“AuA 54” — 2008/11/3 — 14:34 — page i — #1
Antike und Abendland
“AuA 54” — 2008/11/3 — 14:34 — page ii — #2
Antike...
37 downloads
1361 Views
26MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
“AuA 54” — 2008/11/3 — 14:34 — page i — #1
Antike und Abendland
“AuA 54” — 2008/11/3 — 14:34 — page ii — #2
Antike Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens herausgegeben von
Wolf gang Harms · Werner von Koppenfels Helmut Krasser · Christoph Riedweg · Ernst A. Schmidt Wolfgang Schuller · Rainer Stillers
Band XLIV
1998
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Inhaltsverzeichnis Redaktionelle Hinweise . . ,
*
Verzeichnis der Mitarbeiter des Bandes Gisela Strasburger, Freiburg i. Br. Die Fahrt des Odysseus zu den Toten im Vergleich mit älteren Jenseitsfahrten ...
IV VI l
Sabine Vogt, München Delphi in der attischen Tragödie
30
Matthew Dickie, Chicago Poets äs Initiates in the Mysteries: Euphorion, Philicus and Posidippus
49
Thomas Köves-Zulauf, Marburg a. d. Lahn Die Worte des Sklaven an den Triumphator
78
Kurt Sier, Leipzig Religion und Philosophie im ersten Proömium des Lukrez
97
Wolf-Lüder Liebermann, Bielefeld Methoden der Dichterinterpretation - das Beispiel der <sympotischen Dichtung> des Horaz (unter besonderer Berücksichtigung von carm. 1,11)
107
Andrea Cucchiarelli, Pisa Eumolpo poeta civile. Tempesta ed epos nel Satyricon
127
Walter Mesch, Heidelberg Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie? Zu den ontologischen Voraussetzungen von Confessiones XI. . . .
139
Udo Kühne, Freiburg i. Br. Nodus in scirpo — Enodatio quaestionis. Eine Denkfigur bei Johannes von Salisbury und Alanus von Lilie
163
Ada Neschke-Hentschke, Lausanne Friedrich August Wolf et la science de Thumanite antique («Altertumswissenschaft»). Contribution a l'histoire des sciences humaines
177
Register
191
Manuskripteinsendungen werden an die folgenden Herausgeber erbeten: Prof. Dr. Wolfgang Harms» Institut für Deutsche Philologie, Universität, Sckellingstraßc 3, 80799 Müncnen - Prof. Dr. Werner von Koppenfels, Boberweg 18, 81929 München - PD Dr. Helmut Krasser, Philologisches Seminar, Universität, Wilheimstr. 36, 72074 Tübingen - Prof. Dr. Christoph Riedweg, KJuseggstr. 18, CH-8032 Zürich - Prof. Dr. Ernst A. Schmidt, Philologisches Seminar, Universität, Wilheimstr. 36, 72074 Tübingen - Prof. Dr, Wplfgang Schuller, Philosophische Fakultät, Universität, Postfach 5$60, 78434 Konstanz - Prof. Dn Rainer Stillers, Leinerstr. l, 78462 Konstanz. Korrekturen und Korrespondenz, die das Manuskript und den Druck betrifft, sind an dein Schriftleiter Prof. Dr. Ernst A. Schmidt zu richten. Die Mitarbeiter erhalten von ihren Beiträgen.-25 Sonderdrucke kostenlos; weitere Sonderdrucke können vor der Drucklegung in dem Sinne, da sie mit der vergangenen, gegenw rtigen und k nftigen11 Wirklichkeit in bereinstimmung stehen.12 Delphi war dementsprechend als eine Instanz der Wahrheitsverk ndung allgemein akzeptiert.13 Dieses Delphi-Bild spiegelt sich auch in den Trag dien. In beiden hier zu behandelnden Dramen bilden die Erhabenheit des Gottes von Delphi und die Zuversicht, durch sein Orakel Hilfe zu erhalten, den religi sen Hintergrund der Handlung. Orestes flieht auf Apollons Befehl als Schutzflehender nach Delphi (Cho. 1034-1043), wo er von Apollon rituell ents hnt - wenn auch nicht endg ltig freigesprochen - wird (Rum. 280-285,577 f.). Im Ion reisen Xuthos und Kreusa nach Delphi, um wegen der Kinderlosigkeit ihrer Ehe um Rat zu fragen (Ion 64-67), was offensichtlich ein h ufiges Anliegen Delphischer Besucher war.14 Die delphische Religiosit t wird in beiden Dramen besonders durch das Terapelpersonal verk rpert. Im Eingang des Prologs der Eumeniden (1-33) preist die Pythia die W rde des Orakels, das in friedlicher Abfolge von Gaia auf Apollon bergegangen ist. Der zentrale Vers 19 erinnert deutlich an den zitierten Vers aus dem Homerischen Hymnus: Διός προφήτης δ' έοτι Λοξίας πατρός. Selbst nach der entsetzlichen Ersch tterung durch den Anblick der schlafenden Erinyen im Tempel fa t sich die Pythia wieder im Vertrauen auf Apollon, der in seiner Funktion als Ιατρόμαντις, τερασκόπος und δωμάτων καθάρσιος (Eum. 60-63) helfen werde. Im Ion erscheint die Pythia ebenfalls als eine ruhige, w rdige Priesterin, die von Apollon gesandt aus dem Tempel tritt (ton 1320-1368), um Ions Mord an Kreusa zu verhindern und dem jungen Mann die Erkennungszeichen seiner Herkunft zu reichen. Noch deutlicher als in der Gestalt der Pythia tritt die religi se Atmosph re Delphis aber in den Reden des jungen Tempeldieners Ion selbst zutage (v. a. in seinem Auftrittslied 82-183, vgl. auch seinen Preis des gl cklichen Lebens in Delphi 633-647), und auch seine Verhaltensweise ist von religi ser Scheu und Achtung gepr gt, die ihn nicht nur vor dem Mordanschlag bewahren - weil er wegen der Unterbrechung seiner Trankspende durch das 11
12
13
14
bermenschliches Wissen von Sehern, Dichtern und G ttern ist im griechischen Denken nicht nur auf zuk nftige Ereignisse gerichtet, sondern bezieht immer auch Vergangenheit und Gegenwart mit ein (vgl. die hexametrische Formel: τα t1 έόντα τα τ? έσόόμενα προ τ' έόντα, ζ. Β. Ilias 1,70). Das Wort νημερτής ist etymologisch von άμαρτάνω () abzuleiten, qualifiziert also einen Sachverhalt als , d. h. mit der Wirklichkeit bereinstimmend. - Zum Problem sogenannter falscher Orakel siehe unten Abschnitt IV. Zweifel an der Glaubw rdigkeit der G tterspr che kamen nicht auf (s. unten S. 38) - h chstens an der Zuverl ssigkeit ihrer Vermittler. Entsprechend entsetzt waren die Reaktionen, wenn wirklich einmal eine Bestechung der Pythia entdeckt wurde: Die von Peisistratos vertriebenen Alkmeoniden in Delphi konnten unter anderem durch die kostbare Ausstattung des Tempelneubaus von 548/47 v. Chr, die Pythia dazu bestechen, jedem ratsuchenden Spartaner unabh ngig von seiner Frage den Auftrag zu erteilen, die · Peisistratiden aus Athen zu vertreiben (Hdt. 5,63,1; vgl. 5,66,1; 6,123). Erst sp ter, nachdem die Spartaner diesen Auftrag erf llt hatten und der Alkmeonide Kleisthenes in Athen seine Reformpolitik durchgesetzt ^ hatte, entdeckten die Spartaner voller Zorn den Betrug und versuchten vergeblich, den Peisistratiden Hippias wieder als Tyrannen einzusetzen (Hdt. 5,90-91), Fontenrose (vgl. Anm. 8) verzeichnet 12 Beispiele (H34, Q28,59,104,160, L4,5,17,23,28, 82, 99).
Delphi in der attischen Trag die
35
L sterwoit eines Gastes den vergifteten Becher ausgie t (1187-1193) -, sondern auch vor der Ermordung der. an den Altar gefl chteten Kreusa zur ckschrecken lassen (1279-1281), obwohl er ihr das Recht abspricht, als Verbrecherin am Altar Schutz zu suchen (1314-1319).15
///. Delphis Einflu
auf die Politik in Athen
Die politischen Beziehungen zwischen Athen und Delphi sind durch zahlreiche Konsultationen des Orakels in entscheidenden Momenten der historischen Entwicklung gekennzeichnet - ganz im oben beschriebenen Sinne, da die g ttliche Autorit t in Delphi vor allem bei wichtigen Entscheidungen befragt wurde, die die ganze Polisgemeinschaft betrafen und f r die nicht ein einzelner Mensch die Verantwortung bernehmen konnte. So bat Kleisthenes 508/7 v. Chr. die Pythia, die Namen der eponymen Heroen f r die zehn Phylen zu w hlen, in die er Attika eingeteilt hatte.J6 Mit ihrer Antwort sanktionierte die Pythia zugleich die ganze Phylenordnung, und somit galt das Fundament der neuen, erstmals dem Grundsatz der Isonomie folgenden Verfassung als von Apollon bef rwortet. Weitere Entwicklungsschritte der Demokratie waren mit Themistokles' Bem hungen verbunden, Athen zu einer Seemacht zu machen. Er konnte im kritischen Moment der akuten Bedrohung durch die Perser seine Politik unter Berufung auf Delphi durchsetzen (Hdt. 7,140-143): Als Xerxes die Perser zu Land und zu See gegen Griechenland f hrte, hatten bereits etliche Staaten in Delphi angefragt, ob sie sich den Kriegsvorbereitungen der Athener anschlie en oder sich den Persern ergeben sollten. Argos und Kreta waren unter den ersten Ratsuchenden, und sie erhielten den Rat, ihre Neutralit t zu wahren bzw. sich selbst zu sch tzen (Hdt. 7,148,2-3 und 7,169). Auch das Orakel, das die Athener einholten, riet in dringenden Worten zur Flucht. Die Gesandten erbaten jedoch als Hilfsflehende ein zweites, g nstigeres Orakel, und erhielten nun die Prophezeiung, ein τείχος ξύλινον werde bestehen bleiben und: ώ θείη Σαλαμίς, άπολεΐς δε συ τέκνα γυναικών (Hdt. 7,141,3-4). In Athen wurde die Bedeutung dieses Spruches kontrovers diskutiert: Bedeutete die «h lzerne Mauer» die Dornenhecke um die Akropolis oder die Schiffe? Sagte der Hinweis auf Salamis nicht eine Niederlage dort voraus? Themistokles konnte schlie lich die Athener davon berzeugen, seinem Plan zu folgen: die Stadt zu verlassen und die Seeschlacht zu riskieren. Er legte dar, Salamis w re von Apollon nicht als «g ttlich» apostrophiert worden, wenn es nicht der Schauplatz eines Sieges der Griechen werden sollte. Von modernen Historikern wird bisweilen angenommen, Delphi h tte sich bei den Athenern durch die zur Flucht ratenden Orakel diskreditiert, nachdem wider alles Erwarten der endg ltige Sieg ber die Perser errungen war.17 Da diese Deutung nicht zutrifft, bewei15
16 17
Die Charakterisierung des Ion als fromm und Apollon ergeben analysiert Harvey Yunis, A New Creed: Fundamental Religion* Beliefs in the Athenian Polis and Euripidean Drama, G ttingen 1988 (Hypomnemata 91), 121-138. Vgl. auch Hermann Rohdich, Die Euripideische Trag die. Untersuchungen zu ihrer Tragik» Heidelberg 1968,111 -118, der Ions Leben in Delphi als ein religi ses Idyll auffa t, durch das Ions Weltverst ndnis als'<sokratisch> {i. S. v. ideal) und untragisch charakterisiert werde. Arist. Ath. Pol. 21,6. - Zur politischen Bedeutung als Sanktion aus Delphi vgL Irad Malkin, Religion ... (vgl.Anm. 10), 243-245. So z. B. immer noch D. M. Lewis in: CAH V2, 1992, 99. Gegen diese Ansicht wendet sich Parker (vgl. Anm. 9), 317 f.
36
Sabine Vogt
sen die zahlreichen kostbaren Weihgeschenke, die Apoll n in Delphi ebenso wie Zeus in Olympia gestiftet wurden und die nicht etwa als eine provokative Demonstration, seiner Fehleinsch tzung der Lage, sondern als aufrichtige Zeichen der Dankbarkeit gegen ber dem Gott zu verstehen sind.1* Au erdem ist nachweisbar, da die Athener Delphi nach wie vor konsultierten, wenn auch die Nachrichten dar ber nicht mehr so zahlreich sind - denn die Historiker nach Herodot zeigten kein vergleichbares Interesse mehr an Delphi. Thukydides richtet sich im Rahmen seiner Ablehnung von Aberglaube und Weissagern h ufig gegen Personen, die unreflektiert und voreilig Delphische Orakelspr che deuten; das Orakel selber jedoch kritisiert er nicht.19 Delphi wurde auch von nderen Poleis nach wie vor in politischen Fragen konsultiert. So holten sich die Epidamnier, als Korkyra ihnen den Beistand verweigert hatte, in Delphi die Best tigung f r ihr Vorhaben, sich um Hilfe an Korinth zu wenden; mit dieser Vorsichtsma nahme sicherten sie sich die g nstige Aufnahme ihres Hilfegesuchs an die Korinther (Thuk. 1,25,1 -3). Die Spartaner lie en sich ihr Urteil, da die Athener den Vertrag gebrochen h tten, durch eine Nachfrage in Delphi sanktionieren, bevor sie mit ihrem Angriff den Peloponnesischen Krieg begannen (Thuk. 1,118,3): αύτοΐς μεν ούν τοις Λακεδαιμονίοις δίέγνωοτο λελύσθαι τε τάς όηονδάς και τους Αθηναίους άδικεΐν, πέμψαντες δε ες Δελφούς έπηρώτων τον θεον ει πολεμοοσιν άμεινον εσται· ό δε άνεΐλεν αύτοΐς, ως λέγεται, κατά κράτος πολεμοϋσι νίκην εσεσθαι, και αυτός έφη ξυλλήψεσθαι και παρακαλούμενος και άκλητος. Es verwundert nicht, da diese deutliche Parteinahme des Gottes von Delphi eine entmutigende Wirkung in Athen zur Folge hatte. Als noch im ersten Kriegsjahr die Pest in Athen ausbrach, glaubten viele Athener, die Krankheit sei die vom Gott angek ndigte Hilfe f r die Spartaner (Thuk. 2,54). Selbst das hielt die Athener jedoch nicht davon ab, Delphi weiterhin um Rat zu fragen20 - sogar nach einer Heilung von der Seuche.21 In den letzten
18
19 20
Vgl. Werner Gauer, Weibgeschenke aus den Perserkriegen, Istanbuler Mitteilungen, Beiheft 2,1968, bes. 127: «Der gr te Teil der monumentalen Weihgeschenke aus den Perserkriegen stand in Delphi. Die unbestrittene religi se Autorit t des pythischen Apoll n und seines Orakels, die in diesen Jahrzehnten ihren H hepunkt erreichte, gab Delphi die selbstverst ndliche Anwartschaft auf die vornehmsten Beuteanatheme.»; ebd. Anm. 601: «Die Schonung der Heiligtums [die oft als Anzeichen eines Medismos verstanden wird] erkl rt sich einerseits durch die religi se Toleranz der Perser, andererseits dadurch, da 9 von den 12 Mitgliedst mmen der mphiktyonie auf Seiten der Perser standen. Die reichen Weihgeschenke und die Zehnt-Gel bde zugunsten des delphischen Apoll n lehren zur Gen ge, da f r die Sieger von Salamis und Plataeae die religi se Autorit t des Gottes unbestritten war und da man ihm einen etwaigen Medismos der Delpher nicht zur Last legte.» Vgl. Nanno Marinatos, Tbucydides and oracles, JHS 101,1981,138-140. Im Nikias-Frieden von 421 v. Chr. wurden der freie Zugang nach Delphi und die Unabh ngigkeit der Delpher garantiert (Thuk, 5,18,2), woraus sich einerseits die gro e Bedeutung von Delphi als neutrales Kult- und Orakelzentrum f r die Kriegsparteicn erkennen la t, was andererseits aber auch darauf schlie en l t, da ein freier Zugang nach Delphi nicht immer gew hrleistet war. Ein Vers aus den 414 v. Chr. aufgef hrten V geln des Aristophanes legt nahe, da die Boioter den Athenern zeitweise die Reise nach Delphi erschwertem ... ήμεΐς, ην ίέναι βουλώμεΟα / ΠυΟώδε, Βοιωτούς δίοδον αίτούμεθα... (1:88 f.). - Walter Burkert (CAH V2, 1992, 262 f.) nimmt an, da die Einholung eines Orakels zur Etablierung des BendisKultes aus Dodona und nicht aus Delphi ein Hinweis darauf sei, da Delphi sich feindlich gegen ber Athen erwiesen hatte. Die von ihm akzeptierte Datierung der betreffenden Inschrift IG P 136 in die Zeit
Delphi in der attischen Trag die
37
Jahren des Archidamischen Krieges lie en sich die Athener in Delphi die Aufforderung an ihre Verb ndeten und andere Poleis sanktionieren, Demeter und Persephone in Eleusis Ernte-Opfer darzubringen; ein politisch u erst vorteilhaftes Orakel, auch wenn es auf neutralen kultischen Belangen basierte.22 Apollons Parteinahme f r die Spartaner verursachte also offensichtlich keine bleibenden Ressentiments der Athener gegen ber dem Orakel von Delphi, das brigens nach der Niederlage 404 v. Chr. die Spartaner wahrscheinlich23 sogar von der Zerst rung der Stadt abhielt. Ferner erinnerten sich die Athener offenbar auch im Krieg an eine alte, nahezu hymnische Vorhersage der Pythia:24 εύδαιμον πτολίεθρον Άθηναίης άγελείης, πολλά ίδον και πολλά παθόν καΐ πολλά μογησαν, αιετος εν νεφέλησι γενήσεαι ήματα πάντα. IV. Das : Ambiguit t und Hermeneutik Diejenigen Kontexte, in denen ausf hrlicher ber in Delphi erteilte Orakel berichtet wird in denen es also nicht nur auf das Faktum ankommt, da ein solches Orakel erteilt wurde weisen eine Art Leitmotiv auf, das hier als bezeichnet werden soll: der Zusammenhang zwischen der Ambiguit t vieler Orakelspr che und dem Deutungsproze , den der Fragesteller anstrengen mu , um aus den Worten des Gottes eine Konsequenz f r sein Handeln zu ziehen. Denn bei einer Orakelkonsultation wird der Mensch mit einem Wissen konfrontiert, in das er allein aus menschlichem Verm gen keinen Einblick h tte •gewinnen k nnen. Auch wenn er davon ausgeht, da das Orakel von Delphi Wahrheit verk ndet, so hei t das nicht, da diese Wahrheit dem naturgem beschr nkten menschlichen Verstand leicht zug nglich w re. Der Orakelspruch ist f r den Fragesteller vielmehr eine Denkaufgabe, ein zu l sendes R tsel, das schon auf den ersten Blick unverst ndlich oder
21
22
23 24
um 413/12 v. Chr. legt jedoch nahe, da dies mit den u eren Hindernissen und nicht mit einer inneren Ablehnung der Athener gegen ber dem Delphischen Apollon zu begr nden ist. Jedoch bleibt im Zusammenhang mit dem Bendis-Kult in Athen vieles unsicher, unter anderem auch die Datierung der Inschrift und die Verbindung mit Dodona; siehe ausf hrlich Robert Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996,170-175. Paus. 1,3,4 erw hnt eine Statue des Apollon Alexikakos auf der Athener Agora, die sie w hrend der Pest im Peloponnesischen Krieg -auf ein Delphisches Orakel hin errichtet h tten. — Zeugnisse weiterer Orakelbefragungen der Athener bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges bei Parke/Wormell (vgl. Anm, 8) 1,180-202. P/W 164, Font. H9 = IG P 78,24-26. Auf diese Weise wurden sowohl die Verb ndeten enger an Athen gebunden als auch dem Kult von Eleusis eine f>anhellenische Dimension verliehen. Noch im 3. Jh. v. Chr. kamen die meisten griechischen Poleis dieser religi sen Pflicht nach, wie Isokrates (Paneg. 31) bezeugt. P/W. 171, Font. Q 198; das Orakel ist allerdings erst sp t bezeugt: Athen. 5,187d; 6,254b; Schol. Aristides Panatb. 196; Aelian, VH 4,6. Schol. Aristoph. Eq. 1013 a. — Die fr heste Anspielung auf dieses Orakel steht in den (vom zitierten Scho asten kommentierten) Worten des Demos in den 424 v. Chr. aufgef hrten Rittern des Aristophanes (1011-13): fiye νυν όπως αυτούς άναννώσεσθέ μοι, / καΐ τον περί εμού 'κεΐνον φπερ ήδομαι, / ως εν νεφελ^σιν αίετός γενήοομαι. Weder Aristophanes noch sein Scholiast erw hnen allerdings in diesem Zusammenhang Delphi; erst Aristides zitiert den Spruch im Rahmen einer Aufz hlung von Delphischen Verhei ungen der Gr e Athens (Aristid Panath. 196 mit Schol. und Scbol. Aristoph. Av. 978 a).
38
Sabine Vogt
mehrdeutig sein kann. H ufig ist aber auch hinter einer an der Oberfl che liegenden und scheinbar eindeutigen Bedeutung eine andere, oft gegens tzliche Bedeutung verborgen, die in der sprachlichen Formulierung - besonders in Metaphern, Bildern, Gleichnissen und Andeutungen - versteckt liegt. Als Beispiel f r Doppeldeutigkeit (αμφιβολία) zitiert Aristoteles in der Rhetorik (1407a38) daher auch das ber hmte Orakel an Kroisos: Κροίσος "Αλυν διαβάς μεγάλην αρχήν καταλύσει. In der Kroisos-Geschichte charakterisiert Herodot (1,26-91) den K nig mehrfach dadurch, da er sich mit einer oberfl chlichen Deutung von Orakelspr chen zufriedengibt, wenn sie seinen W nschen entsprechen, aber trotz Warnungen nicht den tieferen Sinn der Spr che zu verstehen versucht.25 Ein Musterbeispiel f r den angemessenen Umgang mit einem Orakelspruch ist dagegen Herodots bereits erw hnter Bericht ber das Orakel der «h lzernen Mauer» (7,140-143), mit dem Themistokles die Athener berzeugen konnte, die Schlacht von Salamis zu wagen. Da die Griechen sich der hermeneutischen Schwierigkeit bewu t waren, in der sich der beschr nkte menschliche Verstand gegen ber dem Wort des Gottes befand, zeigt die Tatsache, da das Mi verstehen von Prophetie allgemein als Fehler von Seiten des menschlichen Geistes verstanden, nicht jedoch als Fehler des Orakels angesehen wurde.26 Dies belegt auch ein Fragment des Sophokles: και τον θεόν τοιούτον έξεπίσταμαι, / σοφοΐς μεν αίνικτηρα θεσφάτων άει, / σκαιοΐς δε φαΰλον καν βραχεί διδασκάλον. (TrGF IV, F 771). Die Bedeutung des f r die meisten ausf hrlicheren literarischen Kontexte ber Delphi kann an den erhaltenen Trag dien gut demonstriert werden. Denn auch dort bilden Delphische Orakel mehrfach Konstituenten der Handlung. In sechs der erhaltenen Dramen sind bestimmte Handlungsweisen einzelner Personen durch ein Orakel angeregt, wobei die Inhalte der erteilten Orakelspr che nebens chlich sind und nur kurz erw hnt werden; das spielt in diesen F llen also keine Rolle.27 Zentrale Bedeutung haben Delphische Orakel dagegen in den tragischen Umsetzungen der Mythen um Oidipus, Orestes und Ion. Die Geschichte des Oidipus ist von mehreren Orakeln des Apollon begleitet. Sein Vater Laios erf hrt von der Gottheit, sein Sohn werde ihn t ten. Dabei gewichten die Tragiker diese Weissagung unterschiedlich: Bei Aischylos und Euripides ist sie als Warnung formuliert, einen Sohn in die Welt zu setzen;28 Laios macht sich also schuldig, indem er dagegen verst t. Sophokles jedoch l t das Orakel als Prophezeiung einer unvermeidlichen Zukunft 25
26
27
28
Vgl. Jutt«i Kirchberg, Die Funktion der Orakel im Werke Herodots (Hypomnemata.il), G ttingen 1965, 11 -32; Ludwig Huber, Religi se und-politische Beweggr nde des Handelns in der Geschichtsschreibung des Herodot (Diss. T bingen 1963), Bielefeld 1965; zur Doppeldeutigkeit der Orakel bes. 46. Marinatos (vgl. Anm. 19), 138 hat diese Auffassung f r die Darstellung von Orakeln bei Herodot und Thukydides nachgewiesen; da sie ebenso f r die Tragiker zutrifft, wird aus dem folgenden deutlich. Teukros sucht in gypten Rat wegen eines Orakelspruches (Eur. Hei 146-149) und ersch ttert Helena durch die Nachrichten ber das Ende des Trojanischen Krieges. -Medeas Racheplan wird erst dadurch realisierbar, da ihr Aigeus ahnungslos Asyl in Athen verspricht, als er auf der R ckreise von Delphi (Med. 666-681) durch Korinth kommt. - Ιο passiert auf ihrer Flucht den Felsen des Prometheus, nachdem sie auf Gehei eines Orakel von ihrem Vater versto en worden ist (Aisqh. Prom. 658-668). - Das Grab des ' Eurystheus in Athen soll nach Apollons Auskunft zum Segen f r die Stadt werden (Eur. Herakleid. 1026-38). - Adrastos unterst tzt Polyneikes im Krieg gegen Theben (das Kadmos einst gem einem % Orakelspruch gegr ndet hat: Eur. Phoen. 638-648) deswegen, weil er ihn aufgrund eines Delphischen Orakels als Schwiegersohn aufgenommen hat (Eur. Hik. 138-146; Phoen. 408-423). Aisch. Sept. 748 f. und Eur. Phoen. 17-20,1597-1599.
Delphi in der attischen Tragödie
39
erscheinen,29 für die also weder Laios noch Oidipus verantwortlich gemacht werden können. Das Gegenstück zum Orakel an Laios bildet bei Sophokles die Antwort des Orakels auf Oidipus' Frage nach seiner Herkunft: er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten.30 Die Erkenntnishandlung des König Oidipus beschreibt seinen Weg, dieses Orakel zu verstehen.31 Eine nachträgliche positive Bewertung von Oidipus' Konsequenz, diesen Weg bis zur Katastrophe verfolgt zu haben, stellt seine Apotheose im Oidipus auf Kolonos dar, die wiederum durch eine Weissagung von Apollon über den Ort seines Sterbens ermöglicht wird.32 Auch die sechs auf uns gekommenen dramatischen Fassungen des Orestes-Stoffes nehmen ihren Ausgang von einem Orakel, das Orestes* Muttermord als Rache für Agamemnon entweder fordert (bei Aischylos und Euripides)33 oder wenigstens sanktioniert (Soph. EL 32—37). Orestes* Erkenntnisprozeß, daß Rache für den Vater zugleich den Mord an der Mutter bedeutet, wird von Aischylos zwar nicht direkt thematisiert, dient ihm aber zur Charakterisierung seines Helden.34 Nach der Tat in Argos sucht Orestes Entsühnung und Befreiung von der Verfolgung durch die Erinyen in Delphi, das im ersten Drittel der Eumeniden des Aischylos den Bühnenschauplatz bildet, ohne daß dort jedoch ein weiteres Orakel erteilt würde. Orestes wird von Apollon zur Gerichtsverhandlung nach Athen geschickt, wobei erst Euripides diesen Auftrag in die Form eines Orakels kleidet; bei Aischylos erteilt Apollon ihn in direktem Gespräch.35 In der Iphigenie bei den Taurern (976-978) erfindet Euripides ein erneutes Orakel, das Orestes später noch einmal mit einem Auftrag nach Tauros schickt; hier kommt es auf das Orakel nur als Auslöser einer Handlung an, hermeneutische Schwierigkeiten werden nicht erwähnt. Im Ion des Euripides wird das zum zentralen Movens der Handlung, denn das athenische Königspaar Xuthos und Kreusa ist nach Delphi gereist, um wegen seiner Kinderlosigkeit Rat einzuholen. Hermes erläutert im Prolog Apollons Plan, durch den Orakelspruch an Xuthos Ion zum König von Athen und Stammvater der lonier zu machen, dabei seine eigene Vaterschaft aber geheimzuhalten; nur Kreusa solle Ion als ihren Sohn erkennen, den sie einst von Apollon empfing, heimlich gebar und aussetzen mußte (67-75). 29 30
31
32 33 34
35
Soph. Oid. Tyr. 713 f., 853 f., 906-908,1176. Soph. Oid. Tyr. 791-793, 994-996. - Oidipus versteht das Orakel nicht als Antwort auf seine Frage, obwohl es doch besagt: <wen du erschlagen wirst, der ist dein Vater, und die du heiratest, deine Mutter>. Vgl. Hellmut Flashar, Hegel, Ödipus und die Tragödie des Sophokles, in: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels, hrsg. v. Christoph Jamme unter Mitwirkung von Frank Völkel (Hegel-Deutungen 2), Hamburg 1996, l-25, hier 18 f. Vgl. z. B. Eckard Lefevre, Die Unfähigkeit, sich zu erkennen. Unzeitgemäße Bemerkungen zu Sophokles9 Oidipus Tyrannos, WJb N. F. 13, 1987, 37-58; Arbogast Schmitt, Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen 9 RhM N. F. 131,1988,8-30; Bernd Manuwald, Oidipus undAdrastos. Bemerkungen zur neueren Diskussion um die Schuldfrage in Sophokles' «*, RhM N. F. 135,1992,1-43. * Soph. Oid. Kol 84-95. Aisch. Cho. 269-296,1029-1033, Eur. El. 973 u. a., Or. 416,594, Ipb. Taur. 714 f. . Orestes wird sich erst, als er schon das Schwert gegen Klytaimestra erhoben hat, dessen bewußt, daß seine gerechte Rache für den Vater zugleich Muttermord bedeutet (Cho. 899); vgl. Sabine Vogt, Das Delphische Orakel in den Orestes-Dramen, in: Orchestra. Mythos, Drama, Bühne, Festschrift für Hellmut Flashar, hrsg. v. Anton Bierl und Peter von Möllendorff, Stuttgart u. Leipzig 1994,97-104. Wenn Apollon Orestes in den Eumeniden befiehlt, nach Athen weiterzuziehen (Eum. 64-84 und 88-93), weist die Gesprächssituation kein Kennzeichen einer Orakelkonsultation auf. Erst bei Euripides spricht Orestes auf Tauros von diesem Auftrag als einem erneuten Orakelspruch (Iph. Taur. 972-978).
40
Sabine Vogt
Das dramatische Geschehen ergibt sich nun aus den unterschiedlichen Reaktionen von Xuthos und Kreusa auf das Orakel, das der König im Tempel erhält. Es wird zwar nie im Wortlaut genannt, seine Aussage läßt sich aber aus verschiedenen Hinweisen rekonstruieren:36 <Apollon gibt dem Xuthos denjenigen zum Geschenk, der ihm beim Verlassen des Tempels zuerst begegne, und er betont, jener sei sein Sohn.> Die Ambiguität liegt in diesem ansonsten klar verständlichen Orakel in einer einzigen ungenauen Formulierung: das Possessivpronomen kann sich sowohl auf Apollon als Subjekt des Satzes als auch auf das indirekte Objekt Xuthos beziehen. Xuthos nimmt nur die zweite Möglichkeit wahr und ist bereit, in Ion ein von ihm selbst bei einem früheren Besuch im Rausch gezeugtes Kind einer Delpherin zu sehen (550-555). Ion akzeptiert die Erklärung widerwillig, da sie ihm vom Gott gewollt scheint (557). Der Chor gibt diese Auslegung entgegen Xuthos' Befehl an Kreusa weiter (774 f.); auf der Grundlage dieser spärlichen Information meint der alte Diener sogleich, eine böswillige und seit langem geplante Intrige des Xuthos gegen seine Frau erkennen zu können (813-829). Weil der Chor zuerst - ohne jede sachliche Grundlage - die Prophezeiung hinzufügt, Kreusa werde ihr Leben lang kinderlos bleiben (761 f.), fühlt sie sich nun von Apollon hintergangen, der ihr eigenes gemeinsames Kind seinerzeit habe sterben lassen und nun einen Fehltritt des Xuthos begünstige (907-922). Diese Deutungen und emotionalen Reaktionen basieren auf einer zunehmend ungenauen oder gar verfälschten Kenntnis des Orakelspruches und haben eine Entwicklung zur Folge, die zweimal beinahe zum unwissenden Kindes- bzw. Muttermord führt.37 In der durch die Pythia herbeigeführten Anagnorisis vollzieht Kreusa die entscheidende Wende von der durch Leidenschaft verblendeten Anklage an Apollon zur wahren Einsicht in seine Absichten: «Obwohl auch sie den Spruch des Gottes nicht persönlich vernommen hat, errät sie seinen Sinn in dem Augenblick, da sie ihr Kind wieder in den Armen hält. Denn ihre Aussage 1534-1536 ist nicht nur im Einklang mit der von Apollon selbst autorisierten Erklärung Athenes in 1561, sondern gibt die Bedeutung der Weissagung auch so wieder, wie Loxias sie gemeint hat. Ferner erkennt sie klär, was der Gott mit seinen dunklen Plänen beabsichtigt hat (1539-1545): Ion kann nur als Xuthossohn, nicht aber als Gottessohn Herrscher in Athen werden. Und wiederum bestätigt Athene diesen Gedanken im Auftrag ihres Bruders Apollon (1562 [...]; vgl. 1540 f.).»38 Athenes Auftreten als dea ex machina hindert Ion daran, im Tempel von Apollon eine eindeutige Auskunft nach seinem leiblichen Vater zu verlangen (1547 f.). Sie verkündet, wie sich Apollons Plan erfüllt hat, Ion zum König in Athen und Stammvater der lonier zu machen (73-75,1570-1588):39 Neben seiner Fürsorge für Mutter 36
37
38 39
Ich folge hier der Interpretation von Heinz Neitzel, Apollons Orakelspruch im des Ettripides, Hermes 116, 1988, 272-279, und gebe in der Paraphrase seine Rekonstruktion des griechischen Wortlautes (275) wieder. - Eine Analyse der verschiedenen Stellen, die das Orakel erwähnen, gibt auch Barbara Gauger, Gott und Mensch im Ion des Euripides. Untersuchungen zum Dritten Epeisodion des Dramas, Bonn 1977,78-89. Sie leitet daraus jedoch wenig überzeugend eine Doppeldeutigkeit in dem Sinne ab, daß Xuthos einen Auftrag zur bloßen Adoption als Beweis seiner leiblichen Vaterschaft mißverstehe. Die Delphische Religiosität des Ion verhindert in beiden Fällen die Katastrophe (siehe oben S. 34 f.); als Kreusa am Altar bedroht wird, greift zudem die Pythia ein und lenkt Ions Aufmerksamkeit auf die Suche ' nach seiner Mutter (Ion 1320-57). ; Neitzel (vgl. Anm. 36), 278. . , Gauger (vgl. Anm. 36), 99-105 weist im einzelnen nach, in welchen Schritten Apollon durch sein Eingreifen seinen Plan verwirklicht, Ion zum König von Athen und Stammvater der lonier zu machen (Ion 73-75).
Delphi in der attischen Tragödie
41
und Sohn in der Vergangenheit, die beiden jedoch verborgen blieb (1595-1600), diente diesem Zweck vor allem das Orakel an Xuthos, das jedoch Kreusa und Ion zu ihren gegenseitigen Mordversuchen veranläßte, so daß Apollon die Anagnorisis entgegen seinem ursprünglichem Plan (71 f., 1566-1568) nicht in Athen, sondern bereits in Delphi stattfinden lassen mußte.40 Xuthos, der das Orakel in eigener Person erhalten hatte, darf jedoch die wahren Hintergründe nie erfahren (1601 f.) und wird weiterhin an seine Fehlinterpretation glauben. In diesen drei Stoffen ist das Orakel insofern zentral, als die Handlung der Dramen weitgehend aus der Umsetzung des besteht: die handelnden Personen werden mit einem ihnen zunächst unverständlichen Orakelspruch konfrontiert, dessen wahre Bedeutung sie erst verstehen und in der ganzen Reichweite ihrer Konsequenzen begreifen lernen müssen. Bei keinem dieser wie auch der eingangs genannten sechs nebensächlichen Orakel ist Delphi als Schauplatz seiner Erteilung für das Geschehen wichtig, denn die handlungsrelevante Bedeutung der Orakelstätte hat nichts mit ihrer Lokalisierung in Delphi zu tun. Vielmehr wirken sich die Orakelsprüche auf ein Geschehen aus, das nicht am Ort ihrer Erteilung stattfindet, sondern in der lokalen Umgebung der Fragesteller, die von Delphi aus nach der Konsultation, zu der sie extra angereist waren, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Die Darstellung von Delphi als Bühnenschauplatz in Eumeniden und Ion muß also anders zu erklären sein als durch die Bedeutung des Orakels für die Handlung, zumal einerseits in den Eumeniden gar kein Orakel mehr erteilt wird (Apollon äußert seinen Auftrag an Orestes, nach Athen zu ziehen, in direktem mündlichen Gespräch und' ohne vorausgegangene Frage: Eum. 74—84), andererseits die Auseinandersetzung mit dem im Ion zentralen Orakelspruch aber auch in Athen spielen könnte,41 denn außer der Pythia und Ion sind alle beteiligten Personen Athener; Ion selbst gehört aufgrund seiner Herkunft nach Athen ebenso wie nach Delphi. In beiden Dramen ist gleichzeitig der Bezug auf Athen von besonderer Bedeutung: Athen als Schauplatz vergangener (Kreusas Vergewaltigung und Ions Geburt) oder künftiger (Ions Herrschaft; Orestes* Freispruch) Teile der mythischen Handlung wird immer wieder in die Szene in Delphi hineingespiegelt. V. Delphi und Athen in den Eumeniden Jagen am Ende der Choephoren die Erinyen Orestes aus Argos, so zeigt die Bühne zu Beginn der Eumeniden das Ziel seiner Flucht, den Tempel von Apollon in Delphi. Der Gott hat durch sein Orakel Orestes den Befehl zur Rache erteilt (Cho. 269-296) und hinzugefügt, Orestes solle sich nach der Tat als Schutzflehender nach Delphi begeben (Cho. 1029-1039). Der Chor bestärkt ihn in der berechtigten Hoffnung, dort Befreiung zu finden (Cho. 40
41
Gauger (vgL Anm. 36), 103: «bei objektiver Betrachtung ein relativ unbedeutender Teil seines Vorhabens;» - Notwendig geworden war diese Änderung durch die von Apollon offensichtlich nicht beabsichtigten Reaktionen der aufgrund der Unkenntnis seiner wohlmeindenden Pläne verzweifelten Menschen; vgl. dazu Michael Lloyd, Divine and Human Actton in Eunpides* Ion, A & A 32, 1986, 33-45, der allerdings Apollon m. E. zu negativ bewertet. Für die nur fragmentarisch erhaltene Kreusa des Sophokles (TrGF IV, F 350-359) nimmt Anne P. Burnett, Catastropbe Survived. Euripides' Plays ofMixed Reversal^ Oxford 1971,103, den Palast der Ercchthiden in Athen als Schauplatz an.
42
Sabine Vogt
1059 f.), als er beim Anblick der Erinyen vom Wahnsinn ergriffen wird und in Panik von der B hne st rzt (Cho. 1048-1062). Die Kontrastwirkung zu dem ruhigen, friedlichen Prologbeginn der Pythia k nnte kaum gr er sein: sie besingt die friedliche bergabe des Orakelheiligtums von Gaia ber Themis und Phoibe an Apollon (Eum. l -33). Durch diese Gestaltung des bergangs zwischen den beiden letzten Teilen der Trilogie wird dem Publikum die Gewi heit suggeriert, da Orestes in Delphi endg ltig ents hnt und von den Erinyen befreit w rde - schlie lich geh rt die rituelle Reinigung von Blutschuld zu den Funktionen des Delphischen Apollon,42 der in diesem Fall die Tat durch sein Orakel sogar selbst von vornherein sanktioniert hat. Als Apollon mit Orestes gemeinsam aus dem Tempel tritt und ihm zusichert: ούτοι προδώσω... (64)43, scheint diese vielf ltig begr ndete Erwartung vollauf best tigt; nach zehn weiteren Versen erfolgt jedoch die Wendung, die Orestes gewisserma en ebenso berrascht wie das Publikum: όμως δε φεύγε... (74). Wohin Orestes sich wenden soll, wenn schon Delphi ihm keinen sicheren Schutz gew hren kann - Apollon kann die Erinyen nur vor bergehend einschl fern, um seinem Sch tzling eine kurze Rast im Tempel und einen Vorsprung auf der weiteren Flucht zu gew hrleisten -, wird erst f nf Verse sp ter klar: μόλων δε Παλλάδος ποιι πτόλιν... (79). Dieser Umschwung ist umso bemerkenswerter, als es sich dabei um eine Mythenerweiterung durch Aischylos handelt; vor seiner Orestie war Athen in keiner Weise mit den Ereignissen um Orestes verbunden.44 Die Handlung, die das Publikum in Delphi wohl vorrangig erwarten darf, n mlich die rituelle Ents hnung des Mutterm rders durch Apollon, ist aus der Szene in Delphi r umlich und zeitlich v llig verdr ngt. .Erst in Athen wird im Nachhinein erw hnt, da Apollon Orestes mit Ferkelblut bespritzt und durch heilige Waschungen gereinigt hat.45 Die traditionelle Funktion des Delphischen Gottes, die die Kette von Mord und Blutschuld im Atridenhaus beenden k nnte, wird von Aischylos zur berraschung seines Publikums in den Hintergrund ger ckt, um der von ihm neugeschaffenen Rolle Athens und seines Gerichts unter Athenes Vorsitz gr eres Gewicht zu verleihen. In Athen endet denn auch die Trilogie, die von dem argivischen Stoff des Atridenhauses ihre.n Ausgang nahm, mit rein athenischen Belangen. Denn die eigentliche OrestesHandlung ist schon in Vers 777 mit Orestes' Dankesworten und Abgang beendet; das letzte Drittel des Dramas handelt allein davon, wie die Erinyen von Athene mit dem Richterspruch vers hnt werden und ihren der Polis angedrohten Fluch in einen Segen verwandeln. Damit werden nicht nur die fluchbeladenen Geschicke des Atriden-Hauses zu einem kosmologischen Konflikt zwischen chthonischen und olympischen G ttern berh ht, sondern in der L sung dieses Konfliktes berlagern einander auch die beiden Schaupl tze Delphi und Athen. Dies wird auch durch die Verdoppelung einzelner Motive deutlich. So zeigt die 42 43
44
45
Vgl. Walter Burkert, Greek Religion. Archaican Ciassical, Harvard 1985, 79-82 und 147; Robert Parker, Miasma. Pollution and Pimflcation in Early Greck Religion, Oxford 1983,139-142. Mit diesen Worten best tigt Apollon r ckwirkend Orestes* zuversichtliche Annahme gegen ber Elektra und dem Chor, da der Racheplan gar nicht scheitern k nne: ούτοι προδώσει Λοξίου μεγασθενης χρησμός... (Cbo. 269 f.) _ Vgl. Hellmut Flashar, Orest vor Gericht, in: Walter Eder u. Karl-Joachim H lkeskamp (Hrsg.), Volk und Verfassung im vorhellenistischen Griechenland. Beitr ge auf dem Symposium zu Ehren von Karl-Wilhelm Welwei in Bochum, 1.-2. M rz 1996, Stuttgart 1997,99-111. So sagt zuerst Orestes (Eum. 280-285), sp ter auch Apollon (577 f.). Vgl. Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus. The Dramatic se of Exils and Entrances in Greck Tragedy, Oxford 1977,381-384.
Delphi in der attischen Trag die
43
Auseinandersetzung zwischen den Erinyen und Apollon vor Gericht Parallelen zu ihrem Streit auf dem Tempelvorplatz, als der Gott die Eindringlinge aus seinem Heiligtum vertreibt.46 Nachdem Athene die Emp rung der Erinyen nach der Urteilsverk ndung bes nftigen konnte und sie ihre Drohungen gegen Athen in Segensverhei ungen verwandelt haben - also von Erinyen zu Eumeniden geworden sind --, ist der Zustand eingekehrt, den die Pythia eingangs, auf Delphi bezogen, besungen hatte: die chthonischen M chte gestehen den olympischen G ttern neidlos und friedvoll, die Herrschaft zu.47 Die Vers hnung der Erinyen am Ende best tigt also r ckwirkend, da nun auch der friedliche Prolog wieder Geltung hat. Damit wird der Bezug zwischen den beiden Schaupl tzen noch enger: in Delphi wird pr figuriert, was in Athen vollendet werden wird — was aber schon in Delphi zu erwarten gewesen w re. Denn der Schauplatz Delphi wird als Endpunkt von Orestes' Flucht angek ndigt, erweist sich aber als eine blo e Durchgangsstation auf seinem Weg nach Athen. Wie l t sich diese Beziehung zwischen Delphi und Athen vor dem historischen Hintergrund deuten? Die Orestie wurde 458 v. Chr. aufgef hrt, drei Jahre nach den Reformen des Ephialtes, der die Machtbefugnisse des Areopag beschnitten hatte.48 Der Rat auf dem Areopag, der von Solon mit verschiedenen strafrechtlichen und politischen Befugnissen (vor allem mit der Nomophylakie zur Bewahrung der Verfassung) ausgestattet worden war, beanspruchte seit der Schlacht von Salamis ohne rechtliche Grundlage eine ber seine eigentlichen Aufgaben der Jurisdiktion und Nomophylakie hinausgehende politische Vormachtstellung.49 Ephialtes reduzierte seine Kompetenzen wieder auf das von Solon festgelegte Ma , nahm ihm aber dar ber hinaus auch die Nomophylakie und damit seine politische Bedeutung (Arist. Ath. Pol 25). Aischylos wiederum w hlte f r Athenes Stiftungsrede (Eum. 681—710) Formulierungen, die an Solons Bestimmungen erinnern. Zugleich legt die G ttin fest, da Stimmengleichheit Freispruch bedeutet (Eum. 741); und nur dadurch wird Orestes schlie lich gerettet: Athenes eigener Stimmstein zu seinen Gunsten erzeugt die Stimmengleichheit - die menschlichen Richter befanden Orestes also mit einer Mehrheit von sechs zu f nf Stimmen f r schuldig. In der j ngst von Hellmut Flashar vertretenen Deutung ist diese Konstruktion «hinsichtlich ihrer Relation zu zeitgen ssischen politischen 46
Sie befolgen Apollons Befehl, aus dem Bereich seines Tempels zu weichen (179-197), erst nach einem l ngeren heftigen Wortgefecht (198-231), in dem sie Apollon als den Hauptverantwortlichen f r Orestes* Tat bezeichnen: αυτός συ τούτων ου μεταίτιος πέλη, αλλ' εις το παν έπραξας ως παναίτιος (199 f.). Dementsprechend verk ndet Apollon vor Gericht in Athen nicht nur: καΐ μαρτυρήσων ήλθον [...] και ξυνδικήσων αυτός (576-579), sondern bekennt sofort anschlie end: αίτίαν δ* έ*χω της τοοδε μητρός του φόνου (579 f.). Orestes tritt im Verlauf der Verhandlung (566-743) weitgehend in den Hintergrund; der ganze Rechtsstreit spielt sich zwischen Apollon und den Erinyen ab. Die Kernfrage der Auseinandersetzung wird ebenfalls schon in Delphi pr gnant formuliert: [Xo.] έχρησας ωοτε τον ξένον μητροκτονεΐν; - [An.] έχρηοα ποινας τοο πατρός πέμψαι· τί μην; (202 f.). 47 Damit der Prolog als eine Pr figuration des Schlusses verstanden werden kann, weicht Aischylos in seiner Aitiologie von Apollons Orakel in signifikanten Punkten von anderen Fassungen ab, die etwa die T tung des Drachens Python durch Apollon als Voraussetzung f r seine Orakelgr ndung nennen. Siehe D. S. Robertson, The Delphian Succession in tbe Opening ofthe Eumerudes, CR 55,1941,69-70, und Malcolm Diivics,AescbylMs'Titans, Hermes 118,1990,125-127. "** Ich foJge hier der neuen Beurteilung der Reformen des Ephialtes durch Robert W. Wallace, Tbe Areopagos CouncU. To 307, Baltimore 1989, 77-93. 49 Arist. Athen. Pol. 23, 1: μετά δε τα Μηδικά πάλιν ϊοχυαεν ή εν Άρείφ πάγω βουλή κα\ διφκει την πόλιν, ούοενι δόγματι λαβοΰσα την ήγεμονίαν αλλά δια το γενέοΟαι τί|ς περί Σαλαμΐνα ναυμαχίας αίτία. Vgl. Wallace (vgl. Anm. 48), 77-83.
44
Sabine Vogt
Gegebenheiten eher ein vorsichtiges Zeugnis der Warnung vor der Machbarkeit der Dinge durch den Mensehen, vor dem ) wie es Christian Meier formuliert hat»,50 und nicht etwa ein stolzes Zeugnis demokratischen Selbstbewu tseins. Andererseits bleibt festzuhalten, da Aischylos im Gerichtsverfahren der Enmeniden das Vergeltungsrecht durch die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts mit bestellten Richtern au er Kraft setzt, die nach einem regelrechten Verfahren mit Pl doyers beider Parteien in einer Abstimmung ihr Urteil f llen. Dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, vertreten durch Athene und die richtenden B rger Athens, wird von Aischylos ein berzeugendes Denkmal gesetzt - und zwar in einem Konflikt, der in Argos als Angelegenheit des Atridenhauses begonnen hatte, in der Aischyleischen Konzeption jedoch zu einem Stellvertreterkonflikt f r die Durchsetzung der olympischen G tter gegen ber den chthonischen M chten wird. Ohne die Vermittlung durch Delphi w re es Aischylos wohl kaum m glich gewesen, Athen mit dieser kosmologischen Dimension in Verbindung zu bringen und die Stadt zur Schiedsinstanz ber g ttliche Machtanspr che zu erheben. Dabei ist zu betonen, da auch die Rolle von Delphi im Orestes-Mythos erst von Aischylos ihre Auspr gung erhielt; fr here Mythenversionen kennen Zwar Apollon als Besch tzer des Orestes,51 als Auftraggeber wird er jedoch vor Aischylos nie ausdr cklich bezeichnet.52 In der selbst ndigen, neuen Konzeption von Apollons bernahme der Verantwortung f r Orestes' Handeln, von Athenes L sung des daraus erwachsenden Konfliktes und von der auch in der Schauplatzgestaltung sichtbaren Verbindung dieser beiden Motive schuf Aischylos in der Orestie eine Trilogie von bedeutender politischer Aussagekraft f r Athen.
VI. Athen und Delphi im Ion Durch die zentrale Rolle des Orakelspruches f r das Handlungsgeschehen f hrt Euripides im Ion das von mir als bezeichnete Leitmotiv lebendig vor Augen: die Auseinandersetzung mit der mehrdeutigen Aussage des Orakels (siehe oben S. 40 f.). Auf dieser Ebene ist der Ion also ein durch und durch delphisches Drama. A.i\dere Aspekte lassen Delphi aber durch st ndige Bez ge auf das vergangene und k nftige Geschehen in Athen durch diesen zweiten, im St ck nur virtuell vorhandenen Schauplatz berlagern. Den Schauplatz, dessen Tempel und Altar die Zuschauer vor sich sehen, benennt Hermes zu Beginn des Prologs: ήκω δε Δελφών τήνδε yfjv, ΐν' όμφαλον / μέσον καθίζων Φοίβος ύμνωδεΐ βροτοΐς / τα f οντά καΐ μέλλοντα θεσπίζων αεί. (5-7). Schon der folgende Vers nennt als zweiten zentraler! Ort Athen: εστίν γαρ ουκ άσημος Ελλήνων πόλις, / της χρυσολόγχου Παλλάδος κεκλημένη, ... (8 f.). Damit ist bereits in den ersten Versen die r umliche Dimension des Dramas deutlich: die Handlung wird in vielfacher Weise den 50 51
52
Flashar (vgl. Anm. 44), 105 f. Apollon gibt Orestes einen Bogen, mit dem er sich gegen die Erinyen verteidigen kann (Stesich. fr. 217, 14-24; vgl. Schol. Ewr. Or. 268). Die Rache des Orestes wird zwar durchaus positiv beurteilt {Hes. fr. 23a, 27-30) und von Pindar in Pythie ' 11 mit einem Preis des Orakels von Delphi verbunden, es bleibt aber unsicher, ob damit auf eine dem Publikum bekannte Verbindung von Orestes mit Apollon angespielt wird (zumal die elfte Pyhtie entweder 474 oder 454 v. Chr. zu datieren ist; vgl. Lewis Richard Farnel], Critical Commentary to the Works of Pindar, Amsterdam 1961, 221-225. Bei der - allerdings unwahrscheinlicheren - Sp tdatierung m te wohl eine Abh ngigkeit von Aischylos angenommen werden.)
Delphi in der attischen Tragödie
45
visuell dargestellten Handlungsschauplatz Delphi und den in den Reden allgegenwärtigen Ort Athen miteinander verbinden. Dies kommt klar im Aufbau des ganzen Prologs zum Ausdruck, der sowohl beide Orte als auch Vorgeschichte, Bühnenhandlung und fernere Zukunft verbindet — also die räumliche und zeitliche Dimension des folgenden Dramas umreißt.53 Das Stück ist damit also auch, wie sich immer wieder zeigen wird, ein athenisches Drama vor delphischer Kulisse. Dabei wird auch das Publikum im Dionysos-Theater in das räumlich-zeitliche Beziehungsgeflecht einbezogen: Zum einen stellt die Geschichte der Aufnahme Ions in Athen einen Teil der mythischen Frühgeschichte des Athenischen Publikums dar. Der Ursprung der athenischen Autochthonie, auf die sich auch die Athener im Zuschauerrund als Kriterium des Bürgerrechts berufen,54 liegt in der Geburtsgeschichte des schlangengestaltigen Erichthonios, den Athene einst als Kind annahm und den Töchtern des Kekrops übergab. Die jüngste der Kekrppiden ist Kreusa, die Hauptperson des Bühnengeschehens; die Geschichte des Erichthonios dient zudem mehrfach als Parallele zu Ions Geburtsgeschichte.55 Sie ist ferner auf der Athener Akropolis lokalisiert, an deren Südhang das Dionysos-Theater gelegen ist, in dem die Zuschauer des Ion sitzen. Im Nordhang desselben Felsens wiederum befindet sich die Grotte, in der Ion gezeugt, geboren und ausgesetzt wurde (Ion 936-938). Der Bühnenschauplatz Delphi ist mit Athen durch eine der beiden Eisodoi verbunden. Auf diesem Weg sind Kreusa und Xuthos mit ihrer Dienerschaft nach Delphi gereist, und auf diesem Weg geleitet Athene am Ende Kreusa, Ion und den Chor in ihre Stadt. Indem also Parodos und Exodos des Chores sowie der Auf- und Abgang von Kreusa durch den Bühnenausgang von bzw. nach Athen stattfinden, wird der nicht sichtbare ferne Raum Athen deutlich in das Geschehen einbezogen. An der Exodos nehmen auch die als dea ex machina erschienene Athene und vor allem Ion teil, der sein bisheriges Leben in Delphi verbracht hatte, aber, wie er erst in der Anagnorisis-Szene von seiner Mutter erfährt, in Athen geboren ist, also lange vor Beginn des Dramas ebenfalls aus Athen nach Delphi gebracht worden war (Hermes berichtet davon im Prolog, 28-48). Xuthos dagegen, der mit seiner Frau aus Athen nach Delphi gekommen war, bleibt am Ende des Dramas gleichsam vergessen dort zurück; daß er ebenfalls nach Athen zurückreisen wird, wird impliziert, aber nicht ausdrücklich dargestellt, weil es inzwischen unwichtig geworden ist - Xuthos ist und bleibt ein Fremder in der Stadt, über die er als König herrscht. Denn er ist als einziger der aus Athen kommenden Personen des Stückes kein autochthoner Athener, sondern erst durch die
53
M 5S
Ion 5-7: Schauplatz Delphi; 8-27: Vorgeschichte in Athen (Ions Zeugung, Geburt und Aussetzung); 28-56: Verbindung der Vorgeschichte in Athen mit Delphi (Hermes brachte das Neugeborene auf Apollons Bitte hin nach Delphi, wo Ion inzwischen herangewachsen ist); 57-67a: aktuelle Verbindung von Athen mit Delphi (Xuthos und Kreusa kommen, um wegen der Kinderlosigkeit ihrer Ehe das Orakel zu befragen); 67b-75: Ions Zukunft in Athen als Gründer des attischen Volkes (Apollons Plan, ihn von Xuthos adoptieren zu lassen); 76-81: Schauplatz Delphi (Hermes versteckt sich, um das Geschehen zu beobachten). - Andreas Spira, Untersuchungen zum Deus ex machina bei Sophokles und Euripides, Kallmünz 1960, 35 f. mit Anm. 60 weist auf das ständige Wechselspiel zwischen und hin. Seit dem Perikleischen Gesetz von 450 v. Chr. war athenischer Bürger nur, wessen Eltern beide Athener waren (Arist. Ath. Pol. 26,4). Vgl. z. B. Nicole Loraux, Kreousa the Autochlhon: A Study of Euripides* Ion, in: Winkler/Zeitlin (vgl. Anm. 1), 168-206, hier: 175-177.
46
Sabine Vogt
Heirat mit Kreusä zum König von Athen geworden.56 Seine einzige im Drama ist die Rolle, die ihm Apollon anfangs zugedacht und durch sein Orakel übertragen hat: Er sollte Ion, den rechtmäßigen Thronerben, adoptieren und somit als künftigen König legitimieren. Aus Athenas Worten geht deutlich hervor, daß er den wahren Sinn des Orakels nie begreifen darf und Ion auch in Zukunft für seinen und nicht Kreusas Sohn halten soll (1601 -1603). Die Ironie dieser zunehmenden Verdrängung des Königs in den Hintergrund wird durch den Umgang mit dem Orakel verstärkt: Xuthos ist der einzige, der den genauen Wortlaut des Spruches kennt, weil er selber ihn direkt im Tempel erhalten hat. Am Ende ist er jedoch auch der einzige, dem die wahre Bedeutung des doppeldeutigen Orakels verschlossen bleibt; denn Kreusä hatte nach der Anagnorisis Apollons Absicht erkannt, und Athene bestätigt ihr und dem ungläubigen Ion ihre Deutung, dringt aber auf weitere Geheimhaltung. Daß dabei die Autochthonie der Personen - die ja seit Perikles ein speziell athenisches Kriterium des Bürgerrechts ist - mit ihrer Erkenntnisfähigkeit bzw. der Würdigung einer Offenbarung durch Athene korreliert, kann vielleicht als ein subtiles Kompliment des Dichters an sein Publikum verstanden werden. Der Ion wurde wahrscheinlich 412 v. Chr. zusammen mit Helena und Iphigenie bei den Taurern aufgeführt.57 Diese drei Stücke variieren das gemeinsame Thema eines überraschenden Auswegs aus einer verzweifelten, hoffnungslos erscheinenden Lage. Dieser «märchenhafte Ausgang»58 ist charakteristisch für Euripides' Dramen nach der Sizilischen Katastrophe, in denen er «menschliches Schicksal nicht mehr in Gestalt von Untergängen, sondern nur noch von Rettungen präsentiert»59 und damit den Willen und die Kraft seines Publikums zur Neidbewältigung und zum Überleben neu stärkt. Im Ion liegt diese Trostfunktion vorrangig in der Handlung - sowohl Kreusas Attentat als auch Ions Rachemord werden verhindert -, aber auch in einem sozusagen patriotischen Nebenaspekt, der mit der Person des Ion als dem mythischen Stammvater der lonier zusammenhängt. Es war vermutlich erst Euripides, der Ion Apollon zum Vater gab.60 Die ältere Tradition kennt ihn als Sohn von Xuthos und Kreusä61 oder als fremden Feldherrn, der sich in einem für Athen bedeutsamen Krieg auszeichnet.62 Besonders wichtig ist an dieser Neuerung durch den Tragiker, daß sein Bruder Achaios und sein Onkel Doros (so in Hes. fr. lOa, 20-23) jetzt zu seinen jüngeren Halbbrüdern gleichsam <degradiert> werden (Ion 1589-^1594: Kreusä wird sie dem Xuthos gebären). Ion ist ihnen als Erstgeborener und vor allem durch seinen göttlichen Vater überlegen - in dieser Formulierung des Mythos bringt Euripides eine Überlegenheit der lonier gegenüber den Dorern zum Ausdruck, die gerade um das Jahr der Aufführung des Ion von den Athenern in mehrfacher Weise als eine 56
57 58
59 60
61 62
Ion 289-298. Diese Verbindung setzt selbst den Athen fernstehenden delphischen Tempeldiener Ion bei 1 seiner ersten Begegnung mit Kreusä in Erstaunen: ; (293). Diese Datierung vertritt überzeugend Hose (vgl. Anm. 1), 15-18. Walter Nicolai, Euripides' Dramen mit rettendem Deus ex machina, Heidelberg 1990 (hier: 18), legt die hier nur kurz angedeutete gleichsam psychotherapeutische Wirkung der Dramen nach 415 v. Chr. ausführlich dar. Nicolai (vgl. Anm. 58), 16. Vgl. Robert Parker, Myths ofEarly Athens, in: Jan Bremmer (Hrsg.), Interpretation of Greek Mythology,. London u. Sydney 1987,187-214, bes. 206 f. mit Anm. 80. . Siehe Hesiod,/r. lOa, 20-23; dazu Parker (vgl. Anm. 60), 206 Anm. 76, Hdt. 8,44,2; dazu Parker (vgl. Anm. 60), 206 Anm. 79.
Delphi in der attischen Trag die
47
Best rkung in ihren ethnischen Gef hlen aufgefa t werden konnte.*3 Denn es gibt deutliche Anzeichen daf r, da die Athener als lonier sich den dorischen Spartanern schon vor dem Beginn des Peloponnesischen Krieges aufgrund traditioneller ethnischer Vorurteile an Tapferkeit und Kampfkraft unterlegen f hlten. Aus diesem und anderen Gr nden lie en sich die Athener nicht immer gerne als lonier bezeichnen, sondern betonten ihre autonome, einzigartige Autochthonie. Wenn nun Euripides Ion als einen ionischen Stammvater beschreibt, der m tterlicherseits ein autochthoner Athener ist, durch Apollon als Vater aber von einer panhellenisch anerkannten Gottheit legitimiert ist, so erleichtert er damit den Athenern ihr Bekenntnis zur Zugeh rigkeit zur ionischen Rasse. Andererseits ist Euripides' Beschw rung der Einigkeit von Athenern und anderen loniern 412 v. Chr. besonders wichtig, weil seit dem Fr hjahr dieses Jahres einige ionische Bundesgenossen in geheimen Verhandlungen mit Sparta stehen,64 Martin Hose deutet die politische Aussage des Ion vor diesem Hintergrund: «In einer derartigen Situation gewinnen die zitierten Verse [Ion 1581b-1587] eine hohe Aktualit t: Euripides verweist mit ihnen auf die Bedeutung loniens f r Athen. Wu te er nichts von den sich andeutenden Bewegungen bei den B ndnern, l ge in der genannten Partie eine Art Trost f r seine Mitb rger, angesichts der Verluste auf Sizilien auf eine Wiederherstellung durch die noch zu Gebote stehenden Resourcen zu hoffen. War ihm die Lage bekannt, so sind die Verse ein Appell, die Herrschaft in lonien, die in Euripides' Darstellung gleichsam ererbt und somit legitimiert ist, zu bewahren.»65 VII. Delphis Autorit t als Best tigung des Athenischen Selbstbildes Wenn sich in zwei Dramen die Dichter daf r entschieden haben, Delphi als Schauplatz auf der B hne darzustellen - Aischylos im ersten Drittel der Eumeniden sowie Euripides im Ion -, so haben sie diesen Ort zwar deswegen gew hlt, weil er Heiligtum und Orakelst tte des Gottes Apollon ist, stellen aber anderes als seine Orakelfunktion in den Vordergrund. Schon an den Dramenhandlungen wird deutlich, da der Schauplatz Delphi in beiden St cken, wenn auch auf verschiedene Weise, ganz auf Athen bezogen ist. In den Eumeniden ist Delphi eine Durchgangsstation auf Orestes' Weg von Argos, dem Schauplatz seines Muttermordes, nach Athen, wo er endg ltig von der Blutschuld freigesprochen wird und durch Athenes Beschwichtigung die chthonischen mit den olympischen G ttern vers hnt werden. Im Ion spielt vor der Kulisse von Delphi ein der Form nach delphisches, im Inhalt aber athenisches Drama: Personen aus Athen tragen in Auseinandersetzung mit dem der Orakeldeutung Konflikte aus, die sich ganz auf die Vergangenheit und Zukunft Athens und seiner K nigsherrschaft beziehen, wobei diese Herrschaft jetzt durch Apollons Vaterschaft des Ion eine zus tzliche neue Legitimation durch Delphi erf hrt. Dabei w re es in beiden Dramen auch m glich gewesen, einen anderen Schauplatz als Delphi auf der B hne zu repr sentieren: Ions Aufnahme durch Xuthos aufgrund eines 63
Zum politischen Selbstverst ndnis der Athener nach ethnischen Kategorien John Alty, Dorians and lonians, JHS102,1982,1-14. Thuk. 8,5,4 und 8,6,3-5. Die Athener waren sich offenbar im Winter 413/12 der Gefahr eines Abfalls von Bundesgenossen bewu t: μάλιστα δε τα των ξυμμάχων διασκοποοντες όπως μη σφών άποστήοονται (Thuk. 8,4). 65 Hose (vgl. Anm, 1), 74 f. M
48
Sabine Vogt
Orakels von ApolJon und die Wiedererkennung zwischen Mutter und Sohn könnte auch in Athen dargestellt werden, wo sie ja auch ursprünglich von Apollon geplant war; der Freispruch des Orestes könnte im dritten Teil der Orestie auch unmittelbar in Athen stattfinden, ohne daß die Eingangsszene in Delphi vorgeführt würde, denn den dort von Apollon erteilten Auftrag, nach Athen weiterzuziehen, könnte Orestes auch in Athen im Rückblick erwähnen. Ebenso wie in den anderen Dramen, die Delphische Orakel enthalten, kommt es auch hier hauptsächlich auf die von Delphi ausgehenden Handlungsirapulse an; nicht so sehr auf Delphi selbst. Dennoch haben sich Aischylos und Euripides bewußt dafür entschieden, Delphi selbst als Schauplatz vorzuführen - und betonen doch gleichzeitig, wie gezeigt werden konnte, in der dramaturgischen Darstellung von Delphi ständig seinen Bezug auf Athen. In beiden Dramen tritt schließlich Athene auf, die die endgültige Lösung des Konfliktes herbeiführt und damit zu dem bisher weitgehend von Apollon bestimmten Geschehen Stellung nimmt. In der Gerichtsverhandlung der Ettmeniden ergreift sie eindeutig die Partei Apollons und der olympischen Götter (und gibt auf dieser Grundlage den entscheidenden Stimmstein für Orestes' Freispruch ab). Im Ion erklärt sie Mutter und Sohn Apollons Wirken zu ihren Gunsten, das Kreusa bisher verkannt hatte (Ion 1595-1600). Die Heimlichkeit seiner Fürsorge für Mutter und Sohn - und das damit für beide verbundene Leid - war notwendig, um Ion zum legitimen Herrscher in Athen werden zu lassen.66 Athene lobt Apollons Wirken ausdrücklich: ' ' (1595). Die Tatsache, daß Athene anstatt Apollon die Konflikte löst, bedeutet keineswegs eine Abwertung von Delphi; vielmehr handelt Athene mit voller Zustimmung durch Apollon. Er selbst schickt Orestes nach Athen (Aisch. Eum. 74-84), und Athene hat im Ion von ihm den Auftrag erhalten, in seinem Namen zu sprechen (Eur. Ion 1559). Damit wird die Autorität, die mit dem Orakelgott von Delphi im Bewußtsein der Theaterzuschauer verbunden ist, nach Athen überführt. Insofern ist Delphi im Bezug auf Athen nicht, wie Theben oder Argos, ein , sondern eher ein komplementärer Ort, eine bestätigende Ergänzung zum gleichwertigen Athen. Übersetzt man diese Aussage aus dem mythischen Kontext der Tragödienhandlungen in die politische Gegenwart der Athener des 5. Jahrhunderts, so findet damit Athens politisches Selbstbild, soweit es in den Tragödien zum Ausdruck kommt, vor einem internationalen Publikum bei den Großen Dionysien Bestätigung durch die allgemein anerkannte religiöse Autorität des Gottes von Delphi.
66
Die Legitimierung findet auf zwei Ebenen statt: juristisch ist Ion Xuthos1 Sohn und damit über die väterliche Linie Erbe von dessen Thron; nach dem athenischen Kriterium der Autochthonie wird lori jedoch gerade dadurch erst legitimiert, daß er von der Erechthomos-Tochter Kreusa abstammt und selber <erdgeboren> (in der Grotte) ist. Daß diese <wahre> Legitimierung den Athenern des Stückes geheimgehalten werden soll, ist hier irrelevant: in einem Fiktionsbruchwerden nämlich die Maßstäbe umgekehrt. Was den fiktiven Athenern des Stückes wichtig sein muß (Xuthos'Vaterschaft), ist dem Publikum eher gleichgültig, das sich vielmehr mit der im Stück geheimgehaltenen autochthonen Herkunft seines mythischen Stammvaters identifiziert.
MATTHEW DICKIE Poets äs Initiates in the Mysteries: Euphorien, Philicus and Posidippus For Sir Hugh Lloyd-Jones on his 75th birthday Introduction The subject-matter of this paper is the initiation into a mystery-cult of tbree poets of the Early Hellenistic Period and what that initiation meant for them personally.1 Two of the poets were contemporaries of Callimachus and Theocritus, while the third belongs to the succeeding generation. The implications of their initiation and the weight they set upon it are considerable for what religion meant to poets active in the first half of the 3rd Century B.C. I shall argue that what is to be learned about the initiation of the three poets goes some way towards correcting the received image of the Hellenistic poet. He tends to be imagined äs a deracinated individual who has no real pari to play in the life of the Community and to whom traditional religious observances mean nothing. Such a conception of the Hellenistic poet leads to his poetry being interpreted äs primarily literary in function with perhaps an antiquarian tinge to it. He is supposed to write primarily for the edification of other poets like himself and to have no interest in addressing a larger public. Alan Cameron has recently delivered a sustained and damaging attack to the belief that the poets of the Early Hellenistic Period withdrew from the world into an ivory tower, where they amused themselves by composing poetry of an erudite and allusive nature intended only to be read in private by members of the select coterie of which they themselves were a part.2 Cameron has demonstrated that such a view of Callimachus and his contemporaries cannot easily be sustained. He has shown that Callimachus and his fellow-poets in Alexandria and elsewhere played an important and recognized role qua poets in public life. One of the great merits of Cameron's work has been to show that the subjects tackled by Hellenistic poets reflect the interests of the wider world in which they lived and that furthermore their poems were composed to be performed in public. Those who subscribe to the view that the poetry of the Hellenistic Age is a set of purely literary exercises detached from any concern with the real world extend that mode of interpretation to poems with an ostensibly religious subject-matter: they are interpreted äs
1
2
This paper was originally given in May 1995 at the.University of Chicago to a seminar on mystery-cult conducted by H.-D. Betz and E. R. Gebhard. I am indebted to A. S. Hardie of the British Foreign and Commonwealth Office for his criticisms of a first draft of this paper and to Sir Hugh Lloyd-Jones for cleansing a later version of an embarrassingly large number of mistakes. I am under a deep Obligation to Christoph RJedweg for his criticism of die paper and for the many pertinent parallele that he so generously provided. Callimacbus and bis Critics (Princeton 1995) 24 - 70.
50
Matthcw Dickie
literary performances or äs antiquarian essays or a combination of both. It is generally taken for granted that such pocms are devöid of religious feeling; The possibility that piety ean coexist with literary sophistication and an enthusiasm for the antiquarian is not very often contemplated. There are two further factors which contribute to the feeling that Hellenistic poetry is devöid of religious sentiment: there is the assumption that in the Hellenistic Age die cults of the city-states are empty husks and that their rituals are mere charades; and there is an assumption, which is never stated or articulated, but is easily enough divined, that since the Hellenistic poets were learned and sophisticated, they could not conceivably feel any sympathy for traditional Greek cult. The effects of such an attitude are to be seen in the verdict that is passed on the six hymns composed by Callimachus: they are generally written off äs purely literary concoctions with no connections to cult, created to be recited to a highlycultivated group or to be read and savoured for their learning in private.3 It has to be conceded that a rather smaller number of scholars have come to a radically different conclusion: Cailimachus' ability to capture the excitement and tension of a religious festival must be evidence of the intensity of his own religious feelings.4 The assumptions on which the current consensus about the lack of religious feeling in Hellenistic poetry rests need to be examined. This is not theplace to perform that task in any detail, but it is appröpriäte to toüch on some of the problems inherent in the assumptions. We should first of all beware of making Callimachus and his contemporaries in our own image, just because we imagine that they are sophisticates like ourselves. They did not necessarily share the agnosticism that many modern intellectuals take for granted. We should not, furthermore, assume that intellectual sophistication precludes a deeply^felt piety and that it cannot be placed with a deft and light toueh at the Service of such a piety. This brihgs us to the question of what constitutes the sincere expression of religious feeling. We tend to assume that it has to take the form of a ponderous and emotional declaration of faith; anything less than that or anything humourous is thought to be incompatible with real depth of feeling. It should not be necessary at this juncture to point out the obvipus: it is extraordinarily difficult to fathom from their literary creatiöns what the feelings of men and wornen of whose world we have a very imperfect understanding are about religion. The idea that the püblic cults of the Greek city-states np longer answered the emotional and religious needs of men is a widely-shared belief, although it would be difficult to find many historians of religion who would now assent to it. It circulates amongst those who are not primarily concerned with the history of religion. Its adherents believe that in the Hellenistic Period the religious longings of men were met by the mystery-cults, which were, äs it were, the precursors of Christianity. That mystery-cült had a bearing on the way in which Christianity developed is not to be denied. It does not follow that a wedge should be driven between the cults of the state and the rnystery-cults: Initiation into a mystery-cult does not mean that the initiate neither participated in nor had any feelings about the püblic
3
4
So H. Heiter, RE Suppl. 5 (1931) s. v. Kalliraachos 433-34: «Die sechs Hymnen ... sind rein literarische Erzeugnisse: sie sind nicht für den wirklichen Kultus bestimmt, sondern für die Rezitation im Kreise gelchr- ' ter Kunstverständiger, vor allem am Hof, und für die Lektüre; darüber kann heute kein Zweifel mehr herrschen.» H. Staehelin, Die Religion des Kallimacbos (Diss. Basel 1934) 55, 58; P. M. Fräser, Ptolemaic Alexandria I (Oxford 1972) 662-63. This position is criticized by H. Kleinknecht, « ,» Hermes 74 (1939) 348 n. 1.
Poets s Initiates in the Mysteries
51
cults of the state. The relationship between the Athenian state and the cult at Eleusis is welldocumented. There were mystery-cults elsewhere that enjoyed the official sanction of the states in which they took place. Foreigners initiated into die mysteries at Eleusis may have seen their initiation s primarily a private religious experience, but that can hardly have been how Athenian initiates saw it: they were not only initiated, but took part in a major Athenian public occasion. Something similar may have been true in other cities such s Olbia in which there was an officially-sanctioned cult of Demeter, K re and lacchos. Finally, it is not at all clear that the Hellenistic Age saw a new and deepened interest in mystery-cult. Mysterycults had been in existence since at least the late 6th Century B.C. and were widely dispersed throughout the Greek-speaking world. Initiation into a mystery-cult is, accordingly, not an expression of dissatisfaction with traditional religious forms. Those who were initiated did not have to foreswear any previous religious allegiances that they may have had: initiation into a mystery-cult was entirely compatible with public religious observance. It had nothing in common with the exclusive character of modern cults. Nor were those who were initiated into a mystery-cult taking a new and revolutionary step. By the Hellenistic Age mysterycult was itselt sanctified by tradition. The initiation of three poets of the fearly Hellenistic Age is, accordingly, presumptive evidence that the poets in question were not alienated from traditional religion, but that it still had meaning for them. The evidence for their initiation is to be found in three poems of very different character. A correct understanding of two of the poems has only become possible in the past few years with the discovery of additional examples of the gold lamellae that initiates bore with them to the grave. The lamellae were placed on the chests or in the mouths or perhaps in the hands of dead initiates in the mysteries when they were laid in the grave.5 The new lamellae that have been published come from Sicily, Southern Italy, Thessaly and Macedonia.6 A lamella is also known to have been found on Lesbos. Its publication is most eagerly awaited. The lamellae span a period of time that Stretches from the late 5th Century B.C. to the Hellenistic Period. Some of the lamellae function s passports explicitly testifying to the credentials of the bearer s an initiate. Others record no more than the name of the initiate. That was presumably thpught to be enough, if the lamellae took the form of a leaf signifying initiation into the mysteries, to convince Persephone that the bearer should be allowed entrance to that part of the Underworld set aside for pious initiates. One of the most recently published of the lamellae comes from Pherae in Thessaly and has on it secret mystical terms that are referred to s σύμβολα.7 It was no doubt meant to let Persephone, who goes under the name of Brimo on the tablet, know that the bearer had been initiated into the 5
6
7
I cite the older texts according to the arrangemem of G nther Zuntz, Persephone (Oxford 1971) and the more recent texts from Hipponium and Pella from SEG, since I do not have access to G. Pugliese Carratelli, Le lamine d'oro (Milan 1993). The Orphic fragments collected by Otto Kern in Orphicorum fragmenta (Berlin 1922) will be referred to s OF. The two most recently published lamellae with substantial texts on them are from a grave of the 2nd half of the 4di Century B.C. excavated in 1970 in the-south cemetery at Pherae (Pavlos Chrysostomou, Ή Θεσσαλική Θεά Έ\·(ν)οδία η Φεραίο θεά [Diss. Thessalonica 1991] 375-77) and from south-central Sicily (Jiri Frei, «Una nuova laminella ,» Eirene 30 [1994] 183-84). For a text of the Thessalian lamella, see Sarah lies Johnston and lunothy J. McNiven, «Dionysos and the Underworld in Toledo», MH 53 (1996) 33 n. 31. The lamella from Sicily, belonging to the same tradition s B 1-8 Zuntz, published by Frei (n. 6) has σύμβολα at the beginning of a line (5) in the second column.
52
Matthew Dickie
innermost secrets of the mysteries.8 Those lamellae with more extensive texts msoribed on thera served not only s passports, but gave the deceased instructions on how he should make his way through the Underworld. While the gold tablets help illuminate the meaning of the three poems, the poems for their part enable us to answer some of the questions that the tablets raise. One of die questions raised is who the initiates were. More specifically, we should like to know whether initiation was a mark of social distinction, what the cultural level was of the persons initiated, whether the initiates feit that initiation gave them a certain moral tone, where they were initiated, why they were initiated and what benefits they feit they received from initiation. It is, accordingly, a matter of some consequence to demonstrate that three poets, prominent in the 3rd Century B.C., not only were initiated into the mysteries, but apparently received Spiritual sustenance from the knowledge that they had been initiated. Their example helps immeasurably to illustrate the religious life of one not insignificant section of the public in the Hellenistic Period. Posidippus, Philicus and Euphorion are on the face of it a motley crew: Philicus and Posidippus were both drawn to the Alexandria of Ptolemy Philadelphus, Philicus from Corcyra and Posidippus from his native Pella. The former is known primarily s a tragic poet; the fame of the latter rests on his epigrams. Euphorion belongs to the next generation and comes from Chalcis in E boea. His production, so far s we caii understand it, is reminiscent of Callimachus: learned epyllia, at least one curse-poem and some epigrams. He has no known connections with Alexandria. He enjoyed the patronage of Antiochus III at Antioch. He was granted Athenian citizenship and died in Athens, where he was buried. At first glance, accordingly, the trio seem to have little in common beyond being poets. That might encourage the suppositipn that it was because they were poets that they were initiated into the mysteries. There is probably something to this, but their initiation was almost certainly part of a much wider social phenomenon. By way of preface to what will be said about Euphorion, Philicus and Posidippus s initiates and to set it in a somewhat wider literary context, it is worth remarking that the mysteries were of more than passing interest to the three best-known poets x>f the Early Hellenistic Period, Callimachus, Apollonius Rhodius and Theocritus. Not much can be made of Callimachus' reproaching his θυμός for beginning to teil the story of Zeus* and Hera's anticipating their marriage and of his remarking that in the circumstances it is s well he had not seen the holy rites of the dread goddess (i. e. Demeter), eise he had blurted them out also (Aet. 3 fr. 75.4T 8 Pfeiffer). Cameron has made a persuasive case for a visit on Callimachus' part to Thrace and probably the island of Samothrace also.9 There are three known poems by Callimachus whose s bject-matter is the Samothracian Mysteries or the Saviour Gods worshipped there.10 One of them appears to have given an aetiological explanation for the establishment of the mysteries in Samothrace (fr. 115 Pfeiffer). It is true that part of the Impetus for Callimachus' interest in this particular set of mysteries is 8
9 10
For σύμβολα used of the secret expressions taught initiates, cf. P. Gurob 1.23 = OF31.23; Plut. Cons. ad uxor. 611d. . Cameron (n. 2) 211-12. Frs. 115,199, 723 Pfeiffer, A.P, 6.301. For a succinct account of the history of the sanctuary in Samothrace · down to the Hellenistic Period, see Walter Burkert, «Concordia discors: the literary and the archaeological evidence on the sanctuary of Samothrace,» in Greek Sanctttarics: New Approaches, eds. Nanno Marinatos and Robin H gg (London and New York 1993) 178-91.
Poets s Initiales in the Mysteries
53
probably to be found in the close ties tliat existed between Samothrace and Arsinoe, the consort of Ptolemy, but that is not necessarily the whole story. There is no reason to think that his choice of the Samothracian Mysteries s a subject for poetry was dictated by a desire to please Arsinoe. Callimachus was after all a Cyrenaean aristocrat, presumably capable of displaying a certain independence of mind.11 Nor again should we imagine that if he wrote on a religious topic, his interest in it was purely intellectual or literary. He should not be cast in the image of a modern agnostic intellectual. We must also be careful to avoid confusing what looks to us to be literary Innovation and a departure from traditional hymnodic forms with a changed attitude towards the divine. The chances are that it wras s an initiate he wrote the aetiological poem on the Samothracian Mysteries and that it represents an expression of his devotion to the cult. Philicus and possibly also Euphorion seem to have given similar expression to their devotion. Apollonius in his Argonautica has Jason and his companions, while on their way to Colchis, stop in Samothrace to be initiated in the mysteries, so that they may sail safely across the sea. The poet breaks off his account at this point to speak in his own voice to say that he will say nothing more about the mysteries and to express the wish that the island itself and the gods dwelling in it, to whom responsibility for the mysteries has fallen and about whom it is not right for him to sing, may rejoice (1.915—21). It is certainly true that Apollonius interjects a first-person voice into the epic much more frequently than does Homer and in ways that are very different from those of Homer. From that it does not follow that Apollonius' refusal to say more about the gods of Samothrace is a purely literary artifice. Nor again is his praying that no one should be cognizant of what Medea did in performing a sacrifice to Hecate in Paphlagonia and that he should not be moved to sing of it of the same order s his declining to say more about the mysteries on Samothrace (4.24650).12 In the former case he interjects his own voice into the narrative to create the Suggestion that Medea is performing the illicit form of sacrifice characteristic of sorceresses, whereas in the latter case he speaks s though he knew but was sworn to secrecy (τα μεν ου Θέμΐζ αμμιν άείδειν \ .921 ).13 In other words, he speaks s though he were himself an initiate. I cannot see why this should not be taken at face-value. Finally, there is Theocritus' affirmation in his 26th Idyll that he feels no concern (ουκ άλέγω 27) over the fate of Pentheus, of which he has just told: how he was torn limb from limb, after being caught by Autonoa spying on herseif, Ino and Agava when they were taking the holy objects of Dionysus on which the profane may not gaze from the mystic ehest. The expression of approval over Pentheus' fate is followed by an exhortation not to be troubled over the lot of whoever is hatef l to Dionysus, though the suffering of that person be still worse than that of Pentheus (27-28). The Interpretation of a good deal of what Theocritus now proceeds to say presents formidable difficulties, but not his wish that he may himself be ritually pure and that he may be pleasing in the eyes of the pure (αυτός ff εύαγέοιμι και εύαγέεοοιν αδοιμι 30) and the Statement that matters go better for the children 11 12 13
For a discussion of freedora o( speech in the courts of Hellenistic monarchs and of independence of mind on Callimachus' part, see Cameron (n. 2) 11 -23. Treated s of the same Order by Enrico Livrea, Apo onii Rhodii Argonauticon Liber IV (Florence 1973) 84 and Guido Paduano and Massimo Fusillo, Apollonio Rodio, Le Argonau cke (Milan 1986) 559. Cf. Σ ad4.247-52: εκ ιούιονβνύλεκη δηλ&σαι, dn ιοιαντην Θνσίαν έβούλετο τελέοαί οποίαν ψαρμαχίδδς... καηά δε ιην όηοοιώιιηοίν έμτράοα κεχρηΐίη, την ιαϊς φαρμακίοι τελουμένων Ονοίαν μη έξεργαζόμε\>ος.
54
Matthew Dickie
of the ενοεβεϊς than they do for those of die δνοσεβεϊς (32). The 26th Idyll is best regarded s a hymn celebrating Dionysus and his mother Semele and her sisters,.14 It was in all likelihood composed for performance at a festival in honour of Dionysus.15 In the context of a hymn in honour of Dionysus celebrating the punishment of one who violated the secrecy of the mysteries εναγείς and ενοεβεϊς are loaded terms and do not just denote the pious and the pure, but pious initiates in the mysteries.16 It looks then s if Theocritus speaks from within the circle of initiates in the mysteries to ffirm his belief in the sanctity of the mysteries and in the appropriateness of severe punishment for those who violate their secrecy.17 To conclude this section of the argument: it can at the very least be confidently asserted that Callimachus, Apollonius Rhodius and Theocritus have more than a passing interest in mystery-cult and are in fact .deeply engaged with it. Both Apollonius and Theocritus write s though they belong to the inner circle of initiates. There is no very gqod reason to suppose that they have adopted a fictitious persona and do not speak in propria persona. As for Callimachus, it is very likely that he was initiated into the Samothracian Mysteries when he was in Thrace.
Euphorion The case for Euphorion s initiate into the mysteries is on the face of it the easiest. There is a poem on him in the Anthologia Palanna that purports to be a funerary epigram: Ενψορίων, ό mpwobv έηισιάμενός τι ηοηοαι, Πεφαικοϊς κείται τοϊοδε παρά σκέλεοιν. άλλα συ τφ μνστγι ροιήν ^ μήλον αηαρξαι H μύρτον και γαρ ζαιός εάν έφίλει (Gow-Page, HE 3558-61 = AR 7.406). It is ascribed to Theodoridas, a poet about whom not much can be safely said other than that Meleager included him in his anthology. Two turns of phrase reminiscent of Callimachus and the se of a combinatton of metres found only in that poet have persuaded the most recent editors that there is little question about his flomit, whieh they wo ld place m the second half of the 3rd Century B.C.18 They rhay be correct, but it would be wiser to suspend judgment. The epigram says that Euphorion who knew how to compose poetry that was sanspareil lies dead here by the Peiraic legs, and then, addressing the passer-by, calls on that person to make an offering to the initiate of a pomegranate, an apple or myrtle-berry, on the ground that while he wais alive Euphorion took delight in these fruits.19 That is to say, that H
15 16
17
18 19
So F. Cairns, «Theocritus, Idyll 26,» PCPS n. s. 38 (X992) 2-4; cf. R. L. Hunter, Theocritus and the archaeology ofGreek poetry (Cambridge 1996) 46: «at least para-hymnal.» Cairns (n. 14) 17-21 suggests the trieteric festival of Dionysus at Thebes, the Agrionia. εύοεβής is regularly coupled with γώσ^ in inscriptions; for εναγείς raeaning «initiates,)» cf. A2 -3.6-7 Zuntz: νυν S ικέτης nap1 άγνήν Φερσεφόνειαν /&ςμε πρόφρων ηέμψγι Ζδρρς ες εύογέων. It should be noted here ihat Cairjqis (n. 14) 10-13 suggests the Speaker is not Theocritus but a chorus of ' youngboys. ' ; A. S. F. Gpw and D. L. Page, The Greek Anthology: Hellenistic Epigrams II (Cambridge 1965) 537. As a parallel for ηεριοοον έητοτάμενός η ηοήσαι used in a positive sense of a poet of Superlative ab ity A* S. Hardie compafes Thgn. 769-70: χρή Μουα&ν Θεράποντα ml αγγελον, εϊτα. ηεριοοόν Ι είδεί^. For Ηόριοσός predicated of poets endowed by nature with Superlative ability, cf. Simylus SH 728.
Poets s Initiates in the Mysteries
55
at Euphorion's grave somewhere in the vicinity of the Long Walls, which ran down from Athens to the Peiraeus, in memory of the pleasure which Euphorion derived from being an initiate there are to be laid fruits symbolic of the mysteries. That is the straightforward explanation of the poem. Gow and Page, who follow the Interpretation of the epigram given by Susemihl in his Griechische Literatur in der Alexandrinerzeit and endorsed by Maas, suppose that the poem is an attack on Euphorion and that the Peiraic legs, the apple, myrtle-berry and pomegranate are all to be taken in an obscene sense.20 They also would have us believe that the poem was a lampoon written while Euphorion was alive. The vexed problem of where Euphorion was buried is thus in the view of Gow and Page disposed of, since it is irrelevant, if the poem is a lampoon, whether Euphorion was buried in Attica or s the Souda would have it in Syria, in either Apameia or Antioch. Finally, we are told that ηεριοσόν τι nor\pai eould be taken to mean «behave extravagantly, overdo things,» though this is not insisted upon. On this reading of the epigram the mysteries in which Euphorion is an initiate have to be those of Aphrodite. Two further pieces of Information are held to support an obscene Interpretation of the epigram: 1) there is an epigram ascribed to a certain Grates that makes perfectly good sense s criticism of Euphorion for being too dependent in his vocabulary on the epic poet Choerilus (αλλ9 έηι ηασιν Χοιρίλον Εντρορίων είχε δια σιόματος), b t that can be construed s an attack on Euphorion s a cunnilingus (Gow-Page, HE 1371-74 = A.P. 11.218); 2) evidence of a feud between Theodoridas and Euphorion has been found in the mention in the Stromateis of Clement of Alexandria of a work by Euphorion called the άντιγραψάί προς Θεωρίδαν, since that title might easily be a corruption of προς Θεωδωρίδαν (5.5.47 p. 351 St hlin). . It is certainly true that the mysteries of Aphrodite is a common enough figure for lovemaking.21 There can also be no question that μήλα may be used of the female breasts and μνρτον of the clitoris.22 The Interpreters have been able to find no instance οίβοιή used sensu obscaeno, although they do rather desperately suggest it may be a play on ροιά «flux.» To Interpret the epigram in this way presents a number of difficulties. In the first place, such an Interpretation has to ignore the clear intent of the demonstrative τοϊσδε, which is that the imagined passer-by is Standing beside Euphorion's grave in the immediate vicinity of the Long Walls.23 It may well be that lampoons in the form of funerary epigrams were directed at the living, but in none of the somewhat uncertain examples of the supposed genre collected by Maas is the place of burial specified.24 Secondly, if Euphorion had in life been an eager 20
21 22
23 24
Gow & Page 11.545-46; F. Susemihl, Griechische Literatur in der Alexandrinerzeit II (Leipzig 1892) 541; P. Maas, RE 5 A (1934) s. v. Theodoridas 1804, idem, «Zu einigen hellenistischen Spottepigrammen,» SIFC n, s. 15 (1938) 80 = Kleine Schriften (Munich 1973) 98. Further literature in W. Seelbach, Die Epigramme des Mnasalkes von Sikyon und des Theodoridas von Syrakus, Klass.-Phil. Stud. 28 (Wiesbaden 1964) 83. AP. 5.191,6.162,7.219. μήλα: Ar. Lys. 155, Eccl 903, fr. 924; Cratin. fr. 116.3 K.-A; A.P. 5.60,258,290,6.211; Nonn. Dionys. 42.312; μύμιον: Ar. Av. 1100, Lys. 632,1004; Pi. Com. 174.14 K.-A.; Ruf. Onom. 112; Poll. 2.174. Further on μήλα, see B. O. Foster, «Notes on the Symbolism of the Apple in Classical Antiquity,» HSCP 10 (1899) 51-55; A. Willems, Aristophane I (Paris and Br ssels 1919) 403-10; on μνρτον, see J. Henderson, The Maculate Muse (New York 199l2) 134-35. A difficulty acknowledged by Gow and Page 1L546: «It should howcver be said that τοίσδε, suitable to the epitaph, is less so to the lampoon.» (n. 20) 81 « 99. To the exaraples collected by Maas may be added the mocking epitaph that Seneca says he was wont to utter when he passed the Campanian vilia in which the ex-praetor Vatia had buried himself in seclusion: Vatia, hie situs est (Ep. 55.4). I owe the reference to Christoph Riedweg.
56
Matthew Dickie
initiate into the mysteries of Aphrodite, then what is there that is particularly shame-making or insulting about giving him syrnbols of these activities? There is no Suggestion in the Greek of anything untoward in Euphorion's supposed sexual practices, despite Maas* attempt at pinning a charge of cunnilinctio on Euphorion by asserting that Grates* Χοιρίλον είχε δια σιαμαίος is a periphrasis for an expression that is not in Theodoridas' epigram, namely, μνρτον έψίλε2.25 It can readily be granted that in antiquity to charge a man with being a cunnUingus was to subject him to the coarsest form of sexual abuse, but the clear run of sense in Theodoridas has to be altered to extract the practice of cunnilinctio from the Greek.26 Thirdly, s Laura Rossi has recently pointed out, when the terms μυστικός, μύστης, μ,νστήριον and related terms are used in a metaphorical sense, there is always a clear marker of their metaphorical meaning.27 Thus Meleager, addressing Aphrodite, speaks of his being an initiate in her mysteries (Kvnpi, οοϊ Μελέαγρος, ό μύστης / συν κώμων, στνργης οκϋλα τάδ* έκρέμασε Α.Ρ. 5.191.7-8).28 Finally, when the word μήλον is used of women's breasts, it is not used s here in the singular, but, not surprisingly, in the plural. It would be wrong to say that the sum of these objections amo nts to an insuperable obstacle to taking the epigram sensu obscaeno, but they do present formidable difficulties in the way of such an Interpretation. If the epigram is taken at face-value, the passer-by is asked to place on Euphorion's grave fruits that are tokens of his initiation into the mysteries. The association with mystery-cult of two of the fruits to be deposited on Euphorion's grave, the pomegranate and the myrtleberry, need not be dwelt on at any length, since there is nothing problematic about their association. The pomegranate is closely linked with Persephone, and she is very often represented holding that fruit. The myrtle provides the wreath that is most often worn by initiates in the mysteries. Representations on vases of scenes of initiation from the 4th Century portray the initiand and the wystagogos-figure wearing what are generally taken to be myrtle-wreaths,29 while in the Niinnion-tablet, which belongs to the first half of the 4th Century, not only do figures in the three scenes of initiation represented on the plaque wear myrtle-wreaths, but some of them also carry what are conspicuously sprays of myrtle.30 It is not so straightforward a matter to account for the presence of the apple or quince. Quite what its connection with mystery-cult is eludes easy explanation, but ;t unquestionably had some part to play. There are two pieces of evidence that testify to apples or quinces playing a role in the mysteries. Clement of Alexandria, after quoting two verses from an Orphic poem which speak of the fair gold apples of the shrill-voiced Hesperids s one of the playthings with which the Titans tricked Dionysus into going off with them, goes on to give a list of objects, amongst them apples, that are Symbols of the mysteries.31 To judge from die prohibition against eating pomegranates and apples along with domestic fowl, fish and beans that Porphyry in the De Abstinentia say s was imposed on initiates in the Eleusinian
25
26 27 28 29 30 31
(n. 20) 80 = 98. Henderson (n. 22) 185; J. N. Adams, The Latin Sexual Vocabulary (London 1982) 81,135. «II testamento di Posidippo e le Jammerte di Pella,» Z££ 112 (1996) 62. Cf. AR 6.162. G. Mylonas, Eleusts and the Eleusinian Mysteries (Princeton 1961) figs. 78, 81,.85. Mylonas (n. 29) fig. 88. Protr. 2.17,2-18.1 = Of 34. M. L. West, The OrphicHymm (Oxford 1983) 155-59 has a commentary on the passage.
Poets s Initiales in the Mysteries
57
Mysteries, apples had some significance in Orphic-Bacchic mystery-cult.32 A schoUum on Lucian's Dialogi meretridi containing a discussion of what happened at the Haloa confirms the existence of these particular prohibitions for the Eleusinian Mysteries and says that they applied also to the women who took part in the Haloa at Eleusis.33 Also relevant in this connection is the deity found at Selinous, Demeter Malophoros. We may conclude that apples or quinces along with pomegranates played a part in Orphic-Bacchic mystery-cult. Just what it was must reraain obscure. A perfectly coherent account can, accordingly, be given of the funerary epigram for Euphorion based on the assumption that it is a poem about a poet who was an initiate in the mysteries. We cannot be altogether certain that the epigram was not inscribed on a stele surmounting Euphorion's grave, but a literary exercise written sometime after the death of the poet. Even if we grant that the poem was not a real epitaph, it does nonetheless provide the best testimony about where Euphorion was buried.34 The Souda's Apameia or Antioch is likely to be a guess based on Euphorion's presence at the court of Antiochus III. Besides the epigram we have one other piece of Information that makes Athens the most likely place in which Euphorion was buried. Helladius, a grammarian of the 4th Century A.D. from Antinopolis in Egypt, says in introducing instances of the κακοζηλία of Euphorion that the poet was by birth a Chalcidian, but by adoption an Athenian (τφ ψύοει ΐιεν Χαλκιδεΐ, θέσει δε Αθηναία Phot. Bibl. 279 ρ. 532b).35 Meleager provides a parallel for this usage: in an autobiographical epigram he speaks of his having grown up in Gadara and of his having been taken care of in old age by Cos s a citizen by adoption of the Coans (κάμε θείον Μερόπων όστον έγηροτρότρει Gow-Page, HE 3997 = Α.Ρ. 7.418.4).36 There is every reason to suppose that Helladius preserves a genuine tradition and no apparent reason to think that the story was concocted. The tradition that Euphorion was an Athenian by adoption must mean that Euphorion was granted Athenian citizenship. Such a grant of citizenship was in the time of Demosthenes no small matter.37 So f r s we know, it was a privilege equally jealously guarded a Century later and basically confined to benefactors of the Athenian state. In Euphorion's case, it is likely it was the credit accruing to Athens in acquiring so important a poet s one of their own that encouraged the Athenians to make him a citizen. The motives of the Coans in making Meleager a citizen of their state will have been similar. The bronze statue set up in honour of Philetas by his fellow-Coans and the 32
M 34
35 36 57
Porph. De ahst. 4.16. Clem. Alex. Protr. 2.19.3 attributes the care that women participating in the Thesmophoria take not to eat the seeds of the pomegranate to the belief that pomegranates sprang from the blood of Dionysus when it feil to the ground. The prohibition against destroying and consuming apples s symbols of mystic and secret struggles (t&v αρρήτων άθλων καϊ τελεσηκων εικόνας) that Julian (Or. 8.16 Rochefort) says the Mother of the Gods imposed and the worship and reverence he says was accorded them is likely to be a reflection of Bacchic-Orphic practice. In virtually the same breath, Julian mentions a prohibition against using pomegranates. Westes Suggestion (n. 31) 159 that «apples were taboo in certain Bacchic mysteries on the ground that Dionysus had been led to destruction by them» is plausible. Σ in Lucian Dial meretr. 7.4. Cf. Ernst Maass, Orpheus: Untersuchungen zur griechischen r mischen altchristlichen Jenseitsdichtung und Religion (Munich 1895) 115: «Den lteren Erkl rern wird man es nicht zu sehr ver beln, wenn sie Suidas ber das authentische Wort der Inschrift stellten und ihm folgend annahmen, der Dichter Euphorion sei in Apameia oder in dem syrischen Antioch ei a begraben.» On Helladius, see A. Gudeman, RE 8 (1913) s. v. Helladios (2) 98-102. Cf. A. Meineke, De Euphorionis Chalcidensis vita etscriptis (G cd an 1823) 5-6. See Philippe Gauthier, Les cites grecques et leurs bienfaiteurs, BCH Suppl. 12 (Paris 1985) 151.
58
MatthewDickie
statuc that Posidippus expected to be awarded in the agora of his natiye-Pella are a reminder of how much weight eitles at this tirae placed on being the birthplaces of well-known poets: poets might be given the same honours s major civic benefactors.38 The chances are, if Euphorien was an Athenian citizen, that the mysteries in which he was an initiate were those of Eleusis. A further indication that Euphorion was an Eleusinian initiate is perhaps to be seen in the apple and the pomegranate that are to be bestowed on his grave, but it may be that apples and pomegranates were associated with mystery-cults elsewhere. It is more significant that Euphorion's Initiation in the mysteries was a sufficiently important element in the life of the poet for an epigrammatist trying in a brief compass to capture something of the essence of the man to single it out for special mention. We have, accordingly, a poet at the centre of whose being was his Initiation intp the mysteries. The obvious objection to such an Interpretation of the poem is that it is not Euphorion himself who bears witness to his religious feelings but someone eise. Theodoridas may have misinterpreted the depth of the devotion that Euphorion feit to the mystery-cult of which he was a member, but the notion of a poet devoted to mystery-cult is unlikely to have been a fantasy with no roots in reality. It is proper at this poirit to inquif e how Theodoridas could have known that the mysteries meant so much to Euphorion. Possible Solutions are that Theodoridas knew Euphorion personally or that Euphorion's devotion was widely known. There is also the very real possibility that Euphorion had written a poem in celebration of the mysteries and that the poem is the source of Information on which the epigrammatist draws. Euphorion's loiig epic poem on Dionysus may, for exaniple, have had something to say about the mysteries (frs. 13-15 CA). If that were so, we would have an instance of a very common pattern in the way in which in ancient times the lives of poets were reconstructed from their writings: it was assumed that what the poet had written about in some sense held good for him.39 In the case of a dramatic or epic poet this procedure invariably yields ludicrous results. Theodoridas is less likely to have gone seriously astray in inferring from the poetry of Euphorion devotion to the mysteries.
Philicus Ζρχεο δι\ μακαριστός οδοιπόρος, £ρχέο καλούς χώρους ενοεβέων όψόμ^νος, Φίλικε, εκ κιοοηρ&φέος κεφαλής εϋνμνα κνλίΐύν ρήματα, κα\ νηοονς κώμαοον είς μακάρων, εν μεν γήρας i8wv ενέοτιον 'Αλκινόοιο Φαίηκος, (ώειν ανδρός έηκπαμένον (SH 980 1 - 6). The next poet to be considered is Philicus, who belongs to the group of tragic poets active in the reign of Ptolemy Philadelphus known s the Pleiad.40 His place of birth was Corcyra, which its inhabitants, probably from at least the first half of the 5th Century B.C., identified^
38 3V 40
See Cameron (n. 2) 41, 68; M. W. Dickie, «Which Posidippus,» GRBS 35 (1994) 373-83, See Mary R. Lefkowhz, The Lives ofthe Poets (London 1981) passim. Stoessl, RE 19 (1938) s. v. Philiskos (4) 2379-82; Fr ser (n. 4) 11.871-72.
Poets s Initiales in the Mysteries
59
with H mer's Phaeacia or Scheria.41 The identification seems to have been universally accepted: in the Hellenistic Peripd, for example, Apollomus Rhodius subscribed to it.42 Philicus had left Corcyra for Alexandria, where we meet him in 275/4 B.C. s priest of Dionysus, leading the τεχνϊται of Dionysus in the Grand Procession of Ptolemy Philadelphus (FGrH 627 F 2 = Athen. 198b>-c). That he was a priest of Dionysus the Souda also teils us.43 If the organization of the other guilds of Dionysus is anything to go by, s priest of Dionysus Philicus was president of the guild of τεχνπαι in Alexandria.44 Whether the τεχνϊται of Dionysus were regularly initiated into the mysteries in which that god played a part we cannot say, but the poem that sends Philicus on his way into the Underworld very strongly suggests he at least was. The poem, addressing Philicus in the 2nd person, bids him hon voyage on his journey to see the Lands of the Pious and the Isles of the Biest, after he has had a good view of the happy old age of Alcinous the Phaeacian. What the elegiacs go on to say after this is lost. The poem is preserved in a p pyrus now in Hamburg (P. Hamb. inv. no. 312 recto. col. ii) to be dated to the middle of the 3rd Century B.C. and written out apparently from memory on a piece of p pyrus that was later to be used s cartonnage.45 The p pyrus must have been written very shortly after Philicus' death. Who its tolerably, though not completely, competent author was we do not know. The poem does not fall under any obvious classificatory rubric. Fr ser calls it a lament and takes it to describe the «civilized and easy sympotic life» in which Philicus had s a true Phaeacian participated in Alexandria.46 The poem is on this view essentially backwardlooking: it laments the death of Philicus by recalling regretfully the good times that he had once experienced in emulating his pleasure-loving Phaeacian ancestor Alcinous. It is natural enough that a poem addressing the deceased in the 2nd person and recalling the pleasures he had once enjoyed should be treated s a lament. Yet lament is hardly the term that suggests itself for a poem in which there is little or no hint of regret or sadness and which seems on the contrary to look forward to a happy and privileged afterlife for Philicus. Although literary texts afford little help in the classification of the poem, the gold lamellae that dead initiates took with them to the grave do throw some light on how the poem should be classified and what its meaning is. The poem is suffused by the language and ideas that inform the lamellae. I shall argue that the poem has many of the same sources of Inspiration s the lamellae and comes out of the same intellectual and cultural matrix. It is very likely that what is inscribed on the lamellae has its origins a) in the words pronounced in the ritual of initiation, b) in the ^€pbς λόγος imparted to initiates during the initiation-ritual and finally c) in what was said at funeral-ceremonies for dead initiates.47 It is possible that there was 41 42 43 44 45 46 47
Thuc. 1.25.4,3.70.4. Argon. 4.982-92. s. v. Φΰαοκος. E. E. Rice, The Grand Procession of Ptolemy Philadelphia (Oxford 1983) 55-56. So U. von Wilamowitz-Moellendorff, «Neues von Kallimachos.» SBAW (1912) 547. (n.4)L608-9. I am greatly indebted to Christoph Riedweg for letting me see in advance of publication his careful examinaaon of what is inscribed on the Orphic-Bacchic lamellae. Hc has succceded in demonstrating to my satisfaction which sentences have their origins in ritual-contexts and what these contexts are and what sentences or verses are likely to come from an Orphic poem recited s part of the process of instruction (ηαράδοοκ) in the ceremony of initiation, His study of die lamellae is to be published in 1998 by Teubner under the title of «Initiation - Tod - Unterwelt: Beobachtungen zur Kommunikationssituation und
60
Matthew Dickie
repetition in thc funeral-ceremony of what had been said in the ritual of initiation. However that may bc, the hypothesis that what is inscribed on the gold lamellae derives from ritualcontexts throws new light on what is going oh in the elegiacs bidding Philicus godspeed. The first word in the poem is the imperative ϋρχεο, which is repeated after the bucolic diaeresis. It is proper to ask what the repetition means. Repetition is a device that performs a variety of functions. Ritual is especially fond of it. The repetition of the imperative might then reflect the language of rituaL48 On the other hand, it is the case that anaphora after the bucolic diaeresis is characteristic of pastoral poetry.49 There is, howsver, nothing bucolic about the anonymous poem, nor does Philicus have any known associations with pastoral that would account for die anaphora after the bucolic diaeresis. It is worth noting that anaphora after the bucolic diaeresis is by no means the orily metrical configuration in which repetition occurs in pastoral poetry. Furthermore, a pastoral poet may in a non-pastor l poem repeat a proper name after the bucolic diaeresis to give the Impression of the language of magical ritual.50 In the refrain of an incantation an imperative may be repeated after the bucolic diaeresis to achieve the same effect.51 Certainty here is unobtainable, but on balance it looks s if the repeated $ρχεο reflects the language of ritual. We do not have positive evidence for what the ritual-situation was in which the deceased was bidden go on his way to the Underworld, but the notion that there was a ceremony by the graveside for dead initiates in which such a command was uttered is an attractive one. The twice-repeated command to go and Philicus' being called an οδοιπόρος are strongly reminiscent of the idea found principally in lamellae that the deceased initiate has a particular path to follow to reach his destination in the Underworld. The notion finds its clearest expression in the final two lines of the Hipponium-tablet in which the dead initiate is told that he will go, after being allowed to drink from the Lake of Memory, along the holy road that other initiates and bacchoi tread:
narrativen Technik der orphisch-bakchischen Goldbl ttchen,» in: Fritz Graf (ed.), Ansichten griechischer Rituale. Geburtstags-Symposium f r Walter Burkert, pp. 359-398. An bbreviated Version in Latin of the study has already been published s «Poesia Orphica et Bacchicus ritus: Observationes quaedam ad lamellas aureas spectantes,» Vox Latina 32 (1996) 475 -89. A very different Interpretation of the lamellae that sees them s spells or incantations intehded to influence the Goddess of the Underworld by virtue of their magical powers is to be found in Pierre Boyance, Le culte des Muses chez lesphilosophes grecs, BEFAR 141 (Paris 1936) 77-80. Two things make Boyance think the lamellae are designed to enchant: l) Apollonius of Tyana says that if there were spells of Oφheus for bringing the dead back, he would have liked to have known them (Philostr. Vit. Apoll. 8.7, p. 321 Kayser); 2) the lamella from Petelia (B2 Zuntz) was enclosed in a small cylinder to which was attached a gold chain. From the latter circumstance Boyance draws the conclusion that it was an amulet and s such had magical force. Against these inferences it may be objected 1) that Philostratus does not say there were spells of Orpheus for bringing back the dead, and, even if he had said that, Orpheus* magical powers of song are not to be confused with the ppems that wem under his name, 2) that the Petelia-lamclla was enclosed in the cylinder during the Roman Period (Zuntz [n. 5] 355-56) and only then used s a magical amulet and 3) that the lamellae were not hung around the neck, insofar s that has any significance, but placed in the hand or mouth of the deceased or on the ehest. 48 On repetition in ritual and in hymns and prayers, see Eduard Norden, R Vergilius Maro Aencis Buch W5 (repr. Darmstadt 1970) 136-37; R Pfister, Die Religion der Griechen und R mer (Leipzig 1930) 199-200; A. W. Bulloch, Callimachus: The Fifth Hymn (Cambridge 1985) 112. 49 Cf. Pfeiffer on Call. fr. 27 Pf.: *in anaphorapost diaeresin hucolicam <pastorale> quiddam inest.» 50 Cf. Theocr. 2.23 and its Imitation at Verg. Ed. 8.83: Daphni* me maltts urit, ego hancin Daphnide laurum. 51 Cf. Verg. Ed. 8.68 etc.: dudle ab urbe domum, mea carmina, durfte Daphnin.
Poets s Initiates in the Mysteries
61
και δη και » E. H. Kantorowitz, Die zwei Körper des Königs, München 1990,487 ff. (= Princeton 1978,496 ff.)..
Die Worte des Sklaven an den Triumphaler
79
ältere Plinius schreibt in den siebziger Jahren, unter der Herrschaft des Titus, davon, daß beim Triumph der Tfiumphator aufgefordert wird zurückzublicken. Dies sei ein sprachliches Heilmittel zur Besänftigung der tödlichen Mißgunst Fortunas. Arrian in seiner Zusammenfassung der Lehre Epiktets spricht von Leuten, die hinter den Triumphatoren stehen, sie zur Mäßigung mahnen, indem sie sie daran erinnern, daß sie Menschen sind. Im Jahre 197, unter der Herrschaft des Septimius Severus, zitiert der Kirchenvater Tertullian den Spruch wörtlich, in direkter Rede: «Schau hinter dich! Vergiß nicht, daß du ein Mensch bist!» (Übersetzung von C. Becker). Die Reihe schließt der Historiker Dio Cassius, der im 3. Jh. unter der Herrschaft des Alexander Severus starb. Er beschreibt die römische Triumphzeremonie ausführlich im Zusammenhang mit dem Triumph des Camillus im Jahre 396 v. Chr. und zitiert den Spruch in der Form: «Blicke zurück!»3 Was ist der Realitätswert, dieser Mitteilungen? Es gab gelegentliche Ansätze, die Tatsächlichkeit der Sklavenworte in Zweifel zu ziehen4; sie haben ihre volle Ausprägung in einem Beitrag von J. S. Reid im Jahre 1916 gefunden5. Er sah die allgemeinen Verdachtsmomente in der Spätzeitlichkeit der Belege; in der Singularität der Angaben insbesondere bei Dio im Zusammenhang mit Camillus; im Fehlen der Sklavenworte in anderen Triumphschilderungen z. B. bei Dionysios von Halikarnass, bei Seneca, bei Appian; in der schwankenden Formulierung der Worte bei Dio(s Excerptoren); schließlich im «unrömischen, unitalischen Charakter» der zugrundeliegenden Idee einer möglichen Göttlichkeit des Menschen6. Die konkrete Grundlage zum Erreichen des hyperkritischen Ergebnisses aber war die Annahme, daß die rhetorisch verschleierten Worte des älteren Plinius - unserer ältesten Quelle - nicht ein Reden des Sklaven meinen, sondern unter dem von Plinius erwähnten «sprachlichen Heilmittel» die Spottlieder der Soldaten zu verstehen seien. Die späteren hätten den Pliniustext mißverstanden7 und die Sklavenworte aus diesem Text als «eine hübsche späte Fabel» mit Hilfe ihrer Phantasie einfach herausgesponnen. Meines Wissens hat sich seit 80 Jahren kein einziger Forscher diesem skeptischen Urteil angeschlossen, so daß ich mich hier mit der kurzen Andeutung der Gegenargumente begnügen möchte. Dogmatischen verallgemeinernden Äußerungen darüber, was unrömisch oder unitalisch ist, sollte von vornherein kein Gewicht beigemessen werden; die lange Forschungsgeschichte unseres Faches beweist, daß solche Verallgemeinerungen nur allzu häufig dazu dienen, verfestigte Vorurteile neu auftauchenden oder neu bemerkten konkreten Tatsachen gegenüber zu perpetuieren8. Auch die Singularität des dionischen Berichtes ist kein gutes Argument, angesichts des partiellen Charakters dessen, was uns von der römischen 3
Plin. Nat 28,39. Arrianus Epict. 3,24,85. Tert. Apol. 33,4. Der Text des Dio Cassius ist uns nur aus byzantinischen Auszügen bekannt: Zonaras 7,21,9. J. Tzetzes Ep. 97 p. 86. J. Tzetzes Chil. 13,51-53. Beachte noch Hieronym. Ep. 39,2,8. Isidor Etym. 18,2,6. 4 O. Jahn, Berichte über die Verhandlungen der k^nigl. sächs. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Cl. Leipzig 7 (1855) 70 ff. L. Preller, Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1864,305 = Arch. Ztg. 1858, No. 115,193 f. Beide eliminierten die Mahnworte des Sklaven dadurch, daß sie die Angabe des Plinius für eine rhetorische Umschreibung . der Spottlieder der Soldaten hielten. Im übrigen waren sie sich ihrer Sache sehr unsicher: «Die ... Worte gesteht O. Jahn ... nicht zu verstehen ...; auch sei die Stelle wohl nicht heil» (Preller 305). 5 JRS 6 (1916) 181. 6 E. Burck, Gymnasium 58 (1951) 181». 7 Dio soll auch juvenals Worte Sät. 10,41 f.: $ibi consul / ne placeat, currti servus portatur eodem mißdeutet und aus der Wendung sibi ne pUceat die Mahnworte des Sklaven herausgesponncn haben. 8 H. S. Vcrsnel, Triumphus, Leiden 1970, 57, 68: «terms such äs should not be used·. F. K. Kiechle, Historia 19 (1970) 271.
80
Thomas Köves-Zulauf
Literatur erhalten ist, angesichts der besonderen römischen Hemmung, sakrale Dinge beim Namen zu nennen9. Es bleibt allerdings die bemerkenswerte, erklärungsbedürftige Tatsache, daß unsere Berichte über die Sklavenworte während der 750jährigen Dauer der antiken römischen Literatur und der tausendjährigen Geschichte des Triumphes sich nur innerhalb von 150 Jahren häufen - ein Phänomen, auf das zurückzukommen sein wird10. Auch eine gewisse Schwankung in der Charakterisierung des Sklavenspruchs ist richtig beobachtet; diese bezieht sich allerdings nicht auf die gesprochenen Worte selbst, sondern auf ihre Ausdeutung und Paraphrasierung durch die einzelnen Schriftsteller11; das veranschaulicht nur die außerordentliche rhetorische Dynamik, die diesen Worten innewohnt. Für eindeutig irrtümlich halte ich die Auffassung, daß die späteren Berichte durch literarische Abhängigkeit vom Pliniustext zustande gekommen seien: gerade von den charakteristischen Besonderheiten dieses Textes - dem medizinischen Kontext und der medizinischen Ausdrucksweise, der Erwähnung Fortunas - gibt es gar keine Spuren in den Folgetexten12; auf der anderen Seite weist im Pliniustext absolut nichts voraus auf den wesentlichen Inhalt der späteren Texte: die Betonung des Menschseins = hominem te memento . Die Annahme ist somit zwingend, daß die späteren Berichte textmäßig von Plinius unabhängig sind. Dies ist um so eher möglich, als die späteren Schriftsteller ihre Kenntnis über den römischen Triumph nicht Büchern entnehmen mußten sondern diesen unabhängig von literarischen Vorbildern als reales Ereignis persönlich noch erleben konnten13. Die von Plinius erwähnten heilenden Worte, mediana linguae, können auch nicht die Lieder der Soldaten meinen. Aus dem Text geht eindeutig hervor, daß es sich um eine jeweils kurze Aufforderung an den Triumphator handelt - iubetque ... respicere - und dies widerspricht allem, was wir von Stil und Inhalt der Soldatenlieder wissen. Diese bezogen sich auf Charakter oder auf vergangene Taten des Triumphators, enthielten Lob, Scherz oder Tadel, nie jedoch eine Anweisung darüber, wie der aktuelle Triumphzug gestaltet werden sollte14. Auch paßt der Sklave als Sprecher dieser Worte unvergleichlich besser in den Gesamtzusammenhang des plinianischen Textes15. 9
10
11 12 13 14
15
Cic. de imp. Cn. Pomp. 47: sicut aequum est homines de pötestate deorum, timide et pauca dicamus. Th. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen, München 1972, 319. Möglicherweise verbirgt sich eine Anspielung auf die Mahnworte des Sklaven in der Darstellung des pompeianischen Triumphes bei Vell. 2,40,2: per omnia fortunam hominis egressus revertitttr in Italiam. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 127. Wenn im Plinius-Text statt respicere reapere zu lesen ist (s. unten S. 89 ff.), so sind die späteren Texte auch in diesem Punkt auf charakteristische Weise unplinianisch, mit Ausnahme von Arrianos. O.c.138111. S. die Zusammenstellung der Fragmente I. G. Kempf, Jahrbücher £ Klass. Phil. Suppl. 26 (1901) 357 ff. M. Schanz-C. Hosius, Geschichte der römischen Literatur, München 1927, l, 22. Der zentrale Gegenstand der plinianischen Bemerkung ist der Triumphalwagen - currtts triumphantium - mit seinem verschiedenartigen Zubehör, an erster Stelle dem pballos, der unten am Wagen hängt. An letzter Stelle steht, hinter dem Rücken des Triumphators - a tergo - Fortuna als Verkörperung des Neides. Ihr Attribut carnifex weist darauf hin, daß sie nicht den Neid der hinten-marschierenden Soldaten abstrakt verkörpert, sondern die Gestalt des unmittelbar hinter dem Rücken des Triumphators stehenden, Sklaven zu einer metaphorischen Gestalt sublimiert. Denn dieser Sklave galt als carnifex, Henker (Isidor Etym. 18,2,6. Zon. 7,21). Die Sublimierung der konkreten Gestalt des Sklaven im Rücken des Triumphierenden zu einer allegorischen Figur auf plastischen Darstellungen (Victoria) ist vielfach belegte allgemeirte Tendenz: T. Hölscher, Victoria Romana, Mainz 1967, 82-84, 88,162. Es ist somit richtig, daß «Fortuna a tergo» bei Plinius «als ein Begriff zu nehmen ist» (J. Marquardt-G. Wissowau. a., Römische Staatsverwaltung, Leipzig 1881-18852, 2, 5886). Das Sprechen der «heilenden Worte* respice ist in die Mitte
Die Worte des Sklaven an den Triumphator
81
Angesichts solcher Argumente kann es nicht überraschen, daß heute der Versuch, die historische Realität der Sklavenworte gänzlich in Zweifel zu ziehen, als obsolet gelten kann. Von höchster Aktualität ist demgegenüber eine gegensätzliche Theorie, die den Mahnworten nicht nur Realität an sich zubilligt, sondern dies in erhöhtem Maße tut, indem sie davon ausgeht, daß die Mahnworte schon sehr früh einen festen Bestandteil der Realität der römischen Triumphzeremonie gebildet haben. Sie wird von archäologischer Seite vertreten, ist im Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (1984) oder im 1990 erschienenen Buch von Erika Simon über die «Götter der Römer» zu lesen16. Nach dieser Auffassung ist in dem Spruch eine Folge des Eindringens der Apollo-Religion in Rom zu sehen, in sehr früher Zeit. Die Verehrung Apollos fand in Rom zur Zeit der tarquinischen Könige Eingang, zusammen mit den sibyllinischen Büchern; sie stammte letzten Endes aus Delphi, kam aber in Rom durch die Zwischenstationen Praeneste und Gabii an. Zur selben Zeit wurde auch der Triumph in Rom heimisch, wenn auch auf anderem Wege, der ursprünglich ein dionysischer Festzug war, auch aus Griechenland stammte, aber den Römern durch die Etrusker übermittelt wurde, um in Rom seine genuin römische Prägung zu erhalten und zu einer par excellence römischen Institution zu werden. Triumph und Apollokult in Rom standen aber nicht nur chronologisch nebeneinander, durch ihre Einbürgerung während der gleichen Epoche; es gab auch bemerkenswerte Verbindungen lokaler Art: Der Triumphzug nahm seinen Anfang vom Apollontempel auf dem Marsfeld, dessen Innenfries durch die Darstellung eines Triumphzuges geschmückt war, zog dann durch dieporta triumphalis, die sich unweit des Apollotempels befand. Es bestand aber auch eine wesensmäßige Verbindung zwischen Apolloreligion und Triumph, in der die erwähnten äußerlichen Berührungsmomente letzten Endes ihre Wurzel hatten. Dies war die Funktion der Reinigung: Der römische Apollo war ursprünglich ein Gott der rituellen Reinigung17 und «Die religiöse Bedeutung des Triumphes bestand in der Reinigung des Heeres von Blutschuld»18. Der Spruch des Sklaven ist ein Moment dieser rituellen Reinigung und ist unter dem Einfluß der delphischen Ethik entstanden; die Mahnung «hominem te esse memento!» ist eine römische Umschreibung des delphischen , die nach Rom verpflanzte typisch apollinische Warnung vor Hybris; inhaltsgleich der Botschaft, die während des zweiten punischen Krieges im Jahre 215 Fabius Cunctator aus Delpi den Römern mitbrachte und die lautete: lasciviamprobibetote = «hütet euch vor jeder Überheblichkeit!»19.
16 17
18 59
dieses Ensembles, des Wagens mit Zubehör, fest eingebettet, und mit vielen Fäden verwoben: Neben demfascintts als medicus (m.) invidiae (gen. obi.) steht gleichwertig - similis - als medicina (f.) linguae (gen. subi.), das hörbare magische Mittel neben dem sichtbaren, der religio muta, plinianisch ausgedrückt (28,24), eine Zweiheit, die eine Grundform plinianischer Weltanschauung bildet (Köves-Zulauf, Reden und Schweigen, 34, 123 £, 128,146 f., 151 f., 318). Dieses einheitliche Bild des von Zauberkräften umstrahlten Triumphalwagens wird zerstört, wenn man die medicina linguae «respice» daraus wegbricht und den weiter hinten marschierenden Soldaten zuweist. Erica Simon, JDAI 93 (1978) 208-215. Dieselbe, LIMC 2,1 s. v. Apollo p. 363 f. Dieselbe, Die Götter der Römer, München 1990,29. JDAI 93 (1978) 212. O. c. 210. O. c. 212. Liv. 23,11,3. Apollokult und Triumph - beide letzten Endes aus Griechenland stammend trafen nach dieser Theorie erst in Rom aufeinander. Daraus folgt, daß die delphischen Mahnworte ursprünglich, und sei dies noch so früh, von außen zu der Triumphzeremonie auf römischem Boden hinzukamen, sich weder aus römischen Vorforraen des Triumphes, noch aus dem etruskischen Triumph organisch von innen entwickelt haben.
82
Thomas Köves-Zulauf
Frau Simon gebührt höchste Anerkennung dafür, daß sie auf die enge und frühe Verbindung zwischen Triumph und Apollo-Religion aufmerksam gemacht hat. Dies bedeutet freilich nicht, daß beim weiteren Bedenken ihrer Theorie sich nicht kritische Fragen ergeben können. So ist zum Beispiel die Frage erlaubt, ob man aus dem Heilgott Apollo, der aus Anlaß einer Seuche als Apollo Medicus nach Rom geholt und so benannt verehrt wurde, mit dem Kunstgriff, daß behauptet wird, «Die reinigende Kraft des Gottes war seiner heilenden übergeordnet», einen originären Reinigungsgott in Rom machen kann20. Desgleichen darf bezweifelt werden, ob man die religiöse Bedeutung des Triumphes mit der absoluten Ausschließlichkeit, wie E. Simon dies tut, in der Reinigung des Heeres von Blutschuld sehen kann21. Eine simple Überlegung spricht gegen diese Theorie, wie darauf schon hingewiesen worden ist22: Auch ein geschlagenes Heer hatte einer Reinigung von Blutschuld bedurft, von so etwas gibt es aber absolut keine Spuren. Der Triumph hat also offensichtlich grundlegend mit Sieghaftigkeit etwas zu tun, und wenn seine Funktion Reinigung ist, so «Reinigung» von Sieghaftigkeit sozusagen. Besser ausgedrückt: mäßigende Beschränkung der Sieghaftigkeit - eine durchaus apollinische Funktion freilich. Des weiteren stellt sich die Frage, ob es richtig ist, davon zu sprechen, daß Apollo im römischen Triumph den ursprünglich herrschenden Dionysos ersetzt^. Wäre es nicht richtiger zu sagen, daß das Apollinische dem Dionysischen entgegengesetzt wird und gerade durch diese Spannung das widersprüchliche Wesen des römischen Triumphes mitkonstituiert wird? Sind ferner die drei Sprüche: «Erkenne dich selbst!» - «Vergiß nicht, daß du ein Mensch bist!» - «Hütet euch vor jeder Überheblichkeit!» von so enger Ähnlichkeit, daß sie als variierende Wiederholungen derselben konkreten Aussage gewertet werden können, einer und derselben Quelle (Delphi) entstammend? Wir brauchen uns aber hier auf solche grundsätzlichen Erörterungen des Wesens des Triumphs nicht einzulassen, die sehr weit führen und viel Raum benötigen würden. In unserem Zusammenhang können wir uns mit der verhältnismäßig kurzen und sicheren Feststellung begnügen, daß die erörterte Theorie dem hier zu untersuchenden Spruch nicht gerecht wird, ihn in seiner Eigenart nicht zu erklären vermag. Schon aus dem Grunde nicht, weil der erste Teil des Spruches - respice in den Darstellungen dieser Theorie überhaupt keine Erwähnung - und so auch keine Erklärung findet. Dieser Teil gehört aber als wesentliches Element zu dem Spruch, wie der erste Platz dieses Teils sowie die Tatsache der Zweiteiligkeit selbst für ihn von konstitutiver Wichtigkeit sind. Um ihn richtig zu verstehen, muß er in seiner Gesamtheit und in seiner inneren Struktur analytisch untersucht werden. Die Worte des Sklaven mahnen den Triumphator in ihrer Gesamtheit zur Bescheidenheit, sie tun es aber in doppelter Form. Der erste Satz - respice post tel - mahnt eine sichtbare Haltung an, der zweite Satz die darin zum Ausdruck kommende innere Gesinnung - memento! Die Reihenfolge ist kein Zufall. Denn im Rahmen des Triumphes, dieser grandiosen Schauveranstaltung ist die für alle Zuschauer sichtbare Haltung das primäre, das objektive Ereignis, die innere Gesinnung nur deren unsichtbarer, mit Augen nicht erfaßbarer, mit Händen nicht greifbarer Sinn, eine Interpretation. Der äußere gestus der 20 21 22
O. G 212. O, c. 210. Simon, Götter Roms 29. C. Weickert, Gnomon 5 (1929) 25. Versnel o. c. 152 ff., 163. - Ich vermag die von E. Simon JDAI 93 (l978) 21051 angekündigte Widerlegung Versnels nirgends zu finden. JDAI 93 (1978) 213-215. LIMC s. v. Apollo 364.
Die Worte des Sklaven an den Triumphaler
83
Bescheidenheit paart sich mit der seelischen Haltung der Bescheidenheit. In dieser Explikation der impliziten Geste, in der historischen Entstehung dieser Explikation können verschiedene Einflüsse eine Rolle gespielt haben, unter anderem auch die apollinische Lehre. Sie kann aber nicht primär, nicht Entstehungsgrund der Geste und der Mahnung zu der Geste gewesen sein, sondern nur Ausdruckshilfe zur Formulierung ihres Sinnes. «Hominem te memento!» wurde also der römischen Zeremonie nicht von außen, aus Delphi aufgeprägt sondern ist aus dem römischen Triumph von innen organisch herausgewachsen24. Neben dem apollinischen Einfluß können in der Ausdeutung philosophische Einflüsse ebenso wirksam gewesen sein, wie z. B. das Vorbild des Makedonenkönigs Philipps des zweiten, von dem die Tradition wissen wollte, daß er sich jeden Morgen durch einen Sklaven daran erinnern ließ, «daß er ein Mensch sei!»25 Der Primat der Geste folgt aus dem Wesen des Triumphs als Zeremonie, die Notwendigkeit einer Geste der Bescheidenheit aus seiner Qualität als &'ege$zeremonie. Daß gerade ein Zurückblicken sich gut als Geste der Bescheidenheit eignet, kann mit Hilfe von Parallelen erhärtet werden. Zunächst e contrario: In der griechischen Kunst gilt das starre NachVorne-Blicken als typisches Merkmal des theios aner, des göttlichen Mannes26. Es ist logisch anzunehmen, daß die entgegengesetzte Haltung, die Richtung des Blickes nach hinten, entgegengesetzte Bedeutung haben muß. Dem Triumphator, als «göttlichem Menschen»27, kam das Attribut des In-die-Ferne-Blickens theoretisch zu. Wenn er zum Gegenteil ermahnt wird, zum Nach-Hinten-Blicken, so kann das kaum etwas anderes bedeutet haben als die Forderung, er solle sich vom Theios-Aner-Sein distanzieren, anders ausgedrückt: er soll die Haltung der Bescheidenheit einnehmen, sich sein Menschsein in Erinnerung rufen. Noch größere Aussagekraft dürfte aber eine zweite Parallele haben. Eine äsopische Fabel bringt die Unfähigkeit des Menschen, die eigenen Fehler zu sehen, durch ein mythisches Bild zum Ausdruck: Prometheus (= Jupiter bei Phaedrus) habe diese Fehler dem Menschen in einem Sack mitgegeben, den er am Rücken trägt, und dessen Inhalt er deswegen unfähig ist zu erblicken28. Die Erzählung ist zum kulturellen Gemeingut in Antike und Moderne geworden, nachzuweisen in Dichtung und Prosa, nicht zuletzt in moralisierendem, stoisch gefärbtem Zusammenhang29. Die in tadelndem Ton vorgetragene Beschreibung der conditio humana impliziert unausgesprochen eine Billigung des Gegenteils, ja eine moralische Aufforderung dazu, und dies wäre ein Zurückblicken, das Anschauen des Sackes, gefüllt mit den eigenen Fehlern, hinter unserem Rücken. Dieses Bild steht im 24
25 26 27 28 29
Kann nicht respice sekundär aus hominem te memento entstanden sein? Dagegen sprechen vor allem drei Argumente: l) Der Sinngebung einer Geste geht diese selbst natürlicherweise voraus. 2) Die Römer waren bekanntlich primär auf rituelle Praxis orientiert, theoretische Begründungen waren füs sie sekundär. Es ist schwer vorstellbar, daß es gerade im Falle des Triumphes anders gewesen wäre. 3) Trotz der schmalen Überlieferung ist es eine Tatsache, daß diejenigen Quellen, die den Spruch nur gekürzt wiedergeben (plinius, Tzetzes = Dio), sich auf die Aufforderung zur Haltung als Kernelement beschränken. Nur bei dem späten Kirchenvater Hieronymus ist es anders, dessen Bericht auch sonst aus dem Rahmen fällt, wozu s. S. 95. Aelian var. hist. 8,15: Seit dem Sieg bei Chaironeia 358 v. Chr. Köves-Zulaufo.c.141124. S. dazu unter Anm. 35. Aesop 359 Halm (266 Perry) = Babrios 68 = Phaed. 4,10 - G. E. Lessing, Fabeln, Abhandlungen 4 (Werke, München 1973) S. 415. Cacul. 22,21. Pers. 4,24. Sen. De ira 2,28,8. W. Kißel, Persius Satiren, Heidelberg 1990, S. 531. La Fontaine, Fablcs l, 7, 31 ff.
84
Thomas Köves-Zulauf
Hintergrund30 auch der horazischen Satire 2,3, die einen frischgebackenen Vulgärstoiker verhöhnt; der römische Dichter ersetzt jedoch stillschweigend, auf sehr römische und für seine Dichtung sehr charakteristische Art, das Lehrbuchbeispiel durch ein aus der eigenen Lebenserfahrung gewonnenes Genrebild, eine Erinnerung an das römische Schulleben: Er ruft die Gewohnheit römischer Schulkinder in Erinnerung, an das Hinterteil nichtsahnender Schulkameraden einen Tierschwanz oder ein anderes Tierattribut zu binden - eine Sitte, die auch in Schulen des 20. Jahrhunderts nicht unbekannt war. Das Opfer allgemeiner Belustigung und Verspottung merkt so lange nichts, bis es aufgefordert wird, «zurückzublicken, anzuschauen, was von seinem Rücken hängt, ohne daß er es wüßte»31. Die Grundzüge des Arrangements sind im stoischen Lehrbeispiel und im römischen Genrebild die gleichen: das Unrühmliche befindet sich hinter unserem Rücken, und unsere moralische Pflicht ist es, durch besondere Anstrengung es wahrzunehmen, zurückzublicken, was durch Horaz als Lehre und Mahnung auch ausdrücklich ausgesprochen wird: respicere ... pendentia tergo. Die Ähnlichkeit mit den Worten des hinter dem Triumphator stehenden Sklaven aber besteht darin, daß auch hier jemand ermahnt wird, zurückzublicken, und daß dieses Zurückblicken auch hier als die moralisch richtige Haltung gilt, als der Weg zur Selbsterkenntnis, als Verzicht auf falsches Selbstbewußtsein, als Geste der Bescheidenheit. Es ist nichts anderes als ein in sese descendere, «ein Herabsteigen auf das eigene Niveau des Menschen», wie der Satirendichter Persius, einer unserer Belegautoren über den Sack mit den Fehlern auf dem Rücken, es so treffend formuliert (4,23). Wie überzeugend diese Parallelen auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, beim näheren Zusehen tauchen Schwierigkeiten auf, gerade, was die Gestalt des Triumphators betrifft. Man muß nämlich zu dem Schluß kommen, daß ein Zurückblicken für den Triumphator gar nicht möglich war, aus technischen, vor allem aber aus religiösen Gründen nicht. Was das erste betrifft, ist es offensichtlich, daß es für ihn außerordentlich schwierig sein mußte, sich umzudrehen, nach hinten zu blicken, mit einem Lorbeerzweig in der einen, mit einem schweren Szepter in der anderen Hand, mit einem goldenen Kranz oder Lorbeerkranz auf dem KopP2, unter einem schwergewichti'gen, vom Sklaven über seinen Kopf gehaltenen zweiten goldenen Kranz stehend. So ist es nur folgerichtig, daß sowohl plastische als auch literarische Darstellungen dem Triumphator eine völlig unbewegliche Haltung zuschreiben. Auf der Schale von Boscoreale, einer der besten, wenn nicht der besten realistischen Triumphdarstellung, die wir besitzen, ist der zukünftige Kaiser Tiberius zu sehen, wahrscheinlich aus Anlaß seines Triumphes im Jahr 12 n. Chr.33. Seine unbewegliche, starre, fast verkrampfte Haltung mit fest nach vorne gerichtetem Blick ist nicht zu 30
31
32
33
Hör. s. 2,3,53; 299. Die Horazstelle haben schon antike Kommentatoren als eine Variante des aesopischen Bildes aufgefaßt (Scholia in Horatium ed. H, J. Botschuyver, Amsterdam 1935, zu s. 2,3,55; 299 = pp. 322,330). Die Natur des Zusammenhanges ist umstritten («Ce rapprochement n'est pas fonde», Lejay zu s. 2,3,299. - «Eine Hindeutung darauf z. B. Hör. S. 2,3,299» W. Kroll zu Catul, 22,20). Ich gehe davon aus, daß Horaz das traditionelle Bild im Kopfe hatte, es aber bewußt durch ein ähnliches, aber erlebniswertiges ersetzt hat. Ein Zusammenhang besteht also, aber ein schweigender! Dixerit insanum qtii nie^totidem audiet atque / Respicere ignoto discet pendentia tergo (2,3,299). - hoc te l Credo modo insanum, nihilo ut sapientior ille / Quite deridet caudam trahat. (2,3,53 f.). A. Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 1977 (= 1935), 156 f. M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, Leipzig 1929, l, 215. T. Hölscher o. c. 83 (mit Literatur).
Die Worte des Sklaven an den Triumphaler
85
verkennen. - Dreieinhalb Jahrhunderte später, 356 n. Chr., schildert Ammianus Marcellinus in folgender Weise die Haltung des in Rom «triumphal» einziehenden Kaisers Constantius des zweiten34: «Constantius zeigte sich völlig unbeweglich. Als ob sein Nacken versteift wäre, richtete er seinen Blick gerade nach vorn, sein Gesicht wandte er weder nach rechts noch nach links, starr wie eine menschengestaltige Statue». Diese Übereinstimmung zwischen plastischer Darstellung und literarischer Beschreibung über eine Distanz von mehreren hundert Jahren kann kein Zufall sein. Es deutet vielmehr darauf hin, daß in der statuenartigen, starren Haltung ein typisches Merkmal der Triumphatorengestalt zu sehen ist. Es darf nicht vergessen werden, daß der Jupiter, dessen Verkörperung der Triumphator war, dessen Gewand er trug35, tatsächlich ein Standbild war. Hinzu kommt, daß statuenartige Bewegungslosigkeit für gottähnliche Herrscher, die in Aufzügen auftraten, allgemeine Vorschrift war. «Sich nicht umdrehen, nichts anblicken», so lautete die Vorschrift für den persischen Großkönig schon im 6. Jh. v Chr., wie es dem «Fürstenspiegel», der Kyropädie Xenophons, zu entnehmen ist (8,1,42)3A Es ist gut möglich, daß diejenigen Forscher recht haben, die in der äußeren Gestaltung des römischen Triumphes Spuren persischen Einflusses feststellen möchten37. Unerschütterliche Augenruhe war auf jeden Fall ein unerläßliches Element auch in der Haltung des triumphal auftretenden Kaisers von Byzanz, dessen zeremonielles Gehabe römischen Wurzeln entwuchs37*. Es ist nicht denkbar, daß der in dieser Tradition und unter solchem sachlichen Zwang stehende römische Triumphator aus der durchgehenden historischen Linie hätte ausscheren können. Eine Haltung des unbeweglichen Nach-Vorne-Blickens ergab sich prinzipiell aus dem Wesen der Rolle, der Pflicht, das tremendum maiestatis für aller Augen sichtbar darzustellen. Auch aus spezifisch religiösen Gründen ist es aber unmöglich, daß der Triumphator zurückgeblickt hätte, daß er dazu aufgefordert worden wäre. Die Parallele des theios aner erweist sich beim näheren Zusehen als eine Scheinparallele. Dieser blickt in die Ferne, über die Köpfe der Menschen hinweg. Die erforderliche Gegenhaltung wäre deswegen ein 34
16,10,9 - 10. Zu dem möglichen Einwand, der Einzug des Constantius sei kein Triumph im strengen Sinne des Wortes gewesen, seine Haltung nur ein spätes Phänomen, Köves-Zulauf o. c. 139 f. E. Künzl, Der römische Triumph, München 1988,106. 35 Die Auffassung, daß der Triumphator nicht Jupiter, sondern den altrömischen König darstellte, die übrigens nur von einer kleinen Anzahl von Forschern vertreten wird, halte ich für eindeutig widerlegt, ja noch mehr: das ganze Problem für ein Scheinproblem. Das Vorbild für den Triumphator war der König der tarquinischen Zeit, dieser aber stellte Jupiter dar; im Endergebnis war also auch der Triumphator auf jeden Fall, mittelbar, ein Abbild des höchsten Gottes. Erst recht nach der Vertreibung der Könige, da jeder Hinweis auf das verhaßte Königtum zu verdrängen oder zu verschleiern war, und durch nichts so effektvoll verdrängt werden konnte, als durch die Betonung eines unmittelbaren Bezugs des Triumphators auf Jupiter. S. dazu im einzelnen L. R. Taylor, The Divinity of the Roman Emperor, New YorkLondon 1973 « 1931, 45. Alföldi o. c. 146-149. C. Koch, Reügio, Nürnberg 1960 (= 1942), 96 («In der Erscheinung ihres festlichen Auftretens stehen somit Gott und König äußerlich ununterscheidbar nebeneinander»), Versnel o. c. 57-93. Köves-Zulauf o. c. 135102. Ähnlich schon Frazer, The Golden Bough, I^ondon 191l3, I, 2, 175 f., wozu s. W. W. Fowler, (einer der Urväter der Königsthese) CR 30 (1916) 153: «if Sir James had limited his arguments'to these (sc. the Etruscan kings) he might have made out a fairly good case.» Vgl. noch Hölscher o. c. 844W. Künzl o. c. 96 f. * M. P. Charlesworth, JRS 37 (1947) 34. 57 Frühe persische Einflüsse in der Zeremonie des römischen Triumphes nimmt an Payne o. c. 14 f., 202 f., in die Spätzeit datiert sie CharJesworth o. c. 37. 37 * A. Cameron, in: D. Cannadine-S. Price (Hrsg.), Rituals of Royalty, Cambridge etc. 107, mit Angabe weiterer Literatur.
86
Thomas Köves-Zulauf
ostentatives Anblicken der Mitmenschen vor und neben ihm, nicht ein Zurückblicken nach hinten. Der entscheidende Unterschied zwischen dem verspotteten Schuljungen und dem Triumphator besteht aber darin, daß im ersten Fall überhaupt kein religiöser Tatbestand gegeben ist, und nur das ermöglicht ein Zurückblicken in diesem Fäll, während die gegenteilige Situation beim Triumphator dasselbe unmöglich macht. Denn hinter dem Rücken des Triumphators existiert ein von magischen und religiösen Kräften beherrschter Bereich, hier befindet sich - metaphorisch gesprochen - Nemesis oder Fortuna (Plinius), von hier aus bedroht den Sieger der böse Blick des Neides. In dieses Auge zu blicken, ein Auge auf rächende Gottheiten zu werfen, wäre aber keineswegs eine Attitüde der Bescheidenheit, was es im Falle des Triumphators sein sollte, sondern gerade im Gegenteil, nach »dem Zeugnis der verschiedensten Religionen, ein Akt der Herausforderung. Aus diesem Grund wird gerade diese Haltung mit einem Verbot belegt, geschweige denn, daß jemand dazu aufgefordert würde. Im Gegenteil: Die Vorschrift lautet in solchen Fällen immer gerade gegensätzlich, so etwas nicht zu tun, nicht zurückzublicken. Ne respexeris! = Blicke nicht zurück! - lautet die Warnung bei einer solchen Gelegenheit in der achten Ekloge Vergils (102), wozu der Kommentator Servius sehr treffend bemerkt: «Weil die göttlichen Wesen es nicht mögen, angeblickt zu werden.» Was solche Verbote und die Strafen im Falle der Übertretung betrifft, steht uns eine erdrückende Fülle von vergleichendem Material zur Verfügung. Ich begnüge mich hier nur mit einigen sehr bekannten Beispielen: Loths Weib erstarrt zu einer Salzsäule, weil sie auf das brennende Sodoma zurückblickt38. In der griechischen Sage bekommt Deukalion nach der Vernichtung der Menschheit durch die Sintflut die Anweisung, nicht nach hinten zu blicken, während er Steine hinter sich wirft; um daraus ein neues Menschengeschlecht entstehen zu lassen39. Orpheus verliert seine aus der Unterwelt zurückgebrachte Eurydike, weil er gegen das Gebot, nicht zurückzublicken, handelt40. Aber auch die Zahl der römischen Beispiele ist groß. In Rom war es unter anderem verboten zurückzublicken beim Antreten einer Reise, beim Besuch eines Heiligtums, im Leichenzug, beim Leiehenopfer, beim Pflücken von Zauberpflanzen, beim Erscheinen eines Geistes. Ein Scheiterhaufen dürfte nur mit abgewandtem Gesicht angezündet" werden; ein Pontifex hatte die zu Tode verurteilte, lebend begrabene Vestalin ohne zurückzublicken in ihrer Todeskammer zurückzulassen41. Der Grund ist überall derselbe: ein Anblick der hinter dem Rücken des Menschen lauernden Dämonen ist zu vermeiden, seien diese Dämonen des Todes, Gottheiten der Schöpfung oder Geister anderer Art42. Erst recht kann eine solche Haltung nicht überraschen bei den Römern, deren Angst vor einer Epiphanie von Göttern so groß war, daß sie in einem solchen Falle Fas sit vidisse! sagen mußten = «Sei der Anblick für mich keine Sünde!» und nach Beendigung eines Gebets eine rituelle Kehrtwendung, drcumactio corporis machten, für den Fall, daß die angesprochene 38 39 40
41 42
1. Mos. 19,17,26. Matth. 24,17 f. Luk. 17,31. Ov. Met. 1,381 ff. und Bömer z. St. (382). Ov. Met. 10,51 und Bömer z. St. Reichhaltiges weiteres Material zum ganzen Problemkomplex s. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens s. v. umsehen. Bd. 8 (l 936/37) 1346 -1350. Köves-Zulauf o. c. 144133. Dem auf den Zug nach Italien sich vorbereitenden Hannibal erscheint ein gottgesandtes göttlicher Jüngling im Traum der ihn auffordert, ihm nachzufolgen, gleichzeitig ihm aber verbietet, unterwegs zurückzublicken. Als Hannibal dies trotzdem tut, sieht er einen riesigen Drachen, der alles auf seinem Weg niedertrampelt, von Donner und Sturmwolke begleitet. Der Drache wird als «Verwüstung Italiens» gedeutet. Den zurückblickenden Hannibal hat in Italien tatsächlich sein Schicksal-ereilt: Liv. 21,22,6-9.
Die Worte des Sklaven an den Triumphator
87
Gottheit tatsächlich erscheinen sollte43. Bis in den Bereich der sogenannten «gesunkenen Kulturgüter» ist diese Vorstellung zu verfolgen. Noch heute existiert folgendes Kinderspiel: Ein Kind wird von einem anderen gejagt; der Verfolger schlägt es auf den Rücken, indem er sagt: «Blicke nicht zurück, der Wolf kommt!» Der Wolf ist ein mancherorts bekanntes Symboltier für den Tod. Das intensive Nachdenken hat in eine Sackgasse geführt: Der erste Teil des Sklavenspruchs - Respice post te! - erwies sich einerseits als unerläßlicher Kernteil der ganzen Mahnung, andrerseits aber als eine Unmöglichkeit. Als Ausweg aus dieser Sackgasse ist die Annahme denkbar, daß ein solches Gebot zwar von Anfang an vorhanden war, nur anders lautete, respicepost te! eine spätere Entstellung ist. Die Möglichkeit einer solchen Annahme, die Bedingungen einer solchen Entwicklung sind zweifelsohne gegeben: Der Sklave sprach seine Worte flüsternd .in das Ohr des Triumphators44, so daß sie leicht vom Publikum mißdeutet werden konnten. Auf der anderen Seite kennen wir den Spruch tatsächlich nur aus späten kaiserzeitlichen Quellen45. Ja noch mehr: Es gibt Beweise dafür, daß der Spruch ursprünglich tatsächlich anders lautete. In dem Text des älteren Plinius, der in der Reihe der insgesamt späten Belegautoren doch der älteste ist, wird m der Tat etwas anderes überliefert, und zwar einmütig in allen — mehr als hundert — Handschriften. Respice ist bloß die Konjektur eines französischen Herausgebers aus dem Jahre 1587, J. Dalechamp46. Warum Dalechamp den Text verbessern zu müssen glaubte, ist ebenso leicht zu vermuten, wie der Grund für den nachhaltigen Erfolg seiner Konjektur, die seitdem in fast allen Ausgaben zu lesen ist47. Die Wendung Respice post te war als rhetorischer Gemeinplatz im Zusammenhang mit dem römischen Triumph so sehr bekannt, daß die Herausgeber angesichts einer sonderbaren lectio difficilior nur allzu leicht diese durch jenen Topos ersetzt, zugunsten ihres Schulwissens leichtfertig eine authentische Textform ausgelöscht haben. Dabei enthält der beseitigte Text nicht nur einen guten, logischen Sinn, sondern sagt etwas aus, was vorzüglich in die Gesamtheit der Triumphzeremonie sich einordnet. Das in den Plinius-Handschriften zu lesende Gebot lautet: Recipe! = «Nimm zurück!», ein Wort, das auch in der militärischen Fachsprache vorkommt und dort zur Bezeichnung des Beginns eines Rückzugs diente. Es wurde öfters auch reflexiv verwendet, als Abkürzung für (se) reapere - sich zurückziehen48. Es paßt aber nicht nur wegen dieser Eigenschaft eines militärischen Fachausdrucks zum zeremoniellen Aufmarsch des siegreichen Militärs, sondern ist auch der gegebenen konkreten Situation in hohem Maße adäquat. Denn der Triumphator fuhr in einem Pferdewagen an der Spitze seiner Soldaten, wobei das Einhalten 43 44 45 46 47
48
G. Appel, De Romanorum precationibus, Gießen, 1909 (RW 7,2), 213 f. K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960,4l3. Köves-Zulauf o. c. 14l123. suggeriturei (Tert.). ( ) .[ ] (Dio nach Tzetzes). S. oben S. 80. Dalechamp's Text liegt in verschiedenen Ausgaben vor. Ich benutzte die Ausgabe Frankfurt 1608 sowie Genf 1631. Reapere wird beibehalten durch J. Hardouin, Paris, 17232, jedoch mit falscher Interpretation: Der Fascinus «spricht», d. h. besagt reapere, reäpere aber bedeutet, daß der Triumphator von seinem Sieg schweigen soll, oder daß er die Aufgabe auf sich nehmen soll (susapere), die nachfolgende Fortuna zu besänftigen. Für redpere plädieren noch Sillig, Ausgabe 1851 z. St. L. Prellei; Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1864, 305 (= ArcH. Zeitung 1858,194) (zweifelnd) sowie F. Münzer, Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Pliiuus, Berlin 1897, 318. Köves-Zulauf o.e. 12462.
88
Thomas Köves-Zulauf
eines gemeinsamen Tempos, das gelegentliche Zurückhalten der Pferde, an der Spitze der zu Fuß, langsamer marschierenden Soldaten für eine geordnete, gemeinsame Vorwärtsbewegung unerläßlich war. Jede Verkehrsstörung wäre eine Beeinträchtigung des zeremoniellen Charakters des Vorbeiziehens gewesen481. Das Einhalten eines richtigen Maßes an Entfernung zwischen Feldherrn und Soldaten hatte jedoch auch seine politische Bedeutung für beide Seiten. Die römischen Soldaten, zugleich Wahlbürger, achteten sehr stark darauf, daß der Triumph nicht nur dem Ruhm des Triumphators diene, sondern auch den einfachen Soldaten, dem ganzen Heer zur Ehre gereiche49. Für den Triumphator wiederum, als* möglichen Kandidaten bei zukünftigen Wahlen in staatliche Ämter, war das Urteil der Soldaten von Wichtigkeit. Es kann aber mit gutem Grund angenommen werden, daß der Frage der richtigen Entfernung zwischen Feldherai und Soldaten auch religiöse Bedeutung zukam. Die vergleichende Religionswissenschaft bietet Beispiele dafür, daß die göttliche Qualität eines Heerführers in der großen Entfernung zwischen ihm und seinen Soldaten Ausdruck gewinnt. Beim östlichen Reitervolk der Chazaren zum Beispiel galt die Regel, daß der sakrale König um eine ganze Meile vor seinen Soldaten reiten mußte. Der große Abstand, der Umstand, daß seine Soldaten den König während des Zuges nicht einmal sehen konnten, wurde als symbolhafte Darstellung der Entfernung verstanden, die ihn als Gott von den gewöhnlichen Menschen trennte50. Angesichts solcher Parallelen ist es gut vorstellbar, daß ein allzugroßes Intervall zwischen Triumphator und Soldaten eine ähnliche religiöse Bedeutung gehabt hätte. Wenn er mithin zur Vermeidung eines zu großen Abstandes ermahnt wurde, so war diese Mahnung gleichbedeutend mit der Warnung, er möge trotz seines ungeheuren Ruhmes durch seine Haltung kundtun, er wolle die Sphäre der Menschen nicht endgültig hinter sich lassen, er bleibe trotz seiner Erhöhung letztlich sich seines Menschseins bewußt. Aus alledem darf geschlossen werden, daß die Aufforderung recipe! = «Halt deine Pferde zurück!» «Halte dich zurück!» die ursprüngliche Form der Warnungen den Triumphator war, das Kernelement des Mahnspruches, seiner Natur nach originär nichts anderes als eine Art praktische Regieanweisung, die aber politische sowie religiöse Implikationen in sich barg. Daß ein tadellos überlieferter Text sich auf diese Weise als inhaltlich gänzlich sinnvoll erweist, ist in meinen Augen ein ausreichender Beweis für seine Authentizität und ein entscheidendes Argument für seine Beibehaltung. Diese Schlußfolgerung kann jedoch durch weitere Argumente noch gestützt werden. Der zeitlich dem Plinius nahestehende 48a 49
50
Zu den Problemen der Zuggeschwindigkeit s. Künzl o. e. 68 f. Köves-Zulauf o. c. 133 f. Liv. 45,38,12: (Milites) suasque et imperatoris laudes canentes. R. Develin, Klio 60 (1978) 432 ff. K. Czeglcdy, Numen 13 (1966) 179. Zu den afrikanischen Beispielen s. auch S. Lagercrantz, Contribution to the Ethnograph/ of Africa, Upsala 1950, insbes. 335, 341. (Für den Hinweis auf dieses Werk habe ich L. Vajda, München, zu danken). Das letztendliche Ziel solcher Maßnahmen ist, den Kpnig unsichtbar zu machen, «damit niemand den König sieht... und er denen, die ihn nicht sehen, als ein Wesen anderer Art erscheint» (Herod. 1,99); die Etablierung großer räumlicher Distanz ist nur eines der Mittel zu diesem Zweck. So ergibt sich im Lichte des Vergleichsmaterials die Frage, ob dieses Motiv der Unsichtbarmachung, d. h. dessen Vermeidung auch im römischen Triumph eine Rolle spielte, Denkbar ist es in der Form, daß als richtiges Maß der Entfernung zwischen Triumphator und seinen Soldaten die Entfernung galt, die für die Masse der Soldaten noch ein Sehen des Triumphierenden ermöglichte. Einen Maßstab für die Bestimmung der Entfernung zu finden, war ja ein notwendiges Erfordernis. Da der Triumph auf sehr wesentliche Weise eine Schau Veranstaltung war, liegt es auf der Hand, daß hier von sehr wichtigen Zusammenhängen die Rede ist. S. auch unten Anm. 72.
Die Worte des Sklaven an den Tri mphator
89
Arrian verwendet n mlich im Zusammenhang mit dem Spruch des Sklaven an den Triumphator W rter, die an recipe erinnern, und gar keine Gemeinsamkeit mit einem eventuellen respice aufweisen: «Gib (deiner Phantasie) die Z gel nicht frei ..., sondern halte dagegen, halte sie zur ck! ...»5l. Noch lehrreicher aber ist, was wir ber den Triumph des Camillus, zu Zeiten der klassischen Republik, erfahren, den Dio Cassius und seine Exzerptoren zum Anla genommen haben, die Zeremonie des r mischen Triumphes in einem Exkurs allgemein zu schildern. Gem der berlieferung zeichnete sich der Triumph des Camillus nach der Eroberung Veiis durch die Besonderheit aus, da er den Triumphal wagen durch wei e Pferde ziehen lie . Dies legte man als Versuch aus, den Tri mphator G ttern anzugleichen, namentlich Jupiter und Sol; nicht zuletzt deswegen wurde Camillus einige Jahre sp ter aus Rom verbannt52. Diese Nachricht hat in der Forschung Verwirrung gestiftet. Es stellte sich n mlich die Frage, wie man einem Tri mphator eine solche Angleichung belnehmen konnte, wo doch jeder Tri mphator durch seine Aufmachung und durch seine Attribute, u. a. die Quadriga, als Epiphanie Jupiters ausgewiesen wurde53. Die L sung liegt in der Erkenntnis, da die Angleichung an Jupiter ein Relikt aus der Zeit der etruskischen K nige war; die Republik behielt diese k nigszeitliche Tradition zwar bei, integrierte sie aber mit gro er Sorgfalt, wie andere hnliche Traditionen auch54, in das republikanische System. Die Angleichung des republikanischen Triumphators an Jupiter war deswegen eine sehr bedingte, sehr sorgf ltig dosierte und mit vielen Kautelen umbaute. Er war sozusagen ein Jupiter in der Zwangsjacke, und auch dies nur f r kurze Zeit. Die kleinste Aufwertung des versch tteten Kerns aus der Zeit sakralen K nigtums bedeutete eine Provokation der republikanischen Staatsr son55. Deswegen konnte «die Kleinigkeit» der Verwendung wei er Pferde, statt der sonstigen andersfarbigen, in die N he eines Sakrilegs ger ckt werden56. Wei als «die K nigin der Farben» galt h ufig als das Vorrecht h chster Wesen, des H chsten unter den G ttern57, des h chsten Herrschers unter den Menschen58. Camillus 51
52 53 54
55 54 57
58
μηδέποτε έπιδως την φαντασίαν εις άπαν μηδέ την διάχυσιν έάσης προελθεΐν εφ' δσον αυτή θέλει, αλλ' άντίσπασον, κώλυσον, οίον οί τοις Οριαμβεύουοπν έφεστωτες όπισθεν και ύπομιμνήσκοντες, ότι άνθρωποι είσιν. κωλύω kann insbesondere bedeuten: einen Ansturm aufhalten, u. ., s. die W rterb cher. - Polyb. 6,55,3. Zu der Bedeutung von άντισπάω auf milit rischem Gebiet vgl. Alf ldi, Early Rome and the Latins, Ann Arbor 1963,357. Diod. Sie. 14,117,6. Liv. 5,23,5; 5,28,1. Plut. Cam. 7,1. Cass. Dio 52,13,3. de vir. ill. 23,4. Reid o. c. 177. RE s. v. (44) M. Furius Camillus, 328. J. Bayet zu Livius 5 (Ausgabe Paris 1954) S. 146. Versnel o. c. 305. Insbesondre K nigsherrschaft bedeutende Prodigien wie den Bienenschwarm, H rner oder Specht auf dem Kopf eines republikanischen Beamten. S. dazu mit Literatur K ves-Zulauf o. c. 256. Die priesterlichen Funktionen des K nigs baute man als Sonderpriesterschaft des rex sacrorum in das antimonarchische System ein: Latte o. c. 395. Der kleine Pauly 4 (1979) 1388 (G. R.). Bayet o. c. 147. E. Burck, Gymnasium 58 (1951) 168 f. E. Wallisch, Philologus 99 (1954/55) 2, 258. J. Classen, Gymnasium 70 (1963) 317,327. Versnel o. c. 68,305 f. lovis Solisque equis aequiperatum dictatorem in religionem etiam trahehant: Liv. 5,28,6. In Dumezils System der drei Funktionen gilt Wei als die repr sentative Farbe der ersten Funktion, der Funktion der Herrschaft, deren Gott in Rom Jupiter ist G. Dumezil, Rituels indo-europeens a Rome, Paris 1954, 45, 54, 57. J. Hubaux, Rome et Vcies, Paris 1958, 218 nimmt an, da die Pferde der Quadriga Jupiters auf dem Giebel des kapitolinischen Tempels urspr nglich wei bemalt waren. Ber hmte Herrschergestalten mit wei en Pferden als repr sentativem Attribut: Darius (Gurt. 3,3); die sizilischen Tyrannen Dionysios I (Diod. Sie. 14,44,7), Dionysios II (Plin. Nat. 7,(31),110) und Hieronymos (Liv. 24,5,4); Octavianus (Suet. Aug. 94,6); Turnus (Vcrg. A.12,164). Alfoldi, Monarchische Repr sentation, 147. Bayet o. c. 148. Hubaux o. c. 152. RE s. v. Triumphus 504,25 ff.
90
Thomas K ves-Zulauf
berschritt das republikanische und das menschliche Ma 59 nicht nur in diesem einen Punkt60, wie Plutarch es unverkennbar andeutet61. Eine aufmerksame Analyse unserer Quellentexte, die nicht selten zu oberfl chlich, ja fehlerhaft interpretiert und bersetzt werden62, l t auch einen weiteren Punkt erkennen: Camillus verselbst ndigte sich allzusehr in seiner Fahrt von den brigen Mittriumphierenden, fuhr allzu st rmisch, allzu f r sich allein durch die Stadt, m glicherweise sogar im vollen Sinne des Wortes. Die einfachen Menschen hatten den Eindruck, da er sich ber sie erhebe und sie mi achte63. Das hei t: Nicht nur die wei en Pferde an sich wurden ihm zum Vorwurf gemacht, sondern auch der Umstand, da er mit ihnen zu schnell, zu r cksichtslos fuhr. Mit anderen Worten: Er fuhr ohne jegliches reapere. Wenn ihm dies zum Vorwurf gereichte, so ist daraus zu folgern, da schon damals64 eine solche Forderung nach redfere bestand.
59
Liv. 5,23,4-5: triumpbusqite omnem consuetum honorandi diei i ius modum aliquantum excessit. Maxime conspectus ipse est} atrm equis albis iuncto Urbem invectns,pantmque idnondvile modo sedbumanumetiam Visum. 60 Versnel o. c. 823 wirft die Frage auf, ob Camillus nicht auch in der Hinsicht das gew hnliche Ma berschritt, da er als Triumphator seinen ganzen K rper rot f rbte, w hrend sonst nur eine Rotf rbung des Gesichts blich war. 61 τα τ' άλλα σοβαρώς έθριάμβευσε κα\ τέθριππον ύποζευξάμενος λευκόπωλον (7,1). 62 So z. B. der bersetzer der Bude-Ausgabe, Paris 1961. 63 Folgendes weist in diese Richtung: 1. Im Plutarch-Text a) die Wendung έηιέβη και διεξήλασε της 'Ρώμης, was eine Einheit bildet, έπέβη geh rt zu της 'Ρώμης = «er betrat Rom» = urbem invectus Liv. 5,23,5. πόληος ... έπιβαινέμεν II. 16,395 f. In διεξήλασε verdient der Bestandteil εξ besondere Beachtung. Das Verb διεξελάόνω bedeutet , und hat Objekte neben sich wie , , , Objekte, die man verl t, nachdem man durch sie hindurchgefahren ist, deswegen der Bestandteil εξ, im Unterschied zu einem blo en διέλαυνε. Ein Triumphator betrat nun Rom nicht, um wieder hinauszufahren, sondern um auf repr sentative Weise dort pr sent zu bleiben, εξ kann in diesem Zusammenhang daher nur hei en, da er die gewohnte, vorgeschriebene, erwartete Route verlie , d. h. den Zug der marschierenden Soldaten. Hinzu k mmt, da das Objekt gew hnlich im Akk. steht, der Genitiv ist eine Steigerung: er fuhr durch Rom auf. sehr intensive Weise hindurch, b) σοβαρώς έθριάμβευσε. Das Wort σοβαρός bedeutet «heftig dahinf hrend> (vom Wind u. a.)» *(H. Frisk, Griech. etym. W rterbuch, Heidelberg 1970, 2, 753). Vgl. σοβέω ; «J gern; . σόβησις (Plutarch, Moralia 286c,671 f.!}. Im eigentlichen Sinne der W rter bedeutet also die Wendung σοβαρώς έθριάμβευσε = Camillus «triumphierte berm tig dahinbrausend». c) εκ δε τούτου διεβλήθη προς τους πολίτας ουκ είΟισμένους έντρυφοσΟαι: «Deswegen wurde er von den B rgern geschm ht, die nicht gewohnt waren, sich durch solchen bermut kleinmachen zu lassen.» Da die Soldaten es waren, die den Triumphator mit ihren Spottliedern tats chlich «schm hten», da sie vor altem ihrer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Triumph Ausdruck zu verleihen hatten, ist es anzunehmen, da hier vor allem und eigentlicih von den Gef hlen der Soldaten die Rede ist, die sich von Camilius vom Ruhm ausgeschlossen f hlten. Dies ist die logische Erg nzung zu einem « berm tigen Dahinbrausen» des Camillus, zu einem Mangel an recipere. 2. Im Liviustext 5,23,6: hvisSolisque equisaeqttiperatum dictatorem in religionem etiamtrabebant: «Da der Diktator den Pferden Jupiters und des Sonnengottes gleichgestellt wurde, .glaubte man f r ein Sakrileg halten zu m ssen»: Nat rlich verglich man nicht im w rtlichen Sinne den Diktator mit den g ttlichen Pferden, sondern das Gesamtbild des in seinem Wagen dahinjagenden Camillus mit dem quadrigalenkenden Gott als Gesamterscheinung. Die sonderbare Ausdrucksweise des Livius zeigt aber, wie sehr mai\ Camillus und sein Gef hrt als Einheit sah, abgetrennt von allen anderen, auch von den Soldaten. All diese Nuancen des sprachlichen Ausdrucks bei beiden Autoren deuten die Umrisse eines ohne R cksicht auf andere ungehemmt dahinst rmenden Camillus an, m glicherweise sogar kreuz und quer durch Rom: διεξήλασε. 64 Zur Zeit des Camillus, sei diese die historisch wirkliche Zeit oder eine gem der Vorstellung der r mischen Historiker gestaltete Zeit. . ;
Die Worte des Sklaven an den Triumphator
91
Auch ein weiteres Moment der langen und wechselvollen Geschichte der römischen Triumphzeremonie spricht dafür, daß ein Gebot des recipe in ihr als Regieanweisung einen sinnvollen, primären Platz hatte. Die innerrömischen Vorfahren des Triumphes bestanden aus Aufmärschen zu Fuß65. Als der eigentliche Triumph durch die etruskischen Könige66 konstituiert wurde, war eine der wichtigsten Neuerungen die Einführung der Quadriga67. Von ihrer überragenden Bedeutung spricht der Umstand, daß sie als Abbild der Quadriga galt, die am Giebel des kapitolinischen Jupiter-Tempels sich befand, und in der der höchste Gott selber als Statue stehend die Pferde lenkte68. Ebenso die Wundergeschichten, die sich um diese Quadriga rankten69, eines der Unterpfänder der römischen Herrschaft70. Es ist also nur zu gut verständlich, daß eine grundlegende Weisung an den Triumphator sich auf diesen Gegenstand bezog. Ebenso, daß sie inhaltlich von der Notwendigkeit der Anpassung an diejenigen sprach, die nach vorzeitlicher Art zu Fuß marschierten. Die viele Jahrhunderte währende Geschichte des römischen Triumphes ist von ungewöhnlich dichtem Nebel umhüllt. Die Entstehungszeit, die Wandlungsformen vieler wichtiger, ja grundlegender Einzelheiten kennen wir nicht. So muß ein Versuch, Wandlungen des Spruchs historisch datieren zu wollen, als Vermessenheit erscheinen. Tatsache ist jedoch, daß innere Kriterien allgemeiner Art für einzelne Änderungen sich feststellen lassen. Eine Umwandlung von recipe in respice kann nur zugleich mit dem Verlust der grundlegenden religiös-magischen Qualität der Worte erfolgt sein, im Rahmen der Metamorphose eines übelabwehrenden Zauberwortes in eine moralische Mahnung71. Denn eine Aufforderung zum respicere ist nur in einem nicht mehr religiösen Kontext denkbar; auf der anderen Seite ist ein Zurückblicken als Geste der Bescheidenheit ein Gemeinplatz stoischer Moralphilosophie, wie wir gesehen haben; sein Eindringen in die Triumphalzeremonie72 wird daher 65 66
67 68
69 70 71 72
W. W. Fowler, CR 30 (1916) 153. L. Bonfante Warren, JRS 60 (1970) 50-57. Zur Widerlegung der These von E. Wallisch, Philologus 99 (1955) 245 ff., wonach der römische Triumph ohne etruskische Vermittlung in hellenistischer Zeit aus dem Osten übernommen worden wäre, ist das Entscheidende und das Nötige von Versnel o. c. 903 gesagt worden. Liv. 1,10,5, Plut. Rom. 16. K. P Groß, Die Unterpfänder der römischen Herrschaft, Berlin 1936, 54 f. Anachronistisch Dionys. 2,34,2; Propert. 4,1,32. Liv. 10,23,11. Groß o. c. 52 ff. I. S. Ryberg, Rites of the State Religion in Roman Art, Rome 1955, 20. Hubaux o. c. 202 ff., 210. L. R. Taylor, The Divinity of the Roman Emperor, New York-London, 1979 = 1931, 45. Koves-Zulauf o. c. 289 ff., 297 ff. - Nach Dio Cassius 43,14,6 wird als Auszeichnung Caesars für seine Siege sein Wagen gegenüber der kapitolinischen Jupiter-Statue aufgestellt. Auch dies weist auf eine innere Beziehung zwischen dem Wagen des Siegers und dem kapitolinischen Jupiter hin. Hubaux o. c. 203 ff., 208 ff. Köves-Zulauf o. c. 289 ff., 297 ff. Groß o. c. 43,46,51 - 56. Hubaux o. c. 204. Versnel o. c. 374. Künzl o. c. 88. S. oben S. 83. Eine Rolle in dieser Entwickjung mag auch der praktische Umstand gespielt haben, daß die Einhaltung des richtigen Maßes an Entfernung zwischen Triumphalwagen und marschierenden Soldaten auf natürliche Weise durch ein Zurückblicken von Seiten der den Wagen lenkenden und das Tempo ausrichtenden Helfer des Triumphators geschah. Dies mag ein logisches Strukturelement im Rahmen des Triumphzugs als <Schauveranstaltung> gewesen sein, ein Pendant zum notwendigen Gesehenwerden des Triumphators durch die Soldaten, vgl. oben Anm. 50. KÖves-Zulauf, Reden und Schweigen 146139. - Recipere als Aufforderung an den Triumphator ist hier nicht wörtlich, sondern nur im Sinne von recipere iubere gemeint, lateinischem Sprachstil entsprechend. So wie infamem tollere vom Vater im Sinne eines Befehls an die Hebamme gemeint ist, die den eigentlichen Akt des ausführt: Th. KövesZulauf, Römische Geburtsriten, München J990, 35 f., 38, 47, 219. Dies ist zugleich das Gegenargument
92
Thomas Köves-Zulauf
infolge und zu Zeiten stoischen Einflusses anzunehmen sein. Ebenso kann festgehalten werden, daß der zweite Teil hominem te memento, erst Sinn hatte, seitdem der Triumphator in die Perspektive der Göttlichkeit hineingestellt war und dies zugleich als abzuwehrende Gefahr angesehen wurde. Mit anderen Worten: seitdem der Triumphator als Relikt des sakralen Königs in streng republikanischer Umgebung auftreten mußte, als Gott für die Dauer einer Zeremonie, und auch dies sozusagen in ideologischer Zwangsjacke. Diese Bedingungen treffen auf die Zeiten der beginnenden und der klassischen Republik in genuiner Weise zu. Auch auf die Kaiserzeit, doch den gewandelten Umständen entsprechend in charakteristisch anderer Form, wie noch zu erörtern sein wird. Wenn wir diese Tatbestände innerer Wandlung zu der Aufeinanderfolge unserer Quellentexte in Beziehung setzen, läßt sich sogar zu einer historisch konkreten Datierung kommen. Unsere älteste Quelle, Plinius, berichtet nämlich den Spruch in der Form reapere noch in zutiefst religiösem Kontext, als Beispiel für die Zauberwirkung des religiösen Wortes, im engsten Zusammenhang mit nichtverbalen magischen Abwehrmitteln wie Speichel und Phallos. Im Gegensatz dazu ist unser erster Gewährsmann für die Form respicere der Christ Tertullian, der außerhalb der heidnischen Religion stehend, diesem Wort eine rationale, philosophisch-moralische Bedeutung zuschreibt. Da beide Autoren über den Triumph aus eigener Anschauung schreiben73, ist anzunehmen, daß der veränderte Wortlaut in der literarischen Darstellung auf einer Änderung der dargestellten Realität selbst beruht. So richtig es im Prinzip auch ist, daß die Chronologie der literarischen Berichte nicht ohne weiteres mit der Chronologie der dargestellten Realitäten verwechselt werden darf, so wahr ist es auch, daß dies manchmal auch vorkommt, ja daß dies die zunächstliegende, natürliche Wahrheit ist. Im gegebenen Fall kann diese einfache Wahrheit um so mehr akzeptiert werden, als wir auch den konkreten Beweis für eine Übergangsform zwischen Plinius und Tertullian besitzen. Arrian berichtet nämlich noch die Form recipere wie Plinius, gibt ihr aber zugleich schon die Qualität einer moralischen Mahnung an das Menschsein des Triumphators wie Tertullian. Es paßt vorzüglich in das bis jetzt gewonnene Bild, daß Arrian und sein Meister Epiktet berühmte Vertreter - der Stoa waren. Aus alledem ergibt sich eine Datierung der Ablösung von recipere durch respicere in die Zeit zwischen Plinius und Tertullian, d. h. zwischen 80 und 197 n. Chr. Ebenso die Feststellung, daß die Kombination recipe + hominem te memento seit den Anfangszeiten der Republik bis in die Epoche der Adoptivkaiser existierte, hier der zweite Teil stoisch neu aufgeladen wurde, indem er einen bekannten stoischen Gemeinplatz auf sich zog, mitsamt dessen erster Hälfte (respicere), und diese den ursprünglichen ersten Teil (recipe) schließlich verdrängte. In diesem Zusammenhang ist eine gewisse Verlagerung des Schwerpunktes zu beobachten. Während nämlich ursprünglich der erste Teil der Mahnung das eigentliche Kernelement gebildet haben dürfte, als Aufforderung zu einer bestimmten Haltung, und der zweite Teil als deren Interpretation Anhängsel war, kehrte siqh das Verhältnis infolge des stoischen Einflusses jetzt um: Das Schwergewicht lag nun auf dem Menschsein, und das Zurückblicken als Forderung fand nur als dessen Zubehör Aufnahme in die Formel, um das ursprüngliche recipe zu überprägen. Wenn wir schließlich versuchen, die rekonstruierbare Entwicklung der Mahnworte,
73
gegen den Einwand, der Triumphator habe wegen seiner starren Haltung ein recipere ebensowenig ausführen können wie ein respicere. Abgesehen davon, daß ein solches persönliches recipere nur aus praktischer. Gründen unmöglich war, nicht auch aus religiösen. S. oben S. 80. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 138.
Die Worte des Sklaven an den Triumphator
93
den einzelnen großen Etappen der Entwicklung des Triumphes insgesamt zuzuordnen, die trotz aller Dunkelheit umrissen werden können, so ergibt sich folgendes Bild74. 1. Die voretruskische Königszeit (Vorformen). 2. Die Herrschaft der Tarquinierkönige (Zustandekommen des römischen Triumphes). In dieser Zeit muß der erste Teil der Mahnung, recipe, aufgekommen sein, in natürlicher Verbindung mit der Einführung der Quadriga selbst. Es ist anzunehmen, daß hier diese Mahnung, zumindest anfänglich, noch eine ganz konkrete Bedeutung des Zurückziehens der Zügel besaß, die von dem Triumphator selbst gehalten wurden. Diese Haltung zeigt auf jeden Fall das göttliche Vorbild des Triumphators, Jupiter, in der Quadriga auf dem Gipfel des kapitolinischen Tempels sowie auf anderen Darstellungen75. 3. Die Zeit der klassischen Republik. Es liegt in der Natur solcher Zeremonien, daß sie zunehmend ritualisiert werden, von ihren praktischen Funktionen sich entfernen. Dies muß bald nach der Begründung des Triumphes, d. h. am Anfang der Republik eingesetzt haben und sich darin geäußert haben, daß recipe nicht mehr (ausschließlich) technisch verstanden wurde, sondern auch einen abstrakten Sinn des allgemeinen Maßhaltens bekam. Zugleich wird sich auch die Bedeutung der Sklavengestalt weiterentwikkelt haben, neben ihrer praktischen Funktion der Tempobeaufsichtigung die Qualität einer zum Maßhalten mahnenden Gestalt bekommen haben. (Zu dieser Zeit wird auch der Triumphator die Zügel aus der Hand gegeben haben, späteren Darstellungen entsprechend)76. Diese Entwicklungen müssen nicht alle genau synchron verlaufen sein. Klar dürfte aber auf jeden Fall sein der enge Zusammenhang eines abstrakt verstandenen recipe mit dem Aufkommen der Ergänzung hominem te memento als Explikation jener Haltung. Der gemeinsame Gehalt dieser Doppelmahnung, die Forderung nach Maßhalten, hängt engstens zusammen, wie erwähnt, mit dem antimonarchischen Wesen der republikanischen Staatsgesinnung. Es ordnet sich ein in das allgemeine Streben des republikanischen Geistes zur Wahrung einer religiösen disciplina, zur Etablierung von Schranken, insbesondere orgiastischen Verhaltensweisen gegenüber, wie das Triumphieren seinem dionysischen Ursprung nach eine war und wie solche in Spuren auch später noch vorhanden waren77. Auch das 74 75 76
77
L. Bonfante Warren o. c. 49 ff. Künzl o. c. 97. S. oben Anm. 68. S. dazu Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 13393. Auf der Schale von Boscoreale ist sehr schön zu sehen, daß die Zügel am Wagenrand befestigt sind, während der Triumphator Szepter und Lorbeerzweig in den Händen hält: Hölscher o. c. Tafel 10,2. Unter diesen Umständen meint recipe nicht mehr ein Anziehen der Zügel durch den Triumphator selbst, sondern eine Tempoverlangsamung () durch andere Mittel. Das praktische Problem der Tempoangleichung von Triumphwagen und zu Fuß Marschierenden konnte durch mündliche Anweisungen des Triumphators an einen Diener, der die Pferde am Zügel führte, gelöst werden bzw durch Offiziere, die die Schritte der Soldaten richteten, Gestalten, die an plastischen Darstellungen nachzuweisen sind, s. Köves-Zulauf o. c. 13393,13394. Als solche Spuren können festgestellt werden: Die Lieder der Soldaten, die in Inhalt und Form unkonventionell, «ordnungswidrig» waren (incondita carmina) und nicht nur die Funktion der Abwehr gegen das böse Auge hatten (Liv. 3,29,5 mit Ogilvie z. St. Liv. 10,30,8); eine Tänzerfigur in den Reihen der Harfenisten und Flötenspieler, welche im wörtlichen Sinne uoeoq> wendet sich P. Kingsley, Empedocles' Two Poems: Hermes 124 [1996] 109 f.) Unabhängig von . ihrer Hauptthese enthält Sedleys Interpretation - anknüpfend ap D. J. Furley, Variations on Themes from Empedocles in Lucretius' Proem: Bulh of the Inst, of Class. Stud. 17 (1970) 55-64 - eine Reihe wichtiger Bemerkungen zum Charakter der Empedokles-Rezeption des Lukrez. Vgl. auch M. J. Edwards, Lucretius', Erapedocles and Epicurean Polemics: diese Zeitschr. -35 (1989) 104-115. Vgl. dazu die erhellenden Ausführungen von G. Müller, Die Darstellung der Kinetik bei Lukrez, Berlin 1959,44 f. ' *
Religion und Philosophie im ersten Proömium des Lukrez
101
einbar. Der Epikureer zielt auf die Destruktion des traditionellen Gottesbegriffs und kann nicht an einem Ausgleich mit den falschen Vorstellungen interessiert sein. Er kann allerdings - und das wird im Anschluß wichtig werden -pro formet den.allegorisierenden Standpunkt derer einnehmen, die er bekehren will, um den Leser bei dessen eigenem Vorverständnis zu packen. So ist es z. B. im Proömium des 5. Buchs, das die Leistung Epikurs mit den von Ceres, Bacchus und Hercules gewährten Segnungen vergleicht und nachweist, daß der Philosoph den göttlichen Status weit eher verdiente als die Gestalten des Mythos; der Appell zur Verehrung Epikurs bedient sich, bewußt dialektisch, des traditionellen Kriteriums der göttlichen Pürsorge, um auch dem Fernerstehenden einzuleuchten. Die genuin epikureische Sicht erscheint dagegen am Ende der Magna Mater-Partie in Buch 2 (V. 652 ff.), wo Lukrez die metonymische Verwendung von Namen wie für das Getreide oder für den Wein unter der Voraussetzung gelten läßt, daß die Sprache nicht das Denken verhext und mit schändlicher religio infiziert14; in diesem Passus finden sich übrigens die Verse, die uns im ersten Buch (V. 44—49) als Interpolation begegnen. Nun ist im Falle der Venus allerdings nicht so klar, wofür die Göttin der Liebe und Schönheit eigentlich stehen soll. Früher hat man sie meist als poetische Chiffre des kreativen Naturgeschehens gedeutet, wofür auch noch Sedley eintritt15. Hermann Diels z. B. interpretierte das Gebet als Ausdruck der Hoffnung des Dichters, daß «die schöpferische Naturkraft, die alles in der Welt zur Blüte bringt, wieder einmal den Sieg über die zerstörenden Kräfte der Natur davontrage»16. Heute hat sich dagegen weithin der Ansatz von Bignone und Boyance durchgesetzt, wonach Venus - hommum divumque voluptas, wie sie V. l heißt — vielmehr die Lust oder oder voluptas, d. h. den höchsten Wert der epikureischen Ethik, repräsentiere17. Man verweist dazu u. a. auf den platonischen Philebos, einen Grundtext in der Hedonismus-Diskussion, wo der Name <Aphrodite> als eine Art Pseudonym der Lust figuriert (12 b c), und auf Empedokles, der seine kosmische Urkraft Philotes-Aphrodite auch als bezeichnet (Vorsokr. 31 B 17, 24). Lukrez spricht 2,172 f. von der (dia voluptas) als der , die sich der Werke der Venus bediene, um den Fortbestand des Menschengeschlechts zu sichern. Hier liegt eher eine Differenzierung von Voluptas und Venus vor: das Luststreben erscheint als Motiv der Sexualität18; doch wäre es denkbar, daß der Dichter in den hochgestimmten Anfangsversen beide Aspekte in eins sieht. Folgt man einem Deutungsvorschlag von Elizabeth Asmis19, so will der lukrezische Hymnus einen Gegenentwurf zum stoischen Weltbild vor Augen führen: nicht der stoische Zeus, d. h. der alles beherrschende und deter14
Ähnlich äußert sich Epikur, s. Mansfeld (wie Anm. 10) 177 mit Anra. 10. - Zur Perspektive des 5. Proöms vgl. auch Gale (wie Anm. 1) 34 ff. 79 f. 15 (wie Anm. 7) 281. 16 Lukrezstudien I (1918), in: H. D., Kleine Schriften zur Geschichte der antiken Philosophie, hg. von W. Burkert, Darmstadt 1969,325. 17 E. Bignone, Storia della letteratura latina II, Florenz 1945,437-444 (mit fragwürdiger Aufteilung des kinetischen» und des Lustbegriffs auf die Abschnitte des Hymnus); vgl. Bailey Comm. III 1749 f. - P. Boyance, Lucrece tet l'lipicurisme, Paris 1963, 64-68 (vgl. dens., Lucrece et la poesie: Rev. Jit. Anc.49[1947]99). » Ähnlich wohl 4,1057-1060. 19 Lucrenus' Venus and Stoic Zeus: Hermes 110 (1982) 458-70. Zum Vergleich mit dem Kleanthes-Hymnos (S. 461 ff.) s. auch Verf., Zum Zeusbymnos des Kleanthes, in: P. Steinmetz (Hg.), Beiträge zur hellenistischen Literatur und ihrer Rezeption in Rom (Palingcnesia 28), Stuttgart 1990, 99.
102
KurtSier
minierende Logos, sondern die epikureische Aphrodite, die im spontanen Begehren der Lebewesen angezielte Lust, bestimmt die Abl ufe in der Natur und steht f r die Freiheit des Menschen. So verlockend dies scheinen mag, so erheben sich gegen diese und jede andere Spielart des g ngigen Interpretationstypus20 doch einige gravierende Bedenken. Zun chst findet sich im Text kein Signal, das ein esoterisch-epikureisches Verst ndnis und die Annahme einer pr zisen philosophischen Bedeutung der Venus-Gestalt nahelegte21. Der werbende Charakter der lukrezischen Dichtung ist auf einen Rezipientenkreis berechnet, dem die Lehre Epik rs gerade erst erschlossen werden soll, und eiri gebildeter Leser, wie Lukrez ihn voraussetzt, mu die Motive des Hymnus, so wie sie dastehen, auf dem Hintergrund der literarischen Tradition interpretieren. Die Einf hrung von Eros oder Aphrodite als kosmischer Urpotenz, in der sich die Aspekte der Sch nheit und der Kreativit t verbinden, geh rt seit Hesiod zu den Gattungselementen des didaktischen Epos22; ebenso traditionell ist die Rolle der G ttin als Herrin der Tiere, die sich unter ihrem Einflu paaren, wie es u. a. der homerische Aphrodite-Hymnos beschreibt23; und hinzu kommt das Aphrodite-Bild des Mythos, das hier in Gestalt von Ares-Mars unweigerlich heraufbeschworen wird. Lukrez kann diese gewachsene Typologie der G ttin Venus nicht gut im gleichen Atemzug thematisieren und widerrufen wollen. Sein Adressat C. Memmius, der Schwiegersohn Sullas, der es bis zur Praetur brachte und sich nicht scheute, aus Karrieregr nden die politischen Fronten zu wechseln und zum Caesarianer zu werden, hatte mit dem Epikureismus offenbar nicht allzu viel im Sinn; wollte er doch im Jahr 51 Epik rs Haus in Melite niederrei en, um Platz f r einen Neubau zu schaffen24. Dagegen ber hrt der Dichter mit dem Hinweis auf den g ttlichen Beistand f r Memmius V. 26-27 einen sensiblen Punkt, denn Venus war Gentilg ttin 20
Vgl. z. B. G. M ller (wie Anm. 13) 116 f. 120 f. (Venus «eine Metonymie f r die epikureische Philosophie»). B. Effe, Dichtung und Lehre (Zetemata 69), M nchen 1977,72 f. («die personifizierte voluptas» ersetze «die blicherweise im Pro mium angerufene Muse», wobei Lukrez speziell mit dem Eingang von Arats Phainomena konkurriere [Anm. 20]). R. Glei, Erkenntnis als Aphrodisiakum. Poetische und philosophische voluptas bei Lukrez: diese Zeitschr. 38 (1992) 87-94 (der Venushymnus als «das <missing link> zwischen philosophischer und poetischer voluptas [...], insofern sich in Venus [...] die «aphrodisische> Wirkung sowohl der Erkenntnis als auch der Dichtung bildhaft manifestiert»). 21 Gale (wie Anm. 1) 208-23 pl diert denn auch, wie andere vor ihr, f r einen weitherzigen Deutungspluralismus (die Partie «should not be treated s a straightforward allegory which can simply be decoded» [209]; «[...] like the irridescent plumage of doves and peacocks described by the poet in 2.799-807, [the proem] presents quite a different appearence when viewed in different lights» [215]; «The very variety of interpretations which critics have advanced [...] suggests that there is no straightforward ans wer to the question, <What does Venus symbolize?> Instead of attempting one, we should be aware of the interactions between the various meanings of the symboi» [217]; «Venus, then, is a multifaccd figure, symbolizing the onset of spring; the creative forces of nature; pleasure; and natural law liberated from divine rulers» [222]; «Venus and Mars in the proem initiate a great complex of imagery which recurs throughout the poem» [223; vgl. 56 f.]). Ob solche den dogmatischen Ansatz des Gedichts verwischende Mehrdeutigkeit oder <polyvalency> (209) von Lukrez angestrebt sein kann, ist eine Frage, die mit Blick auf das Gesamtwerk erst noch zu kl ren w re; sie wird von der Autorin, soweit ich sehe, nirgends gestellt. 22 Belege bei M, L West, Hesiod. Theogony, Oxford 1966,195. 23 Vgl. Lucr. l, 19-20: omnibus incutiens hlandum per pectora amoretn l efficis nt.cupidegeneratim saeclapro^ pagent, mit Hom. Hymn. 5, 73-74: κοί τοις εν στήΟεοΌΐ βάλ* ΐμερον, οί δ* άμα πάντες Ι σόνδυο κοιμήσανχο κατά σκιόεντσς έναύλους. Ε. Flores, La comppsizionc dell'inno a Venerc di Lucfezio e gli inni omerici ad Afrodite: Vichiana 8 (1979) 237-251. 24 >v Cicero, Ad fam. 13,1.
Religion und Philosophie im ersten Proömium des Lukrez
103
der Familie der Memmii, wie die Ikonographie ihrer Münzprägung belegt25. Lukrez mußte hier vorsichtig sein, und es ist wenig wahrscheinlich, daß er sein philosophisches Gewissen durch die Hoffnung zu beruhigen meinte, Memmius werde die Rede von Venus schon auf die Unverbindlichkeit einer poetischen Metapher zu reduzieren wissen. Das gilt noch mehr für den weiteren römischen Kontext des Proömiums26. Im 1. Jahrhundert v. Chr. erhielt die Venus-Religion, ausgehend von Sulla, eine eminent politische Ausrichtung - erinnert sei an die Venus Victrix des Pompeius und besonders an Caesar, der u. a. sich zum (Venere prognatus) erklärte27 und mit dem Aufgreifen der Aeneas-Tradition den Kult der Venus Genetrix als der Stammutter der Gens Julia und des römischen Volkes zum Instrument der Herrschaftsideologie werden ließ. Es scheint mir abwegig anzunehmen, daß Lukrez, wenn er sein Werk mit den Worten Aeneadum genetrix eröffnet und Venus in V. 29 ff. um ein Ende der Unruhen und Konflikte der sich auflösenden Republik angeht, von seinem römischen Publikum ernsthaft erwarte, es werde dabei wie selbstverständlich an die epikureische Lehre von der voluptas oder der Kreativität des Natürlichen denken. Ein adäquateres Verständnis wird die mythische Rede zunächst einmal in ihrem Recht belassen und Venus als Göttin, nicht als blutleere Metonymie ansehen. Mein Interpretationsvorschlag geht dahin, daß der Epikureer das traditionelle religiöse Denken sozusagen beim Wort nimmt, um sich mit dem unbewußten Gehalt dieses Denkens zu verbünden. Mag der hymnische Schwung des Gebets die nüchterne Wirklichkeit römischer Religiosität auch in ein verklärendes Licht rücken, so kann der Autor doch darauf rechnen, daß Venus in den Augen seiner Rezipienten keine poetische Metapher oder schöne Maske für Gedanken darstellt, sondern ist. Seine Absicht bei der Gestaltung des Proöms zeigt sich in der Art und Weise, wie er die Mentalität der konventionellen Religion seinem Anliegen dienstbar macht. In der Venus-Verehrung artikuliert sich etwas, das im praktischen Verhalten der Ehrenden nicht eingelöst ist, etwas, das in die Richtung der epikureischen Philosophie weist und nun von Lukrez zur Einstimmung des Lesers auf die wahre Lehre aktiviert wird. Im Unterschied zur Protreptik und Apologetik der zweiten Hälfte des Proömiums (V. 50-145) greift er im ersten Teil zu einem indirekten Diskurstyp, der die Balance hält zwischen dem für einen Epikureer philosophisch Vertretbaren und der Eingängigkeit des Mythos; das epikureische Weltbild wird dem Leser nicht oktroyiert, es entfaltet sich, gleichsam hypothetisch, aus Prämissen, die im allgemeinen Denken und Empfinden mitgegeben sind28. Die deskriptive 25 26
27 28
Vgl. R. Schilling, La religion romaine de Venus, Paris 1954,271 f. mit Taf. XXIX, l (bei S. 366). C. Koch, Venus: RE VIII A l (1955) 858. Schilling (wie Anm. 25) 267 ff. (zum Lukrez-Hymnus vgl. die lesenswerten, wenngleich etwas diffusen Bemerkungen S. 346-358); ders., Uevolution du culte de Venus sous l'Empire romain, in: R. S., Dans le sillage de Rome, Paris 1988,152 f.; Koch (wie Anm. 25) 860 ff. Cicero, Ad fam. 8,15,2; Sueton, Caes. 6,1. Den Gegenpol zur hier verfochtenen Auffassung bezeichnen Interpretationen, die die Ebenen des Gebets und des mit dem Gebet Gemeinten (d. h. die Rollen des und des Autors) zusammensehen, sei es im Sinn der heute überwundenen These eines inneren Zwiespalts in der Weltdeutung des Dichters und des Philosophen Lukrez, sei es in der Annahme einer beschwichtigenden «Versicherung des Lukrez gegenüber seinen römischen Landsleuten [...], dass er nicht ihren religiösen Gefühlen zu Leibe gehen will». Letzteres ist die Ansicht von K. Kleve (Lukrez und Venus [De rerum natura I, l -49]: Symb. Osl. 41 [1966] 94), der sich zu Recht gegen ein metonymisches Verständnis des Hymnus wendet und dessen wirkungsästhetische Orientierung betont (S. 89 f.). Sein Hinweis auf Epikurs wohlwollend-positive Einschätzung der kultischen Praxis (S. 91-94) bleibt in der Ausblendung des thematischen Aspekts der lukrezischen Darstellung jedoch allzu vordergründig: die Venus des Proömiums ist ersichtlich kein beliebig
104
KurtSier
Entfaltung des Venus-Themas ist demnach im Licht ihrer pragmatischen Funktion zu sehen: als Zeichenhandlung29 und Mittel der Verst ndigung stellt sich das Gebet des <Wissenden> auf die Perspektive der zu berzeugenden ein, indem es die Motive der Gegenstandsebene von deren Verst ndnishorizont her w hlt30. Es ist das Recht des Dichters, da Lukrez dabei auf weitl ufige Erkl rungen, die seinen rezeptions sthetischen Ansatz verdeutlichen k nnten, verzichtet. Mit monumentaler <Einfachheit> entwirft er ein Bild von Venus, dessen religi ser Charakter als solcher wirken soll, das nicht auf Entschl sselung einer kalkulierten Metaphorik wartet, sondern den Leser an dessen eigene Intuition erinnert und sie in den Dienst der epikureischen Lehre nimmt. In der Suggestion solcher erweist sich der Gebrauch der traditionellen Hymnenform als die genuin poetische Antwort auf die Paradoxie des , der sein Sinnpotential aus einer Wahrheit bezieht, zu der er hinf hren will31. Lukrez spielt V. 24-25 mit dem Motiv der inspirierenden Muse32, doch ist die dabei sonst bliche Konstellation vermieden: Venus erscheint nicht als die Wissende, die dem Dichter offenbaren m te, wie die Dinge sich in Wahrheit verhalten, sondern sie soll ihm, der die natura rerum darstellen will, in der Weise zur Seite stehen, da sie seinen Worten lepos verleiht (V. 28)33. Das weist zur ck auf die Aretalogie V. 10 ff., wo geschildert wird, wie schrittweise die V gel, die Tiere am Boden und schlie lich die Lebewesen aller Naturbezirke von der Ausstrahlung und dem lepos der Venus ergriffen werden; ein Begehren erf llt sie, durch das die G ttin bewirkt, da Fortpflanzung und Arterhaltung stattfinden (V. 19 ^20). Die Entbindung des Lebens durch Venus ist der Zielpunkt, auf den die Darstellung hinausl uft. Ihr kontrastieren auf Seiten des menschlichen Handelns Krieg und Selbstzerst rung, eine Verleugnung der Natur. Sie ist so fundamental, da Lukrez in V. 29-40 gar nicht erst die Freisetzung der kreativen F higkeiten des Menschen in den Blick nimmt, sondern nur fax, die friedvolle Ruhe, herbeisehnt. Das entspricht dem vorbereitenden Zustand, in dem die Natur nach V. .6-9 Venus bei ihrem Erscheinen begr t. Die Macht der Sch nheit und das faszinierte Begehren, das die G ttin ausl st, werden nicht in der Reaktion der Menschen gespiegelt, sondern, bewu t mythisch, in der ewigen Sehnsucht des Kriegsgottes Mars, dessen selbstvergessene Hing be an Venus das g ttliche -Paradigma der menschlichen Bekehrbarkeit darstellt. gew hltes, austauschbares der konventionellen Religion, vielmehr besteht das Interpretationsproblem eben in der Frage, wie der Schnittpunkt zwischen Venus-Religion und epikureischer Philosophie inhaltlich zu bestimmen ist. Erst von hier aus erh lt die Form des Bittgebets einen vollziehbaren Sinn. 2 * In der Wahl des Terminus folge ich .einem freundlichen Hinweis von Prof. Kuno Lorenz. 30 Die Individualit t des Adressaten Memmius ist im Zusammenhang des Pro miums zwar durchaus von Belang, aber er vertritt zugleich, .wie das im weiteren Verlauf des Gedichts, allgemein den impliziten Lesen. 31 Insofern <erkl rt> in der Tat das ganze Werk den Venus-Anruf (vgl. oben S. 100). 32 Vgl. Lucr. 6,93-95 die Wendung an Calliope>reqMies kommum divumqtie voluptets (die Beziehung zu l, l wird von Glei {wie Anm. 20] 93 m. £. falsch gefa t). Vgl. auch Gale (wie Anm. 1) 153 f.; Erler (wie, Anm. 8)411. 33 hnlich wird im kleinsten der drei homerischen Aphrodite-Hymnen-die G ttin, als Inbegriff des ίμερτόν (10,2.3), aufgefordert δος δ' ίμερόεοσαν άοιδήν (V. 5; Flores [wie Anm. 23] 241). Prof. Ernst A. Schmidt erinnert mich an die gel ufige Assoziation der Chariten mit der Dichtung und speziell an Kallimachos, der Aet. fr. 7, 13-14 Pf. die bittet, auf seinem Werk etwas vom Glanz ihrer λιπώοαι χείρες zu hinterlassen. Zu Αφροδίτη = Χάρις vgl. R. Kannicht, Euripides. Helena,-Heidelberg 1969, II258.
Religion und Philosophie im ersten Pro mium des Lukrez
105
Denn gewi liegt im Kontrast von Mensch und Natur, wenn man ihn zuende denkt, ein Appell an den Leser, etwas plakativ gesagt: eine Aufforderung zum . Das effice in V. 29, das dem efficis V. 20 antwortet, meint etwas, das die Menschen selbst vollziehen m ssen. Aber Lukrez spricht hier nicht wie an anderen Stellen mit dem Gestus des Missionars und nicht als Ankl ger, sondern er l t seine Sache vom konventionellen Denken selbst f hren, dessen religi se Vorstellungen er gleichsam zitiert, um an ihnen einen Widerspruch zwischen Glauben und Verhalten aufzuweisen. So verkehrt die traditionellen Auffassungen vom Wesen der G tter sein m gen, ins Bild der Venus ist etwas projiziert, das in einem tieferen Sinn richtig ist: in der sch pferischen Natur zeigt sich in der Tat, wie man mit Platon sagen k nnte, ein bewegtes Abbild des G ttlichen, seiner Sch nheit, Dauer und Ruhe34. Die menschliche Sehnsucht nach der Eudaimonie der G tter erf llt sich, wenn berhaupt, nur in Orientierung an diesem Paradigma, dem die destruktiven Kr fte, die im faktischen Verhalten des Menschen zum Einsatz kommen, widersprechen und dem ein anthropozentrisches Naturverst ndnis zuwiderl uft. Epikur, hei t es im Referat bei Cicero (De fin. l, 71), habe auf die Stimme der Natur geh rt und sie verstanden. Lukrez l t in der Kulturentstehungslehre des 5. Buchs die Ambivalenz des zivilisatorischen Fortschritts, insofern dieser eine Entfremdung von der Natur einschlie t, deutlich werden. Er erkl rt dabei den Ursprung der Religion V. 1161 ff. u. a. mit der Existenz der είδωλα oder simulacra, der zarten Abbilder, die sich nach epikureischer Lehre von den Dingen und auch von den G ttern l sen und sie erkennbar werden lassen; sie wurden jedoch von den Menschen der Fr hzeit in ihrer Not und Ausgesetztheit mi deutet35. Die M glichkeit der Gotteserkenntnis ist f r den Epikureer in der Eidola-Theorie mitgegeben, auch wenn die natura deorum, wie Lukrez sagt (5, 148-155), in ihrer schwebenden Geistigkeit sich allein der inneren Anschauung mitteilt (animi vix mente videturf6. So beruft sich Epikur in seinem Brief an Menoikeus (§ 123) auf eine allgemeine Vorstellung (κοινή νόησις) von Gott und erkl rt: «Es gibt G tter, denn ihre Erkenntnis ist sinnf llig. Sie sind aber nicht so, wie die Menge meint, die ihre Gottesauffassung nicht konsequent durchh lt»37. Lukrez sieht im traditionellen Bild von Venus einen Schimmer der Erfahrung des G ttlichen, aber er sieht auch die Wirkungslosigkeit, in der dieser richtige Vorbegriff beim unaufgekl rten Menschen verharrt. Im Pro mium des 6. Buchs sagt er (V. 75-78), die falsche Vorstellung vom G ttlichen verhindere, da man die Tempel der G tter aufsuche und f r die Eindr cke ihrer Eidola empf nglich sei, womit der Mensch sich den Weg zum Gl ck, den das Dasein der G tter vorzeichnet, selbst versperrt. Das erste Pro mium weist in seinen beiden H lften auf den inneren Zusammenhang zwischen Krieg und Religion, und es ist wohl nicht falsch, in dem dezidiert r mischen Akzent der Anfangsverse eine kritische Bezugnahme auf das 34
Zur neueren Diskussion des ethischen Aspekts sthetischer Naturbetrachtung s. M. Seel, Eine sthetik der Natur (stw 1231), Frankfurt/M. 1996, der jedoch auf Epikur oder Lukrez nicht eingeht. Vgl. M. Hossenfelder, Epikur, M nchen 1991, 149 ff. 35 Vgl. G. M ller, Die fehlende Theologie im Lucreztext, in: Monumentum Chiloniense (Festschr. E. Burck), Amsterdam 1975,280. * Die G tter sind λόγφ θεωρητοί (SchoL zu Epikur KD 1; Cicero, De nat. deor. l, 49 [non sensu sed mente}). Vgl. u. a. D. Lemke, Die Theologie Epikurs (Zetemata 57), M nchen 1973,34-41; Mansfeld (wie Anm. 10) 203 ff. 37 θεοί μεν yctp doiv· εναργής γαρ αυτών εστίν ή γνωσις. οίους δ' αυτούς f r sein Werk erbit^ tet, erkl rt er die Sch nheit und Kreativit t des Nat rlichen zum sthetischen Prinzip seiner eigenen, die Natur abbildenden Darstellung39. Die richtige Intuition, die in der Chiffre zum Ausdruck kommt, l t sich entbinden und fruchtbar machen, wenn der Leser sich vom lepos der epikureischen Dichtung so bannen und f hren l t, wie er die Natur vom lepos der Venus bestimmt sieht. In der Bereitschaft, sich auf die Theorie der Natur einzulassen, ist die berwindung der Gegenkr fte schon angelegt. Lukrez versteht -^ vielleicht mit gesuchtem Anklang an Pindar40 -> die Dichtung als ein Medium, das die ersehnte pax stiftet und die Ungunst der Zeiten bezwingt, die V. 41 -43 als Hindernis f r die Arbeit des Dichters und die Teilnahme seines Adressaten erscheint. Denn Lukrez dichtet eben doch, in , wie er sagt (V. 142), und fordert Memmius auf, ihm ein offenes Ohr zu leihen und den Sinn fern aller Sorgen der wahren Lehre zuzuwenden (V 50-51). Ich schlie e mit einem St ck Wirkungsgeschichte4'1. Friedriclj der Gr e bemerkte im Siebenj hrigen Krieg, kurz nach der Schlacht von Zorndorf, zu seinem Vorleser Heinrich de Catt: «Um mich ein wenig von meinen tr ben Gedanken abzulenken, lese ich meinen Freund Lukrez, und ich spreche wie er: <M chtige Venus, die du den grausamen Gott des Krieges in deinen Armen h ltst [...], o r hre gn dig sein Herz, da die Schrecken des Krieges endlich der Milde des Friedens weichen, den das preu ische Volk ersehnt nach soviel N ten; da sein fahrender Ritter nach seinem Potsdam heimkehren.und hier in den Armen der Philosophie einer Ruhe genie en kann, die er entbehrt seit ach so langer Zeit ...> Das ist meine neue Gebetsformel [...]. Nun sagen Sie noch^ mein Lieber, ich sei nicht fromm und ich bete nicht und ich sei sehr in Gefahr, eines Tages zum mindesten ein bi chen ger stet zu werden!»
38
VgLLucr. 3,995-1002. Zur Parallelisierung sprachlicher und physikalischer Strukturen bei Lukrez vgl. die von Erler (wie Anm. 8) 442 f. angef hrte Literatur. 40 Die Bitte V. 29-30, effice ut intereafera moenera militiai... sopita quiescant, erinnert an den Preis der χρυοέα φόρμιγξ, der bes nftigenden Macht der apollinischen Musik, im Eingang der ersten Pythie: tfcil γαρ βιατάς "Αρης, τραχεΐαν ανευθε λιπών έγχέων άκμάν, ϊαίνει καρδίαν κώματι, κί[λα δε και δαιμόνων θέλγει φρένας άμφί τε Λατοίδα σοφίςι βαθυκόλπων ιέ Μοισαν (V. 10-12). Wolfgang Schmid, Lukrez und der Wandel seines B des: diese Zeitschr. 2 des Horaz (unter besonderer Berücksichtigung von carm. l, II)1
Für Richard Kannicht zum 5.10.1996 Die beste Methode ist, nach einem bekannten Wort, sehr intelligent zu sein. Das ist ein gelungenes Bonmot geradezu Nietzschescher Qualität, doch ließe sich mit Sokrates erwidern: wir fragen nicht nach Voraussetzungen und Bedingungen, sondern nach der Sache selbst. Was ist also Methode? «Ein nach Sache und Ziel planmäßiges [...] Verfahren», «speziell das Charakteristikum für wissenschaftliches Vorgehen», so belehrt uns ein renommiertes Nachschlagewerk2. Das ist ein gewaltiger Anspruch - zumal, wenn es dann noch heißt: «Entsprechend geht eine Methodenlehre [...] jeder Wissenschaft voraus» - und dazu ein vielschichtiger. Denn «Sache» und «Ziel» wollen im Falle der Literaturwissenschaft doch wohl heißen: «Text» und «Verstehen». Was aber ist ein Text, und was heißt Verstehen? Jeder, der sich auch nur ein wenig mit derartigen Fragen befaßt oder auch nur ansatzweise den damit verknüpften Schwierigkeiten nachgedacht hat, vermag die abgründige Problematik zu ermessen. Theoretisch-systematische Erörterungen sollen aber nicht im Vordergrund stehen, ich will mich vielmehr einer kritischen Betrachtung der philologischen Praxis zuwenden. Dabei werde ich mich an der <sympotischen> Dichtung des Horaz orientieren und im wesentlichen auf carm. l, 11 konzentrieren3: l Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi finem di dederint, Leuconoe, nee Babylonios temptaris numeros. ut melius, quidquid erit, pati. seu pluris hiemes seu tribuit luppiter ultimam, 5 quae nunc oppositis debilitat pumicibus märe lyrrhenum: sapias, vina liques, et spatio brevi spem longam reseces; dum loquimur, fugerit invida aetas: carpe diem quam minimum credula postero.
1
2 3
Ursprünglich als Vortrag konzipiert, der im Rahmen des Zweiten Kontakttages doch die Unterschiede reichen weiter. Beachtet man sie nicht sorgfältig, so ergeben sich Konsequenzen, wie sie bei Kießling/Heinze sich zeigen. Die Übertragung des Modells von den Bereichen, die menschlicher Beeinflussung entzogen oder zugänglich sind - mit einer gewissen, offensichtlich unbewußten Verschiebung, denn die Alternative lautet nicht mehr: zugänglich oder nicht zugänglich, sondern sinnvoll und erfolgversprechend zugänglich oder nicht -, hat kaum erträgliche Folgen: «In anderen Gedichten ähnlichen Inhalts ruft H. Männer, denen Politik und Erwerb im Sinne liegen, von den Geschäften weg zum Becher [das sind die kontrastierenden Lebensbereiche], beim Mädchen nimmt die Sorge um die Zukunft andre Gestalt an. Die astrologischen Grillen der Leuconoe sind ein Zug aus dem Leben der Zeit» (56). Wie Maecenas und andere also etwa aus dem Bereich der Politik zum BecHer gerufen werden, so Leuconoe aus dem der Astrologie; denn das ist die sie erfüllende und ausfüllende Tätigkeit. Maecenas als Politiker ist von vornherein pkusibel, Leuconoe als Hobby-Astrologin oder doch Astrologiegläubige soll uns offensichtlich als zeittypisches Phänomen schmackhaft gemacht werden. Beider «Tätigkeiten werden unter'dern Aspekt der Zukunftssorge gefaßt. Das Gedicht wird damit 5 6
Bereits in carm. l, 4 und carm. l, 6 klingt die Thematik an, einmal in lebensphilosophischem, dann in poetologischem Kontext; s. auch carm. l, 7. Dies wird in carm. 2,11 in das geographisch und das zeitlich Ferne differenziert.
110
Wolf-Lüder Liebermann
der Kategorie zugeordnet, in einer beachtlichen Konsequenz, die sich im Kommentar von Kießling/Heinze allenthalben beobachten läßt: Carm. l, l gibt bekanntlich die Selbstvorstellung des Horaz - richtiger: die Vorstellung des Lyrikers im Rahmen eines Spektrums möglicher und denkbarer Lebensformen -, das Schlußgedicht des 1. Buches Persicos odi, puer, adparatus ist nach Kießling/Heinze nichts als eine Illustration zu einer Partie der Einleitungsode (a.a.O. 159). Daß quaerere dann «forschen» heißt und finis das Lebensende meint, ist zwangsläufige Folge. Was spricht gegen diese Auffassung? Sieht man einmal von dem allgemeinen, dem common sense zu verdankenden Unbehagen7 bezüglich der astrologischen Grillen der Leuconoe ab, so ist es die genaue Beachtung des Textes von carm. l, 11 selbst: «Beschäftige dich jetzt nicht mit Zukunftserforschung, sondern sei vernünftig, kläre den Wein und beschränke deine Hoffnung auf einen kurzen Zeitraum» - das wäre zwar einigermaßen nichtssagend, aber immerhin logisch möglich. Entscheidend ist aber die Außerachtlassung von quem mihi, quem tibi / finem di dederint. Hier kommt das sprechende Ich ins Spiel, das heißt, es geht nicht um eine beliebige oder auch für sie konsumtive Beschäftigung Leuconoes, sondern um eine, die einen Bezug zu diesem Ich aufweist8. Angesichts der Tatsache, daß die Liebe bereits in carm. I, 9 integraler Bestandteil war, liegt nichts näher, als an eine Liebesbeziehung zu denken. Tatsächlich kommen auch Kießling/Heinze nicht daran vorbei, «daß [bei v. 1/2] Liebe im Spiel ist» (56). Die Bemerkung bleibt andeutungsvoll dunkel. Es ist kaum eine Frage, daß im G es am t gedieht «Liebe im Spiel» ist9: auffällig schon, daß die Aufforderung zum Trinken an ein Mädchen gerichtet ist, und wenn sich carpe diem an ein solches richtet, dann ist die Ermunterung zur Liebe die nächstliegende Interpretation - das ist in der Forschung, mit entsprechenden Belegen, längst herausgearbeitet worden10. Die Frage ist nur, ob die faktisch vorhandenen oder befürchteten Hindernisse, die das sprechende Ich auf der Gegenseite zu überwinden hat, die falsche Einstellung, die in eine richtige übergeleitet werden soll, bereits eine Einstellung zur Liebe ist. Franz Kühn hat in einer leider hur im Typoskript veröffentlichten subtilen Heidelberger Dissertation des Jahres 1973 den Versuch unternommen, nicht nur die erotischen Momente in carm. l, 11 zu bestätigen, sondern das Gedicht als erotisches Gedicht.stricto sensu zu erweisen11. Das bedeutet, daß Leuconoes vorausgesetztes Verhalten12 nicht allgemein habituell ist, sondern eine bestimmte Liebeshaltung verrät, kurzum: Leuconoe habe Horaz gefragt (quaerere!), wie es mit ihnen weitergehen soll, ob er sie immer lieben und ihr die 7
8 9
10
11
12
Das Unbehagen bleibt trotz Nisbet/Hubbard I 135 f., Montanari Galdini 24 ff. (mit weiterer Lit.). Anth. Pal. 11,23 ist nicht heranzuziehen, aber auch nicht Horaz, carm. 2,17 oder Properz 4,1. West, Ödes 150 erinnert daran, daß das Lateinische «would have been written without commas». Daß dieser Aspekt ganz ausgespart bleibt, hat Seltenheitswert: s. Perelli 30 ff; vgl. auch D*Anna 113, Anm. 16. West, Reading Horace 64 (s. Id., Ödes 150 ff.); vgi. Nisbet/Hubbard l 135, wo dies aber heruntergespielt wird: «hints of a love-interest which, though not conspicuous, may have been more prominent in Horacc's models», s. auch a.a.O. 141 f.: «carpe [...] might suggest to Horace's readers the words of a serious and austere philosopher. [.,.] in Horace one still finds something of the austerc scepticism of Epicurus himself».. Das Defizit, eine Hierarchisierung der beiden Elemente vorzunehmen und damit einen inneren, logisch verträglichen Zusammenhang herzustellen, drängt sich geradezu auf. Nach Anderson handelt es sich um ein Verführungsgedicht («macho philosophy», 121); Erren 173: «ein' leise zu singendes Animierlied». Mit der Möglichkeit, daß die Aufforderung präventiv gemeint sein könnte, rechnet Kühn überhaupt nicht; vgl. auch West, Reading Horace 64; Id., Ödes l 50. *
Methoden der Dichterinterpretation
111
Treue halten wolle (finisl). Sie repräsentiere also eine «elegische Liebeshaltung». Horaz weiche aus und bewege «sich mit seinen Worten auf eine Unterweisung in epikureischer Lebens- und Liebesauffassung hin» (156), er verkünde eine «antielegische Liebesmoral» (156b). Wenn ich auch nicht mit Kuhns Deutungsvorschlägen übereinstimme, so ist unter methodischem Gesichtspunkt doch interessant, daß diese Interpretation im Zeichen eines «besser und voller Verstehens» steht, daß es sich hier um «das Gedicht erst eigentlich konturierende Züge» handelt (a.a.O.). Der «verstehende Leser» ist «zur Ergänzung» aufgefordert, und diese Ergänzung stützt sich nun weniger auf die horazischen gedanklichen und thematischen Parallelen als auf den stringenten Zusammenhang des Gedichts selbst. Aus einem Gedicht der Lebens wähl ist eines der Lieb es wähl geworden, die Aufforderung zum Trinken ist eine Aufforderung zu einer bestimmten Liebesform. Im Rahmen dieser Interpretation und des sie stützenden Argumentationsgangs spielt nun ein methodisches Vorgehen eine Rolle, das ich eigens hervorheben möchte, die Forderung nämlich, daß auch die verwendeten Bilder sich dem Gesamtzusammenhang zu fügen haben, daß ihnen - zumeist symbolisch - sinnkonstituierende Funktion eignet13. In carrri. l, 11, 4-6 ist das Bild vom Winter gebraucht, welcher das tyrrhenische Meer durch den Widerstand der Felsen ermattet. Dabei ist auffällig, daß nicht das ständige Anbranden des Wassers den Fels aushöhlt, sondern umgekehrt der Fels die Gewalt des Wassers schwächt. Um so erstaunlicher ist es, daß nicht von cantes die Rede ist, sondern von pumex, jeder Art von vulkanischem Gestein, dessen Charakteristikum gerade darin besteht, daß es porös ist14. Wieder impliziert die Verständnisleistung des Interpreten ein Supplieren, um so mehr, als die Funktion des Bildes argumentativ im Text nicht explizit gemacht wird — bleibt nur die Frage, nach welchen Kriterien. Eine Möglichkeit wäre - und dies gibt Gelegenheit, eine dritte Grundposition einzuführen -, auf die Realitätstendenzen des Horaz zu rekurrieren. Man kann beobachten, daß märe Tyrrbenum ein Realitätsindikator ist, und dann eben darauf hinweisen, daß Vulkangestein sich an der italienischen Westküste findet15. Es läge also eine realistische Beschreibung vor, die ihrerseits poetologisch sinnvoll zu verorten ist, wenn man von einem Horazbild ausgeht, wonach der Dichter vorrangig damit befaßt gewesen sei, als Traditionalist und Klassizist griechische Gedichte und Gedichtmotive zu bearbeiten, seine einzige Qualität darin bestehe, neben der gelegentlichen Komprimierung und Konzentration des Ausdrucks diese in die römische Wirklichkeit seiner eigenen Zeit zu übertragen16. Dann wird nicht nur die Astrologiegläubigkeit zu einem positiven realitatsabbildenden Merkmal, sondern auch der Vulkanfelsen. Ich will vorsichtshalber darauf hinweisen, daß es sich hier nicht um Konkretisierung im Dienste einer Aussage und eines Anliegens - das ist ein differierendes Interpretationsmodell -, sondern um Konkretisierung als Selbstzweck bzw. als poetischästhetischen Eigenwert handelt. Die noch so getreu wiedergegebene Realität darf das Bild aber nicht sinnlos machen. Die Lösung: Horaz kommt es nicht auf die Härte des Felsens an, sondern auf den «langsamen und stetigen Prozeß der durch die ständige Interaktion von Fels und Meer bedingten 13 J4
15 14
Programmatisch so auch Perelli, Kaum überzeugend ist die Vermutung von West, Ödes 151, es handele sich um «the waves endlessly rolling back miliions of these paper-light pebbles with a sound something between a grind and a roar and a rustle äs they absorb the energy of the mighty sea». West, Ödes l 50 f. denkt speziell an den Golf von Neapel (möglicher Besuch in der Villa des Philodem!). So etwa die Konzeption in dem Kommentar von Nisbet/Hubbard.
112
Wolf-Lüder Liebermarin
Erosion»17. Was bedeutet dies aber innerhalb der Gedichtaussage? Antwort: einen vom Dichter nicht explizit formulierten, von dem Leser aber zu supplierenden Kontrast zwischen den langandauernden «conflicts of nature» und der Kürze menschlichen Lebens und Glücks18. Etwas ratlos, so will mir scheinen, steht man vor dieser Lösung. Der Gedanke ist zweifelsohne schön - soll, muß man ihn akzeptieren? Mit welcher Begründung? Die Autoren bleiben die Antwort schuldig. Sie bieten eine Suggestivlösung, hoffen vielleicht auf so etwas wie das Evidenzprinzip. Bei einigem Nachdenken aber lassen sich wohl Gründe eruieren, die zu dieser Lösung geführt haben mögen19: 1. Zeidichkeit und Vergänglichkeit sind Themen des Gedichts; sie werden offensichtlich auf das Bild übertragen. Als Einwand ist jedoch zu formulieren: der Kontrast von Natur und Mensch unter dem Aspekt der Zeitlichkeit ist ein zusätzliches Element, das ausschließlich aus der erst zu rechtfertigenden Deutung des Bildes gewonnen wird. 2. Maßgebend scheint eine in der Literatur immer wieder herangezogene Lukrezparallele zu sein (l, 325 ff.), wo die Atomlehre exemplifiziert und veranschaulicht wird: im Laufe der Jahre wird der Ring am Finger dünner, tropfenweises Fallen des Wassers höhlt den Stein, die Straßendecken werden durch die Tritte der Passanten abgerieben - und so werden die Felsen vom Salz des Meeres zerfressen (saxa peresa), unmerklich, aber beständig im Laufe langer Zeit. Wir sind hier mit dem äußerst verwickelten Problem der <arte allusiva>, der Möglichkeiten von Zitat, Anspielung, Reminiszenz, imitatio konfrontiert, das noch einer wirklich systematischen Behandlung harrt und auf das ich nicht weiter eingehen kann. Ich will nur im Kontext unseres Themas bemerken, daß die von mir vermutete Rolle der Lukrezstelle unmittelbare Folge des skizzierten Interpretätionskonzepts von Nisbet/Hubbard ist: Horaz stellt ein Konglomerat diverser literarischer Vorlagen dar, die er evoziert und die dann bedenkenlos, für die Horazdeutung herangezogen werden können. Daß'die angebliche Lukrezparallele aber keine Parallele ist, ergibt sich - abgesehen davon, daß sie einen ganz anderen Skopos hat - schon daraus, daß von einem debilitare des Meers hier weit und breit nichts zu finden ist. Entsprechend bleibt dieses Moment in der Horazinterpretation von Nisbet/Hubbard auch weitgehend vernachlässigt (es überlebt nur in der funktionslosen Formulierung von den «conflicts of nature»). 3. Man wird daran denken dürfen, daß der Kontrast von Zeitlichkeit der Natur und des Menschen durchaus eine horazisehe Vorstellung ist - ich verweise nur auf das Frühjahrsgedicht im vierten Buch, carm. 4, 7: Diffugere nives. Dort heißt es (v. 13 ff.): der Mond nimmt ab, aber auch wieder zu; sobald wir aber gestorben sind, sind wir bloßer Staub und Schatten20. Doch erneut ist Einspruch zu erheben. Was hier thematisiert wird, ist die 17 18
19
20
Nisbet/Hubbard 1140. Ebenso West, Ödes I 50, erweitert um die Komponente: «the vast energy of elemental forces against the impotence of human bejngs»; eine Sammlung von «purposes» bei Arkins 260 f. ' Freilich wäre anzumerken, daß, was in einem literarischen Werk einen Vorzug darstellen kann, in einem wissenschaftlichen nicht zulässig ist: das Erfordernis, Leerstellen zu füllen. So lange die Argumente nicht explizit gemacht werden, lassen sie sich auch nicht kritisch überprüfen. Ganz ähnlich Catull 5,4 ff.: Sonnen können untergehen und wiederkehren; wir aber müssen, sobald einmal unser kurzes Lebenslicht erloschen ist, eine immerwährende Nacht schlafen (zur literarischen Tradition, in der das Motiv steht: H. P. Syndikus, Catull I, Darmstadt 1984, 93 ff.).
Methoden der Dichterinterpretation
113
Endgültigkeit des menschlichen Todes - gegenüber dem Wiederaufleben der Natur. Rasche Vergänglichkeit kennzeichnet beide Bereiche in paralleler Weise, nur deshalb kann ja im gleichen Gedicht der Wechsel der Jahreszeiten dem Menschen die Endlichkeit bewußt machen: nicht auf Unsterblichkeit zu hoffen, dazu mahnt das Jahr - inmortalia ne speres, monet annus (v. 7)21. Schlägt man nochmals Kießling/Heinze auf, so sind dort die bei Nisbet/Hubbard ins Leere gehenden «conflicts of nature» ernst genommen, sie werden geradezu zum Entscheidenden: «die Vorstellung der Wetterunbilden draußen [dient] dazu, die Mahnung zu häuslicher Lebensfreude zu verstärken» (57). Daß das ganz im Lichte von carm. l, 9 (daneben natürlich epod. 13) gesehen ist, verwundert schon nicht mehr, wird auch von Kießling/Heinze eigens bestätigt. Doch wie läßt sich die Opposition Draußen/Drinnen in carm. l, 11 integrieren, das sich zwischen den Polen Zukunft, Gegenwart, Zukunft bewegt? Zeitlichkeit bildet die Struktur des Gedichts — was könnte carpe diem in einem DraußenDrinnen-Denkmodell bedeuten? Die räumliche Opposition bildete einen überschießenden Fremdkörper in unserem Gedicht, auch hier handelt es sich um eine unzulässige, nur scheinbare Parallele. Kühn sucht nun, wie angedeutet, präzis und erschöpfend die Einzelzüge des durch seine zentrale Stellung bereits hervorgehobenen Naturbilds argumentativ und sinntragend auszuwerten. Zunächst nimmt er die Ambivalenz des porösen pumex einerseits, der aber andererseits das anbrandende Meer debilitat, ernst. Zweitens sieht er Parallelität zwischen Naturgeschehen und Menschenwelt. Drittens aber beruft er sich darauf, daß das den Fels aushöhlende Wasser in die Liebesmetaphorik gehöre (bei Lukrez, Tibull, Horaz, Ovid), wobei gerade der Fels häufig für die spröde Geliebte stehe22. Horaz wolle Leuconoe also sagen, daß ihre Spröde und ihr Widerstand sinnlos sind, aus zweierlei Gründen: zum einen schwächten sie nur seine Liebe, zum anderen sei ihre Haltung doch schon durchlöchert wie ein pumex. Diese fast allegorische Deutung, die ich aus Gründen einer Methodik herangezogen habe, die strikt alle Einzelzüge im Sinne einer stimmigen Aussage des Einzelgedichts bedeutungsmäßig zu befrachten sucht, wird man kaum akzeptieren wollen. Fragt man sich, warum, würde ich zwei Schwächen benennen: 1. Die spezifische symbolische Verwendung des Naturbilds stellt eine durch nichts gerechtfertigte petitio principii dar, die aus anderen expliziten Kontexten isolierend gewonnen ist. 2. Das Ergebnis, die Konkurrenz einer elegischen und einer antielegisch-epikureischen Liebeshaltung und Liebesmoral entspricht jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht der horazischen Liebesvorstellung - das wäre im Einzelnen zu zeigen, was hier nicht geleistet werden kann23. Jedenfalls ist die Forderung zu erheben, daß sich Interpretation und Verständnis des Einzelgedichts am Werkganzen ausweisen müßten. 21 22 23
Dieselbe Vorstellung liegt auch der Sestiusode carm. 1,4 zugrunde, wobei der Kontrast zwischen Natur und Mensch ganz ausgeblendet ist. Ausführliche Stellensammlung schon bei A. 5. Pease, Publi Vergili Aeneidos über quartus, Darmstadt 1967 (= Nachdr. von 1935), 315 ff. zu Aen. 4,366. Nur so viel (s. auch u. S. 118 ff.): Horazische Liebe figuriert im Rahmen eines lebensphilosophischen Konzepts und weist damit über sich hinaus. Daraus erklärt sich wohl nicht zuletzt die von Wili 167 f. gemachte Beobachtung, daß im Gegensatz zu dem aus der Wirkungsgeschichte zu gewinnenden Eindruck der Anteil der Liebesdichtung im engeren Sinn bei Horaz relativ gering ist, auch daß sie unter den in den vertretenen Gattungen die «schwerstverstandliche» sei (ygl dazu auch B. Arkins, The cruel joke of Venus: Horace äs love poet, im Rudd, Hg., Horacc 2000: A celebration 106-119, hier 106 f.). Horazische Liebe ist gewiß nicht mit epikureischer Liebe gleichzusetzen. Um den Unterschied zu ermessen»
114
Wolf-Lüder Liebermann
So viel sollte deutlich geworden sein: schon das syntaktisch-semantische Verständnis eines scheinbar so einfachen Gedichts wie carm. 1,11 stellt ein verwickeltes, aber auch reizvolles Geschäft dar. Darüber hinaus zeigte sich, daß es bereits auf diesem Sektor nicht ohne methodische Vorgriffe abgeht. Und ich denke, es muß unsere Aufgabe sein, uns diese Vorgriffe und Verstehensvoraussetzungen bewußt zu machen. Es würde das Gespräch erleichtern, auch mancher wissenschaftliche Streit würde sich erübrigen, weil sich, zeigte, daß gänzlich unterschiedliche, zumeist verdeckt bleibende Prämissen dafür verantwortlich zu machen sind. Es würde sich wohl außerdem zeigen, daß imdüf chschaute Prämissen leicht und beliebig durch andere ersetzt werden, ohne daß man dessen inne wird - und wie wäre es auch anders möglich, denn alles Undurchschaute überfällt uns unversehens vom Rücken her. Das ist es* was die moderne Hermeneutik unermüdlich ins Gedächtnis zu rufen unternommen hat. Die Verständnisprämissen, die uns bislang begegnet sind, sind - vereinfachend gesagt folgende: 1. Kießling/Heinze: Das horazische Textcorpus ist ein geschlossenes Ganzes, Horaz folglich aus Horaz zu verstehen; Homogenisierungstendenzen sind dabei nicht zu übersehen, dank ihrer wird unser Gedicht zu einem Gedicht der Lebenswahl. Das sympotische Element wird zu einem Teil der zu wählenden epikureischen, gegenwartsbezogenen Lebensform. Heterogene, aus anderen Horazgedichten stammende Bestandteile wie die Opposition Draußen/Drinnen werden in Kauf genommen bzw. kumulativ gedeutet. Der Einheit des Textcorpus kommt - zugespitzt formuliert — Vorrang vor der Einheit des Einzelgedichts zu. Ob diese Einheit textautonom oder als autorbedingte, also produktionsästhetische Einheit verstanden ist, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. 2. Nisbet/Hubbard: Da das horazische Werk als Synthese der voraufliegenden literarischen Tradition (der uns bekannten wie der verlorengegangenen, häufig nur postulierten) gefaßt wird, erfährt das für das Verständnis heranzuziehende Textcorpus eine gewaltige Ausweitung. Semantische Relikte jetzt nicht mehr aus anderen Horazgedichten, sondern aus der sonstigen literarischen Tradition zeigten sich. Daß Horaz von ernsten und betrübenden braucht man nur Lukrez 4, 1058 ff. heranzuziehen, wo zu erfahren ist, was Aufklärung und Desillusionierung in diesem Bereich heißt. Auch mit dem Antielegischen hat es seine Schwierigkeiten (dazu schon Pöschl, z. B. Horazische Lyrik 26 ff.j 366 ff.). Fides ist bei Horaz auch in der Liebe ein durchaus positiv besetzter Begriff (es ist ein Irrtum von Kießling/Heinze 68, carm. l, 13 als Ausnahme einzustufen). Selbst die im Tibullgedicht carrn. l, 33 läßt sich nicht für eine Liebesaüffassung geltend machen, sie zeigt vielmehr die Harte, mit der Venus Liebespaare zusammenbindet, anders formuliert: Intensität, Okkupation und Unerreichbarkeit für andere. Daß aus dieser Überlegung Tröstung für einen Fall der Uesafides (v. l ff.) hergeleitet werden kann, darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als sei die Verletzung a&rfides selber bedeutungslos und nicht Gegenstand berechtigter Klage. Es zeigt sich vielmehr eine Parallelität zum Verhalten angesichts des Todes. In carm. l, 24 wird der grenzenlosen Klage um einen teuren Toten ihr volles Recht zugestanden, doch dann gilt: sed levius fit patientia quidquid corrigere est nefas (v. 19 f.). Worum es geht, ist der Umgang mit unabänderlichen Gegebenheiten (freilich eröffnen sich für Liebesbeziehungen und Liebesformen realistische Alternativen, nicht aber für die Endgültigkcit des Tods) - und eben hier liegt der Unterschied zur Elegie. Die analoge und vergleichbare Weise des Umgangs mit. Liebe und Tod hat nun tatsächlich ihr Gegenstück bei Lukrez, doch wiederum mit charakteristischer Abweichung: Lukrez stellt sich in geradezu brutaler Radikalität der Wirklichkeit, die entlarvende Desillusionierung sowohl im Falle der Liebe als auch im Falle des Todes und der Vergänglichkeit soll den Menschen instandsetzen, sich den Realitäten des Lebens offenen Auges zu stellen und nüchtern Konsequenzen daraus zu ziehen. Horaz dagegen-begegnet den Phänomenen Liebe und Tod mit geduldiger, gelassener Hinnahme.
Methoden der Dichterinterpretation
115
Dingen wegruft - das sei nachgetragen -, wird jetzt nicht mit carm. l, 9, sondern mit der vorgängigen literarischen Tradition begründet24. Das Spezifische der horazischen Dichtung und zugleich ihre ästhetische Qualität liegt in der Konkretisierung, d. h. im wesentlichen der Einbeziehung römischer Lebenswirklichkeit, was zu Anschaulichkeit, Energie und Frische führt25 - es sei noch einmal betont: rein ästhetischen Qualitäten, die nicht semantisch ausgewertet werden26. Horaz ist ein Artist, der in geschickter Weise (für unser Gedicht wird es zugestanden, für andere bestritten) literarische Topoi behandelt. Hier ist geradezu ein Partpour-Fart-Standpunkt vorausgesetzt, der Literatur als ein in sich geschlossenes System zu begreifen sucht. Man könnte auch formulieren: Horaz als Kallimacheer. 3. Die durch Franz Kühn repräsentierte Position gibt dem Verständnis des Einzelgedichts und seiner inneren Geschlossenheit die Priorität, jedenfalls der Intention nach. Kaum nötig zu sagen, daß dabei die sog. textimmanente Betrachtungsweise zugrundeliegt, wie sie verstärkt nach dem zweiten Weltkrieg gepflegt und namentlich von Friedrich Klingner in die Klassische Philologie eingeführt wurde und dort bei dessen Schülern und Enkelschülern nachhaltigen Einfluß geübt hat. Es zeigte sich aber, daß die Einlösung dieser Intention eine Illusion ist. Verstehen, gerade literarisches Verstehen setzt die Interaktion des Rezipienten voraus — am deutlichsten und nachhaltigsten bei der Füllung von Leerstellen —, und hier läßt das Einzelgedicht notwendigerweise seinen Leser im Stich. Worauf kann er rekurrieren? Auf den common sense wird man sagen, d. h. aber nichts anderes als auf die Erfahrungen seiner eigenen Lebenswelt oder auf allgemeine literarische Erfahrungen. Da wird der historisch 24 25
26
Obwohl fast nur horazische Gedichte zitiert werden und zitiert werden können! Wenn Becker, der «die gemeinsame Mitte» (15) des horazischen Epistelbuches in der ethischen Thematik findet, am Rande bemerkt, daß aus einer Darstellung des vertun atque decens in allgemeiner Weise «niemals Dichtungen geworden wären» (46), so scheint für ihn das Spezifische von Dichtung ebenfalls in Konkretheit und Anschaulichkeit zu liegen (vgl. u. Anm. 54, s. auch u. Anm. 57). Ähnlich - jedenfalls partiell - wohl auch die Meinung von Syndikus 1129 ff., wenn es auch gerade in diesem Kommentar, der schöne Beobachtungen und vor allem Materialreichtum aufweist, so gut wie niemals möglich ist, eine präzise Position ausfindig zu machen, geschweige denn einen methodischen Standort zu bestimmen: Horaz gibt epikureischen Aussagen durch Konkretisierung eine «sinnlich greifbare Form», seine «Dichtersprache» ist dem «lebendigen und sinnenhaften Ausdruck» verpflichtet («Symbolkraft»). Die Schaffung «einer ganz bestimmten Sprechsituation» («Geste lebendigen Sprechens») hat aber auch die Funktion, «das Gegenüberstehen und die menschliche Beziehung fühlbar» zu machen, dem «mahnenden Sprechen der Ode [wird] erst die menschliche Wärme» gegeben. Wundern kann man sich, daß trotz «lebhafte[r] Sprechsituation» eine «abgewogene[.] Ordnung und gegenseitige^] Beziehung der Einzelelemente» vorliegt, doch wohl nur, wenn man jene nicht in ihrer textimmanenten Funktion, sondern als Realitätsabbildung versteht. Wenn dann der «nüchterne[.] Realitätssinn des Horaz» beschworen wird, haben wir es mit einer biographisch-autorspezifischen ausdrucksfunktionalen Kategorie zu tun. Dann aber kommt in v. 4 - 6 «dadurch, daß [...] gegenwärtigste Anschauung ausgebreitet wird, [...] ein neues Element in das Gedicht». Hier wird nun Anschaulichkeit und Konkretheit (zutreffend) in einer für die Aussage bedeutsamen Funktion gefaßt, im Sinn der Hinwendung zur Gegenwart. («Im Hintergrund dieser horazischen Denkfigur» - was auch immer das heißen mag - steht dann allerdings die literarische Tradition, wie ja «Ängste der Zeitgenossen» und auch problemlos zusammengehen, geradezu identisch zu sein scheinen.) Freilich ist die «konkrete Situation» nur «angedeutet», der Dichter wendet sich wieder «ins Allgemeine». Die Hinwendung zur konkreten Situation erscheint jetzt dem Dichter als «zu angespannt und drängend [...], als daß dabei eine wirklich glückliche Stimmung aufkommen könnte» (bei wem?). Aber Horaz unterscheidet sich von Epikur nicht nur «in der äußeren Gestaltung», sondern es liegt eine «andere Gestimmtheit> vor. Die Mahnungen sind «dringender, das Problem scheint ihn auch persönlich noch zu bedrängen»; «die Mahnung, der Aufruf an den Nächsten, ist gleichzeitig an sich selbst gerichtet» (dazu fügt sich, daß in sät. 2,6,95-97 «die etwas vulgär vorgebrachte Lebensregel» ihm «noch nicht sehr am Herzen lag»).
116
Wolf-Lüder Licbermann
geschulte Philologe vorsichtig sein27 - so sieht er sich wieder auf antike Texte verwiesen, aber nun u. U. in einer nicht mehr kontrollierten, regelgeleiteten Weise. Konnotationen, Symbole, Allegorien nehmen überhand, und genau das scheint letztlich auch bei Kuhns vergleichsweise behutsamem und der «power of implication»28 widerstehendem Ansatz der Fall zu sein, unter dem Druck - einem vielleicht zu starken Druck - einer geforderten bedeutungsmäßigen Aufladung bis in alle Einzelzüge hinein. Voraussetzung ist die Vorstellung eines raffinierten, in sich gesättigten autarken Kunstgebildes, dessen Autarkie aber vielmehr Isolation ist, die nur zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. An dieser Stelle sei, schon um der Orientierung willen, ein eigener Interpretationsvorschlag vorgestellt: Leuconoe wird in der Form des - negierten - Imperativs vom sprechenden Ich verboten, sich fragend oder forschend mit der Zukunft der beiden zu befassen, die vorrangig ihr Liebesverhältnis betrifft. Begründung: scire nefas. Der lateinische Begriff nefas deckt Sollen und Können zugleich ab29, das ist bezeichnend und für antikes Denken grundlegend (in der Neuzeit wird dies unter dem Etikett «naturalistischer Fehlschluß» diskutiert). Die Zukunft zu kennen, ist unmöglich und daher untersagt30. Wir befinden uns also von vornherein in einem philosophisch-reflektierenden Argumentationsgang. Das bedeutet aber auch, daß das Verhalten Leuconoes unter prinzipiellem Aspekt gesehen ist, ihre astrologischen Bemühungen sind nur das Mittel, dessen sie sich bedient, sie sind sekundär, stehen daher auch nur an zweiter Stelle, mit nee angeschlossen. Zukunftssorge ist das Thema und nicht Astrologie. Insofern ist es kaum gerechtfertigt, von astrologischen Grillen der Leuconoe zu sprechen, als würde hier überhaupt auf eine Charakterisierung des Mädchens abgezielt. Die Imperativische Handlungsanweisung ergibt sich aus der Einsicht in menschliche Erkenntnismöglichkeiten und -zulässigkeiten (scire nefas). Das ist ein in sich geschlossener Gedanke, der an sich keiner Ergänzung bedarf. Was leistet dann das folgende ut melius, quidquid ent, pati? Offensichtlich zweierlei: Erstens wird - abgesehen von der banalen Tatsache der Umformulierung ins Positive - die Imperativische Handlungsanweisung in ein Werturteil übergeleitet: es ist besser, hinzunehmen und sich nicht zu sorgen, d. h., das ausgesprochene Verbot wird auf einen Urteilsakt, auf eine Einsicht zurückgeführt - das ist ein innerhalb des moralphilosophischen Diskurses ganz übliches Verfahren: tue das und das nicht, denn es ist besser usf. Zweitens aber wird diese Einsicht in der Form eines emphatischen 27 28
29
30
Die grundsätzliche hermeneutische Problematik will ich aussparen. Nach dem Titel der Abhandlung von Francis Cairns zu carm. l» 20, in: Author and audience in Latin literature, hg. T. Woodman/J. Powell, Cambridge Univ. Press 1992, 84- 9. Vgl. carm. l, 24,20, auch carm. 3,29,29-32 (erläutert durch carm. 2,16,25 f.; 4,11,29-31; s. auch Romano 524; die Ausführungen von G. Vogf(-Spira), Einladung ins Rettungsboot, AU 26/3,1983,36-60, hier 47 f. zu carm. 3,29 sind kaum überzeugend). -Übersetzungen wie «Frevel» (Kytzler) oder gar «Sünde» (Färber, Weeber) sind irreführend, Andersons Verständnis des Gedichts (s. o. Anm. 11) ist weitgehend durch die Auffassung von nefas als «sin» (121) bestimmt; zutreffend dagegen Menge: «die Erkenntnis ist [...] versagt». Zumeist wird dies unter dem Gesichtepunkt der für den Menschen erörtert; vgl. Cicero, De dSv..2, 22 f., mit den weiteren Belegen bei A. S. Pease, M. Tulli Ciceronis de divinatione libri duo (zuerst University of Illinois Studies in Language and Literature 6,1920,161-500; 8,1923, 153-474), Darmstadt. 1973, bes. 383; vgl. auch Montanari Caldini. - Unberührt davon bleibt die Frage, wie der für die Antike gültige naturalistische Fehlschluß seinerseits zu begründen ist. Im Rahmen eines Weltbilds (das für die Antike vorauszusetzen ist, wie schon der normative w leisten kann. Das Fazit formuliert die Reihe: sapias, vina liques und spatio brevi/ spem longam reseces. Dabei ist offenbar sapias den beiden anderen Aufforderungen vorgeordnet, sie sind Folge und Ausdruck des sapere. Sapias wird man, trotz der umgangssprachlichen Verwendung in der Komödie, im horazischen Kpntext als eine Ermahnung zur sapientia auffassen wollen33, dafür spricht die aufgezeigte Struktur des Gedichts, die Hinführung zum einzig Vernünftigen - und der sonstige Sprachgebrauch des Horaz bestätigt es34. Rationalität wird als Endzweck gefordert: sie zeigt sich darin, die Hoffnung auf das Heute zu beschränken. Das leuchtet ohne weiteres ein; und bisher waren wir ja tatsächlich nur auf das angewiesen, was man gesunden Menschenverstand nennen könnte - doch ließ sich alles auch aus Horaz verifizieren. Rationalität zeigt sich aber auch darin, den Wein zu klären. Hier stutzt man. Das Klären des Weins ist Vorbereitung für das Trinken des Weins, also nur ein indirekter, gekünstelter Ausdruck für die Aufforderung zu trinken? Wir befin31
Vergleichbares zeigt sich in carm. l, 4, wo sich aus dem feststellenden nunc decet (v. 9, 11) die Anrede an Sestius ergibt (v. 14 ff.). 32 Das impliziert nicht, daß der Textherstellung von Shackleton Bailey (o. Anm. 3) zu folgen wäre (überzeugend Syndikus 1132). 35 Die Verwahrung dagegen, daß «Horaz dem Mädchen ausdrücklich die Befolgung der philosophischen Lehre [welcher eigentlich?] nahelegte», heißt ja noch nicht, dem sapias «ein allzu großes Gewicht zu geben» (Syndikus 1132, Anm. 13). Es geht um die horazische sapientia, die eine allgemein-menschliche und nachvollziehbsre, eine lebensphilosophische sapientia (Vernünftigkeit) ist, leicht aber auch durch philosophische Lehrsysteme fundiert werden kann; vgl bereits sät. l, 4, 115 ff. Wie gleitend der Übergang ist, zeigt das 1. Epistelbuch. * Vgl. etwa carm. l, 7,17.
118
Wolf-Lüder Liebermann
den uns in einem Gedicht, das von Vergänglichkeit und der Problematik der Zukunft handelt, das den angemessenen Umgang mit der Zeit vermitteln will - das Trinken als eine Ausdrucksform oder auch als ein Symbol des rechten Gebrauchs der Gegenwart ist dem ohne weiteres zu integrieren, da hilft schon flüchtige Horazkenntnis. Gemeinhin wurde auch so verstanden. Genauere Horazkenntnis kann aber weiterhelfen. In sät. 2,4,51 ff. werden nämlich zwei Methoden, den Wein trinkfertig zu machen, unterschieden35: a) ihn der klaren Nachtluft auszusetzen, wodurch er verbessert und bekömmlicher wird; b) das Schnellverfahren des Filterns durch ein Leinentuch anzuwenden, was freilich den Geschmack beeinträchtigt. Offenbar ist letzteres in carm. l, 11 gemeint, denn alles kommt angesichts der Ungewißheit der Zukunft auf die rasche Nutzung des Augenblicks an, dessen Kostbarkeit wichtiger ist als die Kostbarkeit des Weins - schon dies ein Indiz dafür, daß es nicht um das Weintrinken als solches geht36. Die Flüchtigkeit der Zeit verdichtet sich noch weiter: dum loquimwr, fugerit / invida aetas. Der Sprechende wie die Angesprochene sind davon betroffen. Pflücke den Tag - wie einen reifen Apfel, wie Porphyrio erläutert - oder wie eine rasch verwelkende Blume, wie eine bekannte Variante des Motivs lautet. Das ist das abschließende positive Pendant zum negativen Imperativ des Anfangs (die Hinzufügung des quam minimum credula postero macht dies ausdrücklich). Was hat aber die Lebensmaxime, die der Autor aus der Haltung des überlegen Wissenden heraus vorträgt, mit Liebe und Wein zu tun? Die Antwort liegt nahe: die Liebe ist ein menschliches Betätigungsfeld, auf dem diese umfassende prinzipielle, philosophisch fundierte Einsicht und Lebenshaltung ihre Anwendung findet - und ebenso das Weintrinken. Macht man das Gedicht zu einem Liebesgedicht, so stellt man die Dinge auf den Kopf - an ein Weingedicht wird man ohnehin nicht denken. Es ist nichts anderes als Applikation einer Lebensphilosophie - wie das für alle anderen Erscheinungsformen horazischer Dichtung auch gilt -, und nur in diesem Sinne kann es als eine Philosophie der Liebe und eine Philosophie des Weins bezeichnet werden. Horaz hat ein Thema, geradezu ein einziges Thema37. In carm. l, 7 heißt es: andere preisen das strahlende Rhodos, Mytilene, Ephesos oder andere berühmte griechische Städte - ich aber bin innerlich ergriffen (percussus) vom Anio und der anmutigen Landschaft Tiburs. Der Leser erwartet, daß der Dichter jetzt das stille Glück Tiburs preist - was aber gibt er im Folgenden? Die Antwort kann nur lauten: Philosophie. Vom Wechsel von Glück und Unglück redet er, von der sapientia, Trauer und Sorge durch Weingenuß zu beenden. Das ist ein unübersehbarer Hinweis, was horazische Dichtung ist: Lehre und Programm, die gerade nicht durch Stimmungen und Empfindungen des Autors bedingt sind, keinesfalls als deren Ausdruck mißverstanden werden dürfen. In carm. l, 6, einem reof54ftb motiviert einen Brief, aber damit hat sie ihren Zweck erfüllt» (48), «die Situation ist nur Vordergrund, die Darlegungen gehen darüber hinaus ins Grundsätzliche» (19), «die Ausgangslage [...] wird rasch zurückgedrängt; dieallgemeinen ethischen Lehren bilden den Kern - nur um ihretwillen ist der da» (20). Alles kommt aber darauf an, was «um ihretwillen» bedeutet. Becker berührt einmal das Problem, wenn es (zu epist. 1,14) vom vilicus heißt: «[er ist] um der allgemeinen Gedanken willen da; an ihm wird demonstriert [...]»(22). Die Widersprüchlichkeit der Äußerungen zeigt aber, wie wenig die Problematik als solche bewußt ist. ^
Methoden der Dichterinterpretation
123
Hand noch eine dritte Rezipientengruppe - Mäecenas und andere weltläufige Männer - eingeführt wird, zu deren Erheiterung Horaz schreibe (368), sei nur am Rande erwähnt. Der Ausgang von einer praktischen Frage wird als Indiz für die situationsbedingte Kontingenz des Gedichts genommen, .dann aber unterläuft die Bemerkung, daß gerade dies «für die römische Haltung zur Moralphilosophie typisch» sei (367), man muß hinzufügen: für jeden vernünftigen moralphilosophischen Diskurs. Denn seit Aristoteles weiß man, daß ethisches "wissen auf Praxis zielt. Die beiden Deutungsprinzipien schließen sich gegenseitig aus und führen sich ad absurdum. Der Grund liegt einfach darin, daß ein methodischer Vorgriff, die von Fraenkel emphatisch vertretene Vorstellung von der Autonomie des Kunstwerks, das sich selber deute und deuten müsse, in eine ganz andere Lese- und Interpretationspraxis übernommen worden ist. Der unter mißbräuchlichem Rückgriff auf Goethes beschworene «Doppelaspekt» der Dichtung stellt sich nämlich nicht additiv, sondern im Sinne einer Subordination dar: das Besondere im Dienste des Allgemeinen. Ob das Besondere ein reales oder fiktives Besonderes ist, darüber ist nichts entschieden. Interpretation von Dichtung ist von grundsätzlichen Vorentscheidungen abhängig und durch diese bedingt. Das ist unausweichlich und durch die hermeneutische Grundproblematik vorgegeben55. Was wir aber leisten können und sollen, ist, uns über unsere Vorentscheidungen Rechenschaft zu geben und sie so kontrolliert wie möglich zu treffen. Ich habe dafür plädiert, von der syntaktisck-semantischen Analyse des Einzelgedichts auszugehen56. Diese sieht sich sehr schnell auf die nahestehenden, gattungszugehörigen Gedichte des Autors, dann aber überhaupt das Werk des Autors verwiesen. Verständnis des Einzelgedichts und Verständnis des Ganzen bedingen einander, wobei ständige und mühsame gegenseitige Korrektur erforderlich ist - es ist das, was man den hermeneutischen Zirkel nennt. Daß dabei auch subjektive Momente des Verstehenden und seiner Lebens- und Bildungswelt eingehen, ist unvermeidlich, läßt sich nur durch Selbstreflexion möglichst neutralisieren. Mein Interpretationsvorschlag bezüglich der sympotischen Dichtung des Horaz war, sie — zugespitzt formuliert — als philosophische Reflexion zu verstehen im Sinne einer spezifisch horazischen Lebensphilosophie. Nahegelegt wird dies durch die Tatsache, daß auch andere Themenbereiche - die Liebe, die Politik, die Dichtung, die Religiosität, Landschaftsbeschreibungen, autobiographische Abrisse - philosophisch fundiert sind. Damit sind aber die Prinzipien philosophischer, speziell moralphilosophischer Argumentation in Anschlag zu bringen. Appell (Anrede!) und Applikation (Konkretisierung!) werden auf diese Weise zu einem notwendigen Bestandteil der Argumentation, sie werden ihrer pragmatischen Dimension entkleidet und der semantischen integriert57. Das Konzept wäre im Rahmen der 55
56
57
Einen Eindruck vermag zu vermitteln Ch. Martindale, Redeeming the text. Latin poetry and the hermeneutics of rcception, Cambridge Univ. Press 1993; s. auch R. R. Nauta, Historicizing reading: the aesthetics of reception and Horace*s <Soracte ode>, in: Modern critical theory and classical litcrature, hg. L J. E de Jong/J. R Sullivan, Leiden/New York/Köln 1994,207-230, bes. 227. Von der Metrik, deren Bedeutung für die inhaltliche Interpretation wohl häufig überschätzt wird, habe ich abgesehen, wenn sich auch gerade im Falle des seltenen, stichisch gebrauchten «Asclepiadeus maion leicht ein Zusammenhang mit den beiden weiteren in diesem Metrum abgefaßten Gedichten (carm. 1,18 und carm. 4,10) herstellen ließe. Selbst in dem schönen Buch von Davis, der den Lyriker Horaz als einen argumentierenden und überzeugen wollenden «philosophischen Dichter» versteht (l f.), der «philosophische Einsichten» vermittelt, bleibt die Vorstellung von «vivid and concrete rcpresentation» als spezifischer Leistung der Dichtung erhalten. «Powerful vehicle of ideas» kann aber nicht genügen (vgl. o. Anm. 25); s. jetzt Schmidt, Sabinum 177 ff.
124
Wolf-Lüder Licbermann
augusteischen Literatur zu rechtfertigen. Ich meine, daß das möglich ist: Vergiß Horaz, Tibull, Properz - sie alle vertreten, in sehr unterschiedlicher Weise, ein Programm; erst bei Ovid, dem ersten modernen Dichter, wird das anders. Ich habe des weiteren, was damit zusammenhängt, horazische Literatur als — schriftliche - Buch- und Leseliteratur verstanden, in Übereinstimmung mit den Selbstzeugnissen des Dichters58. Ich füge hinzu: als elitäre Leseliteratur. Zufrieden sei er mit wenigen Lesern, läßt er verlauten (sät. l, 10,74), und er wünsche, nur von feinsinnigen Augen gelesen zu werden (epist. l, 19, 34). Das ist natürlich keine Restriktion des Publikums, sondern die Forderung nach einer bestimmten Lesehaltung59. Der Allgemeinheitsanspruch horazischer Dichtung wird in keiner Weise tangiert. Die pragmatische Dimension ist damit auf das Verhältnis Autor - allgemeines Publikum ausgeweitet. Mit dem Öffentlichkeits- und Wirkungsanspruch greift Horaz auf die frühgriechische Lyrik zurück und gewinnt eine im Hellenismus preisgegebene Kategorie zurück - nur, daß die Öffentlichkeit jetzt nicht mehr die der Zirkel und Hetairien ist wie dort, sondern die römische Öffentlichkeit schlechthin60. Horaz scheint selbst darauf aufmerksam zu machen, wenn er von der Schulter an Schulter dichtgedrängten Zuhörerschaft seines Vorbilds Alkaios spricht (carm. 2, 13, 30 ff.)61. Horazens eigentlicher Gesprächspartner ist der Leser, das Symposion ist zu einem Symposion aller Lesekundigen geworden62. Andere werden das anders sehen - aber zumindest ausweisen müssen wir uns, gerade hinsichtlich der vorausgesetzten Interpretationsprinzipien. Daß diese Forderung nicht selbstverständlich oder obsojet ist, das zeigt> wie mir scheint^ die philologische Praxis bis in die jüngste Zeit hinein.
58
59 60
61
62
Mit einer schalen Bemerkung «whatever Horace may have envisaged äs the ultimate fate of his poems» (R. S. W. Hawtrey, The poet äs example: Horace's use of himself, in: Studies in Latin Lkerature and Roman History I, hg. C. Deroux, Brüssel 1979,249 - 256, hier 250) läßt sich das nicht abtun. Epist. 1,13 und epist. l, 20 sind ganz diesem Thema gewidmet. Das gilt schon für die Diskussion der Lebens- und Liebesformen bei Catull 51, im Kontrast zu Sappho 31 L.-P. (= 2 D.). Vgl. W.-L. Liebermann, Zur pragmatischen Dimension von Liebeslyrik: Sappho und Catull, in: Europa et Asia polyglotta (Festschr. R. Schmitt-Brandt), Dettelbach 1998 (im Druck). Hier dürfte auch der Grund für die Zurücksetzung Sapphos gegenüber Alkaios liegen; andere Deutungsversuche bei M. Lowrie, A parade of lyric predecessqrs: Horace C. 1.12-1.18, Phoenix 49, 1995, 33-48, hier 37 f. Um durch Okkasionalität bedingte Kategorien (Situation, Primäradressat u. ä.) angemessen zu begreifen, wäre es hilfreich, die weit fortgeschrittene Reflexion des und in der Platonforschung zu beachten; ich verweise insbesondere auf Bemerkungen von Th. A. Szlezak, Platon lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993: «Die Festlegung des Dialograhmens auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit sowie die Einführung individuellen historisch realer Charaktere ist ein nachhaltiger* Hinweis darauf, daß der Einstieg in das Philosophieren jeweils nur mit persönlichem Einsatz erfolgen kann. [...] Die Situations- und Zeitbedingtheit der Gespräche ist daher eine oder exemplarische Bedingtheit. [...] Zum Glück sind [Platons Figuren] nicht in historisch-zufälliger, sondern [...] in allgemeingültiger Weise individuell» (35); Weiteres dazu bei W.-L. Liebermann, Logos und Dialog. Überlegungen zum platonischen «Gespräch», in: Zugänge zur Wirklichkeit, hg. Th. Hoizmüller/K.-N. Ihmig, Bielefeld 1997, 99-122, bes. 122 mit Anm. 82.
Methoden, der Dichterinterpretation
125
Literatur A. Kießling (seit der 3. Aufl., 1898, bearb. v. R. Heinze), Q. Horatius Flaccus. Oden und Epoden, Berlinl9307u.ö. R. G. M. Nisbet/M. Hubbard, A commentary on Horace: Ödes book I, Oxford Univ. Press 1970 (mit den Ergänzungen von T. E. V. Pearce, Latomus 40,1981, 72-87); II, ibid. 1978 H. P. Syndikus, Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden I/II, Darmstadt 1972/1973 u. ö. K. Quinn, Horace. The Ödes, ed. with introduction, revised text and commentary, New York 1980 Q. Orazio Flacco. Le opere I (Le odi, il carme secolare, gli epodi), 1: Introduzione / testo critico / traduzione: F. Della Corte / P. Venini / L. Canali; 2: Commento: E. Romano, Rom 1991 S. West, Horace Ödes I. Carpe Diem, Oxford Univ. Press 1995 C. Becker, Das Spätwerk des Horaz, Göttingen 1963 S. Commager, The ödes of Horace, New Haven/London 1962 u. ö. P. Connor, Horace's lyric poetry. The force of humour, Berwick (Australien) 1987 G. Davis, Polyhymnia. The rhetoric of Horatian lyric discourse, Univ. of California Press 1991 (bes. 145 ff.: Modes of consolation: Convivium and carpe diem) H. Dettmer, Horace. A study in structure, Hildesheim 1983 L. Edmunds, From a Sabine jar. Reading Horace, Ödes 1.9, Chapel Hill/London 1992 Ed. Fraenkel, Horace, Oxford 1957; dt.: Darmstadt 1963 u. ö. D. Gagliardi, Studi su Orazio, Palermo 1986 J. Griffin, Latin poets and Roman life, Chapel Hill 1986 (Kap. 4: Of wines and spirits) F. J. Harrison (Hg.), Homage to Horace. A bimillenary celebration, Oxford Univ. Press 1995 H. Krasser, Horazische Denkfiguren, Göttingen 1995 (Hypomnemata 106; urspr. Diss. Tübingen 1989) F. Kühn, Illusion und Desillusionierung in den erotischen Gedichten des Horaz, Diss. Heidelberg 1973 E. Lefevre, Horaz. Dichter im augusteischen Rom, München 1993 W. Ludwig (Hg.), Horace, Entretiens Fond. Hardt 39, Genf 1993 (bes. 41-90: P. H. Schrijvers, AmicHS über et dulcis. Horace moraliste) O. Murray/M. Tecu^an (Hg.), In vino veritas, Oxford 1995 G. Pasquali, Orazio lirico, Florenz 1920 (Nachdr. ibid. 1964, hg. A. La Penna) V. Pöschl, Horazische Lyrik, Heidelberg 199l2 V. Pöschl, Kunst und Wirklichkeitserfahrung in der Dichtung (= Kl. Schriften I), hg. W.-L. Liebermann, Heidelberg 1979 D. H. Porter, Horace's poetic journey. A reading of ödes 1-3, Princeton 1987 N. Rudd (Hg.), Horace 2000: A celebration. Essays for the Bimillenium, Ann Arbor 1993 M. S. Santirocco, Unity and design in Horace's ödes, Chapel Hill/London 1986 E. A. Schmidt, Sabinum. Horaz und sein Landgut im Licenzatal, SHAW (Schriften) 1997, l K.-W. Weeber, Die Weinkultur der Römer, Zürich 1993 D. West, Reading Horace, Edinburgh 1967 Chr. M. Wieland. Obersetzung des Horaz, hg. M. Fuhrmann, Frankfurt M. 1986 (Wieland Werke Bd. 9) W. Wili, Horaz und die augusteische Kultur,.Basel/Stuttgart 19652 (= 1. Aufl. 1948) L. P. Wilkinson, Horace and his lyric poetry, Cambridge Univ. Press 195l2 u. ö. W. S. Anderson, Horace's different recommenders of Carpe diem in C. 1.4, 7, 9, 11, CJ 88, 1992/93,115-122 G. D'Anna, Ancora sui motivo del «carpe diem», AMArc 3.ser 7/3,1979,103-115 B. Arkins, Horace, Ödes 1.11, in: Studies in Latin Literature and Roman History I, hg. C Deroux, Brüssel 1979 (Coll. Latomus 164), 257-265
126
Wolf-Lüder Liebermann
H. Bardon, Carpc diem, REA 46,1944,345-355. H. Bardon, Leuconoe (c. i, 11), RBPh51,1973,56-61 S. Commager, The function oiF wine in Horace's ödes, TAPhA 88,1957, 68-80 M. Erren, Horaz an einem Winterabend (Zu c. 12 und 111), LF 102,1979,161-173 D. Fasciano, Le vin dans l'ceuvre lyrique d'Horace, CEA 25,1991,195-206 D. Fowler* Images of Horace in twentieth-century scholarship, in; Ch. Martindale / D. Hopkins (Hg.), Horace made new, Cambridge Univ. Press 1993,268-276,308-312 W. Görler, Carpere, capere, rapere. Lexikalisches und Philosophisches zum Lob der Gegenwart bei lateinischen Dichtern, in: Römische Lebenskunst. Interdisziplinäres Kolloquium zum 85. Geburtstag von V. Pöschl, hg. G. Alföldy u. a., Heidelberg 1995,47-56 R. Heinze, Die Horazische Ode (zuerst 1923), in: Vom Geist des Rörnertums, hg. E. Burck, Darmstadt I9603; 19724,'172-189 G. Lieberg, Die Bedeutung des Festes bei Horäz, in: Synusia (Festg. W. Schadewaidt), hg. H. Flashar/K. Gaiser, Pfuilingen 1965,403 -427 G. Maurach, Horazens Bacchusoden, Philologus 138,1994, 83-100 G. Mazzoli, II giorno «lacerato» e il tempo «sfruttato», in: Studi di filologica classica in onore di G. Monaco Bd. 2, Palermo 1991,1025-1037 A, P. McKinlay, The wine element in Horace, CJ 42,1946-47,161-167 u. 229-235 A. Michel, Poetique et sägesse dans les ödes d'Horace, REL 70,1992 (1993), 126-137 R. Montanari Caldini, Orazio, Manilio e l'ora della morte, A & R N. S. 32,1987,19-34 O. Murray, Symposium and genre in the poetry of Horace, JRS 75, 1985, 39-=50 (vgl. Id., in: Rudd, Hg., Horace 2000: A eelebration 89-105) L. Perelli, Simbolismo e polaritä nelle odi di Orazio, CCC 13,1992,27-39 V. Pöschl, Horazens Ode an den Weingott (c. l, 18) Nullam Vare sacra, WS 99 (N. F. 20), 1986, 193-203 V. Pöschl, Horazens Lebenskunst (zuerst 1992), in: Id., Lebendige Vergangenheit (= Kl. Schriften III), hg. W.-L. Liebermann, Heidelberg 1995,161-173 E. Römisch, Prinzipien der Lektüreauswahl, Gymnasium 67,1960,147-150 sowie Id., Horaz, in: Interpretationen lateinischer Schulautoren hg. H. Krefeld, Frankfurt M. 19702,153-175, hier 155 f. E. A. Schmidt, Alter Wein zum Fest bei Horaz, A & A 26,1980,18-32 H. Storch/R. Thurow, Arbeitskreis Horaz (Thesen zur Lebensweisheit des Horaz in den Oden / Methodisches zur Lyrik-Lektüre: Horaz), in: Antikes Denken - Moderne Schule, hg. H. W. Schmidt/P. Wülfing, Heidelberg 1988 (Gymnasium Beih. 9), 211 -235 A. Traina, Semantica del carpe diem (zuerst 1973), in: Id., Poeti lätini (e neolatini). Note e saggi filologici, Bologna 19862,227-251 W. Wimmel, Die Bacchus-Ode C. 3,25 des Horaz, AAWM 1993,11
ANDREA CUCCHIARELLI Eumolpo poeta civile* Tempesta ed epos nel Satyricon Nell'imperversare degli elementi, mentre la nave di Lica su cui Encolpio e i suoi sono andati ad imbarcarsi e ormai in balia della tempesta e minaccia ad ogni istante il naufragio, il poeta Eumolpo e rapito da un eroico furore creativo. Quando il fortunale e passato, ed e il momento di trarsi in salvo, e solo per un caso se i suoi compagni si accorgono di Eumolpo, e lo 1: peragit Interim tempestas mandata fatorum omnesque reliquias navis expugnat. non arbor erat relicta, non gubernacula, non funis aut remus, sed quasi rudis atque infecta materies ibat cum fluctibus. [...] audimus murmur insolitum et sub diaeta magistri quasi cupientis exire beluae gemitum. persecuti igitur sonum invenimus Eumolpum sedentem membranaeque ingenti versus ingerentem. mirati ergo quod illi vacaret in vicinia mortis poema facere, extrahimus clamantem iubemusque bonam habere menterri. at ille interpellatus excanduit et <sinite me> inquit <sententiam explere; laborat carmen in fine>. inicio ego phrenetico manum iubeoque Gitona accedere et in terram trahere poetam mugientem. (Satyr. 114, 13-115,5) Sembra ehe per Eumolpo il trasumanare poetico sia unfaror ehe comporta la regressione allo stato ferino: non stupisce — siamo nel Satyricon — la consonanza con il bozzetto satirico del poeta esaltato ehe chiude Ars Poetica2. Ma Tinvenzione comica petroniana non e solamente nello sprezzo ehe il poeta mostra per il grave pericolo. Non si puö dire ehe Eumolpo non sia in sintonia eon lo scatenarsi degli elementi: la sua ispirazione e in piena consonanza con la tempestas, ne condivide e ne rispecchia il furore. Anzi, Eumolpo non fa altro ehe compiere
* Vorrei ringraziarc per aver discusso con me di questo lavoro Sergio Casali, Gian Biagio Conte, Luigi Galasso, Mario Labate, Francesca Lechi, Gianpiero RosatL Utili suggerimenti ho avuto dal Prof. £. A. Schmidt: anche a lui vanno i miei ringraziamenti. 1 Cosi vorrei rendere J'ambiguita ehe e nel testo: ... iubeoque Gitona ... in terram trahere poetam mugientem. Eumolpo aveva infatti «lasciato la terra> con la mente, rapita in un trasporto di entusiasmo, oltre ehe con corpo, affidato alTelemento marino. Per i poeti e cosa consueta vivere l'ispirazione come una forza ehe rapisce dal mondo (e, in special modo, solleva nel cielo): alcuni tra i luoghi piü noti nel comm. a Hör. carm. 2,20 di R. G. M. Nisbet—M. Hubbard, Oxford 1978, pp. 332 s. Ma l'ispirazione, come meglio vedremo, puö rapire anche in alto märe un poeta, esponendolo al rischio di tempeste e naufragi: cf. n. 9. 2 Cf. piü di recente M. Labate, // cadavere di Lica. Modelli letterari e istanza narrativa nel Satyricon di Petronio, «Taccuini» 8,1988, pp. 83-89, spec. p. 88, dove si fa riferimento a Hör. ars 470-476; Eumolpo e gti altn> owero lo spazio della poesia, «Mat. Disc.» 34, 1995, pp. 153-175, spec. pp. 156-162 (si veda a p. 156, n. 9, la bibl. sui precedenti oraziani del pcrsonaggio di Eumolpo). Da ricordare anche U modo con cui Orazio apre la sezione sul poeta: ingenium misera quiafortunatius arte / credit et excludit sanos Helicone poetas / Democritus, eqs. (an 295-303, cortil comm. di C O. Brink, Cambridge 1971, pp. 329 - 334).
128
Andrea Cucchiareili
- un po* troppo alla lettera, e vero - il suo dovere di poeta. Infatti, nel sistema letterario antico, governato dal principio del decorumy la tempestas si iscrive tra le res sublimi, uno tra i ferri del niestiere di qualunque scrittore con una qualche ambizione3. Quando ad un poeta awiene di trovarsi nel mezzo di una reale tempesta - niente di piü facile ndSatyricon, dove i personaggi sono dei repertori ambulanti di materiale topico alle prese con la realta empirica -, potra egli non venir rapito da una ispirazione sublime? Si puo facümente immaginare cpme la tempestas, proprio per le sue intrinseche potenzialitä letterarie (ancofa testimoniate dal binomio Sturm und Drang), rappresentasse un elemento costituente del ehe avesse per oggetto l'argomento secondo i canoni anticlii piü : la guerra. In questa particolare formä di <meteorologia Ietteraria> il narratore epico trovava un prontuario inesauribile di descrizioni vividcj di immagini utili per similitudini e metafore: c'e un'analpgia evidente tra la furia degli elementi e la furia guerriera ehe si impadronisce degli eroi epici, e li trascina4. Anche la lirica civile, <stasiotica>, sfrutto fin dagli inizi le della tempesta, non limitandosi, pero, a descrizioni dalle fosche tinte, similitudini, o metafore, ma mettendo al centro dell'attenzione del poeta stesso. Essa, infatti, produsse un'allegoria ehe rimase celebre, quella della nave in balia dei flutti, a significare i disordini della , della guerra civile. Fondamentali, naturalmente, sono i due carmi <stasiotici> in cui AIceö si era rappresentato a bordo di una nave sballottata dalla allegorica tempesta della (frgg. 6; 208 V.). Orazio ripropose la tematica alcaica in carm. l, 14, O navis, referent in märe te novi/fluctus, ma elidendo il coinvolgimento diretto della proprhpersona poetica, ehe egli situa in uno spazio esterno5. Dottrina retorica e tradizione poetica, entrambe sintetizzate nella pratica declamatoria (presupposti importanti per comprendere il comportamento dei personaggi petroniani), eranö concordi nello Stabilire il 3
4
5
Basti per ora ricordare come secondo la precettistica retorica, condensato della riflessione antica sulla letteratura, il locus de tempestate si ponesse tra i piii cpmuni esercizi di Stile elevato: cf. S. F. Bonner, Roman Declamation in the Late Republic and Early Empire, Liverpool 949, p. 59, ed anche p. 163. Per la topicita della tempesta airinterno dcll'epos, cf. W.-H. Friedrich, Episches Unwetter^ in Festschrift B. Snell, München 1956, pp. 77-87; M. P. O. Mprford, The Poet Lucan. Studies in Rhetorkal Epic, Oxford 1968, pp. 20-58, e* anehe per altra bibl., Labäte, // cadavere diLica, cit. p. 89, n. 5; Enc. Virg. V. l, s. v. venri, pp. 494 s. Immagini di furia marina, per fare un solo esempio dall'epos omerico, sono utilizzate a proposito di Ettore in //. 15, 617 -628 (significativo ehe Tultima parte di questo iuogo, dal v. 624, sia lodata da Ps.-Longino: cf. De suhl 10, 5 e quanto detto infra e alla n. 12). Anche nell'Eneide rimagery delja tempesta si associa facümente a situazioni belliche: la guerra puo esser detta da Virgüio diluviumy procella, tempestas (cf. Enc. Virg., rispettivamente, II, pp. 72 s. [spec. p. 73]; IV, pp. 288 s. [spec. p. 288b]; V. l, pp. 79 s.). Osservazioni utili in V. Pöschl, Die Dichtkunst Virgtls. Bild und Symbol in der Äneis, BerJin-New York 19773, pp. 24-33. Uimmagine della tempesta ricorre anche in contesti di dissidio civile: cf. Aen. l, 142-154; 7,586-594. L'aJIcgoria alcaica della nave e presupposta da Orazio anche in carm. l, 32, 5-8; 2,13,26-28.' Giä neü'antichitä si era notato il significato allegorico delle liriche alcaiche (ma si tenga presente ehe il concetto antico di allegoria si sovrappone per molti versi a quello moderno di metafora): si vedano le testimoniahze raccolte nella ediz. di E.^M. Voigt (Amsterdam 1971), p. 261, in primo Iuogo Eraclito All. 5, 5 -9 (eta primoimperiale, tra Augusto e Vespasiano); e inoltre A. Porro, Vetera Alcaica. Vesegesi diAlceo dagliAlessandrini ^ aWeta imperiale, spec. pp. 22 s.; 55; 104-111; 234 s. Sulla storica delPinterpretazione non si dubita piü: basti rimandare a S. Nicosia, Tradizionc testuale diretta e indiretta riet poeti di Lesbo, Roma 1976, pp. 153-159; W. Rösler, Dichter und Gruppe, München 1980, pp. 117-120; B. Gentili, Poesia e pubhlico nella Grecia antica, Roma-Bari 19953, spec. p. 263 (dove si troverä anche ulteriore documentazione sulla tempesta allegorica e affini: si ricordi ad es. giä Archiloco, frg. 105 W.). Nella cultura latina, come e owio, l*imitazione oraziana si sovrappöse al modello alcaico. Quintiliano cita carm. l, 14 quäle esempio di particolare allegorica: cf. 8, 6,44: navempro re publica, fluctus et tempestates pro bellis dvilibus,
Eumolpo poeta civile
129
livello stilistico e le potenzialit di resa ehe dovevano esser riconosciuti, tra le res letterarie, alla tempestas, e nell stabilire pure la sua connessione, eventualmente per via allegorica, con il tema della guerra civile. A questa classificazione nonpoteva ehe uniformarsi un poeta come Lucano, autore di un Bellum civile6. Dobbiamo credere dunque ehe le virtu belliche e <stasiotiche> della tempestas cadano inutilizzate nel testo del Satyricont Dobbiamo credere ehe il rispecchiamento tra la violenza degli elementi ehe si abbatte sulla nave e l'entusiasmo poetico di Eumolpo si limiti al furorl Cosi, la caratterizzazione di Eumolpo come poeta emulo di Alceo si limiterebbe al cap. 115? Difficilmente si sbaglia ad essere sospettosi con Petronio. Quando, pochi capitoli pi avanti, si incontra un poerrietto epico di considerevoli dimensioni, da intitolarsi probabilmente Bellum civile (capp. 119—124: cf. 118, 6: ecce bellt civilis ingens opus qnisqms attigerit), ehe ha come oggetto lo scontro tra Cesare e Pompeo, paradigma ormai quasi mitico di qualunque guerra civile, credo ehe la sospettosit venga premiata. Ecco a ehe cosa ha furiosamente lavorato Eumolpo sulla nave prossima al naufragio, ecco il carmen7 per il qu le ha rischiato la vita: dawero tra la poesia di Eumolpo e gli eventi atmosferici ehe alla creazione di essa hanno fatto da sfondo c'e un rispecchiamento pienamente uniformato al criterio del decorum. Un meccanismo narrativo facile ne permette, a breve distanza, il riconoscimento: Fattenzione e la curiosit ehe si erano concentrate sul prodotto della straordinaria ispirazione di Eumolpo sono soddisfatte dal pi straordinario inserto metrico del Satyricon — una compensazione piena, per qualunque logica di economia narrativa. Non solo, dunque, Eumolpo stesso, nella sua persona fisica, e sembrato assimilarsi alla tempesta, trasformandosi in una sorta di beluay e <muggendo> come muggisce il m re (si ricordi: ... et in terram trahere poetam mugientem)*, ma anche la scelta della res per la sua portum pro pa.ce atque concordia dicit. La ricezione e la notorieta della allegoria era molto ampia: άει οι ποιηται τάς πόλεις πλοίοις παραβάλλουσιν (Schol. Aristoph. Vesp. 29, ρ. 13 Koster). Basti rimandare al comm. di R. G. M. Nisbet-M. Hubbard, Oxford 1970, p. 180, ed anche a E. Fraenkel, Horace, Oxford 1957, p, 154, n. 2; molto di utile in E. Fantham, Comparative Studies in Republican Latin Imagery, , Toronto 1972, pp. 19-26,119,126-128,136 (e Index s. v. ). Che anche Tode oraziana debba esser letta come una allegoria appare certo: basti rimandare a Fraenkel, op. cit. pp. 154-157; e a Nisbet-Hubbard, p. 180. έ utile ricordare inoltre il noto discorso di Mecenate in Dione Cassio, 52,16, 3 s., su cui cf. pi di recente F. Della Corte, «Nave senza nocchiero in gran tempesta», «Paideia» 45,1990, pp. 135-138 (anche per ulteriore bibl.). Le connotazioni politico-civili della tempestas possono esser condensate, in una fase pi matura della produzione oraziana, nella sintesi della metafora: e il caso di un celebre luogo della I epistola del I libro: nunc agilis o et mersor civilibus undis / virtutis verae custos rigidusque satelles, / nunc in Aristippi furtim praecepta relabor / et mihi res, non me rebus subiungere conor (16-19). Ma cf. gia carm. 2, 7,15 s., con il comm, di Nisbet-Hubbard, p. 116. 6 Cf. Morford, op. cit. pp. 37—58, per lo spoglio e la discussione delle tempeste lucanee. 7 II termine puo designare, naturalmente, una composizione in versi di considerevoli dimensioni, in particolare epica: cf. TblL, III, 466, 43-57. Significato generico ha anche poema, la parola utilizzata da Encolpio: cf. Pers. l, 31 dia poemata; OLD, p. 1395, s. v. (a se stante va considerato l'uso di poema in opposizione zpoesis teorizzato da Lucilio nel celebre fraram. 338 - 347 M. = 376 - 385 K.). Uinterpretazione del Bellum come frutto dell 'ispirazione ehe invade Eumolpo a bordo della nave non sembra in gener e esser stata prcsa in considerazione dag] i Studiosi di Petronio: eppure essa doveva scmbrare naturale almeno a H. Stubbe, Die Verseinlagen irriPetron, ««Philologus» SuppL 25, 2>, Leipzig 1933, pp. 68 s., 8 L [Cfr. ora G. Mazzoli, Eumolpo multimediale, in Ars narrandL Scritti di narrativa antica in memoria di Luigi Pepe, Napoli 1996, pp. 33-53, spec. p. 38, n. 25.] * Per mugio detto del m re cf. Hon epist. 2, l, 202; ThlL, VIII, 1559,30 - 39. Armonie imitative ehe vogliano suggerire il suono cupo della tempesta non mancano, corae osserva Labate, // cadavere di Lica, cit. p. 88: cf. 115, l: MUrMUr imolitUM et slJb diaeta magUtri quasi cUpientis extre belUae gemitUM.
130
Andrea Cucchiarelii
poesia e stata quanto mai appropriata. Le implicazioni belJiche della tempestas non sono rimaste inutilizzate: la situazione di Eumolpo lo ha spinto a trattare la pi grande delle tempeste mctaforiche, quella della guerra civile. Uepos (e in particolare l'epos ) era la risposta piu naturale per un poeta trovatosi a sperimentare sulla propria persona - senza possibilita di recusatio, quindi - quella ehe, nella extra-romanzesca, e solo una metafora: l'ispirazione epica come (pericoloso) viaggio in alto m re9. Eumolpo non puo fare a meno - e qui il gioco petroniano -=· di interpretare i fenomeni, anche quelli pi catastrofici (e ehe cosi da vicinp lo riguardano), secondo schemi letterari. Il tipo del poeta entusiasta congegnato da.Petronio, cosi ben ambientato nel panorama socioculturale di eta neroniana, e rriosso da un meccanismo analogo a quello ehe, secondo una tradizione ostile e quindi dalle intenzioni fortemente satiriche, aveva animato il celebre exploit dello stesso imperatore: Nerone, di fronte all'incendio di Ronia, avrebbe recitato, ispiratissimo, una Halosis Troiae (cf. Tac. ann. 15, 39: ...pervaserat rumor ipso tempore flagrantis urbis inisse eum domesticam scaenam et cecinisse Troianum exadium, praesentia mala vetustis dadibus adsimidantem\ S et. N er. 38; Dio Cass. 62,18). Nell'interpretazione satirica l'occasione ha una forza cogente sull'ispirazione poetica10. Eumolpo, trovandosi realmente su di una nave ehe rischia di affondare, nelTinfuriare della tempesta, avrebbe voluto in qualche modo mostrarsi degno successore dei due grandi poeti <stasiotici>, Alceo e Orazio, e allo stesso tempo erede degno della tradizione epica11. Ma 9
10
u
La metafora era stata utilizzata dagli augustei all'interno del topos della recusatio: basti rimandare a H r. carm. 4,15, l -4; Prop. 3,9,3 s. (con il comm. di P. Fedeli, Bari 1985, p. 306); 35 non ego velifera tumidum m re findo carina (si notino le implicazioni <metereoiogico-callirnachee> di tumidttm). Naturalmente, e, questa, una particolare realizzazione della comunissima metafora della poesia come via, di terra ma anche di m re: si vedano i materiali raccolti da W. Wimmel, Kallimachos in Rom. Die Nachfolge seines apologetischen Dichtens in der Augusteerzeit, «Hermes» Einzelschriften 16, Wiesbaden 1960, pp. 103-111; A. Kambyiis, Die Dichterweihe und ihre Symbolik. Untersuchungen zu Hesiodos, Kallimachosf Properz und Ennius, Heidelberg 1965, pp. 155-162; Fedeli, comm. cit., ad Prop. 3, 22, pp. 134 s. Dati qucsti presupposti, e naturale ehe la , se sbattuta tra fl tti burrascosi, possa prendere la rotta dell'epos. Cio non toglie, per , ehe e molto improbabile ehe un*ode come l, 3 possa esscre interpretata allegoricamente: a Virgilio, in procinto di nel pi arduo tra i generi, quello epico, Orazio augurerebbe di non fallire, di non . έ, questa, l'interpretazione avanzata da D. A. Kidd, Virgfl's Voyage, «Prudentia» 9,1977, pp. 97-103, ripropostapi di recente da . Gomollon, Horacio, OdasI3. Para una lectura alegorica del viaje de Virgilio, «Anuari de Filologia» 15, 1992, Seccio D, Num. 3, pp. 49-55 (ehe mostra di non conoscere l'ardcolo di Kidd). Del resto anche la riflessione antica sulla letteratura riconosceva un collegamento diretto tra l'ambiente del poeta e la sua poesia. Per restare alla inventio allegorica, si pensi a quanto osservato da Eraclito sul conto di Alceo: κατακόρως εν ταΐς άλληγορίαις ό νησιώτης θαλαττεύει (All 5,9). · Tra i modelli ehe determinano il comportamento di Eumolpo e'e anche Texploit dellOvidio dei Tristia, ehe descrisse, in <presa diretta>, la tempesta abbattutasi sulla sua nave nel viaggio verso Tomi (cf. spec..imf. l, 11): e quanto sostiene Labate, // cadavere di Lica, cit; spec. p. 88 (il qu le ipotizza ehe la poesia di Eumolpo abbia come oggetto la tempesta stessa: cf., in proposito, n. 17). Si consideri in special modo 1,11,7-12: quod facerem versus interfera murmuraponti, / Cycladas Aegaeas ohstipuisseputo. //[...]//seu stuporhuicStudio sive est insania noment / omnis ab hac cura cura levata mea est (per Eumolpo, tra le due alternative, si trat- ' ta sicuramente della seconda). Ma credo ehe anche nei Tristia, come in diverso modo neue Episttilae ex Ponto, si possa idcntificare un riuso delle implicazioni alcaiche della tempesta: rimando, per questo, al mtQ // naufragio di Ovidio, «Mat. Disc.» (in corso di stampa), Uinteresse per la del personaggip di Eumolpo ehe suscita la poesia ovidiana deH'esilio non e minimo: in essa si raccontano le disgrazie di uno tra i pi grandi poeti costretto a soprawivere tra ogni difficolta - un argomento nel qu le Eumolpo non avrebbe avuto difficolta a riconoscersi.
Eumolpo poeta civile
131
Eumolpo non ricorre (non pup ricorrere) ad allegorie o metafore. Sostenitore di una esaltata estetica del sublime, sorta di St rmer ante litteram, Eumolpo si sente di intraprendere il genere letterario pi alto, l'epos guerriero12 (del resto, qu le genere meglio dell'epos puo esser tentato da un poeta ehe, di fronte alla morte, intenda lasciare ai posteri il suo grande testamento poetico?). A rendere funzionante il meccanismo narrativo del riconoscimento a distanza e una motivazione letteraria precisa ehe opera in Eumolpo, e ehe sta al lettore identificare. II grande modello alcaico si interseca con le convenzioni del genere epico, e Eumolpo non pu resistere a una cosi forte, duplice, attrazione. In chi non e poeta di professione, ma vive abitualmente nella prosa, il grande evento della tempesta produce una reazione diversa: di fronte al cadavere di Lica Encolpio reagisce con una gesrualita ehe si potrebbe dire <senecana>, accumulando topoi della letteratura consolatoria, ma neppure lui manca di variare, a modo suo, l'invenzione metaforica: si bene calculum ponas, ubique naufragium est (115, 16); Neue diverse risposte, anche letterarie (intertestuali), ehe i diversi personaggi danno alle sollecitazioni narrative, e l chiave della caratterizzazione petroniana. Non e solo per Pimpianto generale, per la selezione dell'argomento (la res), ehe gli eventi meteorologici circostanti si riflettono nella poesia di Eumolpo, ma anche per la scelta di immagini e metafore, Nel testo stesso del Bellum civile viene rispettata la connessione tra la guerra e la tempesta. Gi alPinizio del poemetto, dopo c nsiderazioni di geografia politica sull'orbe terracqueo (orbem tarn totum victor Romanus habebat, / qua m re, qua terrae, qua sidus currit utrumque [w. l s.]), Fattenzione passa ai traffici marittimi, sintomo dell'insaziabile avidita dei Romani (nee satiatus erat; gravidis freta pulsa carinis / iam peragebantur [w. 3 s.]; cf. anche w. 16 s.: fremens premit advena classes / tigris et aurata gradiens vectatur in aula). La topica dello ψόγος ναυτιλίας si connette molto naturalmente al tema della tem12
Basta pensare alle parole con cui Eumolpo introduce il Bellum dvile: ...praecipitandus est liber Spiritus, ut potius ftrrentis animi vaticinatio appareat quam religiosae orationis sub testibus fides: tanquam siplacet hie impetus, etiam si nondum recepit ultimam manum (118, 6). Qu le miglior esempio concreto per questi principi estetici se non Γένθουσιασμός ehe si impadronisce di Eumolpo sulla nave? £ in questo contesto utile ricordare di nuovo ehe proprio la similitudine omerica tra la violenza guerriera di Ettore e la furia del m re in tempesta (//. 15,624-628) e citata con ammirazione nel grande testo di rifcrimento deirestetica del sublime,, De subl. 10,5 (cf. nu 4). Non e solo Pinvasamento da cui Eumolpo e rapito a qualificarlo come esaltato poeta sublime, agli antipodi quindi della concezione platonica: anche la sua μίμησις del fenomeno, ehe lo porta ad una totale immedesimazione (egli stesso <muggisce>, come <muggisce> k tempesta: cf. n. 8), avrcbbe potuto incontrare l'ironia del Socrate platonico: cf. in special modo Rep. 3, 8, 396a-b: οΐμαι δε ουδέ μαινομένοις έθιοτέον άq>oμoιo v αυτούς [sfcii. τους φύλακας] εν λόγοις ουδέ εν εργοις· γνωοπέον μεν γαρ και μαινόμενους [...], ποιητέον δε ρύδέν τούτων ουδέ μιμητέον [...]. τί δε; ίππους χρεμετίζοντας και ταύρους μυκωμένους και ποταμούς ψοφοΰντας και Οάλατταν κτυποοοαν και βροντάς και πάντα αύ τα τοιαΟτα ή μιμήσονται... La coincidenza con l'estetica del sublime non e generica nel <manifcsto> di Eumolpo: essa si specifica nel raffronto tra 118, 6 e De stibl 13, 2: cf. G. B. Contc, Uautore nacosto, Bologna 1997, pp. 73 s.. Anche nei capitoli iniziali sono state da tempo osscrvate varie con»onanze tra le tesi sostenute da Agamennone e Encolpio e l'anonimo trattatello: cf. L. Alfonsi, Pctronio e i Teodorei, «Riv. FiloL Istr. Class.» n. s. 26, 1948, pp. 46-53; P. Cosci, Per una ricostruzione della scena iniziale delSatyricon, «Mat. Disc.» l, 1978,pp. 201-207, spec. 205-207; P. Soverini, Uproblema delle teorie retoriche epoetiche diPetronio, inAtifst. u. Niederg. d. rom. Welt, 11.32,3,1985, spec. pp. 1706- 1779, spec. p. 1717.
132
Andrea Cucchiarelli
pesta: neJla interpretazione moralistica il naufragio e il rischio al quäle il desiderio di lucro espone gli uomini13. 6 solo con il cataclisma sulle Alpi, pero, ehe viene descritto uno scatenarsi degli elementi vero e proprio (w. 187-^200) - come subito vedreino. La pertinenza delle scelte contenutistiche di Eumolpo e confermata dal Bellum dvile di Lucano, dove non poco spazio e dedicato alla grande tempesta fnarina del V librp, in cui il sovrumano ardire del tiranno Cesare da la sua prova piu grande ed erablematica (5, 504677)14: Cesare, ehe per aver sfidato temerariamente la sorte si trova su di una nave prossima al naufragio, incarna il nucleo tematico fundamentale del Bellum dvile lucaneo. Eumolpo (ehe rispetto a Lucano ha molto meno spazio a disposizione) trova anche lui il modo di raffigurare <meteorologieamente> la virtu bellica di Cesare. II Cesare di Eumolpo, gia al passaggip delle Alpi - un episodio ehe e tra i primi nella cronologia della guerra - deve fronteggiare un evento imprevisto: sotto il peso dell'esercito arrnato il ghiaccio cede, e cavalli, fanti, cavalieri sprofondano uno sull'altro, mentre su di loro si abbatte dal cielo altro ghiaccio awerso, ma in forma di grandine (w. 185-200)15. Alla morsa del gelo ehe ha attanagliato la terra e gli astri resiste, marciando a grandi passij il solo Cesare (vv. 201-204). Anche Eumolpo, dunque, come Lucano, ha il suo Cesare, incarnazione della contro Tordine degli uomini e quello degli dei16. Giunti a questo punto non si puo fare a meno di sospettare ehe la frequenza dell'uso ehe Eumolpo fa della topica de tempestate non sia dovuta esclusivamente a ragioni di pertinenza letteraria. C'e da sorprendersi ehe Eumolpo, in balia del fortunale, vada a poetare di catastrofi meteorologiche? II rispecchiamento tra la natura circostante e la poesia di Eumolpo si estende anche alla concreta testualita, oltre ehe alla scelta, <progettuale>, della res17. E il lettore del Bellum dvile puo permettersi addirittura di avanzare ipotesi generative su singoli punti del poema.
13
14
15
16
17
Ber il topos basti rimandare a Hes. Op. 236 s. (con il comm. di M. L. West, Oxford 1978, p. 216); 682 - 694; Verg. ecl 4, 32 (con il comm. di W. Clausen, Oxford 1994, p. 137); Hör. carm. l, l, 15-18; l, 3 (con la n. introduttiva. di Nisbet-Hubbard, pp. 43 s.); 2, 13, 14-16; sät. l, l, 6. Esso, forse significativamente, e riecheggiato anche in Ovidio, trist, l, 2, 75 s. (sull'importanza dei Tristia come modello per Eumolpo, cf.nn. 11,35). Lucano ritiene opportune anche dedicare una settantina di versi alPalluvione in Spagna (4, 48-120). Sui due episodi cf. Morford, op. cit. pp. 37-47 (ed anche pp. x, 30, sulla caratterizzazione del tiranno Cesare). A confcrma delJa sua rilevanza l'episodio occupa la parte centrale del Belltim. E Tamplificazione di Eumolpo e tanto piü significativa giacche räftraversamerito delle Alpi non sembra aver prcsentato cosi notevoli difficoltä: Lucano, ad es., puo liquidarlo in un verso soltanto, l, 183.'Sorprende anche ehe nclla prosecuzione del poemetto Eumolpo lasci senza conseguenze quella ehe sembrava una enorme disgrazia delTesercito cesariano, ehe cosi si svela motivata da ragioni di ordine letterario, non tanto dall'osservanza dei fatti storici. Opportunamente, quiridi, Eumolpo utilizza la topica deUa Gigantomachia, cosi appropriata a contesti di bellum civile (w. 206-208). Essa e presente anche in Lucano, 3,315-320. Si consideri quanto osservato in proposito da Morford, op. cit. p. 55: «This simile is included with storm-passages because the theme of war ' in heayen is related to the battle of the elements or of the winds: it is used.twice elsewhere by Lucan (l, 34-6; 7,144-150)». " vero, dunque, anche se non per via direttä, ehe il carmen scritto da Eumolpo sulla nave di Lica ha come oggetto la tempesta, secondo quanto gia ipotizzava Labate, // cadavere di Lica, cit. p. 88 (cf. n. 11). Ma il prodotto della fatica di Eumolpo non si e perso, era destinato a salvarsi dal naufragio - anche da quello, metaforico, della tradizipne manoscritta petroniana.
'Eumolpo poeta civile
133
Ecco un buon motivo perche il poemetto si debba aprire con uno ψόγος ναυτιλίας. Ed ecco perche quando Eumolpo deve esprimere le tristi condizioni in cui versa la plebe, va ad usare un'immagine : la plebe e come risucchiata da un duplice vortice (forse in quel momento la nave aveva fatto due giri su se stessa - siamo autorizzati ad ipouzzare): praeterea gemino deprensam gurgite fiebern / faenoris inluvies ususque exederat aeris (119, w. 51 s.)· Uimperversare del m re doveva s ggerire (o imporre?) ad Eumolpo le immagini utili per descrivere la catastrofe alpina: di la dalle fiancate c'era un referente reale assai concreto per il paragone con Yunda del m re a cui Eumolpo ha creduto opportuno ricorrere: ipsae iam nubes ruptae super arma cadebant, / et concreta geluponti velut unda ruebat (w. 199 s.). Ad Eumolpo non mancano i motivi per presentare come un paradosso il fatto ehe ai Romani in fuga dalla citta il m re potesse sembrare pi sicuro della patria: huic fuga per terras, illi magis unda probater, / et patria pontus iam tutior (w. 218 s.). E quando Eumolpo descrive la devastazione della citta di Roma - quell'affresco manieristico di Quiriti in fuga, fanciulli stretti per mano, penati occultati tra le vesti (w. 224-232) - ehe genere di similitudine ritiene opportuno usare? Quella, 'alcaico-stasiotica' con gli ultimi drammatici momenti di una nave prossima al collasso definitivo (forse, mentre Eumolpo scriveva, qualche ardimentoso faceva gli ultimi disperati tentativi di governare la nave, mentre tutti gli altri ormai si gettavano nellafuga): ac velut ex alto cum magnus inhorruit auster et pulsas evertit aquas, non arma ministris, non regumen prodest, ligat alter pondera pinus, alter tuta sinus tranquillaque litora quaerit, hie dat vela fugae fortunaeque omnia credit. (123, w. 233-237) Sembra questa similitudine denunciare di esser stata scritta nelle condizioni descritte nei capp. 114 s.: una reale tempestas si e convertita in un riuso comparativo del topos: ac velut ex alto cum magnus inhorruit auster/ [...] non arma ministris, / non regumen prodest eqs. (si noti come la negazione ripetuta riproduca — o dovremmo dire ? - la movenza di 114, 13: non arbor erat relicta, non gubernacula, non funis aut remus, eqs.)· La sollecitazione specificamente epica indotta dalla tempestas su Eumolpo si e realizzata18. Ma, inaspettatamente, Eumolpo chiude la similitudine, quasi di fretta, con un gesto autoriflessivo sorprendente: quid tarn parva queror? (v. 238). Puo un poeta informato sulle norme del decorum definire con Taggettivo paruus uno dei topoi tra i pi elevati e drammatici? Ma, d'altra parte, non aveva Eumolpo, ehe qui si chiama in causa in prima
18
£ le sollecitazioni allo scholasticus Eumolpo vengono anche dal versante intertescualc. La tempesta del cap. 114 - almeno nella descrizionc di υη altro scholasticus, il narratore Encolpio - viene infatti rappresentata in termini tipicamente virgiliani: cf. A. Collignon, Et de sur Petrone, Paris 1892, pp. 126 s.; Morford, op. cit. p. 32; P. G. Waish, The Roman Novel, Cambridge 1970, p. 37 (e, come mi fa osservare il Prof. E. A. Schmidt, al riuso di materiali virgiliani e a! conseguente innalzamento stilistico corrisponde la presenza di elementi ritmid dell'esametro epico: arbor erat, coriambo; materies ibat cumflttctibus, tetrapodia bucolica). La «risposta> di Eumolpo, se si aramette ia noscra ipotesi, consistera in un anche intertestuale: la similitudine con la tempesta ehe e contenuta nel ellum, infatti, deve molto anch'essa al modello virgiliano: basti rimandare di nuovo a Collignon, pp. cit. pp. 159 s.; Morford, op. cit. p. 32 n. 2 (cf. anche la <sinossi* di P. Grimal, La guerre avile de Petrone dans ses rapports avec la Pharsale, Paris 1977, p. 286).
134
Andrea Cucchiarclli
persona, tuttc le ragioni di (queror) la furia del märe, lui ehe, all'atto della scrittura, stava rischiando di morire affogato? Quando componeva il Bellum, dunque, Eumolpo era cosi rapito daüa süa ispirazione da non rendersi neppure conto di quanto suonasse ridicola e impropria quella sua considerazione? O forse tentava cosi di esdrcizzäre il pericolo imminente, quasi ehe esso potesse essere rifiutabile come un topos letterario?19 Anche quando Eumolpo, per magnificare la grandezza di Pompeo, concede spazio a immagim marinare, possiamo intuire il perche: gemino cttm consule Magnus, / ille tremor Ponti saevique repertor Hydaspis / etpiratarum scopulus, modo quem ter ovantem / luppiter honuerat, quem fracto gurgite Pontus / et veneratus erat submissa Bosphoros unda, / pro pudor> imperii deserto nomine fugit (w. 238-243). U poemetto, infine, si chiude con l'apostrofe della Discördia, divinitä simbolo di qualunque guerra civile, non senza ehe sia cupamente adombrato uno sconvolgimento dell'ordine naturale corrispohdente a quello dell'ordine umano (w. 264-266)20.
II tema del cataclisma finale, ehe e tra gli ingredienti delTultima parte del Bellum di Eumolpo, e presente anche nel Bellum civile di Lucano (cf. spec. 5, 620 - 624)21, cosi come la similitudine, imparentata con Pallegoria alcaico-oraziana, tra la fuga dalla citta e la fuga da una nave ehe sta per naufragare (cf. 233-239 con Lucan. l, 498-504)22. Corrispondenze tra il poemetto di Eumolpo e l'opera di Lucano -^ e chiaro - non possono esser considerate inerti. Molto, forse troppo, si e discusso sulle intenzioni del testo petroniano nei confronti del capolavoro deirepica neroniana. Credo ehe ratteggiamento piü accorto sia quello di chi ha cercato nella caratterizzazione di Eumolpo la chiäve per comprendere il poemetto2?. II Bellum civile, infatti, ehe gli si chieda di operare come parodia sprezzante di Lucano, o come impegnata correzione dei suoi <errori>, non poträ ehe risultare deludente: come e stato efficacemente detto, non e ne troppo brutto ne troppo bello; non abbastanza di cattiva quälita
19
Nella ricostruziönc di K. Müller, ehe, seguendo il suggerimento di W. Ehlers, antepone i w. 233-237 ai w. 221-232, il v. 238 si allontana dalla similitudine con il naufragio (si veda roiltima, recentissima ediz.: Stutgardiae-Lipsiae 19954). II testo fa in effetti notevole difficolta, giacche sembra, nonostante i tentativi degli editori, ehe la similitudine resti sospesa. Nel caso deirinterpretazione Ehlers-Müller, tra U commento di Eumolpo e la similitudine si ins er i r ebbe la descrizione della fuga da Koma, ehe e appunto, nella sostanza, il referente della similitudine: quid tarn parva queror*, dunque, si riferirebbe airinsieme di comparandum e comparatum> alla connessione nave/citta (e quindi naufragio/guerra civile). Lo stesso modellp generativo del Bellum sarebbe rifiutato da Eumolpo. 20 Forse, si puö azzardare, anche nel manifesto di poetica ehe precede la recitazione dei Bellum Eumolpo denuncia il suo trauma da rischtatp naufragio: sie forensihus ministeriis exerdtati frequenter ad carminis tranquillitatem tamqttam ad portum feliciorem refugerunt, credentes facilius poema cxtrtti posse quam controversüs sententiolis vibrantibuspictam [...] neqtte concipere aut ederepartum menspolest nisi ingenti flumine litterarum inundata (118, 2 s.). Non si puö non riconoscere ad Eumolpo, ehe egli ha messo in pratica il suo precctto sulla necessita di farsi , e di non considerare la poesia come un^ portus felkiort dove ci si possa godere la tranquillitas: egli quasi e affogato, in un märe fatto tutto di topica letteraria. 21 Cf. Morford, op. cit. p. 42. 22 II parallele e registrato da Morford, op. cit. p. 32, n. 2, ed e incluso nella utile <sfnossi> di Grimal, op. cit. p. 287; ma cf. gia Stubbe, op. cit. p. 140. 23 II lavoro di riferimento e il noto articolo di R. Beck, Eumolpus poeta, Eumolpus fabulator: A Study of Cbaracterization in tbe Satyricon> «Phoenix» 33,1979, pp. 239-253.
Eumolpo poeta civile
135
per apparire parodistico, ma neanche sufficientemente di buona qualitä per proporsi seriamente come esempio normative di Stile24. II vuoto di senso a cui porta questa impostazione va colmato (o, meglio, evitato, come vedremo). Tutto sta nel non voler fare del Bellum, per la sua eccezionale lunghezza rispetto alla media degli inserti metrici petroniani, un caso del tutto a se. £ sempre possibile rinvenire uria connessione con la realtä esterna del narrato nelle altre composizioni di Eumolpo, poeta per tutte le occasioni, vera personificazione dell'istanza prosimetrica ehe e a fondamento del romanzo25: qui sta il gioco petroniano. Si consideri, nella prima sequenza in cui compare Eumolpo, il poemetto ehe piü e paragonabile per impegno al Bellum, la Halosis Troiae, quei 65 senari giambici ehe non hanno mancato di suscitare analoga discussione sulle loro intenzioni (parodia del poema di Nerone sul medesimo argomento, o del giovanile Iliacon di Lucano, o del II libro ddl'Eneide? o forse critica allo Stile e ai metri di Seneca?). Non solo la Halosis Troiae - il testo lo dice esplicitamente — trova la sua occasione di performance come didascalia ai dipinti ehe Encolpio sta osservando (a dire il vero Eumolpo vuol dare rimpressione di comporre estemporaneamente: sed Video te totum in illa haerere tabula, quae Troiae halosin ostendit. itaque conabor opus versibus pandere [89, l])26. Ma si capisce anche ehe la reazione dei passanti, ehe prendono a sassate il poeta fino a costringerlo a fuggire dai portici e ad abbandonare il templum, e in qualche modo concordante con la violenta scena della presa di Troia evocata da Eumolpo. Piü di preciso, negli ultimi versi ehe il poeta ha potuto pronunciare - innesco, dobbiamo credere, della tentata lapidazione - c'e tutta la crudeltä dei Greci, profanatori proprio di sacra (hie graves alius mero / obtruncat et continuat in mortem ultimam / somnos, ab ans alius accendit faces / contraque Troas invocat Troiae sacra [89, w. 62-65]). Ad Eumolpo, dunque, venir cacciato fuori dal templum era il meno ehe potesse capitare27. In questo mettere in contrasto le ragioni della poesia con le ragioni della realtä empirica (con le ragioni della
24
25
26
27
1l modo della formulazione risale a W. Arrowsraith, in The Satyricon of Petronius, traduz. di W. A., Arm Arbor 1959, pp. 208-210: ma cf. anche R A. George, Petronius and Lucan De Bello Civili, «Class. Quart.» n. s. 24,1974, pp. 119-133, spec. p. 119; Beck, art. cit. p. 241. Altre discussioni utili (anche per la bibl.), ma fondate su interpretazioni assai diverse, in A. F. Sochatoff, The Purpose of Petronius' Bellum civile: A Reexamination, «Trans. Amer. Philol. Ass.» 93,1962, pp. 449-458;}. P. Sullivan, The Satyricon of Petronius: A Literary Study, London 1968, pp. 165-189; Walsh, The Roman Novel, cit. pp. 49 s.; Eumolpus, the Halosis Troiae, and tbe De Bello Civili, «Class. Philol.» 63,1968, pp. 208-212. Per ulteriore bibl., e per un attento bilancio della questione, rimando a Soverini, art. cit. pp. 1746-1750,1755—1771. Cf. Labate, Eumolpo e gli altri, cit. spec. p. 167: «Eumolpo non e, nel Satyricon, un personaggio come gli altri, perche ha il privilegio di riunire in se quelli ehe sonp i tratti distintivi e le diverse matrici formative dell'opera petroniana». In direzione analoga alla nostra si muove M. Coffey, Roman Satire, London 1976, p. 191: «There is no parody äs such in the Troiae halosis. Petronius' comedy is to be found in the contrast between the naturalistic setting and the pretentious preliminaries of the vagabond poet, whose vcrses in the grand manner, though not ridicuJous, are not consistently distinguishcd». Piü avanti si e spinta invece F. I. Zeitlin, Romanus Petronius: A Studyofthe Troiae Halosis and the Bellum Civile, «Latomus» 30,1971, pp. 56-82, spec. pp. 58-67. Per i meccanismi delTinvcnzione satirica, una Halosis Troiae puo esser recitata di fronte all'inccndio di un'intera citta, come fecc Nerone (v. supra): implicazione assai poco gradevole per gli uditori. Per il problcma del rapporto tra la Halosis Troiae di Eumolpo e quell a di Nerone rimando a Soverini, art. cit. p. 1761.
136
Andrea CucchiareJJi
prosa, se si prcferisce), m strand ne i rispecchiamenti e le contraddizioni, eonsiste il gioco di Petronio28. Analogamente per il Bellum civile: un lettore arrivato ormai al cap. 118 non puo non sapere come funziona il Satyricon, e, in special modo, U personaggio di Eumolpo, cosi chiaramente caratterizzatp gi al suo primo apparire. Uesperimento di Petronio e consistito nel prendere un personaggio di una cultura retorico-poetica per alcuni versi analoga a quelia ehe in Lucano trova il pi grande rappresentante, e metterlo in una situazione tale da innescare la sua produttivita letteraria. £ questo il modo con cui l'istituto romanzesco permette a Petronio di verificare il funzionamento dei meccanismi letterari. Anche il Bellum, e il contesto nel qu le esso va a porsi, dimostrano quanto sia attiva una caratteristica fondante del personaggio di Eumolpo. A lui e spesso affidato il compito di cogliere i nessi tematici tra la poesia e la prosa, e quindi, in ultima analisi, di produrre la testualita prosimetrica del Satyricon: ad Eumolpo, dunque, e demandata (almeno parzialmente) una tra le prime prerogative autoriali. Ueccezionalita del Bellum e solamente nelTenfasi ehe le dimensioni dell'inserto metrico e la finezza della tecnica narrativa pongono su di un procedimento ehe e alla radice della caratterizzazione di Eumolpo anche nel resto del Satyricon. Uetopea del letterato invasato quanto fatuo e disegnata con finezza anche in quello ehe potrebbe altrimenti sembrare un lungo inserto metrico cosi poco integrato al contesto del romanzo. Anche il Bellum, come il testo in prosa, e soggetto ai consueti meccanismi narrativi del Satyricon, e interpretabile come il risultato delTazione di un personaggio preciso, posto in una situazione precisa. La caratterizzazione petroniana non conosce fratture. Con questa interpretazione, dunque, si evita il vuoto ehe il testo oppone a chi lo interroga sulle sue intenzioni (parodistiche?) nei confronti di Lucano29. 28
II modo in cui il poemetto di Eumolpo si inserisce nel Satyricon e ancora, forse, pi fine. Come gi e stato notato, nell'episodio della pinacoteca l'istanza diegetica rimbalz dalle rappresencazioni pittorichc al contesto del narrato, in un gioco di specchi ehe riproduce meccanismi tipici del romanzo greco (cf. E. Courtney, Parody and Literary Allusion in Menippean Satire, «Philologus» 106, 1962, spec. p. 97), ma .ehe avevano avuto una memorabile realizzazione in Virgilio, Aen. l, 441-493 (dove Enea ammira una figurazione pittorica della guerra di Troia, soggetto nel qu le ha ben ragione di immedesimarsi). Ripetendo il grande modello deli'Enea virgiliano, Encolpio trova nei dipinti a tema erotico spunto per considerazioni sulla propria esperieriza personale (cf. Zeitlin, art. cit. pp. 59 S.; Conte, op. cit. pp. 22-25). Il modello virgiliano sottostante alla scena emerger poi ancor pi esplicitamentc: Eumolpo, ehe nota quanto Encolpio e attratto dal dipinto in cui e proprio la Halosis Troiae ad essere evocata (89,1), prende ad illustrare il dipinto con un poemetto ehe presuppone molto da vicino Aen. 2 (cf. Zeitlin, art, cit. p. 60). Eumolpo, dunque, pretende di gestire coscientemente la tppica del rispecchiamento tra 1'έκφρασις e il narrato (sed video te totum [...]. itaque conabor opus versibuspandere), di reinventarsi quasi novello Virgilio: dunque dawero egli incarna per sperare di aver salva la vita. 29 In Beck, art. cit. pp. 247 s., si leggono interessanti osservazioni su come il Bellum si adatti all'immediato contesto narrativo (Crotone, la citta in cui Eumolpo e gli altri stanno per entrare, e afflitta da mali in qualche modo analoghi a quelli della discordia politica). La nostra interpretazione non le esdude. Pi sottili i tentativi di il Bellum fatti da Zeitlin, art. cit. pp. 67-82. Da ricordare anche, per la cornice in cui il Bellum si inserisce, l'intervento di E. Courtney, Theocritus, Vergil, and Petronius, «Amer. Journ. Philol.» 109, 1988, pp. 349 s. Una messa a punto della problematica relativa ai due maggiori inserti metrici del Satyricon in D. Gagliardi, Petronio e il romanzo moderno. Lafortttna del Satyricon attraverso i secoli, Firenze 1993, pp. 35-41.
Eumolpo poeta civile
137
Uipotesi di cqnsiderare il Bellum civile come il prodotto della frenetica ispirazione di Eumolpo sulla nave in tempesta ha il vantaggio di presupporre un raffinato meccanismo narrativo ehe non puo stupire nel Satyricon. Ueffetto ritardato ehe Petronio, maestro dei ternpi narrativi, ha predisposto nel testo, e innescato da segnali precisi30. fc il testo stesso, con la sua , ad attivare la significazione, ad l'interpretazione: esso, infatti, mostra di prevederla, di includerla tra le proprie Strategie. Quando Eumolpo viene scoperto dai suoi compagni, l'attenzione del lettore e attratta dalla membrana ingens, quel grosso scartafaccio sul quäle il poeta sta scrivendo furiosamente, i suoi versi (attenzione sollecitata anche dal dato fonico: membranaeque INGEnti versus INGErentern)31. E quando il lettore, pochi capitoli piu avanti32, si trova di fronte a quel monstrum ehe e il Bellum civile, l'inserto metrico incomparabilmente piü lungo in tutto il romanzo, in modo molto naturale gli tornerä allä mente quella misteriosa membrana ingens, ehe lo stesso commento finale di Encolpio, cum haec Eumolpos in gen t i volubilitate verborum effudisset (124,2), sembra evocare: in un racconto, si sä, la descrizione di un'arma induce il lettore ad aspettarsi ehe con quell'arma un delitto verra commesso... E certo non ei si potrebbe stupire ehe Eumolpo sia riuscito a trarre in salvo quella membrana cosi preziosa, a cui egli ha mostrato di tenere piü ehe alla sua stessa vita33. A segnalare il collegamento sembra essere anche l'esplicita dichiarazione di Eumolpo, al momento di presentare il suo Bellum civile: tamquam siplacet hie impetus, etiam si nondum recepit ultimam manum (118,10), ehe sembra presupporre quanto detto in 115, 5: at ille interpellatus excanduit et: <sinite me - inquit - sententiam explere; laborat carmen in fine> (115, 5)34. Ci sono buone ragioni per chiamare impetus un carmen composto furiosamente nel mezzo di una tempesta, ancora necessariamente non rivistp, e per scusarsi quindi della sua imperfezione formale, appellandosi alla benevolenza delPuditore35. E di quäle suo carmen Eumolpo puo 30
31
32 33
34 33
Proprio neil'episodio della nave di Lica anche in altro modo la tccnica diegetica petroniana impiega effetti di differimento e prefigurazione: nei capp. 104, 5-105, l vengono adombrati quella tempesta e quel naufragio ehe sono il successivo anello nella catena degli eventi. Sul modo in cui e congegnata questa sezione del romanzo cf. V. Ciaffi, Struttura del Satyricon, Torino 1955, pp. 93-99; P. Fedeli, Petronio: il viaggio, il labirinto, «Mal. Disc.» 6,1981, pp. 91-117, spec. pp. 91-97. Ma si ricordi anche, piu in generale, il classico saggio di M. Barchiesi, L'orologio di Trimaldone (struttura e tempo narrativo in Petronio), in / moderni alla ricerca di Enea> Roma 1981, pp. 109-146. La stessa dimensione dell'oggetto fa pensare ad un Javoro di grande Jena, qualcosa di ben diverso rispetto ad una composizione Hrica estemporanea, qualcosa come un poema epico. Si pensi a luv. l, 4-6: inpune diem consumpserit ingens /. Telephus aut summiplena iam margine libri/saiptus et in tergo necdum finitus Orestes? (per un testo satirico grosse dimensioni del liber e genere epico tendono a sovrapporsi). Non mancano le laatnae, ma e molto improbabile ehe esse siano di estensione considerevole: cf. Ciaffi, op. cit. p, 64; H. Van Thie], Petron. Überlieferung und Rekonstruktion, JLugduni Batavorum 1971, pp. 47-49. Mentre, almeno ragionando in termini razionalistici, sembra ben difficilc ehe il naufrago Eumolpo, perso il bagaglio, abbia avuto il tempo per comporre i 295 versi del Bellum dopo J'approdo (quello ehe egli devc aver recitato alla fine del cap. 115 era un epigramma estemporaneo per il morto Lica). Considerazioni analoghc fa Stubbe, op. cit. p. 81. Analoga captatio benevolentiae e in quanto Ovidio dice ripetutamente ai lettori dei Tristia e delle Epistulae ex Ponto, opere scritte in condizioni di particolare precarieta (in proposito rimando, per una discussionc stimolantc dei luoghi in quesdone, a G. D. Williams, Banished Voices. Readings in Qvid's Exile Poetry, Cambridge 1994, pp. 50—99). Per coroprendere la di Eumolpo, e significativo ehe questo tema cmerga gia in Tristia l, ehe Ovidio dicbiara nel congcdo, l, 11, di avcr composto durante il viaggio, spesso anche nsl bei mezzo di violente tempeste: saepe ego nimbosis dubius iactabarab Haedis /...//saepe maris pars intus erat; tarnen ipse trementi / carmina ducebam qualiacumque manu (l, 11,13-18). Eumolpo, tra i
138
Andrea Cucchiarelli
dire ehe non ha ricevuto ancora l'ultima manus, se di quello ehe egli ha rischiato dawero, novello Virgilio36, di lasciare incompiuto? Le aspettattvesuscitate daHä tecnica prosimetrica vengono dilazionate, ma non disattese: quel ehe viene composto viene poi anche recitato. La curiosita del lettore (ehe cosa avrä mai scritto Eumolpo sulla navedi Lica?) e ora soddisfatta.
Se si accetta la nostra interpretazione, il meccanismo narrativo costruito da Petronio apparirä particolarmente räffinato: non solo esso ha im valore (il Bellum permette di completare con il tassello mancante la scena gia lett;a nei capp. 114 s.), ma anche <progressivo> (Pinvasamento di Eumolpo permette di comprendere megliö il süccessivo Bellum, e di inserirlo nella tessitura degli eventi.romanzeschi); II piü lungo inserto metrico del Satyricon non fa eccezione, anch'esso, come gli altri, integrato alle kitenzioni narrative del testo. Tutto e il contrario di tutto e stato detto sulla cronologia de! Bellum avile petroniano, sulle sue motivazioni in rapporto al poema lucaneo. Ma qualcosa si puo dire su quando, in ehe condizioni, e perche il Bellum avile e stato scritto - non da PetroniOj ma da Eumolpo.
cui modelli figura quello del poeta dei Tristia (e in particolare di trist, l, 11: cf. n. 11), poteva dünque pure lui come Ovidio giustificarsi dell'imperfezipne di un poema composto nel pericölo imminente di naufragio. 36 Tra i <predecessori> di Eumolpo ehe lasciarono incompiuta la loro ultima opera c'e anche Ovidio (si pensi a quanto in trist, l, 7,11 «-40, con ironia tra raalinconica e divertita, Ovidio stesso ci insista, non a caso a proposito della sua opera <maggiore>, Tepos delle Metamorfosi; cf. Beck, art. cit. p. 244, n. 20; Labate, Eumolpo e gli altri, cit. p. 161, n. 17). Entrambi i poeti, poi, non ebbero a rallegrarsi del viaggip per märe piü impor.tante della loro vita: Virgilip, ehe in conseguenza di esso si ammalo e mori; Ovidio, ehe rischio il naufragio. Di regola, del resto, il viaggio per märe e occasione facile di morte per un poeta: cosi, sembra, fu per Menandro, e cosi per il suo successore roraano, Terenzio - almeno secondo la prima tradizione conservataci da Svetonio-Donato: cf. vita Ter. p. 32 Reiff. (anche la seconda tradizione, ehe vofrebbe Terenzio morto per il dolore di aver perso in märe le sue ultime commedie [cf. ibid., p. 33], puo essere un buon precedente per il comportamento di Eumolpo, attaccato alla sua membrana ingens piü ehe alla vita stessa). E anche Orazio rischiö la vita per märe, come cgli stesso dice, ma con un'allusione non poco oscura (carm. 3, 4, 29). Considerato quanto e rilevante corae precedente per rinvenzione romanzesca questa tradizione degli accidenti occorsi ai poeti e alle loro opere, non sorprenderi, allora, ehe nelPöpera (almeno temporaneamente) dt Eumolpo ci sia anche quasi l'analogo di un tihicen virgiliano: Pultimo esametro, facturn est in terris, quicqttid Discordia iussit (295), sernbra concludere un po' troppo frettolosamente U poema, ha il sapore di un appunto prowisorio, ehe denuncia la volontä di tornarci ancora. Questa impressione ehe il verso da non deve perö motivare, in sede critico-testualc, la proposta di espunzione avanzata da Heinsius, seguito anche da l, Mössler e da A. Ernout, Paris 1922 (il quäle non sembra aver presente Heinsius [cf. Stubbe, op. cit. p. 81]): essa, infatti, rientra tra gli effetti di Icttura prcvisti dalla strategia del testo, nella sua forrna originale e genuina. ILmodo unpo* approssimativo con cui il Bellum si conclude nort · puo stupire per unOpera ehe <non ha ancora ricevuto ultima manus>. Ma'.esso e particolarmente giustificabile per un poemetto la cui composizione, secondo la nostra interprctazione, si e svolta in condizioni dawero prccarie, ed e stata interrotta dalh'ntervento di Encolpio e degli altri: il testo stesso del Bellttm sembra quindi denunciare quanto fosse motivata lä risentita esclamazione di Eumolpo: <sinite me> inquit <sententiam explere; labortf carmen in fine> (115, 4). £ stato proprio costretto, Eumolpo, a mettcre in fretta un punto fermo: e il risultato si vede.
WALTER MESCH Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie? Zu den ontologischen Voraussetzungen von Confessiones XI Die Frage nach der Zeit dürfte so alt sein wie philosophisches Fragen überhaupt. Wenn sie von Augustinus im XL Buch der Confessiones aufgeworfen wird, steht er jedenfalls inmitten einer reichhaltigen Tradition. Diese reicht von vorsokratischen Anfängen1, über Platon und Aristoteles bis zu den hellenistischen und kaiserzeitlichen Schulen, unter denen neben der Stoa vor allem der Neuplatonismus Erwähnung verdient. Und sie wurde mit Augustinus natürlich auch nicht abgebrochen, sondern findet etwa im mittelalterlichen Platonismus und Aristotelismus ihre Fortsetzung. Dessen ungeachtet ist Augustinus in unserem Jahrhundert so emphatisch gefeiert worden, als hätte er die Frage nach der Zeit überhaupt erst auf den Weg gebracht. Am bekanntesten ist Husserls Wertschätzung, der die Lektüre des XL Buches der Confessiones für unerläßlich erklärt, wenn man sich für das Zeitproblem interessiere. Doch auch Cassirer und Russell sind mit ihrem Lob kaum zurückhaltender, und selbst Heidegger hat die augustinische Untersuchung der Zeit für eine der wichtigsten gehalten, worin ihm wiederum Gadamer gefolgt ist. Ihre verschiedenen, aber durchaus verwandten Motive sind unschwer zu erkennen. Was Husserl betrifft, wird man vor allem an diephänomenologische Vorgehensweise der augustinischen Untersuchung denken müssen. Augustinus erscheint bei ihm als ein ernsthafter und tiefsinniger Denker, der phänomenalen Sachverhalten gerecht zu werden vermöge, weil er sich nicht vorschnell begrifflichen Konstruktionen anvertraue.2 Ausschlaggebend für Cassirer und Russell ist dagegen eher, daß Augustinus die Zeit nicht mehr als ein objektiv gegebenes Seiendes thematisiere, sondern diese als ein subjektives Phänomen entdecke, das im Ausgang vom Zeitbewußtsein zu analysieren sei. Für sie hat Augustinus damit ein Feld betreten, das seit Kant von der Erkenntnistheorie genauer vermessen worden ist.3 Heidegger schließlich ist vorrangig am zukitnftsorientierten 1
Die Tatsache, daß die Frage nach der Zeit bei den Vorsokratikern noch nicht ausdrücklich gestellt und erst recht noch keine Zeittheorie formuliert wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Problem der Zeit spätestens bei Parmenides ins Zentrum philosophischen Denkens rückt. Denn im berühmten Fragment 8 wird das Seiende nicht nur als «unentstanden» und «unvergänglich», sondern auch durch die Negation seiner Zeitlichkeit («es war nicht und wird nicht sein») und die Affirmation eines «Jetzt» bestimmt, in dem es «zugleich ganz» ist. Vgi. dazu M. Theunissen, Die Zeitvergessenheit der Metaphysik. Zum Streit um Parmenides, Fr. 8.$-6a, in: Ders.: Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a. M. 1991. Vor diesem Hintergrund mag schließlich sogar die Deutung des Entstehens und Vergehens durch die milesische Naturphilosophie, wie sie von Parmenides für das Seiende abgewehrt wird, als früher Beitrag zur Exposition des Zeitproblems verstandlich werden. 2 E. Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, m: Jahrbuch für Philosophie und pbänomsnologiscbe Forschung 11 (1928), S. 2. 3 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen Bd. III, Hamburg 1929, S. 194 und B. Russell, History of Western Phihsophy, London 1945, S. 353: Wahrend sich Cassirer vorrangig an Kants Transzendentalphilosophie orientiert, geht Russell sogar noch einen Schritt weiter, indem er die augustinische Kennzeichnung
140
Walter Mesch
Verständnis der Zeit gelegen, das nach Auskunft seiner Daseinsanalytik als existentiale Zukunft des «Auf-sich-Zukommens» im eigentlichen Sorgevollzug gegenüber dem ansonsten dominierenden «Gegenwärtigen» die Führung übernimmt. Und zu einem solchen zukunftsorientierten Verständnis der Zeit soll Augustinus nach Ansicht Heideggers zumindest unterwegs gewesen sein.4 Nun konnten diese Versuche, einen antiken Autor als Wegbereiter der modernen Zeittheorie verständlich zu machen, in einer eher historisch als systematisch interessierten Augustinusforschung natürlich nicht unwidersprochen bleiben. Entsprechend wurden sie auch immer wieder mit Hinweisen auf antike Diskussionszusammenhänge konfrontiert.5 Gleichwohl ist kaum zu übersehen, daß wenigstens die These von der besonderen Phänomennähe des XL Buches der Confessiones und die These von seiner Subjektivierung der Zeit auch heute noch weithin dominieren.6 Dies hängt damit zusammen, daß sie, anders als die These von seinem zukunftsorientierten Zeitverständnis, einen offensichtlichen Bezugspunkt im Text besitzen. So ist durch eine genaue Textlektüre unschwer vorzuführen, daß von einem Vorrang der Zukunft in der augustinischen Zeituntersuchung nicht die Rede sein kann.7 Eine gewisse Phänomennähe und irgendeine Form von Subjektivierung scheint ihr dagegen kaum abgesprochen werden zu können. Augustinus entwickelt seine Zeittheorie nämlich unbestreitbar in engem Kontakt mit vorphilosophischen Ansichten über die Zeit und kommt dabei ausdrücklich zu dem Ergebnis, die Zeit sei in der Seele; Außerdem weist die Rede von einer phänomenologischen Methode insofern eine konstitutive Unbestimmtheit auf, als sie zunächst kaum mehr als ein Kampfbegriff gegen begriffliche Konstruktionen und metaphysische Setzungen ist, der positiv auf ganz unterschiedliche Weise gefüllt werden kann. Auch die Rede von der Subjektivierung läßt sich so vage halten, daß sie die augustmider Zeit als eines subjektiven Phänomens für noch eindeutiger hält als die kantische. Anders als Cassirer ist er selbst freilich nicht der Auffassung, daß die Zeit wesentlich etwas Subjektives sei. 4 M. Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), S. 329. Im Falle Heideggers liegen die Dinge etwas komplizierter als bei Husserl, Cassirer und Russell, da seine Wertschätzung Augustins dadurch beeinträchtigt wird, daß letztlich auch dieser, wie die gesamte Tradition seit Aristoteles, dem sogenannten vulgären Zeitbegriff verhaftet geblieben sein soll. Dies hat allerdings Heidegger folgende Augustinusinterpreten, die um ein positiveres Verhältnis zur Tradition bemüht waren, nicht claran hindern können, bei Augustinus eine Ausrichtung der Zeitanalyse auf die existentiale Zukunft auszumachen. Zu nennen wäre hier vor allem H.-G. Gadamer, Über leere und erfüllte Zeit, in: Die Frage Martin Heideggers, Heidelberg 1969, aber auch R. Berlinger, Zeit und Zeitlichkeit hei Augustin, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 7 (1953) und U. Duchrow, Der sogenannte psychologische Zeitbegriff Augustins, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 63 (1966). 5 Vgl. vor allem K. Flasch, Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XL Buch der Confessiones. HistorischPhilosophische Studie, Frankfurt a. M. 1993, Kap. , , V und zusammenfassend S. 282. 6 Dies gilt besonders für die angebliche Phänomennähe der augustinischen Zeittheorie. Mir ist niemand bekannt, der ihr grundsätzlich widersprochen hätte. So wird sie selbst von K. Flasch eingeräumt, der allerdings zugleich darauf hinweist, daß Metaphysik in ihr präsent sei (A.a.O., S. 46). Mit ungewöhnlichem Nachdruck vertreten wurde sie zuletzt von F.-W. v. Herrmann, Augustinus und die phänornenologische Frage nach der Zeit, Frankfurt a. M. 1992. Die These von der augustinischen Subjektivierung der Zeit ist zwar umstrittener. Auch dies bedeutet aber nicht, daß sie grundsätzlich infrage gestellt würde. Strittig ist,' wie wir sehen werden, vielmehr weitgehend nur, was mit Subjektivicrung im Blick auf Augustinus genauer gemeint sein kann. 7 Vgl. hierzu vor allem E. A. Schmidt, Zeit und Geschichte bei Augustin, Heidelberg 1985. Schmidt weist zu Recht darauf hin, daß Zukunft und Erwartung in der Zeitlehre von Augustinus nach dem Modell von Vergangenheit und Erinnerung gedacht sind und daß Ewigkeit die Aufhebung der Zeit, nicht ihr Richtungssinn von der Art eines zukünftigen Zieles ist (Kap. 3 und 4).
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
141
sehe Wendung zum Begriff der Seele zumindest solange abzudecken scheint, wie ihre spezifisch modernen Implikationen nicht beächtet werden. Der Hauptgrund für die fortdauernde Dominanz der beiden Thesen ist meines Erachtens aber, daß man den ontologischen Voraussetzungen der augustinischen Argumentation nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet hat. Denn damit müßte sich die Einschätzung ihrer Methode und ihres Ergebnisses zwangsläufig ändern. Wenn die augustinische Untersuchung der Zeit keineswegs nur im Sinne irgendeiner Verwandtschaft mit anderen antiken Zeittheorien, sondern von ihrem eigenen Ansatz her nicht ohne ontologische Voraussetzungen auskommt, wird ihre Phänomennähe zumindest nicht mehr selbstverständlich sein können. Auch wer nicht pauschal jede Ontologie als phänomenfern verwerfen möchte, hätte sich vielmehr danach zu fragen, ob gerade jene Voraussetzungen, die Augustinus macht, aus der Perspektive der erfahrbaren Zeitphänomene zu überzeugen vermögen. Entsprechend könnte es kaum überraschen, daß Augustinus mit seiner Wendung zur Seele nicht zu einer rein subjektimmanenten Zeit durchdringt. Es wäre aber auch nicht gerechtfertigt, in seinem Festhalten an einer realen Zeit lediglich eine äußere und philosophisch unergiebige Grenze seiner Zeittheorie zu erblicken.8 Statt dessen müßte damit gerechnet werden, daß es sich dabei weniger um die Folge des naiven Realismus eines vorphilosophischen Bewußtseins als um die einer bestimmten Ontologie handelt. Ich möchte im folgenden ausführen, daß und inwiefern dies der Fall ist, indem ich vor allem die Aporie untersuche, auf die Augustinus mit seiner Wendung zur Seele reagiert. Wenn irgendwo, so muß nämlich hier, in der Exposition der Schwierigkeit, die das weitere Prozedere bestimmt, deutlich werden, ob er zu Recht für seine phänomenologische Vorgehensweise gerühmt wird, ob bei ihm von einer Subjektivierung der Zeit gesprochen werden kann, oder ob er nicht vielmehr von ontologischen Voraussetzungen ausgeht, die diese Thesen fragwürdig erscheinen lassen. Bevor ich mich diesen Fragen der Reihe nach zuwenden kann, muß die augustinische Aporie und ihre Stellung innerhalb der Untersuchung der Zeit bereits in Grundzügen deutlich sein. Sehen wir uns also zunächst einmal an, worin diese Aporie überhaupt besteht. I
Nach Augustinus zeigt sich an der Art und Weise, wie wir über die Zeit sprechen, daß wir sie für etwas Ausgedehntes halten. Wir nennen sie nämlich «lang» oder «kurz» und teilen dadurch mit, wie groß uns ihre Ausdehnung erscheint (18)9. Wenn wir genauer sind und die Zeit messen, vergleichen wir zwei Zeiten miteinander und können nunmehr sagen, um wieviel eine bestimmte Zeit länger oder kürzer ist als eine andere (21). Auch diese alltägliche Praxis der Zeitmessung ist offenbar nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Zeit etwas Ausgedehntes ist. Nun sieht es aber so aus, als könne die Zeit gar keine Ausdehnung besitzen. Denn einerseits ist die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht, so daß die Zeiten, denen wir eine Ausdehnung zuschreiben, wie z. B. eine lange vergangene Zeit von 8
Dies ist eine generelle Tendenz in der Debatte um die augustinische Subjektivierung der Zeit. Vgl. etwa JL Gloy, Die Struktur der Augustinischen 2*ittheorie im XJ. Buch der Confessiones, in: Phil. Jahrbuch 95 (1988), S. 73/74. * Ich zitiere Conf XI der Einfachheit halber nur nach den arabischen Textnummern und ohne die Kapitelangabe in römischen Ziffern.
142
Walter Mesch
vor hundert Jahren, eigentlich gar nicht sind, und folglich auch keine Ausdehnung besitzen können (17). Andererseits besitzt gerade die Zeit, die demgegenüber als die eigentlich seiende zu betrachten wäre, die Gegenwart, keine Ausdehnung. Dies zeigt sich nach Augustimis an der Möglichkeit, die Gegenwart in immer kleinere Abschnitte zu teilen, von denen nicht alle ganz gegenwärtig sind. Augustinus führt dies vor, indem er, von hundert gegenwärtigen Jahren ausgehend, die angebliche Gegenwart durch Wiederholung der Frage, was an ihr ganz gegenwärtig («totus praesens») sei, zunächst auf ein Jahr, dann auf einen Monat, einen Tag, eine Stunde einschränkt. Schließlich behauptet er, daß selbst dann die Ausdehnung der Zeit nicht verständlich wird, wenn wir in ihr etwas erkennen, das zu Recht Gegenwart genannt werden kann, weil es nicht mehr weiter teilbar ist. Denn «dies fliegt so rasch (ita raptim) aus der Zukunft in die Vergangenheit hinüber, daß sie sich zu keiner noch so kleinen Dauer dehnt.» (20) Was dies genau bedeutet, ist deswegen nicht ganz klar, weil Augustinus nicht ausdrücklich sagt, wie er zu jener unteilbaren Gegenwart gelangt. Man könnte vermuten, daß er einfach davon ausgeht, man könne am Ende jener fortschreitenden Teilung auf etwas Unteilbares stoßen. Damit wäre jedoch die Möglichkeit einer Teilung ins Unendliche geleugnet, was dem Grundgedanken der zenonischen Paradoxien zuwiderliefe,10 auf den die aügustinische Teilung in ihrer Vermittlung durch die Skeptiker11 letztlich zurückgehen dürfte. Es ist deshalb nicht unwichtig, daß Augustinus lediglich davon spricht, die Ausdehnung der Zeit sei auch dann nicht verständlich zu mächen, wenn man in ihr etwas erkenne («intellegitur»), das nicht geteilt werden könne. Denn damit ist immerhin die Möglichkeit gegeben, den augustinischen Gedanken so zu interpretieren, daß er der Möglichkeit einer unendlichen Teilung, auch wenn diese für ihn nicht entscheidend sein sollte, zumindest nicht widerspricht. Folgt man der aristotelischen Darstellung, hatte Zenon nämlich gerade jene unendliche Teilbarkeit so gedeutet, daß sich aus ihr das aktuale Sein einer unteilbaren Gegenwart ergibt.12 Außerdem mag man sich fragen, warum Augustinus die Unausgedehntheit jener Gegenwart nicht einfach der Tatsache entnimmt, daß sie unteilbar ist, und statt dessen von ihrem schnellen Verfliegen «aus der Zukunft in die Vergangenheit» spricht, was eine Zeit unterstellt, um deren fragwürdiges Sein es doch geht. Klar ist, worauf Augustinus damit abzielen dürfte, nämlich auf eine nicht ganz ausgeführte Analogie der unteilbaren Gegenwart als eines bloßen Zeitpunkts zu Punkten im Raum. Es kommt aber darauf an, die Analogie zwischen einem Zeitpunkt und einem räumlichen Punkt richtig und d. h. vollständig aufzufassen. Denn natürlich kann bei einem Zeitpunkt nicht nach seiner räumlichen, sondern allein nach seiner zeitlichen Ausdehnung, also nach seiner Dauer, gefragt werden. So wie Punkte keine räumliche Ausdehnung besitzen, wäre jenen Zeitpunkten nach Augustinus also auch jede Ausdehnung in der Zeit, d. h. jede Dauer, abzusprechen.13 10 11 12
13
Vgl. dazu etwa DK 29, B2 und 3. Sextus Empiricus, Adverstts MathematicoSj X3,182 - 84. Nach Aristoteles ist diese Deutung freilich falsch, weil sie die Differenz von potential und aktual Unendlichem übersieht, und entsprechend fälsch ist die daraus abgeleitete Leugnung der Kontinuität der Zeit (Physik Z9), da Kontinuität seiner Ansicht nach gerade darin liegt, daß in immer weiter Teilbares geteilt werden kann (Phys, 2l, 231 b 15). Vgl. R. Ferber, Zenons Paradoxien der Bewegung und die Struktur von,. Raum und Zeit, München 19952, S. 32. Auch daraus ergibt sich recht betrachtet eine Konsequenz von weitreichender Bedeutung. Könnte eine Gegenwart nämlich stillstehen wie ein räumlicher Punkt, wäre sie zwar nicht mehr als ein Punkt der beständig vergehenden Zeit zu verstehen, müßte aber doch zumindest eine quasi-zeitliche Ausdehnung besitzen.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
143
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als bestünde die Aporie darin, daß das Sein und die Ausgedehntheit der Zeit nicht zur Deckung zu bringen sind. Augustinus hat in seiner Zusammenfassung der Aporie selbst diesen Eindruck erweckt. Denn so, wie er es dort darstellt, sollen Vergangenheit und Zukunft Ausdehnung besitzen, aber nicht sein, die letztlich punktuelle Gegenwart dagegen sein, aber keine Ausdehnung besitzen (20). Offenkundig greift eine solche einfache Aufteilung aber zu kurz. Für die Vergangenheit und Zukunft ist dies im Grunde bereits deutlich geworden. Denn zu bestreiten, daß sie sind, bedeutet natürlich auch zu bestreiten, daß sie ausgedehnt sein können. Und so kritisiert Augustinus denn auch unseren Sprachgebrauch, durch den wir Vergangenem und Zukünftigem eine Ausdehnung unterstellen (18). Wir reden zwar so, als besäßen sie eine Ausdehnung. Da sie für sich genommen nicht als seiend zu betrachten sind, muß aber vermutet werden, daß sie nur ausgedehnt sein können, wenn ihnen ihre Ausdehnung wie ihr Sein vermittelt durch die Gegenwart zukommt. Es bleibt von daher gar nichts anderes übrig, als auch die Gegenwart nach ihrer Ausdehnung zu befragen. Nun läßt sich aber in jener Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte der Sprachgebrauch bestätigen, der ihr nach Augustinus jede Ausdehnung bestreitet (18). Und deshalb muß nun umgekehrt auch ihr Sein fragwürdig werden. Hat die Gegenwart keine Ausdehnung, so kann sie gegenüber Vergangenheit und Zukunft auch nicht mehr als der eigentlich seiende Teil der Zeit betrachtet werden. Die Gegenwart erweist sich als etwas, das von einem bloßen Umschlagspunkt von Zukunft in Vergangenheit nicht mehr zu unterscheiden ist. Während das Nichtsein von Vergangenheit und Zukunft definitiv ausschließt, daß sie ausgedehnt sein können, muß der Unausgedehntheit der Gegenwart, wenn schon nicht ihr Nichtsein, so doch zumindest ein bloßes Minimum, an Sein14 entsprechen. Damit ist klar, worin die berühmte Zeitaporie des Augustinus besteht: Angesichts des Alltagswissens von der Zeit, wie es in unsere Praxis der Zeitmessung eingeht und in unserem Sprachgebrauch zum Ausdruck kommt, bleibt uns einerseits gar nichts anderes übrig, als die Zeit für etwas Ausgedehntes zu halten. Andererseits gelingt es uns aber nicht zu erklären, inwiefern die Zeit tatsächlich etwas Ausgedehntes ist. Kurz: wir messen die Zeit, obwohl sie offenbar gar keine Ausdehnung besitzt. Und deshalb wird sogar fragwürdig, ob die Zeit überhaupt ein Sein besitzen kann. Ebendiese Aporie motiviert nun auch die Wendung zur Seele. Augustinus reagiert mit ihr nämlich in zwei Schritten auf die beiden angesprochenen Aspekte der Aporie. Zunächst wirft er die Frage auf, ob die Zeit überhaupt sei, und versucht sie dadurch beantwortbar zu
14
Auf diese Weise wird bereits bei Augustinus das Motiv für eine Unterscheidung greifbar, die erst von Boethius in De Trinitate IV ausdrücklich herausgearbeitet und von da an für die Tradition bestimmend wurde: die Unterscheidung zwischen einem laufenden Jetzt (nunc currens), das die Zeit, und einem stehenden Jetzt (nunc stans), das die Ewigkeit macht (facit). Die Rede von einem «Minimum an Sein», von der im folgenden noch ausgiebig Gebrauch gemacht wird, unterstellt in keiner Weise, dies sei bereits hier ausdrücklich betont, daß die punktuelle Gegenwart doch irgendeine mysteriöse Ausdehnung besitze, sondern rechnet lediglich damit, daß sie nach Augustinus bloß deshalb, weil ihr ein bleibendes Sein abzusprechen ist, nicht in gar keiner Weise sein kann. Und dies ist sicher überzeugend. Man konnte etwa mit Hegel sagen, daß ihr Sein im Übergang in ihr Nicht-Sein (und, wie gegenüber Augustinus zu ergänzen wäre, im Übergang ihres Nicht-Seins in ihr Sein) zu sehen ist. Vgl. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, II, §§ 258,259. Wie wir noch sehen werden, hat Augustinus zwar gerade mit dem Denken dieses Übergangs Schwierigkeiten. Dennoch ist festzuhalten, daß er der punkruellen Gegenwart nicht abspricht, daß sie ist, sondern nur, daß sie ausgedehnt ist, weshalb sie natürlich auch nicht mehr der seiende Teil einer (ausgedehnten) Zeit sein kann (20).
144
Walter Mesch
machen, daß er danach fragt, wo sie sei, denn irgendwo müsse sie ja sein, um überhaupt sein zu können. Seine Antwort auf diese Frage ist natürlich, die Zeit sei in der Seele, und zwar deshalb, weil Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nichts anderes wären als ein gegenwärtiges Erinnern von Vergangenem, ein gegenwärtiges Erfassen von Gegenwärtigem und ein gegenwärtiges Erwarten von Zukünftigem. Auf dieser Grundlage fragt er dann genauer, was die Zeit sei, indem er sich erneut ihrer Meßbarkeit zuwendet und ihre dafür zu unterstellende Ausgedehntheit zu bestimmen versucht.15 Dabei gelangt er zu der Ansicht, die Zeit sei eine Ausdehnung des Geistes (distentio animi) und eben dadurch auch meßbar. Gemessen werden könnten nämlich nur die Affektionen, die die vorübergehenden Dinge und Ereignisse im Geist bewirkten, und nicht diese selbst, weil die Affektionen im Gedächtnis eingeprägt blieben, wenn die sie bewirkenden Dinge und Ereignisse längst vergangen seien. Halten wir also fest: Die augustinische Untersuchung der Zeit ist in zwei Schritte gegliedert, die eindeutig durch die eingangs ausgeführte Aporie bestimmt sind. Und im Zentrum dieser Aporie steht eine sukzessive Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte, die auf das Postulat einer bloß punktueUem Gegenwart führt, welche als solche keinerlei Ausdehnung besitzt.
II
Vor diesem Hintergrund ist es nunmehr möglich, danach zu fragen, ob diese Teilung wirklich so unmittelbar einleuchtend und phänomenorientiert ist* wie üblicherweise unterstellt wird. Sehen wir uns einmal genauer an, wodurch sie motiviert ist. Es ist offenkundig nicht unmittelbar die Frage nach der Ausdehnung der Gegenwart, sondern die Frage, ob eine vermeintliche Gegenwart wirklich gegenwärtig im Sinne von ganz gegenwärtig ist, wodurch ihre Teilung in immer kleinere Abschnitte auf den Weg gebracht wird (19). Dies mag für unproblematisch gehalten werden, sieht es doch so aus, als wäre in der Frage nach der Ganzheit der Gegenwart lediglich nach dem Gegenwärtigsein der Gegenwart, man könnte vielleicht noch deutlicher sagen: nach ihrem bleibenden Gegenwärtigsein, und insofern auch nach ihrer Ausdehnung gefragt.16 Doch ist dies wirklich so unproblematisch? Wie mir scheint, hängt dies einzig und allein davon ab, was mit der Ganzheit der Gegenwart bzw. 15
16
R-W. v. Herrmann hat a.a.O., S. 62 zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Zweiteilung der augustinischen Untersuchung dem Ursprung nach aristotelisch ist (An. Post. Bl, 89b 29; Phys. 4, 202b 35). Augustinus folgt Aristoteles allerdings auch darin, wie er den Zusammenhang dieser beiden Teile auffaßt. Bereits Aristoteles hatte damit gerechnet, daß man von Anfang an zumindest ein äußerliches Wissen davon haben muß, was etwas ist, um die Frage, ob es ist, stellen und beantworten zu können. Dabei dächte er vorrangig an die Ansichten und Meinungen, wie sie in unserem vorwissenschaftlichen Sprechen greifbar sind (An. Post. B8 - 10). Bei Augustinus ist dies offenkundig nicht anders. Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, daß auch nach seiner Darstellung die Frage, ob die Zeit sei, nur zu stellen ist, weil ein vorläufiges Wissen davon, was sie ist, bereits vorliege. Es handelt sich hierbei natürlich um die Ansicht, die Zeit müsse irgendeine Ausdehnung besitzen, wie sie sich in unserem alltäglichen Sprechen manifestiere. Augustinus selbst scheint dies jedenfalls so gesehen zu haben. Dies zeigt 'besonders folgende Stelle in Kapitel 19: «Ergo nee annus, qui agitur, totüs est praesens, et si non totus est praesens, non annus est prae-t sens.» Und seine Interpreten sind ihm hierin fast ausnahmslos gefolgt. Eine Ausnahme ist C. W. K. Mundle, Angnstine's pervasive crror concerning time, in: Philosoph/ 41 (1966), der im Anschluß an W. James behauptet, daß unsere Gegenwart durchaus eine Ausdehnung besitze und Augustinus deshalb sowohl für seine «punctiform present assumption» wie für seine «only the present cxists assumption» kritisiert.
Augustmus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
145
dem Bleiben, durch das sie zustande gebracht werden könnte, genauer gemeint ist. Denn einmal kann die fragliche Ganzheit so aufgefaßt werden, wie sie sich in der Zeit zu verwirklichen vermag, nämlich als sukzessive Ganzheit, und dann wäre mit ihr tatsächlich nach nichts anderem gefragt als nach dem Gegenwärtigsein jener Gegenwart, die mit Augustinus ein Teil der Zeit genannt werden könnte. Wir hätten eine Ganzheit, die dadurch zustande käme, daß die Gegenwärt nicht nur beständig in Vergangenheit vergeht, sondern auch beständig aus Zukunft entsteht, also im Vergehen oder besser noch als Vergehende bleibt, weil sie sich darin beständig erneuert. Die Ganzheit, nach der Augustinus fragt, ist dagegen so wenig eine sukzessive Ganzheit, als auf der Suche nach ihr, wie wir gesehen haben, jede Sukzession und damit das einzige, durch das der Zeit eine Ausdehnung zukommen kann, zielstrebig eliminiert wird. Augustinus fragt also offenbar nach einer Ganzheit in der Gegenwart und entsprechend nach einem Gegenwärtigsein, das sich nicht sukzessiv entfaltet und deshalb in der Zeit zunächst auch überhaupt nicht vermutet werden dürfte. Worin aber könnte eine solche Ganzheit bestehen? Angesichts des begrifflichen Rahmens, innerhalb dessen die augustinische Untersuchung der Zeit durchgeführt wird, muß wohl davon ausgegangen werden, daß hier an eine Ganzheit gedacht ist, wie sie paradigmatisch jener idealen Totalität zukommt, die Augustinus selbst als aeternitas, Ewigkeit, bezeichnet. Denn das temporale Merkmal der Ewigkeit, d. h. jenes Merkmal, durch das sie sich unter Zuhilfenahme zeitsprachlicher Bestimmungen von der Zeit unterscheiden läßt, ist nach seiner der Zeitabhandlung vorausgeschickten Erläuterung des göttlichen Schöpfungswortes nichts anderes als das «alles zugleich und immer» («simul ac sempiterne omnia», 9). Vor allem aber wird dieses Immer der Ewigkeit, welches darin begründet ist, daß es in ihr kein Entstehen und Vergehen, also auch kein Nacheinander, sondern nur ein reines Zugleich gibt, da sie «steht» («semper stantis aeternitatis»), von Augustinus durch ebendie Bestimmung erläutert, die er bei der zeitlichen Gegenwart vermißt: «Eine lange Zeit besteht nur aus vielen kurzen Zeiten, die vorübergehen und nicht zugleich sein können. Im Ewigen aber vergeht nichts, dort ist das Ganze gegenwärtig (totum esse praesens), während keine Zeit ganz gegenwärtig ist.» (13) Auch wenn eine solche Bezugnahme auf die Ewigkeit innerhalb einer Untersuchung der Zeit auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, spricht also einiges dafür, daß Augustinus mit seiner Frage nach der Ganzheit der Gegenwart auf eine Ganzheit zielt, die zumindest im strikten Sinne nur der Ewigkeit zukommt, nämlich auf eine allumfassende Ganzheit bzw. Totalität von Gegenwart, die durch Simultaneität gekennzeichnet ist. Gleichwohl drängen sich wenigstens zwei Bedenken gegen eine solche Interpretation auf. Erstens mag man sich fragen, wie Augustinus auf den Gedanken verfallen sein kann, die Ewigkeit als eine Form von Gleichzeitigkeit zu denken, wenn doch Gleichzeitigkeit eine Relation in der Zeit und damit gerade nicht Ewigkeit zu sein scheint. Zweitens sieht es so aus, als könne Gleichzeitigkeit gerade dann, wenn sie, auf welche Weise auch immer, als Bestimmung der Ewigkeit verständlich zu machen wäre, nicht mehr sinnvoll innerhalb der Zeit zu suchen sein. Beide Bedenken hängen offenkundig zusammen, weil in beiden aus unterschiedlicher Richtung nach der Bedeutung jenes ominösen «simul» gefragt ist. Versuchen wir diese verständlich zu machen. Was das erste Bedenken betrifft, so ist zunächst einmal davon auszugehen, daß Augustinus, sofern er «simul» als Bestimmung der Ewigkeit gebraucht, nicht an die zeitliche Relation denken kann, die etwas als gleichzeitig mit etwas anderem bestimmt, wie wir dies im Ausgang von seiner umgangssprachlichen Bedeutung erwarten mögen. Wie das obige Zitat zeigt, meint Augustinus vielmehr, daß Zeiten
146
Walter Mesch
grundsätzlich nicht zugleich sein können, sondern nur das, was «in der Ewigkeit» ist. «Simul» meint hier also nicht, daß (wenigstens) zwei Dinge, Ereignisse oder Personen, insofern dieselbe Zeitspanne einnehmen, als sie weder (ganz) früher noch später sind* sondern sich (wenigstens) in einem Zeitpunkt überschneiden. Gemeint ist vielmehr eine absolute Negation jedes Früher und Später, wie es sich auch für Zeitpunkte daraus ergibt, daß sie vergehen, und damit auch eine Negation des zeitlichen Sinns von Simultaneität als bloßer Gleichzeitigkeit^ Auf welche Weise eine solche absolute und deshalb auch schlechthin allumfassende Simultaneität positiv zu bestimmen sein sollj ist freilich keineswegs einfach zu sehen. In den Confessiones bleibt, wie mir scheint, sogar zweifelhaft, ob wir sie überhaupt einzusehen vermögen. Offenkundig ist es nämlich Gott und nur Gott, dem nach Augustinus eine zeitlose Simultaneität zugeschrieben werden kann. Zwar könnten wir einsehen, daß dies deshalb so ist, weil alles außer Gott von Gott geschaffen worden sei und die Schöpfung der Welt, von der die Bibel in Genesis 1,1 spreche, auf keinen Fall als zeitlicher Vorgang gedeutet werden dürfe (12-16). Ja zur Einsicht, die Augustinus sucht (5), indem er den alttestamentarischen Schöpfungsbericht aus der Perspektive des Prologs zum Johannesevangelium interpretiertj würden wir sogar von Gott gerufen (9). Augustinus betont aber auch, daß unser Wissen im Vergleich zum göttlichen Ignoranz bedeute (6). Und dies dürfte letztlich daran liegen, daß wir in unserer Zeitgebundenheit als ebenso «inkomparabel» mit Gott einzuschätzen sind, wie Augustinus es für Zeit und Ewigkeit ausdrücklich behauptet (13). Obwohl bei Augustinus, wie häufig zu Recht betont worden ist,17 nicht mit einer schematischen Differenz von Glauben und Wissen gerechnet werden darf, wird von hier .aus doch verständlich, weshalb Augustinus die zeitlose Simultaneität der göttlichen Ewigkeit nirgendwo wirklich posith bestimmt hat.18 Dies ist um so bemerkenswerter, als Augustinus mit dem Rückgriff auf eine solche Simultaneität natürlich in einer neüplatonischen Tradition steht, deren Vorgeschichte über Platon bis auf Parnienides zurückreicht. Denn für diese Tradition ist zwar kennzeichnend, daß zeitsprachliche Bestimmungen wie «zugleich» oder «immer» im Blick auf die Ewigkeit nur aufgegriffen werden, um das eigentlich Gemeinte gerade in der Negation dieses zeitlichen Sinns aufscheinen zu lassen. Dies bedeutet aber nicht, daß diese Negation für die Neuplatoniker das einzige wäre, wodurch Ewigkeit verständlich gemacht werden könnte. So ist Ewigkeit etwa für Plotin das energetische Sein bzw. Leben des Geistes, sofern dieser als von der zeitlich verfaßten Seele unterschieden werden muß.19 Und von die17 18
19
K. Flasch, Augustm, 19942, S. 314 ff. Vgl. hierzu vor allem De trinitate XV, wo Augustinus, nach einer Zusammenfassung der Bücher I bis XIV, durch die er über «mancherlei Arten von Dreiheiten gewissermaßen stufenweise bis zum menschlichen Geiste» gelangt war (2,3), den er dann von der Dreiheit des Gedächtnisses, der Einsicht und des-Willens ausgehend als Bild Gottes interpretiert hatte (3,5), sich nun endlich um die .göttliche Dreieinigkeit selbst bemüht (4,6 ff.). Denn auch hier wird im Anschluß an Paulus, Römerbrief ,20, betont, daß wir die göttliche Dreieinigkeit nur in diesem Bilde einzusehen vermöchten. Ja, selbst dann, wenn wir ihn nach l Joh. 3,2 «sehen werden, wie er ist», könnten wir und unser Wort Gott niemals gleichkommen. «Immer ist nämlich die geschaffene Natur geringer als die schaffende» (16,26). Und dies bedeutet für die menschliche ' Einsicht, wie Augustinus zu betonen nicht müde wird, daß sie sich grundsätzlich nicht aus sich, sondern nur durch Teilnahme an der göttlichen Weisheit verwirklichen kann. Vgl, z. B. Conf. XI, 8,10; De Irin. XIV,. 12,15. Vgl. Plotin, Enneade III 7,3,37: «So ergibt sich also als die Ewigkeit, die wir suchen: das am Seienden sich vollziehende im Sein seiende Leben, das zugleich ganz ( ) und erfüllt und gänzlich unausgedehnt ist.» (Zitiert nach der Übers, von W. Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt a. M. 198l3.)
Augustinüs als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
147
sem ontologischen Fundament aus versucht er nicht nur zu erläutern, was Ewigkeit in ihrer Differenz zur Zeit ausmacht, sondern auch, inwiefern sie, wie schon der platonische Timaios vorführte, als Vorbild der Zeit zu denken ist.20 Wenn wir uns nun dem zweiten Bedenken zuwenden, so zeigt sich, daß dieser platonische Zusammenhang von Ewigkeit und Zeit für das Verständnis der augustinischen Aporie von entscheidender Bedeutung ist. Wir haben gesehen, daß Augustinüs hier nach einer Ganzheit fragt, wie sie im strikten Sinne nur der Ewigkeit aufgrund ihres «alles zugleich» zukommt. Welchen Sinn sollte es nun aber haben, die Ewigkeit in der Zeit zu suchen? Ist doch von vornherein klar, daß es ein absolut zeitloses Zugleich innerhalb eines zeitlichen Zusammenhangs gar nicht geben kann. Die Antwort ist verhältnismäßig einfach. Wenn die Suche nach der ganz gegenwärtigen Gegenwart schon nicht zur Entdeckung einer Ewigkeit in der Zeit fuhren kann, so führt sie doch zur Entdeckung der einzigen zeitlichen Gegenwart, die zumindest als Abbild der Gegenwart jener immer stehenden Ewigkeit wirklich Gegenwart genannt zu werden verdient: nämlich jenem bloßen Zeitpunkt, in dem die Teilung zu einem Ende käme, weil Vergangenheit und Zukunft vollkommen aus ihm eliminiert wären. Dies unterstellt natürlich, daß die stehende Gegenwart der Ewigkeit und jenes bloß punktuelle Gegenwärtigsein trotz aller Differenz in gewisser Hinsicht auch Ähnlichkeiten aufweisen. Bei der von Augustinüs behaupteten Unvergleichlichkeit von Zeit und Ewigkeit kann es sich also recht betrachtet nicht um eine vollständige handeln. Es mag richtig sein, daß Augustinüs die Differenz zwischen Vorbild und Abbild wesentlich mehr betonen mußte als die Platoniker, weil er als christlicher Denker die Welt als Schöpfung aufzufassen und deshalb Gottes Transzendenz gegenüber der Welt zu sichern hatte. Wie sein Blick auf die zeitliche Gegenwart zeigt, bedeutet dies aber offenkundig nicht, daß die platonische Vorbild-Abbild-Relation in der Aporie der Confessiones keinerlei Rolle mehr spielte. Vielmehr liefert hier gerade das, was schöpfungstheologisch problematisch erscheinen muß, den entscheidenden Zusammenhang. Und ebendann zeigt sich umgekehrt, wie wir noch genauer sehen werden, daß Augustinüs in der Herausarbeitung seiner Aporie nicht mehr von einer schöpfungstheologischen, sondern von einer ontologischen Perspektive geleitet ist.21 Als Abbild der ewigen Gegenwart muß die zeitliche Gegenwart die Charakteristik
K 21
Vgl. auch die dort gegebene Erläuterung: « ist Terminus für das abstandlose ( ) Zusammen oder Ineinander, die teillose Einheit und Ganzheit des Seins von Ewigkeit. Es meint das raumlose und zeitlose Zugleich. [...] Die Benennung der Ewigkeit als zeitloses Ineinander oder Zugleich ist ontologisch durch das integrierende wirken des Geistes ermöglicht, in dem ein Element zugleich das Ganze seines Seins ist.» (S. 177) Natürlich liegt in der plotinischen Erläuterung absoluter Simultaneitat, wie sie von Beierwaltes angedeutet wird, auch ein Moment der Negation, durch das die Ewigkeit als Zeitlosigkeit von der Zeit unterschieden wird. Sofern die Ewigkeit im energetischen Sein des Geistes ihr ontologisches Fundament hat, ist sie letztlich aber im Ausgang von diesem verständlich zu machen. Es ist deshalb zu betonen, daß die negative Bestimmung der Ewigkeit für Plotin nicht unhintergehbar ist und deshalb auch nicht einfach mit der Problematik der negativen Henologie bzw. Theologie identifiziert werden darf. Was Platon betrifft, sei auf den Artikel des Verfassers, Die ontologische Bedeutung der Zeit in Platons Timaios, iru T. Calvo/ L. B rissen (edd.), Interpreting the Timaeus - Ccidas, Sankt Augustin 1997, verwiesen. Zu Parmenides, der anders als Platon und Plotin noch nicht ausdrucklich von Ewigkeit spricht, vgl. Anm, 1. Platon, Timaios 37d 6; Plotin, Enneade III 7,11,20. Dieser Zusammenhang ist auch vbn Autoren, die wie J. Guitton, Le temps et l*eternite chez Plotin et S. Augustin, Paris 1933, oder E. P. Meijering, Augustin über Schöpfung, Ewigkeit und Zeit, Das XL Buch der Bekenntnisse, Leiden 1979, die Bedeutung des Begriffes der Ewigkeit für Augustinüs erkannt haben, nicht deutlich genug herausgearbeitet worden, da sie sich damit zufriedengegeben haben, ihn in der Schöpfungsproblematik zu verorten und seine Bedeutung für die Zeit im Ausgang davon zu bestimmen.
148
Walter Mesch
ihres Vorbildes zwar wiedererkennbar, aber keineswegs unvermindert enthalten. Dies wäre jedenfalls die Ansicht einer platonischen Bildertheorie, wie sie nicht nur in der platonischen oder plotinischen Bestimmung der Zeit zum Ausdruck kommt,22 sondern auch von Augustinus wenigstens gelegentlich vertreten worden ist.23 Wie also ließe sich der Abbildungszusämmenhang zwischen der Ewigkeit und jenem bloßen Zeitpunkt mit Augustinus erläutern? Nun, entscheidend ist, was wir schon mehrfach betont haben, daß nämlich einerseits nur die Ewigkeit als eine Gegenwart aufgefaßt wird, die immer steht, und deshalb ganz gegenwärtig im Sinne eines zeitlosen Zugleich ist, andererseits aber auch die bloß punktuelle Gegenwart in der Zeit als ganz gegenwärtig zu gelten vermag. Daß sie nicht im selben Sinne ganz gegenwärtig sein kann wie die Ewigkeit, versteht sich von selbst. Denn ihr Gegenwärtigsein liegt einzig und allein darin, daß sie als bloß gegenwärtiger Zeitpunkt jede Vergangenheit und Zukunft vollständig aus sich ausschließt, während der stehenden Gegenwart ein zeitloses Immer zuzusprechen ist. Worin besteht dann aber die Ganzheit ihres Gegenwärtigseins? Da es ein zeitloses Zugleich ist, das für die Ganzheit der stehenden Gegenwart aufkommt, liegt es nahe, zu vermuten, daß die Ganzheit auch im Falle der zeitlichen Gegenwart durch ein Zugleich verbürgt wird. Doch auch dieses muß natürlich ein anderes Zugleich sein als das zeitlose der Ewigkeit. Damit ist klar, daß hier an das zeitliche Zugleich im Sinne der Gleichzeitigkeit zu denken ist, das für die Ewigkeit zurückzuweisen war. Wenn auch ein gegenwärtiger Zeitpunkt ganz gegenwärtig sein kann, so deshalb, weil alles, das in diesem Zeitpunkt gegenwärtig ist, nicht in ein zeitliches Früher oder Später auseinanderfällt, sondern gleichzeitig ist. Auch in diesem gegenwärtigen Zeitpunkt hätten wir eine simultane Ganzheit, wenn auch eine im Vergleich zur Ewigkeit außerordentlich arme. Wir hätten eine simultane Ganzheit, bei der der Akzent insofern ganz auf der Simultaneität im Sinne bloßer Gleichzeitigkeit liegen würde, als sie allein durch eine vergangenheits- und zukunftseliminierende Reduktion des Inhalts jener Ganzheit zustandegekommen wäre, und nicht eine Ganzheit, die schlechthin alles zeitlos zugleich besitzt, wie die Ewigkeit. Wir hätten also zwar eine simultane Ganzheit, nicht aber eine simultane Totalität. Wir hätten sogar eine ganz äußerliche Ganzheit des simultan Vorliegenden, da Simultaneität hier nur Gleichzeitigkeit bedeutet und Ganzheit sich entsprechend darin erschöpft, daß mindestens zweierlei zeitlich unteilbar im selben Zeitpunkt vorliegt.24 Dies ändert aber nichts daran, daß von hier aus verständlich wird, wie auch unsere zeitliche
22 23
24
Eine Ausnahme ist K. Flasch, der das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit a.a.O. als «ontologischen Aspekt» der augustmischen Untersuchung der Zeit erläutert (S. 212). Sein Kommentar zu den Passagen, in denen Augustinus die Zeitaporie entfaltet, erkennt diesen ontologischen Aspekt aber nicht als deren entscheidenden Hintergrund, sondern spricht in Bezug auf die Teilung der Gegenwart lediglich von einem «Spiel der Skeptiker», was zwar nicht falsch, aber auch nicht ausreichend ist (S. 349). Zur platonischen Bildertheorie vgl. Sophistes 240a. Vgl. De genest ad litteram imperf. lib. 13, wonach die Zeit gleichsam eine Spur der Ewigkeit (vestigium aeternitatis) zu sein scheine (38). Man könnte versucht sein, diese Ganzheit innerhalb eines Zeitpunkts anspruchsvoller aufzufassen und sie · gewissermaßen als Momentaufnahme eines Zustands der gesamten Welt zu befrachten. Die Schwierigkeit dabei ist, daß nicht klar ist, wem dieser Zustand überhaupt gegenwärtig sein, könnte. Denn der Mensch könnte einen solchen Gesamtzustand der Welt sicher nicht wahrnehmen und wohl kaum anders denken als in Gestalt eines inhaltsleeren Modells, wie es der hier angestellten Erwägung zugruhdeliegt, und Gott brauchte diesen Zustand zumindest nicht als solchen zu denken, da dieser in seinem Denken in die Totalität der Ewigkeit aufgehoben wäre.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
149
Gegenwart nach Augustinus wenigstens im erläuterten defizienten Sinne ganz gegenwärtig zu sein vermag. Nur wenn man dies in Betracht zieht, wird verständlich, was sonst rätselhaft bleiben müßte, die Tatsache nämlich, daß Augustinus bei der Herausarbeitung der Teilung, wie sich gezeigt hat, überhaupt nicht danach fragt, ob in ihr wirklich an ein Ende zu kommen ist oder nicht. Dies ist insofern nicht unwichtig, als durchaus die Ansicht vertreten werden kann, daß gerade in einem infiniten Fortgang der Teilung deutlich würde, wie wenig die Gegenwart von der Ausdehnung zu trennen ist. Besäße doch jede Gegenwart, die weiter geteilt werden könnte, notwendig auch eine Ausdehnung, und solange die dabei durchlaufene Unendlichkeit nicht als aktual Unendliches fixiert würde, hätte man sich auch vor den Paradoxien Zenons nicht zu furchten. An all dem ist Augustinus allerdings offenkundig überhaupt nicht interessiert. Er reduziert nämlich die Probleme, die mit einer fortschreitenden Teilung verknüpft sind, auf folgendes Gedankenexperiment: «Könnte man etwas an der Zeit sich vorstellen, was in keine, aber auch nicht die geringsten Teile geteilt werden kann, dann wäre dies das einzige, was «gegenwärtig» heißen sollte.» (20) Es geht Augustinus um das «einzige, was «gegenwärtig heißen sollte», wohlgemerkt, was so heißen «sollte». Und dies bedeutet, daß es ihm hier nicht nur um das geht, was wir üblicherweise «Gegenwart» nennen, sondern auch um die wahre Gegenwart, genauer gesagt: um die wahre Gegenwart in der nur scheinbaren. Ihre Teilung benötigt er insofern, als sie zu zeigen erlaubt, daß die sogenannte Gegenwart nur eine scheinbare ist, weil in ihr allenfalls jener Zeitpunkt mit Recht gegenwärtig heißen könnte. Und dies zeigt sie natürlich nur, wenn bereits feststeht, was als wahre Gegenwart zu gelten hat. Die wahre Gegenwart ist die stehende Gegenwart der Ewigkeit. Bei ihr handelt es sich um eine allumfassende Ganzheit, die durch zeitlose Simultaneität gekennzeichnet ist, d. h. um eine Ganzheit, die keine Ausdehnung in eine Sukzession benötigt, um sich zu realisieren. Jener Teil der Zeit, den wir üblicherweise Gegenwart nennen, besitzt demgegenüber eine Ausdehnung, und gerade deshalb stellt er nur eine scheinbare Gegenwart dar. Vor diesem Hintergrund brächte es also gar nichts, durch eine ins Unendliche gehende Teilung vorführen zu wollen, daß die Gegenwart über eine Ausdehnung verfügen muß. Denn diese Ausdehnung wäre eben nur die Ausdehnung einer scheinbaren Gegenwart, so wie bereits die Gegenwart von hundert Jahren, von der Augustinus in seiner Teilung ausgeht, eine bloß scheinbare Gegenwart ist. Interessant ist für Augustinus nur, ob das einzige, das in der sogenannten Gegenwart mit Recht gegenwärtig genannt werden könnte, nämlich jener gegenwärtige Zeitpunkt, auch für die der 2.eit zugeschriebene Ausdehnung aufzukommen vermag. Wie wir gesehen haben, ist dies nach Augustinus nicht der Fall, und zwar deshalb nicht, weil auch jener gegenwärtige Zeitpunkt vergeht, seine Gegenwärtigkeit also nicht bleibt. Dies ist der Grund dafür, daß die Zeit in Confessiones XI nicht unmittelbar als Abbild der Ewigkeit betrachtet werden kann. Trotzdem sollte die augustinische Bezugnahme auf die Ewigkeit in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Denn, um es noch einmal zu sagen, ohne sie könnte er seine Aporie überhaupt nicht herausarbeiten, weil ohne sie jener Zeitpunkt gar nicht als das einzige, das in der Zeit wenigstens in einem defizienten Sinne ganz gegenwärtig ist, zu isolieren wäfe. Daß die Zeit demnach nicht unmittelbar das Abbild der Ewigkeit sein kann, ändert also nichts daran, daß die nur punktueli ganze Gegenwart Abbild der vollkommen ganzen Gegenwart ist. Wie wir noch sehen werden, ist dies vielmehr umgekehrt die Bedingung dafür, daß Augustinus in der Wendung zur Seele zumindest eine innerseelische Ausdehnung jener punktuellen Gegenwart und damit eine durch den
150
Walter Mesch
Rückgang zur Seele vermittelte Variante der platonischen Abbild lieh keit von Zeit und Ewigkeit aufzuweisen vermag. Wieso hat man dies dann aber nicht gesehen und das Vorgehen von Augustmus statt dessen so eingeschätzt, als sei er gewissermaßen in begrifflicher Unschuld allein am Phänomen der Zeit orientiert? Kaum jemand wird behaupten wollen, daß die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte bis hin zu einem bloßen Zeitpunkt in unserer Zeiterfahrung irgendeine Rolle spielte. Gleichwohl muß an ihr etwas sein, das aus der Perspektive unserer Zeiterfahrung eine große Überzeugungskraft besitzt. Ich vermute, daß es sich dabei um die suggestive Wirkung jener Dreiteilung der Zeit in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft handelt, wie sie bereits bei Homer begegnet*5, in der rhetorisch-grammatischen Tradition zum Lehrbestand verfestigt wurde26 und von dort aus nicht nur Einfluß auf das Zeitdenken des Rhetorikprofessors Augustinus gewinnen, sondern allgemein herrschend werden konnte. Die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte ist nämlich in einer ersten Näherung auch als ein Versuch verständlich zu machen, jene vorgegebene Dreiteilung konsequent zu Ende zu denken. Wird in ihr die Gegenwart doch immer weiter von Resten der Vergangenheit und Zukunft befreit und schließlich behauptet, daß die reine Gegenwart nichts anderes sein könne als eine völlig vergangenheits- und zukunftsfreie Gegenwart. Aus dieser Perspektive mag es tatsächlich so aussehen, als sei das augustinische Ergebnis unmittelbar aus der phänomenalen Charakteristik der Zeit geschöpft. Dies ist allerdings ein Irrtum, und zwar deshalb, weil die Zeit, wie sie in unserer Zeiterfahrung greifbar wird, keineswegs so Jkonsequent dreigeteilt ist, wie jene fixierten Kategorien aus der Grammatik und Rhetorik es suggerieren. Eine reine Gegenwart, die völlig vergangenheits- und zukunftsfrei wäre, gibt es in unserer Zeiterfahrung überhaupt nicht. Vielmehr erfahren wir die Gegenwart so, daß ihre Grenzen zu Vergangenheit und Zukunft unscharf sind. Darauf wird anläßlich der Subjektivierungsthese noch genauer zurückzukommen sein. Jedenfalls ist bereits hier festzuhalten, daß zumindest die Erläuterung jener gängigen Sicht durch Augustinus eine begriffliche Konstruktion darstellt. Denn, wie wir gesehen haben, gewinnt er die Annahme einer bloß punktuellen Gegenwart in der Orientierung an jener zeitfreien Gegenwart, wie er sie im Ewigkeitsbegriff denkt. Zu betonen ist allerdings, daß damit allein noch nichts über das Recht einer solchen Konstruktion ausgemacht sein kann. Mit dem Nachweis einer Inanspruchnahme der Ewigkeit bei der Herausarbeitung jener bloß punktuellen Gegenwart läßt sich für Augustinus vielmehr lediglich bestätigen, was man auch bei anderen Denkern lernen kann, denen man eine im weitesten Sinne phänomenologische Orientierung nicht wird absprechen wollen: selbst Begriffe, die im Ausgang von phänomenalen Beschreibungen gewonnen werden, verdanken sich nie allein den phänomenalen Gegebenheiten, weil diese Begriffe mitsamt dem Kontext, in dem sie stehen, schon bei deren Beschreibung am Werke sind. Recht verstanden kann diese bekannte hermeneutische Wahrheit keineswegs bedeuten, daß ein phänomenorientiertes Denken grundsätzlich eine Chimäre ist, sondern nur, daß die Überzeugungskraft eines Denkens angesichts von Phänomenen sich darin beweist, wie gut es diese durch seine Begriffe verständlich zu' machen vermag. In unserem Fall bietet sich vor allem der Vergleich mit Aristoteles an. Denn einerseits verfügt bekanntlich schon Aristoteles in seinem «v\3v» über den Begriff einer bloß" 25 26
Ilias A 70. Vgl. etwa Aristoteles, Rhetorik A3,1358b 12.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
151
punktuellen Gegenwart, andererseits führt dieser bei ihm offenkundig nicht in eine Aporie, die allein durch eine Wendung zur Seele überwunden werden könnte. Die begriffliche Konstruktion einer bloß punktuellen Gegenwart scheint also durchaus in den Dienst einer Rekonstruktion unserer Zeiterfahrung gestellt werden zu können. Dies setzt freilich voraus, daß das Verständnis der punktuellen Gegenwart gegenüber dem, was wir bislang bei Augustinus auffinden konnten, entscheidend modifiziert wird. Denn offenkundig könnte Augustinus allenfalls einräumen, daß es eine punktuelle Gegenwart in unserer Zeiterfahrung insofern nicht wirklich gibt, als diese beständig verfliegt. Wie seine Aporie gerade vorführt, reicht dies aber nicht, um im Rückgriff auf eine punktuelle Gegenwart unsere Erfahrung einer sukzessiven Ganzheit zeitlicher Gegenwart verständlich zu machen. III
Wie wir gesehen haben, ist die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte, durch die er seine Zeitaporie herausarbeitet, keineswegs so unmittelbar einleuchtend und phänomenorientiert, wie üblicherweise angenommen wird. Untersuchen wir nun in einem weiteren Schritt die fast ebenso prominente These, er habe in seiner Wendung zur Seele, mit der er auf diese Aporie reagiert, die Zeit subjektiviert. Es bietet sich an, zu diesem Zweck zunächst einmal danach zu fragen, in welcher Richtung angesichts der von Augustinus herausgearbeiteten Aporie überhaupt eine Antwort auf die Frage nach der Zeit zu erwarten wäre, und von daher vorbereitend in den Blick zu bringen, inwiefern eine Subjektivierung hierfür als hilfreich erscheinen könnte. Was zu leisten wäre, um die Aporie zu überwinden, ist unschwer zu erkennen. Nachdem klar geworden ist, daß das Vorverständnis von der Zeit als etwas Ausgedehntem nur zu bestätigen sein kann, wenn ihr diese Ausdehnung wie ihr Sein vermittelt durch die Gegenwart als ihrem einzig seienden Teil zukommt, diese Gegenwart sich aber als etwas Unausgedehntes, nämlich als ein bloßer Zeitpunkt, erwiesen hat (I), könnte die Überwindung der Aporie nur darin liegen, daß die Gegenwart nun doch als etwas Ausgedehntes bzw. als eine sukzessive Ganzheit erwiesen würde. Dabei dürfte man freilich nicht in Widerspruch zu den Gründen geraten, welche die Aporie in der Orientierung am Vorbild der Ewigkeit herauszuarbeiten erlaubten (II), weil sonst nicht eine vorliegende Aporie gelöst, sondern bestritten würde, daß man überhaupt in eine Aporie geraten war. Erforderlich ist also auf jeden Fall ein Perspektiven Wechsel, der dasselbe Problem in ein neues Licht zu rücken erlaubt, und zwar so, daß einerseits verständlich bleibt, wie es zu der vorliegenden Aporie kam, und sich andererseits doch auch abzeichnet, auf welcher Grundlage die bislang fehlende Ausdehnung bzw. sukzessive Ganzheit der Gegenwart zu ergänzen wäre. Fragt man sich, inwiefern dieser Perspektivenwechsel in einer Subjektivierung der Zeit bestehen-könnte, liegt es nahe, an Husserl zu denken, der sich im Zusammenhang mit seiner phänomenologischen Beschreibung des inneren Zeitbewußtseins ausführlich mit diesem Problem auseinandergesetzt hat. Husserl geht davon aus, daß die sukzessive Ganzheit der Gegenwart nicht erläutert werden kann, wenn man ihre Bezeichnung als einen «Teil» der Zeit allzu wörtlich nimmt. Wäre die Gegenwart tatsächlich als ein einzelner Teil der Zeit zu isolieren, so könnte es eine sukzessive Ganzheit der Gegenwart nämlich gar nicht geben. Andererseits darf die Gegenwart ihrer Differenz zur Vergangenheit und Zukunft auch nicht völlig beraubt werden. Man mag deshalb bezweifeln, daß eine sukzessive Ganzheit der
152
Walter Mesch
Gegenwart überhaupt verständlich zu machen ist. Nach Husserl handelt es sich hier freilich um eine phänomenologische Gegebenheit, und was hier gegeben ist, läßt sich seiner Ansicht nach so beschreiben, daß neben einer jeweils gegenwärtigen Wahrnehmung, die er als «Urimpression» bezeichnet, eine sogenannte «Retention», in der eine vergangene Wahrnehmung festgehalten und im Festhalten modifiziert wird und eine sogenannte «Protention», in der sich das Bewußtsein auf eine künftige Wahrnehmung ausrichtet, voneinander unterschieden werden. Entscheidend ist dabei, daß Retention und Protention insofern zur gegenwärtigen Wahrnehmung selbst gehören, als jede Urimpression auf der Grundlage einer sogenannten «retentionalen Modifikation» einer früheren Urimpression und im protentionalen Ausgriff auf eine spätere Urimpression erfolgt.27 Retention und Protention sind damit anders als Wiedererinnerung und Erwartung keineswegs eindeutig als Bewußtsein von Vergangenem bzw. Zukünftigem zu bezeichnen. Sie sind vielmehr ein Bewußtsein von Jüngstvergangenem und Geradebevorstehendem, das zu jeder gegenwärtigen Wahrnehmung als solcher gehört. Und eben dadurch kommt der gegenwärtigen Wahrnehmung umgekehrt eine Sukzessivität zu, die nicht aus ihr auszuschließen ist, weil sie ihr Gegenwärtigsein mitkonstituiert. Retention und Protention besitzen damit natürlich eine Uneindeutigkeit, die mit den von Husserl bereitgestellten Mitteln, wie seine Kritiker immer wieder eingewandt haben,28 nicht zu beseitigen ist. Vor allem anhand des Beispiels einer Melodie gelingt es ihm aber durchaus, einleuchtend zu machen, daß gerade in diesem Mangel an Eindeutigkeit ihre eigentliche Stärke liegt. Denn eine Melodie hört man eben nur dann, wenn sie weder in ein reines Nacheinander von Tönen auseinandergerissen, noch in das reine Zugleich eines Akkordes zusammengeschoben wird, sondern im jeweils erklingenden Ton die früheren noch mitklingen und die späteren bereits anklingen. In dieser Hinsicht scheint mir Husserls These überzeugend zu sein. Eine andere Frage ist dagegen, inwiefern sein Versuch überzeugen kann, die Konstitution realer Zeit im Rückgang auf die subjektive Immanenz des inneren Zeitbewußtseins nachvollziehbar zu machen. Meines Erachtens muß bereits seine Orientierung an bestimmten Wahrnehmungen, wie dem Hören einer Melodie, fragwürdig erscheinen lassen, daß etwa seine Erläuterung der sukzessiven Ganzheit der Gegenwart allein durch eine bewußtseinsimmanente Beschreibung zu erzielen ist. Grundsätzlich wäre danach zu fragen, wie Husserls These, daß der intentionale Bezug des Bewußtseins auf seine Objekte in der transzendentalen Epoche nicht einfach zum Verschwinden gebracht, sondern lediglich seine «natürliche Thesis» eingeklammert würde,29 mit der Auffassung dieses Immanenten als eines völlig gewissen absoluten Seins zusammenpaßt.30 Dies kann hier selbstverständlich nicht geleistet werden. Ich möchte deshalb betonen, daß Husserls Beschreibung der sukzessiven Ganzheit der Gegenwart durch die Integration von Retention und Protention in die gegenwärtige Wahrnehmung auch unabhängig von seinem transzendental-phänomenologischen Credo einzuleuchten vermag. Wenn wir auf diesem Umweg zu Augustinus und der These von seiner Subjektivierung der Zeit zurückkehren, mag es nicht mehr überraschen, daß behauptet worden ist, er ziele darauf ab, eine sukzessive Ganzheit der Gegenwart, wie wir sie eben im Anschluß an 27 28 29 30
E. Husserl, An O., S U/S 24. Vgl. etwa M. Frank, Zeitbewußtsein, Tübingen 1990, S. 59 ff. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie undphänomenologischvn Philosophie I, § 31. Ideen I, § 44 und § 46.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
153
Husserl skizziert haben, als das Wesen der Zeit herauszustellen.31 Naheliegend erscheint dies insofern, als das Beispiel, anhand dessen Augustinus seine Theorie im wesentlichen erläutert, das Vortragen eines Liedes ist, was allein schon eine gewisse Nähe zu Husserls Hören einer Melodie herstellt. Obendrein erläutert Augustinus den Vortrag so, daß durch die gegenwärtige Aufmerksamkeit (attentio) die Erwartung seines noch zukünftigen Teils (expectatio) schrittweise in die Erinnerung an seinen bereits vergangenen Teil (memoria) überführt werden soll (38). Es sollte aber nicht übersehen werden, daß Augustinus zwischen Retention und Wiedererinnerung nicht unterscheidet. Augustinus hat hier allem Anschein nach keine wesentliche Differenz gesehen. Man sollte sich deshalb danach fragen, warum dies so ist, statt Husserls Theorie einfach in Augustinus hineinzulesen. Meines Erachtens liegt die Antwort auf der Hand. Die husserlsche Differenz von Retention und Wiedererinnerung konnte für Augustinus keine Rolle spielen, weil er die Erinnerung grundsätzlich als eine Form von Bildbewußtsein verständlich zu machen versuchte. Wer sich an etwas erinnert, dem sind nach seiner Auffassung, wie sie in der Memoria-Analyse des X. Buches der Confessiones entwickelt (8) und in der Zeitaporie des XL Buches aufgegriffen wird (23), zwar nicht die vergangenen Dinge bzw. Ereignisse selbst gegenwärtig, wohl aber die Bilder, die sie wie Spuren im Geiste zurückgelassen haben, als sie selbst noch gegenwärtig waren. Und damit gibt es für Husserls dramatische Differenz zwischen dem erinnernden Festhalten von eben noch Gegenwärtigem und dem erinnernden Vergegenwärtigen von längst Vergangenem gar keinen Ansatzpunkt. Auch von Jüngstvergangenem besitzen wir unter dieser Voraussetzung eben nichts anderes als ein Bild. Die These, Augustinus habe in seiner distentio-animi-Theorie Husserls Retention und Protention bereits vorweggenommen, ist deshalb außerordentlich fragwürdig.32 Nicht zu bestreiten ist allerdings, daß Augustinus die Sukzessivität, die er in der Darstellung seiner Zeitaporie aus der Gegenwart und damit aus der Zeit überhaupt eliminiert hat, wieder in die Gegenwart einführen muß, wenn die Ausdehnung und das Sein der Zeit verständlich werden soll. Und nicht zu bestreiten ist auch, daß dies seiner Ansicht nach durch die berühmte Wendung zur Seele geleistet wird. Daß es sich hier um eine Subjektivierung der Zeit handeln kann, die mit Husserls Reduktion der realen Zeit auf die Immanenz reiner Zeiterlebnisse auch nur in der Tendenz übereinstimmen würde, ist aber bereits angesichts des eben Gesagten fragwürdig genug. Denn einmal ist für diese Wendung mit dem bei Augustinus ausgemachten Bildbewußtsein eine Auffassung der Erinnerung greifbar geworden, die, wie noch genauer herauszuarbeiten sein wird, nicht nur einer husserlschen Differenz von Retention und Wiedererinnerung, sondern auch seiner Reduktion realer bzw. objektiver Zeit auf die Immanenz subjektiver Erlebnisse eindeutig widerspricht. Zum anderen darf, wie wir bereits gesehen haben, die Orientierung an der stehenden Gegenwart der Ewigkeit, die in der Herausarbeitung der Aporie leitend war, in der augustinischen Wendung zur Seele nicht einfach aufgegeben werden, wenn in ihr nicht einfach das Thema gewechselt sein soll. Um die eliminierte Sukzessivität doch noch verständlich zu machen, bleibt Augustinus deshalb nur ein Ausweg. Die einfache Berücksichtigung der Gegenwart, wie sie am Anfang steht, ist durch eine doppelte zu ersetzen, und zwar so, daß 31 32
F.-W. v. Herrmann, A.a.O., S. 198. Im Grunde hat v. Herrmann dies selbst eingestanden, indem er auf Husserls Kritik an der augustinischen Auffassung verweist, nach der die Erinnerung als Bildbewußtsein verstandlich zu machen sei (A.a.O., S. 153).
154
Walter Mesch
die eine Perspektive auf die Gegenwart die anfängliche Bezugnahme auf die Ewigkeit beizubehalten erlaubt, während die andere deren Eliminierung von Vergangenheit und Zukunft aufzufangen vermag. Wie die auffällige Verdopplung der Perspektive auf die Gegenwart in den von Augustinus gewählten Formulierungen zeigt, soll dies und vermutlich nur dies durch seine viel zitierte Wendung zur Seele geleistet werden. Ich zitiere die entscheidende Passage: «Es gibt drei Zeiten, die Gegenwart von Vergangenem, die Gegenwart von Gegenwärtigem und die Gegenwart von Zukünftigem. Denn diese drei sind in der Seele in einem gewissen Sinne und anderswo finde ich sie nicht: die Gegenwart des Vergangenen als Erinnern, die Gegenwart des Gegenwärtigen als Anschauen, die Gegenwart des Zukünftigen als Erwarten.» (26) Augustinus spricht hier einerseits von einer Gegenwart, gemäß der sich Gegenwärtiges vom Vergangenen und Zukünftigen unterscheidet, andererseits aber auch von einer Gegenwart, die Gegenwärtigem, Vergangenem und Zukünftigem gleichermaßen zukommt. Bei dieser zweiten Gegenwart handelt es sich offenkundig um das bislang noch nicht ausdrücklich berücksichtigte Gegenwärtigsein von etwas in der Seele. Natürlich stehen diese beiden Gegenwarten nicht unverbunden nebeneinander. Eine bloße Verdopplung der Gegenwart wäre ja auch völlig unergiebig. Vielmehr soll die erste Gegenwart durch ihr Gegenwärtigsein in der Seele mit der Vergangenheit und Zukunft verbunden werden können, die ebenfalls in ihr gegenwärtig sind, und eben dadurch jene ausdehnungsgerterierende Sukzessivität von Gegenwart verständlich machen, die in der Aporie unverständlich geblieben war. Dies bedeutet aber keineswegs, daß von der Gegenwart dabei nicht aus zwei unterschiedlichen Perspektiven die Rede wäre. Fragt man nämlich danach, was es bedeutet, daß in der Seele etwas Gegenwärtiges und nicht etwas Vergangenes oder Zukünftiges gegenwärtig ist, kann man dies nicht mehr als ein bloßes Gegenwärtigsein in der Seele verständlich machen. Denn auch Vergangenes und Zukünftiges sollen in der Seele gegenwärtig sein. Um verständlich zu machen, daß im Unterschied dazu etwas Gegenwärtiges in der Seele gegenwärtig ist, bleibt deshalb nichts anderes übrig, als auf jene Gegenwart zu verweisen, deren Differenz zur Vergangenheit und Zukunft gesichert ist, weil sie Vergangenheit und Zukunft aus sich ausschließt, und die letztlich mit jenem Zeitpunkt zu identifizieren ist, der sich als das zeitliche Abbild der stehenden Gegenwart der Ewigkeit erwiesen hatte. Das Vorbild der Ewigkeit als einzig wahrer Gegenwart bleibt in der augustinischen Wendung zur Seele also erhalten. Gegen diese Darstellung mag sich ein Einwand aufdrängen. Es sieht nämlich so aus, als bliebe immerhin noch die Möglichkeit zu sagen, wenn etwas Gegenwärtiges der Seele gegenwärtig sei, so bedeute dies einfach, daß sie anschaue, und nicht nur erinnere oder erwarte. In bezug auf die Vergangenheit und die Zukunft mag eine solche Erklärung auf der Grundlage der innerseelischen Gegenwart und ihrer Differenzen, wie sie in Erinnerung und Erwartung greifbar werden, auch ausreichend sein. Denn, wie Augustinus kurz vor der zitierten Wendung zur Seele noch einmal mit Nachdruck versichert: Zukünftiges und Vergangenes sind nicht. Eben deshalb soll die Behauptung, es gebe drei Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ja auch nicht «im strengen Sinne» zutreffen. Für die Gegenwart kann dies aber' offenkundig nicht im selben Sinne gelten. Denn sie war nicht nur von Anfang an als der eigentlich seiende Teil der Zeit im Blick. Vielmehr wurde sie auch in der Aporie als ein Umschlagspunkt von Zukunft in Vergangenheit bestätigt, dem zumindest ein Minimum an Sein nicht abzusprechen war. Angesichts der Unmöglichkeit, dieser Gegenwart eine Ausdehnung zuzusprechen, mochte dies zunächst nicht besonders wichtig erscheinen. War doch
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
155
allein damit nicht verstandlich zu machen, inwiefern es sich bei ihr nicht nur um den eigentlich seienden Teil der Zeit handeln könnte, sondern auch um jenen, der für ihre Ausdehnung aufzukommen hätte. Trotzdem ist damit ein Ansatzpunkt gegeben, ohne den die augustinische Wendung zur Seele unmöglich wäre. Denn das Modell, das der Vergangenheit und Zukunft wenigstens eine innerseelische Gegenwart zuzuschreiben erlaubt, funktioniert nur, wenn jene fundamentalere Gegenwart, die darin besteht, daß etwas Gegenwärtiges im Anschauen gegenwärtig ist, nicht ebenso vom Anschauen abhängig ist, wie die Vergangenheit und Zukunft vom Erinnern und Erwarten, wenn also zumindest ihr ein minimales Sein auch unabhängig von der Seele zukommt* Dies liegt einfach daran, daß eine Abbildtheorie ohne Urbild undenkbar ist. Gerade weil für die Vergangenheit und die Zukunft behauptet wird, daß sie nur als Bilder gegenwärtig sind, kann dies für die Gegenwart nicht ebenso behauptet werden. Es ist zwar durchaus anzunehmen, daß nach Augustinus auch bei der Anschauung von Gegenwärtigem innerseelische .Bilder eine gewisse Rolle spielen. Auszuschließen ist allerdings, daß in der Anschauung von gegenwärtigen Dingen oder Ereignissen nur deren Bilder gegenwärtig sind. Im Falle der Gegenwart müssen vielmehr notwendig auch jene Dinge oder Ereignisse selbst gegenwärtig sein. Auch der Hinweis darauf, daß streng genommen selbst in diesem Fall nur die Bilder der Dinge oder Ereignisse und nicht diese selbst in der Seele gegenwärtig sein könnten, ändert überhaupt nichts am grundlegenden Befund. Es ist nämlich darauf zu bestehen, daß auch unter dieser Voraussetzung Bilder von Gegenwärtigem und Bilder von Vergangenem und Zukünftigem noch zu unterscheiden sein müssen, und ihr bloßer Charakter als Bilder kann dafür sicher nicht aufkommen. Vielmehr muß in einer aktuellen Wahrnehmung, auch dann, wenn die wahrgenommenen Dinge oder Ereignisse nicht selbst in der Seele gegenwärtig sein können, sondern nur deren Bilder, dem Wahrnehmenden doch deutlich sein, daß diese Bilder von gegenwärtigen Dingen oder Ereignissen stammen. Und genau davon geht die augustinische Auffassung vom Wesen der Wahrnehmung auch aus.33 Die grundlegende Bedeutung von «Gegenwart», die vor der Wendung zur Seele leitend war, bleibt in dieser Wendung also auf jeden Fall weiter im Spiel. Im Grunde muß man sogar sagen, daß mit diesem innerseelischen Gegenwärtigsein gar keine neue Gegenwart zu jener Gegenwart eines bloßen Zeitpunkts hinzugetreten ist, sondern nur der trivialen Tatsache Rechnung getragen wird, daß eine Gegenwart immer jemandem gegenwärtig sein muß. Erst angesichts der Notwendigkeit, Ganzheit und Sukzessivität der Gegenwart so zusammenzudenken, daß sie als ausdehnungsgenerierend verständlich wird, kann diese Trivialität so wichtig werden, daß es sich für Augustinus lohnt, eigens auf sie hinzuweisen. Eröffnet sie 33
Besonders ausfuhrlich wird dieser Zusammenhang von Augustinus in De trinitate XI diskutiert. Deutlich wird dabei vor allem, daß aus der Unmöglichkeit eines innerseelischen Gegenwärtigseins von wahrgenommenen Körpern als solchen für Augustinus keineswegs folgt, daß wir eigentlich nur ihre Bilder wahrnehmen, wie man etwa mit Descartes annehmen könnte. Vielmehr geht Augustinus zu Recht davon aus, daß wir die Körper selbst sehen und die Bilder dies nur vermitteln. Zu unterscheiden sei dabei dreierlei, nämlich der Körper (corpus) selbst, zweitens der Anblick (visio) und drittens die Aufmerksamkeit (attentio/intentio) der Seele (2,2). Von entscheidender Bedeutung ist dabei die vermittelnde Funktion des Anblicks. Denn einerseits entsteht im Anblick ein Bild des gesehenen Körpers, das dessen Form zwar nicht schlechthin identisch, wohl aber ähnlich ist, indem der Sinn durch diesen selbst, also auf eine körperliche Weise, geformt wird. Andererseits wird daraus nur eine Wahrnehmung, wenn die Aufmerksamkeit der Seele sich ihrerseits diesem körperlichen Vorgang zuwendet (2,3). Vgl. hierzu auch De animac qnantitate 25,48, wonach eine Wahrnehmung dann vorliegt, wenn ein Körpereindruck der Seele «nicht verborgen bleibt» («non latere»).
156
Walter Mesch
doch den Ausweg, zu diesem Zweck auch der Vergangenheit und der Zukunft eine Form von Gegenwart zuzusprechen, und sei es auch nur eine innerseelische Gegenwart, durch welche die Gegenwart sich im Fluß der Zeit auszudehnen vermag. Fragt man jedoch, welche Gegenwart sich hier eigentlich ausdehnt, so ist es natürlich nicht die innerseelische Gegenwart als solche, sondern jene punktuelle Gegenwart eines Dinges oder Ereignisses, dessen Anschauung einmal erwartet, das dann tatsächlich angeschaut wurde und danach als angeschaut erinnert wird. Eine rein innerseelische Gegenwart gibt es für Augustinus garnicht. Die innerseelische Gegenwart ist zwar eine Ausdehnung der Gegenwart jenes bloßen Zeitpunkts, die als solche nur in der Seele ist, weil sie nur vermittelt durch innerseelische Bilder zustandekommt. Was sich da innerseelisch und nur innerseelisch ausdehnt, also jener Zeitpunkt selbst, ist aber keineswegs eine bloß innerseelische Gegenwart.34 Die psychologische Perspektive ergänzt die ontologische, aber ersetzt sie nicht. Was sie verständlich macht, ist nämlich nur die Ausdehnung der Gegenwart, und nicht ihr Sein. Natürlich muß gerade die Ausdehnung der Gegenwart besonders wichtig erscheinen, wenn wir nach dem Wesen der Zeit fragen und dieses in einer bestimmten Ausdehnung vermuten. Es bleibt aber festzuhalten, daß auch dieser ausgedehnten Zeit kein Sein zukommen könnte, wenn das Sein jener bloß punktuellen Gegenwart, die sich da innerseelisch ausdehnt, nicht vorab schon feststünde. Offenkundig beschreitet Augustinus damit einen ganz anderen Weg als Husserl, der umgekehrt von vornherein unterstellt, daß das Wesen der Zeit nur durch eine Analyse des inneren Zeitbewußtseins zu bestimmen ist. Für Husserl ist ein Gedanke leitend, der bereits bei Kant vorgebildet ist, der Gedanke nämlich, daß die Zeit insofern als subjektiv gelten muß, als es unsinnig wäre, ihr eine Realität zuzuschreiben, die etwas anderes bedeuten würde, als eine durch die subjektiven Bedingungen der Erkenntnis verbürgte Objektivität. Kant spricht deshalb bekanntlich von der empirischen Realität, aber transzendentalen Idealität der Zeit. Ich zitiere eine Stelle, die den Gedanken gut zum Ausdruck bringt: «Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität der Zeit, d. h. objektive Gültigkeit in Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen. [...] Dagegen bestreiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute Realität. [...] Hierin besteht [...] die transzendentale Idealität der Zeit, nach welcher sie, wenn man von den subjektiven Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstrahiert, gar nichts ist.»35 Die Zeit ist nach Kant also nur insofern real, als sie objektiv ist, und objektiv ist sie durch ihren Status als einer subjektiven Bedingung der Erkenntnis. Und bei Husserl verhält sich dies grundsätzlich nicht anders, obwohl es ihm weniger um Zeit als eine Bedingung von Erkenntnis geht, die sie bei ihm freilich auch ist, als um die evidente Beschreibung der «immanenten Zeit des Bewüßtseinsverlaufes» als einer «absoluten Gegebenheit» vor aller objektiv gesetzten Zeit.36 Bei Augustinus ist die Zeit bzw. Zeitanschauung dagegen sicher keine Erkenntnisbedingung. Dies ist schon durch seine Ausführungen zum Ewigkeitsbegriff ausgeschlossen. 34
35 36
Damit ist natürlich die menschliche Seele und nicht etwa die Weltseele gemeint. Pies ist wichtig, weil durchaus manches dafür spricht, daß Augustinus auch im Zusammenhang mit seiner Zeittheorie an einer im weir testen Sinne platonischen Weltseele festgehalten hat. Vgl, dazu R. J. Teske, The World-Soul and Time in St. Augustine, Augustinian Studies 14 (1983). I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 52. E. Husserl, A.a.O., S. 3.
Augusdnus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
157
Nicht nur erkennt Gott nach Augustinus vollkommen sich selbst und all seine Geschöpfe in einem zeitlosen Zugleich und Immer37, sondern auch wir vermögen, bei aller Unähnlichkeit zur göttlichen Erkenntnis, die bereits angedeutet wurde, die Ewigkeit Gottes im Ausgang von seiner Schöpfung bis zu einem gewissen Grad einzusehen. Wie seine Untersuchung der Ausdehnung von Zeit deutlich macht, ist aber auch die Zeit selbst seiner Ansicht nach nicht verständlich zu machen, wenn man sich nur auf die Immanenz subjektiver Erlebnisse bezieht. Folglich kann bei ihm auch nicht mit einer Reduktion der Realität von Zeit auf ihre Objektivität gerechnet werden. Zwar erhält die Zeit ihre Ausdehnung seiner Ansicht nach allein durch die Ausdehnung der Seele bzw. des Geistes, die in der Fähigkeit begründet ist, in Erinnerung und Erwartung auch Vergangenes und Zukünftiges gegenwärtig zu haben. Wie wir gesehen haben, ist diese Ausdehnung aber ihrerseits nur verständlich, wenn mit einem minimalen Sein der Gegenwart gerechnet werden kann, das ihr nicht allein aufgrund ihres Wahrgenommenseins zukommt, obwohl sie natürlich nur Gegenwart ist, sofern sie von der .Seele auch wahrgenommen wird. Zumindest in diesem Sinne gibt es also für Augustinus durchaus eine Realität der Zeit, die nicht mit einer durch subjektive Erkenntnisbedingungen fundierten Objektivität identifiziert werden darf, sondern ganz im Gegenteil der Zeiterfahrung vorausgeht und diese als Erfahrung von ihr allererst ermöglicht. Daß Augustinus außerhalb der Zeituntersuchung von Confessiones XI häufig wie selbstverständlich mit einer realen Zeit rechnet, die er an die Bewegung bzw. Veränderlichkeit alles Kreatürlichen knüpft, ist ohnehin häufig beobachtet worden.38 Es steht jedem frei, darin einen Hinweis auf das Auseinanderfallen zweier verschiedener Zeitauffassungen und das Festhalten an einem naiven Realismus zu sehen.39 Vor dem Hintergrund der augustinischen Orientierung am Gedanken der Vorbildlichkeit von Ewigkeit für Zeit scheint es mir aber viel näherliegend, ebendiese dafür verantwortlich zu mächen, zumal dadurch auch verständlich wird, wieso Augustinus nicht ausdrücklich zwischen zwei Zeiten unterschieden hat.40
37 38
39 40
De tnnitate XV 14,23. Im Grunde gilt dies schon für die Einleitung von Conf. XI, in der die Zeit als etwas von Gott Geschaffenes betrachtet wird («ipsum tempus tu feceras» 17). Auf dieser Grundlage versucht Augustinus die Schöpfung der Welt als ihren zeitlichen Anfang bekanntlich in zwei Richtungen zu verteidigen, nämlich einmal gegen jene, die wie die Manichäer daraus fälschlich ableiten wollten, daß es sich dabei um einen Anfang in der Zeit handeln müsse, vor allem aber gegen jene, die wie die Platoniker allenfalls einen ursächlichen Anfang gelten ließen, weil sie die Welt für ewig hielten. Im Zentrum steht dabei der aus der griechischen Kosmologie stammende, nun aber schöpfungstheologisch interpretierte Gedanke, daß es Zeit ohne Bewegung bzw. Veränderung nicht gibt (Vgl. etwa Conf. XII 8,8). Was die Manichäer betrifft, ergibt sich daraus unmittelbar, daß die Welt nicht in der Zeit, sondern nur zusammen mit der Zeit geschaffen worden sein kann (De civitate dci, XI 6). Die Argumentation gegen die Platoniker versucht vor allem, den (aristotelischen) Gedanken infrage zu stellen, daß nichts, das einen zeitlichen Anfang besäße, ewig dauern könne, und die Welt sich schon deshalb in einem ewigen Kreislauf befinden müsse. Auch dabei spielt die Seele eine wichtige Rolle, keineswegs aber als dasjenige, in dem die Zeit ist, sondern umgekehrt als etwas, das selbst in der Zeit ist. Augustinus fuhrt sie im Blick auf die Menschwerdung Gottes nämlich als etwas Veränderliches an, dessen Glückseligkeit einen zeitlichen Anfang besitzt und gleichwohl ewig dauern wird. (De civ. dei X 31; XII14). J. L. Morrison, Augustiners two theories oftime, in: New Scholasticism (1971). Dies betont auch K. Hasch, a.a.O., trotz des von ihm ebenfalls gesehenen Festhaltens am Verhältnis von Zeit und Körperbewegung (S. 216/17). Er bringt es aber nicht in Zusammenhang mit dem von ihm erläuterten «ontologi sehen Aspekt» der augustinischen Untersuchung der Zeit (S. 212).
158
Walter Mesch
Doch warum hat Augustinus dann, anders als etwa Aristoteles, nicht nur gesagt, die Zeit sei nicht ohne Seele,41 sondern in der Seele? Meines Erächtens liegt dies daran, daß Augustinus mit Aristoteles zwar einräumt, daß die Zeit nur im Zusammenhang mit Bewegung im weitesten Sinne42 auftritt, diese Bewegung dann aber anders als Aristoteles nicht in ihrem zeitlichen Vollzug erläutert. So stellt Augustinus schon zu Beginn seiner Untersuchung fest, daß es keine Zeit geben könne, wenn nichts verginge und nichts auf uns zukäme (17). Die Frage ist allerdings, was es bedeuten soll, daß etwas vorübergeht und etwas auf uns zukommt. Man wird kaum behaupten können, daß Augustinus dies wirklich deutlich gemacht hätte. Er weist vielmehr lediglich darauf hin, daß auch die punktuelle Gegenwart sich zu keiner Dauer dehnt, weil sie, wie er sagt, so rasch aus der Zukunft in die Vergangenheit hinüberfliege (20). Unverständlich bleibt dabei, inwiefern im Verfliegen der Gegenwart zugleich eine neue Gegenwart entsteht. Und weil dies so ist, kann es sich bei dem von Augustinus angesprochenen Verfliegen der Gegenwart allenfalls um eine Schwundstufe von Sukzessivität handeln, die nicht als ausdehnungsgenerkrend anzusehen ist. Es handelt sich um eine bloße Folge von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, in der sich anders als in einer Folge von früheren und späteren Gegenwarten nichts dürehhält, dem eine Ausdehnung zuzusprechen wäre. Dies ist der Grund dafür, daß Augustinus die Ausdehnung der Zeit nur in einem Rückgang auf die bildliche Gegenwart jenes Zeitpunkts in der Seele aufweisen konnte und damit auch nicht in der Sukzessivität dieses gegenwärtigen Zeitpunktes selbst, sondern nur in der Sukzessivität verschiedener seelischer Zustände, nämlich des Erwartens, des Anschauens und des Erinnerns.
41
42
Ich beziehe mich hier natürlich auf jene berühmte Stelle in der Zeitabhandlung des Aristoteles, an der er sagt, daß es Zeit nur geben könne, wenn es eine Seele gibt (Pbys. 14,223a 21 ff.). Diese Stelle ist bekanntlich sehr umstritten, und zwar gerade im Hinblick auf die Frage, ob sich nicht schon in ihr eine Subjektivierung der Zeit abzeichne. Zweierlei scheint mir allerdings klar zu sein. Einmal sagt Aristoteles eindeutig, daß die Zeit nur deshalb nicht ohne Seele sei? weil sie als «Zahl der Bewegung nach früher und später» etwas voraussetze, von dem sie gezählt werden könne. Zum anderen gibt er zu bedenken, daß das, «was jeweils seiend die Zeit ist» ( öv &rnv ), auch ohne Seele sein könnte. Beides deutet zumindest darauf hin, daß die Rede von einer Subjektivierung der Zeit im Blick auf Aristoteles noch fragwürdiger wäre als im Blick auf Augustinus. Und mehr benötige ich als Ansatzpunkt für meine Überlegungen auch gar nicht. Zur vorgeschlagenen Aristotelesinterpretation vgl. vor allem W. Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingcn 1962, § 18. Daß die Seele von Aristoteles nicht so radikal ins Spiel gebracht wird wie von Augustinus, ist auch von Autoren, die mit dem Terminus «Subjektivierung» weniger zurückhaltend verfahren, nicht bestritten worden. Vgl. etwa A. Maier, Die Subjektivierung der Zeit in der scholastischen Philosophie, in: Philosophia naturalis l (1951). Es ist hier nicht nur an die Ortsbewegung von Körpern zu denken, auch wenn diese für die aristotelische Zeitabhandlung aufgrund ihrer besseren Meßbarkeit eine paradigmatische Funktion besitzt, sondern gemäß dem weiten Begriff der Kinesis auch an (qualitative) Veränderung, (quantitative) Zunahme und Abnahme, (substantielles) Entstehen und Vergehen (vgl. Pbys. , 201 a 10), Wichtig mag außerdem erscheinen, daß Aristoteles selbst die Wahrnehmung von Zeit nicht ausschließlich an die Wahrnehmung körperlicher Bewegung knüpft, sondern hierfür offenkundig auch eine seelische Bewegung,, nämlich die der Dianoia, wie t sie üblicherweise auch im Traum vorliegt, als ausreichend erachtet (All, 218b 21). Es ist aber zu betonen, daß daraus allein mit Aristoteles nicht zu begründen wäre, warum die Zeit nicht ohne Seele sein kann, geschweige denn, warum sie womöglich in der Seele anzusetzen wäre. Denn "die Seele wird hier selbst als etwas Veränderliches betrachtet, das in dieser Hinsicht keinerlei Vorzug vor dem Körper besitzt. Umgekehrt ist klar, daß sie für das Verständnis des zeitlichen Vollzugs der Veränderung nur dann einen Vorzug besitzen kann, wenn sie als etwas verständlich zu machen ist, daß sich nicht nur selbst verändert, sondern sich zur Veränderung überhaupt in einem bleibenden und ihr selbst einsichtigen Verhältnis befindet.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
159
Wenn Augustinus anders als Aristoteles nicht bloß sagt, die Zeit sei nicht ohne Seele, sondern sie sei in der Seele, so liegt dies also einfach daran, daß seiner Auffassung nach jene bloß punktuelle Gegenwart, der durchaus ein von der Seele unabhängiges Sein zuzusprechen ist, keine Ausdehnung besitzt und insofern auch nicht für die Ausdehnung der Zeit aufzukommen vermag. Und eine Ausdehnung besitzt sie deshalb nicht, weil sie vergeht. Es fragt sich allerdings, ob es überhaupt einleuchtend ist, wenn Augustinus der punktuellen Gegenwart, oder wie man mit Aristoteles sagen müßte, dem Jetzt, nur eine solche Schwundstufe von Sukzessivität zuspricht. Wie mir scheint, muß dies schon deshalb bezweifelt werden, weil die Sukzession der seelischen Zustände, aus denen Augustinus die Ausdehnung der Zeit verständlich machen will, ihrerseits nur wirklich verständlich wird, wenn man für das Jetzt eine Sukzession einräumt, die mehr ist als jene bloße Schwundstufe. Daß ein Ding oder Ereignis, das jetzt angeschaut wird, demnächst vergangen ist und dann nur noch erinnert und nicht mehr angeschaut werden kann, wird durch die Rede von einer Anschauung oder Erinnerung nicht erklärt, sondern vorausgesetzt. Im Hinblick darauf mag es angebracht erscheinen, daß Augustinus vom Verfliegen der Gegenwart spricht. Ebenso muß aber gelten, daß nur etwas erwartet werden kann, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß es eintritt. Und die Minimalbedingung hierfür ist, daß die Gegenwart nicht nur verfliegt, sondern sich auch erneuert. Sofern Augustinus mit einer Erwartung von Zukünftigem rechnet, unterstellt also auch seine Zeittheorie, daß es eine Ausdehnung der Zeit gibt, die keine bloß innerseelische Ausdehnung sein kann. Recht betrachtet gilt etwas entsprechendes aber sogar für die Vergangenheit. Denn von einem mehr oder weniger lang vergangenen Zeitpunkt kann nur gesprochen werden, wenn in seinem Verfliegen mit dem Entstehen immer neuer Jetzte, die ebenso verfliegen, ein mehr oder weniger großer Zeitraum verflogen ist, der im Erinnern jenes vergangenen Zeitpunkts miterinnert wird. Ist dieser Zeitraum selbst auch eine Ausdehnung, die ohne die erinnernde Seele gar nicht gegenwärtig sein könnte, so ändert dies doch nichts daran, daß es nur eine Ausdehnung zu erinnern gibt, weil sie im Verfliegen eines sich beständig erneuernden Jetztes generiert wurde. Es sieht also so aus, als hätte Augustinus, indem er den bei Aristoteles allzu knapp behandelten Zusammenhang von Zeit und Seele weiter herausarbeitet, zugleich dessen Einsicht in die kontinmtätserläuternde, wenn auch nicht kontinuitätsstiftende Funktion des « » nicht genügend berücksichtigt.43 Dadurch wird die Bedeutung der Seele notwendig überakzentuiert und ihre kontinuitätsbewabrende Funktion zur kontinuitätsstiftenden verfälscht. Der Kontinuität der Körperbewegung, die sich im kontinuierlichen Übergang des jeweiligen Jetzt in ein neues vollzieht, wird bei Augustinus begrifflich nicht Rechnung getragen. Sie wird vielmehr durch eine sekundäre Kontinuität der Seelenzustände inadäquat ersetzt. Dies ist um so merkwürdiger, als seine eigene Zeittheorie unverständlich bleiben muß, wenn man jene Kontinuität der Körperbewegung nicht doch unterstellt. Man hat sich deshalb danach 4>
Obwohl die Zeit nach Aristoteles nicht aus Jetzten besteht (Phys. 10,218a 8), ist seine Zeittheorie in einer Auffassung des Jetzt (tö vöv) fundiert, durch die es gleichermaßen für die Grenzen eines jeweiligen Zeitraums wie für die Kontinuität der Zeit im Ganzen verantwortlich gemacht wird. «Die Zahl der Bewegung ist ja Zeit, das Jetzt aber ist, ebenso wie das Bewegte, gewissermaßen eine Einheit der Zahl. Und deshalb ist die Zeit durch das Jetzt sowohl kontinuierlich ( ) wie sie nach dem Jetzt unterteilt wird.» (220a 4) Das Jetzt ist bei Aristoteles allerdings genausowenig substantiell wie die Zeit und stiftet insofern nicht die Kontinuität der Zeit, sondern erläutert sie nur. Kontinuitätsstiftend ist für ihn allein die durch den . unbewegten Beweger in Gang gehaltene Bewegung des bewegten Seienden bzw. der selbst.
160
Walter Mesch
zu fragen, was für diesen merkwürdigen Mangel verantwortlich sein mag. Und damit komme ich nun zu den ontologischen Voraussetzungen der augustinischen Zeittheorie, die mir hierfür ausschlaggebend zu sein scheinen.
IV
Da die wesentlichen Zusammenhänge bereits deutlich geworden sind, kann ich mich kurz fassen. Wie sich gezeigt hat, liegt der augustinischen Zeittheorie eine Hierarchie verschiedener Gegenwarten zugrunde. Diese ergibt sich dadurch, daß auf der Grundlage einer eigentlichen Gegenwart zwei Stufen ihrer Realisierung zu unterscheiden sind, wobei die zweite Stufe wiederum zwei Aspekte aufweist, die auf komplizierte Weise verschränkt sind. Die eigentliche Gegenwart ist die Ewigkeit, in der alles zeitlos zugleich ist, weshalb sie auch schlechthin gegenwärtig zu bleiben vermag. Unsere zeitliche Gegenwart ist ihr bloßes Abbild, handelt es sich bei ihr letztlich doch nur um jenen bloßen Zeitpunkt, in dem zwar noch manches, aber sicher nicht mehr alles zugleich sein kann, und selbst dies nur im Sinne eines Zugleich, das bloß punktuelle Gleichzeitigkeit bedeutet. Es ist deshalb zwar unmöglich, daß in dieser Gegenwart, die nicht mehr in Vergangenheit und Zukunft zu teilen ist, weil es in ihr kein Früher und Später mehr gibt, etwas vergeht. Gleichwohl bleibt mit ihr auch nichts, da sie als bloß punktuelle Gegenwart selbst vergeht. Schließlich sind Vergangenheit und Zukunft weitere Formen zeitlicher Gegenwart, in denen die Gegenwart jenes Zeitpunkts ihrerseits in defizienter Form vorliegt. Denn Vergangenheit und Zukunft sind nur als Affektionen bzw. Konzeptionen, d. h. als innerseelische Bilder der punktuellen Gegenwart. Vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit der in ihr abgebildeten Gegenwart ist die Defizienz der innerseelischen Gegenwart jedoch nicht eindeutig. Es ist nämlich nur die innerseelische Abbildung, durch die jene reale, aber bloß punktuelle Gegenwart zu bleiben vermag, und sei es auch nur im Bild. Nun ist unschwer zu sehen, daß diese Stufung nur eine temporale Erläuterung der augustinischen Ontologie, also eine Erläuterung der Ontologie in bezug auf das Zeitproblem, darstellt. So ist die wahre Gegenwart der Ewigkeit für Augustinus auch das wahre Sein. Dies liegt daran, daß sie als stehende Gegenwart Ruhe und Beständigkeit, ja überhaupt Unveränderlichkeit aufweist («non autem praeterire quidquam in aeterno» 13). Und eben diese Unveränderlichkeit ist nun für Augustinus, wie er immer wieder deutlich macht, auch das eigentliche Charakteristikum des wahren Seins: «Id enim vere est, quod incommutabiliter manet.»44 Demgegenüber gehört die von uns sogenannte Gegenwart als ein Teil der Zeit mit der gesamten geschaffenen Welt zum Veränderlichen und darum auch nicht wahrhaft Seienden. Es ist zwar sicher nicht richtig, daß Augustinus anders als die Griechen über kein anderes Wort für den durch Veränderlichkeit charakterisierten Bereich des Seienden verfüge als «tempus».45 Vielmehr nennt er den Kosmos meistens «caelum et terra» und die Kinesis «variatio» oder «mutatio». Dennoch trifft es zu, daß er von Zeit häufig einfach im Sinne von Veränderlichkeit spricht. Angesichts seiner Bestimmung der Ewigkeit kann dies grundsätzlich auch kaum überraschen. Wenn die Ewigkeit dasjenige ist, was immer steht, kann die Zeit 44
45
Conf. VII17. Weitere Stellen bei E. Gilson, Notes sur Vetre et le temps chez samt Atigustin, in: Recherches augustiniennes 2 (l962), S. 206 ff. ; E.Gilson,A*.O.,S.212.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
161
leicht als etwas erscheinen, das niemals steht («temporibus numquam stantibus» 13). Dieses Schicksal der Zeit teilt offenkundig auch die zeitliche Gegenwart, verfliegt sie doch beständig in die Vergangenheit. Die Zeittheorie von Augustinus ruht damit auf dem Fundament einer platonisch geprägten Ontologie, die mit der Differenz eines wahren und eines bloß defizitären Seins arbeitet. Dies ist häufig beobachtet worden.46 Es kommt allerdings darauf an, den ontologisch defizitären Status der Zeit bei Augustinus richtig einzuschätzen. Vor allem gilt es zu verstehen, warum die zeitliche Gegenwart auf ein bloßes Verfliegen in die Vergangenheit festgelegt sein soll, weshalb also, um aus ontologischer Perspektive zu fragen, die zeitliche Gegenwart bei Augustinus in die zwei auf komplizierte Weise verschränkten Aspekte einer realen, aber vergänglichen, und einer bloß innerseelischen, aber bleibenden Gegenwart zerfällt. Und um dies zu verstehen, reicht es nicht, auf die platonische Prägung seiner Ontologie zu verweisen. Deutlich wird dies bereits daran, daß auch Platon trotz aller Unterschiede zu Aristoteles und vor allem trotz seines Versuches, die Zeit auf der Grundlage der Ewigkeit zu bestimmen, anders als Augustinus nicht auf die Idee gekommen ist, die Zeit schlechthin auf Veränderlichkeit und Bewegung festzulegen. Denn nach Platon ist die Zeit, und nicht nur die zeitliche Gegenwart, ein bewegtes Abbild der Ewigkeit und hat auf diese Weise am wahren Sein teil. Es ist dem Text nicht eindeutig zu entnehmen, warum es Augustinus nicht gelingt, die ganze Zeit als ein Abbild der Ewigkeit verständlich zu machen, ohne dabei in eine Aporie zu geraten, die nur durch den Rekurs auf innerseelische Bilder aufgelöst werden kann. Meines Erachtens spricht aber manches dafür, daß der Grund in seiner einseitigen Festlegung des wahren Seins auf die Unveränderlichkeit zu suchen ist. Denn darin ist zwar ein Charakteristikum aufgegriffen, das bereits bei Platon und dann auch im späteren Platonismus zur Bestimmung des wahren Seins der Ideen herangezogen worden ist, aber eben nur eines, neben dem die besondere Bewegtheit der Ideen ebenfalls eine große Rolle spielt. Natürlich weisen die Ideen nach Platon keine körperliche Bewegung in Raum und Zeit auf, wohl aber eine geistige Bewegung, in der sich jene Teilhabe von Ideen aneinander herstellt, die in der Dialektik nachvollzogen wird.47 Bei Augustinus wird das wahre Sein der Ideen dagegen so gedacht, daß es Bewegung in jeder Form ausschließt. Dafür mögen letztlich theologische Gründe ausschlaggebend sein, vor allem das Motiv, den transzendenten Gott von allen weltimmanenten Charakteristika freizuhalten. Die ontologische Konsequenz ist jedenfalls klar. Ist das wahre Sein gänzlich unbewegt, kann die Bewegung umgekehrt nicht einmal mehr als ein defizitäres Sein verständlich gemacht werden. Entsprechend ist es Augustinus nicht mehr möglich, die Zeit als ein Abbild der Ewigkeit zu bestimmen, indem er mit Platon auf die Rationalität der Bewegung blickt, wie sie in den kontinuierlichen Zyklen der Himmelskörper greifbar wird. Es ist ihm aber auch nicht möglich, dies dadurch zu leisten, daß er mit Aristoteles die Kontinuität der Körperbewegung überhaupt analysiert, wie sie sich bereits auf der Ebene des kontinuierlichen Übergangs von einem Jetzt in ein anderes zeigt. Was demgegenüber als einzige Möglichkeit bleibt, haben wir gesehen. Ein Versuch, die Zeit als Abbild der Ewigkeit 46 47
Vgl. etwa O. Lechner, Idee und Zeit in der Metaphysik Augustins, München 1964, S. 43 ff. Ich stütze mich hierbei vor allem auf den Sopbistes, in dem Platon ausdrücklich darauf hinweist, daß das Seiende nur erkannt werden kann, wenn es selbst vernünftig, beseelt und insofern auch bewegt ist (249a ff.), und die darin unterstellte besondere Bewegtheit des Seienden als ein ewiges Sichverbinden verschiedener höchster Gattungen erläutert (254e).
162
Walter Mesch
zu bestimmen, muß vor diesem Hintergrund dazu führen, an der Zeit einseitig einen Aspekt auszugrenzen, der an üir als Seiendes im Sinne von Unveränderlichem erscheint, um schließlich festzustellen, daß auch dieser dem angelegten Kriterium nicht zu entsprechen vermag. Und so isoliert Augustinus jene bloß punktuelle Gegenwart, um doch sofort einzuräumen, daß auch sie weder über wahres Sein, noch über Ausdehnung verfügt, da sie ja verfliegt. Die ontologischen Voraussetzungen der augustmischen Zeittheorie sind also insofern problematisch, als sie seinen Blick auf die Zeit in einer unangemessenen Weise verengen. Seine Unterstellung, daß wahres Sein in jeder Form unveränderlich sein müsse, zwingt ihn nämlich dazu, den für die Zeit konsumtiven Zusammenhang mit der Bewegung im allgemeinen und der Körperbewegung im besonderen, wenn schon nicht gänzlich zu unterschlagen, so doch nur dahingehend zu berücksichtigen, daß er als Hinweis auf deren Nichtsein gedeutet wird. Was bei Augustinus als Zeitaporie aufgebaut wird, zeigt also im Grunde nur die Unmöglichkeit, Veränderung und Sukzessivität ganz aus der Zeit zu eliminieren, nicht aber, warum eine solche Eliminierung für ein Verständnis der Zeit überhaupt erforderlich sein sollte. Darin ist vielmehr die Konsequenz einer einseitigen Ontologie zu sehen, die notwendig mit der vorphilosophischen Ansicht in Konflikt geraten müß^ nach der die Zeit wesentlich eine Ausdehnung besitzt; Denn so, wie diese Ausdehnung erfahren wird, kann sie primär nur die Ausdehnung einer durch Körperbewegung greifbar werdenden Sukzession sein. Soweit sich die schroffe Differenzierung von Sein und Nicht-Sein auswirkt, die wir als verborgenen Leitfaden der Zeittheorie aus den Confessiones aufweisen konnten, steht die Ontologie von Augustinus im Grunde weniger in der Nachfolge Platons als in derjenigen von Parmenides48 und führt in ihrer Ausgrenzung einer reinen Gegenwart als vermeintlich einzig Seiendem an der Zeit deshalb auch nicht zufällig in einen Sophismus, den bereits Aristoteles zu Recht als phänomenfern betrachten konnte.49
48
49
Gemeint ist damit natürlich nicht irgendein nachweisbarer Einfluß durch Lektüre, sondern der ontologische Hintergrund für eine sachliche Nähe, wie wir sie bereits zwischen der augustinischen Teilung der Gegenwart im Rahmen seiner Zeitaporie und den zenonischen Paradoxien feststellen konnten. So erwähnt auch Aristoteles die Schwierigkeit, daß die Zeit nicht sein könne, weil ein Teil von ihr schon' vorübergegangen sei und der andere noch bevorstünde (Phys. 217b 33). Bereits seine Einleitung, die hier von «exoterischen Logoi» spricht (217b 31), deutet jedoch an, daß er diese Schwierigkeit allenfalls für eine äußerliche Charakteristik des Zeitproblems hält, deren Isolation als sophistisch zu betrachten wäre. Was dieser Schwierigkeit (und auch den beiden anderen, die sie weiter entfalten,) grundsätzlich fehlt, ist die Berücksichtigung der Bewegung, ohne die das Zeitproblem, so wie es in der Erfahrung phänomenal greifbar wird, nicht zu erörtern ist, Vgl. dazu P. E Coneii, Die Zeittheorie des Aristoteles, München 1964.
UDO KÜHNE Nodus in scirpo - Enodatio quaestionis Eine Denkfigur bei Johannes von Salisbury und Alanus von Lilie 1. In der frühen lateinischen Dichtung wird eine altrömische Redeweise überliefert, wonach Menschen, welche Schwierigkeiten dort aufspüren, wo faktisch keine sind, <einen Knoten an der Binse suchen>:1 Quaerunt in scirpo, soliti quod dicere, nodum.2 Der Grammatiker Festus (2. Jh.), dem wir diese Ennius-Stelle verdanken, hebt seinerseits den proverbialen Charakter der Wendung hervor: Inde proverbium est in eas natum res, quae nullius impedimenti sunt, in scirpo nodum quaerere? Die mittelalterliche Nachwirkung des antiken Ausspruchs hat Isidor von Sevilla entscheidend gefördert. Im sdrpus-Artikel seiner <Etymologiae> (17,9,97) informiert der gelehrte Spanier zunächst über die Sache selbst, d. h. die Knotenlosigkeit der Binse (sarpus> quo segetes tegunturt sine nodo), zitiert sodann den Ennius-Vers, dem er als zweiten Beleg ein <Sprichwort>, wie er sagt, zur Seite stellt: Et inproverbio: Qui inimicus est, etiam in scirpo nodum quaent. Diese Fassung hatte Hieronymus dem Wort gegeben,4 womit eine Bedeutungsverschiebung einherging: Versinnbildlichte die Suche nach dem Knoten an der Binse ursprünglich skrupulös-pedantisches Bedenken einer gegebenen Situation (Ter. Andn 941) oder auch ein aussichtslos-vergebliches Unterfangen, dem Erfolg gewiß mangle (Flaut. Men. 247), so wurde nunmehr mit der prägnanten Wendung eine unfreundliche, ja feindliche, jedenfalls (gewollt) über-kritische Haltung gekennzeichnet: Ein Haar in der Suppe könne immer gefunden werden. Demgegenüber urteile, wie Hieronymus hinzusetzt, ein Wohlwollender anders, lasse nämlich durchaus einmal (amictis prava quoque recta judicat). Beide Sinngebungen, die der Komiker und die des Kirchenvaters, leben im Mittelalter weiter. Während z. B. der -Dichter in seinem um die Mitte des 12. Jahrhunderts geschaffenen Tierepos die Suche nach dem Knoten im Sumpfgras, wie es bei ihm, lexikalisch variiert, heißt (5,127: nodum vestigat in ulvaf, neben weiteren sinnlosen Tätigkeiten wie etwa dem Schälen von Kieselsteinen oder dem Melken von Kranichen in satinscher Absicht 1
2 3 4 5
A. Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1890 (Nachdruck Hildesheim 1965), 312 f.; Thesaurus proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanischgermanischen Mittelalters. Begründet von S. Singer. Hg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Bd. l, Berlin/New York 1995,484 f. Enn. sät. 70 V2. VgL Flaut. Men. 247; Ter. Andr. 941. W. M, Lindsay (Hg.), Sexti Pompei Festi de verborum significatu quae supersunt cum Pauli epitome, Leipzig 1913,444; J. Vahlen (Hg.), Ennianae pocsis reliquiae, Leipzig 21903,211. Hier. c. loh. 3 (PL 23 [l 845], 357B). Vermutlich gebraucht der Dichter das Wort uha als Synonym für scirpus. Andernfalls geriete sein Bild in eine gewisse Schieflage, da Schilf (und verwandte Sumpfgräser) gerade nicht knotenlos sind. Plinius erwähnt, daß die Pflanze - neben der Binse (iuncus) - zum Binden (nat. hist. 17,209) und Knüpfen (16,4) verwendet wird. Isidor (Etym. 17,9,100) beschreibt demgegenüber uha als schwammartige alga. Vgl. auch H. Genaust, Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Basel/Boston/Berlin 31996, 667
164
Udo Kühne
dem Claraevallis pannifer> d. h. dem hl. Bernhard, zuschreibt,6 kontrastiert Hugo von Trimberg im (um 1300) mithilfe einer volkssprachigen Adaptation des Sprichworts Geizkragen und Neider, die an glatten Binsen Knoten suchen, mit Leuten ohne Falsch, die solches nicht tun, deren Zahl freilich, wie Hugo bedauert, abnimmt (5109 - 5112: Wenne ginge Hute und mdes boten / Suochent an siebten binzen knoten: / Des entuont einseitige Hute niht> / Der man ntt leider lützel siht).7 2. Mehrfach verarbeitet Alanus von Lilie, der große Dichter und Gelehrte des 12. Jahrhunderts, die römische Redeweise in seinem Werk, zitiert sie - erwartungsgemäß, darf man sagen - im bilden jeweils eine thematische Einheit, wobei freilich der Grad der inhaltlichen Geschlossenheit in den Distichen stark variiert und im vorliegenden Fall, wo zwei vitanda schlicht nebeneinanderstehen, als nur gering empfunden wird. Doch zeigt sich hier bereits eine Tendenz, die der Autor andernorts, in der <Summa de arte praedicatoria> und im , noch stärker zur Geltung bringt, nämlich dem Ausspruch von der Suche nach dem Knoten an der Binse weitere mehr oder weniger sinnverwandte Wendungen gleichgeordnet zur Seite zu stellen und solcherart ganze Reihen von bildhaften Varianten des Gedankens auszuformen. In seiner Ars praedicandi, einem wohl kurz vor 1200 entstandenen Spätwerk,9 bietet Alanus neben einer markanten Definition der Literaturform Predigt, weiteren theoretischen
6
7
8
9
s. v. uha: «in den Wörterbüchern meist mit übersetzt (jedoch ohne gesicherte bot Grundlage)». - Zur Rolle des Merkmals «knotiger Halm> bei der bibelexegetischen Deutung des Schilfrohrs (arundo, calamus) auf den Menschen s. H.-J. Spitz, Schilfrohr und Binse als Sinnträger in der lateinischen Bibelexegese, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), 230-257, hier 238 und 240 f. Zum Hintergrund s. J. Mann (Hg.), Ysengrimus. Text with Translations, Commentary and Introduction, Leiden/New York/Köln 1987 (Mittellateinische Studien und Texte 12), 118 f. G. Ehrismann (Hg.), Der Renner von Hugo von Trimberg. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von G. Schweikle, Bd. l, Berlin 1970 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Texte des Mittelalters), 212. - Pastores [...} nimie simplicitatis, schlichte, einfache, geradlinige Menschen, stellt Lambert von Ardres in seiner werden müssen. Weil sich der (nur schwer datierbare34) Grammatiker Nonius Marcellus für diese übertragene Verwendung des Verbs interessierte, fehlt es hierzu nicht an Belegen speziell aus der altlateinischen (dramatischen) Literatur.35 Dann ist es Augustinus, der eine gewisse Vorliebe für die Junktur quaestio enodanda zeigt.36 Lupus, der Empfänger von Einhards Brieftraktat, knüpft übrigens offensichtlich bei der vom Autor gewählten Formulierung an, wenn er im brieflich ausgesprochenen Dank u. a. schreibt (epist. 4,15): atque utinam, morem mihi gerentes, sie omnia quaecumque ab initio enodanda uobis misi uel hoc anno reliqm aperire non grauaremini}7 Wilhelm von Auvergne warnt in seinem um 1240 entstandenen, in mancher Hinsicht Alans <Summa de arte praedicatoria> verpflichteten Predigttraktat, der eine wichtige Etappe in der Gattungsgeschichte der Ars praedicandi markiert, den praedicator vor betont effektvoller Predigtweise. Als echte Nachfolger des Apostels Paulus könnten nicht jene gelten, die marktschreierisch Sensationelles verkünden oder schlichte veritas unter dem Glanz äußeren
29
30 31 32 33 34
35
16 37
Zur Bibelstelle vgl. etwa H. J. Stoebe, Das zweite Buch Samuelis, Gütersloh 1994 (Kommentar zum Alten Testament V1II/2), 443 («Weniger eine sprichwörtliche Redensart vergangener Zeit als eine geschichtliche Reminiszenz») und 446 («Es ist nicht zu klären, warum die Stadt eine besondere Dignität hatte»). PL207,69C. Verumtamen cum sis in scholis, ego autem in castris (ebd., 69B); quod scio, non invideo tibi (69C). VgL E Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. l, München 1975, 322 f. MGH Epist. V, Berlin 1899,147. Vgl. z. B. M. von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Bocthius, Bd. 2, München 21994,1166 («lebt nach dem 2. und vor dem 5. Jh.: Apuleius und Gellius sind benützt; Priscian erwähnt Nonius»). W. M. Lindsay (Hg.), Nonii Marcelli De conpendiosa doctrina, Bd. l, Leipzig 1903,21: ENODA significat explana; et quae sit proprietas, manifestem est, hoc est, nodis exsohe. Es folgen Belege von Accius, Ennius, Turpilius und Pacuvius. Aug. enchir. 7,20 (CCSL 46,60: quaestio nodosissima [...] enodanda)·, civ. 2,21 (CCSL 47, 53: quaestionem disctttiendam et enodandam). P. K. Marshall (Hg.), Servati Lupi epistulae, Leipzig 1984, 12. Unter den Nonius-Stellen vergleiche man TurpiJ. IS: ab initio, ut res sit gesta, enoda mibi
170
Udo Kühne
Schmucks verbergen oder auch difficiles questiones et parum utiles enodare laborantt kurzum: all jene, die nur darauf aus sind, daß es über sie heiße: Nunquam locutus est sie homo?* Im Sinne von <Erklärung> (explicatio) tritt auch das vom Verb abgeleitete Substantiv enodatio auf, in der Antike bleibt es selten, doch spricht Cicero (top. 31) von cognitio enodationis indigcns. Alanus zielt in seinem allegorischen Prosimetrum stehenden, kurz vor 1160 abgeschlossenen Standortbestimmung der hochmittelalterlichen Dialektik läßt Johannes von Salisbury (t 1180), führender Vertreter der sog. Renaissance des 12. Jahrhunderts, im Brotberuf Sekretär der Erzbischöfe von Canterbury Theobald und Thomas Becket, zuletzt (ab 1176) Bischof von Chartres, seine Pariser Studienjahre Revue passieren, vergegenwärtigt uns dabei eine illustre Reihe namhafter Lehrerpersönlichkeiten.41 Als Johannes im Jahr 1136 nach Paris kommt, sitzt er am Genovefaberg zu Füßen des peripateticus Palatinus - wie der Autor hier (2,10) und öfter im Werk den aus dem bretonischen Le Pallet (Palatium) stammenden Petrus. Abaelardus nennt. Abaelard selbst beschreibt bekanntlich am Beginn seiner , wie er zum peripateticorum emulator wurde.42 Der 38
39
40
41
42
A. de Poorter, Un manuel de predication medievale. Le Ms. 97 de Bruges, in: Revue Neo-Scolastique de Philosophie 25 (1923), 192 - 209, hier 202. N, M. Häring (Hg.), Alan of Lilie, «De Planctu naturae», in: Studi medievali 19 (1978), 797 - 879, hier 832 (VII, 42-48). Ebd., 832 f. Dazu im einzelnen P. Riche, Jean de Salisbury et le monde scolairc du XIF siecle, in: M. Wilks (Hg.), The World of John of Salisbury, Oxford 1984 (Studies in Church History, Subsidia 3), 39-61; O. Weijers, The Chronology of John of Salisbury's Studies in France (Metalogicon, 11.10), in: ebd., 109 -116; K. S. B. Keats- " Rohan, The Chronology of John of Salisbury's Snidies in France: a Reading of «Metalogicon» 11.10, in: Studi medievali 28 (1987), 193 - 203;'Dies., John of Salisbury and Educarion in Twelfth Century Paris from the Account of his Metalogicon, in: History of Universities 6 (1986/87), l - 45< J, Monfrin (Hg.), Abelard: Historia calamitatura. Texte critique avec .une introduction, Paris 31967,64.
Nodus in scirpo ·«· Enodatio quaestionis
171
Dialektiker par excellence und zweifelsohne berühmteste Fachvertreter seiner Zeit vermittelt Johannes prima artis h ums rudimenta. Doch schon bald verläßt Abaelard seine Schule, was Johannes als verfrüht (praepropems) empfindet und bedauert. Von den Nachfolgern im dortigen Lehramt, beide ihrerseits nicht ohne Statur, Abaelards Ingenium freilich klar verfehlend, zeichnet Johannes eine Art Doppelporträt, welches aus dem Kontrast ihrer unterschiedlichen wissenschaftlichen Haltungen entsteht. Während der eine, Alberich (Albericus de Monte)43, stets über eine Fülle von geeigneten Fragen verfügt (in quaestionibus subtilis et multus), ist der andere, Robert von Melun, nie um Antworten verlegen (in responsis perspicax, brems et commodus). Hätte man beider Stärken in einer Person vereinigt, läge die ideale Verkörperung eines Gelehrten vor: parem utique disptitatorem nostra aetate non esset inuenire** Beharrlich finde Alberich überall, wie Johannes schildert, Raum für eine problematisierende Frage, so daß schließlich, bildhaft gesprochen, die ebenste Fläche doch Unebenheiten offenbare, anders gesagt: ihm, Alberich, sei die sprichwörtliche Binse nicht knotenfrei; auch dort zeige er, daß entknotet werden müsse: ad omnia scrupulosus locum quaestionis inueniebat ubique, ut quamuis polita planities offendiculo non carerety et ut aiunt ei scirpus non esset enodis. N am et ibi monstrabat quod oporteat enodari.45 Johannes gibt der alten Redeweise vom Knoten an der Binse eine neue Formulierung, bietet sie in selbständiger Verarbeitung. Wie Alanus von Lilie einige Jahre später stattet auch er bereits die bildliche Vorstellung mit einem gleichfalls bildlichen Nebengedanken aus, dem wir sogar in der oben zitierten Partie aus Alans wiederbegegnen (5,347: in piano scrupulum fingens). Die Übereinstimmung beider Autoren ist immerhin auffällig (plano/pL·nities; scrupulum [/offendictilo] stimmt zu scrupulosus\ so daß man vielleicht direkte Beeinflussung oder Anregung vermuten mag. Zwar wurde das <Metalogicon> im Mittelalter ein wenig unterschätzt und erzielte nicht annähernd die Verbreitung und Wirkung von Johanns ,46 doch darf Alans Kenntnis des Werks als sehr wahrscheinlich gelten, dies um so mehr, als neueste biographische Forschungen zur Person des Dichters die Vermutung nahelegen, Alanus habe zeitweise dem Gelehrtenkreis um Erzbischof Theobald in Canterbury angehört, d. h. er und Johannes hätten sich (gerade während der Entstehungszeit des <Metalogicon>) am selben Ort aufgehalten.47 Johannes geht aber einen Schritt weiter, verbindet kunstvoll das traditionsreiche Sprichwort mit der ebenso gängigen Redeweise von der Entknotung einer Frage zur, wie man wohl sagen darf, neuartigen Denkfigur, indem er das Proverb auf seinen Lehrer Alberich, einen Meister im Fragen, münzt. Dieser suche nicht nur gewissermaßen, so Johanns Weiterentwicklung des Bildes, den Knoten an der Binse, er finde ihn: in Gestalt
43 44
45 46 47
Über dessen Lehrinhalte s. die Dokumentation von L. M. de Rijk, Some New Evidence on Twelfth Century Logic Alberic and the School of Mont Ste Genevieve (Montani), in: Vivarium 4 (1966), l - 57. Große Gelehrte schildern ihre eigenen Lehrer gern unter dem Gesichtspunkt einseitiger Begabung oder Befähigung, man vergleiche, etwa Abaelards Urteil über den spaten Anselm von Laon (Monfrin, wie Anm. 42, 68): Mirabilis quidem in oculis erat auscultantium, sed nullus in conspectu questionantium, bildlich gesagt: Cum ignem accendcret, domum suamfumo implebat, non luce illustrabat. J. B. Hall (Hg.), loannis Saresberiensis Metalogicon, Turnhout 1991 (CCCM 98), 71. Zur heute erkennbaren Überlieferung s. K. S. B. Keats-Rohan, The Textual Tradition of John of Salisbury's Metatogicon, in: Revue d'histoire des textes 16 (1986), 229 - 282; kurz auch Hall (wie Anm. 45), VII f. R Hudry (Hg.), Alain de Lilie: Regles de theologic, suivi de Sermon sur la sphere intelligible, Paris 1995,10.
172
Udo Kühne
einer originellen qttacstio. Bei solcher Konvergenz einstmals auseinanderliegender Bildbereiche gilt gleichermaßen für scirpus und quaestio das pointierte Fazit: Nam et ibi monstrabat quod oporteat enodari. Es überrascht im übrigen nicht, wenn Johannes die Vorstellung einer enodatio quaestionis andernorts im <Metalogicon> auch in herkömmlicher Weise isoliert präsentiert (1,12): Der den artes liberales bereits apud maiores zukommende Rang beruhe u. a. darauf, daß diese den (knotigen) Problemkern aller denkbaren Fragen zu lösen vermögen (ut[...Jomnium quaestionum quae probari possunt difficultatem sufficerent enodare)** Den Gedanken der enodatio qttaestionis mit dem Sprichwort vom Knoten an der Binse zu verknüpfen, kam zuvor schon dem unbekannten Verfasser eines bald nach 1140 entstandenen Lehrgesprächs in den Sinn, das unter dem Titel <Speculum virginum> als Handbuch mittelalterlicher Frauenfrömmigkeit beachtliche Verbreitung fand. Wenn dort im 11. Buch die fromme Theodora, stets wachen Geistes und zur Kritik befähigt, einmal die Lösungsmöglichkeit eines verwickelten Sachverhalts, eines , wie sie sagt, skeptisch beurteilt (Quodsi ad nodum istum söluendum admiseris, infirmis band dubie niteris argumentis), entgegnet ihr der Lehrer Pefegrinus: Wer eine Frage, die Kundige durchaus für lösbar halten, gewissermaßen aus mangelnder Kenntnis zu einem unentwirrbaren Problem stempele, der, so dürfe man mit Fug behaupten, suche einen Knoten an der Binse (Quia questionem sensatis quidem solubilem, tibi, ut uidetur, inextricabilem mouisse uideris, non iniuria tua dixenm, nodum in scirpo queris).49 5. In einem kleineren Gedicht, das man gemäß seinem Initium unter dem Titel kennt, bedient sich Alanus von Lilie ein weiteres Mal pointierter Bildlichkeit des Knotens (und Entknotens). Der Text, vermutlich «une oeuvre de jeunesse de maitre Alain»50, jedenfalls zeitlich vor und anzusetzen, behandelt in 37 Vagantenstrophen einen Liebeskasus, nämlich den Vorrang der Beziehung zu einer virgo gegenüber dem Verhältnis mit einer verheirateten Frau.51 Der Autor betont den quaestioCharakter des Themas: 37 Sub bacsola qnestio solet nentilan, An amori uirginum ioco puellari Matronalis debeat amor ancillari, 40 An eundem deceat pnuilegiari. Ecce uultum induit dubitationis Questio sophistica, umbra questionis, Cuius in uestibulo disputationis Excubat solutio, soror rationis.52
«HaU(wieAnm.45),31. 49 J. Seyfarth (Hg.), Speculum virginum, Turnhout 1990 (CCCM 5), 326. 50 D'Alvcrny (wie Anm. 8), 44. 51 Vgl. C. Huber, Die Aufnahme und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen. Untersuchungen zu Thomasin von Zerklaere, Gottfried von Straßburg, Frauenlob, Heinrich von Neustadt; Heinrich von St. Gallen, Heinrich von Mügeln und Johannes von Tepl, München 1988 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 89), 96 - 99. 52 N. M. Häring (Hg.), The Poem Vix nodosum by Alan of Lilie, in: Medioevo^Rivista di storia della filosofiamedievale3 (1977), 165-185, hier 180.
Nodus in scirpo - Enodatio quaestionis
173
Auf eben diese quaestio, welche der katalogartigen Präsentation von Paradoxien der Venus (V. 5-36) folgt, bezieht sich das an den Beginn gestellte Motiv einer enodatio: l Vix nodosum ualeo nodum denodare Et indemonstrabile monstrum demonstrare Vnde uolens Veneris uultum denudare Que natttras hominum null denaturare.5* Als Ergebnis der bildlich präludierenden enodatio läßt sich in den mit dem Auftakt-Quartett sowie der expliziten Frage-Stellung V. 37 ff. korrespondierenden Schlußversen eine Art conclusio (quaestionis) formulieren: 145 Ergo non ulterius questio procedat, Cum se parti uirginum ratio concedat: Ergo nupta uirgini in amore cedat Et innupta mulier nuptam antecedat.54 Daß der vom Einleitungsvers des Gedichts eröffnete Bildbereich (nodosum [...] nodum denodare) im Text behutsam fortwirkt, diesem sogar einen erkennbaren Rahmen gibt, der unter dem Stichwort enodatio quaestionis faßbar würde, also mehr bietet als bloßes Wortspiel, wenn nämlich die Linie zwischen den begrifflichen Eckpunkten nodus und quaestio ausgezogen wird, bestätigen prägnante lexikalische Übereinstimmungen zwischen den betreffenden Versen und der oben besprochenen Partie aus Alans , wo der Autor das Motiv der enodatio erneut gestaltet. Man vergleiche dort den Beginn des 8. Kapitels Prefata igitur uirgo huius questionis solutionem in uestibulo excubare demonstrans ait [...]55 mit , V. 42 - 44 Questio sophistica, umbra questionist Cuius in uestibulo disputationis Excubat solutio [...], dazu auch V. 2: Et indemonstrabile monstrum demonstrare;56 sodann dubitationis laberinthum57 mit V. 41 f.: Ecce uultum induit dubitationis Questio sophistica [...]** schließlich Homo [...] nature naturalia denaturarepertemptans59 mit V. 4: Que naturas hominum uult denaturare.60 53 54
55 56
57 M w 60
Ebd., 178. Ebd., 185. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 832, Z. l f. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 180 und 178. - Zu questio sophistica: Abaelard kennt nodum sopbisticum, s. B. Geyer (Hg.), Peter Abaelards philosophische Schriften, Bd. 1/3, Münster 1927 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 21,3), 433. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 832, Z. 6. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 180. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 833, Z. 19 f. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 178.
174
Udo Kühne
6. Die voranstehend behandelten Textstellen aus Werken Alans von Lilie und Johanns von Salisbury61 dürften anschaulich gemacht haben, wie es profilierten Autoren im Mittelalter immer auch gelang, selbst gänzlich bereits zu gängigem Formelgut gewordene bildliche Vorstellungen oder sprachliche Wendungen nicht lediglich zitäthaft aufzurufen, sondern wirklich eigenständig und weiterführend zu verarbeiten, wobei das den übernommenen Prägungen innewohnende Klischee des traditionellen Vorverständnisses durchaus erkennbar bleibt, ja geradezu genutzt wird, um artifiziell (und das heißt oft: ) zu neuen literarischen Denkfiguren zu gelangen, in denen man berechtigterweise Bausteine spürbaren Literaturaufschwungs während mancherlei des Mittelalters erblicken dürfte. Ein solches (im Grundsätzlichen gewiß zutreffendes) Fazit brächte freilich kaum bereits den ganzen Hintergrund der im 12. Jahrhundert verfeinerten Bildlichkeit einer enodatio quaestionis ans Licht. Es sollte nämlich kein Zufall sein, daß zur selben Zeit, seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts, in der Wissenschaftsentwicklung des Mittelalters eine neue, man darf sagen: epochemachende, Lehr- und Unterrichtsform Raum gewinnt und sich durchsetzt, die quaestio. Sie macht sich das altbekannte Verfahren, fragend Zugänge zur Problemlösung zu suchen, wie man es etwa in der Antike und bei den Kirchenvätern findet62, .systematisch zunutze, entwickelt es mit den Methoden der Dialektik zur formalisierten Technik weiter, so daß die traditionelle Texterklärung im Wege der lectio bald ins Hintertreffen gerät. Der Lehrbetrieb der Universitäten bringt diese Entwicklung im 13. und 14. Jahrhundert vollends zum Abschluß, in den Disputationen aller Fakultäten erlebt die nunmehr voll ausgeprägte quaestio disputata ihre Blütezeit.63 Für die Entwicklung der Denk- und Literaturform quaestio kommt den voruniversitären Schulen von Paris (Saint-Victor, Notre^Dame, Sainte-Genevieve) besondere Bedeutung zu. Eindrucksvoll und programmatisch hatte bekanntlich Abaelard die Epoche der quaestio mit
61
62
63
Vielleicht darf man anläßlich der besprochenen Verse aus Alans sogar erneut erwägen, der Dichter habe (bereits hier) auf Johanns enodatio-Mouvik (Metalogicon 2,10) mittels eigener Wiederaufnahme der Verschränkung von monstrare/enodare (Näm et ihi monstrabat qttod oporteat enodari - Vix nodosum ualeo nodum denodare / Et indemonstrabile monstrum demonstrare). Dies bleibt zugegebenermaßen ganz vage, zumal das Gedicht (als vermutetes <Jugendwerk>) noch in Alans Pariser Zeit entstanden sein dürfte. Zur Vorgeschichte der quaestio s. P. Hadot, La prehistoire des genres litteraires philosophiques. medievaux dans l'Antiquite, in: Les genres litteraires dans les sources thcologiques et philosophiques medievales. Definition, critique et exploitation, Louvain-la-Neuve 1982 (Universite Catholique de Louvain, Publications de l'Institut d'etudes medievales /5), l - 9; C. Viola, Mänieres personnelles et impersonnelles d'aborder un probleme: Saint Augustin et Je XIIC siccle. Contribution a l'histoire de la «quaestio», in: ebd., 11-30. Vgl. B. Lawn, The Rise and Decline of the Scholastic eröffnet64, doch blieb auch die Rolle, die in diesem Prozeß Abaelards Nachfolger am Genovefaberg, Robert von Melun (f 1167), spielte65, um so weniger im dunkeln, als sich von ihm Schriften in Quaestionenform erhalten haben. Vor diesem Hintergrund läßt sich nun das oben im Abschnitt 4 vorgestellte Zeugnis Johanns von Salisbury über seine Lehrer Albericus de Monte und Robert von Melun terminologisch noch ein wenig präziser fassen. Johann erlebt mit, wie Abaelards Lehrmethode am Genovefaberg auf fruchtbaren Boden fällt, Alberich und Robert setzen dort gleichermaßen die dialektische Ausrichtung des Unterrichts fort, indem sie sich der Lehrform quaestio bedienen. Diese ist von Anbeginn zweigeteilt, was später in den fakultätsöffentlichen Disputationen in einer Rollenverteilung auf den opponens, der divergierende Begründungen vorträgt, und den respondens, der die vorgetragenen Gründe einer Entscheidung zuführt (solutio), deutlicheren Ausdruck findet. Seine Lehrer Alberich und Robert beherrschen, so Johann, die Technik der quaestio höchst unterschiedlich. Während Alberich dem QuaeriturTeil größte Aufmerksamkeit widmet, alle nur denkbaren Argumente beizieht, sie mithilfe geeigneter auctoritates abstützt und umsichtig ein geradezu unerschöpfliches Problembewußtsein an den Tag legt, überzeugt Robert von Melun durch zielstrebige und pointierte Lösungen; niemals weicht er aus, notfalls räumt er ein, es gebe kein klares Ja oder Nein (in responsione promptissimus, subterfugii causa propositum nunquam declinauit articulum, quin alteram contradictionis partem eligeret, aut determinata multiplicitate sermonis, doceret unam non esse responsionem)66. Roberts überlieferte Quaestionen, etwa sein theologischer Erstling, die , bestätigen Johanns Urteil: der Problemaufriß bleibt knapp, erscheint vereinzelt lediglich als Fragestellung ohne nähere Darstellung des Pro und Contra, doch erweist sich der Gelehrte, mit Johanns Worten, in responsis perspicax, brems et commodus. Den gegensätzlichen Vorzügen beider Lehrer entsprechen umgekehrt Nachteile, wobei Johannes von Salisbury zu erkennen gibt, daß ihm die zupackende Art Roberts eher liegt als das spitzfindige Zweifeln Alberichs, das in die Nähe bloßer Sophistik gerät, ut [...] ei scirpus non esset enodis. Johann bezieht das antike Sprichwort in neuer, eigener Prägung auf Alberichs ##-Gebrauch, zugleich mit dem Gedanken einer enodatio (Nam et ibi monstrabat quod oporteat enodari), der für sich genommen freilich in dieser Zeit längst im
64
65
44
Im Prolog erläutert Abaelard die Fruchtbarkeit eines Forschens, das vom Zweifel ausgehend über die Frage zur Wahrheit gelangt: placet ut instituimus diversa sanctorum patrum dicta colligere, quae nostrae occurrerint memoriae atiquam ex dissonantia quam hab ere videntur, quaestionem contrahentia, quae teneros lectores ad maximum inquirendae veritatis exercitium provocent et acutiores ex inquisitione reddant. [...] Dubitando qnippe ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus (B. B. Boyer/R. McKeon [Hgg.J, Peter Abailard: Sie et Non. A Critical Edition, Chicago/London 1976 - 77,103). Dabei konnte sich Abaelard auf die Definition des Boethius, In Topica Ciceronis commentaria l (PL 64, 1048D) berufen: Quaestio vero est dubitabilis propositio. Für Robert von Melun erweist sich die quaestio bereits im technischen Sinn als formale Übung, welcher nicht notwendigerweise eine echte dubitatio zugrundeliegen muß: Quaestiones aliquando ßunt causa dubitationis, aliquando causa docendi (Grabmann [s. u. Anm. 65], 328). M. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2: Die scholastische Methode im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert, Freiburg/Br. 1911, 323-358; R. M. Martin (Hg.), CEuvres de Robert de Melun, Bd. l, Louvain 1932 (Spicilcgium sacrum Lovanicnse, ßtudes et Documents 13), XXXIV -XLVI. Hall (wie Anm. 45), 7L
176
Udo Kühne
Einklang mit der Wissenschaftsterminologie steht. Bezeichnenderweise führt der in Quaestionenform angelegte Paulinenkommentar Roberts von Melun den handschriftlich überlieferten Titel 67. Wenn Johann die Darstellungstechnik der quaestio als zukunftsträchtige Errungenschaft der zeitgenössischen Wissenschaft empfindet, so verkennt er gleichwohl nicht denkbare Fehlentwicklungen, die aus einem einseitigen Gebrauch des Verfahrens entstehen, wie ihn, je verschieden* der in höchstem Grade Alberich und der im entsprechenden Maße Robert repräsentieren68. Die Stelle <Metalogicon> 2,10 steht nicht singulär, auch andernorts formuliert Johannes von Salisbury kritische Einwände gegen Auswüchse der Methode69. Diese habe sich an geeigneten Gegenständen zu bewähren, frage man dagegen bloß um des Fragens willen, werde also das Disputieren zur Manie, bleibe jeder Erkenntnisfortschritt aus. Etwa zur selben Zeit gibt auch Alanus von Lilie zu erkennen, daß er mit dem neuen Wissenschaftsschema der quaestio nicht nur als Gelehrter, sondern zugleich als Literat und Dichter umzugehen weiß. Er benutzt es als formalen Rahmen für sein (oben im Abschnitt 5 vorgestelltes) Gedicht . Die poetische Gestaltung verdeckt diesen Rahmen keineswegs, im Gegenteil: sie gewinnt aus ihm ihre Disposition. Ins Vokabular der aktuellen Wissenschaft (V. 37 ff. questio [...] an [...]an; V. 41 dubitatio\ V. 42 questio sophistica; V. 43 disputatio; V. 44 solutio; V. 145 non ulterius questio procedat) reiht sich der Gedanke einer enodatio quaestionis treffend ein, so daß Alanus ihn in seinem Prosimetrum findet sich bei L. Hödl, Art. , in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995,349 f., hier 350, dort bezogen auf die Rollen des opponens und respondens in den Disputationen der Universitäten. Vgl. z. B. <Metalogicon> 2,8 und 2,29. Einen Beleg für die spätere Verwendung des Proverbs innerhalb der literarischen Gattung quaestio selbst und ebenfalls bezogen auf ein Problem wissenschaftlicher Methodik bietet im 13. Jahrhundert der Pariser Gelehrte Heinrich von Gent, , q. 16: nullo modo dubitare debet quin voluntarium malum t nullam causam aliam habet quam voluntarium defectum voluntatis, et qui quaerit aliam, nodum quaerit in scirpo. Quaerit enim causam positivam ubi nullä est et quaerit causam defecttts ivoluntarü voluntatis, cuius nulla alia causa est quam ipsa voluntas sibi. Et benepatetper Philosophum qttodinpnmis quae non babenr causam aliam, non habet locum quaestio per quare (R. Macken [Hg.], Henrici de Gandavo opera omnia, Bd. 5, Leuven/Leiden 1979,111). Vgl, F. Chatillon, Nodum in scirpo! Contribution a l'etude du premier Quodlibet d>Henri de Gand, in: Revue du Moyen Äge Latin 36 (1980), 144 ^,150. Für inhaltliche Diskussion danke ich Markus Asper (Konstanz) und Martin Pickave (Köln).
ADA NESCHKE-HENTSCHKE Friedrich August Wolf et la science de l'humanite antique («Altertumswissenschaft») Contributions ä l'histoire des sciences humaines1
1
Note bibliographique: dans les notes nous nous refeirons aux textes et etudes suivants (repris par le nom de leur auteur et Pannee de parution) Sources: Boeckh A. (1886), Enzyklopädie und Methodenlehre der Altertumswissenschaft, reimp. Darmstadt 1966. Humboldt G. de (1821), La täche de Thistorien. Introduction de J. Quillien, traduction et notes de A. Disselkamp et A. Laks, Lilie, 1983. Leibniz G. W. (1686), Discours de la metaphysique, ed. par G. le Roy, Paris 1988. Winckelmann J. J. (1755), Gedancken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauerkunst. L. Uhlig (ed.), Stuttgart 1982. Winckelmann J. J. (1764), Geschichte der Kunst des Altertums. Darmstadt 1972. Wolf R A. (1935), Ein Leben in Briefen. S. Reiter (ed.) 2 Bde., Stuttgart. Wolf F. A. (1839), Vorlesungen über die Alterthumswissenschaft. J. B. Gürtler et S. E W Noffmann (ed.), Leipzig 1839 ss., 5 Bde., 1. Band: Vorlesung über die Enzyclopädie der Alterthumswissenschaft (J. D. Gürtler, ed.) Leipzig. Wolf, E A. (1872), Prolegomena ad Homerum. Editio nova cum notis ineditis Immanuelis Bekkeri, Berolini. Wolf, E A. (1869), Kleine Schriften in lateinischer und deutscher Sprache. G. Bernardy, ed., 2 Bde., Halle. Etudes: Bauer G. (1963), Geschichtlichkeit. Wege und Irrwege eines Begriffs. Berlin. Funke H. (1990), «E A. Wolf. 15. Februar 1759-8. August 1824». In: Classical Scholarship. A biographical encyclopedia, ed. by W. W. Briggs & W M. Calder III. New York/London, pp. 523-528. Fuhrmann M. (1959), «F. A. Wolf. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstags am 15. Februar 1959». Deutsche Vierteljahresschriftfür Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 33,1959,pp. 187-236. Hentschke A., Muhlack U. (1972), Einführung in die Geschichte der Klassischen Philologie, Darmstadt. Horstmann A. (1978), «Die Klassische Philologie zwischen Humanismus und Historismus. F. A. Wolf und die Begründung der modernen Altertumswissenschaft» In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Band 1. Frankfurt, pp. 51 - 70. Horstmann A. (1979), Der Mythosbegriff vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. Archiv für Begriffsgeschichte 23, pp. 7-54. Ineichen H. (1975), Erkenntnistheorie und geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit. Diltheys Logik der Geisteswissenschaften. Frankfurt a. M. Kambartel F. (1968), Erfahrung und Struktur, Frankfurt. Laks A., Neschke A. (1990), La naissancc du paradigme hermeneutique. Schleiermacher, Boeckh, Humboldt, Droysen. Lilie. Marino L. (1993), Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770-1820. Göttingcn. Muhlack U. (1985), Klassische Philologie zwischen Humanismus und Neuhumanismus. In: Wissenschaft im Zeitaller der Aufklärung (hsg. v. R. Vierhaus) Göttingen. Muhlack U. (1991), Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München.
178
Ada Neschke-Hentschke /. Introduction: la problematique du concept wolfien de philologie
Les reflexions suivantes portent sur la conception de l'histoire teile que F. A. Wolf, le grand erudit du XVIIIe siecle l'a defendue. Cette conception pose d'erablee un probleme, et ce a partir de sä notion de philologie que rencontre dans deux contextes differents: 1. Dans le contexte de son hermeneutique: une etude de Thermeneutique de WolF peut montrer que ce dernier, bien qu'il passe pour le fondateur de lä philologie classique moderne, ne Test en fait pas veritablement si entend par «philologie» Tetude des auteurs seuls, de leurs «discours» ou leur «logoi». Plutot favorable a l'identification de la philologie avec l'histoire, Wolf insiste par consequent, dans son chapitre «Hermeneutique» sur le fait que seul le «sensus historicus» est le sens ä eher eher par rhermeneute-philologue. Simultanement, il reduit le champ de recherche hermeneutique aux auteurs greco-romains. Cette reduction semble etre illogique: la philologie est une science historique, mais eile ne peut avoir pour sujet que TAntiqüite greco-romaine. 2. La meme question se pose a partir de sä definition de la «philologie» proposee dans ses «Cours sur Tencyclbpedie de la philologie»3. Le philologue, selon Wolf, serait «derjenige, der die älteren Begebenheiten aus den Schriftstellern der alten Zeit oder den Zustand älterer Zeiten aus den Monumenten oder Sagen kennt, also ein Liebhaber historischer Gelehrsamkeit». A nouveau, le philologue de Wolf s'avere etre Thistorien; pourtant Wolf refuse quelques lignes plus loin la pössibilite d'une philologie (= histoire) des temps modernes. Elle ne peut se referer qu'au passe et en particulier au passe grecö-romain. A la lümiere de notre conception de Thistoire, ces propos de Wolf comportent un paradoxe: la philologie est une science historique, mais eile ne peut porter que sur rAntiqüite greco-romaine.
Neschke-Hentschke A. (a paraitre), «Hermeneutik in Halle II. F. A. Wolf und E D. E. Schleiermacher». In: Fremdheit und Vertrautheit. Hermeneutik im internationalen Kontext (Enskat R. et Greisch J., ed.). Aussi in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 40. Neschke-Hentschke A. (1990), Carl Morgenstern. De Platonis Republica commentationes tres. Halae 1794. Antike und Abendland, XXXIV, S. 152-162 Neschke-Hentschke A. (1992), Le degre zero de la philosophie platonicienne. Platon dans la Historia critica philosophiae de J. J. Brucker (1742). Revue de Metaphysique et Morale. Doxographie antique, pp. 377-400. Paulsen F. (1919/1921), Geschichte des Gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht. Erweiterte Auflage., hsg. v. R. Lehmann, Berlin 1965 (= Reimpr. de l'ed. de 1919/1921). Pfeiffer R. (1976), A History of Classical Scholarship. From 1300-1850. Oxford. Quillien J. (1983), G. de Humboldt et la Grece. Lilie. Quillien J. (1985), «Introduction» a: G. De Humboldt, La tache de l'historien. Traduction et notes par A. Laks et A. Disselkimamp. Lilie, pp. 9-43 Rein-Rudolph U. G. M., Winckelmanns Begriff der Schönheit. Über die Bedeutung Platos für Winckelmann. Diss, Bonn, typosc. Schmidt P. L. (1987), «Friedrich August Wolf und das Dilemma der Altertumswissenschaft.» In: Konferenz zur 200. Wiederkehr der Gründung des Seminarium philologicum Halense durch F. A. Wolf am 15. Oktober 1787. In: Beiträge hsg. v. J. Eben u. H. Zimmermann. Martin-Luther-Universitat-HalleWittenberg. Wiss. Beiträge 1989/36. Halle 1989. Walther G. (1997), «F. A. Wolf und die Hallenser Philologie - ein aufklärerisches Phänomen?* -In: N. Hammerstein, Universitäten und Aufklärung, Göttingen, pp. 125-136. 2 Neschke (a paraitre). .; 3 Wolf (l 839), p. 10.
Friedrich August Wolf et la science de Thumanite antique
179
Nous allons donc essayer d'apporter de la lumiere sur ce paradoxe. A cette fin, nous etablissons l'hypothese de travail selon laquelle Wolf aurait defendu im autre concept de l'histoire et qu'il faudrait des lors eclairer ce concept pour comprendre la logique wolfienne. Toutefois, avant d'aborder notre enquete, interrogeons-nous d'abord sur la valeur d'une teile investigation. En fait, Wolf a-t-il ete un penseur d'une importance teile que la mise en evidence de son concept de l'histoire promette d'acquerir une comprehension plus profonde de ce qu'est ou a ete Fhistoire? Qui etait F. A. Wolf, que nous en disent les recherches actuelles et comment ont-elles interprete le paradoxe dont je viens de parier? F. A. Wolf, ne en 1759 en Allemagne et mort en 1824 en France, est communement reconnu comme le fondateur d'une nouvelle discipline, appelee par lui l'«Alterthumswissenschaft». Cette nouvelle science marque un tournant important a l'interieur de l'histoire intellectuelle de l'Allemagne du XVIIIe siecle. En effet, eile est communement consideree comme la manifestation de l'enthousiasme que portaient les Allemands aux Grecs classiques4. Cet enthousiasme fut amorce et nourri par Johann Joachim Winckelmann, premier veritable historien d'art de notre tradition dont les ecrits, parus en 1755 et 1764, presentaient les Grecs classiques comme modele aux Allemands5. Ce meme enthousiasme fut encore ä l'origine de la fondation de l'universite la plus importante du XIXe siecle, l'Universite de Berlin, fondee sur la conception de W. von Humboldt, elaboree par ce dernier en echange direct et intense avec F. A. Wolf. En clair, la fondation de l'Alterthumswissenschaft effectuee par Wolf ä l'Universite de Halle n'etait que le debut d'un mouvement decisif dans Pevolution de l'Allemagne, appele le «Neuhumanism»6. Ce mouvement preconisait la formation des jeunes Allemands par des connaissances en litterature et en art greco-romains, fournies par le gymnase. Completees par l'etude de la philosophie, elles constituaient pendant tout le XIXe siecle le cursus fondamental de la «facultas artJum», appelee des lors faculte de philosophie7. De ce fait, l'importance historique de Wolf est un phenomene evident. Par la, on comprend le genre d'etudes entamees sur Wolf depuis quarante ans: ces etudes ont pour la plupart comme motif un anniversaire, que ce soit celui de Wolf (1959)8, celui de son Institut de l'Alterthumswissenschaft (1985)9, ou encore celui de l'Universite de Halle (1694-1994)10. Wolf a suscite l'interet des chercheurs en tant que fondateur d'une discipline academique mondialement reconnue. Comme cette discipline existe toujours et que ses representants se sont rappeles de Wolf, leurs etudes expriment une certaine auto-interrogation sur la discipline, relative au meme paradoxe que nous venons d'evoquer. Certes, Wolf est un fondateur. Mais quel est le sens precis de cette fondation? Son Altertumswissenschaft fait-elle veritablement partie de l'histoire ou n'est eile pas seulement un appendice a l'humanisme de Winckelmann?
4
Ce phenomene a ete etudie par J. Taminiaux, La aostalgie de la Grece ä Taube de l'idealisme allemand. Kant et les Grecs dans ritineraire de Schelling, Hölderlin et de Hegel, La Haye, 1967. 5 Winckelmann (1755) et (l 764). 6 Cf. les etudes de Hcntschke-Muhlack (1972) et Muhlack (1985). 7 Cf. Paulsen (1921) vol. 2, pp. 210-362. 8 Cf. Fuhrmann (1959). * Cf. P. L. Schmidt (1987), 50 Cf. Walther (1997) et Neschke (a paraitre).
180
Ada Neschke-Hentschke
Les termes du debat ont cte clairement fixes par Axel Horstmann qui situe Wolf entre Phistorisme et Phumanisme11. En effet, les interpretes de Wolf tels que Manfred Fuhrmann, Horstmann meme, Peter Lebrecht Schmidt et Gerrit Walther, insistent beaucoup sur Phistorien Wolf: d'apres Schmidt, Wolf utilise les ceuvres classiques uniquement pour en reconstruire la realite historique; d'apres Fuhrmann, il cherche a connaitre le passe en tant que «particulier» (das «Besondere»), Walther lui prete Pidee de la conscience historique ets selon Horstmann, il est pur historien par sä methode critique historique appliquee avec rigueur dans ses fameuses etudes sur Homere. A ce sujet, on cite volontiers Wolf lui-meme dans sä preface a Plliade: «Tota nostra quaestio historica et critica est, non de optabili re, sed de re facta»12 pu encore «Amandae sunt artes, sed reverenda est historia»13. On peut citer aussi Muhlack (1991), qui designe Wolf comme Tun des «Protagonisten des neuen historischen Denkens»14. Les interpretes en ont conclu que Wolf se situe deja du cote du concept de Phistoire de Phistorisme, ä savoir de celui de Ranke, oü toutes les epoques sont egalement dignes d'etre connues par rhistorien-chercheur. Par consequent, Pon regrette cette attitude de Wolf qui consiste ä exalter PAntiquite greco-romaine, consideree comme seul objet digne de la recherche historique et on Pinterprete comme un heritage de Phumanisme winckelmannien, mal integre dans la conception de Phistpire de Wolf qui semble etre, gräce ä sä pratique historique, tout a fait moderne15. Envisage a la lumiere de la recherche actuelle sur Wolf, notre paradoxe ne s'est donc nullement affaibli, il s'est plutöt amplifie: d'emblee, il apparait comme un dilemme (c'est ainsi que Pappelle Schmidt) ä Pinterieur de la theorie de Wolf. Ce dilemme est circonscrit de la fagon suivante: Wolf est Pun des premiers a avoir une idee claire de ce qu'est Phistoire. Elle consiste surtout dans Pinteret du chercheur poür les faits particuliers du passe. Cet interet exige un ethös precis, dejä manifeste par Thucydide, c'est-ä-dire une attention critique portee aux sources et aux temoignages pour atteindre la realite disparue, pour la reconstruire. Wolf, dans ses «Prolegomena ad Homerum», n'insiste-t-il pas sur cet ethos, n'exige-t-il pas la reconstruction des faits par Petude critique des sources et des temoignages, ne cherche-til pas clairement la «res facta»16? Ainsi, son Alterthumswissenschaft, teile qu'il la pratique, serait donc le premier verkable temoin d'une discipline historique comprise a la lumiere de Phistorisme du XIXe siecle. Mais Wolf n'a malheureusement pas ete consequent; la reduction de ses recherches ä PAntiquite greco-romaine contredit ouvertement sä conception de Phistoire. En fait, comme Paffirme Horstmann, il reste ä mi-chemin entre Phistorisme et Phumanisme. Face a cette Situation de recherche inextricäble, dans laquelle le dilemme wolfien s'exprime ä chaque fois de maniere differente, il convient de se poser deux questions. Tout
11 12 13 14
15 16
Horstmann (1978). Wolf (1869), vol. l, p. 197. Op.cit.,p.211. Op. cit., p. 418. . Walther, par comre, est le seul a relever les liens rattachant Wolf a la «Spätaufklärung». Cf. A. Grafton et al., Wolf Friedrich August. Prolegomena to Homer, transl.,from die 1795 original with introd. and notes, Princeton 1985.
Friedrich August Wolf et lä science de Fhumanite antique
181
d'abord, Wolf est-il conscient d'un tel dilemme? Une relecture attentive de ses ecrits ne Tindique aucunemeht, mais fait apparaitre plutot un penseur qui cherche ä rendre coherents ses arguments. Deuxiemement, si le dilemme est eprouve plutot par les interpretes que par Pinterprete et qu'il releve d'un paradoxe ä Pinterieur de la conception de Phistoire defendue par Wolf, ne faut-il pas revoir ce concept meme? Notre coup d'oeil sur la recherche nous ramene donc ä la meme question qui s'estposee ä partir de la notion wolfienne de philologie: comment peut-on entendre par «philologie» Phistoire et pretendre qu'elle n'aurait pas d'autre sujet que PAntiquite greco-romaine? Ne faut-il pas se demander ce qu'entend Wolf par le terme «histoire» et quelle est la nature de son Alterthumswissenschaft en tant que science historique? Anticipant la reponse qu'üne relecture des Legons de Wolf sur la science de PAntiquite nous a fournie, nous pouvons enoncer Paffirmation suivante: Wolf a certes fonde PAlterthumswissenschaft cornme science d'une epoque historique, mais il ne Pa pas fondee comme une science historique au sens moderne; la science de Wolf et la science actuelle n'ont en commun que le referent, ä savoir une epoque du passe, les Grecs et les Romains. Mais leurs interpretations de ce referent divergent profondement. Notre these est donc la suivante: UAlterthumswissenschaft de Wolf ne fait pas partie de Phistoire, mais de Panthropologie philosophique. Par lä, eile n'anticipe pas, comme le pretendent unanimement les interpretes de Wolf17, Phistorisme du XIXe siecle, mais eile prolonge le concept de Phistoire des Lumieres18. Ce concept vient d'etre recemment elabore par U. Muhlack dans son ouvrage sur la «Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung». Uon retiendra comme resultat important Pidee selon laquelle les historiens des Lumieres consideraient Phistoire sous un double eclairage, que Muhlack nomme un dualisme: Phistoire concrete passe pour la seule realisation d'une histoire abstraite et normative. Uhistoire des hommes est Phistoire de 1 en tant que nature determinee. Comme le montrent abondamment les citations que fait Muhlack des erudits de Göttingen, ce meme concept a ete mis en pratique par ceux que Luigi Marino19 a appeles les «Praeceptores Germaniae» du XVIIIeme. Le fait que Wolf a fait ses etudes ä Göttingen doit etre souligne: il n'a point ete autodidacte comme le pretend Hermann Funke dans un article biographique recent ...!20 En effet, la conception wolfienne de Phistoire reflete fidelement la conception de Phistoire des Lumieres. C'est uniquement gräce ä cette conception que Wolf a pu legitimer la reduction de la science de PAntiquite ä PAntiquite greco-romaine.
17
Sur ce poinc Walther ne fait pas cxception, en depit de son merite d'avoir souligne les traces de l'Aufklarung chcz Wolf. 18 Ceia est manifeste ä partir des «Vorlesungen». Dans la celebre «Darstellung der Alterthumswissenschaft» de 1807 (in: Wolf (1869), en particulier pp. 808-810), Wolf se sert d'une rhetorique de classicisme a ia Goethe. Mais c'est une question de forme et non de fond. Par la, il se distingue de F. Ast, son contemporain, qui, en tant qu'eleve de Schelling, ne se situe ni dans le courant des Lumieres ni de l'historicisme, mais dans rcsthcticisme winckelmannien, interprete a partir d'une philosophie de l'esprit («Geist») empruntee ä Schelling. Voir sur Ast les remarques pcrdncntcs de P. Szondi, Einführung in die literarische Hermeneutik, Frankfurt 1975, pp. 139-154. 19 Cf. le titre de son ouvrage, Marino (1993). 2 - Cf. Funke (1990), p. 523.
182
Ada Neschke-Hentschke
Pour etayer cette these nous parcourrons les etapes suivantes: 1. Nous tenterons d'etablir les parametres permettant de determiner la comprehension actuelle de Phistoire en tant que science historique (Ha). Ensüite.nous montrerons brievement que les interpretes de Wolf lui attribuent sans hesitation une teile comprehension (Ilb). 2. Nous analyserons la conception de la science historique chez Wolf d'apres les parametres etablis pour mettre en evidence les convergences et les divergences (III). 3. Enfin, nous terminerons notre parcours en illustrant la science historique de Wolf par Pexemple de la science de la langue, la grammaire (IV). Cet exemple nous apportera un double resultat: a) il illustrera Pidee d'une science philosophico-historique, b) il devoilera Parriere-plan «ontologique» de la science de Phomme, a savoir la notion qu'a Wolf de la «realite». II. La science historique d'apres la conception contemporaine H.a. Les cinq caracteristiques de la conception contemporaine Notre comprehension contemporaine de la scienee historique dpit la plüpaft de ses conceptions ä la discussion anti- et posthegelienne menee paf des hommes tels que Schleiermacher, Boeckh, Droysen et Dilthey21. Cette discussion nous a appris a Interpreter Phistoire de Phomme en tant qu'expression de son historicite22. Cela iniplique qu'il faut avoir une vision precise de la science historique consideree sous cinq aspects: 1. son domaine, 2. son autonomie, 3. sä methode, 4, son procede et son but, 5. le mode d'evolution de Phistoire. La science historique a en effet un domaine propre, en tant qu'elle cherehe ä saisir Phomme phenomenal, ä savoir Phomme concret, fini, individuel en tant que partiadier - ce qui s'oppose ä Yindividuel en tant que concretisätion de Puniversel - et enfin, comme etre moral, autonome puisque donnant lui meme une regle ä son action et n'etant nullement souniis a une regle generale. Le domaine de la science historique est, de ce fait, le domaine du particulier et du contingent qui s'oppose au domaine des regles strictes - tel Je domaine de la nature dont s'occupent les sciences naturelles. U s'oppose egälement au domaine du philosophe qui, Oriente vers Puniversel, ne cherehe pas ä eclairer les phenomenes particuliers historiques ou naturels, mäis la phenomenalite des phenomenes memes. Ce domaine propre de Phomme en tant que particulier et etre libre, fonde un savoir propre. La science historique peut donc se reclamer de Pautonomie qui lui est fournie et garantie par le caractere propre de son objet. Uautonomie de la science historique s'appuie en meme temps sur sä methode propre: Pindividu en tant que particulier n'est pas saisissable a partir d'une loi ou d'une construction theorique se servant du cas individuel uniquement comme facteur de verification. II n'est ä percevoir qu'a partir d'um «empirisme» total. Cet ^mpirisme exige de Phistorien qu'il soit a Vecoute des temoins et des spurces directs, qu'il critique leur fidelite et interprete les informations qu'ils fournissent pour la saisie d'ün evenement ou d?un ensemble d'evenements % particuliers. 21 22
Cf. Laks, Neschkc (1990), pp. 121 ss., 327 ss., 359 ss.; Ineichen (1975), p. 145 ss, Sur ce terme dont l'usage est souvent abusif, voir le travail de Bauer (1963).
Friedrich August Wolf et la science de Phumanite antique
183
De ce fait, le caractere global de la methode differe largement des sciences exactes: rien n'est construction d'apres une loi generale permettant un pronostic, tout est re-construction s'effectuant par le diagnostic des situations globales et des chaines d'evenements donnees. Le but est alors de reconstruire ces situations dans la particularite de leur constellation ou ces evenements dans leur contingence. Cette science autonome, avec sä methode et son but appropries, correspond a une vision globale de Phistoire, ce dernier terme etant compris comme synonyme d'evolution. Uhistoire ou evolution de rhomme se presente comme une chaine continue de faits contingents. Cette chaine vient d'un passe lointain, difficile a reconstruire par les methodes classiques de Fhistöire. En outre, eile se perd dans un futur inconnu dont il n'y a pas de science, mais uniquement de la «science fiction». Il.b. La lecture contemporaine de Wolf ä partir des cinq caracteristiques Cette idee de l'histoire nous est familiere au point que nous la prenons comme une idee platonicienne, a savoir une idee eternelle, sans nous rendre compte de sä propre historicite. Elle va - pour ainsi dire - «de soi». Ce phenomene saute aux yeux si nous nous penchons maintenant a nouveau sur les interpretes de Wolf et sur leur appreciation de son apport a la science historique. Axel Horstmann attribue volontiers ä Wolf un empirisme radical qui refuse toute approche philosophique et speculative, ce qui implique qu'il lui attribue la recherche du particulier23. Cela est explicitement fait par M. Fuhrmann qui, ä partir des «Prolegomena», affirme que Wolf etait obstinement ä la recherche de la particularite de tout phenomene historique, bien qu'il projette sur la particularite des Grecs - a savoir leur originalite - une idealite atemporelle et, par la, a-historique24. Schmidt, pour sä part, etudie la notion d'encyclopedie de Wotf. En presupposant selon la notion actuelle de «reconstruction» que WoH envisage une reconstruction fidele de toute TAntiquite, Schmidt renouvelle la critique que A. Boeckh dejä avait adressee ä Tencyclopedie de Wolf25: son concept encyclopedique de la science de TAntiquite, comprenant quelque dix ä treize disciplines, est juge comme etant a la fois arbitraire et deficient. Schmidt attribue cette deficience ä rhumanisme de Wolf l'empechant de realiser une verkable reconstruction complete26. Enfin, Hermann Funke resume en quelques mots la position des autres interpretes: il prete ä Wolf l'idee de k recherche positive comme expression de la pensee historique, a laquelle il oppose la polymathie baroque27. En fait, Funke exprime plus clairement que les autres ce qui est leur denominateur commun, ä savoir la these selon laquelle Wolf est deja du cote de l'historisme du XIXe siecle et qu'il en est, bien que sous reserve, un des premiers representants28.
23
Horstmann (1978), p. 59. Fuhrmann (1959), p. 232. 25 Boeckh {1886), pp. 39-44. 26 Schmidt (1987), pp. 65-72. 27 Op.cit.,pp. 523-525. * Le meine avis chez Muhjack, 1991 p. 418.
24
184
Ada Neschke-Hefttschke ///.
La conception de Wolf des dnq caracteristiques de la sdence de l'Antiquite
Ill.a. Les cinq caracteristiques chez Wolf a. Le propre du domaine
Cherchons alors a saisir comment Wolf lui-meme interprete sä science. Pour ce faire, nous nous appuyons sur la seule source explicite sur ce sujet, a savoir les Lec,ons donnees par Wolf entre 1787 et 1807 sur Pencyclopedie de la philologie29. Considerons d'abord le domaine propre de la science de PAntiqüite. Pour le säisir, rappelons la fa9on dont Wolf caracterise cette science. Comme toute science, eile est philosophico-historique (p. 11). Uadjectif «historique» ne veut pas dire qu'elle est une science du domaine de Phistoire, mais un savoir des faits, ce qui signifie qu'on peut aussi concevoir Phistoire de la nature («Naturgeschichte») en tant que recherche des faits. Les termes «historique»-«histoire» ne renvoient donc pas a uri domaine, mais a un mpde de savoir. Wolf se sert ici d'une tres ancienne dichotomie du savoir en savoir des faits (ou savoir empirique) et en savoir des causes qui depassent Pempirisme et sont propres a la philosophie. Cette dichotomie remonte au premier livre de la Metaphysique d'Aristote oü ce dernier distingue la connaissance des faits (du «hoti»), de la connaissance du «pourquoi» (du «dihoti») qui renvoie au concept, a une cause universelle. En fait, Wolf se sert de cette dichotomie, valide jusqu'a la philosophie des Lumieres30 (p. 15), pour fonder le caractere philosophique de la science de PAntiquite dans le savoir des causes. Ces causes ne sont plus de l'ordre du particulier, mais de Pordre du general, la cause la plus generale des phenomenes humains etant, de ce fait, Pidee dePhumanite, de la «Menschheit» (pp. 13-15). Gräce a une notion generale comme cause, Pon peut acquerir une notion philosophique d'une epoque. Cette these fournit la base de toute Interpretation de Phistoire des Lumieres: «Das von Humanisten und Aufklärern gleichermaßen postulierte oder befolgte Fundamentalgesetz ist die Natur des Menschen»31. Elle consiste a mesurer Phomme concret d'apres ce que Phomme en tant qu'homme (la nature universelle de Phomme) peut devenir: ainsi, par exemple, une culture humaine peut rester au niveau plutot naturel-biologique. Mais eile peut aussi s'elever au rang de civilisation politique. Pourtant, dans le meilleur des cas, eile peut davantage atteindre Pesprit ecläire32, et acceder a la culture scientifique. Le champ de la recherche s'avere certes etre ainsi Pindividuel et le concret, c'est-ä-dire une civilisation concrete; toutefois celle-ci n'est pas consideree en tant que particuliere, differente d'autres civilisations, mais bien en tant qu'individuelle concretisant un universel, Phomme «tout court». Comme la science de PAntiquite de Wolf se definit par le double aspect historique et philosophique, le scientifique est amene a chercher un universel dans le concret. De ce fait, la reduction a PAntiquite greco-romaine est pleinement justifiee. Seules les civilisations grecoromaines ont pousse les possibilites de Phomme en general a leur apogee: elles ont atteint 29 30 31 32
Cf. Wolf (l 839), pp. l ss. (par la suite, nous he rerivoyons qu'ä la page citee). Cf. Kambartel (1968), pp. 50-86; Neschke (1992), p. 390. Muhlack (1991), p. 321. Wolf (1839), p. 15. Le mot «Aufklärung» est ici utilise avec emphasc. Ce passage n'a pas 6te utilise par Walther.
Friedrich August Wolf et la science de Phumanite antique
185
Petat eclaire, le Statut le plus developpe de Phomme. A cette etat correspond une constitution republicaine garantissant la liberte politique et avec eile, celle du discours. La reduction, chez Wolf, de la connaissance de PAntiquite aux Grecs et aux Romains implique donc son concept de science qui n'est pas historique au sens actuel: ce ne sont pas les faits pour les faits qui Interessent, a savoir la facticite, le contingent, le particulier, mais seülement ces faits qui temoignent de ce qui n'est plus un fait, mais une idee generale: Pidee de Phomme - die «Menschheit». Le champ de la recherche de Wolf est Phomme - comme le dit Wolf expressement — «die alterthümliche Menschheit» (p. 31), ce qu'on peut traduire par «Phumanite dans PAntiquite». Par consequent, la science de Wolf est, d'apres notre terminologie, plutot une discipline anthropologique philosophique qu'une discipline historique. Connaitre Phomme («Menschenkenntnis», a savoir la connaissance de Pespece, p. 31) est le privilege d'une science qui choisit pour seul objet une epoque oü Phomme s'est veritablement realise, oü toutes ses possibilites se manifestem au niveau du fait concret, offrant par lä un terrain favorable pour la recherche - F«historia». Vue sous ce jour, la vision de Phistoire defendue par Wolf s'inscrit pleinement dans la conception d'une histoire ä double face, teile qu'elle a ete presentee par U. Muhlack33. b. Uautöriomie Uautonomie de la science de PAntiquite est un des grands soucis de Wolf. Pour etablir cette autonomie, il fonda en 1787 le seminaire philologique et presenta son fameux cours sur «Pencyclopedie philologique». Mais en quoi consiste cette autonomie? Ce n'est pas encore Pautonomie de la science historique teile que la defendra Boeckh contre la philosophie34, c'est Pautonomie d'une science philosophico-historique de Phomme, que Wolf oppose ä une science de Dieu (la theologie). Dans une lettre du 27. 10. 1788, il designe le philologuechercheur de PAntiquite sous le terme de «doctor rerum humanarum» pour Popposer au theologien, au «doctor rerum divinarum»35. Uautonomie de sä science ne se fonde donc pas sur un aspect des phenomenes humains, leur particularite et leur contingence, mais sur Phomme meme en tant que concretisation de sä nature universelle. c. Lebut De cc fait, Pon comprend le but de la science wolfienne, a savoir la «Menschenkenntnis» — connaissance de Phumanite (pp. 31-32). Comme Phomme, pour Wolf, se realise en particulier par le langage et le discours (et seülement partiellement par Part - ce qui fonde la difference entre son optique et Phumanisme de Winckelraann), son but s'integre dans Panthropologie qu'avait dejä poursuivie son maitre a Göttingen, Christian Gotdob Heyne. Heyne avait ete Pun de.s premiers - apres Giambattista Vico - ä etudier Pexpression langa33
Muhlack (1991), pp. 275-281. * Op. cit., pp. 9-20. La meine defensc se trouve chez Humboldt, cf. Quillien (1983 pp. 111-125 et 1985 pp. 17-20). 55 Wolf (1935), vol. l, p. 69.
186
Ada Neschke-Hentschke
giere mythique des Grecs pour la reconstruction, non des Grecs veritablement, mais de Thomme primitiP6. Cet interet anthropologique etait tres developpe a. Göttingen, comme Pa souligne Marino37. Wolf, sous cet angle, poursuit d'une fagon consequente une yoie qui lui avait ete ouverte pendant ses etudes a Göttingen.
d. La methode et les sciences particulieres Uapprentissage de Wolf a Göttingen transparait aussi dans sä methode. Uhistoire comme recherche des faits y a ete fortement favorisee, et ce dans une meme optique: non pas pour les faits eux-memes, mais pour les integrer dans une connaissance de Phomme. Nous allons y revenir plus tard pour en decrypter la raison prpfonde, ontologique. Pour le moment, soulignons que les methodes positivistes de Wolf, si appreciees par ses interpretes actuels, sont la seule verkable convergence de sä science avec Phistoire actuelle. Wolf les pratique pour reconstruire un phenomene concret, pourtant il n'interprete pas ce dernier comme un fait tout pärticulier, mais comme une individuation ou concretisation d'un concept general, rhomme. De ce fait, les Grecs ne sont pas uniquement un peuple individuel, ils sont a la fois un modele de rhomme. Cette meme optique fonde le choix des sciences particulieres qui, selon Wolf, constitue Pencyclopedie de la science de PAntiquite. Nous soulignons avec insistance le fait que ce choix n'est nullement arbitraire comme l'avait pretendu Boeckh38, suivi par Peter L. Schmidt39. Wolf distingue d'abord les sciences fundamentales qui constituent Torganon de la science de PAntiquite, ä savoir la grammaire, Phermeneutique et lä critique. Ces trois sciences ont pour objectif commun de donner acces aux sources et aux temoins ä partir desquels une reconstruction des faits peut etre effectuee. Mais ce n'est pas n'importe quel fait qui interesse Wolf. Pour cette raison, Peventail des sciences particulieres est restreint. II se regroupe autour du fajt le plus important, ä savoir la culture scientifique et artistique d'une pivilisation, temoin de sä participation a Pesprit eclaire de Phomme. De cette culture, il faut connaitre le contexte local *- la geographie est alors necessaire - et son Organisation temporelle - a savoir sä Chronologie et son histoire politique. Outre le lieu et le temps dans lesquels se developpe une civilisation, il faut connaitre les etats et structures de longue duree - ce qui signifie connaitre les «antiquites»-«Alterthümer» (p. 26). Et comme une civilisation n'est pas un phenomene statique, mais qu'elle evolue d'une maniere organique, il faut reconstruire cette evolution ä partir des etats primitifs de Phomme - ce qui exige la discipline de la mythologie (voici en quoi consiste Pheritage de Heyne). Or, ayant etudie Penfance d'un peuple, on appreciera le sommet de sä culture, ä savoir la science et Part - ce qui est realise dans Phistoire des scienees et de Part; mais pour connaitre Pensemble de Pevolution intellectuelle du peuple etudie, Phistoire de la litterature rendra un service precieux, car la langue et la litterature sont Pexpression la plus directe de Phomme (pp. 27-29).
36 37
38 w
Horstmann (1979), pp. 21-22, Op. cit., p. 110 ss. Op. cit., pp. 39-44. Op. cit., pp. 22-23.
Friedrich August Wolf et la science de Phumanite antique
187
e. La vision globale de Phistoire Ce catalogue des dix disciplines partielles de la science de PAntiquite40 fait apparaitre diverses premisses fundamentales de cette meme science: D'apres Wolf, Phomme est un etre destine a developper k science et Part. Chaque civilisation parcourt un circuit ferm6. Uhistoire comme evolution n'est donc pas pensee comme la chaine des evenements contingents et particuliers, ordonnee selon une ligne droite sans debut et sans fin determinee, mais comme la succession des civilisations parcourant chacune un circuit ferme qui se decompose en une periode d'enfance, de maturite et de vieillesse. C'est un scheme antique repris aussi par Winckelmann dans son «Histoire de Part grec». UAntiquite connue (les figyptiens, les Grecs etc.) constitue le veritable debut de Phumanite (la prehistoire ne fait pas partie de la conception wolfienne de Phistoire). De ce fait, la mythologie est cette discipline particuliere qui, traitant des origines des premiers peuples, se consacre en meme temps a Penfance de Phomme «tout court». De meme, si un peuple a developpe une branche de civilisation hors du commun, la saisie de cette caracteristique propre permet aussi celle de Phumanite entiere. Tel est le cas des Grecs qui, au sujet des sciences, ont ete depasses par les scientifiques modernes (p. 21), mais qui, par leur sens esthetique et leur production artistique, ont atteint un sommet auquel aucune autre civilisation n'a reussi a parvenir (p. 29). Nous avons dejä mentionne une premiere raison pour laquelle la culture greco-romaine est favorisee: les Grecs et les Romains etaient les seuls parmi les peuples anciens a avoir une culture scientifique. Nous voyons maintenant la deuxieme raison, qui rapproche Wolf de Winckelmann: Poriginalite artistique des Grecs leur reserve une place unique parmi les peuples connus. Mais il y a encore une troisieme raison qui s'explique moins a partir de Phumanisme winckelmannien qu'ä partir de Panthropologie historique. En effet, eile concerne Pevolution de toutes les civilisations. Parmi elles, seuls les Grecs et les Romains ont parcouru le cercle complet qu'une civilisation particuliere peut parcourir. Ils permettent donc d'etudier Phomme non uniquement dans son apogee, mais aussi dans son enfance et sä vieillesse. Seuls ces peuples fournissent ainsi une connaissance complete de Phomme. Cette vision d'une evolution circulaire implique une troisieme premisse importante de la science de PAntiquite. Selon cette derniere, le developpement de Phumanite n'est pas defini par son historicite, par le fait d'etre transformee en permanence d'une maniere irreguliere. II possede une structure atemporelle et reguliere se manifestant dans les diverses civilisations d'une maniere plus ou moins complete, mais toujours de la memefason41. IILb. Resume: La science de PAntiquite de Wolf et k legitimation de sä reduction ä la recherche portant sur k culture greco-romaine seule Resumons en quelques mots k theorie de k science de PAntiquite teile que Wolf nous k presente dans ses cours sur l'encyclopedie de k philologie. Cette science n'est pas une discipline historique teile que nous k comprenons, ä savoir la science de la reconstruction et de la com43 41
Wolf ajoute encore l'histoire de la philologie (p. 23). Wolf s'integre donc pleinement dans les theories de la civilisation propres aux philosophes des Lumieres. Cf. Muhlack (1991), p. 277 ss.
188
Ada Neschke-Hentschke
prehension des faits particuliers et contingents. Elle est concue comme une science philosophique proccdant par l'bistoria, la recherche des faits concrets, pour reconstruire une civilisation individuelle comme expression de la nature universelle de rhomine. Vue sous cet angle, iJ faut comprendre la science de Wolf comme une science anthropologique et, de ce fait, le terme d'«Alterthumswissenschaft» ne signifie pas science de PAntiquite en tant qu'epoque particuliere et incomparäble, mais science de Phomme, d'un etre determine d'avance par son idee, mais dont il faut etudier le deploiement tel qu'iLse manifeste dans une epoque privilegiee, dans PAntiquite classique. Cette conception envisage Phomme dans son idee generale et les evenements historiques comme le lieu de son individuation successive. On y reconnait aisement le modele d'Aristote d'une ontologie oü seul Puniversel est pleinement connaissable et oü les meilleurs exemplaires d'une espece renvoient a cette derniere. Les historiens des Lumieres sont toujours profondement impregnes par ce modele qui fournit la base metaphysique de leur conception dualiste de Phistoire. UAlterthumswissenschaft de Wolf ne se situe donc ni du cote de Thistorisme, ni de celui de Phumanisme winckelmannienj mais du cote de Thistoire des Lumieres profondement impregnee par Pontologie et Tepistemologie prekantiennes, dont la source ultime est Aristote, et qui ont ete renouvelees par G. W. Leibniz et Gh. Wolff. Cette Interpretation sera, pour terminer, confirmee et approfondie par un coup d'oeil sur la grammaire wolfienne. Elle illustrera, d'une part, ce qu'est d'apres Wolf une science philosophico-historique, ainsi, d'autre part, que Tontologie soutenant une teile conception de la recherche sur Phomme. IV Un atitre exemple d'une science philosopbico^kistorique: la grammaire IV.a. La grammaire philosophique et le concept de la langue Tout comme la science de Phomme, la grammaire a ete historicisee au XIXe siecle selon les parametres que nous avons etablis pour preciser notre conception de la science historique actuelle. De ce fait, la grammaire est devenue une linguistique historique, etudiant les particularites des langues sans les mesurer ä Paune d'une langue generale et ideale. Teile n'est nullement la vision de Wolf! Selon lui, la discipline de la grammaire se divise en grammaire philosophique et historique. La grammaire philosophique fournit le modele general de toute langue qui est le meme pour tous les peuples42. En effet, la langue exprime la pensee et la pensee humaine est la meme partout (p. 74). Ici, comme je Pai montre dans Petude sur Phermeneutique de Wolf43, ce dernier se meut toujours sur un fond aristotelicien comme il le fait egalement pour la dichotomie du savoir en fait et cause.
42
43
On situera cette idee dans la conception de la langue teile qu'elle fut articulce dans le cadre de la mathesis universales de Leibniz et defendue comme «semiotique generale». Voir a ce süjet Petude fundamentale de * K. O. Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico. Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 8, Bonn, 1963, en particulier pp. 17-94 et 321-374 oü Apel distingue Pidee du «Sprachhumanismus» de la mathesis universalis. ; Neschke(äparaitre).
Friedrich August Wolf et la science de l*humanite antique
189
La grammaire historique concerne les grammaires individuelles du grec et du latin dont la particularite est constamment reportee a la grammaire generale. La recherche historique en grammaire suit donc le meme procede que la recherche historique en mauere d'homme: on cherche a rassembler tous les faits pour les regrouper d'apres une idee generale. Par lä, on voit que le particulier et le general ne sont pas en conflit ni ne creent un dilemme: au contraire, l'idee generale est le moteur de lä recherche. L'idee de la langue, tout comme l'idee de rhomme,. contraint le chercheur a peiner sur les details, mais permet en meme temps de les organiser d'apres des points de vue predetermines. Cela n'est possible que si le general n'est pas oppose ä l'individuel-concret. II lui est oppose si cherche dans l'individu les particularites distinguant les individus-concrets sans faire appel a leurs traits communs; il ne lui est pas oppose si cherche dans l'individu la concretisation et la realisation du general. Ici, l'individu est interprete cömme l'individuation par la matiere, ce qui est toujours une conception aristotelicienne. Teile est aussi l'optique de Wolf, qui ne considere comme veritable langue que celle qui realise la langue generale, comme veritable homme que celui qui correspond le plus ä l'idee de l'homme. Ce que nous venons de souligner renvoie ä l'«ontologie» wolfienne qui est celle de son temps. Sa conception de la science philosophico-historique pose que la science a pour objet des substances universelles, car le referent de la langue sont les substances et leurs attributs (1839, pp. 79-80). Dans l'ontologie classique, une substance, qu'elle soit universelle ou individuelle comme chez Leibniz, est une unite independante qui determine tous les attributs et meme, d'apres Leibniz, ses accidents44. Une substance est une unite pleinement determinee et, si eile est universelle, entierement connaissable. Les substances sont creees par Dieu, et avec la substance tous les attributs sont donnes, bien qu'ils ne soient pas tous connaissables pour rhomme, comme ils le sont pour Dieu45. Le referent de la recherche de Wolf est cette substance de rhomme dont les traits generaux sont inclus dans sä definition. Cela suit l'idee de la substance individuelle porteuse des traits formels et connaissables (l'idee de Leibniz), mais nullement l'idee de rhomme d'abord comme phenomene, puis comme etre autonome soumis ä aucune regle ou determination, mais etant sä propre regle par sä liberte fondamentale. Cela signifie que Wolf n'est pas encore influence par la revolution kantienne, dont l'importance fut fondamentale pour l'elaboration de la nouvelle conception de l'histoire, selon laquelle rhomme est indetermine, libre et sujet autonome de l'histoire. Ce n'est pas Wolf mais son ami G. de Humboldt qui, en abandonnant la metaphysique leibnizienne-wolfienne, appliquera a l'histoire la nouvelle idee de rhomme creee par Kant46. Ce constat est important puisque la revolution kantienne a entralne avec eile la revolution des sciences: les peres de notre comprehension de l'histoire, Schleiermacher, Humboldt, Boeckh et Droysen47, ont tous ecoute le message kantien pour en tirer des conclusions bouleversant la pratique de l'historien. La science de Wolf s'appuie sur une metaphysique devenue desuete apres Kant. Cela signifie que la dichotomie de la science de l'Antiquite en science philosophique des causes 44 45 46 47
Leibniz (1668), § 13: Dieu crcant Jcs substances individuelles a donne naissance ä toutes leurs qualites et accidents. Au Mjjct de Leibniz, voir T. Borsche, Art. Individuum, Individualität. In: Histor. Wörterbuch d. Philos., vol. 4, pp. 310-312. Voir son ecrit sur la tache de l'historien et les intcrprelations pertinentes de J. Quiliien (1983 et 1985). Voir les contributions sur ces auteurs in: Laks-Neschke (1990).
190
Ada Neschkfr-Hentschke
universelles et science historique des faits correspond ä la dichotomie de la realite en substances universelles et leurs concretisätions. Les attributs specifiques des Grecs se referent ä la substance individuelle des Grecs, mais la substance des Grecs se feiere ä la substance de l'homme, ä l'homme universel. Le pretendu humanisme de Wolf n'est que par accident un reflet de Phumanisme de Winckelmann. II a plütot son fondement dans une optique de Ja realite qui s'etaye sur la metaphysique pre-kantienne et qui integre l'humanisme de Winckelmann - d'origine platonicienne48 - dans une anthropologie philosophique, propre a la conception de l'histoire des Lumieres. En conclusion: le concept de rhistoire soutenu par l'historisme se situe dejä du cote de Thomme karitien phenomenal, libre et sujet de Thistoire. Wolf, fidele a la notion de substance, n'est pas encore un predecesseiir de rhistorisrrie; il n'est pas riori plus un simple fidele de Winckelmann ou encore quelqu'un qui se trouverait entre ces deux jalons. II se situe plutot au sein de Thistoire des Lumieres, soutenue par Tontologie aristotelico-leibnizienne. Dans cette ontologie, Phomme en tant que substance creee par Dieu n'est qu'indirectement l'auteur de ses actes, tout est dejä inscrit dans sä substance. Le nouveau concept d'une science de l'histoire se demarquant de la philosophie est possible gräce a Kant et Humboldt. Cest ce concept que Schleiermacher, Boeckh et Droysen vont elabörer pour donner ä cette science son but, son domaine et sä methode.
48
Cf. Rein-Rudolph (1972) pp. 117 ss.
Register zusammengestellt von Silvia Musseleck Abaelard, Historia calamitatum 165, 170 f., 174 f. Achill 6 ff., 15,22 aeternitas 145,159 Agamemnon 22, 31, 39 Agaue 31,53 Aischylos 30-48 Albericus de Monte 171,175 Alcinous the Phaeacian 59, 76 Alexandria 49, 52, 59, 77 Alkaios 124,129 f. An 24 f. Anagnorisis 40 f., 45 f. Anchises 13, 120 Antikleia 6 f., 17, 22 Antiochus III 52, 57 Ami 25 Aphrodite 3,13, 55 f., 101 f. Apollon, Loxias 33-48, 64, 67, 69, 81 f. Apollonius Rhodius, Argonautica 52-54, 59, 76 Apollonius of Tyana 60 Appian 79,93 apple 54-58 Apuleius, Metamorphose* 62 Archilochus 70 ff. Ares 3,102 Argonauten 4, 12 Aristophanes 36, 64, 73 f. Aristoteles 123,139,144,158,161,188 Metaphysik 184 Physik 158 f., 162 Rhetorik 38,150 Arrian 79,89,92,95 Astrologie 108,111,116 Athen 30,48, 51 Athene 14,21,46,48 Atrachasis 25 Atridenhaus 42,44 Aufklärung 181,184, 188,190 Augustinus 139-162, 165,169 Confessiones 139 f., 146 f., 149, 153, 157, 162
De Trinitate
146,155
Babylonian cosmography and astrology 73 Bacchus 64,67,69,101,119 Boeckh, August 182,185 f., 189 Boethius 143, 168 Caesar 91, 103, 106, 129, 132 Callimachus 49 f., 52 - 54, 76, 115, 121 Camillus 79, 89 f. carnifex 80 carpe diem 108,110,113 Cassirer, Ernst 139 Choerilus 55 chthonisch (Götter, Mächte) 43 f., 47 Cicero 75, 97, 105,170 Clement of Alexandria 55 f., 62 conditio humana 83, 96 Cos 57 Crinagoras 75 Demeter 37, 51 f., 57, 62, 65, 75 Dilmun 11 Dio Cassius 79, 89, 91, 94,130 Dionysios I 89 Dionysios von Halikarnass 79 Dionysos 53 f., 56, 58 f., 73 f., 82 Droysen, Johann Gustav 182, 189 f. Dumuzi 8,20 dyssebeis 54 eidola 105 Einhard, Qttaestio de adoranda cruce 169 Eleusis 51, 56 ff., 62, 65,68, 71, 74 f. Elpenor 7,15,22 Elysion 10 Empedokles 97,100 f. Enki 11,16,25 Enkidu 6-9,13 f., 19,24 f., 27 Enlil 11 f.,16,24 f.,28 Epiktet 79,92,94 Epikur 97-103,105 Epiphanie 86,89
192
EreSkigal 7,l2, 20,24 f., 27,29 Erichthonios 45 Erinyen 32,34,39,41-44 Eubouleus 63 Eucles 63 Eumolpidae, Eumolpos 68,127-138 Euripides 30-48 eusebeis 54,64
Fortuna 79 f., 86, 95 Fraenkel, Eduard 108,122 fttror 127,129 Gaia 34,42 Ganzir 7 Genesis 68,146,165 Gethosyne 101 GilgameS 4-29 Gobryes 73 gold lamellae 51 f., 59 f., 71 f., 74 Gorgo 20 Haloa 57 Hammurapi 21 Hecate 53 hedone 101 Hegel, G. W. F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 143 Hegesippus 72 f. Heidegger, Martin 139 f. Hekaerge 73 Helena 38,46 Hellenismus 124 Herakles, Hercules 4, 9,20, 31 f., 74,101 Hermes 39,44 f., 72 Herodot 9,36,38,46,6.3 Hesiod 97,102 Heyne, Christian Gottlob 185 Hierodule 13 f. Hieronymus 95,163,167 hierophant 68 f., 71 hierös logos 59, 68 Hipponium-tablet 60 historisme 180,183,188,190 Homer 34,53,59,62,75,77,102,150 l Kos 3, 6 ff., 15,22, 24,l50,180 Odyssee l -29 homoiosis theo 100 Horaz 130 carm. 1,11 107-126
Register carm. 4,2 (Pindar-Ode) 97 Satire 2,3 83 Hugo von Trimberg, Renner 164 humanisme, Humanismus 180 f., 183,185, 188,190 httmanite 184 f.,187 Humboldt, Wilhelm von 179,189 f. Husserl, Edmund 139,151 ff,, 156 Idealität, transzendentale 156 initiales, Initiation 49-77 Innana 7 f., 12 f., 16 f., 20 f., 24 f., 27 f. Interferenzen 3 Ion 45,47 lonier 46 Isidor von Sevrlla, Etymologiae 163 Isles of the Biest 59,61, 64, 72, 76 f. Istar 7, 13 f., 20,24 f., 27 f. Johannesevangelium 146 Jupiter 78,85,89,93 Kalypso 10,13 f., 16 Kant, Immanuel 139,156,189 f. Katabasis 12, 20-22, 29 ker 8 Kießling/Heinze 108 ff., 113 f., 121 Kimmerier 11,17 Kinesis 158 f. Kirke 10, 12 f., 15 ff. Kolophon 5 Kreusa 34 f., 39-41,45 f., 48 Kronos 61,72 Kühn, Franz 110 f., 113, 115 f. kür 11 f., 18,21, 24 f. Kybele-Attis-Kult 94 Lake of Memory 60 · Lands of the Pious 59, 61,64, 73'f., 76 f. Lanffanc von Bec 168 Leibniz, Gottfried Wilhelm 188 f. lepos 98,104,106 Leuconoe 108,110,113*116 Lloyd-Jones, Sir Hugh 49, 61 f., 66 f., 69 f. Lucan 129,132,134-136,138 Lucian 57,64 Lucilius 167 Lukrez 97-106,112 f. Lupus von Ferneres 169
Register
Pest 36 f. Petrus Comestor, Historia scholastica 165 f. Petrus von Blois 168 Phaiaken 3,10,14,17 Philetas 57 Philojudaeus 68-70 Philostratus 60 psogos nautilias 131,133 Pirtdar 106 Second Olympian 61 f., 72 Platon 33,139,162 Phaedo 74 Phaedrus 75 Philebos 101 Sopkistes 161 Symposium 68 Timaios 147 Pleiad 58 Plinius, der Ältere 79 f., 86 ff., 92, 94 f. Plotin, Über Ewigkeit und Zeit 146 Plutarch 63,90 pomegranate 54-58 Pompeius 103,129, 34 Porphyry, De Abstinentia 56 Poseidon 15,25 power of implication 116 Prometheus 38, 83 Protention 152 Pseudo-Platon, Axiochus 72 ff. Ptolemy Philadelphus 58 f. Pythia 34 f., 37, 41 f.
Maecenas 109,120,122 f. Magna Mater 101 Medea 12,53 medidna linguae 80 Meleager 54, 56 f. Memmius 98 f., 102 f., 106 . Minos 21,73 Musen 67,69,72,75 myrde 54 ff., 74 mystagogos 56 Mysteries 49-77 of Aphrodite 55 f. of Samothrace 52 Orphic-Bacchic 57,63 Nekyia 3,15 f., 19 ff. Nekyomantie 19 Nemesis 86 Nergal 7, 12, 20, 24, 27 f. Nero 94,130 Neuhumanism 179 Neuplatonismus 139, 146 NigiSzida 11 Niinnion-tablet 56 Ninlil 11, 24, 28 Nippur 11 Nisbet/Hubbard 112 ff. Nostos 14, 17 Oidipus 31 f., 38 f. Okeanos 15,26 Olbia 51 Olympia, Orakel 33, 36 olympische Götter 43 f. Opis 73 Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica Orestes 32, 34, 38, 4 -44, 47 f. Orpheus 60, 68, 73, 86 Orphic poem 56 Orphic-Bacchic writing 73 Ovid 113,124
193
Quaestionenliteratur 169 quince 56 f. 168
Parmenides 97,139,162 Patroklos 6 ff.,16,22 , pax 98,104 Peloponnesischer Krieg 36 f., 47 Perscphone, Köre 18,37, 51,56, 61,64, 66, 71,75 persona (fictitious, propria) 54
Realität, empirische 156 recipe 87 f., 90-95 Reinhardt, Karl, Die Abenteuer der Odyssee 14 f. religio 99 ff. respice 78, 80, 82, 84, 86 ff., 91 f. Retention 152 f. Rhadamanthys 61, 66, 70 - 74, 77 Robert von Melun 171,175 f. Russell, Bertrand 139 Sabinum 119 f. Samuel, II. Buch 168 f. Sargon von Akkade 5 Saviour Gods 52
194
Register
Schadewaldt, Wolfgang, Die Heimkehr des Odysseus 14 Schale von Boscoreale 84, 93 Schleiermachcr, Friedrich Ernst Daniel 182, 189 f. Scneca 79,168 Sextus Empiricus, Adversos Matbematicos 142 Siduri 10,14,16 Simultaneität 145 f., 148 f. Sin-leqe-unnini 5 Sintflut 86 Socrates 33, 73 ff., 107 Sopater 68 Sophocles 31, 38 f., 62 Stoa 92,139 Sturm und Drang 128,131 Sueton, Nero 130 Sukaletuda 13 Tammuz 20 Teiresias 17,19 Terenz 163,167 Tertullian 79,92,94 ff. tbeiosaner 83,85 Theobald 170 f. Theocritus 49,52-54,76 Theodoridas 54 ff., 58, 70 Thucydides . 36,38,180
Titus 79,95 tremendum maiestatis 85 Underworld 51-77 Urimpression 152 Urnammu 18,20,22,27 f. UrSanabi 10 UtnapiStim 10 f., 14 Venus 8,98-106,119 f., 173 Vergil 86,122 f., 135,138 Vico, Giambattista 185 voluptas 101, 103 Weiß (Farbe) 89 Wieland, Christoph Martin 121 Wilhelm von Auvergne 169 Wilhelm von Conches 165 Winckelmann, Johann Joachim 179,187, 190 Xenophon 33,85 Xerxes 35,73 Xuthos 34,39 f., 45-48 Ysengrimus
163,167
Zenon 142,149 Zeus 11,25,33 f., 52, 61,72