Andreas Sommeregger Soft Power und Religion
Vorwort
Das vorliegende Forschungsprojekt, das als Dissertation in den J...
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Andreas Sommeregger Soft Power und Religion
Vorwort
Das vorliegende Forschungsprojekt, das als Dissertation in den Jahren 2007 bis 2010 arn Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln entstanden ist, wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Personen nicht möglich gewesen. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Thomas Jäger für seine wertvollen Ratschläge und ausgezeichnete Betreuung sowie Herrn Dr. Matthias Zimmer für sein Zweitgutachten. Mein Dank richtet sich auch an meine Interviewpartner, die maßgeblich zu einem besseren Verständnis des Untersuchungsgegenstandes beigetragen haben: Dazu zählen (mit ihrer Funktion zum Zeitpunkt des Interviews) S. E. Paul Josef Kardinal Cordes (präsident des Päpstlichen Rates Cor Unum), Prälat Dr. KarlHeinz Vogt (Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfahlen), Pfarrer Christoph Biskupek (pfarrvikar und Leiter der Fides in Köln), Dr. Paul Verbeek (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl a. D.), Dr. Stefan Ruppert (kirchenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion), Raju Sharma (religionspolitischer Sprecher der DIE-LINKE-Bundestagsfraktion), Gernot Facius (stellv. Chefredakteur Die Welt a. D.) und Alexander Smoltczyk (Korrespondent Der Spiegel); meine besondere Verbundenheit gilt an dieser Stelle Herrn Willy Wimmer (parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung a. D.) und Herrn Benedikt Steinschulte (Referent im Päpstlichen Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel). Weitere Hintergrundgespräche wurden mit Angehörigen des diplomatischen Dienstes des Heiligen Stuhls, Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und Mitgliedern des Deutschen Bundestages gefiibrt. Meine Anerkennung gebührt aber auch meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen, die mir in vielfältiger Weise beigestanden haben; namentlich danke ich Brigitte Wienand, Jens Hasselmeier, Dr. Christiane Boje, Dr. Tanja Weber und Dr. Rasmus Beckuumn.
5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .............................................................................................................. 5 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .............................................................. 13 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... 13
1
Gegenstand, Zielsetzung und theoretische Konzeption der Arheit ... 15
2
Die Rolle der Religion in Westeuropa zu Beginu des ll. Jahrhunderts .................................................................................... 22 2.1 2.2 2.3 2.4
Die Substanz von Religion .............................................................. Spiritualität und die Funktion von Religion .................................... Scham als Druckmittel am Beispiel der katholischen Kirche ......... Der Bedeutungsverlust von Religionsgemeinschaften in Westeuropa und die Gründe für ihr Wiedererstarken ...................... 2.5 Religionsgemeinschaften in der Konfliktvermittlung .....................
3
22 24 30 33 37
Der Staat der Vatikanstadt, die katholische Kirche und der Papst als verbindendes Element .................................................... 41 3.1
Der Staat der Vatikanstadt ............................................................... 3.1.1 Begriffsklärung ................................................................. 3.1.2 Historischer Abriss ............................................................ 3.1.3 Das politische System der letzten absolutistischen Monarchie Europas ........................................................... 3.1.4 Das Papstamt .....................................................................
41 41 44 46 48 7
3.1.5 3.1.6
Der Verzicht auf Menschen- und Bürgerrechte zugunsten einer höheren Effektivität ................................. 50 Wirtschaft und Finanzen ................................................... 52
3.2 Die katholische Kirche .................................................................... 3.2.1 Organisation ...................................................................... 3.2.2 Repräsentation ................................................................... 3.2.3 Die katholische Kirche als transnationale Organisation .... 3.2.4 Die Mission der katholischen Kirche: Menschenrechte und Religionsfreiheit ......................................................... 3.2.5 Positionssicherung durch Konkordate am Beispiel der Verträge mit den neuen Bundesländern Deutschlands (1994-1998) .......................................................................
54 54 56 57 63
67
3.3 Der Papst als ,,Klammer" ................................................................ 68
4
Macht in den internationalen nnd transnationalen Beziehnngen ...... 71
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
5
Internationale Beziehungen ............................................................. Internationale Politik ....................................................................... Außenpolitik .................................................................................... Transoationale Beziehungen ........................................................... Macht .............................................................................................. 4.5.1 Internationale Macht ......................................................... 4.5.2 Macht und Interdependenz ................................................ 4.5.3 Die andere Macht: Soft Power .......................................... 4.5.4 Zur Unterscheidung von Hard Power und Soft Power ...... 4.5.5 Zur gestiegenen Bedeutung von Soft Power ..................... 4.5.6 Der Einfluss auf die öffentliche Meinung als Machtressource und die Rolle der Medien ........................
71 72 74 75 76 77 78 83 84 87 89
Soft-Power-Checkliste ........................................................................... 94 5.1 Intellektuelle Leistungen ................................................................. 95 5.1.1 Kultur ................................................................................ 95
8
5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Werte einer Gesellschaft ................................................... Produkte der Massenkultur ................................................ Implementierung von Symbolen und Zeichen .................. Wissenschaft und Technologie ..........................................
96 97 98 99
5.2 Auftreten der Regierung ................................................................ 5.2.1 Die Zusammenarbeit mit der eigenen Gesellschaft ......... 5.2.2 Die Zusammenarbeit mit ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen ................................. 5.2.3 Public Diplomacy: Die Zusammenarbeit mit ausländischen Gesellschaften ..........................................
101 102
5.3 Eigen- und Frerndwahmehmung eines Landes ............................. 5.3.1 Geschichte ....................................................................... 5.3.2 Gegenwart ....................................................................... 5.3.3 Zukunft ............................................................................
109 109 110 113
5.4 Organisatorische Fähigkeiten und Flexibilität ............................... 5.4.1 Eigene Organisation, Schnittstelle transnationaler Kontakte und globale Gemeingüter ................................. 5.4.2 Informationsnetzwerke .................................................... 5.4.3 Anpassung und Reformfähigkeit .....................................
113
103 104
113 115 116
5.5 Agenda-Setting .............................................................................. 116 5.5.1 Themen der Tagesordnung beeinflussen und Mobilisierungsfabigkeit .................................................. 116 5.5.2 Maßstäbe setzen und Stellvertreterrolle .......................... 117 5.6 Kräfte jenseits stastlicher Kontrolle: Outside Partner ................... 5.6.1 Prominente Einzelpersonen ............................................. 5.6.2 Wirtschaft ........................................................................ 5.6.3 NGOs und Verbände ....................................................... 5.6.4 Eigene Gesellschaft und einzelne Bürger ........................ 5.6.5 Partner in ausländischen Gesellschaften .........................
118 119 119 120 120 123
5.7 Übersicht Soft-Power-Checkliste .................................................. 123
9
6
Der Heilige Stuhl in Aktion ................................................................. 125 6.1
Der Heilige Stuhl in den internationalen und transnationalen Beziehungen .................................................................................. 126 6.1.1
Rechtfertigung und Merkmale seiner Zugänge und der Stellenwert der päpstlichen Initiativen ...................... Der Heilige Stuhl und sein Verhältois zu Staaten ........... 6.1.2 6.1.3 Die Diplomatie des Heiligen Stuhls ................................ 6.1.3.1 Strukturelle und institutionelle Ausgestaltung ........ 6.1.3.2 Grundsätze und Ziele der Friedenspädagogik des Heiligen Stuhls ........................................................ 6.1.3.3 Unterstützung durch kirchliche Organisationen und Einrichtungen ................................................... 6.1.4 Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Politikern ................ Der Zugang des Heiligen Stuhls zu Journa1isten und 6.1.5 die kirchlichen Medien .................................................... 6.1.6 Inszenierung, symbolische Politik und die Starqualitäten des Papstes ............................................... Der Event als ein Instrument der katholischen Kirche 6.1.7 am Beispiel des XX. Weltjugendtages in KöIn ............... 6.1.8 Gesellschaftliche Präsenz und der Zugang des Heiligen Stuhls zu Gläubigen ..........................................
126 130 132 132 135 138 141 152 162 168 173
6.2 Der Heilige Stuhl in ausgewählten Konflikten .............................. 179 6.2.1
10
Die Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und der poInischen Gewerkschaft Solidamosc in den I 980er Jahren ....................................................... 6.2.1.1 Die Position des Heiligen Stuhls zum Kommunismus und Gemeinsamkeiten ................... 6.2.1.2 Grundsätzliche Ziele der Ostpolitik des Heiligen Stuhls ........................................................ 6.2.1.3 Zusammenarbeit Heiliger Stuhl- Solidamosc ....... 6.2.1.4 Parallelen zum Ende der Marcos-Diktatur aufden Philippinen 1986 ..................................................... 6.2.1.5 Zusammeufassung und Bewertuug .........................
179 180 181 182 190 193
6.2.1.6 Gegenüberstellung der Konflikte in Polen und auf den Philippinen ....................................................... 199 6.2.2
6.2.3
6.3
7
Kampf gegen Abtreibung ................................................ 6.2.2.1 Grundsätzlicbe Ablehnung ...................................... 6.2.2.2 Der Schwangerenkonfliktberatungsschein in Deutschlaod ............................................................ 6.2.2.3 Die jeweiligen Interessen und Machtmittel der beteiligten Akteure .................................................. 6.2.2.4 Die UN-Kouferenz in Kairo 1994: Der Heilige Stuhl gegen die USA, China und die UNO ............. 6.2.2.5 Zusammenfassung und Bewertung .........................
20 I 202
Irakkrieg 2003 ................................................................. 6.2.3.1 Die katholische Lehre vom gerechten Krieg ........... 6.2.3.2 Der Konfliktverlaufund die Friedensbemühungen des Heiligen Stuhls ................................................. 6.2.3.3 Nach dem Ende der Kampthaodlungen: Wiedemuthau und Sicherung der eigenen Stellung 6.2.3.4 Zusammenfassung und Bewertung: Die jeweiligen Interessen und der Erfolg des Heiligen Stuhls ........
218 218
202 206 211 215
221 230 233
Zusammenfassung: Die Soft Power des Heiligen Stuhls .............. 239
Der Heilige Stuhl im Vergleich mit weiteren Akteuren der internationalen und tran.nationalen Beziehungen ........................... 247
7.1
Der Heilige Stuhl und die USA: Kooperation und ähnliche Interessen ........................................................................ 7.1.1 Amerikanische Schwächen ............................................. 7.1.2 Die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA ................... 7.1.3 Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA ................................................................... 7.1.4 Fazit .................................................................................
247 248 250 253 259
11
7.2 Der Heilige Stuhl und die UNO: Die Schwächen der Vereinten Nationen als Stärken des Heiligen Stuhls? .................................... 7.2.1 Anspruch und Schwächen der UNO ................................ 7.2.2 Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO ................................................................... 7.2.3 Der Verzicht auf eine Vollmitgliedschaft ........................ 7.2.4 Fazit ................................................................................. 7.3 Der Heilige Stuhl im Vergleich mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ........................................ 7.3.1 Annäherung an den BegriffNGO ................................... 7.3.2 Stärken und Schwächen von NGOs ................................ 7.3.3 NGOsundMedien .......................................................... 7.3.4 Fazit: Die katholische Kirche als NGO und ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen NGOs .....................
8
260 260 263 271 273
275 275 277 280 281
Fazit ...................................................................................................... 286 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Die Staatsform des Vatikan, die Verfasstheit der katholischen Kirche und der Papst als Philosophenkönig .................................. Der komfortsble Platz zwischen den Stiihlen: Staat und NGO ..... Egalität und Neutralität ................................................................. Die katholische Kirche als Leerstelle des bürgerlichen Lebens .... Die Grenzen des Heiligen Stuhls und seine Aufgaben für die Zukunft ..............................................................................
286 288 291 293 295
9
Aushlick ................................................................................................ 303
10
Literaturverzeichnis ............................................................................ 305 10.1 Interviews ...................................................................................... 305 10.2 Primärliteratur ............................................................................... 305 10.3 Sekundärliteratur ........................................................................... 312
12
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abb.l: Abb.2: Abb.3: Abb.4:
Abb.5:
Tab. I: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5:
Die spezialisierte Religion. ... ..... .... ... .... .... ... ..... ... .... ..... Transnationale Gesellschaft .............................................. Transnationale Politik mit horizontaler und vertikaler Kommunikation ................................................ .......... Transnationale Politik: horizontale Kommunikation Heiliger Stuhl - Regierungsinstitutionen und Dominanz des Heiligen Stuhls in der transnationalen Gesellschaft.. .... ... .... ... ..... ..... Quasi-penetriertes System (Heiliger Stuhl- Staat A) und außengesteuerte Durchdringung (Heiliger Stuhl - Staaten B undC) .....................................................................................
27 58
Peinlichkeit, Scham und Schuld ......................•..•........... Soft-Power-Checkliste ................................................ Zuständigkeiten kirchlicher Einheiten.............................. Gegenüberstellung der Konflikte in Polen und auf den Philippinen... ... .... ... .... .... ... .... .... ... .... ... .... ... ... Sprechertypen einer NGO .............................................
32 123 132
59
60
62
199 281
Abkürzungsverzeichnis H. i. sc.
o.
Hervorhebung im Original (scilicet) nämlich, gemeint ist
13
A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
unterhält auch Schulen, Universitäten und Sozialeinrichtungen; sie betätigt sich als Kultur- und Informationsorganisation und besitzt sogar einen eigenen Staat (pallenberg 1968: 9). Als spirituelle Gemeinschaft und auf Grund ihrer sozialen Größe berührt sie das private Leben von Millionen von Menschen in einer sonst eher naturwissenschaftlich geprägten Welt Der von der Globalisierung verursachten Orientierungslosigkeit begegnet sie als Sinnstifterin und Interpretationsagentur, die regelmäßig moralische Fragen und den Zustand der Welt diskutiert. Die katholische Kirche hat Einfluss auf politische Entscheidungen: So ist sie im Juli 2010 federfiihrend an der Entlassung von politischen Gefangenen in Chile und auf Kuba beteiligt; Benedikt XVI. meldet sich zu den Integrationsdebatten in Deutschland und Frankreich zu Wort und wird im November 2010 vom Forbes Magazine zur fiinftmächtigsten Person der Welt erklärt: Wenn man vom Sinn und Unsinn solcher Ranglisten und ihrem realitätskonstrnierenden Vermögen absieht, bringt diese Wah\ zum Ausdruck, dass man der katholischen Kirche Gestaltungs- und Durchsetzungskraft unterstellt Die entscheidende Forschungsfrage und die daran anschließenden drei Thesen lauten daher: Welche Ressourcen stehen dem Heiligen Stuhl zur Veifügung, um seine normativen Vorstellungen in konkrete Politik umsetzen zu können und damit Einfluss auf international relevante politische Entscheidungen und innergesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen? These I: Der Heilige Stuhl besitzt Soft Power. Dies wirft die Fragen auf, wie sie genutzt wird und unter welchen Bedingungen sie vergrößert werden kann. These 2: Der Heilige Stuhl ist als Leitungsgremium des Staates der Vatikanstadt und der katholischen Kirche der einzige Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen, der als Regierungsorganisation und zugleich oder je nach Erfordernis - als Nichtregierungsorganisation auftritt. Dabei profitiert er von den Vorteilen beider Aktenrstypen und umgeht deren Nachteile. These 3: Der Heilige Stuhl appelliert an das Gewissen der Menschen und besetzt damit eine Leerstelle des bürgerlichen Lebens; er setzt auf freiwilligen 2
16
Das Forbes Magazine benennt 68 Persönlichkeiten, die nacb seiner Beurteilung Macht haben; darunter finden sich nur zwei Deutsche: Nach Benedikt XVI. wird auf Platz 6 Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgeführt, deren Vorgehen in der Finanzkrise gewürdigt wird. Als Begründung für die hohe Platzierung des Papstes wird sein Einfluss auf über 1.1 Milliarden Menschen genannt (Forbes 2010).
Gehorsam. Weil er sich nicht nur für Katholiken engagiert, sondern für die gesamte Menschheit und als einziger Staat der Welt Menschenrechtspolitik zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat, kann er als moralische Instanz der Welt auftreten.
Von methodischer Bedeutung ist für das vorliegende Forschungsprojekt der Power-and-Interdependence-Ansatz von Robert Keohane und Joseph Nye; dieser untersucht die unterschiedlich ausfallenden Kosten und Nu1zen von VerlIechtungen zwischen Staaten oder Akteuren verschiedener Staaten. Interdependenz liegt nach der Definition der Autoren vor, wenn Interaktionen wechselseitige Einflüsse und Kostenwirkungen verursachen. Herrscht eine Asymmetrie in der Interdependenz, kann der weniger abhiingige Akteur dies als Machtinstrument nutzen. Da Interdependenz nur schwer zu messen ist, verfolgen Keohane/Nye in ihrer Darstellung jedoch keine Prognosefertigkeit über die erfolgreiche Ausübung von Macht; sie wollen vielmehr zeigen, welche Vorteile ein Akteur zu Beginn einer Verhandlung durch seine überlegene Interdependenzposition gegenüber seinem Verhandlungspartner hat (Keohane/Nye 1977: 19). In diesem Verständnis ist es der Ansatz dieser Arbeit, die Verhandlungsposition des Heiligen Stohls in den internationalen und transnationalen Beziehungen darzustellen: Es geht weniger um die Frage nach den Faktoren, die erfiillt sein müssen, damit sich der Heilige Stohl in einer Verhandlung tatsächlich durchsetzt oder um die Effizienz der ihm zur Verfiignng stehenden Instrumente,' sondern vielmehr um die Eigenschaften, die den Heiligen Stohl überhaupt erst zu einem Teil der internationalen und transnationalen Beziehungen werden lassen und seine MitgestaItung ermöglichen. In Darstellungen über die Macht des Heiligen Stohls wird häufig zwischen direktem und indirektem Einfluss oder pastoralen und politischen Instrumenten unterschieden. Dieses Vorgehen kann hilfreich sein, die vorliegende Untersuchung konzentriert sich jedoch auf eine andere Herangehensweise: Weil der Heilige Stuhl nicht die Fähigkeit zur autoritativen Wertzuweisung besitzt, braucht er Partner, die ihn bei der Umsetzung seiner normativen Vorstellungen in konktete Politik unterstützen. Drei Akteursgruppen stechen als potentielle Verbündete hervor: Politiker, Journalisten und Gläubige. Welche Zugäoge er zu ilmen hat und wie sich seine Verhandlungsposition ihnen gegenüber darstellt, ist ebenso zu erläutern wie die unterschiedlich ausfallenden Kosten und Gewinne dieser drei Interde-
3
Das ist im Soft-Power-Konzept auch kaum möglich. weil sich weiche Macht nicht in einer Weise messen lässt. wie sich Einheiten von Armeen zählen lassen.
17
pendenzbeziebungen. Ein Vorzug des Power-and-Interdependence-Ansatzes ist es dabei, dass er die Salienz neuer Machtformen erklärt und damit den Weg zur Soft Power ebnet. Zunächst aber wird in Kapitel 2 das Phänomen der Religion diskutiert. Neben der Darstellung von Substanz und Funktion der Religion sollen zentrale Begriffe wie Scham und Gewissen erörtert werden. Es stellt sich die Frage, warum Menschen fiir die von einer Religionsgemeinschaft aufgestellten Regeln empfänglich sind. Ferner werden die Gründe fiir den Bedeutungsverlust von Religionsgemeinschaften in Westeuropa und das wieder gewachsene Interesse der Politik an ihnen dargestellt. In der Folge ist auf die Fähigkeiten einzugehen, die Religionsgemeinschaften in der Konfliktbeilegung haben. Manche Autoren neigen dazu, das eigentümliche Konglomerat aus Staat der Vatikanstadt und katholiscber Kirche voreilig mit einem Sui-generisStempel zu versehen und lassen die Möglichkeiten, die sich aus den institutionellen Besonderheiten ergeben, fiir ihre Untersuchung außer Acht. Kapitel 3 befasst sich deshalb mit diesem besonderen Akteurstypus: Die katholische Kirche ist in ihrer weltumspannenden, hierarchischen und zentralistischen Organisation arn besten geeignet, um den Einfluss einer Religionsgemeinschaft in den internationalen Beziehungen darzustellen (Schwarzenberger 1955: 88); hinzu kommt, dass sie mit der Staatlichkeit des Vatikan gleichberechtigt neben anderen Staaten steht. Das Leitungsgremium beider Institutionen ist der Heilige Stuhl in der Person des Papstes; er ist zu jeder Zeit die Letztentscheidungsinstanz. Ob der Papst als Oberhaupt seines Staates oder seiner Religionsgemeinschaft auftritt, bleibt bewusst offen; sein politisches Handeln ist mit den Aufgaben der katholischen Kirche so eng verbunden, dass eine Unterscheidung kaum möglich ist (Rauch 2006: 55). In der Konsequenz werden die Abläufe innerhalb der Verbindung aus Staat und Religion als eine Art Black Box unberücksichtigt gelassen. Durch den Zentralismus können auch die kirchlichen Strukturen in den einzelnen Ländem vernachlässigt werden: Betrachtet wird die Organisation der Weltkirche, die vom Vatikan aus geleitet wird. Dass die katholische Kirche seit jeher transnational ausgerichtet ist und global denkt, wirkt sich als ihr Vorteil aus (Strange 1996: 4-5); sie ist eine transnationale Organisation (Rittberger 1994: 29; Nye 2004b: 90), die von der Globalisierung profitiert. Die Mission des Heiligen Stuhls ist es, allen Menschen die Heilsbotschaft zu bringen; der Kampf fiir die Menschenrechte (und als deren Teil die Religionsfreiheit) steht im Mittelpunkt der Politik des Heiligen Stuhls. Erörtert werden soll auch, welche Folgen Religionsfreiheit in einem Land nach sich ziehen kann - nicht 18
ohne Grund verschließt sich China seit Jahren einem wirklichen Dialog mit der katholischen Kirche angesichts der Entwicklungen in Europa 1989/1990. Exemplarisch kann an den Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern Deutschlands aus den Jahren 1994 bis 1998 gezeigt werden, in welchen Bereichen sich die katholische Kirche eine Mitsprache sichert. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland ist insofern von Interesse, als dass es hier nur eine "hinkende Trennung" (Jasper 2000: 301) gibt und die Privilegiengarantie fiir die beiden christlichen Kirchen durch die exponierte Stellung Deutschlands in der EU auch fiir andere Staaten zu einer Orientierung werden oder europäische Verträge beeinflussen kann. Der Heilige Stohl ist ein Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen. Kapitel 4 klärt die Begriffe internationale und transnationale Beziehungen, internationale Politik und Außenpolitik sowie Macht als ihr zentrales Medium und führt über den sich gewandelten Machtbegriff zu der bereits thematisierten Interdependenztheorie von KeohanelNye: Die Abnahme der Relevanz von militärischer Macht hat zur Folge, Macht als eine Beziehungsgröße wahrzunehmen, die sich aus dem Maß an wechselseitiger Verwundbarkeit ergibt. Die internationale Verflechtung stellt dabei einen Impuls fiir die veränderten Formen von Machtausübung und Konfliktregelung dar. Eine dieser sogenannten neuen Machtformen ist Soft Power, die sich - in Bezug auf Staaten oder gesellschaftliche Akteure - vor allem im Kontext der öffentlichen Meinung als hilfreich erweist. Die Macht des Heiligen Stohls, die auf militärische und wirtschaftliche Befehlsgewalt verzichten muss, soll auf der Grundlage des Konzeptes der Soft Power untersucht werden. In zahIreichen Veröffentlichungen hat Joseph Nye Soft Power zum Gegenstand seiner Forschung gemacht. Die zentrale Schwäche seines Vorgehens besteht jedoch darin, dass er zwar einen umf.ngreichen Katalog einzelner Instrumente liefert - und damit eine fundierte Grundlage denkbar relevanter Faktoren, die die Soft Power von Staaten oder gesellschaftlichen Akteuren vergrößern können -, diese aber nicht in ein systematisch anwendbares Analyseschema zur Bestimmung von Soft Power integriert. In dieser Konsequenz werden in KapitelS die einzelnen Soft-Power-Instrumente, die sich bei Nye und weiteren Autoren finden, herausgearbeitet, vervollständigt und in einer universalen Checkliste zusammengeführt, mit deren Hilfe sich die weiche Macht eines jeden Staates strukturiert ermitteln lässt. Der didaktische Charakter dieser Liste ist nicht zu leugnen: In Anbetracht der unbefriedigenden Beurteilung, dass alles mit allem zusammenhängt, fällt die eindeutige Zuordnung der 19
jeweiligen Instrumente unter eine bestimmte Leistungsrubrik häufig schwer was der Grund dafür sein könnte, dass eine derartige Zusammenstellung bislang auf sich warten ließ. Dessen ungeachtet verfolgt die in Aussicht gestellte Checkliste einen höheren Grad an Systematik, als das bloße Auflisten einzelner Punkte oboe ihren größeren Zusammenhang dies erreichen könnte, und legt überdies Verantwortungsbereiche offen. Im Anschluss wird in Kapitel 6 die Machtausübung des Heiligen Stuhls in den internationalen und transnationalen Beziehungen auf der Basis dieser SoftPower-Checkliste analysiert: Mit ihrer Hilfe können die Stärken des Heiligen Stuhls aufgezeigt werden; sie identifiziert aber auch sein Entwicklungspotential und neue Perspektiven. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf den charakteristischen Merkmalen der päpstlichen Diplomatie, aber auch auf Einrichtungen wie dem Katholischen Büro in Berlin (Lobbyvertretung der Deutschen Bischofskouferenz) und der ComECE in Brüssel (Commissio Episcopatuum Communitatis Europensis), die am Integrationsprozess und der weltanschaulichen Ausrichtung der Europäischen Union teilnimmt, obwohl der Vatikan nicht Mitglied der EU ist und es auf Grund seines Selbstbildes auch nicht sein kann (Rotte 2007: 152). Beleuchtet werden femer die Zugänge, die der Heilige Stuhl zu Politikern, Journalisten und Gläubigen hat, das weltweite Netzwerk der katholischen Kirche (auch in China) sowie das Medienprlvileg und die Publikumswirksamkeit des Papstes. Darauf folgt die Besprechung von drei Fallbeispielen: Die Wahl fiel hierbei auf die Zusammenarbeit des Heiligen Stuhls mit der polnischen Gewerkschaft Solidamosc in den 1980er Jahren unter einer vergleichenden Berücksichtigung der Revolution auf den Philippinen 1986, das Vorgehen des Heiligen Stuhls gegen Abtreibung auf nationaler und internationaler Ebene sowie der Einsatz von Johannes Paul Ir. zur Verhinderung des lrakkriegs 2003: Obwohl der Papst den amerikanischen Präsidenten George W. Bush nicht davon abhalten kann, den Irak anzugreifen, ist sein Engagement als erfolgreich zu beurteilen. Da die Iuformationslage über die Verhandlungen des Heiligen Stuhls mit Konfliktparteien oder Regierungen begrenzt ist, soll in Kapitel 7 ein Vergleich zwischen ilun und weiteren Akteuren der internationalen und transnationalen Beziehungen den Blick zusätzlich weiten. Ausgewählt wurden die USA als letzte Supermacht, die UNO als größte internationale und weltweit operierende Organisation und der Akteurstyp der Nichtregierungsorganisation. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Heilige Stuhl Fähigkeiten besitzt, die anderen nicht zur Verfügung stehen. 20
Im Fazit (Kapitel 8) werden die bedeutendsten Soft-Power-Instrumente des Heiligen Stuhls herausgestellt; deutlich werden auch die Gründe für die exponierte Stellung des Heiligen Stuhls in deu internationalen und transnationaIen Beziehungen. Vervollständigt wird die Untersuchung durch einen Ausblick (Kapitel 9). Diese breit angelegte Analyse nimmt in Kauf, dass einzelne Diskurse (so könnte bspw. schon die Gegenüberstellung von katholischer Kirche und UNO ein eigenes Forschungsprojekt darstellen) nicht in ihrer erschöpfenden Bandbreite behandelt werden können; die Beschränkung auf Teilaspekte erlaubt jedoch keine Gesamtbewertung und stellt deshalb keine Alternative dar. Die hier favorisierte Vorgehensweise verspricht, umfassender Auskunft über daa Mitgestaltungspotential und die Stärken des Heiligen Stuhls zu geben (die auch erst in ihrer Gesamtheit an Bedeutung gewinnen), als Detailbeobachtungen dies leisten könnten. Der Untersuchungszeitraum bezieht sich auf die Möglichkeiten, die sich - nach den im Hinblick auf die Soft Power des Heiligen Stuhls wichtigen Pontifikaten von Johannes XXIII. und Johannes PauI II. - aktuell für Benedikt XVI. eröffnen. Der deutsche Blickwinkel ist insofern von Interesse, als daas die katholische Kirche ihr Zentrum immer noch in Europa hat (wo ihre Einflussausübung am längsten kultiviert ist) und ihr in Deutschland - dem Land der Kirchenspaltung - ein Wohlwollen entgegengebracht wird, das beispiellos ist. Als Schwierigkeit des vorliegenden Forschungsprojektes erwies sich die Erreichbarkeit von Primärquellen; die Diskretion des Heiligen Stuhls macht sich auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihm bernerkbar. Die Informationsbeschaffnng und -auswertung erfolgte deshalb über offizielle Verlautbarungen des Heiligen Stuhls (Ansprachen und Veröffentlichungen des Papstes, Schreiben der Römischen Kurie), über eine umfassende SekundärquellenanaIyse und im Besonderen über Experteninterviews. Auf den Inhalt der Gespräche wird mit dem Namen des Interviewten oder in anonymisierter Form hingewiesen. Als weitere Hürde stellte sich heraus, dass generelle oder verallgemeinernde Aussagen über den Einfluss des Heiligen Stuhls sowohl für die nationale als auch für die internationale Ebene kaum zu treffen waren, da die Bedeutung der katholischen Kirche regional sehr unterschiedlich ausfällt. Vergleichbar mit der Soft Power der USA, von der letztlich auch nicht jeder beriihrt wird, soll für den Heiligen Stuhl im Rahmen dieser Arbeit deshalb an Beispielen das Instrumentarium aufgezeigt werden, das ihm theoretisch zur Verfiigung steht, um seine normativen Vorstellung in konkrete Politik umsetzen zu können.
21
A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
gion gestaltet sich in seinen unterschiedlichen Erscheinungsweisen hingegen schwierig (Sommer 2000: 66),' was Laustsen/W",ver wie folgt erläutern: Once, in criticizing Kant's transcendental categories, Heget ironically c1aimed that every time he asked for a piece of fruit at the greengrocers he got an apple, a pear, but never a piece of fruit ille apples and pears, we have only Christianity, Islam, Hinduism, etc., never religion as such.
Die Autoren folgern daraus: "The point is, however, that one has to accept that our way to the universal (religion as such) goes through the particular (Christiaoity)." (Laustsen/Wrever 2003: 152) Versucht man dennoch, die Substanz von Religion zu ermitteln, kann sie als eine Weltanschauung und Lebensführung beschrieben werden, die von der Existenz einer verehrensWÜTdigen Gottheit oder Macht ausgeht (Schischkoff 1991: 612); sie ist immer auch eine Kosmologie. Dierse weist darauf hin, dass Religion als "Sammelbegriff fiir jede Verehrung transzendenter Mächte, jede Lehre vom Göttlichen und alle Glaubensbekenntnisse der Menschen" verwendet wird (Dierse 1992: 632). Religion ist ein System aus Mythen, Dogmen, Ritualen, Sitten sowie Zeremonien und unterscheidet das Irdische, Profane und Weltliche von dem Heiligen. Religion umfasst eine Fülle von historischen Erscheinungen, um einen Bezug zwischen dem Transzendenten, der Gottheit bzw. dem Heiligen auf der einen Seite und dem Menschen auf der anderen herzustellen. Die Gottheit wird dabei erfahrbar und teilweise beschreibbar, aber nie vollständig erschließbar. Ein Aspekt dieser Verbindung ist, dass Einfluss auf das Verhalten von Menschen normativ ausgeübt wird. Es gibt keine Religion, die ohne Verbote auskommt; wer gegen die Regeln verstößt, macht sich schuldig (Weber 2001: 269, 271). Besonders ältere Religionsbeschreibungen heben diesen Aspekt des äußeren Vollzugs von Religion hervor, der sich an dem Einhalten von Anweisungen ablesen lässt (Dierse 1992: 633). Auf den Gesichtspunkt des gemeinschaftlichen Erlebens von Religion machen HepplKrönert aufmerksam: Sie verstehen unter Religion ein "Sinn- oder Bedeutungssystem ( ... ), das einen transzendenten und damit außeralItäglichen Anspruch hat, durch kulturelle Alltagspraktiken artikuliert
5
Die Unterschiedlicbkeit der Religionen basiert auf der ungleichen mythologischen, geschichtlichen ond völkerpsycbologischen Beschaffenheit ihrer Anhänger. Abweichongcn sind besonders in der Art der Verehrung ond Kontaktaufuahme mit der Gotthcit zu verzeichnen (SchiscbkoffI991: 612).
23
wird und auf eine entsprechende Vergemeinschaftung zielt" (HepplKrönert 2009: 22). Luclanann beobachtet Religion überall dort, wo das Verhalten der Gattungsmitglieder zum sinn-orientierten Handeln wird, wo ein Selbst sich in einer Welt findet, die von seinesgleichen bevölkert ist, mit welchen, für welche und gegen
welche es wertend handelt - wissend, dass sein Handeln von den anderen beurteilt wird. ,Religion' findet sich also überall, wo Zugehörige der Gattung Mensch in Handelnde innerhalb einer sie als ,natürliche' Organismen transzendierenden, geschichtlich entstandenen gesellschaft1ichen Ordnung verwandelt worden (Luckmann 1996: 18).
Dierse resümiert, dass es keine Beschreibung von Religion gibt, die all dem gerecht wird, was man als Religion bezeichnet; selbst die Summe aller Beschreibungen treffe das Phänomen nicht (Dierse 1992: 633).
2.2
Spiritualität und die Funktion von Religion
Schnakenberg bezieht sich auf die Ergebnisse der paläontologischen Anthropologie, nach denen religiöses Verhalten bei Menschen zu jeder Zeit in ihrem Dasein feststellbar ist (Schnakenberg 2000: 38). Auch Stieve weist darauf hin, dass die Suche nach einer menschlichen Kultur ohne Religion aussichtslos scheint (Stieve 2000: 63). Selbst jahrzehntelange Anstrengungen, eine Religion auszulöschen (wie in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg oder in China), scheitern (Sommer 2000: 67). Als mögliche Ursache fiir die Empfänglichkeit und Nachfrage der Menschen nach Religion nennt Leidhold zwei Erklärungsmodelle: zum einen die unzulängliche Natur des Menschen, aus der die Angst vor Schmerz und Tod sowie die Suche nach dem Sinn des Lebens erwächst; zum anderen die Begegnung des Menschen mit Gott und der Versuch der Religion, diese Begegnung dem Menschen verstehbar zu machen und auszulegen (Leidhold 2008: 1-2). Nach Stieve gibt es keine eindeutigen Erkenntnisse darüber, ob religiöses Verhalten angeboren oder erlernt ist; fiir wahrscheinlich hält er jedoch die Annahroe, dass die Offenheit dafiir auf menschlicher Veranlagung beruht, während der jeweilige Inhalt einer Religion eingeübt wird. Für vergleichbar hält er diesen Sachverhalt mit der Befiihigung zur Sprache: Die Veranlagung ist im Menschen feststellbar, während die Wahl der jeweiligen Sprache durch das Umfeld des Menschen bestimmt wird. Religionen sind nach Stieve "also Kulturprodukte, die auf genetischen Eigenschaften basieren" 24
(Stieve 2000: 56-57). Dieser Überlegung folgend erscheint die Unterscheidung der Begrifflichkeiten Religiosität und Spiritualität folgerichtig: Religiosität wird in einem sozialen Umfeld erlemt (dem sogenannten historischen Apriori: welcher Religion man angehört, wird primär vom Umfeld und den Eltern bestimmt), während Spiritualität, also die Neigung zur Mystik und die Bereitschaft, sich auf ein höheres Ganzes einzulassen, angeboren ist (Vaas 2006: 1120-1121). Stieve nennt die folgenden Aspekte von Religion, die sich in der Evolution positiv auf den Menschen ausgewirkt und Spiritualität als Disposition befördert haben können: Zum einen sieht er die Religion als Lebenshilfe und Unheilsbewältigung; sie unterstütze den Menschen dabei, mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten des Alltags fertig zu werden, z. B. durch die Etablierung des Jenseits als paradiesischem Ort. Auch ,,Nicht-Reales" könne einen Nutzen in der Evolution darstellen. 6 Zum anderen beurteilt Stieve Religion als "soziales Werkzeug" (Stieve 2000: 43, 55, 56): Sie beeinflusse das Verhalten einer sozialen Gruppe und organisiere das Leben in der Gemeinschaft. Er zitiert Wickler, der von den Zehn Geboten der katholischen Kirche sechs als "soziobiologisch vorteilhaft" erachtet (Wickler zit. in: Stieve 2000: 55). Religion diene der Gruppeufestigung und Abgrenzuog nach außen: Sie verbinde die Menschen nach innen miteinander und definiere den Außenbereich z. B. gegen Feinde; sie könne Menschen unterwerfen und verfiihren (Stieve 2000: 44). Den Aspekt des sozialen Werkzeugs fiibrt Vaas aus: Religion mache das Gruppenleben sicherer, harmonischer und wirtschaftlicher, denn Menschen mit gleicher Religionazugehörigkeit arbeiteten effizienter zusannnen, als wenn eine ungleiche Zugehörigkeit vorliege (Vaas 2006: 1129);7 Kooperation und Altruismus könnten durch Religion gesteigert und gegen Schmarotzer abgesichert werden. Die gegenseitige Unterstützung und Arbeitsteilung sei fundamental für die menschlichen Gemeinschaften und ein essentieller Faktor fiir die Ausbreitung des Menschen 6
Vaas nennt Religion in diesem Zusannnenhang ein "psychische[s] Placebo" (Vaas 2006: 1125).
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In dieser EIk.enntnis argumentiert auch Schwarzenberger in Bezug auf das mittelalterliche Völkerrecht zu Begion des 16. Jahrlnmderts zwischen den italienischen Stadtstaaten und den ucabhängigen Staaten am Rande des Römischen Reichs: .,Letztlich jedoch beruhte der Wert dieser Verträge auf dem Wort und dem guten Glauben der vertragschließenden Teile. Die Annahme, daß das Prinzip pacta sunt servanda allgemein beachtet würde, beruhte auf gemeinsamen religiösen und ethischen Traditionen, und wenn auch diese Erwartung oft nicht ertüllt
wurde, so ist das nicht so wesentlich wie die Tatsache, daß die Fürsten ihre Beziehungen zueinander stets erneut auf der gleichen Vertrauensbasis zu regeln versuchten." (Schwarzenberger 1955: 20-21)
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auf der Erde; Rituale wirkten sich hierbei förderlich aus (Vaas 2006: 1129). In diesem Sinne argumentiert auch Burkert, wenn er eine Hauptaufgabe der Religion darin sieht, dass sie durch Eide versucht, Lüge uod Missbrauch auszuschalten. 8 Nach einer Untersuchung von Sosis/Bressler sind religiöse Gemeinschaften langlebiger als weltliche, und Religionsgemeinschaften können diese Langlebigkeit noch einmal über einen höheren Grad an Restriktivität steigern (Sosis/Bressler zit. in: Vaas 2006: 1129). Der menschliche Organismus wird erst durch konkrete Sozialisationsprozesse zu einer Person (Luckmann 1991: 88); das Bewusstsein wird alleine in gesellschaftlichen Vorgängen realisiert. Sozialisation besteht dabei im bewussten Erlemen der Weltansicht, d. h. einer Sinnstruktur. Diese Sinnstruktur wird von der Religion geprägt, die die Ordnung des Lebens und der Welt erklärt. Die Vermutung, dass steigende Bildung unweigerlich zu abnehmender Religiosität fiihrt, widerspricht aktuellen Forschungsergebnissen (Blume 2006: 10-11). Religionsgemeinschaften strukturieren das Zusammenleben von Menschen und geben Antworten auf Fragen, die das Welt- und Menschenbild betreffen. Damit werden sie zu Interpreten und bieten ein Sinnreservoir an, aus dem sich jeder bedienen kann, statt an der fast unlösbaren Aufgabe zu scheitern, ein eigenes Sinnsystem entwickeln zu müssen. Durch möglichst viele Nutzer dieses Reservoirs steigt die Stabilität der Weltansicht. Das Sinureservoir ist zeitübergreifend, geht dem einzelnen Menschen also voraus und "bildet die empirische Grundlage fiir die Integration als Person" (Luckmann 1991: 89); es hält über das Wertesystem aber auch die Knltur zusammen und stützt das soziale System (Luckmann 1985: 26). Zu diesem Sinn gehört es, dass Religionsgemeinschaften zwischen dem Individuum und dem Heiligen Kosmos vermitteln; sie schalten sich gleichsam dazwischen und nehmen fiir sich das Monopol in Anspruch, die Auslegung der letzten Bedeutung zu leisten (Luckmann 1991: 112-113); sie sind die "Vergesellschaftung des Umgangs mit Transzendenzerfahrungen" (Luckmann 1985: 34).
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,.Man braucht Eide auf allen Ebenen., :für wirtschaftliche Verträge, vor Gericht, zwischen Städten, Stämmen und Monarchen. Immer geht es darum, Lüge und Betrug auszuschalten. ( ... ) Die einfachste Garantie der Richtigkeit einer Aussage ist die Zuzichung von Zeugen. Mit dem Eid werden darum göttliche Personen auf den Plan gerufen." (Burkert 2000: 117)
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Heili ger Kosmos
O··;·~czialisicrtc Religion
.... Individu um
Abb. 1: Die spezialisierte Religion (eigene Darstellung) Religionsgemeinschaften leisten ein Höchstmaß an Integration :I:ür den Einzelnen in das kollektive Ganze und für den inneren Zusammenhalt von Gesellschaften durch normative Gewissheiten oder die Bildung von Erinnenmgsgemeinschaften (Küenzlen 2003: 114; Graf 2004: 209). Sie sind ein Garant der e1hnisch-nationalcn Identitätsbildung (Kleine 2002: 2). Religionsgemeinschaften schaffen für die Gesellschaft eine Ordnung, die als universale und transzendente Manifestation angesehen werden kann (bclnnann 1991: 89). Ein Aspekt dieser Ordnung ist die Strukturicrung von Zeit, sei es in Bezug auf den Rhythmus des Jahres (die Feiertage der katholischen Kirche haben sich als merklich stabil erwiesen und eine hohe Akzeptanz auch bei Nicht-Christen) oder :I:ür die Zeitentwürfe eines Individuums (z. B. durch Taufe, Kommunion, Firmung, Ehe und Beerdigung, mittels derer sich Familien auch immer ihrer selbst vergewissern) (Graf2004: 87). Eine weitere Aufgabe dieser Ordnung ist es, die unbestimmbue, wdJ. nach lIlBe.n (Umwelt) und nach iIme.n (S}'Item) hin unahschli.eBbare Welt in eine bestimmbare zu transformieren, in der System. und Umwch in Beziehung stehen köuncn, die auf bciden Seiten Bclicbigkcit der Vcrindcnmg IlIlIsehlie&n (LuhIwmn 1977: 26).
Religionsgemeinschaften nehmen mit ihren Positionen Einfluss auf die öffentliche Meinungs- und Willcnsbildung (Habermas 2007: 1443-1444). Sie können durch die Wahl ihrer Sprache dazu beitragen, dass sich ,,Lernpathologien verfestigen" und damit ,,Erfahrungsresistenzen fördern", indem sie mentale Konstrukte aufbauen (Graf2004: 181). Dabei unterscheidet Hahermas zwischen zwei Arten des Auftretens: Religionsgemeinschaften können als moralische Institution an a11c Menschen appellieren oder nur die eigenen Gläubigen ansprechen und über Gewissenszwang und geistliche Autorität statt über Argumente ein Ziel verfolgen. Als Beispiel für das 1ctztgenannte Auftreten gibt er die Hirtenbriefe zu den Bundestagswahlen der 1950er Jahre in Deutschland an (H.henna. 2007, 1445). 27
Religionsgemeinschaften leisten eioen gesellschaftspolitischen Beitrag in der Familienpolitik; diese ist immer die Antwort des Staates auf gesellschaftliche Probleme, und Religionen nehmen hier eine Schlüsselrolle ein (Bahle 2003: 391). Sie engagieren sich auch im Bereich der Wohltätigkeit und Bildung durch zahlreiche Einrichtungen. Sogar im laizistischen Frankreich werde der katholischen Kirche fiir ihr soziales Engagement hohes Ansehen entgegengebracht (z. B. fiir die Sans Papiers), so dass viele Franzosen bereit seien, die Vorgaben der katholischen Kirche zu befolgen (Warner 2003: 280-281, 287). Zahlreiche Autoren machen fiir den europäischen Einigungsprozess in seiner Anfangsphase darauf aufinerkaarn, dass die katholische Kirche dabei hilft, als gemeinsamer Nenner die nationalen Unterschiede zu überwinden (Robbers 2003: 158; Malik 2006: 97)" Pickel sieht den Beitrag des Cbristentoms fiir die Demokratie verstanden als Prozess der Legitimation durch Verfahren - darin, dass diese von Werten und Normen lebt, die sie nicht selbst hervorbringen kann (pickel 2006: 467). Verbeek bemerkt, dass der Staat die Kirche fiir die Dinge bmucht, die sich seioem Einfluss entziehen. Würden bspw. alle Bürger die Mitwirkung im Gemeiowesen ablehnen, gäbe es keines; der Staat hätte auch keine Zukunft, wenn niemand eine Familie gründete. Unterstützung erhält Verbeek dabei von Verfassungsrechtlem (Verbeek 2005: 157). Religionsgemeioschaften üben darüber hinaus Herrschaft und Gehorsam ein, indem sie fiir sich Hiemrchien etablieren, die ein ,,Bewusstsein von Rang und Unterordnung" schaffen (Burkert 2000: 114). Religionsgemeinschaften können schließlich auch einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben: Selbst neoliberale Ökonomen sähen in der Religion einen Garanten fiir die Entstehung und Anhäufung jenes Maßes an Vertrauen, auf das produktive Interaktion auf Märkten und jede andere ökonomische Kooperation angewiesen seien (Graf2004: 15). Koslowski argumentiert in einer detaillierten Darstellung, dass Religion ein Mittel gegen Ethikversagen und Ethik wiederum als ein Korrektiv von Marktversagen zu werten ist. Er beurteilt eine individualistische Gesellschaftsordnung mit völliger Handlungsfreiheit fiir lebensunfähig, wenn keine religiöse Grundüberzeugung von einem Großteil der Bevölkerung akzeptiert und angenommen wird (Koslowski 1985: 76). In seiner Darstellung bezieht er sich zunächst auf den Zusammenhang von Ökonomie, Ethik und Religion im Hinblick auf rationales Handeln. Soziale Integmtion, die
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In Anbetracht der Tatsache, dass im Laufe des Einigungsprozesses auch nicht-christliche Staaten in die EU aufgenommen werden., ist von Einfluss-Einbußen für die katholische Kirche auszugehen. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, sich für die Bewerberstaaten stark. zu machen, die eine christliche Tradition aufweisen (s. Kapitel 6.1.4).
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Religionsgemeinschaften leisten, senke die Transaktionskosten des Marktes und sorge in dieser Folge für ein höheres Maß an Wettbewerbsfähigkeit und Schutz vor Marktversagen, was zu einer Erhöhung der Wohlfahrt in einer Volkswirtschaft führe. Unter Transaktionskosten summiert er einen Mangel an Arbeitsmotivation, Zuverlässigkeit, an Vertrauen und der freiwilligen Befolgung und Einhaltung von Regeln auch dort, wo diese nicht oder nur schwer von anderen überprüft werden können (Koslowski 1985: 79-80). Neben der sozialen Integration sieht er in der Ethik den zweiten Pfeiler zum Schutz vor Marktversagen, weil sie die Kosten für Sanktionen und Kontrolle minimiere. Auch hier helfe der religiöse Glaube, denn er stärke das Vertrauen in die Notwendigkeit von Ethik, Sittlichkeit und Regelbefolgung. Der Glaube erhöhe die Bereitwilligkeit, dass ,,moralische Vorleistungen" erbracht werden und moralisches Verhalten zu einem allgemeinen Verhalten wird (Koslowski 1985: 86-87). Den Nutzen von Religion und ihre Bedeutung für die Gesellschaft fasst Koslowski wie folgt zusammen: "In der Religion reliiert sich das Individuum den anderen und transzendiert zugleich in der Personalität der Gottesbeziehung das Allgemeine der Gesellschaft." (Koslowski 1985: 93-94) An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften auch eigene, weltliche Interessen haben: "Wer den himmlischen Herrscher verkiindigt, hat irdische Kosten, braucht also Geld." (Graf 2004: 24) Am Beispiel der katholischen Kirche stellt Luckmann fest, dass sie eine international operierende Religionsgemeinschaft ist, die neben ihrer dogmatischen und liturgischen Tradition einen ökonomischen, politischen und administrativen Apparat ausgebildet hat (Luckmann 1991: 121). Sie ähnelt - wie noch herauszuarbeiten ist - in ihrem Auftreten einer Interessengemeinschaft und steht vor den Herausforderungen einer solchen: Sie muss sich in der politischen Arena beweisen, wenn sie ibre gesellschaftspolitischen und moralischen Überzeugungen umsetzten möchte, und staatliche Subventionen sowie rechtlichen Schutz generieren (Warner 2002: 279). In Zeiten eines Religionspluralismus muss sie sich auch vor anderen Religionsgemeinschaften behaupten, von ihnen abgrenzen
und ihre "corporate identity" pflegen, um "Marktanteile" zu sichern. und auszubauen, wie Graf es formuliert (Graf2004: 21-22). Dabei ist zu beobachten, dass der diesbezügliche Erfolg einer Religionsgemeinschaft desto höher ist, je strenger sie auftritt (Kallschener 2009: 69). Als Beispiele für "aggressives God selling" nennt Graf den Erfolg von Religionsgemeinschaften in den USA und in lateinsmerikanischen Gesellschaften. 1O 10
"Indem sie hohes religiöse, Engagement, diehte Vergemeinschaftung, s1rikt zu beachteede moralische Normen und erhebliche Finanzmittel fordern. erschließen sie den in ihnen verge-
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2.3
Scham als Druckmittel am Beispiel der katholischen Kirche
Jeder Mensch besitzt ein angeborenes Gewissen, das es ibm ermöglicht, zwischen dem sittlichen Wert und Unwert der eigenen Handlung zu unterscheiden (Schischkoff 1991: 249). Die Vorstellung vom Gewissen als Einfallstor des Schöpfergottes bezieht sich auf die Theologie von PhiIon von Alexandria: Das Gewissen wird zum ,,zeuge" und ,,Ankläger" des eigenen Handelos io der Vergangenheit und der Zukunft (Reioer 1974: 578). In diesem Sione argumentiert auch Casaroli, wenn er vom Heiligen Stuhl behauptet: "seio eigentliches Reich siod die Gewissen" (Casarali 1981: 96). Joseph Kardinal Ratzioger erklärt das Gewissen mit der Unterscheidung von anamnesis und conscientia, wobei anamnesis die Voraussetzung und ontologische Begründung fiir die conscientia ist. Mit dem Heiligen Basilius nennt er die anamnesis den ,,Funken göttlicher Liebe, der io uns eiogeboren ist"; dieser Funke beinhalte die Eriooeruog an das Gute und Wahre, bedürfe aber des Beistands von außen, den die katholische Kirche leiste." Die conscientia ist dagegen der "aetus - eio Geschehen im Vollzug" (Ratzioger 1993: 51, 54, 56). Dieser actus wende das Wissen der anamnesis an und vollziehe sich io drei Schritten: Wiedererkennen, Zeugnisablegen, Urteilen. Mit dieser Vorgehensweise könne der Mensch das Gute und Wahre sehen; verschließe er jedoch bewusst seine Augen davor, mache er sich schuldig und habe Schuldgefiihle, selbst wenn er diese zu unterdrücken versuche: Das Schuldgefiihl, das eine falsche Gewissensruhe aufbricht und die Wortmeldung des Gewissens gegen meine selbstzufriedene Existenz genannt werden könnte, ist dem Menschen so nötig wie der körperliche Schmerz als Signal, das Störungen der no:nnalen Lebensfunktion erl<ennen läßt (Ratzinger 1993: 34·35, 58)."
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m.einschafteten Menschen in pluralistischer Unübersichtlichkeit und verängstigender Unsicherheit eine starke, stabile Identität, krisenresistente Welt- und Zeitdeutung. geordnete Familienstrukturen und dichte Netzwerl Vorfeld des Irakkriegs von Johanues Paul 11. die Legitimation erhalten, die er von der UNO nicht bekommt (Franco 2008: 177). Nachdem ihm diese versagt bleibt und nicht einmal sein Minin3alwunsch - sich keiner weiteren Verurteilung ausgesetzt zu sehen - in Erfiillung geht, unterstreicht Bush seine Unabhiingigkeit vom Papst und verhält sich reserviert (in> Herbst 2002). Nach dem Irakkrieg sucht die BushAdministration eine Lösung för das in> Irak ausgebrochene Chaos, und der 301 Bereits als 19 italienische Soldaten Mitte November 2003 bei einem. Selbstmordattentat im Irak ums Leben kommen. plädieren italienische Kardinäle gegen einen Abzug italienischer Truppen (Franco 2008: 146).
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Heilige Stuhl erscheint als potentieller Helfer: Er ist in der Lage, mit den religiösen Führern des Iraks zu sprechen, Einfluss auf die chaldäischen Christen im Irak auszuüben und die anti-amerikanische Stimmung in Europa zu beruhigen, die 2004 wegen der Gefangenenfolterungen in Abu Ghraib einen neuen Tiefpunkt erreicht (Franco 2008: 144, 174). Zudem lässt das Aufgebot der amerikanischen Staatsspitze im Vatikan vermuten, dass Bush nicht zuletzt den 67 Millionen Katholiken in den USA (die 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen) vor der Präsidentschaftswahl im November 2004 signalisieren möchte, dass er trotz aller Differenzen eine solides Verhältnis zum Heiligen Stuhl hat. Der Papst kann auf Grund seines moralischen Ausehens eine Legitimation verleihen; ihn erreichen über 60 000 E-Mails und Anrufe von Bürgern aus der ganzen Welt mit der Bitte, dass er den Krieg verhindern möge. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle1 In Anbetracht der Ablehnung, die der Papst und die Vertreter des Heiligen Stuhls in Washington erfahren, überrascht sein duldsames Auftreten während und nach den Kampfhandlungen gegenüber der Bush-Regierung. Dafiir erscheinen folgende Gründe plausibel: Es bestätigt sich, dass der Heilige Stuhl grundsätzlich alle Gesprächskanäle offen hält und diese nicht abbricht. Er möchte die Politik der USA als Partner und nicht als verfeindeter Beobachter begleiten. Glendon sieht mit dem Ende der Kampfeinsätze ein die USA und den Heiligen Stuhl verbindendes Interesse: "The Holy See's interest now is really similar to !hat of the United States in that they are very worried about building a stable political order that will protect the rights of Christians and other religious minorities." (Glendon zit. in: Donnelly 2008) Im Jahr 2009 zählt der Irak ca. 500 000 bis 600 000 Christen, deren Zahl der Heilige Stuhl nicht weiter sinken sehen will. Er nutzt den Neuanfang des Iraks, um seine Vorstellungen von Religionsfreiheit umzusetzen. Hinzu kommt, dass sich der Heilige Stuhl zu dieser Zeit von Regierungen bedroht fiihlt, die sich in ihrer Gesetzgebung immer weiter von den Vorstellungen der katholischen Kirche entfernen. Hervorsticht dabei der spanische Ministerpräsident Zapatero, der die Vereinfachung von Scheidungsverfahren, die Aufhebung von verpflichtendem Religionsunterricht in Schulen und die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Spanien einfiihrt (Franco 2008: 54, 168, 177). Mit Bush verbinden Johannes Paul 11. immerhin gieiche Vorstellungen zu gesellschaftlichen Fragen. Die Entscheidung über den Gottesbezug in der EU-Verfassung steht zu dieser Zeit ebenfalls an: Der Papst kann mit der Aufmerksamkeit, die ihm über den Irakkonflikt zuteil wird, unter Umständen auch in der EU Sympathien für sich schaffen.
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Alleine die Tatsache, dass sich Staats- und Regierungschefs in dieser Intensität um Johannes Paul II. bemühen, zeigt sein Gewicht in den internationalen Beziehungen. Die Politiker, die ihn zu einer Audienz aufsuchen, bemühen sich um seinen "Segen" für ihre jeweilige Haltung (Foitzik 2003b: 167), der sich vorteilhaft in Bezug auf die Katholiken im eigenen Land auswirken kann. Zwar argumentieren manche Politiker (wie die deutsche Oppositionsfiihrerin Angela Merkei), ob man gegen den Irak militärisch vorgehen dürfe, sei keine Glaubensfrage, sondern ein sicherheitspolitisches Problem, für das man die Bibel nicht wortwörtlich zur Lösung heranziehen könne. Andere wiederum (wie Bundeskanzler Gerhard Schröder) verteidigen ihre Ablehoung des Irak-Angriffs mit dem Hinweis darauf, dass sich auch der Papst dagegen ausgesprochen habe (Foitzik 2003a: 58). Indem der Heilige Stuhl sich in der dargebotenen Vehemenz in internationale politische Fragen einschaltet und für Mandatsträger zu einem Argument für ihr eigenes politisches Vorgehen wird, ist er an der Gestaltung der internationalen Beziehungen beteiligt. Während die UNO vor dem Ausbruch des Irakkriegs wegen der Blockadehaltung der USA und Großbritaoniens gleichsam gelähmt erscheint, wird der Vatikan ,,zu einer Drehscheibe der internationalen Diplomatie ( ... ) Nie zuvor in der Modeme war ein Papst von so vielen Spitzenpolitikern als letzter Rettungsanker und als lagerübergreifende moralische Instanz aufgesucht worden. In manchen Momenten schien es, als habe der Pontifex mehr Einfluß als die UNO." (Ring-EifeI2004: 16) [SPC 14: Regierung als kooperativer Partoer für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Johanoes Paul II. begleitet die Diskussion über einen Irak-Angriff mit einer theologischen Untermauerung seiner Kriegsablehoung und rekurriert auf katholische Werte. Kardinal Cordes weist daraufhin, dass sich der Erfolg der päpstlichen Friedensappelle nicht nur in der direkten Wirkung ablesen ließen; berücksichtigt werden müssten vielmehr auch die langfristigen Effekte wie die Ausbildung des Gewissens oder die Orientierung für Verantwortungsträger (Interview Kardinal Cordes 2010). [SPC 4: Politische und religiöse Weltaoschauung, Werte; SPC 34: Maßstäbe setzen] Der Heilige Stuhl ist um Ausgleich zwischen den Konfliktparteien bemüht und markiert die Schwierigkeiten beider Seiten. Er kann sich auf Grund seiner Neutralität mit Vertretern jedes Staates treffen und schickt Sondergesandte nach Washington und Bagdad, die vermitteln und Handlungsspielräume sondieren. Dass Aziz den Papst aufsucht, zeigt, dass der Irak den Heiligen Stuhl als eine unabhängige Vermittiungsinstanz akzeptiert. [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Der Papst scham etwas, was anderen nicht gelingt: Er spricht mit
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jedem und ermöglicht Gespräche. Seine diplomatischen Kanäle bleiben zu jeder Zeit und zu allen Seiten hin geöffuet. 302 Der Papst triffi sich auch mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften und verfolgt dabei das Ziel, in einer Art religiöser Allianz mit einer Stimme gegen den Irakkrieg zu sprechen. Von den guten Kontakten des Papstes in die arabische Welt, auf die bereits seine Kooperationen während der UN-Konferenzen 1994 und 1995 hinweisen, können auch westliche Staaten profitieren. 303 [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontaktel Der Heilige Stuhl versucht, die christliche Minderheit im Irak zu schützen, indem er darauf hinweist, dass der Angriff der USA nichts mit dem Christentum zu tun hat. Steinschulte markiert in diesem Zusammenhang ein interkulturelles Missverständnis: Die islamische Welt nehme den Papst nicht nur als Oberhaupt des gesamten Christentums wahr (dort berücksichtige man nicht, dass es auch Protestanten und Orthodoxe gebe, so wie sich der Westen mit der Unterscheidung von Sunniten und Schiiten in ähnlicher Weise bisweilen schwer tne); die weniger gebildeten Menschen in der arabischen Welt sähen im Papst sogar das Oberhaupt des Westens, da im Islam nicht zwischen Staat und Religion unterschieden werde. Dort verstehe man nicht, dass der Papst das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft ist, die formal von der Politik getrennt ist: ,,Bei uns wird die Unterscheidung zwischen Politik und Religion als selbstverständlich vorausgesetzt, und wir denken gar nicht daran, dass das dort anders sein könnte." (Interview Steinschulte 20 I 0) Der Heilige Stuhl klagt vor und nach dem Krieg das Leid der irakischen Bevölkerung an, die unter dem Embargo leidet, und rückt von der eigenen Lehre des gerechten Kriegs ab: So wie der Todesstrafe die moralische Legitimation entzogen wird, deklariert er Gewalt als Instruroent zur Konfliktlösung als kaum
302 Ein Grund dafür ist sicher auch die Tatsache, dass er keine Rücksicht auf innergesel1schaftliehe Debatten oder einen politischen Meinungsbildungsprozess nehmen muss: .,Wo europäische und nordamerikanische Politik: vorsichtig taktierte und lange debattierte, von wem. Aziz empfangen werden könne, griff der Vatikan zu und gewährte ihm die vierte Audienz beim Papst Und während die Botschaften der Europäischen Union überlegten, ihr Personal auf eine Rumptbesetzung zu reduzieren, schickte Johannes Paul 11. seinen Sondergesandten :für alle Fälle in die Straßen von Bagdad." (Kopp 2003: 347) 303 Als weitere Indizien fiir die guten Kontakte in die arabische Welt werden die Rede des Papstes vor der Al-Amar-Universität in K.airo im Februar 2000 genannt und die gemeinsame Erklärung mit islamischen Theologen. dass Gott niemals als Motiv für Gewalt missbmucht werden dürfe. (Im Gegenzug für diese Erklärung soll die katholisehe Kirche versprochen haben, auf Missionierung in islamischen Ländern zu verzichten.) Das Ansehen von Johannes PaullI. in der arabischen Welt basiert auch dara.uf: dass er 1982 erstmals und dann weitere acht Mal Jassir Arafat zu einer Audienz empfiingt und sich (im Gegensatz zu den USA) für die Interessen der Palästinenser stark macht (Coppa 2008: 187).
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zu rechtfertigen. [SPC lO: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Der Heilige Stuhl und die Ortskirchen verurteilen einen Angriff des Iraks: Der Papst agiert auf der internationalen Ebene, die Ortskirchen auf nationaler Ebene. [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] Beide stuBen in den Gesellschaften Debatten an und versuchen sie fiir ihre Haltung zu gewinnen;'04 der Heilige Stuhl hat Zugänge zu deutschen Parlamentariern. [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit; SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partuer] Er schafft Ereignisse, über die in den Medien berichtet werden: Dazu gehören das emotionale Angelusgebet (vier Tage vor Kriegsausbruch), die Einberufung des diplomatischen Corps, die Botschaft zum Weltfriedenstag und die Friedenstreffen. Der Papst geißelt die Aufnahme des Präventivschlags in die Sicherheitsdoktrin der USA; er löst Diskussionen über internationales Recht, die Rolle der UNO und der USA in der Welt aus. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Weil der Papst keine Sanktionsmöglichkeiten hat, um die USA von einem Angriff auf den Irak abzuhalten, muss er mit Symbolen und Zeichen versuchen, auf seine Haltung aufinerksam zu machen. So werden dem deutschen Außenminister, der gegen einen Angriff des Iraks ist, die Ehrerbietungen fiir ein Staatsoberhaupt zuteil. Johannes Paul Ir. ruft zu einem weltweiten Fasten- und Gebetstag auf, lässt nach dem Angriff auf den Irak Kirchenglocken läuten sowie Kirchen zum Gebet öffnen. Bei der Karfreitagsprozession wird das Kreuz von einer irakischen Familie getragen, womit die Menschen in der Kriegsregion in den Mittelpunkt gerückt werden. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Die katholische Kirche hat selbst im Irak, wo sie eine religiöse Minderheit darstellt, eine Infrastruktur, die fiir Hilfsleistun~en genutzt werden kaun; die Kirchen dienen allen Menschen als Zufluchtsort. 0' [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Sant'Egidio,06 organisiert ein Diskussionsforum in Palermo (mit prominenten katholischen Würdenträgern), Geheimtreffen in Rom Trastevere mit Vertretern der arabischen Welt, Friedensmärsche am 1. Januar 2003 und ein Friedenstreffen in Aachen im September 2003. Der Heilige Stuhl nutzt das bei 304 Die Schwäche der amerikanischen Bischöfe zeigt aber auch., dass sich die katholische Kirche einen Vertrauensverlust in der Gesellschaft nicht leisten kann. 305 Das Gem.einde:netz soll an dieser Stelle vor allem in seiner Bedeutung für humanitäre Hilfe hervorgehoben werden. 306 Sant'Egidio ist zwar eine unabhängige Organisation, die aber de facto in der Nähe der Außenpolitik des Heiligen Stuhls anzusiedeln ist. Deshalb wird sie nicht unter SPC 38: NGOs und Verbände als Ou ..ide Partner aufgeführt, sondern als Teil der Strukturen des Heiligen
Stubls betrachtet.
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ihm akkreditierte diplomatische Corps, und Kardinal Cordes besucht als Präsident des Päpstlichen Rates Cor Unum den Irak. Auch Caritas International und Kirche in Not engagieren sich vor Ort: Sie bauen Schulen, Kraokenhäuser und Priesterseminare auf. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Johannes Paul II. kann den Irakkrieg zwar nicht verhindern, doch sein Engagement ist nicht ohne Wirkung; er ninunt die Aufgabe wahr, die ihm zusteht: Er setzt sich fiir Frieden ein (Interview Facius 2010), betätigt sich - in der Unterscheidung nach Reychler - als PeaceBnilder und Peace-Maker (s. Kapitel 2.5) und sensibilisiert die Menschen langfristig fiir eine gewaltfreie Welt (Interview Kardinal Cordes 2010). Er sorgt dafiir, dass der Aogriff des Iraks nicht als Kampf des Christentums gegen den Islam erscheint (Mörschel 2007: 11-12). Er widerspricht der Behauptuog von Is!amisten, es handle es sich um einen christlich-zionistischen Feldzug und schützt dadurch die Christen weltweit und besonders die christliche Minderheit im Irak (Interview Verbeek 2010); er macht auf die Folgen des lrakkriegs fiir das dortige Christentum aufmerksam (Interview Wimmer 2010). Der Papst nimmt mit seiner Ablehnung Einfluss auf die öffentliche Meinung, erntet in der islamischen Welt Zuspruch und beugt dem Fehlschluss vor, dass das Christentum ein Verbündeter der USA sei oder mit ihnen gleichgesetzt werden könne (Ring-Eifel 2004: 17). Johannes Paul 11. versagt George W. Bush, den Aogriff auf den Irak als Auftrag Gottes zu rechtfertigen und erhöht die Notwendigkeit fiir eine schlüssige Argumentation eines Angriffs auf den Irak (Interview Rupper! 2010). Er verurteilt nicht nur den Krieg im Allgemeinen, sondern explizit den bevorstehenden Irakkrieg, was sich in dieser Deutlichkeit zuvor keiner seiner Vorgänger in einem Konflikt erlaubt. "Tatsächlich war er [sc. Johannes Paul 11.] vielleicht der einzige welt-kirchliche Christ, der die Autorität besaß, dern Führer des mächtigsten Weltreiches seine moralische Glaubwürdigkeit und seinen religiösen Anspruch vor aller Welt zu bestreiten." (Bahr 2005: 1118) Die Vehemenz, mit der sich Johannes Paul II. fiir eine friedliche Lösung einsetzt, bringt ihm Anerkennung und Aufmerksam ein (Foitzik 2003b: 167; Interview Smoltczyk 2010). Nach Umfragen in Italien nimmt die katholische Kirche nach 40 Jahren wieder die Position der glaubwürdigsten Einrichtuog des Landes ein (Englisch 2003b). Das Fallbeispiel macht ferner deutlich, dass der internationale Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates den Heiligen Stnhl nicht davon abhält, sich zu Wort zu melden, wenn es um geistliche oder moralische Fragen geht oder Katholiken einer Gefahr ausgesetzt sind. Der Irakkrieg zeigt, dass der Heilige Stohl Gewalt kaum mehr als legitimes Mittel fiir die Beilegung von Konflikten ansieht: Er rückt von der Lehre des gerechten 238
Kriegs ab und fordert Verhandlungen im Rahmen der UNO (Christiansen 2003: 95). Dabei betrachtet er ein UN-Mandat als notwendige Bedingung fiir eine Intervention; die Entscheidung darüber, ob auch die hinreichende Bedingung erfiillt ist, behält er sich selbst vor (wie der Irakkrieg 1991 zeigt), womit er sich faktisch über die UNO stellt. [SPC 21: Selbstinszenierung und NationBranding]
6.3
Zusammenfassung: Die Soft Power des Heiligen Stuhls
In der Systematik der Soft-Power-Checkliste sollen an dieser Stelle - neben den Zusammenfassungen und Bewertungen der einzeInen Fallbeispiele - die Leistungen des Heiligen Stuhls in einer Gesamtschau dargestellt und vervollständigt werden: Die Vielfalt der kirchlichen Medien ist groß: Radio Vatikan berichtet weltweit über die katholische Kirche und verbreitet ihre Lebre; die VatikanHomepage wartet mit einem breiten Informationsmaterial auf, und CTV produziert Filmaufuahmen vom Papst fiir Sendeanstalten weltweit. In der BRD kann die katholische Kirche über die Konkordate das Programm der öffentlichrechtlichen Fernseh- und Radiosender mitbestimmen. [SPC I: Radio, Film, Femsehen und Internet] Die katholische Kirche hat mit der Heiligen Schrift (und deren Einfluss auf diverse Künste) eine Art Kulturhegemonie in der westlichen Welt; sie ist die "Trägerin einer Kultur" (Interview Vogt 2010). [SPC 2: Musik-, Kunst- und Literaturszene] Die katholische Lebre stellt ein stabiles intellektuelles Fundament dar, das zu einer Alternative zu politischen Weltanschauungen werden kann; sie gibt Kraft und Selbstvertrauen (durch Orientierung und Seelenheil sowie dem Erlösungsgedanken und einer Vision von einem besseren Leben). Sie schützt die Würde des Menschen, der als soziales Wesen seine Persöulichkeit nur in der Gemeinschaft entfalten kann. Die drei Gesellschaftsprinzipien der christlichen Sozial\ehre sind Gemeinwohl, Solidarität und Subsidiarität (Rotte 2007: 98; Rauch 2006: 59). Die zentralen Werte der katholischen Kirche wie Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Nächsteuliebe finden auch über Kulturkreise hinaus Zustimmung. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Kirchliche Symbole sind weltweit verbreitet und haben einen Wiedererkennungswert; dazu gehören Kruzifix und Hostie ebenso wie die Bibel, Gotteshäuser oder die Kleidung katholischer Geistlicher. Über diese Produkte hält sich die katholische Kirche im Bewusstsein der Menschen. [SPC 5: Produkte der Massenkultur] Indem die Päpste beharrlich Frieden fordern und aktiv werden, geraten sie selbst zu einem Zeichen: Sie erscheinen gleichsam als 239
weißer Friedensengel; sie bringen durch das Segnen symbolisch das Heil. Das Papstamt ist eine Art ,,Kunstkörper", der angezogen wird. Der Heilige Stuhl betreibt symbolische Politik, wenn er Kirchenglocken gegen den Krieg läuten lässt. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Er besitzt sachliche Kompetenz, eine Führungsrolle im Bereich von Ethik und Moral und ist als seriöser Träger anerkannt (Interview 2; Interview Ruppert 20 I 0). Er besitzt nicht nur die Suprematie über die katholische Theologie und bestimmt damit die wissenschaftliche Auseinandersetzung; vielmehr nimmt er fiir sich das Alleinverwendungsrecht fiir das Prädikat katholisch in Anspruch. Rotte spricht in Anlehnung an Susan Strange von struktureller Macht, wenn die Kontrolle über Wissen, Glauben und Ideen gegeben ist: Strukturelle Macht sei an der Intensität der kulturell-wissenschaftlichen Vorherrschaft eines Akteurs abzulesen, mittels derer er seine Haltung beabsichtigt oder unbeabsichtigt auch bei anderen implementiert und damit ihre Entscheidungen beeinflussen kann (Rotte 2007: 125).'07 [SPC 7: Wissenschaft und Technologie: Führungs- oder Vorreiterrolle] Der Heilige Stuhl investiert in die Erziehung und (katholische) Bildung der Menschen. Vaillancourt weist darauf hin, dass durch die bessere Ausbildung der Geistlichen die Autorität der katholischen Kirche gewachsen ist (Vaillancourt 1980: 271). [SPC 9: Bildung] Die katholische Kirche unterhält Krankenhäuser und Altenheime; der Heilige Stuhl tritt fiir diejenigen ein, die sonst keine Lobby haben. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen] Er fordert Nächstenliebe, ruft dazu auf; Verantwortung zu übernehmen und die Würde des Menschen sowie die Gleichheit aller Menschen zu achten. Er ist gegen die Todesstrafe und tritt fiir Gewaltlosigkeit ein. [SPC 11: Hunurnitätsideal gesetzlicher Regelungen] Da sich der Heilige Stuhl nie nur auf das Geschehen im eigenen Land konzentriert, ist er besser aufgestellt als herkömmliche Staaten, die an Souveränität verlieren. Er versucht, Ausgleich zwischen den Völkem zu schaffen, weil alle Menschen ein Recht darauf haben, sich zu entwickeln. [SPC 12: Qualität der Regierungspolitik] Päpste besitzen Amtscharisma; bei Johannes Pani 11. tritt sein persönliches Charisma hinzu: Er ist der erste Papst, der das vorgeschriebene Ritual verlässt und sein Amt der Popnlarität und dem Starkult öffnet. Er bedient die fiir die Massenmedien attraktiven Frames Vom Tellerwäscher zum Millionär und David gegen Goliath. Das in der Regel 307 Bei Strange heißt es im Original: ..the power to determine what knowledge ,hall be sought; how it shall be accumulated and applied; how and wh.ere knowledge once accumulated shall be stored; and to whom it shall be communicated and on what terms, constitutes another kind of structura1 power in world society and in Ibe world economy" (Strange 1989: 168-169).
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ruhige und besonnene Aufueten von katholischen Würdenträgern kann sie in ihrer Amtsführung unterstützen. [SPC 13: Charismatische Führer] Der Heilige Stuhl ist ein kooperativer Partner: Er steht für Kontinuität, Verlässlichkeit und Diskretion; er stellt seine Verhandlungspartner nicht bloß, hat gote Kontakte und ist durch seine Infrastruktur immer vor Ort. Wegen der Katholiken in den jeweiligen Bevölkerungen sind weder Papst noch Nuntius Fremde in einem Land (im Gegensatz zu herkömmlichen Staatsoberhäuptern und Diplomaten). Die katholische Kirche kann durch ihre Ideologie und durch gemeinsame Erfahrungen mit der Gesellschaft systemstabilisierend wirken, indem sie die Gegebenheiten interpretiert und eine Orientierung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scham. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Der Heilige Stuhl leistet weltweite Friedensdienste mit gewaltlosen Mitteln und Vernunft. Durch seine Neutralität begegnen ihm Staaten mit weniger Vorbehalten und akzeptieren ihn als Vermittler. Er besitzt eine größere Objektivität, weil herkömmliche Staaten in ilnn keine Gefahr sehen. Ryall schreibt ilnn Macht durch Neutralität zu (Ryall 1998: 32). [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Es stellt sich die Frage, ob Gemeinden als Kulturinstitute der Public Diplomacy verstanden werden können: Dafür spricht, dass die katholische Kirche mit der Einrichtung von Gemeinden auf Gesellschaften zugeht und jede Gemeinde (direkt oder indirekt) auch für neue Katholiken wirbt; dagegen muss gewertet werden, dass Gemeinden Teil der eigenen Gesellschaft und aus ihr hervorgegangen sind. Zumindest die aktive Missionierung kann als eine Art Public Diplomacy verstanden werden. [SPC 16: Public Diplomacy] Der Heilige Stuhl erfährt Anerkennung und Respekt durch seine 2 OOOjährige Geschichte; seine Privilegien sind durch Tradition legitimiert. In früherer Zeit ist er ein eigener Machtfaktor, der seine Autorität auch nach dem Zusammenbruch des Kirchenstaates nicht verliert. [SPC 17: Eigen- und Fremdwahrnehmung der Geschichte eines Landes] Der Heilige Stuhl leitet eine der größten Religionsgemeinschaften der Welt; die katholische Kirche wird nicht zuletzt während eines Weltjugendtages als Global Player wahrgenommen. Der Heilige Stuhl ist unabhängig (von Wirtschaft und Wählerstimmen); über Konkordate sorgt er für stabile Beziehungen zu einzelnen Staaten. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart] Die Gesamtheit der katholischen Gläubigen weltweit könnte heterogener nicht sein; durch die religiöse Unterweisung und die Sozialisation in der katholischen Kirche scham der Heilige Stuhl aber gemeinsame Standards, die universal gelten und damit zu Referenzpunkten werden: Er sorgt für ein Set an geteilten Werten und Überzeugongen, weshalb seine KonfliktvermittJung besonders in katholischen Staaten effektiv ist. [SPC 241
19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Demographische Untersuchungen belegen, dass Frauen, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen, mehr Kinder zur Welt bringen als diejenigen, die dem Gottesdienst fernbleiben; dieser Effekt wird auch über die Drittvariable Ehe erreicht'o, Insofern kann die katholische Kirche als Religionsgemeinschaft auch einer Alterung der Gesellschaft entgegenwirken.'o, [SPC 20: Demographie und Gesundheitszustand] Der Heilige Stuhl setzt sich für alle Menschen ein, empfiehlt sich als Gewissen der gesamten Menschheit und überkonfessionelle Weltautorität Er sieht sich als Anfiihrer (,,Bannerträger") einer ideologischen Allianz und möchte ein Sprachrohr auch für andere Religionsgemeinschaften sein. Er nin3mt für sich in Anspruch, als von Jesus Christus gestiftete Kirche der Ursprung von Wahrheit und Moral zu sein. In diesem Kontext ist auch das Unfehlbarkeitsdogma zu sehen, das wichtig für die Autorität des Papstes ist (Vaillancourt 1980: 2). Der Heilige Stuhl empfiehlt die katholische Lehre und seine Publikationen als universal geltend. Die Inszenierung um einen Papstauftritt (höfisches Zeremoniell), die Schweizer Garde und die vatikanischen Paläste tragen den Prunk der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Bezeichnung Heiliger Vater dröckt die Verbindung des Papstes zu jedem einzelnen Menschen aus. [SPC 21: Selbstinszenierung und NationBranding] Der Vatikan ist ein Touristenmagnet und unterstreicht das Interesse der Menschen (unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit) an der päpstlichen Institution (Schlott 2008: 18). [SPC 22: Anziehungskraft von Natur und Urbanität] Der Papst kann mit der Ernennung von Kardinälen die Kirche auch für die Zeit nach seinem Pontifikat prägen: Der Heilige Stuhl strahlt Kontinnität und Verlässlichkeit aus; alle Päpste stehen in einer Tradition, so dass der Wechsel an der Spitze der katholischen Kirche nicht vergleichbar mit einem Regierungswechsel in einem herkömmlichen Staat ist [SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit für die Zukunft] Der Zentralismus der katholischen Kirche sorgt für Konfliktstoff; es scheint in Anbetracht ihrer Größe und ihrem Anspruch anf Einheit und Universalität aber keine Alternative dazu zu geben. Der Heilige Stuhl besitzt direkte Macht über die gesamte katholische Kirche (Rink 1997: 71); seine Autorität wächst durch die Unterdröckung der Laien im institutionellen Arrangement der katholischen Kirche, durch die Fom3alisierung des kanonischen Rechts, durch Konkordate und religiöse Verhaltensregeln (Vaillancourt 1980: 271). [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen in3 eigenen Land] Wie keine andere Institution 308 Die katholische Kirche tritt für die Ehe ein, und eine geregelte Partnerschaft kann für Stabilität sorgen, die sich wiederum vorteilhaft auf die Bereitschaft für Kinder auswirken kann. 309 Siebe auch Kapitel 2.4.
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ist die katholische Kirche weltweit präsent. Der Heilige Stuhl verfügt über eio diplomatisches Netz; die Römische Kurie ist io Anbetracht der Größe der Kirche eio schlanker Apparat. Die Ortskirchen können politisch als verlängerter Arm des Heiligen Stuhls verstanden werden. In vielen sogenannten schwachen Staaten oder Ländern der Dritten Welt ist die katholische Kirche die einzige stabile und vom Staat unabhängige Institution. Als Ausdruck von Organisationsstärke können die kirchlichen Medien, politischen Eiorichtungen (Katholisches Büro io Berlio, ComECE io Briissel), die zahlreichen Unterorganisationen und kirchlichen NGOs sowie die Fähigkeit, eio globales Ereignis wie den Weltjugendtag zu organisieren, gewertet werden. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Keio religiöses Oberhaupt hat eio so umfassendes und regelmäßiges Netz aus weltlichen und ioterreligiösen Kontakten wie der Papst; er hält Gesprächskanäle auch für andere offen. In Konflikten kann der Heilige Stuhl in eioem Multi-Level-Approach Gespräche von der Staatsspitze bis auf die lokale Ebene organisieren. Ein eiodrucksvolles Beispiel für seio Friedensengagement ist der Audienzmarathon vor dem Ausbruch des Irakkriegs 2003; er ermöglicht diskrete Begegnungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Für die Reduzierung der eigenen InterdependenzVerwundbarkeit empfehlen Keohane/Nye den USA die Übernahme eioer Politikkoordinierung und eioe ioternationale Fübrerschaft - z. B. durch Förderung und Ausbau der Kooperation io internationalen Organisationen und Regimen (Keohane/Nye 1977: 106). Der Heilige Stuhl schafft ein globales Gemeingnt, indem er die ioternationale Fübrerschaft im Bereich der Moral und Ethik übernimmt und Friedensdienste anbietet. Er kämpft für die Würde aller Menschen und engagiert sich io internationalen Organisationen (KSZE/OSZE, Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag 1971).310 Roß nennt Johannes Paul Ir. den letzten unüberhörbaren Kapitalismuskritiker, nachdem die Kommunisten verschwunden sind (Roß 2002: 15). [SPC 27: Globale Gemeiogüter erzeugen] Der Heilige Stuhl hat eioe Fülle von Informationen durch seioe weltweite Infrasttuktur, durch Besuche (von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs sowie Bischöfen), durch katholische Organisationen (Sant'Egidio, Opus Dei, Pax Christi) und seine Orden. [SPC 28: Informationen sammeln und steuern] Wenn es kirchlichen Medien gelingt, eio breites (auch nicht-katholisches) Publikum anzusprechen, können sie sogar als zivile Kommunikationsnetzwerke bezeichnet wer-
310 Helbig führt hierzu aus, dass solche internationalen Vereinbarungen nicht nur einen politischen Sinn, sondern auch einen ethischen Gehalt haben. den die katholische Kirche mitgestaltenlnÖchte(He1big 1981: 175-176).
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den. 3ll Publikationen auf Bistumsebene können die Verbindung in einem gesellschaftlichen Subsystem sein, in denen katholische Rechtsanwälte für ihre Praxen werben oder katholische Familien katholische Hausangestellte suchen. [SPC 29: Zivile Kommunikationsnetzwerke] Zumindest theoretisch ist eine Reforrnf"ahigkeit der katholischen Kirche und der Römischen Kurie durch das Weisungsrecht des Papstes gegeben; inwiefern dies in der Praxis geschieht, kann nicht beurteilt werden, da die vorliegende Untersuchung interne Abläufe als Black Box unberücksichtigt lässt. Es ist aber zumindest zu erkennen, dass der Heilige Stuhl bereit ist, Positionen zu korrigieren (z. B. werden die Vorbehalte gegenüber der Demokratie und Journalisten aufgegeben). [SPC 31: Anpassung und Reformfähigkeit] Öffentliche Gebete und Appelle, Enzykliken, Briefe an Politiker oder Wahlhirtenbriefe können Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben, Lernpathologien festigen oder Erfahrungsresistenzen fördern. Der Papst zieht das Interesse der Weltpresse auf sich und liefert imposante Bilder (Macht der weißen Soutane); er kann die Themen der Tagesordnung beeinflussen (Interview Verbeek 2010; Interview Ruppert 2010; Interview Sharma 2010). Der Heilige Stuhl zählt über 400 ständig bei ihm akkreditierte Journalisten und unterhält eigene Medien. Als Anführer einer ideologischen Allianz oder als Sprachrohr kann der Heilige Stuhl vor allem seine eigenen Themen platzieren; durch die Präsenz der katholischen Kirche in der Gesellschaft (Feiertsge, Weltjugendtage, Gotteshäuser, Strukturierung der Zeit) verschaffi er sich Aufmerksamkeit. Die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden gilt als der Think Tank des Heiligen Stuhls in Bezug auf internationale Entwicklungen und Fragen (Donnelly 2002: 157). Smoltczyk weist daraufhin, dass die katholische Kirche mit AbM Pierre, Mutter Teresa oder den Franziskanerpatres gute Aushängeschilder habe, die dabei helfen würden, Themen an die Öffentlichkeit zu bringen (Interview Smoltczyk 2010). In Deutschland gelingt es der katholischen Kirche über die Deutsche Bischofskouferenz (mit Hirtenbriefen, Stellunguahmen des Ständigen Rates oder der Vollversammlung) Präsenz in den Medien zu zeigen; besonders effektiv ist sie dabei, wenn sie mit der evangelischen Kirche zusammen auftritt (Interview 4). Ein Interviewpartner unterstreicht, dass sie vor allem dann die Themen der Tagesordnung beeinflussen kann, wenn sie durch Sachargumente überzeugt (Interview 3). Ruppert macht in Bezug auf das Agenda-Setting auf die tägliche Kommunikation mit den Gläubigen vor Ort aufmerksam (Interview
311 Biskupek weist darauf hin, dass sich das Domradio in Köln einer breiten Beliebtheit erfreut und sich immer mehr Bistümer dem Programm anschließen (Interview Biskupek 2010).
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Ruppert 2010).312 [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen fonnen] Die katholische Kirche mobilisiert jede Woche Gläubige, den Gottesdienst zu besuchen; der Kirche zu dienen um Gott zu dienen ist ein Mobilisierungsfaktor erster Güte. Wie keiner anderen Organisation gelingt es ihr, Menschen zum Geldspenden zu bewegen. Der Heilige Stuhl bringt Religionsgemeinschaften in Assisi zusammen; die Ortskirehen können Beziehungen zwischen der Regierung und ihrem Volk herstellen. Der Papst ist die Personifizierung des Katholizismus, was die Mobilisierung vereinfacht; zehntausende Menschen stehen am Straßenrand, um ihn bei seinen Reisen zu sehen; mit dem Welijugendtag bringt er ein Millionenpub1ikum zusammen. 313 [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Der Heilige Stuhl wird durch fachliches und moralisches Wissen zum Experten anf diversen Gebieten; er besitzt Macht durch Expertenturn (Vaillancourt 1980: 267-268). Durch Selig- und Heiligsprechungen gibt er den Menschen Vorbilder. [SPC 34: Maßstäbe setzen] Die katholische Kirche wird selbst zu einem Vorbild, wenn ihre Normen zu internationalem Konsens werden: So setzt sie weltweit ein Verständnis von Werten oder bestimmten Definitionen durch; daran wird auch die transnationale katholische Identität deutlich. Als geistliche Souveränität und moralische Autorität kann sie mit Scham arbeiten und eine Legitimation verleihen. Der Heilige Stuhl kann die Positionen von Politikern auf- oder abwerten; dies gelingt auch durch das Gewähren von Audienzen. Er übernimmt weltweit Verantwortung für das Gemeinwohl und hat eine Stellvertreterrolle, wenn seine Arbeit anerkannt wird. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Für viele Menschen ist es eine Ehre, dem Papst dienen zu dürfen: Er gewinnt prominente Wissenschaftler oder pensionierte Baokdirektoren, die unentgeltlich in päpstlichen Delegationen oder Kommissionen tätig sind. [SPC 36: Prominente Einzelpersonen als Outside Partner] Dass Firmen wie VW oder Volvo dem Papst eine gepanzerte Limousine schenken, reicht zwar nicht aus, um einzelne Wirtschaftsvertreter als Outside Partner zu werten, aber es bezeugt doch zumindest, dass es als eine Auszeichnung empfunden wird, wenn der Papst
312 Smoltczyk. betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, vor allem. telegene und rhetorisch versierte Vertreter der katholischen Kirche für die Medienarbeit abzustellen (interview Smoltczyk 2010). 313 Ein Gesprächspartner bemerkt hierzu: "Wenn Milliooen Jugendliche zu den Welljugendtagen
kommen, wofür sie lange gespart haben., oder nach Rom fahren., um Johannes Paul n., der im. Sterben liegt. nahe zu sein - obwohl sie wissen., dass sie ihn nicht sehen werden - dann heißt das doch etwas. ( ... ) Dem Papst wird in gewisser Weise der Respekt und die Verehrung zu Teil, die man für Jesus Christus empfindet. Der Papst wird von Menschen verehrt... (Interview 2)
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bestimmte Produkte verwendet'!< [SPC 37: Wirtschaft als Outside Partner] Der Heilige Stuhl kann Organisationen Zugänge verschaffen oder sie in ihrem Vorhaben unterstiitzen; mit Gewerkschaften gibt es gemeinsame Aufrufe zu Friedensdemonstrationen. Gesellschaftliche Gruppen suchen den Kontakt zum Heiligen Stuhl bzw. zur katholischen Kirche, weil sie sich dadurch Vorteile erhoffen. m [SPC 38: NGOs und Verbände als Outside Partner] Die katholische Kirche verbindet die Menschen weltweit miteinander. Indem sich Katholiken fiir Katholiken einsetzen, wird die katholische transnationale Gesellschaft deutlich. Interviewpartner unterstreichen die gesellschaftliche Präsenz der katholischen Kirche als Machtressource (Interview 2; Interview Vogt 20 I 0). Die katholische Kirche hat vor allem in katholisch geprägten Ländern Einfluss; auf Gemeindeebene kann soziale Macht durch Gruppenzwang (unter Katholiken) bestehen. Jeder Katholik kann die Gesellschaft christlich prägen und mitgestalten.'!· Durch die Ritualisierung des Alltags wird der Einzelne in die Gemeinschaft integriert. [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] Wenn z. B. König Abdulla13 von Saudi-Arabien den Papst besucht, sendet er damit auch ein Signal an die arabische Welt317 Durch die Ausbildung von Journalisten versucht die katholische Kirche, Meinungsführer in den Medien fiir sich zu gewinnen. [SPC 41: Meinungsführer in ausländischen Gesellschaften als Outside Partner] Resümierend kann bereits an dieser Stelle die erste These der Untersuchung verifiziert werden: Der Heilige Stuhl verfügt über ein breites Soft-PowerInstrumentarium, mit dem er Einfluss auf politische Entscheidungen nelnuen kann.
314 Dies entspräche dann den Betrieben, die sich in Monarchien damit schmücken dürfen, Lieferanten des Hofes zu sein. 315 Caritas International, Brot fiir die Wel~ Advenia~ das Bonifutiuswerk der deutschen Katholiken. das Kindermissionswerk ,,Die Sternsinger"" Misereor oder Missio müssen dagegen als Inside Partner bezeichnet werden. 316 Die katholische Kirche wird nicht nur von Würdenträgern vertreten, sondern auch von Laien: von Gottesdienstbesuchem, Prozessionsteilnehmem, von Eltern. die ihre Kinder zum christlichen Glauben erziehen. von Menschen. die auf Gemeindeebene ein Ehrenamt bekleiden etc. (Schmidt 1999: 80-81; Interview Biskupek 2010)
317 Das Treffen im. Vatikan:findet im. November 2007 statt. In diesem. speziellen Fall wird der König von Saudi-Arabien nicht als Staatsoberhaupt seines Landes, sondern als Meinungsführer in der arabischen Welt beurteilt.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
zu den kommenden und gehenden Präsidenten31 ' der Vereinigten Staaten spielt in der Untersuchung ebenso eine Rolle wie die unterschiedlichen Instrumente, mit denen beide Akteure ihre Ziele zu erreichen versuchen.
7.1.1
Amerikanische Schwächen
Mit der Präsidentschaft von Barack Obama hat eine gleichsam messianische Lichtgestalt die Amtsgeschäfte der USA übernommen. Obama versucht nicht weniger, als die USA zu erneuern, das negative Amerika-Bild im Ausland zu korrigieren, das unter Präsident George W. Bush und dem Irakkrieg 2003 entstanden ist, und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Nach einer Umfrage des Pew Research Center, die im Juni 2005 veröffentlicht wird, ist das Ansehen der USA im Ausland schlechter als das von China; in den Jahren 2006 und 2007 erreichen diese Werte einen weiteren Tiefpunkt (Franeo 2008: 157).'19 Schon während des Präsidentschaftswahlkampfes wird Obama im Ausland ein enormer Vertrauensvorschuss entgegengebracht; er weckt die Hoffnung, dass die USA wieder stärker mit ihren Partnern zusammenarbeiten und zu einer moralischen Stellung zurückfinden.'20
318 Johannes Paul II. steht in seinem 26jährigen Pontifikat gleich mit vier mächtigsten Männern der Welt in Kontakt. Dieser Tatbestand dürfte ihm nicht nur einen reichen Erfahrungsschatz bescheren, sondern auch ein authentisches Selbstbewusstsein im. Umgang mit einem amerikanischen Präsidenten. Die Formulierung der kommenden und gehenden Präsidenten soll dabei eine Art Inkommensurabilität zwischen dem Amt des Papstes und dem .Amt eines gewählten Staatsoberhauptes unterstreichen: Der Heilige Vater wird mit Gottes Hilfe auf Lebenszeit erwählt Die Kardinäle im. K.on1dave verpflichten sich durch Eid, sich fiir denjenigen zu entscheiden, von dem. sie annehmen, dass Gott ihn bestimmt hat. Dies drückt die vor jedem einzelnen Wahlakt zu sprechende traditionelle Eidesformel aus: "Testor Christum Dominum. qui m.e iudicaturus est. me eum eligere, quem secundum Deum iudico eligi debere." In deutscher Übersetzung: ,,Ich rufe Christus den Herrn, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, daß ich den gewählt habe, von dem ich glaube, daß er nach Gottes Willen gewählt werden müsse." (Uwer o. J.) Dagegen ist ein für einen überschaubaren Zeitraum gewählter Regierungschef auf das Wohlwollen seines Volkes und seiner Regierungspartner angewiesen. 319 Bereits unter Präsident Bush wird die Notwendigkeit zum Handeln erkannt und Char10tte Bears mit der Leitung der Public Diplomacy der USA beauftragt, der sie zu früherer Geltung verhelfen soll. Nach Franco ist in diesem Zusammenhang auch die engagierte Hilfe der USA bei der Tsunami-Katastrophe 2004 zu verstehen, über die verlorene Sympathie zurückgewonneo werden soll (Franco 2008: 148-150. 163). 320 Diese Hoflhung wird durch die Biographie Obamas und die Tugenden genährt. zu denen er die Amerikaner ermahnt. Seine Vision von einer Welt ohne Nuklearwaffen triffi den Geschmack
vieler Menschen weltweit (Transatlantic Trends 2009).
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Das negative Amerika-Bild, das Obama bei seiner Amtsübernahme vorfindet, wird zu seinem Referenzpunkt und muss an dieser Stelle zunächst offengelegt werden: Nach dern Umbruchjahr 1989 sind die USA die einzige global handlungsfähige Supermacht (Berg-Schlosser/Stanunen 2003: 290). Stellt man die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und die gewaltige Sympathie, die Amerika nach den Terroranschlägen des 11. Septernber 2001 entgegengebracht wird, der Betrachtung der USA am Ende der Präsidentschaft von George W. Bushs entgegen, drängt sich der Eindruck auf; dass gleich mehrere Chancen vertan worden sind. 1m Ausland spielen Arroganz, Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit in der Wahmehmung Amerikas eine bestimmende Rolle (Nye 2003: 11). Alleingänge, wie die Ablehnung eines internationalen Strafgerichtshofs, der Ausstieg aus dem Klima-Protokoll von Kyoto oder die Missachtung des Atomwaffensperrvertrages durch die Entwicklung einer neuen Generation von kleinen Atomwaffen (Roth 2005: 85) schwächen das amerikanische Ansehen und damit die weiche Macht genauso, wie Guan!änamo (mittlerweile das Schreckenswort fiir einen rechtsfreien Raum) an der Glaubwürdigkeit der USA nagt. Das "Gespenat eines amerikanischen Unilateralismus" geht umher (Nye 2003: 65). Angesichts dieses Auftretens fragt sich Nye, ob Amerika die Globalisierung verschlafen habe; das mangelnde Interesse an Zusammenarbeit (bspw. in den Bereichen Finanzstabilität, Klimawandel, Drogenproblernatik, Infektionen und Terrorismus, wo militärische Macht keine sinnvolle Antwort ist) spreche jedenfalls dafiir (Nye 2003: 13). Dass die USA zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, wird nicht zuletzt an der Reduzierung der ausländischen Berichterstattung in den Medien um zwei Drittel deutlich. 321 Dies kann nach Nye dazu fiihren, dass Amerika seine Position als "Schnittstelle transnationaler Kontakte" verliert (Nye 2003: 35). Nye empfiehlt Obama, dass er die Smart Power der USA vergrößern könnte, indern er der Diplomatie, Kommunikation und Wirtschaftshilfe eine größere Aufmerksamkeit schenkt. Die USA sollten Demokratie, Menschenrechte und die Entwicklung der Zivilgesellschaft vorantteiben; wichtig sei die Schaffung von globalen Gütern wie Entwicklung, Gesundheitsfiirsorge und die Bekämpfung des Klimawandels. Dem Auftreten des Präsidenten spricht Nye dabei eine entscheidende Rolle zu: Sensibilität und Respekr vor anderen müsse zum bestimmenden Moment werden (Nye 2009b).
321 Diese Angabe bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 1989 und 2000. Nye: ,.Der Direktor von MSNBC sah einen ,nationalen Nebel des Materialismus, des Desinteresses und des Wegschauens' aufsteigen." (Nye 2003: 7-8)
249
7.1.2
Die Aufoahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA
Erst seit 1984 unterhalten die USA und der Heilige Stuhl wieder offizielle diplomatische Beziehungen, nachdem sie 1868 abgebrochen werden (Kirchner 1996: 142). Die Aufnahme konsularischer Beziehungen unter Präsident John Adams erfolgt im Jahr 1797, weil die USA wirtschaftliche Interessen am Kirchenstaat haben, dieser als ausgezeichneter Horchposten gilt und amerikanische Reisende in der Region einen Ansprechpartner haben sollen (Melnyk 2009: 75; EssigIMoore 2009: 742). Präsident James Polk richtet 1848 zwar volle diplomatische Beziehungen ein, sie werden nach zwanzig Jahren jedoch wieder eingestellt: Als Grund nennen die USA das Verbot fiir die Protestanten der USGesandtschaft in Rom, ihre Gottesdienste zu feiern; tatsächlich werden hinter dem Abbruch jedoch politische Beweggründe des Kongresses vermutet (EssigIMoore 2009: 742-743). Während der Heilige Stuhl schon im Pontifikat von Pius xn. wieder ein gesteigertes Interesse an einer Zusammenarbeit mit den USA hat - Großbritannien kann nach seiner Auffassung das Gleichgewicht in Europa nicht mehr garantieren (Franeo 2008: 68) -, bemühen sich die Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Johnson um eindeutige Distanz zum Heiligen Stuhl. 322 Nixon, Car!er und Reagan umgehen dagegen den Kongress, indem sie persönliche Repräsentanten zum Heiligen Stuhl entsenden (Fogerty 1984: 587588).323 Für die Wiederaufuahme voller diplomatischer Beziehungen im Jahr 1984 machen EssigIMoore das Zusammentreffen von Ereignissen und Persöulichkeiten verantwortlich: Johannes Paul 11. hat unter den Nationalsozialisten und Kommunisten gelitten, während Reagan strikter Antikommunist und an Polen interessiert ist, das er als den wunden Punkt des Ostblocks betrachtet; beide haben kurz zuvor einen Mordanschlag nur knapp überlebt. Das erste Treffen zwischen Johannes Paul H. und Präsident Reagan findet im Juni 1982 statt und flillt mit sechs Stunden ungewöhnlich lang aus (EssigIMoore 2009: 745-747). In
322 Besonders Kennedy will nicht den Eindruck entstehen lassen, er wolle als erster katholischer Präsident den Menschen in den USA seinen Glauben au1Zwingen. In dieser Folge unternimmt er keine Anstrengungen, das Verhältnis zum Heiligen Stuhl zu verbessern und geht auf Abstaod (Fogerty 1984: 587, 589). Obwohl sich Johaones XXIll. wiibrend der Kuba-Krise als professioneller Vermittler empfiehlt, legt die Kenn.edy-Administration keinen Wert auf eine Aopassung ihres Verbältnisses zum Heiligeo Stuhl, wird aber zumindeat wachsam, als Nikita Chruschtschow diese Distanz :für sich zu nutzen versucht und Johannes xxm. sich mit seiner Enzyklika PACEM IN TERRlS den Kommunisten öffnet (Franco 2008: 81-83). 323 Der Kongress muss seine Zustimmung zu sämtlichen diplomatischen Beziehungen geben.
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den Medien wird eine Heilige Allianz kolportiert, die eingegangen worden sei, was beide Staatsoberhäupter jedoch bestreiten. Essig/Moore zitieren Paul Kengor: "They shared a strong sense of faith, experienced near-fatal assassination attempts, held parallel views on communism, and possessed a faith-based optimism." (Kengor zit. in: Essig/Moore 2009: 749) Als Beweggründe fiir Reagan, volle diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen, geben Essig! Moore ein Treffen zwischen Kardinal Casaroli und Reagan an, bei dem eine vertiefte Zusammenarbeit erörtert wird. Ferner führen die Autoren das religiöse Umfeld von Reagan an, das aus den gläubigen Katholiken Alexander Hai~ William Clark:, Vemon Walters, Richard Allen und William Casey besteht. 3 Als ausschlaggebend beurteilen sie auch äbnliche politische Interessen in Lateinamerika (die Befreiungstheologie wird wegen ihrer Nähe zum Kommunismus als Gefahr fiir die katholische Kirche und die USA angesehen) und die religiösen Spannungen im Mittleren und Nahen Osten. Schließlich weisen Essig/Moore auf einen Brief hin, den Johannes Paul H. im November 1981 an Reagan und Breschoew schreibt, in dem er sich über deren Aufrüstung beklagt, die die Sicherheit der gesamten Welt gefährden würde. Der Brief sorgt fiir öffentliche Irritationen, und die US-Administration vermutet, die Befiirchtungen des Papstes wären erst gar nicht entstanden, wenn es formelle Beziehungen gegeben hätte. Für abwegig halten Essig/Moore die Annahme, Reagan habe mit der Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen der Sowjetunion nur zuvorkommen wollen: Zwar habe es diese Idee unter Chruschtschow gegeben, als seine Tochter und ihr Ehemann zu einer Audienz zu Johannes XXIII. reisen und während eines Besuches von Außernninister Gromyko bei Paul VI.; bei einer Absichtserklärung sei es jedoch geblieben (Essig/Moore 2009: 749-751, 753755). Wilson, der erste von Reagan ernannte Botschafter beim Heiligen Stuhl, ergänzt als Grüode fiir die Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen das Weltreich der katholischen Kirche, den Einfluss des Heiligen Stuhls auf die Meinung und das Leben der Menschen (auch in den Regionen, in denen die USA nicht vertreten sind), den Status des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt und seine Mitgliedschaft in zahlreichen internationalen Organisationen sowie die eimnalige Persönlichkeit von Johannes Paul H. und seine Rolle in den internationalen Beziehungen (Wilson zit. in: Essig/Moore 2009: 757).
324 Reagan selbst ist Protestan~ hat aber einen katholiseben Vater (EssigIMoore 2009: 751). EssigIMoore weisen auch auf die Empfehlung von Königin Elizabeth II. hin, die sich bei einem Abendessen mit Reagan im. März 1983 sehr zufrieden über die vollen diplomatischen Beziehungen Großbritanniens zum Heiligen Stuhl äußert.
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Im Gegensatz zu Präsident Harry Truman, der 1951 noch eio Desaster erlebt, als er wieder offizielle Beziehungen zum Heiligen Stuhl einrichten will,325 räumt Reagan im Vorfeld der Aufuahme sämtliche Fallstricke aus dem Weg: Senat und Kongress siod vorbereitet, und die Medien halten sich auffällig zurück; nach eioer Gallup-Umfrage im Januar 1984 begrüßen 57 Prozent der Amerikaner die Aufuahme. Kritik gibt es nur vereiozelt von protestantischen, jüdischen und sogar einigen katholischen Gruppen: Sie führen an, dass die Aufualune voller diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl die io der Verfassung festgeschtiebene Trenoung zwischen Staat und Kirche gefährde. Diese Bedenken bleiben jedoch folgenlos (EssigIMoore 2009: 755-756, 759760). Als Ursache fiir die Protestlosigkeit summieren EssigIMoore die enorme Bewunderung fiir und das Prestige von Johanoes Panl H. und die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, die sich gegen Diskriminierung jeglicher Art - auch von Religionen - eiosetz! (EssigIMoore 2009: 760-761). Die Autoren zitieren ferner den Soziologen Joseph Varacalli, nach dem der Katholizismus io den USA der 1980er Jahre nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen wird, die er fiir viele Amerikaner noch im 19. Jahrhundert darstellt. Varacalli macht diese Entwicklung an den katholischen Werten fest, die Eiozug in weite Teile der amerikanischen Gesellschaft gefunden haben. Als nicht weniger bedentsam beurteilen EssigIMoore, dass sich das Federal-Court-System bereits im Vorfeld skeptisch gegenüber möglichen Klägern gegen die Aufuahme diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl zeigt und es keine schlagkräftigen protestantischen Gruppen gibt, die zum Protest aufrufen (EssigIMoore 2009: 761, 764). Fogerty unterstreicht, dass es sich als giiostig fiir die Aufuahme von diplomatischen Beziehungen erweist, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Zusicherung der religiösen Freiheit garantiert; dadurch werde der amerikanischen Bevölkerung die Sorge genommen, die Trenoung von Staat und Kirche könote verwässert werden. Für nicht minder wichtig hält Fogerty die durch die Aufuahme voller diplomatischer Beziehungen zum Ausdruck gebrachte Auerkenoung der Rolle des Heiligen Stuhls in den internationalen Beziehungen;
325 Die Einsetzung eines Botschafters beim Heiligen Stuhl im Oktober 1951 unter Harry Tl"UIIllU1
scheitert an massiven protestantischen Protesten und einer antikatholischen Medienkampagne. Danach bleibt auch der Heilige Stuhl distaoziert, weil er in der amerikanischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit eine neue Gefahr für den Frieden sieht (Ring-EifeI2004: 113-114; Hanson 1987: 338·339). Neben der ablehnenden Haltong der amerikanischen Bevölkerong zu
vollen diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl nennt Fogerty die selbstbewussten und auf Eigenatändigkeit pochenden amerikanischen Bischöfe, die sieh lange gegen einen
Nuntius in Washington sträuben. weil sie sich für den Kontakt zwischen Papst und amerikanisehero Präsidenten zuständig halten (Fogerty 1984: 589).
252
diese Bedeutung sei vor allem durch das Engagemeot von Casaroli gestiegen (pogerty 1984: 589). Franco betont die ähnlichen politischeo Interesseo: Reagan habe im Papst einen Verbündeteo in deo internationaleo Beziehungeo gesehen und sich durch Johannes Paul II. Sympathien für die USA erhofft (Franco 20lO: 57,90,94-95). Die Zusammenarbeit zwischen Johannes Paul II. und Reagan bezieht sich zunächst auf die Situation in Polen: Es findet ein gemeinsamer luformationsaustausch statt, deo Verbeek wie folgt beschreibt: ,,Kein Botschafter aus deo Hundettschaften von Diplomaten, die Washington bevölkerten, konnte sich eines solch unkomplizierteo Zugangs zu der amerikanischen Machtzentrale erfreuen." (Verbeek 2005: 93) Im Innereo Polens sorgt der Papst für moralische Unterstützung, von außen übt Reagan Druck aus. Die ClA liefert Geld, Fax- und Kopiergeräte sowie Geheimsender. EssigIMoore zitiereo aus einem Privatbrief Reagans, in dem er bekennt: ,,I have had a feeling particularly in the pope's visit to Poland, that religion may torn out to be the Soviets' Achilles' heel. ,,326 (Reagan zit. in: EssigIMoore 2009: 753) Johannes Paul H. beruhigt im Gegenzug die amerikanische Bischofskoufereoz, die Reagans Nuklearpolitik ablehnt, und richtet seine Führung in Lateinamerika USA-freundlich aus, indem er sich gegeo die Befreiungstheologie ausspricht, die kommunistische Strömungen beinhaltet (Verbeek 2005: 90, 92-93).
7.1.3
Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den USA
Die katholische Kirche in deo USA ist die reichste Ottskirche und gehört mit 67 Millionen Katholikeo auch zu deo größten (nach Brasilieo mit 149 Millioneo und Mexiko mit 92 Millionen) (Evans 2007: 172; Coppa 2008: 224). Sie umfasst 195 Diözesen mit 19000 Gemeinden und 45000 Priestern. Durch die Missbrauchsfälle, die in den Jalrreo 2002 bis 2003 publik werden, gerät sie in eine tiefe Krise, die deo Bankrott einiger Diözesen zur Folge hat (pranco 2008: 101, lO9). Politisch gesehen ist die katholische Kirche vor allem für die Wähler der demokratischen Partei von Relevanz; demokratische Senatoren und Abgeordnete setzen auf deo Katholizismus, wenn es um die Durchsetzung von
326 Das Verhältnis zwischen Johannes Paul II. und Ronald Reagan beschreiben BemsteinlPoliti als dezidiert wohlwollend (BernsteinlPoliti 1997: 566). KDntalde zwischen dem Papst und der amerikanischen Cen1ral lotelligence Agency beatätigen Thomas/Morgan-Witts (Ibomasl Morgan-Witts: 1984: 422). Die CIA ist in dieser Zeit an der Informatioosinfrastruktur der ka-
tholischen Kirche in Europa interessiert (Franco 2008: 68).
253
Wohlfahrtsprogrammen oder den Kampf gegen Marktradikalismus geht; aber auch republikanische Gouverneure beziehen sich in Fragen der Moral auf ihn (lIanson 1987: 341; Roß 2002: 166). Trotz der guten Zusammenarbeit zwischen Johannes Paul 11. und Präsident Reagan erhält sich der Heilige Stuhl seine Unabhängigkeit: Vehement kritisiert Johannes Paul 11. den sich nach der Wende von 1989 in den Ländern des früheren Ostblocks breitmachenden Kapitalismus amerikanischer Prägung als Wirtschaftsform und den Liberalismus als Ideologie (Ring-Eifel 2004: 219). Eine Verschärfung der Meinungsverschiedenheiten ist während der Präsidentschaft Bill Clintons festzustellen, der sich für eine Förderung von Abtreibung und Sterilisation als Mittel der Familienplanung einsetzt.'27 Johannes Paul 11. ergreift sämtliche Maßnahmen, um dem ,,moralischen Verfall" und "Rückschritt für die Menschheit" entgegenzutreten (Johannes Paul 11. zit. in: Ring-Eifel 2004: 225). Mit dem Methodisten George W. Bush liegt Johannes Paul 11. zwar in Fragen des Lebensschutzes und der Familienpolitik auf einer Linie und lässt den Angriff auf Afghanistan gleichsam geschehen;32' einen Präventivkrieg gegen den Irak lehnt er aber mit Entschiedenheit ab und verurteilt die neue Sicherheitsdoktrin der USA. Vor dem Ausbruch des Irakkriegs 2003 mahnt er innerhalb von sechs Monaten fünfzig Mal eine diplomatische Lösung des Konfliktes an; während der sechswöchigen Kampfhandlungen meldet er sich mit 25 Friedeusappellen zu Wort (Ring-Eifel 2004: 221). Obwohl die Beziehungen zwischen den USA und dem Heiligen Stuhl in der heißen Phase vor dem Irakkrieg 2003 intakt bleiben, kämpfen beide Seiten fiir ihre Überzeugungen. Zur Jahreswende 2002/2003 versagt Johannes Paul 11. mit den Worten ,,Nein zum Krieg! Er ist nie ein unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit" (Johannes Paul 11. zit. in: Rauch 2005: 43) dem Präsidenten den Segen fiir den Irakkrieg. 329 Dass bei der Beisetzung von Johannes Paul 11. George W. Bush, seine Frau Laura, Außenministerin Condoleezza Rice und die früheren Präsidenten Bush und Clinton anwesend sind, wird als bedentende Auszeichnung gewertet. Bei dem Begräbnis von Paul VI. nehmen lediglich Rosalynn Carter und bei Johannes XXIII. Vizepräsident Lyndon B. Johnson teil (Franco 2008: 178-179).
327 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.2.2. 328 Über seinen Sprecher NaVll1ro-Valls wird das Recht der USA auf Selbstverteidigung zwar anerkannt, Johannea Pau! Il. vermeidet ea jedoeh, sieh persönlich zu dem Krieg gegen die Taliban zu äußern. und überlässt dem. für die Außenpolitik. zuständigen Staatssekretariat das öffentliche Agieren (Ring-Eife12004: 287). 329 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.2.3.
254
Während es zwischen dem Heiligen Stuhl mit George W. Bush also Einigkeit über gesellschaftliche Fragen und Uneinigkeit in der Außenpolitik gibt, herrscht mit Barack Obama relative Einigkeit über die Vorstellungen von Außenpolitik, Immigration und Armutsbekämpfung; Obama steht für eine moralischere Wirtschaft. Unterschiedliche Ansichten gibt es dagegen bei den Themen gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Abtreibung und Stammzellenforschung (Franco 20\0: 51-52). Einige amerikanische Bischöfe machen im Präsidentschaftswahlkampf 2008 keinen Hehl daraus, dass ein Katholik Obama nicht mit gutem Gewissen wählen könne, weil diesem eine religiöse Vision fehle und er Auffassungen zu gesellschaftlichen Fragen vertrete, die konträr zu denen der katholischen Kirche stünden. Während der Heilige Stuhl zunächst befürchtet, Obama könne zu einem amerikanischen Zapatero werden, vermutet Franco, dass man mittlerweile einen Weg gefunden habe, miteinander umzugehen (Franco 20\0: 52-53,62-63). Obama setzt sich zu Beginn seiner Amtszeit hohe Ziele: Er möchte die nukleare Abrüstung vorantreiben, die Beziehungen zu Russland und zur arabischen Welt verbessern, den Nahost-Konflikt entschärfen sowie gegen den Klimawandei und die weltweite Armut vorgehen. Seine Ausgangslage, die er mit der Übernahme der Präsidentschaft vorfindet, ist jedoch verheerend: Die amerikanische Wirtschaft hat massive Probleme, die Armee der USA scheint nicht mehr unbesiegbar, und das Vertrauen in die Führungsrolle der USA ist nur noch gering. Mit den Grenzen seiner Macht konfrontiert, versucht Obama deshalb, auf Überzeugung statt auf Zwang und Arroganz zu setzen; statt harter Linien übt er sich in dem Signalisieren von Kompromissbereitschaft und unternimmt kleine Schritte statt großer Würfe (Klare 20 I 0: 8). Rauch arbeitet in einem Vergleich zwischen der Friedensdiplomatie des Heiligen Stuhls und der amerikanischen Sicherheitspolitik heraus, dass der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck der Gegnerschaft zwischen dem Heiligen Stuhl und der amerikanischen Führung nach dem Irakkrieg 2003 oberflächlich ist. Die internationalen Beziehungen werden vom Heiligen Stuhl und Washington jedoch in unterschiedlicher Weise wahrgenommen: Geht es der amerikanischen Regierung um die eigene nationale Sicherheit und die ihrer Verbündeten, verfolgt der Heilige Stuhl einen dauerhaften Weltfrieden für alle Menschen. Er verfolgt ein Ordnungsgefüge, das - wie es Johannes XXIII. in PACEM IN TERRIS beschreibt - auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit beruht; Johannes Paul 11. nennt diese Grundwerte der katholischen Soziallehre "immerwährend". Diese Ideale liegen von der "atlantischen Zivilisa-
255
tion""O jedoch nicht weit entfernt. Rauch glaubt sogar, dass der Heilige Stuhl bis zu der neuen Sicherheitsstrategie der Bush-Administration eine sa'!fte Hegemonie der USA als Stabilitätsfaktor in der Welt begrüßt (Rauch 2005: 40, 42-44). Gemeinsam ist den USA und dem Heiligen Stuhl das gerechte Menschenbild. Doch während die USA häufig auf Stärke setzen, ,,manche Möglichkeit, Freundschaft und Partnerschaft zu gewinnen", ausschlagen (Nye 2003: 66) und multilaterale Verhandlungen lediglich als eine Option ansehen, verfolgt der Heilige Stuhl eine konsequente Politik der Diplomatie (Rauch 2005: 43) und ist in der Lage, mit nahezu jedem Staat eine Kooperation einzugehen. In Anbetracht der Machtverhältnisse in der Welt kann dem Heiligen Stuhl nicht daran gelegen sein, einen konsequent anti-amerikanischen Kurs zu verfolgen. Die USA sind ein christlich geprägtes Land, mit dem es trotz zeitweiliger Spannungen solide Übereinstinunungen bei den Grundwerten gibt (Ring-Eifel 2004: 291): Obwohl in den eher calvinistisch geprägten USA andere Schwerpunkte in der Soziallehre gelegt werden, erfreuen sich die Werte der katholischen Kirche gerade in Fragen der Ehe, Familie und des Menschenbildes eines hohen Zuspruchs (Rauch 2005: 44). Amerika gehört nicht zuletzt mit seinen Megachurches zu den religiösesten und kirchgangsfreudigsten Nationen der Welt (Röhrich 2005: 24); in keiner anderen westlichen Demokratie wird das Wahlverhalten von der religiösen Einstellung der Bürger so eindentig bestinunt wie in den USA."l Rund 80 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als Chris330 Rauch bezicht sich mit dem Begriff der ,,atlantischen Zivilisation" aufHannah Arendt und deo
amerikanischen Historiker Robert Palmer; sie verstehen darunter Perspektiven. die sich aus Demokratie, Wohlstand und Freiheit ergehen (Rauch 2005: 42).
331 Bram! zitiert eine Gallup-Analyse aus dem. März 2004, nach der zwei Drittel der wahlberechtigteo Amerikaner Religion als eotscheideodes Wahlkriterium neonen (Bram! 2005: 30). Ein interessantes Phänomen in der ame:rikanischen Gesellschaft ist die Christliche Rechte: Sie entsteht in den 1970er Jahren als Antwort auf die Potestbewegungen in den USA" die sich für Frieden und die Rechte von Frauen und Homosexuellen einsetzen. Obwohl die Christliche Rechte nicht als homogene Gruppe bezeichnet werden kann und vielmehr aus diversen Gruppierungen besteht. ist es das erklärte und gemeinsame Ziel, dem Evangelium und Jesus Christus einen zentralen Stellenwert im individuellen Leben und in der Gemeinschaft zu geben, um wiedergeboren werden zu können. Zu dieser evangelikalen Gruppe zählen sich etwa 23 bis 26 Prozent der Amerikaner (Bram! 2005: 30; Brocker 2007: 24-25). Sie kämpfun gegeo gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Abtreibung, Pornographie, Euthanasie, Stammzellenforschung und das Klonen, zeigen sich skeptisch gegenüber internationalen Organisationen und haben nach dem 11. September 2001 im Islam einen neuen Gegner entdeckt. Sie setzen sich für die Werte der jüdisch-christlichen Tradition ein. die Rechte Jsraels (und gegeo die Eigeoständigkeit Palästinas). filr Schulgebete uod Bibellektiire an öffeotlicheo Schulen. die Förderung religiöser Privatschulen, die Schöpfungsgeschichte der Bibel (im Biologie-Unterricht) uod sexuel-
le Enthaltsamkeit vor der Ehe. Das Auftreten der Christlichen Rechten wandelt sich dabei im.
256
ten, römisch-katholischen Glaubens sind 21,8 Prozent der Gesamtbevölkerung (Braml 2005: 30). Die Kabinettssitzungen im Weißen Haus beginnen stets mit einer kurzen Andacht, und Abgeordnete und Senatoren mit "moralisch konservativer, christlich rechter Gesinnung" sind im Kongress gut organisiert (Röhrich 2005: 23; Bram! 2005: 34). Zu der religiösen Ausdrucksweise, die George W. Bush während seiner Präsidentschaft bemüht, bemerkt Braml: ,,Diese Rhetorik ist darüber hinaus identitätsstiftend und ruckt das ,von Gott beinahe auserwählte' (almost chosen) Amerika (so schon Abraluun Lincoln) in die unmittelbare Nähe des auserwählten Volkes Israel." (Bram! 2005: 36) Durch die Zuwanderung der Hispanics werden die USA gerade in Kalifornien, Texas, Florida und New York immer katholischer.'32 Nach dem 11. September bewegt die USA ihre Angst um die eigene Sicherheit, während den Heiligen Stuhl die Zukunft des Christentoms beschäftigt; in beiden Fällen spielt der Islam eine bedeutende Rolle (Franco 2008: xii). Obwohl Franco in den USA und dem Heiligen Stuhl zwei Extrema der westlichen Zivilisation sieht, entdeckt er folgende Übereinstimmungen: Beide erreichen die ganze Welt und kämpfen gegen Fundamentalismus und für christliche Werte. Vor allem in George W. Bush findet Johannes Paul 11. einen Verbündeten in gesellschaftlichen Fragen. Trotz der Auseinandersetzung über den irakkrleg ist es für den Heiligen Stuhl von Vorteil, dass bei der Präsidentschaftswahl 2004 nicht John Kerry gewinnt, weil man über die Themen Politik und Religion, Familie, Abtreibung, Stammzellenforschung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine grüßere Nähe zu den Republikanern hat (Franco 2008: xi-xii, 166). Franco arbeitet heraus, dass die USA und der Heilige Stuhl jedoch am besten miteinander leben, wenn sie ihre Unterschiede statt der Gemeinsamkeiten betonen; Distanz und Wettbewerb seien für beide in ihrer Wahrnehmung durch Dritte von Vorteil (Franco 2008: 194). Institutionell gesehen haben Papst und Präsident die Doppelfunktion von Staatsoberhaupt und Regierungschef. Weiss nennt den Präsidenten den wahr gewordenen Traumjedes Amerikaners: Er ist die PersonifIzierung des American Lauf der Zeit: Sie nimmt von aggressiven Protestaktionen Abstand und konzentriert sich auf Lobbyarbeit und Zugänge zur Spitze der Republikaniseben Partei, auf publizistisebes und ju-
ristisches Vorgehen gegen Gesetzesentwürfe sowie auf die Mobilisierung von Wahlerstimm.en :für konservative Kandidaten. Auch wenn die Umsetzbarkeit ihrer Forderungen in Frage stehtabgeseben von einigen inhaltlieben Erfolgen während der Präsidentsehaft von George W. Bush -, ist es ihr doch gelungen, eine stabile Anhängerschaft und Finanzierong zu sichern und sieb als ernsthafte politisebe Kraft zu präsentieren (Brocker 2007: 26-28, 30). 332 Die Zahl der Protestanten in den USA wird für das Jahr 2005 auf 100 Millionen, der Katholiken auf 67 Millionen, der Juden uod der Anhänger des Islam auf jeweils 6 Millionen geschätzt (Uniled States Diplomatie Mission To Germany 2010).
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Dream und ein moralisches Vorbild (Weiss 2003: 83-84); die Bindung an ihn entsteht auch dadurch, dass er der einzige Politiker mit einem nationalen Mandat ist. Das Amt des Papstes hingegen ist das Symbol für die Anbindung des Menschen an Gott. Beide Ämter beinhalten damit ein hohes Maß an Emotionalität für ihre Anhänger. Die Zusammenarbeit zwischen Papst und Präsident dürfte neben den inhaltlichen Übereinstimmungen stark abhängig von der persönlichen Sympathie füreinander sein: Während bei herkömmlichen Staaten immer auch gegenseitige wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, die sich förderlich auf die Bereitschaft zur Kooperation auswirken, ist dieses disziplinierende Moment für den Kontakt zum Heiligen Stohl nicht gegeben. So verschieden die USA und der Heilige Stohl in ihrem Auftreten auch sind, so begrüßenswert erscheint es aus der Perspektive des Heiligen Stohls, dass die USA (und nicht etwa die ehemalige UdSSR) die letzte verbleibende Supermacht sind: Die USA können dem Heiligen Stohl dabei helfen, christliche Vorstellungen in die Welt zu tragen und unterstützen ihn (direkt oder indirekt) bei seinem Kampf für Menschenrechte und Religionsfreiheit. Der Heilige Stuhl trifft in den USA auf ein für ihn giinstiges Klima, das empfänglich für seine Werte ist; aus der katholischen Ortskirehe in den USA bezieht er den Großteil seiner fmanziellen Zuwendungen. Der Heilige Stohl hat darüber hinsus (auf Grund seiner Skepsis gegenüber der ausgeprägt kapitalistischen und bisweilen selbstverliebten Einstellung der USA) das Interesse, deren Politik als Partner zu begleiten, anstatt diese als Gegner nur beobachten zu können: Es ist für den Heiligen Stohl nicht erstrebenswert, dass die USA die Welt alleine führen, so dass er sich für eine multilaterale Politik einsetzt. In Anbetracht der religiösen Disposition amerikanischer Wähler ist es für die Regierung in Washington wiederum vorteilhaft, ein solides Verhältnis zum Heiligen Stohl zu unterhalten. Dieser kann zudem ein positives Amerika-Bild im Ausland befördem (vor allem in Lateinamerika und Europa) und damit Präsident Obama bei seiner bereits benannten Mammutaufgabe unterstützen: Die USA brauchen einen international glaubWÖTdigen Verbüodeten, was der Heilige Stohl für sie sein kann (Franco 2008: 199); er besitzt des Weiteren die Fähigkeit, Zugiinge zu schaffen (z. B. zur arabischen Welt) und kann ein religiöses Gegengewicht zum Islam zu sein. Die katholische Theologie stellt die theoretische Ausarbeitung der Werte dar, die die USA in die Welt tragen wollen.
258
7.1.4
Fazit
Die Werte der katholischen KITche haben Einzug in die amerikanische Gesellschaft gehalten und erfreuen sich eines hohen Zuspruchs; die moralischen Vorstellungen der katholischen KITche werden zu einem Referenzpunkt fiir amerikanische Politiker. Die Attraktivität der USA liegt in ihrer Vision von den unbegrenzten Möglichkeiten fiir jeden Menschen (Greenwald 2010) und ähnelt darin der katholischen Lehre, nach der jeder Mensch gleich an Würde ist. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte; SPC 34: Maßstäbe setzen] Die amerikanische Ortskirehe leistet soziale Dienste fiir die amerikanischen Bürger. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen] Der Heilige Stuhl kann auf Grund seiner Rolle in den internationalen Beziehungen zu einer Alternative zur UNO werden (z. B. durch das Verleihen von Legitimation) und steigert dadurch das Interesse der US-Administration an ihm; den Heiligen Stuhl und die USA verbinden ähnliche politische Interessen. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner fiir Frieden, Sicherheit und Entwicklung] Der Heilige Stuhl ist ein solider Verhandlungspartner, weil er auf keine gesellschaftlichen Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen braucht. Von einem abrupten Richtungswechsel seiner Politik ist auch bei einem Pontifikatswechsel nicht auszugehen. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart; SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit fiir die Zukunft] Während die USA in der Gefahr stehen, ihre Rolle als Schnittstelle transnationaler Kontakte zu verlieren, wird spätestens mit dem Irakkrieg 2003 deutlich, über welches Potential der Heilige Stuhl in diesem Bereich verfügt. [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte] Er besitzt Informationen, die auch fiir die CIA von Interesse sind. [SPC 28: Informationen sammelo und steuern] Die Zusicherung von Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanische Konzil baut die Vorbehalte gegenüber der katholischen Kirche in den USA ab; sie wird verhandlungsftihiger. Der Heilige Stuhl bewahrt sich stets seine Unabhängigkeit. [SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] Die katholische Kirche profitiert davon, dass die christliche Rechte und christlich-konservative Abgeordnete und Senatoren gut orgsnisiert sind. [SPC 39: Gesellschaft, einzeloe Bürger und Migranten als Outside Partner] Durch die Zuwanderung werden die USA immer katholischer. [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Ein solides Verhältnis zum Heiligen Stuhl kann in mehrfacher Weise fiir eine amerikanische Regierung von Vortei1 sein: Der Papst hat Einfluss auf die amerikanischen Bischöfe (die sich in inneramerikanischen Vorgängen zu Wort melden); [SPC 24: Zusammenspiel der Institutionen im eigenen Land] er kann
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unter Umständen das Wahlverhalten der Bürger beeinf1ussen [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit; SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] und über die Ortskirehen außerhalb der USA als gesellschaftliche Kraft io ausländischen Gesellschaften für eio positives USA-Bild sorgen. [SPC 41: Meioungsführer io ausländischen Gesellschaften als Outside Partoer]
Der Heilige Stuhl und die UNO: Die Schwächen der Vereinten Nationen als Stärken des Heiligen Stuhls?
7.2
Nach eioer kurz gehaltenen Darstellung der UNO, ihrer Ziele und Schwächen wird ihre Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stoh\ untersucht. Der Sonderstatus des Heiligen Stoh\s wirft die Frage auf, ob er seine Privilegien eioer historisch eiomaligen Gelegenheit verdankt, oder ob nicht vielmehr iohaltliche Gründe dafür sprechen, eioe enge Kooperation mit der UNO eiozugehen.'" Der Verzicht auf eioe Vollmitgliedschaft bei der UNO lässt Rückschlüsse auf die Rolle des Heiligen Stoh\s io den internationalen Beziehungen zu.
7.2.1
Anspruch und Schwächen der UNO
Die UNO ist eioe zwischenstaatliche Organisation mit 192 Mitgliedsstaaten. Ihr System setzt sich aus Haupt-, Neben- und Sekretariatsorganen zusammen; zu den sechs Hauptorganen gehören u. a. die Generalversammlung, der Sicherheitsrat und der Wirtschafts- und Sozialrat (Horn 2007: 11). Der Sicherheitsrat kann Entscheidungen treffen, die für alle UN-Mitgliedsstaaten biodend siod (pleuger 2006: 7). Die UNO bietet eio System aus Normen und Regelo an und erwartet von ihren Mitgliedsstaaten deren Eiohaltung; diese Hoffnung wird jedoch häufig enttäuscht. Ziel ist es daher, die verschiedenen nationalen Interessen zu koordinieren und iotensiv nach Kompromissen zu suchen. Die UNO ist weder eioe Weltregierung noch stellt sie mit ihrer Generalversammlung eioe Art 333 Die UNO (selbst ein Völkerrechtssubjekt) ist mit ihren Haupt- und Nebenorganen, zahlreieben
Sonderorganisationen und angeschlossenen Organisationen, die insgesamt mehr als 53 300 Mitarbeiter beschäftigen. eine der vielschichtigsten Institutionen weltweit (United Nations Information Serviee 2010; United Nations 2010.). Die Zusammenarbeit des Heiligen Stuhls nach der Kooperation mit den einzelnen Einheiten der UNO zu di:fferen.zi.e.ren., stellte ein eigenes Forschungsprojekt dar. Die sich im. Rahmen der vorliegenden Arbeit hier stellende Frage, was eine Religionsgemeinschaft und eine internationale Organisation wie die UNO miteinander verbindet, erlaubt es, verallgemeinernd von der UNO zu sprechen.
260
Parlament dar (Horn 2007: 10, 12, Ill). Die Hauptakteure im System der UNO sind die einzelnen Nationalstaaten, die ihren jeweiligen Interessen Nachdruck verleihen wollen. Die Vertreter der UN-Sekretariate begleiten sie (lediglich) durch Fachwissen und die Bereitstellung eines Rahmens fiir multilaterale Prozesse (Horn 2007: 19, 21, 23); ein unabhängiger Akteur ist die UNO in nur wenigen Fällen und in begrenztem Umfang (Horn 2007: 14). Bei ihrer Gründung verfolgt sie nicht weniger, als die Zusammenarbeit der einzelnen Nationalstaaten fiir das Gemeinwohl auszubauen, die Menschenrechte zu verteidigen, die Souveränität und Freiheit jedes Staates zu schützen sowie soziale Gerechtigkeit, bessere Lebensbedingungen, Frieden, Sicherheit und Entwicklung zu fördern. Der Heilige Stuhl beobachtet die Gründung von Beginn an mit Interesse und sieht die damals neu geschaffene Organisation als eine Chance (Melnyk 2009: 50). Welche Rolle die UNO in den internationalen Beziehungen tatsächlich einnimmt, wird je nach theoretischem Standpunkt unterschiedlich beurteilt: Nach der realistischen Schule dient sie vor allem als Instrument der Durchsetzung nationaler Interessen; nach der institutionalistischen Schule unterstreicht sie den Aspekt der multilaterslen Staatenkooperation, was vor allem den kleineren Staaten zugute kommt (Varwick 2006: 244; Horn 2007: 14; Maull 2000: 375). Eine Hauptschwierigkeit der UNO besteht jedoch darin, dass unilaterales Vorgehen von großen und mächtigen Staaten bevorzugt wird, weil Multilaterslismus ihre Handlungsmöglichkeiten beschneidet (Horn 2007: 25). Während die katholische Kirche auf eine mehr als 2 OOOjährige Geschichte zurückblicken kann, scheint die UNO über 65 Jahre nach ihrer Gründung von der Zeit überholt worden zu sein (Hartmann 2001: 221): Ihre Konstruktion entspricht den Erfordernissen und internationalen Machtverhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Vielfach wird deshalb die Gefahr gesehen, dass insbesondere die Akzeptanz und Legitimität der Entscheidungen des Sicherheitsrats beschädigt werden könnten (Pleuger 2006: 7; Horn 2007: 84; Varwick 2006: 248). Neben der ungerechten Privilegierung und Vernachlässigung einzelner Staaten'34 bemängelt Hartmann, dass nur ein Viertel der Mitgliedsstaaten die Menschen- und Minderheitenrechte ernsthaft verfolgten und ein verurteilter Aggressor nur dann die UNO fiirchten müsse, wenn die USA oder die NATO ihren "bewaffueten Arm" dafiir reichten (Hartmann 200 I: 222). Debiel attestiert der
334 lIartmann nennt hier die Bevorzugung Frankreichs und Englands als ständige Sicherheitsratsmitglieder, während Länder wie Indien und Brasilien trotz ihrer hohen Bevölkerungszahl weitgehend unheröcksichtigt bleiben (Hartmann 2001: 221). Pleuger fordert, dass alle fünf Regionen der Welt im Sicherheitsrat vertreten sein sollten (Pleuger 2006: 12).
261
UN-Bfuokratie erhebliche Fehleinschätzungen, ein unbefriedigendes Management und inadäquate Handlungsstrategien (Debiel 2000: 227). Nach Misserfolgen in Somalia, Ruanda und Jugoslawien sieht sich die UNO mit einem fortschreitenden Vertrauensverlust in ihre Fähigkeiten konfrontiert. Deshalb müssten sowohl der Aufbau der Organisation33' als auch die Charta der UNO überarbeitet werden: Vor allem Kapitel V1l sei in Teilen hinfällig geworden, während Themenfelder wie Krisenprävention, Umweltfragen und demographische Entwicklungen vernachlässigt würden (Varwick 2006: 238). Dem Schutz der Menschenrechte müsse überdies wieder ein grüßerer Stellenwert zukommen, er werde nicht in der gebotenen Intensität verfolgt. Varwick übt Kritik an der Menschenrechtskommission: Diese diene mehr dazu, dass sich Staaten, die Menschenrechte verletzen, durch ihre dortige Mitgliedschaft vor Sanktionen schützen könnten, anstatt die Sicherung und den Ausbau von Menschenrechten voranzutreiben; er sieht in der Menschenrechtskommission ein Versagen, das dem Ansehen der gesamten UNO schadet (Varwick 2006: 238, 250_251).33. Dass die Reformen der UNO wegen der Kompromisslosigkeit der Mitgliedsstaaten regelmäßig scheitern, zeigt, wie abhängig sie von diesen ist (Varwick 2006: 252; Horn 2007: 82). Varwick fiirchtet, dass nach dem misslungenen Versuch im Jahr 2005, den UN-Sicherheitsrat zu reformieren, ein erneuter Anlauf fiir längere Zeit nicht darstellbar ist und er deshalb an Bedentung verlieren wird (Varwick 2006: 248). Trotz ihrer Defizite ist die UNO das zur Zeit am ehesten geeignete Forum, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern (Hoppe 2003: 230). Welche Schwächen der UNO identifiziert werden und welchem Anspruch sie gerecht werden soll, hängt auch hier nicht zuletzt von der Theorie ab, mit der man sich dem internationalen System nähert. Nicht vernachlässigt werden darf auch, dass die Leistungen der UNO nach ihren jeweiligen Politikfeldern unterschieden werden müssen (Varwick 2006: 240, 244).
335 Die Koordinierung der Gesamtorganisation UNO sei in ihrer Unübersichtlichkeit kaum noch zu leisten (Varwick 2006: 238). 336 Die UN-Menschenrechtskommission wird im Sommer 2006 durch den UN-Menschenrechtsrat ersetzt (United Nations 201Od). Dass sich Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates. die gegen die Menschenrechte verstoßen, immer noch gegenseitig vor einer Ahndung schützen können., ist aber auch hier zu beobachten. Die Schwierigkeit, Menschenrechtsver1etzungen in der arabischen Welt anzuklagen, kann bislang ebenso nicht gelöst werden.
262
7.2.2
Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO
Als Reaktion auf die beiden Weltkriege wird die UNO 1945 in der Hoffnung gegründet, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit dauerhaft bewirken zu können. Pius XII. begrüßt diese Initiative ausdrücklich und nennt Grundsätze, nach denen internationale Friedensabkommen zustande kommen sollen (Pius XII. 1945; Köck 1996: 83); er reist aber nicht nach San Francisco337 und zeigt sich nach dem Gründungstreffen enttäuscht, weil die UNO hinter den Anforderungen einer Weltfriedenskonferenz zurückgeblieben sei: Internationale Gerechtigkeit sei dem Hegemoniestreben einiger Großmächte geopfert worden (Köck 1996: 85). Trotz dieser Skepsis und dem fehlenden Gottesbezug in sämtlichen UNDokumenten unterstützt der Heilige Stuhl die Friedensbemühungen der UNO, wenn dies ihm angemessen erscheint. Die Grundlage hierfür ist die Erklärung der Menschenrechte von 1948; sie mache die UNO zu einem Motor fiir den Weltfrieden (Goldt 2007: 340). Dieser Frieden unter den Völkern lässt sich nach Auffassung des Heiligen Stuhls vor allem in internationalen Organisationen herstellen (Cardinale 1976: 229), und während bspw. die USA die UNO als ein freiwilliges Kooperationsforum betrachten, versteht der Heilige Stuhl sie als ein souveränes Gebilde (Allen 2004). Johannes XXIII. erkennt in seiner Enzyklika PACEM IN TERRIS (1961) die universale Stellung der UNO als Forum zur Konfliktschlichtung und Krlegsvermeidung an (Köck 1996: 86);'" auch die 337 Zu diesem Zeitpunkt sollen neutrale Staaten wie der Vatikan und die Schweiz ohnehin von der Organisation ausgeschlossen bleiben (Köck 1996: 83). 338 Neben dem Hinweis auf die Notwendigkeit zur internationalen Zuaammenarbeit (Johm·
nes XXIII. 1963: 56, 58) äußert sich Johannes XXIII. über die UNO wie folgt: "Wie allen bekannt ist. wurde am 26. Juni 1945 die Organisation der Vereinten Nationen (ON) gegründet, der in der Folgezeit kleinere Institutionen beigefügt wurden. die sich aus bevollmächtigten Mitgliedern verschiedener Nationen zusammensetzen. Ihnen sind große, in allen Teilen der Welt zu erfüllende Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem, erz.iehetischem Gebiet und auf dem. Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens übertragen. Ferner stellen sich die Vereinten Nationen als Hauptaufgabe. den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen sowie freundschaftliche Beziehungen unter ihnen zu pflegen und zu entwickeln. die auf den Grundsätzen der Gleichhei~ der gegenseitigen Hochachtung und der vie1fiiltigen Zusammenarbeit auf allen Gebieten menschlicher Aktivität gründen. Ein Akt von höchster Bedentung ist die ,Allgemeine Erklärung der Menachenrechte', die am 10. Dezember 1948 von
der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. In der Präambel dieser Erklärung wird eingeschärft. alle Völker und Nationen mußten [sie!] in erster Linie danach trachten, daß alle Rechte und Formen der Freihei~ die in der Erklärung beachtieben sind, tatsächlich anerkannt und unverletzt gewahrt werden. Wir verlrennen nicht, daß gegenüber einigen Kapiteln dieser Erklärung mit Recht von manchen Einwände geäußert worden sind. Nichtsdestoweniger ist diese Erklärung gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten. Denn durch sie wird
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Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und das Motu Proprio SOLLICITIJDO OMNIUM ECCLESIARUM (1969) von Paul VI. bewegen sich auf die UNO zu und führen schließlich zu einer Fonnalisierung der Beziehungen (Schwarz 2007: 557). Johannes Paul Ir. baut mit der Reform des kanonischen Rechts die Rolle des Ständigen Beobachters bei der UNO juristisch und inhaltlich aus (Melnyk 2009: 107). Die UNO bietet auch Nicht-Mitgliedsstasten und Organisationen die Möglichkeit der Partizipation an. Dabei unterscheidet sie zwischen einem Beobachterstatus und einem Konsultativstatus. Beobachterstatus erhalten stastliche und nichtstastliehe Akteure, die Völkerrechtssubjektivität besilzen, aber keine Mitgliedschaft in der UNO verfolgen; zu unterscheiden ist zwischen Beobachtern, die zu ausgewählten Konferenzen eingeladen werden, und Ständigen Beobachtern, deren Zutritt nicht beschränkt ist Die Kompetenzen der einzelnen Beobachter varueren: Sie haben ein Mitwirkungsrecht an den Projekten der UNO, aber in der Regel kein Stimmrecht; sie haben Zugänge zu UNOrganen, -Kouferenzen und Dokumenten; sie dürfen Stellungnalnnen als offizielles UN-Dokument in Umlauf bringen; das Recht auf AntragsteIlung ist möglich. Zur Zeit besilzen fast zwei Dulzend Entitäten eine dauerhafte Eiuladung, als Beobachter an der Generalversammlung und an UN-Kouferenzen tei1zunelnnen (United Nations 20IOb). Dazu gehören neben dem Heiligen Stuhl auch Palästina, seit 1990 das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, seit 1994 der Weltbund der Rotkreuz- und Roihalbmond-Gesellschaften und (auf der Basis der Resolution 48/265) der Souveräne Malteser-Ritterorden als historisch gewachsenes Völkerrechtssubjekt. Der formelle Beobachterstatus wird nur an Stasten verliehen; ihn besi1zt - nachdem die Schweiz 2002 Mitglied geworden ist - nur noch der Heilige Stuhl (United Nations 2010c; Mayr-Singer 2000: 196; Horn 2007: 39-40). die Würde der Person fiir alle Menschen feierlich anerkannt. und es werden jedem Menschen die Rechte zugesprochen. die Wahrheit frei zu suchen, den Normen der Sittlichkeit zu folgen. die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben. ein menschenwürdiges Dasein zu fiihren. Darüber hinaus werden noch andere Rechte ausgesprochen, die mit den erwähnten in Zusammenhang stehen. Es ist daher zu wünschen. die Vereinten Nationen möchten ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgaben anzupassen imstande sein, damit bald die Zeit komme. in der diese Vereinigung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die deswegen allgemein. unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen gegenwärtig in ihrer Nation mehr an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teilhaben, mit lebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbrochen verfolgen und sich immer mehr bewußt sind, daß sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschheitsfamilie gehören." (Johannes XXIII. 1963: 75)
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Der Konsultativstatus wird hingegen an nichtstaatliche Akteure verliehen, die keine Souveränität besitzen, und kann gemäß Artikel 71 der UN-Charta beantragt werden. Im Jahr 2000 besitzen 2012 NGOs einen Konsultativstatus. 339 Ihre Einbindung findet fast ausschließlich im Rahmen der UNWeltkonferenzen und des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) statt, der auch die Koordinierung der NGOs an den Entscheidungsprozessen der UNO vornimmt (Horn 2007: 92). Ziel ist es, ihr Expertenwissen zu nutzen und die Zivilgesellschaft durch sie einzubinden;34o diese Einbindung ist jedoch auf ausgewählte Themen oder Konferenzen begrenzt. Es wird unterschieden zwischen dem Allgemeinen Konsultativstatus (fiir internationale Dachverbände mit weitgefächertem Tbemenspektrum; sie haben ein Recht anf schriftliche maximal 2 000 Wörter - und mündliche Stellungnabmen), dem Besonderen Konsultativstatus (Recht auf mündliche Stellungnahmen und schriftliche Erklärungen bis maximal 500 Wörter) und der Aufnahme in das Register (hier gilt das Konsultationsrecht nur, wenn die NGO dazu anfgefordert wird) (MayrSinger 2000: 196). Die Zahl der Organisationen, die diverse Interessen der Zivilgesellschaft im UN-System vertreten, ist in den letzen Jahren merklich gestiegen, was von den Mitgliedstaaten nicht immer begrüßt wird, weil die Verhandlungsprozesse dadurch komplizierter werden können. Außerdem stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation dieser Organisationen (Horn 2007: 41). Der Heilige Stuhl ist formeller Beobachter mit einer dauerhaften Einladung, sich an den Aktivitäten der UNO zu beteiligen. Er entsendet seit 1964 einen Ständigen Beobachter nach New York, seit 1967 nach Genfund seit 1979 nach Wien. Weitere Beobachter befinden sich in Rom und Paris sowie bei UNUnterorganisationen in Nairobi, Madrid, Landon, Montrea!, Bern und Den Haag (Bathon 2001: 606; Mayr-Singer 2000: 195; MeInyk 2009: 109). Der Ständige Beobachter unterschreibt und ratifiziert UN-Verträge; er nimmt an UNKonferenzen teil und hat hier ein volles Stimmrecht Er ist an den Debatten und (bestimmten) Entscheidungen der Generalversammlung beteiligt, aber auch an den weltweit verstreuten UN-Agenturen, -Kommissionen und -Komitees. Der Ständige Beobachter in New York spricht durchschnittlich elf Ma! pro Jahr vor der Generalversammlung oder den Komitees (Center for Reproductive Rights 2000: 3). Der Heilige Stuhl hat damit die weitestgehenden Rechte eines Nicht-
339 NGOs müssen bestimmte Standards erfüllen., um einen Konsultativstatus zu erhalten (Hom 2007: 38). 340 Die Einbindung der Zivilgesellschaft soll deo Folgeo der Globalisierung und Transnationalisierung Recboung trageo (Horn 2007: 38).
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mitgliedes und steht faktisch zwischen einer Vollmitgliedschaft und dem Beobachterstatus (Vereinte Nationen 2005: 21). Als erster Papst des 20. Jahrhunderta führt Paul VI. die Auslandsreise als Mittel der Außenpolitik ein und bekennt, dass er den Anschluss an internationale Organisationen nicht verpassen will. In dieser Folge spricht er zum 20jährigen Jubiläum der UNO am 4. Oktober 1965 vor der Vollversammlung. Der Auftritt des früheren Diplomaten wird als Sensation und historisches Ereignis empfunden. Ersttnals wendet sich ein Papst an ein globales Publikum. 341 Seine Friedensbotschaft trifft den Ton der damaligen Weltlage und findet ein uneingeschränkt positives Echo (Ring-Eifel 2004: 134-135, 137);342 sie markiert auch die Fortsetzung der Internationalisierung, die von Johannes XXITI. angestoßen wird (Sacco 1999: 1). Paul VI. fordert die Einrichtong einer Weltautorität, die juristische und politische Fragen für alle Nationen verbindlich beantwortet (paul VI. 1965). Dass auch Johannes Paul 11. bereits ein Jahr nach seiner Amtseinfiihrung vor der UN-Vollversammlung spricht, wird als Zeichen seiner Wertschätzung und als Ausdruck für die Kontinnität zu Paul VI. gewertet (Sacco 1999: 17). Er fordert die Einhaltong der Menschenrechte und ermahnt die Industrienationen, den Entwicklungsländern zu helfen (Johannes Paul 11. 1979b). Bei seiner Rede zum 50jährigen Jubiläum der UNO 1995 ermutigt er sie, zu einern Zentrum der Moral zu werden; die Probleme der Welt könnten nur gemeinsam und in einer ernst gemeinten Zusammenarbeit gelöst werden. Wenn ein Staat die Menschenrechte nicht achte, müsse die UNO dagegen vorgehen, um schlinnnere Folgen zu verhindern. Johannes Paul 11. lobt daröber hinaus die l.eistongen der universellen Erklärung der Menschenrechte: Sie habe trotz der Unterschiedlichkeit der Nationen und Kulturen einen gemeinsamen Standard geschaffen, den es nun einzuhalten gelte. Er betont das Recht auf Religionsfreiheit als Teil dieser Menschenrechte (Johannes Paul 11. 1995). Benedikt XVI. spricht im Rahmen seiner USA-Reise am 18. April 2008 vor der Generalversammlung und fordert ein stärkeres Engagement der Organisation im Bereich der präventiven Konfliktlösung; die Ungleichheit der Völker
341 Mit dieser Rede wertet er nicht nur die UNO auf, sie gerät auch zu seinem eigenen Vorteil durch die weltweite Aufmerksamkeit. die ihm die UN-Bühne bietet EU-Parlamentarier werben dafür, dass Benedikt XVI. auch vor ihnen spricht (Raclio Vatikan 2007). 342 Paul Vi betont die Gemeinsamkeiten zwischen dem HeiIigeo Stuhl und der UNO. Er empfiehlt sich als Experte in humanitären Fragen und weist auf die einmalige Chance der UNO hin, den Menschen zu einem. würdigen Leben zu verhelfen und den von Gott versprochenen Frieden zu schaffen. Der Kern seiner Botschaft lautet beschwörend: ,jamais plus les uns contre les autres, jamais. plus jamais! ( ... ) jamais plus la guerre, jamais plus 1a guerre!" (paul VI. 1965)
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müsse abgebaut werden. Kurz vor dem 60. Jabrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht diese im Fokus seiner Rede: Der Papst weist darauf hin, dass die vollen Menschenrechte nur mit einem freien Glauben einhergehen. Den interreligiösen Dialog markiert er als essentiell und will iho vorantreiben (Benedikt XVI. 2008; Melnyk 2009: 174-176). Auch wenn Benedikt XVI. in seiner Rede mitunter abstrakt bleibt, greift er die Gedanken seiner Vorgänger unmissverstiindlich auf und macht sich dafiir stark, der Religion wieder einen größeren Platz in der Öffentlichkeit zuzugestehen. Der Heilige Stuhl unterhält breitgefiicherte Beziehungen zu Spezialorganisationen der UNO, wie der UNESCO, FAO, UNICEF und dem UNHCR (in Form eines Beobachters). Ordentliches Mitglied ist der Heilige Stuhl als Vertretung der katholischen Kirche nur in der IAEO (Köck 1996: 88).'43 In wessen Vertretung der Heilige Stuhl letztlich auftritt, liegt in seiner Verantwortung; er entscheidet völlig frei (Bull 1987: 174): ,,As the supreme authority ofboth the Church and the Vatican City, it is the Holy See's responsibility to determine whether its representatives act in the name of the Holy See, the Vatican City, or both." (Bathon 2001: 606) Die Diplomatie des Heiligen Stuhls in internationalen Organisationen zielt darauf ab, christliche Werte in die Gesellschaft zu bringen (Melnyk 2009: 99); die katholische Kirche nimmt fiir sich in Anspruch, die ,,moralische Oberinstanz der Welt" zu sein (Mayr-Singer 2000: 193). Die Basis fiir das Engagement des Heiligen Stuhls innerhalb der UNO ist deshalb auch seine spirituelle Mission (Bathon 2001: 606; Melnyk 2009: 50). Der Heilige Stuhl wirbt seit der Entsendung seines Stiindigen Beobachters dafiir, die einzelnen Nationen an einen gemeinsamen UN-Verhandlungstisch zu bringen (Melnyk 2009: 51); er setzt sich fiir eine starke UNO ein, fordert jedoch auch Reformen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen (RyalI2001: 55; Allen 2004). Der Heilige Stuhl wirkt innerhalb der UNO vor allem über Stellungnalunen, mit denen er die Debatten zu steuern versucht. Er erhält Iuformationen und lässt die UNO an seinen Jahrhunderte langen diplomatischen Erfahrungen teilhaben; er begleitet die Organisation mit der Frohen Botschaft (Melnyk 2009: 112-113, 153-155). Die teilweise siebzig Jabre alten Dokumente der katholischen Kirche zur sozialen Ordnung sind dabei immer noch aktuell und hilfreich, um die Würde des Menschen in den internationalen Beziehungen zu wabren (Melnyk 2009: 203). Koli Annan betont darüber hinaus die Bedentung von religiösen
343 Außerhalb der UNO vertritt der Heilige Stuhl die katholisebe Kirche als Vollmitglied nur in der OSZE; .ufGrund seiner Slaatlicbkeit ist der v.tikan wiederum Mitglied bei Organisatio· nen ntit einern eher tcclmischcn Interesse (Köck 1996: 73; Wuthe 2002: 31-32). S. auch Kapi·
teI3.\.\.
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Führern fiir die Beilegung von Konflikten, vor allem, wenn es sich bei den Konflikten um Glaubensfragen oder Jahrzehnte alte Konflikte handelt (Melnyk 2009: 193-194). Celestino Migliore, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls in New York von 2002 bis 2010, charakterisiert das Engagement des Heiligen Stuhls in der UNO wie folgt: Er agiere auf dem Fundament des Evangeliums fiir das Wohl aller Menschen und Gesellschaften. Er habe dabei eine Universalität erreicht, weil er weder geographische noch ethnische Grenzen kenne. Seine Humanität liege in der Vorstellung, dass alle Menschen das Ebenbild Gottes und deshalb gleich an Rechten seien. Melnyk resümiert: Through their theological and diplomatie tra.ining, combined with extensive field cxperience, the Permanent Observer and bis staff, on behalf of the Church, apply the purification of reason in their analysis, offering Christian insight into understanding the signs of the times and the needs ofthe world (Melnyk 2009: 203·204).
Sowohl der Heilige Stuhl als auch die UNO besitzen eine weltweite Infrastruktur und universelle Ziele mit einer zentralen Autorität (Melady 1994: 33-34). Die Universalität der UNO liegt in weltlichen Angelegenheiten, die der katholischen Kirche im spiritoellen Bereich (Cardinale 1976: 230). Ihre gemeinsamen Ziele sind der Weltfrieden, internationale Sicherheit, freundschsft1iche Beziehungen zwischen den Völkern sowie die Förderung der internationalen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zusammenarbeit (Cardinale 1976: 233; Melnyk 2009: 154; Mayr-Singer 2000: 195). Sie leisten Friedensmissionen und unterstützen Entwicklungsländer (Bull 1987: 174-175). Sowohl der UNGeneralsekretär als auch der Papst appellieren an das Gewissen der Menschen. 344 Hom macht auf den Aspekt des Prestiges der UNO aufmerksam: ,,Die Entscheidungen der Vereinten Nationen geben dem kollektiven Handeln Legitimität und moralische Autorität"; je genauer ein Staat die Normen der UNO einhalte, desto stärker sei seine Glaubwürdigkeit (Horn 2007: 17-18). So kann die UNO den Irakkrieg 2003 zwar nicht verhindem, erschwert mit ihrer ablehnenden Haltung aber zumindest die Rolle der USA und Großbritanniens (Nye 2007). In ähnlicher Weise kann die Leistung des Heiligen Stuhls beurteilt werden, wie Kapitel 6.2.3 herausarbeitet. Bei allen Gemeinsamkeiten in den Zielen und den immer wieder zum Ausdruck gebrachten Respektsbekundungen fiir einander kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO: Im Jahr 1996 gibt der Heilige Stuhl bekannt, seinen symbolischen Jabresbeitrag von 344 Der frühere UN-Generalsekretär Dag Hannnarskjöld bezeichnet sich selbst als ,,eine Art säkularer Papst" (Dag Hammarskjöld zit. in: Bouillon 2007: 221).
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2 000 US-Dollar nicht mehr an UNICEF überweiseo zu wolleo; damit protestiert er gegeo deo Weg, deo UNICEF im Bereich der Familieoplanung einschlägt (Singh 1998: 171-172). Bereits 1994 in Kairo und 1995 in Peking kommt es bei deo UN-Weltkonferenzeo zu bittereo Konfrontationeo über die Themen reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte: Der Heilige Stuhl stellt sich gegeo die Pläne der UNO, Abtreibung zu erleichtern und die Aufklärung von Jugendlichen sowie Aids-Präveotion voranzutreibeo. Er blockiert die Verhandlungen und verhindert mit der Hilfe Sudans, Irans und Libyens Hilfestellungen fiir Frauen und Kinder, weil diese ihm inopportun erscheinen (MayrSinger 2000: 193).345 Hier wird deutlich, dass sich der Heilige Stuhl nicht anders als herkömmliche Staaten verhält, wenn es um seine gleichsam vitalen Interessen geht: Er nutzt die UNO zur Umsetzung seiner Ziele. Dass der Heilige Stuhl trotz der Religionsfeme der UNO und ihrer konträreo Auffassungen zu bestimmten Themeo an ihr festhält, erklärt sich zum eineo mit deo zahlreich vorhandeoeo Übereinstimmungen, zum andereo mit einem Mangel an Alternativen zur UNO: Gegenwärtig gibt es keine Organisation, die ihre Anfgaben übernehmeo und fiir eine gerechtere Welt eintreteo könnte. Wenn es deshalb auch scheint, als neige der Heilige Stuhl dazu, "eineo Grabeokampf zur Verteidigung dessen aufzunehmen, was er offenbar als die letzten christlicheo Werte in einer mehr und mehr säkularisierenden internationalen Gesellschaft versteht" (Köck 1996: 91) und daröber bisweilen in Konflikte mit der UNO gerät, haben beide Institutionen eine gleichartige Mission, was sie miteinander verbindet. Es stehen sich zwei Organisationen gegenüber, die deo Kapitalismus nicht als die einzig mögliche Weltordnung erachten, aber bisweilen unterschiedliche Wege zu ihrer gemeinsamen Alternative dazu einschlagen. Regelmäßig tauchen Forderungen nach der Aberkennung der Privilegieo und Sonderregelungen fiir den Heiligeo Stuhl auf. Besonders kritisch ist die katholische Laieobewegung CathoUes for a Free Choiee (CFFC) aus Washington, die mit siebzig weitereo NGOs im März 1999 eine Protestnote an Generalsekretär Koli Annan verfasst und fordert, die Sonderrechte des Heiligen Stuhls aufzuheben (Mayr-Singer 2000: 197). Als Argumeot fiihreo die Kritiker an, dass der Heilige Stuhl nicht fiir Staatsbürger spreche, sondern fiir eine Religionsgemeinschaft, die ihre Moralvorstellungeo auf andere Staateo übertrageo wolle (Center for Reproductive Rights 2000: I). Bezweifelt wird daröber hinaus nicht nur die Staatlichkeit des Vatikan (Ceoter for Reproductive Rights 2000: 2); da die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls aus einer historischen Tradition erwächst und aus göttlichem Recht abgeleitet wird, ist es umstritten, ihm die 345 Für eine ausfiihrliche Darstellung s. Kapitel 6.2.2.
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gleichen Rechte zuzubilligen wie herkömmlichen Staaten (Mayr-Singer 2000: 193-194). Der Heilige Stuhl habe sich selbst in die UNO eingeladen, und seine Sonderrechte seien vielmehr aus einer Fehleinschätzung heraus entstanden: U Thant habe 1964 den Wunsch Pauls VI. nach einem Ständigen Beobachter voreilig akzeptiert, ohne die Generalversammlung zu befragen. Ab 1967 habe der Heilige Stuhl sein Netz aus Ständigen Beobachtern kontinuierlich ausgebaut und damit vor allem seine Einflussmöglichkeiten verstärkt (See Change 2010: 3, 9). Scharf verurteilt wird, dass der Heilige Stuhl Bündnisse mit Staaten eingeht, um bei Konferenzen einen Konsens zu verhindern (Center for Reproductive Rights 2000: 5). Der Heilige Stuhl sieht sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, er vernachlässige die Hilfe fiir Notleidende und verfolge stattdessen sein Ziel, kompromisslos seine Position durchsetzen zu wollen: Er gebe sich zu Unrecht als Staat aus und dränge anderen seine Meinung auf (See Change 2010: 6; Center for Reproductive Rights 2000: 6-8). Obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass man den Forderungen nach der Aberkennung der Privilegien des Heiligen Stuhls nachkommt (Rotte 2007: 138; Mayr-Singer 2000: 198), muss in der Tat seine einseitige Bevorzugung festgestellt werden: Die katholische Kirche ist die einzige Religionsgemeinschaft, die in den Genuss eines Beobachterstatus kommt und über derart umfassende Sonderrechte verfügt (Rya1l2001: 50; See Change 2010: I). Eine Zurücksetzung auf einen Konsultativstatus, wie ihn bspw. der Weltkirchenrat"" besitzt, ist jedoch kaum möglich, weil der Heilige Stuhl dies als Abwertung verstehen würde und - im Gegensatz zum Weltkirchenrat - ein offizielles Völkerrechtssubjekt ist. Denkbar ist nach MayrSinger viehnehr, dass die Rechte anderer Organisationen heraufgesetzt werden (Mayr-Singer 2000: 198).'·7 Trotz der Kontroverse um den Status des Heiligen Stuhls hat die UNGeneralversannulung in ihrer Resolution 58/314 (1. Juli 2004) seine BeteiligunJ! als Beobachter bestätigt und seine Kompetenzen in Teilen sogar ausgeweitet.'
346 Der Weltkirchenrat besteht aus über 330 protestantischen und orthodoxen Kirchen aus über 100 Ländern mit insgesamt über 400 Millionen Christen. Seit August 2000 hat er einen Allgemeinen Konsultativstatus (Mayr-Singer 2000: 196). 347 Hier lohnte es sich der Frage nachzugehen, wie der Heilige Stuhl dieser Aufwertung gegenübersteht. Zumindest bei den Verträgen mit den neuen Bundesländern Deutschlands (1994·
1998) achtet der Heilige Stuhl darauf, dass die Rechte seiner Mitbewerber nicht über die eigenenhinausgchen (s. KapiteI3.2.5).
348 Hierzu bemerkt Melnyk: "This expanded capacity to fulfill its spiritual mission aHows for the Holy See to participate in th.e general debates at the General Assem.bly, to make interventions, replies, to have its communications issued and circulated directly as official documents of the Assembly and conferences, to raise points of order involving the Holy See, to co-sponsor draft
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Noch einfacher als bisher ist es dem Heiligen Stuhl nun erlaubt, sich in der Generalversammlung als Redner zu äußern und Einfluss auf die Tagesordnung auszuüben. Der Ständige Beobachter sitz! bei Kouferenzen hinter den Mitgliedsstaaten aber vor den anderen Beobachtern (Vereinte Nationen 2005: 21). Auf der Suche nach den Gründen für die Ausweitung seiner Kompetenzen kann - neben den bereits genannten Gemeinsamkeiten, die zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gefiihrt haben - ein Gedanke von Raffalt nützlich sein, den er bereits in den 1970er Jahren formuliert; Raffalt sieht zwischen dem Heiligen Stuhl und der UNO eine Art "Spiegelbildlichkeit": Die UNO nehme die politischen, wirtschaftlichen und erzieherischen Interessen der Menschheit wahr, lasse das Religiöse aber unberücksichtigt. Die katholische Kirche sei wegen ihrer Internationalität und ihrem Organisationsgrad bestens dafür geeignet, dieses Defizit auszugleichen und sich Problemen anzunehmen, bei denen ein religiöser Zugang von Vorteil ist (Raffalt 1973: 111-112).
7.2.3
Der Verzicht auf eine Vol/mitgliedschaft
Bis heute ist das Verhältnis zwischen UNO und Heiligem Stuhl von ,,hohem wechselseitigen Respekt" geprägt (Köck 1996: 88); die engen und regelmäßigen Kontakte werden an nahezu allen UN-Standorten gepflegt (Bathon 2001: 605). Dennoch begnügt sich der Heilige Stuhl tnit dern Status eines Ständigen Beobachters. 349 Er hat sich gegen eine Vollmitgliedschaft in der UNO entschieden, damit er sich nicht an Sanktionen gegen einen anderen Staat beteiligen muss oder dazu gezwungen ist, Entscheidungen über Krieg und Frieden oder den Einsatz von UN-Truppen mitzutragen. Darüber hinaus büßte er durch eine Vollmitgliedschaft seine herausgehobene Stellung ein und könnte verstärkt in Sachzwiinge und politische Machtspiele gezogen werden, was seinem Ansehen als moralischer Instanz schadete (Faber 1968: 117; Ring-Eifel 2004: 134-135, 254-255). Zwar sieht die UNO eine Vollmitgliedschaft nur für Staaten vor, wäre im Fall des Heiligen Stuhls aber gewiss zu einer Sonderbehandlung bereit."· Flexibilität zeigt sie schon, als es um die Bezeichnung des Kontaktes geht: Während sie zunächst Beziehungen zum Staat der Vatikanstadt unterhält, wird resolutions and decisions that make reference to the Holy See. and to raise a point on agenda items." (Melnyk 2009: 108)
349 Er ist auch dem Völkerbund nicht beige1reten (Köck 1979: 229). 350 Trotz der Zugeständnisse an den Heiligen Stuhl ist aber davon auszu~ dass die UNO einen Beobachterstatus des Heiligen Stuhls gegenüber Dritten besser vermitteln kann als eine Vollmitgliedschaft; diese wörde Kritikern des Heiligen Stuhls nur Auftrieb verleihen.
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später eine Umbenennung in Beziehungen zum Heiligen Stuhl vorgenommen, nachdem Generalsekretär Dag Hammarskjöld 1957 erklärt: "When I request an audience from the Vatican, I do not go to see the King of Vatican City, but the head of the Catholic Church." (Hammarskjöld zit. in: Köck 1979: 627)351 Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Debatte darüber, ob der Heilige Stuhl Staatlichkeit besitzt, von untergeordneter Bedeutung. Aus der Sicht des Heiligen Stohls hat sein Beobachterstatos mit erweiterten Kompetenzen deu Vorteil, dass er involviert ist, sich aber jederzeit distanzieren kann, wenn ihm dies nützlich erscheint. Er profitiert (wie jeder Staats- und Regierungschef) von der globalen Bühne, die ihm die UNO im Allgemeinen und die GeneralversannnIung im Besonderen geben; sie verleiht dem Heiligen Stohl Gewicht.'" Im Umgang mit seinen Privilegien ähnelt er in seinem Verhalten nicht zuletzt den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates: Die einmal gewonnenen Vorrechte werden verteidigt, auch wenn der Gesamtorganisation dadurch Nachteile entstehen. Die UNO kämpft an vielen Fronten und wird zu einem Spielball ihrer Mitgliedsstaaten. Hier kann sich der Heilige Stohl als wirklich unabhängige Institotion positionieren:'" Seine unvoreingenommene Suche nach der objektiven Lösung eines Problems erscheint authentisch; weder steht er einer Region näher als einer anderen (wie das bei Staaten verständlicherweise der Fall ist) (Raffalt 1973: 73), noch ist er eine Interessenvertretong von Katholiken, sondern will allen Menschen dienen. Die inhaltliche Unabhängigkeit des Heiligen Stohls kann fiir die UNO zu einem Vorteil werden: Sie hat die Möglichkeit, in einer Art Bypass-Strategie ihre Mitgliedsstaaten umgehen, indem sie sich an eine Organisation wendet, die in ihren Mitgliedsstaaten eine gesellschaftliche 351 Bei dieser Umbenennung ist es das Ziel von beiden Seiten. dass ..der kirchlich-pastorale Aspekt der Handlungen des Papstes in den Vordergrund rücken soll und nicht so sehr der staatlich..äkulare des Vatikanstaates." (Goldt 2004: 205) 352 S1range liihrt z. B. das Renommee von Amnesty International auch darauf zurück, dass es enge Verbindungen zur UNO unterhält (Strange 1996: 95). Es ist zu verowten, dass der Heili-
ge Stuhl in den internationalen Beziehungen an Bedeutung verlieren würde, wenn er von den Aktivitäten der UNO ausgeschlossen bliebe. 353 Diese Unabhängigkeit drückt sich letztlich auch in der Distanz zur UNO aus. Kapitel 7.1 zitiert Franco, der daraufhinweist. dass es:für den Heiligen Stuhl und die USA von Vorteil ist, wenn sie vor Dritten ihre Unterschiedlichk.eit betonen und nicht als Partner wahrgenommen weiden. Eine zu große (und vor allem sichtbare) Nähe zwischen Heiligem Stuhl und UNO könnte in ähnlicher Weise zu Irritationen tühren. Womöglich lässt sich eine zu große Vertrautheit auch nicht mit dem jeweiligen Anspruch von Heiligem Stuhl und UNO vereinbaren: Während die UNO dezidiert unreligiös ist, verfulgt der Heilige Stuhl den Auftrag, der gesamten Welt die Heilsbotschaft zu verkünden und dabei unabhängig von weltlichen Mächten zu
sein.
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Kraft ist und für Zustimmung sorgen kann.''' Wenn die UNO wie gelähmt erscheint, kann der Heilige Stuhl weiter aktiv sein, wie das Fallbeispiel Irakkrieg 2003 zeigt. Mit seinem Eintreten für eine Stärkung der UNO festigt der Heilige Stuhl aber auch seine eigene Position, weil er einen Prozess anstößt, der staatliche Macht auf eine nichtstaatliche Institution überträgt. Köck sieht in dem Verzicht auf eine Vollmitgliedschaft die Gefahr, dass der Heilige Stuhl von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen wird, sollte sich "der Wind der internationalen Politik wieder in eine weniger kirchenfreundliche Richtung drehen" (Köck 1996: 89). Diese Sorge kann gegenwärtig jedoch nicht als gerechtfertigt gelten: Nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit dem Islam wird deutlich, dass Religion wohl auch zukünftig eine bedeutende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen wird.
7.2.4
Fazit
Die UNO ist nur so handlungsfähig, wie ihre Mitgliedstaaten es zulassen, während der Heilige Stuhl von niemandem gegängelt wird. Beide Institutionen ergänzen sich in ihren weltlichen und spirituellen Interessen und profitieren davon, ein kooperatives Verhältnis zueinander zu unterhalten: Es wäre kontraproduktiv, sich gegenseitig herabsetzen oder übervorteilen zu wollen. Beide Akteure versprechen Legitimität und Prestige und können sich öffentliche Fehden deshalb kaum leisten.'" Sie stellen Foren zur Verfiigung, in denen multilaterale Verhandlungen ermöglicht werden; [SPC 26: Schnittstelle transnationaler Kontakte; SPC 15: Regierung als Mediator; Neutralität] sie setzen sich für die Menschheit ein [SPC 10: Aufueten der Regierung im Iuland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelun354 Darin würde sie dann der EU-Kommission ähneln, die die Staats· und Regierungschefs der
Mitgliedsstaaten bisweilen dadurch zu umgehen versucht, dass sie den direkten Kontakt zu einzelnen Regionen aufnimmt 355 Menschen können sich mit nichtstaatlichen Vereinigungen, die ihre Interessen vertreten, eher identifizieren, als mit staatlichen (Wolfers zit in: Sauvant 1987: 72). Öffentliche Zerwürfnisse sind hier in hohem. Maße schädlich. Das Verhältnis zwischen dem. Heiligen Stuhl und der UNO erinnert deshalb in gewisser Weise auch an die Beziehung zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem deutschen Bundesverfassungsgericht: Wer von beiden tatsächlich das letzte Wort hat, ist für bestimmte Rechtsbereiche noch immer nicht endgültig geklärt. Über dieses Defizit hilft ein höfliches Miteinander und Wohlwollen dem anderen gegenüber hinweg. Sich gegenseitig benachteiligen zu wollen oder es auf eine Machtprobe ankommen zu lassen, wäre Irontraproduktiv und würde der Glaubwürdigkeit der Rechtspreclnmg, auf die
beide angewiesen sind, schaden.
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gen] und präsentieren eine Weltsnschauung, die eine Alternative zu bestehenden Ideologien darstellen kann. [SPC 4: Politische und religiöse Weltsnschauung, Werte] Durch ihren Einsstz für Frieden und Gerechtigkeit unter den Völkern erzeugen sie einen globalen Wert. [SPC 27: Globale Gemeingüter erzeugen] Sie setzen Normen für das Zusammenleben [SPC 34: Maßstäbe setzen] und können Debatten anstoßen. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präferenzen formen] Ihre eigene Handlungsunfähigkeit (keine Sanktionsmittel, keine greifbare Vollzugsgewalt) kann bis zu einem gewissen Grad dadurch gemildert werden, dass sie sich gemeinsam für oder gegen etwas aussprechen oder mit symbolischen Handlungen auf sich oder einen Sachverhalt aufinerksam machen. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Beide haben eine zentrale Autorität, die Amtscharisma besitzt (Nye 2007). [SPC 13: Charismatische Fiihrer] Die Privilegien des Heiligen StohIs sind historisch gewachsen und in kleinen Schritten ausgebaut worden; dieses Wachstum erklärt sich mit den Vorteilen, die beide für den jeweils anderen bereithalten. Der Heilige StohI ist für die UNO ein verlässlicher Partner, weil er u. a. auf kein Wahlvolk Rücksicht zu nehmen braucht. [SPC 18: Politische Stabilität in der Gegenwart; SPC 23: Ausstrahlen von Macht und Verlässlichkeit für die Zukunft] Kofi Annan und Ban Ki Moon erklären in ihrer Amtszeit die Absicht, im Bereich der Prävention von Konflikten offensiver auftreten zu wollen. Sie mächten im Vorfeld Struktoren schaffen, um potentiellen Auseinandersetzungen zuvorzukommen, statt lediglich auf sie zu reagieren. 356 Melnyk beurteilt diese Ausrichtong als zeitgemäß: Die UNO müsse ihren Fokus auf eine präventive Diplomatie legen, und hierzu passe die päpstliche Diplomatie vorzüglich, da die Gesandten des Heiligen StohIs Friedensstifter per definitionem seien. Der Versuch, Religionsgemeinschaften aus der Politik auszuschließen und auf ihre Kompetenz zu verzichten, sei zudem nicht zielfiihrend (Melnyk 2009: 207-208). Die UNO kann in der Konfliktprävention von dem Organisationsgrad und der weltweiten Präsenz der katholischen Kirche profitieren. [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung; SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten]
356 Zwischen 2006 und 2007 gibt die UNO über 15 Milliarden US-DoUar für Friedensmissioneo aus, nur ein geringer Teil davon wird für Präventivmaßnahmen aufgewendet (Melnyk 2009: 207). Für das Jahr 2007 zählt Pleuger 18 Friedensmissionen mit über 90 000 Soldaten, Polizisten und ziviieo Kräften (Pleoger 2006: 9).
274
7.3
Der Heilige Stuhl im Vergleich mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Der Heilige Stuhl ist nicht nur das Leitungsgremiuro des Stastes der Vatikanstadt, sondern auch der katholischen Kirche, die sich als Religionsgemeinschaft mit ihrem Heilsauftrag durchsetzen möchte. An dieser Stelle soll geklärt werden, ob die katholische Kirche als eine Nichtregierungsorganisation (NGO) verstanden werden kann und welche Vorteile sie gegenüber einer herkömmlichen NGO hat. Im Ralunen dieser Arbeit kann nur eine Annäherung an den Begriff sowie eine Darstellung der Stärken und Schwächen von NGOs vorgenommen werden; das Verhältnis zwischen NGOs und Medien ist dabei von besonderem Interesse und weitet den Blick zusätzlich fiir die Beurteilung der Medienarbeit des Heiligen Stuhls.
7.3.1
Annäherung an den BegriffNGO
NGOs sind Akteure des sogenannten Dritten Sektors: Neben dem stast (Sektur 1) und der Wirtschaft (Sektor 2) agieren sie in einem zivilgesellschaftlichen Bereich (FrantzlMartens 2006: 18). Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gelten die 1990er Jahre als Dekade der NGOs (Roth 2001: 38; FrantzlMartens 2006: 16). Zählt die Union oflntemational Associations (UIA)3S7 1909 noch 176 NGOs, sind es 1978 bereits 2420, 1985 liegt ihre Zahl bei 4676, 2001 bei 6 398 und im Jahr 2007 bei 7 628 NGOs (Union of International Associations zit. in: Bundeszentrale fiir politische Bildung 2009). Die UN-Weltkonferenzen gelten hierbei als Motor;'" Kohout/Mayer-Tasch erklären den Zuwachs mit der Überforderung des Stastes, sämtliche innen- und außenpolitische Fragen alleine kläreo zu müssen (Kohout/Mayer-Tasch 2002: 16). In diesem Zusammenhaog ist auch der Machtverlust von Parteien und Verbänden zu sehen, die auf Ursachen von Entwicklungen reagieren müssen, die sich nicht in ihrem geographischen Aktionsbereich befinden (FrantzlMartens 2006: 81). Ein weiterer Faktor fiir den Auftrieb von NGOs ist der Fortschritt in den Bereichen Kommunikation
357 Die Union 0/ International Associations ist selbst eine NGO und wird 1907 gegründet. Sie hat ihren Sitz in BfÜSsel. stellt einen weithin akzeptierten Kriterienkatalog für NGOs aufund gIbt das Yearbook o[International Organizations heraus (Frantz/Martens 2006: 37). 358 An der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 nehmen über 1400 NGOs teil, an der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 840 NGOs (FrantzlMarten 2006: 86).
275
und Verkehr (FrantzlMartens 2006: 52, 54). Obwohl NGOs von der UNO'" und der EU teilweise in Entscheidungen eingebunden werden, hält man sie mittlerweile jedoch für die am meisten überbewerteten politischen Akteure der jüngsten Vergangenheit (FrantzlMartens 2006: 16-17; Wahl 2000: 294); die politischen Großtheorien des Realismus und Neo-Realismus sehen nicht einmal eine ernstzunehmende Beteiligung von NGOs an internationalen politischen Entscheidungen (KohoutlMayer-Tasch 2002: 15). Um den Begriff der NGO herrscht Uneinigkeit; drastischer drücken es Esmao/Uphoff aus und unterstreichen damit, dass es sich hierbei um einen Sammelbegriff handelt: ,,Fast alles, was man über NGOs sagen kann, ist wahroder falsch - in einem speziellen Fall, irgendwo." (Esmao/Uphoff zit. in: Roth 2005: 96) NGOs haben ihre Wurzeln in christlichen Orden des Mittelalters (KIeinlWalk/Brunnengräber 2005: 11; FrantzlMartens 2006: 53) und sind zivilgesellschaftliche Akteure, die auf nichtstaatliche Initiative zusammengekommen sind, unter Verzicht auf Gewalt und orientiert an Menschenrechten handeln und auf Probleme inhaltlich Bezug nehmen; sie akzeptieren den Staat und das politische System. Sie stellen moralische Forderungen auf, die sich auf die öffentlichen Interessen bestimmter Gruppen beziehen, und verfolgen eine Einflussnahme auf politische Entscheidungen oder die Wirtschaft. Sie verfiigen
über einen organisatorischen Apparat und agieren im Bereich der "soft issues",
also in der Sozial-, Umwelt- und Entwicklungspolitik. 360 Die Union 0/ International Associations benennt weitere Kriterien für transnationale NGOs: Diese müssen eine internationale Mitgliedschaft vorweisen, ihre finanziellen Mittel aus mindesteus drei Staaten beziehen, in mindestens drei Staaten aktiv sein und über Wahlmechanismen für das Leitungsgremium sowie einen Hauptsitz und einen festen Mitarbeiterstab verfügen. Ihre Unabhängigkeit muss gesichert sein;
359 Die Zahl der bei der UNO akkreditierten NGOs liegt 1948 bei 40, 1995 bei I 068 und 2005 bei
2614. Die Resolution 1996/31 stellt Kriterien auf, die NGOs :für eine .Akkreditierung ertüllen müssen. Der Konsultativstatus bedeutet für eine NGO primär Zugänge: Gespräche mit Diplomaten in Kantinen seien ebenso wichtig wie das Recht auf eine Stellungnahme während der Konfereez. UN-Mitgliedsstaaten können die Akkreditierung oieer NGO verhindern, zieben aber damit unter Umständen Kritik auf sich. wie das Beispiel von Human Rights Watch 1991 zeigt: Kuba, der Irak, Syrien, Algerien und der Sudan verbindern eieen Konsultativstatus, weil Human Rights Watch zuvor über Menschenrechtsverletzungen in ihrem. Staat berichtet. Nach Protesten in den Medien stimmen sie dem. Akkreditierungsverfahren zwei Jahre später zu (FrantzlMartens 2006: 32, 98, 99, 101). 360 Das Verbot von Tandroinen stellt hierbei eine .Ausnahme dar (Wahl 2000: 303). In der Regel geht es aber um Fragen., die die Gesellschaft betreffen, wie Frauen- und Minderheitenrechte, Entwicklungshilfe und Umweltsebutz (FrantziMartens 2006: 56).
276
sie darf nicht von Mitgliedern eines Staates dominiert werden (Klein/Walk/ Brunnengräber 2005: 14-15). Im Gegensatz zu Parteien basieren die Leitungsgremien von NGOs nicht auf demokratischen Wahlen (KohoutlMayer-Tasch 2002: 16); NGOs müssen ihre Ziele nicht als ,,Anliegen einer repräsentativen Mehrheit der Bevölkerung" verteidigen und wollen - wie bereits ausgeführt - staatliche Macht lediglich beeinflussen statt sie selbst auszuüben (FrantzlMartens 2006: 27, 130). Das Unterscheidungsmerkmal zu Interessengruppen liegt darin, dass nicht die Durchsetzung einer Politik verfolgt wird, die den Wünschen einer bestimmten Klientel entspricht; NGOs sind gemeinwoblorientiert (KohoutlMayer-Tasch 2002: 16). NGOs sind darüber hinaus zu unterscheiden von Transnationalen sozialen Bewegungsorganisationen (TSMO), von sogenannten Quasi-NGOs (QUANGOs), die von Staaten finanziert werden oder in einer anderen Weise abhängig von diesen sind (z. B. das Internationale Komitee des Roten Kreuzes), und von Govemment Organized NGOs (GONGOs), die auf Initiative eines staatlichen Akteurs gegründet werden und vor allem im Bereich der Entwicklungshilfe anzutreffen sind; sie zählen im engeren Sinne nicht zu den NGOs (FrantzlMartens 2006: 41-45). Für das Überleben von einzelnen NGOs sind eine breite Rekrutierung, eine authentische Interessenvertretung und eine effiziente politische Zielverwirklichung notwendig (Janett 2000: 165). Auf eine Anpassungsleistung an die spezifischen Rationalitäten der Akteursgruppen können vor allem transnationale NGOs nicht verzichten (Wahl 2000: 313). Roth resümiert, dass man verschiedene NGO-Welten akzeptieren muss, die in der Regel separat, gelegentlich auch überlappend existieren (Roth 2005: 95); FrantzlMartens wagen dennoch einen Definitionsversuch: "NGOs sind formale (professionalisierte), unabhängige
gesellschaftliche Akteure, deren Ziel es ist, progressiven Wandel und soziale Anliegen auf der nationalen oder internationalen Ebene zu fordern." (FranW Martens 2006: 49-50, H. i. 0.)
7.3.2
Stärken und Schwächen von NGOs
NGOs können öffentliche Debatten anstoßen und das Bewusstsein verändern. Sie erscheinen als politische Hoffuungsträger einer nenen transnationalen Ordnung, die über Grenzen hinweg regionale und globale Probleme und Risiken auf die Tagesordnung setzen (Roth 2005: 84, 101). Sie werden - indem sie sich auf eine globale Zivilgesellschaft bzw. Weltkultur beziehen - zu einem wichtigen Ausgangspunkt fiir Gegenmachtbildung (Roth 2005: 110). Sie besitzen den 277
Reiz des Neuartigen und sind ein lebendiger und moralischer Kontrapunkt zu den ,Jmmergleichen Politikergesichtern" (Wahl 2000: 303). Die Konzentration auf Einzelthemen ist ihr Erfolgsrezept. Als ihre Machtressourcen benennt Roth Wissen und Öffentlichkeit. NGOs erweitern das Handlungsrepertoire durch unkonventionelles Handeln, wie Konsumentenboykott, zivilen Ungehorsam und symbolische Aktionen, und setzen in Bezug auf ökologische Demokratie auf veränderte Zeithorizonte. Sie bilden epistemische Gemeinschaften, also Netzwerke aus Personen mit anerkanntem Expertenwissen und Kompetenz (Roth 2005: 101, 104-105, 111), und werden von Staaten zur Steigerung der Projekteffizienz eingesetzt (Wahl 2000: 303). Ihre Arbeitsweise gilt als unbürokratisch, flexibel, effizient und unbestechlich; weitere Vorteile liegen in der hohen Motivation und dem Zusammengehörigkeitsgefiihl der Mitarbeiter und deren Bereitschaft, in prekären Verhältnissen zu arbeiten (Janet! 2000: 164; Wahl 2000: 303). Die demokratische Legitimation transnationaler Politik ist jedoch brüchig, und NGOs gründen selbst nicht auf demokratischen Wahlen (KIeinlWalk/ Brunnengräber 2005: 54; Debiel 2005: 135). Bisweilen mangelt es auch an Transparenz; Debiel fordert für NGOs jedoch einen eigenen Maßstab (Debiel 2005: 143). Ihre Einbettung in reale Zivilgesellschaften ist unterschiedlich ausgeprägt.361 Das Vertrauen innerhalb der Bevölkerung ist eines ihrer wichtigsten Güter; ohne Vertrauen finden öffentliche Mobilisierung und Ressourcenzuflüsse nicht statt (KIeinIWalk/Brunnengräber 2005: 56). Um kommunikationsflihig zu werden, können sich NGOs von diplomatischen Gepflogenheiten nicht frei machen; Kompromisszwänge üben einen Anpassungsdruck auf ihre Positionen aus (Wahl 2000: 303). Ihr politischer Erfolg ist in der Regel nur durch Professionalisierung zu erreichen, worunter aber die Sympathie innerhalb der Anhängerschaft leiden kann: Debiel fasst zusammen, dass die Quelle ihrer Stärke (das freiwillige Engagement) zu versiegen droht, wenn NGOs kompetent und bürokratisch arbeiten (Debiel 2005: 135). Eine Professionalisierung macht darüber hinaus die Ausweitung von hauptamtlich beschäftigten Mitarbeitern notwendig, wodurch die eigenen Kosten und die Gefahr steigen, dass die Selbsterhaltung das vorrangige Ziel wird (FrantzlMartens 2006: 63, 125_126).362 Das Engagement der Mitarbeiter ist zwar hoch, aber auch instabil, und deren Interessenvielfalt ist oft groß (Janet! 2000: 148-149). Auch NGOs ist Menschliches
361 In Deutscbland spielen NGOs eine erhebliche Rolle (Roth 200S: 118). 362 FrantzlMartens zitieren einen früheren Greenpeace-Aktivisten, der bemängelt, dass mit zunehmender Professionalisierung Karrieristen in den Vordergrund und die Werte und Ziele von Greenpeace in den Hintergrund getreten seien (Castie zil in: FrantzlMartens 2006: 127).
278
nicht fremd: Wahl beobachtet Intrigen, Mobbing, Karriereplanungen der einzelnen Mitarbeiter und Korruption. Das Selbstbild von NGOs ist moralisch und ethisch aufgeladen, was bisweilen zu Lasten ihrer eigenen Kritikfähigkeit geht Wahl sieht hier die Gefahr, die eigene Arbeit nicht mehr reflexiv und selbstkritisch zu analysieren (Wahl 2000: 306). NGOs geben demokratische Impulse, die Frage nach der Reichweite und Nachhaltigkeit dieser Impulse bleibt jedoch unbeantwortet (Roth 2005: 112). Sie müssen ihre Aktionen und Initiativen immer im knappen Zeitfenster eines internationalen Verhandlungsprozesses platzieren, was eine erhebliche Planungskompetenz etfordert, die bei organisatorischen und finanziellen Grenzen häufig nicht gegeben ist (Wahl 2000: 306; Debiel 2005: 135). Erschwerend kommen bei transnationalen NGOs die nationalen Unterschiede wie Kultur- und Sprachbarrieren (Roth 2005: 105) und ungleiche Mobilisierungskontexte hinzu (Themenpriorität, politische Kultur; Allianzen und Gegnerschaften variieren je nach Land) (Janett 2000: 155). Weitere Belastungen entstehen durch Reise- und AufenthaItkosten, die Produktion von Unterlagen in mehreren Sprachen und durch benötigte Spezia\kenutnisse über Institutionen und Arbeitsweisen in den unterschiedlichen Ländern. Roth bezweifelt, dass NGOs wirklich unabhängig von Staaten und der Wirtschaft sind; gerade auf internationaler Ebene seien sie stärker auf öffentliche Alimentierung anr,wiesen als auf nationaler Ebene (Roth 2005: 115; FrantzlMartens 2006: 27) .•3 Wenn NGOs den zunehmenden Rückzug von staatlichen Akteuren aus der Entwicklungspolitik kompensieren, drohen sie zu einern Ausfiihrungsorgan staatlicher Macht zu werden (DebieI2005: 135), zu einer Art Co-Elite zu mutieren (Brand 200 I: 87) oder daran beteiligt zu sein, dass humanitäre Hilfe zum Spielball der Politik wird (DebieI2005: 151). Innerhalb der NGO-Welt herrscht ein Nord-Süd-Gefiille; sogenannte ,,Edel-NGOs" aus den USA, Kanada und Westeuropa dominieren das Geschehen (JägerlPauius zit in: Roth 2005: 113). Ihre Themen sind vielfach auf die Interessen des spendenfreudigen Publikoms aus der OECD-Welt zugeschnitten; transnationale NGOs sind daher primär Projekte des Nordens. Problematisch wirkt sich zudern der Umstand aus, dass staatliche und internationale Institutionen (besonders das UN-Regime) häufig darüber entscheiden, ob es überhaupt einen Bedarf an einer NGO-Beteiligung gibt (Roth 2005: 113, 115). Es stellt sich die Frage, wie NGOs unabhängig sein wollen, wenn sie gleichzeitig Teil des Entscheidungssystems sind (Franzt/Martens 2006: 17). KohoutlMayer363 Amnesty International, Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen weigern sich jedoch, staatliche Gelder anzunehmen, um ihre Unabhllngigkeit und Selbständigkeit nicht zu verlieren (FrantzlMartens 2006: 129).
279
Tasch beobachten bei NGOs eine Simplifizierung von Sachverbalten, um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Menschen gewinnen zu können (KohoutJMayer-Tasch 2002: 20). Weitere Kritikpunkte liegen in dem Vorwurf, Politik würde durch sie privatisiert, und die Fokussierung auf Detailfragen verhindere übergreifende Antworten. Der Begriff NGO wird auch missbraucht: FrantzlMartens berichten von einer Konferenz des UN-Menschenrechtskomitees, bei der eine chinesische NGO eine geschönte Darstellung der Menschenrechtssituation in China vorträgt und sich im Anschluss herausstellt, dass es sich bei den NGO-Vertreterinnen um die Ehefrauen von Regierungsmitgliedern handelt (FrantzlMartens 2006: 133). Ein übereilter Ver!rauensvorschuss ist auch deshalb nicht immer gerechtfertigt.
7.3.3
NGOs und Medien
Medien sind die ,.Achillesferse" von NGOs (FrantzlMartens 2006: 128); beide Akteurstypen teilen jedoch gegenseitige Interessen: Medien suchen nach Themen, neuartigen Bildern und Sensationen. Dabei sind sie in der Lage, NGOs die Öffentlichkeit zu verschaffen, die diese fiir ihre öffentliche Mobilisierung und Ressourcenzuflüsse brauchen (FrantzlMartens 2006: 14). Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass NGOs in eine Abhängigkeit geraten oder an Authentizität verlieren: Beobachtet wird, dass manche NGOs ohne den "symbolischen Inszenierungszauber massenmedial gesteuerter Protestkampagnen" nicht mebr auskommen (Roth 2005: 117-118); medientaktische Themen und Aktionsformen balten Einzug, und die Gefahr einer Orientierung am Publikumsgeschmack besteht. So werden Medien gezielt dafiir eingesetzt, um Mitleid zu erzeugen und die Spendenbereitschaft zu erhöhen (Debiel 2005: 148). Diese Inszenierungen werden mit der Zeit immer spektakulärer und emotionaler (bis hin zu fingierten Szenen), da es NGOs in der Regel nur fiir kurze Zeit gelingt, das Interesse der Medien anf sich zu ziehen (Janet! 2000: 146).364 Wahl arbeitet am Beispiel von Greenpeace die drarnaturgischen Erfordemisse einer Aktion heraus: So wird der Eindruck erweckt, David kämpfe gegen Goliath, wenn Schlauchboote gegen Riesentanker antreten; selten agieren mebr als ein Dutzend Personen, um Chaos und eine Angst einflößende Menschenmasse zu umgehen. Die Kleidung der Aktivisten ist stets in Sympathlefarben gebalten (orange); die Protagonisten 364 FrantzlMartens nennen als Beispiel für unkonventionelle Methoden, die die Aufmerksamkeit der Medien wecken sollen, das Platzieren eines toten Wales vor der japanischen Botschaft in Berlin (FrantzlMartens 2006: 14).
280
werden fast ausschließlich von Männer gestellt, was den Anschein einer ,,nach militärischen Regeln operierendern] Gruppe" hervorruft. Die Aktionen strahlen auch noch im Protest Modernität, Ordnung und Sauberkeit aus und bieten eine Identifikationsmöglichkeit, die man aus der Ästhetik des Hollywoodfilms kenot; das Image des edlen Ritters, der sich kühn für andere einsetzt, überträgt Emotionen (Wahl 2000: 304). FrantzlMartens zitieren Brunoengräber mit einer Darstellung von Rollen, die die Sprecher einer NGO in den Medien einnelnnen könoen: SDrechertvuen Advokaten
HeWen Experten
Reorisentant als treuhänderischer Anwalt der Betroff.,.
nen als Stellvertreter des modialen Publikum als Delegierter einer Oroanisation
Medienzunne moralisch-ethische Begründung
Mittel Information, Projekte
Inszenierung von Protest
Aktionen, ,Schlagbilder· Studien, Gutacbten,
fachliche &pertise
..
policy paperB
Tab. 5: Sprechertypen emer NGO (Brunoengraber Zlt. m: FrantzlMartens 2006: 58)
7.3.4
Fazit: Die katholische Kirche als NGO und ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen NGOs
Wie NGOs ist die katholische Kirche auf nichtstaatliche Initiative aus der Zivilgesellschaft hervorgegangen und arbeitet gemeinnützig. Sie orientiert sich nicht nur an den Menschenrechten, sondern bestimmt diese sogar und gestaltet sie inhaltlich. [SPC 4: Politische und religiöse Weltanschauung, Werte] Dabei geht sie gewaltlos vor und nutzt ihre weltweite Infrastruktur. Sie strebt zwar nach politischer EinllussnaInne, akzeptiert aber den Staat und will staatliche Macht nicht übemelnnen. Sie setzt sich nicht nur für Katholiken ein, sondern für alle Menschen weltweit. [SPC 10: Auftreten der Regierung im Inland gegenüber Minderheiten und Bedürftigen; SPC 11: Humanitätsideal gesetzlicher Regelungen] Der Papst wird als Oberhaupt der katholischen Kirche durch eine Wahl bestimmt und steht dem Heiligen Stuhl vor; sein Amt ist als Identifikationsobjekt das Symbol für die katholische Kirche. In der katholischen Kirche selbst gibt es keine Dernokratie; auch die demokratische Legitimation für die Mitwirkung der katholischen Kirche an politischen Entscheidungen ist zuroindest nicht erschöpfend geklärt; ein Mangel an Transparenz bei Entscheidungen ist vorhanden. Die katholische Kirche stößt über Grenzen hinweg Debatten an, formt das 281
Bewusstsein der Menschen und gibt (über den herkömmlichen Zeithorizont365 hinaus) Orientierung. [SPC 32: Agenda-Setting, Priming, Framing; Präfereozen formen] Sie besitzt eioe hohe ethische und moralische Kompetenz; [SPC 34: Maßstäbe setzen] der Papst hat die Suprematie io der katholischen Theologie. [SPC 7: Wissenschaft und Technologie: Führungs- oder Vorreiterrolle] Die katholische Kirche bietet mit ihrem System aus Seelsorge und sozialen Leistungen Dienste an, die ihr Ansehen erhöhen. [SPC 35: Vorbild und Stellvertreterrolle] Ihre Mitarbeiter üben ihre Tätigkeit unter bisweilen extremen Bedingungen aus (wie bitterer Armut, io Bürgerkriegen, mit Schwerstkranken) oder werden io bestimmten Regionen sogar verfolgt. Die katholische Kirche unterhält weitere Organisationen, die eigenständige NGOs siod: Zu diesen UnterNGOs gehören z. B. Misereor, Caritas, Renovabis und Sant'Egidio. [SPC 25: Organisatorische Fähigkeiten] Bei den Gläubigen ist eioe hohe Motivation festzustellen, sich zu engagieren;"6 eio Ehrenamt io der katholischen Kirche ist praktizierte Nächstenliebe und eioe Annäherung an das Ideal des gottgefälligen Lebens. Die katholische Kirche ist io der Lage, Menschen zu mobilisieren und biodet sie an sich (z. B. durch das Gemeindeleben). [SPC 33: Mobilisierungsfähigkeit] Bei ihrem weltweiten Engagement steht auch sie vor der Herausforderung, die unterschiedlichen nationalen Rationalitäten und knltorellen Unterschiede berücksichtigen zu müssen: Die katholische Theologie und die katholische Sozialisation der Menschen (Initiationsriten, Messen, Religionsunterricht) bilden dabei jedoch eioe gemeinsame Basis, auf die sie sich beziehen kann. NGOs bündeln soziale Macht durch einen freiwilligen Zusammenschluss mit gemeiosamen Werten, Interessen und Zielen als Referenzpunkt; es findet eine freiwillige Verhaltenskoordinierung auf der Grundlage gemeiosamer Überzeugungen und Ziele statt. Auch die katholische Kirche synchronisiert iodividuelles Handeln auf der Basis gemeiosamer Überzeugungen und Werte (z. B. weltweite Spendenaktionen) (Maull 2000: 370, 379). [SPC 19: Homogenität der eigenen Bevölkerung] Auf Grund ihrer Erfahrung und geographischen Ausdehnung besitzt die katholische Kirche eioen Grad an ioterknltoreller Kompetenz wie kaum eine andere Institution. Ver!reter des Heiligen Stuhls reisen zu Konferenzorten, versuchen ihre Forderungen io den politischen Prozess eiozubringen und bedienen sich dabei des Rückgriffs auf Werte und Normen, die allgemeioe Geltung beanspruchen können. Da der Heilige Stuhl seit Jahrhunderten Teil der ioternationalen und transnationalen Beziehungen ist, bringt er die nötige Professionalität und eio 365 Mit einem. herkömmlichen Zeithorizont ist z. B. eine Legislaturperiode gemeint. 366 Dazu zählt nicht :m1etzt die Bereitschaft. Zeit und Ressourcen in den Glauben zu investieren.
282
angemessenes Auftreten mit. Staaten und internationale Organisationen nutzen die Hilfe der katholischen Kirche, wenn und solange sie sich Vorteile von ihrer Einbindung erhoffen. In Konflikten agiert sie schnell und sicher: Es wird unmittelbar gehandelt (s. Fallbeispiele); [SPC 14: Regierung als kooperativer Partner fiir Frieden, Sicherheit und Entwicklung] dabei ist sie diskret und schafl\ durch ihre lange Existenz Vertrauen. [SPC 17: Eigen- und Fremdwahrnehmung der Geschichte eines Landes] Sie muss sich davor hüten, vereinnahmt zu werden; ihre grundsätzliche Unabhängigkeit von Staat und Wirtschaft ist jedoch gegeben, was sie weniger anfällig fiir Kompromisszwänge macht. Die katholische Kirche wird zu einem Ausgangspunkt fiir Gegenmachtbildung bzw. zu einer Alternative zu Parteien und dem Staat;'67 wichtig ist hierfiir ihre Präsenz in der Gesellschaft und eine Unterstützung durch diese, da sie sonst an Einfluss verliert. Eine fortschreitende Säkularisierung oder ein Vertrauensverlust (z. B. durch die gegenwärtig diskutierten Missbrauchsfiille) schaden ihr in hohem Maße. Besteht bei NGOs die Gefahr, durch eine zunehmende Professionalisierung an Sympathien zu verlieren, so steht auch die katholische Kirche vor der Herausforderuog, durch die Zusammenleguog von Pfarreien und den Prlestermangel in Europa dem Vorwurfbegegoen zu müssen, sich nur noch der Verwaltung zu widmen, anstatt sich um das Seelenheil der Gläubigen zu kümmern. Die Erweiterung des Handlungsrepertoires geschieht auf Seiten der katholischen Kirche durch das Beten oder symbolische Aktionen wie dem Läuten von Kirchenglocken. [SPC 6: Implementierung von Symbolen und Zeichen] Das Selbstbild ihrer Mitarbeiter ist emotional aufgeladen und verhindert effektive Feedbackmechanismen; Intrigen, Mobbing, Karrieristen und ähnliche Probleme gibt es auch innerhalb der Römischen Kurie. 368 Die Medien spielen auch fiir die katholische Kirche eine bedeutende Rolle; sie machen ihre Meinung und Handlungen einem hreiten Publikum zugänglich. In den Medien tritt die katholische Kirche - nach dem Schema von Bruonengräber - als Advokat (Anwalt fiir die Menschenrechte) und Experte (fachliches Wissen über Moral, Ethik und katholischer Theologie) auf; Medien und katholische Kirche haben gemeinsame Themen und gemeinsame Interessen.'69
367 Eine Alternative zu Parteien wird sie vornehmlich in inhaltlichen Fragen; einen Reiz des Neuartigen oder die Geltung als politischer Hoffnungsträger hat sie dagegen wohl kaum. 368 Steinschulte äußert sich dazu wie folgt: ,,Hier arbeiten Menschen, keine Halbgötter, also ,menschelt' es auch hier, jedoch eher etwas weniger als anderswo; es gibt ein Milieu, einen Stil und Umgangsformen, die menschliche Schwächen mit Nachsicht übergehen, aber schweres Fehlverhalten nicht zulassen." (Interview Steinschulte 2010) 369 Für eine detaillierte Darstellung s. Kapitel 6.1.5.
283
Die katholische Kirche hat entscheidende Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen NGOs: So ist sie im Kräfteverhältnis mit den Medien in einer stärkeren Position als eine gewöhnliche NGO. Der Papst kann sich über einen Mangel an Interview-Anfragen nicht beklagen: Neben den eigenen kirchlichen Medien (L'Osservatore Romano, Radio Vatikan, Publikationen der einzelnen Bistümer) sind die beim Heiligen Stuhl akkreditierten Journalisten zu nennen. Dem Papst gelingt es (z. B. bei einem Auslandsaufenthalt) über Tage hinweg fiir die Medien interessant zu sein. Während er mit seinen Reisen und Ansprachen also selbständig Themen setzen kann, brauchen NGOs in der Regel einen Träger, dessen Attraktivität oder Aklualität sie sich zunutze machen können: So bedarf es (im Allgemeinen) z. B. einer Umweltkatastrophe, damit Umweltverbände um eine Stellungnalnne gebeten werden. Seit Johannes Paul 11. bemühen sich die Päpste zwar um eine eindrucksvolle Darbietung ihrer Auftritte, zu einer Orientierung am Publikumsgesclnnack kommt es jedoch nicht.37• Die katholische Kirche beschränk! sich nicht auf einzelne Themen oder Detailfragen, sondern nimmt fiir sich eine gewisse Allzuständigkeit in Anspruch. Sie muss sich auch nicht auf das Zeitfenster einer internationalen Kouferenz beschränken, um auf sich aufmerksam machen zu können; vielmehr kann sie selbst Kouferenzen einberufen. Bei internationalen Organisationen fällt ihr zudem der Zugang leichter als einer herkömmlichen NGO, denn der Heilige Stuhl hat - entweder als Leitungsgremium der katholischen Kirche oder wegen der Staatlichkeit des Vatikan - Mitgliedschaften oder einen Beobachterstatus. Der Heilige Stuhl besitzt mit den katholischen Gläubigen - trotz der zu beobachtenden Austrittswellen in Europa und der unterschiedlich ausgeprägten Einbindung der katholischen Kirche in die Zivilgesellschaften - eine relativ stabile Anhängerschaft;37l [SPC 39: Gesellschaft, einzelne Bürger und Migranten als Outside Partner] die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche besteht in der Regel qua Geburt; sie wird gleichsam vererbt. Durch die Zugehörigkeit breiter Bevölkerungsschichten zur katholischen Kirche sind die Ressourcenzuflüsse gesichert, bisweilen (wie in Deutschland) sogar institutionalisiert: Die fmanzielle Situation der katholischen Kirche ist nicht vergleichbar mit den beschränkten Möglichkeiten einer 370 Dass es dem Heiligen Stuhl nicht auf .choellen Beifall aokommt, zeigt die Kritik, die er auf Grund seiner Haltung zu bestimmten Themen immer wieder auf sich zieht. So hält Bene-
clikt XVI bei seiner Afrika-Reise im. März 2009 trotz großer Proteste an seiner Ablehnung von Kondomen zur Verhinderung der Ausbreitung von mv/AIDS fest, obwohl er zu diesem. Zeitpunkt durch die Aftäre um die Pius-Bruderschaft in der öffentlichen Meinung geschwächt erscheint. 371 Die !dentifikation mit einer Glaubensgemeinschaft dürfte ohoehin als bestllndiger aogesehen
werden als bspw. die Haltung zu einer umweltpolitischen Kontroverse.
284
NGO. Mit unterschiedlichen Mobilisierungskontexten und Spezialkenntnissen hat der Heilige Stuhl durch sein weltweites Netz aus Gemeinden und Nuntiaturen keine Schwierigkeit;372 förderlich wirkt sich auch hier die eine katholische Theologie und Sozialisation aus, die weltweit universal ist. Resümierend bestätigt sich These 2 der vorliegenden Arbeit: Die katholische Kirche erfiillt die allgemein gültigen Kriterien einer transnationalen NGO und tritt als solche auch auf. Die alltäglichen Fallstricke einer herkönnnlichen NGO sind ihr dagegen fremd. Sie verschafft sich über ihren Status als Völkerrechtssubjekt und die Staatlichkeit des Vatikan Aufmerksamkeit und Zutritt und baut dabei ihre Position als Religionsgemeinschaft kontinuierlich aus. 373 Andererseits emtet sie Sympathien und eine Identifikationsbereitschaft der Menschen, die Regierungen in der Regel uicht erhalten.'74 Aus dem für die internationalen und transnationalen Beziehungen eigentümlichen Gebilde aus Staat und NGO ergibt sich für den Heiligen Stuhl die Möglichkeit, je nach Bedarf entweder als gesellschaftlicher oder als staatlicher Akteur aufzutreten. Diese Zweigesichtigkeit scham Flexibilität und fiihrt dazu, die Vorteile beider Akteurstypen für sich nutzen zu können, während deren Nachteile umgangen werden.
372 Auch wenn eine gewisse Europalastigkeit nicht zu übersehen ist, wird durch die Internationalisierung der Römischen Kurie, die das Zweite Vatikanische Konzil einleitet. die Dominanz Italiens kontinuierlich abgebaut. 373 .,Die katholische Kirche kann durch ihre Präsenz vor Ort in der Tat als eine Art Nichtregierungsorganisation verstanden werden. die ihre Durchsetzungskraft dadurch erhöht, dass sie einen Staat hinter sich weiß." (Interview Vogt 2010) Dass die katholische Kirche ihre Position als Religionsgemeinschaft ausbaut, erklärt sich aus der naheliegenden Folgerung, dass detjenige, der Religionsfreiheit implementiert, dadurch auch zum dominierenden Akteur in der Religionsausübung wird. 374 Eine Ausnahme könnte der bisweilen emotionale Patriotismus der US-Amerikaner darstellen.
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A. Sommeregger, Soft Power und Religion, DOI 10.1007/978-3-531-94170-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
die Homogenität der Staatsbürger, was eine funktionale Differenzierung in den gesellschaftlichen Teilbereichen unwahrscheinlich werden lässt.'76 Auch in der katholischen Kirche ist die Stellung des Papstes unangefochten: Er ist weisungsbefugt gegenüber der Gesamtkirche; Bischöfe und Laien haben Gehorsam zu leisten. Die Organisation der katholischen Kirche ist auf den Papst ohne formale Kontrolle ausgerichtet (Rotte 2007: 129). Auch der Erhebung in den Bischofsstand gehen langwierige Prüfungen der Kandidaten vomus, so dass der Heilige Stuhl selbst darüber entscheidet, wer eine Leitungsfunktion in der katholischen Kirche übernimmt. Damit wird das Risiko ausgeschlossen, dass ein gleichsam unberechenbarer Kandidat durch Wählerwillen ins Amt kommt. Den Gläubigen wiederun3 witd mit der religiösen Unterweisung Folgsamkeit und Opferbereitschaft eingeübt; die individuelle Disposition, Autoritäten zu vertrauen, ist bei christlichen Konfessionen ohnehin hoch. Die Einbindung von Laien in Entscheidungen, die jenseits von Gottesdienstzeiten liegen, ist nicht vorgesehen, so dass insgesamt davon gesprochen werden kann, dass der Heilige Stuhl die Beflihigung zum Durchregieren besitzt. Das Konglomerat aus Vatikan und katholischer Kirche verschließt sich dem direkten Vergleich mit der Idee des idealen Staates in Platons Politeia, obwohl der dort beschriebene ebenso ein autokratischer Staat ist, der die Leistungen seiner Bürger ganz fiir sich vereiunabn3t. Die Verfassung der Politeia beruht - wie in> Vatikan und in der katholischen Kirche nach kanonischem Recht - auf einer Herrschsft der Besten bzw. des Besten. Die Parallelen zwischen dem Amt des Papstes und dem des Philosophenkönigs sind beachtlich: Dank ihrer besonderen Begabung und langen Ausbildungszeit377 vereinigen sie nach Priifungen und strenger Auswahl Weisheit und Macht in sich. Da keine verfassungsmäßige Beschränkung die Macht des Herrschers begrenzt, liegt alleine in der durch die Ausbildung erworbenen Einsicht das Wohl des Staates begriindet (Platon 2000: 563d-e, 565e, 569c). Platons Ablehnung der Demokratie, weil aus iht Anarchie und die Tyrannis folge, entdeckt man auch in einer Aussage von Joseph Kardinal Ratzinger in seiner Funktion als Vorsitzender der Glaubenskongregation: Volkssouveränität gebe es in der katholischen Kirche bzw. dem Vatikan nicht; dafiir existierten Organe, die die Aufgaben des Volkes kompetentet wahrnehmen würden, als das Volk dies je könnte. Aus der Bibel376 Die vatikanische Bevölkerung besteht zum Großteil aus Pricstern; sie haben sich gegen eine Familie und für den Dienst Gottes entschieden. Eine Rebellion hat in diesem. Kontext einen größeren Stellenwert, weil sie die realistische Gefahr birgt, alles (d. h. Existenzgrundlage, b.,. rufliche Karriere, Gemeinschaft) zu verlieren. 377 Bei Benedili XVL, der im. Alter von 78 Jahren zum Papst gewählt wird. dürfte man von einer fast 60jährigen Ausbildungszeit sprechen können.
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stelle "Wir sind das Volk Gottes" ließe sich nicht ein Wir bestimmen ableiten, so Kardinal Ratzinger. Zum Volk Gottes zu gehören, heiße, sich unterzuordnen, zu dienen und Entscheidungen (wie z. B. die Wahl des Herrschers) dem ,,heiligen Ursprung" zu überlassen (Ratzinger 2004: 199-203). Der Katechismus der Katholischen Kirche unterstreicht die Forderung nach Vertrauen auf eine höhere Instanz: ,,Der vom Herrn Gesandte spricht und handelt nicht in eigener Autorität, sondem kraft der Autorität Christi." (Katechismus der Katholischen Kirche 1993: 875) Die Herrschaft im Vatikan und in der katholischen Kirche verlangt Gehorsam und Gefolgschaft unter Berufung auf eine geschlossene Weltanschauung (ideologisch-religiöses Selbstverständnis).
8.2
Der komfortable Platz zwischen den Stühlen: Staat und NGO
Dem Heiligen Stohl gelingt die Quadratur des Kreises: Obwohl er einem Staat vorsteht, ohne den er wohl kaum in der dargestellten Intensität handlungsfähig wäre, positioniert er sich als nichtstaatliche Organisation. Dies beginnt auf nationaler Ebene damit, dass die katholische Kirche als ein gesellschaftlicher Akteur neben Gewerkschaften oder Verbänden auftritt und fiihrt auf internationaler Ebene zu dem Engagement des Heiligen Stohls in der UNO: Die Staatlichkeit des Vatikan beschert dem Heiligen Stohl den formellen Beobachterstatus, sein Auftreten ist aber das einer Religionsgemeinschaft (während anderen Religionsgemeinschaften dieser Zugang verwehrt bleibt). Zu einer ähnlichen Doppelgleisigkeit kommt es bei den päpstlichen Reisen: Sie sind stets als Apostolische Reisen deklariert, und der Papst besucht Staaten als Pilger seiner Religionsgemeinschaft; er wird aber wie ein Staatsgast empfangen: Dafiir sprechen die protokollarischen Ehren, die iIun entgegengebracht werden (Begriißung und Verabschiedung durch die Staatsspitze), und nicht zuletzt die Darstellungsweise seines Besuches in den Medien (HepplKrönert 2009: 155, 159). Seine Öffentlichkeit und Symbolträchtigkeit lässt das Pastorale in den Hintergrund treten: So werden Treffen mit ausgewählten Oppositionsgruppen zu einer politischen Aussage oder der Besuch z. B. Kubas zu einem Aufruf; die dortige Bevölkerung von der Not zu befreien, die das Embargo verursacht. Der Papst agiert vor Ort durch politische Malmungen, die in religiöser Sprache verpackt sind, oder durch das Sichtbarmachen von Missständen; wie bei herkömmlichen NGOs spielen die Medien dabei eine zentrale Rolle. Abgesehen davon, dass der Heilige Stuhl vielfach bewusst offen lässt, ob der Papst als Staatsoberhaupt oder religiöses Oberhaupt auftritt, kann die folgende Analogie dabei helfen, die Vermischung beider Funktionen zu erklären: Nachdem ein 288
Mitglied der italienischen Regierung im Sommer 2003 mit abfälligen Bemerkungen über deutsche Urlauber auf sich aufmerksam macht, entscheidet sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, seinen alljährlichen Italienurlaub in Hannover stattfinden zu lassen. Prompt wird die private Urlaubsplanung der Familie Schröder über mehrere Tage zum Gegenstand in den Medien mit politischer Bedentung (Nutt 2003: 9). Dieses fast schon banale Beispiel zeigt, dass ab einem bestimmten Grad von Öffentlichkeit des Amtes die Privatsphäre nicht mehr privat ist. Dieses vergleichbare Phänomen ist nun auch bei dem Inhaber des Papstamtes zu beobachten: Die Frage, ob er aus pastoralen oder politischen Motiven reist, tritt durch seine Öffentlichkeit in den Hintergruod: Die religiöse Mission wird auf Grund der ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeit zu einer politischen. Hinzu tritt die Projektion des Übermenschlichen auf den Papst, der als messianische Gestalt zwischen dem Heiligen und dem Irdischen steht; ihn umgibt der Nimbus des Eigentlich-nicht-von-dieser-WeltSeienden. Wie Kapitel 7.3 zeigt, ist es daher insgesamt folgerichtig, den Heiligen Stahl als den einzigen Akteur in den internationalen und transnationalen Beziehungen zu bezeichnen, der zugleich einem Staat und einer NGO vorsteht und von den Vorteilen beider Akteurstypen profitieren kann. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird auch deutlich, dass katholische Kirche, Vatikao und Papst bzw. Heiliger Stahl als eine Entität wahrgenommen und - vor allem - behandelt werden. Da der Heilige Stahl seit dem 19. Jahrhundert auf militärische und wirtschaftliche Stärke verzichten muss und durch die Lateranverträge zu außenpolitischer Neutralität verpflichtet ist (Schwarz 2007: 555), stellt sich die Frage, wie er diese Beschränkungen kompensiert: Zunächst ist davon auszugehen, dass durch den Mangel an harter Macht Vertrauen bei seiner Umwelt entsteht, da er keine eigenen Interessen im herkömmlichen Sinne hat. Weil er sich fiir das Wohl aller Menschen (vor allem von Schwachen und Hilfsbedürftigen) einsetzt, kann er sich als moralische Autorität auf das Gewissen der Menschen beziehen und ist in der Gesellschaft veraokert. Er macht aus seiner Not gleichsam eine Tugend, indem er in der Verfolgung seiner Ziele gruodsätzlich gewaltlos vorgeht und konsequent auf eine Diplomatie mit friedlichen Mittelo setzt, wofiir er Respekt erntet (Rubin 1994: 31). Darüber hinaus kann er sich seit dem Verlust des Kirchenstaates auf seine originären Aufgaben, dem geistlichen und moralischen Engagement, konzentrieren (Schwarz 2007: 555). Der Heilige Stahl bildet symbolisch Macht aus durch die Repräsentation der Person Jesu Christi, durch die Herstellung der Verbindung zum Göttlichen, das Segnen (Frieden bringen)
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sowie durch seine höfische Inszenierung und den Eiosatz für die gesamte Menschheit. Die mitunter lange Amtszeit des Papstes, der Kurienmitglieder und des diplomatischen Personals führt dazu, dass es keioe grundsätzlichen Brüche gibt: Mit der Auswahl der Kardinäle bestinunt der Papst den Kurs der katholischen Kirche auch für die Zeit nach seinem Pontifikat. Die päpstliche Politik ist langfristig ausgelegt und entzieht sich der hektischen Suche nach Antworten für den politischen Augenblick. Zahlreiche Autoren sehen den Heiligen Stuhl überdies ioternational gut aufgestellt, weil er seit jeher in globalen Kategorien denkt und arbeitet, während herkömmliche Staaten eioen Verlust im Bereich ibrer Souveränität feststellen müssen (Matlary 2001: 84; Kallscheuer 2010: 44);378 der Heilige Stuhl ist prädestiniert dafür, globale Fmgen zu beantworten und globale Prozesse zu begleiten. Die katholische Kirche ist durch ihr Gemeiodenetz (oder durch ihre kircheneigenen NGOs) nahezu immer und überall auf der Welt vertreten. Vallier stellt bereits Anfang der 1970er Jabre fest, dass der Heilige Stuhl (im Vergleich zum Zeitpunkt als Kirchenstaat) nun zwar abhängiger von seinem Prestige und Einfluss ist, den er als spiritueller und moralischer Führer generiert, weil die gegenseitige Stützung von Staat und Kirche aus früherer Zeit weggefallen ist und sich viele Staaten von dem Einfluss der Kirche befreit haben; nun könne er aber leichter grenzüberschreitend arbeiten als früher (Vallier 1972: 148-149). JosselinlWailace benennen als Faktoren, die NonState-Actors stark machen, eioe hohe Anzahl von Mitgliedern oder Unterstützern, Reputation und Fachwissen, finanzielle Stärke, die Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, Zugänge zu ioternationalen Organisationen und nationalen Regierungen sowie moralische Autorität (im Bereich der Menschenrechte und Demokratie) (Josselin/Wallace 2001: 253). Die katholische Kirche erfüllt sämtliche von den Autoren aufgestellten Kriterien. Eio weiterer Aspekt, durch den der Heilige Stuhl den Verlust seioer Hard Power ausgleicht, ist der Eiofluss, den er durch seine ideologische Begleitung hat: Der pastorale Auftrag der katholischen Kirche bezieht sich auf das menschliche Zusammenleben, und da
378 Im. Original heißt es bei Matlary: ..States are pressured to justify their foreign and domestic policies not just in terms of interest but ratb.er justice. Governments unwilling to submit to this scrutiny frequently invoke the narm. of non-intervention. A growing body of scholarship that suggests that, since the end of the Cold War, this is indeed happening: sovereignty is increasingly circumscribed and the principle of non-intervention in the classical sense is under siege. The Haly See is uniquely positioned to mak.e use of this development, since it was never defined by the Westphalian state system and its notion of absolute territorial sovereignty. The ascendancy of human rights over the norm. of absolute state sovereignty is in complete accord with its world-view." (Matlary 2001: 84)
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es auch in den internationalen und transnationalen Beziehungen immer um eine soziale Interaktion geht, erwächst daraus für den Heiligen Stuhl eine ,,A1lzuständigkeit" für seine Leitlinien und Stellungnahmen (Rotte 2007: 130). Diesen geistigen Beitrag verbindet er mit einem operativen Einsatz im Rahmen seiner Infrastruktur durch das Gemeindenetz. Die vorliegende Arbeit zeigt wiederholt, wie wichtig die organisatorischen Fähigkeiten des Heiligen Stuhls sind: Die katholische Kirche ist die einzige Religionsgemeinschaft mit staatlichen Strukturen.
8.3
Egalität und Neutralität
Der Heilige Stuhl kann anklagen, appellieren, zur Versöhnung beitragen und Feindbilder abbauen. Dennoch ist sein politischer Einfluss begrenzt; er kann sich in der Regel nur in einem Bündnis mit politischen, gesellschaftlichen oder religiösen Kräften durchsetzen. Im Lauf der Untersuchung wird deutlich, dass er immer wieder als kooperativer Partner für Frieden, Sicherheit und Entwicklung geschätzt wird, weil er zunächst jeden Verhandlungspartner als gleichwürdig betrachtet und auf Grund seiner Neutralität mit nahezu jedem Staat zusammenarbeiten kann: So macht Pius XI. 1949 die Exkommunikation der Kommunisten rückgängig, und Johannes xxm. lädt sie zum Dialog ein, wodurch der Zusammenarbeit mit den Ländern des früheren Ostblocks der Weg geebnet wird (RingEifel 2004: 129). Johannes PanI Ir. kritisiert nicht nur Fidel Castro, indern er ihm dessen eigenen Anspruch vorhält, sondern im gleichen Atemzug auch die USA für ihre Embargopolitik; auf der UN-Konferenz in Kairo geht er sogar eine Allianz mit fundamentalistischen Staaten ein. Neutralität und Unabhängigkeit sind die bestimmenden Momente im Verhaltensmuster des Heiligen Stuhls. Er wird dafür respektiert, dass er sich nicht nur für Katholiken einsetzt, sondern für alle Menschen; er kämpft auch für die Freiheit anderer Religionsgemeinschaften: Unmissverständlich kritisiert Johannes PanI II. polemische Äußerongen europäischer Politiker über den Islam (Ferrari 2004: 83) und bekondet seinen Respekt gegenüber dem "authentischen Islam".379 Auch wenn eine Allianz zwischen Religionsgemeinschaften schwierig
379 Johannes Paul 11. während seiner Reise nach Armenien und Kasachstan vom 22. bis 27. September 2001 (Kopp 2001: 555). Watzai weist daraufhin, dass die Religionsgemeinschaften durch die Politisierung ihrer Glaubensinhalte erheblichen Schaden nehmen (Watzai 2005: 2).
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und nur in einem begrenzten thematischen Rahmen möglich ist,'"· steht der Heilige Stuhl jedem Dialog offen gegenüber. Kein religiöses Oberhaupt unterhält ein so umfassendes und regelmäßiges Netz aus interreligiösen Kontakten wie der Papst, was sich nach Ring-Eifel auch politisch bezahlt macht (RingEife12004: 33). Der Heilige Stuhl hat in den internationalen und transnationalen Beziehungen eine Sonderrolle und erflihrt von seiner Umwelt eine durch Tradition legitimierte Privilegierung. Augenscheinlich ist es fiir Staats- und Regierungschefs von Ländern, in denen die katholische Kirche stark ist oder geschätzt wird, von großem Reiz, sich mit dem Glanz des Papsttums zu schmücken. Es scheint fast, als erhöhten sie sich selbst, wenn sie sich unter den moralischen Einfluss des Papstes stellen; das päpstliche Ansehen als moralische Instanz kann sich auch auf andere übertragen (Rotte 2007: 130).'81 Der Respekt gegenüber dem Papst ist aber letzt1ich auch ein Ausdruck des Respekts gegenüber den Katholiken im eigenen Land. Die weltweit verstreuten Gläubigen der katholischen Kirche bilden eine soziologische Größe, die - nicht zuletzt bei einer Wahl - zu einer Kraft werden kann.'82 In diesem Sinne sprechen manche Autoren wiederholt von einer Weltmacht Vatikan bzw. Weltmacht katholische Kirche. Für die Weltherrschaft eines Staates müssen nach Schwarzenberger drei Bediugungen erfiillt sein: eine Machtüberlegeuheit (vor allem in militärischer Hinsicht), eine Ideologie, die Kraft und Selbstvertrauen zur Erfiillung der Weltmission gibt (Werte und Ideale, die nicht nur fiir die eigene Bevölkerung identifikationsfordernd sind, sondern auch fiir fremde Bevölkerungen) sowie verwaltongstechnisehe und organisatorische Fähigkeiten, um das Reich begriinden und behaupten zu können (Schwarzenberger 1955: 120-121). Die vorliegende Arbeit zeigt, dass der Heilige Stuhl mit seiner katholischen Theologie (und der sich daraus ableitenden christlichen Sozialethik) sowie mit seiner weltweiten Organisation und Infrastruktur bis auf die Ebene von Gemeinden das zweite und dritte Kriterium nach Schwarzenberger erfiillt. Eine Machtüberlegenheit (erstes Kriterium) ist 380 Der Universalitätsanspru.ch der katholischen Kirche (es gebe nur einen Christus. also könne es auch nur eine Braut und in dieser Folge nur eine wahre Kirche geben) beschränkt die Kooperationsliihigkeit und sorgt (z. B. in der protestantischen Kirche) liir Unverständnis (Vallier 1972: 145; Rotte 2007: 108).
381 Lyndon B. Johnson z. B. war es wichtig, von der Weltöffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung als ein Staatsmann wahrgenommen zu werden, der nach ethischen Prinzipien entscheidet. Zur Umsetzung bemühte er sich uro ein gutes Verhältnis zuro Papst (Ring·Eifel 2004: 152153). 382 Benedikt XVI antwortet in einem Interview auf die Frage, wie der Heilige Stuhl Einfluss auf
die Kriegsparteien im israelisch-libanesischen Krieg nehmen könnte, dass man alle Christen und moralischen Kräfte mobilisieren müsse (Benedik.t XVI. 2006b).
292
dagegen nur themenspezifisch zu beobachten (z. B. in der Beantwortung ethischer und moralischer Fragen).
8.4
Die katholische Kirche als Leerstelle des bürgerlichen Lebens
Etwas Vergleichbares wie die katholische Kirche gibt es unter den Religionsgemeinschaften kein zweites Mal:'" Sie festigt über Jahrhunderte die Ideologie von Großreichen (wie der Habsburger und Spanier) und schützt die Kulturen von Staaten (wie in Polen oder Irland) (Kallscheuer 20\0: 45). Als die dafiir notwendigen Eigenschaften arbeitet die Untersuchung ihre Mobilisierungsfähigkeit sowie ihre politische und religiöse Weltanschauung und Werte heraus. Die Voraussetzung zur politischen Einflussnahme ist ihre Verankerung in der Gesellschaft: Zwar ist sie im Leben der Menschen sicher unterschiedlich ausgeprägt, dennoch dürfte sie durch kirchliche Feiertage und Symbole, Gotteshäuser im Stadtbild oder die Schaffung neuer Rituale (Weltgebetstreffen in Assisi, Welijugendtage) groß sein. Erst durch die Präsenz der katholischen Kirche in der Gesellschaft hat die Einmischung des Heiligen Stuhls Einfluss auf die öffentliche Meinung und kaun durch seine Fähigkeit, die Weltpresse zu erreichen, noch einmal gesteigert werden."4 Aber auch die Gläubigen haben einen bedeutenden Anteil an der gesellschaftlichen Verankerung der katholischen Kirche: Durch ihr Engagement wird das Christliche in Politik und Gesellschaft getragen (Uertz 2005: 15). Der Heilige Stuhl hat fiir die katholische Kirche eine Universalität erreicht, die nicht hoch genug bewertet werden kaun: Seit Benedikt XV. (1914-1922) gilt ein fiir die gesamte Kirche einheitliches, schriftlich fixiertes Recht. Weltweit gibt es in der katholischen Kirche ein Verständnis von zentralen Werlen wie Gerechtigkeit und Nächstenliebe.'" Im Gegensatz zu anderen Religionsgemein383 So ist z. B. der Dalai Lama eher mit dem Papst um 1870 zu vergleichen (Kallscheuer 2010: 4445). 384 Accattoli stellt hierzu fest: "Inzwischen ist er [sc. Johannes Paul 11.] ja weit mehr als der Oberste seiner Milliardengemeinde; er ist zu einer Weltinstitution geworden, für die einen als lebendes Wunder, für die anderen als Superstar unter den Superstars. Die Medien, auch die im d"",h und d"",h kommerzialisierten Amerika, verschwenden geradezu ihre Sendezeit auf ihn, als sei er ein Außerirdischer. Er polarisiert, wird bejubelt und verteufelt, manchmal in kurzem. Abstand von derselben Person. Selbst sein Schweigen hat Gewicht." (Accattoli 200S: 292) 385 Bei der Ausbildung dieser Universalität spielen die Medien sicher keine unerhebliche Rolle: Die weltweite Öffentlichkeit verhindert z. B., dass Bischöfe (wie noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika) unbeobachtet ein autoritäres Regime unterstützen kön· nen; ihr Handeln wird nun vergleichbar mit dem von Bischöfen anderer Länder.
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schaften hat die katholische KITche ein einheitliches Auftreten und eine Gesamtorgaoisation."6 Das religiöse Fundament dient der ideellen Selbstverständigung, die die Menschen stärkt und ihren Wunsch nach Gemeinschaft erfiillt. 387 In diesem Zusammenhang darf der Anspruch auf die Unfehlbarkeit des Papstes nicht unberückaichtigt bleiben: Die Gläubigen fiihlen sich mit dem Papst verbunden;'" er transportiert symbolisch die Wahrheit (Kallscheuer 2005: 11). Nach der christlichen Ethik ist das Gewissen das Eiufallstor des göttlichen Willens. Die katholische Kirche appelliert nicht nur an das Gewissen, sondern bildet es auch aus (auf der Gruodlage der Offenbarung); sie gibt eine Anleitong und Hilfestellung zur Orientierung (Interview 2). Während es als gleichsam moralisch unbedenklich gilt, bei der Rechtmäßigkeit der eigenen Vorteilssicherung gegenüber dem Staat (sei es bei der Steuererklärung oder der Einhaltong von Gesetzen) ein Auge zuzudrücken, fordert die katholische Kirche die Menschen dazu auf, mit Hilfe ihres Gewissens vor sich selbst Rechenschaft abzulegen; damit besetzt sie eine Leerstelle des bürgerlichen Lebens, was als die dritte zentrale These dieser Dissertation formuliert wurde: Sie schützt personale Identitäten, nimmt sich des Seelenheils der Menschen an und beantwortet die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Heilige Stohl implementiert mit seinem Regelkatalog gleichsam die von Schattschneider in Kapitel 4 zitierte ,,mobilization ofbias". Die Verfasstheit von Vatikan und katholischer KITche sowie seine nahezu uneingeschränkte Unabhängigkeit unterstützen ihn dabei, glaubhaft und authentisch als moralische Instanz der Welt auftreten zu können. Der Heilige Stohlleitet den einzigen Staat der Welt, der Menschenrechtspolitik zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat: Als moralische Macht ist er in der Lage, das Ansehen von Personen zu erhöhen 386 So liegen z. B. die orthodoxen Kirchen in ihren dogmatischen Standpunkten weit auseinander, und im Fall der anglikanischen Kirche ist der Wirlz233&cHa sh~ba28af603efa696027dI5Ib3fl)499bf3 (Zugriff: 03.11.2010). Deutsche Bischofskonferenz (2009): Aufruf der deutschen Bischöfe zur Bundestag~ahl am 27. September 2009, unter: http://www.bistum-regensburg.deldownloadiborMediaI053905.PDF (Zugriff: 07.01.2011). Deutsche Bischofskonferenz (20IOa): Über uns, unter: http://www.dbk.delueber-uns.h1m1 (Zugriff: 28.04.2010). Deutsche Bischofskonferenz (2010b): Katholisches Büro in Berlin, unter: http://www.dbk.de1 katholisches-buero-berlin.h1m1 (Zugriff: 26.02.2010). Deutsche Bischofskonferenz (201Oe): ComECE, unter: http://www.dbk.delcomece.h1m1 (Zugriff: 28.04.2010). Deutsche Bischofskonferenz (2010d): Hilfswerke, unter: http://www.dbk.delhilfswerke.h1m1 (Zugriff: 08.04.2010). Dierkesmann, Rainer (Hg.) (2003): Das große Lexikon der Symbole, Leipzig: E. A. Seemann. Dierse, Ulrich (1992): Religion, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bel. 8, Darmstadt: Wissenschaftliche BunhgeseUschaft, 632-633. Donnelly, Doris (2008): Soft Power and Hope. Mary Ann Glendon on the art of diplomacy, in: America (24.11.2008), unter: http://www.americamagazine.org/contenVarticle.c1in?article_id - 11233 (Zugriff: 29.08.2010). Drobinski, MatthiaslKohl, Christiane (2003): Der Papst ist tief enttäuscht, in: Süddeutsche Zeitung (21.03.2003),8. Drobinski, Mat1hias (2005): Der Papst der kleinen Überraschungen, in: Süddeutsche Zeitung (29.09.2005),4. Englisch, An.dreas (2003a): Die geheime Diplomatie des Vatikans, in: Hamburger Abendblatt (06.01.2003), o. S. Englisch, An.dreas (2003b): Die Mächtigen suchen seinen Rat, in: Hamburger Abendblatt (24.02.2003), o. S. Entman. Robert M. (2001): Representations in Mass Media, in: Smelser, Neil J./Baltes, Paul B. (Hg.): loternatiooal Eocyclopedis of 1he Socia! & Behavioral Sciences, Oaford et a!.: Elsevier, 9363-9368. Facius, Gernot (2003): Bischöfe warnen Bush vor .. gefährlichem Spiel", in: Die Welt (12.03.2003), 2. Finding America 's Voice: A Strategy fOT ReiTrvigorating U.S. Public Diplomacy. Report of an Independent Task Force Sponsored by the Council on Foreign Relations. Chair: Peter G. Peterson, abgedr. in: JägerlHöselOppermaon (2005): 449-465. Fischer, Heinz-Joachim (2003a): Die differenzierte Position des Vatikans, in: Frankfurter Allge-
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