Meiner Tante Annetta Bernasconi
DARIA PEZZOLI-OLGIATI
Täuschung und Klarheit Zur Wechselwirkung zwischen Vision und ...
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Meiner Tante Annetta Bernasconi
DARIA PEZZOLI-OLGIATI
Täuschung und Klarheit Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schrage und Rudolf Smend 175. Heft der ganzen Reihe
Mit 3 Abbildungen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Pelloli-Olgial~ Daria: Täuschungen und Klarheit: zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte
in der Johannesoffcnbarung I
Dan. Pczzoli-Olgiati. -
Göllingen: Vandenhoeck und Ruprecht. 1997 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 175) ISBN 3-525-53858-8 NE:GT
«) 1997 Vandenhoeck & Ruprecht. GÖlIingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen. Übersetzungen. Mikro.erfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co .. GÖllingen.
Eine Reise beginnt
Die Johannesoffenbarung beschreibt die Etappen einer besonderen Reise. einer Reise durch Fiktionen. einer Reise von der Insel Patmos zum Himmel. durch die Wüste bis zu einem grossen. hohen Berg. Unterwegs erlebt Johannes erschütternde. mitreissende Visionen voller Farben und Bilder. Noch heute kann man die zahlreichen Szenen aus der merkwürdigen Reise des Johannes nacherleben. wenn man die letzten Seiten des Neuen Testaments aufschlägt. In der Auseinandersetzung mit dem Text lassen Leserinnen und Leser aus den schweigsamen Buchstaben die grossartigen Bühnenbilder und die Inszenierungen wieder entstehen. die seit bald zwanzig Jahrhundenen Menschen erschrecken und anziehen. Der Faszination dieser Visionen bin auch ich erlegen. Die zugleich raffiniene und gewaltige Sprache beeindruckte mich tief. Deshalb habe ich mich auf diese Reise durch Fiktionenwelten aufgemacht. Die Metaphorik der Reise eignet sich auch zur Beschreibung mehrerer Ebenen der vorliegenden Untersuchung. Das Gefühl. unterwegs zu sein. entspricht nämlich nicht nur dem Inhalt der Apokalypse. Vielmehr erschien mir die Suche nach einer passenden Auslegungsmethode eine heikle Gratwanderung zwischen gähnenden Abgründen. Bei der Arbeit mit der Offenbarung schien mir ein Zugang nötig. der dem Anderssein dieses Werkes auf besondere Weise Rechnung tragen konnte. ein Zugang. der den Text von der fast unwiderstehlichen Tendenz schützen kann. nur das zur Kenntnis zu nehmen. was man sowieso vermutet. Kurz: eine Methode. welche eventuelle Neuentdeckungen nicht von vornherein ausschliessen würde. Ausserdem ist diese Arbeit stark mit den Erinnerungen an tausend Reisen verbunden. die mich von dieser auf die andere Seite des Gotthardmassivs und wieder zurück fühnen. Diese Seiten wurden auf deutsch verfasst. also in der Sprache der Stadt. in der ich lebe. in der Sprache meines Studiums und der vieler meiner Freunde und Bekannten. jedoch nicht der meiner Wurzeln. meiner Familie und meiner Gedanken. Die sprachliche Ambivalenz. die mein Leben prägt. spiegelt sich auf den folgenden Seiten in ungenauen Formulierungen. ungewohnten Ausdrücken. vermeidbaren Wiederholungen und Neologismen. Wie jede Reise war auch diese eine kostbare. aber kostspielige Erfahrung. In diesem Zusammenhang danke ich dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für seine grosszügige Unterstützung.
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Vorwort
Der Weg durch die Apokalypse war kein Alleingang - viele haben mich begleitet. Ihnen allen, besonders aber Hans Weder, Daniel Kosch und Stephan Landis danke ich herzlich. Der ausdauerndste Reisegefährte war Valdo Pezzoli, der mich inuner wieder zu diesem akademischen Abenteuer ermutigte, vieUeicht ohne zu wissen, worauf er sich einliess. Ihm verdanke ich mehr als ich ausdrücken kann.
Zürich, Juni 1996
Daria Pezzoli-Olgiati
Inhalt
I. Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen .................. 13 I Ein peßÖnliches Won zum Einstieg .......................................... 13
2 «Forse un mattino andando in un'aria di vetro,.: ein möglicher Zugang zur Johannesapokalypse .............................. 14 3 Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen: Oftb 1,9-12a .................................................................. 3.1 Autbau ...................................................................... 3.2 Johannes .................................................................... 3.3 In Patmos, am Herrentag .................................................
16 16 17 22
4 Übergang in die Welt der Visionen ............................................ 27 5 . EmoTpiej".. : Die Bedingung zum Sehen ..................................... 28 6 Thema und Ziel der vorliegenden Arbeit. ..................................... 29
1I. Ausgewählte Visionen ............................................................. 33 Auswahl der Texte .... " ........................................................ 33 1.1 Auswählen setzt eine Struktur voraus ................................... 34 1.2 Auf der Suche nach einer möglichen Textgliederung: die Johannesoffenbarung und ihre brieflichen Züge ................... 35 1.3 • Ev 1lVEUl1a-n: ein zweiter Schritt zur Textgliederung ................ 37 1.4 Et60v als letztes Gliederungskriterium .................................. 38 1.5 Die Textgliederung......................................................... 40 I .6 Charakterisierung der Hauptgestalten ................................... 41 I .7 Die ausgewählten Texte ................................................... 44 2 Oftb 4.1-11: Der Thron im Himmel. ........................................ 45 2.1 Autbau ...................................................................... 46 2.2 Die Tür im Himmel ........................................................ 46 2.3 Die Stimme ................................................................. 49 2.4 Der Thron und der Sitzende .............................................. 5 I
8
Inhall 2.4.1 DerThron ................................................................ 2.4.2 Der Sitzende .............................................................. 2.5 Vierundzwanzig Throne und Älteste ..................................... 2.6 Der Raum um den Thron .................................................. 2.7 Die vier Wesen ............................................................. 2.8 Die Handlungen um den Thron .......................................... 2.9 Zusammenfassung .........................................................
51 52 55 58 62 65 70
3 Offb 5,6---10: Das Lamm ...................................................... 72 3.1 Aufbau ...................................................................... 72 3.2 Das Lamm .................................................................. 73 3.2.1 Die Züge des Lammes .................................................. 73 3.2.2 Die Handlungen des Lammes .......................................... 77 Exkurs I: MOlivgeschichlliches zum Lamm .................................. 78 3.3 Das neue Lied .............................................................. 80 3.3.1 Handlungen vor dem Lamm ........................................... 80 3.3.2 Das neue Lied ............................................................ 81 3.4 Zusammenfassung ......................................................... 84
4 Offb 7,9-8,1: Eine schreiende Menschenmenge ........................... 86 4.1 Aufbau ...................................................................... 87 4.2 Eine schreiende Menschenmenge ........................................ 87 4.3 Alle Engel. .................................................................. 92 4.4 Ein deutender Dialog ...................................................... 93 4.4.1 Die Frage ................................................................. 93 4.4.2 Und die Antwort ......................................................... 93 4.4.3 Ein Rückblick ............................................................ 94 Exkurs 11: Das Blul in der Apokalypse ....................................... 95 4.4.4 Gegenwart ................................................................ 97 4.4.5 Zukunft ................................................................... 97 4.5 Stille im Hinunel .......................................................... 100 4.6 Zusammenfassung ........................................................ I()() 5 Offb 9,1-21: Wesen aus dem Abgrund .................................... 102 5.1 Aufbau ..................................................................... 103 5.2 Die filnfte Posaune oder das erste Wehe ............................... 105 5.2.1 Der Aufstieg der Heuschrecken aus dem Abgrund ................. 105 5.2.2 Die Macht der Heuschrecken .......................................... 108 5.2.3 Folter der Menschen ................................................... 110 5.2.4 Beschreibung der Heuschrecken ..................................... 111 5.3 Die sechste Posaune oder das zweite Wehe ............................ 114 5.3.1 Die Entfesselung der vier Engel ...................................... 114 5.3.2 Beschreibung von Pferden und Reitem .............................. 116 5.3.3 Der Tod eines Drittels der Menschen ................................. 117
Inhalt
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5.3.4 Die Macht derPferde ................................................... 117 5.4 Die Überlebenden ......................................................... 118 5.5 Zusammenfassung ........................................................ 120 6 Offb 13,1-10: Ein Tier aus dem Meer...................................... 123 6.1 Aufbau ..................................................................... 124 6.2 Das Aussehen des Tieres ................................................. 124 6.3 Bewunderung hinter dem Tier........................................... 128 6.4 DieMachtdesTieres ..................................................... 130 6.5 Die Anbeter des Tieres ................................................... 133
Exlcurs 111: i(ouu{a und ihre Spannung in der Apo/CJJlypse ............... 135 6.6 Eine rätselhafte Aufforderung ........................................... 137 6.7 Zusammenfassung ........................................................ 140 7 Offb 17,3-18: Babyion, eine Hure, eine Stadt. ........................... 142 7.1 Aufbau ..................................................................... 143 7.2 Babyion .................................................................... 144 7.2.1 Eine in rot gekleidete Frau............................................. 145 7.2.2 Babyions Schattenseite ................................................ 148
Exhrs N: Babyion - Wuneln des Motivs im Alten TestamLnt und im Alten Orient ............................................................ 148 7.3 Bewundern oder verstehen? ............................................. 153 7.4 Deutende Worte des Engels .............................................. 154 7.4.1 Das Tier und die sieben Häupter...................................... 154 7.4.2 Die zehn Hörner ........................................................ 156 7.4.3 Die Wasser .............................................................. 157 7.4.4 Die Vernichtung der Frau.............................................. 157 7.4.5 Die Frau ................................................................. 158 7.5 Zusammenfassung ........................................................ 158 8 Offb 21,1-22,5: Jerusa1ern, eine Braut, eine neue Stadl.. ............... 161 8.1 Aufbau ..................................................................... 163 8.2 Ein neuer Himmel und eine neue Erde ................................. 164 8.3 Bedeutung der Stadt ...................................................... 166 8.3.1 Vorstellung der Stadt.. ................................................. 166 8.3.2 Die Stadt als Ort der Nähe ............................................. 167 8.3.3 Die Stadt als ErftIllung ................................................. 169 8.3.4 Die Stadt als Etbschaft ................................................. 170 8.3.5 Die Ausgeschlossenen ................................................. 170 8.4 Beschreibung der Stadt. .................................................. 171 8.4.1 Ortswechsel ............................................................. 171 8.4.2 Der ausserordentliche Glanz der Stadt ............................... 172 8.4.3 Elemente der Stadt. ..................................................... 173 8.4.4 Mass ..................................................................... 174
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Inhalt 8.4.5 MateriaIien ............................................................... 175 8.4.6 Das Fehlen des Tempels ............................................... 176 8.4.7 Licht und Herrlichkeit. ................................................. 176 8.4.8 Ausgeschlossenes und Ausserwählte ................................ 177 8.5 Die Stadt als on der Zuwendung ....................................... 178 8.5.1 Lebenswasser und Lebensholz ....................................... 178 8.5.2 Transparente Unminelbarkeit ......................................... 179 Exkurs V: Altes und Neues in der Beschreibung von Jerusalem ......... 181 8.6 Zusammenfassung ........................................................ 184 9 Ergebnis ......................................................................... 187 9.1 Herkunft und Verwendung der Motive ................................. 187 9.2 Visionen als komplexe Sprachbilder.................................... I90 9.2.1 Et60v und die Visionen ................................................ 190 9.2.2 Ein Versuch. das Verständnis von «Vision,. zu bestimmen ....... 191 9.2.3 Komplexität in den Visionen .......................................... 192 9.2.4 Visionen als Sprachbilder ............................................. 195 9.2.5 Sprachbilder als kohärente Einheiten einer fiktiven ErzähJung .... 196 9.2.6 Sprachbilder und MehrdimensionaIität.. ............................. 198 9.2.7 Visionen und Geschichte .............................................. 200 9.3 Wesentliche theologische Linien ........................................ 201 9.3.1 Spiegelbilder ............................................................ 201 9.3.2 Paradoxe Symmetrien und Überwindung der Gegensätze ........ 202 Exkurs VI: Eine bleibende Schwierigkeit .................................... 204 9.3.3 Ein weiterer Aspekt der paradoxen Symmetrien .................... 206 9.3.4 Eine Reise durch verschiedene Räume ............................... 206 9.3.5 Die Zeiten und ihre Qualitäten ......................................... 208 9.3.6 Täuschung und Klarheit ............................................... 211 9.3.7 Klarheit und Trost ...................................................... 212 9.3.8 Sehen und Deuten ...................................................... 212
m. Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
der Offenbarung ........... 215
Von den Visionen zur Geschichte ............................................ 215 I. I Spuren eines schwerwiegenden Konfliktes ............................ 216 1.1.1 Die Bedrängnis ......................................................... 216 1.1.2 Die vernichtenden Mächte ............................................. 217 1.1.3 Babyion .................................................................. 218 1.2 Zur Rekonstruktion des historischen Hintergrundes ................. 219 2 Datierung der Offenbarung .................................................... 221 2. I Hinweise aus der Offenbarung .......................................... 221 2.1.1 Die sieben Häupter und die Kaiser ................................... 221
Inhalt
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2.1.2 Das sechste Haupt und Domitian ..................................... 222 2.1.3 Die Rolle der Nero-Legende .......................................... 224 2.1.4 Die sieben Häupter und die sieben Berge ............................ 226 2.1.5 Auswenung ............................................................. 226 2.2 Frilhchristliche Zeugnisse ................................................ 227 2.3 In Kleinasien am Ende des ersten Jahrbundens ....................... 228 3 Domitian und der Kaiserirult .................................................. 229 3.1 Römische Zeugnisse über Domitian .................................... 229 3.1.1 Tacitus ................................................................... 229 3.1.2 Plinius der Jüngere ..................................................... 230 3.1.3 Sueton ................................................................... 232 3.1.4 Dio Cassius Cocceianus ............................................... 233 3.1.5 Ene umstrittene Auswertung ......................................... 233 3.2 Der Kaiserirult in den Städten Kleinasiens unter Domitian ........... 236 3.2.1 Tempel und Altäre. öffentliche Gebäude. Statuen und Bilder..... 237 3.2.2 Der Kaiserirult im städtischen Leben ................................. 239 3.3 Zusammenfassung ........................................................ 240 4 Ergebnis ......................................................................... 242 4.1 Konflikt der Mächte in der Geschichte ................................. 242 4.2 Gegensätzliche Aspekte des Lebens in der Stadt. ..................... 243 4.3 Zur historischen Gestalt der Bedrängnis ............................... 244 IV. Wechselwirlc.ung zwischen Vision und Geschichte ........................... 247 Von der Täuschung in der Geschichte zu den Visionen ................... 247 2 Von der Klarheit der Visionen zur Geschichte .............................. 248 3 Ausharren und Deuten: zur ethischen Relevanz der Wechselwirlc.ung ... 249 4 Visionen und Krisenzeiten: ein Ausblick .................................... 250
Faszination und Gefahren ............................................................ 253 Verzeichnis der Abbildungen ........................................................ 255 Literaturverzeichnis ................................................................... 257 Stellenregister .......................................................................... 267
I. Von der geschichtlichen Wirklichkeit
zur Welt der Visionen
1 Ein persönliches Wort zum Einstieg Die Johannesoffenbarung ist ein farbiges Buch. Sie besteht aus einer unglaublichen Reihe von eigenartigen Wesen und Unwesen, Handlungen, Dialogen, Bildern, Visionen. Sie enthält zarte Szenen, die mit grausamen Beschreibungen abwechseln. Sie faszinien und verwim, manchmal begeisten und öfters schokkien sie Leserinnen und Leser: Nie gestattet sie ilmen eine Atempause. Die Apokalypse des Johannes übt eine starke Anziehungskraft auf mich aus, denn ich zähle zu den faszinieRen und gleichzeitig empöRen Leserinnen dieses Schreibens. Die freie Gestaltung der Bilder, die ausdrucksvolle Sprache, die sich nicht scheut, die griechische Grammatik zu strapazieren, um ihre Ziele zu erreichen, und die Charakterisierung der Akteure verleihen diesem Buch den Wen eines Kunstwerkes. Und ttotzdem gibt es viele Aspekte, zu denen ich eine ablehnende Haltung einnehme. Vor allem stön mich die schwarzweisse Denkweise der Apokalypse, nach der die Menschheit in zwei Gruppen aufgeteilt ist: auf einer Seite stehen die Guten und auf der anderen die Bösen. Rettung oder Abgrund scheint die einzige Alternative zu sein; fIlr die Verdammten besteht keine Chance. Solche gemischten Gefühle machten mir den Einstieg zur Johannesoffenbarung als einem ganzen, einheitlichen Werk schwer. Das eigentliche 1lIema dieser Schrift blieb mir unverständlich, und es gelang mir nicht, ihren springenden Punkt zu begreifen.
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Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen
2 «Forse un mattino andando in un'aria di vetro»: ein möglicher Zugang zur Johannesapokalypse Einen Zugang fand ich schliesslich dank einem Gedicht von Eugenio Montale: «Forsc un manino andando in un'aria di vetro».1 Dieses Stück aus der italienischen LiteranJr unseres Jahrhundens gehön zur Gedichtsanunlung «Ossi di Seppia», die in der Zeitspanne zwischen 1920 und 1927 entstand. Es lhematisien ein Erlebnis, das troIZ der kulturellen und zeitlichen Entfernung an den Anfang der Apokalypse des Johannes erinnen. Forse un mauino andando in un'aria di vetro, arida, rivolgendomi, vcdro compirsi iI miracolo: il null. alle mic spalle, il vuoto dielrO di rne, con un tcrrore di ubriaco. Poi corne s'uno schenno, s'accamperanno di gino a1beri case colli per I'inganno consueto. Ma sarl troppo tardi; cd io rne n'andm lino tra gli uomini ehe non si voltano, col mio segrcto. 2 Ich möchte an dieser Stelle keinen ausfilhrlichen Kommentar des zitienen Gedichtes versuchen. Es geht vielmehr um die Hervorhebung einiger Gedanken, die mir in der Annäherung zur Offenbarung als wichtig erschienen. Die ersten zwei Verse erzählcn von einem Wunder, das vie11cichl geschehen wird; das anfängliche «forsc» versetzt das ganze Gedicht in eine unbestimmte Zeit. Interessant ist die Beschreibung des ausscrordcntlichen Geschehens. Der Enähler erflihrt dieses Wunder, weil er sich umgedreht hat. Dieses Ereignis stellt ihn vor das Nichts und die Leere. Er empfutdct Angst wie ein Betrunkener. Im zweiten Teil geht es um eine Wiederherstellung der Welterscheinung, die als «gewöhnliche Täuschung» beschrieben wird. Nachdem das erzählende Subjekt das Wunder, das Nichts gesehen hat, lässt es sich nicht mehr in die Uügerische Erscheinung der Welt verwickeln. Der Enähler behält das erfahrene Wunder wie ein Geheimnis für sich. Er geht seinen eigenen Weg unter den anderen Menschen weiter. Er unterscheidet Vgl. Montale, Tu".!. p. I
2
Einführung
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sich von ihnen deutlich, jedoch nur durch ein einziges Merlanal: Er hat sich umgedreht, alle anderen nicht. Zwei Aussagen dieses Gedichtes haben mich besonders nachdenklich gemacht: Einerseits wird die Erfahrung der Welt durch die Menschen als ungenügend, trügerisch betrachtet. Um zum Wesentlichen zu gelangen, braucht man eine ausserordentliche Enthüllung der Wirklichkeit. Diese Sehnsucht nach dem Wahren endet im Gedicht von Montale im Nichts. Andererseits stelle ich einen sehr starken Gegensatz zwischen dem Erzähler und den anderen Menschen fest. Indem er sich umgedreht hat, konnte er sich dem trügerischen Dasein entziehen; die anderen Menschen erfahren gar nichts, weil sie diejenigen sind, «welche sich nicht umdrehen». «Forse un mattino andando in un'aria di vetro" bringt lbernen zur Sprache wie das Sich-Umdrehen und das Sehen, um zu einer neuen Sicht der Welt zu gelangen. Ich empfmde Montales Gedicht als einen in den Worten unserer Zeit formulierten Ausdruck existentiellen Unbehagens. Die Apokalypse bringt eine andere Weltanschauung zum Ausdruck, ist in antiken Zeiten verfasst worden, stammt aus einer mir weit entfernten Welt. Trotzdem entdecke ich in dieser Schrift, besonders in den Versen 1,9-12a, starke Parallelen zum Gedicht von Eugenio Montale. Auch in Offb I wird von einem ausserordentlichen Erlebnis gesprochen, durch welches der Erzähler Einsicht in eine neue Dimension erhält. Ganz ähnlich wie in Montales Versen befmdet sich der Seher Johannes plötzlich in einer Situation, in der es ihm möglich ist, Ungewöhnliches zu sehen. Bemerkenswert ist, dass auch in der Apokalypse die einzige aktive Teilnahme des Johannes aus einer spontanen Drehung um 180 Grad nach hinten besteht. Das, was in den zwei Texten gesehen wird, ist radikal verschieden: auf einer Seite das Nichts, auf der anderen 22 Kapitel Visionen. Das Sich-Umdrehen und das Sehen, um Ausserordentliches zu erleben, stellen den Ausgangspunkt der Offenbarung dar. Darüber hinaus lassen die Anspielungen auf die Lebenssituation des Schreibers in Offb 1,9 ahnen, dass diese Schrift ebenfalls mit Lebensschwierigkeiten zu tun hat. Der Vergleich zwischen dem Gedicht von Montale und einigen Versen aus dem ersten Kapitel der Apokalypse stellt für mich eine hilfreiche Brücke dar. Durch sie habe ich einen Zugang zur Johannesapokalypse und ihren Schwierigkeiten gefunden. Ausserdem ermöglicht diese Brücke eine Begegnung zwischen zwei Epochen: meiner und der femen, fremden Zeit des Verfassers und der ersten Adressaten der Offenbarung.
16
Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen
3 Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen: Oftb 1,9-12a Offb 1,9-12a steUen das inhaltliche Gegenstück zu .Forse un manino andando in UD'aria di vetro» dar. Schon in diesem einfilhrenden Teil scheint es mir angebracht, durch eine Lektüre dieser Verse den Text zu Won kommen zu lassen. Dadurch soll einerseits die Gedanken- und Vorstellungswelt, in der sich die ganze A!beit abspielen wird, in ihren Grundlinien vorgestellt werden. Andererseits werden einige Themen aus der ganzen Johannesapokalypse angedeutet. Offb 1,9-I2a beschreibt den Übergang von der Welt des täglichen Lebens zu jener der Visionen. Der Schreiber der Apokalypse formulien dieses Erlebnis mit folgenden Worten: 9 Ich, Johannes, euer Bruder und Genosse in der Bedrängnis, im Reich und im Ausharren in Jesus, fand mich auf der Insel Patmos wegen des Wones Gottes und des Zeugnisses Jesu. 10 Ich fand mich im Geist am Herrentag und höne hinter mir eine laute Stimme - wie von einer Posaune - 11 die sagte: «Was du siehst, schreibe in ein Buch und sende es den sieben Gemeinden, nach Ephesus, nach Smyma, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea». 12 Und ich drehte mich um, um die Stimme zu sehen, die mit mir redete, und indem ich mich umdrehte, sah ich ... 3.1 Aufbau Offb 1,9-12a weist eine lineare syntaktische Struktur auf. Diese vier Verse beschreiben zuerst das Subjekt, dann den Zustand, in dem es sich befindet, und zuletzt die Handlungen, die es tut. Schematisch dargestellt, sieht der Textaufbau wie folgt aus: Beschreibung des Subjektes
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Beschreibung des Zustandes
o, Uj.lwv: mit diesem Ausdruck wird eine Beziehung zu den Lesern hergestellt. In der christlichen Literatur wird a6E>'4>o, meistens im übertragenen Sinn verwendet und bedeutet "Mitchrist,.. Die Grundbedeutung Bruder schwingt jedoch mit.' A6'>'4>o, enthält die Stärke und die Intimität. welche die Verwandtschaftsbeziehung unter Kindern gemeinsamer Eltem charakterisieren. 9 Johannes gibt somit der Nähe zwischen ihm und seinen Adressaten Ausdruck. Ein Vergleich aller Belege lO von a6E>'4>Os- in der Johannesapokalypse enthüllt weitere wichtige Nuancen. Zuerst kann man beobachten. dass die Gestalten. welche sich in diesem gegenseitigen Verhältnis befindenlI, in Verbindung mit dem Zeugnis und dem Wort l2 stehen. Dass das Zeugnis und das Wort den Mitchristen Leiden verursacht, wird sich in der Folge deutlich zeigen .. A6'>'4>o, bezeichnet somit eine starke Beziehung zwischen Christen. d.h. zwischen Leuten. die ihr Leben dem Zeugnis und dem Wort widmen und deshalb dem Leiden und Tod unterworfen sind. Darüber hinaus hebt das Wort a6'>'4>0s- die Gleichwertigkeit der Christen hervor. Somit stellt sich Johannes auf die Ebene seiner Adressaten; sie alle sind Geschwister, Mitchristen. 1l Weiterhin beschreibt sich Johannes als OU'YKOlVWVO,. Dieses Wort ist eine verstärkte Form des im NT geläufigeren Wortes KOlVWVO,. Damit wird der Genosse, der Teilhaber bezeichnet. KOlVWVO, orientiert sich an einer Teilhabe, in
8 Diesbezüglich sehr interessanl iSI auch die spannungsvoUe Verwendung von 'y"; als Übergang von V.8 zu 9 im e..ten Kapitel der oelb. An der e..ten SteUe es iSI der Herr. Gott.
'TlOlTlOEV ~lJ.äS' ~aol>.Elav. lEpdS' T4i 9El\$ Kat nQTpt aUTOü'.
Die flaal>.,Ela erscheint als
eine schon vorllandene Dimension. Dazu vgl. auch D 3.3.2. " Auch diesbezüglich vgl. den oben erwähnten Vers 12,10. Don erscheinen neben j3aol).Ela
auch die
aWTllpta
und die 6uVGIl\S'.
Einführung
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zeichnet den Rahmen, in dem die Christen sich unter der Herrschaft Christi und Gottes befinden. 26 Das letzte Wort der Dreiergruppe, Ul1OIlOVt], bedeutet Ausharren, Geduld, Ausdauer, Standhaftigkeit. 27 Das Wort U1101l0Vt] hat «einen durchaus aktiven Inhalt. Es schliesst den tätigen und angespannten Widerstand gegen die feindliche Macht ein, ohne dass es zugleich eine Aussage über den Erfolg solchen Widerstandes enthielte»28. In der Apokalypse29, so wie in den anderen Schriften des Neun Testaments, bezeichnet Ul1OIlOVt] das Ausharren des Christen unter den Schwierigkeiten, die das Leben als Christ mit sich bringt.lO axt
Tl"
napaKa),oU~Eea. unEp T~S' u~wv napad.. rioEWS' TwlS' EVEP'You~lv'lS' EV uno~ov'ij TWV Gun3v nae'l~dTUlV WV lCa\ ~~dS' nciaXOIJ.Ev. In diesem Text kommt der aktive Aspekt der uno~ovti sehr deullich zum Ausdruck. JI 'Ev mil dem Dativ bezeichnei grundsätzlich einen On. Dazu vgl. Schwyzer, Grammatik 11 457ff; BVOIR § 218; Oepke, ThWNT 11 534ff. Jl Das ThWNT 11 537-539, listei die verschiedenen Bedeulungsnuancen der mit • v'l ~ooii verwandten Formeln auf. Ich erwähne die zwei Punkle, die für unsere Sielle relevani sind.' Ev , I ~ooij bezeichnei die Zugehörigkeil zu Chrislus und zur Gemeinde; es kann auch eine Tätigkeil oder Lage als christlich charakterisieren. In Offb komml €v 'I ~ooo nur in t ,9 vor. In 14,13 findei man tv ""pt",. Das sind die einzigen Belege dieser An von Formeln. Dazu vgl. auch Boussel, Ojf.nbarung 191: «€v 'I~aoij isl wie gewöhnlich im NT zu deulen: in der Lebensgemeinschafl mil Jesus ( ... )•. II Das einmalige Vorkommen des Artikels T~ unlerslützl die ersle Möglichkeil. Die zweite hebl hervor, dass das Ausharren in dem Bereich geschiehl, in welchem Jesus massgebend ist. Diese Inlerpretation schlagen vor: Giesen, Johann.s·ApoIcaJyp.. 35; Krafl, Ojf.nbarung 40; Müller, Ojfmbarung 80; Prigenl, Apocalyp.. 23.
22
Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Weil der Visionen
somit das Umfeld. in welchem die Christen 9).lIjlW. ~aaV.Eia und unol'ovtjJ.l erfahren. Abschliessend kehren wir zur gesamten Dreiergruppe zurück. lohannes bezeichnet sich als Genosse in der Bedrängnis. im Reich und im Ausharren. in einem Umfeld. in dem lesus massgebend ist. Die Reihenfolge der Begriffe ist bemerkenswert. Die verfolgten. leidenden Christen haben schon Anteil an der Gottesherrschaft. Die Geduld erlaubt ihnen. eine Verbindung zwischen zwei vorhandenen Dimensionen zu schaffen. Einerseits müssen sie geduldig und standhaft Leiden erfahren und ertragen. Andererseits leben sie schon jetzt in der Dimension der kommenden Gollesherrschaft: die Geduld findet hier ihren Platz im Wanen auf die VoUendung. 35 Vor allem aber brauchen diese Christen Geduld. um die radikale Opposition zwischen der Erfahrung von Leiden und Tod und gleichzeitig der Erfahrung von der Gottesherrschaft zu verkraften. Die befreiende Botschaft und das Leben unter der vernichtenden Macht des Todes zerreissen diese Menschen: Nur das Ausharren erlaubt ihnen. diesen Zwiespalt zu verstehen und fruchtbar zu machen. J6 3.3 In Patmos. am Herrentag Auf diese An und Weise wird der Seher lohannes in Offb 1.9 beschrieben. Im ersten Teil des folgenden Verses steht der Zustand. in welchem sich lohannes befindet. im Mittelpunkt. Die Wiederholung der Verbform EyevOl'lW37 teilt diese Beschreibung in zwei Momente auf. Zuerst wird etwas über die konkrete. historische Lebenssituation von lohannes gesagt. danach wird eine Lage geschildert. welche ich jetzt nicht mit einem Wort zu definieren vermag.
!. Gegen die vorseschlagene InlCrprelalion könnte man erwidern. dass die 8edränpis und das Reich selbstverständlich in bezug auf Jesus erlebe werden. Meiner Meinung nach ist jedoch die explizite Betonung des Umfeldes auch bei diesen typisch christlichen Begriffen wichtig und viel· leicht. im Kontext dor Apokalypse. notwendig. In den Anmerkungen 20 und 24 wurde darauf hingewiesen. dass ~ao\).Ela bzw. e).t~lS' an einigen Stellen auch eine negative oder mindestens zweideutige Bedeutung übernehmen. Die gewählte Interpretation vetrin auch Hughes. Th. Book olthe Revelation 22ff. H Kraft. Offenbanurg 40. schreibt: .e~t"',~. ~aol~.(a und uno~ov~ bezeichnen die Ge· genwart, die Zukunft und die Tugend. die in der Gegenwan Hoffnung auf die Zukunft verleiht>. Es IWIdeh sich um eine oft venretene InlCrprelalion. die meiner Meinung nach nur einen Teilaspekt dor Aussage erläutert. Ich denke. dass ~aol~.(a und e~tl~ als in dor Gegenwan erfa/wtae Grössen dargeslcUt werden. Das chronologische Schema ist meiner Meinung nach nichtgeeignel. die Gleichzeitigkeit dieser Dimensionen auszudrtIcken. 16 Ein weileRS Argument zur Unternützung dieser Interpretation: uno~ov~ ist Ausdruck einer aktiven Tätigkeit. d.h. einer Tätigkeit. welche vom Subjekt ausgeht. e~tl~ und ~aol~"a bezeichnen zwei Wirldichkeiten. die auf das Subjekt zukommen. l7 Zur Bedeutung von 'YEV6~~v vgl. Bauer. WlilTtrl>uch 313-318. rl vo~al bezeichnet in der Offb einen gewordenen Zustand. Vgl. Vanni. Apocalisst 120.
Einführung
23
Wir erfahren, dass Johannes sich auf Patmos, einer Insel im Dodekanes, befindet. l8 Die mit liul eingefUhrte Ergänzung drückt den Grund des Aufenthaltes in Patmos aus l9 , wegen des Wones Gottes und des Zeugnisses Jesu. aUI TOV Io.oyov Toil 9Eoil "al n'lv I'aprup(av 'illooil ist ein Ausdruck, der gleich oder mit geringen Variationen auch an anderen SteUen der Johannesoffenbarung vorkommt. oo Diese Formulierung trin inuner als Begründung vOn erfahrenem Leiden oder Tod auf." Das Won und das Won Gones steUen häufige Begriffe in der Johannesapokalypse dar." Mit lo.oyoS" bzw. lo.oyoS" Toil 9Eou 4l (das gleiche gilt auch für I'aprupla ' lllooil) wird meistens eine vorgegebene Grösse bezeichnet: .. Die in der Schauung des Johannes gegebene Mitteilung des Herrn will nichts sein als Darlegung, Ausbreitung, Verdeutlichung und Versichtbarung jenes vOn Gott gesprochenen Io.oyos- und jener vOn Jesus abgelegten I'aprup(a, dh. jener der Christenheit gegebenen Gegebenheit»44. An manchen SteUen wird das Won Gones mit Jesus identifizien: Jesus ist das wahre und zuverlässige Won4s; sein Name ist ..Won GotteS».46 Auch die vOn Johannes geschriebenen Wone werden lo.oyoS" oder Io.OYOI genannt."
Ja Über die geographische Lage von PalmOS vgl. die Landkane in: Roloff, Ojf.nbarung 42; Melas, Di. griuhisch.n ln..ln 284-290. J' l>,ei mit Akkusativ bezeichnet den Grund oder das Minel. Meistens ist 6ui kausal. V gl. Bomemann/Risch, GramnuJtik 200. Im NT bezeichnet 6ui. ausser in einem Fall, den Grund und den Zweck. Ein Vergleich mit ähnlichen Stellen innerhalb der 0fIb hebt die kausale Bedeutung von 6ui hervor: vgl. als Beispiel 6.9; 7,15; 20,4. Dazu vgl. auch Charles. R.vda/ion I 22: «6,ei denOIes lhe gmund and not lhe pwpose in Ibis book •. '0 Vgl. 6.9 und 20,4 (in umgekehner Reihenfolge). Darüber hinaus siehe Offb 12.11: Kal «inol ev(KTlOQlI «UTOll BUI TO al .... a Toil cipv(ou Kot Bui TOV }.6yov TiiS' llapTup(QS Qunih' und 0Hb 2.3: Kat unollov~v lXElS' Kat ~fJciOTQOaS" Bui TO 6vo .... d IlOU Kat oü KEKon(QKES' .
• , Vgl. Eo~ay~lv",v in 6.9; n.nü .. ,o~(v",v in 20,4; in 12.11 ist vom Tod die Rede; in 2.3 steht paoTdC'" im Millelpunkl. .2 Das Vorkommen von ;'6yos in der Johannesapokalyspe sieht folgendermassen aus. Es gibt 18 Belege. Darunter wird siebenmal ;'6yOS bzw. ;'6yo, mit dem Genitiv TOU e.OU ergänzt (\.2.9; 6.9; 17.17; 19.9.13; 20.4). Einmal kommt ;'6yoS" mit dem Personalpronomen ~ou vor. welches sich auf das Wesen. das die Briefe an die sieben Gemeinden diktien. bezieht (3.8). Zweimal ist von ;'6yo, mOTol Kal a;'q8,vo( die Rede (21.5; 22.6; vgl. auch 19.9). Sonst wird ;,oYOS bzw. ;'6yo, mit Genitivformen wie T~S" npo~qTE(aS" 0.3; 22.7.10.18). ~apTup(aS" (12.11). TOU p,p).{ou TOUTOU (22.9 vgl. 22.19). und einmal uno~ov~S" (3.10) verwendet. 4l Dazu Procksch. ThWNT IV 92: «In jedem gesprochenen Wane soll ein WahrheilSverhähnis zwischen Won und Sache und ein Treuvernähnis zwischen Redendem und Hörendem sein '. Dieser Salz hebt den BeziehungscharaJner des Begriffes «Wen. hervor. •• Ibid. 126. • s Vgl. Offb. 3.14 . •• Vgl. Offb 19.13 . • 7 Vgl. als Bs. 1.3; 22.7.9.
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Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Weil der Visionen
Man stellt somit fest, dass AOYO, in Offb das vorgegebene Won Gottes meint Gleichzeitig kann es auch menschliche Wone bezeichnen, welche Entfaltung und Wiedergabe des einen göttlichen Wones zum Ausdruck bringen. Das Zeugnis, l'aprupia 48 , wird in Offb 1.10 parallel zu AOYO, mit einem Genitiv gebraucht So wie AOYO, hat dieses Won eine zweifache Bedeutung: I'aprupia bezeichnet das Zeugnis, das Jesus Christus abgelegt hatWvl} I'EY.v.'l umschrieben. Dabei geht es um ein lautes Geschrei6l , das mit dem Schall einer Posaune verglichen wird. 69 Das am Anfang von V.ll stehende Partizip füIut eine direkte Rede ein und ist überraschenderweise70 ein Genitiv. Die sprechende Stimme ist hier personiftzien: sie wird als selbständige Gestalt in unseren Text eingefülut. 71 Sie befiehlt dem Seher zu schreiben, was er sieht. Das somit entstandene Buch soll an sieben bestimmte Gemeinden in KIeinasien72 geschickt werden. Interessant ist die syntaktische Struktur des Befehls: der Relativsatz ö !lAEllElS" wird den Imperativen ypdljJov und llEl'ljJov vorangestellt. Der Auftrag der Stimme nimmt das Wesen der ganzen Johannesapokalypse vorweg: Es handelt sich um gesehene Szenen, die niedergeschrieben und verbreitet werden müssen . • 7 Die Präposition on(ow komml in der Oflb nur dreimal vor: hier, in 12,15 und 13,3. Vgl.lI 6.3 . •• In der griechischen Sprache bezeichnel.wv~ einen «von beseellen Wesen in der Kehle erzeugten hörbaren Laul_ (vgl. BeIZ, ThWNT IX 272). In der LXX gibt .wv~""" wieder; wie das hebräische Wort meinl.wv~ alles, was gehön werden kann (ibid. 274) . •• Es iSI möglich, dass Offb 1,10 auf dieTheophanie von Ex 19,16 ff anspielI. 70 Eine korrigiene Form des Codex Sinaiticus enlhJill die entspm:hende Lesan im Akkusaliv: A{youoav. Diese sekundäre Varianie lässl erkennen, dass der Genitiv im V.II lalsächlich als problematisch empfunden wurde. Meislens erklärt man diesen Fall als eine Altraktion cbd1 das vorangehende odAmyyos- Vgl. Delebecque, RThom 89, 87f. 71 In der Offb komml die .wv~ ~',,> Ta.a
Sehr wahrscheinlich stehen diese Texte samt Offb 4 in der Rezeptionsgeschichte von Ez 1,1. Nach einer Zeit- und onsbestinunung werden Ezechiels Visionen mit folgenden Wonen eingefilhn: Die Himmel öffneten sich, und ich sah die Visionen des Herrn. Auch an anderen SteUen des Neuen Testamentes begegnet man der Vorstellung des sich öffnenden Himmels. Als Beispiel sei die Taufe Jesu erwähnt. '6 Die erwähnten Texte bezeugen eine gewisse Verbreitung der Vorstellung von der Tür als Eingang zum Himmel, zu einem fremden On, zur göttlichen Dimension, im kultureUen Umfeld, aus welchem die Apokalypse stammt. Der Autor integrien diese bekannten Motive in seine Erzählung, und aus der Interaktion zwischen der Geschichte des Bildes und dem neuen Kontext, in welchem es sich befmdet, entstehen neue Querverbindungen und Sinnmöglichkeiten. So ist die Tür auch in Offb 4 der Übergang in die fremde Welt der Visionen. Daliiber hinaus erhält sie innerhalb der Apokalypse einen starken christologischen Bedeutungsgehalt.
Vgl. z.B. 12.1.3. Vgl. 12.7f. 13 Für die Definition von «apokalyptisch» und den Umfang der apokalyplischen Literalur verweise ich auf ColliDs. Apocalyp..: The Morphology 0/ a Gen,. und Lambrecht. Apocalypu johannique. " Übersetzung von A. Schindler (Apokryphen zum AI"n und Neuen TeS/amenl 376). " Die angefiihrten Zitate sind nur Beispiele fiIr das Vorkommen des Motives der Tür im Himmel. Dazu kann man noch äthHen 14.15 nennen. 16 Vgl. Mt 3.16: Mk 1.10: Lk 3.21. und darüber hinaus Apg 7,56 und 10.11. 11
12
Offb 4,1-11: Der Thron im Himmel
49
2.3 Die Stimme Nach der DarsteUung der Tür kommt in V.I eine Stimme vor. Der Text selbst setzt diese mit deljenigen von 1,10 gleich: Es handelt sich um die erste, dem Klang einer erschallenden Posaune äImliche Stimme, die der Seher bereits am Anfang gehön hatte.l1 Die syntaktischen Verkettungen des Satzes sind an dieser SteUe sehr locker; zahlreiche Texrvarianten verstärken diesen Eindruck. Der Nominativ ~ $WVTt ~ np"h'l, der parallel zu 9Upa steht, muss als überraschend empfunden worden sein. Jedoch, wenn die Stimme nicht ausschliesslich als akustisches Phänomen, sondern eher als Gestalt verstanden wirdi', bereitet der Kasus keine Schwierigkeit mehr. Die personiflZiene Stimme fmdet zwischen der Tür und dem Thron ihren Platz als plastisches Element in der gesamten Vision. 19 Das Partizip hEYWV, das als lectio difficilior vorzuziehen ist20, fUhn die Einladung der Stimme ein. Johannes wird aufgeforden, in den Hinunel hinaufzusteigen. Ein Überblick über das Vorkommen von avajla(vw in Oflb fUhn zu aufschlussreichen Beobachtungen. Auffallend ist die Ähnlichkeit zwischen unserem Text und 11,12. Oflb II schilden die Geschichte von zwei Zeugen, die GOIt als Propheten fllr 1260 Tage bevollmächtigt. Danach werden sie vom Tier besiegt und getötet. Dreieinhalb Tage lang werden ihre Leichen auf dem Platz einer grossen Stadt ausgestellt. Nach dieser Zeitspanne geht der Geist des Lebens in sie hinein und belebt sie wieder. Die Erzählung fähn wie folgt weiter: Und sie hönen eine gewallige Stimme vom Himmel her zu ihnen sprechen: ~Kommt herauf•. Und sie sliegen in den Himmel auf in der Wolke und ihre Feinde beobachleten sie. Der Vergleich von 11,12 mit 4,1 zeigt, dass die Aufforderung, in den Hinunel hinaufzusteigen, eine ausserordentliche, von GOI! angebotene Gelegenheit darstellt und Gestalten betrifft, die eine prophetische Funktion ausüben. 21 Offb II enthält viele Anspielungen auf Jesu Passions- und Auferstehungsgeschichte. 22 Vgl. dazu I 4. Die pcßOßiliziene Stimme komml vcrmehn in der Johanncsoffenbarung vor. Dazu vgl. 14 Anm. 71. ,. Die Texlvariante in It hebt die Parallelität zwischen der Tür und der Stimme durch die Wicdcrflolung von 160'; hervor. Zu den vorhouodaocn Variante. zu ~,,~o';a~~ vgl. Anm. 70. 14. '0 Ein weiteres Argument zugunstc. dieser Lesart bietel die Fcsl5tellung, dass ~'Y"'v und ~{YOVT(~ in der Oflb sehr oft anakoluthisc:h verwendet werden. Dazu. BVOIR 1136.4. 11 Vgl. 1I,31Ur die Zeugen und 1.2UUr Johanncs. 11 Die Zeugen werden gelölel (11,7), ihre Leichen werden in der Stadl ausgeslelll, in dcr «auch ihr Herr gekreuzigt wurde. (11.8). In V.19 kommt das Thema des Grabes vor: in V.13 17
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Ausgewählte Visionen
Obwohl dieser Aspekt in Offb 4 nicht explizit vorliegt, bin ich der Meinung, dass das Christusereignis für das Verständnis von Offb 4,1 grundlegend is!. Die Tür im Himmel und die Aufforderung, in die Visionenwelt hinaufzusteigen, sind mögliche Veranschaulichungen der Folgen der Geschichte Jesu. Durch ihn wird eine neue Beziehung zwischen Mensch und Gott möglich; das Verhältnis zwischen der Transzendenz und der menschlichen Wirk1ichkeit wurde erschüttert und anders gestalte!. Die Reise des Johannes in den Himmel ist nicht als Entfernung und Entfremdung aus seiner Wirk1ichkeit zu verstehen: Die Einsicht in die fremde Visionenweit bringt dem Seher und den Lesern seiner Schrift eine neue Einsicht in dieselbe Wirklichkeit. Im letzten Teil von 4,1 wird der Zweck des Einganges in den Himmel erklärt. Die Stimme verspricht zu zeigen, «was geschehen muss danach». Diese Formulierung kommt leicht variiert dreimal im ganzen Werk vor.2l&(~w heisst wörtlich «sehen lassen, vor Augen bringen».24 Objekt von &~w ist &1 YEVE09ot. Offb 1,1-22' belegt, dass &!I. YEvlo9at den Inhalt der Apokalypse umschreibt. Zu diesem Schluss kommt man beim Versuch, die Bedeutung von Ci &1 YEVEo9at textintern zu bestimmen. Die Verwendung von &1 lässt jedoch die Frage nach einem breiteren Bedeutungshorizonl zu. ~Et «drückt den Charakter der Notwendigkeit und des Müssens aus, den ein Geschehen hat. Im Begriff selbst ist die Instanz nicht genannt, die einem Geschehen diesen Charakter gib!. Daher erhält es seine präzise Bedeutung jeweils in Verbindung mit der Macht. die hinter der jeweiligen Notwendigkeit steht».26 Oft übernimmt dieses Verb eine eschatologische Bedeutung.2' "A &!I. YEVE09at setzt sornit den Verlauf der Pläne Gottes, welche auf die eschatologische Vollendung hinzielen, voraus. Auch die Zeitbestimmung I'ETa TOOTO bereitet einige Interpretationsschwierigkeiten. Das Demonstrativpronomen TOOTO weist auf schon Genanntes. 28 METa mOTO kann somit entweder mit «nach dem eben ErzähJten», nach dem Inhalt der
a
a
das Erdbeben (dazu vgl. die malthäische Fassung. MI 27.51). Inleressanl sind die Parallelen und die Asymmetrien zwischen Ollb 11 und der Passions· und Auferslehungsgeschichle. Auf eine Analyse die... Vergleiches muss ich innerhalb der vorliegenden Unlersuchung verzichlen. 23 Offb 1.1: 'AnOKQXul.lJlS 'l'lO'OO XPlOTOU ilv l6wKEV auTl.~ 0 8EOS' BEteOl TolS' 60UAOlS' aUToiJ cl 6Et YEVE0801. ELI TaXEt. orfb 22.6: Kat 6 KUPlOS' 0 8EOS' TWV nVEUllclTWV TWV npo4>'lTf,~V
YElIla8o.l
EV
dnloTUAEV TOV ayyd..ov aUTolJ 6Eteo\ TotS' 60U).OlS' aUTou TCi'XEl.
Ö.
6ü
,. Vgl. Bauer. WIJrt,rbuch 342f. "·AnoKO> und nuptv';" die verschiedene ROlnuancen bezeichnen. Obwohl das Blut in der Offb nirgends als rot charakterisien wird, spielt der Verfasser oft mit chromatischen Kontrasten um das Blut. Als Beispiel dazu vgl. 7,14. Dazu s. auch den E.kurs II in II 4.
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Ausgewählte Visionen
Vergleich die Schwierigkeit. Gott zu erfassen. plastisch vor die Augen der Adressaten bringen. Obwohl der Seher sich vor Gon befindet. kann er nur den Eindruck seines Aussehens wiedergeben. und auch dies nur mit einem schwer fassbaren Bild. 49 Das dritte Kriteriwn für die Wertschälzung eines Edelsteines in der Antike war seine Herkunft. In griechisch-römischer Zeit waren beide genannten Steine in K1einasien vorhanden. 5O Der Name .. Sarde!'». der aus der in Offb 3 genannten Stadt Sardes stanunt". heb! die kleinasiatische Herkunft hervor. Man kann deshalb annehmen. dass diese Edelsteine den Adressaten der Offenbarung wohl bekannt waren. Man kann sich fragen. ob die Herkunft der Steine eine Rolle spielt im Vergleich mit V.3. Vielleicht liegt hier der Akzent auf dem Thema der Kostbarkeit. die in der unmittelbaren Nähe zu finden ist. In Oflb 4 stellt der Vergleich zwischen dem Aussehen Gones und dem Jaspisund Sarderstein den einzigen Versuch dar. Gon zu beschreiben. Der Autor ist diesbezüglich sehr zurUckhaltend: 52 Er beschränkt sich auf die Aussage über das Aussehen und beschreibt metaphorisch nur einige Aspekte. setzt Akzente. Mir scheinen vor allem die Ideen der Kostbarkeit. der Farbe. der Nähe und der Kontrast zwischen Glanz und Opazität die SchlUsseIelemente der Gottesbeschreibung zu sein. Die Erzählung flihn in V.3b mit einem ähnlichen Vergleich fort: Den lbron umgibt ein Strahlenkranz. dessen Aussehen einem weiteren Edelstein gleicht. tPlS' kommt im NT nur noch in Offb 10.1 vor. Es bezeichnet den Regenbogen oder einen Strahlenkranz. 53 Dieser leuchtende Bogen sieht wie ein ..Smaragd.. 49 Zu diesem Thema vgl. Trwnmer. BikUrspracM der Johonn~sapoA:JJJyp.. 288: _In unserem Beispiel [d.h. Ollb 4.31 gewinnt der Stein einen besonderen Wen. wird zum .Edelstein •• deutet lange Suche und eventuell sorgfllltige Bearbeitung an. Jedoch bleibt er hier bildlos (ist also höchstens polien). obwohl sonst auch Gemmen und Kameen daraus verfertigt werden. Metapher risch vermag er. obwohl er Geschaffenes ist und bleibt. etwas von der Qualität einer Gotteshegegnung auszusagen: Der Jaspis ist opak. d.h. er ist undurchsichtig. weil auch Gott nicht durd>schaubar ist ( ... )•. Hennann. RAe. IV S20. " Dazu Plinius Secundus (Naturkunde. XXXVII lOS): _Hingegen ist filr alle diese Anwendungen der Sarder (sanla) geeignet. der einen Teil seines Namens mit dem Sardoni. gemeinsam hat. Er ist ein allbekanter Stein und wurde zuerst zu Sardes gefunden; der am meisten geschälzte kommt jedoch aus der Gegend von Babyion •. Vgl. auch Schumann. Ed~/s"iM 126. '2 Dazu vgl. Giesen. Johonnes-Apo/cQJyp.. S3: ,.Jobannes sieht Gott selbst nicht und kann ihn deshalb auch nicht beschreiben. Was er erkennen kann. ist nur der Lichtglanz von Edelsteinen. die wir im einzelnen nicht genau identifizieren können. ( ... ) Das alles ist kein Zufall: es unterstreicht. dass Gott der ganz anden: ist. der dem Menschen immer ein undurchschaubares Geheimnis bleibt •. Vgl. auch Hurtado. JSNT 2S. 111: -Most studenlS of Revelation recognize !hat. thougt the write(s description of God's throne is very similar to descriptions of it in Jewish apocalyptic literature (e.eep! !hat the author is very reserved about any anthropomorphic imagery such as we sometimes find) ...•. " Bauer. Wllrt~r6l1th 7S2. Rengstorf. ThWNT m 34G-343. ertJiin ausfilhrlich die Verbindung zwischen \p\~ und TO(OV. Schlüsselsteile in diesem Konte.t ist Ez 1.27b.28 (LXX): Kai
'0
55
Offb 4.1-11: Der Thron im Himmel
aus. Die Bezeichnung (A(SoS-) 0l10pay6lVOS" ist in der Antike vor allem Ausdruck von hobem GlanzS4 und entspricht nicht der modemen Edelsteinnomenklatur. Es liegen Hinweise vor. nach denen an dieser SteUe eher an einen Bergkristall gedacht werden soll.55 Bei der DarsteUung des Thrones und des Sitzenden hat sich der Autor von schon vorhandenen Motiven inspirieren lassen. In äthHen 14.18ffwird von einer Offb 4 ähnlichen Thronvision berichtet. Test Levi 5 und Asc Mos 4.2 erwähnen das gleiche Motiv. Unter den biblischen Schriften kÖMen exemplarisch Texte wie Ps 11.4; IKön 22.19 genaMt werden; dam kommen die für unsere Thematik sehr wichtigen SteUen Jes 6.1 und Ez 1.26---28. Auch der Einfluss von Dan 7.9 ist evident. 2.5 Vierundzwanzig Throne und Älteste In V.4 wird das Szenar erweiten56 • Rings um den zentralen Thron stehen vierundzwanzig Throne. auf denen vierundzwanzig Gestalten sitzen. Die ParaUelität zur DarsteUung von V.2 ist offenkundig und wird durch die Wiederholung von 9pOvous- und K09'lI1EVOUS- noch verdeutlicht. Wir können somit davon ausgehen. dass die neu eingeftlhrten Gestalten in die Machtsphäre des auf dem Thron Sitzenden gehören. Anders als «der Sitzende" werden die vierundzwanzig Gestalten plastisch und genau geschilden. 57 Die Bedeutung der Zahl vierundzwanzig ist unklar. In den Kommentaren werden unterschiedliche Interpretationen angeboten: Man verweist auf die vierundzwanzig Leviten- und Priesterklassen58 und auf die vierundzwan-
w,
TO +lyyos- a,;'oO (d.h. einer menschenartigen GcsI.aIt. Vgl.V.26) KUKX .... öpaol, TO(OU. öTav ~ h T~ vavOS" ein weiteres Attribut einer christologischen Gestalt. In 2,10 stellt die Krone ein Lebensversprechen dar, das als Belohnung filr die Treue verstanden wird; auch 3,10 stellt die Krone als Zeichen der Treue dar. n Die Kronen der Ältesten sind aus Gold. Dieses kostbare Material ttiffi man oft in der Offb76 , stets ist es Zeichen von Reichtum und Kostbarkeit n . Zusammenfassend muss man zwei Aspekte hervorheben. Einerseits tragen die Ältesten die Züge mächtiger Gestalten, die auf der Seite GOlles stehen; andererseits werden sie mit den Attributen der Sieger geschilden: Das weisse Kleid, die goldene Krone und die Nähe zu Gottes Thron kennzeichnen auf unverkennbare Weise diese Stellung. 71
2.6 Der Raum um den Thron In V.Sf steht der Raum um den Thron im Mittelpunkt. 'EKTlOpEUOVTal, die erste finite Verbform seit V.2, filhrt zum ersten MaI eine Handlung in die Thronszene ein. Der überraschende Wechsel zum Präsens drUckt den dauerhaften Charakter der Handlung aus und verleiht der Vision einen Gegenwansaspekt. Dadurch steht dem Leser die beschriebene Szene direkt vor Augen. Darüber hinaus könnte der präsentische Zeitaspekt darauf hinweisen, dass die beschriebenen Handlungen sich in der Gegenwan vollziehen. Aus dem Bereich des Thrones kommen Blitze, Stimmen und Donner heraus. Diese Dreiergruppe kommt in der Offenbarung mit einigen Änderungen insgesamt vierrnaI vor: 4,5
8,5
Ka\ 'ylvoVTO fJpoVTal Kai ~wval Kai aUTpana\ KaI OEIOl1o,.
'0,
75 Nur in 9,7 komml o,l.av", als Kennzeichen vernichlender Gestalten vor: Kat ,QS' a,hwv hw" ch:p(&,w) wS' oT,+avol ( ) Die Verwendung von wS' ist in diesem Kontell sehr inleressanl. Dazu vgl. U.5.2.4. 1. Xpuo
npoownwv alrrWil' np6awnov d\l9polnou KaI np60wnov Tlooapo1.V Ka\ np6awnov 1l00Xou i;t dplOHpWV TolSnpOawnov dnaO TalS- TlOOap01.V."
TWII
~lOVTOS' bezeichneI das Joch und den Waagebalken. In 6.5 können beide BedeulUDgen milgemeinl sein: Der Missbrauch der Waage lässl sie zu einem Joch flir die auf Nahrung angewiesene Bevölkerung werden. 10. Auch das Vorkommen der schwarzen Farbe kündigt Negatives an. Zur BedeulUDg dieser Farbe in Offb vgl. Vanni. Apocali... SO. 109 Zu diesem Verb vgl. BIDIR I 101.64. 110 Vgl. neben 4.7 Offb 8.13; 12.14.
Offb 4.1-11: Der Thron im Himmel
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Hervorueten des Todes an. In 12.14 verlien der Adler seine Fähigkeit zu fliegen. weil seine Aügel zur Rettung der Hinunelsfrau eingesetzt werden. Diese Verse erklären meiner Ansicht nach. warum der Adler in den vorangehenden Kapiteln immer fliegend dargestellt wird: Seine Rolle in der Offb hängt näm1ich gerade von seiner Beweglichkeit ab. So wie iIue Vorbilder in Ez I sind die vier Wesen geflügelt. Im Gegensatz zu ihnen haben sie jedoch nicht vier. sondern sechs Aügel.l ll Die Sechszahl erinnen an die Seraphim in Jes 6. Man stellt somit fest. dass die Aügel der Wesen in Offb der Verbindung zweier lraditionsgeschichtlicher Motive dienen. 112 Die statische Beschreibung der vier Wesen wird kunstvoll mit einer geänderten Wiederaufnahme iluer erstgenannten Eigenschaft beendet. In V.6 wurden sie als YEl'ovra ~9aAl'wV El'npoo8Ev oca\ omo&v eingeftlhn. in V.8 wird das Thema der Augen erneut aufgenommen: ocuKA09Ev oca\ EOwllEv YEI'Oucnv ~9aAl'wv. Die variiene Wiederholung unterstreicht. dass die Wesen ganz voller Augen sind: Vorne. hinten. rundherum. innen ll3 heisst schliesslich überall. Die Augen spielen in der Offenbarung eine vorrangige Rolle. In 1.7 wird ~9aAI'6s- als Synekdoche ftIr den Menschen verwendet. lI ' Die Bedeutung der Augen als Organe des Sehens wird auch in 3.18 betont. Dem Adressaten des Kurzbriefes an Laodizea empfiehlt die christologische Gestalt folgendes: Ich rate dir. bei mir im Feuer geläutenes Gold zu kaufen. um reich zu werden. und weisse Gewänder. um dich zu bekleiden und damit deine Schande nicht mehr gesehen werden kann. und Augensalbe. um deine Augen zu bestreichen. damit du sehen kannst.
Die wichtigste Eigenschaft der vier Lebewesen ist ihr ausserordentliches Sehvennögen. Die Schilderung der vier Wesen beschliesst die Darstellung der Elemente und Gestalten der Thronvision. 2.8 Die Handlungen um den Thron
In V .8b-11 steht das Geschehen. das sich im Raum um den Thron abspielt. im Mittelpunkt. Diese lelZlen Verse enthalten zwei Lobpreise in direkter Rede (V.SC und 11). denen jeweils eine kurze Beschreibung der vorangehenden Handlungen (V.8b und 90 vorangestellt wird.
Vgl. Ez 1.5. Zum Umgang der oelb mit Motiyen aus verschiedenen Traditionen s. n 9.1. 113 "'Eow8EV kann sowohl mit .innenlt oder «von innen her» wiedergegeben 'NCl'dcn. BUDIR t 104.2 weist dInuf bin. dass ·8 wv .a\ " ~v Ka\ I> lPXOIlEVQ5, I> navTo.pciT",p.
68
Ausgewählte Visionen
Die FonnuJierung ÖTav &!aou<J\v am Anfang von V.9 126 lässt die Erzählung in die Zukunft rücken und verkertet die Handlungen der vierundzwanzig Ä1lCSten in V.I 0 mit dem eben geschilderten Geschehen: Das Preisen der vier Wesen wird noch einmal aufgenommen. Indem sie das Lob aussprechen. geben die Wesen Gott Ehre. Preis und Dank. Die Substantive aGea. TI I' ~ und EuxaptaTia haben einen gemeinsamen Zug: Alle drei setzen eine gegenseitige Beziehung voraus. Nur aufgrund eines solchen Verbliltnisses hat es einen Sinn. von Wichtigkeit. Wertschätzung und Dankbarkeit zu reden. 127 Gott. der Adressat des Lobpreises. wird wiederum als KaEhll'EV'l' Ern Tcil 9pOv'I' geschilden. Diesem Machtausdruck wird Tc;.
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Ausgewählte Visionen
3 Oftb 5,6-10: Das Lamm In der Vision von Offb 4 stand das Bild Gottes im Zentrum. Nun fillut uns eine neue Vision zu einer anderen Hauptgestalt der Johannesoffenbarung: einige Verse aus Offb 5 machen den Leser mit dem christologischen Hauptbild des Werkes vertraut. 6 Und ich sah in der Mine des Thrones und der vier Wesen und in der Mitte der Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, welche die sieben Geister Gones sind, gesandt in die ganze Welt.
7 Und es kam und hat empfangen aus der Rechten dessen, der auf dem Thron silZl. 8 Und als es das Buch empfing, fielen die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder. Sie hanen jeder eine Harfe und goldene Schalen voller Räucherwerle, welche die Gebete der Heiligen sind, 9 und sie singen ein neues Lied und sagen: .Würdig bist du, das Buch zu empfangen und seine Siegel zu öffnen, denn du wurdest geschlachtet und hast Menschen aus jedem Stamm, jeder Sprache, jedem Volk und jeder Nation fiIr Gon mit deinem Blut erleauft, 10 und du hast sie rur unseren Gon zum Reich und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf der Erde •.
3.1 Aufbau
Die ausgewählte Perikope 5,6-10 wird thematisch geglieden. V.6f enthalten eine zweiteilige Beschreibung des Lammes: Zuerst wird sein Aussehen geschilden und anschliessend sein Handeln. In V.S-IO steht die Reaktion auf das Tun des Lanunes im Mittelpunkt. In V.S-9a werden die hymnischen Worte (V.9b10) vorbereitet. V.6-7
das Lamm V.6 V .7
V.8-1O
seine Züge seine Handlungen
das neue Lied
73
Offb 5,6-10: Das Lamm
V.8-9a Handlungen vor dem Lamm V.9b--1O das neue Lied 3.2 Das Lamm Die Vision des Lammes wird mit einer Onsangabe eröffnet. Ihre Stellung zwischen dem Hauptverb et60v und dem Objekt und die zweifache Verwendung von €v 1'010"" nehmen die Wichtigkeit des Lammes vorweg. Es befmdet sich im Zenuum der Szene, in der unmittelbaren Nähe Gones.
3.2.1 Die Züge des Lammes Das Tier wird mit dem unbestimmten Substantiv apV bedingte Distanz mit der Einfllhrung des gesandten Geistes als einer Kraf~ die auf Erden wirksam is~ überwunden. 28 Dazu S. K.-P. löms, Das hymnisch. Evang./ium 27ff: Ein Drillei aller Belege von lpxo~al (im Ganzen 36) drückt das endzeitliehe Kommen Gones bzw. Christi aus. Die Aoristform in Offb 5,6 schliesst die ZukunflSdimension aus. Für uns ist es jedoch relevant festzustellen, dass lpxo~al das Kommen lesu als Phänomen göttlicher Zuwendung wiedergibt. 2. Die intransitive Verwendung muss als störend empfunden worden sein. Dies bezeugen die
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Ausgewählte Visionen
keit dieser in der Vergangenheit verankerten Handlung: Der Kern der Beziehung Jesu zu Gon besteht auch in der Gegenwart aus dem Empfangen. Die durch Ex eingefilhrte Ergänzung beleuchtet die andere Seite dieses Verhältnisses. Die rechte Hand Gones besagt etwas über die Qualität und die Kraft des Gebens. JO
Exkurs I: Motivgeschichtliches zum Lamm Das Bild des Lammes in der Apokalypse weist einige rätselhafte Seiten auf: seine Herkunft als Christusbild bleibt unklar. Das Motiv des Lammes taucht an verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes auf. Neben den oben erwähnten Versen aus Job I; I Petr I und Apg 8 spielt I Kor 5.7 eine interessante Rolle; an dieser Stelle kommt das Wort naoxa als Bezeichnung des Osterlammes vor. Bei den erwähnten neutestamentlichen Stellen sind Anklänge an das AT deutlieb erkennbar. Das vierte Gonesknechtslied in Jes 53 ist in diesem Zusammenhang wicbtig. In V.7 wird der Knecht mit einem verstummten Schaf verglichen. das zur Schlachtbank gefilbrt wird. Ein ähnlicher Vergleicb fmdet sich in Jer 11.19. Auch 2 Sam 24.17 und Ps 44.12.13 verwenden die Figur des Lammes in diesem Sinn. In Ex 29.3~2 und Num 28.3-8 wird vom Lanun als Opfertier berichtet. wäbrend in Ex 12.1-27 das Passablamm im Vordergrund stebt. In Ez 34 wird der Herr als Hirte der Menschen dargestellt. In Dan 8.1-14 liegt eine Verbindung zwischen Schaftier und grosser Macht vor. In ätbHen 89 werden das Macht- und Lammotiv aufgenonunen und entfaltet.)1 Dieser knappe motivgeschicbtliche Überblick)' vermag nicht das Thema des Lammes in der alttestamentlichen und apokalyptischen Literatur zu verfolgen. Es ging vielmehr darum. Hauptlinien zu skizzieren. um die unterschiedlichen Vorstellungen hervorzuheben. Der Einfluss dieser alttestamentlichen Vorbilder auf die Offenbarung wird in der Literatur unterschiedlieb bewertet. Comblin versteht das Lamm in Offb als Ergebnis einer Überlagerung dreier Motive: dem Thema des Schafes als Bild für den Gonesknecht misst er grosse Bedeutung bei; das Osterlamm und die
sekundän:n Lcsanen. welche Tb Pl/IA(o. als Obiekt zu ,rA~.H vorsehen. Eine ähnliche Vawendung von AQ~pci .... komDI! in Joh 1.16 vor: Auch an dieser Siene steht schlicht das Phänomen des Empfangens im Vordergrund. Dazu s. Weder. EvTh 53. 332. )0 6'('Os ist Symbol göttlicher Kraft. Darüber hinaus schwingt bei diesem Begriff die Bodeutung .günstig. glOckbringendo DU\. Dazu vgl. Grundmann. ThWNT [) 31-39. Offb 5.1.1 stenen die einzigen Belege von der "",hten Hand GOlles im NT dar. Um dieses Thema zu vertiefen. könnte ein Vergleich DUt einer Stene wie Lk 11.20 spannend sein. II Dazu vgl. Offb 1.11. wo das Lamm selbst zum Hinen wird. Vgl. [) 4.4.5. ), In dieser DarstcUung wurde auf die Diskussion über problematische Te.te nichl hingewiesen. Te.te wie Mk 14,24 (und Parallelen) wurden ganz ausgelassen.
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Hirtenthematik übernehmen eine ergänzende Funktion.)) Kraft geht vom vordergründigen Gewicht der Schaf- und Lammsymbolik in der Beschreibung der Nähe Gones zu seinem Volk in der ganzen Bibel aus. J4 Auch nach ihm spielen Jes 53 und Jer II eine wichtige Rolle: Der Vergleich des Gottesknechtes mit einem Lamm für die Deutung Jesu «erlangte jedoch für die nachösterliche Gemeinde fundamentale Bedeutung, weil er die Möglichkeit gab, das stellvertretende Leiden des als Gottesknecht gedeuteten Jesus mit der Vorstellung des Opfers und besonders des Opferlammes zu verbinden,..)' Nach Prigent spielt hingegen Jes 53 keine zentrale Rolle. Vielmehr betont er die Wichtigkeit des Opfergedankes36 und die messianischen Züge des Lammes. Diesbezüglich erinnert er an die schon oben erwähnte Henochstelle und weist auf Test Jos 19,7f(37 hin. Roloff bettachtet die Lammgestalt als originelle Komposition der Apokalypse, die aus der Verbindung von zwei traditionsgeschichtlich belegten Motiven entsteht, des Opferlammes und der Zeichen von Macht und Stärke. lI Auch Vanni spricht von einer Erfindung: das Bild des Lanunes in Offb stellt eine originelle Weiterfilhrung des gleichen Motives aus dem Johannesevangelium dar.)9 Die königlichen Züge des Lanunes sind das Zeichen seiner Verbindung zur Geschichte der Menschen. Die somit entstandene Lammgestalt konzentriert in sich jedoch alle erwähnten motivgeschichtlichen Aspekte.
Comblin. l.L Christ t 7-47. S. dazu den Exkun bei Kraft, OfJ.nborung 107-110. Ibid. S. t09. J6 Prigent, Apoealyp.. 98: .Cest ainsi que doivent s'expliquer I"insislance sur le sang de cet agneau etl"effet de son sacrifice qui assure la lidemption des hommes (5.9) comme jadis lors d: 10 premim Plque. celle d' Israiil rache~ de Ia tare de servitude •. J7 Ibid.: .Dans le Testament de Joseph 19,7ss nous trouvons encore la prophetie d'un agneau. figure du messie viclOrieux des betes sauvages. Le texte pdsente aujourdbui d'indtniJt. bles traces de relOuches clln!tiennes, mais !'image qui en est la base n'est certainement pas une invention des chn!tiens •. J, .A1les spricht dafür, dass Johannes diese Verbindung des aus dor Hem:nmahlsliturgie entwickelten Lamm-Motivs mit Symbolen von Macht und Stärke noch nicht in dor Tradition vorfand, sondern erst selbst geschaffen hat. um auf diese Weise die beiden zentralen Aspekte des gemeindlichen Christusbekenntnisses, Erniedrigung und Erböhung. in ihrer unmiuelbaren Zusammengehörigkeit sichtbar zu machen: Jesus ist Herr über Welt und Geschichte nur aufgrund seiner Selbsthingahe in das Sterben •. Rolorr, OfJ.nbo",ng 76. J9 .In der ApobIypse finden wir eine Antwon darauf. Das Reich des Christus Ev brechen zum Teil die plastische Darstellung und führen einen historischen Rückblick ein. THA8.v thematisiert die unerwartete Ankunft Jesu in der Welt. während ElA'l4>Ev die göttliche Zuwendung als Moment des reinen Empfangens reflektiert. Gleichzeitig dienen diese zwei Verbforrnen zur weiteren Entfaltung der Vision. Das Lamm empfangt aus der Rechten Gottes ein Buch: diese Geste eröffnet eine ganze Serie von Ereignissen. die im Zentrum der folgenden Visionen stehen. Dieses Geschehen veranlasst die Gestalten um den Thron dazu. dem Lamm ein neues Lied zu singen. In den hymnischen Versen 91>-10 steht die öffnende Tätigkeit des Lammes im Mittelpunkt. Die Fähigkeit des Lammes. die Siegel des 68 Das Futurum llaoL>..EuoOVOU' ist textkritisch umstrinen. wird jedoch von vielen Exege(en der Präsensfonn liao1.).f.UOUOlV vorgezogen. Es ist nicht möglich. sich aufgrund von äusseren Kriterien flir die eine oder die andere Variante zu entscheiden. Mit Daryl Charle,. JETS 471 entscheide ich mich flir das Futurum: Auf der Spannung zwischen der gegenwärtigen Dimension des Reiche, und seiner eschatologischen Erfüllung beruht die ganze Offenharung. Dazu vgl. Metzger. ru/ual Comnrenrary 738; Schüssler Fiorenza. Priesru /Ur GOIt 74; Bous,et. Offen· barung 169; Charle,. Revela/ion 1 148. bevorzugt ~aalA.uoualv; inhaJUich versteht er jedoch diese Fonn futurisch.
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Buches zu öffnen. ergibt sich aus seiner Vergangenheit. Aus seiner Geschichte werden hier drei Momente thematisien: die gewaltsame Tötung. die erlösende Wirkung und der Anbruch des Reiches Gones. Das Tun des ChrislUs-Lanunes wird in seiner Relevanz für die Menschen dargestellt: Menschen aus jedem Volk sind betroffen. sie wurden «zum Reich und zu Priestern» gemacht. Der letzte Satz des Liedes spannt einen Bogen über die Zeiten: das Reich wird in die Dimension der Verheissung gerückt. Die Spannung zwischen «schon vorhanden» und «noch nicht vollendet» erscheint in Offb 5 als sehr stark und unerwartet. In diesem Kontext übernimmt die letzte Onsangabe eine wesentliche Rolle. indem sie die Erde als den on der Vollendung des Reiches bestimmt.
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Ausgewählte Visionen
4 Offb 7,9-8,1: Eine schreiende Menschenmenge Nach der DarsteUung Gottes und des Lammes wurde eine Perikope ausgewählt, in der Menschengestalten geschildert werden. Die Geschichte und die Zukunft der Menschen von Ollb 7,9-17 ist durch eine besondere, starke Beziehung zu Gott geprägt. 9 Danach sah ich, und siehe, eine grosse Menge, die niemand zählen konnle. aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, umhülll mil weissen Kleidern und sie hanen Palmzweige in ihren Händen. 10 Und sie schreien mil lauler Stimme: «Das Heil unserem Gon, der auf dem Thron sitzl, und dem Lamm». 11 Und alle Engel slanden rings um den Thron und um die Älteslen und um die vier Wesen, und sie fielen vor dem Thron auf ihre Gesichler nieder und beteten Gon an: 12 «Amen, das Lob und die Herrlichkeil und die Weisheil und der Dank und die Ehre und die Kraft und die Stärke unserem Goll in alle Ewigkei!. Amen •. 13 Und einer der Älteslen fuhr fon und sagle mir: «Diese, die mil den weissen Kleidern umhüllt sind, wer sind sie und woher sind sie gekommen?» 14 Und ich sagle ihm: «Mein Herr, du weissl es •. Und er sagle mir: .Das sind die, welche aus der grossen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Kleider gewaschen und sie im Blul des Lammes weiss gemach!. 15 Deswegen sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nachl in seinem Tempel, und der, welcher auf dem Thron SilZl, wird über ihnen wohnen. 16 Sie werden nichl mehr hungern und nichl mehr dürslen. Weder die Sonne wird auf sie fallen, noch irgendeine GIUl, 17 denn das Lamm millen im Thron wird sie weiden und sie zu Quellen von Lebenswasser führen. Und GOll wird jede Träne von ihren Augen abwischen». 8, I Und als das Lamm das sieble Siegel öffnele, enlstand eine Stille im Himmel, elwa eine halbe Stunde.
Offb 7,8-8,1: Eine schreiende Menschenmenge
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4.1 Aufbau In Offb 7.9-8,1 lassen sich drei Szenen unterscheiden. V.9-12 umfassen die Vision von Menschen und Engeln. Die DarsteUung der Menschen (90 und diejenige der Engel (110 sind ähnlich strukturien; der erste Vers beschreibt das Gesehene, während der zweite eine direkte Äusserung enthält. Eine rhetorische Frage eröffnet die zweite Szene; in V.13-14a wird eine Grundfrage formulien. in 14~17 eine umfassende Antwon dazu. In diesem deutenden Dialog fällt eine zeitliche Gliederung auf: V.14b schilden die Vergangenheit der Menschenschar, 15ab ihre gegenwärtige Situation und 15c-17 ihre Zukunft. I Die ausgewählte Perikope wird in 8.1 mit der Öffnung des siebten Siegels abgeschlossen. 7,9-12
Vision V.9 V.1O
Schilderung der Menschen Ihre Äusserung
V.II V.12
Schilderung der Engel Ihre Äusserung
7,13-17
Dialog
V.l3-14a V.14~17
eine rhetorische Frage Antwon
14b ISab ISc-17 8,1
Vergangenheit Gegenwan Zukunft
Öffnung des siebten Siegels
4.2 Eine schreiende Menschenmenge
In Offb 7.9f sieht Johannes eine grosse Schar. Diese Gruppe wird mit Sorgfalt beschrieben. Als erste Eigenschaft wird ihre Grösse genannt: Es geht um eine grosse Schar. nOAUS' wird im anschliessenden Relativsatz erläuten: Kein Mensch ist im Stande, die Menge zu zählen. Diese Schar kann mit keiner Zahl identifIZien
I
Dazu vgl. Corsani, L'Apocaliss. 87.
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Ausgewählte Visionen
werden. 2 Die enonne Ausdehnung der Menschenmenge wird von der Herkunft ihrer einzelnen Glieder noch bekräftigt: Sie stammen aus aIJen Nationen, Stämmen, Völkern und sprechen verschiedene Sprachen. Der mit einer parallelen Auflistung in 5,9 angedeutete Universalcharakter wird an dieser SteUe besonders hervorgehoben.) Die Schar von Offb 7,9 ist unzählig, heterogen, umfasst Leute aus allen Kulturen. 4 Beim Partizip EO'TWTES' wird der Blick vom koUektiven Begriff öxAoS' zu den Einzelnen gewendet. Das Stehen vor dem Thron und dem Lamm kennzeichnet nicht nur den Ort, an dem sich die Menschenmenge hefindet. Es geht meiner Meinung nach um eine qualitative Aussage über die versammelten Gestalten. Die Perfektform besagt, dass die stehende Haltung als Ergebnis einer früheren Handlung zu versteben ist. Hier könnte lO'Tlllil, so wie beim stehenden Lamm in Offb 5,95, das Ergebnis eines Sieges zum Ausdruck bringen. Der Vergleich zwischen 7,9 und 15,2 bestätigt diese Vermutung: Und ich sah etwas wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vennischt, und (ich sah) die Sieger über das Tier und über sein Bild und über die Zahl seines Namens auf dem gläsernen Meer stehen mit den Harfen Gottes·. Der Raum vor dem Thon und dem Lamm ist ein besonderer Ort: Die Gestalten von Offb 7 treten als erste Menschen vor dem Angesicht Goltes und des Christus auf. Dieser räumliche Aspekt lässt eine besondere Beziehung dieser Menschen zur göttlichen Sphäre erahnen. Die Gemeinschaft mit GOII wird darüber hinaus von den weissen Gewändern der Menschen unterstrichen. Aus den Ausführungen über die weisse Bekleidung der Ältesten im Kap. 4' soll hier
1 Prigent, Apocalypso 123 erinnen an die gendankliche Parallele zu Gen 15,5; 22,17, wo die Verheissung einer unzählbaren Nachkorrunenschaft flir Abnun fonnulien wird. l Vgl. 11 3.3.2. Der Übergang vom Singular naVTo, l8vou, zu den folgenden Pluralfonnen versUirkt den Steigerungserrekt der Aunistung . • An dieser Stelle drangt SIch ein VergleIch mit der Vision in 7,1-8 auf. Don wird eine Schar von 144.000 Menschen aus jedem Stamm Israels dargestellt. In der Sekundärliteratur wird der Kontrast zwischen dieser hestimmten Zahl und der israelitischen Herkunft der Schar in do!ersten Vision einerseits und der Unbestimmtheit und Heterogenität der Gruppe in 7.9 andererseits eingehend diskutien. Viele Forscher tendieren dazu, die Scharen von V.4 und V.7 zu identifizieren: Die Abfolge von zwei ähnlichen Visionen wird als Millel zur Weiterführung und Vertiefung einer einzigen lbematik betrachtet. Vgl. z.B. Chartes, Rn.la/ion I 199f; Jöms, Dm Hymnisch. Evang.lium 77; MOlIer, Offmbarung 18Of; Roloff, Off.nbarung 90; Prigent, Apocalypso 123. Dieser These widersprich! eine ältere Auffassung, nach der die erste Schar die judenchristlichen Glieder der Gemeinde darslell~ wäluend die zweite die Christen heidnischer Herkunft symbolisien. 5 Vgl. dazu 113.2.1. • Die Verwendung von VlKa .. mitwvfj llE'yaA'{l verstärkt hier wie in 7,10 die Vorstellung des Schreiens. Subjekt dieses
" Vgl. auch 22,19. ~OiVl~ komml in der johanneischen Fassung des Einzugs Jesu in Jerusaiem vor. Joh 12,13 und 0fIb 7,9 ..eUen die zwei einzigen Belege im NT dar. Nach Schnackenburg, Johon· n~JItvtUI,~Ii"", 468f sind die Palmzweige als Symbole eines siegreichen Hemchen oder des Sieges aufzufassen. Diese Auslegung des Palmmolivs beim Einzug in Jerusaiem Sieht der angenommenen Bedeurung in der Offenbanmg sehr nahe. " Grundmann, ThWNT DI 898-904. " lbid. 899. Ibid. 900f. 20 Vgl. 7.2; 10.3; 14.IS; 18.2; 19.17. 16
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Offb 7.8-8.1: Eine schreiende Menschenmenge
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Rufens sind die Seelen der Geschlachteten. welche nach der Öffnung des fünften Siegels unter dem Altar erscheinen. Und als es das fünfte Siegel öffnete. sah ich unter dem Altar die Seelen der um des Wortes Gottes und des Zeugnisses willen Geschlachteten. das sie hielten. Und sie schrien mit lauter Stimme und sagten: «Wie lange. Herr. Heiliger und Wahrhaftiger. richtest und rächst du nicht unser Blut an den Bewohnern der Erde?». Und jedem von ihnen wurde ein weisses Gewand gegeben und es wurde ihnen gesagt. noch kurze Zeit zu warten. bis (die Zahl) ihrer Mitdiener und ihrer Brilder und Schwestern vollendet sei. die noch getötet werden müssten. wie sie selber. Offb 6.lOf bezeugt wiederum eine starke Verbindung zwischen K~W und dem Leiden; die Not steht in Offb 6 im Mittelpunkt. Für die Verwandtschaft von 6.lOf mit 7.10 spricht nicht nur das Vorkonunen von Kpci,W. Auch das Motiv des weissen Gewandes und die Aufforderung. auf die vollständige Zahl der Getöteten zu warten. spannen einen inhaltlichen Bogen zwischen den zwei Stellen. Man hat den Eindruck. dass es sich um die gleichen Gestalten handelt. Die Äusserung der Menschengestalten wird also als Schreien in der Not dargestellt. Der elliptische Satz in V.lOb verleiht diesem Leidensausdruck eine inhaltliche Gestalt. Das Fehlen der Verbforrn erschwert jedoch das Verständnis der direkten Äusserung. Zahlreiche Ausleger der Offenbarung sehen in V.I Ob einen Siegesruf. in dem Gott und das Lanun als Retter und Helfer gepriesen werden. 21 Die Verbindung von Kpa,w mit einem Preiswort scheint mir sehr schwierig und wird den einführenden Worten des Rufes gar nicht gerecht. Meiner Ansicht nach soUte man die Worte in lOb als einen verzweifelten Ausdruck von Zuversicht betrachten. Die oben analysierten Attribute der Menschen konkretisieren die Teilnahme an der Vollendung. während das Schreien von V.IO die Aktualität des Leidens zum Ausdruck bringt. In dieser unheimlichen Spannung ist der Ruf 1] OWTllPIa TIjl 9f<ji .qI1WV TIjl Ka91111EV'll E11t TIjl 9pov'll Kat TIjl apvt'll eingebettet. Die OWTllPIa wird mit Gott und dem Lanun verbunden: Hoffnung und Zweifel werden in dieser kurzen Äusserung in erschütternde Nähe gebracht. DuTllPla kommt in Offb insgesamt nur dreimal vor. In den Belegen ausserhalb von Kap. 7 ist die starke Spannung von 7.lOb bereits aufgelöst. Für das Verständnis unserer Stelle kann vor allem 12.IOfhilfreich sein: Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel. die sagte: «.letzt ist das Heil angebrochen und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines 21 Vgl. z.B. Charles. Rtvelation 1211: Lohmeyer. Offenbarung 92; Loh... Offtnbarung S4 Roloff. Offenbarung 91; JÖms. Das hymnischt Evangtlium 83f. Diese Autoren betonen dm alttestamentlichen Hintergrund dieser Worte und weisen auf z.ahlreichc Parallelstenen aus cbn AT hin.
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Ausgewählte Visionen Christus, denn hinabgestürzt ist der Ankläger unserer Geschwister, der sie vor unserem Gon Tag und Nach anklagte. Und sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch das Wort ihres Zeugnisses, und sie haben ihr Leben nicht bis zum Tod geliebt».
Man elllhnt hier eine Linie, die von 6,IOf über 7,9f zu 12,IOf führt. Die Hoffnung auf Rettung erscheint in Offb 6 als noch unerreichbar; in 12,9 ist sie bereits realisien. Der Schrei in Offb 7.10 liegt mit seinem Zwiespalt gerade dazwischen. Die rettende Wirkung ist ein Ausdruck der Macht Gones und des Lanunes, sie ist aber für die Menschenmenge in Offb 7 noch nicht vollendet. 22 4.3 Alle Engel Nach der Menschenmenge nimmt der Seher die Gestalten in den Blick, die sich rund um den Thron befinden: Ausser den schon bekannten Ältesten und geflügelten Mischwesenwesen 23 treten an dieser Stelle alle Engel auf. Die vollständige Zahl der Engel betont erneut die Grossartigkeit der Vision. Die Engel stehen um den Thron. Ihre Wone werden anders eingeführt als diejenigen der Menschen. Dem VerbK~w in V.lO stehen hier Handlungen gegenüber, die typisch für einen Lobpreis24 sind: die Engel fallen auf ihre Gesichter und beten Gon und das Lamman. 25 Der Lobpreis der Engel beginnt und endet wahrscheinlich mit a1'Tlv. 26 Für die Wichtigkeit dieses Wones innerhalb der Offb spricht 3.14b: Dies sagt der Amen, der zuverlässige und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Goltes. , AI' TlV wird hier als christologische Bezeichnung gebraucht und durch die anerläuten: das 1bema der schliessenden Wöner b l'apTU, b 11I0TO, Kat aA '191. Zuverlässigkeit ruckt dabei in den Vordergrund. Die Umrahmung der Doxologie mit al'Tlv verleiht der Aussage aller Engel einen starken ZuverlässigkeilSCharakter. Der Lobpreis besteht aus einer Reihe von sieben Begriffen. Diese Zahl druckt hier wie an vielen Stellen in der Offb Voll-
vo,
22 Die Verbindung von oWTqp(a mit 8uva~IS", ~aoIA"a und «ouo,a in 12.10 hebl den eschalologischen Aspckl dieser Begriffe hervor. Dazu vgl. Schüssler Fiorenza, Vision 68. 2l Vgl. 112.5 und U 2.7. 24 Vgl. Jöms, Dw hymnische Evangelium 82. lS Vgl. dazu 11 2.8. und 11 3.3.1. 26 Das zweite Vorkommen von cI~~v iSI unsicher. Vgl. Metzger, r.X/UD/ Com.ntary 742: «Altough lhe absence of cI~~v allhe c10se of ver. 12 in scvera! witnesscs (C len minuscules 0/) may SUgsesl lhat lhe word is a liturgicaJ addition in lhe olher wilnesscs, lhe Commille. was impresscd by lhe prepondcrantteslimony supponing ilS proscnce (... )>>.
Offb 7.8-8.1: Eine schreiende Menschenmenge
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ständigkeit aus: «Die 7-ZahI weist wohl darauf hin. dass die Kette der lobpreisenden Prädikationen ohne Ende fortgefühn werden könnte».27 Wieder liegt an dieser Stelle ein elliptischer Satz vor: Unter dem Einfluss von a~ ~v scheint hier eine indikativische Verbform angebracht. Es wird gesagt. dass das Lob. die Herrlichkeit. die Weisheit. der Dank. die Ehre. die Kraft und die Stärke Gott in alle Ewigkeit gehören. Die Engel sprechen aus einer anderen Perspektive als die Menschen. denn sie gehören zur göttlichen Sphäre. Ihr Lobpreis kennt deshalb die Spannung der irdischen Menschenworte in V.I 0 nicht. 4.4 Ein deutender Dialog Der zweite Teil unserer Perikope besteht aus einem Dialog zwischen einem der Ältesten und dem Seher Johannes. Das Pronomen ~Ol eröffnet dem Erzähler den Zugang zur Vision. Aus der Begegnung zwischen einem visionären Element (dem Ältesten) und dem Zeugen der Vision. einem konkreten Menschen. entsteht die Deutung des Gesehenen.
4.4./ Die Frage Der Älteste fragt nach der Identität der weiss bekleideten Gestalten. Dabei will cr wissen. wer sie seien und woher sie kämen. Die Herkunft ist für die Bestimmung der Identität der Schar wesentlich. Die Antwort auf die Frage wird durch die Unwissenheit des Sehers verzögert. Schliesslich spricht der Älteste und antwortet selber auf seine rhetorische Frage. 28 Eigenartig an diesem Dialog ist die Tatsache. dass der Impuls zum Deuten von einer Gestalt der Vision stammt. Die Frage des Ältesten erscheint zudem überflüssig. da die Gestalten aus der Schar in der vorangehenden Vision ausführlich beschreiben wurden. Deutende Dialoge sind in der Offenbarung relativ selten und heben entscheidende Momente hervor. 29 Worin besteht die Besonderheit von Offb 7.14ff?
4.4.2 Und die Antwort Die Antwort des Ältesten ist zeitlich gegliedert. Ein Rückblick in die Vergangenheit der weiss Bekleideten eröffnet die Deutung.
JÖms. Das hymnische Evangelium 84. Dazu auch Berger, Formgeschichte 223. Der rhetorische Dialog in V.13f, der eine Deutung einführt, erinnert an Te.te wie Jer 1.11-13; Ez 37.3f; Sach 4,1. 2. Vgl. 17,1-3; 21,9ff; 22,lff. In diese Auflistung gehört auch 13,18, wo die Adressaten selbst aufgefordert werden, eine Deutung des (verschlüsselten) T.. tes zu finden. 21
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Ausgewählte Visionen
4.4.3 Ein Rückblick V.14b erklärt, warum die Frage nach der Identität der Schar zweifach gestellt wird. Die Identität dieser Menschen ist durch ihre gemeinsame Herkunft festgelegt: Sie sind diejenigen, welche aus der grossen Bedrängnis kommen. Die Wendung 9AltjJlS" I'€yaAlJ kommt nur zweimal in Offb vor, und nur hier mit dem bestirrunten Anikel. In 2,22 wird eine grosse Bedrängnis als Strafe eingesetzt und steht in Verbindung mit dem Tod. Die sonstigen Verwendungen von 9AltjJlS" in der Offenbarung kennzeichnen die Auseinandersetzung mit dem Leiden, mit den negativen Seiten menschlichen Lebens. JO 9AltjJlS" I'€YdAlJ ist ein seltener Ausdruck im NT;)I in Mt 24,21 wird eine grosse Bedrängnis als eschatologisches Ereignis dargestellt. Das Motiv stammt wahrscheinlich aus Dan 12, I. Es stellt sich somit die Frage, ob auch Offb 7,14 unter den Einfluss dieser apokalyptischen Tradition steht.)2 Der Kontext von Offb 7 enthält überzeugende Argumente für diese Annahme. Die abschliessenden Verse von Offb 6 geben die Aussage der Menschen wieder, welche von der Öffnung des sechsten Siegels betroffen sind. Sie verstecken sich vor den unheimlichen Folgen des Zorns Gottes und des Lammes. Das Kapitel wird in V.17 mit folgenden Worten beendet: ( ... ) denn gekommen ist der grosse Tag ihres Zorns, und wer kann bestehen?" Haben die Menschen in Offb 7 die Katastrophe der lelZ\en Tage bereits hinter sich?34 Neues Licht auf diese schwierige Stelle wirft die Fortsetzung des Rückblickes auf die Vergangenheit der Menschenmenge. Sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie im Blut des Lammes weiss gemacht. Das Waschen der Kleider selZl eine aktive Handlung eines Subjektes voraus. Diese Tätigkeit wird am Ende der Apokalypse an der oben erwähnte Stelle in Offb 22,14 gepriesen. Das Waschen der Kleider garantien den Zugang zum Lebensbaum und zum heiligen Jerusalem.l s In 19,8 wird eine Beziehung zwischen
Über die Bedeulung von 9Alcjl\S" vgl. 1 3.2 und rn 1.1.1. Vgl. MI 24.21 und Apg 7,11. 12 Dazu Lohse, Off'Mo""'g 54: .Die grosse Trübsal iSI in der Apokalyptik ein fesl· stehender Ausdruck für die endzei~iche Bedrückung •. )) Vgl. zu diesem Thema auch 3,10. 14 Diese Meinung venrin u.•. Schüssler Fiorenll, Vision 65f: .The Vision in Rev 7: 1-8 seems 10 provide an answer 10 the concluding question of the si. tb seal vision: Who can be 58ved from the wrath and cosmic cataclysms of the .Lord's Day. ? (6: 17). Rev 7: 9-17 in lurn piclures tbose who have .carne oul of the greaI tribulation. (7: 14). I1 is the same tribulation which the opening of the ftrSllive seals has visualized •. " Vgl. Prigenl, Apocalypse 126. Eine vergleichbare Verbindung zwischen einem geeignelen Kleid und der Zulassung zu einem On des Fesles liegt im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl in MI 22,11-14 vor. 10 11
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einer weissen Bekleidung und den rechten Talen der Christen hergestellt. J6 Die Aufforderung an die Gemeinde in Laodizäa, weisse Kleider zu kaufen. scheint in dieselbe Richtung zu gehen. J7 Das Ergebnis des Waschens wird in einer Paradoxie präsentiert: Im Blut des Lammes wurden die Kleider weiss gewaschen. Das Blut des Lammes steht in Verbindung mit dem gewaltsamen Tod Jesu. Die erlösende Funktion des Blutes des Lammes wurde schon in 5.9 hervorgehoben. Die Paradoxie bringt eine Umkehrung in den Text. Die weiss Bekleideten werden als handelnde Subjekte dargestellt, die selber die Kleider gewaschen haben; die Möglichkeit. die Kleider zu reinigen. ist jedoch erst durch das Blut des Lammes gegeben. lI Nur dank des Todes Jesu erfahren die Christen die ErIösung. J9 Die Vergangenheit der Menschenmenge ist von der grossen Bedrängnis. vom Waschen der Kleider und von der Wirkung des Blutes des Lammes bestimmt. Dieser in drei Momente gegliederte Rückblick erinnert sinngemäss an die Schilderung in Offb 1.9: Hier stellt sich der Seher als Genosse in der Bedrängnis. im Reich und im Ertragen in Jesus vor. Vielleicht besteht eine inhaltliche Verwandtschaft zwischen diesen zwei Texten. Wenn dies stimmt. kann man die grosse Bedrängnis als Verschärfung der in 1.9 genannten Bedrückung und das Waschen der Kleider als Bild fUr das Beharren. fUr das !reue Festhalten der Menschen an der Botschaft Jesu auffassen. Die ParaUelität zwischen der ßao\A€\a und der Wirkung des Blutes hebt die Kategorie der geschenkten Freiheit hervorW. Exkurs 11: Das Blut in der Apokalypse
In diesem Kapitel und in Offb 5 sind wir der befreienden Wirkung des Todes des Lammes begegnet. Diese wird mit dem Bild des Blutes ausgedrückt. Eine weitere Parallele flOdet sich in 12.11: Die Christen werden zu Siegern durch das Blut des Lammes und das Wort ihres Zeugnisses. Nur in 1.5 wird ausdrücklich das Blut Christi genannt. Eine erschütternde Szene. die thematisch 7.14 sehr nahe steht. wird in 19.1ff beschrieben. Der Zuverlässige und Wahre reitet auf einem weissem Pferd. Unter ,. Di.s. SIeU. wurde in 112.S ziti.n. Der Byssus von 19.8 wird als ~a~npOv und Ka8apov g.kennuichnel. 17 Vgl. Offb 3.18 bzw. oben (114.2). 11 Dazu Müller. OJf.nbarvng 183: .W.il die ChriSICD durch ihr Verhallen sich zur Erlösung durch das Blul Christi bekannt, sich also in der Drangsal bewährt haben. g.wannen si. bleibend.n Anleil an der .inmal geschehenen H.ilslal Christi. symbolisi.n durch sein Blul•. ,. Ähnliche Auffassungen des Blules J.su und seiner erlösenden Wirkung bel.gt u::h lJoh 1.7. W.i..... wichtig. ParalI.ISIeU.n sind Röm 3.2S; S.9 und H.br 9.l3f. Dazu vgl. Prig.nl. Apocalyp.. 126: «ü demi'rI"1e (H.br 9.14) esl paniculi~remenl inl~ressanl puisqu'il amnn•• comme Ap. 7.14f. que la purification ~ par I. sang du Chrisl pennel lIUl c~li.ns de rendre l Di.u un culle ..pabl••. Zur Inlerprelation von 1.9 vgl. S.ISff.
4.
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Ausgewählte Visionen
anderem wird auch seine Bekleidung geschilden: Er trägt einen in Blut getauchten Mantel. Ihm folgt ein Heer von weissen Pferden. Die Kleider der Rirter sind aus weissem, reinem Leinen. Die christologische Gestalt ist die einzige, die das Zeichen des Blutes und des Todes trägt. Die Todeswunde des Lanunes wird in 19,13 mit dem Motiv des Kleides wiederaufgenommen. Seine Nachfolger haben von der reinigenden Funktion dieses Blutes profitiert. 19,11 ff bietet den letzten Beleg von all'a, der vom Blut Christi und seiner Wirkung spricht. In diesem kurzen Exkurs sollen weitere Funktionen des Blutes innerhalb der Offenbarung in Betracht gezogen werden. Auch das Blut der Menschen ist ein Bild für den Tod. In 6,10 sehnen sich die Seelen der Geschlachteten nach dem Uneil und der Rache für ihr Blut. 16,5f scheint in Verbindung mit dieser Stelle zu stehen. Das Uneil ist nun gefallt: Und ich höne den Engel der Gewässer sagen: «Gerecht bist du. der du bist und warst, du Heiliger, dass du dies gerichtet hast, denn das Blut der Heiligen und Propheten haben sie vergossen und du hast ihnen das Blut zu trinken gegeben. Sie sind würdig dazu •. Das Blut, das sie zu trinken bekonunen, stammt aus verschmutzten Wasserquellen. Die Frau BabyIon betrinkt sich mit dem vergossenen Blut der Propheten und der Zeugen Jesu in 17,6. Ähnlich sieht es in 18,24 aus: In der Stadt Babyion wird das Blut von Propheten und Christen und allen Geschlachteten auf der Erde gefunden. 19,2 knüpft mit der Gerichtsthematik an 16,6 an. Auch auf kosmologischer Ebene spielt das Blut eine Rolle. In 6, 12ff ereignen sich im Hinunel und auf der Erde gewaltige Erschütterungen. Die Sonne wird schwarz und der Mond wie Blut. Diese und andere fUrchterliche Veränderungen sind Ausdruck des Zornes Gottes und gefahrden die Menschheit. In 14,14--20 wird die Gerichtsthematik im Bild der Ernte entfaltet. Nach der Ernte werden die Trauben in der Kelter des Zornes Gottes getreten. Daraus fliesst Blut bis an die Zügel der Rosse. 1600 Stadien weit. Das Blut steht oft in Verbindung mit dem Wasser: Hagel, mit Feuer und Blut gemischt, fallt auf die Erde (8,7), ein Drirtel des Meeres wird zu Blut (8,8). In 16,3 wird das Meer zu Totenblut verwandelt mit verheerenden Folgen für alle Lebewesen im Meer. In 16,4 wird das Wasser der Flüsse und der Quellen zu Blut. Für das Verständnis dieser Verwandlung ist die Beobachtung wichtig, dass sowohl das Wasser als auch das Blut Flüssigkeiten sind, die zum Leben notwendig sind. Ihre Venauschung ist jedoch unmöglich und verursacht den Tod. Über die Macht, das Wasser in Blut zu verwandeln verfugen die zwei Zeugen von Offb 11: und sie haben Macht über die Gewässer, sie in Blut zu verwandeln. (V.6)
Offb 7.8-8.1: Eine schreiende Menschenmenge
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Zusammenfassend soll folgendes hevorgehoben werden: Das Blut spielt in der Offenbarung in drei unterschiedlichen Bereichen eine Rolle. Das Blut des Lammes bezeugt einerseits die Aktualität des Todes Cluisti und andererseits die von ihm bewirkte Befreiung. Das Blut im Kosmos gehön hingegen zur Thematik des Gerichtes. veranschaulicht die unheimlichen Folgen des Zornes Gottes und erscheint somit als Bild von Strafe und Rache. Ganz anders sieht es beim Blut der Menschen aus. Hier fehlen sowohl der bittere Geschmack der Revanche als auchjede Spur von Freiheit. Das Blut ist in diesem Zusammenhang das Zeichen des gewaltsamen Todes. den Cluisten und Propheten erfahren. Es ist nicht ganz klar. ob es sich dabei um den physischen Tod handelt. Viele Stellen in der ganzen Scluift scheinen davon zu sprechen. Beispielsweise kann man auf den Tod von Antipas. dem !reuen Zeugen (2.13). und auf die Cluisten von 12.11. die ihr Leben bis zum Tod nicht geliebt haben. hinweisen. An anderen Stellen könnte man den Tod auch als Metapher fUr den Ausschluss auffassen. Mit diesem Aspekt werden wir uns in der Analyse der folgenden ausgewählten Perikopen immer intensiver beschäftigen.'.
4.4.4 Gegenwarr Die Schar befmdet sich vor Gottes Thron'2: die präsentische Formulierung fasst die in 7.9 aufgelisteten Eigenschaften der Schar zusammen. Die Nähe zu Gott wird in V.ISa als Folge der Vergangenheit dieser Menschengestalten dargestellt. In dieser besonderen Nähe dienen sie ihm in seinem Tempel Tag und Nacht. Das Vorkommen des Verbs ),aTpOJw. das einen ausgeprägt religiösen Charakter hat.') verbindet die Aussage in ISb mit 5.10: Don werden die Menschen als Priester bezeichnet." Die Schilderung in V .ISb enthält als neues Element den on des Dienens. nämlich den Tempel Gottes. Im Kontext von Offb 7 scbeint der Tempel Gottes sich don zu befinden. wo die Menschenschar ist. Ist der Tempel Gottes die Dimension. in der die Menschen leben? Dieses Thema soll später in Zusammenhang mit Offb 21 f aufgenommen werden.
4.4.5 Zukunft Der Tempuswechsel in V.ISc änden zum dritten Mal die Perspektive: Die Zukunft der Schar ruckt nun ins Zentrum der Deurung. Gott wird Ober den Menschen wohnen. OKTJVOw kommt viennal in Offb vor: In 12.12 und 13.6 bezieht sich eine Partizipialform auf die Bewohner des Himmels; in 21.3 und an unserer Stelle schilden dieses Verb das Wohnen Gottes .
• , Vgl. 1114.3. 42 • Evwn.ov komm. in Oflb insgesamt 31maJ vor. 14maJ beuicJmet diese Präposition den Raum vor Gott oder seinem Thron. Dazu s .•uch D 2.4.1. und U 3.3.1 . • , Vgl. Strathmann. ThWNT IV 62~S . •• Vgl. 11 3.3.2.
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Ausgewählte Visionen
Auch das Substantiv OKl]Vt] bezeichnet in 13,6;15,5;21,3, den einzigen drei Stellen in Offb, die Wohnung Gottes. Das Wohnen Gottes über den Menschen ist Ausdruck seiner Nähe. Das Motiv der Nähe Gottes zu den Menschen steht nicht zufaIlig zu Beginn dieser Zukunftsschau, denn es handelt sich um das Leitmotiv der ganzen Perikope. Der motivgeschichtliche Hintergrund von OKl]VOw geht auf das Alte Testament zurück. Durch das Zelt kann Jahwe mitten in seinem Volk wohnen.4S Auch die folgenden Aussagen in V.l7 haben ihre Wunel im Alten Testament. Die Nähe Gottes zu den Menschen wird bedeutsame Folgen für sie haben. Hunger und Durst werden die Menschen nicht mehr plagen; es wird von einer Zeit gesprochen, in der die Knappheit an lebenswichtigen Gütern aufgehoben ist. Dieser Aspekt des Wohlstandes erstreckt sich auch auf die menschenfeindlichen Seiten der Natur. Die Sonne und die Glut werden nicht mehr auf die Menschen fallen. 46 Diese Aussagen stammen sehr wahrscheinlich aus Jesaja 49,10. 47 Der Aufhebung der zerstörerischen Wirkung der kosmischen Elemente verleiht der Kontext der Johannesapokalypse eine starke Bedeutung. Sonne und Sterne sind nämlich gewaltige Mittel zur Vernichtung der Erde. Interessant im Vergleich zu Offb 7, 16f erscheint 8,lOf: Und der drine Engel blies: und vom Himmel fiel ein grosser Stern, der wie eine Fackel brannte, und er fiel auf ein Drinel der Flüsse und auf die Wasserquellen, und der Name des Sternes ist «Wermut», und ein Drittel der Gewässer wurde zu Wermut und viele Menschen starben vom Wasser, weil es biner geworden war. Diese Verse aus Offb 8 stellen die Zerstörung als Kettenreaktion dar: Zuerst tlillt ein himmlischer Körper auf die Erde, verschmutzt die Gewässer und verursacht schliesslich den Tod vieler Menschen. 48 Den Hauptgestalten von Offb 7 wird eine Zukunft ohne solche Gefahren versprochen. Die Begründung dazu wird in V.17 formuliert. Das Wohlergehen der Menschen hängt vom Lamm ab. Es tritt an dieser Stelle als weidender Hirte hervor. Obwohl das paradoxe Bild eines Schafes als Hirte ., Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den traditionsgeschichtlichen Hintergrund darzustel· len. Dazu vgl. z.B.Charles, R.v.larion 1215, Prigent, Apocalyps. 127 und Brown, lohn 32fr. Ein Vergleich zwischen Oßb 7.15 und loh 1,14 in Bezug auf oKqv6w könnte zu aufschlussreichen Ergebnissen führen . •• Vgl. Roloff, Off.nbarung 92 . • 7 Es handelt sich jedoch nicht um ein genaues Zitat. Vgl. Prigent, Apocalypse 128: .On peUI se livrer • une comparaison minuLicuse entre le texte d'Esa:ie cn hl!breu cl CD grec cl Ap. 7,16-17. Les conclusions sont assez dtcevantes: on croit d'abord que nolre auteur fait sa propre traduction grecque directement sur I'hI!breu, mais bien vite il faut ajouter que du meme coup le texte • ~tC modifi~ d'une f""on si profonde qu'il vout mieux n:noneer l parler de traduction •. Für die Motivgeschichte vgl. auch Ps 23,1 und Ion 4,8. '8 Weitere Schilderungen der Zerstörung durch kosmische Elemente kommen in 6,13 um 9.1 vor.
Offb 7,8-8,1: Eine schreiende Menschenmenge
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motivgeschichtlich bezeugt ist. 12 Weiteres über das Motiv des stürzenden Sternes bei Vollenweider. ZNW 19, vor allem 193f.
Offb 9.1-21: Wesen aus dem Abgrund
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Und hinabgestürzt wurde der grosse Drache. die alte Schlange. der Teufel und Satan genannt wird. der den ganzen Erdkreis irreführt. hinabgestürzt wurde er auf die Erde. und seine Engel wurden mit ihm hinabgestürzt. Dem Stern wird ein Schlüssel gegeben. mit dem er den Zugang zum Abgrund öffnet. • Aj3uooos- ist eine Bezeichnung für die Unterwelt. In der LXX gibt dieses Won meist c'.-1!'l wieder und kann das Urmeer. das Erdinnere oder das Reich der Toten meinen. 13 Irn NT ist iif!uooos- ausserhalb der Offb nur noch in Röm 10,7 als Totenreich und in Lk 8.31 als Verbannungson für Legion, die vielen Däm0nen. belegt. In der Offenbarung ist der Abgrund der Raum des Satans und seiner Tiere: Aus dem Abgrund stammen sie" und don wird der Satan gegen Ende der Erzählung für 1000 Jahre gefesselt werdeni!. In der Apokalypse wird der Eingang zur Unterwelt als Brunnen dargestellt. Seine Öffnung ist eng. kann gut verschlossen oder geöffnet werden. Dazu braucht es den Schlüssel. welcher dem Stern gegeben wurde. Der Schlüssel symbolisien in Offb 9 die Macht über die Welt des Satans. Der Schlüssel zum Abgrund kommt in Offb 9,1 und 20,1 vor. In 1,l7f ist von den Schlüsseln des Hades die Rede. Dem eingeschüchtenen Johannes sagt die imposante Gestalt der ersten Vision folgendes: Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. und ich war tot, und siehe. ich bin lebendig in alle Ewigkei~ und ich habe die Schlüssel zum Tod und zum Hades. Nach diesem Text besitzt Christus den Schlüssel zur Unterwelt. Dazu lässt
das passivum divinum E60aTl in 9.1 erkennen. dass der Entscheid, den Abgrund zu öffnen, auf Gott zurückgeführt werden muss. 16 Der Stern öffnet. Aus dem Brunnen steigt derart viel Rauch heraus, dass die Sonne und die Luft verfmsten werden,l1 Aus diesem Rauch konunen Heuschrecken heraus. die zur Erde hingehen. Die Beziehung zwischen Heuschrecken und Dunkelheit ist schon aus dem Alten Testament bekannt: In Ex 10.15 und Joel 2.10 wird die Finsternis als Folge der Heuschrecken dargestellt. Ihre Zahl ist enorm, und sie fliegen so dicht durch das Land. dass das Licht von Sonne, Mond und Sternen ganz abgeschirmt wird. In unserer Erzählung fmdet eine Umkehrung im Verhältnis von Ursache und Wirkung statt: Rauch und Dunkelheit IJ Vgl. J. Jorcmias. ThWNT I 9.
Vgl. 11.1 und 11.8. " Vgl. 20.1.3. Dazu s. Cuvillior. FV 91. 58: .Le .pouvoir des c1ts' 051 c1airemenl clans I"Apocalypse uno p (3.14).
Offb 13.1-\0: Ein Tier aus dem Meer
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einem Panther. seine Füsse erinnern an diejenigen einer Bärin und das Maul an den Rachen des Löwen. Ausser dem Vergleich mit Dan 7 kann man einige andere alttestamentliche Texte zur Bestimmung der Eigenschaften der drei wilden Tiere einbeziehen. Beispielsweise wird in Hab 1.8 die Schnelligkeit des Panthers hervorgehoben. 2 Sam 17.8 und Spr 17.12 bezeugen die Aggressivität der Bärin. die ihrer Jungen beraubt wurde. Der Löwe als Symbol von Kraft und Gewalt ist aus den bereits behandelten Visionen bekannt lB • In Hos 13.7f werden die drei Tiere in einem Bild gemeinsam erwähnt. Gon sagt: So werde ich gegen sie denn wie ein Löwe. laure gleich einem Panther am Wege. Ich falle sie an wie eine Bärin. die ihrer Jungen beraubt ist, und zerreisse den Verschluss ihres Herzens." Die Geflihrlicbkeit dieser wilden Tiere wird mit der Schaffung eines Mischwesens in Offb 13 gesteigert. Die Stärke des Löwen ist in seinem Rachen. während die Bärin ihre Opfer mit ihren gewaltigen Tatzen erledigt. Folglich weist das Ungeheuer gerade diese Züge auf: ein Löwenmaul und Bärenfüsse. Sein Gesamteindruck wird dem schnellen Panther verglichen. Nach der Darstellung des monströsen Aussehens des Tieres werden seine Beziehungen zu anderen Hauptgestalten der Offenbarung erläutert. Zuerst wird in V.2b seine Verwandtschaft mit dem Drachen geklän. Dieser ist eine teuflische Gestalt. die im Zentrum von Offb 12 steht. In 12.9 wird er durch mehrere Namen charakterisiert:
Und hinabgestürzt wurde der grosse Drache. die alte Schlange. der Teufel und Satan genannt wird. der den ganzen Erdkreis irreführt ... Der Drache. der Verführer der ganzen bewohnten Erde. ist die gleiche Figur. der wir in Offb 9 als König der Heuschrecken begegnet sind20 • Dieser Zerstörer. der Inbegriff der Vernichtung. verleiht dem Tier seine Kraft. seinen Thron und grosse Macht. Die Übergabe von Gewaltmitteln wird durch das Aussehen der zwei Wesen anschaulich gemacht. Sowohl der Drache als auch das Tier sind Monster. beide sind mit sieben Häuptern und zehn Hörnern ausgestallet. 21 Die Dreiergruppe 6uVOIi'S'. 9povoS' und E~OUO(O fällt auf: Der Vernichter übergibt dem Tier ein Konzentrat an Mächten und Gewalten; andererseits kamen 6uVOlilS' und vor allem 9povoS' bis dahin als unverkennbare. exklusive Attribute
11 VII. 11 2.7: 11 3.2.1; 0 S.2.4. Zu den einzelnen Tieren VII. KeellUehlinle,. o,u und 1143--146. " ÜbersetzunI aus der Zürcher Bibel. Übe, die Einzelzüle des Tieres VII. Charlie,. Compnndn l'Apocalyp.. I 280. S. 11 S.2.4. 11 S. Oflb 12.3. LandsclrDft~n
'0
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Ausgewählte Visionen
Gottes oder ilun treuer Gestalten vor. 22 Weniger erstaunlich ist das Vorkommen von 'eOUola, da dieser Begriff schon in Offb 9 eine äusserst negative Form von Vermögen bezeichnet. In V.13,2 ist sogar von einer gesteigenen Form dieser Macht die Rede: das Tier bekommt grosse Macht.2l Die Übergabe von ouva~lts", 9povoS" und 'eouota l1 ..y&A Tj erinnen an eine lnthronisationsszene 24 : Nun sitzt das Tier auf dem Thron des Vemichters, und damit wird klar, dass dieses Wesen eine Herrscherfunktion übemimmt. Seine Ausstattung und seine enge Beziehung zum Satan bestätigen und betonen die Negativität des Tieres und seiner Machtposition. Gleichzeitig wirft V.2b ein neues Licht auf die am Anfang analysienen Visionen des Sitzenden auf dem Thron (Offb 4) und des Lammes (Offb 5,6--10). Der kosmische Sitz des Weltenherrschers rückt zumindest vorläufig in den Hintergrund, da plötzlich ein neuer Thron auftritt. Dieser symmetrische Kontrast zwischen dem Verderber und dem Schöpfer wird in V.3 zugespitzt. An dieser Stelle verrät nämlich der Seher eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Tier und dem (nicht einmal erwähnten) Lamm. Das Tier weist das Merkmal des Lammes auf, eins der sieben Häupter ist wie geschlachtet. 2' • Eoq,aYI1EVTjV ist das gleiche Partizip Perfekt wie in 5,6, und so wie das Lamm ist das Tier trotz der Wunde lebendig. Das in Offb 5 knapp ausgedrückte Paradox EOTTjKOS" wS" Eoq,aYI1EVoV erfährt im Kontext von Offb 13 einige beachtenswene Veränderungen. 'Eoq,aYI1EVTjV wird durch elS" 9avaTov ergänzt. Die Tatsache, dass das zum Tode verwundete Tier trotzdem lebt, wird mit vernünftigen Argumenten erklän: es wurde geheilt. Es fallt auf, dass die Symmetrie zwischen Lamm und Tier inhaltlichen Charakters ist: Beide Wesen sind wie geschlachtet. Die Paradoxie des Lammes, das gleichzeitig als Sieger sIeht und geschlachtet ist, wird in Offb 13 mit der Angabe aufgelöst, dass das geschlachtete Haupt des Ungeheuers geheilt wurde. Dennoch behält die Heilung der Todeswunde ihre wundervolle Stärke. Dies geht aus 13,12.14 deutlich hervor, wo das geschlachtete und geheilte Tier zum Objekt religiöser Verehrung wird. 26 6.3 Bewunderung hinter dem Tier Nach der ersten Skizzierung des siebenköpfigen Wesens gibt der Seher die Reaktion der Leule vor ilun wieder. Grosse allgemeine Bewunderung wird dem S. z.B. rlir 6uva~\S' 11 2.8 und 11 4.3 und rur 9povoS' 11 2.4.1. Die Wendung €(ouotall I.1EyciA.Jtv kommt nur zweimal in Oftb vor: hier und in 18.1 (in bezug auf einen Engel). ,. Vgl. Petraglio. Obielione 360. " Viele Kommentare heben die Ähnlichkeit zwischen Lamm und Tier hervor: s. z.B. Charlier, Comprtndrt /'Apocalypse I 282; Kraft, Offenbarung 176; Loluneyer, Offenbarung l08f; Lohse, Offenbarung 78; Prigent, Apocalypse 203; Roloff Offenborung 136. 26 Vgl. das Vorkommen von npooKuvEW und ElKWV. 12 2J
Offb 13,1-10: Ein Tier aus dem Meer
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Tier entgegengebracht. In der Offb weist 9au11O wxI Petraglio, Obitliont 363 (Übersetzung aus dem Italienischen): «Klar, fiir uns ist es erschütternd zu denken, dass Gott dem Toer die Macht gegeben hat, gegen die Heiligen Krieg zu führen wxI sie zu besiegen. wxI dass er ihm Macht über jeden Stamm, jedes Volk, jede Spnche und jede Nation gegeben hat. Es überrascht uns, weil wir an die Radikalität der Apokalyptik, die jeden Dualismus vermeiden will, nicht gewöhnt sind: neben Gou gibt es keinen Platz fiir einen ando>ren Gou, einen Satan oder einen von Gou unabhängigen, autonomen Staat>. S. auch Loh.., Offtnbarung 79: Roloff, Offtnbarung 137. Cl Dazu s. Schlier, Antichrist 23.
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Ausgewählle Visionen
Die gleiche Zeitspanne dient also dazu, verschiedene Vorgänge zeitlich zu begrenzen. Mit zweiundvierzig Monaten wird die Zeit von Zerstörung und blasphemischem Handeln umschrieben; mit 1260 Tagen Übergangssituationen, in denen Gottes treue Gestalten bedrängt werden. Hier wird deutlich erkennbar, wie geschickt und sorgfliltig der Verfasser inhaltliche Unterschiede und Parallelen sprachlich gestaltet. V.5 illustriert die Voraussetzungen, über die das Tier verfügt, um die ihm vom Drachen verliehene Macht auszuüben. In V.6f geht es um deren Umsetzung. Der Mund dient ihm dazu, den Namen Gottes, seine Wohnung und die Bewohner des Himmels zu lästem. 46 Die Verbindung zwischen Lästerung und Namen taucht in Offb 13 immer wieder auf. Der Name Gottes drückt in der Offenbarung seine Zuwendung zu den Menschen aus, die auf seiner Seite stehen. Dieser Gedanke wird in 3,12 illustriert: Der Sieger - ihn werde ich zur Säule im Tempel meines Galtes machen, und er wird nicht mehr hinausgehen, und ich werde auf ihn den Namen meines GOlles schreiben und den Namen der Stadt meines Galtes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel von meinem Goll herabsteigt, und meinen neuen Namen'" Diese Stelle aus dem Kap. 3 erleichtert auch das Verständnis der Lästerung gegen die Wohnung Gottes. Auch OKllV~ ist ein Beziehungswort: es kennzeichnet den Ort, in dem Menschen und Gott zusanunen sein werden. 48 In 3,12 wird dem Siegenden zugesichert, zur Säule im Tempel Gottes gemacht zu werden: In der Stätte Gottes, in seinem Tempel, wird der Adressat des Versprechens für immer bleiben. Auch die Schilderung einer Stadt, die aus dem Himmel herabsteigt, zielt auf einen gemeinsamen Ort für Menschen und Gott. In diesem Sinne sind diejenigen, welchen diese Hoffnungsworte zugesprochen werden, künftige Bewohner des Himmels. Der Himmel erscheint somit nicht primär als kosmischer Raum über der Erde, sondern als Dimension der Nähe zu Gott. 49 Die Apposition TOU, h T.;l oupav.;l OKllVOOVTQ, lässt den Kollektivcharakter von OKllV~ explizit werden. Das auf zweiundvierzig Monate begrenzte Handeln des Tieres erweist sich als kriegerischer Kampf. Opfer dieses Kampfes sind die Christen. Indem das Unge-
46 Zur Fonnulierung TOUS EV Tli) oupavti) OKIlVOü'VTQS werden im textkritischen Apparat einige Varianten vorgeschlagen. Die Einrtihrung von Ka( gilt als leclio faeilior. denn sie macht aus einer Apposition ein weiteres Glied der Auflistung. Das gleiche Argument spricht gegen die
yon tp40 venretene Variante . • , Andere interessante Vergleichsstenen in Offb sind 14.1 und 22.4 . •• Vgl. 21.3 . •• Dazu s. auch Prigen~ Apocalypse 205. Es ist nicht auszuschliessen. dass als Bewohner der Erde auch die himmlischen Scharen milgemeint sind. Eine Stene wie 12.12 könnte auch diesen Aspekt beinhalten.
Oflb 13.1-10: Ein Tier aus dem Meer
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heuer die Heiligen bekämpft. fiIhrt es den Krieg fon. welchen der Drache aus Wut wegen seiner Niederlage im Hinunel auf die Erde gebracht hat: Und der Drache erzürnte sich gegen die Frau und ging weg. um Krieg zu führen gegen die übrigen ihres Samens. die die Gebote Gones halten und das Zeugnis Jesu haben. (12.17) Diese Aussage aus dem vorangehenden Kapitel wird nun in 13.7 mit einer traurigen. fatalistischen Ergänzung vervollständigt. Das Tier setzt tatsächlich den Krieg des Drachens fon und besiegt die Christen. Obwohl seine Macht zeitlich begrenzt ist. wirkt sie äusserst effizient und aktiv. Mit der passiven Form EIi09-q erreicht die Vision den Höhepunkt der Tragik: Gott gibt dem Tier die Macht. die Heiligen tatsächlich zu besiegen. Und wenn Gon selbst. der unbestrittene Weltenherrscher. hinter diesem Plan steht. gibt es für die Christen keine Renungschance vor dem Tier. Mit der letzten Aussage dieser Szene wird der Geltungsbereich der Macht des Tieres definien: Es herrscht über alle Stämme und Völker und Sprachen und Nationen; es hält die gesamte Erde unter Kontrolle. 50 Folglich können sich die Christen nirgends in Sicherheit bringen. Die Tragik dieser Verse betrim nicht nur die beschriebenen Ereignisse. sondern sie geht direkt in die theologische Auffassung über. auf der das Werlt beruht. Wie ist es möglich. dass Gon eine (wenn auch befristete) Vemichtung seiner Treuen zulässt? Die Opfer des Tieres haben keine Möglichkeit. auf das Ablaufen der Frist zu wanen. Warum müssen sie unter der Macht des blasphemischen Tieres leiden?
6.5 Die Anbeter des Tieres
Die Macht des siebenköpfigen Tieres erstreckt sich über alle Stämme. Völker. Sprachen und Nationen. Nicht alle Menschen. die von dieser Formulierung umfasst sind. unterwerfen sich jedoch dieser überall vorhandenen Macht. Eine Auswahl aus der gesamten Erde weigen sich. Es sind die Christen. die Gott treu sind und deswegen vom Tier bekämpft werden. Um jede Verwechslung mit den Bewunderern des Tieres zu vermeiden. wurden diese Menschen in V.6 «Bewohner des HinunelslO genannt. Vor diesem Hintergrund wird klar. warum die Bewunderer des Tieres in V.8 als «alle. die auf der Erde wohnen» bezeichnet werden. Die Erde bezeichnet nicht den Lebensraum aller Menschen. sondern steht hier als Gegensatz zum Himmel. dem (symbolischen) Ort der Nähe zwischen Gott und Christen. «Alle Bewohner der Erde.. meint somit genau: alle Menschen ausser der Auswahl der Gottestreuen. ~o
Die fonnulierung im
ndaall 4Iu),qll Kot ),0011 Kat y),waooll Kat levoS'
kommt nicht
zum e ..tcn Mal vor. Wir kennen sie in leicht variierter Fonn bereits aus 5.9 und 7.9. S. auch 11.9; t4.6 und 17.t5.
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Ausgewählte Visionen
Die Bewohner der Erde stehen im Zentrum der letzten Szene der Vision von Offb 13,1-10. Sie werden nun als Anbeter beschrieben. Das Objekt dieser Verehrung ist mit alJT()v wiedergegeben. Das Pronomen nimmt von seiner syntaktischen Funktion her das Subjekt des vorangehenden Satzes, das Tier, auf; morphologisch ist es jedoch ein Maskulinum, muss sich auf den Drachen beziehen. 31 Diese Inkongruenz ist inhaltlich sehr wirksam, verdichtet das, was der Leser schon in V.4 erfahren hat: Die Bewunderer des Tieres sind die Anbeter des Drachens. Das Verehren des Tieres ist Anbetung des Blasphemischen. Die ganze Erde verleiht dem mächtigen Ungeheuer eine Ehre, die ihm gar nicht zusteht, denn sie beruht auf Betrug. Die Namen des Tieres sind zu Unrecht angeeignete Bezeichnungen, seine Handlungen vernichten, sein grosses Reden erweist sich als Lästerung. Am Ende von V.8 wird noch einmal ausdriicklich betont, dass sich nicht alle der Anbetung des Tieres anschliessen, sondern nur diejenigen, deren Namen nicht im Lebensbuch des geschlachteten Lammes geschrieben stehen. Te. ßlßXlOV Tij, t;wij> kommt an verschiedenen Stellen in der Offenbarung vor. S2 Die Vorstellung eines Buches mit den Namen der Heiligen und Getreuen geht auf das AT zwiick. SJ Das Motiv des Lebensbuches steht in Verbindung mit Gerichtsvorstellungen: Dieser Aspekt geht deutlich aus Offb 20,12 hervor: Und ich sah die Toten, die Grossen und die Kleinen. vor dem Thron stehen. Und Bücher wurden geöffnet. und ein anderes Buch wurde geöffnet. welches das Buch des Lebens ist. und die Toten wurden gerichtet gemäss dem. was in den Büchern geschrieben war. nach ihren Werken. Eine weitere Stelle. Offb 3.5. trägt zum Verständnis des Lebensbuchmotives bei: Der Sieger wird so mit weissen Gewändern umhüllt werden. und ich werde seinen Namen aus dem Buch des Lebens nicht auslöschen. und ich werde seinen Namen vor meinem Vater und vor seinen Engeln bekennen. Die christologische Gestalt, welche die Mitteilungen diktiert. verspricht. sich zu den Namen im Buch vor Gott und seinen Engeln zu bekennen. Wiederum
steht die Vorstellung des Gerichtes im Hintergrund. Eine weitere Beobachtung ist sehr wertvoll in bezug auf 13,8: Die Namen werden nicht in das Lebensbuch eingetragen, sondern getilgt. Es ist deshalb anzunehmen. dass die Namen von
'I Vgl. Kraft. Offenbarung >2
177.
In 13.8: 17.8: 20.12 und 21.27. Vgl. auch 3.5 und 20.15: an diesen zwei Stellen sieht iJ
P(j!Aos T~> ''''~>.
" S. SchreBk. ThWNT 1618f. Für das Vorkommen dieses Motives in der rabbinischen und pseudoepigraphischen Literatur s. StrackIBilierbeck U 169.
Offb 13.1-10: Ein Tier aus dem Meer
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Anfang an im Buch geschrieben slehen. ln 13.8 wird dieser Zeitpwtkt präzisiert: die Namen erscbeinen im Buch seit der Erschaffung der Welt. Wenn die Namen der Bewohner der Erde. die das Tier bewundern. nicht mehr im Lebensbuch erscheinen. heisst es. dass sie gestrichen wurden. Ihr Handeln und Bekenntnis zu den vernichlenden Mächlen ist mit dem Leben unvereinbar.
Exkurs ill: EeOUo{a und ihre Spannung in der Apokalypse Die Bewohner der Erde verehren das Tier und den Drachen. Ihr mächtiges Auftreten bestaunen sie. Die Atuibule des Tieres. welche auf Macht hinweisen. sind in 13.1-10 zahlreich; darunler ragen Hörner und Diademe hervor. Die dreifache Übergabe des Drachens ans Tier spitzt den Machtaspekt zu: Es verfügt nun über seine Kraft. seinen Thron und grosse Macht. Der letzIe Begriff. EeOUo{a. bildet den Kern der Identität des siebenköpfigen Monsters. Grosse Macht wurde ihm gegeben. diese Macht übt es dann aus. Sie wird im Reden und im Tun konkretisiert und erweist sich als Betrug und Vernichtung. Der negative Bedeutungsgehalt von EeOuola in der erslen Vision von Offb 13 kann nicht übersehen werden. ln den meisten Belegen dieses Wones so innerhalb der Apokalypse kommt die negative Kennzeichnung deutlich zum Vorschein. Oft beschreibt EeOUola das Vermögen. Menschen oder Teile der Erde zu schädigen. Dieser Aspekt. dem wir in Offb 9 zum ersten Mal begegnet sind. kommt in verschiedenen Kontexlen vor. Subjekte. welche über diese vemichlenden Macht verfügen. sind der Reiler eines grünen Pferdes. der Tod gefolgt von der TOlenwelt (Offb 6). verschiedene Ungeheuer wie die Heuschrecken und die Rosse von Offb 9. beide Tiere von Offb 13. ein Engel in 14.18 und ein weiteres. vom Himmel herabsteigendes Engelwesen in 18.1. Nach 20.6 kann der endgültige Tod Macht haben. Auch unter den GestalIen auf der Seile GotleS gibt es einige. denen die Fähigkeit zu zerstören gegeben wurde: Die zwei Zeugen von Offb II können die Erde so lange sie wollen mit allerlei Plagen schlagen.~~ Nach 16.9 übt sogar Gott selbst diese An von Macht gegen die Menschen aus. welche das Malzeichen des Tieres tragen: Und die Menschen verbrannlen in einer grossen Glut. und sie lästerten den Namen Gottes. der die Macht ('~oua(av) über diese Plagen hat. und sie kehrten nicht um. um ihm Ehre zu geben. Egal auf welcher Seile und mit welchem Ziel: Stets ist EeOUo{a eng mit Vernichtung. Zerstörung und Tod verknüpft. Wesentlich zum Verständnis dieses Begriffes ist der On. wo die EeOUo{a fassbar wird: Unabhängig vom handelnden , •• E~ouo(a komml 20maJ vor. " S. 11.6.
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Ausgewählle Visionen
Subjekt wird die ~~oucrla immer auf der Erde entfaltet. Aufgrund von 17.12f können die Leser den Geltungsbereich dieser vernichtenden Gewalt noch präziser orten. Danach steht E~ouo{a in Verbindung mit der Macht der Könige. gehön zur Sphäre des Regierens. des Politischen. Sie ist die abstraktere. umfassendere Form von Macht auf der Erde.56 Nach Offb 13 erstreckt sich die E~oucrla sogar in die religiöse Sphäre: Einerseits spricht der Träger der Macht Blasphemien aus. andererseits reagieren darauf die Bewohner der Erde mit Anbetung. mit einer typischen Handlung religiöser Verehrung.~7 Diesen zutiefst negativen Darstellungen von Macht sind wenige Belege gegenüberzustellen. in denen dem gleichen Begriff eine andere Qua1itäl verliehen wird. 5I In einem Hymnus in Offb 12.10 erscheint E~ouo(a als letztes. zusammenfassendes Glied einer Auflistung: Jetzl ist das Heil (i! OW1'1)p\a) angebrochen und die Kraft (i! 6Uvall'S') und das Reich unseres Gones (i! lIaav.T('E\. 'JI'" M. C. P. 046. 1006. 1611. 20S3 und andere lassen einmal d5' alx ....aAwo(a" aus. 61 S. Schweizer. MQ/thilw 324 . .. S. Berger. Formg..chichu 176r. ., VgI. Pelraglio. Obj~zjoM 364r. Kraft. Off~nbarung 177f enlscheidet sich aus inhallliehen Gründen nach einer sorgfliIligen Erwäpn& der verschiedenen VIliIllllCll flIr diese LesIn. m~nl4ry
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Offb 13,1-10: Ein Tier aus dem Meer
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"OOOl EI, aaVaTOV, EI, aaVaTOV· Ka\ OaOl EI, lIaxalpaV, d, lIaxalpaV· Ka\ 0a0l EI, Xlll6v. EI, Xlll6v· Ka\ OaOl El, alXllaXwaiav, EI, alXllaXwa{aV."
Wer des Pesttodes ist, zum Pesttod, wer des Schwertes ist, zum Schwen, wer des Hungers ist, zum Hunger, wer der Gefangenschaft ist, zur Gefangenschaft!"
Im Kontext von Offb 13 gewinnt dieser Unheilsspruch eine neue Bedeutung. Es geht nicht mehr um die Strafe GOlles wegen der Untreue seines Volkes; Gefangenschaft und Tod stellen nun die greifbaren Auswirkungen der Macht des Tieres auf die GOllestreuen dar. Der Verfasser von Offb 13 ventill eine deutliche, pessimistische Linie: Die Macht des Tieres erstreckt sich auf die ganze Erde, ist für zweiundvierzig Monate unbesiegbar, und deshalb ist es gar nicht möglich, dem Tod und der Gefangenschaft zu entgehen. Diese zweite Lesart passt inhaltlich besser in den Kontext von Offb 13 und überhaupt in die Offenbarung als ganze. 68 Der Schlusssatz in V.lO bestätigt meiner Meinung nach diese Wahl. Unter solchen Umständen gibt es keinen Ausweg. Was bleibt, ist einzig das Ausharren. Das Vorkommen von iJT1ol'ov~ erlaubt uns, einen Bogen zurück zu Offb I ,9--1 2a zu schlagen. Don kam das Thema des Enragens in der Spannung zwischen der Bedrängnis (9AlljllS"1 und der Gottesherrschaft (ßaolAEtal vor: UT10I'OV~ ist die Dimension, welche den Christen erlaubt, gleichzeitig das Leiden und das Anbrechen des Gottesreiches zu erleben.69 Diese Deutung von UT10I'OV~ wird nun in 13,10 bestätigt und vertieft. Die Bedrängnis geht von der Tatsache aus, dass das Tier die Heiligen besiegt hat, und dies wird wiederum im Spruch von V.lOab konkretisien. Aber trotz Tod und Gefangenschaft bleibt die Gewissheit, dass die Christen immer noch im Buch des Lebens eingetragen sind: Ihre Beziehung zu Gott und seine Zuwendung werden von den schwierigen Lebensumständen unter dem Drachen und dem Tier nicht beeinträchtigt. Das Venrauen der leidenden Christen zu GOII und seinem Lanun und, von deren Seite her, eine liebevolle, zarte Zuwendung in der
•• LXX . • 7 Übersetzung von M. Buber. •• Wie Kraft, ibid., betont, kann die Abwägung der verschiedenen Lesarten von V.lOab nicht aufgrund innerer textkritischer Argumente durchgefilhn werden, da die Situation so heikel aussieht. Die meisten Kommentatoren unterstützen die zweite Variante. Vgl. z.B. Lohmeyer, Offenbarung 110; Lohse, Offenbarung 77; Perraglio, ibid.; Prigent, Apocalypse 207; Roloff,
Offenbarung 138 . •• S. 1 3.2.
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Ausgewählte Visionen
Gegenwart und in der Zukunft gewinnen im Kontext von Offb 13 eine stärkere Intensität. Offb 13.9f hebt das Thema des Leidens. des Ausharrens und des vertrauensvollen Glaubens der Christen hervor. Die Formel in V.9 unterbricht die visionäre Erzählung der vorangehenden Verse. Die Heiligen werden direkt in ihrer schwierigen Lebenssituation angesprochen. Aus der Vision erfährt der Leser der Apokalypse. dass das Leiden der Christen vom Tier verursacht wird; in V.IO wird diese Bedrängnis präzisiert: Es geht um Gefangenschaft und Tod. Daraus entsteht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Tier. Tod und Gefangenschaft. Mit anderen Worten fordert 13.9-10 auf. das vorangehende Bild (1-8) zu dechiffrieren. 7o 6.7 Zusammenfassung Offb 13.1-10 fokussiert ein mächtiges Tier. Sein Herkunftsort. das Meer und seine Attribute. zehn Hörner. sieben Häupter. zehn Diademe und lästerliche Namen kündigen bereits zu Beginn seine Zugehörigkeit zu den bösen Kräften. die unter der Herrschaft des Verderbers oder Drachens stehen. an. Von ihm bekommt das gefährliche Unwesen seine Kraft. seinen Thron und grosse Macht. Damit wird die Machtposition des Tieres enorm gefestigt. Aus seiner Stellung heraus spricht es Grosses und Blasphemisches und Ubt seine Macht aus. Die ganze Erde. alle Völker und Nationen sind nun der Macht des Monsters unterworfen. Die Stärke der Gewalt dieses Tieres wird auch in der Reaktion der Bewohner der Erde sichtbar: Mit grossern Staunen folgen sie dem Tier. beten es an. Dabei bekennen sich diese Menschen zu seiner bösen. auf Zerstörung und Lästerung hinzielenden Identität. Nicht alle Menschen schliessen sich der religiösen Verehrung des Tieres an. Der mit negativen Konnotationen verbundenen Bezeichnung .. Bewohner der Erde» steht die Kennzeichnung der Christen als _Bewohner des Himmels» gegenUber. Ihn: Beziehung zum lebendigen Gott und dem Lamm und ihre vertrauensvolle Zuwendung zum Leben bleibt auch unter der Macht des Tieres fest. Die Unterdrückung durch das siebenköpfige Untier ist sehr hart. denn ihm wurde gegeben. die Menschen. welche auf der Seite Gottes und des l..anunes stehen. zu besiegen. In der Abschlussszene der Perikope wird die Vision unterbrochen. Mit einer recht fatalistischen Aussage werden die Christen aufgefordert. die Schwierigkeiten und das Leiden ihrer Geschichte zu ertragen. Wer von Tod und Gefangenschaft bedroht ist. wird diesen Gefahren nicht entkommen. denn die Macht des
70 Mit der Entschlüsselung dieser Wane und den damil verbundenen Fragestellungen waden wir uns im folgenden Teil der vorliegenden Untersuchung befassen.
Offb 13.1-10: Ein Tier aus dem Meer
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Tieres ist zwar zuvor auf eine relativ kurze. abgegrenzte Zeit beschränkt worden. aber sie ist stark: und absolut. In Offb 13. I -10 spielen Kontrast. Parallele und Paradoxie eine zentrale Rolle: Die Christen bekennen sich zum zugleich geschlachteten und lebendigen Lamm. Ihr Vertrauen auf sein Versprechen fuhrt diese Spannung zwischen Tod und Leben in ihre eigene Existenz ein: Während sie vom Tier sogar mit dem Tod geschlagen werden. stehen ihre Namen fest im Buch des Lebens. Auch das Tier wird mit solchen Stilfiguren beschrieben. Es selbst ttägt wie das Lanun Hörner. Wie das Lamm ist es geschlachtet worden. und geheilt lebt es nun. Wie das Lamm (und Gott) verfügt es über einen mächtigen Thron. über Kraft und Macht. Sogar die Preiswone der Bewohner der Erde erinnern an die Lobpreise für das Lamm. und der Bereich seines Einflusses wird mit der gleichen Formulierung wiedergegeben: Völker. Nationen. Sprachen und Stämme. Diese Parallelen zwischen dem Tier und dem Lamm wirken parodistisch: Das Tier tritt so auf. als ob es das Lamm wäre. Diese evidenten und im Text sorgfliltig hervorgehobenen Ähnlichkeiten können jedoch auch anders angesehen werden. Sie bringen nämlich die Schwierigkeit zum Ausdruck. zwischen Lamm und Tier zu unterscheiden. Seide weisen gleiche Züge auf. sind mächtig. wurden inthronisien. Von der Erde aus gesehen besteht die Möglichkeit einer verhängnisvollen Verwechslung. Offb 13.1-10 schafft Klarheit: Es wird deutlich dargelegt. wie unterschiedlich - trotzt aller Ähnlichkeiten - diese zwei Tiere sind. Die Macht des Lammes ist zan. sie besteht und zielt auf Lebendigkeit hin. Die Macht des Tieres ist hingegen arrogant. mit der Macht wilder Tiere vergleichbar. Sein Ziel ist eindeutig. es geht um Lästerung. Unterdrückung und Vernichtung. Offb 13.1-10 vermittelt den Eindruck. die Welt und die Mächte. denen sie ausgeliefen ist. seien perfekt synunetrisch: Gott. das Lamm und die ihnen treuen Menschen auf der einen Seite. auf der anderen der Vemichter. das Tier und ihre Anbeter. Immer wieder liegen jedoch Signale vor. welche die Symmetrie in eine hierarchische Ordnung umwandeln: Die Macht Gottes ist am stärksten. sie beherrscht jedes Ereignis und sogar die bösen Kräfte.
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Ausgewählte Visionen
70ffb 17.3-18: Babyion. eine Hure. eine Stadt Die Reise von Johannes. dem Seher, wird fongeführt. Nach Oflb 1,9-12a verliess er am Herrentag die Insel Patmos, um eine Welt von Visionen zu entdecken. Nach Offb 4,1 ging er durch eine Tür, die ihm den Zugang zum Hinunel eröffnete. Aus dieser himmlischen Lage sah Johannes viele Gestalten, Handlungen. Kontraste. Gon. sein Lamm und ihnen !reUe Menschen sind ihm in den für diese Untersuchung ausgewählten Visionen begegnet. Andererseits erschienen ihm fast spiegelbildlich zerstörerische Kräfte, zum Beispiel in der Gestalt von Heuschrecken, ihrem König. dem Vernichter und einem Tier aus dem Meer. Auch an der Seite dieser Gestalten stehen Menschen, die Johannes den Adressaten seiner Schrift genau beschreibt. Nun wird der Seher in eine neue Dimension versetzt: Einer der sieben Engel rnit den Schalen trägt den Seher in die WUste fon. I In diesem neuen Gebiet erlebt er ein besonderes visionäres Geschehen: Eine personiflZiene Stadt, Babyion, die grosse Hure, wird ihm gezeigt. Die Schilderung des Johannes beschränkt sich nicht auf Aussehen und Tun der Frau; auch ihre Beziehungen zu den vernichtenden Kräften werden in allen Einzelheiten vorgeführt.
Und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das voller Namen der Lästerung war und sieben Häupter und zehn Hörner hatte. 4 Und die Frau war in Purpur und Scharlach gehOllt und vergoldet mit Gold und Edelstein und Perlen; sie hielt einen goldenen Kelch in ihrer Hand, der voll mit Greueln und den Unreinheiten ihrer Hurerei war. 5 Und auf ihrer Stirn stand ein Name geschrieben, ein Geheimnis. «Baby Ion, die Grosse, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde •. 6 Und ich sah die Frau sich vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu betrinken. Und ich wundene mich über dieses grosse Wunder, als ich diese sah. 7 Und der Engel sagte mir: .Warum wunderst du dich? Ich werde dir das Geheimnis der Frau und des Tieres sagen, das sie trägt, das sieben Häupter und zehn Hörner hat. 8 Das Tier, das du gesehen hast. war und ist nicht und wird aufsteigen aus dem Abgrund und geht zur Vernichtung hin. I Dazu s. die detaillierte Beschn:ibung aller Etappen von Johannes Reise in I 1.3. Für die Rolle des Oeistes in den Onswechseln s. I 3.3.
Oflb 17,3-18: Babyion, eine Hure, eine Stadt
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Und die Bewohner der Erde, deren Name im Lebensbuch seit dem Anfang der Welt nicht geschrieben ist, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, denn es war und ist nicht und wird anwesend sein. 9 Hier wird die Vernunft verlangt, die Weisheit hat. Die sieben Häupter sind sieben Berge, auf welchen die Frau sitzt. und sie sind sieben Könige: fünf sind gefallen, der eine ist da, der andere ist noch nicht gekommen, und wenn er kommt, muss er nur kurz bleiben. 11 Und das Tier, das war und nicht ist. ist selber der achte und einer der sieben, und geht zur Vernichtung hin. 12 Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, sind zehn Könige, welche noch keine Herrschaft empfangen haben; sie werden aber Macht wie Könige für eine Stunde mit dem Tier empfangen. 13 Diese haben eine einzige Absicht und haben dem Tier ihre Kraft und Macht zur Verfügung gestellt. 14 Diese werden gegen das Lamm Krieg führen und das Lamm wird sie besiegen - denn es ist Herr der Herren und König der Könige - und mit ihm die Berufenen und Auserwählten und Treuen». 15 Und er sagt mir: «Die Wasser, die du gesehen hast, wo die Hure sitzt. sind Völker und Scharen und Nationen und Sprachen. 16 Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier - diese werden die Hure hassen und sie wüst und nackt machen und ihr Aeisch fressen und sie mit Feuer verbrennen. 17 GOII hat ihnen nämlich in ihre Herzen gegeben, seine Absicht auszuführen - (und) eine einzige Absicht auszuführen - und ihre Herrschaft dem Tier zu geben, bis die Worte Golles vollendet sein werden. 18 Und die Frau, die du gesehen hast, ist die grosse Stadt, die die Herrschaft über die Könige der Erde hat».
7.1 Aufbau Das Vorkommen von Ka\ .t6ov in 17,3 und 18,1 grenzt den ausgewählten Text deutlich ab. Die Vision von Babyion besteht somit nach der vorgenommenen Textgliederung aus zwei Teilen (17,3-5 und 17,6--18), die hier gemeinsam analysiert werden. Für die innere Unterteilung der Perikope wurde das Vorkommen verschiedener Formen der gleichen Wurzel verwendet, denn sie heben den Anfang inhaltlich sinnvoller und abgeschlossener Abschnille hervor. Schon beim ersten Lesen von Offb 17 fällt eine inhaltliche und fonna1e Dreiteilung des Textes auf: Die eigentliche Vision (V.3b--6a) wird durch einen kurzen Austausch zwischen Johannes und dem Engel unterbrochen (V.6bO; eine längere Deutung des Gesehenen schliesst dann die Texteinheit ab (V.8-18).
Ausgewählte Visionen
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Die Belege von Kat €\6ov in V.3 und 6 unterstreichen ein schilderndes und ein eher dynamisches Moment' innerhalb der Vision. während das Panizip t6wv die Reaktion des Johannes und des Engels einführt. Im dritten. deutenden Teil kann man aufgrund der Wiederholung von €\6€, fünf Unterabschnitte unterscheiden. Im Überhlick sieht die beschriebene Gliederung von 17,3-18 wie folgt aus: V.3b----6a
Vision einer Frau
3b---5 6a
BabyIons Züge BabyIons Handlung
V.6b---7
Reaktion des Johannes und Worte des Engels
V.8-18
Deutende Rede V.8-11 V.12-14 V.15 V.I6--17 V.18
Das Tier und die sieben Häupter Die zehn Hörner Die Wasser Beziehung zur Frau Die Frau
(Kat €\6ov) (Kat €\6ov)
(,6wv)
(€\6€,) (€\6€,) (€\6€,) (€\6€,) (€\6€,)
7.2 BabyIon Um Johannes die Zerstörung der grossen Hure zu zeigen. bringt ihn ein Engel vom Himmel in die Wüste. Damit verlässt der Seher die Dimension des Göttlichen und kehrt wieder auf die Erde zurück. Die Wüste. epTJl!o,. bezeichnet einen menschenleeren Raum. einen Ort der Verlassenheit. 3 In Offb 12.6.14 erscheint epTJI!OS" als ein Zufluchtsort. eine provisorische Stätte für eine bedrängte Frau: Ihr spendet Gott Geborgenheit und Nahrung für eine begrenzte Zeit. Paradoxerweise findet die bedrohte Himmelsfrau gerade an diesem verlassenen Ort, wo kein Leben sich entwickeln kann. eine Möglichkeit zum Überleben.-
1 Die Eigenschaften und Handlungen der Frau in 17,3b-6 werden hauptsächlich mit Panizipialformen ausgedrückt. Dabei schildern die Verbfonnen in 3b-5 eher den Zustand der Frau. die lohannes sieht, während das Pan. Präs. ~E9uouoav. eine Handlung umschreibt. die ersl dann geschiehl, wenn lohannes hinschaut. D82U Delebecque, RThom. 88, 463: .Dans les exemples qui viennent, au contraire, o~ le panicipe est au present, et compl~tif, le panicipe montre I'objct cn train d'accomplir un acle. Apres la mention de son ~tal. la chose ou )'ette vu est montR agissanl; iI prend vie devant nos yeux comme devant les yeux de Jean~. 3 S. Kiuel, ThWNT 11 654f. • In diesem Zusammenhang kann ein Vergleich mit Weish 10.11 aufschlussreich sein. In den genannten Kapiteln wird die Befreiung des Volkes Goues aus Ägypten nacherzJihlt. In 11,2-8 kommt das Motiv der Wüste vor. Zuerst wird sie als unbewohnter und unfreundlicher
Offb 17.3-18: Babyion. eine Hure. eine Stadt
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Johannes wird von seinem neuen Standpunkt aus eine Frau und deren Verwüstung wahrnehmen und seinen Adressaten beschreiben. Angesichts dieser Aufgabe scheint ihm die Wüste. so wie bei der bedrohten Hinunelsfrau. eine gewisse Sicherheit vor der sich vollziehenden Katastrophe der grossen Hure zu gewähren. 1 Darüber hinaus nimmt lp'll'os das Schicksal der personifIZierten Stadt symbolisch voraus. denn sie wird unmittelbar danach dem Boden gleichgemacht und verwüstet werden. 6 7.2. J Eine in rot gekleidete Frau In V.3lr--5 wird Babyion als eine Frau vorgestellt. die auf einem scbarlachroten Tier sitzt. das voller Lästernamen ist und sieben Häupter und zehn Hörner hat. Diese Eigenschaften erinnern sowohl an das Tier von Offb 13.1-10 als auch an den Drachen von Offb 12.3: Beide weisen sieben Köpfe und zehn Hörner auf. hingegen wird nur die alte Schlange als feuerrot bezeichnet. 7 Trotz dieser (wahrscheinlich durchaus gewollten) Unschärfe deklarieren diese Attribute die satanische Zugehörigkeit dieses Wesens unverkennbar. Das Sitzen der Frau auf einem solchen Tier bringt ihre Verbundenheit mit den zerstörerischen Kräften zum Ausdruck und lässt ihre Machtposition durchscheinen.· Die Verwandtschaft zwischen der Frau und dem Tier wird zusätzlich durch die rote Farbe ihrer Bekleidung betont: Sie ist in teure Purpur- und Scharlachgewänder gehüllt. Beide Stoffe werden in einer Liste kostbarer Güter. die einst in der reichen Stadt verkauft wurden. in 18.12f aufgeführt. Die edlen Purpur- und Scharlachgewänder wurden in der Antike von Königen und Mächtigen getragen. bezeugen Reichtum und Glanz. 9 Ausserdern stellt die Frau ihre Pracht mit ihrem Schmuck zur Schau: Dieser besteht aus weiteren Kostbarkeiten aus der erwähnten Liste: Gold. Edelsteine und Perlen bedecken sie. Sprachlich wird der Prunk der Frau mit Stilmitteln unterstrichen: Der pleonastische Ausdruck KEXPUOWI'{V'l Xpuoiq> wird unminelbar mit einem Zeugma fangesetzt. On dargestellI (V.21). dann aber als On. an dem das Volk alles findel. was es zum Überleben nÖlig halo Gonlässl das W.... r aus dem Fels herausmesscn. , Auch die Bewohner Babyions beuachlCn den Brand ihrer gelieblen Sladl aus sicherer Enl· fernung ( 18.91). • S. 18,17.19. 7 Die Identifizierung des Tieres von V.3 mil dem Drachen kann zur Klärung von yl~oV"Ta und l xwv beilnIgen. Die Maskulina könnlen als diIdac Aufnahme von 8pci.wv verstanden werden. Unklar bleibt jedoch der synlllktiscbe Bruch durch den Nominativ lxwv • Dazu vgl. die Ausführungen über .cieq~a\ in der Oflb in 11 2.4.2. • S. Charles, Rn-t/QI;on 11 64: Lohmeyer, OJftnbanurg 138: Prigenl, Apocalypst 258. Die BedeUlung von Purpur und Scharlach im darnaligen Umfeld komml in der Passionsgeschichle deullich zum Ausdruck. In der Verspollungsszcne bekleiden die Soldalen Jesus mil einem kön.glicben Gewand und selZCn ihm eine Dornenkrone auf das Haupt und sprechen ihn als _König der Juden» an. In der markiniscben und in der johanneiscben Fassung iSI von Purpur die Rede. während nach MI das Gewand scharlachrol iSI (s. Mk 15,17; Joh 19,2; MI 27,28).
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Ausgewählte Visionen
In dieser ersten Skizzierung der in rot gekleideten Frau fallen verschiedene Anspielungen an das Aussehen des Thrones Gottes in Offb 4 auf: Auch in jener Vision spielten rote Farbtöne und zahlreiche Edelsteine eine erstrangige Rolle; sogar die KörpersteIlung Gottes und der Frau sind identisch. beide werden sitzend vorgestellt. Die Frau weist königliche. mächtige Züge auf. welche durchaus mit denjenigen des Weltenherrschers vergleichbar sind. Der goldene Kelch der Frau ist mit den Ergebnissen ihrer Handlungen gefiillt: Greuel und Unreinheiten. Die kostbare Schale und ihr Inhalt illustrieren die Beziehung zwischen dem edlen Aussehen dieser Frauengestalt und ihrem Tun. Reichtum und Greuel werden in einem einzigem Objekt. dem Kelch. vereint. nonlplOv ist in der Apokalypse stets ein unheimlicher Becher. der mit Greuel und Zorn lo verbunden ist. In 16.19 steht Tlonlplov als Bild für die bevorstehende Bestrafung Babyions durch Gott: (... ) und Babyion. die grosse. wurde in Erinnerung gerufen vor Gott. um ihr den Becher (TI> TlOTT1P'ov) des Zomweins seines Grimms zu geben. Nach 18.6.7a dient der Kelch als Mass für diese Strafe: Gebt ihr zurück. so wie sie zurückgab. und verdoppelt das Doppelte gemäss ihren Werken. schenkt ihr doppelt in den Becher. in den sie eingeschenkt haI. Gebt ihr Qual und Leid genau in dem Masse. wie sie sich rühmte und ihr üppiges Leben fühMe. Wiederum steht die Verbindung des Reichtums dieser mächtigen Frau mit dem von ihr verursachten Leiden im Mittelpunkt. Die Frau. die auf dem roten Tier sitzt. trägt einen Namen. der das bisher Gesagte zuspitzt. Obwohl er ihr auf der Stirn geschrieben steht. wird er als ein Geheimnis gekennzeichnet. Um so mehr überrascht die unmittelbare Offenbarung seines Wortlautes. sie wirkt paradox. Einige Ausleger betrachten dieses Geheimnis als Vorwegnahme der Deutung in 17.8-18. 11 Ein Geheimnis könnte aber
Vgl. Oftb 14.10; 16.19; 18.6. " S. z.B. Charles. Revelation U 12; Lohmeyer. Offenbarung 138. MUOT~P'OV wird in 5lammUng dieses Ausdruckes in der all. Tradition . ., KA~T6~ komml in Röm 1.1 und IKor 1.1 als Selbslbezeichung von Paulus vor. in Röm 1.6rund IKor 1.2.24 als Bezeichnung der Chrislen. ·E.A.ICT~ wird Rufus in Röm 16.13 ge-
nannt.
Offb 17,3-18: Babyion, eine Hure, eine Stadt
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die zwar mächtige und fürchterliche Gefahr der zerstörerischen Kräfte als tatsächlich beschränkt.
7.4.3 Die Wasser V.15 nimmt ein Element auf, das nicht in der Vision der Frau in V.3--{) vorkommt, sondern in der einfiihrenden Rede des Engels in 17,1 f. Er verspricht dem Johannes, ihm die Frau zu zeigen, und rechtfenigt damit die Verlegung in die Wüste: «Auf! Ich werde dir das Gericht über die grosse Hure zeigen, die an vielen Wassern sitzt. Mit ihr haben die Könige der Erde gehurt, und die Bewohner der Erde haben sich vom Wein ihrer Hurerei betrunken». Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Die Wasser, an denen sie sitzt, sind Völker, Scharen, Nationen und Sprachen. Diese Wendung, der wir mehrmals begegnet sind, bezeichnet den Geltungsbereich der Macht der Frau: Sie herrscht über die Bevölkerung der Erde. Eine leicht variierte Liste wurde in Offb 13,7 verwendet, um den Machtbereich des Tieres zu beschreiben; äImlich wurde die Gruppe der Treuen des Lanunes in 5,9 und 7,9 gefasst. 46
7.4.4 Die Vernichtung der Frau Nachdem alle wichtigen Elemente der Vision, das Tier mit seinen Köpfen, die zehn Hörner und die Wasser, gedeutet wurden, rücken nun die Beziehungen unter ihnen in den Mittelpunkt. Dieser Einblick dient der Enthüllung der tieferen Identität der Frau. In der Zukunft werden die Hörner und das Tier die Frau derart hassen, dass sie sie zerstören werden. Die Frau wird zur Wüste gemacht werden, nackt wird sie stehen, man wird ihr Aeisch fressen und sie mit Feuer niederbrennen. 47 Ihre Vemichtung, die in den folgenden Kapiteln eingehend geschildert wird, wird in V.l6 vorweggenommen. Die Vernichtung der Frau geschieht jedoch nicht durch die Engelscharen oder andere göttliche Gestalten, denn das Tier selbst, zusammen mit den zehn Hörnern-Königen, wird sich darum kümmern. Das Vernichtungspotential dieser Kräfte wird sich gegen sie selber wenden; sie werden sich als selbstzerstörerisch erweisen. In der einzigen Stunde, in der die zehn Könige mit dem Tier die Macht ergreifen werden, wird die Frau verwüstet werden. Das Gericht Babyions er•• Dazu vgl. noch Anm. 63 in 11 3.3.2; 11 4.2; 11 6.S. 47 Die Arten von Zerstörung hassen. verwüsten. entblössen, Aeisch fressen und niederbrennen - slammen aus dem AT. Nach Charles, Revelation n 62. slammen sie aus Ez 23.29 (hassen); Ez 23.26.29 (verwüsten und enlblössen); Ps 27.2; Mi 3.3; 2Kön 9.36 (Aeisch fressen); Ez 23.15 (niederbrennen). S. auch Ruiz. EuchieI360-364.
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scheint somit in neuem Licht: Nicht Gon selbst wird vernichtend eingreifen und die Frau mit Feuer niederbrennen; es sieht eher so aus, als ob die Zerstörung der Frau das Ergebnis interner Abrechnungen untern den satanischen Kräften wäre. In V .17 wird die Stellung Gones vor der bevorstehenden Katastrophe geklärt. Er hat aUes so vorgesehen und bewirkt, dass diese vernichtenden Kräfte eine einzige Meinung teilen; er hat vorgesehen, dass die zehn Hörner dem Tier ihre Macht geben mit den bekannten Folgen. Gon steht als ferner Regisseur hinter dem Ganzen, und die Geschichte entwickelt sich genau entsprechend seinen Plänen. Ein Ende wird der Zerstörung erst dann gesetzt, wenn die Worte Gones erfüllt sein werden. Die explizite Erwähnung Gones in V.l7 bestätigt die angenommene Bedeutung aUer Passivformen in den vorangehenden Visionen: Gott selber lenkt die negativen Mächte. 48 Noch einmal stellt sich, mindestens für heutige Leser und Leserinnen der Johannesapokalypse, eine theologisch schwerwiegende Frage: Wie kann Gon, der Inbegriff der Liebe, die Zerstörung seiner Feinde vorsehen und zuschauen, wie sich aUes planmässig vollzieht? Warum vermeidet er die Katastrophe nicht? Die Apokalypse vermag dieses Problem nicht zu lösen. Gon greift in die menschliche Geschichte ein, hält alles fest in seiner Hand. AJs Weltenherrscher ist er auch den vemichtenden Kräften überlegen, obwohl sie innerhalb des ihnen zustehenden, von Gon begrenzten Zeit- und Raumbereiches durchaus autonom handeln. Um eine dualistische Trennung zwischen den positiven und den negativen Kräften, welche die Welt lenken, zu vermeiden, werden in diesem theologischen Konzept beide Züge in den Gonesbegriff integriert.
7.4.5 Die Frau Die mächtige Frau, die zum emiedrigten, vernichteten Opfer werden wird, heisst Babyion. So wie ihr Name (und die ganze Motivgeschichte dahinter) schon vermuten Iiess, ist sie eine Stadt. Nicht aber irgendeine, sondern die grosse Stadt, die Stadt, welche Macht über die Könige der Erde hat. Sie sitzt (noch) in einer LeadersteIlung, fast in der gleichen Position wie das Lamm. das König aller Könige ist. Aber angesichts der in V.16f angekündigten und bevorstehenden Zerstörung wirkt die riesige Macht der Frau-Stadt anders, eher wie eine Parodie ihrer selbst.
7.5 Zusammenfassung Eine Frau, eine personifizierte Stadt, steht im Minelpunkt von Offb 17,3-18. Durch die verschiedenen Attribute der Hauptgestalt wird ihr Wesen detailliert charakterisiert. Die sitzende Stellung und die königliche Bekleidung betonen ihre Machtposition. Darüber hinaus erweisen sich die Purpur- und Scharlachgewän•• S. II S.2.3 und II 6.4.
Offb 17,3-18: Babyion, eine Hure, eine Sladt
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der als Zeichen von enormem Reichtum; der Schmuck aus Gold und Edelsteinen betont nochmals die Pracht der Frau-Stadt. Die Verbindung zur Zerstörung wird im Text erstmals durch das Kclchmotiv entfaltet: Das Gefäss ist mit Greuel und Hurerei gefüllt. Der Name der Frau pointien die Eigenschaften der Frau: Sie heisst Babyion, trägt also den Namen einer mächtigen Stadt; sie ist die Mutter aller Huren, der Inbegriff von Perversität, Verrat und Selbstzerstörung. Nicht nur die Beschreibung ihres Aussehens hebt die Ambiguität dieser Gestalt hervor. Auch ihre Beziehungen zu anderen wichtigen Wesen der Apokalypse führen zu ähnlichen Feststellungen. Als extrem ambivalent erscheint die Verbindung der Frau zum Tier: Einerseits sitzt sie auf ihm. beteiligt sich an seiner Macht und trin dadurch in enge Panncrschaft mit den zerstörerischen, bösen Kräften; andererseits wird das Tier selber, zusammen mit den zehn Hörnern, Babylon vernichten. Die Frau herrscht über Völker, Scharen, Nationen und Sprachen: ihre Beziehung zu den Bewohnern der Erde ist ebenfalls durch ihre Macht bestimmt. Zerstörung und Tod charakterisieren hingegen das Verhältnis zu den Christen: Die Frau ist von ihrem Blut betrunken. Obwohl sie nicht explizit genannt werden, liegen Hinweise auf Babyions Beziehung zu Gott vor: im Vergleich zu Offb 4 erscheinen Eigenschaften und Stellung der Hauptgestalt von Offb 17 als eine Parodie des einzigen Weltenherrschers. Diese Ähnlichkeit verstärkt den Eindruck von Babyions unverkennbarer Macht. Die Macht dieser Frau-Stadt betrim nicht nur ihr Aussehen. Aktiv übt sie ihre Gewalt aus, lässt sie auf alle Völker wirken. Die negativen Folgen davon müssen jedoch zuerst die Christen tragen. In einer späteren Zeit wird jedoch Babyion selbst Opfer der gewaltigen Macht werden, an der sie in der Gegenwan teilhat. Die Ambiguität der Gestalt wird auf formaler Ebene von der recht komplexen Struktur der ausgewählten Perikope unterstützt. Obwohl die eigentliche Vision mit einer deutenden Rede ergänzt wird, lässt sich ihre Bedeutung nicht in aller Klarheit erkennen. Eigentlich könnte die Vision für sich stehen: Sie vermittelt ein vollständiges Bild, das Leser und Lcserinnen einigermassen nachvollziehen können. Obwohl die Vision zahlreiche Anspielungen aus der alttestamentlichen und altorientalischen Welt enthält, wirkt sie in sich geschlossen. Als interpretationsbedürftig erweist sie sich erst nachträglich aufgrund des Staunens von Johannes. In den deutenden Wonen verrät der Engel die Möglichkeit anderer Interpretationen; jedem Bestandteil der Vision wird Mehrdeutigkeit zugesprochen. Bezeichnend ist, dass die Offenheit der Vision sogar in der folgenden Entschlüsselung nicht aufgelöst wird. In der Deutung werden die Adressaten vielmehr für weitere Sinnaspekte sensibilisien, ohne dass die Lösung preisgegeben wird. Wer mehr wissen will, soll selber zum Interpreten werden und mit Weisheit und Vernunft das Geheimnis aufdecken. Der Text liefen nur wenige AnhaItspunkte: das Tier, die sieben Häupter und die zehn Hörner sind Könige, die sieben Häupter sind auch Berge, die Wasser sind Völker und die Frau eine Stadt. In der thematischen und strukturellen Vielfalt von Oftb 17,3-18 übernimmt das Motiv der Hure eine erstrangige Rolle. Diese Gestalt wird zum Bild von Ver-
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rat, von der Gier nach Reichtum, von Grausamkeit und Gleichgültigkeit, von Zerstörung anderer und Selbstvemichtung und schliesslich zur Personifizierung einer bestimmten Sorte von Stadt. Das Bild der Prostituierten wird unter Einbezug traditioneller Motive auf mehreren Ebenen entfaltet. Auf der persönlichen Ebene ist Babyion eine Hure, eine Frau, die unfahig ist, sich an ein Liebesbündnis zu halten; ihre sexuellen Beziehungen dienen vor allem der Bereicherung. Auf der sozialen Ebene betont das Bild der Hure die Unfahigkeit, für die eigenen Kinder verantwortungsvoll zu sorgen; BabyIon kümmert sich um ihren Wohlstand; sie ist bereit, ihre Bewohner in den auf Selbstzerstörung hinzielenden Weg mitzureissen, von anderen - den Christen - trinkt sie das Blut. Politisch wird die Hure als Bild verwendet, um BabyIons Beziehungen zu den Königen der Erde zu illustrieren. Das Bild der Prostituierten spielt schliesslich auch im religiösen Bereich eine wesentliche Rolle: Hurerei ist im AT ein Ausdruck für Untreue gegenüber Jahwe, für die Zuwendung zu anderen Gottheiten. Das Bild der Hure erstreckt sich nicht nur auf diese vielen Sphären, sondern vermag unvereinbare Gegensätze in sich zu konzentrieren: Faszination und Zerstörung, Reichtum und Greueltaten, Wohlstand und Selbstvernichtung. Zum Schluss dieses Rückblickes auf Vision und Deutung Babyions sollen die verschiedenen Zeiten betrachtet werden. Die eigentliche Vision wird wie üblich in der Vergangenheit erzählt. Auch die Reaktion des Johannes auf das Gesehene wird als abgeschlossen und vergangen präsentiert. Erst der Engel äussert sich mit einer Futurform. In der Deutung werden die Elemente der vergangenen Vision das was Johannes gesehen hatte - mit der Zeitdimension der Adressaten in Verbindung gesetzt. Das Tier gehört paradoxerweise sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft; in der Gegenwart ist es nicht anwesend. Fünf der sieben Häupter-Könige sind vergangen, eins ist gegenwärtig und eins wird noch kommen. Auch die zehn Hörner-Könige gehören in ein futurisches Szenario. Hingegen wird die Stadt mit ihren sieben Bergen als eine aktuelle Grösse vorgestellt. Ihre Zerstörung durch das Tier steht hingegen noch bevor. Die Analyse der Zeiten ist ein wesentliches Indiz bei der Suche nach der Entschlüsselung des Geheimnisses von Offb 17; sie erlaubt sogar einem modemen Leser eine Unterscheidung zwischen Begebenheiten, die in die Zeit der Adressaten passen, und damaligen Zukunfts visionen.
Offb 21.1-22.5: Jerusalem. eine Braut. eine neue Stadt
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8 Oftb 21.1-22.5: JerusaIem. eine Braut. eine neue Stadt In der letzlen Vision der Offenbarung wird wiederum eine Stadt beschrieben. Obwohl sie in vielen Zügen Babyion gleicht. erscheint die Stadt aus dem Himmel, Jerusalern, als ihr Spiegelbild. I Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der erste Himmel und die erste Erde sind nämlicb vergangen. und das Meer gibt es nicbt mehr.
2 Und die heilige Stadt, das neue Jerusalern, sah ich aus dem Himmel von Gou herabsteigen. bereitet wie eine Braut, die rur ihren Mann geschmückt ist. 3 Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron. die sagte: .Siehe. die Wohnung GOUes mit den Menschen. und er wird mit ihnen wohnen. und sie werden seine Völker sein. und er .• der Gon mit ihnen •• wird ihr Gou sein.' 4 Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen. Und den Tod wird es nicht mehr geben. weder Trauer noch Geschrei noch Leid wird es geben. denn das Erste ist vergangen •. 5 Und der. welcher auf dem Thron sitzt. sagte: .Siehe. ich mache alles neu». Und er sagt: .Schreibe, denn diese Worte sind zuverlässig und wahrhaftig». 6 Und er sagte mir: .Sie sind geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega. der Anfang und das Ende. Ich werde dem Dürstenden aus der Quelle des Lebenswassers umsonst geben. 7 Wer siegt. wird dies erben. und ich werde ihm Gott sein. und er wird mir Sohn sein. S Den Feigen aber und Unzuverlässigen und Abscheulichen und Mördern und Unzüchtigen und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern - ihr Platz ist im See, der von Feuer und Schwefel brennt. das ist der zweite Tod •. 9 Und einer von den sieben Engeln. die die sieben Schalen hauen. welche mit den sieben letzten Plagen voll waren. kam und sprach mit mir und sagte: «Auf! Ich werde dir die Braut. die Frau des Lammes. zeigen.. 10 Und er brachte mich im Geist auf einen grossen und hohen Berg. und er zeigte mir die heilige Stadt, Jerusalem. die aus dem Himmel von Gou herabstieg. II Sie hat die Herrlichkeit Goues. ihr Glanz gleicht dem kostbarsten Stein. wie einem durchsichtig leuchtenden Jaspisstein. 12 Sie hat eine grosse und hohe Mauer. sie hat zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel und daraufgeschriebene Namen, die die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels sind. 13 Von Osten drei Tore und von Norden drei Tore und von Süden drei Tore und von Westen drei Tore. 14 Und die Mauer der Stadt hat I Oder: «und cr. Gon. wird bei ihnen sein •. Für die lextkritische Lage s. unlen Anm. 22. 11 8.3.2.
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Ausgewählte Visionen
zwölf Grundsleine und auf ihnen die zwölf Namen der zwölf AposIel des Lammes. 15 Und der Engel, der mil mir redeIe, halle einen goldenen Masssrab, um die Sladl und ihre Tore und ihre Mauer zu messen. 16 Und die Sradl iSI viereckig und ihre Länge iSI idenlisch mil ihrer Breile. Und er mass die Sradl mil dem Rohr auf zwölflausend Sradien: ihre Länge, Breile und Höhe sind idenlisch. 17 Und er mass ihre Mauer auf hundertvierundvierzig Ellen nach Menschenmass, das das Mass des Engels ist 18 Und der Unlerbau ihrer Mauer beslehl aus Jaspis und die Sladl aus reinem Gold, das reinem Glas gleich ist 19 Die Grundsleine der Sladlmauer sind mil jeder Art von koslbaren Sleinen geschmückt Der erSle Grundslein iSI ein Jaspis, der zweire ein Lapislazuli, der drine ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd', 20 der fünfle ein Sardonyx, der sechsIe ein Sarder, der sieble ein Chrysolylh, der achle ein Beryll, der neunIe ein Topas, der zehnIe ein Chrysopras, der elfle ein Hyazinlh, der zwölfle ein Amelhysl, 21 und die zwölf Tore sind zwölf Perlen. Jedes Tor besland aus einer einzigen Perle. Und die Strasse der Sradl beslehl aus reinem Gold, wie aus durchsichligem Glas. 22 Und einen Tempel sah ich nichl in ihr, denn der Herr, Goll der Allmächlige, iSI ihr Tempel und das Lamm. 23 Und die Sladl brauch I weder die Sonne noch den Mond, damil sie ihr leuchlen. denn die Herrlichkeil Gones erleuchlele sie und ihr Leuchler iSI das Lamm. 24 Und die Nalionen werden in ihrem Lichl wandeln und die Könige der Erde ihre Herrlichkeil in sie hineinbringen, 25 und lagsüber werden ihre Tore nichl geschlossen werden, denn Nachl wird es nichl mehr geben. 26 Und sie werden die Herrlichkeil und die Ehre der Nalionen in sie hineinbringen. 27 Und alles Unreine und wer Abscheuliches und Lüge IUI wird in sie nichl einIrelen, sondern nur diejenigen, welche im Lebensbuch des Lammes geschrieben slehen.
22,1 Und er zeigle mir einen wie Krisrall leuchlenden Fluss von Lebenswasser, der vom Thron Gones und des Lammes ausging. 2 In der Mille zwischen ihrer Slrasse und dem Fluss, von hier und von dort kommend, sland ein Holz des Lebens, das zwölf Früchle Iräg!, indem es jeden Monal seine Frucht hervorbringl, und die Bläner des Holzes dienen zur Heilung der Nalionen. 3 Und nichls Verfluchles wird es mehr geben. Und der Thron GOlles und des Lammes wird in ihr sein, und seine Knechle werden ihm dienen 4 und sie werden sein Angesichl sehen und sein Name wird auf ihren Slimen sein. 5 Und Nachl wird es nichl mehr geben, und sie brauchen weder das Lichl des Leuchlers noch das Lichl der Sonne, denn der Herr, GolI, wird über ihnen leuchlen, und sie werden in alle Ewigkeil herrschen.
, Oder Kristall. S. [[ 2.4.2.
Offb 21.1-22.5: Jerusalern. eine Braut. eine neue Stadt
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8.1 Aufbau Das zweimalige Vorkommen von .t6ov J erlaubt es. die Perikope 21.1.-22,5 in zwei Szenen zu unterteilen. In V.I liegt die Schilderung einer neuen Schöpfung und in 21.2-22.5 die Beschreibung Jerusalems. der Stadt aus dem Himmel. vor. Mit dieser letzten Szene wird der gesamte Visionenteil. und somit der Hauptteil der Offenbarung als Brief. abgeschlossen. In V.9f fmdet der letzte Onswechsel stan: Joharmes wird von einem Engel von der Wüste (s. 17,3) auf einen hohen Berg versetzt. Was der Seher nach der Verschiebung auf den Berg sieht. wird nicht mehr mit .t60v sondern mit Formen von IiEUcVIJI'I eingeführt. Zur Untetteilung der Vision der neuen Stadt werden sowohl die Formen von .t60v als auch von IiEUcVIJI'I berücksichtigt. Daraus resultiert eine dreiteilige Gliederung von Offb 21,2-22,5. In V.2-8 wird die Bedeutung der hera1Jsteigenden Stadt vor allem mit Auditionen bekarmt gemacht; in V.9-27 steht ihre Ausstanung im Vordergrund, während sie in 22,1-5 als on der Zuwendung Gones zu seinen Menschen dargestellt wird. Die weitere Auflistung einzelner Themen in den drei Teilen der Vision erleichtert die Übersicht über diesen dichten Text. V.21,1
Vision einer neuen Schöpfung
(Kat
V.2I,2-22,5
Vision von Jerusalern
(KaL .•t6ov)
V.2-8
Bedeutung der Stadt
V.2 V.3f V.5f V.7 V.8 V.9-27
.t6ov)
Vorstellung der Stadt Die Stadt als Ort der Nähe Die Stadt als Erfüllung Die Stadt als Erbschaft Die Ausgeschlossenen Beschreibung der Stadt
V.9-lOa V.lOb-11 V.12-14 V.15-17 V.18-21
onswechsel Der ausserordentliche Glanz Elemente Mass Materialien
) In V.2 steht das Objekt vor .tSov. Diese Umkehrung. die nur hier vorkommt. fallt mit dem letzten Beleg des gewählten Unterteilungskriteriurns zusammen. In Oflb 21.22 liegt auch die einzige verneinte Fonn von Et60v vor. Dies wird allerdings hier nicht als Signal einer neuen
Perikope beuachtel.
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Ausgewählte Visionen V.22 V.23-26 V.27
Abwesenheit des Tempels Licht und Herrlichkeit Ausgeschlossenes und Auserwählte
V.22,1-5 Die Stadt als on der Nähe V.lf V.3-5
Wasser und Holz des Lebens Nähe Gottes und der Menschen
8.2 Ein neuer Hinunel und eine neue Erde Mit einer knappen Formulierung wird die Anwesenheit einer neuen Schöpfung angekündigt. Ein neuer Hinunel und eine neue Erde ersetzen die alte Welt. Der Bruch vom Alten zwn Neuen wird nur kurz im Begründungssatz erwähnt: Der erste Hinunel und die erste Erde sind vergangen. Es fehlt eine Beschreibung der katastrophalen Zerstörung des Ersten.- Die einzige Beschreibung, wie die erste Erde und der erste Hinunel verschwunden sind, liegt in 22,11 vor: Und ich sah einen grossen. weissen Thron und einen. der auf ihm sass. vor dessen Angesicht die Erde und der Himmel flohen. und für sie wurde kein Ort (mehr) gefunden. Das Meer gibt es in der neuen Schöpfung nicht mehr. Die Abschaffung dieses Ortes bedeutet die Überwindung eines Bereiches. in dem das Chaotische und der Tod früher gedeihen konnten: das Tier in Offb 13.1-10 und die Toten in 20.13 stanunen aus dem Meer. 5 Dennoch war das Meer in der ersten Welt nicht nur negativ gekennzeichnet. denn an mehreren Stellen wurde es als Bestandteil der Schöpfung Gottes aufgelistet. 6 Mit der Abschaffung dieses Raumes wird auch seine zweideutige Funktion überwunden. Die neue Welt erscheint daher bereits zu Beginn als ein Ort der Klarheit, wo sowohl die vernichtenden Kräfte als auch der Zwiespalt und die Unklarheit keinen Platz mehr finden.
4 S. Prigent. Apocalypu 324: .Pounanl rtsstntiel esl sans doule de noler relonnanle sobriele d'un lexte qui se veul apocalyptique. Pas un mol de description du calaclysme final qui laisse la place au monde nuoveau!». S. auch Corsani. L'Apocalisse 153. , S. II 6.2. Dazu auch Yarbro Collins. Th. Apocalypst 145: .The sea. Iike Ihe dragon .nl the heasl. symbolizes chaos. So the elimination of the sta symbolizes the complele triumph of crealion over chaos. just as the elimination of dealh implies the complele victory of Iife over death». • Ibid. S. auch Müller. Offtnbarung 349.
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Die Dimension des Neuen wird mit der zweifachen Wiederholung von als Gegensatz zu npwTo, ausgedrückt. Das Neue (und nicht das Letzte) stellt die Überwindung des Ersten dar; damit wird der Akzent eher auf den qualitativen 8 als auf den zeitlichen9 Aspekt der bereits eingetretenen Welt gesetzt. Inhaltlich wird diese neue Dimension in der folgenden Vision der Stadt ausführlich umschrieben. Die Vorstellung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, welche die alte Welt ersetzen, ist im jüdischen Kulturbereich gut bezeugt. Da eine vollständige Retrospektive auf die zahlreichen Belege und Anspielungen auf eine neue Schöpfung den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde 10, soll hier nur exemplarisch auf einige Texte hingewiesen werden. Einen wichtigen Ausgangspunkt in der Geschichte dieser Formulierung stellt Jes 65,17 dar: 11
KQ'VO,7
Denn, wohlan, ich schaffe den Himmel neu, die Erde neu, nicht gedacht wird mehr des Frühem, nicht steigts im Herzen mehr auf, sondern entzückt euch, jubelt fort und fort, drob was ich schaffe! 12 Jes 65,17 13 wurde in mehreren Texten aus der frühjüdischen Literatur aufgenommen und zum Teil mit anderen Motiven verbunden. So faJIt auf, dass in einigen Texten die Schilderung der Zerstörung der alten Welt der neuen Schöpfung Gottes vorausgeht. l < In anderen Schriften steht die Erneuerung der Schöpfung im Vordergrund. Jub 1,29 gehört du dieser zweiten Gruppe: Und es nahm der Engel des Angesichtes, der einherzog vor den Herren Israels, die Tafeln der Einteilung der Jahre von der Schöpfung des Gesetzes an und des Zeugnisses seiner Wochen der Jubiläen je nach den einzelnen Jahren in allen ihren Zahlen und Jubiläen und vom Tag der neuen Schöpfung an, wann erneuert werden der Himmel und die Erde und alle ihre Schöpfung wie die 7 KalI/OS' kommt in der Offenbarung sechsmal vor und immer nur in Verbindung mit Gott oder dem Lamm: in 2.17 und 3.12 wird den Adressaten der Kunbriefe ein neuer Name versprochen; in 5.9 singen die 24 Ältesten und die vier Wesen dem Lamm ein neues Lied; in 3.12 und 21.2 wird das neue JerusaIem genannt und in 21.1.5 bezieht sich das Attribut Kalv", auf die
neue Dimension. die Gou geschaffen hat. B S. Schüssler Fiorenza, Revtlat;on 109. 9 S. Yarbro Collins, The Apocalypst 144: -These images should not be laken as descriptions of the way things will be at seme future time. Ratber. they say that. in a way we cannot fully undersland, crealion and life do, in lhe present. have lhe victory over chaos and death •. 10 Prigent. Apocalypst 323f bietet eine reiche Auswahl an Vergleicben aus dem späten Judentum. StrackIBillerbeck m 840ff enthält zahlreiche Belege aus der pseudoepigraphiscben
und rabbinischen Literatur. 11
Das gleiche Motiv kommt in Tritojesaja mehrmals vor; s. als Beispiel Jes 66.22.
I' Übersetzung aus BuberlRosenzweig. Büch" d" KündlUlg 205f.
IJ Die Version in LXX und der MT stimmen nicht übe ..in. Ein Vergleich zwiscben den zwei Texten im Hinblick auf ihre Aufnahme in Offb 21.1 liegt bei Fekkes. Isaiah 226ff vor. " V gl. in diesem Zusammenhang äthHen 91.
Ausgewählle Visionen
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Mächte des Himmels und wie alle Schöpfung der Erde. bis zu dem Tag. an dem geschaffen werden wird das Heiligtum des Herrn in Jerusalem auf dem Berge Sion. 1l Die Johannesapokalypse liegt auf dieser wirkungsgeschichtlichen Linie von Jes 65.17. Das Interesse am katastrophalen Zusammenbruch des alten Kosmos ist an dieser Stelle nicht vorhanden. denn die Erschaffung einer neuen Schöpfung dient in Offb 21 - so wie in Jes 65 - primär zur Einführung der geliebten Stadt: Denn. wohlan. ich schaffe aus Jerusalern einen Jubel. aus seinem Volk ein Entzücken (Jes 65.18)"6 8.3 Bedeutung der Stadt Auf dem Hintergrund der neuen. von jeder Ambiguität befreiten Schöpfung wird in Offb 21.2-22.5 die neue Stadt vorgestellt. 8.3. J Vorstellung der Stadt
V.2 nimmt alle wesentlichen Züge der Stadt voraus. Die Stadt ist lu!ilig: Dies drückt den Zusarrunenhang dieses Raumes sowohl mit Gott als auch mit den Menschen aus. welche ihre Beziehung zu Gott als massgebend erkennen." Der Eigenname Jerusalem verleiht dieser Stadt von vornherein eine zweifache Dimension. Die erste ist eine historische. Dazu ist ein Vergleich mit 11.1 f unentbehrlich. Don wird dem Seher ein Stab gegeben; er bekommt den Auftrag. den Tempel Gottes. den Altar und die Zahl der Betenden im Tempel zu messen. Die Vorhalle soll er aber nicht berücksichtigen. denn sie ist den Völkern ausgeliefen. weIche die heilige Stadt zweiundvierzig Monate zertreten werden (11.2). In Offb 11.8 wird die heilige Stadt mit dem der zwei Zeugen getötet wurde:
on identifizien. an dem der Herr
Und ihre Leichen wurden auf der Strasse der grossen Stadt aufgestellt. welche symbolisch Sodom und Ägypten genannt wird. wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde.
11
Für eine detailliene Analyse s. Fekkes. ibid. Die Übersetzung slammt von Berger.
JSHRZ [1.3.
'6 Übersetzung aus BuberlRosenzweig. Bücher der Kündung 20Sr. 17 "Ay'o, bezeichnet in derOffb sowohl die Christen (5.8; 8.3.4; 11.18; 13.7.10; t4.12; t6.6; 17.6; 18.20.24; t9.8; 20.6.9; 22.2t) als auch Gou oder Christus (3.7; 4.8; 6.10).
Offb 21.1-22,5: Jerusalern, eine BrauI, eine neue Sladl
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JerusaIem ist die grosse Stadt, in der Jesus gewaltsam getötet wurde. Gleichzeitig erscheint hier Jerusalern als die gefallene Stadt, welche nur noch mit Sodom und Ägypten 18 verglichen werden kann. Diese negative Sicht der grossen Stadt, des religiösen Zentrums, erlaubt uns, die zweite Dimension zu erfassen: Jerusalern ist mit der Erwartung einer neuen Form der heiligen Stadt verbunden. Der Eigenname spannt somit einen Bogen zwischen der historischen Stadt und der messianischen Erwartung eines neuen Jerusalern. Die Verbindung der Stadt in Offb 21 f mit dem messianischen Jerusalern wird aufgrund zahlreicher Zila\e und Anspielungen auf alttestamentliche und weitere jüdische Texte im Laufe der Vision immer wieder in Erinnerung gerufen. Die Stadt ist neu. Jerusalern steht in Verbindung mit der historischen, gleichnamigen Stadt, so wie der erste Hinunel und die erste Erde zur neuen Schöpfungsdimension steht. Sie gehön in diesen qualitativ emeuenen Raum. Johannes sieht die Stadt herabsteigen aus dem Himmel von Gott. Damit wird die Herkunft der Stadt explizit genannt. '9 Die heilige Stadt wird von Gott geschickt, sie ist eine externe Grösse, die in der irdischen Dimension ankommt. Wie BabyIon in Offb 17 wird Jerusalern mit personiflZienen Zügen vorgestellt. Beide Städte sind Frauen, und gerade als solche bilden sie einen Gegensatz. Die eine ist die Mutter aller Huren, die andere eine Braut. Mit der Personifizierung Jerusalems als Braut wird der Aspekt der Reinheit und der Liebe angedeutet. Die Braut ist mit besonderer Sorgfalt geschmückt worden, damit sie ihrem Mann gefli.llt. Damit wird die grossanige Schönheit der heiligen Stadt aus dem Himmel vorweggenommen. 8.3.2 Die Stadt als Ort der Nähe
In V.~ wird die Bedeutung der Stadt erläuten. Eine Stimme vom Thron kündigt in V.3f die Stadt als On der Nähe Goues zu den Menschen an. 20 Diese
18 Jerusalem wird bereilS in Jes 1,10 und Jer 23,14 Sodom genannt. Nach Ez 16,46 haI sich lerusalem noch schlimmer benommen als Sodom. Den Vergleich mit Ägypten interpretien Prigenl, Apocalypu 169 wie folgt: •.. .le Iivrc de la Sagesse (l9,14ss) condamne plus Sl!v~rement l'Egypte que Sodome. Si I'on se souvient en outre de la traditionneUe valeur symbolique '" I"Egypte ( ... ) comme Iieu d'esclavage el de soumission aux palens idolltres, on conclura que ces
deux noms <spiritueis) qualifienlla villc commc un lieu oilles hommes de Dieu ne peuvent ren· contrer qu'une monelle hostili~ •. " Zur Verwendung von EK und cincl s. Delebecque, Apocalypu 83: .Bien plus, I. pre~ proposition, €K, signifie I'origine de la descente, le ciel, el I. seconde, cincl, tout en dqJendanl .ncore du cie" s'unil ä la premi~re en signifianl qu'eUe eslencore ratlachh ä Dieu ( ... ). !.es deux propositions, proches par le sens ne se confondenl pas: eUes gardenl chacune sa valeur propre, Ja seconde plus riche de sens que la premi~re. En un mOl, 10 priposition cin montre que loul vient du P~re •. S. auch CigneUilBottini, SBFLA 39, 37~8.
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Ausgewählte Visionen
Äusserung, die aus mehreren Anspielungen auf das AT besteht, enthält eine positive und eine negative Aussage. Grosse Zuversicht wird mit der Aufnahme von Ez 37,27 21 , vielleicht Jes 7,14 22 und 25,8 ausgedlilckt. Der Ezechieltext lässt die Stadt als Wohnung GOlles21 bei den Menschen erscheinen, und - möglicherweise durch die Anspielungen auf Jesaja 7,14 und 8,8 verstärkt - hetont er die Zugehörigkeit der Menschen zu Goll und umgekelut: Er wird bei ihnen wohnen und sie werden seine Völker sein. 24 Das in Offb 7,17 schon zitierte Wort aus Jes 25,8 drückt die Folge dieser Nähe aus. Gott wird die Menschen mit einer zarten Geste der Zuwendung trösten: Seinen leidenden Treuen wird er jede Träne von den Augen abwischen. 2S Trost und Zuversicht werden mit der folgenden negativen Äusserung bekräftigt: Tod, Trauer, Geschrei, Mühe gibt es im neuen Raum der Nähe Golles zu den Menschen nicht mehr. Der Tod wurde in Offb 9,6 als etwas vorgestellt, das angesichts der Macht der vernichtenden Kräfte als wünschenswert erscheint. 26 aa va TOS" , das erste Glied der Liste in 21,4, wird zum Inbegriff des Leidens.27 rUv8oS", Kpau"y~ und novoS" ergänzen die Schilderung des von Leiden und Bedrängnis gekennzeichneten Lebens in der ersten Welt. Durch diese Liste, die sich an verschiedene Stellen aus Jesaja anIehnt 28 , wird die Vorstellung der Stadt bereits zu BegiM mit der Vision der schreienden Men-
'0 Vgl. dazu Roloff. OjJ.nbarung 199: .Eine himmlische Stimme (. .. ) nennt in V.3 da (243-244). Weniger plausibel erscheint hingegen dor Versuch. die Edelsteine aufgrund ihrer Anfangsbuchstaben zu deuten: s. dazu Wojciechowki. NTS 33 153r. ,. S. Giblin. Apocalisu 150; Roloff. Off,nbarung 206: .An die Stelle dor indirekten. kultisch vermittelten. triu eine direkte und leibhahe Gegenwan Goues. Die vollendete Heilsgemeinde wird sich darum nicht mehr nur um den On dor Gegenwan GOItes und dor Heilsvermiulung scharen. sondern sie wird selbst On dieser Gegenwan sein. Der Ansatz urchristlicher Tempelkritik. die in dor Erfahrung dor unmiuelbaren Gegenwart Gones in Jesus gründete ( ... ). wird hier konsequent zu Ende gedachl>o. 60 Vgl. dazu 11 2.4.2.
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nicht nur von Gon und seinem Lamm. denn auch die Könige der Erde bringen ihren Glanz in die Stadt hinein. Sie bereichern mit ihrer Herrlichkeit die neue. von GOlt gesandte Stadt. Die aktive Mitgestaltung am Glanz der Stadt durch Menschen macht einen Zug explizit. welcher eigentlich schon im Bild der Stadt vorausgesetzt wird: dieser Raum gehön nämlich zu den menschlichen Erfindungen. prägt das Leben der Menschen in ihrer Geschichte. Die Verwendung der Stadt als Bild der Nähe Gones zu den Menschen bringt somit eine Würdigung dieses Produktes der menschlichen Kultur zum Ausdruck. 6t In V.25 wird die Zeitdimension innerhalb von Jerusalern beschrieben. Die Nacht wird so wie Sonne und Mond überwunden; in der neuen Dimension gibt es keinen Platz mehr für die Finsternis. Am on des Lichtes. der Herrlichkeit. der Transparenz ist immer Tag. Dem Aspekt des anhaltenden Lichtes wird in V.25f eine ununterbrochene Offenheit hinzugefügt. Die Tore der Stadt werden immer offen sein. der Raum innerhalb der Stadt inuner zugänglich. Licht und Offenheit werden in V.23-26 in ihrer universalen Relevanz geschilden: Die Stadt umfasst die Nationen. die ihre Herrlichkeit und Ehre in die Stadt mitbringen. und die Könige der Erde. Dieser Ausdruck ist in der Offenbarung zweideutig. weil er sowohl als Anribut Gones62 als auch zur Bezeichnung der Verbündeten des Tieres und Babylons63 verwendet wird.
8.4.8 Ausgeschlossenes und AusserwlJhlte In V.27 wird diese Ambiguität mit der Wiederaufnahme von V.8 in aller Deutlichkeit aufgelöst: die Stadt steht allen offen. die nichts mit Unreinem. Abscheulichem und Lüge zu tun haben. deren Namen im Buch des Lammes noch geschrieben steht. 64 Die Aussage erinnen noch einmal daran. dass nicht jede Haltung mit der neuen Stadt kompatibel ist.
6' Dazu Ellul. Apoluzlyp.. 220: .Oie Stadt ist. wie wir bereits gesehen haben. cW grosse Werk des Menschen. Sie wird uns als Gipfelpunkt seiner Kuhur. seines Geistes beschrieben. sie ist seine Schöpfung. Die Stadt ist cW Symbol der menschlichen Geschichte. dem in der Stadt bleiben die aureinanderfolgenden Schichten der Geschichtsepochen und Kuhuren bewohn. GOlt nimmt also die Gesamtheit der Menschengeschichtc wieder auf und bringt sie in der absoluten Stadt zur Synthese. Das Symbol Jerusalem ist cW deutlichste nur denkbare Zeichen daIilr• .ws der Goo der Bibel den Menschen dwt:h seine Geschichte hindurch begleitet. ( ... ) Einerseits ist dies Himmlische Jerusalem die Schöpfung des absolut Neuen durch GOlt. unvergleichbar gegenüber allem. was bisher dagewesen ist. andererseits aber ist es die von GOlt gewirkte Synthese aller Geschichte. aller Lebenswirltlichkeit der Menschheit. a11 ihres Schaffens und Wirkens. a11 ihres ErIebens: die Rekapitulation.. Sehr anregend erscheint auch folgende Äusserung von Bauckham. TheololIY 161: .But the city that both includes paradise unspoiled (22:1-2) and is adomed with the beauty of paradise (21: 19) points to that harmony of nature and human cuhure to which ancient cities once aspired but which mndem eities have increasingly betrayed •. 62 S. Offb 15.3. Für die textlcritische Unsicherheit bei .evlilv s. Mellger. Commenlary 7SSf. S. auch Offb 1.5. 17.2.18; 18.3.9; 19.19. .. Dazu s. 11 6.5.
6'
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Ausgewählte Visionen
Ausgeschlossen werden alles Unreine und die abscheulichen und lügnerischen Taten: damit werden die Handlungen der zerstörerischen Kräfte und der ihnen treuen Menschen umschrieben und aus der neuen Stadt. der reinen Braut des Lammes. hinausgeworfen. 6S 8.5 Die Stadt als On der Zuwendung Wir wenden uns dem dritten Teil (V.22.1-5) der Vision vom neuen Jerusalern. der Stadt aus dem Himmel. zu. Hauptthema dieses letzten Abschnines ist die Wirkung dieses Ones der Nähe auf die Menschen. die darin wohnen werden. 8.5. J Lebenswasser und Lebensho/z
Der Engel zeigt Johannes neue Elemente. in denen sich die Nähe Gones zu den Menschen als Zuwendung konkretisien. Nach 22.1 zeigt der Deuteengel einen fluss von Lebenswasser. Dieser Strom. der vom Thron Gones und des Lammes ausgeht. trägt selber ein typisches Merkmal der Stadt. denn er ist leuchtend wie Kristall. Mit dem Bild des Lebenswassers wird in dieser abschliessenden Perikope der ganzen Visionenreihe das Versprechen der Quelle in 7.17 und 21.6 realisien und gesteigen: Nicht eine Quelle erwartet die Bewohner der neuen Stadt. sondern ein wie Kristall leuchtender Fluss. In 22.2 wird Johannes ein Holz. ein Baurn66 in der Mine zwischen dem Fluss und der Strasse gezeigt.61 Dieser Baum bringt zweierlei Produkte hervor: einer., S. Offb 9.13.17 .
•• Ta euXov ''''~> kommt in LXX in Gen 2.9 als Bezeichnung des Baums des Lebens vor. Wir fassen diesen Ausdruck als Metonymie. nicht als Kollektiv auf. Dazu s.. Delebecque. RThom 88. 126. • 7 Es ist äusserst schwierig. V.2a wiederzugeben. Ein Vergleich zwiscben einigen Überset· zungen zeigt die Unsicherheit in der Wiedergabe: _Inmillen der Strasse und des Ausses. hier und da, war Lebensbaum ...• (Kraft. Off_nlHirung 274); « me of his sourees. But the fact must not be exaggerated. Apocalyptic is by no means his major resource». I 0 In diesem Zusammenhang könnte es sich lohnen, ikonographische Belege solcher mythologischen Darstellungen in der Zeit der Entstehung der Offenbarung zu untersuchen.
190
Ausgewähhe Visionen 9.2 Visionen als komplexe Sprachbilder
Die Vertrautheit der Sprache und die Verbindungen zum Alten Testament und zu den anderen elWähnten Vorlagen vennögen die spezifische Eigenart der Visionen der Offenbarung nicht zu verbergen. Die Motive aus der Johannes bekannten Tradition werden zu visionären Bildern gestaltet.
9.2. J ET60v und die Visionen Beim Versuch. eine mögliche Gliederung der Offenbarung zu beschreiben. wurde zu Beginn unserer Analyse dem Vorkonunen von E160v eine zentrale Bedeutung beigemessen: diese Wendung wurde als Kriterium gewählt. um sinnvolle Einheiten - die einzelnen Visionen - abzugrenzen. Die zunächst formal begrtlndete Wahl stand von vornherein in Verbindung mit ElWägungen inhaltlicher Art: Ausschlaggebend für die Bestimmung von E160v als Abgrenzungsmerkma1 waren die massive VelWendung dieses Verbes in der Offenbarung und seine Schlüsselrolle in der zusammenfassenden Einftlhrung zur gesamten Schrift (Offb 1.1-3)11. Die massgebende Rolle von El60v und der weiteren Begriffe. die zur Sphäre des Sehens gehören. '2 hat sich im Laufe der exemplarischen Untersuchung ausgewählter Perikopen bestätigt. Die 41 malige Wiederholung von El60v zur Einftlhrung einer neuen Szene bringt eine gewisse Regelmässigkeit in das bunte. chaotisch wirkende Visionsgeschehen. aus dem die Offenbarung besteht. Der Beginn mit der gleichen Aoristform bringt Ordnung. bildet ein Raster. an dem die Leser und Leserinnen des Werkes sich immer wieder orientieren können. Die Botschaft wird in kleine. in sich geschlossene und deshalb übersichtliche Szenen unteneilt. mit denen Johannes seinen Adressaten alles mitteilt, was er erlebt hat. Die restlose Wiedergabe des Erlebten ist somit nicht nur in ihrer Ankündigung. sondern auch in ihrer Ausftlhrung tatsächlich eng mit 16Eiv verbunden. 1l Die erste Person El60v bringt inuner wieder den Zuwendungscharakter ins Spiel. der aus der brieflichen Gestaltung des Werkes hervorgeht: Da~. was die Adressaten der Apokalypse dank der NacherzähJung des Johannes erfahren. ist genau das. was der Seher selber erlebt hat. Damit wird die Entfernung zwischen Verfasser und Adressaten ein Stllck weit übelWunden. Darüber hinaus suggerien die häufige VelWendung von Et6ov. dass das Sehen die angemessene Art der Wahrnehmung der beschriebenen Szene ist: Die dargestellten Szenarien. die Beschreibungen der Gestalten und der regen Bewegungen bieten sich als Bilder an. als sprachliche Wiedergabe visueller Wahrnehmungen. Die VelWendung von El60v knüpft selbstverständlich an die Visionen in der alttestamentlichen Prophetie und in weiteren Schilderungen aus dem frühen J u11 Dazu s. 11 1.4. Vgl. auch I 4. 12 Vgl. Delebecque. RThom 88. 160-466. I)
Dazu s. die AusfiihNngen Obe, die Bedeutung von OoG in Offb 1.2 in Anm. 25. 11 2.3.
Ergebnis
191
dentum an. l ' Der Verfasser der Johannesoffenbarung steUt sich als prophetische Gestalt dar. welche mincls der Visionen neue Inhalte offenbart werden. Diese Parallelisierung leitet zu einem bestimmten Zugang zur Bedeutung des Sehens und der Visionen in der Apokalypse an. Die Tatsache. dass der Verfasser zahlreiche Motive vor allem aus der alttestamentlichen prophetischen Tradition aufnimmt. zerlegt und neu zusammensteUt. ohne jedoch die Form grundsätzlich zu verändern 15. lässt erkennen. dass das Sehen sich nicht mehr auf ein echtes visionäres Geschehen bezieht. sondern eine literarische Fiktion ins Leben ruft. Die Wahl der Visionen als Erz.ählelemente verleiht dem Brief an die sieben Gemeinden in Kleinasien einen bestimmten Charakter: die Visionen prägen den Inhalt des Textes auf eine klare Weise und stehen in einer Wechselwirlrung zu ihm,l6 Aussehen und Leistungen der Wechselwirlrung zwischen der Vision als Form und den in Visionen ausgedrückten Inhalten können erst durch einige Präzisierungen erörtet werden. In diesem Sinne sollen nun wichtige Ergebnisse aus der Arbeit an den ausgewählten Texten in bezug auf die Vision als literarische Einheit zusammengetragen werden.
9.2.2 Ein Versuch, das Verständnis von • Vision. zu bestimmen
Alle betrachteten Textabschnitte beginnen somit mit Et60v. Diese Form signalisiert den Anfang einer Szene. in der berichtende Enählungen vorherrschen. Dieser narrative Stil wird bereits vom Aorist Et60v impliziert. der dem Leser das Enählte als abgeschlossenes Geschehen in der Vergangenheit präsentiert. Die Struktur der Vision als eines mit Et60v eingefilhrten Berichts in der Vergangenheit wird lückenlos im ganzen Briefcorpus eingesetzt.
" Beispiele und Parallelen zwischen all. und frühjüdischen Visionen liesen bei Koch, Vom lJjm apo/caJypliscMn Visionsb.richi 444f und Adela Yarbro Collins, Semeia 14, l04fvor. " Koch. ibid. seht der Entwicklung der Vision von der altesuunentlichen Prophetie bis zur Apokalyptik nach. In diesem Prozess entdeckt Koch eine Diskontinuität, die sich vor allem mit der Veränderung des Sitzes im Leben erklären lässt. Diese VeränderunS lässt sich in vier stereotypen Abweichungen erkennen: Die Visionsberichte gewinnen in der Apokalyptik meist an Wichtigkeit: die Betroffenheit des Sehers kommt zum Ausdruck: eine Engelwel! laucht auf: Deutungen werden nötig (428-429). Troll der Diskontinuität, die Koch in seiner Untersuchung einsehend charakterisien. bleibt eine Verbindung in der Grundform der Vision erhalten. Dazu vgl. z.B. Berser, FormgtSchichl. 28Off. Nach Adela Yarbro Collins, Semeia 14, 7or. sieht das Verllältnis der brieflichen Züge zu den Visionen umseke/ut aus: .To detaminc thc literary form of thc book of Revelation as • whole. one must ask what thc dominant litery form is or how all thcse smaller forms ..., integrated into • coherent whole. It has often Ileen noted !hat thc visions of thc book of Revelation are enclosed wilhin an epistolary framework, yet it wuold be an error of misplaced emphasis to say that the book of Revelation is primarily • leller in form. The epistolary form is subordinated to and in thc service of thc book's revelatory character•.
P'Oph~lisch~n
I.
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Ausgewählte Visionen
Diese minimale Bestinunung von Vision als literarischer Einheit in der Johannesoffenbarung scheint jedoch nicht allen Teilen des Corpus gleich gerecht zu werden. Bereits beim Versuch. das Werk zu gliedern. fiel die Abwesenheit von Et60v im zentralen (Offb 11-12) und abschliessenden Teil (Offb 21.9ft) auf. 17 Interessanterweise übernehmen don andere Begriffe der visuellen Wahrnehmung (Wct>9TJ bzw. 1'6EltEV) die RoUe von El6ov. An beiden Orten scheint das aktive Verb in der ersten Person Singular nicht geeignet zu sein. um das Gesehene wiederzugeben. In 11.19 und 12.1.3 werden die Szenen nicht von Johannes «gesehen ... sondern sie «erscheinen .. ihm; diese passive Formulierung hebt das unmittelbare Eingreifen Gottes stark hervor. Auch die Ereignisse nach 21.9 werden nicht mehr von Johannes direkt gesehen. sondern ihm von einem Engel gezeigt. Dem Eintreten des Engels entspricht eine Schilderung der künftigen noch nicht vollendeten Stadt: der Wechsel von Et60v zu l'6EteEV macht darauf aufmerksam. dass der Seher Zugang zu einer Dimension hat. die noch nicht realisien ist. 18 Der Wechsel des Begriffes fllr die visuelle Wahrnehmung in diesen Teilen der Apokalypse vermag die angenommene Definition von Vision nicht ausser Kraft zu setzen. Das Vorkommen von Verben aus der gleichen semantischen Sphäre unterbricht keineswegs den Charakter von Einheiten. in denen Gesehenes nacherzählt wird. Vielmehr weisen diese Veränderungen auf die wechselseitige Dynamik zwischen Form und Inhalt hin.
9.2.3 Komplexität in den Visionen Eine eindeutige Bestimmung der Vision als selbständige Form in der Apokalypse erscheint jedoch als sehr schwierig. sobald man die durch das Vorkommen von Ei60v abgegrenzten Erzählungen näher betrachtet: die Visionen erweisen sich nämlich als heterogene GrÖssen. in denen verschiedenanige Ausdrucksformen vorkommen. Bereits in der kleinen Auswahl von Visionen. die hier in Betracht gezogen wurden. liegen zahlreiche Arten von Texten vor: In OfJb 4.1-11 liegt eine relativ kompakte Vision vor. welche aus zwei deutlich unterscheidbaren Teilen besteht: einer statischen Beschreibung der Elemente und Gestalten (V.I-8a) und einer dynamischen Schilderung der Handlungen. welche die Szene beleben (V.8b--11). In diesem zweiten Teil kommen zwei kurze Hymnen vor. Offb 5.6-/0 besteht aus einer Beschreibung im Erzählstil (V.6--9a) und einem Hymnus (V.9b--1O). In OjJb 7.9-8.1 wechseln sich am Anfang Schilderungen (V.9 bzw. 11) und Aussagen in der direkten Rede (V.1O bzw. 12) ab. Ein kurzer Dialog zwischen dem Seher und einer Gestalt der Vision (V.I3-14a) filhrt eine Deutung des ersten Teiles ein (V.14b--17). Im Schlussvers (8.1) wird der Erzählstil wieder aufgenommen. OjJb 9.1-21 enthält eine homogene Erzählung 17 18
S. dazu 11 1.4. S. 2t.9 und 22.1. Dazu vgl. auch das Vorkommen von 6«~ .. in Offb 17.2.
Ergebnis
193
mit zwei parallel aufgebauten Szenen. Auch Auditionen spielen in dieser Vision eine Rolle (V.\3.l6). Offb 13.1-/0 beginnt mit einem Bericht vom Gesehenen (V.I-8), der dann von einem Weckruf (V.9) und einer direkten Aufforderung an die Adressaten unterbrochen wird. 0fJb 17.3-18 erinnert an den Aufbau von Offb 7,9-8,1. Der Schilderung des Gesehenen in zwei Visionen (V.3-5.6a) folgt ein Dialog zwischen dem Seher und einem Engel (V.6b---7) und anschliessend eine Deutung (V.8-18). Auffallend ist die direkte Aufforderung in V. 9. Zwei Visionen liegen auch in 0fJb 21.1-22.5 vor. Die zweite. längere Schilderung (21.22-22,5) enthält die oben erwähnte Form l6EleH. die den Erzähldulttus im Bericht über das Gesehene mit einem neuen Begriff der Wahrnehmung weiterführt. Die Verben aus der Sphäre des Visuellen gliedern die Vision in drei Abschnitte (V.2-8; 9-27; 22.1-5). Es fällt auf. dass der erste Abschnitt der Vision von Auditionen geprägt ist. Mit den folgenden Kategorien soll versucht werden. die Vielfalt der Formen zu systematisieren. a) Bei aUen ausgewählten Perikopen spielen Berichte. Nacherzählungen über das Gesehene oder Gehörte eine wichtige Rolle. Dabei werden Szenarien. Elemente, Gestalten, Handlungen oder Ereignisse dargestellt. Die Schilderungen werden als abgeschlossene Szenen. meistens in der Vergangenheit, wiedergegeben. 19 b) Eine besondere Art von auditiven Ereignissen stellen die Hymnen dar. Einerseits gehören sie zur gesehenen Szene, vermitteln wichtige Inhalte im Rahmen eines bestimmten Geschehens. Dieser Aspekt kommt dadurch zum Vorschein. dass Lobpreise und Doxologien von Figuren aus der Vision gesungen werden. Andererseits sind die Hymnen in direkter Rede und präsentisch wiedergegeben und unterscheiden sich deswegen deutlich vom Bericht. Die Hymnen haben performative Funktion: Sie ziehen Leser und Leserinnen mitten in die Geschichte hinein; sie laden die Adressatengerneinde ein. in die Preisworte einzustimmen. 2O
19 J.J. Collins. Semeia 14. 6 unleneih die Form der visuellen Offenbarung (visual Revelalion) in .) .Visions. w~ lhe COnlenl of lhe Revelation is seen» und b) .Epiphanies. w~ Ihe apparition of lhe mediator is dcscribed». Berger, Fonng ..chichu 280f sprichl hingegen von Benehlen von Visionen. Anders als Collins gebraucht er die Vision als ilbergoadneten Begriff. der verschiedene andere Gauungen umf....n kann (diesbezüglich sind nach ihm die Berichte über VISionen mit Wundcrberichten vergleichbar). 20 In seiner Auslegung der Apokalypse umschreibt Ugo Vanni die Rolle der AdressaIengcmeinde als .auslegendes Subjekl» (5. Apoca/is.. B-86). Die Kirche als auslegendes Subjekl befindel sich in einem lilUrgischen Dialog mil dem Tut Dazu ibid. 26. Die hymnischen Stucke sind solche im TUl vcrankenc Momenle, in denen die Gemeinde akliv rcagien. Über performative Aspckle in der Offenbarung s. auch Karrer. D~ JoIIDnn ..ojf6lbartUlg ab Sri.! Zur Struklur und Auslegung der Hymnen in Oflb s. Jöms. Das hymnisch. Evang./ium.
194
Ausgewählte Visionen
Sowohl in bezug auf die Berichte vom Gesehenen als auch auf die hymnischen Stücke übernimmt Johannes zwei Funktionen: er ist Seher bzw. Hörer und gleichzeitig treuer Zeuge. zuverlässiger Nacherzähler des Erlebten. c) Einen besonderen Charakter weisen die Dialoge in Offb 7.13-14b und 17.6b--7 auf. Sie untelbrechen den Bericht und lenken die Aufmerksamkeit auf neue Aspekte des Beschriebenen. In Offb 7 signalisien der Dialog das Bedürfnis nach einer Interpretation des Gesehenen. In Offb 17 wird die Deutung in Zusammenhang mit der Frage nach der angemessenen Reaktion angesichts des Erlebten gebracht. Es ist wichtig festzuhalten. dass in beiden Kapiteln die Fragen. welche Anlass zur Deutung geben. nicht vom Seher gestellt werden. sondern von einer Gestalt aus dem visionären Bericht: Im ersten Fall von einem der vierundzwanzig Ältesten. im zweiten vom Engel. der Johannes in die Wüste gebracht hat. Obwohl Johannes die ihm gestellten (rhetorischen) Fragen nicht beantwonet. ruckt er von seiner distanzienen Position als Beobachter und Nacherzähler in eine aktive Rolle. als Gestalt im Geschehen selbst. d) Dass Gestalten. die selbst Teil der Vision sind. Johannes nach der Bedeutung des Gesehenen fragen. ist auffallend und merkwürdig. Dieser Eindruck wird interessanterweise auch von den deutenden Antworten. welche die Fragenden selber liefern. erweckt. In Offb 7.14b--17 wird die Frage nach der Herkunft und Identität der weiss Bekleideten nur teilweise beantwonet. während die Deutung in 17.8-18 selber wiederum Bilder enthält. die den vorangehenden Visionsbericht nur partiell erhellen. Die Deutungen in Offb 7 und 17 erfüllen ihre Funktion nicht so. dass sie einzelne Elemente der vorangehenden Berichte auslegen. Ihr Hauptziel scheint es vielmehr zu sein. die Leser und Leserinnen der Offenbarung auf die Notwendigkeit einer Auslegung aufmerksam zu machen. 21 e) Pointiener ausgedJiickt: Der Text forden seine Adressaten auf. selber die Rolle der Deutenden zu übernehmen. Dieser Anspruch wird in den Sätzen fassbar. die den Rahmen des Visionären sprengen und die Adressaten der Offenbarung direkt ansprechen. Kaum zufallig erscheint ein solcher Satz gerade innerhalb der Deutung in Offb 17.9: W6E ;, voil, ;, EXWV oo(av. 22 Der Deuteengel hat auf die Notwendigkeit
21 J. J. Collins und Adela Yarbro Collins (Semeia 14. 104) verwenden zur Bezeichnung von dem, was wir hier Dialog und Deutung nennen, die Bezeichnungen «discourse- und to:dialogue.,; diese Iilerarischen Fonnen werden der übergeordneten Grösse «auditionlt untergeordnet. 12 Der EnlSCheid. diesen Satz als direkte Aufforderung zu ve"lehen. beruhl auf folgenden Überlegungen. Obwohl V.17.9a keine explizilen Signale an die Leser enlhäll. hebl ein Ver· gleich mil 13.10 und 18 den Aufforderungscharakler gegenüber der Leserschaft hervor. AUe drei Sätze beginnen mit dem relativen Pronominaladverb WBE: W8E EOTlV J} uno .... ov~ Kat 1\ n(OTlS' n.ilv ayiwv (V.IO) und W6E 1\ oo+(a EOTlV. b lxwv vouv 4Jll$UUITW TOV ap\8f.lov TOU 8~p(ou (V.18). An allen drei SIelIen filhn w6< das Thema der angemessenen Reaklion gegenüber dem Gesehenen ein; die drei Aussagen belonen die Relevanz des in den Visionen Beschriebenen für die AdressaIen der Offb. die in 13.10 als .die Heiligen> explizil genannt werden. [n 13.18 wird die performative Wirkung durch die [mperativform ojJ~4>lO,iTw und dun:h
Ergebnis
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des Fragens aufmerlcsam gemacht. hat selber dann das Fragen in eine An Deutung umgewandelt. welcbe das Geheimnis des visionären Erlebnisses jedoch nicht zu entschlüsseln vennag. Die mühsame Albeit des Auslegens wird allen weitergegeben. die sich an Vernunft und Weisheit orientieren. Noch radikaler e~heint die mit der Weckformel eingeführte Aufforderung in l3.9f. denn an dieser Stelle wird unmissverständlich darauf hingewiesen. dass das bereits Gesehene Folgen im Leben der Adressaten hat. 23 Ertragen und Vertrauen werden in Zusammenhang mit den Auswirkungen des Skizzierten gebracht. Die Gemeinden in Kleinasien erfahren. dass die Visionen des Johannes mit ihrem Alltag. mit der Bedrängnis und dem unumgänglichen Leiden zu tun haben. Damit wird die Funktion des Johannes zusätzlich präzisien: Zu den Rollen als Seher und Hörer. als treucr Zeuge und als mitspielende Gestalt im Geschehen kommt nun die Aufgabe des Herausforderers gegenüber den Adressaten hinzu. Die Vielfalt der Formen in den Visionen macht den verwickelten Weg von der distanzierten Beschreibung der Erlebnisse. die Johannes sieht. bis zur Relevanz des Gesehenen im Leben der Adressaten sichtbar. Die bisherigen Erwägungen zur Heterogenität der Formen und Gattungen. die in den Visionen vorkommen. heben die hohe Komplexität dieser literarischen Fiktionen hervor. Dem häufigen Wechsel der Formen entsprechen Veränderungen der Rolle des Sehers und der ausgedrückten lnha1te. Die Wechselwirkung zwischen Form und Inhalt erweist sich als gleichzeitig verwickelt. sorgfliltig und kunstvoll.
9.2.4 Visionen als Sprachbilder Die 4lmalige Wiederholung von ~t60v und das Überwiegen von erzählenden Berichten in der Vergangenheit bringen eine gewisse Regelmässigkeit und Ordnung in das extrem vielfattige. heterogene Gebilde. das sich nur schwer analysieren lässt. In der Untersuchung der ausgewählten Texte haben wir versucht. der Komplexität gerecht zu werden. indem wir die Visionen als heterogene. komplexe, aber einheitliche Grössen aufgefasst haben. Auf eine Trennung zwischen den zahlreichen Formen wurde von vornherein verzichtet. denn ihre Vielfalt erscheint den Visionen als Grundelementen des Briefcorpus untergeordnet. Die vorkommenden Formen stehen näm1ich in direkter Verbindung zum visionären Geschehen. Sogar die Deutungen lösen das Bildhafte nicht auf. sondern bestehen selbst aus Sprachbildern. Erst die direkte Aufforderung an die Adressaten unterbricht die bildliehe Fiktion. Der Entscheid, die Visionen primär als literarische Bilder zu verstehen. impliziert keineswegs die Vernachlässigung der Vielfalt und Mehrdimensionalität die PanizipialkonslrUktion b lx"'v voUv. welche an den W..,Jauf in hervorgehohen. II S. 11 6.6.
t3,9 .nnnen,
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Ausgewählte Visionen
innerhalb der Visionen. Im Gegenteil: auf die Wichtigkeit ihrer Heterogenität sind wir gerade im Rahmen der Analyse der Visionen als flktive Sprachbilder gestossen. Die Frage nach der Bedeutung und Relevanz der Wechsel in den Formen wurde im Laufe der Untersuchung inuner zentraler: die paradoxen Verbindungen zwischen den Berichten und den seltsamen Deutungen einerseits und die Unterbrechungen durch die direkte Aufforderung andererseits machen die Eigenart der Visionen in der Apokalypse aus. Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde auf Hinweise auf die historische Situation, in der die Offenbarung verfasst wurde, bewusst verzichtet. Dieses Vorgehen zielte darauf, zunächst die Visionen als Bilder in ihrer inneren Kohärenz und Abgeschlossenheit zu verstehen, ohne sie aufgrund der Anspielungen auf zeitgenössische Gegebenheiten zu zerlegen. Die Auslegung hat gezeigt, dass eine solche Methode zu aufschlussreichen Beobachtungen führen kann. In den Visionen der Offenbarung werden Figuren, Handlungen, Begegnungen in fiktive Szenarien gesetzt. Die Visionen sind Sprachbilder, metaphorische Reden, die sich an irrealen Gesetzmässigkeiten orientieren. Die Visionen der Offenbarung sind literarische Konstrukte, in denen über die Rolle von Gott, Jesus Christus, Satan und mit ihm verbündeten Mächten nachgedacht wird. Diese Sprachbilder zielen darauf, die Beziehung der Menschen, insbesondere der Christen, zu diesen verschiedenen Grössen zu erhellen. Jedes Bild ist mit einem besonderen Thema gekoppelt; seine Komplexität ist nicht nur von der oben erwähnten Vielfalt an Formen bedingt, sondern auch von der Vielfalt der Gestalten, Geschehnisse, Zeiten und Orte, welche im Zentrum der einzelnen Visionen stehen. Angesichts dieser Komplexität gewinnt der Entscheid, die Visionen als einheitliche, in sich sinnuagende Sprachbilder zu betrachten, eine besondere Relevanz. Zunächst erlaubt dieses Vorgehen, sehr verschiedene Perikopen als vergleichbare literarische Konstrukte, als fiktive Inszenierungen gegenüberzustellen. Zum anderen verpflichtet diese Annahme die Ausleger und Auslegerinnen der Visionen der Apokalypse, sich an Regeln und Eigenschaften von Sprachbildern, von metaphorischem Reden zu halten. 9.2.5 Sprachbilder als kohärente Einheiten einer fiktiven EnählWig
Eine erste wichtige Eigenschaft der Visionen als Sprachbilder ist in der Auslegung der ausgewählten Texte deutlich zum Vorschein gekommen: Sie können als abgeschlossene, in sich kohärente Erzählungen betrachtet werden. Jede Szene kann in ihrer fiktiven Dimension 24 verstanden werden, ohne dass auf externe In,. Zur fiktiven. uneingentlichen Dimension der Bilder der Apokalypse s. K. L. Schmidt. ThZ 3, 174-176: -Dem Leser muss es auffallen, dass es gleich im ersten Visionsbericht nicht he isst: elch hörte hinter mir eine laute Posaunenstimme., sondern elch hörte hinter mir eine laute Stimme wie eine Posaune> (1.10). Dieses <wie> (w,) zieht sich durch das ganze Buch
Ergebnis
197
fonnation rekurriert werden muss; jede analysierte Vision zielt auf eine Pointe hin, welche durch die Analyse der im Bild selbst bekanntgegebenen Elemente wahrgenommen werden kann. 25 Innerhalb der Fiktion gelten andere Zeit- und Ortsverhältnisse als in der physischen Welt; unbelebte Elemente werden zu Personen; Kräfte und sogar Städte treten in personifizierter Gestalt auf. Farben, Materialien, Geräusche bilden Kulissen, die nicht sehr viel mit der erfahrbaren Welt gemeinsam haben. In der gesamten Apokalypse wird die Fiktion mit ihren spezifischen Ausprägungen konsequent weitergefiihrt. Die vielen Entsprechungen zwischen den verschiedenen Visionen zeigen einen kohärenten Gebrauch von Gestalten und deren Charakterisierung. Einzelne Elemente des fiktiven Vokabulars treten immer gleich auf, andere hingegen werden im Laufe der Erzählung erkennbar verändert. 26 Konstante Verwendungen wie auch Entwicklungen und VerändeIUndurch. Damit scheint in der SclUlderung der Visionen und Auditionen auf das .Uneigentliche. des Geschaulen und Gehörten und auf diese Weise auf die Mangelhaftigkeit der Bildersprache aufmerksam gemachi zu sein. Dasselhe wie für die Präposition .wie. gilt rur das Adjektiv .gleich (wie). (Ö~Ol
Von den Visionen zur Geschichte
217
beinhaltet einen weiteren Hinweis auf eine Vergangenheit. die von Bedrückung und Bedrängnis gekennzeichnet ist. 5 Dem Leiden der Treuen Gones begegnet man innerhalb der ausgewählten Visionen auch in Offb 13. Die Wirkung des Tieres auf die Christen wird in V.6 und anschliessend in V. 9f aufgenommen. Das mächtige Wesen aus dem Meer führt Krieg gegen die Heiligen und besiegt sie. Die Christen erfahren diesen Kampf in Form von Tod und Gefangenschaft. 6 Schliesslich taucht das Motiv der Bedrückung der Christen in Offb 17.6 auf: die Stadt-Frau BabyIon betrinkt sich mit dem Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu. 7 Das Blut der Heiligen. das Schwert und die Gefangenschaft. der gewonnene Krieg des Tieres gegen die Christen. das Schreien der Menschenschar. die aus der grossen Bedrängnis kommt. können als verschiedene Aspekte derselben Erfahrung betrachtet werden: Es sind Facetten der Bedrängnis. unter welcher Johannes und seine Adressaten zu leiden haben. Nach den aufgeführten Stellen erscheint diese Bedrückung als eine Art von Leiden. welche speziell die Christen trifft: Sie charakterisiert die Lebenssituation von Menschen. die sich zur zuverlässigen Beziehung zu Jesus und Gott bekennen. Die betrachteten Perikopen aus der Offenbarung des Johannes identifizieren die Situation der 9At<jJ\S'. der Bedrängnis. mit der Lebenssituation der Christen schlechthin. Nach der Darstellung des Verfassers führt die Beziehung zu Gott. zu Jesus und zur lIamA€la die Christen in eine Situation von Zerrissenheit, von Leiden und von Bedrängnis.
/./.2 Die vernichtenden Mächte Die analysierten Texte lassen nicht nur die Lage der schwerwiegenden Bedrängnis durchscheinen. sie weisen auch auf die Ursachen dieses Leidens der Christen hin. Die Situation ist von den zerstörerischen Kräften - dem Vernichter. dem Tier und den weiteren Unwesen - verursacht. In den Visionen werden diese Gestalten als negative. auf Vernichtung und Tod ausgerichtete Kräfte geschildert.' Stellen wie Offb 13.9f und 17.7ff machen deutlich. dass diese Kräfte nicht nur in der Fiktion tätig sind. sondern auch in der Welt der Adressaten. Ihre verheerende Macht trifft alle Bewohner der Erde. nicht nur die Treuen Gottes. 9 Die Totalität der Macht der zerstörerischen Kräfte wird in den Visionen mit verschiedenen Mitteln und sehr detailliert geschildert. 10 Aus den Beschreibungen des Vernichters und seines Heeres in Oflb 9 und aus der Schilderung des ersten Tieres und des Drachens in Offb 13 geht hervor. dass diese Wesen die gesamte Erde , Dazu 11 4.4.3. • Dazu s. 11 6.6. 7 Dazu 11 7.2.2. • S. Offb 9.13 und Offb 17. 9 S. z.B. Offb 9.6.18 und 17.16. 10 S. als Beispiel die Schildenmg des Tieres aus dem Meer in Offb 13.1-3a. wo typische Allribule von Macht vorkommen: Hörner. Diademe. ein Thron. Kraft (6Uva~\» und gmsse Macht (Houo(a).
218
Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
und alle Ebenen des gesellschaftlichen Lebens beeinflussen. Der Drache und das Tier üben Macht über alle Stämme. Völker, Nationen und Sprachen ausII; die gesamte Erde steht hinter ihnen 12. In der Beschreibung des Aussehens und der Wirkung der vernichtenden Kräfte kommen häufig militärische Ausdrücke vor. 13 Die Huldigung an ihre Macht wird mit einem religiösen Wortschatz ausgedrückt.!· Nicht zu übersehen sind die ökonomischen Auswirkungen der Macht der zerstörerischen Tiere: die Stadt-Frau BabyIon hat aus der Beziehung zu ihnen einen immensen Reichtum gewonnen.!s Nach der Darstellung der Visionen sind die Mächte, die fiIr die Bedrängnis der Christen verantwortlich sind. gewaltig und allgegenwärtig.
/./.3 Babyion Die Erfahrung der Bedrängnis kennzeichnet das Leben des Johannes und seiner Mitchristen. Die gleiche Kategorie wird im Rahmen der Visionen mit den Heiligen, den Treuen Gottes assoziien und von den negativen Mächten, dem Drachen und seinen Tieren, verursacht. Schliesslich liefern die ausgewählten Visionen ein letztes aufschlussreiches Element: Der On, wo die Macht der vernichtenden Kräfte sich konkretisien. ist die Stadt BabyIon. Nach der Vision in Offb 17.3-18 ist BabyIon einerseits durch grossen Reichtum und grosse Gewalt und andererseits durch das Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu gekennzeichnet. Sie ist zugleich ein On von Pracht und von grosser Bedrängnis: BabyIon umfasst alle Menschen, die Anbeter des Tieres wie auch die Treuen Gottes. Diese QuerleklÜre durch die ausgewählten Texte zielte darauf, die Erfahrung von Konflikt und Bedrängnis, die die gesamte Offenbarung prägt, in den Blickpunkt zu rücken. Der Vergleich zwischen den Zügen, welche auf die Zerrissenheit der Treuen Gottes hinweisen. lässt drei Dimensionen des schwerwiegenden Konfliktes unterscheiden, dem die Heiligen ausgesetzt sind. Die Bedrängnis wird als diejenige Lebenserfahrung dargestellt, in der Johannes seine fiktive Reise durch den Himmel verfasst. Auch im Rahmen der Visionen fasst die Kategorie der Bedrängnis verschiedene Formen von Leiden, Not und Gefahr zusammen, von denen die Treuen Gottes bedrückt werden. Die Bedrängnis wird in den Visionen ausserdem als Zeichen des Konflikts zwischen den Treuen Gottes und den vernichtenden Mächten präzisien: der Drache und das Tier sind die Urheber der Bedrückung. SChliesslich hebt die Vision der Stadt der Vernichtung, der Mutter aller Huren. die räumlichen Konturen des Konfliktes und der Bedrängnis S. 13.7 und 17.15. " S. 13.3b. 13 Dazu vgl. 9,7-12 und 13,4.7. " S. beispielsweise das Vorkommen von npooKuv{W und ~Xao .. ~~iw in Oflb 13.1-11. Dazu 0 6.3. " Die ökonomischen Auswirkungen der Machl der vemichlenden Kräfle werden in 13.17 deutlich beschrieben. Vgl. auch die eminente Rolle der Kaulleule und die Auflislung der angebotenlen Güler in Oflb 18. 11
Von den Visionen zur Geschichte
219
hervor: Dort wo die Macht der zerstörerischen Kräfte sich entfaltet. wo Reichtum. Pracht und grosse Gewalt in konzentrierter Fonn erscheinen. leben und leiden die Treuen Gones. 1.2 Zur Rekonstruktion des historischen Hintergrundes Diese Elemente aus den Visionen erlauben keine Rekonstruktion der geschichtlichen Lage. weisen jedoch auf eine Konnotation dieser Situation hin: Sie machen klar. dass die Lebenserfahrung des Verfassers und der Adressaten der Offenbarung von einem schwerwiegenden Konflikt geprägt isl. In den Visionen der Offenbarung liegen noch weitere Elemente vor. welche auf die geschichtliche Lage anspielen. Die besondere Deutung in Offb 17.8-18 enthält eine Art EntschlUsselung der vorangehenden Visionen in 17.1-6: das Tier und die sieben Häupter. die zehn Hörner und die grosse Hure werden mit anderen Grössen identifIZiert. Dabei erfliJut der Leser der Offenbarung. dass die sieben Hörner des Tieres sieben Berge und sieben Könige sind. die zehn Hörner ebenfalls. sowie dass Babyion die grosse Stadt ist. welche die Herrschaft Uber die Könige der Erde haI. Die Deutung ist rätselhaft. sie weist darauf hin. dass es nötig ist. zu interpretieren. gibt jedoch die Aufgabe einer klaren Auslegung an die Adressaten der Schrift weiter. 16 Ob die damaligen Christen in den Ideinasiatischen Gemeinden diese Rolle der Deuter Ubernommen haben. wissen wir nichl. Wirkten die Anspielungen auf ihre geschichtliche Lage unminelbar auf sie? Waren diese Hinweise selbstverständlich? Diese Fragen bleiben offen. Ganz andere Fragen stellen sich. wenn wir trotz unserer zeitlichen Distanz von bald zwei Jahrtausenden versuchen. die von der Offenbarung ausgehende Aufforderung wahrzunehmen und die darna1ige Geschichte auszulegen. Diese Aufgabe ist gezwungenennassen mit Schwierigkeiten auf verschiedenen Ebenen gekoppell.17 Einerseits mUssen der darna1ige Zeitgeist, die darna1igen Erfahrungen von Geschichte. die verschiedenen Facenen des darna1igen Lebens und seiner institutionen rekonstruiert werden. Jede Skizze dieser vergangenen Zeit beruht auf der Analyse und Auswertung archäologischer und literarischer Quellen und ist definilionsgemäss fragmentarisch. lückenhaft. Auf der anderen Seite liegt eine noch tiefgrUndigere Schwierigkeit vor. nämlich das Problem der Rekonstruktion der Wirkung der darna1igen geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation auf verschiedene Leute mit verschiedenen Persönlichkeiten und Weltanschauungen. In der Auslegung der Offenbarung und in der Rekonstruktion ihres historischen Hintergrundes sind die genannten Probleme gross. Man stellt nämlich fest. Zur Beschaffenheil. Rolle und Bedeulung von 17.8-18 •. U 7.4 und 119.2.3. Dazu Both.. Neoles!. 22.89: .1be henneneutical aspeet of ru.torical research deaIs with two problems: on the one hand the irreducible strangeness of the past and on the other the fact of continuily in hislory - wruch after a11 is the .tory of human beings». 16 17
220
Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
dass die zahlreichen Auswertungen gleicher literarischer Quellen in bezug auf die Offenbarung recht unterschiedliche Schilderungen der Geschichte ergeben. Nach Leonard E. Thompson tendieren die Kommentatoren der Offenbarung dazu. sich den ausserbiblischen Quellen viel naiver als christlichen Texten zu nähern." Die Beziehung zwischen den literarischen QueUen und dem historischen Hintergrund bedarf einer sorgfältigen Reflexion und Auswertung: In diesem Vorgehen muss darüber hinaus die Beschränktheit jeder rekonstruierenden Arbeit stllndig vor Augen gehalten werden. 19 Im Bewusstsein der Schwierigkeiten. die die Fragestellung mit sich bringt. soll versucht werden. wesentliche Momente der geschichtlichen Situation. in der die Offenbarung verfasst wurde. zu beschreiben. Damit sollen die Fragen geklärt werden. welche die verschlUsseIten Anspielungen in den Visionen entstehen lassen: Woraus bestand die Bedrtlckung der Treuen Gottes? Wie manifestierten sich die negativen Kräfte in der damaligen Geschichte? Welches war der Rahmen. in dem die Christen ausharrten. zerrissen zwischen der Erwartung der bereits angebrochenen ßaOtAEla und der Bedrängnis?
, •• First of 811. however. a comment nceds to be made about the relationship betwccn earty Christian and Roman sourccs. Put simply. commcntalOß on the Boolt of Revelotion (perhaps man: gencnllly on earty Christianity) \end to approach Roman writings more naively than Christian writings •• T71e Boot 0/ R.velDlion 96. 19 lbompson. Semeia 36. 163 weisl auf diese Problematik im Rahmen einer soziologischen Auswertung der Bcdränsnis in der Offenbarung hin: .A sociology of the Apocalypsc considcrs causal connections between the litcrary and the social. but there is a1ways the nccd to malte cl... in any spccitic situation what kind of causal connection is being made. how approltimate it iso an how limitcd is the situation in which it operat....
Datierung der Offenbarung
221
2 Datierung der Offenbarung Zur Rekonstruktion des historischen Hintergrundes gehön die geographische und zeitliche Situierung der Johannesoffenbarung. Diese wird in zwei Stufen vollzogen: Zuerst werden Hinweise aus der Offenbarung selber auf diese Fragestellung hin überprüft; in einer zweiten Phase werden frühchristliche Zeugnisse in den Mittelpunkt gestellt.
2.1 Hinweise aus der Offenbarung In der Selbstdarstellung in Oftb 1,9f gibt Johannes Auskunft über seinen Standon: Auf Patmos fand er sich. Die Verbform E'YEV0I111V hebt die Veränderung hervor, lässt erkennen, dass Johannes vorher nicht auf dieser Insel war.' Der Grund dieses Onswechsels nimm! das lbema der Bedrängnis wieder auf: Der Seher ist in Patmos wegen seiner Beziehung zum Won Gottes und zum Zeugnis Jesu. 2 Die Adressaten der Offenbarung leben hingegen in gut besiedelten Zentren, in sieben bedeutenden Städten K1einasiens, nämlich Ephesus, Smyma, Pergamon, Thytira, Sardes, Philadelphia und Laodizea.
2.1.1 Die sieben Häupter und die Kaiser Im Gegensatz zu den geographischen Nachweisen, die plausibel scheinen, müssen die zeitlichen Angaben innerhalb der Offenbarung einer heiklen Entschlüsselungsarbeit unterzogen werden. Eine zentrale Stelle in diesem Zusammenhang ist Offb 17,9-11. Hier werden die sieben Häupter des Tieres mit sieben Bergen, auf denen Babyion sitzt, gleichgestellt. Zugleich sind sie sieben Könige: fünf unter ihnen sind bereits gefallen, der eine ist gegenwänig, der andere wird kommen, aber nur kurz bleiben. Das Tier, das war und in der Gegenwart gar nicht da ist, aber kommen wird, ist der achte König und einer der sieben. Die IdentifIZierung der sieben Häupter mit den Bergen der Stadt Babyion und mit den Königen veranlasst dazu, Babyion als Chiffre für Rom und die Könige als Anspielung auf die Kaiser aufzufassen.) Angenommen, dass die Gegenwart in der Deutung von 17,lOf auch die Gegenwart des Verfassers miteinbezieht4, sollte ein Vergleich zwischen dem Rätsel mit den Häuptern des Tieres und der
Vgl. I 3.3. insbesonsere Anm. 37. Dazu vgl. die Ausftlhrungen I 3.3. J Dazu vgl. auch I Pell 5,13. • Über die Meludeutigkeil der Zeilen innerhalb der Visionen s. U 9.3.5. I
2
Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
222
Liste der Kaiser einen Hinweis auf die Datierung der Offenbarung ergeben. Wie sich in der Folge erweisen wird, ist dieser Vergleich nicht leicht durchftlhrbar.' Die Liste der römischen Kaiser bis Ende des ersten Jahrbunden sieht wie folgt aus: AuguslUs Tiberius Caligula
(27 v.Chr.- 14 n.Chr.) (14-37)
(37-41) (41-54)
Claudius Nero Galba
(54---68) (68-69)
Otho
(69)
ViteUius (69) Vcspasian (69---79) (79-81) Titus Domitian (81-96) (~98) Nerva (98-1 I7) Trajan Wie wurden die Kaiser aber vom Verfasser der Offenbarung gezählt? Hielt er sich an die chronologische Reihenfolge aller Kaiser, samt jenen, die nur sehr kurz an der Macht waren, wie Galba, Otho und ViteUius? Mit welchem Kaiser beginnt die Zählung nach Offb 17? Diese ftlr die Dechiffrierung des Rätsels unumgänglichen Fragen werden in der Literatur sehr unterschiedlich beantwortet; von diesem Schrill hängen die verschiedenen Datierungen der Offenbarung ab.
2. J.2 Das sechste Haupt und Domitian Eine elegante Lösung des Problems hat Jarl Henning Ulrichsen gefunden. 6 Er geht davon aus, dass die sieben Häupter des Tieres nur eine Auswahl der Kaiser darstellen und als solche nicht der vollständigen Liste der Principcs entsprechen. 7 Nach ihm beginnt die Zählung der Häupter-Könige nicht etwa mit Cäsar oder Augustus, sondern erst mit Caligula, denn dies ist der erste Kaiser, der als Typus des Antichrists aufgefasst werden kann. B Die aufgeftlhnen Argumente aus den , Dazu s. Slrobel. NTS 10. 433: .Oie Versucbe. aufgrund von Apok. xvii. 9-12 über die Abfassun, der SchOf! Klarheit zu ,ewinnen. sind überaus zahlreich. Viele Ausle,er haben an diesem Te.t ihren Scharrsinn erprobt. Trotzdem ist man über plausible und Y Kaiser nicht mit aufgenommen. EHr ausschliesslich postteleologische Aspekt fühne norwendigetweise VAr Beschränkung auf jene Kaiser. die erst noch Christus an die Macht kamen. Sie wurden dun:h Caligula eingeleitel>•. lo Die lntem:gnumskaiser Galba, 0Ih0 und Vitellius müssten nicht mitgezählt werden. weil ihre Wirlrung auf die Christen als lnteregnumskaiser nicht spürbar gewesen seL11 Das Rätsel der ersten sechs Häupter wird von Ulrichsen wie folgt gelöst: erstes Haupt: zweites Haupt: drittes Haupt: vienes Haupt: fünftes Haupt: sechstes Haupt:
Caligula Claudius Nero Vespasian Titus Domilian
Das sechste Haupt. der gegenwärtige König. ist Domitian. Nach dieser Deutung der Häupter muss die Offenbarung in die Regierungszeit dieses Kaisers datien werden.
synoptischen Skizzen der "'ßChicdenen Positionen bei U1richsen. ibid. srr Zum Problem der Aufzlhlung der Kaiser VII. auch Yarbro Collins. Crisis anti Ca/ha"is 6().....64. 9 'mW 26. 131. S. auch Ulrichsen. ibid. 9. '0 NTS 10.440. S. auch Ulrichsen. ibid. 9. " Die von U\richsen anSCfUhne ArpmenlBlion entsprichI derjeniscn von Yarbro Collins. Crisis anti Ca"'"is 64. vor: .h is impossible to say with cenainty what John bad in mind. 1be most likely hypothesis is that he helan countinl with CaJiSUla and iDcluded the followinl emperors in sequence. omittinl Galba, Otho. and Vitellius as reilninl too sbon a time to """'" trouble for the saints. lbe ana101Y of the easIc vision in 4 Ezra makes it plausible that a ~ lection could have been made of emperors who were especially ~ and hated •. S. auch Prigen~ Iopocalyps. 261. Nach U1richsen kommen die drei Interresnumskitiser doch noch in Oflb 13.1 vor: sie sind mit den anderen Kaisern seit CaJisuladurch die 10 Hörner symbolisien. S. vor allem ibid. 13-IS.
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Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
2.1.3 Die Rolle der Nero-LegeMe Folglich muss das siebte Haupt der Nachfolger Domitians sein, während das achte Haupt, das zugleich mit dem Tier gleichgesetzt wird, sowohl der Nachfolger des Nachfolgers als auch einer der flinf bereits gestorbenen Kaiser ist. Die gleichzeitige Zugehörigkeit des achten Hauptes (oder des Tieres) zur Vergangenheit und zur Zukunft wird von den meisten Exegeten als eine Anspielung auf die Legende um Nero aufgefasst. 12 Diese Annahme in bezug aufOffb 17,11 beeinflusst auch die Auslegung von 13,1-10: das achte Haupt, d.h. eines der sieben Häupter und das Tier, müssen dann logischerweise alle als Chiffre flir Nero betrachtet werden. ll Über den Tod von Kaiser Nero, der sich 68 von einem Sklaven umbringen liess, zirkulierten allerlei Gerüchte und Legenden. Einige behaupteten, dass der Kaiser nicht gestorben, sondern geflohen sei, und dass er bald zurückkommen werde, um wieder an die Macht zu gelangen. I' Ein Zeugnis dieser Gerüchte liegt bei Sueton vor: Nero starb im zweiunddreissigsten Altersjahr, an dem Tag. an dem er einst Oetavia halle umbringen lassen. Die Freude des Volkes über sein Ende war so gross, dass alles mit Freiheitsmützen auf dem Kopf in der ganzen Stadt herumlief. Trotzdem fehlte es auch nicht an Leuten, die noch lange Zeit sein Grab im Frühling und Sommer mit Blumen schmückten und auf der Rednenribüne bald mit dem Senatorengewand bekleidete Bilder von ihm aufstellten. bald Edikte zum Vorschein brachten, wie wenn er noch lebe und in kurzem zum grossen Schaden seiner Gegner zurückkehren werde. Ja sogar der Panherkönig Vologaesus liess anlässlich einer Gesandtschaft an den Senat zwecks Erneuerung des Bündnisvenrages ganz besonders darum billen, dass das Andenken an Nero gepflegt werde. Und als endlich, zwanzig Jahre später - ich war damals ein 12 S. u.a. Charles, R~vdation
I 333; Müller, Off~nbanurg 297ff; Roloff. Off.nbanurg 136f; R~v~lation 83. Andon:r Meinung ist Kraft. Off~nba",ng 176. Il S. Ulrichsen. ibid. 4: Der Verfasser sieht in Oflb 13 und 17 eme zweIfache Funktion des Tieres: es SicHt zugleich das römische Imperium als auch einen bestimmten Kaiser. nämlich Nero, dar. Zur Beziehung zwischen dem Tier und Nero s. auch die Rätselzahl 666 in 13.18. Es ist möglich. von dieser Zahl zu .Nero Kaiser» zu kommen. 666 entspricht dem numerischen Wen der hebräischen Transkription des lateinischen Namens::IN (= SO) + ,IR (= 200) + 1/0 (= 6) +:IN (= SO) + p/C (=100) + 0/5 (= 60) + ~ (= 200) = 666. Nach Richard Bauckham. Th~ C/inuu: 0/ Prophecy 384ff bedeutet 666 zugleich Nero Kaiser und 8qp(ov. Tier. Rechnet man den numerischen Wen der Buchstaben in der hebräischen Transkription. kommt man nämlich zu: ~/e (=400) + -Jp (= 200) + '/1 (=10) + 1/0 (=6) + iN (= SO) = 666. Diese Auslegung kommt der Formulierung in Offb 13.18 sehr nahe. denn clon wird 666 als die Zahl des TIeres und eines Menschen beschrieben. Dazu und zu anderen denkban:n Deutungen von 666 s. Yarbro eollins, Th. CombaJ 174--176. Oherweis, ZNW 77, 226-241 und Bohak, JSP 7. 119-121. 14 Zur Legende von Nero s. Yarbro Collins, Th. Combot 176-183; Petraglio. Obi,Von. 36Of; Müller, Off~nba",ng 297-300; Bauckham, Th. Clirruu: 407-431; Bodinger. RHR 206. 21--40; Prigent. RHPItR 55. 219-23S.
lohse. Offmbarung 78; Prigenl. Apoca/yp.. 203; Schüssler Fiorenza
Datierung der Offenbarung
225
junger Mann - ein Mensch unbekannter Abkunft auftrat und sich als Nero ausgab, besass dieser Name bei den Parthern einen so guten Klang, dass sie ihn mit aller Macht unterstützten und nur ungern an uns ausliefenen." Eine andere Beschreibung liegt bei Laktanz vor. Der Verfasser legt den plötzlichen Tod von Nero als Strafe Gottes aus, weil der Kaiser die Diener Gottes samt Paulus und Petrus hinrichten liess. In diesem Zusammenhang wird die Legende um Nero erwähnt:
Aber er (Nero) blieb nicht ungestraft. Gon nämlich sah auf die Qual seines Volkes. Der zügellose Tyrann wurde daher von der Höhe seiner Macht hinabgestürzt und vom Gipfel hinabgestossen und war plötzlich verschwunden, so dass nicht einmal der On des Grabes des üblen Ungeheuers auf der Erde bekannt war. Daher entstand bei manchen wahnwitzigen Leuten der Glaube, dass er hinweggenommen sei und lebendig aufbewahn werde, um so, wie er ja der erste Verfolger war, auch als der letzte wiederzukehren und der Ankunft des Antichrist vorauszugehen ( ... ).'. Besondere Konturen gewann die Legende um Nero in jüdischen Kreisen. Er wurde als dämonisches Wesen dargestellt, das von den Enden der Erde gekommen sei. um Rom zu zerstören,l1 Ein Beispiel dieser Vorstellung fmdet man im vienen Buch der Sybillinischen Orakel: Aus Italien erscheint ein grosser König als Aüchtling; fliehen wird er, verschwunden. verschollen. über den Euphrat. ( ... ) WesIWärts zieht dann das neuentfachte Kriegesgetümmel. und Roms Aüchtling erhebt des Krieges gewaltige Lanze und überschreitet also mit vielen Tausend den Euphrat." Die Herrschaft von Domitian erscheint somit nach diesen Interpretationen von Offb 13 und 17 als eine Zeitspanne zwischen der Macht des gefallenen Nero und seiner baldigen Wiederkunft. I. Aufgrund der Nero-Legende kann die Liste der sieben Häupter wie folgt vervollständigt werden: erstes Haupt: zweites Haupt: drittes Haupt: viertes Haupt: filnftes Haupt:
Caligula Claudius Nero Vespasian Titus
I' Leben der Cacsarcn. Nero 57. Übenetzung von AncW !.amben.
I. Mon. 2.8. Die Übersetzung slammt aus GuyollKlein. Das !rlJh. Christ.nlum
I. 23. Dazu s.Yarbro Collins. Cone(D) 24. 475. 18 Or. Sib. 4. 119.137. Vgl. auch 5.137-154.361-385. Die deUlSChe Übersetzung stammt aus Müller. Off.nba""'g 298. " Dazu vgl. Bovon. CrSt 7. 23 I. 17
226
Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
sechstes Haupt: Domitian siebtes Haupt: ein Kaiser, der nur kurz bleibt achtes (und eines der sieben, d.h. drittes) Haupt: Nero Angesichts dieser Entschlüsselung der sieben Häupter-Könige entsteht die Frage, ob die Tatsache, dass Nerva nur wenige Jahre regierte, als zufällige Koinzidenz angesehen werden soll.20 Wenn das siebte Haupt aber tatsächlich auf die kurze Zeit von Nerva hinweist, dann kämen als mögliche Zeit der Entstehung der Offenbarung auch die ersten Jahre unter Trajan in Frage. Die Präsensform in 11,10, b Ets" E'onv, d.h. Domitians Zeit, wäre in diesem Fall nicht mit der Zeit der Abfassung der Schrift identisch, was an und für sich durchaus denkbar wäre.
2.1.4 Die sieben Häupter und die sieben Berge Offb 11,9 enthält einen weiteren Hinweis zur Datierung der Offenbarung auf das Ende des I. Jh. Die sieben Häupter des Tieres werden mit den ~ieben Bergen identifIZiert, auf denen die Stadt-Frau Babyion sitzt. Liest man noch V.18 dazu, erscheint dann die Anspielung auf die Stadt Rom offensichtlich: Und die Frau, die du gesehen hast, ist die grosse Stadt, die die HerTschaft über die Könige der Erde hat. Der Vergleich zwischen Babyion und Rom, der in jüdischen Schriften aus jener Zeit bezeugt ist, lässt sich jedoch erst für die Zeit nach der Zerstörung des JerusaIemer Tempels nachweisen. 21
2.1.5 Auswertung Die vorgenommene Entschlüsselung der sieben Häupter setzt die Entstehungszeit der Offenbarung unter Domitians Regierungszeit an. Diese Annahme wird von den allermeisten Auslegern geteilt. 22 20 Für diese Lösung entscheidet sich Ulrichsen. ibid. S.I.5. 21 Vgl. die Untersuchung von Mireille Hadas-Lebel, JirwaJ.m (=das Imperium Romanum) ,trunken vom Blut der Mänyrer> sieht (Apk 17.6) und von denen spricht. die um des Zeugnisses rur Jesus und um des Wo"es Goues willen enthauptet worden sind (Apk 20.4) •. • Vgl. dazu 11 4.4.3.
Ergebnis
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zweiten Vision von Oftb 13. Aus diesem Text geht unmissverständlich hervor, dass die Treue zum Tier und der Handel eng verbunden sind: Und es (das zweile Tier) bewirkt, dass alle, Kleine und Gmsse, Reiche und Arme, Freie und Sklaven sich auf ihre rechle Hand oder auf ihre Stirn ein Zeichen machen und dass keiner kaufen oder verkaufen kann, ausser wenn er das Zeichen, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens, hat' Die Teilnahme am florierenden Markt in den k1einasiatischen Städten scheint nur aufgrund der Annahme der politisch-religiösen Macht des Kaisers möglich zu sein. 6 Eine andere Einsicht in die An des Ausschlusses aus dem öffentlichem Leben, den die Treue zu Gott als Folge imp1izien, konunt im Kurzbrief an die Gemeinde in Thyatira vor, der vorgeworfen wird, Götzenopferfleisch gegessen zu haben.' Die Gefangenschaft, vielleicht der Tod für einzelne Mitglieder der Gemeinde, der drohende Ausschluss aus dem öffentlichen Leben auf den Plätzen und Märkten der Städte sind Aspekte der Bedrängnis.· Dazu kommen weitere Konflikte, von denen wir in den sieben Briefen zu Beginn der Visionenreihe Kunde haben. Die Beziehungen zu den Juden scheinen angespannt. Stellen wie Offb 2,9 und 3,9 kann man entnehmen, dass zumindest die Christen in Smyrna und Philadelphia sich von der Synagoge bereits getrennt hatten. Die Konflikte mit den Juden, deren Glauben im römischen Reich ein besonderer Status zuerkannt wurde9 , spielen vermutlich in der Beschreibung der Bedrängnis der Heiligen auch eine bedeutende Rolle. Die Suche nach einer ausgesprochen christlichen Identität führte die Gemeinden zu einer Trennung von der Synagoge und folglich zum Verlust gewisser Privilegien, und dies trug wiederum zur Verschärfung der Konflikte im Leben einer «heidnischen» Stadt bei. Alles deutet somit darauf hin, dass die Gemeinden sich von Konflikten an verschiedenen Fronten bedrängt fühlten.
, Offb 13,16.f. • Vgl. dazu noch das Kurzsc~ihen an die Gemeinde in Laodizea. Oflb 3,14-22. Vgl. auch die eminenIe Rolle des Handels und der Handelsleule in Offb 18. 7 S. Oflb 2.20. Die Verfehlung einiger Gemeindeglieder. die das Aeisch von den heidnischen Opfern gegessen hauen. ,teht im Zusammenhang mit Bildem von Prostitution und sexueller Untreue. So wie Babyion erscheint auch !sehei als Hure. als Frau. die zu Zerstörung und Tod fühn. • Dazu vgl. Oe Silva, SocAn 53, 375-395. 9 Dazu s. Pleseia, Latomus 30, 123. Zur Situation der Juden in den Städten K1einasiens am Ende des ersten Jh. n.Ch. liegen wenige hislorische Dokumente vor. Thompson, Tht Book 0/ R..tlmion 139 fasst die Lage der Juden zu jener Zeit so zusammen: .( ... ) ou~ Jewish privilege, in the empire came about through a .series of city-Iaws of local application, which, a1thoug !hey possessed common principles. differed in detail from one city to the nexl> ( ... ). Jewish stalus outside Judaea was .ethnic nuber than national. and .!he question of whe!her Judaism was a pcrmilted religion does not seem 10 arise at alh ».
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Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund
Dazu fallen noch die Anspielungen auf innergerneindliche Auseinandersetzungen auf. 10 Die Bedrängnis, der Johannes auf Patmos und seine Adressaten in Kleinasien ausgeliefert sind, hat vielerlei Gesichter. Einzelne repressive Massnahmen wie Tod und Gefängnis, die Schwierigkeit, gleichzeitig den Kult des Kaisers zu verweigern und dennoch am Gemeinschaftsleben teilzunehmen, die Schwierigkeit, von der florierenden Wirtschaft der im ganzen Imperium dafiir bekannten Städte zu profitieren, die Auseinandersetzungen mit der Synagoge und schliesslich die Zerstrittenheit innerhalb der Gemeinden kennzeichnen das Leben der Christen, fiIr die die Apokalypse geschrieben wurde.
10
S. Offb 2.2.6.t4-16.2~22.
IV. Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte
Diese Untersuchung ist als Versuch konzipiert worden. sich mit den Visionen der Offenbarung als Teilen eines abgeschlossenen literarischen Werkes auseinanderzusetzen. Aufgrund dieser Absicht wurden die ausgewählten Visionen primär als in sich abgeschlossene Sprachbilder betrachtet und ausgelegt. Dieses Vorgehen hat sich bewährt: Die Analyse von sieben Visionen hat gezeigt. dass die Frage nach der Bedeutung dieser dichten. bildlichen Erzählungen beantwortet werden kann. ohne auf eine Entzifferung aller einzelnen Elemente der Vision rekurrieren zu müssen. Die Visionen bergen einen Sinn in ihrer Gestalt als sinntragende Einheiten. obwohl (oder gerade weil) sie als sehr komplexe Gebilde verfasst wurden. Als mehrdimensionale Sprachbilder umfassen die Visionen der Apokalypse verschiedene Sinnhorizonte. Als abgeschlossene. siMtragende Einheiten vennitteln sie eine besondere Sicht des Kosmos. der Mächte. welche die Geschichte lenken. der Räume und Zeiten. in denen sich die Geschichte abspielt. und schliesslich der Menschen. welche die gegensätzlichen Mächte anbeten und verehren. Diese Schilderungen in den Visionen bringen die Adressaten der Offenbarung dazu. die Geschichte. in der sie leben. unter einem anderen Gesichtspunkt auszulegen. Die Sprachbilder der Offenbarung verlangen eine Auseinandersetzung mit den Mächten. die das Leben der Christen in den kleinasiatischen Gemeinden prägen. und sie suggerieren eine neue Sicht der Welt. Bereits aus der Textanalyse wurde deutlich. dass die Visionen als Fiktionen in einer dichten. wechselseitigen Beziehung mit dem historischen Kontext stehen. in dem sie verfasst und rezipiert wurden.
1 Von der Täuschung in der Geschichte zu den Visionen Die historische Situation wird in der Apokalypse vor allem durch die Kategorie der 8AlljllS'. der Bedrängnis. gekennzeichnet. Bedrückung und Leiden umfassen das Leben der Christen in ihrer Umwelt. Schwert und Gefangenschaft und sogar der Tod kommen in den Visionen als Momente der Drangsal vor. welcher die Heiligen ausgesetzt sind. Dazu kommt der Aspekt des Ausschlusses aus dem öffentlichen Leben. vor allem aus dem regen Handelsaustausch. Unter dem Begriff der Bedrängnis werden alle Konflikte subsumiert. die das Leben der
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Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte
christlichen Gemeinden in den florierenden Städten in K1einasien prägten. Die Auseinandersetzungen mit verschiedenen Richtungen in den Gemeinden und eine vermutlich schwierige Trennung von der Judengemeinde kommen zu den Spannungen hinzu. die das Leben in einer vom Kaiserkult geprägten Stadt mit sich brachte. Nicht nur die religiöse Verehrung des Kaisers und seiner Standbilder verursachte den Christen Schwierigkeiten. sondern vor allem das Eindringen der religiösen Relevanz der Kaiserverehrung in weite Bereiche des städtischen Lebens. denn das öffentliche Leben und das Gewerbe konnten nicht von den Veranstaltungen zur Ehre des Kaisers getrennt werden. Aus dem Vergleich zwischen den Visionen und den Streiflichtern zum historischen Kontext wird deutlich. dass die Macht des Kaisers in der damaligen Gesellschaft als unbeschränkt erscheinen musste. Sowohl die Person des Herrschers als auch der gesamte Machtapparal und seine Institutionen imponierten und schienen allgegenwärtig und unbesiegbar. Die Antwonen auf die Fragen nach dem wahren Herrscher der Geschichte und nach der stärksten Macht im Kosmos konnten in der damaligen historischen Situation nicht selbstverständlich sein. Die Pracht. die Stärke. die Macht und die Gewalt des römischen Apparates konnten durchaus mit deljenigen Gottes verwechselt werden. Johannes nahm diese Spannungen in seinen Brief an die sieben Gemeinden auf. Er inszenierte in den Visionen diese Stimmung von Konflikt. Bedrängnis und Ambivalenz. Mit Spiegelbildern und paradoxen Symmetrien gab er die Konfusion wieder. welche die historische Situation seiner Adressaten kennzeichnete. In dieser besonderen Situation von Bedrängnis und Konfusion nahm der Verfasser der Apokalypse vorliegende Traditionen auf. verknüpfte sie mit der christlichen Botschaft und formte dieses vielfaJtige Material zu neuen Visionen. in denen Trost. Zuwendung und Klarheit aus der göttlichen Dimension zum Ausdruck gebracht wurden. Mit seinem Brief tröstete er die Gemeinden. die Zerreisproben ausgeliefen waren. und warnte sie vor der Täuschung der vernichtenden Kräfte. welcher sie erliegen konnten.
2 Von der Klarheit der Visionen zur Geschichte Die Visionen schaffen der Eindeutigkeit des Gottes des Lebens und seines Versprechens einer Stadt von Trost. Heil und Zuwendung einen angemessenen Raum. In der Fiktion der Visionen. von seinem besonderen. himmlischen Standpunkt aus beobachtet und beschreibt Johannes Szenen. in denen Gott und der Vemichter. das Lamm. die zahlreichen Unwesen und die Tiere. die Stadt aus dem Himmel und die Stadt der Zerstörung. die Menschen. die Gott treu sind.
Schlussfolgerungen
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und die Anbeter der vernichtenden Kräfte als das erscheinen, was sie wirklich sind, und folglich deutlich unterschieden werden können. Was Johannes sieht und nacherzählt. bietet die Möglichkeit, die Geschichte anders, neu zu deuten. Geordnet in einer fiktiven Reise durch verschiedene Räume und Zeiten liefern die Visionen eine wahre Sicht der Mächte, welche die Geschichte lenken. Nur aufgrund der Klarheit aus den Visionen ist es möglich, in der Konfusion und der Bedrängnis auszuharren. gegen die Täuschung der zerstörerischen Kräfte auf der Erde siegreich zu kämpfen, dem Versprechen der Stadt der Zuwendung und des Heiles treu zu bleiben. Die Beziehung. die zwischen der Fiktion der Visionen und der historischen Lage besteht. kann zusammenfassend als wechselseitig bezeichnet werden. Einerseits erscheint die Apokalypse als Produkt einer bestimmten Zeit: Die Suche der Gemeinden nach einer christlichen Identität. ihre Verbundenheit mit der jüdischen Tradition und die Integrations- und Loyalitätskonflikte im Rahmen des römischen Reiches prägen dieses Werk auf unverkennbare Weise. Aus der Situation der Bedrängnis entsteht nun andererseits eine Schrift, die eine neue, deutliche Sicht der Welt und der Geschichte liefen und ihre Adressaten aufforden, diese himmlische Klarheit zu würdigen und ihr treu zu bleiben. Die Visionen der Johannesoffenbarung fordern Leserinnen und Leser auf, sich gerade mit der eigenen konfliktgeladenen Situation auseinanderzusetzen; sie erlauben ihnen, unter den verschiedenen Mächten !rotz allen Täuschungen und Ähnlichkeiten klar zu unterscheiden.
3 Ausharren und Deuten: zur ethischen Relevanz der Wechselwirkung Die kreisförmige Bewegung von der Geschichte zur Fiktion und wiederum von den fiktiven Visionen zur historischen Situation zurück gewinnt für die Adressaten dieser Schrift eine ganz bestimmte ethische Relevanz. Die himmlische Klarheit in den Visionen, die bildliche Darstellung der Allmacht Gottes und des Lammes. ihrer Liebe und Zuwendung. sind mit der Einladung an die Rezipienten gekoppelt, sich mit der Kontingenz des Lebens zu befassen, sie auszulegen und zu deuten. Die direkten und indirekten Aufforderungen und die verschlüsselten Deutungen in den Visionen fordern eine besondere Haltung: Der Verfasser der Offenbarung liefen den Christen in den sieben Gemeinden keine Verhaltensregeln, keine Listen von zulässigen oder wilnschenswenen Handlungen. Der Seher macht die Leserinnen und Leser seiner Schrift vielmehr darauf aufmerksam, dass Gott und sein Lamm auf der Seite der Lebendigkeit stehen, während die vernichtenden Kräfte auf den endgilltigen. «zweiten» Tod ausgerichtet sind. Er macht deutlich, dass es unmöglich ist, Handlungen zu vollziehen, die auf Tod
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Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte
und Vernichtung gründen, und troIZdem auf der Seite Gottes zu stehen. An der Klarheit aus dem Hinunel sollen sich die Menschen in den k.Ieinasiatischen Städten orientieren, in dieser Perspektive sollen sie beurteilen, welches Verhalten sich mit dem Versprechen von Jerusa1em vereinbaren lässt. Johannes leugnet nicht, dass die Treue zu und die Zuversicht auf Gott schwerwiegende Folgen implizieren. Er bestreitet nicht, dass das Leben der Christen von Bedrängnis, Leiden und Blut gekennzeichnet ist. Vielmehr lässt er die Situation der Christen insofern ausweglos erscheinen, als die zuversichtliche Beziehung zum Gon des Lebens Bedrängnis mit sich bringt, aber eine Beziehung zum Tier und den Kräften, welche seine Macht ermöglichen, unvermeidlich zu Tod und Leiden fUhren. In dieser Situation von grosser Spannung interpretiert der Verfasser der Offenbarung die unollovq, diese Art engagiener, aktiver Geduld, das Ausharren der Heiligen, mit einer hinterfragenden, deutenden Haltung gegenüber der Zweideutigkeit der Existenz in der damaligen Gesellschaft: Im Gemenge des Lebens und gegenüber der Täuschung, die von den vernichtenden Kräften inszeniert wird. ist - mit den Worten von Offb 17,9 - ..eine Vernunft gefragt. die Weisheithat".
4 Visionen und Krisenzeiten: ein Ausblick Die ethischen Anweisungen der Offenbarung, die Aufforderung. sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. der Täuschung der vernichtenden Kräfte Widerstand zu leisten. dem Gott des Lebens und seinem Lanun treu zu bleiben. können als Versuch aufgefasst werden. eine Situation der Krise und der Orientierungslosigkeit zu bewältigen. Dieses Werk. das Johannes in der besonderen Situation der Bedrängnis in Patmos am Ende der Regierungszeit Domitians verfasste, hat in den folgenden Jahrhunderten und bis zum heutigen Tag eine ausgesprochen starke Wirkung gehabt. Dies bezeugen die zahlreichen Kommentare und literarischen Aufarbcitungen der Johannesoffenbarung und die unbesuitten vielfliltigste und breiteste ikonographische Wirkungsgeschichte unter allen biblischen Büchern. Angesichts des Gewichtes der Offenbarung in der abendländischen Geschichte und der Grossanigkeit zahlreicher von ihr inspirierter Werke erscheint die Frage nach den Umständen und Gründen eines solchen Erfolgs als dringend und unumgänglich. In Anlehnung an die Fragestellung dieser Untersuchung könnte man versuchen. die Eigenschaften und die theologische Bedeutung von «Relektüren» der Apokalypse in bestimmten Momente ihrer Wirkungsgcschichte nach der Hypothese einer wechselseitigen Beziehung, diesmal jedoch zwischen den ~reilS vor-
Schlussfolgerungen
251
liegenden Visionen und einer bestimmten historischen Situation von Krise und Bedrängnis, zu erfassen. Ein oberflächlicher, lückenhafter Einblick in die reiche Wirkung der Offenbarung von der Zeit ihrer Entstehung bis zum heutigen Tag scheint der Hypothese eine gewisse Berechtigung zu verleihen, dass die christlichen Gemeinden mit Vorliebe in Zeiten der Krise und der Bedrängnis zur Apokalypse griffen. Bereits der älteste bekannte Kommentar der Offenbarung durch Victorinus von Pettau entsteht zur Zeit der Diokletianischen Verfolgungen, während derer der Verfasser selber starb. Die reiche Tradition der Kopien des illustrierten Kommentars des Beatus, der um die Mine des 8. Jh. entstand, erreicht ihre Blütezeit in der Epoche der christlich-muslimischen Konfrontationen auf der iberischen Halbinsel.' Auch die geschichtlichen Umstände und die theologischen Aussagen der monumentalen Tapisserie von Angers, die wahrscheinlich 1373 von Louis d'Anjou in Auftrag gegeben wurde2, könnten noch in diesem Zusammenhang untersucht werden. Weiter könnte auf Dilrers illustrierte Ausgabe des Apokalypsentextes vom Ende des 15. Jhl , einer entscheidenden und konfliktreichen Epoche in der Kirchengeschichte hingewiesen werden. In diesem ausblickenden Schlussabschnitt wurden diese bekannten Beispiele aus der Geschichte des Offenbarungstextes zur illustration einer Arbeitshypothese erwähnt, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keinen Platz mehr finden kann. Die Entwicklungen der Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in verschiedenen Zeiten und mit verschiedenen theologischen Interpretationen der Johannesapokalypse könnten erst nach eine präzisierenden Anpassung der GrundfragesteIlung verfolgt werden. Ausserdem wäre wegen des unumgänglichen Einbezugs von ikonographischen Auslegungen ein anderes methodisches GetiJst verlangt.
I
1 J
Dazu s. Williams, Th, HiS/ory o!rh, Morgan B,arUJ ManUJcripr t 3. Dazu s. Ruais, Jalons pour /'hisroi" d, /a "nlu" 19. Die Ausgabe datien von 1498. Dazu vgi. GroIe, Dilr". ApolriJlyp.., vor allem S.S.
Faszination und Gefahren Die oben entworfene Idee. die Fragestellung an ausgewählten Etappen der Wirkungsgeschichte der Apokalypse weiterzuführen. wäre nicht nur von theologisch-historischem Interesse. Die aufgestellte Hypothese könnte nämlich auch Einsichten über den heutigen Umgang mit dem letzten Buch der Bibel eröffnen. In den gut vier Jahren. die diese Albeit in Anspruch genonunen hat. hat mich die verblüffende Vielfalt an Relektüren und Neuschreibungen. an künstlerischen Darstellungen. an Auseinandersetzungen jeder Art und Richtung und schliesslich an vollkommenen Verfremdungen der Apokalypse stark beeindruckt. Seriöse und beängstigende Versuche einer Aktualisierung des alten Textes wurden in allen denkbaren Bereichen und mit sehr unterschiedlichen Medien vorgenonunen: Bücher und Essays. Comics. Filme. illustrierte Textausgaben. Darstellungszyklen... In diesem chaotischen Meer der heutigen «apokalyptischen» Produktion setzt sich die Tendenz zu einer endzeitlichen Auffassung durch. Und gegen die Identifizierung des Wortes «Apokalypse» mit dem Ende der Welt. dem Untergang der Welt oder mit wiederkehrenden Katastrophen grösseren Ausmasses scheinen die Versuche. die in eine andere Richtung weisen. gar nichts bewirken zu können. Viele verstehen «die Apokalypse» als Sammelbegriff für die gewaltige und endgültige Katastrophe. die von der modemen Techrtik eingeleitet wird. Diese Auffassung wird beispielhaft vom Physiker Bernhard Philbert ausgedrückt: «In der gesamten Erd- und Menschheitsgeschichte gab es noch nie eine Zeit. wie sie sich in den letzten Jahren bis 1960 erfüllte. Bewohnern der Erde ist die Macht zugewachsen. ihren gesamten Lebensraum zu verderben. Der Griff nach Nuklearenergie zusammen mit der Erreichung der kosmischen Geschwindigkeiten hat erstmals Bestand und Ende lilIen irdischen Lebens dem Tun und Lassen der Menschen überantwortet. ( ... ) Christus hat mit unvergleichlicher Treffsicherheit und mit allzeit verständlichen Worten das innerste Wesen der herankommenden Endzeit dargestellt. (... ) Während Christus in seinen Parousiereden das Wesen kennzeichnet. zeigt die Geheime Offenbarung den konkreten Ereignisablauf. ( ... ) Die Geheime Offenbarung enthält - wenigstens was die die Endzeit einleitenden Aktionen anbelangt - keinerlei Symbolik. Jeder Deutungsversuch ist daher von vornherein verfehlt. Sie ist vielmehr eine überaus nüchterne und kurzgefasste Erlebnisbeschreibung. Es genügt daher die einfache Gegenüberstellung der Ereignisse. die sich aus den derzeitigen Vorbereitungen
254
Nachwon
im ,Ernstfalle> zwangsläufig ergeben. zu den Bildern der Geheimen Offenbarung": Neben diesen Vorstellungen. die auf die Umkehr des fonschritts- und machtsüchtigen Menschen zielen. gibt es unzählige andere Inszenierungen des Weltunterganges durch vielerlei Gründe und Kräfte: diese Horrorszenarien umfassen meiner Ansicht nach die gesamte Palette vom Ausgefallenen bis zum Paranoiden. Auch in diesen Zusammenhängen greift man gerne zur Offenbarung. Aus ihr werden einzelne Bilder und Symbole entnommen. die willkürlich mit irgendeiner Situation oder Figur identifizien werden. All diesen Versuchen ist eine Tendenz gemeinsam. nicht nur einzelne Visionen der Offenbarung zu simplen Allegorien zu vereinfachen. sondern auch die Wahrnehmung unserer verstrickten. undurchschaubaren Gegenwart. Während ich meine Zeit der Erforschung von Offenbarungstexten widmete. konnte ich von den beängstigenden Kontexten nicht absehen. in denen das Won «Apokalypse» und Zita/e davon auftauchen. Vielleicht deswegen habe ich mich auf die Beziehung zwischen Zeiten der Krise und Visionen konzentrien. Das Analysieren und Auseinanderlegen. das Sich-Vertiefen in Texte und alte Zeugnisse war nJimlich auch eine Strategie. um gegen diese unangenehmen Feststellungen und die mit ihnen verbundenen Angstgefilhle zu kämpfen. Ausserdem filhrte mich die exegetische Arbeit an den Visionen zur Überzeugung. dass eine differenziene und kritische Beschäftigung mit den Visionen der Offenbarung in der heutigen Zeit. in der Gefilhle der Orientierungslosigkeit und der Bedrohung weit verbreitet sind. zu wichtigen Entdeckungen führen kann und zu einem der Komplexität angemessenen Verständnis unserer Geschichte verhilft. Mit gegensätzlichen Gefilhlen mache ich nun hier einen Halt auf meiner Reise durch die apokalyptischen Fiktionen. Denn einerseits bin ich von den Gefahren bedrückt. die diese Schrift seit vielen Jahrhundenen mit sich bringt. Insbesondere besorgt mich die reduktive. banalisierende Betrachtung sowohl der dichten und mehrdeutigen Visionen als auch der eigenen Wirklichkeit. Diese Haltung erscheint mir wie eine chronische und lähmende Krankheit. Andererseits bleibt die grosse Faszination einer raffinienen Welt von Fiktionen. welche zu einer neuen. an Lebendigkeit und Venrauen orientienen Sicht der Welt herausforden .
• Bemhard Philben. Christlich~ ProPMtj~ und Nuiüar~n.,gj~. Zürich 1961. 112 und 168[.
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. I:
Rollsiegel. akkadisch, im Louvre; Winter u.. Frau und Göllin, Abb. 253; Kul 0., Wirk mächtige Siegeszeichen im AT. Ikonographische Studien zu Jos 8,18-26; Ex 17.813; 2Kön 13,14-19 und IKön 22,11. Freiburg - GÖllingen 1974 (OBO 5); Delaporre L, Catalogue des cylindres orientaux, musU du Louvre. I1: Acquisitions, Paris 1923, A 172; Boehmer R.M., Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit, Berlin 1965. Abb. 385.
Abb.2:
Rollsiegel. a1lSyrisch, im Louvre; Winler u., ibid., Abb. 489; Delo.porre L. ibid., A 925; Conlenau G., La glyptique syro-hillite. Paris 1922, Abb. 161.
Abb.3:
Abdruck eines Rollsiegels, altsyrisch, ehern. München (Original verloren); Winter u., ibid .• Abb. 490; EI-Safadi H., Die Entstehung der syrischen Glyptik und ihre Entwicklung in der Zeit von Zimrilim bis Ammitaqumma. Teil I: UF 6 (1975), 313-352. Abb 126; MoorlgalCorrens U., Altorientalische Rollsiegel in der staatlichen Münzsammlung München, Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst. 3. Folge 6 (1955), 7-27, Abb. 24.
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