H. Schmalenberg R. Hartmann W. Baumann Qualitätsmanagement und Zertifizierung in der Onkologie
H. Schmalenberg R. Hartmann W. Baumann
Qualitätsmanagement und Zertifizierung in der Onkologie Mit 40 Abbildungen und 15 Tabellen
Dr. Walter Baumann Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH – WINHO Vor den Siebenburgen 2 50676 Köln
Dr. Harald Schmalenberg UniversitätsTumorCentrum Universitätsklinikum Jena Erlanger Allee 101 07740 Jena Rainer Hartmann EVO-Consult AG Heiligkreuzstrasse 7 9008 St. Gallen, Schweiz
Ihre Meinung interessiert uns: www.springer.com/978-3-642-12839-4 ISBN
978-3-642-12839-4
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
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2111 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort » Die Qualität in meiner Abteilung bin ich. « Generationen von Medizinern sind mit einem personenzentrierten Qualitätsbegriff ausgebildet worden: Der umfassend qualifizierte Mediziner an der Spitze der Organisation bestimmte nach außen und innen die »Qualität« der Abteilung. Bedeutende Innovationen in der Medizin konnten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit konkreten Namen, wie z. B. Ferdinand Sauerbruch, verknüpft werden. Mit dem immer schneller zunehmenden Erkenntnisgewinn in der Medizin und einer immer komplexer werdenden Arbeitsteilung in der Versorgung einzelner Krankheitsbilder auf der Grundlage evidenzbasierter, interdisziplinärer Leitlinien musste sich diese Sichtweise verändern. Nicht nur die Qualität des Einzelnen ist für den Behandlungserfolg ausschlaggebend, sondern insbesondere in der Onkologie die gut funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit und die effiziente Versorgung innerhalb der Abteilung. Das oben genannte Zitat des »omnipotenten« Mediziners gehört der Vergangenheit an, kein noch so gut qualifizierter Arzt bestimmt heutzutage den Behandlungserfolg alleine. Hinzu kommt der insbesondere in der Onkologie zunehmende Kostendruck. Neue Substanzen mit neuen Wirkmechanismen drängen auf den Markt und verbessern die Chancen der Krebspatienten, vervielfachen aber auch die Kosten. Auch wenn man in Deutschland noch nicht so weit geht, dass man einem Patienten eine sinnvolle und leitliniengerechte Therapie aus Kostengründen vorenthält, so ist das Spannungsfeld zwischen begrenzten Ressourcen und innovativen, hochpreisigen Therapieansätzen zunehmend gegenwärtig. »Qualitätssicherung« ist das Schlagwort mit dem die Politik und die Kostenträger dieser Situation begegnen wollen. Die zweifelsohne vorhandenen Organisationsreserven in der medizinischen Versorgung sollen gehoben und die Ressourcen auf das »Notwendige« konzentriert werden. Dabei bedient man sich verschiedener, aus der Industrie stammender Instrumente. So hat der Gesetzgeber über die Sozialgesetzgebung die Einführung der von Medizinern wenig geliebten Qualitätsmanagementsysteme im Gesundheitswesen vorgeschrieben. Aber auch die Fachgesellschaften haben sich dieser Entwicklung gestellt und durch die Einführung von Zertifizierungssystemen, beginnend mit dem erfolgreichen System der Zertifizierung von Brustzentren in Deutschland, Instrumente geschaffen, mit denen nach außen die Erfüllung auch fachlich begründeter Qualitätsmerkmale demonstriert werden kann. Dies stellt an den onkologisch tätigen Mediziner neue Anforderungen, auf die er in seiner Ausbildung nicht vorbereitet wurde. Das vorliegende Buch soll daher die Grundbegriffe von Qualitätsmanagement und Zertifizierungsverfahren in der Onkologie
VI
Vorwort
dem bisher damit nicht befassten Mediziner nahebringen und die Hintergründe der Entstehung der Zertifizierungsverfahren beleuchten. Darüber hinaus werden die verschiedenen Verfahren erläutert und konkrete Handreichungen zur Einführung von Qualitätsmanagement in einer Abteilung gegeben. Auch die Entwicklung im ambulanten Bereich wird dargestellt, denn auch hier wird die Einführung von Qualitätsmanagement eingefordert. Auch wenn viele Mediziner weiterhin auf dem Standpunkt stehen, dass Qualitätsmanagement eine für das Krankenhaus nicht brauchbare Organisationsform darstellt, da es insbesondere dem tradierten, personenzentrierten Qualitätsbegriff widerspricht, darf man nicht übersehen, dass Qualitätsmanagement ein außerhalb der Medizin, z. B. in der Automobilindustrie, fest etabliertes Managementinstrument darstellt und seine Nützlichkeit für den Aufbau einer effizienten Organisation unbestritten ist. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass sich auch der Mediziner, der z. B. im Rahmen eines interdisziplinären Zentrums arbeitet, mit den Grundbegriffen vertraut macht, denn Qualitätsmanagement auf der Grundlage der verschiedenen Systeme hat die Medizin längst erreicht. Die einleitend zitierte Aussage eines Chefarztes wird daher in Zukunft eher lauten:
» Die Qualität meiner Abteilung ist unser Organisationsgrad … « Harald Schmalenberg
Jena, im Juni 2010
VII
Inhaltsverzeichnis 1
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1
Qualität im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1.2
Besonderheiten der Qualitätssicherung in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.3
Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2
Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
2.1
Traditionelle Verfahren der Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
2.2
Interdisziplinarität und Qualitätssicherung in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2.2.1
Meldepflicht für Tumorerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2.2.2
Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung gGmbH (BQS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
2.2.3
Disease-Management-Programm (DMP) Brustkrebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
2.3
Leitlinienentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
Qualitätsmanagementsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1
Harald Schmalenberg
Harald Schmalenberg
3
Harald Schmalenberg 3.1
Definition und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
3.2
Normen für Qualitätsmanagementsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3.2.1
DIN EN ISO 9001:2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
3.2.2
Das EFQM-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
3.3
Qualitätsmanagementsysteme in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
3.3.1
Das Zertifizierungsverfahren der »Joint Commission for Accreditation
3.3.2
4
of Health Organizations« (JCAHO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
Das KTQ-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Rainer Hartmann 4.1
Qualitätspolitik und Qualitätsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
4.2
Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
4.3
Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
4.4
Interne und externe Audits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
4.5
Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
4.6
Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
VIII
Inhaltsverzeichnis
5
Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Walter Baumann und H. Tilman Steinmetz 5.1
Qualitätsmanagement – ein Steuerungsansatz in der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
5.2
Die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
5.3
Die Ausgangssituation onkologischer Praxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
5.4
Qualitätsgrundlagen onkologischer Schwerpunktpraxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
5.5
Ausrichtung an fachlichen Standards und Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
5.6
Patientenorientierung und Patientensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
5.7
Strukturierung von Behandlungsabläufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
5.8
Regelung von Verantwortlichkeiten und Mitarbeiterorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
5.9
Praxismanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
5.10
Gestaltung von Kommunikationsprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
5.11
Versorgungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
5.12
Qualitätsmanagementsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
6
Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
6.1
Planung von Patientenpfaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6.2
Die interdisziplinäre Tumorkonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
6.3
Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
6.3.1
Die historische Entwicklung der Zertifizierungsverfahren für Organzentren
Harald Schmalenberg
in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.3.2
Grundlagen und Aufbau des Zertifizierungssystems für Organzentren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
6.3.3
Anforderungskataloge von Organzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
6.3.4
Aktuelle Modelle für Tumorzentren in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 7
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Harald Schmalenberg
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
IX
Autorenverzeichnis Dr. Harald Schmalenberg
Dr. Walter Baumann
Dr. H. Tilman Steinmetz
UniversitätsTumorCentrum Universitätsklinikum Jena Erlanger Allee 101 07740 Jena harald.schmalenberg@ med.uni-jena.de
Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH – WINHO Vor den Siebenburgen 2 50676 Köln
[email protected] Gemeinschaftspraxis für Onkologie und Hämatologie Sachsenring 69 50677 Köln
[email protected] Rainer Hartmann
EVO-Consult AG Heiligkreuzstrasse 7 9008 St. Gallen, Schweiz
[email protected] 1
Einführung Harald Schmalenberg
1.1
Qualität im Gesundheitswesen – 2
1.2
Besonderheiten der Qualitätssicherung in der Onkologie – 5
1.3
Begriffsbestimmungen – 7 Literatur – 9
1
2
1
Kapitel 1 • Einführung
Das vorliegende Buch Qualitätsmanagement und Zertifizierung in der Onkologie möchte dem Leser einen Überblick über das für Mediziner fremde Gebiet des Qualitätsmanagements geben und dabei seinen Schwerpunkt auf die Onkologie legen. Besonders in diesem Fachgebiet wurden in den letzten Jahren mehrere, teilweise konkurrierende Möglichkeiten geschaffen, die Qualität einer Einrichtung extern überprüfen zu lassen und für den Patienten in Form von »Zertifikaten« nachzuweisen. Neben den auch aus anderen Bereichen der Wirtschaft und der Medizin bekannten Zertifizierungssystemen für Qualitätsmanagement, bieten die onkologischen Fachgesellschaften auf die Onkologie bezogene Systeme an, die zusätzlich zu einem Qualitätsmanagementsystem durch externe »Fachexperten« überprüft werden können. Die Autoren möchten in die Qualitätssicherung durch Qualitätsmanagement einführen, die Besonderheiten der Onkologie darstellen und praktische Hinweise bieten, wie man die Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems oder nach einem fachspezifischen Anforderungskatalog in der eigenen Einrichtung umsetzen kann.
1.1
Qualität im Gesundheitswesen
Für viele Menschen ist »Qualität« ein Begriff, der eine »gefühlte«, nicht messbare Gesamtheit von Eigenschaften beschreibt. »Qualität« ist in diesem Sinne unteilbar, ein subjektiver Begriff wie Schönheit, den wir Produkten im Alltag zuschreiben und in den auch das Image oder die Reputation des Produktes, vielfach durch Werbung verstärkt, eingeht. Jeder wird sich im Sinne dieses populären Qualitätsbegriffs in der Lage sehen, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bewerten, wobei »Qualität« in der Regel einen positiven Anklang besitzt. Diesem populären, wertenden Verständnis steht der wertneutrale Begriff der Qualität aus
dem Qualitätsmanagement gegenüber. Hier bedeutet Qualität »Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt.« In dieser zunächst schwer verständlichen Definition der DIN EN ISO 9000:2005, der aktuell gültigen Norm für Qualitätsmanagementsysteme, sind zwei Sichtweisen enthalten: 4 Zunächst geht es um Eigenschaften, die »in« dem Produkt oder der Dienstleistung enthalten und dafür kennzeichnend (»inhärent«) sind und einzigartige Charakteristika darstellen. 4 Zum anderen geht es auch um eine Sichtweise auf das Produkt oder die Dienstleistung von außen: Die Eigenschaften des Produktes oder der Dienstleistung müssen Anforderungen, d. h. Erwartungen, die vorausgesetzt werden, erfüllen. Und erst wenn die Eigenschaften »im« Produkt mit den »äußeren« Erwartungen zusammenkommen, ist Qualität in einem wertneutralen Sinne definierbar. Werden die Anforderungen in einem hohen Maße erfüllt, kann von hoher Qualität gesprochen werden, werden die Anforderungen nicht oder nur teilweise erfüllt, ist der Qualitätsgrad entsprechend niedriger. > Übertragen auf das Gesundheitswesen bedeutet dies, dass die Qualität einer Dienstleistung (Diagnostik, Therapie, Rehabilitation) nicht absolut sein kann, sondern von den Erwartungen, die die Akteure des Gesundheitswesens haben, abhängig ist.
So wird z. B. die Qualität der Diagnostik und Therapie einer Krebserkrankung von den beteiligten Ärzten, dem Patienten und den Krankenkassen völlig unterschiedlich bewertet werden. Während die beteiligten Ärzte die leitliniengerechte Diagnostik und Therapie, die technische Durchführung und Komplikationsrate in erster Linie zur Beurteilung der Qualität heranziehen werden, betrachtet die Krankenkasse die Kos-
3 1.1 • Qualität im Gesundheitswesen
1
Qualitätskriterien Arzt: - leitliniengerechte Diagnostik und Therapie - geringe Komplikationsrate etc.
Qualitätskriterien Patient: - »Hotelkomfort« - gute Arzt-PatientenBeziehung - kurze, schmerzlose Therapie
Stationäre Diagnostik und Therapie
Qualitätskriterien Hausarzt: - kurzfristig verfügbarer Arztbrief - moderne Diagnostik und Therapie etc.
Qualitätskriterien Krankenkasse: - Verweildauer - komplikationsarme Therapie
. Abb. 1.1 Unterschiedliche Sichtweisen auf die Qualität der Diagnostik und Therapie einer Krebserkrankung
ten und wird möglicherweise die Verweildauer im Krankenhaus als Qualitätskriterium im Vordergrund sehen. Der Patient dagegen wird eine optimale medizinische Versorgung, die er nur schwer beurteilen kann, voraussetzen und auf einen »Hotelcharakter« des Krankenhauses, eine gut funktionierende Arzt-Patienten-Beziehung und ein angenehmes Klima in der Kommunikation mit den weiteren Berufsgruppen im Krankenhaus Wert legen. Für den einweisenden Hausarzt wiederum ist die zeitnahe Verfügbarkeit der notwendigen Informationen für die Weiterbehandlung das wichtigste Kriterium. Damit wird offensichtlich, dass dieselbe Dienstleistung des Krankenhauses je nach Standpunkt zu einer völlig unterschiedlichen Bewertung der Qualität führen kann (. Abb. 1.1). Bereits in den 1960er Jahren entwickelte Avedis Donabedian, ein amerikanischer Wissenschaftler, eine Systematik des Qualitätsbegriffes
im Gesundheitswesen. Nach Donabedian kann man zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterscheiden, die sich gegenseitig bedingen. Unter Strukturqualität ist dabei die Ausstattung im weiteren Sinne gemeint, d. h. sowohl die räumliche und technische Ausstattung als auch der Personalstand, die Ausbildung, der Organisationsgrad etc. Als Prozess kann jegliche geplante Tätigkeit verstanden werden, die in einer Organisation nach bestimmten Vorgaben zu Ergebnissen führt (vgl. Definition der DIN EN ISO 9000:2005). Prozessqualität beschreibt daher alle Aktivitäten, die zum diagnostischen und therapeutischen Behandlungsprozess beitragen. Strukturqualität und Prozessqualität sind Voraussetzungen für die Ergebnisqualität, die sich an der Erreichung definierter Parameter messen lässt, z. B. Überlebens- oder Komplikationsraten. Nach Donabedian muss bei der Ergebnisqualität auch die Zufriedenheit des Patienten nicht nur
4
Kapitel 1 • Einführung
1 Strukturqualität
Prozeßqualität
Ergebnisqualität
-
Räumlichkeiten Technische Ausstattung Organisationsgrad Personalstand Ausbildungsgrad des Personals u.ä.
Geplante Tätigkeit, die nach bestimmten Vorgaben zu Ergebnissen führt, d.h. jeder Ablauf zusammengehöriger Tätigkeiten mit einem Anfangund Endpunkt
Summe aller Ergebnisse, messbar an definierten Parametern
. Abb. 1.2 Systematik des Qualitätsbegriffes. (Mod. nach [1])
in Bezug auf die physische, sondern auch auf die psychische und soziale Situation Berücksichtigung finden (. Abb. 1.2, nach Donabedian 1966). Donabedian [2] definiert Qualität im Gesundheitswesen über 7 Grundpfeiler: 1.
2.
3.
4.
5.
Wirksamkeit (»efficacy«): Fähigkeit des Gesundheitssystems im besten Sinne die Gesundheit zu verbessern Effektivität (»effectiveness«): Ausmaß, in dem eine erreichbare Verbesserung der Gesundheit auch wirklich realisiert wird Effizienz (»efficiency«): Fähigkeit des Gesundheitssystems, die optimalen Ergebnisse bei möglichst geringen Kosten zu erzielen Optimalität (»optimality«): das vorteilhafteste Gleichgewicht zwischen Kosten und Nutzen herzustellen Akzeptanz (»acceptability«): Konformität zwischen den Wünschen und Interessen des Patienten bezüglich der Erreichbarkeit der Leistungen (z. B. zeit- und ortsnah), der Arzt-Patienten-Beziehung,
der Effektivität der Versorgung und den entstehenden Kosten 6. Legitimität (»legitimacy«): Konformität aller genannten Punkte zum sozialen Umfeld des Patienten 7. Gleichheitsgrundsatz (»equity«): faire Verteilung der Gesundheitsleistungen in der Gesellschaft
Qualität im wertneutralen Sinne ist also nicht »unteilbar«, sondern messbar und Veränderungen unterworfen, die über die Zeit ermittelt werden können. Qualitätsmanagementsysteme gehen von dieser Messbarkeit aus und streben in der Regel eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung an. Unter der Voraussetzung eines gleichen Anforderungsprofils sind damit die Qualität von Produkten und sogar Dienstleistungen vergleichbar. Allerdings ist der direkte Qualitätsvergleich von medizinischen Dienstleistungen in unserem Gesundheitssystem bisher nur selten anzutreffen.
5 1.2 • Besonderheiten der Qualitätssicherung in der Onkologie
1.2
Besonderheiten der Qualitätssicherung in der Onkologie
Neue, »zielgerichtete« Substanzen haben in der Onkologie die Ergebnisse bei den häufigen Tumorerkrankungen wie Mammakarzinom oder kolorektales Karzinom in den letzten Jahren verbessern können. Für einige bisher sehr schlecht systemisch zu therapierende Erkrankungen haben sich neue Therapieoptionen ergeben, wie z. B. für das Nierenzellkarzinom oder das hepatozelluläre Karzinom. Diese Innovationen durch »targeted therapy« haben allerdings die Arzneimittelkosten deutlich erhöht, wie am Beispiel des kolorektalen Karzinoms sehr gut veranschaulicht werden kann (. Tab. 1.1). Zwar konnte das mittlere Überleben der Patienten mit Lebermetastasierung bei kolorektalem Karzinom von ca. 9 Monaten zur Zeit der alleinigen Verfügbarkeit von 5-Fluorouracil und Leucovorin auf 20–30 Monate mithilfe der neuen Substanzen verlängert werden, die aufzubringenden Kosten wurden aber dafür um mehr als das 100-fache gesteigert. Setzt man heute alle verfügbaren Behandlungsoptionen für das metastasierte kolorektale Karzinom ein, erreicht man Gesamtbehandlungskosten zwischen ca. 50.000 und 60.000 € pro Jahr. Diese Kostenexplosion hat in Ländern mit staatlichem Gesundheitswesen, wie z. B. in Großbritannien durch das »National Institute for Health and Clinical Excellence«, zu der Einschätzung geführt, dass bei diesen Medikamenten kein ausreichendes »Kosten-Nutzen-Verhältnis« besteht [3] und eine Vergütung aus den öffentlichen Mitteln nicht erfolgen sollte. Auch wenn man in Deutschland bisher nicht so weit geht, dem einzelnen Patienten eine wirksame Therapie aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse vorzuenthalten, muss man dem zunehmenden Konflikt zwischen begrenzten Ressourcen und deutlich steigenden Behandlungskosten begegnen. Eine von mehreren Bemühungen auf diesem Gebiet ist es, für
1
einen möglichst effizienten Einsatz der vorhandenen Mittel zu sorgen. Dabei soll die »Qualität« der Versorgung möglichst unverändert (gut) bleiben. Es ergibt sich also ganz offensichtlich die Notwendigkeit, Qualitätssicherung besonders in einem kostenintensiven Segment wie der Onkologie zu betreiben. Diese Notwendigkeit wurde bereits 1999 erkannt, als die Gesundheitsministerkonferenz der Länder den Beschluss fasste, dass jede Einrichtung des Gesundheitswesens bis zum Jahr 2005 Qualitätsmanagementsysteme einzuführen hat [5]. Darüber hinaus verpflichtet das Sozialgesetzbuch V (§ 135a und § 137) zur Einführung eines Qualitätsmanagements und zur Beteiligung an einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherungsmaßnahmen. Die Einführung des DRG-Systems (»Diagnosis Related Groups«, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) seit 2004 hat zu einer Abnahme der Verweildauer im stationären Bereich geführt und die Krankenhäuser gezwungen, Diagnostik und Therapie während des stationären Aufenthaltes zu verdichten. Vereinfacht gesagt lautet im DRG-System die Devise, dass jeder ungenutzte Tag für das Krankenhaus Verlust bedeutet. Dies hat zu einem enormen Druck geführt, die Abläufe oder Prozesse effizienter zu gestalten bei gleichzeitiger Sicherstellung einer unverändert hohen Qualität und rückt eine umfassende Planung und Kontrolle der Prozessabläufe im Sinne eines Qualitätsmanagements automatisch in den Mittelpunkt. Die Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der meisten Tumorerkrankungen fordern eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachgebieten. Insbesondere nach der öffentlichen Diskussion um das Jahr 2000 über die mangelnde Interdisziplinarität und Qualität in der Behandlung des Mammakarzinoms wurden Onkologen für die interdisziplinäre Sichtweise sensibilisiert und man kann sagen, dass mittlerweile ein interdisziplinärer Ansatz mindestens in der Behandlung des Mamma- und Rektumkarzinoms allgemein akzeptiert ist. Hin-
6
1
Kapitel 1 • Einführung
. Tab. 1.1 Chemotherapiekosten für 8 Wochen Therapie bei metastasiertem kolorektalen Karzinom (95% des Einkaufspreises 2004) [4] Chemotherapieprotokoll
Medikamente/Art der Anwendung
Kosten in Dollar für 8 Wochen
Vielfaches der Kosten (Mayo-Protokoll = 1)
5-Fluorouracil-(5-FU-)haltige Protokolle Mayo-Protokoll
Monatlich 5-FU-Bolus plus Leucovorin über 5 Tage
63 $
1-fach
Roswell-Park-Protokoll
Wöchentlich 5-FU-Bolus plus Leucovorin
304 $
5-fach
LV5FU2
14-tägige 5-FU-Gabe plus Leucovorin in einer 48-h-Infusion
263 $
4-fach
Protokolle mit Irinotecan oder Oxaliplatin Irinotecan alleine
Wöchentlicher Bolus
9497 $
151-fach
IFL
Wöchentlicher Bolus 5-FU plus Irinotecan
9539 $
151-fach
FOLFIRI
LV5FU2 mit 14-tägig Irinotecan
9381 $
149-fach
FOLFOX
LV5FU2 mit 14-tägig Oxaliplatin
11.889 $
189-fach
Protokolle mit Bevacizumab oder Cetuximab FOLFIRI mit Bevacizumab
FOLFIRI mit 14-tägig Bevacizumab
21.399 $
340-fach
FOLFOX mit Bevacizumab
FOLFOX mit 14 tägig Bevacizumab
21.033 $
334-fach
Irinotecan mit Cetuximab
Wöchentlich Irinotecan plus Cetuximab
30.790 $
489-fach
FOLFIRI mit Cetuximab
FOLFIRI und wöchentlich Cetuximab
30.675 $
487-fach
zu kommt, dass viele innovative Therapieansätze ambulant durchgeführt werden können, sodass der Anteil der stationär behandelten Krebspatienten seit 2000 um ca. 13% zurückgegangen ist, obwohl der Anteil der stationären Patienten insgesamt im gleichen Zeitraum unverändert bis leicht ansteigend war (. Abb. 1.3). Dies bedeutet, dass sich die Qualitätssicherung in der Onkologie zunehmend der Herausforderung gegenübersieht, mögliche Qualitätsverluste durch die Schnittstellen zwischen den Fachgebieten, aber auch zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zu vermeiden. Eine weitere Besonderheit in der Versorgung onkologischer Patienten in Deutschland stellt
die Schwierigkeit dar, überregionale, für das ganze Land gültige statistische Angaben zu erhalten. Damit ist die Ermittlung der Ergebnisqualität im Sinne der wichtigsten Parameter wie z. B. Rezidivraten, Überlebensraten u. Ä. stark behindert. Nur mit erheblichem Aufwand ist für eine einzelne Institution eine Aussage zur eigenen Ergebnisqualität zu erhalten und erfordert hohe personelle Ressourcen für eine Tätigkeit, die durch die Einführung flächendeckender Tumorregister vermeidbar wäre. Eine weitere Besonderheit der Onkologie besteht darin, dass unsere traditionellen Organisationsstrukturen im Krankenhaus und im ambulanten Bereich wenig kompatibel mit den Erfordernissen einer
7
interdisziplinären und sowohl stationären wie ambulanten Behandlung sind. In den Krankenhäusern stehen die pyramidenartigen Hierarchien der Fachbereiche nebeneinander und müssen in Tumorkonferenzen einen Konsens finden. Ist dieser Konsens gefunden, heißt das nicht, dass der Kollege im ambulanten Bereich daran gebunden ist. Der ambulant tätige Onkologe kann zwar in vielen Häusern an der Tumorkonferenz teilnehmen, wird dann aber besonders auf seine, von ihm in die Konferenz eingebrachten Patienten fokussieren und nicht den Konsens über die Therapiestrategien von Patienten suchen, die er erst potenziell in der Zukunft betreuen könnte. An diesem Beispiel wird deutlich, dass in unserem Gesundheitswesen eine Struktur, die den Erfordernissen der Onkologie optimal entgegenkommt, nicht existiert. Hinzu kommen die getrennten Hierarchien der Berufsgruppen im Krankenhaus, ein nicht nur für die Onkologie typisches Merkmal der stationären Krankenversorgung. Optimale Behandlungsergebnisse und eine hohe Zufriedenheit des Patienten können nur durch eine gute »horizontale« Zusammenarbeit, z. B. zwischen Pflege und Ärzten, sichergestellt werden.
1.3
Begriffsbestimmungen
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die wichtigsten Begriffe aus dem Bereich Qualitätsmanagement und Zertifizierung zu definieren und allgemein verständlich zu erläutern. Die Definitionen stammen häufig aus dem Bereich der abstrakten DIN EN ISO 9000:2005, da hierauf auch von anderen Qualitätsmanagementsystemen immer wieder Bezug genommen wird. Qualität Grad, in dem ein Satz inhärenter
Merkmale Anforderungen erfüllt (DIN EN ISO 9000:2005). Mit »inhärent« sind dabei Merkmale gemeint, die dem Produkt oder der Dienstleistung »innewohnen«, insbesondere
Anteil der Patientenzahlen in Prozent
1.3 • Begriffsbestimmungen
105
1
Entwicklung der stationären Patientenzahlen in Deutschland (Jahr 2000 = 100%)
100 95 90 85 80 75
Stationäre Patienten mit Neubildungen Stationäre Patienten insgesamt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
. Abb. 1.3 Aus stationärer Behandlung entlassene Patienten in Deutschland mit Neubildungen und insgesamt. Statistisches Bundesamt [6]
als ständiges Merkmal, im Gegensatz zu »zugeordnet«. Vergleiche auch Erläuterung unter 7 Abschn. 1.1. Qualitätsmanagement Aufeinander abgestimm-
te Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich Qualität (DIN EN ISO 9000:2005). Qualitätsmanagement versteht unter »Leiten und Lenken« mehrere Aspekte: neben der Aufstellung einer Qualitätspolitik die Festlegung von Qualitätszielen, die einer Planung (Qualitätsplanung) und Steuerung (Qualitätslenkung) unterworfen werden sowie der Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung (7 Abschn. 3.1). Qualitätssicherung Teil
des Qualitätsmanagements, der auf das Erzeugen von Vertrauen darauf gerichtet ist, dass Qualitätsanforderungen erfüllt werden (DIN EN ISO 9000:2005). Häufig wurde und wird »Qualitätssicherung« als übergeordneter Begriff synonym mit »Qualitätsmanagement« verwendet. Erst seit Mitte der 1990er Jahre wird der Begriff im engeren Sinne genutzt und meint jetzt alle Tätigkeiten, die darauf ausgerichtet sind, die Erfüllung der Anfor-
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1
Kapitel 1 • Einführung
derungen auch in Zukunft sicherzustellen, wie z. B. eine Verbesserung des Ausbildungsstandes der Mitarbeiter, damit auch weiterhin die Qualitätsanforderungen erfüllt werden können oder die Schaffung von Organisationsstrukturen, die einen erreichten bzw. gegebenen Qualitätsstandard auch weiterhin sicherstellen. Damit ist aber nicht notwendigerweise ein hohes Qualitätsniveau gemeint. Qualitätspolitik Übergeordnete Absichten und
Ausrichtung einer Organisation zur Qualität, formell ausgedrückt durch die oberste Leitung (DIN EN ISO 9000:2005). Die Qualitätspolitik gibt den Rahmen vor, in dem konkretere Qualitätsziele definiert werden können. Qualitätspolitik kommt oft einem Leitbild nahe, also der strategischen Ausrichtung einer Organisation, oft auf ethischen Prinzipien beruhend. Vereinfacht könnte man sagen, die Qualitätspolitik gibt den strategischen Rahmen vor, während Qualitätsziele die Taktik beschreiben, mit der die Strategie verfolgt werden kann.
4 schließlich sollten Ziele »terminierbar« sein, d. h. jedem Ziel muss man einen konkreten Termin für seine Erfüllung zuweisen können. Prozess Satz von in Wechselbeziehung oder Wechselwirkung stehenden Tätigkeiten, der Eingaben in Ergebnisse umwandelt (DIN EN ISO 9000:2005). Mit dieser erneut holprigen Definition aus der ISO 9000:2005 ist gemeint, dass es sich um in ihrem Ablauf zusammengehörige Tätigkeiten handelt, die ein Ergebnis als Endpunkt liefern. Ausgangspunkt für einen Prozess ist eine »Eingabe«, also ein »Startpunkt«, der nicht nur zeitlich definiert ist, sondern den Prozess auslöst und oft das Ergebnis eines vorangegangenen Prozesses darstellt (Beispiele: Werkstück, dass in einem vorangegangenen Prozess bearbeitet wurde und jetzt weiter bearbeitet wird, Vorstellung des Patienten auf der Station als Startpunkt für den Prozess »Patientenaufnahme« etc.). Zertifizierung Prozess in dem eine Institution
Qualitätsziel Etwas bezüglich der Qualität An-
gestrebtes oder zu Erreichendes (DIN EN ISO 9000:2005). Ein Qualitätsziel gibt etwas Konkretes vor, das innerhalb eines vorgegebenen Zeitabschnittes erreicht werden soll. Qualitätsziele sollten »SMART« sein, d. h.: 4 sie sollten »spezifisch«, also auf etwas fassbares, konkretes ausgerichtet sein und keine allgemeine Absichtserklärung (»wir wollen alle besser werden«), 4 Ziele sollten »messbar« sein, also der Erfüllungsgrad muss in irgendeiner Weise ablesbar sein, 4 sie sollten »angemessen« sein, also mit den gegebenen Ressourcen erreichbar, 4 sie sollten »relevant« sein, also eine Bedeutung für die Organisation bzw. das Qualitätsmanagement aufweisen und einen Mehrwert schaffen und
die Konformität eines Anforderungskatalogs mit den Gegebenheiten einer Einrichtung überprüft und durch ein Zertifikat bestätigt. Der Begriff »Zertifizierung« kommt dem Begriff »Qualifizierungsprozess« der ISO 9000:2005 nahe, der dort als »Prozess zur Darlegung der Eignung, festgelegte Anforderungen zu erfüllen« definiert wird. Zertifizierungen werden in der Onkologie von Fachgesellschaften angeboten, wobei sich diese Institutionen in der Regel selbst dazu legitimieren. Ihr Wert beruht dann in einem freiwilligen Verfahren auf der allgemeinen Akzeptanz und dem Vertrauen der Patienten. Im Bereich des Qualitätsmanagements werden Institutionen, die z. B. ISO1- oder KTQ2-(Zertifikate vergeben, von einer übergeordneten Institution dafür zu-
1 2
ISO: Internationale Organisation für Normung KTQ: Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen
9 Literatur
gelassen oder »akkreditiert«. Im Bereich der ISO 9000:2005 erfolgt dies durch die »Trägergemeinschaft für Akkreditierung GmbH (TGA)«, die die Akkreditierung nach Wirtschaftsbranchen getrennt und nach einem wiederum in ISO-Normen festgelegten Verfahren vergibt, bei dem sich auch die »Zertifizierer« einem Prüfungsverfahren unterwerfen müssen. Audit Systematischer, unabhängiger und doku-
mentierter Prozess zur Erlangung von Auditnachweisen und zu deren objektiver Auswertung, um zu ermitteln, inwieweit Auditkriterien erfüllt sind. (DIN ISO 9000:2005). Ein Audit stellt vereinfacht gesagt die Vor-Ort-Überprüfung dar, in der die Übereinstimmung (Konformität) mit den gestellten Anforderungen überprüft wird. Man unterscheidet »interne Audits« oder »ErstParteien-Audits« von »externen Audits« oder »Zweit- bzw. Dritt-Parteien-Audits«. Interne Audits werden von der Organisation selbst durchgeführt und sind wichtiger Bestandteil eines in sich geschlossenen Qualitätsmanagementsystems. Externe Audits werden entweder von an der Organisation (Klinik, Firma) interessierten (Zweit-) Parteien, die aber nicht Teil von ihr sind, vorgenommen (z. B. von Kunden, Kostenträgern etc.) oder aber von einer völlig von der Organisation unabhängigen Institution, die dazu zugelassen wurde, wie z. B. einer Zertifizierungsgesellschaft wie TÜV, NisZert, EQZert u. v. a., die allerdings Auftragnehmer der Organisation für diese Tätigkeit ist (Dritt-Parteien-Audit). Am Ende eines Audits steht ein Auditbericht, in dem die Konformität mit dem Anforderungskatalog oder aber seine Abweichungen davon dokumentiert werden. Ein Auditbericht enthält zusätzlich in der Regel Empfehlungen zur Verbesserung des Qualitätsmanagementsystems oder zur Erfüllung eines z. B. fachlichen Anforderungskatalogs. Ein Audit sollte neben dem nach außen sichtbaren Zertifikat auch in dieser Hinsicht für die Organisation einen Gewinn darstellen, da sie häufig durch die externe Sichtweise
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auf Verbesserungspotenziale hingewiesen wird, die sich in der Regel aus einem internen Audit nicht erschließen. Projekt Einmaliger Prozess, der aus einem Satz
von abgestimmten und gelenkten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endterminen besteht und durchgeführt wird, um unter Berücksichtigung von Zwängen bezüglich Zeit, Kosten und Ressourcen ein Ziel zu erreichen, das spezifische Anforderungen erfüllt (DIN EN ISO 9000:2005). Wesentliche Eigenschaften eines Projektes sind seine zeitliche Begrenztheit, der Konflikt zwischen Zeit, Kosten und Ressourcen und ein Ergebnis. Qualitätsmanagement beinhaltet häufig Projekte, die zur Erreichung bestimmter Ziele, z. B. der gesetzten Qualitätsziele, durchgeführt werden. Projektmanagement Beinhaltet
Planung, Leitung, Durchführung und Kommunikation von komplexen Projekten. Projekte können so umfangreich und komplex sein, dass sie ohne Techniken des Projektmanagements nicht steuerbar sind. Die »Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.« (GPM) bietet Ausbildungsgänge und abgestufte Qualifizierungen zum Projektmanagement an. Grundkenntnisse des Projektmanagements sind für die Einführung von Qualitätsmanagement in einer Einrichtung oder für die Zertifizierung nach fachlichen Anforderungen unbedingt zu empfehlen.
Literatur 1
2 3
4
Donabedian A (1966) Evaluating the Quality of Medical Care. Zitiert nach: The Milbank Quarterly 83(4), pp 691–729, 2005 Donabedian A (1990) The seven pillars of quality. Arch Pathol Lab Med 114(11): 1115–1118 National Institute for Health and Clinical Excellence (2008) TA118 Colorectal cancer (metastatic) – bevacizumab & cetuximab Guidance. http://www.nice.org.uk/ guidance. Gesehen 23 Okt 2008 Schrag D (2004) The price tag on progress – chemotherapy for colorectal cancer. New England Journal of Medicine 351: 317–319
10
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6
Kapitel 1 • Einführung
Ziele für eine einheitliche Qualitätsstrategie im Gesundheitswesen (2008) 72. Gesundheitsministerkonferenz am 9./10. Juni 1999. http://www.wernerschell.de/ Rechtsalmanach/Gesundheitswesen/gesundheitsministerkonferenz.htm. Gesehen 23 Okt 2008 Statistisches Bundesamt Deutschland (2008) Entlassene Patienten Deutschland nach Jahren, ICD-10-Hauptdiagnoseklassen, GENESIS-Datenbank online. http://wwwgenesis.destatis.de/genesis. Gesehen 23 Okt 2008
11
Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie Harald Schmalenberg
2.1
Traditionelle Verfahren der Qualitätssicherung – 12
2.2
Interdisziplinarität und Qualitätssicherung in der Onkologie – 15
2.3
Leitlinienentwicklung – 18 Literatur – 24
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2
12
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
2.1
Traditionelle Verfahren der Qualitätssicherung
Jeder Arzt, jedes Krankenhaus und jede Arztpraxis betreibt Qualitätssicherung, ohne sich dessen in der Regel bewusst zu werden. Traditionell werden in der Medizin bereits seit Langem Qualitätssicherungsmaßnahmen angewandt, allerdings nur wenig systematisch und aufeinander abgestimmt. Qualitätssicherung ist dabei im Sinne einer Überprüfung der erreichten Ergebnisse und Kontrolle wichtiger Parameter der Diagnostik und Therapie mit teilweiser Korrektur gemeint. z
Hier einige Beispiele für qualitätssichernde Maßnahmen in der Krankenversorgung
4 Jede Visite ist eine qualitätssichernde Maßnahme: Der bisherige Krankheitsverlauf wird rekapituliert, die Ergebnisse der Diagnostik und der bisherigen Therapie werden evaluiert und daraus eventuelle Korrekturmaßnahmen abgeleitet oder aber die Indikation zu einem größeren diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen wie z. B. einer Operation wird gestellt. 4 Chefarztvisiten oder Oberarztvisiten sind qualitätssichernde Maßnahmen: Neben den genannten Tätigkeiten einer Visite wird das Behandlungskonzept durch einen Kliniker mit mehr Erfahrung und Wissen überprüft oder auch korrigiert. Es erfolgt in der Regel eine Dokumentation der Entscheidungen im Krankenblatt, einem Visitenbuch o. Ä. 4 Jede Röntgenbesprechung ist Qualitätssicherung: Verdachtsdiagnosen werden bestätigt oder verworfen, es erfolgen aufgrund der Ergebnisse Therapiekorrekturen, es werden weitere Maßnahmen der Diagnostik oder Therapie abgeleitet etc. 4 Es wird eine Entscheidungshierarchie genutzt, die Indikation zu bestimmten therapeutischen Maßnahmen wird nur vom Oberarzt oder Chefarzt gestellt. Letztlich
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4
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4 4
ist dies die typische Implementierung eines Prozesses, der ein hohes Qualitätsniveau der Entscheidungen sichert und mögliche Fehlentscheidungen zu verhindern versucht. Die Wiedervorstellung eines Patienten in einer Praxis ist eine Maßnahme zur Qualitätskontrolle: Der Arzt legt sich Rechenschaft über den Erfolg der eingeleiteten Therapie ab und korrigiert wenn erforderlich. Auch die Einbeziehung eines Konsiliars kann in diesem Sinne verstanden werden: Auch hier werden Verdachtsdiagnosen von dem Kollegen mit der größeren Expertise auf einem Gebiet evaluiert, es erfolgt eine Anpassung der Diagnostik oder Therapie. Betriebswirtschaftliche oder medizinische Statistiken, die z. B. vom Medizincontrolling des Krankenhauses oder dem Abrechnungssystem in der Praxis entnommen werden, sind Teil eines Qualitätsmanagements, auch wenn sie nicht als solche bezeichnet werden. Aus den Statistiken z. B. über die Fallzahl im DRG-System, den Casemix-Index o. ä. Parameter werden Maßnahmen abgeleitet, die die strategische Ausrichtung der Abteilung betreffen, Komplikationsstatistiken können zu einer Änderung im Behandlungsablauf führen, Hygienemaßnahmen auslösen, in einer Praxis wird der Rückgang des Umsatzes zu verstärkten Maßnahmen zur Patientenakquise führen etc. Eine leitliniengerechte Therapie ist Qualitätssicherung: Der Mediziner berücksichtigt die extern gewonnenen Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie eines Krankheitsbildes, die er in diesem Umfang nicht seiner persönlichen Erfahrung entnehmen kann. Ringversuche im Laborbereich stellen externe Qualitätskontrollen dar. Entscheidungen zur Struktur können als Qualitätssicherung verstanden werden: Die zusätzliche Einstellung von Personal, um einen größeren Arbeitsanfall bei gleichbleibender Qualität bewältigen zu können,
13 2.1 • Traditionelle Verfahren der Qualitätssicherung
4
4
4
4
Investitionen in eine bessere Qualifizierung des Personals, die Anschaffung modernerer Gerätetechnik, Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben im Bereich der Medizintechnik, Verbesserungen in der räumlichen Ausstattung etc. dienen letztlich dazu, ein möglichst hohes Qualitätsniveau zu erreichen oder zu halten. Auch vonseiten des Patienten kann ein »qualitätssichernder« Schritt unternommen werden: Er kann sich um eine auch im Sozialgesetzbuch verankerte Zweitmeinung bemühen, die letztlich die Qualität der bisherigen Diagnostik und Therapie betrachtet. Eine weitere Qualitätssicherung ist durch eine histologische Sicherung gegeben. Die Gewebeprobe ist im diagnostischen und therapeutischen Procedere häufig eine umfassende Evaluation der bisherigen Interpretation der erhobenen Befunde. Einem ähnlichen Zweck dient eine Obduktion. Eine mikrobiologische Untersuchung von Körpermaterial kann in gleicher Weise eine Aussage über die Qualität der bisherigen Diagnostik oder den Therapieerfolg liefern. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) übernimmt für die Kostenträger die Funktion einer an den Kosten der Behandlung ausgerichteten Qualitätskontrolle im DRG-System. Dabei ist es heute durchaus üblich, dass der MDK der Indikation zu teuren Behandlungsformen widerspricht und dies anhand von Literaturangaben zu belegen versucht. Hier wird insbesondere in hochspezialisierten und kostenintensiven Bereichen, z. B. der Stammzelltransplantation, versucht, einen Therapiestandard außerhalb von Studien zu definieren. Hier zeigen sich Grenzen der Qualitätskontrolle: Qualität im Sinne der notwendigen und gleichzeitig kosteneffektiven Behandlung kann nur definiert werden, wenn Anforderungen (Standardtherapie) existieren, mit denen man die konkret durchgeführte
2
Behandlung vergleichen kann. Bei seltenen oder weit fortgeschrittenen Erkrankungen fehlt genau diese Grundlage, nämlich die Standardtherapie, für eine Qualitätskontrolle. 4 Aber auch der »normale« stationäre Fall wird regelmäßig im Sinne der Kosten evaluiert. Hierbei spielt die Notwendigkeit der stationären Diagnostik und Therapie eine Rolle. Auch wenn diese Vorgehensweise im DRG-System zu großen Anstrengungen der Krankenhäuser geführt hat, die diagnostischen und therapeutischen Prozesse effektiver zu gestalten, betrachtet diese Form der »Qualitätskontrolle« nur die stationären Kosten. Wird zum Beispiel ein stationärer Aufenthalt nicht mit einer DRG vergütet, weil die MDK-Prüfung ergeben hat, dass auch eine ambulante Diagnostik und Therapie zumutbar gewesen wären, bedeutet dies nicht, dass dadurch Kosten eingespart worden wären. Im Gegenteil: Die mehrfache Anfahrt des Patienten und die ambulante Abrechnung von Großgeräteleistungen kann sogar unterm Strich mehr Kosten verursacht haben, die aber dann nicht allein bei der Krankenkasse liegen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Qualitätskontrolle im Sinne der Definition unter 7 Abschn. 1.1. immer nur bedeutet, dass definierte Anforderungen (Ausgaben der Krankenkasse möglichst gering halten) mit den Merkmalen der Dienstleistung, hier den stationären Kosten, abgeglichen werden. 4 Therapieoptimierungsstudien als Teil der klinischen Forschung hinterfragen bestehende Therapiekonzepte und versuchen sie mithilfe neuer Medikamente oder Ansätze zu verbessern und sind damit auch eine Form der Qualitätskontrolle. Alle die genannten Verfahren sind selbstverständlicher Bestandteil der klinischen Tätigkeit im ambulanten oder stationären Sektor
14
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
Visite: Festlegung des Diagnostikund Therapieplans
2
»Plan« Korrektur: Festlegung weiterführender Diagnostik und Therapie
»Act«
»Do«
Umsetzung: Durchführung des Diagnostikund Therapieplans
»Check«
(Re-) Visite: Überprüfung der bisherigen Diagnostik und Therapie (Diagnose gestellt? Therapie abgeschlossen?)
. Abb. 2.1 Deming-Zyklus oder PDCA-Zyklus am Beispiel der täglichen Visite
der Krankenversorgung. Qualitätsmanagement bedient sich im Wesentlichen aller dieser Verfahren und ergänzt nur wenige neue Methoden. Der Unterschied besteht darin, dass die genannten Maßnahmen ohne Qualitätsmanagement nicht zentral zusammengefasst betrachtet und aufeinander abgestimmt werden. Eine Organisation, die zwar Qualitätssicherung im genannten Sinne im Alltag betreibt, sich aber bisher nicht mit Qualitätsmanagement auseinandergesetzt hat, ist sich in der Regel keiner oder nur weniger übergeordneter Ziele bewusst, auf die die Bemühungen zur Qualitätssicherung ausgerichtet sein sollten. Jeder in der Organisation hat unter Umständen seine eigene Vorstellung, welche Ziele erreicht werden sollten, und handelt entsprechend. Damit kommt es zwangsläufig zu sich widersprechenden Aktivitäten, die sich im ungünstigsten Fall sogar gegenseitig behindern. An diesem Punkt wird die Bedeutung von übergeordneten Qualitätszielen und einer Qualitätspolitik für eine Organisation deutlich.
> Allen genannten Maßnahmen ist eines gemeinsam: In der Regel geht man von einer mehr oder minder geplanten Tätigkeit aus, die evaluiert wird, um anschließend korrigierend einzugreifen.
Diese Tätigkeit wiederholt sich in gewissen Zyklen (Beispiel: tägliche Visite bei einem Patienten). Die Vorgehensweise ähnelt sich also: Nach einer geplanten Tätigkeit folgt die Überprüfung und die Korrektur: Planen (»plan«) – Durchführung (»do«) – Überprüfen (»check«) – Korrigieren/Handeln (»act«) (. Abb. 2.1). Dieser Kreislauf stellt ein Kernelement des Qualitätsmanagements dar, der nach seinem Entdecker als »Deming-Zyklus« bezeichnet wird (William Edwards Deming, 1900–1993, US-amerikanischer Wirtschaftstheoretiker, der sich insbesondere mit einer prozessorientierten Sichtweise des Qualitätsmanagements auseinandersetzte).
15 2.2 • Interdisziplinarität und Qualitätssicherung in der Onkologie
2.2
Interdisziplinarität und Qualitätssicherung in der Onkologie
Die Onkologie weist im Vergleich zu anderen Fachgebieten einige Besonderheiten auf. Interdisziplinarität ist ein mittlerweile als allgemein akzeptiert anzusehendes Prinzip in der Versorgung onkologischer Patienten. In der Onkologie ist in der Behandlung der meisten Krankheitsbilder eine enge Kooperation zwischen den Fachgebieten wünschenswert und in Leitlinien verankert. Als Beispiel wurden in der Vergangenheit besonders die Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms angeführt, das viele spezialisierte Fachgebiete für eine optimale Diagnostik (Radiologie, Pathologie), prä- und postoperative Therapie (Gynäkologie/Chirurgie, plastische Chirurgie, internistische Onkologie, Strahlentherapie, Palliativmedizin) zusammenführen muss. Aber auch bei vielen anderen Tumorentitäten ist die Zusammenarbeit der Fachgebiete essenziell für optimale Behandlungsergebnisse, z. B. beim Rektumkarzinom, beim Sarkom etc. Dabei geht man davon aus, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur zu besseren Behandlungsergebnissen führt, sondern auch zu Kosteneinsparungen, z. B. durch die Vermeidung unnötig doppelter Diagnostik. Idealerweise erfolgt heutzutage die interdisziplinäre Zusammenarbeit in entsprechenden Tumorkonferenzen, in denen die einzelnen Fälle von allen beteiligten Fachgebieten besprochen werden und ein Konsens für die Vorgehensweise im Einzelfall festgelegt wird. Diese Konferenzen sind bereits ein Ansatz der Qualitätssicherung (7 Abschn. 2.1). Weiterhin handelt es sich in den meisten Fällen einer Tumortherapie um für den Patienten einschneidende Maßnahmen. Die bestmögliche Therapiestrategie entscheidet über die Heilungschancen des Patienten, über die Frage, ob belastende, eventuell sogar verstümmelnde Operationen erforderlich sind oder nicht, über den Ein-
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satz einer nebenwirkungsreichen Therapie, wie z. B. einer Chemotherapie oder über zusätzliche Therapieoptionen, die genutzt werden müssen, um ein Tumorrezidiv zu vermeiden. Damit wird klar, dass die Entscheidungen für den Patienten von großer Bedeutung sind und oft nur schwer im Nachhinein korrigiert werden können. Ein weiteres Argument, das der Qualitätssicherung in der Onkologie Bedeutung verleiht, ist die Frage der Kosten, die z. B. durch Therapieentscheidungen entstehen. Betrachtet man Standardtherapieschemata für die Behandlung des metastasierten Brustkrebs, so findet man Unterschiede in den Therapiekosten bis zum 15-fachen (z. B. zwischen den Kosten von Adriamycin/Cyclophosphamid und Paclitaxel/Bevacizumab). Die Frage, ob für die Diagnostik in jedem Fall ein Mamma-MRT notwendig ist, erhöht die Kosten ebenfalls um ein Vielfaches. Es ist nachvollziehbar, dass insbesondere die Kostenträger ein hohes Interesse an qualitativ hochwertigen Entscheidungen in diesem Zusammenhang haben. > Notwendige Interdisziplinarität, Kontrolle der oft sehr kostenintensiven Diagnostik und Therapie und die vital bedeutsamen Entscheidungen, die häufig getroffen werden müssen, stellen also die Hauptargumente für Anstrengungen zur Qualitätssicherung in der Onkologie dar.
Beispielhaft sollen einige Instrumente, die für die Qualitätssicherung im Bereich der Onkologie in Deutschland bereits existieren, dargestellt werden:
2.2.1
Meldepflicht für Tumorerkrankungen
Während in der ehemaligen DDR eine umfangreich umgesetzte Meldepflicht für Tumorerkrankungen existierte, war dies im Westen und nach der Wende in den neuen Bundesländern nicht
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2
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
etabliert bzw. nicht fortgeführt worden. Am 1.1.1995 trat das Bundeskrebsregistergesetz in Kraft, das allerdings bereits 1999 wieder auslief. Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass flächendeckend Anstrengungen unternommen wurden, Krebserkrankungen zu erfassen. Das RobertKoch-Institut berichtet zusammen mit der Gesellschaft der epidemiologischer Krebsregister e. V. (GEKID) im Auftrag der Bundesregierung regelmäßig über die Ergebnisse [9]. Trotz der gemachten Fortschritte in der epidemiologischen Erfassung der Krebserkrankungen ist man weiterhin in Deutschland von einer flächendeckenden Erfassung über einen längeren Zeitraum weit entfernt. Das Einzige seit 40 Jahren funktionierende und mit durch Studien belegter international vergleichbarer Vollständigkeit in der Erfassung arbeitende Krebsregister ist das Krebsregister des Saarlandes, dessen Daten häufig für die Bundesrepublik hochgerechnet werden und auch als Grundlage für Vollständigkeitsschätzungen der Krebsregister in den anderen Bundesländern dient. Erst 2007 ist mit der Novellierung und Ausdehnung des Krebsregistergesetzes in Hessen ein wichtiger Meilenstein erreicht worden, erstmals ist die Registrierung von Krebserkrankungen in Krebsregistern jetzt flächendeckend gesetzlich verankert. Auch die internationale Akzeptanz der deutschen Krebsregister hat zugenommen: Erstmals hat die »International Agency for Research on Cancer« der Weltgesundheitsorganisation neben dem Saarland sechs weitere Krebsregister in Deutschland mit ihren Zahlen der Jahre 1998–2002 in die neueste Auflage von »Cancer Incidence in Five Continents« aufgenommen. Mittlerweile wird die Krebsregistrierung auch durch die Deutsche Krebshilfe in einer Ausschreibung im Jahr 2007 für einen Förderschwerpunkt »Krebsepidemiologie« gefördert. Die Vollständigkeit der Erfassung ist je nach Krebserkrankung unterschiedlich: Während bei Brustkrebserkrankungen die Meldefreudigkeit offenbar besonders hoch ist und nach den Vollzähligkeitsschätzungen des
Robert-Koch-Instituts zwischen 2002 und 2004 2/3 der Krebsregister mindestens einmal eine 95% Erfassung der Erkrankung erreichen konnte, liegen insbesondere bei Krebserkrankungen des Gastrointestinaltrakts, gynäkologischen Genitaltumoren, Schilddrüsentumoren und Tumoren der Niere und der Harnblase nur unvollständige Angaben vor und Schätzungen für die Inzidenz und Mortalität in Gesamtdeutschland werden auch weiterhin über das Krebsregister des Saarlandes hochgerechnet werden müssen. > Krebsregister stellen eine wesentliche Grundlage für die Qualitätssicherung dar und können Trends in der Entwicklung und über epidemiologische Untersuchungen Hinweise für mögliche Krebsursachen geben.
Klinische Krebsregister sind in der Lage regionale Entwicklungen aufzuzeigen, teilweise bieten die klinischen Krebsregister Auswertungen für einzelne Einrichtungen an und liefern damit wichtige Hinweise für möglicherweise auftretende Mängel in der Ergebnisqualität. Deutschland hat in der Etablierung einer landesweiten epidemiologischen Erfassung von Krebserkrankungen in den letzten 10 Jahren wesentliche Fortschritte gemacht, es wird aber noch einige Jahre dauern, bis den bisher erfolgenden Schätzungen valide Zahlen zur Seite gestellt werden können.
2.2.2
Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung gGmbH (BQS)
Die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung gGmbH ist ein Dienstleister, der von der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den sog. Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherungen e. V. als Gesellschafter getragen wird. Die BQS arbeitet im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses, dem durch
17 2.2 • Interdisziplinarität und Qualitätssicherung in der Onkologie
die Sozialgesetzgebung (SGB V , § 137 Abs. 1) die externe vergleichende Qualitätssicherung übertragen wurde, und sammelt von den Krankenhäusern dokumentierte qualitätsrelevante Daten bestimmter Leistungsbereiche und führt ein bundesweites Benchmarking durch. Nur in den Bereichen der Herzchirurgie und Transplantationsmedizin sammelt die BQS die Daten direkt ein, da in diesen Bereichen ein Benchmarking auf Landesebene nicht sinnvoll erscheint. Alle anderen Abteilungen bzw. Krankenhäuser reichen ihre Daten zunächst bei Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung ein, die BQS fasst diese Daten dann zusammen und dient als Bindeglied zum gemeinsamen Bundesausschuss. Die Ergebnisse werden in einem Bericht zusammengefasst und den Krankenhäusern bzw. den Landesgeschäftsstellen zur Verfügung gestellt. Dabei werden nicht alle Bereiche der Medizin abgefragt, sondern eine sog. Meldepflicht besteht nur für genau definierte ausgewählte Krankheitsbilder bzw. therapeutische Prozeduren. Leider ist der BQS-Datensatz für die Onkologie wenig ergiebig, lediglich in der Mammachirurgie und bei gynäkologischen Operationen werden onkologische Krankheitsbilder »gestreift«. Zwar ist die Datenerfassung der BQS in den letzten Jahren sicherlich besser geworden, andererseits kann die BQS über die genannten Ausnahmen hinaus kaum einen Beitrag für flächendeckende Erkenntnisse zur Qualitätssicherung onkologischer Krankheitsbilder oder deren Therapie liefern. Lediglich zu sehr spezifischen Fragestellungen, z. B. zur Indikation zur Sentinel-Lymphknotenbiopsie, können Aussagen getroffen werden.
2.2.3
Disease-ManagementProgramm (DMP) Brustkrebs
Disease-Management-Programme wurden von der Bundesregierung zusammen mit den Krankenkassen für chronische Erkrankungen einge-
2
führt und hatten ursprünglich das Ziel, Interdisziplinarität in der Krankenversorgung zu fördern, Komplikationen und Spätfolgen der Erkrankungen zu verhindern oder zu minimieren und eine langfristige spezialisierte Betreuung der Patienten sicherzustellen. Disease-ManagementProgramme stellen eine spezialisierte Versorgungsform dar, deren Ziel es ursprünglich war, »Volkskrankheiten« wie z. B. Diabetes mellitus oder koronare Herzkrankheit besser zu versorgen. Disease-Management-Programme beruhen auf verschiedenen Gemeinsamkeiten: Ein chronisches Krankheitsbild soll in der Behandlung durch Einschreibkriterien auf besondere Risikogruppen konzentriert werden, es sollen stetige zu aktualisierende Leitlinien und Behandlungsempfehlungen entwickelt werden, klare Strukturvorgaben, z. B. über die Zuständigkeiten für die Versorgung der Patienten, sollen gelten und neben dem Patienten selbst sollen auch medizinische Hilfsberufe mit einbezogen werden. Vor dem Hintergrund der politischen Diskussion um das Jahr 2000 über eine vermeintliche oder tatsächliche Unterversorgung von Mammakarzinompatientinnen in Deutschland war es eine eindeutig politische Entscheidung, auch das Mammakarzinom in diese Art der Versorgung aufzunehmen (die Inzidenz des Mammakarzinoms in den höheren Altersgruppen beträgt z. B. nur etwa 1/5 von der Inzidenz des Diabetes mellitus). Es stellt sich sonst die Frage, warum ein entsprechendes Programm nicht auch für den Darmkrebs entwickelt wurde: Nimmt man die Inzidenz für Frauen und Männer zusammen, erreicht diese Erkrankung ein um 20% höheres Vorkommen im Vergleich zum Brustkrebs. Die DMP-Versorgungsstruktur wird im Wesentlichen von den Krankenkassen getragen, die auch die Auswertung der gesammelten Daten zur Qualitätssicherung übernehmen. Die Vorgehensweise wird dabei vielfach als sehr bürokratisch kritisiert. So findet man Auswertungen in Form von gesetzlich vorgeschriebenen Quali-
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2
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
tätsberichten (SGB V, § 137 f.), die von einzelnen Kassen zur Verfügung gestellt werden, die z. B. für einen Berichtszeitraum von einem halben Jahr 21 Patientinnen auswerten(!) [7]. Andere Auswertungen, wie z. B. die der AOK Bayern [3], umfassen für das Bundesland zumindest 2500 Frauen seit 2005 und lassen gewisse Aussagen zur Versorgungsqualität für einzelne Fragestellungen, z. B. wie oft nach einer brusterhaltenden OP bestrahlt wurde (oder dokumentiert wurde?), zu. Es wird noch Jahre dauern, bis eine bundesweite Zusammenfassung der Daten zu wichtigen Endpunkten der Behandlung (z. B. Überlebensraten oder Rezidivraten) eine verwertbare Aussage machen kann. Selbst dann werden die Zahlen unter dem Vorbehalt stehen, dass sie nur die Frauen, die sich in das freiwillige Disease-Management-Programm Brustkrebs eingeschrieben haben, erfassen. Genau wie das Mammographie-Screening-Programm enthält das Disease-Management-Programm Brustkrebs viele Vorgaben, die eine Qualität gewährleisten sollen. Ob diese Programme an diesen Daten später wirklich bewertet werden können, bleibt noch offen und hängt ganz wesentlich von der Akzeptanz der Verfahren ab. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist eine 2004 ins Leben gerufene Institution, die im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Bundesgesundheitsministeriums unabhängige, evidenzbasierte Gutachten erstellt. Dabei soll das Institut »die Vor- und Nachteile medizinischer Leistungen für Patienten und Patientinnen objektiv prüfen« [5] unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Qualität und betrachtet dabei vorzugsweise Arzneimittel, aber auch nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden, Screeningprogramme und die Leitlinien, die für Behandlungen im Rahmen der DiseaseManagement-Programme aufgestellt werden. Ein weiteres Betätigungsfeld ist die Erstellung von Informationsmaterial für die Bürger.
Die vom IQWiG erstellten Empfehlungen haben in der Vergangenheit z. T. große Kontroversen ausgelöst. Da die Stelle aus Krankenkassenbeiträgen finanziert und unabhängig über medizinische Sachverhalte urteilen kann, könnte dem IQWiG eine qualitätssichernde Maßnahme zugeschrieben werden. Allerdings handelt es ausschließlich im Auftrag des Ministeriums oder des Gemeinsamen Bundesausschusses, womit eine Selektion der betrachteten Themenbereiche resultiert. Kosten-Nutzen-Betrachtungen sind daher auch der Schwerpunkt des Instituts, das seine Analysen nach einer transparenten Methodik erstellt und sich auf die Vorgehensweise der evidenzbasierten Medizin beruft. Für die ausgesuchten Themenbereiche, mit denen sich das Institut beschäftigt, kann man daher von einer qualitätssichernden Arbeit sprechen, die allerdings nur wenige Aspekte der Onkologie betrifft. > Insgesamt kann man festhalten, dass es für die Qualitätssicherung in der Onkologie keine umfassende, bundesweite Einrichtung gibt. Nur in Teilbereichen von besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit, wie z. B. Brustkrebs, existieren Ansätze einer bundesweiten Erfassung.
Die epidemiologischen Tumorregister haben in den letzten Jahren Fortschritte gemacht und es ist zu erwarten, dass in einigen Jahren zumindest Entwicklungen in der »Ergebnisqualität« benennbar sein werden.
2.3
Leitlinienentwicklung
Eine erste breite Diskussion über den Zweck von Leitlinien als Instrument der Qualitätssicherung wurde auf dem Deutschen Ärztetag 1993 geführt. Ein Jahr später wurde schließlich deren Entwicklung und Anwendung vom »Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen« empfohlen, insbesondere mit Blick auf die Sozialgesetzgebung und der Umsetzung der For-
19 2.3 • Leitlinienentwicklung
derung nach einer bedarfsgerechten, das Notwendige nicht überschreitenden medizinischen Versorgung nachzukommen. Damit wurde die Entwicklung nationaler Leitlinien initiiert, wobei ökonomische Gesichtspunkte und die Verbesserung medizinischer Abläufe im Vordergrund standen. Diese Anregungen führten u. a. schließlich 1995 zur Gründung der »Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung« (ÄZQ), eine gemeinsame Einrichtung der Bundesärztekammer und der kassenärztlichen Bundesvereinigung, als eine deren zentralen Aufgaben die Erstellung von wissenschaftlich begründeten und praktisch anwendbaren Leitlinien unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit definiert wurde. Die »Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften« (AWMF) begann Mitte der 1990er Jahre mit der Entwicklung und Koordination von Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften und veröffentlichte bereits 1999 500 Leitlinien. Für die Deutsche Krebsgesellschaft übernahm das »Informationszentrum für Standards in der Onkologie« (ISTO) die Entwicklung von Leitlinien, die insbesondere in den letzten Jahren bis zur »Stufe 3« nach den Prinzipien der »Evidencebased Medicine« weiterentwickelt wurden. Die Leitlinienkommission der AWMF unter Beteiligung der ÄZQ entwickelte für Deutschland die Methodik der verschiedenen Leitlinienstufen, die im »Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ« [2] veröffentlicht wurden und die mittlerweile internationalen Standard erreicht hat [4]. Die Motivation zur Entwicklung von Leitlinien ist vielfältig. Während von ökonomischer Seite mit der Entwicklung von Leitlinien die Hoffnung verknüpft wird, dass in der »Standardtherapie« der Leitlinie das Notwendige definiert wird, damit also eine Über- oder Unterversorgung des Patienten ausgeschlossen werden kann, verfolgen Fachgesellschaften eine andere Zielrichtung mit der Erstellung von Leitlinien. Ihnen geht es um die Definition von Handlungskorridoren, die auf der evidenzbasierten Me-
2
dizin fußt, ohne die auf Erfahrung beruhende und auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmte Vorgehensweise des Arztes zu verbieten. Nicht zuletzt kommt eine juristische Sichtweise hinzu: Eine Leitlinie schafft auch ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, d. h., man kann dem Mediziner nicht vorwerfen, z. B. eine Diagnostik oder Therapie eingeleitet zu haben, die sich an dem »Notwendigen«, definiert in der Leitlinie, orientiert hat. Dies hat dann natürlich auch Auswirkungen auf die Vergütung, solange, wie in Deutschland, das medizinisch Notwendige gesetzlich verbrieft vom Patienten in Anspruch genommen werden kann. Leitlinien können aber auch für den Arzt bedeuten, dass er in die Umkehr der Beweislast gerät, nämlich genau dann, wenn er sich nicht leitliniengerecht verhalten hat, dies erfordert dann vom Mediziner eine Begründung. Das Gesagte soll deutlich machen, dass leitliniengerechte Therapie nicht bedeutet, dass der Arzt seine klinische Erfahrung mit dem entsprechenden Krankheitsbild aufgibt oder Patientenpräferenzen, d. h. die Zustimmung oder Wünsche des informierten Patienten keine Rolle mehr spielen sollten. > Man kann allgemein feststellen, dass Leitlinien der im Vergleich zu früheren Zeiten besser und schneller verfügbaren Erkenntnisse Rechnung tragen, da diese in einer evidenzbasierten Leitlinie bewertet und zusammengefasst werden, ohne in die klinikintern vor Ort gelebten Standards zwingend eingreifen zu müssen.
Idealerweise vereinigt eine leitliniengerechte Therapie den Erkenntnisgewinn, der sich aus der bewerteten Zusammenfassung der publizierten wissenschaftlichen Ergebnisse zu einer Fragestellung ergibt, mit der »Schule«, aus der ein Mediziner kommt, d. h. den aus dem praktischen Alltag erworbenen Erfahrungen, die zu örtlichen mehr oder weniger definierten Stan-
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Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
dards geführt haben und die von Institution zu Institution durchaus verschieden sein können.
2
z
Worum handelt es sich nun bei einer Leitlinie?
Zur Beantwortung dieser Frage ist die folgende Erläuterung des Begriffes »Leitlinie«, die sich an der Definition der »Agency for Health Care Policy and Research« für die »Clinical Practice Guidelines« in den USA orientiert, hilfreich:
»
Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlungen mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung (Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge) unter spezifischen medizinischen Umständen zu unterstützen. Leitlinien geben den Stand des Wissens (Ergebnisse von kontrollierten Klinischen Studien und Wissen von Experten) über effektive und angemessene Krankenversorgung zum Zeitpunkt der Drucklegung wieder. In Anbetracht der unausbleiblichen Fortschritte wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Technik müssen periodische Überarbeitungen, Erneuerungen und Korrekturen unternommen werden. Die Empfehlungen der Leitlinien können nicht unter allen Umständen angemessen genutzt werden. Die Entscheidung darüber, ob einer bestimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muss vom Arzt unter Berücksichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden, S. 473 [6].
«
Neben dem bereits Gesagten sollte auch darauf hingewiesen werden, dass die Umsetzung einer Leitlinie nach dieser Definition die verfügbaren Ressourcen mit einschließt. Zwar sind wir in Deutschland aufgrund der Gesetzgebung und unseres Gesundheitssystems daran gewöhnt, dass das in der Leitlinie definierte Notwendige auch das ist, für das Ressourcen bereitgestellt
werden, dies ist aber international nicht so selbstverständlich wie bei uns. Im Kern sollen Leitlinien (zit. nach [6]) folgende Fragen beantworten: 5 5 5 5 5 5
Was ist notwendig? Was ist in Einzelfällen nützlich? Was ist überflüssig? Was ist obsolet? Was muss stationär behandelt werden? Was kann ambulant behandelt werden?
Wichtig ist die Abgrenzung des Begriffes Leitlinie von sog. Richtlinien. Sie sind definiert als:
» Handlungsregeln einer gesetzlich, berufsrechtlich, standesrechtlich oder satzungsrechtlich legitimierten Institution, die für den Rechtsraum dieser Institution verbindlich sind und deren Nichtbeachtung definierte Sanktionen nach sich ziehen kann, S. 6 [2].
«
Die beiden Begriffe unterscheiden sich also im Wesentlichen durch das Ausmaß ihrer Verbindlichkeit. Dabei ist zu beachten, dass im angelsächsischen Sprachraum diese Unterscheidung nicht sprachlich ausgedrückt wird, hier fallen beide Begriffe unter das Wort »guidelines«. Leitlinien liegt eine systematische Erstellung zugrunde, d. h., auf verschiedenen Stufen wird eine Systematik in ihrer Erstellung verfolgt. Es wird im Einzelnen ein 3-Stufen-Prozess der Leitlinienentwicklung verfolgt, der hier im Sinne des Leitlinien-Manuals der AWMF und der ÄZQ wiedergegeben wird: Stufe 1: Expertengruppe Eine möglichst reprä-
sentativ zusammengesetzte Expertengruppe, z. B. einer Fachgesellschaft, erstellt Handlungsempfehlungen zu definierten Fragestellungen bei einem definierten Krankheitsbild, wobei der Konsens der Expertengruppe auf einfachem, informellen Weg, z. B. in einer Konferenz, gefun-
21 2.3 • Leitlinienentwicklung
den wird. Es gibt zahlreiche sog. »S1-Leitlinien«, die zwar als Leitlinie den geringsten qualitativen Anspruch erheben können, aber natürlich höher bewertet werden müssen, als eine einzelne (Experten-) Meinung und insbesondere für Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen, für die keinerlei systematisch durchgeführte oder sogar prospektiv randomisierte Studien existieren, z. B. weil es sich um ein sehr seltenes Krankheitsbild handelt. Stufe 2: formale Konsensfindung Zusätzlich zur
Vorgehensweise in der Stufe 1 wird ein formales Verfahren zur Konsensfindung angewendet. Es existieren mehrere solche Verfahren z. B. die Konsensus-Konferenz, die Delphi-Methode oder der sog. nominale Gruppenprozess. Die Methoden zur Konsensfindung dienen dem Zweck, den Erkenntnisgewinn dadurch zu erhöhen, dass methodisch die Konsensfindung nicht durch Hierarchien oder Durchsetzungsvermögen der Anwesenden beeinflusst wird (z. B. nominaler Gruppenprozess), die Sichtweise der anderen Konferenzteilnehmer anonym zur Kenntnis gebracht wird, um dadurch synergistische Effekte in der Meinungsbildung zu nutzen (z. B. Delphi-Methode) oder die gruppendynamischen Vorteile einer Konsensus-Konferenz zu nutzen. Dabei werden vorher definierte Fragestellungen nach Expertenvorträgen und Erarbeitung von Handlungsanweisungen in Arbeitsgruppen von einem begrenzten Panel in einer Größenordnung von max. 100 Teilnehmern diskutiert. Sofort am Konferenzende wird der Konsens festgeschrieben, wobei auch noch offene Fragestellungen und kritische Stellungnahmen der Minderheitsmeinungen festgehalten werden. Dieses Konsenspapier wird dann als »S2-Leitlinie« veröffentlicht. Stufe 3: höchste Form der evidenzbasierten Leitlinie Die oben beschriebene Vorgehensweise für
die Leitlinienerstellung wird noch um fünf wei-
2
tere Komponenten systematisch erweitert (S. 7) [2]. Logik Die Leitlinie muss so formuliert sein, dass sie einem logischen Algorithmus folgt. Dies bedeutet, dass sie mit einer eindeutigen Fragestellung beginnen muss, die sich auf ein relevantes klinisches Problem bezieht. Dieser Fragestellung müssen Handlungen folgen, die keine Entscheidungsfreiheit lassen (z. B. zunächst notwendige Diagnostik), anschließend folgen Entscheidungen, die einer konditionalen Logik folgen, d. h., es kommt immer nur zu »Wenn-dann«-Entscheidungen. Dabei muss der Entscheidungsbaum so kurz wie möglich gehalten werden, häufig werden die Entscheidungsbäume durch eine Rückkehr zu vorherigen Schritten komplex. Die Darstellung kann in Form eines Flussdiagramms erfolgen, muss aber nicht, d. h., inhaltliche Algorithmen können durchaus auch z. B. in Form von Tabellen dargestellt werden. Konsensus Konsens ist eine wesentliche Voraus-
setzung für die Entwicklung und Implementierung von Leitlinien. Wichtig ist die Erkenntnis, dass unterschiedliche Wege zur Erreichung von Konsens möglich sind und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, was für die Wahl der Methode zur Konsensfindung, die durchaus formalisiert oder nichtformalisiert sein kann, von entscheidender Bedeutung ist. Evidence-based Medicine Leitlinienentwicklung muss einer Methodik zur Evidenzfindung folgen, die in dem Leitlinien-Manual der AWMF/ÄZQ ausführlich behandelt wird. Die Literaturrecherche, die verwendeten Schlagwörter, die Zeiträume in denen die verwendeten Publikationen erschienen sind, aber auch die Art der Datenbank und die Qualität der verwendeten Studien beeinflussen das Ergebnis wesentlich und müssen daher definiert und einer Systematik unterworfen werden. Sind die relevanten Publikationen identifiziert, müssen sie einer systematischen
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
22
. Tab. 2.1 Definition der verschiedenen Evidenzniveaus in der Leitlinienentwicklung [1]
2
Evidenzstärke
Beschreibung
1a
Systematische Übersicht über randomisierte, kontrollierte Studien (RCT)
1b
Eine RCT mit engem Konfidenzintervall
1c
Alle-oder-keiner-Prinzip
2c
Outcome-Studien, ökologische Studien
3a
Systematische Übersicht über Fall-Kontroll-Studien
3b
Eine Fall-Kontroll-Studie
4
Fallserien oder Kohorten-/Fall-Kontroll-Studien minderer Qualität
5
Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evidenz oder basierend auf physiologischen Modellen/Laborforschung
Bewertung unterworfen werden, d. h., man definiert methodisch Ihre »Evidenzstärke«, die zu den einzelnen Aussagen in der Leitlinie mit angegeben wird (. Tab. 2.1). Entscheidungsanalyse Hierunter versteht man
die zusätzliche Angabe von Kosten-NutzenAnalysen zur Fragestellung, z. B. der Kostenvergleich zwischen verschiedenen möglichen Therapieansätzen. Outcome-Analyse Die
Outcome-Analyse soll idealerweise den vom Arzt erhobenen Gesundheitsstatus/Erreichung von Gesundheitszielen dem Konzept der Lebensqualität aus Sicht des Patienten gegenüberstellen. Diese beiden Sichtweisen versucht man z. B. in einem gemeinsamen Konstrukt in Form der QUALY (»quality of life adjusted life years«) näher zu kommen. Als Beispiel kann die Intervention bei einem fortgeschrittenen Tumorleiden dienen: Hier kann es zu einem Konflikt zwischen der medizinisch machbaren Intervention (z. B. wirksame Chemotherapie steht zur Verfügung) und der Lebensqualität des Patienten kommen. Der vom Arzt erhobene Gesundheitszustand und die Lebensqualität werden zum »wahrhaften« Endpunkt der klini-
schen Relevanz vereinigt, der durch Arzt und Patient bewertet wird (S. 24) [2]. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Erstellung und Entwicklung von S3-Leitlinien natürlich sehr aufwendig und teuer sind. Ein zusätzliches Problem stellt der hohe Zeitbedarf für die Erstellung und Überarbeitung dar, der nicht immer mit der schnellen Entwicklung des medizinischen Erkenntnisgewinns Schritt halten kann. Eine umfassende S3-Leitlinie steht von ihren Inhalten her in einer natürlichen Konkurrenz zu einem Lehrbuch, kann aber vor allem im Vergleich mit diesem eine umfassende Methodik des Erkenntnisgewinns nachweisen und wird in der Regel auch schneller aktualisiert. Leitlinien geben zusätzlich Empfehlungsgrade an. Letztlich kumuliert die Arbeit einer Leitlinienkommission in diesen Empfehlungsgraden, die in der Regel zusammen mit dem Evidenzniveau und der Konsensusstärke angegeben werden (. Tab. 2.2 und . Tab. 2.3) Nicht immer ergeben sich die Empfehlungsgrade aus der Evidenzstärke, hier fließt auch die klinische Beurteilung des Sachverhaltes mit ein. Man sollte sich immer alle drei Parameter (Evidenzstärke, Konsensusstärke, Empfehlungsgrad) bei der Entscheidungsfindung zu einem konkreten Sachverhalt vergegenwärtigen.
23 2.3 • Leitlinienentwicklung
2
. Tab. 2.2 Empfehlungsgrade [8] Empfehlungsgrad
Beschreibung
A »Soll«
Ergibt sich Evidenzstärke 1a oder 1b oder ist aus klinischer Sicht erstrangig einzustufen
B »Sollte«
Ergibt sich aus den Evidenzklassen 2a, 2b oder 3 oder ist aus klinischer Sicht zweitrangig
C »Kann«
Ergibt sich aus der Evidenzklasse 4 oder 5 oder ist aus klinischer Sicht drittrangig einzustufen
. Tab. 2.3 Konsensusstärke [10]
z
Konsensusstärke
Prozentuale Übereinstimmung
Starker Konsens
Zustimmung von >95% der Teilnehmer
Konsens
Zustimmung von >75–95% der Teilnehmer
Mehrheitliche Zustimmung
Zustimmung von >50–75% der Teilnehmer
Kein Konsens
Zustimmung von Es sei abschließend nochmals hervorgehoben, dass eine Leitlinie eine Zusammenfassung der evidenzbasierten Erkenntnisse der Fachliteratur, aber auch eine Bewertung der klinischen Relevanz und vor allem auch der Literatur durch ein Gremium, nämlich der Leitlinienkommission, darstellt. Eine Leitlinie ist nicht frei von subjektiven Wertungen!
Im medizinischen Alltag wird oft eine Empfehlung, die einer S3-Leitlinie entnommen wird, als »evidenzbasierte« Wahrheit angepriesen (z. B., wenn ein bestimmtes Produkt in einer S3-Leitlinie empfohlen wird!). Auch von S3-Leitlinien
24
2
Kapitel 2 • Qualitätssicherungsverfahren in der Onkologie
kann und muss abgewichen werden, wenn die Situation des Patienten dies erforderlich macht und es rational begründet werden kann. Leitlinien geben einen Handlungskorridor vor, der nicht wertlos wird, nur weil noch keine Leitlinie der höchsten Entwicklungsstufe vorliegt, vor allem aber enthebt eine Leitlinie den Kliniker nicht von der Pflicht, eigene Einschätzungen der individuellen Situation des Patienten vorzunehmen und sich ein eigenes Urteil über die Studienlage zu bilden. Andererseits bieten Leitlinien der höchsten Entwicklungsstufe eine objektive (sofern sie einer strengen Methodik gefolgt sind) und damit besonders wertvolle Zusammenfassung des aktuellen Stands der Medizin an.
Literatur 1
Center of Evidence-Based Medicine Oxford (2008) Zitiert nach S3-Leitlinie kolorektales Karzinom. Z Gastroenterol 46: 1–73 2 Das Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ (2001) Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung 95: Supplement I 3 Evaluationsbericht DMP Brustkrebs der AOK Bayern (2008)Download http://www.aok-gesundheitspartner. de. Gesehen 26 Okt 2008 4 Heimpel H (2006) Leitlinien für die ärztliche Praxis – Probleme der Implementation, Forum. Mitgliederzeitschrift der Deutschen Krebsgesellschaft 5 5 http://www.iqwig.de (2009) Gesehen 1Nov 2009 6 Müller W, Lorenz W (2001) Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in der AWMF. In: Lauterbach KW, Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart 7 Qualitätsbericht DMP-Brustkrebs (2008) gem. § 137 Abs. 2 SGB V der Signal-Iduna-BKK für den Zeitraum 1.6.2006 bis 31.12.2006 erstellt am 12.1.2007 durch AnyCare GmbH.Download http://www.signal-iduna-bkk. de. Gesehen 26 Okt 2008 8 Radaèlli M, Fuchs C, Lauterbach KW (2001) Evidenz-basierte Leitlinien. In: Lauterbach KW, Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart 9 Robert-Koch-Institut/GEKID (Hrsg) (2008) Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Krebs in Deutschland 2003–2004, Häufigkeiten und Trends, 6. überarbeitete Auflage, Berlin 10 Schmiegel W et al. (2008) S3-Leitlinie kolorektales Karzinom. Z Gastroenterol 46: 1–73
25
Qualitätsmanagementsysteme Harald Schmalenberg
3.1
Definition und Abgrenzung – 26
3.2
Normen für Qualitätsmanagementsysteme – 30
3.3
Qualitätsmanagementsysteme in der Medizin – 33 Literatur – 36
3
3
26
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
3.1
Definition und Abgrenzung
Vielen Medizinern sind mittlerweile die Begriffe und Methoden des Qualitätsmanagements (QM) zwangsläufig begegnet und – sind in der Regel sehr negativ belegt. Viele Qualitätsmanagementbeauftragte von Kliniken werden auf stillschweigende Duldung, Unverständnis oder sogar hinhaltenden bis offenen Widerstand stoßen, wenn sie versuchen, Qualitätsmanagementelemente einzuführen oder sogar die Klinik auf eine externe Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems vorzubereiten. Mediziner in leitenden Funktionen, genauso wie in der niedergelassenen Praxis, wird heutzutage mehr als nur die Umsetzung theoretischer medizinischer Kenntnisse in praktische Medizin abverlangt. Neben dem betriebswirtschaftlichen Denken, das spätestens nach der Einführung der DRG bis hinunter zum jüngsten Assistenzarzt eine große Rolle spielt, wird zusätzlich verlangt, Änderungen in den Vorgaben des Marktes mit Befähigungen aus dem Bereich des Projektmanagements, des Personalmanagements in Zeiten des Ärztemangels und einer neuen Form der Patientenorientierung zu begegnen. Diese Anforderungen werden in stark gewinnorientierten Einrichtungen mit z. B. leistungsbezogener Bezahlung der Führungskräfte noch akzentuiert. Da der Arzt in seiner Ausbildung wenig bis gar nicht auf diese Herausforderungen vorbereitet wird, ist die natürliche Reaktion zunächst Unsicherheit, Unverständnis bis hin zur Ignoranz. Im Laufe ihres Berufslebens entwickeln Ärzte aus der Praxis heraus durchaus funktionierende Verfahren zur Organisation ihrer beruflichen Umgebung, im Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen und anderen Berufsgruppen, mit den Patienten, mit Fehlern und Verbesserungsvorschlägen und werden dabei häufig von den Vorbildern geprägt, die ihnen in der Organisation begegnet sind, in der sie ausgebildet wurden. Veränderungen in den Organisationsstrukturen, wie es die Einführung von Qualitätsmanage-
ment anstrebt, wird daher zunächst als Bedrohung empfunden. Es soll das verändert werden »was wir schon immer so gemacht haben« und was nach den Erfahrungen des gesamten Berufslebens der Beteiligten nie anders war und, da man auch ohne eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Einrichtungen die eigene Arbeit in der Regel als qualitativ hochwertig wahrnimmt, auch immer gut funktioniert hat. Es werden Gestaltungsmöglichkeiten, »Freiheiten« einen Prozess heute so und morgen anders zu gestalten durch schriftliche Festlegungen eingeschränkt, in der Abstimmung mit anderen Abteilungen werden Schnittstellen definiert und durch Kompromisse geregelt. Es finden plötzlich Dinge Beachtung (Beispiel Medizintechnik), um die man sich bisher nicht gekümmert hat und es werden Dokumentationen erstellt, die man – gelinde gesagt – für entbehrlich hält. Häufig wird einem die Einschätzung begegnen, dass hier Zeit und Kraft für »Unsinniges« geopfert wird, die man besser der Patientenversorgung zu Gute kommen lassen könnte. Soweit die weitverbreiteten Missverständnisse zum Qualitätsmanagement, die verständlich machen, warum Qualitätsmanagement in der Medizin nur in Ausnahmefällen aus eigenem Antrieb, z. B. eines Chefarztes, eingeführt wird und es eigentlich immer des Drucks von außen, z. B. durch den Gesetzgeber, den Kostenträger oder den Träger der Einrichtung, bedarf, um Qualitätsmanagementsysteme in Einrichtungen des Gesundheitswesens zu etablieren. Interessant ist dabei, dass die Motivation zur Zertifizierung häufig zunächst in der Erlangung von Wettbewerbsvorteilen besteht, aber nach Einführung des QM-Systems ein anderer Nutzen erkennbar wird (. Abb. 3.1). Die genannten Vorurteile müssen vor dem meistens im Vergleich zur Industrie noch bestehenden Entwicklungspotenzial der Kliniken bezüglich ihres Organisationsgrades verstanden werden. Wahrscheinlich würden Manager, z. B. in der Automobilindustrie, mit Unverständnis
3
27 3.1 • Definition und Abgrenzung
Welchen Nutzen als Folge der Einführung Ihres QM-Systems können Sie erkennen? Höhere Transparenz Stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter Erhöhung Prozess-Sicherheit Besseres Image Schnittstellenoptimierung Effektiveres Verbesserungsmanagement Steigerung der Kundenzufriedenheit Höhere Mitarbeiterzufriedenheit Absicherung gegen Haftungsfälle Verringerung der Beschwerden Wettbewerbsvorteile Bessere Abstimmung mit Lieferanten Kostenreduzierung 11 Höhere Flexibilität 11 Verbesserte Kostentransparenz 9 Reduzierung von Durchlaufzeiten 6 Umsatzsteigerung 3 Sonstiges 3 0
10
88 82 80 60 58 58 43 40 26 25 22 22
20
30
40 50 60 70 Angaben in Prozent (Mehrfachnennung möglich)
80
90
100
. Abb. 3.1 Umfrage bei 100 zertifizierten Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Mod. nach [7]
reagieren, wenn man sie fragen würde, ob Qualitätsmanagement überhaupt benötigt wird, sondern es als einen selbstverständlichen integralen Bestandteil des Managements beschreiben. Um zu einem besseren Verständnis zu gelangen, muss man zunächst einiges über die Etappen in der Entstehungsgeschichte des Qualitätsmanagements sagen. Qualitätskontrolle Am Anfang stand in der In-
dustrie die Qualitätskontrolle, die sicherstellen sollte, dass keine fehlerhaften Produkte am Ende der Produktion in den Handel gelangten. Es ging also um die systematische Überprüfung, ob die gewünschten Eigenschaften der Produkte auch tatsächlich in vollem Umfang nachweisbar waren. Fehlerhafte Produkte konnten so, noch bevor sie eine Reklamation hervorriefen, ausgesondert werden. Die eingesetzten Screeningmethoden konnten in gewissem Maße auch eine
Aussage zum Verursacher machen, waren aber noch nicht auf eine umfassendere Kontrolle des Produktionsprozesses ausgerichtet. Qualitätssteuerung Es war daher naheliegend, sich zunehmend mit der Frage zu beschäftigen, wie eine Fehlerentstehung durch eine bessere Kontrolle des Entstehungsprozesses vermieden werden könnte, es sollte erreicht werden, dass die Streuung in den Produkteigenschaften möglichst gering gehalten wurde. Der Schwerpunkt lag also auf Qualitätssteuerung. Qualitätsplanung Die mit den entwickelten Me-
thoden optimierten Produkte waren aber nicht automatisch konkurrenzfähig, ein optimales Produkt muss noch lange nicht vom Kunden angenommen werden. Damit wird evident, dass die Erwartungen des Kunden in die Beurteilung der Qualität mit aufgenommen werden mussten.
28
3
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
Eine Qualitätsplanung muss also noch vor Produktionsbeginn dafür sorgen, dass sich die Kundenbedürfnisse im Produkt wiederfinden, da sonst die Gefahr besteht, dass ein zwar qualitativ hochstehendes Produkt oder eine Dienstleistung entsteht, für die es aber leider keine Nachfrage gibt. Qualitätsverbesserung Parallel dazu setzte sich
die Erkenntnis durch, dass jeder Prozess noch weiter verbessert werden kann, dass die Produktion oder eine Dienstleistung sich den Wandlungen des Marktes durch ständige Anpassungsund Verbesserungsprozesse anpassen muss. Dieses Prinzip der »kontinuierlichen Verbesserung« ist heute fester Bestandteil von Qualitätsmanagement. Das Prinzip der Qualitätsverbesserung macht deutlich, dass Qualitätsmanagement nicht statisch ist, d. h., dass nach einer intensiven Vorbereitung, wenn ein Qualitätsmanagementsystem dann endlich extern zertifiziert wurde, nur der erste Schritt getan wurde, der ständige Verbesserungsprozess läuft im Sinne des bereits beschriebenen »Deming-Zyklus« (»Plan«-»Do«»Check«-»Act«, . Abb. 2.1) immer weiter. > Alle genannten Aspekte der Qualitätssteigerung, die sich am Ende einer jahrzehntelangen Entwicklung herauskristallisiert haben, werden unter »Total Quality Management (TQM)« oder einfach Qualitätsmanagement zusammengefasst.
Vor diesem historischen Hintergrund muss man Qualitätsmanagement als ein modernes Führungsinstrument verstehen, dass nicht in erster Linie dazu geschaffen wurde, den Dokumentationsaufwand zu potenzieren, sondern alle Aktivitäten einer Organisation so aufeinander abzustimmen, dass ein bestmögliches Funktionieren erreicht wird. In der Definition der ISO 9001:2005 (7 Abschn. 1.3) versteht man unter Qualitätsmanagement »aufeinander abgestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken
einer Organisation bezüglich Qualität«. Dabei beinhaltet der Begriff »Leiten und Lenken« zunächst einmal ein Ausrichten der Organisation auf eine Qualitätspolitik und daraus abgeleitete Qualitätsziele. Es ist leicht nachvollziehbar, dass eine Organisation umso besser organisierbar wird, wenn definiert ist, worauf sich alle Aktivitäten ausrichten sollen. Institutionen im Gesundheitswesen, die kein Qualitätsmanagement eingeführt haben oder umsetzen, haben in der Regel keine übergeordneten Ziele, in deren Richtung die Organisation weiterentwickelt werden soll. Bestenfalls sind von der kaufmännischen Leitung ökonomische Ziele vorgegeben, ohne allerdings diese Ziele bis z. B. auf Stationsebene umzusetzen. Bestehen aber Ziele, kann auch eine Qualitätsplanung erfolgen, die schließlich einer Steuerung unterworfen werden kann (Qualitätslenkung). Diesen Aktivitäten können sich dann eine Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung anschließen (7 Kap. 4). > Qualitätsmanagement bedeutet also im Kern Koordinieren der ohnehin schon stattfindenden Qualitätsmanagementaktivitäten, ihre Dokumentation als Grundlage der Optimierung und die systematische Ausrichtung dieser Aktivitäten auf definierte Ziele.
Die DIN ISO 9000:2005 definiert 8 Grundsätze des Qualitätsmanagements, die sich auch in allen anderen QMSystemen wiederfinden 1.
Kundenorientierung: Organisationen hängen von ihren Kunden (Patienten) ab und sollten sich daher auf die Erfordernisse ihrer Kunden einstellen 2. Führung: Führungskräfte einer Organisation solle die »Übereinstimmung von Zweck und Ausrichtung der Organisation« schaffen
29 3.1 • Definition und Abgrenzung
3. Einbeziehung der Personen: Nur die vollständige Einbeziehung der Personen (Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden) in einer Organisation, ermöglicht es, dass ihre Fähigkeiten zum Nutzen der Organisation eingesetzt werden 4. Prozessorientierter Ansatz: Ein Ergebnis kann leichter erreicht werden, wenn die dafür notwendigen Ressourcen und Tätigkeiten als ein Prozess verstanden werden, den man niederschreiben und ggf. anpassen kann 5. Systemorientierter Managementansatz: Alle in Wechselbeziehung zueinander stehenden Prozesse müssen als System verstanden und insgesamt geleitet und gelenkt (d. h. aufeinander abgestimmt) werden 6. Ständige Verbesserung: Dabei handelt es sich um ein permanentes Ziel der Organisation 7. Sachbezogener Ansatz zur Entscheidungsfindung: Die Analyse von Daten und Informationen führt zu wirksamen Entscheidungen 8. Lieferantenbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen: Die Organisation und ihre Lieferanten stehen in einer gegenseitigen Abhängigkeit
Diese zunächst sehr allgemein und abstrakt anmutenden Grundsätze stellen die Grundlage jedes Qualitätsmanagementsystems dar und beinhalten im Kern alle Aussagen zu der Frage, was Qualitätsmanagement für eine Organisation leisten kann. Doch was bedeutet dies für den Alltag in der Klinik? Man sollte sich zunächst noch einmal vor Augen halten, dass bereits jeden Tag in der klinischen Tätigkeit Qualitätsmanagement umgesetzt wird, ohne dass man es so nennt (7 Abschn. 2.1 »Traditionelle Verfahren der Qualitätssicherung«). Zunächst einmal sollen alle diese Tätigkeiten in ein einheitliches
3
System aufgenommen und dabei aufeinander abgestimmt werden. An der Visite z. B. an sich verändert Qualitätsmanagement nichts. Es findet für diesen und ähnliche Prozesse lediglich eine Standardisierung statt, die, wenn der Prozess dabei einmal definiert und dokumentiert wurde, die Grundlage für eine Überprüfung/ Anpassung/Verbesserung der Tätigkeit in der Zukunft darstellt. Dabei wird versucht, alle wichtigen Prozesse, die z. B. auf einer Station ablaufen (Patientenaufnahme, Patientenentlassung, Visite, diagnostische Maßnahmen u. Ä.) in gleicher Weise zu bearbeiten, also einfach nur ihren Ablauf zu definieren und zu dokumentieren und damit zu standardisieren. Dabei ist es nicht erforderlich, »jeden Handgriff« aufzuschreiben, es bleibt dem Anwender eines QM-Systems überlassen, wie »tief« er seinen Prozess abbilden will oder inwieweit andere wichtige Festlegungen, die zu dem Prozess dazugehören, in einer zusätzlichen Arbeitsanweisung (»standard of procedere«, SOP) niedergelegt werden müssen. Das Aufstellen von Regeln macht aber nur Sinn, wenn deren Einhaltung und Umsetzung auch in der Realität überprüft wird, sonst wird nur »geduldiges Papier« produziert. Diesen Ablauf, der normalerweise einmal jährlich durchgeführt wird, wird in den meisten Systemen als »internes Audit« bezeichnet und bedeutet lediglich, dass die Organisation selbst überprüft, inwieweit die dokumentierten Prozesse auch in der Realität umgesetzt werden. Die dabei entdeckten Verbesserungspotenziale stellen die Grundlage für Veränderungen und Anpassungen des Systems dar und damit schließt sich der »Plan-Do-CheckAct-Kreislauf«. Mit dem gerade Gesagten wird deutlich, was mit »prozessorientiertem Ansatz«, »ständiger Verbesserung« und »systemorientiertem Ansatz« gemeint ist. Alle diese Aktivitäten sollen aber vor dem Hintergrund einer »Kundenorientierung« und einer »Einbeziehung der Personen« erfolgen. Was ist damit gemeint? Letztlich hat ein QMSystem ein bestimmtes »Menschenbild« inner-
30
3
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
halb der Organisation vor Augen: z. B. fragt ein QM-System mit diesem Ansatz, sollte ein Fehler aufgetreten sein, nicht danach »Welche Person hat den Fehler begangen?«, sondern »Wie kann der Prozess optimiert werden, damit (unabhängig von der Person) dieser Fehler nicht mehr auftreten kann?«. Eine Verbesserung innerhalb der Organisation kann in der Regel im Sinne von Qualitätsmanagement nicht durch die »Optimierung« einer Person (d. h. den »Schuldigen« möglichst so unter Druck setzen, dass er das »nie wieder tut«), sondern nur durch die Optimierung des Prozesses erreicht werden. > Ein weiterer wichtiger Punkt bei der »Einbeziehung der Personen« ist die Transparenz von Entscheidungen, Änderungen in den Prozessabläufen oder in der Ausrichtung der Organisation. Nur wenn z. B. die Unternehmensziele auch allen Mitarbeitern kommuniziert werden, kann man erwarten, dass sich die Mitarbeiter für das Erreichen der Ziele einsetzen.
Zur praktischen Umsetzung und Einführung dieser Grundsätze in eine Organisation sei auf 7 Kap. 4 verwiesen. z
Was kann Qualitätsmanagement nicht leisten?
Ein häufiges Missverständnis nach der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems ist, dass von den Mitarbeitern oder externen Kooperationspartner davon ausgegangen wird, dass die Organisation jetzt mehr oder weniger »fehlerfrei« arbeitet (»jetzt habt ihr euch Qualität bescheinigen lassen und dann passiert so etwas …«). Natürlich werden auch nach der Einführung von Qualitätsmanagement weiterhin Fehler in einer Organisation vorkommen, der Unterschied sollte jetzt aber der Umgang mit diesen Fehlern sein. Im Krankenhausalltag wird sich durch Qualitätsmanagement zunächst an den medizinischen Entscheidungen/Inhalten/Me-
thoden nichts ändern. Aber häufig erkennt der Mitarbeiter bereits bei der Einführung, dass sich bestimmte Veränderungen ergeben haben, z. B. lange ungelöste Schnittstellenproblematiken angegangen wurden oder aber Optimierungen von Prozessen alleine durch ihre Betrachtung und Dokumentation stattgefunden haben. Es muss aber betont werden, dass der eigentliche Nutzen eines Qualitätsmanagementsystems erst im Laufe der Zeit durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess zum Tragen kommen kann. Inwieweit sich die Organisation immer weiter optimiert, hängt dabei von ihr selbst ab und inwieweit es gelingt, die Mitarbeiter in das System einzubeziehen. > Die Hauptaufgabe bei der Implementierung von Qualitätsmanagement besteht daher nicht so sehr in der Frage, ob es gelingt, alle Anforderungen des Systems zu erfüllen, sondern ob es gelingt, die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter in das System einzubeziehen.
3.2
Normen für Qualitätsmanagementsysteme
Die unter 7 Abschn. 3.1 genannten Grundsätze waren zwar aus der DIN ISO 9001 entnommen, stellen aber auch in anderen Zertifizierungssystem die Kernelemente dar. Historisch haben sich verschiedene Systeme entwickelt, wobei man grundsätzlich zwischen »prozessorientierten Systemen« (z. B. ISO 9001) und »Selbstbewertungssystemen« (z. B. KTQ) unterscheidet. Man unterscheidet weiterhin zwischen allgemein gültigen und speziell für das Krankenhaus entwickelten Qualitätsmanagementnormen. Hier soll zunächst allgemein auf die ISO 9001 und das EFQM-(»European Foundation for Quality Management«-)System eingegangen werden.
31 3.2 • Normen für Qualitätsmanagementsysteme
3.2.1
3
DIN EN ISO 9001:2005
Die erste Qualitätsmanagementnorm wurde 1963 für das Militär entwickelt, zusammen mit verschiedenen anderen Industrienormen auf nationaler und internationaler Ebene wurde aus diesen Vorläufernormen die ISO 9000 Reihe, die seit ca. 1987 von einem ISO-Komitee mit der Bezeichnung TC176 herausgegeben wurde [6]. Die ISO-9000-Normenreihe besteht aus verschiedenen Normen, die für unterschiedliche Bereiche der Wirtschaft angewandt werden können, die für das Gesundheitswesen anwendbare Norm ist die ISO 9001, die in ihrer Fassung von 2005 als ISO 9001:2005 bezeichnet wird. Die DIN EN ISO 9001:2005 ist die am weitesten in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft verbreitete QM-Norm. Sie wird wegen ihrer abstrakten Sprache und schwer verständlichen Semantik häufig von Medizinern abgelehnt, schon alleine das Wort »Kundenorientierung« führt zu dem Missverständnis, das Patienten nicht mehr als Patienten betrachtet werden sollen, sondern als Wirtschaftsobjekt der Ausbeutung überantwortet werden können. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der DIN (»Deutsches Institut für Normung«) EN (»Europäische Norm«) ISO (»International Organization for Standardization«) 9001:2005 um die Grundlage, von der auch andere Systeme, z. B. in der Definition von Begriffen, ausgehen. Die Norm hat verschiedene Anpassungen in den letzten Jahren durchlaufen, die sich grundsätzlich mit der Anwendbarkeit und einer besser verständlichen Begrifflichkeit auseinandergesetzt haben. Die Norm ist universell anwendbar, stellt keine Forderungen an den Umfang der Organisation, nicht einmal ein gemeinsamer Träger ist gefordert, sodass z. B. auch Zusammenschlüsse mehrerer Institutionen, wie es häufig bei Tumorzentren der Fall ist, nach dieser Norm zertifiziert werden können. Die Zertifizierung selbst wird durch eine Zertifizierungsgesellschaft vorgenommen, die dafür von der Trägergemeinschaft für Akkreditierung
Erstellung von Qualitätspolitik/-zielen
Umsetzung der Anforderungen aus der Norm
Internes Audit
Externes Audit
Zertifikat
. Abb. 3.2 Grober Ablauf einer Zertifizierung nach DIN ISO 9001
(TGA) in Deutschland zugelassen wurde. Dabei unterscheidet die TGA die verschiedenen Branchen der Wirtschaft, für die die jeweilige Zulassung (»Akkreditierung«) erfolgt. Eine Institution des Gesundheitswesens kann nur von einer Zertifizierungsgesellschaft auditiert werden, die auch von der TGA für den Bereich des Gesundheitswesens zugelassen wurde. Eine Zertifizierung nach ISO 9001 ist für Organisationen, die bis dahin noch nichts mit Qualitätsmanagement zu tun hatten, einfacher, als sich von Anfang an an Selbstbewertungsverfahren wie z. B. KTQ zu halten. Die gestellten Anforderungen müssen zwar meistens von einem Fachkundigen für den Alltag »übersetzt« werden, denn aus der Norm selbst erschließt sich nicht unmittelbar, welche Vorbereitungen zur Einführung getroffen werden müssen, aber die gestellten Anforderungen sind relativ überschaubar und einmal »übersetzt« konkret. Man kann die Einführung des Systems vereinfacht, wie in . Abb. 3.2 darstellen: Nach der Definition
32
3
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
von Qualitätspolitik und Qualitätszielen müssen systematisch die relevanten Prozesse der Organisation erfasst und implementiert werden. Parallel dazu werden Anforderungen an gesetzliche Bestimmungen (z. B. Medizintechnik) und das sog. »Management der Ressourcen«, das auch das Personal im weiteren Sinne umfasst (z. B. Schulungen), optimiert. Die Ergebnisse werden in einem sog. Qualitätsmanagementhandbuch zusammengefasst. Hat die Organisation schließlich in allen Bereichen diesen Optimierungsprozess durchlaufen und eingeführt, führt ein internes Audit zur Überprüfung, inwieweit das System mit der Realität übereinstimmt. Die daraus abgeleiteten Verbesserungspotenziale bilden die Grundlage für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Ist die Organisation im Aufbau des Systems so weit gekommen, kann durch einen akkreditierten Zertifizierer zur Erlangung eines Zertifikats ein externes Audit durchgeführt werden, das letztlich das Funktionieren des Systems bescheinigt und jährlich für einen Zeitraum von drei Jahren wiederholt wird (Details der Einführung eines QM-Systems 7 Kap. 4) Das ISO-9001-System bietet für große Kliniken zusätzlich die Möglichkeit, zunächst Teilbereiche wie z. B. ein Organzentrum zertifizieren zu lassen. An diesen Pilotprojekten kann zunächst der Umgang mit Qualitätsmanagement »eingeübt« werden, bevor man sich der komplexeren Aufgabe, das gesamte Haus diesem Prozess zu unterwerfen, stellt.
3.2.2
Das EFQM-System
Bei dem EFQM-System handelt es sich um ein »Selbstbewertungssystem«, d. h., das System wurde dazu geschaffen, dass eine Organisation sich auf der Grundlage bestimmter Regeln und Kriterien selbst bewertet. Die »European Foundation for Quality Management« (EFQM) wurde 1988 nach japanischem und amerikanischem Vorbild geschaffen
als ein Zusammenschluss europäischer Unternehmen zur Förderung unternehmerischen Qualitätsmanagements und zur Förderung der Selbstbewertung. Gleichzeitig wurde ein jährlich zu vergebender Qualitätspreis (»European Quality Award«, EQA) geschaffen, der die höchste extern validierte Bewertung auszeichnet. Seit 1996 wurde das System auch auf den öffentlichen Sektor u. a. auch auf das Gesundheitswesen ausgeweitet. Das »EFQM-Modell for Excellence« sieht eine Selbstbewertung nach EFQM-Kriterien vor, die mit einer bestimmten Systematik erstellt wird. Dadurch soll die Organisation Stärken und Schwächen systematisch erkennen, Verbesserungsmaßnahmen durchführen und eine Kunden- und Mitarbeiterorientierung einführen. Das EFQM-System vergibt einer Organisation auf der Grundlage der Selbstbewertung eine bestimmte Punktzahl, die zum Benchmarking geeignet ist und die Grundlage für die Vergabe des jährlichen Qualitätspreises darstellt. Das EFQM-System fokussiert auf zwei große Bereiche: den »Befähiger«-Bereich und die »Ergebnisse«. In jedem der beiden Bereiche kann eine bestimmte Punktzahl erzielt werden (. Abb. 3.3). Für die Bewertung wird jedes der in der Abbildung gezeigten 9 Kriterien in weitere Unterkriterien gegliedert (Beispiel »Mitarbeiter«: 3a; »Mitarbeiterressourcen werden geplant«: 3b; »Das Wissen und die Kompetenzen der Mitarbeiter werden ermittelt, ausgebaut und aufrechterhalten«: 3c; …). Jedes dieser Kriterien wird nun nach einem bestimmten System bewertet, wobei die sog. RADAR-Matrix zur Anwendung kommt. Damit ist gemeint, dass jedes Teilkriterium, z. B. das Kriterium 3a nach den Ergebnissen (Results), dem Vorgehen (Approach), der Umsetzung (Deployment), der Bewertung (Assessment) und der Überprüfung (Review) – letztere beide Kriterien im Rahmen eines Verbesserungsprozesses – bewertet wird. Je nach Erfüllungsgrad werden dann Punkte vergeben, die am Ende zu einer Gesamtpunktzahl führen.
33 3.3 • Qualitätsmanagementsysteme in der Medizin
3
»Befähiger-Bereich« Politik und Strategie
Führung
Prozesse
Mitarbeiter
Partnerschaften und Ressourcen »Ergebnis-Bereich«
Mitarbeiterbezogene Ergebnisse
Gesellschaftsbezogene Ergebebnisse
Schlüsselergebnisse
Kundenbezogene Ergeb.
. Abb. 3.3 Das EFQM-Modell für Excellence [2]
Die Auditoren – in diesem System »Visitoren« genannt – werden erst ab einer bestimmten Punktzahl der Selbstbewertung vor Ort erscheinen. Letztlich ist es nicht das Ziel des Systems in größerem Maße Audits oder Visitationen vor Ort durchzuführen, das System ist ja auf Selbstbewertung ausgelegt. Obwohl die subjektive Einschätzung im Vordergrund zu stehen scheint, kommt ein Team aus erfahrenen Visitoren zu erstaunlich reproduzierbaren Ergebnissen. > Das EFQM-System hat international eine weite Verbreitung, kommt aber in Deutschland im Gesundheitswesen nur selten zum Einsatz. Es hat aber seine Bedeutung als Grundlage des mittlerweile etablierten KTQ-Systems, das in 7 Abschn. 3.3 behandelt wird. Es ist
das einzige Verfahren, das ein Benchmarking zwischen verschiedenen Institutionen zulässt.
3.3
Qualitätsmanagementsysteme in der Medizin
Von Anfang an stand die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen in der Medizin unter der Kritik, dass die definierten Normen nicht im medizinischen Bereich anwendbar, zu abstrakt und sprachlich zu sperrig seien. Eine Ausnahme stellt das System der »Joint Commission for Accreditation of Health Organizations« (JCAHO) dar, das in den USA seit den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts praktiziert wird.
3
34
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
3.3.1
Das Zertifizierungsverfahren der »Joint Commission for Accreditation of Health Organizations« (JCAHO)
Die »Joint Commission International« (JCI) ist die Zertifizierungsgesellschaft – eigentlich müsste man Akkreditierungsgesellschaft sagen – der »Joint Commission für Accreditation of Health Organizations«, die bereits seit knapp 60 Jahren in den USA Krankenhäuser überprüft und in ihrem System akkreditiert [3]. Im Kern stellt die JCI-Akkreditierung genau wie das ISO 9001 Verfahren ein Auditverfahren vor Ort dar, im Gegensatz zu den Assessment-Verfahren der KTQ oder EFQM. Genau wie im ISO-9001-Verfahren kann bei der Akkreditierung die Bewertung nur bestanden oder nicht bestanden werden und es erfolgt ein Audit vor Ort, dass die Einhaltung vorgeschriebener Standards überprüft. Die JCI fokussiert auf ein »objektives Patienteninteresse«, d. h., die Sicherheit der Behandlung und die Beteiligung des Patienten am Behandlungsprozess ist das umfassende Ziel. Aus dieser Patientenperspektive heraus werden das Management, Qualitätsmanagement, der Personaleinsatz und das Gebäudemanagement bewertet. Zertifiziert werden können neben Krankenhäusern auch Labore, ambulante Einrichtungen, Pflegeheime und sogar krankheitsspezifische Behandlungspläne. Der »JCI-Survey« prüft die Einhaltung festgelegter Normen und Ziele, die von Experten entwickelt wurden. Wie die Einhaltung der Normen erreicht werden soll, bleibt dem Krankenhaus überlassen. Eine Besonderheit stellt die Überprüfung anhand von »Tracern« dar, dabei handelt es sich um kritische Messparameter, an denen die Einhaltung eines Standards gemessen werden kann. Dabei unterscheidet man individuelle Tracer und Systemtracer. Bei individuellen Tracern kann z. B. die Krankenakte eines Patienten der Ausgangsort für die Überprüfung sein, der Behandlungsablauf wird mit allen Stationen vor Ort nachvollzogen. Bei Systemtracern
wird ein übergeordnetes Thema wie z. B. Hygiene aufgegriffen und im gesamten Haus nachvollzogen. Bei Defiziten können sich aus einem individuellen Tracer auch übergeordnete Überprüfungen ergeben, z. B. Dokumentationslücken in der Pflege führen zu einer »Systembetrachtung« dieses Themas. Die Standards, die in diesem System abgeprüft werden, sind von der JCI definiert, dabei sind 197 obligatorisch von insgesamt 368 Standards; 90% der obligatorischen Standards müssen erfüllt sein [1], [5].
3.3.2
Das KTQ-Verfahren
Bei dem KTQ-Verfahren handelt es sich um ein Selbstbewertungsverfahren mit Elementen einer Fremdbewertung, das seit 1997 in Deutschland entwickelt wurde. Die »Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen« (KTQ) wurde 1997 vom Verband der Angestellten-Krankenkassen, der Bundesärztekammer und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen gegründet. Später kamen weitere Kooperationspartner hinzu, u. a. die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die proCum cert GmbH. Nach der Entwicklungsphase folgte 2001 die Gründung der KTQ GmbH, an der alle Spitzenverbände der Krankenkassen beteiligt sind. Das KTQ-Verfahren wurde insbesondere für deutsche Krankenhäuser entwickelt, mittlerweile werden aber auch Verfahren für den Praxisbereich angeboten. Das KTQ-Verfahren folgt einem sog. Manual, das in seiner neuesten Fassung als KTQManual 2009 seit September 2009 vorliegt. Das Manual definiert Kriterien, die auf die folgenden Themenkomplexe verteilt werden. Themenkomplexe des KTQ-Manuals 2009 1.
Patientenorientierung in der Krankenversorgung 2. Mitarbeiterorientierung
35 3.3 • Qualitätsmanagementsysteme in der Medizin
3. 4. 5. 6.
Sicherheit im Krankenhaus Informationswesen Krankenhausführung Qualitätsmanagement
3
Selbstbewertung erstellen
Antrag auf Zertifikatserteilung
Innerhalb der 6 Kategorien sind 20 Subkategorien definiert, die die Kriterien enthalten. Jedes Kriterium unterteilt sich in einzelne Fragen, die dem Bewertungssystem folgen (»Plan-DoCheck-Act«). Das Verfahren beginnt mit der Erarbeitung einer Selbstbewertung anhand des Anforderungskataloges. Dafür wird in der Regel eine Projektgruppe gebildet, die zunächst Informationen im Haus sammelt und den einzelnen Kriterien des Manuals zuordnet. Voraussetzung für die Selbstbewertung ist die Einführung von Elementen des Qualitätsmanagements, sodass die Bewertungssystematik des Verfahrens (»PlanDo-Check-Act«) auf die einzelnen Kriterien angewandt werden kann. Hinter jedem Punkt der Bewertungssystematik wird für jedes Kriterium eine zweidimensionale Bewertung vorgenommen: Es wird der Erreichungsgrad und der Durchdringungsgrad betrachtet. Hat das Krankenhaus einen Selbstbewertungsbericht geschrieben, erfolgt auf Antrag die Begehung des Hauses durch akkreditierte KTQ-Visitoren, wobei es sich um leitende Mitarbeiter von Krankenhäusern mit mindestens 5 Jahren Beruferfahrung handelt, also ähnlich wie beim Verfahren der »Joint Commission« ein Peer-to-Peer-Verfahren angestrebt wird. Die KTQ-Visitoren werden von Zertifizierungsstellen, die von der KTQ akkreditiert sind, beauftragt. Verläuft die Begehung erfolgreich, erfolgt auf Empfehlung der Visitoren die Zertifikatserteilung, wenn in jedem Bereich 55% der Gesamtpunktzahl erreicht wurden. Das Zertifikat hat eine Gültigkeitsdauer von 3 Jahren, der sog. Qualitätsbericht des Hauses muss über das Internet veröffentlicht werden. Die Besonderheit des Verfahrens liegt darin, dass nur die Zertifizierung des gesamten Hauses
Begehung durch Visitoren
Empfehlung auf Zertifikatserteilung
Zertifikatserteilung (3 Jahre gültig)
Veröffentlichung des KTQ-Qualitätsbericht
. Abb. 3.4 Ablauf einer Zertifizierung nach KTQ
zugelassen wird. Anders als bei dem Verfahren nach ISO 9001 können keine definierten Teilbereiche zertifiziert werden [4]. Einen orientierenden Überblick über das Verfahren gibt . Abb. 3.4. In abgewandelter Form wird das Verfahren inzwischen auch für Rehabilitationskliniken, Arzt- und Zahnarztpraxen und für pathologische Praxen angeboten. Auch ein für kirchliche Häuser zugeschnittenes Verfahren ist mittlerweile unter dem Namen »proCum cert« etabliert, das sich stark am KTQ-Verfahren orientiert hat. Das Verfahren hat unter deutschen Krankenhäusern eine weite Verbreitung gefunden, im Herbst 2009 wurde das 1000te KTQ-Zertifikat vergeben. Es handelt sich um ein spezifisch deutsches Verfahren, das allerdings insbesondere für sehr große Krankenhäuser wie Universitätskliniken problematisch in der Anwendung ist.
36
Kapitel 3 • Qualitätsmanagementsysteme
. Tab. 3.1 Vergleich der Zertifizierungsverfahren
3
z
Kriterium
ISO 9001
EFQM
JCI
KTQ
krankenhausspezifisch
Nein
Nein
Ja
Ja
Durchdringungsgrad bei Erstzertifizierung
+++
+++
+++
++
Einbeziehung des gesamten Hauses
Nicht gefordert, aber möglich
Ja
Ja
Ja
Intervalle der Begehung
jährlich
n.a.
alle 3 Jahre
alle 3 Jahre
Benchmarking
Nein
Ja
Nein
Nein
Kommentar
Welches Qualitätsmanagementsystem für die eigene Klinik infrage kommen kann, ist nicht immer leicht zu beantworten. Die verschiedenen Systeme, die hier nur kursorisch betrachtet werden konnten, bieten Vor- und Nachteile, die vor dem Hintergrund der jeweiligen Klinik abgewogen werden müssen. Für eine »schnelle« Einführung, insbesondere wenn man »nur« ein Organzentrum zertifizieren lassen möchte, eignet sich das System nach DIN ISO 9001 am besten. Es erscheint zwar auf den ersten Blick sehr abstrakt, macht aber für den Einführungsprozess eindeutige Vorgaben, die umsetzbar sind und einen hohen Durchdringungsgrad haben (müssen), um beim externen Audit zu bestehen. Begibt sich eine gesamte Klinik auf den Weg Qualitätsmanagement einzuführen, sind vielleicht sogar in einzelnen Bereichen schon Zertifikate nach ISO 9001 vorhanden, kann dem KTQ-Verfahren der Vorrang gegeben werden, es wird auch die noch nicht so sehr für Qualitätsmanagement motivierten Bereiche »mitnehmen«. Allerdings ist der Durchdringungsgrad in der einzelnen Abteilung nicht so hoch wie im ISO 9001 Verfahren. Das EFQM-Verfahren eignet sich zum Benchmarking, erfordert aber bereits QMStrukturen im Haus, sodass auch dieses Verfahren nach Implementierung eines QM-Systems nach ISO 9001 empfohlen werden kann. Einen interessanten, »anderen« Blickwinkel bietet das
Verfahren der »Joint Commission«, dem man ebenfalls einen sehr hohen Durchdringungsgrad bescheinigen muss und das mit seiner TracerMethode konkurrenzlos ist. > Es gibt keinen Königsweg zu einem QMZertifikat, bei allen Verfahren müssen in einem ähnlichen Umfang QM-Strukturen implementiert werden. Im Kern wird vor Ort etwas sehr ähnliches erreicht, der Zugang erfolgt auf verschiedenen Wegen und letztlich entscheiden die persönlichen und örtlichen Präferenzen, welches Verfahren ausgewählt wird.
In . Tab. 3.1 findet man einen Überblick über die verschiedenen Zertifizierungsverfahren.
Literatur 1 2
3 4 5
Alsen H (2007) DRK Kliniken Berlin, unveröffentlichter Vortrag vom 13.3.2007 Hildebrand R (2001) EFQM. In: Lauterbach KW, Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart http://www.jointcommissioninternational.org. Gesehen 1 Nov 2009 http://www.ktq.de. Gesehen 1 Nov 2009 Lauterbach KW, Schrappe M (2001) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart, S 290, 390, 398
37 Literatur
6
7
Schrappe G (2001) Zertifizierung nach DIN EN ISO 9000 ff. In: Lauterbach KW, Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidencebased Medicine. Schattauer, Stuttgart Zertifizierung aktuell (2002) Umfrage bei 100 Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens; Zeitschrift des Europäischen Instituts zur Zertifizierung von Managementsystemen und Personal EQZert, ein Institut der Steinbeis-Stiftung für Wirtschaftsförderung, S 15
3
39
Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus Rainer Hartmann
4.1
Qualitätspolitik und Qualitätsziele – 41
4.2
Dokumentation – 48
4.3
Implementierung – 54
4.4
Interne und externe Audits – 63
4.5
Befragungen – 68
4.6
Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung – 70
4
40
4
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Modernes Qualitätsmanagement bedeutet, dass systematische Qualitätsplanung über die gesamte Kette der Leistungserbringung (Prozess-, Leistungs- und Ergebnisplanung) für reproduzierbare Ergebnisse sorgt. Das moderne Qualitätsmanagement hat die klassische Qualitätssicherung (QS) als Baustein für das Qualitätscontrolling integriert. Grundsätze des modernen Qualitätsmanagements 5 Qualität wird in der Leistungserbringung erzeugt und nicht nur am Ende gemessen 5 Nicht »Qualität« kostet Geld, sondern die Behebung der Abweichungen 5 Ergebnisqualität definiert der Leistungsempfänger und der »Kostenträger« 5 Qualität wird von jedem Beteiligten erzeugt 5 Bevor die Leistungserbringung erfolgt, werden sämtliche bekannten Variablen in der Leistungskette so definiert, dass man von einem geplanten Ergebnis sprechen kann (Qualitätsplanung) 5 Vorbeugung hat höchsten Stellenwert 5 QS-Maßnahmen werden an wichtigen Stellen der Leistungserbringung eingesetzt, um möglichst kurze Regelkreise zu installieren und die Fehlleistungsfolgen zu minimieren 5 Ständige Verbesserung auf allen Ebenen ist nötig 5 Ziel ist ein fehlerfreies Ergebnis
> Qualitätsmanagement ist kein Ereignis, sondern eine kontinuierliche und systematische Aktivität. Ein System für das Qualitätsmanagement ist erforderlich, weil laufend auf Veränderungen reagiert werden muss.
Der Veränderungsdruck kommt aus unterschiedlichen Richtungen, u. a. durch: 4 Veränderung der Ansprüche von Leistungsempfängern und Kostenträgern, 4 technische Neuerungen, 4 Veränderungen am gesetzlichen Umfeld (Arbeitszeitgesetz), 4 Veränderungen in der Leistungsabrechnung (DRG), 4 Wettbewerbsdruck, 4 Veränderungen in den medizinischen Inhalten und Vorgehensweisen. Qualität ist somit ein sich ständig bewegendes Ziel – ein »Running-Target« – und muss durch systematisches Handeln permanent gepflegt und entwickelt werden. Qualitätsmanagementsysteme sind wirksame Instrumente, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und eine Verbesserung des bisherigen Zustands zu erreichen. Vor dem eigentlichen Aufbau eines QM-Systems im Krankenhaus wird die Krankenhausleitung den Nutzen des Vorhabens bewerten. Zur Bewertung des Nutzens werden sowohl strategische als auch wirtschaftliche Überlegungen herangezogen. Darüber hinaus muss aber auch berücksichtigt werden, dass das künftige QM-System selbst Eigenschaften vorweisen wird, auf die man sich bewusst einlässt. Eigenschaften eines QM-Systems 5 Ein QM-System ist mehr als die Summe seiner Teilelemente 5 Die Teilelemente stehen in gegenseitiger Abhängigkeit 5 Das QM-System organisiert sich nach Regeln 5 Das QM-System ist geschlossen und grenzt sich ab 5 Das QM-System organisiert sich in Untersysteme 5 Im QM-System besteht Spannung 5 Das Verändern eines QM-Systems ist ein komplexer Prozess
41 4.1 • Qualitätspolitik und Qualitätsziele
> E QM-Systeme »rächen sich« bei partieller Optimierung 4 Man braucht Mut zur Komplexität und zum ganzheitlichen Ansatz
4.1
Qualitätspolitik und Qualitätsziele
Bei der Bewertung des Nutzens des einzuführenden QM-Systems wird zunächst der Anspruch an das QM-System festgelegt: 4 Was soll mit dem QM-System erreicht werden? 4 Welche strategische Bedeutung wird dem QM-System zugemessen? Zu Beginn der Einführung eines QM-Systems sind diese Überlegungen als grundsätzliche Absichten der Leitung zu formulieren. Ohne eine konkrete Definition der grundsätzlichen Absichten ist das QM-System orientierungslos. Bei der Definition sind die möglicherweise schon vorliegenden Arbeiten zu berücksichtigen. Diese Ausarbeitungen können als Vision, Mission, Leitbild o. Ä. vorliegen. Die Aussagen können vom Krankenhaus selbst stammen oder vom Träger für alle beteiligten Einrichtungen definiert sein. Bei Erarbeitung der Qualitätspolitik stellt sich die Frage, in welche Richtung die Überlegungen zu lenken sind. Sinnvoll ist es, die Interessengruppen der Einrichtung als Arbeitsgerüst zur verwenden. Interessengruppen sind diejenigen Parteien, die im Umfeld der Einrichtung eine Rolle spielen. Die Qualitätspolitik zeigt die Schwerpunkte im QM-System auf und soll gleichzeitig eine Konzentration auf das Wesentliche ermöglichen (. Tab. 4.1). Die Erarbeitung der Qualitätspolitik erfolgt durch die Leitung des Krankenhauses. Die Qualitätspolitik muss einer systematischen Reevaluation unterzogen werden, um deren fortwährende Eignung sicherzustellen.
4
> Eine entscheidende Aufgabe der Leitung ist, die Qualitätspolitik den Mitarbeitern zu vermitteln. Hierzu sind alle Kommunikationsmöglichkeiten denkbar.
Hier einige Ideen: 4 Bildschirmschoner 4 Workshops 4 persönlicher Brief 4 Quiz, Verlosung 4 Poster 4 bedruckte Mitarbeiterausweise Der Kommunikationsprozess ist kein einmaliges Ereignis, sondern als Routineverfahren in das Gesamtsystem zu integrieren. In erfolgreichen QM-Systemen ist das »Innenmarketing« sehr gut ausgeprägt. Mitarbeiter in diesen QM-Systemen sind in der Lage, die Qualitätspolitik in eigenen Worten wiederzugeben und zu interpretieren. Beispiel Qualitätspolitik Präambel 5 Wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Prostatazentrums, stellen unsere Patienten in den Mittelpunkt unseres Handelns und verpflichten uns auf dieses Leitbild
Wer sind wir? 5 Das Prostatazentrum besteht aus einem Netzwerk von Spezialisten unterschiedlicher medizinischer und pflegerischer Fachrichtungen 5 Wir sichern im Rahmen unseres Versorgungsauftrags eine Krankenversorgung aller Patienten mit Prostataerkrankungen
42
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
. Tab. 4.1 Verschiedene Interessengruppen und die jeweiligen Anforderungen Interessengruppen
Anforderungen
Patienten
– Medizinische Versorgungsqualität auf höchstem Niveau – Nutzung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse – Therapie durch Spezialisten
Kostenträger
– Höhere Produktivität bei der Leistungserbringung – Vermeidung von Redundanzen – Geringer Nachbehandlungsaufwand – Konzentration der Ressourcen
Krankenhausträger
– Optimale Nutzung der Ressourcen – Feste Vernetzung mit den Zuweisern – Qualitätsmerkmal und somit Vorteil im Wettbewerb
Politik
– Verbesserung der Versorgungsstrukturen im internationalen Vergleich – Antwort auf Forderung von Patientenvertretungen – Konzentration der Leistungen und Benchmarking
Gesellschaft
– Angebot einer spezialisierten Versorgung – Verbesserte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit – Veröffentlichung der Ergebnisqualität
Niedergelassene Ärzte
– Systematische Zuweisungsportale – Klare Abgrenzung der Tätigkeiten (stationär / ambulant) – Geregelter und zeitnaher Informationsfluss
Mitarbeiter
– Karrierechancen im Rahmen der Spezialisierung – Klare Festlegung der Zuständigkeiten – Eindeutige Einsatzplanung
4
Anmerkung: Bereits vorliegende Aussagen müssen mit berücksichtigt werden.
Wofür stehen wir?
Welchen Werten verpflichten wir uns?
5 Unsere Patienten werden als Persönlichkeit respektiert und auf hohem Niveau umfassend versorgt 5 Wir orientieren uns bei allen medizinischen und pflegerischen Leistungen am aktuellen Stand der Wissenschaft 5 Wir stehen Weiterentwicklungen und Neuerungen aufgeschlossen gegenüber 5 Wir arbeiten im Interesse unserer Patienten gut zusammen 5 Wir sorgen gemeinsam für ein gutes Arbeitsklima, in dem das Streben nach dem besten Ergebnis Freude macht und wir uns als Mitarbeiter/-innen wohlfühlen 5 Wir setzen alles daran, uns stets persönlich und fachlich weiterzuentwickeln
5 Humanität und Integrität sind die Grundlagen unseres täglichen Handelns 5 Wir üben Respekt gegenüber jedermann 5 Unser Handeln ist stets von Toleranz und Rücksichtnahme geprägt
Was wollen wir erreichen? 5 Patientenzufriedenheit, in dem wir erfragen und bewerten, inwieweit die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Patienten erfüllt werden 5 Eine qualitätsgestützte, Leitlinien getragene Versorgung von Patienten durch ein interdisziplinär arbeitendes Expertenteam auf dem Gebiet der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Prostatakarzinoms
43 4.1 • Qualitätspolitik und Qualitätsziele
4
Zeitliche Reichweite Änderung bei Bedarf
Qualitätspolitik
ng zu üt rst te Un
En tw ick lun g
Vision Leitbild
Qualitätsziele (Strategische Qualitätsziele)
Änderung bei Bedarf
Reichweite 2–5 Jahre Organisationsbezogene oder prozessbezogene Ziele (Operative Qualitätsziele)
Reichweite 1–2 Jahre
Tätigkeitsbezogene oder persönliche Ziele Reichweite 1–2 Jahre
. Abb. 4.1 Zielpyramide als Arbeitsmodell zur strategischen Ausrichtung des QM-Systems
5 Kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Ergebnisqualität hinsichtlich des Standes der medizinischen Leistungen 5 Hohe Heilungsraten und niedrige Komplikationsraten 5 Ein innovatives Hochleistungszentrum 5 Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und Einweisern 5 Durchgehend transparente Regeln für alle Abläufe und deren Einhaltung
Zur weiteren Ausarbeitung der strategischen Ausrichtung des QM-Systems dient die Zielpyramide als Arbeitsmodell, die den Top-DownAnsatz klar darstellt (. Abb. 4.1). Die Erarbeitung der Qualitätsziele erfolgt auch durch die Leitung des Krankenhauses. Es ist sinnvoll, einen erweiterten Führungskreis zur Zielentwicklung einzubinden. Gründe: 4 Die Identifikation der Personen aus dem Führungskreis mit den Ergebnissen wird gestärkt. 4 Durch die aktive Einbindung des Führungskreises werden Multiplikatoren geschaffen,
die beim internen Marketing notwendig sind. 4 Die Mitglieder des Führungskreises kennen die Hintergründe der entwickelten Qualitätsziele und können bei der weiteren Erarbeitung der nächsten Zielebene entscheidend mitwirken. > Es gilt der Grundsatz, das man nur diejenigen Ziele steuern/managen kann, die messbar sind!
Qualitätsziele werden direkt aus der formulierten Qualitätspolitik abgeleitet. Qualitätsziele müssen 5 hohe, aber erreichbare Anforderungen stellen 5 erkennbar die Unternehmensziele unterstützen 5 schriftlich fixiert werden 5 auch Vorschläge für Maßnahmen enthalten 5 für jeden verständlich formuliert sein
44
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
5 5 5 5
4
Top-Down kommuniziert werden beobachtbar bzw. messbar sein von den Mitarbeitern akzeptiert werden gewichtet sein und Prioritäten zeigen
Folgender Arbeitsalgorithmus sollte zur Zielformulierung verwendet werden 5 Wir wollen … 5 Wir erreichen dies durch … 5 Wir beurteilen die Zielerreichung anhand …
Was dürfen Qualitätsziele nicht sein? 5 Qualitätsziele dürfen nicht das Geheimnis der Geschäftsführung sein 5 Qualitätsziele dürfen anspruchsvoll, aber nicht unrealistisch sein 5 Zielkonflikte (Ziele auf Kosten anderer, gesetzeswidrige Ziele, widersprüchliche Ziele) dürfen nicht geduldet werden) 5 Die Beurteilung der Zielerreichung darf keinen Dissens zulassen
In . Tab. 4.2 sind Beispiele für Qualitätsziele wiedergegeben: 4 Eine Vorgabe hinsichtlich der Anzahl der zu formulierenden Qualitätsziele existiert nicht. In der Regel werden zwischen 4 und 8 Qualitätsziele definiert. 4 Die Qualitätsziele sollten einer Gewichtung unterzogen werden, um Schwerpunkte bilden zu können. 4 Für die weitere Zielentwicklung und QMSystemplanung kann die Konzentration auf die Top 3 sinnvoll sein. 4 Zur Gewichtung der Qualitätsziele können Bewertungsmatrizen verwendet werden. In der Variante 1 (. Abb. 4.2) werden die Qualitätsziele den Grundaussagen aus der Qualitätspolitik gegenübergestellt. Die Fragestellung lautet:
Wie stark unterstützt die Erreichung von Qualitätsziel x die Grundaussage y aus der Qualitätspolitik? In der Variante 2 (. Abb. 4.3) werden die Qualitätsziele im paarweisen Vergleich bewertet. Die Fragestellung lautet: Ist Qualitätsziel x wichtiger als Qualitätsziel y: 4 0 = nein 4 1 = gleich wichtig 4 2 = ja Bei der Zieldefintion ist festzulegen, ob ein eher prozessbezogener Ansatz gewählt wird oder ob die Zieldefinition organisationsbezogen erfolgen soll (. Abb. 4.4). Folgende Aspekte müssen bei der Entscheidung zur Zieldefinition berücksichtigt werden(. Tab. 4.3): Als weitere Zielebene in der Ausgestaltung des QM-Systems sind persönliche/tätigkeitsbezogene Ziele vorgesehen. Die Entwicklung der persönlichen/tätigkeitsbezogenen Ziele erscheint als einfache Aufgabe. Das Gegenteil ist der Fall! z
Günstige Faktoren
4 Die Ansprechpartner zur Zieledefinition sind klar – alle Mitarbeiter. 4 Die Mitarbeiter können alle bereits vorhandenen Vorarbeiten aus der Zielentwicklung benutzen. 4 Die Mitarbeiter formulieren ihren persönlichen Beitrag zur Zielerreichung. Der Prozess- oder Leitungsverantwortliche ist Moderator der Zielfestlegung. z
Problembereiche
4 Durch die Vielzahl der Mitarbeiter im Krankenhaus müssen systematische Werkzeuge zur Zielfestlegung eingesetzt werden. 4 Die Prozess- oder Leitungsverantwortlichen müssen hinsichtlich der Moderation ausgebildet werden.
45 4.1 • Qualitätspolitik und Qualitätsziele
4
. Tab. 4.2 Qualitätsziele Ziel
Aspekte
Beurteilungsmöglichkeiten
Patientenzufriedenheit Erheben und auswerten, inwieweit die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Patienten erfüllt werden Alle Arbeitsabläufe auf die Patienten als Mittelpunkt unseres Handelns ausrichten
– Lebensqualität – Medizinisches Ergebnis – Freundliche und einfühlsame Umgangsform – Aufklärung und Einbeziehung bei den Therapieentscheidungen – Geringer Wechsel bei den Ansprechpartnern
– Patientenzufriedenheit – Rezidivrate – Lebensqualität
Stand der medizinischen Leistung Kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Ergebnisqualität hinsichtlich des Standes der medizinischen Leistungen
– Studien – Einführung neuer Behandlungsverfahren – Nachsorgeerfassung – Ausrichten von Fortbildungsveranstaltungen und Teilnahme an Kongressen
– Anteil Studienpatienten – Komplikations- und Heilungsraten
Standortbedeutung Innovatives Hochleistungszentrum
– Anzahl der Primärfälle
– Fallzahlen
Kooperation Einweiser Wir wollen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit – mit Kooperationspartnern und – mit Einweisern im Sinne einer optimalen Patientenversorgung
– Einweiserzahlen – Persönlicher Kontakt und gegenseitiger Austausch von allgemeinen Themen – Keine virtuellen Kooperationen, sondern Sicherstellung einer funktionierenden ganzheitlichen Versorgung
– Teilnahme der Behandlungspartner bei gemeinsamen Aktionen (Tumorkonferenz, Qualitätszirkel und Öffentlichkeitsarbeit)
Öffentlichkeitsarbeit Wir wollen durch unsere Öffentlichkeitsarbeit betroffene Patienten kompetent über das Prostatazentrum und die therapeutischen Möglichkeiten informieren
– Infoveranstaltungen – Informationsbereitstellung (z. B. durch Internet, Broschüren) – Begleitung im Umgang mit der Erkrankung und in Krisensituationen – Selbsthilfegruppen
– Zahl der Veranstaltungen – Bild in der öffentlichen Meinung – Rückmeldung aus den Selbsthilfegruppen
Mitarbeiterzufriedenheit Wir wollen qualifiziertes, zufriedenes und engagiertes ärztliches und pflegerisches Personal am Prostatazentrum
– Fundierte Facharztausbildung/Karriereförderung – Ausbildung zum onkologisch fachweitergebildeten Personal – Freundliche Umgangsform zwischen den Kollegen
– Anzahl Initiativbewerbungen auf eine Arzt- bzw. Fachkrankenpflegerstelle – Personalfluktuation
4 Die Mitarbeitervertretung muss eingebunden werden. 4 Durch die Messbarkeit der Ziele müssen die Fragen »Was geschieht bei verfehlter Zielerreichung?« und »Was geschieht bei sehr guter Zielerreichung?« vorher geklärt werden (Bewertung/Bonussystem?).
4 Der Umgang mit den bei der Zieldefinition entstehenden Unterlagen muss geklärt werden. Insgesamt wird die Aktivität »Entwicklung von persönlichen/tätigkeitsbezogenen Zielen« einen Umfang annehmen, der nur durch eine eigenständige Projektierung, beherrschbar wird.
46
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
3
4
Qualitätsziele
4
1
1
2
1
0
2
0
2
2
0
3
1
0
4
2
5
6
7
Normierung auf Max=10
st üt zu ng
2
Un te r
1
Summe Zeile
Grundaussagen Qualitätspolitik
0 = keine Unterstützung vorhanden 1 = Unterstützung vorhanden 2 = starke Unterstützung vorhanden
Zielprofil
0 0
5
0
6
0
7
0 1
10
Feststellen, ob Grundaussagen nicht unterstützt werden. Falls zutreffend, alles überdenken! . Abb. 4.2 Variante 1: Qualitätsziele werden den Grundaussagen aus der Qualitätspolitik gegenübergestellt
. Tab. 4.3 Aspekte zur Berücksichtigung bei der Entscheidung zur Zieldefinition Organisationsbezogene Qualitätsziele
Prozessbezogene Qualitätsziele
– Sofern noch keine übergordnete Prozessstruktur exisitert, können nur organisationsbezogene Qualitätsziele definiert werden – Im Ergebnis werden Abteilungs- oder Bereichsziele entstehen – Die Verantwortlichkeiten zur Zieldefinition sind klar, da in den Organisationsbereichen Leitungsverantwortlichkeiten, meist mit Personalverantwortung, existieren – Wenn die Leitungsverantwortlichen in die Festlegung der übergeordneten Qualitätsziele bereits eingebunden waren, kann deren Multiplikatorenrolle genutzt werden – Der Grundsatz der Messbarkeit bleibt bestehen
– Wenn die Prozessorientierung einen Schwerpunkt in der QM-Systementwicklung darstellt, ist dieser Ansatz zu wählen – Im Ergebnis werden Prozessziele entstehen – Die Verantwortlichkeit zur Definition der Prozessziele liegt beim Prozessverantwortlichen oder Prozesseigentümer. Diese Rollen sind zu Beginn der Systementwicklung noch nicht besetzt – Prozessverantwortliche müssen sich bei der Zieldefinition aus deren Linienfunktion lösen und weitere Prozessbeteiligte, die auch Lininenfunktionen haben, einbinden – Der Grundsatz der Messbarkeit bleibt bestehen
4
47 4.1 • Qualitätspolitik und Qualitätsziele
Qualitätsziele X
2
3
1
--
2
1
2
0
--
2
3
1
0
--
4
2
4
5
6
7
Normierung auf Max=10
1
Summe Zeile
Qualitätsziele Y
Zielprofil
0
---
5
--
6
--
7
1
10
. Abb. 4.3 Variante 2: Bewertung der Qualitätsziele im paarweisen Vergleich
Krankenhaus
Prozessbezogene Ziele
Klinik 1
Klinik 2
Klinik x
Bereich 1
Bereich 2
Prozess x Prozess y Prozess Prozess
Organisationsbezogene Ziele . Abb. 4.4 Zielmodell
Bereich x
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Qualitätspolitik
ng zu üt rst te Un
En tw ick lun g
48
Qualitätsziele (Strategische Qualitätsziele)
Organisationsbezogene oder prozessbezogene Ziele (Operative Qualitätsziele)
4
. Abb. 4.5 Modell für QM-Zertifizierungen
Trotz der Komplexität dieser Aufgabe ist es von hohem Nutzen, die Mitarbeiter auf diese Weise in das QM-System zu integrieren. Einweisungs- oder Schulungsaktivitäten stellen keine derartige Verbindung der Mitarbeiter zum QMSystem her. In einigen Krankenhäusern exisitieren bereits Systeme und Methoden, regelmäßige dokumentierte Mitarbeitergespräche zu führen. In diesem Fall muss dafür gesorgt werden, dass die Vorabeiten aus dem Zielentwicklungsprozess in das existierende System Einzug finden. Für Erstzertifizierungen von QM-Systmen sind im Regelfall keine speziellen persönlichen/ tätigkeitsbezogenen Ziele erforderlich. z
Resultat
4 Das dargestellte Modell ist für QM-Zertifizierungen ausreichend (. Abb. 4.5). 4 Entscheidend für eine erfolgreiche Zertifizierung ist der hohe Durchdringungsgrad und das Verständnis des Modells bei den Mitarbeitern. 4 Es ist also nicht sinnvoll, ein möglichst kompliziertes Zielsystem zu implementieren, sondern ein einfaches, der Organisation angepasstes System anzuwenden. Sofern z. B. bereits regelmäßig Personalentwicklungsgespräche durchgeführt werden, sollte diese Chance durchaus im Gsamtsystem mit berücksichtigt werden.
> Bei vollständiger Ausarbeitung aller Ebenen der Zielpyramide entsteht ein zu komplexes Zielsystem. Es ist erforderlich, bei der Zielentwicklung Schwerpunkte zu bilden und somit den Spielraum einzuschränken. Die Schwerpunktbildung muss durch systematische Bewertungsmethoden erfolgen, um die Rückführbarkeit des Entscheidungsprozesses sicherzustellen. Auf mögliche Rückfragen muss qualifiziert geantwortet werden können. Der Prozess der Schwerpunktbildung muss so transparent sein, dass eine erneute Bewertung wegen geänderter Rahmenbedinungen bzw. routinemäßig möglich ist. Resultat 1 (. Abb. 4.6) Ein Zielsystem ist die Ba-
sis sämtlicher Kennzahlen- und Cockpitsysteme, die als Controllinginstrument eingesetzt werden. Benchmarkingverfahren oder »Balanced-Scorecard«-Projekte benötigen die gleichen Grundlagen. Resultat 2 (. Abb. 4.7)
4.2
Dokumentation
Der Aufbau der Dokumentation von QM-Systemen basiert auf zwei grundsätzlich verschiedenen Modellen: z
Modell 1 – der traditionelle Ansatz
Die Systemstruktur und auch die Dokumentation in QM-Handbuch folgt vorgegebenen Strukturen. Oftmals wird hierzu die Struktur des Regelwerks (z. B. ISO 9001) übernommen. Diese Strukturen bilden naturgemäß nicht die vorhandene Organisationsstruktur ab. Die Maßnahmen zur Erfüllung der im Regelwerk enthaltenen Forderungen lassen sich aber optimal zuordnen.
rs
U
0
7
0
0
2
4
0
0
0
0
1
3
2
0
4
6
2
0
2
1
3
5
2
1
2
1
1
5
6
7
Normierung auf Max=10
1
. Abb. 4.6 Resultat 1
0 = keine Unterstützung vorhanden 1 = Unterstützung vorhanden 2 = starke Unterstützung vorhanden
10
Prozessziel 1 Prozessziel 2
Prozessziel 1 Prozessziel 2 Prozessziel 3
Möglicher Grenzwert für Schwerpunkte zur weiteren Zieldefinition
Prozessprofil
Feststellen, ob Strategische Qualitätsziele nicht unterstützt werden. Falls zutreffend, Prozessfestlegung überdenken!
Prozesse
e nt
ng
zu
t tü
Summe Zeile
Strategische Qualitätsziele
Schwerpunkte
Qualitätspolitik
Vision Leitbild
Tätigkeitsbezogene oder persönliche Ziele
Organisationsbezogene oder prozessbezogene Ziele (Operative Qualitätsziele)
Qualitätsziele (Strategische Qualitätsziele)
4.2 • Dokumentation
49
4
50
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Balanced Scorecard »Regional Bank« Kundenperspektive
Neukunden für elektronisches Bankgeschäft 160 Anzahl Kontakte zur Kommune Kundengewinnung durch Empfehlung 140
Öffentlichkeitsperspektive
120 Ausfallquote bei Krediten
Dauer des Kreditgesprächs 100 80 60
4
Wachstum Kreditvolumen
Anteil Kreditabschlüsse beim Kunden
40
Finanzperspektive
20 0 Anteil elektronischer Aufträge
Zeitbedarf für Kreditgewährung
Nutzungsquote Bankomat
Anteil abgelehnter Anträge
Geschäftsprozessperspektive Nutzungsquote Electronic Banking
Mitarbeiterperspektive
Anzahl Kontoeröffnungen Ist t0
. Abb. 4.7 Resultat 2
durchschnittliche Kundenwartezeit
Plan t1
Schulungsquote Ist t1
Plan t2
Reihe5
51 4.2 • Dokumentation
System- und Dokumentationsstruktur nach ISO 9001:2000 1. 2. 3.
4.
5.
6.
Allgemeine Forderungen zum QM-System QM-System, allgemeine Forderungen zur Dokumentation Verantwortung der Leitung, Verpflichtung der Leitung 3.1 Kundenorientierung 3.2 Qualitätspolitik 3.3 Planung 3.4 Verantwortung, Befugnis, Kommunikation 3.5 Managementbewertung Bereitstellung von Mitteln 4.1 Personal 4.2 Infrastruktur 4.3 Arbeitsumgebung 4.4 Planung der Produktrealisierung Kundenbezogene Prozesse 5.1 Entwicklung 5.2 Beschaffung 5.3 Produktion und Dienstleistungserbringung 5.4 Lenkung von Prüfmitteln Messung, Analyse und Verbesserung – Allgemeines 6.1 Überwachung und Messung 6.2 Lenkung fehlerhafter Produkte 6.3 Datenanalyse 6.4 Verbesserung
4
Der prozessorientierte Ansatz hat sich als »Erfolgsmodell« etabliert. Bestehende QM-Systeme, die dem traditionellen Ansatz gefolgt sind, werden meinst Stück für Stück umgewandelt, bis ein geeigneter prozessorientierter Ansatz realisiert ist. Im traditionellen Ansatz hat sich die vorgegebene Struktur als unflexibles und schwer zu kommunizierendes Modell erwiesen. Bei Aufbau der Dokumentation von QM-Systemen hat sich folgende Systematik bewährt (. Abb. 4.10). Es ist möglich, sämtliche Vorgabedokumente in einem Manual/Handbuch zusammenzufassen. Merkmale zu den Dokumentationsebenen zeigt . Tab. 4.4.: In . Abb. 4.11 ist das Beispiel eines individualisierten Dokumentationsmodells wiedergegeben. Die redaktionellen Darstellungsmöglichkeiten bei der Erstellung der QM-Dokumentation sind vielfältig. Grundsätzliche Vorgaben zur Darstellung existieren nicht. Die Akzeptanz bei den Anwendern muss im Vordergrund stehen. z
Beispiel für verschiedene Darstellungsmethoden
Darstellungen, die »unattraktiv« wirken, werden nicht gelesen bzw. angewendet. Grafische Ausarbeitungen (Übersichten, Fließschemen, Modelle o. ä.) haben diesbezüglich Vorteile (. Abb. 4.12). Grafische Darstellung
z
Modell 2 – der prozessorientierte Ansatz
Die Dokumentation folgt den vorhandenen Prozess- und Organisationsstrukturen und stellt somit eine individuelle Struktur dar, die die vorhandene Organisation abbildet. Die Planung des Systems und dessen Umsetzung in die Dokumentation bedarf einer detaillierten Vorbereitung. Die Verbindung zu den QM-Regelwerken wird über eine Cross-Referenz-Matrix hergestellt (. Abb. 4.8 und . Abb. 4.9).
Textliche Darstellung Zentral eingehende Be-
schwerden werden an die Leitung gemeldet und im Sekretariat erfasst. Die Erfassung erfolgt auf dem Beschwerdedokumentationsformular. Sofern Beschwerden bereits in Schriftform gemeldet werden, erfolgt keine weitere Erfassung. Das Sekretariat leitet die Beschwerde an den verantwortlichen Standortleiter zur Klärung weiter. Ab diesem Zeitpunkt greift das im jeweiligen Standort geltende Beschwerdemanagement. Nach der
Brustzentrum
Darmzentrum
Prostatazentrum
Gefäßzentrum
Seelsorge
Personal Urologie/ Kinderurologie
Unfallchirurgie
Küche
Schreibdienst
Pflege
Wissenschaft/ Studien
Apotheke
Neurologie
Stabsstellen
Archiv Post
Radiologische Praxis
Finanzen
Psychiatrie / Psychotherapie Arbeitsschutz Einkauf/Lager Comm-Center
Belegärzte
Managementfunktionen
Belegarzt
Krankenhausleitung (GF, VL, ÄD, PD)
Hygiene
Innere Medizin
Marketing/ Kommunikation
Belegarzt
Unterstützende Funktionen
Belegärzte
EDV
Chirurgie Technik
Allgemeinchirurgie Standort 3
Physikalische Therapie Hauswirtschaft
Standort 2
. Abb. 4.8 Ausgangsstruktur
HNO Belegarzt
Gynäkologie/ Geburtshilfe Belegärzte
Strategische Planung
Zentren Sozialdienst
Standort 1
Anästhesie/ ITS
4
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus 52
53
Verbesserung Datenanalyse Lenkung fehlerhafter Produkte Überwachung und Messung Allgemeines Lenkung von Überwachungs- und Messmitteln Produktion und Dienstleistungserbringung Beschaffung Entwicklung Kundenbezogene Prozesse Planung der Produktrealisierung Arbeitsumgebung Infrastruktur Personelle Ressourcen Bereitstellung von Ressourcen Managementbewertung Verantwortung, Befugnis u. Kommunikation Planung Qualitätspolitik Kundenorientierung Verpflichtung der Leitung Dokumentationsanforderungen
. Abb. 4.9 Cross-Referenz
Bezug zur ISO 9001:2000
Z-1.1.3
Z-1.1.4
Z-1.1.2
Inkraftsetzung und Handbuchidentifikation Verteiler des zentralen QualitätsmanagementHandbuch Symbolerklärung Z-1.1.1
Regelungen im QMH:
Allgemeine Anforderungen
Legende: inhaltliche Verbindung
Produktrealisierung Messung, Analyse und Management von Verbesserung Ressourcen Abschnitt Nr. der DIN EN ISO 9001:2000 4.1 4.2 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 6.1 6.2 6.3 6.4 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 QM- Verantwortung der Leitung System
Kapitel der DIN EN ISO 9001:2000
4.2 • Dokumentation
4
e ch or /V
variabel
en ng
Prozess-/Verfahrensbeschreibungen
lu ge Re hr
sc
Arbeitsanweisungen
o /N
en ift
Vorgabedokumente/ Ausführungsbestimmungen
QMHandbuch
variabel
i tzl se Ge
4
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Gesamtdokumentation
54
en
rm
Anschlussdokumente/Qualitätsaufzeichnungen
. Abb. 4.10 Standardmodell
Bearbeitung der Beschwerde im Standort und der Festlegung und Durchführung von geeigneten Maßnahmen sowie der Dokumentation wird der Vorgang dem Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB) weitergeleitet.Wird die Beschwerde lokal vorgebracht, kann zunächst das lokale Beschwerdemanagement greifen. Nach Abschluss der Maßnahmen wird der gesamte Vorgang dem QMB zur Information übergegeben. Der QMB sammelt alle Beschwerdevorgänge im QM-Ordner. Zur jährlichen QM-Bewertung werden die erfassten Beschwerden einer systematischen Beurteilung unterzogen, um ggf. Korrekturmaßnahmen abzuleiten. Tabellarische Darstellung (. Tab. 4.5) Am sinn-
vollsten hat sich die Kombination der verschiedenen Darstellungsmethoden bewährt. Je nach Anwender und Thema sollte das geeignete Darstellungsmittel gewählt werden. Ein bisher unbekanntes Problemfeld wird durch die Vermarktung von komplexen EDV-gestützten QM-Dokumentationssystemen erzeugt. Es besteht hierbei das Risiko, dass die eigentlichen Anwender des Systems (Ärzte, Pflege) sich in den Tiefen des Systems nicht mehr zu Recht finden. Der Autor
hat bereits beobachtet, dass während eines Zertifizierungsverfahrens bereits das Einloggen in das System nicht gelungen ist. Die EDV-gestützten Dokumentationssysteme haben klare Vorteile bei der Administration des Systems. Welche Vorteile sich für die Anwender ergeben sollen, muss im Einzelfall festgestellt werden. > Entscheidenden Nutzen haben die Systeme erst dann, wenn nicht nur eine »QM-Insel« geschaffen wird, sondern das komplette Vorschriften- und Dokumentenmanagement einer Einrichtung darüber geführt wird.
In diesem Fall werden sich alle Beteiligten mit dem System beschäftigen müssen, weil das Tagesgeschäft dies verlangt. Die QM-Komponenten werden somit voll integriert umgesetzt.
4.3
Implementierung
Bei der Implementierung von QM-Systemen muss klar sein, dass in jeder Einrichtung QS-/ QM-Strukturen vorhanden sind, die mit berücksichtigt werden müssen.
55 4.3 • Implementierung
4
. Tab. 4.4 Merkmale zu den Dokumentationsebenen QM-Handbuch
»Was«? – Grundsätzliche Absichten – Inkraftsetzung und Verpflichtung – Qualitätspolitik – Qualitätsziele – Organisationsstruktur – Prozessmodell Verbindlichkeit, Versionsmanagement, Freigabe muss klar geregelt sein
Prozess-/Verfahrensbeschreibungen
»Wer macht was«? – Ablaufbeschreibung von Schlüsselprozessen – Definition von Verantwortungen – Anbindung von Anschlussdokumenten – Anbindung von Qualitätsaufzeichnungen – Anbindung von EDV-Systemen Verbindlichkeit, Versionsmanagement, Freigabe muss klar geregelt sein
Arbeitsanweisungen
»Auf welche Weise und mit welchen Mitteln«? – Festlegung der Durchführung – Definition von Hilfsmitteln und Materialien – Angabe und Anwendung von EDV-Tools Verbindlichkeit, Versionsmanagement, Freigabe muss klar geregelt sein
Anschlussdokumente
Veränderbare Dokumente, die im Rahmen der Ausführung erstellt/benutzt werden – Formblätter – Checklisten – Fallbezogene Unterlagen – Organisationsdokumente Der Änderungszustand des Ausgangsdokuments muss klar sein
Qualitätsaufzeichnungen
Unveränderbare Dokumente, die im Rahmen der Ausführung erstellt/benutzt werden – Befunde – Protokolle – Arztbriefe – Allgemeine Nachweise Die Identifikation und Auswertung der Qualitätsaufzeichnungen muss klar sein
Die Phasen der Projektierung zur Etablierung des QM-Systems in den notwendigen Ausprägungen und der laufende Betrieb des QMSystems müssen klar unterschieden werden. 4 Ziel bei der Projektierung ist es, auf Basis der Vorarbeiten in einer zeitlich begrenzten und konzentrierten Projektarbeit sämtliche Strukturen, Prozesse und Instrumente zu entwickeln, einzuführen und in den Routinebetrieb zu überführen. 4 Häufig steht am Ende der Projektierung die Zertifizierung des QM-Systems. 4 Ziel beim Betrieb des QM-Systems ist es, mit den installierten Strukturen, Verfahren
und Instrumenten die geplanten Ziele zu erreichen und Potenziale im System zu nutzen. Die Projektierung folgt einem definierten Projektplan. Ein festgelegtes Projektteam koordiniert die notwendigen Aktivitäten. Für den Fall, dass zu wenig Ressourcen und kein spezielles Know-how vorhanden sind, greifen Einrichtungen auch auf externe Beratungsunternehmen zu. Der Aufbau einer Projektskizze ist in . Abb. 4.13 wiedergegeben. Die Art und der Inhalt der Projektarbeit können sehr unterschiedlich sein. Ein Patentrezept,
QM-Handbuch Klinik und Poliklinik für xx
Standards Guidelinies Formblätter Dienstanweisungen
. Abb. 4.11 Beispiel eines individualisierten Dokumentationsmodells
EDV-Systeme INTRANET SAP
Verweise/Übernahme
Verweise/Übernahme
• Kernprozesse Klinik • Hinweise auf Anschlussdokumente
• Definition von Verantwortungen • Verweise auf die Beschreibungen der Behandlungspartner
• Leitbild, Qualitätspolitik, Qualitätsziele • Zentrale Prozesse und Festlegungen der Klinik
• Aufbauorganisation
Regelungen:
Verweise
Verweise
Verweise
Externe Dokumente
Kooperationsvereinbarungen mit Behandlungspartnern und Einweisern/Weiterbehandlern
4
Verweise
56 Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Operative Therapie
Prätherapeutische Konferenz durchführen
Bei PSA > 20 oder Gleasonscore > 4+3 erfolgt Skelettszintigrafie
CS, IEEF, IPSS-Bogen ausfüllen lassen
Befund mit Patient besprechen
ja
Prostatakarzinom?
Histologie durchführen
12x TRUS-Biospie 16x Re-TRUS-Biopsie
ja
Grenzwerte überschritten?
40 bis 49 Jahre: 2,5 ng/ml 50 bis 59 Jahre: 3,5 ng/ml 60 bis 69 Jahre: 4,5 ng/ml 70 bis 75 Jahre: 6,0 ng/ml
Alters-Grenzwerte
Bewertung Ergebnisse PSA/DRE/TRUS
Screening
nein
nein
Palliative Therapie
ASAP ?
ja
PSA Velocity: PSA-Anstieg: 0,7 ng/ml/Jahr
Individuelles Procedere
. Abb. 4.12 Grafische Darstellungen
Radiotherapie
DRE/TRUS positiv unabhängig vom PSA
Ab 45 LJ. Jährlich PSA/DRE/TRUS
START
nein
Resultat: Produktivitätssteigerung
Risk-Management Vorbeugung
Resultat: Fehlerbehebung
Symptome Fehlerauswirkungen
Resultat: Fehlervermeidung
Korrekturmanagement
Verbesserungsmanagement
Fehler an Fehler an der Produkten Dienstleistung
Fehlermanagement
Ursachen zur Fehlerentstehung
Ideen »Ständige« Verbesserung
Verbesserungspotentiale
Resultat: Fehlerbehebung
Symptome Fehlerauswirkungen
© EVO Consult AG
Resultat: Risikominimierung
Mögliche Ursachen zur Fehlerentstehung
4.3 • Implementierung
57
4
58
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
. Tab. 4.5 Tabellarische Darstellung
4
System
Zyklus
Verantwortung
Medium
Aufbewahrungszeit
KIS-SAP
stündlich/täglich/wöchentlich
Rechenzentrum
DLT-Tapes
Rechenzentrum
Verschiedene Datenbanksysteme und W2003-Server
täglich
EDV
Festplatte
>1 Woche
wie derartige Projekte zu führen sind, existiert nicht. Es gibt jedoch spezielle Aspekte, die bei der Projektdurchführung zu berücksichtigen sind. Ebenso gibt es Aspekte, die zu vermeiden sind. Die 20 Erfolgsfaktoren bei der Projektierung 1. Ein Projektbeschluss/-auftrag (Zeit, Ressourcen, Ergebnis) muss vorliegen 2. Führung durch die Leitung – am besten persönlicher Projektsponsor in der Leitung – muss vorhanden sein 3. Fähige Projektleitung aus einem Hauptbereich der Einrichtung (viele Jahre QM-Erfahrung ist nicht zwingend nötig) 4. Ausgezeichnete Reputation der Projektleitung in der Einrichtung (wenn die Projektleitung ruft, dann kommt man!) 5. Interdisziplinäres Projektteam mit den besten Leuten aus jedem Bereich (die Kette bricht am schwächsten Glied); Kernteam mit nicht mehr als 6 Personen 6. Objektive Planung der notwendigen Ressourcen des Projektteams und Bereitstellung der notwendigen Ressourcen 7. Saubere Aufarbeitung des Gesamtprojekts in überschaubare Teilaufgaben mit den entsprechenden Bearbeitern (ToDo-Listen etc.). Die Bearbeiter können
8.
9.
10.
11.
Lagerungsort
Recovery
Unregelmäßige Restore-Läufe bei verlorenen Dateien/Desaster-Recovery-Test
Einzelpersonen sein; Meist werden aber 2–5 Personen ein Thema bearbeiten Alle Teilaufgaben werden moderiert gelöst (»schreiben Sie mal auf, wir schauen dann mal« ist unzulässig) Die Moderation übernimmt ein Mitglied des Kernteams. Der richtige Auflösungsgrad und die Verbindung zum Gesamtprojekt muss durch den Moderator sichergestellt werden (z. B.: Es tauchen störende Symptome auf, deren Ursache an einem anderen »Ort« liegt – der Moderator übernimmt die Aufgabe, die Ursache zu behandeln) Der Moderator muss sicherstellen, dass die eingesetzten Ressourcen effektiv eingesetzt werden. Die Aufgaben müssen im vorgegebenen Rahmen abgearbeitet werden. Folgemeetings müssen die Ausnahme bleiben! Alle Ergebnisse der Teilaufgaben werden in das Kernteam zurückgemeldet (was hat stattgefunden, alles o. k., Aufgabe erledigt?). Es wird von jedem Treffen ein strukturiertes Kurzprotokoll (ggf. von Hand) angefertigt. Ohne ein derartiges Projektcontrolling lässt sich ein komplexes Vorhaben nicht führen.
3 Monate
Begehung vor Ortentlang der Behandlungspfade
Festlegung Qualitätspolitik und operativen Zielen
Projekteröffnung, Kick-Off mit den Beteiligten
. Abb. 4.13 Projektskizze
Zertifizierung
Umsetzung, Schulung, Interne Audits
Zertifizierungsunterweisung
Interne Audits zur Überprüfung der Umsetzung der festgelegten Struktur- und Prozessvorgaben
Schulung und festgelegten Struktur- und Prozessvorgaben
Entwicklung und Festlegung der erforderlichen Struktur- und Prozessvorgaben mit den Beteiligten
9 Monate
Struktur und Prozesserarbeitung
Umsetzung und ggf. Modifikation der festgelegten Struktur- und Prozessvorgaben
Redaktionelle Ausarbeitung der notwendigen QM-Unterlagen
6 Monate Projektinitiierung
Umsetzung und Controlling von notwendigen Einzelmaßnahmen
Start
Projektskizze
4.3 • Implementierung
59
4
Zertifizierung
60
4
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
12. Sinnvoller Einsatz von Technik (Intranet etc.) 13. Sofern ungenügendes Wissen vorhanden ist, muss der »Zukauf« von Wissen möglich sein (Ausbildung, externes Wissen) 14. Adäquates Projektmarketing nach innen (die Mitarbeiter müssen Bescheid wissen) 15. Herstellung von Ownership – alle wichtigen Teile/Themen erhalten einen Eigentümer (Verantwortlichen)! – Eigentum verpflichtet zur Umsetzung, Pflege und Kommunikation – Die Eigentümer sind die Ansprechpartner für alle weiteren Fragestellungen – Eigentümer sind die wichtigsten Multiplikatoren bei der Etablierung des QM-Systems 16. Ein sinnvolles und wirksames Auditsystem muss installiert werden 17. Die Dokumentation des QM-Systems wird nicht überbewertet (notwendig um Regelungen festzulegen, aber nicht wertschöpfend!) 18. Die Ergebnisse und der Nutzen des Projekts müssen dargestellt werden können. Die Frage »Warum machen wir das alles?« muss von der Projektleitung klar (quantitativ) beantwortet werden können 19. Eine Zertifizierung muss erfolgen – die beteiligten Personen benötigen die Bestätigung und den gemeinsamen Erfolg 20. Der Übergang in den laufenden Betrieb des QM-Systems (nach Projektierung und Zertifizierung) wurde von Anfang an bei der Projektierung geplant und organisiert
Die 10 Fehler, die vermieden werden müssen 1. Kein Endtermin für die Projektierung festgelegt (ein Projekt hat einen definierten Anfang und ein definiertes Ende) 2. Man kaufe ein QM-Handbuch – am besten mit EDV-Dokumentenmanagement – und alles wird gut! 3. Die Annahme, das »QM-System wird ein Selbstläufer« ist falsch. Ohne Pflege, wird das System keinen Nutzen erzeugen 4. Unkoordiniertes Arbeiten in den verschiedenen Bereichen führt zu Frust und Blindleistung 5. Eine schwache Projektführung mit zu wenig Ressourcen wird die erwarteten Ergebnisse nicht abliefern 6. Ein »großer Regelkreis« mit der Rückendeckung der Geschäftsführung ist nicht vorhanden, um Konflikte final zu lösen 7. »Sehr tiefe Löcher bohren« und das Gesamtziel aus den Augen verlieren 8. Jedes Problem schon bei der Etablierung des QM-Systems lösen zu wollen 9. Zu glauben, jeden von Anfang an »im Boot« haben zu müssen 10. Keine Ergebnisse darstellen zu können
> Das formelle Ergebnis der Projektierung ist die Beschreibung der Systeminhalte in Form der QM-Dokumentation. Diese Systembeschreibung ist die Basis für den Betrieb des QM-Systems.
Die folgenden Grundsätze gelten bei der Dokumentationserstellung 5 Die QM-Dokumentation muss möglichst einfach anzuwenden sein – Anwenderorientierung!
61 4.3 • Implementierung
5 Die Benutzer/Anwender des Systems legen fest, was »einfach« ist 5 Es ist nicht erforderlich, alles zu dokumentieren: – Es muss geregelt werden, was wichtig ist und was risikobehaftet ist – Anweisungen müssen also dort erstellt werden, wo ein Fehlen der Regelungen zu einem Problem wird 5 Der QM-Beauftragte muss möglicherweise seine persönlichen Interessen hinsichtlich Pflege und Aktualisierung des Systems den Interessen der Anwender/ Benutzer unterordnen
Mit der Fertigstellung der QM-Dokumentation rückt in den meisten Fällen die geplante QMZertifizierung näher. Die Spannung im System steigt, die Rückfragen an das Projektteam nehmen täglich zu. Den Mitarbeitern muss frühzeitig vermittelt werden, dass es sich bei einer Zertifizierung nicht um eine »Durchsuchungsaktion« handelt. Es muss klar sein, dass die Auditoren davon ausgehen werden, dass eine entsprechende Vorbereitung stattgefunden hat und dass Mitarbeiter in der Lage sind, die von Ihnen selbst erstellten Regeln zu erklären und an Stichproben dazulegen. Es muss auch klar sein, dass einzelne Fehler nicht zum Systemkollaps führen, sondern dass nur schwere systematische Mängel ein echtes Risiko bezüglich des Erfolges darstellen. Die verschiedenen Zertifizierungsverfahren laufen in einem ähnlichen Algorithmus ab. z
Beispiel für einen Zertifizierungslauf nach ISO 9001
Vorinformation Das Unternehmen kann sich unverbindlich über die Zertifizierungsstelle und über eine Zertifizierung von Managementsystemen informieren lassen. Die Kosten für ein Zertifizierungsverfahren können bei der Zertifizierungsstelle erfragt werden.
4
Antragstellung des Unternehmens Nach Antragstellung erhält das Unternehmen einen Vertrag zur Durchführung des Zertifizierungsverfahrens. Vorgespräch (auf Wunsch) Um den Stand des Managementsystems bezüglich einer Zertifizierung abzuschätzen, ist die Durchführung eines individuellen Vorgesprächs im Unternehmen mit Durchsicht des Managementhandbuchs möglich. Voraudit (auf Wunsch) Als »Generalprobe« für
das Zertifizierungsaudit kann ein Voraudit im Unternehmen vereinbart werden. Hierbei werden, nach Durchsicht der Dokumentation des Managementsystems, die Verantwortlichen im Unternehmen gemäß einer Auditcheckliste befragt. Prüfung der Managementsystemdokumentation
Nach Einreichung des Managementhandbuchs und ggf. weiterführender Regelungen erfolgt die Prüfung der Managementsystemdokumentation. Nach abgeschlossener Prüfung erhält das Unternehmen einen Ergebnisbericht mit einer Empfehlung zur weiteren Vorgehensweise. Zertifizierungsaudit Nach positiv abgeschlossener Prüfung der Managementsystemdokumentation erfolgt die Begutachtung bezüglich der Umsetzung des Beschriebenen in der Praxis. Dies geschieht durch Begehungen, Interviews und Beobachtungen im Unternehmen. Bei positivem Ergebnis bzw. nach Behebung unkritischer Abweichungen wird die Zertifikatserteilung vom Auditteam empfohlen. Nachaudit Werden während des Zertifizierungs-
audits im Unternehmen kritische Abweichungen gegenüber der Zertifizierungsgrundlage festgestellt, wird vom Auditteam ein Nachaudit empfohlen. Hier wird, nach der zuvor vereinbarten
62
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Dauer zur Durchführung der notwendigen Korrekturen, deren Umsetzung und Wirksamkeit überprüft.
4
Zertifikatserteilung Die Gültigkeitsdauer des ISO-9001-Zertifikats beträgt 3 Jahre. Die zertifizierten Unternehmen werden veröffentlicht und sind berechtigt, das erteilte Zertifikat sowie das Zertifikatssymbol für Werbezwecke zu verwenden. Überwachungsverfahren Das Zertifikat wird ein-
mal jährlich im Rahmen eines Kurzaudits bestätigt. Nach 3 Jahren erfolgt ein Wiederholungsaudit zur Rezertifizierung um weitere 3 Jahre. Hinweise für die Mitarbeiter zur Vorbereitung und Erstellung eines Zertifizierungsaudits Vorbereitung der Zertifizierung 5 Beispiele zusammenstellen/griffbereit haben (die den Ablauf in der QM-Dokumentation beweisen) 5 Zusatzbeispiele zusammenstellen/griffbereit haben 5 Argumentationsbrücken aufbauen 5 Umfeld aufräumen (Ordnung und Sauberkeit wird auch bewertet) 5 Sonderfälle, die schlecht in die Abläufe passen, an diesem Tag vermeiden 5 Handschriftliche Eintragungen dürfen für das bessere Verständnis in den QMUnterlagen sein (keine inhaltlichen Änderungen!) 5 Mögliche Ansprechpartner für das Audit auswählen
Während der Zertifizierung 5 Freundlich sein 5 Sich Zeit nehmen 5 Störungen vermeiden
5 Nachfragen, falls eine Frage nicht verstanden worden ist 5 Nur Sachverhalte im eigenen Verantwortungs-/Tätigkeitsbereich erklären – keine Vermutungen darüber anstellen, was »Andere« machen 5 Sich durch Nachfragen des Auditors nicht verunsichern lassen 5 Wörter wie »meistens«, »häufig«, »glauben«, »vielleicht«, »wahrscheinlich« usw. nicht verwenden (deuten auf Unsicherheiten hin) 5 Auf kompetente Ansprechpartner verweisen, für den Fall, dass andere Personen besser Bescheid wissen bzw. dafür zuständig sind 5 Im Zweifelsfall immer auf den Vorgesetzten verweisen 5 Die QM-Dokumentation griffbereit haben 5 Die QM-Dokumentation zur Erklärung und Argumentation benutzen 5 Erst denken, dann reden
Fehler bei der Zertifizierung 5 Unordentlicher Eindruck im jeweiligen Bereich 5 Die Mitarbeiter wissen nicht, was in der QM-Dokumentation steht 5 Beispiele, die nicht nach den Vorgaben der QM-Dokumentation durchgeführt wurden 5 Ausnahmen werden erzählt 5 Alle Probleme werden geschildert – »endlich jemand, der zuhört« 5 Es wird vermutet, was andere Bereiche, Abteilungen oder Personen machen bzw. nicht machen 5 Es wird zu viel erzählt und somit auf andere Dinge aufmerksam gemacht 5 Die Frage wird nicht verstanden und trotzdem beantwortet 5 …
63 4.4 • Interne und externe Audits
4.4
Interne und externe Audits
Ein entscheidendes Instrument zur Implementierung des QM-Systems und dessen Wirksamkeit sind die im QM-Systemansatz verankerten Auditverfahren. Die Organisation, Durchführung und Dokumentation von Qualitätsaudits ist klar in der ISO 19011 geregelt. Diese Vorschrift bildet also die Basis für sämtliche interne und externe Audits. Audits stellen eine systematische, unabhängige und objektive Methode dar um Folgendes festzustellen: 4 Sind Regelungen festgelegt und in geeigneter Weise beschrieben? 4 Sind die Verantwortlichkeiten zugeordnet und haben die Mitarbeiter Kenntnis von den Regelungen? 4 Sind die Verfahren umgesetzt und aufrechterhalten? 4 Ist der Prozess wirksam hinsichtlich der geforderten Ergebnisse? > Mit dem Audit werden also Prozesse oder Systeme und deren Teile anhand festgelegter Regeln und Vorgaben gemessen. Das Audit liefert Informationen über die Qualitätsfähigkeit der Organisation und über die Notwendigkeit von Verbesserungen. z
Vom »Produktaudit« bis zum »Systemaudit«
4 Beim Produktaudit/Dienstleistungsaudit wird anhand der Ergebnisse von Beurteilungen am Dienstleistungsergebnis auf die Fähigkeit der leistungserbringenden Prozesse geschlossen. Das Dienstleistungsaudit ergänzt strategisch die in den Einrichtungen vorhandene Qualitätssicherung (z. B. Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung, BQS). Ziel ist es, die Ursachen von Abweichungen zu erkennen und diese schnell zu beeinflussen.
4
4 Beim Prozessaudit wird die Qualitätsfähigkeit eines Organisationsablaufs (z. B. Behandlungspfad) einschließlich der Schnittstellen zu anderen Abläufen und der Informationsflüsse beurteilt. Ziel ist es, einen Organisationsablauf bezüglich seiner Effektivität und seiner Effizienz zu stabilisieren und zu verbessern. 4 Beim Systemaudit wird eine mehrere Prozesse einschließende Strecke bezüglich ihrer Qualitätsfähigkeit beurteilt. Eingeschlossen sind die Schnittstellen, die Informationsbeziehungen, die Führungsstrukturen, die Zielsetzungen und die Ergebnisse. Ein Anschauungsmodell hierzu wird in . Abb. 4.14 dargestellt. In sog. Lieferantenaudits werden die Lieferanten wichtiger Materialien oder Dienstleistungen vor oder während der Geschäftsbeziehungen anhand vertraglich vereinbarter Vorgaben und Anforderungen durch den Kunden sachkundig begutachtet und bewertet. Das Ergebnis kann eine Einschätzung der Qualitätsfähigkeit vor Vertragsabschluss bei geplanten Geschäftsbeziehungen oder nach wichtigen Veränderungen während der laufenden Geschäfte sein. Die ISO 19011 ist wie folgt gegliedert 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Anwendungsbereich Normative Verweisungen Begriffe Auditprinzipien Management eines Auditprogramms Audittätigkeiten Qualifikation des Auditors und Bewertung von Auditoren
Diese Norm gibt eine Anleitung für das Management von Auditprogrammen, für die Durchführung interner und externer Audits ebenso wie für die Qualifikation und Bewertung von Auditoren.
64
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Produktaudit
Prozessaudit
4
Systemaudit
. Abb. 4.14 Anschauungsmodell
Sie richtet sich in gleicher Weise an 4 Auditoren, 4 Unternehmen bzw. Organisationen, die Qualitäts- und/oder Umweltmanagementsysteme einführen, 4 Organisationen, die Audits dazu durchführen, und 4 Organisationen, die sich mit der Zertifizierung oder Schulung von Auditoren, der Zertifizierung/Registrierung von Managementsystemen, der Akkreditierung oder Standardisierung auf dem Gebiet der Konformitätsbewertung befassen. Die Anleitungen dieser Norm sind flexibel und können, entsprechend der Größe, Art und Komplexität der zu auditierenden Organisationen sowie in Bezug auf die Ziele und den Umfang der Audits angepasst werden. z
Arten von Audits
In der ISO 19011 sind drei Arten von Audits berücksichtigt: 4 Erstparteienaudit (»1st-Party-Audit«): Ist ein internes Audit und jeder darf ein solches durchführen.
4 Zweitparteienaudit (»2nd-Party-Audit«): Das ist ein externes Audit und jeder darf ein solches durchführen. 4 Drittparteienaudit (»3rd-Party-Audit«): Eine unabhängige Organisation zertifiziert ein Unternehmen nach vorgegebenen Normen. Für die drei oben genannten Auditarten fordert die Norm verschiedene Qualitätsniveaus der Auditoren. Für das Erstparteien- und Zweitparteienaudit verlangt die Norm, dass der Auditor »fähig« ist, das Audit durchzuführen. Die Erfordernisse für ein Drittparteienaudit sind genau in der Norm geregelt und bedürfen einer entsprechenden Ausbildung. z
Auditprogramm
Ein Auditprogramm ist eine Zusammenstellung, welche Audits mit welchen Zielen im nächsten Zeitabschnitt (Jahr) in der Einrichtung durchgeführt werden sollen. Die Vorgehensweise für die Erstellung des Auditprogramms ist in . Abb. 4.15 dargestellt. In dieser Vorgehensweise wird auch die Überprüfung der Wirksamkeit des Auditprogramms gefordert.
4
65 4.4 • Interne und externe Audits
Befugnis für das Auditprogramm Festlegung des Auditprogramms ¾ Zielsetzung und Umfang ¾ Verantwortlichkeiten ¾ Ressourcen ¾ Verfahren Handeln A=act
Verbesserung des Auditprogramms
Umsetzung des Auditprogramms ¾ Beurteilung des Auditors ¾ Zuordnung des Auditteams ¾ Leitung der Audittätigkeiten ¾ Aufzeichnungen
Planen P=plan
Qualifikation des Auditors AuditTätigkeit
Überwachen und Bewertung des Auditprogramms ¾ Ermittlung von Möglichkeiten für Verbesserungen
Tun D=do
Prüfen C=check
. Abb. 4.15 Vorgehensweise für die Erstellung des Auditprogramms. Dies geschieht im Zuge des PDCA-Zyklus, der besagt, dass das Auditprogramm zuerst geplant (P), dann umgesetzt (D), im Folgenden überprüft (C) und schließlich verbessert (A) werden soll
Die Durchführung eines Audits nach ISO 19011 gliedert sich in die nachfolgenden Teilabschnitte/Phasen 1. Veranlassen des Audits 2. Prüfung der Dokumente 3. Vorbereitung auf die Auditierung vor Ort 4. Audittätigkeit vor Ort 5. Erstellung, Freigabe und Verteilung des Auditberichts 6. Abschluss des Audits 7. Durchführung von Auditfolgemaßnahmen und Kontrolle der Ergebnisse
Die Phasen zur Vorbereitung eines Audits sind in . Tab. 4.6 wiedergegeben: Die Phasen zur Durchführung eines Audits fasst . Tab. 4.7 zusammen: Prozessbeschreibung »Interne Systemaudits« als Muster (. Abb. 4.16).
z
5 Auditprinzipien für Auditoren
1. Ethisches Verhalten: die Grundlage des Berufsbildes Vertrauen, Integrität, Vertraulichkeit und Diskretion sind unabdingbar für das Auditieren. 2. Sachliche Darstellung: die Pflicht, wahrheitsgemäß und genau zu berichten. Auditfeststellungen, Auditschlussfolgerungen und Auditberichte spiegeln wahrheitsgemäß und genau die Audittätigkeiten wider. Über wesentliche Hindernisse, die während des Audits auftreten, und über nicht bereinigte oder auseinandergehende Auffassungen zwischen dem Auditteam und der auditierten Organisation wird berichtet. 3. Angemessene berufliche Sorgfalt: Anwendung von Sorgfalt und Urteilsvermögen beim Auditieren. Die Auditoren lassen Sorgfalt walten gemäß der Bedeutung der Aufgabe, die sie erfüllen, und gemäß dem Vertrauen, welches Auditauftraggeber und andere interessierte Parteien in sie setzen.
66
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
. Tab. 4.6 Phasen zur Vorbereitung eines Audits
4
1. Veranlassen des Audits
2. Prüfen der Dokumente
3. Vorbereitung auf die Auditierung vor Ort
– Benennung des Auditleiters – Festlegung der Zielsetzung, des Umfangs und der Kriterien – Ermittlung der Durchführbarkeit – Festlegung des Auditteams – Herstellung des Kontaktes mit der auditierten Organisation
Bewertung zutreffender Managementsystemdokumente, einschließlich Aufzeichnung und Ermittlung ihrer Konformität hinsichtlich der Auditkritierien
– Erstellung des Auditplans – Aufgabenverteilung im Auditteam – Vorbereitung von Arbeitsunterlagen
. Tab. 4.7 Phasen zur Durchführung des Audits 4. Audittätigkeit vor Ort
5. Erstellung, Freigabe und Verteilung des Auditberichts
6. Abschluss des Audits
7. Durchführung von Auditfolgemaßnahmen und Kontrolle der Ergebnisse
– Durchführung der Eröffnungsbesprechung – Kommunikation während des Audits – Rollen und Verantwortlichkeiten im Audit klären – Erfassung und Verifizierung von Informationen – Treffen von Auditfeststellungen – Erarbeiten von Auditschlussfolgerungen – Durchführung der Abschlussbesprechung
– Erstellung des Auditberichts – Genehmigung und Verteilung des Auditberichts
– Aufbewahrung von Dokumenten – Dokumente für Folgeaudits bereit halten
– Überwachung von Bearbeitungsfristen – Bewertung von Abstellmaßnahmen bzw. deren Ergebnisse
Eine wichtige Voraussetzung ist das Vorhandensein der erforderlichen Qualifikation. 4. Unabhängigkeit: die Grundlage für die Unparteilichkeit des Audits und Objektivität der Auditschlussfolgerungen. Auditoren sind unabhängig von der Tätigkeit, die auditiert wird, und sie sind frei von Voreingenommenheit und Interessenkonflikten. Auditoren zeigen Objektivität während des gesamten Auditprozesses, um sicherzustellen, dass die Auditfeststellungen und -schlussfolgerungen nur auf den Nachweisen beruhen.
5. Vorgehensweise, die auf Nachweisen beruht: die rationale Grundlage, um zu zuverlässigen und nachvollziehbaren Auditschlussfolgerungen in einem systematischen Auditprozess zu gelangen. Auditnachweise sind verifizierbar. Sie beruhen auf Stichproben der verfügbaren Informationen, da ein Audit während eines begrenzten Zeitraums und mit begrenzten Ressourcen vorgenommen wird. Der angemessene Gebrauch der Stichprobennahme ist eng mit dem Vertrauen verbunden, das in die Auditschlussfolgerungen gesetzt werden kann.
67 4.4 • Interne und externe Audits
Verantwortung Bemerkungen
Interne Systemaudits Start
1 Auditprogramm erstellen
1–2 QMB
1
3–11 Auditteam
3 konkrete Tagesplanung durchführen
Auditprogramm
2 Genehmigung bei der Leitung einholen
3 Auditplan erstellen
Auditplan
4 Audit vorbereiten
Checkliste
4 prozessspezifische Frageliste vorbereiten, Ergebnisse des Vorjahres berücksichtigen QMH Arbeitsplatzunterlagen Dokumente
5 Eröffnungsgespräch führen
7 bei spezifischen Problemen
6 Auditieren der Prozesse vor Ort
12–15 Auditierter 7 Schwachstellen?
Ja
8 Abstellmaßnahmen vor Ort festlegen
Abweichungsbericht
16–17 Auditteam
Korrektur- und Vorbeugungsmanagment
Nein 10 Abschlussgespräch führen Nein Auditbericht
9 Nachaudit notwendig?
11 Auditbericht erstellen
Ja
12 Prüfung Auditbericht
13 i. O.?
Prozesse KWs/Monat Auditoren Unabhängigkeit
Nein
14 Rücksprache mit Auditor, Sachlage klären
Ja 15 Gegenzeichnung des Auditberichts
16 Auditdokumentation an QMB leiten 17 Maßnahmenverfolgung durchführen
QM-Bewertung
. Abb. 4.16 Prozessbeschreibung »Interne Systemaudits« als Muster
4
68
z
4
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Ein Auditor sollte demnach
4 dem Berufsethos entsprechen – unparteiisch, wahrheitsliebend, aufrichtig, ehrlich und diskret sein; 4 aufgeschlossen sein – bereit, alternative Ideen oder Standpunkte zu erwägen; 4 diplomatisch sein – taktvoll im Umgang mit Menschen sein; 4 aufmerksam sein – sich ständig der physischen Umgebung und der Tätigkeiten bewusst sein; 4 eine schnelle Auffassungsgabe haben – instinktiv Situationen erfassen und verstehen; 4 vielseitig sein – in der Lage sein, sich auf unterschiedliche Situationen einzustellen; 4 hartnäckig sein – ausdauernd, auf das Erreichen von Zielen konzentriert sein; 4 entscheidungsfähig sein – rechtzeitig Schlussfolgerungen durch logisches Denken und auf der Grundlage von Analysen ziehen und 4 selbstsicher sein – er handelt und agiert selbstständig, arbeitet trotzdem wirksam mit anderen zusammen. z
Ein Auditor benötigt grundsätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu
4 Auditprinzipien, -verfahren und -techniken, um auswählen und anwenden zu können, was für unterschiedliche Audits geeignet ist, und um sicherzustellen, dass Audits in konsequenter und systematischer Weise durchgeführt werden; 4 Managementsystem- und Referenzdokumente, den Auditumfang zu verstehen und Auditkriterien anzuwenden; 4 Organisatorische Situationen, um den operationalen Zusammenhang der Organisation zu verstehen; 4 Zutreffende Gesetze, Vorschriften und andere Anforderungen in Bezug auf das Fachgebiet, um die Anforderungen, die für die zu auditierende Organisation gelten, zu kennen und zu beachten.
z
Zusätzlich müssen Auditoren von Qualitätsmanagementsystemen spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten auf folgenden Gebieten haben
4 Qualitätsbezogene Methoden und Techniken, um Qualitätsmanagementsysteme zu prüfen und zu angemessenen Auditfeststellungen und -schlussfolgerungen zu gelangen. Die Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Gebiet sollten einschließen: 5 erforderliche Qualitätsterminologie, 5 Prinzipien des Qualitätsmanagements und deren Anwendung und 5 Qualitätsmanagementwerkzeuge und deren Anwendung 4 Branchenspezifische Kenntnisse über Prozesse und Ergebnisse, um den organisatorischen und fachlichen Zusammenhang zu verstehen, in welchem das Audit durchgeführt wird. Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Gebiet sollten einschließen: 5 branchenspezifische Terminologie, 5 fachliche Merkmale von Prozessen und Ergebnisse und 5 branchenspezifische Prozesse und Praktiken.
4.5
Befragungen
Der Stellenwert von Befragungen hat in den vergangenen Jahren in Krankenhäusern deutlich an Bedeutung gewonnen. Um zu erfahren, ob Bemühungen um mehr Ergebnisqualität tatsächlich beim Leistungsempfänger ankommen, benötigt man direktes Feedback – idealerweise in Form von gezielten Befragungen. Diese Befragungen im Krankenhaus werden sich somit zukünftig als Standardinstrumentarium zum Aufdecken von Stärken und Schwächen durchsetzen. Befragungen können aber auch zum Zwecke der Marktanalyse durchgeführt werden.
69 4.5 • Befragungen
Zielgruppen, Methoden und Ziele von Befragungen Zielgruppen für Krankenhäuser 5 5 5 5
Niedergelassene Ärzte Patienten Mitarbeiter Sonderformen
Methoden 5 Interviews mit den Zielgruppenbeteiligten 5 Fragebögen zur Bearbeitung durch die Zielgruppe
Ziele von Befragungssystemen 5 Verbesserung der eigenen Position durch Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials 5 Nutzung der Ergebnisse im Rahmen von Zertifizierungsverfahren und Führungsinstrumenten, z. B. einer »Balanced Scorecard« 5 Feststellung der eigenen Marktstellung und Wettbewerbsposition – Benchmarking
Die Zeitpunkte der Durchführung der Erhebungen müssen das Ziel der Befragung unterstützen. Patientenbefragungen können stationär, direkt poststationär oder zeitlich versetzt erfolgen. Bei einer Zielsetzung/Schwerpunkt, die Lebensqualität zu messen, muss der Erhebungszeitraum entsprechend gestaltet werden. Diese Problematik führt oftmals dazu, dass z. B. für eine Patientenbefragung verschiedene Methoden und Zeitpunkte eingesetzt werden müssen, um die benötigten Ergebnisse zu erzeugen. Bei der Durchführung von Befragungen besteht grundsätzlich die Möglichkeit »make or buy«.
z
4
Make
Befragungen selbst zu entwickeln, ist ein
schwieriges Unterfangen, da sich schon bei der Entwicklung eines Fragebogens zahlreiche methodische Fragen ergeben. Zur Erleichterung dieser Aktivität kann auf bekannte validierte Instrumente zurückgegriffen werden, die teilweise kostenlos ober gegen Nutzungsgebühr erhältlich sind. Die Datenerfassung tausender Einzelergebnisse z. B. mithilfe von »Bordwerkzeugen« wie Excel ist aufwendig und die Erstellung eines Konzepts zur statistischen Aufbereitung (inkl. der notwendigen Werkzeuge) ist eine komplexe Aufgabe, die nur durch Fachpersonal bewältigt werden kann. z
Buy
Patientenbefragungen durch externe Dienstleister/Institute sind ein möglicher und häufig
genutzter Lösungsansatz und ein Einstieg in die Thematik. In der Regel entwickelt sich dabei ein größeres Bewusstsein für die Methodik und die Herangehensweisen. Es entstehen in Zusammenarbeit mit einem Befragungsinstitut fertige Fragebogen- und Auswertungskonzepte. Da im Normalfall die Erfassung und Durchführung solcher Befragungen auf eine (repräsentative) Stichprobe beschränkt ist und die Erfassung und Aufbereitung der Daten durch externe Berater durchgeführt wird, werden die Befragungen aus Kostengründen meist zu unregelmäßig durchgeführt, um als adäquate Kontrollmaßnahme dienen zu können. In beiden Fällen stellt sich aber die Frage der Ergebnisverwertung und damit des Ableitens von Maßnahmen und Managemententscheidungen. Hinzu kommt das Problem der Kontrolle und der Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen. Es handelt sich demnach um einen immer fortwährenden Kreislauf, jedenfalls dann, wenn man systematisch nach Stärken und Schwächen im eigenen Unternehmen sucht und Befragungen als Werkzeug zur Prozesssteuerung und Optimierung einsetzt.
70
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Check
Do
Plan
Durchführung
4
Phase 1 Vorbereitung
Phase 2 Erhebung
Phase 4 Auswertung
Phase 3 Erfassung
Kontrollbefragung
Phase 5 Ergebnisverwertung
Intervention
Act
. Abb. 4.17 Verschiedene Phasen eines Befragungssystems
> Neben der Qualität des eingesetzten Befragungssystems sind Organisation und Durchführung des Befragungsprozesses von entscheidender Bedeutung (. Abb. 4.17).
»Handwerkliche Fehler« beim Handling der Fragebögen, z. B. Ausgabe der Bögen zu ungünstigen Zeitpunkten (direkt nach Diagnosemitteilung) oder Auslage an bestimmten Orten (direkt neben dem »Raucherort«), führen zu verfälschten Ergebnissen. Die Implementierung eines geeigneten Befragungssystems muss daher sehr gut durchdacht werden. Ein weiterer Aspekt darf bei einer Befragung nicht unterschlagen werden. Bei einer Ergebung der »Zufriedenheit« werden auch unerwünschte Ergebnisse zutage kommen. Also wird es Rückmeldungen im Sinne von Beschwerden geben. Je nach Befragung liegen persönliche Daten der entsprechenden Person vor und somit können auch die Umstände der Beschwerde recherchiert werden. In Fällen, in denen keine persönlichen Daten vorliegen, wird die Recherche schwieriger werden. Über die Kennzeichnung von Fragebögen könnte, z. B. eine örtliche Eingrenzung möglich sein, die dann die Recherche erleichtert. Insgesamt ist also eine enge Verbindung zum »Beschwerdemanagement« nötig und sinnvoll,
um die Verbesserungspotenziale zu nutzen. Selbstverständlich kann es auch Rückmeldungen geben, die ohne Beschwerdehintergrund auf Verbesserungsmöglichkeiten hindeuten. Auch für diese Art von Rückmeldungen muss es eine Methode geben, wie diese Verbesserungspotenziale genutzt werden können. Musterprozess für die Ermittlung der Patientenzufriedenheit ist in . Abb. 4.18 wiedergegeben.
4.6
Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung
Der Unterschied zwischen Fehlermanagement und Verbesserungsmanagement ist in vielen Krankenhäusern nicht definiert und kommuniziert. Diese Unschärfe macht die Implementierung von geeigneten Verfahren schwierig. Folgendes Szenario soll die Problematik darstellen: Jemand stürzt von Fahrrad und blutet am Knie → 4 Die Versorgung der Blutung mit dem Ziel weiter mit dem Fahrrad zu fahren, wäre Fehlermanagement (Symptome behandeln)!
71 4.6 • Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung
Ermittlung der Patientenzufriedenheit
Verantwortung
Bemerkungen
1 Befragungsmanagement (BM) 2 Station
maschinenlesbar
4
Start
1 Fragebogen für Prostatapatienten entwickeln, Barcode für Patientengruppe festlegen/ bereitstellen
Fragebogen
2 Fragebogen während des stationären Aufenthalt ausgeben
3 Patient
Bei Patientenaufnahme Abgabe bei Entlassung. Briefkasten auf der Station
3 Fragebogen bearbeiten und in Umschlag in Briefkasten abgeben
4 Station
täglich
4 Fragebögen täglich per Rohpost an das zentrale Befragungsmanagement leiten
5 Erstbewertung der Rückmeldungen
6 Kritische Rückmeldung?
ja
7 Sofortreaktion mit der Klinikleitung festlegen und durchführen
nein
5 Befragungsmanagement (BM) 6 Befragungsmanagement (BM) 7 Befragungsmanagement (BM) und Klinikleitung 8 Befragungsmanagement (BM) 9 Befragungsmanagement (BM) 10 Koordinator
täglich täglich
11 Teilnehmer Jour-Fix
8 Fragebögen alle 3 Monate statistisch auswerten
12 Teilnehmer Jour-Fix 13 Teilnehmer Jour-Fix
9 Report an Klinikleitung
10 Bewertung der Ergebnisse im Jour-Fix
ja
Report Patientenzufriedenheit
Jour-Fix
11 i.O.? nein 12 Interpretation der Ergebnisse im Jour-Fix
Protokoll Jour-Fix
13 Aktionen festlegen
15 Umsetzung der Maßnahmen verfolgen
QM-Bewertung
. Abb. 4.18 Ermittlung der Patientenzufriedenheit
14 Aktionen umsetzen
14 Aufgabenverantwortlicher 15 Koordinator
In Abstimmung mit Koordinator Berichterstattung über Ergebnisse im JourFix
72
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Symptome Fehlerauswirkungen Resultat: Fehlerbehebung
4
Fehlermanagement
Fehler an Produkten
Fehler an der Dienstleistung
Symptome Fehlerauswirkungen Resultat: Fehlerbehebung
Verbesserungsmanagement Verbesserungspotentiale Resultat: Produktivitätssteigerung
Mögliche Ursachen zur Fehlerentstehung
Ideen »Ständige« Verbesserung
Korrekturmanagement
Ursachen zur Fehlerentstehung
Risk-Management Vorbeugung
Resultat: Risikominimierung
Resultat: Fehlervermeidung
. Abb. 4.19 Modell zum Fehler- und Verbesserungsmanagement. Nach EVO Consult AG
4 Die Ursache des Sturzes zu beheben, mit dem Ziel der Vermeidung eines erneuten Sturzes der gleichen oder einer anderen Person, ist Verbesserungsmanagement (Ursachen behandeln)! Ein Modell zum Fehler- und Verbesserungsmanagement zeigt . Abb. 4.19. Erklärungen und Instrumente für das Fehlerund Verbesserungsmanagement (. Tab. 4.8). Es ist nicht einfach, einen Prozess zu entwickeln, der die o. g. diversen Ansatzpunkte in einem Schema bzw. einer Systematik zusammenführt. Die verschiedenen Fragestellungen benötigen meist unterschiedliche Antworten in Form von Einzelprozessen, die den Bedingungen angepasst sind. Wenn man das gesamte Feld des Fehler- und Verbesserungsmanagements betrachtet, können durchaus 10–15 Einzelprozesse erforderlich sein. Es gibt inzwischen Möglichkeiten, mit elektronischen Workflowsystemen ein Modell für das Fehler- und Verbesserungsmanagement zu implementieren, das umfassende Anwendungs-
möglichkeiten hat. Ausgehend von CIRS-Meldeverfahren wurden entsprechend erweiterte Systeme entwickelt, die alle Arten von Fehlern/Beschwerden erfassen können. Durch die Bearbeitungssystematik in diesen Systemen wird über Wiedervorlagemethoden sichergestellt, dass angestoßene Vorgänge auch zu Ende gebracht werden. Oft sind sogar Wirksamkeitskontrollen bereits in die Systematik integriert. Über entsprechend gestaltete Formulare kann auch eine Zusammenführung verschiedener Prozesse erfolgen. Siehe dazu folgendes Muster (. Abb. 4.20): Bei genauer Betrachtung und Analyse der Gründe, weshalb in vielen Einrichtungen das »Verbesserungsmanagement« nicht den Nutzen bringt, der anscheinend bei einem funktionierenden System möglich ist, lässt sich Folgendes feststellen: 4 Der Wille und die Fähigkeit erkannte Potenziale zu nutzen, ist vorhanden. 4 Ein Konzept oder Methoden, die vorhandenen Potenziale zu erkennen und nutzbar zu machen fehlt!
73 4.6 • Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung
4
. Tab. 4.8 Erklärungen und Instrumente für das Fehler- und Verbesserungsmanagement Man kümmert sich um
Ziel
Beispiel/Hinweise
Instrumente im QM-System (Beispiele)
Fehlermanagement
Symptome (Fehlerauswirkungen)
Fehlerbehebung
Fehler an Produkten (Medikamente, Instrumente, Verbrauchsmaterial u. Ä.) – zu wenig – beschädigt – falsch – nicht geliefert Fehler an Dienstleistung (Therapie, Service) – Beschwerden – Infektion – Komplikation – Behandlungsfehler
– Reklamationswesen im Einkauf – Beschwerdemanagement – Sturzmanagement Forum zur Bearbeitung: – Arztbesprechung – Stationsbesprechung
Korrekturmanagement
Ursachen zur Fehlerentstehung
Fehlervermeidung
Stichworte: – Keinen Fehler zweimal machen – Ursachen bekämpfen – Aus Fehlern lernen Beispiele: – Änderung des Hygieneverhaltens nach aufgetretenen Infektionen – Sturzmanagement – Änderung der Bodenbeschaffenheit oder anderer Auslöser
– Patientenzufriedenheitsermittlung – Komplikations- und Infektionsstatistik – Benchmarking – Finanzcontrolling Forum zur Bearbeitung: – Audit – Qualitätszirkel – QM-Bewertung
Risk-Management/ Vorbeugung
Mögliche Ursachen zur Fehlerentstehung
Risikominimierung
Stichwort: – Fehler nicht entstehen lassen Beispiele: – Markierung der zu operierenden Extremität mit Farbe, um Verwechslungen zu vermeiden – Wechsel der OP-Kleidung beim Ein- und Ausschleusen
– Erfassung von »BeinaheZwischenfällen« (CIRS) Forum zur Bearbeitung: – Hygienekommission – Qualitätszirkel
Ständige Verbesserung
Verbesserungspotenziale
Produktivitätssteigerung
Stichworte: – Ideen zur Verbesserung entwickeln – Potenziale nutzen Beispiele: – Clipmarkierung nach Stanze, um bessere Lokalisierung im Verlauf zu ermöglichen – Auf offene Tropfenflaschen nicht das Öffnungsdatum, sondern den Verwerfungszeitpunkt notieren
– Betriebliches Vorschlagwesen – Ideenwettbewerb Forum zur Bearbeitung: – Qualitätsteam
Datum/Name (falls nicht anonym)
Seite 1 von 2
. Abb. 4.20 Formulare für die Zusammenführung verschiedener Prozesse
Korrektur und Verbesserung Version. 1.0
Sie erhalten auf Wunsch innerhalb von 4 Wochen Rückmeldung.
Beschwerde an die Beschwerdestelle geleitet
Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Darstellung?:
kann umgesetzt werden
Korrektur und Verbesserung Version. 1.0
Mitarbeiter wurde über Vorgehen informiert am und vom wem:
Procedere (Umsetzung, Belohnug etc.):
kann nicht umgesetzt werden
Seite 2 von 2
evtl. Umsetzung später
Folgende Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen wurden eingeleitet (wer?, was?, wo wird weiter verfolgt?):
Bei Verbesserungsvorschlägen:
Bei Fehlern/Fast-Fehlern:
Kontaktaufnahme nicht erwünscht
Datum
Datum
Datum
Das Problem wurde folgendermaßen gelöst (Lösung, Korrespondenz, Kontakte etc.)
Bei Beschwerden:
Die Fehlermeldung/der Verbesserungsvorschlag wurde an die zuständige Stelle weitergeleitet
Die Beschwerde/das Lob wurde an den zuständigen Fachvorgesetzten Weitergeleitet
Name:
Vom Mitarbeiter auszufüllen
Äußerung durch:
Entgegengenommen
Schriftliche/mündliche Eingangsbetätigung an Mitarbeiter erfolgt
Eingang des Formulars
Kurze schriftliche Darstellung des Lobs, der Beschwerde, des (Fast-)Fehlers, des Verbesserungsvorschlages:
2. Inhalt
Kontaktaufnahme erwünscht
Mitteilung anonym
einen Verbesserungsvorschlag
Name, Kontaktdaten
Mitarbeiter:
Datum:
Wer hat sich geäußert/macht die Meldung?
einen Fehler/Fast-Fehler
Vom Mitarbeiter auszufüllen Es handelt sich um: ein Lob eine Beschwerde
3. Bearbeitung - Problemlösung Von QM-Mitarbeiter auszufüllen
4
1. Personalien
Formular zu Dokumentation von Lob, Beschwerden, Fehlern und Verbesserungsvorschlägen
Kopfzeile
74 Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
75 4.6 • Fehlermanagement und kontinuierliche Verbesserung
> Verbesserung muss organisiert werden – Verbesserung ist kein Selbstläufer!
Bei Implementierung eines wirksamen Verbesserungssystems muss also darauf geachtet werden, dass genügend »Spürhunde« im System vorhanden sind, die aufmerksam vorhandene Chancen erkennen. Wer oder was kann die Funktion des »Spürhundes« übernehmen 5 Patienten bei der Zufriedenheitsermittlung 5 Patienten im Beschwerdefall 5 Ambulanz für Wartezeitenerhebungen 5 Hygienebeauftragter für Komplikationen 5 Extern erfasste Behandlungsergebnisse 5 Medizincontrolling für Revisionseingriffszahlen 5 Einkauf für Verbrauchszahlen 5 Mitarbeiter in allen Bereichen 5 …
Sobald Potenziale erkannt worden sind, müssen die aufmerksamen »Spürhunde« ein Forum (Qualitätszirkel etc.) finden, in dem systematisch das Potenzial realisiert wird. Bei der Realisierung des Potenzials sind folgende Kriterien zu beachten: 4 Der Ausgangszustand muss bekannt sein. 4 Der Grad an Verbesserung muss darstellbar sein – Messbarkeit! 4 Verbesserung ist keine Individualaufgabe – Verbesserungen finden meist in interdisziplinärer Teamarbeit statt. 4 Der verbesserte Zustand muss gemessen werden – Erfolgsdarstellung. 4 Ständiges Monitoring und Führung ist erforderlich (Cockpit, Controlling). Das unerwünschte Szenario (. Abb. 4.21):
4
76
Kapitel 4 • Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus
Verhalten im Notfall JA
NEIN
Lebt der Patient noch?
JA
Hast Du daran rumgespielt?
NEIN
Fummel bloß nicht daran rum
Du Rindvieh!
NEIN
JA
Hat es jemand bemerkt
JA Du armes Schwein!
Wird man Dich verantwortlich machen können?
Kannst Du jemand die Schuld zuschieben?
Kümmer Dich nicht drum!
NEIN
Pfeiffe unauffällig »La Paloma« und verschwinde schnellstens
N E IN
4
JA
Alles klar ! Anonymus vor 2007 . Abb. 4.21 Verhalten im Notfall. Anonymus vor 2007
77
Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten Walter Baumann und H. Tilman Steinmetz
5.1
Qualitätsmanagement – ein Steuerungsansatz in der Entwicklung – 78
5.2
Die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses – 81
5.3
Die Ausgangssituation onkologischer Praxen – 82
5.4
Qualitätsgrundlagen onkologischer Schwerpunktpraxen – 84
5.5
Ausrichtung an fachlichen Standards und Leitlinien – 87
5.6
Patientenorientierung und Patientensicherheit – 89
5.7
Strukturierung von Behandlungsabläufen – 92
5.8
Regelung von Verantwortlichkeiten und Mitarbeiterorientierung – 93
5.9
Praxismanagement – 95
5.10
Gestaltung von Kommunikationsprozessen – 96
5.11
Versorgungsmanagement – 99
5.12
Qualitätsmanagementsystem – 101 Literatur – 105
5
5
78
Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
5.1
Qualitätsmanagement – ein Steuerungsansatz in der Entwicklung
Die Frage, ob niedergelassene Onkologen in ihren Praxen ein systematisches Qualitätsmanagement einführen oder nicht, stellt sich spätestens seit dem 01.01.2004 nicht mehr: Seit diesem Zeitpunkt verpflichtet das Sozialgesetzbuch (SGB V) in seinem § 135a alle Vertragsärzte, medizinische Versorgungszentren u. a., einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement (QM) einzuführen und weiterzuentwickeln. Da niedergelassene Vertragsärzte im Allgemeinen und onkologische Schwerpunktpraxen im Besonderen an die Versorgung von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung gebunden sind, führt an der Beachtung dieser Vorschrift kein Weg vorbei. Konnte man in den folgenden zwei Jahren noch darüber diskutieren, was denn darunter zu verstehen sei, so hat der gemeinsame Bundesausschuss mit seiner ab dem 01.01.2006 gültigen Qualitätssicherungsrichtlinie wesentliche Elemente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements einer Arztpraxis benannt und darüber hinaus einen Zeitplan vorgegeben, der in einem gestuften Verfahren die Einführung der einzelnen Elemente in den deutschen Arztpraxen vorsieht. Diese Richtlinie zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement steht dabei in enger Verbindung zu einem breiten Spektrum von Maßnahmen und Vorgaben unter dem Oberbegriff der Qualitätssicherung, die gesetzliche und untergesetzliche Normgeber, insbesondere die »gemeinsame Selbstverwaltung« von Leistungsanbietern und Krankenkassen, in den letzten Jahren entwickelt haben. Während die Normsetzungen des deutschen Sozialrechts Qualitätssicherung als Oberbegriff verstehen, wird in der Fachliteratur Qualitätsmanagement als der breitere Rahmen angesehen. »Während Qualitätssicherung auf die einzelne Leistung ausgerichtet ist und dort durch Definition eines Qualitätsniveaus die »Einhaltung« von
Qualitätsanforderungen überprüft werden, stellt Qualitätsmanagement die Summe der qualitätsrelevanten Zielsetzungen und Maßnahmen zu ihrer Verbesserung dar« [12]. Der Weg ist letztlich das Ziel von Qualitätsmanagement, es geht um die Etablierung von kontinuierlichen Selbstbeobachtungs- und Veränderungsprozessen in einer medizinischen Einrichtung im Rahmen des PDCA-Zyklus (»Plan-Do-Check-Act«), der in allen einschlägigen QM-Konzepten seinen Niederschlag gefunden hat. So verstanden ist Qualitätsmanagement immer auch Bestandteil der Organisationsentwicklung einer Einrichtung und baut auf modernen sozial- und betriebswirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen auf [8]. Merkmale von Qualitätsmanagement 5 Qualitätsmanagement findet immer in einem spezifischen sozialen und kulturellen Milieu einer Organisation statt, d. h. in diesem Fall in einer ärztlichen Praxis, und baut darauf auf 5 Qualitätsmanagement soll dabei nicht davon absehen, dass eine Organisation im Regelfall in einem wettbewerblichen Umfeld steht 5 Qualitätsmanagement ist ein Kommunikationsprozess, der nicht nur in einer Organisation intern geführt wird, sonder auch darüber hinaus wirkt und wirken soll 5 Qualitätsmanagement ist integraler Bestandteil der Führung und Steuerung einer wirtschaftlichen Einheit und insofern immer von geschäftspolitischer Bedeutung 5 Qualitätsmanagement ist folglich Teil des Managements einer Einrichtung und wird nur mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg zu etablieren sein, wenn die für die Führung Verantwortlichen Qualitätsmanagement in die strategischen Ziele und Maßnahmen einbeziehen
79 5.1 • Qualitätsmanagement – ein Steuerungsansatz in der Entwicklung
5 Qualitätsmanagement ist in diesem Verständnis in einer Arztpraxis wie in einer anderen Organisation dazu geeignet, deren besondere Stärken und Profilmerkmale hervorzuheben und zu gestalten 5 Wohlverstandenes Qualitätsmanagement ist trotz aller Standards und Regeln, mit denen es operiert, ein Suchprozess für individuelle Lösungen und keineswegs nur Vereinheitlichung und Angleichung
Arztpraxen sind in der Regel kleinere organisatorische Einheiten, die auf der selbstständigen bzw. freiberuflichen Tätigkeit der Inhaber basieren. Die jüngsten rechtlichen Weichenstellungen – z. B. durch das Vertragsarztrecht-Änderungsgesetz – haben hier allerdings neue Perspektiven eröffnet, von denen heute noch nicht absehbar ist, wie nachhaltig sie das Bild von der ambulanten ärztlichen Praxis auf Dauer verändern werden. Unabhängig davon ist für die ambulanten onkologischen Praxen allerdings längst festzuhalten, dass ihre Größenstrukturen hier gegenüber dem Durchschnitt aller ärztlichen Praxen deutlich nach oben abweichen [9]. Selbst in onkologischen Einzelpraxen tragen zahlreiche nichtärztliche Fachkräfte dazu bei, dass diese betrieblichen Einheiten größere Komplexität entwickeln, die nach einer zielgerichtet gestalteten Aufbau- und Ablauf-Organisation verlangen. Dem, mehr oder weniger, alleinverantwortlich tätigen Arzt wurde schon immer, berechtigt oder nicht, ein höherer Bedarf an gesundheitspolitischer Qualitätsüberwachung unterstellt als den im stationären Rahmen eingebundenen Kliniker. Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung ist daher nichts Neues, vielmehr gibt es nicht erst seit dem vergangenen Jahrhundert eine lange Tradition der öffentlichen Regulierung ärztlicher Tätigkeit. Öffentliche Vorschriften zur Qualifikation, Zulassung, Berufsausübung usw.
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von Ärzten gelten überall auf der Welt und haben in Deutschland ein dichtes Regelungswerk für den niedergelassenen Arzt hinterlassen. Längst haben auch die Konzepte für das medizinische Qualitätsmanagement den nationalen Rahmen überschritten. Das Neue ist die Verschiebung der Perspektive: richteten sich die älteren – und damit keineswegs überholten oder gar ad acta gelegten – Maßnahmen in erster Linie auf die Strukturqualität ärztlichen Handelns, so verlagern die jüngeren Konzepte den Blickwinkel in besonderem Maße auf die Prozessqualität. Wesentliches Element moderner QM-Systeme ist die regelhafte Beobachtung und Dokumentation der medizinischen Arbeits- und Versorgungsprozesse selbst in Verbindung mit dem Nachweis, dass diese Prozesse den gesetzten Qualitätsanforderungen Genüge tun. Die in den älteren Konzepten unterstellte Erwartung, dass eine definierte Strukturqualität von sich aus zu den erwünschten Effekten aufseiten der Prozesse und Ergebnisse der Behandlung führe, gilt nicht mehr als ausreichend. Der Arzt bzw. die Praxis hat den Nachweis zu führen, dass der Prozess selber qualitativ hochwertig vollzogen worden ist unabhängig davon, wie gut z. B. die Qualifikation der Prozessverantwortlichen zu bewerten ist. – (Die Ursachen dieser Verschiebung bedürften einer genaueren Analyse, die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. Zweifellos haben sie sehr viel mit den technischen und sozialen Veränderungen der ärztlichen Berufsausübung zu tun, die sich u. a. an dem soziologisch als »Deprofessionalisierung« zu kennzeichnenden Wandel des ärztlichen Berufsstandes absehen lassen.) Diese Beschreibung deutet schon an, dass der Wandel der QM-Konzepte weitergeht. Natürlich richten sich viele aktuelle Erwartungen und Absichten längerfristig darauf, die Ergebnisse medizinischen Versorgens unmittelbar in das Monitoring und die Steuerung von Qualität einzubeziehen, allein Definition und Messung stellen hier bislang noch erhebliche Herausforderun-
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
gen. Es bleibt vorerst dabei: Qualitätsmanagement führt nicht per se zu einer hochwertigen Medizin, und man wird noch eine ganze Weile damit leben müssen, dass viele Dokumente und Zahlen, die in diesem Rahmen von Praxen und Qualitätsverantwortlichen vorgelegt werden, nur die Vermutung nähren können, dass auch bei den betroffenen Patienten am Ende der Kette eine gute Qualität angekommen ist, allein an echten Belegen und Nachweisen wird es weiterhin oftmals mangeln. Die wesentliche Botschaft von modernen QM-Konzepten besteht in Folgendem: > Kein Arzt und keine Praxis sollte sich darauf verlassen, dass gute Qualität quasi naturwüchsig aus den Rahmenbedingungen der Tätigkeit heraus entsteht. Gute Qualität verlangt stetige Anstrengung und Vergewisserung. Insofern besteht der wesentliche Ansatz von Qualitätsmanagement eben genau darin, das Thema Qualität zum regelhaften Gegenstand ärztlicher Tätigkeit zu machen.
Die neue und vorerst nicht belegte, aber gleichwohl handlungsleitende Unterstellung ist die, dass ärztliche Versorgungsprozesse, bei denen die ärztliche Selbstbeobachtung im Hinblick auf Qualität mitgeführt wird, im Regelfall bessere Versorgungsqualität am Ende entstehen lassen. Daher konzentrieren sich viele im Rahmen von Qualitätsmanagement geforderte Belege genau auf Nachweise einer systematischen Selbstbeobachtung. Gute QM-Konzepte übergehen daher nicht die profunde Skepsis, die immer wieder auch diese Konzepte selbst danach befragt, ob sie denn bewirken, was sie beanspruchen. Die Evidenzorientierung, die Qualitätsmanagement heute von den medizinischen Akteuren als oberste Richtschnur fordert, muss auch gegenüber Qualitätsmanagement selbst gelten. Leider ist es mit dieser Evidenz vorerst nicht zum Besten bestellt.
Es ist ein Verdienst der jüngeren Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, dass er genau diese Differenz einbezogen hat. Es gibt gute Gründe, von ärztlichen Praxen ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement zu verlangen. Belege, dass damit systematisch die Versorgungsqualität gesteigert werden kann, stehen aus. Vielfältige Erfahrungsberichte, auch Evaluationen einzelner Umsetzungen, lassen die Vermutung zu, dass Praxen mit einem richtig verstandenen Qualitätsmanagement zu einer effektiven Weiterentwicklung ihrer Versorgungsprozesse angeleitet werden können [36], [26], [29]. Die bisherigen Vorgaben stehen unter dem Vorbehalt des fehlenden Evidenzbelegs für einen qualitätsfördernden Zusammenhang zwischen verschiedenen Systemen und Instrumenten des Qualitätsmanagement und Outcome [34]. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat sich daher mit Bezug zur seiner QM-Richtlinie vom Herbst 2005 selbst zur Aufgabe gestellt, weitere Erkenntnisse über den Nutzenbeleg von QM-Systemen im Verlauf der Einführungsphase im Zeitraum bis 2010 heranzuholen und dann erneut darüber zu beraten. Bei der Wirksamkeitsbestimmung von QM-Systemen in Arztpraxen und der Klärung der Frage, ob und welchen Qualitätsgewinn die Versorgung dadurch erhält, geht es um eine Evaluation einer sehr komplexen Intervention, die hohen Ansprüchen genügen muss. Der Gemeinsame Bundesausschuss will die hierfür erforderlichen Informationen aus dem Stand der Einführung und Weiterentwicklung sowie aus einer Analyse der bis dahin publizierten Literatur entnehmen. Dabei sollen qualitativ hochwertige Untersuchungen zum Nutzen des Qualitätsmanagements bevorzugt berücksichtigt werden; tragende Gründe für die QM-Richtlinie [16]. In jedem Fall aber wird die breite Einführung von QM-Systemen in Arztpraxen eine gebührende Außendarstellung der bereits jetzt hohen Qualität in der ambulanten Medizin erlauben. Wie bereits die Begriffe Qualitätssicherung und
81 5.2 • Die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses
Qualitätsmanagement implizieren, setzen alle diese Systeme eine bereits bestehende Qualität voraus, die dann durch regelmäßige Selbstkontrolle und Verbesserung der Abläufe kontinuierlich an die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen ist. Die zukünftige Entwicklung, nicht zuletzt der rechtlichen Vorgaben, wird voraussichtlich einen besonderen Akzent auf ein stärker indikatorengestütztes Qualitätsmonitoring legen, das genauere Möglichkeiten zum Vergleich der Leistungsfähigkeit von verschiedenen Leistungsanbietern auch sektorübergreifend schaffen wird. Man darf sehr gespannt sein, ob die Politik, die jetzt die Qualitätssicherung einfordert, dann auch ihr Versprechen einer adäquaten Honorierung von qualitätsgesicherter Medizin einhält.
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– Strukturierung von Behandlungsabläufen 5 Im Bereich von Praxisführung/Mitarbeiter/Organisation: – Regelung von Verantwortlichkeiten – Mitarbeiterorientierung (Arbeitsschutz, Bildung) – Praxismanagement (z. B. Terminplanung) – Gestaltung von Kommunikationsprozessen – Versorgungsmanagement
Neben den Grundelementen sieht die Richtlinie auch verpflichtende Instrumente vor, die in einem praxisinternen Qualitätsmanagement, und damit auch in onkologischen Praxen, mindestens zur Anwendung kommen sollen:
Die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses definiert Grundelemente und Instrumente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements im Sinne grundsätzlicher Anforderungen. Die Anforderungen sind in Hinblick auf bestehende QM-Systeme offen und sehen individuelle Gestaltungsmöglichkeiten vor, die den jeweiligen praxisspezifischen Erfordernissen Rechnung tragen. Die QM-Richtlinie definiert daher zunächst Grundelemente, die von jedem einrichtungsinternen Qualitätsmanagement eingelöst werden müssen (§ 3 der Richtlinie vom 18.10.2005). Grundelemente der QM-Richtlinie, geltend für folgende Zielbereiche 5 Im Bereich der Patientenversorgung: – Ausrichtung an fachlichen Standards und Leitlinien – Patientenorientierung, -sicherheit, -mitwirkung
Verpflichtende Instrumente im praxisinternen Qualitätsmanagement 5 Zielfestlegung und -umsetzung im PDCA-Zyklus 5 Regelmäßige Teambesprechungen 5 Prozess- und Ablaufbeschreibungen, Anleitungen 5 Patientenbefragungen 5 Beschwerdemanagement 5 Organigramm, Checklisten 5 Fehlermanagement 5 Notfallmanagement 5 Dokumentation der Behandlungsverläufe und der Beratung 5 Dokumentation des QM-Prozesses
Mit diesen Vorgaben hat der Gemeinsame Bundesausschuss einen klaren Rahmen für das einrichtungsinterne Qualitätsmanagement in Arztpraxen vorgegeben. Die Richtlinie greift die verbreiteten Bestandteile und Verfahrensweisen von etablierten QM-Systemen auf, verhält sich gegenüber diesen Systemen sonst aber, und zu-
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
mindest vorläufig, neutral. Für die Einführung des Qualitätsmanagement in den Praxen sieht die Richtlinie einen abgestuften Zeitplan vor, der von den Praxen ab sofort konkrete Schritte verlangt. In den Jahren 2006–2007 sah die Richtlinie eine »Planungsphase« in den Arztpraxen vor, in der mindestens folgende Maßnahmen zur QMPlanung vorgenommen werden mussten: 4 schriftliche Selbstbewertung, 4 Festlegung konkreter Ziele für den Aufbau eines Qualitätsmanagement, 4 Benennung eines ärztlichen QM-Beauftragten, 4 Benennung eines nichtärztlichen QM-Beauftragten, 4 Wahrnehmung von Fortbildungsangeboten. Die zweite Phase von 2008–2009 beinhaltete die »Umsetzung«. Dabei waren alle(!) o. g. Grundelemente einzuführen und alle Instrumente zu benutzen. Die dritte Phase im Jahr 2010 gilt der »Überprüfung«, die insbesondere in einer Selbstbewertung der Praxis besteht. Die QM-Zielerreichung kann z. B. anhand von Indikatoren, durch Patientenbefragungen oder dokumentierte Fehler und Beschwerden gemessen werden. Nach 2010 beginnt die Phase der »fortlaufenden Weiterentwicklung«, die jährliche Selbstbewertungen der Praxen verlangt und auch die Nachweispflicht gegenüber den QM-Kommissionen der Kassenärztlichen Vereinigungen mit sich bringt. Die vorliegenden Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses nehmen einerseits bewährte Bestandteile von QM-Systemen auf, andererseits wirkt der jetzt definierte Rahmen auf diese QM-Systeme in entscheidender Weise zurück. Unabhängig davon, welchen Wert die einschlägigen QM-Systeme und Zertifizierung für das Qualitätsmanagement in einer Praxis haben, werden zukünftig nur die Systeme eine Chance auf hohe Verbreitung haben, die den Praxen bei der Umsetzung der vom Bundesausschuss definierten Anforderungen wirkliche Hilfestel-
lungen bieten. Es ist davon auszugehen, dass sich der Markt für professionelle QM-Systeme und entsprechende Beratungsangebote auf der Grundlage dieses Rahmens erheblich verengen und auf wenige, sehr vergleichbare Angebote begrenzen wird. Für onkologische Praxen wie für andere auch stellt sich die Frage, ob und ggf. welche QM-Systeme für die Einführung von Qualitätsmanagement erforderlich bzw. geeignet sind. Der hohe Konkretisierungsgrad der Ausführungen des Gemeinsamen Bundesausschusses kann selbst bereits als ein nützlicher und ggf. sogar ausreichender Leitfaden für die Einführung von Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung angesehen werden. Auf dem gegenwärtigen Stand der fachlichen Diskussion und der Bewertung des Nutzens von formalisierten QM-Systemen kann es daher eine durchaus vertretbare Entscheidung einer Praxis sein, auf ein derartiges Standardmodell für das Qualitätsmanagement ganz zu verzichten und anhand der bestehenden Vorgaben und Orientierungshilfen den Aufbau eines praxisinternen Qualitätsmanagements ausschließlich mit »Bordmitteln« und eigenen systematischen Überlegungen voranzubringen (7 Arbeitshilfen auf [20]). Die bisherige Entwicklung in onkologischen Praxen lässt jedoch darauf schließen, dass Praxisinhaber in vielen Fällen auf die bestehenden Modellkonzepte vertrauen (7 unten).
5.3
Die Ausgangssituation onkologischer Praxen
Gegenüber anderen vertragsärztlichen Versorgungsbereichen können Hämatologie und Onkologie auf eine Reihe von Voraussetzungen verweisen, die die Etablierung dieses spezialisierten Versorgungsbereiches von vornherein unter die Vorzeichen von Qualitätssicherung und Qualitätssteuerung gestellt haben:
83 5.3 • Die Ausgangssituation onkologischer Praxen
4 Die Lebensbedrohlichkeit der Situation, in der sich die onkologischen Patienten befinden, erfordert allein schon Arbeitsprozesse, die sehr präzise und auf hohem fachlichem Niveau ablaufen müssen [3]. 4 Der Umgang mit toxischen Substanzen bringt vielfältige biochemisch und technisch genau zu strukturierende Prozesse mit sich, die nicht nur im Hinblick auf ihren angemessenen Verlauf beim Patienten, sondern auch im Hinblick auf Arbeits- und Umweltschutz besondere Aufmerksamkeit verlangen. 4 Die systemische Tumortherapie beinhaltet neben Bereichen des komplexen therapeutischen Entscheidens und Abwägens eine ganze Reihe einfach zu standardisierender Abläufe und Arbeitsregeln. 4 Die ambulante Hämatologie und Onkologie hat sich von vornherein als ein sektorübergreifendes Versorgungskonzept etabliert, das nur dann funktioniert, wenn die Schnittstellen im Behandlungsprozess genau definiert und die Vernetzung interdisziplinärer Strukturen für die Beteiligten transparent und nachvollziehbar gestaltet werden. Erst die medikamentöse Tumortherapie hat mit einem erweiterten Spektrum von Zytostatika seit den 1960er Jahren die Grundlage für die erfolgreiche systemische Therapie solider Tumoren und hämatologischer Malignome geschaffen [35]. Damit wuchs nicht nur die Erkenntnis, dass die Krebserkrankung in aller Regel eine Systemerkrankung ist und Patienten eine »ganzheitliche« Behandlung benötigen. Vielmehr entwickelten sich auch eigenständige internistischonkologische Behandlungsansätze, die in enger Kooperation insbesondere mit den strahlentherapeutisch oder chirurgisch tätigen Fachgebieten insgesamt die Behandlungsmöglichkeiten onkologischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert haben. Wurde die systemische Onkologie anfänglich primär mit
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ihren adjuvanten und supportiven Maßnahmen als eine Verlängerung und Ergänzung anderer therapeutischer Ansätze und Fachgebiete angesehen, so haben sich hier die Akzente in den vergangenen Jahren bereits erheblich verschoben. Die internistische Onkologie ist bei vielen Tumorentitäten und onkologischen Krankheitszuständen in maßgeblicher Weise an der Durchführung und ggf. auch Steuerung der Gesamtversorgung beteiligt. Die zunehmende Verträglichkeit der modernden Zytostatika hat parallel dazu eine Verlagerung wichtiger Therapiemaßnahmen aus dem Krankenhaus in das ambulante Setting ermöglicht. Viele Patienten können heute über weite Strecken des Behandlungsprozesses sehr effektiv ambulant versorgt werden. Die ambulante systemische Tumortherapie erwies sich dabei nicht nur als kostengünstiger, sie liegt auch eindeutig im persönlichen Interesse der nicht nur körperlich hoch belasteten onkologischen Patienten. Die internistische Onkologie ist daher eines der ersten Fachgebiete, die neben der versorgungspolitischen Dimension schon lange auch fachlich-therapeutische Fortentwicklung in den ambulanten Sektor getragen haben. Klinische Fortentwicklung therapeutischer Ansätze ist daher in ungleich stärkerem Maße als auf anderen Gebieten integrierter Bestandteil der ambulanten Versorgung und der Etablierung in diesem Versorgungssektor. Es ist dabei nicht zu übersehen, dass gerade der systemische Ansatz, wenn er wirklich als eine umfassende Versorgung des ganzen Patienten unter Einschluss seines teilweise mitbetroffenen sozialen Umfeldes verstanden wird, in dieser Hinsicht im ambulanten Setting seine spezifischen Behandlungsbedingungen findet und auch nur dort angemessen entwickelt werden kann. In Deutschland existieren heute nach den Schätzungen des Berufsverbandes der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e. V. etwa 400 onkologische Schwerpunktpraxen, in denen rund 600 Ärzte
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
im Schwerpunkt der Hämatologie und Onkologie tätig sind [22]. Da der weit überwiegende Teil dieser Berufsgruppe in diesem Berufsverband organisiert ist, liegen zuverlässige Daten über diese Praxen vor. Die Berufsgruppe kann mit einigem Recht darauf verweisen, dass hier seit vielen Jahren zahlreiche Initiativen und Anstrengungen für die Qualitätssicherung entstanden sind und die Akzeptanz und das Verständnis für eine systematische Qualitätspolitik hoch entwickelt sind. Nach den WINO-Erhebungen haben (2008) bereits mehr als 60% aller Praxen ein Qualitätsmanagement eingeführt, 30% aller Praxen können sogar auf ein einschlägig zertifiziertes QM-System in der Praxis verweisen [9]. Andere ärztliche Fachgruppen stehen da noch zurück [29].
5.4
Qualitätsgrundlagen onkologischer Schwerpunktpraxen
Die Versorgungsleistungen onkologischer Praxen sind heute eingebettet in ein breites Spektrum von strukturellen Anforderungen, die diese Praxen zu erfüllen haben. Diese Anforderungen resultieren aus 4 zwingenden allgemein-rechtlichen Vorschriften und Vorgaben, 4 Verträge und Vereinbarungen der Partner der Selbstverwaltung, 4 berufs- und fachgruppenpolitischen Selbstverpflichtungen. Qualitätsmanagement in einer onkologischen Praxis übernimmt zu einem großen Teil auch die Funktion, die Einhaltung der vielfältigen Vorschriften im Routinealltag der Patientenversorgung auf Dauer sicherzustellen und den Überblick über die Anforderungen zu behalten. Natürlich darf sich Qualitätsmanagement nicht auf das (selbstverständliche) Ziel beschränken, formalrechtliche Korrektheit zu gewährleisten.
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Zwingende allgemein-rechtliche Vorschriften und Vorgaben
Hat ein Arzt die berufs- und zulassungsrechtlichen Hürden von Ärztekammern und kassenärztlichen Vereinigungen zur Versorgung von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgreich überwunden, sich mit den einschlägigen Richtlinien der gemeinsamen Selbstverwaltung vertraut gemacht und kann an der onkologischen Regelversorgung teilnehmen, so sieht er sich zunächst einer Fülle von allgemeinen Vorschriften gegenüber, die in einer onkologischen Praxis und darüber hinaus den Schutz und die Sicherheit von Patienten, Personal und Umwelt betreffen und mit denen er sich im Hinblick auf die spezifischen Gegenstände, Instrumente und Tätigkeitsfelder in der Onkologie – d. h. also insbesondere Umgang mit Zytostatika und Blutprodukten – beschäftigen muss. Nicht erwähnt sind daneben die allgemeinen Grundlagen des Arztrechts und Vorschriften, sofern sie von jedem Arbeitgeber im Hinblick auf die ordnungsgemäße Führung eines Betriebes und der Beschäftigung von Mitarbeitern zu berücksichtigen sind. Unter onkologischen Aspekten relevant sind insbesondere die folgenden Vorschriften, deren Kenntnisnahme im Rahmen des Qualitätsmanagement dokumentiert werden sollte [17]: Onkologisch relevante Gesetze und Vorschriften 5 Arzneimittelgesetz und Betäubungsmittelverordnung 5 Medizinproduktegesetz, Medizinproduktebetreiberverordnung 5 Transfusionsgesetz 5 Datenschutzgesetz und Datenübermittlungsverordnung 5 Arbeitsschutzgesetz und Arbeitsstättenverordnung
85 5.4 • Qualitätsgrundlagen onkologischer Schwerpunktpraxen
5 Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz 5 Gefahrstoffverordnung, Biostoffverordnung 5 Infektionsschutzgesetz 5 Strahlenschutzgesetz und Strahlenschutzverordnung 5 Technische Regeln für Gefahrstoffe 5 Abfallgesetz
> Hervorzuheben ist die besondere Bedeutung des Transfusionsgesetzes, das seinerseits eine Fülle von Anforderungen an die interne Qualitätssicherung, an persönliche Verantwortlichkeiten, Dokumentations- und Meldepflichten beinhaltet. z
Verträge und Vereinbarungen der Partner der Selbstverwaltung
Ein Meilenstein in der Qualitätsentwicklung der ambulanten onkologischen Versorgung stellt die sog. Onkologie-Vereinbarung zwischen den Verbänden der Ersatzkrankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aus dem Jahr 1994 dar, die in den Folgejahren durch unterschiedliche regionale, in der Konzeption aber gleichgerichtete Vereinbarungen der anderen Krankenkassen bzw. ihrer Landesverbände ergänzt wurden. Die im Jahr 2009 zwischen der KBV und dem neuen GKV-Spitzenverband geschaffene bundeseinheitliche Onkologie-Vereinbarung festigt diese Rahmenbedingungen für die ambulante onkologische Versorgung, für die sie detaillierte und anspruchsvolle Qualitätsvoraussetzungen definiert, die die onkologisch verantwortlichen Ärzte und ihre Praxen für eine Teilnahme erfüllen müssen. Diese OnkologieVereinbarung fördert die hochqualifizierte ambulante Behandlung von Krebspatienten, indem sie insbesondere pauschale Kostenerstattungen für den zusätzlichen Aufwand einer Reihe von
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Versorgungsleistungen und Maßnahmen der Struktur- und Prozessqualität vorsieht [23]. Die wesentlichen Qualitätsanforderungen der Onkologie-Vereinbarung richten sich nicht allein an internistische Onkologen, an der Vereinbarung können auch Ärzte anderer Fachgruppen teilnehmen, sofern sie die besonderen Anforderungen, einschließlich der Nachweise über die neu formulierten Betreuungszahlen, erfüllen. Qualitätsanforderungen der OnkologieVereinbarung 5 Nachweis der regelmäßigen Behandlung onkologischer Patienten mit Bezug zu definierten Patientenzahlen sowie Chemotherapiezyklen 5 Routinemäßig vorzunehmende umfassende Betreuungs- und Behandlungsleistungen für onkologische Patienten 5 Pflichten zur Koordination der Versorgung zwischen den verschiedenen Ebenen und komplementären Diensten unter Einbeziehung der Angehörigen 5 Besondere Qualifikationsanforderungen auch für das nichtärztliche Personal 5 Besondere Praxisausstattung z. B. auch für nichtgehfähige Patienten, Mindestzahl von Behandlungsplätzen, 24-stündige Erreichbarkeit 5 Bildung einer onkologischen Kooperationsgemeinschaft und regelmäßige Teilnahme an interdisziplinären Tumorkonferenzen und onkologischen Fallkonsilien 5 Umfassende Dokumentation und regelmäßige Berichtspflichten an alle beteiligten Stellen
Die Onkologie-Kommissionen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen haben die Zulassung zur Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung durchzuführen und die Einhaltung der Vorgaben zu überwachen. In der Vergangenheit stellte
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
sich die bisherige Arbeit dieser Onkologie-Kommissionen recht uneinheitlich dar, ihre Rolle und Aufgabe ist seit 2009 aber deutlich präzisiert und erweitert worden. Immerhin müssen die Onkologie-Kommissionen zukünftig pro Jahr jeweils eine Stichprobe von 8% der teilnehmenden Ärzte hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben und einer leitlinienorientierten Patientenbehandlung überprüfen. Es ist im wohlverstandenen Interesse der an der Onkologie-Vereinbarung teilnehmenden Ärzte, dass diese Kommissionen ihren Aufgaben sorgfältig nachgehen. Nachdem die Krankenkassen nur mit dem politischen Nachdruck des Gesetzgebers zur Erneuerung der Onkologie-Vereinbarung unter Fortschreibung der Ausgabenanteile zu bewegen waren, ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen deren weitere Umsetzung sorgfältig beobachten werden. Als weitere vertragliche Regelung mit festgeschriebenen Anforderungen für die Behandlungsqualität sind auch die »Disease-Management-Programme« (DMP) zu benennen. In der Onkologie beteiligen sich (nicht nur gynäkologische) Praxen an dem regional z. T. unterschiedlich vereinbarten DMP Brustkrebs. Die speziellen Anforderungen an ein DMP für Brustkrebs auf Grundlage des Fünften (V) Sozialgesetzbuches sind in den Anlagen 3, 4a und 4b der Neunten Verordnung zur Änderung der »Risikostruktur-Ausgleichsverordnung« (RSAV) vom 18. Februar 2004 geregelt. Hierbei geht es u. a. um die Einhaltung der in den Verträgen zu vereinbarenden Strukturanforderungen, der vereinbarten Kooperationsregeln und der von der RSAV vorgeschriebenen Dokumentationspflichten. Andere Qualitätssicherungsvereinbarungen, wie z. B. zur Zervix-Zytologie oder der Vakuumbiopsie der Brust, betreffen die Aufgaben onkologischer Schwerpunktpraxen nur am Rande. Hinzuweisen ist ferner noch auf die derzeit entstehende sektorübergreifende Qualitätssicherung nach § 137a SGB V, für die das AQUA-Ins-
titut im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses allerdings erst die Verfahren entwickelt. z
Berufs- und fachgruppenpolitische Selbstverpflichtungen
Mit besonderem Nachdruck hat sich der »Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen« (BNHO) in den letzten Jahren für hohe Standards in der ambulanten onkologischen Versorgung eingesetzt und dabei in Abstimmung mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften (»Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie«, DGHO; »Deutsche Krebsgesellschaft«, DKG) insbesondere auf vergleichbare Anforderungen und Bedingungen für stationäre und ambulante Versorgungsangebote in der internistischen Onkologie hingewirkt. Wesentliche Forderungen eines Grundsatzpapiers des BNHO aus dem Jahr 2001 [9] wurden im Juni 2005 in eine Stellungnahme der DGHO zu den Anforderungen an Onkologische Zentren integriert [11]. Damit wird herausgestellt, dass es ein hoch spezialisiertes Zentrum für die onkologische Behandlung der Beteiligung ambulanter und stationärer Einrichtungen bedarf und vorzugsweise aus einer Verbindung beider Sektoren hervorgeht. Für die ambulante Versorgung berücksichtigt die Stellungnahme weitgehend die Anforderungen der Onkologie-Vereinbarungen und geht mit einigen Forderungen darüber hinaus, z. B. durch Anforderungen an die Qualifikation des ärztlichen Leiters durch 4 Weiterbildungsermächtigung der Ärztekammer im Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie, 4 Absolvierung des ESMO-Zertifikats3, 4 Erfüllung der Anforderungen nach § 40 Arzneimittelgesetz zur Durchführung von Arzneimittelstudien als Prüfarzt.
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»European Society of Medical Oncology« (ESMO). Die ESMO-Prüfung ist auch Voraussetzung für die Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der DKG.
87 5.5 • Ausrichtung an fachlichen Standards und Leitlinien
Eine medizinische Einrichtung kann sich bei der DGHO als entsprechendes Zentrum akkreditieren lassen, wobei neben dem Nachweis der Einhaltung der strukturellen Anforderungen auch die Erreichung von Mindestzahlen von Patienten bzw. Behandlungen verlangt werden: 4 700 Patienten pro Jahr, 4 300 Neuerkrankungen pro Jahr, 4 5000 Systemtherapietage pro Jahr (Patienten pro Tag an Tagen pro Jahr). Der BNHO hat darüber hinaus im November 2004 das »Wissenschaftliche Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO)« gegründet, mit dem mittlerweile mehr als 385 niedergelassene Hämatologen und Onkologen aus 207 Praxen zusammenarbeiten. Diese Praxen stellen dem WINHO regelmäßig umfassende Daten über das Leistungsgeschehen und ihre Strukturen zur Verfügung, auf deren Grundlage das WINHO den jährlich veröffentlichten Qualitätsbericht der onkologischen Schwerpunktpraxen erstellt und so zur Transparenz und dem Qualitätsvergleich (Benchmarking) der Praxen untereinander beiträgt. Darüber hinaus kooperieren die Praxen mit dem WINHO bei anderen Maßnahmen der externen und internen Qualitätssicherung, z. B. durch Patientenbefragungen.
5.5
Ausrichtung an fachlichen Standards und Leitlinien
Die Ausrichtung der Behandlung an der besten wissenschaftlichen Evidenz und den neuesten gesicherten Behandlungsmethoden hat angesichts der Dramatik der Erkrankung für den Patienten und der gravierenden, oftmals uneinholbaren Konsequenzen einer falschen oder ungenügenden Behandlung in der Onkologie oberste Priorität. An die ärztliche Kompetenz im Hinblick auf die Heranziehung der aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien und Empfehlungen, der
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Adjustierung der Behandlung an die konkrete Situation des Patienten und seiner Bedürfnisse sowie der Einbindung und Koordination aller erforderlichen und verfügbaren medizinischen und nichtmedizinischen Kompetenzen werden daher besonders hohe Anforderungen gestellt. Die Tätigkeit des niedergelassenen Onkologen steht oft genug auch unter den schwierigen Vorzeichen von verengten therapeutischen Handlungsoptionen, wenn er die weitere Versorgung von Patienten mit vorangeschrittenem Krankheitsverlauf oder nach einer längeren Behandlungsvorgeschichte wahrnimmt. Am Beginn der Behandlung einer malignen Erkrankung steht dem Onkologen in der Regel eine Reihe von wissenschaftlich gut fundierten Therapieoptionen zur Verfügung, die er in einem Stufenplan auf der Grundlage der verfügbaren Evidenz einsetzen wird. Im weiteren Krankheitsverlauf wird es oftmals darum gehen, auch therapeutische Möglichkeiten auszuschöpfen, die wissenschaftlich weniger gut belegt sind. Dann gewinnen für die Entscheidungsfindung über das weitere Vorgehen die Situation des Patienten und die klinische Erfahrung des Onkologen an Bedeutung und zwingen zu einer individuellen Adaptierung der in Leitlinien beschriebenen Muster bzw. zu einer Abweichung von den anhand von Studien belegten Standards [33]. Das ändert nichts an dem Grundprinzip, dass jede Therapieentscheidung auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz zu treffen ist. Im Regelfall wird es insbesondere auf eine ausreichende Dokumentation ankommen, die die Kenntnis der Evidenzlage und die begründete Einzelfallentscheidung darlegt. Die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Erstattung der entsprechenden Leistungen stellen an den niedergelassenen Onkologen hier immer noch höhere Anforderungen als an den stationär tätigen Kliniker. Grundsätzlich gilt für die ambulante Behandlung von GKV-Patienten der Vorbehalt der Zulassung einer Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bzw.
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
die arzneimittelrechtliche Zulassung bei Arzneimitteln. Die mittlerweile fundierte Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte lässt eine Abweichung nur unter engen Ausnahmebedingungen zu. Allerdings hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren die Therapiefreiheit des Arztes wieder etwas gestärkt [32]. Die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Anspruch der Versicherten und zur Leistungspflicht der Krankenkassen wurden von den Gerichten sinngemäß in vergleichbarer Weise auf den Bereich der ärztlichen Behandlung »mit nicht allgemein anerkannten Methoden« als auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung, hier insbesondere im Hinblick auf eine bestimmungsgemäße Arzneiverordnung (Off-Label-Use) oder die Verordnung eines Importarzneimittels [10]. Grundsätzlich müssen mindestens die drei folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: 4 Es handelt sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. 4 Eine zugelassene gleichwertige therapeutische Option gibt es nicht. 4 Für die Erfolgsaussicht gibt es ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Evidenz. Die Rechtsprechung verlangt, dass der Arzt eine einzelfallbezogene Nutzen-Risiko-Abwägung vornimmt. Eine explizite Zustimmung des Patienten ist erforderlich und muss wie die ärztliche Behandlung dokumentiert werden. Der Patient kann ggf. eine Kostenerstattung bei der zuständigen Krankenkasse beantragen, von der dann in der Regel eine Einschaltung des »Medizinischen Dienstes der Krankenkassen« (MDK) vorgenommen wird. Für die onkologische Behandlung steht heute eine ganze Reihe von Leitlinien zur Verfügung, die von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften (DGHO, DKG) herausgegeben werden. Nach Möglichkeit sollten die zurate gezogenen Leitlinien ihrerseits hohen Qualitätsanforderungen genügen, wobei in vielen Fällen eine S3-Leitlinie
(evidenz- und konsensbasiert) nicht zur Verfügung stehen wird [4]. Ein besonderes Problem ergibt sich auch daraus, dass die Variationsbreite maligner Erkrankungen hoch ist und die klinische Differenzierung immer weiter zunimmt. In vielen konkreten Anwendungsfällen werden daher keine etablierten Leitlinien zur Verfügung stehen, bei seltenen Entitäten sind die Voraussetzungen für Studien an größeren Patientengruppen schlecht. Die Verfügbarmachung der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz stellt daher in einer onkologischen Praxis eine besondere Herausforderung dar. Ein Zugang zu den aktuellen Kommunikationsmedien und insbesondere Internetverbindungen zu den einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken ist eine unverzichtbare Arbeitsvoraussetzung. Eine Zusammenarbeit einer Praxis mit wissenschaftlichen Studiengruppen bzw. die Nutzung von Konsiliarangeboten entsprechender Stellen können dazu beitragen, die ärztliche Informationssituation zu verbessern, selbst wenn regelmäßige und sorgfältige Fortbildungsaktivitäten erfolgen [19]. > Eine besonders wichtige Möglichkeit, den Patienten eine aktuelle und den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Therapie zukommen zu lassen, besteht in der Teilnahme an Studien.
Die Onkologie-Vereinbarung von 2009 greift dieses Qualitätsziel explizit auf. Jede Praxis sollte darauf hinwirken, möglichst viele Patienten in Studien einzuschließen. Es ist wiederholt belegt worden, dass Patienten in Studien eine bessere Versorgung erhalten als vergleichbare Patienten außerhalb von Studien. Dieses Qualitätsziel setzt voraus, dass sich die Praxis regelmäßig einen möglichst guten Überblick über laufende Studien verschafft und ein internes Verfahren entwickelt, um geeignete Patienten zu identifizieren. Natürlich erfordert eine Studie zusätzlichen Beratungs- und Aufklärungsaufwand in der Zusammenarbeit mit dem Patienten, der
89 5.6 • Patientenorientierung und Patientensicherheit
aber bei einer systematischen Vorbereitung vertretbar ist. Auch wenn bereits heute zahlreiche onkologische Schwerpunktpraxen an klinischen Studien insbesondere der Phasen II, III und IV mitwirken, ist die weitere Verbreitung und Verbesserung der Studienkultur in der ambulanten onkologischen Versorgung eine wichtige Aufgabe, für die sich verschiedene Plattformen engagieren [1], [2].
5.6
Patientenorientierung und Patientensicherheit
Onkologische Behandlungen sind oftmals Langzeitbehandlungen. Ein onkologischer Patient wird regelmäßig über viele Monate in engem Kontakt mit der versorgenden Praxis stehen und viel Zeit dort verbringen. Selbst wenn durch Behandlung kurative Erfolge erzielt werden, ist eine mehr oder weniger dichte Nachkontrolle unerlässlich. Diese enge Verbindung von Krebspatienten zu der sie versorgenden Einrichtung und ihren Fachkräften verlangt im besonderen Maße, dass die Versorgung soweit wie möglich auf die Wünsche und die Bedürfnisse der belasteten Menschen ausgerichtet ist. Guter Service und hilfsbereites Personal gehören daher zu einer onkologischen Praxis genau so wie ansprechend ausgestaltete Therapieräume, vielfältige Informationsmaterialien oder kommunikativ geschulte Ärzte. In der Regel gelangen onkologische Patienten nach einer Überweisung in eine onkologische Praxis, in vielen Fällen hat schon vorher eine Reihe von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen stattgefunden. Wichtig ist die vollständige Vorlage aller vorliegenden Befunde, Gutachten, Bilder, Histologien etc. Eine Erstanamnese in einer onkologischen Praxis sollte systematisch vorbereitet sein und auf der Grundlage eines strukturierten Verfahrens vorgenommen werden (»Standard Operating Procedure«, SOP). Diese SOP sollte u. a. die folgenden Punkte be-
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rücksichtigen und Regeln für die Informationsbeschaffung bzw. Dokumentation vorsehen: Wichtige Informationen, die eine SOP berücksichtigen sollte 5 Aktuelle Beschwerden, Begleiterkrankungen, Allergien usw. 5 Vorbehandlungen, Vorbefunde, Bilder, Blutgruppenausweis etc. 5 Familienanamnese, Risikofaktoren 5 Aktuelle Lebenssituation, psychosozialer Status 5 Kranken- und Pflegeversicherung 5 Transportbedarf
Je nach Diagnose stehen ggf. tumorspezifische Dokumentationssysteme zur Verfügung. Die Komorbidität kann recht einfach mit dem Charlson-Index bewertet werden. Bei der weiteren Statuserfassung können ebenfalls standardisierte Erhebungsinstrumente zum Einsatz kommen (z. B. Karnofsky-Index, Mini-Mental-Status, Barthel-Index, Funktional-Independence-Measure o. a.). Inwieweit der routinemäßige Einsatz derartiger Instrumente, z. B. auch im Rahmen eines geriatrischen Assessments [21] älterer onkologischer Patienten, zweckmäßig ist und ein derartiges Assessment für die weitere Therapiesteuerung Vorteile beinhaltet, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden [27]. Zweifellos liefern diese Instrumente zusätzliche Informationen, deren Beschaffung jedoch für eine Praxis auch zusätzlichen Aufwand mit sich bringt. Für die weitere Planung der Behandlung sind eine umfassende Aufklärung und Beratung des Patienten unverzichtbar. Für deutschsprachige Patienten stehen zahlreiche Broschüren und Aufklärungsmaterialien der Fachgesellschaften, Selbsthilfeorganisationen, Studienzentralen, Krankenkassen oder anderer Einrichtungen zur Verfügung, deren aktuelle(!) Auflagen in den Praxen vorhanden sein sollten. Bei fremdsprachigen Patienten ist ggf. die Einschaltung
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
eines Dolmetscherservices (Informationen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen oder den Kommunen) sinnvoll. Die Einbeziehung von Angehörigen wird vielfach von Anfang an durch den Patienten gewünscht werden. Es hat sich bewährt, dem Patienten einen Patientenpass bzw. ein Patientenbuch auszuhändigen, worin er ggf. alle Unterlagen seiner Behandlung aufnehmen kann und anderen Personen, z. B. Pflegediensten, Einblick in die Behandlungsstrategie geben kann. Die weiteren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen werden in Abstimmung mit dem möglichst gut informierten Patienten vorgenommen. Bei gravierenden Maßnahmen ist dem Patienten ausreichend Zeit einzuräumen, um sich mit den Informationsmaterialien und den Konsequenzen der vorgesehenen Strategie auseinanderzusetzen. Jede Praxis sollte sorgfältig vorstrukturieren, zu welchen Maßnahmen auf welche Weise – mündlich und/oder schriftlich – aufzuklären ist. Darüber hinaus ist festzulegen, auf welche Weise die Aufklärung und die Zustimmung des Patienten zu dokumentieren ist. Bei den üblichen kleineren Leistungen zur Diagnostik (z. B. Blutabnahme, Sonografie etc.) ist der Vermerk in der Patientenakte ausreichend, insbesondere die ggf. erfolgte Ablehnung seitens des Patienten. Bei größeren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen (z. B. Transfusion von Blutprodukten, Chemotherapie) ist zusätzlich das Einverständnis des Patienten schriftlich – in der Regel wiederholt – zu dokumentieren und der Patientenakte beizufügen. Bereits zu Beginn der Behandlung in der Praxis sollte der Patient sein Einverständnis zur erforderlichen routinemäßigen elektronischen Verarbeitung und Weiterleitung seiner persönlichen Daten mit beteiligten Stellen (Krankenkasse, Krankenhaus, Apotheke, Labor, Hausarzt u. a.) geben. Die Einwilligung zur Teilnahme an Studien muss natürlich grundsätzlich separat erfolgen. Eine besondere Herausforderung stellt die Sicherstellung einer angemessenen Patienten-
mitwirkung am Therapieprozess dar, zumal viele onkologische Patienten sich in einem vorgerückten Alter befinden und die orale Tumortherapie die Medikamentenapplikation aus den Praxisräumen ins häusliche Umfeld verlagert. Auf jeden Fall ist die Aushändigung eines schriftlichen Einnahmeplans unverzichtbar. Die Häufigkeit der Wiedereinbestellung bzw. die Häufigkeit des persönlichen Arztgespräches bei Praxisbesuchen wird sich ebenfalls nach dem konkreten Bedarf zur Überwachung der Behandlung zu richten haben. Der Onkologe wird darauf hinwirken, dass die Patienten mögliche persönliche Hemmungen zurückstellen, um sich bei jedem unerwarteten Ereignis im Behandlungsverlauf umgehend an die Praxis zu wenden. Für Patienten mit psychoonkologischem Betreuungsbedarf sollten aktuelle schriftliche Informationsmaterialien zur Verfügung stehen, nach Möglichkeit ebenso über Angebote der Ernährungsberatung und Sozial- sowie Hospizdienste in der jeweiligen Region. Natürlich sollte eine Praxis auch kompetent über die Selbsthilfeorganisationen informieren können und den Patienten ggf. bei der Vermittlung helfen. Eine qualifizierte onkologische Praxis wird großen Wert auf eine seriöse Patientenaufklärung legen. Der Patient muss ggf. auch vor ungeeigneten »Alternativangeboten« oder Scharlatanerie geschützt werden. Es ist empfehlenswert, den Patienten auch bei der Einholung einer qualifizierten Zweitmeinung, z. B. durch Empfehlung entsprechender Fachleute und die Mitgabe aktueller Behandlungsberichte, zu unterstützen. Sofern der Patient Unterstützung bei der Abfassung einer Patientenverfügung bzw. Vorsorgevollmacht benötigt, kann die Praxis hier weiterhelfen. Patientenverfügungen werden zu den Patientenakten genommen [5]. > Die Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit muss angesichts belasteter und z. T. immungeschwächter Patien-
91 5.6 • Patientenorientierung und Patientensicherheit
ten, insbesondere bei der Handhabung der toxischen Substanzen, oberste Priorität haben.
Gerade wegen der oftmals ähnlichen und standardisierten Behandlungsmaßnahmen muss eine onkologische Praxis grundsätzlich auf die Möglichkeit von Fehlern vorbereitet sein und darf nicht nachlassen in dauerhaften Präventionsanstrengungen gegenüber möglichen Fehlerquellen. Selbst noch so gut strukturierte Arbeits- und Behandlungspläne schließen nicht aus, dass z. B. fehlerhafte Dosisberechnungen oder Medikamentenverwechselungen auftreten. Hier unterscheidet sich eine Praxis nicht von der Klinik. Alle Ebenen zur systematischen Fehlervermeidung sind hier zu nutzen, technische Vorkehrungen, Arbeitsanweisungen oder »soft factors« [28]. Jede Praxis muss ein systematisches Fehlermanagement entwickeln, denn die Fehlerhaftigkeit eines Systems wird in aller Regel durch gestaltbare organisatorische und technische Rahmenbedingungen bestimmt. Unter haftungsrechtlichen Aspekten ist es durchaus relevant, inwieweit ein »Organisationsversagen« zu unterstellen ist. In den letzten Jahren hat die Diskussion um eine angemessene »Fehlerkultur« immer größere Bedeutung gewonnen. Diese kann sich nur entwickeln, wenn alle Beteiligten in einer Praxis auf einen fairen Umgang mit Fehlern einzelner vertrauen können und die Ursachen- und nicht die Schuldfrage nach einem Vorfall im Vordergrund steht. Es geht darum, aus Fehlern zu lernen, und da sind v. a. auch die unerwünschten Ereignisse wichtig, die glücklicherweise glimpflich abgelaufen sind (der oft verwendete Begriff »Beinahe-Fehler« ist dafür unangemessen). Es kann hier durchaus hilfreich sein, die einschlägigen Internetangebote zum Fehlermanagement gelegentlich zu nutzen [18]. Für den Umgang mit Zytostatika gibt es eine ganze Reihe von Vorschriften und Empfehlungen, wozu u. a. die Unfallversicherungsträger oder die Stellen der Gewerbeaufsicht oder des Arbeitsschutzes detaillierte Informationsmate-
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rialien bereithalten [15]. Das Qualitätsmanagement in einer onkologischen Praxis muss insbesondere auf die Sicherstellung der Einhaltung dieser Vorschriften ausgerichtet sein und das regelmäßig überprüfen. Angesichts der hohen Anforderungen an die technischen Voraussetzungen an die Zubereitung von Zytostatika empfiehlt der BNHO, diese Arbeiten im Regelfall auch nicht in der onkologischen Praxis durchzuführen, sondern die Zubereitung den kooperierenden Apotheken zu überlassen, die eine zeitnahe Belieferung der Praxis sicherstellen können. Für den Bereich der Blutprodukte schreibt das Transfusionsgesetz bzw. die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Hämotherapie umfangreiche Qualitätssicherungsmaßnahmen vor [6]. Auch hier muss das Qualitätsmanagement in erster Linie sicherstellen und überwachen, dass die umfangreichen Vorschriften und Regelungen in den Praxisalltag Einzug finden, regelmäßig aktualisiert werden und insbesondere in entsprechend adaptierte strukturierte Arbeitsanweisungen übersetzt werden. Wie auch bei den Medikamenten muss das Qualitätsmanagement der Medizinprodukte insbesondere die Sicherheit der Verordnung, von Beschaffung und Transport, der Lagerung, der Applikation, der Entsorgung und der Gerätereinigung gewährleisten und dokumentieren [31]. Die Praxis muss sich davon überzeugen, dass auch die Kooperationspartner (Apotheke, Labor) die gesetzten Qualitätsanforderungen einhalten. Schriftliche Verträge mit den regelmäßigen Kooperationspartnern sind hier zu empfehlen, die auch Regelungen über die routinemäßigen Qualitätssicherungsmaßnahmen beinhalten sollten. Jede onkologische Praxis sollte sich regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, inwieweit die von den Praxisangehörigen in der Regel vermutete Ausrichtung der Leistungen an den Patientenbedürfnissen auch gegeben ist bzw. der gute Wille zu patientenorientierter Arbeit bei den Betroffenen auch wirklich ankommt. Dafür kann
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
das Instrument der Patientenbefragung genutzt werden, für das eine Reihe von validierten Befragungsinstrumenten zur Verfügung steht. Eine Praxis sollte sich nicht davon täuschen lassen, dass in der Regel bei derartigen Befragungen überwiegend gute und sehr gute Bewertungen durch die Patienten erzielt werden [24]. Patienten sind in der Regel mit ihrer Versorgung zufrieden und zeigen oftmals nur eine geringe Bereitschaft zu Kritik. Daher liefern derartige Befragungen dann fruchtbare Hinweise, wenn sie regelmäßig wiederholt werden und Vergleiche im Längsschnitt zulassen. Das WINHO hat seit 2006 regelmäßig Patientenbefragungen in den onkologischen Praxen durchgeführt und mehrere Tausend Patienten gleichzeitig befragt. In solchen Querschnittsvergleichen zwischen den Praxen (Benchmarking) geben bei hohen Befragungsfallzahlen bereits geringe Bewertungsunterschiede relevante Hinweise [7]. Praxen sollten prüfen, inwieweit sie eine Patientenbefragung dazu nutzen wollen, weitere Informationen über ihre Patienten und die Behandlungsleistungen, z. B. im Hinblick auf Lebensqualität der Patienten, zu ermitteln [25]. Allerdings stellen solche Befragungen dann auch höhere zeitliche und sachliche Anforderungen an Patienten und Befrager. Die Bereitschaft der Patienten zur Mitwirkung auch an längeren Befragungen ist in der Regel gut. Als grundsätzliches Problem bei Patientenbefragungen ist der Selektionseffekt zu nennen. Unzufriedene Patienten haben die Praxis bereits nicht mehr aufgesucht, verweigern die Beantwortung mit vorgeschobenen Argumenten (z. B. Zeitmangel) oder sie sind als Therapieabbrecher unterrepräsentiert.
5.7
Strukturierung von Behandlungsabläufen
Für onkologische Patienten spielt der möglichst störungsfreie Ablauf von eingeübten Prozessen eine wichtige Rolle für das Vertrauen in die
Kompetenz und Sicherheit der angebotenen Behandlungen. Die Gewissheit, dass etwas »immer so« gemacht wird, entlastet nicht nur das Personal von immer wieder erneuten Strukturierungsaufgaben, auch der Patient ist dankbar für die Wahrnehmung, »kein Einzelfall« zu sein. Daher sollten onkologische Praxen möglichst viele regelmäßige und häufige Maßnahmen und Abläufe in der Behandlung strukturiert aufbereiten und standardisieren. Das können sowohl indikationsspezifische Verfahrensweisen bei häufigen Krankheitsbildern sein als auch verbreitete übergreifende Verfahren. Insbesondere in größeren Gemeinschaftspraxen ist auf ein gleichartiges Vorgehen der Ärzte bei vergleichbaren Sachverhalten hinzuwirken. Die Beschreibung von »Clinical Pathways« ist ein verbreitetes Verfahren, das nicht nur dann zum Zuge kommen sollte, wenn eine Kooperation mit externen Partnern ein Bestandteil des Versorgungsprozesses ist bzw. eine vertragliche Regelung eine entsprechende Niederlegung verlangt. Für die Beschreibung derartiger Abläufe sollte sich die Praxis nach Möglichkeit der einschlägigen »Flowchart-Symbolik« bedienen. Auf dieser Grundlage können dann sehr einfach auch Patienteninformationen oder auch maßnahmebezogene Patientenlaufzettel erstellt werden. Zu den typischen Prozessen in onkologischen Schwerpunktpraxen gehören Verordnungen und Verabreichungen von Zytostatika- und anderen Rezepturen sowie von Blutprodukten, deren Ablauf standardisiert geregelt werden sollte. Dies schließt alle Schritte von der Indikationsstellung über die Patientenaufklärung, die Blutabnahme, die Bestellung, die Lieferung bis zur Durchführung der Transfusion, deren Dokumentation und der Abfallentsorgung unter Einschluss wiederholter Prüfroutinen zur Sicherung der Patientenidentität und der Produktqualität ein. Es muss sichergestellt sein, dass die entsprechenden Anforderungsunterlagen und Formulare der Blutbank bereitstehen und in diese SOP ebenso
93 5.8 • Regelung von Verantwortlichkeiten und Mitarbeiterorientierung
eingefügt sind wie die Vereinbarungen mit dem Labor, Transportdiensten u. a. Bei den wiederkehrenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen spielen vor allem Blutabnahmen, Punktionen und Legung venöser Zugänge beim Patienten eine wichtige Rolle und bieten sich für genaue Beschreibungen an. So sollte das Vorgehen zur Veranlassung der externen chirurgischen Legung eines Ports standardisiert und ggf. mit Laufzettel versehen werden. Auch der Ablauf bei den verschiedenen Punktionen (Lumbal-, Pleura- oder Peritonealpunktionen, Knochenmarkpunktionen, Jamshidipunktionen) soll in einem Schriftstück niedergelegt werden, dessen Aktualität und Einhaltung regelmäßig überprüft wird. Weitere häufige Maßnahmen und Abläufe wie die antikoagulative Begleittherapie, die Gabe von Bisphosphonaten oder die definitive oder kombinierte Radiochemotherapie können entitätsübergreifend oder mit Bezug zur Tumorart protokolliert werden. Auch für andere häufige Begleitumstände in der Therapie, z. B. Dialyse, sollten entsprechende standardisierte Handlungsweisen in der Praxis definiert sein. Die regelmäßigen Verlaufskontrollen während der Therapie bzw. in Beobachtungsphasen sollten ebenfalls standardisiert erfolgen und dokumentiert werden. Es gibt in der onkologischen Versorgung immer wieder Situationen, in denen die beschriebenen leitliniengerechten Behandlungspfade aus kulturellen, geschlechts-, altersspezifischen oder anderen Gründen eines Patienten verlassen werden müssen. Auch hier sollten die Praxen Verfahrensregeln definieren, die zumindest eine genaue Dokumentation der Umstände und Gründe für die gewählte Behandlung erlauben. Zu denken ist hier u. a. an Zeugen Jehovas, die ihre Ablehnung von Blutprodukten und ihre Zustimmung zu Alternativen in der Praxis schriftlich zur Kenntnis geben sollten.
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> Neben Diagnoseerstellung, Verordnung und Behandlung sollte auch die Nachsorge einem schematisierten Verfahren unterliegen, das die Praxis dokumentiert hat. Ein strukturiertes Verfahren zur Ermittlung des weiteren Verbleibs der Patienten ist in jedem Fall zu empfehlen, damit die Praxis eine Möglichkeit erhält, ein Feedback über die längerfristigen Behandlungserfolge zu erlangen und die praxisbezogenen Ergebnisse ggf. mit den Angaben aus der wissenschaftlichen Literatur zu vergleichen.
Keine Praxis ist vor unerwarteten Zwischenfällen gefeit, aber auf besondere Ereignisse wie z. B. Schockzustände, Herz-Kreislauf-Versagen, akute Lungeninsuffizienz o. Ä., die in der Onkologie leider nicht immer zu vermeiden sind, sollte eine Praxis vorbereitet sein und dazu schriftliche Notfallvorkehrungen (SOP) bereithalten. So sollte eine unerwartete Zytostatika-Kontamination ebenso wie z. B. eine Zytostatika-Paravasate einen strukturierten Notfallplan auslösen, der zuvor gemeinsam festgelegt worden ist und dessen Handhabung regelmäßig eingeübt wird. Soweit wie möglich sollte auch im Notfall ein geordnetes Vorgehen ohne Hektik gewährleistet werden. Für Zwischenfälle im Zusammenhang mit Transfusionen ergeben sich allein schon aus dem Transfusionsgesetz zusätzliche Anforderungen.
5.8
Regelung von Verantwortlichkeiten und Mitarbeiterorientierung
An der Arbeit in onkologische Schwerpunktpraxen wirken neben Ärzten und Helfern oftmals noch eine Reihe von anderen Berufsgruppen mit – z. B. Krankenpflegekräfte, MTA, »Study Nurses«, Schreibkräfte oder Praxismanager, die für eine störungsfreie Kooperation eine Regelung ihrer Aufgaben und Verantwortlichkeiten
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
benötigen. Hierin unterscheiden sich onkologische Praxen nicht von anderen größeren medizinischen Versorgungseinheiten. Daher gehören ein schriftliches Organigramm, Stellen- und Aufgabenbeschreibungen, ggf. auch Einarbeitungspläne, Arbeitsübergaberegelungen etc. zum zwingenden Instrumentarium derartiger Praxen. Folgende Positionen sollten darin mindestens berücksichtigt und mit Verantwortlichkeiten versehen werden: 4 Verantwortliche/r für den Therapiebereich, 4 Transfusionsbeauftragte/r, 4 Transfusionsverantwortliche/r, 4 Qualitätsbeauftragte/r, 4 Datenschutzbeauftragte/r (ab 9 Beschäftigten), 4 Arbeitssicherheitsbeauftragte/r, 4 Medizingerätebeauftragte/r. Die Praxisinhaber übernehmen als Arbeitgeber die Verantwortung für den Arbeitsschutz ihrer Mitarbeiter. Daraus ergeben sich insbesondere die Pflichten, eine regelmäßige Beurteilung der Gefahren für die Beschäftigten durchzuführen (Gefährdungsbeurteilung), die Mitarbeiter über die Gefahren und Schutzmaßnahmen zu unterrichten, Schutzmaßnahmen vorzusehen und den Umgang mit »canzerogenen, mutagenen und reproduxionstoxischen« (cmr) Arzneimitteln den im jeweiligen Bundesland zuständigen Behörden schriftlich anzuzeigen [15]. Werdende und stillende Mütter dürfen Zytostatika nicht ausgesetzt werden, Jugendliche nur eingeschränkt. Die jährlich erforderlichen Unterweisungen der Mitarbeiter – unter Einschluss von Reinigungsoder Transportkräften – zur Arbeitssicherheit und zum Umgang mit Zytostatika bzw. Blutprodukten müssen dokumentiert werden, die Mitarbeiter müssen ihre Teilnahme gegenzeichnen. Darüber hinaus sind die üblichen arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen eines Arbeitgebers zu berücksichtigen. Notwendig sind die Vorsorgeuntersuchungen »G 42« – Tätigkeiten mit Infektionsgefährdung – vor Aufnahme der
Tätigkeit und in bestimmten Abständen (1–3 Jahre) sowie »G 37« bei Bildschirmarbeitsplätzen. Im Hinblick auf vom Arbeitgeber zu übernehmende Leistungen ist hier z. B. an vorsorgliche Hepatitisimpfungen zu denken. > Eine onkologische Praxis muss darauf hinwirken, dass auch die nichtärztlichen Fachkräfte sowohl durch ihre Grundqualifikation als auch durch eine kontinuierliche Fortbildung dem raschen Wandel und der hohen Spezialisierung des onkologischen Wissens gewachsen sind.
Bereits aus der Onkologie-Vereinbarung geht hervor, dass zur Durchführung der intravasalen zytostatischen Chemotherapie die Beschäftigung besonders qualifizierten Personals, insbesondere staatlich geprüftes Pflegepersonal mit onkologischer Erfahrung, erforderlich ist. Als Assistenz können auch qualifizierte Arzthelfer hinzugezogen werden. Diese bedürfen allerdings einer 3-jährigen onkologischen Qualifikation von 120 Stunden, die auch unmittelbar nach der Einstellung aufgenommen und berufsbegleitend erworben werden kann. Nach erfolgter Qualifikation muss das Personal jährlich an mindestens zwei onkologischen Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen, die von der zuständigen Landesärztekammer anerkannt sind. Angesichts der Dramatik onkologischer Behandlungen sind viele Praxen darauf ausgerichtet, ihren Patienten eine gezielte psychosoziale Betreuung zukommen zu lassen. Abgesehen von den besonderen Qualifikationen, die in einer Praxis ggf. durch eigenes Personal oder in Kooperation mit externen Stellen bereitgehalten werden, sollten alle Mitarbeiter über ein angemessenes psychologisches Einfühlungsvermögen verfügen. Zur besseren Bewältigung der Belastungen in der Patientenkommunikation kann es sehr sinnvoll sein, wenn onkologische Praxen Supervisionsangebote oder das Instrument der Balintgruppen nutzen.
95 5.9 • Praxismanagement
Grundsätzlich unterscheidet sich die Mitarbeiterführung natürlich nicht von anderen größeren Organisationen und onkologische Praxen sollten allein schon aufgrund ihrer Größe und internen Differenziertheit die zentralen Fragen des Personalmanagements (Verträge, Gehaltsstruktur, Aufgabenbeschreibungen etc.) systematisch planen und im Hinblick auf standardisierte Abläufe beschreiben.
5.9
Praxismanagement
Jede Praxis ist so gut und so leistungsfähig, wie der gesamte »Apparat« funktioniert. Kernbereich der Leistung und damit auch der »Wertschöpfung« ist die ärztliche Versorgung von Patienten. Die Qualität einer Praxis ist auch daran zu messen, inwieweit den Ärzten eine Konzentration auf diese Kerntätigkeiten ermöglicht wird und das »organisatorische Drumherum« von anderen Verantwortlichen effektiv sichergestellt wird. Die »Visitenkarte« einer jeden Praxis ist der Anmeldebereich und die Entgegennahme telefonischer Anfragen und Terminwünsche. Bei telefonischen Anfragen zur Terminvergabe sollte in erster Linie nach der Dringlichkeit verfahren werden, deren Kriterien und Definition seitens der Praxis in einer Arbeitsanweisung ggf. mit Checkliste niedergelegt werden sollte. Es muss sichergestellt sein, dass Patienten mit akuten Problemen zeitnah einen Termin erhalten, ggf. ist im Einzelfall auch ein telefonischer Arztkontakt erforderlich, sofern das Anmeldepersonal die Relevanz der Anfrage nicht beurteilen kann. Jede Praxis muss auf ein (in der Regel elektronisches) Terminplansystem hinwirken, das den onkologischen Besonderheiten gerecht wird. Krebspatienten, die zu einem Erstkontakt kommen wollen, benötigen in ihrer Belastungssituation oftmals kurzfristig die Möglichkeit zum ärztlichen Abklärungsgespräch. Ein strukturiertes Anmeldeverfahren sollte sicherstellen, dass
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alle erforderlichen Unterlagen rechzeitig vorliegen und die individuellen Patientenerfordernisse (z. B. religiöse Überzeugungen, bekannte Unverträglichkeiten, Mobilitätshindernisse) vollständig erfasst werden. Bei der weiteren Versorgung sind evtl. kurz getaktete Termine zur Therapie oder zur Verlaufskontrolle erforderlich und müssen von vornherein berücksichtigt werden. Auch die Urlaubs- und Anwesenheitsplanung von Ärzten und Personal muss berücksichtigen, dass die Kontinuität der Therapien und die Einhaltung der Therapieschemata gewährleistet werden kann. Vielfach werden in telefonischen Anfragen – auch von Angehörigen oder anderen Personen – Informationen zum Behandlungsverlauf gewünscht. Die ärztlichen Praxisleiter müssen sich sehr genau vergewissern, dass das Personal den Bereich der fachlich und datenschutzrechtlich zulässigen Auskünfte einschätzen und verantwortungsvoll handhaben kann. Onkologische Schwerpunktpraxen sind im Rahmen der Onkologie-Vereinbarung verpflichtet, eine 24-stündige Erreichbarkeit für Therapiepatienten sicherzustellen. Diesen Patienten ist mit einer besonderen Notrufnummer gedient, mit der sie einen behandelnden Arzt z. B. auf seinem Mobiltelefon jederzeit erreichen können. Die jüngeren Erfahrungen zeigen, dass diese Notrufnummern in der Regel nur im wirklichen Notfall von den Patienten in Anspruch genommen werden. Eine derartige 24-Stunden-Bereitschaft kann von einer Praxis ggf. auch in Kooperation mit anderen Einrichtungen wahrgenommen werden. Wenn nötig, kann für »Homecare«-Patienten eine weitere spezielle Rufnummer eingerichtet werden. Das Praxis-EDV-System und die großenteils elektronische Verwaltung von Patientendaten und -akten sollten den besonderen Anforderungen der onkologischen Versorgung gerecht werden. Insbesondere die große Zahl externer Befunde und Unterlagen muss angemessen verwaltet werden können, sodass ein effektiver Zugriff möglich ist. Darüber hinaus sollte die EDV
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
den Arzt bei der Erstellung der häufig erforderlichen Berichte, Anfragen und Überweisungen an andere (ärztliche) Stellen unterstützen. Ebenso sollte die Erstellung des Patientenpasses bzw. der routinemäßigen Therapiehinweise für den Patienten nach Möglichkeit elektronisch unterstützt werden. Die Praxis-EDV sollte Prüfroutinen einschließen, die Vollständigkeit und Plausibilität der regelmäßigen Eingaben sicherstellen. Darüber hinaus ist es wünschenswert, dass für die in vielen Fällen sinnvolle Einschließung von onkologischen Patienten in Studien eine angemessene EDV-Unterstützung in der Praxis zur Verfügung steht bzw. entsprechende Patienten bereits über die Patientenakte identifiziert und markiert werden können. Im Hinblick auf das hohe Arzneimittelverordnungsvolumen sollte die EDV-Ausstattung einer onkologischen Praxis ebenfalls einen regelmäßigen Überblick ermöglichen. Ein wesentliches subjektives Qualitätskriterium sind für Patienten Wartezeiten. Daher ist es empfehlenswert, neben der subjektiven Zufriedenheit (Patientenbefragung) die real entstehenden Wartezeiten in einer Praxis von Zeit zu Zeit systematisch zu messen und auszuwerten. Dabei ist der Besonderheit in den onkologischen Praxen im Hinblick auf die unterschiedlichen Wartezeiten für ärztliche Erst- und Folgegespräche sowie für Therapiemaßnahmen Rechnung zu tragen. Möglicherweise sind auch andere Wartezeiten, z. B. bei »Homecare«-Patienten, gesondert zu erfassen. Andere allgemeine organisatorische Maßnahmen sind in einer onkologischen Praxis genau so wie in anderen Praxen im Rahmen des Qualitätsmanagements systematisch zu regeln. Dazu gehören ein allgemeiner Notfall- und Rettungsplan (z. B. Evakuierung) und eine einsatzbereite Notfallausstattung. Für Notfallsituationen in der Versorgung sollten handelsübliche Paravasate- und (De-) Kontaminationssets vorhanden und deren Anwendung den Mitarbeitern vertraut sein.
Die Einhaltung der hohen hygienischen Anforderungen muss mit einem Hygieneplan sichergestellt und überwacht werden. Der Hygieneplan muss alle für die Praxis relevanten Bereiche abdecken und eindeutige Vorgaben für das Reinigungspersonal beinhalten. Eine Reihe von Stellen halten Musterpläne bereit4. Die Beschaffung der umfangreichen Verbrauchsmaterialien muss ebenfalls im Rahmen des Qualitätsmanagements gesondert berücksichtigt werden und durch Beschaffungs- und Bevorratungslisten sorgfältig geplant und überwacht werden. Der Sprechstundenbedarf richtet sich nach den Anforderungen der Kassenärztlichen Vereinigung, die entsprechenden Listen von vorzuhaltenden Materialien sollten erstellt und regelmäßig überprüft werden. Natürlich muss die Praxis auch der Beschaffung von Betäubungsmitteln besondere Aufmerksamkeit widmen.
5.10
Gestaltung von Kommunikationsprozessen
Onkologische Praxen müssen ihr Leistungsangebot in angemessener Weise bekannt machen und gegenüber Versicherten, Krankenkassen und Kooperationspartnern kommunizieren. Ein wichtiger Baustein dazu ist der jährliche Qualitätsbericht der onkologischen Schwerpunktpraxen, der das Qualitätsprofil dieses Versorgungsangebots im Gesundheitswesen schärfen und transparent machen soll [9]. Jede Praxis muss 4
Hier sind auch die Hygieneverordnungen der Länder und der BGW (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege; 20. BGV C 8 § 9) zu beachten. Vgl. auch Hygiene in Arztpraxen, Stadtgesundheitsamt Frankfurt (https://www.frankfurt.de/ sixcms/detail.php?id=2994) oder Musterhygieneplan »Alles sauber, oder was?!« der KV Baden-Württemberg. Aktuelle Empfehlungen zu Desinfektionsverfahren und -mittel, Robert-Koch-Institut (www.rki.de), Liste der als wirksam befundenen Desinfektionsverfahren (DGHM), Liste der vom Bundesgesundheitsamt geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel und -verfahren, Sicherheitsdatenblätter der jeweiligen Produkte.
97 5.10 • Gestaltung von Kommunikationsprozessen
prüfen, welche Medien und Formen der externen Kommunikation unter Berücksichtigung der begrenzten heilberuflichen Werbefreiheiten für sie angemessen sind. Im Einzelfall kann hier eine Praxisbroschüre hilfreich sein, die über das Leistungsspektrum einer Praxis informiert und ggf. bereits auch schon weitere patientenbezogene Hinweise zu den Besonderheiten onkologischer Therapiemaßnahmen, über die Kooperationspartner, Modellvorhaben etc. beinhaltet. Im Regelfall sollte eine onkologische Schwerpunktpraxis über einen eigenen Internetauftritt verfügen, sodass sie auf diesem Wege gefunden werden kann. Zu prüfen ist auch, welchen Informationsdienstleistern die Praxis ihre Daten zur Verfügung stellen kann. > Zur angemessenen externen Kommunikation ist es unverzichtbar, dass eine Praxis das darzustellende Leistungsspektrum festlegt.
Grundsätzlich hält eine onkologische Schwerpunktpraxis folgende Kernleistungen bereit: Kernleistungen einer onkologischen Schwerpunktpraxis 5 Diagnostik und Therapie von Blut- und Krebserkrankungen 5 Hämotherapie 5 Medikamentöse Tumortherapie 5 Supportivtherapie (Schmerztherapie, Ernährungstherapie, …) 5 Palliativmedizin
Daneben gibt es ein breites Spektrum von ergänzenden Leistungen, das die Versorgung in onkologischen Praxen unterstützen kann. Dazu gehören u. a.:
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Ergänzende Leistungen einer onkologischen Schwerpunktpraxis 5 5 5 5
Hämostaseologie Psychoonkologie Hospizdienst »Homecare«
In onkologischen Schwerpunktpraxen spielen »Individuelle Gesundheitsleistungen«-(IGeL) bislang im Regelfall keine besondere Rolle. Angesicht der psychosozialen Belastungssituation der Patienten und der besonderen Bedeutung des Vertrauensverhältnisses muss jede Praxis sehr sorgfältig abwägen, inwieweit sie hier gezielte IGel-Angebote in ihren Leistungskatalog aufnehmen will. Eine wichtige Rolle spielt in der Betreuung onkologischer Patienten immer auch die Frage nach Angeboten der Alternativmedizin. Es unverzichtbar, dass eine onkologische Praxis hierzu eine Informationsstrategie entwickelt, die das Informationsbedürfnis der Patienten in angemessener Weise befriedigt. Eine Praxis, die sich der »Schulmedizin« und deren Qualitätsansprüchen verpflichtet fühlt, wird in aller Regel selbst keine »alternativen Behandlungsangebote« (komplementär Medizin) vorsehen. Allerdings sollte eine Praxis interessierten Patienten zumindest qualifizierte Informationsstellen benennen können – z. B. die Verbraucherberatung. > Es ist empfehlenswert, dass jede onkologische Praxis für sich ein Leitbild entwickelt, das auch für die externe Kommunikation orientierend wirkt. Darüber hinaus ist es wünschenswert, dass onkologische Praxen eine gemeinsame Qualitätsorientierung entwickeln und kommunizieren.
Der BNHO und das WINHO werden zukünftig verstärkt auf eine gemeinsame Qualitätspolitik onkologischer Schwerpunktpraxen hinwirken.
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
Der Informationsbedarf onkologischer Patienten ist sehr hoch, daher ist es unverzichtbar, dass in den Praxen die zahlreichen Informationsmaterialien und seriöse Broschüren von Krankenkassen, Beratungsstellen, Selbsthilfeeinrichtungen in ansprechender und aktueller Form zur Verfügung stehen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die »blaue Reihe« der Deutschen Krebsgesellschaft. Darüber hinaus sollte sich jede Praxis aus den einschlägigen regionalen Adressverzeichnissen jeweils aktuelle Listen mit wichtigen Kontaktstellen für Patienten, z. B. Sozialbehörden, Beratungsstellen für Rehabilitation, Rentenversicherung etc., erstellen. Onkologische Praxen werden wie andere darauf achten, die Intimsphäre ihrer Patienten zu schützen. Dazu sind nicht zuletzt die einschlägigen Anforderungen des Datenschutzes insbesondere im Anmeldebereich zu beachten. Etwas schwieriger stellt sich die Situation im Therapiebereich dar, wo im Regelfall zahlreiche Patienten gleichzeitig an den Therapiemaßnahmen teilnehmen. Hier sollte die Praxis durch die Gestaltung der Sitz- und Liegeplätze den Wünschen der Patienten soweit wie möglich Rechnung tragen, sodass ein Patient seine Therapiezeit im Einzelfall entweder mit der Möglichkeit zum Kontakt zu anderen Patienten oder davon optisch und akustisch weitgehend unbehelligt absolvieren kann. Für die Gespräche mit den Patienten in den Therapieräumen stellen sich daher für das Therapiepersonal hohe Anforderungen an eine sensible Berücksichtigung schutzwürdiger Patientenbelange. Ein besonderes Problem in der ärztlichen Kommunikation mit dem Patienten stellt eine ausreichende und in der Regel umgehende Rückmeldung über besondere Ereignisse und körperliche Beschwerden im Verlauf der Therapie dar. Jeder Onkologe muss sich mit geschlechtsspezifischen, kulturellen oder religiösen Besonderheiten in der Mitteilungsbereitschaft und der Bedeutung kommunikativer Signale beschäftigen und sollte auch seine Mitarbeiter dafür sen-
sibilisieren. Bei fremdsprachigen Patienten ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers aus dem Vertrauensbereich des Patienten, z. B. Familienangehörige, hilfreich. Die Teilnahme von anderen Personen an den ärztlichen Gesprächen ist zu dokumentieren. Es ist sinnvoll, interne Teamsitzungen in einer Praxis für die gemeinsame Erörterung von Kommunikationsprozessen mit den Patienten, z. B. auch am Beispiel von »Problempatienten«, zu nutzen. > Die externe Kommunikation in einer Organisation ist nur so gut, wie auch die interne Kommunikation funktioniert. Daher beinhaltet das Qualitätsmanagement einer onkologischen Praxis immer auch die Pflege einer angemessenen Gesprächs- und Informationskultur unter dem Personal. Regelmäßige strukturierte und protokollierte Dienstbesprechungen sind z. B. ein wesentlicher zwingender Bestandteil eines derartigen Qualitätsmanagements.
Die Einführung und Pflege eines QM-Systems in einer Praxis wird nur dann erfolgreich sein, wenn diesem Thema in den Dienstbesprechungen und den internen Informationsprozessen ein regelmäßiger Stellenwert eingeräumt wird. Die mit Teilaufgaben des Qualitätsmanagements beauftragten Mitarbeiter müssen die Gewissheit haben, dass ihre Arbeit von der Praxisleitung nachdrücklich unterstützt und gefördert wird. Die Verantwortung für das Qualitätsmanagement muss allerdings immer bei der Praxisleitung verbleiben. Eine schwierige, gleichwohl unverzichtbare Maßnahme des Qualitätsmanagements ist die angemessene Dokumentenlenkung, die sicherstellt, dass alle Mitarbeiter Zugriff auf die für ihren Arbeitsplatz erforderlichen QM-Dokumente haben, dass diese Dokumente geprüft sind und sich jeweils auf dem aktuellen Stand befinden.
99 5.11 • Versorgungsmanagement
5.11
Versorgungsmanagement
Onkologische Versorgung erfolgt immer sektorübergreifend. Die ambulante Behandlung in onkologischen Schwerpunktpraxen setzt grundsätzlich die Überweisung eines Patienten voraus. Eine onkologische Praxis muss sich darauf einstellen, pro Quartal ggf. mit 200 und mehr verschiedenen Vertragsärzten zu kooperieren [9]. Die zuweisenden Stellen werden in vielen Fällen auch im weiteren Verlauf der Behandlung wichtige Kooperationspartner für eine Praxis bleiben. Die Onkologie-Vereinbarung sieht den Nachweise einer ständigen Zusammenarbeit des onkologisch verantwortlichen Arztes mit Hausärzten, Tumorzentren und onkologischen Fachabteilungen an Krankenhäusern vor. Zur umfassenden Planung und Durchführung der Therapie ist eine onkologische Kooperationsgemeinschaft zu bilden. Darin sollen mindestens die in der folgenden Übersicht genannten Fachbereiche vertreten sein. Diese Kerngemeinschaft kann und soll durch weitere Fachdisziplinen erweitert werden. Im Rahmen der onkologischen Zentren wird empfohlen, diese ärztliche interdisziplinäre Kooperation durch weitere Leistungserbringer zu erweitern (7 Übersicht). Die schriftliche Vereinbarung der ärztlichen Kooperationsgemeinschaft und deren Mitglieder sind der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung beim Beitritt zur Onkologie-Vereinbarung anzuzeigen. Fachbereiche, die in der onkologischen Kooperationsgemeinschaft enthalten sein sollten: 5 5 5 5 5
Hämatologie und Onkologie Pathologie Radiologie Strahlentherapie Chirurgie
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Fachdisziplinen, die die Kerngemeinschaft zusätzlich ergänzen sollten: 5 5 5 5 5 5 5
Gastroenterologie Pulmologie Gynäkologie Urologie Neurologie-Neurochirurgie Dermatologie u. a.
Die ärztliche interdisziplinäre Kooperation sollte durch folgende Leistungserbringer erweitert werden: 5 5 5 5 5
Psychosoziale Beratung und Dienste Apotheken und Pharmakoberatung Palliativmedizin und Pflegedienste Hospizdienste u. a.
Die ärztliche Kooperationsgemeinschaft hat folgende gemeinsame Aufgaben: 5 Erstellung, Überprüfung und Anpassung der Diagnose- und Therapiepläne 5 Regelmäßige patientenorientierte Fallbesprechungen 5 Onkologische Konsilien 5 Gegenseitige Information bei gemeinsamer Betreuung von Patienten 5 Festlegung des für die Koordination einer Behandlung zuständigen Arztes
Die Onkologie-Vereinbarung verpflichtet darüber hinaus zur regelmäßigen (mindestens 6-mal jährlich) Teilnahme an einem interdisziplinären onkologischen Arbeitskreis oder Qualitätszirkel (z. B. beim Tumorzentrum). Mit diesen Regelungen beinhaltet die Onkologie-Vereinbarung folglich zahlreiche Merkmale von (häufig organbezogenen) onkologischen Zentren (z. B. Brustoder Darmzentren), die seit einigen Jahren auf der Grundlage diverser Planungs- und Zertifizierungsansätze eingerichtet werden. Auch hier setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich ein on-
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Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
kologisches Zentrum eben nicht primär durch eine räumliche Lokalisierung von Leistungsangeboten bei einer einzigen Versorgungseinheit (in der Regel ein Krankenhaus) auszeichnet, sondern die fachliche und kooperative Integration von verschiedenen Kompetenzen in einem Netzwerk im Vordergrund stehen muss. Es ist davon auszugehen, dass die gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben die Erbringung spezieller Leistungen zunehmend an sektorübergreifende Qualitätssicherungsmaßnahmen und entsprechende Vereinbarungen der Leistungserbringer vor Ort knüpfen werden. Ein wichtiges Beispiel für diese Entwicklung liefern hier die Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Positronenemissionstomografie (PET), die unter bestimmten Voraussetzungen beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom eingesetzt werden kann [13]. Eine onkologische Praxis wird heute darauf hinwirken, zu vertraglichen Kooperationsvereinbarungen mit Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zu gelangen. Hierzu gehört z. B. die Teilnahme an Verträgen zur integrierten Versorgung auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V oder auch die Mitwirkung am »strukturierten Behandlungsprogramm« (DMP) zur Brustkrebsversorgung, bei dem die Krankenkassen allerdings regional in unterschiedlicher Weise die niedergelassenen Onkologen als Vertragspartner berücksichtigen. Zielführender sind hier möglicherweise zivilrechtliche Kooperationsvereinbarungen mit anderen Leistungsanbietern, die spätestens seit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz gerade auch für Onkologen eine Fülle von interessanten Optionen zum Austausch und zur Verknüpfung ambulanter und stationärer Angebote beinhalten [14]. Die vertraglich geregelte Zusammenarbeit setzt in der Regel zwischen den Partnern abgestimmte schriftliche Behandlungspfade voraus, die auch Entscheidungsalgorithmen beinhalten, welche Patienten unter welchen Voraussetzungen in die gemeinsame Versorgung eingebracht
werden. Im Vordergrund der Kooperation werden gemeinsame Fall- bzw. Tumorkonferenzen stehen, an denen neben dem internistischen Onkologen mindestens ein Strahlentherapeut und ein Chirurg teilnehmen sollte. Die onkologische Praxis sollte im Rahmen ihrer internen Standardisierung von Handlungsroutinen festlegen, unter welchen Voraussetzungen Patienten im Regelfall in einer Tumorkonferenz ggf. auch wiederholt vorgestellt werden sollen. Die internen Ablaufbeschreibungen (SOP) sollten bei Gemeinschaftspraxen auch regelhaft praxisinterne gemeinsame Fallbesprechungen vorsehen. Jede Praxis wird darüber hinaus einen Kreis von regelmäßigen Kooperationspartnern vorsehen, die im Bedarfsfall kurzfristig konsiliarisch herangezogen werden können. Dies gilt auch für den Wunsch des Patienten nach einer zweiten Meinung. Hämatologen und Onkologen müssen besondere Anstrengungen unternehmen, rechtzeitig und umfassend in die Behandlungsplanung von onkologischen Patienten einbezogen zu werden. Hierzu ist es unverzichtbar, dass sie ihrerseits in ausreichendem Maße konsiliarisch herangezogen werden. Von besonderer Bedeutung ist hier auch ein enger Kontakt zu den Hausärzten in der jeweiligen Region, die vielfach nach dem Verdacht einer onkologischen Diagnose routinemäßig einen weiteren Behandlungsweg, z. B. über die jeweiligen chirurgischen Fachabteilungen, einleiten, ohne dass eine internistische Abklärung der onkologischen Systemerkrankung und eine darauf gestützte Behandlungsplanung erfolgt. Hierzu eignen sich auch regelmäßige Informationsangebote für die zuweisenden und kooperierenden Hausärzte einer Praxis. Onkologische Praxen sollten sich regelmäßig darüber informieren, inwieweit die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kooperationspartnern funktioniert. Hierzu haben sich z. B. regelmäßige strukturierte Zuweiserbefragungen als QM-Instrument bewährt, indem eine Praxis ihre Kooperationspartner über die Zufriedenheit
101 5.12 • Qualitätsmanagementsystem
mit ihrem Leistungsangebot befragt und auf diesem Wege auch Verbesserungsvorschläge generiert. Bereits die Onkologie-Vereinbarung sieht eine regelmäßige Berichtspflicht des onkologisch verantwortlichen Arztes an den Hausarzt bzw. an kooperierende Ärzte vor. Jede Praxis sollte sich klare Regeln setzen, nach denen diese Berichte erstellt und übermittelt werden. Eine regelmäßige Überprüfung dieser Regeln und ihrer Einhaltung ist unverzichtbar. Ebenso sollte eine Praxis standardisierte Abläufe und zeitliche Vorgaben vorsehen im Hinblick auf Zusammenstellung und Übermittlung von Befunden, Bildern, Kurzberichten etc. für den Fall einer Überweisung oder konsiliarischen Vorstellung eines Patienten. Dies gilt auch ganz besonders für die regelhaften externen Verbindungen z. B. zur chirurgischen Anlage eines Ports, zytogenetischen Untersuchung etc. Die besondere Kompetenz hämatologischonkologischer Schwerpunktpraxen liegt in dem umfassenden wohnortnahen Versorgungsangebot, das eine breite Koordination der Gesamtbehandlung einschließt und in dieser Form kaum von anderen Leistungsanbietern wahrgenommen werden kann. Daher ist es unverzichtbar, dass sich niedergelassene Onkologen über die Möglichkeiten, Ziele und Inhalte vielfältiger komplementärer Dienste und Angebote für onkologische Patienten informieren und diese gezielt im Rahmen eines jeweiligen individuellen Behandlungsplan einsetzen können. Von Bedeutung sind hier u. a. auch Pflegedienste, ambulante und stationäre Hospizdienste, mit denen der Onkologe nach Möglichkeit eine abgestimmte Zusammenarbeit unter Einschluss des Hausarztes herbeiführen wird. Ziel ist eine angemessene ambulante palliativmedizinische Betreuung, für die sich das ambulante Setting und die Kompetenz des niedergelassenen Onkologen in besonderem Maße eignen.
5.12
5
Qualitätsmanagementsystem
Die Einführung eines systematischen Qualitätsmanagements in einer Praxis stellt ein Kraftakt dar, den eine Praxis nicht unterschätzen sollte. Eine systematische Vorbereitung und Planung der Einführung von Qualitätsmanagement ist unverzichtbar, um ggf. teure Umwege zu vermeiden. Umgekehrt sind übertriebene Befürchtungen vor diesem Schritt auch unnötig. Gut funktionierende Praxen haben in der Regel bereits eine Vielzahl von qualitätssichernden Maßnahmen vorgenommen, häufig werden diese aber nicht so benannt, bzw. nicht als Teil eines Gesamtsystems begriffen. Am Anfang wird daher in jeder Praxis zunächst einmal die Bestandsaufnahme stehen: »Was habe ich denn schon?« Meistens wird eine Praxis dabei feststellen, dass bis zu 50% der Anforderungen an ein systematisches Qualitätsmanagement seitens der Praxis schon erfüllt werden. Der Kern eines systematischen Qualitätsmanagements ist die Dokumentation, also die Beschreibung von Regeln und Abläufen in einer Praxis. Der größte Aufwand im Rahmen der Implementierung eines QM-Systems ist daher im Schreibaufwand zu sehen. Vieles, was z. B. bislang nur durch feste Gewohnheiten, durch mündliche Absprachen oder durch Anforderungen der Praxis-EDV strukturiert wurde, ist nun in ein absichtsvoll definiertes Verfahren umzudefinieren, zu notieren und damit einer regelmäßigen Überprüfung und Bewertung zugänglich zu machen. Vor einer Implementierung von Qualitätsmanagement wird sich jede Praxis fragen, ob dabei auf ein einschlägiges QM-System zurückgegriffen werden soll, und wenn ja, auf welches. Die Nutzung derartiger Systeme ist grundsätzlich hilfreich, um für den Dokumentationsprozess des praxisinternen Qualitätsmanagements auf eine bewährte Grundlage zurückzugreifen. Sofern die Praxis eine Zertifizierung anstrebt, ist es in aller Regel unverzichtbar, sich mit den spezifischen Anforderungen des jeweiligen QM-
102
5
Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
Systems vertraut zu machen und die praxisinterne Dokumentation darauf auszurichten. Sofern die Praxis das interne Qualitätsmanagement in erster Linie zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten und den eigenen Verbesserungsprozess nutzen will, so ist eine »Eigenentwicklung« völlig ausreichend. Auf jeden Fall muss sich eine Praxis zunächst ausgiebig mit einem geeigneten Dokumentationskonzept befassen, das für viele kommende Jahre trag- und entwicklungsfähig ist. Ein späterer Wechsel des Dokumentationskonzeptes ist immer mit hohem Zusatzaufwand verbunden. An anderen Stellen wurde schon auf die verschiedenen QM-Systeme eingegangen. Die beiden grundlegenden Systemkonzepte werden durch die international anerkannten Modelle des DIN/ISO-9000-Normensystems und das EFQM-System charakterisiert [30]. Beide Modelle erfordern in ihrer Grundform einen erheblichen konzeptionellen Aufwand, um sie auf die Besonderheiten der medizinischen Versorgung anzuwenden. Sowohl die eher technisch-normativ und an Fremdbewertung orientierte ISO-Systematik als auch das auf dem Total-Quality-Ansatz und der Selbstbewertung mit Benchmarking beruhende EFQM-Systeml liefern keinen unmittelbaren Zugang zu medizinischer Versorgungsqualität. Die für die ambulante Versorgung in den letzten Jahren entwickelten QM-Systeme führen in unterschiedlicher Weise Elemente aus den beiden Grundmodellen zusammen und sind gleichzeitig auf die Besonderheiten der medizinischen Versorgung ausgerichtet. Im Wesentlichen stehen hier folgende Modelle zur Verfügung: QM-Systeme für die ambulante Versorgung 5 EPA – Europäisches Praxis-Assessment 5 KTQ – Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen 5 QEP – Qualität und Entwicklung in Praxen
EPA wird seit einigen Jahren auf der Grundlage
einer internationalen Kooperation mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung entwickelt und seitens des Göttinger AQUA-Institutes betreut. Im Vordergrund steht die Entwicklung von Indikatorenkatalogen und Benchmarking der Praxen für das gegenseitige Lernen. EPA ist jedoch bislang schwerpunktmäßig auf die hausärztliche Versorgung ausgerichtet, eine fachärztliche Version wird erst seit Kurzem angeboten. KTQ ist ein gemeinsames Modell der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen unter Mitwirkung der Deutschen Krankenhausgesellschaft u. a. anderer Verbände von Leistungsanbietern. KTQ ist geprägt durch seine Erstentwicklung für den stationären Sektor, eine Version für Praxen wurde erst nachträglich erstellt, und orientiert von vornherein auf eine externe Bewertung im Rahmen einer Zertifizierung. QEP ist das jüngste dieser Modelle und vor wenigen Jahren von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) initiiert und direkt von niedergelassenen Ärzten für ärztliche Praxen entwickelt worden. Das Modell beruht auf einem Qualitätszielkatalog, der sich sehr eng an den Vorgaben und die Struktur der Qualitätsrichtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses orientiert. Neben diesen Modellen gibt es noch eine ganze Reihe anderer, z. T. bislang regional begrenzter QM-Modelle, z. B. die von den Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe angebotenen Modelle »qu.no« und KPQM. Beide Modelle sind nicht wie die o. g. darauf ausgerichtet, die Qualität einer Praxis umfassend abzubilden und zu bewerten. Sie verstehen sich als Instrumente zur Qualitätsbefähigung und werden daher auch als Wegbereitung für eine spätere Zertifizierung nach einem anderen System, z. B. DIN/ISO- oder – seit jüngerer Zeit – QEP, angeboten. Insgesamt haben diese Modelle daher einen geringeren Stellenwert. Jede Praxis wird für sich entscheiden müssen, ob sie mit der Implementierung von Quali-
103 5.12 • Qualitätsmanagementsystem
tätsmanagement vordringlich auch eine Zertifizierung anstrebt. Teilweise werden Zertifizierungen für die Teilnahme an Verträgen oder Modellen der integrierten Versorgung von anderen Leistungsanbietern, z. B. Krankenhäusern oder Krankenkassen, zur Voraussetzung gemacht. Insgesamt erscheint heute aber eine Zertifizierung eher von untergeordneter wirtschaftlicher und qualitätspolitischer Bedeutung für eine Praxis, zumindest konnte der wirtschaftliche Vorteil nicht belegt werden. Immerhin müssen allein für das Zertifizierungsverfahren mindestens 1500– 2000 EUR in Rechnung gestellt werden, einzelne Zertifizierungssysteme, z. B. ISO, liegen noch erheblich über diesem Betrag und lösen auch für die im Regelfall nach 3 Jahren erforderliche Rezertifizierungen beträchtliche Kosten aus [29]. Das sind natürlich bei Weitem nicht alle Kosten, die für die Implementierung von Qualitätsmanagement zu berücksichtigen sind. Neben den direkten Kosten ggf. für Beratung, Schulung oder Unterlagen ist insbesondere der Arbeitszeitaufwand nicht zu unterschätzen. Die Erhebung der Stiftung Gesundheit unterstützt die Schätzung, dass für die Implementierungsphase eines QM-Systems im Durchschnitt etwa ein Jahr zu berücksichtigen ist, in dem aufseiten der Praxisleitung mehr als 5 Stunden und für die Mitarbeiter bis zu 8 Stunden Arbeitszeit pro Woche zu veranschlagen sind. Auch nach Einführung des Qualitätsmanagement ist noch mit einer Arbeitszeitbindung von 1–2 Stunden für die Praxisleitung und 3 Stunden im Mitarbeiterbereich wöchentlich anzusetzen [29]. Der BNHO hat nach einer sorgfältigen Prüfung durch sein wissenschaftliches Institut (WINHO) im März 2006 festgestellt, dass das QM-System QEP im Hinblick auf die Fortentwicklung von Qualitätsmanagement in onkologischen Schwerpunktpraxen auch unter Berücksichtigung der Kosten geeignet erscheint. Im Auftrag des BNHO hat das WINHO gemeinsam mit niedergelassenen Onkologen eine ergänzende Überarbeitung des KBV-Systems
5
vorgenommen und stellt den WINHO-Partnerpraxen, die sich für die Einführung von QEP entscheiden, eine angepasste Version von QEP zur Verfügung. Diese speziell auf onkologische Praxen ausgerichtete QEP-Version ist unter der Bezeichnung »OnkoQEP« als Internetplattform ausgestaltet und baut darauf auf, dass die teilnehmenden onkologischen Schwerpunktpraxen dieses Modell gemeinsam als lernendes System fortentwickeln und verbessern. Insgesamt kann daher QEP in Verbindung mit OnkoQEP derzeit als eine besonders geeignete Grundlage für die Implementierung eines Qualitätsmanagements in onkologischen Praxen empfohlen werden. Trotz zahlreicher Musterdokumente, Arbeitshinweise und anderer Hilfen, die ein etabliertes und auf den Versorgungsauftrag ausgerichtetes QM-System zur Verfügung stellt, muss jede Praxis ihr eigenes Qualitätsmanagement ausarbeiten und »zum Leben erwecken«. Der Kern der Implementierung von Qualitätsmanagement besteht darin, dass eine Praxis die eben nur dort gegebenen konkreten Verhältnisse analysiert und ihr Qualitätsmanagement auf die eigenen Bedürfnisse zuschneidet. Auch hier gilt: Qualitätsmanagement ist kein Kochbuch, aus dem schematisch Rezepte entnommen werden können. Jede Praxis muss in erster Linie eine eigene QM-Dokumentation für sich erstellen und sicherstellen, dass dieses Dokumentationssystem in traditioneller Papierform und/oder elektronischer Form alle Informationen für die Adressaten des Qualitätsmanagements in einer Praxis enthält und ggf. zugleich externe Visitoren, Gutachter, Zertifizierer – wie sie auch immer genannt werden mögen – bei Bedarf über den Stand des Qualitätsmanagements in einer Praxis unterrichtet. > Die QM-Dokumentation ist das Herzstück des Qualitätsmanagements und muss der besonderen Obhut von QMBeauftragten und Praxisleitern unterliegen.
104
5
Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
Die jeweils erforderlichen QM-Dokumente müssen auf dem aktuellen Stand für und nach Möglichkeit an jedem Arbeitsplatz in einer Praxis verfügbar sein. Aus diesem Grunde muss jede Praxis prüfen, inwieweit sie die QM-Dokumentation EDV-gestützt vornehmen kann. In größeren Praxen mit vernetzten Arbeitsplatzrechnern kann auf diesem Wege eine zentrale Steuerung der QM-Informationen sichergestellt werden. Jede Praxis muss dabei selbst zu Beginn der Implementierung entscheiden, ob sie von vornherein eine Dokumentenverwaltungssoftware einsetzen will5. Erfahrungsgemäß bringen diese elektronischen Lösungen wieder zusätzlichen Einarbeitungs- und Schulungsaufwand mit sich, der neben der eigentlichen QM-Arbeit zu leisten ist. Leider sind diese Programme nicht mit der übrigen Praxis-EDV vernetzt. Es ist auch mithilfe der üblichen Standardbürosoftware möglich, eine elektronische Dokumentation ausreichend und mit einfachen Mitteln zu gestalten. Die QM-Dokumentation muss insbesondere darauf ausgerichtet sein, den QM-Prozess in der Praxis nachvollziehbar zu halten. Daher ist nicht nur die umfassende Sammlung aller Dokumente von Bedeutung, es muss insbesondere auch die Historie ihrer Veränderung ablesbar sein. Insgesamt müssen alle Unterlagen zusammengeführt werden, die Qualitätsanforderungen, Regeln, Anweisungen, Protokolle, Checklisten usw. beinhalten. Zum Teil ergeben sich allein daraus schon veränderte Anforderungen für die Praxisverwaltung und deren Handhabung. Jede Praxis ist gut beraten, im Rahmen der eigenen regelmäßigen qualitätsbezogenen Zieldefinition Kennzahlen zu entwickeln, mit denen die Qualitätsveränderung ihrerseits gemessen werden kann. Allgemeine Empfehlungen können hierfür bislang nicht gegeben werden. 5
Z. B. DVS-Qualitätsmanagement der Mebeg GmbH & Co. KG, Frankenthal (erstellt in Kooperation mit der KV Rheinland-Pfalz); MedQualitätsmanagement der Medizin-Qualitätsmanagement GmbH & Co. KG Niedernberg.
Qualitätsindikatoren der ambulanten Versorgungsqualität stellen derzeit einen wichtigen Gegenstand in der Qualitätsdiskussion dar. Es ist davon auszugehen, dass die Fortentwicklung der gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Qualitätssicherung in absehbarer Zeit den Versuch unternehmen wird, die Ergebnisse des Qualitätshandelns in den Praxen auf möglichst einfache Weise allgemein abzubilden. Es wird sich zeigen müssen, ob Qualitätsindikatoren in der Lage sein werden, die gewünschte Transparenz in den Einrichtungen der Gesundheitsversorgung für die Gesundheitspolitik und die Kostenträger, vielleicht aber sogar auch für Patienten herzustellen. Nicht zuletzt im Hinblick auf die bislang unbefriedigende Berücksichtigung der medizinischen Ergebnisqualität bei allen Fragen des praxisinternen Qualitätsmanagements und der indikatorenbezogenen Qualitätsmessung stellen sich hier noch viele schwierige Probleme. Internes Qualitätsmanagement und externe Qualitätssicherung werden so längerfristig auch in der onkologischen Versorgung stärker aufeinander zulaufen. Daneben wird die sektorübergreifende Qualitätssicherung an Bedeutung gewinnen, denn eine onkologische Behandlung kreuzt in ihrem Verlauf die Sektorengrenzen in aller Regel häufig. Qualitätsmanagement und Qualitätsmessung können folglich auf Dauer nicht an den Grenzen einer Einrichtung haltmachen. Die niedergelassenen Onkologen sind daher gut beraten, sich rechtzeitig mit ihren fachlichen und berufspolitischen Vertretungen in diese Diskussionen einzuschalten. Die onkologischen Schwerpunktpraxen können dabei mit ihrem bisherigen Engagement für eine hohe Versorgungsqualität und Standards, der großen Bedeutung wissenschaftlicher begleiteter Patientenversorgung in Studien und den gemeinsamen Maßnahmen wie dem Qualitätsbericht auf einer guten Grundlage aufbauen.
105 Literatur
Literatur 1 AIO (2010) Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) der DKG. http://www.aio-portal.de. Gesehen 7 Jan 2010 2 AKS (2010) Arbeitskreis Klinische Studien (AKS). http:// www.akstudien.de. Gesehen 7 Jan 2010 3 Aly AF, Schmitz S (2005) Qualitätssicherung in der ambulanten onkologischen Krankenversorgung. Der Onkologe 12: 1278 4 ÄZQ (2006) Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Das Deutsche Leitlinien-Clearing-Verfahren 1999–2005, Abschlussbericht, Berlin 5 BÄK (2007) Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis. Deutsches Ärzteblatt 30. März 2007, 891–896 6 BÄK (2008) Bundesärztekammer (Hrsg), QuerschnittsLeitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, Berlin 7 Baumann W, Nonnenmacher A., Weiß B, Schmitz S (2008) Patientenzufriedenheit in onkologischen Schwerpunktpraxen. Deutsches Ärzteblatt 105 (50), 871–877 8 Bell C, French W (1994) Organisationsentwicklung, Stuttgart 9 BNHO e. V. (2009), Qualitätsbericht der onkologischen Schwerpunktpraxen 2009, Köln 10 BSG (2006) Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. April 2006 (B 1 KR 07/05 R) über Import-Arzneimittel – Tomudex-Urteil. http://www.bsg.bund.de. Gesehen 5 Mai 2007 11 DGHO (2005) Onkologische Zentren – eine Stellungnahme der DGHO zu den Anforderungen an eine kontiniuierliche, umfassende, ambulante und stationäre Versorgung von onkologischen Patienten. http://www. dgho.de/dgho/publikat.htm Gesehen 25 Apr 2007 12 Diehl F, Gibis B (2007) Qualität und Entwicklung in Praxen, QEP-Manual, Kernziel-Version, KBV, Berlin, S XI 13 Gemeinsamer Bundesausschuss (2007) Beschluss über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, Positronenemissionstomografie (PET) vom 18. Januar 2007, BAnz. Nr. 79 vom 26.04.2007, 4362 14 Halbe B, Schirmer HD (2007) Handbuch Kooperationen im Gesundheitswesen, Rechtsformen und Gestaltungsmöglichkeiten, Heidelberg 15 Heese B, Zur Mühlen A (2009) Tätigkeiten mit Zytostatika. Ein Leitfaden für die Praxis. Regierung von Oberbayern, Gewerbeaufsichtsamt, München 16 http://www.g-ba.de/downloads/40-268-52/2005-10-18QM-RL-Gruende.pdf 17 http://www.gesetze-im-internet.de 18 http://www.jeder-fehler-zaehlt.de
5
19 http://www.lymphome.de. Kompetenznetz Maligne Lymphome (KML) 20 http://www.q-m-a.de 21 http://www.in-gho.de. Initiative Geriatrische Hämatologie und Onkologie 22 KBV (2008) Statistische Informationen aus dem Bundesarztregister, Stand 31.12.2008. http://www.kbv.de/ publikationen/125.html. Gesehen 18 Jan 2010 23 KBV (2009) Anlage 7 Bundesmantelvertrag: Onkologie-Vereinbarung. Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten, http:// www.kbv.de/rechtsquellen/134.html. Gesehen 10 März 2010 24 KBV (2009) Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 2009. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage März 2009. http://www.kbv. de. Gesehen 3 März 2010 25 Kleeberg UR, Tews JT, Ruprecht T, Hoeing M, Kuhlmann A, Runge C (2005) Patient satisfaction and quality of life in cancer outpatients: results of the PASQOC study. Support Care Cancer 13(5): 303–310 26 Klinkenberg U (2007) Zur Wirksamkeit von QM-Systemen in der ambulanten Versorgung – eine empirisch-explorative Studie. http://www.qm-arztpraxis.de. Gesehen 18 Apr 2007 27 Ködding DK (2007) Anwendbarkeit und Relevanz Geriatrischer Assessments bei Tumorpatienten über 70 Jahren in der ambulanten Versorgung, Dissertation, Köln 28 Müller T (2006) Patientensicherheit in der Onkologie. Strategien zur Vermeidung von Fehlern bei der Chemotherapie. In: Forum DKG 1/06, 35–40 29 Obermann K, Müller P (2007) Qualitätsmanagement in der ärztlichen Praxis. Eine deutschlandweite Befragung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. http://www.stiftung-gesundheit.de/forschung/studien.htm. Gesehen 6 Feb 2010 30 Ollenschläger G (2000) Gedanken zur Zertifizierung in der ambulanten Versorgung, dargestellt am Beispiel der DIN EN ISO-Zertifizierung. In: ZaefQ 2000, 94: 645–649 31 RKI (2001) Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten, Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz, 11/2001, 1115–1126 32 Schmitz S (2006) Die Therapieentscheidung muss beim Arzt bleiben. Im Focus Onkologie, Sonderausgabe 1/2006 33 Schmitz S et al. (2003), Wenn Therapiekosten zum Zankapfel werden. Deutsches Ärzteblatt 100, 25. Juli 2003, A 1995–1997 34 Simoes E, Mayer ED, Boukamp FW (2005) Indikatoren im Rahmen des internen Qualitätsmanagements in Arztpraxen. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin 40(7): 398–408
106
Kapitel 5 • Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung onkologischer Patienten
35 Steinmetz T (2007) Hämatologie und Onkologie. In: Birkner et. al. (Hrsg) Qualitätsmanagement Innere Medizin (QMI), München und Jena 36 Streuf R et al. (2006) Qualität und Qualitätsentwicklung in Praxen – epidemiologische Ergebnisse der begleitenden Evaluation des neuen Qualitätsmanagementsystems der KBV, Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh. wes 2006, 113–120
5
107
Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie Harald Schmalenberg
6.1
Planung von Patientenpfaden – 108
6.2
Die interdisziplinäre Tumorkonferenz – 111
6.3
Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften – 116 Literatur – 141
6
108
6
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Das Qualitätsmanagement im Rahmen eines interdisziplinären Zentrums stellt eine besondere Herausforderung dar. Viele Behandlungspartner, die unterschiedlichen Hierarchien entstammen, müssen zusammenarbeiten. Neben den Elementen des Qualitätsmanagements, die für jede Organisation gelten, gibt es Besonderheiten in dem »Zusammenschluss unter Gleichen«, den ein interdisziplinäres Zentrum darstellt. Zwei Instrumente können für interdisziplinäres Qualitätsmanagement besonders genutzt werden: Patientenpfade und eine interdisziplinäre Tumorkonferenz. Patientenpfade stellen ein prozessorientiertes Instrument dar, das in geradezu idealer Weise für das interdisziplinäre Qualitätsmanagement in »Onkologischen Zentren« genutzt werden kann. Die Tumorkonferenz dagegen ist das Kernelement der Zusammenarbeit: Hier werden die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen festgelegt, hier laufen die Ergebnisse der Diagnostik zusammen und werden bewertet. Auf die Organisation der Tumorkonferenz und die Voraussetzungen für eine gute Funktion soll deshalb besonders eingegangen werden. Das interdisziplinäre Qualitätsmanagement in der Onkologie wurde in den letzten Jahren durch die Schaffung nationaler S3-Leitlinien (7 Abschn. 2.3), die Zentrumsbildung und die Zertifizierungsverfahren, die von den Fachgesellschaften angeboten werden, vorangetrieben. Organzentren und onkologische Zentrumsbildung haben die Behandlung der Tumorerkrankungen in den letzten Jahren verändert. Es sollen daher die Zertifizierungsverfahren, ihre Grundlagen, Anforderungen und Modelle ausführlich dargestellt und die Frage beantwortet werden, in welche Richtung die weitere Entwicklung gehen könnte.
6.1
Planung von Patientenpfaden
Die meisten Krankenhäuser sind ärztezentriert. Damit ist gemeint, dass im Zentrum des Be-
handlungsverlaufes eines Patienten die Entscheidungen stehen, die von Ärzten gefällt werden. Ärzte nehmen diagnostische oder therapeutische Maßnahmen vor, die Prozessabläufe sind durch diese Maßnahmen bestimmt und das medizinische Hilfspersonal oder andere Ressourcen danach ausgerichtet. Bei einer interdisziplinären Behandlung könnte man davon sprechen, dass der Patient von einer »Ärzteinsel« zur nächsten weitergereicht wird, wobei der Zeitpunkt des »Weiterreichens« von der jeweiligen »Ärzteinsel« bestimmt wird. Zwar orientiert sich die Art der Maßnahme an den Untersuchungsergebnissen und folgt in der Regel z. B. Leitlinien, die die Freiheitsgrade einschränken, aber in letzter Konsequenz ist für den Prozessablauf im Wesentlichen der Arzt mit seinen Entscheidungen verantwortlich. Eine völlig andere Sichtweise auf die Abläufe in einem Krankenhaus entsteht, wenn man den Behandlungsablauf patientenzentriert betrachtet. Diese stark prozessorientierte Sichtweise besteht darin, dass man für einen Patienten mit einer konkreten Diagnose den Durchlauf durch die Institutionen verfolgt, der von dem Krankheitsbild bestimmt wird. Auf diese Art und Weise kann man einzelne Leistungskomponenten oder Gruppen von Leistungskomponenten definieren (in der Terminologie des Projektmanagements würde man von »Arbeitspaketen« sprechen), die für den Behandlungsablauf der Erkrankung erforderlich sind. Diese Komponenten können standardisiert werden, es können Zeiträume für die Erbringung dieser Leistungen definiert werden und es können die Kosten, die die Leistungserbringung verursacht, sehr genau berechnet werden bis hin zu »Arztminuten«, die für die erbrachte Leistung veranschlagt werden. Auch für den Bedarf bestimmter Leistungen entsteht eine andere Sichtweise: Anhand der Patientenzahlen mit bestimmten Krankheitsbildern wird sehr schnell die Auslastung der verschiedenen Bereiche transparent. Man definiert den »Pfad« einer interdisziplinären Leistungserbringung, daher
109 6.1 • Planung von Patientenpfaden
spricht man auch von Patientenpfaden (»clinical pathways«). Die Änderung der Sichtweise kann man auch durch folgende Überlegung deutlich machen: Während in einem ärztezentrierten System der Arzt im übertragenen Sinne von einem entsprechend ausgestatteten Behandlungsraum zum nächsten läuft, in dem die Patienten auf ihn warten (und dauert es bei einem Patienten länger, müssen die nachfolgenden eben etwas länger warten), läuft in einem patientenzentrierten System der Patient im übertragenen Sinne von einem Raum, in dem die Behandler sitzen, zum nächsten. Und jedes Mal, wenn ein Patient den Raum des Behandlers betritt, macht er eine Zeitund Ressourcenvorgabe für die vorgesehene Behandlungsmaßnahme. Die beschriebene Umkehrung der Sichtweise lässt sich hervorragend für ökonomische Zwecke nutzen. Man kann sagen, der Vorteil von Patientenpfaden besteht darin, dass das medizinisch Notwendige definiert wird und gekoppelt wird mit der Betrachtung der zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Diese Vorgehensweise lässt sich auch noch durchhalten, wenn ein Behandlungsalgorithmus mehrere alternative Wege, z. B. je nach Untersuchungsergebnis einer bestimmten diagnostischen Maßnahme, nutzt. Es ist in diesem Fall lediglich erforderlich, den Anteil der Patienten zu kennen, die statistisch den einen oder den anderen Behandlungspfad beschreiten. In . Abb. 6.1 wurde versucht, den alternativen Behandlungswegen geschätzte Häufigkeiten der Inanspruchnahme zuzuordnen. Ein Betriebswirt kann nun die durchschnittlichen Kosten für die Behandlung des betreffenden Krankheitsbildes errechnen im Sinne einer »Fallpauschale«. Gleichzeitig eignet sich die Sichtweise der Patientenpfade hervorragend dazu, Prozesse, die in dieser Weise abgestimmt und festgeschrieben wurden, zu optimieren. Ausgeklügelte Softwareinstrumente sind mittlerweile in der Lage, definierte Patientenpfade zu bestimmten Krankheitsbildern und deren Optimierung mit
6
den ökonomischen Daten zu untersetzen. Damit sind Patientenpfade einem Plan-Do-CheckAct-Kreislauf zugänglich und können zu einem zentralen Entwicklungsgegenstand in einem Qualitätsmanagementsystem werden, auf dessen Grundlage eine Patientenorientierung der Organisation erfolgen und nachgewiesen werden kann. Aber nicht nur ökonomisch lassen sich Patientenpfade nutzen. In einem interdisziplinären Zentrum wechseln Patienten im Verlauf der Diagnostik und Therapie u. U. mehrmals die Fachdisziplinen. Patientenpfade können nun dazu genutzt werden, auf der Grundlage von Leitlinien den optimalen Behandlungsprozess zu definieren und den »Durchlauf« des Patienten durch das Zentrum während dieses Behandlungsprozesses festzulegen. Alleine diese Vorgehensweise kann schon Optimierungen des Ablaufs herbeiführen, wird aber vor allem dem interdisziplinären Ansatz gerecht: Abläufe enden nicht an der Schnittstelle zur »nächsten« behandelnden Fachdisziplin, sondern werden insgesamt für das gesamte Zentrum betrachtet. Aus dem Gesagten wird ersichtlich, warum sich Patientenpfade nicht nur für ökonomische Fragestellungen eignen, sondern auch ein bevorzugtes Instrument für die Organisation eines interdisziplinär arbeitenden Zentrums darstellen. Es ist evident, dass die Konstruktion eines Patientenpfades stark von den örtlichen Gegebenheiten abhängt, aber auch eine interdisziplinäre Herausforderung zwischen den Berufsgruppen und Fachdisziplinen darstellt. z
Wie kann man nun zu funktionierenden Patientenpfaden gelangen?
Am Anfang steht die Auswahl der Krankheitsbilder oder Fragestellungen, für die Patientenpfade definiert werden sollen. Nach dem ParetoPrinzip sollten die Patientenpfade die Patienten betrachten, deren Krankheitsbilder 80% aller behandelten Diagnosen ausmachen. Sind diese Krankheitsbilder definiert, sollte ein fach- und
110
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Benigne Veränderung
Zuweisung mit V. a. Mammakarzinom
100%
Anamnese/klinischer Befund
100%
Tastbefund, Sonografie, Mammografie
100%
Zusätzlich MRT
95%
5%
5% Stanze zur histologischen Sicherung
100%
Ausbreitungsdiagnostik
95%
5%
6
OP
90%
Histologie Tumorkonferenz Palliative Chemo- u./o. Radiotherapie
80%
Adjuv. Chemou./o. Radiotherapie
90%
95%
Hormontherapie
Nachsorge Hospiz
10%
90%
1% Rezidiv
10%
. Abb. 6.1 Beispielhafter klinischer Behandlungsablauf nach Erstdiagnose Mammakarzinom. (Mod. nach [5])
berufsgruppenübergreifende Arbeitsgruppe einen Patientenpfad konstruieren, wofür auch statistische Daten, z. B. aus dem Krankenhausinformationssystem, genutzt werden sollten. Der Patientenpfad orientiert sich an den fachlichen Vorgaben der Leitlinien, den örtlichen Gegebenheiten und z. B. statistischen Auswertungen, wie oft ein alternativer Behandlungspfad von den entsprechenden Patienten beschritten wird. Der Patientenpfad wird anschließend bis auf die sog. Arbeitskomponenten »heruntergebrochen«, d. h. bis auf die Ebene einzelner Tätigkeitsgruppen (z. B. Durchführung der Chemotherapieap-
plikation). Diese können weiter z. B. durch SOP geregelt oder optimiert werden. Ist der Patientenpfad in einem breiten Konsens konstruiert worden, folgt die Implementierung. Dafür ist zunächst eine Begleitung in einer Pilotphase erforderlich, um Mängel oder Defizite in der Planung zu erkennen. Anschließend ist eine breite Schulung der Mitarbeiter notwendig, denen nicht nur der Prozess dargestellt werden muss, sondern denen auch vermittelt werden muss, an welcher Stelle im Patientenpfad sie eine Aufgabe zu erfüllen haben. Dabei ist es wichtig, sich immer sehr nah an den Bedürfnissen des Patienten zu orientieren, sozusagen den gesamten
111 6.2 • Die interdisziplinäre Tumorkonferenz
Behandlungsablauf mit den Augen des Patienten zu sehen. Alle vorhandenen Ressourcen werden sich dann automatisch auf einen möglichst reibungslosen und interdisziplinär optimalen Ablauf ausrichten. Die Dokumentation von Patientenpfaden kann in einem Flussdiagramm erfolgen, muss aber nicht auf diese Weise dargestellt werden. Auch in Tabellenform lassen sich Patientenpfade abbilden. Definiert man bestimmte Eckdaten für den Patientenpfad, an denen der Erfolg des interdisziplinären Ablaufs abgelesen werden kann, besitzt man ein wichtiges Instrument, um den Patientenpfad zu optimieren. Je nach dem, welche Ziele man setzt, kann z. B. der Zeitraum zwischen OP und Beginn der adjuvanten Therapie ein Parameter sein, an dem die Zusammenarbeit abgelesen werden kann. Ein anderes Beispiel für Eckdaten, die den Patientenpfad qualitativ beschreiben können, ist die Erfassung des Anteils der Patientinnen, die in einem Brustzentrum in der Tumorkonferenz besprochen werden. > Patientenpfade stellen ein wichtiges Instrument dar, um in einem Zentrum, in dem viele Fachgebiete zusammenarbeiten, den Patientendurchlauf im Sinne der medizinischen Anforderungen festzuschreiben und zu optimieren. Die Erstellung und Anwendung verbessert die interdisziplinäre Zusammenarbeit und ist für das Zentrum identitätsfördernd. Patientenpfade tragen dazu bei, dass ein standardisierter Behandlungsablauf für einen Patienten gewährleistet wird, egal bei welchem der Behandlungspartner er sich zuerst vorstellt.
6.2
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Die interdisziplinäre Tumorkonferenz
Die Tumorkonferenz stellt das Kernstück der interdisziplinären Zusammenarbeit in einem Tumor- oder Organzentrum dar. In der Konferenz soll das Wissen auf der Basis von Leitlinien und die Erfahrung der verschiedenen Fachgebiete zusammenkommen und im Sinne des Patienten zusammenwirken, d. h. die für den Patienten beste Therapieentscheidung gefällt werden. Die Zusammenarbeit in einer Tumorkonferenz erfordert für viele Mediziner ein Umdenken: Traditionell sind Kliniken hierarchisch organisiert mit einem Kompetenzgefälle »von oben nach unten«, d. h. der erfahrenste Arzt steht an der Spitze der Hierarchie, ist weisungsbefugt und kontrolliert die Therapiekonzepte und deren Umsetzung, z. B. im Rahmen einer Chefvisite. Damit existieren in der Regel keine gleichberechtigten Meinungen zur weiteren Diagnostik und Therapie des Patienten aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Falle abweichender Vorstellungen und Meinungen gibt es nur die »richtige« des Chefs, die umgesetzt wird und unbedeutende, abweichende Auffassungen nachgeordneter Ärzte. Auch wenn in vielen Kliniken bereits im Sinne einer modernen Menschenführung der Chefarzt kollektive Entscheidungen, z. B. im Austausch mit seinen Oberärzten, herbeizuführen versucht, bleibt im Kern das hierarchische System bestehen. In der Tumorkonferenz findet sich eine andere Situation: Es treffen gleichberechtigte Partner aufeinander, deren Auffassungen über die weitere Vorgehensweise oder überhaupt über die Diagnose des Patienten grundsätzlich verschieden sein können. Es fällt vielen Medizinern schwer, sich aus dem gewohnten Denken zu lösen und einen Kompromiss zwischen den Behandlungspartnern zu finden. Nur wenn sich alle Beteiligten zum Erarbeiten eines gemeinsamen Lösungsweges verpflichten und die eigene Auffassung auch relativieren können, kann eine Tumorkon-
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
ferenz erfolgreich im Sinne des Patienten sein. Hier können Leitlinien, zu deren Anwendung sich natürlich die Teilnehmer grundsätzlich verpflichten müssen, hilfreich sein. In Deutschland existieren mittlerweile für so wichtige und verbreitete Tumorentitäten wie das Mammakarzinom oder das kolorektale Karzinom S3-Leitlinien, deren Bedeutung und wissenschaftliche Grundlage in der Regel von Schulmedizinern anerkannt wird. Trotzdem verbleiben im Einzelfall viele Entscheidungen, die nicht in den Leitlinien abgebildet sind und die ein abgestimmtes, individuelles Vorgehen erfordern. Die Erfahrung mit Tumorkonferenzen zeigt, dass über die Zeit das Vertrauen zwischen den Fachgebieten zunimmt und die Tumorkonferenz Einblicke in das jeweils andere Fachgebiet vermittelt, die die »chirurgische« oder »internistische« Denkweise transparenter machen. Als klassisches Beispiel kann die Frage dienen, ob nach Entfernung von Metastasen eine anschließende »adjuvante« Chemotherapie bei aktueller Tumorfreiheit durchgeführt werden soll oder nicht. Bei vielen Tumorentitäten ist die Datenlage zu dieser Frage unklar und die z. T. sehr engagiert geführten Diskussionen im Rahmen einer Tumorkonferenz drehen sich um die Frage, ob man sich der häufig »chirurgischen Fraktion« (»es muss alles getan werden, um dem Tumor den Rest zu geben«) oder der häufig konservativen »internistischen Fraktion« (»es ist eine Systemerkrankung, Chemotherapie erst, wenn den Nebenwirkungen ein unmittelbar messbarer Nutzen gegenübersteht« u. Ä.) anschließen möchte. Aus der Erfahrung des Autors und der anderer Kollegen, die an vielen Tumorkonferenzen teilgenommen haben, können vergleichbare Diskussionen schnell entgleiten, in persönliche Angriffe (»so bringen Sie Patienten um«) oder Belehrungen übergehen (»offenbar haben Sie das nicht verstanden, ich muss es Ihnen wohl noch einmal erklären«) oder aber die Meinung weniger autoritär auftretender Fachgebiete, z. B. der
Pflege, werden ignoriert. Man sollte sich dieser Gefahren bewusst sein, oft handelt es sich bei den Beteiligten um sehr engagiert für ihre Patienten eintretende Kollegen, die bisher, besonders in leitenden Positionen, bis zur Einführung der Tumorkonferenz in ihrer Meinung selten in Frage gestellt wurden. Natürlich hängt der Wert eines Arguments nicht vom Fachgebiet oder von der Stellung in der Krankenhaushierarchie ab. Auch die Patientenperspektive hat ihre Berechtigung, die Qualität der Entscheidung hängt auch von der Einstellung des Patienten zum weiteren Verlauf der Erkrankung bzw. deren Therapie ab. > Es ist daher unbedingt erforderlich, dass der Patientenfall zumindest von einem Kollegen vorgestellt wird, der den Patienten persönlich kennt und neben der Einschätzung des Allgemeinzustandes auch etwas zu den persönlichen Wünschen des Patienten sagen kann. In diesem Zusammenhang ist auch die Meinung der Pflege (die häufig gar nicht an der Konferenz teilnimmt!), die Haltung des Palliativteams, der Psychologin etc. zu berücksichtigen.
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass nur dann die bestmögliche Entscheidung für den Patienten herbeigeführt werden kann, wenn der Vorbereitung der Konferenz im Sinne des Zusammentragens aller Informationen eine sehr große Bedeutung zukommt. Vor dem genannten Hintergrund ist die Moderation einer Diskussion im Rahmen einer Tumorkonferenz empfehlenswert. Wenn das Ziel der Veranstaltung ist, den bestmöglichen Kompromiss zu finden und sich nicht der Meinung des Teilnehmers mit der größten Autorität anzuschließen, müssen Argumente ausgetauscht werden und Kompromisslinien gefunden werden. > Ein Moderator sollte darauf achten, dass Argumente nicht in Belehrungen übergehen, persönliche Angriffe unter-
113 6.2 • Die interdisziplinäre Tumorkonferenz
bleiben, Vertreter aller Fachrichtungen auch gehört werden und immer wieder zur Grundlage der Leitlinien zurückgefunden wird.
Dafür ist ein Moderator mit hoher Akzeptanz bei den Beteiligten erforderlich, der sich in der Diskussion selbst zurücknimmt und mäßigend einwirken kann. Der aufrichtige gegenseitige Respekt ist die wichtigste Voraussetzung, die die Teilnehmer neben ihrem Fachwissen mitbringen müssen. z
Wie kann nach dem Gesagten eine Tumorkonferenz überhaupt noch in einem zeitlich vertretbaren Rahmen ablaufen?
Hier spielt die Vorbereitung der Konferenz und die Präsentation der Befunde eine entscheidende Rolle. Wird z. B. der zu diskutierende Fall von einem Kollegen mündlich vorgetragen, der die unsortierte Akte zum ersten Mal in der Hand und den Patienten nie gesehen hat, wird dies sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, ohne dass die anderen Teilnehmer an der Konferenz einen wirklich umfassenden Eindruck von dem Kasus gewinnen können. Es ist sogar sehr gut möglich, dass wichtige Befunde unerwähnt bleiben, eine Therapieentscheidung völlig am Willen des Patienten vorbeigeht und im schlimmsten Falle aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes überhaupt nicht zugemutet werden kann. Damit ist die Entscheidung der Tumorkonferenz wertlos und es ist schade, dass soviel Zeit der Konferenzteilnehmer in Anspruch genommen wurde, ohne dass der Patient davon einen Nutzen hatte. Es kann sogar vorkommen, dass der Patient in der darauffolgenden Woche nochmals vorgestellt werden muss, da der Konferenzbeschluss offenbar nicht umsetzbar war. Werden häufig entsprechende Entscheidungen gefällt, leidet die Autorität der Tumorkonferenzbeschlüsse in der Klinik erheblich und damit auch die fachliche Autorität der Teilnehmer. Eine weitere Gefahr bei der Organisation von Tumorkonferenzen besteht darin, dass ein
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Fall umfangreich vorgestellt wird, am Ende des mehrminütigen Vortrags aber festgestellt werden muss, dass ein entscheidender Befund zur Festlegung der Therapie, z. B. der abschließende Bericht der Immunhistologie des Pathologen, noch gar nicht vorliegt und die Entscheidung vertagt werden muss. Spätestens dann, wenn eine solche Situation im Verlauf der Tumorkonferenz zum fünften Mal vorgekommen ist, wird eine gewisse Ungeduld der Teilnehmer nachvollziehbar werden. Aus dem Gesagten ist offensichtlich, dass an die Präsentation eines Falles in der Tumorkonferenz und deren Organisation bestimmte Anforderungen gestellt werden müssen, die als Voraussetzung für eine Vorstellung vor dem Gremium gelten sollten: 4 Vollständige Dokumentation: Die notwendigen Informationen für eine suffiziente Entscheidung der Tumorkonferenz müssen systematisch und vollständig eingeholt werden. Dafür sollte Personal zur Dokumentation des Falles zur Verfügung stehen, das am besten anhand einer Checkliste prüft, ob der Patientenfall für die Tumorkonferenz vollständig dokumentiert ist und die Dokumente für die Tumorkonferenz zur Verfügung stehen. Dabei müssen nicht alle Informationen vorgetragen werden, sie müssen aber für Rückfragen zur Verfügung stehen, im Idealfall können die entsprechenden Dokumente für alle sichtbar projiziert werden. Ein Beispiel für eine solche Checkliste ist in der folgenden 7 Übersicht »Checkliste Tumorkonferenz« wiedergegeben. 4 Vorliegen aller relevanten Informationen: Alle an der Diagnostik und Behandlung des Patienten beteiligten Personen nehmen an der Konferenz teil. Vorhandenes Bildmaterial, insbesondere Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen, sollte vom Radiologen projiziert und vorgestellt werden können. Es sollten auch Vertreter der Pflege, des Sozialdienstes, der Psychoonkologie und der Stu-
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
diendokumentation Informationen vor und während der Konferenz einbringen können. Sollte eine Person verhindert sein, muss ein vollständiger Informationsfluss sichergestellt werden, indem z. B. über den Dokumentar speziell zu dem zu besprechenden Patienten von den verhinderten Personen Informationen eingeholt werden.
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4 Vollständige Teilnahme aller wichtigen Behandlungspartner: Alle für die weitere Diagnostik und Therapie relevanten Fachgebiete müssen einen Vertreter auf Facharzt/ Oberarztebene zur Tumorkonferenz entsenden. An jeder Tumorkonferenz sollten mindestens folgende Fachgebiete teilnehmen: Operateur (je nach Tumorentität, Fachgebiet bzw. geplantem Eingriff ), diagnostischer Radiologe, Pathologe, Strahlentherapeut, internistischer Onkologe. Die Anwesenheit der Fachgebiete sollte in einer Anwesenheitsliste dokumentiert werden, zusätzlich hat es sich bewährt, die Protokolle, auf denen die Entscheidung des Gremiums festgehalten wurde, von den Vertretern der wichtigsten Fachgebiete (i. d. R. Operateur, Strahlentherapeut, Onkologe) unterschreiben zu lassen. Zusätzlich ist die Teilnahme der »Study Nurse«, falls vorhanden empfehlenswert. 4 Schnelle Verfügbarkeit der Informationen und der Entscheidung: Die wichtigsten Informationen über den Patienten, auf deren Grundlage die Entscheidung der Tumorkonferenz gefällt wird, sollten vor der Tumorkonferenz von einem Dokumentar auf maximal einer DIN-A4-Seite zusammengefasst werden. Das dadurch entstandene, patientenbezogene Protokoll muss für alle Teilnehmer sichtbar projiziert werden können. Auf demselben Protokoll sollte noch während der Konferenz die Entscheidung dokumentiert werden und ein Ausdruck von den oben genannten Personen unterschrieben werden, sodass nach der Konferenz ein endgültiges Dokument für die Akte
zur Verfügung steht und keine Zeit durch nachträglichen »Umlauf« des Dokuments zur Unterschrift verloren geht und nachweislich die wichtigsten Fachdisziplinen die Entscheidung mittragen. Durch die für alle sichtbare Erstellung der Tumorkonferenzentscheidung werden auch schriftliche »Interpretationen« der mündlich gefällten Entscheidung durch den Protokollanten vermieden. Alternativ oder zusätzlich kann das Protokoll als unveränderliche Datei (z. B. PDF-Format) im Intranet für alle behandelnden Kollegen zur Verfügung gestellt werden (von vielen Tumorzentren wird das so erstellte Protokoll auch als Anhang zum Arztbrief an die weiter behandelnden Ärzte weitergeleitet). 4 Moderation zum Konsens: Die Tumorkonferenz sollte moderiert werden. Dabei sollte der Moderator idealerweise zunächst nicht inhaltlich in die Diskussion eingreifen, sondern alle Meinungen aufnehmen, für die Teilnehmer nach kurzer Diskussion das Ergebnis als Diagnostik-/Therapievorschlag zusammenfassen und falls erforderlich Kompromissvorschläge machen. Ziel muss es sein, dass möglichst Einvernehmen erzielt wird. Ist dies nicht möglich, muss auch die abweichende Meinung protokolliert werden. Allerdings muss betont werden, dass fehlender Konsens in einer hohen Anzahl der Fälle die Tumorkonferenz konterkariert und unglaubwürdig macht. Um in den meisten Fällen Einvernehmen zu erzielen, sollten sich alle Teilnehmer auf eine (S3-)Leitlinie als Grundlage der Entscheidungen beziehen. Dieser leitlinienbasierte Grundkonsens kann die Entscheidung der Tumorkonferenz erfahrungsgemäß stark beschleunigen. 4 Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen: Die Entscheidung der Tumorkonferenz muss anhand der im Protokoll vorhandenen Fakten nachvollziehbar sein, insbesondere bei Abweichungen von der allgemein ak-
115 6.2 • Die interdisziplinäre Tumorkonferenz
zeptierten Leitlinie muss eine Begründung angegeben werden. Wird der Einschluss in eine Studie vorgeschlagen, muss eine Standardtherapie mit angegeben werden, wenn die Studienteilnahme vom Patienten abgelehnt werden sollte. 4 Verlässlichkeit in der Umsetzung der Entscheidungen: Alle behandelnden Disziplinen sollten sich darauf einigen, dass bei einer Abweichung vom Tumorkonferenzbeschluss oder bei dessen Undurchführbarkeit der Fall erneut in der Tumorkonferenz besprochen wird. Handelt es sich um eine dringliche Entscheidung, die nicht bis zur nächsten Tumorkonferenz aufgeschoben werden kann, sollten die Teilnehmer der Tumorkonferenz zumindest im Nachhinein informiert werden bzw. sollte mindestens eine ausführliche Begründung in der Patientenakte hinterlegt werden. 4 Vollständigkeit und Reproduzierbarkeit der Entscheidungen: Alle Teilnehmer der verschiedenen Fachdisziplinen sollten sich darauf einigen, möglichst alle Patienten mit den entsprechenden Tumorentitäten, unabhängig vom Stadium der Erkrankung, in der Tumorkonferenz vorzustellen. Handelt es sich um »eindeutige« Fälle im Sinne der Leitlinie, sollte die Vorstellung nur sehr kurze Zeit bei entsprechender Vorbereitung in Anspruch nehmen. Überlässt man es jeder einzelnen Fachdisziplin, die Patienten für die Tumorkonferenz auszusuchen, kann es sehr schnell zu einer für die Patienten nachteiligen Selektion kommen, die die jeweilige Sichtweise oder Präferenz für die weitere Therapie bestimmend macht. Bei einer gut funktionierenden Zusammenarbeit sollte es aber für alle Patienten mit vergleichbarer klinischer Situation zu gleichen Entscheidungen kommen, unabhängig von der Fachdisziplin, bei der sich der Patient zuerst vorstellt. Anderenfalls besteht keine Reproduzierbarkeit der Thera-
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pieentscheidungen, was den Sinn einer interdisziplinären Zusammenarbeit insgesamt infrage stellt. Alternativ können sich die Teilnehmer der Tumorkonferenz allgemein auf die Vorgehensweise bei bestimmten klinischen Stadien einigen, allerdings besteht immer die Gefahr, dass die u. U. wichtige Sichtweise der anderen Fachdisziplinen verloren geht. 4 Kommunikation der Entscheidung: Die Entscheidung der Tumorkonferenz sollte dem Patienten von dem ihn behandelnden Arzt in verständlicher Art und Weise mitgeteilt werden, wobei natürlich der Patient seine Zustimmung auch verweigern kann. Klinikintern muss sichergestellt werden, dass die behandelnden Kollegen vor Ort zeitnahen Zugang zur Entscheidung der Tumorkonferenz haben. Als Qualitätskontrolle, z. B. im Rahmen interner Audits, kann eine stichprobenbasierte Auswertung erfolgen, inwieweit Tumorkonferenzbeschlüsse vom Patienten akzeptiert und von den behandelnden Ärzten auch umgesetzt wurden. Dies kann z. B. anhand einer Aktenprüfung im Rahmen eines internen Audits des Qualitätsmanagementsystems erfolgen. Die oben genannten Forderungen an die Tumorkonferenz erscheinen auf den ersten Blick aufwendig. Man muss jedoch zu Bedenken geben, dass die Vorbereitung der Patientenfälle in der Tumorkonferenz für die Qualität der Veranstaltung von entscheidender Bedeutung ist. Treffen sich Vertreter der Fachgebiete unvorbereitet ohne detaillierte Kenntnis über den Patientenfall, den möglicherweise auch keiner der Anwesenden persönlich kennt, und ohne Zugang zu Röntgenbildern oder -befunden, den Histologien etc. wird zwar eine Entscheidung zustande kommen, die allerdings völlig an der klinischen Situation und an den Bedürfnissen des Patienten vorbeigehen kann. In diesem Fall ist die sog. Tumorkonferenz reine Zeitverschwendung der Be-
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
teiligten. Nutzt man aber eine gute Vorbereitung und die Erfahrung der Anwesenden aus, wird für den Patienten die Kompetenz aller wichtigen Fachgebiete optimal genutzt und eine reproduzierbare und nachvollziehbare Entscheidung zu besseren Behandlungsergebnissen führen. Checkliste Tumorkonferenz
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5 Persönliche Daten, Wohnort, Krankenkasse, Hausarzt 5 Diagnosen mit vollständigem Tumorstadium 5 Onkologischer Verlauf einschließlich aller Vortherapien, deren Ansprechen, relevanter Nebenwirkungen (Stadieneinteilung der Toxizitäten!), Ort der Durchführung 5 Relevante Nebendiagnosen mit Stadieneinteilung 5 Alle Fremdbefunde (Arztbriefe, histologische Befunde, Befunde apparativer Untersuchungen, OP-Berichte etc.) 5 Aktuelle Anamnese/klinischer Befund 5 Performance-Status (WHO, ECOG, Karnofsky-Status) 5 Laborbefunde 5 Befunde aller apparativen Untersuchungen 5 OP-Bericht evtl. einschließlich OP-Bilder, falls vorhanden 5 Vollständige pathologische Befunde einschließlich Referenzpathologie, falls angefordert 5 Informationen über den sozialen Hintergrund, spezielle Wünsche des Patienten, soweit systematisch erfasst 5 Ein- und Ausschlusskriterien infrage kommender Studien 5 Alle Protokolle bereits früher gefällter Entscheidungen der betreffenden oder anderer Tumorkonferenzen
In . Abb. 6.2 ist ein Beispiel für ein Tumorkonferenzprotokoll wiedergegeben.
6.3
Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6.3.1
Die historische Entwicklung der Zertifizierungsverfahren für Organzentren in Deutschland
Die Idee, Krankenhäuser oder ähnliche Institutionen einer Überprüfung zu unterziehen, ist nicht neu. Schon Ernest Armory Codman (1869–1940), ein Chirurg aus Boston, hatte im Jahr 1913 die Forderung aufgestellt, dass vergleichende Statistiken über die Behandlungsergebnisse in Krankenhäusern veröffentlicht werden sollten und hatte dies auch für das von ihm geführte Krankenhaus getan. Nach Gründung des »American College of Surgeons« wurde schon bald ein erster »Anforderungskatalog« für die Überprüfung von Krankenhäusern in Nordamerika entwickelt, der zu einem eigenen Zertifizierungssystem weiterentwickelt wurde: aus der genannten Gesellschaft ging 1952 die »Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations« hervor, die auch heute noch weltweit Zertifizierungen im Gesundheitswesen vornimmt [11]. Den Zertifizierungsverfahren, wie sie seit einigen Jahren in Deutschland praktiziert werden, liegen unterschiedliche Motivationen zugrunde. Zunächst einmal führte der Wunsch, seine »Qualität« in der medizinischen Diagnostik und Therapie nach außen darstellen zu wollen, zu Gütesiegeln in verschiedenen Bereichen der Medizin. Die dabei angebotenen Verfahren reichten von Mitgliedschaften in entsprechenden Organisationen bis zur Begehung vor Ort. Schließlich begann man damit, auf der Grundlage von politischen Vorgaben, Qualitätsmanagementsysteme extern überprüfen zu lassen und Zertifikate zu vergeben, sodass es nahe lag, auch medizini-
117 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
. Abb. 6.2 Beispiel für ein fortgeschriebenes Tumorkonferenzprotokoll
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
sche Inhalte »überprüfen« zu lassen. Eine weitere Entwicklung, die zu den entsprechenden Verfahren beigetragen hatte, war die Erstellung von S3-Leitlinien in Deutschland, die eine allgemein akzeptierte Basis für die Verfahren darstellten. Die in Deutschland sich immer mehr verbreitenden Zertifizierungen von Organzentren und das dahinterliegende Zertifizierungsverfahren hatte seinen Ursprung in dem äußerst erfolgreichen Verfahren für Brustzentren, dass von »OnkoZert«, der Zertifizierungsgesellschaft der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), seit Juni 2003 offiziell als freiwilliges Verfahren angeboten wurde. Bereits in den 1990er Jahren wurde die Forderung formuliert, das Mammakarzinom interdisziplinär zu behandeln. Diese Karzinomentität stellt ein gutes Beispiel dafür dar, wie im Behandlungsprozess ein Zusammenwirken verschiedener Spezialisierungen der Medizin zu einem besseren Behandlungsergebnis führen kann. Es wurde daher in verschiedenen Publikationen darauf hingewiesen, dass sich durch das Zusammenführen von Spezialisten und einer Fokussierung auf das Krankheitsbild Vorteile für die Patienten erreichen lassen [13]. Im Jahr 2000 veröffentlichte die EUSOMA, die »European Society of Mastology«, also die europäische Fachgesellschaft für Brusterkrankungen, einen Artikel mit dem Titel »The requirements of a specialist breast unit« [9] in dem in beispielhafter Weise die in den 1990er Jahren erhobenen Forderungen nach interdisziplinärer Behandlung des Mammakarzinoms zusammengefasst wurden. Im Sinne einer S1-Leitlinie wurden Anforderungen mit z. T. sehr konkreten Fallzahlen definiert. Diese Publikation fand in der öffentlichen Meinung in Deutschland ihren Widerhall, schnell war von einem »europäischen Standard« die Rede. Dabei wurde übersehen, dass sich die Publikation im Wesentlichen auf die Situation in Großbritannien bezog, so orientierten sich z. B. die umstrittenen Mindestzahlen, die ein Minimum an Erfahrung mit dem Krank-
heitsbild gewährleisten sollten, am Durchschnitt in Großbritannien. Dies spiegelt sich auch in der Autorenliste, der »EUSOMA Working Party« wieder: 4 der 11 Autoren kamen aus Großbritannien, 4 aus Italien, einer aus Dänemark, einer aus den Niederlanden und einer aus Deutschland. Nur einer der Teilnehmer war Gynäkologe (M. Kaufmann, Gynäkologe aus Frankfurt), was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass im europäischen Ausland häufig das Mammakarzinom von Chirurgen behandelt wird. Hinzu kam, dass diese Empfehlungen für ein spezialisiertes Brustzentrum sich nicht auf eine systematische Evaluation über den Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Qualitätsparametern, z. B. Überleben, Rezidivraten etc., stützen konnten. Von evidencebasierten Empfehlungen konnte keine Rede sein. Trotzdem stellte die Publikation so konkrete Forderungen auf, die eine so breite Zustimmung fanden, dass man de facto von einem neuen Standard, der geschaffen wurde, sprechen kann. Sehr viele der Forderungen haben in die Anforderungskataloge von Fachgesellschaften Einzug gehalten, z. B. die Forderung nach 50 Operationen pro Jahr pro Operateur, 150 Primärfälle pro Zentrum pro Jahr usw. Auch die im Rahmen des DMP aufgestellten Kriterien lassen die Grundlage der »EUSOMA-Kriterien« erkennen. In Deutschland wurde auf Initiative von K. Höffken, internistischer Onkologe aus Jena und damaliger Präsident der DKG und von R. Kreienberg, Gynäkologe aus Ulm und damaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS), noch im Jahr 2000 damit begonnen, zusammen mit S. Sänger (damals Arbeitsgemeinschaft internistische Onkologie der DKG) einen Anforderungskatalog für Brustzentren zu erstellen. Bereits von Anfang an war das Verfahren so konzipiert, dass ein Brustzentrum zur Darlegung seiner Qualität nicht nur fachliche Anforderungen erfüllen sollte, sondern auch nachweisen sollte, dass es Elemente des Quali-
119 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
tätsmanagements in seine Organisation aufgenommen hatte. Auf Initiative von A. M. Feller, plastischer Chirurg, damaliger Chefarzt des Brustzentrums in Vogtareuth/Chiemsee und Vorstandsmitglied der DGS, erfolgte Ende 2001 die erste Überprüfung des neu geschaffenen Anforderungskatalogs in der Praxis, parallel zu einer Zertifizierung des Brustzentrums in Vogtareuth nach ISO 9001. Weitere Probezertifizierungen mit anschließender Überarbeitung des Anforderungskataloges folgten im April 2002 (Universitätsfrauenklinik Ulm), im August 2002 (Euregio-Brustzentrum in Aachen) und im Dezember 2002 (Universitätsfrauenklinik Tübingen). Nach dieser langen Anlaufphase und weiteren Überarbeitungen des Anforderungskatalogs, der schließlich 173 Anforderungen abfragte, wurde das Verfahren zur Zertifizierung von Brustzentren der DKG und der DGS im Juni 2003 offiziell begonnen. Bereits in der Evaluierungsphase hatte es sich als nicht praktikabel erwiesen, Elemente des Qualitätsmanagements zusammen mit den »Fachlichen Anforderungen für Brustzentren« (FAB), vor Ort zu überprüfen, da dies den Auditor, der ein praktisch und in leitender Position eines Brustzentrums tätiger Mediziner sein sollte, überforderte. Daher wurden alle Forderungen an Qualitätsmanagement aus dem Katalog entfernt und stattdessen parallel ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem, extern überprüft durch die dafür akkreditierten Zertifizierungsgesellschaften, gefordert. Die Fachgesellschaften konzentrierten sich damit auf ihre Kernkompetenzen und überließen es anderen, eine professionelle Überprüfung des Qualitätsmanagementsystems zu übernehmen. Die zusätzliche Anforderung, ein Qualitätsmanagementsystem einzuführen, stellt eine Besonderheit im Vergleich zu Zertifizierungssystemen anderer Fachgesellschaften dar. Die Überlegungen hinter dieser Anforderung umfassten insbesondere die Erkenntnis, dass es nicht ausreichend ist, nur Parameter der Strukturqualität
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wie Ausstattung der Klinik, Fallzahlen bestimmter Krankheitsbilder oder den Personalstand und dessen Qualifikation abzufragen, sondern dass auch der Organisationsgrad der Klinik, die Prozessqualität und die Einhaltung basaler gesetzlicher Vorschriften (z. B. Hygienestandards) einer regelmäßigen Überprüfung unterliegen sollte. Darüber hinaus fordern Qualitätsmanagementsysteme die Einführung einer »Verbesserungskultur«, d. h., die Organisation wird angehalten, sich regelmäßig um die eigenen Fehler und deren Beseitigung zu kümmern. Zu diesem Zeitpunkt war nicht absehbar, ob das freiwillige Verfahren, das auch noch die erfolgreiche Einführung eines Qualitätsmanagementsystems voraussetzte, angenommen werden würde und ob das Konzept, leitende Mediziner aus Brustzentren als »Fachexperten« für die Überprüfung vor Ort zu gewinnen, aufgehen würde. Nach ersten Fachexpertenschulungen im Sommer und Herbst 2003 kam das Verfahren langsam in Gang, wurde dann aber zunehmend von nichtuniversitären Häusern gerne genutzt, um ihre Expertise auf diesem spezialisierten Gebiet nachzuweisen. Dabei überstiegen die Anstrengungen, die die kleineren Kliniken unternehmen mussten, um die insbesondere strukturellen Anforderungen zu erfüllen, die der großen (Universitäts-) Kliniken um ein Vielfaches. Es wurde aber auch gerne angenommen, um die z. T. sehr gute klinische Versorgung des Mammakarzinoms in einer Region nach außen darzustellen. In vielen Krankenhäusern stellte die Zertifizierung des Brustzentrums die Initialzündung zur Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, wie es ohnehin vom Gesetzgeber ab 2005 gefordert wurde, dar. > Insbesondere die Einführung der Tumorkonferenz, die zur Auseinandersetzung mit den anderen Fachrichtungen zwingt, veränderte in vielen Kliniken die »Unternehmenskultur« und den Umgang der Kliniken untereinander.
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Gleichzeitig mit der Einführung des Verfahrens sah sich die DKG und die Deutsche Gesellschaft für Senologie Kritik von beiden Seiten ausgesetzt: Einerseits wurden von Teilen der Politik und der Patientinnenselbsthilfegruppen, die Anforderungen im Vergleich zum vermeintlichen »europäischen Standard« der EUSOMAKriterien als zu gering kritisiert, zum anderen wiesen viele Mediziner auf die willkürliche Festlegung von Zahlen hin, und erklärten viele Anforderungen für unnötig oder schlicht unerfüllbar. Besonders die sehr konkreten Zahlen von 50 Operationen pro Operateur, 150 Primärfällen pro Jahr, anfangs 5000 Mammografien pro Zentrum wurden zu Recht als nicht evidenzbasiert kritisiert. Trotzdem musste an diesen sehr konkreten Zahlen, die im weiteren Verlauf auch nach unten korrigiert (Mammografien) oder modifiziert (Anzahl der Oerationen pro Operateur) wurden, festgehalten werden: Zum einen, weil in der öffentlichen Diskussion an den Vorgaben der »EUSOMA-Kriterien« nicht vorbeizukommen war, zum anderen braucht ein Zertifizierungsverfahren eine konkrete, überprüfbare Zahl als Orientierung und »Hürde«, ohne diese Diskriminierungsmerkmale bleibt ein Zertifizierungsverfahren subjektiven Einschätzungen überlassen, was der angestrebten Transparenz des Verfahrens zuwidergelaufen wäre. Ein Jahr nach Einführung des Verfahrens der Fachgesellschaften waren (erst) 22 Brustzentren zertifiziert, allerdings wurden zu diesem Zeitpunkt 85 laufende Verfahren registriert, eine Anzahl, die von der Geschäftsstelle einer Fachgesellschaft nicht mehr bewältigt werden konnte. Ende 2004 nahm »OnkoZert« als ausgelagertes, selbstständiges Zertifizierungsinstitut der DKG die Arbeit auf. »OnkoZert« unter der Leitung von A. Kämmerle ist vertraglich eng an die Fachgesellschaften gebunden, arbeitet in ihrem Auftrag und trug wesentlich zur Professionalisierung der Verfahren bei. Es ermöglichte eine transparente und standardisierte Schulung der Fachexperten, einen reibungslosen Terminablauf der Zerti-
fizierungsverfahren und ihrer jährlichen Überprüfungen (zzt. mindestens 185 pro Jahr nur bei den Brustzentren) und stellt die strukturelle Grundlage für die Übertragung des Verfahrens auf andere »Organzentren« und schließlich auf »Onkologische Zentren« dar (. Tab. 6.1). Der administrative Aufwand der Zertifizierungsverfahren wurde und wird häufig unterschätzt. Nur mit einer professionellen Verwaltung der Verfahren kann die notwendige Gleichbehandlung der Organzentren gewährleistet werden und ein einheitlicher und transparenter Standard der Verfahren sichergestellt werden. Bis Ende 2009 hat sich das Verfahren so weiterentwickelt, dass es als etabliert gelten darf (. Abb. 6.3), 185 Brustzentren in ganz Deutschland haben das Zertifikat erhalten und werden jährlich von einem Fachexperten überprüft, mehr als 75% der Primärfälle in Deutschland pro Jahr werden in einem von den Fachgesellschaften zertifizierten Brustzentrum behandelt (rechnet man Nordrhein-Westfalen nicht mit, erreicht der Anteil der Primärfälle, die in zertifizierten Zentren behandelt werden, sogar knapp 90%). Bei der Vorgabe dieses Verfahrens, dass mindestens 150 Primärfälle pro Jahr am Zentrum behandelt werden müssen, kann man die maximal notwendige Zahl an Brustzentren für Deutschland insgesamt abschätzen, nämlich ca. 380. Berücksichtigt man die durschnittliche Zahl an Primärfällen in den bestehenden Brustzentren (zzt. ca. 240), können ca. 240 Brustzentren den gesamten Bedarf decken. Durch diese Überlegungen wird nochmals deutlich, wie flächendeckend das Verfahren umgesetzt worden ist. Der ursprünglich gewünschte Effekt, dass die Zertifizierung von Zentren auch zunehmend zu einer »zentralen« Behandlung dieser Tumorentität führen wird, scheint sich in der Zunahme der Fälle pro Brustzentrum widerzuspiegeln (. Abb. 6.3). In der Zwischenzeit liegt bereits die dritte, von der »Zertifizierungskommission Brustzentren« überarbeitete Fassung der »Fachlichen Anforderungen für Brustzentren« vor. Der Erfolg
121 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6
. Tab. 6.1 Entwicklung des Zertifizierungsverfahrens für Organzentren der DKG Herbst 2000
Entwurf der ersten Checkliste für Brustzentren (Sänger, Höffken), zunächst in Kombination aus QM-System und »Fachlichen Anforderungen« (1. Version einer »Checkliste«)
November 2001
Erste Probezertifizierung des Brustzentrums Vogtareuth (Feller), zeitgleich mit ISO 9001 auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Senologie
April 2002
Zweite Probezertifizierung am Brustzentrum des Universitätsklinikums Ulm (Kreienberg)
August 2002
Dritte Probezertifizierung am Euregio-Brustzentrum (Fuchs u. a.), zeitgleich mit ISO 9001
Dezember 2002
Pilotzertifizierung des Brustzentrums am Universitätsklinikum Tübingen (Wallwiener), zeitgleich mit ISO 9001
Januar 2002–März 2003
Überarbeitung der »Checkliste« nach den Erfahrungen der Probezertifizierungen und unter Abstimmung mit verschiedenen Fachgesellschaften (Höffken, SchmittThomas, Kreienberg, Volm, Schmalenberg, Hartmann, Schulenberg)
April 2003
Fertigstellung der »Fachlichen Anforderungen Brustzentren (FAB)« (Volm, Schulenberg, Schmalenberg)
Juni 2003
Beginn des regulären Verfahrens zur Zertifizierung von Brustzentren mit dem Marienhospital Stuttgart
Juli 2003
Erste Fachexpertenschulung von 20 Fachexperten
Oktober 2004
50 Brustzentren in Deutschland sind zertifiziert
Dezember 2004
»OnkoZert«, die selbstständige Zertifizierungsstelle der DKG nimmt die Arbeit auf
März 2006
In Bochum wird das erste Darmzentrum zertifiziert (Darmzentrum Bochum, Schmiegel)
November 2007
In Kassel wird das erste Prostatakrebszentrum zertifiziert (Klinikum Kassel, De Geeter)
November 2008
Beginn einer Pilotphase für Lungentumorzentren
Mai 2009
185 Brustzentren, 111 Darm(krebs)zentren, 32 Prostatakarzinomzentren, 5 Hauttumorzentren, 14 »Gynäkologische Zentren« und ein »Onkologisches Zentrum« sind zertifiziert
des Verfahrens ist auch daran abzulesen, dass einzelne Zertifizierungen in Österreich, der Schweiz und Italien vorgenommen wurden. Im Ausland finden sich allerdings oft andere Strukturen im Gesundheitswesen, die eine Übertragung des Verfahrens nicht immer zulassen, es ist daher eher davon auszugehen, dass diese ausländischen Zentren eine Ausnahme bleiben werden. Parallel zu den Fachgesellschaften hatte die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen unter der damaligen Gesundheitsministerin Fischer
eine Initiative zur Einführung eines auf Nordrhein-Westfalen beschränkten Systems zur Zertifizierung von Brustzentren begonnen. In diesem an den Krankenhausstrukturplan gekoppelten Verfahren wurde die Landesärztekammer Westfalen-Lippe als Zertifizierer eingesetzt und in einem breit angelegten Konsensusverfahren versucht, alle Beteiligten auf einen Anforderungskatalog festzulegen, der ebenfalls im Wesentlichen auf die EUSOMA-Kriterien zurückzuführen war, weniger Anforderungen als
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
250
200 Zertifizierte Brustzentren Gesamtanteil an allen Primärfällen in Deutschland in %
150
Durchschnitt Primärfälle/ Brustzentrum
6
100 72.2
67.9
76.9
55.4 50
40.2
0 01/01/2006
01/01/2007
01/01/2008
01/01/2009
. Abb. 6.3 Entwicklung des Zertifizierungsverfahrens für Brustzentren
der Katalog der Fachgesellschaften enthielt und eine Überprüfung vor Ort alle drei Jahre vorsah. Das Verfahren besteht weiter, wurde aber durch Verwaltungsgerichtsklagen, insbesondere der nicht als Brustzentrumsstandort ausgewählten Krankenhäuser, verzögert. Im Gegensatz zu dem Verfahren der Fachgesellschaften handelt es sich in Nordrhein-Westfalen nicht um ein freiwilliges Verfahren: Wer in Nordrhein-Westfalen die Behandlung des Mammakarzinoms abrechnen möchte, muss als Brustzentrum von der Landesregierung benannt sein und sich dem Verfahren unterwerfen, dass ein Audit vor Ort alle 3 Jahre vorsieht und einen jährlichen Qualitätsbericht von den Krankenhäusern einfordert. Auch in diesem Verfahren besteht eine Koppelung an ein funktionierendes QM-System. Ein weiterer Unterschied zu den Fachgesellschaften besteht darin, dass in letzter Konsequenz die Landesregierung als Normgeber auftritt und
einen »Normenausschuss« mit der Erstellung eines Anforderungskatalogs beauftragt. Die Landesärztekammer Westfalen-Lippe tritt als Zertifizierer auf, beauftragt vom Ministerium für Gesundheit. Eine solche enge Verquickung zwischen einer Landesregierung als Normgeber und einer öffentlichen Körperschaft in Form der Landesärztekammer zur Durchsetzung von medizinischen Qualitätsstandards ist einzigartig in Deutschland. Das System darf mit 46 zertifizierten Brustzentren (Stand Januar 2009 [15]) als etabliert gelten und wird in Nordrhein-Westfalen auf absehbare Zeit fortgeführt werden. Parallel zu dem Verfahren der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) und der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) wird auch ein Verfahren der EUSOMA angeboten. Hierbei handelte es sich auf der Grundlage der EUSOMA-Publikation zunächst um Begehungen bestimmter Brustzentren in Deutschland und ver-
123 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
einzelt auch in anderen Ländern Europas durch Vorstandsmitglieder der EUSOMA, im weiteren Verlauf veröffentlichte die EUSOMA auf ihrer Webseite ein Verfahren zur Zertifizierung. Auf der Grundlage der 2006 publizierten Anforderungen [4] der EUSOMA wird zunächst eine »EUSOMA Initial Certification« angeboten, in dem die Brustzentren nachweisen müssen, dass Sie den Anforderungen der genannten Publikation gerecht werden. Die »Full Certification« kann man erst nach 5 Jahren erreichen, wenn Daten über die behandelten Patientinnen, die auch in die Zeit vor der »Initial Certification« zurückreichen dürfen, vorgelegt werden können. Für die Erstzertifizierung erfolgt, nach der Anmeldung des Brustzentrums bei der EUSOMA, ein Vorort-Audit durch ein »Besucher«-Team, das aus einem Chirurgen, einem Radiologen, einem Pathologen und einer Brustschwester bestehen muss. In einem festgelegten Besuchsprogramm an einem Tag werden die wesentlichen Bereiche des Brustzentrums, einschließlich der interdisziplinären Tumorkonferenz, auditiert. Nach Erstellung des Berichts, der auch von dem Brustzentrum kommentiert werden kann, fällt das »Zertifizierungsboard« der EUSOMA eine Entscheidung und versendet den Abschlussbericht. Nach 5 Jahren wird das Vorort-Audit frühestens wiederholt, in der Zwischenzeit muss das Brustzentrum Daten sammeln und übermitteln, um dann evtl. nach 5 Jahren die »Full Certification« zu erreichen. Die erfolgreich zertifizierten Brustzentren werden auf der Internetseite der EUSOMA veröffentlicht. Mit Stand von Juni 2009 [10] finden sich auf der Internetseite der EUSOMA 26 Brustzentren, die den Anforderungen der Fachgesellschaft gerecht werden konnten, davon 22 aus Deutschland, 2 Brustzentren aus Italien, je ein Brustzentrum aus der Schweiz und aus Österreich. Alle der genannten Brustzentren haben die »Initial Certification« erreicht. Aus den genannten Zahlen wird deutlich, dass das Bestreben, sich zertifizieren zu lassen, ganz überwiegend in Deutschland existiert. Die Be-
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sonderheit dieses Verfahrens besteht darin, dass insbesondere auf die Ergebnisqualität abgehoben wird. Die Auswertung der Datensammlung des Brustzentrums führt als (fast) ausschließliches Kriterium zur »Full Certification«. Der Schwerpunkt des Verfahrens liegt also fast ausschließlich auf der Strukturqualität (in den EUSOMAKriterien vorgegeben) und der Ergebnisqualität im Sinne medizinisch-wissenschaftlicher Parameter. Seit 2006 ist eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie für die Zertifizierung von »Onkologischen Zentren« zu beobachten, der sich bis Mitte 2009 18 Krankenhäuser bzw. Abteilungen für internistische Onkologie unterworfen haben (zu Einzelheiten 7 Abschn. 6.3.4). Inzwischen hatte die Deutsche Krebshilfe einen anderen Weg beschritten. Zur Schaffung von Exzellenzzentren, von denen man sich eine beispielhafte Wirkung, insbesondere translationaler Forschung, auf die praktisch angewandte Medizin erhofft, wurde ein Verfahren zur Etablierung »Comprehensive Cancer Center (CCC)« nach amerikanischem Vorbild vorangetrieben. In zwei Ausschreibungsverfahren konnten universitäre Häuser einen Antrag stellen, der nach Begutachtung durch internationale Gutachter zu einer Begehung vor Ort von ausgewählten Zentren führte. Bis 2009 sind insgesamt 10 CCC ernannt worden. Nach der erfolgreichen Etablierung eines Zertifizierungsverfahrens für Brustzentren wandte sich die DKG einer Übertragung dieser Infrastruktur auf andere Tumorentitäten zu. Wesentliche Voraussetzung dafür war die Schaffung der S3-Leitlinie kolorektales Karzinom, die in dieser Form erstmals 2004 veröffentlicht wurde. Damit war genau wie bei den Brustzentren eine Normengrundlage im Sinne einer S3-Leitlinie geschaffen, die in dem genannten Verfahren die Basis der medizinischen Entscheidungen darstellte. Mit der Schaffung eines Anforderungskatalogs für Darmzentren (neuerdings Darm-
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6
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
krebszentren genannt) durch W. Schmiegel, Gastroenterologe in Bochum, war auch die prozessuale Grundlage für ein Zertifizierungsverfahren geschaffen. Im März wurde das erste Darmzentrum durch »OnkoZert« zertifiziert (Ruhr-Universität Bochum). Bis Oktober 2009 gab es insgesamt 132 zertifizierte Darmkrebszentren in Deutschland, die allerdings, anders als die Brustzentren, nur einen sehr geringen Teil der geschätzten Primärfälle in Deutschland abdecken (ca. 18%). Auffallend ist, dass viele Krankenhäuser, die zunächst nur ein Brustzentrum am Haus hatten zertifizieren lassen, sehr bald im Anschluss die Strukturen auf ein Darmkrebszentrum übertragen konnten. Dabei fällt auf, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Darmzentren an nichtuniversitären Krankenhäusern geschaffen wurden (nämlich 121 von 132, entspricht 92%), was sicherlich ein Hinweis darauf ist, dass die meisten Darmkrebsfälle nicht an Universitätskliniken in Deutschland versorgt werden [12]. Sehr bald schon wurde parallel zu den Brustund den Darmkrebszentren damit begonnen, andere häufige Tumorentitäten mit einem entsprechenden Zertifizierungsverfahren einzubeziehen. So wurde schon kurz nach Beginn des Zertifizierungsverfahrens für Darmkrebszentren mit der Evaluation von Anforderungskatalogen (in den Verfahren der DKG häufig auch »Erhebungsbogen« genannt) für Prostatakarzinomzentren, für Hauttumorzentren, für Lungenkrebszentren, Gynäkologische Tumorzentren und Onkologische Zentren (d. h. die Zusammenfassung mehrerer Organzentren) begonnen. Seit 2009 ist ein erstes »Onkologisches Tumorzentrum« im Sinne des Verfahrens der DKG zertifiziert (Universitätsklinikum Tübingen). Ihnen ist gemeinsam, dass sie zwar das erfolgreiche Zertifizierungssystem für Brustzentren auf die jeweilige Entität adaptieren konnten, aber an der Versorgung der Primärfälle pro Jahr in Deutschland anders als beim Mammakarzinom nur einen geringen Anteil haben (. Tab. 6.2). Das
Verfahren für das Mammakarzinom bleibt daher zzt. die mit Abstand erfolgreichste Qualitätskontrolle im Bereich der Onkologie. Insgesamt hat »OnkoZert«, die Zertifizierungsstelle der DKG, Ende 2009 über 360 Zentren ihr Zertifikat erteilt und kann dadurch allein durch die Zahl der bewältigten Verfahren mit Abstand als Marktführer bezeichnet werden (zum Vergleich: CCC-Verfahren der Deutschen Krebshilfe: 10, »Onkologische Zentren« der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO): 18, EUSOMA: 22 in Deutschland, Brustzentren in Nordrhein-Westfalen: 46). Diese Verfahren der verschiedenen »Anbieter« haben in den letzten Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass die interdisziplinäre Behandlung von Tumoren in Zentren zu einer zunehmend allgemein akzeptierten Realität in Deutschland geworden ist. Die Verfahren haben auch der Bedeutung von S3-Leitlinien eine andere Qualität gegeben, da diese Verfahren erstmals flächendeckend eine publizierte Leitlinie vor Ort in ihrer Umsetzung überprüfen. Diese Entwicklung einer modernen Medizin über die Grenzen der Fachgebiete hinweg wirkt auch in andere Bereiche der Medizin hinein und hat in einer Zeitspanne von nur ca. 10 Jahren die Behandlung in der Onkologie wesentlich verändert. Diese Auswirkungen sind insbesondere für die Verfahren der DKG, die als freiwillige Zusatzqualifikation eines Hauses angeboten werden, erstaunlich.
6.3.2
Grundlagen und Aufbau des Zertifizierungssystems für Organzentren
Wie bereits im 7 Abschn. 6.3.1 dargelegt, sind die ganz überwiegende Zahl der zertifizierten Tumorzentren in Deutschland »Organzentren«, d. h., es wird die Expertise in der Diagnostik und Therapie einer Tumorentität im Zertifizierungsverfahren dargelegt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung des Systems mit
125 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6
. Tab. 6.2 Zertifizierungsverfahren der DKG: Anteil an den Primärfällen pro Jahr in Deutschland Brustzentren
Darmkrebszentren
Prostatakarzinomzentren
Zertifizierte Zentren
185
111
32
Krebsneuerkrankungen
57.000
73.000
58.000
Anteil Primärfälle
77%
18%
13%
Audits vor Ort ist eine zentrale Steuerung des Verfahrens, die transparent für die Beteiligten ist und auf einer einheitlichen Grundlage vorgenommen wird (z. B. einem Erhebungsbogen für Organzentren oder einer Leitlinie), die Bereitstellung von Schulungsprogrammen für die Auditoren vor Ort und eine Institution, die das Verfahren weiterentwickelt und in Streitfragen die Autorität und fachliche Kompetenz besitzt, zu schlichten und Entscheidungen zu treffen. Der zentralen Steuerung kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Es geht dabei nicht nur um die terminliche Koordinierung der Zentren und Auditoren, sondern es geht auch darum, die von der Zertifizierungskommission definierten Anforderungen des Verfahrens noch vor seiner Umsetzung in einem einzelnen Zentrum zu interpretieren, entsprechende Anfragen der Zentren zu beantworten und nur die Zentren zu dem Verfahren zuzulassen, deren Strukturqualität Mindestvoraussetzungen erfüllen, die ein Bestehen des Verfahrens wahrscheinlich macht. Auch diese Entscheidungen einer Zertifizierungsstelle müssen nachvollziehbaren, objektiven Kriterien unterworfen sein, da nichts für die allgemeine Akzeptanz eines Verfahrens schädlicher ist, als der Eindruck, dass nach willkürlichen Kriterien Gefälligkeitszertifikate vergeben werden, die mehr auf persönlichen Bekanntschaften beruhen als auf der Darlegung der Erfüllung von Qualitätskriterien. Die gemeinsame Normengrundlage des Verfahrens kommt ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. In der Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen entspricht diesem
Regelwerk, z. B. die DIN-Norm ISO 9001 oder der KTQ-Katalog. Für medizinische Inhalte muss es sich dabei um eine allgemein akzeptierte Handlungsanweisung im Sinne einer Leitlinie handeln. Mit der Akzeptanz der Normengrundlage steht und fällt bei freiwilligen Verfahren der Erfolg des Systems. Kein Zertifizierungsverfahren kann besser sein als die Qualität der Auditoren vor Ort, da ihrer Kompetenz und Interpretation der Verhältnisse vor Ort eine entscheidende Bedeutung zukommt. Um zu reproduzierbaren Auditergebnissen zu kommen, ist eine zentrale Schulung erforderlich, an der nur derjenige teilnehmen kann, der bestimmte Eingangsvoraussetzungen in Bezug auf seine berufliche Qualifikation besitzt. Dabei sollte sich die Schulung nicht nur auf Inhalte der Normengrundlage (z. B. der entsprechenden Leitlinie) beziehen, sondern auch theoretische und praktische Grundkenntnisse in Ablauf und Durchführung des Audits vermitteln. Schließlich muss hinter einem Zertifizierungsverfahren eine Institution stehen, die die Autorität besitzt, Streitfälle zu entscheiden und mit fachlicher Kompetenz das Verfahren weiterzuentwickeln. Die Autorität entwickelt die betreffende Institution dabei aus der fachlichen Kompetenz, aber auch aus der Kompromissund Konsensfähigkeit. Dies kann nur durch die Einbeziehung von Repräsentanten aller auf dem entsprechenden Gebiet tätigen Berufsgruppen, Patientenvertreter und Fachbereiche erreicht werden.
126
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Allgemein
QM-System nach DIN ISO 9001:2000
QM-System nach KTQ
Verfahren Organzentren
Normgeber
u.a. Deutsches Institut für Normung e.V.
KTQ-Arbeitsgruppen
Gemeinsame Zertifzierungskommission
Norm: DIN 9001:2000
KTQ-Katalog
Fachliche Anforderungen Brustzentren/ S3-Leitlinien
Zugelassene (»akkreditierte«) Institute
KTQ GmbH
OnkoZert
entwickelt
Qualitätsanforderungen bildet die Grundlage für
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Kontrollinstanz
Zertifikat
erteilt nach Prüfung
Kontrolleure
berichten
wählt aus/ schult
ISOAuditoren
Zertifikat nach ISO DIN EN 9001:2000
KTQVisitoren
KTQ Zertifikat
Fachexperten DKG/DGS
Zertifikat der Fachgesellschaft
. Abb. 6.4 Elemente der Qualitätssicherung in verschiedenen Systemen [17]
> Je größer diese Konsensuskonferenz ist, umso höher die Chance, dass das entsprechende Zertifizierungsverfahren auf breite Zustimmung stößt und konkurrenzlos bleibt.
Qualitätssicherung funktioniert in verschiedenen Systemen grundsätzlich gleich (. Abb. 6.4). An der Spitze jedes Qualitätssicherungssystems muss ein Normgeber stehen, der Qualitätsanforderungen im weitesten Sinne definieren kann. Dies muss nicht zwingend eine staatliche Stelle sein, es muss aber eine Institution mit allgemeiner Anerkennung sein, da sonst ein Qualitätssicherungsverfahren bereits an dieser Stelle scheitert. Die definierten Qualitätsanforderungen müssen für den entsprechenden Bereich anwendbar, konkretisierbar und abprüfbar sein. Das bedeutet, dass allgemeine Aussagen (»Jedes Krankenhaus ist verpflichtet, Diagnostik und
Therapie auf höchstem Qualitätsniveau anzubieten«) für eine Qualitätssicherung nicht brauchbar sind. Qualitätsanforderungen müssen diskriminierbar sein, also ein »Cut-off«-Level enthalten, den ein Auditor auch prüfen kann. Schwierig wird es in Bereichen der Medizin, in denen es nicht möglich ist, Qualität auf Mengenangaben oder Messparameter wie z. B. Komplikationsraten o. Ä. zu reduzieren. Ein Beispiel dafür ist die histologische Befundung durch einen Pathologen. Hier können zwar Qualitätsanforderungen an den schriftlichen Befund definiert werden, es ist aber nicht möglich, die Fähigkeit eine Zelle morphologisch von einer anderen unterscheiden zu können, in einen diskriminierbaren Parameter zu fassen. Qualitätssicherungsverfahren behelfen sich in solchen Fällen häufig mit Anforderungen an den Ausbildungsstand, die Berufserfahrung oder die verpflichtende Teilnahme an
127 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
Ringversuchen (falls möglich) oder mit der verpflichtenden Teilnahme an sog. Qualitätszirkeln. Neben der Normengrundlage ist für ein Zertifizierungsverfahren auch eine Kontrollinstanz unerlässlich. Bei der Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen handelt es sich dabei für die von der Trägergemeinschaft für Akkreditierung (TGA) akkreditierten Zertifizierungsinstitute wie z. B. der TÜV, »NisZert«, »EQZert« und viele andere. Im KTQ-Verfahren übernimmt die KTQ GmbH selbst diese Rolle, indem sie Auditoren ausbildet und beauftragt. Eine übergeordnete »Kontrollinstanz« ist in diesem Verfahren die KTQ-GmbH selbst. Die Zertifizierung von Organzentren erfolgt heute überwiegend durch den Marktführer »OnkoZert« (7 Abschn. 6.3.1) als Kontrollinstanz. Diese Zertifizierungsgesellschaft steht wiederum unter der Kontrolle der Fachgesellschaften, die gleichzeitig als Normgeber, z. B. über die Erstellung von Leitlinien und »Fachlichen Anforderungen« für das Verfahren auftreten. Die . Abb. 6.4 zeigt die Besonderheit, die in dem Verfahren der Fachgesellschaften liegt und warum Organzentren die natürlichen Betätigungsfelder für ein medizinisches Zertifizierungsverfahren in der Onkologie darstellen. Da die Normengrundlage in der Regel eine Leitlinie oder im Fall des EUSOMA-Verfahrens für Brustzentren eine konkrete Publikation (eigentlich S1-Leitlinie) darstellt, kann auch die Kontrollinstanz zunächst nur auf diesem Gebiet, das über die Leitlinie geregelt wird, tätig werden. Eine Leitlinie, die die gesamte Onkologie abdeckt, ist in absehbarer Zeit nicht denkbar. Deswegen müssen Verfahren wie z. B. die »Onkologischen Zentren« im Sinne der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie im Allgemeinen bleiben, was bedeutet, dass vorwiegend Strukturqualität und Ergebnisqualität bewertet werden. Die Frage nach der Prozessqualität, in der Behandlung einer Tumorerkrankung z. B. die »Standardtherapie«, macht eine Leitlinie erforderlich. Natürlich gibt es mittlerweile viele Leit-
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linien in der Onkologie, aber diese besitzen eine unterschiedliche Qualität und Akzeptanz. Der wesentliche Unterschied zur üblichen Leitlinienerstellung in der Medizin stellt aber auch die Tatsache dar, dass die Zertifizierungsverfahren für Organzentren die Anwendung und Umsetzung der Leitlinie in der Praxis kontrollieren und damit weit über das sonst in der Medizin übliche Prozedere hinausgehen. Üblicherweise werden (S3-)Leitlinien zwar aufwendig erstellt, dann publiziert, aber ihre Anwendung in keiner Weise kontrolliert. So zeigte bereits 1989 eine Studie über die Umsetzung einer geburtshilflichen Leitlinie, dass deren Publikation und breite Bekanntmachung nach sehr sorgfältiger Erstellung der Leitlinie mit dem Ziel, die unverhältnismäßig hohe Sectio-Rate in Kanada zu senken, nicht erfolgreich war. Zwar konnte ein hoher Bekanntheitsgrad der Leitlinie nach deren Einführung und Darstellung auf vielen Weiterbildungen belegt werden und auch die Selbsteinschätzung der Geburtshelfer ging in die gewünschte Richtung, hin zu weniger Sectio-Geburten, eine statistische, objektive Erhebung aber zeigte, dass sich die Sectio-Rate nicht verändert hatte [14]. Hier zeigt sich das Dilemma in der Implementierung von Leitlinien, häufig ist die Umsetzung in der Praxis nur sehr zögerlich, trotz eines hohen Maßes an Akzeptanz. Ob bei den Organzentren eine höhere Umsetzung von Leitlinien in Tumorzentren nachweisbar ist, als in nicht zertifizierten Häusern, ist noch nicht untersucht. Durch die Audits wird aber erstmals eine Kontrolle vor Ort umgesetzt, die bisher nicht gegeben war. Auf der Grundlage der genannten allgemeinen Überlegungen wurde von der DKG bzw. später von »OnkoZert«, der Zertifizierungsstelle der DKG, zunächst das Verfahren für Brustzentren entwickelt (. Abb. 6.5). Typischerweise handelt es sich um ein zweigeteiltes System, das einerseits vom Zertifizierer von Qualitätsmanagementsystemen durchgeführt wird, nämlich zur Erlangung des entsprechenden Zertifikats, andererseits von »OnkoZert« bestritten wird,
128
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
OnkoZert legt Erhebungsbogen vor
Brustzentrum
vereinbart Zertifizierungsaudit
Pool Fachexperten
6
Zertifizierer für Qualitätsmanagementsysteme Auswahl/ Schulung
Auswahl/ Schulung
Zertifizierungsstelle der DKG Zusammenarbeit mit der Zertifizierungskommission DKG/DGS
stellt
Zertifizierungsaudit im Brustzentrum
stellt
durchgeführt durch: Fachexperte DKG/DGS QM-Auditor
Pool QM-Auditoren
ZertifizierungsKommission DKG/DGS Vorsitz: Prof. Kreienberg
Ausschuß Zertifikatserteilung positives Votum vom Ausschuß Zertifikatserteilung, QM-Zertifikat liegt vor
Prüfung
Bericht Fachexperte DKG/DGS
Zertifikat DKG/DGS
Bericht des QM-Auditors
Prüfung
Zertifikat QM-System
Anforderungen des QM-Systems sind erfüllt
. Abb. 6.5 Zertifizierungssystem der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) für Brustzentren
dessen Vorgehensweise, wie das Schema zeigt, in sehr ähnlicher Weise, wie die der QM-Zertifizierung erfolgt. »OnkoZert« ist zunächst die Stelle, mit der das Audit vereinbart wird, die den Erhebungsbogen kontrolliert und die Schulung der Fachexperten für die Audits durchführt und deren Einsatz koordiniert. Damit übernimmt »OnkoZert« die gleichen Aufgaben wie der Zertifizierer von QM-Systemen. Die Zertifizierungskommission wacht im Auftrag der Krebsgesellschaft über das Verfahren, entwickelt den Erhebungsbogen und damit die »Fachlichen Anforderungen« weiter und übernimmt damit im Vergleich z. B. zur DIN ISO 9001 die Aufgabe des Deutschen Instituts für Normung e. V. Gleichzeitig bilden Mitglieder der Zertifizierungskommission den Ausschuss Zertifikatserteilung, diese Aufgabe (Gegenprüfung von Auditberichten) übernimmt im QM-System der Zertifizierer des QM-Systems selbst. Ansonsten ist der Ablauf auf beiden Seiten gleich: Beide Organisationen entsenden
einen Auditor, der einen Bericht verfasst, der nach Gegenprüfung zur Erteilung eines Zertifikats führt. Aus der Nähe zum ISO-9000-System wird auch deutlich, warum man sich in den Überwachungszeiträumen und in der Laufzeit der Verfahren angepasst hat: Überwachungsaudits finden auch bei Organzentren im jährlichen Rhythmus statt, die Gültigkeit des Zertifikats beträgt, genau wie im ISO-9000-System, 3 Jahre. Eine weitere Grundlage für das Zertifizierungsverfahren von Organzentren stellt die Leitlinienentwicklung dar, wie sie bereits in 7 Abschn. 2.4 beschrieben worden ist. Da die DKG die Entwicklung der Leitlinien für Tumorerkrankungen ebenfalls als eine ihrer Kernaufgaben sieht, ergänzen sich hier zwei Tätigkeitsfelder der Fachgesellschaft. Hinzu kommt, dass es sich bei der DKG um eine Fachgesellschaft handelt, die von ihrer Organisationsform in Arbeitsgemeinschaften bereits einen interdisziplinären Ansatz mit dem Fokus auf maligne Erkrankungen verfolgt. Dies stellt gegenüber anderen Fach-
129 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
gesellschaften einen wesentlichen Vorteil dar, die DKG vereinigt gewissermaßen die gesamte Expertise für interdisziplinäre Zentren unter einem Dach. Umgekehrt muss eine Fachgesellschaft wie z. B. die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie naturgemäß seinen Schwerpunkt auf ein alle Tumorerkrankungen behandelndes »Onkologisches Zentrum« setzen unter der Führung der internistischen Onkologie, schließlich ist sie die Interessenvertretung der Hämatologie und internistischen Onkologie, sie kann nur bedingt ein Verfahren unter Beteiligung der verschiedensten Fachrichtungen organisieren wie die DKG. Bei dem Zertifizierungsverfahren für Brustzentren in Nordrhein-Wesftalen finden sich die gleichen Elemente des Qualitätssicherungsverfahrens, wie in . Abb. 6.4 angegeben wieder: Normgeber ist das Ministerium für Gesundheit unter Berücksichtigung der Ergebnisse breit angelegter Konsensuskonferenzen, an denen alle Vertreter der verschiedenen Berufsgruppen des Landes Nordrhein-Westfalen, die mit der Behandlung des Mammakarzinoms betraut sind, teilnehmen. Der von der Landesärztekammer Westfalen-Lippe erstellte Anforderungskatalog, in den u. a. auch wieder Forderungen der EUSOMA-Publikation »The requirements of a specialist breast unit« [9] eingehen, stellt die Normengrundlage bzw. Qualitätsanforderung dar. Als Kontrolleur oder »Zertifizierer« tritt die Ärztekammer Westfalen-Lippe in Erscheinung, die auch für die Schulung und die Bereitstellung von Auditoren sorgt. Auch bei dem Verfahren zur Benennung und Förderung von »Comprehensive Cancer Centers« finden sich die genannten Elemente wieder: Hier allerdings kommt der Deutschen Krebshilfe die Rolle des Normgebers (die Ausschreibung entspricht einer Qualitätsanforderung), des Zertifizierers, der internationale Gutachter benennt, und damit auch die Kontrollinstanz auf einmal zu. Eine weitere Grundlage für die Zertifizierungsverfahren für Organzentren stellt das be-
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reits seit langem insbesondere aus dem angelsächsischen Bereich bekannte »Peer-to-PeerAudit-Prinzip« dar, d. h., die Audits erfolgen im Idealfall auf »Augenhöhe« zwischen zwei ähnlich oder gleich qualifizierten Medizinern, was zur Erhöhung der Akzeptanz führt und dem Verfahren weniger den Eindruck einer »Kontrolle« verleiht. Die »Joint Commission of Accreditation of Health Organizations« (JCAHO), die bereits seit den 1950er Jahren Zertifizierungsverfahren für amerikanische Krankenhäuser und mittlerweile auch international durchführt, arbeitet zwar auch prinzipiell mit diesem Prinzip, beschäftigt aber »professionelle« Auditoren, die diese Tätigkeit hauptberuflich ausüben. Es gibt andere Zertifizierungssysteme im Bereich des Qualitätsmanagements, die sich von diesem Prinzip ganz entfernen und Auditoren beschäftigen, die mit der Profession der »Überprüften« nichts mehr zu tun haben. Bezogen auf das zur Diskussion stehende Zertifizierungssystem muss dies nicht zwingend zu schlechteren Ergebnissen führen, vermittelt aber zunächst Akzeptanzprobleme, wenn z. B. im EFQM-System ein Manager z. B. einer Fluggesellschaft eine medizinische Institution evaluiert. > Für die Zertifizierung von Organzentren wird daher an dem Kollegialprinzip bewusst festgehalten, Auditor kann nur ein Kollege sein, der in demselben Bereich arbeitet und seine Ausbildung in einer der beteiligten Fachrichtungen erhalten hat.
Das Zertifizierungsverfahren für Organzentren beruht neben den genannten Voraussetzungen nicht zuletzt auch auf der Mitarbeit außerhalb der Fachgesellschaft angesiedelter Interessenvertreter, wie z. B. den Patientenvertretungen. Hinzu kommt, dass die »Fachlichen Anforderungen« über die Leitlinienempfehlungen in vielen Punkten hinausgehen. Insbesondere die Definition von Mindestzahlen oder »Kennzahlen« stellt eine Besonderheit dar, die sich aus verschiede-
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
nen Quellen speist, wie z. B. im Verfahren für Brustzentren aus den EUSOMA-Kriterien. Es werden aber auch einzelne Anforderungen von den Zertifizierungskommissionen neu definiert. Ein Beispiel stellen die gesetzten Vorgaben für den Umfang, an dem an Studien teilgenommen werden muss, dar, die sich so in keiner anderen Publikation finden lassen und auch nicht auf eine evidenzbasierte Untersuchung zurückzuführen sind. Ein weiteres Beispiel im Verfahren für Brustzentren stellt der festgelegte Anteil von Patientinnen, die im T1-Stadium brusterhaltend operiert werden müssen. Hier wird von erfahrenen Klinikern das festgeschrieben, was machbar und mit einer guten Qualität vereinbar erscheint. Diese Bereiche des Verfahrens bedürfen insbesondere bei der Weiterentwicklung der »Fachlichen Anforderungen« einer besonders kritischen Prüfung. Auch neue Erkenntnisse finden u. U. bereits ihren Niederschlag in den »Fachlichen Anforderungen« eines Verfahrens, bevor der Evidenzlevel durch Studien so belegt ist, dass diese Techniken in den häufig erst nach mehreren Jahren überarbeiteten Leitlinien berücksichtigt werden können. Zusammenfassend kann festgestellt werden: 4 Die Grundlagen der Zertifizierungsverfahren für Organzentren, neben der Normenvorgabe in Form einer S3-Leitlinie, ist durch die enge Anlehnung an Bestimmungen des DIN-ISO-9000-Verfahrens gegeben. 4 Der Ablauf des Verfahrens unterscheidet sich nicht wesentlich von Zertifizierungsverfahren außerhalb der Medizin. 4 Die »Fachlichen Anforderungen« müssen in der Konkretisierung von Zahlen und Abläufen über die Leitlinien hinausgehen, um die Anforderungen »prüfbar« zu machen; Hier fließen auch nicht durch Studien belegte Anforderungen mit ein, für die ein starker Konsens in der Zertifizierungskommission als qualitätsfördernde Maßnahme besteht. 4 Die Transparenz des Verfahrens durch Publikation der Entscheidungskriterien in
»Fachlichen Anforderungen« und die Förderung der Akzeptanz durch den Einsatz von Auditoren im »Peer-to-Peer-Prinzip« sind ebenfalls wesentliche Grundlagen des Verfahrens.
6.3.3
Anforderungskataloge von Organzentren
Neben den Leitlinien der Fachgesellschaften stellen die Anforderungskataloge für die Organzentren die Grundlage für das Zertifizierungsverfahren dar. Für die Organzentren sind die Verfahren, die von der DKG angeboten werden, in Deutschland praktisch konkurrenzlos, es werden daher in diesem Abschnitt nur die Verfahren dieser Fachgesellschaft betrachtet werden. Für die Verfahren der DKG werden die Anforderungskataloge, auch als »fachliche Anforderungen« bezeichnet, von einem Expertengremium, den sog. Zertifizierungskommissionen, in enger Zusammenarbeit mit »OnkoZert«, der Zertifizierungsgesellschaft der DKG, erarbeitet. Der ursprüngliche Ansatz von K. Höffken, damaliger Präsident der DKG, bei der Entwicklung des Verfahrens für Brustzentren im Jahr 2000 bestand in der Überlegung, dass zwei Dokumente die Grundlage des Verfahrens bilden sollten: 4 zum einen die »Fachlichen Anforderungen für Brustzentren«, d. h. die Kriterien, die erfüllt werden sollten, müssen definiert sein, 4 zum anderen der »Erhebungsbogen«, der dieselben Anforderungen, allerdings in Frageform, enthalten sollte. Mithilfe des Erhebungsbogens sollte ursprünglich eine Selbstauskunft des Brustzentrums erfolgen, auf deren Grundlage geprüft werden sollte, ob der Aufwand, Auditoren vor Ort zu schicken, auch gerechtfertigt war. Erst wenn diese Prüfung positiv verlaufen war, sollten die Auditoren, quasi mit den »Fachlichen Anforderungen« in der Hand, die Begehung vor Ort durchführen. Im
131 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
weiteren Verlauf wurden die ursprünglich zwei Dokumente von »OnkoZert« verschmolzen: Es ist zwar weiterhin von »Fachlichen Anforderungen« für z. B. Brustzentren oder Darmzentren die Rede, niedergelegt sind sie aber jetzt in einem Erhebungsbogen für die entsprechende Entität, sodass aktuell nur noch ein Dokument existiert. In dem Verfahren hat sich der Erhebungsbogen allerdings bewährt, anhand der Bewertung des Erhebungsbogens kann der Fachexperte bereits im Vorfeld verschiedene Probleme identifizieren und in einen Dialog mit dem Organzentrum eintreten. Diese vorherige Abstimmung hilft, das Audit vor Ort vorzubereiten und die Erwartungshaltungen zwischen den Fachexperten und dem Zentrum abzustimmen. Hinzu kommt, dass hier im Vorfeld bereits eine Betrachtung der Strukturqualität vorgenommen werden kann, die bereits zu diesem Zeitpunkt zu Auflagen oder sogar zum Scheitern des ganzen Verfahrens in diesem frühen Stadium führen kann. > Die Zertifizierungskommissionen werden soweit es geht paritätisch besetzt, d. h., es sind sowohl Vertreter des niedergelassenen wie des stationären Bereichs anwesend, als auch Repräsentanten aller beteiligten Fachgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften, als auch Vertreter nichtärztlicher Berufsgruppen wie der Pflege, der Psychoonkologie und der Patientenverbände.
Die Erstellung eines Erhebungsbogens ist ein aufwendiger Prozess, der zwar nicht mit dem Aufwand verglichen werden kann, den die Erstellung einer Leitlinie verursacht, der aber eine umfangreiche Abstimmung zwischen den Mitgliedern der Zertifizierungskommission untereinander und mit den zuständigen Fachgesellschaften bedarf. Nur ein größtmöglicher Konsens zwischen den Beteiligten sichert dem angestrebten Verfahren das Maß an Akzeptanz, das für ein freiwilliges Verfahren unerlässlich ist, da es sonst von den Zentren nicht angenommen
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wird. Bei dem am längsten existierenden Verfahren für Brustzentren hat sich gezeigt, dass eine Überarbeitung der »Fachlichen Anforderungen« in einem Abstand von 2–3 Jahren sinnvoll und erforderlich ist, um einerseits neue Entwicklungen in der Medizin aufzugreifen, andererseits die Erfahrungen, die die Fachexperten während der Audits bezüglich der Umsetzbarkeit der Anforderungen gemacht haben, zu berücksichtigen. In Sitzungen der Zertifizierungskommission für die jeweilige Entität etwa zweimal jährlich werden neben neuen Anforderungen für den Erhebungsbogen Streitfragen zwischen den Fachexperten oder »OnkoZert« und den Zentren diskutiert und entschieden sowie der aktuelle Stand des jeweiligen Verfahrens betrachtet. Darüber hinaus ist es Aufgabe einer Zertifizierungskommission, die Weiterentwicklung des Verfahrens und seine Außenwirkung zu diskutieren. Nach mehrfacher Diskussion der von »OnkoZert« vorbereiteten Änderungen am Erhebungsbogen werden nach der Sitzung den Mitgliedern der Kommission die geplanten Änderungen und das Sitzungsprotokoll zur Kenntnis gebracht und schließlich verabschiedet. Die Bekanntgabe erfolgt in der Regel über die Internetseite von »OnkoZert«, eine Information der Fachexperten, auch über wichtige Verfahrensänderungen, über Rundmails oder im Rahmen von Fachexpertentreffen zum Erfahrungsaustausch oder bei Schulungen insbesondere neuer Fachexperten. Eine neuere Entwicklung bei der Gestaltung der Erhebungsbögen ist die Zusammenfassung der geforderten Kennzahlen am Ende des Bogens. Die Erfüllung bestimmter Mindestmengen ist ein Kernpunkt der Verfahren, wobei die geforderten Zahlen in der Regel nicht durch große randomisierte Studien ermittelt wurden, sondern einen »cut-off« darstellen, dessen Grundlage häufig Überlegungen der Zertifizierungskommission entspringen, welche Mindestzahlen machbar sind, andererseits aber auch unter Qualitätsgesichtspunkten eingefordert werden müssen.
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Die in den »Fachlichen Anforderungen« definierten Kriterien behandeln zum einen Aspekte der Strukturqualität, also z. B. Forderungen nach bestimmten Qualifizierungen, zum anderen werden Mindestmengen an z. B. therapeutischer Erfahrung oder an die Anzahl der Patienten gestellt. Die Zertifizierungskommissionen haben »k. o.«-Kriterien definiert, d. h. Verfahrensanweisungen an »OnkoZert« unter welchen Umständen eine Nichterfüllung eines Kriteriums auf jedem Fall zum Scheitern bzw. zur Nichteröffnung des Verfahrens führen muss. Bei anderen einzelnen Kriterien kann es erforderlich sein, zunächst die Überprüfung und Interpretation durch die Fachexperten vor Ort abzuwarten. Im Rahmen einer zunehmenden Professionalisierung der Zertifizierungsstelle wurden die »Fachlichen Anforderungen« der einzelnen Verfahren in den überarbeiteten Versionen angeglichen, ohne inhaltliche Besonderheiten, je nach Tumorentität zu verlassen. Ein Beispiel für einen Erhebungsbogen findet sich in . Abb. 6.6 aus den »Fachlichen Anforderungen für Brustzentren«. Vergleicht man die Erhebungsbögen untereinander, kristallisieren sich gleiche Grundforderungen an die Zentren heraus, die in jedem Verfahren gefordert werden und die als eine Art Standard für ein interdisziplinäres Organzentrum angesehen werden müssen: Grundforderungen an ein Organzentrum 1. Struktur des Netzwerkes 2. Tumorkonferenz/interdisziplinäre Zusammenarbeit 3. Kooperation mit den niedergelassenen Fachärzten 4. Beteiligung der Selbsthilfe 5. Psychosoziale und psychoonkologische Betreuung 6. Patientenbeteiligung 7. Wissenschaftliche Aktivitäten 8. Pflege
9. Diagnostische Radiologe 10. Nuklearmedizin (soweit benötigt) 11. Chirurgische Onkologie, je nach Tumorentität 12. Strahlentherapie 13. Pathologie 14. Medikamentöse Tumortherapie/Onkologie 15. Tumordokumentation/Ergebnisqualität 16. Kennzahlen/Matrix Ergebnisqualität
Diese 16 Bereiche werden in unterschiedlicher Art und Weise aufgeschlüsselt in fachspezifische und organspezifische Anforderungen, die individuell ausgearbeitet worden sind. Betrachtet man die oben genannten Punkte, dann fällt auf, dass neben den ohnehin offensichtlich erforderlichen Kooperationen mit den Kernbehandlungspartnern in allen Verfahren eine Tumorkonferenz, die Teilnahme an Studien, die Einbeziehung einer Selbsthilfegruppe und eine umfassende Tumordokumentation zur Erfassung der Ergebnisqualität eingefordert wird. Strebt man die Zertifizierung eines Organzentrums an, dann muss man diese Kernbereiche nachweisen. Unabhängig davon, um welche Tumorentität es sich handelt, können dazu allgemein folgende Empfehlungen für die Vorbereitung neben den fachspezifischen Inhalten gegeben werden: 4 Alle Kooperationspartner des Zentrums müssen vertraglich eingebunden werden, die Kooperationsverträge werden von den Auditoren während des Audits eingesehen 4 Eine gut funktionierende Tumorkonferenz muss möglichst bereits über mehrere Monate etabliert sein (7 Abschn. 6.2). 4 Die Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen muss möglichst gut definiert sein, die Kommunikation über Arztbriefe sollte zeitnah funktionieren; Außenwirkung sollte möglichst schon vor dem Audit in Form von z. B. Weiterbildungsveranstaltungen erzielt werden.
133 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6
. Abb. 6.6 Auszug aus dem Erhebungsbogen »Brustzentren« (Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft 2007)
4 Selbsthilfegruppen sollten ins Zentrum integriert werden, ein eigener Raum für die Selbsthilfegruppe sollte angestrebt werden.
4 Um Studienaktivitäten sollte man sich wegen der langen Anlaufzeiten, bis der erste Patient eingebracht werden kann, frühzeitig kümmern.
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
4 Ein häufiges Problem ist die fehlende Psychoonkologieausbildung eines, möglicherweise erst kurzfristig, eingestellten Psychologen. Erfahrungsgemäß hat die Ausbildung einen langen Vorlauf, da nur wenige Ausbildungsplätze existieren, daher sollte man auch diesen Punkt frühzeitig in Angriff nehmen. 4 Die Kennzahlen sollten exakt auch bei allen Kooperationspartnern erhoben werden. Widersprüchliche Zahlen fallen bei der Prüfung des Erhebungsbogens auf und müssen vermieden werden. Die Erfassung der Kennzahlen ist häufig sehr aufwendig, wenn nicht schon vorher ein entsprechendes Erfassungssystem existiert. Man sollte sich daher auch um diesen Punkt frühzeitig kümmern. 4 Möglichst noch vor dem Audit muss eine Tumordokumentation etabliert werden und möglichst ein Konzept für die Auswertung der Daten auch für die Zukunft erarbeitet werden. Eine personelle Untersetzung dieses Konzepts ist dabei unerlässlich. Dabei spielt die Nachsorge eine besondere Rolle, da es mit zunehmender Dauer, die das Zentrum besteht, immer schwieriger und aufwendiger wird, die Patienten annähernd vollständig nachzuverfolgen. In diesem Zusammenhang kann die Kooperation mit einem örtlichen Tumorzentrum sehr nützlich sein. 4 Es hat sich im Vorfeld einer Erstzertifizierung als Organzentrum als sehr nützlich erwiesen, einen ausführlichen Dialog mit der Zertifizierungsstelle »OnkoZert« über die vorhandene Strukturqualität zu führen. Auch der Dialog mit dem Fachexperten gibt für das Audit wichtige Hinweise.
den Anpassungen vorgenommen. Neben der bereits erwähnten formalen Angleichung der Erhebungsbögen wurden auch bei den Inhalten Angleichungen vorgenommen. Die Anforderungen an die Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen wurden in allen Erhebungsbögen, die bisher überarbeitet wurden, erweitert und spezifiziert. Eine weitere Veränderung gegenüber der Frühzeit des Verfahrens ist der weitestgehende Ausschluss von mehr als drei Standorten der Zentren, wobei jetzt auch zwei Standorte nur unter hohen Auflagen zugelassen werden können. Die Erfahrungen der Fachexperten, die Auswertung der von den Fachexperten auferlegten Abweichungen und die Anmerkungen des Ausschusses Zertifikatserteilung, der die Auditberichte gegenliest, werden von »OnkoZert« regelmäßig ausgewertet und in der jeweiligen Zertifizierungskommission zur Diskussion gestellt. Die DKG wird in Zukunft die Bildung von »Onkologischen Zentren« vorantreiben, letztlich ist es das erklärte Ziel, über die Bildung von Organzentren, die Entwicklung von zertifizierten Tumorzentren voranzutreiben. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die Verfahren für Organzentren in absehbarer Zeit Bestand haben werden. Für kleinere Häuser, die nicht in der Lage sind, die gesamte Logistik eines umfassenden Tumorzentrums vorzuhalten, die aber aufgrund der Spezialisierung auf eine oder zwei Tumorentitäten in der Lage sind, ihre Expertise auch nach außen zu dokumentieren, sind zur Zeit keine Alternativen absehbar. Alle aktuellen Erhebungsbögen sowie eine Übersicht über die zertifizierten Zentren sind über http://www.onkozert.de abrufbar.
Nach der hohen Anzahl von Verfahren, die in den letzten Jahren von »OnkoZert« abgewickelt wurden, existiert eine große Erfahrung in der Durchführung des Zertifizierungssystems, die für eine weitere Professionalisierung des Verfahrens genutzt wurde. In der Vergangenheit wur-
6.3.4
Aktuelle Modelle für Tumorzentren in Deutschland
Das Wort »Zentrum« wird in der Medizin ubiquitär verwendet und soll den Patienten, nicht nur in der Onkologie, den Eindruck vermitteln,
135 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6
Reha
Facharzt
Chirurgische Onkologie
Hausarzt
Onkologische Patienten Radioonkologie
Tumorkonferenz
Internistische Onkologie
Fachabteilung
Krankenhaus
Palliativstation Pathologie Hospiz Radiologie
. Abb. 6.7 Aktuelle Struktur der Versorgung von Tumorpatienten in Deutschland
dass hier Größe und Kompetenz zusammenkommen, und zwar über die Grenzen des Fachgebietes hinaus. »Zentrierung« vermittelt dabei die Vorstellung, dass man sich auf ein Thema fokussiert, spezialisiert und Grenzen der klassischen Fachgebiete auflöst. Dabei macht man sich den allgemeinen Konsens zunutze, dass Spezialisierung und Konzentrierung der Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern auch zu besseren Ergebnissen führt, was aber keineswegs der Fall sein muss. »Tumorzentren« gibt es in Deutschland bereits seit mehreren Jahrzehnten, aber erst in den letzten Jahren wurde die »Zentrumsbildung« so vorangetrieben, dass es jetzt kaum noch ein größeres Krankenhaus gibt, dass nicht über mindestens ein Zentrum in der Onkologie oder in einem anderen Fachgebiet verfügt. Bis vor Kurzem war der Weg onkologischer Patienten zufällig dadurch bestimmt, welches Fachgebiet als erstes die Behandlung des Patienten übernommen hat (. Abb. 6.7).
z
Organzentren
Die Organzentren haben in den meisten Häusern dazu geführt, dass die unabhängigen Fachabteilungen, die von dem Patienten angesteuert werden können, durch eine Tumorkonferenz unter Beteiligung von Radiologie und Pathologie miteinander verbunden werden und im Idealfall stets die gleiche Entscheidung zur Diagnostik und Therapie für den Patienten gefällt wird, egal in welcher Fachabteilung er sich zuerst vorgestellt hatte. Die Struktur eines onkologischen (Organ-) Zentrums, die zurzeit die größte Verbreitung gefunden hat, ist die des Organzentrums (7 Abschn. 6.3.2). Seine Struktur führt dazu, dass die Vorteile des bisherigen Systems (Patient wird in der Regel vom gleichen Team betreut, eindeutige Ressourcenzuweisung im jeweiligen Bereich der Klinik, kurze Entscheidungswege) erhalten bleiben und mit den Vorteilen des interdisziplinären Austausches in Form der interdisziplinären Tumorkonferenz verknüpft werden. Die Nachteile des Systems (Ressortegoismen, getrennte Budgets, keine
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6
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
übergeordnete Qualitätssicherung, Interdisziplinarität hängt stark von der Zusammenarbeit der Ärzte vor Ort ab, mögliche fachliche Defizite bei der Versorgung komplexer Patienten in einer spezialisierten Abteilung) müssen in Kauf genommen werden. Insbesondere die Abhängigkeit der Versorgungsqualität von der tatsächlich »gelebten« Interdisziplinarität stellt die Grundlage für große Unterschiede zwischen den Zentren dar. Eine Zertifizierung besagt nur, dass definierte Grundbedingungen erfüllt sind, ob auch die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Fachgebieten optimal ist, kann nur zum Teil über das Zertifizierungssystem gewährleistet werden. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die bestehende Struktur der Organzentren nicht zuletzt auch deshalb so erfolgreich ist, weil sie sich am leichtesten auf unsere existierenden Strukturen des Gesundheitswesens anwenden lässt. Eine »radikalere« Umsetzung des interdisziplinären Ansatzes mit fachlich gemischten Stationen würde bedeuten, dass Ärzte, die sowohl chirurgisch als auch internistisch, palliativmedizinisch und strahlentherapeutisch ausgebildet sind, mit entsprechend spezialisierten Pflegekräften komplexe onkologische Fälle behandeln. Es würde sich um Einheiten handeln, die ausschließlich auf die umfassende Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen spezialisiert sind. Eine solche Aufhebung der Grenzen der Fachgebiete erfordert aber einen Umbau der bestehenden Hierarchien und eine fast vollständige Reorganisation der Krankenhausstruktur und ist damit nicht ohne Weiteres kompatibel zur bestehenden Realität unseres Gesundheitswesens in Deutschland. Trotzdem gibt es bereits heute Organisationsformen mit einem umfassenderen Anspruch an die Zentrumsbildung. z
Onkologisches Zentrum
Zunächst bietet die Zertifizierungsgesellschaft der DKG, »OnkoZert«, seit 2009 auch ein Verfahren für die Zertifizierung eines »Onkologi-
schen Zentrums« an. Voraussetzung dafür ist zunächst mindestens das Vorhandensein zweier zertifizierter Organzentren oder aber die Erfüllung organspezifischer Anforderungen, deren Erfüllung ein abgeschlossenes Zertifizierungsverfahren für Organzentren innerhalb des »Onkologischen Zentrums« nicht erforderlich machen. Diese organspezifischen Anforderungen werden in dem Verfahren für Brustkrebs, Darmkrebs, gynäkologische Tumoren, Hauttumoren, Lungentumoren und Prostatakarzinome definiert. Darüber hinaus muss für mehr als 50% der häufigsten Tumorentitäten, wobei man sich an der Inzidenz der Erkrankungen in Deutschland orientiert, eine Versorgung angeboten werden. Eine wesentliche Motivation für die Schaffung des Verfahrens war die Erkenntnis, dass Kernbereiche der interdisziplinären Versorgung, z. B. Pathologie, diagnostische Radiologie, internistische Onkologie, Strahlentherapie, über die verschiedenen Organzentren immer für zu fast identischen Zertifizierungsverfahren gezwungen werden, die die Qualität der Abteilung nicht fördert. Die Leitung des »Onkologischen Zentrums« hat in erster Linie koordinierende Aufgaben, die Funktionen und Verantwortlichkeiten sind nicht in dem umfassenden Maße definiert, wie in dem weiter unten beschriebenen Verfahren der Deutschen Krebshilfe für »Comprehensive Cancer Center«. Für die wichtigsten Kernbehandlungspartner werden Anforderungen definiert, ebenso für zentral zu nutzende Bereiche wie Nuklearmedizin, Psychoonkologie, Sozialdienst, Studienmanagement, Tumordokumentation und -register. Dabei werden teilweise sehr detaillierte Forderungen definiert, sodass sich der Auditaufwand unter Berücksichtigung der zusätzlichen organspezifischen Anforderungen als erheblich darstellt. Ein Verfahren dieser Größe ist schon von den Anforderungen her nur durch ein Krankenhaus der Maximalversorgung oder ein Universitätsklinikum zu leisten. Ein erstes »Onkologisches Zentrum« im Sinne der
137 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
6
»Comprehensive Cancer Center«
»Onkologisches Zentrum« mit zusätzlichen »Zentralen Diensten«, z. B. Studienzentrale, Tumorregister u.ä.
»Organzentren« (Brustzentrum, Darmzentrum, Prostatazentrum etc.) In allen Organzentren beteiligt: Pathologie, Radiologie, Int. Onkologie, Radioonkologie, Operative Onkologie
. Abb. 6.8 Onkologisches Zentrum im Sinne der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Mod. nach [2]
DKG wurde Mitte 2009 zertifiziert (Universitätsklinikum Tübingen) [8] (. Abb. 6.8). z
Comprehensive Cancer Center (CCC)
Ein noch umfassenderer Ansatz zur Bildung von Tumorzentren zur Behandlung aller Krebserkrankungen besteht in der Initiative der Deutschen Krebshilfe »Comprehensive Cancer Center (CCC)« zu fördern. Hier wird auch der Bereich der Forschung, insbesondere der translationalen Forschung berücksichtigt. Als Vorbild dienten ähnliche Strukturen in den USA, dort existieren »Comprehensive Cancer Center« mit dem Schwerpunkt, die translationale Forschung zu verbessern, bereits seit Jahren. In einem Ausschreibungsverfahren 2006 hat die Deutsche Krebshilfe aus damals 18 Bewerbungen 4 »Onkologische Spitzenzentren« ausgewählt, die von internationalen Gutachtern nach einer Vorauswahl als förderungswürdig eingestuft wurden. Es handelte sich dabei um die Universitätskliniken in Freiburg, Köln, Dresden und Tübingen, die von der Krebshilfe mit 1 Mio. Euro pro Jahr für 3 Jahre gefördert werden. In einer zweiten Ausschreibungsrunde 2007 / 2008 wurde nach leicht modifizierten Ausschreibungskriterien eine
Auswahl von weiteren 6 »Comprehensive Cancer Centers« an Universitätskliniken getroffen, und zwar in Berlin (Charité), Essen, Erlangen, Frankfurt, Hamburg, Ulm und als von Anfang an »gesetztes« Zentrum Heidelberg (»Nationales Centrum für Tumorerkrankungen«, NCT) [7]. Diese Zentren werden über die nächsten Jahre eine Millionenförderung erhalten und man darf davon ausgehen, dass über dieses Verfahren der Deutschen Krebshilfe eine Konzentrierung, zumindest der onkologischen Forschungstätigkeiten, zu erwarten ist. Entsprechend der Ausschreibung [6] und den darin definierten »funding criteria« (»Förderungskriterien«) sind die Forderungen der Deutschen Krebshilfe weitgehend und greifen in die bestehenden Organisationsstrukturen/Hierarchien der beteiligten Universitätsklinika ein. So muss ein Direktor für die Leitung des CCC gestellt werden, der weitreichende Befugnisse hat (z. B. eigenes Budget, starkes Mitspracherecht bei Personalentscheidungen) und der von einem »Scientific Board« und einem »Executive Board« unterstützt wird. Die für die Umsetzung von Forschungsvorhaben relevanten Strukturen des CCC müssen von dem Direktor kontrol-
138
6
Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
lierbar sein, ein externes »Advisory Board« soll für die Bewertung der Forschungsvorhaben zur Verfügung stehen. Weitergehende strukturelle Voraussetzungen umfassen die Erstellung von Patientenpfaden für alle relevanten Tumorentitäten, die Etablierung von »Multidisciplinary Cancer Conferences (MCC)«, also interdisziplinären Tumorkonferenzen, die für jeden Krebspatienten Diagnostik und Therapie festlegen sollen und eine IT-Ausstattung, die für eine vollständige Erfassung der relevanten Daten jedes Patienten sorgen kann. Dabei wird einem zentralen Tumorregister eine herausragende Bedeutung für die Qualitätssicherung zugeordnet. Darüber hinaus muss das CCC nachweisen, dass es in verschiedenen Bereichen der Hämatologie und Onkologie einen vorgeschriebenen Prozentsatz von Patienten in klinischen Studien unter der Leitung eines zentralen Studienzentrums behandelt. Weitere Schwerpunkte werden im Bereich des einheitlichen Aufbaus einer Biobank für Forschungszwecke, einer engen Kooperation mit umliegenden Krankenhäusern und niedergelassenen Spezialisten im Sinne eines »outreach programs« und in Form eines nachweislich umfassenden Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramms für Ärzte und Pflegekräfte gesetzt. Damit skizziert die Deutsche Krebshilfe in ihrer Ausschreibung die Struktur eines Tumorzentrums, das weit über die zurzeit an Universitätskliniken vorhandenen Strukturen hinausgeht, fordert aber zu Recht Veränderungen zugunsten eines multidisziplinären Ansatzes ein, der häufig durch Ressortegoismen behindert wird. Im Wesentlichen durch die hohe Förderungssumme vorangetrieben führt das Verfahren Veränderungen herbei, von denen man hoffen darf, dass sie in der näheren Zukunft richtungsweisend auch für nichtuniversitäre Kliniken sein könnte. Die Deutsche Krebshilfe beschreitet dabei einen »deduktiven« Ansatz: Durch die Ausstrahlung in die Region sollen die geförderten Spitzenzentren auch für eine Verbesserung der Versorgung in ihrer Umgebung
sorgen. Der Durchdringungsgrad des Ansatzes bleibt abzuwarten, zurzeit wird nur eine Minderheit der Tumorpatienten an Universitätskliniken behandelt, eine noch kleinere Minderheit an den 10 geförderten Zentren. z
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Das »Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)« in Heidelberg stellt einen bereits existierenden Ansatz zur Schaffung eines CCC/ Tumorzentrums in Deutschland dar [3]. Im Juli 2003 gegründet, wurde das NCT aus einer Kooperation zwischen DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum), Medizinischer Fakultät der Universität Heidelberg, der Thoraxklinik Heidelberg, der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe gebildet. Hier wurde bereits sehr früh versucht, die Strukturen eines CCC nach amerikanischem Vorbild zu schaffen, die dann in der Ausschreibung der Deutschen Krebshilfe (7 oben) ihren Niederschlag fanden. So verfügt das NCT über eine interdisziplinäre Tumorambulanz mit Tumorkonferenzen und zentraler Chemotherapieeinheit, ein Abteilung für experimentelle Diagnostik und Therapie und eine Abteilung für präventive Onkologie. Eine Tumor- und Serumbank existiert ebenso wie ein Zentrum für klinische Studien. Neben der translationalen Forschung bietet das NCT insbesondere Beratung für umliegende Institutionen an (. Abb. 6.9). z
Onkologische Schwerpunkte
Bereits seit knapp 30 Jahren besteht ein weiterer regionaler Ansatz zur Schaffung von Tumorzentren. In Baden-Württemberg unterstützen die Landesregierung und die Krankenkassen »Onkologische Schwerpunkte«, die eine Zusammenschluss mehrerer Krankenhäuser, zum Teil bis zu 60 km voneinander entfernt, darstellen [18]. Ziel ist die umfassende ambulante, stationäre und rehabilitative Versorgung von Tumorpatienten in der jeweiligen Region. Dabei wird eine Einbe-
6
139 6.3 • Externe Zertifizierung durch die Fachgesellschaften
Direktorium
Translationale Onkologie
Medizinische Onkologie
Translationale Studien
Präventive Onkologie
Studien
Interdisziplinäre Tumorkonferenz
Molekulare SZ-Forschung
Beratung Studien
u.a.
u.a.
Beratung/Dienstleistung
u.a.
Patientenvorstellung
Andere Institutionen/Kliniken/Praxen
. Abb. 6.9 Das NCT Heidelberg als Beispiel für ein Tumorzentrumsmodell. Mod. nach [3]
ziehung bereits bestehender oder entstehender Organzentren sowie eine enge Kooperation mit den Universitätskliniken des Landes vorausgesetzt. Deren Beitrag soll insbesondere in der translationalen Forschung und Einführung innovativer Methoden bestehen. Jeder »Onkologische Schwerpunkt« muss die Behandlung zumindest der häufigsten Tumorentitäten anbieten und steht damit natürlich auch in Konkurrenz zu den Universitätskliniken. Alle fünf Jahre müssen die »Onkologischen Schwerpunkte« an einem Audit teilnehmen und qualitätssichernde Maßnahmen, wie z. B. Studienteilnahme, umfassende Fort- und Weiterbildung, Tumordokumentation und -konferenzen, nachweisen. Die Koordination der genannten Tätigkeiten erfolgt seit 1983 über die »Arbeitsgemeinschaft der Tumorzentren, onkologischer Schwerpunkte und verwandter Einrichtungen« (ATO). Durch diese Organisation werden 16 »Onkologische Schwerpunkte« bzw. Tumorzentren zusammengefasst [1].
Aufgrund der regionalen Besonderheiten dieses Verfahrens ist nicht mit einer bundesweiten Ausdehnung zu rechnen. z
Onkologische Zentren der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Bereits im Juni 2005 definierte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) in einem Grundsatzpapier [16] ein »Onkologisches Zentrum«, das in Zusammenarbeit mit dem Bund niedergelassener Hämatologen und Onkologen (BNHO) und der Arbeitsgemeinschaft der leitenden Hämatologen und internistischen Onkologen am Krankenhaus (ADHOK) erstellt wurde. Die Struktur diese Tumorzentrums sieht im Kern eine Abteilung für internistische Onkologie und Hämatologie vor, auch der Zentrumsleiter muss einer internistischer Onkologe/Hämatologe sein, der die ESMO-Prüfung vorweisen kann. Die »stationäre
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Kapitel 6 • Interdisziplinäres Qualitätsmanagement und Zentrumsbildung in der Onkologie
Onkologisches Zentrum »Stationäre Versorgungseinheit« (Klinik für Innere Medizin)
»Ambulante Versorgungseinheit« (Onkologische Ambulanz/ Praxen für Hämatologie/Onkologie) Sozialdienst/ Psychosoz. Betreuung
Palliativmedizin
6 Chirurg. Onkologie
Strahlentherapie
Pathologie
Radiologie
»Obligatorische Kooperationen«
»Kooperationen« (Gynäkologie, Urologie, Dermatologie, Pulmonologie, Hospiz, Endoskopie etc.) . Abb. 6.10 Tumorzentrumsmodell der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
Versorgungseinheit« wird von einer Klinik für Hämatologie und internistische Onkologie gestellt. Es sind verpflichtende Kooperationen mit den anderen, für die Tumorbehandlung essenziellen Fachbereichen nachzuweisen, dazu zählen die Pathologie, die chirurgische Onkologie, die Strahlentherapie, die diagnostische Radiologie, die Palliativmedizin und der Sozialdienst. Das besondere an dieser Zentrumsstruktur ist, dass die ambulante Versorgung auch von niedergelassenen Hämatologen und Onkologen, die mit dem Zentrum kooperieren, übernommen werden kann. Für den Leiter der ambulanten Versorgung wird die Teilgebietsbezeichnung Hämatologie/Onkologie vorgeschrieben, niedergelassene Ärzte, die an der ambulanten onkologischen Versorgung über die »Onkologie-Vereinbarung« teilnehmen, sind für diese Funktion nicht vorgesehen. Diesem Zusammenschluss verschiedener Fachrichtungen können sich fakultativ weitere, vor Ort vorhandene Behandlungspartner anschließen. Dazu gehören
z. B. die Gynäkologie, die Urologie, ein Hospiz, die Dermatologie oder die Pulmonologie u. Ä. Jedes dieser Zentren ist also in den Kernbehandlungspartnern identisch, erfährt aber je nach Situation vor Ort unterschiedliche Erweiterungen (. Abb. 6.10). Das Verfahren steht unter der Leitung einer zehnköpfigen Kommission, die sich aus Mitgliedern der beteiligten Fachgesellschaften (7 oben) zusammensetzt. Diese Kommission bestimmt »Inspektoren«, die in die Tumorzentren, die das Verfahren über ein Antragsformular beantragt haben, entsandt werden. Die Anforderungen des Grundsatzpapiers werden dann vor Ort überprüft. Inhaltlich betont das Grundsatzpapier die Interdisziplinarität in der Versorgung von Tumorpatienten und betont die Notwendigkeit »umfassender, integrierender Behandlungskonzepte für alle Krebserkrankungen«. Verantwortlich für die Erstellung des diagnostischen und therapeutischen Konzeptes für jeden einzelnen
141 Literatur
Patienten und die Überwachung und Beurteilung dieser Maßnahmen ist der internistische Onkologe, der die »Lotsenfunktion« im Behandlungsprozess des Patienten übernehmen soll. Auch Mindestanforderungen über Fallzahlen werden in dem Verfahren definiert, so hat das »Onkologische Zentrum« im Sinne der DGHO mindest 700 onkologische Patienten pro Jahr und davon 300 neuerkrankte Patienten pro Jahr nachzuweisen. Darüber hinaus werden 5000 »Systemtherapietage« verlangt. Ein »Systemtherapietag« wird dabei definiert als ein Tag, an dem ein Patient eine Systemtherapie erhält, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Therapie ambulant oder stationär verabreicht wird. Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems wird von der DGHO empfohlen, stellt aber keine Bedingung für die Erlangung des Zertifikats bzw. des Titels »Onkologisches Zentrum« dar. Tumorzentren stellen die konsequente Umsetzung des Interdisziplinaritätsgedankens auf alle onkologischen Patienten dar. Die oben genannten Verfahren erreichen allerdings bislang nur einen Bruchteil der Patienten mit Tumorerkrankungen, mit Ausnahme des Verfahrens für Brustzentren kann keines als flächendeckend bezeichnet werden. Trotzdem stellen sie einen wichtigen Ansatz zur Qualitätsverbesserung dar, der weiter ausgebaut werden muss. Bereits jetzt ist ein Bewusstseinswandel hin zur Interdisziplinarität erreicht worden, dem die flächendeckende strukturelle Umsetzung noch folgen muss.
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Literatur 1 Arbeitsgemeinschaft der Tumorzentren, onkologischen Schwerpunkte und verwandten Organisationen in Baden-Württemberg, Stellungnahmen. http://www. krebsverband-baden-wuerttemberg.de/139.0.html. Download vom 30.9.2008 2 Bamberg M (2006) DKG: Konzeption für neue Versorgungsstrukturen in der Onkologie. Forum DKG 7, S 34–36
17
18
6
Beigelböck A, v. Kalle C, Jäger D (2006) Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg in der Praxis. Forum DKG 7, S 46–51 Blamey RW, Cataliotti L (2006) Eusoma Accreditation of a Breast Unit (revidierte Version). Eur J Cancer 42(10): 1331–1337. Webseite der EUSOMA http://www.eusoma. org/doc/EusomaCertificationDocument.pdf. Gesehen 16 Jun 2009 Camli C, Rieben E, Conen D (2001) Leitlinien und Clinical Pathways in der Fallkostenkalkulation. In: Lauterbach KW, Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart, S 497 Deutsche Krebshilfe: Program for the Development of Interdisciplinary Oncology Centers of Excellence in Germany – Second call for proposals vom 25.10.2007. http://www.krebshilfe.de. Download vom 30.9.2008 Deutschen Krebshilfe e. V., geförderte Onkologische Spitzenzentren. http://www.krebshilfe.de. Download vom 25.7.2009 Erhebungsbogen für Onkologische Zentren (2009). http://www.onkozert.de. Gesehen 31 Okt 2009 EUSOMA Working Party – Blamey R, Blichert-Toft M, Cataliotti L et al. (2000) The requirements of a specialist breast unit. EJC 36: 2288–2229 http://www.eusoma.org/Engx/BreastUnits/AccreditationProcess.aspx?cont=ap_accredited. Gesehen 16 Jun 2009 http://www.jointcommission.org/codman. Gesehen 29 Okt 2009 http://www.onkozert.de/darmzentren. Gesehen 29 Okt 2009 Lee C (1999) Comprehensive Breast Centers: Priorities and Pitfalls. BreastJ 5(5): 319–324 Lomas J, Anderson GM, Domnick-Pierre K, Vayda E, Enkin MW, Hannah WJ (1989) Do practice guidelines guide practice? The effect of a consensus statement on the practice of physicians. N Engl J Med 19: 1306–1311 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (2009) »Brustzentren in NRW« MAGS NRW, III A 1, 0506.4.1. http://www.mags.nrw.de/08_PDF/002/Brustzentren_in_ Nordrhein-Westfalen.pdf. Gesehen 29 Okt 2009 Onkologische Zentren: Eine Stellungnahme der DGHO zu den Anforderungen an eine kontinuierliche, umfassende, ambulante und stationäre Versorgung von onkologischen Patienten von Juni 2005. http://www. onkologische-zentren.de. Download vom 30.9.2008 Schmalenberg H (2005) Qualitätssicherung in der interdisziplinären Versorgung. Zertifizierung von Brustzentren. Der Onkologe 11, Heft 12 Wohland-Braun B, Aulitzky WE (2007) Onkologische Zentren am Beispiel der Onkologischen Schwerpunkte in Baden-Württemberg. Forum DKG 7(22): 64–65
143
Ausblick Harald Schmalenberg
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7
Kapitel 7 • Ausblick
In der onkologischen Versorgung in Deutschland hat sich das Prinzip der Interdisziplinarität in den letzten 10 Jahren durchgesetzt. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung haben die Zertifizierungsverfahren der Deutschen Krebsgesellschaft geleistet, aber auch die anderen in den 7 Abschn. 6.3.1 und 6.3.4 genannten Verfahren. Ob sich die anderen Verfahren für Organzentren genauso erfolgreich wie das Verfahren für Brustzentren entwickeln wird, ist noch nicht absehbar, aber die Dynamik, mit der die Zahlen für z. B. zertifizierte Darmkrebszentren steigen, lässt dies vermuten. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die Entwicklung hin zu Tumorzentren gehen wird. Die Organzentren können nur »pars pro totum« sein, auch wenn für kleinere, spezialisierte Krankenhäuser, die nicht die Logistik für die umfassende Behandlung aller Tumoren vorhalten können, die Verfahren für Organzentren weiterhin attraktiv sein werden. Der »deduktiven« Initiative der Deutschen Krebshilfe, also »Spitzenzentren« zu definieren, die verpflichtend mit dem Umland kooperieren müssen und dadurch auch auf kleinere Häuser wirken, steht die »induktive« Initiative der Deutschen Krebsgesellschaft gegenüber. Diese will durch den Zusammenschluss von mehreren Organzentren und aktuell durch ihr Verfahren für »Onkologische Zentren« mit kleinen Einheiten letztlich dasselbe, nämlich ein interdisziplinäres Tumorzentrum, erreichen, wie es von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie ohnehin gefordert wird. Denkt man gleichzeitig über die Möglichkeit einer flächendeckenden Versorgung nach, ohne dass der Zugang zu hochspezialisierten Behandlungs- und Therapieoptionen verwehrt wird, kann man sich ein Mehrstufenmodell von Tumorzentren vorstellen (. Abb. 7.1). Dabei wird die lokale Versorgung, z. B. in ländlichen Regionen, von regionalen Tumorzentren, z. B. am örtlichen Kreiskrankenhaus, übernommen, die für zwei oder drei häufige Tumorentitä-
ten wie das Mammakarzinom, das kolorektale Karzinom, das Bronchialkarzinom oder das Prostatakarzinom die extern evaluierte Expertise vorhalten. Diese regionalen Tumorzentren würden neben den Kernbehandlungspartnern eine palliativmedizinische Versorgung und eine Studiendokumentation anbieten. Als Ansprechpartner für das regionale Tumorzentrum könnte ein überregionales Tumorzentrum dienen, dass neben den genannten Ressourcen zusätzlich eine Studienzentrale und ein Referenzzentrum für seltenere Tumorentitäten vorhält, wie z. B. Sarkome. Hier könnten auch zentrale Funktionen in der Ausbildung von Pflege und Ärzten lokalisiert sein und die Tumordokumentation mehrerer regionaler Zentren zusammenfließen. Über dem überregionalen Tumorzentrum wären die »Comprehensive Cancer Center« (CCC) als Maximalversorger in der Tumordiagnostik und -therapie angesiedelt. Die CCC würden neben den genannten Ressourcen ein Tumorregister vorhalten und Aufgaben in der Lehre, der Grundlagenforschung und vor allem auch der translationalen Forschung übernehmen. > Dieses Dreistufenmodell (. Abb. 7.1) würde die beschriebenen Verfahren für Tumorzentren zusammenführen und könnte allen an der Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen beteiligten Einrichtungen, je nach Ausstattung, ihre speziellen Aufgaben zuweisen.
Wünschenswert wäre auch ein weiterer Ausbau der Interdisziplinarität in einem Ausbildungsgang für »onkologisch spezialisierte« Ärzte, die neben dem Fachgebiet, aus dem sie kommen, auch verpflichtend Ausbildungszeiten zumindest in den Kerngebieten der Tumorversorgung (Strahlentherapie, Internistische Onkologie, Tumorchirurgie) ableisten. Dies könnte die interdisziplinäre Versorgung weiter verbessern. Tumorzentren, die konsequent interdisziplinär arbeiten, werden zwangsläufig von den immer noch gebräuchlichen py-
7
145
Ausblick
Modularer Aufbau von Tumorzentren Kerntumorzentrum/Regionales Tumorzentrum Überregionales Tumorzentrum Comprehensive Cancer Center Sozialdienst
Strahlentherapie
Referenzzentrum
Internistische Onkologie
Studien/ Dokumentation
GrundlagenForschung
Interdisziplinäre Tumorkonferenz Translationale Forschung
Lehre
Behandlung seltener Tumorentitäten
Chirurg. Onkologie
Pathologie
Radiologie
Palliativmedizin
z. B. Dermatologie
z. B. Urologie
Studienzentrale
z. B. Gynäkologie
Tumorregister
. Abb. 7.1 Dreistufenmodell von Tumorzentren für die flächendeckende onkologische Versorgung
ramidenförmigen Hierarchien im Krankenhaus hin zu einer kollegialen Unternehmenskultur kommen. Erfolgreiche Tumorzentren werden auf die Teamfähigkeit ihrer Mitarbeiter angewiesen sein und auch den interprofessionellen Dialog, der zzt. in der Palliativmedizin wahrscheinlich am weitestgehenden etabliert ist, fördern müssen. Es wird sicherlich auch zu dem Krankheitsbild angepassten Patientenpfaden kommen, das Denken in klassischen »Abteilungen« der Fachgebiete wird sich verändern. Zertifikate, die die Expertise und Kompetenz der Einrichtungen demonstrieren, werden in diesem Umfeld weiterhin als Wettbewerbsvorteil eine Rolle spielen. Nach innen werden die Zertifizierungsverfahren die organisatorischen Veränderungen, wie sie oben beschrieben worden sind, vorbereiten und fördern. Eine Einrichtung, die sich den entsprechenden Verfahren frühzeitig unterzieht, wird sich auf den zu erwartenden Wandel in der onkologischen Versorgung
der Bevölkerung vorbereiten und von den Synergien, die sich durch neue und bessere Organisationsformen ergeben, frühzeitig profitieren.
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Stichwortverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
A Anforderungskataloge von Organzentren 130 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) 19 Arzneimittelkosten 5 Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ) 19 Audit 63 – Arten 64 – Definition 9 – Dienstleistungsaudit 63 – Drittparteienaudit 64 – Erstparteienaudit 64 – Lieferantenaudit 63 – Phasen zur Vorbereitung 65 – Produktaudit 63 – Prozessaudit 63 – Systemaudit 63 – Zweitparteienaudit 64 Auditor 68 Auditoren – Auditprinzipien 65 Auditprogramm 64 Aufklärung 89
B Befragungen 68 Behandlungspfade 93 Benchmarking 33, 87, 92 Brustzentren 118 Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung 16
Disease-ManagementProgramme (DMP) 86 DMP Brustkrebs 86 Dokumentation 48 – Darstellungsmethoden 51 – Grundsätze der Dokumentationserstellung 60 – prozessorientierter Ansatz 51 – traditioneller Ansatz 51 Dokumentationsebenen 51 Dokumentationsstruktur nach ISO 9001:2000 51 Donabedian 3 – Grundpfeiler der Qualität 4 – Systematik des Qualitätsbegriffes 3 DRG-System 5
E EFQM 30 Empfehlungsgrade 23 EPA, Europäisches PraxisAssessment 102 European Foundation for Quality Management (EFQM) 32 European Quality Award (EQA) 32 EUSOMA 122 EUSOMA, European Society of Mastology 118 EUSOMA-Kriterien 118 Evidenzniveaus in der Leitlinienentwicklung 22
F C Clinical Pathways 92, 104 Comprehensive Cancer Center (CCC) 123, 137, 144
Fachliche Anforderungen für Brustzentren 118 Fehlerkultur 91 Fehlermanagement 70
D
G
Darmkrebszentren 124 Deming-Zyklus 14 Deutsche Krebsgesellschaft 118 DIN EN ISO 9001:2005 31 Disease-ManagementProgramme 17
Gemeinsamer Bundesausschuss 81 Gynäkologische Tumorzentren 144
H Hauttumorzentren 124 Hygieneplan 96
I Implementierung – Erfolgsfaktoren 58 – Projektierung 55 – vermeidbare Fehler 60 Implementierung von QM-Systemen 54 Informationszentrum für Standards in der Onkologie (ISTO) 19 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 18 ISO 19011 – Gliederung 63
J JCI-Survey 34 Joint Commission for Accreditation of Health Organizations (JCAHO) 33 Joint Commission International (JCI) 34 Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations 116
K »k. o.«-Kriterien 132 Kernleistungen – onkologische Schwerpunktpraxis 97 Kommunikation 97 Konsensusstärke 23 Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) 34 Kooperationsvereinbarungen 100 Krebsregister, klinische 16 KTQ, Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen 102
149 Stichwortverzeichnis
A–Z
L
Q
S
Leitbild 97 Leitlinien 18, 87, 88 – Definition 20 Leitlinienentwicklung 20 Lungenkrebszentren 124
QEP, Qualität und Entwicklung in Praxen 102 QM-Richtlinie – Gemeinsamer Bundesausschuss 81 QM-Systeme für ambulante Versorgung 102 Qualität 2 – Allgemeines 2 – Definition 2, 7 Qualitätsgrundlagen onkologischer Schwerpunktpraxen 84 Qualitätskontrolle 27 Qualitätsmanagement 28, 40 – ambulante Versorgung 77 – Anforderungen im ambulanten Bereich 78 – Aufbau 40 – Definition 7 – Grundsätze 28 Qualitätsmanagement in Arztpraxen – Aufbau 81 Qualitätsmanagementsysteme, prozessorientiert 30 Qualitätsplanung 27 Qualitätspolitik 41 – Definition 8 – onkologische Praxen 97 Qualitätssicherung 12 – Definition 7 Qualitätssicherungsrichtlinie 78 Qualitätssteuerung 27 Qualitätsverbesserung 28 Qualitätsziel – Definition 8 Qualitätsziele 41 Qualitätszirkel 75
Selbstbewertungsbericht 35 Selbstverwaltung 85 Standard Operating Procedure (SOP) – onkologische Praxis 89 Studien 88
M Medizinische Dienst der Krankenkassen 13 Meldepflicht 15, 17 Mitarbeiterorientierung 93
N Nachaudit 61 Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) 138
O Onkologie-Vereinbarung 85, 88 – Qualitätsanforderungen 85 onkologische Praxen 82 Onkologische Schwerpunkte 138 onkologische Schwerpunktpraxis – Kernleistungen 97 Onkologische Zentren 120, 136 – DGHO 86 OnkoZert 118, 120
P Patientenbefragungen 92 Patientenorientierung 89 Patientenpfade 108 Patientensicherheit 89 Peer-to-Peer-AuditPrinzip 129 Peer-to-Peer-Verfahren 35 Praxis-EDV-System 95 Praxismanagement 95 Projektmanagement – Definition 9 Prostatakarzinomzentren 124 Prozess – Definition 8
R RADAR-Matrix 32 Richtlinie der Bundesärztekammer zur Hämotherapie 91 Richtlinien – Definition 20 RisikostrukturAusgleichsverordnung (RSAV) 86
T Therapieoptimierungsstudien 13 Tracer 34 Trägergemeinschaft für Akkreditierung (TGA) 31 Transfusionsgesetz 91 Tumorkonferenz 111 – Checkliste 116 Tumorzentren 144 Tumorzentrum – regionales 144 – überregionales 144
V Verbesserungsmanagement 70 Versorgungsmanagement 99 Visitoren 33, 35 Voraudit 61
W Wartezeiten 96 Wissenschaftliche Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) 87
Z Zertifizierung – Definition 8 – externe 116 – Fehler 62 – Vorbereitung 62 Zertifizierungskommission 131 Zertifizierungslauf 61 Zertifizierungsverfahren für Organzentren 116 Zielpyramide 48 Zweitmeinung 13