskompetenz. Dies bedeutet, dass ohne eine spezifische Wandlungseinstellung kontextuelle Anreize nicht kompetenzwirksam werden und/oder die Verhaltensneigung einer Führungskraft keinen Einfluss auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit nimmt. Bei einer partiel161
162
Von einem Mediator wird gesprochen, wenn eine unabhängige Variable nicht direkt, sondern vermittelt über eine dritte Variable (Mediatorvariable) auf die abhängige Variable wirkt. Vgl. hierzu Bortz/Döring (2003), S. 6f. Vgl. hierzu und im Folgenden Hair et al. (2006), S. 866f.
148
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
len Mediation geht neben der vermittelten Wirkung zudem ein direkter Einfluss auf das Wandlungskompetenzkonstrukt aus. Es wäre demnach auch ohne das Vorhandensein einer Wandlungseinstellung eine Einflussnahme von Kompetenzpotenzialen und/oder des Wandlungskontexts festzustellen. Da sich, wie in den Abschnitten 5.2 und 5.3 dargestellt, unterschiedliche Hinweise auf eine direkte Wirkbeziehung von Kompetenzpotenzialen und Kontextfaktoren gezeigt haben, kann vermutet werden, dass zumindest ein Teil dieses Einflusses unvermittelt auf das Wandlungskompetenzkonstrukt wirkt und somit nur eine partielle Mediation stattfindet. Die nachstehende Abbildung 5.7 verdeutlicht die dargestellten Überlegungen:
Hypothese 4d (direkte Wirkbeziehung)
Wandlungskontext
Wandlungseinstellung Mediation
Mediation
Wandlungsbereitschaft
Mediation
Wandlungsfähigkeit
Kognitive Dimension
Mediation
Kompetenzpotenziale
Wandlungskompetenz
Emotionale Dimension Hypothese 3b (direkte Wirkbeziehung)
Abb. 5.7: Vermutete Mediationsbeziehungen in der Übersicht
In den nachfolgenden Abschnitten werden die potenziellen Inhalte der kognitiven und emotionalen Dimension des Wandlungseinstellungskonstrukts dargestellt sowie die identifizierten Wirkbeziehungen näher erläutert.
5.4.2
Kognitive Dimension: Teilaspekte sowie Effekte einer individuellen kognitiven Haltung von Führungskräften in Wandlungssituationen
5.4.2.1 Entstehung von individueller Handlungsenergie durch wandlungsaufgabenbezogene Selbstwirksamkeit Bei der inhaltsanalytischen Identifikation von Wissen ließen sich auch Aussagen feststellen, die darauf hinweisen, dass persönliche Erfahrungen mit bestimmten Kontextkonstella-
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
149
tionen den befragten Führungskräften mehr Selbstvertrauen163 im Wandlungsprozess gegeben haben. Hierdurch fiel es diesen Führungskräften z.B. leichter, mit Risiken und Unsicherheiten umzugehen164 und mögliche Entwicklungsverläufe in Wandlungsprojekten besser einzuschätzen.165 Zudem kristallisierte sich bei der Befragung heraus, dass ein Wissen um die eigenen Fähigkeiten und die Kenntnis von Promotoren einen „sorgenfreieren“ Umgang mit Wandlungssituationen sowie die Entwicklung einer positiven Haltung gegenüber Wandlungsprozessen begünstigt. Dies zeigen z.B. Aussagen wie: „Dass ich zu den meisten Leuten ziemlich schnell ein persönliches Verhältnis aufbaue und dann auch, wenn die Rahmenbedingungen sehr schlecht sind, trotzdem immer noch weiterkomme, weil ich halt ein paar Leute kenne und einigermaßen da durchkommen kann. Ich bin halt sehr kommunikativ, habe ein recht großes Netzwerk, was mir sehr geholfen hat und bin auch relativ international, so dass ich eigentlich immer überall irgendwie weiterkomme, wenn es denn nötig ist.“166 Eine andere Führungskraft berichtet darüber, dass ihr das Wissen darüber, dass sie den Mitarbeitern in einer schwierigen Wandlungssituation weiterhelfen kann, einen starken Antrieb für ein außergewöhnliches Engagement gegeben hat: „(…), dass ich mir gesagt habe, okay, da muss einer sein oder zwei, auf den die Menschen zugehen können, die das Vertrauen der Belegschaft haben, und das hat mir immer wieder Motivation gegeben, okay mach weiter (…).“167 In einem anderen Interview zeigte sich, dass Erfahrungen mit Wandlungsprozessen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nicht nur Antrieb für das momentan durchgeführte Wandlungsprojekt liefern, sondern bereits latente Handlungsenergie für zukünftige Wandlungsvorhaben bereitstellen: „(…) das kommt. Jede Wette, das ist mein nächstes Thema. Da bin ich überzeugt von, irgendwann werde ich das hochziehen. Das wird kommen, da bin ich so sicher wie das Amen in der Kirche. Alle Tendenzen gehen da hin. Also ich bin jetzt
163 164 165 166 167
Vgl. z.B. Interview 17, Absatz 57; Interview 2, Absatz 75. Vgl. z.B. Interview 1, Absatz 33. Vgl. z.B. Interview 15, Absatz 21. Interview 2, Absatz 61. Interview 9, Absatz 47.
150
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
seit 15 Jahren in der Touristik und…ich bin fest davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist.“168 Die Suche nach Erklärungen für das geschilderte Führungskräfteverhalten lenkt den Fokus auf das aus der sozial-kognitiven Lerntheorie169 stammende und in unterschiedlichen wissenschaftlichen 170
Efficacy).
Disziplinen
untersuchte
Phänomen
der
Selbstwirksamkeit
(Self-
Die wahrgenommene Selbstwirksamkeit einer Person lässt sich nach
Wood/Bandura definieren als „(…) belief in one’s capabilities to mobilize the motivation, cognitive resources, and courses of action needed to meet situational demands.“171 Selbstwirksamkeit beeinflusst die Zielsetzung und Zielorientierung172 von Organisationsmitgliedern sowie deren emotionale Reaktion auf die durchzuführenden Arbeitsaufgaben.173 Untersuchungen haben gezeigt, dass Mitarbeiter mit einer hohen Selbstwirksamkeit stressresistenter sind174 und bei ihnen seltener Burnout-Syndrome auftreten.175 Sie wenden erfolgreichere Coping- und Problembewältigungsstrategien an176 und weisen zudem ein höheres Anstrengungsniveau sowie Durchhaltevermögen177 auf, als Personen mit einer geringeren Selbstwirksamkeit. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Führungskräfte, die ein hohes Selbstvertrauen in ihre eigenen Führungsfähigkeiten besitzen, von ihren Mitarbeitern einen höheren Veränderungsdrang, welcher sich insbesondere in der Initiierung einer Vielzahl von Veränderungen und einem Streben nach kontinuierlicher Verbesserung äußert, zugesprochen bekommen.178 Der auch als aufgabenspezifisches Selbstvertrauen179 bezeichnete Glaube an die eigenen Fähigkeiten ist das Ergebnis eines iterativ verlaufenden Bewertungsprozesses. In diesem wird unter Abgleich der Aufgabenanforderungen mit den persönlichen Erfahrungen180 und
168 169 170 171 172 173 174
175 176 177
178 179 180
Interview 6, Absatz 75. Vgl. hierzu grundlegend Bandura (1977a). Vgl. insbesondere Bandura (1977b); Bandura (1982); Bandura (1986), S. 390ff.; Bandura (1997). Wood/Bandura (1989a), S. 408. Vgl. Locke/Frederick/Lee/Bobko (1984), S. 245f. sowie Locke/Latham (1990), S. 147ff. Vgl. Gist/Mitchell (1992), S. 186 sowie Bandura (1986), S. 394. Vgl. Wood/Bandura (1989b), S. 366 und die dort zitierte Literatur sowie Jimmieson/Terry/Callan (2004), S. 14. Vgl. Weinert (2004), S. 142 sowie Grau/Salanova/Peiró (2001), S. 65f. sowie 68f. Vgl. Bandura (1997), S. 30f. Vgl. Bandura (1997), S. 3, der zum Effekt der Selbstwirksamkeit an: „(…) such beliefs influence the course of action people choose to pursue, how much effort they put forth in given endeavors, how long they will persevere in the face of obstacles and failures (…).” Vgl. Paglis/Green (2002), S. 220f. Vgl. Ridder (1999), S. 441. Vgl. zu den vier Teilkategorien von Erfahrungen Bandura (1982), S. 126f.
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individuellen Ressourcen die Erwartung181 bzw. Einschätzung aufgebaut, über die Fähigkeiten zu verfügen, die ein erfolgreiches Agieren in der spezifischen Handlungssituation ermöglichen.182 Eine Übertragung dieser Erkenntnisse auf den Kontext organisationaler Veränderungen führt zu der Überlegung, dass Führungskräfte eine Wandlungssituation vor dem Hintergrund ihrer individuellen wandlungsbezogenen Kompetenzpotenziale183 und ihrer spezifischen Handlungserfahrungen im Umgang mit Wandel, welche insbesondere Wissen über abgeschlossene Wandlungsprojekte und Kenntnisse über mögliche Widerstände im Unternehmen umfassen, 184 interpretieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Interpretation und Bewertung insbesondere bei neuartigen Wandlungssituationen in einen komplexen und tiefgehenden Analyseprozess eingebettet ist.185 Nach dieser Vorstellung lässt sich eine wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit verstehen als „(…) individual’s perceived ability to handle change in a given situation and to function well on the job despite demands of the change.“186 Die Hinweise in der Literatur zu einer erhöhten Zielorientierung und einem gesteigerten Veränderungsdrang lassen deutlich erkennen, dass Selbstwirksamkeit ein starker positiver Einfluss auf die Wandlungsbereitschaft von Organisationsmitgliedern zugesprochen werden kann. Schyns stellt in ihrem Modell die These auf, dass Selbstwirksamkeit das Verhalten von Organisationsmitgliedern vor, in und nach organisationalen Wandlungsprozessen determiniert.187 Darüber hinaus wurde in einer Untersuchung festgestellt, dass eine wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit Einfluss auf die Offenheit einer Person gegenüber organisationalem Wandel – die sich als Voraussetzung einer Wandlungsbereitschaft verstehen
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187
Vgl zur Abgrenzung von Self-Efficacy zu Erwartungs-Theorien Gist (1987), S. 476f. Vgl. ausführlich zur Konzeptualisierung dieses Bewertungsprozesses Gist/Mitchell (1992), S. 189f. Das Merkmal der Bewertung von Handlungssituationen lässt erkennen, dass Selbstwirksamkeit als situationsbezogenes Konstrukt zu verstehen ist und kein allgemeines, situationsübergreifendes Persönlichkeitsmerkmal, wie z.B. Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein oder Selbstwertgefühl darstellt – vgl. zur Diskussion der Abgrenzung exemplarisch die Unterscheidung von Selbstwirksamkeit und Selbstwertgefühl bei Brockner (1988), S. 14. Vgl. Gist/Mitchell (1992), S. 190. Die Autoren sprechen nicht direkt von Kompetenzpotenzialen, sondern von „personal factors“. Diese stellen nach der in Kapitel 3 entwickelten Kompetenzvorstellung die konstituierenden Elemente von Kompetenzpotenzialen dar. Vgl. Bandura (1997), S. 80, der vor allem die Bedeutung der Einflussnahme von „enactive mastery experience“, welche sich als Handlungserfahrung übersetzen lässt, auf die Entstehung von Selbstwirksamkeit hervorhebt. Der Autor versteht hierunter insbesondere Erfahrungen, die auf Erfolgen und Misserfolgen basieren und das Wissen umfassen, wie mit Widerständen im Handlungsprozess umgegangen werden kann. Vgl. Gist/Mitchell (1992), S. 191. Wanberg/Banas (2000), S. 134, welche diese spezifische Selbstwirksamkeit als „change-related selfefficacy“ bezeichnen. Vgl. auch Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 31, Table 2, die von „change self-efficacy“ sprechen. Vgl. Schyns (2004), S. 256f. und hier insbesondere die Abbildung 1 auf S. 257.
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lässt – nimmt.188 Es finden sich in der Literatur aber auch Anhaltspunkte zur Einflussnahme von Selbstbestimmung auf die Wandlungsfähigkeit von Führungskräften. Avolio/ Gibbons betonen z.B., dass sich aufgabenbezogenes Selbstvertrauen als zentrale Determinante von transformationaler Führung verstehen lässt.189 Zudem zeigen sich Hinweise, dass nicht nur Erfahrungen und Charakteristika von Wandlungsaufgaben die Entstehung von Selbstwirksamkeit determinieren, sondern auch Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. Proaktivität und Ausdauer.190 Zudem wird die Einflussnahme der wahrgenommenen Führungskräfteunterstützung auf das Empfinden einer Selbstwirksamkeit diskutiert.191 Schyns argumentiert, dass Organisationsmitglieder das Verhalten von Führungskräften beobachten und insbesondere dann eine hohe Selbstwirksamkeit aufbauen, wenn sie erkennen, dass ihre Vorgesetzen bestimmte Tätigkeiten, die sie selbst auch durchführen müssen, ohne größere Schwierigkeiten bewältigen können.192 Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse sowie die konzeptionellen Überlegungen in der Theorie deuten auf einen zentralen Stellenwert von Selbstwirksamkeit in einem Erklärungsmodell führungskräftebezogener Wandlungskompetenz hin und führen zu der Vermutung, dass dieser kognitive Zustand einer Führungskraft ein wichtiges Element der Wandlungseinstellungen darstellt. Da, wie gezeigt, davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei Selbstwirksamkeit um ein dynamisch-motivationales Konstrukt193 handelt, welches sowohl die Fähigkeiten als auch Bereitschaft194 einer Führungskraft beeinflusst, lässt sich auch von einer Wirkung auf das Zielkonstrukt führungskräftebezogene Wandlungskompetenz ausgehen. Zudem kann hieraus nicht nur eine Begründung dafür abgeleitet werden, warum einige Führungskräfte in spezifischen Wandlungssituation handeln und andere nicht, son-
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Vgl. Wanberg/Banas (2000), S. 136. Die Autoren haben diese Einflussnahme über die zwei Subskalen „positive Auffassung gegenüber Wandel“ und „Akzeptanz des Wandels“ gemessen. Es zeigt sich hier allerdings nur ein signifikanter Einfluss von wandlungsbezogener Selbstwirksamkeit auf die Akzeptanz des Wandels. Vgl. Avolio/Gibbons (1988), S. 297, die betonen: „Self-efficacy, or the confidence an individual has in his or her ability to overcome a challenge, is an integral component of the development of transformational leadership.” Vgl. Baum/Locke/Smith (2001), S. 294 unter Bezugnahme auf Bandura (1986), S. 299. Vgl. zum Einfluss von Ausdauer auch Bandura (1997), S. 67f. Vgl. z.B. Schyns (2004), S. 253f. sowie Paglis/Green (2002), S. 220. Die Autoren sprechen allerdings nicht von „wahrgenommener Führungskräfteunterstützung“, sondern Schyns bezeichnet diesen Kontextfaktor als „Leadership“ im Sinne wahrgenommener Führung und Paglis/Green betrachten die von der Organisation ausgehende Unterstützung im Wandlungsprozess, zu denen sie aber auch das Verpflichtungsempfinden des Topmanagements gegenüber der Unternehmung zählen. Vgl. Schyns (2004), S. 253f. und S. 257. Vgl. Gist/Mitchell (1992), S. 184; Luthans/Peterson (2002), S. 379. Vgl. Bandura (1977b), S. 193ff.
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dern auch warum sich unterschiedliche Aktivitäts- bzw. Anstrengungsniveaus195 und Erfolge von Führungskräftehandeln in Wandlungsprozessen einstellen.196 Wood/Bandura merken hierzu an: „There is a difference between possessing skills and being able to use them well (…). To be successful, one not only must possess the required skills, but also a resilient self-belief in one’s capabilities to exercise control over events to accomplish desired goals.”197 Dieses Zitat stützt die Anzeichen in den Interviews und die Überlegungen in der Literatur zu einer Mediatorfunktion von Selbstwirksamkeit.198 Hieraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass eine wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit eine wichtige Funktion bei der Vermittlung von kontextuellen Anreizimpulsen und Kompetenzpotenzialen auf das Konstrukt Wandlungskompetenz einnimmt.
5.4.2.2 Aspekte und Wirkung von Selbstbestimmungs- und Einflussnahmeempfinden auf den Wandlungsprozess Die Inhaltsanalyse lässt erkennen, dass ein Empfinden von Entscheidungsfreiheiten, Handlungsspielräumen und Kontrolle über das eigene Handeln im Wandlungsprozess bei vielen Befragten zum Aufbau von Handlungsenergie führte. Für viele Führungskräfte hat insbesondere der Eindruck einer Einflussnahmemöglichkeit auf die durch den Wandel entstandene bzw. entstehende neue oder veränderte Unternehmungssituation eine Antriebsquelle dargestellt, wie nachstehende Aussagen exemplarisch zeigen: „(…) wenn man lange in einem Laden ist, der relativ statisch ist, dann hat man plötzlich die Chance – es werden neue Räume freigesetzt und man kann einfach neue Dinge machen, man kann die Dinge anders machen und hat Entscheidungsmöglichkeiten und auch Einflussmöglichkeiten, und zwar nicht nur Einflussmöglichkeiten auf die Prozesse (…), sondern auch Einflussmöglichkeiten auf die Menschen, (…) und das ist sagen wir mal das gewesen, was mich so dran interessiert hat, was mir auch die Motivation gegeben hat.“199
195
196
197 198 199
Vgl. hierzu auch Heckhausen/Heckhausen (2006), S. 15, die von Selbstwirksamkeit als motivationale Ressourcen sprechen, die darüber entscheiden, wie viel Implementierungsenergie für die anstehende Handlung bereitgestellt wird. Vgl. Schyns (2004), S. 254 für eine Übersicht von Untersuchungen des Einflusses von Selbstwirksamkeit auf den Erfolg von (transformationaler) Führung. Wood/Bandura (1989b), S. 364. Vgl. z.B. Luthans/Peterson (2002), S. 378ff. Interview 15, Absatz 64.
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„(…) Treiber war die Möglichkeit, zukünftig investieren zu können und den bestehenden Gedanken, ein integrierter Konzern zu sein, fortzusetzen und nicht nur mit den selbst verdienten Mitteln, sondern… – wir haben auch damals schon jährlich über hundert Millionen verdient, aber wir hatten jährlich nicht hundert, sondern wir hatten auf einmal Milliarden zur Verfügung, die dann zielgerecht eingesetzt werden konnten.“200 Es deutet sich an, dass Führungskräfte insbesondere bei Wandlungsaufgaben mit einem ausgeprägten Neuartigkeitsgehalt häufig auch hohe Einflussnahmemöglichkeiten und umfassende Gestaltungsfreiräume wahrnehmen.201 Zudem sind Hinweise zu finden, dass auf hierarchisch höheren Ebenen das Empfinden einer Einflussnahmemöglichkeit aufgrund breiterer Entscheidungsspielräume ausgeprägter ist, als auf niedrigeren Hierarchiestufen.202 Darüber hinaus ist erkennbar, dass durch ein geringes Kontrollempfinden bzw. einen verminderten Grad an Einflussnahmemöglichkeit, welcher sich z.B. in einem Gefühl der Fremdbestimmtheit und Hilflosigkeit widerspiegelt, Motivationsbedrohungen,203 Ablehnung des Wandels204 oder Ängste205 entstehen können. Da sich bei den dargestellten Aussagen, wie beim Empfinden von Selbstwirksamkeit, ein Einfluss von Kontextfaktoren feststellen lässt, wurde bei der Literaturdurchsicht zur Eruierung möglicher Erklärungen für die identifizierten Phänomene, insbesondere Augenmerk auf situativ-motivationale Faktoren bzw. Konstrukte gelegt. Hierbei konnte insbesondere eine starke Ähnlichkeit mit den beiden Konstrukten „Selbstbestimmung (selfdetermination)“ und „Einflussnahmemöglichkeit (impact)“ festgestellt werden. Deci/Connell/Ryan verstehen unter Selbstbestimmung „(…) a sense of choice in initiating and regulating one’s own actions.”206 Dieser Selbstbestimmungseindruck reflektiert die wahrgenommene Autonomie einer Person bei der Aufnahme und Durchführung von Handlungen207 und liefert die Basis für die Entstehung intrinsischer Motivation.208 Gagné/Deci heben hervor, dass Untersuchungen aus vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Diszip-
200 201 202 203 204 205 206
207 208
Interview 14, Absatz 12. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 11 und Absatz 55. Vgl. Interview 5, Absatz 23. Vgl. Interview 12, Absatz 41. Vgl. Interview 16, Absatz 30. Vgl. z.B. Interview 3, Absatz 81. Deci/Connell/Ryan (1989), S. 580. Vgl. zum Konzept der Selbstbestimmung insbesondere Deci/Ryan (2004); Deci/Ryan (1990); Ryan/Deci (2000); Gagné/Deci (2005). Vgl. Spreitzer (1995), S. 1443. Vgl. Ryan/Deci (2000), S. 70f.; Osterloh/Frey (2000), S. 541.
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linen gezeigt haben, dass eine empfundene Selbstbestimmung die Leistungseffizienz erhöht, betonen aber gleichzeitig, dass bisher lediglich wenige Studien in einem organisationalen Kontext durchgeführt worden sind.209 Die Autoren stellen die Vermutung auf, dass Organisationsmitglieder, die eine hohe Handlungsautonomie empfinden, z.B. erfolgreicher mit komplexen Aufgaben umgehen können, zu einem Organizational CitizenshipVerhalten neigen und ein starkes Verpflichtungsempfinden gegenüber der Unternehmung aufweisen. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Fähigkeit zur persönlichen Ausstrahlung im Zusammenhang mit der empfundenen Selbstbestimmung einer Führungskraft steht.210 Eilam/Shamir nehmen in ihren Überlegungen konkreten Bezug zu organisationalen Wandlungssituationen.
211
Sie stellen die These auf, dass Mitarbeiter unter anderem durch die
wahrgenommene Selbstbestimmung motiviert werden und eine Einschränkung ihrer Handlungsautonomie in Wandlungssituationen als Stress interpretieren, auf die sie mit Widerständen reagieren. Die Autoren vermuten weiter, dass mit einem zunehmenden Selbstbestimmungsempfinden auch die Bereitschaft bei den Mitarbeitern steigt, den Wandlungsprozess zu unterstützen. Eilam/Shamir identifizieren zudem eine Verbindung von Selbstbestimmung zu dem zweiten identifizierten Erklärungskonstrukt Einflussnahmemöglichkeit,212 welches sich definieren lässt als „(…) the degree to which an individual can influence strategic, administrative, or operating outcomes at work.“213 Selbstbestimmung und Einflussnahmemöglichkeit zeigen zwar eine gewisse Ähnlichkeit, werden aber in der Literatur als eigenständige Konstrukte diskutiert.214 Bei beiden kognitiven Zuständen handelt es sich, wie auch bei dem im vorherigen Abschnitt diskutierten Konstrukt Selbstwirksamkeit, um Ergebnisse von Bewertungsprozessen. Während bei der Analyse von Selbstwirksamkeit das Vorhandensein von Handlungswahloptionen eruiert wird, liegt der Fokus bei der Prüfung von Einflussnahmemöglichkeiten auf der Frage, ob von einem etwaigen Handeln in der spezifischen Situation auch wirklich ein Effekt auf das Aufgaben- bzw. Arbeitsumfeld ausgeht, der eine 209 210 211 212 213
214
Vgl. hierzu und im Folgenden Gagné/Deci (2005), S. 346f. und die dort zitierte Literatur. Vgl. Sarros/Santora (2001), S. 388. Vgl. hierzu und im Folgenden Eilam/Shamir (2005), S. 403 sowie S. 417f. Vgl. Eilam/Shamir (2005), S. 411. Spreitzer (1995), S. 1443f. unter Bezugnahme auf Ashforth (1989), S. 207f. Vgl. zum Konstrukt Einflussnahmemöglichkeit insbesondere Spreitzer (1997), S. 43f. sowie die interdisziplinäre Literatursynopse auf S. 37f. Vgl. insbesondere Thomas/Velthouse (1990), S. 666; Spreitzer (1995), S. 1443f. sowie aus einem kollektiven Fokus Kirkman/Rosen (1999), S. 59 unter Bezugnahme auf Kirkman/Rosen (1997), S. 136ff.
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Handlungsanstrengung rechtfertigt.215 Vereinfacht gesprochen, prüft die vor der Handlung stehende Person nicht nur, ob ihr unterschiedliche Handlungsalternativen eingeräumt werden, sondern auch, ob ihr Handeln etwas bewirken kann. Der Eindruck, mit dem eigenen Handeln keinen Effekt erzielen zu können, führt bei einem mehrfachen Auftreten oftmals zu dem als Gegenpol zur Einflussnahmemöglichkeit diskutierten Phänomen der „gelernten Hilflosigkeit“.216 Untersuchungen haben gezeigt, dass gelernte Hilflosigkeit negative Auswirkungen auf ein Erkennen von Chancen hat, Motivation abschwächt, Verantwortungsübernahme reduziert und das Verpflichtungsgefühl einer Person verringert.217 Die individuelle Antriebsenergie wird verstärkt für eine Konzentration auf potenzielle Hindernisse und Schwierigkeiten genutzt und weniger für ein problemverringendes oder -lösendes Handeln, so dass als Reaktion auf organisationale Wandlungssituationen eher von einem Widerstands- als von einem Unterstützungsverhalten auszugehen ist. Aufgrund der Nähe der beiden kognitiven Zustände Selbstbestimmung und Einflussnahmemöglichkeit können auch ähnliche Wirkbeziehungen im Modell Wandlungskompetenz von Führungskräften angenommen werden. Die dargestellten Interviewextrakte zeigen, dass sich bei beiden Zuständen eine positive Wirkung auf die Wandlungsbereitschaft feststellen lässt. Zudem führen die Überlegungen in der Literatur zur Ähnlichkeit von Selbstbestimmung und persönlicher Ausstrahlung zu der Vermutung einer möglichen Einflussnahme beider kognitiven Eindrücke auf die Wandlungsfähigkeit von Führungskräften. Die Aussagen der Befragten verdeutlichen weiter, dass Selbstbestimmungs- und Einflussnahmeempfinden Reaktionen auf den wahrgenommenen Wandlungskontext, und hier insbesondere den Neuartigkeitsgehalt des Wandlungsobjekts, darstellen. Es lässt sich somit vermuten, dass zumindest ein Teil der Anreizwirkung des Kontexts über diese beiden kognitiven Zustände auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit vermittelt wird. Ein Hinweis darauf, dass ein Selbstbestimmungs- und Einflussnahmeempfinden als Mediator in der Wirkbeziehung zwischen Kontextpotenzialen und Wandlungskompetenz agiert, 215
216
217
Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 672 sowie ähnlich Greenberger/Strasser (1986), S. 165, die allerdings nicht direkt von „Einflussnahme (impact)“ sprechen, sondern von „personal control“. Vgl. zur Abgrenzung von Einflussnahme zu verwandten Konstrukten insbesondere Spreitzer (1997), S. 43. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1444; Conger/Kanungo (1988), S. 473. Vgl. zum Konstrukt der gelernten Hilflosigkeit insbesondere Seligman (1975); Abramson/Seligman/Teasdale (1978) und Seligman (1991) sowie in einem organisationalen Kontext z.B. Martinko/Gardner (1982) und Bruch (2003), S. 85ff. Vgl. hierzu und im Folgenden Thomas/Velthouse (1990), S. 672 sowie Bruch (2003), S. 87 und die dort zitierte Literatur.
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findet sich in den Forschungen zur erlernten Hilflosigkeit. Der skizzierte negative Effekt der gelernten Hilflosigkeit auf die Chancenerkennung liefert z.B. eine mögliche Erklärung dafür, warum eine eventuell vorhandene proaktive Verhaltensneigung nicht kompetenzwirksam wird. Die Interviews deuten somit darauf hin, dass die kognitive Dimension des Wandlungseinstellungskonstrukt nicht nur den Eindruck einer wandlungsbezogenen Selbstwirksamkeit umfasst, sondern zudem auch die beiden kognitiven Zustände der Selbstbestimmung und Einflussnahmemöglichkeit. Die Inhaltsanalyse lässt allerdings erkennen, dass darüber hinaus zumindest ein weiteres Phänomen die Entstehung einer Wandlungseinstellung von Führungskräften mit beeinflusst.
5.4.2.3 Wirkung der eingeschätzten persönlichen Bedeutung des Wandlungsprozesses auf die Entwicklung einer positiven Wandlungseinstellung Die Auswertung der Interviews zeigt, dass Führungskräfte insbesondere dann ein hohes Engagement gegenüber organisationalem Wandel entwickeln, wenn sie den Eindruck haben, dass sich in ihren wandlungsbezogenen Tätigkeiten auch persönliche Ziele, Vorstellungen und/oder Werte, die sie bezüglich der Art und Durchführung von Arbeitsaufgaben besitzen, widerspiegeln.218 Hierbei kann es sich um bestimmte Ansichten bzw. Wunschvorstellungen zu wandlungsbezogenen Arbeitsformen, wie z.B. internationale Projektarbeit,219 ein interessantes Kollegenumfeld220 oder ein Unterstützen bestimmter durch den Wandel transportierter Ideale handeln.221 Die nachfolgende Aussage zeigt, dass eine wahrgenommene Konformität des Wandels mit den eigenen tätigkeitsbezogenen Wünschen und Bedürfnissen die Entstehung einer positiven Haltung gegenüber dem Wandlungsprozess begünstigt: „(…) an sich ist (…) mein Leben, damit viel interessanter geworden, viel vielfältiger, also würde ich mich mal als Profiteur dieser Situation betrachten und so habe ich das eigentlich auch immer gesehen. Also insoweit hatte ich persönlich damit eigentlich gar kein Problem…, ich musste mich nicht für irgendetwas moti-
218
219 220 221
Vgl. z.B. Interview 10, Absatz 31, in welchem hervorgehoben wird, dass jede Person in einem Wandlungsprozess erst einmal reflektiert, wie sie sich dort persönlich wiederfindet. Vgl. z.B. Interview 8, Absatz 55. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 65. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 89.
158
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
vieren, sondern ich habe diese Entwicklung aus sich heraus schon positiv betrachtet.“222 Die Interviews deuten darauf hin, dass Führungskräfte die jeweiligen Wandlungssituationen dahingehend überprüfen, ob sich ein Engagement für den Wandlungsprozess mit den individuellen Ansprüchen und Erwartungen an eine sinnvolle Tätigkeit vereinbaren lassen. Die nachstehende Aussage verdeutlicht, dass bei Führungskräften insbesondere die persönlich eingeschätzte Sinnhaftigkeit des Wandlungsprozesses und weniger fremdinduzierte Handlungsanweisungen einen anreizwirksamen Charakter erlangen kann: „I am one of those people I will not say yes, I will not do something, because I am told to. In that sense that has made a lot of problems in a very hierarchical organization. I am not easy to manage, I am not easy to function, because I do not accept hierarchy for the sake of hierarchy and not do I accept something just because a superior mentioned it. I make my judgement and if I belief in something, I go for it.”223 Ein Vergleich dieses kognitiven Phänomens mit der Literatur deutet auf eine Nähe zu dem Konstrukt „persönliche Bedeutung (Meaning bzw. Meaningfulness)“224 hin. Thomas/Velthouse verstehen hierunter „(…) the value of the task goal or purpose, judged in relation to the individual’s own ideals or standards.”225 Ein Individuum empfindet demnach eine persönliche Bedeutung, wenn eine bestimmte Aktivität vor dem Hintergrund des individuellen Wertesystems als wichtig eingeschätzt wird.226 Hieraus resultiert ein intrinsisch motivierter Antrieb,227 der sich in einer starken physischen, kognitiven und emotionalen Bindung an die wahrzunehmende Rolle in der Organisation äußert,228 den Aufbau einer hohen Identifikation mit der Tätigkeit bzw. der Unternehmung und die Entstehung eines Verpflichtungsempfinden gegenüber der Unternehmung begünstigt229 sowie die Zufrie-
222 223 224
225 226 227 228 229
Interview 16, Absatz 38. Interview 1, Absatz 57. Vgl. Kahn (1990), S. 703f.; May/Gilson/Harter (2004), S. 14; Hackman/Oldham (1980), S. 73ff.; Spreitzer (1997), S. 36ff., Spreitzer (1995), S. 1443; Thomas/Velthouse (1990), S. 672f. Die beiden Begriffe „meaning“ und „meaningfulness“ werden in der Literatur synonym verwendet. Thomas/Velthouse (1990), S. 672. Vgl. Hackman/Oldham (1980), S. 176. Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 672. Vgl. Kahn (1990), S. 703f. Vgl. May/Gilson/Harter (2004), S. 12 sowie Thomas/Velthouse (1990), S. 673 und die dort zitierte Literatur.
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denheit und Leistungseffektivität erhöht.230 Die Einschätzung einer geringen Bedeutung kann zu einer kognitiven Dissonanz führen,231 die zur Folge hat, dass sich Führungskräfte in Wandlungssituationen von ihrer Tätigkeit innerlich distanzieren232 und Apathie entsteht.233 In der Literatur finden sich zwar keine Studien zur von Führungskräften empfundenen persönlichen Bedeutung in organisationalen Wandlungssituationen, allerdings lassen sich Hinweise erkennen, dass insbesondere ein Einbezug in Veränderungsprozesse die Entstehung eines derartigen kognitiven Zustands begünstigt. Es wird z.B. betont, dass die Tätigkeit in einem komplexen Projekt eine ideale Voraussetzung für das Empfinden einer persönlichen Bedeutung darstellt.234 May/Gilson/Harter zeigen in einer Untersuchung, dass u.a. eine mit Wandlungsprozessen verbundene vertikale Aufgabenerweiterung einen positiven Einfluss auf die empfundene persönliche Bedeutung der Arbeitsaufgabe nimmt.235 Zudem wird von den Autoren festgestellt, dass dieser kognitive Zustand einen starken Einfluss auf das Engagement von Organisationsmitgliedern hat. Die Inhaltsanalyse und Überlegungen zur persönlichen Bedeutung in der Literatur deuten auf einen starken Zusammenhang mit der identifizierten Kontextgröße Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalt hin. Dies unterstreicht auch noch einmal explizit die Aussage von Kahn: „When organization members were doing work that was challenging, clearly delineated, varied and creative (…) they were more likely to experience psychological meaningfulness.“236 Es lässt sich die Annahme aufstellen, dass der Eindruck einer persönlichen Bedeutung das Resultat eines Bewertungsprozesses darstellt, in welchem die kontextuellen Anreize auf ihre Konformität mit dem individuellen Wertesystem geprüft werden. Verläuft dieser Prozess positiv, verstärkt sich die durch kontextuelle Stimuli verspürte Valenz. Diese Vorstellung führt zu der Überlegung, dass der Eindruck einer persönlichen Bedeutung eine Mediationsfunktion zwischen dem Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalt und der Wandlungskompetenz einer Führungskraft wahrnimmt. Eine Unterstützung für die vermutete Mediationsbeziehung findet sich bei May/Gilson/Harter, die zeigen, dass der
230 231 232 233 234 235 236
Vgl. Hackman/Oldham (1980), S. 89ff. Vgl. Spreitzer (1997), S. 36. Vgl. Aktouf (1992), S. 415f. und die dort zitierte Literatur. Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 673 und die dort zitierte Literatur. Vgl. Kahn (1990), S. 704. Vgl. hierzu und im Folgenden May/Gilson/Harter (2004), S. 25, Abbildung 1. Kahn (1990), S. 704.
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von einer vertikalen Aufgabenerweiterung ausgehende Anreizimpuls auf das Engagement von Organisationsmitgliedern vollständig über das Empfinden einer persönlichen Bedeutung vermittelt wird.237 Es lassen sich zwar weder in den Interviews noch in der Literatur Anhaltspunkte feststellen, dass diese Mediationsfunktion auch in der Wirkbeziehung zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz auftritt, allerdings kann mit Blick auf die Nähe des Eindrucks einer persönlichen Bedeutung zu den anderen identifizierten kognitiven Zuständen auch hier eine Vermittlungsfunktion angenommen werden. Denkbar ist z.B., dass eine proaktive Verhaltensneigung einer Führungskraft insbesondere dann Kompetenzwirksamkeit erreicht, wenn diese eine persönliche Bedeutung des proaktiven Engagements empfindet. Während die Interviewextrakte und Untersuchungen zur Wirkung der empfundenen persönlichen Bedeutung Hinweise für eine direkte Beeinflussung der Wandlungsbereitschaft liefern, finden sich zu einer etwaigen Determinierung der Wandlungsfähigkeit nur wenige indirekte Anzeichen. Hackman/Oldham stellen in ihrem Modell zur motivationalen Wirkung der Arbeitsgestaltung z.B. auch die Überlegung auf, dass die empfundene persönliche Bedeutung eine vermittelnde Funktion zwischen den Aufgabencharakteristika und der Leistungseffektivität von Organisationsmitgliedern einnimmt.238 Da ein bestimmtes Leistungsergebnis immer auch das Resultat der Anwendung bestimmter Fähigkeiten darstellt,239 lässt sich die Vermutung aufstellen, dass die Wandlungsfähigkeit als notwendige Vorbedingung eines effizienten Ergebnisses auch von der empfundenen persönlichen Bedeutung beeinflusst wird. Zudem deuten die Ausführungen von Hackman/Oldham darauf hin, dass die empfundene persönliche Bedeutung die Wirkbeziehung zwischen dem Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalt eines Wandlungsobjekts und der Wandlungsfähigkeit vermittelt.
5.4.2.4 Zusammenführung der identifizierten kognitiven Dimensionen von Wandlungseinstellung zum Konstrukt „wandlungsbezogenes Empowerment“ In den vorherigen Abschnitten wurden vier mögliche kognitive Teildimensionen des Konstrukts Wandlungseinstellung identifiziert, die unterschiedliche individuelle Empfindungen 237
238 239
Vgl. May/Gilson/Harter (2004), S. 26f. und hier insbesondere die Tabelle 2. Vgl. auch Hackman/Oldham (1980), S. 90, Abbildung 4.6, die in ihrem Modell ebenfalls eine Mediationsbeziehung darstellen. Vgl. Hackman/Oldham (1980), S. 89ff. Vgl. hierzu z.B. die Überlegungen zu einem hypothetischen Wirkungsgefüge in einem Leistungsverhaltenskonzept von Steinle (1978), S. 49, Abbildung 19.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
161
und Eindrücke von Führungskräften gegenüber dem jeweiligen Wandlungsprozess reflektieren (vgl. Abb. 5.8): Kognitive Dimension der Wandlungseinstellung Selbstwirksamkeit (Self-Efficacy) = Glaube an die eigenen Fähigkeiten im Wandlungsprozess
Selbstbestimmung (Self-Determination) = Wahrgenommene Autonomie bei wandlungsbezogenen Aktivitäten
Einflussnahmemöglichkeit (Impact) = Eingeschätzter Effekt von Aktivitäten im Wandlungsprozess
Persönliche Bedeutung (Meaningfulness) = Gefühl der persönlichen Bedeutung von Aktivitäten im Wandlungsprozess
Abb. 5.8: Kognitive Dimension des Konstrukts Wandlungseinstellung
Unterschiedliche theoretische Überlegungen und empirische Studien haben gezeigt, dass sich Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Einflussnahmemöglichkeit und persönliche Bedeutung als Dimensionen des Konstrukts „psychological Empowerment“ verstehen lassen.240 Während Empowerment241 ursprünglich als Set an Führungskräftehandlungen, wie z.B. Einräumung von Mitspracherechten, Aufgabendelegation oder Erweiterung von Handlungsspielräumen definiert wurde, welches Mitarbeiter mehr Macht bei der Aufgabenerledigung einräumen und sie damit motivieren soll,242 bezieht sich das Konstrukt „psychological Empowerment“ auf das eigene individuelle „Ermächtigungs-Empfinden“ von Organisationsmitgliedern in Handlungssituationen.243
240
241
242
243
Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 672; Spreitzer (1995), S. 1443f.; Spreitzer (1997), S. 34ff.; Kirkman/ Rosen (1999), S. 59; Kirkman/Rosen (1997), S. 137ff. sowie zusammenfassend Siegall/Gardner (2000), S. 706. Für eine ausführliche Begriffserschließung aus theoretischer Perspektive und Praxissicht vgl. insbesondere Wilkinson (1998), S. 41ff. Vgl. z.B. Weinert (2004), S. 231; Bennis/Nanus (1997), S. 73ff.; Kanter (1983), S. 156ff.; Arnold (2005), S. 619. Vgl. Spreitzer (1997), S. 34f.
162
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Das Einräumen von Handlungsmacht und Einfluss ist nur eine Einflussgröße, die bei einem Individuum zu einem Gefühl des Ermächtigtseins führen kann.244 Vielmehr handelt es sich beim „psychological Empowerment“ um das Ergebnis eines Bewertungsprozesses, in welchem ein Organisationsmitglied die anstehende Handlungssituation auf die individuelle Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Einflussnahmemöglichkeit und persönliche Bedeutung geprüft hat.245 Das Ermächtigungsempfinden, welches Thomas/Velthouse auch als (Handlungs)Energie bezeichnen, resultiert demnach aus den vier dargestellten kognitiven Zuständen und stellt die Grundlage für die Entstehung intrinsischer Motivation in organisationalen Handlungssituationen dar.246 Zudem führt Empowerment häufig dazu, dass Organisationsmitglieder eine eher aktive als passive Rolle wahrnehmen.247 Spreitzer charakterisiert diese aktive Rollenwahrnehmung als „(…) an orientation in which an individual wishes and feels able to shape his or her work role and context.“248 Empowerment stellt, wie die anderen vier Teildimensionen auch, ein situatives, kontextsensibles und dynamisches Konstrukt dar, welches sich in unterschiedlichen Ausprägungsintensitäten zeigt.249 Je nach Wandlungskontext und den hieraus resultierenden Wandlungsaufgaben und Rollenanforderungen empfindet eine Führungskraft demnach mehr oder weniger Empowerment. Hieraus resultieren Effekte, die zum Teil schon bei Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Einflussnahmemöglichkeit und der persönlichen Bedeutung diskutiert worden sind, wie Durchhaltevermögen, Zufriedenheit, Flexibilität, Initiativverhalten, Optimismus, reduziertes Stressempfinden, Handlungseffizienz und Aufgabenfokussierung.250 Spreitzer/de Janasz/Quinn haben die Auswirkung von Empowerment auf das Wandlungsmanagement untersucht und festgestellt, dass Führungskräfte, die in einer Wandlungssituation Empowerment empfinden, ein hohes Innovationsverhalten zeigen und versuchen, hierarchisch höher gestellte Führungskräfte von ihren Ideen und Zielen zu überzeugen.251 Darüber hinaus inspirieren sie die von ihnen geführten Mitarbeiter über persönliche Ausstrahlung und bewegen diese dadurch, den Wandlungsprozess aktiv zu unterstützen.
244 245 246 247 248 249 250
251
Vgl. Conger/Kanungo (1988), S. 474. Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 669ff. Vgl. Thomas/Velthouse (1990), S. 667. Vgl. Spreitzer (1997), S. 44. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1444. Vgl. Spreitzer (1997), S. 50. Vgl. Yukl (2006), S. 108; Thomas/Velthouse (1990), S. 673; Spreitzer (1995), S. 1448; Mishra/Spreitzer (1998), S. 578f. Vgl. hierzu und im Folgenden Spreitzer/de Janasz/Quinn (1999), S. 519f.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
163
Die Ergebnisse von Spreitzer/de Janasz/Quinn implizieren, dass Empowerment Einfluss auf die Wandlungsbereitschaft einer Führungskraft nimmt, indem es Energie für Veränderungsdrang, langfristiges Engagement und hohe Zielorientierung im Wandlungsprozess bereitstellt. Zudem deutet die Untersuchung der Autoren an, dass Empowerment die Anwendung bestimmter wandlungsbezogener Fähigkeiten stimuliert und dazu führt, dass diese mit einer hohen Geduld, Leidenschaft und Effizienzorientierung ausgeführt werden. In der Literatur finden sich nicht nur Hinweise zu einer Mediatorfunktion der einzelnen Teildimensionen von Empowerment, sondern auch Anhaltspunkte, dass dieses Konstrukt selbst eine vermittelnde Funktion wahrnimmt. Während z.B. Spreitzer in dem von ihr für das Empowerment-Konstrukt entwickelten nomologischen Netz252 zwar implizit von einer Mediatorfunktion ausgeht, diese aber nicht explizit hervorhebt und untersucht,253 widmen sich Kirkman/Rosen dieser Funktion ausführlich und stellen für die von ihnen untersuchten Wirkbeziehungen eine vollständige Mediation durch ein Empowermentempfinden fest.254 Spreitzer hat gezeigt, dass die Teildimensionen des Empowerment-Konstrukts zwar eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, aber dennoch von einander verschieden sind und alle vier gemeinsam das Konstrukt Empowerment bilden.255 Die Autorin hat zwar in ihrer frühen Veröffentlichung argumentiert, dass das Fehlen einer der vier Dimensionen das Empowermentempfinden abschwächt, dieses aber nicht gänzlich eliminiert.256 In einer späteren Untersuchung wurde allerdings festgestellt, dass keine der vier Gefühlsdimensionen allein eine signifikante positive Wirkung auf alle erwarteten Erfolgseffekte von Empowerment ausüben konnte.257 Aus diesem Ergebnis lässt sich die Vermutung ableiten, dass nur dann eine positive Einstellung gegenüber dem Wandlungsprozess entsteht, wenn eine Führungskraft in einem Wandlungsprozess gleichzeitig Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmtheit und Einflussnahmemöglichkeit sowie eine hohe persönliche Bedeutung verspürt. Da sich im Kontext organisationaler Veränderungen eine spezifische Form des Empowerments zeigt, nämlich die Empfindung des „Empowert-Seins“ für die Wahrnehmung der 252
253 254
255
256 257
Der Begriff nomologisches Netz wird vielfach in angloamerikanischen Veröffentlichungen zur Bezeichnung eines theoretischen Bezugsrahmens verwendet – vgl. Fröhlich (2002), S. 314. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1445, Abbildung 1. Vgl. Kirkman/Rosen (1999), S. 68. Die Autoren untersuchen die Wirkbeziehung unterschiedlicher Organisations- und Aufgabenmerkmale auf die Effizienz von Teams. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1444 und zur Überprüfung der Diskriminanz und Konvergenz der Teildimensionen des Empowerment-Konstrukts S. 1453. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1444. Vgl. hierzu und im Folgenden Spreitzer/Kizilos/Nason (1997), S. 696ff.
164
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
spezifischen Rolle im Wandlungsprozess oder die Ausführung der übertragenen Wandlungsaufgabe, wird im Folgenden von einem wandlungsbezogenen Empowerment („change Empowerment“) ausgegangen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse der Inhaltsanalyse und die Erkenntnisse aus der Empowerment-Forschung verdeutlicht haben, dass von kognitiven Prozessen eine zentrale motivationale Wirkung ausgeht, die Antriebskräfte für den Aufbau von Bereitschaft und die Anwendung von Fähigkeiten bereitstellt. Für die vermutete Zusammensetzung des Konstrukts wandlungsbezogenes Empowerment kann die folgende Hypothese formuliert werden: Hypothese 5a:
Das Konstrukt wandlungsbezogenes Empowerment von Führungskräften setzt sich aus den vier Teilkonstrukten „Selbstwirksamkeit“, „Selbstbestimmtheit“, „Einflussnahmemöglichkeit“ und „persönliche Bedeutung“ zusammen.
Die Verhaltenswissenschaften zeigen allerdings, dass nicht nur kognitive Prozesse und die hieraus entstehenden Einschätzungen und Erwartungen ein Individuum energetisieren, sondern auch von Emotionen in Form von Stimmungen, Affekten und Gemütszuständen258 wichtige Antriebsimpulse ausgehen.
5.4.3
Emotionale Dimension: Wandlungsgerichtete Gefühle als konstitutives Element einer Wandlungseinstellung von Führungskräften
Die nachstehenden Interviewextrakte deuten an, dass bestimmte Emotionen das Denken und Handeln von Führungskräften in den unterschiedlichen Wandlungsteilprozessen stark beeinflussen. Zudem lässt sich erkennen, dass sowohl positive als auch negative Stimmungen bestimmte Reaktionen bei den befragten Führungskräften hervorrufen und somit von beiden Emotionsarten eine energetische Wirkung ausgeht. Bei der Schilderung des individuellen Einstiegs in den Wandlungsprozess, der sich bei nahezu allen befragten Führungskräften über eine Leitung oder Mitarbeit an einem Projekt vollzogen hat, lassen sich insbesondere positive Stimmungen in den Ausführungen identifizieren, wie nachstehende Interviewpassagen zeigen:
258
Nachfolgend werden diese Begriffe synonym verwendet. Vgl. zu einer ebenfalls vorgenommenen Gleichsetzung z.B. Vogel (2003), S. 140 unter Bezugnahme auf Tritt (1992), S. 11.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
165
„(…) das fand ich eine spannende Herausforderung, das hat (…) Spaß gemacht.“259 „(…) I felt a sense of excitement, not threat.“260 Im Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Anfangsphase von Wandlungsprojekten ließen sich immer wieder Aussagen zu Begeisterung,261 Enthusiasmus,262 Euphorie,263 Stolz264 und Spaß der Führungskräfte feststellen.265 Zudem wurde regelmäßig darauf hingewiesen, dass der durchgeführte Wandlungsprozess als spannend266 und reizvoll angesehen worden ist.267 Negative Stimmungen, die in der Literatur zu Wandlungswiderständen vor allem in der frühen Phase von Wandlungsprozessen als verbreitet angenommen werden,268 konnten, wie auch schon die Diskussion zu den Wirkungen von Wandlungsobjekten gezeigt hat, kaum identifiziert werden.269 Lediglich stellenweise wurde bei der Schilderung der Anfangssituation auf eine Zurückhaltung oder ein leichtes Misstrauen hingewiesen.270 Diese Aussagen bezogen sich allerdings jeweils auf eine wahrgenommene kollektive Stimmungslage im Projekt oder in der Unternehmung, nicht aber auf die individuellen Emotionen der Führungskräfte. Negative Emotionen traten vielmehr im Verlauf des Wandlungsprozesses auf, nachdem die ersten Euphoriewellen abgeklungen waren und sich Probleme oder Rückschläge bei der Durchführung von Wandlungsprojekten gezeigt haben oder festgestellt worden ist, dass die anfänglich im Projekt getroffenen Annahmen und aufgestellten Ziele nicht erreichbar sind: „(…) es gibt am Anfang eines Projektes eine große Euphoriephase, die Erwartungen steigen ins Grenzenlose. Man entdeckt Potenziale ohne Ende, die Risiken, oder ich denke manchmal sogar die Realität, erkennt man noch gar nicht so deut259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269
270
Interview 2, Absatz 37. Interview 3, Absatz 75. Vgl. z.B. Interview 12, Absatz 37; Interview 14, Absatz 48. Vgl. z.B. Interview 1, Absatz 25. Vgl. z.B. Interview 8, Absatz 18. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 9. Vgl. z.B. Interview 5, Absatz 43; Interview 6, Absatz 11; Interview 17, Absatz 49. Vgl. z.B. Interview 6, Absatz 17; Interview 17, Absatz 35. Vgl. z.B. Interview 1, Absatz 43; Interview 11, Absatz 53. Vgl. Abschnitt 2.3.2.1. Vielmehr transportieren die Aussagen der Führungskräfte, wie die Interviewextrakte in Abschnitt 5.3.2 zeigen, über Formulierungen wie, „das war eins meiner schönsten Projekte“ oder „das war sehr toll“ eine positive Stimmungslage. Vgl. z.B. Interview 2, Absatz 43; Interview 3, Absatz 47.
166
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
lich und es ist wie in jedem anderen Projekt auch, nach der Euphoriephase kommt dann nicht nur Konsolidierung, sondern auch die Phase, wo die Aktionen eigentlich ins Gegenteil umschwappen, also wo man statt von der Euphorie in die wirkliche Frustrationsphase kommt (…).“271 Neben Frustrationen resultieren aus derartigen Phasen der Ernüchterung oftmals auch Enttäuschungen272 oder Sorgen.273 Die Interviews deuten darauf hin, dass negative Emotionen ebenfalls eine motivierende Wirkung entfalten können, indem sie einem Individuum Energie bereitstellen, eine negative Situation zu überwinden und langfristig wieder eine positive Stimmung zu erlangen.274 Eine Führungskraft stellt heraus, dass nicht negative Emotionen als Problem angesehen werden sollten, sondern fehlende oder neutrale Stimmungen in Wandlungsprozessen, von denen keine oder lediglich sehr geringe motivierende Impulse ausgehen.275 Die Ausführungen zeigen, dass Emotionen dynamisch sind und im Wandlungsverlauf stark schwanken können. Letztendlich lassen sich allerdings Hinweise feststellen, dass es den meisten Führungskräften gelungen ist, Frustrationen und Enttäuschungen zu überwinden und eine langfristige positive Stimmung gegenüber den von ihnen durchgeführten Wandlungsprozessen zu entwickeln: „(…) ich bin selber erstaunt, dass man sich solange noch für gewisse Dinge begeistern kann.“276 Emotionen stellen zwar in den Organisationswissenschaften eine noch recht junge Forschungsrichtung dar,277 doch lassen unterschiedliche Untersuchungen bereits deutlich ihre Relevanz in Wandlungsprozessen278 sowie den Einfluss auf die Intentionsbildung279 und den Willen und das Handeln von Führungskräften280 erkennen. Der handlungsbeeinflussende Charakter wird auch von Frijda in seiner Definition von Emotionen hervorgehoben: 271 272 273 274 275 276 277
278 279 280
Interview 8, Absatz 18. Vgl. z.B. Interview 11, Absatz 37 sowie Absatz 65. Vgl. z.B. Interview 9, Absatz 35. Vgl. Interview 2, Absatz 59; Interview 4, Absatz 52; Interview 6, Absatz 69ff.; Interview 13, Absatz 57. Vgl. Interview 1, Absatz 83. Interview 15, Absatz 68. Vgl. z.B. Ashkanasy/Härtel/Daus (2002), S. 317 und zur Forschungshistorie die dort zitierte Literatur sowie Eriksson (2004), S. 113, die insbesondere die lange Vernachlässigung von Emotionen in den Organisationswissenschaften herausstellt. Vgl. z.B. Eriksson (2004), S. 111 sowie Mossholder/Settoon/Armenakis/Harris (2000), S. 221. Vgl. Parkinson (1995), S. 9. Vgl. Bruch (2003), S. 143 und S. 220.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
167
„Emotions (…) can be defined as modes of relational action readiness, either in the form of tendencies to establish, maintain, or disrupt a relationship with the environment or in the form of relational readiness as such [Hervorhebungen im Original].”281 Nach dieser Vorstellung ist Emotionen eine situationsbezogene Bereitschaft zum Handeln oder NichtHandeln inhärent.282 Eine Übertragung dieser Erkenntnisse auf den organisationalen Wandel bedeutet, dass sich Emotionen als Resultat der Wahrnehmung einer Wandlungssituation verstehen lassen, welches Handlungsenergie bereitstellt oder diese verweigert. Dieser Wahrnehmungsprozess kann sowohl bewusst als auch unbewusst verlaufen und eine rationale oder nicht-rationale Situationsbewertung umfassen.283 Lazarus argumentiert, dass bei der Situationsbewertung Emotionen und Kognitionen eng miteinander verbunden sind und diese Prüfung einen zweistufigen Prozess durchläuft.284 Vereinfacht dargestellt, wird die Situation in der ersten Prozessstufe im Hinblick auf die Kongruenz mit der eigenen Zielsetzung und den Einfluss auf das „Ego-Involvement“ 285 geprüft und bei einer förderlichen Einschätzung mit einer positiven oder bei einer verspürten Bedrohung mit einer negativen Grundstimmung belegt. Diese Stimmung versteht Huy noch nicht als Handlungsmotivator, sondern vielmehr als „Relevanz-Detektor“, der die Aufmerksamkeit eines Individuums auf eine bestimmte Situation lenkt.286 Die eigentliche Handlungsbereitschaft baut sich in der zweiten Prozessstufe auf, in welcher die Situation u.a. vor dem Hintergrund der individuellen Ressourcen zur Situationsbewältigung („coping potential“), wie z.B. der Empfindung einer Selbstwirksamkeit,287 ausführlich analysiert wird.288 Je nach Verlauf dieses Bewertungsprozesses kann sich die Grundstimmung verstärken oder abschwächen und somit zu unterschiedlichen Aktivierungsintensitäten289 füh-
281 282 283 284 285
286 287
288
289
Frijda (1986), S. 71. Vgl. ähnlich Scherer (2000), S. 156, der Emotionen als „action tendencies“ bezeichnet. Vgl. Frijda (1986), S. 268f. Vgl. auch Frijda (1988), S. 351. Vgl. hierzu und im Folgenden Lazarus (1991), S. 129 und S. 149ff. Vgl. auch Lazarus (1993), S. 12ff. Lazarus benutzt in seiner Arbeit nicht konsistent den selben Begriff, sondern schwankt zwischen den Termini „ego-involvement“ und „ego-identity“. Sinngemäß lassen sich diese Begriffe mit „IchBeteiligung“ oder individueller Anteilnahme übersetzen. Vgl. zur Begriffsklärung ausführlich Fröhlich (2002), S. 137. Vgl. Huy (2002), S. 24. Vgl. Lazarus (1991), S. 225, der hervorhebt: „Coping potential overlaps with Bandura’s (…) concept of self-efficacy.” Vgl. hierzu und im Folgenden Lazarus (1991), S. 150f. sowie Lazarus (1993), S. 14ff. Neben der Einschätzung der Coping-Potenziale vor dem Hintergrund der individuellen Handlungs- und Fähigkeitsressourcen wird in diesem zweiten Bewertungsschritt auch analysiert, wer für die aktuelle Situation verantwortlich ist (man selbst oder jemand anders) und wie sich die Situation verändern wird (z.B. Veränderung im Hinblick auf die eigenen Zielsetzungen). Vgl. hierzu Huy (2002), S. 35 rekurrierend auf das „circumplex model of emotions“ von Larsen/Diener (1992), S. 25ff.
168
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
ren. Ergibt sich aus diesem Bewertungsprozess z.B. das Gefühl, über hinreichende Ressourcen zur erfolgreichen Bewältigung der Situation zu verfügen, erfolgt eine Art Verstärkung der positiven Grundstimmung hin zu einer Entwicklung positiver Emotionen mit hohem Aktivierungspotenzial, wie z.B. Enthusiasmus oder Begeisterung. Führt der Prozess hingegen zu der Einschätzung, nicht in der Lage zu sein, die gegebene Situation zu bewältigen, besteht die Gefahr, dass negative Emotionen wie z.B. Ärger oder Angst entstehen, welche eine stark negative Aktivierungstendenz in Form von Blockadeverhalten oder aktivem Widerstand beinhalten. Denkbar ist aber auch, dass dieser Bewertungsprozess letztendlich eine geringe Relevanz für das Individuum feststellt und sich weder positive noch negative Emotionen entwickeln, sondern sich ein neutraler Gefühlszustand einstellt, von dem keine Aktivierungspotenziale ausgehen. In der Literatur zum organisationalem Wandel wird primär die Annahme vertreten, dass Wandlungssituationen die Entstehung negativer Emotionen wie z.B. Ärger, Angst, Zynismus oder Resignation begünstigen.290 Die Entwicklung und Wirkung von positiven Emotionen bleibt weitestgehend ausgeblendet, obwohl davon auszugehen ist, dass die unterschiedlichen individuellen Bewertungsprozesse zur Ausbildung beider Emotionsarten führen können.291 Diese einseitige Ausrichtung spiegelt die bereits mehrfach zitierte dominante Vorstellung im Wandlungsmanagement wider, dass vom Wandel betroffene Organisationsmitglieder nahezu ausnahmslos mit Ablehnung auf Veränderungen reagieren. Eine neuere empirische Studie, in welcher die emotionale Reaktion von Organisationsmitgliedern in 102 Wandlungssituationen untersucht worden ist, zeigt allerdings, dass sich sowohl sehr unterschiedliche negative als auch positive Emotionen feststellen lassen.292 Matheny/Smollan halten als grundlegendes Ergebnis ihrer Analysen fest: „(…) the emotions were demonstrated to be experienced in different frequencies and with different intensities depending on the context.”293 Diese Erkenntnisse unterstreichen noch einmal die Überlegungen von Lazarus sowie die Hinweise aus der Inhaltsanalyse zu Veränderungen von Emotionen im Wandlungsverlauf und führen zu der Schlussfolgerung, dass die emotionalen Reaktionen von Führungskräften in Wandlungssituationen kontextsensibel und dynamisch sind und daher nicht auf ein primäres Reaktionsmuster reduziert werden können. 290
291 292 293
Vgl. z.B. Mossholder/Settoon/Armenakis/Harris (2000), S. 222f. und die dort zitierte Literatur sowie Kiefer (2005), S. 878. Vgl. Kiefer (2002), S. 42. Vgl. Matheny/Smollan (2005), S. 186ff. Matheny/Smollan (2005), S. 199.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
169
Untersuchungen zu den allgemeinen Effekten von Emotionen294 haben gezeigt, dass positive Emotionen die Entwicklung kreativer Problemlösungen anregen,295 zu einer positiveren Wahrnehmung des Arbeitsumfelds führen,296 Arbeitszufriedenheit steigern,297 Organizational Citizenship Behavior fördern298 und Leistungsverbesserungen zur Folge haben.299 Der letztgenannte Erfolgseffekt ist in der Literatur allerdings umstritten.300 Es zeigen sich auch Hinweise, dass Organisationsmitglieder, die negative Emotionen verspüren, Handlungssituationen kritischer und realistischer einschätzen, als Organisationsmitglieder in positiven Stimmungslagen.301 Negative Emotionen können zur Folge haben, dass die aktuelle Situation als problematisch interpretiert wird und hierdurch ein höheres Anstrengungsniveau sowie innovativere Problemlösungsstrategien zur Anwendung gelangen, als bei positiven Emotionszuständen, von denen aufgrund einer positiven Situationseinschätzung kein Handlungsmotivationsimpuls ausgeht.302 In der Regel werden aber negativen Emotionen auch negative Effekte zugesprochen, wie z.B. erhöhtes Stressempfinden und Burn-out Symptome,303 negativere Beurteilung anderer Organisationsmitglieder304 oder Resignationen, verbunden mit einer inneren Abkehr von der Unternehmung.305 Während sich in den Interviews und der Literatur eine Vielzahl von Hinweisen zum Einfluss von Emotionen auf die Wandlungsbereitschaft zeigen, sind lediglich einige wenige, eher indirekte Anzeichen zu einer etwaigen Wirkung auf die Wandlungsfähigkeit erkennbar. Insbesondere die Ausführungen zu den Effekten von Emotionen auf z.B. Organizational Citizenship Behaviour oder Kreativität lassen eine Determinierung der Fähigkeiten von Organisationsmitgliedern vermuten. Diese Annahme wird auch durch die Überlegungen
294
295 296
297 298
299 300 301 302 303 304 305
Vgl. für einen zusammenfassenden Überblick Ashkanasy/Härtel/Daus (2002), S. 318 sowie Brief/Weiss (2002), S. 292ff. Vgl. Isen/Baron (1991), S. 20ff.; Estrada/Isen/Young (1994), S. 293f. Vgl. Ashkanasy/Härtel/Daus (2002), S. 318 unter Rückgriff auf das „mood congruence paradigm. Vgl. vertiefend hierzu die von den Autoren zitierte Literatur. Vgl. Connolly/Viswesvaran (2000), S. 273. Vgl. z.B. Williams/Shiaw (1999), S. 657 sowie für eine zusammenfassende Übersicht der Forschung zum Einfluss positiver Emotionen auf helfendes und unterstützendes Verhalten Brief/Weiss (2002), S. 294f. Vgl. Staw/Sutton/Pelled (1994), S. 52f. Vgl. Ashkanasy/Härtel/Daus (2002), S. 319 und die dort zitierte Literatur. Vgl. Ashkanasy/Härtel/Daus (2002), S. 319; Schwarz/Bohner (1996), S. 131f. Vgl. George/Zhou (2002), S. 687. Vgl. Frost (2003), S. 92ff. Vgl. Daus (2001), S. 351. Vgl. Bruch/Vogel (2005), S. 178 sowie Brief/Weiss (2002), S. 296 und die dort zitierte Literatur.
170
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
von George zum Zusammenhang von Emotionen und effizienter Führung, die das Resultat der angewendeten Fähigkeiten darstellt, unterstützt.306 Anhaltspunkte für eine Mediatorfunktion von Emotionen in der Wirkbeziehung zwischen Kontextfaktoren und Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit lassen sich, wie die dargestellten Interviewextrakte zeigen, insbesondere für die beiden Teilaspekte verspürter Neuartigkeits- und Herausforderungsgehalt sowie wahrgenommene Führungskräfteunterstützung identifizieren. Eine neuere Studie stützt diese empirischen Anzeichen und kommt zu dem Ergebnis, dass Emotionen die Einflussnahme der wahrgenommenen Führungskräfteunterstützung auf die zynische Haltung von Mitarbeitern vollständig vermitteln.307 Darüber hinaus wird in dieser Untersuchung festgestellt, dass Emotionen als Mediator in der Wirkbeziehung zwischen Ausdauer und zynischer Haltung von Mitarbeitern fungieren. Dieses Ergebnis führt zu der Annahme, dass Emotionen ebenfalls die Einflussnahme von Kompetenzpotenzialen auf Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit vermitteln. Es lässt sich demnach zusammenfassend vermuten, dass die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit nicht nur von einer kognitiv-rationalen Situationsbewertung beeinflusst werden, sondern vielmehr vom Ergebnis verknüpfter und iterativ verlaufender kognitiver und emotionaler Bewertungsprozesse, in deren Verlauf mentale Bewusstseinslagen emotional belegt werden und somit einen entsprechenden Aktivierungsgehalt erlangen. Zusammenfassend lassen sich zur Zusammensetzung des Konstrukts Wandlungseinstellung von Führungskräften und dessen Wirkung als Mediator die nachfolgenden drei Hypothesen aufstellen:
306 307
Vgl. George (2000), S. 1031f. Vgl. hierzu und im Folgenden Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 475f.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
171
Hypothese 5b: Das Konstrukt Wandlungseinstellung von Führungskräften setzt sich aus den beiden Dimensionen „wandlungsbezogenes Empowerment“ und „Emotionen“ zusammen. Hypothese 5c:
Die Wandlungseinstellung von Führungskräften wirkt als Mediator zwischen den wandlungsbezogenen Kompetenzpotenzialen und der Wandlungskompetenz.
Hypothese 5d: Die Wandlungseinstellung von Führungskräften wirkt als Mediator zwischen dem wahrgenommenen Wandlungskontext und der Wandlungskompetenz.
5.5
Zwischenfazit: Zusammenschau der zentralen Erkenntnisse zur Entstehung einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz
Die qualitative Studie konnte nicht nur einen Beitrag zur Konkretisierung der Inhalte einer Wandlungskompetenz von Führungskräften und den hieraus resultierenden Effekten leisten, sondern zeigt darüber hinaus vielfältige Hinweise zu möglichen Einflussfaktoren und Wirkbeziehungen. Die Inhaltsanalyse hat gezeigt, dass sich insbesondere von den vier Kompetenzpotenzialen Proaktivität, Ausdauer, Empathie und Wissen ein starker Einfluss auf die Wandlungskompetenz vermuten lässt. Die Interviews liefern eine Vielzahl von Anhaltspunkten, dass diese Einflussfaktoren relativ stabile Verhaltensneigungen darstellen, die direkt auf das Untersuchungskonstrukt Wandlungskompetenz wirken. Proaktivität induziert eine Bereitschaft zur Initiierung von organisationalem Wandel und zur innovativen und kreativen Problemlösung in festgefahrenen Wandlungssituationen. Des Weiteren unterstützt dieses Persönlichkeitsmerkmal eine erfolgreiche Anwendung bestimmter wandlungsbezogener Fähigkeiten, wie z.B. die Entwicklung und Umsetzung einer Wandlungsvision. Während Proaktivität eine Art wandlungsgerichtete Anschubenergie bereitstellt, sichert das Kompetenzpotenzial Ausdauer Wandlungsbereitschaft gegen Durststrecken und Enttäuschungen ab und hält so ein langfristiges Engagement sowie eine klare Zielorientierung der Führungskraft aufrecht. Zudem deutet die Inhaltsanalyse darauf hin, dass Ausdauer bestimmte Fähigkeiten wie das Durchsetzungs- und Entscheidungs-
172
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
vermögen beeinflusst. Dem Persönlichkeitsmerkmal Empathie lässt sich hingegen zusprechen, dass es insbesondere die transformationalen Führungsfähigkeiten determiniert. Darüber hinaus liefert Empathie aber auch Energie zum Aufbau von Wandlungsbereitschaft. Das Kompetenzpotenzial Wissen kann als zentrale Einflussgröße auf alle identifizierten wandlungsbezogenen Fähigkeiten von Führungskräften verstanden werden. Die Kenntnis der wichtigsten Geschäftsprozesse sowie möglicher Promotoren und Opponenten unterstützt aber auch ein Infragestellen alter Strukturen sowie den Aufbau einer Zielorientierung und somit die Entwicklung von Wandlungsbereitschaft. Die Inhaltsanalyse hat die Vermutung aus Kapitel 3 gestützt, dass der wahrgenommene Wandlungskontext einen zentralen Einflussfaktor von Wandlungskompetenz darstellt. Es kristallisierte sich heraus, dass insbesondere vom Wandlungsobjekt und der wahrgenommenen Führungsunterstützung zentrale Impulse auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit ausgehen. Das Wandlungsobjekt besitzt dann einen großen Einfluss, wenn die durchzuführenden Wandlungsaufgaben als neuartig und herausfordernd und/oder nützlich für die Unternehmung eingeschätzt werden. Ein derartiges Empfinden stellt Energie für ein hohes Wandlungsengagement und eine klare Zielorientierung bereit. Darüber hinaus determiniert es aber auch wandlungsbezogene Fähigkeiten, die darauf ausgerichtet sind, die wahrgenommene Anreizwirkung zu realisieren. Die Inhaltsanalyse lässt erkennen, dass eine Wahrnehmung von Unterstützung durch hierarchisch höher gestellte Führungskräfte ein Empfinden von Rückendeckung induziert, welches ebenfalls einen positiven Einfluss auf Engagement und Zielorientierung im Wandlungsprozess besitzt. Darüber hinaus zeigen sich aber auch Hinweise auf eine Determinierung von wandlungsbezogenen Fähigkeiten. Zwar ließen sich bei der Inhaltsanalyse eine Vielzahl von Anzeichen für eine direkte Einflussnahme des Wandlungskontexts auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften erkennen, allerdings konnten keine Spuren für die in der Literatur diskutierte Moderatorfunktion im Beziehungsfeld Kompetenzpotenziale Wandlungskompetenz festgestellt werden. Vielmehr deuten die Interviews darauf hin, dass zumindest ein Teil der Wirkung des Wandlungskontexts auf die Wandlungskompetenz und darüber hinaus des Einflusses der Kompetenzpotenziale auf Wandlungskompetenz über ein bisher nicht näher betrachtetes Konstrukt, welches sich als Wandlungseinstellung verstehen lässt, vermittelt wird.
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
173
Die Inhaltsanalyse zeigt, dass sich eine derartige Wandlungseinstellung als kognitivemotionales Konstrukt verstehen lässt, dessen kognitive Dimension das Empfinden eines Empowerments und die emotionale Dimension positive und/oder negative Gefühlszustände umfasst. Empowerment spiegelt die individuelle Einschätzung der Führungskraft wider, für die Durchführung wandlungsbezogener Handlungen ermächtigt zu sein. Diese Empfindung bildet sich aus den vier kognitiven Zuständen Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Einflussnahmemöglichkeit und persönliche Bedeutung. Die Selbstwirksamkeit reflektiert den Glauben an die eigenen Fähigkeiten im Wandlungsprozess. Sie baut sich aufgrund von Erfahrungen und einem Wissen um die eigenen Handlungspotenziale wie z.B. Ausdauer oder Empathie auf. Zudem wird Selbstwirksamkeit vom wahrgenommenen Unterstützungsverhalten hierarchisch höher gestellter Führungskräfte und dem Wandlungsobjekt determiniert. Die Interviews deuten darauf hin, dass von einem Selbstwirksamkeitsempfinden wichtige positive Impulse auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit ausgehen. Ähnliche Effekte lassen sich dem Selbstbestimmungs- und Einflussnahmeempfinden im Wandlungsprozess zusprechen. Sie reflektieren eine wahrgenommene Handlungsautonomie und die Einschätzung, durch das eigene Handeln auch tatsächlich Einfluss auf den Wandlungsverlauf nehmen zu können. Es ist erkennbar, dass beide kognitiven Zustände hauptsächlich von der verspürten Führungsunterstützung und dem individuellen Wissen beeinflusst werden. Das Empfinden einer persönlichen Bedeutung wird hingegen insbesondere vom Wandlungsobjekt determiniert. Es kann vermutet werden, dass vor allem die vertikale Aufgabenerweiterung und der hierdurch verspürte Herausforderungsgehalt sowie die Einschätzung, dass der durchzuführende Wandel nützlich für die Unternehmung ist, das Empfinden einer persönlichen Bedeutung erhöht. Auch von diesem kognitiven Zustand geht eine wichtige Anreizwirkung auf die Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit von Führungskräften aus. Die Inhaltsanalyse lässt deutlich erkennen, dass nicht nur die kognitive Dimension einen zentralen Einfluss auf Wandlungskompetenz besitzt, sondern auch emotionale Zustände. Es deutet sich an, dass eine positive Wirkung insbesondere von positiven Emotionen, wie Enthusiasmus oder Freude ausgeht. Diese Emotionen sind vor allem das Resultat eines als neuartig, herausfordernd und nützlich eingeschätzten Wandlungsobjekts sowie der wahrgenommenen hohen Unterstützung durch das Topmanagement und/oder direkte Vorgesetzte.
174
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
Es zeigen sich deutliche Hinweise, dass die Wandlungseinstellung eine Moderatorfunktion in einem Erklärungsmodell zur Entstehung und Ausprägung von Wandlungskompetenz einnimmt. Sie moderiert nicht nur die Wirkbeziehung zwischen Wandlungskontext und Wandlungskompetenz, sondern auch jene zwischen Kompetenzpotenzialen und Wandlungskompetenz. Die in Kapitel 4 und 5 entwickelten Überlegungen zu den Inhalten und Wirkbeziehungen einer führungskräftebezogenen Wandlungskompetenz lassen sich zu dem einleitend in Abbildung 5.1 (vgl. Abschnitt 5.1) dargestellten Hypothesenmodell zusammenfassen. Die nachstehende Tabelle 5.1 stellt abschließend die abgeleiteten Untersuchungshypothesen dar, die in Kapitel 6 getestet werden:
Fallstudienbasierte Hypothesenentwicklung zur Entstehung von Wandlungskompetenz
175
Nr.
Hypothese
1a
Das Konstrukt Wandlungskompetenz von Führungskräften besteht aus den beiden unterschiedlichen Dimensionen Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit.
1b
Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit leisten beide einen Beitrag zum Konstrukt Wandlungskompetenz.
1c
Die Wandlungsfähigkeit einer Führungskraft setzt sich zusammen aus den unterschiedlichen Dimensionen „Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen“, „mikropolitisches Geschick“, „Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben“ sowie den vier transformationalen Führungsfähigkeiten „persönliche Ausstrahlung“, „Inspiration“, „geistige Anregung“ und „individuelle Behandlung“.
2
Die Wandlungskompetenz einer Führungskraft hat einen positiven Einfluss auf den Führungserfolg in Wandlungssituationen, ausgedrückt in außergewöhnlichem Anstrengungsniveau und hoher Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter sowie wandlungsbezogener Führungseffizienz.
3a
Das Konstrukt wandlungsbezogene Kompetenzpotenziale von Führungskräften setzt sich aus den vier Dimensionen „Proaktivität“, „Ausdauer“, „Empathie“ und „Wissen“ zusammen.
3b
Wandlungsbezogene Kompetenzpotenziale haben einen positiven Einfluss auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften.
4a
Die Anreizwirkung des Wandlungsobjekts setzt sich aus den beiden Teildimensionen „Verspürte Neuartigkeit und persönliche Herausforderung“ und „Eingeschätzter Nutzen des Wandels für die Unternehmung“ zusammen.
4b
Das Konstrukt „Führungskräfteunterstützung“ setzt sich aus den beiden Dimensionen „Unterstützung durch das Topmanagement“ und „Unterstützung durch die direkt vorgesetzte Führungskraft“ zusammen.
4c
Der wahrgenommene Wandlungskontext setzt sich aus den beiden Teilkonstrukten „Wandlungsobjekt“ und „Führungskräfteunterstützung“ zusammen.
4d
Der wahrgenommene Wandlungskontext hat einen positiven Einfluss auf die Wandlungskompetenz von Führungskräften.
5a
Das Konstrukt wandlungsbezogenes Empowerment von Führungskräften setzt sich aus den vier Teilkonstrukten „Selbstwirksamkeit“, „Selbstbestimmtheit“, „Einflussnahmemöglichkeit“ und „persönliche Bedeutung“ zusammen.
5b
Das Konstrukt Wandlungseinstellung von Führungskräften setzt sich aus den beiden Dimensionen „wandlungsbezogenes Empowerment“ und „Emotionen“ zusammen.
5c
Die Wandlungseinstellung von Führungskräften wirkt als Mediator zwischen den wandlungsbezogenen Kompetenzpotenzialen und der Wandlungskompetenz.
5d
Die Wandlungseinstellung von Führungskräften wirkt als Mediator zwischen dem wahrgenommenen Wandlungskontext und der Wandlungskompetenz.
Tab. 5.1: Die Hypothesen des Modells Wandlungskompetenz von Führungskräften in der Übersicht
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
6
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
6.1
Design der quantitativen Studie: Fragebogenuntersuchung als Forschungsmethodik
6.1.1
Der quantitative Forschungsprozess im Überblick
177
Das Kapitel 6 hat zum Ziel, die empirisch-qualitativ entwickelte Modellvorstellung zur Wandlungskompetenz von Führungskräften mittels einer eigenständigen quantitativen Studie für eine alternative Stichprobe zu überprüfen. Die Abbildung 6.1 auf der nachfolgenden Seite stellt den Forschungsprozess in der quantitativen Studie im Überblick dar und zeigt Inhalte sowie Ziele der einzelnen Untersuchungsschritte. Einleitend wird die Vorgehensweise bei der Fragebogenkonstruktion beschrieben und der Datenerhebungsprozess dargestellt. Es folgt die Entwicklung des Messinstrumentariums für die identifizierten Modellvariablen bzw. -konstrukte. Hierbei kommen für die neu entwickelten Messskalen explorative Faktorenanalysen zur Anwendung. Es schließt sich die Prüfung der inhaltsbezogenen Hypothesen mit Hilfe konfirmatorischer Faktorenanalysen sowie der Test der postulierten wirkungsbezogenen Hypothesen durch Regressionsanalysen an. Im letzten Untersuchungsschritt wird die Güte des Gesamtmodells anhand einer Strukturgleichungsanalyse getestet. Der Grundidee des kritischen Rationalismus von Popper folgend,1 wird in der quantitativen Studie geprüft, ob sich die aufgestellten inhalts- und wirkungsbezogenen Vermutungen zur Wandlungskompetenz von Führungskräften falsifizieren lassen (Falsifikationsprinzip). Hierdurch sollen etwaige falsche Vermutungen identifiziert und von der weiteren Theorieentwicklung ausgeschlossen werden, um dadurch eine „bessere“ Theorie zu generieren, die ausschließlich empirisch bewährte Erklärungsmuster enthält. Nicht-falsifizierte Hypothesen aus der quantitativen Studie gelten als vorläufig bestätigt, bis sie durch eine weitere Untersuchung widerlegt werden.
1
Vgl. Popper (1966) und hier insbesondere. S. 14ff. Vgl. auch Schmid (1996), S. 7ff. sowie zusammenfassend zum kritischen Rationalismus Kromrey (2002), S. 34ff. sowie S. 41ff.
178
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Methodischer Analyseschritt
Inhalt / Ziele
Hypothesenmodell (Kapitel 5)
Empirisch-qualitativ identifizierte Inhalte, Effekte und Einflussfaktoren von Wandlungskompetenz (Kapitel 5)
Fragebogenentwicklung
Identifikation geeigneter Messskalen sowie Fragebogendesign
Pretest
Überprüfung des Fragebogenentwurfs Rücklauf: 61 Fragebögen
Analyse und Anpassung der Messskalen
Analyse der etablierten und neu entwickelten Messskalen - Anpassung von Formulierungen und Übersetzungen
Datenerhebung
Online-Befragung von Führungskräften in vier Unternehmungen N=467 - Rücklauf: n=195 (41,8%)
Überprüfung der Messskalen
Analyse der Validität (explorative Faktorenanalyse) und Reliabilität (Cronbach Alpha-Koeffizienten)
Hypothesentest
Regressionsanalysen und konfirmatorische Faktorenanalysen
Strukturgleichungsanalyse
Überprüfung des Gesamtmodells
Abb. 6.1: Der quantitative Forschungsprozess im Überblick
6.1.2
Konstruktion des Fragebogens sowie Design und Durchführung eines Pretests
Die Überprüfung des Hypothesenmodells zur Wandlungskompetenz von Führungskräften erfordert die Entwicklung eines geeigneten Messinstrumentariums. Da es sich sowohl beim Zielkonstrukt Wandlungskompetenz als auch bei den vermuteten Einflussgrößen um laten-
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
179
te Variablen handelt, die sich einer direkten Beobachtung und Messbarkeit entziehen,2 stellt sich die Herausforderung einer Identifikation geeigneter Indikatoren, über die sich die Ausprägung der Variablen manifestiert und somit sichtbar wird.3 Diese Indikatoren werden in der Testtheorie auch als Items bezeichnet.4 Sie stellen den kleinsten Baustein eines Tests dar5 und sind in der Regel als Fragen formuliert.6 Die Items bzw. Fragen operationalisieren eine entwickelte Theorie und ermöglichen so eine Messbarmachung postulierter Zusammenhänge.7 Ein in der quantitativen Forschung weit verbreitetes Forschungsinstrument zur Erhebung von Antworten auf die entwickelten Fragen stellen Fragebögen dar.8 Um eine Vergleichbarkeit der Antworten sicherzustellen, kam in der durchgeführten Untersuchung ein standardisierter Fragebogen9 mit geschlossenen Fragen10 zur Anwendung.11 Die Fragebogenitems wurden sowohl deduktiv aus etablierten Tests12 als auch induktiv aus dem Datenmaterial der qualitativen Studie abgeleitet.13 Zentrales Kriterium für die Auswahl der Items war deren Eignung zur Messung der entwickelten Theorie.14 Dies bedeutet, dass eine Prüfung erfolgte, ob die in der Literatur diskutierten Tests auch wirklich die spezifischen Variablen bzw. Konstrukte des Modells erfassen, z.B. Ausdauer in einem organisationalen Kontext messen. Dort, wo sich keine geeigneten Tests identifizieren ließen, erfolgte entweder eine sprachliche Anpassung etablierter Testitems (z.B. durch die Aufnahme der Formulierung „in Veränderungsprojekten“) oder die Entwicklung eigener Items.
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Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 339. Vgl. DeVellis (1991), S. 12 sowie Kroeber-Riel/Weinberg (1999), S. 31, die betonen: „Indikatoren [Hervorhebung im Original] sind unmittelbar meßbare Sachverhalte, welche das Vorliegen der gemeinten, aber nicht direkt erfaßbaren Phänomene (…) anzeigen.“ Vgl. Bühner (2004), S. 16, der Items als beobachtbare und manifeste Variablen charakterisiert. Vgl. Rost (2004), S. 55. Vgl. Bühner (2004), S. 16. In der Psychologie werden Items als Einzelaufgaben im Rahmen von Experimenten oder Tests verstanden – vgl. hierzu Fröhlich (2002), S. 250. Vgl. Kromrey (2002), S. 360 bezugnehmend auf Friedrichs (1982), S. 204. Vgl. Punch (2005), S. 99. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 322. Vgl. Lamnek (2005), S. 344f. zu den definitorischen Merkmalen und den unterschiedlichen Arten geschlossener Fragen. Vgl. Atteslander (2003), S. 165. Tests setzen sich aus der Summe der verwendeten Items zusammen (vgl. Borg/Staufenbiel (1997), S. 30). Sie lassen sich nach Fröhlich (2002), S. 437 definieren als: „Standardisiertes und auf die Erfüllung von Gütekriterien überprüftes wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer individueller Merkmale mit dem Ziel einer quantitativen Aussage über deren Ausprägung.“ Vgl. zur deduktiven und induktiven Fragebogenkonstruktion Amelang/Schmidt-Atzert (2006), S. 94ff. Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 212.
180
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Vor der Aufnahme in den Fragebogen wurden die veränderten und neu entwickelten Items von sechs wissenschaftlichen Mitarbeitern unterschiedlicher Institute und Universitäten15 hinsichtlich ihrer Eindeutigkeit und Verständlichkeit geprüft. Da die quantitative Studie im deutschsprachigen Raum durchgeführt worden ist, mussten englischsprachige Items, für die in der Literatur keine Übersetzungen vorlagen, ins Deutsche übersetzt werden. Um sicherzustellen, dass hierbei der Sinn der Aussagen nicht verändert wurde, erfolgte eine Rückübersetzung der Items durch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Hannover mit muttersprachlichen Englischkenntnissen ins Englische und ein anschließender Abgleich der ursprünglichen mit den rückübersetzten Items.16 Die Items erforderten ausnahmslos Selbsteinschätzungen der befragten Führungskräfte auf fünfstufigen Ratingskalen17 mit den Antwortkategorien stimme sehr stark zu, stimme zu, neutral, stimme nicht zu und stimme überhaupt nicht zu. Matell/Jacoby konnten zeigen, dass die Anzahl der Skalenstufen unerheblich für die Güte eines Tests ist.18 Aus diesem Grund wurden zur Vereinheitlichung des Fragebogens deduktiv abgeleitete Skalen, die andere Skalenstufen verwenden, in fünfstufige Skalen überführt. Das Hypothesenmodell erforderte die Identifikation bzw. Entwicklung von 26 Messskalen, die insgesamt 99 Items umfassten. Darüber hinaus erfolgte eine Aufnahme von Items zur deskriptiven Auswertung des Datenmaterials, wie z.B. Managementposition, Alter, Geschlecht und Betriebszugehörigkeit, so dass der Fragebogen insgesamt 108 Items umfasste.19 Von den 26 Messskalen wurden sieben neu entwickelt und neunzehn Skalen aus etablierten Tests mit zum Teil leichten Abwandlungen übernommen. Da die quantitative Studie als Online-Befragung20 durchgeführt werden sollte, schloss sich nach der Itemauswahl die technische Erstellung21 des Fragebogens und der Aufbau einer geschützten Webseite an. Zur Reduktion von bewussten oder unbewussten Testverfäl15
16 17
18 19
20
21
Vgl. DeVellis (1991), S. 75, der eine Überprüfung von Fragebogenitems durch Experten vorschlägt. Diese Überprüfung wurde von wissenschaftlichen Mitarbeitern/-innen des Instituts für Unternehmensführung und Organisation und des Instituts für Versicherungsbetriebslehre der Universität Hannover sowie des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen vorgenommen. Vgl. für eine ähnliche Vorgehensweise Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 470. Vgl. für eine Übersicht unterschiedlicher Skalentypen Bortz/Döring (2003), S. 221ff. Am weitesten verbreitet sind Skalen mit fünf Antwortkategorien, vgl. Bühner (2004), S. 52. Vgl. Matell/Jacoby (1971), S. 666. Im Anhang 3 findet sich eine Übersicht aller verwendeten Items zur Messung der betrachteten Variablen bzw. Konstrukte und zur deskriptiven Auswertung des Datenmaterials. Vgl. für eine kurze Übersicht von Merkmalen sowie den Vor- und Nachteilen von Online-Befragungen Atteslander (2003), S. 186ff. Hierbei kam die Software Rogator zur Anwendung. Vgl. für Hinweise zur Fragebogenkonstruktion für Online-Befragungen ausführlich Schnell/Hill/Esser (2005), S. 382ff.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
181
schungen,22 die sich insbesondere aufgrund von Selbstdarstellung,23 sozial erwünschten Antworten24 oder positiver bzw. negativer Antworttendenzen25 einstellen können, waren dem Fragebogen einführende Informationen zu den Zielen der Studie und Anmerkungen zum Ausfüllen des Fragebogens vorangestellt.26 Die Befragten erhielten die Zusicherung des vertraulichen Umgangs mit den erhobenen Daten.27 Sie wurden zudem darauf hingewiesen, dass die Daten lediglich in einer aggregierten Form an die beteiligten Unternehmungen berichtet werden und sich somit keine Einzelantworten identifizieren lassen.28 Um den Befragten die Möglichkeit einzuräumen, nicht zwingend eine der fünf Antwortkategorien auswählen zu müssen und ihnen darüber hinaus die Option anzubieten, nicht relevante Fragen von der Beantwortung auszuschließen, konnte bei jeder Frage auch die Antwortoption keine Antwort ausgewählt werden.29 Der Fragebogen selbst war in unterschiedliche Fragenblöcke unterteilt, denen kurze Textpassagen zur Orientierung bei der Beantwortung voran standen, wie z.B. „Die nachstehenden Fragen beziehen sich darauf, wie Sie die Führung Ihres direkten Vorgesetzten in einem aktuellen Veränderungsprozess erlebt haben.“30 Die Fragestellungen zur deskriptiven Auswertung wurden in den abschließenden Teil des Fragebogens aufgenommen.31 Um von den Befragten Hinweise auf unverständliche Frageformulierungen, technische Probleme beim Ausfüllen oder allgemeine Verbesserungsvorschläge für die Fragebogenkonstruktion zu erhalten, umfasste die Pretest-Version des Fragebogens eine abschließende offene Frage, bei der sich die Befragten in Fließtextform äußern konnten.32
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30 31
32
Vgl. zur Übersicht von Arten und Auswirkungen von Testverfälschungen Bortz/Döring (2003), S. 230ff. Das Antwortverhalten spiegelt oftmals ein ideales Selbstbild wider, dass die Befragten gegenüber dem Befragungsdurchführenden darstellen möchten. Vgl. hiezu Rost (2004), S. 44. Vgl. Fowler (2002), S. 98ff. Die häufigsten Antworttendenzen sind starke Zustimmungs-, Mittelwert- oder Ablehnungstendenzen. Vgl. hierzu Bühner (2004), S. 59. Vgl. hierzu die Bildschirmausdrucke der Befragungswebseite im Anhang A4 und die dort aufgeführten Hinweise zu den Zielen der Befragung sowie die Anmerkungen zum Aufbau und Ausfüllen des Fragebogens. Vgl. Fowler (1995), S. 30 Vgl. zu einer ähnlichen Vorgehensweise Vogel (2003), S. 177. Vgl. Fowler (2002), S. 149, der betont, dass aus ethischen Gesichtspunkten den Befragten eine freiwillige Teilnahme zugesichert und ihnen die Option angeboten werden sollte, Fragen zu überspringen. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 384. Vgl. die Empfehlung von Bortz/Döring (2003), S. 256 rekurrierend auf Kreutz/Titscher (1974), S. 43f., im hinteren Teil des Fragebogens einfache und überwiegend kurze Fragen zu verwenden. Vgl. Fowler (1995), S. 130f.
182
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Auf den Pretest33 wurden ca. 160 Mitglieder des Alumni Netzwerks des Instituts für Unternehmensführung und Organisation der Universität Hannover sowie ca. 2500 Abonnenten des Hamburger Media-Net34 Newsletters und ca. 3500 Kunden einer Hamburger Personalberatung per E-Mail aufmerksam gemacht. Darüber hinaus erfolgte eine Ansprache von Führungskräften über Einträge in unterschiedlichen Foren im Online-Netzwerk „openbc“ (Open Business Club). Hier ließ sich allerdings nicht feststellen, wie viele Führungskräfte diese Einträge wirklich gelesen haben. Darüber hinaus lagen keine Informationen darüber vor, wie viele der angeschriebenen Personen in führenden Positionen tätig sind, so dass keine genaue Grundgesamtheit für den Pretest bestimmt werden konnte.35 Der Fragebogen wurde von 166 Personen aufgerufen und von 61 Personen ausgefüllt. Zur anschließenden Untersuchung der umformulierten, übersetzten und neu entwickelten Items kam eine Trennschärfenanalyse zum Einsatz, welche zeigen sollte, „(…) wie gut ein Item eine Skala die aus den restlichen Items gebildet wird widerspiegelt bzw. wie prototypisch ein Item für diese Skala ist.“36 Bei Items mit einem niedrigen Trennschärfekoeffizienten37 wurde die Formulierung bzw. Übersetzung noch einmal überprüft sowie zusätzlich mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Hannover diskutiert und stellenweise angepasst.38 Niedrige Trennschärfekoeffizienten ermöglichen aber auch den Ausschluss des betreffenden Items aus dem Fragebogen.39 Um die Struktur etablierter Tests zu erhalten und etablierte Item-Gefüge nicht zu zerstören, kam die Option der ItemEntfernung allerdings nur bei einigen wenigen neu entwickelten Items zur Anwendung. Die Auswertung der offenen Frage zum Gesamteindruck des Fragebogens, etwaiger technischer Probleme und Verständnisschwierigkeiten führte zu einigen formalen Veränderungen am Fragebogenaufbau (z.B. Aufnahme einer Fortschrittsanzeige bei der Fragenbeantwortung) sowie zur Umformulierung einzelner einleitender Textpassagen. 33
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Vgl. zur Konstruktion und Durchführung von Pretests ausführlich Schnell/Hill/Esser (2005), S. 347 rekurrierend auf Schnell (1991). Vgl. auch Wilson (2005), S. 83f.; Fowler (2002), S. 112ff. Hamburg Media-Net ist ein Online-Portal der Stadt Hamburg zum Austausch von Beschäftigten in IT-, Medien- und/oder Kommunikationsberufen. Vgl. zu den Problemen bei der Bestimmung von Stichprobenumfängen aufgrund von Selbstselektion bei Online-Befragungen Welker/Werner/Scholz (2005), S. 39. Bühner (2004), S. 87. Vgl. zur Item-Trennschärfe auch Borg/Staufenbiel (1997), S. 42 sowie Amelang/ Schmidt-Atzert (2006), S. 121ff. Eine Orientierung erfolgte hier an der von Jarvis/Petty (1996), S. 176 vorgeschlagenen Untergrenze für den Trennschärfekoeffizienten von 0,3. Vgl. für eine ähnliche Vorgehensweise nach einem Pretest z.B. Dvir/Eden/Avolio/Shamir (2002), S. 738. Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 219. Diese Empfehlung bezieht sich allerdings nur auf eindimensionale Messskalen. Demnach ist vor der Entfernung mit Hilfe einer Faktorenanalyse sicherzustellen, dass die jeweiligen Items auch wirklich einem Faktor zuzuordnen sind.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
6.1.3
183
Stichprobenbestimmung für die Hypothesen- und Modellprüfung sowie zentrale Merkmale der Teilstichproben in der Hauptuntersuchung
An die Stichprobe für die quantitative Überprüfung des entwickelten Hypothesenmodells wurden zwei zentrale Anforderungen gestellt. Zum einen soll sich die Stichprobe aufgrund der Forschungsfragen aus Führungskräften zusammensetzen, die zum Zeitpunkt der Studie aktiv in einen Wandlungsprozess involviert sind oder einen solchen vor kürzerer Zeit abgeschlossen haben. Zum anderen muss sie einen derartig großen Umfang aufweisen, dass sich die von einigen statistischen Verfahren geforderten Stichprobenmindestgrößen von n=100 bis 15040 erfüllen lassen. Da der prozentuale Anteil der Führungskräfte an den Organisationsmitgliedern41 aufgrund des Abbaus von Hierarchieebenen in den letzten Jahren zurückgegangen ist, in der Regel nicht alle Führungskräfte an Wandlungsprozessen beteiligt sind und diese Personengruppe aufgrund hoher Arbeitsbelastung zu einer niedrigen Teilnahmebereitschaft an derartigen Studien neigt, ist es problematisch, eine hohe Anzahl von Datensätzen aus der Befragung einer einzelnen Unternehmung zu generieren. Daher wurden vier Unternehmungen für die quantitative Studie ausgewählt, in denen größere, weitreichende Wandlungsprozesse durchgeführt worden sind. An der Befragung im Herbst 2005 nahmen die vier Unternehmungen VGH Versicherungen, Stadtwerke Hannover AG, Sennheiser electronic GmbH & Co. KG sowie TUI Deutschland GmbH teil. In allen vier Unternehmungen wurden zum Zeitpunkt der Befragung insbesondere tiefgreifende strukturelle Veränderungen durchgeführt. Insgesamt ging der Fragebogen 467 Führungskräften auf unterschiedlichen Hierarchieebenen zu. Die Ansprache der Führungskräfte erfolgte auf dem elektronischen Weg über eine Kontaktperson aus der Personal- oder Organisationsabteilung. Bei den VGH Versicherungen erhielten den Fragebogen alle Führungskräfte der VGH und ihrer drei Tochterunternehmungen ivv, ÖVB und Rechtsschutzschaden, bei den Stadtwerken Hannover alle Führungsebenen bis auf die Meisterebene, bei Sennheiser alle deutschen Führungskräfte und bei TUI Deutsch-
40
41
Dieser Stichprobenmindestumfang wird von vielen Autoren für Strukturgleichungsanalysen gefordert, vgl. z.B. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 370 sowie Ding/Velicer/Harlow (1995), S. 120. Laut statistischem Bundesamt nehmen ca. 16% der Organisationsmitglieder Führungspositionen ein – vgl. Statistisches Bundesamt (2001).
184
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
land ausgewählte Führungskräfte42 aus einem größeren Wandlungsprojekt. Es wurden 195 Fragebögen vollständig ausgefüllt, was einer Rücklaufquote von 41,8% entspricht. Um die einzelnen Stichproben für die Überprüfung des entwickelten Hypothesenmodells zu einer Gesamtstichprobe zusammenführen zu können, enthielt der Fragebogen unterschiedliche Fragen, aus denen sich auf die Ähnlichkeit der Grundgesamtheiten schließen ließ. Die befragten Führungskräfte wurden z.B. gebeten, Angaben darüber zu machen, wie stark die Unternehmung Veränderungen ausgesetzt ist und wie viel Prozent der täglichen Arbeitszeit auf wandlungsbezogene Aktivitäten entfallen. Darüber hinaus sollten sie die Art der durchgeführten Veränderung spezifizieren.43 Die Analyse der Ähnlichkeiten der Teilstichproben ergab eine starke Homogenität der Wandlungsarten. In allen vier Unternehmungen wurden insbesondere aufbau- und ablauforganisatorische Restrukturierungen und Wandlungsprojekte mit der Zielsetzung von Kostenoptimierungen durchgeführt. Die Einschätzung der Führungskräfte, wie stark ihre Unternehmung Wandel ausgesetzt ist, lag auf einer Skala von 0 bis 100 zwischen 63,3 und 70,02 und schwankte lediglich um 7 Prozentpunkte. Der vermutete prozentuale Anteil wandlungsbezogener Tätigkeiten an der täglichen Arbeitszeit wurde auf einer Skala von 0 bis 100 zwischen 25,6 und 29,8 eingeordnet und variierte nur um etwa 4 Prozentpunkte. Ein Gruppenvergleich zwischen den vier Unternehmungen anhand einer Varianzanalyse (ANOVA) mit Tukey Post-hocMehrvergleichstest44 zeigte, dass die Unterschiede nicht signifikant sind. Eine Überprüfung der Teilstichproben hinsichtlich der personenbezogenen Merkmale Alter, Betriebszugehörigkeit und Geschlecht ergab ebenfalls keine signifikanten Unterschiede. Es kann demnach vermutet werden, dass in einer zusammengeführten Stichprobe keine starken Ergebnisverzerrungen aufgrund personenmerkmalsbezogener Abweichungen und/oder unterschiedlicher Wandlungsarten und Wandlungsintensitäten in der Grundgesamtheit auftreten.
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Um die Stichprobe der qualitativen und quantitativen Studie nicht zu vermischen, wurde sichergestellt, dass die teilnehmenden Führungskräfte nicht schon bei der qualitativen Studie befragt worden sind. Zur Auswahl standen zehn unterschiedliche Formen von organisationalem Wandel, wie z.B. Restrukturierung/Prozessveränderung, Entwicklung neuer Strategien, Kostenoptimierung oder Unternehmungssanierung. Da mit einem organisationalen Wandel mehrere Ziele verfolgt werden können, wurden Mehrfachantworten zugelassen. Mittels der Post-Hoc-Mehrfachvergleichsmethode lassen sich die gebildeten Gruppen gegeneinander vergleichen. Der Tukey-Test berechnet das Signifikanzniveau der Mittelwertunterschiede zwischen den Gruppen. Vgl. Hair et al. (2006), S. 424 sowie Pallant (2006), S. 216ff.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
185
Die zusammengeführte Stichprobe wurde in einem weiteren Schritt hinsichtlich der Beantwortungsgeschwindigkeit und fehlender Werte analysiert. Da in vielen Fragebögen die Antwortoption keine Antwort ausgewählt worden ist, enthielten viele Datensätze fehlende Werte. In der Literatur werden neben der Schätzung des fehlenden Werts oder dessen Ersetzung durch den Mittelwert der anderen zu einer Skala gehörenden Items insbesondere die Entfernung des betreffenden Falls aus der Analyse (paarweiser Fallausschluss) oder die Löschung des gesamten Datensatzes (listenweiser Fallausschluss) diskutiert.45 Da fehlende Werte insbesondere bei Strukturgleichungsanalysen zu Problemen führen und die meisten Auswertungsprogramme diese Werte schätzen müssen, was eine Verzerrung der Ergebnisse zur Folge haben kann,46 kam ein listenweiser Fallausschluss zur Anwendung. Die Analyse der Beantwortungsgeschwindigkeit47 hatte zum Ziel, diejenigen Fragebögen zu identifizieren, die sehr schnell bearbeitet worden sind und sich somit annehmen ließ, dass die Befragten die Fragen nicht gelesen haben. Da die durchschnittliche Beantwortungszeit bei ca. zwanzig Minuten lag, wurden Fragebögen aus dem Datensatz entfernt, deren Beantwortung weniger als fünf Minuten in Anspruch nahm. Diese Fragebögen zeigten zudem ein sehr homogenes Antwortverhalten in dem Sinne, dass nahezu durchgehend die selbe Antwortoption gewählt worden ist, was sich ebenfalls als Zeichen eines schnellen und unreflektierten Beantwortens des Fragebogens interpretieren lässt. Insgesamt wurden bei den beiden Analysen 92 Datensätze entfernt, so dass der Stichprobenumfang für die Überprüfung des Hypothesenmodells bei 103 liegt und somit knapp den häufig geforderten Stichprobenmindestgrößen für Strukturgleichungsanalysen von n=100 bis 150 entspricht. Die Stichprobe setzt sich zu 13,4% aus Führungskräften der oberen, 56,7% der mittleren und 29,9% der unteren Hierarchieebene zusammen.48 Der Altersdurchschnitt der Befragten liegt bei 44 Jahren mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von knapp 15 Jahren. 85,1% der befragten Führungskräfte sind männlich und 14,9% weiblich.
45 46 47 48
Vgl. ausführlich zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Verfahren Byrne (2001), S. 289ff. Vgl. Brown (1994), S. 314, der von einer Ersetzung fehlender Werte durch Mittelwerte abrät. Die Beantwortungsgeschwindigkeit wurde von der Fragebogen-Software Rogator ermittelt. Im Fragebogen wurde nicht direkt nach der zugehörigen Hierarchieebene, sondern der unternehmungsspezifschen Positionsbezeichnung gefragt (z.B. Abteilungsleitung, Projektleitung oder Unterabteilungsleitung – vgl. hierzu auch den Fragenbogen auf S. A9). Die Zudordung dieser Positionen zur oberen, mittleren und unteren Hierarchieebene erfolgte in Abstimmung mit den jeweiligen Kontaktpersonen in den befragten Unternehmungen.
186
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
6.2
Qualitätsmerkmale quantitativer Studien sowie Skalenentwicklung auf Basis von explorativen Faktorenanalysen
6.2.1
Reliabilität und Validität als zentrale Gütekriterien einer quantitativen Untersuchung
Die Qualität eines Tests wird in der Testtheorie anhand unterschiedlicher Gütekriterien bestimmt.49 Als Kriterien zur Beurteilung der Güte einer Messung kommen hierbei insbesondere die Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Gültigkeit) zur Anwendung.50 Als Reliabilität bezeichnet „(…) man den Grad der Genauigkeit, mit dem ein Test ein bestimmtes Merkmal misst (…).“51 Eine Möglichkeit zur Bestimmung der Reliabilität ist die Überprüfung der internen Konsistenz, die angibt, in welchem Umfang die einzelnen Items einer Skala dasselbe Konstrukt messen.52 Als gebräuchlichste Methode zur Bestimmung der internen Konsistenz hat sich der Cronbach Alpha-Koeffizient (kurz: Cronbachs Alpha)53 durchgesetzt. Cronbachs Alpha kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen.54 Er liegt umso höher, je mehr Items eine Skala beinhaltet und je stärker die einzelnen Items untereinander korrelieren (Item-Interkorrelation).55 Empirische Alpha-Werte über 0,7 werden bei etablierten Messskalen als akzeptabel betrachtet.56 In explorativen Analysen, bei denen neu entwickelte Skalen erstmalig zur Anwendung gelangen, gelten Alpha-Werte über 0,657 als ausreichend. Die Cronbachs Alpha der einzelnen Variablen im Hypothesenmodell Wandlungskompetenz von Führungskräften werden in den Tabellen zur Faktorenanalyse im nachfolgenden Abschnitt dargestellt. Die Validität eines Tests gib das Ausmaß an, „(…) inwieweit der Test das misst, was er messen soll.“58 Sie lässt sich weiter differenzieren bzw. operationalisieren über eine Inhaltsvalidität, Kriteriumsvalidität und Konstruktvalidität.59
49 50 51 52 53 54 55 56
57
58 59
Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 193. Vgl. Punch (2005), S. 95. Für eine Übersicht alternativer Gütekriterien vgl. Lienert (1969), S. 12ff. Bühner (2004), S. 29. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 152. Vgl. Rost (2004), S. 379 sowie ausführlich Cronbach (1951). Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 153. Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 198. Vgl. für eine weit verbreitete Daumenregel zur Einstufung der Cronbachs Alpha Werte Kline (2005), S. 59. Der Autor stuft die Güte wie folgt ein: Cronbachs Alpha 1 bis 0,9 = exzellent, unter 0,9 bis 0,8 = sehr gut, unter 0,8 bis 0,7 = adäquat. Vgl. Robinson/Shaver/Wrightsman (1991), S. 13, Tabelle 1. Nunnally (1978), S. 226 hält in frühen Untersuchungsstadien sogar Cronbachs Alpha Werte zwischen 0,5 und 0,6 für akzeptabel. Rost (2004), S. 33. Vgl. hierzu ausführlich Cascio/Aguinis (2005), S. 156ff.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
187
Inhaltsvalidität ist gegeben, „(…) wenn ein Test oder ein Testitem das zu messende Merkmal auch wirklich bzw. hinreichend erfasst.“60 Es stellt sich somit die Frage, ob die richtigen und genügend Items zur Messung ausgewählt worden sind, um alle vermuteten Inhalte des zu messenden Konstrukts zu erfassen.61 Da sich die Inhaltsvalidität nicht objektiv messen lässt, sondern vielmehr auf der subjektiven Vermutung beruht, alle wichtigen Items berücksichtigt zu haben, stellt sie nach der Ansicht von Schnell/Hill/Esser auch kein Validitätskriterium dar, sondern vielmehr eine Leitlinie bzw. ein Ziel bei der Skalenkonstruktion.62 Aus diesem Grund wurde bei der Entwicklung des Messinstrumentariums das Ziel der Inhaltsvalidität als Qualitätskriterium aufgenommen und bei der Suche nach Messskalen ausführlich die Eignung in Bezug auf die Messung der Variablen im spezifischen Untersuchungskontext geprüft. Zur Erhöhung der Inhaltsvalidität bei den neu entwickelten Skalen sollte der bereits erwähnte Diskussionsprozess mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern, der „Übersetzungs-Rückübersetzungsprozess“ bei englischsprachigen Items sowie der Pretest und die anschließende Itembearbeitung beitragen. Kriteriumsvalidität besteht, „(…) wenn das Ergebnis eines Tests zur Messung eines latenten Merkmals bzw. Konstrukts (…) mit Messungen eines korrespondierenden manifesten Merkmals bzw. Kriteriums übereinstimmt (…).“63 Als sehr problematisch erweist sich bei dem entwickelten Hypothesenmodell die Identifikation eines geeigneten objektiven Merkmals, zur Überprüfung der geforderten Übereinstimmung.64 Es müsste z.B. überprüft werden, ob die gemessene Wandlungskompetenz einer Führungskraft mit einem auch als „Außenkriterium“65 bezeichneten objektiven Merkmal hoch korreliert. Es liegen mit den drei Teildimensionen „Zufriedenheit der Geführten“, „Erhöhtes Anstrengungsniveau der Geführten“ und „Führungseffizienz“ sowie den jeweiligen Messindikatoren zwar überprüfbare Kriterien vor, so dass sich entsprechende Korrelationen bestimmen lassen,66 allerdings handelt es sich hierbei um Selbsteinschätzungen und somit nicht um objektiv beobachtbare Merkmale. Aus diesem Grund lässt sich die Kriteriumsvalidität für die Messskalen im entwickelten Hypothesenmodell nur sehr eingeschränkt bzw. nicht objektiv bestimmen. Da
60 61 62 63 64 65 66
Bühner (2004), S. 30. Vgl. Punch (2005), S. 97; DeVellis (1991), S. 43; Bühner (2004), S. 30. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 155. Bortz/Döring (2003), S. 200. Vgl. zu dieser Problematik Wegener (1983), S. 95f. Vgl. Bortz/Döring (2003), S. 200. Vgl. die Korrelationstabelle (Tabelle 6.9) in Abschnitt 6.3.2, die einen Korrelationskoeffizienten von 0,84 bei p< 0,01 zwischen Wandlungskompetenz und Wandlungskompetenzeffekt zeigt.
188
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
die Inhalts- und Kriteriumsvalidität entweder nur geringe Aussagkraft besitzen oder nicht bestimmbar sind, kommt der Konstruktvalidität eine besondere Bedeutung zu.67 Konstruktvalidität „(…) focuses on how well a measure conforms with theoretical expectations.“68 Sie lässt sich anhand der beiden Kriterien Konvergenzvalidität und Diskriminanzvalidität beurteilen.69 Konvergenzvalidität ist gegeben, wenn verschiedene Items eines Konstrukts bzw. einer Variable dasselbe messen.70 Diskriminanzvalidität besteht, wenn mit einem neu eingeführten Konstrukt (hier z.B. Wandlungskompetenz) und den entsprechenden Messskalen auch wirklich etwas anderes erfasst wird, als Sachverhalte, die bereits über andere Konstrukte und deren Skalen gemessen worden sind.71 Zur Bestimmung der Konstrukt- und Diskriminanzvalidität wurden exploratorische und konfirmatorische Faktorenanalysen eingesetzt.72 Mit exploratorischen Faktorenanalysen können Items zu homogenen Variablen bzw. Konstruktbereichen, den sogenannten Faktoren, zusammengefasst und von konstruktfremden Aspekten getrennt werden.73 Ein Faktor besteht demnach aus einem Set hoch korrelierter Items.74 Mit der Zusammenführung von Items zu einem Faktor lässt sich eine Konvergenzvalidität und durch die Zuordnung von Items zu verschiedenen Faktoren eine Diskriminanzvalidität erkennen.75 Während eine exploratorische Faktorenanalyse die Korrelationskoeffizienten zwischen Faktoren und Items berechnet (Faktorladung)76 und hierauf basierend eine Zuordnung von Items zu Faktoren vornimmt, überprüft die konfirmatorische Faktorenanalyse eine theoretische Annahme über die Anzahl von Items und die vermutete Zuordnung zu einem oder mehreren Faktoren.77 Der nachfolgende Abschnitt stellt die Entwicklung des Messinstrumentariums für das Hypothesenmodell dar. Hierbei werden mit den Ergebnissen der exploratorischen Faktorenanalysen Aussagen zur Konstruktvalidität und mit der Berechnung der Cronbachs Alpha zur Reliabilität der entwickelten Messskalen getroffen. Zur Erhöhung der Konstruktvalidität wurden bei der exploratorischen Faktorenanalyse nur Items berücksichtigt, deren
67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 156. Punch (2005), S. 98. Vgl. Bühner (2004), S. 31. Vgl. DeVellis (1991), S. 50. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 157. Vgl. Bühner (2004), S. 32 sowie Schnell/Hill/Esser (2005), S. 161ff. Vgl. Bühner (2004), S. 32. Vgl. Hair et al. (2006), S. 104. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2005), S. 162; Hair et al. (2006), S. 139. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 278. Vgl. Hair et al. (2006), S. 773f.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
189
Faktorladung mindestens einen Wert von 0,50 aufweisen.78 Darüber hinaus gilt ein Messinstrumentarium nur dann als geeignet, wenn es mindestens 60% der Varianz einer Variable bzw. eines Konstrukts erklärt.79 Nachstehend sind die identifizierten und im Pretest überprüften Skalen dargestellt. Neben den Angaben zur Skalenkonstruktion sind nachfolgend die entsprechenden Cronbachs Alpha und bei neu entwickelten Skalen darüber hinaus die jeweiligen Items sowie die erklärte Gesamtvarianz aufgeführt.
6.2.2
Entwicklung von Messskalen zur Überprüfung des Hypothesenmodells Wandlungskompetenz von Führungskräften
6.2.2.1 Skalen zur Messung von Wandlungskompetenz und ihrer Effekte Da sich in der Literatur keine Skalen zur Messung der Wandlungskompetenz von Führungskräften identifizieren lassen, wurden für die meisten Aspekte bzw. Teildimensionen eigene Messskalen entwickelt. a) Wandlungsbereitschaft In der Literatur finden sich zwar viele Skalen zur Messung einer Wandlungsbereitschaft,80 allerdings erfassen diese erstens nicht explizit die Wandlungsbereitschaft von Führungskräften und basieren zweitens auf anderen theoretischen Überlegungen. Desplaces/Beauvais konzeptualisieren Wandlungsbereitschaft z.B. als Einstellungskonstrukt mit drei Teildimensionen und entwickeln ein entsprechendes Messinstrumentarium für die emotionale, kognitive und intentionale Dimension.81 Da in dieser Arbeit Wandlungsbereitschaft als intentionales Phänomen verstanden wird, würde eine Übernahme dieser Messskala die Inhaltsvalidität und Konstruktvalidität verletzen und zu falschen Messergebnissen führen. Punch schlägt vor, in diesem Fall auf etablierte Messinstrumentarien zu verzichten und neue Messskalen zu entwickeln.82 Tabelle 6.1 zeigt die aus der qualitativen Studie abgeleiteten fünf Items zur Messung der Wandlungsbereitschaft von Führungskräften. Cronbachs Alpha liegt bei einem sehr guten Wert von 0,89.
78
79 80
81 82
Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 299. Die Autoren weisen darauf hin, dass ein Item, welches auf mehrere Faktoren eine Ladung von über 0,5 aufweist, auch bei jedem dieser Faktoren zur Interpretation herangezogen werden muss. Vgl. Hair et al. (2006), S. 120. Vgl. insbesondere die vielfach zur Anwendung gelangte Skala von Trumbo (1961), S. 339 sowie für eine neuere Messskala Desplaces/Beauvais (2004), S. 6ff. Vgl. Desplaces/Beauvais (2004), S. 26f., Table 1. Vgl. Punch (2005), S. 93f.
190
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Items des Faktors „Wandlungsbereitschaft von Führungskräften“
Faktorladung
Ich fühle einen starken Drang in mir, etwas durch meine Aktivitäten in diesem Veränderungsprozess zu verändern.
0,875
Ich bin bereit, für diesen Veränderungsprozess zu kämpfen.
0,861
Ich bin bereit, mich für diesen Veränderungsprozess über die normale Anforderung hinaus zu engagieren.
0,832
Ich will mein Ziel in diesem Veränderungsprozess unbedingt erreichen.
0,820
Ich habe mein Ziel in diesem Veränderungsprozess klar vor Augen.
0,803
Cronbachs Alpha
0,89
Erklärte Varianz
70,34%
Tab. 6.1: Skala zur Messung der Wandlungsbereitschaft von Führungskräften
b) Wandlungsfähigkeit Teildimension Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen Aufgrund eines fehlenden adäquaten Messsinstrumentariums wurde für diese Teildimension der Wandlungsfähigkeit ebenfalls eine eigene Messskala entwickelt. Die Skala erreicht ein akzeptables Cronbachs Alpha von 0,78 (vgl. Tabelle 6.2): Items des Faktors „Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen“
Faktorladung
Ich kann andere in diesem Veränderungsprozess von meinen Zielen überzeugen.
0,868
Ich habe keine Probleme damit, Entscheidungen in diesem Veränderungsprozess zu treffen.
0,828
Ich kann meine Ziele in diesem Veränderungsprozess durchsetzen.
0,825
Cronbachs Alpha
0,78
Erklärte Varianz
70,67%
Tab. 6.2: Skala zur Messung von Durchsetzungs- und Entscheidungsvermögen
Teildimension mikropolitisches Geschick Für diese Teildimension ließ sich ebenfalls keine geeignete Skala in der Literatur identifizieren, die alle aus der qualitativen Studie extrahierten Aspekte eines mikropolitischen Geschicks im Rahmen der Führung von Organisationsmitgliedern in Wandlungssituationen umfasst, so dass auch hier eine eigene Messskala entwickelt werden musste. Cronbachs Alpha nimmt mit 0,72 einen akzeptablen Wert an (vgl. Tabelle 6.3):
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
191
Faktorladung
Items des Faktors „mikropolitisches Geschick“ Ich schaffe es, festgefahrene Diskussionsprozesse in diesem Veränderungsprozess voranzutreiben.
0,857
Ich kann erfolgreich mit Widerständen von Mitarbeitern in diesem Veränderungsprozess umgehen.
0,806
Ich kann gut mit politisch motiviertem Verhalten von Mitarbeitern in diesem Veränderungsprozess umgehen.
0,769
Cronbachs Alpha
0,73
Erklärte Varianz
65,80%
Tab. 6.3: Skala zur Messung von mikropolitischem Geschick
Teildimension Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben Auch für den dritten Aspekt der Wandlungsfähigkeit von Führungskräften konnte in der Literatur keine Skala identifiziert werden. Aus diesem Grund wurde auch hier eine neue Messskala entwickelt. Die Skala besitzt ein akzeptables Cronbachs Alpha von 0,75 (vgl. Tabelle 6.4). Items des Faktors „Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben“ Faktorladung Ich schaffe für Mitarbeiter, die starken Belastungen in diesem Veränderungsprozess ausgesetzt sind, von Zeit zu Zeit kleine „Verschnaufpausen“.
0,853
Bei der Verteilung von Aufgaben in diesem Veränderungsprozess berücksichtige ich die individuellen Leistungskapazitäten der Mitarbeiter.
0,810
Ich verteile die Aufgaben in diesem Veränderungsprozess so, dass die Mitarbeiter zeitlich nicht überlastet werden.
0,805
Cronbachs Alpha
0,75
Erklärte Varianz
67,70%
Tab. 6.4: Skala zur Messung von Verteilung und Timing von Wandlungsaufgaben
Teildimensionen transformationale Führungsfähigkeiten Zur Messung der transformationalen Führungsfähigkeiten wurde auf den bereits in vielen Studien eingesetzten Selbsteinschätzungsfragebogen für Führungskräfte aus dem Multifactor Leadership Questionnaire (MLQ) zurückgegriffen.83 Da dieser Fragebogen in englischer Sprache vorlag, mussten die einzelnen Items ins Deutsche übersetzt werden. Hierbei
83
Der MLQ wurde zur Messung von transaktionaler und transformationaler Führung entwickelt – vgl. zur Entwicklung des MLQ z.B. Bass (1998), S. 12ff. und Bass/Avolio (2000), S. 1ff. sowie zu den Inhalten des Selbsteinschätzungsfragebogen für Führungskräfte Bass/Avolio (2000), S. 53f.
192
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
erfolgte eine grundlegende Orientierung an der deutschen Übersetzung von Felfe/Goihl.84 Da sich die einzelnen Items nicht direkt auf Wandlungssituationen beziehen, wurden entsprechende Ergänzungen vorgenommen, wie z.B. die Umformulierung von „I instill pride in others for being associated with me“ in „Ich mache andere stolz, mit mir in diesem Veränderungsprozess zusammenzuarbeiten“. Transformationale Führung wird im MLQ über fünf Skalen mit insgesamt zwanzig Items gemessen. Die Messung der drei Führungsfähigkeiten Inspiration, geistige Anregung und individuelle Behandlung erfolgt über jeweils eine Skala mit vier Items. Die Führungsfähigkeit persönliche Ausstrahlung wird hingegen über die beiden Subskalen zugesprochene persönliche Ausstrahlung durch die Geführten (idealized influence attributed) und durch Verhalten konkretisierte persönliche Ausstrahlung (idealized influence behavior)85 mit jeweils vier Items gemessen. Die Cronbachs Alphas betragen für persönliche Ausstrahlung (zugesprochene) 0,66,86 persönliche Ausstrahlung (verhaltensbezogene) 0,73, Inspiration 0,87, geistige Anregung 0,73 und individuelle Behandlung 0,79. Wandlungskompetenzeffekt Zur Messung der Wandlungskompetenzeffekte wurde ebenfalls auf den MLQ zurückgegriffen, der zur Erfassung der Führungseffizienz vier Items, zum erhöhten Anstrengungsniveau der Geführten drei Items und zur Zufriedenheit der Geführten zwei Items beinhaltet. Es erfolgte bei der Übersetzung wiederum eine Orientierung an der deutschen Version des MLQ von Felfe/Goihl und eine leichte Modifikation der Item-Formulierung durch die Aufnahme von „in diesem Veränderungsprozess“. Cronbachs Alpha zeigt für die Skala Führungseffizienz einen Wert von 0,72, erhöhtes Anstrengungsniveau der Geführten 0,78 und Zufriedenheit der Geführten 0,84.
84 85
86
Vgl. Felfe/Goihl (2002). Die Unterscheidung in diese beiden Subskalen wird in der Literatur allerdings stellenweise kritisiert. Yukl (2006), S. 263 merkt z.B. an, dass der MLQ zur Messung von beobachtbarem transformationalen Führungsverhalten und somit konkretisierter transformationaler Führungsfähigkeiten entwickelt worden ist. Nach Meinung des Autors ist es nicht nachvollziehbar, dass mit der zugesprochenen persönlichen Ausstrahlung eine Führungsfähigkeit erfasst wird, die lediglich wahrgenommen oder vermutet wird, sich aber noch nicht realisiert hat. Rathgeber (2005), S. 86 betont allerdings, dass häufig die Wahrnehmung von Führung eine stärkere Wirkung auf das Verhalten der Geführten besitzt, als das eigentliche Führungshandeln. Da die MLQ-Skalen aufgrund der sprachlichen Veränderung der Items einen explorativen Charakter besitzen, kann ein Cronbachs Alpha unter 0,7 als noch akzeptabel eingestuft werden.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
193
6.2.2.2 Messskalen zur Erfassung der Kompetenzpotenziale a) Proaktivität Für die Messung von Proaktivität kam die Proactivity Personality Scale von Bateman/Crant zum Einsatz.87 Da diese Messskala mit siebzehn Items sehr umfangreich ist, wurden die sieben Items mit der höchsten Faktorladung in den drei von den Autoren ausgewerteten Samples ausgewählt.88 Da diese Skala ebenfalls auf Englisch vorlag, erfolgte eine Übersetzung der Items ins Deutsche. Eine anschließende Reliabilitätsanalyse führte zum Ausschluss eines Items,89 so dass die Messskala insgesamt sechs Items umfasst. Cronbachs Alpha nimmt einen sehr guten Wert von 0,84 ein. b) Ausdauer Die Suche nach einer geeigneten Messskala für Ausdauer in einem organisationalen Kontext, führte zu der Psychological Hardiness Scale von Cole/Bruch/Vogel.90 Die sechs Items dieser Skala wurden ins Deutsche übersetzt91 und im Anschluss auf ihre Reliabilität geprüft. Dieser Vorgang führte zum Ausschluss von zwei Items.92 Die Skala zur Messung von Ausdauer umfasst somit vier Items und weist ein geringes, aber gerade noch akzeptables Cronbachs Alpha von 0,67 auf.93 c) Empathie Die Items zur Messung des Kompetenzpotenzials Empathie wurden aus der deutschen Skala „Einfühlungsvermögen“ von Vierzigmann übernommen.94 Cronbachs Alpha lag auch bei dieser Skala mit 0,65 sehr niedrig. Da allerdings kein Vergleichswert aus anderen Studien vorlag und dieser Skala aufgrund ihres Einsatzes in einem neuen Untersuchungskontext95 ein explorativer Charakter zuzusprechen ist, wurde der niedrige Alpha-Wert ebenfalls als gerade noch akzeptabel eingestuft.
87 88 89 90 91
92 93
94 95
Vgl. Bateman/Crant (1993), S. 110ff. Vgl. Bateman/Crant (1993), S. 112, Tabelle 1. Ausgewählt wurden die Items 6-12. Item 11 „I am always looking for better ways to do things“. Vgl. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 471. Die Skala ist zwar in der Veröffentlichung auch auf Deutsch angeführt, allerdings lag zum Zeitpunkt der Erhebung nur ein Arbeitspapier dieses Beitrags vor, der lediglich die englischsprachige Skala enthielt. Item 1 und Item 2 – vgl. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 484, Appendix. Da es sich um eine von den Autoren neu entwickelte Skala handelt, kann dieser noch ein explorativer Charakter zugesprochen werden, was die Akzeptanz eines Cronbachs Alpha unter 0,7 rechtfertigt. Vgl. Vierzigmann (1995), S. 108 bezugnehmend auf Hansson/Jones/Carpenter (1984). Die Autorin hat die Befragung nicht in einem organisationalen Kontext durchgeführt. Die Zielgruppe der Untersuchung waren junge Ehepaare, die hinsichtlich ihrer Kinderwünsche befragt worden sind – vgl. Vierzigmann (1995), S. 104.
194
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
d) Wissen Zur Messung der identifizierten relevanten Wissensinhalte ließen sich in der Literatur keine geeigneten Skalen finden, so dass eine eigene Messskala mit drei Items entwickelt worden ist. Die Skala besitzt ein akzeptables Cronbachs Alpha von 0,72 (vgl. Tabelle 6.5): Items des Faktors „Wissen“
Faktorladung
Ich weiß, welche Personen mit Widerstand auf Veränderungsprozesse reagieren.
0,843
Ich weiß, welche Personen ich aktivieren muss, um einen Veränderungsprozess voranzutreiben.
0,802
Ich kenne die Funktionsweise/Geschäftsprozesse unseres Business.
0,754
Cronbachs Alpha
0,72
Erklärte Varianz
64,08%
Tab. 6.5: Skala zur Messung von Wissen
6.2.2.3 Skalen zur Messung des wahrgenommenen Wandlungskontexts a) Wandlungsobjekt Teildimension verspürte Neuartigkeit und persönliche Herausforderung Für die Messung dieser Teildimension der Anreizwirkung des Wandlungsobjekts ließ sich in der Literatur keine geeignete Skala identifizieren, so dass eine eigene Messskala mit drei Items auf Basis der extrahierten Inhalte aus der qualitativen Studie entwickelt worden ist. Cronbachs Alpha beträgt für diese Messskala 0,74 (vgl. Tabelle 6.6): Items des Faktors „Verspürte Neuartigkeit und persönliche Herausforderung“
Faktorladung
Dieser Veränderungsprozess ermöglicht es mir, etwas völlig Neues zu machen.
0,848
Dieser Veränderungsprozess eröffnet mir die Möglichkeit, die Zukunft unseres Unternehmens mitzugestalten.
0,830
Der Veränderungsprozess ist eine persönliche Herausforderung für mich.
0,764
Cronbachs Alpha
0,74
Erklärte Varianz
66,40%
Tab. 6.6: Skala zur Messung von verspürter Neuartigkeit und persönlicher Herausforderung
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
195
Teildimension eingeschätzter Nutzen des Wandels für die Unternehmung Die Items zur Messung des eingeschätzten Nutzens des Wandels für die Unternehmung wurden der Appropriateness-Scale von Holt/Armenakis/Feild/Harris entnommen.96 Diese eindimensionale Skala enthält Items zur Messung der persönlichen und eingeschätzten organisationalen Valenz einer Wandlungssituation sowie des angenommenen Beitrags eines Wandlungsprozesses zur Schließung einer Diskrepanz zwischen Unternehmung und Umwelt. Von den sieben Items zur organisationalen Valenz und Diskrepanz wurden nach einer Prüfung ihrer Eignung zur Messung der identifizierten Inhalte fünf Items ausgewählt und ins Deutsche übersetzt.97 Cronbachs Alpha nimmt für diese Skala mit 0,92 einen exzellenten Wert an. b) Führungskräfteunterstützung Teildimension Unterstützung durch das Topmanagement Zur Messung der wahrgenommenen Unterstützung durch das Topmanagement kamen ebenfalls Items aus einer Skala von Holt/Armenakis/Feild/Harris zur Anwendung.98 Ihre eindimensionale Management-Support Skala umfasst sechs Items, von denen fünf als sinnvolle Messinstrumente ausgewählt und ins Deutsche übersetzt worden sind.99 Die Skala besitzt ein sehr gutes Cronbachs Alpha von 0,85. Teildimension Unterstützung durch die direkt vorgesetzte Führungskraft Die Literaturanalyse deutete daraufhin, dass zwei Items aus der eindimensionalen Skala Perceived Supervisor Support von Cole/Bruch/Vogel für die Messung der wahrgenommenen Unterstützung durch den direkten Vorgesetzten geeignet sind.100 Da diese beiden Items allerdings nicht ausreichen, um alle in der qualitativen Studie identifizierten Inhalte zu erfassen, wurden zur Erhöhung der Inhaltsvalidität ergänzende Items für die Messskala entwickelt (vgl. Tabelle 6.7). Cronbachs Alpha erreicht für diese neu entwickelte Skala einen exzellenten Wert von 0,91.
96 97
98 99 100
Vgl. Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 33, Table 3. Vgl. Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 33, Table 3. Es handelt sich hierbei um die Items 5, 16, 28, 37 und 39. Vgl. hierzu und im Folgenden Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 33, Table 3. Lediglich das Item 34 wurde aus der Skala entfernt. Vgl. Cole/Bruch/Vogel (2006), S. 483.
196
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Items des Faktors „Wahrgenommene Unterstützung durch die direkt vorsetzte Führungskraft“
Faktorladung
Mein direkter Vorgesetzter informiert mich ausführlich über den Nutzen des Veränderungsprozesses.
0,914
Mein direkter Vorgesetzter versorgt mich mit allen notwendigen Informationen zu diesem Veränderungsprozess.
0,879
Mein direkter Vorgesetzter interessiert sich für meine Gefühlslage in diesem Veränderungsprozess (in Anlehnung an Cole/Bruch/Vogel (2006)).
0,862
Mein direkter Vorgesetzter sichert mir seine Hilfe in diesem Veränderungsprozess zu, sofern ich diese benötige (in Anlehnung an Cole/Bruch/Vogel (2006)).
0,846
Ich genieße das Vertrauen meines direkten Vorgesetzten in diesem Veränderungsprozess.
0,802
Cronbachs Alpha
0,91
Erklärte Varianz
74,17%
Tab. 6.7: Skala zur Messung der wahrgenommenen Unterstützung durch die direkt vorgesetzte Führungskraft
6.2.2.4 Messinstrumentarium zur Erhebung der Wandlungseinstellung a) Kognitive Dimension – wandlungsbezogenes Empowerment Für die Messung des wandlungsbezogenen Empowerments von Führungskräften wurde für die drei Dimensionen Selbstbestimmtheit, Einflussnahmemöglichkeit und persönliche Bedeutung auf die etablierten Messskalen von Spreitzer zurückgegriffen.101 Da mit der eindimensionalen Change Efficacy Scale von Holt/Armenakis/Feild/Harris ein Messinstrumentarium zur Erfassung des hier betrachteten Teilkonstrukts wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit von Führungskräften vorliegt,102 kam dieses anstatt der von Spreitzer zur Messung von Selbstwirksamkeit entwickelten Skala zur Anwendung. Um die Struktur der ursprünglichen Skala von Spreitzer zu erhalten, die jeweils drei Items pro Dimension umfasst, erfolgte die Auswahl der drei Items aus der Change Efficacy Scale mit der höchsten Faktorladung.103 Im Anschluss wurden die insgesamt zwölf Items ins Deutsche übersetzt und die Items aus der Empowerment Scale von Spreitzer sprachlich auf Wandlungssituationen angepasst. Cronbachs Alpha erreicht für die Teilskala Selbstbestimmtheit 0,92, Einflussnahmemöglichkeit 0,84, persönliche Bedeutung 0,84 und wandlungsbezogene Selbstwirksamkeit 0,78.
101 102 103
Vgl. Spreitzer (1995), S. 1464f. Vgl. hierzu und im Folgenden Holt/Armenakis/Feild/Harris (2004), S. 33, Table 3. Es wurden die Items 36, 22 und 13 ausgewählt.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
197
b) Emotionale Dimension Zur Erfassung der Emotionen von Führungskräften kamen Items aus der Job Emotion Scale von Fisher zur Anwendung.104 Von den insgesamt acht Items, die positive Emotionen messen sollen, wurden vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung in der qualitativen Studie „Enthusiastic“, „Enjoying“ und „Proud“ und von den acht Items zur Erhebung negativer Emotionen „Worried“, „Disappointed“ „Angry“ ausgewählt, übersetzt und die jeweiligen Itemformulierungen auf einen organisationalen Wandlungskontext angepasst, wie z.B. „Ich bin stolz, in diesem Veränderungsprozess mitzuarbeiten.“ Die Skala zur Messung positiver Emotionen besitzt ein exzellentes Cronbachs Alpha von 0,93 und die Skala zur Erfassung negativer Emotionen ein sehr gutes Cronbachs Alpha von 0,82.
6.3
Test der Einzelhypothesen mittels Regressionsanalysen und konfirmatorischer Faktorenanalysen
6.3.1
Kernmerkmale der Analysemethoden
6.3.1.1 Potenziale und Grundstruktur von Regressionsanalysen Die Regressionsanalyse findet Anwendung, um die Beziehung zwischen einer oder mehreren unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variable zu spezifizieren.105 Sie dient der Ursachenanalyse („wie stark ist der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable?“), der Wirkungsprognose („wie verändert sich die abhängige Variable bei einer Änderung der unabhängigen Variable?“) und der Zeitreihenanalyse („wie verändert sich die abhängige Variable im Zeitablauf?“).106 Im Rahmen der Modellprüfung interessieren insbesondere die beiden erstgenannten Aspekte. Ausgangspunkt der Regressionsanalyse ist die Entwicklung einer Theorie im Sinne einer Aufstellung von Vermutungen über potenzielle Wirkbeziehungen zwischen unabhängigen und einer abhängigen Variable.107 Dies sollte a priori erfolgen, z.B. wie in dieser Arbeit ausgehend von den Erkenntnissen aus einer qualitativen Studie und theoretischen Überlegungen in der Literatur.
104 105 106
107
Vgl. Fisher (2000), S. 190f. Vgl. Hair et al. (2006), S. 176. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 49. Vgl. auch Thompson (2006), S. 217, der von Prognose und Erklärung als Kernaufgaben der Regressionsanalyse spricht. Vgl. hierzu und im Folgenden Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 52ff.
198
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Die Regressionsanalyse schätzt anhand der empirischen Daten eine Regressionsfunktion, welche die Beziehung zwischen den unabhängigen Variablen und der abhängigen Variable abbildet. Diese Funktion bildet eine Gerade (Regressionsgerade) und umfasst zum einen die multiplikativen Verknüpfungen der Regressionskoeffizienten mit den unabhängigen Variablen sowie einen konstanten Term, welcher den Wert für die abhängige Variable angibt, wenn die unabhängigen Variablen den Wert Null einnehmen. Der Regressionskoeffizient gibt an, um wie viel sich die abhängige Variable ändert, wenn die unabhängige Variable um eine Einheit zunimmt.108 Zur Vergleichbarkeit von Regressionskoeffizienten über unterschiedliche Messniveaus ist eine Standardisierung der Koeffizienten notwendig.109 Diese standardisierten, auch als Beta-Werte bezeichneten Regressionskoeffizienten werden mit dem Symbol ȕ gekennzeichnet. Die Differenzen zwischen den auf Basis der Regressionsfunktion geschätzten und den empirisch beobachteten Werten stellen die sogenannten Residuen dar.110 Residuen sind demnach als der Einfluss auf die abhängige Variable zu verstehen, der sich nicht durch die unabhängigen Variablen erklären lässt. Je geringer die Varianz der Residuen im Vergleich zur Varianz der geschätzten Werte für die abhängige Variable ist, desto besser wird die abhängige Variable durch die unabhängigen Variablen vorhergesagt. Als Gütekriterium zur Bestimmung der Anpassungsgüte der Regressionsfunktion an die empirischen Daten gilt das Bestimmtheitsmaß R2.111 Der Koeffizient liegt zwischen 0 und 1. Je höher R2, desto mehr Varianz wird durch die Regressionsfunktion erklärt.112 Dies bedeutet, dass z.B. bei einem R2 von 0,72 72% der gesamten Streuung der abhängigen Variable durch die unabhängigen Variablen erklärt wird und lediglich 28% unerklärt bleiben. Da R2 durch die Aufnahme weiterer unabhängiger Variablen ansteigt, empfiehlt es sich, das Bestimmtheitsmaß um diesen Effekt zu bereinigen und das korrigierte Bestimmtheitsmaß R2 korr. zur Beurteilung der Anpassungsgüte zu verwenden.113 Darüber hinaus kann der sogenannte F-Wert der F-Statistik als zusätzliches Gütekriterium in die Beurteilung einer Regressionsfunktion
108 109 110 111
112 113
Vgl. Hair et al. (2006), S. 174. Vgl. hierzu und im Folgenden Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 62ff. Vgl. hierzu und im Folgenden Schnell/Hill/Esser (2005), S. 455f. Vgl. Hair et al. (2006), S. 170. Die Quadratwurzel aus R2, also R, entspricht bei der Regressionsfunktion mit nur einer unabhängigen Variablen dem Korrelationskoeffizienten nach Pearson – vgl. Bühl/Zöfel (2005), S. 336. Vgl. von Auer (2005), S. 62. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 68. Vgl. Pallant (2006), S. 153, die insbesondere für kleine Stichproben die Angabe des R2 korr. empfiehlt, da R2 hier oftmals überschätzt wird.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
199
einbezogen werden.114 Mit ihm lässt sich die Signifikanz der Regressionsfunktion bestimmen. Die zu testende Nullhypothese besagt, dass alle Regressionskoeffizienten den Wert Null annehmen. Steigt der errechnete F-Wert stark über Null und überschreitet einen kritischen Wert (je nach gewünschter Vertrauenswahrscheinlichkeit in den „F-Tabellen“ ablesbar), lässt sich die Nullhypothese verwerfen und der postulierte Zusammenhang zwischen den unabhängigen und der abhängigen Variablen als signifikant erachten.
6.3.1.2 Vorgehensweise sowie Gütekriterien konfirmatorischer Faktorenanalyse In Abschnitt 6.2.1 wurde bereits kurz auf die Potenziale konfirmatorischer Faktorenanalysen – im Folgenden mit CFA abgekürzt (Confirmatory Factor Analysis) – zur Überprüfung der Konstruktvalidität eingegangen. Sie finden Anwendung, um „(…) theoretisch oder empirisch gut fundierte Modelle oder auch alternative Modelle auf ihre Modellgüte zu testen.“115 Während exploratorischen Faktorenanalysen kein theoretisches Modell zugrunde liegt, erfordern konfirmatorische Faktorenanalysen wie auch Regressionsanalysen eine im Vorfeld spezifizierte Theorie über die Zusammensetzung des zu untersuchenden Modells.116 Hair et al. heben hervor, dass sich konfirmatorische Faktorenanalysen insbesondere anbieten, um „Messtheorien“ zu prüfen.117 Hierunter verstehen die Autoren eine Reihe von Messvariablen (Items), von denen vermutet wird, dass sie ein latentes Konstrukt repräsentieren. Diese Messtheorie entspricht den inhaltsbezogenen Hypothesen im Modell Wandlungskompetenz von Führungskräften. Auch hier ist, basierend auf Vermutungen, spezifiziert, durch welche Variablen sich ein bestimmtes Konstrukt, z.B. Wandlungskompetenz, zusammensetzt und somit gemessen werden kann. Anhand konfirmatorischer Faktorenanalysen lässt sich feststellen, ob ein derart entwickeltes Modell bestimmten Gütekriterien entspricht,118 die es ermöglichen, das Modell und somit die entsprechend hierfür formulierten Hypothesen anzunehmen bzw. diese als nicht falsifiziert abzulehnen.119 Vor der Durchführung ist folglich festzulegen, wie sich das vermutete CFA-Modell zusammensetzt, wel-
114 115 116 117 118 119
Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 68ff. Bühner (2004), S. 197. Vgl. Schumacker/Lomax (2004), S. 169. Vgl. hierzu und im Folgenden Hair et al. (2006), S. 774. Vgl. auch Byrne (2001), S. 6. Vgl. Byrne (2001), S. 6. Vgl. Brown (2006), S. 1, der betont: „A fundamental feature of CFA is its hypothesis-driven nature.”
200
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
che Teildimensionen es umfasst sowie welche und wie viele Items die einzelnen Aspekte des Modells repräsentieren.120 Da die konfirmatorische Faktorenanalyse einen Spezialfall der Strukturgleichungsanalyse darstellt,121 orientiert sich ihre Vorgehensweise auch grundlegend an dieser Analysemethode. Nach der Spezifikation des CFA-Modells erfolgt eine Zerlegung des Modells in Gleichungen.122 In einem nächsten Schritt wird durch meist iterative Methoden versucht, die freien Modellparameter123 der Gleichungen so zu schätzen, dass sie möglichst gut der beobachteten Kovarianz- oder Korrelationsmatrix124 aus der Stichprobe entsprechen. Die Modellgüte gibt an, wie gut sich die mit Hilfe der geschätzten Parameter berechnete modelltheoretische Matrix an die empirisch bestimmte Matrix anpasst.125 In der Literatur existiert eine Vielzahl unterschiedlicher, stellenweise kontrovers diskutierter Kriterien, sogenannter Fit-Indizes, zur Beurteilung der Modellgüte.126 Diese lassen sich unterteilen in absolute Indizes, welche die Güte der Anpassung des theoretischen Modells an die beobachteten Daten angeben, und inkrementelle Fit Indizes127, die zeigen, wie gut sich das theoretische Modell im Vergleich zu einem restriktiven Modell – oftmals ein unabhängiges Modell, welches keine Korrelationen zwischen den vermuteten Beziehungen aufweist – an die erhobenen Daten anpasst.128 Bei der Auswahl entsprechender Fit-Indizes ist zu beachten, dass diese eine unterschiedliche Sensitivität gegenüber unterschiedlichen Einflussfaktoren, wie z.B. der Anzahl der Items pro Faktor, 129 angewendete Schätzmethode,130 Stichprobengröße und/oder Modellkomplexität131 besitzen. Diese Einflussfaktoren
120 121 122 123
124
125 126 127 128 129 130 131
Vgl. Brown (2006), S. 40. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 330. Vgl. hierzu und im Folgenden Bühner (2004), S. 198ff. unter Bezugnahme auf Hoyle (1995), S. 5f. Vgl. Schumacker/Lomax (2004), S. 63. Ein freier Parameter ist ein Parameter, dessen Wert unbekannt ist und geschätzt werden muss. Freie Parameter spiegeln die postulierten Beziehungen sowie die zu schätzenden Messfehlergrößen und die Kovarianzen zwischen den Items wider – vgl. Backhaus/Erichson/ Plinke/Weiber (2006), S. 365. Die im Modell spezifizierten Beziehungen lassen sich als Korrelationen oder Kovarianzen abbilden. Vgl. zum Unterschied von Korrelationen und Kovarianzen Kline (2005), S. 12f. Die meisten Programme zur Berechnung von Strukturgleichungen verwenden Varianz-Kovarianz-Matrizen – vgl. hierzu und zu den Potenzialen dieser Matrizen Schumacker/Lomax (2004), S. 54f. Vgl. Brown (2006), S. 29 sowie Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 376. Vgl. Kline (2005), S. 134. Diese Indizes werden auch als komparative Fit-Indizes bezeichnet – vgl. Bühner (2004), S. 204. Vgl. Hair et al. (2006), S. 756ff. Hier findet sich auch eine Übersicht über verbreitete Fit-Indizes. Vgl. z.B. Ding/Velicer/Harlow (1995), S. 119ff. Vgl. z.B. Hu/Bentler (1995a), S. 430f. Vgl. z.B. Fan/Thompson/Wang (1999), S. 56ff.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
201
haben zur Folge, dass die Fit-Indizes über- oder unterschätzt werden und somit zur ungerechtfertigten Ablehnung oder Annahme von Modellen führen können.132 In der Literatur zeigt sich eine rege Diskussion in Bezug auf die Grenzwerte für die jeweiligen Fit-Indizes.133 Auch wenn diese Werte immer wieder kritisiert werden134 und eine differenzierte Betrachtung gefordert wird, hat sich für viele Indizes 0,9 als Grenzwert durchgesetzt, bis zu dem sich ein Modell annehmen lässt.135 Autoren wie z.B. Hu/Bentler und Hair et al. nehmen allerdings eine abgestufte Betrachtung vor und schlagen unterschiedliche Grenzwert in Abhängigkeit der angewendeten Schätzmethode, Stichprobengröße und Modellkomplexität vor.136 Die Empfehlungen dieser Autoren gelten nachfolgend als grundlegende Orientierung zur Beurteilung der CFA-Modelle und auch des Gesamtmodells in Abschnitt 6.4.2.1. Aufgrund der relativ kleinen Stichprobengröße von n=103 und der verwendeten Maximum-Likelihood-Schätzmethode, 137 wird die in vielen Publikationen empfohlene Kombination der Gütekriterien Chi-Quadrat Wert, RMSEA (Root-Mean-Square-Error-ofApproximation), SRMR (Standardized-Root-Mean-Square Residual) und CFI (Comparative Fit-Index) zur Modellbeurteilung herangezogen.138 Der Chi-Quadrat Wert (Ȥ2) zeigt die Differenz zwischen der modelltheoretischen und empirischen Kovarianzmatrix.139 Bei Ȥ2=0 wird das Modell perfekt durch die empirischen Daten abgebildet.140 Die Annahme eines Modells erfolgt oftmals dann, wenn das Verhältnis zwischen dem Chi-Quadrat Wert und den Freiheitsgraden (Ȥ2/df) möglichst klein und nicht signifikant ist.141 Ein nicht signifikanter Wert deutet auf eine gute Übereinstimmung
132
133 134
135 136 137
138 139 140 141
Vgl. für eine Übersicht, bei welchem Index und bei welchem Einflussfaktor eine Über- und Unterschätzung entstehen kann, z.B. die Übersichtstabelle 6.1 von Bühner (2004), S. 205. Vgl. Brown (2006), S. 86. Vgl. z.B. Hu/Bentler (1995b), S. 95: „The rule of the thumb to consider models acceptable if a fit index exceeds .90 is clearly an inadequate rule.“ Vgl. Hair et al. (2006), S. 751. Vgl. Hu/Bentler (1999); Hair et al. (2006), S. 753. Die Maximum-Likelihood-Schätzmethode ist die am weitesten verbreitete Schätzmethode in Strukturgleichungsanalysen. Vgl. ausführlich zu den Potenzialen und zur Anwendung dieser Methode im Rahmen von Strukturgleichungsanalysen Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 25ff. Vgl. für eine Gegenüberstellung alternativer Schätzmethoden Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 370f., und hier insbesondere die Abbildung 6.11 auf Seite 371. Vgl. z.B. Bühner (2004), S. 204; Kline (2005), S. 134; Hair et al. (2006), S. 752. Vgl. Hu/Bentler (1995b), S. 77. Vgl. Kline (2005), S. 135. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 379.
202
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
der beiden Matrizen hin.142 Als Grenzwert für die Annahme des Modells wird häufig eine Chi-Quadrat/Freiheitsgrad-Ratio zwischen 2 und 5143 verwendet. Problematisch erweist sich die Sensitivität des Chi-Quadrat Werts gegenüber der Stichprobengröße und Modellkomplexität, die zur Folge haben, dass Modelle ungerechtfertigt angenommen oder abgelehnt werden können.144 Hair et al. geben in ihrer Übersicht zu den Grenzwerten von FitIndizes aus diesem Grund den Hinweis, dass bei komplexen Modellen signifikante ChiQuadrat Werte auftreten können (Anzeichen für einen schlechten Modellfit), obwohl andere Indizes einen guten Fit andeuten.145 Die Autoren empfehlen „lediglich“ die Angabe des Chi-Quadrat Werts und der Freiheitsgrade.146 In dieser Arbeit gilt eine ChiQuadrat/Freiheitsgrade-Ratio von unter 5 als akzeptabel. Aufgrund seiner eingeschränkten Aussagekraft sollte der Chi-Quadrat Wert nicht als einziges Gütekriterium, sondern immer in Kombination mit anderen Fit-Indizes analysiert und ausgewiesen werden.147 Der RMSEA lässt erkennen, wie gut ein theoretisches Modell die Realität approximiert.148 Er basiert auf der Fragestellung: „How well would the model, with unknown but optimally chosen, parameter values, fit the population covarinace matrix if fit were available?“.149 Je kleiner der RMSEA, desto besser ist der Modellfit.150 Die Berechnungsformel berücksichtigt die Modellkomplexität,151 so dass sich diesbezüglich eine geringere Sensitivität des Index erwarten lässt. Dieser Index liefert allerdings bei kleinen Stichproben oftmals zu hohe Werte, die eine ungerechtfertigte Ablehnung des Modells zur Folge haben können.152 Hu/Bentler empfehlen für den RMSEA einen Grenzwert von 0,06.153 Hair et al. und Bühner schlagen aufgrund der Sensitivität gegenüber der Stichprobengröße allerdings mit 0,08 eine höhere Obergrenze bei kleinen Stichproben vor.154 Da der Stichprobenumfang in der quantitativen Untersuchung mit n=103 als klein einzustufen ist, wird dieser Empfeh-
142 143
144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154
Vgl. Schumacker/Lomax (2004), S. 100. Vgl. Bollen (1989), S. 278, der betont, dass kein Konsens darüber besteht, welche Ratio einen guten Modellfit repräsentiert. Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172, empfehlen z.B. einen Grenzwert von 2,5; Balderjahn (1986), S. 109 und Wheaton/Muthen/Alwin/Summers (1977), S. 99 einen Höchstwert von 5. Vgl. Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 32f. Vgl. Hair et al. (2006), S. 753, Tabelle 10-2. Vgl. Hair et al. (2006), S. 752. Vgl. Bühner (2004), S. 203; Hu/Bentler (1995b), S. 81. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 381. Browne/Cudeck (1993), S. 137f. Vgl. Brown (2006), S. 84. Vgl. Kline (2005), S. 137. Vgl. Bühner (2004), S. 205, Tabelle 6.1. Vgl. Hu/Bentler (1999), S. 27. Vgl. Hair et al. (2006), S. 753, Tabelle 10-2 sowie Bühner (2004), S. 205, Tabelle 6.1.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
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lung nachfolgend zur Beurteilung der Modellgüte gefolgt. Als weiteres Beurteilungskriterium wird oftmals noch das 90%-Vertrauensintervall des RMSEA herangezogen sowie unter der Bezeichnung PCLOSE die Irrtumswahrscheinlichkeit für die Nullhypothese betrachtet, dass der RMSEA0,05 ist.155 Da in dieser Arbeit eine Obergrenze für den RMSEA von 0,08 und nicht 0,05 gilt, wird nachfolgend nur das Vertrauensintervall und nicht der PCLOSE-Wert ausgewiesen. Der SRMR basiert auf den Mittelwerten der standardisierten Residuen der modelltheoretischen und empirisch beobachteten Kovarianzmatrix.156 Perfekte Modelle weisen keine Residuen und somit einen SRMR von 0 auf.157 Der große Vorteil des SRMR liegt in seiner geringen Sensitivität gegenüber Stichprobengrößen.158 Als Grenzwert für den SRMR schlagen sowohl Hu/Bentler als auch Hair et al. 0,08 vor.159 Dieser Wert findet auch nachfolgend zur Beurteilung der Modellgüte Anwendung. Der CFI ist ein inkrementeller Fit-Index und vergleicht demnach das theoretische Modell mit einem restriktiven, unabhängigen Modell, in welchem alle Beziehungen unkorreliert sind. Er gibt an, ob das theoretische Modell näher an dem unabhängigen oder dem perfekten Modell liegt.160 Der CFI kann Werte zwischen 0 und 1 einnehmen, wobei 1 auf einen perfekten Fit des theoretischen Modells hinweist. Auch dieser Fit-Index hat nur eine sehr geringe Sensitivität gegenüber Stichprobengrößen und besitzt darüber hinaus ebenfalls nur eine geringe Empfindlichkeit gegenüber nicht-normalverteilten Daten.161 Als Grenzwert für den CFI schlagen viele Autoren 0,95 vor.162 Dieser Empfehlung wird auch in dieser Arbeit gefolgt. Die Tabelle 6.8 stellt die Grenzwerte der Fit-Indizes in einer Übersicht dar. Es ist zu beachten, dass diese Grenzen nicht als absolut zu interpretieren sind. Hu/Bentler sprechen z.B. in ihren Empfehlungen immer von „(…) a cutoff value close to (…)“,163 was zeigt, dass bei der Analyse der Fit-Indizes immer auch ein gewisser Raum für gut begründete
155
156 157 158 159 160 161 162 163
Vgl. Byrne (2001), S. 85; Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 382; Bühner (2004), S. 206 sowie Homburg/Baumgartner (1995a), S. 172. Vgl. Kline (2005), S. 141. Vgl. Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 38. Vgl. Bühner (2004), S. 205, Tabelle 6.1. Vgl. Hu/Bentler (1999), S. 27 sowie Hair et al. (2006), S. 753, Tabelle 10-2. Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 381. Vgl. Schermelleh-Engel/Moosbrugger/Müller (2003), S. 42; Bühner (2004), S. 205, Tabelle 6.1. Vgl. Hu/Bentler (1999), S. 27 sowie Hair et al. (2006), S. 753, Tabelle 10-2. Hu/Bentler (1999), S. 27.
204
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
Abweichungen, z.B. aufgrund besonderer Modellspezifikationen und/oder bestimmter Rahmenbedingungen wie beispielsweise der Stichprobengröße, von den dargestellten Werten besteht. Index
Wertebereich
Chi-Quadrat Wert (Ȥ2)
Ȥ2/Freiheitsgrade (df)5
Root-Mean-Square-Error-of-Approximation (RMSEA)
RMSEA0,08 – der RMSEA sollte zudem innerhalb der Grenzen des 90%-Vertrauensintervalls liegen
Standardized-Root-Mean-Square Residual (SRMR)
SRMR0,08
Comperative Fit-Index (CFI)
CFI0,95
Tab. 6.8: Fit-Indizes zur Beurteilung der Modellgüte von CFA-Modellen
Zur Spezifikation und Analyse der CFA-Modelle sowie zur Berechnung der jeweiligen FitIndizes wurde das Programm AMOS (Analysis of Moment Structure) in der Version 5.0 eingesetzt.164 Es ermöglicht neben der Durchführung konfirmatorischer Faktorenanalysen auch die Untersuchung komplexer Strukturgleichungsmodelle.
6.3.2
Deskriptive Statistik sowie Korrelationen der Modellvariablen
Die Tabelle 6.9 auf der nachfolgenden Seite zeigt die Mittelwerte, Standardabweichungen und Cronbachs Alpha der einzelnen Modell- und Kontrollvariablen sowie die Korrelationen zwischen den Variablen. Die einzelnen Variablen sind auf der höchsten Aggregationsebene dargestellt. Sie wurden durch eine Addition der einzelnen Teildimensionen, deren Wert sich wiederum aus der additiven Verknüpfung der jeweiligen Itemausprägungen ergibt, gebildet.165 Lassen sich bei einer quantitativen Untersuchung neben den im Modell spezifizierten unabhängigen Variablen weitere Einflussfaktoren auf die Ausprägung der abhängigen Variablen vermuten, die allerdings nicht explizit Gegenstand der entwickelten Theorie sind und somit auch nicht in die Hypothesenformulierung einfließen, empfiehlt es sich, diese vermuteten Wirkungen in den statistischen Auswertungen zu „kontrollieren“.166
164 165
166
Vgl. hierzu ausführlich Arbuckle (2003); Byrne (2001), S. 15ff. Vgl. zur additiven Zusammenführung von Teildimensionen beim Test multidimensionaler Konstrukte Hull/Lehn/Tedlie (1991), S. 933 und die dort zitierte Literatur sowie Schnell/Hill/Esser (2005), S. 171f., welche diese Vorgehensweise additive Indexbildung nennen. Die Anforderung an die Gleichheit der Wertbereiche wurde durch die einheitliche Verwendung fünfstufiger Ratingskalen sichergestellt. Vgl. Elmes/Kantowitz/Roediger (1999), S. 109f. sowie ausführlich Punch (2005), S. 80f.
Quantitative Studie zur Einzelhypothesen- und Gesamtmodellüberprüfung
205
Da sich in der Literatur einige Hinweise finden, dass die hierarchische Position,167 das Alter der Führungskräfte168 und ihre Betriebszugehörigkeit169 Einfluss auf die Motivation und somit die Bereitschaft sowie die Anwendung bestimmter Fähigkeiten nehmen können, wurden diese drei potenziellen Einflussgrößen als Kontrollvariablen aufgenommen. Die Korrelationstabelle (vgl. Tabelle 6.9) deutet zwar auf einen leichten Einfluss hin, dieser ist aber bei allen drei Kontrollvariablen nicht signifikant. Variable
MW
s
1
(1) Alter1,2
2,37
0,79
n/a
2,41
0,89
0,55**
n/a
1,83
0,64
0,19
0,07
n/a
4,05
0,42
-0,10
0,03
0,08
(0,86)
3,80
0,55
-0,07
0,01
-0,08
0,54** (0,90)
3,69
0,60
-0,09
0,03
0,04
0,60** 0,73** (0,93)
3,89
0,43
-0,12
-0,02
0,13
0,74** 0,66** 0,74** (0,95)
3,79
0,46
-0,10
0,01
0,09
0,65** 0,57** 0,63** 0,84** (0,86)
(2) Betriebszugehörigkeit1,3 (3) Managementposition1,4 (4) Kompetenzpotenziale (5) Wandlungskontext (6) Wandlungseinstellung (7) Wandlungskompetenz (8) WK-Effekt
2
3
4
5
6
7
8
Signifikanz nach zweiseitigem Pearson-Test: ** = p