Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft Herausgegeben von Ernesto Grassi unter Mitarbeit von WalterHess
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Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft Herausgegeben von Ernesto Grassi unter Mitarbeit von WalterHess
Griechische Literatur Band
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ARISTOTELES
Metaphysik Obersetzt von Hermann Bonitz (ed. Wellmann) Mit Gliederungen Registern und Bibliographie herausgegeben von Hector Carvallo und Ernesto Grassi
ROWOHLT
Redaktion: Curt Grützmadler I Sybille Gropp, München UmsdllagentwUrf Werner Rebhuhn
Veröffentlicht im August 1.966 mit Unterstützung des Centro Italiano di Studi Umanistici e Filosofici, München Alle Rechte dieser Ausgabe, auch die des auszugsweisen Nachdrudcs und der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten Gesetzt in aer Linotype-Aldus-Buchschrift und der Palatino (D. Stempel AG) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, LecJc/Schleswig Printed in Germany
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VORWORT Die Herausgabe eines so vortrefflichen und im Großen wie im Kleinen gelungenen Werkes wie der Obersetzung der aristotelischen <Metaphysik> durch BoNITZ schien mir zu gebieten, mich jedes größeren Eingreifens in den Text zu enthalten und vermeintliche Verbesserungen prinzipiell zu unterlassen. Ich habe daher auch in den wenigen Fällen, wo eine von Bonitz abweichende Obersetzung den Text meines Erachtens besser treffen würde, wie bei der Wiedergabe von nous, dem <Einsehen> mehr als das Bonitz'sche entspricht, oder bei t6pos, das weniger als ist, und bei aut6matos, das nicht mit , sondern mit <spontan> zu übersetzen wäre, den Text von Bonitz nicht verändert. Dieser wurde nur in der Orthographie und Interpunkion dem heutigen Gebrauch angeglichen. Meine Aufgabe sah ich zunächst darin, die Obersetzung mit dem griechischen Text, wie ihn die beiden heute als maßgebend geltenden Ausgaben von Ross und }AEGER bieten, zu vergleichen. Die unvermeidlichen Korrekturen wurden immer vermerkt und nur dann vorgenommen, wenn sich aus einer gut begründeten abweichenden Textgestaltung erhebliche Sinnesänderungen ergaben. Außerdem habe ich die Anmerkungen von EouARD WELLMANN, der das Werk aus dem Nachlaß von Bonitz zum ersten und einzigen Male herausgegeben hat, einer Revision unterzogen. Es stellte sich nämlich heraus, daß diese Anmerkungen, obwohl sie mit ihrem Verzeichnis von Lesarten und Korrekturen aus der Feder von Bonitz nicht ohne Bedeutung sind, in ihrem ganzen Umfang zu übernehmen weder möglich noch geboten war. Ich habe darum alle Anmerkungen gestrichen, die solche Korrekturen enthielten - und man darf sagen, daß dies meistens der Fall war -, die von den späteren Gelehrten übernommen wurden. Beibehalten wurden hingegen solche, die eine von Ross und Jaeger abweichende Auffassung des Textes vertreten. Die Bemerkungen zu Weilmanns Anmerkungen stehen in [ ] ; neu hinzugekommene Anmerkungen sind durch (Hg.) gekennzeichnet; auf die Ausgaben von Jaeger und Ross wird in der Regel durch und verwiesen; Fragmente der Vorsokratiker werden zitiert nach der 10. Aufl. der Ausg. von Diels/Kranz, 1961, abgekürzt . Es ist nicht zu fürchten, daß die gewaltige Leistung von Bonitz für die Textgestaltung der Metaphysik in Vergessenheit gerät. Es sei mir erlaubt, in diesem Zusammenhang eine Äußerung von
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VORWORT
SIR DAvm Ross anzuführen: «Sehr viel wurde für die Wiederherstellung des Textes von Sylburg, Brandis, Bekker, Schwegler und Christ geleistet; aber diese alle zusammen haben weniger ausgerichtet als Bonitz, der, teils durch sorgfältiges Studium der griechischen Kommentatoren, teils durch aufmerksame Analyse des Textzusammenhangs, fast jede Seite dieses Werkes in überzeugender Weise verbessert hat.» (Aristotle, The Metaphysics, Introduction, Oxford 1.924, Bd. I, $. CLXVI) Wie bei der Ausgabe der des Aristoteles in Rowohlts Klassikern wurden dem Text ziemlich ausführliche Inhaltsübersichten beigegeben, die dem Leser das Eindringen in den Zusammenhang und die Verfolgung des Gedankenganges erleichtern, dem Kenner ein rascheres Auffinden bestimmter Textstellen ermöglichen möchten. Ich bin mir bewußt, daß ein solcher Versuch auf Grund der oft verzweifelten Schwierigkeiten, die durch die geforderte Kürze und übersichtlichkeitnicht unerheblich vermehrt werden, immer problematisch bleiben muß. An der endgültigen Redaktion der Gliederungen haben ECKHARD KESSLER und WALTER HEss mitgewirkt. Wir haben lange gezögert bei dem Entschluß, im Inhaltsverzeichnis nur die Kapitelüberschriften, nicht aber die ganzen Obersichten abzudrucken. Es überzeugte schließlich das Argument, daß eine Wiederholung der gesamten Gliederungen - auf mehr als dreißig Seiten anwachsend - gerade die geforderte übersichtlimkeit nicht gewährleistet hätte und daß andererseits die von EGINHARD HoRA angelegten Register das Auffinden bestimmter Stellen und die terminologische Orientierung wesentlich zu erleimtem vermögen. Die Zusammenstellung des deutsmen und des griechischen Begriffsregisters ist von folgenderüberlegungbestimmt: die Schwierigkeit der aristotelischen philosophismen Terminologie liegt in der Mehrdeutigkeit der Begriffe und in der Unmöglichkeit, die feststehenden Begriffsbildungen der griechischen Sprache durch ebenso feststehende deutsche Begriffe wiederzugeben. Es ergibt sim aus dieser Schwierigkeit eben jenes Verfahren, das Bonitz in seiner übersetzung angewandt hat: Der feststehende Begriff im Urtext wurde je nach philosophischem Sinn und je nach dem Kontext in voneinander versmiedene deutsme Begriffe aufgelöst. Es erschien ratsam, zur leichteren Orientierung ein Begriffsregister zusammenzustellen, das dieses Verfahren deutlich macht und gleichzeitig als Sachregister dienen kann; die Wiedergabe der griechischen Begriffe soll, wie im Text selbst, zur Einfühlung in die ursprüngliche Terminologie anleiten. Die in den Text und die
7 Gliederungen eingefügten griechischen Begriffe stehen in der Regel-d. h. wenn die Verdeutlichung keine anderen Formen verlangt- im Nominativ bzw. Infinitiv. Das Jota subscriptum, das aus satztechnischen Gründen nicht subscribiert werden konnte, wurde nicht postscribiert, sondern weggelassen, um auch dem Leser, der nicht Griedtisch versteht, den tatsächlichen Lautstand zu vermitteln. Zum Absdl.luß möchte ich ganz besonders dem Herausgeber dieser Reihe, Herrn Prof. Dr. ERNESTO GRAssi, danken, ohne dessen Interesse, Verständnis und Beistand ich meine Aufgabe nicht hätte bewältigen können. Gleichfalls möchte ich Herrn Eaawr.n KEssLER für seine Hilfe besonders danken. VORWOllT
H~ctor
Ca1'!1allo
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ERSTES BUCH (A) DIE STUFEN DES ERKENNENS. DIE VIER URSACHEN: HISTORISCHE BEGRÜNDUNG
:1. STREBEN NACH WISSEN. STUFEN DES WISSENS
Das Streben (oregesthai) nadt Wissen (eidenai) bewegt den Mensdten von Natur aus (physei). Vorrang des Sehens (horan). - 2. Die Stufen des Wissens bei Tier und Mensdt. (a) Sinneswahrnehmung (aisthesis),· Erinnerung (mn~me), Erfahrung (empeiria). (b) Entstehung (genesis) der Erfahrung, (c) der Kunst (tedme). (d) Bestimmung der Erfahrung und der Kunst.- 3· Vorrang der Kunst vor der Erfahrung. (a) Praktisdter (pros to prattein) Vorrang der Erfahrung: Erkenntnis (gnßsis) des Einzelnen (kath' hekaston). (b) Theoretisdter (kata to eidenai) Vorrang der Kunst: sie ist sdton irgendwie durdt die Kenntnis des Warum (dih6ti) und derUrsadle (aitia) Weisheit (sophia).-4. VorrangderWissensdtaften, die sidt weder auf die notwendigen Bedürfnisse (anankata) nodt auf den Genuß (hedon~) beziehen. - 5· Sdtlußfolgerung: Die Weisheit (sophia) ist eine Wissensdtaft (epistlme) von Ursamen (aitiai) und Prinzipien (armai). :1.
(:1..) Alle Menschen streben von Natur (physei) nach Wissen (eidenaz); dies beweist die Freude an den Sinneswahrnehmungen (aistheseis), denn diese erfreuen an sich, auch abgesehen von dem Nutzen, und vor allen andern 'die Wahrnehmungen mittels der Augen. Denn nicht nur zu praktischen Zwetken, sondern auch werui wir keine Handlung beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allem andern vor, und dies deshalb, weil dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis (gnörizein) gibt und viele Unterschiede (diaphorai) offenbart. (2.a) Von Natur nun haben die Tiere sinnliche Wahrnehmung, aus der sinnlichen Wahrnehmung entsteht bei einigen Erinnerung (mneme) I bei anderen nicht, und darum sind jene verständiger und gelehriger als die, welche sich nicht erinnern können. Verständig (phr6nimos) ohne zu lernen sind alle diejenigen, welche den Schall nicht hören können, z. B. die Biene und was etwa noch sonst für Tiere der Art sind; dagegen lernen alle diejenigen, welche außer der Erinnerung auch diesen Sinn besitzen. Die anderen Tiere nun leben in ihren Vorstellungen (phantasiai) und Erinnerungen und haben nur geringen Anteil an Erfahrung (empeiria), das Geschlecht der Menschen dagegen lebt auch in Kunst (techne) und überlegung (logismoi). (b) Aus der
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Erinnerung nämlich entsteht für die Menschen Erfahrung; denn die Vielheit der Erinnerungen an denselben Gegenstand erlangt 981 a die Bedeutung einer einzigen Erfahrung, und es scheint die Er· fahrung beinahe der Wissenschaft (epistemi) und der Kunst sich anzunähern. Wissenschaft aber und Kunst gehen für die Menschen aus der Erfahrung hervor; denncErfahrungschufdieKunst), 5 sagt Polos 1 mit Recht, cUnerfahrenheit den Zufall), ( c) Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die Erfahrung gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche bildet. (d) Denn die Annahme, daß dem Kallias, indem er an dieser bestimmten Krankheit litt, dieses bestimmte Heilmittel half, und ebenso dem Sokrates und so vielen einzelnen, ist eine Sache der Erfahrung; daß es dagegen allen von solcher und solcher Beschaf10 fenheit (indem man sie in einen Artbegriff (etdos) einschließt), allen, die an dieser Krankheit litten, zuträglich war, z. B. den schleimichten oder gallichten oder fieberkranken, diese Annahme gehört der Kunst an. (3. a) Zum Zweck des Handeins steht die Erfahrung der Kunst an Wert nicht nach, vielmehr sehen wir, ·daß die Erfahrenen mehr das Richtige treffen als diejenigen, die 1.5 ohne Erfahrung nur den allgemeinen Begriff (l6gos) besitzen. Die Ursache davon liegt darin, daß die Erfahrung Erkenntnis des Einzelnen ist, die Kunst des Allgemeinen, alles Handeln und Geschehen aber am Einzelnen vorgeht. Denn nicht einen Menschen überhaupt heilt der Arzt, außer in akzidentellem Sinne (kata symbebek6s), sondern den Kailias oder den Sokrates oder irgendeinen anderen Einzelnen, für welchen es ein Akzidens ist, 20 daß er auch Mensch ist. Wenn nun jemand den Begriff besitzt ohne Erfahrung und das Allgemeine weiß, das darin enthaltene Einzelne aber nicht kennt, so wird er das rechte Heilverfahren oft verfehlen; denn Gegenstand des Heilens ist vielmehr das Einzelne. (b) Dennoch aber schreiben wir Wissen (eidenai) und Verstehen (epa{ein) mehr der Kunst zu als der Erfahrung und sehen 25 die Künstler für weiser an als die Erfahrenen, indem Weisheit (sophfa) einem jeden vielmehr nach dem Maßstabe des Wissens zuzuschreiben sei. Und dies deshalb, weil die einen die Ursache kennen, die anderen nicht. Denn die Erfahrenen kennen nur das Daß (to h6ti), aber nicht das Warum (dih6ti); jene aber kennen 30 das Warum und die Ursache (aitia). Deshalb stehen auch die leitenden Künstler in jedem einzelnen Gebiete bei uns in höherer Achtung, und wir meinen, daß sie mehr wissen und weiser sind 981 b als die Handwerker, weil sie die Ursachen dessen, was hervorge1
In Platons Gorgias 448 c.
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bradtt wird, wissen, während die Handwerker mandten leblosen Dingen gleidten, weldte zwar etwas hervorbringen, z. B. das Feuer Wärme, aber ohne das zu wissen, was es hervorbringt; wie jene leblosen Dinge nach einem natürlidten Vermögen (physis) das hervorbringen, was sie hervorbringen, so die Handwerker durch Gewöhnung (ethos). Nidtt nach der größeren Geschicklidtkeit zum Handeln sdtätzen wir dabei die Weisheit ab, sondern darum bezeidtnen wir die leitenden Künstler als weiser, weil sie im Besitz des Begriffes sind und die Ursachen kennen. überhaupt ist es ein Zeichen des Wissens, daß man den Gegenstand lehren kann, und darum sehen wir die Kunst mehr für Wissenschaft (episteme) an als die Erfahrung; denn die Künstler können lehren; die Erfahrenen aber nicht. Ferner meinen wir, daß von den Sinneswahrnehmungen keine Weisheit gewähre, und dodt geben sie die bestimmteste Kenntnis des Einzelnen; aber das Warum geben sie von keinem Dinge an, z. B. von dem Feuer geben sie nur an, daß es brennt, nicht warum es brennt. (4.) Wer daher zuerst neben den allgemeinen Sinneswahrnehmungen eine Kunst erfand, der fand natürlich Bewunderung bei den Mensdten, nidtt nur wegen der Nützlichkeit seiner Erfindung, sondern wegen der Weisheit, die ihn vor den andern auszeichnete. Bei weiterem Fortschritte in der Erfindung von Künsten, teils für die notwendigen Bedürfnisse, teils für .den Genuß des Lebens, halten wir die letzteren immer für weiser als die ersteren, weil ihr Wissen nidtt auf den Nutzen (chresis) gerichtet ist. Als daher schon alles Derartige geordnet war, da wurden die Wissensdtaften gefunden, die sich weder auf die notwendigen Bedürfnisse (anankaia) nodt auf das Vergnügen (hedone) des Lebens beziehen, und zwar zuerst in den Gegenden, wo man Muße (scholazein) hatte. Daher bildeten sidt in Ägypten zuerst die mathematischen Wissenschaften (Künste) 1 , weil dort dem Stande der Priester Muße gelassen war. (5.) Weldter Unterschied nun zwisdten Kunst und Wissenschaft und dem übrigen Gleidtartigen besteht, ist in der Ethik'" erklärt; der Zweck der gegenwärtigen Erörterung aber ist, zu zeigen, daß alle als Gegenstand der sogenannten Weisheit (sophia) die ersten Ursachen (prota aitia) und Prinzipien (archai) ansehen; darum, wie gesagt, gilt der Erfahrene für weiser als der, welcher irgendeine Sinneswahrnehmung besitzt, der Künstler für weiser als der Erfahrene, 1 Das griedtisdte Wort (tedme) bezeidtnet hier wie das lateinisdte ars Wissensdtaft und Kunst zugleidt. · 2 Vgl. Eth. Nicom. VI 3-7, wo neben der Kunst (temne) und Wissensdtaft (epistime) nodt Einsidtt (phr6nesis), Weisheit (sophia), Vernunft (nous) als gleidtartige Begriffe erörtert werden.
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und wieder der leitende Künstler vor dem Handwerker, die betrachtenden Wissenschaften vor denen, die sich auf ein Hervor982 a bringen beziehn, die theore~sch~n ~ünst~ vor den praktisch~n (poietikai). Daß also die Weisheit e~ne ':"Issenschaft von gewissen Ursachen und Prinzipien ist, das 1st h1eraus klar.
2.
DIE
NATUR DER WEISHEIT
:t. Aufgabe und Methode.-
2 Bestimmung des Wesens der Weisheit. (a) Was man im allgemeinen unter dem Weisen (soph6s) und der Weisheit versteht. (b) Die diesem Verständnis entspred!ende Wissensd!aft. (c) Weisheit ist die Wissensd!aft von den ersten Prinzipien (prßtai armal) und Ursamen (altia). - 3· Eigensd!aften der Weisheit: Sie ist (a) keine hervorbringende (poietik~), sondern eine theoretisd!e (theöretik~), (b) die einzige freie (eleuthera) Wissensd!aft. (c) Göttlid!er Charakter (theia) der Weisheit. - 4· Bedeutung der Verwunderung (thaumazein) für die Weisheit.
(1..) Da wir nun diese Wissenschaft (episteme) suchen, so müs5 sen wir danach fragen, von welcherlei Ursachen und Prinzipien
die Wissenschaft handelt, welche Weisheit (sophfa) ist. Nimmt man nun die gewöhnlichen Annahmen, welche wir über den Weisen haben, so dürfte vielleicht die Sache daraus eher deutlich werden. (2. a) Es ist nun erstens unsere gewöhnliche Annahme, daß der Weise soviel möglich alles wisse, ohne dabei die Wissenschaft :to des Einzelnen zu besitzen, ferner, daß der, welcher das Schwierige und für den Menschen nicht leicht Erkennbare zu erkennen vermag, weise sei (denn Sinneswahrnehmung ist allen gemeinsam und darum leicht und nichts Weises); ferner, daß in jeder Wissenschaft der Genauere und die Ursachen zu lehren Fähigere der Weisere sei; und daß unter den Wissenschaften die, welche um :15 ihrer selbst und um des Wissens (eidenai) willen gesucht wird, in vollerem Sinne Weisheit sei als die um anderweitiger Ergebnisse willen gesuchte, und ebenso die mehr gebietende im Vergleich mit der dienenden; denn der Weise dürfe sich nicht befehlen lassen, sondern müsse befehlen, nicht er müsse einem anderen, sondern ihm müsse der weniger weise gehorchen. (b) Dies sind im ganzen die Annahmen, welche wir über die 20 Weisheit und die Weisen haben. Hierunter muß das Merkmal, alles zu wissen, dem zukommen, dessen Wissenschaft am meisten dasAllgemeine (kath6lou) zumGegenstandhat; denn dieserweiß gewissermaßen alles Untergeordnete. Dies aber, das Allgemein-
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ste, ist auch für den Menschen gerade am schwersten zu erkennen; denn es liegt am weitesten von den sinnlichen Wahrnehmungen (aistheseis) entfernt. Am genauesten aber sind unter den Wissenschaften die, welche am meisten auf das Erste (ta prota) sich beziehen; denn auf eine geringere Zahl von Prinzipien bezogene Wissenschaften sind genauer als diejenigen, bei denen noch bestimmende Zusätze hinzukommen, z. B. die Arithmetik ist genauer als die Geometrie. Aber auch zu lehren fähiger ist diejenige Wissenschaft, welche die Ursachen betrachtet; denn in jeder Wissenschaft lehrt derjenige, der die Ursachen angibt. Wissen aber und Erkennen um ihrer selbst willen kommt am meisten der Wissenschaftdes im höchsten Sinne Wißbaren (malista episteton) zu. Denn wer das Wissen um seiner selbst willen wählt, der wird die höchste Wissenschaft am meisten wählen, dies ist aber die Wissenschaft des im höchsten Sinne Wißbaren, im höchsten Sinne wißbar aber sind die ersten Prinzipien (protai archaf) und die Ursachen (altia); denn durch diese und aus diesen wird das andere erkannt, aber nicht dies aus dem Untergeordneten. Am gebietendsten unter den Wissenschaften, gebietender als die dienende, ist die, welche den Zweck erkennt, weshalb jedes zu tun ist; dieser ist aber das Gute in jedem einzelnen Falle und überhaupt das Beste in der ganzen Natur. (c) Nach allem eben Gesagten kommt also der fragliche Name derselben Wissenschaft zu; denn sie muß die ersten Prinzipien und Ursachen untersuchen, da ja auch das Gute und das Weswegen eine der Ursachen ist. (3. a) Daß sie aber nicht auf ein Hervorbringen (poietike) geht, beweisen schon die ältesten Philosophen. Denn Verwunderung (thaumazein) veranlaßte zuerst wie noch jetzt die Menschen zum Philosophieren 1, indem man anfangs über die unmittelbar sich darbietenden unerklärlichen Erscheinungen sich verwunderte, dann allmählich fortschritt und auch über Größeres sich in Zweifel einließ, z. B. über die Erscheinungen an dem Monde und der Sonne und den Gestirnen und über die Entstehung des All. Wer aber in Zweifel und Verwunderung über eine Sache ist, der glaubt sie nicht zu kennen. Darum ist der Freund der Sagen (mythos) auch in gewisser Weise ein Philosoph; denn die Sage besteht aus Wunderbarem. Wenn sie also philosophierten, um der Unwissenheit (agnoia) zu entgehen, so suchten sie die Wissenschaft offenbar des Erkennens (eidenai) wegen, nicht um irgendeines Nutzens willen. Das bestätigt auch der Verlauf der Sache; denn als so ziemlich alles zur Bequemlich1 Nadt Platon Theaet. 155 d.
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keit und zum Genuß des Lebens Nötige vorhanden war, da begann man diese Art der Einsi~t (phr6~esis) z.u suchen. (bJ. J?araus erhellt also, daß wir sie mcht um ugendemes anderweltlgen 2 5 Nutzens willen suchen, sondern, wie wir den Menschen frei nennen, der um seiner selbst, nicht um eines andern willen ist, so ist auch diese Wissenschaft allein unter allen frei; denn sie allein ist um ihrer selbst willen. (c) Darum ·möchte man auch mitRecht ihre Erwerbung für übermenschlich halten; denn in vielen Dingen ist die menschliche Natur eine Sklavin, und es möchte also wohl nach Simonides' Spruche 1 ie meisten Philosophen nahmen nur solche an. (b) Sie unterschieden sich aber in den Ansichten über dii' Art (etdos) und die Menge (pl2thos) der materiellen Prinzipien. - .3· Das Prinzip der Bewegung (archi h6then he kinesis). (a) Notwendigkeit eines zweiten Prinzips neben dem materiellen. (b) Schwierigkeiten bei der Suche danach.- 4· Vertiefte Untersuchung der Prinzipien: Anaxagoras. (a) Die aufgestellten Prinzipien genügen nicht, die Natur der Dinge (tan 6ntön physis) zu erklären. (b) Anaxagoras als erster erklärte die Vernunft (nolls) als Ursache aller Schönheit (k6smos) und Ordnung (tdxis). (c) Die Vernunft ist Prinzip des Guten (kaUls) und zugleich der Bewegung. 1.
(1..) Da wir nun offenbar eine Wissenschaft der Grundursachen (ex arches aitia) uns erwerben müssen (denn Wissen schreiben wir uns in jedem einzelnen Falle dann zu, wenn wir die erste Ursache zu kennen glauben), Ursache aber in vier verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird, einmal als Wesenheit (ousia) und Wesenswas (to ti en einat) (denn das Warum wird zuletzt auf den Begriff der Sache zurückgeführt, Ursache aber und Prinzip ist das erste Warum), zweitens als Stoff (hyli) und Substrat (hypokeimenon), drittens als das, wovon die Bewegung (kinesis) ausgeht, viertens, im Gegensatz zu den letzteren, als das Weswegen (to hou heneka) und das Gute (agath6n) (denn dieses ist das Ziel alles Entstehens und aller Bewegung): so wollen wir, obgleich wir diesen Gegenstand in den Büchern über die Natur hinlänglich erörtert haben 1, doch auch diejenigen zu Rate ziehen, welche vor uns das Seiende (ta 6nta) erforscht und über die Wahrheit philosophiert haben. Denn offenbar sprechen auch jene von gewissen Prinzipien und Ursachen; diese in Erwägung zu ziehen wird also der gegenwärtigen Untersuchung einigen Nutzen bringen; denn entweder werden wir noch eine andere Art der Ursache finden oder den jetzt erwähnten mehr vertrauen. 1
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(2. a) Von den ersten Philosophen hielten die meisten nur die stoffartigen Prinzipien für die Prinzipien aller Dinge; denn dasjenige, woraus alles Seiende ist und woraus es als dem ersten entsteht und worin es zuletzt untergeht, indem die Wesenheit (ausia) besteht und nur die Beschaffenheiten wechseln, dies, sagen sie, ist das Element (staicheian) und das Prinzip (archi) des Seienden. Darum nehmen sie auch kein Entstehen und· Vergehen an, indem ja diese Wesenheit stets beharre, wie man ja auch nicht von SÖkrates sagt, daß er schlechthin werde, wenn er schön oder gebildet wird, noch daß er vergehe, wenn er diese Eigenschaften verliert, weil nämlich das Substrat, Sokrates selbst, beharrt; so also werde und vergehe auch nichts anderes. Denn es muß eine Wesenheit (physis) vorhanden sein, sei dies nun eine einzige oder mehr als eine, aus welcher das andere entsteht, während jene beharrt. (b) Doch über die Menge (plethas) und die Art (eldas) dieses Prinzips stimmen nicht alle überein. Thales, der Urheber solcher Philosophie, sieht das Wasser als das Prinzip an, weshalb er auch erklärte, daß die Erde auf dem Wasser sei; eine Annahme, die er wahrscheinlich deshalb faßte, weil er sah, daß die Nahrung aller Dinge feucht ist und das Warme selbst aus dem Feuchten entsteht und durch dasselbe lebt (das aber, woraus alles wird, ist das Prinzip von allem); hierdurch also kam er wohl auf diese Annahme und außerdem dadurch, daß die Samen aller Dinge feuchter Natur sind, das Wasser aber dem Feuchten Prinzip seines Wesens ist. Manche meinen auch, daß die Alten, welche lange vor unserer Zeit und zuerst über die göttlichen Dinge geforscht haben, derselben Ansicht seien; denn den Okeanos und die Tethys machten sie zu Erzeugern der Entstehung (genesis) und den Eid zum Wasser der Götter, das bei den Dichtern Styx heißt; denn am ehrwürdigsten ist das Älteste, der Eid aber ist das Ehrwürdigste. Ob nun dies schon eine ursprüngliche und alte Meinung (doxa) war, das möchte wohl dunkel bleiben; Thales jedoch soll sich auf diese Weise über die Grundursache ausgesprochen haben. Den Hippan wird man wohl wegen seiner Gedankenarmut nicht würdigen, unter diese Männer zu rechnen. Anaximenes und Diagenes dagegen setzen die Luft als früher denn das Wasser und als vorzugsweise Prinzip unter den einfachen Körpern, Hippasas der Metapontiner und Herakleitas der Ephesier das Feuer, Empedakles die vier Elemente, indem er zu den genannten die Erde als viertes hinzufügte. Denn diese blieben immer und entstiinden nicht, außer in Hinsieht der größeren oder geringeren Zahl, indem sie zur Einheit verbunden oder aus der Einheit ausgeschieden würden. Anaxagaras aber, der Klazomenier, welcher der Zeit nach früher ist als die-
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se, seiner Philosophie nad). aber später, behauptet, daß es eine unbegrenzte Menge von ~rinzipien gebe; denn ziemlich alles Gleichteilige (ta homoiomere), gleichwie Wasser und Feuer, entstände und verginge so, nämlich nur durch Verbindung (synkrisis), und Trennung (diakrisis), auf andere Weise aber entstehe und vergehe es nicht, sondern bleibe ewig. (J. a) Hiernach möchte man das nach Art des Stoffes (en hyles eidei) gedachte Prinzip für das einzige ansehn. Beim weiteren Fortschritt jedoch zeigte ihnen die Natur der Sache (tö pragma) selbst den Weg und nötigte sie zur Forschung. Denn wenn auch durchaus jedem Entstehe.n (genesis) und Vergehen (phthora) etwas zugrunde liegt, aus dem es hervorgeht, sei dies eines oder mehreres, warum geschieht denn dies und was ist die Ursache? Denn das zugrunde Liegende (hypokeimenon) bewirkt doch nicht selbst seine eigne Veränderung. Ich meine so: z. B. das Holz und das Erz sind nicht die Ursache der Veränderung in ihnen, und nicht das Holz macht ein Bett oder das Erz eine Bildsäule, sondern etwas anderes ist Ursache der Veränderung (metabole). Diese Ursache nun suchen heißt das zweite Prinzip suchen, oder, wie wir es nennen würden, dasjenige suchen, wovon die Bewegung ausgeht. (b) Die sich nun ganz zu Anfang mit dieser Weise der Untersuchung befaßten und ein einziges Substrat setzten, fanden hierin keine Schwierigkeit 1 • Einige indes von denen, welche das Eins behaupten, erklären, dieser Untersuchung gleichsam unterliegend, das Eins (to hen) und die ganze Natur sei unbeweglich, nicht nur in Ansehung des Entstehensund Vergehens (denn dies ist eine alte Lehre und darin stimmten alle überein), sondern auch in Beziehung auf jede andere Art der Veränderung, und dieses ist ihnen eigentümlich. Von denen also, welche behaupten, das All (to pan) sei nur eins, kam keiner dazu, diese Art des Prinzips zu erkennen, außer etwa Parmenides, und auch dieser nur insofern, als er nicht das Eins, sondern gewissermaßen zwei Ursachen annimmt. Die aber mehr als eins annehmen, können eher davon sprechen, wie z. B. die, welche das Warme und das Kalte oder Feuer und Erde annehmen; sie gebrauchen nämlich das Feuer, als habe es eine bewegende Natur, das Wasser aber und die Erde und das andere dieser Art in der entgegengesetzten Weise. (4. a) Nach diesen Männern und solchen Prinzipien wurden sie, da diese nicht genügten, die Natur der Dinge (ton 6nton physis) 'l So im Manuskript der Übersetzung nadt der Lesart en autois. Im Kommentar S. 69 zieht B. heautois vor. Dann ist zu übersetzen <Waren völlig mit sidt zufrieden>.
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daraus entstehen zu lassen, wieder, wie gesagt, von der Wahrheit selbst genötigt, das nächstfolgende Prinzip zu suchen. Denn daß sich im Sein (lchein) und Werden (gtgnesthaz} das Gute und Schöne findet, davon kann doch billigerweise nicht das Feuer oder die Erde oder sonst etwas der Art die Ursache sein, noch konnten jene wohl diese Ansicht haben; aber ebensowenig ging es wohl an, dies dem Zufall und dem Ungefähr zuzuschreiben. (b) Wie al:t5 so jemand erklärte, daß Vernunft (nozls) wie in den lebenden Wesen so auch in der Natur die Ursache aller Schönheit (k6smos) und aller Ordnung (taxis) sei, da erschien er gegen die Früheren wie ein Nüchterner gegen Irreredende. Sicher wissen wir, daß Anaxagoras diese Gedanken ergriff, doch soll sie schon früher Hermotiao mos der Klazomenier ausgesprochen haben. (c) Diejenigen nun, welche diese Annahme aufstellten, setzten zugleich die Ursache des Guten (aitia toll kalas) als ein Prinzip derDinge (archi tßn 6nton), und zwar als ein solches Prinzip, von welchem für die Dinge die Bewegung ausgeht.
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PltiNZIPIEN UND URSACHEN. MEINUNGEN DEI. ERSTEN PHILOSOPHEN (FORTSETZUNG)
Liebe (4rös) O!ier Begierde (epithymla) als Ureadle der Bewegung und der Vereinigung (syndgein): Heeiodos und Parmenidee. - a. Freundsthaft (philfa) und Streit (nefkos) als Ursathen des Guten und Bösen: Empedokles. Das Gute und das Böse als Prinzipien. - 3· Kritik an Anaxagoras und Empedokles. (a) Sie haben nur zwei Ursathen aufgestellt und diese nur unbestimmt und dunkel aufgefaßt. (b) Anaxagoras. (c) Empedokles.- 4· Leukippos und Demokritos. (a) Das Volle (plires) und das Leere (ken6n) als Elemente (stoicheta). (b) Die Ursathen der Vielheit der Dinge. (c) Das Fehlen einer Ursache für die Bewegung. :1.
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(:1..) Man könnte vermuten, daß Hesiodos zuerst eine sokhe Ursache gesucht und wer noch sonst etwa Liebe (erös) oder Begierde (epithymla) in dem Seienden als Prinzip gesetzt, wie dies auch Parmenides getan; denn dieser sagt, wo er die Entstehung des All aufbaut 1 : Eros erschuf er zuerst von allen unsterblichen Göttern, Hesiodos aber sagt": 1 Fr. :zB B 13 D./K. :z In der Theogonie V. 166 ff.
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Siehe vor allem zuerst ward Chaos, aber nach diesem Ward die gebreitete Erde,-Eros zugleich, der vor allen unsterblichen Göttern hervorragt, indem ja in dem Seienden sich eine Ursache finden müsse, welche 30 die Dinge bewege und zusammenbringe. Wem unter diesen man den Vorrang geben soll, es zuerst ausgesprochen zu haben, das sei später zu entscheiden gestattet. (2.) Da aber auch das Gegenteil des Guten sich in der Natur 98 5 a vorhanden zeigte, nicht nur Ordnung und Schönheit, sondern auch Unordnung und Häßlidtkeit, und des Bösen (ta kakti) mehr als des Guten, des Häßlimen mehr als des Schönen, so führte ebenso ein anderer Freundsdtaft (philia) und Streit (neikos) ein, die Freundschaft als des Guten, den Streit als des Bösen Ursame. Denn folgt man dem Empedokles und faßt seine Ansimt nach ih- 5 rem eigentlichen Sinne, nicht nach ihrem lallenden Ausdruck, so wird man finden, daß ihm die Freundsmaft Ursame des Guten ist, der Streit Ursache des Bösen; so daß man vielleicht mit Remt sagen könnte, Empedokles setze gewissermaßen und zwar zuerst das Gute und das Böse als Prinzipien, sofern ja die Ursame alles Guten das Gute selbst und des Bösen das Böse ist. 10 (3. a) Insoweit also berührten diese, wie gesagt, zwei von den Ursadten, welme wir in den Büchern über die Natur unterschieden haben, nämlich den Stoff und das, wovon die Bewegung ausgeht, indessen nur dunkel und ohne alle Bestimmtheit, so wie es im Kampfe die Ungeübten machen; denn diese führen im Herumfahren wohl auch öfters gute Hiebe, aber sie tun es nidtt kunstge- 15 recht, und ebenso smeinen auch diese nimt mit Bewußtsein zu sagen, was sie sagen; denn sie machen ja offenbar von diesen Prinzipien fast gar keinen oder doch nur sehr wenig Gebrauch. (b) Denn Anaxagoras gebraucht bei seiner Weltbildung (kosmopoiia) die Vernunft (nous) als Maschinengott (mechane), und wenn er in Verlegenheit kommt, aus welcher Ursache denn etwas notwendig sein soll, dann zieht er ihn herbei; im übrigen aber sumt er 20 die Ursame eher in allem andem als in der Vernunft. (c) Und Empedokles gebraucht seine Ursachen zwar etwas mehr als dieser, aber dodt weder genügend noch in Obereinstimmung mit sich selbst. Öfters wenigstens trennt bei ihm die Freundschaft und verbindet der Streit. Denn wenn das All durch den Streit in die 25 Elemente getrennt wird, so wird ja das Feuer in eins verbunden und ebenso jedes der übrigen Elemente; wenn sie aber wieder alle 1 durch die Freundschaft 'in das Eins zusammengehen, so ., 1
(panta) fehlt in den besten Handsduiften.
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müssen notwendig aus einem jeden die Teile wieder geschieden werden. Empedokles also hat im Gegensatz zu den früheren Phi3o losophen diese Ursache als geteilt eingeführt, indem er nicht eine Ursache der Bewegung aufstellte, sondern versdtiedene und entgegengesetzte. Ferner stellte er zuerst der stoffartigen Elemente vier auf, doch wendet er sie nicht als vier an, sondern als wären 98.5 b ihrer nur zwei, nämlich das Feuer an sich, die gegenüberstehenden aber, Erde, Luft und Wasser, als eine einzige Wesenheit. Das kann man bei genauerer Betrachtung aus seinen Gedichten entnehmen. (4· a) In dieser Weise und soviel Prinzipien stellte also, wie gesagt, Empedokles auf. Leukippos aber und sein Genosse DemokriS tos setzen als Elemente das Volle (to pllres) und das Leere (to ken6n), deren eines sie das Seiende (to 6n) das andere das Nichtseiende (to ml 6n) nennen, nämlich das Volle und Dichte nennen sie das Seiende, das Leere und Dünne das Nichtseiende (deshalb behaupten sie auch, daß das Nichtseiende ebensowohl sei wie das Seiende, so wie das Leere so gut ist wie das Volle", und setzen dies als materielle Ursachen der Dinge. (b) Und wie diejeni10 gen, welche die zugrunde liegende Wesenheit (hypokeim~ne ous(a) als ein Eins setzen, das übrige durch die Affektionen (pathe) desselben erzeugen und dabei das Dünne und Dichte als Prinzipien der Affektionen annehmen, in gleither Weise erklären 1.5 auch diese die Unterschiede für die Ursachen des übrigen. Deren sind aber nach ihrer Ansicht drei: Gestalt, Ordnung und Lage (schlma, tdxis, th~sis); denn das Seiende, sagen sie, unterscheide sich nur durch Zug, Berührung und Wendung. Hiervon bedeutet aber Zug Gestalt, Berührung Ordnung, und Wendung Lage. Es unterscheidet sich nämlich A von N durch die Gestalt, AN von NA durch die Ordnung, N von Z durch die Lage. (c) Die Frage aber nach der Bewegung, woher denn oder wie sie bei dem Sei20 enden stattfinde, haben auch diese mit ähnlichem Leichtsinn wie die übrigen beiseite gesetzt. Ober die zwei Ursachen scheinen also, wie gesagt, die Untersuchungen der Früheren bis hieher geführt zu sein.
1 B. übersetzt hier das durdt den Zusammenhang Geforderte statt der überlieferten Lesart (vgl. Komm. S. 7.5). Nadt Simplic. Phys. p. 28, 14 Dies ist oude to kenon tou sdmatos, zu sdtreiben. [Vgl. Ross o. c. I 1.39 zu 98.5 b 9·1
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PR.INZIPIEN UND URSACHEN. MEINUNGEN DER ERSTEN PHILOSOPHEN (SCHLUSS)
:t. Die Pythagoreer. (a) Die Elemente der Zahlen als Elemente der Dinge. (b) Die Suche nach Übereinstimmungen. (c) Die Grundlehren. (d) Sonderlehren. Alkmaien und die Pythagoreer. (e) Schlußfolgerung: Die Gegenelitze (tanantla) als Prinzipien des Seienden. Die Elemente als stoffartige Prinzipien. - 2. Die Eleaten. (a) Gegensatz zu den Naturphilosophen. (b) Unteremiede zwischen Parmenides, Melissee und Xenophanes. (c) Parmenides.- 3· Zusammenfassung von Kapitel.) bis 5·
(:z.) Während dieser Zeit und schon vorher legten sich die sogenannten Pythagoreer auf die Mathematik und brachten sie zuerst weiter, und darin eingelebt hielten sie die Prinzipien dieser Wissenschaft für die Prinzipien aller Dinge. (a.) Da nämlich in diesem Gebiete die Zahlen (arithmot) der Natur nach das Erste sind, und sie in den Zahlen viel .Ähnlichkeiten zu sehen glaubten mit dem, was ist und entsteht, mehr als in Feuer, Erde und Wasser- indem die eine Bestimmtheit der Zahl Gerechtigkeit sei, diese andere Seele oder Vernunft (notls) eine andere wieder Reife (kair6s) und so in gleicher Weise so gut wie jedes einzelne -, indem sie ferner die Bestimmungen (pathi) und Verhältnisse (l6goi) der Harmonie in Zahlen fanden, und ihnen somit sich alles" andere, seiner Natur nach als den Zahlen nachgebildet, die Zahlen aber als das erste in der gesamten Natur zeigten, so nahmen sie an, die Elemente (stoicheta) der Zahlen-seien Elemente aller Dinge und der ganze Himmel sei Harmonie und Zahl. (b) Und was sie nun in den Zahlen und den Harmonien als übereinstimmend mit den Zuständen und den Teilen des Himmels und der ganzen Weltbildung aufweisen konnten, das brachten sie zusammen und paßten es an. Und wenn irgendwo eine Lücke blieb, so erbettelten sie sich noch etwas, um in ihre ganze Untersuchung Obereinstimmung zu bringen. Ich meine z. B., da ihnen die Zehnzahl etwas Vollkommenes ist und das ganze Wesen der Zahlen umfaßt, so behaupten sie auch, der bewegten Himmelskörper seien zehn; nun sind aber nur neun wirklich sichtbar; darum erdichten sie als zehnten die Gegenerde. (c) Diesen Gegenstand haben wir anderswo 2 genauer erörtert; daß wir aber jetzt darauf eingehen, hat :t B. liest für ; vgl. Komm. S. 78. [Vgl. Ross o. c. I :1:45 zu 985 b 33·1 2 In einer verlorenen Schrift (Aristotelis fragm. ed. Rose, Lips. :t886, n. 203); vgl. Komm S. 79·
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den Zweck auch von ihnen zu entnehmen, welche Prinzipien sie setzen und' wie diese auf die genannten Ursachen zurückkommen. Offenbar nun sehen auch sie die Zahl als Pri~zip an,. sowohl als Stoff (hyle) für das Seiende, als auch als Best1mmthe1ten (path~ und Zustände (taxeis); als Elemente der Zahl aber betrachten s1e das Gerade und das Ungerade, von denen das eine begrenzt sei, das andere unbegrenzt, das Eins aber bestehe aus diesen beiden (denn es sei sowohl gerade als ungerade), die Zahl aber aus dem Eins, und aus Zahlen, wie gesagt, bestehe der ganze Himmel. (d) Andere aus derselben Schule nehmen zehn Prinzipien an, welche sie in entsprechende Reihen zusammenordnen: Grenze und Unbegrenztes, Ungerades und Gerades, Einheit und Vielheit, Rechtes und Linkes, Männliches und Weibliches, Ruhendes und Bewegtes, Gerades und Krummes, Licht und Finsternis, Gutes und Böses, gleichseitiges und ungleichseitiges Viereck. Dieser Annahme scheint auch der Krotoniate Alkmaion zu folgen, mag er sie nun von jenen oder mögen jene sie von ihm überkommen haben; denn Alkmaion war ein jüngerer Zeitgenosse des Pythagoras und sprach sich auf ähnliche Weise aus wie diese. Er sagt nämlich, die meisten menschlichen Dinge bildeten eine Zweiheit, und bezeichnet damit die Gegensätze, nicht bestimmte, wie diese, sondern die ersten besten, wie weiß schwarz, süß bitter, gut bös, klein groß. Dieser also warf nur unbestimmte Ansichten hin über das übrige, die Pythagoreer dagegen erklärten, wie viele Gegensätze es gebe und welche es seien. (e) Von beiden also kann man so viel entnehmen, daß die Gegensätze Prinzipien des Seienden (tanantfa archal tdn 6ntön) seien; wie viele aber und welche, kann man nur von dem einen entnehmen. Wie man diese jedoch auf die genannten Ursachen zurückführen könne, das ist von ihnen nicht bestimmt entwickelt, doch scheinen sie die Elemente als stoffartige Prinzipien zu setzen; denn aus ihnen als immanenten Bestandteilen bestehe, sagen sie, die Wesenheit und sei aus ihnen gebildet. (2. a) Hieraus kann man die Gedanken der Alten, welche eine Mehrheit von Elementen der Natur setzten, zur Genüge ersehen. Manche zwar erklärten sich auch über das All in dem Sinne, daß es eine einzige Wesenheit (physis) sei, indessen auch diese nicht auf gleiche Weise, weder in Hinsicht auf Richtigkeit noch auf Natur und Wesenheit. In die gegenwärtige Untersuchung der Ursachen gehört nun zwar ihre ErWähnung nicht; denn sie reden von der Einheit (hen) nicht in dem Sinne wie einige von den Naturphilosophen, weldte zwar auch Eins zugrunde legen, aber aus dem Eins als aus dem Stoffe das Seiende erzeugen; denn jene fü-
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gen die Bewegung hinzu, insofern sie ja das All erzeugen, diese aber behaupten die Unbeweglichkeit. Indessen folgendes über sie gehört doch in die gegenwärtige Untersuchung. (b) Parmenides nämlich scheint das begriffliche (kata tön l6gon) Eins aufgefaßt zu haben, Melissos das stoffartige (kata ten hylen); deswegen behauptet es jener als begrenzt, dieser als unbegrenzt; Xenophanes dagegen, der zuerst die Einheit lehrte (denn Parmenides soll sein Schüler gewesen sein), erklärte sich nicht bestimmter und scheint gar nicht die eine oder die andere Wesenheit berührt zu haben, sondern im Hinblick auf den ganzen Himmel sagt er, das Eins sei die Gottheit. Diese müssen also für die gegenwärtige Untersuchung beiseite gesetzt werden, die beiden, Xenophanes und Melissos, durchaus, da sie zu wenig philosophische Bildung haben; (c) Parmenides scheint mit hellerer Einsicht zu sprechen. Indem er nämlich davon ausgeht, daß das Nichtseiende neben dem Seienden überhaupt nichts sei, so meint er/ daß notwendig das Seiende eins sei und weiter nichts (worüber wir genauer in den Büchern über die Natur gesprochen haben x; indem er sich aber dann gezwungen sieht, den Erscheinungen (phain6mena) nachzugeben, und so eine Einheit für den Begriff (l6gos), eine Vielheit für die sinnliche Wahrnehmung (aisthesis) annimmt, so setzt er wiederum zwei Ursachen und zwei Prinzipien, das Warme und das Kalte- nämlich Feuer und Erde- und ordnet das Warme dem Seienden zu, das andere dem Nichtseienden. (3) Aus dem bisher Angeführten und von den Weisen, welche sich bereits mit der Untersuchung dieses Gegenstandes beschäftigt, haben wir also folgendes erhalten. Von den ersten Philosophen ein körperliches Prinzip (denn Wasser und Feuer und dergleichen sind Körper), und zwar von den einen ein einziges, von anderen mehrere körperliche Prinzipien, von beiden aber als stoffartige Prinzipien. Einige, welche dies Prinzip setzten, fügten dazu noch das, von dem die Bewegung ausgeht, und zwar dies teils als ein einziges, teils als ein zwiefaches. Bis zu den Italischen Philosophen also, diese nicht mit eingerechnet, haben die übrigen nur in beschränkter Weise hierüber gehandelt; sie haben eben nur, wie gesagt, zwei Prinzipien angewendet, von denen sie das zweite, das, von dem die Bewegung ausgeht, teils als Einheit, teils als Zweiheit setzen. Die Pythagoreer haben die Zweiheit der Prinzipien in derselben Weise gesetzt, das aber fügten sie hinzu, was ihnen auch eigentümlich ist, daß sie das Begrenzte und das Unbegrenzte und das Eine nicht für Prädikate anderer Wesen:1 Vgl. Phys. I 3· :186 a 3 ff.
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heiten ansahen, wie etwa des Feuers, der Erde oder anderer dergleichen Dinge, sondern das Unbegrenzte· selbst und das Eins selbst als Wesenheit dessen behaupteten, von dem es prädiziert werde; weshalb sie denn auch die Zahl für die Wesenheit aller 20 Dinge erklärten. Hierüber also erklärten sie sich auf diese Weise, außerdem begannen sie auch auf die Frage nach dem Was zu antworten und zu definieren, aber sie betrieben den Gegenstand zu leichthin. Denn sie definierten oberflächlich und hielten dasjenige, dem der in Rede stehende Begriff zuerst zukommt, für die Wesenheit der Sache, geradeso, wie wenn jemand meinte, das 25 Doppelte und die Zweizahl seien dasselbe, weil sich in der Zweizahl zuerst das Doppelte findet. Aber darum ist es doch nicht dasselbe, Doppeltes sein oder Zweizahl sein, sonst würde ja, wie es denn auch jenen widerfuhr, das eine vieles sein. - Von den Früheren also und den übrigen kann man so viel entnehmen.
6.
DIE PLATONISCHE LEHRE DER PRINZIPIEN
Ursprünge. - 2. Das Sinnlime (ta aisthetti), die Ideen (ideai) und die Teilnahme (methexis). - 3· Das Mathematisme (ta mathematika). 4· Prinzipienlehre und Ideen.- 5· Platonisme und pythagoreisme Prinr zipienlehre. (a) übereinstimmungen und Untersmiede. (b) Gründe der Untersmiede. (c) Kritisme Bemerkung.- 6. Die platonismen Prinzipien und die aristotelismen Ursamen. (a) Platon hat nur zwei Ursamen angewendet: das Prinzip des Was (he toa ti esti aitia) und das stoffartige Prinzip (he kata ten hylen aitia). (b) Er sali im Formellen die Ursadle des Guten (etl), im Materiellen die des Bösen (kakos). 1.
(1..) Nach den genannten Philosophen folgte die Lehre Platons, 30 welche sich in den meisten Punkten an diese anschließt, jedoch
auch einige Eigentümlichkeiten hat im Gegensatz zu den Italischen Philosophen. Da er nämlich von Jugend auf mit dem Kratylos und den Ansichten des Herakleitos bekannt geworden war, daß alles Sinnliche (aistheta) in beständigem Flusse begriffen 9ei und daß es keine Wissenschaft desselben gebe, so blieb er auch 987 b später bei dieser Annahme. Und da sich nun Sokrates mit den ethischen Gegenständen (ta ethika) beschäftigte und gar nicht mit der gesamten Natur, in jenen aber das Allgemeine suchte und sein Nachdenken zuerst auf Definitionen (horismol) richtete, so 5 brachte dies den Platon, der seine Ansichten aufnahm, zu der Annahme, daß die Definition etwas von dem Siruilichen Verschiedenes zu ihrem Gegenstande habe; denn unmöglich könne es eine
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allgemeine Definition von irgendeinem sinnlichen Gegenstande geben, da diese sich in beständiger Veränderung befänden. (2.) Diese Begriffe also nannte er Ideen des Seienden (ideai ton 6ntön), das Sinnlidte aber sei neben diesen und werde nach ihnen benannt; denn durdt Teilnahme an den Ideen existiere die Vielheit des den Ideen (ta eide) Gleichartigen. Dieser Ausdruck (methexis) ist nur ein neues Wort für eine ältere Ansicht; denn die Pythagoreer behaupten, das Seiende existiere durdt Nachahmung der Zahlen, Platon, mit verändertem Namen, durch Teilnahme. Was denn aber eigentlich diese Teilnahme oder diese Nachahmung (mimesis) sei, das haben sie andern zu untersuchen überlassen. (3.) Ferner erklärt er, daß außer dem Sinnlichen und den Ideen die mathematischen Dinge (ta mathema- 15 tika) existierten, als zwischen inne liegend, unterschieden vom Sinnlichen durch ihre Ewigkeit und Unbeweglichkeit, von den Ideen dadurch, daß es der mathematischen Dinge viel gleichartige gibt, während jede Idee nur eine, sie selbst, ist. (4.) Da nun die Ideen für das übrige Ursachen sind, so glaubte er, daß die Elemente der Ideen Elemente aller Dinge (6nta) seien. Als Stoff nun seien das Große und das Kleine Prinzipien, als Wesenheit 20 das Eins. Denn aus jenem entständen durch Teilnahme des Eins die Ideen 1 , die Zahlen. (5. a) Daß er das Eins selbst für Wesenheit (ousia) erklärt und nicht für Prädikat eines davon versdtiedenen Dinges, darin stimmt er mit den Pythagoreem überein, und ebenso setzt er gleich diesen die Zahlen als Ursache der Wesenheit für alles übrige; eigentümlich aber ist ihm, daß er anstatt 25 des Unbegrenzten als eines einzigen eine Zweiheit setzt und das Unbegrenzte aus dem Großen und Kleinen bestehen läßt, und daß er die Zahlen getrennt von dem Sinnlichen setzt, während jene behaupten,. die Zahlen seien die Dinge selbst, und das Mathematisdte nidtt zwischen inne zwischen Ideen und Sinnliches setzen. (b) Daß er nun das Eins und die Zahlen neben die Dinge .30 (prdgmata) setzte als von diesen getrennt, und nidtt wie die Pythagoreer, und die Einführung der Ideen (ta eide) war begründet in seiner Beschäftigung mit den Begriffen (l6goi); denn die Früheren gaben sich noch nidtt mit Dialektik ab; zur Zweiheit aber machte er das andere Prinzip darum, weil sich die Zahlen mit Ausnahme der ersten 2 leicht aus dieser erzeugen ließen, wie aus cdie Ideen> (ta eidii) hält Zeller für eine Randglosse. Die Worte <mit Ausnahme der ersten> (exö ton prdtön) sind nath Zeller eine auf Mißverständnis beruhende Glosse. [Vgl. Ross o. c. I 17.3 ff zu 987. b .34·1 1 2
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988 a einem bildsamen Stoffe. (c) Und doch findet das Gegenteil statt,
denn so, wie sie sagen, ist es gar nicht mit Grund anzunehmen. Sie lassen nämlich aus demselben Stoffe (hyli) vieles hervorgehn, während die Form (ezdos) nur einmal !!rzeugt; dagegen sieht man ja, wie aus einem Stoff nur ein Tisch wird, während der, der die Form dazu bringt, als ein einzelner, viele macht. 5 Ähnlich verhält sich auch das Männliche zu dem Weiblichen; das Weibliche ist durch eine Begattung befruchtet, das Männliche aber befruchtet viele. Und dies sind doch Nachbilder von jenen Prinzipien. (6. a) So also erklärte sich Platon über die in Frage stehenden Gegenstände; offenbar hat er nach dem Gesagten nur zwei Ursachen angewendet, nämlich das Prinzip des Was (he tou ti esti 10 aitia) und das stoffartige Prinzip (he kaUt ten hylen aitia); denn die Ideen sind für das übrige, für die Ideen selbst aber das Eins Ursache des Was. Und in betreff der zugrunde liegenden Materie, von welcher bei den übrigen Dingen die Ideen, bei den Ideen selbst das Eins ausgesagt wird, erklärt er, daS. sie eine Zweiheit ist, nämlich das Große und das Kleine. (b) Ferner schrieb er auch den beiden Elementen, dem einen die Erzeugung (aitia) des Gu15 ten, dem andern des Bösen zu, was, wie wir erwähnt 1 , auch schon einige der früheren Philosophen getan hatten, z .B. Empedokles und Anaxagoras. 7•
ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG
Alle früheren Philosophen haben vier Ursamen geahnt. - 2. Wie sie die Ursamen aufgefaßt haben: (a) Das Prinzip als Stoff (hyli). (b) Ursprung der Bewegung (h6then he arme tes kinAseös). (c) Das Wesenswas (to t{ en einai) und die Wesenheit (ousia). (d) Der Zweck (to hou heneka).- 3· Die Untersumung beweist: (a) die rilhtige Bestimmung von Zahl und Art der Ursamen, (b) die Notwendigkeit, die Prinzipien zu erforsmen. 1.
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(1.) In der Kürze und den Grundzügen haben wir hiermit durchgegangen, wer von den Prinzipien und der Wahrheit gehandelt hat, und in welcher Weise; soviel jedoch können wir daraus entnehmen, daß von allen, die über Prinzip und Ursache handeln, keiner ein anderes Prinzip außer den in den Büchern über die Natur von uns entschiedenen 2 genannt hat, sondern offenbar 1 Vgl. 984 b 18; 985 a 3· 2 Vgl. oben Kap. 3,1.
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alle, freilich dunkel, nur jene irgendwie berühren. (2. a) Denn die einen meinen das Prinzip als Stoff (hyle), mögen sie es nun als eines oder als mehrere annehmen und als einen Körper oder als 25 etwas Unkörperliches setzen, wie z. B. Platon das Große und das Kleine, die Italische Schule das Unendliche, Empedokles Feuer, Erde, Wasser und Luft, Anaxagoras die unendliche Zahl des Gleichteiligen. Alle diese also haben eine solche Ursache aufgefaßt, und ebenso alle, welche die Luft oder das Feuer oder das 30 Wasser oder etwas, das dichter als Feuer und dünner als Luft sei, zum Prinzip machen; denn auch auf solche Weise haben einige das erste Element bestimmt. (b) Diese also haben nur diese eine Ursache aufgefaßt; andere haben dazu das hinzugefügt, wovon der Ursprung der Bewegung (kinesis) ausgeht, z. B. alle, welche Freundschaft und Streit oder Vernunft oder Liebe zum Prinzip machen. ( c) Das Wesenswas (to ti en einai) und die Wesenheit (ousia) hat keiner bestimmt angegeben, am meisten spre- 35 chen noch davon die, welche die Ideen annehmen; denn weder als 988 b Stoff setzen sie für das Sinnliche die Ideen und für die Ideen das Eins voraus, noch nehmen sie an, daß davon die Bewegung ausgehe (denn sie erklären es vielmehr für die Ursache der Bewegungslosigkeit und der Ruhe), sondern das Wesenswas geben für jedes von den übrigen Dingen die Ideen und für die Ideen selbst 5 das Eins. (d) Den Zweck (to hou heneka) aber, um deswillendie Handlungen und Veränderungen (metabolaf) und Bewegungen geschehen, führen sie in gewisser Weise als Ursache an, doch nicht in dieser Weise und nicht, wie es dem Wesen der Sache angemessen ist. Diejenigen nämlich, welche die Vernunft oder die Freundschaft annehmen, setzen zwar diese Ursachen als etwas Gutes, aber doch nicht in dem Sinne, daß um ihretwillen etwas von den seienden Dingen sei oder werde, sondern so, daß sie von 10 ihnen die Bewegungen ausgehn lassen. Ebenso sagen die, welche das Eins oder das Seiende für eine solche Natur erklären, zwar, daß jene Ursache der Wesenheit seien, aber doch nicht, daß um ihretwillen etwas sei oder werde. So ergibt sich denn, daß sie das Gute als Ursache gewissermaßen aufstellen und auch 15 nicht aufstellen; denn sie machen es nicht an sich (haplOs), sondern in akzidentellem Sinne (kata symbebekc1s) zur Ursache. (3. a) Daß wir also die Zahl und die Art der Ursachen richtig bestimmt haben, dafür scheinen auch diese alle Zeugnis zu geben, da sie keine andere Ursache berühren konnten. (b) Außerdem l~uchtet auch ein, daß die Prinzipien zu erforschen sind, entweder so alle, oder eine Art derselben. Was für Bedenklichkeiten sich 20
28 ERSTES BUCH ' 8 988 b aber gegen die Lehre eines jeden und seine Ansicht über die Prin· zipien darbieten, das wollen wir zunächst durchgehen.
8.
KRITIK DER VORPLATONISCHEN LEHREN
I. Ertte Naturphilosophen, Empedokles, Anaxagoras. 1. Irrtümer jener, weld!e das All als Eins (h•n tö pan) und eine Wesenheit (physls) als Stoff (hyli) setzen. (a) Ihre Elemente betreffen nur das Körperlld!e (ta sdmrztrz). (b) Sie er~lären die Ursamen der Bewegung nicht. (c) Sie setzen Wesenheit und .Was nid!t als Uread!e. (d) Sie erklären jeden der einfad!en Körper f!Ir Prinzip, ohne deren Entstehung auseinander zu erforsd!en. (aa) Gründe filr die Bestimmung des Feuers als Prinzip; (bb) filr die Bestimmung der Erde als Prinzip. - 2. Irrtümer jener, weld!e mehrere sto.fflid!e Prinzipien setzen. (a) Kritik des Empedokles. (b) Kri· tik und Deutung des Anaxagoras. (aa) These. (bb) Irrtümer in seiner Ausdrudcsweise. (c:c:) Deutung seiner Lehre.- li. Philosophen, die zum Gegenatand ihrer Betrad!tung (theorlrz) das ganze Seiende (hdprzntrz tA 6ntrz) mad!ten. 1. Die Pythagoreer: Widerspruch zwisd!en den gewählten Prinzipien und der Natur (physis) als Gegenstand ihrer Forschung. - 2. Sd!wierigkeiten, die sid! daraus ergeben. (I 1..) Alle nun, welche das All (to p4n) als Eins und eine Wesenheit (physis) als Stoff setzen, und zwar eine körperliche, ausgedehnte, fehlen offenbar in mehr als einer Beziehung. (a) Denn 25 nur für die Körper setzen sie diese Elemente, nicht für das Unkörperliche, obgleich es doch auch Unkörperliches gibt. (b) Und während sie die Ursachen des Entstehens [und Vergehens] 1 anzuge· benversuchen und die Natur aller Dinge in Untersuchung ziehen, heben sie doch die Ursadle der Bewegung auf. (c) Ferner ist es ein Fehler, daß sie die Wesenheit und das Was nicht als Ursache von irgend etwas setzen. (d) Wenn sie überdies so leichthin jeden von 30 den einfachen Körpern (hapla s6mata) für Prinzip erklären mit Ausnahme der Erde, so tun sie dies, weil sie die gegenseitige Entstehung derselben auseinander (genesis ex allelön) nicht ihrer Art nadt untersucht haben. Ich meine Feuer, Wasser, Erde und Luft; denn einiges von diesen entsteht durch Verbindung (synkrisis), anderes durch Trennung (diakrisis) auseinander. (aa) Dies ist aber für die Entscheidung über das Früher und Später (to pr9teron kai hysteron) von der größten Wichtigkeit; denn in 1 Die eingeklammerten, von Alexander von Aphrodisias nidtt berüdcsidttigten Worte erklärt B. im Komm. S. 99 für unedtt. [Anders Jaeger u. Ross.]
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der einen Rücksicht würde derjenige Körper für den elementarsten gelten, aus welchem als erstem die übrigen durch Verbindung entstehen, der Art würde aber der kleinteiligste und feinste Körper sein. Darum würden alle, welche das Feuer als Prinzip setzen, am meisten zu dieser Betrachtungsweise stimmen. Und auch jeder der übrigen pflichtet dem Gedanken bei, daß das Element der Körper von dieser Beschaffenheit sein müsse; wenigstens hat keiner von den Späteren, welche ein Prinzip behaupten, die Erde für das Element erklärt, offenbar wegen ihr Großteiligkeit. Von den übrigen drei Elementen hat jedes seinen Verteidiger gefunden; denn die einen erklären das Feuer, die andem das Wasser, die dritten die Luft für das Prinzip. (bb) Und doch, warum nennen sie denn nicht auch die Erde, nach der Ansicht der meisten Menschen, die ja alles für Erde erklären? So sagt ja auch Hesiodos, die Erde sei zuerst unter den Körpern entstanden 1, so alt und volkstümlich ist diese Annahme. Nach jenem Gesichtspunkte nun also würde niemand recht haben, der etwas anderes als das Feuer zum Prinzip macht, auch nicht, wenn er etwas setzt, das dichter als die Luft und dünner als das Wasser sei. Ist dagegen das im Verlauf der Entstehung (g~nesis) Spätere der Natur (physis) nach früher, und ist das Verarbeitete und Verbundene später im Verlauf des Werdens, so müßte das Gegenteil hiervon stattfmden, das Wasser müßte früher sein als die Luft, die Erde früher als das Wasser. (2.) Soviel mag genügen über die, welche eine Ursache derbezeichneten Art setzen. (a) Dassel~e gilt aber auch, wenn jemand mehrere stoffliche Prinzipien setzt, wie etwa Empedokles, welcher die vier Elemente für den Stoff erklärt. Denn auch für diesen müssen sich notwendig teils dieselben, teils andere eigentümliche Folgerungen ergeben. Denn einmal sehen wir, daß diese. auseinander entstehen, so daß also Feuer und Erde nicht immer als derselbe Körper bestehen bleibt, worüber wir in dem Büchern von der Natur 2 gesprochen haben; dann, was die Bewegung betrifft, so muß man meinen, daß er sich darüber, ob man ein oder zwei Ursachen derselben setzen muß, weder richtig noch begründet ausgesprochen hat. überhaupt hebt eine solche Ansicht notwendig die Qualitätsveränderung (alloiosis) auf; denn es wird nicht etwas aus wann kalt, noch aus kalt wann werden. Sonst müßte ja etwas diese entgegengesetzten Affektionen erfahren, und es müßte eine einzige Wesenheit (physis) geben, welche Wasser und Feuer würde, was jener nicht meint. 1
Vgl. oben 894 b 32.
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Vgl. De caelo 111 7; De gener. II 6.
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ERSTES BUCH ' 8 989 b (b) (aa) Wenn man vom Anaxagoras annähme, daß er zwei
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Elemente setze, so würde eine solche Ansicht am meisten zur Konsequenz seiner Lehre stimmen; zwar hat er selbst diese nicht entwickelt, aber er würde doch notwendig folgen, wenn man ihn leitete. (bb) Zwar ist es auch sonst schon unstatthaft zu sagen, al989 b les sei vom Anfange (arche} gemischt gewesen, einmal weil sich daraus ergibt, daß es vorher müßte ungemischt vorhanden gewesen sein, dann weil der Natur nach nicht jegliches mit jeglichem sich aufs Geratewohl mischen läßt, und ferner weil die Affektionen (path€) und Akzidenzen (symbebek6ta) von den Wesenheitengetrennt würden (denn was sich mischen läßt, läßt sich auch abtrennen); indessen, wenn man seiner Ansicht nach5 geht und das, was er sagen will, entwickelt, so würde sich zeigen, daß seine Lehre den Späteren näher ist. (cc) Denn als noch nichts bestimmt ausgeschieden war, konnte man offenbar nichts in Wahrheit von jener Wesenheit aussagen, ich meine z. B., sie war weder weiß noch schwarz noch grau noch von anderer Farbe, son10 dem notwendig farblos; denn sonst würde sie ja schon eine einzelne Farbe gehabt haben; in gleicher Weise hatte sie auch keinen Geschmack und aus demselben Grunde auch sonst nichts der Art; sie konnte überhaupt weder eine Qualität (poi6n ti) noch eine Quantität (pos6n ti) haben, noch überhaupt etwas sein. Denn sonst hätte sie eine bestimmte einzelne Form (eidos) gehabt, was unmöglich, da alles gemischt war; denn sonst wäre es 15 ja schon ausgeschieden gewesen, er aber sagt, alles sei gemischt gewesen außer dem Geist, dieser allein sei unvermischt und rein. Hieraus ergibt sich nun, daß er als Prinzipien setzt das Eins (denn dies ist einfach und ungemischt) und das Andere, wie wir das Unbestimmte nennen, ehe es bestimmtworden und an einer Formbestimmung Anteil bekommen hat. Und so redet er freilich nicht richtig und nicht bestimmt, indessen will er doch etwas Ähn20 liebes wie die Späteren und wie es mehr dem Augenschein entspricht~.
(II.) Indessen diese sind nur auf die Erörterung des Entstehens und Vergehens und der Bewegung beschränkt; denn fast nur für diese Art der Wesenheit (ousfa) forschen sie nach den Prinzipien und den Ursachen. Die aber alles Seiende zum Gegenstande ihrer Spekulation (theörfa) machen und von dem Seienden einiges als 1 <Wie es - entspridtt>; so nadt dem Komm. S. 104. In der Obersetzung heißt es cdie, weldte jetzt mehr in Geltung sind> nadt der Lesart tois nyn phainomenois. [Vgl. Jaegers Ausg. S. 24 u. Ross o. c. I 183 zu 989 b 2.]
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sinnlich wahrnehmbar, anderes als nicht sinnlich wahrnehmbar 25 setzen, diese richten ihre Untersuchung offenbar auf beide Gattungen; daher man sich mit ihnen mehr zu beschäftigen hat, was sie denn Richtiges und was Unrichtiges für unsere gegenwärtige Untersuchung bringen. (:z..) Die sogenannten Phythagoreer nun handeln von befremdlicheren Prinzipien und Elementen als die Naturphiloso- 30 phen. Und dies deshalb, weil sie dieselben nicht aus dem Sinnlichen (aistheta) entnommen haben; denn die mathematischen Dinge sind ohne Bewegung, mit Ausnahme derjenigen, von denen die Astronomie handelt. Dabei ist doch der Gegenstand ihrer ganzen Untersuchung und Bemühuns die Natur; denn sie lassen den Himmel entstehen und beobachten, was sich an seinen Teilen, Affektionen und Tätigkeiten (m~re, pathe, erga) zuträgt, und 990 a verwenden hierauf ihre Prinzipien und Ursachen, gleich als stimmten sie den übrigen Naturphilosophen darin bei, daß zum Seienden nur das gehört, was sinnlich wahrnehmbar ist und was der sogenannte Himmel umfaßt. Ihre Prinzipien und Ursachen 5 aber sind, wie gesagt, geeignet, auch zum höheren Seienden (ta anöterö Mn 6ntön) aufzusteigen, und passen dafür mehr als für die Erörterung der Natur. (2.) Von welcher Art von Ursache jedoch Bewegung ausgehen soll, da nur Grenze und Unbegrenztes, Ungerades und Gerades vorausgesetzt sind, darüber sagen sie nichts, noch auch, wie es möglich ist, daß ohne Bewegung und 10 Veränderung Entstehen und Vergehen und die Erscheinungen der bewegten Himmelskörper stattfinden sollen. - Ferner, gesetzt auch, man gebe ihnen zu, daß aus diesen Prinzipien eine Größe sich ergebe, oder gesetzt, dies würde erwiesen, so bleibt doch die Frage, wie denn einige von den Körpern schwer, andere leicht sein sollen. Denn nach den Prinzipien, die sie voraussetzen und erör- 15 tern, handeln sie ebensogut von den sinnlichen wie von den mathematischen Dingen; darum haben sie auch über Feuer oder Erde oder die andern derartigen Körper gar nichts gesagt, natürlich, da sie über das Sinnliche nichts speziell darauf Bezügliches zu sagen hatten. - Ferner, wie kann man annehmen, daß Ursache von dem, was am Himmel ist und geschieht, vom Anfang an wie jetzt 20 die Bestimmtheiten der Zahl und die Zahl selbst sei, und daß es doch keine andere Zahl gebe als diejenige, aus welcher der Himmel gebildet ist? • Wenn sich nämlich nach ihnen in einem bestimmten Teile Meinung und Reife befindet, ein wenig weiter oben oder unten aber Ungerechtigkeit und Scheidung oder Mischung, und sie zum Beweise dafür anführen, jedes einzelne von diesen sei eine Zahl, und an dem bestimmten Orte sei gerade die 25
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entsprechende Menge von Körpern daher gehörten jene Affektionen je einem besonderen Orte an: so fragt sich, ob diese am Himmel befindliche Zahl dieselbe ist wie die, für die man eine jede dieser Affektionen zu halten hat, oder eine andere neben ihr? 30 Platon behauptet, sie sei eine andere; er hält freilich ebenfalls sowohl jene Affektionen als auch ihre Ursachen für Zahlen, aber die einen für bloß gedachte (noet6s), ursächliche (aitios), die andern für sinnlich wahrnehmbare (aisthet6s).• 2 1,
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EINWÄNDE GEGEN DIE LEHRE PLATONS
I. Gegen die Ideen (1-7). - II. Gegen die Lehre, daß die Ideen Zahlen sind (8--14). - III. Die Ideen sind weder als Bewegendes nO (haplßs), vgl. Komm. S. 120. Die eingeklammerten Worte sind nach Zeller eine auszuscheidende Paraphrase der vorhergehenden. [Anders Jaeger; vgl. Ross o. c. I 200 zu 991 b 20.] 1
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sich nicht begründen, noch konsequent denken. (1.0.) Ferner ist es notwendig, eine davon verschiedene Art von Zahlen zu konstruieren, welche Gegenstand der Arithmetik sei, und so alles das, was einige als zwischen inne liegend bezeiChnen. Wie oder aus welehen Prinzipien soll dies sein? Oder weshalb soll es zwischen inne liegen zwischen den sinnlichen Dingen und den Idealzahlen? (1.1..) Ferner, jede von den beiden Einheiten, welche in der Zweizahl enthalten sind, besteht aus einer früheren Zweiheit. Aber das ist doch unmögliCh. (1.2.) Ferner, warum ist denn die zusammengefaßte Zahl eine einzige Zahl? (1.3.) Ferner überdies, wenn denn die Einheiten versChieden sind, so hätten sie davon so reden sollen wie diejenigen, welche von vier oder zwei Elementen sprechen. Jeder von diesen nämlieh nennt nicht das Allgemeine (koin6n) Element, z. B. den Körper, sondern Feuer und Erde, mag nun dafür der Körper etwas Allgemeines sein oder nicht. Nun aber spricht man von dem Eins so, als sei es in sich so gleiChartig wie Feuer oder Wasser. Wäre dem so, so würden die Zahlen nicht Wesenheiten sein, vielmehr ist offenbar, daß, wenn etwas Eins-an-sich (hen aut6) und dies Prinzip ist, man das Eins in mehrfachem Sinne nimmt; denn anders ist es unmöglich. (1.4.) Indem wir die Wesenheiten (ousiai) auf die Prinzipien (archai) zurückführen wollen, lassen wir die Linien entstehen aus dem Langen und Kurzen als einer Art des Großen und Kleinen, die Fläche aus dem Breiten und Schmalen, den Körper aus dem Hohen und Niedrigen. Aber wie kann denn dann in der Fläche die Linie enthalten sein und in dem Körper Linie und Fläche 7 Denn das Breite und Schmale ist ja eine andere Gattung (genos) als das Hohe und Niedrige. Sowenig also die Zahlen in diesen enthalten sind, weil das Viel und Wenig von diesen verschieden ist, ebensowenig wird hier das Höhere in dem Niederen sein. Es ist aber auch nicht das Breite die höhere Gattung des Tiefen; sonst wäre ja der Körper eine Fläche. - Ferner, woher sollen die Punkte in den Linien enthalten sein 7 Gegen die Existenz derselben stritt nun freilich Platon als gegen eine bloß geometrische Lehre und nannte sie vielmehr den Anfang der Linie, wofür er aueh oft den Ausdruck gebrauchte. Aber es muß doch eine Grenze der Linie geben, und aus demselben Grunde, aus welchem die Linie existiert, muß auch der Punkt existieren. (III 1.5.) überhaupt haben wir, indem doch die Philosophie (sophia) nach den Ursachen der siehtbaren Dinge (ta phanera) forscht, dies beiseite gesetzt (denn wir reden gar nicht von der Ursache, von weleher der Anfang der Bewegung ausgeht), sondern in der Meinung, als gäben wir die Wesenheit derselben an,
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erklären wir, daß andere Wesenheiten existieren; inwiefern aber diese die Wesenheit der sichtbaren Dinge sind, darüber machen wir leere Worte; denn von Teilnahme zu sprechen, ist, wie früher erörtert, nichts. (1.6.) Ebensowenig stehen die Ideen mit der Ursache, welche wir in den Wissenschaften 1 sehen, um deretwillen jede Vernunft (nous) und jede Natur (physis) handelt und die wir als eines von den Prinzipien anführten, in irgendeiner Berührung, sondern die Mathematik ist den jetzigen Philosophen zur Philosophie geworden, obgleich sie behaupten, man müsse dieselbe um anderer Dinge willen betreiben. (1.7.) Ferner möchte man die als Stoff zugrunde gelegte Wesenheit mehr für eine mathematische halten und vielmehr für ein Prädikat (kategoreisthai) und einen Artunterschied (diaphora) der Wesenheit und des Stoffes als selbst für Stoff, ich meine nämlich das Große und Kleine, wie ja auch die Naturphilosophen von dem Dünnen und Dichten reden und es als die ersten Unterschiede des Substrates bezeichnen; denn dies ist ja auch ein überschuß und ein Mangel. - Und was die Bewegung anbetrifft, so würden, wenn dies, das Große und Kleine, Bewegung sein soll, offenbar die Ideen in Bewegung sein; wo aber nicht, woher kam sie dann? So ist denn die ganze Untersuchung der Natur aufgehoben. (1.8.) Und was leicht zu erweisen scheint, nämlich daß Alles Eins ist, das ergibt sich aus ihren Beweisen nicht. Denn durch das Herausheben des Einen aus der Vielheit. ergibt sich, selbst wenn man ihnen alles zugibt, nicht, daß Alles eins ist, sondern nur, daß es ein Eins selbst gibt; und nicht einmal dies, wofern man ihnen nicht zugibt, daß das Allgemeine·(to kath6lou) Geschlecht sei, und das ist doch in manchen Fällen unmöglich. (1.9.) Wenn sie aber nach den Zahlen Linien und Flächen und Körper setzen, so läßt sich gar kein Grund anführen, weder inwiefern sie sind oder sein sollen, noch darüber, welches Vermögen (dynamis) sie haben; denn diese können weder Ideen sein, da sie keine Zahlen sind, noch zwischen inne Liegendes, da dies das Mathematische ist, noch können sie den vergänglichen Dingen angehören, sondern offenbar ergibt sich hierin wieder eine andere vierte Art der Wesenheiten. (IV 20.) überhaupt ist es unmöglich, die Elemente des Seienden zu finden, wenn man nicht die verschiedenen Bedeutungen (pollachos leg6mena), die das Seiende hat, unterscheidet, zumal wenn die Untersuchung auf die Frage geht, aus welcherlei Eie1 Unverständlich; vgl. Komm. S. 123. Zellerschlägt nach der Parallelstelle Met. 1046 b 3 vor (perl tas cpoietikas> epistbnas) zu lesen.
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menten das Seiende bestehe. Denn für das Tun oder Leiden oder für das Gerade kann man doch keine Elemente angeben, aus denen es bestände, sondern, wofern dies überhaupt möglich ist, so ist es nur für die Wesenheiten möglich. Also ist es unrichtig die Elemente von allem Seienden zu suchen oder zu meinen, daß man sie habe. (21.) Wie sollte man denn auch die Elemente der gesamten Dinge erkennen lernen? Denn offenbar könnte man ja vor dieser Erkenntnis nichts vorher erkannt haben. So wie nämlich der, welcher die Geometrie erlernt, zwar andere Dinge vorher wissen kann, aber keines von denjenigen, welche Gegenstand dieser Wissenschaft sind und die er eben erst erlernen will, ebenso verhält es sich auch bei allem anderen. Gibt es also eine Wissenschaft der gesamten Dinge, wie manche behaupten, so müßte, wer sie erlernt, vorher nichts wissen. Nun geschieht aber doch jede Erlernung durch ein vorausgehendes Wissen (dia progignöskomenön) aller oder einiger Stücke, sowohl die Erlernung durch Beweis (ap6deixis) wie die durch Begriffserklärung (horism6s) ; denn man muß die Teile, aus welchen der Begriff besteht, vorher kennen, und sie müssen schon bekannt sein. In gleicher Weise verhält es sich bei der Erlernung durch Induktion (mathesis di' epagog2s). - Aber gesetzt, diese Erkenntnis wäre uns angeboren, so wäre es doch wunderbar, wie es zugehen sollte, daß wir von dem Besitz der höchsten Wissenschaft (kratiste ton epistemon) kein Bewußtsein haben. (22.) Ferner, wie soll man erkennen, woraus das Seiende besteht, und wie soll dies deutlich werden? Auch dies macht nämlich Schwierigkeit; denn man könnte ja darüber Zweifel erheben in derselben Art wie bei einigen Silben, wo z. B. einige behaupten, die Silbe za bestehe aus den Lauten s, d, und a, andere dagegen einen andern, von den bekannten verschiedenen Laut annehmen. (23.) Ferner, wie kann man wohl die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung (aisthesis) erkennen, wenn man nicht diese sinnliche Wahrnehmung besitzt? Und doch müßte dies der Fall sein, wenn jene Prinzipien die Elemente wären, aus denen alles bestände, ebenso wie die zusammengesetzten Laute. aus ihren eigentümlichen Elementen bestehen.
:ro. ScHLUSSBEMERKUNGEN 1.
Ergebnisse der historischen UntersudtUng. -
2.
Die künftige Aufgabe.
(1.) Daß also alle die in den physischen Büchern angeführten Ursachen aufzusuchen scheinen, und daß wir außer diesen keine
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ZWEITES
BUCH (a)
DIE BEGRENZTHEIT DER URSACHEN DER ZAHL UND DER ART NACH
:l. PHILOSOPHIE ALS ERFORSCHUNG DER WAHRHEIT
Die Sdr.wierigkeiten bei der Erforsdr.ung der Wahrheit (he perl t2s aletheias theoria) und ihr Grund. (a) Sie ist in einer Hinsidr.t sdr.wer, in einer anderen leidr.t. (b) Die Ursadr.e der Sdr.wierigkeit liegt nidr.t in den :1.
Dingen, sondern in uns selbst. - 2. Unsere Abhängigkeit von den Vorgängern. - 3· Die Philosophie als Wissensdr.aft (epistime) der Wahrheit ist die Wissensdr.aft von den Prinzipien des ewig Seienden (tOn ael
6nton ardzai). 30 (1. a) Die Erforschung der Wahrheit (he peri tes aletheias theö-
ria) ist in einer Rückskht schwer, in einer andern leicht. Dies zeigt sich darin, daß niemand sie in genügender Weise erreichen, aber 993 b auch nicht ganz verfehlen kann, sondern ein jeder etwas Richtiges über die Natur sagt, und wenn sie einzeln genommen nichts oder nur wenig zu derselben beitragen, so ergibt sich aus der Zusammenfassung aller eine gewisse Größe. Wenn es sich also damit zu verhalten scheint wie ·nach dem Sprichwort: <Wer sollte 5 denn eine Tür nicht treffen>, so möchte sie von dieser Seite betrachtet leicht sein; daß man aber etwas im Ganzen haben, im Einzelnen aber verfehlen kann, das beweist ihre Schwierigkeit. (b) Vielleicht ist nun aber die Ursache der Schwierigkeit, die ja von zwiefacher Art sein kann, nicht in den Dingen, sondern in uns 10 selbst; wie sich nämlich die Augen der Eulen gegen das Tageslicht verhalten, so verhält sich der Geist (nous) in unserer Seele (psyche) zu dem, was seiner Natur nach unter allen am offenbarsten ist. (2.) Es gebührt sieh nun, nicht bloß gegen diejenigen dankbar zu sein, deren Ansichten man teilen kann, sondern auch gegen die, deren Lehren sich mehr auf der Oberfläche gehalten haben. Denn auch sie trugen etwas bei, dadurch daß sie unsere Fähigkeit üb:r5 ten und vorbildeten. Wäre Timotheos nicht gewesen, so entbehrten wir eines großen Teiles unserer lyrischen Poesie; wäre aber Phrynis nicht gewesen, so wäre Timotheos nicht geworden. Geradeso verhält es sich mit denen, welche über die Wahrheit sich erklärt haben; von den einenhaben_wir gewisse Ansichten (d6xai) überkommen, die andern sind die Ursache gewesen, daß diese auftraten.
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(3 .) Richtig ist es auch, die Philosophie Wissenschaft (episteme) der Wahrheit zu nennen. Denn für die theoretische Philosophie 20 ist die .Wahrheit, für die praktische das Werk (ergon) Ziel (telos). Denn wenn aum die praktische Philosophie danach fragt, wie etwas beschaffen ist, so ist doch nicht das Ewige und das An-sich (aition kath' haut6), sondern das Relative (pr6s ti) und Zeitliche (nyn) Gegenstand ihrer Betrachtung. Die Wahrheit aber wissen wir nimt ohne Erkenntnis des Grundes (aitia). Unter den wesensgleichen Dingen ferner hat dasjenige am meisten die Wesenheit, welches für die anderen Ursache ist, daß ihnen diese We- 25 senheit zukommt; z. B. das Feuer ist das wärmste, weil es auch für das übrige Ursache der Wärme ist. Den höchsten Grad von Wahrheit hat also dasjenige, welches für das Spätere Ursache der Wahrheit ist. Darum müssen die Prinzipien des ewig Seienden immerdie höchste Wahrheit haben; denn sie sind nicht bald wahr, bald falsch, noch haben sie den Grund der Wahrheit in einem andern, sondern alles andere in ihnen, sofern ja jedes an der 30 Wahrheit in gleicher Weise teilhat wie am Sein.
2. WEDER DIE REIHE NOCH DIE ARTEN DER URSACHEN KÖNNEN UNENDLICH SEIN. 1. (a) These, (b) Erläuterung der Unmöglid!keit unendlid!er Reihen bei allen vier Ursad!en. - 2. Beweis der Endlid!keit jeder Kausalreihe. (a) Jede muß eine erste Ursadle und (b) eine letzte Wirkung haben. (c) Notwendigkeit eines letzten Endzwedcs auf Grund der Natur des Guten (toll agathou physis) und der Vernunft (nous). (d) Das Wesenswas (to ti en einai) darf nid!t ins Unendlid!e zurückführbar sein, sonst wäre jede Wissensd!aft (epistasthai) und Erkenntnis (gignöskein) unmöglid!. - 3· Die Möglidtkeit des Erkennens setzt voraus, daß die Arten (eide) der Ursamen der Zahl nad! (pMthei) b~grenzt sind.
(:r.. a) Daß es ein Prinzip (arme) gibt und die Ursachen des Sei- 994 a enden nidtt ins Unendlidte fortsdtreiten, weder in fortlaufender Reihe noch der Art nach, ist offenbar. (b) Denn weder das Entstehen des einen aus dem andern als aus seinem Stoffe kann ins Unendliche fortgehen, z. B. Fleisch aus Erde, und Erde aus Wasser, und Wasser aus Feuer und so ins Unendliche; noch kann bei derjenigen Ursache (arme), von welcher die Bewegung ausgeht, 5 ein Fortschritt ins Unendliche stattfinden, z. B. daß der Mensch von der Luft bewegt würde, diese von der Sonne, die Sonne vom Streite, und so fort ohne Grenze. In gleicher Weise kann auch der
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Zweck (to hau heneka) nicht ins Unendliche fortgehen, daß etwa das Gehen stattfände um der Gesundheit willen, diese um der Glückseligkeit, diese wieder um eines andern willen, und so fort jedes wieder in einem andern seinen Zweck habe. Dasselbe findet auch statt bei dem Wesenswas (to ti en einai). (2. a) Denn bei jedem mittleren, wozu es geschieden davon ein äußerstes (eschaton) und ein früheres (pr6teron) gibt, muß notwendig das frühere Ursache s"ein für das nachfolgende. Denn wenn wir sagen sollten, welches denn unter den dreien Ursache sei, so werden wir das erste nennen. Gewiß doch nicht das äußerste, denn das äußerste ist für keines Ursache; aber ebensowenig das mittlere, denn dies ist nur für eines Ursache. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man von einem oder mehreren, von unbegrenzten oder begrenzten handelt. Bei dem in diesem Sinne Unendlichen aber und überhaupt bei dem Unendlichen sind alle Teile gleich sehr mittlere bis zum gegenwärtigen; gibt es also bei ihm nichts Erstes, so gibt es auch keine Ursache. (b) Ebensowenig aber ist es möglich, daß, während es aufwärts einen Anfang gäbe, abwärts ein Fortschritt ins Unendliche stattfinde, so daß etwa aus dem Feuer Wasser, aus diesem Erde, und so immer wieder ein anderes Geschlecht entstände. In zwiefachem Sinne nämlich sagt man, daß eines aus dem andern werde (abgesehen von den Fällen, wo aus nur so viel bedeutet wie nach, z. B. die isthmischen Spiele aus den olympischen), einmal, wie aus dem Knaben, indem er sich verändert, der Mann, zweitens, wie aus Wasser Luft wird. Wie aus dem Knaben der Mann, damit meinen wir, wie aus dem Werdenden das Gewordene und aus dem sich Vollendenden das Vollendete. Wie nämlich das Werden zwischen Sein und Nichtsein, so ist auch das Werdende ein Mittleres zwi6n). Der Lerschen Seiendem (to 6n) und Nicht-seiendem (t6 nende ist ein werdender Gelehrter, und das meinen wir, wenn wir sagen, daß aus dem Lernenden ein Gelehrter werde. Wie aus Wasser Luft, damit meinen wir das Entstehen durch den Untergang des andern. Daher findet bei jenen keine Umkehr in der Folge des Entstehens statt, und es wird nicht aus dem Manne der Knabe; denn nicht aus dem Werden (genesis) wird dort das Werdende, sondern nach 1 dem Werden. So wird auch der Tag aus dem Morgen, indem er nach diesem eintritt, und darum wird auch nicht der Morgen aus dem Tage. Bei der anderen Art des
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1 B. bevorzugt im Kommentar mit Alexander von Aphrodisias die Lesart <sondern nadt> (alla meta) statt des <Sondern es ist nadt> (all' esti meta) der Handschriften, dem er in der Obersetzung gefolgt war. [Vgl. Ross o. c. I 217 zu 994 b 1.]
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Werdens dagegen findet die Umkehrung der Folge statt. Bei beiden Arten aber ist ein Fortschritt ins unendliche unmöglich; denn das eine muß als ein Mittleres (meta.xY) ein Ende (telos) haben, das andere aber erleidet eine Umkehr in einander, indem das Vergehen (phthora) des einen Entstehen (genesis) des andern ist. Zugleich ist es auch unmöglich, daß das Erste, welches ewig ist, bei dem Entstehen selbst untergehe; denn da das Entstehen nicht einen Fortschritt ins Unendliche aufwärts zuläßt, so kann dasjenige, aus welchem als erstem durch sein Vergehen etwas entstand, nicht ewig sein. (c) Ferner das Weswegen (to hou heneka) ist Endzweck (telos). Endzweck aber ist das, welches nicht um eines andern willen, sondern um des willen das andere ist. Wenn es also ein solches Äußerstes gibt, so findet dabei kein Fortschritt ins Unendliche statt; gibt es kein solches, so gibt es überhaupt kein Weswegen. Aber wer hierin einen Fortschritt ins Unendliche behauptet, der hebt, ohne es zu wissen, das Wesen des Guten auf. Und doch würde niemand etwas zu tun unternehmen, wenn er nicht zu ein.em Ende zu kommen gedächte, und wer so handelte, der besäße keine Vernuft (nous); denn der Vernünftige handelt immer nach einem Weswegen; dies ist die Grenze (peras); denn der Zweck ist Grenze. (d) Aber auch das Wesenswasläßt sich nicht auf einen andern, immer weiter erklärenden Begriff zurückführen. Denn immer ist der frühere Begriff mehr Begriff der Sache als der spätere; wenn also nicht das Erste schon Wesenswas ist, so noch weniger das darauf folgende. - Ferner hebt eine solche Behauptung das Wissen (epistasthaz} auf, da es nicht möglich ist zu wissen, bis man zum Unteilbaren (atoma) gelangt ist. Und ebensowenig ist Erkennen (gign6skein) möglich. Denn wie ist es denn möglich, das in diesem Sinne Unendliche zu denken? Es verhält sich nämlich hierbei keineswegs so, wie bei der Linie, bei welcher die Teilung (dihairesis) zwar keine Grenze hat, die man aber doch nicht denken kann, ohne im Teilen anzuhalten; weshalb man denn keineswegs, wenn man die unendlich teilbare Linie durchgeht, die Teilungen der Linie zählen wird. Auch die Materie (hyle) kann man nur an einem bewegten Gegenstande denken. Und nichts Unendliches kann sein; wo nicht, so ist doch das Unendlich-sein nicht etwas Unendliches. (J.) Ebensowenig aber wäre ein Erkennen möglich, wenn die Arten (eide) der Ursachen der Zahl (plithei) nach unendlich wären. Denn dann glauben wir etwas zu wissen, wenn wir die Ursachen desselben erkannt haben; das ins Unendliche Zunehmende aber kann man nicht in begrenzter Zeit durchgehen.
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ABHÄNGIGKEIT DER METHODE DER WISSENSCHAFT VOM LERNENDEN WIE VOM GEGENSTAND
1. Madtt der Gewohnheit (ta ethe) für das Erlernen. - 2. Wer eine Wissensdtaft sudtt, muß die Weise ihrer Behandlung sdton kennen. 3· Die Genauigkeit (akribeia) der Mathematik darf man nur für Stoffloses fordern.
(1.) Die verschiedene Aufnahme des Unterrichts hängt von der 995 a Gewohnheit ab; denn wie wir es gewohnt sind, so verlangen wir
soll die Behandlung eines Gegenstandes beschaffen sein, und was davon abweicht, erscheint uns als unpassend und wegen des Ungewöhnlichen schwieriger zu verstehen und fremdartiger; denn das Gewohnte ist verständlicher. Wie groß die Mamt der Gewohnheit ist, beweisen die Gesetze (n6moi), in welchen Sagen5 ·haftes und Kindisches w:egen der Gewöhnung daran mehr wirkt als Einsicht (giniJskein). Einige also mögen einen Unterricht gar nicht anhören, wenn er nicht die Weise der Mathematik hat, andere, wenn er nicht Beispiele bringt, andere verlangen, daß man Dichter als Zeugen anführe. Die einen verlangen in allen Dingen strenge Genauigkeit (akribos), -die andern verdrießt diese Genau10 igkeit, entweder weil sie dieselbe nicht fassen können, oder weil sie ihnen für Kleinlichkeit gilt. Denn strenge Genauigkeit hat so etwas an sich, wodurch sie wie im Handel und Wandel so auch in der Behandlung der Wissenschaften (l6goi) manchen für unfrei gilt. (2.) Daher muß man dazu schon gebildet sein, welche Weise man bei jedem Gegenstande zu fordern hat; denn unstatthaft ist es; zugleich die Wissenschaft (epistemi) und die Weise ihrer Behandlung zu suchen, da jedes von diesen beiden für sich zu fin15 den nicht leicht ist. (3.) Diegenaue Schärfe der Mathematik aber darf man nicht für alle Gegenstände fordern, sondern nur für die stofflosen. Darum paßt diese Weise nicht für die Wissenschaft der Natur, denn alle Natur ist wohl mit Stoff behaftet. Wir müssen also zuerst untersuchen, was die Natur ist; denn daraus wird sich auch ergeben, worüber die Physik zu handeln hat [und ob die Untersuchung der Ursachen und Prinzipien Gegenstand einer 20 oder mehrerer Wissenschaften ist] 1 •
1 Die von Bonitz eingeklammerten Worte finden sidt am ridttigen Orte weiter unten (995 b 5).
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DRITTES BUCH (B) ÜBER DIE APORIEN
1. DIE FuNKTION DES ZwEIFELNS. AuFzÄHLUNG DER APORIEN 1. Notwendigls:eit, das Fragliche in Betracht zu ziehen. (a) Die beiden Arten des Fraglichen. (b) Der Zweifel (aporia) zeigt den Knoten, dessen Lösung (Iysis) die richtige Einsicht (euporia) ist; (b) er gibt die Richtung und das Ziel (telos) der Untersuchung an; (c) er ermöglicht richtige Entscheidung (krinai). - 2. Aufzählung von 14 zu erörternden Aporien (I-XIV).
(1. a) Zum Behufe der gesuchten Wissenschaft ist es nötig, zunächst die Gegenstände in Betracht zu ziehen, welche zunächst Zweifel (aporein) erwecken müssen. Dies sind teils die abweichenden Ansichten, welche manche hierüber aufgestellt haben, teils anderes, was etwa bisher unbeachtet geblieben ist. (b) Denn für die richtige Einsicht ist gründlicher Zweifel förderlich, indem die später sich ergebende Einsicht (euporia) die Lösung der früheren Zweifel ist, und man nicht lösen kann, wenn man den Knoten nicht kennt. Der Zweifel (aporia) aber im Denken (dit~noia) zeigt diesen Knoten in der Sache an; denn im Zweifel gleicht man den Gebundenen, jenen wie diesen ist e_s unmöglich vorwärts zu schreiten. (c) Man muß deshalb vorher alle Schwierigkeit in Betracht gezogen haben, sowohl aus dem bereits ausgesprochenen Grunde, als auch weil man bei einer Forschung ohne vorausgegangenen Zweifel den Wanderern gleicht, welche nicht wissen, wohin sie zu gehen haben, und deshalb dann nicht einmal erkennen, ob sie das gesuchte Ziel erreicht haben oder nicht. Denn das Ziel (telos) ist ihnen ja nicht bekannt, wohl aber ist es dem bekannt, der vorher gezweifelt hat. (d) überdies muß notwendig der zur Entscheidung (krinai) befähigter sein, der die gegeneinander streitenden Gründe, wie ein Richter die streitenden Parteien, angehört hat. ( 2. I) Der erste Zweifel betrifft den Gegenstand, den wir in der Einleitung besprochen haben 1 , nämlich ob die Betrachtung der Ursachen Gegenstand einer oder mehrerer Wissenschaften ist, (II) und ob es der Wissenschaft nur zukommt, die ersten Prin1
Gemeint ist die Besprechung der Ursachen im ersten Buche.
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zipien der Wesenheit in Betracht zu ziehen oder auch die allgemeinen Prinzipien der Beweisführung, z. B. ob es möglich ist, ein und dasselbe zugleich zu bejahen und zu verneinen oder nicht, und anderes der Art. (III) Und wenn die Wissenschaft nur auf die Wesenheit geht, so fragt sich, ob alle Wesenheiten einer oder mehreren Wissenschaften angehören, und wenn mehreren, ob diese alle verwandt sind oder einige von ihnen als Weisheit zu bezeichnen sind, andere nicht. (IV) Auch dies muß ferner erforscht werden, ob man nur den sinnlichen Wesenheiten Sein zuzuschreibenhat oder noch anderen neben diesen, und ob dann einer oder mehreren Gattungen von Wesenheiten, wie dies von denen geschieht, welche die Ideen und das Mathematische, als Mittleres zwischen den Ideen und den sinnlichen Dingen, aufstellen. (V) Diese Fragen also müssen zur Erwägung kommen, und ferner, ob die wissenschaftliche Untersuchung nur auf die Wesenheiten gerichtet ist oder auch auf die Akzidenzen, die den Wesenheiten an sich zukommen. Ferner in Beziehung auf Identisches und Verschiedenes, Ähnliches und Unähnlkhes, Einerleiheit und Gegensatz, über Früheres und Späteres und alles diesen ähnliche, welches die Dialektik nur nach Wahrscheinlichkeitsgründen zu betrachten versucht, muß man fragen, welcher Wissenschaft die Untersuchung derselben zukommt; ebenso auch über die Akzidenzen, die diesen Dingen an sich zukommen, und nicht bloß darüber, was ein jedes derselben ist, sondern auch, ob ein jedes nur einen konträren Gegensatz hat. (VI) Ferner, ob Prinzip und Element die Gattungen sind oder die immanenten Bestandteile, in welche jedes Ding zerlegt wird; (VII) und wenn die Gattungen, ob die von den Individuen zunächst ausgesagten oder die ersten und höchsten, z. B. ob Tier oder Mensch Prinzip ist, und welches von beiden neben dem Einzelnen mehr Realität hat. (VIII) Am meisten aber muß man danach forschen und sich damit beschäftigen, ob es neben der Materie noch eine Ursache an-sich gibt oder nicht, und ob diese selbständig abtrennbar ist oder nicht, ob sie der Zahl nach eine ist oder es mehrere sind, und ob es etwas neben den konkreten Dingen Existierendes gibt oder nicht (konkrete Dinge nämlich nenne ich diejenigen, in welchen die Materie durch ein Prädikat bestimmt ist), oder ob dies bei einigen der Fall ist, bei andem nicht, und bei welcherlei Dingen. (IX) Ferner fragt sich, ob die Prinzipien der Zahl oder der Art nach bestimmt sind, ebensowohl die in den Begriffen wie die im Substrate enthaltenen, (X) ob für Vergängliches und für Unvergängliches dieselben Prinzipien sind oder verschiedene, und ob alle unvergänglich sind oder die des Vergänglichen vergänglich. (XI) Die schwierigste und
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verwickeltste Frage ist ferner, ob das Eins und das Seiende, wie die Pythagoreer und Platon lehrten, nicht Prädikat für irgendein Anderes, sondern Wesenheit des Seienden ist, oder ob dies nicht der Fall ist, sondern ein davon verschiedenes Substrat zugrundt: liegt, wie etwa in Empedokles Lehre die Freundschaft, oder bei einem andern das Feuer oder das Wasser oder die Luft. (XII) Ferner fragt sich, ob die Prinzipien allgemein sind oder wie die Einzeldinge, (XIII) ob sie der Möglichkeit nach oder in Wirk- 10 lichkeit sind, und überdies, ob noch in einer andern Weise als für die Bewegung; denn auch diese Frage kann viel Schwierigkeit machen. (XIV) überdies ist noch zu untersuchen, ob die Zahlen, Linien, Figuren und Punkte Wesenheiten sind oder nicht, und wenn sie Wesenheiten sind, ob abgetrennt von den sinnlichen oder immanent in denselben. 15 In allen diesen Punkten ist nicht nur die Auffindung der Wahrheit schwer, sondern selbst ein gründliches Durchdenken (Iogos) des Zweifels nicht leicht. 2. DIE FÜNF ERSTEN APORIEN
I. Aporie:
1. Gehört die Betrachtung aller Gattungen der Ursachen (gene tdn aitiön) einer Wissenschaft (episteme) an oder mehreren? - 2. These. Warum sie nicht einer Wissenschaft zukommen kann (a, b, c). - 3· Antithese. Die Erkenntnis der Ursachen kann nicht mehreren Wissenschaften zukommen, denn welche von diesen wäre dann die Weisheit (sophia)? (a-c). - II. Aporie: 1. Gehören die Prinzipien der Beweise (apodeiktikai ard!ai) und .die Wesenheit (ousia) derselben Wissenschaft an?- 2. These. Warum man nicht mit Grund (eUlogon) annehmen kann, daß sie derselben angehören (a,b). - 3· Antithese. Warum Wesenheit und Axiome (axidmata) nicht verschiedenen Wissenschaften angehören können. - III. Aporie: 1. Gehören die Wesenheiten alle einer Wissenschaft an oder mehreren?- 2. These. Sie gehören nicht m11hreren an. - 3· Antithese. Es ist nicht wahrscheinlich (ouk eulogon), daß sie alle einer Wissenschaft angehören.- IV. Fünfte Aporie: 1. Geht die Untersuchung nur auf die Wesenheit oder auch auf die Akzidenzen (symbebek6ta) 7- 2. Schwierigkeiten, die in beiden Fällen entstehen.- V. Vierte Aporie: 1. Sind nur die sinnlichen Wesenheiten (aisthetai ousiai) oder auch noch andere; und gibt es dann eine oder mehrere Gattungen nichtsinnlicher Wesenheiten?- 2. Die Platoniker setzen zu Unrecht die unsinnlichen Wesenheiten der Ideen (eide) und des Mittleren (metaxy) (a, b). 3· Es gibt keine Wissenschaft dieser unsinnlichen Wesenheiten. - 4· Das sinnlich Wahrnehmbare ist weder Gegenstand der Astronomie und der Geometrie noch ist das Mittlere in ihm enthalten (a, b).
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(l1.) Zuerst also die Frage, die wir zuerst anführten, nämlich ob die Betrachtung aller Gattungen der Ursachen einer Wissenschaft · angehört oder mehreren. (2. a) Wie sollte es wohl einer Wissenschaft zukommen, die verschiedenen Ursachen zu erkennen, da diese nicht entgegengesetzt sind? (b) Dazu kommt, daß si ist nicht Gattung der einzelnen Menschen 1.. - Ferner kann bei den Dingen, in welchen es ein früher (pr6teron) und später (hysteron) gibt, das Allgemeine über diesen einzelnen nicht etwas außer und neben denselben sein; z. B. wenn die erste unter den Zahlen die Zweiheit ist, so kann es nicht eine Zahl geben außer den Arten der Zahlen, ebenso nicht eine Figur neben den Arten :10 der Figuren. Wenn aber bei diesen nicht die Gattungen sind neben den Arten, so wird es noch weniger bei den andern Dingen stattfinden; denn gerade von diesen am meisten scheinen Gattungen zu existieren. In den Individuen aber findet sich kein früher und später.- Ferner, wo sich ein besser und schlechter findet, da ist immer das Bessere früher; also würde es von diesen Dingen keine Gattungen geben. (3.) Hiernach erscheint vielmehr das von den Individuen ausgesagte Prinzip zu sein als die Gattungen. Wie man aber ande- :15 rerseits annehmen darf, daß diese Prädikate der Individuen Prinzipien seien, ist nicht leicht zu sagen. Denn das Prinzip und die Ursache (arche) muß außer den Dingen sein, deren Prinzip (aina) sie ist, und abgetrennt von denselben existieren können. Daß aber so etwas neben den einzelnen Dingen existiere, könnte man doch aus keinem andern Grunde annehmen, als weil es allgemein 20 und von allen ausgesagt wird. I~t aber dies der Grund der Annahme, so möchte man das Allgemeinere auch mehr als Prinzip setzen, und es würden also die ersten Gattungen Prinzipien sein. 4·
DIE ACHTE, NEUNTE, ZEHNTE UND ELFTE APORIE
VIII. Aporie: :1. Wenn nidtts neben den unendlidt vielen einzelnen Dingen existiert, wie kann es eine Wissensdtaft von ihnen geben? (a, b, c). - 2. These. Die Gestalt (morphe) und die Artform (eidos) müssen notwendig neben dem Konkreten (synholon) sein (a, b).- 3· Sdtwierigkeiten bei dieser Annahme (a- ein Bestimmtes bezeichnet, so mag dies z. B. sein . Daß es Eins bezeichne, meine ich so: wenn <Mensch> dies bedeutet (nämlich zweirußiges Tier), so wird, falls etwas ein Mensch ist, sein Wesen, Mensch zu sein, hierin enthalten sein. Doch macht es keinen Unterschied,. wenn jemand behauptete, das Wort Mensch bezeichne Mehreres, aber nur bestimmt Begrenztes; denn dann wür- 1.oo6 b de für jeden Begriff ein anderer Name gesetzt werden. Ich meine z. B., wenn jemand behauptete, das Wort Mensch bezeichne nicht nur Eines, sondern Vieles, unter denen das eine den Begriff habe zweirußiges Tier, aber es wären auch noch mehrere davon verschiedene, jedoch der Zahl nach begrenzte Begriffe vorhanden; 5 denn dann ließe sich für jeden der Begriffe ein besonderer Name setzen. Könnte dies aber nicht geschehen, sondern behauptete vielmehr jemand, das Wort bezeichne unendlich vieles, so wäre offenbar gar keine Rede möglich, denn nicht eirt Bestimmtes bezeidmen (semainein) ist dasselbe wie nichts bezeichnen; bezeichnen aber die Worte nichts, so ist die Möglichkeit der Unterredung mit andern aufgehoben, in Wahrheit auch die Möglichkeit der Unterredung mit sich selbst. Denn man kann gar nichts den- 1.0 ken (noetn), wenn man nicht Eins denkt; ist dies aber der Fall, so würde man auch für diese Sache einen Namen setzen können. (2..) So mag es del:m bei dem zu Anfang ausgesprochenen Satze verbleiben, daß das Wort etwas bezeichne und zwar Eins bezeichne. (a) Dann ist es nicht möglich, daß Mensch-sein dasselbe bezeichne wie Nicht-Mensch-sein, sofern nämlich das Wort Mensch Eines bezeichnet nicht bloß als Prädikat von Einem, sondern als selbst Eins. (Denn nicht so wollen wir das Eins-bezeichnen ver- 1.5 standen wissen, daß etwas Prädikat von Einem sei; denn in diesem Sinne würde auch gebildet und weiß und Mensch Eins bezeichnen, und alles würde Eins sein, weil alles gleichbedeutend sein würde.) Und auch Sein und Nicht-sein wird nicht in anderem Sinne dasselbe sein als in dem der Gleichnamigkeit, etwa so, wie wenn, was wir Mensch nennen, andere Nicht-Mensch nennten. (b) Aber das ist gar nicht der Fragepunkt, ob dasselbe Mensch 20 und Nicht-Mensch heißen, sondern, ob es beides zugleich sein kann. Wenn nun also Mensch und Nicht-Mensch nichts Verschiedenes bezeichnen, so würde offenbar auch das Nicht-Mensch-sein von Mensch-sein nicht verschieden sein, also Mensch-sein würde heißen Nicht-Mensch-sein; denn es würde Eins sein. Denn das be- 25 deutet ja Eins-sein (etnai hen), wie z. B. bei Gewand und Kleid, daß der Begriff derselbe ist. Wäre es aber eins, so bezeichnet dann
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Mensch-sein und Nicht-Mensch-sein ein und dasselbe. Es war aber gezeigt, daß es Verschiedenes (heteron) bezeichnet. So ist also notwendig, daß, wenn man von etwas in Wahrheitsagen kann, daß es Mensch ist, dies zweifüßiges Tier ist; denn dies war es ja, was das Wort Mensch bezeichnete. Und ist dies notwendig, so ist es nicht möglich, daß dasselbe auch nicht zweifüßiges Tier sei; denn notwendig Mensch sein bezeichnet ja eben die Unmöglichkeit, nicht Mensch zu sein. Also ist es nicht möglich, daß es zugleich wahr sei zu behaupten, dasselbe sei Mensch und sei nicht Mensch. Dasselbe gilt auch über das Nicht-Mensch-sein. Denn Mensch-sein und Nicht-Mensch-sein bezeichnet Verschiedenes, sofern ja schon weiß sein und Mensch sein Verschiedenes bezeichnen; denn jenes ist sich ja noch viel mehr entgegengesetzt, so daß es gewiß Verschiedenes bezeichnet. Wollte nun noch jemand sagen, daß ja weiß dasselbe und Eins bezeichne, so würden wir wieder dasselbe erwidern wie schon früher, nämlich daß dann alles Eins sein würde, nicht nur das Entgegengesetzte. Ist dies aber nicht möglich, so ergibt sich die ausgesprochene Folgerung, sofern der Streitende nur auf das Gefragte antwortet. Fügt er dagegen bei einer einfachen Frage in seiner Antwort auch noch die Negationen hinzu, so antwortet er nicht auf die Frage. Denn es ist allerdings ganz gut möglich, daß dasselbe zugleich Mensch und weiß sei und noch tausend anderes, aber dennoch muß man au! die Frage, ob man dies mit Wahrheit Mensch nennen kann oder nicht, nur das antworten, was Eins bezeichnet, und nicht hinzufügen, daß es auch weiß und groß ist. Denn es ist unmöglich die Akzidenzen alle anzuführen, da ihrer unendlich viele sind; also mag der Gegner entweder alle anführen oder keins. In gleicher Weise also darf man, wenn auch tausendmal dasselbe Mensch ist und nicht Mensch ist, doch auf die Frage, ob dies Mensch ist, nicht noch hinzuantworten, daß es auch nicht Mensch ist, wenn man nicht auch noch· alle andem Akzidenzelt, welche es hat und nicht hat, hinzufügen will. Tut man aber dies, so unterredet man sich nicht. (J. a) überhaupt heben die, welche diese Behauptung aufstellen, die Wesenheit (ousfa) und das Wesenswas (to ti en elnat) auf. Denn sie müssen notwendig behaupten, daß alles Akzidens sei und Ein-Mensch-sein an sich oder Tier-sein an sich gar nicht existiere. Denn wäre es das Wesen von etwas, Mensch zu sein, so könnte dies nicht zugleich Nicht-Mensch sein oder Mensch nicht sein, was doch die Verneinungen von jenen sind. Denn Eins war es, was jenes bezeidmete, und dies war Wesenheit von etwas. Etwas als Wesenheit eines Dinges bezeichnen heißt aussagen,
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daß es sein eigentümliches Sein (to einai auto) in nichts anderem habe. Wenn aber sein Wesen, Mensch zu sein, zugleim darin liegen soll, nicht Mensdt zu sein oder Mensch nicht zu sein, so wäre es ja etwas anderes. Jene müssen also erklären, daß es von keinem Dinge einen solchen Begriff des Wesens gibt, sondern alles nur Akzidens ist. Denn dadurch sind ja Wesenheit und Akzidens (symbebek6s) voneinander geschieden; weiß z. B. ist ein Akzidens für den Menschen, weil er zwar weiß ist, aber nicht das Weiße an sich. (b) Wird aber alles nur in akzidentellem Sinne ausgesagt, so gäbe es ja gar nichts Erstes, wovon ausgesagt würde, sofern ja das Akzidens immer das Prädikat eines Substrates (hypokeimenon) ist. Es müßte also ins Unendlidte fortgehen. Das ist aber nicht möglich, da nicht mehr als zwei miteinander verbunden werden; denn das Akzidens ist nicht Akzidens eines Akzidens, außer insofern beide Akzidenzen an demselbigen sind. Ich meine z. B., das Weiße ist gebildet und das Gebildete weiß, weil beides Akzidenzen des Menschen sind; aber nicht in diesem Sinne sagt man <Sokrates ist gebildet>, weil etwa beides Akzidenzen an einem andern wären. Alle Akzidenzen werden nun entweder auf die letztere oder auf die erstere Weise ausgesagt. Bei der letzteren Weise, wie im Beispiel das Weiße Akzidens für Sokrates ist, ist ein Fortschritt ins Unendlidte aufwärts nicht möglidt, z. B. daß für Sokrates, der weiß ist, wieder etwas anderes Akzidens sei; denn es wird nicht aus allen ein Eins. Aber audt bei der anderen Art kann nicht das Weiße wieder etwas anderes als Akzidens haben, z. B. das Gebildete; denn es wäre ja ebensogut jenes für dieses, wie dieses für jenes Akzidens. Nun ist aber audt unterschieden, daß alles entweder in dieser Weise Akzidens ist, oder in dem Sinne wie gebildet am Sokrates; in dieser letzteren Weise aber ist das Akzidens nicht Akzidens eines Akzidens, sondern nur in der ersteren; also kann nicht alles als Akzidens ausgesagt werden. Es muß also auch etwas geben, das die Wesenheit bezeichnet, und wenn dies, so ist bewiesen, daß unmöglich die Widersprüche zugleich prädiziert werden können. (II) Ferner, wenn zugleich alle Widersprüche (antiphaseis) über denselben Gegenstand wahr sind, so müßte offenbar alles Eins sein. Denn es würde dasselbe Schiff und Mauer und Mensch sein, wenn man von jedem Dinge etwas bejahend oder verneinend prädizieren kann, wie diejenigen notwendig zugeben müssen, welche der Lehre des Protagaras beistimmen. Denn wenn jemand meint, der Mensch sei kein Schiff, so ist er auch offenbar kein Schiff; also ist er auch ein Schiff, sofern das kontradiktorische Gegenteil wahr ist. Und so kommt man denn zu dem Allzusam-
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men des Anaxagoras, so daß nichts in Wahrheit existiert. Sie scheinen also das Unbestimmte (ah6riston) zu behaupten, und während sie glauben vom Seienden zu reden, reden sie vom Nichtseienden; denn was nurdem Vermögen (dynamei), nichtder Wirklichkeit nach (entelecheiä) ist, das ist das Unbestimmte. Sie müs3o sennun aber von jedem Dinge jede Vemeinung (ap6phasis) oder Bejahung (kataphasis) aussprechen; denn es wäre ja unstatthaft, wenn einem jeden seine eigene Vemeinung zwar zukommen sollte, die Vemeinung eines andem aber, das ihm nicht zukommt, nicht zukommen sollte. Ich meine z. B., wenn es wahr ist, vom Menschen zu sagen, daß er nicht Mensch ist, so ist es offenbar auch wahr, daß er nicht Schiff ist. Findet nun die Bejahung statt, 35 so muß notwendig auch die Vemeinung stattfinden; kommt ihm die Bejahung nicht zu, so wird ihm doch gewiß die Vemeinung :1008 a desselben noch gewisser zukommen als die seiner selbst, und da nun diese ihm zukommt, so würde ihm auch die Vemeinung des Schiffes zukommen, und wenn diese, dann auch die Bejahung. (III) In diese Folgerungen also geraten diejenigen, welche diese Behauptung aufstellen, und ferner auch dahin, daß gar nicht notwendig Bejahung oder Vemeinung stattfinden muß. Denn wenn 5 es wahr ist, daß der Mensch zugleich nicht Mensch ist, so müßte er offenbar auch weder Mensch noch nicht Mensch sein. Denn jene zwei Aussagen haben zwei Vemeinungen, oder wenn man dieselbe als eine einzige aus beiden gebildete ansieht, so würde auch diese als eine einzige entgegengesetzt sein. (IV) Ferner verhält es sich entweder bei allen Dingen so, wie sie behaupten, und es ist etwas zugleich weiß und nicht weiß, seiend und nicht-seiend und in gleicher Weise bei den andem Bejahungen und Vemeinungen, oder dies ist nicht der Fall, son:to dem nur bei einigen verhält es sich so, bei andem nicht. Verhält es sich nun nicht bei allen so, so würden doch diese, bei denen es sich nicht so verhält, als bestimmt anerkannt sein. Verhält es sich dagegen bei allen so, ~ wird wiederum entweder bei allen, bei welchen die Bejahung stattfindet, auch die Vemeinung, und bei denen die Vemeinung, auch die Bejahung stattfinden, oder es wird zwar, bei denen die Bejahung stattfindet, auch die Ver:15 neinung, aber nicht umgekehrt bei allen, bei denen die Verneinung, auch die Bejahung stattfinden. Wäre das letztere der Fall, so gäbe es doch etwas bleibend und fest Nicht-seiendes, und diese Behauptung wäre sicher; und wenn das Nicht-sein sicher und erkennbar, so würde die entgegengesetzte Bejahung noch erkennbarer sein. Findet aber gleichmäßig bei allen, wo Vemeinung, auch Bejahung statt, so muß man notwendig die Wahrheit
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reden, entweder indem man trennt, z. B. indem man sagt, daß etwas weiß, und dann wieder, daß es nicht weiß ist, oder indem 20 man nicht trennt. Kann man nun die Wahrheit nicht aussagen, indem man trennt, so sagt man dies 1 gar nicht aus, und es ist überhaupt nichts. Wie sollte wohl aber das, was nicht ist, etwas ausspredten oder gehen können 7 Auch würde alles Eins sein, wie schon früher gesagt, und Mensch, Gott, Schiff samt den Verneinungen davon würden ein und dasselbe sein. Denn wenn man 25 gleidtmäßig von jedem dies aussagen kann, so kann sich dann nicht eins von dem andern unterscheiden; denn sollte es sidt untersdteiden, so würde ja dies wahr und eigentümlich sein. Auf gleiche Weise ergeben sich die ausgesprodtenen Folgerungen, wenn man trennend Wahrheit aussagen kann. Dazu kommt, daß hiernach alle die Wahrheit sagen und alle im Irrtum sein würden, und daß, wer dies behauptet, von sich selbst eingesteht, daß er im Irrtum ist. Ferner ist offenbar gegen 30 diesen gar kein Streit möglich, denn er sagt nichts. Denn er sagt weder, daß sich etwas so, noch, daß es sich nicht so verhalte, sondern sowohl so als nicht so; und wiederum verneint er beides, daß es sich weder so, noch nicht so verhalte; denn sonst wäre ja schon etwas bestimmt. (V) Ferner, wofern in dem Falle, daß die Bejahung wahr ist, die Verneinung falsch, und wo diese wahr, die Bejahung falsch ist, 35 so würde es nicht möglich sein, dasselbe zugleim mit Wahrheit zu bejahen und zu verneinen. Doch dies möchte man wohl für 1oo8 b eine Annahme des zu Beweisenden erklären. (VI 1.) Fernt;r, ist denn der im Irrtum, welcher annimmt, es verhalte sich etwas so, oder es verhalte sich nicht so, der dagegen in der Wahrheit, der beides zugleich annimmt? Ist der letztere in der Wahrheit, was ist denn dann damit gemeint, wenn man sagt, die Natur des Seienden sei so beschaffen? Ist er aber nicht in der Wahrheit, sondern viel111ehr der 2 , welcher jenes annimmt, so 5 verhielte sich ja doch das Seiende schon auf eine bestimmte Weise, und dies wäre wahr und nicht audt zugleich nicht wahr. Wenn aber alle auf gleidte Weise irren und die Wahrheit sagen, so kann, wer dieser Ansicht ist, überhaupt gar nichts aussprechen oder sagen; denn zugleich sagt er ja dies und auch nicht 10 dies. Nimmt eJ:: aber überhaupt gar nichts an, sondern meint eben nur und meint auch ebensogut nicht, wie unterschiede er sich denn dann von den Pflanzen? 1 cd. h. diesen Satz, daß das Entgegengesetzte zugleich wahr sein solle». Bonitz. 2 <der> (ho) nach Hs. E statt (~ ho). [Anders J. und R.]
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(2.) Hieraus erhellt am deutlichsten, daß niemand wirklich dieser Ansicht ist, selbst nicht unter denen, welche diese Lehre (l6gos) bekennen. Denn warum geht denn der Anhänger dieser Lehre nach Megara und bleibt nicht lieber in Ruhe, während er meint zu gehen? Warum stürzt er sich nicht gleich frühmorgens in 15 einen Brunnen oder in einen Abgrund, wenn es sich eben trifft, sondern nimmt sich offenbar in acht, indem er also das Hineinstürzen nicht in gleicher Weise für nicht gut und für gut hält? Offenbar also hält er das eine für besser, das andere nicht. Wo aber dies, so muß er notwendig auch annehmen, dies sei ein 20 Mensch, jenes nicht, dies sei süß, jenes nicht. Denn er sucht ja nicht alles auf gleiche Weise und hält nicht alles für gleich, wenn er in der Meinung, es sei gut, Wasser zu trinken oder einen Menschen zu sehen, dann dies sucht, und doch müßte er alles gleich setzen, wenn dasselbe gleicherweise Mensch wäre und auch nicht 25 Mensch. Aber, wie gesagt, es gibt niemanden, der sich nicht offenbar vor einigem hütete, vor anderem nicht. Also scheint es, alle nehmen an, daß sich etwas schlechthin so verhalte, wenn nicht in allen Dingen, so doch bei der Frage nach besser und schlechter. Tun sie dies aber nicht nach Wissen (epistasthai), sondern nach 30 bloßem Meinen (doxazein), so müssen sie um so mehr um Erreichung der Wahrheit bemüht sein, wie sich ja auch der Kranke um die Gesundheit mehr bemüht als der Gesunde; denn im Vergleich mit dem Wissenden steht der Meinende nicht in gesundem Verhälmis zur Wahrheit. (VII) Ferner, wenn sich auch durchaus alles so und auch nicht so verhält, so findet sich doch wenigstens das mehr und weniger in der Natur des Seienden; denn nidtt in gleicher Weise würden 35 wir die Zwei ungerade nennen und die Drei, und nicht in gleichem Irrtum befindet sich, wer vier für fünf hält, und wer tausend dafür ansieht. Irren also diese nicht gleich sehr, so irrt der 1009 a eine weniger und hat daher mehr Wahrheit. Ist nun das Mehr •näher, so muß es auch Wahres geben, dem das mehr Wahre sich mehr nähert. Und selbst wenn dies nicht, so muß es doch schon etwas Sichereres und Wahrereres geben, und wir sind damit von der Lehre befreit, weldte keinen Untersmied zugibt und nichts 5 im Denken (dianoia) fest zu begrenzen erlaubt.
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WIDERLEGUNG DER LEUGNER DES SATZES VOM WIDERSPRUCH DURCH DIE UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN ERSCHEINENDEM UND WAHREM
1. Mit der Leugnung des Widerspruchsprinzips stimmt auch die Lehre des Protageras überein, alles, was jemand meint (ta dokounta) oder was scheint (ta phain6mena), sei wahr. - 2. Unterschied der Leugner: die einen sind durch Gründe (peithos), die anderen nur mit Gewalt (bla) zu heilen.- 3· (a) Das sinnlich Wahrnehmbare als Anlaß der Meinung, die Widersprüche (antiphaseis) und die Gegensätze (enantia) existierten zugleich. (b) Gründe gegen diese Meinung.- 4· Das Sinnliche als Anlaß der Meinung, das Erscheinende sei das Wahre. Die alten Philosophen hielten die Sinneswahrnehmung (alsthisis) für Erkenntnis (phr6nesis).5· Nur das Sinnliche für das Seiende zu halten, ist die Ursache der Ansicht, daß dasselbe zugleich sei und nicht sei. - 6. Gründe gegen diese Ansicht. - 7· Gründe gegen die behauptete Wahrheit alles Erscheinenden.
(1.) Von derselben Meinung geht auch die Lehre des Protagaras aus, und beide müssen miteinander stehen oder fallen. Denn einerseits, wenn alles, was jemand meint oder was scheint, wahr ist, so muß alles zugleich wahr und falsch sein; denn viele sind in ihren Meinungen einander entgegengesetzt und glauben, daß 10 die, welche nicht dasselbe meinen, im Irrtum seien, wonach denn notwendig dasselbe sein und auch nicht sein muß. Andrerseits, wenn diese Behauptung richtig _ist, so muß alles, was jemand meint, wahr sein. Denn dadurch, daß sie Entgegengesetztes meinen, unterscheiden sich die im Irrtum und die in der Wahrheit sich befindenden; ist nun das Seiende selbst so besthaffen, so 15 würden ja alle in der Wahrheit sein. (2.)Hieraus ist also klar, daß beide Lehren von demselben Gedanken (dianoia) ausgehen. Doch ist die Art, wie man sich gegen sie zu benehmen hat, nicht bei allen dieselbe; bei den einen muß man Gründe, bei den andem Gewalt anwenden. Denn bei denen, welche vom Zweifel aus zu dieser Annahme gelangten, istdie Unwissenheit (agnoia) leicht zu heilen, da man nicht ihren Worten, sondern ihren Gedanken 20 zu begegnen hat; bei denen aber, welche so reden, nur um so zu reden, ist die Widerlegung (elenchos) eine Heilung der Laute und Worte ihrer Rede. (3. a) Der Anlaß zu dieser Ansicht lag für die, welche aus wirklichem Zweifel dazu gelangten, im Sinnlichen (aisthet6n). Einmal nämlich, daß die Widersprüche und Gegensätze zugleich existierten, glaubte man darum, weil man aus demselben das Ent-
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25 gegengesetzte werden sah; wenn es nun nicht möglich ist, daß
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etwas war ohne zu sein, so war schon vorher die Sache beides, wie ja Anaxagoras sagt, alles finde sich in allem gemischt, und so auch Demokritos, der das Leere und das Volle in jedem Teile gleich sehr existieren läßt, wiewohl er dabei das eine als Seiendes, das andere als Nicht-seiendes bezeichnet. (b) Denen nun, die von hier aus zu jener Ansicht gelangt sind, werden wir erwidern, daß sie in gewissem Sinne recht haben, in gewissem Sinne die Wahrheit nicht erkennen. Denn das Seiende (6n) wird in zwei Bedeutungen (dichos) gebraucht, so daß in dem einen Sinne etwas aus dem Nicht-seienden werden kann, in dem andern nicht, und es möglich ist, daß dasselbe zugleich sei und nicht sei, nur nidlt in derselben Bedeutung. Denn dem Vermögen nach (dynamei) kann dasselbe zugleich Entgegengesetztes sein, der Wirklichkeit nach (entelecheiä) aber nicht. Ferner werden wir aber von ihnen verlangen, daß sie auch eine andere Wesenheit des Seienden anerkennen, bei der überhaupt weder Bewegung noch Vergehen und Entstehen stattfindet. (4.) Auf gleiche Weise lag in dem Sinnlichen die Veranlassung zu der Ansicht, das Erscheinende (phain6mena) sei das Wahre. Denn die Wahrheit, meinen sie, dürfe man doch nidlt nach det größeren oder geringeren Anzahl derer, welche eine bestimmte Meinung haben, prüfen, da dasselbe einigen beim Kosten süß scheine, anderen bitter, so daß, wenn alle krank oder verrückt, nur zwei bis drei gesund oder bei Verstande wären, diese für die Kranken und die Verrückten gelten würden, nicht aber die anderen. Ferner scheine es auch vielen der übrigen Tiere bei denselben Gegenständen anders und entgegengesetzt als uns, ja selbst jeder einzelne für sich bleibe sich in der durch die Sinneswahrnehmung (aisthesis) gegebenen Meinung nicht gleich. Was nun hiervon wahr sei, was falsch, das sei verborgen; denn das eine sei nicht mehr wahr als das andere, sondern beides auf gleiche Weise. Daher denn Demokritos sagt, entweder sei nichts wahr, oder es sei uns doch verborgen. überhaupt aber mußten sie, weil sie die Sinneswahrnehmung für Erkenntnis (phr6nesis) und wieder die Sinneswahrnehmung für Veränderung hielten, notwendig dasjenige, was einem jeden in der Sinneswahrnehmung erscheint, für Wahrheit erklären. Von diesen Ausgangspunkten aus sind Empedokles, Demokritos und so gut wie alle übrigen in solche Ansichten verfallen. So sagt ja Empedokles 1 , mit der Veränderung unseres Zustandes verändere sich unsere Erkenntnis: :t
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Je nach vorhandenem Stoffe erwächst dem Menschen die Einsicht, und an einer andern Stelle 1: Wie sie selber sich wandeln, so naht sich in stetigem Wechsel Ihnen Gedank' um Gedanke.
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Auf gleiche Weise spricht sich auch Parmenides 2 aus: Denn wie jedem die Miscli.ung sich regt in gelenken Organen, Also naht der Gedanke dem Menschen; denn ein und dasselbe Ist's, was denkt, der Organe Natur, bei allen und jedem 25 Sterblichen; denn das Mehrere ist's, was wirkt als Gedanke. Ebenso wird von Anaxagoras berichtet, er habe einigen Freunden gegenüber geäußert, die Dinge würden für sie so sein, wie sie sie auffaßten (hypolambanein). Auch Homer, sagen sie, sei offenbar derselben Ansicht, da er den HektorI wie er durch einen Schlag ,30 außer sich gebracht war, da liegen läßt «anderes sinnend», wonach denn auch die des Verstandes Beraubten Verstand hätten, nur einen anderen3. Wenn nun beides Verstand ist, so muß sich das Seiende notwendig so und auch nicht so v~rhalten. - Hieraus ergibt sich die härteste Folgerung; denn wenn diejenigen, welche die Wahrheit, soweit es überhaupt möglich ist, am meisten erkannt haben - denn das sind doch die, welche sie am meisten su- .35 chen und lieben-, solcheAnsichtenhegen und dies überdie Wahrheit erklären, wie sollten nicht die mit Recht mutlos werden, welche zu philosophieren unternehmen? Denn die Wahrheit suchen möchte hiernach nichts anderes sein als nach Vögeln haschen. (5.) Die Ursache dieser Ansicht nun lag für sie darin, daß sie :1o:1o a bei der Forschung nach der Wahrheit des Seienden nur das Sinnliche für Seiendes hielten; in diesem aber ist die Natur des Unbestimmten und dessen, was auf die bezeichnete Weise 4 ist, vorherrschend. Daher hat ihre Lehre den Schein der Wahrheit, nicht 5 aber Wahrheit; denn so vielmehr geziemt es sich wohl gegen sie zu sprechen wie in dem Tone, den Epicharmos gegen Xenophanes angenommen.- Ferner, da sie sehen, daß sich diese Natur (physis) in ihrem ganzen Umfang verändere (metaballein) und es von dem in Veränderung Begriffenen keine wahre Aussage gebe, so meinten sie, daß sich über dies auf alle Weise durchaus in Verän- :10 Fr. .3:1 B :108 D./K. Fr. 28 B :16 D./K. .3 De anima 404 a 27 bezieht sidt Arietoteies auf dieselbe in unseren Homertexten nidtt überlieferte Stelle. 4 Vgl. oben :1009 a .34 ff. :1 2
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derung Befindlid-te nidtts mit Wahrheit aussagen lasse. Aus dieser Annahme ging die überspannteste unter den erwähnten Ansichten hervor, derer nämlich, die sich Anhänger des Herakleitos nennen, und des Kratylos, der zuletzt gar nidtts mehr glaubte sagen zu dürfen, sondern nur den Finger zum Zeigen bewegte und dem Herakleitos Vorwürfe darüber machte, daß er erklärt, man könne nidtt zweimal in denselben Fluß.. einsteigen; denn er selbst meinte vielmehr, man könne audt nicht einmal einsteigen. (6.) Wir werden nun auch auf diese Erörterung erwidern, daß bei dem sidt Verändernden, während es eben sich verändert, allerdings ein richtiger Grund vorhanden ist, es für nicht seiend zu halten. Und doch ist auch dies noch zweifelhaft; denn das Werdende, indem es eine Eigensdtaft eben verliert, hat noch etwas von dem, was es verliert, und muß schon etwas von dem sein, was es wird. Und überhaupt: soll etwas untergehn, so muß es als ein Seiendes vorhanden sein, und wenn dagegen etwas entsteht, so muß etwas sein, woraus und wodurch es erzeugt wird, und dies kann nicht ins Unendliche gehen. Doch dies wollen wir jetzt übergehn und nur dies erwidern, daß Veränderung in der Quantität etwas anderes ist als Veränderung in der Qualität. Mag immerhin die Quantität nicht beharren, so ist es ja die Form (eidos), nadt der wir alles erkennen. Ferner muß man den Anhängern dieser Ansicht mit Redtt vorwerfen, daß sie, während sie bei den sinnlichen Dingen selbst nur die geringere Zahl sich so verhalten sehen, ihre Behauptung gleidtmäßig über das ganze Weltall ausdehnten. Denn nur der uns umgebende Raum der Sinnenwelt befindet sich in beständigern Vergehen und Entstehen. Aber dieser ist so gut wie gar kein Teil von dem All, und mit mehr Recht würde man also um unbewegter Dinge willen diese freigesprodten als mit diesen jene verdammt haben. - Ferner werden wir ihnen dasselbe erwidern, was schon oben erwähnt wurde; man muß ihnen nämlidt beweisen und sie überzeugen, daß es eine unbewegte Wesenheit (akinetos physis) gibt. Freilich geraten gerade diejenigen, weldte alles zugleich sein und nicht sein lassen, in die Folgerung, daß sie vielmehr eine allgemeine Ruhe als eine allgemeine Bewegung behaupten müssen. Denn es gibt ja nicht, wozu sich etwas verändern könnte, da sich bereits alles in allem findet. (7.) Was aber die behauptete Wahrheit alles Erscheinenden betrifft, so ist zu erwidern, daß nidtt alles Erscheinende wahr ist; einmal, weil jede Sinneswahrnehmung nur in dem ihr eigentümlichen Gebiete von Irrtum frei ist und weil die Vorstellung (phantasia) von der Sinneswahrnehmung (aisthesis) verschieden ist.
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Ferner muß man sich wundem, wenn sie wirklich darüber im Zweifel sind, ob die Größen so groß, die Farben so beschaffen sind, wie sie den Entfernten oder wie sie den nahe Stehenden, und ob so, wie sie den Gesunden oder wie sie den Kranken erscheinen, ob über die Schwere die Schwächlichen oder die Starken, über die Wahrheit die Schlafenden bder die Wachenden richtig urteilen. Denn daß sie dies gar nicht ernstlich meinen, ist offenbar; denn es macht sich ja niemand, wenn er während eines Aufenthaltes in Libyen des Nachts in Athen zu sein glaubt, auf in das Odeon zu gehen. Ferner über das Zukünftige ist doch wohl, wie schon Platon sagt 1 , die Meinung des Arztes gültiger als die des Laien, z. B. darüber, ob jemand gesund werden wird oder nicht. Ferner haben auch die Sinneswahrnehmungen selbst über das etnem fremden und das ihrem eigenen Gebiet Angehörige, über das Nahe und das Entfernte z nicht gleiche Gültigkeit, sondern über die Farbe entscheidet das Gesicht, nicht der Geschmack, über die Speise der Geschmack, nicht das Gesicht. Keiner aber von diesen Sinnen erklärt zu gleicher Zeit über dasselbe, daß es sich so verhalte und auch nicht so verhalte. Ja selbst in verschiedenen Zeiten ist niemals jemand über die Sinnesaffektion (pathos) selbst in Zweifel gewesen, sondern nur über den Gegenstand, bei dem dieselbe vorkam. Ich meine z. B., es kann zwar derselbe Wein, wenn er selbst oder wenn der Körper des Kostenden sich verändert hat, einmal süß und das anderemal nicht süß erscheinen; aber das Süße selbst, so wie es ist, wofern es ist, hat sich nie verändert, sondern die Sinneswahrnehmung hat immer darüber recht, und was süß sein soll, das muß notwendig diese bestimmte Beschaffenheit haben. Dies heben freilich alle diese Ansichten auf; so wie sie nicht die Wesenheit (ousia) von irgend etwas anerkennen, so auch nicht die Notwendigkeit (anankaton). Denn das Notwendige kann sich nicht so und auch anders verhalten, so daß, wenn etwas notwendig ist, es sich nicht zugleich so und auCh nicht so würde verhalten können. Überhaupt aber würde, wenn nur das Sinnlich-wahrnehmbare ist, nichts sein, wofern die beseelten Wesen nicht wären; denn es gäbe dann keine Sinneswahrnehmung. Daß nun unter dieser Bedingung nichts sinnlich wahrnehmbar und keine Sinneswahrnehx Theait. :178 c und :17:1 e. 2 Für das überlieferte (kal tou autes) vermutet B. etwas Ahnlimes wie (kal toll apothen) im Komm. S. 206; Sdlwegler übersetzt die Stelle: . [Anders J. und R.; vgl. Ross o. c. I 277 zu xoxo b x6.]
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mung vorhanden wäre, mag wohl wahr sein, denn diese ist eine Affektion des Wahrnehmenden; daß aber die Substrate (hypokeimena), welche die Sinneswahrnehmung hervorbringen, nicht auch abgesehen von der Sinneswahrnehmung sein sollen, ist unmög35 lieh. Denn die Sinneswahrnehmung ist ja doch nicht Wahrnehmung ihrer selbst; sondern es muß etwas davon Verschiedenes außer der Sinneswahrnehmung existieren, was dieser selbst notwendig vorausgehen muß. Denn das Bewegende ist seinem We>1:I a sennachfrü her als das Bewegte, und dies bleibt wahr, wenngleich beides auf einander bezogen wird. 6.
FoRtSETZ UNG DER ARGUMEN TATION
Manche Zweifel der Leugner des Widerspruchsprinzips entstehen daraus, daß sie für alles einen Grund (l6gos) und ein Prinzip (arcnt) fordern und dies letztere durch Beweis erlangen (di' apodelxeös lambanein) wollen. - 2. Wer alles Erscheinende für wahr erklärt, macht alles Seiende zu bloß Relativem (pr6s ti).- 3· Widersprüchliche Folgerungen aus einer solchen Annahme. - 4· Die Gegensätze (tanantia) können nicht demselben Gegenstande zugleich zukommen (htlma hyptlrchein to auto). 1.
(1.) Manche nun sowohl unter denen, welche von diesen Ansichten überzeugt sind, als auch von denen, die sie nur mit dem Mun5 de bekennen, geraten dadurch in einen Zweifel, daß sie fragen, wer denn den Gesunden unterscheiden soll und überhaupt den, der über jeden Gegenstand richtig urteile. Solche Zweifel gleichen der Frage, ob wir jetzt schlafen oder wachen. Alle diese Zweifel nämlich haben dieselbe Bedeutung, sie fordern für alles einen Grund (16gos); sie suchen nämlich ein Prinzip (arche) und wollen :10 dies durch Beweis (ap6deixis) erlangen. Daß sie nicht wirklich davon überzeugt sind, das beweisen sie deutlich in ihren Handlungen. Vielmehr, wie gesagt, darin liegt ihr Fehler, daß sie einen Beweis für das suchen, wofür es keinen Beweis gibt; denn des Beweises Prinzip ist nicht selbst Beweis. Diese also würden sich leicht überzeugen lassen, da dies nicht schwer zu fassen ist. Die dagegen 15 in Worten gezwungen sein wollen, verlangen etwas Unmögliches; sie fordern, man solle das Entgegengesetzte beweisen, während sie doch selbst schon Entgegengesetztes aussprechen. (2.) Wenn nun aber nicht alles relativ (pr6s ti) ist, sondern auch einiges an und für sich (auta kath' hauta) existiert, so kann nicht alles Erscheinende wahr sein; denn das Erscheinende ist Erschei20 nung für jemanden. Wer also alles Erscheinende für wahr erklärt,
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er macht alles Seiende zu bloß Relativem. Darum müssen denn ie, welche durch die Gewalt der Worte gezwungen sein wollen nd dabei Rede stehen, ihre Behauptung vorsichtig dahin modizieren, daß das Erscheinende nicht ist, sondern daß das Erschei.ende für den ist, dem es erscheint, und wann und inwiefern und rie es erscheint. Stehen sie aber Rede und fügen nicht diese näheen Bestimmungen hinzu, so werden sie bald in Widersprüche ge- 25 en sich selbst gebracht werden. Denn es ist ja möglich, daß etwas enselben für das Gesicht als Honig erscheint, für den Geschmack ber nicht, und daß den beiden Augen, wenn sie von ungleicher ehkraft sind, etwas verschieden erscheint. Leicht ist freilich die :rwiderung gegen die, welche aus den erörterten Gründen das Ercheinende für das Wahre halten und darum behaupten, daß alles 30 leich sehr zugleich wahr und falsch sei: es erscheine ja nämlich jcht allen dasselbe, und sogar nicht denselben immer dasselbe, ondern oftmals auch zu derselben Zeit Entgegengesetztes. Der .·astsinn z. B. hält bei der Verschlingung der Finger für zwei Ge;enstände, was dem Gesichtsinn als einer erscheint. Aber es ercheint doch nicht demselben Sinne in derselben Beziehung (kata 35 aut6), derselben Weise (hösautös) und derselben Zeit etwas als 1011 b ·erschieden; dies also würde das Wahre sein. Und darum müssen l'ohl die, welche nicht auf dem Grunde von Zweifeln, sondern tur, um zu reden, diese Ansichten aussprechen, erklären, daß das :rscheinende nicht schlechthin wahr ist, sondern wahr für diesen, lern es erscheint, und müssen, wie gesagt, alles zu Relativem !lachen, welches nur in seiner Beziehung auf Meinung und Sin- 5 teswahrnehmung existiere, so daß danach nichts geworden ist toch werden kann, wofern es nicht jemand vorher gemeint hat. 3.) Ist es dagegen wahr, daß etwas geworden ist und sein wird, o ist es offenbar nicht wahr, daß alles nur durch die Bezietung auf das Meinen existiere. Ferner, wenn etwas Eins ist, so nüßte es sich auf Eins oder auf ein Bestimmtes beziehen, und ~benso, wenn etwas Identisches sowohl Halbes als auch Gleiches st, so steht doch rucht etwa das Gleiche in Beziehung zum Dop'elten. Wenn nun dem Meinenden gegenüber Mensch und Ge- 10 neintes da~selbe ist, so kann dann das Meinende nicht Mensch :ein, da vielmehr das Gemeinte Mensch ist. Und wenn jedes durch :eine Beziehung zum Meinenden ist, so müßte das Meinende zu !er Art nach unendlich vielen Dingen in Beziehung stehen. (4.) So viel nun darüber, daß der Satz der sicherste unter allen 15 st, so wie über die Folgerungen, in welche sich die Gegner des;elben verwickeln. und die Ursachen ihres Widerspruchs.
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Da nun aber unmöglich der Widerspruch zugleich von demselben Gegenstande mit Wahrheit ausgesagt werden kann, so kann offenbar auch das Konträre (tanantia) nicht demselben Gegenstande zugleich zukommen. Denn von den beiden Gliedern eines konträren Gegensatzes ist das eine nicht minder Privation, Privation der Wesenheit; Privation aber ist die über eine bestimmte Gattung ausgesprochene Negation. Ist es nun unmöglich, etwas in Wahrheit zugleich zu bejahen und zu verneinen, so ist es ebenso unmöglich, daß das Konträre demselben zugleich zukomme, sondern entweder beides nur in gewisser Beschränkung oder das eine schlechthin, das andere in gewisser Beschränkung.
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DAS PRINZIP DES AUSGESCHLOSSENEN DRITTEN
1. Aufstellung des Prinzips. - 2. Wie man zur Leugnung dieses Prinzips kommen kann. - 3· Ausgangspunkt für die Widerlegung dieser Leugnung.
(1.) Ebensowenig aber kann zwischen den beiden Gliedern des Widerspruchs etwas mitten inne (metaxy) liegen, sondern man muß notwendig jedes von jedem entweder bejahen (phanai) oder 25 verneinen (apophanai). Dies erhellt zuerst aus der Bestimmung der Begriffe wahr (alethes) und falsch (pseudos). Zu sagen namlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-seiende sei nicht, ist wahr. Wer also ein Sein oder ein Nicht-sein prädiziert, muß Wahres oder Falsches aussprechen. Man sagt aber von dem Seienden nicht, es sei nicht oder es sei, und ebensowenig von dem Nicht-wrienden. - Ferner, das Mittlere zwischen den beiden Glie30 dern des Widerspruchs wird entweder in der Weise Mittleres sein, wie grau zwischen weiß und schwarz, oder wie dasjenige, was weder Mensch noch Pferd ist, zwischen Mensch und Pferd. Ist es in dem letzteren Sinne Mittleres, so würde bei ihm keine Veränderung statthaben (denn es verändert sich ja etwas aus dem Nichtguten zum Guten oder aus diesem zum Nicht-guten); nun zeigt sich aber immer, daß diese statthat, indem sich Veränderung (metabole) nicht anders findet denn als Obergang in das Entgegen35 gesetzte oder das Mittlere. Ist es dagegen Mittleres im eigentlichen 10:12 a Sinne und verhält es sich so mit dem Widerspruche, so würde ja dann 1 ein Werden (genesis) stattfinden zum Weißen, und :1 (kai houtös he antiphC!sis; ele an tis). So nadt Alexander; vgl. Komm. 5.
2:13.
[Vgl. Ross o. c. I 285 zu :10:1:1 b 35·1
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doch nicht aus dem Nicht-weißen; während man doch sieht, daß dies nicht der Fall ist. - Ferner, alles was Gegenstand der Reflexion (dianoet6n) oder des Denkens (noet6n) ist, wird vom Denken bejaht oder verneint. Dies ergibt sich aus der Begriffsbestimmung darüber, wann das Denken in der Wahrheit sei und wann im Irrtum, nämlich wenn es so bejahend oder verneinend verbindet, ist es in der Wahrheit, wenn aber anders, im Irrtum.- Ferner müßte ein solches Mittleres, wenn man nicht eben bloß um 5 des Redens willen davon redet, neben allen Widersprüchen sich finden, woraus sich ergäbe, daß man auch weder die Wahrheit sagte, noch die Wahrheit nicht sagte. Ebenso müßte es auch zwischen dem Seienden und Nichtseienden ein Mittleres, und eine Veränderung außer dem Entstehen und Vergehen geben. - Ferner müßte es auch in den Gattungen des Seienden, in welchen die Negation zugleich den konträren Gegensatz mit sich bringt, ein Mittleres geben, z. B. bei den Zahlen müßte es solche geben, die 1o weder gerade noch ungerade wären; das ist aber unmöglich, wie sich aus der Begriffsbestimmung ergibt. - Ferner müßte dies ins Unendliche fortgehen, und man würde nicht nur das Anderthalbfache der seienden Dinge erhalten, sondern noch mehr. Denn man könnte ja wieder über das Mittlere zusammen mit der Bejahung und zusammen mit der Verneinung die Verneinung aussprechen, und dies würde selbst etwas sein, da seine Wesenheit eine von beiden verneinteil verschiedene wäre.- Ferner, wenn jemand auf die Frage, ob etwas weiß ist, mit nein antwortet, so hat er nichts 15 weiter abgesprochen 1 als das Sein; denn das Nicht-sein ist Verneinung. . (2.) Einige nun sind in diese Ansicht, so gut wie in andre paradoxe Ansichten, dadurch geraten, daß sie, unvermögend die Streitgründe zu widerlegen, denselben nachgaben und das Erschlossene als richtig anerkannten. Also aus diesem Grunde sind einige auf diese Ansicht gekommen, andere dadurch, daß sie für alles begründenden Beweis suchten. (3.) Bei allen diesen muß man in der 2.0 Widerlegung davon ausgehen, daß man etwas fest bestimmt. Diese Bestimmung (horism6s) ergibt sich daraus, daß sie ja notwendig etwas bezeichnen müßten; denn der Begriff (Iogos), dessen Zeichen (semeton) das Wort (6noma) ist, wird zur festen Bestimmung. Es scheint nun die Lehre des Herakleitos, welche alles sein und auch nicht sein läßt, alles für wahr zu erklären, die des Ana- 2.5 xagoras dagegen etwas Mittleres zwischen den Gliedern des Widerspruchs zu setzen, so daß alles falsch wird; denn wenn Gutes 1
cabgesprodten>. So nadt Alexander; vgl. Komm. S. 2.15.
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und Nicht-gutes gemischt wird, so ist die Mischung weder Gutes noch Nicht-gutes, so daß man nichts von ihr in Wahrheit aussagen kann. 8.
FOLGERUNGEN FÜR ZWEI ANDERE LEHREN
Aufstellung des Prinzips. - 2. Wie man zur Leugnung dieses Prinzips kommen kann. - 3· Ausgangspunkt für die Widerlegung dieser Leugnung. 1.
(1.) Nach diesen Bestimmungen ergibt sich, daß die Erklärungen 30 über wahr und falsch, welche sich auf einerlei Weise über alles er-
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strecken sollen, nicht statthaben können, wie einerseits die Lehre derer, welche behaupten, nichts sei wahr, sondern es könne sich mit allen Sätzen so verhalten wie mit dem, welcher die Quadratdiagonale für kommensurabel erklärt, und andererseits derer, welche sagen, alles sei wahr. (2.) Im ganzen fallen diese Lehren mit der des Herakleitos zusammen; denn wer behauptet, alles sei wahr und alles sei falsch, der spricht auch jeden von diesen beiden Sätzen abgesondert für sich aus; sind nun jene unmöglich, so kann auch dies unmöglich statthaben. - Ferner gibt es offenbar manche Widersprüche, in denen unmöglich beide Glieder zugleich wahr sein können. Aber ebensowenig können alle falsch sein, obwohl dies nach dem Gesagten noch eher möglich schiene. Gegen alle solche Behauptungen muß man, wie schon in den obigen Erörterungen gesagt ist, das Zugeständnis fordern, nicht daß etwas sei oder nicht sei, sondern daß man mit einem Worte etwas bezeichne; man muß also von einer Begriffsbestimmung ausgehend sich unterreden und zuerst festsetzen, was denn wahr oder falsch bedeute. Wenn nun aber wahr und falsch nichts anderes bedeutet als Bejahung oder Vemeinung 1 , so kann unmöglich alles falsch sein; denn notwendig muß das eine Glied des Widerspruchs wahr sein. - Ferner, wenn man.p.otwendig jedes bejahen oder verneinen muß, so kann unmöglich beides falsch sein; denn nur das eine Glied des Widerspruchs ist falsch. Alle solche Behauptungen geraten aber auch in die vielerwähnte Folgerung, daß sie sich selbst aufheben. Denn wer alles für wahr erklärt, ·der erklärt damit auch die der seinen entgegenstehende Behauptung für wahr, also seine eigne für falsch, da jene des Gegners seine eigne nicht für wahr erkennt; wer aber alles 1 B. liest: ei de meden allo ~ phanei to alethes ~ pseQd6s estin. [An-
ders J. und R., vgl. Ross o. c. I 289 zu 1012 b 9·1
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für falsch erklärt, der erklärt auch seine eigene Behauptung für falsch. Wollte aber der eine die Behauptung des Gegners ausnehmen, als ob diese allein nicht wahr sei, der andere seine eigne, als ob diese allein nicht falsch sei, so würden sie nidttsdestoweniger 20 dahin kommen, unendlich viele wahre und falsdte Behauptungen annehmen zu müssen. Denn auch die Behauptung, weldte erklärt, daß die wahre Behauptung wahr sei, würde selbst wahr sein, und dies würde ins Unendliche fortgehen. (3.) Offenbar ist die Lehre, daß alles ruhe, ebensowenig wahr, wie die andere, alles sei in Bewegung. Denn wenn alles ruht, so wäre immer dasselbe wahr und falsch, während sich dies doch 25 offenbar als der Veränderung unterworfen zeigt; der Sprechende selbst war ja einst nicht und wird wiederum nidtt sein. Ist dagegen alles in Bewegung, so würde nichts wahr sein; es wäre also alles falsdt, wovon die Unmöglichkeit schon erwiesen ist. Ferner muß, was sich verändert, ein Seiendes sein; denn die Veränderung geht aus etwas zu etwas. Aber es ist auch nicht möglich, daß alles nur zu Zeiten in Ruhe oder Bewegung sei und nichts für im- 30 mer; denn es gibt etwas, das immer das Bewegte bewegt, und das erste Bewegende (to proton kinoun) ist selbst unbewegt.
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FÜNFTES BUCH (Ll) DIE MEHRFACHE BEDEUTUNG PHILOSOPHISCHER BEGRIFFE
1. PRINZIP
(arthi)
t. Sieben Bedeutungen von Prinzip (a-g).- 2. Alle Ursachen (a!tia) sind Prinzipien.- 3· (a) Das allgemeine Merkmal (to koin6n) von Prinzip in allen sieben Bedeutungen. (b) Innewohnende (enhyparchousai) und äußere (ekt6s) Prinzipien.
(1. a) Prinzip wird erstens derjenige Teil einer Sache genannt, 35 von dem aus die Bewegung durch dieselbe anfängt; z. B. bei der
Linie und dem Weg ist von der einen Seite dies, von der entgea gengesetzten das andere Prinzip. (b) Ferner heißt Prinzip dasjenige, von dem aus etwasambesten entstehen (gtgnesthai) kann; beim Unterricht z. B. muß man oft nicht vom ersten und vom Prinzip der Sache ausgehen, sondern von wo aus man am leichtesten lernen kann. (c) Ferner heißt Prinzip der immanente Stoff (enhyparchön), von welchem die Entstehung ausgeht; z. B. wie bei dem Schiff der Kiel oder bei dem Haus der Grund Prinzip in 5 diesem Sinne ist, so nehmen bei den Tieren einige das Gehirn, andere das Herz, andere irgendeinen anderen Teil dafür. (d) Dann dasjenige dem Dinge nicht Inwohnende, von welchem die Entstehung anfängt und von welchem dem natürlichen Verlauf gemäß die Bewegung und Veränderung zuerst beginnt; so wird das Kind von Vater und Mutter, die Schlacht durch den Streit erzeugt. (e) 10 Ferner heißt Prinzip dasjenige, nach dessen Entschlusse (prohatresis) das Bewegte sich bewegt und das Veränderte sich verändert; in diesem Sinne wird es von den Magistraten in den Staaten und von den Regierungen der Herrscher, Könige und Tyrannen gebraucht. (f) Prinzipien heißen auch die Künste (technai) und unter ihnen am meisten diejenigen, trelche für andere Künste den Zwedc bestimmen. (g) Ferner dasjenige, wovon man in der Erkenntnis eines Gegenstandes ausgeht, denn auch dies wird Prinzip des Gegenstandes genannt; z. B. Prinzipien der Beweise sind 15 die Voraussetzungen. (2.) In gleich vielen Bedeutungen wird auch der Begriff Ursache (altion) gebraucht; denn alle Ursachen sind Prinzipien. (3. a) Allgemeines Merkmal von Prinzip in allen Bedeutungen ist, daß es ein erstes ist, von welchem das Sein oder die
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1013 b FÜNFTES BUCH • 2 93 Entstehung oder die Erkenntnis eines Dinges ausgeht; (b) die eine Art von diesen Prinzipien ist dem Dinge inwohnend, die andere außerhalb desselben. Darum ist sowohl die Natur Prinzip als auch das Element und das Denken und der Entschluß und die Wesenheit und der Zweck; denn bei vielen Dingen ist das Gute und das Schöne Prinzip des Erkennens und der Bewegung.
2. URSACHE
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(aition)
Die vier Bedeutungen von Ursadte. (a) Immanenter Stoff (ex hotl enhyparcnontos). (b) Form (eidos) und Musterbild (paradeigma). (c) Erster Anfang (arm~ prdte) der Veränderung oder Ruhe. (d) Der Zweck: das, um deswillen (hotl heneka) etwas gesdtieht.- 2. Folgerung aus der Mehrheit der Bedeutungen (a-c). 3· Die vier Arten (efde) von Ursamen (a-d).- 4· Dieversdtiedenen Weisen (tr6poi) dieser Arten, Ursadle zu sein (a-e). - 5· (a) Es sind sedtserlei Weisen. (b) Zugleimsein und Nidttzugleidtsein der Ursadle und des Verursadtten. 1.
(1.. a) Ursache 1 wird in einer Bedeutung der immanente Stoff genannt, aus welchem etwas wird; so ist das Erz der Bildsäule, das Silber der Schale Ursache und ebenso die allgemeineren Gattun- 25 genvon diesen; (b) in einer andern Bedeutung heißt Ursache die Form und das Musterbild - dies ist aber der Begriff des Wesenswas - und die allgemeineren Gattungen davon, z. B. Ursachen der Oktave das Verhältnis von zwei zu eins und allgemeiner die Zahl, und die in dem Begriff enthaltenen Bestandteile. (c) Ferner heißt Ursache dasjenige, von dem aus die Veränderung oder die Ruhe ihren ersten Anfang nimmt; so ist z. B. der Beratende Ur- 30 sache, oder der Vater Ursache des Kindes, und überhaupt das Hervorbringende Ursache des Hervorgebrachten, das Verändernde Ursache des Veränderten. (d) Ferner heißt etwas Ursache als Zweck, d. h. als dasjenige, um deswillen etwas geschieht; in diesem Sinne ist die Gesundheit Ursache des Spazierengehens. Denn auf die Frage, weshalb jemand spazierengeht, antworten wir: um gesund zu werden, und glauben mit dieser Antwort die Ursache angegeben zu haben. Dasselbe gilt von allem, was auf jemandes 35 Bewegung noch inmitten vor dem Eintreten des Zwecks geschieht, z. B. vor dem Gesundwerden die Abmagerung oder die· Reinigung 1013 b oder die ärztlichen Mittel oder Werkzeuge; dies alles nämlich geschieht um des Zweckes willen, es unterscheidet sich aber untereinander dadurch, daß einiges Werkzeug, anderes Werk ist. 1
Kap.
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findet sidt gleidtlautend bei Aristoteles in der Physik 113.
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FÜNFTES BUCH • 2 :10:1.3 b (2. a) In so vielen Bedeutungen wird ungefähr Ursache ge-
braucht; da aber Ursache in mehreren Bedeutungen ausgesagt 5 wird, so ergibt sich daraus, daß dasselbe Ding mehrere Ursachen
hat und zwar nicht in akzidentellem Sinne; z. B. von der Bildsäule ist sowohl die Bildnerkunst als das Erz Ursache, in keiner andern Beziehung, als insofern sie Bildsäule ist, aber nicht in derselben Weise, sondern das eine als Stoff (hyl€), das andere als Ursprung der Bewegung. (b) Manches ist auch Ursache von einander; das :10 Arbeiten z. B. ist Ursache des Wohlbefindens und dieses Ursache des Arbeitens, aber nicht in demselben Sinne, sondern das eine als Zweck, das andere als Anfang der Bewegung. (c) Ferner ist auch dasselbe zuweilen Ursache von Entgegengesetztem; denn wessen Anwesenheit Ursache von diesem bestimmten Ereignis ist, dessen Abwesenheit sehen wir zuweilen als Ursache des Gegenteils an; z. B. als Ursache des Schiffbruches die Abwesenheit des Steuermannes, dessen Anwesenheit Ursache der Erhaltung :15 des Schiffes war. Beides aber, die Anwesenheit wie deren Gegenteil, sind bewegende Ursachen. (3.) Alle bisher erwähnten Bedeutungen .von Ursache fallen aber unter vier Hauptklassen. (a) Denn die Sprachelemente sind für die Silben, und der Stoff für das daraus Gefertigte, und das Feuer, die Erde und alles dergleichen für die Körper, und die Teile 20 für das Ganze, und die Voraussetzungen für den Schluß Ursadten, insofern sie das sind, woraus etwas wird, und hierbei ist nun das eine Glied Ursache als das Substrat (hypokeimenon), z. B. die Teile, (b) das andere als das Wesenswat"(to ti en einai), nämlidt die Ganzheit und die Zusammensetzung und die Form. (c) Der Same aber und der Arzt und der Beratende und überhaupt das Hervorbringende, diese alle sind Ursache in dem Sinne, daß von ihnen der Anfarig der Bewegung oder der Ruhe ausgeht. (d) 25 Anderes endlich ist Ursache als der Zweck für c:las übrige und als das Gute; denn dasjenige, weswegen etwas geschieht, soll das Beste und der Zweck des übrigen sein; es mag hierbei gleidt gelten, ob wir es als das wirklich Gute oder als das scheinbar Gute bezeichnen. (4). Dies also sind die gesamten Arten von Ursachen; zahlreich sind die Weisen 1 , in denen der Ausdruck gebraucht wird, .30 doch lassen sidt auch diese unter wenige Hauptgesichtspunkte bringen. (a) Es wird nämlich Ursadte in versdtiedener Weise selbst bei dem Gleichartigen gebraucht, indem das eine verglichen mit dem anderen unmittelbarer (proterös) oder mittelba:1 B. hat <Modifikationen>; die Obers. von tr6poi als <Weisen•, wie sie auch sonst bei B. zu finden ist, liegt näher. (Hg.)
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rer (hysterös) Ursache ist; Ursache der Gesundheit z. B. ist sowohl der Arzt wie der Künstler, und Ursache der Oktave sowohl das Doppelte wie die Zahl, und so immer das umfassende Allgemeine von irgendeinem einzelnen, Individuellen. (b) Ferner gilt dasselbe von der akzidentellen Ursache (symbebek6s) und ihren höheren Gattungen; Ursache der Bildsäule z. B. ist in anderem Sinne Polykleitos, in anderem der Bildhauer, weil es nämlich ein 35 Akzidens des Bildhauers ist, daß er Polykleitos ist; aber auch das :10:14 a umfassende Allgemeine des Akzidens ist Ursache, z. B. der Mensch oder auch allgemein 'das lebende Wesen ist Ursache der Bildsäule, weil Polykleitos ein Mensch und der Mensch ein lebendes Wesen ist. Ferner ist unter den Akzidenzen selbst das eine im Vergleich mit dem andern näher und ferner, z. B. wenn man den Weißen 5 oder den Musikalischen Ursache der Bildsäule nennte und nicht nur den Polykleitos oder den Menschen. (c) Alles aber, sowohl was an sich als was in akzidentellem Sinne als Ursache bezeichnet wird, wird so genannt teils als dem Vermögen (dynamena), teils als der wirklichen Tätigkeit (energounta) nach Ursache; z. B. Ursache des Bauens ist der Baumeister oder der bauende Baumeister. - (d) Das gleiche wird auch von dem gelten, dessen Ursache die Ursachen sind, z. B. dieser bestimmten Bildsäule oder der Bild- :10 säule überhaupt oder allgemein des Abbildes, und dieses bestimmten Erzes oder des Erzes überhaupt oder allgemein des Stoffes, und so in gleicher Weise auch bei den Akzidenzen des Bewirkten. (e) Ferner wird auch das eine und das andere verbunden ausgesagt werden, z. B. wenn man nicht sagt Polykleitos oder Bild:15 hauer, sondern der Bildhauer Polykleitos. (5. a) Alle diese verschiedenen Bedeutungen von Ursache kommen jedoch auf sechs Arten zurück, deren jede eine zwiefache Weise 1 zuläßt; entweder nämlich das Einzelne selbst oder die höhere Gattung, verbunden untereinander oder selbständig und getrennt, wird als Ursache bezeichnet, und dieses alles findet entweder dem Vermögen oder der wirklichen Tätigkeit nach statt. (b) Auf diesem letzteren Gegensatze aber beruht der Unterschied, 20 daß das wirklich Tätige und die einzelne individuelle Ursache immer zugleich ist mit dem Gegenstande, auf welchen sie gerichtet ist, z. B. dieser bestimmte heilende mit diesem bestimmten Kranken, und dieser einzelne Bauende mit diesem einzelnen im Bau begriffenen Gegenstande; was aber nur dem Vermögen nach Ursache ist, das ist nicht immer mit seinem Gegenstande zugleich; 25 denn nicht zugleich vergeht das Haus und der Baumeister. :1
<Weise> statt <Modifikation>; s. Anm. S. 94· (Hg.)
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3·
ELEMENT
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(stoicheion)
:1. Begriffsbestimmung. Drei Beispiele (a-c). - 2. (a) Element im übertragenen Sinne. (b) Das Eins (tci hen) und der Punkt (stigmi) als Prinzipien. (c) Die Gattungen (gene) als Elemente. - 3· Das Gemeinsame in allen Bedeutungen von Element.
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(1.) Element wird dasjenige genannt, woraus als aus Immanentem, der Art nach nicht weiter in Verschiedenartiges teilbarem Grundbestandteil etwas zusammengesetzt ist; (a) Elemente der Sprache (phoni) z. B. nennt man dasjenige, woraus die Sprache zusammengesetzt ist und worin sie zerlegt wird als in die letzten Bestandteile, die sich nicht wieder in verschiedenartige Laute auflösen lassen, sondern, selbst wenn man sie teilte, gleichartige Teile ergeben, wie vom Wasser jeder Teil wieder Wasser ist, aber nicht so von der Silbe. (b) Auf gleiche Weise nennt man auch Elemente der Körper (s6mata) dasjenige, worin die Körper als in die letzten, nicht weiter in Verschiedenartiges auflösbare ,Bestandteile zerlegt werden; mag deren einer oder mögen ihrer mehrere sein, so nennt man sie Elemente. (c) In verwandter Weise spricht man vom Element der mathematischen Beweise und der Beweise (apodeixeis) überhaupt; denn die ersten ursprünglichen Beweise, welche in mehreren Beweisen wieder enthalten sind, werden Elemente der Beweise genannt; solcherlei Schlüsse sind die ersten, einfachen, aus clr!l. Gliedern durch einen Mittelbegriff gebildeten. (2. a) Hiervon überträgt man den Namen Element auch auf den Fall, daß etwas als ein einziges und kleines zu vielem brauchbar ist. Deshalb wird denn das Kleine, Einfache und Unteilbare Element genannt. (b) Daher ist es denn gekommen, daß man die allgemeinsten Dinge als Elemente betrachtet, weil jedes derselben als ein einziges und einfaches sich in vielen oder den meisten 1 findet; weshalb ja nach der Ansicht mancher auch das Eins und der Punkt }.'rinzipien sind. (c) Da nun die Gattungen allgemein sind und unteilbar (denn es gibt keine Definition (l6gos) von ihnen), so nennen manche die Gattungen (gene) Elemente, und zwar diese mehr als den Artunterschied, weil die Gattung allgemeiner ist; denn von wem der Artunterschied ausgesagt wird, dem kommt auch der Gattungs~ begriff notwendig zu, aber nicht jedem, dem der Gattungsbegriff :1 (e tois pleistois) nadtAlexander statt codermöglidtst vielen> (e h6~i pleistois). [Anders J. und R.]
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zukommt, auch der Artunterschied. (3.) Das Gemeinsame in allen Bedeutungen ist, daß Element eines jeden einen immanenten Grundbestandteil bezeichnet. 4·
NATUR
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(physis)
Die drei ersten Bedeutungen von Natur. - 2. Wadtsen (phyesthai), Zusammenwadtsen (symphysis), Berührung (haphe). - 3· Vierte Bedeutung: der Stoff, aus dem (ex hau) ein natürlidtes Ding ist oder wird. - 4· Fünfte Bedeutung: die Wesenheit (ousHI) der natürlidten Dinge. 5· Ergänzende Erörterung. (a) Bedeutung des (physei). (b) Natur als erster Stoff (pr6te hyle), Form (eidos) und Wesenheit (ousia). (c) Natur in übertragenem Sinne.- 6. Sdtlußfolgerung und Zusammenfassung. 1.
(1.) Natur heißt in einer Bedeutung die Entstehung des Wachsenden (phy6me11a) (gleichsam als wenn man das y in physis lang ausspräche), in einer andern der immanente Grundstoff, aus welchem das Wachsende erwächst; ferner dasjenige, wovon bei einem jeden natürlichen Dinge die Grundbewegung (klnesis pr6te) ausgeht, welche ihm selbst zukommt, insofern es das ist, was es ist. 20 (2.) Wachsen aber (oder natürliches Werden) schreibt man allem zu, was Vermehrung durch ein anderes dadurch erhält, daß es mit ihm in Berührung steht und zusammengewachsen oder angewachsen ist, wie die Embryonen. Das Zusammenwachsen ist aber verschieden von der Berührung; denn bei der letzteren braucht außer der Berührung nichts weiter vorhanden zu sein, bei dem Zusammengewachsenen aber ist etwas in beiden eins und dasselbe, welches bewirkt, daß sie, statt sich bloß zu berühren, zusam- 25 mengewachsen und eins sind, der Kontinuität und der Quantität, nicht aber der Qualität nach. (3.) Ferner wird Natur derjenige Stoff genannt, aus welchem als dem ersten ohne Umgestaltung und Veränderung aus seinem eigenen Vermögen eines von den natürlichen Dingen ist oder wird; z. B. als Natur der Bildsäule und der ehernen Geräte bezeichnet man das Erz, als Natur der 30 hölzernen das Holz, und auf gleiche Weise bei den übrigen; denn aus diesen besteht jedes einzelne, ohne daß der Grundstoff Veränderung erlitten hat; auf diese Weise nennt man auch die Elemente der natürlichen Dinge deren Natur, indem einige das Feuer, andere die Erde, die Luft, das Wasser oder etwas anderes der Art meinen, und entweder nur einiges von diesem oder alles. (4.) Ferner in einer andern Bedeutung heißt Natur die Wesenheit 35
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der natürlichen Dinge, z. B. wenn man die erste Zusammenseta zung Natur nennt, wie"' Empedokles sagt: Natur ist in keinem der Dinge, Sondern- Mischung allein und Trennung allein des Gemischten Gibt es; den Namen der Natur für dieses erfanden die Menschen.2
Daher sagen 'Wir auch von allem, was von Natur ist oder 'Wird, wenngleich das schon vorhanden ist, woraus es naturgemäß wird oder ist, daß es noch nicht seine Natur habe, wenn es nicht die 5 Form (etdos) und Gestalt (morphf) hat. (5. a) Von Natur also ist das aus beiden, Stoff und Form Bestehende, z. B. die Tiere und deren Teile; (b) Natur aber ist einerseits der erste Stoff (und auch dieser in doppelter Bedeutung, entweder der erste für dieses spezielle Ding oder im allgemeinen der erste, wie z. B. von Erzarbeiten in Beziehung auf sie selbst das Erz erster Stoff ist, im allgemeinen aber vielleicht das Wasser, wenn alles Schmelzbare Was10 ser ist), andererseits die Form und die Wesenheit; diese ist aber der Zweck des Werdens. (c) In übertragenem Sinne nennt man hiernach auch überhaupt jede Wesenheit Natur, weil die Natur eine Wesenheit ist. (6.) Nach dem Gesagten ist also Natur im ersten und eigentlichen Sinne die Wesenheit der Dinge, welche das Prinzip der Be15 wegung in sich selbst haben, insofern sie das sind, was sie sind; denn der Stoff wird Natur genannt, weil er diese aufzunehmen . fähig ist, das Werden und Wachsen darum, weil es Bewegungen sind, die von dieser ausgehn. Und Natur ist auch das Prinzip der Bewegung der natürlichen Dinge, den Dingen inwohnend entweder dem Vermögen (dynamei) oder der wirklichen Tätigkeit nach (entelecheiä).
5·
NOTWENDIG
(anankafon)
1. Die vier Bedeutungen. (a) Das Notwendige als Mitursa.dte (synaition) des Seins; (b) als Voraussetzung des Guten; (c) als das Erzwungene (biaion) und der Zwang (bia); (d) als das, was sich nicht anders verhalten kann (tci me ended!omenon allös ed!ein). - 2. (a) Auf die zuletzt genannte führen alle Bedeutungen zurüdc. (b) Die logisdte Notwendig-
1 <wie> (h6sper) statt des (e h6sper) der Hschn. [Anders und R.] " 2 Fr. 31 B 8 D./K.
J.
1015 b FÜNFTES BUOI ' 5 99 keit. - 3· Beim Ewigen (ta aldia) und Unveränderlidten (ta aklneta) gibt es keinen Zwang und keinen Gegensatz gegen die Natur (oude
para physin).
(1.. a) Notwendig nennt man dasjenige, ohne welches als Mitur- 20 sache es nicht möglich ist zu leben; so sind z. B. das Atmen und die Nahrung dem lebenden Wesert notwendig, denn es ist unmöglich, ohne diese zu sein. (b) Ferner heißt notwendig dasjenige, ohne welches das Gute nicht sein oder werden, oder man das übel nicht entfernen und sich davon befreien kann, wie es z. B. notwendig ist, die Arznei zu trinken, um nicht zu leiden, oder nach Aigina zu segeln, um sein Geld zu bekommen. (c) Ferner heißt notwen- 25 dig das Erzwungene und der Zwang, d. h. dasjenige, welches uns gegen unsere eigene Neigung und unseren Entschluß bindet und hemmt. Denn man nennt das Erzwungene notwendig, weshalb es auch schmerzlich ist, wie Euenos 1 sagt:
Denn Notwendigkeit ist stets ein betrübendes Ding. Und der Zwang ist eine Art Notwendigkeit, wie ja Sophokles 2 30 sagt: --Es nötigt mich der Zwang zu solcher Tat. Auch gilt die Notwendigkeit (ananke) für etwas Unerbittliches, und mit Recht; denn sie steht der Bewegung nach Vorsatz und überlegung entgegen. (d) Ferner sagen wir von dem, das sich nicht anders verhalten kann, es sei notwendig, daß es sich so verhalte. (2. a) Und auf diese Bedeutung von notwendig kommen 35 gewissermaßen alle anderen Bedeutungen desselben zurück; denn einmal von dem Erzwungenen sagt man, daß es notwendig dies 1015 b tun oder leiden müsse, in dem Falle, wenn es wegen des Zwingenden nicht seiner eigenen Neigung folgen kann, indem man als Notwendigkeit das ansieht, wodurch ihm unmöglich ist, sich anders zu verhalten; und dann bei den Mitursachen des Lebens und des Guten verhält es sich ebenso; denn wenn hier das Leben3, dort das Gute ohne gewisse Dinge nicht möglich ist, so sind diese 5 notwendig und diese Ursache eine Art von Notwendigkeit. (b) Zu dem Notwendigen gehört ferner auch der Beweis, weil etwas, wenn es schlechthin bewiesen ist, sich nicht anders verhalten kann; Ursachen aber dieser Notwendigkeit sind die ersten Vor1
Frag. 8 (Poetae lyrici graeci ed. Bergk).
2 Elektra V 256.
3 Von kai to elnai, (mousikon) mit Alexander <eins> (hen) ein. [Anders Ross.] 1
1016 a :FtlNFrES BUCH • 6 101 Sinne, gerecht nämlich und gebildet, weil es Akzidenzen sind an derselben einigen Wesenheit, gebildet und Koriskos, weil das eine ein Akzidens des anderen ist. Auf gleiche Weise ist gewissermaßen der gebildete Koriskos eins mit Koriskos, weil einer von den im Begriff enthaltenen Teilen ein Akzidens am anderen ist, nämlich gebildet am Koriskos, und der gebildete Koriskos eins mit dem gerechten Koriskos, weil der eine Teil von einem jeden von beiden Akzidens an einem und demselben ist. (b) Derselbe 25 Fall ist es auch, wenn man bei einer Gattung oder einer allgemeinen Benennung von Akzidens spricht, z. B. daß Mensch und gebildeter Mensch dasselbe sei; entweder nämlich ist dies der Fall, weil an Mensch als einer einzigen Wesenheit gebildet ein Akzidens ist, oder weil beides Akzidens ist an irgendeinem individuel- 30 len Dinge, z. B. an Koriskos. Indes ist dies beides nicht in demselben Sinne Akzidens, sondern das eine etwa als Gattung und der Wesenheit inwohnend, das andere als eine Beschaffenheit und Affektion der Wesenheit. (2.) Dies sind also alle die verschiedenen Weisen, in welchen etwas in akzidentellem Sinne als eins bezeichnet wird. (a) Von 35 dem aber, was an sich (kath' haut6) eins genannt wird, heißt einiges so, weil es ein Kontinuum (syneches) ist, z. B. das Bündel1o16 a durch das Band, das Holz durch den Leim, und so heißt die Linie, auch wenn sie gebrochen ist, aber dabei kontinuierlich, eins, wie ja auch ein jedes von den Gliedern, z. B. das Bein und der Arm. Von diesen selbst aber heißt in strengerem Sinne das eins, was von Natur, als das, was durch Kunst ein Kontinuum bildet. Kontinuum aber heißt dasjenige, dessen Bewegung an sich eine einzi- 5 ge ist und sich nicht anders verhalten kann; einzig aber ist die Bewegung, wenn sie untrennbar ist, untrennbar nämlich der Zeit nach. Kontinuum an sich ist dasjenige, was nicht bloß durch Berührung eins ist; denn nimmt man zwei einander berührende Holzstücke, so wird inan nicht sagen, das diese eins seien, weder ein Holz, noch ein Körper, noch sonst irgend ein Kontinuum. Das Kontinuierliche überhaupt wird eins genannt, wenn es auch ein 10 Gelenk hat, in strengerem Sinne aber das, welches kein Gelenk hat, z. B. das Schienbein und die Hüfte in strengerem Sinne als das Bein, weil die Bewegung des Beines nicht notwendig eine einzige sein muß. Ebenso ist die gerade Linie in vollerem Sinne eins als die gebrochene; die gebrochene, welche einen Winkel bildet, bezeichnen wir als nicht einzig und auch als einzig, weil es möglich ist, daß ihre Bewegung nicht zugleich stattfinde, und auch daß 15 sie zugleich stattfinde; die Bewegung der geraden Linie aber findet immer zugleich statt, und es ist nicht möglich, daß ein aus-
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gedehnter Teil derselben ruhe, während ein anderer sich bewegt, wie dies bei der gebrochenen der Fall sein kann. (b) Ferner wird in einem anderen Sinne etwas eins genannt, weil sein Substrat der Art nach unterschiedslos (adiaphoron) ist. Unterschiedslos heißt aber das, dessen Art für die sinnliche Wahrnehmung unteilbar (adihaireton) ist; unter Substrat aber ist entweder das nädtste oder das letzte und äußerste verstanden. Denn man bezeichnet einerseits den Wein als eins und das Wasser als eins, insofern jedes derselben der Art nadt unteilbar ist, und andrerseits nennt man alle Flüssigkeiten eins, z. B. 01, Wein und das Sdtmelzbare, weil das letzte Substrat für alle dasselbe ist; denn alle diese sind Wasser oder Luft. (c) Als eins bezeidtnet man auch diejenigen Dinge, deren Gattung (genos) dieselbe ist, aber sich durch die entgegengesetzten Artunterschiede unterscheidet. Auch diese alle werden eins genannt, weH die Gattung, welche den Artunterschieden zugrunde liegt, eine einzige ist (z. B. Pferd, Mensch und Hund sind eins, weil sie alle Tiere sind), und zwar auf eine ähnlidte Weise, wie im vorigen Falle der Stoff ein einziger war. In manchen Fällen nun werden diese auf solche Weise als eins bezeichnet, in andern nach der höheren Gattung als dasselbe 1 ; sofern es nämlich letzte Arten der Gattung sind, werden sie nach der übergeordneten Gattuii.g :1 als eins bezeichnet; z. B. das gleichseitige und gleichschenklige Dreieck sind eine und dieselbe Figur, da beide Dreiecke sind, als Dreiecke aber sind sie nicht eins und dasselbe. (d) Ferner wird eins alles dasjenige genannt, wobei der Begriff (l6gos) der das Wesenswas angibt, unteilbar ist in Vergleich mit einem anderen, welcher das Wesenswas (to ti en einai) der Sache ausdrückt (denn an und für sich ist jeder Begriff teilbar); so ist etwas, wenn es auch vermehrt ist und abnimmt, eins, weil sein Begriff ein einziger ist, wie etwa bei den Flächen trotz der Verschiedenheit der Größe der Artbegriff ein einziger ist. (e) überhaupt aber ist im vollsten Sinne dasjenige eins, bei welchem das das Wesenswas vorstellende Denken ein einziges ist und weder der Zeit noch dem Raume noch dem Begriffe nach eine Trennung zuläßt, und unter diesen wieder am meisten die Wesenheiten. (f) Denn überhaupt wird dasjenige, welches keine Trennung zuläßt, insofern es sie nicht zuläßt, eins genannt; z. B. wenn bei jemandem, insofern er Mensch ist, keine Trennung stattfindet, so ist er :1 J. und R.] 2 <der üb. Gattung. (to anotero) mit Alex. statt des <der üb. Gattungen. (ttl an.) der Hschn. [Anders J. Vgl. Ross o. c. zu 10:16 a 28.] (hö tauto legetai). [Nitht ganz so
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b
FÜNFTES BUCH • 6
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ein Mensch; wenn dagegen, insofern er ein lebendes Wesen ist, so ist er ein lebendes Wesen; wenn, insofern er Größe ist, so ist er eine Größe. Das meiste nun wird eins genannt, weil etwas anderes eins ist, welches es entweder bewirkt oder leidet oder hat, oder wozu es in einem Verhältnis steht;. im ursprünglichen und strengen Sinne aber ist dasjenige eins, dessen Wesenheit eine einzige ist. Einzig entweder der Kontinuität oder der Art oder dem Begriffe :10 nach; denn als Mehrheit zählen wir teils, was nicht ein Kontinuum bildet, teils, deren Art nicht eine, teils, deren Begriff nicht einer ist. (g) Ferner nennen wir einerseits jedes eins, wenn es ein Quantum und kontinuierlich ist, andererseits aber auch nicht, sofern es nicht ein Ganzes ist, d. h. sofern es nicht eine einzige Form hat; wir würden z. B. nicht auf gleiche Weise Einheit prädizieren, wenn wir die Teile des Schuhes irgendwie zusammengesetzt sehen, es :15 müßte denn sein um der Kontinuität willen, sondern vielmehr erst dann, wenn sie so zusammengesetzt sind, daß sie ein Schuh sind und bereits eine einzige Form haben. Darum ist auch die Kreislinie vor allen Linien eine einzige, weil sie ganz und vollständig ist. (3. a) Das Eins-sein (heni einai) ist Prinzip der Zahl für etwas sein; denn das erste Maß ist Prinzip; denn in jeder Gattung ist das, womit als erstem wir erkennen, das Maß derselben; so ist also das Eins Prinzip des Erkennbaren bei jedem Dinge. Nicht dasselbe ist aber in allen Gattungen das Eins; hier nämlich der ~o Viertelton, dort das Lautbare und Lautlose, ein anderes wieder bei der Schwere, ein anderes bei der Bewegung. überall aber ist das Eins entweder der Quantität oder der Form nach unteilbar. (b) Unter dem nun, was der Quantität nach und als Quantum unteilbar ist, heißt das, was in jeder Richtung unteilbar und zugleich ohne Lage ist, Einheit, das dagegen, was in jeder Richtung 25 unteilbar ist und eine Lage hat, Punkt, das in einer Richtung Teilbare Linie, das in zwei Richtungen Fläche, das in allen drei Richtungen der Quantität nach Teilbare Körper. Und umgekehrt ist das in zwei Richtungen Teilbare Fläche, das in einer Richtung Teilbare Linie, das in keiner Richtung der Quantität nach Teilbare Punkt und Einheit, nämlich ohne Lage Einheit, mit Lage Punkt. 30 ( c) Ferner ist einiges der Zahl nach Eins, anderes der Art, anderes dem Geschlecht, anderes der Analogie nach. Der Zahl nach nämlich das, dessen Stoff, der Art nach das, dessen Begriff einer ist, dem Geschlecht nach das, was derselben Form der Kategorie
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FÜNFrES BUCH ' 7
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a
angehört, der Analogie nach, was sich ebenso verhält wie ein an35 deres zu einem andem. Immer ist dabei mit dem Früheren das 1017
a Spätere mitgesetzt; z. B. was der Zahl nach Eins ist, das ist es auch der Art nach, aber was es der Art nach ist, das ist nicht auch alles der Zahl nach Eins; aber dem Geschlechte nach ist alles Eins, was es der Art nach ist, was aber dem Geschlechte nach, das ist nicht alles auch der Art nach, sondern der Analogie nach Eins, und was der Analogie nach Eins ist, das ist es nicht alles auch dem Geschlechte nach. (4.) Offenbar ist auch, daß viel (polla) in entgegengesetztem Sinne gebraucht werden wird wie Eins. Einiges nämlich wird als 5 vieles bezeichnet, weil es nicht stetig zusammenhängt, anderes, weil sein Stoff, der erste oder der letzte, der Art nach teilbar ist, anderes, weil die Begriffe, welche das Wesenswas angeben, mehrere sind. 7·
SEIN
(einai)
Sein im akzidentellen Sinne (katti symbebek6s). - 2. Die Weisen des Seins an sich (kath' haut6). - 3· Das Sein als Wahr(alethes)-Sein und das Nicht-Sein als Falsch(pseudos)-Sein. - 4· Sein als Wirklich-Sein (entelecheiä einai) und Möglich-Sein (dynamei einai).
1.
(1..) Das Sein wird teils in akzidentellem Sinne ausgesagt, teils an sich. In akzidentellem Sinne sagen wir z. B. «der Gerechte ist 10 gebildet», und «der M'ensch ist gebildet», und «ein Gebildeter ist ein Mensch» in ähnlicher Weise, wie wenn wir sagen «der Gebildete baut», weil es für den Baumeister ein Akzidens ist, gebildet, oder für den Gebildeten, Baumeister zu sein; denn «dies ist dies» bedeutet «dies ist ein Akzidens von diesem». Ebenso verhält es sich in den angeführten Fällen; denn wenn wir sagen «der Mensch ist gebildet» und «der Gebildete ist ein Mensch», oder 15 «der Weiße ist gebildet» oder «der Gebildete ist weiß», so geschieht dies in dem einen Falle, weil beides Akzidenzen desselben sind, in dem anderen weil das eine, das Prädikat, an dem anderen als seiendem Ayidens ist; im dritten Falle aber «der Gebildete ist ein Mensch», weil an diesem «gebildet» ein Akzidens ist; so sagt man auch, das Nichtweiße sei, weil jenes ist, wovon dies ein 20 Akzidens ist. Wem also in akzidentellem Sinne Sein zugeschrieben wird, bei dem geschieht es entweder, weil beides demselben Seienden zukommt, oder weil es jenem als Seienden zukommt, oder weil es selbst das Substrat ist für das, wovon es ausgesagt wird.
1.01.7 b
FÜNFrES BUCH • 8 1.05 (2.) Sein an sich sagt man in so vielen Bedeutungen, wie es Formen der Kategorien gibt; denn so vielfach diese ausgesagt werden, so viele Bedeutungen des Seins bezeichnen sie. Da nun die Kategorien teils ein Was bezeichnen, teils eine Qualität, teils eine Quantität, teils eine Relation, teils ein Tun oder Leiden, teils ein Wo, teils ein Wenn, so hat mit jeder derselben das Sein gleiche Bedeutung; denn es ist kein Unterschied, ob man sagt «der Mensch ist lebend» oder «der Mensch lebt», «der Mensch ist gehend oder schneidend» oder «der Mensch geht oder schneidet», und in ähnlicher Weise auch bei den übrigen. (J.) Ferner bezeichnet Sein (elnai) und Ist (esti), daß etwas wahr ist, Nicht-sein aber, daß etwas nicht wahr (alethes) ist, sondern falsch (pseudos), gleicherweise bei der Bejahung wie bei der Verneinung; z. B. «Sokrates ist gebildet» bedeutet, daß dies wahr ist, oder «Sokrates ist nichtweiß» ebenfalls, daß dies wahr ist; dagegen «es ist nicht die Diagonale rationah bezeichnet, daß dies falsch ist. (4.) Ferner bezeichnet Sein (einai) und Seiendes (6n) in diesen angeführten Fällen teils das Vermögen (dynamis), teils die Wirklichkeit (entelecheia). Denn «es ist sehend» sagen wir sowohl von dem dem Vermögen, als von dem der Wirklichkeit nach Sehenden; ebenso schreiben wir Wissen sowohl dem zu, der sich der Wissenschaft bedienen kann, wie dem, der sich ihrer bedient; und ruhend nennen wir sowohl das, was schon in Ruhe ist, als auch was ruhen kann. In gleicher Weise auch bei den Wesenheiten; denn wir sagen ja, der Hermes 'sei in dem Steine und die Hälfte der Linie in der Linie, und nennen Weizen.auch den noch nicht reifen. Wann aber etwas möglich ist, und wann noch nicht, das muß anderswo bestimmt werden.
8.
WESENHEIT
25
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35 1.01.7
5
(ousia)
Die Körper (s6mata).- 2. Die immante Ursadle des Seins (aition toll einai enhyparchon).- 3· Die begrenzenden und bestimmenden immanenten Teile eines Dinges.- 4· Das· Wesenswas (to t{ en einai).- 5· Die beiden Hauptbedeutungen des Begriffs der Wesenheit.
1..
(1.) Wesenheit heißen die einfachen Körper, z. B. Erde, Feuer, Wasser und was dergleichen mehr ist, und überhaupt die Körper und die aus ihnen bestehenden lebenden Wesen und die göttlichen Dinge, die Himmelskörper, und ihre Teile. Alles dies heißt Wesenheit, weil es nicht von einem Substrat ausgesagt wird, son-
10
b
1.06
FÜNFTES BUCH •
9
1.0:18
a
dem vielmehr das andere von ihm. - (2.) In einer andem Weise heißt Wesenheit, was immanent in solchen Dingen, welche nicht :15 von einem Substrat ausgesagt werden, wie z. B. die Seele in dem Tiere, Ursache des Seins für dieselben ist. (3.) Ferner heißen Wesenheit die Teile (m6ria), welche immanent in den Dingen clieser Art dieselben begrenzen und als dies bestimmte Etwas bezeichnen, mit deren Aufhebung das Ganze aufgehoben ist, wie z. B. 20 mit Aufhebung der Fläche der Körper, wie einige behaupten, und mit Aufhebung der Linie die Fläche aufgehoben ist; und überhaupt dieser Art scheint einigen die Zahl zu sein, weil nach ihrer Aufhebung nichts sei und sie alles begrenze. - (4.) Ferner wird auch das Wesenswas, dessen Begriff Wesensbestimmung ist, Wesenheit jedes Dinges genannt. (5.) Es ergibt sich also, daß man Wesenheit in zwei Bedeutungen gebraucht, einmal als das letzte Substrat, das nicht weiter von 25 einem anderen ausgesagt wird, dann als dasjenige, welches ein bestimmtes Seiendes und selbständig ist; solcherlei aber ist eines jeden Dinges Gestalt (morphe) und Form (eidos). 9·
IDENTITÄT
(to aut6),
ÄHNLICHKEIT
(to h6moion)
UND IHRE GEG"ENSÄTZE
Dasselbe (taut6) in akzidentellem Sinne (katti symbebek6s). 2. Dasselbe im eigentlidten Sinne (kath' haut6).- 3· Das Andere (to heteron). - 4· Das Versdtiedene (to diaphoron).- 5· Das Ähnlidte (to h6moion). - 6. Das Unähnlidte (to anh6moion). :1.
(1..) Als dasselbe bezeichnet man etwas einmal in akzidentellem Sinne; z. B. das Weiße und das Gebildete ist dasselbe, weil es Akzidens an demselben ist, und Mensch und gebildet, weil eines am andem Akzidens ist, und das Gebildete ist Mensch, weil jenes ein 30 Akzidens des Menschen ist. Mit jedem von diesen beiden ist dies (nämlich das Zusammengesetzte) und mit diesem wieder jedes von beiden dasselbe, mit dem gebildeten Menschen wird der Men«b und das Gebildete als dasselbe bezeichnet und ebenso mit diesem jenes. Daher wird auch dies alles nicht allgemein ausgesagt, indem es nicht wahr ist zu sagen, jeder Mensch und das Gebildete sei dasselbe; denn was einem Ding allgemein zukommt, 35 das kommt ihm an sich zu, die Akzidenzen aber kommen ihm 10:18 a nicht an sich zu, sondern werden nur von den Einzeldingen schlechthin ausgesagt. Denn Sokrates und der gebildete Sokrates scheint dasselbe zu sein, Sokrates aber läßt sich nicht von vie-
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a
FÜNFrES BUCH ' 10
107
len aussagen, und man sagt daher nidlt «jeder Sokrates» wie man sagt «jeder Mensm».- (2.) Einiges also wird in diesem Sinne dasselbe genannt, anderes an sim, wie es auch ebenso als eines bezeimnet wird; dasjenige nämlich heißt dasselbe, dessen Stoff 5 der Art oder der Zahl nach einer, und das, dessen Wesenheit eine ist. Offenbar ist also die Selbigkeit (taut6tes) eine Einheit (hen6tes) des Seins, entweder unter mehreren oder bei einem, wenn man es als eine Mehrheit ansieht, z. B. wenn man sagt, es sei etwas mit sid:t selbst dasselbe; denn man sieht es dann an, als seien es zwei. (J.) Als anderes bezeid:tnet man die Dinge, bei denen die For- 10 men oder der Stoff oder der Begriff der Wesenheit eine Mehrheit bilden, und überhaupt gebraucht man anderes im entgegengesetzten Sinne als dasselbe. (4.) Verschieden nennt man alles, was ein anderes ist, während es in einer Beziehung dasselbe ist, nur nicht der Zahl nach, sondern der Art oder dem Gesd:tlechte oder der Analogie nach. Ferner das, dessen Geschlecht ein anderes ist, und das Konträre und alles, dessen Anderes-sein in der Wesenheit liegt. (5.) Ahnlieh heißen die Dinge, welche in jeder Beziehung gleid:t 15 bestimmt sind, und die, welme mehr selbige als andere Bestimmtheiten haben, und die, deren Qualität eine ist; auch das nennt man einem anderen ähnlich, was mit ihm die meisten oder die bedeutendsten von den Gegensätzen gemein hat, in denen es sich verändern kann. (6.) In entgegengesetztem Sinne wie ähnlich gebraud:tt man
unähnlich. 10. ENTGEGENGESETZT
(antikeimenon)
1. Die Arten des Entgegengesetzten.- 2. Das Konträre (enantion).- .3· Mehrfad!e Bedeutung des Seibigen (tO aut6), des Anderen (to heteron), des Konträren (to enantion) und ähnlid!er Begriffe. - 4· Das der Art nad! (eidei) Andere und das der Art nad! Selbige (a, b).
(1..) Entgegengesetzt nennt man den Widersprum, das Konträre, 20 das Relative, Privation und Haben, und das Äußerste, woraus oder wozu etwas übergeht, das Entstehen und Vergehen; ferner wenn etwas nid:tt zugleich sich an demselben Ding finden kann, obwohl dies beide in sich aufzunehmen fähig ist, so nennt man jenes selbst oder das, woraus es ist, entgegengesetzt. So findet sich grau und weiß nid:tt an demselben Ding, und darum ist das entgegengesetzt, woraus diese sind. 25
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:10:18 b
JÖNFl'ES BUCH • :1:1
(2.) Konträr heißt einmal dasjenige dem Geschlechte nach (kata
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genas) Verschiedene, was sich nicht zugleich an demselben Ding finden kann, ferner was unter dem demselben Geschlechte Angehörigen sich am meisten unterscheidet, und was sim unter dem in demselben aufnehmenden Ding sich Findenden am meisten unterscheidet, und was sich unter dem demselben Vermögen Angehörigen am meisten unterscheidet, und das, dessen Unterschied der größte ist, schlechthin oder dem Geschlechte oder der Art nach. Das übrige wird konträr genannt, insofern es Konträres in den bezeidmeten Bedeutungen hat, oder solches aufnehmen kann, oder dasselbe hervorbringen oder erleiden kann, oder hervorbringt oder leidet, oder insofern es ein Aufgeben oder ein Annehmen, oder ein Haben oder eine Privation von Konträrem in diesem Sinne ist. (;.) Da aber Eins und Seiendes in mehrfacher Bedeutung gebraucht werden, so muß notwendig auch alles andere, was diesen gemäß ausgesagt wird, durch jene Verschiedenheit mit bestimmt sein, also auch das Selbige, das Andere und das Konträre; daher es denn in jeder Kategorie ein anderes sein muß. (4. a) Der Art nach anderes (hetera t6 etdei) nennt man das, was demselben Geschlechte angehörig nicht eines dem anderen untergeordnet ist, und was in demselben Geschlechte befindlich einen Unterschied an sich hat, und was in der Wesenheit den konträren Gegensatz hat. Ferner ist auch das Konträre gegeneinander anderes der Art nach, entweder alles Konträre oder das eigentlich so genannte, und alle letzten Arten eines Geschlechtes, deren Begriffe nicht dieselben sind; z. B. Mensch und Pferd sind dem Geschlecht nach unteübar, ihre Begriffe aber sind nicht dieselben. Auch das heißt der Art nach anderes, was in derselben Wesenheit befindlich einen Unterschied hat. (b) Der Art nach dasselbe (tauta t6 eidet) nennt man etwas in dem entgegengesetzten Sinne als das eben Aufgeführte.
..
11. FRÜHER
(pr6teron)
UND SPÄTER
(hysteron)
Früher ist das einem bestimmten Anfang Nähere (engyteron arches tin6s). (a) Früher dem Raume nach (kahl t6pon), (b) der Zeit nach (kahl chr6non), (c) der Bewegung nach (kata kinesin), (d) dem Vermögen nach (kata dynamin), (e) der Ordnung nach (kata taxin). - 2. Das für die Erkenntnis (gn6sei) Frühere. - 3· Früher sind die Bestimmtheiten (ta pathi) des Früheren. - 4· Früher der Natur und Wesenheit nach (kata physin kal ousfan).- 5· Vorrang dieser letzten Bedeutung.
:1.
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PÖNPTES BUCH ' 11
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(:r..) Als früher und später bezeichnet man, da es ein Erstes und einen Anfang in jedem Geschlechte geben muß, einiges in dem 10 Sinne, daß es einem bestimmtem Anfang näher ist, sei dies nun schlechthin und der Natur nach oder irgendwo oder von irgendwem so gesetzt. (a) So ist etwas dem Raume nach früher dadurch, daß es näher ist entweder einem von Natur bestimmten Orte, z. B. der Mitte oder dem Ende, oder einem zufälligen; das Entferntere aber ist später. (b) Anderes heißt der Zeit nach früher; näm- 15 lieh einiges, weil es entfernter von der Gegenwart ist, so das Vergangene: der troische Krieg ist früher als der persisthe, weil er weiter von der Gegenwart entfemt ist; anderes, weil es der Gegenwart näher ist, so das Zukünftige: die Nemeischen Spiele sind früher als die Pythischen, weil sie der Gegenwart näher sind, diese als Anfang und Erstes genommen. (c) Anderes ist der Bewegung nach früher; was nämlich dem ersten Bewegenden näher ist, 20 das ist früher, z. B. der Knabe früher als der Mann; denn auch dies ist schlechthin ein Anfang. (d) Anderes dem Vermögen nath. Was nämlich an Vermögen stärker ist und kräftiger, das ist früher; so ist aber das beschaffen, dessen Vorsatze das andere und spätere folgen muß, so daß es sith nicht bewegt, wenn jenes sich nicht bewegt, und sich bewegt, wenn jenes sich bewegt. Anfang ist hierbei der Vorsatz. (e) Anderes heißt so der Ordnung nach, 25 nämlich alles, was gegen ein bestimmtes Etwas in verhältnismäßigen Abständen entfernt ist, z. B. der Nebenmann ist früher als der dritte, die vorletzte Seite früher als die letzte; dort ist nämlich der Chorführer, hier die mittlere Seite Anfang. (:z.) In solcher Bedeutung also wird in diesen Fällen früher gebraucht, in einer andern heißt früher das, was für die Erkenntnis früher ist, als sei es früher schlechthin. Und hierbei wieder unterscheidet sich das dem Begriffe nach und das der sinnlichen Wahrnehmung nach Frühere. Dem Begriffe nach nämlich ist das Allgemeine früher, 30 der sinnlichen Wahrnehmung nach das Einzelne. Und dem Begriffe nach ist auch das Akzidens früher als das es in sich enthaltende Ganze, z. B. gebildet früher als gebildeter Mensch. Denn der Begriff kann als gesamter nicht bestehen, ohne den Teil; wiewohlgebildet nicht existieren kann, ohne daß jemand gebildet ist. (J.) Ferner nennt man früher die Bestimmtheiten des Früheren, z. B. Geradheit früher als Ebenheit; denn jenes ist eine Be- 35 stimmtheit der Linie an sich, dieses der Fläche. 1019 a (4.) In solchem Sinne also heißt dies früher und später, anderes heißt so der Natur und Wesenheit nach; früher nämlich heißt dann, was ohne anderes sein kann, während dies nicht ohne jenes; eine Unterscheidung, deren sich Platon bediente. Da nun das
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5 Sein in mehreren Bedeutungen gebraucht wird, so ist zuerst das
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Substrat früher, und deshalb ist die Wesenheit früher, ferner dqnn in anderer Weise das, was dem Vermögen oder der Wirklichkeit nach ist. Denn einiges ist dem Vermögen, anderes der Wirklichkeit nach früher; z. B. dem Vermögen nach ist die halbe Linie früher als die ganze, der Stoff früher als die Wesenheit, der Wirklichkeit nach aber später; denn erst durch Auflösung des Ganzen kann er in Wirklichkeit sein.- (5.) Gewissermaßen wird alles, was früher und später heißt, nach dieser Bedeutung so genannt; denn einiges kann der Entstehung nach ohne das andere sein, z. B. das Ganze ohne die Teile, anderes dem Vergehen nach, z. B. der Teil ohne das Ganze. Und ähnlich verhält es sich auch beim übrigen.
12. VERMÖGEN
(dynamis)
Die Hauptbedeutungen von Vermögen: (a) Prinzip der Bewegung (metabol~) in einem anderen (en heterö); (b) Prinzip der Veränderung von einem anderen (hyph' heterou); (c) Fähigkeit, etwas sdtön (kalOs) oder nadt Vorsatz (kattl. prohairesin) auszuführen; (d) Beschaffenheit (hexis), durch welche etwas weder Leiden noch Veränderung erfährt (apathes kai ametableton). - 2. Die Bedeutungen von vermögend (dynat6n) (a-e).- 3· Unvermögen (adynamia). - 4· Die Bedeutungen von unvermögend (adynaton).- 5· Zusammenfassung: der eigentliche Begriff von Vermögen. 1.
(kinesis) oder Veränderung
15 (1. a) Vermögen heißt einmal das Prinzip der Bewegung oder
20
Veränderung in einem andern oder insofern dies ein anderes ist; die Baukunst z. B. ist ein Vermögen, welches sich nicht in dem Gebauten findet; die Heilkunst dagegen, welche ebenfalls ein Vermögen ist, kann sich zwar wohl in dem Geheilten finden, aber nicht insofern er geheilt ist. (b) Einerseits also heißt Vermögen überhaupt das Prinzip der Veränderung oder Bewegung in einem anderen oder insofern dies ein anderes ist, andererseits das Prinzip der Veränderung von einem anderen oder insofern dies ein anderes ist. Denn wenn nach diesem Vermögen das Leidende etwas leidet, so sagen wir, es vermöge zu leiden, und zwar bald, wenn es irgendeine beliebige Affektion, bald nur, wenn es eine zum Besseren hinführende zu erleiden fähig ist. - ( c) Ferner heißt Vermögen die Fähigkeit, etwas schön oder naeh Vorsatz auszuführen; denn manchmal sagen wir von denen, welche zwar gehen oder sprechen können, aber nicht schön oder nicht ihrem
1019 b J'tlNFJ'ES BUCH ' 12 111 eigenen Vorhaben gemäß, sie vermögen nicht zu sprechen oder zu 25 gehen. In gleicher Weise auch bei dem Leiden.- (d) Ferner nennt man diejenigen Beschaffenheiten (h~xeis} Vermögen, durch welche etwas dem Leiden oder der Veränderung schlechthin enthoben ist oder sich nicht leicht zum Schlechteren bewegen läßt. Denn zerbrochen und zerrieben und gekrümmt und überhaupt vernichtet wird etwas nicht, insofern es Vermögen, sondern insofern es nicht Vermögen und vielmehr Mangel an etwas hat; für nicht un- 30 terworfen solchen Affektionen gilt das, was sie nur kaum und unmerklich erfährt zufolge eines Vermögens, weil es nämlich ein Vermögen und eine bestimmte Beschaffenheit hat. (2. a) Indem nun Vermögen in allen diesen Bedeutungen gebraumt wird, so wird auch vermögend in der einen Bedeutung das genannt werden, was das Prinzip ist der Bewegung oder Ver- 35 änderung (denn aum das Stillstand Bewirkende ist etwas Vermögendes} in einem andern oder insofern es ein anderes ist; (b) in einer anderen Bedeutung wird man etwas vermögend nennen, 1019 b wenn etwas anderes über es •elbst ein solches Vermögen hat; (c) in einer anderen, wenn es das Vermögen hat, in irgend etwas überzugehen, sei es zu einem schlechteren oder zu einem besseren. Denn auch das Vergehende ist, scheint es, vermögend zu vergehen, da es ja sonst nicht würde vergangen sein, wenn es unvermögend wäre; nun aber trägt es in sich eine gewisse Disposition und Ursache und ein Prinzip eines solchen Bestimmtwerdens. Bald 5 also scheint etwas durch ein Haben, bald durch eine Privation vermögend zu sein. Wenn nun auch die Privation gewissermaßen ein Haben ist, so würde alles durch ein Haben möglich sein, wo nicht, so kann man beides wenigstens mit gleichem Namen bezeichnen: dann ist etwas nicht nur dadurch vermögend, daß es ein Haben und ein Prinzip, sondern auch dadurch, daß es die Privation 10 hiervon in sich trägt, wenn es nämlich möglich ist eine Privation zu haben.1 (d) In einer anderen Bedeutung wieder heißt etwas vermögend, weil nichts anderes oder es, insofern es ein anderes ist, über es selbst das Vermögen und Prinzip der Vernichtung hat. (e) Ferner heißt dies alles vermögend entweder nur, weil es überhaupt werden oder nicht werden, oder weil es gut werden kann. Denn auch in dem Leblosen findet sich diese Art des Vermögens, z. B. in den Instrumenten; man sagt nämlich von der einen Leier, sie ver-
1 Die von B. cwegen noch nicht gehobener kritischer Schwierigkeiten» unübersetzt gelassene Stelle habe im übertragen, als wenn dastände: ei de m~, homönymös ge legoit' rm dynatOn, h6ste tß te echein hexin tina kai anMn esti dynaton, kai tß ktl. [Vgl. Ross o. c. I 321 zu 1019 b 8.]
11.2.
'FÜNFTES BUCH • 1.2.
10.2.oa
:15 möge zu tönen, von der andern, sie vermöge es nicht, wenn sie
nicht wohltönend ist.
.2.0
.2.5
.30
.35 :10.2.0 a
5
(3.) Unvermögen ist die Privation des Vermögens und die Aufhebung der eben bezeidmeten Art von Prinzip, entweder überhaupt oder bei dem, welches dasselbe der Natur gemäß hat, oder auch zu einer Zeit, wenn es dasselbe der Natur gemäß haben könnte; denn nicht in gleichem Sinne würden wir den Knaben und den Mann und den Verschnittenen unvermögend zur Zeugung nennen. Ferner ist jeder von beiden Arten des Vermögens eine Art des Unvermögens entgegengesetzt, sowohl der bloß bewegenden, als der gut bewegenden. (4.) Unvermögend wird also etwas einmal genannt nach dem Unvermögen in diesem Sinne, dann aber auch in anderer Bedeutung, wie man möglich und unmöglich einander entgegensetzt. Unmöglich nämlich ist das, dessen Gegenteil notwendig wahr ist; z~ B. daß die Diagonale kommensurabel sei, ist unmöglich, weil dieser Satz etwas Falsches ist, dessen Gegenteil nicht nur wahr, sondern notwendig wahr ist, nämlich der, daß die Diagonale inkommensurabel ist: daß sie kommensurabel sei, ist also nicht nur falsch, sondern notwendig falsch. Das Gegenteil hiervon, möglich, wird dem zugeschrieben, dessen Gegenteil nicht notwendig falsch ist; z. B. daß der Mensch sitze, ist möglich, denn das Nicht-sitzen ist nicht notwendig falsch. Möglich also bezeichnet in der einen Bedeutung, wie gesagt, daß etwas nicht notwendig falsch, in einer anderen, daß es wahr ist, in einer anderen wieder, daß es wahr sein kann. In übertragenem Sinne spricht man in der Geometrie von Vermögen oder Potenz. (5.) Diese Bedeutungen also von möglich hängen nicht von dem Begriff Vermögen ab. Was aber nach dem Vermögen als möglich oder vermögend bezeichnet wird, das heißt alles so durch seine Beziehung auf Vermögen in der ersten Bedeutung, d. h. Prinzip der Veränderung in einem 'anderen, oder insofern es ein anderes ist. Denn das übrige wird vermögend genannt, teils weil etwas anderes über es selbst ein solches Vermögen hat, teils weil es dies nicht hat, teils weil es dies auf eine bestimmte Weise hat. Ebenso verhält es sich auch mit den Bedeutungen von unmöglich oder unvermögend. Der eigentliche Begriff (kyrios h6ros) also von Vermögen in erster Bedeutung würde danach sein: Prinzip der Veränderung in einem anderen oder insofern es ein anderes ist.
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13. 1.
113
QUANTITÄT (pos6n)
Definition. Gattungen und Arten. -
2.
Quantität an sich (kath'
hauto). - 3· Quantität in akzidentellem Sinne (katti symbebekos). (1..) Quantität nennt man dasjenige, was in inwohnende zwei oder mehr Teile teilbar ist, deren jeder seiner Natur nach ein Eins und ein bestimmtes Etwas ist. Menge nun ist ein Quantum, wenn es zählbar, Größe, wenn es meßbar ist. Man nennt aber Menge, 10 was der Möglichkeit nach in Nicht-stetiges, Größe, was in Stetiges teilbar ist. Und unter den Größen ist die nam einer Richtung stetige Länge, die nam zwei Richtungen stetige Breite, die nach drei Rkhtungen Tiefe. Von diesen heißt die begrenzte Menge Zahl, die Länge Linie, die Breite Fläche, die Tiefe Körper.- (2.) Ferner wird einiges an sich Quantität genannt, anderes in akzidentellem Sin- 15 ne; z. B. die Linie ist ein Quantum an sich, das Gebildete (mousik6n) dagegen erst in akzidentellem Sinne. Unter dem, was an sich Quantum ist, ist es einiges der Wesenheit nach; z. B. die Linie ist ein Quantum, weil sich in dem Begriff, welcher angibt, was die Linie ist, die Quantität findet; anderes ist eine Bestimmtheit (path€) und ein Verhalten einer solchen Wesenheit, z. B. viel und 20 wenig, lang und kurz, breit und schmal, tief und flach, schwer und leimt und anderes der Art. Auch groß und klein l,Uld größer und kleiner, sowohl wenn dies an sich, als wenn es in Beziehung auf einander ausgesprochen wird, sind Bestimmtheiten an sich der Quantität; doch werden diese Nainen auch auf anderes übertra- 25 gen. - (3.) Von dem, was in akzidentellem Sinne Quantität genannt wird, heißt einiges so in der Weise, wie es von dem Gebildeten hieß, es sei ein· Quantum, und ebenso von dem Weißen, insofern nämlim das, woran sith dies vorfindet, ein Quantum ist; oder in der Bedeutung wie Bewegung und Zeit; denn auch diese werden als Quantitäten und als stetig bezeichnet, weil dasjenige 30 teilbar ist, dessen Bestimmtheiten sie sind. Ich meine hiermit nitht das, was bewegt wird, sondern um was es bewegt wurde; weil nämlich dieses ein Quantum ist, ist auch die Bewegung ein Quantum, und weil diese, darum aum die Zeit.
14.
QuALITÄT (poi6n)
Verschiedene Bedeutungen von Qualität: (a) als Untersmied der Wesenheit (diaphon:Z tes ousias), (b) bei den unbeweglichen (ta akineta) und mathematischen Dingen (ta mathematika), (c) als die Bestimmthei-
1.
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ten (pathe) der bewegten Wesenheiten (t6n kinoumenön ousi6n), (d) als Gutes (agath6n) und Sc:hlec:htes (kak6n).- 2. Zurüddührung dieser Bedeutungen auf eine: Der Unterschied der Wesenheit ist die Qualität im eigendic:hen Sinne.
(1.. a) Qualität heißt in der einen Bedeutung der Unterschied der Wesenheit; z. B. der Mensch ist ein Tier von bestimmter Qualität, weil er ein zweifüßiges, das Pferd, weil es ein vierfüßiges Tier ist, und der Kreis ist eine Figur von bestimmter Qualität, weil er eine 35 winkellose Figur ist; indem man hierbei den Unterschied in der 1020 b Wesenheit als Qualität bezeichnet. (b) In der einen Weise also nennt man Qualität den Unterschied der Wesenheit, in eine.r andem Bedeutung gebraucht man Qualität bei den unbeweglichen und mathematischen Dingen. So haben die Zahlen eine bestimmte Qualität, z. B. die zusammengesetzten und nicht nur in einer Rich5 tung fortlaufenden, sondern deren Nachbild Ebene und Körper ist, dies sind nämlich die aus ein- oder zweimaliger Multiplikation entstandenen; und überhaupt ist bei ihnen Qualität, was sich noch neben der Quantität in ihrer Wesenheit findet; denn Wesenheit einer jeden Zahl ist das, was sie einmal ist 1 , z. B. der Zahl sechs nicht das, was sie zwei- oder dreimal, sondern was sie einmal ist; denn sechs ist einmal sechs.- (c) Ferner heißen Qualitäten die Bestimmtheiten der bewegten Wesenheiten, z. B. Wärme 10 und Kälte, Weiße und Schwärze, Schwere und Leidttigkeit, und was noch sonst dieser Art, nadt welchem man, wenn es wedtselt, , den Körpern Qualitätsveränderung zuschreibt. - (d) Ferner bestimmt man Qualität nach Tugend (arete) und Schlechtigkeit (kakia) und überhaupt nach Schledttem und Gutem. (2.) Qualität würde demnach im ganzen in zwei Bedeutungen gebraucht, von denen die eine die eigentlidte ist. Erste Qualität 15 nämlich ist der Unterschied der Wesenheit. Hierzu gehört audt als eine besondere Art die Qualität, die sich in den Zahlen findet; denn auch sie ist ein Untersmied von Wesenheiten, aber nidtt von bewegten oder doch nidtt, insofern sie bewegt werden. Dann 20 sind Qualitäten die Affektionen des Bewegten, insofern es bewegt ist, und die Unterschiede der Bewegungen. Zu den Affektionen gehören auch Tugend und Schlechtigkeit, denn sie bezeichnen Unterschiede der Bewegung (klnesis) und der Tätigkeit (energeia), denen gemäß das in Bewegung Befindlidte gut oder schlecht etwas tut oder leidet; denn was auf diese bestimmte Weise bewegt zu 1 <was sie einmal ist> (hO hapax) für (tö hapax). [Anders Jaeger.]
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werden oder tätig zu sein vermag, ist gut, was dagegen auf diese und zwar die entgegengesetzte Weise, schlecht. Besonders bezeichnet gut und schlecht die Qualität bei den beseelten Wesen und unter diesen am meisten bei den nach Vorsatz handelnden.
25
1.5. DAs RELATIVE (pros ti) :1. Drei Klassen des Relativen. - 2. Erste Klasse. (a) Das Relative der Zahl nad! (kat' arithm6n) und seine Formen. (b) Völlig unbestimmte Zahlenverhältnisse. (c) Das Gleid!e (to ison), das Ähnlid!e (to h6moion) und das Selbige (taut6) als Zahlenverhältnisse. - 3· Zweite Klasse. (a) Vermögen (dynameis) oder Wirksamkeiten (energeiai) voraussetzende Verhältnisse. (b) Mandie dieser Verhältnisse werden nod! der Zeit nad! (katt'i chr6non) bestimmt. (c) Auf Privation beruhende (kattl steresin) Verhältnisse.- 4· Dritte Klasse. (a) Untersmiede der dritten zu den beiden vorangehenden Klassen. (b) Eigenart der dritten Klasse.- 5· Das Relative an sid! (kath' haut6).- 6. Das Relative im akzidentellen Sinne (kata symbebek6s).
(1..) Relativ nennt man einmal, was sich verhält wie das Doppelte zum Halben, das Dreifache zum Drittel und überhaupt das so Vielfache zu dem so vielten Teile und das übertreffende zum übertroffenen; ferner, was sich verhält wie das Erwärmende zum Erwärmten, das Schneidende zum Geschnittenen und überhaupt das Tätige zum Leidenden; dann, was sich verhält wie das Ge- 30 messen,e zum Maß, das Gewußte zur Wissenschaft, das sinnlich Wahrgenommene zur sinnlichen Wahrnehmung. (2. a) In dem ersten Falle nennt man etwas relativ der Zahl nach, entweder schlechthin oder in bestimmter Weise gegen einander oder gegen Eins; z. B. das Zweifache ist eine im Verhältnis zum Eins bestimmte Zahl, das Vielfache bezeichnet ebenfalls ein Zahlverhält- 35 nis zu einem, aber nicht einem bestimmten, z. B. dieser oder dieser Zahl; das Verhältnis von anderthalb zu zwei Drittel ist ein :102:1 a Zahlenverhältnis zu einer bestimmten Zahl, das Verhältnis eines unechten Bruches zu dem umgekehrten echten Bruche dagegen geht auf ein unbestimmtes, so wie das des Vielfachen zum Eins. (b) Das Verhältnis aber des übertreffenden zum übertroffenen ist der Zahl nach völlig unbestimmt; denn die Zahl ist kommensurabel, hierbei aber liegt eine ·inkommensurable Zahl zugrunde; 5 denn das übertreffende ist im Verhältnis .zum übertroffenen· ebensoviel und noch etwas dazu, dies Etwas aber ist unbestimmt; denn es kann jedes Beliebige sein, Gleiches oder Ungleiches. (c)
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Alle diese Relationen also sind Zahlenverhältnisse und Bestimmtheiten der Zahl, und so auch ferner noch in anderer Weise das 10 Gleiche und das Ähnliche und das Selbige; denn diese alle stehen in Beziehung zum Eins. Selbig nämlich ist, was eine Wesenheit, ähnlich, was eine Qualität, gleich, was eine Quantität hat. Nun ist aber das Eins Prinzip und Maß der Zahl, also werden auch diese Verhältnisse als solche bezeichnet wegen ihrer Beziehung auf die Zahl, aber nicht in derselben Weise. 15 (3. a) Das Tätige (poietika) und Leidende (pathetika) dagegen stehen in Verhältnis zueinander durch das tätige und leidende Vermögen und nach der Wirksamkeit dieser Vermögen; so steht z. B. das der Wärmeerzeugung Fähige zu dem Erwärmbaren in Verhältnis als vermögend und wiederum das Wärmende zu dem Gewärmten und das Schneidende zu dem Geschnittenen als wirklich tätig. Von den Zahlenverhältnissen dagegen gibt es keine 20 wirklidte Tätigkeit (energeia) außer in dem Sinne, wie dies anderswo erklärt ist; aber die auf Bewegung beruhende wirkliche Tätigkeit findet bei diesen nicht statt. (b) Mandte von den auf Vermögen beruhenden Verhältnissen werden auch noch den versrniedenen Zeiten nam bestimmt; z. B. das, was hervorgebracht hat, steht im Verhältnis zu dem, was hervorgebracht worden ist, und das, was hervorbringen wird, zu dem, was hervorgebracht werden wird. In diesem Sinne nennt man den Vater Vater des Sohnes; denn jener hat etwas hervorgebracht, dieser hat eine Tätigkeit erfahren.- (c) Ferner steht einiges im Verhältnis der Pri25 vation eines Vermögens, wie das Unvermögende und alles, was in diesem Sinne ausgesprochen wird, z. B. das Unsichtbare. (4. a) Dasjenige nun also, was der Zahl oder dem Vermögen nach als relativ bezeichnet wird, heißt so, weil sein eignes Wesen in der Beziehung zu einem andern besteht, aber nicht bloß darum, weil etwas anderes auf jenes bezogen wird; hingegen das Meßbare, das Wißbare, das Denkbare heißt relativ darum, weil etwas 30 anderes auf es selbst bezogen wird. (b) Denn denkbar heißt etwas, weil es ein Denken (dianoia) desselben gibt, aber es ist nidtt das Denken Denken dessen, worauf das Denken geht, sonst wäre dasselbe zweimal gesagt. Und ebenso ist das Sehen (6psis) Sehen 1021 b von etwas, aber nimt Sehen dessen, worauf das Sehen geht, wiewohl man dies in Wahrheit sagen könnte, sondern das Sehen ist auf eine Farbe oder etwas dergleimen gerichtet. In jener Weise aber wäre dasselbe zweimal gesagt, das Sehen sei das Sehen dessen, worauf das Sehen geht ~. 1
B. liest h6ti estin he 6psis hou estin 6psis. [Anders Ross]
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(5.) Was also an sich als relativ bezeichnet wird, das wird teils
in diesen Bedeutungen so genannt, teils wenn die Gattung, zu der es gehört, solcher Art ist; z. B. die Heilkunst gilt für etwas Relati- 5 ves, weil die Gattung derselben, die Wissenschaft, für etwas Relatives gilt. Ferner heißt alles das relativ, durch dessen Besitz etwas relativ ist; z. B. die Gleichheit ist etwas Relatives, weil das Gleiche relativ ist, und die Ähnlichkeit, weil das Ähnlkhe. (6.) In akzidentellem Sinne dagegen heißt z. B. der Mensch relativ, weil es ein Akzidens desselben ist, das Zweifache von einem anderen zu sein, und dies ein Relatives ist; oder das Weiße heißt :10 relativ, wenn weiß und doppelt Akzidenzen desselben Dinges sind.
1.6.
VOLLKOMMEN
(teleion)
Das, außerhalb dessen sidt nidtt ein einziger Teil (hen m6rion) finden läßt. - 2. Das, was nadt Tüdttigkeit und Gut-Sein (kat' aret~n kai to eil) nidtt übertroffen werden kann.- .3· Das, was einen guten Zwedt (telos) hat.- 4· Zusammenfassung.
:1.
(1.) Vollkommen nennt man einmal das, außerhalb dessen sich
auch nicht ein einziger Teil finden läßt; so ist z. B. die Zeit eines jeden Dinges vollkommen, außer welcher sich keine finden läßt, welche ein Teil dieser Zeit wäre. (2.) Ferner heißt vollkommen, was der Tüchtigkeit nach und im Guten in seinem Geschlecht nicht :15 übertroffen werden kann; vollkommen z. B. ist ein Arzt und vollkommen ein Flötenspieler, wenn ihnen nach der Art der ihnen eigentümlich~n Tüchtigkeit nichts fehlt. So gebrauchen wir es auch durch Übertragung von Schlechtem und nennen einen Sykophanten oder einen Dieb vollkommen; denn wir nennen sie ja auch gut, z. B. ein guter Dieb, ein guter Sykophant, und Tüchtigkeit 20 ist irgendeine Vollkommenheit (telefösis); denn jedes Ding und jede Wesenheit ist dann vollkommen, wenn ihr nach der Art der ihr eigentümlichen Tüchtigkeit nichts zu der natürlichen Größe mangelt.- (3.) Ferner heißt das vollkommen, was einen guten Zweck hat. Denn durch das Besitzen eines Zieles ist etwas vollkommen x. Daher übertragen wir, da das Ziel ein Äußerstes 25 ist, vollkommen auch auf das Schlechte und sagen, daß etwas vollkommen untergegangen oder vollkommen vernichtet sei, wenn an seiner Vernichtung und seinem übel nichts mehr fehlt, sondern es am Äußersten ist (weshalb man denn auch in über:1
kata gar to timein
to telos teleia. «Unübersetzbar!» Bonitz.
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tragenem Sinne das Ende Ziel nennt, weil beides ein Äußerstes ist); Ziel aber ist auch der letzte Zweck . .30 ( 4·) Was also an sich als vollkommen bezeichnet wird, das wird in diesen Bedeutungen so genannt, teils weil es im Guten keinen Mangel hat und nicht übertroffen werden kann und nichts außerhalb desselben zu finden ist, teils weil es überhaupt in der jedes1022 a maligen Art nicht übertroffen werden kann und nichts außerhalb desselben ist; was aber sonst vollkommen heißt, das wird nunmehr so genannt mit Beziehung auf das Gesagte, weil es entweder etwas der Art hervorbringt oder hat oder dazu stimmt oder in Irgendeiner Beziehung zu dem steht, was im ursprünglichen Sinne vollkommen genannt wird.
17. GRENZE 1.
(peras)
Vier Bedeutungen von Grenze (a-- einen Begriff und eine Wesensbestimmung geben, aber in anderer Weise von dem Weißen und von der Wesenheit.
5·
GIBT ES EINE WESENSBESTIMMUNG
(horism6s)
FÜR DIE DURCH VERBINDUNG ENTSTEHENDEN
D IN G E (ta syndedyasmena) 7 Erste Sdtwierigkeit (aporia): Den Begriff (Iogos) von soldien Dingen müßte man durdt Hinzufügung (ek prostheseös) erklären (de!olln).- 2. Zweite Sdtwierigkeit. - 3· (a) Sdtledtthinnige (haplos) Wesensbestimmung gibt es nur von der Wesenheit (ousia). (b) Mehrere Bedeutungen von Wesensbestimmung und Wesenswas. 1,
(1..) Wenn man den durch Hinzufügung von Merkmalen (pr6sthesis) entstehenden Begriff nicht für Wesensbestimmung anerkennen will, so entsteht die schwierige Frage, für welche unter den nicht einfachen, sondern durch Verbindung entstehenden Dingen eine Wesensbestimmung stattfinden solle. Denn durch Hinzufügung von Merkmalen muß man notwendig den Begriff
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derselben erklären. Ich meine z. B., es existiert Auge und Schiefheit, und Scheelheit als das aus beiden Zusammengesetzte, indem das eine an dem anderen ist. Und zwar ist nicht in akzidenteller Weise die Schiefheit oder die Scheelheit Affektion des Auges, son20 dem an sich, auch nicht so, wie das Weiße am Kailias oder am Menschen, weil Kailias weiß ist, ·dessen Akzidens es ist, ein Mensch zu sein, sondern wie das Männliche am Tier und das Gleiche an der Quantität und alles, von dem man sagt, daß es ei. nem anderen an sich zukomme. Darunter versteht man nämlich alles dasjenige, in welchem der Begriff oder der Name dessen, an welchem es eine Affektion ist, enthalten ist, und was man nicht 25 abgetrennt davon erklären kann, wie man wohl das Weiße erklären kann ohne den Menschen, aber nicht das Weibliche ohne das Tier. Von diesen hat also entweder keins ein Wesenswas und eine Wesensbestimmung, oder es hat dieselben auf andere Weise, wie wir erörtert haben. (2.) In Beziehung hierauf entsteht ·auch noch eine andere Schwierigkeit. Wenn nämlich scheeles Auge und schiefes Auge ein und dasselbe ist, so müßte ja auch scheel und schief einerlei .30 sein. Ist dies aber nicht der Fall, weil man ja scheel unmöglich denken kann ohne das hinzuzudenken, dessen Affektion an sich es ist (denn das Scheele ist Schiefheit am Auge), so darf man <scheeles Auge> entweder gar nicht sagen, oder es ist darin zweimal dasselbe gesagt, nämlich <schiefes Auge Auge>. Denn <scheeles Auge> ist soviel wie <schiefes Auge Auge>. Darum ist es unstatthaft, daß es von dergleichen ein Wesenswas geben sollte, weil ein .3.5 Fortschritt ins Unendliche eintreten würde; denn in dem scheelen Auge Auge würde wieder etwas anderes enthalten sein. 10.31 a (J. a) Es erhellt also, daß nur von der Wesenheit (ousia) eine Wesensbestimmung existiert. Denn soll auch für die übrigen Kategorien eine Wesensbestimmung sein, so müßte man dieselbe durch Hinzufügung erklären, z. B. für das Qualitative 1 und das Ungerade; denn dies läßt sich ebensowenig ohne die Zahl denken wie das Weibliche ohne das Tier. Mit dem Ausdruck aber meine ich solche Fälle, in welchen man zwei.5 mal dasselbe sagen muß, wie in den genannten. Ist dies aber wahr, so wird es auch für die Verbindung, z. B. ungerade Zahl, kein Wesenswas geben, sondern es verbirgt sich hier, daß die Begriffe nicht genau ausgesprochen werden. (b) Gibt es aber auch 1 Für (tou poiou) vermutet B. ,für das Gerade> (tou art{ou); vgl. Komm. S. .315. [Anders Jaeger. Ross bietet keine Alter-
native. Vgl. o. c. II 17.5 zu 10,31 a ,3.]
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hiervon Begriffe, so sind sie es entweder in anderer Weise, oder man muß, wie gesagt, erklären, daß Wesensbestimmung und Wesenswas in mehreren Bedeutungen gebraucht werden; wonach es dann in der einen Bedeutung nur von den Wesenheiten ein Wesenswas und eine Wesensbestimmung geben würde, in einer andem Bedeutung oder auch von den andem Kategorien. Hieraus ist also klar, daß die Wesensbestimmung der Begriff des Wesenswas ist, und das Wesenswas entweder allein oder vorzugsweise und zuerst und schlechthin für die Wesenheiten gegeben ist.
6.
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HERRSCHT IDENTITÄT ODER VERSCHIEDENHEIT ZWISCHEN DING UND WESENSWAS?
Ist jedes einzelne Ding (hekaston) mit seinem Wesenswas identisch (taut6n) oder von ihm verschieden (heteron)?- 2. Verschiedenheit bei dem nur akzidentell (kata symbebek6s) Geltenden. - .3· (a) Ist das an sich Seiende (ta kath' hauta) notwendig mit seinem Wesenswas iden-
:1.
tisch? Beispiel der Ideen. (b) Schlußfolgerung und kritische Bemerkung über die Ideen.- 4· (a) Die zweifache Bedeutung (ditton semainein) des Akzidens (symbebek6s) zeigt, daß hier Ding und Wesenswas nicht dasselbe sind. (b) Beim An-sich-Seienden sind Ding und Wesenswas notwendig identisch. (c) Aufhebung der sophistischen Einwände gegen diese These. (1.) Ob aber jedes einzelne Ding mit seinem Wesenswas identisch ist oder verschieden, muß untersucht werden, weil dies für die Untersuchung der Wesenheit förderlich ist; denn jedes einzelne Ding gilt für nichts anderes als für seine eigene Wesenheit, und das Wesenswas wird eben als die Wesenheit jedes einzelnen bezeichnet. (2.) Bei dem nun, was nur akzidentelle Geltung hat, würde man Ding und Wesenswas für verschieden halten, z. B. weißer Mensch für verschieden von weißer-Mensch-sein. Denn wäre dies dasselbe, so würde auch Mensch-sein und weißer-Mensch-sein dasselbe sein; denn Mensch und weißer Mensch ist ja, wie man sagt, dasselbe, also würde auch weißer-Mensch-sein und Menschsein dasselbe sein. Aber es folgt nicht mit Notwendigkeit, daß Ding und Wesenswas bei Akzidenzen dasselbe sei, denn in den Prämissen ist nicht auf gleiche Weise das Prädikat mit dem Subjekt identisch. Vielleicht würde man aber dafürhalten, es ergebe sich, daß die Prädikate identisch seien, wenn sie beide in den Prä-
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missen ein Akzidens des Subjektes sind, z. B. weiß-sein und gebildet-sein; aber das glaubt niemand. (3. a) Ist aber bei demjenigen, was als an sich seiend (kath' hauta) bezeichnet wird, notwendig das Ding und sein Wesenswas dasselbe? Z. B. wenn es gewisse Wesenheiten gibt, vor denen .30 nicht andere Wesenheiten und Naturen als frühere bestehen, in welcher Weise manche den Ideen (ideai) Sein zuschreiben? Denn wäre das Gute selbst und das Gut-sein, das Tier und das Tier10.31 b sein, das Seiende und das Seiende-sein verschieden, so würden andere Wesenheiten und Naturen und Ideen außer den behaupteten vorhanden sein, und diese würden frühere Wesenheiten sein, sofern ja das Wesenswas Wesenheit ist. Sind diese nun getrennt voneinander, so würde es von dem einen keine Wissenschaft (epistime) geben, und das andere würde nichts Seiendes sein (ich verstehe nämlich unter getrennt sein, wenn weder dem 5 Guten selbst das Gut-sein zukommt, noch diesem, daß es als Gutes existiert); denn Wissenschaft findet bei einem jeden Gegenstande dann statt, wenn wir sein Wesenswas erkannt haben. Wie es sich nun aber bei dem Guten verhält, so auf gleiche Weise bei allem anderen; wenn daher das Gut-sein nicht das Gute ist, so ist auch nicht das Seiende-sein das Seiende (6n), noch das Eins-sein das Eins, und auf gleiche Weise wird% überhaupt jedes Wesens10 was sein oder keines, so daß, wenn das Seiend.:.sein nicht Seiendes ist, auch kein anderes Wesenswas seiend ist. Ferner, wem das Gut-sein nicht zukommt, das ist nicht gut. (b) Also sind das Gute und Gut-sein, das Schöne und schön-sein notwendig ein und dasselbe und so alles, was nicht in Beziehung auf ein anderes ausgesagt wird, sondern an sich und unbedingt (kath' hauta kai prota). Denn es genügt schon, wenn dies stattfindet, mag es auch keine 15 Ideen geben; noch mehr aber wohl, wenn es Ideen gibt. Zugleich erhellt, daß sofern es Ideen gibt in der Weise, wie einige behaupten, das Substrat nicht Wesenheit ist; denn diese müssen Wesenheiten sein, aber nicht in Beziehung auf ein Substrat, weil sie sonst nur durch Teilnehmung (methexis) an etwas anderem existieren würden. Wie nun aus diesen Gründen jedes einzelne Ding und sein Wesenswas eins und dasselbe ist, nicht bloß in akzidenzo teller Weise, so auch darum, weil ein Ding erkennen heißt sein Wesenswas erkennen. Also auch durch Induktion 2 muß sich beides als identisch erweisen. <wird sein> (estai) statt (estin). [Anders Ross.] z So übersetzte B. ekthesin nach Alexander. Anders im Komm. S. fg.: . 1
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(4. a) Bei dem aber, was nur als Akzidens (symbebek6s) aus-
gesagt wird, z. B. gebildet oder weiß, ist es nicht wahr zu sagen, daß das Ding selbst und das Wesenswas dasselbe sei, darum weil das Akzidens eine zweifache Bedeutung hat; denn weiß heißt so. wohl das, woran das Akzidens haftet, als auch dieses Akzidens 25 selbst. Also sind hier das Wesenswas und das Ding selbst in einer Hinsicht dasselbe, in der andem Hinsicht nicht dasselbe. Denn Mensch-sein und weißer-Mensch-sein ist dem Wesenswas nach nicht dasselbe, sondern nur der Affektion (pathos) nach ist es dasselbe. (b) Unstatthafte Folgerungen würden sich auch ergeben, wenn man für jedes einzelne Wesenswas einen besonderen Namen setzen wollte. Denn dann würde noch außer diesem ein anderes Wesenswas sein, z. B. für das Wesenswas des Pferdes wieder ein 30 anderes Wesenswas. Was hindert denn vielmehr, daß nicht unmittelbar und sogleich manches ein Wesenswas sei, da ja das Wesenswas Wesenheit ist? Ja sogar nicht nur eins ist es mit den an sich seienden Dingen, sondern auch ihr Begriff ist ~erselbe, 1032 a wie schon aus dem Gesagten erkennbar ist; denn nicht in der Weise des akzidentellen Seins sind Eins-sein und Eins identisch. Ferner,· wäre es ein anderes, so würde ein Fortschritt ins Unendliche entstehn; denn das eine wäre dann das Wesenswas des Eins, das andere das Eins selbst, daher dann von jenem wieder dasselbe gelten würde. (c) Daß nun bei demjenigen, was als ein Erstes und ein an sich 5 Seiendes bezeichnet wird, die Wesenheit des Einzelnen mit dem Einzelnen selbst ein und dasselbe ist, das ist offenbar. Die sophistischen Gegengründe aber gegen diese Behauptung werden offenbar durch dieselbe Lösung gehoben, und so auch die Frage, ob Sokrates und Sokrates-sein dasselbe ist. Denn es macht keinen Unterschied, welche Beispiele jemand zu seiner Frage oder zu 10 seiner Lösung wählt. Inwiefern also das Einzelne und sein Wesenswas dasselbe sind und inwiefern nicht, ist hiermit erklärt. 7·
DREI ARTEN DES WERDENS
Allem Werden (glgnesthai, genesis) zukommende Bestimmungen.Das natürlidte Werden (hai physikal geneseis).- 3. Das Werden durdt Kunst (tedme). (a) Vorbemerkungen. (b) Durdt Kunst entsteht das, wovon die Form (etdos) in der Seele ist. (c) Der Gang des Denkens bis zur Werktätigkeit (polesis). (d) Die Kunst ist die Wesenheit des Werkes, insofern sie es als Form hervorbringt. (e) Werden der Kunst aus Denken
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(noesis) und Werktätigkeit. - 4· Das spontane (apo tautomatou) Werden. - 5· Grund für die versmiedenen Namen des Gewordenen: das Werdende wird sowohl aus der Privation (steresis) wie aus dem Substrat (hypokeimenon).
(1..) Das Werdende (ta gign6mena) wird teils durdt Natur, teils durdt Kunst, teils von ungefähr. Alles Werdende aber wird durch etwas und aus etwas und etwas. Etwas aber meine ich nadt jeder 15 Kategorie; denn es wird entweder ein bestimmtes dies oder irgendwie beschaffen oder irgendwie groß oder irgendwo. (2.) Das natürliche Werden nun ist dasjenige, welches aus der Natur hervorgeht; dasjenige, woraus etwas wird, ist nach unserem Ausdruck der Stoff (hyle), .das, wodurch es wird, ist etwas von Natur Seiendes, dasjenige, was es wird, ist Mensch, Pflanze oder sonst etwas von dem, was wir im strengsten Sinne als Wesenheiten be:z;eichnen. Alles aber, was wird, sei es durch Natur, sei es durch 20 Kunst (techne), hat einen Stoff; denn ein jedes Werdende hat die Möglichkeit sowohl zu sein als auch nicht zu sein, und das ist in einem jeden der Stoff. überhaupt aber ist sowohl das, woraus etwas wird, wie das, wonadt es wird, Natur (denn das Werdende, z. B. Pflanze oder Tier, hat Natur) und ebenso auch das, wodurdt etwas wird, nämlidt die als formgebend bezeichnete gleidtartige 25 Wesenheit; diese aber ist in einem anderen. Denn ein Mensch erzeugt einen Menschen. So also wird durdt die Natur das Werdende. (3.-a) Die anderen Arten des Werdens heißen Werktätigkeiten (poiiseis). Alle Werktätigkeiten aber gehen entweder von der Kunst oder von dem Vermögen (dynamis) oder vom Denken (dianoia) aus. Manche darunter gesdtehen auf ähnliche Weise audt von ungefähr und durch Zufall (f!/che), so wie es auch bei dem natürlidt 30 Werdenden vorkommt; denn audt da gibt es einiges, welches ebensowohl aus Samen wie ohne Samen entsteht. Dieses nun haben wir später zu untersudten. (b) Durch Kunst aber entsteht 1032 b dasjenige, dessen Form in der Seele vorhanden ist. Form nenne ich das Wesenswas eines jeden Dinges und seine erste Wesenheit. Auch das Entgegengesetzte nämlich fällt gewissermaßen unter dieselbe Form; denn der Privation Wesenheit ist die entgegengesetzte Wesenheit; z. B. Gesundheit ist Wesenheit der Krankheit, denn durch Abwesenheit derselben wird die Krankheit erklärt. 5 Die Gesundheit aber ist der Begriff in der Seele und in der Wissenschaft. (c) Es entsteht nun das Gesunde durch folgenden Gang des Denkens. Da das und das Gesundheit ist, so muß, wenn dieses gesund werden soll, dieses bestimmte stattfinden, z. B. Gleich-
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maß. Soll aber dies stattfinden, so muß Wärme vorhanden sein. Und so schreitet man im Denken (noe!n) immer fort, bis man zuletzt zu dem hingeführt hat, was man selbst hervorbringen (poiein) kann. Dann wird nun die von hier ausgehende und zum Gesundmachen fortschreitende Bewegung Werktätigkeit genannt. 10 (d) Es ergibt sich also, daß gewissermaßen die Gesundheit aus der Gesundheit hervorgeht, und das Haus aus dem Hause, nämlich das Stoffliche aus dem Nichtstofflichen; denn die Heilkunst und die Baukunst ist die Form der Gesundheit und des Hauses, Wesenheit ohne Stoff aber nenne i~ das Wesenswas. (e) Das Werden und die Bewegung heißen teils Denken (n6e- 15 sis), teils Werktätigkeit (poiesis); nämlich die vom Prinzip und der Form ausgehende Bewegung Denken, dagegen diejenige; welche von dem ausgeht, was für das Denken das Letzte ist, heißt Werktätigkeit; dasselbe gilt auch von jedem anderen, das zwischen dem Anfangs- und Endpunkte liegt. Ich meine z. B. so: Wenn dieser gesund werden soll, so wird er in Gleichmaß kommen müssen. Was heißt nun in Gleichmaß kommen? Das und Das. Dies wird aber stattfinden, wenn er in Wärme kommt. Was heißt nun aber dies 7 Das und Das. Dies ist aber dem Vermögen 20 nach vorhanden, und dies steht bereits in unserer Gewalt. (4.) Das Werktätige nun und das, wovon die Bewegung des Gesundmachens ausgeht, ist, wenn es durch Kunst geschieht, die Form in der Seele (eidos en te psyche); geschieht es aber von ungefähr, so liegt der Ursprung der Bewegung in demjenigen, was bei dem der Kunst gemäß Werktätigen den Anfang der Tätigkeit 25 ausmacht; wie man beim Heilen den Anfang etwa mit dem Erwärmen und dies durch Reibung hervorbringt. Die Wärme nun in dem Körper ist entweder ein Teil der Gesundheit, oder es folgt ihr selbst unmittelbar oder durch mehrere Mittelglieder etwas der Art, was ein Teil der Gesundheit ist. Dieses Werktätige ist das äußerste und ist selbst gewissermaßen 1 ein Teil der Gesundheit; 30 ebenso sind es beim Hause z. B. die Steine und so bei allem andem. Es ist also, wie man gewöhnlich sagt, unmöglich, daß etwas werde, wenn nicht schon etwas vorher vorhanden war. Daß also ein Teil notwendig vorhanden sein muß, ist erkennbar;. denn der Stoff ist ein Teil, er ist in dem Werdenden vorhanden und er wird. Aber auch von dem im Begriff (l6gos) Enthaltenen muß et- 1033 a was vorher vorhanden sein. So geben wir bei den ehernen Krei1 <selbst gewissermaßen> (aut6 pös) statt (to houtös); vgl. Komm. 5. 323. [Andere Auffassungen bei J. und R. Vgl. Jaegers Ausg. 5. 141 u. Ross o. c. li 184 zu 1032 b 29.]
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sen auf beide Weisen an, was sie sind, sowohl indem wir den Stoff bezeichnen, daß es Erz ist, als auch die Form, daß es eine soh:he Figur ist, und dies ist die erste Gattung, in welcher es ge5 setzt wird. Der eherne Kreis enthält also in seinem Begriffe den Stoff. (5.) Einiges nun, was aus etwas als seinem Stoff wird, nennt man, wenn es geworden ist, nicht mit dem Namen des Stoffes selbst, sondern nur nach dem Namen desselben, z. B. die Bildsäule nicht Stein, sondern steinern. Hingegen der Mensch, der gesund wird, wird nicht als das bezeichnet, woraus er wird. Der Grund davon aber liegt darin, daß das Werdende sowohl aus der 10 Privation (steresis) wie aus dem Substrat (hypokeimenon) wird, welches wir Stoff nennen; z. B. sowohl der Mensdt wie der Kranke wird gesund. Indessen sagt man doch mehr, daß etwas aus der Privation wird, z. B. aus krank gesund, als aus Mensch. Darum nennt man nicht den Gesunden einen Kranken, wohl aber einen Menschen, und man nennt auch den Menschen gesund 1 • Wo aber die Privation undeutlich und unbenannt ist, wie z. B. beim Erz der Mangel irgendeiner Gestalt oder bei Backsteinen und Holz der 15 Mangel der Form des Hauses, da scheint das Werdende aus diesen hervorzugehn, wie dort der Gesunde aus dem Kranken. Wie also dort das Gewordene nicht den Namen dessen führt, woraus es geworden ist, so heißt auch hier die Bildsäule nidtt Holz, sondern mit einer Umbildung des Wortes hölzern, und ehern, aber nicht Erz, steinern, aber nicht Stein, und das Haus backsteinern, nicht 20 Backsteine. Denn wenn mim die Sache genau ins Auge faßt, so würde man nicht einmal schlechthin sagen können, daß die Bildsäule aus Holz oder das Haus aus Backsteinen wird; denn das Werdende muß werden, indem sich dabei dasjenige, woraus es wird, verändert, aber nidtt bleibt. Um deswillen drückt man sich so aus. 8.
fORM UND PROZESS DES WERDENS
Hervorbringung eines Einzeldinges (t6de ti). (a) Der Werktätige bringt die Form (etdos) ebensowenig hervor wie den Stoff (hyle). (b) Die Form und- das Wesenswas (to ti en einai) entstehen nic:ht. (c) Das aus Stoff und Form gewordene Ganze. - 2. Das Werden setzt keine Ideen außerhalb der Einzeldinge voraus. (a) Die Form bezeic:hnet eine Qualität (toi6nde), nic:ht ein bestimmtes Etwas (t6de kal hörismenon). (b) Die Erklärung des Entstehensund der Wesenheiten bedarf nic:ht der 1.
1 B. übersetzt: den Kranken gesund, wohl aber den Mensc:hen, indem man sagt gesunder Mensc:h. (Hg.)
SIEBENTES BUCH • 8 :1033 b Ideen als Ursache. - 3· Bei den natürlichen Dingen (en tols physikols) ist das Erzeugende (to genon) ein Ding von derselben Qualität (toiouton) wie das Erzeugte (to gen6menon). Das Problem der Individuation.
(1. a) Indem nun das Werdende durch etwas wird (darunter verstehe ich das, von dem der" Anfang des Werdens (genesis) ausgeht) und aus etwas (dies mag aber nicht die Formberaubung, sondern der Stoff sein; denn wir haben schon erklärt, wie wir dies meinen) und etwas wird (nämlim Kugel oder Kreis oder sonst anderes der Art), so macht der Werktätige sowenig wie den Stoff, das Erz, ebensowenig auch die Kugel, ausgenommen im akzidentellen Sinne, weil die eherne Kugel eine Kugel ist und er jene macht. Denn dies individuelle Etwas mamen heißt aus dem allgemeinen Subs.trat dies individuelle Etwas (t6de ti) hervorbringen. Ich meine, das Erz rund machen heißt nicht das Runde oder die Kugel machen, sondern etwas anderes, nämlich diese Form, in einem anderen hervorbringen. Denn wenn man auch diese, die Form, hervorbrächte, so müßte man sie aus einem anderen hervorbringen, denn dies war vorausgesetzt; z. B. man macht eine eherne Kugel so, daß man aus diesem, nämlich dem Erz, dies madtt, nämlidt die Kugel. Wenn man nun auch dies selbst wieder macht, so müßte man es offenbar auf dieselbe Weise mamen, und es würde so das Werden ins Unendliche fortsdtreiten. (b) Es ist also offenbar, daß die Form, oder wie man sonst die Gestaltung (morphe) des Sinnlimen nennen soll, nicht wird, und daß es keine Entstehung (genesis) derselben gibt, und daß ebensowenig das Wesenswas entsteht; denn dies, die Form, ist vielmehr dasjenige, was in einem andern wird, durch Kunst oder durch Natur oder durdt das Vermögen des Hervorbringens. (c) Wohl aber macht der Werktätige, daß die eherne Kugel ist, er madtt sie nämlidt aus Erz und Kugel; denn in dies einzelne bringt er die Form hinein, und das daraus Hervorgehende ist eherne Kugel. Sollte es aber für das Kugel-sein überhaupt eine Entstehung geben, so müßte etwas aus etwas werden;. denn alles, was entsteht, muß tellbar (dihairet6n) sein, und es muß das eine dies, das andere das sein, im meine das eine Stoff, das andere Form. Wenn nun Kugel die Figur ist, weldte vom Mittelpunkt aus nach allen Seiten gleiche Entfernung hat, so ist dabei eines dasjenige, an dem das wird, was der Werktätige hervorbringt, das andere das, was an jenem ist, das Ganze aber ist das Gewordene, z. B. die eherne Kugel. Aus dem Gesagten erhellt also, daß dasjenige, was wir als Form oder Wesenheit bezeichnen, nicht wird, wohl aber die nadt ihr benannte Vereinigung (synholos), und daß in jedem Werdenden
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ein Stoff vorhanden ist, und das eine dies, das andere das ist. (2. a) Gibt es nun eine Kugel außer den einzelnen Kugeln oder ein Haus außer den Steinen? Wenn es sich so verhielte, so würde nicht einmal ein einzelnes Etwas entstehen, vielmehr bezeichnet die Form eine Qualität, aber ist nicht ein Etwas und ein Bestimmtes, sondern man macht und erzeugt aus diesem Etwas ein so Beschaffenes, und wenn es erzeugt ist, so ist es ein so beschaffenes Etwas (t6de toi6nde). Dies ganze konkrete Etwas, Kailias oder Sokrates, ist nun wie diese einzelne bestimmte eherne Kugel, der Mensch aber und das Tier ist wie eherne Kugel im allgemeinen. (b) So ist denn offenbar, daß die ideelle Ursache (aitia ton eidon), wie manche die Ideen zu nennen pflegen, wenn es überhaupt Ideen an sich außer den Einzeldingen gibt, für das Entstehen und die Wesenheiten nichts nützt und daß die Ideen wenigstens nicli.t aus diesem Grunde selbständige Wesenheiten sein würden. (3.) Bei manchen nun ist es sogar einleuchtend, daß das Erzeugende zwar von derselben Qualität ist wie das Erzeugte, aber doch nicht dasselbe, und nicht eins mit ihm der Zahl, sondern nur der Form nach, z. B. bei den natürlichen Dingen; denn der Mensch erzeugt wieder einen Menschen, wofern nicht etwas gegen die Natur geschieht, wie wenn ein Pferd einen Maulesel erzeugt. Aber auch hierbei ist ein ähnliches Verhältnis. Denn dasjenige, was das Gemeinschaftliche für Pferd und Esel sein würde, dieses nächste Geschlecht, hat keinen Namen, es würde aber wohl beides enthalten, wie eben der Maulesel. Daher ist denn offenbar, daß es nicht nötig ist, eine Form als Urbild (paradeigma) aufzustellen (denn am meisten würde man ja in diesen Fällen es bedürfen; denn dies sind vorzugsweise Wesenheiten), sondern es genügt, daß das Erzeugende hervorbringe und Ursache der Form an der Materie sei. Das konkrete Ganze (hapan) nun, die so und so beschaffene Form in diesem Fleisch und diesen Knochen, ist Kailias und Sokrates. Und verschieden ist es durch den Stoff, denn dieser ist ein verschiedener, identisch durch die Form, denn die Form ist unteilbar (atomon). 9·
ENTSTEHEN AUS GLEICHNAMIGEM
Warum einiges sowohl durch Kunst (tedme) wie auch spontan (t~po tautomcltou) entsteht.- 2. Was durch Kunst entsteht, entsteht gewissermaßen aus Gleichnamigem (ex homönymou). (a) Die Ursache der Erzeugung (poiein) ist der erste wesentliche Teil (prdton kath' hauto meras) des Erzeugten. (b) Beispiel. (c) Beim Werden (genesis) ist wie bei
1.
1034 a SIEBENTES BUCH • 9 155 den Sd:tlüssen (syllogismoi) die Wesenheit (ousia) das Prinzip.- 3· Das natürlid:te Entstehen ist dem künstlid:ten ähnlid:t. (a) Der Same bringt in der Weise hervor wie der Künstler das Kunstwerk. (b) Das spontane Entstehen. - 4· Die Form entsteht weder bei der Wesenheit nod:t bei den anderen Kategorien.
(1.) Man könnte fragen, wie es kommt, daß einiges sowohl durch Kunst wie auch·von ungefähr entsteht, z. B. Gesundheit, anderes 10 nicht, z. B. ein Haus. Der Grund liegt darin, daß die Materie (hyle), wekhe beim Hervorbringen und Entstehen dessen, was durch Kunst entsteht, den Anfang des Entstehens bildet und in welcher ein Teil des Dinges selbst vorhanden ist, zum Teil so besmaffen ist, daß sie sim aus sich selbst bewegen kann, zum Teil nicht, und die erstere wieder zum Teil fähig ist, sich auf diese bestimmte Weise zu bewegen, zum Teil unfähig. Denn vieles ist 15 zwar einer Bewegung durm sich selbst fähig, aber nicht dieser bestimmten, z. B. des Tanzens. Wo nun also die Materie diese Beschaffenheit hat, wie z. B. die Steine, da ist es nicht möglich, daß es auf diese bestimmte Weise bewegt werde, außer durch ein anderes; auf eine andere Weise aber ist es allerdings möglich, daß es durch sich selbst bewegt werde; ebenso verhält es sich mit dem Feuer. Deshalb kann das eine nimt entstehen ohne einen Künstler, das andere aber kann ohne ihn entstehen; denn es wird durm solches bewegt werden, was zwar die Kunst nicht besitzt, aber 20 entweder selbst bewegt werden kann oder durch anderes, das ebenfalls die Kunst nimt besitzt, oder durch einen Teil. (2. a) Aus demGesagten ist aum klar, daß alles gewissermaßen aus Gleichnamigem entsteht, wie das, was durch die Natur entsteht, wie 1 z. B. das Haus aus einem Hause im Geiste des Künstlers 2 (denn die Kunst ist die Form) oder aus einem gleichnamigen} Teile oder aus etwas, das einen Teil enthält, falls es nimt akzi- 25 dentell entsteht. Denn die Ursache der Erzeugung ist der erste wesentliche Teil. (b) So ruft die in der Bewegung enthaltene Wärme Wärme im Körper hervor; diese aber ist entweder Gesundheit oder ein Teil von ihr, oder es folgt auf sie ein Teil der Gesundheit oder die Gesundheit selbst. Deshalb wird auch von der Wärme gesagt, sie erzeuge jene, wenn sie das erzeugt, worauf 1 centweder aus einem gleid:tnamigen Teile> (~ ek merous homönymou) mit Christ gestrid:ten. [Vgl. Ross o. c. II 191 f. zu 1034 a 21-26.] 2 ~ hypo nou sd:twerlid:t rid:ttig, darum freier übersetzt nad:t dem Zusammenhang. 3 cgleid:tnamigen> (homönymou) mit Christ eingesetzt nad:t dem synönymou Alexanders und nad:t 1034 a 23.
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30 die Gesundheit 1 folgt und wovon sie ein Akzidens ist. ( c) Es ist
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daher wie bei den Schlüssen das Prinzip von allem die Wesenheit; denn wie aus dem Was die Schlüsse abgeleitet werden, so hier die Entstehungen. (J. a) Auf ähnliche Weise verhält es sich auch mit dem durch die Natur Entstehenden. Denn der Same bringt in der Weise hervor wie der Künstler das Kunstwerk. Er hat nämlich die Form dem Vermögen nach in sich, und dasjenige, wovon der Same ausgeht, ist in gewisser Weise ein Gleichnamiges. Freilich darf man nicht verlangen, daß in allen Fällen etwas so entstehe, wie der Mensch aus dem Menschen (denn auch die Frau wird vom Manne erzeugt, und deshalb wird nicht der Maulesel vom Maulesel erzeugt), sondern dieser Akt der Erzeugung findet nur da statt, wo keine Abnormität ist. (b) Wo nun aber etwas von ungefähr (apo tautomatou) entsteht, da verhält es sich wie dort; es findet nämlich ein Entstehen von ungefähr' bei dem statt, dessen Stoff auch aus sich selbst dieselbe Bewegung empfangen kann, in welche der Same ihn setzt; alles dagegen, bei dem dies nicht der Fall ist, kann unmöglich auf eine andere Weise entstehen als aus dem Erzeugenden. (4.) Aber nicht nur in betreff der Wesenheit beweisen diese Gründe, daß die Form nicht entsteht, sondern sie gelten ebenso von allem, was ein Erstes ist, z. B. vom Quantitativen, Qualitativen und den übrigen Kategorien. Wie nämlich die eherne Kugel zwar entsteht, aber weder Kugel noch Erz, und ebenso beim Erz, wenn dies entsteht (immer nämlich muß der Stoff und die Form schon vorhanden sein), ebenso ist es beim Qualitativen und Quantitativen und in gleicher Weise bei den übrigen Kategorien. Denn es entsteht nicht das Qualitative, sondern Holz von solcher Qualität, und nicht das Quantitative, sondern Holz oder Tier von solcher Quantität. Als Eigentümlichkeit der Wesenheit mußman unter diesen herausheben, daß notwendig eine andere in Wirklichkeit existierende Wesenheit vorher vorhanden sein muß, welche sie hervorbringt; z. B. ein Tier, wenn ein Tier entsteht. Beim Qualitativen und Quantitativen ist nicht nötig, daß etwas in Wirklichkeit, sondern nur, daß es dem Vermögen nach vorher vorhanden sei.
1. t~n hygleian gestrichen und cdie Gesundheit> (he hygleia) für <Wärme> (thermotes) eingesetzt nach B. im Komm. S. 330. [Vgl. Ross o. c. II 1.92. zu 1.034 a 2.9 f.]
b :r.o.
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DAs VERHÄLTNis zwiSCHEN TEIL
GANZEM
(h6lon)
(meros) uND (horism6s)
IN DER W)'SENSBESTIMMUNG
I. Das Problem. :1. Muß der Begriff (Iogos) der Teile in dem des Ganzen enthalten sein?- 2. Was ist früher (proteron), die Teile oder das Ganze?- II. Erörterung der ersten Frage. :1. Die Teile der Wesenheit. Materie (hyle), Form (etdos) und das aus diesen gebildete Ganze (to ek toutön). Teile der Form und Teile des Ganzen.- 2. Antwort: Die Teile der Form sind im Begriff (Iogos) enthalten, die der Materie nicht. - 3· Begriffe, die nicht etw~ aus Stoff und Form Zusammengesetztes meinen, sondern nur die Formbestimmung enthalten. - III. Erörterung der zweiten Frage. :1. Die begrifflichen Teile (logou mere) sind früher, die stofflichen später als das Ganze.- 2. Beispiel: Seele (psycM), Leib (sßma) und das gesamte konkrete Tier (synholon zßon). (a) Die Seele, als die begriffliche Wesenheit (kata ton l6gon ousia) des Leibes, ist früher als das konkrete Tier. (b) Der Leib ist später als die Seele. (c) Die Teile des Leibes sind in gewissem Sinne früher als die konkrete Vereinigung (synholon), in gewissem Sinne nicht. (d) Manche Teile bestehen zugleich mit dem Ganzen. - 3· Das vom Einzelnen (hekasta) ausgesagte Allgemeine (katholou) ist nicht Wesenheit.- IV. Beantwortung des Gesamtproblems. :1. Teile gibt es vom Wesenswas (to ti en etnai), vom Zusammengesetzten (synholon), vom Stoff (hyle). - 2. Der Begriff (l6gos) trifft das Allgemeine, seine Teile sind solche der Formbestimmung (etdos).- 3· Von der konkreten Vereinigung (synholon) gibt es keinen Begriff. Sie wird nur im Akt des Denkens (meta notseös) oder der sinnlichen Wahrnehmung (meta aisthtseös) erkannt. - 4· Die Materie (hyle) ist an sich (kath' hauttn) unerkennbar (agnöstos). - V. Abschließende Zusammenfassung.
(I :r..) Da aber die Wesensbestimmung ein Begriff ist und jeder 20 Begriff Teile hat und der Teil des Begriffs zum Teil der Sache in dem gleichen Verhältnis steht wie der Begriff zur Sache, so entsteht nunmehr die Frage, ob der Begriff der Teile in dem Begriff des Ganzen enthalten sein muß oder nicht. Bei einigen nämlich ist er offenbar darin enthalten, bei anderen nicht. Denn der Begriff des Kreises enthält den der einzelnen Abschnitte nicht in 25 sich, wohl aber der Begriff der Silbe den der Sprachelemente, und doch wird ja ebensogut der Kreis in die Abschnitte zerlegt wie die Silbe in die Sprachelemente. (2.) Ferner, wenn die Teile früher sind als das Ganie, und von dem rechten Winkel der spitze, von dem Tier der Finger ein Teil ist, so würde der spitze Winkel früher sein als der rechte, und der Finger früher als der Mensch. Doch scheint vielmehr jenes früher zu sein; denn dem Begriff 30
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nach ist der spitze Winkel und der Finger abhängig von dem rechten Winkel und dem Tier, und auch darum sind diese früher, weil sie ohne jene sein können. (II 1..) Doch wird wohl Teil in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, von denen die eine ist, daß er das Maß der Quantität nach bezeichnet. Diese wollen wir aber jetzt beiseite setzen und vielmehr nur untersuchen, woraus :1035 a die Wesenheit (ousia) als ihren Teilen besteht. Wenn nun eines Materie (hyle) ist, ein anderes Form (eldos), ein anderes deren Vereinigung, und Wesenheit ~owohl die Materie ist wie die Form und die Verbindung beider, so kann in manchen Fällen die Materie Teil von etwas genannt werden, in anderen Fällen nicht, sondern nur dasjenige, woraus der Begriff der Form besteht. Von der Schiefheit z. B. ist das Auge kein Teil, denn es ist die 5 Materie, an welcher die Schiefheit vorkommt, wohl aber ist es ein Teil des Schielens. Und ebenso ist das Erz ein Teil der gesamten, konkreten Bildsäule, aber nicht ein Teil der Bildsäule, insofern unter dieser nur die Form verstanden ist. Denn man muß die Form und jedes Ding nach seiner Form bezeichnen, während das Materielle niemals an sich bezeichnet werden kann. (2.) Darum enthält der Begriff des Kreises den der Abschnitte nicht, wohl aber der Begriff der Sil:r:o be den der Sprachelemente; denn die Sprachelemente sind Teile des Begriffs der Form und nicht Stoff, die Abschnitte aber sind Teile in dem Sinne, wie sie der Stoff sind, an welchem die Form entsteht. Doch stehen auch sie der Form noch näher als das Erz für den Fall, daß die Rundung am Erze entsteht. In gewissem Sinne werden auch nicht alle Sprachelemente im Begriff der Silbe :15 enthalten sein, wie etwa diese bestimmten einzelnen im Wachs oder in der Luft; weil diese bereits ebenfalls als sinnlicher Stoff Teile der Silbe sind. So auch, wenn die Linie durch Teilung in die Hälfte, der Mensch durch Zerlegung in die Knochen und Sehnen und das Fleisch sich auflöst, so bestehen sie deshalb doch nicht aus diesen als aus Teilen der Wesenheit, sondern als aus dem Stoffe, und von der konkreten Vereinigung (synholon) sind sie 20 Teile, aber darum sind sie nicht Teile der Form und des im Begriff Enthaltenen; und deshalb finden sie sich auch nicht im Begriff. (3.) In einigen Begriffen also findet sich der Begriff solcher Teile, in anderen aber kann er sich nicht finden, wenn der Begriff nicht auf die mit der Materie zusammengefaßte Form geht. Darum besteht denn einiges aus demjenigen als aus seinem Prinzip, in das zerlegt es vergeht, anderes nicht. Was nämlich Zusammen25 fassung ist von Form und Stoff, wie das Scheele und der eherne Kreis, das vergeht durch Auflösung in diese Substrate, und der
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Stoff ist ein Teil von ihnen; was aber nicht mit der Materie zusammengefaßt ist, sondern ohne Materie besteht, und dessen Begriff nur die Formbestimmung enthält, das vergeht nicht, entweder überhaupt nicht oder doch nicht auf diese Weise. Bei jenen ist daher das zugrunde Liegende Prinzip und Teil, von der Form aber 30 ist dies weder Prinzip noch Teil. Und deshalb löst sich die irdene Bildsäule in Erde, die eherne 1 Kugel in Erz und Kailias in Fleisch und Knochen auf, und auf ähnliche Weise ferner der Kreis in die Kreisabschnitte, weil er etwas 2 mit der Materie Vereinigtes ist. Denn mit demselben Namen wird ja der Kreis seinem all- 1035 b gemeinen Begriff nach und der einzelne benannt, weil es für das Einzelne keine besonderen Namen gibt. (lll 1..) Hiermit ist allerdings schon die Wahrheit ausgesprochen, doch wollen wir, die Sache von neuem aufnehmend, uns noch deutlicher aussprechen. Diejenigen Teile, welche Teile des Begriffs. sind und in welche der Begriff zerlegt wird, diese sind früher, entweder alle oder einige. Der Begriff des rechten Winkels s wird aber nicht zerlegt in den des spitzen, sondern vielmehr der des spitzen in den des rechten; denn wer den spitzen Winkel definiert, gebraucht dabei den rechten Winkel; denn der spitze, definiert man, ist kleiner als der rechte. Ebenso verhalten sich Kreis und Halbkreis; denn der Halbkreis wird durch den Kreis definiert 10 und der Finger durch das Ganze des Körpers; denn als den so und so beschaffenenTeil des Menschen definiert man den Finger. Was also stofflicher Teil (mere hos hyle) eines Dinges ist und worin es als in den Stoff zerlegt wir.d, das ist später; was aber Teil des Begriffs (mere tou l6gou) ist und der begrifflichen Wesenheit, das ist, entweder alles oder doch einiges, früher. (2. a) Da nun aber die Seele der Tiere (denn sie ist die Wesenheit des Belebten) die begriffliche Wesenheit und die Form und das Wesens- 15 was für den so und so beschaffenen Leib ist (denn wenn man irgendeinen Teil recht definieren will, so kann man ihn nicht ohne Bezeichnung seiner Wirksamkeit definieren, und diese kann nicht stattfinden ohne Wahrnehmung), so werden die Teile derselben, entweder alle oder einige, früher sein als das gesamte, konkrete Tier, und dasselbe gilt auf gleiche Weise in jedem einzelnen Falle. (b) Der Leib aber und dessen Teile sind später als diese Wesenheit, 20 und in sie als in ihren Stoff wird nicht die Wesenheit, sondern die konkrete Vereinigung von Stoff und Form zerlegt. (c) Für die <eherne> (chalke) nadt Alexander eingesdtoben. «Die Lesart tis hos sehr zu beadtten.» B. Dann wäre zu übersetzen: <weil es einen Kreis gibt, der mit der Materie vereinigt ist.> · 1
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konkrete Vereinigung also .sind diese in gewissem Sinne früher, in gewissem auch wieder nicht; denn sie können nicht getrennt und selbständig bestehen. Denn nicht der Finger schlechthin, wie er auch beschaffen sein möge, ist ein Teil des Tieres, sopdern der 25 tote ist es nur dem Namen nach. (d) Manche Teile bestehen zugleich mit dem Ganzen, nämlich die charakteristischen (kyria), in welchen als dem ersten der Begriff und die Wesenheit sich zeigt, z. B. etwa das Herz oder das Gehirn; welches von beiden so beschaffen sei, ist gleichgültig. (J.) Der Mensch aber im allgemeinen und das Pferd und das übrige dieser Art, w~s zwar von dem Einzelnen, aber als allgemeines ausgesagt wird, ist nicht WesenJO heit, sondern etwas aus diesem bestimmten Begriff und diesem Stoff als allgemeinen Zusammengefaßtes. Das Einzelne aber, z. B. Sokrates, ist aus dem letzten Stoff; ebenso verhält es sich bei dem übrigen. (IV 1..) Teile gibt es also sowohl von der Formbestimmung (eidos) (unter Formbestimmung verstehe ich das Wesenswas) wie von dem aus Form und Stoff Zusammengesetzten wie von dem Stoff selbst. (2.) Aber Teile des Begriffes sind nur die Teile 1036 a der Formbestimmung, der Begriff aber trifft das Allgemeine; denn Kreis-sein und Kreis, Seele-sein und Seele ist dasselbe. (3.) Von der konkreten Vereinigung (synholon) aber, z. B. von diesem bestimmten einzelnen Kreis, sei es ein sinnlicher oder ein bloß gedachter (ich meine aber unter den bloß gedachten z. B. die mathematischen, unter den sinnlichen z. B. die ehernen und die höl5 zernen), von diesen gibt es keinen Begriff, sondern sie werden nur im Akt des Denkens oder der sinnlichen Wahrnehmung vorgestellt (gnörizesthazj. Ob sie aber, aus der Wirklichkeit heraustretend, überhaupt noch sind oder nicht sind, ist J;~.icht klar, sondern immer werden sie nur bezeichnet und vorgestellt durdt den allgemeinen Begriff. (4.) Die Materie aber ist an sidt unerkennbar. Sie ist aber teils eine sinnlidt wahrnehmbare, teils einedenk10 bare; sinnlich wahrnehmbar z. B. Erz und Holz und überhaupt alle bewegliche Materie, denkbar dagegen die in dem sinnlich Wahrnehmbaren vorhandene, aber nicht insofern es sinnlidt wahrnehmbar ist, wie dies z. B. bei den Gegenständen der Mathematik der Fall ist. Wie es sich also mit Ganzem und Teil, mit Früherem und Späterem verhält, ist hiermit erörtert. (V.) Wenn jemand fragen sollte, ob der rechte Winkel und der 15 Kreis und das lebende Wesen früher sind oder die Teile, in welche sie zerlegt werden und aus denen sie bestehen, so muß man auf diese Frage entgegnen, daß sie sich nicht einfach beantworten läßt. Denn wenn man unter Seele auch das beseelte lebende We-
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sen versteht oder unter Seele des Einzelnen das einzelne lebende Wesen, unter Kreis das Kreis-sein, unter rechter Winkel das Rechter-Winkel-sein und die Wesenheit des rechten Winkels, so muß man allerdings etwas Bestimmtes im Vergleich mit etwas Bestimmtern als später bezeichnen, z. B. im Vergleich mit den 20 Teilen im Begriff und des einzelnen rechten Winkels. Der mit dem Stoff verbundene nämlich, der eherne rechte Winkel, und der in den einzelnen Linien vorkommende ist dann später, der stofflose dagegen ist gegen die Teile im Begriff später, gegen die Teile im einzelnen früher. Einfach aber läßt sich nicht darauf antworten. Sind aber Seele und lebendes Wesen nicht dasselbe, sondern verschieden, so muß man auch dann, wie gesagt, einige 25 Teile als früher, andere als später bezeichnen.
11. WELCHE TEILE GEHÖREN DER FORMBESTIMMUNG
(eldos),
WELCHE DEM AUS STOFF UND FORM
VEREINIGTEN GANZEN
(syneilemmenon)
AN?
I. Die Frage. :r. Ihre Lösung ist notwendig für die Definition der Dinge. (a) Sie scheint sich dort von selbst zu lösen, wo dieselbe Form an verschiedenen Materien vorkommt; (b) sie stellt sich vor dem, was nie von einer bestimmten Materie getrennt zu finden ist. - 3· Diese Fälle veranlaßten (a) die Pythagoreer, alles auf Zahlen zurückzuführen, (b) die Platoniker, ähnliche Ansichten zu vertreten. (c) Unmögliche Folgerungen aus diesen Lehren. - II. Bean~ortung der Frage. :r. Man kann nicht alles von der Materie trennen und nur auf die Form zurückführen.- 2. Das Lebewesen ist nicht getrennt von seinen bestimmt beschaffenen (em6ntön pl1s) Teilen zu definieren.- 3· Definition bei Gegenständen der Mathematik (ta mathematika).- 4· (Fortsetzung von 2) Form, Stoff und Verbindung von beidem bei Allgemeinem (kath6lou) und Einzelnem (kath' hekaston). - 111. Ausbli (diheletn) für <wissen> ( eidenai) nadt Alexanders Erklärung; vgl. Komm. S. 345· [Andere Auffassungen bei J. und R.] ·
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vorhanden waren, und der befußten Tiere so viele Arten, wie Unterschiede waren. (e) Wenn dem nun so ist, so erhellt, daß der letzte Unterschied (teleutaia diaphora) die Wesenheit und die Wesensbestimmung der Sache sein muß, wofern man nicht in den Begriffen öfters 20 dasselbe sagen soll, was ja überflüssig ist. Und doch würde sich eine solche Wiederholung ergeben; denn wenn man sagt: befußtes zweifüßiges Tier, so sagt man nichts anderes als ein Tier, ,welches Füße hat und zwar zwei Füße, und teilt man hier wieder nach dem eigentümlichen Unterschied, so wird man öfter dasselbe sagen, so oftmal., als wie viele Unterschiede vorhanden sind. 25 Wofern man also den Unterschied selbst in seinen Unterschied teilt, so wird der eine und letzte Unterschied die Formbestimmung (eidos) und das Wesen (ousia) sein; wofern man dagegen nach akzidentellen Unterschieden einteilt, z. B. wenn man einteilt: Das Befußte ist teils schwarz, teils weiß, so werden so viele Unterschiede sein, wie Einteilungen vorgenommen sind. Offenbar also ist die Wesensbestimmung der aus den Unterschieden gebildete Begriff, und zwar bei richtiger Einteilung, der aus dem letzten dieser Unterschiede. {f) Dies würde sich deutlich zeigen, wenn 30 jemand solche Wesensbestimmungen umstellen wollte, z. B. die von Mensch, und sagte ein zweifüßiges, befußtes Tier; denn das ist dann überflüssig, da schon zweirußig angegeben ist. Eine Stellung aber und Ordnung findet in der Wesenheit nicht statt; denn wie sollte man denken, daß in ihr das eine früher, das andere später sei? Über die aus Einteilungen herVorgehenden Wesensbestimmungen und ihre Beschaffenheit mag zunächst soviel gesagt sein. 35 13. DAS ALLGEM,J:INE (to kath6lou) KANN NICHT WESENHEIT (ousia) SEIN
I. Schon behandelte Probleme; Fragestellung: Ist das Allgemeine Ursache (aition) und Prinzip (arc:he)? - II. Von dem allgemein Ausgesagten kann nichts Wesenheit sein. 1. Die Wesenheit jedes Einzelnen ist nur diesem eigentümlich. - 2. Wesenheit wird nicht vom .Substrat (hypokeimenon) ausgesagt, das Allgemeine immer von irgendeinem Substrat. - 3· Das Allgemeine kann nicht im Wesenswas (fö ti en elnai) enthalten sein (enhyparmein). (a) Vom Allgemeinen würde es sonst keinen Begriff (Iogos) geben. (b) Es würde Wesenheit dessen sein, in welchem es als eigentümlich angehörig vorkommt (en hO eidei hös idion hyparchei). (c) Die Wesenheit würde aus Qualitäten bestehen und die Quali-
:168 SIEBENTES BUCH ' :13 :1038 b tät (to poi6n) früher sein als die Wesenheit und das bestimmte Etwas (t6de). (d) Eine Wesenheit würde aus zwei Wesenheiten bestehen. (e) Nilhts von dem, was sich in dem Begriff einer Spezies findet, ist Wesenheit von irgend etwas.- 4· Schlußfolgerung.- 5· Ein weiteres Argument: (a) Eine Wesenheit kann nicht aus wirklich darin befindlichen Wesenheiten (ous{ai enhyparcnousai entelecnefä) bestehen, denn die Wirklichkeit trennt (cnör{zei). (b) Bestätigung: die Ansicht Demokrits. (c) Auch die Zahlen können nicht Zusammensetzungen wirklicher Einheiten sein.- 6. Sich ergebender Zweifel: Ist also jede Wesenheit etwas Nicht-Zusammengesetztes, so daß es auch keinen Begriff einer Wesenheit gibt?
b (I.) Da die Untersuchung von der Wesenheit handelt, so wollen 'wir wieder zurückgehen. Es wird nämlich als Wesenheit sowohl das Substrat bezeichnet und das Wesenswas und das aus beiden Hervorgehende wie auch das Allgemeine. Von jenen beiden ist nun schon gehandelt, nämlich vom Wesenswas und vom Substrat, 5 nämlich daß dieses auf zweierlei Weise Substrat ist, entweder indem es als individuelles Etwas, wie das Tier, den Affektionen oder als Stoff der Wirklichkeit zugrunde liegt. Nun sind auch manche der Ansicht, daß das Allgemeine vor allem Ursache (aition) und Prinzip (arche) sei; darum wollen wir auch dies näher untersuchen. (II.) Es scheint nämlich unmöglich zu sein, daß irgend etwas von dem, was als Allgemeines bezeichnet wird, Wesenheit sei. (1.) Denn die erste Wesenheit eines jeden Einzelnen :10 ist diesem Einzelnen eigentümlich und findet sich nicht noch in einem anderen, das Allgemeine aber ist mehreren gemeinsam; denn eben das heißt ja allgemein, was sich seiner Natur nach in mehreren findet. Wessen Wesenheit soll dies nun sein? Gewiß doch entweder aller oder keines. Daß es aller Wesenheit sei, ist unmöglich; ist es aber die Wesenheit von einem, so wird auch das andere dies sein~ Denn die Dinge, deren Wesenheit eine und de:15 renWesenswas eines ist, sind selbst eines.- (2.) Ferner, Wesenheit heißt das, was nicht von dem Substrat ausgesagt wird, das Allgemeine aber wird immer in Beziehung a~f irgendein Substrat (hypokeimenon) bezeichnet- (3. a) Doch vielleicht kann das Allgemeine nicht so beschaffen sein wie das Wesenswas, sondern findet sich in jenem, wie Tier in Mensch und Pferd. Nun, so wird es offenbar keinen Begriff desselben geben. (b) Doch es macht nicht einmal etwas aus, wenn es nicht von allem in der Wesenheit Vorkommenden einen Begriff gibt; denn um nichts weniger 20 wird es Wesenheit von etwas sein, wie der Mensch von dem einzelnen Menschen, in welchem er sich findet. Daraus würden sich
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a
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aber wieder dieselben Folgen ergeben; denn das Allgemeine, z. B. Tier, würde Wesenheit dessen sein', in welchem es als eigentümlich angehörig vorkommt. (c) Ferner ist es ja auch unmöglich und ungereimt, daß das individuelle Etwas und die Wesenheit, wenn es aus etwas besteht, nicht aus Wesenheiten und aus bestimmten Etwas, sondern aus Qualitäten bestehe; denn dann würde ja die 25 Nicht-wesenheit und die Qualität früher sein als die Wesenheit und das bestimmte Etwas. Das ist aber unmöglich; denn weder dem Begriff noch der Zeit noch der Entstehung nach können die Affektionen (pathi) früher sein als die Wesenheit; sie würden ja sonst selbständig abtrennbar sein. - (d) Ferner würde sich in der Wesenheit Sokrates eine Wesenheit befinden, und es würde also eine Wesenheit aus zwei Wesenheiten bestehen.- (e) überhaupt aber ergibt sich, wenn der Mensch und alles, was in dieser 30 Weise bezeichnet wird, Wesenheit ist, daß nichts von dem, was sich in dem Begriff findet, Wesenheit von irgend etwas ist, noch selbständig existiert an sich oder in etwas anderem als dem Individuellen; ich meine z. B., daß nicht ein Tier existiert außer den einzelnen, noch sonst etwas von dem, was nur im Begriff sich findet. - (4.) Wenn man aus diesen Gesichtspunkten die Sache er- 35 wägt, so ist offenbar, daß nichts Allgemeines 2 Wesenheit ist, und daß das allgemein Ausgesagte nicht ein individuelles Etwas, son- 1039 a dem eine Qualität (toi6nde) bezeichnet (wo nicht, so ergibt sich außer anderen Unmöglichkeiten auch der dritte Mensch). (5. a) Und dasselbe erhellt auch auf folgende Weise. Es ist nämlich unmöglich, daß eine Wesenheit bestehe aus Wesenheiten, welche sich als wirkliche darin fänden. Denn dasjenige, was der Wirklichkeit nach zweies ist, wird niemals in Wirklichkeit eines, son- 5 dem nur, wenn es der Möglichkeit nach zweies ist, kann es eines werden, wie z. B. das Doppelte, aus zwei Hälften, die aber bloß der Möglichkeit nach existieren; denn die Wirklichkeit trennt. (b) Wenn daher die Wesenheit eines ist, so kann sie nicht aus darin vorhandenen Wesenheiten bestehen, und in diesem Sinne hat Demokritos recht, wenn er behauptet, es sei unmöglich, daß aus zweieneins oder aus einem zwei werde; er setzte nämlich die un- 1ci teilbaren Größen als die Wesenheiten. (c) Auf ähnliche Weise wird es sich nun offenbar auch bei den Zahlen verhalten, sofern, wie einige behaupten, die Zahl eine Zusammensetzung aus Ein1 (ousia) nadt <dessen> (ekeinou) streidtt B.; Innes setzt dafür ousa. [Ähnlidt Ross; vgl. o. c. II 210 zu 1038 b 22.) 2 Bei B. ist - offenbar durdt einen Druddehler - ausgelassen. (Hg.)
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a
heiten ist; denn entweder ist die Zweizahl nicht eines, oder die Einheit findet sich in ihr nicht der Wirklichkeit nach. (6.) Doch rufen diese Ergebnisse noch einen Zweifel hervor. Wenn nämlich keine Wesenheit aus Allgemeinem bestehen kann, 15 darum weil das Allgemeine eine Qualität, aber nicht ein individuelles Etwas bezeichnet, und ebensowenig eine Wesenheit aus Wesenheiten zusammengesetzt sein kann, die sich der Wirklichkeit nach darin fänden, so müßte ja jede Wesenheit etwas nicht 1 Zusammengesetztes sein, so daß es auch keinen Begriff einer Wesenheit gäbe. Und doch ist die Ansicht allgemein und von Alters her ausgesprochen, daß allein oder zumeist von der Wesenheit es eine Begriffsbestimmung gibt. Nun aber findet sich, daß es auch von 20 dieser keine gibt, also von gar nichts. Oder vielleicht gibt es etwa in gewissem Sinne eine Wesensbestimmung und in anderem Sinne nicht. Dies wird sich aus den späteren Erörterungen deutlicher ergeben.
14. DIE IDEEN
(ideai)
KÖNNEN NICHT WESENHEITEN SEIN
(a) Kann die Idee abtrennbare Wesenheit (ous{a choriste) sein und zugleich aus dem Geschlecht (genos) und den Unterschieden (diaphorai) entstehen? (b) Die Idee muß der Zahl nach (to arithmo) entweder immer ein und dasselbe (hen kai tauton) oder ein anderes (heteron) sein. 2. (a) Warum die Idee nicht immer ein und dasselbe sein kann. (b) Warum sie nicht in jedem Einzelnen (hekaston), worin sie sich findet, eine andere sein kann.- J· Hinweis auf die Folgen bei den sinnlichen Dingen (ta aistheta). 1.
(1. a) Aus eben diesem ist auch deutlich, welche Folgen sich für diejenigen ergeben, welche die Ideen als Wesenheiten und als selbständig trennbar setzen und zugleich die Idee aus dem Ge25 schlecht und den Unterschieden bilden. (b) Denn wenn die Ideen existieren und Tier sich sowohl im Menschen wie im Pferde findet, so muß es entweder eines und dasselbe der Zahl nach sein oder ein anderes der Zahl nach. Dem Begriff nach nämlich ist es offenbar eines; denn wer den Begriff desselben in dem einen und dem anderen Fall angibt, gibt denselben Begriff an. Wenn es nun 30 einen Menschen an und für sich gibt als ein bestimmtes, trennbares Etwas, so muß notwendig auch das, woraus er besteht, z. B. Tier und zweifüßig, ein bestimmtes Etwas bezeichnen und selb1
fehlt bei B.; offenbar Druddehler. (Hg.)
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ständig trennbar und Wesenheit sein; also gilt dies auch vom Tier. (2. a) Wenn nun das Tier in dem Pferd und in dem Menschen so eins und dasselbe ist, wie du mit dir selbst eins und dasselbe bist, wie soll dann das eine in dem getrennt Existierenden eins sein, und weshalb soll nicht dies Tier auch getrennt von sich selbst existieren? Ferner, wenn es am Zweifüßigen und am Vielfüßigen teilhaben soll, so ergibt sich eine unmögliche Folge; denn das Entgegengesetzte würde zugleich bei demselben einen und bestimmten Etwas statthaben. Wofern dies aber nicht der Fall ist, wie ist es dann gemeint, wenn jemand sagt, das Tier sei zweirußig oder sei befußt? Oder ist es vielleicht durch Zusammensetzung oder Berührung oder Mischung verbunden? Aber das alles ist ja ungereimt. (b) Man nehme dagegen an, die Idee sei in jedem Einzelnen, worin sie sich findet, eine andere. Dann würde ja geradezu unendlich vieles sein, dessen Wesenheit Tier wäre; denn nicht in akzidentellem Sinne enthält der Mensch das Tier.- Ferner würde das Tier an sich vieles sein; denn das in jedem Einzelnen vorhandene Tier ist Wesenheit, da es nicht als Prädikat von einer davon verschiedenen Substanz ausgesagt wird. Wäre es aber nicht Wesenheit, so würde der Mensch aus jenem bestehn (wovon nämlich als seiner Substanz Tier prädiziert würde) und jenes würde die Gattung von Mensch sein. - Ferner müßten alle Bestandteile des Begriffes Mensch Ideen sein. Nun ist es aber unmöglich, daß etwas Idee des einen und Wesenheit eines anderen sei. Also wird jedes in den Einzeltieren vorhandene Tier Tier-an-sich sein. Ferner, woraus soll dies bestehen, oder wie soll aus ihm ein Tier hervorgehn7 Oder wie ist es möglich, daß das Tier, welches Wesenheit ist, selbst bestehe neben dem Tier-an-sich7 1 - (3.) Bei den sinnlichen Dingen (td aistheta) ergeben sich außer diesen noch unstatthaftere Folgen. Kann es sich nun unmöglich so verhalten, so kann es offenbar davon nicht Ideen in dem Sinne geben, wie einige behaupten.
:1 Im Komm. S. 35:1 empfiehlt B. zu lesen: ~ p6s hoi6n te einai to z6on, h6 ousla touto aut6, par' auto to ziJon; .oder wie ist es möglith, daß das (in dem Einzelnen enthaltene) Tier, dessen Wesenheit eben dies (das Tiersein) ist, bestehe neben dem Tier an sith?•
:1039 b
5
:to
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1.72
1.5.
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EINZELNES
(ta kath' hekasta)-
1.040 a
SINNLICHE WESEN-
REITEN ODER IDEEN- LÄSST KEINE WESENSBESTIMMUNG
(horism6s) zu
Unmöglichkeit, die konkreten einzelnen Wesenheiten zu definieren (horisasthai). (a) Die konkrete Wesenheit (synholon) vergeht und entsteht, die begriffliche (Iogos) nicht. (b) Von den einzelnen sinnlichen Wesenheiten kann es keine Wesensbestiinmung und keinen Beweis (ap6deixis) geben. (c) Jede Definition (h6ros) von etwas Einzelnem läßt sich aufheben (anhairein). - 2. Die Idee als etwas Einzelnes und Abtrennbares (cizörist~) läßt sich nicht definieren. (a) Erster Beweis. (b} Zweiter Beweis. (c) Es entgeht den Platonikern, daß man von den ewigen (aidia), einzigen Dingen (monachd) keine Definitionen geben kann. 1..
(1.. a) Da das konkrete Ding (synholon) eine von dem Begriff verschiedene Wesenheit ist (die eine Wesenheit nämlich ist der mit 20 dem Stoff zusammengefaßte Begriff, die andere der Begriff überhaupt), so kommt bei den konkreten Dingen ein Vergehen (phthora) vor, weil audt Entstehen (genesis) stattfindet; bei dem Begriff aber kann kein Vergehen stattfinden, weil auch kein Entstehen (denn nicht das Haus-sein entsteht, sondern die Exi25 stenz dieses bestimmten Hauses), sondern ohne Entstehen und Vergehen sind die Begriffe und sind nicht; denn daß niemand sie erzeugt oder hervorbringt, ist erwiesen. (b) Darum gibt es audt von den einzelnen sinnlichen Wesenheiten keine Wesensbestimmung und keinen Beweis (ap6deixis), weil sie Stoff enthalten, 30 dessen Wesen darin besteht, daß er sein und auch nicht sein kann; weshalb auch alles einzelne Sinnlidte (ta kath' hekasta) vergänglich ist. Wenn nun der Beweis auf das Notwendige geht, und die Wesensbestimmung der Wissensdtaft angehört, und sowenig wie die Wissenschaft bald Wissenschaft sein kann, bald Unwissenheit (von solcher Besdtaffenheit ist vielmehr die Meinung), ebensowenig der Beweis und die Wesensbestimmung ·ei1.04o a nem solchen Wechsel anheimfallen kann (vielmehr geht ja die Meinung auf dasjenige, was sidt auch anders verhalten kann): so kann es offenbar von dem Sinnlichen keine Wesensbestimmung und keinen Beweis geben. Denn das Vergängliche ist für diejenigen, welche die Wissenschaft besitzen, unerkennbar, sobald es aus der sinnlidten Wahrnehmung (a{sthesis) verschwunden ist, und wenngleidt der Begriff desselben noch als derselbe in der Seele behalten ist, so kann es doch keine Wesensbestimmung und keinen Beweis mehr geben. (c) Wer sich daher um Definitionen bemüht 1 , 1. Im Komm. S. 353 wird Mn pros h6ron als Neutrum gefaßt: cBei dem, was die Defmition betrifft, darf daher, wer> usw.
1040
a
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17,3
darf, wenn er etwas Einzelnes definiert, nicht vergessen, daß es 5 sich immer aufheben läßt; denn eine eigentliche Wesensbestimmung davon ist nicht möglich. ( 2.) Ebensowenig läßt sich eine Idee definieren; denn sie ist etwas Einzelnes, wie wir sagen, und selbständig abtrennbar. (a) Ein Begriff muß notwendig aus Worten bestehen. Wer nun einen Begriff definiert, wird nicht nur Worte bilden; denn diese würden unbekannt sein, die vorhandenen Worte aber sind allen gemeinsam, also müssen sie auch einem anderen als dem definierten Be- 10 griff zukommen. Z. B. wenn jemand dich definieren wollte, so wird er sagen ein mageres oder weißes lebendes Wesen oder sonst etwas, was sich auch an einem anderen fände. Wollte aber jemand sagen, es sei ganz wohl möglich, daß diese Worte alle einzeln sich 15 auch bei anderen fänden, zusammen aber nur bei diesem, so muß man 1 zuerst erklären, daß sie sich vielmehr bei beiden finden; z. B. das zweirußige Tier kommt sowohl dem Tier zu als auch dem Zweifüßigen. Und dies muß sich bei den ewigen Wesenheiten sogar notwendig so verhalten, da sie ja früher sind und Teile des Zusammengesetzen. Sie müssen aber auch selbständig trennbar (chorista) sein, sofern der Mensch selbständig trennbar ist; denn entweder muß keinem oder beiden diese Selbständigkeit zugeschrieben werden. Ist nun keines selbständig, so kann es nicht eine Gattung neben den Arten der Gattung geben; ist aber die 20 Gattung selbständig, so muß es auch der Artunterschied sein. ,. Und dann muß man erklären, daß beide dem Sein nach früher sind, derartiges aber wird nicht zugleich mit aufgehoben "2 • (b) Ferner, wenn die Ideen aus Ideen bestehen, so werden, da die Bestandteile das Einfachere sind, die Bestandteile der Idee, z. B. Tier und Zweifüßiges, von vielem ausgesagt werden müs- 25 sen. Wo nicht, wie soll man sie erkennen? Denn es würde ja · dann eine Idee existieren, die man nicht von mehr als einem Dinge prädizieren könnte. Das· ist ja aber nicht die Meinung der Ideenlehrer, sondern es soll vielmehr jede Idee Teilnehmung zulassen. ( c) Es entgeht ihnen also, wie gesagt, daß man von den ewigen Dingen (aidia) keine Definitionen angeben kann, namentlich von denen, die einzig sind, wie Sonne und Mond. Denn bei der Defi1 B. hat <er>, das fälsdtlidt auf <jemand> bezogen werden kann, obwohl bereits die Entgegnung beginnt. (Hg.) 2 Die Übersetzung der von B. zwisdten " und " ausgelassenen Worte folgt der im Komm. 5. .355 vorgesdtlagenen Lesart: he diaphortl: estai, hoti. [Wellmann sdtließt infolgedessen mit <denn> an, wodurdt nidtt deutlidt ist, daß es das 2. Argument gegen die Behauptung <Wollte aber jemand sagen> ist.]
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1040 b
.30 nition derselben fehlt man nicht nur dadurch, daß man dergleichen
beifügt, nach dessen Hinwegnahme die Sonne noch sein würde, z. B. daß sie um die Erde geht oder bei Nacht unsichtbar ist (denn wenn sie stillstände oder immer schiene, so dürfte hiernach die Sonne nicht mehr sein,·was doch unstatthaft, da die Sonne eine Wesenheit bezeichnet), sondern auch durch Angabe solcher Merkmale, welche auch bei einem anderen vorkommen können; z. B. wenn eine andere von dieser Beschaffenheit wäre, so würde sie 1040 b offenbar auch Sonne sein. Der Begriff ist also allgemein, die Sonne aber ist etwas Einzelnes, wie Kleon und Sokrates. Warum bringt denn von den Anhängern der Ideenlehre keiner den Begriff einer Idee? Wenn sie den Versuch anstellten, so würde sich dabei die Wahrheit des eben Gesagten zeigen.
16. ABSCHLIESSENDE BEMERKUNG ZUR BISHERIGEN UNTERSUCHUNG
(a) Von dem als Wesenheit Bezeichneten ist das meiste nur Vermögen (dynamis); (b) so auch die Teile des Belebten (tr'Jn-empsychön).- z. (a) Weder das Eins (to hen) noch das Seiende (to 6n) kann Wesenheit der Dinge sein; (b) ebensowenig ein anderes Allgemeines. - .3· Irrtum derer, die die Realität der Ideen annehmen. 1.
5 (1. a) Offenbar is't von dem, was für Wesenheit gilt, das meiste
nur Vermögen; so die Teile der Tiere (denn keiner von diesen existiert getrennt, und wenn sie getrennt sind, dann sind sie alle nur wie Stoff) und Erde und Feuer und Luft 1 ; denn keiner von ihnen ist eine Einheit, sondern ist nur wie die Molken, ehe sie gekocht sind und aus ihnen eins geworden ist. (b) Am ehesten möch10 te man noch bei den Teilen des Belebten und der Seele annehmen, daß sie beides zugleich seien, sowohl der Wirklichkeit als der Möglichkeit nach seiend, weil sie die Prinzipien der Bewegung durch irgend etwas in ihren Gelenken haben, weshalb denn auch manche Tiere nach dem Zerschneiden noch fortleben. Indessen ist doch dies alles nur dem Vermögen nach, wenn das Ganze 15 von Natur ein Eins und ein Stetiges ist und nicht durch Gewalt oder auch durch Zusammenwachsen; denn dies ist eine Abnormität. 1 Mit Ross und Jaeger setzen wir, im Gegensatz zu B., <denn keiner ... wie Stoff, in Klammem und ordnen so gleich. (Hg.)
:104:1
a
SIEBENTES BUCH • :1]
:1]5
(2. a) Da aber das Eins (hen) in derselben Weise ausgesagtwird
wie das Seiende (6n) und die Wesenheit des Eins eine, und dasjenige, dessen Wesenheit der Zahl nach eine ist, selbst eins der Zahl nach ist, so ist offenbar, daß weder das Eins noch das Seiende Wesenheit der Dinge sein kann, sowenig wie Element-sein oder Prinzip-sein. Vielmehr fragen wir, um zu Bestimmterem zu gelangen, was denn das Prinzip (arche) ist. (b) Unter diesen ist nun 20 das Seiende und das Eins mehr Wesenheit als das Prinzip und das Element und die Ursache, indessen doch auch dieses nom nicht, sofern überhaupt auch nichts anderes Allgemeines Wesenheit ist. Denn die Wesenheit kommt keinem anderen zu als ihr selbst und dem, welches die Wesenheit hat, dessen Wesenheit sie ist. Das Eins würde dann, wenn es Wesenheit wäre, nicht zugleim in vielen Fällen vorhanden sein, das Allgemeine aber ist 25 zugleich in vielen Fällen vorhanden. Daher ist denn offenbar, daß kein Allgemeines neben den Einzelnen selbständig existiert, (3.) und diejenigen, welche die Realität der Ideen (eide) annehmen, haben in einer Hinsicht recht, nämlich daß sie dieselben selbständig hinstellen, sofern sie Wesenheiten sind, dagegen in einer andem Hinsicht haben sie nicht recht, daß sie das Eine, das vielen gemeinsam ist, als Idee setzen. Der Grund davon aber liegt dar- JO in, daß sie nicht anzug~ben wissen, welches denn diese unvergänglichen Wesenheiten sind neben den einzelnen und sinnlichen. Sie machen sie daher der Formbestimmung nach den vergänglichen gleich (denn diese kennen wir): Mensch-an-sich, Pferdan-sich, indem sie den sinnlichen Dingen (ta aistheta) dies Wort an-sich (to ) hinzufügen. Und doch würden die Gestirne, wenn wir sie auch nicht sähen, nichtsdestoweniger ewige Wesenheiten sein neben denen, die wir kennten; also auch in diesem Falle, selbst wenn wir nicht angeben könnten, was diese Wesen- :104:1 a heiten sind, ist doch, daß welche sind, wohl notwendig. - Daß also nichts Allgemeines eine Wesenheit ist, und keine Wesenheit aus Wesenheiten besteht, ist offenbar.
17. FoRM
(eidos)
ALS WESENHEIT
I. Aufgabe und Ausgangspunkt: die Wesenheit als Prinzip (arme) und Ursadle (ait{a).- II. Die Form als Wesenheit. Beweis durm die Analyse der Frage nam dem Warum. :1. (a) Sie sumt immer zu bestimmen, warum (dia ti) etwas einem anderen zukommt (hy-pardrei). (b) Sie kann nimt untersumen, warum etwas es selbst ist (aut6 estin aut6), denn sie setzt das Daß (h6ti) und das Sein (einai) als bekannt und offenbar vor-
7.76
SIEBENTES BUCH •
7.7
7.047. a
aus. (c) Sie fragt nach der Ursache (aition).- 2. (a) Die Frage ist so zu stellen, daß sie ihren Gegenstand (to zetoumenon) deutlich macht. (b) Sie sucht die Ursache, die einen Stoff zu etwas Bestimmtem macht, d. h. die Form und die Wesenheit. (c) Hinweis auf das Problem der Untersuchung bei dem Einfachen (tdn hapldn). - III. Zweiter Beweis. 7.. Die Ganzheit eines Zusammengesetzten ist etwas anderes als die Summe seiner Elemente. - 2. Dies andere ist nicht Element (stoimeton) noch besteht es aus Elementen.- 3· Es ist etwas Bestimmtes (ti) und ist die Ursache, die das Ganze zu dem macht, was es ist (aition tou elnai).- 4· Die erste Ursache des Seins (altion prdton tou elnai) eines jeden ist die Wesenheit.
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20
25
(I.) Als was aber und wie beschaffen man die Wesenheit zu bezeichnen habe, das wollen wir noch einmal sagen, indem wir dabei einen anderen Ausgangspunkt nehmen; denn vielleicht werden wir daraus auch Aufklärung über jene Wesenheit erhalten, welche von den sinnlichen Wesenheitengetrennt und selbständig (kechörismene) ist. Da nun die Wesenheit ein Prinzip und eine Ursache ist, so müssen wir von hier ausgehen. (II 1.. a) Man untersucht aber das Warum (tö dia ti) immer so, daß man fragt, warum etwas einem andem zukommt; denn wenn man untersucht, weshalb der gebildete Mensch gebildeter Mensch ist, so heißt dies entweder das Ausgesprochene selbst untersuchen, weshalb der gebildete Mensch gebildeter Mensch 1 ist, oder etwas anderes. (b) Untersuchen nun, weshalb etwas es selbst ist, heißt nichts untersuchen. Denn das Daß (tö h6ti) und das Sein (tö einai) muß als bekannt und offenbar gegeben sein, ich meine z. B., daß der Mond sich verfinstert. Daß aber etwas es selbst ist, dafür gibt es in allen Fällen eine Erklärung und einen Grund, z. B. weshalb der Mensch Mensch und der gebildete gebildet ist. Es müßte denn jemand sagen: Weil jedes in Beziehung auf sich selbst unteilbar ist. Dies aber ist eben seine Einheit, und dies ist allen gemeinschaftlich und kurz anzugeben. ( c) Wohl aber würde man untersuchen, weshalb der Mensch ein so und so beschaffenes Tier ist. Dann ist aber offenbar, daß man nicht untersucht, warum der Mensch Mensch ist, vielmehr weshalb etwas einem andem zukommt. Daß es ihm aber zukommt, muß offenbar sein, wo nicht, so würde man gar nichts zu untersuchen haben. Z. B. weshalb donnert es? heißt: weshalb entsteht ein Schall in den Wolken? Also ist der Gegenstand der Untersuchung, weshalb etwas einem andem zukommt. 7. tlnthröpos mousikos tlnthröpos mousik6s estin nach Alexander; vgl. Komm. S. 358, 7..
1041
b
SIEBENTES BUCH • 1]
1]]
Und ebenso: weshalb ist dies, z. B. Ziegel und Steine, ein Haus? Es ist also offenbar, daß man nach der Ursache (aition) fragt (dies ist, um es allgemein begrifflich auszudrücken, das Wesenswas), wekhe bei einigen der Zweck ist, z. B. etwa beim Haus oder Bett, bei anderen aber das erste Bewegende; denn auch dieses JO ist Ursache. Aber eine solche Ursache sucht man beim Entstehen und Vergehen, die andere auch beim Sein. (2. a) Der Gegenstand der Untersuchung ist dann besonders dunkel, wenn die Frage nicht so ausgedrückt ist, daß etwas von einem andern ausgesagt wird. Z. B. man fragt, warum 1 der Mensch ist, darum, weil dies 1041 b einfach und schlechthin ausgedrückt ist, aber man nicht näher unterscheidet, daß dieses Ding das und das ist. Man muß aber erst näher gliedern, ehe man die Untersuchung anstellt; wo nicht, so wird man zugleich gewissermaßen untersuchen, gewissermaßen auch nicht untersuchen. (b) Ind,em aber das Sein gegeben und vorausgesetzt sein muß, so geht die Untersuchung offenbar dar- 5 auf, weshalb der Stoff diese bestimmte Beschaffenheit 2 hat. Z. B. weshalb ist dies ein Haus? Weil ihm das zukommt, worin die Wesenheit eines Hauses besteht. Warum ist dieser ein Mensch? oder: worin hat dieser Körper diese bestimmte Beschaffenheit? Man sucht also die Ursache für den Stoff, diese ist die Formbestimmung (eidos), durch welche er etwas Bestimmtes ist, und das ist die Wesenheit. (c) Daher ist denn offenbar, daß bei dem Einfachen keine Untersuchung und keine Lehre stattfindet, sondern eine andere Art der Erforschung. 10 (Ill 1..) Dasjenige, was so zusammengesetzt (synholon) ist, daß das Ganze eins ist, nicht wie ein Haufen, sondern wie die Silbe, ist noch etwas anderes außer den ElementenJ. Die Silbe nämlich ist nicht einerlei mit ihren Elementen (stoicheia), das ba nicht einerlei mit b und a, ebensowenig Fleisch mit Feuer und Erde; denn nach der Auflösung ist das eine nicht mehr, z. B. das Fleisch und die Silbe, die Sprachelemente aber sind noch, und ebenso das 15 Feuer und die Erde. Also ist die Silbe etwas außer diesen, nicht bloß nämlich die Sprachelemente, Vokale und Konsonanten, sondern auch noch etwas anderes, und das Fleisch ist nicht nur Feuer und Erde oder Warmes und Kaltes, sondern auch etwas anderes. (2.) Ist es nun notwendig, daß jenes andere entweder Element sei oder aus Elementen bestehe, so wird, wenn man annimmt, es sei :r. cwarum> (dia ti) statt cwas> (tl); vgl. Komm. S. 360. [R. und J. lesen tf.] 2 tadi dia tf estin [Vgl. B.s Komm. S. 359 f.] 3 Das Anakoluth nadt <Silbe> (syllabe) ist von B. aus dem Zusammenhange ergänzt. ·
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SIEBENTES BUCH " 17
1041
b
Element, sich derselbe Fall wiederholen; aus diesem Element nämlich und aus Feuer und Erde wird das Fleisch bestehn und noch aus etwas anderem, so daß es ins Unendliche fortgehen würde. Besteht es aber aus Element, so wird es offenbar nicht aus einem, sondern aus mehreren bestehen als jenes selbst, so daß wir hier wieder dasselbe zu sagen haben würden, wie bei dem Fleisdt oder der Silbe. (J.) Man wird daher die Ansieht fassen, daß dies etwas 25 Bestimmtes sei und nidtt Element, und daß es Ursache davon sei X, daß dies Silbe ist und dies Fleisch. Ähnlich verhält es sidt audt bei den übrigen. (4.) Das aber nun ist die Wesenheit eines jeden, da es die erste Ursache des Seins ist. Manche Dinge nun freilich sind 30 nicht Wesenheiten; bei allen aber, die naturgemäß oder durdt die Natur als Wesenheiten bestehn, würde sich diese Natur als Wesenheit zeigen, die nidtt Element ist, sondern Prinzip. Element aber ist das, worin etwas als in seinen stoffiidten Inhalt zerlegt. wird; z. B. Element der Silbe ist das a und das b. 20
1 B.: cdaß dies etwas Bestimmtes sei, nidtt Element und Ursadte davon>; zur Verdeutlidtung hier etwas anders gefaßt. (Hg.)
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ACHTES BUCH (H) DIE PRINZIPIEN DER SINNLICHEN WESENHEIT
1. DER STOFF
(hyle)
ALS PRINZIP
Einleitender Rütkbli~- 2. (a) Aufgabe: Analyse der sinnlichen Wesenheiten (aisthetai ous{ai), d. h. derjenigen, die einen Stoff haben. (b) Wesenheit ist das Substrat (hypokeimenon), welches Stoff, Begriff und Form (l6gos kai morpM) und das aus beiden Hervorgehende (tö ek tautön) sein kann. - 3· (a) Auch der Stoff ist Wesenheit als das den Veränderungen (metabolai) zugrunde Liegende. (b) Priorität des Stoffes der Wesenheitsveränderungen. 1.
(1.) Aus dem Gesagten müssen wir nun Schlußfolgerungen zie- 1042 a hen und die Hauptpunkte vereinigend das Ganze zu Ende führen. Es ist also gesagt\ daß die Ursachen, die Prinzipien und die Ele- 5 mente der Wesenheiten Gegenstand der Forschung sind. Von den Wesenheiten aber sind einige allgemein von allen anerkannt, über manche dagegen haben einige eigentümliche Ansichten ausgesprochen. Allgemein anerkannt sind die natürlichen Wesenheiten, z. B. Feuer, Erde, Wasser, Luft und die andern einfachen Körper, ferner die Pflanzen und ihre Teile, und die Tiere und die Tei- 10 le der Tiere, und endlich der Himmel und die Teile des Himmels; nach eigentümlicher Ansicht dagegen setzen manche als Wesenheiten die Ideen und die mathematischen Dinge 2 • Anderes ergibt sich als Wesenheit aus der Untersuchung, nämlich das Wesenswas und das Substrat3. Ferner ergibt sich aus einer andern Betrachtung, daß das Geschlecht mehr Wesenheit ist als die Arten, und das Allgemeine mehr als das Einzelne 4. Mit dem Allgemeinen und dem Geschlecht stehen auch die Ideen in naher Berüh- 15 rung; denn aus demselben Grunde gelten sie für Wesenheiten.5. Da aber das Wesenswas Wesenheit ist, und sein Begriff Wesensbestimmung, so sind audt über die Wesensbestimmung und das An-sich nähere Bestimmungen gegeben 6• Und da die Wesensbe1 2
3 4 5 6
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
VI :1. VII 2. VII 3· 4· VII 13. VII 14. VII 4· 12.
180
20
2.5
30
3.5 1042
b
.5
ACHTES BUCH • 1
stimmungein Begriff ist, der Begriff aber Teile hat, so war es notwendig, auch in betreff des Teiles zu sehen, welches Teile der Wesenheit und somit auch der Wesensbestimmung sind, und welches nicht 1 • Ferner ist weder das Allgemeine noch das Geschlecht Wesenheit2. Über die Ideen und die mathematischen Dinge sind späterhin genauere Untersuchungen anzustellen J; denn einige setzen diese als Wesenheiten außer den sinnlichen Wesenheiten. (2. a) Jetzt aber wollen wir auf die allgemein anerkannten Wesenheiten eingehen. Dies sind die sinnlichen; die sinnlichen Wesenheiten (aisthetai ousiai) aber haben alle einen Stoff. (b) Wesenheit aber ist das zugrunde liegende Substrat, in einem Sinne der Stoff (hyle) (unter Stoff verstehe ich nämlich dasjenige, was, ohne der Wirklichkeit nach ein bestimmtes Etwas zu sein, doch der Möglichkeit nach ein bestimmtes Etwas ist), in anderem Sinne der Begriff (l6gos) und die Form (morphe), welche als ein individuell bestimmtes Etwas dem Begriff nach abtrennbar ist. Ein Drittes ist das aus beiden Hervorgehende, bei dem allein Entstehen und Vergehen stattfindet und welches schlechthin selbständig trennbar (chorist6n) ist; denn von den begrifflichen Wesenheiten sind einige selbständig trennbar, andere nicht. - (3. a) Daß aber auch der Stoff Wesenheit ist, ist offenbar; da bei allen gegensätzlichen Veränderungen etwas vorhanden ist, das den Veränderungen zugrunde liegt, z. B. bei den Ortsveränderungen das, was jetzt hier und dann woanders ist, bei den Größenveränderungen, was jetzt so groß ist und dann wieder kleiner oder größer, bei den Beschaffenheitsveränderungen das jetzt Gesunde und dann wieder Kranke. Ähnlich auch bei den Wesenheitsveränderungen das jetzt im Entstehen, dann wieder im Vergehen Begriffene, und jetzt als bestimmtes Etwas, dann wieder der Formberaubung nach zugrunde Liegende. (b) Mit dieser Veränderung sind auch die andern mitgesetzt; aber mit einer oderzweienvon den übrigen ist diese nicht mitgesetzt. Denn wenn etwas den der Ortsveränderung zugrundeliegenden Stoff hat, so ist nicht notwendig, daß es darum auch den der Entstehung und Vergehung zugrunde liegenden habe. Was nun der Unterschied ist zwischen Werden schlechthin und Werden nicht-schlechthin, ist in den physischen Schriften 4 gesagt.
Vgl. VII 10. 11. Vgl. VII 13. 3 Dies gesmieht in XIII u. XIV. 4 Vgl. Phys. V 1. Degen. et corr. I 7· 1
2
ACHTES BUCH • 2
.2. DIE FORM (eidos) ALS PRINZIP
(a) Aufgabe: Bestimmung der wirklichen Wesenheit (hös energeia ousia) der sinnlichen Dinge (ta aistheta). (b) Ansicht Demokrits: Drei Unterschiede (diaphorai) bewirken die Vielheit der Dinge. (c) Es gibt aber viele sinnliche Verschiedenheiten. (d) Daher wird das Sein (to esti) bei den sinnlichen Dingen in vielen Bedeutungen ausgesagt. (e) Die allgemeinen Gattungen (gene) dieser Unterschiede sind die Prinzipien des Seins. - 2. (a) In diesen Unterschieden liegt die Ursache, durch die ein jedes Ding ist, was es ist (aition tou einai toutön hekaston). (b) Das vom Stoff Ausgesagte bezeichnet die Wirklichkeit in den Begriffsbestimmungen (horismoi).- 3· (a) Bei verschiedenem Stoff sind auch Wirklichkeit (energeia) und Begriff (l6gos) verschieden. (b) Stoff, Form (eidos) und die aus beiden hervorgehende Wesenheit in der Definition. (c) Archytas' Ansicht über die richtige Definition. 1.
(1. a) Da aber die Wesenheit, welche als Substrat und Stoff besteht, allgemein anerkannt wird, und dies die dem Vermögen nach (dynamei) existierende Wesenheit ist, so bleibt uns noch übrig zu 10 sagen, welches denn die der Wirklichkeit nach (hös energeia) bestehende Wesenheit der sinnlichen Dinge ist. (b) Demokritos nun scheint drei Unterschiede anzunehmen; der zugrunde liegende Körper nämlich, der Stoff, behauptet er, sei eines und dasselbe, er unterscheide sich aber teils der Bildung, d. h. der Gestalt nach, teils nach der Wendung, d. h. der Stellung nach, teils der Berührung, d. h. der Ordnung nach. (c)Dffenbar aber sind ja der Verschiedenheiten viele; manches z. B. wird als verschieden bezeich- 15 net nach der Zusammensetzung des Stoffes; so alles, was durch Mischung entsteht, wie der Honigtrank, oder durch Bindung, z. B. das Bündel, oder durch Leim, z. B. das Buch, oder durch Nägel, z. B. die Kiste, oder durch mehreres von diesem zugleich; anderes nach der Stellung, z. B. Unterschwelle und Oberschwelle (denn diese unterscheiden sich durch die bestimmte Lage); anderes der 20 Zeit nach, z. B. Abendmahlzeit und Frühstück; anderes dem Orte nach, z. B. die Winde; anderes nach den Affektionen des Sinnlichen, z. B. der Härte und Weichheit, der Dichtigkeit und Dünn·heit, der Trockenheit und Nässe; manches unterscheidet sich nach einigen dieser Gesichtspunkte; anderes nach diesen allen und überhaupt teils nach überfluß, teils nach Mangel. (d) Offenbar wird daher auch das Sein (to esti) in ebenso vielen Bedeutungen ausge- 25 sagt; Unterschwelle nämlich ist etwas, weil es so liegt, und das Sein bezeichnet so und so liegen, so wie Eis-sein bedeutet so und so verdichtet sein. Bei manchen wird auch das Sein durch alle die-
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30 se Momente bestimmt sein, indem es teils gemischt, teils ver-
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mengt, teils gebunden, teils verdichtet, teils durch die anderen Unterschiede bestimmt ist, wie die Hand oder der Fuß. (e) Man muß also die allgemeinen Geschlechter (gene) dieser Unterschiede herausheben, weil diese die Prinzipien des Seins sein müssen, z. B. dasjenige, was durch das Mehr und Minder, Dicht und Dünn und anderes der Art bestimmt ist; alles dies nämlich kommt zurück auf überfluß und Mangel. Was aber durch Gestalt oder durch Glätte und Rauheit bestimmt ist, das kommt alles auf Gerade und Krumm zurück. Für manches wird das Sein in der Mischung bestehn, und das Nichtsein im Gegenteil. (2. a) Hieraus ist also offenbar, daß, wenn die Wesenheit Ursache davon ist, daß ein jedes ist, man in diesen Unterschieden% die Ursache zu suchen hat, weshalb ein jedes dieser Dinge ist. Wesenheit nun ist freilich nichts von diesen, auch nicht in seiner Verbindung mit dem Stoff, indes findet sich doch etwas derselben Analoges in jedem. (b) Und wie bei den Wesenheiten dasjenige, was vom Stoff ausgesagt wird, die Wirklichkeit selbst ist, so ist auch bei den anderen Begriffsbestimmungen hierauf der größte Nachdruck zu legen. Z. B. wenn man den Begriff der Unterschwelle angeben sollte, so würde man sagen: ein in dieser bestimmten Lage befindliches Holz oder Stein, und würde in gleicher Weise ein Haus definieren als Ziegelsteine und Holz in dieser bestimmten Lage. (Bei manchem kommt auch wohl noch der Zweck hinzu.) Ebenso Eis als Wasser in dieser bestimmten Weise konsolidiert oder verdichtet, Harmonie als diese bestimmte Verbindung von hohen und tiefen Tönen, und in gleicher Weise auch bei dem übrigen. (3. a) Hieraus ist denn offenbar, daß bei verschiedenem Stoff auch die Wirklichkeit und der Begriff verschieden sind; bei einigem nämlich besteht die Wirklichkeit in der Zusammensetzung, bei anderem in der Mischung, bei anderem in etwas anderem von den angeführten Momenten. (b) Wenn daher bei der Definition eines Hauses einige angeben, es sei Steine, Ziegel, Holz, so meinen sie das Haus dem Vermögen nach; denn jene Dinge sind der Stoff desselben; und wenn andere es als ein bedeckendes Behältnis für Körper und Sachen bezeichnen oder noch andere Bestimmungen der Art hinzufügen, so meinen sie die Wirklichkeit; wer aber beides verbindet, der meint die dritte aus diesen beiden hervorgehende Wesenheit. Es scheint nämlich der durch die Artunterschiede hindurchgehende Begriff mehr die Form (e!dos) und die Wirk1 B. schreibt . Ein entsprechendes griech. Wort findet sich im Text nicht; zu ergänzen ist aber . (Hg.)
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lichkeit zu treffen, der aus den Bestandteilen gebildete mehr den 20 Stoff (hyli). (c) Ähnlich verhält es sich auch mit den Definitionen, welche Archytas als richtig anerkannte; sie enthalten nämlich die Verbindung von bei!fen. Z. B. was ist Windstille? Ruhe in der Masse der Luft; hier ist nämlich Stoff die Luft, Wirklichkeit 2.5 und Wesenheit aber die Ruhe. Was ist Meeresruhe? Ebenheit des Meeres; stoffliches Substrat ist hier das Meer, die Wirklichkeit und Form. aber ist die Ebenheit. Hieraus ist denn offenbar, was die sinnlidte Wesenheit ist und in welcher Weise sie besteht; die eine nämlich als Stoff, die andere als Form und Wirklichkeit; die dritte Wesenheit ist die aus beiden hervorgehende.
3·
DIE FORM ALS PRINZIP (FORTSETZUNG)
Der mögliche Zweifel, ob ein Name (6noma) die zusammengesetzte konkrete Wesenheit (synthetos ousia) oder Wirklichkeit (energeia) und Form (morphe) .bezeichnet, ist für die Erforschung der sinnlichen Wesenheit unerheblich. - 2. (a) Die Form, durch die ein Ding besteht, ist von den das Ding zusammensetzenden Elementen verschieden. (b) Die Form wird nicht gemacht oder erzeugt. (c) Gibt es eine Selbständigkeit der Wesenheit vergänglicher Dinge? (d) Relative Berechtigung der Ansicht des Antisthenes über die Grenze der Definition.- 3· Analogie zwischen Zahl und Definition. (a-d)
1.
(1.) Man darf aber nicht unbemerkt lassen, daß es zuweilen zweifelhaft ist, ob ein Name (6noma) die zusammengesetzte konkrete 30 Wesenheit bezeichne oder die Wirklichkeit und die Form, z. B. ob Haus das verbundene Konkrete bezeichnet, nämlidt eine aus so und so liegenden Ziegeln und Steinen gemachte Bedeckung, oder nur die Wirklichkeit und die Form, nämlich eine Bedeckung, und ob Linie bezeichnet Zweiheit in der Länge oder Zweiheit, und ob Tier bezeichnet Seele in einem Körper oder Seele; denn diese ist die Wesenheit und die Wirklichkeit irgendeines Körpers. Für bei- 3.5 des würde der Name Tier passen, nicht als ob der Begriff derselbe wäre, sondern weil es zu einem und demselben gehört. Doch dies ist zwar in anderen Beziehungen von Bedeutung, aber nicht für die Erforschung der sinnlichen Wesenheit; denn das Wesenswas 1043 b kommt der Formbestimmung und der Wirklichkeit zu. Denn Seele und Seele-sein ist dasselbe, Mensch-sein aber und Mensch ist nicht dasselbe, wenn man nicht etwa auch die Seele Mensch nennen will; dann würde es in gewissem Sinne dasselbe sein, in gewissem Sinne wieder nicht.
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(2. a) Bei näherer Untersuchung zeigt sich, daß die Silbe nicht besteht aus den Sprachelementen und der Zusammensetzung, und ebenso das Haus nicht ist Ziegel und Zusammensetzung. Und das ist ganz richtig. Denn die Zusammensetzung (synthesis) und Mischung (mixis) ist nicht selbst eins von den Elementen, deren Zusammensetzung und Mischung sie ist. Auf ähnliche Weise verhält es sich auch bei allem übrigen; z. B. wenn die Unterschwelle durch ihre Lage ist, was sie ist, so ist nicht die Lage aus der Un10 terschwelle, sondern die Unterschwelle aus der Lage. So ist also auch der Mensch nicht Tier und zweifüßiges, sondern, wenn dies der Stoff ist, so muß noch neben diesem etwas vorhanden sein, was aber weder Element ist, noch aus Elementen besteht, sondern die Wesenheit ist; dies lassen manche außer acht und sprechen nur vom Stoff 1 • Wenn nun dies die Ursache des Seins und der Wesenheit ist, so kann man es wohl die Wesenheit selbst nennen. (b) Notwendig muß diese nun entweder ewig sein oder ver15 gänglich ohne zu vergehen und geworden ohne zu werden. Es ist aber in einem andern Abschnitte 2 bewiesen und erklärt, daß niemand die Form macht oder erzeugt, sondern sie in einen bestimmten Stoff einbildet 3, und so dasjenige entsteht, was aus beiden, Stoff und Form, zusammengesetzt ist. ( c) Ob die Wesenheiten der vergänglichen Dinge selbständig 20 abtrennbar sind, ist noch nicht klar; nur das ist klar, daß dies bei einigen nicht möglich ist, nämlich bei allem, was nicht außer dem Einzelnen sein kann, z. B. Haus, Gerät. Vielleicht sind aber eben diese nicht einmal Wesenheiten, sowenig wie irgend etwas anderes, was nicht von Natur besteht; denn die Natur (physis) hat man wohl als die einzige Wesenheit in dem Vergänglichen anzusehen. (d) So hat denn der Zweifel eine gewisse Berechtigung4, welchen die Anhänger des Antisthenes und die in dieser Weise Un25 gebildeten vorbrachten, es sei nämlich nicht möglich zu definieren, was etwas ist, da die Definition durch eine Reihe von Worten geschehe, sondern man könne nur bestimmen und lehren, wie beschaffen etwas ist; vom Silber z. B. lasse sich nicht angeben, was 5
1 B. : <welche man mit Abstraktion von dem Stoffe bezeichnet>; hO exhairountes t~n hylen legousin hier wie von Ross (o. c. II 232) verstanden. (Hg.) 2 Vgl. VIII 8. 3 (poiez eis t6de) für <ein bestimmter Stoff gebildet wird> (poieitai t6de); vgl. Komm. S. 368. [Anders J. und R.] 4 So nach dem Komm. S. 369; in derübersetzunghieß es: <So läßt sich denn der Zweifel lösen>.
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es ist, sondern nur, daß es wie Zinn ist. Danach ist denn von einigen Wesenheiten Definition (h6ros) und Begriff {l6gos) möglich, z. B. von den zusammengesetzten, mögen diese sinnlich wahrnehmbar oder nur denkbar sein; nicht .möglich dagegen von de- 30 nen, aus welchen als ihren ersten Bestandteilen diese bestehen, sofern ja der bestimmende Begriff etwas von etwas aussagt und das eine die Stelle des Stoffes, das andere die der Form einnehmen muß. (3.) Offenbar ist aber auch, daß wenn die Wesenheiten gewissermaßen Zahlen (arithmoi) sind, sie es in diesem Sinne sind und nicht, wie einige behaupten, als aus Einheiten bestehend. ( a) Nämlich die Wesensbestimmung ist eine Art von Zahl, da sie teilbar ist in Unteilbares (denn die Begriffe sind nicht unendlich), und 35 von derselben Art ist auch die Zahl. (b) Und wie eine Zahl, wenn man von ihren Bestandteilen etwas wegnimmt oder zu ihnen hinzusetzt, mag man auch noch so wenig wegnehmen oder zusetzen, :1044 a nicht mehr dieselbe, sondern eine andere ist, so wird auch die Wesensbestimmung und das Wesenswas nicht mehr dasselbe sein, wenn etwas weggenommen oder hinzugetan ist. (c) Ferner muß es für·die Zahl etwas geben\ wodurch sie eins ist (freilich können sie jetzt aber nicht angeben, wodurch sie eins ist, sofern sie es ist; entweder aber ist sie nicht eins, sondern nur eine Anhäufung, oder wenn sie es ist, muß man angeben, was es dann ist, das 5 aus vielem eins macht), und ebenso ist die Wesensbestimmung eins; aber auch hier können sie das Vereinigende nicht angeben. Und das ist ganz natürlich; denn -es hängt von demselben Grunde ab, und die Wesenheit ist eins, nicht weil sie, wie manche behaupten, eine Einheit oder ein Punkt ist, sondern weil jede Wesenheit Wirklichkeit und Natur ist. (d) Und wie die Zahl kein mehr und minder hat, so auch nicht die formelle Wesenheit, sondern, sofern überhaupt, die mit dem Stoff verbundene. - So weit denn die Be- :to Stimmungen über Entstehen und Vergehen dessen, was man als Wesenheit bezeichnet, inwiefern es möglich ist, inwiefern unmöglich, so wie auch über die Zurückführung der Wesenheiten auf Zahlen.
:t cfür die Zahl (td arithmo) etwas geben> statt cdie Zahl (tön arithmon) etwas sein>; vgl. Komm. S. 370.
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4· DER
STOFF
(hyle)
UND DIE URSACHEN
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(aitiai)
IM BEREICH DER NATUR
(a) Der Stoff als Prinzip (ard!i!) alles Entstehenden und der jedem Einzelnen eigentümli zu lesen cund sehend>, wie B. im Komm. S. 386 vorschlug, ist entbehrlidt. Alex. erklärt die Worte nidtt.
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len, oder zu sein oder zu werden, oder nicht zu sein oder nicht zu werden. (5.) Es ist aber der Name der wirklidten Tätigkeit (ener- 30 geia), welther eine Beziehung hat auf die vollendende Wirklichkeit (entelecheia), namentlidt von den Bewegungen auch auf das übrige übergegangen; denn für wirkliche Tätigkeit gilt am meisten die Bewegung. Darum schreibt man auch dem, was nicht ist, Bewegtwerden nicht zu, sondern gibt ihm andere Prädikate; inan 35 sagt z. B. von dem Nicht-seienden, es sei denkbar oder erstrebbar, aber nicht, es sei 'bewegt. Und dies deshalb, weil es, zwar noch nicht in Wirklichkeit seiend, dodt in Wirklidtkeit sein wird. Denn 1047 b von dem Nidtt-seienden ist einiges dem Vermögen nadt; aber es ist nidtt, weil es nicht in Wirklichkeit ist.
4·
MÖGLICH, UNMÖGLICH, FALSCH
Verkennung des Untersdtieds der drei Begriffe (dynaton, adynaton, pseudos).- 2. Zusammenhang der Möglidtkeiten.
1.
(1.) Wenn aber, wie gesagt, möglidt (dynaton) etwas insofern ist, als ihm die Wirklidtkeit folgt~, so kann es offenbar nidtt wahr sein, wenn man sagt, das und das sei zwar möglidt, aber es werde nicht eintreten, da auf diese Weise die Bedeutung von unmöglich uns ganz entginge. Ich meine z. B., wenn jemand sagte, es sei 5 zwar möglich, daß die Diagonale gemessen werde, doch werde sie niemals gemessen werden, ohne zu bedenken, wie es unmöglidt ist, daß etwas als möglich durch nichts gehindert sein soll zu sein oder zu werden und doch nidtt sei und nicht sein werde. Vielmehr ergibt sich aus dem oben Festgesetzten, daß, wenn man selbst annähme, es sei etwas oder es sei etwas geworden, das 10 zwar nidtt ist, aber doch möglich ist, dadurdt keine Unmöglidtkeit eintreten würde; das würde aber in jenem Beispiel der Fall sein; denri. daß die Diagonale gemessen werde, ist unmöglidt. Falsdt (pseüdos) nämlich und unmöglidt (adynaton) ist keineswegs dasselbe; daß du jetzt stehest, ist zwar falsch, aber nicht unmöglich. (2.) Zugleim ergibt sich, daß, wenn unter der Voraussetzung, x So nadt der im Komm. S. 389 gegebenen Deutung des Textes. Zeller sdtlägt nadt anderer Lesart (Ardtiv II 263) vor: <Wenn aber, wie gesagt, möglidt ist, woraus Unmöglidtes nidtt erfolgt>. [Vgl. Ross o. c. II 247 zu 1047 b 3 und Jaegers Ausg. S. xSo.]
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1047 b
15 daß A ist, notwendig auCh B sein muß, dann auCh unter der Vor-
aussetzung, daß A mögliCh ist, notwendig B möglich sein muß. Denn wäre es niCht notwendig, daß es mögliCh sei, so steht nichts im Wege, daß sein Sein unmöglich sei. Nun sei also A möglich. In diesem Falle also, wenn A mögliCh ist, würde die Annahme, daß A sei, keine Unmöglichkeit ergeben. Dann müßte also not20 wendig auCh B sein. Aber es war unmöglich. Also angenommen, es sei unmögliCh. Wem1 es nun unmöglich istx, daß B sei, so ist es notwendig auCh unmögliCh, daß A sei 2 • A aber war möglich, also auCh B. Ist also A mögliCh, so muß auCh B möglich sein, sofern siCh A und B so verhielten, daß mit dem Sein von A notwendig das Sein von B gesetzt ist. Sollte aber, bei solChem Ver25 hältnis von A und B, B niCht in dieser Weise mögliCh sein, so könnte siCh auCh A und B nicht so verhalten, wie vorausgesetzt wurde. Und wenn aus der Möglichkeit von A notwendig die MögliChkeit von B folgt, so muß auCh, für den Fall, daß A ist, notwendig B sein. Denn wenn man sagt, B müsse notwendig mögliCh sein, sofern A mögliCh ist, so bedeutet dies, daß, sofern und wann und wie es möglich ist, daß A sei, dann und so auCh 30 jenes es notwendig sein muß.
5·
ANGEBORENE UND ERWORBENE VERMÖGEN. DAS TÄTIGWERDEN DER VERSCHIEDENEN VERMÖGEN
Angeborene (syngeneis) und durch Obung und Vernunft (ethei kal erworbene Vermögen. Die letzteren setzen vorhergehende Tätigkeit voraus. - 2. Unterschied zwischen vernünftigen und vernunftlosen Vermögen hinsichtlich ihres Tätigwerdens. - 3· Das vernünftige Vermögen verwirklicht sich nach Begehren oder Vorsatz. - 4· Kein Vermögen kann Entgegengesetztes (enantia) zugleich tun. 1.
l6gö)
(1..) Indem nun die gesamten Vermögen teils angeboren sind, wie z. B. die Sinne, teils durCh Obung (ethos) erworben, z. B. das Vermögen des Flötenspiels, teils durCh Unterricht (mathesis), wie das Vermögen der Künste: so kann man notwendigerweise diejenigen, welChe durCh Obung und Vernunft (l6gos) gewonnen werden, nur durCh vorausgehende wirkliChe Tätigkeit besitzen, bei 1 2
ananke gestrichen. Vgl. Komm. S. 390. Bund A vertauscht. Vgl. ebd.
1048
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NEUNTES BUCH •
6
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den anders beschaffenen dagegen und bei dem Vermögen zum .35 Leiden ist dies nidtt notwendig. ( 2 .) Und da das Vermögende etwas vermag und zu bestimmter 1048 a Zeit und auf ·bestimmte Weise, und was noch sonst in der Begriffsbestimmung zugefügt werden muß, da ferner einiges vernunftmäßig bewegen kann und seine Vermögen mit Vernunft verbunden sind, anderes vernunftlos bewegt und seine Vermögen vernunftlos sind, und da jene Vermögen sich nur in dem Beseelten, diese aber im Beseelten und Unbeseelten finden kön- 5 nen: so müssen die vernunftlosen Vermögen, sobald sich so, wie sie Vermögen sind, das Tätige und das Leidende nähern, das eine tätig, das andere leidend sein; bei den vernünftigen aber ist dies nicht notwendig. Denn die vernunftlosen Vermögen sind jedes nur einer Tätigkeit fähig, die vernünftigen aber sind des Entgegengesetzten fähig, so daß sie also das Entgegengesetzte (enantia) zugleich tun würden, was doch unmöglich ist. (3.) Also muß etwas 10 anderes das Entsdteidende sein; ich meine hierbei das Begehren (6rexis) oder den Vorsatz (prohairesis). Denn was das vernünftige Vermögen entsdteidend begehrt, das wird es tun, falls dies dem Vermögen gemäß vorhanden ist und es sich dem des Leidens Fähigen nähert. Das vernunftmäßig Vermögende wird also jedesmal, falls es begehrt, das tun, dessen Vermögen es hat, und so, wie es das Vermögen hat. Es hat aber das Vermögen zu tun, wenn das Leidensfähige anwesend ist und sich auf bestimmte :15 Weise verhält. Wo nicht, so wird es nicht tätig sein können. Die Bestimmung, daß kein äußeres Hindernis eintrete, braucht man nicht weiter hinzuzufügen; denn es hat das Vermögen zu tun nur in der Weise, wie es Vermögen ist, und dies ist es nidtt schlechthin, sondern unter bestimmten Umständen, wovon auch schon die äußeren Hindernisse mit ausgeschlossen sein müssen; denn diese heben einiges von dem in der Begriffsbestimmung 20 Enthaltenen auf. (4.) Darum kann auch nidtt jemand, falls er es wollte und begehrte, zweierlei oder das Entgegengesetzte zugleich tun; denn nidtt in diesem Sinne hat er das Vermögen dazu, und es gibt kein Vermögen, das Entgegengesetzte zugleim zu tun; denn wozu er das Vermögen hat, das würde er auch so tun. 6.
VERMÖGEN, WIRKLICHKEIT UND BEWEGUNG
Aufgabe: Bestimmung der wirklidten Tätigkeit (energeia) und einer anderen Bedeutung des Vermögenden (dynat6n). - 2. Wirklidtkeit (energeia) ist das Existieren der Same (to hypdrchein to pragma). - .3·
1.
200 NEUNTES BUCH • 6 :1048 b Verdeutlichung des Wirklidten durdt Induktion (epagög~). Wirklidt der Analogie nadt (to analogon).- 4· Bedeutung von Vermögen und Wirklidtkeit beim Unendlidten (apeiron), beim Leeren (ken6n) und anderem derartigen.- 5· Die Besdtaffenheit der wirklidten Tätigkeit (energeia): deren Untersmied von Bewegung (kinesis). 25
30
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5
(1..) Nadtdem nun von dem in Beziehung auf Bewegung ausgesagten Vermögen gehandelt ist, wollen wir über die wirklidte Tätigkeit (ent?rgeia) bestimmen, was und wie beschaffen sie ist. Bei dieser Erörterung wird nämlidt zugleich erhellen, daß wir vermögend nicht nur das nennen, was zu bewegen oder von einem bewegt zu werden fähig ist, sei es schledtthin oder auf eine bestimmte Weise, sondern möglidt audt nodt in einem anderen Sinne gebraudten. Darum wollen wir in der Untersudtung audt dies durchgehen. (2.) Unter Wirklidtkeit (energeia) versteht man, daß die Sache existiere (hyparchein), nicht in dem Sinne, wie man sagt, sie sei dem Vermögen nadt (nämlich dem Vermögen nach sagen wir z. B., es sei im Holze ein Hermes und in der ganzen Linie ihre Hälfte, weil sie von ihr genommen werden könnte, und einen Denker dem Vermögen nadt nennen wir auch den, der eben nicht in Betrachtung (theörefn) begriffen ist, sofern er nur fähig ist dieselbe anzustellen}, sondern der wirklichen Tätigkeit nadt ~. (3.) Was wir meinen, wird beim Einzelnen durdt Induktion (epagöge) deutlich werden, und man muß nidtt für jedes eine Begriffsbestimmung suchen, sondern auch das Analoge (analogon) in einem Blick vereinigen. Wie skh nämlidt das Bauende verhält zum Baukünstler, so verhält sich auch das Wachende zum Sdtlafenden, das Sehende zu dem, was die Augen versdtließt, aber dodt den Gesichtssinn hat, das aus dem Stoff Ausgesdtiedene zum Stoff, das Bearbeitete zum Unbearbeiteten. In diesem Gegensatz soll durch das erste Glied :l die Wirklichkeit, durdt das andere das Vermögen bezeidtnet werden. Dom sagt man nicht von allem in gleichem Sinne, daß es der wirklichen Tätigkeit nach (energeiä) sei, ausgenommen der Analogie nach, indem so wie dies in diesem ist oder zu diesem sidt verhält, so jenes in jenem ist oder.sich zu jenem verhält; einiges nämlich verhält sich wie Bewegung zum Vermögen, anderes wie Wesenheit zu einem Stoff.- (4.) In einem anderen Sinne spricht man auch beim Unendlichen und beim Leeren und bei anderen :1 Obersetzt nadt Alexanders Auslegung all' energeiii; vgl. Komm. S. 394· [Vgl. Ross o. c. II 250 f. zu :1048 a 35·1 2 thaterö mor{ö nadt Hs. E; vgl. Komm. S. 393 u. 394· [Anders Jaeger]
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Dingen dieser Art von Vermögen und Wirklichkeit als bei den 10 meisten Dingen, z. B. dem Sehenden, dem Gehenden und dem Gesehenen. Denn dies kann zuweilen auch schlechthin in Wahrheit ausgesagt werden; denn gesehen nennt man etwas teils, weil es wirklich gesehen wird, teils, weil es gesehen werden kann. Das Unendliche aber ist nicht in der Weise dem Vermögen nach, daß es einmal der Wirklichkeit nach selbständig abgetrennt existieren werde, sondern nur für die Erkenntnis (gnosis). Denn daß die Teilung nie aufhört, dies ergibt die Bestimmung, daß diese Wirk- 15 lichkeit nur dem Vermögen nach, aber nicht in selbständiger Abtrennung besteht. (5.) Von den Handlungen~ (praxeis), die eine Grenze (peras) haben, enthält keine ein Ziel (telos), sondern sie betreffen nur das zum Ziel Führende. So ist z. B. das Ziel des Abmagerns die Magerkeit, aber wenn sich das Abmagernde in einer solchen Bewegung befindet, ohne mit dem Ziel der Bewegung zusammenzu- 20 fallen, so ist dieses keine Handlung oder wenigstens keine vollendete, denn sie enthält kein Ziel; jene dagegen, in welcher2. das Ziel enthalten ist, ist auch Handlung. So kann man wohl sagen: er sieht und hat zugleich gesehen, er überlegt und hat zugleich überlegt, er denkt und hat zugleich gedacht, aber man kann nicht sagen: er lernt und hat zugleich gelernt, er wird gesund und ist zugleich gesund geworden. Dagegen: er lebt gut und hat zugleim 25 gut gelebt, er ist glücklich und ist zugleich glüddich gewesen. Wo nidtt; so hätte er einmal damit aufhören müssen, wie wenn einer sich abmagert; nun ist dem aber-nicht so, sondern er lebt und hat gelebt. Von diesen Dingen muß man also die einen als Bewegungen, die andern als wirkliche Tätigkeiten bezeichnen. Jede Bewegung ist unvollendet, z. B. Abmagerung, Lernen, Gehen, Bau- .30 en. Dieses sind Bewegungen und zwar unvollendete; denn einer kann nicht zugleich gehen und gegangen sein, oder bauen und gebaut haben, oder werden und geworden sein, oder sowohl bewegen 3 als auch bewegt haben, sondern ein anderes bewegt und ein anderes hat bewegt. Dagegen kann dasselbe Wesen zugleich sehen und gesehen haben, zugleich denken und gedacht haben. Einen Vorgang von dieser Art nenne ich wirkliche Tätigkeit, einen von jener Art Bewegung. Aus diesen und derartigen Betrachtungen möge sich uns deutlich erwiesen haben, was und wie beschaffen das der wirklichen Tätigkeit nach Seiende ist. .35 1 Die Übersetzung dieses in Cod. E und von Alexander ausgelassenen Abschnittes folgt dem von B. im Komm. S. .397 gegebenen Text. 2 B. liest ekeine, en he . .3 kinei te statt kineitai.
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7.
WANN ETWAS DEM VERMÖGEN NACH
:1049 a (dynamei)
ETWAS ANDERES IST
:1. Wann ist das Einzelne (hekaston) dem Vermögen nadt und wann nodt nidtt7 - 2. Das Vermögen, etwas anderes zu sein: (a) bei dem durdt die Denkkraft (apo diano{äs) Werdenden (gign6menon); (b) bei dem, was in sidt selbst das Entstehungsprinzip (arche tes geneseös) hat. - 3· Stoff und Vermögen. (a) Der unmittelbare Stoff eines Dinges ist das Ding dem Vermögen nadt. (b) Wie ein erster Stoff zu bestimmen ist.- 4· Wesenheit (ousia) und Stoff (hyle) als Subjekt und Substrat (to
kath' hou kai to hypokeimenon). (1.) Wann ein jedes Ding dem Vermögen nach (dynamei) ist und wann noch nicht, müssen wir näher bestimmen; denn es fin:1049 a det dies doch nicht zu jeder beliebigen Zeit statt. Ist z. B. die Erde dem Vermögen nach ein Mensch? Doch nicht, sondern vielmehr erst, wenn sie Same geworden ist, und vielleicht dann noch nicht einmal; so wie~ ja auch nicht durch die Heilkunst oder auch durch den Zufall (tyche) jedes gesund gemacht werden kann, sondern es etwas gibt, was dazu das Vermögen hat, und dieses das dem 5 Vermögen nach Gesunde ist. (2. a) Die Begriffsbestimmung (h6ros) nun für das Hervorgehen aus dem Vermögen zum Sein in Wirklichkeit liegt für das durch die Denkkraft (dianoia) Werdende darin, daß es auf den Willen des Tätigen ohne äußeres Hindernis geschieht, in jenem Falle aber bei dem, was gesund gemacht wird, daß in ihm selber kein Hindernis ist. In ähnlicher Weise ist auch etwas ein Haus dem Vermögen nach, wenn in dem, was in ihm :10 ist, und in dem Stoff kein Hindernis liegt, daß ein Haus werde, und nichts ist, was erst noch hinzukommen oder sich verändern muß; dies ist ein Haus dem Vermögen nach; und ebenso verhält es sich bei allem, für welches das Prinzip des Entstehens (arche tes geneseös) in einem Äußeren liegt. (b) Und was das anbetrifft, was in dem Vermögenden selbst das Prinzip des Entstehens hat, so ist alles dasjenige etwas dem Vermögen nach, was in Abwesenheit äußerer Hindernisse durch sich selbst jenes sein wird. :15 z. B. der Same ist noch nicht dem Vermögen nach ein Mensch, denn er muß erst noch in ein Anderes kommen und sich verändern. Wann aber etwas schon durch das in ihm liegende Prinzip diese Beschaffenheit hat, dann ist es dies schon dem Vermögen nach; jenes dagegen bedarf noch eines anderen Prinzips. Die Erde :1 (oun) nadt <wie> (hdper) gestridten; vgl. Komm. S. 399· [Anders J. und R.; vgl. Ross o. c. II 255 zu :1049 a 3.]
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203
z. B. ist noch nicht dem Vermögen nach eine Bildsädle; denn sie müßte erst durch Veränderung Erz werden. (3. a) Es scheint nun das Wirkliche, wovon wir reden, nicht jenes selbst, Stoff, zu sein, sondern aus jenem; z. B. der Kasten nicht Holz, sondern hölzern, das Holz nicht Erde, sondern irden. 20 Und wenn so wiederum die Erde nicht ein Anderes, sondern aus einem Anderen ist, so ist immer jenes Andere schlechthin dem Vermögen nach das Spätere (hysteron). Z. B. der Kasten ist nidtt irden noch Erde, sondern hölzern, denn dies, das Holz, ist dem Vermögen nach ein Kasten und ist der Stoff des Kastens, und zwar Holz schlechthin der Stoff des Kastens schlechthin, und dies bestimmte Holz der Stoff dieses bestimmten Kastens. (b) Gibt es nun ein Erstes, was nicht erst noch nach einem Anderen als 25 aus diesem bestehend bezeichnet wird, so ist dies erster Stoff; z. B. wenn die Erde aus Luft, die Luft nicht Feuer, sondern aus Feuer ist, so ist das Feuer erster Stoff und nkht ein bestimmtes Etwas 1 • (4.) Denn dadurch unterscheiden sich das, wovon etwas ausgesagt wird 2 , und das Substrat (hypokeimenon) daß es ein bestimmtes Etwas ist oder nicht. Das Substrat z. B. für die Affektionen ist Mensch und Körper und Seele, Affektion aber ist gebildet, weiß. Wenn nun die Bildung in dasselbe kommt, so wird 30 jenes nicht Bildung genannt, sondern gebildet, und der Mensch nicht Weiße, sondern weiß, und nicht Gang oder Bewegung, sondern gehend oder bewegt, so wie vorher aus jenem, z. B. hölzern, nicht Holz. Wo es sich nun so verhält, da ist das Äußerste (eschaton) Wesenheit; wo es sich aber nicht so verhält, sondern das Prädikat keine Form und ein bestimmtes Etwas ist, da ist das Äußerste Stoff und stoffliche Wesenheit. Und es ist ganz recht, 35 daß man nadt dem Stoff und den Affektionen etwas nidtt als 1049 b dieses selbst, sondern als nach oder aus diesem bezeichnet; denn beides, Stoff und Affektion, ist etwas Unbestimmtes. Wann man also zu sagen hat, daß Etwas dem .Vermögen nach sei, und wann· nicht, ist hiermit erörtert.
1 B. liest hOs t6de ti kal ousla und übers.: . Hier mit Ross und Jaeger ou t6de ti ousa. (Hg.) 2 B. folgt dem überlieferten kath6lon und übers. : . Hier mit Ross nach Apelts Konjektur kath' hou. (Hg.)
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8.
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PRIORITÄT DER WIRKLICHEN TÄTIGKEIT VOR DEM VERMÖGEN
x. These: Die wirklidte Tätigkeit (energeia) ist früher (pr6teron) als das Vermögen. Die Natur (physis) als Vermögen. - 2. Priorität dem Begriff nadt (l6gö);- 3· der Zeit nadt (mr6nö). (a) Hinsidttlidt eines Bestimmten (t6de) sdteint das Vermögen früher, (b) aber ein bewegendes Wirklidtes, aus dem es wurde, war früher.- 4· Priorität der Wesenheit nadt (ousia). Gründe aus der Betradttung des Werdenden und Vergänglidten. (a) Das der Entstehung nadt (genesei) Spätere ist der Form (eidei) und der Wesenheit nadt (ousiä) früher. (b) Was entsteht (to gign6menon), geht auf ein Prinzip (arm6) und ein Ziel (telos) hin; dieses ist Wirklidtkeit (energeia). (c) Der Stoff (hyle} ist deshalb Vermögen, weil er zur Form (eidos) gelangen kann; in der Form sein ist in Wirklidtkeit sein. Werk (ergon) und Wirklidtkeit. (d) Zwei Arten von Tätigkeit: audt dort, wo neben und außer der Tätigkeit ein Werk entsteht, ist die wirklidte Tätigkeit früher als das Vermögen.- 5· Priorität der Wesenheit nadt (Fortsetzung). Gründe aus dem Vergleidt des Ewigen (hl aidia) mit dem Vergänglidten (ta phtharta). (a) Nidtts sdtledtthin Unvergänglidtes (aphtharton) ist etwas sdtledtthin dem Vermögen nadt Seiendes (dynamei estin haplos). (b) Ebensowenig ist es das notwendig Seiende (ta ex anankes 6nta) oder (c) die ewige Bewegung (kinesis aidios) oder das ewig Bewegte (kinoumenon aidion). (d) Die Elemente (Erde, Feuer usw.) sind ebenso immer in wirklidter Tätigkeit. - 6. Kritik der Ideen. ·
(1..) Nach der oben gegebenen Bestimmung über die verschiedefrüher (pr6teron) 1 ist offenbar, daß die Wirklichkeit früher ist als das Vermögen; ich meine hierbei nicht nur als das vorher bestimmte Vermögen, welches als Prinzip bezeichnet wird der Veränderung in einem Anderen, insofern dies ein Anderes ist, sondern überhaupt als jedes Prinzip der Bewegung oder Ruhe. Denn auch die Natur gehört zu demselben Geschlecht wie das Vermögen, da sie ein bewegendes Prinzip ist, aber nicht in einem anderen, sondern in einem Ding selbst, insoxo fern es es selbst ist. In Vergleich mit jedem solchen Vermögen ist die Wirklichkeit früher sowohl dem Begriff als der Wesenheit nach; der Zeit nach ist sie gewissermaßen früher, gewissermaßen auch nicht. (2.) Daß sie nun dem Begriff (l6gö) nach früher ist, ist offenbar. Denn das in vollem Sinne Vermögende heißt vermögend 5 nen Bedeutungen von
x Vgl. Vu.
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darum, weil es in wirkliche Tätigkeit treten kann; ich meine z. B.: baukundig ist das, was zu bauen vermag, sehfähig das, was zu 15 sehen, sichtbar, was gesehen zu werden vermag. Dasselbe gilt auch bei dem übrigen, so daß notwendig der Begriff und die Erkenntnis (gnosis) der Wirklichkeit dem Begriff und der Erkenntnis des Vermögens vorausgehen muß. (3.) Der Zeit nach früher aber ist es auf diese Weise: das der Art nach Identische (to to eidei to aut6) ist früher in wirklicher Tätigkeit, aber nicht das der Zahl nach Identische. (a) Ich meine dies so: im Vergleich mit diesem bestimmten Menschen, der schon 20 in Wirklichkeit ist, und mit dem Getreide und dem Sehenden ist der Zeit nach früher der Stoff und der Same und das Sehfähige, welche zwar dem Vermögen nach Mensch und Getreide und sehend sind, aber noch nicht in Wirklichkeit. (b) Aber der Zeit nach früher als dieses ist anderes in Wirklichkeit Seiendes, aus welchem dies wurde; denn was in Wirklichkeit ist, wird jedesmal aus dem dem Vermögen nach Seienden durch etwas, das in Wirklichkeit ist, z. B. der Mensch durch einen Menschen, der Gebildete 25 durch einen Gebildeten, indem jedesmal etwas als erstes bewegt; das Bewegende aber ist schon in Wirklichkeit. Es ist aber in der Erörterung über die Wesenheit 1 gesagt, daß das Werdende immer aus etwas etwas wird und durch etwas, und dieses der Art nach dasselbe ist. Darum gilt es auch für' unmöglich, daß jemand ein Baukünstler sei, ohne etwas gebaut zu haben, oder ein Zi- 30 therspieler, ohne etwas auf der Zither gespielt zu haben; denn wer das Zitherspiel erlernt, der lernt es durch Spielen auf der Zither, und ebenso auch die anderen. Daher entstand denn der sophistische Beweis, daß jemand, ohne die Wissenschaft zu besitzen, doch das hervorbringen solle, worauf die Wissenschaft geht; denn wer etwas lernt, hat es noch nicht. Weil aber von dem, was wird, schon etwas geworden, von dem, was bewegt wird, schon etwas 35 bewegt ist, wie dies in der Abhandlung über die Bewegung 2 erwiesen ist, so muß wohl notwendig der Lernende auch schon et- 1050 a was von der Wissenschaft besitzen. Also auch insofern erhellt, daß auch so, dem Entstehen und der Zeit nach, die Wirklichkeit früher ist als das Vermögen. (4. a) Aber auch der Wesenheit (ousia) nach ist sie es. Erstens weil das, was der Entstehung nach später ist, der Form (eidos) 5 und der Wesenheit nach früher ist, z. B. der Mann früher als das Kind, der Mensch früher als der Same; denn das eine hat schon 1 2
Vgl. VII 7· 8.
Vgl. Phys. VI 6.
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die Form, das andere aber. nicht. (b) Ferner darum, weil alles, was entsteht, auf ein Prinzip (arche) und ein Ziel (telos) hingeht; Prinzip nämlich ist das Weswegen, und um des Zieles willenist das Werden. Ziel aber ist die Wirklichkeit, und um ihretwillen erhält man das Vermögen; .denn nicht, um den Gesichtssinn zu 10 haben, sehen die Tiere, sondern um zu sehen, haben sie den Gesichtssinn. Ebenso hat man die Baukunst, um zu bauen, die Denkkraft (theöretiki), um zu denken, aber man denkt nicht, um Denkkraft zu erlangen, es sei denn zur übung. Dann aber denkt man nicht eigentlich, sondern tut es nur so zur Übung [oder weil man nichts zu denken braucht].~ 15 (c) Ferner ist der Stoff dem Vermögen nach, weil er zur Form gelangen kann; sobald er aber in Wirklichkeit ist, dann ist er in der Form. Ebenso auch bei dem übrigen, auch bei dem, dessen Ziel Bewegung ist. Wie daher die Lehrer das Ziel erreicht zu haben glauben, wenn sie ihren Schüler in wirklicher Tätigkeit zeigen, ebenso ist es auch in der Natur. (Denn wäre es nicht so, so ver20 fiele man in den Hermes des Pauson a; denn es würde bei der Wissenschaft ebenso wie bei jenem Hermes unerkennbar sein, ob sie außen oder innen sei.) Denn das Werk (ergon) ist Zweck, die Wirklichkeit aber ist das Werk. Daher ist auch der Name Wirklichkeit von Werk abgeleitet und zielt hin auf Vollendung (entetecheia). - (d) Indem nun in einigen Fällen das Let_zte der Gebrauch ist, wie z. B. beim Gesichtssinn das Sehen, und außer die25 sem kein von dem Sehen unterschiedenes Werk entsteht, in anderen aber eines entsteht, z. B. durch die Baukunst außer dem Bauen selbst das Haus: ·so ist um nichts weniger die wirkliche Tätigkeit in dem einen Falle Zweck (telos), in dem andem Falle mehr Zweck als das Vermögen. Denn das Bauen ist in dem, was gebaut wird, und wird und ist zugleich mit dem Gebäude. Bei 30 demjenigen nun also, bei welchem das Entstehende etwas anderes neben und außer dem Gebrauch ist, bei diesem ist die wirkliche Tätigkeit in dem, was hervorgebracht wird, z. B. das Bauen in dem, was gebaut wird, das Weben in dem, was gewebt wird, und ebenso bei dem übrigen, überhaupt die Bewegung in dem, was bewegt wird; bei dem aber, bei welchem es nicht neben der 1 biesen Satz hat B. unübersetzt gelassen. Vgl. Komm. S. 403.- Die Worte sind nadt Diels eine späte Erklärung von
(e hödi).
«Der Hermenbildner P. hatte ein Bild des Hermes in einem Steine so angefertigt, daß man den Hermes im Steine sah, aber nidtt untersdteiden konnte, ob er innerhalb oder außerhalb des Steines war.» Alexander. 2
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wirklichen Tätigkeit ein Werk gibt, ist die wirkliche Tätigkeit (energeia) in ihm selbst, z. B. das Sehen in dem Sehenden, das 35 Denken (theöria) in dem Denkenden, das Leben in der Seele, 1050 b und darum auch die Glückseligkeit (eundaimonia), da diese ein Leben von einer bestimmten Besdiaffenheit ist. Hieraus erhellt also, daß die Wesenheit und die Form wirkliche Tätigkeit ist. Aus diesem Grunde also ist offenbar dtr- Wesenheit nach die wirkliche Tätigkeit früher als das Vermögen, und, wie gesagt, der Zeit nach geht immer eine wirkliche Tätigkeit vor der anderen vor- 5 aus bis zu der Wirklichkeit des immerfort ursprünglich Bewegenden. (5.) Aber auch in strengerem Sinne kommt der Wirklichkeit Sein zu als dem Vermögen; denn das Ewige (ta aidia) ist der Wesenheit nach früher als das Vergängliche (ta phtharta), nichts Ewiges aber ist nur dem Vermögen nach. (a) Der Grund ist dieser. Jedes Vermögen geht zugleich auf den Gegensatz (antiphasis); denn was nicht vermag zu sein, das kann sich auch nicht bei ir- 10 gendeinem finden, aber jedes, das zu sein vermag, das kann auch nicht wirklich sein. Was also zu sein vermag, das kann sowohl sein als nicht sein, und hat also als eins und dasselbe das Vermögen sowohl zu sein als nicht zu sein. Was aber vermag nicht zu sein, bei dem ist möglich, daß es nicht sei. Was aber möglicherweise nicht sein kann, das ist vergänglich, entweder schlechthin oder eben in der Hinsicht, in welcher es von ihm heißt, es könne auch nicht sein, sei es dem Orte oder der Quantität oder Qualität 15 nach; schlechthin aber vergänglich ist, was der Wesenheit nach auch nicht sein kann. Nichts also von dem schlechthin Unvergänglichen (aphtharton) ist etwas schledtthin dem Vermögen nadt Seiendes (in gewisser Beziehung, etwa der Qualität oder dem Orte nach, kann es dies allerdings sein); dies alles also ist in Wirklichkeit. (b) Ebensowenig ist von dem notwendig (ex anankes) Seienden etwas nur dem Vermögen nach, und dies ist doch das Erste, da, wenn dies nicht wäre, überhaupt nidtts sein würde. (c) Und ebenso ist die ewige Bewegung (kinesis aidios), wenn es 20 eine solche gibt, nicht bloß dem Vermögen nach; und wenn es ein ewig Bewegtes gibt, so ist dies nicht bloß dem Vermögen nach bewegt, ausgenommen etwa in betreff der Richtung woher und wohin; denn hiervon kann es recht wohl einen Stoff geben. Darum sind die Sonne, die Gestirne und der ganze Himmel immer in wirklidter Tätigkeit, und es ist nicht zu fürchten, daß sie einmal stillstehen, wie dies die Naturphilosophen fürdtten. Auch strengt es sie nicht an dies zu tun, da bei ihnen die Bewegung nicht wie bei den vergänglichen Dingen, mit dem Vermögen des Gegenteils
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25 verbunden ist, so daß deshalb die ununterbrochene Dauer der
Bewegung für sie anstrengend wäre; denn die Ursache solcher Anstrengung ist die Wesenheit, welche nur Stoff und Vermögen, nicht wirkliche Tätigkeit ist. (d) Dem Unvergänglichen nähert sich aber nachahmend auch das in Veränderung Begriffene, z. B. die Erde und das Feuer. Denn auch diese sind immer in wirkli30 eher Tätigkeit, da sie an sich und in sich die Bewegung haben. Die anderen Vermögen aber gehen nach den gegebenen Bestimmungen 1 alle auch auf das Gegenteil; denn was so zu bewegen vermag, das vermag auch nicht so zu bewegen. Dies gilt von den vernunftmäßigen (kata l6gon) Vermögen; die unvernünftigen aber gehen zugleich auf das Gegenteil insofern, als Tätiges und Leidendes anwesend ist oder nicht. (6.) Gibt es also solche Natu35 ren und Wesenheiten, wie die Ideen von den Dialektikern aufgestellt werden, so würde etwas viel mehr wissend sein als die 1051 a Wissenschaft an sich, um viel mehr bewegt als die Bewegung. Denn diese, Wissendes, Bewegtes, sind wirkliche Tätigkeiten, jene aber, die Ideen, die Vermögen von diesen. Hieraus erhellt denn, daß die wirkliche Tätigkeit früher ist als das Vermögen und als jedes bewegende Prinzip.
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VORRANG DER WIRKLICHEN TÄTIGKEIT
1. Beim wünschenswerten Vermögen (spoudaia dynamis) ist die wirkliche Tätigkeit besser (beltiän) und wertvoller (timiätera), beim schlechten schlechter als das Vermögen. - 2. Folgerungen. (a) Es gibt kein ßöses (kak6n) neben und außer den Dingen (para ta prtigmata) und (b) keines im Ursprünglichen (ta ex arches) und Ewigen (ta aidia). - 3· Die wirkliche Tätigkeit in den geometrischen Beweisen (ta diagrdmmata).
(1.) Daß im Vergleich mit einem beifallswerten Vermögen die wirkliche Tätigkeit besser und wertvoller ist, erhellt aus folgen5 dem. Was als vermögend bezeichnet wird, das hat zugleich das Vermögen zu dem Entgegengesetzten (tanantfa); z. B. wovon man sagt, daß es vermöge gesund zu sein, das vermag zugleich auch krank zu sein 2 ; denn dasselbe Vermögen geht auf Gesundsein und Kranksein, auf Ruhen und Bewegtwerden, auf Bauen und Vgl. IX 2. (kai nosetn hdma) statt (kai to nosoiin kai hama); vgl. Komm. S. 407.. 1 2
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Niederreißen, auf Gebautwerden und Einstürzen. Das Vermögen 10 also zu dem Entgegengesetzten ist zugleich vorhanden, das Entgegengesetzte selbst aber findet unmöglim zugleim statt. So können auch die entgegengesetzten wirklichen Tätigkeiten unmöglim zugleim stattfinden, z. B. gesund sein und krank sein. Also muß notwendig die eine von diesen das Gute (agath6n) sein, bei dem Vermögen aber kommt das Gute gleicherweise beiden oder keinem von beiden zu. Die wirklime Tätigkeit also ist besser. - 15 Ebenso notwendig ist aum, daß beim Smlechten das Ziel und die wirklime Tätigkeit sdllechter ist als das Vermögen; denn das Vermögen geht als dasselbige auf beide Glieder des Gegensatzes. (2. a) Also gibt es nicht ein Böses neben und außer den Dingen; denn das Böse ist der Natur nam später als das Vermögen. (b) Also findet sim auch in dem Ursprünglichen und Ewigen nimts Böses, kein Fehl, nimts Verdorbenes; denn aum die Verderbnis 20 ist etwas Böses. (3.) Aum die Beweise für geometrische Figuren findet man durm wirkliche Tätigkeit, da man sie durm Teilung findet; wären sie schon geteilt, so würden sie offenbar sein, so aber findet sim die Teilung in ihnen dem Vermögen nach. Z. B. Warum sind die Winkel des Dreietks zwei Rechte? Weil die Winkel um einen Punkt zwei Rechte betragen. Wäre nun die mit der einen Seite 25 parallele Linie gezogen, so würde es auf den ersten Blick sogleim deutlich sein. Warum ist jeder Winkel im Halbkreis ein Remter? Weil, wenn die Linien gleich sind, und zwar die Grundlinie das Zweifame, die in der Mitte errichtete Senkrechte das Einfame ist - wenn man dies si~ht und jenen Satz weiß, so ist die Sache klar. Also wird offenbar das dem Vermögen nam Seiende durch Erhebung zu wirklimer Tätigkeit gefunden. Die Ur- 30 sache liegt darin, daß die wirklime Tätigkeit (energeia) Denken (n6esis) ist. Also geht das Vermögen aus der Tätigkeit hervor, und tuend erkennen wir; denn später der Entstehung nach ist nur die der Zahl nach identisme wirkliche Tätigkeit. ·
:1.0. WIRKLICHE TÄTIGKEIT UND WAHRHEIT. DAS SEIENDE UND DAS NICHTSEIENDE IM SINNE DES WAHREN UND FALSCHEN
nennen wirwahr (alethes) und unwahr (pseudos)? (a) Wahre und falsche Aussage in bezugauf das Getrenntsein (dihairelsthai) oder Zusarnrnengesetztsein (synke!sthai). (b) Nicht von der Wahrheit unserer 1. Was
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Meinung hängt das Verhalten der Dinge ab, sondern umgekehrt. - 2. Wahr und Falsc:h beim immer Zusammengesetzten oder Getrennten und bei dem, was Verbindung und Trennung zuläßt.- 3· Sein und Wahrheit beim Unzusammengesetzten (asyntheta). (a) Wahrheit ist hier Erfassen (thigein) und Aussagen (phanai). (b) Grund: Es ist der Wirklic:hkeit, nic:ht dem Vermögen nac:h; beim an sic:h und in Wirklic:hkeit Seienden (hosa de estin hoper einai ti kal energeia) ist nur Denken oder Nic:htdenken möglic:h.- 4· Zusammenfassung: die beiden Formen der Wahrheit. Falsc:hheit und Unwissenheit. - 5· Anhang. (a) Beim Unbeweglic:hen (akineta) ist Täusc:hung über das Wann (to pote) nic:ht möglic:h. (b) Form und Grenze hier möglic:her Täusc:hung. 35 (1.. a) Indem das Seiende und das Nichtseiende teils nam den For-
men der Kategorien ausgesagt wird, teils nach Vermögen und b Wirklimkeit derselben oder deren Gegenteil, teils endlich im eigentlichsten Sinne seiend das Wahre und Falsche ist, was bei den Dingen durch Zusammensetzung und Trennung stattfindet, so daß der die Wahrheit sagt, der vom Getrennten meint, es sei getrennt, von dem Zusammengesetzten, es sei zusammengesetzt, der dagegen im Irrtum ist, welcher anders denkt, als die Dinge 5 sich verhalten: so fragt sim, wann denn das stattfindet, was wir Wahrheit (alethes) oder Unwahrheit (pseiidos) nennen. Denn wir müssen untersumen, was wir damit meinen. (b) Nicht darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten. (2.) Wenn nun einiges immer zusammengesetzt ist und unmöglim getrennt werden kann, anderes im10 mer getrennt ist und unmöglich verbunden werden kann, anderes Verbindung und Trennung zuläßt, und 1 wenn Sein (to etnai) beelnai) deutet verbunden sein und eins sein, Nicht-sein (to aber nicht verbunden und eine Mehrheit sein: so wird bei dem, was Verbindung und Trennung zuläßt, dieselbe Meinung und 15 dieselbe Erklärung· wahr und falsch, und man kann damit bald die Wahrheit sagen, bald die Unwahrheit; bei dem dagegen, was sim anders verhalten kann, findet nicht bald Wahrheit statt, bald Unwahrheit, sondern dasselbe ist immer wahr oder falsm. (3.) Was bedeutet nun aber bei dem Unzusammengesetzten (asyntheta) Sein und Nicht-sein, Wahr und Falsch? Denn dies ist ja nicht zu20 sammengesetzt, so daß es also wäre, wenn es verbunden, nicht wäre, wenn es getrennt wäre, wie dies bei dem weißen Holz oder der inkommensurabeln Diagonale der Fall ist, und so wird auch
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(genei) gefordert etdei <der Art nadt> zu lesen.
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wo es sich findet, mit Notwendigkeit (ex anankes) statthat. Denn sonst müßte ein und dasselbe Ding vergänglich und unvergäng5 lieh sein, wenn es möglich wäre, daß ihm das Vergängliche auch nicht zukomme. Also die Wesenheit selbst oder in der Wesenheit muß die Vergänglichkeit bei jedem Vergänglichen sein. Dasselbe gilt auch von dem Unvergänglichen; beides gehört zu dem mit Notwendigkeit Stattfindenden. Dasjenige also, wodurch und wonach als Prinzip das eine Ding vergänglich, das andere unvergänglich ist, enthält einen Gegensatz; daher müssen beide Dinge der :10 Gattung nach verschieden sein.% (4.) Hieraus ist denn offenbar, daß nicht Ideen (eide) in der Weise, wie einige es behaupten, existieren können; denn sonst würde es einen vergänglichen und einen unvergänglichen Menschen geben, und dabei sollen doch die Ideen den Einzeldingen der Art nach und nicht bloß dem Namen nach gleich sein. Aber was der Gattung nach verschieden ist, ist voneinander weiter entfernt :15 als das Artverschiedene.
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Zur Obersetzung dieses von B. ausgelassenen Satzes vgl. Komm.
5. 450·
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ELFfES BUCH ( K) DIE PHILOSOPHIE. MÖGLICHKEIT, WIRKLICHKEIT, BEWEGUNG
:1. PROBLEME DER WEISHEIT
(sophia)
Ist die Weisheit eine Wissenschaft (mia epistlme) oder umfaßt sie mehrere?- 2. Sind die Prinzipien der Beweisführung (apodeiktikai armal) Gegenstand einer Wissenschaft? - 3· Ist die Weisheit Wissenschaft von allen Wesenheiten (ousiai)? - 4· Geht die Beweisführung (ap6deixis) nur auf die Wesenheiten oder auch auf ihre Akzidenzen (ta symbebek6ta)? - 5· Die Weisheit scheint nicht vom Weswegen (to holl heneken) zu handeln.- 6. Handelt sie von den sinnlichen oder von anderen Wesenheiten?- 7· Welche Wissenschaft hat den Stoff der Mathematik zu untersuchen (to diaporesai perl tes t{Jn mathematikdn hyles)?- 8. Die Weisheit scheint das Allgemeine (ta kath6lou) zu untersuchen. Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn sie das Sein (6n) und das Eins (hen) als höchste Gattungen (prdta gene) untersucht. 1.
(1..) Daß die Weisheit (sophia) eine Wissenschaft von den Prinzipien ist, erhellt aus den ersten Erörterungen, in welchen das von anderen über die Prinzipien Ausgesagte geprüft ist. Man könnte 20 aber die Frage aufwerfen, ob man anzunehmen hat, daß die Weisheit eine Wissenschaft (mia epistim€) sei, oder daß sie mehrere umfasse. Sollte sie eine Wissenschaft sein, so ist zu bedenken, daß ei"e Wissenschaft immer auf Entgegengesetztes geht, die Prinzipien aber .nicht entgegengesetzt sind. Ist sie nicht eine, so fragt sich, welcherlei Wissenschaften man für die Weisheit anzusehn hat. (2..) Ferner, gehört die Untersuchung der Prinzipien der Beweisführung (apodeiktikai archai) einer Wissenschaft an oder mehre- 25 ren? Gehört sie einer an, warum soll sie dann vielmehr dieser als irgendeiner beliebigen zukommen? Gehört sie mehreren Wissenschaften an, welche soll man dann dafür ansehen 7 (J.) Fem~r, ist die Weisheit Wissenschaft aller Wesenheiten (ousiai) oder nicht? Ist sie nicht Wissenschaft aller Wesenheiten, so ist schwer anzugeben, welcher Wesenheiten Wissenschaft sie sei; ist sie aber als eine einzige Wissenschaft Wissenschaft von allen Wesenheiten, so ist nicht einzusehen, wie dieselbe Wissenschaft auf mehreres gehen solle.
ELliTES BUCH • :1 :1059 b (4.) Ferner, geht die Beweisführung nur auf die Wesenheiten
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(symbebek6ta) 7 Gibt es nämlich für die Akzidenzen eine Beweisführung, so geht diese nicht auf die Wesenheiten 1 • Geht aber eine verschiedene Wissenschaft auf die einen und auf die anderen, so fragt sich, was denn jede von beiden, und welche von beiden die Weisheit ist. Die beweisende Weisheit (sophia apodeiktike) nämlich ist die, welche auf die Akzidenzen geht, die aber auf das Erste geht, ist die Wissenschaft der Wesenheiten. (5.) Man kann aber auch nicht annehmen, daß die gesuchte 35 Wissenschaft von den in der Physik erwähnten Ursachen handle. Denn sie handelt ja auch nicht von dem Weswegen (to hou heneken), da solcherlei Art das Gute ist; dies findet sich aber in dem, was zu tun ist und das sich in Bewegung befindet; es bewegt als Erstes (denn diese Beschaffenheit hat der Zweck), das erste Bewegende aber findet sich nicht in dem Unbeweglichen. (6.) überhaupt macht es Schwierigkeit, ob denn die jetzt ge1059 b suchte Wissenschaft von den sinnlichen Wesenheiten (aisthetai ousiai) handelt oder nicht von diesen, sondern von gewissen anderen. Wenn sie nämlich von andem Wesenheiten handelt, so würden dies entweder die Ideen (eide) oder die mathematischen Dinge (ta mathematika) sein. Daß nun die Ideen nicht existieren, ist offenbar. Indessen entsteht, wenn man sie setzt, auch noch die schwierige Frage, warum es sich denn nicht ebenso wie bei den S mathematischen Dingen auch bei den übrigen verhält, von denen es Ideen gibt. Ich meine, die mathematischen Dinge setzt man zwischen die Ideen und die sinnlichen Dinge als etwas Drittes außer den Ideen und dem Sinnlichen, während es einen dritten Menschen oder ein drittes Pferd nicht gibt außer dem an-sich und dem einzelnen. Verhält es sich dagegen nicht so, wie sie sagen, mit welcherlei Dingen soll man denn dann annehmen daß sich :10 der Mathematiker beschäftige? Denn mit den sinnlichen doch wohl nicht, da keins derselben so beschaffen ist, wie die mathematischen Wissenschaften es verlangen. - Es handelt aber die jetzt gesuchte Wissenschaft auch nicht -von den mathematischen Dingen, da deren keines selbständig abtrennbar ist. Aber ebensowenig von den sinnlichen Wesenheiten; denn diese sind vergäng30 oder auch auf ihre Akzidenzen
:1 Im Komm. S. 452 erklärt B. die in Cod Ab fehlenden Worte (ap6deixis estin) für unpassend und versteht die Stelle folgendermaßen: . Vgl. auch III 2. [J. und R. tilgen die Worte auch.]
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lieh.- (7.) überhaupt muß man fragen, welcher Wissenschaft es zukommt, den der Mathematik zugrunde liegenden Stoff zu untersuchen. Der Physik nicht, da die ganze Beschäftigung des Physikers auf das gerichtet ist, was in sich selbst das Prinzip der Bewegung und der Ruhe hat; aber ebensowenig der Wissenschaft, welche Beweis und Erkenntnis sucht; denn sie stellt eben ihre Untersuchung über diese Gattung des Seienden an. So bleibt also nur übrig, daß die vorliegende Wissenschaft darüber Untersuchung anstelle. (8.) Auch könnte man fragen, ob man als Gegenstand der vorliegenden Wissenschaft die Prinzipien (archai) anzusehn hat, welche von Einigen Elemente (stoicheia) genannt werden. Diese Elemente setzen aber Alle als dem Zusammengesetzten einwohnend. Eher möchte es scheinen, daß die vorliegende Wissenschaft auf das Allgemeine (ta kath6lou) gehen müsse, da jeder Begriff und jede Wissenschaft auf das Allgemeine, nicht auf das Letzte gerichtet ist, so daß sie demnach von den ersten Gattungen handeln würde. Dies würden das Seiende (6n) und das Eins (hen) sein; denn von diesen hat man anzunehmen, daß sie am meisten das Seiende umfassen und am meisten Prinzipien gleichen, ,weil sie das der Natur nach Erste sind; denn mit ihrem Untergang wird auch das übrige mit aufgehoben, da alles ein Seiendes und ein Eins ist. Insofern aber, wenn man sie als Gattungen aufstellte, die Unterschiede an demselben teilhaben müßten, während doch kein Unterschied an der Gattung teilhat, insofern würde man glauben, sie nicht als Gattungen und Prinzipien aufstellen zu dürfen. Ferner, wenn das Einfachere Prinzip des weniger Einfachen, das Letzte aber unter dem aus den Gattungen Abgeleiteten als Unteilbares einfacher ist als die Gattungen, da ja die Gattungen in mehrere, voneinander unterschiedene Arten geteilt werden, so würden die Arten vielmehr für Prinzip gelten als die Gattungen. Insofern dagegen mit den Gattungen die Arten zugleich aufgehoben werden, gleichen die Gattungen mehr Prinzipien; denn was das übrige zugleich mit sich aufhebt, ist Prinzip. Dies also und anderes Ähnliche sind die Gegenstände, welche Zweifel erregen.
2. PROBLEME DER WEISHEIT (FORTSETZUNG)
(a) Geht die Weisheit auf das Einzelne (tti kath' hekasta) oder auf eine andere trennbare Wesenheit (ousia chörist~) außer der sinnlimen7 (b) Außerhalb welmer der sinnlichen Dinge sollte man die andere We-
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ELFrES BUCH • 2 2 )8 1060 a senheit setzen? (c) Wenn das gesuchte Prinzip (zetoumene arche) von den Körpern nicht trennbar ist, gibt es dann überhaupt keine an sich seiende Wesenheit? - 2. Wenn es eine ewige Wesenheit und ein ewiges Prinzip für alles Seiende gibt, warum ist dann einiges ewig und anderes vergänglich?- 3· Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man das Seiende und das Eins als Prinzipien aufstellt. (a-d)- 4· Wie ist eine Wissenschaft von der Wesenheit möglich, wenn diese nicht zum Allgemeinen gehört?- 5· Gibt es etwas außer dem Konkreten (para to synholon)?- 6. Sind die Prinzipien der Art (eldei) oder der Zahl nach (arithmo) dieselben 7
(1. a) Ferner, hat man außer dem Einzelnen etwas zu setzen oder nicht, und geht vielmehr die gesuchte Wissenschaft auf dieses 5 Einzelne? Aber dies ist unendlich. Allein das, was außer dem Einzelnen existiert, ist Gattung oder Art, auf deren keines die jetzt gesuchte Wissenschaft geht, wie die Unmöglichkeit davon im Vorigen erörtert ist. - überhaupt ist es eine schwierige Frage, ob man außer den sinnlichen, hier sich findenden Wesenheiten eine trennbare Wesenheit (ousia chöristi) anzunehmen hat oder nicht, so daß diese Wesenheiten das Seiende sind und von ihnen die 10 Weisheit handelt. Wir suchen nämlich, so scheint es, eine andere Wesenheit, und dies eben ist unsere Aufgabe, ich meine zu sehen, ob es etwas Trennbares an sich (chöriston kath' haut6) gibt, das sich an keinem der sinnlichen Dinge findet. (b) Wenn es aber ferner außer den sinnlichen Wesenheiten eine andere Wesenheit gibt, außer welchen von den sinnlichen Dingen soll man diese setzen? Denn warum soll man denn vielmehr außer den Menschen oder l5 den Pferden diese Wesenheit setzen als außer den übrigen lebenden Wesen oder auch überhaupt außer den unbeseelten? Allein eine den sinnlichen und vergänglichen W esenheiten gleiche Zahl von anderen ewigen Wesenheiten aufzustellen, scheint doch außer allel' Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu fallen. - ( c) Ist dagegen das jetzt gesuchte Prinzip nicht trennbar von den Kö!pern, wel~o ches kann man dann mehr aufstellen als den Stoff? Allein der Stoff ist nicht der Wirklichkeit (energeiä), sondern nur dem Vermögen nach (dynamei). Mehr und eigentlicher als dies würde daher für Prinzip die Form und die Gestalt anzusehen sein. Diese ist aber vergänglich, und es gibt also überhaupt keine ewige, trennbare, an sich seiende Wesenheit. Doch das ist unstatthaft; denn ein solches Prinzip und eine solche Wesenheit scheint doch zu exi5 stieren und wird gerade von den Gebildetsten gesucht; denn wie sollte Ordnung sein, wenn nicht etwas Ewiges, Trennbares, Bleibendes existierte?
239 ELFTES BUCH • 2 b (z.) Ferner, wenn es denn eine Wesenheit und ein Prinzip gibt
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I'On der Natur, wie wir es jetzt suchen, und dies für alle Dinge 1jnes und für Ewiges und Vergänglidtes dasselbe ist, so entsteht He sdtwierige Frage, warum denn bei demselben Prinzip einiges I'On dem dem Prinzipe Untergeordneten ewig ist, anderes nidtt ~wig. Das ist ja unstatthaft. Gibt es aber ein anderes Prinzip für 30 :las Vergängliche (phtharta), ein anderes für das Ewige (aidia), so werden wir, wenn auch das Prinzip des Vergänglichen ewig ist, in ~Ieiche Schwierigkeit geraten. Denn warum soll denn, wenn das Prinzip ewig ist, nicht auch das unter das Prinzip Fallende ewig ;ein? Ist es aber vergänglich, so ergibt sich ein anderes Prinzip V"On diesem, und wieder von diesem zweiten ein anderes, und so 35 ~eht es ins Unendliche fort. (3. a) Will man dagegen als Prinzipien das Seiende und das Eins aufstellen, welche am meisten für unbewegbare Prinzipien [archai akinetoi) gelten, so fragt sich zuerst, wenn jedes von 1o6o b :liesen nicht ein bestimmtes Etwas und eine Wesenheit bezeichnet, wie sie denn abtrennbar und an sich sein sollen; von dieser Be;chaffenheit müssen aber doch die ewigen und ersten Prinzipien ;ein, die wir suchen. Alleiri wenn jedes von ihnen ein bestimmtes Etwas und eine Wesenheit bezeichnet, so würden 1 ja alle seienden Dinge (panta tQ. 6nta) Wesenheiten sein, da von allen das Seiende, von einigen auch das Eins ausgesagt wird. Daß aber al- 5 les Seiende Wesenheit sei, ist ein Irrtum. - (b) Wie kann ferner die Ansicht derer wahr sein, welche als erstes Prinzip das Eins und dies als Wesenheit bezeichnen,. aus dem Eins und dem Stoff als erstes die Zahl bilden und diese für eine Wesenheit erklären? Denn wie soll man die Zweiheit und so eine jede der übrigen l:usammengesetzten Zahlen als ein Eins denken? Darüber sa- 10, gen sie nichts, und es ist auch nicht leicht, darüber etwas zu sagen. - (c) Allein, will man die Linien oder was mit diesen zusammenhängt {ich meine die ersten Flächen) als Prinzipien aufstellen, so sind dies ja nidtt trennbare Wesenheiten, sondern Sdtnitte und Teilungen, die einen der Flächen, die anderen der Körper, die Punkte der Linien, und sind zugleich Grenzen von 15 eben diesen; aber alles dies findet sidt an einem anderen, und nidtts ist trennbar.- (d) Wie soll man ferner annehmen, daß es eine Wesenheit des Eins und des Punktes gebe? Für jede Wesenheit findet ein Entstehen statt, für den Punkt aber nicht; denn der Punkt ist nur eine Teilung. 1 estai <würden- sein> (statt <sind> estin E oder eisln Ab) nach Alexander. rAnders Ross.l
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( 4.) Auch dies macht Schwierigkeit, daß jede Wissenschaft auf
das Allgemeine und das so und so Beschaffene geht, die Wesenheit nicht zu dem Allgemeinen gehört, sondern vielmehr ein bestimmtes Etwas und ein Trennbares ist, so daß sich fragt, wenn es über die Prinzipien eine Wissenschaft gibt, wie man denn annehmen darf, daß das Prinzip eine Wesenheit sei. (5.) Ferner, gibt es außer dem Konkreten etwas oder nicht? Unter Konkretem (synholon) verstehe ich nämlich den Stoff und das mit ihm Verbundene. Gibt es nidtts, so ist zu erwägen, daß alles 25 am Stoff Befindliche vergänglidt ist. Gibt es etwas, so würde dies die Form und Gestalt sein. Bei welchen Dingen nun dies stattfindet, bei welchem nicht, würde schwer zu bestimmen sein; denn bei mandten ist offenbar die Form nicht trennbar, z. B. beim Haus. (6.) Ferner, sind die Prinzipien der Art oder der Zahl nach dieJO seihen? Sind sie es der Zahl nach, so muß alles dasselbe sein. 20
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DIE EINHEIT DER ERSTEN PHILOSOPHIE
(a) Ist die Wissenschaft des Philosophen vom Seienden als solchen
(to on he 6n) im allgemeinen (kath6lou) als eine einheitliche Wissenschaft trotz der mehrfachen Bedeutung (legetai pollacMs kal ou kath' hena tr6pon) des Seienden möglich? (b) Die verschiedenen Bedeutungen sind auf dasselbe zurüc:kzuführen. - 2. Die Gegensätze (enantidseis) als Gegenstand der Wissenschaft des Philosophen. (a) Jeder Gegensatz ist auf die ersten Untersmiede (priftai diaphora{) und Gegensätze des Seienden zurü