Jutta Träger Familie im Umbruch
Jutta Träger
Familie im Umbruch Quantitative und qualitative Befunde zur Wahl von Fa...
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Jutta Träger Familie im Umbruch
Jutta Träger
Familie im Umbruch Quantitative und qualitative Befunde zur Wahl von Familienmodellen
Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16264-5
Danksagung Mein Dank und meine Anerkennung gilt an dieser Stelle all denjenigen, die mir in den vergangenen Jahren zur Seite gestanden haben. Insbesondere möchte ich mich bei Prof. Dr. Dieter Eißel von der Justus-Liebig-Universität Gießen für seine große fachliche und menschliche Unterstützung bedanken. Ein weiterer herzlicher Dank gebührt Prof. Dr. Peter Schmidt, der viel zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen hat, Prof. Dr. HanneMargret Birckenbach wie auch Prof. Dr. Alexander Grasse von der Justus-LiebigUniversität Gießen für ihre kollegiale und freundschaftliche Unterstützung. Auch bedanke ich mich bei meiner Lektorin Andrea Thode für die gute Zusammenarbeit. Ein ganz persönlicher Dank gilt meinen Eltern, Horst und Elfriede Träger, und meinen Freunden, vor allem Anne-Katrin Meier, die mich in meinem Promotionsvorhaben immer bestärkt haben. Ihnen allen habe ich viel zu verdanken.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis Abbildungsverzeichnis Einführung
10 12 13
1
Familienpolitik und Ernährermodell im deutschen Wohlfahrtsstaat
18
1.1 1.2 1.3
18 19
1.4 1.5
2
3
Was bestimmt eine Familie? Familienpolitik: Zielsetzungen und Inhalte Das Familienernährermodell: Struktur, Entwicklung und Spezifika im deutschen Wohlfahrtsstaat Abschied vom Ernährermodell als Voraussetzung einer neuen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit? „Duale“ Familienmodelle: Neue Aufteilung von Erwerbs- und Familienleben?
21 26 29
Determinanten der Familienmodellwahl
34
2.1 2.2 2.3
34 35 37
Sozioökonomische und -demographische Einflussfaktoren Institutionelle Rahmenbedingungen Individuelle Einstellungen und Wertorientierungen
Aktuelle Zielsetzungen und Implikationen familienpolitischer Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben
39
Instrumente der Familienpolitik Finanzierung familienpolitischer Leistungen Entwicklungslinien vereinbarkeitsorientierter Familienpolitik in der BRD Paradigmenwechsel in der Familienpolitik? Wirkungsweisen von Familienpolitik
39 41 43 52 57
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4
Fragestellung und Explikation der Hypothesen, Datengrundlagen
61
5
Methodisches Vorgehen
65
5.1 Studiendesign 5.2 Quantitativer Studienteil 5.2.1 Datengrundlage I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002 5.2.2 Operationalisierung der Hypothesen 5.2.3 Stichprobenbeschreibung ALLBUS/ISSP 2002 5.2.4 Stichprobenbeschreibung ALLBUS 1988
65 69 69 70 73 77
8
6
7
5.2.5 Methodik zur Auswertung des ALLBUS/ISSP 2002 5.3 Datengrundlage II: Befragung zu „Impact of Family Policy on Family Life” 5.3.1 Operationalisierung der Fragestellung 5.3.2 Datenerhebung und Rücklauf 5.3.3 Stichprobenbeschreibung „Impact of Family Policy on Family Life” 5.3.4 Methodik zur Auswertung der „Impact of Family Policy on Family Life“ Daten 5.4 Qualitativer Studienteil 5.4.1 Das qualitative Interview und die Entwicklung des Leitfadens 5.4.2 Auswahl der Befragten 5.4.3 Beschreibung der qualitativen Stichprobe 5.4.4 Transkription und qualitative Auswertung 5.4.5 Validität und Reliabilität der qualitativen Studie 5.5 Empirische Erhebungen 5.6 Kritische Anmerkungen zur Methodik
80
86 87 87 90 91 92 93 94 95
Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
97
80 81 83 84
6.1 Erosion des traditionellen Familienernährermodells 6.1.1 Erosion bei (Ehe-)Paaren mit Kindern 6.1.2 Erosion bei (Ehe-)Paaren ohne Kinder 6.1.3 Ergebnis I: (Teil-)Erosion des Familienernährermodells 6.2 Duale Familienmodelle in Ost- und Westdeutschland 6.2.1 Duale Familienmodelle von (Ehe-)Paaren mit Kindern 6.2.2 Duale Familienmodelle von kinderlosen (Ehe-)Paaren 6.2.3 Ergebnis II: Duale Familienmodelle in Ost und West 6.3 Bestimmung der Einflussfaktoren auf die Familienmodellwahl 6.4 Deskriptive Ergebnisse der ermittelten Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik 6.5 Regressionsmodelle 6.5.1 Soziodemographische Einflüsse auf Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik 6.5.2 Indirekte Effekte der Soziodemographie auf die Familienmodellwahl 6.5.3 Multinomiales logistisches Regressionsmodell 6.5.4 Welche Indikatoren beeinflussen die Familienmodellwahl? 6.5.5 Ergebnis III: Direkte und indirekte Einflüsse auf die Familienmodellwahl
97 99 101 102 104 106 107 108 109
Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
146
7.1 Der Staat als familienpolitischer Akteur 7.1.1 Erwartungen an den Staat als Akteur in der Familienpolitik 7.1.2 Einstellungen zu familienpolitischen Maßnahmen 7.1.3 Einstellungen zu Kindergeld und Erziehungsgeld
148 149 151 154
117 121 122 130 131 135 144
9 7.2 7.3 7.4 8
9
Einstellung zu Erwerbssphäre und Familienleben „No Policy with Evidence“ Ergebnis IV: Datenanalyse II – Impact of Family Policy on Family Life
156 160 164
Datenanalyse III: Familieninterviews
166
8.1 Festlegung des Analysemodells 8.2 Entwicklung Kategoriensystem und Kodierung 8.3 Vorbereitung der Analyse 8.4 Familiale Entscheidungsprozesse bei der Familienmodellwahl 8.4.1 Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben: Hauptkonflikte und Lösungsansätze 8.4.2 Familiale Arbeitsteilung im Haushalt – partnerschaftliches Konfliktfeld? 8.4.3 Staatliche versus private Gestaltung von Familienleben 8.4.4 Familienpolitik: Eine kritische Bilanz der Betroffenen
167 168 169 170
Komplementäre Ergebnisse der Datenanalysen und Handlungsoptionen für Politik 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
(Teil-)Erosion des Ernährermodells und Herausbildung dualer Familienmodelle Was bestimmt die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelkarrieremodell? Was bestimmt die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelverdienermodell I/II? Wie wirken Familienpolitik und familienpolitische Interventionen? Empfehlungen für Politik zur Gestaltung eines „neuen“ Vereinbarkeitsarrangements
Literaturverzeichnis Anhang
171 177 179 184
188 188 189 190 192 193 196 211
Tabellenverzeichnis
Tab. 1.1: Tab. 1.2: Tab. 5.1: Tab. 5.2: Tab. 5.3: Tab. 5.4: Tab. 5.5: Tab. 5.6: Tab. 5.7: Tab. 5.8: Tab. 5.9: Tab. 5.10: Tab. 5.11: Tab. 5.12: Tab. 5.13: Tab. 5.14: Tab. 6.1: Tab. 6.2: Tab. 6.3: Tab. 6.4: Tab. 6.5: Tab. 6.6: Tab. 6.7: Tab. 6.8: Tab. 6.9: Tab. 6.10: Tab. 6.11: Tab. 6.12: Tab. 6.13: Tab. 6.14:
Erwerbsmuster von Männern und Frauen und Betreuungsarrangements Erweiterung der Erwerbsmuster von Männern und Frauen Operationalisierung der Familienmodelle Operationalisierung der soziodemographischen Indikatoren Operationalisierung der subjektiven Einstellungen/institutionellen Regelungen Stichprobe nach Filterkriterien Verteilung von Geschlecht, Alter und Familienstand ALLBUS/ISSP 2002 Verteilung von Bildung und Haushaltseinkommen ALLBUS/ISSP 2002 Verteilung des Erwerbsvolumens der Befragten ALLBUS/ISSP 2002 Verteilung des Erwerbsvolumens der (Ehe-)Partner ALLBUS/ISSP 2002 Verteilung der soziodemographischen Basismerkmale ALLBUS 1988 Verteilung von Erwerbsstatus und Erwerbsvolumens ALLBUS 1988 Fragestellung und ausgewählte Indikatoren Verteilung von Geschlecht, Alter und Familienstand der Befragten Verteilung von Bildung, Haushaltseinkommen, Erwerbsstatus der Befragten Qualitative Stichprobe – Familieninterviews Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 2002 Faktorenanalyse: Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen Faktorenanalyse: Einstellungen zur familialen Aufgabenteilung Faktorenanalyse: Einstellungen zu Umfang der Erwerbszeit von Frauen Faktorenanalyse: Einstellungen zu staatlichen Transferleistungen Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben – Indizes Einstellung zum Männeranteil an der Familienarbeit Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen Regressionsanalyse (OLS): Einstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zu erklärende Variablen
30 32 71 71 72 74 74 75 76 77 78 79 82 85 86 91 98 100 102 105 107 108 113 114 115 116 118 119 120 125
11 Tab. 6.15: Zusammenfassung der abhängigen Variable Familienmodelle Tab. 6.16: Modellvariablen – unabhängige Einflussfaktoren auf Familienmodelle Tab. 6.17: MLR: Maximum-Likelihood-Schätzung; Parameterschätzer: Doppelkarrieremodell – Ernährermodell Tab. 6.18: MLR: Maximum-Likelihood-Schätzung; Parameterschätzer: Doppelverdienermodell I/II - Ernährermodell Tab. 7.1: Erwartungen an Familienpolitik Tab. 7.2: Bewertung familienpolitischer Maßnahmen im Bundesgebiet Tab. 7.3: Bewertung familienpolitischer Maßnahmen nach West- und Ostdeutschland Tab. 7.4: Bewertung der Höhe von Kindergeld und Erziehungsgeld Tab. 7.5: Umfang staatlicher/privater Zuständigkeit in familienpolitischen Bereichen Tab. 7.6: Zuständigkeit in familienpolitischen Bereichen Tab. 8.1: Ablaufmodell: Strukturierende Inhaltsanalyse Tab. 8.2: Aufteilung der Hausarbeit
133 135 138 142 150 152 153 155 158 159 167 178
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2: Abb. 3.1: Abb. 3.2: Abb. 5.1: Abb. 6.1: Abb. 6.2: Abb. 7.1: Abb. 7.2: Abb. 7.3: Abb. 7.4:
Einflussfaktoren auf die Familienmodellwahl – Mediationseffekte Familienbezogene Maßnahmen 2005 Standardmodell der Evaluationsforschung Studiendesign: Triangulationsmodell Hypothesen als Pfadmodell Multinomiales logistisches Regressionsmodell mit drei Logits Einfluss des Staates auf Familienleben Umfang staatlicher Einflussnahme auf das Familienleben Erhalt von Kindergeld und Erziehungsgeld Wünsche von berufstätigen Vätern an Arbeitgeber
38 42 57 66 110 134 148 149 155 163
Einführung
Seit Beginn der ersten rot-grünen Legislaturperiode 1998 werden in der Bundesrepublik Deutschland familienpolitische Themen sowohl von der Politik selbst, den Medien wie auch der Fachöffentlichkeit breiter diskutiert. Dabei geht es zum einen um die Erhöhung der Einkommensposition von Familien über direkte monetäre Transfers, beispielsweise durch das Kindergeld und die Kinderfreibeträge. Zum anderen steht die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben auf der familienpolitischen Agenda. Eine zentrale Rolle in der aktuellen Debatte über die mangelnde Kompatibilität von Familienund Erwerbssphäre spielen die Versorgung mit bedarfsgerechter Kinderbetreuung wie auch die Freistellungsregelungen für Eltern. Erhebliche strukturelle Mängel im derzeitigen System öffentlicher und öffentlich finanzierter Kinderbetreuung sowie zu kurz gegriffene Freistellungsregelungen erschweren es vor allem westdeutschen Frauen nach wie vor, gleichzeitig Mutter und erwerbstätig sein zu können, beschränken aber auch die Beteiligungsleistungen von Vätern an der Erziehungs- und Familienarbeit (Leitner 2005; Gerlach 2004; Träger 2006). Insbesondere das Fehlen von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Krippenalter, unzureichende Flexibilität der Öffnungszeiten sowie nicht ausreichend lange Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen sind mitverantwortlich für die schwierige Balance von Berufstätigkeit und Familienleben. Dies verdeutlichen neuere Untersuchungen auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), die auf den engen Zusammenhang zwischen der Entscheidung für ein erstes Kind und der hohen Versorgung mit vielfältigen Kinderbetreuungseinrichtungen verweisen (Hank et al. 2003). In derselben Untersuchung wird ebenfalls festgestellt, dass es eines deutlichen Angebotsausbaus bedürfe, um zu signalisieren, dass Kinder und Beruf miteinander vereinbar sind und sich daher auch erwerbsorientierte Frauen für eine Mutterschaft entscheiden können. Aber auch andere Studien, wie beispielsweise die Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach (2005) über die Ursachen für die geringe Nutzung der Elternzeit durch Väter, bestätigen erhebliche Problemlagen bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben (vgl. Kap. 7.3). Fehlende betriebliche Kinderbetreuungseinrichtungen und unflexible Arbeitszeitmodelle werden von den berufstätigen Vätern als Hauptursache für die mangelnde Kompatibilität beider Sphären angesehen. Esping-Andersen (20.12.2003) kritisiert in einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau zu Recht, dass in Deutschland nach wie vor ein sehr enger Begriff von Familienpolitik dominiert. Soziale Unterstützung wird nur im Fall eklatanter familiärer Defizite gewährt und die Familienpolitik ist nach wie vor traditionell an einer Epoche ausgerichtet, als Ehen auf Lebenszeit geschlossen wurden, Frauen unbezahlt Erziehungs- und Hausarbeit leisteten und der männliche Haupternährer das familiale Einkommen sicherte. Aktuelle Analysen dokumentieren, dass mittlerweile keine dieser Voraussetzungen noch existiert, dafür aber eine Reihe neuer sozialer Risiken wie auch anderer Bedürfnisse entstanden sind. Esping-Andersen kommt daher zu dem Schluss, dass eine neue sozialstaatliche Ordnung notwendig geworden ist: „Die heutigen Sozialstaaten haben sich - mit der bemerkenswerten Ausnahme der skandinavischen Länder - seit den großen Reformen der Nachkriegszeit sehr wenig verändert. Im Wesent-
14
Einführung lichen spiegeln sie noch immer die Beschäftigungs-, Familien- und Risikostrukturen der Epoche unserer Väter und Großväter wider. Viele Befürworter des Sozialstaates werden das begrüßen und für die unwiderlegbare Bestätigung der mächtigen und dauerhaften Legitimität des Sozialstaates halten. Für andere ist gerade solcher Widerstand gegen Veränderung ein Anlass zu tiefer Sorge. Diese anderen verweisen auf die wachsende Lücke zwischen entstehenden neuen Bedürfnissen und Risiken einerseits und einem zunehmend archaischen System sozialer Sicherheit andererseits. Unter den Besorgten gibt es jene, die mehr Markt fordern und weniger Staat; andere befürworten ein neues Sozialstaatsmodell. Ich zähle zu der zweiten Gruppe.“ (EspingAndersen 2003: 1)
Auch in der Bundesrepublik Deutschland sorgt die Ausgestaltung des zukünftigen Sozialstaatsmodells für Zündstoff in Politik, Wirtschaft und (Fach-)Öffentlichkeit. Neben der demographischen Alterung der Gesellschaft stehen ökonomische Herausforderungen wie auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit im Zentrum heftiger Kontroversen. Die Entwicklung der Familie als zentrale gesellschaftliche Lebensform und deren Einbindung in das System sozialstaatlicher Sicherung stoßen in den letzten Jahren überdies auf breites Interesse wie auch Diskussionsbedarf in der Gesellschaft (Butterwegge 2006; Eißel 2006; 2003; Kaufmann 1997). Dem wohlfahrtsstaatlichen Teilbereich der Familienpolitik in Deutschland bescheinigt Esping-Andersen (2003), den zentralen Herausforderungen der heutigen Zeit nicht gerecht zu werden. Als solche identifiziert er drei Kernbereiche: Die Familiengründung, die Balance von Familien- und Erwerbsleben und die „immer ernsteren Folgen einkommensbezogener und sozialer Probleme in der Kindheit“ (Esping-Andersen 2003: 4). Das Problem der niedrigen Erwerbsquoten von Müttern, der mangelnden Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben und damit einhergehender niedriger Fertilitätsraten ist allerdings zumindest in Westdeutschland nicht neu. Ganz im Gegenteil zeigt der Blick auf die Entwicklung der Familienpolitik seit 1953, dass die mangelnde Kompatibilität beider Sphären geradezu kennzeichnend für die Lage in Westdeutschland war und bis heute ist (vgl. hierzu Gerlach 2004; Wingen 2003; Kaufmann 1995; 2002; BMFSFJ 2003; Langer-El Sayed 1980; BMFSFJ 2005a). Seit den 70er Jahren ist eine umfangreiche Forschungsliteratur entstanden, in der das (deutsche) Modell der familialen Arbeitsteilung, das sogenannte „männliche Familienernährermodell“ und die damit einhergehende Unvereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben, insbesondere für Frauen, kritisch hinterfragt wurde (Langan/Ostner 1991; Lewis/ Ostner 1994; Pfau-Effinger 2000; Daly 2004; Sainsbury 1999; BMFSFJ 2005a; Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004). Mit dem Begriff des männlichen Familienernährermodells wird dabei ein institutionelles Regime bezeichnet, in dem Frauen bei der Geburt eines Kindes zum Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit ermutigt werden und Vätern die Versorgerrolle zugeschrieben wird (BMFSFJ 2005a). Das traditionelle Ernährermodell bildet bis in die heutige Zeit die normative Grundlage der familialen Arbeitsteilung und kann als Indikator für die Organisation der Vereinbarkeit von Berufs- und Familiensphäre angesehen werden. Allerdings verweisen gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungstendenzen inzwischen auf starke Veränderungsprozesse bezüglich der Bereiche Arbeit, Bildung und Kultur, die zugleich mit einem Bedeutungsverlust des traditionellen Ernährermodells und mit Veränderungen von Familienleben einhergehen, aber auch mit dem Zerfall der traditionellen Geschlechterordnung in Verbindung stehen (Butterwegge 2006; 2001; Crouch 1999; Hantrais 2004; Eißel 2008; Ruhl et al. 2006; Fraser 1996; 2001). Dementsprechend setzt das „Design einer effektiven neuen Familienpolitik (...) zunächst die Erkenntnis voraus,
Einführung
15
dass das Modell des männlichen Alleinverdieners in der postindustriellen Gesellschaft völlig kontraproduktiv geworden ist“ (Esping-Andersen 2003: 5). Die Herstellung eines neuen wohlfahrtsstaatlichen Gleichgewichts bedingt insofern neben höheren gesellschaftlichen Investitionen in Kinder eine neue Aufteilung der familialen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, die eng mit der Entwicklung alternativer „dualer“ (egalitärer) Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familiensphäre in Verbindung steht (BMFSFJ 2005c: 280; Lewis 2001; 2003). Voraussetzungen für die zukünftige Gestaltung von Erwerbs- und Familiensphäre wie auch vereinbarkeitsorientierter Maßnahmen im wohlfahrtsstaatlichen Teilbereich Familienpolitik sind einerseits Kenntnisse über die Verteilung alternativer „dualer“ Familienmodelle in der Gesellschaft wie auch über die Einflussfaktoren, welche die Familienmodellwahl mitbestimmen, andererseits aber auch Erkenntnisse über die Wirkung familienpolitischer Maßnahmen im Hinblick auf die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell. Diese Forschungsinteressen stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Einführung in die Fragestellung Die vorliegende Arbeit baut auf der vorab angeführten Annahme auf, dass die sozioökonomischen und kulturellen Veränderungen zu einem Bedeutungsverlust des tradierten Familienernährermodells geführt haben, welches offenkundig den heterogenen Lebensentwürfen in der Bevölkerung immer weniger entspricht (Statistisches Bundesamt 2006a; 2006b; Peuckert 2005; Bäcker et al. 2008). Auch bestätigen die Berechnungen auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels die Erosion des traditionellen Modells (Bothfeld et al. 2005: 177). Die Annahme wird allerdings dahingehend erweitert, dass die Ablösung des Ernährermodells zu einer Ausdifferenzierung von zunehmend „dual“ (egalitär) ausgerichteten Familienmodellen beziehungsweise Vereinbarkeitsmodellen geführt hat (Lewis 2001; 2003; 2004), da diese den differierenden familialen Lebensentwürfen und den steigenden Ansprüchen von Frauen an die Ausübung einer Erwerbsarbeit weitaus mehr entsprechen (vgl. ausführlich Kap. 1.5). Danach stellt sie die Frage nach der Verteilung „dualer“ Familienmodelle in der Gesellschaft. Empirische Evidenz der verschiedenen Familienmodelle und Angaben über die Verteilung dieser Modelle in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland lassen alleine aber kaum valide Rückschlüsse über die Einflüsse zu, welche die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell determinieren. Unstrittig ist zwar, dass soziodemographische Faktoren wie beispielsweise das Bildungsniveau sowie institutionelle Rahmenbedingungen, aber auch individuelle Wertorientierungen und Einstellungen Effekte auf familiale Entscheidungsprozesse haben. Bislang wenig Beachtung fand dagegen die Überprüfung dieser postulierten Einflüsse anhand empirischer Modelle. Im Unterschied zu normativen Diagnosen wird bei der vorliegenden Arbeit mittels eines Multi-Methoden Designs getestet, ob a) bestimmte sozioökonomische und -demographische Indikatoren wie auch b) subjektive Einstellungen über die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben und c) institutionelle Rahmenbedingungen die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familienmodell beeinflussen (Lengerer 2004a; 2004b; Klein 2006; Ruckdeschel 2004). Die Wahl eines Familienmodells wird allerdings nicht nur von sozioökonomischen/ -demographischen Indikatoren oder auch subjektiven Einstellungen bestimmt, sondern auch von konkreten (familien-)politischen Interventionen. In diesem Kontext ist zwischen dem
16
Einführung
Einfluss der institutionellen Rahmenbedingungen eines Wohlfahrtsstaats und der (theoriegeleiteten) Wirkungsanalyse einzelner politischer Maßnahmen zu unterscheiden. Während Klassifikationen von Wohlfahrtsstaatsregimen im Sinne von Esping-Andersen die Einordnung auf der Makroebene vornehmen, verbindet die Wirkungsanalyse die gesellschaftliche Ebene mit der Akteursebene (Mikroebene) und prüft den kausalen Wirkungszusammenhang im Hinblick auf eine Interventionsmaßnahme (Bamberg/Gumbl/Schmidt 2000; Bamberg/Schmidt 2001; Chen 1990; Rossi/Lipsey/Freeman 2004). Die empirische Evidenz der Wirksamkeit einzelner familienpolitischer Maßnahmen ist bisher zwar kaum nachgewiesen worden. Dennoch ist davon auszugehen, dass Familienpolitik durch Rahmenbedingungen Handlungsentscheidungen familiärer Akteure zumindest beeinflusst und deren Realisierung wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher macht (Lengerer 2004a; 2004b; Strohmeier 2002; Vaskovics 2002; Neyer 2004; Kaufmann 1995). Ob ein solcher Zusammenhang tatsächlich eine kausale Beziehung zwischen politischer Maßnahme und Wirkung auf familiäre Akteure impliziert, ist bisher jedoch nicht belegt. Es stellt sich damit die Frage, welche familienpolitischen Implikationen die Ablösung des traditionellen Familienernährermodells fördern – zugunsten alternativer „dualer“ Familienmodelle – beziehungsweise hemmen und auf welcher methodischen Basis die Wirkung dieser Interventionen überhaupt nachgewiesen werden kann (vgl. hierzu ausführlicher Kap. 3.5). Am Ende der quantitativen und qualitativen Untersuchungen stehen Antworten auf die derzeit in Politik, Wissenschaft und Medien viel diskutierte Frage, welche familienpolitischen Maßnahmen hinsichtlich der Ablösung des traditionellen Familienernährermodells hemmend oder förderlich sind und wie ein „neues“ Vereinbarkeitsarrangement aussehen könnte. Zum Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in zwei Hauptteile. Im ersten Teil (Kapitel 1 bis 3) werden – unter Einbezug des aktuellen Forschungsstands und der Explikation der Fragestellung – zunächst die konzeptionellen Grundlagen ausgeführt und im zweiten Teil die Ergebnisse der Multi-Methoden Studie dargelegt (Kapitel 4 bis 8). Die Arbeit schließt mit Kapitel 9, in dem die Ergebnisse der Studie zusammengeführt sowie Handlungsoptionen und Empfehlungen für die Politik unterbreitet werden. In dem dieser Einführung folgenden 1. Kapitel wird zunächst der Familienbegriff definiert und kritisch diskutiert wie auch zentrale Zielsetzungen und Inhalte der Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland skizziert. Hieran schließen sich die Erläuterungen über die Struktur und Entwicklung des Familienernährermodells sowie dessen Einbindung in den deutschen Wohlfahrtsstaat. Die Charakterisierung der wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen basiert auf der Klassifikation von Esping-Andersen (1990; 1999). Unter Bezug auf das Konzept des Familialismus wird das Familienernährermodell in den sozialstaatlichen Kontext der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet. Anschließend wird nachgezeichnet, welche Dimensionen des gesellschaftlichen Wandels zur Erosion des Familienernährermodells geführt haben. Das Kapitel schließt mit der Vorstellung alternativer „dualer“ Familienmodelle sowie der Explikation der ersten untersuchungsleitenden Fragestellung. In Kapitel 2 werden die unterschiedlichen Einflussgrößen, die potenziell Einfluss auf die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familienmodell nehmen, auf
Einführung
17
der Basis des aktuellen Forschungsstands abgeleitet. Anhand des empirischen Modells werden die zu überprüfenden postulierten Einflussgrößen unter Berücksichtigung der Mediationseffekte zusammenfassend dargestellt. Das Kapitel endet mit der Explikation der zweiten forschungsleitenden Fragestellung zu den Determinanten der Familienmodellwahl. Im Mittelpunkt des 3. Kapitels steht die Frage nach den familienpolitischen Implikationen, die das Kernproblem der unzureichenden Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben mitbestimmen. Zunächst werden die Instrumente der Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland wie auch die finanziellen Grundlagen dieser kurz skizziert und anschließend Entwicklungslinien bundesdeutscher Familienpolitik unter besonderer Berücksichtigung vereinbarkeitsorientierter Maßnahmen nachgezeichnet. Hieran schließt sich die Analyse aktueller familienpolitischer Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben unter Bezugnahme auf die familienpolitische Wirkungsforschung. Das Kapitel schließt mit der dritten untersuchungsleitenden Fragestellung zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen. An die konzeptionellen Ausführungen schließt sich die Multi-Methoden Studie an. Im 4. Kapitel werden Fragestellung und Hypothesen präzisiert und die verwendete Datengrundlage vorgestellt. Das 5. Kapitel enthält die Erläuterungen über Studiendesign, methodisches Vorgehen und die Beschreibungen der drei Teilstichproben. In Kapitel 6 werden zunächst die Erosion des Familienernährermodells wie auch die Verteilung „dualer“ Familienmodelle bei (Ehe-)Paaren anhand der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) analysiert. Hierbei wird unter Bezugnahme auf unterschiedliche Definitionen des Familienbegriffs zwischen (Ehe-)Paaren mit Kindern und ohne Kinder unterschieden. Mittels eines stärker analytisch orientierten Ansatzes werden anschließend die Effekte der ausgewählten Einflussgrößen auf die Familienmodellwahl untersucht und die Ergebnisse diskutiert. Kapitel 7 widmet sich der Rolle des Staates als Akteur im Feld Familienpolitik sowie den Einstellungen zu familienpolitischen Interventionen aus Sicht der betroffenen Akteure. Auf der Grundlage der qualitativen Familieninterviews werden die untersuchungsleitenden Fragen in Kapitel 8 vertiefend exploriert und im letzten Kapitel 9 komplementär zusammengeführt.
1 Familienpolitik und Ernährermodell im deutschen Wohlfahrtsstaat
1.1 Was bestimmt eine Familie? „Das Objekt der Familienpolitik ist die Familie“ (Dienel 2002: 11). Danach steht am Anfang die Frage, wie Familie an sich zu definieren ist, da sie keine „quasi von Natur“ aus gegebene Sozialform darstellt (Gerlach 2004: 37). Ganz im Gegenteil ist die Familie eine „historisch bedingte Sozialform“, die je nach zeitlicher Epoche unterschiedlichen Strukturen, Funktionen und Rolleninhalten unterliegt und sich im Kontext des sozialen Wandels von Gesellschaften als variable Institution gezeigt hat (Gerlach 2004: 37). Auch in der heutigen Zeit existiert keine einheitliche Definition des Begriffs Familie. Die Vereinten Nationen legen beispielsweise einen weiten Familienbegriff von zugrunde: „The family within the household, a concept of particular interest, is defined as those members of the household who are related, to a specified degree, through blood, adoption or marriage. The degree of relationship used in determining the limits of the family in this sense is dependent upon the uses to which the data are to be put and so cannot be established for worldwide use.“ „A family nucleus is of one of the following types (each of which must consist of persons living in the same household): (a) A married couple without children, (b) A married couple with one or more unmarried children, (c) A father with one or more unmarried children or, (d) A mother with one or more unmarried children. Couples living in consensual unions should be regarded as married couples.“ (United Nations Statistics Division 2008)
Im Gegensatz zu dieser weiten Auslegung des Familienbegriffs sind in der Bundesrepublik Deutschland der Bezug zur Ehe und das Zusammenleben mit Kindern wesentliche Kriterien familialen Lebens. Aus dieser funktionalen Perspektive ist die Familie „durch einen biologisch-sozialen Doppelcharakter gekennzeichnet“ (Gerlach 2004: 38), da sie die Sicherung des Fortbestandes sowie die Verantwortung für die Kinder übernimmt. Daraus lassen sich wesentliche Grundfunktionen der Familie ableiten: die Reproduktionsfunktion umfasst die Bestandsicherung der Gesellschaft durch die Zeugung und Versorgung der Kinder, (b) die Sozialisationsfunktion beinhaltet die Vermittlung der zentralen Rollen und Funktionen sowie die Platzierung im gesellschaftlichen Funktionssystem, (c) die Haushaltsfunktion stellt auf die Versorgung und den Konsum der notwendigen Haushaltsgüter und -dienstleistungen ab (gemeinsames Wirtschaften in einem Haushalt), (d) die Regenerationsfunktion schließt die psychische und physische Generation der Familienmitglieder ein (Dienel 2002: 22; Gerlach 2004: 39).
(a)
Dabei genießen Ehe und Familie nach Art. 6 GG den besonderen Schutz des Staates. Auch werden im Bürgerlichen Gesetzbuch Ehe und Familie verbunden beziehungsweise gleich-
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gesetzt. Petzold (2001) kritisiert in diesem Zusammenhang zu Recht, dass „diese Reduktion der Familie auf die Ehegemeinschaft mit Kindern (…) der konservativen Rechtsauffassung (entspricht)“. Danach ist die „Familie im Sinne des Grundgesetzes (…) nicht jede beliebige Gruppe, die sich zu einer familienähnlichen Gemeinschaft zusammentut, sondern die Gemeinschaft von Eltern und Kindern, also die Kleinfamilie moderner Prägung“ (Petzold 2001; zit. nach Rüfner 1989: 63; Wingen 1997: 16). In der Regel impliziert das familiale Arrangement die lebenslange Permanenz der Ehe und die Dominanz des Mannes als Familienernährer. Trotz dieser in Relation gesehen restriktiven Vorgaben hat sich familiales Zusammenleben im vergangenen Jahrhundert zugunsten einer Pluralisierung von Lebensformen verändert (Peuckert 2005: 27ff.). Die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familie kann in Deutschland nicht mehr als häufigste Lebensform bezeichnet werden. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes (2006a) lebt zwar nach wie vor über die Hälfte (53 %) der Menschen in Deutschland in einer Familie als Ehepaar, als Lebensgemeinschaft oder als alleinerziehender Elternteil mit mindestens einem Kind.1 Aber auch der Anteil alternativer Lebensformen steigt seit geraumer Zeit kontinuierlich an. Die traditionelle Kleinfamilie ist zwar nach wie vor dominierende familiale Lebensform, aber nicht mehr die häufigste primäre Lebensform in den westlichen Industrieländern. Auf alle Haushalte gerechnet, besteht nur ein Drittel aus einer traditionellen Kernfamilie. Über die Hälfte der Menschen entscheidet sich mittlerweile für alternative Lebensformen oder lebt als alleinstehender Erwachsener in einem eigenen Haushalt. Insofern plädiert Petzold (2001) für einen erweiterten Familienbegriff und spezifiziert sieben primäre familiale Lebensformen. Aber auch die amtliche Statistik unterscheidet heute weitaus mehr familiale Lebensformen und trägt damit der zunehmenden Pluralisierung der Formen des Zusammenlebens in der Gesellschaft Rechnung. Der Mikrozensus differenziert zwischen einem modernen und einem traditionellen Familienkonzept, wobei letzteres die Verbindung zu Kindern beinhaltet. Nach dem modernen Konzept zählen beispielsweise auch Ehen ohne Kinder oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu einer familialen Lebensform (Statistisches Bundesamt 2003: 77). So konstatiert Petzold (2001), dass die „uns vertraute Norm (…) inzwischen selbst schon ein Stück Geschichte geworden (ist), denn die klassische vollständige Kernfamilie ist heute nicht mehr die dominierende Familienform". In der Konsequenz wird in der vorliegenden Arbeit ein weiter Familienbegriff zugrunde gelegt, aber auch dem Familienverständnis in der Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen, indem die empirischen Analysen auch nach (Ehe-)Paaren mit Kindern und ohne Kinder differenziert werden. 1.2 Familienpolitik: Zielsetzungen und Inhalte Familienpolitik stellt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ein ausgesprochen weites Feld dar. Die strikte Abgrenzung dieses Policy-Bereichs ist selbst unter Experten umstritten (Hofäcker 2004: 258). Familienpolitik kann sowohl als eigenständiger Bereich als auch als eigenständige Dimension des Wohlfahrtsstaates betrachtet werden. Letzteres beinhaltet, Familienpolitik als Querschnittsaufgabe zu verstehen, die unterschiedliche Politikfelder einschließt. Hierzu zählen im Wesentlichen die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, 1 Dabei zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: 66 % der westdeutschen Kinder, aber nur 44 % der ostdeutschen Kinder wuchsen im Jahr 2005 in einer traditionellen Familie mit verheirateten Eltern und mindestens einem weiteren Geschwisterteil auf (Statistischen Bundesamtes 2006a).
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die Bildungspolitik, die Bevölkerungspolitik, aber vor allem auch die Gleichstellungspolitik (Wingen 1997: 21-27).2 In der vorliegenden Arbeit wird Familienpolitik als „ein eigenständiger Bereich des Wohlfahrtsstaates mit spezifischen Einrichtungen und Maßnahmen“ betrachtet (Bäcker et al. 2008: 248; Spieß/Thomasius 2004: 38; Wingen 1997: 19). Gerlach (2004: 210) definiert Familienpolitik in diesem Sinne als „die Summe aller Handlungen und Maßnahmen, die im Rahmen einer feststehenden Verfahrens-, Kompetenz- und Rechtfertigungsordnung eines Staates normativ und/oder funktional begründbar die Situation von Familien im Hinblick auf eine als wünschenswert definierte Erfüllung von deren Teilfunktionen hin beeinflussen“.
Familienpolitik verfolgt demgemäß die Herstellung und kontinuierliche Absicherung der Voraussetzungen für eine optimale Leistungsfähigkeit der Familien hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Funktionen (Bäcker et al. 2008: 248f.; Wingen 1997: 39; vgl. Kap. 1.1). Damit unterliegt der „Institution“ Familie ein gesamtgesellschaftlicher Regulierungsauftrag hinsichtlich des Zusammenlebens ihrer Mitglieder. Zentrale familienpolitische Zieldimensionen sind die ökonomische Existenzsicherung von Familien wie auch die Herstellung gleicher Lebensbedingungen für Familien (Lengerer 2004b: 390; Gerlach 2004: 210; vgl. auch Wingen 1997; Kaufmann 1995; 1997; 2002). Zu den konkreten familienpolitischen Maßnahmen gehören die rechtlichen Rahmenbedingungen familialer Lebensverhältnisse, die Bereitstellung finanzieller Transferleistungen an Familien, die Gestaltung von Familienumwelten, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre sowie die Unterstützung der Eltern mittels Erziehungsleistungen (auch pädagogische und soziale Hilfen). Aber auch die Hilfen in besonderen Lebenslagen und Hilfen für ältere Familienmitglieder zählen zum familienpolitischen Maßnahmenkatalog. Zudem kann die Gestaltung von und Kommunikation über familiale Leitbilder als weitere Aufgabe der Familienpolitik identifiziert werden (Bäcker et al. 2008: 250; Gerlach 2004: 121; Dienel 2002: 57). Wie bereits in der Einführung konstatiert, ergibt sich ein sehr zentraler Aspekt familienpolitischer Zielsetzung hinsichtlich der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit von Familienmitgliedern und betrifft das Verhältnis der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Zielsetzungen bundesdeutscher Familienpolitik in der Vergangenheit vorwiegend auf die ökonomische Existenzsicherung von Familien, insbesondere der Herstellung von mehr Einkommensgerechtigkeit zwischen Familien und kinderlosen Menschen, gerichtet waren (vgl. hierzu Kap. 3.3). Allerdings sollte Familienpolitik die individuelle Gestaltung der Lebensentwürfe von Frauen und Männer entsprechend ihren individuellen Wertpräferenzen unter Berücksichtigung aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen ermöglichen, auch unter der Maßgabe, dass diese Aufgabe nicht allein dem Bereich der Familienpolitik zugeschrieben werden kann (Wingen 1997: 131; vgl. auch Klenner 2007; Rüling 2007). Hierzu bedarf es allerdings der Entwicklung ernsthafter Alternativen zu dem bisherigen traditionellen Familienernährermodell, die durch Familienpolitik wie auch durch Maßnahmen angrenzender Policy-Felder gefördert werden müssen. 2 Betrachtet man die Motive europäischer Staaten, Familien in der Ausführung der gesellschaftlichen Grundfunktionen zu unterstützen, zeigt sich der Querschnittscharakter des Policy-Bereichs. Es lassen sich im Wesentlichen vier Teilmotive identifizieren: das bevölkerungspolitische, das emanzipatorische, das sozialpolitische und das familial-institutionelle Motiv (ausführlich zu den Motiven von Familienpolitik vgl. Gerlach 2004: 114-120; auch Dienel 2002: 35-61).
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1.3 Das Familienernährermodell: Struktur, Entwicklung und Spezifika im deutschen Wohlfahrtsstaat Das traditionelle Familienernährermodell basiert auf der strikten Trennung von Erwerbsund Familiensphäre. Seit der Etablierung des Modells während der Epoche der Industrialisierung waren Frauen vorwiegend für die Reproduktions- und Familienarbeit zuständig und vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt. Demgegenüber übernahmen Männer die Sphäre der bezahlten Erwerbsarbeit und die Rolle des Familienernährers (Fraser 1996: 469; 2001: 67ff.). Diese geschlechtsspezifische familiale Arbeitsteilung wurde in Deutschland 1896 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) rechtlich verankert und anschließend im Rahmen des neu eingeführten Sozialversicherungssystems unter Bismarck weiter begünstigt (Auth 2002: 23). Obwohl beide Sphären, die der Erwerbsarbeit und die der Familienarbeit, vor dem Gesetz als gleichwertig angesehen wurden, bedeutete dies eine faktische Hierarchisierung der Arbeit. „Der männliche Erwerbstätige wurde zum Familienernährer, während die unentgeltlich ‚aus Liebe’ arbeitende Hausfrau und Mutter den geringeren gesellschaftlichen Status inne hatte“ (Auth 2002: 23). Zunächst konnte diese nach Geschlecht getrennte Arbeitsteilung nur in bürgerlichen Familien umgesetzt werden, da proletarische wie auch landwirtschaftliche Haushalte auf das Einkommen und die Arbeitsleistung der Frauen angewiesen waren. Lewis (2003: 30ff.) verweist in diesem Kontext darauf, dass das Familienernährermodell als soziale Realität tatsächlich nur für einen relativ kurzen Zeitraum und auch nur für Frauen der Mittelschicht in den Ländern Europas Geltung hatte. In „Reinform“ existierte das Familienernährermodell, das bezahlte Arbeit für Frauen gänzlich ausschloss, tatsächlich zu keiner Zeit.3 Dennoch ist die Wirkungsmacht des Modells im letzten Jahrhundert wie auch heute noch hinsichtlich seines normativen Gehaltes beträchtlich. Faktisch besteht in den europäischen Gesellschaften eine Kluft zwischen Normativität und Wirklichkeit (Lewis 2003: 30f; Klammer/Klenner 2004: 178ff.; vgl. auch Janssens 1998). Das Familienernährermodell umfasst die zwei zentralen Dimensionen des familiären Zusammenlebens: zum einen die bezahlte Erwerbsarbeit, welche die ökonomische Existenz der Familie sichern soll und zum anderen die unbezahlte Familienarbeit (Betreuungs-, Pflege- und Hausarbeit) für junge und alte Angehörige. Die in der Regel männliche Erwerbsperson trägt die Hauptverantwortung für den Gelderwerb beziehungsweise die ökonomische Absicherung der Familie, während die (Ehe-)Frau vorwiegend für die unentgeltliche Familienarbeit zuständig ist. Auf diese Weise sichert das traditionelle Modell bisher in den westeuropäischen Staaten die Familienarbeit, ohne dass Frauen ein eigenständiges Ein-
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Beispielsweise nahmen in der unmittelbaren Nachkriegszeit relativ viele Mütter eine Teilzeitbeschäftigung an, so dass Vorstellungen über erwerbstätige Mütter durchaus nicht ungewöhnlich waren. Allerdings stand diese Entwicklung Strömungen gegenüber, welche die Ansicht vertraten, dass Mütter grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit aufgeben sollten, sobald Kinder geboren wurden und bis zur Vollendung der Schulzeit der Kinder ausschließlich für die Erziehungsarbeit zuständig sein sollten (Myrdal/Klein 1960). Die Idee eines männlichen Familienernährermodells wurde allerdings auch schon von Gesellschaftstheoretikern des späten 19. Jahrhunderts als ein Ideal propagiert. Als Begründung wurde in diesem Zusammenhang die unterschiedliche Konstitution von Männern und Frauen angeführt, die im Rahmen des Fortschritts eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erfordern würden. Diese Sicht wurde von männlichen Gewerkschaften wie auch den Frauen selbst geteilt und ist aus damaliger Perspektive wenig überraschend, da Frauen der Arbeiterklasse häufige Schwangerschaften durchlebten und gleichzeitig schwere Hausarbeit zu leisten hatten. Erst mit der Möglichkeit der Geburtenkontrolle und der zunehmenden Verfügbarkeit von moderner Haushaltstechnologie gewann die Erwerbsarbeit für Frauen an Bedeutung (Lewis 2003: 30).
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kommen für die geleistete Arbeit und eine individuelle Absicherung im Rahmen des sozialen Sicherungssystems erhalten haben. Die dem Modell immanente Lohnarbeitszentrierung prägt bis heute die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung in den verschiedenen Ländern Europas. Der Arbeitsvertrag enthält einerseits die arbeitsplatzrelevanten Regelungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, andererseits beinhaltet er die Sozialleistungsansprüche des in der Regel männlichen Normalarbeiters. Der „Normalarbeitsvertrag“ korrespondiert mit einem „Geschlechtervertrag“ auf der privaten Ebene der Familie (Lewis 2004: 62; Esping-Andersen 1999; 2002). Die Aufteilung der beiden Arbeitssphären, (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit des Mannes und Privat-, also Haus- und Erziehungsarbeit der Frau, schließen sich zwar gegenseitig aus, bedingen sich wiederum auch. Beide Arbeitsbereiche sind damit geschlechtsspezifisch aufgeteilt und werden im Rahmen der Institution Ehe und der Familie wieder vereint. Da lediglich der Bereich der Erwerbsarbeit entlohnt wird, zementiert diese Form der Arbeitsteilung ein „interpersonelles Abhängigkeitsverhältnis“ (Kurz-Scherf 1990: 7). Zwar sind im traditionellen Familienernährermodell Leistungen zur Anerkennung der Familienarbeit vorgesehen, allerdings garantieren diese Leistungen die ökonomische Unabhängigkeit der (Ehe-)Frauen nicht. Die nichterwerbstätigen Frauen verfügen lediglich über vom Ehemann abgeleitete Ansprüche auf soziale Absicherung. Die Überlebensfähigkeit dieses Modells hängt damit zum einen unabdingbar von der Vollzeitbeschäftigung des Mannes und zum anderen von der Dauerhaftigkeit der Ehe beziehungsweise Zwei-Eltern-Familie ab. Obwohl sich die Wohlfahrtsstaaten der westeuropäischen Länder seit ihrer Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts sehr unterschiedlich entwickelt haben, prägen beide Grundsätze die familiale Arbeitsteilung bis in die Gegenwart hinein (Lewis 2004: 62). Die Etablierung des modernen Wohlfahrtsstaates ist insofern auf sehr vielfältige und komplexe Weise mit der Entwicklung der Familie wie auch dem Familienernährermodell verbunden. Nach Opielka (2004: 104) gilt neben ökonomischen und politischen Ursachen der Wandel der Gemeinschaftssysteme, insbesondere der Familien, als Voraussetzung wie auch als Folge sozialpolitischer Ausdifferenzierungen. Allerdings ist die Einbindung der Familien in das System wohlfahrtsstaatlicher beziehungsweise sozialpolitischer Regelungen international sehr verschieden ausgeprägt und gilt in Deutschland als ungenügend (Kaufmann 1995: 175ff.; vgl. auch Kaufmann 2002; Gauthier 1996). Zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelte Esping-Andersen im Rahmen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung eine einheitliche Typologie zur Klassifizierung europäischer Sozialstaatsmodelle. Esping-Andersen unterscheidet den sozialdemokratischen (Skandinavien), den konservativ-korporatistischen (Bundesrepublik Deutschland) und den liberalen (Großbritannien und USA) Wohlfahrtsstaatstypus. Die zentralen Unterscheidungsmerkmale sind die Organisation der sozialen Sicherungssysteme, das Niveau der De-Kommodifizierung (Freistellung vom Arbeitszwang durch Gewährung staatlicher Transferleistungen), der Grad der Stratifizierung (Umfang der sozialen Ungleichheit) sowie die De-Familiarisierung (Angebot an Dienstleistungen zur Entlastung der Frauen von Familienaufgaben) (Esping-Andersen 1990; 1999; 2002). Zur Bestimmung der De-Kommodifizierung beziehungsweise Stratifizierung verwendet Esping-Andersen die zentralen Säulen sozialstaatlicher Sicherung, nämlich die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, und prüft den Zugang zu sowie die Höhe der Leistungen, die rechtlichen Regelungen und das Vorhandensein von Grundsicherungsleistungen (Esping-Andersen 1990: 21ff., 47ff.).
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Mit der Einführung des Kriteriums der De-Familiarisierung erweiterte EspingAndersen (1999: 45, 61ff.) seine Typologie, nachdem seitens der feministischen Forschung die gender-Blindheit des Ansatzes kritisiert wurde: Die Leistungen der Familie, vor allem jene von Frauen, die unentgeltlich die Familienarbeit verrichten, wurden als eigenständige geschlechtsspezifische Dimension des Wohlfahrtsstaates nicht erfasst. Zu den verschiedenen gender-orientierten Kategorien, die es zu berücksichtigen gilt, zählt unter anderem die Intensität, mit der Wohlfahrtsstaaten das traditionelle Familienernährermodell mit einer männlichen Erwerbsperson und einer vom Arbeitsmarkt ausgegrenzten und auf die für Reproduktions- und Familienarbeit zuständigen Ehefrau begünstigen (Langan/Ostner 1991; Lewis/Ostner 1994; Sainsbury 1994; Pfau-Effinger 2000; Daly 2000; Crouch 1999). Die drei zentralen Kategorien der „Ernährertypologie“ sind der Umfang der Müttererwerbstätigkeit, der Grad der individuellen sozialen Absicherung und die vorhandene Betreuungsinfrastruktur zur Entlastung der Frau von Kindererziehungsaufgaben (Auth 2002: 44). Der deutsche Wohlfahrtsstaat kann nach der Typologie von Esping-Andersen als konservativ-korporatistisch definiert werden und gilt international sogar als ausgeprägtes Beispiel für diesen Typ: „The German welfare state, however, is institutionally unequipped to act as a compensatory operator of employment. It is, in fact, powerfully biased towards reducing labor supply. On the supply-side, it is a welfare state built on the traditionalist conservative and Catholic principle of subsidiarity, meaning that woman and social services (outside health) belong to the domain of the family. Hence, it has been very reluctant to provide the kinds of services which permit woman to take employment, and which, in the end, provide them with a job-market. But, it is also a welfare state powerfully dedicated to income maintenance for those who have ‘earned’ it. However, German eligibility-conditions are comparatively strict, and to earn benefits requires a long work-career, a serious disadvantage for many women.” (Esping-Andersen 1990: 224).
Während in liberalen und sozialdemokratischen Regimen Frauen tendenziell eher neutral als Arbeitnehmerinnen behandelt werden, steht im korporatistisch-konservativen Regimetyp die Rolle als Mutter und Ehefrau im Vordergrund. Bezeichnend ist die ungleiche Aufteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern, der hohe Grad der De-Kommodifizierung für den Familienernährer sowie die niedrige De-Familiarisierung (Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004: 17). Leitner (2003: 354, 359) plädiert in diesem Kontext für eine stärkere Differenzierung des Kriteriums der Familiarisierung und unterscheidet im europäischen sozialpolitischen Vergleich vier „ideale“ Typen, die nach der Dimension von „gender (in)equality“ differieren:4 1) 2)
3)
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De-Familiarisierung (hohes Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung, aber keine Zahlung für familiäre Kindererziehung, beispielsweise Großbritannien) impliziter Familialismus (niedriges Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und geringe Transferleistung für Familienarbeit, beispielsweise Griechenland und Spanien) expliziter Familialismus (niedriges Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung, aber hohe Transferleistung für Familienarbeit, beispielsweise Deutschland, Österreich und Italien)
Vgl. hierzu ausführlich Leitner (2003: 359-375) und Opielka (2004: 112-116).
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optionaler Familialismus (hohes Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und hohe Transferleistung für Familienarbeit, beispielsweise Schweden, Dänemark, Frankreich)
Die ungleiche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern intensiviert sich nach Leitner (2003: 360f., 370) im deutschen Wohlfahrtsstaat durch die unzureichende Betreuungsinfrastruktur für Kinder aller Altersstufen und den in Relation gesehen hohen Transferleistungen an Familien, welche die ausschließliche Familienarbeit von Frauen tendenziell unterstützen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der niedrigen Frauenund Müttererwerbsquote beziehungsweise der hohen Teilzeitquote unter Frauen (Beckmann 2003: 6ff.; Beckmann 2001: 1-7; vgl. auch Esping-Andersen 1999: 81ff.). Diese Ausrichtung kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass zentrales Merkmal des deutschen Wohlfahrtsstaates, der in der Rekonstruktionsphase nach dem Zweiten Weltkrieg konstituiert wurde, das Prinzip der „Familiensubsidiarität“ ist. Dieses Prinzip geht davon aus, dass der Staat nicht als Anbieter von Transferzahlungen und Dienstleistungen für das Individuum eintreten soll, sondern nur ergänzend in dem Fall, dass die Familie die nötigen Leistungen nicht eigenständig erbringen kann.5 In dieser Konstruktion wird die Rolle der Frau im Bereich der privaten Familiensphäre zusätzlich manifestiert. Die Institutionalisierung des Familienernährermodells in der Bundesrepublik Deutschland (wie auch in anderen europäischen Staaten) erfolgt durch die Verknüpfung von sozialer Sicherung mit der Erwerbsarbeit einerseits und mit der Ehe andererseits (Auth 2002: 37). Ersteres drückt sich im Äquivalenzprinzip der Sozialversicherungen und der Lebensstandardsicherung bei kontinuierlicher Vollzeiterwerbstätigkeit aus, letzteres in der abgeleiteten Sicherung der Ehefrau und weiterer Familienmitglieder. Der Zugang zum deutschen Sozialversicherungssystem ist somit eng an die Ausübung einer Erwerbsarbeit gebunden. Die starke Koppelung von Erwerbsarbeit und Zugang zum Sozialversicherungssystem führt dazu, dass sozialstaatliche Leistungen auf lohnabhängige Beschäftigte ausgerichtet sind und die Leistungsempfänger/-innen von Sozialtransfers wiederum an den Arbeitsmarkt gebunden sind. Vobruba (1990: 28ff.) wie auch Auth (2002: 38) explizieren drei Kategorien von lohnarbeitszentrierten Vorbehalten im deutschen Sozialversicherungssystem, die eng mit den arbeitsmarktbezogenen Zugangsvoraussetzungen verknüpft sind. Im ersten Fall hängen die Sozialleistungen direkt mit der vorherigen Erwerbsarbeit und den hier erbrachten Leistungen zusammen (Arbeitslosen- und Rentenversicherung sowie Krankengeld). Im zweiten Fall steht der gewährte Leistungsbezug in direktem Zusammenhang mit der dezidierten Bekundung, „arbeitsbereit“ zu sein. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe werden nur so lange gewährt, wie keine zumutbare Arbeit vorhanden ist. Im dritten Fall hängt die Höhe der sozialstaatlichen Leistungen von der Höhe des zuvor erzielten Einkommens und der Dauer der Arbeitszeit ab. Analog zum Äquivalenzprinzip werden die Beiträge und Leistungen einkommensabhängig gewährt. Ausnahmen bilden die Kranken- und Pflegeversicherung, in deren Rahmen die Leistungen nach dem medizinischen Bedarf gewährt werden. Weiterer Indikator für die Lohnarbeitszentrierung des deutschen Sozialversicherungssystems ist die für alle abhängig Beschäftigten bestehende Versicherungspflicht. Sozialversicherungsleistungen erhalten nur jene Personen, die ihre Exis5 Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip bilden grundlegende Elemente des deutschen sozialen Sicherungssystems. Das Subsidiaritätsprinzip geht auf die katholische Soziallehre des 19. Jahrhunderts zurück (päpstliche Sozialenzyklika von 1891) und stellt darauf ab, dass die Selbstvorsorge Priorität vor der Fremdhilfe hat (Sachße 2003).
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tenz über ein lohnabhängiges Einkommen sichern können. Diesem System nachgeordnet stehen Leistungen, die im Rahmen der Sozialhilfe gewährleistet werden. Ebenso kennzeichnend wie die Lohnarbeitszentrierung ist die Ehezentrierung des deutschen sozialen Sicherungssystems. Die soziale Absicherung der Ehefrau und Mutter erfolgt über die Versorgungsinstanz der Ehe beziehungsweise Familie. Die hierarchisch nachgeordnete Haus- und Betreuungsarbeit unterliegt damit ebenfalls staatlicher Regulation. Die Familie wird zwar einerseits als Privatsphäre konstruiert, andererseits unterliegt sie gleichzeitig umfangreichen staatlichen Eingriffen. Dies verdeutlichen die normativen Grundlagen des Grundgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuches, welche die Institutionen Ehe und Familie durch umfangreiche Regelungen, beispielsweise beim Scheitern einer Ehe, unter besonderen Schutz stellen (Auth 2002: 39). Dementsprechend ist das soziale Sicherungssystem in Deutschland mit der Institution Ehe sowie der Familie eng verbunden. Nichterwerbstätige Familienmitglieder, in der Regel Ehefrauen und Kinder, sind in der Kranken- und Pflegeversicherung kostenlos mitversichert. Das Steuersystem fördert diese Ausrichtung zusätzlich. Obwohl in den meisten europäischen Staaten das Prinzip der Familien- wie auch Ehegattenbesteuerung zugunsten einer individuell ausgerichteten Besteuerung modifiziert wurde, gehört Deutschland zu den wenigen Ländern Europas,6 das nach wie vor an einer stringenten Ehegattenbesteuerung festhält und durch steuerliche Entlastungen das Ernährermodell respektive die „HausfrauenEhe“ gezielt fördert: „Beim Ehegatten-Splitting System ist die Steuereinheit grundsätzlich das verheiratete Ehepaar. Das Einkommen beider Partner wird zusammengerechnet (Haushaltseinkommen) und dann durch zwei geteilt. Auf jeweils die Hälfte des gemeinsamen Einkommens wird dann der normale Einkommensteuertarif angewendet. Der sich so ergebende Betrag wird wieder verdoppelt und stellt die Steuerschuld des Paares dar.“ (Dingeldey 2000: 15)
In der Folge führt diese Berechnung aufgrund der Einkommensdifferenzen zwischen Ehepartner und Ehepartnerin zu einer deutlich niedrigeren Progressionsrate für das gesamte Familien- beziehungsweise Haushaltseinkommen gegenüber Ledigen oder nicht verheirateten Paaren mit vergleichbar hohem Einkommen (Dingeldey 2002: 155). Im Rahmen des Ehegattensplittingsystems zahlen somit verheiratete (in der Regel) männliche Alleinverdiener deutlich weniger Steuern als Ledige. Je stärker sich allerdings die Einkommen der Ehepartner angleichen, je niedriger fällt der Steuervorteil aus. „Hintergrund einer solchen Regelung ist das Leitbild des Ernährermodells als familiales Erwerbsmuster, da der partielle Rückzug eines Ehepartners (in der Regel die Frau) vom Erwerbsleben und das dadurch entgangene Einkommen zum Teil durch das Steuersystem kompensiert wird“ (Dingeldey 6
Dingeldey (2000: 14ff.; 1999; 2002) unterscheidet zwei Typen von Steuersystemen in den verschiedenen Ländern Europas, die individualisierten Steuersysteme und die Systeme der gemeinsamen Ehe- oder Familienbesteuerung. Bei den individualisierten Steuersystemen ist das individuelle Einkommen Grundlage für die Berechnung der Steuerabgaben. Es gilt ein vom Familienstand und vom Einkommen des (Ehe-)Partners unabhängiger einheitlicher Steuersatz. Bei der Familienbesteuerung (Ehegatten-Splitting) ist die Steuereinheit immer das verheiratete Paar. Das Einkommen der Ehepartner wird gemeinsam veranlagt, d.h. es wird erst addiert und dann wieder durch zwei geteilt. Auf jeweils eine Hälfte wird der Steuertarif festgelegt und wieder verdoppelt. Das Ergebnis ist die Steuerlast des Ehepaares beziehungsweise des Haushaltes. Die Familienbesteuerung (Familiensplitting) berücksichtigt die Zahl der Kinder in der Familie, indem das Familieneinkommen durch die Anzahl aller Haushaltsangehörigen geteilt wird. Anschließend wird der entsprechende Steuertarif festgelegt und wieder mit der Anzahl der Haushaltsangehörigen multipliziert.
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2000: 15). Durch das Ehegattensplitting bleibt somit in Deutschland das zweite Einkommen (in der Regel dasjenige der Ehefrau) im Haushalt nach wie vor unattraktiv (Berghahn 2004). Die Entlastungen für Alleinverdiener in Europa fallen in Deutschland, neben Dänemark und Belgien, am höchsten aus, da zusätzlich zum Splittingsystem eine hohe Steuerlast schon bei mittleren Einkommen anfällt. Das traditionelle Familienernährermodell wird demzufolge im Steuersystem weiter manifestiert und entspricht sozusagen dem „Idealtyp“ einer Begünstigung des traditionellen Familienernährermodells. Dingeldey (2000: 18) kommt in ihrer vergleichenden Analyse über Erwerbstätigkeit und Familie im Sozialversicherungs- und Steuersystem in europäischen Ländern zu dem Ergebnis, dass Splittingsysteme zwar keine grundsätzliche Barriere für die Erwerbsbeteiligung von Frauen darstellen, allerdings begünstigen sie familiäre Erwerbsmuster, die einem modernisierten Ernährermodell entsprechen und von einer tatsächlichen geschlechterdemokratischen Arbeitsteilung weit entfernt sind. Eine Lenkungswirkung familialer Erwerbsmuster kann allerdings aufgrund von steuerpolitischen Regelungen nicht allein erzielt werden, sondern muss durch familienorientierte Politiken flankiert werden (Dingeldey 2002: 156f.). Resümierend kann festgehalten werden, dass insbesondere das deutsche Vereinbarkeitsregime (die Gesamtheit der institutionellen Regelungen, welche die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben bestimmen) nach wie vor auf der Norm des Familienernährermodells basiert. Das traditionelle Leitbild der Versorgerehe wird durch Anreize und Sanktionen in der Steuer-, Sozial- sowie Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gefördert, obwohl das sozialpolitische Modell der Bundesrepublik Deutschland schon länger nicht mehr den heutigen heterogenen Lebensentwürfen und Patchworkbiographien in der Bevölkerung entspricht. Zudem verfügen Frauen in der Bundesrepublik mittlerweile über höhere Bildungsabschlüsse und sind wesentlich stärker berufsorientiert, tragen aber gleichzeitig wie bisher die Hauptverantwortung für familiäre Alltags- und Pflegearbeiten sowie den überwiegenden Teil der Erziehungsarbeit (Ludwig et al. 2002; Peuckert 2005; Kaufmann 1997; Bothfeld et al. 2005). 1.4 Abschied vom Ernährermodell als Voraussetzung einer neuen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit? Mit dem Übergang zu einer neuen, postindustriellen Phase des Kapitalismus zeichnet sich nach Fraser (1996: 469f.) die Erosion des Familienernährermodells und die dem Modell immanenten wohlfahrtsstaatlichen Grundlagen deutlich ab.7 Indikatoren, die auf eine Veränderung der traditionellen, familialen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern verweisen, konnten unter anderem in dem EU-Forschungsprojekt „Improving Policy Responses and Outcomes to Socio-Economic Challenges (IPROSEC): changing family structures, policy and practice“ in verschiedenen Ländern Europas nachgewiesen werden (European Commission 2004; Hantrais 2004; 2003; Letablier/Pennec 2003: 3-15; Appleton/Hantrais 2000). Zu den untersuchten Indikatoren des Wandels zählen:
7 Die spezifischen Geschlechter-Arrangements in den verschiedenen Ländern unterscheiden sich zwar voneinander in Hinsicht auf die Ausrichtung der Wohlfahrtsstaaten, der tatsächlichen Geschlechterdemokratie innerhalb der Institutionen und der privaten Wirtschaft sowie der jeweiligen kulturellen Leitbilder, dennoch kann in allen europäischen Gesellschaften eine Erosion des Ernährermodells und eine Modernisierung des Geschlechterverhältnisses beobachtet werden (Auth 2002: 18).
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A) B) C) D)
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Population decline and ageing Family diversification The changing family – employment balance Changing welfare needs
Zu A) Die demographische Entwicklung in der Bevölkerung der europäischen Mitgliedsstaaten ist seit längerem gekennzeichnet durch eine zunehmende Alterung der Gesellschaft sowie durch zum Teil rückläufige Geburtenraten. In der Bundesrepublik Deutschland stagniert die Geburtenrate momentan auf niedrigem Niveau. Im EU-Vergleich haben Deutschland mit 1,4 und Italien mit 1,3 Kindern pro Frau die niedrigste Geburtenrate (Hantrais 2004: 22, 28f.; Karelson et al. 2003: 29ff.; Hantrais 2003: 23-33; Statistisches Bundesamt 2006c).8 Zu B) Damit gehen Veränderungen der Formen familiären Zusammenlebens einher, die als Pluralisierung von Lebensformen bezeichnet werden. „Die postindustriellen Familien sind weniger konventionell und weisen eine größere Vielfalt auf“ (Fraser 2001: 69). Zwar sind 80 % der Familien mit Kindern im Haushalt nach wie vor Ehepaarfamilien (sogenannte Kernfamilie), andererseits kann gleichzeitig eine Pluralisierung der Lebensformen festgestellt werden. „Heterosexuelle Paare heiraten seltener und lassen sich häufiger und früher scheiden“ (ebenda). Die sogenannte „Kernfamilie“ beschreibt damit zunehmend einen Ausschnitt der Realität, in der moderne Familien leben. Tatsächlich aber bestehen mittlerweile vielfältige Familienkonstellationen nebeneinander wie auch in biographischer Hinsicht nacheinander, beispielsweise Ein-Generationen-Familien (Paare ohne Kinder), DreiGenerationen-Familien (Angehörige von drei Generationen im Haushalt), Alleinerziehende, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und ohne Kinder, sogenannte „Patchworkfamilien“ sowie ein ständig wachsender Anteil von Alleinlebenden in Einpersonenhaushalten (Statistisches Bundesamt 2006a; Hantrais 2004: 64; Hantrais 2003: 34-47; vgl. auch Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland 2005; Peuckert 2005). Zu C) Die Beschäftigungsquoten wie auch das Qualifikationsniveau der Frauen sind seit etlichen Jahren in den europäischen Industrienationen gestiegen gegenüber teilweise sinkenden männlichen Beschäftigungsquoten. Immer mehr Frauen arbeiten, auch wenn sie schlechter bezahlt sind als Männer (Hantrais 2004: 73-104; Letablier/Pennec/Büttner 2003: 10-14; vgl. auch Fraser 1996: 470; Bothfeld et al. 2005: 126-145, 198ff.; BiB 2005; Lauterbach 1994). Hantrais (2004: 76) konstatiert in diesem Kontext, dass „the slowing down of population growth in combination with population ageing, and changing family forms and structure (…) cannot fully understood without also examining the changing relationship between family life and paid word“. Neben dem veränderten Erwerbsverhalten von 8 Die zusammengefasste Geburtenziffer (durchschnittliche Anzahl der Geburten je Frau im Alter zwischen 15 und 50 Jahren) erreichte 1994/95 mit ca. 1,34 in den alten Bundesländern beziehungsweise 0,77 in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost einen historischen Tiefstand und stagniert bis heute auf diesem Niveau (Statistisches Bundesamt 2006a). Kein anderer EU-Mitgliedsstaat dokumentiert seit einem derart langen Zeitraum (ziemlich genau seit 1975) einen fortdauernden „Überschuss“ an Gestorbenen wie die Bundesrepublik. Die deutsche Bevölkerungsentwicklung verfügt damit im internationalen Maßstab über einen einmaligen Stand und bezieht ihre statistische Schlusslichtposition derweil hauptsächlich aufgrund der extrem niedrigen so genannten „Nettoreproduktionsraten“ in den neuen Bundesländern. Folge dieser Entwicklung ist, dass langfristig eine so genannte „natürliche“ Stabilisierung der Bevölkerungszahl erschwert ist oder auch nicht mehr möglich sein wird.
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Frauen bieten auf den Arbeitsmärkten des postindustriellen Kapitalismus zudem nur wenige Arbeitsplätze ein Einkommen, das für den Unterhalt einer Familie als ausreichend angesehen werden kann. Es existieren mittlerweile flexible Beschäftigungsformen, beispielsweise Teilzeitarbeitsplätze, befristete Arbeitsplätze sowie atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, mit der Folge, dass die bisherigen „Normal-Erwerbsbiographien“ immer weniger die Regel sind (Fraser 1996: 470; Fraser 2001: 69; Lewis 2004: 69; Träger 2003: 25). Insbesondere die deutsche Situation ist gekennzeichnet von wachsenden Einkommensungleichheiten in der Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit (Eißel/Leaman 2000: 38-41; vgl. Eißel 2008.) Zu D) Zunehmend kämpft eine wachsende Anzahl von Frauen, die entweder geschieden sind oder nie verheiratet waren, darum, sich und ihre Familien ohne den Verdienst eines männlichen Ernährers durchzubringen. Die hohe Armutsquote von Kindern in der Bundesrepublik Deutschland verweist ebenfalls auf diese problematische Entwicklung (BMAS 2004; Butterwegge/Holm/Zander et al. 2003; Hantrais 2004: 116, 122ff.). Sozialwissenschaften und Politik interpretieren diese Veränderungen auch als Ausdruck einer fortschreitenden Individualisierung, die Heirat und Familiengründung zunehmend als Wahlentscheidung denn als Notwendigkeit implementiert. In ihrem Verlauf sind Erwachsene (Frauen wie Männer) durch die Erwerbstätigkeit verbunden mit der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung ökonomisch unabhängiger geworden (Lewis 2004: 62; vgl. hierzu Beck/Beck-Gernsheim 1994: 12ff.). In der Konsequenz haben diese Entwicklungen einerseits zu einer Erosion des Familienernährermodells respektive der Normalfamilie und zu einer Ausdifferenzierung der Vereinbarkeitsmodelle geführt, andererseits zur „(…) Obsoleszenz der immer noch an diesen normativen Fundamenten und Normalitätsunterstellungen orientierten sozialstaatlichen Sicherungsarrangements“ (Butterwegge et al. 2003: 110). Da das Familienernährermodell nicht nur zu Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern geführt hat, sondern auch die Grundlage des Wohlfahrtsstaates selbst bildet, ist der Wandel des Ernährermodells umso komplizierter, zumal bisher keine klar definierte Alternative existiert, die das traditionelle Ernährermodell ersetzen könnte, während gleichzeitig die strukturellen Grundlagen zur Disposition stehen. Das gilt insbesondere für das Steuer- und Sozialversicherungssystems sowie für die öffentlichen Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland. Bisher führte diese Entwicklung zunehmend dazu, dass lediglich kurzfristige und wenig durchdachte Anpassungen vorgenommen wurden, die konstituierenden Strukturen aber beibehalten werden, eine Tendenz, die sich nach Knijn (2002: 189) in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Kritisch zu bewerten ist mittlerweile auch, dass „mit der institutionellen Fortschreibung des Ernährermodells und der Verweisung eines Großteils der Sorgearbeit in die Privatsphäre (...) Familien ein Lebensmodell nahegelegt (wird), das zudem maßgeblich für finanziell prekäre Lagen verantwortlich ist“ (Klammer 2002: 126; vgl. auch Esping-Andersen 2003: 4). Das staatlich geförderte Ernährermodell führt damit untere Einkommensgruppen in finanzielle Notlagen: Besonders von Armut bedroht sind diejenigen Familien, denen das zweite Einkommen oder bei Alleinerziehenden sogar das einzige Gehalt fehlt. Aber auch kinderreiche Familien, ausländische Familien sowie Haushalte mit minderjährigen Kindern in Ostdeutschland sind deutlich häufiger von sozialer Ausgrenzung und Armut betroffen (BMAS 2004: 76f., 84f.; Becker/Hauser 2003: 151f.). Besonders prekär ist die Lage für diese Gruppen, weil die öffentlichen Aufwendungen für Kinder und Jugendliche relativ gering sind und die Kosten des Heranwachsens überwie-
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gend den Eltern aufgebürdet werden (vgl. hierzu Kap. 3.2). In diesem Kontext weist der „Zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ zu Recht daraufhin, dass die Unterschiedlichkeit der Familienformen und die Heterogenität der Familien unterschiedliche Lebenslagen schaffen, mit denen die sozialstaatlichen Regelungssysteme nicht Schritt halten (BMAS 2004: 74). Besonders betroffen sind außerhalb der Normfamilie lebende Kinder, die ein erheblich höheres Armutsrisiko haben, da das soziale Sicherungssystem sowie die Familienpolitik sich nach wie vor am Familienernährermodell orientieren und weiter an der Ehezentrierung festhalten. 1.5 „Duale“ Familienmodelle: Neue Aufteilung von Erwerbs- und Familienleben? Betrachtet man die vorab skizzierten Entwicklungen, dann hat der Wandel von Arbeitsmarkt und Familienleben die Normen, die konstitutiv für das Ernährermodell sind, zumindest fragwürdig werden lassen. In der Folge ist der weibliche wie männliche Beitrag zur Familien- und Erwerbsarbeit stärker verhandelbar. Dementsprechend haben die Mitgliedstaaten der EU seit geraumer Zeit ihre politischen Leitlinien hinsichtlich des Ernährermodells modernisiert. Normative Grundlage des neuen „adult worker model family“ ist, dass sowohl Männer als auch Frauen ein eigenständiges Erwerbseinkommen erzielen. Das Erwerbsverhältnis kann hierbei Vollzeit- wie auch Teilzeit ausgestaltet sein (Lewis 2004: 63). Problematisch ist allerdings die dem „adult worker model family“ zugrunde liegende Annahme seitens der Politik, die hier von einem höheren Maß an ökonomischer Individualisierung ausgeht als es in der Mehrheit der EU-Staaten tatsächlich verwirklicht ist (Lewis 2004: 63). Einerseits hat sich der Beitrag, den Frauen und Männer für die Familienarbeit leisten, durch die stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen verändert, dennoch kann in Europa keinesfalls von einem gleichen Ausmaß an dem Erwerbsgeschehen zwischen den Geschlechtern ausgegangen werden. Die europäische Situation ist vor allem durch Teilzeitbeschäftigung von Frauen gekennzeichnet, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau (Klammer/Klenner 2004: 185, 188; Rüling/Kassner 2007: 62-73, 41f.; Peuckert 2005: 267; Künzler 1994; Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland 2005: 396398). Die bisher gestiegene Erwerbsbeteiligung der Frauen lässt daher kaum eindeutige Schlüsse über die tatsächliche ökonomische Unabhängigkeit der Frauen in der Bundesrepublik Deutschland (wie auch in Europa) zu. Das Familienernährermodell wurde bisher keineswegs von einem existenzsichernden Zwei-Vollzeitverdiener-Modell abgelöst. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass sich verschiedene Formen „dualer“ Familienmodelle herausgebildet haben, die durch individuelle Formen der Arbeitsteilung – Erwerbsarbeit und Familienarbeit – geprägt sind und die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen in der Regel nicht gewährleisten (Lewis 2001: 157). Insbesondere in Ostdeutschland vollzieht sich ein entgegengesetzter Wandel weg vom Zwei-Vollzeitverdiener-Modell zu einem Zwei-Verdiener-Modell. Die Herausbildung eines Vereinbarkeitsmodells mit einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter im Hinblick auf die Verteilung der Erwerbs- und Familienarbeit stellt zudem umfassende Anforderungen an eine Gesellschaft (Rüling 2007: 63). Als weit reichende und sehr ambitionierte Kriterien für ein Vereinbarkeitsmodell hat Fraser (1996: 482ff.) sieben normative Prinzipien entwickelt, die eine tatsächliche Geschlechtergleichheit hinsichtlich des Verhältnisses von Erwerbsarbeit- und Familienarbeit schaffen sollen. Im Einzelnen sind dies: (1) Bekämpfung der Armut, (2)
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Bekämpfung der Ausbeutung, (3) gleiche Einkommen, (4) gleiche Freizeit, (5) gleiche Achtung, (6) Bekämpfung der Marginalisierung, (7) Bekämpfung des Androzentrismus. Sozialstaatliche Reformen müssen sich an diesen Prinzipien orientieren, auch wenn sie zunächst gradualistisch umgesetzt werden (Fraser 1996: 474ff.). Die soziale Realität ist von der gleichberechtigten Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben allerdings noch weit entfernt. Mittlerweile wurden allerdings im Rahmen der vergleichenden feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung unterschiedliche Typen von Vereinbarkeitsmodellen entwickelt (vgl. hierzu Sainsbury 1999; Fraser 1996; 2001; PfauEffinger 2000; Lewis 2004), wobei in der vorliegenden Arbeit auf die Systematisierung von Lewis (2001; 2003) zurückgegriffen wird. Im Wesentlichen lassen sich nach Lewis (2001: 157; 2003: 38) neben dem traditionellen Familienernährermodell folgende familiale Erwerbsmuster und damit einhergehende mögliche Arrangements von Familienarbeit idealerweise in der sozialen Realität unterscheiden: Tab. 1.1: Erwerbsmuster von Männern und Frauen und Betreuungsarrangements Erwerbsmuster und Erwerbstätigkeit Betreuungsarrangements
Betreuungsarrangement
Ernährermodell
Männlicher Alleinverdiener, in Vollzeitbeschäftigung
Doppelverdienermodell (I)
Mann in Vollzeit beschäf- Familienarbeit wird vorwiegend von der tigt, Frau in kurzer Teilzeit Frau und Verwandten geleistet
Doppelverdienermodell (II)
Familienarbeit wird hauptsächlich von Mann in Vollzeit beschäfVerwandten, Staat, Markt und gemeinnüttigt, Frau in langer Teilzeit zigen Organisationen geleistet
Doppelverdienermodell (III)
Mann in Teilzeit beschäftigt, Frau in Teilzeit
Familienarbeit wird von beiden Partnern geleistet
Doppelkarrieremodell
Mann in Vollzeit beschäftigt, Frau in Vollzeit
Familienarbeit wird hauptsächlich von Verwandten, Staat, Markt und gemeinnützigen Organisationen geleistet
Einzelverdienermodell
Alleinerziehender Elternteil, (in der Regel weiblich), in Vollzeit/Teilzeit beschäftigt
Familienarbeit wird hauptsächlich von Verwandten und vom öffentlichen wie auch gemeinnützigen Sektor geleistet
Weibliche Vollzeit-Familienarbeiterin
Quelle: Lewis 2003: 37; eigene Darstellung
Kennzeichnend für die alternativen Familienmodelle ist die „duale“ Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern. Die Modelle lassen sich dadurch vom traditionellen männlichen Ernährermodell abgrenzen, wobei lediglich im Hinblick auf das Doppelverdienermodell (III) und das Doppelkarrieremodell von einer egalitären familialen Arbeitsteilung ausgegangen werden kann. Zudem muss in diesem Kontext kritisch angemerkt werden, dass speziell Vertreter/-innen des Konservatismus beziehungsweise
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Neoliberalismus mittlerweile ein Familienmodell propagieren, dass sich zwar vom traditionellen Modell unterscheidet, aber Frauen die Rolle der „Dazuverdienerin“ unter Einbußen individueller Eigenständigkeit und Gleichberechtigung zuweist. Dieses Modell kann als eine modernisierte Form des traditionellen Familienernährermodells oder als sogenannte „modernisierte Versorgerehe“ bezeichnet werden (Pfau-Effinger 2000: 88; Rosenberger 2002: 19).9 Das Modell sieht vor, dass Mütter nach Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren und die Familienarbeit mit der Erwerbsarbeit auf der Basis einer Teilzeitbeschäftigung vereinbaren. Die Väter bleiben in der Regel vollzeiterwerbstätig. Die Erosion des Familienernährermodells vollzieht sich als komplexe Entwicklung und führte bisher nicht zur Dominanz eines spezifischen Familienmodells (Lewis 2001: 156). Bisherige Untersuchungen auf der Basis verschiedener Datenquellen zeigen, dass das Ernährermodell zwar zugunsten alternativer Familienmodelle zunehmend erodiert. Allerdings differieren die Ergebnisse nach dem Niveau der Erosion wie auch nach dem Umfang der Herausbildung alternativer Modelle (Bothfeld et al. 2005: 177; Eurostat 2005: 5; Klammer/Tillmann 2001: 152; Beckmann 2002; Dingeldey 1999: 34). Nach aktuellem Forschungsstand ist unklar, welches Ausmaß die Ausdifferenzierung der verschiedenen „dualen“ Modelle tatsächlich angenommen hat beziehungsweise inwieweit egalitäre Modelle von den familialen Akteuren angenommen wurden. Lewis (2001: 156) konstatiert in diesem Kontext: „But to what extent – full-time or some form of parttime – varies considerably according to social class, ethnicity, and sometimes region”. Da der weibliche wie männliche Beitrag zur Erwerbs- und Familienarbeit mittlerweile verstärkt Aushandlungsprozessen auf der Ebene der (Ehe-)Paare unterliegt und die Aushandlungsprozesse unter der Bedingung fehlender Normierung „harte Arbeit“ darstellen (Lewis 2004: 70f.), ist davon auszugehen, dass die familiären Arrangements individuell sehr variabel gestaltet werden. Es stellt sich die Frage, ob die Erosion des traditionellen Familienernährermodells zu einer Ausdifferenzierung alternativer „dualer“ oder auch egalitärer Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben geführt hat und inwieweit (Ehe-)Paare diese alternativen Familienmodelle tatsächlich annehmen. In der vorliegenden Studie wird die Methode der Bildung von Idealtypen genutzt (Dingeldey 1999: 27). In Modulation der von Lewis (2003: 37; 2001: 157) vorgeschlagenen idealen Typologisierung der Erwerbsmustern von (Ehe-)Paaren und der entsprechenden Betreuungsarrangements wird folgende Ausdifferenzierung vorgeschlagen:
9 Zur Terminologie der Bezeichnung „Vereinbarkeitsmodell“ und „modernisierte Versorgerehe“ vgl. PfauEffinger (2000; 1998).
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Tab. 1.2: Erweiterung der Erwerbsmuster von Männern und Frauen Erwerbsmuster und Erwerbstätigkeit Betreuungsarrangements
Betreuungsarrangement
Ernährermodell
Männlicher Alleinverdiener, in Vollzeitbeschäftigung
Weibliche Vollzeit-Familienarbeiterin
Familienernährermodell Frau
Weibliche Alleinverdienerin, in Vollzeitbeschäftigung
Männlicher Vollzeit-Familienarbeiter
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit Doppelverdienermodell (I)
Doppelverdienermodell (II)
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
Familienarbeit wird vorwiegend von der Frau oder dem Mann und Verwandten geleistet
Familienarbeit wird hauptsächlich von Verwandten, Staat, Markt und gemeinnützigen Organisationen geleistet
Beide kurze Teilzeit Beide lange Teilzeit Doppelverdienermodell (III)
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
Familienarbeit wird von beiden Partnern geleistet
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
Doppelkarrieremodell
Beide Vollzeit
Familienarbeit wird hauptsächlich von Verwandten, Staat, Markt und gemeinnützigen Organisationen geleistet
Quelle: Lewis 2003: 37; eigene Darstellung
Die Ergänzung der Teilzeitvarianten scheint interessant, das seit in Kraft Treten des Teilzeitgesetzes im Jahr 2001 den Arbeitnehmern/-innen sowohl ein Anspruch auf Verkürzung aber auch die Möglichkeit zur Verlängerung der Arbeitszeit eröffnet wurde. Offensichtlich hat seitdem der Trend zu mehr Teilzeitarbeit in Deutschland zugenommen, da immer mehr Beschäftige ihre Arbeitszeiten in Abhängigkeit zu unterschiedlichen Lebensphasen nach ihren Bedürfnisse reduzieren oder auch erweitern möchten. In zunehmendem Maße interessieren sich mittlerweile auch Männer – zumindest in Westdeutschland – für eine Teilzeitarbeit (Wagner 2004; Kohler/Spitznagel 1995). Der Anteil der Teilzeitanträge von Männern ist seit 2001 leicht auf 27 % gestiegen, obwohl bisher überwiegend Frauen im Teilzeitsegment arbeiten. In Anlehnung an die dargelegten Ausführungen lautet die erste untersuchungsleitende Fragestellung, ob die Erosion des traditionellen Familienernährermodells zu
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einer Ausdifferenzierung alternativer „dualer“ (egalitärer) Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben geführt hat und inwieweit (Ehe-)Paare diese alternativen Familienmodelle tatsächlich angenommen haben. Diese Perspektive beinhaltet allerdings noch keine Überprüfung der Modellannahmen aufgrund der zu berücksichtigenden Einflussgrößen hinsichtlich der Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familienmodell. Dieses Feld wird im folgenden Kapitel bearbeitet.
2 Determinanten der Familienmodellwahl
Eine spezielle Theorie oder gesicherte Befunde, aus denen sich Annahmen über die Einflussgrößen, welche die Wahl eines Familienmodells bestimmen, ableiten ließen, existieren zurzeit nicht. Es lassen sich allerdings auf der Basis allgemeiner Indikatoren und Dimensionen des gesellschaftlichen Wandels, die zum Bedeutungsverlust des traditionellen Ernährermodells geführt haben, Einflussgrößen ableiten (vgl. Kap. 1.4). Wie bereits in Kapitel 1.4 dargestellt, spielen im Hinblick auf die Erosion des tradierten Modells unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Hierzu zählen im Wesentlichen die demographische Entwicklung in der Bevölkerung, die Pluralisierung familialer Lebensformen, Umwälzungen auf den Arbeitsmärkten, aber auch die Auflösung tradierter familialer Geschlechterrollen, die in engem Zusammenhang mit der Emanzipationsbewegung der Frauen stehen (Hantrais 2004). Zudem verweist eine ganze Reihe unterschiedlicher Studien darauf, dass familiäre Entscheidungsprozesse im Kontext der ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft stattfinden (Neyer 2004; Lengerer 2004a; Huinink 2002; 2000; 1991; Walter/Künzler 2002). Bisherige Studien überprüfen die Wirkung dieser Einflussgrößen auf familiale Entscheidungsprozesse insbesondere im Hinblick auf den Kinderwunsch und Elternschaft (Huinink 2002; 1991; Klein 2006; Ruckdeschel 2004; Lengerer 2004b; Stöbel-Richter/Brähler 2008). Bezug nehmend darauf wird angenommen, dass soziodemographische Merkmale wie auch gesellschaftliche respektive institutionelle Rahmenbedingungen, aber auch Wertorientierungen beziehungsweise subjektive Einstellungen betroffener familialer Akteure Einfluss auf die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein Familienmodell haben. Bei der Auswahl der empirisch zu testenden Einflussgrößen wird damit eine Synthese auf der Basis bisheriger plausibler Quellen erstellt. 2.1 Sozioökonomische und -demographische Einflussfaktoren „Ohne die Betrachtung individuenspezifischer Entscheidungsdeterminanten wäre die Konstruktion von (familialen) Entscheidungsbedingungen nicht vollständig“ konstatiert Huinink (2002: 56; vgl. auch 1991: 290ff.) im Kontext seiner Untersuchung zu den Determinanten von Familienentwicklung. Dabei spielen die individuellen Ressourcen der familiären Akteure eine zentrale Rolle. Zu den wichtigsten sozioökonomischen Ressourcen zählen einerseits das Bildungsniveau, andererseits der Erwerbsstatus von Personen, der über das individuelle oder auch partnerschaftliche Einkommensniveau entscheidet. Vor allem bei Frauen hat die Bildungsexpansion in den letzten Jahrzehnten zu einer stärkeren Berufs- und Karriereorientierung geführt und erhebliche Effekte auf familiale Entscheidungsprozesse zur Folge gehabt (Blossfeld/Huninik 1989: 385; Huinink 2000). Insbesondere junge Frauen verfügen heutzutage über ein höheres schulisches Bildungsniveau als junge Männer und auch bei den beruflichen Bildungsabschlüssen haben sich die Geschlechterdifferenzen angeglichen (Statistisches Bundesamt 2007; BMFSFJ 2005c; Bothfeld et al. 2005). Auch wenn sich die Entwicklung der gestiegenen Bildungsressourcen von Frauen nicht in gleicher Weise auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt, ist zu vermuten, dass das Bildungsniveau einer Person Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell
2 Determinanten der Familienmodellwahl
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hat. Voraussichtlich begünstigt ein hoher Bildungsabschluss die Entscheidung für ein duales Familienmodell in einer Partnerschaft, wenn auch nicht unbedingt für ein egalitäres Modell. Das traditionelle Familienernährermodell verliert damit bei Personen mit hohen Bildungsabschlüssen an Attraktivität. Um den Einfluss des Bildungsniveaus auf die Familienmodellwahl zu überprüfen, wird als Indikator der Bildungsabschluss der Befragten herangezogen. Zudem stehen der Erwerbsstatus und das Bildungsniveau in engem Zusammenhang mit dem zu erzielenden Einkommen. Dabei hat ein hohes Einkommensniveau in der Regel positive Effekte auf die verfügbaren Ressourcen hinsichtlich der familialen Haushaltsproduktion (Huinink 2002: 56; vgl. auch Huinink 2000). Ein hohes Haushaltseinkommen dürfte vermehrt bei dualen Familienmodellen entstehen und mit der Möglichkeit einhergehen, Familienarbeit zu externalisieren. Aber auch die zunehmende Ungleichheit bei der Verteilung der Einkommen wie auch Vermögen in Deutschland kann Grundlage für die Entscheidung zugunsten eines dualen Familienmodells sein. Da ein Einkommen häufig nicht mehr ausreichend ist, um die ökonomische Existenzsicherung einer Familie zu gewährleisten, gilt für diese Haushalte, dass eine tatsächliche Wahlfreiheit nicht unbedingt besteht (Eißel 2008; BMAS 2004; Butterwegge et al. 2003; Beckmann 2002). Insofern kann das Einkommen hinsichtlich der Familienmodellwahl unterschiedlich interpretiert werden. Um den Effekt des Einkommens zu überprüfen, wird als Indikator das Haushaltseinkommen der untersuchten (Ehe-)Paare in die Analyse aufgenommen. Ferner stehen familiale Entscheidungen im Kontext demographischer wie auch biographischer Indikatoren (vgl. Kap. 3.5). Insbesondere das Alter und das Geschlecht dürften in Beziehung zur Familienmodellwahl stehen. Dabei wird von Frauen eine höhere Akzeptanz der dualen (egalitären) Familienmodelle zu erwarten sein als von Männern, da sie bisher die Hauptlast der Familienarbeit getragen haben und entsprechend Einbußen sowohl hinsichtlich der eigenen Erwerbstätigkeit wie auch bei der beruflichen Karriere und dem individuell erzielten Einkommen hinnehmen mussten. Aber auch das Alter dürfte einen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell haben. War das traditionelle Ernährermodell bis in die 1970er Jahre noch unbestritten das häufigste Modell, verändern sich die Bedingungen hier zunehmend. Es ist davon auszugehen, dass die Akzeptanz dualer Modelle bei den jüngeren Geburtskohorten größer ist. Dagegen ist die Tradition des Ernährermodells in den höheren Altersgruppen noch weitaus stärker akzeptiert beziehungsweise als bisherige Lebensform etabliert. Die Bedeutung beider Faktoren für familiale Entscheidungen wurde bereits in verschiedenen Studien nachgewiesen. Zwar gibt es bisher keine Ergebnisse hinsichtlich der vorliegenden Differenzierung nach den Familienmodellen, aber im Hinblick auf Entscheidungen über generatives Verhalten beziehungsweise Elternschaft, der familialen Arbeitsteilung wie auch bei der Akzeptanz familienpolitischer Maßnahmen in der Bevölkerung bestätigen sich sozioökonomische/demographische Effekte (Klein 2006: 28; Ruckdeschel 2004; Lengerer 2004b; Walter/ Künzler 2002). Demnach wird der Effekt der demographischen Indikatoren Alter und Geschlecht auf die Familienmodellwahl überprüft. 2.2 Institutionelle Rahmenbedingungen Weiterhin kann angenommen werden, dass soziodemographische Indikatoren nicht ausreichend für eine umfassendere Erklärung familialer Entscheidungsprozesse sind. Die Reali-
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2 Determinanten der Familienmodellwahl
sierung individueller Entscheidungen findet im gesellschaftlichen Kontext statt und orientiert sich an den politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, die es zu berücksichtigen gilt. Bei der Charakterisierung der Rahmenbedingungen wird auf das in Kapitel 1 (vgl. hierzu ausführlich Kap. 1.3) dargelegte Konzept der Klassifikation von Wohlfahrtsstaaten zurückgegriffen. Auch Huinink (2002: 51) legt zur Beschreibung institutioneller Regelungen und deren Wirkung auf familiale Entscheidungen das Konzept des Familialismus zugrunde. Danach ist der (west-)deutsche Wohlfahrtsstaat als korporatistischkonservativ einzustufen. Die explizit familialistische Gesellschaftsordnung ist durch ein niedriges Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und ein hohes Angebot an staatlichen Transferleistungen für Familienarbeit geprägt. Kennzeichnend ist zudem die in Relation gesehen niedrige Müttererwerbstätigkeit und der niedrige Grad der individuellen sozialen Absicherung für Frauen beziehungsweise Mütter. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den niedrigen Erwerbsquoten sowie der hohen Teilzeitquote unter Frauen und Müttern (Beckmann 2003: 6ff.; Beckmann 2001: 1-7; vgl. auch Kap. 1.3). Erst im Zuge der Bildungsexpansion wie auch der zunehmenden Nachfrage nach qualifizierten Kräften auf dem Arbeitsmarkt verstärkte sich der Anreiz, Frauen vermehrt am Erwerbsgeschehen zu beteiligen. Diese Entwicklung führte bisher zu einer Verringerung der Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt sowie zu einer voranschreitenden De-Familialisierung (Huinink 2002: 53), die mit der (zögerlichen) Auflösung des tradierten familialen Leitbildes, welches dem Ernährermodell zugrunde liegt, einhergeht. Trotz dieser Modernisierungsprozesse bleibt festzuhalten, dass in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren spezifischen familienpolitischen Rahmenbedingungen widersprüchliche Anreize hinsichtlich der Familienmodellwahl gesetzt werden (vgl. Kap. 3.4). Erschwerend kommt hinzu, dass die Bürger/-innen der alten und neuen Bundesländer heute zwar im selben Wohlfahrtsstaat leben, ihre Vergangenheit aber durch sehr unterschiedliche politische Systeme geprägt ist. Während in Westdeutschland das traditionelle Ernährermodell das familiäre Zusammenleben regelte, etablierte sich in der ehemaligen DDR-Gesellschaft „eine spezifische Variante des Doppelversorgermodells mit staatlicher Kinderbetreuung“ (Pfau-Effinger 2000: 127; Dingeldey 1999: 54). In der ehemaligen DDR spielte der Staat eine dominante Rolle und entfaltete ein hohes Ausmaß an familienpolitischen Aktivitäten. Obwohl in den ersten Jahrzehnten der DDRGesellschaft Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben zur Entlastung der Frauen von der Familienarbeit durchaus nicht selbstverständlich waren, änderte die DDR-Führung 1972 angesichts stetig sinkender Geburtenraten ihre familienpolitische Richtung grundlegend. Mit einem umfangreichen familienpolitischen Paket zur Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben sollte die Doppelrolle der Frauen als Mütter und qualifizierte Erwerbskräfte gezielt gestärkt werden. Zu den eingeführten Maßnahmen zählten der massive Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, Arbeitszeitverkürzungen, zusätzliche Urlaubstage für berufstätige Mütter, bezahlte Freistellungstage bei Krankheit der Kinder, ein bezahltes Babyjahr nach der Geburt eines Kindes unter Arbeitsplatzgarantie, zinslose Familiengründungsdarlehen und die Erhöhung des Kindergeldes (Wingen 1997: 35ff.; vgl. auch Klein 2006; Pfau-Effinger 2000; Dölling 2000). Auch nach der Wiedervereinigung dominiert in Ostdeutschland bis heute die hohe Erwerbsorientierung von Frauen und Müttern, obwohl auch in gewissem Umfang eine Tendenz zur Aufnahme von Teilzeitarbeit der Frauen wie auch eine Nähe zum traditionellen Familienernährermodell besteht (Engelbrecht et al. 1997; Fuchs/Weber 2004). Trotz der veränderten institutionellen Bedingungen nach der Wiedervereinigung favorisieren Frauen (und Männer) in Ost-
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deutschland nach wie vor ein Familienmodell, das die gleichzeitige Vollzeiterwerbstätigkeit beider Partner beinhaltet, während Westdeutsche nach wie vor am etablierten Familienernährermodell festhalten. In der Folge dürfte die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell zwischen den alten und neuen Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Als Indikator zur Messung des Einflusses struktureller Rahmenbedingungen wird das Erhebungsgebiet herangezogen (Klein 2006: 28). 2.3 Individuelle Einstellungen und Wertorientierungen Weiterhin kann angenommen werden, dass subjektive Einstellungen eine weitere erklärende Einflussgröße bei der Familienmodellwahl darstellen. Danach müssen individuelle Wertorientierungen und Einstellungen berücksichtigt werden, da sie individuelle Handlungsabsichten prägen und Handlungsalternativen festlegen, aus denen mit bestimmter Wahrscheinlichkeit gewisse Handlungen hervorgehen (Vaskovics 1994: 86). Dabei ist zu beachten, dass Werte als generalisierte Überzeugungen angesehen werden können, denen themenspezifische Einstellungen zugrunde liegen. Damit sind Einstellungen stärker themenspezifisch gebunden (Lengerer 2004b: 397; Ajzen 1996: 297-325; vgl. auch Rokeach 1973; 1979). Es ist daher plausibel, Einstellungen, die im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben stehen, in der multivariaten Analyse zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Auswahl von Einstellungen, die auf Verhalten beziehungsweise subjektive Entscheidungsprozesse wirken, hat sich das Kompatibilitätsprinzip bewährt (Ajzen 2005: 71f.; 94ff.). Das Kompatibilitätsprinzip besagt, dass individuelle Handlungen, wie beispielsweise die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell, umso genauer vorausgesagt werden können, je genauer die ermittelten Einstellungen tatsächlich auf diese Handlungen rückführbar sind. Im vorliegenden Kontext sind dementsprechend Einstellungen einzubeziehen, die sich so exakt wie möglich auf die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben beziehen. Als bedeutsam erachtet werden Einstellungen über die Berufstätigkeit von Frauen und Müttern, über die familiale Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen wie auch über das familiale Rollenverständnis, die im Frageprogramm des ALLBUS/ISSP 2002 enthalten sind (vgl. Kap. 5.2.2). Diese Variablen werden häufig als weitgehend unabhängig von den soziodemographischen Variablen betrachtet. Allerdings ist vorstellbar, dass die subjektiven Einstellungen auch in Abhängigkeit von soziodemographischen Faktoren herausgebildet werden. Da Wertorientierungen individuell wie kulturell ausgeformt sein können, ist davon auszugehen, dass sich sowohl Ost-West-Unterschiede als auch Unterschiede zwischen sozialen Gruppen und individuellen Merkmalen nachzeichnen lassen (Inglehart 1989). Individuelle Unterschiede von Werthaltungen zeigen sich in erster Linie zwischen den verschiedenen Generationen und sozialen Gruppen. Danach scheint es notwendig, im Rahmen eines Mediationsmodells die Effekte der ausgewählten soziodemographischen Merkmale – Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen – wie auch des Erhebungsgebiets – Ost- oder Westdeutschland – auf die ausgewählten Einstellungen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu testen. Dabei bilden das Geschlecht, der Bildungsabschluss und das Einkommen gruppenbezogene Indikatoren, während das Alter auf den Generationeneffekt abzielt. Das Erhebungsgebiet ist hingegen dem Bereich der kulturell und institutionell ausgeformten Indikatoren zuzuordnen. Abbildung 2 enthält die postulierten Einflussgrößen auf die Familienmodellwahl,
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2 Determinanten der Familienmodellwahl
einschließlich der Mediationseffekte, die im empirischen Teil der Arbeit genauer spezifiziert werden (vgl. Kap. 6). Abb. 2: Einflussfaktoren auf die Familienmodellwahl – Mediationseffekte
In Anlehnung an die Ausführungen im vorliegenden Kapitel kann folgende untersuchungsleitende Frage expliziert werden: Inwiefern bedingen sozioökonomische/-demographische Indikatoren, institutionelle Regelungen wie auch subjektive Einstellungen über die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben die Wahl eines Familienmodells? Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, nach den demographischen Indikatoren – Alter und Geschlecht – und den sozioökonomischen Indikatoren – Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen – wie auch nach individuellen Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben, aber auch nach dem Erhebungsgebiet differiert. Im empirischen Modell (vgl. Kap. 6) werden die ausgewählten Indikatoren bezüglich ihres Einflusses auf die Wahl eines Familienmodells hin überprüft.
3 Aktuelle Zielsetzungen und Implikationen familienpolitischer Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben 3
Aktuelle Zielsetzungen und Implikationen familienpolitischer Maßnahmen
Im Zentrum des dritten Kapitels steht die Frage nach den familienpolitischen Implikationen, die das Kernproblem der unzureichenden Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben und in Verbindung damit die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familienmodell wesentlich mitbestimmen. Zunächst werden sowohl die verschiedenen Instrumente der Familienpolitik wie auch deren Finanzierung beleuchtet. Anschließend werden Entwicklungslinien der Familienpolitik in Westdeutschland unter besonderer Berücksichtigung der vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen nachgezeichnet und aktuelle familienpolitischen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben seit 1998 analysiert. Um die Wirkung der verschiedenen vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen auf die Familienmodellwahl nachweisen zu können, werden mittels der Policy-Analyse die PolicyOutputs (Gesetze, Programme, Maßnahmen) detailliert beschrieben und die Policy-Impacts (Wirkungen) auf die Entscheidung für beziehungsweise gegen das traditionelle Familienernährermodell hin untersucht wie auch entsprechend bewertet (zur Methodik der PolicyAnalyse vgl. Windhoff-Héritier 1987: 19; vgl. auch Héritier 1993). Schließlich wird im letzten Kapitel die Frage nach der evidenzbasierten Wirksamkeit bisheriger familienpolitischer Maßnahmen aufgeworfen. Unter Bezugnahme auf den aktuellen Forschungsstand über die Wirkungsanalyse beziehungsweise theoriegeleitete Evaluation (familien-)politischer Maßnahmen wird die dritte untersuchungsleitende Fragestellung formuliert. 3.1 Instrumente der Familienpolitik Gesteuert wird die Familienpolitik mit den klassischen Interventionsinstrumenten der geld-, sach- und zeitwerten Leistungen sowie mit den entsprechenden rechtlichen Regelungen (Thenner 2000: 95-129; Gerlach 2004: 209; Hofäcker 2004; vgl. hierzu auch 7. Familienbericht 2006; BMFSFJ 2005b). Als weiteres Instrument der Familienpolitik ist zudem die Steuerung durch Leitbilder zu nennen (Gerlach 2004: 211; Dienel 2002: 57).10 Schwerpunkt der folgenden Ausführungen bilden die geld-, sach- und zeitwerten familienpolitischen Leistungen. Geldwerte Leistungen Geldwerte Transfers lassen sich nach zwei Leistungsarten unterscheiden: Die direkten monetären staatlichen Transferleistungen, etwa das Kindergeld oder das Erziehungs- beziehungsweise neu eingeführte Elterngeld, welches an die Familien ausgezahlt wird und die indirekten monetären Transfers, die auf Steuererleichterungen beruhen, vor allem die Kin10
Für eine andere Einteilung der familienpolitischen Leistungen vgl. Bäcker et al. (2008: 294-322) und Bahle (1995: 18f.)
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derfreibeträge (Thenner 2000: 100; Hofäcker 2004: 260). Zentraler Mechanismus zur Umverteilung der Kinderkosten sowie zum Ausgleich von Nachteilen, die durch Familienarbeit (insbesondere bei der Kindererziehung) entstehen, ist der Familienlastenausgleich, inzwischen -leistungsausgleich. Neben den direkten Transfers umfasst der Familienleistungsausgleich in einem weiteren Sinne „alle familienorientieren Fördermaßnahmen der Sozialversicherungen, die familienorientierte Wohn- und Wohneigentumsförderung, Leistungen des Bildungssystems und alle familienorientierten Infrastrukturmaßnahmen“ (Gerlach 2004: 212). Aber auch das seit 1958 praktizierte Ehegattensplitting zählt, obwohl weniger eine steuerliche Förderung von Familien als vielmehr eine von Ehen, zu den geldwerten Leistungen. Einzige Ausnahme bildet in diesem Kontext das Realsplitting, das in einigen Familienbetrieben praktiziert wird. Der Familienleistungsausgleich stellt damit in der Bundesrepublik Deutschland bisher die umfangreichste und zugleich teuerste Maßnahme dar. Zeitwerte Leistungen Die zeitwerten Leistungen beinhalten vor allem Anrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aufgrund von Kinderbetreuungsaufgaben zeitweise die Erwerbstätigkeit unterbrechen (Thenner 2000: 102-105). In der Bundesrepublik Deutschland zählen hierzu der Mutterschutz, die Elternzeit (früher Erziehungsurlaub), die Pflegefreistellung bei Krankheit des Kindes (bis zu 10 Tagen jährlich je Elternteil) und die Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung (Dienel 2002: 103-114; Hofäcker 2004: 268272). Dabei ist die Ausgestaltung der begleitenden Transfereinkommen, die die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit finanziell abfangen sollen, von zentraler Bedeutung für die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familien- oder Vereinbarkeitsmodell. „Ein möglichst hohes Leistungsniveau während möglichst der gesamten Dauer der Freistellung vergrößert die Möglichkeit zur tatsächlichen Inanspruchnahme des zustehenden Rechts“ (Thenner 2000: 103). Insbesondere die Entwicklung der Inanspruchnahme des Elterngeldes, das erstmalig einen einkommenssubstituierenden Charakter aufweist, dürfte demgemäß von Interesse sein. Sachwerte Leistungen Unter dem Begriff der sachwerten Leistungen subsumiert Thenner (2000: 106) hauptsächlich die Verfügbarkeit und Bereitstellung einer Betreuungsinfrastruktur für Kinder. Formen institutioneller Kinderbetreuung sind vorwiegend nach dem Alter der Kinder zu unterscheiden: Krippen für die Altersstufe der 0- bis 3-jährigen Kinder, Kindergärten für die 3- bis 6jährigen Kinder, Vorschulen sowie Horte für die Nachmittagsbetreuung von schulpflichtigen Kindern (Gerlach 2004: 281). Ziel dieser Leistung ist es, Eltern bei der Betreuungsarbeit zu unterstützen, damit diese einer bezahlten und sozial abgesicherten Erwerbsarbeit nachgehen können. In diesem Kontext üben die Betreuungseinrichtungen auch einen staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus. Aufgrund der Vernachlässigung dieser Leistung in der Vergangenheit kann die Garantie einer am tatsächlichen Bedarf erwerbstätiger Eltern orientierten Ausgestaltung der Betreuungseinrichtungen mit entsprechenden Wahlfreiheiten als zentrale familienpolitische Anforderung bewertet werden (Gerlach 2004: 284; Hofäcker 2004: 268-272). Ausreichend lange Öffnungszeiten der Einrichtungen wie auch die gute Qualität der Betreuungsarbeit in den Einrichtungen stellen notwendige Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben dar. Aber vor allem
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sollte Kinderbetreuung kostengünstig sein, um hochwertige Betreuung für alle Kinder garantieren zu können. Der 7. Familienbericht der Bundesregierung (2006) verweist explizit auf die Notwendigkeit der drei zentralen familienpolitischen Instrumente. „Familien benötigen heutzutage dreierlei, um den Lebensalltag zu bewältigen“: Erstens Infrastrukturen, die Dienstleistungen bedarfsgerecht anbieten und sinnvoll bündeln. Zweitens brauchen sie Zeit für ein gemeinsames Familienleben trotz Anforderungen und Stress. Und drittens brauchen sie finanzielle Unterstützung in den verschiedenen Lebensphasen. Nachhaltige Familienpolitik entsteht damit in einem Dreiklang aus Zeit-, Infrastruktur- und Geldpolitik (Bertram/Rösler/ Ehlert 2005: 10, 15). 3.2 Finanzierung familienpolitischer Leistungen Betrachtet man die bisherige Finanzierung der verschiedenen familienpolitischen Leistungen, können grundsätzlich zwei Prinzipien unterschieden werden: Zum einen wird die deutsche Familienpolitik seit den 1960er Jahren überwiegend aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Zum anderen werden Leistungen für Familien über Versicherungsbeiträge mit finanziert (Spieß/Thomasius 2004: 42). In Anlehnung an Schultheis (1999) sind im familienpolitischen Kontext diese beiden Finanzierungsarten mit den zwei grundlegenden Prinzipien des Fürsorge- und Versicherungsprinzips verbunden (Spieß/Thomasius 2004: 42; zit. nach Schultheis 1999: 56ff.; vgl. auch Dienel 2002: 35; Wingen 1997). Das Fürsorgeprinzip orientiert sich dabei am Konzept universeller Bürger- und Teilhaberechte und zielt auf eine ausreichende Grundsicherung, während mittels des Versicherungsprinzips vor allem soziale Risiken, wie beispielsweise Krankheit, durch Transferzahlungen innerhalb der versicherten Personen ausgeglichen werden. Dies gewährleistet die beitragsfreie Mitversicherung nicht erwerbstätiger Familienmitglieder in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) (Dienel 2002: 36). Nach Aussage der Robert Bosch Stiftung (BMFSFJ 2006c: 3-4) investiert Deutschland 2,9 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in familienbezogene Sach- und Geldleistungen (ohne die Steuerfreibeträge) und liegt damit über dem Durchschnitt der EU-15-Länder (2,08 %). Der größte Teil der familienpolitischen Leistungen entfällt auf die monetären Leistungen, während andere Länder Europas, beispielsweise Frankreich, deutlich mehr in die Infrastruktur investieren (Hülskamp/Seyda 2004: 26; vgl. auch Hofäcker 2004: 264f.). Allerdings kritisiert die Robert Bosch Stiftung, dass es hinsichtlich der Verteilung der im internationalen Vergleich recht hohen finanziellen Leistungen in der Vergangenheit kaum zielgerichtete Schwerpunktsetzungen gab, sondern Finanzmittel vorwiegend nach dem „Gießkannenprinzip“ ausgeschüttet wurden. Vor dem Hintergrund, dass nicht alle Familien die gleiche Unterstützung benötigen und eine bedarfsgerechte Förderung nach Familientypen und -phasen sinnvoll erscheint, ist an dieser Stelle der Einwand berechtigt (BMFSFJ 2006a; IW 2006). Bisher verteilen sich die finanziellen Entlastungen und staatlichen Hilfen für Familien über folgende Maßnahmen: steuerliche Maßnahmen (Steuerfreibeträge), geldwerte Leistungen (Erziehungsgeld, Elterngeld, Kindergeld), Leistung der Sozialversicherungen (z. B. beitragsfreie Mitversicherung von Kindern), sachwerte Leistungen (Kinderbetreuung und Jugendhilfe), ehebezogene Maßnahmen.
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Die Übersicht der Bundesregierung (2007) zeigt, dass die 145 aktuellen familienbezogenen Leistungen insgesamt einen Etat von 184 Milliarden Euro umfassen. Davon entfällt der größte Teil auf die geldwerten Transferleistungen sowie auf ehebezogene Maßnahmen. Dagegen sind die Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur in Relation gesehen deutlich geringer.11 Abb. 3.1: Familienbezogene Maßnahmen 2005
Quelle: Bundesregierung 2007; eigene Darstellung
Rosenschon (IfW 2007) kritisiert in ihrer Bestandsaufnahme über familienpolitische Maßnahmen in Deutschland für 2005, dass bisher weder eine einheitliche noch vollständige Zusammenstellung aller Maßnahmen und ihrer fiskalischen Kosten existiert. Nach ihrer umfassenden Aufstellung über die öffentlichen Transferleistungen an Familien belaufen sich die Kosten für alle Maßnahmen auf rund 240 Milliarden Euro (10,7 % des BIP; ohne eigene Zahlungen von Familienmitgliedern als Steuer- beziehungsweise Beitragszahler/innen; 2001: 328 Milliarden Euro) und liegen damit deutlich über der Berechnung der Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Bundesregierung (Rosenschon 2007: 71).12 Allerdings erweist sich die objektive Bilanzierung familienpolitischer Maßnahmen als problematisch, da die Bestandsaufnahmen je nach Erhebungsinstitut auf 11
Für eine detaillierte Aufstellung der familienpolitischen Leistungen vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ 2006a: 1-14). 12 Die Bestandsaufnahme Rosenschons (2007) umfasst sämtliche familienbezogen Transferleistungen. Hierzu zählen familienspezifische Normen im Steuerrecht wie auch Familien fördernde Geld- und Realtransfers aus den öffentlichen Haushalten. Letztere umfassen einerseits die Haushalte der Sozialversicherungen (Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Kranken-, Renten-, Pflege- und Unfallversicherung), andererseits diejenigen der Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden). Aufgenommen werden außerdem Arbeitgeberleistungen und Leistungen im Rahmen der Jugendarbeit der Kirchen.
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unterschiedlichen Kriterien basieren (BMFSFJ 2006c: 4). So belaufen sich nach der Berechnung der Deutschen Bundesbank für 2000 die Kosten aller familienpolitischen Maßnahmen auf 150 Milliarden Euro und liegen damit fünfmal so hoch wie der Betrag, der für das Jahr 2004 vom Familienbund der Katholiken (FdK) ausgewiesen wurde (BMFSFJ 2006c: 4). Ursachen der stark divergierenden Zahlen liegen in unterschiedlichen Definitionen, welche Einzelmaßnahmen und Kriterien zu einer familienpolitischen Leistung gehören sowie in verschiedenen Ansätzen, die Investitionen der letzten Jahre in einen Überblick zu bringen.13 Stellt man den finanziellen Transferleistungen des Staates die Kinderkosten der Eltern gegenüber, zeigt sich ein deutlicher Überhang der Eigenleistung. Nach Rosenschon (2001: 32f.) betragen die geschätzten staatlichen Leistungen für Familien 47 % der tatsächlichen Kinderkosten unter Berücksichtigung der Zeitaufwendungen von Eltern. Zieht man anschließend noch die Eigenbeteiligung der Familien (z. B. durch Steuern) ab, sinkt der reine Förderbetrag für Familien auf circa ein Drittel der geschätzten Kinderkosten (vgl. auch Hülskamp/Seyda 2004: 52; Dienel 2002: 69ff.). Resümierend ist festzuhalten, dass trotz des breiten Aufgabenspektrums wie auch zentraler gesellschaftlicher Gestaltungsfunktionen die deutsche Familienpolitik seit Jahrzehnten Defizite dahingehend aufweist, dass ein umfassendes, langfristig angelegtes, inhaltliches und finanzielles Konzept, in das die Gesamtheit der Rahmenbedingungen der Lebenslagen von Familien einfließt, nicht vorliegt. Weiterhin fehlt eine systematische Überprüfung der Wirkung der einzelnen Maßnahmen. Zudem tragen die Familien selbst einen nach wie vor erheblichen Anteil der Kinderkosten. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Gesellschaft an den Kosten der Kindererziehung beteiligt sein sollte und wie diese auf Dauer zu finanzieren sind (Hülskamp/Seyda 2004: 52). Die Entwicklung einheitlicher Kriterien für eine vollständige Erfassung und Transparenz der familienpolitischen Maßnahmen wie auch die Aufstellung eines inhaltlich kohärenten Zielkatalogs einschließlich der zur Umsetzung notwendigen Instrumente und Finanzgrundlagen sollte zukünftiges Ziel der Familienpolitik sein. Spieß und Thomasius (2004: 42) kritisieren in diesem Kontext zu Recht, dass bisher kaum Bemühungen vonseiten der Politik unternommen wurden, über alternative Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken, da primär von einer Steuerfinanzierung ausgegangen wird.14 Die Einführung eines Kompetenzzentrums zur Überprüfung der familienbezogenen Leistungen kann diesbezüglich als wichtige Maßnahme angesehen werden (BMFSFJ 2006a; vgl. auch Kap. 7.4). 3.3 Entwicklungslinien vereinbarkeitsorientierter Familienpolitik in der BRD Wingen (2003: 3) konstatiert in seinem Beitrag über die Entwicklung der Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, dass sich das zu Beginn sehr umstrittene Ressort bis heute zu einem etablierten Politikfeld entwickelt hat. Ein Blick zurück in die Entstehungsge13
Es gibt Bilanzierungen, die alle Leistungen, die Familien und Kindern zugute kommen, auflisten, unabhängig davon, ob sie familienspezifisch sind oder nicht (z. B. die Sozialhilfe). Andere Bilanzierungen rechnen dagegen nur monetäre Leistungen auf, die als Lastenausgleich die Kinderkosten verringern und die zunehmende Wohlstandsdifferenz zu kinderlosen Lebensformen vermindern sollen (BMFSFJ 2006c: 4; Rosenschon 2007: 71ff.) 14 Mittlerweile gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Ansätze über alternative Finanzierungsmodelle. Vgl. hierzu beispielsweise Spieß/Thomasius (2004: 66-78) über parafiskalische Modelle zur Finanzierung familienpolitischer Leistungen sowie Mückl (2002: 301-316).
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schichte deutscher Familienpolitik verdeutlicht diesen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden Verlauf. Vor allem die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes, aber auch die demographische Entwicklung, die zukünftige Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme wie auch alle volkswirtschaftlichen Leistungsbereiche und Handlungssysteme haben eines deutlich gemacht: Familienpolitik ist von einem randständigen Politikbereich, der lange durch ethisch-moralische Lagerbildungen charakterisiert war, zu einem wesentlichen Bereich einer nachhaltigen Sozial- und Gesellschaftspolitik geworden. Der Rückblick in die Entwicklung des Policy-Feldes veranschaulicht diesen mühsamen Weg unter besonderer Berücksichtigung des familienpolitischen Kernbereichs der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben. Christlich-liberale Regierung ab 1953 Im Zuge der Regierungsbildung wurde im Oktober 1953 zum Auftakt der zweiten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages das „Bundesministerium für Familienfragen“, als sehr kleines Ressort und in den ersten Jahren ohne Staatssekretär, gegründet.15 Dem relativ geringen politischen Gewicht entsprechend war das Ministerium finanziell sehr bescheiden ausgestattet (mit 610.300 DM gegenüber einem Bundesetat von 25 Milliarden DM im Haushaltsjahr 1954) und verfügte über keine Gesetzgebungskompetenz, sondern nur über Mitwirkungsrechte (Gerlach 2004: 152; BMFSFJ 2003). Als erster Familienminister bekleidete Franz-Josef Wuermeling von der CDU das Amt. Ausschlaggebend für die Gründung des Ministeriums war vor allem die demographische Entwicklung der Bevölkerung (Wingen 2003: 3f.). Interessanterweise wurde bereits zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland auf die wachsende Überalterung der Bevölkerung sowie auf die sinkende Geburtenrate hingewiesen. Adenauer bemerkte am 20. Oktober 1953 auf entsprechende Nachfragen von Journalisten: „Die Bevölkerungsbilanz des deutschen Volkes ist erschreckend, die Überalterung, und es kommt, wenn nichts Durchgreifendes geschieht, dazu, dass einfach die Arbeitenden die Nichtarbeitenden nicht mehr unterhalten können. Das Verhältnis wird sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte völlig umkehren“ (Wingen 2003: 4; zit. nach Adenauers Teegesprächen 1950-1954). Offenkundig haben diese Ergebnisse während der letzten 55 Jahre nicht an Aktualität eingebüßt. Ganz im Gegenteil zeigt die Chronologie, dass wesentliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit der Berufs- und Familiensphäre entweder ganz vernachlässigt wurden oder zum Teil auf erbitterten Widerstand stießen. Kennzeichnend für die Familienpolitik unter Wuermeling war die konservative Ausrichtung – unter Einbezug christlicher Werte – hinsichtlich der bisherigen traditionellen Form der Arbeitsteilung in der Familie. Leitbild der Familienpolitik war die Mehrkinderfamilie mit der Bindung der Frau beziehungsweise Mutter an die Hausfrauenrolle. Famili15
In der Zeit der Besatzungszonen zwischen 1945 und 1949 existierten kaum Maßnahmen, die als systematische und konzeptionell ausgerichtete Familienpolitik bewertet werden können. Allerdings zeichnete sich die grundlegend unterschiedliche Ausrichtung der späteren Familien- und Gleichstellungspolitik in den östlichen und westlichen Teilen Deutschland bereits ab. Während in Ostdeutschland Maßnahmen, die heute dem Bereich der Familienpolitik zugeordnet werden können, vor allem auf die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen abzielten, waren die einzelnen familienpolitischen Maßnahmen in Westdeutschland davon gekennzeichnet, jenes bürgerliche Verständnis der Institution Familie fortzusetzen (Gerlach 2004: 150; vgl. hierzu auch Gerlach 1997). Obwohl der Beginn einer systematischen und expliziten Familienpolitik eng mit der Institutionalisierung derselben 1953 verbunden wird, waren bereits während der ersten Legislaturperiode der neuen Bundesregierung unter Konrad Adenauer familienpolitische Diskussionen etwa über die Einführung eines gesetzlichen Kindergeldes geführt worden. Die erste familienbezogene Maßnahme – die Wiedereinführung des steuerlichen Kinderfreibetrags – entstand bereits im Jahr 1949 (Wingen 2003: 3; Gerlach 2004: 150f.).
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enbeihilfen wurden nur insofern gewährt, als dass sie Frauen davon entlasten sollten, zur ökonomischen Existenzsicherung der Familie beizutragen (BMFSFJ 2003; Langer-El Sayed 1980: 99f.). Mit dieser deutlich gegen die Frauen- und Müttererwerbstätigkeit gerichteten Familienpolitik konvergierte letztendlich die Ablehnung sämtlicher Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben wie beispielsweise der Aufbau von Kindergärten und familienergänzender Erziehungseinrichtungen. Damit war das traditionelle Familienernährermodell als normatives Leitbild implementiert und sollte die Ausrichtung der Familienpolitik bis heute wesentlich mitbestimmen. Zentrale familienpolitische Maßnahmen dieser ersten Phase waren hingegen die Einführung des Kindergelds vom dritten Kind an (monatlich 25 DM), die Schaffung familiengerechten Wohnraums beziehungsweise die Förderung des Familieneigenheimbaus wie auch die Modifikation der Steuerfreibeträge zugunsten von Mehrkinderfamilien. Insbesondere Kindergeld und Kinderfreibeträge stellen bis heute zentrale geldwerte Transferleistungen für Familien dar (Gerlach 2004: 153; zur ausführlichen Darstellung vgl. Gerlach 2004: 150-159; siehe auch BMFSFJ 2003). Weitere wesentliche Neuerungen waren die Einführung des Ehegattensplitting und das Gesetz zum Schutz erwerbstätiger Mütter, welches ein Beschäftigungsverbot von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt beinhaltete. Für die erste Phase der Familienpolitik konstatiert Gerlach (2004: 156f.), dass die untergeordnete Rolle des Bundesministeriums für Familienfragen, welche ihr seit der Implementierung 1953 zugewiesen wurde, diesen Politikbereich für viele Jahre als „Stiefkind“ der Bundespolitik geprägt hat. Dennoch wurden trotz der geringen Ausstattung und der großen Vorbehalte in Politik und Gesellschaft gegenüber der Frauen- und Müttererwerbstätigkeit zentrale familienpolitische Instrumente (Kindergeld, Freibeträge, Mutterschutz, Ehegattensplitting) eingeführt. CDU-Regierung und Große Koalition In der 1961 wiedergewählten CDU-Regierung unter Adenauer wurde Franz-Josef Wuermeling durch den neuen Familienminister Bruno Heck abgelöst. Obwohl Heck selbst als Interessenvertreter der katholischen Kirche einzustufen ist, weichte er das traditionelle familiale Frauenleitbild, das die strikte Ablehnung der Frauen- beziehungsweise Müttererwerbstätigkeit proklamierte, durch ein moderater definiertes Rollenverständnis auf. Heck verfolgte damit nicht nur eine andere Leitbildsetzung in der Familienpolitik, sondern wollte dem erhöhten Bedarf an Arbeitskräften in der deutschen Wirtschaft nachkommen. Außerdem zeigte sich, dass das konservative Leitbild mit dem tatsächlichen Erwerbsverhalten von Frauen kollidierte. Seit 1950 nahm die Frauenerwerbstätigkeit, insbesondere diejenige der Mütter mit Kindern unter 14 Jahren, stetig zu und verdreifachte sich bis 1962 auf eine Millionen (Gerlach 2004: 157; vgl. auch Langer-El Sayed 1980: 180ff.). Damit rückte das bis heute diskutierte Drei-Phasen-Modell der weiblichen Lebensplanung erstmals in den Blickpunkt der gesellschaftlichen Debatten. Auch zeigte sich, dass ein Teil der Mütter während der Kindererziehungszeiten aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten erwerbstätig sein musste. Dementsprechend war die Erwerbsquote vor allem bei den Frauen mit drei und mehr Kindern relativ hoch (Gerlach 2004: 157f.; BMFSFJ 2003). In Reaktion auf diese Entwicklungen verstärkte das Familienministerium die Investitionen in den Ausbau von Kindergärten. Charakteristisch für die zweite Phase der Familienpolitik war die langsame Aufweichung des sehr tradierten geschlechterspezifischen Rollenbildes in der Familie. Trotz der Widerstände seitens des konservativen Flügels der Gesellschaft wurde die Frau-
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enerwerbstätigkeit zunehmend anerkannt und weniger scharf kritisiert. Vor allem die 68er Bewegung und die beginnende Frauenbewegung förderten eine „flexiblere Sicht von Familienrealitäten“ (Gerlach 2004: 200). Allerdings blieb das Ernährermodell bevorzugtes Familienmodell der 1960er Jahre und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben scheiterten an der Umsetzung. Dagegen wurden die geldwerten Leistungen ausgebaut. Kinderfreibeträge und Kindergeld wurden erhöht und damit die Kinderkosten stärker als bisher umverteilt. Das Kindergeld betrug ab 1964 für das 2. Kind 25 DM, für das 3. Kind 50 DM, für das 4. Kind 60 DM sowie für das 5. Kind und mehr Kinder 70 DM. Bei den Kinderfreibeträgen waren 1.200 DM für das erste Kind, 1.680 DM für das zweite Kind und ab dem dritten Kind jeweils 1.800 DM steuerfrei (ebenda: 193). Sozial-liberale Regierung Obwohl die SPD die Familienpolitik von Beginn an mit großen Vorbehalten begleitete, schaffte sie das mittlerweile umbenannte Bundesministerium für Familie und Jugend bei der Übernahme der Regierungsverantwortung nicht ab. Ganz im Gegenteil erhielt die Familienpolitik unter der sozial-liberalen Regierung einen Modernisierungsschub, indem ihr ein neues Verständnis einer gesellschaftlich gestaltenden Funktion zugeschrieben wurde. Erste sozialdemokratische Familienministerin wurde Käthe Strobel (Ende 1969 bis 1972), unter deren Federführung das Familien-, Jugend- und Gesundheitsressort zum neuen Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zusammengelegt wurde (BMFSFJ 2008b). Leitlinie der neuen, rational konzipierten Familienpolitik war es, diese als „integrierte(n) Bestandteil der Gesellschaftspolitik“ zu implementieren (Gerlach 2004: 160; zit. nach Langer-El Sayed 1980: 161). Die bisher eingeschränkten Sachzuständigkeiten sollten ausgeweitet werden und im Zentrum der neuen Familienpolitik sollten Kinder wie auch die Familienmitglieder stehen. Dabei vernachlässigte Strobel weder die Emanzipationsbewegung noch den zunehmenden Anspruch von Frauen auf die eigene Berufstätigkeit. Ganz im Gegenteil zog Strobel die Gültigkeit der tradierten geschlechtsspezifischen Rollenbilder weiter in Zweifel und setzte sich stattdessen für ein modernes familiales Rollenverständnis von Frauen und Männern ein. Dieses umfasste nach Auffassung der Ministerin auch das Recht „auf personale und berufliche Entfaltung“ von Ehefrauen (BMFSFJ 2008b; Langer-El Sayed 1980: 164). „Zumindest auf der Ebene gesellschaftlicher (und politischer) Diskussion war damit der Alleinvertretungsanspruch des bürgerlichen Familienmodells nicht mehr selbstverständlich“ (Gerlach 2004: 158). Zur Umsetzung der formulierten Leitlinien setzte Strobel 1970 eine umfassende Reform in Gang. Erste konkrete Maßnahme war die Einführung von Freistellungsregelungen für Beamtinnen und Richterinnen zum Zwecke der Kindererziehung. Für diese Berufsgruppe bestand fortan die Möglichkeit einer Beurlaubung oder einer Teilzeitarbeit unter Freihaltung der Stelle. Darüber hinaus initiierte die Ministerin erste Modellversuche über den Einsatz von Tagesmüttern (Gerlach 2004: 160f; BMFSFJ 2003). Käthe Strobel, die aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung stand, wurde im Rahmen der Regierungsbildung 1972 von Katharina Focke abgelöst. Die ausgewiesene Europapolitikerin und vorherige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt war in der Zeit von 1972 bis 1976 Bundesfamilienministerin. Sie setzte die Arbeit von Käthe Strobel fort und engagierte sich weiterhin für die Rechte von Frauen. Allem voran ist ihr die komplette Reform des Familienrechts 1976 zu verdanken, welche die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (auch in der Familie) beinhaltete (BMFSFJ 2003; Langer-El Sayed 1980: 165). Zudem dehnte sie die Freistellungsregelun-
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gen für die Kindererziehung im öffentlichen Dienst auf Väter aus und führte sogenannte Pflegetage für Eltern ein. Bei Erkrankung eines Kindes konnten berufstätige Eltern ab diesem Zeitpunkt pro Jahr fünf Pflegetage beanspruchen. Neben der Änderung des Familienrechts und der graduellen Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erzielte die Ministerin ein Umdenken beim Kindergeld. Zunächst wurden im Rahmen des Familienlastenausgleichs 1973 die Einkommensgrenzen für den Bezug von Kindergeld angehoben. Anschließend kam es 1975 unter ihrer Führung zur Kindergeldreform. Die steuerlichen Kinderfreibeträge wurden durch ein erhöhtes, einkommensunabhängiges Kindergeld für alle Kinder ersetzt. Für das erste Kind wurde ein Kindergeld in Höhe von 50 DM eingeführt und für alle weiteren Kinder die Zahlungen erhöht (2. Kind: 70 DM, 3. und mehr Kinder: 120 DM) (ebenda: 193; BMFSFJ 2003). Damit wurde die duale Organisation des Familienlastenausgleichs zugunsten von Geringverdienern abgeschafft. Wesentliches Motiv der sozial-liberalen Regierung war neben der Herstellung einer größeren Übersichtlichkeit das Kriterium der sozialen Gerechtigkeit. „Kinderfreibeträge bewirken in einem progressiv organisierten Besteuerungssystem, dass deren Vorteile mit steigenden Einkommen zunehmen“ (Gerlach 2004: 162). Darüber hinaus setzte Focke eine Reihe von Modellprojekten, unter anderem das „Tagesmütterprojekt“ fort, in dessen Rahmen untersucht wurde, inwieweit bestehende Kinderbetreuungsangebote für berufstätige Mütter durch Tagesmütter ergänzt werden konnten. Schwerpunkt der Amtszeit von Focke war die Stärkung der Rechte von Frauen unter besonderer Berücksichtigung der Chancengleichheit in Beruf und Familie. Wie schon ihre Vorgängerin konnte Focke der Familienpolitik im Kabinett nicht zu der Bedeutung verhelfen, die ihr im Rahmen der sozial-liberalen Gesellschaftspolitik eigentlich zustand. Die von Strobel und Focke implementierten familienpolitischen Maßnahmen und Modellprojekte, insbesondere aber auch die Frauenpolitik, wurden im Wesentlichen von Antje Huber, die das Amt 1976 übernahm, fortgeführt. Allerdings verfügte sie bei Amtsantritt nur noch über ein Rumpfministerium. Zunächst musste das frühere Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) die Zuständigkeit für die Ausbildungskompetenz an das Bundesministerium für Bildung und Wirtschaft abgeben und anschließend erhebliche Anteile des Gesundheitswesens an das Bundesarbeitsministerium. Im Hinblick auf die vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen führte Huber 1979 den bezahlten Mutterschaftsurlaub ein. Damit bestand für erwerbstätige Mütter nach der Geburt eines Kindes die Möglichkeit einer bezahlten Erwerbsunterbrechung (monatlich 750 DM, einschließlich Arbeitsplatzgarantie und Kündigungsschutz). Zudem verbesserte Huber die Situation von alleinerziehenden Elternteilen, indem ein staatlicher Unterhaltsvorschuss für Kinder, deren Unterhaltszahlungen durch den verpflichteten Elternteil ausblieben, gewährt wurde.16 Den Familienlastenausgleich betreffend kam es zu mehreren Anpassungen des Kindergeldes. Zum Ende der Amtszeit von Huber 1982 wurden für das 1. Kind 50 DM, für das 2. Kind 120 DM und für das 3. Kind und alle weiteren 240 DM ausgezahlt (Gerlach 2004: 164f.; BMFSFJ 2003). Insgesamt kann der Familienpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung 16
Neu geregelt wurde auch das Namensrecht für die Familien. Bei der Eheschließung konnten nun Mann und Frau einen der beiden Namen frei wählen. Gleichzeitig wurde die Schwelle gesenkt, ab der der Staat in den Familien und vor allem zugunsten der Kinder eingreifen darf. In der Erziehung wurde aus der „väterlichen Gewalt“ die „elterliche Sorge“, entwürdigende Erziehungsmethoden waren von nun an verboten. Familiengerichte wurden geschaffen. Vor allem für Frauen brachte auch die Reform des Scheidungsrechtes 1977 weit reichende Veränderungen: An die Stelle der Schuldfrage trat das Zerrüttungsprinzip. Die in der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften werden seitdem im „Versorgungsausgleich“ geteilt (BMFSFJ 2003).
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eine widersprüchliche Bilanz bescheinigt werden. Auf der einen Seite verfügte die Familienpolitik über wenig Rückhalt im Kabinett, das einer Frauen- und Familienpolitik nach wie vor skeptisch bis ablehnend gegenüber stand. Dies gilt insbesondere für die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt (Gerlach 2004: 161). Zusätzlich erschwert wurde die Arbeit der Familienministerinnen nach wie vor durch die begrenzten Kompetenzen, die schlechte finanzielle Ausstattung sowie die organisatorisch bedingte Handlungsunfähigkeit, die eine ressortübergreifende Arbeit der Familienpolitik verhinderte (Gerlach 2004: 201; Wingen 2003). Andererseits konnten eine Reihe grundlegender Änderungen erzielt werden. Die Emanzipation der Frau sowie die Herstellung der Chancengleichheit in Beruf und Familie rückten ins Zentrum der familienpolitischen Agenda. Wichtigste Maßnahme in diesem Kontext war die Einführung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs für berufstätige Frauen. Zudem wurde die Familienförderung verstärkt sozial gerecht konzipiert, indem die staatlichen Transferleistungen an Familien erhöht und nach der Anzahl der Kinder sowie unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt wurden. Neben diesen Verbesserungen war vor allem auch die rechtliche Öffnung des Familienbegriffs von Bedeutung. Fortan standen nicht nur der Schutz von Ehe und Familie im Zentrum der Politik, sondern auch die Rechte von Frauen und Kindern. Damit wurde die Norm des traditionellen Ernährermodells zunehmend in Frage gestellt. Nichtsdestotrotz resümiert Gerlach (2004: 167), dass insbesondere die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben „im Stadium des Aufbruchs steckengeblieben“ sind. Christlich-liberale Regierung 1982 Überraschenderweise wurde beim Regierungswechsel 1982 zur christlich-liberalen Regierung ein Mann zum Familienminister berufen. Nachfolger im Bundesministerium wurde Heiner Geißler von der CDU, der bis 1985 im Amt blieb (BMFSFJ 2008b). Die Tatsache, dass Geißler gleichzeitig CDU-Generalssekretär war, verbesserte die „macht- und durchsetzungsorientierte Stellung des Familienministeriums“ (Gerlach 2004: 168), allerdings konnte er sich aufgrund der Doppelrolle dem Bereich Familienpolitik nicht mit ganzer Kraft widmen. Zudem musste er, wie auch schon seine Vorgängerinnen, eine Kürzung des Etats hinnehmen. Geißler veränderte den Familienlastenausgleich grundlegend, indem er die duale Struktur – steuerlicher Kinderfreibetrag und Kindergeld – im Jahr 1983 wieder einführte (BMFSFJ 2003). Damit wurde das einheitliche Kindergeldsystem der sozialliberalen Koalition wieder abgeschafft. Der Kinderfreibetrag wurde zunächst auf 432 DM pro Jahr festgelegt und das Kindergeld in Abhängigkeit von der Höhe des Einkommens gestaffelt: 1. Kind: 50 DM, 2. Kind: 70 bis 100 DM und 3. Kind und mehr Kinder: 140 DM bis 220 DM (Gerlach 2004: 168). Die durch die steuerlichen Freibeträge größere Entlastung von höheren Einkommen sollte durch einen Kindergeldzuschlag von 48 DM an Familien mit geringerem Einkommen kompensiert werden (BMFSFJ 2003).17 Wesentliche Neuerung hinsichtlich der vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen, die unter Geißler vorbereitet und während der Amtszeit von Rita Süssmuth in Kraft trat, war das zum 01.01.1986 eingeführte Bundeserziehungsgeldgesetz. Damit konnten berufstätige Mütter oder auch Väter nach der Geburt eines Kindes zunächst für zehn Monate (ab 1992 17
Geißler initiierte die Gründung der Bundesstiftung „Mutter und Kind zum Schutz des ungeborenen Lebens“. Hauptaufgabe der Stiftung war die Unterstützung von schwangeren Frauen in Notlagen. Damit reagierte Geißler auf den seit 1976 geltenden § 218 (Indikationenmodell), mit dem Ziel, dieser Regelung auf der Gesellschaftsebene entgegenzuwirken (Gerlach 2004: 169).
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bis zu drei Jahren) den sogenannten Erziehungsurlaub (mit Arbeitsplatzgarantie) in Anspruch nehmen. Außerdem wurde der Familienlastenausgleich um ein einkommensabhängiges Erziehungsgeld von 600 DM ergänzt und Kindererziehungszeiten erstmalig in der Rentenversicherung anerkannt (BMFSFJ 2003). Gerlach (2004: 169) stellt in diesem Kontext fest: „Unter der Prämisse, dass die Tätigkeit in Haushalt und Familie eine sei, die wegen ihrer Bedeutung für die Gesellschaft prinzipiell mit einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit gleichwertig sei, wurde damit das Instrumentarium des Familienlastenausgleichs um Aspekte der Leistungsgerechtigkeit ergänzt, d. h. von prinzipiell monetär zu entgeltenden Leistungen der Familie ausgegangen.“
Die neu eingeführten Maßnahmen stießen auf ein geteiltes Echo: Obwohl die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erleichtert wurde, kritisierte ein Teil der Frauen insbesondere die Arbeitsplatzgarantie während des Erziehungsurlaubs als traditionell und gegen die Berufstätigkeit von Frauen gerichtet. Nachdem Geißler wegen der Vorbereitung auf die kommende Bundestagswahl als Familienminister ausschied, übernahm im September 1985 (bis 1988) Rita Süssmuth das Ressort. Süssmuth, die Professorin für Erziehungswissenschaften ist und auf dem Gebiet der Familienforschung als ausgewiesene Spezialistin galt, führte im Bereich der Familienpolitik die Praxis, wissenschaftlich begründete Lösungswege umzusetzen, ein. Während ihrer Amtszeit wurde der Politikbereich vor allem um die Frauenpolitik erweitert. Im Rahmen der Umstrukturierung erhielt das neu konzipierte Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit die Zuständigkeit für den Mutterschutz, für alle Belange der Gleichberechtigung sowie erweiterte Mitwirkungsrechte für alle Frauen und Familien betreffenden Gesetzesvorhaben wie auch das Initiativrecht für frauenpolitische Gesetze (vgl. ausführlich hierzu Gerlach 2004: 170f.). Damit realisierte Süssmuth eine wesentliche neue Schwerpunktsetzung in ihrem Ressort, da Familienpolitik nun unlösbar mit Frauenpolitik verknüpft wurde. Zudem sollte Familienpolitik nicht länger auf Verheiratete beschränkt bleiben, sondern der veränderten gesellschaftlichen Entwicklung – der Pluralisierung von Lebensformen – entsprechen (Peuckert 2005). Überdies setzte sich Süssmuth verstärkt für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben ein. Wesentlicher Verdienst der Ministerin ist vor allem in der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs für nunmehr alle Eltern sowie in der Anerkennung der Erziehungsarbeit in der Rentenversicherung zu sehen. Damit signalisierte sie eine Hinwendung der Familienpolitik zu diversifizierten Lebensentwürfen ebenso wie zu einer leistungsgerechteren Bewertung von Familienarbeit. Dies bedeutete faktisch eine Abkehr vom klassischen Familienernährermodell. Gleichzeitig kam es während ihrer Amtszeit wiederum zu mehrfachen Anhebungen der steuerlichen Kinderfreibeträge bis auf 3.042 DM im Jahr 1988. Auch wurden Ausbildungsfreibeträge für Kinder sowie die Haushaltsfreibeträge für Alleinstehende erhöht. Die Ablösung Rita Süssmuths durch Ursula Lehr 1988 und Süssmuths Ernennung zur Bundestagspräsidentin stand zumindest in Verbindung damit, dass die CDU/CSU dieser modernen Familienpolitik kritisch gegenüber stand. Nichtsdestotrotz hatte sie über Parteigrenzen hinweg und in der Bevölkerung viel Rückhalt. Lehr blieb von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und setzte im Feld der Vereinbarkeitsthematik die von Geißler und Süssmuth
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begonnene geld- und zeitwerte Anerkennung von Familienarbeit fort. Unter ihrer Leitung wurden beispielsweise die Pflegeleistungen in Familien gesetzlich anerkannt. Kindergeld und Kinderfreibeträge wurden nochmals erhöht. 1989 geriet Lehr in heftige Kontroversen mit ihrer CDU/CSU-Bundestagsfraktion, als sie die Kinderbetreuung für unter Dreijährige forderte und den Vorschlag unterbreitete, sogenannte Krabbelstuben zu eröffnen. Darüber hinaus baute sie gemäß ihrem Schwerpunkt Alternsforschung vor allem die Seniorenpolitik aus (BMFSFJ 2008b). Die Wende 1989 Die Regierungsbildung nach der ersten gesamtdeutschen Wahl führte im Familienministerium erneut zu organisatorischen Veränderungen. Das Ministerium wurde in drei Kompetenzbereiche aufgeteilt: Hannelore Rönsch von der CDU übernahm das Ministerium für Familie und Senioren, verantwortlich für das Gesundheitsressort war nun Gerda Hasselfeld und das Bundesministerin für Frauen und Jugend erhielt Angela Merkel.18 Hauptaufgabe der neuen Ministerin für Familien- und Seniorenpolitik war der Vollzug der deutschen Einheit. Insbesondere mussten die sozioökonomischen Lebensbedingungen der Familien in Ost- und Westdeutschland angepasst werden und der § 218 StGB neu geregelt werden (vgl. hierzu auch Fünfter Familienbericht 1994). Zur Verbesserung der ökonomischen Existenzsicherung der Familien in beiden Teilen Deutschlands wurden im Zuge der Reform des Familienlastenausgleichs das Kindergeld 1992 für das erste Kind auf 70 DM (seit 1991 in Ostdeutschland 65 DM) erhöht und der steuerliche Kinderfreibetrag auf 4.104 DM angehoben. Auch der Kindergeldzuschlag für Familien mit niedrigen Einkommen stieg von 48 DM auf 65 DM (BMFSFJ 2003; BVerfGE 82, 198). Neue familienpolitische Maßnahme, die auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückging, war die Einführung eines steuerfreien Existenzminimums für Kinder (BVerfGE 82, 60). Im Hinblick auf die vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen trat 1996 der seinerzeit schon von Ursula Lehr für Krippenplätze geforderte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz – ebenfalls durch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BverfGE im Urteil zum § 218 StGB) – in Kraft. Auch beim Bundeserziehungsgeldgesetz wurde nachgebessert. Das „Zweite Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes“ zielte auf die Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen. Der Erziehungsurlaub wurde auf drei Jahre verlängert und die Auszahlung des Erziehungsgelds (600 DM, einkommensabhängig) auf zwei Jahre angesetzt. Zudem galten die neuen Regelungen auch für nicht-eheliche Partnerschaften (Gerlach 2004: 180f.). Außerdem wurde die Freistellung für die Pflege kranker Kinder auf zehn Tage ausgedehnt und die Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung auf drei Jahre erhöht. Nicht zuletzt wollte man mit diesem Maßnahmenpaket den bisher deutlich besseren Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben in den neuen Bundesländern gerecht werden. Rönsch setzte unter anderem die Tradition der Modellprojekte im Feld der Familienpolitik auch im vereinigten Deutschland fort. Sie initiierte beispielsweise das Forschungsprojekt „Vorstellungen für eine familienorientierte Arbeitswelt“ und das Projekt „Zukunft der Familie“. Auch gründete sie eine Arbeitsgruppe zur „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und engagierte sich weiterhin für eine Verbesserung in diesem familienpolitischen 18
Diese relativ weitreichende Umstrukturierung des bisherigen Aufgabenbereichs des Ministeriums stand vor allem mit unterschiedlichen koalitionsinternen Interessenlagen insbesondere zwischen neuen und alten Bundesländern in Verbindung, die hier berücksichtigt werden sollten (Gerlach 2004: 175).
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Feld (Gerlach 2004: 181). Seitens der Frauen- und Gleichstellungspolitik ist im vorliegenden Kontext das „Zweite Gleichberechtigungsgesetz“ von Bedeutung, dass unter anderem die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben in allen Bundesverwaltungen sowie die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz einforderte (ausführliche Darstellung vgl. Gerlach 2004: 181).19 Mit der Wiederwahl der christlich-liberalen Regierung unter Helmut Kohl 1994 wurden die 1991 geteilten Kompetenzbereiche – Familie und Senioren sowie Frauen und Jugend – wieder zusammengelegt. Ministerin im neu geschaffenen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurde die ostdeutsche CDU-Politikern Claudia Nolte (BMFSFJ 2008b). In ihre Amtszeit fällt neben der Kindschaftsreform20 die konzeptionelle Änderung des Familienlastenausgleichs, die hauptsächlich durch die vorab erwähnte Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts notwendig wurde. Statt eines dualen Familienlastenausgleichs mit der gleichzeitigen Inanspruchnahme von Kindergeld und Freibeträgen wurde für Familien eine für sie günstigere Lösung eingeführt. Zunächst wurde 1996 das Kindergeld für das erste und zweite Kind auf 200 DM, für das dritte Kind auf 300 DM und weitere Kinder auf 350 DM erhöht und parallel hierzu der steuerliche Kinderfreibetrag von 4.104 DM auf 6.264 DM angehoben. Allerdings mussten Familien bei dem so bezeichneten „Optionsmodell“ zwischen Kindergeld und Steuerfreibetrag wählen. Bei dieser Regelung wurde das Kindergeld zunächst monatlich ausbezahlt. Im Rahmen der jährlichen Steuererklärung prüfte dann das Finanzamt, ob je nach Einkommen der Eltern die Freibeträge (Freistellung des Existenzminimums der Kinder) oder das gezahlte Kindergeld für die Familie günstiger sind. Mit der Neu-Regelung des Familienlastenausgleichs wurde die einkommensabhängige Zahlung des Kindergelds und der Kindergeldzuschlag für Geringverdiener wieder abgeschafft (Gerlach 2004: 184, 201). Die Umstellung auf das Optionsmodell wurde im Jahressteuergesetz 1996 rechtskräftig. Gerlach (2004: 184) konstatiert, dass die Änderung als Familienleistungsausgleich bezeichnet wurde, obwohl den tatsächlichen Leistungen und Aufwendungen der Familien damit kaum ausreichend Rechnung getragen wurde, da unter anderem der angesetzte Steuerfreibetrag zur Existenzsicherung von Kindern unter dem real anzusetzenden Existenzminimum lag (vgl. Kap. 3.2). Hinsichtlich der zeitwerten Leistungen wurden durch das „Rentenreformgesetz“ die Kindererziehungszeiten statt mit 75 % zu 100 % des Durchschnittseinkommens der Versicherten anerkannt. Die Garantie eines Kindergartenplatzes für alle Drei- bis Sechsjährigen wie auch die Verzahnung der Gleichstellungspolitik mit der Familienpolitik brachten zudem immerhin kleine Fortschritte im Hinblick auf eine gerechtere Aufteilung von Arbeits- und Familiensphäre. Kennzeichnend für die deutsche Familienpolitik ist die von Beginn an hohe Konzentration auf monetäre Leistungen bei gleichzeitiger Vernachlässigung sowohl der sachwerten als auch der zeitwerten Leistungen. Nach Schratzenstaller (2002: 130) „entspricht (diese Politik) den tatsächlichen Bedürfnissen sowie dem tatsächlichen Bedarf von Eltern nur 19
Des Weiteren stimmte die Verfassungskommission im Mai 1993 nach langen Debatten einer Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG zu. Der Artikel wurde ergänzt durch „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (BMFSFJ 2003). 20 Das Recht der Frau in der Ehe wurde gestärkt. Seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Die Reform des Kindschaftsrechts im Jahr 1998 führte zu einem gemeinsamen Elternrecht für verheiratete, geschiedene und unverheiratete Eltern(teile). Seitdem ist die gemeinsame Sorge für das Kind für verheiratete und geschiedene Eltern der Regelfall und für unverheiratete Eltern kann die gemeinsame Sorge erklärt werden (BMFSFJ 2003).
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ungenügend und stellt somit eine Fehlallokation öffentlicher Mittel beachtlichen Ausmaßes dar“. Ebenso problematisch ist in diesem Kontext, dass die bisherige staatliche Förderung vorwiegend nach dem „Gießkannenprinzip“ stattgefunden hat und weniger mittels gezielter Hilfen bedarfsgerecht gestaltet wurde. In der Folge wurden Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Teilgruppen tendenziell manifestiert anstatt eine sozialpolitisch verantwortungsvolle Umverteilung vorzunehmen. Eine notwendige und dringende Forderung an die Familienpolitik ist deshalb, dass der Ausbau der Transferkomponente zukünftig an die Bedürftigkeit angepasst sein sollte, um die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten familiären Teilgruppen besser abzusichern (Becker/Hauser 2003: 202; Butterwegge/Holm/ Zander et al. 2003: 111ff.). Nicht umsonst identifiziert Esping-Andersen (2003: 3) die Kinderarmut neben der niedrigen Geburtenrate wie auch der Vereinbarkeitsproblematik als Kernherausforderung deutscher Familienpolitik. Der familienpolitische Kernbereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben war lange Zeit durch die mangelnde Kompatibilität beider Sphären gekennzeichnet und ließ ein kohärentes Konzept, das Müttern die eigene Erwerbstätigkeit verbunden mit einer individuellen sozialstaatlichen Absicherung ermöglichte, vermissen. Trotz intensiver Bemühungen verschiedener Familienministerinnen gelang es auch seit den 1980er Jahren nicht, das traditionelle Familienernährermodell abzulösen und die geschlechterspezifische familiale Arbeitsteilung egalitärer zu gestalten. Ganz im Gegenteil wurde die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienleben für Mütter bisher erschwert, dafür aber viel Geld in das traditionelle Familienmodell und in Ehen transferiert. Positiv zu bewerten sind die zunehmende Anerkennung unterschiedlicher Formen familialen Zusammenlebens durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) wie auch durch das Sozial- und Steuerrecht seit den 1970er Jahren, die Reformen des Familienlasten- beziehungsweise mittlerweile Familienleistungsausgleichs in den 1990er Jahren, die verstärkt auf die Herstellung gleicher Lebensbedingungen für Familien zielten und die Anerkennung der Familienarbeit durch Erziehungsgeld wie auch in der Rentenversicherung. Eine Ursache für die zum Teil geringen Erfolge der Familienpolitik (trotz des hohen Engagements einzelner Ministerinnen und Minister) ist darin zu sehen, dass von Beginn an das Familienministerium nicht über die für seine zentralen Regelungsinhalte notwendigen Kompetenzen verfügte. Auch fehlte die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien wie dem Innen-, Justiz- und Arbeitsministerium, die bedingt durch den Querschnittscharakter des Policy-Bereichs erforderlich gewesen wären. Mit dem Regierungswechsel 1998 startete die neue Familienministerin Christine Bergmann eine politische Offensive zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben, die aus frauen- und familienpolitischer Sicht längst überfällig war und die von Renate Schmidt wie auch von Ursula von der Leyen fortgesetzt wurde beziehungsweise wird. Das folgende Kapitel analysiert die Wirkungen dieser „neuen und aktuellen“ vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen im Hinblick auf die Ablösung des traditionellen Ernährermodells hin zu einer Etablierung alternativer dualer Familienmodelle. 3.4 Paradigmenwechsel in der Familienpolitik? Seit Beginn der rot-grünen Legislaturperiode und unter Fortsetzung der aktuellen großen Koalition von CDU/CSU und SPD kündigt sich ein (zögerlicher) Paradigmenwechsel in der Familienpolitik an. Entgegen der deutschen Tradition des starken Ernährermodells sollte
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Müttern die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erleichtert werden und Väter in die Betreuung der Kinder einbezogen werden. Durch einen Policy-Mix, bestehend aus finanziellen Transferleistungen – Erhöhung des Kindergeldes beziehungsweise der Freibeträge, bessere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten (Familienleistungsausgleich) –, dem Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für unter dreijährige Kinder mit der Schaffung von 230.000 zusätzlichen Plätzen bis 2010 – Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), beschlossen am 28.10.2004 – sollte die Erleichterung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben angegangen werden (Lindecke 2005: 476; BMFSFJ 2004b; Magvas/Spitznagel 2002; Koch 2001). Fortgesetzt wird diese familienpolitische Offensive durch die jetzige Große Koalition von CDU/CSU und SPD, die zum 01.01.2007 das Elterngeld einführte und sich auf das Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz einigte (BMFSFJ 2007c). Eine detailliertere Betrachtung der familienpolitischen Maßnahmen zeigt allerdings die Schwächen auf: (1) Beim Familienleistungsausgleich führte die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1996 angestoßene Reform zu einer erheblichen Erhöhung des Kindergelds, die Einkommensabhängigkeit des Kindergelds wurde abgeschafft und die Kinderfreibeträge verdreifacht (Becker/Hauser 2003: 41). Die rot-grüne Bundesregierung setzte diesen Kurs fort und erhöhte zwischen 1998 und 2002 in drei Stufen das Kindergeld um 37 % auf 154 Euro für das erste bis dritte Kind sowie auf 179 Euro ab dem vierten Kind. Dazu kam die Anhebung der Freibeträge bis auf 3.648 Euro (Gerlach 2004: 188f.; Becker/Hauser 2003: 41). Allerdings wurde das Optionsmodell, bei welchem Familien zwischen Kindergeld und Freibeträgen wählen können, beibehalten. In der Folge erfahren höhere Einkommen durch die Freibeträge eine absolut höhere und mit dem Einkommen steigende Entlastung als niedrige Einkommen. Demgegenüber stehen sich Alleinerziehende und Geringverdiener deutlich schlechter, da der 1986 eingeführte Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende von 2.916 Euro im Zeitraum 2001 bis 2004 auf Null reduziert wurde und der Kinderzuschlag für Familien mit niedrigen Einkommen entfiel. Damit verstößt das Optionsmodell nicht nur „gegen vertikale Gerechtigkeitsanforderungen“ und verschärft die verteilungspolitischen Probleme des Familienleistungsausgleichs (Schratzenstaller 2002: 129), sondern erschwert eine egalitäre Arbeitsteilung: Durch die Begünstigung der hohen Einkommen beim Familienlastenausgleich wird das Ernährermodell gestärkt, da bei einer Reduktion der Erwerbstätigkeit beider Elternteile in Form einer Teilzeitbeschäftigung in der Regel das daraus erzielte Einkommen niedriger ist. Eine Kompensation durch das Kindergeld findet nicht statt, da die Höhe des derzeit gewährten Kindergelds das Existenzminimum eines Kindes unterschreitet und somit der Einkommensverlust nicht ausgeglichen werden kann (Schratzenstaller 2002: 129). (2) Das Ehegattensplitting, das vorwiegend die Ehe und nicht gezielt Familien mit Kindern fördert, wird beibehalten, obwohl in der Mehrzahl der europäischen Länder die Steuer- und Sozialsysteme zumindest teilweise individualisiert sind und die Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern gefördert wird. Insgesamt verbuchte der deutsche Staat durch das Ehegattensplitting, das neben dem Familienleistungsausgleich den zweitgrößten Posten der Familienförderung darstellt, im Jahr 2001 Steuermindereinnahmen von über 22 Milliarden Euro (Schratzenstaller 2002: 130; Klammer 2002: 126). Davon entfielen nur 57 % auf Ehen mit Kindern. Insbesondere unverheiratete Paare mit Kindern und Alleinerziehende profitieren nicht vom Splittingvorteil. In der Kritik steht das Ehegattensplitting auch unter dem Aspekt
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der Geschlechtergleichheit, da verheiratete Paare mit nur einem Einkommen (in der Regel der Mann) beziehungsweise mit erheblichen Einkommensdifferenzen zwischen den Partnern begünstigt werden: Der größte Splittingvorteil entsteht dann, wenn ein Partner kein Einkommen hat und der andere ein hohes Einkommen erzielt (Hülskamp/Seyda 2004: 47). Damit begünstigt das Ehegattensplitting die traditionelle Arbeitsteilung. Das Prinzip des männlichen Ernährers bleibt nach wie vor im deutschen Steuersystem unangetastet (Spangenberg 2005; Schratzenstaller 2002: 130; Dingeldey 2004). (3) Einen weiteren Schwerpunkt der Reform bildet die Neuregelung des Bundeserziehungsgeldgesetzes. Die Maßnahme geht auf die EU-Regelung zum Elternurlaub zurück und zielt direkt auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben (Gerlach 2004: 189). Seit der Neuregelung 2001 können beide Elternteile, verheiratete wie auch nicht verheiratete Paare, gleichzeitig Elternzeit nehmen und jeweils bis zu 30 Wochenstunden arbeiten. Hier wurden ebenfalls Wahloptionen eingeführt: erstens hinsichtlich des Zeitraums, da das dritte Elternzeitjahr bis zum achten Geburtstag des Kindes aufgehoben werden kann, und zweitens kann zwischen der bisher zweijährigen Bezugszeit von Erziehungsgeld mit einer monatlichen Zahlung von 300 Euro alternativ eine Budgetlösung gewählt werden, wonach das Erziehungsgeld nur für ein Jahr, dafür aber in einer Höhe von 450 Euro monatlich gewährt wird. Allerdings wurde das Erziehungsgeld mittlerweile durch das Elterngeld ersetzt (vgl. Ausführungen zum Elterngeld). Flankiert wurde die Neuregelung durch die Einführung des Teilzeitgesetzes, dass einen Anspruch auf Teilzeit einräumt, allerdings die einvernehmliche Regelung mit dem Arbeitgeber voraussetzt (Magvas/ Spitznagel 2002: 10-12). Mit der Budgetlösung wurde ein Anreiz geschaffen, die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von Müttern (beziehungsweise Vätern) zu verkürzen. Auch die neu geschaffene Option der gleichzeitigen Inanspruchnahme der Elternzeit durch beide Elternteile zielt darauf ab, Mütter und Väter stärker durch flexibilisierende Möglichkeiten an den Arbeitsmarkt zu binden (Leitner 2005: 959; Gerlach 2004: 190). Neben der zudem positiv zu bewertenden Gleichbehandlung verheirateter und unverheirateter Paare, welche die Pluralisierung der Familienformen berücksichtigt sowie einer zumindest im Ansatz erkennbaren Aufbrechung der strikten geschlechterspezifischen Zuordnung von Erwerbsund Familienarbeit, hatte das Erziehungsgeld im Gegensatz zum Elterngeld allerdings keinen einkommenssubstituierenden Charakter. Dadurch setzte es bei unterschiedlich hohen Einkommen der (Ehe-)Paare einen Anreiz, dass der- oder diejenige mit dem höheren Einkommen weiterhin erwerbstätig respektive vollzeiterwerbstätig ist, während in der Regel die Frau die Erwerbstätigkeit ganz unterbricht. Die Evaluierung des Bundeserziehungsgeldgesetzes hat gezeigt, dass deutsche Väter in der Regel nur dann Elternzeit nehmen, wenn ihr Einkommen gleich hoch wie oder geringer als das ihrer Partnerin ist (BMFSFJ 2004a). Unter Bezugnahme auf die nach wie vor erheblichen Einkommensungleichheiten zwischen Männern und Frauen in Deutschland bleibt in der Realität die Frau zu Hause (Bothfeld et al. 2005: 259ff.). (4) Die Umsetzung des TAG, welches zum 01.01.2005 in Kraft trat und die verbindliche Schaffung von deutlich mehr Betreuungsplätzen für unter dreijährige Kinder bis zum Jahr 2010 regelt, stellt eine Ergänzung zur Elternzeitreform dar. Die Möglichkeit der außerhäuslichen Kinderbetreuung ist als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben wie auch zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen einzustufen (BMFSFJ 2004b). Es ist davon auszugehen, dass eine verbesserte
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Betreuungssituation duale beziehungsweise egalitäre Familienmodelle klar befördert, da die Erwerbstätigkeit beider Elternteile erleichtert wird. Zudem konnten Kinderbetreuungskosten bisher lediglich steuerlich geltend gemacht werden, wenn sie den veranlagten Betreuungsfreibetrag von 1.548 Euro überstiegen. Die teilweise Abzugsfähigkeit der Betreuungskosten begünstigt – wie auch schon die Freibeträge – Familien mit höheren Einkommen, während untere und mittlere Einkommen von der Regelung kaum Vorteile haben. Allerdings gilt rückwirkend zum 01. Januar 2006, dass Familien ein Drittel der Kinderbetreuungskosten selbst bezahlen und dann weitere Kosten bis zu 4.000 Euro von der Steuer absetzen können. Bei der neuen gesetzlichen Regelung gewinnen kleine und mittlere Einkommen, da der Eigenanteil niedriger sein kann und sich eine Erwerbstätigkeit (der Frau) dann eher rentiert. Allerdings kann weder von einer deutlichen Entlastung dieser Einkommen noch einer tatsächlichen Begünstigung des zweiten Einkommens ausgegangen werden (BMFSFJ 2006b). (5) Seit Beginn der jetzigen Großen Koalition von CDU/CSU und SPD wird die Erleichterung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben mit dem zum 01.01.2007 eingeführten Elterngeld fortgesetzt. Das neue Elterngeld wird für einen Zeitraum von zwölf Monaten ausgezahlt. Zwei zusätzliche Partnermonate kommen hinzu, wenn sich der jeweils andere Partner eine berufliche Auszeit für das Kind nimmt. Insgesamt können somit die 14 Monate zwischen Vater und Mutter nach eigener Präferenz aufgeteilt werden, mindestens zwei Monate sind allerdings allein für den Vater oder die Mutter reserviert. Elterngeld gibt es für Erwerbstätige, Beamte, Selbstständige und erwerbslose Elternteile, Studierende sowie Auszubildende. Die Höhe des Elterngeldes beträgt 67 % des vorherigen Einkommens, mindestens 300 Euro pro Monat und maximal 1.800 Euro werden ersetzt, wenn die Arbeitszeit auf höchstens 30 Stunden pro Woche reduziert wird. Nimmt der Vater oder die Mutter die zwei Partnermonate nicht in Anspruch, so wird für diese zwei Monate kein Elterngeld gezahlt (BMFSFJ 2007b). Das Elterngeld zielt sowohl auf die kurze Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wie auch auf die Aufteilung der Elternschaft zwischen beiden Partnern und unterstützt egalitäre Familienmodelle. Dennoch ist das Elterngeld nur ein erster Schritt hin zu einer gerechteren Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit, dem vor allem der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder aller Altersstufen folgen muss (Farahat et al. 2006). Kritisch zu bewerten ist, dass das Elterngeld Familien mit niedrigen Einkommen gegenüber dem Erziehungsgeld benachteiligt, da lediglich ein Jahr lang 300 Euro ausgezahlt werden. (6) Im September 2007 einigten sich Bund und Länder über die Finanzierung des Ausbaus der Betreuungsangebote für unter Dreijährige. Länder und Kommunen können seit dem 01.01.2008 mit dem Aufbau einer bedarfsgerechten Betreuungsinfrastruktur beginnen. Bis 2013 sollen dann bundesweit für 35 % der Kinder dieser Altersgruppe Betreuungsplätze (ca. 750.000) geschaffen werden. Dabei beteiligt sich der Bund an dem geplanten Ausbau bis 2013 mit 4 Milliarden Euro. Eine anschließende Beteiligung an den Betreuungskosten ist ebenfalls vorgesehen. Mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz wird Eltern zudem ab 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für alle Kinder vom vollendeten 1. bis zum 3. Lebensjahr (Beginn des Kindergartenjahres 2013/2014) zugesprochen. Eltern, die ihre Kinder nicht in Einrichtungen betreuen lassen, soll stattdessen eine monatliche Zahlung in Form eines Betreuungsgeldes zugestanden werden (BMFSFJ 2007c; BMFSFJ 2008a), wobei die genauen Modalitäten dieser Zahlung noch zu regeln sind. Das geplante
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Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz ist damit eine Erweiterung des bestehenden Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) und schafft durch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige eine größere Verbindlichkeit. Dies scheint dringend notwendig, da insbesondere für berufstätige Eltern im Moment kaum ausreichend Plätze zur Verfügung stehen (DJI 2008; Statistisches Bundesamt 2004). Insofern ist eine weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben zu erwarten. Fraglich ist hingegen, ob die finanziellen Grundlagen zur Verwirklichung des umfassenden Ausbaus tatsächlich vorhanden sind, da die für den Ausbau der Kinderbetreuung vorgesehenen Einsparungen der Hartz-Reformen ausgeblieben sind und zudem das Elterngeld deutlich mehr Kosten verursacht als das bisherige Erziehungsgeld (Farahat et al. 2006: 992). Bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben können der rot-grünen Bundesregierung wie auch der jetzigen Großen Koalition durchaus Erfolge hinsichtlich einer gerechteren familialen Arbeitsteilung bestätigt werden. Die bisherigen sach- und geldwerten familienpolitischen Maßnahmen verbessern die Kompatibilität von Berufs- und Familiensphäre, zumindest im Vergleich zur bisherigen Ausgestaltung. Allerdings greifen die Maßnahmen entschieden zu kurz, da für Familien mit einem mittleren oder geringen Einkommen die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung aufgrund der steuerrechtlichen Begünstigung durch das Ehegattensplitting lediglich mit einem geringen Nettolohnzuwachs verbunden ist gegenüber hohen Kosten für die Kinderbetreuung. Bei den bestehenden Erwerbseinkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen – in der BRD aktuell 23 % des durchschnittlichen Einkommens von Männern (Böckler Impuls 2008) – existiert weiterhin der Anreiz, dass der besser verdienende Elternteil, in der Regel der Vater, entweder vollzeiterwerbstätig bleibt oder zumindest die maximale Wochenstundenzahl arbeitet. Im Gegensatz dazu verzichtet der schlechter verdienende Elternteil, in der Regel die Mutter, ganz oder in erheblichem Umfang auf eine Erwerbstätigkeit. Dies gilt ebenfalls für das Elterngeld, obwohl hier erstmalig ein Anreiz geschaffen wurde, dass Väter zumindest zwei Monate der Elternzeit in Anspruch nehmen. Des Weiteren wird ein Sozialstaatsmodell aufrechterhalten, das keine individuelle Absicherung gewährleistet, nur einen geringen Anteil an öffentlicher Kinderbetreuung (insbesondere in der Kleinkindphase) bereitstellt und damit Diskontinuitäten bei der Müttererwerbstätigkeit bewusst in Kauf nimmt sowie keine ausreichende finanzielle Kompensation bei Arbeitszeitreduzierung anbietet. Dementsprechend werden Erwerbsentscheidungen von Müttern und Vätern in einem Spannungsfeld zum Teil widersprüchlicher Anreize getroffen. So bemerkt Voigt im Spiegel (2008) kritisch, „die Frauen in Deutschland leben gerade in mehreren Jahrzehnten gleichzeitig (…). Man einigt sich auf ein Betreuungsgeld, das dazu anregt, die Kinder statt in der Krippe zu Hause zu erziehen, ein Konzept wie aus den fünfziger Jahren“. Andererseits implizieren Elterngeld und Ausbau der Kinderbetreuung eine Orientierung hin zu stärker dual ausgerichteten Familienmodellen. Damit finden heutzutage familiale Entscheidungsprozesse innerhalb eines „politischen Durcheinanders“ statt, welches zwar gerne als Wahlfreiheit gelobt wird, letztendlich aber durch das Fehlen eines kohärenten familienpolitischen Konzeptes gekennzeichnet ist. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung eines modernen familialen Rollenbildes in der Gesellschaft sind klare politische Signale dringend notwendig, insofern müssten Maßnahmen wie das Elterngeld oder die Tagesbetreuungsausbaugesetze „im Kontext eines emanzipatorischen Diskurses“ (Farahat et al. 2006: 993) geführt werden. So beschreibt Rosenberger (2002), dass Familienpolitik als Geschlechterpolitik die ungleiche Arbeitstei-
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lung zwischen Mann und Frau fortschreiben, aber alternativ auch Beiträge zur Familialisierung von Vätern liefern kann. Zweifelsohne haben Ursula von der Leyen und ihre Vorgängerinnen das konservative Familienleitbild insbesondere der CDU/CSU vom Familienernährer aufgeweicht, von einer egalitären familialen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern ist diese Politik trotz „Vätermonaten“ jedoch noch weit entfernt. Weiterer Kritikpunkt ist, dass die Wirkungszusammenhänge der familienpolitischen Maßnahmen im Unklaren bleiben. Zwar erklärte Ursula von der Leyen in einer aktuellen Pressemitteilung (BMFSFJ 2008c) das Elterngeld aufgrund der gestiegenen Bereitschaft von Vätern (12,4 % bundesweit im vierten Quartal) Elternzeit in Anspruch zu nehmen zum „Renner“. Ob dieser Effekt von Dauer ist, bleibt allerdings abzuwarten, da Familienleben von unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst wird. Vielmehr stellt sich die Frage, wie wirkt Familienpolitik beziehungsweise wirkt sie überhaupt? 3.5 Wirkungsweisen von Familienpolitik Das Max-Planck-Institut für Demographische Forschung hat im Rahmen einer Studie über den Einfluss von Familienpolitik auf die Fertilitätsrate in den nordischen Ländern Europas aufgezeigt, dass die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen immer im ökonomischen und sozialen Kontext eines Landes beurteilt werden müssen (Neyer 2004: 3). Zudem hängen familiale Entscheidungen von einer Reihe weiterer Faktoren ab. Hierzu zählen personale wie auch biographische Indikatoren, die Qualität der Paarbeziehung, aber auch biomedizinische Einflussgrößen, beispielsweise das Alter oder Krankheiten der Partnerin oder des Partners (vgl. hierzu auch Auth 2007). Dennoch setzen institutionelle Rahmenbedingungen beziehungsweise sozialstaatliche Grundlagen durch die Schaffung von Rechtsinstrumenten und Fördermaßnahmen zentrale Signal- und Orientierungspunkte für eine Gesellschaft. Insofern ist davon auszugehen, dass Familienpolitik durchaus Familienleben wie auch familiäre Entscheidungen beeinflusst (Lengerer 2004a; 2004b; Strohmeier 2002; Vaskovics 2002; Kaufmann 1995; 1990). Ob ein solcher Zusammenhang eine kausale Beziehung zwischen politischer Maßnahme und Wirkung auf familiäre Akteure impliziert, ist bisher jedoch nicht belegt. Lengerer (2004a: 100) beschreibt in diesem Kontext, dass Familienpolitik zwar kein Verhalten determiniert, allerdings Rahmenbedingungen für Handlungsentscheidungen familiärer Akteure bestimmt und deren Realisierung wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher macht. Der Einfluss staatlicher Familienpolitik kann aber keinesfalls als ein linear ablaufender Prozess verstanden werden, der bei der Erfassung der aktuellen familialen Lebenssituation beginnt, Zieldefinitionen und Maßnahmen festlegt und „schließlich die gewünschte Verhaltensänderung“ (Gerlach 2004: 120) zur Folge hat. Das Standardmodell der Evaluationsforschung, das unter Politikern weit verbreitet ist, beschreibt die Wirkung einer Maßnahme dagegen als geradlinigen Prozess: Abb. 3.2: Standardmodell der Evaluationsforschung
Quelle: Strohmeier 2002: 109, eigene Darstellung
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Ganz im Gegensatz zu diesem Standardmodell verlaufen die Entscheidungsprozesse weitaus komplexer. Dies gilt vor allem für den Bereich der Familienpolitik, der einerseits durch zentrale angrenzende Politikfelder mit beeinflusst wird, andererseits differieren Wirken und Wollen stärker als in anderen Politikfeldern. Daher gestaltet sich die Überprüfung der Effekte familienpolitischer Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielsetzung, intendierter und nichtintendierter Wirkungen schwierig (Strohmeier 2002; Vaskovics 2002; Lengerer 2004a). Kaufmann (1990) schränkt in diesem Kontext ein, dass die tatsächlichen Effekte einzelner familienpolitischer Maßnahmen sogar vollkommen unabhängig von den politischintendierten Wirkungen verlaufen. Lediglich bei den rechtlichen Regelungen kann allenfalls eine direkte Wirksamkeit, wie in Abbildung 3.1 dargestellt, angenommen werden. Die Ursachen für die mangelnde Transparenz liegen häufig in den „fehlenden klaren Formulierungen operationalisierbarer Zielsetzungen“, aber auch in der Zurückhaltung bei „der Formulierung und Durchsetzung zielkonformer Maßnahmen“ (Gerlach 2004: 120). Dadurch kann nicht genau bestimmt werden, ob die intendierten Wirkungen der einzelnen Maßnahmen erreicht oder auch nicht intendierte Wirkungen ausgelöst werden. Weder Interventionsgrundlage noch handlungstheoretische Orientierung der betroffenen Akteure sind in der Regel explizit benannt. Des Weiteren ist unklar, welche Ursachen zur Entstehung einer gesellschaftlichen Problemlage führen (Erklärungsteil) und wie eine Intervention auf die Ursachen des Problems wirken soll (Diagnoseteil). Damit ist die Wirkung der Interventionsmaßnahmen, die vor allem auf eine Veränderung der Makroebene zielen, aber nur wirksam werden können, wenn sie individuelle Einstellungen beziehungsweise Handlungsorientierungen der Akteure auf der Mikroebene beeinflussen, häufig nicht genau zu identifizieren (Bamberg et al. 2000; Bamberg/Schmidt 2001; Rölle et al. 2002; Coleman 1990). Daher bleiben die kausalen Wirkungszusammenhänge der Interventionen (causal process) unklar. Die Relevanz sozialwissenschaftlicher Wirkungsforschung wird sich zukünftig allerdings daran bemessen, ob sie in der Lage sein wird, exakt zu überprüfen, welche Folgen politische Interventionen tatsächlich haben beziehungsweise ob sie diese vorab prognostizieren kann. Insbesondere der tiefgreifende Wandel zentraler demographischer, ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen wie auch die Finanzmisere der öffentlichen Haushalte erzeugen hohen Reformdruck. Politische Akteure und Praktiker sehen sich zunehmend mit der Aufgabe konfrontiert, neue und wirksame Lösungskonzepte entwickeln zu müssen. Charakteristisch für die Mehrzahl dieser Probleme ist jedoch die hohe Komplexität, so dass Entscheidungen nicht ad hoc gefällt werden können, sondern ein tiefes Verständnis sowohl der Problemursachen als auch der möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen verschiedener Lösungskonzepte voraussetzen. So stellte die Europäische Kommission (2001) in ihrem White Paper on Governance dazu fest, dass „(...) scientific and other experts play an increasingly significant role in preparing and monitoring decisions. From human and animal health to social legislation, the institutions rely on specialist expertise to anticipate and identify the nature of the problems and uncertainties that the Union faces, to take decisions and to ensure that risks can be explained clearly and simply to the public.“
Mit dem in den letzten Jahren in Großbritannien entwickelten Ansatz der evidenzbasierten Wirkungsanalyse (Evidence Based Policy and Practice EBPP) hat zumindest die sozialwissenschaftliche Forschung diese Anforderung aufgegriffen. Der EBPP-Ansatz zielt in sei-
3 Aktuelle Zielsetzungen und Implikationen familienpolitischer Maßnahmen
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nem Kern auf die systematische und auf die Lösung sozialer Probleme fokussierte Verknüpfung verschiedener Methoden der systematischen Forschungssynthese, Evaluationsforschung und Wissensverbreitung.21 Während sich in der Bundesrepublik Deutschland die wachsende Bedeutung wissenschaftlicher Politikberatung vorwiegend indirekt in der steigenden Zahl von Regierungskommissionen und Beratungskreisen niederschlägt, stellte beispielsweise die britische „New Labour“-Regierung das Konzept der „Evidence Based Policy and Practice“ bewusst in den Mittelpunkt ihrer Modernisierungsstrategie.22 Damit wird in erheblichem Umfang dem zunehmenden Handlungsdruck in vielen gesellschaftlichen Bereichen Rechnung getragen, um neue und effektive Problemlösungen entwickeln und implementieren zu können. Angesichts knapper werdender Ressourcen wird dabei wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit einer Maßnahme zu einem immer wichtigeren Entscheidungskriterium (Bamberg/Gumbl/Schmidt 2000; Bamberg/Schmidt 2001; Chen 1990; Rossi/Lipsey/Freeman 2004; Pawson 2006).23 Erklärtes Ziel der EU in diesem Kontext ist es, finanzielle Förderung noch stärker als bisher mit „impact assessment“, also der systematischen Evaluation der Wirksamkeit von Maßnahmen zu verbinden. Nach aktuellem Forschungsstand gibt es derzeit keine theoriegeleitete Grundlage, auf deren Basis Hypothesen über die Wirkung vorhandener familienpolitischer Maßnahmen abgeleitet werden können. Es gibt auch kaum empirische Aussagen, welche Wirkung, ob fördernd oder hemmend, die familienpolitischen Maßnahmen beziehungsweise Maßnahmen der angrenzenden Politikbereiche, wie beispielsweise die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sowie die Gleichstellungspolitik, hinsichtlich der Familienmodellwahl haben (Strohmeier 2002; Vaskovics 2002; Lengerer 2004a). Zwar existieren auf vergleichender Ebene mittlerweile Wirksamkeitsmodelle zur Familienpolitik, welche Rahmenbedingungen vergleichen, aber keine systematische Hypothesentestung vornehmen (vgl. hierzu Strohmeier 2002; Vaskovics 2002; Lengerer 2004a; Gauthier 1996). Die empirische Forschung beschränkte sich bisher auf die Untersuchung von Kausalstrukturen zwischen den familienpolitischen Profilen und der Struktur der familialen privaten Lebensformen auf der Makroebene. Eine Ausnahme bildet die Population Policy Acceptance Study (PPAS), die im Auftrag der europäischen Union zunächst den Zusammenhang zwischen familienpolitischen Rahmenbedingungen sowie Maßnahmen und den Einstellungen und Erwartungen seitens der Bevölkerung untersucht (Lengerer 2004a; 2004b). 21
International werden die EBPP-Aktivitäten durch die Campbell Collaboration (C2) koordiniert (http://www. campbellcollaboration.org). Ziel der Campbell Collaboration ist das Verfassen, Aktualisieren und Verbreiten systematischer Reviews zu ausgewählten Fragestellungen sowie die Errichtung und Pflege von Datenbanken zur Dokumentation aller experimentellen und quasi-experimentellen Interventionsstudien, welche die Basis für die systematischen Reviews darstellen. Mit den „Campbell-Guidelines“ gibt es inzwischen somit sehr detaillierte Qualitätsstandards für die Durchführung sozialwissenschaftlicher Forschungssynthesen. 22 In den angelsächsischen und skandinavischen Ländern lässt sich derzeit eine sehr starke Zunahme von EBPPorientierten Forschungsaktivitäten beobachten. In England wurde ein eigenes UK Centre for Evidence Based Policy and Practice (http://www.evidencenetwork.org) gegründet; in weiteren fünf Sektoren (Management and Policy Studies, Criminal Justice, Education, Health Care, Social Care) wurden eigene Forschungszentren für Evidence Based Policy and Practice etabliert. 23 Aber auch in den USA ist in den letzten 40 Jahren die Planung, Implementierung und Evaluation staatlicher Interventionsprogramme zum Kristallisationspunkt einer eigenständigen angewandten Wissenschaftsdisziplin mit enger Verbindung zur sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung geworden. Rossi/Lipsey/Freeman (2004) schätzen, dass in den USA ca. 50.000 Menschen in der Evaluationsforschung arbeiten. Der hohe professionelle Entwicklungsstand der amerikanischen Evaluationsforschung spiegelt sich in der Vielzahl von Fachzeitschriften, Buchpublikationen, Ausbildungsprogrammen und Berufsverbänden wider.
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Da die gezielte Wirkungsanalyse beziehungsweise theoriegeleitete Evaluation einer Interventionsmaßnahme die Entwicklung eines komplexen Designs voraussetzen würde und nicht Zielsetzung dieser Arbeit ist, beansprucht die vorliegenden Studie zunächst eine Rekonstruktion des Forschungsfeldes hinsichtlich der Wirkung einzelner Maßnahmen auf die Familienmodellwahl.24 In Anlehnung an die in diesem Kapitel explizierten Ausführungen wird die These zugrunde gelegt, dass familienpolitische Interventionen in der Bundesrepublik Deutschland familiäre Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell beeinflussen. Allerdings finden die realen gesellschaftlichen Entwicklungen und individuellen Bedürfnisse betroffener familiärer Akteure im Spannungsfeld der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben zu wenig Berücksichtigung beziehungsweise bleiben unklar. Die Policy-Analyse über die Wirksamkeit der familienpolitischen Maßnahmen seit 1998 sowie deren Effekt auf die Familienmodellwahl hat aufgezeigt, dass die bisherigen Maßnahmen die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erleichtern, teilweise auch alternative Familienmodelle fördern, aber nach wie vor deutliche Anreize für das traditionelle Ernährermodell setzen. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein Familienmodell im Kontext widerstreitender Interessen getroffen wird, da kein Modell besonders gefördert oder explizit gehemmt wird. Es stellt sich daher die Frage, wie die betroffenen familialen Akteure staatliches Handeln und familienpolitische Maßnahmen hinsichtlich der Familienmodellwahl einschätzen: Welche familienpolitischen Maßnahmen stellen sich insbesondere hinsichtlich der Ablösung des traditionellen Familienernährermodells als hemmend oder fördernd heraus? Da ein gewisses Maß an Zustimmung zur Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur sowie zu familienpolitischen Maßnahmen in der Bevölkerung als Bedingung der Legitimität, der langfristigen Tragfähigkeit wie auch der Wirksamkeit familienpolitischer Interventionen angesehen wird, steht zunächst die Exploration der individuellen Einstellungen im Feld Familienpolitik im Mittelpunkt der Analyse (Lengerer 2004b: 381). Es werden folgende untersuchungsleitende Fragen expliziert: 3.1 3.2 3.3
3.4 3.5
24
Wie bewerten die Bürger und Bürgerinnen den staatlichen Einfluss auf das Familienleben? Welche Erwartungen werden an den Staat als familienpolitischen Akteur wie auch an private Akteure gestellt? Welche Einstellungen bestehen im Hinblick auf verschiedene familienpolitische Interventionen und in welchen Bereichen besteht aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen vordringlich Handlungsbedarf? Welche Einstellungen und Erwartungen bestehen hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre? Wie ist die Wirksamkeit bestehender familienpolitischer Maßnahmen einzuschätzen?
Zur Umsetzung theoriegeleiteter Evaluationsforschung vgl. Chen (1990), Heckman/Smith (1995), Bamberg/ Gumbl/Schmidt (2000), Shadish/Cook/Campbell (2002), Rossi/Lipsey/Freeman (2004).
4 Fragestellung und Explikation der Hypothesen, Datengrundlagen
Die in Kapitel 1 bis Kapitel 3 dargestellten konzeptionellen Ausführungen bilden die Grundlage der empirischen Studie. Diese wird von drei zentralen Fragestellungen geleitet: 1.
Hat die Erosion des traditionellen Familienernährermodells zu einer Ausdifferenzierung „dualer“ (egalitärer) Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben geführt und inwieweit haben (Ehe-)Paare diese alternativen Familienmodelle tatsächlich angenommen?
Im Einzelnen wird untersucht, ob eine Erosion des traditionellen Familienernährermodells bei (Ehe-)Paaren mit Kindern beziehungsweise ohne Kinder stattgefunden hat und inwieweit diese Gruppe das traditionelle Familienmodell zugunsten alternativer dualer Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben aufgegeben hat. Die bisher gemachten Annahmen lassen sich in folgende Hypothesen überführen: H1.1: Die sozioökonomischen Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland haben eine Erosion des traditionellen Familienernährermodells zur Folge gehabt. H1.2: Die Erosion des traditionellen Familienernährermodells hat zu einer Ausdifferenzierung von dual (egalitär) ausgerichteten Familienmodellen beziehungsweise Vereinbarkeitsmodellen geführt. Allerdings lassen die empirische Evidenz der verschiedenen Familienmodelle sowie Angaben über deren Verteilung in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland kaum Rückschlüsse über die Ursachen, welche die Familienmodellwahl determinieren, zu. Daher wird im Rahmen der zweiten Fragestellung überprüft, inwieweit sozialstrukturelle Indikatoren wie auch subjektive Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben sowie institutionelle Rahmenbedingungen die Wahl eines Familienmodells beeinflussen: 2.
Inwiefern bedingen sozioökonomische und -demographische Indikatoren, subjektive Einstellungen über die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben sowie institutionelle Rahmenbedingungen die Wahl eines Familienmodells?
Die bisher theoretisch dargestellten Ausführungen zu den Einflussgrößen sowie die zugrunde liegende Fragestellung lassen sich in folgende Hypothesen überführen: H2.1: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach dem Alter.
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4 Fragestellung und Explikation der Hypothesen, Datengrundlagen
H2.2: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach dem Geschlecht. H2.3: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach dem Bildungsabschluss. H2.4: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach dem Haushaltseinkommen. H2.5: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach individuellen Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. H2.6: Die Entscheidung der betroffenen Akteure in den Familien, ob das traditionelle Familienernährermodell favorisiert wird oder alternative duale Familienmodelle gewählt werden, differiert nach institutionellen Rahmenbedingungen. Die dritte Fragestellung greift einen weiteren Aspekt auf. Es soll festgestellt werden, welche familienpolitischen Maßnahmen und Interventionen aus Sicht der familialen Akteure das traditionelle Familienernährermodell hemmen beziehungsweise alternative duale Familienmodelle zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben fördern. Der dritten Fragestellung liegt die Annahme zugrunde, dass die Wahl eines Familienmodells von familienpolitischen Interventionen beeinflusst wird. Die empirische Evidenz der Wirksamkeit einzelner familienpolitischer Maßnahmen ist bisher allerdings kaum nachgewiesen worden. Die Exploration der Einstellungen zur Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur sowie zu staatlichen Maßnahmen und Interventionen im Bereich Familienpolitik soll dahingehend Rückschlüsse zulassen. Es wird folgende Frage expliziert. 3.
Wie wirken sich staatliches Handeln und familienpolitische Maßnahmen aus Sicht der betroffenen familialen Akteure auf die Wahl eines Familienmodells aus? Welche familienpolitischen Maßnahmen stellen sich insbesondere hinsichtlich der Ablösung des traditionellen Familienernährermodells als hemmend oder fördernd heraus?
Aufgrund der fehlenden theoretischen Basis in diesem Policy-Feld hat die Teiluntersuchung keinen hypothesentestenden Charakter, sondern ist explorativ (hypothesengenerierend) beziehungsweise rekonstruierend angelegt. Es werden folgende untersuchungsleitende Fragen expliziert: 3.1 Wie bewerten die Bürger und Bürgerinnen den staatlichen Einfluss auf das Familienleben?
4 Fragestellung und Explikation der Hypothesen, Datengrundlagen
63
3.2 Welche Erwartungen werden an den Staat als familienpolitischen Akteur wie auch an private Akteure gestellt? 3.3 Welche Einstellungen bestehen im Hinblick auf verschiedene familienpolitische Interventionen und in welchen Bereichen besteht aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen vordringlich Handlungsbedarf? 3.4 Welche Einstellungen und Erwartungen bestehen hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre? 3.5 Wie ist die Wirksamkeit bestehender familienpolitischer Maßnahmen einzuschätzen?
Die Fragen 3.1 bis 3.5 sollen unter Einbezug der qualitativen Ergebnisse Rückschlüsse auf die dritte untersuchungsleitende Fragestellung, ob und inwieweit staatliche Interventionen die unterschiedlichen Familienmodelle hemmen oder fördern, ermöglichen. Dementsprechend wird das Forschungsfeld rekonstruiert. Datengrundlagen Um die Erosion des Familienernährermodells sowie die verschiedenen Familienmodelle und deren Verteilung empirisch nachzuweisen, werden die Erwerbsmuster von (Ehe)Paaren auf der Basis der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS/ISSP) für 2002 berechnet.25 Nachdem auf deskriptiver Ebene die Verteilung der Familienmodelle herausgearbeitet wurde, stellt sich in einem stärker analytisch ausgerichteten Ansatz die Frage nach den Bestimmungsgrößen, welche die Familienmodellwahl determinieren. In einem zweiten Schritt rücken damit jene Indikatoren in den Mittelpunkt der Betrachtung, denen ein Einfluss auf die Familienmodellwahl zugeschrieben wird. Es wird ebenfalls anhand des ALLBUS/ISSP 2002 getestet, welche demographischen Indikatoren (Alter und Geschlecht) wie auch sozioökonomischen Indikatoren (Bildungsstand und Haushaltseinkommen) Einfluss auf die Familienmodellwahl nehmen. Zudem wird anhand des Erhebungsgebietes – Ost- und Westdeutschland – der Effekt institutioneller Rahmenbedingungen überprüft. Die subjektiven Einstellungen über die Vereinbarkeit von Erwerbsund Familienleben stellen eine weitere Einflussgröße dar. Insofern werden mittels des ISSP Zusatzmoduls 2002 „Familien in Deutschland“ die Effekte subjektiver Einstellungen im Feld der Vereinbarkeitsthematik auf die Wahl eines Familienmodells untersucht. Da davon auszugehen ist, dass sozialstrukturelle Indikatoren Einfluss auf die subjektiven Einstellungen nehmen, wird anhand von Mediator-Effekten nachgeprüft, ob und inwieweit die ausgewählten soziodemographischen Variablen eine direkte Wirkung auf die Familienmodellwahl haben oder eine indirekte Wirkung enthalten, indem sie die subjektiven Einstellungen der Befragten mitbestimmen. 25
Die in diesem Beitrag benutzten Daten entstammen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS). Das ALLBUS-Programm wurde 1980-86 sowie 1991 von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) finanziert. Seit 1987 tragen es in der Regel Bund und Länder über die GESIS (Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen). ALLBUS wird von ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen e. V., Mannheim) und dem Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung (Köln) in Zusammenarbeit mit dem ALLBUS-Ausschuss realisiert. Die Daten sind beim Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung (Köln) erhältlich. Die vorab aufgeführten Institutionen tragen keine Verantwortung für die Verwendung der Daten in der vorliegenden Arbeit.
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4 Fragestellung und Explikation der Hypothesen, Datengrundlagen
Die Einstellungen von Frauen und Männern sowohl zur Rolle des Staates als Akteur im Feld Familienpolitik sowie gegenüber familienpolitischen Maßnahmen wird mittels einer standardisierten Befragung über „Impact of Family Policy on Family Life“ untersucht, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „Improving Policy Responses and Outcomes to Socio-Economic Challenges (IPROSEC): changing family structures, policy and practice“ (European Commission 2004; Hantrais 2004) durchgeführt wurde. Zudem werden aktuelle Forschungsergebnisse auf der Basis der Population Acceptance Study (PPA) sowie des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hinzugezogen, um die Ergebnisse zu flankieren (Lengerer 2003; Spieß 2004). Im dritten Teilbereich des Multi-Methoden Designs werden anhand von qualitativen Familieninterviews zum einen die Ursachen, welche die Familienmodellwahl determinieren, vertiefend exploriert, zum anderen die Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur sowie staatliche Interventionen im Feld Familienpolitik aus Sicht der Betroffenen ermittelt. Die Ergebnisse der verschiedenen methodischen Verfahren werden im Rahmen der Auswertung zu einem Gesamtbild verknüpft. Während die quantitative Methodik für die Darstellung und Analyse auf der Strukturebene eingesetzt wird, zielt die qualitative Methodik auf die vertiefende Erklärung und Interpretation „auf der Basis individueller Handlungsbegründungen“ (Erzberger 1998: 137). Das Potenzial der Methodenkombination liegt nicht in der Validierung der Ergebnisse, sondern in der „Komplementarität der verschiedenen Erhebungs- und Auswertungsverfahren und der mit ihnen ermittelten Ergebnisse“ (Erzberger 1998: 137). Damit sollen die verschiedenen Perspektiven, die mit einem Forschungsgegenstand verknüpft sind, erfasst und zur Vervollständigung eines Panoramas im Hinblick auf die Forschungsfrage und den Erkenntnisgewinn verknüpft werden (Flick 2004b; Kelle/Erzberger 2000; Bryman 2007; Erzberger 1998; Lamnek 1995).
5 Methodisches Vorgehen
Das vorliegende Kapitel enthält einen Überblick über das Studiendesign, die Datengrundlagen und die Operationalisierung der Hypothesen. Ebenfalls dokumentiert werden die Zusammensetzung der zugrunde liegenden drei Teilstichproben sowie die Methodik zur Auswertung der Daten. Dabei ist zu beachten, dass die Auswahl des Designs und der konkreten Methode sich nach dem Kriterium der Gegenstandsangemessenheit unter Berücksichtigung der verschiedenen methodischen Alternativen richten (Flick 2004a; 2004b). Die Verwendung der Methode hat sich in einer sozialwissenschaftlichen Studie stets am originären Erkenntnisinteresse und damit verbunden an den zentralen Forschungsfragen und daraus entwickelten Hypothesen zu orientieren. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, wird im ersten Kapitel (vgl. Kap. 5.1) detailliert auf die Grundlage des Multi-Methoden Designs unter Herleitung des Triangulationsmodells eingegangen (vgl. hierzu die Kritik von Bryman an Multi-Methoden Studien 2007). Die anschließende Darstellung der Teilstichproben untergliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil enthält die Beschreibung der beiden quantitativen Teilstichproben, wobei zuerst die Stichproben des ALLBUS 1988 und des ALLBUS/ISSP 2002 dargestellt werden und im Anschluss daran die zu „Impact on Family Policy on Family Life“. Die Dokumentation der quantitativen Teilstichproben beginnt jeweils mit den Angaben über die Datenerhebung und den -rücklauf. Es folgt dann die Beschreibung der einzelnen Stichproben unter Betrachtung der Repräsentativität beziehungsweise Aussagekraft der Untersuchung. Abgeschlossen wird die Darstellung der quantitativen Teilstichproben mit den Angaben über die Methodik der Datenauswertung. Der zweite Hauptteil beinhaltet die Dokumentation der qualitativen Teilstichprobe. Hierzu zählen die Auswahl des eingesetzten qualitativen Interviews, die Entwicklung des Leitfadens, die Auswahl der Interviewteilnehmer/-innen sowie die Beschreibung der qualitativen Stichprobe. Anschließend werden Transkription- und Auswertungsmethode der qualitativen Interviews vorgestellt. Dieser Teil endet mit einer Bewertung der Validität und Reliabilität der qualitativen Teilstudie. Das Methodenkapitel schließt mit einer Bewertung über die verschiedenen Erhebungszeitpunkte der drei Teilstichproben sowie mit einigen kritischen Anmerkungen zur Umsetzung der Multi-Methoden Studie. 5.1 Studiendesign Das Design der Studie beinhaltet im quantitativen Teil eine bundesweite Telefonbefragung mittels eines standardisierten Fragebogens („Impact of Family Policy on Family Life“). Als weitere Datenquelle dient der ALLBUS 1988/2002 unter Einbeziehung des Zusatzmoduls des International Social Survey Programme 2002 (ISSP). Im qualitativen Teil werden leitfadengestützte Familieninterviews durchgeführt. Durch die Einbindung quantitativer und qualitativer Verfahren ist es möglich, die Methodentriangulation umzusetzen. Abbildung 5.1 zeigt die Darstellung des Studiendesigns mit den drei Teilstichproben.
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5 Methodisches Vorgehen
Abb. 5.1: Studiendesign: Triangulationsmodell
Quelle: Mayring 2001: 8; Flick 2004b: 70-72; eigene Darstellung
Bei der Integration qualitativer und quantitativer Verfahren unterscheidet Mayring (2001: 10f.) vier Kombinationsmodelle: Das Vorstudien, das Verallgemeinerungs-, das Vertiefungs- und das Triangulationsmodell. In der vorliegenden Studie wird das Triangulationsmodell angewendet, indem qualitative und quantitative Analyseprozesse zur schrittweisen Erweiterung der Erkenntnisse verbunden werden. Nach Denzin26 (1970) bezeichnet die Triangulation die Kombination verschiedener Methodologien zur Untersuchung eines Phänomens (Denzin 1970: 297; Lamnek 1995: 248ff.). Dabei werden im Kontext sozialwissenschaftlicher Forschung unterschiedliche Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand eingenommen. Diese Perspektiven können in unterschiedlichen Methoden und/oder unterschiedlich gewählten theoretischen Zugängen konkretisiert werden, wobei die verschiedenen Vorgehensweisen in engem Zusammenhang zueinander stehen respektive verknüpft werden (Flick 2004b: 12). Die unterschiedlichen Perspektiven sollten möglichst gleichberechtigt behandelt werden.27
26
Denzin legte 1970 erstmalig eine systematische Konzeptualisierung zur Triangulation vor. Dabei unterscheidet er zwischen Methoden und Methodologien und fokussiert stärker die metatheoretische Ebene, indem er auf die Kombination verschiedener Erkenntniswege abstellt, beispielsweise quantitative Befragungen und Dokumentenanalyse (Denzin 1970; 1978). Bei näherer Betrachtung klassischer Studien der qualitativen Sozialforschung wird deutlich, dass die mit der Triangulation verbundenen Prinzipien und Verfahren bereits früher eingesetzt wurden und seit Jahrzehnten ein Axiom empirischer Sozialforschung sind. In der Studie über die ‚Arbeitslosen von Marienthal’ von Jahoda et al. (1995) wurden qualitative und quantitative Methoden sowie verschiedene methodische Perspektiven kombiniert (Flick 2004b: 8). 27 Mittlerweile existieren etliche Studien, die Erhebung und Auswertung von standardisierten Befragungen in Kombination mit Fallstudien, unstandardisierten Interviews, teilnehmender Beobachtung und Gruppendiskussionen anwenden (Kluge/Kelle 1999; Nickel/Schmidt/Berger 1995; Freter/Hollstein/Werle 1991). Nach Flick hat „die Triangulation von Datenquellen, von Methoden und von Forschern eine lange Tradition in unterschiedlichen Bereichen der qualitativen Forschung, auch wenn der Begriff noch nicht bzw. nicht immer verwendet wird bzw. wurde“ (Flick 2004b: 9) und sie stellt ein Verfahren zur erweiterten Erkenntnismöglichkeit dar. Zu den Grundlagen der methodischen und methodologischen Integration quantitativer und qualitativer Verfahren siehe auch Bryman (1988), Cresswell (1994), Erzberger (1998), Tashakkori/Teddlie (1998).
5 Methodisches Vorgehen
67
In der Umsetzung wird zwischen vier Triangulationsmöglichkeiten differenziert: Der Daten-, der Investor-, der Theorien- sowie der Methodentriangulation, wobei letztere am häufigsten Anwendung findet (Denzin 1970: 301ff.). Die methodische Triangulation differenziert Denzin nochmals nach der „Between-method“ und der „Within-method“. Die Between-method zielt auf eine Erhöhung der externen Validität der Ergebnisse durch den Einsatz mehrerer Methoden. Dieser Ansatz stellt mittlerweile die häufigste Form der Triangulation dar. Bei der Within-method werden verschiedene Techniken innerhalb einer Methode eingesetzt, um die Reliabilität der Ergebnisse zu erhöhen (Denzin 1970: 307ff.; Lamnek 1995: 248ff.; Flick 2004b: 13ff., 74). Ziel der Triangulation ist ein erhöhter Erkenntniszuwachs, der mittels eines einzelnen Zugangs nicht erreicht werden kann. Die Methodentriangulation ermöglicht somit Nachteile eines bestimmten Vorgehens durch Vorteile eines anderen Verfahrens auszugleichen. Daher plädieren mittlerweile viele Forscher für ein Multi-Methoden Design (Nickel/Schmidt/Berger 1995: 12ff.; Erzberger 1998: 72ff.; Lamnek 1995: 249f.).28 Zur Erfassung der vorab dargestellten Forschungsfragen und zur Testung der explizierten Hypothesen sind qualitative und quantitative Methoden induziert; es wird somit die Methodentriangulation in der Anwendung als „Between-method“ eingesetzt. Allerdings wird nicht dem ursprünglichen Verständnis von Denzin (1970) gefolgt, welches die Methodentriangulation auf eine Strategie der Validierung von Einzelergebnissen festlegt, sondern dem einer umfassenderen Gegenstandsabbildung. Nach aktuellem Forschungsstand besteht erhebliche Kritik am Konvergenzmodell von Denzin (1970), da eine selbstverständliche Erhöhung der Validität der Ergebnisse durch die Methodentriangulation unter Ausblendung der Reaktivität von Forschungsmethoden vorausgesetzt wird. Hingegen können sich die verschiedenen Forschungsmethoden im Hinblick auf den jeweiligen Forschungsgegenstand auch komplementär verhalten und sind somit zur wechselseitigen Erhöhung der Validität nur begrenzt einsetzbar. Folglich lässt sich die Triangulation einerseits als kumulative Validierung von Forschungsergebnissen verstehen, andererseits als Ergänzung von Perspektiven, die eine weiterreichende Erfassung und Erklärung eines Forschungsgegenstandes ermöglichen (Kelle/Erzberger 1999: 515f.; Flick 2004b: 17-26; Denzin 2000; Fielding/Fielding 1986).29 Diesem komplementären Verständnis einer Methodentriangulation wird bei der vorliegenden Studie gefolgt. Diese beinhaltet drei unverbundene Stichproben, da qualitative und quantitative Erhebungs- und Auswertungsstufen mit jeweils eigenen Datensätzen durchgeführt werden. Die Triangulation wird auf der Ebene der Erhebung als auch auf der Auswertungsebene hergestellt, wobei allen Stichproben annähernd gleiches Gewicht eingeräumt wird. Die verschiedenen Forschungsergebnisse werden anschließend aufeinander bezogen. Mittels dieses Vorgehens wird bei der Analyse der quantitativen und 28
Nach Flick ist seit einigen Jahren ein Trend zur Überwindung der strikten Trennung von qualitativer und quantitativer Forschung zu beobachten, da beide Methoden mittlerweile stärker komplementär als konkurrierend angesehen werden (Flick 2004b: 67ff.; Kelle/Erzberger 2000: 299f.; Lamnek 1995: 245ff.). 29 Flick (2004b) hebt in diesem Kontext hervor, dass die Triangulation immer weniger eine Strategie der Validierung der Ergebnisse und Vorgehensweisen darstellt, sondern zu einer Alternative dazu wird. Kelle/Erzberger (2000: 304ff., 308) betonen, dass allgemeine Modelle der Methodentriangulation in der Regel auf der methodologischen Ebene konstruiert werden, allerdings zeigen Erfahrungen aus der Forschungspraxis, dass die Beziehung zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsergebnissen nicht aufgrund eines theoretischen Modells der Triangulation definiert werden kann. Die richtige Kombination verschiedener Methoden hängt sehr stark von der Art des untersuchten Gegenstandsbereichs und des verwendeten theoretischen Konzepts ab. Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Auswahl und Verwendung von Multi-Methoden Designs ist demzufolge die Bezugnahme zum theoretischen Konstrukt (Kelle/Erzberger 1999: 514; Lamnek 1995: 256).
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5 Methodisches Vorgehen
qualitativen Ergebnisse eine höhere Komplementarität des Endresultats verfolgt (Kelle/Erzberger 2000: 304; dies. 1999: 516ff.; vgl. auch Flick 2004b: 78; Lamnek 1995: 256).30 Kelle/Erzberger (2000) definieren auf der Ergebnisebene drei mögliche Ausgänge bei der Kombination qualitativer und quantitativer Verfahren in Forschungsdesigns: die Konvergenz, die Komplementarität und die Divergenz der Ergebnisse. Danach können Ergebnisse konvergieren, das heißt tendenziell übereinstimmen. Dies setzt allerdings voraus, dass mit verschiedenen Methoden tatsächlich dasselbe Phänomen erfasst wird. Des Weiteren können sich die Ergebnisse komplementär zueinander verhalten, sich also gegenseitig ergänzen oder divergent sein. In der Regel werden bei komplementären oder divergenten Ergebnissen unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens respektive verschiedene Phänomene erfasst (Kelle/Erzberger 2000: 304ff.; ebenso Kelle/Erzberger 1999: 518ff.). Bei der Komplementarität qualitativer und quantitativer Forschungsergebnisse wird nach Kelle/Erzberger (1999: 518) folgende Prämisse gesetzt: „Qualitative Untersuchungen können empirische Phänomene zutage fördern, die mit Hilfe quantitativer Forschungsergebnisse allein kaum hätten entdeckt werden können. Ihre besondere Stärke liegt gerade darin, dass mit ihrer Hilfe subjektive Sinnsetzungen, ‚Relevanzhorizonte’ und Handlungsorientierungen der Akteure im empirischen Material entdeckt werden könnten, über die der Forscher zuvor keine theoretisch begründeten Annahmen besaß (...). Aus diesem Grund kann, wenn qualitative und quantitative Methoden in einem gemeinsamen Untersuchungsdesign miteinander kombiniert werden, die qualitative Teiluntersuchung helfen, quantitative Befunde zu verstehen und zu erklären.“
Resümierend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass zentrale Fragebereiche des theoretischen Konstrukts der Arbeit anhand unterschiedlicher Stichproben und mit zwei unterschiedlichen Methoden untersucht werden. Dieses Vorgehen begründet sich durch den Umstand, dass unter theoretischer Perspektive sowohl quantitativ erhobene sozialstrukturelle Bedingungen und individuelle Einstellungen, aber auch Alltagswissen und subjektive Begründungszusammenhänge der Akteure in den Familien als erklärende Faktoren für den Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben herangezogen werden (Flick 2004b: 84f.; Kelle/Erzberger 1999: 525; Kelle 1994: 44ff.). Mit Hilfe dieses MultiMethoden Designs sollen die verschiedenen Perspektiven des Forschungsgegenstandes erfasst werden.
30
Flick (2004b: 85) kritisiert an dieser Stelle, dass bei der Kombination von qualitativer und quantitativer Forschung beide Zugänge häufig unabhängig voneinander angewendet werden und die Integration beider Teile sich lediglich auf einen Vergleich der Ergebnisse beschränkt. Auch wird beiden Ansätzen häufig kein gleiches Gewicht im Hinblick auf die Relevanz der Ergebnisse eingeräumt. Des Weiteren kritisieren auch Kelle/Erzberger (1999: 515f.) das Konvergenzmodell von Denzin (1970), das eine selbstverständliche Erhöhung der Validität der Ergebnisse durch die Methodentriangulation unter Ausblendung der Reaktivität von Forschungsmethoden vorgibt. Demgegenüber können sich die verschiedenen Forschungsmethoden im Hinblick auf den jeweiligen Forschungsgegenstand auch komplementär verhalten und sind somit zur wechselseitigen Erhöhung der Validität nur begrenzt einsetzbar. Dementsprechend lässt sich die Triangulation einerseits als kumulative Validierung von Forschungsergebnissen verstehen, andererseits als Ergänzung von Perspektiven, die eine weiterreichende Erfassung und Erklärung eines Forschungsgegenstandes ermöglichen.
5 Methodisches Vorgehen
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5.2 Quantitativer Studienteil 5.2.1 Datengrundlage I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002 Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) dient der Erhebung hochwertiger Daten über Einstellungen, Verhaltensweisen und der Sozialstruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage ALLBUS/ISSP 2002 handelt es sich um eine Zufallsstichprobe der Bevölkerung, die seit 1980 in Westdeutschland und seit 1991 auch in Ostdeutschland alle zwei Jahre mit einem teils stetig replikativen, teils variablen Fragenprogramm durchgeführt wird. Die Grundgesamtheit des ALLBUS 2002 umfasst die erwachsene Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, die in Privathaushalten lebt (Deutsche und Ausländer). Die Daten stehen unmittelbar nach ihrer Aufbereitung und Dokumentation für wissenschaftliche Anwendungen zur Verfügung. Für die Durchführung des ALLBUS/ISSP 2002 war infas (Institut für angewandte Sozialforschung) in Bonn verantwortlich. Eine wichtige Neuerung bei der Feldarbeit des ALLBUS 2002 betrifft die Incentivierung der Befragten. Zum ersten Mal wurden systematisch Incentives, also Anreize zur Erhöhung der Ausschöpfungsquote eingesetzt.31 In computergestützten persönlich-mündlichen Interviews (CAPI – Computer Assisted Personal Interviewing) wurden zwischen Februar und August 2002 insgesamt 2820 Haushalte befragt (Blohm et al. 2004: 47ff.; Terwey 2003: 194). Im Rahmen der ALLBUSBefragung 2002 wurde erneut der deutsche Teil des International Social Survey Programme (ISSP) durchgeführt. Das ISSP ist ein weltweiter Forschungsverbund von sozialwissenschaftlichen Instituten, der regelmäßig sozialwissenschaftliche Umfragen mit wechselnden Themen durchführt.32 Die jeweiligen nationalen Fragebögen basieren auf den Übersetzungen eines gemeinsamen, in englischer Version vorliegenden Fragebogens und sind als schriftlicher Selbstausfüllbogen beziehungsweise schriftliche Zusatzbefragung angelegt, die im Anschluss an das ALLBUS-Interview erhoben wird. Im ALLBUS 2002 wurden zwei ISSP-Module über das Thema „Soziale Beziehung und Hilfeleistungen“ wie auch zum Thema „Familien in Deutschland“ bei jeweils der Hälfte der Befragten eingesetzt (Blohm et al. 2004: 141).33 Die primären Ziele des ALLBUS-Programmes sind die Untersuchung des sozialen Wandels und die Datengenerierung für die Sekundäranalyse. Durch die Erhebung von soziodemographischen Merkmalen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung eignet sich der Datensatz unter Einbeziehung des ISSP-Moduls ‚Familie in Deutschland’ insbesondere für die in dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung: Die Darstellung der Verteilung des Familienernährermodells sowie alternativer dualer Familienmodelle als auch der Analyse über den Einfluss soziodemographischer Variablen, institutioneller Rahmenbedingungen und der Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben 31
Alle Befragten erhielten nach der Beendigung des Interviews eine Sondermünze im Wert von 10 Euro (Blohm et al. 2004: 1). 32 Dem internationalen Verband gehören mittlerweile 39 Länder an (weiterführende Informationen zum ISSP siehe unter: http://www.issp.org). Die Stichproben der nationalen ISSP-Erhebungen sind als repräsentative Zufallsstichproben mit mindestens 1000 Befragten pro Nation vorgesehen (Blohm et al. 2004: 5; Blohm 2003: 141). 33 Das Modul „Familien in Deutschland“ wurde bereits in den Jahren 1988 und 1994 erhoben (Blohm et al. 2004: 141).
70
5 Methodisches Vorgehen
auf die Modellwahl (weiterführende Informationen zur Methodik des ALLBUS/ISSP vgl. Blohm et al. 2004). 5.2.2 Operationalisierung der Hypothesen Welche Variablen des ALLBUS/ISSP 2002 Fragekatalogs sind für eine Messung der postulierten Hypothesen besonders geeignet? Zur Beantwortung dieser Frage wird die Operationalisierung und Auswahl der Variablen aus dem ALLBUS/ISSP 2002 Fragekatalog separat für die abhängige beziehungsweise zu erklärende Variable Familienmodelle sowie für die verschiedenen unabhängigen Einflussvariablen dargestellt. Abhängige Variable Bei der Berechnung der abhängigen Variable Familienmodelle wird davon ausgegangen, dass der Umfang der Erwerbstätigkeit von (Ehe-)Paaren Rückschlüsse auf die Verteilung der verschiedenen Familienmodelle in Deutschland zulässt (Bothfeld et al. 2005: 177; Dingeldey 1999: 37; Eurostat 2005: 5; Klammer/Tillmann 2001: 152). Zur Feststellung der verschiedenen partnerschaftlichen Erwerbsmuster wird auf die Variable über das wöchentliche Arbeitsstundenvolumen der jeweiligen Befragten sowie auf jenes der entsprechenden (Ehe-)Partner zurückgegriffen; diese werden als offene Angaben erfasst. Da bei den (Ehe)Partnern nicht nur die aktuellen Arbeitsstunden pro Woche erhoben werden, sondern auch die der letzten Tätigkeit (Frage v698: Wenn jetzt nicht berufstätig, denken Sie an seine / ihre letzte Tätigkeit), werden nur diejenigen (Ehe-)Partner in die Berechnung einbezogen, die zum Zeitpunkt der Befragung tatsächlich erwerbstätig waren. Die Ermittlung der nichterwerbstätigen Personen, welche für die Bestimmung des traditionellen Familienernährermodells relevant ist, basiert auf der Variable über den Status der Nichterwerbstätigkeit, der jeweils für den Befragten oder den (Ehe-)Partner bestimmt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes partnerschaftliches Erwerbsmuster oder Familienmodell vielfältigen Restriktionen unterliegt und nicht notwendigerweise das Ergebnis einer frei gewählten Erwerbsentscheidung ist. Vielmehr nehmen die konkrete Arbeitsmarktlage, das Einkommen eines (Ehe-)Paares sowie betriebliche, aber auch soziale Bedingungen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell. Dementsprechend kann angenommen werden, dass zum Teil eine Diskrepanz zwischen präferierten und realen Modellen besteht (Beckmann 2002: 4). Zur Verringerung dieser bedingten sozioökonomischen Einflussfaktoren werden bei der Berechnung der Nichterwerbstätigen Befragte und (Ehe-)Partner folgender Gruppen ausgeschlossen: Arbeitslose, Schüler/-innen, Studierende, Wehrdienstleistende/Zivildienstleistende, Rentner/-innen. Für die Berechnung des traditionellen Familienernährermodells werden (neben den Vollzeiterwerbstätigen) nur Befragte herangezogen, die angaben, Hausfrau beziehungsweise Hausmann zu sein oder die die Angabe machten, nicht erwerbstätig zu sein (vgl. Tab. 5.1).
71
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.1: Operationalisierung der Familienmodelle Hypothesen
Variablen im ALLBUS/ISSP
Item
Variablen zur Messung des Erwerbsvolumens der (Ehe-)Paare H1.1
v214
Arbeitsstunden pro Woche: Befragte
H1.2
v220
Status der Nichterwerbstätigkeit: Befragte
v272
Status der Nichterwerbstätigkeit: Ehepartner
v305 v698 v365 - v395
Status der Nichterwerbstätigkeit: Lebenspartner Arbeitsstunden pro Woche: (Ehe-)Partner Kinder im Haushalt
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Zusammenstellung
Um festzustellen, ob die Erosion des Familienernährermodells und die Ausdifferenzierung der Familienmodelle in (Ehe-)Paarhaushalten mit Kindern und ohne Kinder unterschiedlich verlaufen, werden die Variablen zum Status der Kinder ebenfalls hinzugezogen. Tabelle 5.1 enthält eine Übersicht der ausgewählten Variablen. Unabhängige Variablen Die unabhängigen Variablen umfassen zum einen soziodemographische Variablen, zum anderen die verschiedenen Einstellungsvariablen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. Zur Erfassung der Sozialstruktur werden die klassischen Dimensionen sozialer Schichtung, die Schulbildung und das Haushaltsnettoeinkommen sowie die demographischen Variablen Alter und Geschlecht herangezogen, die in Tabelle 5.2 mit der jeweiligen Variablenbezeichnung sowie dem zugehörigen Item dargestellt sind. Ebenfalls ersichtlich wird die Zuweisung zu der jeweiligen postulierten Hypothese. Tab. 5.2: Operationalisierung der soziodemographischen Indikatoren Hypothesen
Variablen im ALLBUS/ISSP
Item
Soziodemographische Variablen H2.1
v185
Alter
H2.2
v182
Geschlecht
H2.3
v187
Schulabschluss
H2.4
v441
Haushaltsnettoeinkommen
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Zusammenstellung
Zur Erfassung von Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben wird auf das ISSP-Modul „Familien in Deutschland“ zurückgegriffen. Im ISSPModul können insgesamt vier Fragen als zentrale Indikatoren für die Dimension Einstellungen über die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben identifiziert werden.
72
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.3: Operationalisierung der subjektiven Einstellungen/institutionellen Regelungen
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Zusammenstellung
Die Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben werden als eigenständige Dimension bezeichnet, da sie nach Eagly und Chaiken (1993) allgemeine Einstellungen widerspiegeln, die anhand spezifischer Einstellungen (also Indikatoren) gemessen werden. Hierzu zählt die Frage über unterschiedliche Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen und deren Folgen für das Familienleben, die Einstellungsfrage über die familiale
5 Methodisches Vorgehen
73
Arbeitsteilung sowie über die staatliche Unterstützung berufstätiger Eltern. Die drei Fragen beinhalten jeweils mehrere Items, die mit einer fünfstufigen Antwortskala das Ausmaß an Zustimmung beziehungsweise Ablehnung zu den verschiedenen Items erfassen. Die vierte Frage ermittelt Einstellungen über Umfang und Ausmaß des Erwerbsvolumens von Frauen in Abhängigkeit vom Status der Kinder/des Kindes. Die Items werden mittels einer dreistufigen Antwortskala gemessen. Die institutionellen Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland werden anhand des Erhebungsgebietes erhoben. Eine Übersicht über die verschiedenen Items der vier ausgewählten Fragen kann der voranstehenden tabellarischen Übersicht entnommen werden (vgl. hierzu auch Mühling et al. 2006). 5.2.3 Stichprobenbeschreibung ALLBUS/ISSP 2002 Die Personenstichprobe wurde auf der Basis eines zweistufigen, disproportional geschichteten Zufallsverfahrens in West- (inklusive West-Berlin) und Ostdeutschland (inklusive Ost-Berlin) aus allen erwachsenen deutschsprachigen Personen, die zum Erhebungszeitpunkt in Privathaushalten lebten und vor dem 01.01.1984 geboren wurden, ermittelt. In der ersten Auswahlstufe wurden Gemeinden in West- und Ostdeutschland mit einer Wahrscheinlichkeit proportional zur Zahl der erwachsenen Einwohner/-innen ausgewählt, in der zweiten Auswahlstufe Personen aus den Einwohnermeldekarteien der Gemeinden (weiterführende Informationen vgl. Blohm et al. 2004: 48ff.). Die Bruttostichprobe im ALLBUS/ISSP 2002 umfasst insgesamt 4107 Adressen in West- und 1887 in Ostdeutschland. Es wurden aufgrund von stichprobenneutralen Ausfällen zusätzlich 461 Adressen im Westen und 196 im Osten ergänzt. Insgesamt konnten 2820 Interviews realisiert werden (1934 im Westen und 886 im Osten). Damit beläuft sich die Ausschöpfungsquote in Westdeutschland auf 47,3 % und in Ostdeutschland auf 47,2 % (Blohm et al. 2004: 59f.).34 In der Stichprobe des ALLBUS/ISSP 2002 ist Ostdeutschland, um eine Fallzahl zu erreichen, die differenzierte und aussagekräftige Analysen für den Ostteil Deutschlands ermöglicht, überrepräsentiert. Bei Auswertungen für Gesamtdeutschland wird deshalb auf die Gewichtungsvariable im Datensatz zurückgegriffen, um die Disproportionalität der Teilstichproben für West- und Ostdeutschland auszugleichen (Blohm et al. 2004: 55). Die große Mehrheit der ALLBUS-Befragten (97 %) hat ebenfalls am ISSP Zusatzmodul teilgenommen, wobei jeweils die eine Hälfte der Befragten den ISSP Fragebogen „Soziale Beziehungen und Hilfeleistungen“ (1369 Befragte) und die zweite Hälfte den ISSP Fragebogen „Familien in Deutschland“ (1367 Befragte) ausgefüllt haben. Grundgesamtheit der vorliegenden Studie sind (Ehe-)Paare im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, die das ISSP-Zusatzmodul „Familien in Deutschland“ ausgefüllt haben. Diesem Vorgehen liegt zugrunde, dass Personen bis zum Alter von 24 Jahren sowie 66 Jahren und älter weniger stark im Spannungsfeld der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben stehen. In der Altersklasse 66 Jahre und älter sind die Kinder mehrheitlich im Erwachsenenalter, in der Altersklasse 18 bis 24 Jahre haben immer weniger Personen bereits Kinder, da sich die Familiengründungsphase zunehmend in die höheren Altersklassen verlagert hat. 34
Die stichprobenneutralen Ausfälle umfassen insgesamt 482 Adressen (10,6 %) in Westdeutschland und 204 Adressen (9,8 %) in Ostdeutschland. Die Ausfälle waren vorwiegend auf den Umzug der Zielperson zurückzuführen. Zu den Ursachen der Ausfälle vgl. Blohm et al. (2004: 60).
74
5 Methodisches Vorgehen
Das Alter von Müttern bei der Geburt des ersten Kindes betrug 2002 durchschnittlich 29,3 Jahre und 29,6 Jahre in 2004 (Statistisches Bundesamt 2005). Dementsprechend werden diese Altersgruppen aufgrund der mangelnden Relevanz im Hinblick auf die Fragestellung nicht berücksichtigt. Von den 2880 realisierten Interviews der ALLBUS/ISSP 2002 Erhebung ergibt sich nach Anwendung der Filterkriterien (vgl. Tab. 5.4) eine Stichprobengröße von 772 Befragten. Tab. 5.4: Stichprobe nach Filterkriterien Filterkriterien
Reduzierte Fallzahl (n)
ALLBUS 2002 insgesamt
2.820
ISSP Modul Familien in Deutschland
1.367
(Ehe-)Paare
980
Altersbegrenzung auf 25- bis 65-Jährige
772
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
In der folgenden Stichprobenbeschreibung werden die Verteilungen der relevanten soziodemographischen Variablen dokumentiert. Tabelle 5.5 enthält die Verteilung der relevanten demographischen Basismerkmale der Stichprobe: Geschlecht, Alter und Familienstand. Tab. 5.5: Verteilung von Geschlecht, Alter und Familienstand ALLBUS/ISSP 2002 Variablen
Variablenausprägung
BRD Gesamt n=772 abs. %
West n=528 abs. %
Ost n=246 abs. %
Geschlecht
Alter kategorisiert
Männer
368
47,7
250
47,3
121
49,2
Frauen
404
52,3
278
52,7
125
50,8
25 bis 39 Jahre
276
35,8
194
36,7
78
31,7
40 bis 54 Jahre
304
39,4
211
40
91
37
55 bis 65 Jahre
192
24,8
123
23,3
77
31,3
Ehepaare
665
86,2
455
86,2
211
86,1
Partnerschaften
107
13,8
73
13,8
35
13,9
(Ehe-)Paare (mit Kindern)
421
54,5
287
54,4
135
54,9
(Ehe-)Paare (ohne Kinder)
351
45,5
241
45,6
111
45,1
Familienstand
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; West ungewichtet: n=625, Ost ungewichtet: n=147
75
5 Methodisches Vorgehen
Die im Vergleich zur amtlichen Statistik leichte Unterrepräsentation von Frauen im ALLBUS spiegelt sich in der Teilstichprobe (zumindest für Westdeutschland) nicht wider. Dies kann vermutlich darauf zurückgeführt werden, dass das Thema Familie nach wie vor als Domäne der Frauen gesehen wird. Die Altersvariable wird anhand von drei Stufen kategorisiert: 25 – 39 Jahre, 40 – 54 Jahre und 55 – 65 Jahre. Die Verteilung der Altersjahrgänge ist ebenfalls in Tabelle 5.5 aufgeführt. Die überwiegende Mehrheit der Paare ist verheiratet, lediglich 13 % leben in einer Partnerschaft. Des Weiteren leben im größeren Teil der Paarhaushalte Kinder. Im Hinblick auf die sozioökonomische Situation werden die Variablen Schulabschluss und Haushaltseinkommen zugrunde gelegt. Die Variable Schulabschluss wird zu einer Bildungsvariablen zusammengefasst, die drei Kategorien beinhaltet. Der ersten Kategorie niedrige Bildung werden Befragte ohne Abschluss und mit Hauptschulabschluss zugeordnet. Die zweite Kategorie mittlere Bildung besteht aus Befragten, die über die mittlere Reife oder einen Realschulabschluss verfügen. Die Kategorie hohe Bildung umfasst Befragte, die über ein Abitur oder Fachabitur verfügen (Nickel et al. 1995: 19). Die Verteilung dieser neuen Bildungsvariablen ist Tabelle 5.6 zu entnehmen. Die Verteilung des Haushaltsnettoeinkommens wird mittels vier Kategorien zusammengefasst und hat folgenden Verlauf: Insgesamt verweigerten 127 Befragte die Angabe oder gaben keine Antwort auf die Frage nach dem Einkommen. Dies entspricht einem Anteil von 16,5 %. Der größte Teil der Befragten in West- wie auch in Ostdeutschland entfällt auf die Einkommenskategorie bis einschließlich 2.550 Euro. Tab. 5.6: Verteilung von Bildung und Haushaltseinkommen ALLBUS/ISSP 2002 Variablen
Bildung kategorisiert
Variablenausprägung
BRD Gesamt n=772 abs. %
West n=528 abs. %
Ost n=246 abs. %
Niedriger Bildungsabschluss
269
35
197
37,5
59
24,3
Mittlerer Bildungsabschluss
249
32,4
153
29,1
113
46,5
Hoher Bildungsabschluss
250
32,6
175
33,4
71
29,2
Keine Angabe
4
--
3
--
3
--
Haushaltsnettoeinkommen
bis einschl. 1.280 Euro
29
4,4
17
3,9
14
6,6
kategorisiert
bis einschl. 2.550 Euro
290
44,9
186
42,4
117
55,5
bis einschl. 3.850 Euro
196
30,3
137
31,2
56
26,5
Über 3.850 Euro
132
20,4
99
22,6
24
11,4
Keine Angabe
125
--
89
--
35
--
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; West ungewichtet: n=625, Ost ungewichtet: n=147
Zur Feststellung des Erwerbsvolumens wird ebenfalls eine neue Variable gebildet, die das Arbeitsstundenvolumen der Befragten und (Ehe-)Partner kategorisiert. Bezug nehmend auf die verschiedenen partnerschaftlichen Erwerbsmuster, die den Familienmodellen zugrunde
76
5 Methodisches Vorgehen
liegen, werden drei zentrale Kategorien gebildet. Die erste Kategorie umfasst die Vollzeiterwerbstätigen, die zweite Kategorie diejenigen in langer Teilzeit und die dritte Kategorie jene Befragten, die in kurzer Teilzeit arbeiten. Die Verteilung über das kategorisierte Wochenarbeitsstundenvolumen sowie über den Status der Nichterwerbstätigkeit der Befragten ist in Tabelle 5.7 aufgeführt. Tab. 5.7: Verteilung des Erwerbsvolumens der Befragten ALLBUS/ISSP 2002 Variablen
Variablenausprägung
BRD Gesamt n=772 abs. %
West n=528 abs. %
Ost n=246 abs. %
Erwerbsstatus nach Stundenvolumen kategorisiert
Kurze Teilzeit (bis 20,5)
33
6,7
27
8
2
1,2
Lange Teilzeit (bis 34,5)
63
12,7
44
13
18
11,2
Vollzeit (ab 35)
400
80,6
267
79
141
87,6
Keine Angabe
4
--
3
--
Schüler, Student
11
3,9
9
4,8
--
--
Rentner
82
30,5
48
25,7
32
37,6
z. Zt. arbeitslos
31
11,4
10
5,3
4
4,7
Hausfrau/-mann
128
47
106
56,7
5
5,9
Nicht berufstätig
20
7,2
14
7,5
44
51,8
Nichterwerbstätig
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; West ungewichtet: n=625, Ost ungewichtet: n=147
Die Dauer der Arbeitszeit, die jeweils eine Kategorie bemisst, richtet sich nach der Grundlage im Mikrozensus. Entsprechend gilt ein Arbeitsstundenvolumen von 1 bis einschließlich 34,5 wöchentlich geleisteten Stunden als Teilzeitbeschäftigung und 35 und mehr Arbeitsstunden pro Woche als Vollzeitbeschäftigung (Kohler/Spitznagel 1995: 343). Da die Teilzeitbeschäftigungen eine große Spannbreite an wöchentlichen Arbeitsstunden beinhalten – von geringfügig Beschäftigten bis zu vollzeitnahen Arbeitsverhältnissen –, wird eine Unterteilung in lange und kurze Teilzeit vorgenommen. Dabei umfasst die Kategorie kurze Teilzeit ein Arbeitsstundenvolumen bis einschließlich 20,5 und die Kategorie lange Teilzeit bis einschließlich 34,5 wöchentlich Arbeitsstunden (Statistisches Bundesamt 2002; Bothfeld et al. 2005: 216). In Tabelle 5.8 sind die wöchentlichen Arbeitsstunden der (Ehe-)Partner ebenfalls nach Ost- und Westdeutschland getrennt dargestellt.
77
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.8: Verteilung des Erwerbsvolumens der (Ehe-)Partner ALLBUS/ISSP 2002 Variablen
Variablenausprägung
BRD Gesamt n=772 abs. %
West n=528 abs. %
Ost n=246 abs. %
Erwerbsstatus nach Stundenvolumen kategorisiert
Kurze Teilzeit
51
10,5
37
11,2
12
7,5
Lange Teilzeit
30
6,2
19
5,8
13
8,1
Vollzeit
404
83,3
273
83
135
84,4
5
1,8
4
2,1
1
1,2
Rentner
102
36,8
66
34,6
39
45,9
z. Zt. arbeitslos
28
10,1
9
4,7
29
34,1
Hausfrau/-mann
111
40,1
89
46,6
10
11,8
Nicht berufstätig
31
11,2
23
12
6
7
Keine Angabe
10
--
8
--
1
--
Nichterwerbstätig Schüler, Student
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; West ungewichtet: n=625, Ost ungewichtet: n=147
Bei den Angaben über die Stichprobenverteilung in West- und Ostdeutschland handelt es sich um gewichtete Werte. Eine eigenständige Überprüfung der Validität des Messinstruments kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht durchgeführt werden. Die Reliabilität der verwendeten Einstellungsfragen aus dem im ALLBUS/ISSP Frageprogramm wird im Rahmen der Faktorenanalysen geprüft (vgl. hierzu Kap. 6.3; Schnell/Hill/Esser 2005: 151ff.; Häder 2006: 108ff.). 5.2.4 Stichprobenbeschreibung ALLBUS 1988 Zur Berechnung der Erosion des männlichen Familienernährermodells wird der ALLBUS 1988 hinzugezogen. Die Auswahl beschränkt sich auf das Jahr 1988, da die Variable Arbeitsstundenvolumen des (Ehe-)Partners nur im Frageprogramm 1988 enthalten ist. Tabelle 5.9 fasst in Anlehnung an die Stichprobenbeschreibung des ALLBUS/ISSP 2002 die relevanten soziodemographischen Verteilungsmerkmale zusammen. In Tabelle 5.10 sind der Erwerbsstatus sowie das Arbeitsstundenvolumen der Befragten wie auch der (Ehe-)Partner dargestellt. Die Operationalisierung der Familienmodelle entspricht derjenigen des ALLBUS/ISSP 2002 und kann Kapitel 5.2.2 (vgl. Kap. 5.2.2, Tab. 5.1) entnommen werden.
78
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.9: Verteilung der soziodemographischen Basismerkmale ALLBUS 1988 Variablen
Westdeutschland n=1.560
Variablenausprägung abs.
%
Männer
709
45,4
Frauen
851
54,6
25 bis 39 Jahre
630
40,4
40 bis 54 Jahre
579
37,1
55 bis 65 Jahre
351
22,5
Ehepaare
Geschlecht
Alter kategorisiert
Familienstand
Bildung kategorisiert
Haushaltsnettoeinkommen kategorisiert
1469
94,2
Partnerschaft
91
5,8
(Ehe-)Paare (mit Kindern)
913
48,5
(Ehe-)Paare (ohne Kinder)
647
41,5
Niedriger Bildungsabschluss
915
58,6
Mittlerer Bildungsabschluss
388
24,9
Hoher Bildungsabschluss
257
16,5
Keine Angabe
--
--
bis einschl. 1.280 Euro
9
1,4
bis einschl. 2.550 Euro
223
34,7
bis einschl. 3.850 Euro
239
37,3
Über 3.850 Euro
171
26,6
Keine Angabe
918
--
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; West ungewichtet: n=625, Ost ungewichtet: n=147
Die Grundgesamtheit ist identisch zum ALLBUS/ISSP 2002, d.h. (Ehe-)Paare im Alter von 25 bis 65 Jahren. Das Arbeitszeitvolumen wird jeweils für beide Erhebungsjahre über die wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden erfasst. Im Hinblick auf die Nichterwerbstätigen wird bei der Stichprobe 1988 auf die Variable Sind sie zur Zeit berufstätig zurückgegriffen (Befragte: v167, (Ehe-)Partner v238, v308), wobei die nebenher Berufstätigen und Arbeitslosen nicht einbezogen werden, sondern nur die Nichterwerbstätigen (vgl. Kap. 5.2.2). Allerdings wurde der ALLBUS/ISSP 2002 um die Variable Status der Nichterwerbstätigkeit ergänzt. Damit besteht im Gegensatz zu 1988 die Möglichkeit, die Nichterwerbstätigkeit detaillierter zu definieren. Die Variable weist die Kategorien Schüler, Student, Rentner, z. Zt. arbeitslos, Hausfrau/-mann und nicht berufstätig aus. Um die Vergleichbarkeit zu
79
5 Methodisches Vorgehen
gewährleisten, werden nur die Nichterwerbstätigen und die Hausfrauen/-männer herangezogen. Tab. 5.10: Verteilung von Erwerbsstatus und Erwerbsvolumens ALLBUS 1988 Variablen
Westdeutschland n=1.560
Variablenausprägung
Befragter
abs.
%
Kurze Teilzeit (bis 20,5)
83
9,8
Lange Teilzeit (bis 34,5)
57
6,7
Vollzeit (ab 35)
705
83,4
Nicht berufstätig
618
86,4
Arbeitslos
30
4,2
Nebenher berufstätig
67
9,4
Kurze Teilzeit (bis 20,5)
59
5,8
Lange Teilzeit (bis 34,5)
51
4,9
Vollzeit (ab 35)
916
89,3
Nicht berufstätig
482
90,3
Arbeitslos
19
3,5
Nebenher berufstätig
33
6,2
Erwerbsstatus nach Stundenvolumen kategorisiert
Nichterwerbstätig
(Ehe-)Partner Erwerbsstatus nach Stundenvolumen kategorisiert
Nichterwerbstätig
Quelle: ALLBUS/ISSP 1988; eigene Berechnung
Die Größe der Stichproben des ALLBUS 1988 und des ALLBUS 2002 variiert, da die Frage nach dem Arbeitsstundenvolumen im ALLBUS 2002 lediglich im ISSP Zusatzmodul „Familien in Deutschland“ gestellt wird und somit nur von der Hälfte der Befragten beantwortet werden konnte. Demgegenüber wurde beim ALLBUS 1988 die Frage nach dem Arbeitsvolumen für die gesamte Stichprobe erhoben. Ebenfalls zu beachten ist, dass das im ALLBUS 1988 eingesetzte ADM-Stichprobenverfahren nur die Haushalte gleichwahrscheinlich auswählt. Die Auswahlchance der einzelnen Befragten hängt anschließend von der Zahl der Haushaltsmitglieder ab und sinkt mit steigender Haushaltsgröße. Bei der Analyse von Fragestellungen auf Personenebene oder beim Vergleich mit Personenstichproben (ALLBUS 2002) muss im Prinzip eine Designgewichtung proportional zum Wert der redu-
80
5 Methodisches Vorgehen
zierten Haushaltsgröße vorgenommen werden. Allerdings wird die Transformationsgewichtung in der Forschungspraxis nur selten verwendet, da die Verwendung des Transformationsgewichtes eine exakte Realisierung des Stichprobenplans voraussetzt (vgl. hierzu Terwey et al. 2007: 8). Da dies in der Umfragepraxis in der Regel nicht gegeben ist, empfehlen Terwey et al. (2007) die Analysen sowohl gewichtet als auch ungewichtet durchführen, um zu prüfen, ob das Transformationsgewicht die Ergebnisse beeinflusst. Die Autoren merken an, dass die Gewichtung an Bedeutung verliert, weil die Unterschiede in den Ergebnissen für die meisten Variablen gering sind. Bei der vorliegenden Verteilung der Stichprobenmerkmale wie auch bei den Berechnungen der Familienmodelle zeigen sich nur unwesentliche Unterschiede (unter 1 %). Daher werden hier die ungewichteten Ergebnisse dargestellt (Terwey et al. 2007: 7f.; Braun et al. 1989). 5.2.5 Methodik zur Auswertung des ALLBUS/ISSP 2002 Zur statistischen Auswertung der Daten des ALLBUS/ISSP 2002 werden sowohl univariate als auch multivariate Verfahren eingesetzt. Diese Methoden erstrecken sich von einfachen deskriptiven Maßen, wie beispielsweise Mittelwerte, über Faktorenanalysen bis hin zu Regressionsanalysen. In einem ersten Schritt werden die Erosion der Familienmodelle seit 1988 (H1.1) sowie die Verteilung der Familienmodelle (H1.2) im Jahr 2002 deskriptiv berechnet. Anschließend werden die Einstellungsskalen faktorenanalytisch ermittelt und ebenfalls deskriptiv dargestellt. Im zweiten Schritt der Analyse kommen multivariate statistische Auswertungsmethoden zum Einsatz, mit denen die postulierten kausalen Zusammenhänge der Hypothesen H2.1 bis H2.6 getestet werden. Es wird mittels der multiplen Regressionsanalyse zuerst geprüft, ob zwischen den ausgewählten sozialstrukturellen Indikatoren und den Einstellungsindikatoren ein Zusammenhang besteht, um indirekte Effekte dieser auf die Familienmodellwahl benennen zu können. Im Anschluss daran wird die Wirkung der ausgewählten Indikatoren auf die Familienmodellwahl analysiert. Da es sich bei der abhängigen Variable um eine kategoriale Variable mit mehreren Ausprägungen handelt, kommt bei der Analyse das Verfahren der multinomialen logistischen Regression zum Tragen (Andreß et al. 1997; Backhaus et al. 2006; Long 1997). Diese Analysen ermöglichen es, ein differenziertes Bild über die Verteilung des traditionellen Ernährermodells respektive alternativer Familienmodelle in der bundesdeutschen Gesellschaft zu zeichnen sowie die Effekte der ausgewählten Einflussgrößen komplex darzustellen. 5.3 Datengrundlage II: Befragung zu „Impact of Family Policy on Family Life” Die Exploration der Einstellungen zur Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur sowie zu staatlichen Maßnahmen und Interventionen im Bereich Familienpolitik basiert – unter Einbezug weiterer empirischer Ergebnisse – auf einer standardisierten Befragung zu „Impact of Family Policy on Family Life“. Der Fragebogen umfasst in erster Linie Einstellungs- beziehungsweise Überzeugungsfragen hinsichtlich des skizzierten Inhalts. Einstellungsfragen fokussieren den Aspekt der Wünschbarkeit als auch den der negativen beziehungsweise positiven Beurteilung, welchen die Befragten mit vorgegebenen Aussagen verbinden. Überzeugungsfragen dienen der Erhebung von Wissen seitens der Befragten über einzelne Sachverhalte und Problembereiche. Beide Fragetypen werden in Bezug auf die zugrundliegende Forschungsfrage als geeigneter Fragetyp eingestuft, um subjektives
5 Methodisches Vorgehen
81
Wissen über die Wirklichkeit zu ermitteln (Schnell/Hill/Esser 2005: 325ff.; European Commission 2004; Hantrais 2004). Des Weiteren werden mittels des Fragebogens die sozialstrukturellen Merkmale der Befragten erfasst.35 Da es sich bei der vorliegenden Teiluntersuchung um eine explorative Studie handelt, ist das Forschungsziel nicht die unmittelbare Prüfung von Hypothesen, sondern deren Generierung anhand des empirischen Materials. Demzufolge wird bei der Operationalisierung der Forschungsfrage nicht auf ein theoretisches Konstrukt zurückgegriffen, sondern die Fragen werden anhand des Vorwissens heuristisch-analytisch (re)konstruiert. Explorative Fragestellungen, die auf die Entdeckung neuer Problemfelder zielen, sind in der Regel angemessener mit gering standardisierten oder qualitativen Verfahren zu untersuchen. Da es sich beim Policy-Feld Familienpolitik allerdings um einen Bereich handelt, der durch gesetzliche Rahmenbedingungen und Maßnahmen determiniert ist und die Exploration der Einstellungen der Befragten zur Rolle des Staates beziehungsweise privater Akteure im Feld „Familienpolitik“ und familienpolitischer Interventionen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben im Mittelpunkt stehen, wird auf ein standardisiertes Messinstrument zurückgegriffen. Forschungsleitend ist dabei die in Kapitel 4 (vgl. Kap. 4) explizierte 3. Fragestellung sowie die entsprechenden untersuchungsleitenden Fragen 3.1 bis 3.5, die auf Vorannahmen im Feld Familienpolitik beruhen (Diekmann 2006: 162). Die Auswertung ist dementsprechend deskriptiv angelegt.36 Vor der Hauptbefragung wurde mit einer Vorversion des Fragebogens ein kognitiver Pretest mit 20 Personen durchgeführt. Der Pretest wurde anschließend ausgewertet und dessen Ergebnisse wurden in den endgültigen Fragebogen für die Hauptuntersuchung eingearbeitet. 5.3.1 Operationalisierung der Fragestellung Insgesamt enthält der Fragebogen 31 Fragen, die mittels dichotomen Antwortvorgaben, teilweise durch Mehrfachnennungen oder mittels Einschätzungen anhand von LikertSkalen zu beantworten sind. Der Fragebogen gliedert sich in fünf verschiedene Themenkomplexe: a) sozialstrukturelle Angaben, b) Angaben zur Haushaltsstruktur, c) Einstellungen zu familienpolitischen Leistungen, d) Einfluss von staatlichen Akteuren oder privaten Akteuren auf das Familienleben, e) Familienbezogene Regelungen am Arbeitsplatz. In Tabelle 5.11 sind die einzelnen Variablen, die aus dem Fragebogen „Impact of Family Policy on Family Life“ aufgrund ihrer Relevanz ausgewählt wurden, die zugehörigen Items und die Angaben zur Messung aufgeführt. Im Bereich staatlicher Einflussnahme auf das Familienleben werden die Fragen aufgenommen, ob
35
Der Fragebogen befindet sich im Anhang. Vgl. hierzu Kleining/Witt (2001) über die Entdeckung als Basismethodologie für qualitative und quantitative Forschung.
36
82
5 Methodisches Vorgehen
Staat oder Regierung Einfluss auf das eigene Familienleben nehmen, wie groß dieser Einfluss ist und auf welche Bereiche staatliche Politik Einfluss nehmen sollte.
Von besonderem Interesse für die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben sind die Einstellungen zu den familienbezogenen Regelungen am Arbeitsplatz der befragten Personen. Auch sind für die Fragestellung Einstellungen der Befragten, ob beziehungsweise inwieweit Arbeitgeber familiäre Belange der Beschäftigten berücksichtigen sollten, relevant. Der Bereich der staatlichen Leistungen für Familien umfasst Fragen zu Art und Umfang der familienpolitischen Transferleistung (geldwerte Leistungen) sowie deren Bewertung durch die Befragten (siehe Zusammenfassung Tab. 5.11). Tab. 5.11: Fragestellung und ausgewählte Indikatoren Variablen
Item
Messung
Einfluss des Staates beziehungsweise der Regierung auf Familienleben v4.1
Nimmt der Staat beziehungsweise die Regierung Ihrer Meinung nach Einfluss auf das Familienleben?
1=Ja / 2=Nein / 3=Weiß nicht
v4.2
Wie groß schätzen sie den Einfluss von Staat und Regierung auf das Familienleben ein?
1=Sehr groß, 2=groß, 3=mittel, 4=gering
v4.3
Verschiedene politische Faktoren können Familienleben beeinflussen! Bitte geben sie an, ob der Staat unterstützend aktiv sein sollte oder nicht.
1=Ja / 2=Nein / 3=Weiß nicht
Sollte der Staat Familien in ihrem Wunsch, Kinder zu bekommen, unterstützen? Sollte der Staat Paare darin unterstützen, zu heiraten, wenn sie Kinder haben wollen? Sollte der Staat vor allem bedürftige/arme Familien stärker unterstützen? Sollte der Staat alle Familientypen in gleicher Weise unterstützen? Sollte der Staat vor allem Alleinerziehende stärker unterstützen? Sollte der Staat vor allem kinderreiche Familien stärker unterstützen? Arbeitgeber als private Akteure v4.6
Sollten Ihrer Meinung nach Arbeitgeber Familienbelange der Beschäftigten berücksichtigen? Kinderkrippenplätze zur Verfügung stellen Flexible Arbeitszeitmodelle entwickeln Freizeitangebote für Familienmitglieder machen Elternzeit/Erziehungsurlaub einplanen
1=Ja / 2=Nein / 3=Weiß nicht
83
5 Methodisches Vorgehen
Variablen
Item
Messung
Familienpolitische Leistungen v3.1
Haben Sie in den letzten 12 Monaten folgende Leistung vom Staat erhalten?
1=Ja / 2=Nein / 3=Weiß nicht
Mutterschaftsgeld Erziehungsgeld Kindergeld
v3.2
Bitte beurteilen Sie, für wie ausreichend sie die Leistungen halten!
1=Mehr als ausreichend 2=Ausreichend, 3=Mittel 4=Kaum ausreichend 5=Unzureichend
Quelle: Fragebogen „Impact of Family Policy on Family Life”; eigene Darstellung
5.3.2 Datenerhebung und Rücklauf Mittels des standardisierten Fragebogens wurde 2001 eine Telefonbefragung durchgeführt. Insgesamt umfasste die Stichprobe 3.000 Telefonnummern. Davon wurden insgesamt 2.880 Nummern verwendet. Die Stichprobenziehung erfolgte durch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim nach dem dort entwickelten Gabler-Häder Design.37 Befragungsgrundlage bilden in dem Verfahren alle Festnetzanschlüsse (eingetragene und nicht eingetragene), da zur Zeit über 95 % der Haushalte über einem Festnetzanschluss verfügen. Insofern kann bei der vorliegenden Befragung von einer Abbildung der einzelnen Segmente der Bevölkerung ausgegangen werden.38 Die Interviewer wurden angewiesen, bei jedem vorhandenen Anschluss jeweils bis zu 10 Kontaktversuche an unterschiedlichen Wochentagen und zu verschiedenen Tageszeiten vorzunehmen. Die Kontaktversuche fanden in der Zeit zwischen 9.00 und 21.00 Uhr statt. Da die Zielperson nicht von vornherein feststand, wurden die Interviewer angewiesen, nach dem Schwedenschlüssel (kish-selection-grid) die Zielperson im Haushalt zu ermitteln (Diekmann 2006).39 Darüber hinaus sollten die Interviewer die Auswahlkriterien Alter und Geschlecht im Hinblick auf die Verteilung beachten. Grundgesamtheit sind Personen im Alter zwischen 25 und 65 Jahren. Damit ist die Altersklasse identisch zur Grundgesamtheit des ALLBUS/ISSP 2002. Allerdings werden bei der vorliegenden Untersuchung nicht nur (Ehe-)Paare befragt, sondern alle Personen. Die Ergebnisse werden anschließend für (Ehe-)
37
Dieses Stichprobendesign hat sich in den letzten Jahren als methodischer Standard in der empirischen Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland etabliert (Häder 2000: 6-13; Gabler/Häder 1997). 38 Bis 1992 war das Telefonbuch in Deutschland eine akzeptable Basis für die Auswahl der Befragten bei Telefonstichproben (in Westdeutschland), da nahezu alle Telefonteilnehmer/-innen bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich verpflichtet waren, ihre Telefonnummern in den allgemein zugänglichen Telefonverzeichnissen zu veröffentlichen. Mittlerweile besteht diese Eintragspflicht nicht mehr und der Anteil „nicht eingetragener Nummern“ ist in den letzten Jahren stark gestiegen (Häder 2000; Schnell/Hill/Esser 2005: 272f.). 39 Der Interviewer ermittelte bei der angegebenen Adresse zunächst Anzahl und Alter der zur Grundgesamtheit zählenden Haushaltsmitglieder, d. h. alle im Haushalt lebenden Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung 25 Jahre und älter waren. Anhand des Schwedenschlüssels, einer vorab festgelegten Kombination von Zufallsziffern, wird dann die entsprechende Person im Haushalt für die Befragung ausgewählt (Diekmann 2006: 333).
84
5 Methodisches Vorgehen
Paare und Nicht-(Ehe-)Paare (Ledige, Geschiedene, Getrennt Lebende, Verwitwete) separat ausgewiesen. Die Bruttostichprobe umfasst insgesamt 2880 Haushalte, davon bestanden zum Zeitpunkt der Erhebung 1039 Anschlüsse nicht mehr und 77 Anschlüsse waren Firmennummern. Die stichprobenneutralen Ausfälle wurden abgezogen. Damit umfasste die endgültige Stichprobengröße 1.764 Haushalte, in denen insgesamt 282 Personen an der Befragung teilnahmen. Die Rücklaufquote beträgt damit 16 %. Die hohe Ausfallquote „UnitNonresponse“40 ist vorwiegend auf Verweigerung der Zielperson, an der Studie teilzunehmen sowie auf die Nichterreichbarkeit der Zielperson zurückzuführen.41 Die Erhebung ist aufgrund der niedrigen Rücklaufquote als nicht repräsentativ einzustufen. Dementsprechend könnten mit einer neuen, anderen Stichprobe abweichende Ergebnisse erzielt werden. Aus diesem Grunde sind die Ergebnisse im Kontext des Multi-Methoden Designs zu sehen und einzuordnen.42 5.3.3 Stichprobenbeschreibung „Impact of Family Policy on Family Life” Die Stichprobenbeschreibung enthält die Verteilung der sozialstrukturellen Basismerkmale der vorliegenden Befragung. Die Auswahl der Merkmale ist Tabelle 5.12 zu entnehmen. Insgesamt sind Frauen mit 58,7 % anteilig stärker vertreten. Im Hinblick auf die Verteilung nach Altersklasse ergibt sich folgendes Bild: Jeweils 42,6 % der Befragten gehören der Altersklasse 25 bis 39 Jahre an und 57,4 % der Altersklasse 40 bis 65 Jahre. Damit ist gewährleistet, dass die Zielgruppe erreicht worden ist, da in der Stichprobe die beiden Altersklassen – 25 bis 39 Jahre und 40 bis 65 Jahre – die vorwiegend im Spannungsfeld zwischen Familien- und Erwerbsleben stehen, vertreten sind.43 Die Mehrheit der Befragten in der Stichprobe (69,3 %) sind (Ehe-)Paare. Mit 18,2 % ist die Gruppe der ledigen Befragten am zweitstärksten vertreten und 12,5 % leben in Trennung, sind geschieden oder verwitwet.
40
Schnell/Hill/Esser (2005: 306) unterscheiden beim Ausfall von Interviews den „Unit-Nonresponse“ und den „Item-Nonresponse“. Unit-Nonresponse bezeichnet den Ausfall des gesamten Falles. Dagegen bezeichnet „ItemNonresponse“ lediglich den Ausfall von einigen Variablen für den jeweiligen Fall. 41 Nach Diekmann (2006: 359) stellen die hohen Ausfälle in der Umfrageforschung durch Verweigerung und Nichterreichbarkeit ein großes Problem dar. Es besteht in der Regel eine hohe Differenz zwischen der Bruttostichprobe und den realisierten, auswertbaren Interviews (vgl. hierzu auch Schnell/Hill/Esser 2005: 306ff.; Porst 1990: 60f.). 42 Schnell/Hill/Esser (2005: 303) merken in diesem Kontext kritisch an, dass nach wissenschaftlichen Kriterien die Bezeichnung einer Stichprobe als repräsentativ nur dann möglich ist, wenn der Auswahlmechanismus eine Zufallsauswahl darstellt, da ausschließlich aufgrund von reinen Zufallsstichproben auf die Verteilung der Merkmale in der Grundgesamtheit geschlossen werden kann. Allerdings wird in der Praxis die Bezeichnung „repräsentativ“ häufig eingesetzt, obwohl die Kriterien der Zufallsauswahl nicht eingehalten werden. Die Autoren bemerken, dass der Begriff „repräsentativ“ ungenau und unnötig ist, da die Bewertung der Güte einer Untersuchung genaue Angaben über Grundgesamtheit, Ziehungsprozess, Ausfälle und verwendete Instrumente voraussetzt (Diekmann 2006: 368f.). 43 Insgesamt verfügen 96 % der Befragten über die deutsche Staatsbürgerschaft.
85
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.12: Verteilung von Geschlecht, Alter und Familienstand der Befragten Variablen
Variablenausprägung
BRD Gesamt (n=247) abs. %
Geschlecht
Alter kategorisiert
Männer
102
41,3
Frauen
145
58,7
25 bis 39 Jahre
114
46,2
40 bis 65 Jahre
133
53,8
Ehepaare
153
61,9
Partnerschaft
18
7,4
Getrennt lebend
7
2,8
Geschieden
20
8,1
Familienstand
Verwitwet
4
1,6
Ledig
45
18,2
Quelle: Fragebogen „Impact of Family Policy on Family Life”; eigene Berechnung
Die Verteilung des Bildungsstandes in der Stichprobe hat folgenden Verlauf. Der größte Teil der Befragten, 35,8 %, verfügt über eine hohe Bildung, d. h. die Befragten haben das Abitur beziehungsweise die Fachhochschulreife. 30 % verfügen über einen mittleren Bildungsabschluss (Realschulabschluss beziehungsweise die mittlere Reife) und 32,1 % der Befragten zählen zur Kategorie niedriger Bildungsabschluss (Hauptschulabschluss oder keinen Abschluss).44 Die Verteilung des Erwerbsstatus und des Haushaltseinkommens sind ebenfalls in Tabelle 5.13 aufgeführt.
44
Über den Umgang mit unterschiedlichen Stichproben vgl. auch Bien et al. (1997).
86
5 Methodisches Vorgehen
Tab. 5.13: Verteilung von Bildung, Haushaltseinkommen, Erwerbsstatus der Befragten BRD Gesamt n=247 abs. %
Variablen
Variablenausprägung
Bildung kategorisiert
Niedriger Bildungsabschluss
76
30,9
Mittlerer Bildungsabschluss
74
30,1
Hoher Bildungsabschluss
96
39
Keine Angabe
1
--
bis einschl. 1.280 Euro
55
25,7
bis einschl. 2.550 Euro
97
45,4
bis einschl. 3.850 Euro
39
18,2
Über 3.850 Euro
23
10,7
Keine Angabe
33
--
Vollzeit erwerbstätig
102
41,5
Teilzeit erwerbstätig
34
13,7
Geringfügige Beschäftigung
11
4,5
Selbständig
31
12,6
Arbeitslos
12
4,9
Ruhestand
26
10,6
Mutterschutz/Elternzeit
6
2,4
Hausfrau/Hausmann
16
6,5
Ausbildung/Studium
8
3,3
Keine Angabe
1
Haushaltsnettoeinkommen Kategorisiert
Erwerbsstatus
Nichterwerbstätig
Quelle: Fragebogen „Impact of Family Policy on Family Life”; eigene Berechnung
5.3.4 Methodik zur Auswertung der „Impact of Family Policy on Family Life“ Daten Aufgrund der niedrigen Rücklaufquote und der damit verbundenen mangelnden Repräsentativität werden im Rahmen der statistischen Auswertung der Studie zu „Impact of Family Policy on Family Life“ lediglich univariate Verfahren verwendet. Hierzu zählen in erster Linie Häufigkeitsanalysen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese dem Forschungsziel der Rekonstruktion des Forschungsfeldes ausreichend entsprechen (Häder 2006: 409-420).
5 Methodisches Vorgehen
87
5.4 Qualitativer Studienteil 5.4.1 Das qualitative Interview und die Entwicklung des Leitfadens Im Anschluss an die bundesweit durchgeführte Telefonbefragung wurden in der zweiten Phase der Untersuchung 12 leitfadengestützte Interviews durchgeführt. In der empirischen Sozialforschung werden qualitative Interviews häufig verwendet. Im Hinblick auf die quantitative Sozialforschung dienen sie vor allem der Vorbereitung standardisierter Erhebungen. Allerdings wird dieser inferiore Status immer mehr abgelöst „von der Zuweisung einer eigenständigen Bedeutung und Akzeptanz der Methode mit einem eigenen Erkenntnispotential“ (Lamnek 2002: 157). Eine wesentlich größere Rolle spielen Interviews seither in der qualitativ ausgerichteten Sozialforschung. Mittlerweile existiert eine große Vielfalt unterschiedlicher Interviewtypen, die je nach Fragestellung, Forschungsgegenstand und Erkenntnisinteresse eingesetzt werden. Die Interviewtypen sind nach dem jeweiligen Grad der Standardisierung beziehungsweise Strukturierung klassifiziert, wobei der Grad der Klassifizierung von halbstandardisiert bis zu nicht standardisiert reicht. In halb- oder teilstandardisierten Interviews werden die Fragen mittels eines Leitfadens vorab festgelegt. Demgegenüber sind nichtstandardisierte, sogenannte unstrukturierte Interviews, „offener“ angelegt.45 Es wird vorab lediglich der thematische Rahmen des Gesprächs festgelegt. Allen Interviewtypen gemeinsam ist, dass sie als nichtstandardisierte Verfahren aufzufassen sind, da grundsätzlich offene Fragen im Gegensatz zu den geschlossenen Fragen bei quantitativen Verfahren verwendet werden. Die Befragten können ihre Ansichten „frei“ artikulieren und das Interview folgt keiner vorab fixierten Struktur (Hopf 2000: 351ff.; Lamnek 2002: 172ff.; Lamnek 1995: 35f.; Spöhring 1989: 148). Insbesondere Leitfaden-Interviews haben in den letzten Jahren größere Aufmerksamkeit erfahren und werden in breitem Maße angewendet. Es lassen sich folgende Typen von Leitfaden-Interviews unterscheiden (Flick 2004a: 117):
das fokussierte Interview, das halbstandardisierte Interview, das problemzentrierte Interview, das Experten-Interview, das ethnographische Interview.
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird auf das Konzept des problemzentrierten Interviews (PZI) zurückgegriffen (Witzel 1982: 67; vgl. auch Flick 2004a: 134; Lamnek 1995: 74; Lamnek 2002: 177; Spöhring 1989: 177). Der von Witzel entwickelte Interviewtyp ist vorwiegend an das theoriegenerierende Verfahren der „Grounded Theorie“ angelehnt (Glaser/Strauss 1998). Damit wird nach Witzel (2000: 2) „zum einen die Kritik an einer hypothetico-deduktiven Vorgehensweise ein(ge)löst, derzufolge man die Daten nur durch ex ante festgelegte Operationalisierungsschritte erfassen und überprüfen kann. Zum anderen wendet es sich aber auch gegen die naiv-induktivistische Position des 45
Weitere Klassifikationskriterien sind die Intention des Interviewers (ermittelnde oder vermittelnde Forschung), die Anzahl der zu Befragenden (Einzel- oder Gruppeninterview) und der Stil der Kommunikation (Interviewerverhalten) (Lamnek 1995: 37; Spöhring 1989: 148f.).
88
5 Methodisches Vorgehen "soziologischen Naturalismus", derzufolge die Haltung des Interviewers/Wissenschaftlers durch prinzipielle Offenheit gegenüber der Empirie gekennzeichnet ist bzw. unter Ausklammerung des theoretischen Vorwissens als tabula rasa konzeptioniert wird. Bezogen auf das PZI ist der Erkenntnisgewinn sowohl im Erhebungs- als auch im Auswertungsprozess vielmehr als induktivdeduktives Wechselverhältnis zu organisieren.“
Das problemzentrierte Interview ist somit ein theoriegenerierendes Verfahren, das den scheinbaren Gegensatz zwischen Theoriegeleitetheit und Offenheit dadurch aufzuheben versucht, dass der Interviewer den Erkenntnisgewinn als „induktiv-deduktives Wechselspiel organisiert“ (Witzel 2000: 1).46 Somit wird das offenzulegende Vorwissen über Familienpolitik in der Erhebungsphase als heuristisch-analytischer Rahmen für die Erstellung des Leitfadens genutzt. Gleichzeitig wird das Offenheitsprinzip realisiert, indem die spezifischen Relevanzsetzungen der untersuchten Subjekte insbesondere durch Narrationen angeregt werden (Witzel 2000: 2; Lamnek 2002: 177). Die Konstruktionsprinzipien des problemzentrierten Interview zielen auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungsmuster, subjektiver Sichtweisen und Relevanzkriterien sowie Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität (Witzel 1982: 70; Witzel 2000: 1). Im Fokus des Verfahrens steht demnach nicht die Sondierung von Persönlichkeitsmerkmalen, sondern die Aufdeckung individueller Handlungsstrukturen und Lösungsansätze (Witzel 1982: 67).47 Für die vorliegenden Fragestellungen wird damit das PZI als sehr geeignet eingestuft. Es lassen sich drei zentrale Prinzipien des PZI skizzieren: Die Problemzentrierung kennzeichnet die Orientierung des Forschers an einer relevanten gesellschaftlichen Problemstellung. Dies ist im vorliegenden Forschungskontext die Problematik der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. Der Forscher erarbeitet sich mittels Literatur ein theoretisches Vorverständnis vom Untersuchungsgegenstand, also die Rahmenbedingungen im Feld Familienpolitik wie auch Einflüsse auf familiale Entscheidungsprozesse. Hieraus entwickelt sich der thematische Schwerpunkt respektive die Problemzentrierung, anhand derer der Leitfaden aufgebaut wird. Somit nutzt 46
Zentrales Kriterium der qualitativen Methodologie, die auf der Basis der kritischen Auseinandersetzung mit den quantitativen Verfahren entwickelt wurden, ist die Offenheit des Forschers gegenüber den Untersuchungspersonen, den Untersuchungssituationen und den Untersuchungsmethoden. Das Prinzip der theoretischen Offenheit respektive der Explikation des Vorwissens gegenüber dem Forschungsgegenstand bildet somit die Grundlage der qualitativen Methodologie, da ansonsten die Unvoreingenommenheit und Aufmerksamkeit bei der Erhebung und Interpretation der eigenen Daten eingeschränkt wird (Lamnek 1995: 22, 59ff.; Flick 2004b: 67ff.). Demgegenüber zeigt Meinefeld (2000: 267, 272), dass der Anspruch der Suspendierung des Vorwissens überzogen ist und verdeckt, in welchem hohen Maße das Forschungshandeln am theoretischen und alltagsweltlichen Wissen der Forscher orientiert ist. Ebenfalls sieht Meinefeld (2000) keinen Widerspruch zwischen methodischer Offenheit und Explikation von Vorwissen. Notwendig ist vielmehr die Offenlegung der theoretischen Hintergründe. Somit verläuft die Entscheidungslinie über Art und Ausmaß der Konkretisierung von Vorwissen nicht entlang der Linie qualitativ versus quantitativ, sondern hängt vielmehr von Forschungsgegenstand und Forschungszielen ab (Meinefeld 1995: 290; Kelle 1997: 285-288; Kelle/Kluge 1999: 27ff.; Hopf 1995: 23). Neben dem Kriterium der Offenheit sind Forschung als Kommunikation, der Prozesscharakter von Forschung, die Reflexivität in Forschungsgegenstand und Analyse, die Explikation der Untersuchungsschritte und die Flexibilität im gesamten Forschungsprozess weitere zentrale Prinzipien der qualitativen Methodologie (Lamnek 1995: 21ff.). 47 Witzel (1982: 74ff.) benennt als vier Teilelemente des von ihm konzipierten problemzentrierten Interviews: Das qualitative Interview, die biographische Methode, die Fallanalyse und die Gruppendiskussion. Das qualitative Interview ist somit in eine Methodenkombination integriert, wird aber auch als Einzelmethode eingesetzt. Im Rahmen bisheriger Anwendung des problemzentrierten Interviews wird hauptsächlich auf das Interviewverfahren und den Leitfaden zurückgegriffen, während die anderen Teilelemente des Verfahrens weniger angewendet werden (Flick 2004a: 139; Lamnek 2002: 177).
5 Methodisches Vorgehen
89
der Forscher die vorgängige Kenntnisnahme von objektiven Rahmenbedingungen der untersuchten Orientierungen und Handlungen, um die Aussagen der Befragten verstehend einordnen zu können und nutzt das Vorwissen, um an der Problemstellung orientierte Fragen entwickeln zu können (Witzel 2000: 2; Witzel 1982: 67ff.; Lamnek 2002: 177). Weiteres Kriterium ist die Gegenstandsorientierung, d. h. dass die Methoden am Gegenstand orientiert entwickelt beziehungsweise modifiziert werden können. Beispielweise kann einem Interview eine Gruppendiskussion vorgeschaltet sein, um einen Überblick über Meinungsinhalte zum Themenkomplex zu erhalten. Auch kann das Interview mit einem standardisierten Fragebogen verbunden werden (Witzel 2000: 2; Witzel 1982: 70). Drittes Prinzip ist die Prozessorientierung im gesamten Ablauf. Da die Befragten ihre Problemsicht „offen“ in Kooperation mit dem Interviewer entfalten sollen, entsteht ein Rahmen für Korrekturen an vorherigen Aussagen, Redundanzen und Widersprüchlichkeiten, die im Laufe des Interviews immer wieder neue Aspekte generieren (Witzel 2000: 3; Witzel 1982: 71). Zu den Instrumenten des problemzentrierten Interviews gehört ein Kurzfragebogen, der zur Erfassung der Sozialdaten dient, der Leitfaden, die Tonaufzeichnung des Interviews und das Postskriptum. Im Interviewablauf selbst lassen sich vier Phase unterscheiden:
Phase 1: In der ersten Phase wird mittels einer Einstiegsfrage das Interview auf das zu untersuchende Problem gelenkt (Erklärungsphase). Phase 2: Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird durch allgemeine Sondierungen eine Offenlegung der subjektiven Problemsicht bei den Befragten zu dem Themenfeld hervorgerufen (Prinzip der Offenheit oder Induktion). Phase 3: Spezifische Sondierungen sollen das Verständnis auf Seiten des Interviewers durch Zusammenfassungen, Rückmeldungen und Interpretationen des „Erzählten“ vertiefen. Bei der spezifischen Sondierung wird der Aspekt der Explikation des Vorwissens geltend gemacht, indem der Interviewer dieses Wissen für Fragen nutzt. Phase 4: Des Weiteren können Ad-Hoc-Fragen eingesetzt werden, um die vorab im Leitfaden skizzierten Themen und Fragen, die bisher ausgespart waren, anzusprechen (Witzel 2000: 4f.; Lamnek 2002: 178; Flick 2004a: 135; Butterwegge/Klundt/Zeng 2005: 153).
Im Leitfaden sind die Forschungsthemen als Vorwissen des Interviewers organisiert. Der Leitfaden gewährleistet somit, dass alle relevanten Themen angesprochen werden und eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der verschiedenen Interviews ermöglicht wird. Zudem dient er als Orientierungsrahmen respektive Gedächtnisstütze für den Interviewer. Des Weiteren dient der Leitfaden als Auswertungshilfe bei der Entwicklung des Kategoriensystems (Witzel 1982: 90; Witzel 2000: 4; Nickel/Schmidt/Berger 1995: 23).48 Unter Bezugnahme auf die Fragestellung und Hypothesen werden vier zentrale Themenkomplexe für den Leitfaden herausgearbeitet. Diese sind neben der Erfassung der zentralen Familiencharakteristika, also Anzahl der Familienmitglieder, deren Alter und Geschlecht sowie der Beschäftigungssituation der (Ehe-)Paare, die Folgenden: A)
48
Im ersten Themenfeld wird nach Indikatoren und Einstellungen, welche aus Sicht der Betroffenen die Familienmodellwahl beeinflussen beziehungsweise die maßgeblich
Der Leitfaden für das problemzentrierte Interview mit den einzelnen familiären Akteuren befindet sich im Anhang.
90
5 Methodisches Vorgehen
für die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Vereinbarkeitsmodell sind, gefragt. Von besonderem Interesse sind vor allem auch die subjektiven Sichtweisen und Handlungszusammenhänge hinsichtlich der Relevanz der ausgeführten Indikatoren. B)
Im zweiten Bereich wird eruiert, welche Probleme bei der Vereinbarkeit von Erwerbsund Familienleben entstehen und worin aus Sicht der (Ehe-)Paare die Hauptkonfliktlinien liegen. Außerdem soll festgestellt werden, welche Regelungsmechanismen respektive individuellen Lösungsansätze von den familiären Akteuren eingesetzt werden.
C)
Im Fokus des dritten Themenfelds stehen Fragen, ob der Staat beziehungsweise private Akteure (Mit-)Verantwortung für die soziale Sicherung von Familien übernehmen sollen und wie diese Verantwortung gegebenenfalls aufgeteilt sein sollte. Zudem wird die Frage erhoben, in welchen Bereichen der Staat oder private Akteure (Mit)Verantwortung für familiale Belange (Vereinbarkeitsproblematik) übernehmen sollten und wie diese Interventionen aus Sicht der Befragten konkret gestaltet sein sollten.
D)
Schwerpunkt des vierten Bereichs bildet die Familienpolitik. Relevant ist, ob die Befragten Kenntnisse über Familienpolitik beziehungsweise über familienpolitische Maßnahmen haben und wie sie die Wirkung dieser Maßnahmen einschätzen.
Diesen vier Themenkomplexen werden jeweils mehrere offene Fragen zugeordnet, die je nach Antwortverhalten der Befragten nochmals in zwei bis acht Unterfragen gegliedert sind und den einzelnen Interviewpartnern/-innen ausreichend Spielraum für eigene Antworten lassen. Ein Teil der Fragen erfordert stärker deskriptive Beschreibungen seitens der Befragten, während ein anderer Teil die Fähigkeit zur Einschätzung und Analyse der eigenen Familiensituationen voraussetzt. Der Leitfaden wurde einem Pretest mit drei Personen unterzogen und im Anschluss unter Einbindung der gewonnenen Erkenntnisse überarbeitet. 5.4.2 Auswahl der Befragten Die Auswahl der InterviewpartnerInnen erfolgt nach dem Prinzip des „selective sampling“, d. h. theoretische Fragestellung und soziodemographische Annahmen bestimmen die Zusammensetzung des Samples. Während beim „theoretical sampling“49 Datenanalyse und Auswahl der Fälle parallel verlaufen und sich gegenseitig beeinflussen (die Fallauswahl wird im Verlauf der Datenanalyse durch die sich entwickelnde Theorie bestimmt), basiert das selektive Sampling auf der Festlegung relevanter Auswahlmerkmale vor der Datenerhebung mit dem Ziel, alle relevanten Merkmale und Merkmalsausprägungen zu integrieren. Insofern existieren beim theoretischen Sampling zu Beginn der Untersuchung keine Kriterien für die Auswahl der Fälle. Dieses Vorgehen erfordert ein offenes Untersuchungsdesign (Kelle/Kluge 1999: 46; Glaser/Strauss 1998: 53-68). Im Unterschied dazu werden beim selektiven Sampling Stichprobenumfang und Auswahlkriterien vor der Erhebung festgelegt; die Analyse und Auswertung der Daten erfolgt erst nach Abschluss der Feldphase. Voraussetzung für dieses Vorgehen ist, dass Kenntnisse und Arbeitshypothesen im Hinblick auf den Forschungsgegenstand vorliegen und die Definition von Auswahlkriterien vorab erfolgen kann, um zu gewährleisten, dass Träger/-innen bestimmter theoretisch rele49
Zur Diskussion des Theoretical Samplings vgl. Glaser/Strauss (1998), Lamnek (1995: 171ff.), Kelle (1997: 283ff.) und Hildenbrand (2000: 33ff.).
91
5 Methodisches Vorgehen
vanter Merkmale im Sample tatsächlich vorhanden sind (Kelle/Kluge 1999: 47; Schatzman/Strauss 1973: 38; Freter/Hollstein/Werle 1991: 104; vgl. auch Bryman 1988). Da bei der vorliegenden Untersuchung die Hypothesen bereits explizit sind, wird auf das Verfahren des selektiven Samplings zurückgegriffen, d. h. Stichprobengröße und Fallauswahl werden im Vorfeld der Untersuchung bestimmt. In Anlehnung an die Fragestellung und Hypothesen sind folgende Selektionskriterien für die Auswahl des Samples entscheidend:
(Ehe-)Paare, Geschlecht der Befragten, Alter der Befragten (25 bis 65 Jahre), Erwerbsstatus beziehungsweise Erwerbsvolumen der (Ehe-)Paare, Berufsbildungsabschluss, Anzahl und Alter der Kinder sowie keine Kinder.
Ziel ist, ein möglichst breites Spektrum an unterschiedlichen Vereinbarkeitsmodellen bei der Kombination von Erwerbs- und Familienleben unter Einbezug soziodemographischer Merkmale abzubilden. Die Gruppe der Interviewten sollte sich möglichst heterogen zusammensetzten, d. h. es soll möglichst eine große Anzahl an Vereinbarkeitsmodellen im Sample vertreten sein (vgl. auch Biernacki/Waldorf 1981). 5.4.3 Beschreibung der qualitativen Stichprobe Die Einzelheiten über die Verteilung der sozialstrukturellen Merkmale der qualitativen Stichprobe zeigt die folgende Tabelle 5.14. Insgesamt wurden 12 Personen befragt. Tab. 5.14: Qualitative Stichprobe – Familieninterviews Nr. Sex
Alter
Erwerbsvolumen
Beruf
Familienmodell
Anzahl / Alter der Kinder
1
F
32
Vollzeit
Lehrerin
Doppelkarriere: Beide Partner Vollzeit
Keine Kinder
2
M
32
Lange Teilzeit 80 %
Journalist
Doppelverdiener III: Beide Partner lange Teilzeit
2 Kinder: 9, 11
3
F
35
Teilzeit 60 %
Sozialarbeiterin
Doppelverdiener II: Partner Vollzeit
2 Kinder: 4, 5
4
F
44
Teilzeit 50 %
Sozialarbeiterin
Doppelverdiener I: Partner Vollzeit
2 Kinder: 13, 15
5
F
37
Teilzeit 60 %
Politologin
Doppelverdiener II: Partner Vollzeit
2 Kinder: 6, 10
6
F
28
Vollzeit
Pädagogin
Doppelkarriere: Beide Partner Vollzeit
Keine Kinder
7
M
40
Vollzeit
Betriebswirt
Doppelverdiener II: Partnerin lange Teilzeit
2 Kinder: 5, 8
92
5 Methodisches Vorgehen
Nr. Sex
Alter
Erwerbsvolumen
Beruf
Familienmodell
Anzahl / Alter der Kinder
8
F
46
Teilzeit 50 %
Zahnarzthelferin
Doppelverdiener I: Partner Vollzeit
1 Kind: 14
9
F
45
Teilzeit 50 %
Ärztin
Doppelverdiener I: Partner Vollzeit
3 Kinder: 3, 5, 12
10
M
35
Vollzeit
Arzt
Ernährermodell
3 Kinder: 1, 3, 6
11
F
40
Teilzeit 50 %
Krankenschwester
Doppelverdiener I: Partner Vollzeit
3 Kinder: 7, 14, 17
12
F
49
Hausfrau
Sekretärin
Ernährermodell
4 Kinder: 9, 14, 19, 22
Quelle: Qualitative Familieninterviews im Rahmen des Forschungsprojektes „Iprosec“; eigene Daten
5.4.4 Transkription und qualitative Auswertung Die auf Tonträgern aufgezeichneten Interviews wurden mit Hilfe eines computergestützten Textverarbeitungsprogramms transkribiert. Hierbei wurde lediglich das gesprochene Wort zu Papier gebracht; komplexe Tranksriptionssysteme, wie zum Beispiel GAT (Deppermann 2001: 41ff.), fanden keine Anwendung, da diese als nicht zweckdienlich eingestuft wurden. Namen und Orte wurden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Zu Beginn jedes Interviews wurde ein Deckblatt erstellt, welches über die Rahmendaten der Gesprächsaufnahme informiert und einige zentrale demographische Angaben über den/die Interviewpartner/-in enthält (Deppermann 2001: 32-48; vgl. auch Kowal/O’Connell 2000: 438ff.). Bei den 12 Interviews konnten – in unterschiedlicher Abfolge – alle Fragen durchgegangen werden. Die Gesprächsdauer variierte jedoch zwischen 60 und 120 Minuten. Die Wahl der Auswertungstechnik hängt explizit von der Fragestellung, der Zielsetzung und dem methodischen Ansatz ab. Für die Analyse qualitativer Interviews stehen dabei eine Reihe verschiedener Auswertungstechniken zur Verfügung (Flick 2004a: 257286; Schmidt 2000: 447-456; Flick 1995: 196; Lamnek 1995: 107-125; Spöhring 1989: 189-212; Mayring 1983; Witzel 1982: 51-65). Um die Vielzahl von Interviewaussagen mit den quantitativ gewonnenen Ergebnissen vergleichen zu können, wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) angewendet. Die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse wurde Anfang der 1980er Jahre von Mayring (1983) entwickelt. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein mehrstufiges Reduktionsverfahren, bei dem die zentralen Interviewaussagen, die von den Befragten zu einem bestimmten Themenkomplex geäußert wurden, zunächst strukturiert, dann paraphrasiert und im Anschluss daran generalisiert werden (Mayring 2003). Die Stärke des Ansatzes gegenüber anderen Interpretationsverfahren liegt darin, die „Systematik (strenge Regelgeleitetheit [der Interpretationsschritte], Kommunikationseinbettung, Gütekriterien) der Inhaltsanalyse für qualitative Analyseschritte beizubehalten“ (Mayring 2000: 469) und diese dadurch „für andere nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar“ (Mayring 2003: 53) zu machen.
5 Methodisches Vorgehen
93
5.4.5 Validität und Reliabilität der qualitativen Studie Zur Sicherung der Qualität der Interviewergebnisse sind generelle Gütekriterien notwendig, die auf die verschiedenen Erkenntnismethoden angewendet werden und eine Vergleichbarkeit dieser untereinander gewährleisten sollen. Während in der quantitativ ausgerichteten Sozialforschung für die Beurteilung von Methoden und Techniken entscheidend ist, inwieweit sie den Gütekriterien der Validität, Reliabilität, Generalisierbarkeit und Repräsentativität genügen, fungieren die Gütekriterien der qualitativ ausgerichteten Sozialforschung weniger als Einheitskriterien, sondern hängen vielmehr von der jeweiligen Fragestellung, dem Forschungsgegenstand, der eingesetzten Methode und Spezifik des Forschungsfeldes ab.50 Dennoch lassen sich zentrale Kernkriterien qualitativer Forschung festlegen, die zum einen Orientierungshilfe für den Forscher sind, zum anderen untersuchungsspezifisch angewendet werden sollen (Steinke 2000: 323). Um die Validität der vorliegenden Untersuchung zu gewährleisten, werden folgende Kriterien eingehalten (Steinke 2000: 324-331; Steinke 1999: 205-248; Mayring 2003: 111; Spöhring 1989: 27ff.): intersubjektive Nachprüfbarkeit, Indikation des Forschungsprozesses, empirische Verankerung, reflektierte Subjektivität, semantische Gültigkeit. Die intersubjektive Nachprüfbarkeit wird durch die sorgfältige Dokumentation des qualitativen Forschungsprozesses – Vorverständnis, Zusammenstellung der Stichprobe, Erhebungsmethode, Transkription und Auswertungsmethode – sichergestellt. Die Indikation des Forschungsprozesses sowie die empirische Verankerung ist im Hinblick auf die Platzierung der qualitativen Teilstudie im gesamten Studiendesign, der Methodentriangulation, zu sehen (vgl. Kap. 5.1 Studiendesign). Dabei sollte die Erkenntnisgewinnung bei qualitativen Untersuchungen explorativ respektive „Neues“ entdeckend auf der Basis subjektiver Sichtund Handlungsweisen angelegt sein (Steinke 2000: 324ff.). Des Weiteren wird die reflektierte Subjektivität durch Diskussionen mit weiteren Forschern/Forscherinnen über die Methode, den Verlauf in der Feldphase und bei der Verkodung gesichert. Bei der Entwicklung des Kategoriensystems wird die Validität der Ergebnisse durch die Überprüfung der semantischen Gültigkeit des Kodierschemas zusätzlich erhöht. Die „semantische Gültigkeit 50
Nach Lamnek sind methodologische Gütekriterien kein universales Konzept, da die Maßstäbe zur Beurteilung empirischer Forschung und Ergebnisse heterogen sind und keine unabhängigen Kontrollgrößen oder Einheitskriterien darstellen. Die Qualität empirischer Forschung bemisst sich im Kontext von Wissenschaftstheorie, Forschungsgegenstand und angewandter Methodik. Entsprechend unterscheiden sich auch die Güterkriterien der quantitativ und qualitativ ausgerichteten Sozialforschung (Lamnek 1995: 153f.). Zentrale Gütekriterien der quantitativ ausgerichteten Sozialforschung sind die Reliabilität und die Validität. Reliabilität bezeichnet die Zuverlässigkeit der Messung, d. h., dass der Grad an Konsistenz oder Wiederholbarkeit der Messung mit diesem Instrument hoch ist (Reproduzierbarkeit). Validität bezeichnet die Gültigkeit eines Messinstruments, d. h. es wird tatsächlich das beabsichtigte Objekt gemessen (Schnell/Hill/Esser 2005: 151ff.; Diekmann 2006: 217ff.). In der qualitativen Sozialforschung werden nach aktuellem Forschungstand drei Grundpositionen im Hinblick auf die qualitativen Gütekriterien unterschieden. Erstere favorisiert die Anwendung der quantitativen Kriterien, Vertreter der zweiten Position fokussieren die Entwicklung eigener qualitativer Kriterien und die Vertreter der dritten Position lehnen Gütekriterien für die qualitative Sozialforschung grundsätzlich ab. Steinke schlägt demgegenüber Kernkriterien zur Beurteilung qualitativer Forschung vor, die als Grundlage zur Überprüfung der Validität der vorliegenden Untersuchung herangezogen werden (Steinke 2000: 321ff.; Steinke 1999: 205-248; Lamnek 1995: 165-171; Flick 1995: 243ff.).
94
5 Methodisches Vorgehen
bezieht sich dabei auf die Richtigkeit der Bedeutungsrekonstruktion des Materials“ (Mayring 2003: 111). Die Kontrolle findet durch die Sammlung bedeutungsimmanenter Textstellen, dem Vergleich der Textstellen mit dem Konstrukt und durch die Prüfung der Homogenität der gesammelten Textstellen statt. Legt man das quantitative Gütekriterium der Reliabilität auch bei qualitativen Untersuchungen zugrunde, wird in der Methodenliteratur bei inhaltsanalytischen Reliabilitätsbestimmungen vorgeschlagen, dass die gesamte Analyse von zwei oder mehreren Personen vorgenommen wird und die Ergebnisse im Anschluss verglichen werden. Allerdings kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung aufgrund beschränkter Ressourcen keine Intercoderreliabilität auf der Basis mehrerer Inhaltsanalytiker hergestellt werden. Zur Verbesserung der Analyse wurden zwei Interviews in zeitlichem Abstand komplett rekodiert und mit den Erstkodierungen verglichen und daraufhin die Kategoriendifferenzierungen überprüft (Intracoderreliabilität) (Diekmann 2006: 492). Die Qualität der Analyse wird allerdings anhand der aufgeführten Gütekriterien von Steinke (2000) für qualitative Untersuchungen sichergestellt (Mayring 2003: 110; Lamnek 1995: 202; Hopf 1995: 29f.). 5.5 Empirische Erhebungen Die Feldphase fand in der Zeit von August 2001 bis August 2002 statt. In diesem Zeitraum wurden die Telefonbefragung sowie die qualitativen Interviews mit den familiären Akteuren durchgeführt. Die Telefonbefragung wurde zwischen dem 15. August und 20. September 2001 durchgeführt. Im Anschluss daran erfolgte die Durchführung der qualitativen Interviews in der Zeit vom 01. Dezember 2001 bis zum 20. März 2002. Die computergestützten persönlich-mündlichen Interviews im Rahmen des ALLBUS 2002 unter Einbeziehung des deutschen Teil des International Social Survey Programme (ISSP) wurden zwischen Februar 2002 und August 2002 durchgeführt (Blohm et al. 2004: 47ff.; Terwey 2003: 194). Die einzelnen Erhebungen wurden somit nicht zu einem Zeitpunkt durchgeführt. Insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Erhebungszeitpunkte der drei Stichproben (zwischen 2001 und 2002) kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Prozess des Einstellungswandels in einer Gesellschaft langsam und stetig verläuft. Die Ergebnisse des General Social Survey (GSS) verweisen darauf, dass “opinions usually do not change rapidly or erratically. They rarely gyrate wildly about, but typically march along at a regular pace in a consistent direction. An analysis of 137 attitudinal trends on NORC's General Social Survey (GSS) that covered an average of 15 years found that 34% of the time series showed no statistically significant variation across times (i.e. the time series fit a constant model), 26% followed a linear trend, 15% had a significant linear component, but also had additional unexplained variance, and 26% had trends that were non-constant and non-linear. Most of the linear change (i.e. times series with linear trends or linear components) was modest. It averaged only 1.1 percentage points per annum and only 6% of the linear times series had rates of change above 2.5 percentage points per annum (Smith, 1980b). Similarly, a study of 455 liberal/conservative trends covering the period from 1936 to 1985 with an average of 14.8 years per time series found that 10% were constant, 24% linear trends, 55% linear components, and 11% non-constant, non-linear. The linear trends averaged 1.3 percentage points per annum.“ (Smith 1993: 1-2)
5 Methodisches Vorgehen
95
Zudem zeigt Smith (1994), dass der Einstellungswandel weitgehend mit wenigen einfachen Modellen erklärbar ist. „Two models that explain moderate-to-long-term change are (a) cohort-education and (b) structural shifts” (Smith 1993: 188). In der Regel kann die Mehrheit des Einstellungswandels mit diesem einfachen „two-variable model“ erklärt werden. Dementsprechend kann in diesem Kontext davon ausgegangen werden, dass sich der familiäre Wandel langsam und zögerlich zwischen den einzelnen Generationen vollzieht und ein identischer Erhebungszeitraum der verschiedenen Stichproben nicht notwendig ist.51 Dies betrifft insbesondere die kulturellen familalen Leitbilder, die zum einen sehr prägend sind, zum anderen einem sehr zögerlichen Generationenwandel unterworfen sind (Pfau-Effinger 2000). Auch können familienpolitische Rahmenbedingungen, die auf Änderungen der familialen Arbeitsteilung wirken, nur bedingt einen kurzfristigen Wandel hervorrufen. Dies zeigt nicht zuletzt die Evaluation des Bundeserziehungsgeldgesetzes: Im untersuchten Zeitraum ist der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, nur sehr geringfügig angestiegen und beträgt zum Zeitpunkt der Evaluation lediglich 4,5 % (BMFSFJ 2004a). 5.6 Kritische Anmerkungen zur Methodik Wie bereits in Kapitel 5.1 über die Methodentriangulation dargelegt (vgl. Kap. 5.1), kann die Verknüpfung der verschiedenen methodischen Verfahren zu einer inhaltlichen Erweiterung beziehungsweise Ergänzung der Ergebnisse führen und den Erkenntniswert damit erhöhen. Aus diesem Grund finden Multi-Methoden Designs in der sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend mehr Befürworter und Anwender (Plies/Nickel/Schmidt 1999). Kritisch zu bewerten ist allerdings bei dem vorliegenden Design, dass es sich um drei unabhängige, also unverbundene, Stichproben handelt, die streng genommen nur bedingt vergleichbar sind. Hingegen konnte die vorliegende Forschungsfrage nicht mittels einer Stichprobe untersucht werden. Zudem ist die Generierung der qualitativen Stichprobe durch die Verwendung der ALLBUS/ISSP 2002 Daten nicht möglich gewesen. Eine Verbindung der qualitativen Stichprobe mit der quantitativen Stichprobe zu „Impact of Family Policy on Family Life“ ist insofern wenig sinnvoll, da in den Familieninterviews die Forschungsfragen vertiefend exploriert werden, die beide quantitativen Stichproben betreffen. Damit wäre ein Ungleichgewicht entstanden. Kritisch anzumerken ist zudem der insgesamt höhere Frauenanteil in den Teilstichproben, speziell in der Stichprobe zu „Impact of Family Policy on Family Life“. Dies kann zum einen darauf zurückgeführt werden, dass der Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor vorwiegend dem Kompetenzbereich von Frauen zugeordnet wird beziehungsweise als „private Angelegenheit von Frauen“ betrachtet wird (vgl. hierzu u. a. Fagnani 2006; Piachaud 2006; Veil 2004; Jönsson 2002). Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Interviewschulung bei der Erhebung über „Impact of Family Policy on Family Life“ nicht ausreichend intensiv war, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung des Schwedenschlüssels. Insgesamt gesehen entspricht ein gewisser Frauenüberhang (vgl. hierzu ALLBUS 2002) der Realität und findet sich auch in den anderen ALLBUS Stichproben (Blohm et al. 2004: ZUMA Methodenbericht 2002). Verzerrungen bei der Bildung sind ebenfalls häufig zu finden, da in der Regel bei höhergebildeten Personen eine größere Bereitschaft zur Teilnahme besteht. Allerdings ist diese Verzerrung laut ZUMA Methodenbe51
Zur ausführlichen Darstellung zum Verlauf von sozialem Wandel auf der Basis des General Social Service (GSS) vgl. James A. Davis (1986) und Tom W. Smith (1993).
96
5 Methodisches Vorgehen
richt (Blohm et al. 2004) im ALLBUS/ISSP 2002 aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Erhebung besonders ausgeprägt und erklärt die vorliegende Stichprobenverteilung der Variablen Bildung.
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Im folgenden Kapitel werden die zuvor aufgestellten Hypothesen (H1.1 bis H2.6) auf ihre empirische Evidenz mittels primärstatistischer Daten geprüft. Der erste Schritt der Analyse besteht darin, die Erosion des traditionellen Familienernährermodells auf der Basis der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) nachzuweisen. Im zweiten Schritt wird beleuchtet, ob die Erosion des traditionellen Familienernährermodells zu einer Ausdifferenzierung von dual (egalitär) ausgerichteten Familienmodellen geführt hat. Letztendlich werden im dritten Schritt der Analyse die ausgewählten Indikatoren und deren Wirkung auf die Auswahl eines Familienmodells untersucht. In diesem Kontext werden auch indirekte Einflüsse anhand der Mediator-Effekte getestet. Dabei wird untersucht, ob und inwieweit die soziodemographischen Variablen die individuellen Einstellungen über die Vereinbarkeitsthematik beeinflussen und damit einen indirekten Einfluss auf die Wahl eines Familienmodells haben. Das Mediationsmodell beinhaltet zwei zu testende Wirkungen: Beim ersten Effekt wird überprüft, ob die soziodemographischen Indikatoren direkt auf die Familienmodell Einfluss nehmen sowie auch indirekt, indem sie ebenfalls die subjektiven Einstellungen beeinflussen. In diesem Fall würde ein partieller Mediator-Effekt vorliegen. Der zweite Effekt untersucht, ob die entsprechenden Indikatoren in erster Linie auf die subjektiven Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben wirken und die Familienmodell damit nur indirekt beeinflussen, aber keine direkte Wirkung entfalten. Dann kann von einem totalen Mediationseffekt gesprochen werden (Urban/Mayerl 2006). 6.1 Erosion des traditionellen Familienernährermodells Bei der Berechnung der Familienmodelle wird davon ausgegangen, dass der Umfang der Erwerbstätigkeit von (Ehe-)Paaren Rückschlüsse auf die Verteilung der verschiedenen Familienmodelle in Deutschland zulässt (vgl. hierzu Kap. 5.2.2). Aufgrund der Datenlage wird die Erosion des traditionellen Familienernährermodells für Westdeutschland im untersuchten Zeitraum (1988 – 2002) sowie getrennt nach (Ehe-)Paaren mit Kindern und ohne Kinder ermittelt. Die auf der Basis des ALLBUS/ISSP 2002 und des ALLBUS 1988 berechneten Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren (vgl. Tab. 6.1) zeigen einen signifikanten Rückgang des traditionellen männlichen Ernährermodells. Während 1988 noch 55 % der (Ehe-)Paare die traditionelle Arbeitsteilung favorisierten, entschieden sich 2002 nur noch 44 % für diese Form der familialen Aufgabenteilung. Damit hat das traditionelle Modell im untersuchten Zeitraum an Bedeutung eingebüßt, bleibt aber – zumindest bei den 25- bis 65-Jährigen – häufigstes Erwerbsmuster.52 52
Zur Überprüfung der Signifikanz der Ergebnisse wird der Chi-Quadrat-Test ausgewählt. Der Chi-Quadrat-Test bietet sich insbesondere für Variablen mit Nominalskalenniveau an. Allerdings sollte die erwartete Häufigkeit in jeder Zelle der Kreuztabelle mindestens fünf betragen, da die Zuverlässigkeit des Test-Ergebnisses ansonsten eingeschränkt ist (Brosius 2006: 421). Aufgrund der insgesamt 11 Kategorien der nominalskalierten abhängigen Variable trifft diese Voraussetzung nicht zu. Deshalb wird der Chi-Quadrat-Test zum einen für die Variable mit
98
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.1: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren Westdeutschland 1988 - 2002
1988 2002 Westdeutschland Westdeutschland n=1.213 n=391
2002 BRD Gesamt n=550
abs.
%
abs.
%
abs.
%
Familienernährermodell
666
54,9
171
43,7
214
38,8
Familienernährermodell Frau
24
2
3
0,8
4
0,8
305
25,1
113
28,9
188
34,2
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
123
10,1
49
12,5
63
11,5
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
2
0,2
3
0,8
5
1
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
86
7,1
45
11,5
65
11,8
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
5
0,4
3
0,8
5
0,9
Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III Beide kurze Teilzeit
--
--
2
0,5
2
0,4
Beide lange Teilzeit
1
0,1
--
--
1
0,1
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
1
0,1
--
--
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
--
--
2
0,5
3
0,5
Quelle: ALLBUS 1988, ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; Ruhl et al. 2006: 285
Da für 1988 keine Daten aus Ostdeutschland vorliegen, wird die (Teil-)Erosion des traditionellen Modells lediglich für Westdeutschland bestätigt.53 Allerdings war die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der ehemaligen DDR zu keiner Zeit normative Grundlage familialen Zusammenlebens. Ganz im Gegenteil dominierte ein partnerschaftliches Erwerbsmuster, welches eine Vollzeiterwerbstätigkeit für beide Partner vorsah. Der
den 11 Kategorien wie auch für die zusammengefasste Variable mit drei Kategorien (vgl. Kap. 6.5.3; Tab. 6.15) getestet. Der Chi-Quadrat-Test weist einen signifikante Unterschied zwischen 1988 und 2002 (Irrtumswahrscheinlichkeit 0,01) für die abhängige Variable Familienmodelle sowie bei der Differenzierung der Modelle nach (Ehe-)Paaren mit Kindern und ohne Kinder aus. Ebenfalls signifikante Unterschiede ergeben sich bei der Variablen Familienmodelle mit den drei zusammengefassten Kategorien. 53 Rückschlüsse auf die ostdeutsche Situation sind dennoch auf der Basis alternativer Datenquellen möglich. Zur Erosion des traditionellen Familienernährermodells vgl. ebenfalls Bothfeld et al. (2005), Dingeldey (1999) und Eurostat (2005); Unterschiede bestehen bei der untersuchten Grundgesamtheit hinsichtlich des Alters der Befragten und der Berechnung des Stundenvolumens pro Erwerbsmuster. Dennoch kann von einer Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Basistrend ausgegangen werden.
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
99
Anteil der ostdeutschen (Ehe-)Paare, die sich für das männliche Ernährermodell entscheiden, ist daher nach wie vor sehr niedrig (Bothfeld et al. 2005: 178f.; vgl. auch Kap. 2.2). Betrachtet man die Verteilung der alternativen Arbeitszeitmuster von (Ehe-)Paaren, lassen sich folgende Entwicklungen aufzeigen: Das Doppelkarrieremodell, bei dem beide Partner einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, ist seit 1988 in Westdeutschland leicht angestiegen (1988: 25,1 %; 2002: 28,9 %) und bleibt weiterhin zweithäufigstes Modell in Westdeutschland. Für das Doppelverdienermodell I (in der Variante Mann in Vollzeit und Frau in kurzer Teilzeit tätig), welches auch als modifiziertes Ernährermodell oder als modernisierte Versorgerehe bezeichnet wird, lässt sich im gleichen Zeitraum ebenfalls nur ein leichter Anstieg verzeichnen. Deutlich größer fällt hingegen der Zuwachs beim Doppelverdienermodell II (in der Variante Mann in Vollzeit und Frau in langer Teilzeit beschäftigt) aus. Während 1988 lediglich 7,1 % der westdeutschen (Ehe-)Paare diese Arbeitsteilung bevorzugten, entscheiden sich 2002 immerhin 11,5 % dafür. Im Ganzen gesehen steigen die Doppelverdienerhaushalte in der Variante – Mann in Vollzeit und Frau in langer oder kurzer Teilzeit beschäftigt – für Westdeutschland in der untersuchten Zeitspanne von 17 % auf 24 %, verbleiben aber nach wie vor auf dem dritten Rang. Bemerkenswert ist zudem, dass die Doppelverdienerhaushalte mit einer atypischen Arbeitsteilung, in dem beispielsweise die (Ehe-)Frau voll berufstätig ist und der (Ehe-) Mann teilzeit- beziehungsweise nicht berufstätig ist, 1988 wie auch 2002 kaum vertreten waren. Dieses Ergebnis gilt überdies für das Doppelverdienermodell III, welches eine atypische Arbeitsteilung im Hinblick auf egalitäre Teilzeitmodelle zwischen (Ehe-)Paaren widerspiegelt. Es zeigt sich eindeutig, dass eine egalitäre Aufteilung der Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen nur sehr vereinzelt umgesetzt wird. Entsprechend gering fällt somit der Anstieg dieser partnerschaftlichen Arbeitszeitmuster aus. Es bestätigt sich daher insgesamt, dass die traditionelle familiale Arbeitsteilung, bei der Frauen in der Regel die Erwerbsarbeit ganz aufgeben, zugunsten partnerschaftlicher Muster an Bedeutung verliert. Damit ist das männliche Familienernährermodell zwar auf dem Rückzug, behält allerdings – insbesondere in den alten Bundesländern – seine Stellung als häufigstes Modell. Die explizierte Hypothese (H1.1), dass die sozioökonomischen Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Erosion des tradierten Modells geführt haben, kann daher teilweise bestätigt werden. 6.1.1 Erosion bei (Ehe-)Paaren mit Kindern In einer aktuellen Eurostat-Erhebung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (2005) in Europa (EU-25) wird aufgezeigt, dass die Erwerbsbeteiligung wie auch die Arbeitszeiten von Frauen in der europäischen Union eng von der Anzahl und dem Alter der Kinder abhängen. Demgegenüber spielen diese Faktoren bei Männern keine entscheidende Rolle (Eurostat 2005: 1; vgl. auch Dingeldey 1999: 41f.; Bothfeld et al. 2005: 174ff.; BiB 2005: 23). Insbesondere in Deutschland (neben der Tschechischen Republik, Ungarn, Malta, Slowakei, England und Estland) variieren die Erwerbstätigenquote wie auch die Quote der Teilzeitbeschäftigen erheblich zwischen kinderlosen Frauen und jenen mit Kindern (Eurostat 2005: 2; Müller 2005: 228f.; Klammer/Tillmann 2001: 151ff.; Dingeldey 1999: 41ff.). Auf der Basis dieser Befunde erscheint es notwendig, die Veränderungen hinsichtlich des
100
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
traditionellen Familienernährermodells getrennt nach (Ehe-)Paaren mit Kindern und ohne Kinder zu analysieren. Des Weiteren soll damit dem weiten wie auch engen Familienbegriff Rechnung getragen werden. Inwiefern die Wahl und Verteilung der partnerschaftlichen Erwerbsmuster in Deutschland durch Eltern- beziehungsweise Mutterschaft determiniert ist, zeigen die Ergebnisse in Tabelle 6.2. Zunächst fällt auf, dass auch (Ehe-)Paare mit Kindern sich insgesamt weniger häufig für das traditionelle Modell entscheiden (-11 %). Nichtsdestotrotz bleibt die hervorgehobene Stellung des Ernährermodells bei Paaren mit Kindern bestehen: 1988 mit 65 % und 2002 mit 54 % (vgl. Tab. 6.2). Erwartungsgemäß liegen die Doppelverdienerhaushalte – in der Variante Mann in Vollzeit und Frau in kurzer oder langer Teilzeit tätig –, im Gegensatz zum bundesdeutschen Trend in der Gruppe mit Kindern 1988 wie auch 2002 auf dem zweiten Platz und verdrängen das Doppelkarrieremodell als zweithäufigstes Erwerbsmuster. Tab. 6.2: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 1988 – 2002
1988 2002 Westdeutschland Westdeutschland n=874 n=250 abs. % abs. %
2002 BRD Gesamt n=362 abs. %
565
64,6
135
54
170
47,1
9
1
2
0,8
3
0,8
132
15,2
46
18,4
93
25,7
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
94
10,8
39
15,6
49
13,6
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
1
0,1
1
0,4
2
0,6
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
69
7,9
25
10
40
11,0
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
3
0,3
--
--
1
0,2
Beide kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Beide lange Teilzeit
--
--
--
--
1
0,2
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
1
0,1
--
--
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
--
--
2
0,8
3
0,8
Ernährermodell Ernährermodell Frau Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III
Quelle: ALLBUS 1988, ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
Besonders ausgeprägt ist der Anstieg beim Doppelverdienermodell I, bei dem der (Ehe-) Mann voll berufstätig ist und die (Ehe-)Frau in kurzer Teilzeit arbeitet. Während 1988
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
101
lediglich 10,8 % der westdeutschen Paare mit Kindern dieses Erwerbsmuster aufwiesen, steigt ihr Anteil bis 2002 auf 15,6 %. Hingegen steigt das Doppelverdienermodell II, charakterisiert durch die lange Teilzeit der (Ehe-)Frau, nur geringfügig an. Das Doppelkarrieremodell spielt in der Gruppe der (Ehe-)Paare mit Kindern in der gesamten Zeitspanne eine untergeordnete Rolle: 1988 sind es lediglich 15,2 % und im Jahr 2002 nur 18,4 %. Offensichtlich entscheiden sich nach wie vor nur sehr wenige (Ehe-)Paare mit Kindern für eine gleichzeitige Vollzeitberufstätigkeit. Die Ergebnisse zeigen, dass für (Ehe-)Paare mit Kindern insbesondere in Westdeutschland das traditionelle Familienernährermodell – trotz einer (Teil-)Erosion – nach wie vor das dominante Modell darstellt. Die Veränderungen innerhalb der Paarhaushalte verlaufen in erster Linie zugunsten des Doppelverdienermodells I, mit der Ausprägung Mann in Vollzeit und Frau in kurzer Teilzeit tätig. Nicht zuletzt verdeutlichen die Ergebnisse vor allem den Einfluss von Kindern auf partnerschaftliche Erwerbsmuster, insbesondere auf jene von Frauen. 6.1.2 Erosion bei (Ehe-)Paaren ohne Kinder Wie stark Kinder die Entscheidung für respektive gegen ein bestimmtes partnerschaftliches Erwerbsmuster beeinflussen, verdeutlicht ferner der Vergleich mit kinderlosen (Ehe)Paaren. Tabelle 6.3 weist für kinderlose Paare im Gegensatz zu Paaren mit Kindern eine klare Dominanz des Doppelkarrieremodells aus. In Westdeutschland entschied sich 1988 wie auch 2002 knapp die Hälfte aller (Ehe-)Paare ohne Kinder für eine gleichzeitige Vollzeiterwerbstätigkeit. Damit ist das Doppelkarrieremodell relativ konstant häufigstes Modell bei kinderlosen (Ehe-)Paaren. Spiegelbildlich dazu sind Alleinverdienerhaushalte nach Vorbild des männlichen Ernährermodells eine Minderheit in dieser Gruppe. Das traditionelle Familienernährermodell war im Jahr 1988 mit 29,8 % vertreten und sinkt bis 2002 geringfügig auf 25,5 % ab. Offensichtlich ist die tradierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung für (Ehe-)Paare ohne Kinder insgesamt gesehen erheblich unattraktiver. Dementsprechend gilt, dass das männliche Ernährermodell in der Gruppe der kinderlosen (Ehe-)Paare, zumindest im untersuchten Zeitraum, keine vorherrschende Rolle einnimmt beziehungsweise eingenommen hat. Interessanterweise zeigt sich bei den kinderlosen Paaren im Gegensatz zu den Paaren mit Kindern, die sich seit 1988 häufiger für das Doppelverdiener Modell I (Mann in Vollzeit und Frau in kurzer Teilzeit tätig) entscheiden, ein deutlicher Zuwachs beim Doppelverdienermodell II. So hat sich der Anteil kinderloser (Ehe-)Paare, bei denen der Mann ganztags arbeitet und die Frau in langer Teilzeit beschäftigt ist, im untersuchten Zeitraum knapp verdreifacht. Demgegenüber entscheiden sich weniger Paare für die Variante – Mann in Vollzeit und Frau in kurzer Teilzeit tätig. Das Ergebnis legt den Schluss nahe, dass das Doppelverdienermodell I, bei dem der Partner vollzeitberufstätig und die Partnerin in kurzer Teilzeit tätig ist, für Paare ohne Kinder zunehmend unattraktiv ist und stattdessen zumindest ein Teilzeitmodell mit höherem Arbeitsstundenvolumen der Frau bevorzugt wird. Atypische Erwerbsmuster haben weder für kinderlose noch für (Ehe-)Paare mit Kindern eine Relevanz.
102
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.3: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 1988 – 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 1988 – 2002
1988 2002 Westdeutschland Westdeutschland n=339 n=141 abs. % abs. %
2002 BRD Gesamt n=188 abs. %
Ernährermodell
101
29,8
36
25,5
44
23,4
Ernährermodell Frau
15
4,4
1
0,7
1
0,6
173
51
67
47,5
95
50,6
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
29
8,6
10
7,1
14
7,4
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
1
0,3
2
1,4
3
1,6
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
17
5
20
14,2
25
13,2
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
2
0,6
3
2,2
4
2,2
Beide kurze Teilzeit
--
--
2
1,4
2
1,2
Beide lange Teilzeit
1
0,3
--
--
--
--
--
--
Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
--
--
Quelle: ALLBUS 1988, ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
6.1.3 Ergebnis I: (Teil-)Erosion des Familienernährermodells Zunächst kann die eingangs aufgeworfene Frage, ob eine Erosion des tradierten männlichen Familienernährermodells stattgefunden hat, wie folgt kurz beantwortet werden: Die Erosion des traditionellen Familienernährermodells kann durch die Auswertung der partnerschaftlichen Erwerbsmuster auf der Basis des ALLBUS 1988 und ALLBUS/ISSP 2002 für Westdeutschland zunächst teilweise bestätigt werden (vgl. Kap. 6.1). Auffällig ist, dass Veränderungen bei den Mustern familialen Zusammenlebens im untersuchten Zeitraum innerhalb der drei bisher vorherrschenden Erwerbsmuster – Familienernährermodell, Doppelkarrieremodell und Doppelverdienermodell I oder II – stattgefunden haben. Atypische Familienmodelle oder egalitäre Teilzeitvariationen kommen nach wie vor in der Realität nur vereinzelt vor. Dieses Ergebnis verweist bereits auf die Tatsache, dass eine zunehmende Ausdifferenzierung der Familienmodelle als Folge der (Teil-)Erosion zunächst in Westdeutschland nicht stattgefunden hat (vgl. dazu Kap. 6.2). Zusammenfassend wird folgendes Ergebnis festgehalten:
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
103
Das traditionelle Familienernährermodell hat in Westdeutschland zugunsten des Doppelverdienermodells I und II an Bedeutung verloren. Allerdings überwiegt bei den Doppelverdienermodellen die traditionelle Arbeitsteilung (modernisierte Versorgerehe), da mehrheitlich Frauen die Arbeitszeit reduzieren. Das Doppelkarrieremodell bleibt mit durchschnittlich 27 % relativ konstant zweithäufigstes partnerschaftliches Arbeitszeitmuster bei (Ehe-)Paaren. Haben (Ehe-)Paare Kinder, sind bestimmte Modelle mehr oder weniger stark verbreitet. Insofern spielen Kinder bei der Wahl eines partnerschaftlichen Erwerbsmusters eine zentrale Rolle. Obwohl eine (Teil-)Erosion des traditionellen Modells (-11 %) auch bei den (Ehe-)Paaren mit Kindern festzustellen ist, bleibt es in dieser Gruppe dominantes Familienmodell. Der Anstieg der Erwerbsquoten von Frauen respektive Müttern spiegelt sich vor allem in der Zunahme des Doppelverdienermodells I (Mann in Vollzeit/Frau in kurzer Teilzeit) wider (Bothfeld et al. 2005: 174ff.). Demgegenüber besitzt das Doppelkarrieremodell trotz eines leichten Zuwachses kaum Relevanz bei Paaren mit Kindern. Konträr hierzu verläuft das Ergebnis bei kinderlosen (Ehe-)Paaren. Das Doppelkarrieremodell ist hier nach wie vor häufigstes Modell. Traditionelles Modell und Doppelkarrieremodell verlieren vorwiegend zugunsten des Doppelverdienermodells II in der Variante – Mann vollberufstätig und Frau in langer Teilzeit beschäftigt – an Zustimmung. Diese Ergebnisse bestätigen, dass Kinder für die Wahl eines Familienmodells eine entscheidende Determination insbesondere für Frauen in der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Veränderungen der bisherigen Erwerbsmuster haben verstärkt in Paarhaushalten mit Kindern stattgefunden, während kinderlose Paarhaushalte tendenziell eher konstante Erwerbsmuster aufweisen. Trotz der Tatsache, dass das Ernährermodell erodiert, kann von einem Fortbestehen der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung vor allem bei (Ehe-)Paaren mit Kindern ausgegangen werden. Der Anstieg der Frauenerwerbsquote ist vor allem auf die Aufnahme von Teilzeitarbeitsverhältnissen zurückzuführen und spiegelt sich in der Zunahme des Doppelverdienermodells I, welches auch als modifiziertes Ernährermodell beziehungsweise als modernisierte Versorgerehe bezeichnet wird, wider. Frauen als Alleinverdienerinnen respektive mit Partnern, die einer Teilzeitarbeit nachgehen, sind nach wie vor insgesamt deutlich unterrepräsentiert. Die schleppende Auflösung der tradierten Arbeitsteilung zeigt überdies der Mangel an egalitären Teilzeitmodellen (vgl. Statistisches Bundesamt 2007; Bothfeld et al. 2005: 175; Geißler 2002: 373ff.; Lauterbach 1994: 38ff.). Bezieht man die Ergebnisse für die einzelnen Familienmodelle auf Bundesebene 2002 mit ein, hat das traditionelle Familienernährermodell im Vergleich zu Westdeutschland insgesamt mehr an Gewicht verloren. Spiegelbildlich dazu sind (Ehe-)Paare, die das Doppelkarrieremodell leben, häufiger vertreten (vgl. hierzu Kap. 6.2). Diese Diskrepanz hängt a priori mit der nach wie vor hohen Erwerbsorientierung von Frauen und Müttern in Ostdeutschland zusammen, die sich bereits während des sozialistischen Regimes ausgeprägt hat. Entsprechend gering war der Anteil von Paarhaushalten, welche die traditionelle Arbeitsteilung favorisierten (vgl. auch Kap. 6.1). Nach Bothfeld et al. (2005: 179) besteht mittlerweile jedoch auch in den neuen Bundesländern eine Tendenz zu vermehrter Teilzeitarbeit von Frauen beziehungsweise zur Wahl des traditionellen Ernährermodells. Bei gleichbleibend hoher Erwerbsorientierung und starken Präferenzen für Vollzeitbeschäfti-
104
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
gungsverhältnisse der ostdeutschen Frauen trägt in erster Linie die Beschäftigungskrise der letzten Jahre dazu bei, dass viele Frauen verstärkt Teilzeit annehmen oder gar nicht erwerbstätig sind, obwohl dies nicht den tatsächlichen Präferenzen entspricht (Dingeldey 1999: 54). Hingegen belegen die auf der Basis des Eurostat Labour Force Survey 1996 errechneten Erwerbsmuster zwar einen Rückgang der Doppelverdiener-Haushalte (beide Vollzeit) bei Paaren in Ostdeutschland, dennoch bleibt die hohe Erwerbsorientierung beider Partner bestehen (Dingeldey 1999: 38, 54; Beckmann 2002: 7; Bothfeld et al. 2005: 178f.; Träger 2007: 152ff.).54 Die Analyse über die Ausdifferenzierung der alternativen Familienmodelle im Jahr 2002 soll mehr Aufschluss über neue Verteilungsmuster der Modelle unter Einbezug der neuen Bundesländer geben (vgl. Kap. 6.2). 6.2 Duale Familienmodelle in Ost- und Westdeutschland Die partnerschaftlichen Arbeitszeitmuster auf Bundesebene 2002 lassen folgenden Schluss zu: Das traditionelle Ernährermodell ist zwar erodiert, bleibt mit 38,8 % nach wie vor bundesweit häufigstes Modell, für das Doppelkarrieremodell entscheiden sich 34,2 % der (Ehe-)Paare und an dritter Stelle rangiert das Doppelverdienermodell I/II, in der Variante Mann in Vollzeit und Frau Teilzeit erwerbstätig. 23,3 % der Paare wählen dieses Familienmodell. Auch im Jahr 2002 haben sich nur sehr wenige (Ehe-)Paare ihr Erwerbsleben so aufgeteilt, dass beide Partner Teilzeit arbeiten (Doppelverdienermodell III) oder die Frau Vollzeit berufstätig ist und der Mann in Teilzeit arbeitet. Die (Teil-)Erosion des Ernährermodells hat im Bundesgebiet offenkundig nicht zu einem Anstieg dualer oder egalitärer Vereinbarkeitsmodelle geführt. Differenziert man die errechneten Erwerbsmuster von (Ehe)Paaren nach den alten und neuen Bundesländern, zeigen sich signifikante Unterschiede innerhalb der drei vorherrschenden Arbeitszeitmuster von Paaren: Immerhin entscheiden sich ganz im Gegensatz zu Paaren in den neuen Bundesländern 43,7 % der westdeutschen (Ehe-)Paare nach wie vor für das traditionelle Model, bei dem die Partnerin nicht erwerbstätig ist. In Ostdeutschland wählen lediglich 12,9 % der 25- bis 65-Jährigen Paare das klassische Arbeitszeitmuster. Dafür spielt das Doppelkarrieremodell für ostdeutsche Paare eine wesentlich größere Rolle. Die Mehrheit (61,9 %) bevorzugt klar die gleichzeitige Vollerwerbstätigkeit. Im Vergleich hierzu ist dieses Erwerbsmuster für Paare in den alten Bundesländern deutlich weniger attraktiv (28,9 %).55 54
Der empirische Nachweis der Erosion des traditionellen Familienernährermodells wurde bisher ebenfalls auf der Basis der Soziooekonomischen Panels nachgewiesen. Im Gegensatz zum ALLBUS, der das Arbeitsstundenvolumen des Ehepartners nur für die Jahre 1988 und 2002 erhebt, ist im SOEP die Variable auch 1990 integriert (Bothfeld et al. 2005: 178). Damit stehen Daten für die Verteilung der Familienmodelle für Ostdeutschland seit 1990 zur Verfügung. Insgesamt bestätigt sich der allgemeine Trend. Darauf verweisen auch die Berechnungen von Dingeldey (1999) und Eurostat (2005). Allerdings bestehen zwischen den Häufigkeiten der berechneten dominanten Erwerbsmuster teilweise Unterschiede. Dies kann vermutlich auf die unterschiedliche Festlegung der untersuchten Altersgruppe, Unterschiede bei der Berechnung des Stundenvolumens pro Erwerbsmuster und der Einbeziehung weiterer Gruppen, zum Beispiel Arbeitsloser, die von der vorliegenden Untersuchung ausgeschlossen sind, zurückgeführt werden. 55 Die Signifikanz der Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland werden ebenfalls mit dem Chi-QuadratTest geprüft (vgl. Kap. 6.1; Brosius 2006: 421). Der Chi-Quadrat-Test zeigt signifikante Unterschied (Irrtumswahrscheinlichkeit 0,01) zwischen dem Osten und dem Westen für die abhängige Variable Familienmodelle sowie für (Ehe-)Paare mit Kindern. Nicht signifikant sind die Ergebnisse bei den (Ehe-)Paaren ohne Kinder. Dies kann vermutlich u. a. auf die sehr geringe Fallzahl, insbesondere in Ostdeutschland zurückgeführt werden. Die an
105
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.4: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren 2002
Bundesgebiet n=550 abs. %
Ernährermodell
214
38,8
19
12,9
171
43,7
4
0,8
1
0,7
3
0,8
188
34,2
91
61,9
113
28,9
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
63
11,5
9
6,1
49
12,5
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
5
1
3
2,0
3
0,8
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
65
11,8
20
13,6
45
11,5
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
5
0,9
2
1,4
3
0,8
2
0,4
--
--
2
0,5
Beide lange Teilzeit
1
0,1
1
0,7
--
--
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
3
0,5
1
0,7
2
0,5
Ernährermodell Frau
Ostdeutschland Westdeutschland n=147 n=391 abs. % abs. %
Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III Beide kurze Teilzeit
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
In Westdeutschland besteht des Weiteren nach wie vor eine Nähe zur modernisierten Versorgerehe beziehungsweise zu einem modernisierten Familienernährermodell. Frauen arbeiten in der Regel kurze oder lange Teilzeit und ihre Männer weiterhin in Vollzeit (Dingeldey 1999: 55). Ostdeutsche Frauen, die Teilzeit arbeiten, entscheiden sich dagegen weitaus häufiger für ein Teilzeitmodell, welches zumindest ein höheres Stundenvolumen (lange Teilzeit) umfasst. Die Differenzierung nach Ost- und Westdeutschland dokumentiert die unterschiedliche Erwerbsorientierung der ortsansässigen (Ehe-)Paare. Die Vollzeitorientierung beider Partner ist in den alten Bundesländern offenkundig deutlich geringer ausgeprägt als in den neuen Bundesländern. Das Ernährermodell hat zwar seine Stellung als dominantes Familienmodell verloren, ist allerdings nach wie vor häufigstes familiales Erwerbsmuster bei (Ehe-)Paaren.
sich hohe Erklärungskraft des Erhebungsgebiets verdeutlichen allerdings auch die Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression, die bei der Entscheidung zwischen traditionellen Ernährermodell und Doppelkarrieremodell einen hoch signifikanten Einfluss für das Wohngebiet nachweist und zwischen Ernährermodell und Doppelverdienermodell zumindest noch einen schwach signifikanten Einfluss (vgl. 6.5.4). Auch ist das Erhebungsgebiet die Variable, welche die Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben am häufigsten signifikant beeinflusst (vgl. Kap. 6.5.1).
106
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
In Ostdeutschland weist das partnerschaftliche Erwerbsmuster eine Dominanz von Zweiverdienermodellen mit einer klaren Tendenz zu egalitären Arbeitszeiten, insbesondere in der bisherigen Variante – Mann und Frau in Vollzeit tätig – auf. Zudem nehmen teilzeitbeschäftigte Frauen in Ostdeutschland weitaus häufiger Variationen mit langer Teilzeit in Anspruch im Vergleich zu ihren westdeutschen Kolleginnen, die verstärkt kurze Teilzeitmodelle wählen. Während das Doppelkarrieremodell in Westdeutschland niemals dominierend war, bleibt es in Ostdeutschland trotz Einbußen weiterhin wichtigstes Modell. Es bestätigt sich, dass Veränderungen der partnerschaftlichen Arbeitszeitmuster in Ost- wie auch in Westdeutschland vorwiegend entlang der drei bisher zentralen Muster verlaufen (Bothfeld et al. 2005: 177f.). Damit wird die zu Anfang formulierte Hypothese (H1.2) , dass die Erosion des traditionellen Familienernährermodells zu einer Ausdifferenzierung von dual oder auch egalitär ausgerichteten Familienmodellen geführt hat, für die alten wie auch neuen Bundesländer zurückgewiesen. Im nun folgenden Kapitel (vgl. Kapitel 6.2.1) wird ebenfalls untersucht, inwieweit Kinder die Verteilung der Familienmodelle in West- und Ostdeutschland beeinflussen. 6.2.1 Duale Familienmodelle von (Ehe-)Paaren mit Kindern Die auf der Basis des ALLBUS/ISSP 2002 berechneten Erwerbsmuster von kinderlosen (Ehe-)Paaren und jenen mit Kindern (vgl. Tab. 6.5; Tab. 6.6) bestätigen die bisherigen Ergebnisse. Veränderungen sowohl bei kinderlosen als auch bei Paaren mit Kindern beschränken sich auf die drei bis dato häufigsten Familienmodelle: a) Familienernährermodell, b) Doppelkarrieremodell, c) Doppelverdienermodell I beziehungsweise II. Allerdings lassen sich grundlegende Unterschiede innerhalb der dominanten Erwerbsmuster zwischen West- und Ostdeutschland diagnostizieren. In den alten Bundesländern determinieren Kinder die Wahl eines Familienmodells. Die Mehrheit der Paare mit Kindern (54 %) lebt das traditionelle Familienmodell, gefolgt vom Doppelverdienermodell I beziehungsweise II. Das Doppelkarrieremodell (18,3 %) spielt in dieser Gruppe eine marginale Rolle (vgl. hierzu Kap. 6.1.2). Interessanterweise ist der Effekt von Kindern auf das partnerschaftliche Erwerbsmuster in den neuen Bundesländern deutlich schwächer ausgeprägt. Das Doppelkarrieremodell bleibt auch bei der Gruppe mit Kindern vorherrschendes Modell (58,2 %). Das männliche Familienernährermodell gewinnt nur unwesentlich an Bedeutung, der Anteil beträgt im Osten lediglich 15,6 %. Hinsichtlich des Doppelverdienermodells I beziehungsweise II lassen sich zwischen Ost- und Westdeutschland gegenläufige Entwicklungen aufzeigen. Während westdeutsche Frauen mit Kindern weitaus häufiger kurze Teilzeitmodelle vorziehen (15,6 %), entscheiden sich die ostdeutschen Frauen hauptsächlich für lange Teilzeit (15,5 %), sofern sie nicht ganztags berufstätig sind. Offensichtlich spielen Kinder für die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Modell bei (Ehe-)Paaren in den neuen Bundesländern keine große Rolle, so dass eine Anpassung an die westdeutschen Verhältnisse auf der Basis dieser Ergebnisse nicht bestätigt wird (vgl. hierzu die Ergebnisse von Bothfeld et al. 2005 und Dingeldey 1999).
107
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.5: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren mit Kindern 2002
Bundesgebiet N=362 abs. %
Ostdeutschland Westdeutschland N=110 n=250 abs. % abs. %
170
47,1
18
16,4
135
54
3
0,8
1
0,9
2
0,8
93
25,6
64
58,2
46
18,4
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
49
13,6
5
4,5
39
15,6
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
2
0,7
2
1,8
1
0,4
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
40
11
17
15,5
25
10
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
1
0,2
1
0,9
--
--
--
--
--
--
--
--
Beide lange Teilzeit
1
0,2
1
0,9
--
--
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
3
0,8
1
0,9
2
0,8
Ernährermodell Ernährermodell Frau Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III Beide kurze Teilzeit
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
6.2.2 Duale Familienmodelle von kinderlosen (Ehe-)Paaren Betrachtet man nur die Paarhaushalte ohne Kinder (vgl. Tab. 6.6) zeigt sich ein erheblich verändertes Bild. Häufigstes Erwerbsmuster der (Ehe-)Paare ohne Kinder ist sowohl in West- als auch in Ostdeutschland das Doppelkarrieremodell: neue Bundesländer 71,1 %, alte Bundesländer 47,5 %, wobei zwischen Ost- und Westdeutschland eine erhebliche Diskrepanz besteht. Während das traditionelle Familienernährermodell in Ostdeutschland mit 5,3 % kaum noch eine Rolle spielt, entscheiden sich immerhin 25,5 % der (Ehe-)Paare ohne Kinder im Westen nach wie vor für die traditionelle Variante oder zumindest dafür, in langer Teilzeit zu arbeiten (vgl. Kap. 2.2). Die Ergebnisse machen deutlich, dass Kinder vor allem in Westdeutschland die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Modell determinieren. Ostdeutsche (Ehe-)Paare bevorzugen, auch wenn sie Kinder haben, die gleichzeitige Vollzeiterwerbstätigkeit. Offensichtlich stellen Kinder damit in den neuen Bundesländern kein entscheidendes Hindernis für Paare dar, bei denen beide Partner ganztags berufstätig sein wollen (vgl. Kap. 2.2). Allerdings sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bei den (Ehe-)Paaren ohne Kinder nicht signifikant.
108
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.6: Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 2002 Erwerbsmuster von (Ehe-)Paaren ohne Kinder 2002
Bundesgebiet n=188 abs. %
Ostdeutschland Westdeutschland n=38 n=141 abs. abs. % abs.
Ernährermodell
44
23,4
2
5,3
36
25,5
Ernährermodell Frau
1
0,5
--
--
1
0,7
95
50,5
27
71,1
67
47,5
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
14
7,4
4
10,5
10
7,1
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
3
1,6
1
2,6
2
1,4
Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
25
13,2
3
7,9
20
14,2
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
4
2,2
1
2,6
3
2,2
2
1,2
--
--
2
1,4
Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II
Doppelverdienermodell III Beide kurze Teilzeit Beide lange Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
--
--
--
--
--
--
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung
6.2.3 Ergebnis II: Duale Familienmodelle in Ost und West Resümierend wird festgehalten, dass Veränderungen hinsichtlich der familialen Erwerbsmuster in den neuen und alten Bundesländern jeweils lediglich entlang der drei häufigsten Muster nachzuweisen sind. Die (Teil-)Erosion des traditionellen Familienernährermodells in Westdeutschland hat nicht zu einer Ausdifferenzierung der Familienmodelle geführt. Aber auch für Ostdeutschland gilt, dass seit der Wiedervereinigung Änderungen nur innerhalb der drei bestimmenden Erwerbsmuster – Doppelkarrieremodell, Doppelverdienermodell I beziehungsweise II und Ernährermodell – zu beobachten sind. In beiden Landesteilen entscheiden sich kaum (Ehe-)Paare für atypische Arbeitszeitmuster respektive für eine egalitäre Arbeitsteilung nach dem Doppelverdienermodell III Typus (Bothfeld et al. 2005: 225ff.). Bei den (Ehe-)Paaren mit Kindern hat die traditionelle Arbeitsteilung in den alten Bundesländern nach wie vor Vorrang. Es überwiegen typischerweise die Frauen, welche die Arbeitszeit reduzieren, sobald ein Paar zu Eltern wird. Anders als in Westdeutschland ist in Ostdeutschland die Mehrheit der Frauen mit Kindern vollzeitbeschäftigt. Das männliche Ernährermodell gewinnt nur unwesentlich zugunsten langer Teilzeitbeschäftigung an Bedeutung. Offensichtlich bleibt in ostdeutschen Paarhaushalten mit Kindern die Vollzeit-
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
109
orientierung von beiden Partnern erhalten. Dies ist eine Tendenz, die sich in Westdeutschland ausschließlich bei den kinderlosen (Ehe-)Paaren nachweisen lässt. Dennoch gilt auch für Ostdeutschland, dass der Rückgang des Doppelkarrieremodells bei (Ehe-)Paare mit Kindern auch durch eine Zunahme der Teilzeitbeschäftigung kompensiert wird, wenn auch auf höherem Niveau als in den neuen Bundesländern, so dass in diesem Kontext von einer leichten Anpassung an die westdeutschen Verhältnisse ausgegangen werden kann. Trotzdem belegen die Ergebnisse auch, dass die deutlich besseren Rahmenbedingungen in der ehemaligen DDR zur gleichzeitigen Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben bis heute die Familienmodellwahl in Ostdeutschland prägen und die hohe Erwerbsorientierung der Frauen bestehen geblieben ist (vgl. Kap. 2.2; Dingeldey 1999: 54, 55). 6.3 Bestimmung der Einflussfaktoren auf die Familienmodellwahl Während im vorherigen Kapitel auf deskriptiver Ebene die Verteilung der verschiedenen Familienmodelle abgebildet wurde, stellt sich nun in einem stärker analytisch ausgerichteten Ansatz die Frage nach den Bestimmungsgrößen, die Einfluss auf die Wahl eines Familienmodells nehmen. Zu den empirisch zu prüfenden theoretisch abgeleiteten Einflussgrößen zählen zum einen die soziodemographischen Indikatoren und institutionellen Rahmenbedingungen, zum anderen Indikatoren zur Messung individueller Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben (vgl. Kap.1; Kap. 2). Zunächst werden die latenten Hintergrunddimensionen der ausgewählten Einstellung faktorenanalytisch aufgeklärt und zu Indizes zusammengefasst. Anschließend wird mittels regressionsanalytischer Methoden die Wirkung der ausgewählten Indikatoren auf die Wahl eines Familienmodells exploriert und die indirekten Effekte der sozioökonomischen/-demographischen Einflussgrößen anhand der Mediator-Effekte kontrolliert. Damit wird die rein deskriptive Beschreibung der Familienmodelle um einen komplexeren Erklärungsansatz erweitert, indem die aus den theoretischen Ansätzen abgeleiteten Hypothesen H2.1 bis H2.6 auf ihre Gültigkeit getestet werden. Die folgende Abbildung 6.1 stellt die postulierten Hypothesen als Pfadmodell dar.
110
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Abb. 6.1: Hypothesen als Pfadmodell
Es wird angenommen, dass die Entscheidung über die Wahl eines Familienmodells in Anlehnung an die in Kapitel 2 (vgl. Kap. 2) dargelegten theoretischen Ansätze von drei wesentlichen Faktoren beeinflusst wird: a) b) c)
den sozioökonomischen und -demographischen Faktoren (H2.1 bis H2.4), den individuellen Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik (H2.5), den institutionellen Rahmenbedingungen (H2.6).
Zu a) Zur Überprüfung der Hypothesen H2.1 bis H2.4, denen die Annahme zugrunde liegt, dass die Entscheidung für respektive gegen ein bestimmtes Familienmodell von soziodemographischen Faktoren abhängt beziehungsweise nach diesen differiert, werden die Variablen Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen als relevante Indikatoren herangezogen. Es wird getestet, ob ein Alterseffekt bei der Entscheidung hinsichtlich eines Familienmodells existiert. Zusätzlich zum Alter wird das Geschlecht berücksichtigt. Dabei wird getestet, ob eine geschlechtsspezifische Wirkung besteht. Von Interesse ist ferner, ob die demographischen Variablen Alter und Geschlecht miteinander agieren, also ein Interaktionseffekt vorliegt. Zur Überprüfung des Einflusses von Bildung auf die Familienmodellwahl wird die Variable Bildungsabschluss eingesetzt. Schließlich wird in der Analyse der Einfluss des Haushaltseinkommens der befragten (Ehe-)Paare kontrolliert. Hierzu wird das monatliche Haushaltseinkommen zum einen in vier Kategorien aufgeteilt,
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
111
zum anderen wird die Variable im Regressionsmodell metrisch verwendet. Zudem ist bei den sozioökonomischen Einflussgrößen von Interessen, ob eine Interaktion besteht. Zu b) Zur Überprüfung der Hypothese H2.5 werden die relevanten Items über subjektive Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben aus dem ISSP Zusatzmodul „Familie in Deutschland“ des ALLBUS 2002 ausgewählt (vgl. Kap. 5.2.2). Die Selektion der Einstellungsitems wird mit Hilfe der Faktorenanalyse vorgenommen. Dabei wird auf das Verfahren der Hauptachsenanalyse zurückgegriffen, da die hinter den einzelnen Items beziehungsweise Variablen stehenden, hypothetischen Erklärungsgrößen von Interesse sind (Backhaus et al. 2006: 293). Zu c) Als Indikator zur Messung des Einflusses institutioneller Rahmenbedingungen, H2.6, wird die Variable Erhebungsgebiet (Ost- beziehungsweise Westdeutschland) herangezogen. Die Frage nach dem Erhebungsgebiet hat besondere Relevanz, da sich die institutionellen Rahmenbedingungen wie auch die Leitbilder im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbsund Familienleben in Ost- und Westdeutschland bis zur Wende 1990 sehr unterschiedlich entwickelt haben (Klein 2006; vgl. auch Kap. 2.2). Des Weiteren wird aus dem ALLBUS/ISSP 2002 Frageprogramm die Variable zu den Einstellungen über staatliche Transferleistungen an Familien herangezogen, um gesellschaftliche Erwartungen an familienpolitische Maßnahmen zu eruieren. Faktorenanalysen Die Faktorenanalysen werden unter Anwendung der Filterkriterien [(Ehe-)Paare, 25- bis 65-Jährigen, ISSP-Modul: Familien in Deutschland] und mit der Ost-West-Gewichtung für die folgenden vier Einstellungsfragen56 berechnet: (1)
Einstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit bei Frauen (v631v636) Die Befragten sollen auf einer fünf-stufigen Likert-Skala mit den Polen „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ verschiedene Standpunkte über die Auswirkungen der Berufstätigkeit von Frauen auf das Familienleben einschätzen. Die Spannbreite der sechs Items reicht dabei von der Akzeptanz der Berufstätigkeit von Müttern bis zu deren Ablehnung. (2)
Einstellung über die familiale Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen (v637-v640) Um die Einstellungen hinsichtlich der familiären Arbeitsteilung zu bestimmen, wird ebenfalls eine fünf-stufige Likert-Skala mit den Polen „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ verwendet. Die vier Items beschreiben zum einen traditionelle wie auch moderne Aspekte familialer Arbeitsteilung, beispielsweise wird gefragt, ob Männer einen größeren Anteil an der Kindererziehung übernehmen sollten.
56
Zur Identifizierung der einzelnen Itembezeichnungen vgl. Tabellen 6.7 - 6.10 (Kap. 6.3.2). Zur Häufigkeitsverteilung der einzelnen Items vgl. Tabelle 6.11 - 6.13 (Kap. 6.4).
112
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
(3) Einstellung über den Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen (v641-v644) Die Einstellungen über den Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen je nach Alter und Vorhandensein von Kindern wird mittels einer drei-stufigen Skala mit den Ausprägungen „ganztags arbeiten“, „halbtags arbeiten“ und „überhaupt nicht arbeiten“ erfasst. Die Frage beinhaltet insgesamt vier Items. (4) Einstellung zur staatlichen Unterstützung bei Berufstätigkeit der Eltern Ob die Befragten staatliche Unterstützung bei berufstätigen Eltern positiv oder negativ bewerten, wird ebenfalls mittels einer fünf-stufigen Likert-Skala mit den Polen „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ erhoben. Die zwei Items erfassen dabei Einschätzungen sowohl zum bezahlten Mutterschaftsurlaub als auch zu finanziellen Transferleistungen für berufstätige Eltern. Die befragten Personen sollen jeweils angeben, wie stark oder schwach sie den Items zustimmen. Die Ergebnisse der Faktorenanalysen sowie die einzelnen Fragen und Items sind den folgenden Tabellen (vgl. Tab. 6.7 bis Tab 6.10) zu entnehmen. Ziel der Faktorenanalyse ist es, die Variablen mit hohen Faktorladungen zu ermitteln, die latente Hintergrunddimension zu bestimmen und die Variablen dieser Dimensionen zu bündeln, um damit weitere Analysen durchzuführen. Zu diesem Zweck wird die Hauptachsenanalyse ausgewählt und als Rotationsverfahren das „direkte Oblimin“ festgelegt, da die Korrelation der Faktoren explizit erlaubt ist (Brosius 2006: 781). Zu (1) Bei der ersten Faktorenanalyse werden die Befragten aufgefordert, ihre Zustimmung oder Ablehnung gegenüber unterschiedlichen Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen abzugeben (vgl. Tab. 6.7). Das KMO-Maß von 0,736 gibt an, dass die Auswahl der Variablen für die Faktorenanalyse ziemlich gut geeignet ist (Backhaus et al. 2006: 276). Es werden zwei trennscharfe Faktoren extrahiert. Der erste Faktor ist durch hohe Ladungen der Variablen v631, v632 und v633 gekennzeichnet, wobei v632 sowie v633 positiv und v631 negativ auf den Faktor 1 laden. Alle drei Variablen des ersten Faktors können auf die theoretische Dimension – Auswirkungen der Berufstätigkeit von Frauen beziehungsweise Müttern auf das Familienleben – zurückgeführt werden. Im Zentrum der Dimension stehen die potenziell negativen Folgen für Kinder und Familie insgesamt, wenn Mütter eine Erwerbstätigkeit ausüben. Negative oder positive Ladungen erklären sich durch die gegensätzliche Fragerichtung des Items v631 und der Items v632 und v633. Die drei Items, die laut Faktorenanalyse zu dem Faktor 1 gehören, werden anschließend mittels Indexbildung auf der Basis von Mittelwerten zu einer einheitlichen Skala mit der Bezeichnung „Familienleben leidet durch die Berufstätigkeit der Frau“ zusammengefasst. Die Variable v631 wird zur Berechnung des Index umgepoolt. Der zweite Faktor, auf den die Variablen v634 und v635 hoch positiv laden, lässt auf die Dimension „Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie“ schließen. Es laden die Variablen hoch, die das geschlechterspezifische Rollenbild von Frauen im Spannungsfeld von Erwerbs- und Familienleben thematisieren. Beide Variablen des Faktors 2 werden ebenfalls mittels eines Index (Mittelwerte) zu einer einheitlichen Skala kombiniert.
113
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.7: Faktorenanalyse: Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen Extrahierte Faktoren
Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu oder nicht zu?
Faktor 1 Faktor 2 Faktorenladung Familienleben Traditionelles leidet unter der Rollenverständnis Berufstätigkeit der Frau in Beruf der Frau und Familie
v632: Ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist
,767
v633: Alles in allem: Das Familienleben leidet darunter, wenn die Frau voll berufstätig ist
,730
v631: Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist
-,510
v636: Einen Beruf zu haben ist das beste Mittel für eine Frau, um unabhängig zu sein
*)
*)
v634: Einen Beruf zu haben ist ja ganz schön, aber das, was die meisten Frauen wirklich wollen, sind ein Heim und Kinder
,813
v635: Hausfrau zu sein ist genauso erfüllend wie gegen Bezahlung zu arbeiten
,415
Cronbachs Alpha
,696
,614
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; Extraktionsmethode: Hauptachsen-Faktorenanalyse, Rotationsmethode: Oblimin mit Kaiser-Normalisierung; Gesamtvarianz: 58,2 %; *) entfällt, da Faktorladungen .40; Listenweiser Fallausschuss
Während der erste Faktor „Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau“ einen Beziehungsaspekt beleuchtet, nämlich die Folgen der Frauen- und Müttererwerbstätigkeit auf die Kinder und das Familienleben, stellt der zweite Faktor „Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie“ verstärkt auf das Selbstverständnis von Frauen in Bezug auf ihre Rolle in der Familie wie auch im Beruf ab. Beiden Faktoren gemeinsam ist, dass sie unterschiedliche Dimensionen der Berufstätigkeit von Frauen beleuchten. Da die Variable v636 keinen der beiden Faktoren zugeordnet werden kann, wird sie von den folgenden Analysen ausgeschlossen. Das Reliabilitätsmaß Cronbachs Alpha liegt für beide Indizes im akzeptablen Bereich.57 57
In der zugehörigen Literatur wird für das Reliabilitätsmaß ein Wert von 0,8 mindestens aber von 0,7 gefordert, damit eine neu gebildete Skala als zuverlässiges Messinstrument bezeichnet werden kann. Allerdings werden in der angewandten empirischen Sozialforschung häufig niedrigere Werte erzielt. Dies hängt unter anderem an der mangelnden Reliabilität der Ursprungsskalen. Zudem ist das Reliabilitätsmaß auch immer im Zusammenhang des Kontextes, in dem es verwendet wird, zu beurteilen (Brosius 2006: 810).
114
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Zu (2) Tabelle 6.8 fasst die Ergebnisse der zweiten Faktorenanalyse zusammen. Im Mittelpunkt stehen die Einstellungen der Befragten hinsichtlich der familialen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Der KMO-Wert von 0,506 verweist darauf, dass die Variablenzusammensetzung für eine Faktorenanalyse weniger gut geeignet ist. Allerdings unterschreitet der Wert nicht die 0,5-Grenze, unterhalb dieser die Verwendung der Faktorenanalyse nicht mehr vertretbar wäre (Backhaus et al. 2006: 276). Die Faktorenanalyse extrahiert zwei Faktoren, wobei lediglich der erste Faktor interpretierbar ist, da die Faktorladungen des zweiten Faktors alle deutlich unter der 0,4-Marke liegen und damit nicht berücksichtigt werden (Wittenberg 2003: 142). Tab. 6.8: Faktorenanalyse: Einstellungen zur familialen Aufgabenteilung Familiale Aufgabenteilung von Männer und Frauen Extrahierte Faktoren
Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu oder nicht zu?
Faktor 1 Faktor 2 Faktorenladung Größerer Männeranteil an der -Familienarbeit
v640: Männer sollten einen größeren Anteil an der Kinderbetreuung übernehmen, als sie es jetzt tun
,789
v639: Männer sollten einen größeren Anteil an Hausarbeiten übernehmen, als sie es jetzt tun
,724
v637: Der Mann und die Frau sollten beide zum Haushaltseinkommen beitragen
*)
*)
v638: Die Aufgabe des Mannes ist es, Geld zu verdienen, die der Frau, sich um Haushalt und Familie zu kümmern
*)
*)
Cronbachs Alpha
,719
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; Extraktionsmethode: Hauptachsen-Faktorenanalyse, Rotationsmethode: Oblimin mit Kaiser-Normalisierung; Gesamtvarianz: 37,3 %; *) entfällt, da Faktorladungen .40; Listenweiser Fallausschuss
Faktor 1 greift den Aspekt des Männeranteils an der Familienarbeit auf. Hierzu zählt zum einen die Kindererziehung, zum anderen die Hausarbeit. Obwohl der KMO-Wert als weniger gut eingestuft werden muss, haben beide Variablen im Kontext der Fragestellung eine hohe Relevanz, da sie auf eine moderne und egalitäre Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hinweisen, entgegen der bisher üblichen traditionellen Arbeitsteilung, die kennzeichnend für das Ernährermodell ist (Mühling et al. 2006; Bothfeld et al. 2005; Ehling 2004; Rost 2001; Beckmann 2001; Künzler 1994). Beide Variablen werden in den folgenden Analysen separat verwendet, trotz der zufriedenstellenden Reliabilitätsanalyse des
115
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Index, da die Unterscheidung zwischen dem Bereich der Kindererziehung und dem der Hausarbeit inhaltlich relevant ist. Zu (3) Grundlage der dritten Faktorenanalyse sind Einstellungen über den Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen je nach Alter oder Vorhandensein von Kindern. Die befragten Personen sollen einschätzen, ob Frauen ganztags, halbtags oder überhaupt nicht außer Haus arbeiten sollten, je nach Status der Kinder in der Familie. Das KMO-Maß von 0,641 zeigt an, dass die Auswahl der Variablen für die Faktorenanalyse geeignet ist. Tab. 6.9: Faktorenanalyse: Einstellungen zum Umfang der Erwerbszeit von Frauen
Extrahierte Faktoren
Sind Sie der Meinung, dass Frauen unter folgenden Umständen ganztags, halbtags oder überhaupt nicht außer Haus arbeiten sollten?
Umfang der Erwerbszeiten von Frauen nach Familienstatus Faktor 1 Faktorenladung58 Umfang der Erwerbszeit von Müttern
v643: ...dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht
,728
v642: ...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht
,595
v644: ...nachdem die Kinder das Elternhaus verlassen haben
,533
V641: ...wenn sie verheiratet sind, aber noch keine Kinder haben Cronbachs Alpha
*) ,570
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; Extraktionsmethode: HauptachsenFaktorenanalyse, unrotierte Lösung; Gesamtvarianz: 48,5 %; *) entfällt, da Faktorladungen .40; Listenweiser Fallausschuss
Es wird nur ein Faktor (vgl. Tab. 6.9) extrahiert, auf welchen die Items v642 bis v644 laden. Faktor 1 lässt sich als „Umfang der Erwerbszeit von Müttern“ deuten. Im Kontext der Fragestellung sind die Items v642 und v643 von besonderem Interesse, da sie Einstellungen über die Müttererwerbstätigkeit in Abhängigkeit vom Alter des Kindes erfassen. Demgegenüber erfasst v644 Einschätzungen zum Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern, deren Kinder bereits das Elternhaus verlassen haben. Da v642 und v643 des Faktors 1 im Spannungsfeld der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besondere Bedeutung zukommt, ist es 58
Da bei der Faktorenanalyse in der Tab. 6.9 und Tab. 6.10 lediglich ein Faktor extrahiert wurde, wird keine Rotation der Faktoren vorgenommen. Die Tabelle enthält die Angaben der unrotierten Faktorenmatrix.
116
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
angezeigt, beide Variablen separat zu verwenden. Zudem liefert die Reliabilitätsanalyse einen eher schlechten Wert, so dass eine Indexbildung nicht sinnvoll erscheint. Aufgrund inhaltlich mangelnder Relevanz wird die Variable v644 von der weiteren Analyse ausgeschlossen und stattdessen die Variable v641, welche die Dimension der Frauen ohne Kinder beleuchtet, einbezogen. Von Interesse ist, ob die Einschätzungen über das Ausmaß der Frauenerwerbstätigkeit zwischen Müttern und kinderlosen Frauen variieren. Zu (4) Tabelle 6.10 enthält die Ergebnisse der vierten Faktorenanalyse. Der KMO-Wert von 0,500 verweist darauf, dass die Auswahl der Variablen gerade noch für eine Faktorenanalyse geeignet ist. Es wird ein Faktor extrahiert, dessen theoretische Hintergrunddimension staatliche Maßnahmen zur Unterstützung von Familien beschreibt. Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass Faktor 1 lediglich geldwerte (gegenüber sachwerten und zeitwerten) familienpolitische Leistungen thematisiert und somit Einstellungen in einem Feld staatlicher Unterstützungsmaßnahmen erfasst (Träger 2007: 155ff.). Tab. 6.10: Faktorenanalyse: Einstellungen zu staatlichen Transferleistungen
Extrahierte Faktoren
Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu oder nicht zu?
Finanzielle Transferleistungen für Eltern Faktor 1 Faktorenladung Erhalt staatlicher Leistungen für berufstätige Eltern
v654: Berufstätige Frauen sollten bezahlten Mutterschaftsurlaub erhalten
,636
v655: Familien sollten finanzielle Unterstützungen/Vergünstigungen für die Kinderbetreuung erhalten, wenn beide Elternteile berufstätig sind
,636
Cronbachs Alpha
,552
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Berechnung; Extraktionsmethode: Hauptachsen-Faktorenanalyse, unrotierte Lösung; Gesamtvarianz: 70,3 %; Listenweiser Fallausschuss
Die Variablen, die laut Faktorenanalyse zu dem Faktor 1 gehören, werden mittels eines Index (Basis sind Mittelwerte) zu einer einheitlichen Skala mit der Bezeichnung „Finanzielle Transferleistungen für Eltern“ reduziert. Auf der Basis der Faktorenanalysen wurden die latenten Hintergrunddimensionen, die nicht direkt beobachtbar sind, ermittelt und zu drei neuen Indizes gebündelt. Alle ausgewählten Items der drei Indizes laden hoch auf die jeweilige latente Dimension und bilden Einstellungen über die Dimension der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben ab:
Index 1: Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau Index 2: Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie Index 3: Finanzielle Transferleistungen für Eltern
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
117
Die Indizes weisen alle eine ausreichend hohe Skalenreliabilität auf, wobei niedrige Werte eine hohe Zustimmung bedeuten. Zudem kann ein großer Teil der Varianz durch die ausgewählten Items erklärt werden. Auf die Verwendung der Faktorenwerte als eigenständige Variablen wird bewusst verzichten, da deren Interpretation weitaus schwieriger ist. Die Variablen, die den Faktor „Größerer Männeranteil an der Familienarbeit“ beschreiben und die Variablen, die dem Faktor „Umfang der Erwerbszeit von Müttern“ zugeordnet sind, werden aufgrund inhaltlicher Überlegungen nicht zu Indizes kombiniert, sondern gehen in die weiteren Analysen als Einzelvariablen ein: Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu oder nicht zu? v639: Männer sollten einen größeren Anteil an Hausarbeiten übernehmen, als sie es jetzt tun v640: Männer sollten einen größeren Anteil an der Kinderbetreuung übernehmen, als sie es jetzt tun Sind Sie der Meinung, dass Frauen unter folgenden Umständen ganztags, halbtags oder überhaupt nicht außer Haus arbeiten sollten? v641: ...wenn sie verheiratet sind, aber noch keine Kinder haben v642: ...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht v643: ...dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht Bei der Durchführung einer simultanen Faktorenanalyse mit allen ausgewählten Items zeichnet sich ebenfalls zum größten Teil die abgebildete Struktur ab. Das folgende Kapitel 6.4 enthält eine Übersicht der verwendeten Einstellungsvariablen. Es werden die Häufigkeiten der neu gebildeten Indizes und ausgewählten Items dargestellt, um die Einstellungen in der Bevölkerung abzubilden. Interessant sind aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen auch die Einstellungsunterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern. 6.4 Deskriptive Ergebnisse der ermittelten Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik Interessant für die folgende Analyse ist das Meinungsbild in der Bevölkerung bei den ermittelten Einstellungen. Die Tabellen (vgl. Tab. 6.11 - Tab. 6.13) des folgenden Abschnitts beinhalten die Häufigkeiten, Mittelwerte und Streuungen der neu gebildeten Indizes und der ausgewählten Items sowohl für die Gesamtstichprobe als auch für Ost- und Westdeutschland. Zunächst fällt auf, dass bei allen drei untersuchten Indizes signifikante Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern bestehen.59
59
Der T-Test bei unabhängigen Stichproben zeigt für alle drei Indizes signifikante Unterschiede zwischen Ostund Westdeutschland (vgl. Anhang Tab. I: T-Test bei unabhängigen Stichproben).
118
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.11: Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben – Indizes Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu oder nicht zu?
Stimme voll und ganz zu
Stimme zu
Weder noch
Stimme nicht zu
Stimme überhaupt nicht zu
m
s
Gesamtdeutschland (n = 772) Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau
5,9%
26,3%
33,6%
24,4%
9,8%
3,4
1,0
Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Familie/Beruf
6,4%
18,4%
23,9%
37,7%
13,6%
3,5
1,0
Finanzielle Transferleistungen für Eltern
42,6%
38,8%
14,9%
3,3%
0,4%
1,9
0,8
Westdeutschland (n = 528) Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau
6,9%
30%
34,4%
21,2%
7,5%
3,2
1,0
Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Familie/Beruf
7,1%
20,1%
24,3%
37,7%
10,8%
3,4
1,0
Finanzielle Transferleistungen für Eltern
36,5%
41,9%
17,2%
4,0%
0,4%
2,2
0,8
Ostdeutschland (n = 246) Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau
1,7%
10,3%
30,1%
38,1%
19,8%
3,9
0,9
Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Familie/Beruf
3,4%
10,6%
22,2%
38,3%
25,5%
3,9
1,0
Finanzielle Transferleistungen für Eltern
68,2%
26,1%
4,9%
0,4%
0,4%
1,5
0,6
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002, eigene Berechnung; Variablenbezeichnung und deskriptive Maße (m = Mittelwert, s = Standardabweichung); 1 = Stimme voll und ganz zu bis 5 = Stimme überhaupt nicht zu
Die größte Mittelwertdifferenz von 0,7 zeigt sich bei den Einstellungen über die Beeinträchtigungen des Familienlebens aufgrund der Mütter- beziehungsweise Frauenerwerbstätigkeit. Die Westdeutschen (36,9 %: Zustimmung) stehen der Berufstätigkeit von Frauen erheblich kritischer gegenüber als die Ostdeutschen (12 %: Zustimmung). Offensichtlich bestehen in den alten Bundesländern nach wie vor große Bedenken gegenüber berufstätigen Müttern, da negative Konsequenzen für das Familienleben befürchtet werden. Dagegen bestreitet die Mehrheit der ostdeutschen Befragten (57,9 %), dass das Familienleben unter der Erwerbstätigkeit der Frau leidet. Das traditionelle Rollenverständnis von Frauen in Beruf und Familie stößt in Ost- und Westdeutschland ebenfalls auf ein geteiltes Echo. Die Mittelwertdifferenz beträgt immerhin noch 0,5. Die Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern teilt die traditionelle Erwartungshaltung hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung
119
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
in der Familie nicht; lediglich 14 % der Ostdeutschen, aber 27,2 % der Westdeutschen, stimmen dem klassischen Rollenverständnis zu. Demgemäß spricht sich die Mehrheit der Befragten im Osten, 63,8 %, für ein modernes familiales Leitbild aus, während in Westdeutschland 45,5 % eine fortschrittliche Orientierung vertreten. Ein Erklärungsansatz für die höheren Werte beider Indizes in Ostdeutschland ist ein kulturelles Leitbild, welches die selbstverständliche Erfahrung, dass beide Elternteile arbeiten, vorsieht (Wingen 1997; Klein 2006; Pfau-Effinger 2000). Die Zahlung finanzieller Transferleistungen an Eltern stößt in den alten und neuen Bundesländern auf breite Zustimmung: Die überwiegende Mehrheit der Befragten im Bundesgebiet unterstützt finanzielle Transferleistungen für Eltern. Dementsprechend weisen alle Mittelwerte eine hohe Zustimmungstendenz auf. Die höchsten Zustimmungswerte finden sich allerdings in Ostdeutschland. Die absolute Mehrheit der Befragten (94,3 %) befürwortet die staatlichen Transferleistungen an Eltern gegenüber einer deutlichen Mehrheit von 78,4 % im Westen. Tab. 6.12: Einstellung zum Männeranteil an der Familienarbeit Inwieweit stimmen Sie den Stimme folgenden Aussagen zu oder voll und nicht zu? ganz zu
Stimme zu
Weder noch
Stimme nicht zu
Stimme überhaupt m nicht zu
s
Gesamtdeutschland (n=772) Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen
12,6%
47,4%
19,7%
16,9%
3,3%
2,5
1,0
Männer sollten die Kinder mehr betreuen
11,9%
59,8%
16,8%
10,4%
1,1%
2,2
0,8
Westdeutschland (n = 528) Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen
12,4%
47,5%
18,7%
17,8%
3,7%
2,5
1,0
Männer sollten die Kinder mehr betreuen
11,8%
61,4%
15,2%
10,6%
1,0%
2,3
0,8
Ostdeutschland (n = 246) Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen
13,3%
47,3%
24,1%
13,3%
2,1%
2,4
1,0
Männer sollten die Kinder mehr betreuen
12,3%
53,4%
23,3%
9,7%
1,3%
2,3
0,9
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; Variablenbezeichnung und deskriptive Maße (m = Mittelwert, s = Standardabweichung); 1 = Stimme voll und ganz zu bis 5 = Stimme überhaupt nicht zu
Die Mittelwerte der beiden ausgewählten Items über einen höheren Anteil von Männern an der Familienarbeit (vgl. Tab. 6.12) sind im Bundesgebiet wie auch für Ost- und Westdeutschland homogener. Alle Mittelwerte liegen zwischen 2.2 und 2.5. Es fällt auf, dass eine klare Mehrheit in der Bevölkerung in Gesamtdeutschland die Auffassung vertritt, dass Männer anteilig mehr Familienarbeit übernehmen sollten. Neben der Hausarbeit betrifft dies vor allem auch die Kindererziehung. Dabei erreicht das Item über die Zunahme des Männeranteils an der Kinderbetreuung in allen Regionen des Bundesgebietes die größte
120
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Zustimmung. Die hohe Zustimmung zu beiden Variablen verweist darauf, dass eine stärkere männliche Beteiligung an der Familienarbeit im gesamten Bundesgebiet auf breite Zustimmung stößt und gewünscht wird (Höyng 2005). Allerdings sind die Ergebnisse nicht signifikant (vgl. Anhang Tab. I: T-Test bei unabhängigen Stichproben). Tabelle 6.13 zeigt das Meinungsbild zum Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen in Abhängigkeit vom Alter der Kinder. Die Mittelwerte der drei Items differieren signifikant zwischen Ost- und Westdeutschland, wobei auch hier eine gemeinsame Tendenz festzustellen ist (vgl. Anhang Tab. I): Im Ganzen gesehen ist sich die überwiegende Mehrheit der Befragten darin einig, dass Frauen ganztags arbeiten sollten, solange sie keine Kinder haben. In Ostdeutschland fällt die Zustimmung zu diesem Item allerdings am höchsten aus. Tab. 6.13: Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen Sind Sie der Meinung, dass Frauen unter folgenden Umständen ganztags, halbtags oder überhaupt nicht außer Haus arbeiten sollten?
Ganztags arbeiten
Halbtags arbeiten
Gar nicht arbeiten
m
s
Gesamtdeutschland (n = 772) ...wenn sie verheiratet sind, aber keine Kinder haben
90,1%
9,5%
0,5%
1,1
0,3
...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht
12,4%
74,6%
13%
2,0
0,5
...dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht
71,3%
27,6%
1,1%
1,3
0,5
Westdeutschland (n = 528) ...wenn sie verheiratet sind, aber keine Kinder haben
89,1%
10,3%
0,6%
1,1
0,3
...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht
8,1%
76,9%
15%
2,1
0,5
...dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht
67,6%
31,1%
1,3%
1,3
0,5
Ostdeutschland (n = 246) ...wenn sie verheiratet sind, aber keine Kinder haben
94,1%
5,9%
--
1,0
0,2
...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht
30,8%
64,7%
4,5%
1,7
0,5
...dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht
86,1%
13,5%
0,4%
1,1
0,4
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Darstellung; Variablenbezeichnung und deskriptive Maße (m = Mittel- wert, s = Standardabweichung); 1 = ganztags arbeiten bis 3 = Gar nicht arbeiten
Deutliche Meinungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen bei den Einstellungen zum Erwerbsumfang von Frauen mit nichtschulpflichtigen Kindern. Während eine knappe Mehrheit in Westdeutschland (51,5 %) sich dafür ausspricht, dass Frauen in diesem Fall gar nicht arbeiten sollten, plädieren die Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern mehrheitlich (76,9 %) zumindest für eine Teilzeiterwerbstätigkeit von
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
121
Frauen. Es zeigt sich deutlich, dass im Osten die Berufstätigkeit von Müttern mit kleinen Kindern auf wesentlich größere Akzeptanz stößt als in Westdeutschland. Sobald auch das jüngste Kind zur Schule geht, zeichnet sich ein verändertes Bild ab. Fast alle Befragten in den neuen Bundesländern vertreten die Auffassung, dass Frauen mit schulpflichtigen Kindern grundsätzlich berufstätig sein sollten. Immerhin 30,8 % der Ostdeutschen befürworten dann eine Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen und 64,7 % zumindest eine Teilzeitbeschäftigung. Dass Frauen gar nicht arbeiten, ist hierbei kaum noch akzeptiert. Hingegen stimmen im Westen immerhin noch 15 % dafür, dass Frauen mit schulpflichtigen Kindern gar nicht arbeiten sollten. Allerdings stößt die Aufnahme einer Teilzeitstelle auch in Westdeutschland mittlerweile auf breite Zustimmung. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass das traditionelle Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern erheblich an Bedeutung verloren hat. Frauen beziehungsweise Mütter werden nicht mehr auf die Hausfrauenrolle in der Familie reduziert. Insbesondere die Teilzeittätigkeit von Müttern mit Kindern unabhängig vom Alter ist weitgehend in der Gesellschaft akzeptiert. Nichtsdestotrotz befürchtet zumindest ein Teil der Bürger und Bürgerinnen in den alten Bundesländern, ungeachtet des veränderten Rollenverständnisses, eine Beeinträchtigung des Familienlebens bei berufstätigen Müttern. Dementsprechend stößt insbesondere in Westdeutschland die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern auf erhebliche Vorbehalte in der Bevölkerung, während sie in Ostdeutschland insgesamt häufiger akzeptiert wird. Auffallend ist die bundesweit hohe Zustimmung zu einer größeren Beteiligung von Männern an der Familienarbeit. Hierbei plädiert die Mehrzahl der befragten Personen im Osten wie auch im Westen für eine stärkere Beteiligung der Männer beziehungsweise Väter an der Hausarbeit und insbesondere an der Erziehungsarbeit (Klammer/Klenner 2004: 185, 188; Rüling/Kassner 2007: 62-73, 41f.; Peuckert 2005: 267; Künzler 1994; Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland 2005: 396398). 6.5 Regressionsmodelle Als multivariates Verfahren zur Bestimmung der vorab festgelegten Einflussgrößen auf die Entscheidung für oder gegen ein Familienmodell wird im dritten Schritt der Analyse die Regressionsanalyse gewählt. Da individuelle Einstellungen von soziodemographischen Merkmalen beeinflusst werden können, wird zunächst unter Anwendung der multiplen Regression kontrolliert, ob ein indirekter Effekt der Soziodemographie auf die ausgewählten subjektiven Einstellungen im Feld der Vereinbarkeitsthematik vorliegt. Zur Bestimmung der direkten Effekte der soziodemographischen Einflussgrößen, der institutionellen Rahmenbedingungen wie auch der subjektiven Einstellungen auf die Wahl eines Familienmodells wird das statistische Verfahren der (multinomialen) logistischen Regressionsanalyse eingesetzt. Die generelle Problemstellung bei der linearen wie auch der (multinomialen) logistischen Regression ist identisch. Es soll eine abhängige Variable aufgrund einer oder mehrerer Prädiktoren vorhergesagt werden. Im Einzelnen soll bestimmt werden, welche unabhängigen Variablen einen eigenständigen Einfluss auf die abhängige Variablen ausüben beziehungsweise ob der theoretisch postulierte Zusammenhang tatsächlich signifikant ist, wie stark dieser Zusammenhang ist und welche Richtung er aufweist (Backhaus et al. 2006; Brosius 2006; Wittenberg 2003). Allerdings unterscheiden sich beide Verfahren nach dem
122
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Datenniveau der zu prüfenden Variablen wie auch inferenzstatistischer Grundannahmen (Normalverteilung der Residuen, Varianzhomogenität). Während die lineare Regression den tatsächlichen Beobachtungswert der abhängigen Variable durch den Einfluss des Prädiktors bestimmt, beruht die logistische Regression auf Schätzungen der Eintrittswahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten Ausprägung der abhängigen Variable unter Einbeziehung einer oder mehrerer Prädiktoren.60 Ferner basiert die logistische Funktion nicht auf einem linearen Zusammenhang zwischen abhängiger Variable und Prädiktor, sondern auf einem nicht-linearen, da die logistische Funktion von einer s-förmigen Verteilung der Wahrscheinlichkeit ausgeht (Backhaus et al. 2006: 434). Die zu erklärende Variable ist bei der logistischen Regression eine kategoriale nominalskalierte Variable (mit zwei oder mehr Ausprägungen). Hingegen setzt die lineare Regression bei der abhängigen Variable metrisches Skalenniveau voraus. Für kategoriale Variablen mit zwei Ausprägungen steht die binäre logistische Regression zur Verfügung. Bei kategorialen Daten mit drei oder mehr Ausprägungen wird die multinomiale logistische Regression verwendet. Die unabhängigen Variablen können beim logistischen Regressionsansatz kategorial oder auch metrisch sein (Norušis 2006; Andreß et al. 1997; Long 1997). Da es sich bei der vorliegenden abhängigen Variable Familienmodelle um eine kategoriale Variable mit mehreren Ausprägungen handelt, deren Veränderung durch den Einfluss mehrerer metrischer und kategorialer Prädiktoren untersucht wird, ist die Methode der multinomialen logistischen Regression induziert. Die Prüfung des Zusammenhangs zwischen soziodemographischen Einflussgrößen und Einstellungsvariablen erfolgt auf der Basis des multiplen Regressionsansatzes (hierarchische Methode). Bei der Verwendung von diversen Prädiktoren haben beide Verfahren den Vorteil, dass die Einflüsse aller im Modell enthaltenen Variablen gleichzeitig kontrolliert werden können. 6.5.1 Soziodemographische Einflüsse auf Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik Den soziodemographischen Indikatoren wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung beträchtliche Erklärungskraft hinsichtlich der zu erklärenden Phänomene zugeschrieben (vgl. Kap. 1.4; Kap. 2). Die Herausbildung von subjektiven Einstellungen ist allerdings in der Regel ein sehr komplexer Prozess, der von vielfältigen Faktoren determiniert wird. Bei der vorliegenden Regressionsanalyse wird geprüft, ob die Indikatoren – Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss, Haushaltseinkommen – sowie institutionelle Rahmenbedingungen – Ost- und Westdeutschland – die ausgewählten Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik signifikant beeinflussen und damit indirekt Einfluss auf die Wahl eines Familienmodells nehmen. Um die Erklärungskraft der verschiedenen soziodemographischen Größen detaillierter bestimmen zu können, wird die hierarchische Methode mittels Einschluss mit drei Blöcken unter Einbeziehung von zwei Interaktionstermen durchgeführt. Modell 1 beschränkt sich auf die Wirkung der Haupteffekte der ausgewählten soziodemographischen Variablen, in Modell 2 kommen zwei neu gebildete Interaktionsterme hinzu, während Modell 3 aufgrund der unterschiedlichen Entwicklung zwischen Westdeutschland und der ehemaligen DDR im Bereich Familie und Erwerbstätigkeit als weitere explizierte Variable das Erhebungsgebiet (neue und alte Bundesländer) enthält. Die drei Modelle beziehen sich 60
Im Unterschied zur einfachen linearen Regression werden somit keine Je-desto-Hypothesen direkt zwischen der abhängigen Variablen und dem Prädiktor formuliert, sondern zwischen dem Prädiktor und der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ereignis (Backhaus et al. 2006: 434).
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
123
in diesem Kontext nicht auf Merkmalssätze, die aufgrund statistischer Berechnungen ad hoc gebildet werden, sondern auf Merkmalsätze, die aufgrund einer a priori definierten theoretischen Reihenfolge in die Berechnung eingehen (Rudolf/Müller 2004: 71ff.). Die Bildung der beiden Interaktions- beziehungsweise Produktterme basiert auf der Annahme, dass die demographischen Indikatoren, Alter und Geschlecht, und die sozioökonomischen Indikatoren, Bildungsabschluss und Einkommen, nicht unabhängig voneinander auf die untersuchten Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik wirken. Es wird angenommen, dass die Wirkung des Alters auf die Einstellungsbildung durch das Geschlecht (Moderatorvariable) moderiert wird, in dem Sinne, dass auch mit zunehmendem Alter, Frauen eine modernere Einstellung zu Familie und Berufstätigkeit beibehalten als Männer. Der zweite Interaktionseffekt formuliert, ob die Wirkung des Einkommens durch das Bildungsniveau (Moderatorvariable) moderiert wird, unter der Annahme, dass Personen mit hohem Bildungsabschlüssen wie auch hohem Haushaltseinkommen eine traditionellere Einstellung im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf vertreten.61 Die Prädiktoren Alter und Einkommen verfügen damit über einen konditionalen Effekt auf die zu erklärende Einstellungsvariable. Da das lineare Modell die Prädiktoren jeweils unabhängig voneinander additiv einbezieht, kann die Interaktion mit der linearen Regressionsgleichung nicht modelliert werden. Entsprechend muss die Regressionsgleichung mit einem Interaktionsterm durch das Produkt der interagierenden Variablen als zusätzlicher Prädiktor ergänzt werden (Kühnel/Krebs 2006: 559; Aiken/West 1991: 9). Unter Berücksichtigung des Interaktionseffekts lautet die Regressionsgleichung: (1)
Interaktionsterm Demographie: Einstellung = b0 + b1 · Alter + b2 · Geschlecht + b3 · Alter · Geschlecht + Fehler
(2)
Interaktionsterm Sozioökonomischer Status: Einstellung = b0 + b1 · Einkommen + b2 · Bildung + b3 · Einkommen · Bildung + Fehler
Demnach wird getestet, ob die zwei neu gebildeten Interaktionsterme, Demographie und Sozioökonomischer Status, über die Haupteffekte der Prädiktoren – Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen – hinaus zusätzlich Varianz der jeweiligen zu erklärenden subjektiven Einstellungen explizieren können und ein Interaktionseffekt vorliegt (Aiken/West 1991: 9ff., 116-123). Ergänzend ist bei der Bildung eines Interaktionsterms zu beachten, dass die Multiplikation der beiden unabhängigen Variablen zur Erzeugung des Terms häufig hohe Multikollinearität zwischen den einzelnen Prädiktoren und dem Produktterm erzeugt. Um die Multikollinearität der beteiligten Variablen zu verhindern, werden die Prädiktoren vor Bildung des Terms zentriert (auf den Mittelwert von null gebracht = X – M) (Aiken/West 1991: 9ff.,
61
Dabei hängt die Wirkung der Variablen Alter von der Ausprägung der Variablen Geschlecht ab und die Wirkung des Einkommens Bildungsniveau. Der Moderator beeinflusst entweder die Richtung und/oder die Stärke des Zusammenhangs von Prädiktor und abhängiger Variable. Danach ergeben sich im Vergleich zu den Haupteffekten für die Prädiktoren andere Regressionskoeffizienten, da der Einfluss des Prädiktors auf die zu erklärende Variable von der Ausprägung der Moderatorvariable abhängt (Aiken/West 1991).
124
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
181f.). Des Weiteren muss bei Interaktionstermen der unstandardisierte Regressionskoeffizient interpretiert werden. In Tabelle 6.14 sind die Ergebnisse der Regressionsanalyse wiedergegeben. Insgesamt gesehen kann den soziodemographischen Einflussgrößen bei den ausgewählten Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik wenig Erklärungskraft zugeschrieben werden. Ausnahme bildet Index 2 über die Einstellung zum geschlechterspezifischen familialen Rollenbild. Deutlich mehr Erklärungskraft besitzt hingegen das Erhebungsgebiet. Dies weist daraufhin, dass die Einstellungsbildung im Spannungsfeld der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit von vielfältigen Faktoren beeinflusst ist und die getesteten soziodemographischen Merkmale nur einen schwachen Einfluss auf die verschiedenen Einstellungen besitzen. Trotz der geringen Erklärungskraft der ausgewählten Indikatoren können einzelne signifikante Einflussgrößen beim Index 1 – Familienleben leidet durch die Berufstätigkeit der Frau –, beim Index 2 – Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie – und den Items zum Umfang von Frauen- beziehungsweise Müttererwerbstätigkeit, je nach Status des Kindes, mittels der drei Modelle identifiziert werden. Demgegenüber liefern die ausgewählten Variablen beim Index 3 – Finanzielle Transferleistungen für Eltern – und den Items über die familiale Arbeitsteilung keinen nennenswerten Erklärungsbeitrag. Die drei Indizes sowie die Variablen zur Messung des Männeranteils an der Familienarbeit werden anhand einer 5er Skala (1 = stimme voll und ganz zu bis 5 = stimme überhaupt nicht zu) gemessen. Hingegen werden die drei Einstellungsvariablen zum Umfang der Erwerbsarbeit von Frauen, je nach Status der Kinder mittels einer 3er Skala (1 = ganztags arbeiten bis 3 = gar nicht arbeiten) bestimmt. Das Haushaltseinkommen wird linear transformiert und bemisst sich in 100-Euro-Schritten.
125
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Tab. 6.14: Regressionsanalyse (OLS): Einstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zu erklärende Variablen Variablen
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Familienleben leidet durch Berufstätigkeit der Frau Alter Geschlecht1
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
,312 *
,077
,155
,313 *
,077
Bildungsabschluss (S1)
,173 *
,035
,206
,174 *
,035
Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=644) Traditionelles Rollenverständnis von Frauen in Beruf/Familie Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=724) Finanzielle Transferleistungen für Eltern Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=427) Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=608) Männer sollten die Kinder mehr betreuen Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2
6,7% B -,017 * ,210 * ,214 *
Std. ,004 ,080 ,037
,004**
Beta -,174 ,098 ,239
,207
,149 *
,034
,177
,701 *
,095 13,8%
,276
Std. ,004 ,080 ,037 ,003
Beta -,174 ,098 ,235 ,119
B -,018 * ,212 * ,191 * ,009 *
Std. ,004 ,078 ,036 ,003
Beta -,184 ,099 ,213 ,152
-,004**
,002
-,109
-,005 * ,504 *
,002 ,101 16,2%
-,119 ,185
B
Std.
Beta
13,0%
Std.
Beta
B
Std.
Beta
,002
,092
,007 *
,002
,161
,005**
,002
,119
-,004**
,002
-,117
-,003** -,479 *
,001 ,080 6,3%
-,104 -,232
Std. ,004 ,080 ,036
2,6% B
Beta -,079 ,159
B -,016 * ,211 * ,210 * ,007**
0,6% B -,009** -,279 * -,087**
Std. ,003 ,074
6,5%
12,3% B
,156
B -,007** ,319 *
Std.
1,2% Beta -,099 -,140 -,104
B -,008** -,281 * -,090** ,006**
Std. ,004 ,080 ,036 ,003
Beta -,090 -,141 -,108 ,111
B -,008** -,281 * -,088** ,006**
Std. ,004 ,080 ,037 ,003
Beta -,087 -,141 -,105 ,107
-,005**
,002
-,124
-,005**
,002
-,122
3,3% Beta B Std. Beta B Keine signifikanten Effekte für dieses Item
3,2% Std.
Beta
126 Variablen Frauen sollten(...) arbeiten, wenn sie ver heiratet sind, aber keine Kinder haben Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=52) Frauen sollten (...) arbeiten, wenn ein Kind da ist, das nicht zur Schule geht Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=205) Frauen sollten (...) arbeiten, dann, wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht Alter Geschlecht1 Bildungsabschluss (S1) Haushaltseinkommen Term: Alter x Geschlecht Term: Einkommen x Bildung Erhebungsgebiet: West – Ost 2 R2 (N=149)
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Modell 1
Modell 2
Modell 3
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
,004 * -,052**
,001 ,025
,138 -,086
,004 * -,052**
,001 ,025
,137 -,087
,004 * -,053**
,001 ,028
,146 -,086
3,1%
2,8%
3,1
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
-,144 *
,049
-,121
-,145 *
,049
-,121
,005** -,142 *
,002 ,047
,086 -,119
-,498 *
,060 12%
-,330
1,3%
1,5%
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
B
Std.
Beta
,008 *
,002
,170
,008 *
,002
,174
,009 *
,002
,202
-,050 *
,019
-,118
-,051 *
,019
-,121
-,038**
,018
-,089
-,346**
,051 11,5
-,269
4,5%
4,6%
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002, eigene Berechnung; Signifikanz: *p ǂ ,01; **p ǂ ,05; Referenzkategorie: 1Männer; 2 Westen; Skalen, S1: 1= Kein Abschluss bis 5 = Abitur; Listenweiser Fallausschuss
Traditionelles Rollenverständnis von Frauen in Beruf und Familie (Index 2) Laut Modell 1 der Regressionsanalyse (vgl. Tab. 6.14) besitzt die Soziodemographie bei den Einstellungen über familiale geschlechterspezifische Leitbilder im Bundesgebiet mit 12,3 % einen zufrieden stellenden Anteil an Varianzaufklärung (Lengerer 2004b). Alle getesteten soziodemographischen Merkmale sind signifikant. Stärkste Einflussgröße ist der Bildungsabschluss. So verweist ein hohes Bildungsniveau auf ein modernes geschlechtsspezifisches Rollenverständnis in der Familie. Der Alterseffekt kann als weiterer zentraler Einfluss identifiziert werden. Ein fortschrittliches Rollenverständnis zwischen Mann und Frau in der Familie ist bei jüngeren Befragten erheblich stärker verbreitet als in älteren Generationen. Diese vertreten erwartungsgemäß eine traditionellere Einstellung hinsichtlich der geschlechtlichen familialen Rollenteilung. Das Haushaltseinkommen könnte theoretisch in beiderlei Richtung Effekte auf die Einstellung über das Rollenbild von Männer und Frauen haben (vgl. Modell 2 und 3). Interessanterweise bewirkt laut Regressionsanalyse ein hohes Haushaltseinkommen ein modernes Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern, während Befragte mit niedrigem Einkommen eher ein traditionelles Leitbild vertreten. Dies liegt möglicherweise daran, dass in Haushalten mit höheren Einkommen beide (Ehe-
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
127
)Partner erwerbstätig sind und größere Offenheit bezüglich einer modernen Arbeitsteilung besteht. Das Geschlecht übt ebenfalls einen Einfluss auf das familiale Leitbild aus. Erwartungsgemäß votieren Frauen stärker als Männer für eine moderne geschlechtliche Rollenverteilung in der Familie. Modell 2 der Regressionsanalyse, in dem die Interaktionseffekte aufgenommen sind, zeigt, dass der Interaktionsterm Sozioökonomischer Status einen signifikanten Einfluss hat. Die Varianzaufklärung steigt von 12,3 % auf 13 % an. Die Interaktion ist damit für 0,7 % der Varianz verantwortlich und erweist sich nur in geringem Maße als erklärungskräftig hinsichtlich des familialen Rollenbilds.62 Anhand des unstandardisierten Regressionskoeffizienten in Tabelle 6.14 ist erkennbar, dass der Interaktionseffekt zwischen Einkommen und Bildungsabschluss die vorherige Annahme bestätigt. Personen, die über ein hohes Bildungsniveau verfügen und einer hohen Einkommensklasse angehören, stimmen der traditionellen Rollenverteilung eher zu als Personen mit niedrigem Bildungsniveau. Dieses Ergebnis lässt die Annahme zu, dass ein hoher sozioökonomischer Status eher mit traditionellen Familienleitbildern einhergeht als ein niedriger Status. Dieser Effekt kann voraussichtlich darauf zurückgeführt werden, dass in Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status die Notwendigkeit besteht, dass beide (Ehe-)Partner zum Haushaltseinkommen beziehungsweise zur Existenzsicherung beitragen müssen. Nach der Kontrolle des Erhebungsgebiets durch das Modell 3, ergibt sich eine deutliche Verbesserung der Varianzaufklärung.63 Diese Änderung ist jeweils signifikant von Null verschieden. Die Ergebnisse weisen auf die zentrale Wirkung der institutionellen Kontextbedingungen bei der Leitbildprägung hin. Personen, die in den neuen Bundesländern wohnen, lehnen die traditionelle geschlechtliche Rollenverteilung in der Familie stärker ab als Befragte in den alten Bundesländern. Ost-West Vergleich Differenziert man die Analyse nach dem Erhebungsgebiet zeigt sich für Westdeutschland eine annähernd gleiche Varianzaufklärung durch die Soziodemographie wie für das gesamte Bundesgebiet (vgl. hierzu Anhang Tab. II.1 und Tab. II.2: Regressionsanalyse für Westund Ostdeutschland). Für Ostdeutschland erklärt das Modell 1 mehr Varianz (korrg. R2 15,2 %). Die Ergebnisse für die alten Bundesländer spiegeln den Trend im Bundesgebiet wider. Das Bildungsniveau ist stärkste Einflussgröße: ein hoher Bildungsabschluss begünstigt ein modernes familiales Leitbild. Das Alter als zweitgrößter Einflussfaktor unterstreicht die Beobachtung, dass jüngere Personen eher moderne Familienleitbilder präferieren. Interessanterweise hat das Bildungsniveau im Osten keinen signifikanten Einfluss auf das geschlechtsspezifische familiale Leitbild. Die altersspezifischen Differenzen verlaufen kongruent zum Westen. Jüngere Personen haben ein moderneres Familienleitbild als ältere 62
Nach Baltes-Götz (2006: 16f.) liegt eine Ursache für die geringen Interaktions-Effektstärken in vielen Studien an der mangelnden Reliabilität der Produktvariablen aus fehlerbehafteten Faktoren. Ein typischer Wert für sozialwissenschaftliche Studien liegt zwischen 3 % bis 4 % Varianzaufklärung für die Interaktion. Zur Verbesserung des Modells schlägt Baltes-Götz drei Maßnahmen vor: Zum einen die Steigerung der Primärvarianz bei den unabhängigen Variablen durch die Auswahl extremer Werte, zum zweiten das Bemühen um reliablere Messungen und zum dritten die Aufnahme weiterer Prädiktoren beziehungsweise die Einführung latenter Variablen im Modell, um den Zufallsmessfehler zu kontrollieren (Baltes-Götz 2006: 17). 63 Im vorliegenden Regressionsmodell wird das Erhebungsgebiet als weitere erklärende Variable herangezogen, um die Varianzaufklärung zu verbessern. Die Interpretationsregeln und Verfahren zum Interaktionseffekt bleiben allerdings unverändert (Baltes-Götz 2006: 24).
128
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
Generationen. Hingegen ist dem Geschlecht in den neuen Bundesländern ein signifikanter Einfluss zuzuschreiben. Die geschlechtsspezifische Differenzierung verdeutlicht, dass die traditionelle Orientierung bei Männern ausgeprägter ist als bei Frauen. Es fällt auf, dass zu den reinen Haupteffekten des Modells 1 die Einbeziehung des Interaktionseffekts Sozioökonomischer Status zu einer Verbesserung der Modellanpassung um 3,8 % in den neuen Bundesländern führt. Dieser Anstieg ist für sozialwissenschaftliche Studien ein typischer Wert (Baltes-Götz 2006: 16f.) und verweist darauf, dass im Osten ein deutlicher Trend zwischen hohem ökonomischen Status und klassischem Rollenverständnis besteht. Auch kann ein signifikanter Einfluss für die Interaktion zwischen Bildungsniveau und Einkommen in den alten Bundesländern nachgewiesen werden. Allerdings beträgt der Anteil zusätzlicher erklärter Varianz lediglich 0,5 % und ist damit statistisch unbedeutend. Zudem ist das Haushaltseinkommen im Modell 2 in beiden Teilen Deutschlands signifikant, wenn auch auf unterschiedlich hohem Niveau. Analog zu den Befunden im Bundesgebiet vertreten Personen mit hohen Haushaltseinkommen häufiger ein modernes geschlechterspezifisches Rollenverständnis. Familienleben leidet durch die Berufstätigkeit der Frau (Index 1) Die familien- beziehungsweise berufsbezogenen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland verweisen nach wie vor auf die mangelnde Kompatibilität beider Sphären. Insbesondere für Frauen besteht ein besonderes Spannungsfeld, da „Mutterschaft traditionell mit einem hohen moralischen Impetus“ in Verbindung steht, dem Kindeswohl größte Priorität einzuräumen und hierfür umfassend verfügbar zu sein (Mühling et al. 2006: 52). Vor diesem Hintergrund sind die soziodemographischen Effekte auf die Einstellung über negative Folgen für die Familie durch die Berufstätigkeit von Frauen beziehungsweise Müttern besonders interessant. Laut Modell 1 erklärt die Soziodemographie lediglich 6,2 % der Varianz. Dabei verfügt das Bildungsniveau neben dem Geschlecht noch über den stärksten Einfluss. Ein hoher Bildungsabschluss führt zu einer größeren Akzeptanz von Mutterschaft und Berufstätigkeit, ohne die befürchteten negativen Folgen für das Familienleben. Aus Sicht der Frauen lassen sich Berufstätigkeit und Familienleben gut vereinbaren, während Männer dies skeptischer betrachten. Offenkundig befürchten Männer eher eine Beeinträchtigung, obwohl sich die mangelnde Kompatibilität nicht in derselben Weise und Dringlichkeit auswirkt wie bei den Frauen. Die Zugehörigkeit zu einer höheren Altersgruppe spiegelt auch hier eine konservative Haltung wider. Jüngere Personen hingegen haben seltener pessimistische Vorstellungen über Erwerbstätigkeit und Mutterschaft und bezweifeln negative Folgen für das Familienleben. Das Haushaltseinkommen erweist sich indes als irrelevant. Nach der Kontrolle der Interaktionseffekte (Modell 2) reduziert sich der Erklärungsgehalt des Modells. Hingegen führt die Einbeziehung des Wohngebiets (Modell 3) zu einer deutlichen Verbesserung der Modellanpassung. Der Anteil der erklärten Varianz nimmt um 6,7 % zu und steigt auf 13,8 %. Es zeigt sich deutlich, dass Bürger und Bürgerinnen aus den neuen Bundesländern Beeinträchtigungen für das gemeinsame Familienleben durch die mütterliche Erwerbstätigkeit weitaus stärker bezweifeln als die westdeutsche Bevölkerung. Ost-West Vergleich Die Erklärungskraft der untersuchten soziodemographischen Indikatoren sinkt für Ostdeutschland (4,2 % beziehungsweise 6 %) deutlich ab, so dass diese als kaum noch erklärungsrelevant anzusehen sind (vgl. hierzu Anhang Tab. II.1 und Tab. II.2). Dagegen liegt in
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Westdeutschland die erklärte Varianz im Modell 2 immerhin noch bei 8 %. Die Ergebnisse zeigen signifikante Effekte für das Bildungsniveau und das Geschlecht. Es bestätigt sich für den Westen der bisherige Trend im Bundesgebiet: Frauen wie auch Personen mit höheren Bildungsabschlüssen bezweifeln häufiger Nachteile für das Familienleben durch die mütterliche Erwerbstätigkeit. Der geschlechtsspezifische Effekt gilt – zumindest auf niedrigerem Niveau – für die neuen Bundesländer. Einstellungen über finanzielle Transferleistungen für Eltern (Index 3) Die geringe Varianzaufklärung zeigt, dass soziodemographische Variablen wie auch Interaktionseffekte weder für das gesamte Bundesgebiet noch für Ost- beziehungsweise Westdeutschland einen nennenswerten Erklärungsbeitrag leisten hinsichtlich der getesteten Einstellung – Staatliche Transferleistungen für Eltern –. Als einziger signifikanter Effekt kann das Erhebungsgebiet (vgl. Tab. 6.14; Modell 3) identifiziert werden. Danach befürworten Ostdeutsche staatliche Transferleistungen für Eltern häufiger als Westdeutsche. Einstellungen über den Männeranteil an der Hausarbeit und Kindererziehung Soziodemographische Indikatoren und Interaktionsterme verfügen nur über sehr wenig Erklärungskraft hinsichtlich der Einstellungen über den Männeranteil an der Hausarbeit. Das Modell 3 (vgl. Tab. 6.14) der Regressionsanalyse, welches den Einfluss des Erhebungsgebiets expliziert, ist zudem nicht signifikant. Im Hinblick auf die Variablen – Einstellungen über den Männeranteil an der Kindererziehung – erweist sich das komplette Modell als nicht signifikant. Die getesteten Einflussfaktoren spielen bei den beiden vorliegenden Einstellungsitems über den Männeranteil an der Familienarbeit interessanterweise keine oder eine unbedeutende Rolle. Offensichtlich sind hier nicht erfasste Einflussgrößen maßgeblich oder auch, wie bereits in Kapitel 8 (vgl. Kap. 8.4.2) ausgeführt, wird bei der familialen Arbeitsteilung der Harmonie in der Partnerschaft mehr Gewicht eingeräumt (Rüling 2007: 107). Einstellungen zum Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen Den letzten untersuchten Bereich bilden die drei Einstellungsitems zum Umfang der Erwerbsarbeit von Frauen, in Abhängigkeit vom Status der Kinder (vgl. Tab. 6.14). Allen drei Items gemein ist die niedrige Varianzaufklärung durch die soziodemographischen Variablen für das gesamte Bundesgebiet wie auch für Ost- und Westdeutschland (vgl. Anhang Tab. II.1 und Tab. II.2). Augenscheinlich spielen auch hier andere Einflussgrößen eine gewichtigere Rolle. Um diesem Ergebnis zu entsprechen, wird die Interpretation der signifikanten Indikatoren, Alter, Geschlecht und Bildungsabschluss, zusammenfassend dargestellt und lediglich im Vergleich zu den bisherigen Ergebnissen eingeordnet. Zudem wird die Variable nach dem Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen ohne Kinder in Ermangelung an Aussagekraft nicht dokumentiert. Die Ergebnisse der Analyse bestätigen den bisherigen Trend: Personen höheren Alters sind erheblich skeptischer gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen beziehungsweise Müttern mit nichtschulpflichtigen wie auch schulpflichtigen Kindern. Dies entspricht eher der typischen Lebensgestaltung dieser Generationen. Ebenfalls gilt, dass Frauen mit Kindern im Vorschulalter oder im Schulalter einer gleichzeitigen Berufstätigkeit weniger kritisch gegenüber stehen als Männer. Überdies sehen Personen mit hohem Bildungsniveau zwi-
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schen der Ausübung einer Voll- oder Teilzeiterwerbstätigkeit und Mutterschaft keinen so großen Widerspruch wie geringer Qualifizierte. Interaktionseffekte liegen bei den jeweiligen Einstellungsitems zum Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen nicht vor. Allerdings führt das Erhebungsgebiet zu einer deutlichen Verbesserung der Modellanpassung bei den beiden Items über das Ausmaß der Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern im nicht schulpflichtigen (von 1,3 % auf 12 %) wie auch im schulpflichtigen Alter (von 4,5 % auf 11,5 %). Ostdeutsche sind weitaus häufiger der Meinung als Westdeutsche, dass Frauen mit Kindern im Vorschul- oder Schulalter ganztags respektive halbtags arbeiten sollten. Das Erhebungsgebiet verfügt damit über den stärksten Effekt (vgl. Tab 6.14: Modell 3). 6.5.2 Indirekte Effekte der Soziodemographie auf die Familienmodellwahl Die soziodemographischen Merkmale sind im Ganzen gesehen wenig erklärend hinsichtlich der ausgewählten Einstellungen im Feld der Vereinbarkeitsthematik. Der Einfluss von Alter, Geschlecht, Bildung und Haushaltseinkommen ist in der Regel kaum relevant. Einzige Ausnahme bildet das geschlechterspezifische familiale Leitbild. Ein im Verhältnis starker Effekt zeigt sich beim Erhebungsgebiet. Es ist davon auszugehen, dass in Ost- beziehungsweise in Westdeutschland zu leben, einen entscheidenden Einfluss auf die Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben hat. Die identifizierten Effekte lassen bei den Einstellungen über das geschlechtsspezifische Rollenbild insgesamt einen klaren Trend erkennen: Im Bundesgebiet und in Westdeutschland hat das Bildungsniveau den größten Einfluss auf die Leitbildprägung. Ein hoher Bildungsabschluss ist charakteristisch für eine fortschrittliche Einstellung hinsichtlich der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in der Familie. Dagegen übt der Bildungsabschluss in den neuen Bundesländern keinen Einfluss aus. Jüngere Befragte und Frauen lehnen das klassische Rollenbild in der Familie häufiger ab. Je höher die Altersklasse, um so eher ist das Familienleitbild von traditionellen respektive konservativen Bereichszuschreibungen geprägt. Die geschlechtsspezifische Differenzierung zeigt wiederum, dass eine traditionelle Orientierung bei Männern stärker ausgeprägt ist. Allerdings entfällt der geschlechtsspezifische Effekt in den alten Bundesländern. In beiden Teilen Deutschlands spielt das Haushaltseinkommen eine Rolle. In Haushalten, die höheren Einkommenskategorien angehören, findet sich häufiger ein modernes geschlechtliches Leitbild als in Haushalten mit niedrigen Einkommen. Dies liegt vermutlich daran, dass in Haushalten mit höheren Einkommen beide (Ehe-)Partner erwerbstätig sind und größere Offenheit bezüglich einer modernen Arbeitsteilung besteht. Einen Interaktionseffekt zwischen Haushaltseinkommen und Bildungsniveau kann hinsichtlich der Leitbildprägung festgestellt werden. Interessanterweise begünstigt ein hoher ökonomischer Status ein traditionelles geschlechterspezifisches Rollenverständnis in der Familie. Dieser Effekt fällt am deutlichsten in den neuen Bundesländern aus. Dieses Ergebnis steht den Haupteffekten von Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen gegenüber.
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Ostdeutsche tendieren häufiger zu modernen Haltungen hinsichtlich des Leitbilds als Westdeutsche. Unter Einbezug der Ergebnisse für alle untersuchten Einstellungen (signifikante Modelle) wird ebenfalls festgehalten: Männer wünschen sich häufiger als Frauen ein klassisches Familienleben beziehungsweise das traditionelle Ernährermodell. Neben dem Geschlechtereffekt existiert ein Generationeneffekt. Ältere Personen lehnen eine moderne familien- und berufsbezogene Vorstellung eher ab als die Jüngeren. Ein hohes Haushaltseinkommen sowie ein hohes Bildungsniveau erweisen sich als Indikatoren für eine moderne familien- und berufsbezogene Vorstellung. Interessanterweise lässt die Interaktion beider Variablen den Schluss zu, dass die Zustimmung zu traditionellen Vorstellungen mit steigendem sozioökonomischem Status ebenfalls wächst. Dieses Ergebnis verweist unter Umständen darauf, dass innerhalb dieser Gruppe die Notwendigkeit oder das Interesse an einer Berufstätigkeit der Frau nachlässt. Der Interaktionseffekt zwischen Alter und Geschlecht ergibt keinen signifikanten Effekt. Damit wird die Annahme zurückgewiesen, dass Frauen mit zunehmendem Alter eher eine moderne Einstellung über Familie und Berufstätigkeit vertreten als Männer. Modell 3 zeigt, dass die Variable – Erhebungsgebiet – einen deutlichen Erklärungsanteil beiträgt. Ostdeutsche tendieren insgesamt zu fortschrittlicheren familien- und berufsbezogenen Ansichten. Insgesamt gesehen untermauern die Ergebnisse die Annahme, dass bei der Bildung subjektiver Einstellungen eine Vielzahl von Faktoren maßgeblich ist. In Deutschland erklären die soziodemographischen Variablen auf der Individualebene nur wenig. Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen zeigen lediglich geringe Effekte. Insofern kann ein indirekter Effekt der Soziodemographie auf die Familienmodellwahl ausgeschlossen werden. Ausnahme bildet das geschlechtsspezifische familiale Leitbild. Die Erklärungskraft der soziodemographischen Indikatoren liegt immerhin bei 13 %. Die restlichen 87 % sind allerdings auf in der Regressionsgleichung nicht erfasste Einflussgrößen zurückzuführen. Dennoch ist das Ergebnis für sozialwissenschaftliche Studien ein typischer Wert und ein indirekter Einfluss auf die Familienmodellwahl kann bei den Indikatoren – Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen – hinsichtlich der geschlechterspezifischen familialen Leitbilder angenommen werden, wobei dem Bildungsabschluss die größte Bedeutung zukommt. Deutlich mehr Erklärungskraft besitzt zudem das Wohngebiet, so dass ein Ost-WestEffekt bei den Einstellungen zur Vereinbarkeitsthematik feststellbar ist. Dies gilt sowohl für die Einstellungen, die die Vereinbarkeit zwischen erwerbstätigen Müttern und Familienleben untersuchen als auch für jene über das familiale Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen in der Familie. 6.5.3 Multinomiales logistisches Regressionsmodell Die multinomiale logistische Regression (MLR) ist als eine Erweiterung der binären logistischen Regression zu verstehen. Im Gegensatz zur binären logistischen Regression wird
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das Verfahren der multinomialen Regression für polytome64 abhängige Variablen mit drei oder mehr Ausprägungskategorien eingesetzt und erlaubt die Analyse von mehrstufigen nominalskalierten Kriterien.65 Dementsprechend wird es auch als polytomische logistische Regression bezeichnet (Backhaus et al. 2006: 428; Norušis 2006: 43; Andreß et al. 1997: 299; Long 1997: 148ff.). Die Prädiktoren können bei der logistischen Regression metrisches oder nicht metrisches Skalenniveau aufweisen wie auch kategorial sein oder gemischt in die Analyse eingehen. Die logistische Regression gehört zu den strukturenprüfenden Verfahren. Ziel des Verfahrens ist die Schätzung des Effekts einer erklärenden unabhängigen Variable auf die Eintrittswahrscheinlichkeit beziehungsweise die Realisation einer betrachteten Kategorie der abhängigen Variable, in diesem Kontext der verschiedenen Familienmodelle (Backhaus et al. 2006: 428). Da die abhängige Variable mehr als zwei Ausprägungen hat, wird nicht wie bei der binären Regression nur ein Wahrscheinlichkeitsübergang geschätzt, sondern mehrere Übergänge, sogenannte Logits.66 Für das multinomiale Regressionsmodell gilt, dass beim Vorliegen einer abhängigen Variable mit I Ausprägungen insgesamt für I – 1 Gruppen die Eintrittswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von den intervallskalierten oder kategorialen Prädiktoren modelliert beziehungsweise geschätzt wird. Insofern besteht das multinomiale Logit-Modell aus mehreren binären Logit-Modellen, deren Anzahl von der Zahl der Ausprägungen der abhängigen Variablen bestimmt wird. Um die Interpretation der Regressionskoeffizienten herleiten zu können, wird die bedingte Eintrittswahrscheinlichkeit einer bestimmten Kategorie der abhängigen Variable im Verhältnis zu ihrer Referenzkategorie bestimmt. Die Auswahl der Referenzkategorie leitet sich aus den vorweg explizierten Hypothesen ab und basiert damit auf inhaltlichen Überlegungen (Backhaus et al. 2006: 471; Andreß et al. 1997: 300f.; Norušis 2006: 44; Long 1997: 150f.).67 Die Regressionskoeffizienten werden iterativ nach dem Maximum-LikelihoodVerfahren geschätzt. Im Unterschied zur binären Variante, die mit Individualdaten rechnet, fasst SPSS bei der multinomialen Variante Wertekombination der unabhängigen Variablen auf der Basis von aggregierten Daten zu einer Gruppe zusammen (Norušis 2006: 43). Da mehrere zu erklärende Zielkategorien der abhängigen Variable in Bezug zur gewählten Referenzkategorie berücksichtigt werden müssen, kann die Interpretation der Koeffizienten eines multinomialen Logit-Modells je nach Anzahl der Ausprägungen der vorhandenen abhängigen Variable sehr komplex sein und unübersichtlich werden. Zudem geht die logistische Regression davon aus, dass bei der Gegenüberstellung der abhängigen Variable mit dem im Datensatz vorhandenen Kovariaten- beziehungsweise Faktorenmuster68 64
Polytome Variablen sind somit kategorial und haben mehr als zwei Merkmalsausprägungen. Bilden die Kategorien der abhängigen Variable eine Reihenfolge, kann die ordinale logistische Regression verwendet werden (Andreß et al. 1997: 299). 66 Vor Bildung der Logits werden die sogenannten odds berechnet, die das Wahrscheinlichkeitsverhältnis des Eintretens beziehungsweise Nichteintretens hinsichtlich eines Ereignisses widerspiegeln. Es wird also nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit an sich bestimmt, sondern ihr Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit einer Referenzkategorie der abhängigen Variable. Das Wahrscheinlichkeitsverhältnis zeigt somit die Chance (Odd) auf, ob eine bestimmte Kombination der abhängigen Variable eintritt oder nicht eintritt. Durch das Logarithmieren ergeben sich die logits. Hierbei wird in der Regel der Logarithmus naturalis (ln) verwendet (Backhaus et al. 2006: 439ff.). 67 Zu den statistischen Details dieses recht komplexen Verfahrens vgl. Backhaus et al. (2006), Andreß et al. (1997) und Long (1997). 68 Die metrischen unabhängigen Variablen gehen als Kovariaten in die multinomiale logistische Regression ein und die nicht metrischen unabhängigen Variablen als Faktoren (Backhaus et al. 2006: 464). 65
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möglichst alle Zellen Merkmalskombinationen enthalten sollten (Backhaus et al. 2006: 469). Daher bietet sich eine inhaltlich angemessene Zusammenfassung der zu erklärenden abhängigen Variable – Familienmodelle – an. Das regressionsanalytische Modell müsste analog zur Definition der abhängigen Variable Familienmodelle (vgl. Tab. 6.1; Tab. 6.2) eine 11-fache Kategorisierung aufweisen. Da mit dieser sehr detaillierten Aufspaltung aufgrund zu geringer Fallzahlen beziehungsweise keiner Fälle in einzelnen Kategorien keine validen Ergebnisse erzielt und keine sinnvolle Interpretation möglich ist, wird die abhängige Variable Familienmodelle in drei zentrale Kategorien gefasst. Die zusammenfassende Darstellung der abhängigen Variable sowie die zugehörige Codierung sind in Tabelle 6.15 (vgl. Tab. 6.15) aufgeführt. Das Doppelverdienermodell III, welches in allen vier Varianten ein atypisches Beschäftigungsmuster zwischen den untersuchten (Ehe-)Paare widerspiegelt, entfällt. Die Ergebnisse des Kapitels 6.2 dokumentieren, dass es in der bundesdeutschen Gesellschaft so gut wie gar nicht vorkommt (vgl. Kap. 6.1; siehe auch Kap. 6.2). Ebenfalls wird das Doppelverdienermodell I/II, in den Varianten Frau in Vollzeit und Mann in langer beziehungsweise kurzer Teilzeit beschäftigt wie auch das Ernährermodell-Frau aufgrund mangelnder Relevanz nicht in das Modell mit aufgenommen. Tab. 6.15: Zusammenfassung der abhängigen Variable Familienmodelle Abhängige Variable: Familienmodelle Ernährermodell Ernährermodell Frau
Kategorie
Codierung
Ernährermodell
3
entfällt
Doppelkarrieremodell Beide Vollzeit
Doppelkarrieremodell
2
Mann Vollzeit – Frau kurze Teilzeit
Doppelverdienermodell
1
Frau Vollzeit – Mann kurze Teilzeit
entfällt
Doppelverdienermodell I
Doppelverdienermodell II Mann Vollzeit – Frau lange Teilzeit
Doppelverdienermodell
Frau Vollzeit – Mann lange Teilzeit
entfällt
1
Doppelverdienermodell III Beide kurze Teilzeit
entfällt
Beide lange Teilzeit
entfällt
Mann lange Teilzeit – Frau kurze Teilzeit
entfällt
Frau lange Teilzeit – Mann kurze Teilzeit
entfällt
Quelle: Lewis 2003: 37; eigene Darstellung
Das traditionelle Familienernährermodell bildet die Referenzkategorie, da bestimmt werden soll, welche Prädiktoren den Übergang zwischen Doppelverdienermodell I/II und Ernährermodell sowie zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell signifikant beeinflus-
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sen. Zu diesem Zweck wird beim Doppelverdienermodell I/II lange und kurze Teilzeit ebenfalls zusammengefasst. Da SPSS grundsätzlich die Kategorie mit der höchsten Ordnungszahl als Referenzkategorie festlegt, erhält das traditionelle Familienernährermodell entsprechend den höchsten Codierwert von drei, das Doppelkarrieremodell den Wert zwei und das Doppelverdienermodell I/II erhält den Wert eins (Backhaus et al. 2006: 472). Die zusammengefasste abhängige Variable – Familienmodelle – hat damit im vorliegenden multinomialen Logit-Modell insgesamt drei Ausprägungen. Demnach wird anschließend nicht nur ein Wahrscheinlichkeitsübergang von einer Ausprägung auf die andere geschätzt, sondern es werden insgesamt drei Übergänge zwischen jeweils zwei Gruppen geschätzt. Entsprechend werden drei Wahrscheinlichkeitsübergänge beziehungsweise Logits I · (I1) 2 zwischen jeweils zwei Gruppen definiert, wobei ein Logit aus den beiden anderen hergeleitet werden kann und damit redundant ist (Andreß et al. 1997: 301; Backhaus et al. 2006: 471). In Abbildung 4 ist der Zusammenhang zwischen den drei Logits graphisch verdeutlicht: Abb. 6.2: Multinomiales logistisches Regressionsmodell mit drei Logits
Quelle: Backhaus et al. 2006: 471; Norušis 2006: 44; Long 1997: 149; eigene Darstellung
Auf der Basis dieses Modells wird erklärt, welche der ausgewählten unabhängigen Variablen (x) – soziodemographischen Variablen, Erhebungsgebiet wie auch Indikatoren zur Messung individueller Einstellungen hinsichtlich der Berufstätigkeit von Frauen, der familialen Arbeitsteilung sowie der staatlichen Unterstützung von Eltern und institutionellen Rahmenbedingungen – Einfluss auf den Übergang oder die Wahl einer bestimmten Kategorie der abhängigen Variable, Familienmodelle, nehmen. Insgesamt gehen zwölf unabhängige Einflussvariablen in das Modell ein (vgl. Kap. 2). Tabelle 6.16 enthält die Variablenübersicht mit den jeweiligen Definitionen der Faktoren und Kovariaten, die im Modell verarbeitet werden. Da bei der multinomialen logistischen Regression für die unabhängigen kategorialen Einflussgrößen (Faktoren) ebenfalls eine Referenzkategorie festgelegt werden muss, ist diese bei den entsprechenden Faktoren jeweils in Klammern gesetzt (vgl. Tab. 6.16: jeweils der höchste Codierwert). Die Variablen v639 und v640 werden aufgrund statistischer Überlegungen umkodiert (Referenzkategorie enthält weniger als 25 Fälle). Die Indizes – Index 1, Index 2 und Index 3 – gehen als Kovariate in das Modell ein, so dass keine Referenzkategorie bestimmt wird. Die Zusammenstellung aller Variablen einschließlich Codierung und Referenzkategorie, die in das Modell eingehen, sind in der folgenden tabellarischen Übersicht (vgl. Tab. 6.16) aufgeführt.
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Tab. 6.16: Modellvariablen – unabhängige Einflussfaktoren auf Familienmodelle Variable / Einflussgrößen
Variablen ALLBUS/ ISSP 2002
Definition: Label – Kategorien
Soziodemographische Variablen Alter
v185
Lebensalter in Jahren
Geschlecht
v182
männlich = 1, (weiblich = 2)
Bundesland
v3
1 = Neue Bundesländer, (2 = Alte Bundesländer) umcodiert zum Allbus 2002
Bildungsabschluss
v187
1 = niedriger Bildungsabschluss, 2 = mittlerer Bildungsabschluss, (3 = hoher Bildungsabschluss)
Haushaltsnettoeinkommen
v441
monatliches Nettoeinkommen des Haushaltes/1000 Euro
Variablen zur Messung der Einstellungen zur Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben (ISSP) Index 1: Berufstätigkeit der Frau beeinträchtigt das Familienleben
v631 - v633
1 = stimme voll zu bis 5 = stimme gar nicht zu
Index 2: Traditionelles Rollen-bild der Frau in der Familie
v634 - v635
1 = stimme voll zu bis 5 = stimme gar nicht zu
Index 3: Staatliche Transferleistungen für berufstätige Eltern
v654 - v655
1 = stimme voll zu bis 5 = stimme gar nicht zu
Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen
v639
(5 = stimme voll zu), 4 = stimme zu, 3 = weder noch, 2 = stimme nicht zu, 1 = stimme gar nicht zu
Männer sollten die Kinder mehr betreuen
v640
(5 = stimme voll zu), 4 = stimme zu, 3 = weder noch, 2 = stimme nicht zu, 1 = stimme gar nicht zu
Frauen sollten...wenn sie verheiratet sind, aber noch keine Kinder haben
v642
1 = ganztags arbeiten, 2 = halbtags arbeiten, (3 = gar nicht arbeiten)
Frauen sollten...wenn ein Kind da ist, das noch nicht zur Schule geht
v643
1 = ganztags arbeiten, 2 = halbtags arbeiten, (3 = gar nicht arbeiten)
Frauen sollten...wenn auch das jüngste Kind zur Schule geht
v644
1 = ganztags arbeiten, 2 = halbtags arbeiten, (3 = gar nicht arbeiten)
Quelle: ALLBUS/ISSP 2002; eigene Zusammenstellung; Referenzkategorien der kategorialen unabhängigen Variablen in Klammern
6.5.4 Welche Indikatoren beeinflussen die Familienmodellwahl? Im folgenden Abschnitt wird nun erörtert, welche Einflussgrößen in Anlehnung an die dargestellten theoretischen Grundlagen (vgl. Kap. 1; Kap. 2) bei der Entscheidung für ein bestimmtes Familienmodell Determinationskraft besitzen und wie diese interpretiert wer-
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den können. Mit Hilfe der multinomialen logistischen Regression sind die Einflussfaktoren auf zwei verschiedene Wahrscheinlichkeitsübergänge hin untersucht worden: Es interessiert vor allem, welche der ausgewählten unabhängigen Variablen die Entscheidung zwischen dem Doppelkarrieremodell und dem traditionellen Familienernährermodell signifikant beeinflussen und jene, welche sich auf die Entscheidung zwischen dem Doppelverdienermodell I und II (in der Variante Mann in Vollzeit tätig und Frau in kurzer oder langer Teilzeit tätig) und dem traditionellen Modell auswirken. Das Modell enthält die Haupteffekte der Kovariaten und Faktoren, das heißt, es werden keine Kreuzeffekte zwischen den Prädiktoren bei dem zugrunde liegenden Modell geschätzt (Backhaus et al. 2006: 465). Die Präsentation der Ergebnisse (vgl. Tab. 6.17; Tab. 6.18) beinhaltet die Vorstellung der folgenden relevanten Parameterschätzer der Logit-Modelle: Regressionskoeffizient B, Standardfehler, Signifikanz, Exp(B), wie auch Statistiken, welche die Güte des Modells beschreiben. Die Interpretation erfolgt analog zum binären Logit-Modell. Anhand der verschiedenen Parameter können Wirkungsrichtung und Wirkungsstärke der Einflussvariablen auf den jeweiligen Wahrscheinlichkeitsübergang unter Modellierung der unabhängigen Einflussvariablen bestimmt werden (Backhaus et al. 2006: 475). Der Regressionskoeffizient B ist an sich inhaltlich schwer zu interpretieren, allerdings enthält B Informationen über die Wirkungsrichtung der verschiedenen Einflussvariablen. Positive Vorzeichen des Regressionskoeffizienten B weisen darauf hin, dass eine Zunahme bei der unabhängigen Einflussvariable die Realisierungschance einer Kategorie der abhängigen Variablen im Verhältnis zur Referenzkategorie erhöht. Negative Werte verringern demgegenüber die Realisierungschance der jeweiligen Einflussvariablen (Andreß et al. 1997: 302; Backhaus et al. 2006: 440f.). Zur Beurteilung der Wirkungsstärke der unabhängigen Einflussvariablen wird der Effektkoeffizient Exp(B) interpretiert. Für die einzelnen Logit-Modelle gibt dieser Wert an, um welchen Effekt beziehungsweise Faktor der jeweiligen unabhängigen Einflussvariable sich das Wahrscheinlichkeitsverhältnis zwischen der Referenzkategorie der abhängigen Variable (Familienernährermodell) gegenüber den beiden anderen Kategorien Doppelkarrieremodell oder Doppelverdienermodell verändert (Andreß et al. 1997: 302; Backhaus et al. 2006: 444, 475f.). Neben den geschätzten Regressionskoeffizienten und Effekten sind den beiden Tabellen 6.17 und 6.18 die Standardfehler der Regressionskoeffizienten und die Signifikanzen zu entnehmen. Die Signifikanzwerte der einzelnen Logit-Modelle werden auf der Basis der Wald-Teststatistik berechnet. Werte, die kleiner oder gleich 0,05 sind, zeigen einen signifikanten Beitrag der jeweiligen unabhängigen Variable im gesamten Modell an. Alle anderen Signifikanzwerte weisen darauf hin, dass die jeweilige unabhängige Variable keine Erklärungskraft hinsichtlich des geschätzten Gesamtmodells hat (Backhaus et al. 2006: 475). Die Erklärungskraft des Modells wird anhand der R-Quadrat-Statistik nach Nagelkerke69 geschätzt. Die erklärte Varianz gemäß Nagelkerke beträgt beim vorliegenden Modell 0,419 und kann somit als gut beurteilt werden. 41,9 % der Varianz bezüglich der Gruppen69 Pseudo-R2 nach Nagelkerke kann einen Maximalwert von eins annehmen, wobei nach Backhaus et al. (2006: 473) ein Wert ab 0,705 als sehr guter Wert bezeichnet werden kann.
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zugehörigkeit können auf die geschätzten Variablen zurückgeführt werden (Backhaus et al. 2006: 456, 473). Doppelkarrieremodell oder Ernährermodell Prüft man den Übergang zwischen traditionellem Familienernährermodell und Doppelkarrieremodell (vgl. Tab. 6.17) erweisen sich seitens der soziodemographischen Variablen das Haushaltseinkommen und zudem das Erhebungsgebiet, also Ost- oder Westdeutschland, als signifikante Einflussfaktoren. Hingegen haben das Geschlecht, das Alter und der Bildungsabschluss keinen Effekt auf die Entscheidung Doppelkarrieremodell oder traditionelles Ernährermodell bei (Ehe-)Paaren. Bei genauer Betrachtung der Effekte wird deutlich, dass das Bundesgebiet sogar einen hoch signifikanten Einfluss auf die Wahl eines Familienmodells hat. Befragte (Ehe-)Partner, die in Ostdeutschland wohnen, präferieren insgesamt knapp siebenmal häufiger (ExpB 6,812) das Doppelkarrieremodell im Gegensatz zum traditionellen Modell als Bürger und Bürgerinnen in Westdeutschland. Auch das Haushaltseinkommen verfügt über einen hoch signifikanten Einfluss auf die Entscheidung über ein bestimmtes Familienmodell. Laut Tabelle 6.17 erhöht sich die Chance für das Doppelkarrieremodell um den Faktor 1,3 (pro 1000 Euro) gegenüber dem traditionellen Ernährermodell bei steigendem Einkommen der (Ehe-)Partner. Allerdings verweist dieser niedrige Effektkoeffizient darauf hin, dass sich die Realisierungschance mit steigendem Einkommen zwischen beiden Familienmodellen lediglich geringfügig verändert (Backhaus et al. 2006: 476). Neben den soziodemographischen Effekten lassen sich auch bei den subjektiven Einstellungen im Bereich der Vereinbarkeitsthematik signifikante Wirkungen feststellen. Für die Entscheidung zwischen Doppelkarrieremodell und tradiertem Familienernährermodell spielen die folgenden subjektiven Einstellungen eine zentrale Rolle: Index 1: Familienleben leidet durch die Berufstätigkeit der Frau Index 2: Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie Item v639: Männer sollten mehr Hausarbeit übernehmen Item v640: Männer sollten mehr Kinderbetreuung übernehmen Ein schwach signifikanter Einfluss kann des Weiteren festgestellt werden bei den individuellen Einstellungen über den Umfang der Erwerbsarbeit von Frauen: Items v641: Frauen sollten – ganztags, halbtags oder gar nicht – arbeiten, wenn sie verheiratet sind, aber noch keine Kinder haben
Tab. 6.17: MLR: Maximum-Likelihood-Schätzung; Parameterschätzer: Doppelkarrieremodell – Ernährermodell
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Einen hoch signifikanten Einfluss auf die Familienmodellwahl haben die Einstellungen über die Auswirkungen auf das Familienleben durch die Berufstätigkeit von Frauen (Indexvariable 1). Der Effektkoeffizient von 1,875 signalisiert, das sich das Chancenverhältnis bei einem Anstieg des Indexwertes pro Skaleneinheit um das 1,9-fache zugunsten des Doppelkarrieremodells verändert, im Gegensatz zu den Befragten, die auf dem Index einen Punkt weniger haben. Damit entscheiden sich (Ehe-)Partner, die der Berufstätigkeit von Frauen positiv gegenüber stehen und deutlich weniger Nachteile für das Familienleben befürchten, häufiger für das Doppelkarrieremodell. (Ehe-)Partner, die eine Beeinträchtigung des Familienlebens vermuten, entscheiden sich entsprechend häufiger für das tradierte Ernährermodell. Die Einstellungen über das geschlechtsspezifische Rollenverständnis von Frauen in der Familie (Indexvariable 2) bilden ebenso eine signifikante Einflussgröße bei der Entscheidung für oder gegen das Familienernährermodell. Der Effektkoeffizient beträgt 1,574. Danach favorisieren (Ehe-)Partner, die einem traditionellen geschlechterspezifischen Rollenbild in der Familie kritisch gegenüber stehen, das Doppelkarrieremodell 1,6 mal häufiger (pro Anstieg des Indexwertes um eine Einheit) als das Ernährermodell. (Ehe-)Partner mit einem modernen familialen Rollenverständnis entscheiden sich damit weitaus häufiger für eine gleichzeitige Vollzeiterwerbstätigkeit. Betrachtet man die Einstellungen über den Männeranteil an der Hausarbeit, zeigen sich bei der Ausprägung, stimme gar nicht zu, stimme nicht zu und stimme zu, signifikante Einflüsse auf die Entscheidung für oder gegen eines der beiden Familienmodelle. Das Chancenverhältnis der relativen Häufigkeit zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell beträgt bei den befragten (Ehe-)Partnern, die vermehrter Hausarbeit von Männern gar nicht zustimmen, nur 0,046 (ca. 1/20) des entsprechenden Verhältnisses bei den Befragten, die voll zustimmen. Damit präferieren diejenigen (Ehe-)Partner, die einer Erhöhung des Männeranteils an der Hausarbeit gar nicht zustimmen, häufiger das traditionelle Ernährermodell als diejenigen, die sich für mehr Engagement der Männer bei der Hausarbeit aussprechen. Bei jenen Befragten, die einer Erhöhung des Männeranteils an der Hausarbeit nicht zustimmen, im Gegensatz zu jenen, die hier voll zustimmen, steigt die Präferenz (um den Faktor 0,164, ca. 1/6) für das Doppelkarrieremodell geringfügig. Des Weiteren ist die Entscheidung zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell bei den (Ehe-)Partnern, die eine höhere Beteiligung der Männer an der Hausarbeit befürworten, nur 0,142-fach (ca. 1 /7) höher als bei jenen, die voll zustimmen. Insofern hat die Einstellung zur männlichen Hausarbeit zwar einen signifikanten Einfluss auf die Entscheidung für eines der beiden Familienmodelle, allerdings ist die Stärke des Effekts eher gering. Im Hinblick auf das Item über den Männeranteil an der Kinderbetreuung lassen sich signifikante Effekte für zwei Kategorien – Männer sollten die Kinder mehr betreuen: stimme nicht zu und stimme zu – nachweisen. (Ehe-)Partner, die eine stärkere Beteiligung der Männer an der Kinderbetreuung ablehnen, präferieren 12mal häufiger das Doppelkarrieremodell im Gegensatz zum Ernährermodell als Befragte, die einer Erhöhung des Männeranteils voll zustimmen. Hingegen entscheiden sich Befragte, die einem höheren Männeranteil an der Kinderbetreuung befürworten, lediglich 5mal (ExpB 4,806) häufiger für das Doppelkarrieremodell als Befragte, welche voll zustimmen. Bei den Einstellungen zum Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen je nach Vorhandensein beziehungsweise Alter der Kinder gibt es lediglich bei dem Item, ob Frauen ohne Kinder ganztags, halbtags oder gar nicht arbeiten sollten, wenn sie verheiratet sind, einen
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schwach signifikanten Einfluss auf die Wahl eines der beiden Modelle. Der Effektkoeffizient beträgt 14,781. Danach entscheiden sich (Ehe-)Partner, die sich dafür aussprechen, dass Frauen ganztags arbeiten sollten, wenn keine Kinder vorhanden sind, 15mal häufiger für das Doppelkarrieremodell gegenüber Befragten, die sich für eine Teilzeittätigkeit von kinderlosen Frauen aussprechen. Doppelverdienermodell I/II oder Ernährermodell Die Entscheidung für das Doppelverdienermodell I/II – in den Varianten: Mann ist Vollzeit tätig und Frau in langer oder in kurzer Teilzeit – beziehungsweise alternativ für das traditionelle Familienernährermodell wird durch den Bildungsabschluss und das Haushaltseinkommen signifikant beeinflusst (vgl. Tab 6.18). Das Geschlecht und das Alter spielen wiederum keine Rolle hinsichtlich der Familienmodellwahl. Allerdings fällt auf, dass im Gegensatz zur Entscheidung zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell das Bundesland bei der Wahl Doppelverdienermodell I/II oder Ernährermodell keinen signifikanten Beitrag leistet. Dieses Ergebnis lässt sich voraussichtlich dadurch erklären, dass in Ostdeutschland beide (Ehe-)Partner nach wie vor überwiegend Vollzeit arbeiten, während die Teilzeitmodelle eine eher untergeordnete Rolle spielen und auch weitaus seltener gewünscht sind (vgl. Kap. 6.2). Auch das Haushaltseinkommen verfügt bei der Entscheidung für oder gegen eines der beiden Familienmodelle über einen hoch signifikanten Einfluss. Laut Tabelle 6.18 erhöht sich die Chance für das Doppelverdienermodell I/II gegenüber dem Familienernährermodell um den Faktor 1,2 (pro 1000 Euro) bei steigendem Haushaltsnettoeinkommen. Wie bereits vorab dargestellt, ist der niedrige Effektkoeffizient darauf hin zurückzuführen, dass sich die Realisierungschance mit steigendem Einkommen auch zwischen dem Doppelverdienermodell und dem traditionellen Modell nur geringfügig verändert (Backhaus et al. 2006: 476). Im Hinblick auf den Bildungsabschluss lässt sich feststellen, dass ein niedriger Bildungsabschluss den Entschluss gegen das Ernährermodell signifikant beeinflusst. Der Effektkoeffizient beträgt hier 2,436. So führt ein niedriger Bildungsabschluss 2,4mal häufiger zur Wahl des Doppelverdienermodells I/II gegenüber dem Ernährermodell als ein hoher Bildungsabschluss. Dieses Ergebnis steht möglicherweise damit in Zusammenhang, dass (Ehe-)Paare mit niedrigem Bildungsabschluss aufgrund der schlechteren Einkommenssituation häufiger auf einen doppelten Verdienst zur ökonomischen Existenzsicherungen angewiesen sind. Unklar bleibt, ob die Entscheidung für das Doppelverdienermodell tatsächlich der eigenen Präferenz entspricht oder ökonomisch erzwungen ist. Interessanterweise besteht bei der Wahl zwischen Doppelverdienermodell I/II und Ernährermodell nur bei den Einstellungen über das geschlechtsspezifische Rollenverständnis (Index 2) ein signifikanter Effekt. Der Effektkoeffizient von 1,529 deutet darauf hin, dass (Ehe-)Partner, die sich vermehrt gegen ein traditionelles Rollenbild von Frauen in der Familie aussprechen, sich 1,5mal häufiger für das Doppelverdienermodell I/II entscheiden als diejenigen, die ein traditionelles geschlechterspezifisches Rollenbild befürworten. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass ein modernes Rollenverständnis die Erwerbstätigkeit der Frau, ob Vollzeit oder Teilzeit, begünstigt. Tab. 6.18: MLR: Maximum-Likelihood-Schätzung; Parameterschätzer: Doppelverdienermodell I/II - Ernährermodell
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6.5.5 Ergebnis III: Direkte und indirekte Einflüsse auf die Familienmodellwahl Betrachtet man die untersuchten Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben zeigen sich deutliche Modernisierungsprozesse: Das traditionelle familiale Rollenbild hat erheblich an Bedeutung eingebüßt und die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern, zumindest die Ausübung einer Teilzeitarbeit, stößt auf Zustimmung in der Gesellschaft. Auch dominiert in der Bevölkerung die Auffassung, dass Männer sich verstärkt an der Familienarbeit beteiligen sollten. Auffällig ist, dass trotz dieser modernen Meinungsbekundungen Bürger und Bürgerinnen in den alten Bundesländern befürchten, dass das Familienleben leidet, wenn Mütter beziehungsweise Frauen berufstätig sind. Danach stößt insbesondere in Westdeutschland die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern auf erhebliche Vorbehalte in der Bevölkerung, während sie in Ostdeutschland viel häufiger akzeptiert ist. Es scheint so, dass zum einen moderne familiale Rollenbilder durchaus vertreten werden, zum anderen die daraus resultierenden Folgen für das Familienleben zumindest im Westen als negativ bewertet werden. Interessanterweise spielen die Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben eine zentrale Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell. Insbesondere moderne Einstellungen hinsichtlich des familialen Leitbildes sowie gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen beeinflussen die Entscheidung für das Doppelkarrieremodell und scheinen maßgeblich bei der Ablösung des tradierten Ernährermodells. Es fällt auf, dass (Ehe-)Paare, die tendenziell das Doppelkarrieremodell wählen, Männer verstärkt in der Verantwortung sehen, sich an der Hausarbeit zu beteiligen gegenüber jenen, die das Ernährermodell favorisieren. Dieser Effekt besteht allerdings nicht bei der Kindererziehung. Möglicherweise teilen sich vollzeiterwerbstätige Eltern die Kindererziehung vermehrt auf. Betrachtet man die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelverdienermodell wirkt sich eine moderne familienbezogene Einstellung positiv auf die Entscheidung für eine Teilzeittätig von Frauen aus. Danach kann die Hypothese H2.5, dass die Entscheidung zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell nach den Einstellungen über das familiale Rollenbild wie auch über die Berufstätigkeit von Frauen und Familienleben differiert, bestätigt werden. Neben den Einstellungen haben vor allem die institutionellen Rahmenbedingungen einen deutlichen Effekt auf die Familienmodellwahl. Ein starker direkter Effekt zeigt sich beim Erhebungsgebiet. Es ist davon auszugehen, dass in Ost- beziehungsweise in Westdeutschland zu leben, einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung zwischen Doppelkarrieremodell und Ernährermodell hat. Die Hypothese H2.6 kann für diese beiden Familienmodelle bestätigt werden. Danach entscheiden sich (Ehe-)Paare in den neuen Bundesländern weitaus häufiger für das Doppelkarrieremodell. Aber auch die vereinbarkeitsorientierten Einstellungen werden durch das Erhebungsgebiet beeinflusst, so das bei den institutionellen Rahmenbedingungen von einem partiellen Meditationseffekt gesprochen werden kann. Weniger maßgeblich für die Familienmodellwahl ist die Soziodemographie. Offensichtlich spielen bei der Bildung subjektiver Einstellungen wie auch bei der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell die ausgewählten soziodemographischen Faktoren keine zentrale Rolle. Die Hypothesen H2.1 bis H2.4 werden damit zurückgewiesen. Insofern kann ein indirekter Effekt der Soziodemographie auf die Familienmodellwahl ausgeschlossen werden. Aber auch der Effekt des Haushaltseinkommens ist kritisch zu
6 Datenanalyse I: ALLBUS 1988 - ALLBUS/ISSP 2002
145
sehen, da die Wirkung nicht eindeutig zu interpretieren ist. Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass das Haushaltseinkommen nicht entsprechend der Haushaltsmitglieder gewichtet wurde. Ausnahme bildet in diesem Kontext das geschlechtsspezifische familiale Leitbild. Es kann ein indirekter Einfluss auf die Familienmodellwahl bei den Indikatoren – Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen – hinsichtlich der geschlechterspezifischen familialen Leitbilder festgestellt werden, wobei dem Bildungsabschluss die größte Bedeutung zukommt. Damit liegt ein totaler Mediationseffekt vor. Offenkundig bilden subjektive Einstellungen, insbesondere zum familialen Rollenbild, wie auch die institutionellen Rahmenbedingen entscheidende Einflussgrößen bei der Familienmodellwahl.
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Vor dem Hintergrund wachsender Relevanz von Familienpolitik und der nach wie vor bestehenden Kausalitätsproblematik hinsichtlich Zielsetzung und Wirksamkeit familienpolitischer Interventionen scheint es notwendig, den Blick auf deren Bewertung in der Bevölkerung zu richten. In Anlehnung an die in Kapitel 4 (vgl. Kap. 4) explizierte These, dass Familienpolitik in Deutschland familiäre Entscheidungen beeinflusst, allerdings handlungstheoretische Ansätze der einzelnen Personen sowie genaue Ursache-Wirkungszusammenhänge noch ungeklärt sind, wird eine explorative Untersuchung anhand folgender Fragen (vgl. Kap. 4) durchgeführt: 3.1 3.2 3.3
3.4 3.5
Wie bewerten die Bürger und Bürgerinnen den staatlichen Einfluss auf das Familienleben? Welche Erwartungen werden an den Staat als familienpolitischen Akteur wie auch an private Akteure gestellt? Welche Einstellungen bestehen im Hinblick auf verschiedene familienpolitische Maßnahmen beziehungsweise in welchen Bereichen besteht aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen vordringlich Handlungsbedarf? Welche Einstellungen und Erwartungen bestehen hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre? Wie ist die Wirksamkeit bestehender familienpolitischer Maßnahmen einzuschätzen?
Bisherige empirische Befunde über Einstellungen zur Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland verweisen auf die hohe Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat als Ganzes (Glatzer 2007; Krömmelbein et al. 2005; Andreß et al. 2001; Ullrich 2000; Noll/Christoph 2004; Andreß/Heien 2004). Dies untermauern insbesondere die Ergebnisse der „Allgemeinen Bevölkerungsbefragung der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) und des „International Social Survey Programme“ (ISSP), die seit 1984 in ihren Untersuchungen Fragen nach sozialer Ungleichheit und Wohlfahrtsstaatlichkeit einen zentralen Stellenwert einräumen (Noll/Christoph 2004; Andreß/Heien 2004). Allerdings kann nach Lengerer (2004b: 389) die breite Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat nicht ohne weiteres auf die unterschiedlichen Teilbereiche übertragen werden. Insofern ist „der Aussagewert einer nach einzelnen Leistungssystemen differenzierten Betrachtungsweise (...) daher höher einzuschätzen als die bloße Messung globaler Akzeptanz“ (Lengerer 2004b: 389). Grundsätzlich kann Familienpolitik in einer wohlfahrtsstaatlichen Betrachtung als eine eigenständige Dimension des Wohlfahrtsstaates angesehen werden (vgl. Kap. 1.2). Für diesen Teilbereich gilt Folgendes: Empirische Erkenntnisse zur Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur sowie zu den Erwartungen an Familienpolitik in der Bevölkerung gibt es bislang nur wenige. Diese kommen, wie die Auswertung der deutschen Population Policy Acceptance Study (PPAS) und die des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), zu dem einheitlichen Ergebnis, dass die Erwartungen an den Staat als Akteur wie auch an
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
147
Familienpolitik beziehungsweise familienpolitische Maßnahmen in der Bevölkerung generell sehr hoch sind (Dorbritz et al. 2005: 40f.; Dorbritz 1999: 226-242; Dorbritz/Fux 1997; Spieß 2004: 537-544; Institut für Demoskopie Allensbach 2005: 1-19). Sowohl finanzielle Leistungen als auch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben stoßen auf breite Zustimmung in der Bevölkerung. Flexibilisierung der Arbeitszeiten, variable Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse und Ganztagesbetreuung für Kinder bilden a priori erwünschte Maßnahmen. Nach wie vor sind dabei Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland festzustellen: Die Bürger und Bürgerinnen der neuen Bundesländer richten insgesamt höhere Erwartungen an die Familienpolitik und befürworten vor allem den Ausbau der öffentlichen Betreuungsinfrastruktur für Kinder. Im Vergleich dazu sind die Westdeutschen stärker an einer sequenziellen Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben interessiert und wünschen sich neben finanziellen Transferleistungen besonders reduzierte oder flexiblere Arbeitszeitmodelle (BiB 2006: 60ff.; Lengerer 2004b: 390ff.). Die vorliegende Teilauswertung des Fragebogens – Impact of Family Policy on Family Life – beleuchtet zunächst die Rolle des Staates als familienpolitischer Akteur aus Sicht der Befragten (European Commission 2004; Hantrais 2004). Im Anschluss daran werden die Erwartungen an und die Einstellungen zu familienpolitischen Leistungen (unter Einbezug der PPAS-Studie70) in das Zentrum der Analyse gestellt, wobei auch einzelne monetäre Leistungen wie das Kindergeld sowie das bisherige Erziehungsgeld genauer untersucht werden. Zur weiteren Exploration werden in einem dritten Schritt die Einstellungen zu Arbeitssphäre und Familienleben näher beleuchtet. Unter Berücksichtigung der Frage, welche alternativen privaten Akteure aus Sicht der Befragten ebenfalls Verantwortung für den Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben übernehmen sollten, erhält die Rolle der Arbeitgeber (unter Einbezug der Ergebnisse des Sozio-oekonomischen Panels SOEP71) besondere Aufmerksamkeit. Das letzte Kapitel greift den Aspekt der Wirksamkeit familienpolitischer Maßnahmen hinsichtlich der Familienmodellwahl anhand von Analysen auf. Es werden die relevanten familienpolitischen Maßnahmen und deren Wirkung auf die Familienmodellwahl unter Berücksichtigung der Kurzstudie des Instituts für Demoskopie Allensbach über die Einstellungen junger Männer zu Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlichkeit im Betrieb analysiert (Institut für Demoskopie Allensbach 2005). Letztendlich werden im Fazit die Teilergebnisse unter dem Blickwinkel ihrer Wirkung auf die Familienmodellwahl zusammengeführt und Schlussfolgerungen für die verschiedenen Akteure im Bereich Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben abgeleitet. Aufgrund des geringen Stichprobenumfangs der Studie – Impact of Family Policy on Family Life – beschränkt sich die Analyse auf eine deskriptive Darstellung, die keine Repräsentativität der Ergebnisse beansprucht. Zur Frage der vorab explizierten Konvergenz der Einstellungen in Ost- und Westdeutschland wird auf die PPAS-Studie (Lengerer 2003) verwiesen, da aufgrund der niedrigen Fallzahl eine nach Ost- und Westdeutschland differenzierte Analyse nicht sinnvoll erscheint. 70
Zum Studiendesign und zur Methodik der deutschen Population Policy Acceptance Study (PPAS) vgl. Lengerer (2003: 25-30). 71 Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist ein Survey, der für die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Grundlagenforschung Daten erhebt und bereitstellt mit Sitz am DIW Berlin. Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland, die im jährlichen Rhythmus seit 1984 bei denselben Personen und Familien in der Bundesrepublik durchgeführt wird (zur weiteren Information über das SOEP vgl. http://www.diw.de).
148
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
7.1 Der Staat als familienpolitischer Akteur Zunächst kann die eingangs gestellte Frage, wie die Bürger und Bürgerinnen die Rolle des Staates als familienpolitischen Akteur beurteilen, folgendermaßen kurz beantwortet werden: Die Mehrheit der befragten Personen in der vorliegenden Stichprobe konstatiert dem Staat einen Einfluss auf das Familienleben und bestätigt damit seine Rolle als wichtigen Akteur im Feld Familienpolitik. Abb. 7.1: Einfluss des Staates auf Familienleben
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
Die Einstellungen zwischen (Ehe-)Paaren und Nicht-(Ehe-)Paare, also den Ledigen, Geschiedenen und Verwitweten, die ohne Partner leben, unterscheiden sich in dieser Gesamteinschätzung lediglich graduell voneinander. Die (Ehe-)Partner weisen dem Staat häufiger eine Einflussnahme zu als die übrigen Befragten. Betrachtet man die Bewertungen über Umfang und Ausmaß staatlicher Einflussnahme auf das Familienleben, sprechen 36,6 % der befragten (Ehe-)Partner dem Staat als familienpolitischen Akteur einen großen oder sehr großen Einfluss auf das Familienleben zu (Abb. 7.2). Weitere 34,6 % schätzen den Einfluss immerhin noch als mittelmäßig ein. Hingegen konstatieren lediglich 28,8 % dem Staat einen geringen Einfluss auf das Familienleben. Die Gruppe der allein Lebenden und die der (Ehe-)Paare unterscheiden sich in ihrer Einschätzung nur geringfügig voneinander. In der Tendenz schreiben (Ehe-)Paare dem Staat etwas mehr Einfluss zu.
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
149
Abb. 7.2: Umfang staatlicher Einflussnahme auf das Familienleben
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass dem Staat als Akteur im Bereich Familienpolitik vonseiten der Befragten eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Damit liegen die subjektiven Einstellungen der befragten Personen im bundesweiten Trend generell hoher Erwartungen an den Staat als Hauptakteur im Feld Familienpolitik (Dorbritz et al. 2005; Lengerer 2004b; Dorbritz 1999; Dorbritz/Fux 1997). Welche Erwartungen konkret an den Staat respektive an familienpolitische Maßnahmen gerichtet werden, zeigt das folgende Kapitel (vgl. Kap. 7.1.1). 7.1.1 Erwartungen an den Staat als Akteur in der Familienpolitik Zieldimensionen familienpolitischer Maßnahmen sind zum einen das Ausmaß an sozioökonomischer Sicherheit, zum anderen die Herstellung gleicher Lebensbedingungen für Familien (Lengerer 2004b: 390; Roller 1992; Wingen 1997). Die Analyse der Einstellungen zu beziehungsweise die Erwartungen der Befragten an Familienpolitik lässt sich nach diesen beiden Zieldimensionen differenzieren. Tabelle 7.1 zeigt auf deskriptiver Ebene die Erwartungen der Befragten an familienpolitische Maßnahmen, welche auf die Gleichheit der Lebensbedingungen für Familien zielen. Interessanterweise fällt das Ergebnis sehr eindeutig aus: Die überwiegende Mehrheit der Befragten (Ehe-)Paare wie auch die Gruppe ohne Partnerschaft befürwortet die Herstellung gleicher Lebensbedingungen für Familien.
150
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Tab. 7.1: Erwartungen an Familienpolitik Bitte geben Sie an, ob der Staat unterstützend aktiv sein sollte oder nicht (Ehe)- Paare n= 169, Nicht-(Ehe-)Paare n=78
Ja
Nein
NichtPaare Paar Prozent
NichtPaare Paar Prozent
Weiß nicht NichtPaare Paar Prozent
Sollte der Staat Familien, in ihrem Wunsch Kinder zu bekommen, unterstützen?
77,5
66,7
20,7
26,9
1,8
6,4
Sollte der Staat Paare darin unterstützen, zu heiraten, wenn sie Kinder haben wollen?
39,6
23,1
53,8
70,5
6,5
6,4
Sollte der Staat vor allem bedürftige/ arme Familien stärker unterstützen?
79,5
79,5
14,5
15,4
6,0
5,1
Sollte der Staat alle Familientypen in gleicher Weise unterstützen?
30,7
27,3
62,0
64,9
7,2
7,8
Sollte der Staat vor allem Alleinerziehende stärker unterstützen?
65,7
75,6
30,1
19,2
4,2
5,2
Sollte der Staat vor allem kinderreiche Familien stärker unterstützen?
66,9
71,8
28,3
21,8
4,8
6,4
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
So sprechen sich jeweils 79,5 % der (Ehe-)Partner wie auch der allein Lebenden dafür aus, dass der Staat vor allem bedürftige Familien unterstützen sollte. Immerhin noch über 65 % der (Ehe-)Paare und über 70 % der Befragten ohne Partnerschaft plädieren für eine stärke Unterstützung von Alleinerziehenden und kinderreichen Familien. Komplementär zu diesem Ergebnis begrüßt nur circa ein Drittel der befragten Personen die gleiche Förderung aller Familientypen. Insgesamt unterscheiden sich die Einstellungen von (Ehe-)Paaren und allein Lebenden lediglich geringfügig: (Ehe-)Paare unterstützen die besondere Förderung von Alleinerziehenden und kinderreichen Familien etwas weniger stark als allein Lebende. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Familien, zunächst in der Befragungsgruppe, auf große Akzeptanz stößt. Aber auch im Hinblick auf den Kinderwunsch und die Lebensform Ehe zeigt sich das Anliegen der Befragten nach gleichwertigen Bedingungen.72 Zwar wünschen sich die befragten Personen (Paare 77,5 %, Ledige 66,7 %) mehrheitlich stärkere staatliche Unterstützung bei der Realisierung des Kinderwunsches, allerdings sollte diese Unterstützung unabhängig von der gewählten Lebensform sein. Entsprechend erhalten Maßnahmen, welche die gezielte Förderung der Ehe, insbesondere bei bestehendem Kinderwunsch, beinhalten, deutlich weniger Zustimmung. Knapp 70,5 % der (Ehe-)Paare und 53,8 % der allein Lebenden plädieren gegen die explizite Förderung der Ehe, wenn ein Paar Kinder haben möchte. Erwartungsgemäß zeigt sich, dass (Ehe-)Partner einer Begünstigung der Ehe mit 54 % im Vergleich zur gesamten Befragungsgruppe etwas weniger ablehnend gegenüberstehen.
72
An dieser Stelle wird darauf verwiesen, dass die Frage nach der Realisierung des Kinderwunsches oder bestimmter Formen familialen Zusammenlebens nicht Ziel dieser Analyse ist und aufgrund dessen nicht weiter ausgeführt wird. Im Hinblick auf empirische Studien über den Zusammenhang von Familienpolitik und Kinderwunsch vgl. beispielsweise Klein (2006) und Stöbel-Richter/Brähler (2008).
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
151
Obwohl auf der Basis der Untersuchung keine repräsentativen Schlüsse gezogen werden können, verweist das Ergebnis in der Konsequenz auf die Bedeutsamkeit bedarfsgerecht gestalteter familienpolitischer Maßnahmen. 7.1.2 Einstellungen zu familienpolitischen Maßnahmen Zur vertiefenden Exploration, welche Erwartungen seitens der Bürger und Bürgerinnen konkret an familienpolitische Maßnahmen gestellt werden, wird auf die Auswertung der PPAS-Studie aus dem Jahr 2003 zurückgegriffen. Insgesamt wurden 4110 der 20- bis 65jährigen Deutschen verschiedene familienpolitischen Maßnahmen vorgelegt, deren Umsetzung sie mittels einer 5-stufigen Skala befürworten oder ablehnen sollten. Die Liste der Maßnahmen umfasst sowohl bereits bestehende wie auch neu einzuführende Leistungen (Lengerer 2004b: 391), die den beiden zentralen familienpolitischen Zieldimensionen – sozioökonomische Sicherheit und Herstellung gleicher Lebensbedingungen für Familien – zuzuordnen sind (vgl. Kap. 1.2). Die einzelnen Maßnahmen sowie deren Bewertung sind Tabelle 7.2 zu entnehmen, wobei nur der Grad an Zustimmung, also Befragte, die sehr dafür beziehungsweise eher dafür sind, dass eine Maßnahme durchgeführt wird, ausgewiesen ist. Die Ergebnisse dokumentieren die hohen Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen an die Familienpolitik. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen – sowohl die finanziellen als auch jene zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben – erhalten mehrheitlich große Zustimmung (vgl. Tab. 7.2). Rang eins der Prioritätenliste belegen mit jeweils knapp 90 % familienpolitische Maßnahmen, die auf die bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben abstellen. Hierzu gehören mehr und bessere Teilzeitmöglichkeiten für Eltern mit Kindern sowie flexiblere Arbeitszeiten für berufstätige Eltern mit kleinen Kindern. Ebenfalls stark nachgefragt wird der Ausbau von Tagesbetreuungsmöglichkeiten für Kinder aller Altersstufen. Allen voran geht den Befragten (88,5 %) die Tagesbetreuung für Kinder ab drei Jahren bis zur Einschulung. Aber auch Ganztagsbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sowie Hortplätze für Schulkinder vor und nach der Schule wie auch in den Ferien stoßen mit über 80 % Zustimmung auf positive Resonanz. Diese Ergebnisse verdeutlichen den hohen Bedarf an Kinderbetreuung in allen Altersgruppen. Hohe Zustimmung erhalten darüber hinaus geldwerte Leistungen. Bei den finanziellen Transferleistungen wird eine geringere Steuerbeteiligung von Eltern minderjähriger Kinder mit 85,9 % am stärksten befürwortet. Interessanterweise spricht sich aber auch eine deutliche Mehrheit von 83,8 % für einen einkommensabhängigen Zuschuss an Familien aus. Dies verweist darauf, dass die Kritik an der deutschen Familienpolitik, finanzielle Leistungen nach dem „Gießkannen-Prinzip“ auszuschütten, vonseiten der Befragten antizipiert wird (vgl. Kap. 3.2). Die Bürger und Bürgerinnen plädieren hier eindeutig für bedarfsgerechte Transferleistungen hinsichtlich der ökonomischen Existenzsicherung und stärken damit die Akzeptanz von Maßnahmen zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen für alle Familien.
152
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Tab. 7.2: Bewertung familienpolitischer Maßnahmen im Bundesgebiet Frauen und Männer 20 – 65 Jahre Rangfolge möglicher familienpolitischer Maßnahmen
Zustimmung zu %
Mehr und bessere Teilzeitmöglichkeiten für Eltern mit Kindern
89,4
Flexiblere Arbeitszeiten für berufstätige Eltern mit kleinen Kindern
89,3
Bessere Möglichkeiten für Tagesbetreuung von Kindern ab drei Jahren bis zum Schulalter
88,5
Niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern für Eltern minderjähriger Kinder
85,9
Finanzieller Zuschuss für Familien mit Kindern, dessen Höhe vom Familieneinkommen abhängig ist
83,8
Bessere Regelungen zum Mutterschaftsurlaub für berufstätige Frauen
82,9
Finanzielle Unterstützung für Mütter oder Väter, die ihre Berufstätigkeit aufgeben, weil sie sich um ihre Kinder kümmern möchten, solange diese klein sind
81,7
Bessere Möglichkeiten zur Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren
81,3
Betreuungseinrichtungen für Kinder im Schulalter vor und nach der Schule und in den Schulferien
81,2
Verbesserung der Wohnsituation für Familien mit Kindern
77,1
Starke Verringerung der Ausbildungskosten
74,4
Beträchtlicher Anstieg des Kindergeldes auf 250 Euro pro Kind und Monat
73,9
Finanzieller Zuschuss bei der Geburt eines Kindes
70,8
Quelle: BiB 2003: Population Policy Acceptance Study 2003; Lengerer 2004b: 391; eigene Darstellung
Ferner ist in diesem Kontext hervorzuheben, dass die finanziellen Leistungen auch dann einen hohen Stellenwert einnehmen, wenn ein Elternteil die eigene Berufstätigkeit zugunsten der Kindererziehung aufgibt. 81,7 % befürworten in diesem Fall finanzielle Unterstützung. Insofern kann das zum 01.01.2007 eingeführte Elterngeld, welches einen einkommenssubstituierenden Charakter hat, als wichtige Maßnahme bewertet werden (BMFSFJ 2007b). Immerhin noch hohe, aber in Relation gesehen geringere Zustimmung erhalten Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der Wohnsituation von Familien sowie auf niedrigere Ausbildungskosten abzielen. Bemerkenswert ist, dass ein beträchtlicher Anstieg des Kindergeldes auf 250 Euro pro Monat und ein finanzieller Zuschuss bei der Geburt eines Kindes lediglich 73,9 % beziehungsweise 70,8 % an Zustimmung erhalten und damit die letzten Ränge der familienpolitischen Prioritätenliste bekleiden. Dieses Ergebnis verweist auf die hohe Relevanz kontinuierlicher wie auch ausreichend hoher monetärer Transferleistungen, wie beispielsweise Steuererleichterungen oder das Elterngeld, da sie auf eine dauerhaft stabile Existenzsicherung von Familien abzielen. Dies würde weder durch einmalige finanzielle Zuschüsse, beispielsweise bei der Geburt eines Kindes, noch durch die alleinige Erhöhung des Kindergeldes zu gewährleisten sein. Lengerer (2004b: 391f.) differenziert in ihrer Analyse anhand des höchsten Grades an Zustimmung (Ausprägung der Antwortskala: sehr dafür) die Bewertung der einzelnen Maß-
153
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
nahmen nach alten und neuen Bundesländern und stellt klare Unterschiede fest: Im Osten sind die Erwartungen an Familienpolitik deutlich höher als im Westen. Insgesamt plädieren zwischen 46 % und 60 % der 20- bis 65-jährigen Ostdeutschen eindeutig für die Umsetzung der vorgeschlagenen familienpolitischen Maßnahmen gegenüber 35 % bis 50 % derselben Altersgruppe in Westdeutschland (vgl. Tab. 7.3).73 Die gravierendsten Unterschiede zeigen sich interessanterweise beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder aller Altersgruppen. Obwohl die Versorgungsquote in den neuen Bundesländern deutlich höher ist als in den alten Bundesländern (Statistisches Bundesamt 2004), votieren Ostdeutsche wesentlich häufiger (zwischen 15,6 % und 19,7 % mehr an Zustimmung) für Maßnahmen, welche auf die Verbesserung des Angebots an Betreuungseinrichtungen für alle Kinder abzielen als Westdeutsche. Beträchtliche Unterschiede existieren auch bei den Erwartungen hinsichtlich monetärer Transferleistungen. Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern stimmen wesentlich häufiger für einen einmaligen Zuschuss bei der Geburt eines Kindes, für die Erhöhung des Kindergeldes, für die Verringerung von Ausbildungskosten sowie für die Gewährung einkommensabhängiger Zuschüsse für Familien. Deutlich geringer fallen die Unterschiede bei Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben aus. Ost- und Westdeutsche bewerten die entsprechenden Maßnahmen – bessere Teilzeitarbeitsmöglichkeit für Eltern mit Kindern sowie flexiblere Arbeitszeiten für berufstätige Eltern – annähernd gleich wichtig. Tab. 7.3: Bewertung familienpolitischer Maßnahmen nach West- und Ostdeutschland Frauen und Männer 20 – 65 Jahre
starke Zustimmung % Westen
Osten
Mehr und bessere Teilzeitmöglichkeiten für Eltern mit Kindern
50,2
55,2
Flexiblere Arbeitszeiten für berufstätige Eltern mit kleinen Kindern
47,7
55,5
44,2
59,8
48,2
52,0
42,3
55,3
39,9
47,3
43,9
46,2
41,4
58,2
Rangfolge möglicher familienpolitischer Maßnahmen
Bessere Möglichkeiten für Tagesbetreuung von Kindern ab drei Jahren bis zum Schulalter Niedrigere Lohn- und Einkommenssteuern für Eltern minderjähriger Kinder Finanzieller Zuschuss für Familien mit Kindern, dessen Höhe vom Familieneinkommen abhängig ist Bessere Regelungen zum Mutterschaftsurlaub für berufstätige Frauen Finanzielle Unterstützung für Mütter oder Väter, die ihre Berufstätigkeit aufgeben, weil sie sich um ihre Kinder kümmern möchten, solange diese klein sind Bessere Möglichkeiten zur Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren 73
Zur Signifikanz der Gruppenunterschiede für Ost- und Westdeutschland hinsichtlich der Bewertung der dargestellten familienpolitischen Maßnahmen vgl. Lengerer (2004b) im Anhang des Beitrags.
154
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Frauen und Männer 20 – 65 Jahre
starke Zustimmung % Westen
Osten
35,7
55,4
Verbesserung der Wohnsituation für Familien mit Kindern
38,5
32,9
Starke Verringerung der Ausbildungskosten
34,8
50,0
Beträchtlicher Anstieg des Kindergeldes auf 250 Euro pro Kind und Monat
38,7
54,2
Finanzieller Zuschuss bei der Geburt eines Kindes
34,8
52,7
Rangfolge möglicher familienpolitischer Maßnahmen Betreuungseinrichtungen für Kinder im Schulalter vor und nach der Schule und in den Schulferien
Quelle: BiB 2003: Population Policy Acceptance Study 2003; Lengerer 2004b: 392; eigene Darstellung
Diese Ost-West Unterschiede lassen sich zum einen mit der Prägung durch unterschiedliche politische Systeme erklären. Das Wohlfahrtsstaatsregime der ehemaligen DDR war von einer Dominanz des Staates gekennzeichnet, dessen umfassende Fürsorge sich auf alle Lebensbereiche erstreckte (Wingen 1997). Zum anderen resultiert die größere Erwartungshaltung der Ostdeutschen aus den deutlich besseren Rahmenbedingungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben in der ehemaligen DDR. Im Vergleich hierzu hat sich die Vereinbarkeit beider Sphären unter dem westdeutschen System deutlich verschlechtert (Andreß et al. 2001: 123f.; Lengerer 2004b: 393). 7.1.3 Einstellungen zu Kindergeld und Erziehungsgeld In der Studie – Impact of Family Policy on Family Life – wird hinsichtlich der monetären Leistungen die Bewertung des Kindergelds und des Erziehungsgelds genauer untersucht. Das Kindergeld wurde seit Beginn der ersten rot-grünen Legislaturperiode 1998 mehrfach erhöht und betrug zum Zeitpunkt der Befragung insgesamt 154 Euro für das erste bis dritte Kind sowie 179 Euro für das vierte und jedes weitere Kind (Becker/Hauser 2003: 41). Diese Beträge liegen demnach der Befragung in 2001 zugrunde. Das Erziehungsgeld beträgt seit der Neuregelung vom 01.01.2001 monatlich 300 Euro für insgesamt zwei Jahre. Allerdings kann alternativ die Budgetlösung gewählt werden, wonach das Erziehungsgeld nur für ein Jahr, dafür aber in einer Höhe von 450 Euro monatlich gewährt wird (Träger 2007: 157).74 Differenziert man die Befragungsgruppe nach Beziehern von Kinder- bzw. Erziehungsgeld, zeigt sich folgende Verteilung in der Stichprobe: 85 % der Befragten erhalten Kindergeld und 15 % beziehen zum Zeitpunkt der Befragung Erziehungsgeld.75
74
Das bisherige Erziehungsgeld von 300 Euro bzw. 450 Euro entfällt mit der Einführung des Elterngeldes seit dem 01.01.2007 (BMFSFJ 2007b). Aufgrund der geringen Fallzahl beim Erziehungsgeld wird bei der vorliegenden Auswertung nicht nach Personen, die 300 Euro für zwei Jahre beziehungsweise 450 Euro für ein Jahr erhalten, differenziert. Des Weiteren leben von den 147 Befragten, die Erziehungs- beziehungsweise Kindergeld erhalten, insgesamt 125 in einer Partnerschaft.
75
155
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Abb. 7.3: Erhalt von Kindergeld und Erziehungsgeld
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
Dabei ist die Bewertung der geldwerten Leistungen von besonderem Interesse. In Tabelle 7.4 sind die Ergebnisse der deskriptiven Bewertung beider Maßnahmen wiedergegeben. Der größte Teil der befragten Personen (42,3 %) bewertet die Höhe des Kindergelds als unzureichend beziehungsweise kaum ausreichend. Ein knappes Drittel schätzt die Höhe der staatlichen Leistung als mittelmäßig ein und weitere 28,4 % beurteilen die Höhe des Kindergelds als ausreichend beziehungsweise mehr als ausreichend (1,7 %). Hinsichtlich des Erziehungsgelds fällt das Ergebnis ebenfalls deutlich aus. 47,3 % hält das Erziehungsgeld für kaum ausreichend beziehungsweise für unzureichend. Knapp ein Drittel bewertet das Erziehungsgeld als mittel und lediglich ein Fünftel als ausreichend. Tab. 7.4: Bewertung der Höhe von Kindergeld und Erziehungsgeld Kindergeld und Erziehungsgeld Bitte beurteilen sie, ob Sie diese staatlichen Transferleistungen als ausreichend ansehen oder nicht
Kindergeld %
Erziehungsgeld %
mehr als ausreichend
1,7
--
Ausreichend
26,7
21,1
mittel
29,3
31,6
kaum ausreichend
19,0
31,5
Unzureichend
23,3
15,8
Anzahl der Befragten absolut
116
19,0
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
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7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
Damit wird das Kindergeld, welches 2008 die gleiche Höhe hat, aus Sicht der Befragten als deutlich zu niedrig eingestuft werden. Noch drastischer fällt die Bewertung beim Erziehungsgeld aus, welches vom größten Teil der Befragten als kaum beziehungsweise unzureichend angesehen wird. Auf der Basis dieser Ergebnisse kann zumindest die Ersetzung des Erziehungsgeldes durch das Elterngeld für diese Gruppen, die 300 Euro pro Monat erhalten und dies lediglich für das erste Jahr nach der Geburt des Kindes, als kritisch bewertet werden (BMFSFJ 2007b). Insbesondere für erwerbslose Elternteile oder Studierende, die nicht von dem einkommenssubstituierenden Effekt des Elterngeldes profitieren, hat sich damit die finanzielle Unterstützung weiter verschlechtert. Die Ergebnisse lassen folgende Schlussfolgerungen zu: Die soziale Akzeptanz von Familienpolitik ist überaus groß. Es werden sowohl bei den geldwerten Transferleistungen als auch bei den sachwerten Leistungen, wie die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben, hohe Erwartungen an den Staat als familienpolitischen Akteur gestellt. Zwischen alten und neuen Bundesländern bestehen dabei zum Teil erhebliche Unterschiede: Im Osten Deutschlands sind die Erwartungen an Familienpolitik aufgrund der Rahmenbedingungen in der ehemaligen DDR generell höher als im Westen (vgl. Kap. 7.1.2). Außerdem zeichnet sich hinsichtlich der Prioritäten bei den familienpolitischen Maßnahmen ein länderspezifischer Trend ab. Die Ergebnisse deuten daraufhin, dass die Ostdeutschen bei den vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen verstärkt auf eine Verbesserung des Angebots an öffentlicher Kinderbetreuung setzen, während die Westdeutschen häufiger an einer familienfreundlicheren Gestaltung der Arbeitswelt interessiert sind. Die Ergebnisse im Hinblick auf die direkten finanziellen Transferleistungen des Kinder- und Erziehungsgeldes verweisen zumindest darauf, dass diese in der Regel als nicht ausreichend hoch eingeschätzt werden. Ein Problem, dass sich durch das Elterngeld zumindest für Geringverdiener verschärft. 7.2 Einstellung zu Erwerbssphäre und Familienleben Unter dem Dach der „Allianz für die Familie“ sind seit Mitte 2003 unterschiedlichste Initiativen gebündelt, um sich für eine familienfreundliche Unternehmenskultur und Arbeitswelt einzusetzen. „Es ist das explizite Ziel der Allianz für Familie, verschiedene Akteure aus den Bereichen der Politik, der Wirtschaft und der Kultur für familienpolitische Belange zusammenzubringen. Familienpolitik wird damit nicht nur als eine Aufgabe des Staates angesehen, sondern auch als eine Aufgabe privater Akteure wie der Unternehmen oder der Betriebs- und Personalräte“ (Spieß 2004: 537; vgl. auch das Grundlagenpapier der Impulsgruppe „Allianz für die Familie“, BMFSFJ und Bertelsmann Stiftung 2004; ebenso Mohn/von der Leyen 2007).76 Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg solcher Aktionsbündnisse ist die Akzeptanz ihrer Ziele in der Bevölkerung. Verfolgt man die öffentliche Debatte über Familienpolitik, insbesondere im letzten Jahrzehnt, besteht weitge76
Ein Aktionsbündnis für Familien existiert mittlerweile auch auf europäischer Ebene. Ziel der Europäischen Allianz für Familien, die von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagen wurde, ist es, ein Forum für einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch über Familienfreundlichkeit als Standortfaktor in der EU zu schaffen und konkrete Projekte vorzustellen, ohne jedoch Zuständigkeiten zu verlagern bzw. neue Kompetenzen für die EU zu schaffen. Die Europäische Allianz für Familien soll Beiträge zur Umsetzung der Lissabonstrategie für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, für eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung, zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Roadmap zur Gleichstellung von Frauen und Männern leisten (Europäische Kommission 2007).
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
157
hend Konsens, dass die Bedingungen für Familien verbessert werden sollen. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen neben der demographischen Frage vor allem die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben sowie die finanzielle Absicherung der Familien (Wingen 2003; Mohn/von der Leyen 2007; Robert Bosch Stiftung 2005; vgl. auch Kap. 1.2). Ob und inwieweit die Bevölkerung allerdings der Meinung ist, dass außer dem Staat auch andere private Akteure Verantwortung für familiale Lebensbereichen übernehmen sollen, ist bisher weniger erforscht (Spieß 2004: 538). Insbesondere existieren kaum Kenntnisse über die Präferenzen hinsichtlich der Beteiligung von Unternehmen und Arbeitgebern an der Verantwortung für die bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben. Eine aktuelle repräsentative Querschnittsuntersuchung zu grundsätzlichen gesundheits- und sozialpolitischen Einstellungen in der Bevölkerung Deutschlands (Krömmelbein et al. 2005) weist zwar nach, dass neben dem Staat als hauptverantwortlichen Akteur für die wohlfahrtsstaatliche Sicherung die Bürger und Bürgerinnen in der Bundesrepublik Deutschland privaten Akteuren ebenfalls eine (Mit-)Verantwortung zuschreiben (ebd.: 92f.). Danach bestätigen knapp 90 % den Einzelnen sowie den Arbeitgebern zumindest eine (Mit-)Verantwortung, so dass von einer breiten Zustimmung für eine geteilte Verantwortung unter hoher Zuständigkeit des Staates in der Bevölkerung ausgegangen werden kann.77 Allerdings wird der wohlfahrtsstaatliche Teilbereich Familienpolitik nicht explizit untersucht. Einzige Ausnahme in diesem Feld bildet die Analyse von Spieß (2004) auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), deren Ergebnisse in den vorliegenden Kontext miteinbezogen werden. In der Untersuchung werden die Präferenzen der Bevölkerung hinsichtlich des privaten Engagements in den Feldern finanzielle Absicherung der Familie, Betreuung von Vorschul- und Schulkindern sowie Betreuung von alten Menschen für das Jahr 2002 analysiert. Über die drei familienpolitischen Bereiche, die unmittelbar die vorliegende Fragestellung betreffen, zeigen sich bei den Bürgern und Bürgerinnen (vgl. Tab. 7.5) folgende Einstellungsmuster: Zunächst fällt auf, dass dem Staat in allen drei familienpolitischen Feldern die Hauptzuständigkeit zugeschrieben wird. 39 % der Befragten fordern staatliche Verantwortung vor allem im Bereich der Betreuung von Vorschulkindern ein. Aber auch die finanzielle Absicherung von Familien liegt aus Sicht der Bevölkerung mit 34 % in der Hauptzuständigkeit des Staates, während die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern (23 %) weniger als Hauptaufgabe des Staates angesehen wird. Relativ betrachtet geben die Bürger und Bürgerinnen privaten Kräften hier den Vorrang (Spieß 2004: 539). Grundsätzlich dominiert auch im Feld Familienpolitik die Vorstellung einer geteilten Verantwortung. Neben dem Staat als Hauptakteur hält die Mehrheit beziehungsweise der größte Teil sowohl den Staat als auch die privaten Akteure für zuständig. Lediglich eine kleine Minderheit sieht die Hauptzuständigkeit vorwiegend bei den privaten Akteuren. Interessanterweise unterscheiden sich die Einschätzungen von Personen mit Kindern unter 16 Jahren von denen ohne Kinder nur unwesentlich. Spieß (2004) erweitert ihre Analyse um zentrale regionale wie auch soziodemographische Einflussfaktoren und konstatiert: „Wie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Geschichte in den beiden Teilen Deutschlands zu erwarten, ist der Anteil der Befragten in Westdeutschland, die eine Zuständigkeit eher bei marktwirtschaftlichen Unternehmen oder 77
Detaillierte Angaben zum Studiendesign und methodischen Vorgehen sowie zu den Ergebnissen der Untersuchung vgl. Krömmelbein et al. (2005).
158
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
dem einzelnen Bürger sehen, höher als in Ostdeutschland“ (Spieß 2004: 540). Die finanzielle Absicherung sollte nach Auffassung der ostdeutschen Bürger und Bürgerinnen zu 45 % beim Staat liegen, 48 % plädieren hier für eine geteilte Verantwortung zwischen Staat und privaten Kräften, während lediglich 8 % in erster Linie ausschließlich privaten Kräften den Vorrang bei der finanziellen Sicherung von Familien zuschreiben. Demgegenüber sehen nur 31 % der Westdeutschen die Hauptzuständigkeit beim Staat und 57 % befürworten hier eine geteilte Zuständigkeit zwischen staatlichen und privaten Akteuren. Immerhin 16 % betonen die reine Selbstverantwortung der privaten Akteure. Tab. 7.5: Umfang staatlicher/privater Zuständigkeit in familienpolitischen Bereichen ...eher der Staat
...sowohl der Staat als auch private Kräfte
Alle Personen
34 %
55 %
11 %
21.644
Personen in Haushalten ohne Kinder
33 %
56 %
11 %
14.875
Personen in Haushalten mit Kindern
39 %
53 %
9%
6.769
Alle Personen
39 %
47 %
14 %
21.568
Personen in Haushalten ohne Kinder
38 %
47 %
15 %
14.789
Personen in Haushalten mit Kindern
43 %
46 %
11 %
6.779
Alle Personen
28 %
49 %
23 %
21.554
Personen in Haushalten ohne Kinder
27 %
49 %
24 %
14.789
Personen in Haushalten mit Kindern
30 %
50 %
20 %
6.786
Umfang staatlicher Zuständigkeit in familienpolitischen Bereichen Zuständig für:
...eher private
Fallzahlen
Die finanzielle Absicherung von Familien
Die Betreuung von Vorschulkindern
Die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern
Quelle: Spieß 2004: 539; SOEP 2002 (gewichtet), Berechnung des DIW Berlin; eigene Darstellung
In den neuen Bundesländern sehen hinsichtlich der Kinderbetreuung 47 % die Hauptzuständigkeit beim Staat beziehungsweise in (Mit-)Verantwortung von privaten Akteuren und lediglich 6 % ausschließlich bei privaten Kräften. Dagegen betrachten 37 % der Befragten in den alten Bundesländern den Staat als hauptverantwortlichen Akteur bei der Vorschulbetreuung. Allerdings sprechen sich auch in Westdeutschland 47 % für eine geteilte Verantwortung zwischen Staat und privaten Akteuren im Feld Kinderbetreuung aus. Immerhin noch 16 % der Westdeutschen sehen in der Vorschulbetreuung eher private Kräfte in der Pflicht. Auch bei der Bewertung der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern unterscheiden sich die Präferenzen in Ost- und Westdeutschland: 37 % der Befragten in den neuen Bun-
159
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
desländern sehen vor allem staatliche Akteure gefordert gegenüber 25 % in den alten Bundesländern. Jeweils 53 % im Osten und 48 % im Westen plädieren für eine geteilte Zuständigkeit zwischen Staat und privaten Kräften. Eine hohe Selbstverantwortung der privaten Akteure für die Nachmittagsbetreuung der Schulkinder befürworten in Ostdeutschland lediglich 10 %, in Westdeutschland immerhin noch 26 % (Spieß 2004: 540). Die Ergebnisse, getrennt nach Haushalten mit Kindern beziehungsweise ohne Kinder, unterscheiden sich wiederum nur geringfügig.78 Dies verdeutlicht die hohe Dominanz hinsichtlich der staatlichen Verantwortung bei der Betreuung von Vorschulkindern und Schulkindern, „d. h. auf jene Bereiche, die in der ehemaligen DDR vollkommen vom Staat organisiert waren“ (Spieß 2004: 539). Allerdings differenziert Spieß (2004) in ihrer Auswertung des SOEP nicht zwischen den unterschiedlichen privaten Akteuren, sondern lediglich zwischen staatlichen und privaten Akteuren im Ganzen.79 Insbesondere die Beteiligung der Arbeitgeber als private Akteure wird nicht explizit ausgewiesen. Dennoch weisen nach Krömmelbein et al. (2005: 92) 87 % der Bevölkerung in der repräsentativen Querschnittstudie den Arbeitgebern eine Verantwortung bei der sozialen Sicherung zu. Es ist damit davon auszugehen, dass den Arbeitgebern als privaten Akteuren ebenfalls eine Zuständigkeit für familienpolitische Belange zugesprochen wird. Tab. 7.6: Zuständigkeit in familienpolitischen Bereichen Sollten Ihrer Meinung nach Arbeitgeber (Ehe-) Familienbelange der Beschäftigten Paare stärker berücksichtigen?
NichtPaar
(Ehe-) Paar
Ja
Arbeitgeber sollten: (in Prozent)
NichtPaar
Nein
(Ehe-) Paar
NichtPaar
Weiß nicht
Kinderkrippenplätze zur Verfügung stellen
81,0
85,9
14,9
11,5
4,2
2,6
Flexible Arbeitszeitmodelle entwickeln
92,3
94,9
6,0
3,8
1,8
1,3
Freizeitangebote für Familienmitglieder
35,7
34,6
57,1
60,3
7,1
5,1
Elternzeit/Erziehungsurlaub einplanen
91,6
91,0
6,6
6,4
1,8
2,6
Anzahl der Befragten absolut
168
78
168
78
168
78
Quelle: Impact of Family Policy on Family Life; eigene Berechnung
Im Rahmen der Studie – Impact of Family Policy on Family Life – wird explizit nach der Rolle der Arbeitgeber als familienpolitischer Akteur gefragt. Relevant in diesem Kontext ist die Bewertung der Befragten, ob beziehungsweise inwieweit Arbeitgeber insbesondere Verantwortung für die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben übernehmen sollten. Hierzu zählen insbesondere Maßnahmen zur Betreuung von Kindern aller Altersstufen, 78
Allerdings wird in der Analyse keine Aussage über die Signifikanz der Gruppenunterschiede für alle drei untersuchten Felder gemacht (Spieß 2004). In der weiteren Analyse legt Spieß (2004: 541ff.) den Schwerpunkt auf die Berücksichtigung sozioökonomischer Einflüsse bei der Präferenz staatlicher beziehungsweise privater Zuständigkeit hinsichtlich der vier familienpolitischen Felder. Diese Ergebnisse werden in der vorliegenden Arbeit nicht dargestellt, da sie im Rahmen der Fragestellung keine Relevanz haben.
79
160
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
flexible Arbeitszeitmodelle sowie die Akzeptanz und Einplanung bisheriger familienpolitischer Maßnahmen, beispielsweise die Elternzeit, die die Vereinbarkeit beider Sphären erleichtern. Die Einstellungen der Befragten sind in dieser Frage eindeutig. Tabelle 7.6 zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten den Arbeitgebern für die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben eine wichtige Rolle zuschreibt. Zentrales Anliegen der Befragten sind flexiblere Arbeitszeitmodelle beziehungsweise verbesserte Teilzeitmodelle für Beschäftige mit Familien. Des Weiteren sollten die Arbeitsbedingungen für Mütter und Väter durch die Einplanung von Elternzeit in den allgemeinen Arbeitsablauf grundsätzlich verbessert und Kinderkrippenplätze vor Ort in den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Der überwiegende Teil der Befragten ist in diesem Kontext der Auffassung, dass auch Arbeitgeber Verantwortung für Betreuungsstätten tragen sollten, zum Beispiel in Form von Betriebskindergärten. Insbesondere größere Unternehmen und Konzerne könnten betriebseigene Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stellen. Denkbar wären hier auch Mischformen, so dass eine Verteilung der Verantwortung auf den staatlichen wie auch auf den ökonomischen Sektor stattfindet. Weniger in der Verantwortung der Arbeitgeber sehen die Befragten, ein Angebot an Freizeitmöglichkeiten für Familienmitglieder der Beschäftigten bereitzustellen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass öffentliche Debatten und parteipolitische Diskussionen, die den ökonomischen Sektor vorwiegend als zu entlastenden Akteur hinsichtlich der Kosten der sozialen Sicherung sehen, nicht den Einstellungen der Bevölkerung entsprechen (Butterwegge 2006; Eißel 2006; 2008). Offensichtlich wird auch von Arbeitgebern ein Beitrag zur sozialstaatlichen Absicherung wie auch zur Abfederung individueller sozialer Risiken erwartet. Die Mehrheit der Bevölkerung in Ost- wie auch in Westdeutschland sieht die Zuständigkeit für die soziale Sicherung sowohl beim Staat als auch bei privaten Akteuren. Unter Einbezug des Staats als hauptverantwortlichen Akteur dominiert die Vorstellung einer geteilten Verantwortung zwischen Staat und privaten Akteuren, insbesondere der Arbeitgeber (Krömmelbein et al. 2005). Die hohe Akzeptanz einer geteilten Verantwortung bei der sozialen Sicherung spiegelt sich ebenfalls im wohlfahrtsstaatlichen Teilbereich Familienpolitik wider. Auch hier liegt die Zuständigkeit für familiale Belange, wie die Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen sowie die finanzielle Absicherung von Familien, zwar in der Hauptverantwortung des Staates, aber eine (Mit-) Verantwortung der Arbeitgeber wird ausdrücklich gewünscht. Das Anliegen der „Allianz für die Familie“, die eine Vielzahl von Akteuren im staatlichen und privaten Bereich für die Belange der Familie vereinen will, stößt somit auf große Zustimmung in der Bevölkerung. Die Ergebnisse der Studie zu „Impact of Family Policy on Family Life“ zeigen zudem die hohe Relevanz des Engagements von Unternehmen beziehungsweise Arbeitgebern im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. Bemerkenswert ist, dass eine überwältigende Mehrheit der Befragten die Arbeitgeber hier in der Verantwortung sieht. Allerdings sind diese Ergebnisse der Studie nicht repräsentativ. 7.3 „No Policy with Evidence“ Die jetzige Regierungskoalition wie auch die frühere rot-grüne Regierung gehen von der Annahme aus, dass familienpolitische Maßnahmen eine direkte Wirkung auf familiale Entscheidungsprozesse haben und somit unmittelbar beeinflussbar sind. Die empirische
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
161
Evidenz der Wirksamkeit einzelner familienpolitischer Maßnahmen steht jedoch nach wie vor aus (Lengerer 2004a: 99; vgl. auch Kap. 3.5). Einzige Ausnahme im Bereich der Familienpolitik bildet die Studie über die Auswirkungen der §§ 15 und 16 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Elternzeit und Teilzeitarbeit während der Elternzeit), die von der rot-grünen Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde (BMFSFJ 2004a). Die Studie untersucht, welchen Beitrag die Neuregelungen des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben leisten sowie die Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit. Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd: Zwar wird das Recht auf Elternzeit von etwa drei Vierteln der berechtigten Eltern in Anspruch genommen, doch lediglich in 4,9 % der (Ehe-)Paar-Haushalte beansprucht der Vater Elternzeit. In 4,7 % der Haushalte nehmen Väter nach dem neuen Modell gemeinsam mit der Mutter Elternzeit und sind teilzeiterwerbstätig. Insofern bleibt hinter der an sich intensiven Nutzung der Elternzeit durch über 90 % der berechtigten Mütter die Beteiligung der Väter auf diesem Gebiet weit zurück. Dieses Ergebnis verwundert umso mehr, da bei vielen Vätern durchaus der Wunsch nach mehr Beteiligung an der Betreuungs- und Erziehungsarbeit besteht (Institut für Demoskopie Allensbach 2005; Familienanalyse 2005). Zudem scheint die Entwicklung in Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern verlangsamt. Beispielweise nutzen in Schweden 36 % der Väter ihr Recht auf Elternzeit. Allerdings wird die höhere Beteiligung von Vätern an der Familienarbeit dort schon weitaus länger forciert als in der Bundesrepublik Deutschland (Veil 2003: 16). Kritisch anzumerken bleibt in diesem Kontext, dass der Zeitpunkt der Evaluation sehr frühzeitig gewählt wurde. Die Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes, das seit dem 01.01.2001 in Kraft ist, begünstigen eine moderne geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie. Allerdings vollziehen sich Veränderungen, insbesondere bei den tradierten kulturellen Rollenbildern von Männern und Frauen sehr langsam, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die angezeigte Zeitspanne für die Evaluation relativ kurz angesetzt ist (Pfau-Effinger 2000). Nichtsdestotrotz beauftragte das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse das Institut für Demoskopie Allensbach mit einer repräsentativen Kurzuntersuchung zu Einstellungen junger Männer (16 bis 44 Jahre) über Familie und Berufstätigkeit (Institut für Demoskopie Allensbach 2005: 1-56). Im Einzelnen werden Einstellungen zur Elternzeit, zu Wünschen an Arbeitgeber sowie über die potenziellen Auswirkungen des zum damaligen Zeitpunkt noch geplanten Elterngeldes untersucht.80 Das Ziel der Studie besteht vor allem darin, Gründe für die geringe Nutzung der Elternzeit durch Väter zu eruieren. Im Wesentlichen können die Ursachen zu drei zentralen Hauptmotiven gebündelt werden: Häufigstes Motiv (82 % Zustimmung) für die geringe Nutzung der Elternzeit durch Väter sind die damit verbundenen Einkommensverluste, welche in der Regel höher ausfallen im Vergleich zu denen der Frauen. Dies ist hauptsächlich auf die nach wie vor starken Einkommensungleichheiten zwischen Männern und Frauen sowie auf den geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarkt in Deutschland zurückzuführen (Klenner 2007: 525; Bothfeld et al. 2005: 259ff.). An zweiter Stelle der wahrgenommenen Motive steht die Befürchtung karrierebedingter Nachteile. 74 % der Väter haben Bedenken, berufliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen und 55 % gehen davon aus, im Beruf nicht voran zu kommen. Aber auch die kulturellen ge80
Das Institut für Demoskopie befragte im August 2005 einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung von insgesamt 2950 Personen, darunter 693 junge Männer bis 44 Jahre. Die mündlichen Face-to-FaceInterviews wurden mittels eines standardisierten Fragebogens durchgeführt.
162
7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
schlechtlichen Leitbilder hemmen Väter offensichtlich darin, mehr Verantwortung für die Erziehungsarbeit zu tragen. Immerhin die Hälfte der Befragten traut sich nicht, Elternzeit zu nehmen (45 %) beziehungsweise ist wenig vertraut mit alternativen familialen Rollenbildern (55 %) (Institut für Demoskopie Allensbach 2005: 6). Die besondere Bedeutung der finanziellen Einbußen sowie die Bedenken hinsichtlich des beruflichen Fortkommens verdeutlichen die Notwendigkeit familienverträglicher Rahmenbedingungen innerhalb der Erwerbssphäre. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit dem 01.01.2007 eingeführte Elterngeld, das einen einkommenssubstituierenden Charakter hat, zielt somit auf die Verminderung der Einkommensausfälle und könnte damit einen Anreiz für Väter darstellen, sich stärker an der Elternzeit zu beteiligen (BMFSFJ 2007b). Im Hinblick auf die Erwerbssphäre ist sicher davon auszugehen, dass erst ein Umdenken bei den berufstätigen Vätern wie auch bei Unternehmen und Arbeitgebern notwendig ist. Die Allianz für Familien könnte eine Maßnahme darstellen, veränderte Rollenbilder von berufstätigen Vätern in die Unternehmen zu transportieren. Die Ergebnisse der Evaluation und der Kurzstudie verdeutlichen die besondere Problematik der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben, welches die Familienmodellwahl unmittelbar betrifft. Dass neben dem Staat als familienpolitischer Akteur auch private Akteure, speziell die Arbeitgeber, für familiale Belange Verantwortung übernehmen sollten, zeigen die Ergebnisse des vorherigen Kapitels (vgl. Kap. 7.3.). Das Institut für Demoskopie Allensbach (2005: 15f.) weist in der Untersuchung zu den Ursachen für die geringe Nutzung der Elternzeit durch Väter ebenfalls die Notwendigkeit einer Beteiligung von Arbeitgebern nach. Zur Frage, was Arbeitgeber vor allem tun sollten, um jungen Vätern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, gibt es klare Erkenntnisse: Als wesentlich für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben gelten nach Meinung der Befragten flexiblere Arbeitszeiten. 86 % der berufstätigen Väter bewerten flexible Arbeitszeiten, wie beispielsweise Gleitzeit und Arbeitszeitkonten, als absolute Notwendigkeit, um Familie und Beruf vereinbaren zu können. Alle anderen Veränderungsvorschläge bleiben dahinter zurück. Weitere Vorschläge der Väter nach Priorität sind: die Einführung von mehr Kinderbetreuungseinrichtungen in Betrieben (62 %), die Schaffung von zusätzlichen Teilzeitarbeitsplätzen (56 %), die Erleichterung der Nutzung der Elternzeit für Väter (56 %), mehr Telearbeitsplätze (56 %) und mehr Sonderurlaub für die Pflege eines krank gewordenen Kindes (53 %). Vergleichsweise kleinere Gruppen schlagen eine finanzielle Beteiligung der Arbeitgeber an den Kosten für die Kinderbetreuung oder für familiengeeignete Wohnstätten vor. Interessanterweise hält auch nur ein Viertel der Väter Sonderurlaub nach der Geburt eines Kindes, wie etwa den „Vaterschaftsurlaub“ in Frankreich, für wichtig. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass vor allem langfristige und verlässliche Modelle zur besseren Vereinbarkeit gewünscht werden. Im Zentrum stehen dabei flexible Arbeitszeitmodelle für Väter, da diese für sie selbst wie auch für Eltern insgesamt notwendigen Gestaltungsspielraum eröffnen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit arbeitgeberischen Engagements für familiäre Belange.
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Abb. 7.4: Wünsche von berufstätigen Vätern an Arbeitgeber
Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach 2005: 16; Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 7073 und 7074 BRD, berufstätige Männer zwischen 16 und 44 Jahren; eigene Darstellung
Mit der Einführung eines Kompetenzzentrums für familienbezogene Leistungen werden vonseiten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) neue Maßstäbe gesetzt (BMFSFJ 2006a). Aufgabe des Kompetenzzentrums ist die Zusammenstellung und Wirkungsanalyse aller staatlichen Familienleistungen in Deutschland im Hinblick auf die sozioökonomische Absicherung von Familien, die bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben sowie die verbesserte Förderung von Kindern. In einem ersten Schritt legte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Dezember 2006 eine erste Bestandsaufnahme aller familienbezogenen Leistungen in Deutschland vor. Insgesamt gibt es 145 familienbezogene Leistungen und Maßnahmen mit einem Finanzvolumen von 184 Mrd. Euro. Dieses Finanztableau dient als Grundlage für die Analyse der Wirksamkeit der Leistungen und Maßnahmen (BMFSFJ 2006a; vgl. auch Kap. 3.2). Erste Ergebnisse des Kompetenzzentrums werden im Jahr 2008 erwartet (BMFSFJ 2007a).
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7 Datenanalyse II: Impact of Family Policy on Family Life
7.4 Ergebnis IV: Datenanalyse II – Impact of Family Policy on Family Life Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass dem Staat ein erheblicher Einfluss auf das Familienleben zugeschrieben wird. Korrespondierend hierzu ist er als familienpolitischer Akteur in der Bevölkerung akzeptiert und erwünscht. Hohe Erwartungen gegenüber dem Staat bestehen bei den Befragten hinsichtlich der zentralen Zieldimensionen von Familienpolitik: das Ausmaß an sozioökonomischer Sicherheit für Familien und die Herstellung gleicher Lebensbedingungen für diese. Betrachtet man die einzelnen familienpolitischen Interventionen, stoßen diese in der Bevölkerung auf hohe Akzeptanz. Sowohl die geldwerten als auch die sachwerten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erhalten breite Zustimmung, wobei die finanziellen Leistungen noch mehr an Gewicht erhalten als die vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen. Damit kann als wesentliches Ergebnis festgehalten werden, dass in der Bevölkerung ein breiter Konsens im Hinblick auf die Gestaltungsfunktion des Staates im Bereich Familienpolitik sowie der Akzeptanz familienpolitischer Interventionen besteht. „Die legitimatorische Basis von Familienpolitik ist damit in hohem Maße gegeben und von einer Entsolidarisierung, etwa zwischen Eltern und Kinderlosen, kann nicht die Rede sein“ (Lengerer 2004b: 414). Bei den vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen haben für die überwältigende Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen flexiblere Arbeitszeitmodelle, bessere Teilzeitarbeitsmöglichkeiten und Tagesbetreuungsplätze für Eltern eine hohe Priorität. Dies verweist bereits auf einen erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben sowie auf die schlechten Voraussetzungen bei der Umsetzung alternativer oder egalitärer Vereinbarkeitsmodelle. Allerdings zeigen sich nach wie vor Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. In Ostdeutschland bestehen in der Regel höhere Erwartungen an Familienpolitik, insbesondere im Bereich der Kinderbetreuung aller Altersgruppen. Dieses Ergebnis verwundert um so mehr angesichts der Tatsache, dass das Angebot an Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen in den neuen Bundesländern jenes in den alten deutlich überwiegt (Statistisches Bundesamt 2004). Lengerer (2004b) gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die relativ lange Zeitspanne seit der Wiedervereinigung eine Konvergenz der Einstellungen von Ost- und Westdeutschen vermuten lässt (vgl. ebenso Andreß et al. 2001). Für den wohlfahrtsstaatlichen Teilbereich Familienpolitik scheint sich dies nicht zu bestätigen. Offensichtlich wirken die unterschiedlichen Rahmenbedingungen sowie kulturellen Leitbilder hinsichtlich der familialen Aufgabenteilung in Ost- und Westdeutschland nachhaltig. Während die bundesdeutsche Familienpolitik am traditionellen Familienernährermodell, mit der entsprechenden geschlechterspezifischen familialen Rollenverteilung festhielt, dominierte in Ostdeutschland ein auf die Egalität der Geschlechter ausgerichtetes Doppelverdienermodell, bei dem in der Regel beide (Ehe-)Partner erwerbstätig sind (Pfau-Effinger 1998; 2000). Danach spielen die vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen, welche die Gleichzeitigkeit von Erwerbs- und Familienleben ermöglichen, in den neuen Bundesländern eine größere Rolle als in den alten Bundesländern. Hier überwiegt nach wie vor die Vorstellung, dass die Familie die zentrale Sozialisationsinstanz für Kinder ist, diese allerdings nicht mehr ausschließlich dem Zuständigkeitsbereich der Mutter zugeschrieben wird. In der Konsequenz werden finanzielle Maßnahmen, die die Unterbrechung der mütterlichen (Teilzeit-)Erwerbsarbeit begünstigen, verstärkt gewünscht.
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Fest steht auch, dass die Befragten der Studie zu „Impact of Family Policy on Family Life“ klare Erwartungen an den Staat richten, unterschiedliche familiale Lebensmuster zu identifizieren und familienpolitische Interventionen bedarfsgerecht zu gestalten. Dies lässt den Schluss zu, dass nicht eine Maßnahme für alle betroffenen familialen Akteure passt, da sich vor allem kinderreiche Familien und geringer Qualifizierte verständlicherweise mehr finanzielle Unterstützung wünschen und auch benötigen. Dagegen wünschen sich Kinderlose, Ein-Kind-Familien, höher Qualifizierte und Frauen, besonders in Ostdeutschland, verbesserte Tagesbetreuungsmöglichkeiten (Lengerer 2004b). Die insgesamt hohe Priorität hinsichtlich der vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen wird ebenfalls bei den Einstellungen über die Zuständigkeit privater Akteure für familiale Belange deutlich. Die Mehrheit der Bürger in Ost- wie auch in Westdeutschland spricht sowohl dem Staat als auch privaten Akteuren eine Zuständigkeit bei den untersuchten Bereichen – finanzielle Sicherung von Familien, Vorschulkindbetreuung und Schulkinderbetreuung – zu. Damit trifft die „Allianz für die Familie“, die eine ganze Reihe von staatlichen und privaten Akteuren für familiale Belange vereinen will, auf Zustimmung bei den Bürgern und Bürgerinnen. Bemerkenswert ist aber, dass insbesondere den Arbeitgebern beziehungsweise Unternehmen eine besondere Verantwortung zukommt. Die überwiegende Mehrheit der Befragten der Studie zu „Impact of Family Policy on Family Life“ wünschen sich arbeitgeberisches Engagement, um Erwerbs- und Familienleben besser vereinbaren zu können. Allen voran gehen den Befragten dabei flexible Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungseinrichtungen im Betrieb. Dies untermauern nicht zuletzt die Ergebnisse der Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach (2005), welche als Ursache für die geringe Nutzung der Elternzeit durch Väter hauptsächlich in der mangelnden Kompatibilität beider Sphären sehen. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen durch familienfreundliche Angebote der Arbeitgeber würde die bestehende Problematik erheblich abschwächen. Im Hinblick auf die dritte Fragestellung, welche familienpolitischen Interventionen aus Sicht der betroffenen familialen Akteure auf die verschiedenen Familienmodelle hemmend oder fördernd wirken, werden die dargelegten Erkenntnisse im Rahmen des Kapitel 9 in Bezug zu den verschiedenen Teilergebnisse der vorliegenden Multi-Methoden Studien gesetzt.
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
In den beiden vorangehenden Datenanalysen konnten die Indikatoren, welche die Familienmodellwahl beeinflussen, identifiziert und analysiert werden. Des Weiteren wurde die Rolle des Staates respektive privater Akteure im Feld Familienpolitik aus Sicht der Betroffenen aufgezeigt sowie individuelle Einstellungen zu familienpolitischen Maßnahmen dargelegt, mit der Zielsetzung, festzustellen, welche Familienpolitiken die unterschiedlichen Familienmodelle hemmen oder fördern. Die dritte qualitative Analyse soll die bisherigen Ergebnisse komplementieren. Insofern wird keine weitere Hypothese überprüft, sondern die Hypothesen werden vertiefend anhand subjektiver Sichtweisen exploriert. Die Erweiterung der Erkenntnisse durch die qualitativen Interviews basiert auf der Sondierung folgender Bereiche (vgl. Kap. 5.4.1): A)
Im ersten Themenfeld wird nach Indikatoren und Einstellungen, welche aus Sicht der Betroffenen die Familienmodellwahl beeinflussen beziehungsweise die maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Vereinbarkeitsmodell sind, gefragt. Von besonderem Interesse sind vor allem auch die subjektiven Sichtweisen beziehungsweise Handlungszusammenhänge hinsichtlich der Relevanz der ausgeführten Indikatoren.
B)
Im zweiten Bereich wird eruiert, welche Probleme bei der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben hinsichtlich der verschiedenen Vereinbarkeitsmodelle entstehen beziehungsweise worin aus Sicht der (Ehe-)Paare die Hauptkonfliktlinien liegen. Außerdem soll festgestellt werden, welche Regelungsmechanismen und individuellen Lösungsansätze von den familiären Akteuren eingesetzt werden.
C)
Im Fokus des dritten Themenfelds steht das Erkenntnisinteresse, ob der Staat beziehungsweise private Akteure (Mit-)Verantwortung für die soziale Sicherung von Familien übernehmen sollen und wie diese Verantwortung gegebenenfalls aufgeteilt sein sollte. Zudem wird exploriert, in welchen Bereichen der Staat oder private Akteure (Mit-)Verantwortung für familiale Belange (Vereinbarkeitsproblematik) übernehmen sollten und wie diese Interventionen aus Sicht der Befragten konkret gestaltet sein sollten.
D)
Schwerpunkt des vierten Bereichs bildet die Familienpolitik. Relevant ist, ob die Befragten Kenntnisse über Familienpolitik beziehungsweise über familienpolitische Maßnahmen haben und wie sie die Wirkung dieser Maßnahmen einschätzen.
Der gewählte qualitative Ansatz ist insofern im Schwerpunkt deduktiv, da auf der Grundlage bestehenden Vorwissens gearbeitet wird. Er wird jedoch durch einen Anteil an induktiven Fragestellungen in Bezug auf die Erklärung des Handelns der familialen Akteure ergänzt.
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8 Datenanalyse III: Familieninterviews
8.1 Festlegung des Analysemodells Bei der Analyse eines qualitativen Interviews unterscheidet Mayring (2003) das allgemeine und das konkrete Ablaufmodell. Die Festlegung des konkreten Ablaufmodells hat für die Analyse höchste Priorität, da die Inhaltsanalyse kein Standardinstrument ist, welches immer gleich abläuft (Mayring 2003: 43). Der Ablauf der Analyse muss jeweils an den konkreten Forschungsgegenstand angepasst und auf die spezifische Fragestellung hin konstruiert werden. Dementsprechend fungiert das allgemeine Ablaufmodell als sogenannte „Blaupause“, welche anschließend anhand des Interpretationsziels konkretisiert wird. Bei der Interpretation differenziert Mayring (2003: 58) zwischen drei verschiedenen Grundformen des Interpretierens innerhalb der Inhaltsanalyse: der Zusammenfassung, der Explikation und der Strukturierung. Bei der vorliegenden Auswertung wird grob dem Ablaufmodell einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse gefolgt.81 Ziel der inhaltlich strukturierenden Analyse ist, spezifische Themen, Inhalte und Aspekte aus dem Textmaterial herauszufiltern und diese zusammenzufassen. Die Grundlage jeder inhaltsanalytischen Auswertung besteht dabei in der regelgeleiteten Zuordnung dieser Textstellen in ein System von Analysekategorien. Der genaue Inhalt, der dem Material zu entnehmen ist, wird durch theoriegeleitet entwickelte Strukturierungsdimensionen, die mit Hilfe von Kategorien konkretisiert werden, festgelegt. Wesentliches Merkmal ist damit die Verwendung von Kategorien und Subkategorien.82 Der Interviewleitfaden bietet hierzu eine wichtige Orientierungshilfe. Das Ablaufmodell für die Auswertung der Interviews mit betroffenen familiären Akteuren wird folgendermaßen festgelegt: Tab. 8.1: Ablaufmodell: Strukturierende Inhaltsanalyse Festlegung des konkreten Ablaufmodells: Strukturierende Inhaltsanalyse
81
1.
Schritt:
Bestimmung der Analyseeinheiten
2.
Schritt:
Theoriegeleitete Festlegung der inhaltlichen Hauptkategorien
3.
Schritt:
Bestimmung der Ausprägungen (theoriegeleitet) und Zusammenstellung des Kategoriensystems
4.
Schritt:
Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien
5.
Schritt:
Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung
6.
Schritt:
Materialdurchlauf: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen
Die strukturierende Inhaltsanalyse lässt sich wiederum in drei Formen je nach Zielsetzung untergliedern: die inhaltliche, die typisierende und die skalierende Strukturierung (Mayring 2003: 59, 85). Beim vorliegenden Modell handelt es sich um eine inhaltliche Strukturierung. Diese zielt auf die Extraktion und Zusammenfassung von Textmaterial nach bestimmten Themen. Zu den verschiedenen Varianten von Ablaufmodellen qualitativer Inhaltsanalyse vgl. Mayring (2003: 42-99). 82 Die Bildung von Kategorien kann aufgrund theoretischer Vorüberlegungen auf der Basis des bisherigen Forschungsstands erfolgen (deduktive Kategoriendefinition) oder induktiv direkt aus dem Material abgeleitet werden (induktive Kategorienbildung) (Mayring 2003: 74f.; vgl. auch Glaser/Strauss 1998).
168
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
7.
Schritt:
Überarbeitung, ggf. Revision des Kategoriensystems und der -definitionen
8.
Schritt:
Paraphrasierung des extrahierten Materials
9.
Schritt:
Zusammenfassung pro Kategorie
10. Schritt
Zusammenfassung pro Hauptkategorie
Quelle: Mayring 2003: 84, 89; eigene Zusammenstellung
8.2 Entwicklung Kategoriensystem und Kodierung Das Kategoriensystem steht im Mittelpunkt der strukturierenden Inhaltsanalyse, da es das zentrale Instrument der Analyse darstellt (Mayring 2003: 43). Bei der vorliegenden Auswertung werden die Hauptkategorien und Subkategorien aus theoretischen Vorannahmen sowie aus der Fragestellung heraus abgeleitet und zu einem Kategoriensystem zusammengestellt. Das Kategoriensystem wird anschließend an das Material herangetragen. „Alle Textbestandteile, die durch die Kategorien angesprochen werden, werden dann aus dem Material systematisch extrahiert“ (Mayring 2003: 83) und zusammengefasst. Im Verlauf des Kodierungsprozesses werden die Aussagen der Befragten beziehungsweise die ausgewählten Textbestandteile weiter in ein System von Analysekategorien und -subkategorien eingeordnet.83 Bestehen zwischen Kategorien Abgrenzungsprobleme, wird mittels Kodierregeln eine eindeutige Zuordnung festgelegt (Mayring 2003: 83, 89). Ebenfalls werden Bezüge zwischen den Kategorien hergestellt. Zur Fertigstellung des Kategoriensystems werden die einzelnen Interviews mehrmals gelesen und die Transkripte unter erneutem, parallelen Abspielen der Bandaufnahme geprüft (zum Korrekturhören vgl. Schmidt, Ch. 2000: 449). Auf die Weise ist ein strukturierendes Kategoriensystem mit insgesamt vier Hauptkategorien und etlichen Subkategorien entstanden, wobei die Angaben zu den Familiencharakteristika der Beschreibung des qualitativen Samples (vgl. Kap. 5.4.3) entnommen werden können: Überblick über das Kategoriensystem 1
Vereinbarkeit zwischen Erwerbs- und Familienleben: Hauptkonflikte und Lösungsansätze 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
83
Erwerbsmuster des (Ehe-)Paares Gründe für das gewählte Erwerbsmuster Spannungsfeld zwischen den Anforderungen: Erwerbsleben und Familienleben Aktuelle Hauptkonflikte Getroffene Regelungen, um Erwerbs- und Familiensphäre zu vereinbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz Voraussetzungen zur Herstellung einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben
Die Zuordnung von Textstellen beziehungsweise -segmenten zu Kategorien wird als Kodierung bezeichnet (Kelle/Kluge 1999: 55ff.).
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
2
169
Familiale Arbeitsteilung im Haushalt 2.1 Hauptzuständigkeit für Hausarbeit im Haushalt 2.2 Aufteilung der häuslichen Aufgaben zwischen den Familienmitgliedern (in Prozent) 2.3 Art der Hausarbeit (Wäsche, Kochen, Abwasch, Reinigung, Einkauf, Gartenarbeit, Behördengänge, Reparaturen) und Zuständigkeit 2.4 Gründe für diese Aufteilung der Hausarbeit
3
Rolle staatlicher und privater Akteure zur Absicherung von Familienleben 3.1 Akteure: Staat/Regierung, Arbeitgeber, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Familien selbst 3.2 Staatliche Einflussnahme und Interventionen auf Familienleben 3.2.1 Hauptverantwortung für die Sicherung von Familienleben 3.2.2 Kinderbetreuungseinrichtungen 3.2.3 Beratung in Konfliktsituationen 3.3 Konkrete Ausgestaltungen dieser Interventionen 3.4 Familiale Bereiche, in die keine Interventionen stattfinden sollten
4
Familienpolitik aus Sicht der betroffenen Akteure 4.1 Kenntnisse über Familienpolitik 4.2 Wirkung von Familienpolitik 4.3 Stärkere Berücksichtigung der Interessen von Familien
Die Offenheit des Forschungsprozesses ist gewährleistet, da im Verlauf der Analyse die Kategorien am Material überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden.84 Im Anschluss an die Entwicklung des Kategoriensystems werden die Textpassagen der zwölf Interviews kodiert, also den einzelnen Haupt- und Subkategorien zugeordnet. Die im Vorfeld festgelegten Hauptkategorien konnten beibehalten werden. Eine Ergänzung des Kategoriensystems war lediglich bei einzelnen Subkategorien notwendig. Bei den bereits kodierten Interviews erfolgte eine Überprüfung im Hinblick auf die neuen Subkategorien.85 8.3 Vorbereitung der Analyse Nach Mayring (2003: 59) kann man sich bei der Entwicklung einzelner Analyseschritte des inhaltlich strukturierenden Verfahrens besonders auf die Vorarbeiten stützen. In einem ersten Schritt wird das Interviewmaterial zu den definierten Dimensionen extrahiert. Explizite Fragestellung und Kategoriensystem bestimmen anschließend die Festlegung der ein84
Für den Auswertungsprozess steht in der Regel spezielle Software wie beispielsweise MAXqda zur Verfügung. Die vorliegende Auswertung wurde in MS-Word durchgeführt (vgl. dazu speziell Kuckartz 1999; 2006). 85 Es wird davon abgesehen, mit ausschließlicher Kodierung (jede Aussage oder Ausprägung wird nur einer Kategorie zugeordnet) zu arbeiten. Wegen der teilweise relativ großen Kodier- wie auch Analyseeinheiten (beispielsweise längere Sätze, in denen ganz unterschiedliche Zusammenhänge zur Sprache kommen) würden bei einer ausschließlichen Kodierung Inhalte später möglicherweise nicht in der richtigen Kategorie zu finden sein. Insofern werden Mehrfachkodierungen explizit zugelassen.
170
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
zelnen Analyseeinheiten.86 Zur Vorbereitung der Analyse werden die einzelnen Kodierund Kontexteinheiten einschließlich Fallnummern und Seitenzahlen in einzelne Dateien, welche die Haupt- und Subkategorien enthalten, exportiert und paraphrasiert, d. h. jede Textstelle wird in eine knappe, auf den Inhalt beschränkte Formulierung ohne ausschmückende Textteile reduziert (Mayring 2003: 61f., Z1-Regel). Die Paraphrasierung kann, da es sich um einen interpretativen Vorgang handelt, schon als Teil der Analyse verstanden werden. Im nächsten Schritt werden die Paraphrasen generalisiert. Bezug nehmend auf die theoretischen Vorannahmen werden Aussagen zu gleichen Themenbereichen zusammengefasst, unrelevante Aussagen gelöscht und inhaltsgleiche Aussagen sowie Originalaussagen gestrichen, so dass zum Schluss geordnete Paraphrasen für die weitere Analyse zur Verfügung stehen (Mayring 2003: 62, Z2 bis Z4-Regeln). Nach Abschluss dieser Reduktionsphase wird überprüft, ob die im Kategoriensystem zusammengestellten Aussagen das Ausgangsmaterial tatsächlich repräsentierten. Auf dieser Grundlage werden die Ergebnisse der Analyse der Familieninterviews im folgenden Kapitel dargestellt und anschließend im Sinn der Methodentriangulation in den Kontext der quantitativen Ergebnisse gestellt. Einzelne besonders aussagekräftige Aussagen werden als Zitate wiedergegeben, die Originaltextstellen aber sprachlich korrigiert. 8.4 Familiale Entscheidungsprozesse bei der Familienmodellwahl Die Auswertung der Interviews bestätigt, dass familiale Entscheidungsprozesse im Kontext sehr verschiedener Einflussfaktoren stattfinden: Zum einen sind dies Faktoren, die stärker dem personalen und biographischen Bereich zugeordnet werden können. Zum anderen sind es Faktoren, die vorwiegend sozioökonomische und institutionelle Bedingungen abbilden. Es hat sich gezeigt, dass die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell auch von den ausgewählten Einflussgrößen mitbestimmt wird. Im Rahmen der Entscheidungsprozesse müssen zudem häufig konkurrierende Interessen der beteiligten Akteure ausbalanciert werden, mit dem Ergebnis, dass die paarinternen Arrangements sehr individuell ausfallen. Bei der Familienmodellwahl spielen demographische wie auch sozioökonomische Indikatoren durchaus eine Rolle. Dabei begünstigen ein hohes Bildungsniveau sowie gleiche Einkommen der Partner die Entscheidung für duale, wenn auch nicht unbedingt für egalitäre Familienmodelle, da sie auf die Erwerbsorientierung von beiden hindeuten. Ein gewisses Einkommensniveau wie auch qualifizierte Bildungsabschlüsse sind damit notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingungen für die Ablösung des Familienernährermodells. Auch das Alter nimmt Einfluss auf die Entscheidung. Im Hinblick auf die Familienmodellwahl finden sich in der Regel gerade bei Befragten, die jüngeren Altersklassen angehören, duale oder auch egalitäre Vereinbarkeitsmodelle, wie beispielsweise das Doppelverdienermodell (III) und das Doppelkarrieremodell. Aus dem Interview mit einer Hausfrau (Fallnr. 12), die einer höheren Altersklasse angehört, lässt sich ableiten, dass der Indikator „höheres Alter“ alleine aber nicht unbedingt einen traditionellen Effekt haben muss. Vielmehr steht 86
Analyseeinheiten bilden bei der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003: 53) die Kodiereinheiten, die Kontexteinheiten und die Auswertungseinheiten. Die Kodiereinheit legt die kleinsten Materialbestandteile, die ausgewertet werden können, fest, welche dann unter eine Kategorie subsumiert werden. Hingegen ist die Kontexteinheit die größte zu verwendende Texteinheit, die unter eine Kategorie fallen kann (beispielsweise längere Textpassagen). Die Analyseeinheit legt die Reihenfolge fest, in der die Textteile ausgewertet werden sollen.
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
171
der Alterseffekt in enger Verbindung mit den schlechten vereinbarkeitsorientierten Rahmenbedingungen wie auch der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz alternativer dualer Familienmodelle in der Vergangenheit. Interessanterweise bestätigen die Interviews die quantitativen Befunde über den Einfluss vor allem der kulturell bedingten familialen Rollenbilder zwischen Männern und Frauen. Eine zentrale Ursache für die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell kann auf spezifische Einstellungen zum familialen Rollenbild zurückgeführt werden (vgl. hierzu auch Rüling 2007: 104; Beckmann 2001). Allerdings zeigt sich dieser geschlechtsspezifische Effekt hauptsächlich bei (Ehe-)Paaren mit Kindern, während Paare ohne Kinder, wie bereits die quantitative Auswertung der Familienmodell gezeigt hat, sogar relativ häufig egalitäre Modelle leben. Bei allen untersuchten (Ehe-)Paaren mit Kindern haben die Frauen die Arbeitszeit deutlich reduziert oder zeitweise ganz unterbrochen, obwohl sie die eigene Berufstätigkeit weder aufgeben noch in so erheblichen Umfang einschränken wollten. Gleichzeitig übernehmen sie die Hauptverantwortung für die Familienarbeit (vgl. hierzu Rüling 2007: 103). Trotz der Veränderungen hinsichtlich des Erwerbsverhaltens von Frauen und relativ moderner Einstellungen zur Berufstätigkeit von Frauen ist die familiale Arbeitsteilung nach wie vor traditionell ausgerichtet (vgl. Kap. 6.4). Dabei stößt die traditionelle Aufgabenteilung nicht unbedingt auf große Zustimmung, wie die Einstellungen über die Beteiligung der Männer an der Familienarbeit zeigen, da die Mehrheit der Befragten eine größere Beteiligung von Männern an der Haus- und Kinderbetreuungsarbeit befürwortet (vgl. Kap. 6.4). Offenkundig steht die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zum Teil im Widerspruch zu den vereinbarkeitsorientierten Einstellungen in der Gesellschaft (vgl. hierzu auch Kap. 6.5.5 und Kap. 7.4). Die Traditionalisierung der familialen Arbeitsteilung ist, wie bereits in Kapitel 6.1 und Kapitel 6.2 (vgl. Kap. 6.1, Kap. 6.2) nachgewiesen, eng mit der Elternschaft von Paaren verknüpft. Offenkundig bestimmen in dieser Gruppe die klassischen geschlechtsspezifischen familialen Leitbilder die paarinternen Entscheidungsprozesse und gegenseitigen Erwartungen der Partner wesentlich mit. Dabei begünstigen traditionell ausgerichtete familienpolitische Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben die Entscheidung für diese Form der Aufgabenteilungen. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere Frauen diese familienpolitische Ausrichtung kritisieren, tragen sie doch die Nachteile der bestehenden Regelungen (vgl. Kap. 3.4). Alternative egalitäre Lebenskonzepte scheinen insbesondere bei Männern mehr „Lippenbekenntnisse“ zu sein bei weitgehend ausgeprägter Verhaltensstarre (Rüling 2007: 103). Die Arbeit von Rüling (2007) zeigt in diesem Kontext auf, dass eine egalitäre familiale Arbeitsteilung auch zwischen Paaren mit Kindern möglich ist, allerdings den beteiligten Partnern viel „Durchhaltevermögen“ abverlangt. 8.4.1 Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben: Hauptkonflikte und Lösungsansätze Die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben führt in Abhängigkeit vom individuellen Arrangement eines (Ehe-)Paares zu unterschiedlichen Konfliktsituationen. (Junge) Paare ohne Kinder entscheiden sich häufig für das Doppelkarrieremodell (vgl. Kap. 6.2.2). Aber auch dieses erwerbszentrierte Arrangement birgt Konflikte. Charakteristisch für diese Paare ist, dass der Beruf und die berufliche Weiterentwicklung einen hohen Stellenwert im Leben beider Partner haben. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist bei den Inter-
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viewten noch offen. Konfliktpotential liegt aber auch in dieser Gruppe hinsichtlich der zeitlichen Gestaltung von Erwerbs- und Familienleben vor. So konstatiert eine Interviewpartnerin (Fallnr. 1) auf die Frage, ob es ein Spannungsfeld zwischen Anforderung der Erwerbsarbeit und dem privaten Leben gibt: „Ja, ausgelöst durch die Arbeit, die wir beide verfolgen. Ich kann dazu genauer sein, das sieht so aus, dass ich voll angespannt bin, also dass ich viele Sachen mit nach Hause nehme. Mein Partner ist Redakteur und arbeitet unter hohem Termindruck, d. h. zu einer bestimmten Zeit muss alles fertig sein, es gibt keinen Aufschub, er arbeitet jedes Wochenende, also zumindest jeden Sonntag und hat dafür einen Tag in der Woche frei. Dann bin ich aber meistens beruflich unterwegs, d. h. wir haben effektiv nur den Samstag für uns, einen Tag und dann müssen wir auch meine Oma vom Markt abholen, so dass auch dieser Samstag eigentlich gestört ist. Die Arbeit wird immer mehr und wir tun weniger für unsere Partnerschaft. Zudem ist es für meinen Partner so, dass wenn er nach Hause kommt, er nicht über die Arbeit reden muss, aber ich dafür umso mehr, d. h., dass die Arbeit auch immer ein Teil unserer Beziehung ist und wir es nicht schaffen, uns mit uns mehr zu beschäftigen und weniger mit der Arbeit. Dies führt zu Konflikten in der Form, dass wir manchmal uns vergessen, also unsere Partnerschaft, was uns beiden vielleicht wichtig ist, und dass der Alltag eine zu große Rolle spielt.“
Auch berichtet eine weitere Interviewpartnerin, dass der Austausch in der Beziehung häufig zu kurz kommt und die verbleibende Zeit neben der Erwerbsarbeit zwischen Hausarbeit und Sozialkontakten aufgeteilt werden muss. Dennoch zeigt sich, dass bei (Ehe-)Paaren ohne Kinder, die ein Doppelkarrieremodell leben, die Zeitverwendung für Erwerbs- und Familienarbeit zwischen beiden Partner relativ ausgeglichen ist. Im Bereich der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben betonen alle Elternteile, dass ein deutliches Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Anforderungen existiert. Im Hinblick auf die Familienmodelle finden sich in der Regel gerade bei Befragten, die jüngeren Altersklassen angehören, Vereinbarkeitsmodelle, die am häufigsten dem Typ Doppelverdienermodell (I) beziehungsweise dem Doppelverdienermodell (II) entsprechen, das heißt, der Mann ist in Vollzeit beschäftigt und die Frau in kurzer oder langer Teilzeit. Die Familienarbeit wird vorwiegend von der Frau sowie von Angehörigen geleistet oder anteilig von einer Betreuungseinrichtung übernommen. Die Entscheidung zwischen langer oder kurzer Teilzeittätigkeit der Frauen hängt dabei nicht nur vom Alter der Kinder ab, sondern auch von der individuellen Erwerbsorientierung und der Bereitschaft des (Ehe)Partners neben der Vollzeittätigkeit Verantwortung für die Familienarbeit zu übernehmen. Aber auch ökonomischer Druck spielt hier eine Rolle. Weitere Voraussetzung für eine gerechtere, wenn auch nicht egalitäre Arbeitsteilung ist die Orientierung beider Partner hin zu alternativen familialen Rollenbildern zwischen den Geschlechtern. Interessanterweise verweisen vor allem die Interviewpartnerinnen in diesem Kontext auf die Wichtigkeit der Partnerwahl. Die befragten Frauen wünschen sich überwiegend Partner, die ebenfalls bereit sind, die Erwerbsarbeit zu reduzieren und Verantwortung für Familienleben zu übernehmen. Eine Interviewpartnerin (Fallnr. 4) bemerkt auf die Frage, wie Erwerbs- und Familienleben gut zu vereinbaren sind: „Ja, erst mal müsste man sich den Mann genau angucken, also die Partnerwahl ist wirklich was sehr Entscheidendes, also das müsste man vorher schon ganz genau prüfen, das gebe ich schon meinen Töchtern mit, hoffentlich beherzigen sie es. Das ist schon mal der erste Schritt, bei uns gibt es wirklich so eine Gleichwertigkeit und so eine Anerkennung (...). Er hat also auch, als die
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Kinder klein waren, hat er schon sehr reduziert, die Sprechzeiten z. B., dass er zwei halbe Tage manchmal sogar drei halbe Tage sogar zeitweise frei hatte, er hatte jemanden noch eingestellt (...). Also das ist was ganz Entscheidendes, die Partnerwahl und dann damit auch eine Entscheidung schon zumindest vorzubesprechen und das zu besprechen, bevor man Kinder kriegt, ist auch der Vater bereit gleichermaßen für die Kinder aufzukommen und auch zu verzichten, aber auch beruflich auf den geraden Durchmarsch zu verzichten, das finde ich was sehr Entscheidendes und ansonsten na ja schon so flexible Arbeitsbedingungen sind auch sehr entgegenkommend.“
Demgegenüber zeigt sich in den Interviews mit den beiden Befragten, die sich für das Ernährermodell entschieden haben, dass die Orientierung an der traditionellen familialen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männer dominiert. In der Regel ist den „Hausfrauen“ aber bewusst, dass dieses Arrangement nicht mehr unbedingt zeitgemäß ist und die eigene Entscheidung aus heutiger Sicht durchaus kritisch gesehen wird (Fallnr. 12). Unabhängig vom gewählten Familienmodell führt die Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit sowie Erziehungsfragen zwischen den (Ehe-)Partnern immer wieder zu Konflikten. Insbesondere die befragten Frauen kritisieren, dass die Leistungen, die sie im Rahmen der Familienarbeit wie auch als (Teilzeit-)Erwerbsperson erbringen, weder in der Familie noch am Arbeitsplatz anerkannt werden. Ein Problem, welches vor allem Frauen trifft, die ausschließlich Familienarbeit leisten, geringfügig beschäftigt sind oder kurze Teilzeit arbeiten, ist die unzureichende soziale Absicherung bei Eintritt in das Rentenalter. Einige weibliche Befragte unterstreichen deshalb für sich die Notwendigkeit, Erwerbs- und Familienarbeit zwangsläufig miteinander vereinbaren zu müssen, um eine adäquate soziale Altersabsicherung für sich gewährleisten zu können. Die aktuellen Regelungen hinsichtlich der zeitwerten familienpolitischen Leistungen werden also vor allem von den Müttern kritisiert und als unzureichend bewertet. Ebenfalls als schwierig beschreiben die befragten Elternteile den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Rollen, die sie im Erwerbs- und Familienleben ausfüllen. Hier werden sehr vielfältige Anforderungen an die einzelnen Personen gestellt. Ein erhebliches Problem stellt nach Meinung der befragten Mütter und Väter, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, der Mangel an Zeit und die Organisation des Familienalltags dar, der aus der doppelten Belastung resultiert und in dessen Folge oftmals persönliche wie familiäre Konflikte entstehen. Eine teilzeiterwerbstätige Mutter (Fallnr. 3) konstatiert: „Ja, es ist die Zeit. Das Spannungsfeld würde ich jetzt als die Zeit definieren, die einfach knapp ist. Wir müssen morgens um eine bestimmte Zeit, in etwa, aus dem Haus raus und da müssen die Kinder fertig sein. Und ich muss sie um eine bestimmte Zeit wieder abholen. Das ist sicherlich ein Spannungsfeld, weil da kann auch mal leicht Stress entstehen. Das ist eigentlich erst mal so das Einzige, was mir einfällt.“
Ein Vater (Fallnr. 2) bemerkt in diesem Kontext ebenfalls, dass größtes Spannungsfeld die knappe Zeit sei: „Zeit. Also ich verbring 9 - 10 Stunden im Job (vier Tage) und dann kann man sich ausrechnen, wenn ich von acht bis achtzehn Uhr arbeite, auch dann viel Trubel hatte, viel Hektik, was an Energie und Zeit an mein Privatleben abgeht, d. h. ich ja wirklich nur noch dabei Notversorgung leisten kann, Hausaufgaben mal zu gucken und zu sagen okay, die musst du alleine können, also das gibt auch unverhältnismäßig oft mit mir und meinem Sohn Reibungspunkte. Dies würde
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8 Datenanalyse III: Familieninterviews entfallen, wenn ich um 15 Uhr zu Hause wäre und mit ihm in Ruhe Hausaufgaben machen könnte, weil er kriegt das alleine noch nicht so gut hin, ist auch nicht der schnellste in Hausaufgaben, so durchschnittlich und da braucht er einfach eine Hilfe.“
Fast alle berufstätigen Elternteile geben an, häufiger ein schlechtes Gewissen zu haben, da sie befürchten, den Kindern nicht mehr gerecht zu werden. Beispielsweise beschreibt eine Befragte (Fallnr. 2): „ich bin mit meinen Gedanken dann noch ganz woanders“ oder eine Interviewpartnerin (Fallnr. 4) konstatiert kritisch: „Das Spannungsfeld ist halt einfach diese Zeit oder dann auch dieses schlechte Gewissen, das man jedem Bereich gegenüber hat, für den man irgendwie verantwortlich ist, dass man immer das Gefühl hat, irgendwie defizitär zu sein und niemandem richtig gerecht zu werden, so wie man sich das idealer vorstellt.“
In der Konsequenz haben beide Elternteile kaum noch Zeit für individuelle Freiräume oder auch für die Partnerschaft. Ein weiterer Bereich betrifft bestehende Rahmenbedingungen der Arbeits- und Familienwelt. Erwerbstätige Mütter und Väter, die im Rahmen ihrer Tätigkeit über flexible Arbeitszeiten beziehungsweise Arbeitszeitmodelle verfügen, schätzen diese als sehr positiv und erleichternd ein. Allerdings existiert bei der Mehrheit der befragten Elternteile am Arbeitsplatz kein Angebot an flexiblen Arbeitszeitmodellen, obwohl dies von der überwiegenden Mehrheit der Mütter und Väter gewünscht wird. Die berufstätigen Elternteile bestätigen, dass die Kinderbetreuung häufig ein großes Problem darstellt, da die Öffnungszeiten der Betreuungsstätten weder den Arbeitszeiten noch individuellen Bedürfnissen entsprechen. Nach Aussage einer befragten Mutter öffnen die Betreuungseinrichtungen in der Regel zu spät und enden wieder zu früh. Auch beschreibt eine teilzeiterwerbstätige Mutter (Fallnr. 5) das Kinderbetreuungssystem als sehr defizitär: „Es gibt einen Run um die Plätze, wenn ich sage mal von unserer Situation ausgehe, es gab dann eben im Kindergarten nur Halbtags- oder Ganztagsplätze und nichts dazwischen und ich meine diese flexiblen Kindergartenzeiten haben sich ja jetzt weiterentwickelt, zum Glück, aber Halbtagsschule finde ich auch nicht in Ordnung, also es müsste schon auch nachmittags Angebote geben und von da noch viel weiterentwickelt werden, an Angebotsmöglichkeiten, von den Kleinsten bis hin zur Grundschule oder dann auch Sekundarstufe I. (...) Ja siebte, achte Klasse und dann ist es irgendwann okay. (...) Ja, da müsste dringend z. B. zwischen 0 und 3 genauso ein Anspruch wie dieser Kindergartenanspruch, müsste es da auch geben, genauso auch dann in der Grundschule, das ist für viele ein ganz großes Problem, das weiß ich wirklich auch aus eigener Erfahrung, wie schwierig das ist, weil da ja oft so kurze Unterrichtszeiten sind und da müsste es, ja das finde ich das A und O, dass es da quasi ausreichend Plätze geben muss, dass jeder der den Anspruch hat oder formuliert, ihn auch einlösen kann für die eigenen Kinder.“
Das Angebot einer Ganztagsbetreuungsmöglichkeit wäre hier dringend notwendig. Fast alle befragten Elternteile sind zusätzlich auf privat organisierte Betreuungsmöglichkeiten, wie die eigenen Eltern, andere Angehörige oder Freunde, angewiesen. So beschreibt eine Befragte (Fallnr. 11): „Wenn es gebrannt hat, waren sie da (…). Und ich denke mir, wenn die Großeltern halt nicht da gewesen wären, wäre es ein ernsthaftes Problem gewesen“. Eine befragte teilzeiterwerbstätige Mutter (Fallnr. 3) weist darauf hin, dass die Erweiterung der Öffnungszeiten des örtlichen Kindergartens bis 14.00 Uhr, einschließlich Mittagessen, zu einer großen Entlastung des Familienlebens geführt hat:
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
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„Das ist Wahnsinn, wie toll das ist. Also vorher war es halt so, ich habe ja jetzt das Jahr schon gearbeitet. Die gehen seit Januar jetzt in diese Mittagsbetreuung. Also ich habe quasi ein Jahr gearbeitet Halbtags. Das ich das dann so gemacht habe, mein Mann hat die in den Kindergarten gebracht, ich habe sie abgeholt und habe dann angefangen zu kochen. Bis ich dann fertig war, war es drei. Und das muss natürlich schnell gehen. Die haben Hunger, wenn die heimkommen, dann muss was auf den Tisch. Und jetzt ist das sehr entspannt, die kommen nach Hause, haben gegessen, sind rundum zufrieden, die wollen erst mal gar nichts von mir und ich habe dann auch ein paar Minuten zum Verschnaufen und dann geht es weiter.“
Aber auch die Unterversorgung mit Plätzen für die unter Dreijährigen gestaltet sich bei den betroffenen Akteuren als schwierig. So schildert eine erwerbstätige Mutter (Fallnr. 6), die sich letztendlich für eine privat organisierte Betreuung entschieden hat: „Ja, ja. Es gab da nur eine Krabbelstube für Kinder ab 1 ½. Die war nur von 8.00 bis um 12.00 Uhr. Da gab es sonst nichts. Von 8.00 bis um 12.00 Uhr das bringt mir nichts. Dann noch Elternarbeit dazu. Das wäre also absoluter Quatsch gewesen und außerdem war er noch viel zu klein (…). Aber ich hatte dann eigentlich keine andere Wahl, entweder mache ich es selber oder ich nehme ihn mit nach Gießen sozusagen und bringe ihn zu meiner Mutter, das wollte ich aber auch nicht, dann hätte ich das Kind jeden Tag drei Stunden auf der Autobahn gehabt, oder aber ich nehme diese Tagesmutter und sage okay, da müssen wir halt eben durch.“
Als besonders problematisch beschreiben alle berufstätigen Elternteile die Situation, wenn ein Kind erkrankt. Trotz der gesetzlich festgelegten Freistellung von 10 Tagen bei Erkrankung eines Kindes wird ein Fernbleiben vom Arbeitsplatz häufig von Kollegen oder Vorgesetzten negativ sanktioniert. Darüber hinaus decken die gesetzlichen Regelungen nicht den tatsächlichen Bedarf an Krankheitstagen ab. Um Familienleben und Erwerbsarbeit besser miteinander vereinbaren zu können, sind für die Mehrheit der befragten Mütter drei Faktoren entscheidend: 1) ausreichende und bezahlbare Kinderbetreuungsmöglichkeiten, 2) flexible und ausreichend lange Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen und 3) flexible Arbeitszeitmodelle. Ausnahmslos alle befragten Elternteile geben an, dass die Kinderbetreuung unabdingbar ist, um beide Sphären einigermaßen miteinander vereinbaren zu können. Im Hinblick auf flexible Arbeitszeiten ist besonders hervorzuheben, dass alle Elternteile flexible Arbeitszeiten nur eines Partners für unzureichend halten. Notwendig für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre sind flexible Arbeitszeiten für beide Elternteile. Befragte, denen im Rahmen ihrer Tätigkeit flexible Arbeitszeitmodelle zur Verfügung stehen oder die einen Teil der Arbeit auch zu Hause erledigen können, schätzen dies als sehr positiv und erleichternd ein. Dementsprechend konstatiert ein Vater (Fallnr. 8) auf Nachfrage, ob ein Spannungsfeld bei der Vereinbarkeit zwischen seinem Beruf und dem Familienleben existiert: „Überhaupt nicht. Das ist sehr positiv hier bei uns. Weil ich nämlich eine sehr flexible Arbeitszeit habe. Aber es kommt häufiger mal vor, dass ich während der Arbeitszeit mal eben zum Kindergarten rüber muss, weil mein Sohn krank ist. Dann hole ich ihn ab, bringe ihn in die Wohnung. Das ist auch der Vorteil des Berufs, den ich habe. Weil wenn die Kinder hier oben sind, kann ich schnell mal hochschauen und sehen, was los ist und kann trotzdem meiner Tätigkeit nachgehen. Und wir haben so eine flexible Arbeitszeitgestaltung, dass wir sagen können: Heute komme ich um 10, morgen um 11 und übermorgen gar nicht. Das geht also alles. Wenn das natürlich begründet ist, das ist klar. Ich kann das nicht jeden Tag machen. Also in begründeten Fällen ist das überhaupt kein Problem. Das ist nicht nur bei mir so, das ist auch bei meinen
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8 Datenanalyse III: Familieninterviews Kollegen und Kolleginnen so, die rufen an und sagen, ich komme heute mal zwei Stunden später, ich muss mit meinem Kind mal eben in die Schule, da klappt was nicht, und mit dem Lehrer sprechen.“
In diesem Kontext spielt nicht nur die Flexibilität der Arbeitszeiten eine Rolle, sondern auch die Möglichkeit der Reduzierung. So argumentiert ein Teil der Eltern (Fallnr. 2, 9), dass die Möglichkeit für Mütter und Väter – unabhängig vom aktuellen Erwerbsstatus – gegeben sein sollte, die Arbeitszeit langfristig (zumindest mehr als die vorgesehenen drei Jahre) zu reduzieren, wenn dies gewünscht wird. Entscheidend dabei ist die gesellschaftliche Anerkennung, dass Familienväter auch weniger arbeiten möchten und können, ohne dass am Arbeitsplatz „Druck“ ausgeübt wird. So bemerkt ein Vater (Fallnr. 2) in diesem Kontext: „Ja, also ich finde so ein Grundrecht von Eltern müsste sein, den Arbeitsplatz, den sie haben, in einen 7 Stunden Arbeitsplatz umzuwandeln, so was fände ich dann auch machbar, dann kann man auch sagen, Eltern sind dafür verantwortlich, wenn ihre Kinder extreme Probleme haben, nur momentan, wenn ich die ganzen Schulprobleme sehe, die bei Jugendlichen auftreten oder auch Verhaltensprobleme, Kriminalitätsraten, Drogenprobleme, die ja immer intensiver werden, auch die Distanz zwischen Eltern und Kind, das hängt alles mit der Arbeit zusammen.“
Allerdings stehen den meisten Müttern und Vätern am Arbeitsplatz weder so flexible Arbeitszeiten noch Reduktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Gewährung flexibler Arbeitszeiten hängt häufig von der individuellen Bereitschaft der Vorgesetzten ab. So beschreibt ein Vater (Fallnr. 2), dass die flexiblen Arbeitszeiten zwar nicht betrieblich geregelt sind, aber ein „individuell flexibles Arbeitsverhältnis mit dem familienfreundlich denkenden Chef vereinbart wurde“. In der Regel müssen betroffene familiale Akteure zusätzlich ein soziales Netz aufbauen, in welches Großeltern, Verwandte und Freunde integriert sind, um die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familiensphäre gewährleisten zu können. Kritisch zu bewerten ist in diesem Kontext, dass ohne ein privat organisiertes zusätzliches Betreuungsnetz die Gewährleistung der Betreuung der Kinder kaum ausreichend möglich ist. Damit unterliegen die individuellen Arrangements in den Familien einem hohen Koordinationsaufwand zwischen allen Beteiligten wie auch erheblichem Zeitdruck. Aber auch die Qualität der Betreuungseinrichtungen spielt eine zentrale Rolle. Für erwerbstätige Eltern ist es wichtig, das Gefühl zu haben, dass die Kinder gut aufgehoben sind. „Dann kann man auch gut arbeiten. Das ist ganz wichtig“ (Fallnr. 3). Hierzu zählt neben einer qualitativ guten Betreuung vor allem auch die Zuverlässigkeit der Betreuungszeiträume für Kinder, insbesondere in den Schulen. Eine erwerbstätige Mutter schildert in diesem Kontext (Fallnr. 5): „Das sehe ich schon als ein Konfliktpotential an für mich. Sagen wir mal jede Stelle, die ich sehe, die sehr anspruchsvoll wäre oder so, wenn ich mich darauf bewerbe, ich immer an den nächsten Rattenschwanz denken muss, der hinten dran kommt. Also sprich, ich bewerbe mich auf eine volle Stelle und muss in dem Moment, wo ich zum Bewerbungsgespräch eingeladen werde, schon überlegen, was passiert eigentlich, wenn ich die kriege. Wie will ich das denn organisieren. Weil ich im Moment eben dieses Lebensmodell habe, ein Kind ist betreut bis um zwei, wenn es sein muss, das andere Kind ist jetzt schon relativ lange in der Schule, da fällt aber ständig was aus und das ist ganz schwierig. Das geht im Moment auch nur mit den 25 Stunden
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und mit der politischen Arbeit, weil mein Mann sein Büro im Haus hat und weil er sehr flexibel arbeiten kann. Wir können beide unsere Zeit frei einteilen.“
Es lässt sich abschließend festhalten, dass die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben nicht nur generell mit der Herstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und flexiblen Arbeitszeiten einhergeht, sondern in besonderem Maße auch davon abhängt, wie diese Möglichkeiten gestaltet werden. So zeigen die Interviews mit den familialen Akteuren deutlich auf, dass es nicht nur um das „ob“, sondern auch um das „wie“ geht. Betrachtet man die bisherigen vereinbarkeitsorientierten Maßnahmen, kann auf der Basis der Interviews festgestellt werden, dass es in erheblichen Umfang an der bedarfsgerechten Ausgestaltung dieser Interventionen mangelt. 8.4.2 Familiale Arbeitsteilung im Haushalt – partnerschaftliches Konfliktfeld? In den meisten Haushalten herrscht eine Arbeitsteilung zwischen den (Ehe-)Partnern vor. Einzig in den Haushalten mit einer Hausfrau trägt diese den überwiegenden Teil der Hausarbeit. Leben schon ältere Kinder mit im Haushalt, übernehmen diese anteilig einzelne häusliche Aufgaben. In der Regel teilen sich beim Doppelkarrieremodell und dem Doppelverdienermodell III beide Partner die anfallende Hausarbeit relativ gleichwertig auf. Die Aufteilung bei dem Doppelverdienermodell I oder II richtet sich nach dem Umfang der Erwerbsarbeit der einzelnen familialen Akteure. Der Partner, der Vollzeit erwerbstätig ist, übernimmt weniger Arbeit im Haushalt. Damit entfällt der größte Teil der häuslichen Pflichten, neben der Betreuungsarbeit der Kinder, auf die Frauen, da diese hauptsächlich die Erwerbszeit reduzieren und einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Die berufstätigen (Ehe-)Paare haben vielfach eine Reinigungskraft zusätzlich eingestellt, die in der Regel einmal pro Woche für durchschnittlich drei Stunden kommt und in den Familien anfallende Hausarbeiten erledigt. Die Aufteilung der spezifischen Aufgaben im Haushalt, wie Wäsche, Kochen, Abwasch, Reinigung, Einkauf, Gartenarbeit, Behördengänge und Reparaturen, im vorliegenden Sample ist in Tabelle 8.1 (vgl. Tab. 8.1) dargestellt. Es fällt auf, dass die Beteiligung der Partner an der Hausarbeit sich häufig auf die klassisch männlichen Tätigkeit wie Reparatur- und Gartenarbeit beschränkt, zumindest bei dem Doppelverdienermodell I und II, so dass bei der Hausarbeit die klassische Arbeitsteilung dominiert. Interessanterweise kommt es zwischen den Partnern oder in der Familie bezüglich der Arbeitsteilung im Haushalt kaum zu Konflikten. Die Aufteilung der Haushaltsaufgaben wird in der Regel zwischen den Partnern und Familienmitgliedern besprochen und oftmals nach der individuellen Zeit (je nachdem wie umfangreich die Erwerbstätigkeit der Einzelnen ist) und auch der Motivation aufgeteilt. In der Regel verläuft dieser Prozess ohne größere Kontroversen. Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert, da quantitative Untersuchungen über die Aufteilung der Familienarbeit eindeutig nachweisen, dass insbesondere Frauen, auch wenn sie erwerbstätig sind, nach wie vor den größten Teil der Haus- und Erziehungsarbeit übernehmen und damit in der Regel nicht sehr zufrieden sind. Obwohl dieser Umstand der ungleichen Arbeitsteilung einiges an Konfliktpotenzial birgt, führt dies in der untersuchten Gruppe zu keinen größeren Kontroversen. Eine Erklärung hierfür ist möglicherweise, dass bei der häuslichen Arbeitsteilung der Harmonie in der Partnerschaft mehr Gewicht eingeräumt oder die Hausarbeit zum Teil externalisiert wird (vgl. Rüling 2007: 107).
178
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
Tab. 8.2: Aufteilung der Hausarbeit Hausarbeitsaufteilung in % zwischen den Partnern
Fallnr.
Erwerbsmuster
1
Partnerschaft ohne Kinder (beide Partner Vollzeit tätig)
Partner: 50 % Partnerin: 50 % Hängt von der individuellen Arbeitsbelastung ab
Partner: Einkauf, Getränke Partnerin: Wäsche, Kochen, Abwasch, (Spülmaschine), Einkauf Beide: Reinigung im Haushalt, Behördengänge, Reparaturen
2
Partnerschaft mit 2 Kindern (Patchworkfamilie) Partner: 80% Teilstelle Partnerin: 60% Teilzeit
Partner: Partnerin:
40 % 60 %
Keine spezifische Arbeitsteilung: Beide machen alle Aufgaben
3
Ehepaar mit 2 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Teilzeit 60%
Partner: Partnerin:
35 % 65 %
Partner: Gartenarbeit, Reparaturen Partnerin: Wäsche, Reinigung im Haushalt, Abwasch (Spülmaschine) Beide: Kochen, Einkaufen, Behördengänge
4
Ehepaar mit 2 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Teilzeit 50%
Partner: Partnerin:
10 % 90 %
Beide: Kochen
5
Ehepaar mit 2 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Teilzeit 60%
Partner: Partnerin:
30 % 70 %
6
Partnerschaft ohne Kinder (beide Partner Vollzeit tätig)
Partner: Partnerin:
75 % 25 %
7
Ehepaar mit 2 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Teilzeit 60%
Partner: Partnerin:
30 % 70 %
8
Ehepaar mit 1 Kind Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Teilzeit 50%
Partnerin: Partner:
75 % 25 %
9
10
Ehepaar mit 3 Kindern (Patchworkfamilie) Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: 50% Teilzeit, selbständig Ehepaar mit 3 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Hausfrau
Partnerin trägt Hauptlast Familie hat Reinigungskraft
Art der Haushaltsaufgabe
Partner: Kochen, Gartenarbeit Partnerin: Wäsche, Beide: Reinigung im Haushalt, Abwasch (Spülmaschine), Einkauf, Behördengänge, Reparaturen Partner: Wäsche, Reinigung im Haushalt Partnerin: Kochen am Wochenende, Einkauf Beide: Abwasch, Behördengänge Partner: Kochen, Gartenarbeit, Reparaturen Partnerin: Einkauf, Wäsche Beide: Reinigung im Haushalt, Abwasch (Spülmaschine), Behördengänge, Partner: Reparaturen Partnerin: Reinigung im Haushalt, Waschen, Kochen, Garten, Einkaufen, Behördengänge Beide übernehmen Arbeiten des anderen Partner: Garten, Kochen am Wochenende Partnerin: Kochen, Abwasch, Behördengänge, Einkaufen Reinigungskraft: Reinigung im Haushalt, Wäsche
Hausfrau
Alle Arbeiten
11
Ehepaar mit 3 Kindern Partnerin: 50% Teilzeit Partner Vollzeit, selbstständig
Partnerin trägt Hauptlast
Partner: Reparaturen Partnerin: Reinigung im Haushalt, Waschen, Kochen, Garten, Einkaufen, Behördengänge Kinder werden leicht eingebunden
12
Ehepaar mit 4 Kindern Partner: Vollzeit beschäftigt Partnerin: Hausfrau
Partner/Kinder: Partnerin:
Kinder übernehmen anteilig kleine Aufgaben im Haushalt
Quelle: Eigene Interviews mit familialen Akteuren
25 % 75 %
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
179
8.4.3 Staatliche versus private Gestaltung von Familienleben Die Frage, in wieweit die unterschiedlichen politischen und privaten Akteure Verantwortung für die Sicherung von Familienleben übernehmen sollen, wurde auf vier relevante gesellschaftliche Hauptakteure eingegrenzt und den Befragten vorgeben: Ein zentraler Akteur ist der Staat beziehungsweise Politik, ein weiterer die Arbeitgeber, zudem die Wohlfahrtsverbände und letztendlich die Familien selbst.87 Die Mehrheit der Befragten spricht dem Staat, wie bereits die quantitativen Ergebnisse auf der Basis des Soziooekonomischen Panels (Spieß 2004; vgl. auch Kap. 7.2) gezeigt haben, die Hauptverantwortung für das Wohlergehen und die Absicherung von Familienleben insbesondere hinsichtlich der Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen zu. Eine teilzeiterwerbstätige Mutter (Fallnr. 4) stellt hierzu fest: „Also ich würde schon eine Hauptverantwortung bei der Politik sehen, weil ich denke, dass da einfach Rahmenbedingungen geschaffen werden. Klar jetzt nicht 100 %, natürlich haben Familien auch ihren eigenen Anteil und Verbände usw. auch, aber ich denke schon so den Hauptverantwortungsteil, gerade weil es hier um die Bedingung geht, würde ich schon sagen bei der Politik.“
Auf die Frage, wie Staat diese Verantwortung wahrnimmt, äußert sich die befragte Mutter kritisch und wird darin von den meisten Elternteilen unterstützt, die bemängeln, dass familiale Angelegenheiten zu wenig als gesamtgesellschaftliche Aufgaben angesehen werden, sondern nach wie vor als private Angelegenheit von Eltern und insbesondere Müttern: „Also ich finde, dass halt sehr viel, oder in unserer Gesellschaft eigentlich unheimlich viel der Familie aufgebürdet und sehr privatisiert wird. Die Familie ist sich selbst überlassen. Man hat sich irgendwie um alles zu kümmern, zu organisieren und es fehlen oft aber auch Bedingungen, um das zufriedenstellend zu lösen und schon ganz und gar für Familien, die jetzt nicht so Superbedingungen haben, also da denke ich, dass den Familien einfach viel zu große Lasten aufgebürdet werden.“
Eine berufstätige Mutter konstatiert in diesem Kontext ebenfalls kritisch, dass „Kinder nicht nur Privatangelegenheit sein können, weder finanziell noch hinsichtlich der Betreuungseinrichtungen und Eltern das finanzielle Risiko alleine tragen müssen“. Aber auch den Arbeitgebern wird eine Beteiligung an der Verantwortung zugewiesen. Diese liegt vor allem in der Gestaltung einer familienfreundlichen Arbeitswelt. Hier sehen die erwerbstätigen Elternteile ein großes Defizit, das zu einer erheblichen Belastung des familialen Lebens führt. Stellvertretend für fast alle befragten Elternteile stellt ein Vater fest: „Aber primär sehe ich dann den Handlungsbedarf, wenn die Politik das geregelt haben sollte, muss auch die Ökonomie mitziehen, d. h. es bringt nichts, wenn die Politik Vorgaben setzt, eine Messlatte anlegt, die die Ökonomie nicht ansatzweise bereit ist, zu übersteigen, obwohl es
87
Im Rahmen des Pretests hat sich gezeigt, dass bei der Frage nach den Akteuren, die Verantwortung für das Wohlergehen von Familien tragen sollen, eine Vorgabe dieser Akteure notwendig ist, da die Frage von den Interviewpartnern inhaltlich nicht verstanden wurde.
180
8 Datenanalyse III: Familieninterviews machbar wäre mit einem gewissen Aufwand, also im Grunde wäre ein Paradigmenwechsel in der Wirtschaft nötig.“
Lediglich einzelne Befragte sehen die Hauptverantwortung ausschließlich bei den Familien, da sie eine staatliche Bevormundung vermeiden wollen. Kritisiert wird, dass in Deutschland ein großer Teil der Verantwortung für das Wohlergehen von Kindern und Familie von Seiten des Staates auf die Wohlfahrtsverbände des dritten Sektors abgewälzt wird. So konstatiert ein erwerbstätiger Vater (Fallnr. 2), dass die Wohlfahrtsverbände: „(...) im Grunde so Auffangbecken sind. Ich sehe das schon so, ich sehe die Arbeit als wichtig an, aber deren Arbeit könnte noch viel sinnvoller geleistet werden, wenn die Rahmenbedingungen besser wären, dann könnten die sich auf ganz andere Sachen konzentrieren, z. B. auch auf Inhalte nicht nur auf Notversorgung, nicht nur auf Eltern helfen Eltern, die sind ja direkt neben uns, organisieren da und dort Babysitter und meistens geht es nur um schlichte Notversorgung, dass die Frau auch mal was anderes machen kann, als zu Hause beim Kind zu sein.“
Die Akzeptanz staatlicher Intervention in das familiäre Leben wird von Befragten in Abhängigkeit von der Art der Intervention und dem Bereich der Intervention beurteilt. Einerseits stoßen staatliche Interventionen in Hinsicht auf das familiäre Leben in der Bundesrepublik durchaus auf positive Resonanz. Vor allem werden staatliche Interventionen im Bereich der finanziellen Transferleistungen, des Ausbaus der Kinderbetreuung sowie sozialer Angebote, die Familien zu Gute kommen sollen, gewünscht und akzeptiert. Einen Schwerpunkt der Familienpolitik bildet der Ausgleich von Erwerbsarbeit und Familienleben. Andererseits stehen die Befragten staatlichen Interventionen in mehr personale familiäre Lebensbereiche kritisch gegenüber, da dies als ein Eingriff in die Privatsphäre angesehen wird. Zu den personalen familiären Lebensbereichen, die weniger staatlichem Einfluss, aber stärker kulturellem Einfluss unterliegen, zählen die Wahl der Beziehungsform und des familialen Zusammenlebens, Entscheidungen über Elternschaft, die Familiengröße sowie die Arbeitsteilung im Haushalt. Insbesondere wird von einem Großteil der Befragten kritisiert, dass der Staat die Ehe gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens gezielt fördert. Die Mehrheit der Befragten gibt hier an, dass alle Formen des Zusammenlebens den gleichen Stellenwert haben sollten. Insbesondere Kinderwunsch, Elternschaft sowie der Zeitpunkt der Elternschaft sind für alle Befragten vorwiegend eine sehr persönliche Entscheidung. Vielmehr spielen hier Faktoren wie die Qualität der Partnerschaft, das Alter der Partnerin oder des Partners, medizinische Gründe oder der Bedarf an persönlichen Freiräumen eine Rolle. Relevanz erhielten die staatlichen Leistungen und Angebote erst in der Schwangerschaft oder nach der Geburt des Kindes/der Kinder. Staatliche Interventionen, flankiert durch arbeitgeberisches wie auch wohlfahrtsstaatliches Engagement, wird nach Ansicht der Interviewpartner vor allem in drei zentralen Bereichen gewünscht: Der Gestaltung von Rahmenbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben, hierzu zählt vor allem die Kinderbetreuung, der finanziellen Absicherung von Familien sowie in der Bereitstellung von Beratungs- und Betreuungsangeboten in familialen Krisensituationen beziehungsweise zur Prävention.
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
181
Interventionen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Familiensphäre weisen die Befragten darauf hin, dass der Staat über einen gesellschaftlichen Auftrag verfügt, Männern wie Frauen den Zugang zu Bildung, Ausbildung, Erwerbsarbeit und Altersversorgung zu gewährleisten, vor allem auch Optionen für Frauen zu schaffen, gleichberechtigt am Erwerbsleben teilnehmen zu können. Danach sollten staatliche Interventionen vor allem auf den Ausbau einer qualitativ hochwertigen und gleichzeitig bezahlbaren Kinderbetreuung mit langen Öffnungszeiten zielen. Dabei spielt die Qualität der Betreuung eine wesentliche Rolle. Häufiger wird von Elternteilen beanstandet, dass die Qualität der staatlich angebotenen Kinderbetreuungseinrichtungen mangelhaft ist und Eltern auf privat organisierte Kinderbetreuung, beispielsweise Elterninitiativen, zurückgreifen. Zudem sprechen alle Interviewpartner den Arbeitgebern eine (Mit-)Verantwortung für die Betreuung von Kindern zu, beispielsweise in Form von Betriebskindergärten.88 So beschreibt ein Familienvater (Fallnr. 7), dass gerade seitens der Unternehmen etliches für familiale Belange getan werden könnte. Dies betrifft zum einen Betreuungsplätze für Kinder, aber zum anderen auch Freizeitangebote: „(...) wenn die Firmen da was machen wollen, dann würde ich schon sagen Kinderbetreuung (...). Wenn die Firmen irgendwo Häuser unterhalten, wo die Mitarbeiter günstig Urlaub machen können. Also Vergünstigungen für die Mitarbeiter. Diese Zusatzleistungen werden häufig wieder gestrichen.“
Speziell größere Unternehmen und Konzerne könnten betriebseigene Kindergärten zur Verfügung stellen. Denkbar wären ebenfalls Mischformen, so dass die Verantwortung zwischen staatlichem und ökonomischem Sektor aufgeteilt wird. Dementsprechend weist eine erwerbstätige Mutter darauf hin, dass Unternehmen erheblich davon profitieren können, wenn die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben gut geregelt wird. Resümierend lässt sich feststellen, dass aus Sicht der betroffenen familialen Akteure staatliche Intervention hinsichtlich eines positiven Ausgleichs zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben dringend notwendig ist. Neben der Bereitstellung von Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten für Kinder aller Altersstufen sollten staatliche Interventionen auf die Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zielen und auf den privatwirtschaftlichen Sektor einwirken, vermehrt flexible Arbeitszeitmodelle wie auch flexiblere Formen von Arbeitsorganisation, wie beispielsweise Job-Sharing, einzuführen Finanzielle Absicherung Aus Sicht der Befragten sollte der Staat die Hauptverantwortung für die finanzielle Absicherung der Familien tragen. In den Bereich der direkten monetären Transferleistungen fallen in erster Linie das bis 2006 gültige Erziehungsgeld (seit 01.01.2007 Elterngeld), das Kindergeld und die Freibeträge. Insgesamt gesehen zeigt sich in der untersuchten Gruppe, wie auch schon bei den quantitativen Ergebnissen, dass eine stärkere finanzielle Unterstützung der Familien seitens des Staates befürwortet wird. Dies gilt vor allem für einkom88
Als Begründung hierfür wird angeführt, dass der ökonomische Sektor bei den erwerbstätigen Männern davon profitiert, dass eine nicht erwerbstätige Frau hauptsächlich für die Kindererziehung und Familienarbeit bereit steht.
182
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
mensschwache und kinderreiche Familien. Ein Vater (Fallnr. 2) beschreibt in diesem Kontext beispielsweise, dass Erziehungsgeld und Kindergeld für ihn unabdingbar zur ökonomischen Existenzsicherung der Familie waren: „... wir hatten ja zu diesem Zeitpunkt kaum Einkommen und ansonsten gab es ja dieses Erziehungsgeld und das hat schon über die ersten Monate hinweggerettet, ich weiß noch, das war letztens so, das liegt schon so weit zurück, das waren 600 DM oder so (...). Ich meine, das waren 1 1/2 Jahre 600 DM und das war schon nicht unerheblich. Und dann kam, glaube ich, noch das Kindergeld dazu. Das hat wirklich geholfen.“
Eine teilzeiterwerbstätige Mutter (Fallnr. 3) berichtet, dass die 600 DM (308 Euro) Kindergeld für beide Kinder die eigene Einkommenslage schon verbessert: „Und das ist schon gut. Ich meine, damit kann ich jetzt zum Beispiel die Kindergartenkosten abdecken. Das Mittagessen und das ist okay. Ich meine, wir sind jetzt beide berufstätig und verdienen beide Geld. Von daher ist das für uns in Ordnung. Es gibt natürlich Familien, wo das dann nicht reicht. Wo 600 DM Kindergeld bei einem Alleinverdiener, der vielleicht weniger verdient, schon auch zu wenig Geld ist.“
Geldwerte staatliche Transferleistungen spielen bei allen Befragten eine wichtige Rolle, obwohl sie in der Regel als unzureichend kritisiert werden (Fallnr. 5): „Da könnt ruhig noch ein bisschen mehr passieren. Also auch mit der Steuerreform. Die 30 DM mehr Kindergeld macht auch nicht viel aus. Letztendlich macht sich das bei uns nicht bemerkbar. Ob ich jetzt die 30 DM mehr habe oder 60 DM, da habe ich gar nicht mehr den Überblick. Das fällt nicht auf, das wirkt sich nicht aus. Wenn die jetzt gesagt hätten, wir geben jetzt 1.000 DM, weil 1.000 DM denke ich, ist schon eine Summe, die realistisch ist, was auch schon einige Parteien gefordert haben, das wirkt sich dann aus. Das wirkt sich auch positiv auf die gesamte Konjunktur aus. Also wenn alle Familien jetzt pro Kind 1.000 DM kriegen würden. Eine vierköpfige Familie hat auf einmal 4.000 DM Kindergeld. Dann geht es aber ab damit in den Konsum.“
Dennoch besteht ein Bewusstsein hinsichtlich unterschiedlicher Bedürfnislagen von Familien, die im Prinzip eine bedarfsgerechte Förderung voraussetzen. Entsprechend konstatiert eine Interviewpartnerin stellvertretend: „Also ich denke mal was jetzt uns anbetrifft, wir gehören halt schon zu den besser verdienenden und von daher kann man sich ganz schlecht, also jetzt nur von unserer ganz konkreten Situation, kann ich da schwierig was kritisieren, wobei ich eigentlich auch dafür bin, dass es ein unabhängiges Erziehungsgeld gibt und nicht abhängig vom Einkommen, also das fände ich schon ganz wichtig, aber ansonsten denke ich, dass es schon, dass andere Familien einfach leiden unter der materiellen Beschränkung. Also das Kindergeld usw. überhaupt nicht ausreicht, das ist irgendwo lachhaft, auch die Kinderfreibeträge, es reicht einfach gar nicht aus, um Kinder so groß zu ziehen, wie man es sich vorstellt mit allen Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.“
Ein weiterer Kritikpunkt ist die schlechte Altersversorgung für Frauen, die die Kindererziehungsarbeit übernehmen und damit längere Zeit nicht erwerbstätig sind. Insbesondere die befragten Frauen kritisieren mittlerweile, dass die gesamte Familienarbeit von ihnen weit-
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
183
gehend unentgeltlich geleistet wird und zudem in keiner Weise mit dem Altersversorgungsanspruch vergleichbar ist, der im Rahmen der Erwerbsarbeit erworben wird.89 So moniert eine Mutter stellvertretend für weitere Interviewpartnerinnen: „Also ich finde diesen Versorgungsausgleich lächerlich, so wie er geregelt ist und ich würde sagen, dass das Idealmodell erst mal so wäre, dass man sowieso so ein Splitting einführt, wenn sowieso nur einer erwerbstätig ist, dass das aber auf zwei verschiedene Konten überwiesen wird, genauso für die Rente, also wirklich zweigeteilt wird oder dann eben, wenn der Gesamtverdienst eben die Frauen halbtags tätig sind oder wie auch immer teilzeitbeschäftigt sind, dass der Gesamtverdienst durch zwei geteilt wird, einfach auch bei der Rente, dass das also berechnet wird, dass keiner irgendwie einen Nachteil davon erleidet, weil es ja eine Erwerbs- und Familiengemeinschaft ist, die sollte es auch faktisch sein und auch weiterhin, auch wenn sie nicht mehr existiert.“
Die Interviews verweisen auf die Notwendigkeit bei den geldwerten wie auch zeitwerten Leistungen, mehr Ausgleich zwischen den heterogenen Lebensentwürfen von Familien, aber auch zwischen den geschlechtsspezifischen Lebensentwürfen herzustellen. Beratungs- und Betreuungsangebote in familialen Krisensituationen Ein zentrales Anliegen der Befragten ist es, dass Beratungs- und Betreuungsangebote sowie Hilfen für Familien in Konfliktsituationen bereitgestellt werden. Hierfür sollte auch der Staat neben den Wohlfahrtsverbänden Verantwortung übernehmen, da Familien in Notlagen oftmals nicht die Möglichkeit haben, private Unterstützung zu finanzieren. Zu den zentralen Maßnahmen gehören aus Sicht der familialen Akteure einerseits finanzielle Hilfen, andererseits zentrale Beratungsstellen, die auch über entsprechende Angebote verfügen. Einige Befragten merken an, dass durchaus Hilfsangebote existieren, aber aufgrund mangelnder Bekanntheit in der Gesellschaft von Familien nicht genutzt werden. Dringend notwendig ist neben der Krisenintervention der Auf- beziehungsweise Ausbau präventiver Angebote in Form von Vorträgen und Informationsveranstaltungen oder auch Angebote von langfristigen Familienbegleitungen, beispielsweise Familienhelfer als individuelle Betreuer/-innen.90 Kritisiert wird in diesem Kontext, dass das bestehende staatliche Angebot den Schwerpunkt auf die Krisenintervention legt und weniger auf die Prävention. Eine Mutter (Fallnr. 8) führt in diesem Zusammenhang aus: „Also ich sehe es jetzt erst mal so, dass diese Familien einfach sehr oft allein gelassen sind, es eigentlich auch sehr privat abläuft, so privat über Freunde und da müsste also im Prinzip auch vom Staat irgendwie gewährleistet sein, gerade was Kinder angeht in solchen Konfliktsituationen, dass die besser abgesichert sind.“
89
Das Rentensystem unterscheidet Zeitjahre und Zahljahre. Entscheidend für die Rentenhöhe sind allerdings die Einzahlungsjahre. Familienarbeit wird als Zeitjahre angerechnet, beeinflusst die Höhe der späteren Rente aber geringfügig. Ebenso ist der Versorgungsausgleich überhaupt nicht ausreichend. 90 Speziell Befragte, die im pädagogischen Berufen arbeiten, geben hier an, dass ein Bedarf an Betreuung von Kindern besteht, der oftmals in den Familien nur unzureichend stattfindet. Die Schule ist nicht mehr in der Lage, diese Defizite auszugleichen und es besteht ein Bedarf an sozialpädagogischer Betreuung. Die Befragte führt diese Situation auf die Überforderung von Eltern, speziell auch bei Alleinerziehenden zurück. In diesem Fall benötigen auch Eltern/Elternteile Unterstützung.
184
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
Für weitere Beanstandung sorgt, dass gerade präventive Angebote für Familien wie MutterKind-Kuren oftmals vorab mit sehr viel organisatorischem Aufwand verbunden sind und es zudem schwierig ist, einen Platz zu bekommen. Häufig positiv wird das Angebot der Wohlfahrtsverbände hinsichtlich Erziehungs- und Beziehungsberatung beurteilt. Einige Elternteile wünschen sich hier ein umfassendes Präventionsprogramm seitens des Staats, um auch schon junge Erwachsene darin zu fördern, sich mit Erziehung, Familienleben und den damit verbundenen Anforderungen bewusst auseinander zu setzen [einzelne Befragte geben an dieser Stelle an: „(...) es gibt heutzutage für alles Zertifikate, nur nicht für Eltern sein und Kindererziehung“]. 8.4.4 Familienpolitik: Eine kritische Bilanz der Betroffenen Ein Teil der (Ehe-)Partner verfügt kaum über Kenntnisse aktueller Familienpolitik. In der Regel sind lediglich zentrale Themen bekannt, die im Rahmen der Tagespolitik in den Medien erwähnt oder öffentlich diskutiert werden, wie beispielsweise die Einführung von Ganztagsschulen oder der Beschluss des Teilzeitgesetzes, ohne dass die Befragten über detailliertere Kenntnisse verfügen. Ein häufiger Kommentar seitens der Befragungsgruppe war, dass sie „von Familienpolitik nicht viel mitkriegen“. Die Gruppe von Müttern und Vätern, die sich mit Familienpolitik befassen und auch Erfahrungen in diesem Feld haben, stehen dem Policy-Feld kritisch gegenüber. Es hat sich zunehmend der Eindruck verfestigt, dass sich im Bereich der Familienpolitik bisher nur sehr zögerlich Veränderungen einstellen. Eine berufstätige Mutter (Fallnr. 11) antwortet etwa auf die Frage, wie sie die aktuelle Familienpolitik einschätzt: „Ist schon ziemlich bescheiden. Ich bin immer noch der Meinung, dass Familie also sprich Ehepaare mit Kindern vielseitig benachteiligt sind (...). Das geht los bei der Wohnungssuche. Also mit drei Kindern eine Wohnung zu suchen, da gehört man schon zu den Benachteiligten. Das ist schon ein riesiges Problem. Es ist auch eine gesellschaftliche Sache. Dann zum Beispiel in Urlaub zu fahren, ist ein Problem. Familie mit Kindern kann halt in den Ferienzeiten fahren und das ist halt auch die teuerste Zeit. Das heißt also, für eine Familie mit drei Kindern ist es fast nicht möglich, in den Urlaub zu fahren.“
Auch beurteilt eine Mutter (Fallnr. 9) recht kritisch: „Ich denke Familieninteressen werden nach wie vor oft nur verbal vertreten von Politikern. Und was mir immer gestunken hat, ist dieser Mythos Mutter, der so lange gepflegt wurde in unserer Gesellschaft. Der viele Frauen auch in eine sehr große Identitätskrise bringt. Aber ich denke, da wird sich auch in den nächsten Jahren eine ganz neue Diskussion auftun oder hat schon angefangen. Also man sollte auch Elternschaft nicht mystifizieren. Man sollte auch mal das Ganze beim Namen nennen. Eltern zu sein, ist eigentlich wahnsinnig anstrengend, insbesondere weil die Kinder auch durch die Gesellschaft, dadurch dass diese Normen und Werte sehr heterogen geworden sind, ist es einfach auch schwieriger geworden, Kinder zu erziehen.“
Eine Ursache für die schwierigen Lebensbedingungen von Familien sieht sie in der falschen Schwerpunktsetzung der Familienpolitik in Deutschland:
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
185
„Also ich denke, dass bei uns ein Problem ist, dass die Schwerpunkte falsch gesetzt werden bei der Finanzierung oder bei der Finanzierungsverteilung. Ich denke mir, die Familie wird schon irgendwie benachteiligt. Wenn ich dann zum Beispiel sehe, was so eine Familie halt finanziert mit ihren Steuern und mit ihren Geldern und allem. Und auch die Kinder, dann später mal, wenn sie groß sind. Es ist schon ein Unterschied, ob das eine Familie ist ohne Kinder oder mit. Schwerpunktmäßig muss ich sagen, wird halt diesbezüglich in die falsche Richtung gedacht.“
Auch ist bei den Befragten der Eindruck entstanden, dass sich im Bereich der Familienpolitik nur sehr schleppend Veränderungen einstellen. Eine Interviewpartnerin (Fallnr. 8) gab an, dass der Verlängerung beziehungsweise Flexibilisierung der Öffnungszeiten des kommunalen Kindergartens ein Jahr „harter Kampf“ der Eltern vorausging. Die Mutter beschreibt, dass „... zum Beispiel mit unserem Kindergarten, mit den Öffnungszeiten da haben wir schon fast ein ganzes Jahr gekämpft, um diese Öffnungszeiten zu ändern. Es handelt sich nur um eine Stunde und ein Mittagessen. Die Erzieher waren von vornherein bereit, diese Stunde länger zu machen und auch das alles zu organisieren. Es war auch ein Raum da. Es war wirklich alles da. Es war ganz einfach eigentlich von unserer Seite aus. Aber es hat dennoch ein Jahr gedauert, bis es endlich genehmigt wurde und dazu waren viele Gespräche nötig. Und das hat mir so gezeigt, dass da jetzt nicht ein riesengroßes Entgegenkommen gewesen sein muss, sondern das sehr viele Hindernisse überwunden werden müssen. Das es eine ganze Menge Hürden gibt.“
Eine Ursache hierfür sieht eine selbständig arbeitende Mutter (Fallnr. 9) darin, dass „man mit Familienpolitik keinen Wahlkampf gewinnen kann“ und schlägt vor, damit familiale Interessen in der Politik mehr Berücksichtigung finden, dass „jeder Bundestagsabgeordnete eine gewisse Familienkompetenz nachweisen müsste“. Einige Interviewpartner bemerken, dass obgleich die Bundesrepublik Deutschland über ein Familienministerium mit einer entsprechenden Ministerin verfügt, die Interessen von Familien viel zu wenig vertreten werden. Einige Befragte vermuteten an dieser Stelle, dass Familien als politisches Thema nicht prestigeträchtig genug sind und folglich in den Hintergrund rücken. Mehrmals wurde von den Befragten auch beklagt, dass die Interessen von der zuständigen Familienministerin nicht ausreichend vertreten werden oder auf erhebliche Widerstände stoßen. So bemerkt eine Befragte (Fallnr. 4) in diesem Kontext: „Da fällt mir nur zu ein, dass sie die Frau Bergmann gleich schon mal kaltgestellt haben. Also sie hat ja z. B. diese Initiative auch, die abgewürgt wurde, dass das was für den öffentlichen Dienst gilt, Frauenförderung und Erziehungsurlaub, dass dies auch für die Privatwirtschaft gilt und ich glaub nur so ist überhaupt, ist es möglich, dass sich Familien gleichberechtigt weiterentwickeln, sag ich mal, was Partnerschaft angeht, das wurde ja alles niedergemacht.“
Zur Umsetzung familienpolitischer Ziele fordert sie: „Apropos erzwingen, da wäre ich nämlich für ganz knallharte Bedingungen, es geht nichts von selbst, also leider, es dauert viel zu lange und da gibt es immer drei Schritte vor zwei zurück, ich bin z. B. wirklich für diese Regelung, dass Erziehungsurlaub geteilt werden muss und wenn er nicht von den Vätern wahrgenommen wird, entfällt er, weil ich denke, auch nur so kann man auch Familien dazu bewegen, irgendwas mal zu verändern und Arbeitgeber würden sich dann bei den Männern genauso überlegen wie bei den Frauen, ob sie sie einstellen unter welchen Risiken, ja also dann entfiele im Prinzip das Kriterium, ja die kann ja schwanger werden, Erzie-
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8 Datenanalyse III: Familieninterviews hungsurlaub nehmen etc., das wäre kein Einstellungskriterium mehr. (...) Knallharte Regelung, z. B. für Erziehungsurlaub, dass er geteilt werden muss, dann natürlich, dass für private Arbeitgeber auch die flexiblen Arbeitszeiten und die Erziehungsurlaubsregelungen genauso gelten wie für den öffentlichen Dienst, Frauenförderung also genauso gilt, wie für den öffentlichen Dienst auch, das könnte die Politik schon verbindlich vorschreiben.“
Als ein weiteres Defizit kritisieren die Befragten, dass die Familienarbeit nach wie vor gesellschaftlich wenig oder gar nicht anerkannt wird. An dieser Stelle sollte es Aufgabe von Familienpolitik sein, positiv zu intervenieren und mehr Verständnis für Familien herzustellen. Eine Interviewpartnerin (Fallnr. 11), die mit ihrer Familie im Grenzgebiet zu Frankreich wohnt und Kontakte zu Partnern aus dem Nachbarland pflegt, merkt an, dass sich Einstellung zu Familien wie auch Akzeptanz von Familien deutlich unterscheiden: „Das geht allein schon los, wenn man fortgeht. Man geht fort zum Beispiel irgendwo Essen. Da ist das hier ein Problem, wenn ein Kind zweimal ein bisschen laut lacht wird man schon oft schief angeguckt, in Frankreich ist das anders. Da ist das ganz anders. Die sind dann froh, wenn ein Kind da ist und wenn die dann auch mal laut sind. Das wird dann höchstens von den anderen mal angestachelt zu lachen, die dann sich mehr um das Kind kümmern, mit Worten oder Taten. Bei uns wird man dann eher schon so ein bisschen schief angeguckt.“
Speziell die Probleme der Alleinerziehenden und Familien mit mehreren Kindern finden in der Gesellschaft kaum Berücksichtigung. Hier sollte eine Anerkennung der unterschiedlichen Gruppen und ihrer Problemlagen erfolgen: Einige Befragte kritisieren in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen der Familienpolitik der letzten Jahre sogar Leistungen gekürzt oder abgeschafft worden sind. Beispielsweise wurden Familienfreizeitangebote reduziert oder entfielen ganz. Auf die Frage, in welcher Weise familiäre Interessen größere Berücksichtigung in der Politik finden könnten, sind aus Sicht der familialen Akteure folgende Punkte zu berücksichtigen: Familiäre Interessen könnten in der Politik dann mehr Berücksichtigung finden, wenn Frauen mit familiärem Hintergrund stärker in der Politik vertreten wären und hier auch politische Verantwortung übernehmen würden; Eine weitere Möglichkeit liegt im Aufbau einer Familienlobby in der Gesellschaft; Die Einführung von Familienforen und ‚Runden Tischen‘, an denen sich Familien direkt beteiligen können und auch ihre individuellen Interessen vorbringen können; Eine Städteplanung unter Familienperspektive. Hier ist zu beachten, dass gerade die Befragten, die mit Politik zu tun haben, konkrete Vorstellungen davon haben, wie Familieninteressen stärker in der Politik vertreten werden können. Andere Befragte haben hier häufig keine klare Vorstellung. Resümierend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass aus Sicht der familialen Akteure, insbesondere der Mütter und Väter, die Aushandlungsprozesse über die Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit erhebliches Konfliktpotential beinhalten. Zum einen dominieren ökonomische Zwänge, d. h. die Höhe des Einkommens sowie die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Entscheidung im Hinblick auf die Wahl eines bestimmten Familienmodells. Zum anderen schränkt der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen sowie flexiblen Arbeitszeitmöglichkeiten die Wahl eines egalitären Modells zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erheblich ein. Auch die gegenwärtige Familienpolitik
8 Datenanalyse III: Familieninterviews
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greift hier im Wesentlichen in allen drei Interventionsfelder, der geld-, zeit- und sachwerten Leistungen zu kurz. Die Frage der Implementation alternativer Leitbilder schließlich scheint nach wie vor ungelöst angesichts der hohen Wirkung der traditionellen Einstellungen über die geschlechtsspezifische familiale Aufgabenteilung. So konstatiert eine Mutter (Fallnr. 5): „Ich denke, wir hatten einfach ein Familienbild in Deutschland, in der Bundesrepublik Deutschland, teilweise auch in Ostdeutschland, was über Jahre hinweg sehr konservativ war, was den Frauen eigentlich immer diesen erzieherischen, mythisch aufgebauten Kinderbereich zugestanden oder zugewiesen hat. Da ist vieles ins Rollen gekommen. Damit ist auch Politik überholt worden. Wobei man sagen muss, dass Politiker, und zwar spreche ich hier von männlichen Politikern, über Jahre hinweg, und diese Erfahrung habe ich auch gemacht, nicht auf aktive Frauen in ihren eigenen Parteien gehört haben. Damit haben sie Wahlen verloren oder Wahlen gewonnen. Je nachdem auf wen sie gehört haben. Die aktuelle Familienpolitik ist schon besser geworden, man sieht auch, dass insgesamt wieder mehr darüber diskutiert wird, dass ist ja das spannende daran eigentlich, dass es wieder ein Thema geworden ist und das man einfach sieht, dass was in Gang gekommen ist. Aber das muss man natürlich sagen, es wird nicht umsonst so hart gestritten, es hat schon seine Ursache. Es hat deswegen seine Ursache, weil über Jahrzehnte hinweg diese Deutsche Familienpolitik echt voll daneben war, meines Erachtens.“
Die Ergebnisse der Interviews werden im folgenden Kapitel 9 komplementär mit den quantitativen Ergebnisse verwoben und zu einem Gesamtbild zusammen gefügt.
9 Komplementäre Ergebnisse der Datenanalysen und Handlungsoptionen für Politik
Im folgenden Kapitel werden die quantitativen und qualitativen Ergebnisse komplementär zusammengeführt wie auch eingeordnet. Dabei stellt sich die Frage, wie Komplementarität zustande kommt, da Komplementarität als empirisches Verhältnis nicht existiert. Erzberger (1998: 137) verweist darauf, dass sich die Ergebnisse erst dann ergänzen, wenn ein übergeordneter Rahmen besteht. Diesen Rahmen bilden die forschungsleitenden Hypothesen der vorliegenden Arbeit, in den die verschiedenen Ergebnisse eingebettet werden. Am Ende des Kapitels stehen Antworten auf die derzeit in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit viel diskutierte Frage, wie ein neues Vereinbarkeitsarrangement zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben gestaltet sein sollte. 9.1 (Teil-)Erosion des Ernährermodells und Herausbildung dualer Familienmodelle Mit Blick auf die Ausgangsfrage, ob die Erosion zu einer Herausbildung stärker dual beziehungsweise egalitär ausgerichteter Familienmodelle geführt hat, sind die Ergebnisse auf der quantitativen Strukturebene eindeutig: Die Aufweichung des traditionellen Modells wie auch Veränderungen familiären Zusammenlebens haben durchaus stattgefunden. Die Hypothese H1.1 über die (Teil-)Erosion des tradierten Modells kann bestätigt werden. Interessanterweise beschränkt sich dieser Wandel allerdings in West- wie auch in Ostdeutschland auf die bis dato dominanten Familienmodelle. Damit ergeben sich für die alten und neuen Bundesländer vor allem Veränderungen zwischen dem Familienernährermodell, dem Doppelkarrieremodell und dem Doppelverdienermodell I oder II. Das traditionelle Familienernährermodell hat in Westdeutschland zugunsten des Doppelverdienermodells I und II, bei dem in erster Linie die Frauen die Arbeitszeit reduzieren, an Bedeutung verloren, während das Doppelkarrieremodell lediglich einen geringfügigen Zuwachs aufweist. Aber auch für die neuen Bundesländer gilt, dass seit der Wiedervereinigung Änderungen nur zwischen dem Doppelkarrieremodell, dem Doppelverdienermodell I bzw. II und dem Ernährermodell zu beobachten sind, wobei das Doppelkarrieremodell für ostdeutsche Paare nach wie vor hohe Priorität hat. Das für den Westen typische Ernährermodell ist in den neuen Bundesländern nach wie vor wenig attraktiv. Auch Bothfeld (2004: 143) bestätigt, dass eine generelle Übertragung des Ernährermodells und die „Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt“ in Ostdeutschland nicht stattgefunden haben. Ganz im Gegenteil erweist sich das Doppelkarrieremodell auf der Basis der ALLBUS-Ergebnisse in den neuen Bundesländern als sehr stabil. Es fällt auf, dass „Kinder zu haben“ in Westdeutschland einen Traditionalisierungseffekt bei der Familienmodellwahl auslöst. Während die gleichzeitige Vollzeiterwerbstätigkeit bei kinderlosen (Ehe-)Paaren mittlerweile relativ selbstverständlich ist, dominiert in den alten Bundesländern das Ernährermodell beziehungsweise die „modernisierte Versorgerehe“, mit Müttern, die kurze Teilzeit arbeiten (Mühling et al. 2006: 139). Ostdeutsche Mütter entscheiden sich dagegen für lange Teilzeit, sofern sie nicht ganztags berufstätig sind. In beiden Landesteilen wählen (Ehe-)Paare weder atypische Arbeitszeitmus-
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ter noch entscheiden sie sich bisher für eine egalitäre Arbeitsteilung nach dem Doppelverdienermodell III Typus. Die (Teil-)Erosion des traditionellen Familienernährermodells hat daher nicht zu einer Ausdifferenzierung respektive erheblichen Zunahme von dual oder auch egalitär ausgerichteten Familienmodellen geführt. Die Hypothese H1.2 muss entsprechend zurückgewiesen werden. 9.2 Was bestimmt die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelkarrieremodell? Mit Blick auf die Einflussgrößen, welche die Familienmodellwahl determinieren, spielen die institutionellen Kontextfaktoren wie auch die vereinbarkeitsorientierten Einstellungen bei der Entscheidung zwischen traditionellem Ernährermodell und dem Doppelkarrieremodell eine maßgebliche Rolle. Es hat sich gezeigt, dass die explizit familialistische Ausrichtung des konservativen (west-)deutschen Wohlfahrtsstaats das traditionelle Familienernährermodell eindeutig fördert, während die familienbezogenen Regelungen in der ehemaligen DDR mit ihrer Ausrichtung auf ein Doppelversorgermodell mit staatlicher Kinderbetreuung die Entscheidung für das Doppelkarrieremodell positiv beeinflusst haben und offensichtlich nachhaltig weiter beeinflussen (Bothfeld 2004: 127). Die Analyse von Mühling et al. (2006: 105) bestätigt den Einfluss des Wohngebietes. Danach ist in Ostdeutschland die Chance, als Mutter erwerbstätig zu sein und auch zu bleiben, weitaus größer als in Westdeutschland. Die Hypothese (H2.6), dass die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein Familienmodell nach den institutionellen Rahmenbedingungen differiert, kann zunächst für die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelkarrieremodell bestätigt werden. Aber auch die vereinbarkeitsorientierten Einstellungen spielen eine zentrale Rolle bei der Entscheidung zwischen beiden Modellen. Danach fördert ein konservatives familiales Rollenbild zwischen Frauen und Männern wie auch Vorbehalte gegenüber der Frauen- und Müttererwerbstätigkeit das Familienernährermodell, während ein modernes Leitbild sowie positive Vorstellungen über Familienleben und Müttererwerbstätigkeit die Entscheidung für das Doppelkarrieremodell begünstigen. Die Hypothese 2.5, dass die Entscheidung zwischen Ernährermodell und dualen Familienmodellen nach subjektiven Einstellungen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben differiert, kann zumindest für den Index 1 (Familienleben leidet unter der Berufstätigkeit der Frau) und den Index 2 (Traditionelles Rollenverständnis der Frau in Beruf und Familie) bestätigt werden. Weniger ausschlaggebend sind hingegen die direkten Effekte der soziodemographischen Indikatoren. Danach bedingen die Einflüsse von Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Haushaltseinkommen die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelkarrieremodell nicht.91 Die Hypothesen H2.1 bis H2.4 bestätigen sich nicht. Allerdings kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die Soziodemographie keine Wirkung zeigt. Anhand der Mediator-Effekte wurde die Wirkung der ausgewählten soziodemographischen Faktoren auf das familiale Rollenbild deutlich. Während die Soziodemographie bei allen anderen untersuchten Einstellungen kaum maßgeblich ist, überrascht vor allem der Effekt beim Leitbild. Danach hat ein hohes Bildungsniveau den größten Einfluss auf die Leitbildprägung. Ein hoher Bildungsabschluss ist charakteristisch für eine fortschrittliche Einstellung hinsichtlich der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in der Familie. Interes91
Das Haushaltseinkommen wird aufgrund der Interpretationsmängel als direkter Effekt nicht einbezogen und die Hypothese H2.4 abgelehnt.
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santerweise übt der Bildungsabschluss in den neuen Bundesländern keinen Einfluss aus. Zudem ist ein intergenerationaler Wandel festzustellen. Jüngere Geburtskohorten stimmen dem klassischen Rollenbild in der Familie in geringerem Maße zu als ältere Alterskohorten (vgl. hierzu auch Hofäcker/Lück 2004). Die geschlechtsspezifische Differenzierung zeigt wiederum, dass eine traditionelle Orientierung bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen. Auch spielt in beiden Teilen Deutschlands das Haushaltseinkommen eine Rolle. In Haushalten, die höheren Einkommenskategorien angehören, findet sich häufiger ein modernes familiales Leitbild als in Haushalten mit niedrigen Einkommen. Dieses Ergebnis korrespondiert voraussichtlich mit einer größeren Offenheit bezüglich einer modernen Arbeitsteilung wie auch der Erwerbsorientierung beider Partner. Interessanterweise steht der Interaktionseffekt zwischen Haushaltseinkommen und Bildungsniveau den Haupteffekten von beiden Indikatoren gegenüber, da ein hoher ökonomischer Status ein traditionelles geschlechterspezifisches Rollenverständnis in der Familie tendenziell begünstigt. Dieser Effekt fällt am deutlichsten in den neuen Bundesländern aus. Den soziodemographischen Einflussgrößen kann damit ein totaler Mediator-Effekt bei den Einstellungen zum familialen Leitbild zugesprochen werden. Darüber hinaus hat das Institutionengefüge eine direkte Wirkung auf das familiale Leitbild wie auch auf die Einstellungen über die Berufstätigkeit von Frauen/Müttern und Familienleben. Danach begünstigt der konservativ ausgerichtete deutsche Wohlfahrtsstaat ein traditionelles Rollenverständnis, während in Ostdeutschland moderne Vorstellungen über die familiale Arbeitsteilung dominieren. Bei den Einstellungen über Frauenerwerbstätigkeit und Familienleben zeigt sich ebenfalls der Effekt der Kontextbedingungen. Ostdeutsche haben weitaus weniger Vorbehalte gegenüber Müttern, die arbeiten und befürchten auch kaum negative Folgen für das Familienleben. Auch sprechen sie sich dafür aus, dass Frauen mit Kindern arbeiten sollten. Zumindest hinsichtlich der Entscheidung zwischen Familienernährermodell und Doppelkarrieremodell verfügen die institutionellen Rahmenbedingungen über einen partiellen Mediator-Effekt, da sie die Familienmodellwahl direkt beeinflussen und die vereinbarkeitsorientierten Einstellungen prägen und damit indirekt die Familienmodellwahl beeinflussen (Bothfeld 2004: 127). 9.3 Was bestimmt die Entscheidung zwischen Ernährermodell und Doppelverdienermodell I/II? Bei der Entscheidung zwischen Doppelverdienermodell I/II (Mann in Vollzeit und Frau in langer oder kurzer Teilzeit tätig) und Ernährermodell spielt das Bildungsniveau der Befragten eine Rolle. Überraschenderweise führt ein niedriger Bildungsabschluss zumindest eines Partners häufiger zur Wahl des Doppelverdienermodells I oder II gegenüber dem Ernährermodell als ein hoher Bildungsabschluss. Unklar bleibt in diesem Kontext, ob die Entscheidung für das Doppelverdienermodell tatsächlich der eigenen Präferenz entspricht oder ökonomisch erzwungen ist. Danach kann die H2.3, dass die Familienmodellwahl nach dem Bildungsabschluss differiert für die Entscheidung Ernährermodell versus Doppelverdienermodell I oder II bestätigt werden, während alle anderen soziodemographischen Indikatoren keinen Effekt haben. Die H2.1, H2.2 und H2.4 werden daher zurückgewiesen. Interessanterweise spielen bei der Ablösung des Ernährermodells durch das Doppelverdienermodell I beziehungsweise II lediglich die Einstellungen über das geschlechtsspezifische Rollenverständnis (Index 2) eine zentrale Rolle. Ein modernes Leitbild fördert
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danach auch die Entscheidung für das Doppelverdienermodell. Damit verfügt auch die Soziodemographie über einen indirekten Einfluss auf die Entscheidung Doppelverdienermodell I/II versus Ernährermodell. Die Ergebnisse zeigen, dass die Familienmodellwahl zunächst nur von den Einstellungen hinsichtlich des familialen Rollenbildes beeinflusst wird. Demgegenüber hat das Wohngebiet keinen Effekt. Die Auswertung der qualitativen Interviews erbrachte vertiefende Erkenntnisse hinsichtlich der Familienmodellwahl. Die Entscheidung für beziehungsweise gegen ein bestimmtes Familienmodell steht im Kontext unterschiedlicher Einflussgrößen. Hierzu zählen personale wie auch biographische Indikatoren, die Qualität der Paarbeziehung und auch bio-medizinische Einflussgrößen. Die tatsächlichen Kausalbeziehungen und Wechselwirkungen sind dabei nicht leicht zu identifizieren. Die Ergebnisse der Familieninterviews lassen zunächst zwei zentrale Schlüsse zu: Erstens wirken die Einflussfaktoren nicht unabhängig voneinander und zweitens werden bei den paarinternen Arrangements konkurrierende Interessen der beteiligten Akteure sehr individuell ausbalanciert. Danach sind familiale Entscheidungen, wie auch schon Rüling (2007: 258) nachweist, nicht unbedingt das Ergebnis „abstrakter Gleichheitsdiskurse“, sondern fußen auf „individuellen lebensweltlichen Bedürfnissen“ wie auch auf handlungspraktischen und -situativen Abwägungen. Danach begünstigen ein guter Bildungsstand sowie das Einkommen der Partner die Entscheidung für duale Familienmodelle vor allem dann, wenn beide Partner eine Erwerbsorientierung aufweisen und diese auch gegenseitig akzeptieren. Damit in Verbindung steht die Offenheit und Akzeptanz gegenüber einer alternativen familialen Aufgabenteilung zwischen den (Ehe-) Partnern. Insbesondere bei Frauen existiert ein Problembewusstsein in Hinsicht auf die geschlechterbezogene Zuweisung der Familienarbeit. Danach betonen die Interviewpartnerinnen die Wichtigkeit der Partnerwahl. Dies verdeutlicht auch der Interaktionseffekt zwischen Bildung und Haushaltseinkommen: Mit steigendem Bildungsabschluss wie auch Haushaltseinkommen scheint ein Traditionalisierungseffekt hinsichtlich der Einstellungen über die familiale Arbeitsteilung einzusetzen. Wie die quantitative Auswertung gezeigt hat, spielen Alter und Geschlecht für sich genommen keine maßgebliche Rolle bei der Familienmodellwahl. Allerdings beeinflussen sie das familiale Rollenbild wie auch die Einstellungen über die Frauen- beziehungsweise Müttererwerbstätigkeit und stehen zudem in Kontext institutioneller Rahmenbedingungen. Aus dem Interview mit einer Hausfrau, die einer höheren Altersgruppe angehört, lässt sich ableiten, dass der Alterseffekt in enger Verbindung mit den schlechten vereinbarkeitsorientierten Rahmenbedingungen wie auch der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz alternativer dualer Familienmodelle in der Vergangenheit steht. Insgesamt zeigt sich in Übereinstimmung mit anderen aktuellen Ergebnissen, dass normative Leitbilder über mehr Erklärungskraft im Hinblick auf die familiale Aufgabenteilung verfügen als soziale Statusmerkmale oder demographische Indikatoren (Mühling et al. 2006: 138f.). Auch die institutionellen Rahmenbedingen sind auf der Basis dieser Ergebnisse maßgeblich bei der Familienmodellwahl, zumal sie die Einstellungen zum kulturellen Familienleitbild ebenfalls mitbestimmen. Da es sich aber um komplexe Aushandlungsprozesse handelt, entstehen gerade hier Wechselwirkungen, die bisher nicht genau spezifiziert werden konnten und ein komplexeres Modell voraussetzen. Grundsätzlich können im Rahmen der multinomialen Regression auch Wechselwirkungen überprüft werden, allerdings würde die Berechnung der Wechselwirkungen eine größere Fallzahl voraussetzen.
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9.4 Wie wirken Familienpolitik und familienpolitische Interventionen? Es hat sich gezeigt, das die Herausbildung eines egalitären Vereinbarkeitsmodells mit einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter bei der Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit umfassende Anforderungen an eine Gesellschaft stellt. Was kann staatliche Familienpolitik hier bewirken? Zunächst können die eingangs gestellten (rekonstruierenden) Fragen, wie sich staatliches Handeln und familienpolitische Interventionen aus Sicht der betroffenen familialen Akteure auf die Wahl eines Familienmodells auswirken, wie folgt kurz beantwortet werden: Dem Staat wie auch staatlichen Interventionen im Policy-Feld Familienpolitik wird ein erheblicher Einfluss auf das Familienleben konstatiert. In enger Verbindung damit steht, dass an den Staat als familienpolitischer Akteur hohe Erwartungen gestellt werden. Dies betrifft neben finanziellen Transferleistungen auch die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben. Betrachtet man die einzelnen familienpolitischen Interventionen, stoßen diese in der Bevölkerung auf hohe Akzeptanz. Sowohl die geldwerten Leistungen als auch die sachwerten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erhalten breite Zustimmung. Insbesondere die Interviews verweisen zudem auf die Notwendigkeit des Ausbaus der zeitwerten Leistungen. Wesentlicher Kritikpunkt stellt die mangelnde Anerkennung der Familienarbeit von Frauen bei der Altersversorgung dar. Die qualitativen und quantitativen Erkenntnisse verlaufen diesbezüglich kongruent zueinander (Erzberger 1998: 183). Damit kann als wesentliches Ergebnis festgehalten werden, dass in der Bevölkerung ein breiter Konsens im Hinblick auf die Gestaltungsfunktion des Staates im Bereich Familienpolitik sowie der Akzeptanz familienpolitischer Interventionen besteht. Dies gilt vor allem auch für Interventionen im Bereich der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben (Träger 2003: 26-27; Lengerer 2004b: 414; vgl. hierzu auch Hantrais 2004: 145-159). Neben dem Staat wird zudem auch den Arbeitgebern und Unternehmen eine große (Mit-)Verantwortung für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familiensphäre zugeschrieben. Die Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass Familienpolitik aus Sicht der betroffenen familialen Akteure durchaus eine Wirkung entfaltet, auch wenn bislang Richtung und Stärke der Effekte auf der Akteursebene nicht bestimmt werden können. Aufgrund der Interviews konnten die Interventionen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben konkretisiert werden (vgl. hierzu auch Träger 2003: 27-30). Um Familienleben und Erwerbsarbeit besser miteinander vereinbaren zu können, sind für die Mehrheit der befragten Mütter und Väter fünf Faktoren entscheidend: 1) ausreichende und bezahlbare wie auch qualitativ anspruchsvolle Kinderbetreuungsmöglichkeiten, 2) flexible Betreuungsangebote wie auch ausreichend lange Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen, 3) flexible Arbeitszeitmodelle (auch Teilzeitmodelle), 4) ausreichend hohe Transferleistungen und 5) gezielte Hilfen in familialen Krisensituationen. Ausnahmslos alle befragten Elternteile geben an, dass die Kinderbetreuung und die familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt unabdingbar sind, um beide Sphären miteinander vereinbaren zu können. Dies belegen auch die Aussagen in den Interviews über die Haupt-
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konfliktlinien, die sich aus der aktuellen Unvereinbarkeit beider Sphären ergeben. Diese resultieren vor allem aus Zeitdruck, aufgrund von Rollendruck durch die verschiedenen Anforderungen im Beruf sowie innerhalb der Familie und aus ökonomischem Druck. In diesem Kontext zeigen die Interviews auf, dass die bloße Bereitstellung dieser Maßnahmen nicht als ausreichend angesehen wird. Ganz im Gegenteil ist entscheidend, wie die Interventionen gestaltet sind. Vereinbarkeitsorientierte Interventionen, die den tatsächlichen Bedarfslagen von Müttern und Vätern entsprechen wollen, müssen diese Aspekte berücksichtigen. Die Familieninterviews ergeben wichtige Anhaltspunkte für die Ausgestaltung der familienpolitischen Interventionen, die im folgenden Kapitel spezifiziert werden. 9.5 Empfehlungen für Politik zur Gestaltung eines „neuen“ Vereinbarkeitsarrangements Die Policy-Analyse der bestehenden Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben hat Folgendes gezeigt: die aktuellen familienpolitischen Maßnahmen erleichtern die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben. Allerdings greifen die Maßnahmen entschieden zu kurz, da für Familien mit einem mittleren und geringen Einkommen die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung aufgrund der steuerrechtlichen Begünstigung durch das Ehegattensplitting lediglich mit einem geringen Nettolohnzuwachs verbunden ist gegenüber hohen Kosten für die Kinderbetreuung. Bei den bestehenden Erwerbseinkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen existiert weiterhin der Anreiz, dass der besser verdienende Elternteil, in der Regel der Vater, entweder vollzeiterwerbstätig bleibt oder zumindest die maximale Wochenstundenzahl arbeitet. Im Gegensatz dazu verzichtet der schlechter verdienende Elternteil, in der Regel die Mutter, ganz oder in erheblichem Umfang auf eine Erwerbstätigkeit. Dies gilt ebenfalls für das Elterngeld, obwohl hier erstmalig ein Anreiz geschaffen wurde, dass Väter zumindest zwei Monate der Elternzeit in Anspruch nehmen. Besonders problematisch ist, dass die Erwerbsentscheidungen von Müttern und Vätern in einem Spannungsfeld zum Teil widersprüchlicher Anreize getroffen werden, da beispielsweise die Einführung des Betreuungsgelds traditionell ausgerichtet ist, Elterngeld und Ausbau der Kinderbetreuung aber eine Orientierung hin zu stärker dual ausgerichteten Familienmodellen implizieren. Daher kritisiert Voigt im Spiegel (2008) zu Recht, dass familiale Entscheidungsprozesse innerhalb eines „politischen Durcheinanders“ stattfinden, welches zwar gerne als Wahlfreiheit gelobt wird, letztendlich aber durch das Fehlen eines kohärenten familienpolitischen Konzeptes gekennzeichnet ist. Insbesondere mit Blick auf die Bedeutung des familialen Leitbildes bei der Entscheidung zwischen Ernährermodell und dualen Familienmodellen sind hier klare politische Signale dringend notwendig. Dabei entsteht gerade für politische Akteure ein Dilemma, da mittlerweile Umbrüche der kulturellen Leitbilder im Gange sind, ohne dass sich bisher ein gesellschaftlicher Konsens über ein „neues familiales Rollenverständnis“ durchsetzen konnte (vgl. hierzu auch BeckGernsheim 2007). Die divergierenden Vorstellungen über familiales Zusammenleben von Frauen und Männern in der Bevölkerung spiegeln sich letztendlich auch bei den untersuchten Einstellungen wider (vgl. Kap. 6.4): Trotz deutlicher Modernisierungstendenzen besteht hinsichtlich der vereinbarkeitsorientierten Einstellung neben den Ost-West-Varianzen ein geteiltes Echo. Zweifelsohne haben Ursula von der Leyen und ihre Vorgängerinnen das konservative Familienleitbild vor allem jenes in der CDU/CSU über den Familienernährer
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aufgeweicht, von einer egalitären familialen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern ist diese Politik trotz „Vätermonaten“ jedoch noch weit entfernt. Nicht zuletzt zeigt der Blick in die Geschichte der Familienpolitik, mit welch erheblichen Widerständen vereinbarkeitsorientierte Politik zu kämpfen hatte und bis heute hat. Zentral für die Ablösung des Ernährermodells wie auch die Schaffung alternativer dualer Familienmodelle ist die Herstellung eines konsistenten und mit anderen Politikbereichen abgestimmten Policy Mix, da die institutionellen Kontextbedingungen nicht nur die Familienmodellwahl direkt beeinflussen, sondern offenbar die Einstellungen über das familiale Rollenbild ebenso mitbestimmen. Dies zeigen auch die Vereinbarkeitspolitiken der skandinavischen Länder, aber auch jene in Frankreich (Büttner 2003: 4-10; Niméus 2003: 11-16; Hantrais 2004: 145-159; Neyer 2004). Insofern müssen vereinbarkeitsorientierte Maßnahmen wie das Elterngeld oder die Tagesbetreuungsausbaugesetze „im Kontext eines emanzipatorischen Diskurses“ (Farahat et al. 2006: 993) stattfinden, aber auch durch Interventionen anderer Politikfelder unter Einbezug von Unternehmen und Arbeitgebern flankiert werden (Phil 2001: 1130). Konkrete Maßnahmen, die auf der Basis der Interviews abgeleitet werden können, sind: 1)
Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder aller Altersstufen: Dabei spielen nicht nur Umfang und Ausmaß der Angebote eine Rolle, sondern auch die Kosten der Betreuung wie auch die qualitative Umsetzung. Die Kosten für den Ausbau der Tagesbetreuungseinrichtungen sollten von der Gesellschaft an sich getragen werden und nicht von den Eltern. Zudem müsste der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen mit dem Aufbau von transparenten Qualitätsstandards einhergehen. Im Hinblick auf die Ganztagsbetreuung sollten Einrichtungen variable Betreuungsmodelle anbieten.
2)
Flexible Arbeitszeitmodelle: Alle Elternteile halten flexible Arbeitszeiten nur eines Partners für unzureichend. Notwendig für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbsund Familiensphäre sind flexible Arbeitszeiten für beide Elternteile, die langfristige Reduzierung der Arbeitszeit (zumindest mehr als die vorgesehenen drei Jahre) beziehungsweise variable Reduktionsmöglichkeiten nach Lebensphasen sowie eine größere Akzeptanz von Vätern, die ebenfalls Familienarbeit leisten, in der Erwerbssphäre.
3)
Ausreichend hohe Transferleistungen für alle Familien: Zentrale Maßnahme ist die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings, wie beispielsweise in Frankreich. Berechnungsgrundlage des zu versteuernden Einkommens sind damit alle Familienmitglieder und nicht nur das Ehepaar. Die Anhebung des Kinderfreibetrages auf das tatsächliche Existenzminimum eines Kindes, da die Kinderkosten trotz insgesamt hoher finanzieller Transferleistungen überwiegend von den Eltern getragen werden. Damit könnte die direkte Steuerlast von Familien erheblich gesenkt werden. Insbesondere im Hinblick auf die soziale Absicherung von Frauen müssen Kindererziehungszeiten innerhalb der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung äquivalent zu einer vergleichbaren Erwerbstätigkeit anerkannt werden.
4)
Hilfen in familialen Krisensituationen: Hier müssten vor allem Präventions- und Beratungsprogramme ausgebaut werden.
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Angesichts der Dringlichkeit einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben und der daraus resultierenden bedarfsgerechten Gestaltung familienpolitischer Maßnahmen ist die Evaluierung familienpolitischer Interventionen dringend erforderlich. Dabei spielt die Frage, wie familienpolitische Interventionen auf der Akteursebene tatsächlich wirken, eine zentrale Rolle, um Familienpolitik zukünftig gestalten zu können. Insbesondere die Interviews haben gezeigt, dass familiale Entscheidungsprozesse im Kontext unterschiedlicher Einflüsse stattfinden und die Wechselwirkungen wie auch Kausalbeziehungen nicht unbedingt leicht zu identifizieren sind. Eine nachhaltige Familienpolitik, die verlässliche Optionen hinsichtlich der Realisierung individueller Lebensläufe für Familien – im weiten wie auch im engen Sinne – schaffen will, benötigt diese Informationen. Daher ergeben sich neue Anknüpfungspunkte: Eine Erweiterung des Modells liegt zum einen in der Überprüfung weiterer vereinbarkeitsorientierter Einstellungen wie auch zusätzlicher Indikatoren, die institutionelle Kontextbedingungen identifizieren, unter der Berücksichtigung von Kreuzeffekten, zum anderen in der Einbeziehung der Partnermerkmale als zusätzliche Kontextmerkmale. Weiterer Erkenntniszuwachs ist zu erwarten, wenn die multivariate Analyse bei einer Vergrößerung der Stichprobe für (Ehe-)Paare mit Kindern und ohne Kinder getrennt berechnet wird. Zudem kann die Wirkung einzelner Maßnahmen, wie beispielsweise des Elterngelds, mittels gezielter Interventionsdesigns, die quantitative wie auch qualitative Ansätze verbinden, auf der Akteursebene genau bestimmt werden. Nicht zuletzt sollten die Familieninterviews auf Ostdeutschland ausgedehnt werden, um vor allem die Effekte der institutionellen Rahmenbedingungen auf die Entscheidung für das Doppelkarrieremodell genauer identifizieren zu können. Die Entwicklung einheitlicher Kriterien für eine vollständige Erfassung und Transparenz der familienpolitischen Maßnahmen wie auch die Aufstellung eines inhaltlich kohärenten Zielkatalogs einschließlich der zur Umsetzung notwendigen Instrumente und Finanzgrundlagen sollte zukünftiges Ziel der Familienpolitik sein. Die Einführung eines Kompetenzzentrums zur Überprüfung der familienbezogenen Leistungen ist diesbezüglich als wichtige erste Maßnahme zu bewerten (BMFSFJ 2007a). Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse für Familienpolitik zukünftig bereit gestellt werden.
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