Chemische Technik/ Verfahrenstechnik
Daniel S. Christen
Praxiswissen der chemischen Verfahrenstechnik Handbuch für Chemiker und Verfahrensingenieure
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Prof. Dr. Daniel S. Christen Berner Fachhochschule Hochschule für Technik und Informatik Pestalozzistr. 20 3400 Burgdorf Switzerland
[email protected] isbn 3-540-40322-1 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über aufrufbar
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Vorwort
Es existieren ja schon einige Bücher auf dem Gebiet der chemischen Verfahrenstechnik. Warum soll noch ein neues dazukommen? Die bisher veröffentlichten Bücher bieten zum Teil gute Kurzübersichten zum Thema oder bestechen durch tolle Abbildungen, dafür verzichten sie auf einfachste Erklärungen und Berechnungen. Andere Bücher wiederum sind äußerst umfangreich und verwirren mit komplexen mathematischen Herleitungen oder für den Praktiker unnötigen historischen Ausflügen. Im Gespräch mit Studenten, Technikern, Ingenieuren und Chemikern manifestierte sich immer wieder das Verlangen nach einem Buch, welches das Thema knapp aber doch erschöpfend darzustellen vermag, welches Verständnis weckt, welches zielgerichtete Ratschläge gibt und die Plausibilität von Annahmen und Resultaten durch unkomplizierte Berechnungen zu überprüfen erlaubt. Viel Wissen steht heute im Internet und kann zügig heruntergeladen werden. Informationen lassen sich auch von Apparateherstellern, Anlagebauern, Ingenieurbüros oder anderen Anwendern beziehen. Doch wer täglich in Forschung, Entwicklung oder Produktion tätig ist, weiß wie viel Zeit ein solches Vorgehen erfordert und dass die erhaltenen Auskünfte nicht immer als zuverlässig zu erachten sind. Wie wertvoll ist da ein eigenes Nachschlagewerk, in dem man in Minutenschnelle zu den relevanten Informationen vorstößt und bei Bedarf auch gleich die physikalischchemischen Grundlagen nachschlagen kann? Das vorliegende Buch stellt das Wissen der chemischen Verfahrenstechnik in umfassender und zusammenhängender Form dar. Formeln und Symbole werden einheitlich und gemäß den neusten Normen verwendet. Die Herleitungen erfolgen didaktisch aufbauend von den Grundlagen bis zu den Anwendungen, von der Forschung im Labor bis zur Herstellung im großtechnischen Maßstab. Das Buch richtet sich an den versierten und an Zusammenhängen interessierten Leser, der die Prozesse der chemischen Verfahrenstechnik ursächlich verstehen möchte. Es richtet sich genauso gut auch an den Praktiker, der in Kenntnis der Hintergründe ein Verfahren zu optimieren versucht. Es richtet sich an all diejenigen, die sich mit Freude und Begeisterung mit der faszinierenden Welt der Chemie, der chemi-
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Vorwort
schen Produktion und des chemischen Apparatebaus auseinanderzusetzen gedenken. „Errare humanum est“, Irren ist menschlich! Das Buch erscheint in seiner ersten Auflage. Die Niederschrift erfolgte nach bestem Wissen und Gewissen. Trotzdem können sich Fehler eingeschlichen haben oder gewisse Sachverhalte missverständlich dargestellt sein. Sollte dies vorkommen, möchte ich mich dafür entschuldigen. Für Verbesserungshinweise bin ich immer dankbar. Für Irrtümer und Schäden, die als Folge des Gebrauchs dieses Buchs entstehen, kann ich aber keine Haftung irgendwelcher Art übernehmen. Die mit diesem Buch erhaltenen Resultate sind stets hinsichtlich ihrer Plausibilität kritisch zu überprüfen, mit Fachleuten zu besprechen und bei Bedarf im Experiment zu bestätigen. Die Versuche sind unter geeigneten Bedingungen durchzuführen, die auch ein extremes, unerwartetes Verhalten aufzuzeigen in der Lage sind. Die zuverlässigsten Grundlagen ergeben sich aus Experimenten in Zusammenwirkung mit fundiertem wissenschaftlichen Verständnis. Noch sind nicht alle Einheitsoperationen der chemischen Verfahrenstechnik in diesem Buch beschrieben. Das soll in späteren Auflagen nachgeholt werden. Der Schwerpunkt dieser ersten Auflage liegt auf der korrekten und weit reichenden Darstellung der Grundlagen der chemischen Verfahrenstechnik. An der Illustration des Buchs haben verschiedene Personen mit geholfen, denen ich allen danke. Besonders hervorheben möchte ich die Leistungen von Herrn Daniel Leuenberger, Chemiker FH, für das Zeichnen der meisten der z.T. komplexen Abbildungen, was er mit viel technischem Sachverstand ausführte. Meinen Familienangehörigen und Freunden danke ich für ihr Verständnis, dass ich einen großen Teil meiner Freizeit dem Verfassen dieses Buchs gewidmet habe. Viel Vergnügen beim Lesen und erfolgreiches Gelingen bei der Anwendung des erworbenen Wissens wünscht Ihnen
Bern, im Juni 2004
Daniel Siegfried Christen
Aufbau des Buches
Das vorliegende Buch gliedert sich in vier Teile, wobei jeder Teil für sich einen wesentlichen Teilbereich der chemischen Verfahrenstechnik abdeckt. Der Inhalt der vier Teile sei hier anhand der wichtigsten Kapitel kurz vorgestellt. Teil I: Chemische und verfahrenstechnische Grundlagen Einführung, Projektierung, Werkstoffe, Reaktionstechnik Teil II: Submikroskopische Ausgleichsvorgänge Strömungslehre, Wärmeübertragung, Stofftransport Teil III: Grundoperationen der chemischen Verfahrenstechnik Mischen/ Rühren, Sedimentieren, Verdampfen, Kondensieren, Destillieren, Rektifizieren, Trocknen Teil IV: Regelungstechnik Steuerung und Regelung, Reglertypen, Regelgüte, Einstellregeln für industrielle Regler, komplexe Regelsysteme, Prozessleittechnik Teil I liefert die Grundlagen der chemischen Verfahrenstechnik. Im Kapitel „Einführung“ wird die einheitliche Verwendung von Symbolen und Maßeinheiten entsprechend den neusten Richtlinien und Normen vorgestellt. Dazu gibt es Adresshinweise auf Fachorganisationen, bei denen weitergehende Informationen und Unterlagen angefordert werden können. Das Kapitel „Projektierung“ beschreibt das Vorgehen zur folgerichtigen Umsetzung von Laborprozessen in den großtechnischen Maßstab. Dabei stehen Projektabläufe und die Projektorganisation im Vordergrund. Das Kapitel „Werkstoffe“ befasst sich mit Korrosion und Verschleiß sowie mit dem Ziel, einen für den Prozess geeigneten, Chemikalien beständigen Werkstoff auswählen zu können. Das Kapitel „Reaktionstechnik“ vergleicht verschiedene Reaktortypen und liefert Methoden zur Berechnung von Umsatz und Ausbeute.
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Aufbau des Buches
Teil II befasst sich ausschließlich mit submikroskopischen Ausgleichsvorgängen, die allesamt auf der Bewegung von kleinen Teilchen beruhen. Wenn sich einzelne Atome, Moleküle oder ganze Molekülpakete gegeneinander verschieben, so entsteht Reibung zwischen den Teilchen. Mit den Teilchen selbst werden Wärme und Stoff verschoben. Insgesamt entstehen so Impuls-, Wärme- und Stofftransporte, die darauf ausgerichtet sind, örtliche Unterschiede in Strömungsgeschwindigkeit, Temperatur und Konzentration auszugleichen. Das Kapitel „Strömungslehre“ liefert Methoden zur Berechnung von Druckabfall und Impulskräften in Rohrleitungen und Fallfilmen. Im Unterkapitel „Rheologie“ werden nicht Newton’sche, zähfließende Medien behandelt. Das Kapitel „Wärmeübertragung“ liefert Methoden zur Berechnung von Wärmeflüssen, wie sie in Wärmeübertragern oder in Rührkesseln ablaufen. Das Kapitel „Stofftransport“ befasst sich mit dem Ausgleich von Konzentrationsunterschieden. Ein abschließendes Unterkapitel führt die Strömungslehre, die Wärmeübertragung und den Stofftransport auf gemeinsame physikalische Ursachen zurück. Teil III geht auf die Grundoperationen der chemischen Verfahrenstechnik ein. Chemische Grundoperationen sind Prozesse, bei denen eine Stoffumwandlung nach technisch einheitlichem Muster erfolgt. Man unterscheidet zwischen mechanischen und thermischen Grundoperationen je nachdem, auf welchen Prinzipien die stoffliche Veränderung beruht. Mechanische Grundoperationen beschreiben z.B. die Kapitel „Mischen/ Rühren“ oder „Sedimentieren“. Thermische Grundoperationen beschreiben z.B. die Kapitel „Verdampfen“, „Kondensieren“, „Trocknen“, „Destillieren“ oder „Rektifizieren“. Teil IV beinhaltet die Regelungstechnik, wie sie zur Prozessautomation eines modernen chemischen Verfahrens benötigt wird. Der Teil beginnt mit einer Einführung in die Grundlagen der Regelungstechnik und umfasst Kapitel wie „Steuerung und Regelung“, „Reglertypen“, „Regelgütekriterien“, „Einstellregeln für industrielle Regler“ und „Komplexe Regelsysteme“. Das letzte Kapitel „Prozessleittechnik“ beschreibt die Funktion zeitgemäßer Automations- und Überwachungssysteme und gibt Sicherheitshinweise zur Führung Computer gesteuerter Anlagen. Das Buch enthält viele Abbildungen, Formeln und Tabellen, die eine überschlagsmäßige Abschätzung von Prozessen und Verfahren ermöglichen. Am Ende eines jeden Kapitels sind Testfragen und Aufgabenstellungen aus der Praxis angefügt, um das persönlich erworbene Fachwissen zu überprüfen und zu festigen. Die Lösungen sind am Ende der jeweiligen Buchteile separat aufgeführt. Ein ausführliches Sachverzeichnis am Ende des Buchs erlaubt ein schnelles Auffinden von relevanten Textstellen.
Inhalt
Teil I Grundlagen....................................................................................... 1 1 Einführung .............................................................................................. 3 1.1 Definitionen ...................................................................................... 3 1.2 Fachorganisationen ........................................................................... 8 Europa............................................................................................... 8 Deutschland ...................................................................................... 9 Schweiz........................................................................................... 10 Österreich ....................................................................................... 10 1.3 Maßeinheiten .................................................................................. 11 1.4 Fragen aus der Praxis...................................................................... 18 1.5 Literatur .......................................................................................... 18 2 Projektierung ........................................................................................ 21 2.1 Maßstabsvergrößerung ................................................................... 21 Ähnlichkeiten ................................................................................. 21 Scale-Up Methoden ........................................................................ 24 Dimensionslose Kenngrößen .......................................................... 26 Buckingham Π-Theorem ................................................................ 30 2.2 Planung von Chemieanlagen .......................................................... 33 Blockschema................................................................................... 34 Verfahrensfließbild......................................................................... 34 RI-Schema ...................................................................................... 36 Anlagenmodell................................................................................ 38 Rohrleitungsmodell ........................................................................ 38 CAD-3D-Grafik.............................................................................. 39 Isometrische Zeichnung.................................................................. 40 2.3 Projektmanagement ........................................................................ 41 Projektphasen ................................................................................. 41 Projektorganisation......................................................................... 46
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Inhalt
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung ......................................................... 49 Balkendiagramme........................................................................... 50 Netzplandiagramme........................................................................ 51 Zuordnung von Ressourcen ............................................................ 56 2.5 Fragen aus der Praxis...................................................................... 57 2.6 Literatur .......................................................................................... 58 3 Werkstoffe ............................................................................................. 59 3.1 Mechanische Eigenschaften............................................................ 59 Festigkeit ........................................................................................ 59 Kerbschlagzähigkeit ....................................................................... 65 Härte ............................................................................................... 66 3.2 Korrosion ........................................................................................ 71 Definitionen.................................................................................... 71 Voraussetzungen............................................................................. 72 Korrosionsarten .............................................................................. 75 3.3 Korrosionschutz.............................................................................. 78 Werkstoff........................................................................................ 79 Beschichtung .................................................................................. 79 Konstruktion ................................................................................... 84 Elektrischer Strom .......................................................................... 85 Medium........................................................................................... 85 3.4 Eisen & Stahl .................................................................................. 88 Herstellung ..................................................................................... 88 Unlegierter Stahl............................................................................. 89 Legierter Stahl ................................................................................ 92 Gusseisen........................................................................................ 95 3.5 Nicht-Eisenmetalle ......................................................................... 96 Leichtmetalle .................................................................................. 97 Schwermetalle ................................................................................ 99 Sondermetalle ............................................................................... 104 Edelmetalle ................................................................................... 108 3.6 Keramiken .................................................................................... 110 Tonkeramik................................................................................... 111 Glas............................................................................................... 115 Kunstkohle & Elektrographit........................................................ 120 3.7 Kunststoffe ................................................................................... 121 Thermoplaste ................................................................................ 127 Duroplaste..................................................................................... 134 Elastomere .................................................................................... 136
Inhalt
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3.8 Naturstoffe .................................................................................... 142 Holz .............................................................................................. 142 Steine ............................................................................................ 144 3.9 Fragen aus der Praxis.................................................................... 144 3.10 Literatur ...................................................................................... 145 4 Reaktionstechnik................................................................................. 147 4.1 Begriffe......................................................................................... 147 Homogene und heterogene Reaktionen ........................................ 147 Strömungsführung ........................................................................ 148 Umsatz, Ausbeute, Selektivität, Leistung, Kapazität.................... 150 4.2 Reaktoren...................................................................................... 152 Rührkessel .................................................................................... 153 Rohrreaktor................................................................................... 155 Kolonne, Säule, Turm................................................................... 156 Wirbelschichtreaktor .................................................................... 158 4.3 Stoffbilanzen................................................................................. 163 Idealer diskontinuierlich betriebener Rührkessel ......................... 165 Idealer kontinuierlich betriebener Rohrreaktor ............................ 166 Idealer kontinuierlich betriebener Rührkessel .............................. 167 Vergleich der idealisierten Reaktortypen ..................................... 168 4.4 Verweilzeitverteilung ................................................................... 169 Rohrreaktor................................................................................... 169 Kontinuierlich betriebener Rührkessel ......................................... 170 Rührkesselkaskade........................................................................ 171 4.5 Fragen aus der Praxis.................................................................... 173 4.6 Literatur ........................................................................................ 174 5 Berechnungen und Antworten zu Teil I............................................ 175 5.1 Einführung .................................................................................... 175 5.2 Projektierung ................................................................................ 176 5.3 Werkstoffe .................................................................................... 178 5.4 Reaktionstechnik .......................................................................... 179 Teil II Ausgleichsvorgänge.................................................................... 183 6 Strömungslehre ................................................................................... 185 6.1 Einleitung...................................................................................... 185 Flüssigkeiten und Gase................................................................. 185 Kontinuitätsgleichung................................................................... 185 Ideale und reale Fluide ................................................................. 187
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Inhalt
6.2 Strömung ohne Reibung ............................................................... 187 Bernoulli ....................................................................................... 187 Torricelli ....................................................................................... 188 6.3 Strömung mit Reibung.................................................................. 190 Viskosität, Reibungswiderstand ................................................... 190 CW-Wert, Wirbelwiderstand........................................................ 193 Laminare und turbulente Strömung .............................................. 195 6.4 Rohrströmung ............................................................................... 196 Laminare Rohrströmung............................................................... 196 Turbulente Rohrströmung............................................................. 199 Druckabfall im Rohr..................................................................... 200 Hydraulischer Durchmesser ......................................................... 203 Rohrleitungseinbauten .................................................................. 204 Betriebskennlinie, Pumpenkennlinie ............................................ 207 6.5 Filmströmung................................................................................ 210 Strömungsformen ......................................................................... 211 Geschwindigkeitsprofil................................................................. 211 Volumenstrom .............................................................................. 213 6.6 Impulskraft.................................................................................... 214 6.7 Rheologie...................................................................................... 216 Mechanisches Verhalten von Körpern ......................................... 217 Scherratenabhängige Viskosität ................................................... 219 Zeitabhängige Viskosität .............................................................. 222 Viskoelastizität ............................................................................. 223 Messpraxis.................................................................................... 224 6.8 Fragen aus der Praxis.................................................................... 226 6.9 Literatur ........................................................................................ 229 7 Wärmeübertragung ............................................................................ 231 7.1 Einleitung ..................................................................................... 231 Strahlung....................................................................................... 232 Wärmeleitung ............................................................................... 232 Konvektion ................................................................................... 233 Kombination der Wärmeübertragungsmechanismen ................... 233 7.2 Strahlung....................................................................................... 233 Strahlungsgesetze ......................................................................... 233 Wärmestrahlung zwischen Körpern ............................................. 238 7.3 Wärmeleitung ............................................................................... 243 Eindimensionaler Stab.................................................................. 243 Zusammengesetzte Wand ............................................................. 252 Rohrwand ..................................................................................... 254 Dreidimensionaler Körper ............................................................ 257
Inhalt
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7.4 Konvektion ................................................................................... 259 Dimensionslose Kenngrößen ........................................................ 262 Ebene Flächen............................................................................... 267 Rohre/ Rohrbündel ....................................................................... 269 Rührkessel .................................................................................... 274 Kugeln/ Schüttschichten ............................................................... 276 7.5 Wärmedurchgang.......................................................................... 277 Ebene Wände................................................................................ 278 Rohre ............................................................................................ 281 Einfluss der Strömungsführung .................................................... 283 Mittlere treibende Temperaturdifferenz ....................................... 286 Aufheizen/ Abkühlen eines Rührkessels ...................................... 287 7.6 Wärmeübertrager .......................................................................... 290 Bauarten........................................................................................ 290 Heiz- und Kühlmedien.................................................................. 297 Auslegung..................................................................................... 301 7.7 Fragen aus der Praxis.................................................................... 302 7.8 Literatur ........................................................................................ 303 8 Stofftransport ...................................................................................... 305 8.1 Einleitung...................................................................................... 305 Diffusion....................................................................................... 306 Konvektion ................................................................................... 306 Kombination der Stofftransportmechanismen .............................. 306 8.2 Diffusion....................................................................................... 307 Eindimensionale Diffusion ........................................................... 307 Dreidimensionale Diffusion ......................................................... 316 8.3 Konvektion ................................................................................... 317 Dimensionslose Kenngrößen ........................................................ 320 Dimensionslose Gleichungen für den Stoffübergang ................... 322 8.4 Stoffdurchgang ............................................................................. 325 Zweifilmtheorie ............................................................................ 326 Penetrationstheorie ....................................................................... 332 Oberflächenerneuerungstheorie.................................................... 333 Mittlere treibende Konzentrationsdifferenz.................................. 335 8.5 Stofftransport und chemische Reaktion........................................ 336 Chemische Reaktion an der Phasengrenzfläche ........................... 337 Chemische Reaktion in der zweiten Phase ................................... 339 8.6 Stofftransport und Wärmeübertragung ......................................... 342 Dimensionslose Lewis-Beziehung................................................ 343 Wärme- und Stofftransport beim Trocknen.................................. 345
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8.7 Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports ................... 347 Transportgleichungen ................................................................... 347 Dimensionslose Beziehungen....................................................... 348 Grenzschichten ............................................................................. 350 8.8 Fragen aus der Praxis.................................................................... 352 8.9 Literatur ........................................................................................ 352 9 Berechnungen und Antworten zu Teil II .......................................... 355 9.1 Strömungslehre............................................................................. 355 9.2 Wärmeübertragung ....................................................................... 364 9.3 Stofftransport ................................................................................ 368 Teil III Grundoperationen .................................................................... 373 10 Mischen, Rühren............................................................................... 377 10.1 Einleitung ................................................................................... 377 Diffusion..................................................................................... 377 Konvektion ................................................................................. 377 Dispergierung ............................................................................. 378 10.2 Rührertypen ................................................................................ 378 10.3 Strömungsbild............................................................................. 379 10.4 Wahl des Rührertyps .................................................................. 381 10.5 Leistungsbedarf eines Rührwerks............................................... 381 10.6 Statische Mischer........................................................................ 383 10.7 Fragen aus der Praxis.................................................................. 384 10.8 Literatur ...................................................................................... 385 11 Sedimentieren.................................................................................... 387 11.1 Definition.................................................................................... 387 11.2 Maßgebende Kräfte .................................................................... 388 11.3 Strömung um ein kugelförmiges Teilchen ................................. 389 11.4 Sinkgeschwindigkeit beliebig geformter Teilchen ..................... 392 11.5 Sinkgeschwindigkeit eines Teilchenschwarms........................... 394 11.6 Auslegung von Sedimentationsapparaten................................... 395 11.7 Fragen aus der Praxis.................................................................. 396 11.8 Literatur ...................................................................................... 397
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12 Verdampfen....................................................................................... 399 12.1 Begriffe und Definitionen........................................................... 399 Arbeitsweise einer Verdampfungsstufe ...................................... 399 Dampfarten ................................................................................. 402 Dampfdruckkurve....................................................................... 402 Siedepunktserhöhung durch gelösten Stoff ................................ 406 12.2 Verdampfungsarten..................................................................... 408 Oberflächenverdampfung ........................................................... 408 Blasensieden ............................................................................... 409 übergangssieden.......................................................................... 410 Filmsieden .................................................................................. 411 Verdampfung in einem senkrechten Rohr .................................. 413 12.3 Verdampferbauarten ................................................................... 417 Rührkessel .................................................................................. 417 Plattenverdampfer....................................................................... 417 Dünnschichtverdampfer.............................................................. 418 Rohrbündelverdampfer ............................................................... 418 Brüdenverdichtung ..................................................................... 420 Mehrstufenverdampfung ............................................................ 421 12.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 425 12.5 Literatur ...................................................................................... 426 13 Kondensieren..................................................................................... 427 13.1 Begriffe und Definitionen........................................................... 427 Tropfen- und Filmkondensation ................................................. 428 Wirkung von Inertgasen ............................................................. 428 13.2 Wärmeübergang bei Filmkondensation ...................................... 429 Laminare Strömung .................................................................... 430 Turbulente Strömung .................................................................. 432 Horizontale Rohre....................................................................... 433 13.3 Kondensatorbauarten .................................................................. 434 Oberflächenkondensatoren ......................................................... 435 Mischkondensatoren ................................................................... 435 13.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 437 13.5 Literatur ...................................................................................... 437 14 Destillation......................................................................................... 439 14.1 Einleitung.................................................................................... 439 Prinzip der Destillation ............................................................... 439 14.2 Physikalische Grundlagen .......................................................... 440 Gesetze von Dalton und Raoult .................................................. 440 Relative Flüchtigkeit................................................................... 442
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Dampfdruckdiagramm................................................................ 444 Temperaturdiagramm ................................................................. 447 Zusammensetzungsdiagramm..................................................... 448 Reale Mischungen ...................................................................... 450 Azeotropie .................................................................................. 453 14.3 Destillationsverfahren................................................................. 456 Absatzweise offene Destillation ................................................. 456 Trägerdampfdestillation.............................................................. 460 14.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 464 14.5 Literatur ...................................................................................... 464 15 Rektifikation...................................................................................... 467 15.1 Einleitung ................................................................................... 467 Prinzip der Rektifikation ............................................................ 467 Aufbau einer Rektifikationskolonne........................................... 468 15.2 Berechnung der theoretischen Stufenzahl .................................. 470 Gleichgewichtslinie .................................................................... 470 Verstärkungsgerade .................................................................... 471 Abtriebsgerade............................................................................ 474 Schnittpunktsgerade.................................................................... 476 Rücklaufverhältnis...................................................................... 478 Trennstufenzahl .......................................................................... 481 15.3 Einbauten von Rektifikationskolonnen....................................... 484 Böden.......................................................................................... 484 Füllkörper ................................................................................... 487 Geordnete Packungen ................................................................. 491 15.4 Dimensionierung einer Rektifikationskolonne ........................... 493 Dampfgeschwindigkeit............................................................... 493 Druckabfall ................................................................................. 493 Kolonnendurchmesser ................................................................ 496 Heizung/ Kühlung....................................................................... 498 Kurzanleitung des methodischen Vorgehens.............................. 500 15.5 Sonderfälle der Rektifikation...................................................... 501 Zweidruckrektifikation ............................................................... 501 Extraktive Rektifikation ............................................................. 503 Azeotrope Rektifikation ............................................................. 504 Diskontinuierliche Rektifikation ................................................ 505 Reaktivdestillation ...................................................................... 507 15.6 Fragen aus der Praxis.................................................................. 508 15.7 Literatur ...................................................................................... 509
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16 Trocknung ......................................................................................... 511 16.1 Einleitung.................................................................................... 511 Prinzip der Trocknung ................................................................ 511 Art der Wärmeübertragung......................................................... 514 16.2 Zustandsänderung des feuchten Guts ......................................... 516 Feuchtigkeitsbindung.................................................................. 516 Trocknungsverlauf...................................................................... 519 16.3 Zustandsänderung der feuchten Luft .......................................... 522 Eigenschaften der feuchten Luft................................................. 522 Heizen/ Kühlen ........................................................................... 526 Mischen von zwei Luftmassen ................................................... 527 Mischen von Luft mit Wasser..................................................... 528 Trocknungsprozesse mit warmer Luft ........................................ 531 16.4 Trocknungsapparate.................................................................... 534 Konvektionstrockner .................................................................. 534 Kontakttrockner .......................................................................... 540 Gefriertrockner ........................................................................... 542 Auswahl und Auslegung eines Trockners .................................. 544 Sicherheit beim Trocknen........................................................... 546 16.5 Fragen aus der Praxis.................................................................. 549 16.6 Literatur ...................................................................................... 550 17 Berechnungen und Antworten zu Teil III ...................................... 553 17.1 Mischen, Rühren......................................................................... 553 17.2 Sedimentieren ............................................................................. 554 17.3 Verdampfen ................................................................................ 555 17.4 Kondensieren .............................................................................. 558 17.5 Destillation.................................................................................. 560 17.6 Rektifikation ............................................................................... 563 17.7 Trocknung................................................................................... 567 Teil IV Regelungstechnik ...................................................................... 573 18 Einleitung in die Regelungstechnik ................................................. 575 18.1 Aufgabe einer Regelung ............................................................. 575 18.2 Begriffe und Bezeichnungen ...................................................... 576 18.3 Beispiele von Regelungen .......................................................... 577 18.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 580
XVIII
Inhalt
19 Steuerung und Regelung .................................................................. 581 19.1 Wirkungsplan.............................................................................. 581 19.2 Steuerung .................................................................................... 584 19.3 Regelung..................................................................................... 586 19.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 591 20 Übertragungsverhalten .................................................................... 593 20.1 Beharrungskennlinie................................................................... 594 20.2 Dynamische Eingangsfunktionen ............................................... 595 20.3 Sprungantworten......................................................................... 595 Proportionalverhalten ................................................................. 595 Verzögerungsverhalten ............................................................... 598 Integralverhalten......................................................................... 600 Differentialverhalten................................................................... 601 Totzeitverhalten .......................................................................... 603 Verhaltenskombinationen ........................................................... 604 20.4 Frequenzgänge............................................................................ 605 Bode-Diagramm ......................................................................... 607 Nyquist-Ortskurve ...................................................................... 608 20.5 Fragen aus der Praxis.................................................................. 609 21 Reglertypen ....................................................................................... 611 21.1 Stetige Regler ............................................................................. 613 P-Regler ...................................................................................... 613 I-Regler....................................................................................... 614 PI-Regler..................................................................................... 614 D-Regler ..................................................................................... 615 PD-Regler ................................................................................... 616 PID-Regler.................................................................................. 617 21.2 Unstetige Regler ......................................................................... 617 Zweipunktregler.......................................................................... 618 Dreipunktregler........................................................................... 620 21.3 Fragen aus der Praxis.................................................................. 621 22 Regelgüte ........................................................................................... 623 22.1 Führungsverhalten ...................................................................... 623 22.2 Störverhalten............................................................................... 625 22.3 Bewertung der Regelgüte ........................................................... 626 22.4 Bewertung der Regelbarkeit ....................................................... 629 22.5 Fragen aus der Praxis.................................................................. 631
Inhalt
XIX
23 Einstellregeln für industrielle Regler .............................................. 633 23.1 Ziegler-Nichols........................................................................... 634 23.2 Chien-Hrones-Reswick............................................................... 635 23.3 T-Summen-Regel........................................................................ 636 23.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 638 24 Komplexe Regelsysteme ................................................................... 639 24.1 Split-Range-Regelung ................................................................ 639 24.2 Kaskadenregelung ...................................................................... 641 24.3 Verhältnisregelung...................................................................... 643 24.4 Fragen aus der Praxis.................................................................. 645 25 Prozessleittechnik.............................................................................. 647 25.1 Entwicklung der Prozessleittechnik............................................ 647 25.2 Aufbau eines Prozessleitsystems ................................................ 650 25.3 Funktionen eines Prozessleitsystems .......................................... 651 25.4 Darstellungen im Prozessleitsystem ........................................... 653 25.5 Sicherheit computergesteuerter Anlagen .................................... 654 25.6 Fragen aus der Praxis.................................................................. 656 26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV....................................... 659 26.1 Einleitung.................................................................................... 659 26.2 Steuerung und Regelung............................................................. 660 26.3 Übertragungsverhalten................................................................ 663 26.4 Reglertypen................................................................................. 666 26.5 Regelgüte .................................................................................... 669 26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler .................................... 671 26.7 Komplexe Regelsysteme ............................................................ 674 26.8 Prozessleittechnik ....................................................................... 676 27 Literatur zur Regelungstechnik....................................................... 679 Sachverzeichnis ...................................................................................... 681
Teil I Grundlagen
Hier folgt ein kurzer Überblick über die Kapitel des ersten Buchteils. 1. Einführung: Definitionen, Fachorganisationen, Maßeinheiten 2 Projektierung: Maßstabvergrößerung, Planung von Chemieanlagen, Zeit- und Ressourcenplanung, Projektorganisation 3 Werkstoffe: Eigenschaften, Konstruktionsmaterialien, Korrosionsschutz 4 Reaktionstechnik: Bauarten, Reaktionsführung, chemischer Umsatz Im Teil I des Buches werden die Grundlagen der chemischen Verfahrenstechnik erarbeitet. Es soll das Verständnis für die Abläufe in einem chemischen Betrieb geweckt werden. Es geht um die Definition von Begriffen, um das Vergrößern von Prozessen aus dem Labor in den Produktionsmaßstab (Scale-up), um das Management von Projekten, um das Verhalten und die Auswahl von Werkstoffen unter chemischen und mechanischen Beanspruchungen und schließlich um chemische Stoffumwandlungsvorgänge in verschiedenen Reaktionsapparaten.
1 Einführung
1.1 Definitionen Die chemische Verfahrenstechnik befasst sich mit technischen Prozessen im Hinblick auf die Produktion von chemischen Erzeugnissen. Im Zentrum steht die Umsetzung der im Labor gewonnenen Erkenntnisse auf eine Produktion im Kilogramm- oder Tonnen-Maßstab. Die wichtigsten Aufgaben der chemischen Verfahrenstechnik liegen in Teilbereichen wie − − − − − − − −
Berechnung und Konstruktion von Apparaten, Beurteilung der Beständigkeit und Festigkeit von Werkstoffen, Kenntnisse der Maßstabsvergrößerung, Strömungslehre, Wärme- und Stofftransport, Mess- und Regelungstechnik, Projektplanung und Realisierung, Wirtschaftlichkeit und Unternehmensführung, Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz.
Die chemische Verfahrenstechnik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die auf den Fachgebieten Mathematik, Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Sicherheit, Ökologie und Betriebswirtschaft aufbaut. Das eigentliche Ziel der chemischen Verfahrenstechnik ist die Stoffumwandlung. Die Stoffumwandlung kann erfolgen durch − Änderung der Zusammensetzung, z.B. durch Filtration einer Suspension, durch Destillation einer Lösung oder durch Trocknung eines Pulvers, − Änderung der Form und Größe, z.B. durch Zerkleinerung von Erzgestein oder durch Kristallisation eines Salzes, − Änderung der Stoffart, z.B. durch chemische oder biochemische Reaktionen. Zusammensetzung, Form und Größe von Stoffen können durch physikalische Vorgänge beeinflusst werden. Die Stoffart kann durch chemische oder biochemische Vorgänge verändert werden.
4
1 Einführung
Die physikalischen Vorgänge können in mechanische und thermische Prozesse unterteilt werden. Bei mechanischen Prozessen erfolgt die Stoffumwandlung meist durch Eintrag von mechanischer Energie (Schlag, Druck, Reibung). Bei thermischen Prozessen erfolgt die Stoffumwandlung meist durch Übertragung von thermischer Energie (Hitze, Kälte). Ein thermischer Prozess ist in der Regel mit einem Phasenwechsel mindestens einer chemischer Komponente verbunden. chemische Verfahrenstechnik
physikalische Prozesse
chemische Prozesse
mechanische Prozesse
thermische Prozesse
biochemische Prozesse
Abb. 1.1. Einteilung der chemischen Verfahrenstechnik in technische Prozesse
Statt „Chemische Verfahrenstechnik“ wird manchmal auch der Begriff „Chemie-Ingenieur-Technik“ verwendet. Im Englischen heißen die entsprechenden Begriffe „Process Engineering“ bzw. „Chemical Engineering“. Mit Verfahrenstechnik werden allgemein Prozesse beschrieben, bei denen Stoffe und Materialien verarbeitet werden, z.B. auch zur Herstellung von Fahrzeugen, Haushaltgeräten oder Verpackungen. Um sich auf die Herstellung chemischer Erzeugnisse zu konzentrieren, ist es wichtig, von chemischer Verfahrenstechnik oder Chemie-Ingenieur-Technik zu sprechen. Damit wird die mechanische Materialverarbeitung im weiteren Sinn ausgeschlossen. Bei der chemischen Verfahrenstechnik handelt es sich um eine relativ neue, mittlerweile eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hat man chemische Prozesse entsprechend den verwendeten oder erzeugten Stoffe zusammengefasst. Man unterteilte die Prozesse z.B. in solche der Erdölchemie, der Hüttenchemie, der Metallurgie, der Farbstoffchemie, der Agrochemie und der Nahrungsmittelindustrie. Man erkannte aber bald, dass in all diesen Produktionsvorgängen ähnliche Verfahrensschritte ablaufen, die ähnliche Apparaturen benötigen. So konnten Verfahrensschritte definiert werden, die in verschiedenen Produktionsprozessen verwendet werden, aber demselben
1.1 Definitionen
5
Zweck dienten, z.B. der Zerkleinerung der Rohstoffe, der Abtrennung von Feststoffen aus Flüssigkeiten oder der Wärmeübertragung. Diese universell einsetzbaren Verfahrensbausteine werden heute Grundoperationen der Verfahrenstechnik genannt (engl. Unit Operations). Aus den Grundoperationen lassen sich auf vielfältige Weise ganze Produktionsprozesse aufbauen. Statt der rund 2'000 Herstellungsverfahren, die Ullmann in den Bänden A1-28 beschreibt, kann man mit rund 50 Grundoperationen (Einheitsoperationen), die in den Bänden B2 und B3 Platz finden, alle möglichen Prozesse nachbilden [6]. Die Aufgaben der chemischen Verfahrenstechnik liegen heute bei der technischen Vorbereitung (Planung) und der Durchführung der Stoffumwandlungsprozesse. Dazu gehören die Schritte 1. Theoretische Klärung der Stoffwandlungsvorgänge hinsichtlich Chemie, ausgetauschten Energien und Beständigkeit der Werkstoffe, 2. Entwicklung der Produktionsverfahren durch optimale Kombination von Verfahrensbausteinen (Grundoperationen), 3. Maßstabsvergrößerung, Planung und Realisierung der Produktionsanlage, 4. Inbetriebnahme, Betrieb, Instandhaltung und Überwachung der Produktionsanlage. Oberstes Ziel aller Bestrebungen ist stets die großtechnische Produktion von chemischen Erzeugnissen, wobei Wirtschaftlichkeit, Sicherheit, Sozialverträglichkeit und Umweltschutz im Vordergrund stehen. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass sich die Zielgrößen oft konkurrenzieren oder gar diametral gegenüberstehen. Zielgrößen sind z.B. − − − − − − − − − − − − − −
minimaler Rohstoffverbrauch, minimaler Energieverbrauch, maximale Ausbeute, maximaler Produktionsausstoß, Produktion „Just in Time“, hervorragende Qualität, bestmögliche Apparateausnutzung, minimaler Aufwand für Anlagen (z.B. für Reinigung/ Unterhalt), Modifizierbarkeit der Anlage, optimaler Personaleinsatz, minimale Belastung für die Umwelt, hohe Sicherheit für Personal und Anwohner, gutes Betriebsklima und daher gute Arbeitsleistungen, hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
6
1 Einführung
Beim Auftreten von Zielkonflikten müssen Prioritäten festgelegt und Kompromisse geschlossen werden, die je nach sozialem Umfeld, Ort und herrschendem Zeitgeist unterschiedlich ausfallen können. Die Verantwortung des Chemikers bezüglich Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt haben z.B. verschiedene Fachverbände in Ehrenkodices geregelt. Um die Rolle der chemischen Verfahrenstechnik in einem konventionell organisierten Chemiebetrieb kennen zu lernen, sind in Abb. 1.2 die wichtigsten Funktionen eines Chemiebetriebs dargestellt. Diese Funktionen entsprechen häufig gerade den Abteilungen in einem chemischen Betrieb, d.h. die Abteilungen sind entsprechend den geforderten Funktionen gegliedert.
Abb. 1.2. Funktionen und Wechselwirkungen in einem Chemiebetrieb.
Den einzelnen Funktionen kommen folgende Aufgaben zu: Planung und Marktforschung: − Konkurrenzbeobachtung, Vergleich des eigenen Produkts mit denjenigen von Branchenleadern (Benchmarking), Ableiten von Korrekturmaßnahmen und Verbesserungsmöglichkeiten − Stärken-Schwächen-Chancen-Gefahren-Analyse (engl. Strength-Weakness-Opportunities-Threads = SWOT- Analysis) − Mittel- und langfristige Planung neuer Produkte, Produktionsplanung, Anlagenplanung, Verkaufsplanung Forschung: − Herstellung und Synthese neuer Stoffe (Komponentenforschung) − Herstellung neuer Darreichungsformen (Anwendungsforschung) − Erarbeitung neuer Herstell- und Analyseverfahren (Verfahrensforschung)
1.1 Definitionen
7
Patentierung, Registrierung: − Abklärung der Rechtssituation, Verteidigung eigener Rechtsansprüche − Erarbeitung von Registrierunterlagen und Patenten − Zusammenarbeit mit Behörden zur Bewilligung neuer Produkte Analytik: − Aufklärung der Struktur und Eigenschaften von Stoffen in F&E − Qualitätssicherung in der Produktion − Entwicklung neuer analytischer Methoden Entwicklung: − Umsetzung der Forschungsergebnisse auf den technischen Maßstab − Verbesserung der Produkteigenschaften (Produktentwicklung) − Optimierung der Produktionsverfahren (Verfahrensentwicklung) Sicherheit, Umweltschutz: − Einhalten der gesetzlichen Bestimmungen (engl. Legal Compliance) − Erfassung der Umweltbelastungen und der Sicherheitslücken − Realisierung von Maßnahmen zu Gunsten der Gesundheit, der Sicherheit und des Umweltschutzes, Mitarbeiterschulung Einkauf: − Bewertung möglicher Lieferanten und Produkte − Sicherstellung der Rohstoffe und Hilfsmittel zur rechten Zeit am richtigen Ort in der korrekten Menge und Qualität zu einem günstigen Preis − Beurteilung der eigenen Produktion im Vergleich mit einem möglichen Zukauf von Zwischenprodukten, Schaffen von Alternativen Produktion: − Herstellung der verlangten Menge in der geforderten Qualität zum gewünschten Zeitpunkt − Minimaler Aufwand für Rohstoffe, Energien, Apparate und Personal − Sicherstellung der gesetzlichen Auflagen in Bezug auf Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz Verkauf: − Marketing (Verkaufsgebiete, Verkaufsstrategie, Preispolitik, Werbestrategie, Messebeteiligung, Kundenbesuche) − Kundenbetreuung, Lieferung der richtigen Menge und Qualität zur richtigen Zeit, Ausmerzen von Beanstandungen − Beratung der Abteilung Planung, Marktforschungen
8
1 Einführung
Lager, Versand: − Laufende Kontrolle des Inventars, geringe Kapitalbindung durch kleine Lagermengen, Lieferungen „Just in Time“ (JIT) − Sicherstellung der Liefermöglichkeiten, Meldung an den Einkauf oder die Produktion, falls eine minimale Lagermenge an Rohstoffen bzw. Endprodukten unterschritten wird − Verpackung der Produkte, Bereitstellung der Versandpapiere, Überwachung des Versands Die soeben beschriebenen Funktionen in einem Chemiebetrieb stellen insgesamt sicher, dass die chemische Produktion wirtschaftlich, sozial und ökologisch verträglich abläuft.
1.2 Fachorganisationen Im deutschen Sprachraum existieren einige für die Belange der chemischen Verfahrenstechnik bedeutende Fachorganisationen Europa − Europäische Föderation für Chemie-Ingenieur-Wesen (EFCE) Die EFCE koordiniert europaweit die Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der chemischen Verfahrenstechnik. Sie verschafft Kontakte zu den Länderorganisationen und verschiedenen europäischen Forschungsgruppen. Eines von drei Sekretariaten befindet sich bei der DECHEMA in Deutschland (DECHEMA s. weiter unten). DECHEMA, Theodor-Heuss-Allee 25, D-60486 Frankfurt am Main, Tel. 0049 69 7564-0, Fax 0049 69 7564-201, www.efce.info − Conseil Européen de l’Industrie Chimique (CEFIC) Der CEFIC informiert zu aktuellen Themen im Spannungsfeld zwischen chemischer Produktion und Gesellschaft. Er erarbeitet weltweit gültige Richtlinien für die Mitgliedsunternehmungen der chemischen Industrie. CEFIC, Av. Van Nieuwenhuyse 4, P.O.Box, B-1160 Bruxelles, Tel. 0032 2676 7211, Fax 0032 2676 7300, www.cefic.org
1.2 Fachorganisationen
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Deutschland − Deutsche Gesellschaft für Chemisches Apparatewesen, Chemische Technik und Biotechnologie e.V. (DECHEMA) Die DECHEMA verfügt über eine eigene Forschung. Sie publiziert z.B. Tabellenwerke über Stoff- und Materialdaten. Sie führt Ausbildungskurse durch. Die DECHEMA organisiert alle 3 Jahre die Ausstellungstagung für Chemisches Apparatewesen (ACHEMA) in den Messehallen Frankfurt. Die ACHEMA ist die weltgrößte Ausstellung für Chemie und Verfahrenstechnik. DECHEMA, Theodor-Heuss-Allee 25, D-60486 Frankfurt am Main, Tel. 0049 69 7564-0, Fax 0049 69 7564-201, www.dechema.de − Verein Deutscher Ingenieure (VDI) - Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (GVC) Die GVC umfasst verschiedene Arbeitsgruppen und Fachausschüsse. Sie publiziert z.B. den VDI Wärmeatlas und die Zeitschrift „ChemieIngenieur-Technik„. Sie führt auch Ausbildungskurse durch. VDI-GVC, Graf-Recke-Str.84, Postfach 101139, D-40002 Düsseldorf, Tel. 0049 211 6214-0, Fax 0049 211 6214-169, www.vdi.de − Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) Die GDCh repräsentiert die Interessen deutscher Chemiker aller beruflichen Ausrichtungen. Sie organisiert Fachtagungen und führt eine Stellenvermittlungsbörse. GDCh, Varrentrappstr.40-42, Postfach 900440, D-60486 Frankfurt a.M., Tel. 0049 69 7917-0, Fax 0049 69 7917-374, www.gdch.de − Verband der Chemischen Industrie (VCI) Der VCI wirkt als Interessenvertreter der deutschen chemischen Industrie inklusive Biochemie und Lebensmitteltechnik. Der VCI koordiniert und unterstützt Ausbildung und Forschung zugunsten der chemischen Produktionsunternehmen und unterhält eine Liste zur Stellenvermittlung. VCI, Karlstr.21, D-60329 Frankfurt a.M., Tel. 0049 69 2556-0, Fax 0049 69 2556-1471, www.vci.de
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1 Einführung
Schweiz − Schweizerische Chemische Gesellschaft (SCG) Die SCG publiziert chemisch-technische Arbeiten in der Zeitschrift „Chimia“. Sie organisiert alle 2 Jahre die ILMAC in den MUBA Hallen Basel. SCG, c/o SANW, Bärenplatz 2, CH-3011 Bern, Tel. 0041 31 310 4090, Fax 0041 31 310 1678, www.swiss-chem-soc.ch − Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) Schweizerische Gesellschaft für Verfahrens- und ChemieingenieurTechnik (SGVC) Die SGVC verfügt über mehrere Arbeitsgruppen im Bereich der Chemie-Ingenieur-Technik. Sie organisiert Fachtagungen, meist in Basel. SGVC, SATW, Seidengasse 16, Postfach 8023, CH-8001 Zürich, Tel. 0041 1 226 5011, Fax 041 1 226 5020, www.satw.ch − Schweizerischer Verband diplomierter Chemiker FH (SVC) Der SVC vereinigt die Interessen der Fachhochschulchemiker in der Schweiz und führt Fachtagungen durch. SVC, Postfach, CH-4007 Basel, Tel. 0041 1 784 2681, Fax 0041 1 728 2992, www.svc.ch − Schweizerische Gesellschaft für Chemische Industrie (SGCI) Die SGCI publiziert Richtlinien für die Mitgliedsunternehmungen in der chemischen Industrie. Sie führt Fachtagungen durch. SGCI, Nordstr.15, Postfach, CH-8035 Zürich, Tel. 0041 1 363 1030, Fax 0041 1 363 1018, www.sgci.ch Österreich − Gesellschaft Österreichischer Chemiker (GÖCh) Die GÖCH nimmt sich der Anliegen von österreichischen Chemikern und Chemieingenieuren an. Sie fördert die chemische Ausbildung und führt Fachtagungen durch. GÖCH, Nibelungengasse 11/6, A-1010 Wien, Tel. 0043 1 587 4249, Fax 0043 1 587 8966, www.goech.at
1.3 Maßeinheiten
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− Fachverband der chemischen Industrie Österreichs (FCIO) Der FCIO nimmt die Interessen von chemischen Produktionsunternehmen in Österreich gegenüber Behörden, Gewerkschaften und Mitbürgern wahr. FCIO, Wiedner Hauptstr. 63, A-1045 Wien, Tel. 0043 1 50105-3340, Fax 0043 1 50105-280, www.fcio.at
1.3 Maßeinheiten Alle derzeit bekannten physikalischen Größen lassen sich auf sieben dimensionsbehaftete Basiseinheiten zurückführen. Es sind dies die Basiseinheiten Kilogramm, Sekunde, Meter, Ampère, Kelvin, Mol und Candela (s. Tabelle 1.1). Tabelle 1.1. Dimensionsbehaftete Basisgrößen des SI-Systems Physikalische Größe Masse Zeit Länge el. Stromstärke Temperatur Stoffmenge Lichtstärke
Formelzeichen m t " I T n L
Basiseinheit Kilogramm Sekunde Meter Ampère Kelvin Mol Candela
Einheitszeichen kg s m A K mol cd
Zu den Basiseinheiten gehören zudem die dimensionslosen Größen für das Bogenmaß bzw. für das Raummaß, der Radiant und der Steradiant (Tabelle 1.2). Tabelle 1.2. Dimensionslose Basisgrößen des SI-Systems Physikalische Größe Bogenwinkel Raumwinkel
Formelzeichen α,β,γ,δ ϕ
Basiseinheit Radiant Steradiant
Einheitszeichen rad sr
Die Größen der Basiseinheiten werden durch die Definitionen des Système International d’Unités (SI-System) bestimmt. Man bezeichnet sie deshalb auch als SI-Basiseinheiten. Alle Basiseinheiten sind mit Ausnahme derjenigen für das Kilogramm rein physikalisch definiert, sodass sie überall auf der Welt (sogar im Weltall) reproduziert werden können. Die derzeit gültigen Definitionen sind der Tabelle 1.3 zu entnehmen.
12
1 Einführung
Tabelle 1.3. Definition der SI-Basiseinheiten 1 Kilogramm ist gleich der Masse des internationalen Kilogramm-Prototyps. (= Masse von 50,183 ⋅1024 12C Isotopen) 1 Sekunde ist das 9'192'631'770fache der Periodendauer der Strahlung, die beim Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands des Isotops 133Cs ausgesandt wird. 1 Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer von (1/299 792 458) Sekunden durchläuft. 1 Ampère ist die Stärke eines elektrischen Stromes, der konstant durch zwei im Abstand von 1 m parallel verlaufende, geradlinige, unendlich lange Leiter mit vernachlässigbar kleinem kreisrunden Querschnitt fließt und dabei eine Kraft pro 1 m Leiterlänge von 2 ⋅10-7 Newton (= 2 ⋅10-7 kg⋅m⋅s-2) zwischen den beiden Leitern hervorruft. 1 Kelvin ist der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur am Tripelpunkt von Wasser. 1 Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso vielen Einzelteilchen besteht, wie Atome in 0,012 Kilogramm des Kohlenstoffisotops 12C enthalten sind. 1 Candela ist die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540 ⋅ 1012 Hertz (= 540 ⋅ 1012 s-1) aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung (1/683) Watt (= 1,464 ⋅10-3 kg⋅m2⋅s-3) pro Steradiant beträgt. 1 Radiant ist gleich dem ebenen Zentrumswinkel eines Kreissektors, sodass der Kreissektor bei einem Kreis von 1 m Radius einen Kreisbogen von 1 m Länge ausschneidet (s. Abb. 1.3 links). 1 Steradiant ist gleich dem räumlichen Winkel eines Kreiskegels mit Spitze im Zentrum einer Kugel, sodass der Kreiskegel bei einer Kugel von 1 m Radius eine Oberfläche von 1 m2 ausschneidet (s. Abb. 1.3 rechts).
1.3 Maßeinheiten
1m
13
A = 1m2 r = 1m
1rad
1sr
r = 1m
π 2
rad
Abb. 1.3. Geometrische Darstellungen von Radiant (links) und Steradiant (rechts)
Alle derzeit gebräuchlichen physikalischen Größen lassen sich aus den Basiseinheiten ableiten. Dabei können möglicherweise sehr kleine oder sehr große Zahlenwerte entstehen, die zweckmäßigerweise mit Hilfe von Zehnerpotenzen dargestellt werden. Diese Zehnerpotenzen sollten bei Darstellungen von Zahlenwerten z.B. in Tabellen stets gleich groß und wenn möglich ein Vielfaches der Zehnerpotenz hoch drei (103 = 1‘000) sein. Statt der Angabe als Zehnerpotenz können auch Präfixe zum Einheitssymbol verwendet werden. Die Präfixe werden ohne Zwischenraum direkt vor das Einheitszeichen geschrieben. Die Tabelle 1.4 zeigt die Schreibweise der Präfixe, wie sie vom Système International d'Unités definiert sind. Tabelle 1.4. Präfixe zur Darstellung von Zehnerpotenzen gemäß SI-System Zehnerpotenz 10-18 10-15 10-12 10-9 10-6 10-3 103 106 109 1012 1015 1018
Name Atto Femto Piko Nano Mikro Milli Kilo Mega Giga Tera Peta Exa
Präfix a f p n µ m k M G T P E
Aus praktischen Gründen besitzen einige physikalische Größen eigene Einheiten. Diese Einheiten sind aus den SI-Basiseinheiten ableitbar. Die abgeleiteten physikalischen Größen können als einfache Potenzgleichungen der SI-Basiseinheiten dargestellt werden. Die Tabelle 1.5 zeigt die in der chemischen Verfahrenstechnik am häufigsten verwendeten abge-
14
1 Einführung
leiteten physikalischen Größen und ihre Einheiten. Weitere Definitionen von physikalischen Größen finden sich direkt in den entsprechenden Kapiteln. Tabelle 1.5. Abgeleitete SI-Einheiten Physikalische Größe Fläche Volumen Dichte Geschwindigkeit Beschleunigung Frequenz Kreisfrequenz Kraft Druck Spannung Arbeit, Energie Wärmemenge Enthalpie Spezifische Enthalpie Molare Enthalpie Volumenstrom
Massenstrom Wärmestrom Leistung Viskosität, dynamisch Viskosität, kinematisch Wärmeleitfähigkeit Temperaturleitfähigkeit Wärmekapazität Spezif. Wärmekapazität bei konstantem Druck Molare Masse Molkonzentration Diffusionskoeffizient
Formelzeichen A V ρ v a f ω F p σ E Q H h hm V m Q P η ν λ a C cp
M c D
Einheit
Einheitszeichen
Hertz Newton Pascal Pascal Joule Joule Joule
N Pa Pa J J J J⋅kg-1 J⋅mol-1
Watt
W = J⋅s-1
Watt
W = J⋅s-1 Pa⋅s W⋅m-1⋅K-1 J⋅K-1 J⋅kg-1⋅K-1
Basiseinheiten m2 m3 kg⋅m-3 m⋅s-1 m⋅s-2 s-1 rad⋅s-1 kg⋅m⋅s-2 kg⋅m-1⋅s-2 kg⋅m-1⋅s-2 kg⋅m2⋅s-2 kg⋅m2⋅s-2 kg⋅m2⋅s-2 m2⋅s-2 kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1 m3⋅s-1
kg⋅s-1 kg⋅m2⋅s-3 kg⋅m2⋅s-3 kg⋅m-1⋅s-1 m2⋅s-1 kg⋅m⋅s-3⋅K-1 m2⋅s-1 kg⋅m2⋅s-2⋅K-1 m2⋅s-2⋅K-1 kg⋅mol-1 mol⋅m-3 m2⋅s-1
Einige Einheiten sind gebräuchlich, obwohl sie sich nicht direkt durch Zehnerpotenzen der SI-Basiseinheiten darstellen lassen. Man spricht in diesem Zusammenhang von nicht-kohärenten Einheiten. Einige Beispiele von nicht-kohärenten Einheiten sind in der Tabelle 1.6 aufgeführt.
1.3 Maßeinheiten
15
Tabelle 1.6. Nicht-kohärente SI-Einheiten Physikalische Größe Temperatur Zeit Zeit Zeit Zeit Zeit
Formelzeichen ϑ t t t t t
Basiseinheit Grad Celsius Minute Stunde Tag Woche Jahr
Einheitszeichen °C min h d w a
Beziehung siehe Umrechnung 1 min = 60 s 1 h = 60 min 1 d = 24 h 1w=7d 1 a = 365,2565 d 1
Häufig werden in der Verfahrenstechnik griechische Buchstaben verwendet. Die korrekte Schreibweise und Aussprache der griechischen Symbole ist in der Tabelle 1.7 wiedergegeben. Tabelle 1.7. Griechische Buchstaben und ihre deutsche Aussprache Buchstabe Α α Β β Γ γ ∆ δ Ε ε Ζ ζ Η η Θ θ, ϑ Ι ι Κ κ Λ λ Μ µ
Name alpha beta gamma delta epsilon zeta eta theta jota kappa lambda mü
Buchstabe Ν ν Ξ ξ Ο ο Π π Ρ ρ Σ σ Τ τ Υ υ Φ φ, ϕ Χ χ Ψ ψ Ω ω
Name nü xi omikron pi rho sigma tau ypsilon phi chi psi omega
In gewissen angelsächsischen Ländern sind noch immer Einheiten in Gebrauch, die nicht auf dem SI-System aufbauen (z.B. Unzen, Meilen, Gallonen). Auch bei uns in Europa wurden noch bis vor wenigen Jahrzehnten Einheiten verwendet, die mit dem SI-System nicht im Einklang standen (z.B. Kalorien, Pferdestärken, Torr). Gerade Stoffdaten, die in der chemischen Verfahrenstechnik häufig benötigt werden, sind vielfach nur aus älteren Messungen mit entspechend veralteten Einheiten erhältlich. Die Tabellen 1.8 und 1.9 sollen die Umrechnung von fremden Einheiten in SIEinheiten ermöglichen. Weitere Umrechnungshilfen finden sich z.B. im Handbook of Chemistry and Physics [17]. 1
Siderisches Jahr = Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Durchgängen der Sonne auf ihrer scheinbaren Bahn um die Erde durch den selben Punkt des Fixsternhimmels.
16
1 Einführung
Tabelle 1.8. Umrechnungen von physikalischen Einheiten ins SI-System Dimension Länge
Fläche
Volumen
Grundeinheit gallon für Flüssigkeiten
Grundeinheit bushel für trockene Stoffe
Masse undGewicht Avoirdupois-System (Handelsgewichte)
Troy-System (für Edelmetalle)
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Einheit mil point line inch hand link span foot yard fathom rod chain furlong mile (statute mile) nautical mile circular mil cirular inch square inch square link square foot square yard square rod square chain rood acre square mile cubic inch board foot cubic foot cubic yard register ton British shipping ton US shipping ton minim fluid scruple fluid drachm fluid dram fluid ounce gill pint quart pottle gallon peck bushel US oil-barrel quarter chaldron dry pint dry quart peck bushel dry barrel grain dram ounce pound stone quarter cental short hundredweight hundredweight long hundredweight ton short ton long ton pennyweight troy ounce troy pound
Zeichen
in li ft = 12 in yd = 3 ft = 36 in fath = 2 yd rd ch fur mi = 1760 yd
sq in sq li sq ft sq yd sq rd sq ch
sq mi cu in fbm cu ft cu yd RT = 100 cu ft = 42 cu ft = 40 cu ft min fl.dr. fl.dr. fl.oz. gi liq pt = 4 gi liq qt = 2 liq pt gal = 4 liq qt
dry pt dry qt pk bu bbl gr dr avdp oz avdp lb = 16 oz avdp st = 14 lb qt = 2 st sh cwt cwt = 4 qt l cwt sh tn l tn dwt oz tr lb tr
Britisch 25.400 mm 0.353 mm 0.635 mm 25.400 mm 10.160 cm 20.117 cm 22.860 cm 0.305 m 0.914 m 1.829 m 5.029 m 20.117 m 201.168 m 1.609 km 1.853 km 506.709 mm2 5.067 cm2 6.452 cm2 404.687 cm2 929.030 cm2 0.836 m2 25.293 m2 404.686 m2 1011.712 m2 4046.860 m2 2.590 km2 16.387 cm3 2.360 dm3 28.327 dm3 0.765 m3 2.833 m3 1.190 m3 59.194 mm3 1.184 cm3 3.552 cm3 28.413 cm3 142.065 cm3 0.568 dm3 1.137 dm3 2.273 dm3 4.546 dm3 9.092 dm3 36.369 dm3 0.291 m3 1.309 m3 36.369 dm3 64.799 mg 1.772 g 28.350 g 0.454 kg 6.350 kg 12.701 kg 45.359 kg 50.802 kg 1016.047 kg 1.555 g 31.104 g -
USA 25.400 0.353 0.635 25.400 10.160 20.117 22.860 0.305 0.914 1.829 5.029 20.117 201.168 1.609 1.853 506.709 5.067 6.452 404.687 929.030 0.836 25.293 404.686 1011.712 4046.860 2.590 16.387 2.360 28.327 0.765 2.833 1.133 61.612 3.697 29.574 118.294 0.473 0.946 3.785 0.159 0.551 1.101 8.810 35.239 0.116 64.799 1.772 28.350 0.454 45.359 50.802 907.185 1016.047 1.555 32.104 0.373
mm mm mm mm cm cm cm m m m m m m km km mm2 cm2 cm2 cm2 cm2 m2 m2 m2 m2 m2 km2 cm3 dm3 dm3 m3 m3 m3 mm3 cm3 cm3 cm3 dm3 dm3 dm3 m3 dm3 dm3 dm3 dm3 m3 mg g g kg
kg kg kg kg g g kg
1.3 Maßeinheiten
17
Tabelle 1.8. (Fortsetzung) Dimension Dichte
Geschwindigkeit Förderstrom Massenstrom
Kraft (Gewichtskraft)
Druck
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Mechanische Spannung
1 1
Arbeit, Energie, Wärmemenge, innere Energie und Enthalpie
Leistung (Wärmestrom)
1 1 1 1 1 1 1 1 1
Dynamische Viskosität
1 1
Kinematische Viskosität Temperatur
1 1
Einheit ounce (av) per cubic-foot pound per cubic-foot ounce (av) per cubic-inch pound per cubic-inch short ton per cubic-yard long ton per cubic-yard pound per gallon foot per minute yard per minute gallon per minute cubic yard per second ounce per minute pound per minute ton per hour short ton per hour long ton per hour ounce (force) pound (force) short ton (force) long ton (force) dyn kilopond pound (force) square foot pound (force) square inch short ton (force) square inch inch H2O foot H2O inch Hg bar atmosphere kilopond square cm mm Hg pound (force) square inch short ton (force) square inch foot-pound horse power hour Brit. thermal unit kilowatt hour kilocalorie horse power British thermal unit second kilocalorie per hour continental horse power pound (mass) foot x second pound (force) x second square foot poise stokes
Zeichen oz/cu ft lb/cu ft oz/cu in lb/cu in shtn/cu yd ltn/cu yd lb/gal ft/min yd/min gpm oz/min lb/min shtn/h ltn/h oz lb shtn ltn dyn kp lb (force) sq ft lb (force) = psi sq in sh tn (force) sq in in H2O ft H2O in Hg bar atm kp cm2 torr lb (force) sq in sh tn (force) sq in ft lb Hp h BTU kWh kcal Hp BTU s kcal/h PS lb (mass) ft s lb (force) s sq ft P St
Umrechnung von Temperaturpunkten: 5 T = ϑ + 273.15 T = ⋅ ϑF + 255.37 9 ϑ = T − 273.15 ϑF =
9 ⋅ (T − 255.37 ) 5
ϑ=
5 ⋅ (ϑF − 32) 9
ϑF =
9 ⋅ ϑ + 32 5
British 0.001 kg/dm3 0.016 kg/dm3 1.730 kg/dm3 27.680 kg/dm3 0.100 kg/dm3 5.080 mm/s 0.015 m/s 0.076 L/s 0.765 m3/s 0.473 g/s 0.008 kg/s 0.282 kg/s 0.278 N 4.448 N 8.896 kN 9.964 kN 10.000 mN 9.807 N
USA 0.001 kg/dm3 0.016 kg/dm3 1.730 kg/dm3 27.680 kg/dm3 1.187 kg/dm3 1.329 kg/dm3 0.120 kg/dm3 5.080 mm/s 0.015 m/s 0.076 L/s 0.765 m3/s 0.473 g/s 7.560 g/s 0.282 kg/s 0.252 kg/s 0.282 kg/s 0.278 N 4.448 N 8.896 kN 9.964 kN 10.000 mN 9.807 N
47.880
Pa
47.880
Pa
68.948
mbar
68.948
mbar
137.895
bar
137.895
bar
2.491 29.891 33.866 100´000 1.013
mbar mbar mbar Pa bar
2.491 29.891 33.866 100´000 1.013
mbar mbar mbar Pa bar
0.981 133.322
bar
0.981
bar
133.322
1.356 2.684 1.056 3.600 4.187 0.746
Pa mN mm2 N mm2 J MJ kJ MJ kJ kW
1.356 2.684 1.056 3.600 4.187 0.746
Pa mN mm2 N mm2 J MJ kJ MJ kJ kW
1.056
kW
1.056
kW
1.163 735.499
W W
1.163 735.499
W W
6.895 13.790
1.488
6.895 13.790
Pa×s
1.488
Pa×s
47.880
Pa×s
47.880
Pa×s
0.100 0.0001
Pa×s m2/s
0.100 0.0001
Pa×s m2/s
Umrechnung von Temperaturdifferenzen: 5 ∆T = ∆ϑ = ⋅ ∆t F 9 ∆ϑF =
9 9 ⋅ ∆T = ⋅ ∆ϑ 5 5
T absolute Kelvin-Temperatur in [K] ϑ Celsius-Temperatur in [°C] ϑF Fahrenheit-Temperatur in [°F]
18
1 Einführung
1.4 Fragen aus der Praxis Chemische Verfahrenstechnik Gibt es einen Unterschied zwischen der „Chemische Verfahrenstechnik“ und der „Chemie-Ingenieur-Technik“? In welchem Zusammenhang ist welcher der beiden Begriffe vorzuziehen? Umrechnung von Maßeinheiten Wie werden die folgenden Werte auf SI- Basiseinheiten umgerechnet? Um welche Art von Angaben handelt es sich? a) 250 °F b) 35 BTU ⋅ °F-1 ⋅ lb.-1 c) 1 cP d) 1 ft2/ ft3 Die Lösungen zu den Fragen finden sich im Kapitel „Berechnungen und Antworten zu Teil I“ am Ende des ersten Buchteils.
1.5 Literatur Einführung in die chemische Verfahrenstechnik [1] Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau [2] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffchemie, Leipzig [3] Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg [4] Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [5] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl, Sauerländer, Aarau [6] Elvers B (1998) Ullmanns Encyclopedia of Industrial Chemistry. VCH, Weinheim, Bde A1-28, B1-7, ca. 800 S/Bd
1.5 Literatur
19
Zeitschriften der chemischen Verfahrenstechnik [7] Chemie-Ingenieur-Technik. Verlag Chemie, Weinheim [8] Verfahrenstechnik. Vereinigte Fachverlage, Mainz [9] Chemie-Anlagen und Verfahren. Konradin Verlag, Stuttgart [10]Chemie Technik. Hüthig Verlag, Heidelberg [11]Technische Rundschau. Verlag Hallwag, Bern [12]Chemische Rundschau. Verlag Vogt-Schild, Solothurn [13]Verfahrenstechnische Berichte. Verlag Chemie, Weinheim [14]Chemical Engineering. McGraw-Hill Publications, New York
Maßeinheiten [15]Sacklowski A (1986) Einheitenlexikon. Beuth Verlag, Berlin [16](1990) Einheiten und Begriffe für physikalische Größen. In: DIN Taschenbuch 22. 7 Aufl, Beuth, Berlin
Stoffdatenbücher [17]Lyde D, Handbook of Chemistry and Physics. CRC Press, Cleveland/Ohio [18]Perry R, Chemical Engineer’s Handbook. McGraw-Hill Publications, New York [19]Landolt-Börnstein, Zahlenwerte aus Physik, Chemie, Astronomie, Geophysik, Technik. Springer, Berlin Heidelberg New York [20]D’Ans J, Lax E, Taschenbuch für Chemiker und Physiker. Springer, Berlin Heidelberg New York
2 Projektierung
2.1 Maßstabsvergrößerung Eine Hauptaufgabe der chemischen Verfahrenstechnik besteht darin, Ergebnisse aus dem Labor in den industriellen Maßstab zu übertragen. Die Laborexperimente ermöglichen das Studium von verfahrenstechnischen Vorgängen auf eine einfache, schnelle, sichere und kostengünstige Art. Wesentliche Vorgänge können ohne viel Aufwand untersucht werden. Auch Extrembedingungen lassen sich in Laborapparaturen vereinfacht einstellen und beherrschen. Die Laborapparatur stellt das Modell des großtechnischen Apparats, d.h. der Hauptausführung dar. Damit die Extrapolation der Resultate von einem kleinen auf einen großen Maßstab gelingt, müssen zwischen der Laborapparatur und dem großtechnischen Apparat gewisse Ähnlichkeiten vorhanden sein und der Vergrößerungsfaktor darf ein vernünftiges Maß nicht überschreiten. In der chemischen Verfahrenstechnik hat sich eine Vergrößerung eines Prozesses über drei Stufen durchgesetzt, wobei die verarbeitete Stoffmenge schrittweise um etwa den Faktor 1'000 gesteigert wird (Tabelle 2.1). Tabelle 2.1. Entwicklung eines verfahrenstechnischen Prozesses vom Labor zum industriellen Maßstab Vergrößerungsschritt 1 2 3
Anlagentyp/ Bezeichnung Labormaßstab Pilotmaßstab Produktionsmaßstab
Produktemengen Gramm/ Milliliter Kilogramm/ Liter Tonnen/ Kubikmeter
Ähnlichkeiten Zwischen Modell und Hauptausführung können folgende Ähnlichkeiten vorliegen:
22
2 Projektierung
1. Geometrische Ähnlichkeit Eine geometrische Ähnlichkeit liegt vor, wenn ein Modell durch lineare Vergrößerung all seiner Abmessungen in eine räumliche Übereinstimmung mit der Hauptausführung gebracht werden kann (s. Abb. 2.1). Die Abmessungen von Modell und Hauptausführung unterscheiden sich in jeder Raumkoordinate nur durch den Vergrößerungsfaktor z. Punkte auf dem Modell und auf der Hauptausführung, die sich geometrisch entsprechen, nennt man homolog. Geometrische Ähnlichkeit zwischen Modell und Hauptausführung ist eine Grundvoraussetzung für die meisten verfahrenstechnischen Maßstabsvergrößerungen.
(1.1)
"1 " 2 A B = = = z = const "'1 "'2 A' B' "1 "'1 A A' z "'2
"2 B' B
Abb. 2.1. Geometrische Ähnlichkeit
2. Physikalische Ähnlichkeit Eine physikalische Ähnlichkeit zwischen Modell und Hauptausführung liegt dann vor, wenn physikalische Größen wie z.B. Temperatur, Geschwindigkeit oder Viskosität an homologen Punkten des Modells und der Hauptausführung ganz allgemein in einem konstanten Verhältnis zu einander stehen. y1 y 2 = = const y'1 y'2
(2.2)
In der Praxis zeigt sich leider oft, dass nicht alle maßgebenden physikalischen Größen in Modell und Hauptausführung konstant gehalten werden können. Man versucht dann, wenigstens diejenigen physikalischen Größen ähnlich zu halten, die für den Prozess am wichtigsten sind, und überprüft
2.1 Maßstabsvergrößerung
23
die Vergrößerungsergebnisse kritisch. Eine Auswahl von häufig verwendeten physikalischen Ähnlichkeiten ist im folgenden vorgestellt. 3. Kinematische Ähnlichkeit Die Geschwindigkeiten an homologen Punkten des Modells und der Hauptausführung stehen in einem konstanten Verhältnis zu einander. Die Richtungen der Geschwindigkeitsvektoren stimmen in Modell und Hauptausführung überein. & & (2.3) v1 v 2 & = & = const v'1 v' 2 4. Dynamische Ähnlichkeit Die Kräfte an homologen Punkten des Modells und der Hauptausführung stehen in einem konstanten Verhältnis zu einander. Die Richtungen der Kraftvektoren stimmen in Modell und Hauptausführung überein. & & (2.4) F1 F2 & = & = const F'1 F' 2 5. Thermische Ähnlichkeit Die Temperaturen an homologen Punkten des Modells und der Hauptausführung stehen in einem konstanten Verhältnis zu einander. Als Maßeinheit für die Temperaturen ist hier Kelvin zu verwenden. T1 T = 2 = const T'1 T' 2
(2.5)
6. Chemische Ähnlichkeit Die chemischen Konzentrationen an homologen Punkten des Modells und der Hauptausführung stehen in einem konstanten Verhältnis zu einander. c1 c 2 = = const c'1 c'2
(2.6)
Die Abbildung 2.2 veranschaulicht die besprochenen Ähnlichkeiten von Modell und Hauptausführung anhand eines Rührkessels.
24
2 Projektierung
M F M
F’ T
h’
T’
v’
h
v
c’ c
Abb. 2.2. Physikalische Ähnlichkeit in einem Rührkessel
Scale-Up Methoden
Bei der Übertragung von Ergebnissen vom Kleinen zum Großen müssen einige Gesetzmäßigkeiten beachtet werden. Wird z.B. ein Modell um den Faktor z vergrößert, so vergrößert sich seine Oberfläche um z2 und sein Volumen gar um z3. Daraus ergeben sich einige erstaunliche Konsequenzen, die anhand von Beispielen diskutiert werden sollen. 1. Sprungkraft von Tieren Warum springt ein Floh 80 mal so hoch wie seine Körpergröße und ein Frosch 4 mal so hoch, während sich ein Elefant in der Regel nur im Schritttempo fortbewegen kann? Die maßgebende Größe für die Sprungkraft ist der Muskelquerschnitt. Der Sprungkraft wirkt die Schwerkraft des Tieres entgegen. Der Muskelquerschnitt nimmt mit einer linearen Vergrößerung des Tierkörpers um z2 zu, die Schwerkraft ist aber eine Funktion des Körpervolumens und steigt um z3. Insgesamt sinkt also das Verhältnis von Sprungkraft zur Schwerkraft bei einer Maßstabsvergrößerung um den Faktor z-1. Es ist also nur logisch, dass große Tiere keine großen Sprünge vollführen können. Dies bleibt den kleinen vorbehalten! 2. Festigkeit von Apparaten Bei geometrisch ähnlicher Vergrößerung wachsen die tragenden Querschnitte einer Apparatur mit z2, das Gewicht und das Volumen mit z3 und das durch die Schwerkraft und den Hebelarm bedingte Drehmoment gar mit z4. Das Drehmoment ist z.B. von zentraler Bedeutung, wenn die Windlast eines Turms oder einer im Freien stehenden Rektifikationskolon-
2.1 Maßstabsvergrößerung
25
ne berechnet werden soll. Ein linear 100 mal vergrößerter Grashalm wird unter seinem Gewicht abknicken, selbst wenn Werkstoffe der höchsten Festigkeit zum Einsatz kämen.
3. Kühlung eines Rührkessels Steht für die Kühlung eines Rührkessels nur die Außenwand zur Verfügung, so nimmt die Austauschfläche für den Wärmetransport mit z2 zu und das Reaktionsvolumen mit z3. Die Kühlfläche pro Reaktionsvolumen sinkt folglich bei einer Maßstabsvergrößerung um den Faktor z-1. Zudem wird der Weg des Wärmetransports vom Reaktorinneren zur Außenwand um den Faktor z länger, d.h. die Kühlung einer Reaktion in einem Rührkessel gestaltet sich bedeutend schwieriger als in einer kleineren Apparatur, z.B. in einem Reagenzglas. Dies kann bei stark exothermen Reaktionen zu kritischen Zuständen führen. Es ist dann entweder der Wärmeübergang zu verbessern z.B. mit leistungsfähigeren Rührwerken, oder es sind zusätzliche Kühlflächen anzubringen z.B. mit einem außenliegenden separaten Kühler mit Zwangszirkulation (s. Abb. 2.3), oder der Reaktionsumsatz pro Zeit ist zu verkleinern z.B. durch Verdünnung der Edukte, was selbstverständlich nicht gern gemacht wird. M
VK VK
V~z
3
A~z
2
VK
VK
Abb. 2.3. Rührreaktor mit einem externen Kühler (Rohrbündelwärmeübertrager)
Um die Probleme einer Maßstabsvergrößerung in den Griff zu kriegen und um sinnvolle Resultate zu erhalten, hat sich in der chemischen Verfahrenstechnik die Denkweise bewährt, die relevanten dimensionslosen Kenngrößen bei Modell und Hauptausführung konstant zu halten.
26
2 Projektierung
Dimensionslose Kenngrößen
Die Maßstabsvergrößerung bei konstant gehaltenen dimensionslosen Kenngrößen soll als erstes anhand eines Beispiels aus der Musik illustriert werden. In der Familie der Streichinstrumente gibt es eine Reihe von Klangkörpern, die geometrisch ähnlich aufgebaut sind und ein ähnliches Klangbild zeigen, sich aber durch eine unterschiedliche Tonhöhe auszeichnen. Es sind dies z.B. die Geige, die Bratsche, das Cello und der Kontrabass (Abb. 2.4). Maßgebende physikalisch Größen für die Schwingungsfrequenz f dieser Instrumente sind die Länge der Saiten ", die Saitenspannung σ und die Dichte des Saitenmaterials ρ. Aus diesen physikalischen Größen kann eine dimensionslose Kennzahl gebildet werden, die sogenannte Stradivari-Zahl (Gl. 2.7). Es stellt sich heraus, dass für die Familie der 4-saitigen Streichinstrumente die Stradivari-Zahl stets den Wert 0,2 annimmt.
Sv =
"2 ⋅ ρ ⋅ f 2 = 0,2 σ
(2.7)
Abb. 2.4. Familie der Streichinstrumente als Beispiel der Maßstabsvergrößerung mit konstanter dimensionsloser Kennzahl. Kastenlänge und Frequenz der höchsten Saite: Geige 35,5cm 660Hz, Bratsche 40cm 440Hz, Cello 79cm 220Hz, Kontrabass 110cm 98Hz.
2.1 Maßstabsvergrößerung
27
Die Problemstellung der Maßstabsvergrößerung wird durch die Einführung von dimensionslosen Kenngrößen massiv vereinfacht. 1. Bei der Maßstabvergrößerung müssen nicht einzelne Parameter konstant gehalten werden (wie z.B. Saitenspannung oder -dichte). Vielmehr müssen nur die aus den relevanten Parametern zusammengesetzten dimensionslosen Kenngrößen unverändert bleiben. Dadurch gewinnt man eine gewisse Freiheit bei der Einstellung der einzelnen Parameter. Die einzelnen Parameter dürfen variieren. Hauptsache ist, dass die aus den Parametern gebildeten dimensionslosen Kenngrößen des Modells und der Hauptausführung übereinstimmen. 2. Jede physikalische Funktion und damit auch jeder Vorgang in der chemischen Verfahrenstechnik lässt sich durch eine mathematische Beziehung mit lauter dimensionslosen Kenngrößen darstellen. Dies ist auch logisch. Physikalische Gesetze wiederspiegeln die Gesetze der Natur und Naturgesetze gelten unabhängig von den verwendeten Maßeinheiten. Naturgesetze sind dimensionslos. 3. Durch Anwendung von dimensionslosen Kenngrößen lässt sich die Anzahl der notwendigen Versuchsparameter reduzieren. Damit sinkt der Arbeitsaufwand für die experimentelle Untersuchung eines Vorgangs und für die Interpretation der Resultate. 4. Die Darstellung eines Vorgangs in Diagrammen wird vereinfacht. Ein Problem mit vielen physikalischen Parametern reduziert sich auf wenige dimensionslose Kenngrößen. Mit der Stradivari-Zahl werden vier Parameter in nur einer einzigen Größe zusammengefasst. Das Problem kann so in einem einzigen Diagramm dargestellt werden. 5. Computerberechnungen laufen rein numerisch ab. Berechnungsfehler, weil den Zahlenwerten nach der Berechnung falsche Maßeinheiten hinzugefügt werden, entfallen. 6. Beziehungen mit dimensionslosen Kenngrößen gelten sowohl für angelsächsische als auch für SI-Einheiten. Eine Umrechnung der unterschiedlichen Maßeinheiten ist nicht notwendig. Dimensionslose Kenngrößen leiten sich in der Regel aus dem Verhältnis verschiedener am Prozess beteiligter physikalischer Größen ab. Häufig wird ein Verhältnis aus den maßgebenden Kräften gebildet, z.B.
28
2 Projektierung
Reynoldszahl
Trägheitskraft Fρ ρ ⋅ " 2 ⋅ v 2 ρ ⋅ " ⋅ v = = = η⋅" ⋅ v η Re ibungskraft Fη
(2.8)
Trägheitskraft Fρ ρ ⋅ " 2 ⋅ v 2 v2 = = = Schwerkraft FG "⋅g ρ ⋅ "3 ⋅ g
(2.9)
Fρ ρ ⋅ " 2 ⋅ v 2 ρ ⋅ " ⋅ v 2 Trägheitskraft = = = σ⋅" σ Oberflächenspannungskraft Fσ
(2.10)
Fp ∆p ∆p ⋅ " 2 Druckkraft = = = 2 2 Trägheitskraft Fρ ρ ⋅ " ⋅ v ρ ⋅ v2
(2.11)
Re =
Froudezahl
Fr =
Weberzahl We =
Eulerzahl
Eu =
Wenn bei einer Maßstabsvergrößerung empfohlen wird, die dimensionslosen Kenngrößen Re, Fr, We oder Eu von Modell und Hauptausführung konstant zu halten, bedeutet dies, dass das Verhältnis der maßgebenden Kräfte im Modell und in der Hauptausführung gleich bleiben sollen. Nebst dimensionslosen Kenngrößen, die als Verhältnis von Kräften gebildet werden, gibt es auch dimensionslose Kenngrößen, die aus dem Verhältnis anderer physikalischer Größen hergeleitet werden, wie z.B. Nusseltzahl Nu =
α ⋅ " 2 ⋅ ∆T α ⋅ " konvektiver Wärmetransport Q konv = = = konduktiver Wärmetransport Q λ ⋅ " ⋅ ∆T λ kond
(2.12)
Sherwoodzahl Sh =
konvektiver Stofftransport n konv β ⋅ " 2 ⋅ ∆c β ⋅ " = = = diffusiver Stofftransport n diff D ⋅ " ⋅ ∆c D
(2.13)
2.1 Maßstabsvergrößerung
29
Es gibt auch reine Stoffkenngrößen, d.h. dimensionslose Kenngrößen, die nur Stoffwerte enthalten, wie z.B. die Prandtl- (Pr), die Schmidt- (Sc) und die Lewiszahl (Le). Mit den Homochronitätszahlen (Ho I bzw. Ho II) kann die Zeit dimensionslos dargestellt werden. Einen Überblick über die in der chemischen Verfahrenstechnik am häufigsten verwendeten dimensionslosen Kenngrößen liefert die Tabelle 2.2. Weitere Kenngrößen werden in den entsprechenden Kapiteln vorgestellt. Tabelle 2.2. Dimensionslose Kenngrößen der chemischen Verfahrenstechnik Name
Definition g ⋅ "3 ⋅ ∆ρ
ARCHIMEDES
Ar
DAMKÖHLER I
Da I
k r ⋅ cn −1 ⋅ τ
DAMKÖHLER II
Da II
" 2 ⋅ k r ⋅ cn −1 D
DAMKÖHLER III
Da III
" ⋅ k r ⋅ cn ⋅ ∆h r α⋅T
EULER
Eu
FROUDE
ν2 ⋅ ρ
∆p
Anwendungsgebiet
Bemerkungen
Sedimentation
g = Erdbeschleunigung ν = kinematische Viskosität
Chemische Reaktionen
τ = mittlere Verweilzeit kr= Reaktionsgeschw.konst. n = Reaktionsordnung D = Diffusionskoeffizient
Stofftransport kontrollierte. chemische. Reaktion Wärmetransport kontrolα = Wärmeübergangskoeff. lierte ∆hr = Reaktionsenthalpie chemische. Reaktion
ρ ⋅ v2
Strömungslehre (Rohrströmung)
v = mittlere Strömungsgeschwindigkeit
Fr
v2 g⋅"
Strömungslehre (Gravitation)
g = Erdbeschleunigung
GAY-LUSSAC
Gay
1 β ⋅ ∆T
Wärmeausdehnung
β = Wärmeausdehungskoeffizient
GRASHOF
Gr
g ⋅ "3 ⋅ γ ⋅ ∆T ν2
Strömungslehre (freie Konvektion)
γ = kubischer Ausdehnungskoeffizient
HATTA
Ha2
D ⋅ k r ⋅ cn −1 β2
Stofftransportkontrollierte chemische. Reaktion
β = Stoffübergangskoeff. D = Diffusionskoeffizient
HOMOCHRON I
Ho I
v⋅t "
HOMOCHRON II
Ho II
f ⋅t
LEWIS
Le
a D
NEWTON
Ne
ρ ⋅ v2
NUSSELT
Nu
PRANDTL
Pr
REYNOLDS
Re
SCHMIDT
Sc
SHERWOOD WEBER
p α⋅" λ η ⋅ cp ν = a λ ρ⋅" ⋅ v " ⋅ v = η ν
instationäre Vorgänge (z.B. Rohrleitung) instationäre Vorgänge (Rührkessel)
bei Rohr gilt " = Rohrlänge f = Frequenz, Drehzahl
Wärme- und Stofftransport
a = Temperaturleitzahl D = Diffusionskoeffizient
Strömungslehre (Rührkessel)
v = "·f " = Rührerdurchmesser
Wärmeübertragung Wärmeübertragung
α = Wärmeübergangskoeff. λ = Wärmeleitkoeffizient a = Temperaturleitzahl cp = spez. Wärmekapazität
Strömungslehre
η = dynamische Viskosität ν = kinematische Viskosität
η ν = ρ⋅D D
Stofftransport
ν = kinematische Viskosität D = Diffusionskoeffizient
Sh
β⋅" D
Stofftransport
β = Stoffübergangskoeff. D = Diffusionskoeffizient
We
ρ ⋅ " ⋅ v2 σ
Strömungslehre (Zerstäubung)
σ = Oberflächenspannung
30
2 Projektierung
Buckingham Π-Theorem
Mit dem Buckingham Π–Theorem können die dimensionslosen Kenngrößen, die für die Problemlösung relevant sind, direkt aus der Aufgabenstellung hergeleitet werden. Das Buckingham Π–Theorem besagt, dass sich ein physikalisches Problem mit n verschiedenen Einflussparametern, die aus p verschiedenen SI-Basiseinheiten aufgebaut sind, auf (n-p) dimensionslose Kenngrößen reduzieren lässt. Die so hergeleiteten dimensionslosen Kenngrößen nennt man auch Π-Größen (Pi-Größen). Durch die Reduktion der Anzahl maßgebender Einflussgrößen vereinfacht sich die Lösung des Problems, wie dies eingangs des Kapitels dargestellt wurde. Die Vorgehensweise zur Bestimmung der Π–Größen sei anhand des Beispiels einer Druckzerstäubung diskutiert. Bei der Druckzerstäubung einer Flüssigkeit spielen folgende Parameter eine wichtige Rolle: 1. Druck p 2. Dichte ρ 3. Viskosität η 4. Oberflächenspannung σ 5. Düsendurchmesser (= charakteristische Abmessung) d 6. Geschwindigkeit v Zur Beschreibung der sechs Einflussparameter braucht es die drei SIBasiseinheiten: 1. Kilogramm (kg) 2. Meter (m) 3. Sekunde (s) Aus der Anzahl der Einflussparameter (n=6) und der Anzahl der Basiseinheiten (p=3) folgt, dass drei dimensionslose Kenngrößen (Π-Größen) zur vollständigen Beschreibung einer Druckzerstäubung genügen (s. Tabelle 2.3). Die Funktionsweise eines Zerstäubers lässt sich also vereinfacht wiedergeben mit der mathematischen Beziehung Π1= ƒ (Π2,Π 3). Wie können nun aber die dimensionslosen Π-Größen hergeleitet werden? Und wie wird die Funktion Π1= ƒ (Π2,Π 3) gebildet? Es empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: 1. Auflistung der maßgebenden Einflussgrößen mit SI-Einheiten; Bestimmung von n und p Als Beispiel sei weiterhin die Druckzerstäubung angeführt.
2.1 Maßstabsvergrößerung
31
Tabelle 2.3. Beispiel von Einflussparametern und SI-Einheiten für die Druckzerstäubung Einflussparameter Druck Dichte Viskosität Oberflächenspannung Geschwindigkeit Düsendurchmesser
Symbol p ρ η σ v d
Maßeinheit kg⋅m-1⋅s-2 kg⋅m-3 kg⋅m-1⋅s-1 kg⋅s-2 m⋅s-1 m
n=3 p=3 (n-p) = 3
2. Wahl von p primären Einflussgrößen Primäre Einflussgrößen werden später in den hergeleiteten Π-Größen auftreten. Die primären Einflussgrößen sollten deshalb z.B. durch Messungen leicht zugänglich sein, einfach aufgebaut sein und insgesamt alle auftretenden Maßeinheiten umfassen. Als primäre Einflussgrößen bei der Zerstäubung wählt man beispielsweise den Druck p, die Geschwindigkeit v und den Düsendurchmesser d. 3. Beschreibung der n-p sekundären Einflussgrößen als exponentielle Funktionen der p primären Einflussgrößen In unserem Fallbeispiel der Zerstäubung sind die Dichte ρ, die Viskosität η und die Oberflächenspannung σ sekundäre Einflussgrößen. Wir schreiben nun die sekundären Größen als exponentielle Funktionen ƒ der primären Größen. ρ = ƒ1 (p,v,d) ∼ pa1 ⋅ vb1 ⋅ dc1
(2.14)
η = ƒ2 (p,v,d) ∼ pa2 ⋅ vb2 ⋅ dc2
(2.15)
σ = ƒ3 (p,v,d) ∼ pa3 ⋅ vb3 ⋅ dc3
(2.16)
4. Vergleich der Exponenten, für jede sekundäre Größe und jede Basiseinheit einzeln Statt der Symbole für die primären und sekundären Einflussgrößen werden nun die korrespondierenden SI-Basiseinheiten in die obigen Beziehungen (Gln. 2.14-2.16) eingesetzt. Die Exponenten werden für jede Basiseinheit in jeder Gleichung einzeln bestimmt, sodass gesamthaft gesehen links und rechts des Gleichheitszeichens für jede Basiseinheit die gleiche Potenz steht. Daraus folgen die numerischen Werte für die Exponenten a1, a2, a3, b1, b2, b3, c1, c2, c3.
32
2 Projektierung
Für die Dichte ρ (Gl. 2.14) gilt: Basiseinheiten: kg⋅m-3 = (kg⋅m-1⋅s-2) a1 ⋅ (m⋅s-1) b1 ⋅ m c1
(2.17)
kg⋅m-3 = kg a1 ⋅ s-2a1-b1 ⋅ m –a1+b1+c1
(2.18)
Vergleich der Exponenten: kg: 1 = a1 →
(2.19)
a1 = 1
s: 0 = -2a1 - b1 = -2 - b1 →
b1 = -2
m: -3 = -a1 + b1 + c1 = -1 - 2 + c1 →
c1 = 0
(2.20) (2.21)
Für die Viskosität η (Gl. 2.15) gilt: kg⋅m-1⋅s-1 = kg a2 ⋅ s-2a2-b2 ⋅ m –a2+b2+c2 → a2 = 1 ; b2 = -1 ; c2 = 1
(2.22)
Für die Oberflächenspannung σ (Gl. 2.16) gilt: kg⋅s-2 = kg a3 ⋅ s-2a3-b3 ⋅ m –a3+b3+c3 → a3 = 1 ; b3 = 0 ; c3 = 1
(2.23)
5. Bildung der n-p Π-Größen In die Beziehungen des Punkts 3 werden jetzt die in Punkt 4 hergeleiteten numerischen Exponenten eingesetzt. Die n-p Π-Größen werden durch Division der primären Größen durch die jeweilige sekundäre Größe gebildet. Eventuell besitzen die Π-Größen bereits einen Namen, wie sich mit Hilfe der Tabelle 2.2 herausfinden lässt (z.B. Gl. 2.24). Manchmal sind die Π-Größen auch aus bekannten Zahlen zusammengesetzt (z.B. Gln. 2.25, 2.26). ρ = p⋅v-2
→
Π1 =
p = Ne ρ ⋅ v2
(2.24)
η = p⋅d⋅v-1
→
Π2 =
p⋅d = Ne ⋅ Re v⋅η
(2.25)
σ = p⋅d
→
Π3 =
p⋅d = Ne ⋅ We σ
(2.26)
2.2 Planung von Chemieanlagen
33
6. Verknüpfung der n-p Π-Größen zu einer physikalisch sinnvollen Beziehung Die Abhängigkeiten der Π-Größen von einander kann aus Modellvorstellungen oder aus Experimenten hergeleitet werden. In der Praxis überwiegt die Herleitung aus Experimenten. Im vorliegenden Fall ergibt sich folgende Abhängigkeit Π1 = ƒ ( Π2, Π3 ) → Ne = ƒ ( Re, We )
(2.27)
Somit ist es gelungen, die Problemstellung mit ursprünglich 6 Parametern (p, v, d, ρ, η, σ) auf nur 3 Einflussgrößen (Ne, Re, We) zu reduzieren.
2.2 Planung von Chemieanlagen Produktionsverfahren werden bei der Planung in einzelne Prozessschritte unterteilt. Ein Prozessschritt stellt einen in sich geschlossenen Teilprozess dar und umfasst einen für den Prozessfortschritt wesentlichen Vorgang wie z.B. das Mischen, Reagieren, Destillieren, Trocknen, Verpacken und andere mehr. Diese Vorgänge werden auch als Grundoperationen der Verfahrenstechnik bezeichnet. Ein Produktionsverfahren besteht somit aus einer Kombination modular aufgebauter Produktionsbausteine, den Grundoperationen (auch Einheitsoperationen genannt). Je nach Projektphase und gewünschtem Detaillierungsgrad verwendet man zur Darstellung des Prozesses und zur Veranschaulichung der Produktionsanlage folgende Hilfsmittel: 1. Blockschemata 2. Verfahrensfließbilder 3. RI-Schemata 4. Anlagen-Modelle 5. Rohrleitungsmodelle 6. CAD-3D-Grafiken 7. Isometrische Zeichnungen
34
2 Projektierung
Blockschema
Andere Bezeichnungen sind Blockfließbild, Grundfließbild oder schematisches Fließbild (engl. Block Diagram). Das Blockschema ist eine stark vereinfachte Darstellung des Verfahrens anhand von rechteckigen Kästchen, die die verwendeten Grundoperationen wiedergeben (Abb. 2.5). Folgende Informationen sollten im Blockschema enthalten sein: − − − − − −
Bezeichnung der Verfahrensschritte (Rechtecke) Hauptstoffstrom (von links nach rechts oder von oben nach unten) Zugeführte Rohstoffe (von oben oder von links) Abgeführte Rückstände Bezeichnung der Stoffe zwischen den Verfahrensschritten Charakteristische Betriebsbedingungen der einzelnen Verfahrensschritte − ev. Mengenangaben und Zusammensetzung der Stoffströme
B
A
C
Mischen
Polymerisieren
Destillieren
Formen
1 bar
5 bar
0.1 bar
10 bar
25 °C
200 °C
160 °C
120 °C
Flüssigkeit E
viskose Schmelze
viskose Schmelze
D
Granulat
Abb. 2.5. Blockschema einer Polymerisationsanlage; A, B = Monomere, C = Initiator, D = Copolymer, E = Monomere und Oligomere
Verfahrensfließbild
Das Verfahrensfließbild wird auch Verfahrensschema, Fließschema oder Prozessschema genannt (engl. Process Diagram). Das Verfahrensfließbild soll das Verfahren in ausführlicher Art darstellen. Es enthält alle Informationen über Stoffströme, Energien, Hilfsstoffe usw.. Die wichtigen Apparate werden in schematischer Form festgehalten (s. Abb. 2.6). Das Verfahrensfließbild umfasst:
2.2 Planung von Chemieanlagen
35
− alle für das Verfahren erforderlichen Hauptapparate und Maschinen (Symbole gemäß DIN 28‘004) − Hauptprozessströme (Hauptrohrleitungen, Haupttransportwege) − Angabe der Energieträger und Benennung der Energieströme − Nummerierung der Rohstoff-, Zwischenprodukt- und Produktströme innerhalb des Verfahrens und eingehende Energieströme. Angabe der Mengenströme und Betriebsbedingungen in einer ergänzenden Tabelle. − Wesentlichste Aufgaben der Mess-, Steuer- und Regeltechnik (Regelkreise) − Ungefähre Höhenlage der Hauptapparate − Bezeichnung der Apparate, Maschinen und Regelkreise mit Kennbuchstaben und laufenden Nummern (s. Tabellen 2.4 - 2.6)
W2
6
1 FRC
W1
2
K1 TRC
7
TRC
4
3
TRC
5
Stelle 1 2 3 4 5 6 7
Bezeichnung Feed kalt Dampf Kondensat Feed heiß Sumpf Destillat Produkt
Massenstrom/ [kg/h] 400 50 50 400 220 600 180
Temperatur/ [°C] 25 180 170 140 145 135 120
Druck/ [bar] 2 10 9 1.1 1.0 1.0 1.0
Zusammensetzung/ [w-%] 55% A, 45% B 100% Dampf 100% Wasser 55% A, 45% B 20% A, 80% B 98% A, 2% B 98% A, 2% B
Zustand flüssig gasförmig flüssig 2-phasig flüssig gasförmig flüssig
Abb. 2.6. Verfahrensfließbild einer Destillationsstufe inklusive dazugehöriger Wertetabelle
36
2 Projektierung
Tabelle 2.4. Kennbuchstaben für Apparate Kennbuchstaben für Apparate: A: Apparat, Maschine allgemein B: Behälter, Tank, Silo C: Chemischer Reaktor D: Dampfgenerator, Ofen F: Filterapparat G: Getriebe H: Hebe- oder Fördervorrichtung K: Kolonne, Säule M: Motor
P: Pumpe R: Rührwerk, Rührkessel S: Schleuder, Zentrifuge T: Trockner V: Verdichter W: Wärmeübertrager X: Zuteilapparat, sonstige Apparate Y: nicht elektrische Antriebe Z: Zerkleinerungsmaschine
Tabelle 2.5. Kennbuchstaben für Armaturen Kennbuchstaben für Armaturen: A: Ableiter F: Filter, Sieb, Abscheider G: Schauglas H: Hahn, Schließvorrichtung allgemein K: Klappe
R: Rückschlagarmatur S: Schieber V: Ventil, dosierende Schließvorrichtung X: sonstige Armatur Y: Armatur mit Sicherheitsfunktion
Tabelle 2.6. Kennbuchstaben für Mess-, Steuer- und Regeltechnik Kennbuchstaben für Mess-, Steuer- und Regeltechnik: Erstbuchstabe Ergänzungsbuchstabe D: Dichte D: Differenz E: Elektrizität Q: Summe, Integral F: Durchfluss V: Verhältnis G: Abstand, Länge K: Zeit L: Füllstand M: Feuchtigkeit P: Druck Q: Qualität, Konzentration R: Strahlung S: Geschwindigkeit T: Temperatur U: zusammengesetzte Größe V: Viskosität W: Masse, Gewicht
Folgebuchstabe A: Alarm C: Regelung I: Anzeige R: Registrierung S: Schaltung Z: Schaltung im Notfall +: oberer Grenzwert -: unterer Grenzwert
RI-Schema
Das RI-Schema wird auch Rohrleitungs- und Instrumenten-Fließbild, Betriebsschema, Apparateschema oder konstruktives Fließbild genannt (engl. P&I-Diagram). Aufgrund der Festlegungen im Verfahrensfließbild lässt sich das RI-Schema erstellen (s. Abb. 2.7). Es dient der ausführlichen Dar-
2.2 Planung von Chemieanlagen
37
stellung der technischen Ausrüstung einer Anlage. Dazu sind folgende Informationen notwendig: − Alle Apparate und Maschinen, Antriebsmaschinen, Rohrleitungen, Armaturen, usw. sind darzustellen (z.T. auch durch vereinheitlichte Symbole). Die Apparate und Maschinen sind in ihrer richtigen Höhenlage zueinander einzutragen. Die äußere Form und die Hauptabmessung der Apparate können maßstäblich wiedergegeben werden. − Nennweiten, Druckstufen (Nenndruck), Werkstoffe und Ausführungen der Rohrleitungen sind vollständig anzugeben. Rohrleitungen, Armaturen und Instrumentierung sind im Hinblick auf ihre Funktion Lage gerecht einzuzeichnen. − Isolierungen sind anzudeuten und zu beschriften. − Mess-, Steuer- und Regelungeinrichtungen sind schematisch einzuzeichnen. − Alle Apparate, Armaturen, Rohrleitungen usw. sind mittels Kennbuchstaben und fortlaufenden Nummern zu benennen. − RI-Schemata sind durch Spezifikationsblätter der Hauptapparate zu ergänzen. − Um die Übersichtlichkeit zu erleichtern, werden die Kreisläufe der Hilfsmedien oft getrennt zum RI-Schema erstellt.
Abb. 2.7. Ausschnitt aus einem RI-Schema (Sumpf einer Bodenkolonne)
38
2 Projektierung
Anlagenmodell
Dreidimensionale Modelle erleichtern das räumliche Vorstellungsvermögen. Trotz moderner Planungshilfen, z.B. Raumberechnungen mittels EDV, können bei komplexen Anlagen Planungsfehler entstehen, die mit Hilfe eines Anlagenmodells (engl. Layout Model) erkannt und vermieden werden können. Das Anlagenmodell beinhaltet Gebäudeform, Unterteilung der Stockwerke und die wichtigsten Hauptapparate. Die Hauptapparate werden dabei symbolisiert durch einfache Quader, Zylinder, Kegel etc.. Das Modell wird meist im Maßstab 1: 25, 1:33,3 oder 1:50 erstellt. Anhand des Anlagenmodells werden Aspekte beurteilt wie − − − − −
Bedienbarkeit der Apparate, Massenfluss im Gebäude (horizontal oder vertikal durch Schwerkraft), Zugänglichkeit der Apparate für Wartungsarbeiten, Einfachheit der Montage, Sicherheit, Fluchtwege etc..
Rohrleitungsmodell
Ein Rohrleitungsmodell (engl. Piping Model) dient dazu, den Leitungsverlauf zweckmäßig zu gestalten und kritisch zu überprüfen. Durchdringungen und Leitungszusammenstöße werden rasch erkannt. Bedienungselemente wie z.B. Handventile lassen sich räumlich sinnvoll anordnen. Das Rohrleitungsmodell enthält nebst den Rohrleitungen und Apparaten sämtliche Rohrleitungsarmaturen und die Einrichtungen der Mess-, Steuer- und Regeltechnik. Das vollendete Modell liefert anschauliche Informationen für die Fertigung der Rohrleitungen und die Montage. Es kann helfen, isometrische Zeichnungen zu überprüfen, sofern keine CAD-3D-Grafiken vorliegen. Rohrleitungsmodelle eignen sich gut zur Ausbildung von Bedienpersonal oder zur Orientierung von verschiedenen Personenkreisen. Die Kosten für ein vollständig verrohrtes Anlagenmodell betragen ca. 12% der Investitionskosten einer Anlage. Je nach Ausführung des Rohrleitungsmodells unterscheidet man zwischen Vollrohr- und Drahtmodellen. Im Vollrohrmodell werden die Leitungen im richtigen Maßstab bezüglich des Durchmessers eingebaut. Im Drahtmodell wird nur die Leitungsachse mit einem dünnen Draht markiert. Der Leitungsdurchmesser kann mit Hilfe von aufgesteckten Scheiben angedeutet werden. Auch ist es möglich, die Rohrleitungen farblich zu kennzeichnen (auch im Betrieb). Gemäß Norm gilt folgender Farbencode:
2.2 Planung von Chemieanlagen
Wasser: Wasserdampf: Luft: Gase: Säuren: Laugen: brennbare Flüssigkeiten: Vakuum:
39
grün rot blau gelb orange violett braun grau
CAD-3D-Grafik
Anstelle von Anlagen- oder Rohrleitungsmodellen werden immer häufiger 3-dimensionale CAD-Grafiken erstellt. CAD-3D-Grafiken veranschaulichen die Apparate, Innenräume und Verkehrswege in einer realitätsnahen Form (s. Abb. 2.8). Mit Hilfe von CAD-3D-Grafiken kann die Zugänglichkeit und die Bedienungsfreundlichkeit der Apparate am Computer überprüft werden. CAD-3D-Grafiken stellen auch ein Hilfsmittel für die Fertigung der Rohrleitungen und deren Montage dar (isometrische Zeichnungen).
Abb. 2.8. CAD-3D-Ansicht eines katalytischen Erdölcrackers; Zeichnung Firma Triplan, Bad Soden/D
40
2 Projektierung
Es darf nicht vergessen werden, dass die Darstellung der CAD-Grafiken auf Bildschirmen oder Papierausdrucken nur scheinbar dreidimensional erfolgt. In der bildlichen Ausgabe ist die CAD-Grafik immer nur zweidimensional. Die Möglichkeiten der 3-dimensionalen Verarbeitung im Computer kommen erst dann richtig zum Vorschein, wenn man interaktiv am Bildschirm arbeitet und die Anlage unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die Vorteile von CAD-Grafiken sind die individuelle Ansicht aus verschiedenen Perspektiven bei verschiedenen Vergrößerungsmaßstäben, die Möglichkeit der gleichzeitigen Ansicht auf mehreren Bildschirmen an verschiedenen Orten, die Kopierbarkeit und Übermittlung der Daten über moderne elektronische Datenleitungen sowie eventuell die Entwicklung der Programme im billigeren Ausland. Die Nachteile von CAD-Grafiken sind der hohe Kommunikationsaufwand zwischen dem Auftraggeber und den Programmierern, die gegenüber Kunststoff-Modellen beschränkte zweidimensionale Veranschaulichung am Bildschirm und die erschwerte Bedienbarkeit des Programms, welche einige Kenntnisse voraussetzt. Zu den neueren Entwicklungen gehört das sogenannte CAVE (Cave Automatic Virtual Environment). Dabei werfen Projektoren polarisierte Stereobilder an die Wände, die Decke und den Boden eines drei mal drei Meter großen kubischen Raums. Mit Hilfe von Polaroidbrillen können Benützer dreidimensional sehen, wie sich die virtuelle Bilderwelt um sie herum in Echtzeit ändert, je nachdem wie sie sich im Raum bewegen. Isometrische Zeichnung
Eine isometrische Zeichnung (engl. Isometric Drawing) zeigt den 3dimensionalen Verlauf der Rohrleitungen auf quasi perspektifische Art in einer zweidimensionalen Ebene (s. Abb. 2.9). Die Darstellung der Rohrleitungen erfolgen in einem normierten axonometrischen 120° Netz. Isometrische Zeichnungen bilden die Grundlage für die Vorfertigung der Rohrleitung in der Werkstatt und enthalten Angaben über − − − − − − −
Längenmaße, Winkelmaße bei Rohrbiegungen, Räumliche Anordnung, Art der Rohrunterstützungen, Ort und Einbaulage von Armaturen, Messstellen, Regelorganen, Werkstoffe, Isolierungen, Stücklisten.
2.3 Projektmanagement
41
Abb. 2.9. Isometrische Zeichnung
2.3 Projektmanagement Das Wort „Projekt“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet im übertragenen Sinn „Plan“ oder „Entwurf“. Heutzutage versteht man unter einem Projekt ein komplexes Vorhaben mit definierter Zielvorgabe, das für begrenzte Zeit die Zusammenarbeit mehrerer Funktionen oder Personen erfordert. Ein Projekt läuft zielgerichtet in mehreren Phasen ab und wird auf einen Termin hin abgeschlossen (Abb. 2.10). Ein Projekt benötigt Ressourcen personeller, materieller, apparativer und finanzieller Art. Projektphasen
Im Verlauf eines Projekts stehen verschiedene Aufgaben im Vordergrund wie z.B. die Problemanalyse, die Lösungssuche, die Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen, die Realisierung der Problemlösungen und die Nutzung der neuen Lösung. Entsprechend den verschiedenen Aufgaben gliedert sich der Ablauf eines Projekts in unterschiedliche Projektphasen (s. Abb. 2.11).
42
2 Projektierung
Nach jeder Phase stellt sich die Frage, ob ein Projekt weiterhin Erfolg verspricht und weiterverfolgt werden soll. Ein Projekt kann auch zeitweilig zurückgestellt oder gänzlich abgebrochen werden.
Abb. 2.10. Eigenschaften eines Projekts
0. Bedarfsanalyse Projektauslösung
0
1. Projektdefinition Projektstart, Kreditbewilligung für Projektstudie
Kreditbewilligung für Vorprojekt
Ziele, Abgrenzungen, Organisation
1
2. Projektstudie
Problemanalyse, Vorgehenskonzept, Lösungsideen
2
3. Vorprojekt Investitionsabsicht, Kreditbewilligung für Detailprojekt
Kreditbewilligung für Ausführung
Lösungskonzepte mit Zeit- und Kostenschätzung
3
4. Detailprojekt
ausgearbeitete Lösung mit Zeit- und Investitionsplanung
4
5. Realisierung Freigabe für Inbetriebnahme
Ausführung, Montage
5
6. Inbetriebnahme Genehmigung der Schlussabrechnung
Projektidee, Projektvorschlag
Testläufe, Validierung, Übergabe an Betrieb
6
7. Erfolgskontrolle
Rechenschaftsbericht, Verbesserungsvorschläge
Abb. 2.11. Projektphasen und ihr Ablauf beim Bau einer chemischen Anlage
2.3 Projektmanagement
43
Bedarfsanalyse (Projektphase 0)
In der Bedarfsanalyse werden Projektideen gesammelt, Probleme analysiert, Abweichungen zu Zielen und Sollfunktionen untersucht und erste Lösungsmöglichkeiten grob skizziert. Aus der Bedarfsanalyse resultiert der eigentliche Vorschlag zu einem Projekt. Da die Bedarfsanalyse noch ohne direkten Auftrag durchgeführt wird und ohne Zuteilung von finanziellen Mitteln oder personellen Ressourcen erfolgt, trägt sie als Projektphase die Nummer 0. Projektdefinition (Projektphase 1)
Wird der Projektvorschlag positiv beurteilt, so wird das eigentliche Projekt mit der Projektdefinition gestartet. In der Projektdefinition wird ein Projektteam zusammengestellt und ein Projektleiter gewählt. Vorhandenes Wissen wird zusammengetragen und Grobziele werden definiert (Produkte, Apparate, Mengen, Qualität, Zeitrahmen, Kosten). Es wird zwischen Musszielen und Wunschzielen unterschieden. Mussziele sind für den Erfolg des Projekts unabdingbar, während Wunschziele möglichst erfüllt sein sollten, um das Projekt erfolgreich zu gestalten. Randbedingungen und Schnittstellen zum Umfeld (betroffene Bereiche, Verantwortlichkeiten, Hilfsmittel; engl. Scope) müssen unmissverständlich definiert werden. Die Zielformulierung (Pflichtenheft) muss lösungsneutral sein. Die Zielformulierung darf die Wahl der Problemlösung keinesfalls vorwegnehmen, sondern soll sich darauf beschränken, die gewünschten Wirkungen der gesuchten Problemlösung zu beschreiben. Die Zielformulierung darf nicht nur eine Liste mit erwünschten Wirkungen enthalten, sondern soll auch unerwünschte Wirkungen aufzeigen, die zu vermeiden sind. Die Liste der Projektziele kann bei Bedarf hierarchisch unterteilt werden in Gesamtziele, Teilziele und Detailziele. Bedarfsanalyse und Projektdefinition gehören zur Vorphase eines Projekts. Projektstudie (Projektphase 2)
Sofern das Projekt weiterhin Erfolg verspricht, folgt die Projektstudie. Der Zielkatalog (das Pflichtenheft) wird nochmals kritisch überarbeitet. Vorhandenes Wissen wird analysiert und fehlendes Wissen ergänzt (Stoffdaten, Sicherheitsdaten, Verfahrensdaten, Bewilligungen, Gesetze, Verordnungen). Aufgrund der Problemanalyse und der verlangten Ziele werden Lösungsideen kreiert und bewertet (Kosten, Risiken, Termine, Zielerfüllung). Eventuell werden kritische Verfahren im Labor überprüft oder weiterentwickelt. Am Ende der Projektstudie liegen drei Dokumente vor, eine
44
2 Projektierung
vollständige Problemanalyse, ein überarbeiteter Zielkatalog und mehrere Lösungsideen inklusive erster technischer und finanzieller Bewertung. Vorprojekt (Projektphase 3)
Im Vorprojekt werden aus den in der Projektstudie vorgeschlagenen Projektideen die erfolgversprechendsten ausgewählt und hinsichtlich potenzieller Probleme bei ihrer Realisierung durchleuchtet. Lösungskonzepte werden hinsichtlich ihrer Machbarkeit auf dem Papier oder im Labor überprüft (engl. Feasibility Study). Ziel des Vorprojekts sind zwei bis drei gangbare Lösungskonzepte mit Bewertung und Vorschlag der bevorzugten Variante. Die Kosten für die Realisierung des Projekts sollten auf 20% genau abgeschätzt werden. Ebenso sollten Rentabilitätsrechnungen und Sensitivitätsanalysen (Risikoanalysen) erfolgen, sodass eine solide Entscheidungsgrundlage über das weitere Vorgehen besteht. Die folgenden Phasen sind nämlich bedeutend kostspieliger als die vorhergegangenen. Detailprojekt (Projektphase 4)
Soll eine der Projektvarianten zur Ausführung gelangen, folgt das Detailprojekt. Das Detailprojekt entspricht einer Feinplanung. Apparate werden technisch spezifiziert, Gebäude werden ausgelegt, Montagepläne werden erstellt, eventuell wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung erarbeitet, Bewilligungen bei Behörden werden eingeholt, eventuell wird Land gekauft. Ziele der Detailplanung sind exakt ausgearbeitete Projektierungsunterlagen mit technischen Spezifikationen und Zeitplänen inklusive Angaben über die Zeitpunkte von finanziellen Ausgaben und die Dauer von gebundenen personellen und materiellen Ressourcen. Die Kostenschätzung für die Realisation des Projekts soll jetzt eine Genauigkeit von 10% erreichen. Daraus wird der Kreditantrag für die Realisierung des Projekts abgeleitet. Projektstudie, Vorprojekt und Detailprojekt gehören zur Entwicklungsphase eines Projekts. Realisierung (Projektphase 5)
Falls der Kredit für die Ausführung des Projekts gesprochen wird, folgt die Realisierung. Aufträge werden vergeben und laufend hinsichtlich Kosten, Terminen und Zielerfüllung überwacht. Meilensteine, d.h. Ereignisse mit besonderer Bedeutung für den Erfolg des Projekts, ermöglichen die kritische Überprüfung des Projektfortschritts und allenfalls den Entscheid über eine Änderung der Zielsetzung oder die Zuteilung neuer Mittel. Im Extremfall ist auch ein Abbruch oder ein Aufschub des Projekts denkbar.
2.3 Projektmanagement
45
Vollzogene Aufträge müssen abgenommen werden. Betriebs- und Werkstattpersonal werden im Hinblick auf die neuen Aufgaben eingeschult. Zuhanden des Auftraggebers werden Fortschrittsberichte erstellt. Ziel der Realisierung ist die fertig installierte und mechanisch geprüfte Anlage. Inbetriebnahme (Projektphase 6)
Während der Inbetriebnahme geht die Verantwortung für die Anlage vom Anlagenbauer zum Benützer der Anlage über. An der Inbetriebnahme sind folglich sowohl der Anlagenbauer als auch der zukünftige Benützer beteiligt. Größere Anlagen werden in der Regel zuerst in Anlagenbereiche unterteilt, die für sich allein in Betrieb genommen werden. Bei Anlagen mit kritischen Inhaltsstoffen (toxisch, ökotoxisch, feuergefährlich, explosiv) wird die Funktionsweise der Anlage zuerst mit einem ungefährlichen Medium, z.B. Wasser überprüft (Fachjargon: Wasserspiele). Dann wird das im Betrieb verwendete Lösungsmittel ohne chemische Reaktion eingesetzt. Die technische Überprüfung der Apparate und ihrer Funktion nennt man Qualifizierung. Verläuft die Inbetriebnahme in qualitativer und quantitativer Hinsicht erfolgreich, so müssen die verfahrenstechnischen Abläufe eventuell validiert werden. Die Validierung überprüft, ob ein Verfahren reproduzierbar zum gewünschten Ergebnis führt. Qualifizierung und Validierung sind schriftlich zu dokumentieren. Bei Abweichungen müssen Garantiearbeiten ausgeführt werden. Die Benützer der Anlage werden fertig eingeschult. Schließlich wird die Schlussrechnung erstellt und die Anlage mitsamt Dokumentation an den Auftraggeber übergeben. Realisierung und Inbetriebnahme gehören zur Ausführungsphase eines Projekts. Erfolgskontrolle (Projektphase 7)
Nach erfolgter Inbetriebnahme legen die Verantwortlichen in einer Erfolgskontrolle Rechenschaft ab über den Verlauf des Projekts: − − − − −
Wurden Kosten und Termine eingehalten? Stimmen die Betriebsdaten mit den Auslegungsdaten überein? Wurden die vereinbarten Ziele erreicht? Wo und warum gab es Probleme? Wo und warum lief es gut?
Ziel der Erfolgskontrolle ist die Entlastung der Projektverantwortlichen. Zudem soll aus den Erfahrungen im Hinblick auf weitere Projekte gelernt werden. Am Ende der Erfolgskontrolle wird die Projektorganisation aufgelöst. Die Erfolgskontrolle gehört zur Nutzungsphase eines Projekts, welche auch ans eigentliche Projekt anschließt.
46
2 Projektierung
Projektorganisation
Der Zweck der Projektorganisation ist die reibungslose Projektabwicklung durch systematische Einbindung aller relevanten Funktionen. Eine Projektorganisation besteht aus den beiden Elementen Managementteam und Projektteam. Ersteres vertritt die Ziele, die mit dem Projekt verfolgt werden. Letzteres ist für die Umsetzung der Ziele verantwortlich. Als Brücke zwischen den beiden Elementen wirkt der Projektleiter. Er ist als einziges Mitglied in beiden Teams vertreten (Abb. 2.12). Managementteam Steuerungsausschuss
Projektleiter
Projektteam phasenspezifisch
Abb. 2.12. Projektorganisation - Unterteilung in Managementteam und Projektteam
Die verschiedenen Projektphasen stellen unterschiedliche Ansprüche an die Projektorganisation. Je nach Größe und Komplexität des Projekts sowie Art der Projektphase ist die Projektorganisation anders zusammengesetzt. Projektvorgesetzte sollen eine ausgewogene Anzahl direkt unterstellter Mitarbeiter führen (ca. 4-6 Unterstellte). Bei der Gliederung und Aufteilung der Verantwortungsbereiche sollen sinnvolle und übersichtliche Schnittstellen entstehen. Die Abbildungen 2.13, 2.14 und 2.15 zeigen mögliche Organisationsformen des Projektteams, wie sie während verschiedener Projektphasen ihre Gültigkeit haben könnten.
2.3 Projektmanagement
Phase 1 und 2: Projektdefinition und Projektstudie
Projektleiter
Controlling
Leiter Planung Geb./ Infrastr.
Leiter Planung Anlage
Betrieb
Anlagenbetreuung
Abb. 2.13. Vorschlag für das Projektteam während der Projektphasen 1 und 2 Phase 3: Vorprojekt Projektleiter
Leiter Ausführung
Betrieb
Administration und Controlling
Einkauf
Ökologie und Sicherheit
Leiter Planung Anlage
Leiter Planung Geb./ Infrastr.
Anlagenbetreuung
Verfahrenstechnik
Bau und Statik
Anlagenbau
Elektro
MSRE
Sanitär
Automation
HLK
Phase 4: Detailprojekt Projektleiter
Administration und Controlling
Betrieb
Ökologie und Sicherheit
Rechtswesen
Leiter Ausführung
Leiter Planung Anlage
Leiter Planung Geb./ Infrastr.
Anlagenbetreuung
Einkauf
Verfahrenstechnik
Bau und Statik
Instandhaltung
Behördenkontakte
Anlagenbau
Elektro
MSRE
Sanitär
Automation
HLK
Abb. 2.14. Vorschlag für das Projektteam während der Projektphasen 3 und 4
47
48
2 Projektierung
Phase 5: Realisierung Projektleiter
Leiter Inbetriebsetzung
Administration und Controlling
Ökologie und Sicherheit
Rechtswesen
Betrieb
Leiter Ausführung
Leiter Planung Anlage
Leiter Planung Geb./ Infrastr.
Anlagenbetreuung
Validierung
Einkauf
Verfahrenstechnik
Bau und Statik
Instandhaltung
Schulung
Bau- und Ablaufplanung
Anlagenbau
Elektro
Bau- und Montageleitung
MSRE
Sanitär
Baustellensicherheit
Automation
HLK
Phase 6: Inbetriebnahme Projektleiter
Betrieb
Leiter Inbetriebsetzung
Anlagenbetreuung
Betriebspersonal
Team 1
Instandhaltung
Team 2
Team 3
Abb. 2.15. Vorschlag für das Projektteam während der Projektphasen 5 und 6
Die wichtigsten Funktionen der Projektorganisation seien im folgenden kurz beschrieben. Steuerungsausschuss
Der Steuerungsausschuss vertritt den Auftraggeber bzw. Geldgeber und trägt ihm gegenüber die oberste Verantwortung. Er bestimmt die Mussund Wunschziele. Er übt Kontroll- und Entscheidungsfunktionen im Rahmen des bewilligten Kredits aus. Er überwacht den Projektfortschritt, weist Ressourcen zu und entscheidet über Varianten. Er erstellt die Rechenschaftsberichte zuhanden des Auftraggebers bzw. Geldgebers.
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung
49
Projektleiter
Der Projektleiter ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung des Projekts. Er führt und strukturiert das Projekt und weist Verantwortlichkeiten den Funktionen zu. Er stellt das Einhalten der erforderlichen Qualität, Kosten und Termine sicher. Der Projektleiter ist ein Generalist mit Geschick in Organisation und Menschenführung. Sachleiter unterstützen den Projektleiter in der Projektabwicklung. Leiter Planung
Der Leiter Planung ist für sämtliche Planungs- und Projektierungsarbeiten technischer Art zuständig. Er stellt die Konsistenz aller Schnittstellen zwischen den Funktionen sicher. Er ist verantwortlich für das Erstellen und Einhalten der Budgets und teilt Ressourcen zu. Leiter Ausführung
Der Leiter Ausführung realisiert das Projekt. Er erteilt Aufträge und trägt Verantwortung dafür, dass die vereinbarten Projektziele termin- und kostengerecht erreicht werden. Er stellt Behördenkontakte sicher und ist für Bewilligungen zuständig. Administration & Controlling
Der Projektadministrator bzw. Controller ist für alle Planungs- und Kontrollarbeiten nichttechnischer Natur verantwortlich. Er erstellt Termin- und Kostenpläne und überwacht periodisch den Projektfortschritt.
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung Zur Ausführung von Projekten mit vielen, von einander teilweise abhängigen Tätigkeiten oder Arbeiten, wurden spezielle Methoden entwickelt, die heute eine große Verbreitung gefunden haben. Der Zweck dieser Planungsmethoden ist es, die Fertigstellung von Projekten innerhalb einer annehmbaren Zeit und zu annehmbaren Kosten zu ermöglichen. Die Planung soll Informationen liefern über: − Welches ist die minimale Zeit zur Fertigstellung? − Welche Arbeiten sind empfindlich oder kritisch in dem Sinn, dass eine Verlängerung oder Verkürzung der Dauer dieser Arbeiten die Dauer des gesamten Projektes beeinflussen?
50
2 Projektierung
Das Vorgehen bei einer Zeit- und Ressourcenplanung besteht aus 3 Schritten: 1. Analyse: Aufteilen des Projektes in einzelne Tätigkeiten bzw. Arbeiten. Bestimmen der logischen Verknüpfung zwischen den einzelnen Arbeiten. 2. Fertigungsplanung: Abschätzen der Dauer und der benötigten Mittel für jede Arbeit. Erstellen des Zeitplans mit logischen Verknüpfungen. 3. Überwachung: Neuzuordnung von Mitteln oder Modifikation von Arbeiten, um den ursprünglichen Zeitplan zu verbessern oder Abweichungen vom vorgesehenen Plan auszukorrigieren. Zwei Planungsmethoden sollen diskutiert werden: 1. Verwendung von Balkendiagrammen 2. Methode des kritischen Weges, auch Netzplantechnik (NPT) genannt Balkendiagramme
Ein Balkendiagramm, auch Gantt-Diagramm genannt, zeigt den Beginn und die zulässige Zeit für jede Tätigkeit bzw. Arbeit bezüglich einer Gesamt-Zeitskala (s. Abb. 2.16).
Abb. 2.16. Zeitliche Planung der Endphase einer Diplomarbeit mittels Balkendiagramm (Beispiel)
Durch Eintragen des Fortschrittes jeder Arbeit kann das Projekt überwacht und durch Vergleich mit der Zeitskala auf Verspätung oder Überpünktlichkeit kontrolliert werden. Korrekturen können dann entsprechend
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung
51
vorgenommen werden. Die Schwierigkeit der Verwendung von Balkendiagrammen zur Überwachung des Fortschrittes besteht darin, dass logische Verbindungen zwischen den Arbeiten im Diagramm kaum darstellbar sind. Bei einer Änderung einer Tätigkeit muss die ganze Liste der Tätigkeiten überprüft werden, um die daraus resultierenden Konsequenzen abzuschätzen. Die Schwierigkeit, logische Beziehungen in einem Balkendiagramm mit z.B. über dreißig Arbeiten zu überwachen, ist offensichtlich. Dieser Nachteil der Balkendiagramme führte zur Entwicklung der Netzplandiagramme, welche sowohl die logischen Verknüpfungen zwischen den Arbeiten als auch ihre zeitliche Abfolge veranschaulichen. Netzplandiagramme
Das Vorgehen zur Erstellung eines Netzplandiagramms besteht aus den folgenden Schritten: 1. Definieren der notwendigen Arbeiten mit Abschätzung ihrer Dauer 2. Bestimmen der gegenseitigen Abhängigkeiten der Arbeiten 3. Zeichnerisches Darstellen der Arbeiten und ihrer Abhängigkeiten in einem Netzplan Wurden die notwendigen Arbeiten definiert, sollte man sich vergewissern, ob einerseits wirklich alle notwendig sind und andrerseits auch keine vergessen wurden. Gelegentlich kann es sinnvoll sein, eine Arbeit weiter in sich zu unterteilen, sodass eine nachfolgende Arbeit bereits beginnen kann, wenn ein Teil der vorhergehenden fertig ist. In einem Netzplandiagramm gemäß der Methode des kritischen Weges (engl. Critical Path Method; CPM) werden Arbeiten bzw. Tätigkeiten durch Pfeile dargestellt. Kreise, auch Knoten genannt, zeigen Ereignisse an, so z.B. den Zustand einer abgeschlossenen Arbeit (s. Abb. 2.17). Netzplandiagramme, in denen ein Vorgang als Pfeil dargestellt wird, nennt man auch Vorgangspfeil-Darstellungen. Der Schaft des Pfeils stellt den Beginn der Arbeit dar, die Spitze des Pfeils die Beendigung der Arbeit. Die Pfeillängen sind nicht maßstäblich zur Dauer der Tätigkeit. Die Ereignisse (Knoten) brauchen keine Zeit. Sie zeigen den Augenblick an, bei dem alle vorhergehenden Arbeiten abgeschlossen sind, worauf alle direkt folgenden Arbeiten beginnen können.
52
2 Projektierung
2 A
D
4
C
1
B
E 3
Abb. 2.17. Einfaches Netzplandiagramm mit 5 Arbeiten A-E und 4 EreignisKnoten 1-4
Der Netzplan in Abb. 2.17 zeigt folgende Informationen: 1. Arbeiten A und B können parallel ausgeführt werden. 2. Ereignis 2 muss vor Ereignis 3 auftreten, weil das letztere verlangt, dass Arbeit C erledigt ist. 3. Ist Ereignis 2 eingetreten, können C und D parallel erledigt werden. 4. Sobald die spätere der Arbeiten B und C abgeschlossen ist, ist Ereignis 3 eingetreten und Arbeit E kann beginnen. 5. Sobald die spätere der Arbeiten D und E erledigt ist, ist Ereignis 4 eingetreten und das Projekt ist abgeschlossen. Beim Zeichnen eines Netzplanes sollte man sich für jede Arbeit folgende Fragen stellen: − Welche Arbeit oder Arbeiten gehen voraus? − Welche Arbeiten verlaufen parallel? − Welche Arbeit oder Arbeiten können direkt danach ausgeführt werden? Die anschließende Analyse lässt sich durch systematische Numerierung der Ereignisse im Netzplan vereinfachen. Dabei sollte die Nummer eines folgenden Ereignisses stets größer sein wie die größte Nummer eines vorangegangenen Ereignisses. Der Projektstart wird als Ereignis mit Nummer 1 gekennzeichnet. Die minimale Zeitdauer eines Projektes erhält man durch Berechnung des frühesten Zeitpunktes, zu dem jedes Ereignis auftreten kann. Wird die Startzeit als Null angenommen, ist die minimale Dauer die früheste Zeit, zu der das Endereignis auftreten kann. Um den frühstmöglichen Zeitpunkt des Eintritts eines Ereignisses zu finden, untersucht man alle unmittelbar vorhergehenden Arbeiten und Ereignisse. Zur frühesten Startzeit jeder vorhergehenden Arbeit addiert man die Dauer jener Arbeit. Hängt ein Ereignis unmittelbar von mehreren Arbeiten ab, wählt man den größten Wert, der aus diesen Berechnungen her-
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung
53
vorgeht. Das Resultat entspricht dem frühesten Zeitpunkt, zu dem die Arbeiten beginnen können, die auf den Ereignis-Knoten folgen. Auf diese Weise wird auch der frühstmögliche Zeitpunkt für das Ende des Projekts berechnet, was der Gesamtdauer des Projekts entspricht (s. Abb. 2.18). 6 2 6
5 11
0 4
3
1
8
1 3 9
Abb. 2.18. Netzplandiagramm mit Arbeitszeiten und frühesten Anfangszeiten
Der späteste Zeitpunkt, zu dem eine Tätigkeit gestartet werden kann, ohne dass sich die Gesamtdauer des Projektes erhöht, erhält man durch eine Rückwärtsberechnung. Dabei beginnt man beim Endpunkt im Netzplan und subtrahiert die Dauer der vorhergehenden Arbeiten vom Endzeitpunkt. Dies ergibt den spätesten Startpunkt für diese Arbeiten. Zur Berechnung der spätesten Anfangszeit von noch weiter zurückliegenden Vorgängen subtrahiert man die Dauer dieser Vorgänge vom spätesten Zeitpunkt der darauf folgenden Ereignisse. Existieren mehrere Vorgänge, die vom selben Ereignis ausgehen, so wählt man den kleinsten nach diesem Verfahren gewonnenen Wert. Das Resultat entspricht dem spätesten Zeitpunkt, an dem die folgenden Arbeiten beginnen müssen, damit sie nicht die Gesamtdauer des Projektes erhöhen. Zugleich entspricht das Resultat dem spätesten Zeitpunkt, zu dem die dem Ereignis-Knoten vorhergehenden Arbeiten beendet sein müssen (s. Abb. 2.19). Ereignisse, für die die frühesten und spätesten Anfangszeiten übereinstimmen, liegen auf dem so genannten kritischen Weg. Die Vorgänge, die diese Ereignisse verknüpfen, sind für die Gesamtdauer des Projektes direkt maßgebend und stellen kritische Vorgänge dar. Eine zeitliche Verlängerung oder Verkürzung eines kritischen Vorganges verlängert oder verkürzt die Gesamtdauer des Projektes unmittelbar und in direktem Ausmaß.
54
2 Projektierung
6
6 2
6
5 11
0 4
3
1
11
0 8
1 3 9
10
Abb. 2.19. Netzplandiagramm mit Arbeitszeiten, frühesten und spätesten Anfangszeiten (früheste Anfangszeit in Quadraten, späteste Anfangszeit in Rauten)
Die Kennzeichnung des kritischen Weges im Netzplandiagramm kann durch eine dicke Umrandung der Ereignis-Knoten und die Verwendung von dickeren Vorgangs-Pfeilen erfolgen (s. Abb. 2.19). Ereignisse, deren früheste und späteste Anfangszeiten von einander abweichen, liegen auf so genannt subkritischen Wegen. Subkritische Wege können zu kritischen Wegen werden, wenn ihre Pufferkapazität erschöpft ist. Die zeitliche Differenz zwischen spätester und frühester Anfangszeit entspricht einem Zeitspielraum, um die sich das Ereignis verzögern darf, ohne die Gesamtdauer des Projektes zu gefährden. Dieser Zeitspielraum wird als Pufferzeit des Ereignisses bezeichnet. In Netzplan-Diagrammen können die früheste Anfangszeit, die späteste Anfangszeit und die Pufferzeit des Ereignisses in dieser Reihenfolge in einem rechteckigen Ereignis-Knoten unterhalb der Ereignis-Nummer dargestellt werden (s. Abb. 2.20). 2 6 6 0 A
D 6
1 0 0 0
5 C
4 11 11 0
3
B
E
8
1 3 9 10 1
Abb. 2.20. Netzplandiagramm mit Arbeitszeiten, frühesten und spätesten Anfangszeiten sowie Pufferzeiten
2.4 Zeit- und Ressourcenplanung
55
Die Zeitdauer, um die ein Vorgang verlängert werden kann, ohne dass die früheste Anfangszeit irgendeines nachfolgenden Vorgangs vergrößert oder die späteste Anfangszeit irgendeines vorhergehenden Vorgangs verkleinert wird, nennt man freie Pufferzeit. Die freie Pufferzeit kann verbraucht werden, ohne das sich irgendein eingetragener Zeitpunkt im Netzplan ändert. Die Zeitdauer, um die ein Vorgang verlängert werden kann, ohne dass die späteste Anfangszeit irgendeines nachfolgenden Vorgangs vergrößert oder die späteste Anfangszeit irgendeines vorhergehenden Vorgangs verkleinert wird, nennt man Gesamt-Pufferzeit. Wird die Gesamt-Pufferzeit eines Vorgangs verbraucht, so wird der betreffende Vorgang zu einem Teil des kritischen Wegs. Der Verbrauch der Gesamt-Pufferzeit führt zu Verschiebungen der frühesten Startzeiten der folgenden Vorgänge, hat aber keine Konsequenzen auf die Gesamtdauer des Projekts. In der Abbildung 2.20 besitzt der Vorgang B eine freie Pufferzeit von 1 und eine GesamtPufferzeit von 2. Manchmal setzt ein Ereignis das vorgängige Erreichen eines anderen Ereignisses voraus, ohne dass zwischen diesen Ereignissen eine Arbeit oder Tätigkeit abläuft. Die logische Verknüpfung zwischen diesen Ereignissen wird durch einen Scheinvorgang dargestellt. Im NetzplanDiagramm wird hierzu eine gestrichelte Linie verwendet. Scheinvorgänge sind rein logische Verknüpfungen. Da sie keine Arbeit oder Tätigkeit darstellen, besitzen sie keine Zeitdauer (s. Abb. 2.21).
3
3 2
A 0
C 3
7
3 4
1 0
B
7
D
2
4 3 3
3
Abb. 2.21. Netzplandiagramm mit einem Scheinvorgang zwischen den Ereignissen 2 und 3
Aus der Abbildung 2.21 ist ersichtlich, dass der Vorgang C erst beginnen kann, wenn der Vorgang A beendet ist. Der Vorgang D muss warten, bis beide Vorgänge A und B abgeschlossen sind. Weil der Vorgang D län-
56
2 Projektierung
ger dauert als der Vorgang C, verläuft der kritische Weg über den Scheinvorgang. Zuordnung von Ressourcen
Bei den bisherigen Überlegungen haben wir stets angenommen, dass zu jeder Zeit genügend Hilfsmittel zur Ausführung einer Arbeit zur Verfügung stehen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. In der Praxis sind die für ein Projekt zur Verfügung stehenden Mittel meist begrenzt. Es obliegt dem Projektleiter festzulegen, wie er die Hilfsmittel (z.B. Arbeitskräfte und Maschinen) bei einer Knappheit der Ressourcen auf die verschiedenen Arbeiten aufzuteilen gedenkt. Manche der betrachteten Arbeiten kann der Projektleiter durch Zuteilung von mehr Hilfsmitteln verkürzen. Dies hat aber fast zwangsläufig höhere Kosten zur Folge, die der Projektleiter zu verantworten hat. Bei strategischen Problemen, die das Projekt wesentlich gefährden, kann der Steuerungsausschuss darüber befinden, welche Hilfsmittel er dem Projektleiter zusätzlich gewähren will. Die Zuteilung von Ressourcen erfolgt auch heute noch vielfach mit heuristischen Methoden, d.h. durch Anwendung einer Reihe von Regeln, welche erfahrungsgemäß recht gute Resultate ergeben. Häufig angewandte Regeln sind: 1. Beginne alle Arbeiten zum frühest möglichen Zeitpunkt, bis die Grenzen der Hilfsmittel erreicht sind. 2. Sind Hilfsmittel, um alle Arbeiten zum frühest möglichen Zeitpunkt zu starten, nicht mehr verfügbar, so wähle man zuerst die kritischste Arbeit, d.h. jene mit der kleinsten Gesamt-Pufferzeit. 3. Sind die Gesamt-Pufferzeiten gleich groß, so wählt man zuerst die Arbeit mit der kleinsten Zeitdauer, weil dies die früheste Gelegenheit zur Revision der Entscheidung ergibt und die Ressourcen auch am schnellsten wieder freisetzt. Man nimmt an, dass eine einmal begonnene Arbeit nicht vor der Vollendung unterbrochen wird und zwar wegen der Zeit und dem Aufwand, den es braucht, um Hilfsmittel wegzubringen und später wieder hinzubringen. Im allgemeinen ergeben sich mit heuristischen Regeln vernünftige Lösungen, wenn auch nicht zwingend das Optimum. Es gibt auch mathematische Methoden, die auf theoretischen Grundlagen beruhen und das Optimum gut treffen. Ihr Berechnungsaufwand ist allerdings enorm.
2.5 Fragen aus der Praxis
57
2.5 Fragen aus der Praxis Π - Theorem Bei einem Stofftransportvorgang durch Diffusion spielen folgende Einflussgrößen eine maßgebende Rolle: 1. Stoffübergangskoeffizient β 2. Diffusionskoeffizient D 3. Kinematische Zähigkeit ν 4. Dichte ρ 5. Strömungsgeschwindigkeit v 6. Charakteristische Länge " 7. Erdbeschleunigung g 8. Oberflächenspannung σ
[m⋅s-1] [m2⋅s-1] [m2⋅s-1] [kg⋅m-3] [m⋅s-1] [m] [m⋅s-2] [kg⋅s-2]
Wie viele von einander unabhängige dimensionslose Kennzahlen können gebildet werden? Wie sind die dimensionslosen Kennzahlen am einfachsten herzuleiten? Unter welchen Namen sind die Kennzahlen bekannt? Verfahrensfließbild
Ein Rührkessel mit Wendelrührer und Überlaufsicherung soll gemäß DIN 28‘004 gezeichnet und beschriftet werden. Der Rührkessel ist außen mit 40 mm Glaswolle isoliert. Netzplantechnik
Wie lassen sich die Abhängigkeiten der folgenden Tätigkeiten in einem Netzplan darstellen? a) Arbeit K hängt von den Arbeiten A und B ab. b) Arbeit K und Arbeit L hängen von den Arbeiten A und B ab. c) Arbeit K hängt nur von der Arbeit A ab, Arbeit L dagegen von den beiden Arbeiten A und B. d) Arbeit K hängt von den Arbeiten A und C ab, während Arbeit L von den Arbeiten B und C abhängt. Die Lösungen finden sich im Kapitel „Berechnungen und Antworten zu Teil I“ am Ende des ersten Buchteils.
58
2 Projektierung
2.6 Literatur Maßstabsvergrößerung [1] Zlokarnik M (2000) Scale-up. Wiley-VCH, Weinheim [2] Bockhardt H (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart, S 26-32 [3] Wetzler H (1985) Kennzahlen der Verfahrenstechnik. Hüthig, Heidelberg
Planung von Chemieanlagen [4] Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau, S 34-47 [5] Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg, S 180-187 [6] Reichert O (1979) Systematische Planung von Anlagen der Verfahrenstechnik. Hanser, München [7] Bernecker G (1977) Planung und Bau verfahrenstechnischer Anlagen. VDI, Düsseldorf [8] Titze H (1967) Elemente des Apparatebaus. Springer, Berlin Heidelberg New York [9] (1983) Normen-Auszug für Technische Schulen. Normenbüro des Vereins Schweizerischer Maschinen-Industrieller (VSM), Zürich [10]Sattler K, Kasper W (2000) Verfahrenstechnische Anlagen. Wiley-VCH, New York
Projekt-Management [11]Schmidt J (1969) Methodik der praktischen Verfahrenstechnik. Krausskopf, Mainz [12]Burghardt M (1999) Einführung in Projektmanagement. Publicitis MCD, Erlangen [13]Burghardt M (1999) Projektmanagement. Publicitis MCD, Erlangen
Zeit- und Ressourcenplanung [14]Heigenhauser B (1976) Netzplantechnik. Vogel, Würzburg [15]Götzke H (1972) Netzplantechnik. Fikentscher, Darmstadt
3 Werkstoffe
3.1 Mechanische Eigenschaften Mechanische Eigenschaften beschreiben das Werkstoffverhalten unter Einwirkung von Kräften. Aufgrund ihrer praktischen Bedeutung und ihrer normierten Messmethoden stehen drei Eigenschaften im Vordergrund: 1. Festigkeit 2. Kerbschlagzähigkeit 3. Härte Festigkeit Die Festigkeit eines Werkstoffes ist ein Maß dafür, welchen Widerstand der Werkstoff einer Formänderung entgegensetzt. Die Ursache dieses Widerstandes liegt in den Kohäsionskräften der Moleküle bzw. Atome begründet. Zur Überwindung des Formwiderstands müssen äußere Kräfte auf das Werkstück einwirken. Je nach Belastungsrichtung dieser Kräfte unterscheidet man verschiedene Arten der Festigkeit, z.B. Zug-, Druck-, Biege-, Knick-, Scher- oder Torsionsfestigkeit. Die von außen wirkende Kraft wird auf einen typischen Querschnitt des Werkstücks bezogen. Die Festigkeit des Werkstückes ist definiert als Spannung σ, d.h. als Kraft F, die auf den Querschnitt A einwirkt. Da der Querschnitt aufgrund der Krafteinwirkung im Verlauf der Zeit ändern kann, wird die Kraft zur Vereinfachung stets auf den Anfangsquerschnitt A0 bezogen.
σ=
F A0
Symbole: σ = Spannung; Festigkeit F = Kraft A0 = Querschnittsfläche vor der Belastung
(3.1) [N⋅mm-2] [N] [mm2]
60
3 Werkstoffe
Spannungen senkrecht zur beanspruchten Querschnittsfläche nennt man Normalspannungen. Spannungen parallel zur beanspruchten Querschnittsfläche nennt man Schub- oder Scherspannungen. Die Abbildung 3.1 zeigt das Verhalten eines metallischen Probestabes während einer Zugspannungsprüfung. FB
F
Anfangsquerschnitt A0
Einschnürung und Bruch
"0
∆"
∆"B
F
Probestab vor der Belastung
Probestab unter Zugspannung
FB Belastung an der Bruchgrenze
Abb. 3.1. Verformung eines metallischen Probestabs unter Zugspannung
Unter dem Einfluss der Zugspannung verlängert sich der zylindrische Probestab von der ursprünglichen Länge "0 auf ". Um die Verlängerung ∆" = " – "0 als eine von der Stablänge unabhängig Materialgröße angeben zu können, wird die spezifische Längendehnung ε eingeführt. ε=
∆" " − " 0 = "0 "0
Symbole: ε = spezifische Längendehnung " = Länge während der Belastung "0 = Länge vor der Belastung
(3.2)
[-] [m] [m]
Über einen gewissen Bereich ist die spezifische Längendehnung ε proportional zur Zugspannung σ. Dies entspricht dem Gesetz von Hooke. ε= Symbol:
1 ⋅σ E
bzw. σ = E ⋅ ε
E = Elastizitätsmodul oder Young’scher Modul
(3.3) [N⋅mm-2]
3.1 Mechanische Eigenschaften
61
Der Proportionalitätsfaktor E ist eine Materialkonstante und stellt ein Maß für den Widerstand dar, der das Material einer Längenänderung entgegenstellt. Er charakterisiert auf diese Weise die Starrheit bzw. Steifigkeit des Werkstoffes. Je größer E, desto steifer ist das Material. Einige Anhaltswerte für E sind in der Tabelle 3.1 aufgeführt. Die Querkontraktion eines Körpers unter Zugbeanspruchung lässt sich analog zur spezifischen Längendehnung berechnen mit ε' =
∆d µ⋅σ =− = −µ ⋅ ε d0 E
Symbole: ε' = spezifische Querkontraktion ∆d = Abnahme des Durchmessers d0 = Anfangsdurchmesser µ = Poisson-Zahl
(3.4)
[-] [mm] [mm] [-]
Bei konkreten Materialien liegen die Werte der Poisson-Zahlen stets zwischen 0,0 und 0,5. Bei Metallen betragen sie meist ungefähr 0,3. Beispiele von Poisson-Zahlen finden sich in der Tabelle 3.1. Bei geringer Zugspannung verhalten sich viele Materialien ideal elastisch, d.h. sie kehren reversibel in ihre Ursprungsform zurück, wenn die äußere Belastung wegfällt. Die Länge des Probestabs wird wieder "0, der Durchmesser d0. Die kritische Grenzspannung, bis zu welcher sich ein Werkstoff rein elastisch verhält, nennt sich Elastizitätsgrenze σE . Unterhalb der Elastizitätsgrenze gilt das Gesetz von Hooke. Tabelle 3.1. Beispielswerte für Elastizitätsmodule E und Poisson-Zahlen µ Material Blei Aluminium Silber Gold Grauguss Messing Kupfer Stahl Eisen Wolfram
E / [N⋅mm-2] 17'000 73'000 80'000 81'000 100'000 105'000 120'000 200'000 210'000 362'000
µ/[-] 0,45 0,34 0,38 0,42 0,26 0,35 0,35 0,29 0,27 0,17
Die Bestimmung der Elastizitätsgrenze ist in der Praxis mit Schwierigkeiten verbunden, weil sehr kleine bleibende Verformungen auftreten können, die nicht erkannt werden, weil sie innerhalb der Fehlergrenzen des
62
3 Werkstoffe
Messsystems liegen. Es wird deshalb häufig eine technische Elastizitätsgrenze verwendet, die eine bleibende Verlängerung des Messstabs von z.B. 0,01% erlaubt. Die technische Elastizitätsgrenze mit einer bleibenden spezifischen Längendehnung von 0,01% wird mit dem Symbol σ0,01 bezeichnet. Wird die Zugspannung auf den Prüfkörper weiter erhöht, so beginnt das Material plastisch zu fließen. Trägt man die Zugspannung σ gegen die Längendehnung ε auf, so zeigt sich bei duktilen (fließfähigen) Materialien ein Bereich, bei der die Zugspannung trotz zunehmender Verlängerung des Prüfkörpers weitgehend konstant bleibt (Abb. 3.2). Die dazugehörige Zugspannung wird als Streckgrenze σS bezeichnet. Die Streckgrenze ist ein wichtiger Berechnungswert für den Apparatekonstrukteur. Die Streckgrenze entspricht der höchsten Spannung, die in statisch beanspruchten Bauteilen gerade noch erlaubt ist, sodass keine gravierenden Formänderungen auftreten. Die benötigte Materialfestigkeit eines Apparates errechnet sich aus der Streckgrenze unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors von z.B. 1,5. Bei Konstruktionsrechnungen sind stets die aktuellen Sicherheitsfaktoren und Normen zu beachten. σ
σR
Zugspannung
Zugspannung bezogen auf aktuellen Querschnitt A
σZ σ0.01 σE
σB
σS
Zugspannung bezogen auf Anfangsquerschnitt A0
E-Modul relative Längendehnung
δB
ε
Abb. 3.2. Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines Metalls mit speziell gekennzeichneten Werten für die Elastizitätsgrenze σE, technische Elastizitätsgrenze σ0,01, Streckgrenze σS, Zugfestigkeit σZ, Bruchfestigkeit σB und Reißfestigkeit σR
Oberhalb der Streckgrenze kann die Zugspannung weiter ansteigen, bis sich ein Maximalwert ergibt. Dieser Maximalwert entspricht der Zugfestigkeit σZ. Bei weiterer Längendehnung des Prüfstabs sinkt die Zugspannung. Diese Abnahme der Zugspannung ist darauf zurückzuführen,
3.1 Mechanische Eigenschaften
63
dass die Zugkraft auf den Anfangsquerschnitt A0 bezogen wird und nicht auf den mittlerweile stark verkleinerten realen Querschnitt A der Probe. Der Prüfstab schnürt sich vor dem Bruch an der späteren Bruchstelle stark ein. Würde die Zugspannung auf den Querschnitt A bei der Einschnürung bezogen, so würde sie bis zum Bruch weiter ansteigen. Bei weiterer Dehnung des Probestabes bricht dieser schließlich bei einer Bruchspannung σB .Als spezifische Bruchdehnung δB bezeichnet man die maximale spezifische Längendehnung εmax kurz vor dem Bruch. δ B = ε max =
∆" B " B − " 0 = "0 "0
Symbole: δB = spezifische Längendehnung beim Bruch "B = Länge beim Bruch "0 = Länge vor der Belastung
(3.5)
[-] [m] [m]
Die Bruchdehnung ist unter anderem stark von der Länge des Prüfstabes abhängig, da der größte Dehnungsanteil fast immer auf die Einschnürstelle entfällt und dieser Anteil sowohl bei einem kurzen als auch bei einem langen Stab gleich groß ist. Man verwendet deshalb in der Praxis genormte Probestäbe mit einem fixen Anfangsverhältnis von Länge zu Durchmesser von z.B. 10:1 oder 5:1. Die Bruchdehnung ist ein Maß für die Formänderungsfähigkeit eines Werkstoffes. Ein Werkstoff mit großer Bruchdehnung bietet in der Regel eine gewisse Gewähr dafür, dass er bei lokal auftretenden Spannungsspitzen nicht sofort reißt. Werkstoffe mit hoher Bruchdehnung lassen sich walzen, ziehen, biegen, pressen. Das Produkt aus Bruchdehnung δB mal Zugfestigkeit σZ wird als Güteziffer C eines Werkstoffes bezeichnet und entspricht näherungsweise dem auf das Volumen bezogenen Widerstandsvermögen des Werkstoffes gegen Formänderungen. Das genaue Maß für die Formänderungsarbeit, die zum Dehnen des Prüfstabes bis zum Zerreißen aufgewendet werden muss, entspricht dem Integral der Spannung im Spannungs-Dehnungs-Diagramm zwischen ε = 0 und ε = δB (s. Abb. 3.3). Die Güteziffer C ist aber einfacher zu bestimmen als das Integral und gilt deshalb für Praktiker als das geeignetste Maß für die Formänderungsarbeit. Je größer die Formänderungsarbeit bis zum Eintritt des Bruches ist, desto zäher und widerstandsfähiger ist auch das Material, insbesondere gegenüber statischen Beanspruchungen.
64
3 Werkstoffe
σ
Güteziffer C = σZ δB
Arbeitsvermögen bei Dehnung bis Bruch
Zugspannung
σZ σB
Längendehnung
δB
ε
Abb. 3.3. Güteziffer C und Arbeitsvermögen eines Werkstoffes bei Dehnung bis zum Bruch
Die Dauerstandfestigkeit bezeichnet diejenige maximale Spannung, die ein Werkstoff bei statischer Beanspruchung unter Betriebsbedingungen (Temperatur, chemisches Medium) beliebig lange ertragen kann, ohne sich nennenswert plastisch zu verformen. In der Praxis wird die Dauer meist auf eine sinnvolle Lebenszeit limitiert, wonach der Apparat durch einen neuen ersetzt wird. Die über längere Zeitdauer langsam erfolgende plastische Verformung eines Werkstoffes nennt man Kriechen. Die Dauerwechselfestigkeit bezeichnet diejenige maximale Spannung, die ein Werkstoff bei dauernden Belastungswechseln unter Betriebsbedingungen (Temperatur, chemisches Medium) gerade noch erträgt, ohne zu brechen. Naturgemäß spielt dabei die Anzahl und die Art der Lastwechsel eine erhebliche Rolle und muss bei den Laborversuchen an das reale System angepasst sein. Die Festigkeit sinkt mit der Anzahl der Lastwechsel. Um die Festigkeit als Funktion der Anzahl Lastwechsel darzustellen, werden so genannte Wöhler-Kurven verwendet. Dabei wird die Anzahl Lastwechsel n logarithmisch auf der x-Achse aufgetragen (Abb. 3.4). Wöhler-Kurven sind von der Oberflächengüte und vom umgebenden Prüfmedium abhängig.
3.1 Mechanische Eigenschaften
65
σ Zeitfestigkeit
Dauerfestigkeit
0
Abb. 3.4. Wöhler-Kurven zur Darstellung der Dauerwechselfestigkeit; n = Anzahl Lastwechsel; σ = Materialfestigkeit
Kerbschlagzähigkeit
Zur Beurteilung des Materialverhaltens bei schlagartig einwirkenden Kräften dient der Kerbschlagversuch. Dazu wird ein einseitig gekerbter länglicher Probekörper an einem Ende eingespannt (IZOD-Probe) oder an beiden Enden auf Widerlager gelegt (DVM- oder ISO-Probe; Abb. 3.5) und mit einem einzigen Hammerschlag entzwei geschlagen. Die zum Brechen benötigte Schlagenergie wird gemessen und auf 1 cm2 des Probenquerschnitts unterhalb der Kerbe bezogen. Die Werte sind für viele Werkstoffe stark Temperatur abhängig. Die Angabe der Kerbschlagzähigkeit erfolgt in J/cm2.
Abb. 3.5. Kerbschlagzähigkeitsversuch; ISO-Probe mit einseitiger Spitzkerbe auf zwei Widerlager gelegt, Hammer (nicht sichtbar) schlägt von rechts auf die Mitte der Probe
66
3 Werkstoffe
Ist die absorbierte Schlagenergie hoch, so ist der Werkstoff zäh. Er nimmt beim Schlag relativ viel Energie auf und verformt sich stark, ehe er bricht. Die Bruchflächen sind rauh und faserig. Reicht eine geringe Schlagenergie, um die Probe zu entzweien, so gilt das Material als spröd. Die Bruchstücke sind nur wenig verformt. Die Bruchflächen sind weit gehend glatt. Härte
Die Härte bezeichnet den Widerstand eines Werkstoffs, den er dem Eindringen eines härteren Prüfkörpers entgegensetzt. Mittels genormter Prüfverfahren ist die Härtemessung schnell und billig durchzuführen. Dies erlaubt einfache und kostengünstige Vergleichsmessungen verschiedener Materialien. Theoretisch gesehen ist die Härte eine schwierig erfassbare, komplexe Eigenschaft, die u.a. von der Streckgrenze und der Verfestigungsfähigkeit des Materials abhängt. Wird die Härte eines Werkstoffes mit verschiedenen Verfahren bestimmt, so sind die Resultate in der Regel nicht vergleichbar. Einen Überblick über häufig verwendete Verfahren zur Härtebestimmung zeigt die Abbildung 3.6. Prüfverfahren zur Härtebestimmung
Ritzverfahren
Eindringverfahren
Mohs Martens statisch Brinell Vickers Knoop Rockwell Shore
dynamisch Poldi Baumann Rücksprunghöhe
Abb. 3.6. Überblick über die Prüfverfahren zur Härtebestimmung
3.1 Mechanische Eigenschaften
67
Das Ritzverfahren nach Mohs wird in der Mineralogie gebraucht. Die so genannte Mohs’sche Härteskala geht von 0 bis 10, wobei der Wert 10 der höchstmöglichen Härte, nämlich derjenigen eines Diamanten entspricht. Die Härte einer Probe wird durch Ritzen mit Referenzmineralien bestimmt. Die Probenhärte liegt zwischen der niedrigsten Härte des Minerals, durch das die Probe gerade noch geritzt wird, und der höchsten Härte des Minerals, das die Probe gerade noch zu ritzen vermag (Tabelle 3.2). Für Anwendungen bei technischen Werkstoffen ist die Mohs’sche Härteskala zu grob. Tabelle 3.2. Referenzmineralien der Mohs’schen Härteskala Mohs Härte 1 2 3 4 5
Mineral Talk Gips Kalkspat Flussspat Apatit
Mohs Härte 6 7 8 9 10
Mineral Feldspat Quarz Topas Korund Diamant
Beim Ritzverfahren nach Martens wird ein spitzer Diamantkegel über die Prüfoberfläche gezogen. Die Härte wird aus der Belastung des Diamantkegels abgeleitet, die zur Erzeugung eines Kratzers von 10 µm Breite benötigt wird. Das Ritzverfahren nach Martens wird nur noch wenig gebraucht. Bei statischen Eindringverfahren wird ein gehärteter Prüfkörper über eine bestimmte Zeit mit normierter Kraft senkrecht in die Probenoberfläche eingedrückt. Gemessen wird der Durchmesser des Abdrucks oder die Eindringtiefe (Abb. 3.7). F Prüfkraft
Prüfkörper Werkstoffprobe
Abdruck des Prüfkörpers
Abb. 3.7. Statische Härteprüfung; Prüfkörper hinterlässt Abdruck in Werkstoffprobe
68
3 Werkstoffe
Beim Eindringverfahren nach Brinell ist der Prüfkörper eine gehärtete Stahlkugel mit Durchmesser dK. Die Brinellhärte HB errechnet sich aus dem Durchmesser des Kugelabdrucks dA und der angewandten Kraft F gemäß Gl. 3.6.
HB =
2⋅F
(3.6)
π ⋅ d K ⋅ §¨ d K − d 2K − d 2A ·¸ © ¹
Die Härte HB ist dimensionslos. In der Gl. 3.6 sind die Werte für die Kraft F in Kilopond (1 N = 0,102 kp) und für die Durchmesser d in Millimeter ohne Einheiten einzusetzen. Bei zu harten Probenoberflächen (HB > 400) verformt sich die Stahlkugel. Sie plattet ab und verfälscht dadurch das Messresultat. Die Härtemessung nach Brinell beschränkt sich deshalb auf nicht zu harte Werkstoffe mit HB-Werten unter 400. Das Problem der Kugelabplattung umgeht das Eindringverfahren nach Vickers, indem es eine Diamantspitze (Pyramide mit 136° Spitzenwinkel) als Prüfkörper verwendet. Im übrigen verläuft das Verfahren weitgehend analog zur Härtebestimmung nach Brinell. Die Diamantspitze wird mit einer Kraft F senkrecht in die Probe eingedrückt. Danach werden die Eindruckdiagonalen dD unter dem optischen Mikroskop vermessen und gemittelt. Die Vickershärte berechnet sich gemäß Gl. 3.7. HV =
2 ⋅ F ⋅ cos 22° F = 1,854 ⋅ 2 2 dD dD
(3.7)
Die Härte HV ist dimensionslos. In der Gleichung 3.7 sind die Werte für die Kraft F in Kilopond (1 N = 0,102 kp) und für die gemittelte Diagonale d D in Millimeter ohne Einheiten einzusetzen. Die Vickershärte ist innerhalb gewisser Grenzen unabhängig von der aufgebrachten Kraft und eignet sich speziell für punktspezifische Messungen an harten und auch an dünnen Materialien. Sehr ähnlich verläuft die Härteprüfung nach Knoop. Als Prüfkörper dient eine rhombische Pyramide aus Diamant mit Spitzenwinkeln von 130° bzw. 172°30’. Der Prüfkörper dringt mit definierter Kraft senkrecht in die Probenoberfläche ein. Gemessen wird nur die lange Diagonale des Prüfeindrucks in der Probe. Berechnet wird die Härte nach Knoop gemäß der Gl. 3.8. HK = 14,2 ⋅
F d 2D
(3.8)
3.1 Mechanische Eigenschaften
69
Auch die Knoop-Härte ist dimensionslos. In der Gleichung 3.8 sind die Werte für die Kraft F in Kilopond (1 N = 0,102 kp) und für die lange Diagonale dD in Millimeter ohne Einheiten einzusetzen. Die Härteprüfung nach Knoop wird v.a. in angelsächsischen Ländern verwendet und eignet sich speziell für schmale oder dünne Werkstoffproben. Bis zu einer Härte von 300 stimmen die Werte von Brinell, Vickers und Knoop bei homogenen Werkstoffen ziemlich gut überein. Das Eindringverfahren nach Rockwell verläuft ähnlich wie die Verfahren nach Brinell und Vickers. Es weicht von diesen jedoch dadurch ab, dass der Prüfkörper vor der Messung statisch vorbelastet wird (meist mit 10 kp = 98,1 N). Gemessen wird die zusätzlich entstehende Eindringtiefe des Prüfkörpers in die Probe, wenn die Prüflast auf einen gewissen Wert erhöht und danach wieder auf die Vorlast erniedrigt wird. Als Prüfkörper verwendet man eine gehärtete Stahlkugel (engl. Ball) mit Durchmesser von 1,59 mm oder einen Diamantkegel (engl. Cone) mit einem Spitzenwinkel von 120°. Entsprechend den verwendeten Prüfkörpern unterscheidet man Rockwell B (Ball) und Rockwell C (Cone) Verfahren. Rockwell B wird für weichere, Rockwell C für härtere Materialien verwendet. Die maximale Prüflast beträgt beim Rockwell B Verfahren 100 kp = 981 N und beim Rockwell C Verfahren 150 kp = 1471 N. Die Rockwell Härten HRB und HRC berechnen sich aus der zusätzlichen Eindringtiefe h des Prüfkörpers gemäß den Gln. 3.9 und 3.10. HRB = 130 −
h 0,002 mm
(3.9)
HRC = 100 −
h 0,002 mm
(3.10)
Der Vorteil der Rockwell Verfahren gegenüber den Verfahren von Brinell, Vickers oder Knoop besteht darin, dass die Eindringtiefe des Prüfkörpers direkt gemessen werden kann und das zeitraubende Ausmessen der Eindrücke wegfällt. Die Härteprüfung nach Shore findet bei elastischen und gummiartigen Materialien Verwendung. Dabei wird ein Kegelstumpf mit einer definierten Federkraft in die Werkstoffprobe eingedrückt. Gemessen wird wie bei Rockwell die Eindringtiefe des Prüfkörpers. Die Shore-Härte ist die Differenz zwischen dem Zahlenwert 100 und der durch 0,025 mm dividierten Eindringtiefe des Kegelstumpfs in mm unter Wirkung einer genormten Prüfkraft. Je geringer die Eindringtiefe ist, desto härter ist der Werkstoff.
70
3 Werkstoffe
Dynamische Härtemessmethoden werden dort eingesetzt, wo statische Messungen nicht möglich oder zu aufwändig sind. Die Schlaghärteprüfung nach Poldi ist ein dynamisches Eindringverfahren. Dabei wird eine gehärtete Stahlkugel zwischen die Probe und einen Vergleichskörper mit bekannter Brinellhärte HB gelegt. Man schlägt mit einem Hammer von ca. 1 kg Masse auf den Vergleichskörper und untersucht danach die Eindrücke in Probe und Vergleichskörper. Die Poldihärte HBP berechnet sich aus den Durchmessern der Stahlkugel dK, des Abdrucks in der Probe dP und des Abdrucks im Vergleichskörper dV gemäß Gl. 3.11.
HB P = HB ⋅
d K − d 2K − d 2V
(3.11)
d K − d 2K − d 2P
Die Schlaghärteprüfung nach Poldi wird z.B. bei schweren Guss- und Schmiedestücken verwendet. Ohne Vergleichskörper kommt die dynamische Härteprüfung nach Baumann aus. Ein Schlagbolzen, der einseitig mit einer gehärteten 5 mm Stahlkugel versehen ist, wird auf die Probenoberfläche aufgesetzt. Der Schlagbolzen ist mit einer Stahlrohrhülse fest verbunden, in deren Innern sich eine Schraubenfeder befindet. Beim Aufsetzen auf die Probenoberfläche wird die Feder gespannt und schließlich bei einer bestimmten Spannung ausgelöst. Dabei beschleunigt die Feder im Innern der Hülse eine Masse, die kurz darauf auf den Schlagbolzen aufschlägt. Durch die Konstruktion des so genannten Baumann-Hammers ist die Schlagenergie stets gleich groß. Die Schlaghärte nach Baumann wird aus dem Durchmesser des entstandenen Kugelabdrucks mit Hilfe von Eichtabellen berechnet. Die Rücksprunghärteprüfung misst nicht das Eindringen eines Prüfkörpers in einen Werkstoff, sondern die Rücksprunghöhe eines mit einer Diamantspitze versehenen Fallhammers, der senkrecht auf die Probe aufschlägt. Der Abdruck der Diamantspitze in der Probe ist nur indirekt von Bedeutung. Die Härte einer Probe wird vielmehr aufgrund seiner Elastizität bzw. Fähigkeit beurteilt, kinetische Energie kurzzeitig zu speichern. Die Prüfung der Rücksprunghöhe setzt eine waagrechte Probenoberfläche voraus. Zur Messung wird ein Glasrohr senkrecht auf die Probenoberfläche gestellt. Das Glasrohr enthält ein kleines Stahlstück mit Diamantspitze (Gesamtmasse 20 g). Das Stahlstück wird aus einer Höhe von 112 mm frei auf die Probenoberfläche fallen gelassen. Beim Aufprall wird ein Teil der Energie durch plastische Verformung der Probenoberfläche absorbiert. Der andere Teil der Energie verformt die Probenoberfläche elastisch. Dieser Teil der Energie wird sofort wieder als kinetische Rück-
3.2 Korrosion
71
prallenergie an den Fallhammer zurückgegeben und wirft ihn erneut in die Höhe. Aus der Rücksprunghöhe wird die Härte abgeleitet. Je härter die Probe, desto größer die Rücksprunghöhe. Die Rücksprunghöhe ist in gleich große Skalenteile unterteilt, wobei ein unlegierter eutektoidischer, glashart gehärteter Stahl definitionsgemäß die maximale Härte 100 aufweist. Aus den Ergebnissen der Rücksprunghärteprüfung kann auch auf die Härte nach Shore geschlossen werden.
3.2 Korrosion Definitionen
Mit Korrosion bezeichnet man den Angriff und die Zerstörung von Werkstoffen infolge chemischer, elektrochemischer oder physikalisch- chemischer Vorgänge mit dem umgebenden Medium. Chemische Korrosionsvorgänge sind z.B. das Verseifen eines Polyesters in Natronlauge oder die Oxidation von Eisen mit heißem Sauerstoff (Verzunderung). Elektrochemische Korrosionsvorgänge laufen stets in einem Elektrolyten ab, d.h. in einer ionenhaltigen wässrigen Lösung. Sie setzen ferner eine elektrische Potenzialdifferenz zwischen den zwei gleichzeitig ablaufenden Teilreaktionen Oxidation und Reduktion voraus. Ein physikalisch-chemischer Korrosionsvorgang ist z.B. das Auflösen eines Kunststoffes in einem Lösungsmittel. Die Korrosion darf keinesfalls mit dem mechanischen Verschleiß eines Werkstoffes verwechselt werden. Unter Abrasion versteht man den Verschleiß durch Reibung zwischen zwei Werkstoffteilen, z.B. zwischen einer Rührwerkswelle und ihrer Lagerung bzw. Abdichtung. Unter Erosion versteht man den Verschleiß der Werkstoffoberfläche durch Abrieb mit Feststoffteilchen, die in strömenden Gasen oder Flüssigkeiten enthalten sind. Auch Flüssigkeitströpfchen in strömenden Gasen (Aerosole) können zu Erosion führen. Unter Kavitation versteht man den Verschleiß eines Werkstoffes durch spontane Bildung und Implosion von Gasbläschen bei lokal auftretendem Unterdruck, sodass der Dampfdruck der Lösung den Umgebungsdruck kurzzeitig zu übersteigen vermag. Es bilden sich Dampfbläschen, die kurz darauf wieder schlagartig in sich zusammenfallen. Dies verursacht örtlich hohe Druckspitzen und hohe Temperaturen, sodass die Steckgrenze des Materials überschritten werden kann. In Versuchen wurden örtliche Spitzenwerte von bis zu 500 bar und 5'500 °C aufgefunden. Kavitation kann z.B. in einer Zentrifugalpumpe am Rotor und an der Gehäusewand oder an einer Ventilspitze auftreten.
72
3 Werkstoffe
Die Abbildung 3.8 fasst die verschiedenen Ursachen der Zerstörung eines Werkstoffes in einer Chemieanlage zusammen.
Werkstoffzerstörung
Korrosion
Verschleiß
Chemisch Elektrochemisch Physikalisch-chemisch
Abrasion Erosion Kavitation
Abb. 3.8. Ursachen der Werkstoffzerstörung im Chemieanlagenbau
In der Folge werden ausschließlich elektrochemische Korrosionsvorgänge behandelt. Voraussetzungen
Damit eine elektrochemische Korrosion auftritt, müssen vier Bedingungen zwingend zutreffen: 1. Oxidationsreaktion 2. Reduktionsreaktion 3. Elektrolyt 4. Elektrischer Leiter zwischen den Oxidations- und Reduktionsorten 1. Oxidationsreaktion
Die Oxidationsreaktion betrifft bei technischen Werkstoffen meistens Metalle und ist von der Form Me → Me z+ + z ⋅ e-
(3.12)
Die Metallatome treten als Kationen in die umgebende Lösung über. Die bei der Reaktion freigesetzten Elektronen verbleiben auf der Metalloberfläche und laden diese negativ auf. Die Höhe der Aufladung ist vom Werkstoff, der Temperatur und der umgebenden Lösung abhängig. Bei 25 °C und einer 1-molaren Konzentration an Metallionen in der umgebenden Lösung (Standardbedingungen) sind die elektrochemischen Potenziale der
3.2 Korrosion
73
Metalle in so genannten Spannungsreihen aufgeführt (s. Tabelle 3.3). Je kleiner das elektrochemische Potenzial, desto unedler ist das Metall. Als Nullpunkt der Spannungsreihe wurde willkürlich die Reaktion des Wasserstoffs gewählt. H2 → 2 ⋅ H + + 2 ⋅ e-
(3.13)
Metalle mit einem positiven elektrochemischen Potenzial gelten als edel, solche mit einem negativen elektrochemischen Potenzial als unedel (s. Tabelle 3.3). Tabelle 3.3. Elektrochemische Spannungsreihe von Metallen Metall Magnesium Aluminium Zink Chrom Eisen Nickel
Potenzial / V -2,36 -1,66 -0,76 -0,74 -0,41 -0,25
Metall Zinn Blei Wasserstoff Kupfer Silber Gold
Potenzial / V -0,14 -0,13 0,00 +0,35 +0,80 +1,38
Entscheidend für den Ablauf einer Oxidationsreaktion ist jedoch nicht allein das elektrochemische Potenzial. Oftmals bilden die metallischen Oxidationsprodukte eine dichte Schicht auf der Metalloberfläche, was das Metall vor einem weiteren korrosiven Angriff schützt und das elektrochemische Potenzial des Metalls heraufsetzt. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer passivierenden Schutzschicht. Die Ausbildung der Schutzschicht hängt von der Temperatur, dem pH-Wert und dem umgebenden Medium ab. 2. Reduktionsreaktion
Eine Oxidationsreaktion läuft niemals für sich alleine ab. Es braucht stets eine simultan ablaufende Reduktionsreaktion, die die bei der Oxidation freigesetzten Elektronen wieder aufnimmt. Diese Reduktionsreaktion kann metallisch oder nicht-metallisch sein. Eine metallische Reduktionsreaktion liegt z.B. vor, wenn zwei verschiedene Metalle miteinander in Kontakt treten. Aufgrund der unterschiedlichen elektrochemischen Potenziale fließen Elektronen vom unedleren zum edleren Metall. Während Atome des unedleren Metalls oxidiert werden und in Lösung gehen, werden gleichzeitig gelöste Ionen des edleren Metalls reduziert und scheiden sich metallisch an der Oberfläche des edleren Metalls ab. Der negativ geladene Ort der Oxidation ist die Anode und der positiv geladene Ort der Reduktion ist die Kathode.
74
3 Werkstoffe
Nicht-metallische Reduktionsreaktionen sind in der Praxis oft entscheidender für den Korrosionsvorgang als die metallischen. Untenstehend finden sich vier Vorschläge für Reduktionsreaktionen in wässriger Umgebung. Dazu sind die elektrochemischen Potenziale unter Standardbedingungen angegeben. Maßgebend für die Wahl der richtigen Reaktionsgleichung sind der Sauerstoffgehalt und der pH-Wert des umgebenden Elektrolyten.
4 ⋅ H3O+ + O2 + 4 ⋅ e- → 6 ⋅ H2O
- 1,24 V
(3.14)
2 ⋅ H2O + O2 + 4 ⋅ e- → 4 ⋅ OH-
- 0,40 V
(3.15)
0,00 V
(3.16)
+ 0,84 V
(3.17)
2 ⋅ H3O+ + 2 ⋅ e- → H2 + 2 ⋅ H2O 2 ⋅ H2O + 2 ⋅ e- → H2 + 2 ⋅OH-
Werden in einer Reduktionsgleichung gleich viele Elektronen verbraucht wie in einer Oxidationsgleichung erzeugt, so können die Reduktions- und Oxidationsgleichung in einer Redox-Gleichung zusammengefasst werden. Die elektrochemischen Potenziale der Teilreaktionen gemäß den Gln. 3.12 und 3.14 bis 3.17 addieren sich. Ist der Wert des Gesamtpotenzials negativ, so kann die Reaktion vom thermodynamischen Gesichtspunkt her gesehen ablaufen, d.h. sie ist grundsätzlich möglich. Ist der Wert des Gesamtpotenzials positiv, so ist der Korrosionsvorgang schlicht unmöglich. Das Metall bleibt wie es ist. Wie den Gleichungen 3.14 bis 3.17 zu entnehmen ist, ergeben Korrosionsvorgänge stets eine pH-Verschiebung zu höheren Werten. Bei höheren pH-Werten laufen aber die Korrosionsvorgänge üblicherweise langsamer ab oder verschwinden vollständig, weil das Potenzial der Reduktionsreaktion und damit der Gesamtreaktion steigt. 3. Elektrolyt
Eine elektrochemische Korrosion findet ohne Elektrolyt nicht statt. Die durch Oxidation gebildeten Metallionen würden an der Metalloberfläche schnell eine dichte, stark positiv geladene Schicht bilden und die Reaktion stoppen. Der Elektrolyt ermöglicht es den Ionen, sich von der Oberfläche zu lösen und Konzentrationsunterschiede in der Umgebung auszugleichen. Auch die nicht-metallischen Reduktionsreaktionen sind auf ein wässriges Milieu angewiesen, wie die Gln. 3.14 bis 3.17 belegen.
3.2 Korrosion
75
4. Elektrischer Leiter zwischen Anode und Kathode
Finden die Oxidationsreaktion und die Reduktionsreaktion nicht am selben Ort statt, so müssen die beiden Reaktionsorte mit einem elektrischen Leiter verbunden sein. Der Leiter führt die Elektronen von der Anode zur Kathode. Ohne diesen Leiter stoppt die Korrosion augenblicklich. Eine Leitung der Elektronen durch den Elektrolyten ist unmöglich. Die Abbildung 3.9 zeigt die vier Voraussetzungen der Korrosion in schematischer Form.
4
el. Leiter e
1
2
Anode
Kathode Reduktionsreaktion
Oxidationsreaktion 3
Elektrolyt
Abb. 3.9. Die vier Voraussetzungen für einen Korrosionsvorgang
Korrosionsarten
Die Erscheinungsbilder der Korrosion sind vielfältig und hängen nebst dem Werkstoff (Material und Gefüge) auch von den Umgebungsbedingungen ab (Medium, Temperatur, Sauerstoffgehalt, pH-Wert). Man unterscheidet folgende Korrosionsarten: − − − − − − − − −
Ebenmäßige Korrosion Lochfraß Kontaktkorrosion Selektive Korrosion Spaltkorrosion Spannungsrisskorrosion Wasserstoffversprödung Erosionskorrosion Korrosion durch vagabundierende Ströme
76
3 Werkstoffe
Ebenmäßige Korrosion
Die gesamte Werkstoffoberfläche wird gleichmäßig angegriffen. Die ebenmäßige Korrosion erfolgt relativ langsam und ist trotz hohem Materialverlust (gemessen in g⋅m-2⋅a-1 oder mm⋅a-1) relativ ungefährlich, da sie durch einen Dickenzuschlag berücksichtigt werden kann. Eine ebenmäßige Korrosion tritt z.B. bei der Lagerung von Eisenwerkstoffen im Freien auf. Bei einem Materialverlust von weniger als 0,1 mm⋅a-1 gilt ein Werkstoff als korrosionsbeständig. Lochfraß
Lochfraß bezeichnet die punktförmige Korrosion. Es bilden sich kleine, tiefe Löcher in der Werkstoffoberfläche. Verursacht wird der Lochfraß durch lokale elektrochemische Potenzialdifferenzen im Metall. Die lokalen Potenzialdifferenzen können aufgrund von Verunreinigungen (Eisenrost auf Edelstahl), Inhomogenitäten im Metallgefüge (Löt- und Schweißstellen), Verletzung von Schutzschichten (Zinnschicht bei Weißblech) oder Unterschiede im Medium (Sauerstoffgehalt) entstehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Bildung von Lokalelementen. Der Lochfraß ist gefürchtet, weil er oberflächlich harmlos erscheint und relativ schnell auch größere Wandstärken zu durchdringen vermag. Kontaktkorrosion
Stehen zwei unterschiedliche Metalle miteinander in leitender Verbindung und werden von einem gemeinsamen Elektrolyten benetzt, so löst sich das unedlere auf. Das unedlere Metall bildet die Anode, das edlere die Kathode. Abhilfe kann geschafft werden, indem man die beiden Metalle voneinander isoliert (Achtung vor elektrostatischen Aufladungen!) oder Metalle wählt, die in der elektrochemischen Spannungsreihe nahe beieinander liegen. Kontaktkorrosion kann z.B. auftreten, wenn zwei Stahlstücke mit einem Hartlot verbunden werden. Hartlot (Messing) ist edler als Stahl. Selektive Korrosion
Besteht ein Metall aus verschiedenen Gefügebestandteilen, so kann der unedlere Bestandteil selektiv herausgelöst werden. Im Gusseisen korrodieren Perlit und Ferrit bevorzugt, sodass nur Kohlenstoff zurückbleibt. Diese Erscheinung nennt man auch Spongiose (Schwammbildung).
3.2 Korrosion
77
Spaltkorrosion
Spaltkorrosion tritt bevorzugt in Spalten und Hohlräumen auf, in die kein Sauerstoff vordringt. Dadurch wird die Ausbildung einer schützenden (passivierenden) Schutzschicht verhindert. Gefährdet sind z.B. Stellen unterhalb von Dichtungen und Verkrustungen oder Stellen zwischen spitzwinklig zusammenlaufenden Blechen. Spannungsrisskorrosion
Spannungsrisskorrosion entsteht, wenn gleichzeitig ein elektrochemischer Angriff und mechanische Zug- oder Schwingungsbelastungen auf den Werkstoff einwirken. Der Werkstoff reißt bei Belastungen, die ohne elektrochemischen Angriff problemlos zu ertragen wären. Besonders gefährdet sind austenitische Stähle in chloridhaltiger Umgebung. Wasserstoffversprödung
Wasserstoff, der aufgrund seiner geringen molekularen Größe in Metalle eindiffundiert, kann zu einer Herabsetzung der Verformbarkeit des Materials (Versprödung) führen. Ursachen sind Reaktionen an den Korngrenzen im Innern des Metallgefüges. Der Wasserstoff muss nicht von außen zugeführt werden, sondern kann z.B. auch durch die Korrosionsreaktionen des so genannten Wasserstofftyps (Gln. 3.16, 3.17) im Innern des Werkstoffs entstehen. Besonders gefährdet sind Kupfer und Eisen. Druckbelastete Leitungen und Behälter können schlagartig bersten. Erosionskorrosion
Erosionskorrosion tritt bei Werkstoffen mit einer schützenden (passivierenden) Oxidschicht auf, wenn strömende Medien, die Feststoffteilchen enthalten, die Schutzschicht laufend abschleifen. Falls sich eine neue Schutzschicht nicht genügend schnell nachbildet, kommt es zu einer raschen Auflösung des Metalls. Rohrkrümmer, Umlenkbleche, Rührorgane sind besonders gefährdet. Korrosion durch vagabundierende Ströme
Liegt ein metallisches Bauteil parallel zu einer Leitung mit elektrischem Gleichstrom, so kann die Stromleitung eine elektrische Spannung in das Werkstück induzieren. Sind Stromleiter und Werkstück durch einen Elektrolyten verbunden, so fließt ein Teil des elektrischen Stromes über das Bauteil. Der elektrische Strom zwischen Stromleiter und Bauteil verläuft
78
3 Werkstoffe
über diffundierende Ionen (Metallionen, Hydroxidionen, ev. Protonen). Das Bauteil wird an demjenigen Ende korrosiv zerstört, das dem negativeren Teil der Stromleitung zugewandt ist. Dort lösen sich Metallionen bevorzugt ab. Korrosion durch vagabundierende Ströme tritt z.B. in Eisenrohren unter Tramschienen oder in Apparateteilen in der Nähe von galvanischen Bädern auf.
3.3 Korrosionschutz Unter dem Begriff Korrosionsschutz werden Methoden zusammengefasst, die Korrosionsschäden verhüten und die Lebensdauer von Werkstoffen, die einer aggressiven Umgebung ausgesetzt sind, wirkungsvoll verlängern. Korrosion tritt nicht auf, wenn eine der vier Voraussetzungen für die Korrosion, die auf den vorangegangenen Seiten angeführt wurden, fehlt. Die Eingriffsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Schutz vor Korrosion sind mannigfaltig. Die Abbildung 3.10 gibt einen Überblick über die wichtigsten Korrosionsschutzverfahren.
Möglichkeiten zum Schutz vor Korrosion
Werkstoff
Beschichtung
Konstruktion
Elektrischer Strom
Medium
- Elektrochemische Beständigkeit - Passivierende Schutzschicht - Vermeidung von Metallkombinationen
- Metallische Überzüge - Anorganische Überzüge - Organische Überzüge
- Vermeidung von Spalten - Möglichkeit der vollständigen Entleerung - Grosse Radien
- Passivierung mit Opferanoden - Elektrischer Gleichstrom - Streustromableitung
- pH-Wert - O2-Konzentration - Temperatur - Aggressive Inhaltsstoffe - Passivierende Inhaltsstoffe
Abb. 3.10. Eingriffsmöglichkeiten zum Schutz vor elektrochemischer Korrosion
3.3 Korrosionschutz
79
Werkstoff
Die Wahl des richtigen Konstruktionswerkstoffs ist in der chemischen Verfahrenstechnik von zentraler Bedeutung. Eine einfache Möglichkeit zum Schutz vor Korrosion wäre die Verwendung eines korrosionsstabilen, edlen Metalles als Konstruktionswerkstoff. Eine Korrosion wäre so von vornherein ausgeschlossen. Edle Metalle zeigen aber nur geringe Festigkeitswerte und sind in der Regel wirtschaftlich kaum vertretbar. Viele metallische Werkstoffe bilden je nach umgebendem Medium eine passivierende Schutzschicht, die eine weitere Korrosion weitgehend verhindert. Versuche mit dem realen Medium bei Gebrauchstemperatur sind dringend angezeigt, da auch Spuren von Verunreinigungen das Korrosionsverhalten maßgebend beeinflussen können. Kombinationen von verschiedenen Metallen mit unterschiedlichem elektrochemischem Potenzial, die vom gleichen Elektrolyten benetzt werden, sollten vermieden werden, da sonst Kontaktkorrosion auftreten kann. Beschichtung
Eine korrosionsbeständige Beschichtung ist in der Regel kostengünstiger als eine vollständige Konstruktion aus einem korrosionsbeständigen Material. Vor der Beschichtung muss die Werkstoffoberfläche gereinigt, entfettet und aufgerauht werden. Als Beschichtungsstoffe eignen sich Metalle, anorganische Verbindungen und Kunststoffe. Im Folgenden werden verschiedene Methoden des Korrosionsschutzes für Oberflächen vorgestellt. Metallischer Oberflächenschutz
Bei einer Beschichtung mit Metallen müssen zwei Fälle unterschieden werden: 1. Die Deckschicht ist edler als der zu schützende Werkstoff, z.B. verzinntes Eisen (Weißblech). Hier droht eine große Gefahr. Bei einer geringfügigen Verletzung der Schutzschicht entsteht ein sehr schnell fortschreitender Lochfraß, da das Verhältnis zwischen Kathodenoberfläche (Zinn) und Anodenobefläche (Eisen) sehr groß ist (s. Abb. 3.11).
80
3 Werkstoffe
2+
OH
Fe
O2
Kathode Sn e
Fe
Anode
Abb. 3.11. Lochfraß bei Weißblech
2. Die Deckschicht ist unedler als der zu schützende Werkstoff, z.B. verzinktes Eisen (Feuerverzinken). Eine Verletzung der Schutzschicht bleibt hier ohne Folge. Das darunter liegende Metall ist durch den elektrisch leitenden Kontakt mit dem unedleren Metall galvanisch geschützt. Die Deckschicht kann durch Korrosionsvorgänge flächig abgetragen werden, weshalb sie ausreichend dick aufgetragen sein muss. Das Zink wird überdies von einer passivierenden Schutzschicht bedeckt, wodurch es selbst vor einer allzu schnellen Korrosion geschützt ist (s. Abb. 3.12). OH
O2
2+
Zn
Anode Zn e Kathode
Fe
Abb. 3.12. Korrosionsschutz von verzinktem Eisen
Beim Plattieren wird ein korrosionsbeständiges Blech auf das Konstruktionsmaterial aufgewalzt oder aufgesprengt (Sprengplattieren). Wichtig ist eine innige Verzahnung der beiden Werkstoffe, d.h. das Vermeiden von Luftpolstern, die die Wärmeleitung behindern und unter Vakuum den Apparat zerstören können. Gängige Werkstoffkombinationen sind z.B. Titan oder Tantal auf Stahl oder Chromnickelstahl auf unlegiertem Stahl. Wegen der Gefahr der Bildung von Chromcarbiden an der Kontaktfläche, die das Material schwächt, wird im letzteren Fall eine Zwischenschicht aus Nickel eingebracht.
3.3 Korrosionschutz
81
Beim Auftragsschweißen entsteht eine Beschichtung aus dem Werkstoff der Schweißelektrode. Dieses Verfahren eignet sich aus wirtschaftlichen Gründen nur für kleine Flächen, z.B. für Ventilsitze aus Stellit (Legierung aus Co, Cr, W). Beim Metallspritzen wird ein Metalldraht oder ein Metallpulver in einer Flamme oder einem Lichtbogen zum Schmelzen gebracht. Die dabei entstehenden Metalltröpfchen werden durch einen Druckgasstrom aus einer Pistole auf die zu schützende Oberfläche geschleudert. Aufgespritzt werden beispielsweise Zink, Aluminium oder Kupfer. Durch Aufdampfen unter Hochvakuum (10-3 bis 10-4 Pa) können fast beliebige Materialien auf beliebigen anderen Materialien abgeschieden werden. Als Beschichtungsstoffe geeignet sind beispielsweise Aluminium, Silber und Gold. Das Aufdampfen ist ein teures Verfahren, das sich bisher nur für kleine, hoch spezialisierte Teile durchsetzen konnte. Beim Tauchverfahren wird das Werkstück direkt in geschmolzenes Metall eingetaucht. Die wichtigste Anwendung dieser Methode ist das „Feuerverzinken“. Aber auch Blei, Zinn oder Aluminium lassen sich so auf eine Werkstoffoberfläche auftragen. Beim Diffundieren wird das Werkstück heiß in einem erhitzten Metallpulver gewälzt. Metallatome diffundieren in die Werkstoffoberfläche hinein. Danach wird das Metallteil geglüht. Auf diese Weise entstehen Schutzschichten z.B. aus Zink (Sherardisieren), Aluminium (Alitieren) oder Chrom (Inchromieren). Die Schutzschicht ist nicht scharf begrenzt, sondern dringt mit abnehmender Konzentration der eindiffundierten Metallatome tief in das Werkstück ein. Die Schutzschicht ist daher mit dem Grundwerkstoff ausgezeichnet verbunden. Beim Galvanisieren wird das Werkstück in ein Bad mit einer Metallsalzlösung eingetaucht. Das Werkstück ist mit dem negativen Pol einer Gleichstromquelle verbunden. Der positive Pol ist an die Wanne angeschlossen. Die metallischen Kationen der Lösung diffundieren zur Werkstoffoberfläche und scheiden sich dort metallisch ab. Das Galvanisieren eignet sich z.B. für Beschichtungen aus Chrom, Nickel, Kupfer, Silber oder Gold. Beim stromlosen Metallabscheiden wird das Werkstück in ein Bad mit einer Metallsalzlösung und einem Reduktionsmittel eingetaucht. Komplexbildner stabilisieren das Bad, sodass eine Reduktion nur an der Werkstoffoberfläche stattfindet. Es bilden sich gleichmäßig dicke Schutzschichten, auch in Hohlräumen und Vertiefungen, wo durch Galvanisieren keine Metallabscheidung möglich wäre. Die bedeutendste Anwendung ist das Vernickeln.
82
3 Werkstoffe
Anorganischer Oberflächenschutz
Beim Phosphatieren wird das Werkstück in ein Bad mit einer sauren phosphathaltigen Lösung eingetaucht. Es bildet sich eine poröse, schwarze Schutzschicht aus, die passivierend wirkt und einen ausgezeichneten Haftgrund für Anstriche bietet. Beim Chromatieren werden Werkstoffe in ein Bad mit Chromsäure oder Dichromaten eingetaucht und an der Oberfläche oxidiert. Es bilden sich widerstandsfähige zusammenhängende Schutzschichten. Geeignet ist das Chromatieren z.B. für Werkstoffe aus Aluminium oder Zink. Beim Brünieren wird ein Eisenwerkstoff in eine kochend heiße Lösung aus NaOH, NaNO3 und NaNO2 eingetaucht. Es bildet sich eine dekorativ wirkende, dunkle Schutzschicht. Beim Inoxidieren wird ein Eisenwerkstoff auf 800 bis 1'000 °C aufgeheizt und langsam abgekühlt, sodass eine dicke und dichte Schicht aus Fe2O3 entsteht. Beim Eloxieren wird ein Werkstück aus Aluminium in ein Bad mit Schwefel- oder Oxalsäure eingehängt. Das Werkstück wird mit dem positiven Pol einer Gleichstromquelle verknüpft und während 30 bis 60 Minuten anodisch oxidiert. Dabei wächst die natürliche Oxidschicht an der Oberfläche von 0,1 µm auf bis zu 200 µm an. Die gebildete Aluminiumoxidschicht ist verschleißarm und hart. Je nach Herstellung weist die Oxidschicht eine Vielzahl senkrecht stehender Poren auf, die mit Farbstoff gefüllt und mit kochendem Wasser oder Dampf versiegelt werden können. Dadurch lässt sich Aluminium dekorativ einfärben. Beim Emaillieren wird ein glasartiges Pulver bei 600 bis 800 °C in mehreren Schichten auf ein Werkstück aus Eisen aufgeschmolzen. Dazu wird das Werkstück in einen Ofen eingebracht. Die endgültige Schichtdicke, die sich aus 4 bis 8 Schichten zusammensetzt, beträgt 0,8 bis 1 mm. Die Chemikalienbeständigkeit von Email ist analog der von Glas sehr hoch. Nicht beständig ist Email gegenüber Flusssäure und aggressiven Alkalien, besonders bei höheren Temperaturen. Ein Nachteil von Email ist seine Sprödigkeit bzw. Schlagempfindlichkeit. Auch gegenüber Temperaturschocks ist Email empfindlich, da es sich in der Wärme ca. viermal weniger ausdehnt als Eisen. Keramische Auskleidungen eignen sich für größere Apparate und Behälter und bestehen aus Steinen oder Graphitplatten. Die Fugen werden mit einem säure- bzw. laugenfesten Kitt verschlossen.
3.3 Korrosionschutz
83
Organischer Oberflächenschutz
Beim Kunststoffauskleiden überzieht man die Werkstoffoberfläche mit einer chemikalienbeständigen Folie z.B. aus PTFE, PVC, PP oder PE. Die Folie wird mit dem Werkstoffuntergrund entweder verklebt, verschweißt oder verschraubt. (Die Schrauben werden danach ihrerseits mit Kunststofffolie abgedeckt.) Ein Nachteil von Auskleidungen mit Kunststoffen ist die geringe Wärmeleitfähigkeit. Auch für Anwendungen unter Vakuum sind Auskleidungen ungeeignet. Die Gebrauchstemperatur darf 60 °C für PVC und 100 °C für PP und PE nicht überschreiten. Beim Gummieren erfolgt die Auskleidung mit Hart- oder Weichgummi mit Schichtdicken zwischen 3 und 5 mm. Gummischichten schützen auch gegenüber erosiven Angriffen, z.B. in pneumatischen Förderanlagen. Beim Flammspritzen wird ein Kunststoffpulver, z.B. PE oder PA, während des Spritzvorgangs aufgeschmolzen und auf eine kalte Metalloberfläche gesprüht. Es bildet sich eine festanhaftende Schutzschicht, die durch kurzzeitiges Erwärmen des Werkstoffes porendicht zusammenläuft. Beim Wirbelsintern wird ein metallisches Werkstück auf 220 bis 300 °C erwärmt und in eine Wirbelschicht aus kaltem, feinpulvrigem Kunststoff getaucht. Das Pulver schmilzt an der Werkstoffoberfläche und bleibt haften. Das Werkstück wird nochmals erhitzt, wodurch die ursprünglich poröse Schicht zusammenfließt und eine dichte, undurchläßige Schutzschicht ausbildet. Das Lackieren erfolgt in mehreren Durchgängen. Lackschichten können durch Anstreichen oder Aufspritzen aufgebracht werden. Der Grundanstrich enthält nebst dem Bindemittel meist ein rostschützendes Pigment, das die Metalloberfläche passiviert. Rostschützende Pigmente sind z.B. Zinkstaub, Bleimennige oder Zinkchromat. Der Deckanstrich schützt die Grundierung vor schädigenden Umwelteinflüssen wie z.B. sauren Komponenten der Luft oder UV-Strahlung. Unter Bitumieren versteht man das heiße Auftragen von bituminösen Schichten. Bituminöse Schichten sind weitgehend wasserundurchläßig und eignen sich v.a. für den Schutz von Rohren oder Behältern, die im Erdreich verlegt sind. Muss eine Wurzeldurchdringung verhindert werden, schützt Pech (aus Steinkohleteer) besser als Bitumen (aus hochsiedenden Erdölfraktionen). Die Abbildung 3.13 fasst die verschiedenen Möglichkeiten des Korrosionsschutzes, die sich aus einer Beschichtung des Werkstoffes ergeben, zusammen.
84
3 Werkstoffe
Korrosionsschutz durch Oberflächenbeschichtung
Metallische Beschichtung
Anorganische Beschichtung
Organische Beschichtung
- Plattieren - Auftragsschweißen - Metallspritzen - Aufdampfen - Tauchverfahren - Diffundieren - Galvanisieren - Metallabscheiden
- Phosphatieren - Chromatieren - Brünieren - Inoxidieren - Eloxieren - Emaillieren - Keramisch Auskleiden
- Kunststoffauskleiden - Gummieren - Flammspritzen - Wirbelsintern - Lackieren - Bitumieren
Abb. 3.13. Korrosionsschutz durch Beschichtung der Werkstoffoberfläche
Konstruktion Spalten sind unbedingt zu vermeiden, da sie die Spaltkorrosion begünstigen und einer Reinigung oder Oberflächenbehandlung nicht zugänglich sind. Spaltfreie Schweißverbindungen sind Schraubverbindungen vorzuziehen. Polierte Werkstoffoberflächen rosten weniger als unpolierte. Deshalb werden Schweißnähte manchmal überschliffen und die gesamte Oberfläche nachpoliert. Spannungsspitzen im Material durch zu kleine tragende Querschnitte sind zu verhindern, da sie zu Spannungsrisskorrosion führen können. In Behälter zugeleitete Flüssigkeiten sollten nicht der Wand entlang laufen, sondern mit einem Stutzen unterhalb des Flüssigkeitsspiegels eingeleitet werden. Die gesamte Konstruktion soll einfach und rückstandsfrei entleerbar sein. Sie soll eine Reinigung in allen Ecken und Winkeln ermöglichen. Apparate mit kleinen Radien neigen zu Ablagerungen. Bei strömenden Medien bewirken kleine Radien und scharfkantige Ecken starke Wirbel. Die erosive Beanspruchung ist dadurch örtlich besonders hoch.
3.3 Korrosionschutz
85
Elektrischer Strom
Elektrischer Strom als Korrosionsschutz wird bei Bauteilen verwendet, die entweder in Wasser eintauchen oder im feuchten Erdreich verlegt sind (z.B. Schiffsrümpfe, Öltanks, Pipelines). Der elektrische Strom soll eine Korrosion im Falle einer Verletzung der Beschichtung (Lack, Kunststoff, Bitumen) wirkungsvoll unterbinden. Dazu wird das Bauteil mit einem unedlen Metall verbunden, das im selben Elektrolyten liegt, oder mit dem negativen Pol einer Gleichstromquelle verknüpft. Wird das Bauteil mit einem unedleren Metall verbunden, so wird dieses zur Anode. Es löst sich an der Stelle des Bauteils auf, es „opfert“ sich, weshalb man von einer Opferanode spricht. Das unedlere Metall drückt seine Elektronen auf das zu schützende Bauteil, das sich dadurch negativ auflädt. Das Bauteil ist so kathodisch geschützt. Als Opferanoden eignen sich Blöcke aus Zink oder Magnesium. Häufig werden Opferanoden für Schiffe oder erdverlegte Tanks verwendet. Das Bauteil kann auch an den negativen Pol einer Gleichstromquelle angeschlossen sein. Der positive Pol wird dabei z.B. mit einer Graphitelektrode verknüpft. Eine zu hohe Überspannung muss allerdings vermieden werden, da sonst Wasserstoff an der Werkstoffoberfläche entsteht, was den Oberflächenschutz oder den Werkstoff zerstören könnte (Wasserstoffversprödung). Es ist ratsam, den Strom und die Spannung zu überwachen. Ein Schutz durch Gleichstrom eignet sich für Hafenanlagen oder Pipelines bis zu 100 km Länge. Metallkonstruktionen, die in der Nähe von stromführenden Leitern im Erdreich verlegt sind, rosten durch vagabundierende Ströme. Durch Ableiten dieser Streuströme kann das Korrosionsrisiko vermindert werden. Dazu wird die erdverlegte Konstruktion beidseitig mit dem stromführenden Leiter elektrisch verbunden. Medium
Eingriffe im Medium sind, sofern erlaubt, genauso wirksam wie ein Korrosionsschutz am Bauteil. Häufig wird diese Möglichkeit des Korrosionsschutzes übersehen. Gemäß den Reaktionsgleichungen 3.14 und 3.16 hängt die Reduktionsreaktion vom pH-Wert ab. Das elektrochemische Potenzial der Gln. 3.14 und 3.16 verschiebt sich bei 25 °C gemäß der Beziehung von Nernst (Gl. 3.18) um 0,059 Volt pro pH-Einheit. E = E0 + 0,059 V ⋅ pH
(3.18)
86
3 Werkstoffe
Eine Pufferung oder Erhöhung des pH-Wertes erniedrigt das Korrosionsrisiko. Gemäß den Reaktionsgleichungen 3.14 und 3.15 wird die Korrosion durch die Anwesenheit von Sauerstoff begünstigt. Entfernt man den Sauerstoff durch Entgasung oder chemische Zusätze, so wird die Reduktionsreaktion behindert. Chemische Zusätze sind z.B. Natriumsulfit (Na2SO3) oder Hydrazin (H2N-NH2). Hydrazin ist giftig, hautreizend und für Nahrungsmittel nicht zugelassen. Hydrazin kann zudem eine Wasserstoffversprödung des Werkstoffs bewirken, z.B. in Kupferleitungen. Bei einer Erhöhung der Temperatur steigt zunächst die Korrosionsgeschwindigkeit durch Beschleunigung der Kinetik an, wird dann aber ab 70 °C entscheidend gebremst. Dies weil die Löslichkeit von Sauerstoff in wässrigen Lösungen bei höherer Temperatur deutlich abnimmt. Aggressive Inhaltsstoffe wie z.B. Chloride zerstören Schutzschichten und beschleunigen die interkristalline Korrosion. Eventuell können schädliche Chloride in einem vorgeschalteten Ionentauscher eliminiert werden. Abrasive Teilchen in der Lösung fördern die Erosionskorrosion, weshalb die Strömungsgeschwindigkeit manchmal limitiert wird. Oft ist es sinnvoll, suspendierte Teilchen vorgängig abzufiltrieren. Andere Inhaltsstoffe wirken passivierend, weil sie mit dem Metall eine schützende Deckschicht ausbilden. Sulfate bilden mit Blei, Phosphate und Carbonate mit Eisen dichte, schützende Oberflächenschichten. Eine genügend hohe Wasserhärte bei geringem Salzgehalt verhindert die Korrosion durch Kalkablagerung. Verkalkung und Korrosion finden nie gleichzeitig statt. Vor- und Nachteile sind gegeneinander abzuwägen. Mikrobiologischer Bewuchs führt zu Spaltkorrosion und wird durch Desinfektion, z.B. mittels Chlor bekämpft. Vor einer Chlorung sollte jedoch die Beständigkeit des Werkstoffs gegenüber Chlor gründlich abgeklärt sein. Inhibitoren hemmen die Korrosion, indem sie die anodische oder kathodische Oberfläche des Werkstoffs mit wenigen Moleküllagen abdecken. Sie verkleinern damit die an den Oberflächen ablaufenden Oxidations- und Reduktionsreaktionen. Kathodisch wirkende Inhibitoren, die die Reduktionsreaktion behindern, sind besser geeignet als anodisch wirkende Inhibitoren, die die Oxidationsreaktion einschränken, da anodische Inhibitoren bei einer nicht vollständigen Beschichtung der Metalloberfläche zu Lochfraß führen können.
3.3 Korrosionschutz
87
Werkstoffwahl
Die elektrochemische Korrosionsbeständigkeit ist nicht das einzige Kriterium für die Wahl eines Werkstoffes im chemischen Anlagenbau. Ebenso wichtig sind Werkstoffeigenschaften wie: − − − − − − − − − −
Chemikalienbeständigkeit (Lösungsmittel, Säuren, Laugen, Halogene) Mediumsverträglichkeit (keine Geschmacks- oder Farbänderungen) Keine katalytische Wirkung (keine Neben- oder Zersetzungsprodukte) Temperaturbeständigkeit (unter Berücksichtigung des Mediums) Temperaturwechselbeständigkeit (Heiz-Kühl-Zyklen, Notkühlung) Festigkeit (Zug-, Druck-, Biege-, und Torsionsfestigkeit) Schlagfestigkeit (mechanische Beanspruchung, Druckwasserschläge) Härte (Verschleiß der Oberflächenschicht) Bearbeitbarkeit (Umformen, Spannen, Schleifen, Schweißen) Kosten (Werkstoff, Verarbeitung, Instandhaltung, Entsorgung)
Die unterschiedlichen Anforderungen wiederspiegeln sich in einer Vielzahl von Werkstoffen mit Vorteilen je nach Anwendungsgebiet. Um die Vorteile der verschiedenen Werkstoffe in optimaler Weise miteinander zu kombinieren, werden auch Verbundwerkstoffe eingesetzt. Die Abbildung 3.14 gibt einen Überblick über die im Chemiebereich üblichen Werkstoffklassen und Verbundwerkstoffe. Metalle Fe, Cu, Al, Zr, etc.
Email, Stahlbeton, etc.
gummiertes Eisen, etc.
Verbundwerkstoffe
Anorganische Werkstoffe Glas, Keramik, etc.
GFK, etc.
Organische Werkstoffe PE, PP, PVC, PVDF, PTFE, etc.
Abb. 3.14. Werkstoffklassen und Verbundwerkstoffe im chemischen Anlagenbau
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3 Werkstoffe
3.4 Eisen & Stahl Metallische Werkstoffe sind im Chemieanlagenbau beliebt, weil sie sich relativ einfach verarbeiten lassen und auf mechanische Beanspruchung elastisch oder plastisch reagieren, d.h. nicht spröd brechen oder reißen. Sie sind auch gute Wärmeleiter. Ihre Chemikalien- und Rostbeständigkeit ist teilweise eingeschränkt. Die verbreitetsten Werkstoffe im Chemieanlagenbau basieren auf Eisen. Herstellung
Eisen wird im Hochofen bei 1'100 bis 1'600 °C erschmolzen. Regelmäßige Schichten aus Eisenerz, Kalk und Koks werden im Luftstrom, der von unten in den Hochofen eintritt, abgebrannt. Es laufen folgende Reaktionen ab. Im unteren Bereich des Ofens verbrennt Kohlenstoff im Sauerstoffüberschuss zu Kohlendioxid (Gl. 3.19) C + O2 → CO2
∆hr = -393,7 kJ/mol 1
(3.19)
Durch die freigesetzte Reaktionswärme nimmt die Temperatur auf über 1'600 °C zu. Das aufgeheizte Kohlendioxid-Gas steigt hoch und reagiert mit unverbrauchten Koksschichten zu Kohlenmonoxid (BoudouardGleichgewicht ; Gl. 3.20) C + CO2 ↔ 2 CO
∆hr = +172,5 kJ/mol
(3.20)
Das gebildete Kohlenmonoxid reduziert das Eisenoxid zu metallischem Eisen in einer so genannt indirekten Reduktion (Gl. 3.21) Fe2O3 + 3 CO → 2 Fe + 3 CO2
∆hr = -26,8 kJ/mol
(3.21)
Das Kohlendioxid verwandelt sich bei genügend hoher Temperatur erneut gemäß Gl. 3.20 in Kohlenmonoxid zurück. In den obersten Schichten des Ofens ist die Temperatur weniger hoch (500 bis 900 °C). Das Boudouard-Gleichgewicht liegt hier eher auf der linken Seite, d.h. Kohlenmonoxid reagiert zu Kohlendioxid und fein verteiltem Kohlenstoff zurück. Feinverteilter Kohlenstoff vermag das Eisenoxid direkt zu reduzieren (Gl. 3.22) Fe2O3 + 3 C → 2 Fe + 3 CO
1
∆hr = +491,0 kJ/mol
(3.22)
∆hr ist das Symbol für die bei einer Reaktion freigesetzte Reaktionswärme (= Enthalpie). Ein negativer Wert bedeutet, dass bei der Reaktion Wärme frei wird, ein positiver, dass bei der Reaktion Wärme verbraucht wird.
3.4 Eisen & Stahl
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Durch Aufnahme von Kohlenstoff sinkt der Schmelzpunkt von reinem Eisen von 1'536 °C auf bis zu 1'147 °C. Das Eisen schmilzt, fließt nach unten und sammelt sich unten im Ofen, wo es abgestochen wird und dann entweder in die Gießerei oder ins Stahlwerk zur Weiterverarbeitung gelangt. Der Kalkzusatz dient dazu, den Schmelzpunkt der Hochofenschlacke zu erniedrigen und die Gangart2 abzuscheiden (Bsp. Gl. 3.23). CaCO3 + SiO2 → CaSiO3 + CO2
(3.23)
Aufgrund der Herstellung enthält Eisen immer auch Spuren von Kohlenstoff. Dadurch wird es zwar korrosionsbeständiger aber auch spröder, d.h. es lässt sich plastisch nicht verformen. Durch so genanntes Frischen wird der überschüssige Kohlenstoffgehalt im Eisen reduziert. Dazu wird Sauerstoff in direkten Kontakt mit dem schmelzflüssigen Eisen gebracht, indem der Sauerstoff entweder die Oberfläche der Schmelze überstreicht oder direkt in die Schmelze eingeleitet wird. Dabei verbrennt der Kohlenstoff zu Kohlendioxid, aber auch andere störende Inhaltsstoffe reagieren zu Oxiden, die meist in der Schlacke abgeschieden werden können, wie z.B. SiO2 oder MnO. Beträgt der Kohlenstoffgehalt des Eisens weniger als 2%, so ist es plastisch verformbar und man spricht von Stahl. Unlegierter Stahl
Die Abbildung 3.15 zeigt das Zustandsdiagramm von Eisen bei einem Kohlenstoffgehalt von 0 bis 7%. Die Linien beschreiben Phasengrenzen zwischen festen und flüssigen Zuständen. Im praktischen Gebrauch überwiegt das Zustandsdiagramm, das mit durchgehenden Linien dargestellt wird. Es wird als metastabiles Zustandsdiagramm bezeichnet. Es stellt die Kristallmodifikationen und Zusammensetzungen von Eisen-Kohlenstoff-Verbindungen dar, wie sie beim normalen Abkühlen aus der Schmelze auftreten, obwohl sie damit thermodynamisch nicht den stabilsten Zustand erreichen. Werden Eisen-Kohlenstoff-Verbindungen über längere Zeit erhitzt, so gehen sie in den thermodynamisch stabilsten Zustand über. Der gelöste Kohlenstoff scheidet sich bei Konzentrationen über 0,02% als Graphit aus. Die thermodynamisch stabilsten Zustände werden im stabilen Zustandsdiagramm dargestellt. Das stabile Zustandsdiagramm ähnelt dem metastabilen Zustandsdiagramm und ist mit unterbrochenen Linien gezeichnet. Es spielt bei der Beschreibung von Gusseisen eine wichtige Rolle. 2
Gangart = natürliche mineralische Begleitstoffe des Metalloxids im Erzgestein.
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3 Werkstoffe
Abb. 3.15. Zustandsdiagramm von kohlenstoffhaltigem, unlegiertem Eisen; Durchgehende Linien = metastabiles Zustandsdiagramm (Eisen/ Zementit); Unterbrochene Linien = stabiles Zustandsdiagramm (Eisen/ Graphit)
Die Herstellung von unlegierten Stählen wird mit dem metastabilen Zustandsdiagramm der Abb. 3.15 beschrieben. Dem Zustandsdiagramm kann man entnehmen, dass eine Schmelze aus reinem Eisen (ohne Kohlenstoff) bei 1'536 °C erstarrt. Die entstehenden Kristalle haben eine so genannte δModifikation und sind kubisch-raumzentriert. Bei weiterer Abkühlung findet bei 1'392 °C ein Phasenwechsel im Feststoff statt. Die Kristalle sind jetzt kubisch-flächenzentriert und besitzen eine γ–Modifikation. Diese Konfiguration wird als Austenit bezeichnet. Austenitische Werkstoffe lassen sich einfach plastisch verformen, da sie im Kristallgitter über viele Verschiebungsebenen verfügen. Austenitische Werkstoffe sind nicht magnetisch. Ein weiterer Phasenwechsel findet bei 911 °C statt. Dabei ändert das Raumgitter wieder auf kubisch-raumzentriert. Unterhalb von 911 °C hat reines Eisen eine α–Modifikation, die Ferrit genannt wird. Ferrit ist plastisch weniger gut verformbar, weil sich das Zentralatom im Kristallgitter einer Verschiebung der Kristallebenen widersetzt.
3.4 Eisen & Stahl
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Austenitische Werkstoffe lassen sich warm umformen. Dies gelingt bei einem Kohlenstoffgehalt bis maximal 2,06%, wie das Diagramm 3.15 zeigt. Bei Kohlenstoffgehalten über 2,06% ist das Eisen plastisch nicht verformbar und muss durch Gießen in Form gebracht werden. Als Stähle werden ausschließlich Eisen-Werkstoffe bezeichnet, die plastisch verformbar sind. In der Praxis haben unlegierte Stähle einen Kohlenstoffgehalt unter 1,7%. Durch schnelles Abkühlen können gewisse Kristallmodifikationen eingefroren werden und bleiben selbst bei Raumtemperatur erhalten. Wird aus dem austenitischen Gebiet abgeschreckt, so kann der Kohlenstoff keinen Zementit bilden, sondern verbleibt im Gitter. Dieses ist dadurch verzerrt kubisch-raumzentriert und wird Martensit genannt. Martensit ist sehr hart und wird z.B. für Ventilspitzen oder Schneidwerkzeuge gebraucht. Wird einer reinen Eisenschmelze Kohlenstoff zugefügt, so sinkt die Erstarrungstemperatur anfänglich. Die niedrigste Erstarrungstemperatur wird bei einem Kohlenstoffgehalt von 4,3% erreicht und beträgt 1'147 °C. Bei höherem Kohlenstoffgehalt steigt die Erstarrungstemperatur wieder an. Das Feststoffgemisch mit der niedrigsten Erstarrungstemperatur wird Eutektikum genannt. Die Schmelztemperatur eines eutektischen Gemisches liegt niedriger als die Schmelztemperaturen aller anderen Gemische sowie der reinen Komponenten. Unterhalb des eutektischen Punktes zerfällt das eutektische Gemisch in austenistische Kristalle und Fe3C, das auch als Zementit bezeichnet wird. Das Gemisch aus Austenit und Zementit wird Ledeburit genannt. Bei weiterer Abkühlung scheiden die Austenit-Kristalle weiteren Zementit aus, der als Sekundär-Zementit bezeichnet wird. Unterhalb 723 °C sind schließlich auch Austenit-Kristalle nicht mehr beständig. Sie zerfallen in Ferrit und weiteres Zementit. Diese Mischung aus Ferrit und Zementit wird in der metallurgischen Fachsprache als Perlit bezeichnet. Die Zusammensetzung von Eisen mit 0,8% Kohlenstoff bei 723 °C wird in Anlehnung an ein Eutektikum Eutektoid genannt. Ein Eutektoid beschreibt die Zusammensetzung desjenigen Feststoffgemischs, das bei der niedrigst möglichen Temperatur die gleiche Konfiguration besitzt wie bei einer höheren Temperatur. Ungenierte Stähle enthalten keine von außen zugeführten Elemente. Ihr Kohlenstoffgehalt beträgt maximal 1,7%. Unlegierte Stähle sind kostengünstig, einfach verarbeitbar und verhalten sich mechanisch gutartig. Ihr Nachteil ist die beschränkte Korrosionsbeständigkeit. Im Chemieanlagenbau werden unlegierte Stähle für tragende Teile, Rohre und Behälter eingesetzt. Der Korrosionsschutz erfolgt z.B. durch Lackierung, Verzinkung, Bitumierung oder Emaillierung.
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3 Werkstoffe
Unlegierte Stähle werden technisch mit dem Buchstaben S, dem Zahlenwert für die minimale Streckgrenze in N/mm2 und ev. einem Zusatz gekennzeichnet. Beispiel: S235JR bezeichnet einen unlegierten Stahl mit einer minimalen Streckgrenze von 235 N/mm2 und einer Kerbschlagzähigkeit von 27 J bei 20°C (DIN 10'025). Die etwas ältere, aber noch weit verbreitete Kennzeichnung besteht aus den Buchstaben St, dem Zahlenwert für die Zugfestigkeit in kp/mm2 und einer Güteziffer. Beispiel: St 37-2 ist ein unlegierter Stahl mit einer Zugfestigkeit von 37 kp/mm2 ≈ 370 N/mm2 der Gütegruppe 2 (DIN 17'100). Legierter Stahl
Zusätze im Stahl dienen dazu, die Festigkeit, Temperaturbeständigkeit, Zähigkeit, Härte, Verschleißfestigkeit oder Korrosionsbeständigkeit zu erhöhen. Die Korrosionsbeständigkeit von legierten Stählen beruht auf einer ca. 10 µm dicken, passivierenden Schutzschicht aus Fe3O4 (Magnetit) und Oxiden der Legierungselemente. Chrom ist der eigentliche Träger der Korrosionsbeständigkeit von legiertem Stahl. Chrom ist unedler als Eisen und bildet an der Oberfläche eine hauchdünne, stabile und passivierende Schicht aus Cr2O3. Dadurch wird der Korrosionsstromkreis unterbunden, d.h. den Ionen einer korrosiven Lösung wird der Zugang zum Grundmetall verwehrt. Chrom erhöht auch die Festigkeit. Mit steigendem Chromgehalt wird Stahl schwieriger bearbeitbar und spröde. Bei höherer Temperatur neigt Chrom dazu, zusammen mit Kohlenstoff an die interkristallinen Korngrenzen zu diffundieren und sich dort als Chromkarbid (Cr23C6) niederzuschlagen. Die angrenzende Schicht verarmt so beträchtlich an Chrom. Dadurch wird eine interkristalline Korrosion stark gefördert. Nickel ist eines der wichtigsten Legierungselemente. Es erhöht die Festigkeit, Zähigkeit und Plastizität. Es erweitert den austenitischen Bereich bis hinunter auf Raumtemperatur. Die Stähle werden dadurch selbst im kalten Zustand plastisch verformbar. Molybdän erhöht die Warmfestigkeit und die Korrosionsbeständigkeit gegenüber Halogeniden, Sulfaten, Sulfiten, organischen Säuren, Phosphorsäure, etc.. Titan, Tantal und Niob verhindern die Diffusion von Kohlenstoff an die Korngrenzen, indem sie sich mit dem Kohlenstoff zu Karbiden verbinden. Dadurch verhindern sie eine interkristalline Ausscheidung von schädlichem Chromkarbid. Kupfer erhöht die Korrosionsbeständigkeit v.a. gegenüber atmosphärischen Einflüssen und Schwefelsäure. Es erweitert das austenitische Gebiet. Aluminium erhöht die Zähigkeit bei tiefen Tempera-
3.4 Eisen & Stahl
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turen und verhindert Sprödigkeit. Bei hohen Temperaturen wirkt Aluminium gegen die Verzunderung (Reaktion mit Luftsauerstoff). Mangan erhöht die Verschleißfestigkeit z.B. bei Stählen für Mühlen oder Brecher und erweitert das austenitische Gebiet. Auch Kobalt erweitert das austenitische Gebiet und erhöht zusätzlich die Warmfestigkeit. Wolfram und Vanadium erhöhen die Härte und Temperaturbeständigkeit. Stickstoff, der nachträglich eingebracht wird, erhöht die Festigkeit und Härte. Silizium erniedrigt die Verformbarkeit und erschwert die Schweißbarkeit. Phosphor und Schwefel erniedrigen die Festigkeit. Silizium, Phosphor und Schwefel sind deshalb bei Stählen unerwünscht. Ihr Gehalt wird bei vielen Legierungen nach oben begrenzt. Niedrig legierter Stahl enthält maximal 1% Kohlenstoff und bis zu 5% andere Legierungselemente. Seine Festigkeit ist hervorragend. Niedrig legierte Stähle werden im Chemieanlagenbau v.a. für Behälter, Apparate und Rohre eingesetzt, die erhöhte Druck- oder Temperaturbelastungen aushalten müssen. Das Kurzzeichen von niedrig legierten Stählen wiederspiegelt deren Zusammensetzung. Die erste Zahl entspricht dem Kohlenstoffgehalt in 1/100 %. Es folgen die chemischen Symbole der Legierungselemente und danach die Zahlenwerte für deren Gehalt in Prozent, die je nach Element noch durch einen Divisor geteilt werden müssen. Die Tabelle 3.4 zeigt die Divisoren der verschiedenen Elemente. Beispiel: 13 Cr Mo 6 4 bezeichnet einen niedrig legierten Stahl mit 0,13% Kohlenstoff, 1,5% Chrom und 0,4% Molybdän. Tabelle 3.4. Divisoren der Legierungselemente in niedrig legierten Stählen Divisor 4 10 100 1’000
Legierungselemente Cr, Co, Mn, Ni, Si, W Al, Be, Cu, Mo, Nb, Ta, Ti, V, Zr C, Ce, N, P, S B
Hoch legierter Stahl enthält mindestens 12% Chrom und nur wenig Kohlenstoff. Er ist äußerst chemikalienresistent außer gegenüber Säuren, Halogeniden und unter reduzierenden Bedingungen. Die umfangreichen Legierungszusätze setzen die Wärmeleitfähigkeit herab. Hoch legierte Stähle werden für Reaktoren, Behälter und Rohrleitungen verwendet, die einem erhöhten korrosiven Angriff ausgesetzt sind.
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3 Werkstoffe
Hoch legierte Stähle können in drei verschiedenen Modifikationen auftreten. Die Modifikation wird im Wesentlichen durch die Legierungszusätze und deren Gehalt bestimmt (Tabelle 3.5). Tabelle 3.5. Modifikation und Zusammensetzung von hoch legierten Stählen Ferritische Stähle Cr ≥ 12%; C ≤ 0,1%; ev. weitere Legierungselemente
Austenitische Stähle Cr ≥ 17%; Ni ≥ 9%; C ≤ 0,1%; ev. weitere Legierungselemente
Martensitische Stähle Cr ≥ 12%; C ≥ 0,1%; ev. weitere Legierungselemente
Ferritische Stähle (α-Gefüge des Eisens) sind korrosionsbeständig, schlecht verformbar und magnetisch. Beim Schweißen neigen sie zur Ausscheidung von Chromkarbiden und ändern ihr Gefüge teilweise auf γ–Modifikation, was an den Grenzen der Gefügearten zu interkristalliner Korrosion führt. Ferritische Stähle finden im Chemieanlagenbau bisher nur beschränkt Anwendung, z.B. bei chloridhaltigen Lösungen (Brackwasser, Meerwasser). Austenitische Stähle (γ-Gefüge des Eisens) sind die am häufigsten im Chemieanlagenbau verwendeten Stähle. Sie sind ausgezeichnet korrosionsbeständig, gut verformbar, warm- und kaltfest, zäh, unter Schutzgas schweißbar und nicht magnetisch. Austenitische Stähle finden z.B. Einsatz bei Reaktoren und Behältern. Martensitische Stähle (verzerrtes γ-Gefüge des Eisens) sind aufgrund ihres geringfügig erhöhten Kohlenstoffgehalts härtbar und verschleißfest. Sie sind plastisch nicht verformbar, weniger korrosionsbeständig und magnetisch. Martensitische Stähle werden für Bauteile verwendet, die einem hohen Verschleiß ausgesetzt sind. Hoch legierte Stähle werden technisch mit dem Buchstaben X gekennzeichnet. Es folgen die Angabe des Kohlenstoffgehalts in 1/100 %, die chemischen Symbole der Legierungselemente und ihr Gehalt in %. Beispiel: X6CrNiTi18-10 bezeichnet einen hoch legierten Stahl mit 0,06% Kohlenstoff, 18% Chrom, 10% Nickel und einem kleinen Zusatz von Titan. Stähle können statt durch plastisches Umformen auch durch Gießen in die gebrauchsfähige Form gebracht werden. Man spricht dann von Stahlguss. Die technische Kennzeichnung ist analog derjenigen von Stahl. Es wird einzig das Kürzel “GS-„ vorangestellt. Beispiel: GS- X6CrNiTi18-10 (Zusammensetzung siehe oben).
3.4 Eisen & Stahl
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Gusseisen
Gusseisen besitzt einen Kohlenstoffgehalt von 2,6 bis 4% und ist daher plastisch nicht verformbar. Gusseisen wird z.B. in Sandformen vergossen, wobei der siliziumhaltige Sand eine verschleißfeste Gusshaut erzeugt. Gusseisen erstarrt gemäß dem stabilen, gestrichelt gezeichneten Zustandsdiagramm der Abb. 3.15. Der Kohlenstoff liegt in Form von Graphit vor und bewirkt damit eine gute Korrosionsbeständigkeit und Verschleißfestigkeit. Da der Graphit auch als Schmiermittel dienen kann, verfügt der Werkstoff über gute Notlauf-Eigenschaften. Gusseisen ist billiger als Stahl. Aufgrund des heterogenen Gefüges ist Gusseisen schlagempfindlich und wenig zugfest. Gusseisen wird im Chemieanlagenbau für tragende Elemente wie Pratzen oder Rührwerksaufbauten sowie für Motor- und Pumpengehäuse verwendet. Je nach Art, wie der Graphit im Gefüge vorliegt, unterscheidet man Grauguss, Sphäroguss und Temperguss. Grauguss enthält Graphit in Form von feinverteilten Lamellen. Grauguss lässt sich einfach gießen und ist schwingungsdämpfend. Die Graphitlamellen bewirken eine Erniedrigung der Festigkeit und eine Erhöhung der Sprödigkeit. Beim Sphäroguss ist der Graphit kugelförmig eingelagert. Dadurch wird Sphäroguss schlagfest und zäh. Beim Temperguss liegt der Kohlenstoff nach dem Gießen vorerst in Form von Zementit (Fe3C) vor. Durch eine Glühbehandlung (Tempern) sammelt sich der Kohlenstoff in kleinen Graphitnestern. Je nachdem, ob die Glühbehandlung in normaler Luft oder in einer speziell oxidierenden, entkohlenden Atmosphäre stattfindet, erhält man schwarzen Temperguss (schwarze Bruchfläche) oder weißen Temperguss (weiße Bruchfläche). Die Abbildung 3.16 zeigt die verschiedenen Erscheinungsformen von Graphit in Gusseisen.
Abb. 3.16. Erscheinungsformen von Graphit in Gusseisen
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3 Werkstoffe
Die Kurzzeichen für Gusseisen bestehen aus einer Buchstabenfolge für die Gussart (GG: Grauguss; GGG: Gusseisen-Graphit-Globular = Sphäroguss; GTS: schwarzer Temperguss; GTW: weißer Temperguss) und einer Angabe für die minimale Zugfestigkeit in kp/mm2. Beispiel: GG-22 bezeichnet einen Grauguss mit einer minimalen Zugfestigkeit von 22 kp/mm2 (≈ 220 N/mm2).
3.5 Nicht-Eisenmetalle Unter Nicht-Eisenmetallen versteht man alle Metalle und Legierungen, die nicht eisenhaltig sind oder Eisen nur im Unterschuss enthalten. Eine Unterteilung ist z.B. möglich in − − − −
Leichtmetalle Schwermetalle Sondermetalle Edelmetalle
(ρ < 5'000 kg/m3; z.B. Al, Mg, Ti), (ρ > 5'000 kg/m3; z.B. Cu, Ni, Pb), (SMP > 1'800 °C; z.B. Ta, Nb, Zr, W), (elektrochem. Potenzial > 0 V; z.B. Ag, Au, Pt).
Die Tabelle 3.6 zeigt die wichtigsten physikalischen Eigenschaften der Metalle und Legierungen im Überblick. Die angegebenen Werte dienen der allgemeinen Orientierung und können in der Realität je nach weiteren Zusatzelementen, Gefügeart, Korngrößen sowie Wärme- und Streckbehandlungen deutlich abweichen. Tabelle 3.6. Physikalische Eigenschaften von Metallen und Legierungen: SMP Schmelzpunkt; σZ Zugfestigkeit; ρ Dichte; cp spezifische Wärmekapazität; λ Wärmeleitfähigkeit Metall/Legierung Eisen Stahl Cr18Ni13Mo3 Aluminium Titan Kupfer Nickel Blei Zirkonium Niob Molybdän Tantal Wolfram Silber Gold Platin
SMP/°C 1'537 1'480 660 1'650 1'080 1'450 327 1'852 2'468 2'610 2'996 3'410 960 1'063 1'769
σZ /N⋅mm-2 200-300 500-800 40-180 300-550 200-300 380-800 12 - 50 300-600 1'200-1'300 280-2'500 350-1'300 1'000-5'000 130-240 130-250 135-250
ρ /kg⋅m-3 7'900 7'800 2'700 4'500 8'900 8'890 11'300 6'450 8'570 9'200 16'600 19'300 10'200 19'300 21'450
cp /kJ⋅kg-1⋅K-1 0,452 0,450 0,896 0,523 0,383 0,446 0,130 0,278 0,265 0,251 0,140 0,134 0,234 0,126 0,133
λ /W⋅m-1⋅K-1 50-80 14-17 200-240 20-23 290-390 20-90 20-35 17-23 50-55 123-155 54-58 130-170 405-420 290-310 72-73
3.5 Nicht-Eisenmetalle
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Leichtmetalle
Zu den Leichtmetallen, die als Konstruktionswerkstoffe verwendbar sind, zählen Aluminium, Magnesium und Titan. Aluminium
Aluminium ist das leichteste Konstruktionsmetall im Chemieanlagenbau und der drittbeste Leiter für Elektrizität und Wärme nach Silber und Kupfer. Es kann kalt und warm umgeformt werden und hat ein großes Formänderungsvermögen. Es ist lötbar und unter Schutzgas schweißbar. Reines Aluminium ist relativ weich und neigt zum Kriechen. Durch mehrfaches kaltes Umformen steigen Festigkeit und Härte, was durch Erwärmen auf 300 bis 380 °C wieder rückgängig gemacht werden kann. Aluminium ist korrosionsbeständiger als Kupfer, was auf eine zusammenhängende, passivierende Schutzschicht aus Al2O3 zurückzuführen ist. Diese Schutzschicht kann durch Eloxieren noch verstärkt werden. Die Schutzschicht macht Aluminium beständig gegenüber atmosphärischen Einflüssen, neutralen wässrigen Lösungen und schwachen Säuren. Starke Säuren und Laugen lösen die Schutzschicht auf (Ausnahme: Salpetersäure). Chloride greifen Aluminium unter Lochfraß und Bildung voluminöser Oxidationsprodukte, dem so genannten Weißrost, an. Ammoniak führt zu Versprödung durch tiefgehende Oxidation. Vollkommen wasserfreie Alkohole und Fettsäuren zeigen bei ihrer Siedetemperatur Grignardähnliche, heftige Reaktionen, was aber bereits durch Spuren von Wasser verhindert wird. Aufgrund seines sehr niedrigen elektrochemischen Potenzials (-1,66 V) führt ein elektrisch leitender Kontakt mit edleren metallischen Werkstoffen wie Kupfer, Nickel, Blei bei vorhandener Feuchtigkeit immer zu Kontaktkorrosion. Metallische Werkstoffkombinationen sind deshalb zu vermeiden. Die Festigkeit von Aluminium kann durch kleine Legierungszusätze wesentlich erhöht werden und erreicht dann Werte ähnlich denjenigen von unlegierten Stählen (bis 600 N/mm2). Ein Zusatz von Kupfer erhöht zwar die Festigkeit, erniedrigt aber die Korrosionsbeständigkeit merklich. Das aus dem Flugzeugbau bekannte Avional (AlCu4Mg) ist daher in der Chemie kaum anzutreffen. Häufiger findet man hingegen Legierungen mit Magnesium und Silizium. Anticorrodal (AlMgSi1) zeichnet sich sowohl durch Festigkeit als auch Korrosionsbeständigkeit aus. Silafont (AlSi10Mn) kann gegossen werden. Verwendet wird Aluminium z.B. für Behälter in der Nahrungsmittelindustrie (Milchkannen, Tanks), für Folienverpackungen, Tuben und Dosen (Lichtschutz, Sauerstoffbarriere), für Plattierungen von Eisenblechen (nur Reinaluminium), für Ventil- und
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3 Werkstoffe
Pumpengehäuse (Silafont), für elektrische Leitschienen und Kabel, für Wärmeübertrager sowie für Rampen und Fahrzeugaufbauten. Magnesium
Mit einer Dichte von 1'740 kg/m3 ist Magnesium das leichteste aller Konstruktionsmetalle. Reines Magnesium ist sehr weich und lässt sich nur schwer umformen (hexagonales Kristallgitter). Erst Zusätze von Aluminium und Zink erhöhen die Festigkeit in genügender Weise und ermöglichen die Verwendung der Legierung z.B. im Fahrzeugbau. Im Chemieanlagenbau ist Magnesium ungeeignet, da es aufgrund seines geringen elektrochemischen Potenzials (-2,36 V) äußerst reaktiv und korrosionsanfällig ist. Titan
Titan verhält sich als Werkstoff ähnlich wie Aluminium, verfügt aber über eine bedeutend höhere Festigkeit (σZ bis 1'000 N/mm2). Titan ist sehr leicht (ρ = 4'500 kg/m3) und extrem korrosionsbeständig. Seine Beständigkeit verdankt Titan der Ausbildung einer sehr dichten, schützenden Oxidschicht. Eine stark oxidierende Umgebung ist zu vermeiden, weil Titan darin explosionsartig abbrennen kann. Titan ist beständig gegenüber allen Chloriden außer CaCl2 und AlCl3, gegenüber Chlor mit minimalem Wassergehalt (nicht trocken), Chloriten, Hypochloriten, Chlordioxid, Natronlauge, Ammoniak, Salpetersäure, Königswasser und allen organischen Säuren in verdünnter Konzentration außer Oxalsäure, Ameisensäure und Trichloressigsäure. In reduzierender Umgebung ist Titan unbeständig. Salz-, Fluss- und Schwefelsäure greifen Titan schon bei niedrigen Konzentrationen an. Titan nimmt gerne Gase auf. Bereits bei 100 °C diffundiert Wasserstoff tief in das Metall ein und führt zu Wasserstoffversprödung. Oberhalb 500 °C werden Sauerstoff und Stickstoff irreversibel absorbiert, was den Werkstoff schwächt. Das Schweißen von Titan muss unter beidseitiger reinster Schutzgasatmosphäre erfolgen. Die schwierige Herstellung von Titan, die erst 1922 erstmals gelang, macht den Werkstoff sehr teuer. Wegen des hohen Preises wird Titan häufig nur als Plattierwerkstoff auf Stahlblechen verwendet. Weitere Einsatzmöglichkeiten findet Titan bei Wärmeübertragern (gute Wärmeleitfähigkeit), für Rohrleitungen (Korrosionsbeständigkeit und Festigkeit) und im Flugzeugbau (niedriges Gewicht bei guter Festigkeit). Bei Anwendungen in der Chemie wird Titan mit 0,2% Palladium legiert. Die Legierung mit Palladium ist noch korrosionsbeständiger als reines Titan.
3.5 Nicht-Eisenmetalle
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Schwermetalle
Alle Metalle mit einer Dichte > 5'000 kg/m3 werden zu den Schwermetallen gezählt. Im folgenden werden ausschließlich Schwermetalle aufgelistet, die im chemischen Apparate- und Anlagenbau von Bedeutung sind. Sondermetalle (hoher Schmelzpunkt) und Edelmetalle werden in späteren Unterkapiteln separat behandelt. Kupfer
Kupfer zeichnet sich durch eine Reihe herausragender Merkmale aus. Kupfer ist der zweitbeste Wärmeleiter nach Silber. Entsprechend dem Wiedemann-Franz‘schen Gesetz leitet Kupfer auch den elektrischen Strom ausgezeichnet. Der elektrische Widerstand beträgt lediglich 0,05 Ω⋅mm2⋅m-1. Gemäß dem Wiedemann-Franz’schen Gesetz sind Wärmeleitfähigkeit und elektrische Leitfähigkeit in Metallen miteinander gekoppelt, da beide Eigenschaften auf der Beweglichkeit der Elektronen beruhen. Kupfer lässt sich dank kubisch-flächenzentriertem Kristallgitter selbst im kalten Zustand plastisch verformen. Es lässt sich löten und unter Schutzgas schweißen. Durch mehrfaches Umformen kann die Festigkeit und Härte erhöht werden. Kupfer ist korrosionsbeständig gegenüber atmosphärischen Einflüssen, Wasser und verdünnten Säuren (z.B. HCl, H2SO4). Gegenüber HNO3 und Halogenen (F2, Cl2, Br2, I2) ist Kupfer nicht beständig. Seine gute Korrosionsbeständigkeit verdankt Kupfer nicht nur seinem hohen elektrochemischen Potenzial (+0,35 V), sondern zusätzlich der Ausbildung einer passivierenden Schutzschicht. An Luft bildet Kupfer zuerst eine Schicht aus rotem Cu2O. Je nach Umgebungseinflüssen entsteht danach allmählich eine dichte, grüne Schutzschicht aus Cu(OH)2, CuCO3, CuSO4 und CuCl2. Diese Schutzschicht ist ca. 100 µm dick und wird Patina genannt. Patina darf nicht mit Grünspan verwechselt werden. Grünspan besteht aus Kupferazetat (CuAc2) und ist hochgiftig. Kupfer, das aufgrund seiner Herstellung noch Cu2O enthält, neigt zu Wasserstoffversprödung. Wasserstoff dringt aufgrund seiner kleinen Molekülabmessung leicht in das Kupfer-Gefüge ein und reagiert mit dem Cu2O zu Wasser. Das gebildete Wasser vermag den Werkstoff nicht zu durchdringen und baut lokal Drücke bis über tausend Bar auf, die den Werkstoff schließlich zerreißen. Der Kontakt mit Azetylen ist absolut zu vermeiden, da sich hochexplosive Kupferazetylide bilden können.
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3 Werkstoffe
Unlegiertes Kupfer wird für elektrische Leitungen und Wicklungen sowie im Sanitärbereich für Warmwasserrohre verwendet. Niedriglegiertes Kupfer wie z.B. CuSi2Mn wird für Wärmeübertrager eingesetzt. Kupfer bildet mit einigen Elementen wichtige Legierungen, die unter einem eigenen Namen bekannt sind: Cu-Zn: Cu-Zn-Sn: Cu-Sn: Cu-Ni: Cu-Ni-Zn: Cu-Al: Cu-Mn:
Messing Rotguss Zinnbronze Nickelbronze Neusilber Aluminiumbronze Manganbronze
Messing besteht aus mehr als 50% Kupfer und 5 bis 45% Zink. Es ist besser bearbeitbar und härter als Kupfer, dafür aber weniger dehnfähig und wärmeleitend. Messing ist sehr anfällig auf Spannungsrisskorrosion, v.a. in Anwesenheit von Ammoniak oder Quecksilber. Im Chemiebetrieb wird Messing z.B. für Fittinge oder Wärmeübertragerrohre verwendet. Ist der Kupfergehalt größer als 72%, spricht man von Tombak. Sondermessing enthält mehr als 2% weitere Legierungselemente. Verwendung finden z.B. die Sorten CuZn21Al2 (21% Zn, 2% Al) für Brackwasser und Meerwasser, CuZn28Sn2 (Admiralitätslegierung) für Meerwasser und CuSn7ZnPb für Gleitlager. Als Rotguss wird ein Messing bezeichnet, bei dem ein Teil des Zinks durch billigeres Zinn ersetzt wurde. Rotguss ist gegen Meerwasser beständig und besitzt gute Gleiteigenschaften. Es findet z.B. Verwendung für Gleitlager, Pumpengehäuse, Dichtungsringe und Dampfarmaturen. Legierungsbeispiele finden sich unter Sondermessing. Unter einer Bronze versteht man landläufig eine Kupfer-ZinnLegierung. Korrekterweise sind jedoch alle Kupferlegierungen Bronzen, mit Ausnahme derjenigen, die hauptsächlich Zink enthalten. Zinnbronze enthält 5 bis 15% Zinn sowie allenfalls geringe Zusätze an Zink, Nickel und Blei. Sie ist ziemlich korrosionsbeständig und verfügt über gute Gleit- und Notlaufeigenschaften. Eingesetzt wird Zinnbronze für Lager, Pumpengehäuse und Wärmeübertrager. Nickelbronze enthält 9 bis 45% Nickel und ist zäh, warmfest und Meerwasser beständig. Sie wird für Wärmeübertrager und MeerwasserEntsalzungsanlagen verwendet. Eine spezielle Nickelbronze ist das Konstantan (CuNi44Mn1). Sein elektrischer Widerstand ist weitgehend unabhängig von der Temperatur
3.5 Nicht-Eisenmetalle
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(R = 0,5 Ω⋅mm2⋅m-1). Konstantan wird als elektrischer Referenzwiderstand in Thermoelementen eingebaut. Neusilber besteht aus Kupfer, Nickel und Zink. Es ist weitgehend beständig gegenüber atmosphärischen Einflüssen, Salzlösungen und organischen Verbindungen. Verwendung findet Neusilber z.B. für Bestecke, Schmuck, Brillenfassungen und Uhrengehäuse. Im Chemieanlagenbau trifft man es seltener an. Aluminiumbronze enthält 5 bis 11% Aluminium sowie andere Legierungselemente. In Bezug auf die Korrosionsbeständigkeit übertrifft es alle anderen Kupferlegierungen. Es ist auch zunderbeständig und verschleißfest. Dies verdankt es einer schützenden, harten Deckschicht aus Al2O3. Die Festigkeit ist relativ hoch. Eingesetzt wird Aluminiumbronze z.B. für Pumpen oder Apparate, die Meerwasser, Salzlösungen, Säuren oder schwefelhaltige Lösungen beinhalten. Manganbronze besteht aus Kupfer mit 2 bis 5% Mangan und verfügt über eine gute Warmfestigkeit. Manganbronze wird z.B. für Reaktoren der Methanolsynthese verwendet. Nickel
Nickel ist gut verformbar (kubisch flächenzentriertes Kristallgitter), lötbar, schweißbar und bis 363 °C magnetisch. Es ist durch eine oberflächliche Schutzschicht geschützt und speziell beständig in Alkalien (auch schmelzflüssigen), in verdünnten, nicht oxidierenden, luftfreien Säuren und in Salzlösungen. Trockenes Chlor und Salzsäure schaden bis 535 °C nicht. Nickel wirkt auch als Katalysator (Hydrierungen). Nickel ist warmfest und kann bis 650 °C eingesetzt werden. Soll Nickel als selbsttragender Werkstoff eingesetzt werden, so ist sein Kohlenstoffgehalt bei Anwendungen ab 300 °C auf 1'800 °C). Basische feuerfeste Steine sind laugenbeständig und werden z.B. für Auskleidungen von Glasschmelzöfen eingesetzt. Basische und saure feuerfeste Steine dürfen sich gegenseitig nicht berühren. Sie müssen mit einem geeigneten Mörtel vermauert werden. Oxidkeramik
Nebst der Tonkeramik, die auf Al2O3 und SiO2 beruht, gibt es noch andere Oxidkeramik, z.B. ZrO2, MgO, CrO2, FeO3, NiFe2O4 (Ferrite = magnetische Oxide für Nachrichtentechnik und Elektronik), UO2 oder PuO2 (für Brennelemente). Zirkonoxid (ZrO2) verfügt z.B. über eine sehr gute Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit und wird für Tiegel, Thermoelementschutzrohre oder Ofenbauteile verwendet. Nichtoxidkeramik
Mit Nichtoxidkeramik bezeichnet man Verbindungen von B, C, N und Si untereinander sowie deren Verbindungen mit den Metallen Ti, Zr, Hf, V, Nb, Ta, Cr, Mo und W (Nebengruppen IV b, V b, VI b im Periodensystem). Nichtoxidkeramik ist äußerst hart, verschleißfest, temperaturfest und temperaturschockfest. Technisch am häufigsten verwendet wird Siliziumnitrid (Si3N4). Seine Herstellung geschieht in zwei Schritten. Zuerst wird Siliziumpulver bei hoher Temperatur zu Formteilen zusammengesintert. Darauf wird das Silizium in reiner Stickstoffatmosphäre bei 1'300 bis 1'500 °C nitriert. Das
3.6 Keramiken
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Nitrieren ist maßhaltig, d.h. durch Aufnahme von Stickstoff findet weder ein Schwinden noch ein Wachsen des Formteils statt. Fertig reagiertes Siliziumnitrid kann nur noch mit Diamantwerkzeugen bearbeitet werden. Siliziumnitrid zersetzt sich bei 1'900 °C und hat in Luft eine maximale Gebrauchstemperatur von 1'600 °C (in N2-Atmosphäre höher, im Vakuum wegen N2-Abgabe tiefer). Bedingt durch seine geringe Wärmeausdehnung und seinen porösen Aufbau ist Siliziumnitrid hervorragend temperaturschockbeständig. Kalte Thermoelementschutzrohre aus Siliziumnitrid können ohne Bruchgefahr in schmelzflüssiges Aluminum (SMP = 660 °C) getaucht werden. Siliziumnitrid wird z.B. für Thermoelementschutzhüllen und Einleitrohre in Metallschmelzen von Ag, Al, Ca, Cd, Cu, Ge, Mg, Pb, Si, Sn und Zn gebraucht. Glas
Glas ist eine amorph erstarrte Schmelze aus anorganischen Verbindungen ohne eigentlichen Erstarrungspunkt. (Erstarrte Schmelzen aus organischen Verbindungen sind Kunststoffe.) Die molekulare Struktur von Glas entspricht derjenigen einer Flüssigkeit. Die Viskosität von Glas liegt bei den üblichen Gebrauchstemperaturen jedoch so hoch, dass man von einem Feststoff sprechen muss. Ähnlich wie Tonkeramik besteht Glas zur Hauptsache aus Silikaten. Statt Aluminate enthält Glas aber Alkali- und Erdalkalioxide. Die Siliziumatome werden über die Sauerstoffatome tetraedrisch miteinander verknüpft. Alkali- und Erdalkalioxide unterbrechen diese Verknüpfungen und verbinden sich mit den endständigen, elektrisch geladenen Si-O- Gruppen. Die Alkali- bzw. Erdalkaliionen sind als Gegenionen zu den Si-O- Gruppen in die Struktur eingebaut (s. Abb. 3.18). Der Zusatz von Alkali erniedrigt die Schmelztemperatur des reinen Siliziumoxids (SiO2) von 1'700 °C auf ca. 1'300 bis 1'500 °C. Der Zusatz von Erdalkali macht das Glas wasserbeständig. Reine Alkaligläser wären wasserlöslich! Alkali und Erdalkali werden in der Regel als billige Carbonate zugesetzt und reagieren erst in der Hitze zu Oxiden. Da Glas keine einheitliche Verbindung ist, hat es keinen genauen Schmelzpunkt, sondern einen weiten Erweichungsbereich. Die technische Grenze zwischen Schmelze und festem Glas wird durch die so genannte Transformationstemperatur Tg definiert. Oberhalb Tg ist Glas zäh-plastisch und unterhalb spröd-elastisch, wobei der Übergang in der Realität fließend verläuft. Aus Erfahrung zeigt sich, dass Tg für alle Gläser bei einer Viskosität von η = 1013,2 Pa⋅s liegt.
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3 Werkstoffe
Abb. 3.18. Amorphe Molekularstruktur von Natriumsilikatglas: SiO4-Tetraeder mit eingelagerten Na+- und Ca2+-Ionen (Das jeweils vierte Sauerstoffatom der SiO4-Tetraeder steht senkrecht zur Bildebene und ist daher nicht dargestellt.)
Die maximale Gebrauchstemperatur der Gläser liegt gemäß einer Faustregel bei 50 bis 60% der Transformationstemperatur. In Ausnahmefällen darf die Temperatur kurzzeitig 80 bis 90% der Transformationstemperatur erreichen. Gewöhnliches Glas hat eine Transformationstemperatur von etwa 430 bis 480 °C, Borsilikatglas von 530 °C. Glas hat als Werkstoff einige ausgezeichnete Eigenschaften. Es ist chemisch und physikalisch stabil, dicht, hygienisch, leicht zu reinigen, geruchlos, nicht toxisch, nicht katalytisch und günstig. Aufgrund seiner Durchsichtigkeit eignet sich Glas besonders für Labor- und Versuchsapparate. Nachteile von Glas sind seine Sprödigkeit, Schlag- und Stoßempfindlichkeit, sein hohes Gewicht, seine mangelnde Temperaturwechselbeständigkeit und schlechte Wärmeleitfähigkeit. Bei der Montage sind speziell mechanische Spannungen und mögliche Wärmeausdehnungen zu beachten. Gegenüber Säuren ist Glas bis 200 °C mit Ausnahme von Flusssäure beständig. Säuren vermögen die beweglichen Alkali- und Erdalkaliionen nur oberflächlich durch Protonen zu ersetzen. Darunter liegende Siliziumoxidschichten wehren einen weiteren Angriff ab. Gegenüber Laugen ist Glas empfindlicher, da Laugen SiO2 aus dem Gefüge lösen können. Das Glas wird dadurch oberflächlich aufgerauht und milchig trüb.
3.6 Keramiken
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Wasser, das dauerhaft auf Glas einwirkt, verursacht eine von Auge kaum sichtbare Quellung. Alkali- und Erdalkalisilikate werden v.a. bei höherer Temperatur in wasserlösliche Alkali- und Erdalkalihydroxide und Kieselgel aufgespalten. Deshalb sind Gläser in warmen, feuchtigkeitsgesättigten Räumen (Hallenbäder, Gewächshäuser) oft trüb. Natronglas wird durch Zusammenschmelzen von Soda, Kalk und Quarzsand in großen Wannenöfen in Chargen à 600 kg hergestellt. Der Energiebedarf beträgt 1,5 kg Kohle bzw. 12,5 kWh pro kg Glas. Die Reaktionsformel lautet: Na2CO3 + CaCO3 + 6 SiO2 → Na2O⋅ CaO⋅ 6 SiO2 + 2 CO2
(3.24)
Natronglas ist das am häufigsten verwendete Gebrauchsglas. Es wird z.B. für Fenster oder Getränkeflaschen verwendet. Natronglas ist bei nicht zu hohem Alkaligehalt gut wasser- und säurenbeständig, aber weniger beständig gegenüber Laugen. Kaliglas wird auch Böhmisches Glas genannt. Es enthält statt Natriumoxid Kaliumoxid. Seine Herstellung erfolgt ähnlich wie diejenige von Natronglas. K2CO3 + CaCO3 + 8 SiO2 → K2O⋅ CaO⋅ 8 SiO2 + 2 CO2
(3.25)
Kaliglas ist schwerer schmelzbar als Natronglas, härter und stärker lichtbrechend. Es wird z.B. für feine, geschliffene Gegenstände verwendet. Thüringer Glas ist eine Mischung von Natron- und Kaliglas, das z.B. auch für chemische Behälter gebraucht wird. Bleiglas wird aufgrund seiner starken Lichtbrechung auch Kristallglas genannt. Bleioxide ersetzen das sonst übliche Calziumoxid. Dadurch wird das Glas auch sehr schwer (Dichte 3'500 bis 4'800 kg/m3). Die Reaktionsgleichung lautet: K2CO3 + PbCO3 + 6 SiO2 → K2O⋅ PbO⋅ 6 SiO2 + 2 CO2
(3.26)
Kristallglas wird für geschliffene Glaswaren und optische Gläser verwendet. Wird zusätzlich Borat zugefügt, so entsteht Strass, ein Glas, dessen Lichtbrechung derjenigen von Diamant nahe kommt. Strass dient in Modeschmuck als Diamantersatz. Zirkonglas wird unter Zusatz von Zirkonoxid (ZrO2) hergestellt. Es entsteht so ein alkalibeständiges Glas, das z.B. in Form von Glasfasern in Zementmischungen eingebracht wird und diesen verstärkt (Faserzement). Borsilikatglas ist auch als Jenaer Glas bekannt (Duran® von Schott; Pyrex® von Corning). Von allen Gläsern wird Borsilikatglas im Chemiebereich am verbreitetsten eingesetzt, da es ausgezeichnet chemikalien-, tem-
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3 Werkstoffe
peratur- und temperaturwechselbeständig ist. Im Borsilikatglas ist SiO2 teilweise durch Al2O3, B2O3 und BaO ersetzt. Al2O3 bewirkt eine Herabsetzung der Sprödigkeit, B2O3 eine kleinere Wärmedehnung und BaO eine Verbesserung der Chemikalienbeständigkeit. Borsilikatglas wird z.B. für pharmazeutische Ampullen oder für hitzebeständiges Kochgeschirr verwendet. In der chemischen Industrie bestehen z.B. Rohre, Apparateteile, Reaktionskolonnen, Austauschkolonnen oder Wärmeübertrager aus Borsilikatglas. Glaskeramik entsteht durch eine länger dauernde Wärmebehandlung eines vorgeformten, glasigen Formteils in der Nähe der Transformationstemperatur. Normalerweise verhindert die hohe Viskosität der Glasschmelze eine Umordnung der Silikate in eine kristalline Struktur. Die Glasstruktur bleibt beim Erstarren amorph. Durch Zusätze von TiO2 oder ZrO2, die als Kristallisationskeime dienen, gelingt es aber, 50 bis 90% der Glasschmelze in submikroskopisch feinen Kristalliten auszukristallisieren. Die kristallinen Bereiche bewirken eine große Härte und Temperaturbeständigkeit, da sie praktisch keine Wärmedehnung aufweisen. Glaskeramik ist härter als Stahl und leichter als Aluminium. Sie eignet sich hervorragend für temperatur- und temperaturschockempfindliche Apparate wie Kochplatten, dampfbeheizte Rührkessel (glaskeramische Schutzschicht aus Email) oder große Spiegel für Teleskope. Milchglas ist ein milchig-weißes, diffus durchscheinendes Glas. Es wird manchmal auch Opakglas genannt. Milchglas ist durch seine inhomogene Zusammensetzung gekennzeichnet, wobei wenigstens eine Komponente im Glas unlöslich ist und in feiner Verteilung in der Glasmatrix vorliegt. Mögliche trübende Zusätze sind z.B. SnO2, das sich in der schmelzflüssigen Glasmasse gar nicht erst löst, oder Ca3(PO4)2, das beim Abkühlen aus der Glasschmelze auskristallisiert. Milchglas hat eine geringe Wärmedehnung und wird z.B. für Tischgeschirr oder Badzimmerfenster verwendet. Email ist eine glasartige Schutzschicht, die auf Eisen oder Stahl aufgebracht wird. Seine Anwendung wurde im Unterkapitel „Korrosionsschutz/ Beschichtung“ beschrieben. In der chemischen Zusammensetzung und in den Eigenschaften entspricht Email dem Borsilikatglas. Immer häufiger werden auch Emails mit glaskeramischen Eigenschaften eingebaut. Glasfasern entstehen durch Ausziehen von Glasstäben, wodurch sich die Molekülketten parallel zur Faserrichtung anordnen. Die Zugfestigkeit steigt von 40 bis 80 N/mm2 auf bis zu 3'000 N/mm2 an. Glasfasern übertreffen bezüglich Zugfestigkeit selbst Stahl. Sie werden in großem Umfang zur Verstärkung von Kunststoffteilen verwendet, woraus der so genannte Glasfaser verstärkter Kunststoff (GFK), ein Verbundwerkstoff, entsteht.
3.6 Keramiken
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Quarzglas ist sehr temperaturbeständig (bis 1'000 °C), UV-durchlässig und dehnt sich in der Wärme nur minimal aus (Wärmedehnung 5⋅10-7 K-1 ≈ 1/20 von Glas). Da Quarzglas aus reinem SiO2 besteht, hat es keinen breiten Erweichungsbereich, sondern einen definierten Schmelzpunkt von 1'730 °C. Verunreinigungen können den Schmelzpunkt etwas herabsetzen. Die Verarbeitung von Quarzglas ist sehr schwierig, weil es sich plastisch nicht umformen lässt, ziemlich hart ist und zum Schmelzen hohe Temperaturen benötigt. Zudem verdampft SiO2 oberhalb der Schmelztemperatur bereits merklich (SDP = 2'200 °C). Reines Quarzglas wird aus Bergkristall bei 2'000 bis 2'200 °C erschmolzen und ist weitgehend frei von Fremdionen. Quarzgut entsteht durch Schmelzen von Quarzsand bei 1'700 bis 1'800 °C und enthält in der Regel Verunreinigungen von Fe, Ca, B und Al. Eingeschlossene Luftblasen, die sich nicht entfernen lassen, machen Quarzgut undurchsichtig weiß. Quarzgut ist etwas weniger teuer als Quarzglas. Quarzapparaturen werden z.B. zur Herstellung reiner Säuren oder hochreinen Wassers verwendet. Die Verarbeitung und Formgebung von Glas kann auf mannigfaltige Art und Weise erfolgen je nachdem, welchen Verwendungszweck das Glas schließlich erfüllen soll:
− − − − − − −
Aufblasen von Glastropfen für Hohlgefäße (Glaskolben, Röhren) Pressen in Formen (Glasgeschirr, Glasziegel) Ziehen von Flachglas (Fensterglas, Display-Glas) Gießen von Flachglas auf flüssiges Zinn (Fensterglas) Pressen durch Düsen (Glaswatte, Glaswolle) Verblasen und Verschleudern von Glaströpfchen (Glaswatte) Aufschäumen der Glasschmelze (Schaumglas)
Glas kann durch Zusätze von Metalloxiden in der Masse eingefärbt werden (Tabelle 3.9). Tabelle 3.9. Einfärbungen von Glas Metalloxid Eisenoxid Kupferoxid Chromoxid Kobaltoxid Manganoxid Goldoxid
Färbung grün bis gelb-braun blau-grün gelb bis grün blau violett bis braun-gelb rubinrot
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3 Werkstoffe
Kunstkohle & Elektrographit
Kunstkohle und Elektrographit sind als Werkstoffe äußerst chemikalienund temperaturbeständig. Sie werden nur von stark oxidierenden Medien und oder von Sauerstoff bei Temperaturen über 500 °C angegriffen. Vor allem Elektrographit ist elektrisch und thermisch gut leitend und relativ verschleißfest. Kunstkohle und Elektrographit finden Anwendung für Wärmeübertrager, Rohrleitungen und Kolonnen in der Salzsäure- und Phosphorsäureherstellung sowie für Tiegel, die Salzschmelzen enthalten, oder für thermisch belastete Elektroden (Stromleiter, Schleifkontakte, Lichtbogen). Kunstkohle wird aus Koks hergestellt. Dazu wird Anthrazit bei 1'000 bis 1'250 °C geglüht, um flüchtige Verbindungen auszutreiben. Das stückige Material wird anschließend gemahlen, mit Kunstharz oder Pech als Bindemittel vermischt und durch Pressen in die gewünschte Form gebracht. Durch Brennen bei 1'000 bis 1'300 °C unter Sauerstoffabschluss verkokst auch das Bindemittel und verbindet die einzelnen Körner. Der lineare Schwund während des Brennens beträgt 2 bis 3%. Die maximale Einsatztemperatur von Kunstkohle (ohne Zusätze) beträgt in Luft 400 °C und ohne Sauerstoff 2‘000 °C. Bei höherer Temperatur wandelt sich die Kohle in Graphit um. Kunstkohle ist sehr hart. Sie kann nur mit Spezialwerkzeugen bearbeitet werden und wird z.B. für Prallplatten oder mechanisch beanspruchte Auskleidungen verwendet. Von der Herstellung her ist Kunstkohle porös (ε = 15 bis 25%). Wird undurchlässiges Material verlangt, so wird die Kunstkohle wiederholt mit Kunstharz oder Teerpech getränkt und gebrannt. Dadurch sinkt zwar die maximale Gebrauchstemperatur auf ca. 165 °C, dafür steigt die Festigkeit und Wärmeleitfähigkeit (s. Tabelle 3.7). Elektrographit entsteht durch Erhitzen von Kunstkohle auf 2'000 bis 3'000 °C im elektrischen Strom. Dabei wachsen die vorerst sehr kleinen Graphitkristalle zu einer Größe heran, dass sie unter dem Lichtmikroskop oder von Auge erkennbar werden. Elektrographit ist weicher als Kunstkohle und lässt sich im Gegensatz zu Kunstkohle mit normalen Werkzeugen bearbeiten. Elektrographit hat eine gute Wärmeleitfähigkeit und gute Gleiteigenschaften. Man verwendet Elektrographit vor allem für Wärmeübertrager, aber auch für Reaktoren, Pumpen, Ventile und Gleitlager. In Kontakt mit chemischen Lösungen besteht wegen seiner rauhen Oberflächenstruktur Verkrustungsgefahr. Als Lagermaterial hat Elektrographit den großen Vorteil, dass er selbstschmierend ist und wegen der guten Wärmeableitung nicht überhitzt.
3.7 Kunststoffe
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Auch Elektrographit ist porös (ε = 15 bis 25%). Er kann aber durch Imprägnieren mit Kunstharz gasdicht gemacht werden. Elektrographit ist aufgrund der Herstellung teurer als Kunstkohle. Kohlenstofffasern (Carbonfasern) werden durch Verstrecken und Verkohlen von beispielsweise Polyacrylnitrilfasern bei 300 bis 1'000 °C und anschließendes Graphitieren in Stickstoffatmosphäre bei 1'500 bis 3'000 °C hergestellt. Sie sind äußerst zugfest und erhöhen die Festigkeit in faserverstärkten Kunststoffen (Verbundwerkstoff). Ihre Zugfestigkeit übertrifft sogar diejenige von Aramidfasern (Kevlar). Kohlenstofffasern sind aber aufgrund ihres rigiden Aufbaus aus coplanaren Kohlenstoffsechsringen (Graphitstruktur) brüchiger als Aramidfasern. Aramidfasern verlieren ihre Festigkeit auch unter Biegebeanspruchung nicht. Deshalb werden Kohlenstofffasern in Verbundwerkstoffen häufig gemeinsam mit Aramidfasern eingesetzt.
3.7 Kunststoffe Als Kunststoffe gelten hochmolekulare synthetische Verbindungen, die entweder durch chemische Veränderung natürlich vorkommender Makromoleküle oder durch reaktiven Aufbau aus einheitlichen niedermolekularen Komponenten entstehen. Im ersten Fall spricht man von abgewandelten Naturprodukten, im zweiten von vollsynthetischen Kunststoffen. Der wissenschaftliche Begriff für Kunststoff ist das Wort Polymer, was griechisch soviel wie "vielteilig" bedeutet (aus poly = viel, meros = Teil). Im angelsächsischen Sprachgebrauch werden Kunststoffe als Plastics bezeichnet. Man kann Kunststoffe nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen, z.B. nach Art der Verwendung (Lacke, Fasern, Folien, Isolierstoffe etc.), nach Art der chemischen Herstellung (Polymerisate, Polykondensate, Polyaddukte) oder nach Art der chemischen Grundstruktur (Polyolefine, Polyamide, Polyester etc.). In der Praxis hat sich häufig auch die Einteilung nach ihren mechanischen und thermischen Eigenschaften durchgesetzt. Man unterscheidet so Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere. Die molekulare Struktur von Thermoplasten, Elastomeren und Duroplasten ist in der Abb. 3.19 schematisch dargestellt.
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3 Werkstoffe
a) Thermoplast
b) Elastomer
c) Duroplast
Abb. 3.19. Molekularstruktur von Thermoplasten, Elastomeren und Duroplasten
Thermoplaste bestehen aus vorwiegend linearen hochmolekularen Verbindungen. Hauptmerkmal der Thermoplaste ist ihre Schmelzbarkeit, beziehungsweise Erweichung bei erhöhter Temperatur, wodurch sie mehrfach verformt werden können, beispielsweise durch Extrudieren, Spritzgießen oder Warmpressen. Die meisten Thermoplaste sind mit oder ohne Zusatzmaterial schweißbar. Zudem können sie in geeigneten Lösungsmitteln gelöst werden. Thermoplaste sind z.B.:
Polyethylen Polypropylen Polystyren Polyvinylchlorid Polytetrafluorethylen Polyvinylidenfluorid Polyoxymethylen Polymethylmetacrylat Polycarbonat Polyamid Polyphenylenether Polyphenylensulfid Polyethersulfon Polysulfon Polyimid
PE PP PS PVC PTFE PVDF POM PMMA PC PA PPE PPS PES PSU PI
Duroplaste entstehen durch Quervernetzung, auch Aushärtung genannt, von Monomeren oder unvernetzten Polymeren zu dreidimensionalen Strukturen. Die Aushärtung ist ein chemischer Reaktionsvorgang (Polykondensation, Polymerisation und Polyaddition), der zu unschmelzbaren, in der Wärme nicht mehr verformbaren, harten Werkstoffen führt. Die Vernetzung wird durch Zugabe eines Katalysators, des so genannten Härters eingeleitet. Duroplaste können nur spanend umgeformt werden. Sie können nicht geschweißt, sondern müssen geklebt werden.
3.7 Kunststoffe
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Duroplaste sind z.B.: Phenolharze Melaminharze ungesättigte Polysterharze Epoxidharze Polyurethane
PF MF UP EP PUR
Elastomere sind schwach vernetzte Makromoleküle mit gummiartigen Werkstoffeigenschaften wie zum Beispiel Synthesekautschuke. Elastomere werden im Anlagenbau vor allem als Dichtungswerkstoffe eingesetzt, wobei der chemischen Beständigkeit wegen der geringen Quervernetzung und dadurch hohen Quellbarkeit erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Elastomere sind wie Duroplaste nach der Synthese nur noch durch Schneiden oder Spanen umformbar. Sie sind nicht schweißbar.
Elastomere sind z.B.: Naturkautschuk Polybutadien Styren-Butadien-Kautschuk Nitrilkautschuk Butylkautschuk Polychloropren Ethylenpropylendienkautschuk Fluorkautschuk Perfluorkautschuk Silikon Fluorsilikon
NR (IR) BR SBR NBR IIR CR EPDM FKM FFKM Q FQ
Das außerordentlich breite Spektrum der Kunststoffe wiederspiegelt sich in den vielseitigen Werkstoffeigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten. Im Behälterbau werden vorwiegend Duroplaste und Thermoplaste verwendet. Von den Duroplasten sind insbesondere die ungesättigten Polyesterharze (UP) und die Epoxidharze (EP) in Verbindung mit Glasfasern als glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK) in Gebrauch. Durch die Armierung wird die Zugfestigkeit dieser Verbundwerkstoffe auf das 10 bis 40fache der Festigkeit des reinen Harzes erhöht. Duroplaste werden im Behälterbau außerdem für korrosionsfeste Überzüge und Beschichtungen eingesetzt. Der flüssige Rohstoff, auch Harz genannt, wird mittels Spritze oder Pinsel auf die metallisch reine Fläche aufgetragen.
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3 Werkstoffe
Je nach der Art der Härtung unterscheidet man zwei Gruppen: − Hocheingebrannte Überzüge, wobei die Härtung thermisch im Einbrennofen bei Temperaturen von 200 °C bis 250 °C erfolgt − Kalthärtende Überzüge, wobei die Härtung bei Normaltemperatur unter Zusatz eines chemisch wirkenden Beschleunigers erfolgt Auch Thermoplaste werden als korrosionsfeste oder diffusionshemmende Überzüge verwendet. Die äußerst gute Beständigkeit gewisser Thermoplaste, zum Beispiel Polypropylen oder PVDF, wird beispielsweise mit der hervorragenden Festigkeitseigenschaft von GFK kombiniert, indem GFK- Behälter eine dem Produkt zugewandte Innenschicht, auch Liner benannt, aus Thermoplast erhalten. Gegenüber metallischen oder keramischen Werkstoffen weisen Kunststoffe Vorteile auf wie − − − − − −
niedriges Konstruktionsgewicht bedingt durch geringe Materialdichte, hohe Elastizität, einfache Verarbeitbarkeit, gute Isolation gegenüber Wärme, Kälte und elektrischen Strom, gute Beständigkeit gegenüber Säuren, Laugen und Salzen, relativ kleiner Preis. Nachteile von Kunststoffen sind
− niedrige maximale Gebrauchstemperatur (in der Regel < 100°C), − beschränkte Festigkeit und Formbeständigkeit (mit Ausnahme der faserverstärkten Kunststoffe), − geringe Langzeitstabilität, schnelle Alterung, − hohe Brennbarkeit (mit großen Unterschieden je nach Kunststoff), − geringe Lösungsmittelbeständigkeit, − hohe Gas- und Dampfdurchlässigkeit, − schlechte Wärmeleitung, elektrostatische Aufladung, − ungünstige Rezyklierbarkeit. Kunststoffe können sich durch Kontakt mit gewissen Produkten und/ oder durch tiefe oder hohe Temperaturen in ihren Werkstoffeigenschaften verändern. Die Festigkeit nimmt bei erhöhter Temperatur meist schnell ab, wobei insbesondere die Zeitstandfestigkeit zu beachten ist, d.h. die Festigkeit lässt bei längerer Beanspruchung deutlich nach. Der Kunststoff beginnt, sich plastisch zu verformen. Bei tiefen Temperaturen werden Kunststoffe spröde. Der Temperaturbereich für die Anwendung von Kunststoffen ist daher in der Regel ziemlich begrenzt.
3.7 Kunststoffe
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Kunststoffe altern durch physikalische und chemische Einflüsse (Wärme, Strahlung, mechanische Belastung, Lösungsmittel oder aggressive Stoffe wie Ozon, SO2 etc.). Wärme begünstigt die Alterung durch Herausdiffundieren von Weichmachern, ungewollte Quervernetzung oder Abspaltung reaktiver Gruppen (Zersetzung von PVC mit Fe als Katalysator bereits ab 100 °C, HCl-Bildung). Ultraviolette Strahlung vermag Kohlenstoffbindungen in der Polymerkette zu brechen, wobei reaktive Doppelbindungen oder Radikale entstehen, die schließlich zu einer ungewollten Quervernetzung und damit Versprödung führen. Unter innerer oder äußerer Spannung stehende Kunststoffe reagieren auf die Einwirkung von chemischen Stoffen viel empfindlicher als spannungsfreie Kunststoffe. An der Kunststoffoberfläche entstehen oft kleine Risse, die die Festigkeit herabsetzen. In Anlehnung an ähnliche Vorgänge bei Stahl spricht man auch hier von Spannungsrisskorrosion. Lösungsmittel greifen Kunststoffe durch Quellung des Polymerverbunds an. Die Lösungsmittelmoleküle dringen zwischen die Makromoleküle ein und drängen sie auseinander. Die Festigkeit nimmt dabei ab. Je nach Stärke der zwischenmolekularen Kräfte und Quervernetzungen kann dieser Vorgang reversibel sein, das heißt, ein gequollener Kunststoff kann durch Austreiben der aufgenommenen Produktmoleküle wieder in den ursprünglich Zustand zurückgeführt werden. Lösungsmittel können Thermoplaste und schwach vernetzte Elastomere aber auch durch Aufsprengen der Querverbindungen auflösen. Starke Lösungsmittel wie chlorierte Kohlenwasserstoffe oder Aceton zerstören gar Duroplaste. Die Quellung des Kunststoffes wird zur Hauptsache durch die chemische Verwandtschaft zwischen Kunststoff und Lösungsmittel bestimmt. Je mehr sich der chemische Aufbau von Kunststoff und Lösungsmittel ähnelt, desto größer die Quellung. Wasser (polar) löst Polyvinylalkohol (polar), Toluol (apolar) löst Polystyren (apolar). Polystyren ist aber beständig gegenüber Wasser und Polyvinylalkohol gegenüber Toluol. Generell erhöhen folgende Faktoren die Beständigkeit von Kunststoffen gegenüber Lösungsmitteln: − geringe chemische Übereinstimmung zwischen Kunststoff und Lösungsmittel − hoher Grad der Quervernetzung − geringer Anteil an Weichmachern und Füllstoffen − kristalliner statt amorpher Aufbau − hoher Polymerisationsgrad, d.h. lange Molekülketten − lange Seitenketten, die sich gegenseitig verhaken
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3 Werkstoffe
Bindungen zwischen Kohlenstoffatomen, Kohlenstoff und Wasserstoff, Kohlenstoff und Fluor sowie Kohlenstoff und Chlor werden durch Lösungsmittel, Säuren und Basen in der Regel nicht angegriffen. Stark oxydierende Agenzien (rauchende Salpetersäure, Chromsäure, Chlorsulfonsäure usw.) vermögen allerdings auch Polymerketten aus Kohlenwasserstoffatomen zu spalten und führen so zur Zerstörung des Kunststoffs. Diese Zerstörungsart wird insbesondere bei Thermoplasten stark gefördert, wenn der Werkstoff unter Spannung steht (s. Spannungsrisskorrosion). Starke Säuren und Basen können funktionelle Gruppen mit Stickstoff- oder Sauerstoffatomen angreifen und zerstören, insbesondere wenn sich die Heteroatome in der Hauptkette befinden (z.B. Polyamide, Polyester). Gegenüber der Einwirkung von Sauerstoff sind v.a. Kunststoffe mit Doppelbindungen empfindlich (z.B. Polybutadiene). Werden Kunststoffe zur Beschichtung von Metallen eingesetzt, sinkt die Wärmeleitfähigkeit stark ab, was die Wärmeübertragung z.B. in Rührkesseln oder Wärmeübertragern behindert. Bei der Förderung elektrisch nicht leitender Produkte (Lösemittel und Granulate) durch Kunststoffrohre oder über Kunststoffteile entstehen elektrostatische Aufladungen, die schlecht abgeleitet werden können. In Anwesenheit von brennbaren Gasen und Dämpfen besteht Explosionsgefahr. Die stoffliche Wiederverwertung von Kunststoffen (Rezyklieren) erweist sich als schwierig, weil sich verschiedene Kunststoffe im schmelzflüssigen Zustand nicht miteinander mischen lassen. Kunststoffe müssen deshalb sortenrein gesammelt werden. Vielleicht besteht eine zukünftige Möglichkeit in der Pyrolyse (Zersetzung in der Hitze unter Sauerstoffabschluss), wobei die anfallenden Monomere zur Synthese neuer Kunststoffe wiederverwendet werden könnten. Im Folgenden werden einzelne Kunststoffe näher vorgestellt, wobei das Schwergewicht auf solche mit Bedeutung im chemischen Apparate- und Anlagenbau gelegt wird. Die grobe Einteilung erfolgt nach den mechanisch-thermischen Eigenschaften. In runden Klammern ist jeweils die übliche Abkürzung für den Kunststoff aufgeführt. Die Tabelle 3.10 gibt einige Anhaltswerte über die wichtigsten Eigenschaften von Kunststoffen. Die Zahlenwerte variieren stark, da je nach Molekularmasse, Anteil der Weichmacher oder Füllstoffe, Grad der Quervernetzung usw. unterschiedliche Werkstoffqualitäten resultieren.
3.7 Kunststoffe
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Tabelle 3.10. Eigenschaften von Kunststoffen: T Gebrauchstemperatur minimal/ maximal; ρ Dichte; σZ Zugfestigkeit; E Elastizitätsmodul; λ Wärmeleitfähigkeit Kunststoff PE-LD PE-HD PP PS PVC hart PVC weich PTFE PVDF ETFE FEP PFA PCTFE POM PMMA PC PA PPE PES PSU PI PEI PF MF UP EP PUR
T/°C -50/+60 -50/+80 -15/+90 -60/+70 -15/+60 -5/+60 -200/+250 -60/+140 -100/+160 -250/+200 -200/+260 -250/+150 -50/+100 -40/+70 -150/+130 -40/+120 -60/+120 -100/+170 -70/+140 -250/+250 -50/+160 -10/+120 -10/+130 -40/+100 -100/+150 -40/+80
ρ /kg⋅m-3 930 940-960 910 1'050 1'350 1'200-1'350 2'140-2'180 1'760-1'780 1'700 2'140-2'170 2'150 2120 1'410-1'420 1'180 1'200-1'340 1'040-1'140 1'060 1'370 1'240 1'700 1'270 1'300-1'800 1'500-2'000 1'300-1'800 1'200-1'800 1'250-1'260
σZ /N⋅mm-2 9-10 24-29 31 48 45-54 13-34 27-30 51-56 45 21 28 30-41 60-70 72 63-68 40-90 66 84 70 85 100 50-100 40-80 60 50-90 32-38
E /N⋅mm-2 150-250 800-850 1'300 3'400 1'800-2'500 40-200 540-740 1'900 800-900 400-600 680 1'440 2'800-3'000 3'200 2'200 1'200-2'000 2'250 2'440 2'500 3'300 3'000 7'000-12'000 9'000-15'000 4'000-15'000 3'000-20'000 9-5'000
λ /W⋅m-1⋅K-1 0,31 0,43 0,22 0,15 0,14-0,16 0,2-0,4 0,23 0,17-0,21 0,24 0,19 0,22 0,17 0,23 0,18 0,24 0,28-0,29 0,19 0,18 0,26 0,35 0,22 0,3-0,4 0,3-0,4 0,3-0,4 0,15 0,30
Thermoplaste
Die Abbildung 3.20 zeigt die chemischen Molekularstrukturen von denjenigen Thermoplasten, die für die chemische Verfahrenstechnik am wichtigsten sind. Die Tabelle 3.11 führt die chemischen Beständigkeiten der Thermoplaste in summarischer Form auf. Die Angaben gelten bei Raumtemperatur für typische Vertreter der aufgeführten Kunststoffe. Bei Thermoplasten mit großem Weichmacheranteil, schwacher Quervernetzung oder geringer mittlerer Molekularmasse können sich auch bedeutend schlechtere Beständigkeiten ergeben.
128
3 Werkstoffe
Thermoplaste Polyethylen
Polypropylen
CH2 CH2
CH2 CH n
CH3
Polystyrol
n
Polyvinylchlorid CH2 CH
CH2 CH2 n
n
Cl
Polytetrafluorethylen
Polyvinylidenfluorid CH2 CF2
CF2 CF2
n
n
Polyoxymethylen
Polymethylmetacrylat CH3 C CH2 COOCH3 n
CH2 O n
Polycarbonat
Polyamid
CH3 O
O C
C CH3
O
NH
C
CH2 5
n
Polyaramid
O
n
Polyphenylenether CH3 O
C
NH
n
O n
CH3
Polyphenylensulfid
Polyethersulfon O S
S n
O
O
Polysulfon O
CH3 C
O
S
CH3
O n
O
Polyimid O
O
C
C
C
C
N
N O
O n
O
Abb. 3.20. Chemische Molekularstrukturen von Thermoplasten
n
3.7 Kunststoffe
129
Polypropylen (PP)
Polyvinylchlorid (PVC)
Polytetrafluorethylen (PTFE)
Polyacetal (POM)
Polyamid (PA)
Polyurethan (PUR)
Thermoplaste
Polyethylen (PE)
Tabelle 3.11. Chemische Beständigkeit von Thermoplasten (1 = beständig; 2 = bedingt beständig; 3 = kurzzeitig beständig; x = löslich/zersetzend; höhere Werte = maximale Gebrauchstemperatur in °C)
1 x 1-2 1 1
1 2 1-2 3 1
3 3 1-2 x 3
1 1 1 1 1
1 1 1-2 1 1
1 1 1-2 1 1
x 2 2 x x
x
3
x
1
1-2
1
x
x x
2 x
3 x
1 1
1 3
1 x
2-3 x
x
x
x
1
3
2
x
x 1-2
x 1-2
x x
200 1
120 1-2
120 1
x x
x
x
3
1
1
1
1
x 1-2 1
x 1-2 1
x 1 1
1 1 1
1-2 3 1
2-2 2-3 1-2
x 2 2
2
2
2
1
1
1
1
1 1 1 1-2 1 1
1 1 1 1-2 1 1
1 1 1 2-3 1 x
1 1 1 1 1 1
x x x 2-3 x 1
x x x 3 x x
2 x 2 3 2 2
Medium Aceton Aliphate allg. Alkohole allg. Amine, z.B. Pyridin Ammoniak, flüssig Aromate, z.B. Benzen, Toluen, Xylen Benzin, aromatisch Chlor, feucht Chlorierte Kohlenwasserstoffe Dampf bis °C Ester allg. Ether, z.B. Ethylether, Diethylether Ketone allg. Laugen allg. Natriumhydroxid 25% Öle und Fette, mineralisch Phosphorsäure 50% Salpetersäure 25% Salzsäure 15% Säuren allg. Schwefelsäure 50% Wasserstoffperoxid 30%
130
3 Werkstoffe
Polyethylen (PE) gehört zu den Polyolefinen (= Polymerisate aus Alkenen) und ist mengenmäßig der am meisten produzierte Kunststoff. Man unterscheidet PE niedriger und hoher Dichte. Diese werden mit PE-LD (low density) und PE-HD (high density) bezeichnet. PE niedriger Dichte (PE-LD) wird bei hohen Drücken (ca. 2'500 bar) und hohen Temperaturen (ca. 200 °C) in der Gasphase hergestellt. Es entstehen Paraffinketten mit vielen Seitenverzweigungen. Wegen der Seitenverzweigungen befinden sich die Polymerketten in relativ großem Abstand zu einander und haben damit eine relativ große Beweglichkeit. PE-LD ist deshalb weich und verfügt über eine geringe Festigkeit. Der Kristallinitätsgrad liegt bei 40 bis 55%. PE hoher Dichte (PE-HD) wird mit Ziegler Katalysatoren bei geringem Überdruck und ca. 100 °C erzeugt. Es entstehen geradlinige, lange Paraffinketten ohne Seitenverzweigungen. Die Festigkeit wird dadurch erhöht. Der Kristallinitätsgrad beträgt 60 bis 80%. PE ist beständig gegenüber Säuren, Laugen, Salzlösungen, Alkoholen, Estern, PE-HD auch gegenüber Lösungsmitteln bis 60 °C. Nicht beständig ist PE gegenüber starken Oxidationsmitteln und Halogenen, PE-LD auch nicht gegenüber einfachen Lösungsmitteln. PE ist durchlässig für CO2 und O2 und weichmacherfrei, weshalb es z.B. für Frischhaltefolien in Lebensmittelverpakkungen eingesetzt wird. PE ohne speziellen Schutz versprödet bei direkter Sonneneinstrahlung. PE ist gut brennbar und tropft unter Hitze ab. PE ist nur bedingt wärmebeständig. PE wird z.B. verwendet für Rohre, Behälter, Folien und Beschichtungen. Polypropylen (PP) gehört wie PE zu den Polyolefinen und besitzt auch ähnliche Eigenschaften wie PE. Es wird gegenüber PE überall dort vorgezogen, wo es auf eine erhöhte Wärmebeständigkeit, Schlagzähigkeit oder Festigkeit ankommt. Verwendung findet PP z.B. für Behälter und Rohre, die Wasser nahe der Siedetemperatur von 100 °C enthalten. Die chemische Beständigkeit von PP ist analog derjenigen von PE. Die Kältebeständigkeit ist bei PP schlechter als bei PE. Unter 0 °C versprödet PP relativ schnell. Polystyren (PS) ist spröde, zudem nur bedingt wärmebeständig und wird daher im Chemieapparatebau nur wenig gebraucht. Um es mit schlagzähen Eigenschaften auszustatten, wird es häufig in einer Mischung mit anderen Kunststoffen als Copolymer eingesetzt, z.B. mit Butadien (SB), mit Acrylnitril (SAN) oder mit Butadien und Acrylnitril zusammen (ABS). PS ist beständig gegenüber schwachen Säuren und Basen, Salzlösungen und Alkoholen. Nicht beständig ist PS gegenüber chlorierten oder aromatischen Lösungsmitteln, oxidierenden Säuren, Ethern, Estern, Ketonen und Kohlenwasserstoffen. PS ist nicht witterungsbeständig.
3.7 Kunststoffe
131
Polyvinylchlorid (PVC) ist mengenmäßig der zweitwichtigste Kunststoff nach PE. PVC verfügt über gute Festigkeitswerte, ist abriebsfest und witterungsbeständig. PVC gibt es in zwei Qualitäten. PVC weich enthält im Gegensatz zu PVC hart einen hohen Anteil an Weichmacher und ist flexibel und wenig zugfest. PVC ist generell nur beschränkt wärmebeständig und entwickelt in der Hitze bereits ab 120 bis 180 °C aggressive HClDämpfe. PVC weich ist brennbar. PVC ist beständig gegenüber Säuren, Laugen, Salzlösungen, Alkoholen und Kohlenwasserstoffen. Nicht beständig ist PVC gegenüber starken Säuren, Estern, Ketonen, halogenierten und aromatischen Lösungsmitteln. Anwendungen findet PVC für Rohre, Schläuche, Bodenbeläge, Drahtisolationen und gasdichte Folien. Polytetrafluorethylen (PTFE) vereinigt eine sowohl ausgezeichnete Temperatur- als auch Chemikalienbeständigkeit in sich. Nicht beständig ist es nur gegenüber Halogenen, flüssigen Alkalimetallen, Flusssäure und sehr stark konzentrierten Säuren und Basen. PTFE hat die geringste Gleitreibung aller Feststoffe und ist stark schmutzabweisend (antiadhäsiv). PTFE besteht aus linearen, unverzweigten Makromolekülen und besitzt eine hohe Kristallinität von bis zu 95%. PTFE lässt sich thermoplastisch nicht verarbeiten, da es oberhalb seiner Schmelztemperatur von 327 °C in einen hochviskosen, gelierten Zustand übergeht. PTFE wird daher als Pulver kalt in Form gepresst und anschließend bei ca. 380 °C gesintert. Nach einer langsamen Abkühlung, wodurch eine hohe Kristallinität erreicht wird, entstehen so Formteile oder Überzüge, die nie ganz porenfrei sind. PTFE ist folglich gasdurchlässig. PTFE neigt bereits bei Raumtemperatur und unter geringster Beanspruchung zum Kriechen (Kaltfluss). Die Festigkeit ist gering. Diese negativen Eigenschaften können durch Einbringen von Füllstoffen (z.B. Glasfasern) teilweise kompensiert werden. Trotz seines relativ hohen Preises wird PTFE gerne verwendet für Folien, Antihaftbeschichtungen, Schlauchseelen, Dichtungen oder Gleitlager. Polyvinylidenfluorid (PVDF) verbindet die ausgezeichnete Temperaturund Chemikalienbeständigkeit von PTFE mit der Möglichkeit der thermoplastischen Verarbeitung. Es besteht aus teilweise fluorierten linearen Kohlenstoffketten. Die Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit ist gegenüber PTFE etwas eingeschränkt. Dafür liegt die Festigkeit bedeutend höher. PVDF wird für Verpackungsfolien im Lebensmittelbereich, Auskleidungen oder Rohrleitungen z.B. für hochreines Wasser verwendet. Ähnliche Anwendungen wie PVDF finden die ebenso fluorierten und thermoplastisch verarbeitbaren Polymere Polyvinylfluorid (PVF), Ethylentetrafluorethylen (ETFE), Fluorethylenpropylen (FEP), Perfluoralkoxy (PFA) oder Polychlortrifluorethylen (PCTFE), auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
132
3 Werkstoffe
Polyoxymethylen (POM) ist auch unter dem Namen Polyacetal bekannt. Es handelt sich um einen hochfesten, schlagzähen Kunststoff, der v.a. für mechanisch beanspruchte Apparateteile verwendet wird. Die Temperaturund Chemikalienbeständigkeit ist gut. POM ist beständig gegenüber den meisten Lösungsmitteln und schwachen Laugen. Nicht beständig ist POM gegenüber oxidierenden Chemikalien und Säuren (pH < 4). Polymethacrylsäuremethylester (PMMA) ist ein glasklarer Werkstoff und wird anstelle von Glas verwendet. Es ist halb so schwer wie Fensterglas, ziemlich kratzfest, nicht splitternd, witterungsbeständig und durchlässig für UV und Röntgenstrahlen. Die Wärmebeständigkeit ist auf ca. 65 °C limitiert. Chemisch beständig ist PMMA gegenüber aliphatischen Lösungsmitteln, Salzlösungen sowie schwachen Säuren und Laugen. Nicht beständig ist PMMA gegenüber aromatischen und halogenierten Lösungsmitteln, konzentrierten Säuren und Laugen, Alkoholen, Estern, Ethern oder Ketonen. PMMA wird für bruchsichere Dachgläser, Apparateabdeckungen, Waschbecken und durchsichtige Rohrleitungen z.B. in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt. Eine Markenbezeichnung von PMMA ist Plexiglas®. Polycarbonat (PC) ist wie PMMA ein transparenter Kunststoff, hat aber optisch die etwas schlechteren Eigenschaften. Im Vergleich zu PMMA sind dafür Temperaturbeständigkeit, Festigkeit und Schlagzähigkeit deutlich verbessert. PC ist beständig gegenüber verdünnten Säuren, gesättigten aliphatischen Lösungsmitteln und Alkoholen mit Ausnahme von Methylalkohol. Nicht beständig ist PC gegenüber Laugen, Ammoniak, Aminen, aromatischen und halogenierten Lösungsmitteln sowie Ozon. PC ist nur bedingt witterungsbeständig. PC wird verwendet für Schutzabdeckungen, Schaugläser, Sicherheitsgläser, Schutzhelme oder dampfsterilisierbare medizinische Geräte. Polyamide (PA) zeichnen sich durch hohe Werte für Festigkeit, Schlagzähigkeit und Verschleißwiderstand aus. Es gibt verschiedene Polyamide. Sie sind alle aus linearen Kohlenwasserstoffmolekülen mit endständigen Carbonsäure- und Amingruppen aufgebaut. Die Kennzeichnung der Polyamide erfolgt durch ein international gebräuchliches Zahlensystem, das die Anzahl der C-Atome im Monomer wiederspiegelt. Enthält die Bezeichnung zwei Zahlen, so ist das Polymer aus zwei verschiedenen Monomeren aufgebaut, einem Diamin und einer Dicarbonsäure. Die erste Zahl beschreibt die Anzahl C-Atome im Diamin und die zweite die Anzahl CAtome in der Dicarbonsäure. PA6 ist ein Polyamid aus Caprolactam, PA6.6 ist ein Polyamid aus Hexamethylendiamin und Adipinsäure. Polyaramid (Kevlar®) ist ein sehr zugfester Werkstoff und wird für faserverstärkte Bauteile verwendet. Polyamide sind beständig gegenüber
3.7 Kunststoffe
133
Kohlenwasserstoffen, Estern, Ketonen, Ethern und schwachen Laugen. Nicht beständig sind Polyamide gegenüber Säuren, starken Laugen, Oxidationsmitteln, gewissen Alkoholen und Chloroform. Aufgrund der polaren Amidgruppen nehmen Polyamide in der Luft 2 bis 3% und in Wasser 5 bis 10% Feuchtigkeit auf. Verwendung finden Polyamide z.B. für Zahnräder, Gleitlager oder Laufrollen. Polyphenylenether (PPE) wurde früher als Polyphenylenoxid (PPO) bezeichnet. PPE entsteht aus einer oxidativen Polykondensation von 2,6Dimethylphenol. Die aromatische Grundstruktur bewirkt eine hervorragende Wärmebeständigkeit und Festigkeit. PPE ist chemisch beständig gegenüber schwachen Säuren und Laugen sowie Alkoholen. Nicht beständig ist PPE gegenüber aromatischen oder halogenierten Lösungsmitteln, Ketonen und Ölen. Anwendung findet PPE bei Heißwasser und Dampf in Armaturen, Filtern und mechanisch beanspruchten Apparateteilen sowie für dampfsterilisierbare medizinische Geräte. Polyphenylensulfid (PPS), Polyethersulfon (PES) und Polysulfon (PSU) sind schwefelhaltige, aromatische Polymere mit ausgezeichneter Temperaturbeständigkeit, Festigkeit und Härte. PES und PSU sind transparent. Ihre Anwendungen sind ähnlich derjenigen von PPE. PES und PSU können auch für wärmebeständige durchsichtige Konstruktionsteile verwendet werden. Die Chemikalienbeständigkeit ist generell gut. PPS ist beständig gegenüber allen polaren Lösungsmitteln sowie schwachen Säuren und Basen. PES und PSU sind beständig gegenüber oxidierenden Medien, schwachen Säuren und Basen, Alkoholen sowie aliphatischen Kohlenwasserstoffen. Polyimide (PI) haben die höchste thermische Beständigkeit aller Kunststoffe. Ihr Einsatz erstreckt sich von -200 bis +300 °C, kurzzeitig sogar bis 450 °C. Polyimide sind chemisch beständig gegenüber aliphatischen und aromatischen Lösungsmitteln, Ethern, Estern, Alkoholen sowie verdünnten Säuren. Nicht beständig sind Polyimide gegenüber starken Laugen und Ammoniak. Ein abgewandeltes Polyimid ist Polyetherimid (PEI). PEI lässt sich thermoplastisch gut verarbeiten. Verwendung finden Polyimide für Lager, Kolbenringe, Dichtungen sowie wärmebeanspruchte Apparateteile.
134
3 Werkstoffe
Duroplaste
Die Abbildung 3.21 zeigt Ausschnitte aus der chemischen Molekularstruktur der nachfolgend beschriebenen Duroplaste. Duroplaste Phenolharz (z.B. Bakelit)
Melaminharz
OH
CH2 N
N
N
CH2 N
N N
ungesättigtes Polyesterharz
Polyurethan
O
O CH 2
O
O
O C CH CH2 C O CH2 CH2
O n
O C N
CH2 4
H
CH2
N C 6 H
n
HC C CH CH2 C O CH2 CH2 O
O
n
Epoxidharz CH 3
OH CH2 CH
CH 2 O
C CH 3
O
CH2 n
CH
CH2 O
Abb. 3.21. Chemische Molekularstrukturen von Duroplasten
Phenol-Formaldehyd-Harz (PF) wird auch als Phenolharz oder Phenoplast bezeichnet. Es entsteht durch Polykondensation von Phenol mit Formaldehyd. Dabei wird die Polykondensation auf einer thermoplastischen Vorstufe unterbrochen, das Vorprodukt mit 30-60% Füllstoff vermischt, in die endgültige Form gebracht und unter hohem Druck quervernetzt. Der Füllstoff kann aus Zellulose, Gesteinsmehl oder Glasfasern bestehen und erfüllt zwei Funktionen. Erstens erniedrigt er die sonst vorhandene Sprödigkeit des Phenoplastes und zweitens verbilligt er das Produkt. PF spaltet in der Wärme Phenol ab und ist daher für Lebensmittel nicht geeignet. PF ist nicht lichtbeständig und dunkelt nach. Chemisch beständig ist PF gegenüber unpolaren Lösungsmitteln, Alkoholen und kaltem Wasser. Nicht beständig ist es gegenüber Säuren und Laugen sowie heißem Wasser. Verwendet wird PF z.B. für Schrankbeschichtungen oder korrosionsfeste Beschichtungen von Rohren und Apparaten.
3.7 Kunststoffe
135
Melamin-Formaldehyd-Harz (MF), auch einfach Melaminharz genannt, entsteht aus der Polykondensation von Melamin mit Formaldehyd. Dabei wird die Polykondensation wie bei PF auf einer thermoplastischen Vorstufe unterbrochen, das Vorprodukt mit 30-60% Füllstoff vermischt, in die endgültige Form gebracht und unter hohem Druck quervernetzt. MF ist für Lebensmittel geeignet und erlaubt eine maximale Gebrauchstemperatur von 130 °C. MF ist chemisch beständig gegenüber organischen Lösungsmitteln, Alkoholen und heißem Wasser. Nicht beständig ist es gegenüber Säuren und Laugen. Verwendet wird MF z.B. für Tischplatten, Schrankbeschichtungen, Schalttafeln oder Geschirr. Ungesättigte Polyester (UP) entstehen aus einer Polykondensation von zweiwertigen ungesättigten Säuren mit zweiwertigen Alkoholen. Die ungesättigten Polyester werden anschließend mit Styren dreidimensional vernetzt. Zur Erhöhung der Festigkeit und Erniedrigung der Sprödigkeit werden der Polymermasse meistens 25-60% Glasfasern zugemischt. Die Zumischung erfolgt als Einzelfasern, Rovings (Faserstränge), Matten oder Gewebe. Es ist zu beachten, dass Härter (Katalysator für die Quervernetzung) und Beschleuniger wegen latenter Explosionsgefahr niemals miteinander vermischt werden dürfen. UP ist chemisch beständig gegenüber Salzlösungen, Benzin und verdünnten Säuren außer Schwefelsäure. Es ist nicht beständig gegenüber konzentrierten Säuren und Laugen, organischen Lösungsmitteln oder heißem Wasser. Wichtig für die Beständigkeit ist eine geschlossene Harzschicht an der Oberfläche. Eingesetzt wird UP z.B. für Behälter, Silos, große Rohre und Auskleidungen. Epoxidharze (EP) werden ähnlich den ungesättigten Polyestern in einem zweistufigen Verfahren hergestellt. In der ersten Stufe entsteht z.B. aus Epichlorhydrin und Bisphenol A ein Vorprodukt mit endständigen Epoxidgruppen (Polykondensation). In der zweiten Stufe erfolgt die Vernetzung der Epoxidgruppen mit so genannten Härtern, die im Gegensatz zu den Härtern bei UP in das Molekül kovalent eingebaut werden (Polyaddition). Die Härter (Amine) können allergisierend wirken, weshalb bei der Herstellung stets Handschuhe getragen werden sollten. Wie UP werden EP üblicherweise mit Glasfasern verstärkt. Epoxidharze sind chemisch beständig gegenüber verdünnten Säuren und Laugen, Kohlenwasserstoffen und Alkoholen. Nicht beständig sind Epoxidharze gegenüber konzentrierten Säuren und Laugen, Estern, Ketonen und heißem Wasser. Wichtig für eine gute Beständigkeit ist auch hier eine porenfreie Harzschicht an der Oberfläche. Epoxidharze werden z.B. verwendet für Druckrohre, Auskleidungen, Beschichtungen oder Klebstoffe. Polyurethane (PUR) werden durch Polyaddition von Isozyanaten und Polyolen aufgebaut. Sind die verwendeten Polyole kurzkettig, so entstehen
136
3 Werkstoffe
relativ harte Werkstoffe (Duroplaste), sind die Polyole langkettig, so entstehen weiche Werkstoffe (Elastomere). Polyurethane sind elastisch, zäh, strukturfest, verschleißfest und witterungsbeständig. Chemisch beständig sind Polyurethane gegenüber aliphatischen Kohlenwasserstoffen, kaltem Wasser und Ozon. Nicht beständig sind Polyurethane gegenüber heißem Wasser, feuchter heißer Luft, Säuren und Laugen, Alkoholen, halogenierten und aromatischen Lösungsmitteln und Ammoniak. Verwendet werden Polyurethane für Bodenbeläge, Verschleiß- und Dämpfungsteile sowie geschäumt als Dämmstoffe. Elastomere
Die Abbildung 3.22 zeigt die chemischen Molekularstrukturen der im folgenden diskutierten Elastomere. Die chemischen Beständigkeiten der wichtigsten Elastomere sind in der Tabelle 3.12 zusammenfassend wiedergegeben. Die Angaben gelten bei Raumtemperatur und dienen der groben Orientierung. Die Beständigkeit von Elastomeren hängt sehr stark vom Grad der Quervernetzung ab, aber auch vom Anteil und der Art der Füllstoffe, der molekularen Masseverteilung des Polymers und bei Copolymeren vom jeweiligen Anteil der Komponenten. Um die Beständigkeit seriös abzuklären, sollte der Lieferant bzw. Hersteller konsultiert werden (z.B. [21]). Zusätzlich macht es häufig Sinn, eigene Versuche unter Betriebsbedingungen durchzuführen. Naturkautschuk (NR) wird aus dem Milchsaft (Latex) von brasilianischen Kautschukbäumen gewonnen. Chemisch entspricht es Molekülketten aus Poly-cis-1,4-isopren, die spiralförmig verknäuelt sind und daher auf Zug elastisch reagieren. Die in der Grundstruktur noch vorhandenen Doppelbindungen können durch Schwefel- oder Peroxidbrücken mit einander verknüpft werden (Vulkanisieren), wodurch die Festigkeit zu- und die Elastizität abnimmt. Außer dem Vernetzungsmittel (Schwefel oder Peroxid) werden dem Naturkautschuk noch weitere Komponenten zugegeben wie Füllstoffe (z.B. Ruß), Weichmacher (Paraffine) und Alterungsschutzmittel (Amine oder Phenole). Naturkautschuk altert unter Einwirkung von Licht, Wärme und Sauerstoff durch zunehmende Versprödung. Naturkautschuk ist chemisch beständig gegenüber Wasser, Salzlösungen, Alkoholen, schwachen Säuren und Laugen. Nicht beständig ist Naturkautschuk gegenüber Lösungsmitteln, Fetten und Ozon. Übliche Gebrauchstemperaturen liegen zwischen -40 und +70 °C. Wegen der beschränkten chemischen Beständigkeit wird Naturkautschuk im chemischen Apparatebau kaum verwendet.
3.7 Kunststoffe
Elastomere Naturkautschuk (NR)
Guttapercha H 3C
H3C
H 3C
n
H3C
H3C
n
H3 C
Polybutadien (BR)
Nitrilkautschuk (NBR) CH2 CH
n
CN
Butylkautschuk (IIR) CH3
CH2 C
CH3
Cl
n
Cl
m
n
Perfluorkautschuk (FFKM) CF2 CF2
CF2 CF
CF2 CF n
CF3 m
n
m
Cl
CH CH2
Fluorkautschuk (FKM) CF2 CH2
CH CH2
Polychloropren (CR)
CH3
CH2 C
CH2 CH n
CF2 m
O CF3
Silikon (Q)
Fluorsilikon (FMQ)
CH3
CH3 HO Si O
Si
CH3
O
CH3
CH3
CH3
Si OH
Si
n CH 3
CH3
CH2CH2CF3 O
Si n
O
CH3
Styrenbutadienkautschuk (SBR) CH2 CH
CH2 CH
CH CH2 m
n
Ethylenpropylendienkautschuk (EPDM) CH2 CH2
CH2 CH n
CH3 m
CH2 CH CH2 CH2 o
S S C CH
C
Abb. 3.22. Chemische Molekularstrukturen von Elastomeren
m
CF Br
o
137
138
3 Werkstoffe
Ethylen-Propylen-Kautschuk (EPM, EPDM)
Fluorkautschuk (FKM)
Silikon-Kautschuk (Q)
3 x 1 x 2
x 1 1 x 1-2
1 x 1 2 1
3 2-3 1 x 2
1 x 1 1 1
x 1 1-2 3 x
2 x 1-2 x 3
x 2 1
x
3-x
x
x
x
1-2
x
1
x 3
1-2 x
x 3
3 x
x 3
1 1
x x
1 2
x
2-3
x
x
x
2
x
x x
100 x
110 x
x x
130 2
150 x
120 x
x
x
x
3
x
x
x
3-x 1-2 1
x 2-3 2
2 1 1
x 1-2 1
2 1 1
x 2 3
2 2 2
x 1-2 2
x
2
x
2-3
x
1
2-3
1
1 x 1 1-3 3 x
2 x 2 3 3 x
1 2 1 2 1 x
1 x 3 2-3 3 x
1 1 1 1-2 1 2
1 1-2 1 1 1 1
2 x 1 2 x 1
2
Fluorsilikon-Kautschuk (FMQ)
Chloropropen (CR)
Aceton Aliphate allg. Alkohole allg. Amine, z.B. Pyridin Ammoniak, flüssig Aromate, z.B. Benzen, Toluen, Xylen Benzin, aromatisch Chlor, feucht Chlorierte Kohlenwasserstoffe Dampf bis °C Ester allg. Ether, z.B. Ethylether, Diethylether Ketone allg. Laugen allg. Natriumhydroxid 25% Öle und Fette, mineralisch Phosphorsäure 50% Salpetersäure 25% Salzsäure 15% Säuren allg. Schwefelsäure 50% Wasserstoffperoxid 30%
Butylkautschuk (IIR)
Medium
Nitrilkautschuk (NBR)
Elastomere
Naturkautschuk (NR) und StyrenButadien-Kautschuk (SBR)
Tabelle 3.12. Chemische Beständigkeit von Elastomeren (1 = beständig; 2 = bedingt beständig; 3 = kurzzeitig beständig; x = löslich/zersetzend; höhere Werte = maximale Gebrauchstemperatur in °C)
x
100
1-2 x 2
3.7 Kunststoffe
139
Chemisch identisch zu Naturkautschuk ist der synthetisch hergestellte Isoprenkautschuk (IR), der ebenfalls aus Poly-cis-1,4-isopren besteht. Guttapercha entspricht Poly-trans-1,4-isopren und wird auf natürliche Weise aus dem indonesischen Gummibaum gewonnen. Polybutadien (BR) ist ein einfaches synthetisches Elastomer, das aus der Polymerisation von Butadien entsteht, wobei eine cis-Konfiguration der Doppelbindungen angestrebt wird. Da früher zur Synthese von Polybutadien Natrium als Katalysator eingesetzt wurde, wurde früher BR auch BUNA genannt (aus Butadien und Natrium). Heute werden Ziegler-Natta Katalysatoren verwendet. Polybutadien ist häufig auch ein Bestandteil von Copolymeren, so z.B. in SBR = BUNA S (Copolymer mit Styren) oder in NBR = BUNA N (Copolymer mit Acrylnitril). Reines Polybutadien ist nur beschränkt beständig gegenüber Lösungsmitteln. Vor allem unpolare aliphatische und aromatische Lösungsmittel greifen es an. Hingegen können ihm schwache Säuren und Basen, polare Lösungsmittel und Salzlösungen kaum etwas anhaben. Polybutadien ist wegen der Doppelbindung empfindlich gegenüber Sauerstoff und Wärme. Sein Einsatzbereich erstreckt sich von -30 bis +90 °C. Durch Zusatz von Füllstoffen ergibt sich eine sehr gute Abriebfestigkeit, weshalb Polybutadien z.B. bevorzugt für die Lauffläche von Autoreifen oder für Förderbänder verwendet wird. Styren-Butadien-Kautschuk (SBR) ist ein Copolymerisat aus Styren und Butadien. SBR ist ein sehr günstiger Kautschuk mit einem thermischen Einsatzbereich zwischen -30 und +70 °C. Er wird gerne für Autoreifen, Förderbänder, Schuhsohlen und Fußbodenbeläge verwendet. Aufgrund der Doppelbindungen ist SBR nur beschränkt witterungsbeständig (empfindlich gegenüber Sauerstoff, Ozon und Wärme). SBR ist chemisch beständig gegenüber polaren Flüssigkeiten wie Alkoholen, Wasser und verdünnten, nicht oxidierenden Säuren und Laugen. Nicht beständig ist SBR gegenüber aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Nitrilkautschuk (NBR) ist ein synthetisches Copolymerisat aus Akrylnitril und Butadien. Dadurch resultiert im Vergleich zu BR eine erhöhte Beständigkeit gegenüber unpolaren Lösungsmitteln. Die Gebrauchstemperatur liegt zwischen -20 und +100 °C. Nitrilkautschuk ist chemisch beständig gegenüber aliphatischen Kohlenwasserstoffen, schwachen Säuren und Laugen. Nicht beständig ist es gegenüber polaren Lösungsmitteln, starken Säuren und Basen sowie Ozon. Nitrilkautschuk wird im Chemieanlagenbau v.a. für chemikalienbeständige Dichtungen, Auskleidungen, Förderbänder und Schläuche eingesetzt.
140
3 Werkstoffe
Butylkautschuk (IIR) ist ein synthetisches Copolymerisat aus Isobutylen und geringen Mengen Isopren. IIR verhält sich viscoelastisch und dämpft Stöße und Schwingungen vorzüglich. Es wird daher für Puffersysteme eingesetzt. IIR zeichnet sich überdies durch eine äußerst geringe Gasdurchlässigkeit aus. Dieser Eigenschaft verdankt es seinen verbreiteten Einsatz für Schläuche von Fahrrädern, Innenbeschichtungen von Autopneus oder Sperrschichten in Chemikalien-Schutzanzügen. Da es nur wenige Doppelbindungen enthält, ist IIR ziemlich witterungs- und ozonbeständig. Sein Einsatzbereich liegt zwischen -40 und +110 °C (zur Schwingungsdämpfung bis +70 °C). IIR wird z.B. für Heißwasser- und Dampfschläuche oder Dichtungen von Heizkesseln verwendet. Beständig ist IIR gegenüber polaren Medien sowie schwachen Säuren und Laugen. Nicht beständig ist IIR gegenüber apolaren Medien wie Fetten und Ölen. Polychloropren (CR) entsteht aus der Polymerisation von 2-Chlorbutadien und wird z.B. unter der Markenbezeichnung Neopren£ kommerziell vertrieben. Die Chloratome reduzieren die chemische Reaktivität der C-C-Doppelbindungen in der Polymerkette und bewirken, dass Chloropren-Elastomere unter Einfluss von Sauerstoff, Ozon oder Wärme langsamer altern als andere Dien-Kautschuke. Chloroprenkautschuke sind schlecht brennbar und selbstverlöschend. Sie sind witterungsbeständig und können zwischen -30 bis +90 °C eingesetzt werden. Verwendet werden Chloroprenkautschuke für Behälterauskleidungen, Walzenbeschichtungen, Förderbänder, Schläuche sowie Kabel- und Rohrisolationen. Chloroprenkautschuke enthalten oft ölige Weichmacher und Füllstoffe wie z.B. Ruß. Beständig ist Polychloropren gegenüber Sauerstoff und Ozon sowie gegenüber polaren Medien wie Wasser und schwachen Laugen. Bedingt beständig ist es gegenüber mineralischen Ölen. Ansonsten ist es ziemlich unbeständig. Chloroprenkautschuke werden heutzutage mehr und mehr durch Kautschuke mit höherer Chemikalienbeständigkeit verdrängt. Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM) ist ein Copolymerisat aus Ethylen, Propylen und Dienen. An den Dienen kann nach der Polymerisation eine Quervernetzung mit Schwefel stattfinden. Die Gebrauchstemperatur beträgt zwischen -50 und +120 °C. EPDM ist chemisch beständig gegenüber Heißwasser, Wasserdampf, Alkoholen, Ketonen und Ozon. Nicht beständig ist EPDM gegenüber aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen. EPDM ist häufig mit Füllstoffen wie z.B. Ruß verstreckt. Im Chemiebereich stellt EPDM der bedeutenste gummiartige Werkstoff dar und wird standardmäßig in wässrigen Systemen bei nicht zu hoher Temperatur eingesetzt. Verwendung findet EPDM für Dichtungen (O-Ringe), Schläuche, Förderbänder, Kabelisolationen und stoßbeanspruchte Teile.
3.7 Kunststoffe
141
Fluorkautschuk (FKM) wird eingesetzt, wenn an die Chemikalien- oder Temperaturbeständigkeit erhöhte Ansprüche gestellt werden. Fluorkautschuk entsteht durch Copolymerisation von Vinylidenfluorid mit Fluoralkenen wie z.B. Hexafluorpropylen. Die Fluoratome schützen die Polymerkette vor chemischen Angriffen. Fluorkautschuk kann in einem breiten Temperaturbereich von -20 bis +200 °C eingesetzt werden. Es ist hervorragend witterungs-, alterungs- und ozonbeständig. Es ist physiologisch unbedenklich und verfügt über Antihafteigenschaften, was die Reinigung erleichtert. Chemisch ist Fluorkautschuk beständig gegenüber Heißwasser, Wasserdampf, aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen, mittelstarken Säuren, schwachen Basen, Peroxiden, Chlor und Ozon. Nicht beständig ist FKM gegenüber gewissen polaren Medien wie Ketone, Ester, Ether, niedermolekularen Alkohole, Amine, Ammoniak, Fluorkohlenwasserstoffe, Chlorsulfonsäure und Flusssäure. Fluorkautschuk ist nicht brennbar, kann aber in der Hitze eines Feuers hochtoxischen Fluorwasserstoff abspalten. Verwendet wird FKM z.B. für chemikalienbeständige Dichtungen, wie sie die Firma Dupont unter der Markenbezeichnung Viton£ vertreibt. Perfluorkautschuk (FFKM) enthält keine Wasserstoffatome und ist hoch chemikalienresistent. Die chemische Beständigkeit ist vergleichbar mit PTFE. Ein bekannter Dichtungswerkstoff aus FFKM wird von der Firma Dupont unter dem Namen Kalrez£ vertrieben. FFKM ist beständig gegenüber Aminen, Ketonen, Estern, Ethern, Alkoholen und rauchender Salpetersäure. Nicht beständig ist FFKM nur gegenüber Alkalimetallen und fluorierten Kohlenwasserstoffen. Perfluorkautschuk kann langfristig bis 230 °C und kurzzeitig bis 300 °C eingesetzt werden. Der hohe Preis von Fluorkautschuken verhindert bisher eine verbreitete Anwendung. Silikone (Q) enthalten in der Polymerkette keine Kohlenstoffe sondern alternierend Silizium- und Sauerstoffatome. An die Siliziumatome sind seitlich kurze Kohlenwasserstoffreste wie z.B. Methyl-, Ethyl- oder Phenylgruppen gebunden. Die Seitengruppen machen die Silikone wasserabweisend und bewirken die im Vergleich zu den Silikaten große Elastizität. Die Gebrauchstemperaturen liegen zwischen -60 und +250 °C. Silikone sind antiadhäsiv, physiologisch inert sowie ausgezeichnet witterungsund ozonbeständig. Silikone sind zwar schwer entflammbar, brennen aber bei Temperaturen über 400 °C wegen der kohlenstoffhaltigen Seitengruppen ähnlich wie organische Elastomere. Chemisch sind Silikone beständig gegenüber Salzlösungen, schwachen Säuren und Laugen, pflanzlichen Ölen sowie einigen polaren Lösungsmitteln. Nicht beständig sind Silikone gegenüber Wasserdampf (T > 130°C), Chlor, Ammoniak, Estern, Ethern, Ketonen sowie aromatischen und chlorierten Kohlenwasserstoffen. Ver-
142
3 Werkstoffe
wendet werden Silikone z.B. für Dichtungen, Schläuche, antiadhäsive Transportbänder, medizinische Implantate, wasserabweisende Schutzschichten, Isoliermassen und Wärmeträgeröle. Fluorsilikone (FQ) sind Silikone, bei denen die Seitenketten teilweise fluoriert sind. Fluorsilikone verfügen bei vergleichbarer Gebrauchstemperatur über eine höhere Chemikalienbeständigkeit. Sie kommen vor allem dann zur Anwendung, wenn ein geringes Quellen in aromatischen oder chlorierten Kohlenwasserstoffen gefordert ist. Der Einsatzbereich liegt zwischen -60 und +180 °C. Beständig sind Fluorsilikone gegenüber Alkoholen, schwachen Säuren und Laugen sowie aliphatischen und aromatischen Lösungsmitteln. Nicht beständig sind sie gegenüber Ketonen und Ammoniak. Typischerweise werden Fluorsilikone für Dichtungen im Kraftstoffbereich oder als Schmiermittel für Silikone verwendet. Ein hoher Preis steht weiteren Anwendungen entgegen.
3.8 Naturstoffe Naturstoffe sind natürlich vorkommende Stoffe wie Gesteine oder Produkte aus der Tier- und Pflanzenwelt, die vom Menschen stofflich unverändert eingesetzt werden. Als natürliche Werkstoffe sind im Chemiebetrieb hauptsächlich Holz und Steine von Bedeutung. Holz
Die Vorteile von Holz als Werkstoff sind vielfältig: − − − − − −
niedriger Preis nachwachsender Rohstoff (Nachhaltigkeit) einfache Verarbeitbarkeit hohe Festigkeit in Faserrichtung (massenbezogen 3x stärker als Stahl) relativ gute chemische Beständigkeit geringe Wärmeleitfähigkeit d.h. gute Wärmedämmung
Holz enthält in der Trockensubstanz ca. 40-50% Zellulose, 20-35% Lignin, 15-20% Polyosen und 2-5% weitere Inhaltsstoffe wie Reservestoffe, Farb- und Gerbstoffe, Wachse oder Pestizide. Zellulose besteht aus langkettigen Polymeren, deren Grundbaustein die β–d-Glukose ist (s. Abb. 3.23). Benachbarte Polymere sind über Wasserstoffbrücken in teilkristallinen Bereichen eng mit einander verknüpft. Daraus resultiert die relativ gute chemische Beständigkeit und die hohe Festigkeit parallel zu den
3.8 Naturstoffe
143
Fasern. Senkrecht zur Faserrichtung ist die Zugfestigkeit ca. 20 bis 40 mal geringer als in Längsrichtung. Holz besitzt also eine ausgeprägte Anisotropie.
CH2OH O HO
OH
HO
OH
O O CH 2OH
O
n
M ≈ 10'000 g/mol Abb. 3.23. Chemische Struktur von Zellulose (Ausschnitt mit zwei Glucoseeinheiten, M = molare Masse)
Lignin ist ein hochmolekularer aromatischer Füllstoff (M ≈ 10'000 g/mol), der erst beim Abschluss des Zellwachstums zwischen die Zelluloseketten eingelagert wird und dadurch das Zellulosegerüst versteift. Polyosen werden auch Holzzucker (Hemizellulose) genannt. Es handelt sich um kurze, durch Schädlinge gut abbaubare Glukoseketten. Trockenes Holz enthält zusätzlich zu den oben aufgeführten Substanzen ca. 6 bis 20% Wasser. Holz wird hauptsächlich durch biologischen Angriff zerstört, wobei sowohl trockenes Holz als auch dauerhaft unter Wasser stehendes Holz kaum angegriffen wird. Chemisch verhält sich Holz ziemlich inert. Im pHBereich zwischen 2 und 10 ist es bis 100 °C resistent. Eine sich bildende Quellhaut schützt vor weitergehendem Angriff. Nicht beständig ist Holz gegenüber Oxidationsmitteln, heißen Alkalilösungen, Bisulfit, Kupferaminsalzen und Phenolen. Schwefelsäure verkohlt Holz durch Entzug von Wasser aus der Zellulose. Holz selbst hat einen tiefen pH-Wert, weshalb es gewisse Metalle zu korrodieren vermag (z.B. Verbindungselemente aus Eisen). Thermisch ist Holz kurzzeitig bis 220 °C und längerfristig bis 120 °C stabil. Selbst im Brandfall verkohlt es vorerst nur oberflächlich. Tieferliegende Schichten sind durch die geringe Wärmeleitfähigkeit vor Zerstörung geschützt. Die Festigkeit kann durch schichtweises Verleimen in unterschiedlicher Faserrichtung erhöht werden (Sperrholz). Durch Imprägnierung kann Holz mit bioziden oder flammhemmenden Eigenschaften ausgerüstet werden.
144
3 Werkstoffe
Holz wird in Chemiebetrieben z.B. verwendet für Fußböden, Salzlager oder Kohlebunker (Tragkonstruktionen). Steine
In chemischen Betrieben finden sich manchmal Produkte aus Achat- oder Granitgestein. Achat ist ein metamorphes Gestein mit streifigem Aussehen und besteht aus amorpher Kieselsäure (SiO2) mit Fremdstoffeinschlüssen. Bezüglich seiner chemischen Beständigkeit verhält es sich ähnlich wie Glas, wird aber aufgrund seiner amorphen Struktur und der Fremdstoffeinschlüsse von Säuren eher angegriffen. Achat ist relativ hart und eignet sich z.B. als Werkstoff für Reibschalen und Pistillen. Granit ist ein magmatisches kristallines Gestein und besteht aus den Silikatmineralien Feldspat, Quarz und Glimmer. Aufgrund seines heterogenen Aufbaus mit 1 bis 4 mm großen Kristallen können größere Temperaturwechsel zu inneren Spannungen und schließlich Zerstörung des Werkstoffs führen. Die chemische Beständigkeit ist ähnlich derjenigen von Glas. Der hohe Anteil an Quarz (ca.70%) macht Granit sehr hart. Granit findet als Werkstoff z.B. Verwendung für Fußböden, Labortischplatten, Tröge, Absorptionstürme oder Mühlesteine.
3.9 Fragen aus der Praxis Korrosion
Warum ist die Titanic, die seit 1912 in einer Meerestiefe von 3'840 Meter liegt, nicht schon längst verrostet? Beständigkeit von Stahl rostfrei
Gibt es alkalische Lösungen, für die ein rostfreier Stahl bei Normaltemperatur nicht eingesetzt werden darf? Beständigkeit von Aluminium
Warum wird reines Aluminium von Salzsäure (HCl) und Schwefelsäure (H2SO4) angegriffen, nicht aber von Salpetersäure (HNO3)?
3.10 Literatur
145
Beständigkeit von Email
Warum ist Email beständiger gegenüber wasserfreien Säuren als gegenüber wasserhaltigen Säuren? Eigenschaften von Kunststoffen
Welchen transparenten Kunststoff würden Sie für die optische Linse eines Diaprojektors auswählen und warum? Die Lösungen finden sich im Kapitel „Berechnungen und Antworten zu Teil I“ am Ende des ersten Buchteils.
3.10 Literatur [1] Seidel W (2001) Werkstofftechnik. 5 Aufl, Hanser, München [2] Merkel M, Thomas KH (2000) Taschenbuch der Werkstoffe. Hanser, München [3] Laska R, Felsch C (1992) Werkstoffkunde für Ingenieure. Vieweg, Braunschweig [4] Domke W (1982) Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung. 9 Aufl, Girardet, Essen [5] Heinz H (1973) Technische Stoffe. Fikentscher, Darmstadt [6] Christen H (1964) Werkstoffbegriffe. Huber, Frauenfeld [7] Stüwe H (1969) Einführung in die Werkstoffkunde. Bibliografisches Institut, Mannheim [8] Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten [9] Lindner E, Hoinkis J (1997) Chemie für Ingenieure. Wiley-VCH, Weinheim [10](1990) Corrosion Handbook, Corrosive Agents and Their Interaction with Materials. vol 1-12, Wiley-VCH, Weinheim [11]Zelders H (1969) Korrosion und Korrosionsschutz. Hallwag, Bern [12]Schütze M (2000) Corrosion and Environmental Degradation. Wiley-VCH, Weinheim [13]Baeckmann W, Schenk W (1999) Handbuch des kathodischen Korrosionsschutzes. 4 Aufl, Wiley-VCH, Weinheim [14](1988) Werkstoffe für die Verfahrenstechnik. Preprints 1./2.Dezember 1988 Köln, VDI Gesellschaft Werkstofftechnik, Düsseldorf [15]Pfaender H (1989) Schott-Glaslexikon. mvg, München [16]Hellerich W, Harsch G, Haenle S (1979) Werkstoff-Führer Kunststoffe. Hanser, München [17](1997) Technische Kunststoffe. Angst+Pfister AG, Zürich [18]Röthemeyer F, Sommer F (2001) Kautschuk Technologie. Hanser, München
146
3 Werkstoffe
[19](1999) DECHEMA-Werkstofftabellen. DECHEMA Verlag, Frankfurt [20](1996) Lektor Werkstoffe – angewandte Werkstofftechnik. CD-ROM, Technik und Medien GmbH, Berlin [21](2004) Chemische Beständigkeitsliste. www.buerkle.de/deu/d2-1.php
4 Reaktionstechnik
4.1 Begriffe Die chemische Reaktionstechnik befasst sich mit der sicheren und umweltverträglichen Umsetzung einer chemischen Reaktion aus dem Labor in den technischen Maßstab. Im Zentrum steht die Auslegung eines chemischen Reaktors im Hinblick auf seine Form, Größe und Betriebsweise bei gegebener Reaktion und verlangter Produktionsleistung. Voraussetzungen dafür sind fundierte und detaillierte Kenntnisse über die Stöchiometrie, Reaktionskinetik und Thermodynamik aller möglichen Reaktionen inklusive der Bildung von Nebenprodukten. Homogene und heterogene Reaktionen Ein Reaktionsgemisch, d.h. das Gemisch, in dem die Reaktion stattfindet, besteht üblicherweise aus Rohstoffen, Hilfsmitteln und Begleitstoffen (Reaktanden, Lösungsmittel, Katalysatoren, Produkten, Nebenprodukten, Verunreinigungen, Verdünnungsmittel, Inertstoffe etc.). Das Reaktionsgemisch kann entweder homogen (einphasig) oder heterogen (mehrphasig) sein. Entsprechend unterscheidet man homogene und heterogene Reaktionen. Eine homogene Reaktion läuft in einer einzigen Phase ab, die alle für die Reaktion notwendigen Komponenten enthält. Die Phase kann gasförmig oder flüssig sein. Bei einer homogenen Reaktion in flüssiger Phase müssen alle Komponenten in einander löslich sein. Bei einer heterogenen Reaktion besteht das Reaktionsgemisch aus mindestens zwei verschiedenen Phasen, z.B. gasförmig-flüssig, gasförmig-fest, flüssig-flüssig oder flüssig-fest. Die Phasen sind hier miteinander auf molekularer Ebene nicht mischbar. Die Reaktion beruht auf dem Stoffaustausch mindestens einer Komponente über die Phasengrenze hinweg.
148
4 Reaktionstechnik
Strömungsführung Die Strömungsführung zweier nicht mischbarer stofflicher Phasen in einem Reaktor kann gleichsinnig, gegensinnig, kreuzweise oder stationär durchdringend sein. Bei Gleichstrom treten beide Stoffströme auf der gleichen Seite in den Reaktor ein, verlaufen innerhalb des Reaktors parallel und treten beide auf der anderen Seite des Reaktors wieder aus. Bei Gegenstrom tritt ein Stoffstrom am Austrittsort des anderen in den Reaktor ein, und umgekehrt. Innerhalb des Apparates verlaufen die Stoffströme antiparallel. Bei Kreuzstrom verlaufen die Stoffströme innerhalb des Apparates im rechten Winkel zu einander. Bei Teilstrom ist der eine Stoffstrom ortsfest, während der zweite durch ihn hindurch fließt. Die verschiedenen Arten der Strömungsführung sind in der Abb. 4.1 schematisch dargestellt.
a) Gleichstrom
b) Gegenstrom
c) Kreuzstrom
d) Teilstrom
Abb. 4.1. Strömungsführung in Apparaten
Ein Reaktor kann diskontinuierlich, kontinuierlich oder halbkontinuierlich betrieben sein. Die diskontinuierliche Betriebsweise wird auch Satzbetrieb, Chargenbetrieb oder Batchprozess genannt. Dabei werden alle für die Reaktion benötigten Rohstoffe und Hilfsmittel im Reaktor vorgelegt, mit einander vermischt und die Reaktion gestartet. Das Reaktionsgemisch verbleibt während der gesamten Reaktionszeit im Reaktionsbehälter. Der Reaktionsbehälter kann während der Reaktion beheizt oder gekühlt, unter Druck gesetzt oder evakuiert werden. Am Ende der Reaktionszeit wird das Reaktionsgemisch abgelassen, d.h. der Reaktor wird entleert. Nach einer eventuellen Reinigung steht der Reaktor für eine erneute Befüllung bereit. Die Zeit zwischen zwei Befüllungsvorgängen heißt Taktzeit. Die Vorteile einer diskontinuierlichen Betriebsweise sind − − − −
Flexibilität bei Verwendung des Apparates für verschiedene Produkte, Möglichkeit der Verwendung bei langen Reaktionszeiten, geringe Investitionskosten bei Verzicht auf weitergehende Automation, einfache Reinigung des Reaktors.
4.1 Begriffe
149
Der Temperaturverlauf in einem diskontinuierlich betriebenen Reaktor kann isotherm, adiabatisch oder polytrop sein. Bei einem isothermen Temperaturverlauf bleibt die Temperatur trotz eventuell freigesetzter Reaktionswärme (Enthalpie) während der gesamten Reaktionszeit konstant. Die durch die Reaktion entstandene Wärme wird durch die Reaktorwand abgeführt. Bei einem adiabatischen Temperaturverlauf steigt oder sinkt die Temperatur gemäß den umgesetzten Wärmen (Reaktionswärme, Verdampfungswärme, Kristallisationswärme etc.). Es wird keine Wärme über die Reaktorwand ausgetauscht. Bei einem polytropen Temperaturverlauf wird zwar Wärme durch die Reaktorwand ausgetauscht, trotzdem herrschen aber im Reaktor an unterschiedlichen Orten oder zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Temperaturen vor. Die Abbildung 4.2 zeigt die Temperaturverläufe bei einer isothermen, adiabatischen oder polytropen Reaktionsführung. T Reaktionstemperatur
adiabatisch
polytrop isotherm
Reaktionszeit
Abb. 4.2. Isothermer, adiabatischer und polytroper Temperaturverlauf einer Reaktion mit Wärmetönung
Die kontinuierliche Betriebsweise wird auch Fließbetrieb genannt. Dabei fließen die für eine Reaktion erforderlichen Rohstoffe und Hilfsmittel in konstantem Fluss (kontinuierlich) in den Reaktor hinein. Im Reaktor reagiert die Reaktionsmasse bei den gegebenen Betriebsbedingungen (T, p, c) und fließt schließlich in konstantem Fluss (kontinuierlich) wieder aus dem Reaktor heraus. Die Vorteile einer kontinuierlichen Betriebsweise sind − − − − − −
große Produktionsleistungen bei einheitlichen Produkten, gleichbleibende (hohe) Produktqualität, einfacher Betrieb ohne Befüllungs- und Entleerungsvorgänge, mögliche Wärmerückgewinnung bei Heiz- und Kühlvorgängen, hohe Sicherheit durch dauerhaft geschlossene Systeme, Möglichkeit der Automatisierung d.h. Einsparung von Lohnkosten.
150
4 Reaktionstechnik
Ein kontinuierlich betriebener Reaktor liegt entweder in einem stationären oder in einem instationären Betriebszustand vor. Im stationären Betriebszustand behalten Temperaturen und Konzentrationen an einem bestimmten Ort im Reaktor unabhängig von der Zeit stets eine konstante Größe. Dies ist der normale Zustand während des Betriebs. Im instationären Betriebszustand ändern Temperaturen und Konzentrationen mit der Zeit. Instationäre Zustände herrschen üblicherweise bei der Inbetriebnahme oder bei der Außerbetriebsetzung vor. Die halbkontinuierliche Betriebsweise wird auch Teilfließbetrieb oder Semibatchprozess genannt. Ein Teil des Reaktionsgemischs wird im Reaktor vorgelegt, während ein weiterer Teil erst während der Reaktion kontinuierlich zugefügt wird. Dies empfiehlt sich z.B. bei sehr heftigen Reaktionen mit Gas- oder Schaumentwicklung, bei Reaktionen mit großer Wärmetönung oder bei heterogenen Reaktionen mit großen Dichteunterschieden der beteiligten Phasen. Eine halbkontinuierliche Betriebsweise liegt aber auch vor, wenn das gesamte Reaktionsgemisch vorgelegt wird und ein Produkt kontinuierlich aus dem Reaktionsgemisch entzogen wird. Dies ist z.B. angebracht für Folgereaktionen, um die Konzentration an Zwischenprodukten niedrig zu halten und unerwünschte Nebenreaktionen zu unterdrücken. Die Abbildung 4.3 veranschaulicht die diskontinuierliche, kontinuierliche und halbkontinuierliche Betriebsweise anhand eines Rührkessels.
oder a) diskontinuierlich
b) kontinuierlich
c) halbkontinuierlich
Abb. 4.3. Betriebsweise eines Rührkessels
Umsatz, Ausbeute, Selektivität, Leistung, Kapazität Der Umsatz Xi ist definiert als mathematisches Verhältnis der umgesetzten Menge eines Rohstoffs i zur anfänglich vorhandenen Menge des Rohstoffs i.
4.1 Begriffe
Xi =
n i0 − n i ; 0 ≤ X i ≤ 100% n i0
Symbole: Xi = Umsatz bezüglich des Rohstoffs i ni0 = Menge des Rohstoffs i am Anfang der Reaktion ni = Menge des Rohstoffs i am Ende der Reaktion
151
(4.1)
[-] [mol] [mol]
Die Ausbeute Yi ist definiert als mathematisches Verhältnis der gebildeten Menge des gewünschten Produkts zur stöchiometrisch maximal möglichen Produktmenge. Limitierend wirkt dabei derjenige Rohstoff, der am schnellsten verbraucht wird. Wegen der Bildung von Nebenprodukten oder Verlusten in der Apparatur ist die Ausbeute meistens kleiner als der Umsatz.
Yi =
n Pr odukt ⋅ ν i ; 0 ≤ Yi ≤ 100% n i 0 ⋅ ν Pr odukt
Symbole: Yi = Ausbeute bezüglich des Rohstoffs i νi = stöchiometrischer Koeffizient der Komponente i
(4.2)
[-] [-]
Die Selektivität Si beschreibt, welcher Anteil des verbrauchten Edukts i zum Produkt reagiert hat. Zwischen Selektivität Si, Umsatz Xi und Ausbeute Yi besteht folgender Zusammenhang Si =
Yi ; 0 ≤ S i ≤ 100% Xi
(4.3)
Die Leistung Φdiskont. eines diskontinuierlichen Reaktors ist definiert als mathematisches Produkt aus der Ausbeute Yi und der eingesetzten Rohstoffmenge ni0 , dividiert durch die Taktzeit tC und korrigiert mit den stöchiometrischen Koeffizienten. Die Taktzeit umfasst nicht nur den eigentlichen Reaktionsvorgang, sondern auch die vorangehenden und anschließenden Vorgänge wie Befüllen, Aufheizen, Abkühlen, Trennen, Entleeren, Reinigen usw.. Φ diskont . = Yi ⋅
n i 0 ν Pr odukt ⋅ tC νi
(4.4)
Symbole: Φdiskont. = Produktionsleistung eines diskont. Reaktors [mol⋅h-1] tC = Taktzeit des Reaktors (Zeit zwischen zwei Chargen)[h]
152
4 Reaktionstechnik
Die Produktionsleistung kann auch als Produktmasse pro Zeit, z.B. [kg/h] oder [t/a] angegeben werden. Dazu ist die Gleichung 4.4 mit der Molmasse des Produkts zu multiplizieren. Φ ' diskont . = Yi ⋅ Symbol:
n i 0 ν Pr odukt ⋅ ⋅ M Pr odukt tC νi
(4.5)
Φ‘diskont. = Produktionsleistung eines diskont. Reaktors [kg⋅h-1]
Die Kapazität ist die technisch maximal mögliche Leistung eines Reaktors über längere Zeit, z.B. einen Tag, einen Monat oder ein Jahr. Dabei müssen nebst Befüllungs-, Entleerungs-, Aufheiz-, Abkühl- und Reinigungszeiten auch Inspektions-, Wartungs-, Reparatur- und sonstige betrieblich notwendige Stillstandszeiten berücksichtigt werden. Die Gleichungen 4.1 bis 4.5 gelten für diskontinuierliche Reaktoren. Für kontinuierliche Reaktoren gelten sinngemäß die Gln. 4.6 bis 4.9. n i 0 − n i n i 0
(4.6)
n Pr odukt ⋅ ν i n i 0 ⋅ ν Pr odukt
(4.7)
X i ,kont . =
Yi ,kont . =
ν Pr odukt νi
(4.8)
ν Pr odukt ⋅ M Pr odukt νi
(4.9)
Φ kont . = Yi ⋅ n i 0 ⋅ Φ ' kont . = Yi ⋅ n i 0 ⋅
Symbole: n i 0 = Stofffluss i am Eingang des Reaktors
[mol⋅h-1]
n i = Stofffluss i am Ausgang des Reaktors
[mol⋅h-1]
4.2 Reaktoren Als chemischen Reaktor bezeichnet man den Apparat, in dem die chemische Reaktion durchgeführt wird. Die Aufgaben eines Reaktors sind vielfältig:
4.2 Reaktoren
153
− Dosierung der Reaktanden (halbkontinuierlich, kontinuierlich, absatzweise) − Mischung der Reaktanden (Rührertypen s. Kap. „Mischen/ Rühren“) − Wärmezufuhr, Wärmeabfuhr (s. Kap. „Wärmeübertragung“) − Druckerhöhung, Druckerniedrigung (Autoklaven, Vakuumkolonnen) − Schutz der Rektanden vor schädlichen Umwelteinflüssen (Sauerstoff, Feuchtigkeit, Licht, Schmutz) − Schutz der Umwelt vor schädlichen Emissionen (Geruch, ätzende, giftige, explosionsfähige Stoffe) Die Klassierung der Reaktoren ist nach verschiedenen Gesichtspunkten möglich, so z.B. nach − − − −
Art der durchgeführten Reaktionen, Betriebsbedingungen (T, p), Betriebsweisen (diskontinuierlich, kontinuierlich ...), Aggregatszuständen der Stoffströme (gasförmig, flüssig, fest-flüssig, homogen, heterogen ...), − Strömungsführung (Gleichstrom, Gegenstrom ...), − Art der Konstruktion (Bauart). Die wichtigsten Grundtypen von Reaktoren werden im Folgenden vorgestellt. Einen weitergehenden Überblick über die große Auswahl an Reaktoren geben die Abb. 4.12 bis 4.16. Rührkessel
Der Rührkessel ist der am häufigsten eingesetzte Reaktor bei Mehrzweckanlagen. Er eignet sich für flüssige oder flüssig-feste Reaktionsmischungen und kann diskontinuierlich, halbkontinuierlich oder kontinuierlich betrieben werden. Der Rührkessel kann mit Hilfe eines Doppelmantels oder mittels aufgeschweißter Halbrohrschlangen von außen beheizt oder gekühlt werden. Zum Schutz vor Korrosion besteht der Rührkessel vielfach aus nicht rostendem Stahl (St nr) oder er ist emailliert (St em), gummiert (St gum), verbleit (St vbl) oder mit Kunstharz beschichtet (St bharz). Offene Rührkessel heißen Standen. Geschlossene Rührkessel können mit Stickstoff begast (inertisiert) werden, um brennbare Lösungsmittel-LuftGemische zu vermeiden. Die Durchmischung der Rohstoffe und Hilfsmittel kann mit den verschiedensten Rührertypen geschehen (s. Kap. „Mischen/Rühren“). Strombrecher verhindern, dass der gesamte Reaktorinhalt mitrotiert (s. Abb. 4.4).
154
4 Reaktionstechnik
Elektromotor
Lagerung mit Dichtung Mannloch Messstutzen
Auflager, Pratzen Heizdampf Strombrecher, drehbar
Doppelmantel
Ankerrührer
Kondensat
Bodenventil
Abb. 4.4. Rührkessel
Bei einem idealen Rührkessel wird vereinfacht angenommen, dass der Reaktorinhalt jederzeit ideal durchmischt ist und daher niemals irgendwelche örtlichen Konzentrationsunterschiede bestehen. Die Konzentration ist somit ausschließlich eine Funktion der Reaktionszeit und nicht des Ortes. Wird der Rührkessel unter Druck betrieben, so spricht man von einem Autoklaven. Ein Autoklav ist von außen anhand seiner massiven Flansche und Schraubverbindungen gut erkennbar. Für Rührkessel, die unter abweichendem Druck betrieben werden, gelten spezielle Vorschriften. Diese Vorschriften regeln z.B. die Materialwahl, Instrumentierung, Sicherheitsausrüstung, Druckprüfung, Aufstellung, Inbetriebnahme, Bedienung, periodische Kontrollen sowie Maßnahmen im Falle einer Explosion. Für den Druck sind folgende Begriffe gebräuchlich (in Reihenfolge abnehmender Werte): 1. Probedruck: gemäß Vorschrift festgelegter Druck bei der Abnahmeprüfung, vermerkt im Prüfattest 2. Konstruktionsdruck: für die konstruktive Berechnung maßgebender Druck, eingeprägt auf Typenschild 3. Konzessionsdruck: maximal zulässiger Druck am Aufstellungsort (Genehmigungsdruck, max. Betriebsdruck)
4.2 Reaktoren
155
4. Abblasedruck: maximaler Druck nach Ansprechen der Sicherheitseinrichtung beim Abblasen 5. Ansprechdruck: Druck im Kessel beim Öffnen der Sicherheitseinrichtung 6. Arbeitsdruck: Gebrauchsdruck für den angestrebten Prozess (normaler Druck während der Reaktion) Die Konstruktion von Rührkesseln ist heutzutage normiert, was die Austauschbarkeit von Teilen vereinfacht. Rohrreaktor
Der Rohrreaktor besteht aus einem im Verhältnis zu seinem Durchmesser sehr langen Rohr (s. Abb. 4.5). Das Rohr kann zur Beheizung schlangenförmig in einem Ofen eingebaut sein oder es ist von einem Rohr mit größerem Durchmesser umgeben (Doppelrohr s. Kap. „Wärmeübertragung“). In Rohrreaktoren werden flüssige oder gasförmige Reaktionen durchgeführt. Zur Erhöhung des Reaktionsumsatzes enthält der Rohrreaktor häufig einen körnigen Katalysator. Das Rohr kann aber auch statische Mischelemente enthalten, die sogar beheizt werden können (Anwendung z.B. für Polymerisationen). Der Rohrreaktor wird kontinuierlich betrieben.
Containment ev. beheizt
Produkte Rohrschlange
Isolation
Edukte
Katalysator oder Mischelemente
Abb. 4.5. Rohrreaktor
Bei einem idealen Rohrreaktor wird vereinfacht angenommen, dass das Reaktionsgemisch das Rohr wie einen Pfropfen durchströmt. Daraus folgt, dass sich die Reaktanden in axialer Richtung im Rohr nicht durchmischen und innerhalb eines beliebigen Rohrquerschnitts überall und jederzeit mit derselben Konzentrationen auftreten. Die Konzentration ist somit ausschließlich eine Funktion der Längenkoordinate des Rohres.
156
4 Reaktionstechnik
Kolonne, Säule, Turm
Kolonnen, Säulen oder Türme sind senkrecht stehende, meist zylindrische Reaktionsapparate, die für heterogene Reaktionen (gas-flüssig, gas-fest, flüssig-flüssig, flüssig-fest) eingesetzt werden. Wichtig sind eine intensive Durchmischung und eine möglichst große Kontaktfläche zwischen den beteiligten Stoffströmen. Bodenkolonnen enthalten in regelmäßigen Abständen horizontale Einbauten, so genannte Böden, die den hinunter fließenden flüssigen Stoffstrom auffangen und mit dem aufsteigenden gasförmigen Stoffstrom in einer Sprudelschicht innig durchmischen. Um den Gasdurchtritt zu ermöglichen, sind die Böden mit Glocken, Schlitzen oder Sieben ausgerüstet (s. Abb. 4.6). Flüssigkeitseintritt
Überlauf Siphon
Gasaustritt
Glocken
Sprudelschicht
Gaseintritt
Flüssigkeitsaustritt
Abb. 4.6. Glockenbodenkolonne schematisch; die Anzahl der Glocken pro Boden ist in der Realität deutlich größer
Füllkörperkolonnen enthalten eine regellose Schüttung aus kleinen Füllkörpern (s. Abb. 4.7). Die Füllkörper bestehen aus Metall, Glas, Keramik oder Kunststoffen. Sie dienen dazu, eine möglichst große Kontaktoberfläche zwischen hinunter rieselndem flüssigem Stoffstrom und aufsteigendem gasförmigem Stoffstrom sicherzustellen. Füllkörper gibt es in
4.2 Reaktoren
157
einer Vielzahl von Formen wie Ringe, Spiralen, Sättel (s. Kap. „Rektifikation“). Gasaustritt Flüssigkeitsverteiler Flüssigkeitseintritt
stehender Zylinder Füllkörperschüttung
Gaseintritt
Flüssigkeitsaustritt
Abb. 4.7. Füllkörperkolonne schematisch, Füllkörper = Raschig-Ringe
Gepackte Kolonnen enthalten eine geordnete Packung, die die vorhandenen Stoffströme gut durchmischt und mit einander in Berührung bringt. Die Packung ist ähnlich einem statischen Mischelement aufgebaut (s. Kap. „Mischen/Rühren“), hat aber häufig zusätzliche Löcher und querverlaufende Kanäle, um den Druckabfall v.a. in der Gasphase zu verkleinern. Sie ist auch häufig aus Maschengewebe aufgebaut oder verfügt über eine spezielle Oberflächenstruktur, um von der Flüssigkeit gut benetzt zu werden. Geordnete Packungen werden in den Werkstoffen Metall, Glas, Keramik, Kunststoff oder Graphit angeboten. Eine geordnete Packung ist z.B. in der Abb. 15.16 des Kapitels „Rektifikation“ dargestellt. Gasblasenkolonnen oder Blasensäulen enthalten keine inneren Einbauten, sondern sind ganz mit Flüssigkeit gefüllt (s. Abb. 4.8). Gas strömt von unten durch feine Düsen ein und perlt durch die Flüssigkeitsschicht. Es entsteht so eine große Kontakt- bzw. Reaktionsoberfläche. Der Durchmesser der größten stabilen Einzelblasen lässt sich berechnen. Bis zu einem maximalen Gasgehalt in der Flüssigkeit von 12% gilt folgende dimensionslose Beziehung [5].
158
4 Reaktionstechnik
(4.10)
We d B ⋅ ρ l ⋅ g = =9 σ Fr 2
Symbole: We = Weberzahl Fr = Froudezahl dB = Durchmesser größter stabiler Einzelblasen ρl = Dichte der Flüssigkeit g = Erdbeschleunigung σ = Oberflächenspannung
[-] [-] [m] [kg⋅m-3] [m⋅s-2] [kg⋅s-2]
Gasaustritt Tropfenabscheider
Flüssigkeitsaustritt
stehender Zylinder
Sprudelschicht
Gasverteiler Gaseintritt
Flüssigkeitseintritt
Abb. 4.8. Gasblasenkolonne
Wirbelschichtreaktor
In einem Wirbelschicht- oder Fließbettreaktor wird eine Feststoffschüttung durch ein von unten durchströmendes Fluid (Gas oder Flüssigkeit) aufgelockert und in Schwebe gehalten (s. Abb. 4.9). Durch die Auflockerung erhält die Feststoffschüttung flüssigkeitsähnliche Eigenschaften. Der Wärme- und Stoffaustausch zur Partikeloberfläche ist hervorragend. Die Partikel können selbst an der Reaktion teilnehmen (Bsp. Verbrennung von Kohlepartikeln) oder als Katalysator wirken (Bsp. katalytisches Cracken von Erdöl). Die Produkte verlassen den Wirbelschichtreaktor mit dem Fluid.
4.2 Reaktoren
159
Fluid mit Produkt
Schieber
Schieber Feststoffzugabe Wirbelschicht aus Feststoffteilchen
Fluidumlauf
Feststoffentnahme
Fluid mit Edukt (Gas oder Flüssigkeit)
Siebboden Pumpe oder Gebläse
Reaktionsgemisch
Abb. 4.9. Wirbelschichtreaktor mit zirkulierendem Fluid
Phänomenologisch lassen sich verschiedene Arten von Wirbelschichten unterscheiden (s. Abb. 4.10).
a)
b)
c)
d)
e)
f)
Abb. 4.10. Zustandsformen von Wirbelschichten: a) homogen; b) klassierend; c) brodelnd; d) stoßend; e) durchbrochen; f) sprudelnd
160
4 Reaktionstechnik
Das Zustandsdiagramm von Reh [6] gibt eine vereinheitlichte Übersicht über das Widerstandsverhalten einer mit Gas durchströmten Feststoffschüttung (s. Abb. 4.11). Über der Reynoldszahl [Re = vG⋅dP/ν] wird der Widerstandsbeiwert des Einzelkorns [(3/4)⋅FrP⋅ρf/(ρP - ρf)] aufgetragen, wobei FrP der Froudezahl eines Partikels entspricht [FrP = vG2/(g⋅dP)]. Parameter sind die von der Geschwindigkeit unabhängige Archimedeszahl [Ar = g⋅dP3⋅(ρP - ρf)/ (ρf ⋅ν2)], die von der Partikelgröße unabhängige MZahl (Omegazahl) [M = vG3⋅ρf/(g⋅ν⋅(ρP - ρf))] und die mittlere Bettporosität ε = VG/V. Aus dem Diagramm lassen sich z.B. die Bereiche Festbett, Wirbelschicht oder pneumatische Förderung als Funktion der Durchströmungsgeschwindigkeit vG der Schüttung herauslesen. Es lässt sich daraus aber auch die Wahl eines geeigneten Wirbelschichtreaktors treffen.
Abb. 4.11. Zustandsdiagramm für Gas-Feststoff-Systeme mit kugelförmigen Teilchen gleichen Durchmessers bei vertikaler Durchströmung [6]
Nebst Rührkesseln, Rohrreaktoren, Kolonnen und Wirbelschichtreaktoren gibt es noch eine große Zahl weiterer Reaktortypen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. Die Abbildungen 4.12 bis 4.16 zeigen schematisch einige dieser weiteren Bauarten. Die Aufteilung in die Abbildungen erfolgt nach den Aggregatszuständen der beteiligten Stoffströme.
4.2 Reaktoren
161
Grossraumreaktor
Reaktionsmotor
Flamme
Lichtbogen
Beispiel: StickoxydOxydation
Beispiel: Verbrennungsmotor
Beispiel: Chlorknallgasverbrennung
Beispiel: Acetylen aus Methan
Abb. 4.12. Reaktortypen für Umsetzungen in der Gasphase
Oberflächenumsetzer
Dünnschichtabsorber
Füllkörperwäscher
Sprühreaktor "
"
g
g
g
g
"
"
"
g
"
g
"
Beispiel: HCl-Absorption
Beispiel: SO2-Absorption
Beispiel: Herstellung von Salpetersäure
Beispiel: Phosphorsäure aus flüssigem Phosphor
Tauchglocke
Glockenboden
Trommelwäscher
Ströderwäscher
"
g
g g
g
g
g
" "
"
g
Beispiel: CO2-Wäsche
Beispiel: HCl-Absorption
Beispiel: Ammoniakwäsche
Beispiel: SO3-Absorption
Abb. 4.13. Reaktortypen für Umsetzungen zwischen gasförmiger und flüssiger Phase
162
4 Reaktionstechnik
Rührkessel
Bottich
Rohrreaktor
Beispiel: organische Synthesen
Beispiel: Farbstoffkupplung
Beispiel: Polymerisationen
Wanne
Beispiel: Glasschmelze
Abb. 4.14. Reaktortypen für Umsetzungen in der flüssigen Phase
Festbettreaktor
Wanderschichtreaktor s
Tellerreaktor
Drehrohrofen
g
g s
g
s s
g
g
s
s
s g
g
" (Schlacke)
"(Eisen)
s
g
Beispiel: Katalytische Ammoniaksynthese
Beispiel: Eisenverhüttung
Beispiel: Rösten von Erzen
Beispiel: ZementHerstellung
Wirbelschichtreaktor (stationäre W.)
Wirbelschichtreaktor (zirkulierende W.)
Flugstaubreaktor
Vakuumbeschichter
g+s
g
g
g (Ar, Me)
s
s s
g
s
s Me
g
g g
Beispiel: Katalytisches Cracken
Beispiel: KehrichtVerbrennung
Beispiel: Kohlevergasung
Beispiel: Aufdampfen von Metallschichten
Abb. 4.15. Reaktortypen für Umsetzungen zwischen gasförmiger und fester Phase
4.3 Stoffbilanzen
Rührbottich
Rührkessel
Drehtrommel
163
Umlaufreaktor
"+s
"+s
"+s
"+s
Beispiel: FarbstoffSynthesen
Beispiel: Bayer-Verfahren für Al(OH)3
Beispiel: Kalklöschen
Beispiel: Zellstoffkocher
Kneter
Schnecke
Spinndüse
Wirbelschichtreaktor
" " "
"+s
"+(s)
Beispiel: Superphosphat aus Rohphosphat
Beispiel: BunaPolymerisation
Beispiel: KunstseideHerstellung
"+s
"
Beispiel: Wasserenthärtung
Abb. 4.16. Reaktortypen für Umsetzungen zwischen flüssiger und fester Phase
4.3 Stoffbilanzen Stoffbilanzen dienen der Berechnung von Umsatz, Ausbeute und Leistung eines Reaktors. Die Rechnungsmethode folgt unabhängig vom Reaktortyp immer demselben Schema. Zuerst wird das Bilanzgebiet festgelegt, dann werden die Schnittstellen nach außen bestimmt und schließlich werden alle Quellen und Senken für den betrachteten Stoff im Bilanzgebiet gesucht. Für den Reaktor umfasst das Bilanzgebiet den Reaktionsapparat. Schnittstellen sind grundsätzlich sämtliche Zu- und Ableitungen (RohstoffDosierung, Lösungsmittelzulauf, Inertisierung, Abläufe, Ventilation). In der Praxis sind jedoch nicht alle Schnittstellen für die Stoffbilanz von Bedeutung, z.B. können die Stoffströme durch Inertisierung oder Ventilation oft vernachlässigt werden. Eine überschlägige Abschätzung und Erfah-
164
4 Reaktionstechnik
rungswerte helfen bei der Festlegung der relevanten Schnittstellen. Die Bilanzgleichung lautet in der allgemeinen Form mit dem Zulauf durch die mit dem Ablauf im Bilanzgebiet zuströmender + Reaktion ge- = abströmender + gespeicherter Stoff bildeter Stoff Stoff Stoff
(4.11)
Mathematisch lautet die Gleichung für die Stoffbilanz eines beliebigen chemischen Reaktors d(V ⋅ c i ) νi ⋅c ⋅c V ⋅r = V ein i ,ein + V ⋅ aus i ,aus + νP dt
(4.12)
ein = volumetrischer Zulauf, eintretender Volumenstrom [m3⋅s-1] Symbole: V aus = volumetrischer Ablauf, austretender Volumenstrom [m3⋅s-1] V V = Reaktionsvolumen (≠ Reaktorvolumen !) [m-3] ci,ein = Konzentration im Zulauf, Eingangskonzentration [mol⋅m-3] ci,aus = Konzentration im Ablauf, Ausgangskonzentration [mol⋅m-3] ci = Konzentration der Komponente i im Reaktor [mol⋅m-3] νi = stöchiometrischer Koeffizient für Komponente i [-] νP = stöchiometrischer Koeffizient für das Produkt [-] r = Reaktionsgeschwindigkeit [mol⋅m-3⋅s-1]
Die Stoffbilanz (Gl. 4.12) gilt für eine allgemeine Reaktion der Form νa⋅A + νb⋅B + ... → νP⋅P
(4.13)
Gemäß einer Vereinbarung sind die stöchiometrischen Koeffizienten νi positiv für Produkte (P) und negativ für Edukte (A, B) in die Gln. 4.12 und die folgenden einzusetzen. Der negative Koeffizient bei Edukten berücksichtigt die Tatsache, dass Edukte in einer Reaktion verbraucht und nicht gebildet werden. Die Reaktionsgeschwindigkeit r ist definiert als die Bildungsgeschwindigkeit des Produkts. r= Symbol:
1 d ( n P ) d (c P ) ⋅ = V dt dt
(falls V ≈ konst.)
nP = Anzahl Mole Produkt im Reaktionsgemisch
(4.14) [mol]
Die Reaktionsgeschwindigkeit kann auch mit Hilfe der Konzentrationsänderungen der Edukte definiert werden.
r=
1 ν P d ( n i ) ν P d (c i ) ⋅ ⋅ = ⋅ νi V νi dt dt
(falls V ≈ konst.)
(4.15)
4.3 Stoffbilanzen Symbol:
ni = Anzahl Mole Edukt i im Reaktionsgemisch
165
[mol]
Meistens hängt die Reaktionsgeschwindigkeit von den Eduktkonzentrationen ab und nicht von der Produktkonzentration (Ausnahmen: Autokatalyse, Autoinhibition). Zur Lösung der Differenzialgleichung 4.12 wird deshalb normalerweise nur eine Stoffbilanz für die Edukte aufgestellt. Die gesuchte Produktkonzentration am Ende der Reaktion folgt aus der Eduktkonzentration am Ende der Reaktion unter Berücksichtigung der stöchiometrischen Umsetzung. Es wird häufig eine hundertprozentige Selektivität der Reaktion angenommen. Die Reaktionsgeschwindigkeit kann somit als Funktion der Eduktkonzentration dargestellt werden. Je nach Ordnung der Reaktion gelten die Beziehungen: Reaktion 0. Ordnung:
r = k0
(4.16)
Reaktion 1. Ordnung:
r = k1⋅ci
(4.17)
Reaktion 2. Ordnung:
r = k2⋅ci
(4.18)
2
Symbole: k0 = Geschwindigkeitskonstante Reaktion 0.Ordnung [mol⋅m-3⋅s-1] k1 = Geschwindigkeitskonstante Reaktion 1.Ordnung [s-1] k2 = Geschwindigkeitskonstante Reaktion 2.Ordnung [m3⋅mol-1⋅s-1]
Idealer diskontinuierlich betriebener Rührkessel
Bei einem diskontinuierlich d.h. absatzweise betriebenen Reaktor treten ein = V aus = 0. Die keine ein- und austretenden Stoffströme auf. Es gilt V Stoffbilanzgleichung 4.12 reduziert sich daher auf
V⋅
d(V ⋅ c i ) νi ⋅r = dt νP
(4.19)
Meistens bleibt auch das Volumen während der Reaktion annähernd konstant, da sich die Dichte des Reaktionsgemischs während der Reaktion kaum verändert. Daraus folgt für die Stoffbilanz d (c i ) νi ⋅r = dt νP
(4.20)
Setzt man für c die Konzentration des Edukts ci ein und verwendet man für die Reaktionsgeschwindigkeit die Gln. 4.16, 4.17 oder 4.18, so erhält man je nach Ordnung der Reaktion folgende Beziehungen für den Konzentrationsverlauf des Edukts mit der Zeit
166
4 Reaktionstechnik
Reaktion 0. Ordnung: ci = ciα + (νi/νP)⋅ k0⋅t
(4.21)
Reaktion 1. Ordnung: ci = ciα ⋅ exp [ (νi/νP)⋅ k1⋅ t ]
(4.22)
Reaktion 2. Ordnung: ci = [(1/ciα) - (νi/νP)⋅ k2⋅ t ] -1
(4.23)
Symbole: ciα = Anfangskonzentration des Edukts i t = Reaktionsdauer
[mol⋅m-3] [s]
Es gilt zu beachten, dass der stöchiometrische Faktor (νi/νP) in den Gln. 4.21 bis 4.23 negativ ist, da es sich beim Stoff i um ein Edukt handelt (Erklärung s. Gl. 4.13). Idealer kontinuierlich betriebener Rohrreaktor
Die Berechnung der Endkonzentration am Ausgang eines Rohrreaktors erfolgt analog zum diskontinuierlichen Rührkessel. Anstelle der Reaktionsdauer t des Rührkessels wird die mittlere Verweilzeit τ des Rohrreaktors in die Gln. 4.21 bis 4.23 eingesetzt. Die mittlere Verweilzeit des Reaktionsgemischs in einem Rohrreaktor kann entweder über das Rohrvolumen oder über die Rohrlänge " und die mittlere V und den Volumenstrom V Strömungsgeschwindigkeit v im Rohr bestimmt werden. τ=
V " = v V
(4.24)
Für die Berechnung des Reaktionsumsatzes wird eine pfropfenförmige Strömung angenommen. Je nach Ordnung der Reaktion wird die Ausgangskonzentration des Edukts mit unterschiedlichen Gleichungen bestimmt. Der stöchiometrische Korrekturfaktor (νi/νP) ist negativ, da sich die Berechnungen auf ein Edukt beziehen (Erklärung s. Gl. 4.13). Reaktion 0. Ordnung: ci,aus = ci,ein + (νi/νP)⋅ k0⋅ τ
(4.25)
Reaktion 1. Ordnung: ci,aus = ci,ein ⋅ exp [ (νi/νP)⋅ k1⋅ τ ]
(4.26)
Reaktion 2. Ordnung: ci,aus = [(1/ ci,ein) - (νi/νP)⋅ k2⋅ τ ] -1
(4.27)
Symbole: ci,ein = Eingangskonzentration des Edukts i ci,aus = Ausgangskonzentration des Edukts i v = mittlere Strömungsgeschwindigkeit im Rohr
[mol⋅m-3] [mol⋅m-3] [m⋅s-1]
4.3 Stoffbilanzen
167
Die Eduktkonzentration ci ändert in einem Rohrreaktor als Funktion des Orts und nicht der Zeit. Der Rohrreaktor arbeitet somit stationär. Anstelle der Reaktionsdauer t wie beim diskontinuierlichen Rührkessel kann der Reaktionsfortschritt im Rohrreaktor auch mit der Längenkoordinate x des Rohrs charakterisiert werden. Die Umrechnung erfolgt mit x = t/ v . Idealer kontinuierlich betriebener Rührkessel
In einem idealen, kontinuierlich betriebenen Rührkessel gilt wegen der vollkommenen Durchmischung stets ci = ci,aus. Zudem sind in der Regel die ein- und austretenden Volumenströme gleich groß. Als Folge davon bleibt das Reaktionsvolumen konstant. Unter diesen Annahmen gilt für die Stoffbilanz, die aus der Gl. 4.12 hergeleitet wird νi ⋅c ⋅ c + V ⋅ d (c i ) V ⋅r = V i i ,ein + V ⋅ νP dt
(4.28)
Im stationären Zustand ist die Konzentration unabhängig von der Zeit, d.h. d(ci)/dt = 0. Die Stoffbilanz vereinfacht sich daher zu νi ⋅c ⋅c V ⋅r = V i ,ein + V ⋅ i νP
(4.29)
Die mittlere Verweilzeit τ in einem kontinuierlich betriebenen Rührkessel ist definiert als τ=
(4.30)
V V
Somit kann die Stoffbilanz dargestellt werden mit c i = c i ,ein + τ ⋅
νi ⋅r νP
(4.31)
Setzt man für ci die Konzentration eines Edukts ein und verwendet man für die Reaktionsgeschwindigkeit die Gln. 4.16, 4.17 oder 4.18, so erhält man folgende Beziehungen für die Eduktkonzentration am Ausgang des Reaktors Reaktion 0. Ordnung: ci = ci,ein + (νi/νP)⋅ k0⋅ τ
(4.32)
Reaktion 1. Ordnung: ci = ci,ein / [1- (νi/νP)⋅ k1⋅ τ ]
(4.33)
168
4 Reaktionstechnik
Reaktion 2. Ordnung: ci =
1 − 1 − 4 ⋅ (ν i / ν P ) ⋅ k 2 ⋅ τ ⋅ ci , ein
(4.34)
2 ⋅ (ν i / ν P ) ⋅ k 2 ⋅ τ
Vergleich der idealisierten Reaktortypen
Für den Umsatz einer Reaktion 0. Ordnung spielt der Reaktortyp keine Rolle. Die Gleichungen für die Endkonzentration der Edukte (Gln. 4.21, 4.25, 4.32) stimmen hier überein. Bei gleicher Reaktionstemperatur und gleichem Reaktionsvolumen liefern Rohrreaktoren sowie kontinuierlich und diskontinuierlich betriebene Rührkessel dieselben Endkonzentrationen. Maßgebend ist einzig die Reaktionsdauer t bzw. die mittlere Verweilzeit τ im Reaktor. Dies liegt darin begründet, dass die Reaktionsgeschwindigkeit nicht von der Eduktkonzentration abhängt. Bei Reaktionen 1. und 2. Ordnung spielt der Reaktortyp eine entscheidende Rolle, denn hier ist die Reaktionsgeschwindigkeit direkt von der vorherrschenden Eduktkonzentration abhängig. Der ideale, kontinuierlich betriebene Rührkessel verdünnt die Konzentration der Edukte beim Eintritt sofort auf die Endkonzentration. Die Eduktkonzentration ist deshalb in einem kontinuierlich betriebenen Rührkessel von Anfang an relativ klein. Demgegenüber sinkt die Anfangskonzentration der Edukte in einem diskontinuierlich betriebenen Rührkessel oder in einem Rohrreaktor nur langsam ab. Im Durchschnitt liegen daher die Eduktkonzentrationen im diskontinuierlich betriebenen Rührkessel oder im Rohrreaktor höher als im kontinuierlich betriebenen Rührkessel. Deshalb ist auch die Reaktionsgeschwindigkeit im Durchschnitt höher und es werden bei gleichen Volumen tiefere Endkonzentrationen der Edukte erreicht. Der Umsatz und die Leistung liegen höher. Zusammenfassend lässt sich folgendes sagen. Je höher die Reaktionsordnung, desto besser schneidet der diskontinuierliche Rührkessel bzw. der Rohrreaktor gegenüber dem kontinuierlich betriebenen Rührkessel ab. Die Reaktionsordnung ist aber nicht das einzige Kriterium für die Wahl eines Reaktortyps. Argumente für den einen oder anderen Reaktortyp können auch sein − große Exothermie der Reaktion → Rohrreaktor − erwünschte Wärmerückgewinnung → kontinuierlicher Rührkessel oder Rohrreaktor − langsame Reaktionsgeschwindigkeit → diskontinuierlicher Rührkessel
4.4 Verweilzeitverteilung
169
− unerwünschte Folgereaktionen → Rohrreaktor oder diskontinuierlicher Rührkessel − großes Produktionsvolumen → Rohrreaktor oder kontinuierlicher Rührkessel − häufig wechselnde Produkte → diskontinuierlicher Rührkessel
4.4 Verweilzeitverteilung Die Verweilzeitverteilung beschreibt den Verlauf der Ausgangskonzentration eines kontinuierlich betriebenen Apparates, wenn an dessen Eingang die Konzentration eines inerten Stoffs impulsartig ändert. Bei einer engen Verweilzeitverteilung halten sich alle Komponenten ungefähr gleich lang innerhalb des Apparates auf. Bei einer breiten Verweilzeitverteilung verlassen gewisse Teile den Apparat schon nach kurzer Zeit, während andere Teile über längere Zeit im Apparat verbleiben. Generell wird eine enge Verweilzeitverteilung angestrebt, was aber aufgrund konstruktiver oder betrieblicher Gegebenheiten nicht immer gelingt. Bei Reaktoren ist speziell bei Folgereaktionen oder Reaktionen höherer Ordnung eine enge Verweilzeitverteilung erwünscht. Rohrreaktor
Der ideale Rohrreaktor hat eine Pfropfströmung und damit eine beliebig enge Verweilzeitverteilung. Im Idealfall erscheint eine am Eingang auftretende Konzentrationsänderung am Ausgang in unveränderter Form. Bei realen Strömungen, z.B. bei gefüllten Rohren oder bei turbulenter Strömung wird die Konzentrationsänderung etwas verwischt. Noch breiter wird die Verweilzeitverteilung, falls das Rohr leer ist und nur laminar durchströmt wird (s. Kap. „Strömungslehre“). Die Abbildung 4.17 zeigt den Konzentrationsverlauf am Ausgang eines Rohrreaktors bei einer impulsartigen Störung am Eingang.
170
4 Reaktionstechnik
c ein
c aus impulsartige Störung am Eingang
Erscheinen der Störung am Ausgang
Pfropfströmung turbulente Strömung laminare Strömung
t 0
0
τ/2
τ
t
Abb. 4.17. Verweilzeitverteilung in einem Rohrreaktor
Kontinuierlich betriebener Rührkessel
Der kontinuierlich betriebene Rührkessel zeigt ein etwas komplexeres Verweilzeitverhalten. Bei einer impulsartigen Konzentrationsänderung am Eingang des Reaktors verteilt sich der zudosierte Stoff im Innern des Reaktors zuerst einmal auf die Anfangskonzentration cα. Durch laufendes Ausschwemmen sinkt die Konzentration des zudosierten Stoffes dann langsam ab. Die Berechnung der Verweilzeitverteilung erfolgt am besten anhand einer Stoffbilanz für den zudosierten Stoff (abgeleitet aus Gl. 4.12). ⋅ c + V ⋅ d (c ) 0=V dt = volumetrischer Zu- bzw. Ablaufstrom Symbole: V V = Reaktionsvolumen c = Konzentration im Reaktor und Ablauf
(4.35) [m3⋅s-1] [m-3] [mol⋅m-3]
Bei Verwendung der mittleren Verweilzeit τ (Gl. 4.30) und nach Integration der Gl. 4.35 ergibt sich die Verweilzeitverteilung für einen idealen kontinuierlich betriebenen Rührkessel (Gl. 4.36 und Abb. 4.18). c = cα ⋅ exp [-t/ τ ] Symbole: cα = Anfangskonzentration im Reaktor t = Zeit nach impulsartiger Dosierung τ = mittlere Verweilzeit im Reaktor
(4.36) [mol⋅m-3] [s] [s]
4.4 Verweilzeitverteilung
c ein
171
c aus impulsartige Störung am Eingang des Rührkessels
Abnahme der Konzentration im kontinuierlich betriebenen Rührkessel
cα cα 2 t
0
t
τ "n2 τ
0
Abb. 4.18. Verweilzeitverteilung in einem kontinuierlich betriebenen Rührkessel
Rührkesselkaskade
Eine Rührkesselkaskade entsteht, wenn mehrere Rührkessel so hintereinander angeordnet werden, dass der Ausgang des vorderen mit dem Eingang des nächsten verknüpft ist. Die chemische Reaktion wird so auf mehrere Reaktoren verteilt (s. Abb. 4.19). 1. Rührkessel V c 1, ein
2. Rührkessel c 2, ein
3. Rührkessel c 3, ein
R1
R2
c 1, aus
c 2, aus
R3
c 3, aus
Abb. 4.19. Rührkesselkaskade
Die Verweilzeitverteilung einer Rührkesselkaskade kann mit Hilfe von Stoffbilanzen über die einzelnen Rührkessel errechnet werden (Gl. 4.12). Zuerst wird die Ausgangskonzentration des ersten Rührkessels c1,aus als Funktion der Zeit berechnet. Die Lösung hierzu liefert die Gl. 4.36. Die Ausgangskonzentration des ersten Rührkessels nimmt mit der Zeit exponentiell ab.
172
4 Reaktionstechnik
Die Ausgangskonzentration des ersten Rührkessels c1,aus entspricht der Eingangskonzentration des zweiten Rührkessels c2,ein . Nun wird eine Stoffbilanz über den zweiten Rührkessel erstellt. Daraus resultiert die Ausgangskonzentration des zweiten Rührkessels c2,aus . Diese durchläuft nach Ablauf der mittleren Verweilzeit eines Rührkessels τi ein Maximum. Die Ausgangskonzentration des zweiten Rührkessels c2,aus dient wiederum als Eingangskonzentration für den dritten Rührkessel c3,ein , und so weiter. Bei n Rührkesseln resultieren so n inhomogene Differenzialgleichungen erster Ordnung. Die Lösungen der Gleichungen sind grafisch in der Abb. 4.20 festgehalten.
c aus
c aus
t / τi
t / τtot
Abb. 4.20. Verweilzeitverteilung in einer Rührkesselkaskade; t Zeit nach impulsartiger Dosierung; τ i mittlere Verweilzeit in einem einzelnen Rührkessel; τ tot totale mittlere Verweilzeit in der Rührkesselkaskade; Wiedergabe mit Erlaubnis von John Wiley & Sons, Inc. [7]
Verfügt jeder Rührkessel über das gleiche Volumen und wird ein inerter Stoff am Eingang des ersten Reaktors eingespritzt, so verzögert sich der Austritt des Inertstoffes mit jedem zusätzlich angefügten Reaktor. Dies ist in der Abb. 4.20 auf der linken Seite dargestellt. Wird das Gesamtvolumen aller Reaktoren konstant gehalten, sodass das Gesamtvolumen von der Anzahl der Rührkessel unabhängig ist, so wird die Verweilzeitverteilung umso enger, je mehr Rührkessel in der Kaskade eingesetzt werden. Dies ist in der Abb. 4.20 auf der rechten Seite darge-
4.5 Fragen aus der Praxis
173
stellt. Es zeigt sich, dass die Verweilzeitverteilung einer Rührkesselkaskade derjenigen eines Rohrreaktors sehr nahe kommen kann. Ab 20 Rührkesseln entsteht eine Verweilzeitverteilung, die mit derjenigen eines Rohrs bei turbulenter Strömung praktisch identisch ist. Rührkesselkaskaden werden z.B. verwendet bei − − − − − −
stark exothermen Reaktionen, Einsatz verschiedener Temperaturen im Verlauf der Reaktion, Reaktionen höherer Ordnung, komplexen Reaktionen wie z.B. Folgereaktionen, sequenzieller Dosierung von Rohstoffen oder Hilfsmitteln, sequenzieller Abführung von Nebenprodukten.
4.5 Fragen aus der Praxis Umsatz, Ausbeute, Selektivität
Bei einer chemischen Reaktion der Form A+B→C reagieren je ein Edukt A und B zu einem Produkt C. Daneben wird auch das Nebenprodukt D gebildet gemäß der Reaktionsgleichung A+B→D. Ausgehend von 1 mol A und 2 mol B entstehen 0,8 mol C und 0,1 mol D. Wie groß sind der Umsatz, die Ausbeute und die Selektivität der Reaktion? Reaktionen im Rührkessel und Rohrreaktor
Ein Rohrreaktor soll mit einem kontinuierlich betriebenen Rührkessel gleichen Volumens verglichen werden. Wie groß sind die Produktkonzentrationen für die Reaktion A→B in den beiden Reaktoren, wenn die Reaktionskinetik 1. Ordnung ist? Warum ergeben sich Unterschiede im Umsatz? Reaktorvolumen Durchfluss Eingangskonzentration Reaktionsgeschwindigkeitskonstante
V V cAo k1
= 1.6 m3 = 0.03 m3/min = 2 mol/L = 7⋅ 10-4 s-1
174
4 Reaktionstechnik
Korngröße im Wirbelschichtreaktor
Ein Wirbelschichtreaktor wird mit Kohlepartikeln betrieben. Wie fein müssen die Kohlepartikel gemahlen werden, damit eine zirkulierende Wirbelschicht entsteht? Mit welcher Gasgeschwindigkeit sollen die Partikel angeströmt werden? Stoffdaten: νLuft (800 °C) = 140⋅10-6 m2/s; ρLuft (800 °C) = 0,320 kg/m3; ρKohle = 1100 kg/m3
4.6 Literatur [1] Fitzer E, Fritz W (1989) Technische Chemie – Einführung in die chemische Reaktionstechnik. Springer, Berlin Heidelberg New York [2] Baerns M, Hofmann H, Renken A (1987) Chemische Reaktionstechnik. Thieme, Stuttgart [3] Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten [4] Brauer H (1971) Stoffaustausch einschließlich chemischer Reaktionen. Sauerländer, Aarau [5] Blass E (1988) Bildung und Koaleszenz von Blasen und Tropfen. ChemieIngenieur-Technik, 12: 935-947 [6] Reh L (1968) Verbrennung in der Wirbelschicht, Chemie-Ingenieur-Technik, VCH, Weinheim, 11: 509-515 [7] Levenspiel O (1976) Chemical Reaction Engineering. Wiley, New York [8] Ingham J, Dunn IJ, Heinzle E, Prenosil JE (1994) Chemical Engineering Dynamics – Modelling with PC Simulation. VCH, Weinheim
5 Berechnungen und Antworten zu Teil I
5.1 Einführung Chemische Verfahrenstechnik Viele Personen erachten die zwei Begriffe als gleichwertig. Falls es einen Unterschied gibt, dann steht bei der chemischen Verfahrenstechnik vielleicht eher der Prozess mit seinen physikalisch-chemischen Abläufen im Vordergrund. Der Schwerpunkt bei der Chemie-Ingenieur-Technik liegt dann eher bei der apparativen Auslegung und der technischen Betriebsführung, damit der chemische Prozess überhaupt erfolgreich zur Durchführung gelangen kann. Umrechnung von Maßeinheiten a) Es handelt sich um eine Temperaturangabe. °F (Fahrenheit) darf nicht mit F (Farad) verwechselt werden. Farad ist eine Größe aus der Elektrotechnik und beschreibt die Fähigkeit, elektrische Ladung unter Spannung zu speichern (= Kapazität). Aus der Aufgabenstellung geht nicht hervor, ob es sich um eine Temperaturdifferenz oder um eine absolute Temperaturangabe handelt. Es gibt folglich zwei mögliche Lösungen: − Temperaturdifferenz:
∆T = 250 °F =
5 °C ⋅ 250 °F = 138,9 °C = 138,9 K 9 °F
(5.1)
− absolute Temperatur: T = 250 °F =
5 °C ⋅ (250 °F − 32 °F) = 121,1 °C = 394,3 K 9 °F
(5.2)
176
5 Berechnungen und Antworten zu Teil I
b) Hier geht es um eine spezifische Wärmekapazität. Die spezifische Wärmekapazität cP beschreibt, wieviel Energie es braucht, um eine gewisse Menge eines Stoffs um eine bestimmte Temperaturdifferenz zu erwärmen. cP =
m2 35 BTU 1'055 J 9 °F lb. 146,53 kJ ⋅ ⋅ ⋅ = = 146'530 2 °F ⋅ lb. BTU 5 K 0,4536 kg kg ⋅ K s ⋅K
(5.3)
c) Dies ist eine Angabe für die dynamische Viskosität eines Stoffs. Die dynamische Viskosität η ist ein Maß dafür, wie fließfähig der Stoff ist. c steht für centi = 1/100 und P steht für Poise, ein altes Maß, das auf Gramm und Zentimetern aufgebaut ist. 1cP entspricht der Viskosität von Wasser bei 20 °C.
η = 1 cP =
1 P 1 P Pa ⋅ s 10 −3 kg 1 g = ⋅ = 10 −3 Pa ⋅ s = = 100 100 10 P m ⋅s m ⋅s
(5.4)
d) Diese Angabe entspricht der spezifischen Oberfläche a eines Körpers, z.B. derjenigen einer geordneten Packung oder einer Schicht von Füllkörpern. Kleinbuchstaben werden bevorzugt verwendet, wenn es sich um spezifische Größen handelt. Spezifisch Größen beziehen sich z.B. auf die Masse oder das Volumen eines Körpers. Während für die absolute Oberfläche eines Körpers das Symbol groß A verwendet wird, gilt für die spezifische Oberfläche das Symbol klein a. a=
m2 1 ft 2 1 1 ft −1 3 , 28 m 3 , 28 = = ⋅ = = ft ft 0,305 m m3 ft 3
(5.5)
5.2 Projektierung Π-Theorem Die acht physikalischen Einflussgrößen (β, D, ν, ρ, v, L, g, σ) enthalten insgesamt drei SI-Basiseinheiten (kg, m, s). Es sind folglich 8 - 3 = 5 dimensionslose Kennzahlen gesucht, die das Problem vollständig beschreiben. Man könnte nun strikte gemäß dem Verfahrensbeschrieb im Unterkapitel „Buckingham Π–Theorem“ vorgehen. Eleganter verläuft die Lösung, indem man in der Tabelle 2.2 nach geeigneten Kennzahlen sucht, die sich aus den gegebenen physikalischen Größen aufbauen. Man findet
5.2 Projektierung
177
so Sherwood (Sh = β⋅L/D), Reynolds (Re = v⋅L/ν), Schmidt (Sc = ν/D), Galilei (Ga = g⋅L3/ν2) und Weber (We = ρ⋅v2⋅L/σ). Diese fünf Kennzahlen sind völlig unabhängig von einander und enthalten alle physikalischen Einflussgrößen, die in der Aufgabenstellung als maßgebend für den diffusiven Stofftransport bezeichnet wurden. Verfahrensfließbild
Eine bis ins Detail einwandfreie Lösung der Aufgabe ist nur mit Hilfe der DIN Norm 28'004 möglich. Eine annähernd korrekte Skizze sollte aber auch ohne DIN Norm gelingen (s. Abb. 5.1). Der Rührkessel wird mit dem Kennbuchstaben R bezeichnet. Der Kennbuchstabe C für einen chemischen Reaktor wäre statt R auch denkbar. Der Wendelrührer besitzt als Rührorgan eine eigene symbolhafte Darstellung. Die Isolation muss lediglich an einem Ort angedeutet und angeschrieben werden. Die Überlaufsicherung LSA+ schließt den Zulauf bei zu hohem Füllstand und löst einen Alarm aus.
40 mm Glaswatte
R1 +
LSA
Abb. 5.1. Rührkessel mit Wendelrührer und Überlaufsicherung
Netzplantechnik
Die folgenden Abbildungen stellen nur Ausschnitte aus größeren Netzplänen dar. In der gestellten Frage geht es darum, logische Verknüpfungen von Tätigkeiten grafisch einfach darzustellen.
178
5 Berechnungen und Antworten zu Teil I
a)
b)
A
A
K
B
L
A
K
K B c)
A
K
B
L
d)
C B
L
Abb. 5.2. Logische Verknüpfungen in Netzplänen
5.3 Werkstoffe Korrosion
Die elektrochemische Oxidationsreaktion von Eisen besitzt ein Standardpotential von -0,41 Volt (s. Tabelle 3.3). Wasser in 3'840 Meter Tiefe ist weitgehend Sauerstoff frei und pH neutral. Als Reduktionsreaktion kommt somit nur Gl. 3.17 in Frage. Diese Gleichung hat ein Standardpotential von +0,84 Volt. Da die Summe der Teilreaktionen (Oxidationsreaktion + Reduktionsreaktion = Redoxreaktion) positiv ist, kann das Schiff gar nicht rosten. Es könnte der Nachwelt noch lange erhalten bleiben, sofern es von Souvenirjägern und Archäologen verschont würde. Beständigkeit von Stahl rostfrei
Stahl rostfrei ist nicht beständig gegenüber wässrigen alkalischen Lösungen, die Halogensalze oder organische Halogenide enthalten. Halogenide sind Fluor-, Chlor-, Brom- oder Jodverbindungen. Die Halogene zerstören die passivierende Schutzschicht von rostfreiem Stahl und setzen die aufgebrochene Eisenoberfläche dem chemischen Angriff aus.
5.4 Reaktionstechnik
179
Beständigkeit von Aluminium
Salpetersäure ist eine oxidierende Säure, was für Salzsäure und Schwefelsäure nicht zutrifft. Die Beständigkeit von Aluminium, das eigentlich ein sehr unedles Metall darstellt, beruht auf einer schützenden Oxidschicht an der Oberfläche des Metalls. Diese Oxidschicht wird von oxidierenden Säuren noch verstärkt. Dagegen dringen die Chloride von Salzsäure in die Schutzschicht ein und zerstören diese, sodass schnell ein unansehnlicher, schwarzer Lochfraß entsteht. Beständigkeit von Email
Email ist beständiger gegenüber wasserfreien Säuren. Wasser kann zwischen die Siliziumketten, aus denen Glas besteht, eindringen und das Glas anlösen. Die nachfolgenden Protonen (H+-Teilchen) ersetzen die Alkaliund Erdalkaliionen, die dem Glas ein festes Gefüge verleihen. Da die Protonen kleiner sind als die Alkali- und Erdalkaliionen, entstehen feinste Mikroporen, die das Glas eintrüben. Eigenschaften von Kunststoffen Polymethacrylsäuremethylester (PMMA; Plexiglas) verfügt über ausgezeichnete optische Eigenschaften. Es ist hoch transparent und Licht brechend. Polycarbonat (PC) ist etwas weniger transparent, hat aber deutlich bessere thermische Eigenschaften. Die maximalen Gebrauchstemperaturen sind 70 °C für PMMA und 130 °C für PC (s. Tabelle 3.9). Da es im Strahlengang eines Diaprojektors sehr heiß werden kann, ist PC gegenüber PMMA vorzuziehen.
5.4 Reaktionstechnik Umsatz, Ausbeute, Selektivität
Der Umsatz X beträgt gemäß Gl. 4.1 90% bezüglich Edukt A und 45% bezüglich Edukt B. XA =
n A 0 − n A 1,0 − 0,1 = = 90% n A0 1,0
(5.6)
180
5 Berechnungen und Antworten zu Teil I
n B0 − n B 2,0 − 1,1 = = 45% n B0 2,0
XB =
(5.7)
Die Ausbeute Y wird mit dem Edukt A berechnet, da das Edukt A durch die Reaktion im Vergleich zum Edukt B zuerst vollständig verbraucht sein wird. Gemäß Gleichung 4.2 beträgt die Ausbeute YA = 80%. YA =
nP ⋅ νA 0,8⋅ − 1 = = 80% n A0 ⋅ ν P 1,0 ⋅ 1
(5.8)
Die Selektivität S wird ebenfalls auf das Edukt A bezogen und beträgt gemäß Gl. 4.3 SA = 89%. SA =
YA 0,8 = = 89% X A 0,9
(5.9)
Reaktionen im Rührkessel und Rohrreaktor
Aus einer Stoffbilanz im Reaktor für das Edukt A werden im Kapitel „Reaktionstechnik“ Gleichungen hergeleitet, die die Konzentration des Edukts cA nach Ablauf einer bestimmten Reaktionsdauer angeben. Bei einer mitt gilt im Rührkessel (s. Gl. 4.33): leren Verweilzeit τ = V V cA =
c A0 2 mol L = = 0,62 mol L 1 + τ ⋅ k 1 1 + 2,24
(5.10)
Aus der Stöchiometrie der Reaktion A→B folgt die Konzentration cB des Produkts im Rührkessel
c B = c A 0 − c A = 2 mol L − 0,62 mol L = 1,38 mol L
(5.11)
gilt im Rohrreaktor für Bei einer mittleren Verweilzeit von τ = V V die Konzentration des Edukts cA (s. Gl. 4.26):
c A = c A 0 ⋅ e − τ⋅k1 = (2 mol L ) ⋅ e −3200⋅7⋅10 = 0,21 mol L −4
(5.12)
Aus der Stöchiometrie der Reaktion A→B folgt die Konzentration des Produkts cB im Rohrreaktor c B = c A 0 − c A = 2 mol L − 0,21 mol L = 1,79 mol L
(5.13)
5.4 Reaktionstechnik
181
Der Rohrreaktor ist bei gleichem Volumen effizienter als der Rührkessel. Sein Umsatz liegt bei 90%. Im Vergleich dazu beträgt der Umsatz im Rührkessel nur 69%. Die Ursache für den Unterschied liegt darin, dass die Reaktion erster Ordnung ist und der Rohrreaktor im Durchschnitt bei einer höheren Konzentration arbeitet als der Rührkessel. Im Rührkessel wird die hohe Eduktkonzentration des Zulaufs sofort auf die niedrige Endkonzentration verdünnt. Im Rohrreaktor hingegen bleibt die Eduktkonzentration am Anfang noch relativ hoch. Korngröße im Wirbelschichtreaktor
Bei der zirkulierenden Wirbelschicht umfasst die Archimedeszahl (Ar) Werte zwischen 1 und 100 (s. Abb. 4.11). Der Mittelwert liegt gemäß der Grafik bei Ar = 10. Aus der Definition der Archimedeszahl kann der gesuchte Teilchendurchmesser dP errechnet werden. g ⋅ d P (ρ P − ρ F ) ⋅ ρF ν2 3
Ar = 10 =
→ dP
3
(
(5.14)
)
2 (5.15) 10 ⋅ ν 2 ⋅ ρ F 10 ⋅ 140 ⋅ 10 −6 ⋅ 0,32 m 3 = = = 5,8 ⋅ 10 −12 m 3 g ⋅ (ρ P − ρ F ) 9,81 ⋅ (1'100 − 0,32 )
→ d P = 0,18 mm
(5.16)
Ebenso geht aus der Abb. 4.11 hervor, dass die mittlere Reynoldszahl bei der zirkulierenden Wirbelschicht etwa Re = 1 beträgt. Mit der Definition der Reynoldszahl kann auf die Gasgeschwindigkeit geschlossen werden, mit der die Kohlepartikel von unten anzuströmen sind, damit sie in Schwebe bleiben. v ⋅ dP ν
(5.17)
ν 140 ⋅ 10 −6 m = = 0,78 m s d P 0,18 ⋅ 10 −3 s
(5.18)
Re = 1 =
→v=
Teil II Ausgleichsvorgänge
Der zweite Teil des Buchs befasst sich mit Transportvorgängen in chemischen Medien. Durch die Transportvorgänge können Impulse, Wärme oder Teilchen weitergeleitet werden. Der zweite Teil beinhaltet folgende Kapitel: 1. Strömungslehre: Bernoulli, Torricelli, Viskosität nach Newton, Rohrströmung, Druckabfall in Rohrleitungen, Filmströmung, Impulskraft, Rheologie 2. Wärmeübertragung: Wärmestrahlung, Wärmeleitung, Konvektion, Wärmedurchgang, Wärmeübertrager, Wärmeübertragungsmittel 3. Stofftransport: Diffusion und Konvektion, Stofftransport und chemische Reaktion, kombinierter Wärme- und Stofftransport, Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports Strömungslehre, Wärmeübertragung und Stofftransport beruhen auf den selben physikalischen Grundprinzipien. Bei allen drei Erscheinungsformen handelt es sich um Ausgleichsvorgänge auf submikroskopischer Ebene, wobei sich Stoffbezirke gegeneinander verschieben oder aneinander reiben. Die Stoffbezirke können „Wirbel“ in der Größe von Mikrometern sein oder auch nur einzelne Moleküle, Atome oder Ionen umfassen. Der Widerstand der Strömung, der Wärmeübertragung oder des Stofftransportes liegt in allen drei Fällen in der inneren und äußeren Reibung der Fluide begründet. Die innere Reibung ist die Reibung im Fluid selbst. Die äußere Reibung ist die Reibung des Fluids mit benachbarten Phasen.
184
Teil II
Wärme wird übertragen, wenn Teilchen mit hoher thermischer Bewegungsenergie diese Energie an benachbarte Teilchen abgeben. Strömungsimpulse werden übertragen, wenn schnelle Teilchen auf langsamere treffen. Ein Stofffluss entsteht, wenn Teilchen aufgrund ihrer Bewegung in andere Bereiche vordringen. Da all diese Vorgänge auf submikroskopische Teilchenbewegungen zurückzuführen sind, können Strömungsvorgänge, Wärmeübertragungen und Stofftransporte auch mit mathematischen Beziehungen dargestellt werden, die identisch aufgebaut sind.
6 Strömungslehre
6.1 Einleitung Die Strömungslehre ist die Lehre vom Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen unter der Einwirkung von äußeren Kräften. Die Strömungslehre gehört physikalisch gesehen zur „Mechanik deformierbarer Körper“. Flüssigkeiten und Gase Flüssigkeiten und Gase unterscheiden sich im Strömungsverhalten insofern, als Flüssigkeiten inkompressibel sind, während Gase unter Einfluss eines höheren Druckes verdichtet werden bzw. unter Einfluss eines tieferen Druckes expandieren. In der Strömungslehre wird die Kompressibilität von Gasen häufig vernachlässigt, da sich die Dichte eines Gases bei Strömungen unterhalb der Schallgeschwindigkeit (v < 340 m/s) im betrachteten Gebiet meist nur unwesentlich verändert. Gase werden deshalb wie Flüssigkeiten als inkompressibel erachtet, wodurch dieselben Gesetze wie bei Flüssigkeiten zur Anwendung kommen. Bei Berechnungen des Druckverlusts kann die Annahme eines inkompressiblen Gases überprüft werden, indem man die Gasdichte vor, während und nach dem Druckabfall im System berechnet. Sind die Abweichungen relativ groß, kann das Gesamtsystem manchmal in sinnvolle Teilsysteme unterteilt werden, in denen jeweils ähnliche Drücke herrschen. Dies gilt z.B. für ein langes Rohr, nicht jedoch für ein Ventil, worin sich auf kleinem Raum kurz aufeinanderfolgend starke Druckänderungen ergeben. Kontinuitätsgleichung Tritt ein Fluid (Flüssigkeit oder Gas) in ein System mit starren Wänden und variablem Querschnitt ein und verlässt es wieder, so ist der Massenstrom durch einen beliebigen Strömungsquerschnitt des Systems stets gleich groß (s. Abb. 6.1).
186
6 Strömungslehre
1 = m 2 = konst. m Symbol:
(6.1) [kg⋅s-1]
= Massenstrom m
Der Massenstrom kann als mathematisches Produkt der Fluiddichte und des Volumenstroms dargestellt werden. = ρ2⋅ V = konst. ρ1⋅ V 1 2
(6.2)
Symbole: ρ = Dichte des Fluids = Volumenstrom V
[kg⋅m-3] [m3⋅s-1]
Der Volumenstrom entspricht dem mathematischen Produkt aus der Fließgeschwindigkeit des Fluids multipliziert mit der zur Fließrichtung senkrecht stehenden Strömungsquerschnittsfläche, sodass gilt ρ1⋅A1⋅v1 = ρ2⋅A2⋅v2 = konst.
(6.3)
Symbole: A = Querschnittsfläche senkrecht zur Fließrichtung v = Fließgeschwindigkeit
[m2] [m⋅s-1]
Ist das Fluid inkompressibel, so bleibt die Fluiddichte durch den Strömungsvorgang unbeeinflusst (ρ1 = ρ2 = ρ). Daraus folgt die wichtige Beziehung für die Kontinuität eines inkompressiblen Fluids (Kontinuitätsgleichung) A1⋅v1 = A2⋅v2 = konst.
v 2 A1 = = konst. v1 A 2
bzw.
(6.4)
Die Strömungsgeschwindigkeit ist zur Größe des Strömungsquerschnitts umgekehrt proportional. ∆V1 A1
v1
m1
A2
∆V2
v2
m2
∆s2 ∆s1
Abb. 6.1. Strömungssystem mit unterschiedlichen Querschnitten; ∆V = in der Zeit ∆t durch den Querschnitt A fließendes Fluidvolumen; ∆s = in der Zeit ∆t zurückgelegte Fließstrecke
6.2 Strömung ohne Reibung
187
Ideale und reale Fluide
Bei gewissen Strömungsvorgängen sind die Einflüsse der inneren Reibung (Reibung zwischen den Fluidteilchen, Molekülen, Atomen) und der äußeren Reibung (Reibung an den Phasengrenzen) sehr klein und können vernachlässigt werden. Die Berechnung wird dadurch stark vereinfacht. Das Fluid verhält sich dann so genannt ideal. Andere Strömungsvorgänge wiederum werden durch die innere und äußere Reibung stark beeinflusst. Das Fluid verhält sich dann so genannt real.
6.2 Strömung ohne Reibung Strömende Fluide, deren Reibungen vernachlässigt werden dürfen, nennt man ideal. Mathematische Beziehungen für ideale Fluide gelten im allgemeinen nur für einen örtlich kleinen, klar begrenzten Bereich. Bernoulli
Gemäß der Kontinuitätsgleichung steigt die Fließgeschwindigkeit in der Verengung eines Strömungsquerschnitts an. Damit steigt auch die kinetische Energie des Fluids. Da von außen keine Energie zugeführt wird, muss die zugeführte kinetische Energie aus der Druckenergie des Fluids stammen. Deshalb sinkt der Druck an Orten mit hoher Fließgeschwindigkeit. Für horizontal versetzte Punkte in einem System gilt (6.5)
ρ ⋅ v1 ρ ⋅ v2 = p2 + = konst. 2 2 2
p1 +
2
Symbole: p = statischer (messbarer) Druck ρ = Dichte des Fluids v = Strömungsgeschwindigkeit
[Pa] =
[kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅m-3] [m⋅s-1]
In der Gleichung 6.5 ist die Energie in der Form einer spezifischen Energie pro Volumeneinheit eingetragen [J/m3 = N/m2 = Pa = kg⋅m-1⋅s-2]. p1 und p2 sind spezifische statische Druckenergien, ρ⋅v12/2 und ρ⋅v22/2 sind spezifische kinetische Energien. Gibt es Höhenunterschiede im System, so müssen die spezifischen geodätischen Energien ρ⋅g⋅h1 und ρ⋅g⋅h2 mit berücksichtigt werden. Es zeigt sich, dass bei einer reibungslosen Strömung die Summe aus spezifischer statischer Druckenergie, spezifischer kinetischer Energie und spezifischer
188
6 Strömungslehre
geodätischer Energie an beliebigen Punkten innerhalb des Fluids konstant ist. Die Gesetzmäßigkeit ist als das Gesetz von Bernoulli bekannt. ρ ⋅ v1 ρ ⋅ v2 + ρ ⋅ g ⋅ h1 = p 2 + + ρ ⋅ g ⋅ h 2 = konst. 2 2 2
p1 +
2
Symbole: g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) h = Ortshöhe
(6.6) [m⋅s-2] [m]
Die Konstante der Gleichung 6.6 bezeichnet man als Gesamtdruck p0 des Systems bzw. als Gesamtenergie pro Volumeneinheit. Der Gesamtdruck p0 entspricht dem maximal möglichen statischen Druck auf der Ortshöhe Null. ρ ⋅ v1 ρ ⋅ v2 + ρ ⋅ g ⋅ h1 = p 2 + + ρ ⋅ g ⋅ h 2 = p0 2 2 2
p1 + Symbol:
2
p0 = Gesamtdruck des Systems auf Höhe Null
(6.7) [kg⋅m-1⋅s-2]
Die drei Summanden in Gl. 6.7 werden manchmal auch als statischer Druck (messbarer Druck), dynamischer Druck (Staudruck) und potenzieller Druck (Schweredruck) bezeichnet. Die Gültigkeit des Gesetzes von Bernoulli ist beschränkt auf stationäre Strömungen inkompressibler Medien ohne Reibung, auf positive absolute Drücke p1 und p2 und auf Geschwindigkeiten v1 und v2 unterhalb der Schallgeschwindigkeit des betreffenden Mediums. Torricelli
Überträgt man das Gesetz von Bernoulli auf den Ausfluss einer Flüssigkeit durch eine Öffnung eines drucklosen Behälters (s. Abb. 6.2), so erhält man die Gleichung von Torricelli. Drucklos bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Innendruck des Behälters mit dem Außendruck übereinstimmt.
v = 2⋅g⋅h Symbol:
v = Ausfließgeschwindigkeit g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) h = Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem Ausfluss
(6.8) [m⋅s-1] [m⋅s-2] [m]
6.2 Strömung ohne Reibung
189
Die Gleichung 6.8 gilt für eine Flüssigkeit ohne Reibung. Dies ist in der Praxis nicht erfüllt. Beim Einströmen in die Ausflussöffnung entstehen Reibungen und Wirbel, die die Strömung behindern (s. Unterkapitel „Rohrströmung“). Je nach Form und Lage der Ausflussöffnung sowie Art der Flüssigkeit beträgt die Ausfließgeschwindigkeit in der Realität nur ca. 60 bis 90% des Wertes gemäß Gl. 6.8. Vor allem viskose Medien fließen langsamer als nach Gl. 6.8 erwartet.
A1
h
hα
h
A2
hω
v
Abb. 6.2. Oben offener (druckloser) Behälter mit seitlichem Ausfluss
Durch Integration der Gl. 6.8 erhält man eine Formel für eine teilweise oder vollständige Entleerung des Behälters. t= 2 g⋅
A1 ⋅ A2
(
hα − hω
)
Symbole: t = Dauer für eine (teilweise) Entleerung g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) A1 = Querschnittsfläche des Behälters A2 = Querschnittsfläche der Ausflussöffnung hα = Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem Ausfluss zum Anfangszeitpunkt t = 0 hω = Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem Ausfluss zum Endzeitpunkt t = t
(6.9) [m⋅s-1] [m⋅s-2] [m2] [m2] [m] [m]
Da die reale Ausfließgeschwindigkeit nur 60 bis 90% des Wertes nach Gl. 6.8 beträgt, dauert auch die Entleerungszeit in der Realität 1,1 bis 1,7 mal länger als die Gl. 6.9 vermuten lässt. Für Wasser, das eine niedrige Viskosität besitzt, gelten die Resultate gemäß den Gln. 6.8 und 6.9 auch ohne Korrekturfaktor ziemlich genau.
190
6 Strömungslehre
6.3 Strömung mit Reibung Strömende Fluide, deren innere oder äußere Reibung nicht vernachlässigt werden dürfen, nennt man real. Viskosität, Reibungswiderstand
Die Viskosität ist ein Maß für die innere Reibung und kennzeichnet das Vermögen eines Stoffes, gegen Formänderungen Widerstand zu leisten. Die Definition der Viskosität beruht auf der im Folgenden beschriebenen Modellvorstellung (s. Abb. 6.3). Eine ebene Unterlage wird von einem Flüssigkeitsfilm der Dicke z bedeckt. Auf dem Flüssigkeitsfilm liegt eine Platte mit der Fläche A, die mit einer bestimmten Geschwindigkeit v über den Flüssigkeitsfilm gezogen wird. Zur Überwindung der inneren Reibung der Flüssigkeit muss die Platte mit einer gewissen Kraft FR gezogen werden. Es zeigt sich, dass diese Kraft umso größer sein muss, je höher die Geschwindigkeit v, je dünner die Filmdicke z und je größer die Plattenfläche A ist. Zwischen der Platte und der Unterlage besteht ein lineares Geschwindigkeitsgefälle von dv/dz = v/z. Die Proportionalitätskonstante zwischen der Kraft und den oben angeführten physikalischen Größen ist die dynamische Viskosität η. Insgesamt gilt FR = η ⋅ A ⋅
dv dz
Symbole: FR = auf Platte wirkende Zugkraft, Reibungswiderstand η = dynamische Viskosität A = Auflagefläche der Platte v = Verschiebungsgeschwindigkeit der Platte z = Dicke der Flüssigkeitsschicht dv/dz = Geschwindigkeitsgefälle zwischen Platte und Unterlage
(6.10) [kg⋅m⋅s-2] [kg⋅m-1⋅s-1] [m2] [m⋅s-1] [m] [s-1]
Mit den Definitionen für die Schubspannung (τ = FR/A) und für die Scherrate (D = v/z = dv/dz) kann die Gl. 6.10 auch geschrieben werden als τ=η⋅D Symbole: τ = Schubspannung η = dynamische Viskosität D = Scherrate (Schergradient, Schergefälle)
(6.11) [kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅m-1⋅s-1] [s-1]
6.3 Strömung mit Reibung
191
v
x
F
A
z γ
Abb. 6.3. Modellvorstellung zur Bestimmung der dynamischen Viskosität; eine ebene Platte wird mit einer gewissen Kraft auf einem Flüssigkeitsfilm parallel zur Unterlage verschoben
Manchmal wird statt der Scherrate D auch die Winkelgeschwindigkeit γ angegeben, was gleichbedeutend ist, wie im folgenden dargelegt werden soll. Der Winkel γ entsteht durch die Neigung der Flüssigkeitssäule unterhalb der Platte, wenn die Platte parallel zur Unterlage verschoben wird. Der Winkel γ bezeichnet somit die Abweichung der Flüssigkeitssäule von der Senkrechten nach der Verschiebung (s. Abb. 6.3). Bei einer Verschiebung der Platte um x und einer Distanz zur Unterlage von z gilt für kleine Winkel (6.12)
x = tan γ ≈ γ z Symbole: x = Verschiebungsstrecke der Platte z = Abstand der Platte von der Unterlage γ = Winkel der Flüssigkeitssäule zur Senkrechten nach Verschiebung der Platte
[m] [m] [-]
Die Zunahme des Winkels γ mit der Zeit während der Verschiebung der Platte wird als Winkelgeschwindigkeit γ bezeichnet. Mit Hilfe der Gl. 6.12 ergibt sich
γ = Symbol:
( )
dx x dγ d z v = = dt = = D dt dt z z
(6.13)
γ = Winkelgeschwindigkeit, Zunahme des Winkels [s-1] zwischen Flüssigkeitssäule und Senkrechten mit der Zeit
192
6 Strömungslehre
Die in der Abbildung 6.3 dargestellte schichtweise Verschiebung von Fluiden parallel zu Begrenzungsflächen wird laminare Strömung genannt. Die laminare Strömung tritt v.a. bei niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten auf. In Grenzschichten nahe zu Begrenzungsflächen fließt ein Fluid immer laminar. Ist die Proportionalitätskonstante η in den Gln. 6.10 und 6.11 unabhängig von der Scherrate und der früheren Beanspruchung des Fluids, so spricht man von einer Newton‘schen Flüssigkeit. Flüssigkeiten mit nicht Newton‘schem Verhalten werden im Unterkapitel „Rheologie“ behandelt. Gase verhalten sich immer Newton’sch. Die Maßeinheit für die dynamische Viskosität η ist [kg⋅m-1⋅s-1]. In der Praxis wird häufig die gleichwertige Einheit [Pa⋅s] verwendet. Eine veraltete Einheit ist Poise [P], wobei 1 P = 10-1 Pa⋅s entspricht. Wird die Viskosität auf die Dichte des Fluids bezogen, so erhält man die kinematische Viskosität ν ν=η
ρ
Symbole: ν = kinematische Viskosität ρ = Dichte des Fluids
(6.14) [m2⋅s-1] [kg⋅m-3]
Eine veraltete Einheit für die kinematische Viskosität ist Stokes [St], wobei 1 St = 10-4 m2⋅s-1 entspricht. Dynamische und kinematische Viskosität sind stark temperaturabhängig. Bei Flüssigkeiten nimmt die Viskosität bei höherer Temperatur ab, weil die Kohäsionskräfte zwischen den Molekülen durch die stärkeren thermischen Eigenbewegungen besser überwunden werden. Gase verhalten sich entgegengesetzt zu Flüssigkeiten. Ihre Viskosität steigt bei höherer Temperatur, weil durch die verstärkten thermischen Eigenbewegungen die Anzahl der „reibenden“ Zusammenstöße zwischen den Gasmolekülen zunimmt. Eine Erhöhung des Druckes erhöht die Reibung zwischen den Molekülen und dadurch auch die Viskosität. Spürbare Änderungen der Viskosität ergeben sich allerdings erst bei Drücken, die deutlich von 1 bar abweichen. Bei Wasser ist der Druckeinfluss bis 1'000 bar vernachlässigbar. Die Tabelle 6.1 zeigt einige dynamische Viskositätswerte von Gasen und Flüssigkeiten bei einem Druck von 1 bar.
6.3 Strömung mit Reibung
193
Tabelle 6.1. Dynamische Viskosität von Gasen und Flüssigkeiten bei einem Druck von 1 bar Stoff Wasserstoff (g) Kohlendioxid (g) Stickstoff (g) Sauerstoff (g) Luft (l) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Luft (g) Wasser (l) Wasser (l) Wasser (l) Wasser (l) Wasser (l) Wasser (l) Diethylether (l) n-Hexan (l) Aceton (l) Methylethylketon (l) Toluen (l) Cyclohexan (l) Ethanol (l) Quecksilber Schwefelsäure 100% Glyzerin flüssiger Honig Schmieröl
Temperatur/ [°C]
Dynamische Viskosität/ [Pa⋅s]
20,7 20 20 20 -194,2 0 20 40 60 80 100 200 500 0 20 40 60 80 100 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
8,76⋅10-6 14,7⋅10-6 17,6⋅10-6 20,4⋅10-6 5,51⋅10-6 17,2⋅10-6 18,2⋅10-6 19,2⋅10-6 20,1⋅10-6 21,1⋅10-6 21,9⋅10-6 26,1⋅10-6 36,6⋅10-6 1'790⋅10-6 1'002⋅10-6 653⋅10-6 471⋅10-6 358⋅10-6 281⋅10-6 240⋅10-6 314⋅10-6 323⋅10-6 418⋅10-6 591⋅10-6 975⋅10-6 1'200⋅10-6 1'554⋅10-6 25'400⋅10-6 1'410'000⋅10-6 10'000'000⋅10-6 10'000 bis 10'000'000⋅10-6
CW-Wert, Wirbelwiderstand
Bei höherer Strömungsgeschwindigkeit lösen sich in den laminaren Grenzschichten umströmter Körper Wirbel ab. Diese Strömungsform mit Wirbeln im Inneren des Fluids nennt man turbulent. Die Wirbelbildung ist sehr energieintensiv und trägt wesentlich zum Gesamtwiderstand einer Strömung bei höherer Geschwindigkeit bei. Der Strömungswiderstand durch Wirbelbildung lässt sich mathematisch kaum exakt erfassen und wird deshalb durch Experimente bestimmt. Aus den Experimenten ergibt sich ein Widerstandsbeiwert (cW-Wert) für einen bestimmten geometrischen Körper bei gegebenen Strömungsbedingungen. Für die Widerstandskraft FW gilt
194
6 Strömungslehre
FW = c W ⋅ A quer ⋅
ρ ⋅ v2 2
(6.15)
Symbole: FW = auf den Körper wirkende Kraft, Wirbelwiderstand [kg⋅m⋅s-2] [-] cW = Widerstandsbeiwert Aquer = Querschnittsfläche des Körpers senkrecht zur [m2] Strömungsrichtung, Querspantfläche, Schattenfläche ρ = Dichte des Fluids [kg⋅m-3] v = Strömungsgeschwindigkeit vor dem Körper [m⋅s-1]
Der Strömungswiderstand bei turbulenter Strömung ist proportional zur größten Querschnittsfläche des Körpers senkrecht zur Strömungsrichtung und zum dynamischen Druck (Staudruck) gemäß Bernoulli. Der dimensionslose Proportionalitätsfaktor (cW-Wert) ist eine Funktion der Körperform und -lage, der Dichte und Viskosität des Fluids sowie auch der Strömungsgeschwindigkeit. Die Tabelle 6.2 zeigt einige Beispiele von cWWerten in Abhängigkeit von der Reynoldszahl Re. Tabelle 6.2. Widerstandsbeiwerte einiger geometrischer Körper bei zwei verschiedenen Reynoldszahlen Widerstandsbeiwerte einiger Körper Ebene Platte senkrecht zur Strömungsrichtung Halbkugel mit Öffnung gegen die Strömungsrichtung Halbkugel mit Rundung gegen die Strömungsrichtung Kugel Tropfenförmiger Stromlinienkörper
Re = 70'000 1,17 1,17 0,42 0,47 0,04
Re = 500'000 1,32 0,34 1,12 0,24 0,04
Für die Größe des cW-Werts ist vor allem die Rückseite eines Körpers von Bedeutung. Je weniger Wirbel sich hier von der Oberfläche ablösen, desto kleiner ist der cW-Wert. Der Reibungswiderstand FR und der Wirbelwiderstand FW bilden zusammen den Gesamtwiderstand eines Körpers gegenüber einer Strömung. Ftot = FR + FW
(6.16)
Der Reibungswiderstand ist proportional zur linearen Strömungsgeschwindigkeit (FR ∝ v), der Wirbelwiderstand ist proportional zur quadratischen Strömungsgeschwindigkeit (FW ∝ v2). Der Reibungswiderstand ist somit maßgebend bei niedrigen Geschwindigkeiten, der Wirbelwiderstand bei hohen Geschwindigkeiten.
6.3 Strömung mit Reibung
195
Laminare und turbulente Strömung
Grundsätzlich lassen sich alle Strömungsvorgänge in laminare und turbulente Strömungen unterteilen. Bei niedrigen Gechwindigkeiten ist das Strömungsbild laminar (geschichtet), bei hohen turbulent (verwirbelt). Laminare und turbulente Strömung sind durch einen Übergangsbereich von einander getrennt. Der Beginn des Übergangbereichs (ausgehend von laminarer Strömung) ist durch die so genannte kritische Reynoldszahl charakterisiert, die je nach geometrischem System variiert. Bei laminarer Strömung sind die Geschwindigkeitsvektoren an beliebigen Punkten in ihrer Größe und in ihrer Richtung zeitlich unveränderlich. Die Strömungslinien, d.h. die Tangenten an die Geschwindigkeitsvektoren, verlaufen parallel zu einander (s. Abb. 6.4). Die Widerstandskraft ist relativ gering und nimmt linear mit der Strömungsgeschwindigkeit zu. Der Strömungswiderstand wird zur Hauptsache durch den Reibungswiderstand bestimmt. Ftot ≈ FR
v
Abb. 6.4. Laminare Strömung; Strömungswiderstand als Funktion der Geschwindigkeit
Bei turbulenter Strömung ändern die Geschwindigkeitsvektoren laufend ihre Größe und ihre Richtung. Über die momentane Größe und Richtung kann keine Aussage gemacht werden. Hingegen ist eine Aussage als Mittelwert über eine gewisse Zeit möglich. Die Widerstandskraft gegen die Strömung ist relativ groß und nimmt etwa quadratisch mit der Geschwindigkeit zu. Der Strömungswiderstand wird zur Hauptsache durch den Wirbelwiderstand bestimmt (s. Abb. 6.5).
196
6 Strömungslehre
Ftot ≈ Fw
v
Abb. 6.5. Turbulente Strömung; Strömungswiderstand als Funktion der Geschwindigkeit
6.4 Rohrströmung Die kritische Reynoldszahl, bei der die Rohrströmung von einer laminaren in eine turbulente Form umschlägt, beträgt 2'300. Rekrit.(Rohr) = 2'300
(6.17)
Unterhalb der kritischen Reynoldszahl ist die Strömung laminar. Oberhalb der kritischen Reynoldszahl erfolgt der Übergang zu turbulenter Strömung. Laminare Rohrströmung
Die Geschwindigkeitsverteilung im Querschnitt eines laminar durchströmten Rohres kann mit Hilfe der Reibungsgleichung (Gl. 6.10) unter Berücksichtigung der Rohrgeometrie mathematisch exakt hergeleitet werden. Dazu denkt man sich ein kurzes zylindrisches Flüssigkeitselement mit Radius r, das innerhalb des Rohres mit Radius R auf derselben Achse liegt (s. Abb. 6.6). Auf ein solches Element wirkt als treibende Kraft für die Verschiebung die Druckkraft Fp. Fp = AQuer ⋅ dp = π r2 ⋅ dp Symbole: Fp = Druckkraft in Achsrichtung auf zylindr. Element AQuer = Querschnittsfläche des zylindrischen Elements dp = Druckabfall über die Länge des Elements r = Radius des zylindrischen Elements
(6.18) [kg⋅m⋅s-2] [m2] [kg⋅m-1⋅s-2] [m]
6.4 Rohrströmung
197
Der Druckkraft entgegengesetzt wirkt die Reibungskraft FR an der äußeren Oberfläche des zylindrischen Flüssigkeitselements. FR = AZylinder ⋅ τ = 2π r ⋅ dx ⋅ τ
(6.19)
Symbole: FR = Reibungskraft auf zylindrisches Element AZylinder = Manteloberfläche des zylindrischen Elements τ = Schubspannung an der Manteloberfläche dx = Länge des zylindrischen Elements
[kg⋅m⋅s-2] [m2] [kg⋅m-1⋅s-2] [m]
Im Gleichgewicht heben sich die beiden Kräfte auf. Fp = FR
(6.20)
Fp
FR R τ
r p1
p
p + dp AQuer
p2
AZylinder
v dx
"
Abb. 6.6. Zylinderförmiges Flüssigkeitselement in einem laminar durchströmten Rohr
Verhält sich das strömende Fluid Newton’sch, so gilt für die Schubspannung im Rohr τ = −η ⋅
(6.21)
dv dr
Symbole: η = dynamische Viskosität des Fluids dv/dr = Geschwindigkeitsabnahme mit zunehmendem Radius (dv/dr ist negativ)
[kg⋅m-1⋅s-1] [s-1]
Aus den Gleichungen 6.20 und 6.21 folgt nach einer Integration unter der Randbedingung, dass die Strömungsgeschwindigkeit an der Rohrwand Null ist (d.h. v = 0 bei r = R) v=
(
∆p ⋅ R2 − r2 4⋅"⋅η
)
(6.22)
198
6 Strömungslehre
Symbole: v = lokale Strömungsgeschwindigkeit im Rohr ∆p = Druckabfall im Rohr " = Länge des Rohres R = Innenradius des Rohres
[m⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-2] [m] [m]
Die Gleichung 6.22 ist als das Gesetz von Stokes für die laminare Rohrströmung bekannt. Das Gesetz von Stokes beschreibt die Geschwindigkeitsverteilung als Funktion des Radius. Die Geschwindigkeitsverteilung im laminar durchflossenen Rohr ist in der Abb. 6.7 grafisch dargestellt. Die maximale Strömungsgeschwindigkeit wird auf der Rohrachse erreicht und beträgt v max =
∆p ⋅ R 2 4⋅"⋅η
(6.23)
v=0
R vmax = 2 v
r
Abb. 6.7. Parabolische Geschwindigkeitsverteilung im Rohrlängsschnitt bei laminarer Strömung
Der Volumenstrom einer laminaren Rohrströmung errechnet sich aus den Volumenströmen konzentrischer ringförmiger Flächen (s. Abb. 6.8). Dazu werden die Ringflächen mit den dazugehörigen Strömungsgeschwindigkeiten multipliziert und die so erzielten Volumenströme über den gesamten Rohrquerschnitt integriert. Auf diese Weise erhält man das Gesetz von Hagen-Poiseuille für die laminare Rohrströmung. 4 = π ⋅ ∆p ⋅ R V 8⋅"⋅η
Symbol:
= Volumenstrom im laminar durchflossenen Rohr V
(6.24)
[m3⋅s-1]
Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit im laminar durchflossenen Rohr erhält man durch Gleichsetzen des Volumenstroms gemäß HagenPoiseuille (Gl. 6.24) mit dem Volumenstrom einer fiktiven Pfropfströmung.
6.4 Rohrströmung
4 2 = π ⋅ ∆p ⋅ R = A V quer ⋅ v = π ⋅ R ⋅ v 8⋅"⋅η
199
(6.25) [m2] [m⋅s-1]
Symbole: Aquer = Fläche des freien Rohrquerschnitts v = mittlere Strömungsgeschwindigkeit
Aufgelöst nach der mittleren Strömungsgeschwindigkeit erhält man
∆p ⋅ R 2 8⋅" ⋅η
v=
(6.26)
Aus einem Vergleich der Gln. 6.23 und 6.26 folgt, dass die maximale lokale Strömungsgeschwindigkeit auf der Rohrachse die mittlere Strömungsgeschwindigkeit genau um den Faktor zwei übertrifft. v max = 2 ⋅ v
(6.27)
r R dr
Abb. 6.8. Rohrquerschnitt mit ringförmiger Fläche gleicher Strömungsgeschwindigkeit
Turbulente Rohrströmung
Die turbulente Rohrströmung lässt sich mathematisch nicht so einfach erfassen wie die laminare, da die örtlichen Geschwindigkeitsvektoren ihre Größe und ihre Richtung dauernd wechseln. Empirisch kann man eine zeitlich gemittelte Geschwindigkeitsverteilung über den Rohrquerschnitt herleiten. Es zeigt sich, dass die Strömungsgeschwindigkeit erst unmittelbar vor der Rohrwand deutlich abnimmt.
(
v = v max ⋅ 1 − r
) R
1
7
(
= 1,22 ⋅ v ⋅ 1 − r
) R
1
7
(6.28)
200
6 Strömungslehre
Die turbulente Strömung verläuft über einen weiten Bereich des Querschnitts ähnlich einer Pfropfströmung, mit dem Unterschied, dass lokale Verwirbelungen eine gute Längs- und Quervermischung auf submikroskopischer Ebene erbringen. Unmittelbar an den Rohrwänden ist die Strömung auch bei einer turbulenten Rohrströmung laminar. Die Dicke der laminaren Strömungsgrenzschicht δv beträgt nach Prandtl
δv = 68,4 R ⋅ (0,5 Re)-0,875 Symbol:
δv = laminare Strömungsgrenzschicht
(6.29) [m]
Die Abbildung 6.9 zeigt den zeitlich gemittelten Strömungsverlauf in einem turbulent durchströmten Rohr. v=0
R vmax ≈ 1.2 v
r
laminare Grenzschicht
Abb. 6.9. Geschwindigkeitsverteilung im Rohrlängsschnitt bei turbulenter Strömung
Druckabfall im Rohr
Unabhängig davon, ob die Strömung laminar oder turbulent ist, gilt für den Druckabfall in einer Rohrleitung
" ρ⋅v ∆p = ξ ⋅ ⋅ d 2
2
Symbole: ∆p = Druckabfall im Rohr ξ = Rohrreibungszahl, Rohrwiderstandsbeiwert " = Länge des Rohres d = Innendurchmesser des Rohres ρ = Dichte des Fluids v = mittlere Strömungsgeschwindigkeit
(6.30)
[kg⋅m-1⋅s-1] [-] [m] [m] [kg⋅m-3] [m⋅s-1]
6.4 Rohrströmung
201
Die Strömungsform und die damit verbundene Wirkung auf den Druckabfall wird in der Rohrreibungszahl ξ (Xi) berücksichtigt. Die Rohrreibungszahl ist abhängig von der Reynoldszahl Re und bei turbulenter Strömung eventuell zusätzlich noch von der Wandrauhigkeit k. Die Wandrauhigkeit k entspricht der Höhe von Unregelmäßigkeiten in der Oberflächenstruktur der Rohrwand und wird in mm angegeben. Die Abbildung 6.10 stellt die Wandrauhigkeit in stark vergrößerter Form schematisch dar.
k Rohrwand
Abb. 6.10. Wandrauhigkeit eines Rohrs in stark vergrößerter Form
Die Tabelle 6.3 gibt einige Anhaltswerte für die Rauhigkeit von typischen Werkstoffen. Durch Ablagerungen oder Korrosion kann die Rauhigkeit noch zunehmen und die angegebenen Werte deutlich übersteigen. Die Wandrauhigkeit beginnt den Druckabfall dann maßgebend zu beeinflussen, wenn die laminare Grenzschicht bei turbulenter Strömung ähnlich klein wird wie die Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche. Der Quotient aus Wandrauhigkeit und Rohrinnendurchmesser k/d wird als relative Rauhigkeit e bezeichnet. Tabelle 6.3. Wandrauhigkeit k einiger Werkstoffe (Beispielswerte) Werkstoff Grauguss gezogener Stahl gewalztes Stahlblech Glas unglasierte Keramik Beton Kunststoff (Rohre) Kunststoff (Schläuche) Holz
k / [mm] 0,3 0,002 bis 0,03 0,15 0,001 bis 0,005 0,7 bis 1 3 0,005 0,6 bis 0,8 0,1 bis 0,2
Die Grundgleichung 6.30 gilt für eine voll ausgebildete Rohrströmung, bei der Eintrittseffekte ins Rohr vernachlässigt werden dürfen. Die Eintrittseffekte verschwinden spätestens nach einer Rohrlänge, die etwa dem Zehnfachen des Rohrdurchmessers entspricht. Im angelsächsischen Raum
202
6 Strömungslehre
wird anstelle der Rohrreibungszahl ξ der so genannte Fanning Friction Factor f verwendet. Es gilt f=ξ/4 Symbol:
(6.31)
f = Fanning Friction Factor
[-]
Für die Rohrreibungszahl ξ gelten untenstehende Gleichungen, die alle außer derjenigen für die laminare Strömung empirisch hergeleitet wurden. Die laminare Rohrreibungszahl wird aus der Hagen-Poiseuille Beziehung (Gl. 6.26) abgeleitet. − Laminare Strömung (Re < 2'300)
ξ lam = 64
(Hagen-Poiseuille)
Re
(6.32)
− Übergangsbereich, glatte Rohre (5'000 < Re < 80'000) ξ Uebergang = 0,316 ⋅ Re
−1
4
(Blasius)
(6.33)
− Turbulente Strömung, glatte Rohre (80'000 < Re < 2'000'000) ξ turb1,glatt = 0,0054 + 0,3964
Re
0,3
(Hermann)
(6.34)
− Turbulente Strömung, glatte Rohre (100'000 < Re < 100'000'000) ξ turb 2,glatt = 0,0032 + 0,221
Re 0, 237
(Nikuradse)
(6.35)
− Turbulente Strömung, rauhe Rohre (5'000 < Re < 50'000'000) −2
ξ turb1,rauh
ª § 2,51 k ·¸º» = «− 2 ⋅ log¨ + (Colebrook) ¨ Re⋅ ξ 3,71 ⋅ d ¸» « turb 1 ,rauh ¹¼ © ¬
(6.36)
− Turbulente Strömung, rauhe Rohre (Re > 1'300 d/k)
[
( k )]
ξ turb 2,rauh = 1,14 + 2 ⋅ log d
−2
(Prandtl)
(6.37)
6.4 Rohrströmung
203
Bei hoher Turbulenz wird die Rohrreibungszahl nur noch durch die Wandrauhigkeit bestimmt (s. Gl. 6.37). Die dargelegten Gleichungen für die Rohrreibungszahl sind teilweise schwierig zu lösen (z.B. Gl. 6.36). Häufig behilft man sich deshalb mit einer grafischen Abschätzung des Reibungskoeffizienten ξ (s. Abb. 6.11).
Abb. 6.11. Rohrreibungszahl ξ als Funktion der Reynoldszahl Re und der relativen Wandrauhigkeit k/d
In der Abbildung 6.11 unterscheidet man drei Bereiche. Links von der Senkrechten bei Rekrit = 2'300 herrscht laminare Strömung vor. Rechts oberhalb der Grenzkurve Re = 1'300 d/k ist die Strömung rein turbulent. Zwischen der Senkrechten bei Rekrit = 2'300 und der Grenzkurve Re = 1'300 d/k liegt der Übergangsbereich zwischen laminarer und turbulenter Strömung. Hydraulischer Durchmesser
Nicht immer ist ein Strömungsquerschnitt kreisrund. Um den Druckabfall auch bei unförmigen Strömungsquerschnitten berechnen zu können, wird der so genannte hydraulische Durchmesser dh eingeführt. Der hydraulische Durchmesser wird manchmal auch Äquivalentdurchmesser genannt.
204
6 Strömungslehre
dh =
4 ⋅ A quer
(6.38)
"U
Symbole: dh = hydraulischer Durchmesser Aquer = Fläche des durchströmten Querschnitts "U = Länge des benetzten Umfangs
[m] [m2] [m]
Es ist wichtig, für "U nur den benetzten Umfang des durchströmten Querschnitts zu berücksichtigen. Der benetzte Umfang entspricht der Kontaktlinie im Strömungsquerschnitt, entlang welcher das strömende Fluid an die Wandung grenzt. Eine offene Flüssigkeitsoberfläche verursacht keine Reibung. Eine im Querschnitt vorhandene offene Flüssigkeitslinie zählt deshalb nicht zum benetzten Umfang. Der hydraulische Durchmesser dh kann anstelle des Rohrdurchmessers d in die bekannten Beziehungen für eine Rohrströmung z.B. zur Berechnung der Reynoldszahl oder der Rohrreibungszahl eingesetzt werden. Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit wird wie gewohnt aus dem Volumenstrom dividiert durch die durchströmte Querschnittsfläche Aquer hergeleitet. V v=
V A quer
(6.39)
Bei einem vollständig gefüllten Rohr stimmt der hydraulische Durchmesser mit dem Rohrinnendurchmesser überein. Bei einem quadratischen Leitungsquerschnitt entspricht der hydraulische Durchmesser der Seitenlänge des Leitungsquerschnitts. Bei einem sehr breiten und flachen Kanal ist der hydraulische Durchmesser gleich der vierfachen Kanaltiefe. Rohrleitungseinbauten
Ein Rohrleitungssystem besteht außer aus dem Rohr aus einer Reihe von Rohrleitungseinbauten wie z.B. Krümmer, Verzweigungen, Verengungen, Erweiterungen, Blenden oder Absperrorganen wie Ventile, Hähne und Schieber. Einbauten mit einem unveränderlichen Strömungsquerschnitt werden Fittinge, solche mit einem veränderlichen Strömungsquerschnitt Armaturen genannt. Die Einbauten verursachen Druckabfälle, die zum Druckabfall des reinen Rohres (Gl. 6.30) hinzugezählt werden müssen. Die Druckabfälle in Rohrleitungseinbauten werden als ein Vielfaches des Staudrucks ausgedrückt. Der Multiplikator des Staudrucks wird Widerstandsbeiwert ζ (Zeta) genannt. Zur Berechnung des Staudrucks wird die mittlere Geschwindigkeit nach dem Rohrbauteil verwendet.
6.4 Rohrströmung
ρ⋅v ∆p = ζ ⋅ 2
2
205
(6.40)
Symbole: ∆p = Druckabfall im Rohrbauteil ζ = Widerstandsbeiwert des Rohrbauteils v = mittlere Strömungsgeschwindigkeit nach dem Rohrbauteil
[kg⋅m-1⋅s-1] [-] [m⋅s-1]
Beispiele von Widerstandsbeiwerten zeigt die Tabelle 6.4. Tabelle 6.4. Widerstandsbeiwerte von Rohrleitungseinbauten (Beispielswerte)
90° Bogen
90° Knick
T-Stück
Einläufe gesteckt konisch
Ausläufe gerade konisch
ζ = 0.7
ζ = 1.1
ζ = 1.3
ζ = 0.5
ζ = 1.0
ζ = 0.2
ζ = 0.7
Der Druckabfall über Ventile variiert aufgrund des veränderlichen freien Strömungsquerschnitts und muss gesondert betrachtet werden. Ein Ventil wird durch seinen kv-Wert charakterisiert. Der kv-Wert entspricht dem Volumenstrom in m3/h für eine Flüssigkeit mit der Dichte 1 kg/L (Wasser) bei einem Druckabfall über das Ventil von 1 at = 1 kp/cm2 = 0,981 bar = 98'100 Pa (1 bar = 1,02 at). Die nicht SI-konformen Einheiten sind historisch bedingt.
⋅ ª h º ⋅ ρ ⋅ ª L ⋅ at º kv = V « m 3 » ∆p « kg » ¬ ¼ ¬ ¼ Symbole: kv = kv-Wert ρ = Dichte des Fluids ∆p = Druckabfall im Rohrbauteil = Volumenstrom durch das Ventil V
(6.41)
[-] [kg/L] [at] [m3⋅h-1]
Die Gleichung 6.41 kann man nach dem Druckabfall bei gegebenem Volumenstrom auflösen. Die Gleichung lautet dann ∆p =
2 ⋅ ρ ª h º 2 ª L ⋅ at º V ⋅« 3 » ⋅« » 2 kv ¬ m ¼ ¬ kg ¼
(6.42)
206
6 Strömungslehre
Ferner kann man die Gl. 6.41 so umformen, dass sich der Volumenstrom bei gegebenem kv-Wert und Druckabfall berechnen lässt. (6.43)
3 = k ⋅ ª« m º» ⋅ ∆p ⋅ ª kg º V v ρ «¬ L ⋅ at »¼ ¬ h ¼
Der kv-Wert bei maximaler Öffnung des Ventils wird als kvs-Wert bezeichnet. Bei einem Ventil mit linearem Verhalten nimmt der kv-Wert linear zur Ventilöffnung zu. Der kv-Wert entspricht dem Produkt aus relativem Ventilhub y multipliziert mit dem kvs-Wert. Falls das Ventil bei einem relativen Ventilhub von 0% noch einen Durchfluss erlauben soll, so ist der entsprechende kv0-Wert mit zu berücksichtigen (s. Gl. 6.44). k v = k v 0 + y ⋅ (k vs − k v 0 ) ; 0 ≤ y ≤ 100% Symbole: kvs = kv-Wert bei maximal geöffnetem Ventil kv0 = kv-Wert bei maximal geschlossenem Ventil y = relativer Ventilhub; y = h/h100% h = Ventilhub
(6.44) [-] [-] [-] [mm]
Bei einem Ventil mit gleichprozentigem Verhalten sind die relativen Änderungen des kv-Werts bei gegebenen linearen Änderungen des Ventilhubs stets gleich groß. Ein echt gleichprozentiges Ventil ist nie ganz geschlossen (s. Gl. 6.45). k v = k v 0 ⋅ e a⋅y ; 0 ≤ y ≤ 100% Symbol:
a = ln (kvs/kv0) = Ventilkonstante
(6.45) [-]
Die Abbildung 6.12 verdeutlicht das unterschiedliche Verhalten eines linearen und eines gleichprozentigen Ventils. kv
kv kvs
kvs
kv0
kv0 0%
y 100 % lineares Verhalten
0%
y 100 %
gleichprozentiges Verhalten
Abb. 6.12. kv-Werte von Ventilen mit linearem und gleichprozentigem Verhalten; y = relativer Ventilhub
6.4 Rohrströmung
207
Zur Regelung des Durchflusses durch ein Rohrleitungssystem sind Ventile mit einem gleichprozentigen Verhalten solchen mit einem linearen Verhalten vorzuziehen, da der zu regelnde Volumenstrombereich gleichmäßiger ausgeregelt werden kann (s. Abb.6.13 und 6.14). kv
V
V
+ ∆p
y Ventilkennlinie
y
Anlagenkennlinie
geregeltes System
Abb. 6.13. Ventil mit linearem Verhalten eingebaut in einem Rohrleitungssystem
kv
V
V
+ ∆p
y Ventilkennlinie
Anlagenkennlinie
y geregeltes System
Abb. 6.14. Ventil mit gleichprozentigem Verhalten eingebaut in einem Rohrleitungssystem
Damit man eine Rohrströmung mit einem Ventil sinnvoll regeln kann, sollte der Druckabfall über das Ventil mindestens 20 bis 50% des gesamten Druckabfalls betragen. Bei normalem Fluss sollte das Ventil dann auf einen kv-Wert von 0,5 bis 0,8 kvs gedrosselt sein. Im angelsächsischen Raum ist der so genannte Cv-Wert gebräuchlich, der sich aus den Einheiten US gallons/min und psi ableitet. Es gilt Cv = 1,17 kv Symbol:
Cv = Cv-Wert
(6.46) [-]
Betriebskennlinie, Pumpenkennlinie
Die Betriebskennlinie, auch Anlagen-, System- oder Rohrleitungskennlinie genannt, beschreibt grafisch die Abhängigkeit zwischen dem Volumenstrom und dem gesamthaft wirkenden Druckabfall in einem Rohrleitungssystem. Der gesamthaft wirkende Druckabfall setzt sich aus dem dynamischen Druckabfall der Rohrleitung und der Rohrleitungseinbauten
208
6 Strömungslehre
inkl. Ventile sowie den statischen und geodätischen Druckunterschieden zwischen dem Ein- und dem Ausgang der Rohrleitung zusammen.
∆pges = ∆pdyn + ∆pstat + ∆pgeodät
(6.47)
Symbole: ∆pges = gesamthafter Druckabfall im System ∆pdyn = dynamischer Druckverlust ∆pstat = statische Druckdifferenz ∆pgeodät = geodätische Druckdifferenz
Pa = Pa = Pa = Pa =
[kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-1]
Der gesamthaft wirkende Druckabfall nimmt mit dem Volumenstrom überproportional zu, da zwischen dem dynamischen Druckverlust und dem Volumenstrom eine lineare (bei laminarer Strömung) bis quadratische (bei turbulenter Strömung) Abhängigkeit besteht. In der Technik überwiegt die turbulente Strömung. Deshalb verlaufen die Betriebskennlinien in der Abb. 6.15 stark nach oben gekrümmt. ∆pges
Ventilhub y line
ar
∆pdyn
V Abb. 6.15. Betriebskennlinien eines Rohrleitungssystems mit Regelventil
Um den Druckabfall in Rohrleitungssystemen zu überwinden, werden Pumpen eingesetzt. Man unterscheidet zwischen volumetrisch und dynamisch wirkenden Pumpen. Volumetrisch wirkende Pumpen werden auch als Verdrängerpumpen bezeichnet. Darunter finden sich z.B. Kolben-, Membran-, Zahnrad- oder Exzenterschneckenpumpen. Sie erbringen unabhängig vom Gegendruck immer denselben Volumenstrom. Dynamisch wirkende Pumpen sind z.B. Kreiselpumpen oder Strahlverdichter. Ihr Volumenstrom hängt stark vom Gegendruck ab. Die Abbildung 6.16 vergleicht die Pumpenkennlinie von volumetrisch und dynamisch wirkenden Pumpen.
6.4 Rohrströmung
∆p
209
∆p
Pumpenzerstörung
V
V volumetrische Förderung
dynamische Förderung
Abb. 6.16. Pumpenkennlinien von volumetrisch bzw. dynamisch wirkenden Pumpen
Der Schnittpunkt der Pumpenkennlinie mit der Betriebskennlinie bestimmt den Betriebspunkt der Anlage. Der Betriebspunkt legt den Volumenstrom und den gesamthaften Druckabfall des Rohrleitungssystems eindeutig fest. Die Abbildung 6.17 zeigt den Betriebspunkt eines Rohrleitungssystems mit Kreiselpumpe und Regelventil. ∆p
Systemkennlinie für gedrosseltes Ventil
Pumpenkennlinie Systemkennlinie für offenes Ventil ∆pSystem
Betriebspunkt (Arbeitspunkt)
V Vsystem
Abb. 6.17. Betriebspunkt als Schnittpunkt von Betriebs- und Pumpenkennlinie bei variabler Ventilstellung
Die theoretische Förderleistung (Nutzleistung) einer Pumpe Pth errechnet sich als mathematisches Produkt aus Volumenstrom V und gesamthaft zu überwindendem Druckabfall ∆pges. Bei einem durchschnittlichen Wirkungsgrad einer Pumpe von η = 55 bis 80% liegt die effektiv benötigte Antriebsleistung des Pumpenmotors Peff 20 bis 80% höher als die theoretische Förderleistung Pth.
210
6 Strömungslehre
⋅ ∆pges ; Peff = 1,2 bis 1,8 Pth Pth = V
(6.48)
Symbole: Pth = theoretische Förderleistung einer Pumpe Peff = effektive Antriebsleistung des Pumpenmotors = geförderter Volumenstrom durch die Pumpe V ∆pges = gesamthafter Druckabfall im System
[W] [W] [m3/s] Pa = [kg⋅m-1⋅s-1]
Um einer Kavitation und damit einem schnellen Verschleiß vorzubeugen, ist auf der Saugseite der Pumpe ein minimaler absoluter Vordruck sicherzustellen. Dieser Vordruck wird auch als NPSH-Wert bezeichnet (NPSH = net positiv suction head). Grob geschätzt muss der Vordruck am Pumpeneintritt mindestens 20'000 Pa über dem Dampfdruck der geförderten Flüssigkeit bei Betriebstemperatur liegen. Die 20'000 Pa entsprechen einem Sicherheitszuschlag, der die dynamischen Verhältnisse an den schnell bewegten Teilen der Pumpe gebührend berücksichtigt. Der Vordruck kann aus dem statischen Druck der Pumpenvorlage, dem geodätischen Druck der Flüssigkeitssäule vor der Pumpe und dem dynamisch wirkenden Druckabfall in der Zuleitung zur Pumpe berechnet werden. Vor allem dem dynamischen Druckabfall auf der Saugseite ist genügend Beachtung zu schenken. Der Rohrdurchmesser am Pumpeneintritt wird deshalb häufig größer gewählt als derjenige am Pumpenaustritt. peff = pstat, Vorlage - ∆pgeodät, Zuleit. - ∆pdyn, Zuleit. > pmin
(6.49)
Symbole: peff = effektiv vorhandener Druck am Eintritt der Pumpe [kg⋅m-1⋅s-1] pstat, Vorlage = statischer Druck in der Pumpenvorlage [kg⋅m-1⋅s-1] ∆pgeodät, Zuleit. = geodät. Druckabfall in der Saugleitung [kg⋅m-1⋅s-1] ∆pdyn, Zuleit. = dynam. Druckabfall in der Saugleitung [kg⋅m-1⋅s-1] pmin = minimal erlaubter Druck am Eintritt der Pumpe [kg⋅m-1⋅s-1]
Das Vorzeichen vor ∆pgeodät, Zuleit. in Gl. 6.49 ist negativ, falls die Pumpe oberhalb der Pumpenvorlage angebracht ist. Falls die Pumpe unter der Vorlage liegt, ist das Vorzeichen positiv.
6.5 Filmströmung Eine Filmströmung entsteht, wenn eine Flüssigkeit unter Einwirkung der Schwerkraft in Form eines dünnen Films auf einer senkrechten oder geneigten Oberfläche nach unten fließt.
6.5 Filmströmung
211
Strömungsformen
Die Strömungsform eines solchen Films wird durch die Reynoldszahl bestimmt. Diese wird mit dem hydraulischen Durchmesser dh berechnet. Bei einem Film entspricht der hydraulische Durchmesser dh der vierfachen Filmdicke a, wie aus der Gl. 6.38 unter Annahme einer im Vergleich zur Filmdicke a sehr großen Filmbreite b hervorgeht. Unterhalb einer Reynoldszahl von 16 ist die Filmströmung gleichmäßig und glatt. Ab einer Reynoldszahl von etwa 16 treten sinusförmige Wellen auf der Filmoberfläche auf. Ab einer Reynoldszahl von etwa 400 wird die Filmströmung turbulent, wobei aber schon vorher Instabilitäten in Form von unregelmäßigen Wellen auf der Filmoberfläche auftreten (s. Abb. 6.18).
laminar, Re < 16
sinusförmige Wellen gleicher Grösse, 16 < Re < 400
verschiedene Wellenformen unterschiedlicher Geschwindigkeit, Re > 400
Abb. 6.18. Strömungsformen in einem Fallfilm; die Wellen sind stark überhöht gezeichnet
Geschwindigkeitsprofil
Bei einer laminaren Strömung (Re < 16) können die lokalen Geschwindigkeiten im Querschnitt eines senkrecht fließenden Films mittels der Newton’schen Reibungsgleichung 6.10 hergeleitet werden. Auf ein Flüssigkeitsquader an der Filmoberfläche wirkt die Gravitationskraft
212
6 Strömungslehre
FG = m⋅g = V⋅ρ⋅g = (a-x)⋅b⋅c⋅ρ⋅g Symbole: FG = Gravitationskraft des Flüssigkeitsquaders m = Masse des Quaders g = Erdbeschleunigung (=9,81 m⋅s-2) V = Volumen des Quaders ρ = Dichte der Flüssigkeit a = Dicke des Films x = Abstand des Quaders von der Wandoberfläche b = Breite des Films bzw. Flüssigkeitsquaders c = Höhe des Flüssigkeitsquaders
(6.50) [kg⋅m⋅s-2] [kg] [m⋅s-2] [m3] [kg⋅m-3] [m] [m] [m] [m]
Auf das Flüssigkeitsquader wirkt andrerseits eine Reibungskraft gemäß der Newton’schen Reibungsgleichung (Gl. 6.10) Fη = A R ⋅ η ⋅
dv y dx
= b ⋅c ⋅ η⋅
dv y
(6.51)
dx
Symbole: Fη = Reibungskraft des Flüssigkeitsquaders AR = Reibungsfläche des Quaders η = dynamische Viskosität der Flüssigkeit dvy/dx = Geschwindigkeitszunahme in x-Richtung vy = lokale Filmgeschwindigkeit in y-Richtung x = Abstand von der Wandoberfläche
[kg⋅m⋅s-2] [m2] [kg⋅m-1⋅s-1] [s-1] [m⋅s-1] [m]
Im stationären Zustand heben sich die beiden auf das Flüssigkeitsquader wirkenden Kräfte auf, sodass betragsmäßig gilt (6.52)
FG = Fη
Nach einer Integration mit der Randbedingung, dass an der Wandoberfläche die Geschwindigkeit null ist, ergibt sich das Strömungsprofil für einen Fallfilm bei laminarer Strömung vy =
ρ⋅g § x2 ⋅ ¨¨ a ⋅ x − η © 2
· ¸ ¸ ¹
(6.53)
Das Geschwindigkeitsprofil eines laminar fließenden Fallfilms stellt eine Parabel dar, wobei die Parabelachse mit der Flüssigkeitsoberfläche zusammenfällt (Abb. 6.19).
6.5 Filmströmung
213
x y a
Fη
a: Dicke des Films b: Breite des Films
Wand
c
x
b
a-x
c: Höhe eines kleinen Flüssigkeitsquaders an der Oberfläche des Films
FG
Abb. 6.19. Geschwindigkeitsprofil in einem Fallfilm bei laminarer Strömung
Volumenstrom
Den Volumenstrom bei laminarer Filmströmung erhält man durch eine Integration der örtlichen Filmgeschwindigkeit über die gesamte Filmdicke und -breite
= b ⋅ v ⋅ dx = ρ ⋅ g ⋅ b ⋅ a V ³0 y 3⋅η a
Symbol:
= Volumenstrom des Fallfilms V
3
(6.54)
[m3⋅s-1]
Umgekehrt lässt sich die Filmdicke bei laminarer Strömung errechnen, wenn der Volumenstrom bekannt ist a=3
3⋅ η⋅ V ρ⋅g⋅b
(6.55)
Bei geneigten Wänden, die um den Winkel α von der Senkrechten abweichen, ist die Erdbeschleunigung g in den Gln. 6.50 bis 6.55 durch (g⋅cos α) zu ersetzen.
214
6 Strömungslehre
Die Gleichungen 6.50 bis 6.55 gelten mit hinreichender Genauigkeit auch für Fallfilme in senkrecht stehenden Rohren, sofern das Verhältnis von Filmdicke zu Innenradius 0,2 nicht übersteigt. Statt der Breite b des Films wird dann der innere Umfang des Rohres 2πRi verwendet. Fallfilmverdampfer, in denen Rieselfilme in Rohren senkrecht nach unten fließen, werden im Kapitel „Verdampfen“ besprochen. Für den turbulenten Bereich gelten die Gln. 6.50 bis 6.55 nicht mehr, sie müssen durch weitere Einflussfaktoren ergänzt werden. So spielt z.B. auch die Oberflächenspannung eine Rolle [9]. Filmströmungen können unter bestimmten Bedingungen auch aufreißen. Es bilden sich dann Rinnsale und die Oberfläche ist nicht mehr vollständig benetzt. Diese Flüssigkeitströmung ist meist instationär, d.h. sie ist zeitlichen und räumlichen Veränderungen unterworfen. Man spricht dann z.B. von einer Mäanderströmung.
6.6 Impulskraft Wird ein Fluid durch ein Bauteil (z.B. einen Rohrbogen, eine Ecke etc.) aus seiner Strömungsrichtung abgelenkt, so übt das Fluid auf das Bauteil eine Kraft aus. Die Kraft, mit der das Fluid auf das Bauteil einwirkt, beruht auf dem Impulssatz der Physik. Gemäß Definition ist eine Impulskraft & FIm puls eine kurzzeitige Änderung des mathematischen Produkts aus Masse und Geschwindigkeit mit der Zeit
& & d ( m ⋅ v) FIm puls = dt
(6.56)
& & d ( m ⋅ v) ⋅ v verwenmeist m Bei Strömungen eines Fluids wird statt dt det. Es gilt dann & & & ⋅ v& = ρ ⋅ A (6.57) ⋅v = ρ⋅V FIm puls = m Querschnitt ⋅ v ⋅ v
Die Impulskraft, die gesamthaft auf ein Bauteil übertragen wird, errechnet sich aus der Differenz der Impulskräfte am Eingang und am Ausgang des Bauteils. & & & (6.58) FIm puls total = FIm puls, Eingang − FIm puls, Ausgang
6.6 Impulskraft
215
Nebst den Impulskräften am Ein- und Ausgang des Bauteils wirken auch die Druckkräfte am Ein- und Ausgang des Bauteils und die Schwer& kraft von Bauteil und Fluid auf das Bauteil. Die Druckkraft FDruck ist & & (6.59) FDruck = A quer ⋅ p & Aquer ist der Querschnitt senkrecht zur Strömungsrichtung und p der Druckvektor. Der Druckvektor schaut immer senkrecht zur Querschnittsfläche ins Innere des Bauteils. Für die gesamthaft wirkende Druckkraft gilt & & & (6.60) FDruck total = FDruck , Eingang + FDruck , Ausgang = & & A quer , Eingang ⋅ p Eingang + A quer , Ausgang ⋅ p Ausgang & Die Gravitationskraft FGravitation berechnet sich mit & & (6.61) FGravitation = m ⋅ g & m bezeichnet die Masse und g die Erdbeschleunigung. Insgesamt beträgt die Gravitationskraft des Bauteils inklusive des in ihm eingeschlossenen Fluids & & & & FGravitation total = FGravitation Bauteil + FGravitation Fluid = (m Bauteil + m Fluid ) ⋅ g (6.62) & & & Die Summe der Kräfte FIm puls total , FDruck total und FGravitation total wird als & Wirkkraft FWirkung bezeichnet. Üblicherweise wird die Haltekraft eines & Bauteils FHalterung gesucht. Gemäß dem physikalischen Prinzip von actio = & reactio verläuft die Haltekraft FHalterung entgegengesetzt zur Wirkkraft & FWirkung und hebt diese auf. & & & & & (6.63) FHalterung = −FWirkung = − FIm puls total − FDruck total − FGravitation total Es empfiehlt sich in vielen Fällen, die Kräfte, die auf ein Bauteil wirken, nach den Raumkoordinaten x, y und z zu zerlegen und einzeln zu berechnen. Erst am Schluss wird dann die räumliche Ausrichtung der Kraftvektoren ermittelt. Die Abbildung 6.20 illustriert die auf einen durchströmten Rohrbogen mit einer Verengung wirkenden Kräfte.
216
6 Strömungslehre
= - FWirkung =zur FHalterung FHalterung = Gegenvektor Summe Impuls-, Druck- Fder Impuls - FDruck - FGravitation und Gravitationskräfte
FImpuls, aus FDruck, aus
FHalterung FDruck, ein FDruck total
FDruck total = Summe der Druckkraftvektoren am Einund Ausgang des Bauteils
FImpuls, ein FImpuls, ein
FDruck, ein
FDruck, aus
-FImpuls, aus FGravitation total FGravitation total = Summe der Gravitationsvektoren von Bauteil und Fluid
FImpuls total FImpuls total = Differenz der Impulskraftvektoren am Einund Ausgang des Bauteils
Abb. 6.20. Kräfte, die auf einen durchströmten Rohrbogen mit Verengung ein& & & & wirken; FHalterung = Haltekraft, FIm puls = Impulskraft, FDruck = Druckkraft, FGravitation = Schwerkraft; die vektorielle Summe aller Kräfte ist null
6.7 Rheologie Rheologie ist die Wissenschaft über das Fließverhalten von Stoffen. Der Wortteil „Rheo“ stammt aus dem griechischen und bedeutet „fließen“. Die Rheologie beschäftigt sich aber nicht nur mit dem eigentlichen Fließvorgang, sondern beschreibt ganz allgemein das mechanische Verhalten deformierbarer Körper. Die Körper können Flüssigkeiten, Schmelzen oder zähfließende Festkörper sein. Eine Grundaufgabe der Rheologie ist, eine Beziehung zwischen der Deformation und den damit verbundenen Vorgängen und Kräften herzustellen. Man versucht, die rheologischen Phänomene mit Zustandsgleichungen zu erfassen. Praktische Bedeutung hat die Rheologie z.B. bei der Herstellung, Qualitätskontrolle und Anwendung von Erzeugnissen wie Salben, Pasten, Lacken, Kunststoffen oder auch im medizinischen Bereich (Blut, Gelenkflüssigkeit). Um rheologische Vorgänge modellhaft beschreiben zu können, gibt es zwei prinzipiell verschiedene Methoden:
6.7 Rheologie
217
− Phänomenologische Modelle beruhen auf der Vorstellung, dass der Körper ein Kontinuum darstellt. Sie leiten sich direkt aus experimentellen Beobachtungen ab (= phänomenologische Rheologie). − Mikrostrukturielle Modelle versuchen, aus der Mikrostruktur des Körpers, d.h. aus seinem molekularen und eventuell übermolekularen bzw. morphologischen Aufbau eine Beziehung zu seinem Fließverhalten herzustellen (= mikrostrukturielle Rheologie oder Strukturrheologie) Die exakte mathematische Erfassung des Fließverhaltens ist äußerst komplex. Die Ableitung aus molekularen Strukturen versagt in der Regel. Das rheologische Verhalten ist zwar abhängig vom Wirken inter- und intramolekularer Kräfte. Gleichzeitig spielen aber Sekundärstrukturen wie Korngrößen, Korngrenzen, Quellungsgrad von Polymerknäueln, Spalten, Fehlstellen, Verunreinigungen oder Gasbläschen eine oft erhebliche Rolle. Mechanisches Verhalten von Körpern
Je nach ihrer Verformbarkeit lassen sich physikalische Körper in verschiedene Klassen einteilen. Starre Körper
Ein starrer Körper ist ohne Zerstörung nicht deformierbar. Zwei beliebige Punkte auf der Oberfläche oder im Innern des Körpers haben immer denselben Abstand zu einander. Beispiel: Stein Elastische Körper
Ein elastischer Körper wird durch Einwirkung einer äußeren Kraft reversibel verformt. Nach Wegnahme der äußeren Kraft kehrt der Körper wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Es gilt das Hooke’sche Gesetz. Beispiel: Gummi Plastische Körper
Ein plastischer Körper wird durch Einwirkung einer äußeren Kraft dauerhaft verformt, d.h. nach Wegnahme der äußeren Kraft kehrt der Körper nicht in seine ursprüngliche Form zurück. Zur Verformung muss die äußere Kraft einen minimalen Wert überschreiten. Zwei benachbarte Punkte auf der Oberfläche oder im Innern des Körpers bleiben auch nach der Verformung benachbart. Beispiel: Knetmasse
218
6 Strömungslehre
Viskose Körper
Ein viskoser Körper wird bereits durch eine unendlich kleine Kraft verformt. Die Formveränderung bleibt nach der Wegnahme der äußeren Kraft erhalten. Zwei benachbarte Punkte auf der Oberfläche oder im Innern des Körpers müssen nach der Deformierung nicht mehr zwingend nebeneinander liegen. Beispiele: Öl, Wasser, Luft Reale Körper lassen sich selten eindeutig einer der obigen Klassen zuordnen. Die Zuordnung hängt häufig von den äußeren Bedingungen ab. Glas verhält sich beispielsweise mit zunehmender Temperatur zuerst starr, dann elastisch, dann plastisch und schließlich viskos. Ein Metalldraht ist mit wachsender Zugbeanspruchung zuerst elastisch, dann plastisch und schließlich starr. Viskoelastische Stoffe verfügen gleichzeitig über elastische und plastische Eigenschaften, d.h. sie können die Energie der Verformung teilweise kurzzeitig in sich speichern. Längerfristig fließen sie aber ähnlich wie viskose Stoffe. Beispiele für viskoelastische Stoffe sind Kaugummi oder Silikondichtungsmasse. Bei Newton‘schen Flüssigkeiten, d.h. Flüssigkeiten, die sich streng ideal verhalten, ist die dynamische Viskosität η konstant und beispielsweise unabhängig von der Scherrate oder der Einwirkungsdauer. Stellt man die Schubspannung τ gegen die Scherrate D grafisch dar, erhält man eine Gerade, die durch den Nullpunkt verläuft und deren Steigung der dynamischen Viskosität η entspricht (Abb. 6.21 links). Trägt man die dynamische Viskosität η gegen die Scherrate D auf, so erhält man eine horizontale Gerade (Abb. 6.21 rechts). τ
η
η
D
D
Abb. 6.21. Newton‘sches Fließverhalten
Reale Flüssigkeiten können auf verschiedene Art und Weise vom idealen, d.h. Newton’schen Verhalten abweichen. Dies ist insbesondere bei zähfließenden Medien der Fall. Während bei idealen Flüssigkeiten die Viskosität bei gegebener Temperatur und gegebenem Druck konstant ist,
6.7 Rheologie
219
zeigt die Viskosität bei realen Systemen dreierlei Arten von Abweichungen: − Scherratenabhängigkeit Bei einer Zunahme der Scherrate verändert sich die Viskosität. Sie kann sowohl zu- als auch abnehmen. Schubspannung und Scherrate verhalten sich nicht proportional zu einander. − Zeitabhängigkeit Die Viskosität ändert mit zunehmender Scherdauer. Die Beanspruchung verändert das Medium und seine Eigenschaften. Die Viskosität kann größer oder kleiner werden. − Viskoelastizität Die Viskosität wird durch die Fähigkeit des Stoffes, mechanische Energie kurzfristig zu speichern, beeinflusst. Scherratenabhängige Viskosität Pseudoplastizität (= Scherverdünnung = Strukturviskosität)
Wenn die Viskosität mit zunehmender Scherrate abnimmt, so nennt man dieses Fließverhalten pseudoplastisch (s. Abb. 6.22). Lacke sind oftmals pseudoplastisch. Sie sollen mit dem Pinsel bei hoher Scherbeanspruchung leicht applizierbar sein (dünnfließend) und danach auf dem Untergrund bei geringer Scherbeanspruchung haften und nicht abtropfen (dickfließend). τ
η
D
D
Abb. 6.22. Pseudoplastisches Fließverhalten
Dilatanz (= Scherverdickung)
Wenn die Viskosität mit zunehmender Scherrate zunimmt, so nennt man dieses Fließverhalten dilatant (s. Abb. 6.23). Polymere Lösungen und Schmelzen sind häufig dilatant. Die in der Ruhelage kugelförmig verknäu-
220
6 Strömungslehre
elten Polymere bieten in der gestreckten Form eine größere Reibungsoberfläche. Beispiel: Viscokupplung bei Vierrad angetriebenen Autos. τ
η
D
D
Abb. 6.23. Dilatantes Fließverhalten
Pseudoplastisches und dilatantes Fließverhalten können mathematisch mit dem Potenzansatz von Ostwald wiedergegeben werden. τ = K ⋅ Dn
bzw.
η = K ⋅ Dn-1
Symbole: τ = Schubspannung D = Scherrate η = dynamische Vikosität K = Ostwaldfaktor n = Flüssigkeitsindex
(6.64) [kg⋅m-1⋅s-2] [s-1] [kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-1⋅sn-2] [-]
K und n sind empirische Konstanten. Bei pseudoplastischen Flüssigkeiten ist n1. Bei idealen Newton’schen Flüssigkeiten ist n=1. Wird die Schubspannung gegen die Scherrate doppelt logarithmisch aufgetragen, so ergibt sich der Ostwaldfaktor K aus dem y-Achsenabschnitt und der Flüssigkeitsindex n aus der Steigung der Messgeraden (s. Abb. 6.24). log τ
n
log K log D
Abb. 6.24. Bestimmung der Parameter der Ostwald‘schen Potenzgleichung
6.7 Rheologie
221
Die mit Hilfe der Gl. 6.64 bestimmte Viskosität nennt man scheinbare Viskosität. Zur Vollständigkeit muss stets das Messprinzip und die Scherrate mit angegeben werden. Der Potenzansatz nach Ostwald gilt stets nur für einen gewissen Messbereich. Bei sehr kleiner Scherrate wäre die Viskosität von pseudoplastischen Stoffen unendlich groß bzw. von dilatanten Stoffen unendlich klein (s. Abb. 6.25). Dies führte in der Praxis dazu, dass pseudoplastische Stoffe nur mit einer unendlich großen Schubspannung in Bewegung gesetzt werden könnten. Dilatante Stoffe würden hingegen auch nach dem Wegfall der Schubspannung noch unendlich lange weiterfließen. τ n1
Gültigkeitsbereich
D
Abb. 6.25. Abhängigkeit der Schubspannung von der Scherrate nach Ostwald für pseudoplastische (n1) Flüssigkeiten
Plastizität
Stoffe mit einem plastischen Verhalten fließen bei niedriger Schubspannung überhaupt nicht. Erst wenn die Schubspannung einen kritischen Wert übersteigt, beginnt sich der Stoff in Bewegung zu setzen. Diesen kritischen Wert für die Schubspannung nennt man Fließgrenze τ0. Plastische Stoffe sind z.B. Schokolade, Ketchup, Mayonnaise, Zahnpasta, Spritzbeton und gewisse Lacke. Bingham-plastische Körper weisen oberhalb der Fließgrenze eine lineare Abhängigkeit der Schubspannung von der Scherrate auf (s. Abb. 6.26).
222
6 Strömungslehre
τ
η
konst.
τ0
D
D
Abb. 6.26. Bingham-plastisches Fließverhalten
Zeitabhängige Viskosität Thixotropie
Das Fließverhalten thixotroper Stoffe ist zeitabhängig. Die Viskosität nimmt mit längerer Scherbeanspruchung ab. Erholt sich die Viskosität wieder, wenn man den Stoff in Ruhe lässt, und erreicht den ursprünglichen Wert, so spricht man von einer echten Thixotropie (Beispiel: Ketchup). Bleibt die Viskosität eines Stoffes auch nach einer längeren Erholungsphase erniedrigt, so spricht man von einer unechten oder falschen Thixotropie. Beispiel: stichfestes Joghurt. Die Thixotropie erkennt man durch abnehmende Schubspannung bei auf- und absteigender Scherrate (Hysterese s. Abb. 6.27). Die Ursache für ein thixotropes Verhalten liegt im mikrostrukturiellen Aufbau des Stoffes begründet. Unter Scherung zerfallen Agglomerate, die zuvor eine höhere Viskosität verursacht haben. η echte Thixotropie unechte Thixotropie Scherbeanspruchung
Ruhephase t
Abb. 6.27. Thixotropes Fließverhalten
D
6.7 Rheologie
223
Rheopexie
Rheopexie beschreibt das umgekehrte Zeitverhalten zur Thixotropie. Bei längerer Scherbeanspruchung nimmt die Viskosität zu. Unter der Scherbeanspruchung bilden sich Agglomerate, die die Viskosität erhöhen. In Ruhe können die Agglomerate wieder zerfallen. Als Beispiel gilt das Anrühren von Gips. Die Rheopexie manifestiert sich durch eine Zunahme der Schubspannung bei auf- und absteigender Scherrate (Hysterese s. Abb. 6.28). η
Scherbeanspruchung
Ruhephase t
D
Abb. 6.28. Rheopektisches Fließverhalten
Viskoelastizität
Einige Flüssigkeiten sind in der Lage, die bei Scherbeanspruchung auftretenden Kräfte kurzzeitig zu speichern. Man spricht von viskoelastischen Stoffen. Daraus ergeben sich einige interessante Phänomene: Strangaufweitung
Bei einer Extrusion durch eine Düse weitet sich der Strang auf, d.h. er wird im Durchmesser deutlich größer als die Düsenöffnung. Typisch ist dieses Stoffverhalten für Polymerlösungen und -schmelzen. In der Düse werden die Polymerketten gestreckt. Nach der Düse können die Polymerketten wieder in die geknäuelte, ungeordnete Form zurückkehren (s. Abb. 6.29).
Abb. 6.29. Strangaufweitung bei einer Extrusion eines viskoelastischen Körpers
224
6 Strömungslehre
Weissenberg- Effekt
Beim Rühren einer Polymerlösung oder -schmelze kriechen Polymerfäden an der Rührwerkswelle empor. Die Polymerketten werden durch Scherbeanspruchung unmittelbar an der Welle gestreckt. Sobald die Scherbeanspruchung wegfällt, d.h. an der Rührwerkswelle etwas oberhalb der Flüssigkeitsoberfläche, ziehen sich die Polymerketten wieder zusammen (s. Abb. 6.30).
Abb. 6.30. Weissenberg-Effekt - Verdickung der viskoelastischen Flüssigkeit an einer Rührwerkswelle (links) im Vergleich zu Newton’schem Verhalten (rechts)
Messpraxis
Zur Bestimmung des rheologischen Verhaltens eignen sich Auslaufbecher, Kugelfall-, Kapillar- und Rotations-Viskosimeter (s. Abb. 6.31).
a) Auslaufbecher
b) Kugelfallviskosimeter
c) Kapillarviskosimeter
d) Rotationsviskosimeter
Abb. 6.31. Auslaufbecher, Kugelfall-, Kapillar- und Rotationsviskosimeter
Rotationsviskosimeter werden üblicherweise bevorzugt, da in ihnen eine exakt definierte Strömung vorliegt und die Resultate besser interpretiert werden können. Bei den Rotationsviskosimetern unterscheidet man Messsysteme mit zylindrischen, kegelförmigen, flachen und besonders geformten Drehkörpern (s. Abb.6.32).
6.7 Rheologie
225
120°C
a) Zylinder
b) Kegel
c) Platte
d) Anker
Abb. 6.32. Rotationsviskosimeter mit zylindrischen, kegelförmigen, flachen und besonders geformten Drehkörpern
Für die Messung einer Stoffprobe empfiehlt sich das folgende Vorgehen: 1. Abschätzen der Viskosität Zuerst muss die Größenordnung der zu erwarteten Viskosität abgeschätzt werden. Dabei kann man sich auf persönliche Erfahrungswerte, Tabellen in der Fachliteratur wie z.B. die Tabelle 6.1 im vorliegenden Kapitel oder auf Vorversuche z.B. mit dem Kugelfallviskosimeter abstützen. 2. Wahl des Messsystems Aufgrund der erwarteten Größe der Viskosität und der besonderen Eigenschaften der Probe wird das Messsystem und die Größe der Messkörper ausgewählt. Große Messkörper und kleine Spaltweiten werden bei niedrigviskosen Stoffen gewählt, während kleine Messkörper und große Spaltweiten bei hochviskosen Stoffen Verwendung finden. 3. Festlegen der Scherrate Die Anwendung des Stoffs legt den Untersuchungsbereich der Scherrate fest. Typische Scherratenbereiche sind bei Hautsalben 103 bis 104 s-1, Farbanstrichen (Pinseln & Sprayen) 103 bis 104 s-1, Tauchlacken 101 bis 102 s-1, Schmierstoffen 103 bis 107 s-1, Brotaufstrichen 101 bis 102 s-1, Kauen & Schlucken 101 bis 102 s-1, Injektionen 103 bis 104 s-1, Blut in Kapillaren 10-1 bis 102 s-1. 4. Blasenfreies Einfüllen Die Probe muss in das Messsystem blasenfrei eingefüllt werden. Eventuell muss die Probe zuvor durch Aufwärmen entgast werden. Blasen lagern sich häufig am Messkörper an und führen zu falschen, niedrigen Viskositätswerten.
226
6 Strömungslehre
5. Einhalten einer Ruhezeit vor der Messung Besteht der Verdacht, dass die Probe ein zeitabhängiges Verhalten aufweist, muss die Probe vor der Messung ruhen. 6. Überwachen der Temperatur Die Temperatur muss dauernd überwacht werden. Durch mechanische Bewegung wird Wärme in das System eingetragen (Dissipation), die durch Thermostatisierung wieder abgeführt werden muss. Eine höhere Temperatur verändert die Viskosität oft drastisch. 7. Messen bei auf- und absteigender Scherrate Die Viskosität wird als Funktion der Scherrate aufgezeichnet. Aus der Kurvenform wird ein newtonsches, pseudoplastisches, dilatantes oder plastisches Verhalten des Stoffes erkannt. Thixotropes oder rheopektisches Verhalten verrät sich durch einen unterschiedlichen Verlauf der Viskosität bei auf- bzw. absteigender Scherrate. 8. Wiederholen der Messung Um zu erkennen, ob es sich um eine echte oder unechte Thixotropie bzw. Rheopexie handelt, wird die Messung nach einer gewissen Ruhephase wiederholt.
6.8 Fragen aus der Praxis Bernoulli & Kontinuitätsgleichung
In einer Wasserstrahl-Vakuumpumpe, die wie ein Venturi-Rohr aufgebaut ist, fließen 4 L/min Wasser. Der Durchmesser der Zuleitung (und Ableitung) beträgt 14 mm, der Durchmesser an der engsten Stelle 3 mm. Der absolute Druck am Ausgang der Wasserstrahl-Vakuumpumpe entspricht einem Umgebungsdruck von 1 bar. Der geodätische Höhenunterschied kann vernachlässigt werden. Welcher Unterdruck wird an der engsten Stelle erreicht? Welcher absolute Druck herrscht an der engsten Stelle? Torricelli
Wie viel Zeit braucht die Entleerung eines Rührkessels unter der Wirkung der Erdschwere, wenn der Bodenablass die NW 80 mm aufweist? Der Rührkessel ist zu Beginn mit 10'000 L Wasser gefüllt. Der Innendurchmesser des Rührkessels beträgt 2,4 m. Der gewölbte Klöpperboden ist bei
6.8 Fragen aus der Praxis
227
der Berechnung zu vernachlässigen, ebenso der Druckverlust beim Einströmen in die Rohrleitung. Strömungswiderstand eines Körpers
Ein modernes Auto hat einen cW-Wert von 0,28 und fährt mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h. Die Querspantfläche des Autos beträgt 1,8 m2. Die Dichte der Luft ist 1,2 kg/m3. Wie groß ist der Luftwiderstand? Wie viel Energie wird nur für die Überwindung des Luftwiderstands auf einer Fahrtstrecke von 100 km verbraucht? Wie vielen Litern Benzin entspricht dies, wenn Benzin einen Energieinhalt von 35'000 kJ/L aufweist? Laminare Rohrströmung
Öl der Viskosität 36,5 cSt und der Dichte 850 kg/m3 soll mit 13 m3 pro Stunde bei einem zulässigen Druckabfall von 0,1 bar laminar durch ein kreisrundes Rohr der Länge " = 100 m geleitet werden. Welche Nennweite NW [mm] soll die Leitung aufweisen? Ist die Annahme einer laminaren Strömungsform berechtigt? Turbulente Rohrströmung
Wasser von 20 °C fließt mit einem Volumenstrom von 600 m3⋅h-1 durch ein gezogenes Stahlrohr mit Nennweite 200 mm. Wie groß ist der Druckverlust bei einer Leitungslänge von 1'000 m? ζ-Wert Zwei Behälter mit brennbaren Flüssigkeiten sind durch eine 2 m lange horizontale glatte Rohrleitung mit Innendurchmesser 12 mm verbunden. Die Rohrleitung ist in die Behälter gesteckt eingeschweißt. Wie groß darf der Druckabfall über das Rohrleitungsstück maximal sein, damit die Fließgeschwindigkeit wegen der Gefahr elektrostatischer Aufladung 7 m/s nicht überschreitet? Die Dichte der Flüssigkeit sei 850 kg/m3 und die Viskosität 1⋅ 10-2 Pa⋅s.
228
6 Strömungslehre
kv-Wert
Durch ein Ventil sollen maximal 6'000 L/h Alkohol der Dichte ρ = 850 kg/m3 fließen. Die Druckdifferenz über das Ventil beträgt konstant 10 bar. Wie groß muss der kv-Wert des Ventils gewählt werden? Wirkkraft eines Rohrkrümmers
Der Durchmesser eines Rohrkrümmers ist 300 mm am Eingang und 150 mm am Ausgang. Im Rohrkrümmer wird ein Wasserfluss von 0,23 m3/s um 120° in einer vertikalen Ebene abgelenkt. Am Eingang verläuft die Achse des Rohrkrümmers horizontal. Der Druck am Einlass beträgt 140 kN/m2. Die Mitte des Ausflusses liegt 1,4 m tiefer als die Mitte des Einlasses. Total enthält der Krümmer 0,07 m3 Wasser. Das Material des Krümmers wiegt 15 kg. Wie groß sind der Betrag und die Richtung der Kraft, die der Krümmer auf seine Halterung ausübt? Die Wasserreibung darf vernachlässigt werden. Rheogramm
Wie ist das Rheogramm in der Abb. 6.33 zu interpretieren? Welche Eigenschaften besitzt dieser unbekannte, zäh fließende Stoff?
D Abb. 6.33. Rheogramm eines unbekannten, zäh fließenden Stoffs
6.9 Literatur
229
6.9 Literatur [1] Becker E (1969) Technische Strömungslehre. Teubner, Stuttgart [2] Kalide W (1985) Einführung in die technische Strömungslehre. Hanser, München [3] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl Salle+Sauerländer, Aarau [4] Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten [5] Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [6] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [7] J. Perry J (1963) Chemical Engineers‘ Handbook. 4th ed, McGraw-Hill, New York, chap 5 [8] Nitsche M (1999) Auslegung von Regelventilen. Chemie Technik, 9:114-118 [9] Brauer H (1971) Grundlagen der Einphasen- und Mehrphasenströmung. Sauerländer, Aarau [10](1993) Grundlagen der Rheologie. Mettler Toledo, Schwerzenbach [11]Kulicke W M (1986) Fließverhalten von Stoffen und Stoffgemischen. Wepf, Basel
7 Wärmeübertragung
7.1 Einleitung Unter Wärmeübertragung versteht man den Transport thermischer Energie von einem Gebiet höherer zu einem Gebiet tieferer Temperatur. Maßgebend für den Wärmetransport ist stets ein treibendes Temperaturgefälle. Die Wärmeübertragung ist einer der wichtigsten Prozesse in chemischen Produktionsanlagen überhaupt. 1/4 aller Investitionskosten für Apparate sind in der Regel für Wärmeübertrager einzusetzen. Der Anteil der Wärmeübertragung an den laufenden Energiekosten beträgt häufig zwischen 50 und 80%. Im Hinblick auf ökonomische und ökologische Aspekte besteht bei einer geschickten Auslegung der Wärmeübertrager und Anordnung bzw. Verknüpfung im Produktionsprozess ein großes Energieeinsparungspotenzial. Man versucht Energie aus Abluft und Abwasser zurückzugewinnen, vielfach auch unter Verwendung von Wärmepumpen. Bei den folgenden Prozessen im Chemiebetrieb werden Wärmen zu- bzw. abgeführt: − − − − − − − − −
Auflösen fester Edukte Reagieren der Edukte Eindampfen Kondensieren Destillieren, Rektifizieren Kristallisieren Trocknen Absorbieren, Desorbieren Sublimieren
Es gibt drei grundsätzliche Arten der Wärmeübertragung, die sich in ihrer physikalischen Wesensart stark von einander unterscheiden, nämlich Strahlung, Wärmeleitung und Konvektion (s. Abb. 7.1).
232
7 Wärmeübertragung
Wärmeübertragung Transport thermischer Energie
Strahlung
Wärmeleitung
Konvektion
Elektromagnetische Energieübertragung
Stossübertragung der Teilchenschwingung
Verschiebung von Fluidbezirken
Freie Konvektion
Erzwungene Konvektion
Verschiebung aufgrund von Gravitationskräften
Verschiebung aufgrund äusserer Kräfte
Abb. 7.1. Wärmeübertragung durch Strahlung, Wärmeleitung und Konvektion
Strahlung Wärme kann durch elektromagnetische Strahlung übertragen werden. Technisch bedeutsam ist die Infrarotstrahlung mit Wellenlängen zwischen 0,8 und 100 µm. Diese Art der Wärmeübertragung braucht kein stoffliches Trägermedium. Die Strahlung wirkt geradlinig durch leere oder gasgefüllte Räume hindurch. Heiße Körperoberflächen senden eine charakteristische elektromagnetische Strahlung aus. Beim Auftreffen auf Materie wird die Strahlungsenergie teilweise absorbiert und wandelt sich wieder in thermische Bewegungsenergie der Materieteilchen um. Beispiele: Sonnenenergie, offene Feuer, Ofenwände, Mikrowelle. Wärmeleitung Die Wärmeleitung beruht auf der thermischen Schwingung von Atomen und Molekülen. Stark schwingende Teilchen übertragen ihre Energie an benachbarte schwach schwingende Teilchen durch gegenseitige Stöße (Impulsaustausch). Die Schwingungsenergie der Teilchen gleicht sich dadurch mit der Zeit aus. Die gegenseitige Lage der Teilchen bleibt durch den Impulsaustausch unverändert. Beispiele: Hausmauer, Erdschichten, Reaktorwand, Thermofühler.
7.2 Strahlung
233
Konvektion Eine Wärmeübertragung ergibt sich auch, wenn sich Flüssigkeits- oder Gasbezirke (Turbulenzballen) mit unterschiedlichen Temperaturen gegen einander verschieben. Erfolgt die Verschiebung der Fluidelemente bedingt durch innere Kräfte, wie sie z.B. durch Dichteunterschiede im Temperaturfeld verursacht werden, so spricht man von einer freien Konvektion. Erfolgt die Verschiebung der Fluidelemente bedingt durch äußere Kräfte, wie sie z.B. durch Rühren, Pumpen, Ventilieren verursacht werden, so spricht man von einer erzwungenen Konvektion. Beispiele: Luftheizungen, Motorkühler, Kühltürme, flüssig-flüssig Wärmeübertrager, Wirbelschichten. Kombination der Wärmeübertragungsmechanismen In der Praxis treten die drei Mechanismen der Wärmeübertragung häufig kombiniert auf, was die physikalische Erfassung und Beschreibung der Vorgänge erschwert. Oft dominiert aber der eine oder andere Mechanismus derart deutlich, dass die übrigen guten Gewissens vernachlässigt werden dürfen. Beispiele: Kochen, Heizen, Wäsche trocknen. Im folgenden werden die drei Wärmeübertragungsmechanismen detailliert vorgestellt.
7.2 Strahlung Elektromagnetische Strahlung mit Wellenlängen zwischen 0,8 und 800 µm liegt im Infrarotbereich. Beim Auftreffen auf Materie erzeugt sie Wärme. Strahlungsgesetze Die übertragene Energie pro Photon ist gemäß Einstein abhängig von der Wellenlänge bzw. Strahlungsfrequenz (s. Gl. 7.1). E = h ⋅ c ⋅ "-1 = h ⋅ f Symbole: E = Energie pro Photon (Lichtquant) " = Wellenlänge der Strahlung f = Frequenz der Strahlung h = Planck’sches Wirkungsquantum (= 66,262⋅1033 J⋅s) c = Lichtgeschwindigkeit (= 299,7925⋅106 m⋅s-1)
(7.1) [kg⋅m2⋅s-2] [m] [s-1] [kg⋅m2⋅s-1] [m⋅s-1]
234
7 Wärmeübertragung
Trifft eine elektromagnetische Strahlung auf einen Körper, so wird sie entweder spiegelnd oder diffus reflektiert, absorbiert und in Wärme umgewandelt oder unverändert durchgelassen. Definiert man R = reflektierter Teil der einfallenden Strahlungsenergie (Reflexionsquotient) [%], A = absorbierter Teil der einfallenden Strahlungsenergie (Absorptionsquotient) [%] und D = durchgelassener Teil der einfallenden Strahlungsenergie (Transmissionsquotient) [%], so muss gemäß dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik gelten R + A + D = 1
(7.2)
Einen Körper nennt man schwarz, weiß, grau,
wenn er alle auftreffenden Strahlen völlig absorbiert, wenn er alle auftreffenden Strahlen völlig reflektiert, wenn er von allen auftreffenden Strahlen unabhängig der Wellenlänge den selben Anteil absorbiert bzw. reflektiert, farbig, wenn er bestimmte Wellenlängen bevorzugt absorbiert bzw. ausstrahlt, diatherman, wenn er alle auftreffenden Strahlen völlig durchlässt. Die Abbildung 7.2 zeigt schematisch die Anwendung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik auf die Strahlung. elektromagnetische Strahlung Reflexion
realer Körper
Absorption
Transmission
Abb. 7.2. Erster Hauptsatz der Thermodynamik (Energieerhaltungssatz) angewandt auf die Strahlung; ein Körper spiegelt die auftreffenden Strahlen, wenn die Oberflächenrauhigkeit kleiner ist als die halbe Wellenlänge, andernfalls werden die auftreffenden Strahlen diffus reflektiert
Von allen möglichen Körpern sendet ein absolut schwarzer Körper bei gegebener Temperatur die höchste Strahlungsleistung ab. Diese Tatsache ist als das 1. Kirchhoff’sche Gesetz bekannt. Die Strahlungsleistung verteilt
7.2 Strahlung
235
sich allerdings nicht über alle Wellenlängen gleichmäßig, sondern wird durch das Planck’sche Strahlungsgesetz bestimmt (s. Gl. 7.3).
i s (", T ) =
d(P / A) = d"
C1
(7.3)
ª C · − 1º " 5 ⋅ «exp§¨ 2 ¸ ¬ © " ⋅ T ¹ »¼
Symbole: is = Strahlungsintensität eines schwarzen Körpers P = gesamthafte Strahlungsleistung [W] = A = Oberfläche des schwarzen Körpers " = Wellenlänge der Strahlung T = absolute Temperatur C1 = erste Strahlungskonstante (= 374,15⋅10-18 W⋅m2) C2 = zweite Strahlungskonstante (= 14,388⋅10-3 m⋅K)
[kg⋅m-1⋅s-3] [kg⋅m2⋅s-3] [m2] [m] [K] [kg⋅m4⋅s-3] [m⋅K]
Die Abbildung 7.3 zeigt die Verteilung der Strahlung eines absolut schwarzen Körpers über die verschiedenen Wellenlängen bei verschiedenen Temperaturen.
Abb. 7.3. Energieverteilung eines absolut schwarzen Körpers gemäß dem Gesetz von Planck [1]
236
7 Wärmeübertragung
Die Lage des Ausstrahlungsmaximums verschiebt sich bei höherer Temperatur zu kleineren Wellenlängen. Diese Gesetzmäßigkeit ist als das Wien’sche Verschiebungsgesetz bekannt. Wird die erste Ableitung der Gl. 7.3 gleich Null gesetzt, so ergibt sich eine einfache Beziehung für die Wellenlänge mit der höchsten Strahlungsintensität "max (s. Gl. 7.4). "max ⋅ T = 2,896⋅10-3 m⋅K
(7.4)
Obwohl die Strahlungsmaxima für technischen Objekte üblicherweise außerhalb des sichtbaren Bereichs liegen, kann man aufgrund der so genannten Glühfarbe auf die Oberflächentemperatur eines Objekts schließen. Das menschliche Auge vermag bereits geringste Änderungen in den Strahlungsanteilen verschiedener Wellenlängen zu erkennen (s. Tabelle 7.1). Tabelle 7.1. Glühfarbe und Oberflächentemperatur Glühfarbe rot gelb weiß blau
Temperatur/ °C 600 bis 900 900 bis 1'200 1'200 bis 10'000 über 10'000
Um die Wärmemenge zu berechnen, die mittels Strahlung übertragen wird, muss die Gl. 7.3 über alle Wellenlängen integriert werden, da gemäß Einstein alle elektromagnetischen Wellen Energie mit sich führen. Für die gesamthaft ausgestrahlte Leistung eines schwarzen Körpers gilt das StefanBoltzmann’sche Gesetz (Gl. 7.5). = A ⋅ σ ⋅ T4 Ps = Q s
(7.5)
Symbole: Ps = totale Strahlungsleistung des schwarzen Körpers [kg⋅m2⋅s-3] = abgestrahlte Wärme pro Zeit, Wärmefluss [W] = [kg⋅m2⋅s-3] Q s A = Oberfläche des schwarzen Körpers [m2] T = absolute Temperatur an der Oberfläche [K] σ = Stefan-Boltzmann Konstante (= 56,7⋅10-9 W⋅m-2K-4) [kg⋅s-3⋅K-4]
Um die Handhabung der Gl. 7.5 zu vereinfachen, rechnet man in der Praxis mit Temperaturwerten T/100. Das Gesetz von Stefan-Boltzmann wird so zu
= A ⋅ C ⋅ §¨ T ·¸ Ps = Q s s © 100 ¹
4
(7.6)
7.2 Strahlung Symbol:
Cs = Strahlungszahl des schwarzen Körpers (= 108 σ = 5,67 W⋅m-2K-4)
237
[kg⋅s-3⋅K-4]
Reale Körper emittieren stets weniger Strahlung als ein schwarzer Körper. Die Verteilung der Strahlung über die Wellenlängen weicht im allgemeinen ebenfalls von derjenigen des schwarzen Körpers ab. Trotzdem genügt es meistens, den realen Körper für die Berechnung der Wärmestrahlung durch einen virtuellen grauen Körper zu ersetzen. Die Strahlungsintensität eines grauen Körpers ist über den gesamten Wellenlängenbereich proportional zu derjenigen eines schwarzen Körpers bei gleicher Temperatur. Die Proportionalitätskonstante wird Schwärzegrad oder Emissionsfaktor ε genannt und hängt vom Material und der Oberflächenbeschaffenheit des realen Körpers ab. Der Emissionsfaktor liegt stets zwischen 0 und 1. Die Tabelle 7.2 gibt Anhaltswerte für die Emissionsfaktoren einiger wichtiger Werkstoffe und Fluide. Tabelle 7.2. Emissionsfaktoren (Schwärzegrade) einiger Werkstoffe und Fluide. (Bei Metallen steigt der Emissionsfaktor mit der Temperatur an. Polierte Oberflächen liefern aufgrund der verstärkten Reflexion vor allem bei flachen Winkeln kleinere Emissionsfaktoren als rauhe Oberflächen.) Werkstoff Eisen poliert Eisen matt Eisen verrostet Stahl rostfrei Grauguss Inconel Aluminium poliert Aluminium oxidiert Titan oxidiert Kupfer poliert Kupfer oxidiert Bronze oxidiert Messing matt Messing poliert Tantal poliert Tantal oxidiert Wolfram Silber poliert Gold poliert
Emissionsfaktor 0,10 bis 0,20 0,25 bis 0,40 0,70 bis 0,85 0,40 bis 0,50 0,45 bis 0,75 0,60 bis 0,85 0,04 bis 0,10 0,20 bis 0,80 0,50 bis 0,60 0,03 bis 0,10 0,75 bis 0,85 0,50 bis 0,60 0,20 bis 0,35 0,04 bis 0,08 0,03 bis 0,10 0,40 bis 0,50 0,05 bis 0,30 0,02 bis 0,04 0,02 bis 0,04
Werkstoff Asphalt Beton Mörtel Backstein rot Schamotte Gips Glas Keramik Sand Erde Farben & Lacke Plastik Gummi schwarz Holz Papier Wasser Schnee Eis blank Öle
Emissionsfaktor 0,90 bis 0,98 0,93 bis 0,95 0,89 bis 0,91 0,91 bis 0,95 0,80 bis 0,90 0,80 bis 0,90 0,90 bis 0,95 0,90 bis 0,94 0,85 bis 0,95 0,92 bis 0,96 0,80 bis 0,97 0,80 bis 0,90 0,92 bis 0,96 0,85 bis 0,95 0,80 bis 0,90 0,92 bis 0,96 0,75 bis 0,90 0,96 bis 0,98 0,80 bis 0,85
238
7 Wärmeübertragung
Die gesamthaft ausgestrahlte Leistung bzw. übertragene Wärmemenge pro Zeit eines realen (grauen) Körpers beträgt somit = A ⋅ ε ⋅ σ ⋅ T 4 = A ⋅ ε ⋅ C ⋅ §¨ T ·¸ P=Q e s © 100 ¹
4
(7.7)
Symbole: P = totale Strahlungsleistung des realen Körpers [W] = [kg⋅m2⋅s-3] = abgestrahlter (emittierter) Wärmefluss Q [W] = [kg⋅m2⋅s-3] e A = Oberfläche des realen Körpers [m2] T = absolute Temperatur an der Oberfläche [K] ε = Emissionsfaktor des realen Körpers [-] σ = Stefan-Boltzmann Konstante (= 56,7⋅10-9 W⋅m-2K-4) [kg⋅s-3⋅K-4] Cs = Strahlungszahl des schwarzen Körpers [kg⋅s-3⋅K-4] -2 -4 (= 5,67 W⋅m K )
Wärmestrahlung zwischen Körpern
Ein kalter Körper empfängt nicht nur Wärmestrahlung aus einer wärmeren Umgebung, sondern sendet selbst auch Wärmestrahlung aus. Erst beim absoluten Nullpunkt (0 K) strahlt ein Körper keine Wärme mehr ab. Für die insgesamt übertragene Wärmemenge ist die Differenz zwischen der empfangenen und der ausgesandten Wärmemenge maßgebend. Zudem wird nicht die gesamte Strahlungsenergie, die auf einen Körper eintrifft, absorbiert und in Wärme umgewandelt. Ein Teil wird reflektiert oder durchgelassen, wobei der durchgelassene Strahlungsanteil bei Werkstoffen normalerweise gleich null gesetzt wird. Sind zwei Körper benachbart, so kann der reflektierte Strahlungsanteil wieder auf denjenigen Körper zurückfallen, der die Strahlung ursprünglich ausgesandt hat. Dort wird die reflektierte Strahlung wiederum teilweise absorbiert und auch reflektiert. Die Reflexionen zwischen den Körpern wiederholen sich, bis alle Strahlung absorbiert ist. Die insgesamt übertragene Wärmemenge entspricht daher der Differenz zwischen den von den beiden Körpern absorbierten Wärmemengen. Kirchhoff konnte beweisen, dass der Absorptionsquotient A eines beliebigen Körpers identisch ist mit seinem Emissionsfaktor ε (2. Kirchhoff’sches Gesetz). Dazu dient folgende Überlegung. Befinden sich ein schwarzer und ein grauer Körper zusammen in einem luftleeren Raum, so müssen beide Körper im stationären Zustand dieselbe Temperatur aufweisen. Sonst könnte mittels einer Wärmepumpe Energie gewonnen werden, was dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik widerspricht. Die Abbildung 7.4 veranschaulicht die Situation.
7.2 Strahlung
schwarzer Körper
239
T1 Pr = R·Qs=(1-A)·Qs
luftleerer Raum
Pe = ε·Qs
T1 = T2
Qs grauer Körper
Pa = A·Qs
T2
Abb. 7.4. Herleitung des 2. Kirchhoff’schen Gesetzes; schwarze und graue Platte in einem luftleeren Raum; Pa = absorbierte Strahlungsleistung, Pr = reflektierte Strahlungsleistung, Pe = emittierte Strahlungsleistung
Die vom schwarzen Körper ausgestrahlte Energie wird vom grauen Körper teilweise absorbiert und teilweise reflektiert. Der reflektierte Anteil trifft wieder auf den schwarzen Körper und wird dort vollständig absorbiert. Im stationären Zustand erhält der graue Körper gleich viel Energie wie er ausstrahlt. Die absorbierte Wärmestrahlung ist = A ⋅ A ⋅ σ ⋅ T4 Pa = Q a Symbole: Pa = absorbierte Strahlungsleistung = absorbierter Wärmefluss Q a A = Absorptionsquotient des realen Körpers
(7.8) [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [-]
Die emittierte Wärmestrahlung ist = A ⋅ ε ⋅ σ ⋅ T4 Pe = Q e Symbole: Pe = emittierte Strahlungsleistung = emittierter Wärmefluss Q e ε = Emissionsfaktor des realen Körpers
(7.9) [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [-]
Aus der Gleichsetzung von absorbierter und emittierter Strahlungsleistung Pa = Pe folgt der Beweis für das 2. Kirchhoff’sche Gesetz. Der Absorptionsquotient A und der Emissionsfaktor ε eines realen Körpers stimmen stets überein. Die Wärme, die zwischen zwei realen Körpern unterschiedlicher Temperatur durch Strahlung übertragen wird, ergibt sich aus einer Berechnung der absorbierten und reflektierten Strahlungsanteilen.
240
7 Wärmeübertragung
(7.10)
4 4 º ª = A ⋅ C ⋅ «§¨ T1 ·¸ − §¨ T2 ·¸ » Q 1 1, 2 «¬© 100 ¹ © 100 ¹ »¼
Symbole: Q = übertragener Wärmefluss [W] = A1 = Oberfläche des betrachteten Körpers C1,2 = gemeinsame Strahlungszahl beider Körper T1 = absolute Temperatur des betrachteten Körpers T2 = absolute Temperatur des anderen Körpers
[kg⋅m2⋅s-3] [m2] [kg⋅s-3⋅K-4] [K] [K]
Die gemeinsame Strahlungszahl C1,2 hängt generell von den Emissionsfaktoren, dem Verhältnis der Oberflächen und der gegenseitigen Lage der beiden Strahlungskörper ab. Wärmestrahlung zwischen zwei parallelen Flächen
Bei zwei parallelen, gleich großen Flächen, die nahe beieinander liegen, gilt für die gemeinsame Strahlungszahl C1, 2 =
1
ε1
Cs + 1
(7.11) ε2
−1 [kg⋅s-3⋅K-4] [kg⋅s-3⋅K-4]
Symbole: C1,2 = gemeinsame Strahlungszahl paralleler Flächen Cs = Strahlungszahl des schwarzen Körpers (= 5,67 W⋅m-2K-4) ε1 = Emissionsfaktor der einen Fläche ε2 = Emissionsfaktor der benachbarten Fläche
[-] [-]
Die Abbildung 7.5 illustriert den durch Strahlung übertragenen Wärmefluss zwischen zwei ebenen Platten mit unterschiedlichen Temperaturen. grauer Körper 1
T1
Q T1 > T2
Qe1+ Qr1 Qe2+ Qr2 grauer Körper 2
T2
Abb. 7.5. Wärmestrahlung zwischen zwei parallelen Flächen; Q e = emittierte Wärmestrahlung, Q r = reflektierte Wärmestrahlung, Q = übertragene Wärmestrahlung, Wärmefluss
7.2 Strahlung
241
Wärmestrahlung eingeschlossener Körper
Wird ein Körper 1 vollständig von einem Körper 2 eingeschlossen, so errechnet sich die gemeinsame Strahlungszahl zu C1, 2 =
(7.12)
Cs 1
ε1
+
A1
⋅ § 1 − 1· A 2 ¨© ε 2 ¸¹
Symbole: C1,2 = gemeinsame Strahlungszahl der beiden Körper im geschlossenen System Cs = Strahlungszahl des schwarzen Körpers (= 5,67 W⋅m-2K-4) A1 = Oberfläche des eingeschlossenen Körpers A2 = Oberfläche des umhüllenden Körpers ε1 = Emissionsfaktor des eingeschlossenen Körpers ε2 = Emissionsfaktor des umhüllenden Körpers
[kg⋅s-3⋅K-4] [kg⋅s-3⋅K-4] [m2] [m2] [-] [-]
Im Grenzfall, dass die beiden Körper über eine gleich große Oberfläche verfügen, wird die Gl. 7.12 zur Gl. 7.11. Im anderen Grenzfall, dass die Oberfläche des eingeschlossenen Körpers viel kleiner ist als die Oberfläche der Umhüllung, wird die gemeinsame Strahlungszahl C1,2 zur Strahlungszahl des eingeschlossenen Körpers C1 = ε1⋅Cs. Die Abbildung 7.6 veranschaulicht schematisch den Wärmefluss durch Strahlung eines in einem rechteckigen Leitungskanal eingeschlossenen heißen Rohrs.
A2
Rohr
A1
T1 Q T2
Abb. 7.6. Wärmestrahlung eines eingeschlossenen Körpers; das Beispiel zeigt ein heißes Rohr in einem rechteckigen Kanal
242
7 Wärmeübertragung
Wärmestrahlung zwischen beliebig angeordneten Flächen
Die Berechnung der insgesamt übertragenen Wärmestrahlung zwischen zwei beliebig zu einander angeordneten Teilflächen, die sich in einem größeren Abstand s von einander befinden, basiert auf dem Lambert’schen Cosinusgesetz. Gemäß dem Lambert’schen Cosinusgesetz hängt der abgestrahlte und der empfangene Wärmefluss vom Cosinus des Winkels zur Oberflächennormalen ab. Die gemeinsame Strahlungszahl beliebig angeordneter Flächen beträgt bei diffuser Reflexion in erster Näherung C1, 2 = A 2 ⋅ cos(β1 ) ⋅ cos(β 2 ) ⋅
ε1 ⋅ ε 2 ⋅ C s π ⋅ s2
(7.13)
Symbole: C1,2 = gemeinsame Strahlungszahl der beiden Flächen [kg⋅s-3⋅K-4] [m2] A2 = exponierte Oberfläche des zweiten Körpers β1 = Winkel zur Oberflächennormalen der ersten Fläche [-] β2 = Winkel zur Oberflächennormalen der zweiten Fläche [ - ] ε1 = Emissionsfaktor der ersten Fläche [-] ε2 = Emissionsfaktor der zweiten Fläche [-] s = mittlerer Abstand der beiden Flächen [m] [kg⋅s-3⋅K-4] Cs = Strahlungszahl des schwarzen Körpers (= 5,67 W⋅m-2K-4)
Die Abbildung 7.7 gibt die geometrische Lage der beiden schräg zueinander stehenden Flächen schematisch wieder.
β2
β1
A2
s
A1 Abb. 7.7. Wärmestrahlung zwischen zwei beliebig zueinander angeordneten Flächen
7.3 Wärmeleitung
243
7.3 Wärmeleitung Mit Wärmeleitung wird der Wärmetransport durch einen Körper bezeichnet, dessen Elementarteilchen (Atome bzw. Moleküle) im Körper relativ ortsfest zueinander bleiben. Der Wärmetransport erfolgt durch Übertragung der Schwingungsenergie der Atome und Moleküle auf ihre Nachbarn. Neben festen Körpern können auch Flüssigkeiten und Gase Wärme leiten, sofern die Elementarteilchen ihre gegenseitige Lage nicht oder nur unwesentlich verändern. Eindimensionaler Stab Fourier hat aufgrund von Versuchen herausgefunden, dass die Wärmeleitung durch einen Körper proportional ist zur treibenden Temperaturdifferenz T2-T1, proportional zur Querschnittsfläche A des Körpers senkrecht zur Wärmeleitung und umgekehrt proportional zur Länge " des Weges, über den die Wärme transportiert werden muss. Für einen eindimensionalen Körper, z.B. einen Stab (s. Abb. 7.8), gilt
= dQ = −λ ⋅ A ⋅ T2 − T1 = −λ ⋅ A ⋅ dT Q dt dx " = Wärmestrom durch Leitung Symbole: Q [W] = Q = übertragene Wärmemenge [J] = t = Dauer der Wärmeleitung λ = Wärmeleitfähigkeit des Körpers [W⋅m-1⋅K-1] = A = Querschnittsfläche des Körpers senkrecht zur Wärmeleitung T1 = Temperatur auf der einen Seite im Körper T2 = Temperatur auf der anderen Seite im Körper " = Länge der Wärmeleitung dT/dx = Temperaturgefälle
(7.14) [kg⋅m2⋅s-3] [kg⋅m2⋅s-2] [s] [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] [m2] [K] [K] [m] [K⋅m-1]
Das negative Vorzeichen in der Gl. 7.14 berücksichtigt die Tatsache, dass die Wärme von einem Gebiet hoher Temperatur zu einem Gebiet tiefer Temperatur fließt. Der Proportionalitätsfaktor λ wird als Wärmeleitfähigkeit (Wärmeleitfähigkeitskoeffizient, Wärmeleitzahl) bezeichnet und ist eine Materialkonstante. Die Wärmeleitfähigkeit einiger typischer Stoffe ist in der Tabelle 7.3 aufgeführt. Die Wärmeleitfähigkeit von Werkstoffen kann auch dem gleichnamigen Kapitel des ersten Buchteils entnommen werden.
244
7 Wärmeübertragung
Tabelle 7.3. Wärmeleitfähigkeit λ einiger typischer Stoffe bei 20 °C (Anhaltswerte) Stoff
Wärmeleitfähigkeit λ/ (W⋅m-1⋅K-1)
Gase (p = 1bar): Kohlendioxid Methan Ammoniak Stickstoff Sauerstoff Luft
0,0162 0,0349 0,0236 0,0256 0,0257 0,0257
Flüssigkeiten: Öle, organische Lösungsmittel Wasser Ethanol Ethylenglykol Toluen Quecksilber
0,10 bis 0,35 0,598 0,175 0,250 0,134 9,30
Feststoffe: Chrom-Nickel-Stahl 18-8 Kohlenstoffstahl Gusseisen Aluminium, 99,75% rein Titan Kupfer, elektrolytisch rein Blei Wolfram Silber, 99,98% rein Gold, rein Glas Quarzglas Beton Ziegelstein, trocken Graphit, imprägniert Gummi Holz Organische Isolierstoffe (Kork, Schaumstoff) Anorganische Isolierstoffe (Glaswolle, Steinwolle)
16 36 bis 54 46 229 20 395 35 178 418 310 0,7 bis 1,2 1,4 bis 1,9 0,8 0,04 116 bis 145 0,15 0,1 bis 0,3 0,01 bis 0,07 0,01 bis 0,10
7.3 Wärmeleitung
245
Gase haben eine niedrige Wärmeleitfähigkeit, die vom Druck nur geringfügig beeinflusst wird. Einerseits nehmen bei einer Druckerhöhung die Anzahl der Kollisionen zwischen den Gasmolekülen zu, was die Wärmeleitung begünstigt. Andrerseits nimmt die freie Weglänge ab, über die die Gasmoleküle ihre thermische Energie transportieren. Die beiden Effekte kompensieren sich nahezu. Die Wärmeleitfähigkeit von Gasen steigt mit der Temperatur ziemlich linear an (s. Tabelle 7.4). Die geringe Wärmeleitfähigkeit von Gasen wird in thermischen Isolatoren ausgenützt, die einen hohen Anteil an Gasen enthalten (Schaumstoff, Styropor, Holzwolle, Glaswolle, etc.). Tabelle 7.4. Wärmeleitfähigkeit λ von Gasen als Funktion der Temperatur λ/ (W⋅m-1⋅K-1 ) Luft Stickstoff Sauerstoff Kohlendioxid Wasserdampf
0 °C 0,024 0,024 0,024 0,015 0,017
100 °C 0,031 0,031 0,031 0,023 0,024
200 °C 0,038 0,037 0,038 0,031 0,033
300 °C 0,044 0,042 0,045 0,039 0,042
400 °C 0,050 0,048 0,051 0,047 0,055
500 °C 0,056 0,054 0,058 0,055 0,075
Auch Flüssigkeiten leiten die Wärme relativ schlecht, wobei die Wärmeleitfähigkeit mit ansteigender Temperatur abnimmt (Ausnahme Wasser, s. Tabelle 7.5). Tabelle 7.5. Wärmeleitfähigkeit λ von Flüssigkeiten als Funktion der Temperatur λ/ (W⋅m-1⋅K-1 ) Toluen Cyclohexan Aceton Ethanol Wasser
0 °C 0,139 0,129 0,171 0,176 0,561
20 °C 0,134 0,122 0,163 0,171 0,598
40 °C 0,129 0,117 0,154 0,165 0,631
60 °C 0,125 0,113 0,146 0,160 0,654
80 °C 0,120 0,108 0,138 0,156 0,670
100 °C 0,115 0,104 0,130 0,152 0,679
Feststoffe leiten die Wärme ca. 10 bis 100 mal besser als Flüssigkeiten, wobei die Wärmeleitfähigkeit von elektrischen Nichtleitern mit der Temperatur ansteigt. Elektrische Leiter (Metalle) leiten die Wärme am besten. Die Wärme wird hauptsächlich durch die Leitungselektronen, dem „Elektronengas“ übertragen. Die Elektronen durchlaufen homogene metallische Körper praktisch störungsfrei. Ansteigende Temperatur senkt die Wärmeleitfähigkeit von Metallen, da die Atomrümpfe an ihren Gitterplätzen heftiger schwingen und so die Elektronen in ihrer Bewegung behindern (s. Tabelle 7.6).
246
7 Wärmeübertragung
Tabelle 7.6. Wärmeleitfähigkeit λ von Metallen als Funktion der Temperatur λ/ (W⋅m-1⋅K-1 ) Eisen Aluminium Kupfer Silber Gold
0 °C 83 236 400 427 318
100 °C 72 241 392 420 313
200 °C 63 238 388 413 309
300 °C 55 232 384 406 304
400 °C 49 226 378 398 300
500 °C 43 220 371 390 295
der Gl. 7.14 auf die Querschnittsfläche A beWird der Wärmestrom Q zogen, so erhält man die Wärmestromdichte q .
q = Symbol:
Q dT = −λ ⋅ A dx
(7.15) [W⋅m-2] = [kg⋅s-3]
q = Wärmestromdichte
Im stationären Zustand, d.h. wenn keine Wärme irgendwo im Körper gespeichert oder entzogen wird, bleibt die Temperatur an beliebigen Punkten im Körper stets konstant. Wenn zudem Wärmequellen oder -senken im Körper ausgeschlossen werden können, d.h. wenn keine Wärme im Körper erzeugt oder verbraucht wird, muss der Wärmestrom Q durch jeden beliebigen Querschnitt eines Körpers senkrecht zur Wärmeleitung jederzeit gleich groß sein. " A T1 = konstant
T1 > T2
Q
T2 = konstant
T T1
T2 0
"
x
Abb. 7.8. Wärmeleitung und Temperaturverlauf in einem Stab bei stationärem Zustand ohne Wärmequellen oder -senken
7.3 Wärmeleitung
247
Da aber sowohl die Wärmeleitfähigkeit λ als auch die Querschnittsfläche A in einem Stab konstante Größen sind, muss gemäß Gl. 7.14 auch das treibende Temperaturgefälle einem konstanten Wert entsprechen. Es gilt somit ∆T/∆x = dT/dx = konst.. In einem Stab ohne Wärmequellen oder -senken fällt die Temperatur im stationären Zustand von der einen Seite zur anderen linear ab (s. Abb. 7.8). Im instationären Zustand ist die Temperatur im Körper zusätzlich zum Ort auch eine Funktion der Zeit (s. Abb. 7.9). A
Q
Stab mit unendlicher Ausdehnung
T T0 , t > 0 t
Tt < 0 x
Abb. 7.9. Instationäre Wärmeleitung und Temperaturverlauf nach Temperatursprung in einem Stab ohne Wärmequellen oder -senken; Tt0 +
(7.22)
x2 ½ ⋅ exp®− ¾ t ¯ 4⋅a ⋅t¿
K
Symbole: T(x,t) = Temperatur als Funktion von Ort und Zeit T0, t>0 = Temperatur am Ende des Stabs nach dem Temperatursprung t = Zeit nach dem Temperatursprung K = Integrationskonstante x = Ortskoordinate a = Temperaturleitzahl
[K] [K] [s] [K⋅s1/2] [m] [m2⋅s-1]
Dass die Gleichung 7.22 tatsächlich die Lösung der partiellen Gl. 7.21 ist, kann durch Ableiten nach der Zeit t bzw. zweimaliges Ableiten nach der Raumkoordinate x bewiesen werden.
250
7 Wärmeübertragung
Wird ein eindimensionaler Körper an einem Ende periodisch aufgeheizt und wieder abgekühlt, so ändert sich die Temperatur an seinem anderen Ende in viel geringerem Ausmaß (s. Abb. 7.10). Unter der Annahme, dass die Temperatur am einen Ende cosinusförmig mit der Amplitude ∆T0 und der Periode t0 verläuft, so ändert sich die Temperatur im Innern des Körpers gemäß der Gl. 7.23 2π ⋅ t ½ (7.23) T(x=0, t) = T0 + ∆T0 ⋅ cos ® ¾ t ¯ 0 ¿ ° ° π ½° π 2π ⋅ t ½° ⋅x − T( x , t ) = T0 + ∆T0 ⋅ exp®− ⋅ x ¾ ⋅ cos® ¾ a ⋅ t0 t 0 °¿ °¯ °¯ a ⋅ t 0 °¿ Symbole: T(x,t) = Temperatur als Funktion von Ort und Zeit T0 = mittlere Temperatur der Eingangsschwingung ∆T0 = Amplitude der Temperaturschwankung der Eingangsschwingung bei x = 0 x = Ortskoordinate t = Zeit, Dauer des Experiments t0 = Periode der Eingangsschwingung a = Temperaturleitzahl
[K] [K] [K] [m] [s] [s] [m2⋅s-1]
° ½° π Der Exponentialterm exp®− ⋅ x ¾ beschreibt die Dämpfung der a ⋅ t0 °¯ °¿ Temperaturschwankung im Innern eines Körpers. Schnelle Schwankungen werden nur schlecht ins Innere übertragen. Die Temperatur bleibt im Innern ziemlich konstant. Langsame Schwankungen dringen hingegen viel tiefer ins Innere eines Körpers ein. Dafür werden langsame Schwankungen nur verzögert ins Innere eines Körpers geleitet. Die Eindringgeschwindigπ⋅a keit ist v = 2⋅ . t0
Beispiele für periodische Temperaturschwankungen sind die tages- und jahreszeitlichen Temperaturverläufe in Erdschichten.
7.3 Wärmeleitung
langsame Eingangsschwingung bei x = 0 ; lange Periode t 0, l T
T T0+∆T0
251
schnelle Eingangsschwingung bei x = 0 ; kurze Periode t 0, s
T0+∆T0
T0
t
T0-∆T0
T0
t
T0-∆T0 t0,l
t0,s x=0
Stab mit Temperaturleitzahl a x T Temperaturverteilung im Stab bei langsamer Eingangsschwingung
T0+∆T0 T0
x
T0-∆T0 "l
T
−
e
T0+∆T0
π ⋅x a⋅t 0,l
Temperaturverteilung im Stab bei schneller Eingangsschwingung T0 T0-∆T0
x
"s
−
e
π ⋅x a⋅ t 0,s
Abb. 7.10. Temperaturverlauf im Innern eines eindimensionalen Körpers bei gegebenem periodischem Temperaturverlauf an einem seiner Enden
Berühren sich zwei Körper unterschiedlicher Temperatur, so ist die Wärmemenge, die in einem gewissen Zeitraum vom heißeren auf den kühleren Körper übertragen wird, proportional zur so genannten Wärmeeindringzahl b. Dies gilt unabhängig davon, ob die Temperatur im einen Körper periodisch auf und ab schwingt oder von derjenigen des zweiten Körpers um einen konstanten Wert abweicht. b = λ ⋅ ρ ⋅ cp Symbol:
b = Wärmeeindringzahl
(7.24) [J⋅m-2⋅s-1/2⋅K-1] = [kg⋅s-5/2⋅K-1]
252
7 Wärmeübertragung
Die Wärmeeindringzahl b ist ein Maß für die Fähigkeit eines Materials, Wärme in kurzer Zeit abzugeben. Analog ist es aber auch ein Maß dafür, wie schnell ein Material Wärme aufzunehmen und zu speichern vermag. Phänomenologisch beschreibt die Wärmeeindringzahl, ob sich ein erhitzter Körper bei gegebener Temperatur heiß oder nur warm anfühlt, oder umgekehrt wie „kalt“ er bei Berührung unter Raumtemperatur erscheint. Einige Wärmeeindringzahlen von Werkstoffen finden sich in der Tabelle 7.8. Tabelle 7.8. Wärmeeindringzahlen einiger Werkstoffe Stoff Kupfer Aluminium Gusseisen Glas Kork
Wärmeeindringzahl b/ (kg⋅s-5/2⋅K-1) 36'000 23'000 15'000 1'500 125
Mit Hilfe der Wärmeeindringzahl kann z.B. erklärt werden, warum sich Feuerläufer, die über glühende Holzkohle rennen, die Füße nicht verbrennen. Zusammengesetzte Wand
Eine ebene Wand besteht häufig aus mehreren Schichten mit unterschiedlichen Wärmeleitfähigkeiten. Die Wärmeleitung durch jede dieser Schichten kann im stationären Zustand durch die Gl. 7.25 dargestellt werden, die aus einer Umformung der Gl. 7.14 resultiert. = −A ⋅ λ i ⋅ ∆T Q i i "i
(7.25)
Symbole: Q i = Wärmeleitung durch die Schicht i [W] = [kg⋅m2⋅s-3] A = Wandoberfläche [m2] -1 -1 λi = Wärmeleitfähigkeit in der Schicht i [W⋅m ⋅K ] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] [m] "i = Dicke der Schicht i ∆Ti = Temperaturdifferenz über die Schicht i [K]
Ist die Wand aus mehreren hintereinander folgenden Schichten zusammengesetzt, so ist die Wärmeleitung im stationären Zustand durch jede Schicht gleich groß. In keiner der Schichten darf Wärme akkumuliert oder vernichtet werden, denn dies würde stets mit einer Temperaturänderung
7.3 Wärmeleitung
253
einher gehen, was einem stationären Zustand per Definition widerspricht. Bei drei Schichten in Serie (s. Abb. 7.11) gilt somit =Q =Q =Q Q 1 2 3
(7.26)
= −A ⋅ λ1 ⋅ (T − T ) = − A ⋅ λ 2 ⋅ (T − T ) = −A ⋅ λ 3 ⋅ (T − T ) Q 2 1 3 2 4 3 "1 "2 "3
(7.27)
oder
Symbole: λ1 = Wärmeleitfähigkeit der Schicht 1 [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λ2 = Wärmeleitfähigkeit der Schicht 2 [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λ3 = Wärmeleitfähigkeit der Schicht 3 [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] [m] "1 = Dicke der Schicht 1 [m] "2 = Dicke der Schicht 2 [m] "3 = Dicke der Schicht 3 T1 = Temperatur an der äußeren Oberfläche der Schicht 1 [K] [K] T2 = Temperatur zwischen den Schichten 1 und 2 [K] T3 = Temperatur zwischen den Schichten 2 und 3 T4 = Temperatur an der äußeren Oberfläche der Schicht 3 [K]
Das gesamthaft treibende Temperaturgefälle ∆Tges, das die Wärmeleitung durch die zusammengesetzte Wand bewirkt, ist gleich ∆Tges = T4 − T1 = −
" " " ½ Q ⋅® 3 + 2 + 1 ¾ A ¯ λ 3 λ 2 λ1 ¿
(7.28)
ergibt sich Aufgelöst nach dem Wärmestrom Q
=− Q
A ⋅ ∆Tges " 3 " 2 "1 ½ + ¾ ® + ¯ λ 3 λ 2 λ1 ¿
=−
A ⋅ ∆Tges A ⋅ ∆Tges =− "i R ges i λi
(7.29)
¦
Der Nenner in Gl. 7.29 entspricht dem Gesamtwiderstand Rges für die Wärmeleitung durch die zusammengesetzte Wand und setzt sich aus den Teilwiderständen für die Wärmeleitung der einzelnen Schichten Ri = "i/λi zusammen. Die Temperatur in den einzelnen Schichten verläuft im stationären Zustand linear und ist rein qualitativ in der Abb. 7.11 dargestellt.
Isolation
T
Mauerwerk
7 Wärmeübertragung
Isolation
254
Q3 T1 > T2 > T3 > T4 Q1 = Q2 = Q3
λ2 T1
T2
λ3 T3
T4
Abb. 7.11. Temperaturverlauf im Innern einer zusammengesetzten Wand bei stationärem Zustand
Oftmals sind die Temperaturen an den Grenzflächen zwischen den Schichten von Interesse, sei dies im Zusammenhang mit Wärmespannungen, Materialfestigkeit, Materialbeständigkeit oder kondensierender Feuchtigkeit. Die Temperaturen zwischen den Schichten können mit der Gl. 7.27 ermittelt werden, indem man den nach Gl. 7.29 errechneten Wärmestrom in die Gl. 7.27 einsetzt. Rohrwand
Die Wärmeleitung durch eine Rohrwand senkrecht zur Rohrachse ist rechnerisch dieselbe wie durch eine ebenen Wand, modifiziert durch die Tatsache, dass die Wärmeübertragungsfläche A nicht konstant ist, sondern aufgrund der zylindrischen Geometrie von innen nach außen zunimmt. Betrachtet man die Rohrwand in viele, sehr kleine zylindrische und koaxiale Rohrwandelemente aufgeteilt (s. Abb. 7.12), so gilt für jedes dieser zylindrischen Elemente im stationären Zustand die Fourier’sche Wärmeleitungsgleichung = −λ ⋅ A ⋅ ∆T ≈ −λ ⋅ A ⋅ dT = −λ ⋅ 2π ⋅ r ⋅ " ⋅ dT Q r r r dr ∆r dr
(7.30)
7.3 Wärmeleitung
255
r = Wärmeleitung durch ein zylindrisches Rohrwandelement Symbole: Q mit Radius r und Dicke ∆r [W] = [kg⋅m2⋅s-3] -1 λ = Wärmeleitfähigkeit der Rohrwand [W⋅m ⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] [m2] Ar = Oberfläche des Rohrwandelements T = Temperatur beim Radius r in der Rohrwand [K] ∆T = Temperaturdifferenz über das Rohrwandelement [K] r = mittlerer Radius des Rohrwandelements [m] " = Länge des Rohres [m]
Im stationären Zustand ist die Wärmeleitung durch jedes beliebige zy =Q . Die Integration der lindrische Rohrwandelement gleich groß, d.h. Q r Gl. 7.30 ergibt somit für die Wärmeleitung durch eine (dicke) Rohrwand = 2π ⋅ λ ⋅ " ⋅ (Ti − Ta ) Q ln (ra ri ) Symbole: Q = Wärmestrom durch die Rohrwand Ti = Temperatur an der Rohrwand innen Ta = Temperatur an der Rohrwand außen ri = Radius des Rohrs innen ra = Radius des Rohrs außen
(7.31) [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [K] [K] [m] [m]
Die mittlere und für die Wärmeleitung maßgebende Wärmeübertragungsfläche einer Rohrwand ist A ln =
Aa − Ai 2π ⋅ " ⋅ (ra − ri ) = ln(A a A i ) ln(ra ri )
Symbole: A ln = logarithmisch gemittelte Rohrfläche Ai = Fläche des Rohres innen Aa = Fläche des Rohres außen
(7.32) [m2] [m2] [m2]
Da der Wärmefluss über jedes koaxiale zylindrische Element im stationären Zustand konstant ist, die Oberfläche aber von innen nach außen zunimmt, verläuft die Temperatur in der Rohrwand nicht linear sondern logarithmisch. Das Temperaturgefälle nimmt von innen nach außen ab (s. Abb. 7.12).
256
7 Wärmeübertragung
" Ta
Q
Ti
ri
ra
r
T Ti Ta ri
ra
r
Abb. 7.12. Temperaturverlauf im Innern einer Rohrwand im stationären Zustand
Manchmal sind Rohre auch aus mehreren Schichten aufgebaut, d.h. die Wärmeleitung wird durch mehrere Schichten behindert. Schichten sind z.B. Schutzüberzüge, Isolierschichten, Verschmutzungen oder Verkrustungen. Die einzelnen Schichten tragen gemäß ihrer Wärmeleitfähigkeit und ihrer Dicke unterschiedlich zum Gesamtwiderstand des Wärmetransports bei (s. Abb. 7.13). Die Wärmeleitung durch eine Rohrwand mit n Schichten berechnet sich zu = Q
2π ⋅ " ⋅ ∆T ln(ra1 ri1 ) ln (ra 2 ri 2 ) ln(ran rin ) + + ... + λ1 λ2 λn
(7.33)
Symbole: ∆T = Temperaturdifferenz über die Rohrwand [K] [m] ra1 = Außenradius der Schicht 1 [m] ri1 = Innenradius der Schicht 1 [m] ra2 = Außenradius der Schicht 2 [m] ri2 = Innenradius der Schicht 2 [m] ran = Außenradius der Schicht n [m] rin = Innenradius der Schicht n λ1 = Wärmeleitfähigkeit der Schicht 1 [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λ2 = Wärmeleitfähigkeit der Schicht 2 [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λn = Wärmeleitfähigkeit der Schicht n [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1]
7.3 Wärmeleitung
257
"
Ta r4 Q
Ti
r3 r2
r1
T Ti Ta r1
r2
r3
r
r4
Abb. 7.13. Temperaturverlauf in einem Rohr mit mehreren Schichten im stationären Zustand
Dreidimensionaler Körper
Die Wärmeleitung in realen dreidimensionalen Körpern kann häufig nicht zu einem eindimensionalen oder zylindrischen Problem vereinfacht werden. Es empfiehlt sich in diesem Fall, den Körper fiktiv in eine Vielzahl kleiner würfelförmiger Volumenelemente zu unterteilen (s. Abb. 7.14). Für jedes dieser kleinen kubischen Elemente gilt dann im instationären Zustand gemäß der Fourier’schen Wärmeleitungsgleichung
∂ 2T ∂ 2T ∂ 2T ½ ∂T = a ⋅ ® 2 + 2 + 2 ¾ = a ⋅ ∇ 2T ∂t ∂y ∂z ¿ ¯ ∂x Symbole: T = Temperatur im kubischen Volumenelement t = Zeit a = Temperaturleitzahl x; y; z = kartesische Koordinaten ∇ 2 = Laplace’scher Operator, Nabla Quadrat
(7.34)
[K] [s] [m2⋅s-1] [m] [m-2]
258
7 Wärmeübertragung
Im eindimensionalen Fall reduziert sich die Gl. 7.34 zur Gl. 7.21, die schließlich bei einer stationären Wärmeleitung zur noch einfacheren Gl. 7.14 wird. z dQz+dz
dz
dQx dQy+dy
dQy dy
y
dx dQx+dx
dQz x
Abb. 7.14. Wärmeleitung in einem dreidimensionalen Körper
Wird in einem dreidimensionalen Körper zusätzlich zum instationären Wärmetransport noch Wärme erzeugt, z.B. durch eine chemische Reaktion, so erweitert sich die Gl. 7.34 zu r ⋅ ∆h r ∂T q = a ⋅ ∇ 2T + = a ⋅ ∇ 2T − ∂t ρ ⋅ cp ρ ⋅ cp
(7.35)
Symbole: q = volumenspezifische Wärmeleistung [W⋅m-3] = [kg⋅m-1⋅s-3] ρ = Dichte des Körpers [kg⋅m-3] cp = spez. Wärmekapazität des Körpers [J⋅kg-1⋅K-1] = [m2⋅s-2⋅K-1] r = Reaktionsgeschwindigkeit [mol⋅s-1⋅m-3] -1 ∆hr = Reaktionsenthalpie [J⋅mol ] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] (∆hr ist negativ für exotherme Reaktionen)
Die Integration der Gln. 7.34 oder 7.35 ist recht komplex und führt nur selten zu einer in sich geschlossenen mathematischen Lösung. Die Temperaturverteilung im dreidimensionalen Körper wird deshalb häufig mit grafischen oder numerischen Näherungsmethoden bestimmt, so z.B. durch Computer-Simulation mit finiten Elementen.
7.4 Konvektion
259
7.4 Konvektion Die Wärmeübertragung durch Konvektion erfolgt materiegebunden durch Verschiebung von so genannten Turbulenzballen, d.h. kleinen Flüssigkeits- oder Gasbezirken (engl. eddies) im strömenden Medium. Die Turbulenzballen führen dabei ihren Wärmeinhalt mit sich, der je nach Temperatur höher oder tiefer liegt, und können diesen am neuen Ort mit der Umgebung austauschen. Je nach dem Antrieb des äußeren Strömungsfeldes spricht man von einer freien, natürlichen oder einer erzwungenen Konvektion. Eine freie oder natürliche Konvektion liegt vor, wenn die Strömung aufgrund von Dichteunterschieden im Medium hervorgerufen wird. Die Dichteunterschiede sind meistens auf die unterschiedliche Wärmeausdehnung des Mediums bei verschiedenen Temperaturen zurückzuführen. Aber auch die Aufnahme von Lösungsmitteldämpfen bei Verdampfungs- oder Trocknungsvorgängen (z.B. Wasserdampf in trockener Luft) kann zu Dichteunterschieden führen. Natürliche Konvektion tritt z.B. bei Zimmerheizungen an Radiatoren, in Kühltürmen oder in der Natur bei lokalen Winden auf. Eine erzwungene Konvektion liegt vor, wenn die Strömung durch künstliche, von außen einwirkende Kräfte entsteht. Die Strömung kann beispielsweise durch Pumpen, Rührwerke oder Ventilatoren verursacht sein. Eine erzwungene Konvektion herrscht z.B. in Wärmeübertragern, in Rührkesseln, in Wirbelschichten oder in Ventilationssystemen vor. Naturgemäß ist die Strömungsform bei einer konvektiven Wärmeübertragung stets turbulent. (Bei einer laminaren Strömung findet die Wärmeübertragung senkrecht zur Strömungsrichtung ausschließlich durch Leitung statt, s. vorhergehendes Unterkapitel „Wärmeleitung“.) Eine turbulente Strömung zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschwindigkeitsvektoren örtlich und zeitlich stochastisch variieren. Im Innern des turbulenten Mediums, den man auch als Kern der Strömung bezeichnet, ist die Wärmeübertragung daher sehr schnell, d.h. der Wärmetransport erfolgt praktisch unbehindert und die Temperatur ist entsprechend überall fast gleich groß. An den Begrenzungswänden des Mediums wird die Strömung parallel zur Wand umgelenkt und abgebremst. Es bildet sich so in jedem Fall eine laminare Grenzschicht aus. In dieser Grenzschicht läuft die Wärmeübertragung einzig durch Wärmeleitung ab. Die Wärmeübertragung durch Leitung verläuft gegenüber derjenigen durch Konvektion deutlich langsamer.
260
7 Wärmeübertragung
Die Abbildung 7.15 zeigt schematisch den Wärmeübergang von einem warmen Fluid an eine kühle, feste Wand sowie das daraus resultierende Temperaturprofil bei laminarer und turbulenter Strömung. T
T
Q
T
Wand
Q
T
Wand
laminare Strömung
laminare Grenzschicht
turbulenter Kern der Strömung
Abb. 7.15. Wärmeübergang von einem warmen Medium an eine kühle, feste Wand; links konduktiver Wärmeübergang bei laminarer Strömung, rechts konvektiver Wärmeübergang bei turbulenter Strömung
Der Widerstand des konvektiven Wärmeübergangs liegt zum größten Teil in der laminaren Grenzschicht, die an die feste Wand angrenzt. Dies obwohl die Grenzschicht in der Regel nur Bruchteile von Millimetern dick ist. Der Widerstand darf trotz der geringen Dicke der Grenzschicht nicht unterschätzt werden, da die Wärmeleitfähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen recht klein ist. Bezeichnet man die Dicke der Temperaturgrenzschicht mit δT, so folgt aus der Fourier’schen Wärmeleitungsgleichung = − λ ⋅ A ⋅ (T − T ) = −λ ⋅ A ⋅ dT Q M W δT dx
(7.36) W
Symbole: Q = Wärmestrom durch Konvektion [W] = [kg⋅m2⋅s-3] -1 λ = Wärmeleitfähigkeit des Mediums [W⋅m ⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] A = Wandoberfläche [m2] [K] TM = Temperatur des Mediums im Kern der Strömung [K] TW = Temperatur auf der Wandoberfläche δT = Dicke der Temperaturgrenzschicht [m] dT/dx»W = Temperaturgefälle im Medium an der Wand [K⋅m-1]
Aus praktischen Gründen wird der Quotient aus Wärmeleitfähigkeit λ und Schichtdicke δT zu einer Größe zusammengefasst, die Wärmeübergangskoeffizient α genannt wird. Der Wärmeübergangskoeffizient α gibt an, welche Wärmemenge über eine Fläche von 1 m2 und innert einer Zeit von 1 s bei einer Temperaturdifferenz von 1 K übertragen wird. Die
7.4 Konvektion
261
Fourier’sche Gleichung 7.36 kann so zur Newton’schen Wärmeübergangsgleichung 7.37 umgeformt werden. = −α ⋅ A ⋅ (T − T ) Q M W Symbol:
α = Wärmeübergangskoeffizient
(7.37)
[W⋅m-2⋅K-1] =
[kg⋅s-3⋅K-1]
Der Wärmeübergangskoeffizient α ist keine Stoffkonstante, sondern hängt auch von der Strömung sowie der Form und der Oberflächenbeschaffenheit der Wand ab. Die Tabelle 7.9 gibt einige Anhaltswerte für Wärmeübergangskoeffizienten bei verschiedenen Bedingungen. Tabelle 7.9. Wärmeübergangskoeffizienten bei verschiedenen Wärmeübertragungssystemen Wärmeübertragungssystem
Wärmeübergangskoeffizient α/ (W⋅m-2⋅K-1) 3 bis 20 10 bis 200 200 bis 600
Luft bei freier Konvektion Luft bei erzwungener Konvektion Luft in Wirbelschichten Wasser bei freier Konvektion Wasser bei erzwungener Konvektion siedendes Wasser kondensierender Wasserdampf Lösungsmittel bei freier Konvektion Lösungsmittel bei erzwungener Konvektion siedendes Lösungsmittel kondensierendes Lösungsmittel
100 bis 800 600 bis 15'000 1'500 bis 30'000 2'000 bis 80'000 20 bis 500 150 bis 10'000 800 bis 4'000 600 bis 2'000
Aus einem Vergleich der Gln. 7.36 und 7.37 folgt, dass die Dicke der thermischen Grenzschicht δT dem Quotienten aus der Wärmeleitfähigkeit des strömenden Mediums λ und dem Wärmeübergangskoeffizienten α entspricht.
δT = λ
α
(7.38)
Andrerseits wird die Grenzschichtdicke durch den Ort bestimmt, wo die Tangente an das Temperaturprofil in der Nähe der Wandoberfläche die Temperatur des Mediums im Kern der Strömung erreicht (s. Abb. 7.16).
δT =
TM − TW dT dx W
(7.39)
262
7 Wärmeübertragung
T idealisierter Temperaturverlauf gemäss Schichtenmodell TM realer Temperaturverlauf Wand
Fluid TW 0
δT
x
Abb. 7.16. Temperaturverlauf und thermische Grenzschicht δT in einem Fluid bei einem konvektiven Wärmeübergang an eine Wand
In der Modellvorstellung wird der Wärmeübergang auf eine 100%-ige Wärmeleitung in der thermischen Grenzschicht konzentriert. Dieses so genannte Schichtenmodell setzt den Widerstand des Wärmetransports im Kern der Strömung gleich null. Maßgebend für den Wärmeübergang sind daher einzig die Wärmeleitfähigkeit des Mediums und die Dicke der thermischen Grenzschicht. Streng genommen gibt es aber keine thermische Grenzschicht mit exakt definierter Dicke δT. Der konvektive Wärmestrom nimmt in Wirklichkeit vom Kern der Strömung zur Wand hin nach und nach ab. Im gleichen Ausmaß nimmt der Wärmestrom durch Leitung zu, bis schließlich unmittelbar an der Wand 100% des Wärmestroms durch Leitung übertragen wird. Dimensionslose Kenngrößen
Der Wärmeübergangskoeffizient α hängt von einer Vielzahl von Einflussgrößen ab wie z.B. Form, Oberflächenrauhigkeit k und Anströmlänge " des Körpers sowie Anströmgeschwindigkeit v, Viskosität η, Wärmeleitfähigkeit λ, spezifischer Wärmekapazität cp, Dichte ρ und kubischem Wärmeausdehnungskoeffizienten γ des Mediums.
α = f (k, ", v, η, λ, cp, ρ, γ)
(7.40)
Aufgrund der großen Anzahl von Einflussgrößen und ihrer teilweise gegenseitigen Abhängigkeiten kann der konvektive Wärmeübergang nur in Ausnahmefällen mathematisch exakt erfasst werden. Als Alternative bleibt so einzig die messtechnische Erfassung der Vorgänge, wobei man sich
7.4 Konvektion
263
gerne mit dimensionslosen Kenngrößen behilft, um die Anzahl der Parameter auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Gemäß dem Buckingham Π-Theorem (s. Kapitel „Projektierung“) ergeben sich sinnvollerweise folgende dimensionslose Kenngrößen: Reynoldszahl
Re =
Trägheitskraft v ⋅ " ⋅ ρ v ⋅ " = = Re ibungskraft η ν
Symbole: Re = Reynoldszahl v = Strömungsgeschwindigkeit " = charakteristische (angeströmte) Länge ρ = Dichte des fließenden Mediums η = dynamische Viskosität des Mediums ν = kinematische Viskosität des Mediums
(7.41) [-] [m⋅s-1] [m] [kg⋅m-3] [kg⋅m-1⋅s-1] [m2⋅s-1]
Die Reynoldszahl kennzeichnet die Strömung bei erzwungener Konvektion und stellt das Verhältnis zwischen Trägheitskraft und Reibungskraft dar. Sie wurde in den Kapiteln „Grundlagen/ Dimensionslose Kenngrößen“ und „Strömungslehre“ bereits näher vorgestellt. Grashofzahl
Gr =
Auftriebskraft g ⋅ " 3 ∆ρ ⋅ Re = − 2 ⋅ Re ibungskraft ρ ν
Symbole: Gr = Grashofzahl g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m/s2) ∆ρ = Dichteunterschied im Medium
(7.42)
[-] [m⋅s-2] [kg⋅m-3]
Bei freier Konvektion ist die Strömungsgeschwindigkeit in der Regel vorerst unbekannt. Sie folgt aus den Bewegungen der Fluidelemente aufgrund von Auftriebs- und Abtriebskräften, die meist thermisch bedingt sind. Statt der Reynoldszahl wird deshalb bei freier Konvektion die Grashofzahl verwendet. Die Grashofzahl stellt das Verhältnis zwischen Auftriebskraft und Reibungskraft multipliziert mit der Reynoldszahl dar. Bei Berechnungen ist für Grashof stets ein positiver Wert zu verwenden, Grashof ist nie negativ.
264
7 Wärmeübertragung
Anstelle der die Konvektion auslösenden Dichtedifferenz wird manchmal die auslösende Temperaturdifferenz in die Grashofzahl eingesetzt. Mit dem kubischen Wärmeausdehnungskoeffizienten γ bei konstantem Druck
γ=
1 § ∂V · 1 § ∂ρ · 1 ∆ρ ⋅¨ ¸ = − ⋅¨ ¸ ≈ − ⋅ V © ∂T ¹ p ρ © ∂T ¹ p ρ ∆T
(7.43)
Symbole: γ = kubischer Wärmeausdehnungskoeffizient V = Volumen des Mediums T = Temperatur des Mediums
[K-1] [m3] [K]
gilt für kleine Temperaturdifferenzen Gr =
g ⋅ " 3 ⋅ γ ⋅ ∆T ν2
(7.44)
Bei idealen Gasen ist der kubische Wärmeausdehnungskoeffizient gleich der inversen absoluten Temperatur γ = 1/T, sodass gilt Gr =
g ⋅ " 3 ∆T ⋅ T ν2
(7.45)
(nur für ideale Gase)
Nusseltzahl
Nu =
Wärmetransport durch Konvektion Q α⋅" = Konvektion = Wärmetransport durch Leitung λ Q Leitung
Symbole: Nu = Nusseltzahl Q Konvektion = Wärmefluss durch Konvektion Q Leitung
= Wärmefluss durch Leitung
(7.46)
[-] [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [W] = [kg⋅m2⋅s-3]
Die Nusseltzahl stellt eine dimensionslose Kenngröße für den konvektiven Wärmeübergang dar. Sie entspricht dem Verhältnis von tatsächlichem Wärmefluss, der durch die Konvektion verursacht wird, zu einem fiktiven Wärmefluss, der durch reine Wärmeleitung in einer Schicht der charakteristischen Dicke " entstehen würde, wenn in beiden Fällen dieselbe treibende Temperaturdifferenz vorherrschte. Wie durch Einsetzen der Gln. 7.14 und 7.36 für die Wärmekonvektion bzw. Wärmeleitung in Gl. 7.46 einfach zu erkennen ist, kann die Nusseltzahl auch als das Verhältnis aus charakteristischer Länge " und thermi-
7.4 Konvektion
265
scher Grenzschichtdicke δT aufgefasst werden. Bei Kenntnis der Nusseltzahl lässt sich daraus die Dicke der thermischen Grenzschicht ableiten.
λ ⋅ A ⋅ (TM − TW ) δT " Nu = = λ δT − ⋅ A ⋅ (TM − TW ) "
(7.47)
−
→ δT =
" Nu
Prandtlzahl
Pr =
Im pulstransport durch Re ibung ν η ⋅ c p = = Wärmetransport durch Leitung a λ
(7.48)
Symbole: Pr = Prandtlzahl [-] a = Temperaturleitzahl des Mediums [m2⋅s-1] -1 -1 cp = spez. Wärmekapazität des Mediums [J⋅kg ⋅K ] = [m2⋅s-2⋅K-1]
Die Prandtlzahl enthält ausschließlich Stoffgrößen. Sie entspricht dem Verhältnis der stofflichen Fähigkeiten, Strömungsimpulse durch Reibung und Wärme durch Leitung zu übertragen. Ausgedrückt wird dies als Verhältnis der kinematischen Viskosität ν zur Temperaturleitzahl a. Tabelle 7.10. Prandtlzahlen von Gasen und Flüssigkeiten Medium (gasförmig) Luft “ “ “ “ “ “ Wasserdampf “ “ “ Wasserstoff “ Kohlendioxid (g) “ “ Ammoniak (g) “ “
Temp./°C Prandtlzahl -50 0 50 100 200 400 1'000 100 200 300 400 0 100 0 100 200 0 100 200
0,72 0,71 0,71 0,71 0,72 0,73 0,77 1,12 0,97 0,95 0,88 0,68 0,65 1,38 1,85 2,29 0,93 1,30 1,66
Medium (flüssig) Wasser “ “ “ “ “ “ “ Kohlendioxid (l) Ammoniak (l) “ Ethanol Glykol Essigsäure Schwefelsäure Spindelöl “ “ Rizinusöl
Temp./°C Prandtlzahl 0 20 40 60 80 100 150 200 20 0 20 20 20 20 20 20 60 100 20
13,6 7,03 4,35 3,01 2,22 1,74 1,15 0,94 2,00 2,07 2,12 19,1 203 4,4 68,4 168 59,4 31,4 10'500
266
7 Wärmeübertragung
Die Tabelle 7.10 gibt einen Überblick über einige Prandtlzahlen von Gasen (links) und Flüssigkeiten (rechts). Bei Gasen liegen die Prandtlzahlen nahe bei eins und sind von der Temperatur und vom Druck ziemlich unabhängig. Bei Flüssigkeiten sind die Prandtlzahlen meistens größer und nehmen mit steigender Temperatur eher ab. Der Vorteil der Verwendung von dimensionslosen Kenngrößen besteht darin, dass für die Berechnung des Wärmeübergangs relativ einfache Beziehungen entstehen. Bei erzwungener Konvektion gilt Nu = f (Re, Pr) und bei freier Konvektion gilt Nu = f (Gr, Pr). Häufig kann die Nusseltbeziehung auch in Form einer Potenzialfunktion dargestellt werden.
Nu = konst. ⋅ Re m ⋅ Pr n
bzw.
Nu = konst. ⋅ Gr m ⋅ Pr n
Symbole: m; n = Exponenten der dimensionslosen Kenngrößen
(7.49) [-]
Die Konstante und die Exponenten der Gl. 7.49 müssen für verschiedene Wärmeübertragungssysteme empirisch ermittelt werden und sind jeweils strikte nur unter den angegebenen Bedingungen anzuwenden. Fehlende Stoffdaten werden üblicherweise beim arithmetischen Temperaturmittel bestimmt und in die Gleichungen eingetragen. Die Nusseltbeziehungen erfassen nur den konvektiv übertragenen Wärmefluss. Vielfach kommt noch ein zusätzlicher Wärmefluss durch Strahlung hinzu. Im folgenden werden die Nusseltbeziehungen für den Wärmeübergang bei verschiedenen Wärmeübertragungssystemen einzeln erörtert. Die Abbildung 7.17 gibt einen Überblick über die besprochenen geometrischen Systeme. Wärmeübertragungssysteme
Flächen
vertikal
Rührkessel
Rohre
horizontal
einzelnes Rohr
Rohrbündel
innen
innen
aussen
fluchtend
versetzt
Kugeln
aussen
einzelne Kugel
Schüttung
Festbett
Wirbelschicht
Abb. 7.17. Konvektiver Wärmeübergang in verschiedenen Wärmeübertragungssystemen
7.4 Konvektion
267
Ebene Flächen
Ist der Temperaturunterschied zwischen der Fläche und dem Fluid groß und sind die Stoffwerte stark temperaturabhängig, so kann der Einfluss der Wandtemperatur auf den Wärmeübergang in den folgenden Gleichungen mit dem Korrekturfaktor K = (PrM/PrW)0,25 berücksichtigt werden (PrM : Prandtlzahl des Fluids im Kern der Strömung; PrW : Prandtlzahl des Fluids an der Wand). Bei einer kalten Fläche sinkt der Wärmestrom, bei einer heißen Fläche steigt der übertragene Wärmestrom. Dies aufgrund der temperaturabhängigen Stoffeigenschaften in der thermischen Grenzschicht. Vertikale Flächen, freie Konvektion
Als charakteristische Abmessung " ist die Höhe h der Fläche einzusetzen. −8 / 27 ª º § 0,492 · 9 / 16 ½° 1/ 6 ° « » Nu = 0,825 + 0,387 ⋅ (Gr ⋅ Pr ) ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ « » Pr © ¹ °¿ °¯ ¬ ¼
2
(7.50)
Gültigkeitsbereich: 0,001 < Pr < ∞ ; 0,1 < Gr⋅Pr < 1012 (Das Produkt Gr⋅Pr entspricht der Rayleighzahl Ra.) Horizontale Flächen, freie Konvektion (heißer Boden oder kalte Decke)
Als charakteristische Abmessung " gilt der Quotient aus Fläche und Umfang. "=
(7.51)
A U
§ a⋅b · ¨¨ Beispiel Re chteckfläche mit Seiten a und b : " = ¸ 2 ⋅ (a + b ) ¸¹ ©
Nu = 0,766 ⋅ (Gr ⋅ Pr )
1/ 5
−4 / 11
(7.52)
−20/33
(7.53)
° § 0,322 ·11 / 20 ½° ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ °¯ © Pr ¹ °¿
Gültigkeitsbereich: Nu < 7 Nu = 0,150 ⋅ (Gr ⋅ Pr )
1/3
Gültigkeitsbereich: Nu > 7
° § 0,322 ·11/20 ½° ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ °¯ © Pr ¹ °¿
268
7 Wärmeübertragung
Horizontale Flächen, freie Konvektion (kalter Boden oder heiße Decke)
Nu = 0,6 ⋅ (Gr ⋅ Pr )
1/ 5
° § 0,492 · 9 / 16 ½° ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ °¯ © Pr ¹ °¿
−16 / 45
(7.54)
Gültigkeitsbereich: 2,5 < Nu < 100 Vertikale oder horizontale Flächen, erzwungene Konvektion
Als charakteristische Abmessung " gilt die Länge der überströmten Fläche. Nu = 0,664 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Pr 1 / 3
(7.55)
Gültigkeitsbereich: Re < 5⋅105 ; 0,6 < Pr < 1'000
Nu =
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Pr 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ Pr 2 / 3 − 1
(
)
(7.56)
Gültigkeitsbereich: 5⋅105 < Re < 107 ; 0,6 < Pr < 1'000 Nu = 0,05 ⋅ Re 0,78 ⋅ Pr 0, 42
(7.57)
Gültigkeitsbereich: Re > 107 Die örtliche Nusseltzahl Nux beschreibt den lokalen Wärmeübergang im Abstand x von der Anströmkante der Fläche, wobei als charakteristische Abmessung der Abstand x in die Gleichungen für die Nusselt- und die Reynoldszahl einzusetzen ist.
Nu x = 0,332 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Pr 1 / 3 Gültigkeitsbereich: Re < 5⋅105 ; 0,6 < Pr < 1'000
(7.58)
7.4 Konvektion
269
Rohre/ Rohrbündel Fluid im Rohr
Ist der Temperaturunterschied zwischen der Rohrwand und dem Fluid groß, so kann der Einfluss der Wandtemperatur auf die Nusseltzahl mit dem Korrekturfaktor K = (PrM/PrW)0,11 ≈ (ηM/ηW)0,14 berücksichtigt werden. Der Korrekturfaktor ist nötigenfalls auf der rechten Seite in die Gln. 7.59 bis 7.61 einzufügen. Bei einer kalten Rohrwand sinkt der Wärmestrom, bei einer heißen Rohrwand steigt der übertragene Wärmestrom aufgrund der durch die Temperatur veränderten Stoffeigenschaften in der thermischen Grenzschicht. Den größten Einfluss hat die bei höherer Wandtemperatur verringerte dynamische Viskosität η. − Fluid im Rohr, voll ausgebildete laminare Strömung 3 1/ 3 ª ½° º °§ d · 3 3 Nu = «3,66 + 0,7 + ®¨ Re⋅ Pr⋅ ¸ − 0,7 ¾ » « "¹ °¿ » °¯© ¬ ¼
(7.59)
1/ 3
Für die örtliche Nusseltzahl Nux gilt 3 1/ 3 ª ½° º ° d § · 3 3 Nu x = «3,66 + 0,7 + ®1,077 ⋅ ¨ Re⋅ Pr⋅ ¸ − 0,7 ¾ » « x¹ © °¿ » °¯ ¬ ¼
1/ 3
(7.60)
Gültigkeitsbereich: 0 < Re < 2'300 ; 0 < Pr < ∞ − Fluid im Rohr, voll ausgebildete turbulente Strömung Nu =
° § d · 2 / 3 ½° (ξ / 8) ⋅ Re⋅ Pr ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ 1/ 2 1 + 12,7 ⋅ (ξ / 8) ⋅ (Pr 2 / 3 − 1) °¯ © " ¹ °¿
(7.61)
ξ (Xi) stellt die Rohrreibungszahl dar (s. Kapitel “Strömungslehre, Rohrströmung”) und wird berechnet mit ȟ = (1,8 ⋅ log10 Re − 1,5)
−2
Gültigkeitsbereich: 104 < Re < 106 ; 0,6 < Pr < 1'000
(7.62)
270
7 Wärmeübertragung
− Fluid im Rohr, laminar-turbulenter Übergangsbereich Nu = (1 − χ ) ⋅ Nu la min ar (Gl. 7.59) + χ ⋅ Nu turbulent (Gl. 7.61)
(7.63)
wobei χ (Chi) den prozentualen Anteil der turbulenten Strömung angibt χ=
Re − 2'300 10 4 − 2'300
(7.64)
Gültigkeitsbereich: 2'300 < Re < 104 ; 0,6 < Pr < 1'000 − Fluid in einem Rohrbogen (Rohrschlange, Rohrwendel) Bei der Strömung eines Fluids durch ein gekrümmtes Rohr tritt im Innern des Rohres eine durch Zentrifugalkräfte und Reibung bedingte Sekundärströmung auf, die den Wärmeübergang verbessert. Dadurch erhöht sich der Wärmeübergangskoeffizient in Abhängigkeit des Rohrbogendurchmessers D gegenüber einem geraden Rohr mit Innendurchmesser d gemäß d· § α Bogen = α gerades Rohr ⋅ ¨1 + 3,54 ⋅ ¸ D¹ ©
(7.65)
Die Abbildung 7.18 illustriert die im Innern eines gekrümmten Rohres auftretende Sekundärströmung.
d
D
Rohrwendel
Sekundärströmung im gekrümmten Rohr
Abb. 7.18. Sekundärströmung im Innern einer Rohrschlange (Rohrwendel)
7.4 Konvektion
271
Fluid außen an Rohren
tr ö m lä
d
e
Üb
rs
ng
e
Die charakteristische Abmessung " wird hier mit der so genannten Überströmlänge gebildet. Die Überströmlänge entspricht der Wegstrecke, die ein Fluidteilchen entlang der Wärmeübertragungsfläche zurücklegt. Im Falle eines quer angeströmten Rohres ist die Überströmlänge " = π⋅d/2 (s. Abb. 7.19).
Abb. 7.19. Maßgebende Überströmlänge bei einer Strömung quer zu einem Rohr
− Horizontales Rohr, freie Konvektion Nu = 0,5485 ⋅ (Gr ⋅ Pr )
1/ 4
(7.66)
Gültigkeitsbereich: 1'000 < Gr⋅Pr < 107 ; 0,6 < Pr < 1'000 Nu = 0,13 ⋅ (Gr ⋅ Pr )
1/ 3
(7.67)
Gültigkeitsbereich: Gr⋅Pr > 107 ; 0,6 < Pr < 1'000 − Quer angeströmtes Rohr, erzwungene Konvektion
(
Nu = 0,3 + Nu 2 la min ar + Nu 2 turbulent
)
1/ 2
(7.68)
mit Nu la min ar = 0,664 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Pr 1 / 3
(7.69)
und Nu turbulent =
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Pr 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ Pr 2 / 3 − 1
(
)
Gültigkeitsbereich: 10 < Re < 107 ; 0,6 < Pr < 1'000
(7.70)
272
7 Wärmeübertragung
− Quer angeströmte Rohrreihe, erzwungene Konvektion Unter einer Rohrreihe versteht man mehrere in einer Ebene liegende, parallel verlaufende Rohre. Wird die Rohrreihe senkrecht zur Ebene angeströmt, so erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit im Bereich der Rohre wegen der Verengung des Strömungsquerschnitts. Dadurch wird auch der Wärmeübergang positiv beeinflusst (s. Abb. 7.20).
Vleer
d
s1
Vgesamt v
Abb. 7.20. Senkrecht angeströmte Rohrreihe; s1 = seitlicher Abstand der Rohre; d = Durchmesser der Rohre
Zur Berechnung der Nusseltzahl darf die Gl. 7.68 verwendet werden, wobei die Reynoldszahl mit der im Bereich der Rohrreihe erhöhten Strömungsgeschwindigkeit gebildet werden muss. Die Strömungsgeschwindigkeit ist zum Hohlraumanteil ε im Bereich der Rohrreihe umgekehrt proportional. Bei einem seitlichen Abstand s1 der Rohre gilt
ε=
Vleer = Vgesamt
(7.71)
d2 4 =1− π ⋅ d 4 ⋅ s1 d ⋅ s1
d ⋅ s1 − π ⋅
Die in die Gleichung 7.68 einzusetzende Reynoldszahl ist somit Re = Symbol:
v⋅π⋅
d 2
(7.72)
ε⋅ν
v = Geschwindigkeit vor der Rohrreihe
[m⋅s-1]
7.4 Konvektion
273
− Quer angeströmtes Rohrbündel, erzwungene Konvektion Ein Rohrbündel besteht aus mehreren in Strömungsrichtung hintereinander angebrachten Rohrreihen. Die Anordnung der Rohrreihen kann entweder fluchtend oder versetzt sein (s. Abb. 7.21). Die erste Rohrreihe verwirbelt die Strömung, wodurch sich der Wärmeübergang an den nachfolgenden Rohrreihen erhöht. Die Nusseltzahl wird mit Hilfe der Gl. 7.68 gebildet, wobei die im Bereich der Rohre erhöhte Reynoldszahl gemäß Gl. 7.72 verwendet werden muss. Bei einer Anzahl n hintereinander im Abstand s2 angeordneter Rohrreihen gilt Nu =
1 + (n − 1) ⋅ f A ⋅ Nu (Gln. 7.68, 7.72) n
(7.73)
fA ist der so genannte Rohranordnungsfaktor. Bei fluchtender Anordnung der Rohrreihen gilt fA = 1+
0,7 ⋅ {(s 2 / s1 ) − 0,3} ε
3/ 2
(7.74)
⋅ {(s 2 / s1 ) + 0,7}
2
Bei versetzter Anordnung der Rohrreihen gilt fA = 1+
2⋅d 3⋅ s2
(7.75)
s2 v
s1
fluchtende Anordnung
s2 v
s1
versetzte Anordnung
Abb. 7.21. Anordnung (Teilungsverhältnis) von Rohren in einem Rohrbündel; s2 = Abstand der Rohrreihen
274
7 Wärmeübertragung
Rührkessel Innere Behälterwand
Die Nusseltbeziehung für den Wärmeübergang im Innern eines Rührkessels ist von der Form
Nu = konst.⋅ Re
2/3
⋅ Pr
1/ 3
§ Pr ⋅ ¨¨ M © PrW
· ¸¸ ¹
(7.76)
0 ,14
Die Reynoldszahl Re wird aus der Rührerdrehzahl f und dem Rührerdurchmesser dRührer gebildet (siehe Kapitel „Mischen/ Rühren“). Re =
(7.77)
f ⋅ d 2 Rührer ν
Gültigkeitsbereich: 300 < Re < 7,5⋅105 ; 2,2 < Pr < 2'500 Die Konstante der Gl. 7.76 hängt sowohl von der Behälterform als auch vom Rührertyp ab. In der Tabelle 7.11 sind einige Anhaltswerte für bestimmte Rührsysteme aufgeführt [10]. Tabelle 7.11. Wärmeübergang an innere Rührkesselwand; Konstante der Gl. 7.76 für ausgewählte Rührsysteme ohne bzw. mit Strombrecher Rührertypus Blattrührer Propellerrührer Turbinenrührer
ohne Strombrecher 0,38 0,52 0,54
mit Strombrecher 0,78 0,54 0,76
Rohrschlange im Behälter
Die maßgebende Nusseltbeziehung lautet Nu = konst. ⋅ Re
0 , 62
⋅ Pr
1/ 3
§ Pr ⋅ ¨¨ M © PrW
· ¸¸ ¹
0 ,14
(7.78)
Die Reynoldszahl ist gemäß Gl. 7.77 zu berechnen. Die Konstante der Gl. 7.78 hängt von der Behälterform und vom Rührertyp ab. In der Tabelle 7.12 sind einige Anhaltswerte für bestimmte Rührsysteme aufgeführt [10].
7.4 Konvektion
275
Tabelle 7.12. Wärmeübergang an eine Rohrschlange in einem Rührkessel; Konstante der Gl. 7.78 für ausgewählte Rührsysteme ohne Strombrecher Rührertypus Blattrührer Propellerrührer Turbinenrührer
ohne Strombrecher 1,01 0,60 0,88
Äußere Behälterwand
Für einen Heizmantel mit Höhe h und Spaltbreite "s, der von einem Heiz durchflossen wird, gilt bzw. Kühlmedium mit Volumenstrom V ½ °° 0,03 ⋅ Re 3 / 4 ⋅ Pr °° § PrM Nu = ® ¾ ⋅ ¨¨ °1 + 1,74 ⋅ (Pr − 1) ° © PrW °¯ °¿ Re1 / 8
(7.79) · ¸¸ ¹
0 ,14
Als charakteristische Abmessung ist " = 1,633 "s in die Nusselt- bzw. Reynoldszahl einzusetzen. Die Reynoldszahl wird mit einer hydraulischen Geschwindigkeit vh gemäß Gl. 7.80 gebildet.
v h = v s ⋅ v ein
(7.80)
vein ist die Strömungsgeschwindigkeit im Eintrittsstutzen. Gültigkeitsbereich: 9'000 < Re < 40'000 ; 5 < Pr < 7 Bei einem radialen Eintrittsstutzen ist vs vs =
V
(7.81)
π ⋅ " s ⋅ d Behälter aussen
Bei einem tangentialen Eintrittsstutzen ist vs vs =
V "s ⋅h
(7.82)
Wird der Rührkessel mit aufgeschweißten Halbrohrschlangen beheizt oder gekühlt, so ist die Berechnung komplexer. Lösungsmöglichkeiten finden sich zum Beispiel im VDI Wärmeatlas [1].
276
7 Wärmeübertragung
Kugeln/ Schüttschichten Einzelne Kugel
Als charakteristische Abmessung " gilt der Kugeldurchmesser dK. Wegen der räumlich von allen Seiten gut zugänglichen Form ist die Nusseltzahl einer Kugel selbst im absolut ruhenden Medium nicht gleich null.
(
Nu = 2,0 + Nu 2 la min ar + Nu 2 turbulent
)
1/ 2
(7.83)
mit Nu la min ar = 0,664 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Pr 1 / 3
(7.84)
und Nu turbulent =
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Pr 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ Pr 2 / 3 − 1
(
)
(7.85)
Gültigkeitsbereich: 0,1 < Re < 104 ; 0,6 < Pr < 104 Festbett
In einem Festbett liegen die Partikel direkt aufeinander, sodass sich die Strömungs- und Temperaturgrenzschichten der Partikel gegenseitig beeinflussen (s. Abb. 7.22 links). Der Wärmeübergang ist dadurch im Vergleich zu einem einzelnen Partikel stark verbessert. Ist das Festbett aus gleich großen kugelförmigen Partikeln aufgebaut, gilt Nu Festbett = {1 + 1,5 ⋅ (1 − ε )} ⋅ Nu Kugel (Gl. 7. 83)
(7.86)
mit ε=
V Vleer = 1 − Partikel Vgesamt Vgesamt
(7.87)
ε ist der Hohlraumanteil des Festbetts und beträgt üblicherweise ca. 40%. Daraus ergibt sich eine Verbesserung des Wärmeübergangs im Festbett im Vergleich zur einzelnen Kugel um ca. den Faktor 2. Die charakteristische Strömungsgeschwindigkeit, die in die Reynoldszahl der Gln. 7.84 und 7.85 einzusetzen ist, leitet sich aus dem Partikeldurchmesser dPartikel, der Strömungsgeschwindigkeit vleer im leeren Apparat und dem Hohlraumanteil ε der Schüttung ab. Re =
v leer ⋅ d Partikel ε⋅ν
(7.88)
7.5 Wärmedurchgang
277
Wirbelschicht
In einer Wirbelschicht sind die Teilchen fluidisiert, d.h. sie befinden sich in Schwebe (s. Abb. 7.22 rechts). Es empfiehlt sich daher, vorerst die Sinkgeschwindigkeit eines einzelnen Teilchens auszurechnen (siehe Kapitel „Sedimentation“). Mit der Sinkgeschwindigkeit kann die Reynoldszahl und schließlich die Nusseltzahl gemäß Gl. 7.83 ermittelt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Abschätzung der Nusseltzahl mit Hilfe der Gln. 7.86 bis 7.88 unter Berücksichtigung des vergrößerten Hohlraumanteils ε. Wegen Turbulenzen wird der wahre Wärmeübergang deutlich größer ausfallen als der errechnete. Die möglichen Strömungsformen in einer Wirbelschicht werden im Kapitel „Reaktionstechnik/ Reaktoren“ behandelt. Nähere Angaben zum Wärmeübergang in einer Wirbelschicht finden sich z.B. im VDI Wärmeatlas [1].
vleer Festbett
vleer Wirbelschicht
Abb. 7.22. Partikelanordnung in einem Festbett und einer Wirbelschicht
7.5 Wärmedurchgang In einem technischen Wärmeübertrager sind ein warmes und ein kaltes Medium üblicherweise durch eine dünne Wand von einander abgetrennt. Die Wärmeübertragung vom warmen zum kalten Medium erfolgt in drei Teilschritten: 1. Wärmekonvektion vom warmen Medium an die Wand 2. Wärmeleitung durch die Wand 3. Wärmekonvektion von der Wand an das kalte Medium Ein Wärmetransportvorgang, der die drei oben aufgeführten Teilschritte umfasst, wird Wärmedurchgang genannt.
278
7 Wärmeübertragung
Ebene Wände
Für die Wärmekonvektion auf der warmen Seite einer ebenen Wand gilt gemäß Gl. 7.37 Q Kw = −α w ⋅ A ⋅ (TMw − TWw )
(7.89)
Symbole: Q Kw = Wärmefluss durch Konvektion im warmen Medium [W] αw = Wärmeübergangskoeffizient im warmen Medium [W⋅m-2⋅K-1] A = Wandfläche [m2] TMw = Temperatur des warmen Mediums im Kern der Strömung [K] [K] TWw = Temperatur des warmen Mediums an der Wand
Für die Wärmeleitung durch die Wand gilt gemäß Gl. 7.14 = − λ W ⋅ A ⋅ (T − T ) Q L Ww Wk "W Symbole: Q L = Wärmefluss durch Leitung in der Wand λW = Wärmeleitfähigkeit der Wand "W = Dicke der Wand TWk = Temperatur des kalten Mediums an der Wand
(7.90)
[W] [W⋅m-1⋅K-1] [m] [K]
Für die Wärmekonvektion auf der kalten Seite der Wand gilt analog zur Gl. 7.89 = −α ⋅ A ⋅ (T − T ) Q Kk k Mk Wk
(7.91)
Symbole: Q Kk = Wärmefluss durch Konvektion im kalten Medium [W] αk = Wärmeübergangskoeffizient des kalten Mediums [W⋅m-2⋅K-1] TMk = Temperatur des kalten Mediums im Kern der Strömung [K]
Im stationären Zustand gilt Q Kw = Q L = Q Kk = Q
(7.92)
Löst man die Gln. 7.89 bis 7.91 nach den treibenden Temperaturdifferenzen auf und addiert diese unter Berücksichtigung von Gl. 7.92, so erhält man
(TMw − TWw ) + (TWw − TWk ) + (TWk − TMk ) = TMw − TMk
(7.93)
7.5 Wärmedurchgang
§ 1 " 1 = ∆Tges = ¨¨ + W + © αw λW αk Symbol:
279
· Q ¸¸ ⋅ ¹ A
∆Tges = gesamthaft treibende Temperaturdifferenz zwischen warmem und kaltem Medium im Kern der Strömungen
[K]
ergibt sich Aufgelöst nach dem Wärmefluss Q −1
= §¨ 1 + " W + 1 ·¸ ⋅ A ⋅ ∆T = k ⋅ A ⋅ ∆T Q ges ges ¨α ¸ © w λW αk ¹ Symbol:
k = Wärmedurchgangskoeffizient
(7.94)
[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
Der reziproke Klammerausdruck in Gl. 7.94 wird als Wärmedurchgangskoeffizient oder k-Wert bezeichnet. 1/k entspricht dem Gesamtwiderstand des Wärmedurchgangs und setzt sich aus den Teilwiderständen für die Konvektion auf der warmen Seite 1/αw , für die Konvektion auf der kalten Seite 1/αk sowie für die Wärmeleitung durch die Wand "W/λW zusammen. " 1 1 1 = + W + k αw λW αk
(7.95)
Der Wärmedurchgangskoeffizient wiederspiegelt die Fähigkeit eines Systems, Wärme durch eine Wand unter Berücksichtigung der anhaftenden Temperaturgrenzschichten zu übertragen. Die Schwierigkeit in der Bestimmung des k-Werts liegt meist in der mangelnden Kenntnis der maßgebenden Wärmeübergangskoeffizienten α. Diese können aber beispielsweise mit Hilfe der dimensionslosen Beziehungen für Nusselt berechnet werden (siehe Unterkapitel „Konvektion“). Die Tabelle 7.13 zeigt einige Schätzwerte für den Wärmedurchgangskoeffizienten in technisch häufig anzutreffenden Fällen (erzwungene Konvektion, dünne metallische Wand). Die Werte dürfen nur zu überschlagsmäßigen Berechnungen herangezogen werden. Die kleineren Werte gelten für relativ ungünstige Verhältnisse (z.B. kleine Strömungsgeschwindigkeiten, zähe Flüssigkeiten, Neigung zu Verschmutzungen), die größeren eher für günstige Umstände (z.B. hohe Strömungsgeschwindigkeiten, geringe Viskositäten, ausgewogene Mengenverhältnisse beider Medien, saubere Oberflächen). In Sonderfällen können die aufgeführten Werte auch unter- bzw. überschritten werden.
280
7 Wärmeübertragung
Tabelle 7.13. Wärmedurchgangskoeffizienten bei verschiedenen Wärmeübertragungssystemen Wärmeübertragungssystem
Wärmedurchgangskoeffizient k / (W⋅m-2⋅K-1) 5 bis 70 20 bis 100 150 bis 500 25 bis 100
Gas auf Gas bei je 1 bar Gas bei 1 bar auf Gas bei 200 bar Gas auf Gas bei je 200 bar kondensierender Dampf auf Gas (1 bar) Flüssigkeit auf Gas bei 1 bar Flüssigkeit auf Gas bei 200 bar Flüssigkeit auf Flüssigkeit
20 bis 150 200 bis 600 150 bis 2'000 300 bis 3'000 500 bis 3'000 1'500 bis 5'000
Wasser auf Wasser kondensierender Dampf auf Flüssigkeit kondensierender Dampf auf Wasser
Die Abbildung 7.23 veranschaulicht schematisch den Wärmedurchgang durch eine ebene Wand mit zwei Schichten. T λ1
λ2
αk
TMw ∆TKw TWw Q
∆TL1
∆Tgesamt
TWk ∆TL2 αw
∆TKk TMk x
Abb. 7.23. Wärmedurchgang durch eine ebene Wand als Funktion der Teilvorgänge Konvektion und Wärmeleitung
Besteht eine Wand aus mehreren Schichten, so erweitert sich die Gl. 7.94 zu
7.5 Wärmedurchgang
= k ⋅ A ⋅ ∆T = §¨ 1 + Q ges ¨α © w
−1
n
¦ i =1
281
(7.96)
"i 1 · ¸ ⋅ A ⋅ ∆Tges + λ i α k ¸¹
mit 1 1 = + k αw
n
"i
¦λ i =1
i
+
(7.97)
1 αk
Symbole: "i = Dicke der Schicht i λi = Wärmeleitfähigkeit der Schicht i [W⋅m-1⋅K-1] =
[m] [kg⋅s-3⋅K-1]
Rohre
Bei Rohren sind die Oberflächen innen und außen nicht gleich groß. Entsprechend ändern sich die Beziehungen für die Wärmeübergänge. Die Beziehung für den Wärmeübergang innen lautet = −α ⋅ A ⋅ (T − T ) = −α ⋅ 2π ⋅ r ⋅ " ⋅ (T − T ) Q Ki i i Mi Wi i i Mi Wi
(7.98)
[W] = [kg⋅m2⋅s-3]
Symbole: Q Ki = konvektiver Wärmeübergang innen
αi = Wärmeübergangskoeffizient innen [W⋅m ⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] [m2] Ai = Fläche der inneren Rohrwand [m] ri = Radius der inneren Rohrwand " = Länge des Rohres [m] TMi = Temperatur des Mediums innen im Kern der Strömung [K] -2
TWi = Temperatur der Rohrwand innen
[K]
Der Wärmeübergang außen errechnet sich zu = −α ⋅ A ⋅ (T − T ) = −α ⋅ 2π ⋅ r ⋅ " ⋅ (T − T ) Q Ka a a Wa Ma a a Wa Ma Symbole: Q Ka = konvektiver Wärmeübergang außen
(7.99)
[W] = [kg⋅m2⋅s-3]
αa = Wärmeübergangskoeffizient außen [W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] [m2] Aa = Fläche der äußeren Rohrwand [m] ra = Radius der äußeren Rohrwand [K] TWa = Temperatur der Rohrwand außen TMa = Temperatur des Mediums außen im Kern der Strömung [K]
Für die Wärmeleitung durch eine Rohrwand gilt gemäß Gl. 7.31
282
7 Wärmeübertragung
= − λ W ⋅ 2π ⋅ " ⋅ (TWi − TWa ) Q L ln (ra ri )
(7.100) [W] = [kg⋅m2⋅s-3]
Symbole: Q L = Wärmeleitung durch die Rohrwand
λW = Wärmeleitfähigkeit der Rohrwand [W⋅m ⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] -1
Im stationären Zustand gilt =Q =Q =Q Q Ki Ka L
(7.101)
Verknüpft man die Gln. 7.98 bis 7.101, so erhält man für die treibende Temperaturdifferenz § 1 ln(ra ri ) · Q 1 ¸¸ ⋅ ∆Tges = TMi − TMa = ¨¨ + + λ W ¹ 2π ⋅ " © α i ⋅ ri α a ⋅ ra Symbol:
(7.102)
∆Tges = gesamthaft treibende Temperaturdifferenz zwischen dem inneren und dem äußeren Medium im Kern der Strömungen [K]
ergibt sich Aufgelöst nach dem Wärmefluss Q = 2π ⋅ " ⋅ ∆T ⋅ §¨ 1 + 1 + ln (ra ri ) ·¸ Q ges ¨ λ W ¸¹ © α i ⋅ ri α a ⋅ ra
−1
(7.103)
Ein Wärmedurchgangskoeffizient (k-Wert) lässt sich bei einem Rohr nicht so einfach angeben wie bei einer Wand, denn es ist unklar, mit welcher Übertragungsfläche gerechnet werden soll, ob mit der Rohrinnenoder der Rohraußenfläche = k ⋅ A ⋅ ∆T = k ⋅ A ⋅ ∆T Q i i ges a a ges Symbol:
k = Wärmedurchgangskoeffizient
(7.104) [W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
Üblicherweise wird der Wärmedurchgangskoeffizient ka auf die Außenfläche bezogen. Er errechnet sich bei einem Rohr mit n achsensymmetrischen Schichten zu § r 1 + ra ⋅ k a = ¨¨ a + © α i ⋅ ri α a
n
¦ i =1
ln (rai r ii ) · ¸ ¸ λi ¹
−1
(7.105)
Bei Verschmutzungsproblemen auf der Rohrinnenseite wird der Wärmedurchgangskoeffizient manchmal auch auf die Innenseite bezogen. Der
7.5 Wärmedurchgang
283
Wärmedurchgangskoeffizient ki berechnet sich bei einem Rohr mit n achsensymmetrischen Schichten zu § 1 ri k i = ¨¨ + + ri ⋅ © α i α a ⋅ ra
n
¦ i =1
ln (rai r ii ) · ¸ ¸ λi ¹
−1
(7.106)
ka und ki weichen im Verhältnis des Innen- zum Außenradius von einander ab. k a k i = ri ra
(7.107)
Einfluss der Strömungsführung
In einem Wärmeübertrager mit einer wärmeführenden Trennwand zwischen den Medien (Rekuperator) fließen das Wärme abgebende und das Wärme aufnehmende Medium entweder im Gleichstrom, Gegenstrom, Kreuzstrom oder T-Strom zu einander (siehe auch Kapitel „Reaktionstechnik“). Gleichstrom
Die beiden Medien fließen in einem Wärmeübertrager parallel und in gleicher Richtung (s. Abb.7.24). Die treibende Temperaturdifferenz zwischen den Medien ist am Eintritt in den Wärmeübertrager am größten und nimmt dann allmählich ab. Bei langer Kontaktzeit, kleinen Stoffströmen oder großer Wärmeübertragungsfläche kommen sich die Temperaturen des warmen und des kalten Stoffstroms am Austritt sehr nahe. (x) ist in der Nähe des Eintritts deutlich Der lokale Wärmedurchgang Q größer als in der Nähe des Austritts, da hier die treibende Temperaturdifferenz zwischen den Medien am größten ist. Der Wirkungsgrad des Wärmeübertragers bei Gleichstrom wird durch Vergrößerung der die Wärme übertragenden Wand oder der Verweilzeit im Apparat häufig nur unwesentlich verbessert.
284
7 Wärmeübertragung
Wärmeübertrager mw mk
" T(x)
Q(x)
Twα Tw(x)
Twω
∆Tgr
∆Tkl Tkω
Tk(x) Tkα
x
x
"
0
"
0
Abb. 7.24. Temperaturverlauf und lokaler Wärmedurchgang in einem Wärmeübertrager bei Gleichstrom
Gegenstrom
Die beiden Medien fließen im Wärmeübertrager antiparallel, d.h. in entgegengesetzter Richtung (s. Abb. 7.25). Der warme Stoffstrom trifft beim Eintritt in den Wärmeübertrager auf einen bereits vorgewärmten kalten Stoffstrom. Der kalte Stoffstrom trifft beim Eintritt auf einen bereits abgekühlten warmen Stoffstrom. Die Temperatur des ursprünglich warmen Stoffstroms kann am Austritt kälter sein als die Temperatur des ursprünglich kalten Stoffstroms an dessen Austritt. Wärmeübertrager mw mk
" T(x)
Q(x)
Twα ∆Tgr
Tw(x) Twω ∆Tkl
Tkω Tk(x) 0
Tkα
"
x 0
"
x
Abb. 7.25. Temperaturverlauf und lokaler Wärmedurchgang in einem Wärmeübertrager bei Gegenstrom
7.5 Wärmedurchgang
285
(x) ist entlang der Wärme übertragenDer lokale Wärmedurchgang Q den Kontaktfläche ausgeglichener als bei Gleichstrom. Die übertragene Wärmemenge ist unter sonst identischen Bedingungen bei Gegenstrom stets größer als bei Gleichstrom, weshalb in der Technik das GegenstromPrinzip überwiegt. Kreuzstrom
Die beiden Medien fließen senkrecht zu einander (s. Abb. 7.26). Dies ist z.B. bei einem Rohrbündel der Fall, in dem ein Medium 1 fließt und das außen von einem Medium 2 quer angeströmt wird. Die Temperaturen der Stoffströme am Austritt sind eine Funktion des Orts. Die übertragene Wärmemenge liegt bei gleicher Fläche und analogen Betriebsbedingungen zwischen denjenigen eines Wärmeübertragers mit Gegenstrom und eines solchen mit Gleichstrom. y "1 ∆Tkl
mw
"2
x ∆Tgr
mk
Tk(x)
Tw(y)
Twα
Twα(y) Tkω
Twω(y)
Tkω (x)
Twω
Tkα(x) x 0
"1
y 0
"2
Abb. 7.26. Temperaturen am Ein- und Austritt eines Wärmeübertragers bei Kreuzstrom
286
7 Wärmeübertragung
T-Strom
Ein Sonderfall des Kreuzstroms entsteht, wenn in einem Wärmeübertrager ein dampfförmiges Medium kondensiert oder ein flüssiges Medium siedet. Unter diesen Umständen bleibt die Temperatur dieses Mediums im ganzen Wärmeübertrager überall etwa gleich groß (s. Abb. 7.27). mD
mD
mkα
mkω
mwα
mK
mS
mwω
""
""
T(x)
T(x)
TD
Twα ∆Tkl
∆Tgr Tk(x)
Tw(x)
∆Tgr
Tkω
Twω ∆Tkl
Tkα
TD x
"
0
x
"
0
kondensierender Dampf
siedende Flüssigkeit
Abb. 7.27. Temperaturverlauf in einem Wärmeübertrager bei T-Strom; TD = Temperatur von kondensierendem Dampf bzw. siedender Flüssigkeit; D = Dampf, K = Kondensat, S = siedende Flüssigkeit
Mittlere treibende Temperaturdifferenz
Aus den Abbildungen 7.24 bis 7.27 geht hervor, dass die treibende Temperaturdifferenz zwischen dem Medium, das Wärme abgibt, und dem Medium, das Wärme aufnimmt, im Wärmeübertrager keineswegs überall gleich groß ist. Um die übertragene Wärmemenge zu berechnen, muss eine mittlere Temperaturdifferenz in die Gleichungen eingesetzt werden können. Die mittlere Temperaturdifferenz liegt dabei offensichtlich zwischen der maximalen und der minimalen im Wärmeübertrager auftretenden Temperaturdifferenz. Aus einer Integration über die lokalen Temperaturdifferenzen ergibt sich, dass die maßgebende treibende Temperaturdifferenz eine logarithmische Funktion der größten und der kleinsten im Wärmeübertrager auftretenden Temperaturdifferenz ist.
7.5 Wärmedurchgang
∆T ges = ∆T ln =
∆Tgr − ∆Tkl § ∆Tgr ln¨¨ © ∆Tkl
287
(7.108)
· ¸ ¸ ¹
Symbole: ∆T ges = mittlere treibende Temperaturdifferenz
[K]
∆T ln = logarithmisch gemittelte Temperaturdifferenz [K] ∆Tgr = maximale Temperaturdifferenz im Wärmeübertrager [K] ∆Tkl = minimale Temperaturdifferenz im Wärmeübertrager [K]
Der nach Gleichung 7.108 gebildete Mittelwert heißt logarithmisch gemittelte Temperaturdifferenz. Bei sehr kleinen Unterschieden von ∆Tgr und ∆Tkl (∆Tgr/∆Tkl < 2) kann auch mit dem arithmetischen Mittel gerechnet werden. Der so entstehende Fehler ist dann kleiner als 4%. Aufheizen/ Abkühlen eines Rührkessels Heizen mit Dampf
Bei einer Heizung mit Dampf bleibt die Temperatur des Heizmediums über die gesamte wärmeübertragende Trennwand konstant. Die Temperatur des Rührkesselinhalts steigt zeitlich zu Beginn wegen der großen Temperaturdifferenz zwischen den Medien schnell, dann immer langsamer an. Die in einer kurzen Zeit dt übertragene Wärmemenge dQ erhöht die Temperatur im Rührkessel um dT. dQ = k ⋅ A(TD − T ) ⋅ dt = V ⋅ ρ ⋅ c p ⋅ dT Symbole: dQ = übertragene Wärmemenge k = Wärmedurchgangskoeffizient A = Wärmeübertragungsfläche TD = Temperatur des kondensierenden Dampfes T = Temperatur des Rührkesselinhalts dt = kurze Heizdauer V = Volumen der Kesselfüllung ρ = Dichte der Kesselfüllung cp = spez. Wärmekapazität der Kesselfüllung dT = Temperaturanstieg im Rührkessel
(7.109) [J] [W⋅m-2⋅K-1] [m2] [K] [K] [s] [m3] [kg⋅m-3] [J⋅kg-1⋅K-1] [K]
288
7 Wärmeübertragung
Durch Umformen erhält man k⋅A dT ⋅ dt = V ⋅ ρ ⋅ cp TD − T
(7.110)
Eine Integration der Gl. 7.110 über die Heizdauer t ergibt t
Tω
³
³
§ T − Tα · § dT · k ⋅ A ⋅ t ¸ ¨¨ ¸¸ = = ln¨¨ D TD − Tω ¸¹ TD − T ¹ V ⋅ ρ ⋅ c p © © α
k⋅A ⋅ dt = V ⋅ ρ ⋅ cp 0 T
Symbole: Tα = Kesselinnentemperatur zu Beginn des Heizens Tω = Kesselinnentemperatur am Ende des Heizens
(7.111)
[K] [K]
Mit Hilfe der Gleichung 7.111 kann je nach fehlender Größe die Heizdauer t, der Wärmedurchgangskoeffizient k oder die Endtemperatur Tω in einem dampfbetriebenen Rührkessel berechnet werden. Heizen oder Kühlen mit flüssigem Wärmeträger
Dieser Fall ist deutlich komplizierter als bei einer Heizung des Rührkessels mit Dampf. Die Temperatur des Heizmediums ist entlang der Trennwand nicht nur nicht konstant, sondern steigt auch mit der Zeit gegen den Austritt hin an, da der Rührkesselinhalt selbst immer wärmer wird. Aus vielen Versuchen wurde die empirische Leitermethode entwickelt. Zwischen der Betriebsgröße X und der Systemgröße Y besteht ein numerischer Zusammenhang, der in der Abb. 7.28 dargestellt wird. X=
§ TWT α − Tα · ¸ ⋅ ln¨ WT ⋅ c p WT ⋅ t ¨© TWT α − Tω ¸¹ m
(7.112)
k⋅A WT ⋅ c p WT m
(7.113)
V ⋅ ρ ⋅ cp
Y=
Symbole: X = Betriebsgröße Y = Systemgröße WT = Massenstrom des Wärmeträgers m cp WT = spez. Wärmekapazität des Wärmeträgers t = Heiz- resp. Kühldauer TWT α = Anfangstemperatur des Wärmeträgers
[-] [-] [kg⋅s-1] [J⋅kg-1⋅K-1] [s] [K]
7.5 Wärmedurchgang
289
Nach Berechnung einer der beiden Kennziffer X oder Y mit bekannten oder angenommenen Werten entnimmt man der Leiter den zugehörigen Wert der anderen, korrespondierenden Kennziffer und löst nach der unbekannten Größe auf. X Y
0
0.1
0
0.1
0.2
0.2
0.3
0.3
0.4
0.4
0.5
0.5
0.6
0.7 0.8
0.6
0.7
1.0
1.2
0.8
1.5
0.9
2.0
1.0
3.0
5.0
Abb. 7.28. Korrelation der Betriebsgröße Y mit der Systemgröße X nach der Leitermethode für das Heizen bzw. Kühlen eines Rührkessels
Wärmebilanzen
In einem Rührkessel gibt es drei Möglichkeiten, einen Wärmefluss zu erfassen. 1. Wärmebilanz über den Kesselinhalt (s. Gl. 7.114) 2. Wärmebilanz über den zu- und abfließenden Wärmeträger (s. Gl. 7.115) 3. Wärmetransport vom Wärmeträger zum Kesselinhalt (s. Gl.7.116) Eine übertragene Wärmemenge erhöht die Temperatur im Rührkessel gemäß (7.114)
= V ⋅ ρ ⋅ c ⋅ dT Q p dt
Die dem kontinuierlich fließenden Wärmeträger entnommene Wärme erniedrigt dessen Temperatur gemäß
(
=m WT ⋅ c p WT ⋅ TWT α − TWT ω Q
)
(7.115)
Die Wärme wird durch Wärmeübergänge und Leitung an bzw. in der Trennwand vom Wärmeträger auf den Kesselinhalt übertragen gemäß = k ⋅ A ⋅ ∆T ges Q
(7.116)
Durch eine geschickte Kombination der Gln. 7.114 bis 7.116 gelingt es fast immer, eine fehlende Größe zu berechnen. Die Abbildung 7.29 illustriert schematisch die Wärmeübertragung in einem Rührkessel.
290
7 Wärmeübertragung
TWT ω
∆Tges
1 Q
A, k
2
3 mWT, cp WT, TWT α
V, ρ, cp, T
Abb. 7.29. Wärmeübertragung in einem Rührkessel; { Erwärmung des Kesselinhalts, | Abkühlung des Wärmeträgers, } Wärmedurchgang durch Kesselwand
7.6 Wärmeübertrager Bauarten
Wärmeübertrager, bei denen das wärmeabgebende und das wärmeaufnehmende Medium durch eine Zwischenwand von einander getrennt sind, nennt man Rekuperatoren. Wärmeübertrager, bei denen die Wärme durch das eine Medium periodisch in einer festen Speichermasse gespeichert und später von der Speichermasse an ein anderes Medium übertragen wird, nennt man Regeneratoren. Wärmeübertrager, bei denen ein Heiz- oder Kühlmedium, z.B. Dampf oder Eis, direkt mit einem zweiten Medium vermischt werden, nennt man Misch- oder Kontaktwärmeübertrager. Wärmeübertrager
Rekuperatoren
DoppelrohrWärmeübertrager
Regeneratoren
RohrbündelWärmeübertrager
PlattenWärmeübertrager
Kontaktwärmeübertrager
SpiralWärmeübertrager
Abb. 7.30. Einteilung der Wärmeübertrager in Rekuperatoren, Regeneratoren und Kontaktapparate
7.6 Wärmeübertrager
291
Die folgenden Ausführungen beschränken sich ausschließlich auf kontinuierlich betriebene Rekuperatoren, bei denen die Medien keine Phasenänderungen durchlaufen. Auf Kondensatoren und Verdampfer wird im dritten Teil des Buchs bei den Einheitsoperationen näher eingegangen. Die Abbildung 7.30 zeigt die Einteilung der Wärmeübertrager und die hier besprochenen Rekuperatoren. Doppelrohr-Wärmeübertrager
Doppelrohr-Wärmeübertrager bestehen aus zwei koaxial in einander gesteckten Rohren mit unterschiedlichen Durchmessern (s. Abb. 7.31). Mehrere Rohre können zu einem Register aufgebaut werden. Das Medium im Ringspalt und das Medium im inneren Rohr können im Gleichstrom oder im Gegenstrom zu einander geführt werden. Doppelrohr-Wärmeübertrager sind geeignet für schlammartige oder pastöse Medien oder Medien unter großem Druck, die im Innenrohr geführt werden. Ebenso werden Doppelrohr-Wärmeübertrager als Verbindungsleitungen zwischen Apparaten eingesetzt, wenn ein heißes Produkt nicht auskühlen darf, weil es sich sonst z.B. verfestigt oder kristallisiert. Wegen Wärmespannungen zwischen dem inneren und dem äußeren Rohr dürfen die Temperaturunterschiede zwischen den beiden Medien nicht zu groß sein.
Abb. 7.31. Doppelrohr-Wärmeübertrager (Register)
292
7 Wärmeübertragung
Rohrbündel-Wärmeübertrager
Ein Rohrbündel-Wärmeübertrager besteht aus einem Bündel von parallel verlaufenden Rohren, das in einem Mantelgehäuse untergebracht ist (s. Abb. 7.32). Die Rohrenden sind in einem Rohrboden eingewalzt oder eingeschweißt. Das eine Medium fließt durch die Rohre, das andere umströmt die Rohre außen. Häufig wird das äußere Medium durch so genannte Leitbleche mehrfach umgelenkt. Dadurch erhöhen sich die Strömungsgeschwindigkeit und der Wärmeübergang. Die Strömungsführung wird so zu einer Kombination von Gleich- bzw. Gegenstrom und Kreuzstrom. Die Umlenkungen erhöhen den Druckabfall (s. Abb. 7.32 links). Das Medium im Rohrinnern kann den Apparat einfach oder mehrfach längs durchlaufen. Im ersten Fall spricht man von einer Einweg- und im zweiten Fall von einer Mehrweg-Wärmeübertragung. Die Abbildung 7.32 zeigt links einen Einweg- und rechts einen Zweiweg-Rohrbündel-Wärmeübertrager. Unterschiedliche Wärmeausdehnungen zwischen den Rohren und dem Mantel werden entweder mit Dehnwulsten im Mantel oder durch besondere Konstruktionen im Gehäuseinnern kompensiert. Bei der Abbildung 7.32 rechts werden die Rohre in einem so genannten schwimmenden Kopf umgelenkt. Rohrbündel-Wärmeübertrager werden überwiegend bei großen Stoffströmen und hohen Wärmeleistungen eingesetzt.
Einweg-Wärmeübertrager mit Leitblechen
Abb. 7.32. Rohrbündel-Wärmeübertrager
Zweiweg-Wärmeübertrager mit schwimmendem Kopf
7.6 Wärmeübertrager
293
Platten-Wärmeübertrager
Ein Platten-Wärmeübertrager besteht aus einem Stapel dünnwandiger Platten mit weichen Dichtungen, die in einem Rahmen mit Zugstangen zusammengehalten werden (s. Abb. 7.33). Die Platten sind in der Regel rechteckig und enthalten in den Ecken ausgestanzte Löcher, durch die die Medien zu- und abfließen können. Das warme und das kalte Medium fließen in benachbarten schmalen Kammern zwischen den Platten meist im Gegenstrom. Die Plattenoberfläche ist gewellt, wodurch eine hohe Turbulenz und ein guter Wärmeübergang erzielt wird. Platten-Wärmeübertrager besitzen eine große Oberfläche pro Volumen und können einfach gereinigt werden, weshalb sie v.a. im Lebensmittelund Pharmabereich gerne eingesetzt werden. Anpassungen an veränderte Leistungsanforderungen werden durch Hinzufügen oder Entfernen von Platten leicht realisiert. Die weichen Dichtungen beschränken die Anwendungen auf mäßige Temperaturen und wenig aggressive Medien. Für Gase sind Platten-Wärmeübertrager wegen der ungenügenden Dichtigkeit weniger gut geeignet.
Abb. 7.33. Platten-Wärmeübertrager; Zeichnung Firma SIGRI, Meitingen/D
294
7 Wärmeübertragung
Spiral-Wärmeübertrager
Ein Spiral-Wärmeübertrager besteht aus zwei in geringem Abstand zueinander spiralförmig um eine Achse aufgewickelten Blechen (s. Abb. 7.34). Die aufgewickelten Bleche werden seitlich durch abnehmbare Dekkel mit weichen Dichtungen abgedeckt, wodurch zwei spiralförmige nach innen laufende, flache Rechteckkanäle gebildet werden. Die Ein- und Austritte der Kanäle liegen einerseits an der Peripherie und andrerseits auf der Achse des Apparats. Das warme und das kalte Medium durchströmen die Kanäle im Gegen- oder Gleichstrom. Der Spiral-Wärmeübertrager zeichnet sich durch einen hohen Wärmedurchgang pro Fläche, d.h. schnelle Erwärmung oder Abkühlung aus, weshalb er vor allem bei Hitze empfindlichen Produkten eingesetzt wird (z.B. bei der Pasteurisierung von Lebensmitteln). Durch die klare Strömungsführung in rechteckigen Kanälen mit unverändertem Querschnitt gibt es praktisch keine Toträume. Zudem können die seitlichen Deckel leicht demontiert werden, wodurch eine Reinigung des Apparateinnern möglich wird. Deshalb wird der Spiral-Wärmeübertrager häufig bei verschmutzenden oder feststoffhaltigen Medien verwendet. Meistens wird der Spiral-Wärmeübertrager mit horizontaler Achse aufgestellt. Um eine vollständige Entleerung zu gewährleisten, kann er auch senkrecht aufgestellt werden.
Abb. 7.34. Spiral-Wärmeübertrager; Querschnitt links und Längsschnitt rechts
7.6 Wärmeübertrager
295
Wärmerohr
Ein hermetisch verschlossener Behälter, z.B. ein Rohr, ist auf der Innenseite mit einer porösen Kapillarstruktur ausgekleidet und enthält eine reine, leicht zu verdampfende Flüssigkeit (s. Abb. 7.35). Entsprechend der Umgebungstemperatur stellt sich im Innern des Behälters ein Gleichgewicht zwischen der flüssigen und der korrespondierenden dampfförmigen Phase ein. Bei höherer Temperatur verdampft ein Teil der Flüssigkeit und der Dampfdruck steigt, bei tieferer Temperatur kondensiert ein Teil des Dampfs und der Dampfdruck sinkt. Eine solche Vorrichtung nennt man Wärmerohr (engl. Heatpipe). Wird nur eine Zone des Wärmerohrs erwärmt, so verdampft an dieser Stelle ein Teil der Flüssigkeit und strömt in freier Konvektion durch den Gasraum zu einer Zone mit niedrigerer Temperatur, wo der Dampf wieder kondensiert. Das Kondensat fließt schließlich durch Kapillarkräfte oder Gravitation wieder in die Zone mit hoher Temperatur zurück und schließt so den Kreislauf. In der Warmzone entzieht der Verdampfungsvorgang Wärme aus der Umgebung und in der Kaltzone wird diese Wärme wieder an die Umgebung freigesetzt. Da die Verdampfungstemperatur und die Kondensationstemperatur bei einer reinen Flüssigkeit identisch sind, werden minimale Temperaturunterschiede im Wärmerohr sehr schnell ausgeglichen. Der Wärmetransport in einem Wärmerohr ist dank der hohen latenten Wärmen des Verdampfungs- und Kondensationsvorgangs äußerst effektiv und übertrifft die Wärmeleitung eines Kupferstabs mit gleich großen Abmessungen um mehr als das 1'000-fache! Q
Wand
Kapillarstruktur
Q
Dampfraum
Q
Q
Warmzone
Adiabate Transportzone
Kaltzone
(Verdampfung)
(Gas- und Kapillarströmung)
(Kondensation)
Abb. 7.35. Wärmerohr mit Warmzone, Transportzone und Kaltzone (von links nach rechts)
296
7 Wärmeübertragung
Ein Wärmerohr zeichnet sich durch verschiedene Besonderheiten aus: − Bereits bei geringen Temperaturdifferenzen werden große Wärmemengen übertragen. − Der Wärmetransport geschieht ohne Fremdenergie und äußeren Antrieb geräuschlos, verschleißarm und wartungsfrei. − Das Wärmerohr passt sich innerhalb eines gewissen Bereichs selbsttätig an veränderte Betriebstemperaturen an. − Durch Wahl einer geeigneten Flüssigkeit sind Arbeitstemperaturen zwischen -271 °C (He) und + 2'200 °C (Ag) möglich (s. Tabelle 7.14). − Die Bauform ist kompakt und kann an komplizierte Geometrien angepasst werden. Wärmequellen und Wärmesenken können örtlich getrennt sein. − Der maximale Wärmefluss wird durch verschiedene Faktoren limitiert, so z.B. durch Mitreißen von Flüssigkeitstropfen mit dem Dampf, durch die Schallgeschwindigkeit des Dampfs im Gasraum oder durch einen beschränkten Rücktransport von kondensiertem Dampf zur Warmzone in der Kapillarstruktur. Wärmerohre finden Anwendungen bei der Kühlung von elektronischen Hochleistungskomponenten, bei der Wärmerückgewinnung in Klimaanlagen, zur Notkühlung von Reaktoren oder in der Raumfahrt zur Thermostabilisierung von Satelliten und Fähren. Tabelle 7.14. Flüssigkeiten als Wärmeträger in Wärmerohren Flüssigkeit Helium Stickstoff Ammoniak Wasser Quecksilber Kalium Natrium Lithium Silber
anwendbarer Temperaturbereich / °C -271 bis -269 -205 bis -170 -60 bis +100 +30 bis +250 250 bis 600 450 bis 750 600 bis 1'100 1'000 bis 1'600 1'500 bis 2'200
7.6 Wärmeübertrager
297
Heiz- und Kühlmedien
Bei der indirekten Wärmeübertragung in Rekuperatoren werden an ein ideales Heiz- oder Kühlmedium (Wärmeträger) viele Anforderungen gestellt: − hohe Wärmekapazität und gute Wärmeleitung − große Verdampfungsenthalpie bei kondensierenden Heizmedien − großer Arbeitsbereich zwischen Schmelz- und Siedepunkt − kleiner Dampfdruck auch bei hoher Temperatur, Geruchlosigkeit − geringe Viskosität im gesamten Arbeitsbereich − geringe Toxizität, Ökotoxizität und Korrosivität − große chemische Stabilität, keine Reaktion mit Wasser − geringe Brennbarkeit, keine Bildung explosibler Luftgemische − günstiger Preis Diese Anforderungen werden in der Praxis je nach gewünschtem Temperaturbereich von verschiedenen Wärmeträgern gut erfüllt: Wasser
Wasser erfüllt fast alle gewünschten Anforderungen. Häufig wird es auch als Dampf zur direkten oder indirekten Heizung oder als Eis zur direkten Kühlung verwendet. Dabei wird die spezifische latente Verdampfungswärme ∆hv an die Umgebung übertragen bzw. die spezifische latente Schmelzwärme ∆hm aus der Umgebung aufgenommen. Die spezifischen latenten Wärmen von Wasser betragen je nach Temperatur z.B. ∆hv, 100°C = 2'257 kJ/kg, ∆hv, 0°C = 2'501 kJ/kg oder ∆hm, 0°C = 333 kJ/kg. Die an das errechnet System übertragene Wärmemenge Q bzw. Wärmeleistung Q an Dampf oder Eis mit sich aus der Masse m bzw. dem Massenstrom m =m ⋅ ∆h Q = m ⋅ ∆h bzw. Q
(7.117)
Eine Heizung mit Dampf hat den Vorteil, dass die latente Wärme im Vergleich zur fühlbaren Wärme viel größer ist und daher bei einer indirekten Heizung eine größere Wärmemenge pro Heizfläche übertragen wird. Zudem ist die Temperatur des Heizmediums im Wärmeübertrager praktisch überall gleich groß und kann über den Dampfdruck einfach geregelt werden. Ein Dampfdruck von 2 bar entspricht z.B. einer Kondensationstemperatur von 120 °C und ein solcher von 10 bar 180 °C. Detaillierte Angaben zu Wasser und Wasserdampf finden sich in der Wasserdampftafel (Tabelle 7.15).
298
7 Wärmeübertragung
Tabelle 7.15. Stoffwerte von Wasser im Sättigungszustand vom Tripel- bis zum kritischen Punkt [1]
7.6 Wärmeübertrager
299
Sole
Sole besteht aus einem Gemisch von Salzen, z.B. NaCl oder CaCl2 mit Wasser. Ein Gemisch von 32% CaCl2, 0,1% Na2Cr2O7 und NaOH bis pH 8,5 mit Wasser hat beispielsweise einen Arbeitsbereich zwischen - 38 und + 42 °C. Mineralöle und synthetische Öle
Mineralöle und synthetische Öle werden besonders gerne in Mehrzweckanlagen eingesetzt, in denen bei unterschiedlichsten Temperaturen gearbeitet wird. Es ist heute möglich, mit einem einzigen Medium den Temperaturbereich zwischen - 50 °C bis + 250 °C abzudecken. Wärmeträgeröle sind bis 350 °C einsetzbar. Salzschmelzen
Salzschmelzen sind meist eutektische Gemische aus verschiedenen Salzen und können drucklos verwendet werden. Ein Beispiel ist HTS (Hochtemperatursalzschmelze), ein Gemisch aus 53% KNO3, 40% NaNO2 und 7% NaNO3, das bei 142 °C schmilzt und sich ab 480 °C zersetzt. Metalle
Flüssige Metalle sind erst bei hohen Temperaturen verwendbar, da sie bei normalen Temperaturen fest sind. Dafür eignen sie sich bis 1'500 °C. Flüssige Metalle können auch magnetisch induktiv, d.h. ohne Pumpen mit bewegten mechanischen Teilen, gefördert werden. Manche flüssige Metalle reagieren heftig bei Zutritt von Wasser. Sie setzen dabei gasförmigen explosiblen Wasserstoff frei. Risikoanalysen und daraus abgeleitete Sicherheitsmaßnahmen helfen, die potenziellen Gefahren zu beherrschen. Die Tabellen 7.16 und 7.17 geben eine Übersicht über die wichtigsten Eigenschaften von flüssigen Heiz- und Kühlmedien. Weitere Angaben zu Wärmeträgern finden sich beispielsweise im VDI Wärmeatlas [1].
300
7 Wärmeübertragung
Tabelle 7.16. Minimale Einsatztemperatur und Stoffeigenschaften von flüssigen Heiz- und Kühlmedien bei 20 °C ; Tmin Schmelzpunkt bzw. Stockpunkt; ρ Dichte; η dynamische Viskosität; cp spezifische Wärmekapazität; λ Wärmeleitfähigkeit Medium CaCl2 27% Glykol 40 Wasser Diphyl Diphyl DT Shell Therma A Shell Therma E Marlotherm L Marlotherm S Dowtherm J Santotherm 66 HTS Quecksilber Natrium
Tmin / °C -38 -24 0 +12 -54 -60 -24 -70 -35 -73 -28 +142 -39 +98
ρ (20°C) / kg⋅m-3 1'255 1'070 997 1'062 1'035 889 904 988 1'029 865 1'008 13'530 970
η (20°C) / mPa⋅s 2,7 2,9 1,0 4,0 6,3 9,0 7,2 3,9 41,0 0,9 100,0 1,6 -
cp (20°C) / kJ⋅kg-1⋅K-1 2,84 3,50 4,18 1,55 1,58 1,86 1,84 1,59 1,59 1,83 1,60 0,14 -
λ (20°C) /W⋅m-1⋅K-1 0,55 0,44 0,59 0,14 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13 0,12 8,34 135,0
Tabelle 7.17. Maximale Einsatztemperatur und Stoffeigenschaften von flüssigen Heiz- und Kühlmedien bei 100 °C ; Tmax Siedepunkt bzw. Zersetzungstemperatur; ρ Dichte; η dynamische Viskosität; cp spezifische Wärmekapazität; λ Wärmeleitfähigkeit; * Stoffwerte von HTS bei 300 °C Medium CaCl2 27% Glykol 40 Wasser Diphyl Diphyl DT Shell Therma A Shell Therma E Marlotherm L Marlotherm S Dowtherm J Santotherm 66 HTS Quecksilber Natrium
Tmax / °C +42 +104 +100 +257 +285 +265 +340 +280 +350 +182 +345 +480 +357 +880
ρ (100°C) / kg⋅m-3 1'210 1'000 967 996 970 838 853 927 974 800 953 *1'860 13'300 928
η (100°C) / mPa⋅s 0,6 0,3 0,9 1,2 1,6 1,9 1,0 2,9 0,3 3,7 *3,2 1,3 0,7
cp (100°C) / kJ⋅kg-1⋅K-1 3,84 4,18 1,87 1,82 2,14 2,12 1,88 1,84 2,08 1,88 *1,80 1,38
λ (100°C) /W⋅m-1⋅K-1 0,45 0,68 0,13 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,12 0,19 *0,39 -
7.6 Wärmeübertrager
301
Auslegung
Für die Auswahl und die Auslegung eines Wärmeübertragers wird das folgende Vorgehen vorgeschlagen: Stoffstrom 1: 1. Ermittlung des Volumenstroms des ersten Mediums 2. Ermittlung der Stoffeigenschaften des ersten Mediums 3. Festlegung der Anfangs- und Endtemperatur des ersten Mediums 4. Berechnung des übertragenen Wärmestroms (Gl. 7.115) Stoffstrom 2: 5. Wahl eines geeigneten Heiz- oder Kühlmediums (zweites Medium) 6. Ermittlung der Stoffeigenschaften des zweiten Mediums 7. Bestimmung der Anfangs- und Endtemperatur des zweiten Mediums 8. Ermittlung des Volumenstroms des zweiten Mediums (Gl. 7.115) Apparat: 9. Wahl eines beständigen Werkstoffs für den Wärmeübertrager 10.Festlegung der Reinigungsmethoden 11.Wahl der Bauart des Wärmeübertragers 12.Wahl der Strömungsführung 13.Berechnung der Wärmeübertragungsfläche (Gl. 7.94ff.) 14.Wahl des Herstellers und der Bezeichnung des Wärmeübertragers 15.Wahl der Lage und Positionierung des Wärmeübertragers im Raum Aus der Auslegung resultieren − ein Pflichtenheft mit Spezifikationen für den Wärmeübertrager zuhanden des Herstellers, − isometrische Zeichnungen der Zuleitungen zuhanden der Rohrschlosserei, − ein Pflichtenheft für die Positionierung und Befestigung des Wärmeübertragers an seinem Standort zuhanden der Gebäudetechnik, − eine Bedienungsanleitung für den Unterhalt und den Betrieb des Wärmeübertragers zuhanden der Betriebswerkstätte und der Produktion.
302
7 Wärmeübertragung
7.7 Fragen aus der Praxis Strahlung
a) Welche Leistung strahlt 1 m2 einer Deckenheizung aus Beton aus, wenn die Deckentemperatur 27 °C beträgt. b) Wie viel Wärme überträgt 1 m2 der Deckenheizung auf den Boden, der ebenfalls aus Beton besteht und 20 °C warm ist? c) Bei welcher Wellenlänge liegt die maximale Strahlungsintensität? Wärmetransport durch Wand
Ein Glühofen hat eine 4 m2 große Wand aus Schamotte. Die Dicke der Wand sei 0,5 m. Zwischen der Innen- und der Außenseite der Wand besteht eine Temperaturdifferenz von 1'000 K. Die Temperatur außerhalb des Ofens ist 20 °C. Die Wärmeleitfähigkeit der Schamotte beträgt λ1 = 0,8 kcal⋅m-1⋅h-1⋅K-1 = 0,93 W⋅m-1⋅K-1 . a) Wie groß ist der tägliche Wärmeverlust durch die Wand? b) Um wie viel Prozent verringert sich dieser Verlust, wenn die Außenwand durch eine 3 cm dicke Isolierschicht mit einer Wärmeleitfähigkeit von λ2 = 0,093 W⋅m-1⋅K-1 verstärkt wird? c) Welche Temperatur herrscht an der Grenze zwischen der Isolierung und der Schamotte-Schicht? Wärmetransport durch Rohrwand
a) Wie groß ist der Wärmestrom durch ein 5 m langes Rohr aus 18-8 Stahl mit Innendurchmesser 10 cm und Außendurchmesser 11 cm, wenn im Innern eine Flüssigkeit der Temperatur 80 °C und außen eine Flüssigkeit der Temperatur 20 °C zirkuliert? Die Widerstände der Wärmeübergänge an der inneren und äußeren Rohroberfläche seien zu vernachlässigen. b) Wie ändert sich der Wärmestrom, wenn innen eine 0,3 cm dicke Schicht aus Email (Glas) aufgetragen wird?
7.8 Literatur
303
Wärmeübergang im Rohr
a) Wie groß ist der Wärmeübergangskoeffizient innen, wenn Wasser mit einer Geschwindigkeit von 0,5 m/s durch das Stahlrohr der obigen Aufgabe fließt? b) Wie ändert sich der Wärmestrom der obigen Aufgabe unter Berücksichtigung des Widerstands des inneren Wärmeübergangs?
7.8 Literatur [1] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [2] Hell F (1982) Grundlagen der Wärmeübertragung. 3 Aufl, VDI, Düsseldorf [3] Martin H (1988) Wärmeübertrager. Thieme, Stuttgart [4] Gregorig R (1973) Wärmeaustausch und Wärmeaustauscher. 2 Aufl, Sauerländer, Aarau [5] Hausen H (1976) Wärmeübertragung im Gegenstrom, Gleichstrom und Kreuzstrom. 2 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [6] Stelzer F (1971) Wärmeübertragung und Strömung. Thiemig, München [7] Schlünder E (1995) Einführung in die Wärmeübertragung. 8 Aufl, Vieweg, Braunschweig [8] Baehr H, Stephan K (1994) Wärme- und Stoffübertragung. Springer, Berlin Heidelberg New York [9] Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg [10]Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [11]Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart
8 Stofftransport
8.1 Einleitung Wie die Wärmeübertragung ist auch der Stofftransport (engl. mass transfer) ein typischer Ausgleichsvorgang. Chemische Inhaltsstoffe verschieben sich in einem Stoffgemisch statistisch gesehen häufiger von einem Gebiet hoher Konzentration zu einem Gebiet niedriger Konzentration als in umgekehrter Richtung. Konzentrationsdifferenzen werden so allmählich ausgeglichen. Maßgebend für die Geschwindigkeit, mit der ein Stofftransport abläuft, ist das treibende Konzentrationsgefälle im Stoffgemisch. Stofftransportphänomene spielen bei allen chemischen Prozessen eine wichtige Rolle. Auch bei thermischen Prozessen, die einer chemischen Reaktion häufig vorausgehen oder an sie anschließen, sind Stofftransportvorgänge oft von zentraler Bedeutung. Beispiele sind: − − − − − − − − −
Auflösen fester Stoffe Destillieren und Rektifizieren Kristallisieren Trocknen Sublimieren Kondensieren Extrahieren Absorbieren und Adsorbieren Reagieren, speziell bei heterogenen Reaktionen
Der Stofftransport kann physikalisch gesehen auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten zustande kommen, nämlich durch Diffusion oder durch Konvektion (s. Abb. 8.1).
306
8 Stofftransport
Diffusion Bei der Diffusion wandern die kleinsten Teilchen eines Stoffs (Moleküle, Atome, Ionen) durch einen anderen, ruhenden Stoff hindurch. Angetrieben werden sie in der Regel durch die ungeordnete Wärmebewegung der Teilchen. Beispiele für den Stofftransport durch Diffusion sind die Permeation von N2 oder H2 in Stahl, die Wanderung von Radon im Erdreich, die Diffusion von O2 durch Verpackungsfolien oder das Durchdringen von Lösungsmitteln durch Gummihandschuhe Konvektion Bei der Konvektion werden ganze Stoffbezirke (Turbulenzballen) in einem strömenden Medium gegeneinander verschoben. Wie bei der Wärmeübertragung kann die Strömung durch Einwirkung äußerer Kräfte (Pumpen, Rühren, etc.) oder innerer Kräfte (Dichte- oder Druckunterschiede im Medium) entstehen. Im ersten Fall spricht man von einer erzwungenen und im zweiten Fall von einer freien bzw. natürlichen Konvektion. Beispiele für den Stofftransport durch erzwungene Konvektion sind das Auflösen von Kaffeepulver in der Tasse bei gleichzeitigem Umrühren, das Trocknen von Heu unter Verwendung eines Gebläses oder die Umwandlung von gasförmigen Schadstoffen aus einem Benzinmotor im Katalysator. Beispiele für den Stofftransport durch freie Konvektion sind das Abführen von Wasserdampf beim Trocknen von Wäsche an der Luft oder der Sauerstoffausgleich in einem stehenden Gewässer. Kombination der Stofftransportmechanismen Diffusion und Konvektion laufen in realen Systemen meistens kombiniert ab. Die Diffusion überwiegt an der Phasengrenzfläche und die Konvektion im Kern eines fluiden Mediums. Obwohl die schnellere Konvektion den größten Teil eines fluiden Mediums erfasst, werden viele reale Vorgänge durch die langsamere Diffusion an den Phasengrenzen entscheidend beeinflusst, d.h. die Diffusion bestimmt die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs. Im Folgenden werden die zwei Stofftransportprozesse Diffusion und Konvektion detailliert vorgestellt.
8.2 Diffusion
307
Stofftransport
Diffusion
Konvektion
Abb. 8.1. Unterteilung des Stofftransports in Diffusion und Konvektion
8.2 Diffusion Die Diffusion ist ein Stofftransportvorgang, bei dem sich einzelne Stoffteilchen (Moleküle, Atome, Ionen) in einem ruhenden Medium verschieben. Angetrieben werden die Teilchen meistens durch ihre eigene thermische Bewegung. Weil bei überall gleicher Temperatur alle Teilchen dieselbe thermische Bewegungsenergie besitzen, aber in einem Gebiet hoher Konzentration mehr Teilchen vorhanden sind als in einem Gebiet niedriger Konzentration, bewegen sich aus statistischen Gründen auch mehr Teilchen in Richtung niedriger Konzentration als in die umgekehrte Richtung. Konzentrationsunterschiede werden so auf submikroskopischer Ebene ausgeglichen. Eindimensionale Diffusion A. Fick hat Mitte des 19. Jahrhunderts herausgefunden, dass der Stofftransport durch Diffusion in einem eindimensionalen Körper proportional ist zur treibenden Konzentrationsdifferenz c2-c1, proportional zur Querschnittsfläche A des Körpers senkrecht zur Bewegungsrichtung des Stoffs und umgekehrt proportional zur Länge " des Diffusionsweges. Diese Beziehung ist als das erste Fick’sche Gesetz bekannt
n =
dn c −c dc = −D ⋅ A ⋅ 2 1 = −D ⋅ A ⋅ " dt dx
(8.1)
308
8 Stofftransport
Symbole: n = Mengenstrom bedingt durch Diffusion n = Molzahl des diffundierenden Stoffs t = Zeit D = Diffusionskoeffizient des diffundierenden Stoffs 1 im ruhenden Medium 2 A = Querschnittsfläche des Körpers senkrecht zur Bewegungsrichtung des diffundierenden Stoffs c1 = Konzentration auf der einen Seite im Körper c2 = Konzentration auf der anderen Seite im Körper " = Länge des Diffusionswegs dc/dx = Konzentrationsgefälle im Körper
[mol⋅s-1] [mol] [s] [m2⋅s-1] [m2] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3] [m] [mol⋅m-4]
Das negative Vorzeichen in der Gl. 8.1 deutet darauf hin, dass die Diffusion entgegen dem Konzentrationsgefälle in Richtung niedriger Konzentration abläuft. Fehlt die Konzentration ci zur Berechnung des Mengenstroms n in der Gl. 8.1, so kann diese aus der Massenkonzentration ρi oder dem Massenanteil wi des Stoffs i im umgebenden Medium hergeleitet werden.
ci =
ρi w ⋅ρ = i M Mi Mi
(8.2)
Symbole: ci = Molkonzentration des diffundierenden Stoffs i [mol⋅m-3] ρi = Massenkonzentration des diffundierenden Stoffs i [kg⋅m-3] Mi = molare Masse des diffundierenden Stoffs i [kg⋅mol-1] [-] wi = Massenanteil des diffundierenden Stoffs i im Medium ρM = spezifische Dichte des umgebenden Mediums [kg⋅m-3]
gesucht, so gilt Ist statt des Mengenstroms n der Massenstrom m = n ⋅ M m = Massenstrom bedingt durch Diffusion Symbole: m M = molare Masse des diffundierenden Stoffs
(8.3) [kg⋅s-1] [kg⋅mol-1]
Diffundieren gasförmige Teilchen in einem ruhenden Gasraum, kann das erste Fick’sche Gesetz auch als Funktion der Partialdrücke der diffundierenden Komponente ausgedrückt werden, sofern sich die Gaskomponenten annähernd ideal verhalten. n = −
D ⋅ A p 2 − p1 D ⋅ A dp ⋅ ⋅ =− R ⋅T R ⋅ T dx "
(8.4)
8.2 Diffusion
309
Symbole: R = universelle Gaskonstante [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] -1 -1 (= 8,314 J⋅K ⋅mol ) T = absolute Temperatur [K] p1 = Partialdruck auf der einen Seite im Gasraum [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] p2 = Partialdruck auf der anderen Seite [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] im Gasraum dp/dx = Partialdruckgefälle im Gasraum [Pa⋅m-1] = [kg⋅m-2⋅s-2] in x-Richtung
Der Proportionalitätsfaktor D der Gln. 8.1 und 8.4 wird als Diffusionskoeffizient (Diffusionskonstante, Diffusionszahl, Diffusivität) bezeichnet. Der Diffusionskoeffizient beschreibt die Fähigkeit eines Stoffs, sich aufgrund von molekularen Ausgleichsvorgängen durch einen anderen hindurch zu bewegen. Der Diffusionskoeffizient hängt vom diffundierenden Stoff, dem ruhenden Stoff, den Konzentrationen, dem Druck und der Temperatur ab. Experimentell bereitet es oft erhebliche Schwierigkeiten, den Diffusionskoeffizienten exakt zu bestimmen, da die Diffusion ein absolut ruhendes System ohne störende konvektive Vorgänge voraussetzt. Das Einhalten dieser Voraussetzung gelingt im Experiment nicht immer. Unter gleichen Bedingungen gemessene Werte weichen in der Literatur manchmal bis zu 20% von einander ab. Gase
Die Diffusionskoeffizienten gasförmiger Stoffe liegen in einem Wertebereich zwischen 10-6 und 10-4 m2/s. Ist der Diffusionskoeffizient D1 bei einem Druck pges 1 und einer Temperatur T1 bekannt, so kann er mit Hilfe der Gleichung von Chen und Othmer bei einem anderen Druck pges 2 und einer anderen Temperatur T2 abgeschätzt werden.
D 2 = D1 ⋅
p ges1 § T2 ⋅¨ p ges 2 ¨© T1
· ¸¸ ¹
1,81
Symbole: D1 = bekannter Diffusionskoeffizient bei Druck pges 1 und Temperatur T1 D2 = unbekannter Diffusionskoeffizient bei Druck pges 2 und Temperatur T2 pges = absoluter Gesamtdruck [Pa] = T = absolute Temperatur
(8.5)
[m2⋅s-1] [m2⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-2] [K]
310
8 Stofftransport
Tabelle 8.1. Diffusionskoeffizienten in Gasen bei einem Gesamtdruck von 1 atm = 101'325 Pa diffundierender Stoff Wasserstoff Stickstoff Sauerstoff Kohlendioxid Salzsäure Ammoniak Methanol Ethanol n-Propanol n-Butanol Benzen Wasserdampf Wasserdampf Wasserdampf Wasserdampf
ruhender Stoff Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Luft Wasserstoff Kohlendioxid
ϑ/ [°C] 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 100 0 0
D/ [10-6 m2⋅s-1] 61,1 13,2 17,8 13,8 13,0 17,0 13,3 10,2 8,0 6,8 7,7 23,0 40,5 77,2 14,2
Die Diffusionskoeffizienten einiger Stoffe in der Gasphase sind in der Tabelle 8.1 aufgelistet. Bei idealen Gasgemischen ist der Wert des Diffusionskoeffizienten unabhängig davon, welcher der beiden Stoffe durch welchen diffundiert. Der Wert des Diffusionskoeffizienten bleibt in beiden Fällen gleich groß, d.h. der Diffusionskoeffizient einer Komponente A im Gas B ist gleich groß wie der Diffusionskoeffizient der Komponente B im Gas A. Flüssigkeiten
Die Diffusionskoeffizienten flüssiger Stoffe liegen in einem Wertebereich zwischen 10-10 und 10-8 m2/s. Ist der Diffusionskoeffizient D1 bei einer Temperatur T1 bekannt, bei der das ruhende Medium eine dynamische Viskosität von η1 aufweist, so kann er mit Hilfe der Gleichung von Wilke und Chang bei einer anderen Temperatur T2, bei der die Viskosität η2 beträgt, errechnet werden. D 2 = D1 ⋅
T2 η1 ⋅ T1 η 2
(8.6)
8.2 Diffusion Symbole: D1 = bekannter Diffusionskoeffizient bei Temperatur T1 und dynamischer Viskosität η1 D2 = unbekannter Diffusionskoeffizient bei Temperatur T2 und dynamischer Viskosität η2 η = dynamische Viskosität [Pa⋅s] = T = absolute Temperatur
311
[m2⋅s-1] [m2⋅s-1] [kg⋅m-1⋅s-1] [K]
Die Diffusionskoeffizienten einiger stark verdünnter Stoffe in der flüssigen Phase können der Tabelle 8.2 entnommen werden. Der Diffusionskoeffizient einer Komponente A im Lösungsmittel B unterscheidet sich vom Diffusionskoeffizienten der Komponente B im Lösungsmittel A, wie die Beispiele Glycerol-Wasser oder Aceton-Wasser zeigen. Feststoffe
Die Diffusionskoeffizienten in Festkörpern variieren zwischen 10-30 und 10-9 m2/s in einem außerordentlich weiten Bereich. In heterogen aufgebauten, porösen Festkörpern diffundieren die Stoffe durch die mit Gas oder Flüssigkeit gefüllten Hohlräume und manchmal auch entlang der inneren Oberfläche der Hohlräume. Die Diffusionskoeffizienten liegen daher relativ hoch und nahe denjenigen in reinen flüssigen oder gasförmigen Stoffen (s. Tabellen 8.1 und 8.2). Tabelle 8.2. Diffusionskoeffizienten in Flüssigkeiten diffundierender Stoff Wasserstoff Stickstoff Sauerstoff Kohlendioxid Salzsäure Ammoniak Methanol Ethanol Glycerol Glycerol Wasser Aceton Wasser Glukose Kaliumchlorid Kaliumhydroxid
ruhender Stoff Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser Ethanol Wasser Glycerol Wasser Aceton Wasser Wasser Wasser
ϑ/ [°C] 20 20 20 20 20 20 20 20 25 25 25 25 25 25 25 20
D/ [10-9 m2⋅s-1] 0,5 1,9 2,1 1,8 2,3 1,8 1,6 1,0 0,6 0,9 0,02 1,3 4,6 0,7 1,9 2,0
312
8 Stofftransport
In homogen aufgebauten, dichten Feststoffen diffundieren die Stoffe durch Lücken und fehlerhafte Stellen in der Feststoffmatrix. Die Diffusionskoeffizienten sind hier relativ niedrig. Besonders bei kristallin aufgebauten Festkörpern mit nur wenigen Fehlstellen im Gitteraufbau wird die Diffusion äußerst stark behindert. Unter diesen Umständen erreichen die Diffusionskoeffizienten nur minimalste Werte. Ist der Diffusionskoeffizient D1 bei einer Temperatur T1 und die Aktivierungsenergie der Diffusion Ea bekannt, so kann der Diffusionskoeffizient bei einer anderen Temperatur T2 mit Hilfe der Arrhenius-Beziehung (Gl. 8.7) ermittelt werden. Die Aktivierungsenergie der Diffusion Ea kann z.B. aus einem zweiten D-T-Paar abgeschätzt werden.
° E D 2 = D1 ⋅ exp ® a °¯ R
§ 1 1 ·½° ¸¸¾ ⋅ ¨¨ − T T 2 ¹° © 1 ¿
(8.7)
Symbole: D1 = bekannter Diffusionskoeffizient bei Temperatur T1 [m2⋅s-1] D2 = unbekannter Diffusionskoeffizient bei Temperatur T2 [m2⋅s-1] Ea = Aktivierungsenergie der Diffusion [J⋅mol-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] R = universelle Gaskonstante [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] -1 -1 (= 8,314 J⋅K ⋅mol ) T = absolute Temperatur [K]
Die Diffusionskoeffizienten einiger Stoffe in Festkörpern sind in der Tabelle 8.3 aufgeführt. Der Diffusionskoeffizient einer Komponente A in einem Stoff B unterscheidet sich vom Diffusionskoeffizienten der Komponente B im Stoff A, wie das Beispiel Blei-Gold zeigt. Tabelle 8.3. Diffusionskoeffizienten in Feststoffen diffundierender Stoff Gold Gold Blei Blei Silicium Silicium
ruhender Stoff Blei Blei Gold Gold α-Eisen α-Eisen
ϑ/ [°C] 100 300 100 250 1'095 1'249
D/ [10-15 m2⋅s-1] 230 150'000 20 33'300 1'500 5'000
8.2 Diffusion
313
Stationärer Zustand
Im stationären Zustand gilt das erste Fick’sche Gesetz. Die Konzentration fällt in einem eindimensionalen Körper ohne stoffliche Quellen oder Senken von der einen Seite zur anderen linear ab (s. Abb. 8.2). Diese Gesetzmäßigkeit kann analog zur linearen Temperaturverteilung in einem eindimensionalen Körper hergeleitet werden (s. Kapitel “Wärmeübertragung/ Wärmeleitung”). c 1 = konst.
c 2 = konst.
A
n
c c1 dc dx
c2
"
0
x
Abb. 8.2. Diffusion und Konzentrationsverlauf im stationären Zustand in einem eindimensionalen Körper ohne stoffliche Quellen oder Senken
Instationärer Zustand
Im instationären Zustand ist die Konzentration im Körper eine Funktion von Ort und Zeit. In Analogie zur instationären Wärmeleitung lautet die Gleichung für den örtlichen Konzentrationsverlauf mit der Zeit dc d 2c = D⋅ 2 dt dx
(8.8)
Diese Beziehung ist als das zweite Fick’sche Gesetz bekannt. Für eine plötzlich auftretende und bleibende Konzentrationsänderung zum Zeitpunkt 0 an einem Ende eines unendlich langen eindimensionalen Körpers hat die partielle Differentialgleichung 8.8 die Lösung
314
8 Stofftransport
c( x , t ) = c 0 , t > 0 +
(8.9)
x2 ½ ⋅ exp®− ¾ t ¯ 4⋅D⋅t¿
K
Symbole: c(x,t) = Konzentration als Funktion von Ort und Zeit [mol⋅m-3] c0, t>0 = Konzentration am Ende des eindimensionalen Körpers nach dem Konzentrationssprung [mol⋅m-3] t = Zeit nach Konzentrationssprung [s] K = Integrationskonstante [mol⋅s1/2⋅m-3] x = Ortskoordinate [m] D = Diffusionskoeffizient [m2⋅s-1]
Der instationäre Stofftransport durch Diffusion in einem eindimensionalen Körper ist in der Abb. 8.3 schematisch dargestellt. c c0,t>0 t
ct 0 für Produkte) νP = stöchiometrische Laufzahl des Produkts P [-]
Die Integration der Gln. 8.13 oder 8.14 ist recht kompliziert. Für Spezialfälle existieren Näherungslösungen. Der Stofftransport bei gleichzeitiger chemischer Reaktion wird im Unterkapitel 8.5 nochmals aufgegriffen.
8.3 Konvektion Ein Stofftransport durch reine Diffusion setzt ein absolut ruhendes, wirbelfreies Stoffsystem voraus. Die meisten verfahrenstechnischen Apparate enthalten jedoch strömende Medien. Die Strömung ist, um einen guten Wärme- und Stoffübergang zu erhalten, meist turbulent. Stoffbereiche des Mediums verschieben sich daher je nach Stärke der vorherrschenden Turbulenz in alle Richtungen und verändern dabei ständig ihre gegenseitige Lage. Solche Stoffbereiche werden Turbulenzballen (engl. eddies) genannt und sind relativ klein. Besitzen Turbulenzballen eine unterschiedliche stoffliche Zusammensetzung, so gleichen sich die Konzentrationsunter-
318
8 Stofftransport
schiede im Gesamtsystem relativ schnell aus. Diese Art des Stofftransports nennt man Konvektion oder konvektiven Stofftransport. Durch Konvektion findet der Konzentrationsausgleich auf mikroskopischer Ebene statt. Die Turbulenzballen mit unterschiedlicher Zusammensetzung werden im Medium gleichmäßig verteilt. Den Konzentrationsausgleich auf submikroskopischer Ebene stellt schließlich die Diffusion sicher, die aufgrund der kurzen Diffusionswege in den Turbulenzballen ebenfalls schnell abläuft. Eine starke Turbulenz und ein daher großer konvektiver Stofftransport bewirkt, dass auch die Konzentrationsunterschiede auf submikroskopischer Ebene rasch ausgeglichen werden. Die Konvektion kann durch künstliche, äußere Kräfte (Pumpen, Rühren, Ventilieren) oder durch natürliche, innere Kräfte (Dichteunterschiede im Medium) verursacht werden. Die Dichteunterschiede können durch Temperatur-, Druck- oder Konzentrationsunterschiede im Medium entstehen. Ist die Konvektion durch künstliche Kräfte bedingt, spricht man von einer erzwungenen Konvektion. Ist sie durch natürliche Kräfte bedingt, spricht man von einer freien Konvektion. In der chemischen Verfahrenstechnik spielt der Stofftransport durch freie Konvektion praktisch keine Rolle, weshalb er in der folgenden Diskussion vernachlässigt wird. An den Phasengrenzflächen wird die Bewegung der Turbulenzballen quer zur Strömungsrichtung gebremst. Es bildet sich eine stoffliche Grenzschicht aus, in der keine Konvektion mehr stattfinden kann und die als Konzentrationsgrenzschicht bezeichnet wird. Die Dicke der Konzentrationsgrenzschicht δc stimmt weder mit der Dicke der Temperaturgrenzschicht δT noch mit der Dicke der Strömungsgrenzschicht δv überein. In der Konzentrationsgrenzschicht verläuft der Stofftransport einzig durch Diffusion. Obwohl die Konzentrationsgrenzschicht in einem strömenden Medium sehr dünn ist und höchstens wenige Mikrometer beträgt, entscheidet sie maßgeblich über die Größe des entstehenden Stofftransports. In der Vorstellung des Schichtenmodells unterteilt man das strömende Medium in die Konzentrationsgrenzschicht, wo der Stofftransport ausschließlich durch Diffusion erfolgt, und in den Kern der Strömung, wo der Stofftransport durch Konvektion praktisch unbehindert abläuft. Die Abbildung 8.5 zeigt den Stofftransport aus einem Medium mit hoher Konzentration zu einer Phasengrenzfläche mit tiefer Konzentration und vergleicht den realen Konzentrationsverlauf im Medium mit demjenigen des Schichtenmodells.
8.3 Konvektion
319
c Konzentrationsverlauf nach Schichtenmodell cM realer Konzentrationsverlauf n cP 0
x
δc
Abb. 8.5. Konzentrationsverlauf und Grenzschicht bei einem konvektiven Stofftransport an eine Phasengrenzfläche mit tiefer Oberflächenkonzentration
Der Stofftransport zur Phasengrenzfläche errechnet sich zu § c − cP n = −D ⋅ A ⋅ ¨¨ M © δc
· dc ¸¸ = −D ⋅ A ⋅ dx ¹
(8.15) P
Symbole: n = konvektiver Stofftransport zur Phasengrenzfläche D = Diffusionskoeffizient A = Oberfläche der Phasenbegrenzung cM = Konzentration im Kern der Strömung cP = Konzentration an der Phasengrenze δc = Dicke der Konzentrationsgrenzschicht dc/dx»P = Konzentrationsgefälle an der Phasengrenze
[mol⋅s-1] [m2⋅s-1] [m2] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3] [m] [mol⋅m-4]
Aus praktischen Gründen wird der Quotient aus Diffusionskoeffizient D und Schichtdicke δc zu einer Größe zusammengefasst, die Stoffübergangskoeffizient β genannt wird. Der Stoffübergangskoeffizient β gibt an, welche Stoffmenge pro m2 Fläche und 1 s Zeit bei einer Konzentrationsdifferenz von 1 mol/m3 übertragen wird. Die Gleichung 8.15 vereinfacht sich so zu
n = −β ⋅ A ⋅ (c M − c P ) Symbol:
β = Stoffübergangskoeffizient
(8.16) [m⋅s-1]
Der Stoffübergangskoeffizient β hängt von den Eigenschaften der beteiligten Stoffe, von der Strömung sowie der Form und der Oberflächenbeschaffenheit der Phasengrenzfläche ab. Aus einem Vergleich der Gln. 8.15 und 8.16 folgt für die Dicke der Konzentrationsgrenzschicht
320
8 Stofftransport
δc = D
β
(8.17)
Andrerseits wird die Dicke der Grenzschicht durch den Ort bestimmt, wo die Tangente an den Konzentrationsverlauf an der Phasengrenze die Konzentration im Kern des Mediums erreicht (s. Abb. 8.5). δc =
cM − cP dc dx P
(8.18)
In der Modellvorstellung ist der Widerstand des Stofftransports auf eine 100%-ige Diffusion in der Konzentrationsgrenzschicht konzentriert. Das so genannte Schichtenmodell setzt den Widerstand des Stofftransports im Kern der Strömung gleich null. Maßgebend bleiben so einzig der Diffusionskoeffizient des diffundierenden Stoffs und die Dicke der Konzentrationsgrenzschicht. Eine Konzentrationsgrenzschicht mit exakt definierter Dicke δc stimmt mit der Praxis nicht überein. Der konvektive Stofftransport nimmt in Wirklichkeit vom Kern der Strömung zur Wand hin stetig ab. Im gleichen Ausmaß nimmt der diffusive Stofftransport zu, bis er schließlich unmittelbar an der Wand 100% des gesamthaft übertragenen Stoffstroms ausmacht. Dimensionslose Kenngrößen
Aus der Betrachtung des Stoffsystems geht hervor, dass der Stoffübergangskoeffizient β sowohl durch die Stoffeigenschaften des Mediums als auch durch die Fluiddynamik und die Geometrie des Systems bestimmt wird. Selbst wenn man die freie Konvektion als Strömungsform ausschließt, hängt der Stoffübergangskoeffizient z.B. von der Form und der Anströmlänge " der Phasengrenzfläche, der Anströmgeschwindigkeit v, der Konzentration c und dem Diffusionskoeffizienten D des diffundierenden Stoffs sowie der Viskosität η und der Dichte ρ des Mediums ab. β = f (", v, c, D, η, ρ)
(8.19)
Die Abhängigkeit ist derart komplex, dass es nur in einigen wenigen einfachen Fällen gelingt, die Transportgleichungen exakt zu lösen. Angeregt durch die Erfolge bei der Lösung von Wärmeübergangsproblemen versucht man deshalb, den Stofftransport messtechnisch zu erfassen und in dimensionslosen Beziehungen darzustellen (s. Kap. „Wärmeübertragung/ Konvektion“). Die Dimensionsanalyse der an einem Stofftransport betei-
8.3 Konvektion
321
ligten physikalischen Größen (Buckingham Π-Theorem, s. Kap. „Projektierung“) ergibt zwei bisher unbekannte dimensionslose Kenngrößen. Sherwoodzahl
Sh =
β ⋅ " n Konvektion = D n Diffusion
(8.20)
Symbole: Sh = Sherwoodzahl n Konvektion = Stofftransport durch Konvektion im realen System n Diffusion = Stofftransport durch Diffusion über die charakteristische Länge "
[-] [mol⋅s-1] [mol⋅s-1]
Die Sherwoodzahl stellt eine dimensionslose Größe für den konvektiven Stofftranport dar. Sie entspricht dem Verhältnis von tatsächlichem Stofftransport an eine Phasengrenzfläche zu einem fiktiven Stofftransport, der durch reine Diffusion in einer Schicht der charakteristischen Dicke " entstehen würde. Durch Einsetzen der Gl. 8.15 für den konvektiven und Gl. 8.1 für den diffusiven Stofftransport in die Gl. 8.20 folgt, dass die Sherwoodzahl auch als das Verhältnis der charakteristische Länge " zur Dicke der Konzentrationsgrenzschicht δc aufgefasst werden kann. D ⋅ A ⋅ (c M − c P ) δc " Sh = = D δc − ⋅ A ⋅ (c M − c P ) "
(8.21)
−
→ δc =
" Sh
Schmidtzahl
Sc =
ν η = D ρ⋅D
Symbole: Sc = Schmidtzahl ν = kinematische Viskosität des Mediums η = dynamische Viskosität des Mediums ρ = Dichte des Mediums
(8.22) [-] [m2⋅s-1] [Pa⋅s] = [kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-3]
322
8 Stofftransport
Die Schmidtzahl ist eine reine Stoffgröße. Sie vergleicht die Fähigkeit eines Stoffsystems, Strömungsimpulse durch Reibung zu übertragen, mit der Fähigkeit, Stoffteilchen durch Diffusion zu verschieben. Ausgedrückt wird dies als das Verhältnis der kinematischen Viskosität ν zum Diffusionskoeffizienten D. In Gasen liegen die Schmidtzahlen meistens zwischen 0,5 und 2,0 und bleiben bei höherer Temperatur und höherem Druck ziemlich konstant. In Flüssigkeiten sind die Schmidtzahlen weit größer als 1 und nehmen mit höherer Temperatur ab. Die Tabelle 8.4 zeigt einige typische Schmidtzahlen von verdünnten Stoffen in Luft bzw. in Wasser bei 20 °C. Tabelle 8.4. Schmidtzahlen diffundierender, stark verdünnter Stoffe in Luft (oben) bzw. Wasser (unten) bei 20 °C diffundierender Stoff Wasserstoff Wasserdampf Methan Ammoniak Ethanol Benzen
Medium Luft Luft Luft Luft Luft Luft
Schmidtzahl 0,22 0,60 0,84 0,61 1,30 1,71
Wasserstoff Sauerstoff Ammoniak Ethanol Phenol Kaliumhydroxid
Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser Wasser
96 558 570 1'005 1'200 500
Dimensionslose Gleichungen für den Stoffübergang
Dank der Verwendung von dimensionslosen Kenngrößen vereinfacht sich die experimentelle Bestimmung, die mathematische Darstellung und die Interpretation eines Stofftransportvorgangs in erheblichem Umfang. Die mathematische Beziehung für den Stoffübergang an eine Phasengrenzfläche wird häufig als Potenzfunktion dargestellt in der Form Sh = konst.⋅ Re m ⋅ Sc n Symbole: m; n = Exponenten der dimensionslosen Kenngrößen
(8.23) [-]
8.3 Konvektion
323
Die Exponenten m und n sind von der Geometrie des Systems und der Strömung abhängig und lassen sich experimentell relativ einfach bestimmen, z.B. indem man die Sherwoodzahl gegen die Reynolds- bzw. Schmidtzahl doppelt logarithmisch aufträgt. Die Gleichung 8.23 für den Stoffübergang entspricht in ihrem Aufbau vollkommen der Gleichung Nu = konst. ⋅Rem⋅ Prn , wie sie im Kapitel „Wärmeübertragung“ für den Wärmeübergang beschrieben ist. Die Analogie zwischen Stofftransport und Wärmeübertragung geht jedoch noch weiter. Colburn hat gezeigt, dass für den Stoffübergang die exakt gleichen Beziehungen gelten wie für den Wärmeübergang. Die Gleichungen 7.50 bis 7.88 des Kapitels Wärmeübertragung können so unverändert in ihrer äußeren Form auch auf den Stofftransport übertragen werden, sofern man die Nusseltzahl Nu durch die Sherwoodzahl Sh und die Prandtlzahl Pr durch die Schmidtzahl Sc ersetzt. In der Folge werden einige Beziehungen für den Stoffübergang vorgestellt, die direkt aus den entsprechenden Beziehungen des Wärmeübergangs abgeleitet wurden. Ebene Fläche
Für den Stoffübergang an eine ebene Fläche mit der charakteristischen Länge " gilt bei einer erzwungener Konvektion Sh = 0,664 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Sc1 / 3
(8.24)
Gültigkeitsbereich: Re < 5⋅105 ; 0,6 < Sc < 1'000 oder
Sh =
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Sc 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ Sc 2 / 3 − 1
(
)
(8.25)
Gültigkeitsbereich: 5⋅105 < Re < 107 ; 0,6 < Sc < 1'000 oder Sh = 0,05 ⋅ Re 0,78 ⋅ Sc 0, 42 Gültigkeitsbereich: Re > 107
(8.26)
324
8 Stofftransport
Die örtliche Sherwood Shx beschreibt den lokalen Stoffübergang im Abstand x von der Anströmkante der Fläche. Als charakteristische Länge für Re und Shx ist x einzusetzen.. Sh x = 0,332 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Sc1 / 3
(8.27)
Gültigkeitsbereich: Re < 5⋅105 ; 0,6 < Sc < 1'000 Kugelförmiges Teilchen
Für ein einzelnes kugelförmiges Teilchen mit dem charakteristischem Durchmesser dK gilt
(
Sh = 2,0 + Sh 2 la min ar + Sh 2 turbulent
)
(8.28)
1/ 2
mit Sh la min ar = 0,664 ⋅ Re1 / 2 ⋅ Sc1 / 3
(8.29)
und Sh turbulent =
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Sc 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ Sc 2 / 3 − 1
(
)
(8.30)
Gültigkeitsbereich: 0,1 < Re < 104 ; 0,6 < Sc < 104 Festbett
In einem Festbett ist der Stoffübergang erhöht, da die aufeinander liegenden Partikel eine Verwirbelung der Strömung und eine Störung der Konzentrationsgrenzschichten bewirken Sh Festbett = {1 + 1,5 ⋅ (1 − ε )} ⋅ Sh Kugel (Gl. 8.28)
(8.31)
ε ist der Hohlraumanteil der Schüttung. ε=
V Vleer = 1 − Partikel Vgesamt Vgesamt
(8.32)
Die Reynoldszahl Re leitet sich aus dem Partikeldurchmesser dPartikel, der Strömungsgeschwindigkeit vleer im leeren Apparat und dem Hohlraumanteil ε der Schüttung ab. Re =
v leer ⋅ d Partikel ε⋅ν
(8.33)
8.4 Stoffdurchgang
325
Die Analogie zwischen Wärme- und Stoffübergang ist nicht in jedem Fall vollkommen und wird durch folgende Einwände eingeschränkt: 1. Die Phasengrenzfläche des Stoffübergangs sollte geometrisch ähnlich sein zur Wand des Wärmeübergangs. Gerade bei Stoffübergängen zwischen zwei fluiden Phasen ist diese Bedingung nicht immer erfüllt. Die Struktur und Form der Oberfläche werden in diesem Fall von den Strömungsbedingungen der beiden Medien bestimmt. Turbulenzen können sich über die Phasengrenzen hinweg fortsetzen. 2. Die Randbedingungen der mathematischen Beziehungen sollten einander vollständig entsprechen. Setzt der Wärmeübergang eine konstante Wandtemperatur voraus, so wird beim Stoffübergang in Analogie eine konstante Oberflächenkonzentration vorausgesetzt. 3. Bei einem einseitigen Stofftransport muss der senkrecht zur Strömungsrichtung fließende Stefan’sche Verdrängungsstrom vernachlässigbar klein sein, sodass er das Strömungsprofil nicht verändert. Dies trifft gemäß Gl. 8.12 nur dann zu, wenn die Konzentration des diffundierenden Stoffs sehr gering ist. 4. Der Konzentrationsunterschied zwischen der Phasengrenzfläche und dem Kern der Strömung darf nicht so groß sein, dass daraus eine veränderte Viskosität resultiert, die zum Beispiel das Strömungsprofil in der Konzentrationsgrenzschicht nachhaltig verformt. Diese Einschränkungen führen dazu, dass die Rechengenauigkeit eines Stoffübergangs weit unterhalb der Rechengenauigkeit eines Wärmeübergangs liegt. Abschätzungen der Größe eines Stofftransports und Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten in einem realen System sind mit Hilfe der Gln. 8.24 bis 8.33 jedoch durchaus möglich.
8.4 Stoffdurchgang Unter einem Stoffdurchgang versteht man einen Stofftransport, bei dem eine Komponente aus einer fluiden Phase durch eine Phasengrenzfläche in eine zweite fluide Phase hinüber tritt. Zur Beschreibung des Stoffdurchgangs bestehen verschiedene Modelle, von denen nachfolgend die wichtigsten diskutiert werden sollen. Allen Modellen ist gemeinsam, dass sich der Stoffdurchgang in drei Schritte unterteilt lässt: 1. Stoffübergang aus dem Medium 1 an die Phasengrenzfläche 2. Phasentransfer vom Medium 1 ins Medium 2 3. Stoffübergang von der Phasengrenzfläche ins Medium 2
326
8 Stofftransport
Zweifilmtheorie
Die von Whitman und Lewis entwickelte Zweifilmtheorie geht davon aus, dass sich auf den beiden Seiten der Phasengrenzfläche je eine dünne Konzentrationsgrenzschicht ausbildet, in denen die hinüber gehende Komponente einzig durch Diffusion transportiert wird. Diese Vorstellung entspricht einem zweiseitigen Stoffübergang (s. Unterkapitel „Konvektion“). Die beiden Diffusionsgrenzschichten existieren nicht wirklich, sondern entspringen einem Gedankenmodell, um den Stoffdurchgang besser erfassen zu können. Ihre fiktiven Dicken sind in den beiden Phasen verschieden groß und werden nebst den Stoffeigenschaften der beiden Medien vor allem durch die Strömungsgeschwindigkeiten in den Medien beeinflusst. Die Zweifilmtheorie sieht überdies folgende Vereinfachungen vor: 1. Der Stoffübertritt vom Medium 1 ins Medium 2 soll im Vergleich zu den Diffusionsvorgängen sehr schnell erfolgen. Der Widerstand des Phasentransfers darf deshalb gegenüber den diffusiven Widerständen vernachlässigt werden. 2. An der Phasengrenzfläche soll ein stoffliches Gleichgewicht vorherrschen. Die Konzentration in der einen Phase kann so jederzeit mit dem Verteilungsgleichgewicht aus der Konzentration in der anderen Phase berechnet werden. Der Stoffübergang aus dem Medium 1 an die Phasengrenzfläche kann mit Hilfe der Stoffübergangsgleichung 8.16 dargestellt werden als
(
n 1 = −β1 ⋅ A ⋅ c P 1 − c M 1
)
Symbole: n 1 = diffusiver Stofffluss in der Phase 1 β1 = Stoffübergangskoeffizient in der Phase 1 A = Phasengrenzfläche cM 1 = Konzentration im Kern der Phase 1 cP 1 = Konzentration an der Phasengrenzfläche in der Phase 1
(8.34) [mol⋅s-1] [m⋅s-1] [m2] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3]
Zwischen den Konzentrationen auf den beiden Seiten der Phasengrenzfläche besteht ein linearer Zusammenhang, der bei zwei flüssigen Phasen durch das Nernst’sche Verteilungsgesetz beschrieben wird.
8.4 Stoffdurchgang
KN =
327
(8.35)
cP 1 cP 2
Symbole: KN = Nernst’scher Verteilungskoeffizient cP 2 = Konzentration an der Phasengrenzfläche in der Phase 2
[-] [mol⋅m-3]
Ist auch die zweite Phase flüssig, so wird der Stoffübergang von der Phasengrenzfläche ins Medium 2 analog zur Gl. 8.34 geschrieben als
(
n 2 = −β 2 ⋅ A ⋅ c M 2 − c P 2
)
(8.36)
Symbole: n 2 = diffusiver Stofffluss in der Phase 2 β2 = Stoffübergangskoeffizient in der Phase 2 cM 2 = Konzentration im Kern der Phase 2
[mol⋅s-1] [m⋅s-1] [mol⋅m-3]
Die Abbildung 8.6 illustriert den Konzentrationsverlauf auf den beiden Seiten einer Phasengrenzfläche zwischen zwei fluiden Medien, wie er z.B. bei der Extraktion auftritt. c
Phasengrenze Phase 2
c P2
(Aufnehmer) real
∆c 2
β1
c M2 β2
ideal
n Diffusion
Konvektion
Konvektion
ideal
c M1 ∆c 1 c P1
Phase 1
Konzentrationsgrenzschichten
real
(Abgeber)
δ c1
δ c2
x
Abb. 8.6. Konzentrationsverlauf und Grenzschichten gemäß der Zweifilmtheorie bei einem Stoffdurchgang durch eine Phasengrenze zwischen zwei fluiden Medien
328
8 Stofftransport
Die Konzentrationen auf den beiden Seiten der Phasengrenzfläche sind in der Regel unbekannt und einer Messung auch nicht zugänglich. Somit kann der Stofffluss nicht direkt aus den Gl. 8.34 oder 8.36 errechnet werden. Durch Gleichsetzen der Gln. 8.34 und 8.36, was bei einem stationären Prozess sicherlich erlaubt ist, folgt −
β 2 c M 1 − c P 1 ∆c1 = = β1 c M 2 − c P 2 ∆c 2
(8.37)
Die Abbildung 8.7 zeigt die Konzentrationsverhältnisse in den beiden Phasen als Funktion der Konzentrationen im Kern der Medien und der Nernst’schen Verteilungsgeraden. Der durch die Konzentrationen im Kern der Medien definierte Punkt (cM 1; cM 2) wird Arbeitspunkt genannt. Mit Hilfe der Gl. 8.37 können die fehlenden Konzentrationen an der Phasengrenzfläche in der Abb. 8.7 grafisch bestimmt werden. Ausgehend vom Arbeitspunkt (cM 1; cM 2) wird eine Gerade mit der Steigung -β2/β1 gezogen. Der Schnittpunkt mit der Nernst’schen Verteilungsgeraden legt dann die Konzentrationen an der Phasengrenzfläche fest. c1 Arbeitspunkt
c M1 β2 β1
∆c 1
Nernst'sches Verteilungsgleichgewicht
c P1 KN
∆c 2
c M2
c M1 KN
c P2
c2
Abb. 8.7. Konzentrationsdifferenzen beim Stoffdurchgang in einem flüssigflüssig 2-Phasensystem
Mit Hilfe der Gln. 8.34 bis 8.36 gelingt es auch, eine alphanumerische Beziehung für den Stoffdurchgang durch die Phasengrenzfläche herzuleiten. Sie lautet
n =
(
A ⋅ cM 1 − K N ⋅ cM 2 1 + KN β1 β2
)
(8.38)
8.4 Stoffdurchgang
329
Für Berechnungen in der Praxis wird die Gl. 8.38 vereinfacht. In Analogie zum Wärmedurchgangskoeffizienten k definiert man einen Stoffdurchgangskoeffizienten kc, sodass gilt
(
n = k c 1 ⋅ A ⋅ c M 1 − K N ⋅ c M 2
)
(8.39)
mit 1 Symbol:
kc 1
= 1
β1
+
KN
β2
(8.40)
kc 1 = Stoffdurchgangskoeffizient bezogen auf Phase 1 [m⋅s-1]
Der Stoffdurchgangskoeffizient in den Gln. 8.39 und 8.40 ist auf die Phase 1 bezogen. Die Gleichungen können jedoch auch auf die Phase 2 bezogen sein. Dann gilt §c · n = k c 2 ⋅ A ⋅ ¨ M 1 − cM 2 ¸ K N © ¹
(8.41)
mit 1
kc 2
= 1 + 1 K N ⋅ β1 β2
(8.42)
Symbole: kc 2 = Stoffdurchgangskoeffizient bezogen auf Phase 2 [m⋅s-1]
Die Stoffdurchgangskoeffizienten kc 1 und kc 2 unterscheiden sich nur durch den Nernst’schen Verteilungskoeffizienten. kc 2 kc 1
= KN
(8.43)
Die einzelnen Summanden der Gln. 8.40 und 8.42 stellen Teilwiderstände des Stoffdurchgangs dar. 1/kc entspricht einem Gesamtwiderstand des Stoffdurchgangs. Die Stoffübergangskoeffizienten β in den Gln. 8.40 und 8.42 können mit Hilfe der dimensionslosen Beziehungen für Sherwood abgeschätzt werden (s. Unterkapitel „Konvektion“). Ist der nach Gl. 8.39 bzw. 8.41 berechnete Stofffluss positiv, so diffundiert der Stoff aus der Phase 1 in die Phase 2. Bei einem negativen Stofffluss diffundiert der Stoff in umgekehrter Richtung aus der Phase 2 in die Phase 1.
330
8 Stofftransport
Sind die beiden fluiden Phasen ein Gas und eine Flüssigkeit und ist die übergehende Komponente gasförmig, so wird das Gleichgewicht an der Phasengrenze durch das Gesetz von Henry bestimmt. p P i = K Hc i ⋅ c P i
(8.44)
Symbole: pP i = Partialdruck der Komponente i in der [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] Gasphase an der Phasengrenzfläche [mol⋅m-3] cP i = Konzentration der Komponente i in der flüssigen Phase an der Phasengrenzfläche [Pa⋅m3⋅mol-1] KHc i = Henry-Koeffizient der Komponente i für Berechnungen mit der Stoffkonzentration ci in [mol⋅m-3]
Die Henry-Koeffizienten sind stark Temperatur abhängig. Bei tiefen Temperaturen lösen sich gemäß dem Prinzip von Le Châtelier mehr Gase in einer Flüssigkeit als bei hohen Temperaturen, da der Absorptionsvorgang eines Gases in einer Flüssigkeit stets mit einer Freisetzung von Wärme (Exothermie) verbunden ist. Bei tiefer Temperatur ist der HenryKoeffizient kleiner als bei hoher Temperatur. Die Temperaturabhängigkeit kann mit der Beziehung von Clausius-Clapeyron nachgebildet werden. d "n K Hc i dT
=−
∆h Abs i R ⋅T
(8.45)
2
Symbole: ∆hAbs i = Absorptionsenthalpie des Stoffs i in der Flüssigkeit R = universelle Gaskonstante (= 8,314 J⋅K-1⋅mol-1) T = absolute Temperatur
[J⋅mol-1] [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] [K]
Nebst der Temperaturabhängigkeit zeigen die Henry-Koeffizienten auch eine gewisse Konzentrationsabhängigkeit. Die Henry-Koeffizienten in der Tabelle 8.5 gelten für Gase in Wasser bei 20 °C und bei relativ geringen Konzentrationen. Tabelle 8.5. Henry-Koeffizienten für Gase in Wasser bei 20 °C gelöste Komponente KHc / (Pa⋅m3⋅mol-1)
O2 72'000
CO2 2'600
HCl 5
NH3 5
8.4 Stoffdurchgang
331
Häufig wird der Henry-Koeffizient auch auf den Molanteil (Stoffmengenanteil) xi der Komponente i in der flüssigen Phase bezogen. pP i = KH i ⋅ x P i Symbole: KH i = Henry-Koeffizient der Komponente i für Angaben mit dem Molanteil xi in [ - ] xP i = Molanteil, Stoffmengenanteil der Komponente i in der flüssigen Phase an der Phasengrenzfläche
(8.46) [Pa] [-]
Bei sehr geringer Konzentration des gelösten Stoffs in der flüssigen Phase besteht folgender Zusammenhang zwischen den beiden HenryKoeffizienten.
K H i = K Hc i ⋅
M" ρ"
(8.47)
falls c P i → 0 bzw. x P i → 0
Symbole: ρ" = Dichte der Flüssigkeit M" = molare Masse der Flüssigkeit
[kg⋅m-3] [kg⋅mol-1]
Aus einer Umformung der Beziehungen 8.4, 8.34 und 8.44 folgt für den Stoffdurchgang zwischen einer gasförmigen und einer flüssigen Phase
(8.48)
· § ¨ K Hc ⋅ c M 1 − p M 2 ¸ ¸ n = A ⋅ ¨ ¨¨ R ⋅ T + K Hc ¸¸ β2 β1 ¹ © Symbol:
pM 2 = Partialdruck der übergehenden Komponente im Kern der Gasphase
[Pa]
Die Abbildung 8.8 zeigt die Konzentrations- und Partialdruckverhältnisse in den beiden Phasen als Funktion des Arbeitspunkts und der Henry’schen Verteilungskurve. Die Konzentration und der Partialdruck an der Phasengrenze können grafisch bestimmt werden. Das Vorgehen ist analog wie bei flüssigen Phasen (s. Abb. 8.7).
332
8 Stofftransport
p Arbeitspunkt p M2 ∆p 2 p P2
β 1·R·T β2
Henry-Beziehung K Hc
∆c 1 c M1
c P1
p M2 K Hc
c
Abb. 8.8. Konzentrations- und Partialdruckdifferenzen beim Stoffdurchgang in einem gas-flüssig 2-Phasensystem
In realen Systemen liegt der Hauptwiderstand eines Stoffdurchgangs zwischen einer flüssigen und einer gasförmigen Phase fast immer auf der Seite der flüssigen Phase, da einerseits die Diffusion in der Gasphase sehr schnell abläuft und andrerseits meistens nur geringe Mengen Gase in einer Flüssigkeit gelöst sein können. Ein Blick auf die hohen Diffusionskoeffizienten in Gasen im Vergleich zu solchen in Flüssigkeiten (Tabellen 8.1 und 8.2) sowie die hohen Henry-Koeffizienten (Tabelle 8.5) bestätigt diesen Sachverhalt. Ausnahmen bilden z.B. die Absorption von NH3, CO2 oder HCl in Wasser. Der Stoffübergang vom Kern der Gasphase zur Phasengrenzfläche darf deshalb unter gewissen Umständen vernachlässigt werden. Der Stoffdurchgang wird dann einzig durch den Stoffübergang vom Kern der flüssigen Phase an die Phasengrenzfläche bestimmt. Diese Vereinfachung bewährt sich besonders für eine erste Abschätzung des übergehenden Stoffflusses. Penetrationstheorie
Die von Higbie entwickelten Penetrationstheorie basiert auf der Vorstellung, dass Fluidelemente (Turbulenzballen) durch die vorherrschende Turbulenz aus dem Kern der Medien bis an die Phasengrenzfläche gelangen, dort während einer gewissen Zeit τ verbleiben und dann durch nachrükkende Fluidelemente wieder verdrängt werden. Die Phasengrenzfläche ist also nicht stationär wie bei der Zweifilmtheorie, sondern wird ständig erneuert. Während der Verweilzeit an der Phasengrenzfläche tauschen die
8.4 Stoffdurchgang
333
Turbulenzballen Stoffe durch instationäre Diffusion mit der benachbarten Phase aus (s. Gl. 8.9). Gemäß dem Penetrationsmodell [7] beträgt der übertragene Stoffstrom n = −
(8.49)
D ⋅ A ⋅ (c M − c P ) π⋅τ
Symbole: D = Diffusionskoeffizient τ = mittlere Verweilzeit der Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche
[m2⋅s-1] [s]
Der Stofffluss verhält sich gemäß der Penetrationstheorie proportional zur Wurzel des Diffusionskoeffizienten. Dieser Zusammenhang gibt viele reale Stoffaustauschvorgänge besser wieder als die Zweifilmtheorie, wo der Stofffluss direkt proportional zum Diffusionskoeffizienten abläuft. Das Penetrationsmodell wird v.a. in flüssigen Phasen gerne angewandt. Oberflächenerneuerungstheorie
Die von Higbie angenommene konstante Verweilzeit der Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche trifft in der Realität kaum zu. Die Verweilzeit unterliegt vielmehr einer statistischen Verteilung gemäß
( )
ψ( t ) = 1 ⋅ exp − t τ τ
Symbole: ψ(t) = Wahrscheinlichkeit für die Verweilzeit t t = reale Verweilzeit der Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche τ = mittlere Verweilzeit der Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche
(8.50) [s-1] [s] [s]
Die Gleichung 8.50 besagt, dass die Turbulenzballen die Phasengrenzfläche unabhängig von ihrer bisherigen Verweildauer jederzeit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit wieder verlassen. Das Integral der Gl. 8.50 vom Zeitpunkt t = 0 bis t = ∞ beträgt 1 bzw. 100%, d.h. nach unendlich langer Zeit werden alle Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche ausgetauscht sein. Die Oberflächenerneuerungstheorie von Danckwerts modifiziert die Penetrationstheorie, indem sie einen so genannten Erneuerungsfaktor S der Phasengrenzfläche einführt. Der Erneuerungsfaktor ist definiert als
334
8 Stofftransport
S= Symbol:
(8.51)
erneuerte Phasengrenzfläche pro Zeit gesamte Phasengrenzfläche [s-1]
S = Erneuerungsfaktor der Phasengrenzfläche
Gemäß dem Oberflächenerneuerungsmodell beträgt der Stofffluss an die Phasengrenzfläche n = − D ⋅ S ⋅ A ⋅ (c M − c P )
(8.52)
Der Erneuerungsfaktor S von Danckwerts verhält sich zur mittleren Verweilzeit τ von Higbie umgekehrt proportional. S=
(8.53)
1 π⋅τ
Die Abbildung 8.9 illustriert die Verschiebung der Turbulenzballen an die Phasengrenzfläche und von ihr zurück in den Kern des Mediums gemäß der Penetrations- bzw. der Oberflächenerneuerungstheorie.
Phase 1
Phase 2
Phasengrenzfläche cp1
cM1
cp2
cM2
Turbulenzballen Konzentrationsabfall innerhalb des Turbulenzballens
Turbulenzballen
n cM1 > cp1
cp2 > cM2 (auch Gegenstrom der Phasen möglich)
Abb. 8.9. Verschiebungen von Turbulenzballen an der Phasengrenzfläche gemäß der Penetrations- bzw. Oberflächenerneuerungstheorie
8.4 Stoffdurchgang
335
Eine generelle Entscheidung, welches Modell zu bevorzugen ist, lässt sich im vornherein nicht treffen. Je nach verwendetem Stofftransportprozess ist das eine oder andere Modell besser geeignet, die Realität wiederzugeben. Neuere, umfassendere Modelle legen mehr Gewicht auf die fluiddynamischen Vorgänge und berücksichtigen zudem die Tatsache, dass sich an der Grenzfläche physikalisch-chemische Vorgänge wie z.B. Umsolvatisierungen abspielen. Mittlere treibende Konzentrationsdifferenz
In technischen Apparaten fließen die zwei Stoffströme, die unter sich einen Stoff austauschen, im Gleichstrom, Gegenstrom oder Kreuzstrom (s. Kapitel „Strömungsführung/ Wärmeübertragung“). Die Konzentrationsdifferenz zwischen den beiden Phasen, die den Stoffdurchgang antreibt, ist im Apparat keineswegs konstant, sondern variiert vom Eingang zum Ausgang. In Regionen hoher Konzentrationsdifferenz wird der Stoffdurchgang begünstigt, in Regionen tiefer Konzentrationsdifferenz benachteiligt. Zur Berechnung des Stoffdurchgangs gemäß den Gln. 8.39 bzw. 8.41 muss ein Mittelwert für die treibende Konzentrationsdifferenz angenommen werden. Analog der logarithmisch gemittelten Temperaturdifferenz beim Wärmedurchgang kann eine logarithmisch gemittelte Konzentrationsdifferenz gebildet werden. Die Beziehung lautet ∆c ges = ∆c ln =
∆c gr − ∆c kl § ∆c gr ln¨¨ © ∆c kl
(8.54)
· ¸ ¸ ¹
Symbole: ∆c ges = mittlere treibende Konzentrationsdifferenz über den gesamten Apparat ∆c ln = logarithmisch gemittelte Konzentrationsdifferenz im gesamten Apparat ∆cgr = maximale Konzentrationsdifferenz im Apparat ∆ckl = minimale Konzentrationsdifferenz im Apparat
[mol⋅m-3] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3]
Falls der Stoffdurchgang auf die Phase 1 bezogen ist, gilt in Gl. 8.54 ∆c = ∆c1 = c M 1 − K N ⋅ c M 2
(8.55)
336
8 Stofftransport
Falls der Stoffdurchgang auf die Phase 2 bezogen ist, gilt in Gl. 8.54 ∆c = ∆c 2 =
cM 1 KN
(8.56)
− cM 2
Bei relativ kleinen Unterschieden zwischen ∆cgr und ∆ckl (∆cgr/∆ckl < 2) darf auch mit dem arithmetischen Mittel gerechnet werden. Der so entstehende Fehler ist dann kleiner als 4%.
8.5 Stofftransport und chemische Reaktion Die allgemein gültige Beziehung für einen Stofftransport in einem strömenden Medium, in dem gleichzeitig eine chemische Reaktion abläuft, lautet ∂ 2c ∂c ∂c ∂c ½ ∂c i ∂ 2ci ∂ 2ci ½ + v ⋅ i + vy ⋅ i + vz ⋅ i ¾ = D i ® 2i + + 2 2 ¾ ® x ∂x ∂y ∂z ¿ ∂t ∂y ∂z ¿ ¯ ¯ ∂x ν ν & + i ⋅ r = D i ⋅ ∇ 2 c i + v ⋅ ∇c i + i ⋅ r νP νP Symbole: ci = Konzentration des diffundierenden Stoffs i t = Zeit Di = Diffusionskoeffizient des Stoffs i v = örtliche Strömungsgeschwindigkeit r = dc(P)/dt; Reaktionsgeschwindigkeit, Bildungsgeschwindigkeit des Produkts P νi = stöchiometrische Laufzahl des Stoffs i (νi < 0 für Edukte, νi > 0 für Produkte) νP = stöchiometrische Laufzahl des Produkts P x; y; z = kartesische Koordinaten ∇ = Nabla Operator ∇ 2 = Laplace Operator, Nabla Quadrat
(8.57)
[mol⋅m-3] [s] [m2⋅s-1] [m⋅s-1] [mol⋅s-1⋅m-3] [-] [-] [m] [m-1] [m-2]
In der Folge soll der Stofftransport bei heterogenen Reaktionen näher untersucht werden. Dabei sind der Stofftransport und die chemische Reaktion mit einander gekoppelt. Weil beide Vorgänge von den vorherrschenden lokalen Konzentrationen abhängen, beeinflussen sie sich gegenseitig. Bei heterogenen Reaktionen kann die Reaktion entweder unmittelbar an der Phasengrenze oder erst im Kern des zweiten Mediums ablaufen. Diese beiden Fälle werden nachfolgend getrennt behandelt.
8.5 Stofftransport und chemische Reaktion
337
Chemische Reaktion an der Phasengrenzfläche
Eine chemische Reaktion an einer Phasengrenzfläche tritt z.B. bei einer heterogen Katalyse an einem festen Katalysatorkorn auf (s. Abb. 8.10). Der Stofftransport des Edukts i vom fluiden Medium zur Katalysatoroberfläche folgt der Beziehung
(
n i = β i ⋅ A ⋅ c i M − c i P
)
(8.58)
Symbole: n i = Stofffluss zur Phasengrenzfläche βi = Stoffübergangskoeffizient des Stoffs i A = Phasengrenzfläche ci M = Konzentration im Kern des fluiden Mediums ci P = Konzentration an der Phasengrenzfläche
[mol⋅s-1] [m⋅s-1] [m2] [mol⋅m-3] [mol⋅m-3]
Konzentrationsgrenzschicht
ni
Katalysator Korn
Abb. 8.10. Stofftransport zu einem Katalysatorkorn umhüllt von einer Konzentrationsgrenzschicht
An der Katalysatoroberfläche reagiert das Edukt mit einer bestimmten Reaktionsgeschwindigkeit. Zur Veranschaulichung sei eine Reaktion erster Ordnung angenommen, bei der gleich viel Produkt entsteht wie Edukt verbraucht wird. Dann gilt für die Menge Edukt i, die pro Zeit wegreagiert n i = k r1 P ⋅ A ⋅ c i P
(8.59)
Symbole: n i = reagierende Stoffmenge i pro Zeit [mol⋅s-1] kr1 P = Reaktionsgeschwindigkeitskonstante an der [m⋅s-1] Phasengrenzfläche für eine Reaktion 1.Ordnung
Durch Gleichsetzen der Gln. 8.58 und 8.59 und unter Elimination der unbekannten Grenzflächenkonzentration cP i ergibt sich für den Stofffluss n i, der zum Katalysator fließt und wegreagiert
338
8 Stofftransport
n i =
k r1 P ⋅ A ⋅ c i M
(
1 + k r1 P β i
(8.60)
)
Maßgebend dafür, ob eher der Stofftransport oder die Reaktion die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs zur Hauptsache beeinflusst, ist das Verhältnis der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten zum Stoffübergangskoeffizienten (kr1 P/βi). Dieses Verhältnis wird auch Hattazahl des Partikels HaP genannt. Die auf eine Oberflächenreaktion bezogene Hattazahl HaP1 ist das dimensionslose Verhältnis zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit an der Phasengrenzfläche und der Diffusionsgeschwindigkeit in der Grenzschicht für den gedachten Fall, dass die Konzentration ci P an der Phasengrenzfläche gerade der Konzentrationsdifferenz (ci M – ci P) in der Grenzschicht entspricht. Ha P = =
(8.61)
Re aktionsgeschwindigkeit P Diffusionsgeschwindigkeit k r n P ⋅ ci M βi
n −1
=
δc ⋅ k r n P ⋅ ci M
n −1
Di
Symbole: HaP = Hattazahl, auf Reaktionsoberfläche bezogen [-] kr n P = Reaktionsgeschwindigkeitskonstante an [m3(n-1)+1⋅mol1-n⋅s-1] der Phasengrenzfläche für eine Reaktion n-ter Ordnung [m] δc = Dicke der Konzentrationsgrenzschicht Di = Diffusionskoeffizient des Stoffs i [m2⋅s-1] n = Ordnung der Reaktion [-]
Ist HaP > 10, so ist die Reaktion im Vergleich zum Stofftransport sehr schnell. Die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs wird durch den diffusiven Stofftransport in der Grenzschicht bestimmt. Die Konzentration an der Phasengrenzfläche ist praktisch null, sodass näherungsweise gilt n i = A ⋅ β i ⋅ c i M
(8.62)
Ist HaP < 0,1, so ist die Reaktion im Vergleich zum Stofftransport sehr langsam. Die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs wird durch die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmt. Die Konzentration an der Phasengrenzflä-
1
Üblicherweise wird die Hattazahl für Reaktionen in der Lösung, d.h. im dreidimensionalen Raum, verwendet. Da hier die Hattazahl eine Oberflächenreaktion betrifft, wird ein Index P für Phasengrenzfläche gesetzt.
8.5 Stofftransport und chemische Reaktion
339
che entspricht praktisch derjenigen im Kern des fluiden Mediums, sodass näherungsweise gilt n n i = A ⋅ k rn P ⋅ c i M
(8.63)
Die Abbildung 8.11 veranschaulicht den Konzentrationsverlauf an der Phasengrenzfläche zu einem Katalysatorkorn für die beiden Grenzfälle. c
c δc
cM
δc
cM cP
Fluid
Korn
Fluid
Korn
cP 0
x
0
x
schnelle Reaktion, langsamer Stofftransport
langsame Reaktion, schneller Stofftransport
Ha P > 10
Ha P < 0.1
cP
0
cP
cM
Abb. 8.11. Konzentrationsverlauf und Stofftransport zu einer Phasengrenzfläche bei gleichzeitiger Reaktion an der Phasengrenzfläche; cM = Konzentration des Edukts im Kern des Fluids, cP 1 = Konzentration des Edukts an der Phasengrenze im Fluid, δc = Dicke der Konzentrationsgrenzschicht im Fluid
Chemische Reaktion in der zweiten Phase
Eine chemische Reaktion in der zweiten Phase tritt z.B. bei der Absorption von Ammoniak in einer Säure oder Kohlendioxid in einer Base auf. Aber auch die heterogene Reaktion in einem porösen Katalysatorkorn entspricht dieser Vorstellung. Bei der heterogenen Katalyse spielt die charakteristische Abmessung " des festen Katalysators eine entscheidende Rolle. Ähnlich der Hattazahl wird eine dimensionslose Kenngröße gebildet, die zweite Damköhlerzahl DaII genannt wird. Die zweite Damköhlerzahl ist das Verhältnis zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit in der zweiten Phase und der Diffusionsgeschwindigkeit hin zum Ort der Reaktion.
340
8 Stofftransport
2 Re aktionsgeschwindigkeit " ⋅ k r n 2 ⋅ c i M Da II = = Diffusionsgeschwindigkeit Di
n −1
(8.64)
Symbole: " = charakteristische Abmessung der zweiten Phase [m] krn 2 = Reaktionsgeschwindigkeitskonstante [m3⋅(n-1)⋅mol1-n⋅s-1] in der zweiten Phase für eine Reaktion n-ter Ordnung
Die Abbildung 8.12 zeigt den Wirkungsgrad η eines porösen Katalysators mit verschiedener Geometrie als Funktion der Damköhlerzahl DaII. Die Abbildung 8.12 gilt bei einem isothermen Reaktionssystem bzw. bei einer Reaktion ohne Exothermie. Der Stoffumsatz berechnet sich zu n n = η ⋅ V ⋅ k r n 2 ⋅ c i M
Symbole: n = Stoffumsatz der transportkontrollierten Reaktion η = Wirkungsgrad der transportkontrollierten Reaktion V = Volumen der zweiten Phase (= Katalysator) ci M = Konzentration des Edukts im Medium 1 n = Ordnung der Reaktion
(8.65) [mol⋅s-1] [-] [m3] [mol⋅m-3] [-]
Abb. 8.12. Katalysator- bzw. Porenausnutzungsgrad η in einem porösen Körper bei einer isothermen Reaktion als Funktion der zweiten Damköhlerzahl DaII [11] ; Kurve I: Reaktion 1.Ordnung in Platte; Kurve II: Reaktion 2.Ordnung in Platte; Kurve III: Reaktion 1.Ordnung in Kugel; Kurve IV: Reaktion 1.Ordnung in Zylinder
8.5 Stofftransport und chemische Reaktion
341
Falls die Reaktion Wärme entwickelt (exotherme Reaktion) oder der Umgebung Wärme entzieht (endotherme Reaktion), wird die Reaktionsgeschwindigkeit außer durch den Stofftransport auch durch die von ihr veränderte Umgebungstemperatur beeinflusst.
Abb. 8.13. Katalysator- bzw. Porenausnutzungsgrad η in einem porösen, kugelförmigen Teilchen bei einer exothermen Reaktion als Funktion der zweiten Damköhlerzahl DaII [11]. Dimensionslose Aktivierungsenergie der Reaktion γ = Ea/(R⋅TO) = 20, TO = Temperatur an der Teilchenoberfläche, dimensionslose Exothermie der Reaktion ζ = -∆hr⋅Di⋅ci O /(λ⋅TO), ∆hr = Reaktionsenthalpie [J⋅mol-1], Di = Diffusionskoeffizient des Edukts i im Teilchen [m2⋅s-1], ci O = Konzentration des Edukts i an der Teilchenoberfläche [mol⋅m-3], λ = Wärmeleitfähigkeit des Teilchens [W⋅m-1⋅K-1]
342
8 Stofftransport
Die Reaktionsgeschwindigkeit vergrößert sich bei höherer Temperatur gemäß dem Gesetz von Arrhenius exponentiell. (8.66)
E ½ k r = k r 0 ⋅ exp®− a ¾ ¯ R ⋅T¿ Symbole: kr = Reaktionsgeschwindigkeitskonstante kr0 = Reaktionskonstante Ea = Aktivierungsenergie der Reaktion R = universelle Gaskonstante (= 8,314 J⋅K-1⋅mol-1) T = absolute Temperatur
[m3⋅(n-1)⋅mol1-n⋅s-1] [m3⋅(n-1)⋅mol1-n⋅s-1] [J⋅mol-1] [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] [K]
Die Temperatur am Ort der Reaktion hängt nebst der Wärmeentwicklung durch die Reaktion vor allem davon ab, wie schnell die entstehende Wärme an die Umgebung abgeleitet werden kann. Als Beispiel hierfür soll eine exotherme Reaktion erster Ordnung innerhalb eines porösen kugelförmigen Teilchens mit einer dimensionslosen Aktivierungsenergie γ = Ea/(R⋅TO) = 20 und einer dimensionslosen Reaktionswärme ζ = -∆hr⋅Di⋅cP i /(λ⋅TO) dienen. Wie die Abbildung 8.13 zeigt, kann der Katalysator- bzw. Porenausnutzungsgrad η in dieser Situation bedingt durch die Erhöhung der Reaktionstemperatur und den ArrheniusEffekt über 100% steigen.
8.6 Stofftransport und Wärmeübertragung In vielen Prozessen in der chemischen Verfahrenstechnik treten Stoff- und Wärmetransport gleichzeitig auf. Beispiele sind: − − − − − − − −
Kristallisieren Auflösen Absorbieren/ Adsorbieren Verdampfen Trocknen Sublimieren Rektifizieren chemisches Reagieren
8.6 Stofftransport und Wärmeübertragung
343
Dimensionslose Lewis-Beziehung
Der Stoffübergang und der Wärmeübergang kann oftmals mit dimensionslosen Potenzfunktionen dargestellt werden (s. Unterkapitel „Konvektion/ Wärmeübertragung" bzw. „Stofftransport“). Die entsprechenden Beziehungen lauten in ihrer allgemeinen Form Sh = konst.⋅ Re m ⋅ Sc n
(8.67)
Nu = konst.⋅ Re m ⋅ Pr n
(8.68)
bzw.
Symbole: Sh = Sherwoodzahl Re = Reynoldszahl Sc = Schmidtzahl Nu = Nusseltzahl Pr = Prandtlzahl m; n = Exponenten der dimensionslosen Kenngrößen
[-] [-] [-] [-] [-] [-]
Unter den gleichen Strömungsbedingungen und bei gleicher Geometrie des verfahrenstechnischen Apparats müssen die Gln. 8.67 und 8.68 gemäß der Analogie des Wärme- und Stofftransports in ihrer äußeren Form übereinstimmen. Eine Division der Sherwood- durch die Nusselt-Beziehung ergibt dann Sh § Sc · =¨ ¸ Nu © Pr ¹
(8.69)
n
Der Quotient in der runden Klammer der Gl. 8.69 entspricht einer dimensionslosen Kenngröße, der Lewiszahl. Die Lewiszahl ist definiert als Le =
Sc a λ = = Pr D ρ ⋅ c P ⋅ D
Symbole: Le = Lewiszahl a = Temperaturleitzahl D = Diffusionskoeffizient λ = Wärmeleitfähigkeit ρ = Dichte cP = spezifische Wärmekapazität
(8.70)
[W⋅m-2⋅K-1] = [J⋅kg-1⋅K-1] =
[-] [m2⋅s-1] [m2⋅s-1] [kg⋅s-3⋅K-1] [kg⋅m-3] [m2⋅s-2⋅K-1]
Die Lewiszahl stellt wie die Schmidt- und Prandtlzahl eine reine Stoffkennzahl dar, d.h. sie enthält nur Stoffdaten und keine betriebsabhängigen
344
8 Stofftransport
Größen wie z.B. die charakteristischen Abmessung oder die Strömungsgeschwindigkeit. Für Gase gilt meistens 0,8 < Le < 3,0, für ideale Gase ist Le = 1,0. Für Flüssigkeiten gilt stets Le >>1, da hier Sc >> 1 und Pr ≈ 1 ist. Zur Berechnung der Lewiszahl von realen Systemen können die Tabellen 7.10 im Kapitel „Wärmeübertragung“ und 8.4 im Kapitel „Stofftransport" herangezogen werden. Mit Hilfe der Beziehungen α =λ/δT und β =D/δc kann die Lewiszahl auch angegeben werden als Le =
α δT 1 ⋅ ⋅ β δc ρ ⋅ c P
(8.71)
Symbole: α = Wärmeübergangskoeffizient [W⋅ m-2⋅K-1] = β = Stoffübergangskoeffizient δT = Dicke der Temperaturgrenzschicht δc = Dicke der Konzentrationsgrenzschicht
[kg⋅s-3⋅K-1] [m⋅s-1] [m] [m]
Bei Gasen sind die Dicken der Temperatur- und Konzentrationsgrenzschichten nahezu identisch, d.h. δT ≈ δc. Bei idealen Gasen stimmen sie sogar exakt überein, d.h. δT = δc . Daraus resultiert eine vereinfachte Lewis-Beziehung, mit der es möglich ist, bei gegebenem Wärmeübergangskoeffizienten α sofort auf den Stoffübergangskoeffizienten β zu schließen. Le ≈
α α ≈1 β ≈ β ⋅ ρ ⋅ cP ρ ⋅ cP
(nur für ideale Gase)
(8.72)
Die Gleichung 8.72 gilt für ungestörte laminare Grenzschichten. Sie gibt z.B. den Stofftransport von Wasserdampf in Luft gut wieder. Die Gleichung 8.72 gilt aber nur schlecht für schwere Dämpfe, die sich durch leichte Gase bewegen. Zudem hat die Praxis gezeigt, dass die Wirbelkräfte, die bei einer turbulenten Strömungen wirken, mit berücksichtigt werden sollten. So liefert die empirische Gl. 8.73 in der Realität die besseren Werte. Le ≈
α Re1 / 8 + 1,74 ⋅ (Sc − 1) ≈ β ⋅ ρ ⋅ c P Re1 / 8 + 1,74 ⋅ (Pr − 1)
(nur für ideale Gase)
(8.73)
8.6 Stofftransport und Wärmeübertragung
345
Wärme- und Stofftransport beim Trocknen
Das Problem des simultan ablaufenden Wärme- und Stofftransports soll am Beispiel des Trocknens eines feuchten Gutes mit warmer Luft behandelt werden. Die Luft überstreicht das feuchte Gut und nimmt dabei Feuchtigkeit (Wasserdampf) von der Gutsoberfläche auf. Der Stoffstrom beträgt gemäß Gl. 8.34 und unter Anwendung des idealen Gasgesetzes n D =
(
β ⋅ A ⋅ pD O − pD M
)
(8.74)
R ⋅T
Symbole: n D = Wasserdampfstrom in die Luft A = Gutsoberfläche pD O = Partialdruck des Wasserdampfs an der Gutsoberfläche pD M = Partialdruck des Wasserdampfs in der strömenden Luft R = univ. Gaskonstante (= 8,314 J⋅K-1⋅mol-1) T = absolute Temperatur
[mol⋅s-1] [m2] [Pa] [Pa] [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] [K]
Die Verdampfung des Wassers entzieht der Oberfläche Energie, wodurch die Temperatur an der Oberfläche absinkt. Der durch die Verdampfung entnommene Wärmestrom beträgt
= −n ⋅ ∆h = − Q D D v
(
)
β ⋅ A ⋅ p O D − p M D ⋅ ∆h v
(8.75)
R ⋅T
D = Wärmestrom durch das Verdampfen Symbole: Q ∆hv = Verdampfungsenthalpie von Wasser
[W] [J⋅mol-1⋅K-1]
Die vorbeiströmende warme Luft überträgt durch Konvektion Wärme an die abgekühlte Gutsoberfläche. Je mehr Wärme die Luft der Oberfläche zuführt, desto mehr Wasser kann verdampfen.
= −Q = α ⋅ A ⋅ (T − T ) Q L D M O L = Wärmestrom durch Konvektion der Luft Symbole: Q TM = Temperatur in der strömenden Luft TO = Temperatur auf der Gutsoberfläche
(8.76) [W] [K] [K]
Nach kurzer Zeit stellt sich an der Oberfläche eine solche Temperatur L die ein, dass die Erwärmung durch den konvektiven Wärmeübergang Q
346
8 Stofftransport
D gerade Abkühlung durch den endothermen Verdampfungsvorgang Q kompensiert. = −Q = α ⋅ A ⋅ (T − T ) = Q L D M O
(
)
β ⋅ A ⋅ p O D − p M D ⋅ ∆h v
(8.77)
R ⋅T
Wärme- und Stofftransport sind somit gekoppelt und für sich alleine nicht berechenbar, da weder die Temperatur TO noch der temperaturabhängige Partialdruck des Wasserdampfs pO D an der Gutsoberfläche von vornherein bekannt sind. Das Problem der unbekannten Bedingungen an der Gutsoberfläche kann jedoch dadurch gelöst werden, dass man zuerst den Stoffübergang n D gemäß Gl. 8.74 unter isothermen Verhältnissen berechnet, eventuell unter Zuhilfenahme der Lewis Gln. 8.72 oder 8.73, und daraus den Wärmeüber D gemäß Gl. 8.75 bestimmt. Das Resultat setzt man in die Gl. 8.76 gang Q ein und löst nach der Temperaturdifferenz (TM - TO) auf. Daraus ergibt sich ein erster (zu tiefer) Anhaltswert für die wahre Oberflächentemperatur TO, aus dem ein Näherungswert für den Partialdruck des Wasserdampfs an der Oberfläche pD O abgeleitet werden kann. Mit diesem Partialdruck wird der Wärmeübergang gemäß Gl. 8.75 erneut berechnet. Das Vorgehen kann verschiedene Male iterativ wiederholt werden, wodurch man immer genauere Resultate erhält. Die Abbildung 8.14 illustriert die gekoppelten Vorgänge des Wärmeund Stofftransports bei der Verdunstung von Wasser an einer feuchten Gutsoberfläche sowie die daraus resultierenden Temperatur- und Konzentrationsprofile. z
z T
x warme Luft
Q
TM; p MD
pD
nD TO; p OD p MD p OD
TO
TM
T ; pD
feuchte Gutsoberfläche
Abb. 8.14. Wärme- und Stofftransport beim Verdunsten von Wasser von einer feuchten Gutsoberfläche in überströmende Luft (links) sowie Verlauf der Temperatur bzw. des Partialdrucks in der Nähe der Gutsoberfläche (rechts)
8.7 Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports
347
8.7 Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports Wie bereits verschiedentlich gezeigt, beruhen Impuls-, Wärme- und Stofftransporte auf denselben submikroskopischen bzw. molekularen Bewegungs- und Ausgleichsvorgängen. Dies drückt sich unter anderem dadurch aus, dass die mathematischen Beziehungen zur Beschreibung der physikalischen Vorgänge einen analogen Aufbau besitzen. Diesen Sachverhalt sollen folgende Beispiele illustrieren. Transportgleichungen
Die mathematischen Gleichungen des Impuls-, Wärme- und Stofftransports entsprechen in ihrem Aufbau dem physikalischen Prinzip, dass ein Fluss proportional ist zu einer systemabhängigen Leitzahl, zur Fläche, die vom Fluss senkrecht durchquert wird, und zur treibenden Kraft, die den Fluss in Gang setzt. Die Leitzahl kann auch durch den reziproken Fließwiderstand des Systems wiedergegeben werden. Fluss = Leitzahl x Fläche x treibende Kraft =
Fläche x treibende Kraft Widers tan d
(8.78)
Die systemabhängige Leitzahl kennzeichnet die Geschwindigkeit, mit der sich Impulse, Wärme bzw. Stoffe in einem gegebenen ruhenden Medium ausbreiten können. Im Falle des Impulstransports entspricht die Leitzahl der Viskosität η, im Falle des Wärmetransports entspricht die Leitzahl der Wärmeleitfähigkeit λ und im Falle des Stofftransports entspricht die Leitzahl dem Diffusionskoeffizienten D. Die Gleichungen 8.79 bis 8.81 geben den eindimensionalen Impuls-, Wärme- bzw. Stofffluss im stationären Zustand wieder. Impulstransport FIm puls = −η ⋅ A ⋅
dv z dx
(8.79)
Wärmetransport
= −λ ⋅ A ⋅ dT Q dx
(8.80)
dc dx
(8.81)
Stofftransport n = −D ⋅ A ⋅
348
8 Stofftransport
Symbole: FImpuls = Impulskraft tangential zu Fläche A [kg⋅m⋅s-2] = Wärmefluss durch Leitung Q [W] = [J⋅s-1] = [kg⋅m2⋅s-3] n = Stofffluss durch Diffusion [mol⋅s-1] η = dynamische Viskosität [Pa⋅s] = [kg⋅m-1⋅s-1] -1 λ = Wärmeleitfähigkeit [W⋅m ⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] D = Diffusionskoeffizient [m2⋅s-1] vz = Strömungsgeschwindigkeit parallel zur Fläche A [m⋅s-1] T = Temperatur [K] c = Konzentration des diffundierenden Stoffs [mol⋅m-3] A = Fläche senkrecht zur Flussrichtung (außer bei Impuls) [m2] x = Ortskoordinate senkrecht zur Fläche A [m]
Wie den Gleichungen 8.79 bis 8.81 für eindimensionale Flüsse zu entnehmen ist, sind die treibenden Kräfte beim Impulstransport das Schergefälle dvz/dx, beim Wärmetransport das Temperaturgefälle dT/dx und beim Stofftransport das Konzentrationsgefälle dci/dx.2 Die Differentialquotienten d/dx in den Gln. 8.79 bis 8.81 können manchmal auch durch Differenzenquotienten ∆/∆x ersetzt werden, in denen eine endliche Potentialdifferenz durch die Länge des Fließweges dividiert wird. Das negative Vorzeichen in den Gln. 8.79 bis 8.81 bedeutet, dass der Fluss entgegengesetzt zum treibenden Gradienten verläuft. Wärme fließt z.B. von Orten hoher Temperatur zu solchen tiefer Temperatur und nicht umgekehrt. In praktischen Anwendungen ist der Gradient d/dx häufig negativ, sodass der errechnete Fluss insgesamt positiv wird. Dimensionslose Beziehungen
Zur Beschreibung des Impuls-, Wärme- und Stoffübergangs aus einem turbulent fließenden Medium an eine feste Grenzfläche werden häufig dimensionslose Beziehungen herangezogen. Die Beziehungen können in ihrer allgemeinen Form dargestellt werden als Impulstransport, Druckabfall
Eu =
∆p = f (Re) ρ ⋅ v2
(8.82)
Wärmetransport, Wärmübergang 2
Genau genommen ist die treibende Kraft beim Stofftransport das Gefälle des chemischen Potentials dµi/dx, wobei die Temperatur- und Druckeinflüsse häufig vernachlässigt werden, sodass Gl. 8.81 entsteht.
8.7 Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports
Nu =
α⋅" = f (Re, Pr) λ
349
(8.83)
Stofftransport, Stoffübergang Sh =
β⋅" = f (Re, Sc) D
Symbole: Eu = Eulerzahl Re = Reynoldszahl Nu = Nusseltzahl Pr = Prandtlzahl Sh = Sherwoodzahl Sc = Schmidtzahl ∆p = Druckabfall ρ = Dichte des Mediums v = Strömungsgeschwindigkeit " = charakteristische Abmessung α = Wärmeübergangskoeffizient β = Stoffübergangskoeffizient
(8.84) [-] [-] [-] [-] [-] [-] [Pa] = [N⋅m-2] = [kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅m-3] [m⋅s-1] [m] [W⋅ m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] [m⋅s-1]
Weil Stoff- und Wärmetransportgleichungen analog aufgebaut sind, können Stofftransportvorgänge vereinfacht berechnet werden, indem man auf bekannte Wärmetransportgleichungen zurückgreift. Dabei wird die Nusselt- und Prandtlzahl des Wärmetransports durch die Sherwood- und Schmidtzahl des Stofftransports ersetzt. Somit kann eine Wärmetransportgleichung in identischer Form auch für den Stofftransport eingesetzt werden. Es ist allerdings streng darauf zu achten, dass das geometrische System und die fluiddydnamischen Bedingungen exakt übereinstimmen, um sich vor falschen Resultaten zu schützen (s. Unterkapitel „Konvektion“). Gelten für die Nusselt- bzw. die Sherwoodbeziehungen Potenzansätze der Form Nu = konst. ⋅ Rem ⋅ Prn bzw. Sh = konst. ⋅ Rem ⋅ Scn , so folgt aus einer Division n
(8.85)
n
Sh § Sc · §a· = ¨ ¸ = ¨ ¸ = Le n Nu © Pr ¹ ©D¹ Symbole: Le = Lewiszahl m = Exponent der Reynoldszahl n = Exponent der Lewiszahl (häufig ist n = 0,6)
[-] [-] [-]
Mit der Lewiszahl, die nur aus Stoffgrößen besteht, gelingt es speziell bei Gasen, den Stofftransport bei einem gegebenen Wärmetransport auf
350
8 Stofftransport
einfache Weise abzuschätzen (s. Unterkapitel „Stofftransport und Wärmeübertragung“). Für ideale Gase gilt theoretisch sogar ν=a=D Symbole: ν = kinematische Viskosität a = Temperaturleitzahl
(8.86) [m2⋅s-1] [m2⋅s-1]
Das heißt, Impuls-, Wärme- und Stofftransport verlaufen in einem idealen Gas absolut identisch. Grenzschichten
Beim Impuls-, Wärme- bzw. Stoffübergang aus einem turbulenten Medium an eine feste Wand bilden sich in der Nähe der Wand dünne stabile Grenzschichten aus. Ihre Dicken betragen Strömungsgrenzschicht δv =
vM − vW dv z dx W
(8.87)
TM − TW dT dx W
(8.88)
cM − cW dc dx W
(8.89)
Temperaturgrenzschicht δT = Konzentrationsgrenzschicht δc = Symbol:
δ = Grenzschichtdicke
Indices:
v = Strömung, Impuls T = Temperatur, Wärme c = Konzentration, Stoff M = im Kern des strömenden Mediums W = an der Wandoberfläche im strömenden Medium
[m]
Die Grenzschichten δv, δT bzw. δc sind bei einem gegebenen System nur in Ausnahmefällen gleich groß. Speziell in Flüssigkeiten ist z.B. die Strö-
8.7 Analogien des Impuls-, Wärme- und Stofftransports
351
mungsgrenzschicht um ein Vielfaches größer als die Temperaturgrenzschicht und diese wiederum größer als die Konzentrationsgrenzschicht. In Gasen liegen die Dicken der Grenzschichten näher beieinander. Im theoretischen Fall von idealen Gasen stimmen die Dicken der drei Grenzschichten sogar überein. Die Abbildung 8.15 zeigt rein schematisch den Strömungs-, Temperatur- bzw. Konzentrationsverlauf in einer Flüssigkeit oberhalb einer Grenzfläche sowie die daraus resultierenden Grenzschichten. vz vz M
vz W = 0
δv
x
Strömungsprofil und Strömungsgrenzschicht T TM
TW δT
0
x
Temperaturprofil und Temperaturgrenzschicht c cM
cW 0
δc
x
Konzentrationsprofil und Konzentrationsgrenzschicht
Abb. 8.15. Strömungsgeschwindigkeit, Temperatur bzw. Konzentration in einer Flüssigkeit in der Nähe einer festen Wand; Strömungsgrenzschicht δv, Temperaturgrenzschicht δT bzw. Konzentrationsgrenzschicht δc
352
8 Stofftransport
8.8 Fragen aus der Praxis Diffusion in einem Feststoff
Ein Bleitiegel mit Wandstärke 5 mm hat eine innere Oberfläche von 50 cm2. Sein Inhalt ist pures Gold mit einer Temperatur von 100 °C. Die Dichte von Gold beträgt 19,3 ⋅ 103 kg⋅m-3. Wieviel Gold diffundiert durch die Tiegelwandung, wenn das Gold auf der Außenseite dauernd entfernt wird? Dimensionslose Sherwood- Beziehung
Ein Regentropfen von 1 mm Durchmesser fällt mit einer Geschwindigkeit von 4 m/s in trockener Luft. Die Temperatur ist 20 °C, die Viskosität der Luft 15,13⋅10-6 m2⋅s-1, der Diffusionskoeffizient von Wasserdampf in Luft 25⋅10-6 m2/s und die Sättigungskonzentration von Wasserdampf in Luft 17,3 g⋅m-3. Wie groß ist der Stoffübergangskoeffizient des Wasserdampfs? Wie schnell verdampft der Tropfen? Zweifilmtheorie
Eine Toluenphase mit 5% Aceton steht mit einer Wasserphase mit 2% Aceton in Kontakt. Die gemeinsame Berührungsfläche beträgt 0,5 m2. Im Gleichgewicht löst sich Aceton besser in Wasser, der Nernst‘sche Verteilungskoeffizient hierzu beträgt 1,8 [mol/m3]/[mol/m3]. Die Stoffübergangskoeffizienten seien 5 ⋅10-6 m⋅s-1 für Aceton in Wasser bzw. 3 ⋅10-6 m⋅s-1 für Aceton in Toluen. Die Dichte der Toluenphase ist 860 kg⋅m-3. Wieviel Aceton diffundiert pro Zeit durch die Phasengrenzfläche auf welche Seite, wenn man für den Stofftransport die Zweifilmtheorie zugrunde legt?
8.9 Literatur [1] Zogg M (1983) Wärme- und Stofftransportprozesse. Salle+Sauerländer, Aarau [2] Baehr H, Stephan K (1994) Wärme- und Stoffübertragung. Springer, Berlin Heidelberg New York [3] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI Wärmeatlas, 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York
8.9 Literatur
353
[4] Grassmann P, Widmer F, Sinn H (1997) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. de Gruyter, Berlin [5] Mersmann A (1980) Thermische Verfahrenstechnik. Springer, Berlin Heidelberg New York [6] Sattler K (1988) Thermische Trennverfahren. VCH, Weinheim [7] Autorenkollektiv (1983) Lehrbuch der chemischen Verfahrenstechnik. 5 Aufl, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leibzig [8] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [9] Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [10]Brauer H (1971) Stoffaustausch einschließlich chemischer Reaktionen. Sauerländer, Aarau [11]Fitzer E, W. Fritz W (1989) Technische Chemie. 3 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [12]Baerns M, Hofmann H, Renken A (1987) Chemische Reaktionstechnik, Thieme, Stuttgart
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
9.1 Strömungslehre Bernoulli & Kontinuitätsgleichung Die Abbildung 9.1 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Venturi-Rohrs. Das Venturi-Rohr bildet einen Unterdruck mit minimalem Energieaufwand, da die kontinuierliche Verjüngung und Erweiterung des Rohrs kaum Wirbel verursachen. Die Energieverluste sind minimal. Im folgenden werden die engste Stelle im Rohr als Stelle 1 und die erweiterte Stelle im Rohr als Stelle 2 bezeichnet. p2
p1
v
d1
d2
Abb. 9.1. Schematischer Aufbau eines Venturi-Rohrs
Zuerst wird die Strömungsgeschwindigkeit errechnet. Im erweiterten Rohr gilt an der Stelle 2
v2 =
V 4V 4 ⋅ 4 L ⋅10 −3 m 3 ⋅ min = = = 0,43 m s A 2 π d 2 2 π ⋅ min⋅ 14 ⋅10 −3 2 m 2 ⋅ L ⋅ 60 s
(
(9.1)
)
Aus der Kontinuitätsgleichung folgt für die engste Stelle 1 2
2
§d · A § 14 · v1 = v 2 ⋅ 2 = v 2 ⋅ ¨¨ 2 ¸¸ = 0,43 ⋅ ¨ ¸ m s = 9,44 m s A1 © 3¹ © d1 ¹
(9.2)
Die Strömungsgeschwindigkeiten betragen deutlich weniger als die Schallgeschwindigkeit von Wasser und liegen in einem vernünftigen Be-
356
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
reich. Wird die Reibung vernachlässigt, so kann für die Engstelle 1 und das erweiterte Rohr 2 die Gleichung von Bernoulli aufgestellt werden. ρ ⋅ v1 ρ ⋅ v2 = p2 + 2 2 2
p1 +
(9.3)
2
Die Druckdifferenz zwischen der engsten Stelle und einer Stelle im erweiterten Rohr ist dann
∆p = p 2 − p1 =
(
)
(
)
ρ 1'000 2 2 ⋅ v1 − v 2 = ⋅ 9,44 2 − 0,43 2 Pa 2 2
(9.4)
= 44,5 kPa Da der Absolutdruck am Ausgang des Venturi-Rohrs bekannt ist, kann der Absolutdruck p2 an der engsten Stelle berechnet werden. p2 = p1 – ∆p = 100 kPa - 44,5 kPa = 55,5 kPa
(9.5)
Es bildet sich also nur ein leichter Unterdruck. Das Resultat scheint plausibel. Wenn das Resultat einen negativen Absolutdruck ergeben hätte, so wäre das physikalisch gesehen unsinnig. In diesem Fall würde der Absolutdruck mit dem Dampfdruck des Wassers übereinstimmen. (Unterschreitet der Absolutdruck den Dampfdruck von Wasser, so beginnt das Wasser zu sieden.) Der Dampfdruck von Wasser ist Temperatur abhängig und kann in Wasserdampftafeln (z.B. Tabelle 7.15) nachgeschlagen werden. Torricelli
Die Auslaufformel von Torricelli benötigt die anfängliche Füllhöhe hα des Rührkessels. Unter der Annahme, dass der Rührkessel ein stehender Zylinder mit Radius rRK sei, gilt hα =
V π ⋅ rRK
2
=
10 m 3 π ⋅ (1,2 m )
2
= 2,21 m
(9.6)
Die Oberfläche des Flüssigkeitsspiegels im Rührkessel ist A RK = π ⋅ rRK = π ⋅ (1,2 m ) = 4,52 m 2 2
2
(9.7)
Die freie Querschnittsfläche des Bodenauslaufs ist A AL = π ⋅ rAL = π ⋅ (0,08 m ) = 0,005 m 2 2
2
(9.8)
9.1 Strömungslehre
357
Die Entleerungszeit kann nun mit der Formel von Torricelli (Gl. 6.9) berechnet werden. t=
2 A RK ⋅ ⋅ g A AL
(
)
hα − hω =
2 4,52 ⋅ ⋅ 9,81 0,005
(
)
2,21 − 0 s
(9.9)
= 605 s ≈ 10 min Wasser ist eine Flüssigkeit mit einer sehr geringen Viskosität. Die innere Reibung kann daher beim Ausfluss aus dem Rührkessel weit gehend vernachlässigt werden. Die reale Entleerung dauert so nur unwesentlich länger als die unter idealen Voraussetzungen berechneten 10 Minuten. Wäre die Flüssigkeit viskos, dann erhöhte sich die Entleerungszeit deutlich. Aus Erfahrung dauert die Entleerung bei leicht viskosen Flüssigkeiten 10 bis 70% länger als nach Torricelli errechnet. Es verstreichen dann 11 bis 17 Minuten, bis die Entleerung abgeschlossen ist. Strömungswiderstand eines Körpers
Der Strömungswiderstand des Autos beträgt gemäß Gl. 6.15 FW = c W ⋅ A quer ⋅
ρ ⋅ v2 2
(9.10) 2
1,2 kg § 120 km ⋅ h ⋅ 1'000 m · ¸ = 336 N = 0,28 ⋅ 1,8 m ⋅ ⋅¨ 2 m 3 ¨© h ⋅ 3'600 s ⋅ km ¸¹ 2
Die Energie E zur Überwindung von 100 km errechnet sich aus der Kraft FW multipliziert mit der Verschiebungsstrecke s.
E = FW ⋅ s = 336 N ⋅ 100'000 m = 33,6 MJ
(6.11)
Rein theoretisch entspricht dies dem Energieinhalt von ca. 0,96 L Benzin. Bei einem Wirkungsgrad des Motors von 25 % werden in der Realität mindestens 4 L Benzin pro 100 km verbraucht. Heutige Autos setzen nur ca. 5 L von 100 L Benzin in Bewegungsenergie um. Die Verluste setzen sich zusammen aus 15 L bei der Aufarbeitung und Lieferung des Benzins bis zur Zapfsäule, 50 L durch ungenützte Abwärme des Motors, 16 L wegen ungeeigneter Drehzahlen (Stau, Anfahren, Bremsen), 7 L durch das Getriebe, 3 L durch den Rollwiderstand der Reifen, 2 L für Elektrogeräte (z.B. Klimaanlage) und 2 L durch den Luftwiderstand. Der Einfluss des Strömungswiderstands auf den Gesamtverbrauch wird häufig überschätzt.
358
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
Laminare Rohrströmung
Die Gleichung von Hagen-Poiseuille enthält die dynamische Viskosität η. In der Aufgabenstellung ist aber die kinematische Viskosität ν in Centistokes cSt angegeben. Es sollte also vorerst die dynamische Viskosität η errechnet werden. η = ρ ⋅ ν = 850
2 kg kg kg −5 m ⋅ 36 , 5 cSt = 850 ⋅ 3 , 65 ⋅ 10 = 0,031 3 3 s m ⋅s m m
(9.12)
Der Durchmesser des Rohrs beträgt bei einer laminaren Strömung d=4
⋅η⋅" 128 ⋅ 13 m 3 ⋅ 0,031 kg ⋅ 100 m ⋅ h 128 ⋅ V =4 = 82,2 mm π ⋅ ∆p π ⋅ h ⋅ m ⋅ s ⋅ 10 4 Pa ⋅ 3'600 s
(9.13)
Es ist gefährlich, auf gut Glück eine laminare Strömungsform anzunehmen und die Gleichung von Hagen-Poiseuille zu verwenden. Das Resultat sollte auf jeden Fall überprüft werden. Das macht man, indem man die Reynoldszahl berechnet. Die Strömungsgeschwindigkeit beträgt v=
4⋅V 4 ⋅ 13 m 3 ⋅ h = = 0,68 m s π ⋅ d 2 π ⋅ h ⋅ 82,2 ⋅ 10 −3 2 m 2 ⋅ 3'600 s
(
(9.14)
)
Das Resultat für die Fließgeschwindigkeit eines Öls scheint sinnvoll. Die Reynoldszahl kann nun berechnet werden. Re =
ρ ⋅ v ⋅ d 850 ⋅ 0,68 ⋅ 0,0822 = = 1'530 0,031 η
(9.15)
Die Reynoldszahl liegt tatsächlich unterhalb des kritischen Werts von 2'300. Die Strömung wurde also zu Recht als laminar angenommen. Das Resultat kann als gültig erachtet werden. Sehr wahrscheinlich gibt es kein Rohr mit einem Innendurchmesser von exakt 82,2 mm. Um bei der Auslegung auf der sicheren Seite zu bleiben, ist dann das Rohr mit dem nächst größeren Durchmesser zu wählen. Turbulente Rohrströmung
Ein gezogenes Rohr ist ein Rohr ohne Schweißnaht. Es entsteht dadurch, dass ein stangenförmiges Halbzeug knapp unterhalb der Schmelztemperatur über einen Dorn gepresst wird. Nahtlos gezogene Rohre stehen geschweißten Rohren gegenüber. Geschweißte Rohre werden aus Blech er-
9.1 Strömungslehre
359
stellt, das entweder längs oder spiralförmig zusammengefügt wird. Gezogene Rohre sind wegen der fehlenden Schweißnaht und damit verbundenen Gefügeänderungen weniger korrosionsempfindlich als geschweißte. Berechnen wir nun erst einmal die Strömungsgeschwindigkeit v=
4⋅V 4 ⋅ 600 m 3 ⋅ h = 5,31 m s = π ⋅ d 2 π ⋅ h ⋅ 0,04 m 2 ⋅ 3'600 s
(9.16)
Damit können wir die Reynoldszahl und die Strömungsform im Rohr bestimmen. Re =
ρ ⋅ v ⋅ d 1'000 ⋅ 5,31 ⋅ 0,2 = = 1'061'000 η 10 −3
(9.17)
Die Strömung ist eindeutig turbulent. Der gesuchte Druckabfall im Rohr berechnet sich mit " ρ ⋅ v2 1'000 1'000 ⋅ 5,312 Pa ∆p = ξ ⋅ ⋅ = ξ⋅ ⋅ d 2 0,2 2
(9.18)
ξ stellt die Rohrreibungszahl dar. Es bestehen nun mehrere Möglichkeiten, um die Rohrreibungszahl zu bestimmen, rechnerische oder grafische, mit Berücksichtigung der Rohrrauhigkeit oder ohne. a) glattes Rohr rechnerisch (Hermann Gl. 6.34) ξ = 0,0054 + 0,3964 ⋅ Re −0,3 = 0,0116
(9.19)
∆p = 814'230 Pa = 8,1 bar
(9.20)
b) glattes Rohr grafisch (s. Abb. 6.11) ξ = 0,0113
(9.21)
∆p = 795'100 Pa = 8,0 bar
(9.22)
c) rauhes Rohr rechnerisch (Prandtl Gl. 6.37) 1
d· § = ¨ 2 ⋅ log ¸ + 1,14 k¹ ξ ©
(9.23)
Mit der Rohrrauhigkeit k = 0,03 für gezogenen Stahl (s. Tabelle 6.3) ergibt sich ξ = 0,0129 und damit
360
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
∆p = 911'130 Pa = 9,1 bar
(9.24)
d) rauhes Rohr grafisch (s. Abb. 6.11) Unter Verwendung der Rauhigkeit für gezogenen Stahl von k = 0,03 mm ergibt sich ein Verhältnis von d/k =6'700. Damit kann die Rohrreibungszahl ξ aus der Grafik herausgelesen werden. ξ = 0,0137
(9.25)
∆p = 963'800 Pa = 9,6 bar
(9.26)
Es ist klar, dass der Druckabfall für glatte Rohre kleiner als derjenige für rauhe Rohre sein muss. Es zeigt sich aber auch, dass unter gleichen Voraussetzungen gewisse Unterschiede bestehen, je nachdem welche Berechnungsmethode man wählt. Resultate in der chemischen Verfahrenstechnik sind selten so genau, dass man mehrere Stellen nach dem Komma anzugeben hätte. Die Rauhigkeit kann während des Betriebs zunehmen. Man ist also gut bedient, bei der Auslegung einer Rohrleitung eine eher größere Rauhigkeit anzunehmen. ζ-Wert Elektrostatische Aufladungen drohen vor allem bei apolaren Lösungsmitteln wie z.B. Kohlenwasserstoffen, bei denen elektrische Ladungen nicht schnell genug abgeleitet werden. Elektrostatische Aufladungen können sich plötzlich in Form eines Funkens entladen und bei Anwesenheit eines zündfähigen Lösungsmittel-Luft-Gemischs einen Brand oder eine Explosion auslösen. Bei Verwendung niedriger Strömungsgeschwindigkeiten werden elektrostatische Aufladungen weit gehend vermieden. Aus der Tabelle 6.4 folgt für die Widerstandsbeiwerte ζ des Einlaufs in die Rohrleitung bzw. des Auslaufs aus der Rohrleitung ζ Einlauf = 0,5
bzw.
ζ Auslauf = 1,0
(9.27)
Die Reynoldszahl der Rohrströmung beträgt Re =
ρ ⋅ v ⋅ d 850 ⋅ 7 ⋅ 0,012 = = 7'140 η 10 −2
(9.28)
Aus der Abb. 6.11 folgt die Rohrreibungszahl ξ ξ = 0,031
(9.29)
9.1 Strömungslehre
361
Der maximal erlaubte Druckabfall ergibt so § " · ρ ⋅ v2 § 0,031 ⋅ 2 · 850 ⋅ 7 2 ∆p = ¨¨ ζ i + ξ ⋅ ¸¸ ⋅ = ¨¨ 0,5 + 1,0 + Pa ¸⋅ 0,012 ¸¹ 2 d¹ 2 © © i = 139 kPa
¦
(9.30)
Zwischen den Behältern darf der Druckabfall nicht mehr als 1,4 bar betragen, damit die Strömungsgeschwindigkeit nicht zu hoch wird. Es ist sicherzustellen, dass die Verbindungsleitung stets mit Lösungsmittel gefüllt ist. Wird beim Entleeren des ersten Behälters Luft angesaugt, so erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit im Verbindungsrohr schlagartig. Es entstehen so innert kürzester Zeit extrem hohe elektrostatische Aufladungen. kv-Wert
Wenn man davon ausgeht, dass der Volumenstrom von 6'000L/h wirklich nie überschritten werden soll, dann gilt gemäß Gl. 6.41 ⋅ ª h º ⋅ ρ ⋅ ª L ⋅ at º = 6,0 ⋅ 0,85 = 1,73 kV = V « m 3 » ∆p « kg » 10,2 ¬ ¼ ¬ ¼
(9.31)
Die technische Atmosphäre at darf nicht mit der üblichen Atmosphäre atm verwechselt werden. 10 bar entsprechen 10,2 at. Einige Ventilhersteller sind dazu übergegangen, die technische Atmosphäre at in der Gl. 6.41 mit bar gleichzusetzen, wodurch sich die Umrechnung des Drucks erübrigt. In der obigen Aufgabenstellung ergäbe sich so ein kV-Wert von 1,75. Da die Abweichung des Resultats gering ist, ergibt die Wahl des passenden Ventils in beiden Fällen den selben Typ. Damit das Ventil nicht zu hohe Reibungsverluste verursacht, ist es sinnvoll, ein Ventil mit einem etwas größeren kV-Wert auszuwählen. Wirkkraft eines Rohrkrümmers
Die Abbildung 9.2 illustriert die Situation. Das dünnere Rohr schaut in einem 60° Winkel zum dickeren horizontalen Rohr nach unten. Das Rohrende oben, wo das Wasser einströmt, wird im folgenden mit 1 und das Rohrende unten, wo das Wasser ausströmt, wird mit 2 bezeichnet.
362
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
F
V = 230 L/s d1 p1 = 1.4 bar 60°
y
h = 1.4m
d2 x
p2
Abb. 9.2. Skizze eines Rohrkrümmers zur Berechnung der Wirkkräfte
Die Strömungsgeschwindigkeiten betragen 4⋅V
v1 =
v2 =
4 ⋅ 0,230 m 3 = 3,2 m s π ⋅ s ⋅ 0,0900 m 2
(9.32)
2
=
4 ⋅ 0,230 m 3 = 13,0 m s π ⋅ s ⋅ 0,0225 m 2
(9.33)
2
=
π ⋅ d1 4⋅V
π ⋅ d2
Unter der Annahme, dass die Umlenkung des Wassers ohne Reibung erfolgt, kann der Druck am Ausgang des Krümmers mittels Bernoulli berechnet werden. p 2 = p1 + ρ ⋅ g ⋅ h 1 +
(
)
ρ 2 2 ⋅ v1 − v 2 = 74'350 Pa = 0,74 bar 2
(9.34)
In Wahrheit ist der Strömungsverlust durch Reibung in einem Krümmer ziemlich groß. Wenn wir diesen vernachlässigen, befinden wir uns aber auf der sicheren Seite, d.h. die Kraft, die wir in der Folge berechnen, ist eher zu groß. Besser wäre es allerdings, den Druck am Ausgang des Rohrkrümmers zu messen und in den folgenden Rechnungen zu berücksichtigen. Nur ist das hier nicht möglich. Es macht Sinn, die Kräfte in x- und yRichtung getrennt zu berechnen. Erst später ermitteln wir die Richtung der Wirkkraft im Raum. Dies vereinfacht die Situation erheblich. Wir bestimmen zuerst die Wirkkraft in x-Richtung, die sich aus einer Druckkraft FP, x und einer Impulskraft FI, x zusammensetzt. ⋅v + ρ⋅V ⋅ v ⋅ cos α = 12'800 N Fx = p1 ⋅ A1 + p 2 ⋅ A 2 ⋅ cos α + ρ ⋅ V 1 2
FP, x
FI, x
(9.35)
9.1 Strömungslehre
363
Die Wirkkraft in y-Richtung, d.h. die nach oben gerichtete Kraft, setzt sich aus der Druckkraft FP, y, der Impulskraft FI, y und der Schwerkraft FG, y zusammen.
⋅ v ⋅ sin α − ρ ⋅ V ⋅ g − m ⋅ g = 2'900 N Fy = p 2 ⋅ A 2 ⋅ sin α + ρ ⋅ V 2
FP, y
(9.36)
FG , y
FI, y
Mittels Addition der vektoriellen Kräfte kann die Gesamtkraft und deren Richtung bestimmt werden (s. Abb. 9.3). F
Fy
θ = 12°45' Fx
Abb. 9.3. Vektorparallelogramm zur Berechnung der gesamthaft wirkenden Kraft
Die Gesamtkraft F kann auch mit dem Satz von Pythagoras errechnet werden. F = Fx + Fy = 12'800 2 + 2'900 2 N = 13'100 N 2
2
(9.37)
Die Richtung der Kraft ergibt sich aus der Winkelgeometrie zu
(
)
θ = arctan Fy Fx = arctan (2'900 12'800) = 12°45'
(9.38)
Die Kraft wirkt nach rechts oben, d.h. der Krümmer würde ohne Halterung nach oben abheben! Die fälschliche Vernachlässigung von Impulskräften hat schon zu manchem Unglück geführt. So sind z.B. bei einer Explosion in Flixborough im Jahre 1974 28 Menschen ums Leben gekommen, weil bei einer provisorischen Rohrverbindung die Impulskräfte missachtet wurden. Rheogramm
Es handelt sich um einen pseudoplastischen Stoff (Kurve nach oben gebaucht) ohne Fließgrenze (Kurve verläuft durch das Achsenkreuz) mit thixotropem Verhalten (Kurve liegt bei absteigender Scherrate unterhalb derjenigen bei aufsteigender Scherrate). Ob die Thixotropie echt oder unecht ist, kann nur im wiederholten Experiment nach einer Ruhezeit der Probe von mindestens 24 h abgeklärt werden. Wenn die neuen Rheogramme gleich verlaufen wie beim ersten Mal, ist die Thixotropie echt.
364
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
9.2 Wärmeübertragung Strahlung
a) Gefragt ist hier die Wärmeleistung, die von 1 m2 der Decke insgesamt abgestrahlt wird. Der Emissionsfaktor ε von Beton beträgt gemäß der Tabelle 7.2 zwischen 0,93 und 0,95. Als Mittelwert wird ε = 0,94 gewählt. Mit der Gleichung 7.7 erhält man 4
= A ⋅ ε ⋅ C ⋅ §¨ T ·¸ = 1 ⋅ 0,94 ⋅ 5,67 ⋅ 3 4 W = 432 W Q S © 100 ¹
(9.39)
b) Gefragt ist hier die Wärmeleistung, die effektiv von der Decke auf den Boden übertragen wird. Zuerst muss die gemeinsame Strahlungszahl C1,2 berechnet werden. Die Decke und der Boden liegen parallel zu einander und bestehen beide aus Beton, sodass gilt C1, 2 =
1
ε1
CS + 1
ε2
−1
=
CS 2 −1 ε
(9.40)
= 5,03
Die übertragene Wärmeleistung beträgt gemäß Gl. 7.10 4 4 ½ = A ⋅ C ⋅ °®§¨ T1 ·¸ − §¨ T2 ·¸ °¾ = 1 ⋅ 5,03 ⋅ 3 4 − 2,93 4 W Q 1, 2 © 100 ¹ °¿ °¯© 100 ¹ = 37 W
(
)
(9.41)
Von der abgestrahlten Wärmeleistung von 432 W werden also nur 37 W vom Boden absorbiert. Der restliche Teil von 395 W wird wieder zur Decke zurückgeworfen. c) Die Wellenlänge mit maximaler Intensität ist gemäß Gl. 7.4 λ max =
2,896 ⋅ 10 −3 2,896 ⋅ 10 −3 ⋅K⋅m= m = 9'650 nm T 300
Das Strahlenmaximum liegt im mittleren Infrarotbereich.
(9.42)
9.2 Wärmeübertragung
365
Wärmetransport durch Wand
a) Der tägliche Wärmeverlust QS ergibt sich aus dem Wärmefluss Q S durch die Schamotteschicht S multipliziert mit der Dauer des Tages t (s. Gl. 7.14). 2 ⋅ t = λ ⋅ A ⋅ ∆T ⋅ t = 0,93 W ⋅ 4 m ⋅ 1'000 K ⋅ 24 h QS = Q S S "S m ⋅ K ⋅ 0,5 m
(9.43)
= 179 kWh = 642 MJ b) Der Wärmeverlust Q2 einer Wand, die aus zwei Schichten besteht (Schamotte S und Isolation I), berechnet sich mit Hilfe der Gl. 7.29.
4 m 2 ⋅ 1'000 K ⋅ 24 h ⋅ t = A ⋅ ∆T ⋅ t = Q2 = Q 2 0,5 m ⋅ m ⋅ K 0,03 m ⋅ m ⋅ K "S "I + + 0,93 W 0,093 W λS λ I
(9.44)
= 112 kWh = 402 MJ Der tägliche Wärmeverlust sinkt um 642 MJ – 402 MJ = 240 MJ = 67 kWh. Relativ gesehen wird der Verlust um 240 MJ /642 MJ = 37% verkleinert. Bei üblichen Energiepreisen lassen sich damit pro Tag ein paar wenige Euros einsparen. Bei Dauerbetrieb liegt die Einsparung pro Jahr zwischen 1'300 und 2'500 Euros (1 kWh = 10 Cents, 1 Jahr = 200 bzw. 365 Arbeitstage). c) Wird der Wärmeverlust Q2 der Wand mit Isolation in die Gl. 9.43 eingesetzt, so kann durch Auflösung dieser Gleichung der Temperaturabfall ∆TS in der Schamotteschicht S errechnet werden. ∆TS =
Q 2 ⋅ " S 112 kWh ⋅ 0,5 m ⋅ m ⋅ K = = 625 K = 625 °C A ⋅ λS ⋅ t 4 m 2 ⋅ 0,93 W ⋅ 24 h
(9.45)
Während im Innern des Ofens eine Temperatur von 1'020 °C vorherrscht, liegt die Temperatur in der Grenzschicht zwischen Schamotte und Isolation bei 1'020 °C - 625 °C = 395 °C. Da die Isolation außen angebracht ist, wo eher kühlere Temperaturen vorliegen, kann für die Isolation ein Material gewählt werden, das z. B. bis zu einer maximalen Temperatur von 450 °C beständig ist.
366
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
Wärmetransport durch Rohrwand
a) Die Aufgabe ist so gestellt, dass man zur Lösung nur die Wärmeleitung durch die Rohrwand berücksichtigen muss. Die konvektiven Wärmeübergänge innerhalb und außerhalb des Rohrs dürfen vernachlässigt werden. Die Berechnung des Wärmeflusses erfolgt mit der Gl. 7.31, welche dem Umstand Rechnung trägt, dass die Geometrie des Rohrs zylindrisch ist. Die Wärmeleitfähigkeit von Stahl bestimmt man mit Hilfe der Tabelle 7.3 zu λStahl = 16,3 W/m⋅K. 2 π ⋅ λ Stahl ⋅ " ⋅ ∆T 2 π ⋅ 16,3 W ⋅ 5 m ⋅ 60 K = = 322 kW Q Stahlrohr = ln(ra ri ) m ⋅ K ⋅ ln (1,1)
(9.46)
b) Bei einer zusätzlichen Emailschicht innen im Rohr wird die Gl. 7.33 benötigt, um den Wärmefluss zu berechnen. Email besteht im wesentlichen aus Glas, weshalb für die Wärmeleitfähigkeit diejenige von Glas eingesetzt wird (s. Tabelle 7.3). Als Mittelwert gilt λGlas = 1,0 W/m⋅K. Q Rohr =
=
2 π ⋅ " ⋅ ∆T ln(ra ri ) ln(ri (ri − s Glas ) ) + λ Stahl λ Glas
(9.47)
2 π ⋅ 5 m ⋅ 60 K ⋅ W = 28 kW § ln (1,1) ln (5 4,7) ) · m ⋅ K ⋅ ¨¨ + ¸¸ 1,0 © 16,3 ¹
Die geringe Schicht von 3 mm Email ist verantwortlich dafür, dass die Wärmeleitung durch die Rohrwand von 322 kW auf 28 kW zusammenfällt. Soll ein Apparat, der der Wärmeübertragung dient, beschichtet werden, so sind stets die Konsequenzen für den Wärmetransport zu beachten. Der Wärmefluss sinkt unter Umständen dramatisch. Eine Beschichtung kann gefährlich werden, wenn die Wärme nicht mehr ausreichend abgeführt werden kann, auch wenn dies vor Korrosion schützt. Selbst dünnste Schmutzschichten innen oder außen an einer Wand vermögen den Wärmefluss massiv zu behindern.
9.2 Wärmeübertragung
367
Wärmeübergang im Rohr
a) Im Anschluss an die obige Aufgabe, in der nur die Wärmeleitung durch eine Rohrwand berechnet wurde, wird nun auch der Widerstand für den Wärmetransport in der Temperaturgrenzschicht im Innern des Rohres berücksichtigt. Im Innern des Rohres herrscht eine Temperatur von 80 °C, weshalb für das Wasser die Stoffwerte bei 80 °C zu verwenden sind. Gemäß der Tabelle 7.15 gilt für die Dichte ρ = 972 kg/m3, für die kinematische Viskosität ν = 0,3648⋅10-6 m/s2, für die Wärmeleitfähigkeit λ = 0,67 W/m⋅K und für die Prandtlzahl Pr = 2,22. Somit kann die Reynoldszahl Re im Rohr berechnet werden. Re =
v ⋅ d 5 ⋅ 10 −1 ⋅ 10 −1 = = 137'060 ν 0,365 ⋅ 10 −6
(9.48)
Zur Berechnung der Nusseltzahl gemäß Gl. 7.61 benötigt man vorerst die Rohrreibungszahl ξ. Sie berechnet sich zu ξ = (1,8 log10 Re − 1,5) − 2 = 0,0167
(9.49)
Daraus folgt für die Nusseltzahl Nu im Rohr
(ξ 8) ⋅ Pr⋅ Re
° § d · 2 3 ½° Nu = ⋅ ®1 + ¨ ¸ ¾ = 454 ⋅ 1,07 = 486 2 1 + 12,7 ⋅ ξ 8 ⋅ §¨ Pr 3 − 1·¸ °¯ © " ¹ °¿ ¹ ©
(9.50)
Nun wird die Nusseltzahl nach dem Wärmeübergangskoeffizienten α aufgelöst. α=
W Nu ⋅ λ 486 ⋅ 0,67 W = = 3'255 2 d 0,1 m ⋅ m ⋅ K m ⋅K
(9.51)
b) Mit Hilfe der Gleichung 7.103 kann nun der Wärmetransport unter Berücksichtigung der Temperaturgrenzschicht im Innern des Rohres berechnet werden. = Q
2π ⋅ 5 m ⋅ 60 K 2π ⋅ " ⋅ ∆T = = 157 kW 2 ln (ra ri ) 1 ( ) ln 1 , 1 m ⋅ K 1 m ⋅ K + + λ Stahl α i ⋅ ri 16,3 W 3'255 W ⋅ 0,05
(9.52)
368
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
Im Vergleich zum Resultat der vorhergehenden Aufgabe ist der Wärmefluss deutlich gesunken. Im konkreten Beispiel wurde er von 322 kW auf 157 kW praktisch halbiert. Die Temperaturgrenzschichten haben also einen wesentlichen Einfluss auf den Wärmetransport und dürfen in der Praxis kaum je vernachlässigt werden. Noch fehlt die Berücksichtigung der Temperaturgrenzschicht außen am Rohr. Je nach Strömungsbedingungen kann dies mit Hilfe der Gln. 7.66 bis 7.70 erfolgen. Der Wärmefluss sinkt dadurch noch mehr. Nimmt man für den Wärmeübergangskoeffizienten außen am Rohr einen mittleren Wert von 3'000 W/m2⋅K an, so resultiert gemäß der vollständigen Gl. 7.103 ein Wärmefluss von gerade noch 104 kW.
9.3 Stofftransport Diffusion in einem Feststoff
Aus der Tabelle 8.3 kann man den Diffusionskoeffizienten von Gold in Blei bei 100 °C entnehmen zu D = 230⋅10-15 m2/s = 0,83⋅10-9 m2/h. Der folgt aus dem Molenstrom n multipliziert mit Massenstrom von Gold m der molaren Masse von Gold M. Für den Molenstrom n kann die Gl. 8.1 eingesetzt werden. = n ⋅ M = −D ⋅ A ⋅ m
dc ⋅M dx
(9.53)
Da das Konzentrationsgefälle im Innern der Tiegelwand linear ist und die Goldkonzentration außen an der Tiegelwand ca = 0 gesetzt werden darf, gilt c − ci c ⋅M ρ dc ∆c ⋅M = ⋅M = a ⋅M =− i =− i dx ∆x ∆x ∆x ∆x
(9.54)
Der gesuchte Massenstrom beträgt somit bei einer Wandstärke von ∆x = 5 mm =D⋅A⋅ m
ρi 19,3 ⋅ 10 3 kg = 230 ⋅ 10 −15 ⋅ 5 ⋅ 10 −3 ⋅ ∆x 5 ⋅ 10 −3 s
= 4,45 µg s = 16 mg h
(9.55)
9.3 Stofftransport
369
Dimensionslose Sherwood- Beziehung
Wassertropfen von 1 mm Größe entstehen bei starkem Regen. Geht man von der Modellvorstellung aus, dass der einzelne Wassertropfen kugelrund sei, so kann die Reynoldszahl des Tropfens berechnet werden zu Re =
v⋅d 4 ⋅ 10 −3 = = 264,4 ν 15,13 ⋅ 10 −6
(9.56)
Die Sherwoodzahl folgt aus der Gl. 8.28, wobei zuerst die Sherwoodzahlen bei laminarer und turbulenter Strömung gemäß den Gln. 8.29 und 8.30 zu berechnen sind. Die Schmidtzahl von Wasserdampf in Luft bei 20 °C kann der Tabelle 8.4 entnommen werden (Sc = 0,6). 1
Sh la min ar = 0,664 ⋅ Re 2 ⋅ Sc
1
= 0,664 ⋅ 16,26 ⋅ 0,843 = 9,106
3
0,037 ⋅ Re 0,8 ⋅ Sc 2 1 + 2,443 ⋅ Re −0,1 ⋅ §¨ Sc 3 − 1·¸ ¹ © 0,037 ⋅ 86,7 ⋅ 0,6 = = 3,228 1 + 2,443 ⋅ 0,572 ⋅ − 0,289
Sh turbulent =
(
(9.57) (9.58)
)
Sh = 2,0 + Sh la2 min ar + Sh 2turbulent = 2,0 + 82,92 + 10,42 = 11,66
(9.59)
Jetzt kann die Sherwoodzahl nach dem Stoffübergangskoeffizienten β aufgelöst werden. β=
Sh ⋅ D 11,66 ⋅ 25 ⋅ 10 −6 m = = 0,292 m s d 10 −3 s
(9.60)
Die kugelförmige Tropfenoberfläche beträgt
A = π ⋅ d 2 = π ⋅ 10 −3 m 2 = 3,14 ⋅ 10 −6 m 2 2
(9.61)
Nimmt man an, dass die Luft unmittelbar an der Tropfenoberfläche mit Wasserdampf gesättigt ist, so kann der Massenfluss an verdampfendem Wasser durch die Konzentrationsgrenzschicht berechnet werden. Die Beladung von gesättigter Luft beträgt ρW = 17,3⋅10-3 kg/m3. Die Definition der Beladung kann im Kapitel “Trocknung” nachgeschlagen werden.
370
9 Berechnungen und Antworten zu Teil II
= β W ⋅ A ⋅ ∆c W ⋅ M W = β W ⋅ A ⋅ ∆ρ W = β W ⋅ A ⋅ ρ W m
(9.62)
= 15,86 ⋅ 10 −9 kg s Im allerersten Moment des Falls verliert der Tropfen 15,86 µg/s an Masse. Es wäre nun falsch, die Masse des Tropfens (m = 0,524 mg) durch den Massenverlust pro Zeit zu dividieren, um die Lebensdauer des Tropfens bis zu seiner vollständigen Verdampfung (t = 33 s) oder die Fallstrecke (" = 132 m) zu berechnen. Durch den Massenverlust nimmt auch der Tropfendurchmesser ab. Dadurch verzögert sich die Fallgeschwindigkeit, die mit den Gleichungen des Kapitels „Sedimentation“ berechnet werden kann. Mit der fallenden Sinkgeschwindigkeit nehmen auch die Reynoldszahl und die Sherwoodzahl ab. Der Stoffübergang und der Massenverlust pro Zeit werden mit der Falldauer zunehmend kleiner, bis schließlich der Tropfen vollends verschwindet. Anhand einer iterativen Simulation, die alle maßgebenden Effekte berücksichtigt, wurde eine effektive Lebensdauer des Tropfens von 74 s und eine Fallstrecke von 173 m ermittelt. Die grafische Auswertung der Simulation zeigt die Abb. 9.4. Reynoldszahl /[-]
Archimedeszahl /[-]
Sherwoodzahl /[-]
Re
Ar
Sh
3
35 10
12
250
3
30 10
10
200
3
25 10
8
3
150
20 10
6
3
100
4
10 103 50
-1
0.6 0.5
16 10
-9
14 10
-9
12 10-9
0.4
10 10
0.3
8 10
1.2 10
-6
0.8 10
-6
0.6 10
-6
80
70
60
50
40
-9
-9
0.4 10-6
6 10-9
0.2
Masse /[kg]
m
m
30
20
0
80
70
60
50
40
30
20
80
70
60
50
40
30
20
0
10
t /[s]
0
Massenstrom /[kg s ]
Stoffübergangs-1 koeffizient /[m s ]
β
2
t /[s]
0 0
t /[s]
0
10
3
5 10
10
15 10
-9
180
3.5
160
3.0
140
80
t /[s] 80
70
60
50
40
0 30
80
70
60
50
40
30
20
0
80
70
60
20
t /[s]
0 10
t /[s] 50
70
40
0.5
0 40
60
60
1.0
0.2 10-3
30
50
80
1.5
20
40
100
2.0
0
30
120
2.5
10
20
0
70
60
50
40
30
20
0
80
s
4.0
20
-3
Geschwindigkeit /[m s ]
0
0.4 10
t /[s]
10
-3
10
80
70
60
50
40
30
20
10
0 -3
0.6 10
-6
0
-1
v
-3
0.8 10
t /[s]
0
Durchmesser /[m]
d 1.0 10
0.2 10
-9
2 10
t /[s]
0
10
4 10 0.1
Abb. 9.4. Simulation der Verdampfung eines fallenden Wassertropfens von anfänglich 1 mm Durchmesser in trockener Luft
9.3 Stofftransport
371
Zweifilmtheorie
Da der Nernst’sche Verteilungskoeffizient KN größer als 1 ist und sich Aceton besser in Wasser als in Toluen löst, muss laut der Definition des Nernst’schen Verteilungskoeffizienten die Wasserphase als Phase 1 und die Toluenphase als Phase 2 bezeichnet werden. Gemäß der Gleichung 8.39 berechnet sich der Molenfluss des Acetons mit § w ⋅ρ K ⋅ w 2 ⋅ ρ2 n 1→ 2 = k c1 ⋅ A ⋅ (c1 − K N ⋅ c 2 ) = k c1 ⋅ A ⋅ ¨¨ 1 1 − N M Aceton © M Aceton
· (9.63) ¸¸ ¹
Auf der rechten Seite der Gl. 9.63 wurde die Tatsache berücksichtigt, dass die Konzentration ci des Stoffs i multipliziert mit der Molmasse Mi gleich dem Massenanteil wi des Stoffs i multipliziert mit der Dichte des Mediums ρ ist (ci⋅Mi = wi⋅ρ; s. Gl. 8.2). kc1 entspricht dem Stoffdurchgangskoeffizienten von Phase 1 zu Phase 2. k c1
§ 1 K · = ¨¨ + N ¸¸ © β1 β 2 ¹
−1
1,8 · § 1 =¨ + ¸ −6 3 ⋅ 10 −6 ¹ © 5 ⋅ 10
−1
⋅
m = 1,25 ⋅ 10 −6 m s s
(9.64)
Der Massenstrom des Acetons, welches die Kontaktfläche zwischen den zwei Phasen durchquert, ist alphanumerisch
1→ 2 = n 1→2 ⋅ M Aceton = k c1 ⋅ A ⋅ (w 1 ⋅ ρ1 − K N ⋅ w 2 ⋅ ρ 2 ) m
(9.65)
Mit Zahlenwerten lautet die Gleichung 1→ 2 = 1,25 ⋅ 10 −6 ⋅ 0,5 ⋅ (0,02 ⋅ 1'000 − 1,8 ⋅ 0,05 ⋅ 860 ) m
kg s
(9.66)
= −0,36 g s = −1,3 kg h Das Resultat ist negativ. Das bedeutet, dass das Aceton aus der Phase 2 in die Phase 1 permeiert. Das Aceton bewegt sich also aus der Toluenphase in die Wasserphase hinein.
Teil III Grundoperationen
Der dritte Teil des Buchs behandelt die wichtigsten Grundoperationen der chemischen Verfahrenstechnik. Hier folgt eine kurze Übersicht über die Kapitel. 1. Mischen, Rühren: Rührertypen, Strömungsbilder, Leistungsbedarf, statische Mischer 2. Sedimentieren: Strömung um kugelige und unförmige Teilchen, Sinkgeschwindigkeit eines Teilchenschwarms, Sedimentationsapparate 3. Verdampfen: Verdampfungsvorgänge, Dampfdruck, Siedepunktserhöhung, Verdampfertypen, Brüdenverdichtung, Mehrstufenverdampfung 4. Kondensieren: Einfluss von Inertgas, Filmkondensation, Kondensatortypen 5. Destillieren: Dampfdruck-, Temperatur- und x-y-Diagramm, ideale, reale und azeotrope Mischungen, kontinuierliche und absatzweise Destillation, Trägerdampfdestillation 6. Rektifizieren: Boden-, Füllkörper- und Packungskolonnen, McCabe-ThieleDiagramm, Auslegung für kontinuierlichen und diskontinuierlichen Betrieb, Vakuum-, Extraktiv-, Azeotrop- und Reaktivrektifikation 7. Trocknen: Art der Wärmeübertragung, Zustandsänderung des feuchten Guts und der befeuchteten Luft, Mollier-Diagramm, Trocknungsapparate
374
Teil III
Wie bereits im Kapitel „Projektierung“ dargelegt, lässt sich jeder chemisch-technische Produktionsprozess in einzelne Verfahrensbausteine unterteilen. Diese Verfahrensbausteine werden mit Grundoperationen der Verfahrenstechnik bezeichnet. Sie heißen Grundoperationen, weil sie für die chemisch-technischen Prozesse grundlegend sind. Grundoperationen werden zudem auch Einheitsoperationen genannt, weil sie nach einheitlichem Muster ablaufen und in sich geschlossen eine Einheit bilden. Die Grundoperationen bzw. Einheitsoperationen lassen sich ganz allgemein in zwei Kategorien einteilen, in mechanische und in thermische Verfahren. Mechanische Verfahren laufen unter Zufuhr von mechanischer Energie ab. Die Vorgänge lassen sich mit den Gesetzen der Mechanik und der Strömungslehre erfassen. Beispiele von mechanischen Grundoperationen sind in der Tabelle III.1 zusammengefasst. Tabelle III.1. Mechanische Grundoperationen mit Stoffumwandlung Mechanische Grundoperationen mit Stoffumwandlung Mischen = Ausgleichen von Konzentrationsunterschieden Zerkleinern = Vergrößern der spezifischen Oberfläche Sieben = Zerlegen nach linearer Korngröße (Korndurchmesser) Filtrieren = Trennen einer Suspension in Feststoff und Flüssigkeit Sedimentieren = Abtrennen eines Feststoffs durch Schwerkraft Zentrifugieren = Abtrennen eines Feststoffs durch Zentrifugalkraft Zerstäuben = Zerteilen einer Flüssigkeit in Tropfen Agglomerieren = Vereinigen von Pulver/Stäuben zu größeren Formstücken
Ebenso zu den mechanischen Grundoperationen gehören technische Vorgänge, bei denen keine Stoffumwandlung erfolgt, wie in Tabelle III.2 dargestellt. Tabelle III.2. Mechanische Grundoperationen ohne Stoffumwandlung Mechanische Grundoperationen ohne Stoffumwandlung Rühren = Ausgleichen von Konz.- und Temperaturunterschieden Fördern = Transport von Produkten (mechan., pneumat., hydraul.) Lagern = Aufbewahren von Produkten (Halde, Silo, Druckbehälter) Dosieren = Proportionieren von Produkten (volumetrisch, gravimetrisch) Verpacken = Schutz von Produkten (Metall, Glas, Kunststoff, Karton) Messen = Bestimmen von Kontrollgrößen (pH, Temp., Fluss, Füllstand)
Grundoperationen
375
Thermische Verfahren laufen unter Austausch von thermischer Energie ab (fühlbare und latente Wärmen, Lösungs- oder Verdampfungswärmen etc.). Häufig werden dabei größere Wärmemengen übertragen, d.h. zuoder abgeführt. Thermische Prozesse sind daher in der Regel energieintensiver als mechanische Prozesse. Bei thermischen Verfahren wechselt zudem häufig eine der Komponenten die Phase. Ausnahme hierzu ist die einfache Wärmeübertragung mit fühlbarer Wärme. Die Geschwindigkeit thermischer Verfahren wird oft durch den Diffusionsvorgang der phasenwechselnden Komponente bestimmt (s. Kapitel „Stofftransport“). Thermische Prozesse lassen sich mit den Gesetzen der Mechanik, der Strömungslehre, des Wärme- und Stofftransports sowie der physikalischen Chemie erfassen. Beispiele von thermischen Grundoperationen sind in der Tabelle III.3 aufgelistet. Tabelle III.3. Thermische Grundoperationen mit Stoffumwandlung Thermische Grundoperationen mit Stoffumwandlung Trocknen = Abtrennen eines leichtflüchtigen Stoffs aus einem feuchten Gut Destillieren = Zerlegen eines Flüssigkeitsgemisches aufgrund der unterschiedlichen Flüchtigkeiten der Komponenten Extrahieren = Phasenwechsel einer Komponente aufgrund der unterschiedlichen Löslichkeit in verschiedenen Phasen Kristallisieren = Gewinnen einer festen Phase aus einer Lösung oder Schmelze durch Abkühlen oder Eindampfen Sorbieren = Abtrennen einer Komponente aus einer Flüssigkeit oder Gas durch Wechselwirkung mit einem Sorbens
10 Mischen, Rühren
10.1 Einleitung Durch Mischen vermindert man örtliche Unterschiede in der Zusammensetzung, der Temperatur, des Dispersionsgrads und anderen physikalischen Eigenschaften eines Stoffes. Das Mischen geschieht durch 3 Hauptmechanismen: Diffusion Der diffusive Ausgleichsvorgang findet auf mikroskopischer, submikroskopischer oder molekularer Ebene statt. Treibende Kraft ist die thermische Bewegung der Teilchen, Moleküle, Ionen oder sonstigen Stoffkomponenten. Diese Art der Vermischung wird durch höhere Temperatur begünstigt, da damit auch die Teilchenbewegung zunimmt (Brown’sche Bewegung). Konvektion Der konvektive Ausgleichsvorgang findet durch makroskopische Verschiebung ganzer Stoffbereiche statt. Kleine Wirbel (so genannte Turbulenzballen) verschieben sich gegenseitig in ihrer Lage und bewirken eine zufällige Neuverteilung des Mediums. Man spricht deshalb manchmal auch von einer Wirbeldiffusion (engl.: eddy diffusion). Die Wirbel oder Turbulenzen werden durch das Einwirken äußerer Kräfte verursacht, z.B. durch Rührer, Pumpen, Verdichter, Strömungsumlenkungen, statische Mischer. Aber auch simple Temperaturunterschiede können, bedingt durch die damit verbundenen Dichteunterschiede im Medium, zu einer Konvektion und damit Vermischung führen.
378
10 Mischen, Rühren
Dispergierung Der dispergierende Mischvorgang findet nur bei inhomogenen Mischungen statt. Bei Mischungen mit mehreren Phasen kommt es dabei zu einer Verkleinerung und Neuverteilung von Gasblasen, Flüssigkeitstropfen oder suspendierten Feststoffteilchen. Als Spezialfälle des Dispergierens gelten das Homogenisieren (= Vermischen zweier nicht-mischbarer Flüssigkeiten) und das Suspendieren (= Aufwirbeln von Feststoffteilchen in einer Flüssigkeit). Natürliche Prozesse laufen ohne äußere Einwirkung stets in Richtung zunehmender Unordnung (= Entropie) ab. Misch- und Rührvorgänge sollten demnach keine Energie benötigen. Weil es in der Praxis jedoch oft zu lange dauern würde, bis sich ein Stoffgemenge vermischt hat, werden Mischvorgänge häufig mechanisch beschleunigt.
10.2 Rührertypen Rührer gibt es in den unterschiedlichsten Ausführungen. Als Faustregel gilt, je größer die Viskosität des Mediums, desto größer soll das Rührorgan ausgebildet sein. Im oberen Viskositätsbereich (η > 100 Pa⋅s) verwendet man z.B. große Wendelrührer, um unbewegte Zonen (= Totzonen) zu vermeiden (s. Abb. 10.1).
Abb. 10.1. Wichtige Rührertypen: a) Propellerrührer, b) Scheibenrührer, c) Zahnscheibenrührer, d) Schrägblattrührer, e) Impellerrührer, f) Ankerrührer, g) Gitterrührer (ohne Durchbrüche = Blattrührer), h) Kreuzbalkenrührer, i) MIG-Rührer (Enden verdreht), k) Wendelrührer
10.3 Strömungsbild
379
10.3 Strömungsbild Man unterscheidet zwischen axial und radial wirkenden Rührorganen. In der Abbildung 10.2 ist links ein Rührkessel mit einem axialen und rechts ein Rührkessel mit einem radialen Strömungsbild dargestellt. Maßgebend ist immer die Strömungsrichtung in unmittelbarer Nähe des Rührorgans.
Abb. 10.2. Hauptströmungen in Rührbehältern; Rührbehälter mit Axialrührer (links), Rührbehälter mit Radialrührer (rechts)
erzwungene Trombe
freie Trombe
Abb. 10.3. Freie und erzwungene Trombe in einem Rührkessel bedingt durch die mitrotierende Flüssigkeit
380
10 Mischen, Rühren
Der Rührer versetzt die Flüssigkeit in eine rotierende Bewegung. Aufgrund der Zentrifugalkräfte, die auf die Flüssigkeit einwirken, bildet sich im Innern des Rührkessels eine Trombe aus (s. Abb. 10.3). Im Zentrum des Rührkessels, wo die Flüssigkeit ungestört rotiert, ergibt sich eine erzwungene Trombe von konvexer Form. Am Rand, wo die rotierende Flüssigkeit durch die Behälterwand gebremst wird, entsteht eine freie Trombe von konkaver Form. Die Bildung einer Trombe ist unerwünscht. Eine Trombe verursacht große Kräfte auf die Rührwerkswelle, da eine zeitlich konstante Flüssigkeitslagerung fehlt. Zur Vermeidung der Trombenbildung baut man deshalb oft einen oder mehrere Strombrecher in den Rührbehälter ein. Dies erhöht zwar den Stromverbrauch des Rührers, dafür wird die Turbulenz und damit Durchmischung verbessert (s. Abb. 10.4).
3 5
7 4
1
2
6 Abb. 10.4. Rührbehälter mit aufgebautem Antrieb und schwenkbarem Strombrecher; 1) Doppelmantel zur Beheizung oder Kühlung, 2) Impellerrührer, 3) Rührwerksantrieb, 4) Strombrecher (drehbar), 5) Mannloch mit Schauglas, 6) Bodenventil mit Auslaufstutzen, 7) Pratzen
10.5 Leistungsbedarf eines Rührwerks
381
10.4 Wahl des Rührertyps In der Tabelle 10.1 sind einige orientierende Angaben zur Wahl des richtigen Rührertyps dargelegt. Tabelle 10.1. Orientierende Angaben zu wichtigen Rührertypen; d Rühreraußendurchmesser, dB Behälterinnendurchmesser, h Einbauhöhe des Rührers ab Behälterboden (bei zwei Angaben: h Abstand zwischen Behälterboden und unterer Rührerkante, h' Abstand zwischen Behälterboden und oberer Rührerkante); 1 Homogenisieren, 2 Suspendieren, 3 Dispergieren, 4 Wärmeübertragung Rührertyp
Umfangsgeschwindigkeit/ [ms-1]
maximale dynamische Viskosität/ [kgm-1s-1]
dimensionsloser Rührerdurchmesser d/dB
dimensionslose Einbauhöhe h/d h‘/d
Hauptströmungsrichtung
Eignung für
Einbau von Strombrechern
Propellerrührer
3 ...12
0.5
0.3
1.5
axial
1,4
ja
Scheibenrührer
3 ...12
0.5
0.3
1.0
radial
1,2,3,4
ja
Impellerrührer
1 ...10
2
0.67
0.25
radial
1,2,4
eventuell
Ankerrührer
0.5... 2
5
0.98
0.01/1.01
tangential
1,4
nein
Blattrührer
0.5... 3
2
0.5
0.4/1.4
tangential
1,4
eventuell
Kreuzbalkenrührer
2 ... 7
2
0.67
0.15/1.15
radial/ tangential
1,3,4
eventuell
Wendelrührer
0.5... 1.5
1'000
0.98
0.01/1.01
axial
1,4
nein
10.5 Leistungsbedarf eines Rührwerks Zur Berechnung der Rührwerksleistung wird die Reynoldszahl gebraucht. Als charakteristische Längenabmessung gilt bei Rührern der Durchmesser des Rührorgans. Als Geschwindigkeit wird die äußere Umfangsgeschwindigkeit des Rührorgans dividiert durch π eingesetzt (v = f⋅d). Die Definition der Reynoldszahl bei einem Rührwerk lautet somit:
Re Rührer =
ρ ⋅ f ⋅ d2 η
Symbole: ρ = Dichte des Mediums f = Drehzahl d = Rührerdurchmesser
(10.1)
[kg⋅m-3] [s-1] [m]
382
10 Mischen, Rühren η = dynamische Viskosität des Mediums
[kg⋅m-1⋅s-1]
Für Re < 10 ist die Strömung laminar und tangential. Für Re ≈ 1'000 herrschen starke Turbulenzen im Bereich des Rührorgans vor. Für Re > 100'000 erfassen die Turbulenzen den gesamten Rührkesselinhalt. Die Leistungsaufnahme des Rührwerkes beträgt P = Ne ⋅ ρ ⋅ f 3 ⋅ d 5 Symbole: P = Rührerleistung Ne = Newtonzahl ρ = Dichte des Mediums f = Drehzahl d = Rührerdurchmesser
(10.2) [W] = [kg⋅m2⋅s-3] [-] [kg⋅m-3] [s-1] [m]
Die Newtonzahl entspricht der so genannten Leistungskennzahl des Rührwerks. − Bei laminarer Strömung ist Ne proportional zu 1/Re. − Bei turbulenter Strömung ist Ne eine Konstante. Die Leistungskennzahl Ne hängt vom Rührertyp und etwas weniger auch vom verwendeten Rührbehälter ab. In der Abbildung 10.5 kann die Leistungskennzahl als Funktion der Reynoldszahl des Rührwerks grafisch bestimmt werden.
Abb. 10.5. Diagramm zur Bestimmung der Leistungskennzahl Ne eines Rührers als Funktion der Reynoldszahl Re
10.6 Statische Mischer
383
Der Leistungsbedarf des Rührwerks errechnet sich durch Einsetzen der Leistungskennzahl Ne aus der Abb. 10.5 in die Gl. 10.2. Der spezifische Leistungsbedarf (= Leistung pro Flüssigkeitsvolumen P/V) beträgt normalerweise zwischen 0.1 und 1.0 kW/m3.
10.6 Statische Mischer Statische Mischer kommen ohne mechanisch bewegte Rührelemente aus. Sie werden in Rohrleitungen nach Pumpen eingebaut. Ihr Funktionsprinzip beruht auf einem Zerlegen, Umlagern und neu Zusammenführen von Stoffströmen. Dabei ist v.a. die Quervermischung ausgezeichnet, während längs der Strömungsrichtung praktisch keine Vermischung stattfindet. Die zu mischenden Stoffströme müssen deshalb kontinuierlich in die Rohrleitung eingespiesen werden.
Abb. 10.6. Vermischen zweier Epoxidharze mit Hilfe eines statischen Mischers der Firma Sulzer, Winterthur. Der Mischer besteht aus 4 Mischelementen, die um 90° zu einander verdreht sind. Die Schnittbilder entlang der Mischstrecke zeigen die zunehmende Mischgüte.
384
10 Mischen, Rühren
Statische Mischer eignen sich hervorragend zur Homogenisierung von stark viskosen Medien (s. Abb. 10.6), aber auch zur Vermischung von niedrigviskosen Komponenten wie Gase, Farbstoffe oder Katalysatoren in Flüssigkeiten. Ein einzelnes statisches Mischelement bewirkt dieselbe Mischgüte, wie sie in einem leeren Rohr nach ca. der 1'000-fachen Länge auftritt. Je stärker die zusammengemischten Volumenströme von einander abweichen, desto länger muss die Mischstrecke sein. Stoffe mit ähnlich großen Volumenströmen lassen sich viel einfacher miteinander vermischen als Stoffe mit stark unterschiedlichen Volumenströmen. Es lohnt sich unter Umständen, den Stoff mit dem kleinen Volumen vor dem Zudosieren auf ein größeres Volumen zu verdünnen.
10.7 Fragen aus der Praxis Strömungsbild im Rührkessel
Welche der in Abb. 10.1 dargestellten Rührer bewirken ein axiales Strömungsbild im Rührkessel? Leistungsaufnahme im Rührkessel
Ein Kreuzbalkenrührer mit Durchmesser 0,6 m dreht mit einer Drehzahl von 90 min-1. Wie groß ist die Leistungsaufnahme des Rührwerkmotors, wenn das Medium Wasser bei 20 °C ist? Statische Mischer
Ein statisches Mischelement hat eine Länge, die dem Rohrinnendurchmesser (5 cm) entspricht. Wie lang wäre die Mischstrecke eines leeren Rohres mit gleichem Durchmesser bei denselben Bedingungen? Wann sollten statische Mischer eingesetzt werden? Lösungen siehe Kapitel „Berechnungen und Antworten zu Teil III“ am Ende des dritten Buchteils.
10.8 Literatur
385
10.8 Literatur [1] Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau, S 263-274 [2] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffchemie, Leipzig, S 371-410 [3] Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg, S 108-120 [4] Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart, S 174-189 [5] Todtenhaupt P (1990) Handbuch der Rührtechnik. Ekato Rühr- und Mischtechnik, Schopfheim D
11 Sedimentieren
11.1 Definition Unter Sedimentieren versteht man die Absetzbewegung von Teilchen in einem Fluid unter Einwirkung der Schwerkraft. Die Teilchen können im festen oder flüssigen Aggregatszustand vorliegen. Das umgebende Fluid kann eine Flüssigkeit oder ein Gas sein. Das Teilchenkollektiv wird als disperse Phase und das umgebende Fluid (Gas oder Flüssigkeit) als kontinuierliche Phase bezeichnet (s. Abb. 11.1). Die Sedimentation kann technisch zur Abtrennung von Teilchen aus einem Flüssigkeits- oder Gasstrom genutzt werden.
Teilchen (disperse Phase)
Fluid (kontinuierliche Phase)
Abb. 11.1. Disperse und kontinuierliche Phase bei der Sedimentation
Zwingende Voraussetzung für die Sedimentation ist ein Dichteunterschied zwischen der dispersen Phase und der kontinuierlichen Phase, wobei die disperse Phase stets die höhere Dichte als das Fluid aufweisen muss. Hat die disperse Phase eine geringere Dichte als das Fluid, so bewegen sich die Teilchen nach oben. Dies wird als Auftreiben oder Aufschwimmen bezeichnet. Ein technisches Verfahren, wobei die Teilchen mit Hilfe von anhaftenden Luftblasen in Flüssigkeiten nach oben gezogen werden, nennt man Flotation. Die Flotation ist das wichtigste Verfahren zur Abtrennung von Ganggestein aus Erzen.
388
11 Sedimentieren
11.2 Maßgebende Kräfte Folgende Kräfte wirken auf ein sedimentierendes kugelförmiges Teilchen in einem Fluid (s. Abb. 11.2): Schwerkraft:
FG = m T ⋅ g = ( π / 6) ⋅ d 3 ⋅ ρ T ⋅ g
(11.1)
Auftriebskraft:
FA = m F ⋅ g = ( π / 6) ⋅ d 3 ⋅ ρ F ⋅ g
(11.2)
FW = c W ⋅ (ρ F / 2) ⋅ v 2 ⋅ (π / 4) ⋅ d 2
(11.3)
Widerstandskraft:
Trägheitskraft:
Fρ = (m T + m F / 2 ) ⋅ dv / dt
(11.4)
= (π / 6) ⋅ d 3 ⋅ (ρ T + ρ F / 2) ⋅ dv / dt
Symbole: d = Teilchendurchmesser mT = Masse des Teilchens mF = Masse des verdrängten Fluids ρT = Dichte des Teilchens ρF = Dichte des Fluids v = Sinkgeschwindigkeit des Teilchens dv/dt = Beschleunigung des Teilchens cW = Widerstandsbeiwert des Teilchens g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2)
[m] [kg] [kg] [kg⋅m-3] [kg⋅m-3] [m⋅s-1] [m⋅s-2] [-] [m⋅s-2]
Der Summand mF/2 in der Gl. 11.4 berücksichtigt die Tatsache, dass bei der Beschleunigung eines kugelförmigen Teilchens ein gewisser Anteil des Fluids, der das Teilchen umgibt, mitbeschleunigt werden muss. Dieser Anteil entspricht erfahrungsgemäß etwa der Hälfte des Volumens des Teilchens und wird unter Berücksichtigung der Dichte des Fluids als scheinbare Masse bezeichnet. Bei der Sedimentation von kleinen Teilchen (d < 1mm) ist der Beschleunigungvorgang relativ kurz, sodass er gegenüber dem Gesamtvorgang meistens vernachlässigt werden darf. Der Einfluss der Trägheitskraft ist daher im Vergleich zu den anderen maßgebenden Kräften verschwindend klein und wird nicht weiter berücksichtigt. Im stationären Sinkvorgang gilt daher das Kräftegleichgewicht FA + FW = FG
(11.5)
11.3 Strömung um ein kugelförmiges Teilchen
389
FW Fρ ρT ηF; ρF
FA d v
FG
Abb. 11.2. Kräftegleichgewicht um ein sinkendes Teilchen
Durch Einsetzen der Gln. 11.1-11.3 in die Gl. 11.5 und nach Umformen folgt für die Sinkgeschwindigkeit v=
4 ⋅ d ⋅ g ⋅ (ρ T − ρ F ) 3 ⋅ cW ⋅ ρF
(11.6)
Diese Gleichung für die Sinkgeschwindigkeit enthält den Widerstandsbeiwert cW, der keine Konstante ist, sondern seinerseits von der Sinkgeschwindigkeit abhängt. Die Gleichung 11.6 ist also vorerst nicht explizit lösbar. Für sehr kleine Teilchen unter 0.5 µm Größe verhindert die Brown’sche Bewegung die Sedimentation im Schwerefeld. Der Teilchendurchmesser 0.5 µm stellt daher einen kritischen Wert für die sedimentative Abtrennung dar. Durch Zugabe von Flockungsmitteln können kleine Teilchen zu größeren Aggregaten zusammengeführt werden, die durch Sedimentation abtrennbar sind. Diesen Abscheideprozess für feine Teilchen nennt man Flockung.
11.3 Strömung um ein kugelförmiges Teilchen Je nach Geschwindigkeit, mit der ein kugelförmiges Teilchen angeströmt wird, entstehen verschiedene Strömungsbilder. Die Strömungslinien ergeben sich aus den Tangenten an die örtlichen Geschwindigkeitsvektoren.
390
11 Sedimentieren
Karman’sche Wirbelstrasse
C
grosser Druck
S’ B S
kleiner Druck grosser Druck
kleiner Druck
S’
stochastische Wirbel
B S
kleiner Druck
S’ B
grosser Druck
S
grosser Druck
Fluidvolumen A
v0
v0
v0
laminar
Übergangsbereich
turbulent
Re < 0,5
0,5 < Re < 500
500 < Re
Abb. 11.3. Laminare und turbulente Strömung um ein kugelförmiges Teilchen
Bei der laminaren Strömung um ein kugelförmiges Teilchen (s. Abb. 11.3 links) und unter Vernachlässigung der Reibung in der Flüssigkeit und zwischen der Flüssigkeit und der Teilchenoberfläche beschleunigt sich die Flüssigkeit von vA = vo beim Punkt A auf vB = 3/2 vo beim Punkt B. Beim Punkt C beträgt die Geschwindigkeit wiederum vC = vo. An den beiden Staupunkten S und S' ist die relative Geschwindigkeit der Flüssigkeit gegenüber der Kugel 0 m/s. Der Druckverlauf um das Teilchen wird durch die Gleichung von Bernoulli bestimmt. Das bedeutet beispielsweise, dass der Druck am Punkt B stets kleiner ist als an den Punkten S und S'. Deshalb weichen z.B. sedimentierende Flüssigkeitstropfen oder aufsteigende Gasblasen von der Kugelform ab und werden in die Breite gezogen. Der Geschwindigkeits- und Druckverlauf um ein kugelförmiges Teilchen, das turbulent umströmt wird, ist rechnerisch schwieriger zu erfassen. Wegen Reibungsverlusten steigt hier der Druck am hinteren Staupunkt S' weniger hoch an. Bei geringer Geschwindigkeit bilden sich hinter dem Teilchen Wirbel, die sich regelmäßig ablösen (s. Abb. 11.3 mittig). Dieser Effekt wird in so genannten Wirbelzählern ausgenutzt, um den Volumenstrom zu bestimmen. Das Strömungsbild, das hinter dem Teilchen entsteht, wird als Karman’sche Wirbelstraße bezeichnet. Bei höherer Geschwindigkeit wird das Wirbelfeld hinter der Teilchen zusehens unregelmäßiger. Kleine und große Wirbel lösen sich stochastisch, d.h. nach zufälligem Muster ab (s. Abb. 11.3 rechts). Das Strömungsbild lässt sich physikalisch nicht exakt vorhersagen.
11.3 Strömung um ein kugelförmiges Teilchen
391
Die kritische Reynoldszahl, bei der die Strömung um ein kugelförmiges Teilchen von laminar auf turbulent umschlägt, beträgt Re kr , Kugel =
ρF ⋅ d ⋅ v = 0,5 ηF
(11.7)
Um die Sinkgeschwindigkeit eines kugelförmigen Teilchens zu berechnen, ist die Kenntnis der Strömungsform zwingende Voraussetzung. Je nach vorherrschender Strömungsform ändert der Widerstandsbeiwert in den Gln. 11.6 bzw. 11.3. cW = 24 / Re cW = 18.5 / Re0.6 cW = 0.44
für Re < 0,5
(11.8)
für 0,5 < Re < 500
(11.9)
für 500 < Re
(11.10)
Setzt man cW = 24 / Re gemäß Gl. 11.8 in die Gl. 11.6 ein, so erhält man als Sonderfall das Gesetz von Stokes, welches die Sinkgeschwindigkeit eines kugelförmigen Teilchens bei laminarer Strömung darstellt.
v=
d 2 ⋅ g ⋅ (ρ T − ρ f ) 18 ⋅ η F
(11.11)
Zur Berechnung der Sinkgeschwindigkeit bei beliebiger Strömung ist gemäß den Gln. 11.8 bis 11.10 stets die Kenntnis der Reynoldszahl notwendig, die aber ihrerseits von der Sinkgeschwindigkeit abhängt. Eine direkte Berechnung der Sinkgeschwindigkeit scheint nicht möglich zu sein. Durch Anwendung der Ähnlichkeitstheorie auf den Sedimentationsvorgang sowie Umformung der Gl. 11.6 gelingt dies aber dennoch. cW ⋅ v2 =
· §ρ 4 ⋅ d ⋅ g ⋅ ¨¨ T − 1¸¸ 3 ¹ © ρF
(11.12)
Die Gleichung 11.12 kann durch Einsetzen der Reynoldszahl und Einführung der kinematischen Viskosität ν = η/ρ weiter umgeformt werden zu c W ⋅ Re 2 =
· §ρ 4 d3 ⋅ 2 ⋅ g ⋅ ¨¨ T − 1¸¸ 3 ν ¹ © ρF
(11.13)
392
11 Sedimentieren
Durch Einführung der Archimedeszahl Ar =
§ ρT · d 3 ⋅ g ⋅ ρ F ⋅ (ρ T − ρ F ) d3 ¨ ¸¸ = − ⋅ ⋅ g 1 ¨ρ ν2 η2 © F ¹
(11.14)
kann die Gl. 11.13 schließlich vereinfacht werden zu Ar =
3 ⋅ c W ⋅ Re 2 4
(11.15)
Die Gleichung 11.15 enthält die Archimedeszahl. Die dimensionslose Archimedeszahl bietet den Vorteil, dass sie aus bekannten Stoffdaten des Systems errechnet wird und keine geschwindigkeitsabhängigen Größen enthält. Die Gleichung 11.15 gestattet es, aus den Stoffdaten des Systems direkt die Reynoldszahl zu berechnen. Für die Reynoldszahl gilt nach Einsetzen der cW-Gleichungen 11.8 bis 11.10 Re = Ar / 18 Re = Ar0,714/6,55 Re = 1,74 Ar0,5
für Ar < 9
(11.16)
für 9 < Ar < 83'000
(11.17)
für 83'000 < Ar
(11.18)
Aus der Definition der Reynoldszahl kann schließlich auf die Sinkgeschwindigkeit der Teilchen geschlossen werden
v=
Re⋅ ν Re⋅ η = d d ⋅ρ
(11.19)
Um die Sedimentationsgeschwindigkeit zu bestimmen, berechnet man also zuerst die Archimedeszahl gemäß Gl. 11.14, wählt dann eine passende Gleichung zur Berechnung der Reynoldszahl aus (Gln. 11.16-11.18) und berechnet schließlich die Sinkgeschwindigkeit gemäß Gl. 11.19.
11.4 Sinkgeschwindigkeit beliebig geformter Teilchen Feststoffteilchen besitzen oft unterschiedlichste Formen, die deutlich von der Kugelform abweichen. Auch Flüssigkeitstropfen oder Gasblasen weichen von der Kugelform ab. Nur sehr kleine Tropfen und Blasen, die eine hohe Oberflächenspannung gegenüber dem kontinuierlichen Medium besitzen, können annähernd als kugelförmig betrachtet werden. Bei nicht ku-
11.4 Sinkgeschwindigkeit beliebig geformter Teilchen
393
gelförmigen Teilchen wird als erstes der Äquivalentdurchmesser einer volumengleichen Kugel berechnet. d äq = 3
(11.20)
6 ⋅ VT π
Symbole: däq = Teilchendurchmesser VT = effektives Teilchenvolumen
[m] [m3]
Mit Hilfe dieses Äquivalentdurchmessers wird die Archimedeszahl (Gl. 11.14) und die Reynoldszahl (Gln. 11.16-11.18) berechnet. Schließlich führt man die Sphärizität ϕ (Phi) ein, die die Abweichung der Teilchenform von einer Kugel beschreibt (s. Tabelle 11.1). Die Sphärizität ist stets ≤ 1. In manchen Literaturquellen wird anstelle der Sphärizität ϕ der so genannte Formfaktor F angegeben. Der Formfaktor ist stets ≥ 1 und verhält sich zur Sphärizität umgekehrt proportional. F=
(11.21)
1 ϕ
Die Sinkgeschwindigkeit v folgt aus einer Modifizierung der Gl. 11.19 mit Hilfe der Sphärizität ϕ bzw. des Formfaktors F. v = ϕ ⋅ Re⋅
ν 1 ν = ⋅ Re⋅ d äq F d äq
(11.22)
Tabelle 11.1. Sphärizität ϕ und Formfaktor F als Funktion der Teilchenform Teilchenform kugelig gerundet eckig länglich plattenförmig
Sphärizität ϕ 1.0 0.8 0.7 0.6 0.4
Formfaktor F 1.0 1.25 1.43 1.67 2.5
394
11 Sedimentieren
11.5 Sinkgeschwindigkeit eines Teilchenschwarms Die bisher aufgeführten Gleichungen für den Absetzvorgang gelten ausschließlich für verdünnte Suspensionen mit einem Anteil der dispersen Phase von εT < 0,5 Vol-%. Hier sedimentieren die Einzelteilchen ungestört, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Bei dichteren Suspensionen wird die Sedimentation durch die Ausweichströme der verdrängten Flüssigkeit zwischen den absinkenden Teilchen, Wechselwirkungen zwischen den Teilchen sowie Grenzflächenphänomenen behindert. Die Sinkgeschwindigkeit des Teilchenkollektivs (Schwarms) nimmt mit zunehmender Konzentration der Suspension ab. Bei niedriger Teilchenkonzentration (εT < 10 Vol-%) wird die kleinere Sinkgeschwindigkeit durch Verwendung der durch die Teilchen erhöhten Viskosität errechnet. Gemäß A. Einstein gilt ηSusp = ηF⋅ (1+f⋅εT)
(11.23)
f ist ein von der Teilchenform abhängiger Vorfaktor. Es gilt f = 2,5 für kugelförmige Teilchen und f = 4,5 für nicht kugelförmige Teilchen. εT ist der Volumenanteil der dispersen Phase, d.h. der Teilchen. Um die Absetzgeschwindigkeit von Teilchenschwärmen bis zu 30 Vol-% Feststoffgehalt zu errechnen, eignet sich folgender universeller Ansatz vS = v⋅(1-εT)m
(11.24)
vS stellt die Absetzgeschwindigkeit des Teilchenschwarms und v die Absetzgeschwindigkeit gemäß Gl. 11.22 dar. Der Exponent m hängt von der Archimedeszahl ab. m = 4,65 m = 5,5 Ar-0,06 m = 2,2
für Ar < 9
(11.25)
für 9 < Ar < 300'000
(11.26)
für 300'000 < Ar
(11.27)
Für Sinkgeschwindigkeiten unter 0,05 m/h sind Absetzapparate, die die Schwerkraft nutzen, unwirtschaftlich. Hier könnte eventuell die Zentrifugation behilflich sein.
11.6 Auslegung von Sedimentationsapparaten
395
11.6 Auslegung von Sedimentationsapparaten Zur Auslegung von Sedimentationsapparaten wird zuerst die Sinkgeschwindigkeit der suspendierenden Teilchen gemäß den Gln. 11.19 bis 11.24 berechnet. Aus Sicherheitsgründen wird die berechnete Sinkgeschwindigkeit für die weitere Auslegung halbiert. Diese „Auslegungssinkgeschwindigkeit“ kompensiert Schwankungen in der realen Sinkgeschwindigkeit, die lokal aufgrund geringfügiger Turbulenzen entstehen können. Maßgebend für den Abscheidegrad eines Sedimentationsapparats (auch Sedimentator genannt) ist stets die innere Fläche, die senkrecht zur Gravitationskraft steht. Ein größeres Volumen bzw. eine größere Höhe eines Sedimentationsapparats ist wegen der verlängerten Sedimentationsstrecke eher hinderlich. Zwar steigt die Verweilzeit in Behältern mit größerem Volumen bzw. größerer Höhe an, gleichzeitig nimmt aber auch der Weg zu, den die sedimentierenden Teilchen bis zum Boden zurücklegen müssen. Zudem ist die Gefahr von Turbulenzen in großen Apparaten größer wie in kleinen (s. Abb. 11.4). Häufig wird deshalb versucht, den Sedimentationsapparat in horizontale oder schräge Kammern zu unterteilen, sodass die Sedimentationswege kurz sind und Turbulenzen unterbleiben (s. Abb. 11.5).
Abb. 11.4. Einkammereindicker zum kontinuierlichen Abschlämmen, Grafik aus [2]; 1 Suspension; 2 Klärflüssigkeit; 3 Krählwerk; 4 Dickschlamm
396
11 Sedimentieren
Abb. 11.5. Schrägklärer mit Tellereinbauten zum kontinuierlichen Abschlämmen, Grafik aus [2]; 1 Suspensionszulauf; 2 Überlaufrinne; 3 Beruhigungskammer; 4 konische Tellereinbauten; 5 Sammeltrichter für Klärflüssigkeit; 6 Klärflüssigkeitsaustritt; 7 Krählwerk zum Schlammaustrag; 8 Schlammförderschnecke; 9 Austrittsrohr für konzentrierten Schlamm
11.7 Fragen aus der Praxis Sinkgeschwindigkeit eines Einzelkorns
Wie groß ist die Sinkgeschwindigkeit eines eckigen Sandkorns in Wasser von 20 °C, wenn das Sandkorn eine Dichte von 2'400 kg/m3 und einen Äquivalentdurchmesser von 1 mm aufweist?
11.8 Literatur
397
Sinkgeschwindigkeit eines Teilchenschwarms
Um wie viel sinkt die mittlere Sedimentationsgeschwindigkeit von Sandkörnern, wenn diese 20 % des Volumens einer Suspension ausmachen? Wie groß ist die Sinkgeschwindigkeit des Teilchenschwarms? Die Stoffeigenschaften der Sandkörner sind der vorhergehenden Aufgabe zu entnehmen. Die Lösungen zu den obigen Fragen befinden sich im Kapitel „Berechnungen und Antworten zu Teil III“ am Ende des dritten Buchteils.
11.8 Literatur [1] Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau, S 136-145, 173-179 [2] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffchemie, Leipzig, S 172-184, 258 [3] Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg, S 43-47 [4] Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten, S 264-271 [5] Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart, S 136-153 [6] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl, Salle+Sauerländer, Aarau, S 587, 608-616
12 Verdampfen
12.1 Begriffe und Definitionen Unter Verdampfen versteht man das Überführen eines Stoffes vom flüssigen in den gasförmigen Zustand unter Zufuhr von Wärme. Das Verdampfen geschieht durch Erhöhung der Temperatur, Erniedrigung des Drucks oder eine Kombination der beiden Vorgänge. Im ersten Fall wird die notwendige Wärme von außen zugeführt und im zweiten Fall der Flüssigkeit selbst entnommen, die dadurch abkühlt. Enthält die Flüssigkeit einen gelösten Stoff, der keinen oder nur einen vernachlässigbar kleinen Dampfdruck aufweist, so wird nur das reine Lösungsmittel verdampft. Der zurückbleibende Stoff wird aufkonzentriert. Ist das Ziel die Gewinnung des Lösungsmitteldampfs, so spricht man von Verdampfen. Ist das Ziel die Gewinnung der konzentrierten Lösung, so spricht man von Eindampfen. Wird dabei das Lösungsmittel komplett verdampft, so spricht man von Abdampfen. Beim letzteren Verfahren kann der gelöste Stoff auskristallisieren (Kristallisationsverdampfung) und schließlich getrocknet werden (s. Kapitel „Trocknung“). Gelöste Stoffe mit einem vernachlässigbar kleinen Dampfdruck sind z.B. Salze oder hochmolekulare Verbindungen. Verdampft ein flüssiger Stoff unterhalb seiner Siedetemperatur, so nennt man diesen Vorgang Verdunsten. In diesem Fall ist der Dampfdruck der Flüssigkeit kleiner als der Umgebungsdruck. Die Gasphase oberhalb der Flüssigkeitsoberfläche besteht dann nur teilweise aus Lösungsmitteldampf. Verdampft ein flüssiger Stoff bei seiner Siedetemperatur oder knapp darüber, so spricht man von Sieden. Der Dampfdruck der verdampften Flüssigkeit entspricht hier dem Umgebungsdruck. Die Gasphase oberhalb der Flüssigkeitsoberfläche besteht aus reinem Lösungsmitteldampf. Arbeitsweise einer Verdampfungsstufe Die Arbeitsweise einer Verdampfungsstufe ist schematisch in der Abb. 12.1 dargestellt. Der Stufe fließt kontinuierlich eine Ausgangslösung zu, die Rohlösung oder Feed genannt wird. In der Stufe wird durch Wärmezufuhr über eine Heizung ein Teil des Lösungsmittels verdampft. Die
400
12 Verdampfen
dabei entstehenden Lösungsmitteldämpfe nennt man Brüdendämpfe oder kurz Brüden. Der Lösungsrückstand wird Sumpf oder Konzentrat genannt und kann kontinuierlich abgezogen werden. Die Verdampfung ist auch diskontinuierlich möglich. In diesem Fall wird die Ausgangslösung in der Stufe vorgelegt und auf die gewünschte Konzentration eingedampft. mD
Rohlösung (Feed)
Brüden (Dampf)
mF QH Heizleistung
mK
Konzentrat (Sumpf)
Abb. 12.1. Stoffströme einer Verdampfungsstufe (schematisch)
Bei einem kontinuierlichen Betrieb gelten folgende Bilanzen: Massenbilanz
F =m K +m D m
(12.1)
Stoffbilanz für den gelösten Stoff i iF = m iK m
(12.2)
bzw. n i F = n i K =
F m m ⋅ c iF = K ⋅ c iK ρF ρK
(12.3)
Stoffbilanz für das Lösungsmittel L LF = m LK + m LD m bzw.
(12.4)
12.1 Begriffe und Definitionen
401
n L F = n L K + n L D
(12.5)
=m LF ⋅ hF + Q LK ⋅ hK + m LD ⋅ hD m H
(12.6)
h F = c p F ⋅ (TF − T0 )
(12.7)
Energiebilanz
mit
h K = c p K ⋅ (TS − T0 )
(12.8)
h D = c p L ⋅ (TS − T0 ) + ∆h v (TS )
(12.9)
kann berechnet Die für die Verdampfung benötigte Wärmeleistung Q H werden mit =m F ⋅ c p F ⋅ (TS − TF ) + m D ⋅ ∆h v (TS ) Q H = Massenstrom Symbole: m n = Molenstrom, Mengenstrom ρ = Dichte c = Molkonzentration = Heizleistung, Wärmezufuhr Q H
(12.10) [kg⋅s-1] [mol⋅s-1] [kg⋅m-3] [mol⋅m-3] [W] = [kg⋅m2⋅s-3]
[m2⋅s-2] h = spezifische Enthalpie [J⋅kg-1] = -1 -1 2 -2 c p = mittlere spezifische Wärmekapazität [J⋅kg ⋅K ] = [m ⋅s ⋅K-1] T = Temperatur ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie des Lösungsmittels Indices:
[J⋅kg-1] =
[K] [m2⋅s-2]
F = Feed, Zulauf, Rohlösung K = Konzentrat, Sumpf D = Dampf, Brüden S = Siedepunkt der Lösung 0 = Referenzpunkt, meist 0 °C i = gelöster Stoff L = Lösungsmittel
Für Berechnungen bei einem diskontinuierlichen Betrieb der Verdamp die , n und Q fungsstufe müssen statt der zeitlichen Ableitungen m H Masse m [kg], die Molzahl n [mol] und die Wärmemenge QH [J] in die Gln. 12.1-12.10 eingesetzt werden.
402
12 Verdampfen
Dampfarten
Je nach dem Sättigungsgrad der Brüden unterscheidet man verschiedene Arten von Dampf. Sattdampf kennzeichnet einen Dampf, der mit dem siedenden, reinen Lösungsmittel im Gleichgewicht steht. Sein Zustand (Temperatur, Druck) ist durch die Dampfdruckkurve definiert. Der Sattdampf ist trocken und enthält keine Nebeltröpfchen. Bei geringfügigem Wärmeentzug neigt er zum Kondensieren und zur Nebelbildung. Nassdampf entsteht durch Abkühlung des Sattdampfs. Ein Teil des Dampfs kondensiert in Form feiner Nebeltröpfchen aus. Wird ein Sattdampf vorsichtig abgekühlt, ohne dass sich Nebeltröpfchen bilden, so spricht man von einem übersättigten Dampf. Eine geringfügige Störung z.B. durch Zufuhr von Kondensationskeimen führt dann zu einer schlagartigen Nebelbildung. Überhitzter Dampf entsteht durch Erhitzen des Sattdampfs über den Kondensationsbzw. Siedepunkt hinaus. Der überhitzte Dampf enthält keine Nebeltröpfchen und ist absolut trocken. Der überhitzte Dampf kondensiert selbst bei geringfügiger Abkühlung noch nicht aus, da bei einem Wärmeentzug zuerst die fühlbare Wärme des Dampfs verbraucht wird. Dampfdruckkurve
Die Dampfdruckkurve beschreibt den Dampfdruck eines Lösungsmittels in Funktion der Temperatur. Der Dampfdruck nimmt mit der Temperatur progressiv zu. Die Dampfdruckkurve definiert, wo eine reine Flüssigkeit zu sieden beziehungsweise ein reiner Dampf zu kondensieren beginnt. Auf der Dampfdruckkurve befinden sich die Flüssigkeit und der mit ihr korrespondierende Dampf in einem thermodynamischen Gleichgewicht. Die Dampfdruckkurve beginnt am Tripelpunkt und endet am kritischen Punkt des betreffenden Lösungsmittels (s. Abb. 12.2). Am Tripelpunkt stehen die feste, die flüssige und die gasförmige Phase eines Stoffs im Gleichgewicht zueinander. Der Tripelpunkt von Wasser beträgt beispielsweise 273.16 K = 0,01 °C und 0,006 bar. Bei Temperaturen und Druckwerten oberhalb des kritischen Punktes verschwinden sämtliche physikalischen Unterschiede zwischen der flüssigen und der gasförmigen Phase. Der kritische Punkt von Wasser beträgt beispielsweise 647 K = 374 °C und 220 bar.
12.1 Begriffe und Definitionen
Schmelzdruckkurve
p
kritischer Punkt
flüssig
fest
Druck
403
Dampfdruckkurve
Tripelpunkt
gasförmig
Sublimationsdruckkurve T Temperatur
Abb. 12.2. Dampfdruckkurve im Phasendiagramm eines reinen Lösungsmittels
Die Dampfdruckkurve, d.h. die Abhängigkeit der Siede- beziehungsweise Kondensationstemperatur eines reinen Lösungsmittels vom Druck, kann näherungsweise durch die Beziehung von Clausius-Clapeyron wiedergegeben werden. Bei nicht zu hohen Druckwerten, relativ kleinen Temperaturunterschieden und Dämpfen, die sich nahezu ideal verhalten, gilt
ln
p * 2 ∆h v ⋅ M L = p *1 R
§ 1 1 · ∆h v M ¸¸ = ⋅ ¨¨ − R © T1 T2 ¹
§ 1 1 · ¸¸ ⋅ ¨¨ − © T1 T2 ¹
(12.11)
Symbole: p* = Dampfdruck des reinen Lösungsmittels [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] ∆hv = mittlere spezifische Verdampfungs[J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] enthalpie des Lösungsmittels [J⋅mol-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] ∆hv M = mittlere molspezifische Verdampfungsenthalpie des Lösungsmittels [kg⋅mol-1] ML = molare Masse des Lösungsmittels 2 -2 R = universelle Gaskonstante [kg⋅m ⋅s ⋅K-1⋅mol-1] -1 -1 (= 8,314 J⋅K ⋅mol ) T = Verdampfungstemperatur [K] Indices:
1 = Zustandspunkt 1 bei Temperatur T1 2 = Zustandspunkt 2 bei Temperatur T2
404
12 Verdampfen
Die Beziehung von Clausius-Clapeyron ergibt sich aus einer Ableitung der freien Enthalpie der flüssigen und gasförmigen Phasen im Gleichgewichtszustand. Die Herleitung ist z.B. in [5 S.393ff] dargelegt. Mit der Beziehung von Clausius-Clapeyron gelingt es, zu jeder Temperatur einen Dampfdruck zu errechnen. Die zunächst unbekannte Verdampfungsenthalpie kann aus zwei p-T-Wertepaaren ermittelt werden. R ⋅ T1 ⋅ T2 ⋅ ln (p *2 p *1 ) T2 − T1
∆h v M =
(12.12)
Bei fehlenden p-T-Wertepaaren kann die Verdampfungsenthalpie auch nach der Regel von Trouton abgeschätzt werden. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde. Die Verdampfungsenthalpie dient größtenteils dazu, die Kohäsionskräfte, die in der Flüssigkeit vorherrschen, zu überwinden und die Lösungsmittelmoleküle auf die hohen Geschwindigkeiten in der Gasphase zu beschleunigen. Die Entropie, d.h. die Unordnung des Systems, steigt beim Wechsel vom flüssigen in den gasförmigen Zustand durch die Zunahme der Geschwindigkeit und des Volumens enorm an, wobei die Entropie in der Gasphase im Idealfall unabhängig von der Stoffart ist. Die Entropie der Flüssigkeit ist im Vergleich zur Entropie der Gasphase eher klein. Wie die Erfahrung zeigt, liegt die molare Entropieänderung bei der Verdampfung vieler Stoffe zwischen 80 und 110 J⋅mol-1⋅K-1. Je polarer das Lösungsmittel ist, desto stärker ist der Zusammenhalt und die Ordnung der Moleküle in der flüssigen Phase. Dieser Zusammenhalt wird beim Verdampfen zerstört. Polare Lösungsmittel zeichnen sich deshalb im Vergleich zu apolaren Lösungsmitteln durch eine etwas höhere Verdampfungsentropie aus. Das stark polare Wasser besitzt z.B. eine Verdampfungsentropie von 109 J⋅mol-1⋅K-1. Die Regel von Trouton besagt, dass die Verdampfungsenthalpie bei gegebener Siedetemperatur direkt aus der Verdampfungsentropie berechnet werden darf. ∆h v M = T ⋅ ∆s v M ∆sv M ≈ 100 J⋅mol-1⋅K-1 ∆sv M ≈ 85 J⋅mol-1⋅K-1 Symbol:
(12.13)
für polare Lösungsmittel (z.B. Alkohole) für apolare Lösungsmittel (z.B. Alkane)
∆sv M = molspezifische [J⋅mol-1⋅K-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1⋅K-1] Verdampfungsentropie des Lösungsmittels
12.1 Begriffe und Definitionen
405
In der Beziehung von Clausius-Clapeyron (Gl. 12.11) wird angenommen, dass die Verdampfungsenthalpie im betrachteten Temperaturintervall in etwa konstant bleibt. Diese Vereinfachung ist nicht ganz korrekt. Die Verdampfungsenthalpie ändert sich je nach Verdampfungstemperatur. Die Tabelle 12.1 zeigt den Dampfdruck und die Verdampfungsenthalpie von Wasser bei verschiedenen Temperaturen. Tabelle 12.1. Temperatur, Dampfdruck und spezifische Verdampfungsenthalpie von Wasser Temperatur/ [°C] 0 25 100 120 180
Dampfdruck/ [bar] 0,006 0,032 1,013 ≈ 1 1,985 ≈ 2 10,019 ≈ 10
Verdampfungsenthalpie/ [kJ/kg] 2'500 2'441 2'257 2'202 2'015
Die Verdampfungsenthalpie nimmt mit zunehmender Annäherung an den kritischen Punkt ab und verschwindet schließlich an demselben. Eine Abschätzung der Verdampfungsenthalpie bei Temperaturen, die deutlich von der üblichen Siedetemperatur bei 1 atm abweichen, erlaubt Gl. 12.14.
§ T −T ∆h v (T ) = ∆h v (TS ) ⋅ ¨¨ c © Tc − TS Indices:
· ¸¸ ¹
0 , 38
(12.14)
c = kritischer Punkt S = Siedepunkt, Punkt mit bekannter Verdampfungsenthalpie
Um den Dampfdruck eines reinen Lösungsmittels zu berechnen, wird statt der Beziehung von Clausius-Clapeyron (Gl. 12.11) häufig auch die Beziehung von Antoine (Gl. 12.15) verwendet. Sie liefert etwas genauere Zahlenwerte. log p* = A −
B C+ϑ
(12.15)
Symbole: p* = Dampfdruck des reinen Lösungsmittels in Torr = 133,55 Pa ϑ = Temperatur in °C A, B, C = stoffspezifische Konstanten, s. Tabellen
A, B und C sind stoffspezifische Konstanten, die durch Anpassung an experimentell bestimmte Punkte der Dampfdruckkurve ermittelt werden.
406
12 Verdampfen
Siedepunktserhöhung durch gelösten Stoff
Wird ein Stoff mit einem vernachlässigbar kleinen Dampfdruck in einem Lösungsmittel gelöst, so sinkt der Dampfdruck der Lösung ab. Gemäß dem Gesetz von Raoult ist die Dampfdruckerniedrigung proportional zum Stoffmengenanteil des gelösten Stoffs. ∆p i = p *L −p L =
ni n ⋅ p *L = i ⋅ p *L = x i ⋅ p *L ni + nL n tot
Symbole: ∆pi = Dampfdruckerniedrigung durch den gelösten Stoff i n = Molzahl p*L = Dampfdruck des reinen Lösungsmittels pL = Dampfdruck der Lösung x = Stoffmengenanteil, Molanteil Indices:
(12.16)
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [mol] [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [-]
i = gelöster Stoff L = Lösungsmittel tot = total, gesamthaft
Falls der gelöste Stoff im Lösungsmittel dissoziiert (zerfällt), wie dies beispielsweise für ein Salz zutrifft, ist die Anzahl Mole der gelösten Teilchen in der Lösung größer als die Anzahl Formeleinheiten des Stoffs, die der Lösung ursprünglich zugeführt wurden. In der Gleichung 12.16 ist aber der molare Anteil des gelösten Stoffs in der Lösung zu verwenden, d.h. für xi ist die Anzahl Mole der gelösten Teilchen dividiert durch Molzahl aller in der Lösung vorhandenen Teilchen inklusive Lösungsmittelmoleküle einzusetzen. Für ein gelöstes Salz gilt n i = n Salz ⋅ {1 + δ ⋅ ( z − 1)}
(12.17)
Symbole: nSalz = Anzahl Mole Salz in der Lösung [mol] δ = Dissoziationsgrad des Salzes in Lösung (0≤δ≤100%) [ - ] z = Anzahl Ionen pro Formeleinheit des Salzes [-]
Die Dampfdruckerniedrigung bei konstanter Temperatur gemäß Gl. 12.16 lässt sich mit Hilfe der Beziehung von Clausius-Clapeyron mit einer Siedepunktserhöhung bei konstantem Druck verknüpfen. Eine Lösung mit einem gelösten Stoff siedet bei einer höheren Temperatur als ein reines Lösungsmittel.
12.1 Begriffe und Definitionen
R ⋅ TS R ⋅ TS xi xi ∆Ti = Ti − TS = ⋅ = ⋅ (1 − x i ) ∆h v M (1 − x i ) M L ⋅ ∆h v 2
2
407
(12.18)
Symbole: ∆Ti = Siedepunktserhöhung durch den gelösten Stoff i [K] [K] Ti = Siedetemperatur der Lösung [K] TS = Siedetemperatur des reinen Lösungsmittels R = universelle Gaskonstante [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] (= 8,314 J⋅K-1⋅mol-1) ∆hv M = molspezifische Verdampfungs- [J⋅mol-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] enthalpie des Lösungsmittels [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie des Lösungsmittels [kg⋅mol-1] ML = molare Masse des Lösungsmittels
Bei konzentrierten Lösungen ab 1 mol/L empfiehlt es sich, statt des Molanteils xi die Aktivität ai des gelösten Stoffs i in die Gl. 12.18 einzusetzen. In verdünnten Lösungen ist die Siedepunktserhöhung direkt proportional zum Molanteil beziehungsweise zur Konzentration des gelösten Stoffs. R ⋅ TS R ⋅ TS R ⋅ TS ⋅ xi = ⋅ xi ≈ ⋅ ci ∆h v M ρ L ⋅ ∆h v M L ⋅ ∆h v 2
∆Ti = T − TS ≈
2
Symbole: ci = molare Konzentration des gelösten Stoffs i ρL= Dichte des Lösungsmittels
2
(12.19)
[mol⋅m-3] [kg⋅m-3]
Wird beispielsweise ein Mol eines Stoffs ohne Dampfdruck in einem Liter Wasser gelöst, so erhöht sich der Siedepunkt um 0,513 K. Der aus der siedenden Lösung im Gleichgewicht hervorgehende Dampf besteht aus reinem Lösungsmittel und ist aufgrund der Siedepunktserhöhung um ∆Ti überhitzt. Zur Überhitzung des Dampfs muss zusätzliche Energie in Form von Wärme zugeführt werden. Die Enthalpie des Dampfs lässt sich mit Hilfe der Gl. 12.9 errechnen. Als Siedetemperatur ist in die Gl. 12.9 die Siedetemperatur der Lösung, d.h. des reinen Lösungsmittels TS plus die Siedepunktserhöhung ∆Ti , einzusetzen.
408
12 Verdampfen
12.2 Verdampfungsarten Wird einer Flüssigkeit Wärme über eine heiße Oberfläche zugeführt, so treten je nach Übertemperatur der Heizfläche verschiedene Arten der Verdampfung auf. Als Übertemperatur der Heizfläche wird die Differenz zwischen der Temperatur der Wand TW und der Siedetemperatur der Flüssigkeit TS bezeichnet. Oberflächenverdampfung
Bei geringer Übertemperatur wird die Verdampfungswärme von der Heizfläche durch freie Konvektion an die Flüssigkeit übertragen (s. Abb. 12.3). Das Lösungsmittel verdampft an seiner Oberfläche zum Dampfraum. Die Oberflächenverdampfung wird auch stille Verdampfung genannt. Der Widerstand für die Wärmeübertragung liegt in der dünnen Temperaturgrenzschicht der Flüssigkeit, die unmittelbar an die Heizfläche anschließt. Die Gleichungen für den Wärmeübergang bei freier Konvektion sind im Kapitel „Wärmeübertragung“ aufgeführt (Wände Gln. 7.50-7.54, Rohre außen Gln. 7.66-7.67, Grashofzahl Gln. 7.42-7.44). Die Berechnungen hängen maßgeblich von der geometrischen Form und der Anordnung der Heizfläche ab. Mit zunehmender Übertemperatur wird die freie Konvektion immer intensiver, bis schließlich in der Flüssigkeit vereinzelt Dampfblasen auftreten. Diese werden vorerst in der unterkühlten Flüssigkeit wieder kondensieren, d.h. sie erreichen die freie Flüssigkeitsoberfläche noch nicht. Durch die Turbulenz der Bläschen an der Heizoberfläche wird der Wärmeübergang um den Faktor zwei bis vier verbessert. Der so ablaufende Verdampfungsvorgang wird als unterkühltes Sieden bezeichnet und ist akustisch als feines Rauschen vernehmbar.
Dampf
TS Flüssigkeit
TW Heizfläche
Abb. 12.3. Oberflächenverdampfung bei freier Konvektion einer Flüssigkeit oberhalb einer beheizten Wand
12.2 Verdampfungsarten
409
Blasensieden
Bei weiter zunehmender Differenz zwischen der Wandtemperatur und der Siedetemperatur der Flüssigkeit treten die Dampfblasen immer zahlreicher auf (s. Abb. 12.4). Die Dampfblasen entstehen mehrheitlich in Poren und Rissen der Heizoberfläche, die Gas- oder Dampfeinschlüsse enthalten. Die Einschlüsse dienen als Siedekeime. Ohne das Vorhandensein von Siedekeimen könnte eine homogene Flüssigkeit bis weit über den Siedepunkt hinaus erhitzt werden ohne zu sieden. In entgastem Wasser und mit polierten, entgasten Heizoberflächen wurden experimentell Überhitzungen von bis zu 100 K erreicht. Bei einer Störung der überhitzten Flüssigkeit setzt die Blasenbildung schlagartig ein, was als Siedeverzug bekannt ist. Die oberhalb der Siedetemperatur vorhandene fühlbare Wärme wird dann innert Mikrosekunden in Verdampfungswärme umgesetzt. Das explosionsartige Entstehen umfangreicher Dampfmengen kann zu großen Schäden an Anlagen und ihrer Umgebung führen.
Dampf TS Flüssigkeit TW Heizfläche
Abb. 12.4. Blasensieden oberhalb einer beheizten Wand
Sobald die Auftriebskräfte der in Poren und Rissen entstehenden Dampfblasen die Adhäsionskräfte übertreffen, lösen sich die Blasen von der Heizfläche ab. Die stetige Bildung neuer Blasen am gleichen Ort erzeugt eine starke Turbulenz in der Temperaturgrenzschicht der Flüssigkeit, wodurch sich der Wärmeübergang von der Heizfläche zur Flüssigkeit enorm erhöht. Bei Temperaturdifferenzen von nur 10 bis 30 K resultieren in Wasser Wärmestromdichten von 100 bis 1'000 kW/m2. Nach Ablösung der Dampfblasen von der Heizfläche steigen diese zur Flüssigkeitsoberfläche auf, wo sie schließlich zerplatzen. Während des Aufstiegs nimmt das Volumen der Dampfblasen deutlich zu, weil weiteres Lösungsmittel aus der überhitzten Flüssigkeit in die Dampfblasen hinein verdampft. Der überwiegende Teil der Verdampfung geschieht somit nicht
410
12 Verdampfen
an der Heizfläche, sondern während des Aufstiegs der Dampfblasen von der Heizfläche zur freien Flüssigkeitsoberfläche. Die hohe Turbulenz und die großen Verdampfungsoberflächen sind der Grund dafür, dass die meisten technischen Verdampfer bevorzugt im Zustand des Blasensiedens betrieben werden. Übergangssieden
Bei einer weiteren Erhöhung der Übertemperatur wachsen die Blasen an den Keimstellen derart rasch, dass die Heizfläche teilweise mit einem instabilen Dampffilm bedeckt ist (s. Abb. 12.5). Dieser Dampffilm wirkt isolierend, da bekanntlich Gase Wärme deutlich schlechter leiten als Flüssigkeiten (s. Kap. „Wärmeübertragung/ Wärmeleitung“). Bei konstanter Heizleistung steigt deshalb die Übertemperatur in kürzester Zeit an. Die Heizfläche trocknet aus und erreicht leicht Temperaturen von über 800 °C. Dadurch kann das Material der Heizfläche seine Festigkeit verlieren oder gar schmelzen. Diese Zerstörung des Werkstoffs ist als Burn Out bekannt.
Dampf TS Flüssigkeit TW Heizfläche
Abb. 12.5. Übergangssieden oberhalb einer beheizten Wand
Die partielle Bedeckung der Heizoberfläche mit Dampf stellt bei konstanter Heizleistung pro Fläche nur einen Übergang zwischen den stabilen Zuständen des Blasensiedens und des Filmsiedens dar. Die kritische Wärmeleistung der Heizfläche, ab der ein Übergangssieden zu erwarten ist, kann nach einer Gleichung von Zuber und Vishnev berechnet werden [1 S.107 & 3 Hab21].
{
}
q krit = 0,13 ⋅ ∆h v ⋅ ρ 0g,5 ⋅ g ⋅ σ ⋅ (ρ " − ρ g )
0 , 25
⋅ {(190° − ψ) / 190°}
Symbole: q krit = kritische Heizflächenbelastung vor
0,5
(12.20)
[W⋅m-2] = [kg⋅s-3]
12.2 Verdampfungsarten dem Übergangssieden (ebene Heizfläche) ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie [J⋅kg-1] = des Lösungsmittels ρg = Dichte des Dampfs ρ" = Dichte der Flüssigkeit g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) σ = Oberflächenspannung der Flüssigkeit [N⋅m-1] = zum Dampf ψ = Winkel der Heizfläche zur Horizontalen [ ° ]
411
[m2⋅s-2] [kg⋅m-3] [kg⋅m-3] [m⋅s-2] [kg⋅s-2]
Filmsieden
Da die Übertemperatur der Heizfläche bei konstanter Heizleistung in kurzer Zeit ansteigt, wird der Bereich des Übergangssiedens üblicherweise schnell durchlaufen. Auf der gesamten Heizoberfläche bildet sich sodann ein stabiler, isolierender Dampffilm aus (s. Abb. 12.6). Die Wärmeübertragung durch den Dampffilm erfolgt größtenteils durch Strahlung, was relativ hohe Oberflächentemperaturen voraussetzt (s. Kap. „Wärmeübertragung/ Strahlung“). In technischen Apparaturen versucht man daher, das Filmsieden zu vermeiden. Bei Wasser setzt das vollständige Filmsieden ab einer Oberflächentemperatur von ca. 250 °C ein. Wassertropfen scheinen auf einer heißen Oberfläche wie wild herum zu tanzen. In Tat und Wahrheit schweben sie auf einem dünnen Dampffilm. Diese Erscheinung wurde von Herrn Leidenfrost im 18. Jahrhundert beobachtet und ist als das Leidenfrost-Phänomen bekannt.
TS Flüssigkeit Dampfpolster Heizfläche
Abb. 12.6. Filmsieden oberhalb einer beheizten Wand
TW
412
12 Verdampfen
Die beschriebenen vier Arten der Verdampfung sind in der Abb. 12.7 als aufeinanderfolgende Bereiche dargestellt. Die Abbildung 12.7 zeigt den Wärmeübergangskoeffizienten α und die pro Fläche übertragene Wärmeleistung q für Wasser als Funktion der Übertemperatur (TW-TS) an einer ebenen Heizfläche.
Abb. 12.7. Wärmeübergangskoeffizient α bzw. Heizflächenbelastung q als Funktion der Temperaturüberhöhung an einer Heizfläche (TW-TS), Zahlenwerte für das Sieden von Wasser bei 1 atm; Zeichnung adaptiert aus [4]
Für die praktische Anwendung sind zwei Fälle zu unterscheiden:
12.2 Verdampfungsarten
413
Bei vorgegebener Übertemperatur verläuft die Wärmeübertragung entlang der Kurven über die Punkte A, B, C, D und E. Dieser Fall ist beispielsweise bei einer Beheizung der Heizfläche mit einem Wärmeträger konstanter Temperatur (Heißwasser, Dampf, Öl) gegeben. Ein Burn Out ist hier nicht möglich. Bei vorgegebener Heizleistung kommt es oberhalb der kritischen Heizleistung zu einem Temperatursprung von C nach E. Die kritische Übertemperatur beträgt bei Wasser ca. 20 bis 40 K und die kritische Heizflächenbelastung einer sauberen metallischen Wand 106 W⋅m-2. Die Temperatur der Heizfläche steigt bei E ziemlich schnell auf ca. 900 °C, wodurch die Festigkeit des Verdampfers wegen auftretenden Wärmespannungen oder mangelnder Temperaturbeständigkeit der Werkstoffe auf ungenügende Werte sinken kann (Burn Out). Zugleich verschlechtert sich der Wärmeübergangskoeffizient von ausgezeichneten 30'000 bis 50'000 W⋅m-2⋅K-1 beim Blasensieden auf bescheidene 1'000 bis 2'000 W⋅m-2⋅K-1 beim Filmsieden. Die Heizleistung ist beispielsweise vorgegeben, wenn sie elektrisch oder aufgrund einer nuklearen Reaktion erfolgt. Verdampfung in einem senkrechten Rohr
In der Technik werden häufig Rohre eingesetzt, um Flüssigkeiten zu verdampfen. Meistens werden die Rohre als Rohrbündel senkrecht zu einem Heizregister zusammengefasst und von außen z.B. mit Dampf beheizt. Die Strömungsformen und Wärmeübertragungsarten, die beim Verdampfen in einem Rohr auftreten, sind in der Abb. 12.8 schematisch dargestellt. Die homogene Flüssigkeit tritt unten in das Rohr in unterkühltem Zustand ein. Durch Kontakt mit der heißen Rohrwand wird sie auf Siedetemperatur gebracht (Wärmekonvektion). An der Rohrwand entstehen daraufhin erste Dampfblasen, die jedoch im kalten Kern der Flüssigkeitsströmung wieder kollabieren (unterkühltes Sieden). Steigt die Flüssigkeit im beheizten Rohr weiter auf, so beginnt die Flüssigkeit dauerhaft Blasen zu bilden (Blasensieden). Die aufsteigenden Dampfblasen bewirken, dass das Flüssigkeit-Dampfgemisch im senkrechten Rohr eine geringere Dichte erhält und daher nach dem Prinzip der Mammutpumpe von selbst hochsteigt. Deshalb kann in technischen Verdampfern manchmal auf eine Umwälzpumpe verzichtet werden. Die gebildeten Dampfblasen sammeln sich vor allem in der Rohrmitte an, koaleszieren zu einem Dampfpfropfen und verdrängen die Flüssigkeit an die Rohrwand. Die Flüssigkeit bildet eine Ringströmung. Ist der Flüssigkeitsfilm auf der heißen Rohrwand genügend dünn, so entstehen darin keine Dampfblasen mehr. Die Wärme wird durch reine Konvektion an die
414
12 Verdampfen
Flüssigkeit übertragen (Oberflächenverdampfung). Durch die Expansion des Dampfs wird die Zweiphasenströmung beschleunigt. Der Dampf bewirkt Wellen auf dem Flüssigkeitsfilm und reißt Tröpfchen mit, die später aus dem Dampf abgeschieden werden müssen. Die Dicke des Films nimmt in Strömungsrichtung nach oben weiter ab, bis schließlich die Wand austrocknet (Dry Out). Lösungsbestandteile können die Rohrwand verkrusten. Bedingt durch die schlechte Wärmeübertragung an den Dampf steigt die Temperatur der Rohrwand deutlich an. Der Dampf wird überhitzt. In technischen Verdampfern ist man bestrebt, das Austrocknen der Rohrwand zu vermeiden. Wärmeübertragungsart
Strömungsform
h
Dampf
Fluid
Wand
Dry out einphasige Dampfströmung Tropfenströmung in Dampf Ringströmung mit Tröpfchenmitriss
Höhe des Rohrs
Konvektion zum Dampf
Oberflächenverdampfung (Konvektion zum Flüssigkeitsfilm) Blasensieden
Blasenströmung in Flüssigkeit
unterkühltes Sieden
einphasige Flüssigkeitsströmung
Konvektion zur Flüssigkeit
T Flüssigkeit
Temperatur
Abb. 12.8. Verdampfung einer Flüssigkeit in einem von außen beheizten, senkrechten Rohr (nicht maßstäblich, das Rohr ist stark verkürzt gezeichnet)
Aufgrund des hydrostatischen Drucks des Flüssigkeit-Dampf-Gemischs in einem senkrechten Rohr siedet die Flüssigkeit je nach Höhenlage im Rohr bei verschieden hohen Temperaturen. Der hydrostatische Druck berechnet sich mit ∆p h = ρ "g ⋅ g ⋅ h ≈ (1 − ε) ⋅ ρ " ⋅ g ⋅ h Symbole: ∆ph = hydrostatischer Druck durch die [Pa] = (zweiphasige) Flüssigkeits-(Dampf-)Säule ρ"g = Dichte der Flüssigkeits-(Dampf-)Säule ρ" = Dichte von reiner Flüssigkeit bei Siedetemperatur ε = Dampfanteil im Flüssigkeits-Dampf-Gemisch g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) h = Höhe der Flüssigkeits-(Dampf-)Säule
(12.21) [kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅m-3] [kg⋅m-3] [-] [m⋅s-2] [m]
12.2 Verdampfungsarten
415
Die Siedepunktserhöhung durch den hydrostatischen Druck beträgt approximativ unter Verwendung des idealen Gasgesetzes und der Beziehung von Clausius-Clapeyron
∆Th = Th − TS = =
ρ "g ⋅ g ⋅ h ⋅ R ⋅ TS
ρ "g ⋅ g ⋅ h ⋅ R ⋅ TS
2
(12.22)
∆h v M ⋅ p 2
M L ⋅ ∆h v ⋅ p
=
ρ "g ⋅ g ⋅ h ⋅ TS ρ g ⋅ ∆h v
Symbole: ∆Th = Siedepunktserhöhung durch hydrostatischen Druck [K] [K] Th = Siedetemperatur der Lösung innerhalb der Flüssigkeit-(Dampf-)Säule [K] TS = Siedetemperatur der Lösung bei Umgebungsdruck R = universelle Gaskonstante [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] (= 8,314 J⋅K-1⋅mol-1) ∆hv M = molspezifische Verdampfungs- [J⋅mol-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] enthalpie des Lösungsmittels [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie des Lösungsmittels p = Umgebungsdruck [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] ML = molare Masse des Lösungsmittels [kg⋅mol-1] ρg = Dichte des Lösungsmitteldampfs [kg⋅m-3]
Liegt in den Verdampferrohren ein genügend großer hydrostatischer Druck vor, kann ein vorzeitiges Sieden und damit ein Dry Out vermieden werden. Die Verdampfung findet dann erst in einem über dem Heizregister angeordneten speziellen Verdampfungsraum statt (s. Unterkapitel „Verdampferbauarten“). Dieses Prinzip nennt sich Entspannungsverdampfung. Eine weitere Siedepunktserhöhung ergibt sich aus der Oberflächenspannung bei kleinen Dampfblasen. Kleine Dampfblasen werden durch ihre Oberflächenspannung zerdrückt und sind nicht existenzfähig. Der Überdruck in einer Dampfblase ∆pσ ist umgekehrt proportional zum Durchmesser d der Blase. ∆p σ =
4σ d
Symbole: ∆pσ = Druckerhöhung durch Oberflächenspannung in einer Blase σ = Oberflächenspannung der Lösung d = Durchmesser der Dampfblase
(12.23) [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [N⋅m-1] = [kg⋅s-2] [m]
416
12 Verdampfen
Die Siedepunktserhöhung durch den inneren Blasendruck beträgt unter Verwendung des idealen Gasgesetzes sowie Clausius-Clapeyron in guter Näherung 4 σ ⋅ R ⋅ TS 4 σ ⋅ R ⋅ TS 4 σ ⋅ TS = = d ⋅ ∆h v M ⋅ p d ⋅ p ⋅ M L ⋅ ∆h v d ⋅ ρ g ⋅ ∆h v 2
∆Tσ = Tσ − TS =
2
(12.24)
Symbole: ∆Tσ = Siedepunktserhöhung durch Blasendruck [K] Tσ = Siedetemperatur der Lösung an einer [K] Dampfblase [K] TS = Siedetemperatur der Lösung an einer ebenen Flüssigkeitsoberfläche R = universelle Gaskonstante [kg⋅m2⋅s-2⋅K-1⋅mol-1] -1 -1 (= 8,314 J⋅K ⋅mol ) ∆hv M = molspezifische Verdampfungs- [J⋅mol-1] = [kg⋅m2⋅s-2⋅mol-1] enthalpie des Lösungsmittels [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie des Lösungsmittels p = Umgebungsdruck [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] ML = molare Masse des Lösungsmittels [kg⋅mol-1] ρg = Dichte des Lösungsmitteldampfs [kg⋅m-3]
Siedendes Wasser hat eine Oberflächenspannung von 59⋅10-3 N⋅m-1 bei 100 °C bzw. 57⋅10-3 N⋅m-1 bei 110 °C. Ein typischer Siedekeim von 5 µm Durchmesser hat so einen Innendruck von ca. 1,5 bar. Die Siedepunktserhöhung beträgt 11 K, die Siedetemperatur demnach 111 °C. Sobald die Dampfblase anwächst, wird die Siedepunktserhöhung kleiner und die Verdampfung nimmt schlagartig zu, was zu einem Siedeverzug führen kann. Ein einzelner Siedekeim von 5 µm enthält etwa 1,9⋅109 Moleküle. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich so viele Moleküle mit überdurchschnittlicher Energie gleichzeitig am selben Ort zusammenfinden und einen homogenen Dampfkeim bilden, ist verschwindend klein. Dampfblasen entstehen vielmehr an heterogenen Fehlstellen. Um einen Siedeverzug zu vermeiden, muss sichergestellt werden, dass genügend künstliche Siedekeime vorhanden sind (Siedesteine, Siedekapillare). Die Siedepunktserhöhungen durch den gelösten Stoff (Gln. 12.18 bzw. 12.19), durch den hydrostatischen Druck (Gl. 12.22) und durch die Oberflächenspannung (Gl. 12.24) treten in einem realen System alle gleichzeitig und gemeinsam auf. In der Praxis siedet folglich ein Lösungsmittel erst bei einer Temperatur, die deutlich oberhalb der Siedetemperatur des reinen Lösungsmittels an einer freien Oberfläche bei Umgebungsdruck liegt. Der entstehende Dampf ist dementsprechend überhitzt. Die reale Siede-
12.3 Verdampferbauarten
417
punktserhöhung bzw. die Überhitzung des Dampfs betragen näherungsweise R ⋅ TS ∆h v M
2
∆Treal = ∆Ti + ∆Th + ∆Tσ = R ⋅ TS M L ⋅ ∆h v 2
=
§ 4 σ ρ⋅g⋅h · ¸ ⋅ ¨¨ x i + + d⋅p p ¸¹ ©
(12.25)
§ 4 σ ρ⋅g⋅h · ¸ ⋅ ¨¨ x i + + d⋅p p ¸¹ ©
12.3 Verdampferbauarten Rührkessel
Aufgrund der kleinen Heizfläche pro Lösungsvolumen werden Rührkessel nur selten als Verdampfer eingesetzt, so z.B. wenn eine Reaktion am Siedepunkt des Lösungsmittels unter Rückfluss ablaufen soll oder wenn am Ende einer Reaktion die Reaktionslösung aufkonzentriert werden soll, eventuell bis zur Kristallisation des gelösten Produkts. Die Wärmeübertragung kann bei Oberflächenverdampfung mit den Gln. 7.76-7.82 des Kapitels „Wärmeübertragung“ berechnet werden. Für den Fall eines Blasensiedens im Innern des Rührkessels kann der Wärmeübergang innen in erster Näherung grob geschätzt oder gar vernachlässigt werden, denn hier überwiegen die Wärmetransportwiderstände in der Rührkesselwand und in der Grenzschicht außen an der Wand (s. Kap. „Wärmeübertragung/ Wärmedurchgang“). Plattenverdampfer
Plattenverdampfer werden v.a. in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt. Sie sind ähnlich wie ein Plattenwärmeübertrager aufgebaut (s. Kap. „Wärmeübertragung" Abb. 7.33) und zeichnen sich durch relativ kurze Verweilzeiten für die Rohlösung aus. Die Platten lassen sich leicht auseinander nehmen und reinigen. Die Gummidichtungen zwischen den Platten beschränken eventuell die maximale Betriebstemperatur.
418
12 Verdampfen
Dünnschichtverdampfer
Dünnschichtverdampfer bestehen aus einem oder mehreren senkrecht stehenden Rohren, in denen die Rohlösung innen als dünner Film nieder rieselt (s. Kap. „Strömungslehre/ Filmströmung“). Die Rohre werden von außen z.B. mit Dampf beheizt. Aufgrund des dünnen Films, der niedrigen Wandtemperatur und der nur kurzen Verweilzeit im Verdampfer können Wärme empfindliche Stoffe sehr schonend eingedampft werden. Es handelt sich um eine reine Oberflächenverdampfung. Die Brüden strömen zentral in den Rohren nach oben oder unten. Es ist auch ein Vakuumbetrieb möglich. Bedingt durch die geringe Oberfläche zum Volumen, die Verkrustungsgefahr und die bewegten Teile sind Dünnschichtverdampfer relativ aufwändig und werden nur in Spezialfällen eingesetzt (Nahrungsmittel, pharmazeutische Produkte). Bei einem Fallfilmverdampfer rieselt die Rohlösung als freier Film entlang der inneren Rohrwand senkrecht nach unten. Die Viskosität darf maximal 15 Pa⋅s betragen. Parallel zum Flüssigkeitsstrom werden die Brüden unten abgezogen. Meistens sind mehrere senkrechte Rohre als Rohrbündel in einem Apparat zusammengefasst. Bei einem Rotorverdampfer wird der Flüssigkeitsfilm in einem senkrechten Rohr durch rotierende Wischer laufend neu durchmischt und auf der Rohrinnenseite dünn verstrichen. Durch die definierte Filmdicke und die hohe Turbulenz werden noch höhere Wärmeübergangskoeffizienten als beim Fallfilmverdampfer erreicht. Die Wandtemperatur kann dadurch niedriger gewählt werden und die Lösung wird noch schonender verarbeitet. Mittels eines Rotorverdampfers kann das Konzentrat auf hohe Feststoffgehalte bis praktisch zum trocknen Produkt eingedampft werden. Hohe Viskositäten bis 4'000 Pa⋅s sind verarbeitbar. Die Brüden strömen entgegengesetzt zum Flüssigkeitsfilm und werden oben abgezogen. Rohrbündelverdampfer
Die großtechnisch am meisten verwendeten Verdampfungsapparate sind Rohrbündelverdampfer. Sie bestehen aus einem Heizregister (Rohrbündel) und einem darüber angeordneten Verdampfungsraum. Da der Dampf beim Sieden Flüssigkeitströpfchen mit sich reißt, ist im Brüdenteil des Verdampfungsraums ein Tropfenabscheider eingebaut. Der Tropfenabscheider kann aus einer Drahtgestrickpackung oder aus Umlenkblechen bestehen. Bedingt durch ihre Trägheitskraft bleiben die feinen Tröpfchen am Tropfenabscheider hängen, laufen zusammen (koaleszieren) und fallen als große Tropfen in die siedende Lösung zurück.
12.3 Verdampferbauarten
419
Man unterscheidet Rohrbündelverdampfer mit Naturumlauf und solche mit Zwangsumlauf. In Verdampfern mit Naturumlauf (s. Abb. 12.9 links) steigt die aufgeheizte Lösung aufgrund ihrer geringeren Dichte von selbst durch das Heizregister nach oben, kühlt im Verdampfungsraum durch Entzug der Verdampfungswärme ab und strömt außerhalb des Heizregisters in einem Zentralrohr wieder nach unten. Je größer der natürlicher Umlauf ausfällt, desto besser wird der Wärmeübergang durch Konvektion im Heizregister. In Verdampfern mit Zwangsumlauf (s. Abb. 12.9 rechts) wird die Rohlösung durch eine Umwälzpumpe in Zirkulation gehalten. Dadurch verbessert sich auch der Wärmeübergang im Heizregister und es können viskose oder gar kristallisierende Medien eingedampft werden. Das Heizregister kann beim Zwangsumlauf auch getrennt vom Verdampfungsraum im Kreislauf der Rohlösung angebracht sein. Tropfenabscheider Tropfenabscheider
Brüden
Brüden
Verdampfungsraum
Verdampfungsraum
p0
Konzentrat h
Feed
ρ p = p0 +ρ g h
Dampf
Dampf
Heizregister
Heizregister
Kondensat Kreislaufpumpe
Kondensat
Feed
Konzentrat
Rohrbündelverdampfer mit Naturumlauf
Rohrbündelverdampfer mit Zwangsumlauf
Abb. 12.9. Rohrbündelverdampfer; links: Verdampfer mit Naturumlauf (Robertverdampfer); rechts: Verdampfer mit Zwangsumlauf
Der hydrostatische Druck bewirkt, dass die eigentliche Verdampfung nicht innerhalb der Rohre, sondern erst im darüber liegenden Dampfraum einsetzt. Die Lösung wird in den Rohren überhitzt, steigt hoch und verdampft bei niedrigerem Druck im Verdampfungsraum. Bei kristallisierenden oder verschmutzenden Medien bleiben so die Rohre sauber. Diese Betriebsweise wird als Entspannungsverdampfung bezeichnet.
420
12 Verdampfen
Brüdenverdichtung
Die Verdampfung ist im Vergleich zu anderen verfahrenstechnischen Prozessen sehr energieintensiv. Das Lösen der zwischenmolekularen Bindungen zwischen den Lösungsmolekülen im flüssigen Zustand und die Beschleunigung der Moleküle auf die Geschwindigkeit in der Gasphase (> 100 m/s) brauchen viel Arbeit. Ein Maß für diese Arbeit ist die Verdampfungsenthalpie. Die Verdampfungsenthalpie steckt letztlich in den Brüden und es stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer Energierückgewinnung. Aus zwei Gründen können die Brüden nicht unmittelbar im selben Verdampfer als Heizdampf Verwendung finden, in dem sie entstanden sind. Erstens steigen die Brüden um die Siedepunktserhöhung ∆Treal überhitzt aus der Lösung auf (s. Gl. 12.25). Sie kondensieren also erst bei einer Temperatur, die um ∆Treal unterhalb der Siedetemperatur der Lösung liegt. Zweitens muss für eine wirtschaftliche Wärmeübertragung vom Heizdampf auf die einzudampfende Lösung ein treibendes Temperaturgefälle von mindestens 10 bis 15 K zur Verfügung stehen. Die Kondensationstemperatur des Heizdampfs sollte folglich um ca. ∆Treal + 15 K höher liegen als der Siedepunkt des reinen Lösungsmittels. Eine mögliche Lösung ist die adiabate Verdichtung der Brüden. Je höher der Druck eines Dampfs ist, desto höher liegt auch seine Siede- bzw. Kondensationstemperatur (s. Tabelle 12.1). Die Arbeit zur adiabaten Verdichtung eines Dampfs beträgt nur ein Bruchteil der Energie, die bei der Kondensation des Dampfs bei höherer Temperatur wieder frei wird. Die adiabate Verdichtungsarbeit ist zudem zusätzlich als Wärme in den Brüden enthalten und erhöht die Temperatur der Brüden. Die Brüden können nach der Verdichtung im gleichen Verdampfer als Heizdampf eingesetzt werden, aus dem sie entstammen (s. Abb. 12.10). Dieser Effekt wird Brüdenverdichtung, Brüdenkompression oder Thermokompression genannt. In Großanlagen werden zur Brüdenverdichtung Kreiselverdichter oder Schraubenkompressoren eingesetzt. In Kleinanlagen finden häufig auch die wartungsarmen, aber leistungsschwächeren Dampfstrahlverdichter Verwendung, die nach dem Prinzip der Venturi-Düse ohne bewegte Teile auskommen. In der Düse reißt Frischdampf unter hohem Druck die mit niederem Druck zugeführten Brüden mit. Es entsteht ein Mischdampf mit höherem Druck und höherer Temperatur, als sie in den durch Verdampfung entstandenen Brüden herrschten.
12.3 Verdampferbauarten
421
Brüden, Destillat p1; T1
mD Rotationsverdichter p2; T2
Rohlösung, Feed
mF
Zusatzdampf
Kondensat mK Konzentrat
Abb. 12.10. Einstufiger Verdampfer mit Brüdenverdichtung durch Rotationsverdichter; Zusatzdampf wird nur zum Anfahren des Prozesses benötigt; p1, T1 = Druck und Temperatur vor dem Verdichter, p2, T2 = Druck und Temperatur nach dem Verdichter
Mehrstufenverdampfung
Der Wirkungsgrad der Brüdenverdichtung ist beschränkt. Die Verdichtung braucht zusätzlich entweder hochwertige mechanische Energie oder frischen Dampf. Von der gesamthaft benötigten Heizleistung stammen nur ca. 30-50% (Dampfstrahlverdichtung) bzw. 50-70% (mechanische Verdichtung) aus den Brüden. Durch eine Mehrstufenverdampfung kann die Verdampfungsenergie der Brüden direkt zurückgewonnen werden, ohne dass die Brüden verdichtet werden müssen. Dazu werden mehrere Verdampfer brüdenseitig hintereinander geschaltet. Die Verdampfer arbeiten bei verschiedenen Betriebsdrücken, wodurch sich auch die Siedepunkte ihrer Lösungen unterscheiden. Der Verdampfer mit der höchsten Siedetemperatur erzeugt Brüden, die zur Beheizung des Verdampfers mit der zweithöchsten Temperatur eingesetzt werden können. Dessen Brüden wiederum dienen der Beheizung des Verdampfers mit der dritthöchsten Temperatur, und so weiter. Nur der Verdampfer mit der höchsten Temperatur wird mit Frischdampf versorgt. Alle übrigen Verdampfer werden mit Brüden beheizt, die in vorangeschaltenen Verdampfern entstanden sind. Der Wärmebedarf durch Zufuhr von Frischdampf verkleinert sich so theoretisch auf den n-ten Teil des
422
12 Verdampfen
Wärmebedarfs des Gesamtprozesses, wenn n der Anzahl der eingesetzten Verdampfer entspricht. In der Realität ist der Wärmebedarf wegen Verlusten in der Wärmeübertragung und wegen Strömungswiderständen zwischen den Verdampfern etwas größer. Die Tabelle 12.2 gibt einige Richtwerte für den realen Heizdampfbedarf zur Verdampfung eines Kilos Wasser als Funktion der Anzahl Verdampfer bei einer Mehrstufenverdampfung. Tabelle 12.2. Spezifischer Heizdampfverbrauch als Funktion der Anzahl Verdampfer bei einer Mehrstufenverdampfung Anzahl Verdampfer 1 2 3 4 5
Heizdampfverbrauch pro Masse verdampften Wassers [kg/kg] 1,1 0,6 0,4 0,3 0,25
Mit jedem zusätzlichen Verdampfer sinken einerseits die Betriebskosten (Dampfverbrauch), andrerseits steigen die Investitionskosten. Die optimale Anzahl Verdampfer wird durch Minimierung der gesamthaft anfallenden Betriebs- und Investitionskosten ermittelt (s. Abb. 12.11).
Kostenminimum Gesamtkosten
Kosten
Investitionskosten
Betriebskosten 1
3
4
5
Anzahl Verdampfer
Abb. 12.11. Kostenoptimierung bei einer Mehrstufenverdampfung
12.3 Verdampferbauarten
423
Je nach Strömungsführung der Lösung bezüglich der Brüden unterscheidet man drei verschiedene Schaltungsvarianten: Gleichstrom, Gegenstrom und Parallelstrom. Die Gleichstromführung wird technisch am häufigsten eingesetzt (s. Abb. 12.12). Lösung und Brüden durchströmen die Verdampfer in gleicher Reihenfolge, wobei der Druck und damit die Siedetemperatur von Verdampfer zu Verdampfer sinken. Zwischen den Verdampfern sind lösungsseitig nur Ventile vorhanden, es werden keine Pumpen benötigt. Im letzten Verdampfer ist die Lösung am konzentriertesten und zugleich die Temperatur am niedrigsten. Dies wirkt sich einerseits auf Wärme empfindliche Stoffe günstig aus, kann aber andrerseits bei einer hohen Viskosität des Konzentrats zu einem ungenügenden Wärmeübergang und zu Strömungsproblemen führen. Brüden 1
Heizdampf
Feed
T 1; p 1; c 1
Brüden 2
T 2; p 2; c 2
Brüden 3
T 3; p 3; c 3
Konzentrat
Abb. 12.12. Dreistufige Verdampfung mit Gleichstromführung der Lösung in Bezug auf die Brüden; T1 >T2 >T3; p1 >p2 >p3; c1 T3; p1 >p2 >p3; c1 >c2 >c3
Die Parallelstromführung wird vor allem bei kristallisierenden Medien eingesetzt (s. Abb. 12.14). Die Rohlösung strömt dabei allen Verdampfern gleichzeitig zu und wird in jedem der Verdampfer auf die Endkonzentration aufkonzentriert. Die Verdampfer sind brüdenseitig in Serie geschalten und arbeiten nicht bei gleichem Druck und gleicher Temperatur. So können die Brüden des einen Verdampfers, der bei höherer Temperatur arbeitet, zur Beheizung eines anderen Verdampfers, der bei niedrigerer Temperatur arbeitet, verwendet werden. Brüden 1
Heizdampf
T 1; p 1; c 1
Brüden 2
T 2; p 2 ; c 2
Brüden 3
T 3; p 3 ; c 3
Feed Konzentrat
Abb. 12.14. Dreistufige Verdampfung mit Parallelstromführung in Bezug auf die Verdampfer; T1 >T2 >T3; p1 >p2 >p3; c1 ≈ c2 ≈ c3
Die drei Varianten der Stromführung können in Großanlagen auch kombiniert auftreten. So kann z.B. Gleichstrom bei niedriger Konzentration, dann Gegenstrom bei mittlerer Konzentration und schließlich Parallelstrom bei hoher Konzentration gewählt werden. Eine weitere Wärmerück-
12.4 Fragen aus der Praxis
425
gewinnung und Erhöhung des Gesamtwirkungsgrads des Verdampfungsprozesses ist möglich durch Vorwärmen der Rohlösung mittels der heißen Kondensate, des Konzentrats oder der Brüden der letzten Stufe.
12.4 Fragen aus der Praxis Dampfdruck nach Clausius-Clapeyron
Ein Lösungsmittel hat einen Dampfdruck von 0,126 bar bei 25 °C und einen Dampfdruck von 1,013 bar bei 77 °C. Wie groß ist der Dampfdruck bei 51 °C? Dampfdruck nach Trouton
Ein organisches Lösungsmittel hat einen Siedepunkt von 69 °C bei 1 atm. Welchen Dampfdruck hat es bei einer Raumtemperatur von 25 °C? Optimale Heizleistung
Ein horizontaler Verdampfer soll bei optimaler Heizleistung betrieben werden. Welche spezifische Heizleistung pro Fläche schlagen Sie vor? Wovon hängt Ihre Antwort ab? Stoffdaten des Lösungsmittels: Siedepunkt 45,5 °C bei 2,1 bar; Oberflächenspannung 16,4⋅10-3 N/m; Dichte flüssig 1'425 kg/m3, gasförmig 13 kg/m3; Verdampfungsenthalpie 173 kJ/kg Siedepunktserhöhung durch gelösten Stoff
Wasser siedet unter 1 atm Druck bei 100 °C. Bei welcher Temperatur siedet eine 0,1 molare wässrige Lösung aus Kochsalz? Siedepunktserhöhung durch hydrostatischen Druck
Ein Verdampfer ist 1,6 m hoch und enthält siedendes Wasser bei 100 °C. Um wieviel erhöht sich die Siedetemperatur unten im Verdampfer, weil dort wegen des Gewichts der Wassersäule ein höherer Druck herrscht?
426
12 Verdampfen
12.5 Literatur [1] Wagner W (1981) Wärmeübertragung. Vogel, Würzburg [2] Gnielinski V et al (1993) Verdampfung, Kristallisation, Trocknung. Vieweg, Braunschweig [3] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI-Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [4] Grassmann P et al (1997) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. 3 Aufl, de Gruyter, Berlin [5] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl, Sauerländer, Aarau [6] Mersmann A (1980) Thermische Verfahrenstechnik. Springer, Berlin Heidelberg New York [7] Sattler K (1988) Thermische Trennverfahren - Grundlagen, Auslegung, Apparate. VCH, Weinheim [8] Sattler K, Kaspar W (2000) Verfahrenstechnische Anlagen. Wiley-VCH, Weinheim, Bd 1 [9] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig [10]Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten [11]Bockhardt H et al (1997) Grundlagen der Verfahrenstechnik für Ingenieure. 4 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart [12]Hemming W (1993) Verfahrenstechnik. 7 Aufl, Vogel, Würzburg
13 Kondensieren
13.1 Begriffe und Definitionen Unter Kondensieren versteht man den physikalischen Umkehrvorgang zum Verdampfen. Beim Kondensieren wird ein dampfförmiger Stoff unter Entzug von Wärme in den flüssigen Zustand versetzt. Der Kondensationsvorgang kann durch Erniedrigung der Temperatur, durch Erhöhung des Drucks oder eine Kombination der beiden Vorgänge eingeleitet werden. Die Abbildung 13.1 zeigt schematisch die Arbeitsweise eines Kondensators. Dampf
Inertgas Kondensator (+ Dampf) Kondensat
Abb. 13.1. Arbeitsprinzip eines Kondensators (schematisch)
Beim Kondensieren eines Stoffs wird die gleiche Energie frei, die beim Verdampfen des Stoffs aufgewendet werden musste, nämlich die Verdampfungsenthalpie (s. Kap. „Verdampfen“). Kondensiert ein reiner Stoff, so ist die Kondensationstemperatur als Funktion des Dampfdrucks durch die Dampfdruckkurve gegeben. Für reine Stoffe stimmen Kondensationsund Siedetemperaturen bei gegebenem Druck überein. Die Kondensationstemperatur wird auch Sättigungstemperatur oder Taupunkt genannt. Die Kondensationstemperaturen von Wasserdampf sind für verschiedene Drücke exemplarisch in der Tabelle 12.1 des Kapitels „Verdampfung“ aufgeführt. Weitere Angaben finden sich in der Tabelle 7.15 des Kapitels „Wärmeübertragung“. Durch das Kühlen und Kondensieren eines Dampfs nimmt das Dampfvolumen stark ab. In geschlossenen Behältern und Apparaten entsteht so ein Unterdruck, der im Extremfall zur Zerstörung der technischen Einrichtung führen kann.
428
13 Kondensieren
Tropfen- und Filmkondensation Der Niederschlag des kondensierenden Dampfs auf eine gekühlte Oberfläche kann entweder in Form einzelner Tropfen oder als zusammenhängender Film erfolgen. Tropfenkondensation tritt bevorzugt an polierten, fettigen Kühloberflächen auf, falls das Kondensat gleichzeitig über eine hohe Oberflächenspannung und eine niedrige Viskosität verfügt. Beispielsweise kann Wasserdampf manchmal in Tropfenform kondensieren. Die Tropfenkondensation zeichnet sich durch einen hervorragenden Wärmeübergang aus, der denjenigen der Filmkondensation um das Zehnfache zu übertreffen vermag. Leider lässt sich die technisch interessante Tropfenkondensation in der Praxis nicht lange aufrecht erhalten, da die Kühloberflächen schnell verschmutzen. Filmkondensation tritt bei nahezu allen organischen Lösungsmitteldämpfen und auch bei Wasserdampf auf. Es bildet sich ein Rieselfilm, der aufgrund seines zunehmenden Gewichts zuerst laminar, dann turbulent entlang der Kühlfläche nach unten fließt. Die Strömungsgeschwindigkeit und der Volumenstrom eines Rieselfilms wurden bereits im Kapitel Strömungslehre hergeleitet. Der Wärmeübergang wird im nächsten Unterkapitel behandelt. Wirkung von Inertgasen Im Dampf enthaltene Inertgase wie z.B. Luft behindern den Kondensationsvorgang aus zwei Gründen: Erstens erniedrigen sie den Partialdruck des kondensierenden Dampfs. Dadurch sinkt auch die Kondensationstemperatur (s. Dampfdruckkurve). Um eine gleichbleibende Kondensationsleistung zu erzielen, muss stärker gekühlt werden. Zweitens entsteht an der Filmoberfläche eine gasförmige Grenzschicht mit hoher Inertgaskonzentration, durch die der Dampf zuerst hindurch diffundieren muss, bevor er sich am kühlen Film niederschlägt (einseitige Diffusion s. Kap. „Stofftransport“). Um die Kondensationsleistung beizubehalten, muss die Kühlfläche deutlich vergrößert werden. Die Anwesenheit von nur 1% Luft in Wasserdampf reduziert den Wärmeübergang bereits auf etwa die Hälfte! In Kondensatoren ist dampfseitig dafür zu sorgen, dass die Inertgase kontinuierlich abgezogen werden (s. Abb.13.1), da sonst die Kondensation zum Erliegen kommt.
13.2 Wärmeübergang bei Filmkondensation
429
13.2 Wärmeübergang bei Filmkondensation In technischen Kondensatoren tritt überwiegend Filmkondensation auf. Der Wärmeübergang spielt sich in drei Teilvorgängen ab: 1. Transport des Dampfs zur kalten Filmoberfläche 2. Phasenwechsel des Dampfs zur Flüssigkeit an der Filmoberfläche 3. Transport der freiwerdenden Kondensationsenthalpie durch den Kondensatfilm zur Kühlwand Der Transport des Dampfs zur kalten Filmoberfläche erfolgt durch ein Partialdruckgefälle vom Kern des Dampfs zum Film hin. Am kalten Film wird laufend Dampf kondensiert, wodurch der Partialdruck niedrig bleibt. Der Phasenwechsel des Dampfs zur Flüssigkeit an der Filmoberfläche wird durch das Temperaturgefälle zur Kühlwand hin in Gang gehalten. Der Transport der frei werdenden Kondensationsenthalpie durch den Kondensatfilm geschieht durch Wärmeleitung. Dieser dritte Schritt ist häufig der wichtigste. Er bestimmt im wesentlichen die Geschwindigkeit des gesamten Wärmeübergangs bei der Kondensation. Der Wärmeübergang hängt in hohem Maß von der Strömungsform des Films ab (laminar oder turbulent). Die kritische Reynoldszahl, bei der die laminare Filmströmung bei Kondensation instabil wird, beträgt zwischen 250 und 350. Die Reynoldszahl kann gemäß Gl. 13.1 wahlweise aus der Dicke oder aus dem Massenstrom des Films gebildet werden.
Re FK =
" ρ ⋅v ⋅δ m = " " b ⋅ η" η"
Symbole: ReFK = Reynoldszahl der Filmkondensation " = Massenstrom des Films m
(13.1)
b = Breite des Films η" = dynamische Viskosität des Films ρ" = Dichte des Films bzw. Kondensats v " = mittlere Fallgeschwindigkeit des Films
[-] [kg⋅s-1] [m] [kg⋅m-1⋅s-1] [kg⋅m-3] [m⋅s-1]
δ = Dicke des Films
[m]
430
13 Kondensieren
Laminare Strömung
Bei laminarer Strömung erfolgt der Wärmetransport durch den Kondensatfilm mittels reiner Wärmeleitung. Je dicker der Film ist, desto schlechter wird die anfallende Kondensationswärme abtransportiert. Nusselt hat 1916 mit theoretischen Überlegungen und unter vereinfachenden Annahmen eine Theorie zum Wärmeübergang bei der Kondensation entwickelt, die so genannte Wasserhauttheorie. Nach Nusselt gilt für den Wärmeübergang bei Filmkondensation von ruhendem Sattdampf an eine senkrechte kalte Wand bzw. außen an ein senkrechtes kaltes Rohr
αFK , l
ª λ3 ⋅ ρ2 ⋅ ∆h v ⋅ g º = 0,943 ⋅ « " " » ¬ η" ⋅ (TS − TW ) ⋅ h ¼
Symbole: α FK , l = mittlerer Wärmeübergangs-
1
4
(13.2)
[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
koeffizient bei laminarer Filmkondensation [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λ" = Wärmeleitfähigkeit des Films ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) [m⋅s-2] [K] TS = Kondensationstemperatur (Siedetemperatur) [K] TW = Temperatur der Kühlfläche h = Höhe des Films [m]
Die Gleichung 13.2 gilt bis zu einer maximalen Dampfgeschwindigkeit von 5 m/s oberhalb des Films. Die Stoffwerte beziehen sich auf eine mittlere Temperatur des Kondensatfilms, d.h. sie sind beim arithmetische Mittel aus Kondensationstemperatur TS und Wandtemperatur TW zu bestimmen. Da die Wandtemperatur zunächst noch unbekannt sein kann, können vorerst die Stoffwerte bei der Kondensationstemperatur TS bestimmt werden. Nach Berechnung der fehlenden Wandtemperatur TW (s. Kap. „Wärmeübertragung“) kann in einem zweiten Rechnungsgang das arithmetische Mittel zwischen TS und TW zur Bestimmung der Stoffdaten herangezogen werden. Darauf lässt sich der Wärmeübergang nach Gl. 13.2 nochmals und diesmal genauer berechnen. Die Resultate der Gleichung 13.2 sind im Vergleich zu experimentellen Werten eher zu klein. Dies weil die Gl. 13.2 Wellen in der Filmoberfläche, die bereits bei laminarer Strömung auftreten, und die Wandrauhigkeit außer acht lässt. Für eine ausführliche Herleitung der Nusselt’schen Wasserhauttheorie wird auf [1] oder [3] verwiesen.
13.2 Wärmeübergang bei Filmkondensation
431
Bei der Kondensation ist der Wärmetransport durch den Kondensatfilm mit dem Stofftransport des kondensierenden Dampfs gekoppelt, sodass gilt = α ⋅ b ⋅ h ⋅ (T − T ) = m " ⋅ ∆h v Q K K S W
(13.3)
= Wärmeleistung bei der Kondensation Symbole: Q K
[W] = [kg⋅m2⋅s-3]
α K = mittlerer Wärmeübergangs[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] koeffizient bei Kondensation b = Breite des Films (= n⋅π⋅d bei n senkrechten Rohren) [m]
Durch Verknüpfung der Gln. 13.1 bis 13.3 folgen zwei weitere Beziehungen für den Wärmeübergangskoeffizienten bei laminarer Filmkondensation. α FK , l α FK , l
ªρ ⋅ g ⋅ b º = 0,925 ⋅ λ " ⋅ « " » ¬ η" ⋅ V ¼
ª ρ "2 ⋅ g º = 0,925 ⋅ λ " ⋅ « 2 » ¬ η " ⋅ Re FK ¼
1
1
3
3
ª g⋅b º = 0,925 ⋅ λ " ⋅ « » ¬ν" ⋅ V ¼
1
ª º g = 0,925 ⋅ λ " ⋅ « 2 » ¬ ν " ⋅ Re FK ¼
= Volumenstrom des Films Symbole: V "
(13.4)
3
1
3
(13.5)
[m3⋅s-1]
ν" = kinematische Viskosität des Films
[m2⋅s-1]
Bei Dampfgeschwindigkeiten, die 5 m/s parallel zur Filmoberfläche überschreiten, dürfen die auf den Kondensatfilm ausgeübten Impulskräfte nicht mehr vernachlässigt werden. Die kritische Reynoldszahl verschiebt sich zu kleineren Werten. Der Wärmeübergangskoeffizient lässt sich dann mit Hilfe der Gl. 13.6 abgeschätzen [1 S.99].
α FK , l
ª ρ g ⋅ v g2 ⋅ λ2" ⋅ ∆h v º = 0,14 ⋅ « » ¬« ρ " ⋅ η " ⋅ (Ts − TW ) ⋅ h ¼»
1
3
Symbole: ρg = Dichte des Dampfs vg = Geschwindigkeit des Dampfs quer zum Film
(13.6)
[kg⋅m-3] [m⋅s-1]
432
13 Kondensieren
Turbulente Strömung
Ab einer gewissen Filmdicke schlägt die laminare Strömung in eine turbulente um. Während die Filmkondensation an einer senkrechten Kühlwand im oberen Bereich noch laminar ist, wird sie unterhalb einer bestimmten Höhe turbulent. Die Turbulenz nimmt mit der Filmdicke stetig zu. Damit verbessert sich der Wärmeübergang, je weiter der Kondensatfilm nach unten gelangt. Grigull hat für die Kondensation an einen turbulenten Film einschließlich des anfänglich laminaren Teils die folgende halbempirische Beziehung hergeleitet. α FK , t = 0,003 ⋅
λ3" ⋅ ρ "2 ⋅ g ⋅ h ⋅ (Ts − TW )
(13.7)
η3" ⋅ ∆h v
Symbole: α FK , t = mittlerer Wärmeübergangs-
[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
koeffizient bei turbulenter Filmkondensation λ" = Wärmeleitfähigkeit des Films [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie [J⋅kg-1] = [m2⋅s-2] g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) [m⋅s-2] [K] TS = Kondensationstemperatur (Siedetemperatur) [K] TW = Temperatur der Kühlfläche h = Höhe des Films [m]
Die Beziehung von Grigull eignet sich gut ab einer Filmreynoldszahl von 10'000. Für den Übergangsbereich zwischen laminarer und turbulenter Strömung (250 < ReFK < 10'000) wird folgende Interpolationsformel vorgeschlagen [2]. ,2 1, 2 α FK = 1, 2 α 1FK , l + α FK , t
Symbole: α FK α FK , l
(13.8)
= mittlerer Wärmeübergangs[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] koeffizient bei Filmkondensation = laminarer Wärmeübergangs- [W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
koeffizient gemäß Gl. 13.2, 13.4 oder 13.5 α FK , t = turbulenter Wärmeübergangs- [W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1] koeffizient gemäß Gl. 13.7
13.2 Wärmeübergang bei Filmkondensation
433
Horizontale Rohre Nusselt hat in seiner Wasserhauttheorie auch den Kondensationsvorgang an horizontalen Rohren untersucht. Die Höhe der senkrechten Kühlwand in Gl. 13.2 ersetzt Nusselt durch den 2,5-fachen Außendurchmesser des Kühlrohrs. Daraus ergibt sich für den Wärmeübergangskoeffizienten
αFK , l, Rohr
ª λ3 ⋅ ρ2 ⋅ ∆h v ⋅ g º = 0,75 ⋅ « " " » ¬ η" ⋅ (Ts − TW ) ⋅ d ¼
Symbole: α FK , l, Rohr = mittlerer Wärmeüber-
1
(13.9)
4
[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
gangskoeffizient bei laminarer Filmkondensation an einem horizontalen Rohr [W⋅m-1⋅K-1] = [kg⋅m⋅s-3⋅K-1] λ" = Wärmeleitfähigkeit des Films [kg⋅m-3] ρ" = Dichte des Films bzw. Kondensats [kg⋅m-1⋅s-1] η" = dynamische Viskosität des Films -1 ∆hv = spezifische Verdampfungsenthalpie [J⋅kg ] = [m2⋅s-2] g = Erdbeschleunigung (= 9,81 m⋅s-2) [m⋅s-2] [K] TS = Kondensationstemperatur (Siedetemperatur) [K] TW = Temperatur der Kühlfläche d = Außendurchmesser des Rohrs [m]
Die Gleichung 13.9 gilt für eine laminare Filmströmung bis zu einer kritischen Reynoldszahl von 250 bis 350. Die Reynoldszahl wird mit der Rohrlänge " gebildet. Re FK , Rohr =
" m ρ ⋅ v ⋅δ = " " η" 2 " ⋅ η"
(13.10)
Symbole: ReFK, Rohr = Reynoldszahl für die Filmströmung [-] bei Kondensation an einem horizontalem Rohr " = Massenstrom des Kondensats pro Rohr [kg⋅s-1] m " = Länge des Rohrs v " = mittlere Fallgeschwindigkeit des Kondensats
[m] [m⋅s-1]
δ = Dicke des Kondensatfilms
[m]
In technischen Kondensatoren sind manchmal über 100 parallel verlaufende Kühlrohre horizontal eingebaut. In solchen Rohrbündeln tropft das Kondensat von den oberen Rohren auf die unteren. Der Wärmeübergangskoeffizient wird dadurch im Vergleich zum Einzelrohr nur unwesentlich beeinflusst. Einerseits nimmt die Filmdicke von oben nach unten von Rohr
434
13 Kondensieren
zu Rohr zu, wodurch sich die Wegstrecke des Wärmetransports verlängert. Andrerseits verursachen die auftreffenden Tropfen eine hohe Turbulenz im Film, wodurch der Wärmeübergang verbessert wird. Die beiden Effekte heben sich nahezu auf, sodass in der Praxis nur eine minimale Verschlechterung des Wärmeübergangs resultiert. Am häufigsten wird gerechnet mit −1
−1
6 12 α FK , l, Rohrbündel ≈ α FK , l, Rohr ⋅ n senkrecht ≈ α FK , l, Rohr ⋅ n Rohrbündel
Symbole: α FK , l, Rohrbündel = mittlerer Wärmeüber-
(13.11)
[W⋅m-2⋅K-1] = [kg⋅s-3⋅K-1]
gangskoeffizient bei laminarer Filmkondensation an einem horizontalen Rohrbündel nsenkrecht = Anzahl übereinander liegender Rohrreihen [ - ] [-] nRohrbündel = Anzahl Rohre im Rohrbündel
Die Reynoldszahl der Filmströmung berechnet sich im horizontalen Rohrbündel zu Re FK , Rohrbündel ≈
" , tot m
2 ⋅ n horizontal ⋅ " ⋅ η"
≈
" , tot m
(13.12)
2 ⋅ n Rohrbündel ⋅ " ⋅ η"
Symbole: ReFK, Rohrbündel = Reynoldszahl der Filmströmung bei [-] Kondensation an einem horizontalen Rohrbündel " , tot = Massenstrom des Kondensats im Rohrbündel [kg⋅s-1] m nhorizontal = Anzahl Rohre in einer horizontalen Rohrreihe [ - ]
Weiter gehende Berechnungsformeln zur Kondensation an horizontalen Rohren, z.B. für turbulente Strömung oder für Dampfgeschwindigkeiten über 5 m/s, finden sich im VDI Wärmeatlas [2].
13.3 Kondensatorbauarten Bei den Bauarten von Kondensatoren unterscheidet man grundsätzlich zwischen Oberflächen- und Mischkondensatoren. Bei Oberflächenkondensatoren kondensiert der Dampf an einer kalten Wandoberfläche, bei Mischkondensatoren an der Flüssigkeitsoberfläche eines kalt eingebrachten Lösungsmittels. Kondensatoren, die den Dampf nur teilweise auskondensieren, nennt man Dephlegmatoren.
13.3 Kondensatorbauarten
435
Oberflächenkondensatoren
Bei Oberflächenkondensatoren findet der Abtransport der Kondensationswärme durch eine feste wärmeleitende Wand statt. Auf beiden Seiten der Wand können unterschiedliche Drücke herrschen. So könnte auf der Kondensatseite der Dampf komprimiert werden, um den Kondensationsvorgang zu unterstützen. In der Regel herrscht dort jedoch ein kondensationsbedingtes Vakuum. Die Kühlung kann durch Luft, Wasser oder eine Berieselung erfolgen. Häufig werden zur Kondensation Rohrbündelapparate eingesetzt, die zur Horizontalen leicht geneigt sind. So kann das Kondensat gut abfließen. Rohrbündelkondensatoren ähneln in ihrem Aufbau den Rohrbündelwärmeübertragern des Kapitels „Wärmeübertragung“. Das Kühlmittel fließt durch die Innenrohre und der Dampf schlägt sich außen an den Rohren nieder. Die Umlenkbleche besitzen unten Öffnungen, damit das gebildete Kondensat abfließen kann (s. Abb. 13.2). Dampf
Inertgase
Kühlmittel
Kühlmittel Kondensat
Umlenkbleche
Abb. 13.2. Rohrbündelkondensator, Abbildung schematisiert
Auch Plattenkondensatoren sind Oberflächenkondensatoren. Sie gleichen in ihrem Aufbau den Plattenverdampfern (s. Kapitel „Verdampfen“). Mischkondensatoren
In Mischkondensatoren steht der Dampf in direktem Kontakt mit einer kalten Flüssigkeit, wodurch er kondensiert. Die Kondensationswärme wird auf die Flüssigkeit übertragen und erwärmt diese geringfügig. Als kalte Flüssigkeit kann das kondensierte Lösungsmittel dienen, das im Kreislauf abgekühlt und erneut dem Dampfraum zugeführt wird, oder auch nur Was-
436
13 Kondensieren
ser. Bei der Verwendung von Wasser folgt eventuell ein weiterer Prozessschritt zur Trennung des Wassers und des Lösungsmittels. Bedingt durch die große Kontaktoberfläche zwischen Dampf und Flüssigkeit ist die Mischkondensation sehr effektiv. Die Kontaktoberfläche wird entweder durch ein feines Verdüsen der Flüssigkeit im Dampfraum oder durch ein Verteilen der Flüssigkeit über Rieseleinbauten (Füllkörper oder geordnete Packung, s. Kap. „Rektifikation“) vergrößert. Vor allem Kondensatoren mit einer einfachen Verdüsung der Flüssigkeit im Dampfraum, so genannte Einspritzkondensatoren, finden in der chemischen Industrie verbreitet Anwendung, da sie sich durch eine hohe Leistung und eine geringe Verschmutzungsanfälligkeit auszeichnen (s. Abb. 13.3). Inertgas, zur Vakuumpumpe Kondensationsraum (Vakuum)
Sprühdüsen
Lösungsmittelkreislauf Dampf Wärmeübertrager
Kühlmittel barometrische Abtauchung Kreislaufpumpe Lösungsmitteltank (atmosphärischer Druck)
Kondensat
Abb. 13.3. Einspritzkondensator (Mischkondensator) mit barometrischer Abtauchung für Vakuumbetrieb, Abbildung schematisiert
13.5 Literatur
437
13.4 Fragen aus der Praxis Kondensation an einem Rohr
Ein senkrechtes Rohr wird mit kondensierendem Wasserdampf beheizt, wobei sich der Dampf außen am Rohr niederschlägt. Wie kann die Kondensationsleistung bei gegebenem Dampfdruck erhöht werden? Welche Vorschläge erachten Sie als besonders effizient? Kondensation an einem Rohrbündel
Wasserdampf soll an einem horizontal liegenden Rohrbündel bei 1 bar kondensiert werden. Es sind 200 Rohre mit Außendurchmesser 25 mm und Länge 3 m im Rohrbündel vereint. Die mittlere Temperatur der Rohroberfläche beträgt 60 °C. Die Dichte des Kondensats ist 970 kg/m3, die dynamische Viskosität 0,35⋅10-3 kg/m⋅s und die Wärmeleitfähigkeit 0,67 W/m⋅K. Der Wasserdampf überströmt die Rohre mit 3 m/s. Gesucht sind die Wärmeleistung des Kondensators und die in einer Stunde anfallende Menge Kondensat. Die Richtigkeit der getroffenen Annahmen soll anhand des Resultats belegt werden. Vergleich von Mischkondensatoren
Es gibt Mischkondensatoren mit Einbauten, in denen eine kalte Flüssigkeit über Füllkörper oder geordnete Packungen rieselt. Es gibt aber auch Mischkondensatoren ohne Einbauten, in denen eine kalte Flüssigkeit verdüst wird. Wo liegen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Bauarten? Welche Art des Mischkondensators ist effektiver?
13.5 Literatur [1] Wagner W (1981) Wärmeübertragung. Vogel, Würzburg [2] Verein Deutscher Ingenieure (1997) VDI-Wärmeatlas. 8 Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York [3] Grassmann P (1983) Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik. 3 Aufl, Sauerländer, Aarau [4] Grassmann P, Widmer F, Sinn H (1997) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. 3 Aufl, de Gruyter [5] Vauck W, Müller H (1994) Grundoperationen chemischer Verfahrenstechnik. 10 Aufl, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig
438
13 Kondensieren
[6] Philipp H (1980) Einführung in die Verfahrenstechnik. Sauerländer, Aarau [7] Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. 6 Aufl, Europa-Lehrmittel, HaanGruiten
14 Destillation
14.1 Einleitung Prinzip der Destillation Die Destillation ist ein thermisches Verfahren zur Trennung von Lösungsmitteln in Gemischen aufgrund ihrer unterschiedlichen Flüchtigkeit. Dabei wird das Lösungsmittelgemisch in einem Verdampfer auf Siedetemperatur erhitzt und teilweise verdampft. Die aufsteigenden Brüden werden abgeleitet, in einem Kondensator niedergeschlagen und in einer Destillatvorlage gesammelt (s. Abb. 14.1). Brüden Verdampfer Kondensator
Kühlung
Destillatvorlage
Heizung
Destillationsrückstand
Destillat
Abb. 14.1. Absatzweise betriebene Destillationsanlage (schematisch)
Wenn die Lösungsmittel bei Siedetemperatur unterschiedliche Dampfdrücke aufweisen, so reichern sich die Lösungsmittel mit den höheren Dampfdrücken in den Brüden an. Die Lösungsmittel mit den tieferen Dampfdrücken bleiben demgegenüber eher im Lösungsmittelgemisch zurück. Es findet also eine Trennung aufgrund der unterschiedlichen Dampfdrücke bzw. Flüchtigkeiten der Komponenten statt.
440
14 Destillation
Lösungskomponenten mit einem hohen Dampfdruck besitzen als reine Stoffe einen vergleichsweise niedrigen Siedepunkt und werden als leichtflüchtige Komponenten oder Leichtsiedende bezeichnet. Lösungskomponenten mit einem niedrigen Dampfdruck besitzen als reine Stoffe einen vergleichsweise hohen Siedepunkt und werden als schwerflüchtige Komponenten oder Schwersiedende bezeichnet. Das an leichtflüchtigen Komponenten reiche Kondensat wird Destillat genannt. Das an schwerflüchtigen Komponenten reiche eingedampfte Sumpfprodukt wird Destillationsrückstand oder auch nur Rückstand genannt. Mittels Destillation lassen sich Lösungsmittelgemische relativ gut trennen, sofern die Siedetemperaturen der reinen Lösungsmittel um mindestens 100 K von einander abweichen.
14.2 Physikalische Grundlagen Gesetze von Dalton und Raoult Die folgenden Ausführungen gelten für ein ideales Lösungsmittelgemisch. In einem idealen Lösungsmittelgemisch sind die Lösungsmittel in jedem beliebigen Verhältnis miteinander mischbar und bilden stets homogene Mischungen. Bei einer Mischung der Lösungmittel entstehen weder Wärme noch Kälte, die Mischungsenthalpie ist null. Im idealen Lösungsmittelgemisch ist die Wechselwirkung zwischen gleichartigen Molekülen gleich groß wie die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen. Der Gesamtdruck eines Dampfgemischs setzt sich gemäß Dalton zusammen aus den Teildrücken, die durch die einzelnen Komponenten verursacht werden. Der Teildruck einer einzelnen Komponente wird auch Partialdruck genannt.
(14.1)
n
p tot =
¦
pi
i =1
Symbole: ptot = Gesamtdruck, messbarer Druck pi = Partialdruck der Komponente i Indices:
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2]
i = Laufzahl, Bezeichnung für eine Komponente n = Anzahl Komponenten im Lösungsmittelgemisch
Der Partialdruck einer einzelnen Komponente ist direkt proportional zum Molanteil in der Flüssigkeit und zum Dampfdruck der reinen Komponente. Diesen Zusammenhang beschreibt das Gesetz von Raoult.
14.2 Physikalische Grundlagen
p i = x i ⋅ p *i
441
(14.2)
Symbole: xi = Molanteil der Komponente i in der Flüssigkeit [mol/mol] = [ - ] p *i = Dampfdruck der reinen Komponente i
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2]
Der Dampfdruck der reinen Komponente kann aus Stoffdatensammlungen entnommen werden wie z.B. [11-18]. Der Partialdruck kann auch durch den Molanteil im Dampf und den herrschenden Gesamtdruck wiedergegeben werden. Dies folgt aus Dalton und dem idealen Gasgesetz.
p i = y i ⋅ p tot Symbol:
(14.3)
yi = Molanteil der Komponente i in der Gasphase [mol/mol] = [ - ]
Im thermodynamischen Gleichgewicht zwischen den Vorgängen des Siedens und Kondensierens können die Partialdrücke der Gln. 14.2 und 14.3 einander gleichgesetzt werden. Das Verdampfungs-Kondensations-Gleichgewicht wird am einfachsten anhand eines Zweikomponentengemischs erläutert. Bei einem Gemisch aus zwei Komponenten gilt für die Molanteile x1 + x 2 = 1
(14.4)
y1 + y 2 = 1
(14.5)
und Der Index 1 bezeichnet in der Regel die leichterflüchtige Komponente, der Index 2 die schwererflüchtige Komponente. Fehlt der Index, so bezieht sich die Angabe immer auf die leichterflüchtige Komponente 1. Gemäß dem Gesetz von Raoult beträgt der Gesamtdruck in Funktion des Molanteils in der flüssigen Phase
(
p tot = x 1 ⋅ p1* + x 2 ⋅ p *2 = p *2 + x ⋅ p1* − p *2
)
(14.6)
Bei gegebenen Dampfdrücken der reinen Komponenten p *i steigt der Gesamtdruck mit dem Molanteil der leichterflüchtigen Komponente in der Flüssigkeit linear an. Wird der im Verdampfer real vorherrschende Druck kleiner als der nach Gl. 14.6 berechnete Gesamtdruck in der Flüssigkeit, so beginnt das Lösungsmittelgemisch zu sieden. Aus einer Verknüpfung der Gesetze von Raoult und Dalton folgt eine Beziehung für den Gesamtdruck als Funktion des Molanteils in der Gasphase
442
14 Destillation
p tot =
p1* ⋅ p *2 p1* − y ⋅ p1* − p *2
(
)
(14.7)
Bei gegebenen Dampfdrücken der reinen Komponenten steigt der Gesamtdruck mit dem Molanteil der leichterflüchtigen Komponente im Dampf hyperbolisch an. Wird der im Verdampfer real vorherrschende Druck größer als der nach Gl. 14.7 berechnete Druck in der Dampfphase, so beginnt der Dampf zu kondensieren. Relative Flüchtigkeit
Ein Maß für die Trennbarkeit zweier Lösungsmittel mittels Destillation stellt die relative Flüchtigkeit α dar. Die relative Flüchtigkeit ist definiert als das Verhältnis der Dampfdrücke der beiden reinen Komponenten bei der Siedetemperatur des Gemischs. Da sich der Index 1 immer auf die leichterflüchtige Komponente bezieht, nimmt α in idealen Gemischen stets Werte größer als 1 an. α1, 2 = Symbol:
p1* p *2
(14.8)
α1,2 = relative Flüchtigkeit, Trennfaktor für [Pa/Pa] = [ - ] das Gemisch mit den Lösungsmitteln 1 und 2
Aus einer Umformung der Beziehungen von Raoult (Gl. 14.2) und Dalton (Gl. 14.3) folgt α1, 2 =
y1 ⋅ (1 − x 1 ) x 1 ⋅ (1 − y1 )
(14.9)
Bei einem idealen Lösungsmittelgemisch hängt die relative Flüchtigkeit nur wenig von der Temperatur ab und wird bei Berechnungen häufig als konstant angenommen. Die relative Flüchtigkeit wird manchmal auch als Trennfaktor bezeichnet. Je größer die relative Flüchtigkeit, desto einfacher lässt sich ein Lösungsmittelgemisch trennen bzw. desto reiner sind Destillat und Rückstand nach einer einfachen Destillation. Die relative Flüchtigkeit kann auch aus den Siedepunkten der beiden Lösungsmittel abgeschätzt werden. Unter Verwendung der Regel von Trouton und der Gleichung von Clausius-Clapeyron schuf Rose die Beziehung
14.2 Physikalische Grundlagen
log α1, 2 = 8,9 ⋅ Symbol:
443
(14.10)
TS*2 − TS*1 TS*2 + TS*1
TS*i = Siedetemperatur des reinen Lösungsmittels i
[K]
Melpolder und Headington entwickelten eine etwas genauere Beziehung, die nebst den Siedetemperaturen der reinen Lösungsmittel auch die Siedetemperatur der Mischung berücksichtigt.
log α1, 2 = Symbol:
TS*2 − TS*1 TM
(14.11)
⋅ (3,99 + 0,001939 ⋅ TM )
TM = Siedetemperatur des Lösungsmittelgemischs
[K]
Die Gleichung von Melpolder und Headington ist grafisch in der Abb. 14.2 wiedergegeben.
Abb. 14.2. Relative Flüchtigkeit α als Funktion der Siedepunktdifferenz der reinen Lösungsmittel ∆TS und der Siedetemperatur des Gemischs ϑM bei Normaldruck gemäß Melpolder und Headington
444
14 Destillation
Die Gleichungen 14.10 und 14.11 gelten für normale Drücke um 1 bar = 100'000 Pa. Für Drücke oberhalb und unterhalb des Normaldrucks in einem Bereich von 1'300 bis 200'000 Pa ist die Gl. 14.12 zu verwenden. Die relative Flüchtigkeit nimmt üblicherweise bei fallendem Druck zu, d.h. unter Vakuum liefert eine destillative Trennung bei sonst gleichen Bedingungen die reineren Komponenten.
log α1, 2 = Symbol:
TS*2 − TS*1 § TM ⋅ ¨¨ 7,30 − 0,662 ⋅ log p tot + TM 103 ⋅ log p tot © ptot = Gesamtdruck bei Siedetemperatur TM
· ¸¸ ¹
(14.12)
[Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2]
In die Gleichungen 14.11 und 14.12 sind die Temperaturen und Drücke nur als Zahlenwerte ohne die Einheiten Kelvin bzw. Pascal einzusetzen. Da Berechnungen zur Destillation und Rektifikation gemäß internationaler Übereinkunft stets auf die leichterflüchtige Komponente mit Index 1 bezogen werden, kann der Index 1 in Formeln weggelassen werden. Dasselbe gilt auch für den Index 1,2 bei der relativen Flüchtigkeit α. Dampfdruckdiagramm
Das Dampfdruckdiagramm zeigt den grafischen Zusammenhang zwischen dem Gesamtdruck und der Zusammensetzung der Flüssigkeit bzw. des Dampfs im Gleichgewichtszustand bei gegebener Temperatur (s. Abb. 14.3). Der Dampfdruck einer idealen Flüssigkeit ptot = f (x) ist durch die Gl. 14.6 gegeben. In der Grafik entspricht die Gl. 14.6 der Siedelinie, die bei einem idealen Gemisch linear verläuft. Oberhalb der Siedelinie ist die Mischung flüssig. Wird ein Lösungsmittelgemisch isotherm entspannt, so beginnt es an der Siedelinie zu sieden. Der Dampfdruck eines idealen Dampfs ptot = f (y) ist durch die Gl. 14.7 definiert. Die Gleichung 14.7 wird in der Grafik durch die Taulinie dargestellt. Sie verläuft hyperbolisch. Unterhalb der Taulinie ist die Mischung dampfförmig. Wird ein Dampf isotherm komprimiert, so beginnt er an der Taulinie zu kondensieren (zu tauen). Die Siedelinie bildet die Grenze zwischen Flüssigkeit und Nassdampf. Durch die Taulinie ist die Grenze zwischen Nassdampf und überhitztem Dampf gegeben. Im Gebiet zwischen der Siedelinie und der Taulinie ist die Mischung zweiphasig, d.h. Flüssigkeit und Dampf treten gleichzeitig auf (Nassdampf). Im Gleichgewichtszustand haben Flüssigkeit und Dampf dieselbe Temperatur, aber nicht dieselbe Zusammensetzung. So steht z.B. in
14.2 Physikalische Grundlagen
445
der Abb. 14.3 eine Flüssigkeit mit der Zusammensetzung x ≈ 0,3 im Gleichgewicht mit einem Dampf der Zusammensetzung y ≈ 0,5. T = konst. p*1
Gesamtdruck p tot / [Pa]
Flüssigkeit inie del Sie
p=
) f (x
Nassdampf
Konnode
p tot p*2
p= Taulinie
0
x
f (y)
Dampf
y
1
Molanteil x;y / [-]
Abb. 14.3. Dampfdruckdiagramm einer idealen Zweikomponentenmischung; Gesamtdruck ptot als Funktion der Molanteile x in Flüssigkeit bzw. y in Dampf bei konstanter Temperatur T
Die Verbindungslinien in Diagrammen zwischen zwei übereinstimmenden Zuständen (z.B. siedende Flüssigkeit und kondensierender Dampf) nennt man Konnoden. Die Konnoden verlaufen in einem Dampfdruckdiagramm stets horizontal. Sie entsprechen Isobaren, da Dampf und Flüssigkeit im Gleichgewicht denselben Druck aufweisen. Beim Entspannen einer Flüssigkeit bzw. beim Komprimieren eines Dampfs kann der Zustandspunkt der Mischung in das Zweiphasengebiet fallen. Die Mischung zerfällt dann in einen flüssigen und in einen gasförmigen Teil. Der Zustandspunkt unterteilt die durch ihn verlaufende Konnode in zwei Äste. Die Längen der Äste stehen im gleichen Verhältnis zu einander wie die molaren Anteile der Flüssigkeit und des mit ihr korrespondierenden Dampfs. Je näher der Mischpunkt zur Siedelinie im Vergleich zur Taulinie kommt, desto mehr Flüssigkeit liegt im Zweiphasengemisch vor. Je näher der Mischpunkt zur Taulinie im Vergleich zur Siedelinie kommt, desto mehr Dampf liegt im Zweiphasengemisch vor. Dieser Zusammenhang ist als das Hebelgesetz bekannt.
446
14 Destillation
Das Hebelgesetz kann aus den Stoffbilanzen hergeleitet werden. Fasst man den Zustandspunkt der Mischung als Stützpunkt der Konnode auf, so wirken die Äste der Konnode wie Hebel zugunsten der Flüssigkeit bzw. der Dampfphase. In der Abbildung 14.4 unterteilt der Zustandspunkt der Mischung die Konnode im Verhältnis 1 zu 3. 75% der Mischung sind flüssig und 25% sind gasförmig. Die flüssige Phase besteht aus 24% leichterflüchtiger Komponente. Die gasförmige Phase besteht aus 54% leichterflüchtiger Komponente.
Gesamtdruck ptot / [Pa]
Flüssigkeit de Sie
Zustandspunkt der Mischung
linie
Zweiphasengebiet
Konnode
p Taulinie
Dampf 1
0
x
3
xM
y
1
Molanteil x;y / [-]
Abb. 14.4. Hebelgesetz angewandt in einem Dampfdruckdiagramm; die Konnode wird durch den Zustandspunkt der Mischung im Verhältnis 1 zu 3 unterteilt
Das Dampfdruckdiagramm ist zwar einfach zu zeichnen, wird aber in der Praxis nur selten gebraucht. Die meisten Destillationsapparate arbeiten nicht unter konstanter Temperatur (isotherm), sondern unter mehr oder weniger konstantem Druck (isobar). Geringe Druckunterschiede ergeben sich lediglich aufgrund von Strömungsverlusten oder hydrostatischen Effekten. Es ist deshalb wichtig, die Zusammensetzung von Flüssigkeit und Dampf bei gegebenem Gesamtdruck zu kennen. Grafisch wird dies in einem Temperaturdiagramm dargestellt.
14.2 Physikalische Grundlagen
447
Temperaturdiagramm
Das Temperaturdiagramm wird häufig auch Siedediagramm genannt. Es zeigt den grafischen Zusammenhang zwischen der Siedetemperatur TS und der Zusammensetzung der Flüssigkeit x bzw. zwischen der Tautemperatur (Kondensationstemperatur) TK und der Zusammensetzung des Dampfs y im Gleichgewichtszustand bei gegebenem Gesamtdruck ptot (s. Abb. 14.5). ptot = konst. Dampf
Temperatur T / [K]
TS2
Tau linie
TM
Sie de
TK = f (y ) Konnode
linie
Nassdampf
TS = f (x )
TS1
Flüssigkeit 0
x
y
1
Molanteil x;y / [-]
Abb. 14.5. Temperaturdiagramm einer idealen Zweikomponentenmischung; Siedetemperatur TS als Funktion des Molanteils x in Flüssigkeit bzw. Kondensationstemperatur TK als Funktion des Molanteils y in Dampf bei konstantem Gesamtdruck ptot ; TM = Temperatur der Mischung
Die Gleichungen 14.6 und 14.7 für die Siede- bzw. Taulinie gelten natürlich auch im Temperaturdiagramm. Während aber die Dampfdrücke der reinen Komponenten im Dampfdruckdiagramm durch die fixe Temperatur gegeben und damit konstant sind, gilt dies im Temperaturdiagramm nicht mehr. Innerhalb des Temperaturdiagramms variieren die Temperatur und damit auch die Dampfdrücke der reinen Komponenten. Die aus Stoffdatensammlungen entnommenen Dampfdrücke müssen deshalb mit den Beziehungen von Clausius-Clapeyron oder Antoine auf die gewünschte Temperatur umgerechnet werden (s. Kap. „Verdampfen“). Löst man Gl. 14.6 nach x auf, so erhält man für die Zusammensetzung der Flüssigkeit
448
14 Destillation
x (T ) =
p tot − p *2 (T )
(14.13)
p1* (T ) − p *2 (T )
Im thermodynamischen Gleichgewicht des Siedens und Kondensierens kann man die Gln. 14.2 und 14.3 einander gleichsetzen. Löst man nach y auf und substituiert x mit Gl. 14.13, so erhält man für die Zusammensetzung des Dampfs y (T ) =
p * (T) p tot − p *2 (T ) p1* (T ) ⋅x = 1 ⋅ p tot p1* (T ) − p *2 (T ) p tot
(14.14)
Bei der Berechnung der Molanteile x und y gemäß den Gln. 14.13 und 14.14 ist darauf zu achten, dass die Resultate aus physikalischen Gründen zwischen 0 und 1 liegen müssen. Dies wird dadurch erreicht, dass für die Berechnungen der Dampfdrücke der reinen Komponenten ausschließlich Temperaturen verwendet werden, die zwischen den Siedetemperaturen der beiden reinen Komponenten liegen. Die Gleichung 14.13 beschreibt die Siedelinie und die Gl. 14.14 die Taulinie im Temperaturdiagramm. Wird ein flüssiges Lösungsmittelgemisch isobar erhitzt, so beginnt es an der Siedelinie zu sieden. Wird ein gasförmiges Lösungsmittelgemisch isobar abgekühlt, so beginnt es an der Taulinie zu kondensieren. Zwischen der Siedelinie und der Taulinie befindet sich ein Zweiphasengebiet mit Nassdampf. In diesem Gebiet zerfällt eine Mischung in gesättigten Dampf und siedend heiße Flüssigkeit. Die Konnoden verlaufen horizontal, da Dampf und Flüssigkeit im Gleichgewicht dieselben Temperaturen aufweisen. Im Zweiphasengebiet gilt das Hebelgesetz, d.h. der Zustandspunkt einer Flüssigkeits-Dampf-Mischung unterteilt die Konnode im Verhältnis der molaren Mengen der beiden Phasen. Je näher der Zustandspunkt der Siedelinie im Vergleich zur Taulinie kommt, desto größer ist der flüssige Anteil an der zweiphasigen Mischung. Zusammensetzungsdiagramm
Die dritte Möglichkeit, das Gleichgewicht zwischen einem siedenden und einem kondensierenden Zweikomponentengemisch grafisch darzustellen, ist das Zusammensetzungsdiagramm. Das Zusammensetzungsdiagramm oder x-y-Diagramm wurde erstmals von den Herren McCabe und Thiele verwendet und ist deshalb heute als McCabe-Thiele-Diagramm bekannt. Es stellt die Zusammensetzung der Dampfphase y als Funktion der Zusammensetzung der flüssigen Phase x bei konstantem Gesamtdruck ptot dar (s. Abb. 14.6).
14.2 Physikalische Grundlagen
449
1 p tot = konst.
Di
ag o
na l
e
y
45 °-
Molanteil y / [-]
G
w ge h c i le
e rv ku s t ich
0 0
x
1
Molanteil x / [-]
Abb. 14.6. Zusammensetzungsdiagramm (McCabe-Thiele-Diagramm) einer idealen Zweikomponentenmischung; Molanteil der leichterflüchtigen Komponente in der Dampfphase y als Funktion des Molanteils der leichterflüchtigen Komponente in der flüssigen Phase x bei konstantem Gesamtdruck ptot
Die Herleitung der x-y-Wertepaare, die zum Zeichnen des Zusammensetzungsdiagramms benötigt werden, erfolgt entweder grafisch aus dem Temperaturdiagramm (s. Abb. 14.5) oder rechnerisch mit Hilfe der Gln. 14.13 und 14.14. Unter Verwendung der relativen Flüchtigkeit α gilt zudem für ideale Mischungen y (T ) =
α ⋅ x (T ) 1 + (α − 1) ⋅ x (T)
Symbole: α = relative Flüchtigkeit, Trennfaktor (α > 1) y (T) = Molanteil der leichterflüchtigen Komponente in der Dampfphase x (T) = Molanteil der leichterflüchtigen Komponente in der flüssigen Phase
(14.15)
[-] [-] [-]
Das Zusammensetzungsdiagramm findet vor allem bei realen Mischungen seine Anwendung. Bei idealen Mischungen folgt die Kurve y = f (x) einer Hyperbel. Bei realen Mischungen kann die Kurve fast beliebige Formen annehmen (s. Unterkapitel „Reale Mischungen“).
450
14 Destillation
Die Gleichung 14.15 zeigt, dass die Dampfphase im Normalfall an der leichterflüchtigen Komponente angereichert ist. Je größer die relative Flüchtigkeit (α >> 1), desto mehr baucht die Kurve aus und desto höher ist der Gehalt an der leichterflüchtigen Komponente in der Dampfphase bei gegebenem Gehalt in der flüssigen Phase. Die destillative Trennung läuft vollständiger ab. Umgekehrt fällt die Kurve mit der 45°-Diagonalen zusammen, wenn die relative Flüchtigkeit α = 1 entspricht. Hier sind die Zusammensetzungen der flüssigen und der gasförmigen Phasen identisch, d.h. x ist gleich y. Damit wird eine destillative Trennung unmöglich. Die 45°-Diagonale wird als Hilfslinie zur besseren Veranschaulichung der Trennbarkeit stets in das Zusammensetzungsdiagramm mit eingezeichnet. Reale Mischungen
In realen Mischungen ist die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen nicht gleich groß wie die Wechselwirkung zwischen gleichartigen Molekülen. Die Moleküle beeinflussen sich gegenseitig über zwischenmolekulare Kräfte, die bei verschiedenartigen Molekülen stärker oder schwächer ausfallen können wie bei gleichartigen. Ist die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen stärker als zwischen gleichartigen, so bewirkt der enge Zusammenhalt der Moleküle einen kleineren Dampfdruck in der Mischung, als er nach Gl. 14.6 zu erwarten wäre. Ist die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen schwächer als zwischen gleichartigen, so bewirkt der lose Zusammenhalt zwischen den Molekülen einen höheren Dampfdruck in der Mischung, als er nach Gl. 14.6 zu erwarten wäre. Das Raoult’sche Gesetz für den Partialdruck einer Komponente in einer idealen Mischung (Gl. 14.2) kann durch Einführung eines Korrekturfaktors, des so genannten Aktivitätskoeffizienten γ, auch auf reale Mischungen übertragen werden. Das mathematische Produkt aus dem Aktivitätskoeffizienten γi und dem Molanteil xi einer Komponente i wird Aktivität ai der Komponente i genannt. p i = γ i ⋅ x i ⋅ p *i = a i ⋅ p *i Symbole: pi = Partialdruck der Komponente i p *i = Dampfdruck der reinen Komponente i
(14.16) [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2]
[-] γi = Aktivitätskoeffizient der Komponente i [mol/mol] = [ - ] xi = Molanteil der Komponente i in der flüssigen Phase [-] ai = Aktivität der Komponente i in der in der flüssigen Phase
14.2 Physikalische Grundlagen
451
Bei hoher Konzentration des Lösungsmittels i strebt der Aktivitätskoeffizient γi gegen den Wert eins, wobei die Steigung praktisch null wird. lim x i →1 γ i = 1
und
lim x i →1
dγ i =0 dx i
(14.17)
Der Aktivitätskoeffizient der Komponente i in einer Mischung ist eine Funktion der Zusammensetzung der Mischung. Experimentell wird der Aktivitätskoeffizient durch Gleichsetzen der Gln. 14.16 und 14.3 bestimmt, d.h. man misst die Zusammensetzungen der flüssigen und der gasförmigen Phase, die bei bekannter Temperatur und bei gegebenem Gesamtdruck mit einander im Gleichgewicht stehen. γi =
y i ⋅ p tot
(14.18)
x i ⋅ p *i (T ) [Pa] = [kg⋅m-1⋅s-2] [mol/mol] = [ - ]
Symbole: ptot = Gesamtdruck im System yi = Molanteil der Komponente i in der gasförmigen Phase T = Temperatur der Mischung
[K]
Um die Richtigkeit der experimentell erhaltenen Aktivitätskoeffizienten zu überprüfen, können thermodynamische Gesetzmäßigkeiten herangezogen werden. Gemäß der Beziehung von Gibbs-Duhem-Margules gilt der folgende Zusammenhang zwischen den Aktivitätskoeffizienten und der Zusammensetzung in einem flüssigen Zweikomponentengemisch. § ∂ ln γ 2 § ∂ ln γ 1 · ¸¸ x 1 ⋅ ¨¨ = x 2 ⋅ ¨¨ © ∂x 2 © ∂x 1 ¹ p tot , T
(14.19)
· ¸¸ ¹ p tot , T
Die Beziehung von Gibbs-Duhem-Margules lässt sich unter einigen Annahmen integrieren. Van Laar fand folgende Gleichungen für die Aktivitätskoeffizienten in einer Zweikomponentenmischung. ln γ 1 =
K1 § K ⋅x ¨¨1 + 1 1 © K2 ⋅ x2
· ¸¸ ¹
2
und
ln γ 2 =
(14.20)
K2 § K2 ⋅ x2 ¨¨1 + K1 ⋅ x1 ©
Symbole: K1, K2 = Konstanten der Van Laar-Gleichung
· ¸¸ ¹
2
[-]
Durch Umformung der Gl. 14.20 lassen sich die Konstanten K1 und K2 der Van Laar-Beziehung bestimmen
452
14 Destillation
§ x ⋅ ln γ 2 K 1 = ln γ 1 ⋅ ¨¨1 + 2 x 1 ⋅ ln γ 1 ©
· ¸¸ ¹
2
§ x ⋅ ln γ 1 und K 2 = ln γ 2 ⋅ ¨¨1 + 1 © x 2 ⋅ ln γ 2
· ¸¸ ¹
2
(14.21)
Die Konstanten K1 und K2 sind unabhängig von der Zusammensetzung des Gemischs. Sind die Aktivitätskoeffizienten γ1 und γ2 bei einer beliebigen Zusammensetzung der Flüssigkeit x1 bekannt, so können die Konstanten K1 und K2 auf einfache Art nach Gl. 14.21 berechnet werden. Die Aktivitätskoeffizienten sind stets kleiner als eins, wenn die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen größer ist als diejenigen zwischen gleichartigen Molekülen. Der Dampfdruck fällt im Vergleich zu einer idealen Mischung geringer aus. Man spricht von einer negativen Abweichung vom Raoult’schen Gesetz. Ein Beispiel für eine solche Mischung ist ein Gemisch aus Chloroform und Aceton (s. Abb. 14.7). Zwischen den verschiedenen Molekülen bestehen starke Wasserstoffbrückenbindungen. Bei der Mischung der beiden Komponenten ergibt sich eine Volumenreduktion. Zugleich wird Wärme freigesetzt, d.h. der Mischvorgang ist exotherm, die Mischungsenthalpie ist negativ. Die Aktivitätskoeffizienten sind stets größer als eins, wenn die Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen kleiner ist als diejenigen zwischen gleichartigen Molekülen. Der Dampfdruck fällt im Vergleich zu einer idealen Mischung größer aus. Man spricht dann von einer positiven Abweichung vom Raoult’schen Gesetz. Ein Beispiel für eine solche Mischung ist ein Gemisch aus Isopropanol und Isopropylether (s. Abb. 14.7). Sind die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Molekülen schließlich nur noch unwesentlich größer als null, so lösen sich die Komponenten nicht mehr vollständig in einander. Die Komponenten entmischen sich. Es entsteht eine Mischungslücke wie im Beispiel des Gemischs von n-Butanol und Wasser (s. Abb. 14.7 links). In realen Mischungen erhält auch die relative Flüchtigkeit α eine neue Definition. Die Gleichung 14.8 wird modifiziert zu α=
γ 1 ⋅ p1* γ 2 ⋅ p *2
(14.22)
Bei idealen Mischungen sind die Aktivitätskoeffizienten aller Mischungskomponenten stets gleich eins. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenartigen Molekülen entsprichen gerade den Wechselwirkungen zwischen den Molekülen der reinen Komponenten. Dies ist bei Strukturisomeren wie z.B. 1-Propanol und 2-Propanol oder Komponenten homologer Reihen wie z.B. Hexan und Heptan häufig der Fall. In der Abbildung 14.7 ist ein Gemisch aus Benzen und Toluen als Beispiel aufgeführt. Bei
14.2 Physikalische Grundlagen
453
einer Mischung von Komponenten, die sich ideal verhalten, wird weder Wärme frei noch Wärme aus der Umgebung entzogen. Bei den bisherigen Überlegungen wurde angenommen, das sich nur die flüssige Phase real verhält. Die gasförmige Phase wurde als ideal vorausgesetzt. So behielt die Gl. 14.3 ihre Gültigkeit und konnte zur Berechnung der Aktivitätskoeffizienten herangezogen werden (s. Gl. 14.18). Die Annahme einer idealen Gasphase ist bei niedrigen und mittleren Drücken bis 1 bar sicher zutreffend. Bei zunehmendem Druck beeinflussen sich die Gasmoleküle jedoch immer mehr. Verursacht wird dies durch ihr Eigenvolumen und die wachsenden intermolekularen Kohäsionskräfte. Um die Gleichung 14.3, die den Partialdruck einer Komponente i im Gas beschreibt, weiterhin verwenden zu können, wird wie bei realen Flüssigkeitsgemischen ein Korrekturfaktor eingeführt, der hier Fugazitätskoeffizient ϕi genannt wird. Das mathematische Produkt aus dem Fugazitätskoeffizienten ϕi, dem Molanteil in der Gasphase yi und dem messbarem Gesamtdruck ptot wird als Fugazität oder Flüchtigkeit fi der Komponente i bezeichnet. p i = ϕ i ⋅ y i ⋅ p tot = f i Symbole: pi = Partialdruck der Komponente i [Pa] = ϕi = Fugazitätskoeffizient der Komponente i [mol/mol] = yi = Molanteil der Komponente i in der gasförmigen Phase [Pa] = ptot = Gesamtdruck in der Dampfphase fi = Fugazität der Komponente i [Pa] =
(14.23) [kg⋅m-1⋅s-2] [-] [-] [kg⋅m-1⋅s-2] [kg⋅m-1⋅s-2]
Der Fugazitätskoeffizient ist bei hohem Druck bis zum Zehnfachen des kritischen Drucks kleiner als eins und relativ unabhängig von den übrigen Mischungskomponenten. Er kann z.B. über den Realgasfaktor der gasförmigen Komponente berechnet werden [5]. Die Beziehung für das thermodynamische Gleichgewicht einer Komponente, die gleichzeitig in einem realen Flüssigkeits- und in einem realen Gasgemisch auftritt, lautet somit p i = f i = γ i ⋅ x i ⋅ p *i = ϕ i ⋅ y i ⋅ p tot
(14.24)
Azeotropie
Die Abweichung realer Mischungen vom idealen Verhalten kann so groß werden, dass der Dampfdruck der Mischung einen größeren Wert annimmt
454
14 Destillation
als der Dampfdruck der leichterflüchtigen der beiden reinen Komponenten. Dies ist z.B. bei den Mischungen von n-Butanol und Wasser oder Isopropanol und Isopropylether der Fall (s. Dampfdruckdiagramme Abb. 14.7 links oben).
Abb. 14.7. Dampfdruckdiagramme (obere Reihe, nur Siedelinien), Temperaturdiagramme (mittlere Reihe, Siede- und Taulinien) und Zusammensetzungsdiagramme (untere Reihe) für reale Zweikomponentengemische; Diagramme aus [5]; die in den linken Spalten dargestellten Gemische weichen im positiven und die in den rechten Spalten dargestellten Gemische im negativen Sinn vom Raoult‘schen Gesetz ab; das in der mittleren Spalte dargestellte Gemisch verhält sich ideal
Das Maximum des Dampfdrucks bewirkt ein Minimum der Siedetemperatur (s. Temperaturdiagramme Abb. 14.7 links mittig), d.h. die Siedetemperatur der Mischung liegt tiefer als die Siedetemperatur der leichterflüchtigen Komponente. Beim Siedetemperaturminimum berühren sich die Siede- und Taulinien, d.h. die Zusammensetzungen von flüssiger und dampfförmiger Phase unterscheiden sich nicht mehr von einander. Der Punkt, wo Siede- und Taulinien zusammenlaufen, wird azeotroper Punkt genannt. Die Molanteile beim azeotropen Punkt entsprechen einer azeotropen Zusammensetzung, die in der Flüssigkeit und im Dampf identisch ist. Ein azeotropes Gemisch mit azeotroper Zusammensetzung kann durch eine einfache Destillation nicht aufgetrennt werden.
14.2 Physikalische Grundlagen
455
In den Zusammensetzungsdiagrammen ist der azeotrope Punkt als Schnittpunkt der x-y-Kurve mit der 45°-Diagonalen ersichtlich (s. Abb. 14.7 links unten). Links vom azeotropen Punkt ist die Dampfphase an Leichtersiedendem angereichert (y>x). Dies ist gemäß dem Raoult’schen Gesetz zu erwarten. Rechts vom azeotropen Punkt ist dagegen der Molanteil der leichtersiedenden Komponente im Dampf kleiner als in der Flüssigkeit (y<x). Die leichterflüchtige Komponente wird also in der Dampfphase abgereichert oder anders gesagt, die Konzentration der schwerflüchtigen Komponente ist im Dampf höher als in der Flüssigkeit. Reale Mischungen können auch einen Dampfdruck entwickeln, der kleiner ist als der Dampfdruck der schwererflüchtigen der beiden Mischungskomponenten. Solche Mischungen stellen beispielsweise diejenigen aus Chloroform und Aceton oder Wasser und Salptersäure dar (s. Dampfdruckdiagramme Abb. 14.7 rechts oben). Das Dampfdruckminimum geht mit einem Siedepunktmaximum einher (s. Temperaturdiagramme Abb. 14.7 rechts mittig), d.h. die Siedetemperatur der Mischung übertrifft die Siedetemperatur der schwererflüchtigen Komponente. Die Mischungen mit einem Siedetemperaturmaximum werden als Maximumazeotrope bezeichnet. Dies im Gegensatz zu den Mischungen mit einem Siedetemperaturminimum, die als Minimumazeotrope bezeichnet werden. Die Orte im Diagramm, wo die Siede- und Taulinien aufeinander treffen und die Zusammensetzungen der flüssigen und gasförmigen Phase identisch werden, bestimmen auch hier die azeotropen Punkte. In den Zusammensetzungsdiagrammen (s. Abb. 14.7 rechts unten) ist rechts vom azeotropen Punkt die leichterflüchtige Komponente im Dampf angereichert (y>x). Links vom azeotropen Punkt ist aber die schwererflüchtige Komponente im Dampf angereichert (y<x). Eine Destillation im linken Bereich der Diagramme liefert den schwererflüchtigen Stoff im Destillat und ein Gemisch mit nahezu azeotroper Zusammensetzung im Konzentrat. Eine Destillation im rechten Bereich der Diagramme liefert den leichterflüchtigen Stoff im Destillat und ein Gemisch mit nahezu azeotroper Zusammensetzung im Konzentrat. Die Destillation eines azeotropen Gemischs liefert zwei Stoffströme. Der eine Stoffstrom enthält eine mehr oder weniger reine Komponente. Der andere Stoffstrom hat annähernd die Zusammensetzung des Azeotrops. Der azeotrope Punkt kann durch eine einzelne Destillation nicht überwunden werden. Die azeotrope Zusammensetzung ist aber meist druckabhängig. Eine Druckerniedrigung bewirkt in der Regel, dass sich die azeotrope Zusammensetzung in Richtung der leichterflüchtigen Kompo-
456
14 Destillation
nente verschiebt. So kann der azeotrope Punkt durch eine zweifache Destillation, wobei die eine bei einem hohen und die andere bei einem tiefen Druck arbeitet, umgangen werden. Eine Zusammenfassung für reale und azeotrope Mischungen zeigt die Tabelle 14.1. Tabelle 14.1. Reale Mischungen: Wechselwirkung zwischen verschiedenartigen Molekülen, Aktivitätskoeffizienten der Komponenten, Mischungsenthalpien und typische Beispiele Wechselwirkung klein
Aktivitätskoeffizient γ>1
Mischungsenthalpie ∆hmix ≥ 0
falls Azeotrop Minimumazeotrop
Beispiel
mittel
γ=1
∆hmix = 0
nicht möglich ToluenBenzen
groß
γ Tg/Tu 5 > Tg/Tu 3 > Tg/Tu Tg/Tu
sehr gut regelbar gut regelbar mäßig regelbar schlecht regelbar nicht regelbar
> 10 > 5 > 3 > 2 < 2
Je mehr Verzögerungselemente ein Prozess enthält, d.h. je höher seine Ordnung ist, desto kleiner wird das Verhältnis der Ausgleichszeit zur Verzugszeit Tg/Tu. Der regeltechnische Aufwand nimmt entsprechend zu (s. Abb. 22.8). Tg x
Tu n=0
10 n=1
8
n=2 n=3
6
n=4 n=5
4
n=6
2 t
0
2
4
6
8
10
n
Abb. 22.8. Sprungantworten von Regelstrecken höherer Ordnung mit n identischen Verzögerungen (links) sowie daraus resultierende Verhältnisse von Tg/Tu (rechts)
22.5 Fragen aus der Praxis
631
Die Tabelle 22.3 hilft, bei einem gegebenen Prozess mit bekanntem Verhältnis Tg/Tu einen geeigneten Reglertyp auszuwählen. Tabelle 22.3. Wahl eines Reglertyps anhand des Quotienten von Ausgleichszeit und Verzugszeit Tg/Tu Tg/Tu 10 > Tg/Tu 7 > Tg/Tu Tg/Tu
Reglertyp (Vorschlag) P-Regler > 10 > 7 PI-Regler > 3 PID-Regler < 3 Regelkaskade
22.5 Fragen aus der Praxis Führungs- und Störverhalten
Warum könnte es für die Regelbarkeit eines Systems eine Rolle spielen, ob die Führungsgröße oder eine Störgröße sprunghaft verändert wird? Ziele einer guten Regelung
Welche Anforderungen werden an eine gute Regelung gestellt? Können die Anforderungen unabhängig von einander erreicht werden? Wo bestehen allenfalls Wechselwirkungen und welcher Art sind sie? Totzeit und Verzugszeit
Wodurch unterscheiden sich Totzeit und Verzugszeit eines geregelten Systems? Gibt es eine Korrelation zwischen den beiden Größen? Ausgleichszeit und Anregelzeit
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Ausgleichszeit und der Anregelzeit eines Systems? Regelbarkeit und Regelgüte
Sind Regelbarkeit und Regelgüte mit einander verknüpft? Hat eine schlechte Regelbarkeit eines Prozesses Auswirkungen auf die Regelgüte?
632
22 Regelgüte
Regelbarkeit bei gegebener Sprungantwort
Wie gut ist die Regelbarkeit des in der Abb. 22.1 dargestellten Prozesses? Regelflächen als Kriterium
Welche Regelfläche würden Sie als Kriterium wählen, um in den folgenden Fällen eine hohe Regelgüte zu erreichen: a) Einhalten eines Füllstands in einem Zwischenspeicher für brennbare Lösungsmittel b) Drehzahlregelung eines Notstromaggregats c) Neutralisation am Eingang einer industriellen Kläranlage (erstes Becken = Ausgleichsbecken bzw. Sedimentationsbecken) d) Aufheizen eines Reaktors mit einer zersetzungsgefährdeten exothermen Reaktion
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Einstellparameter sind bei unstetigen Reglern (z.B. Zweipunkt- und Dreipunktregler) − die Schaltpunkte xS1, xS2 , − die Schaltdifferenzen ∆xS1, ∆xS2 sowie − der Kontaktabstand ∆xK und bei stetigen Reglern (z.B. P-, PD-, PI-, PID-Regler) − − − − −
die Führungsgröße w, die Reglerverstärkung KR bzw. der Proportionalbereich XP , die Nachstellzeit Tn , die Vorhaltezeit Tv sowie die Bandbreite bei Strukturumschaltung ∆xStruktur .
Die Einstellwerte werden so gewählt, dass eine möglichst hohe Regelgüte resultiert. Als Maß für die Regelgüte kann eines der im letzten Kapitel erwähnten Gütekriterien dienen (z.B. Regeldifferenz, Anregelzeit, Ausregelzeit, Überschwingweite, Regelfläche). Für Regler mit mehreren Einstellparametern gestaltet sich die Suche nach sinnvollen Kombinationen von Einstellwerten schwierig und zeitraubend. Es gibt deshalb Methoden, um zweckdienliche Kombinationen von Einstellwerten mit einfachen Mitteln festzulegen, wobei sich die Methoden vor allem in der Vorgehensweise unterscheiden. Im Chemiebereich werden stetige Regler verbreitet eingesetzt. Drei Methoden haben sich aufgrund ihrer Einfachheit, Bekanntheit und/oder Regelgüte für stetige Regler besonders bewährt. Es sind dies die Einstellregeln von Ziegler-Nichols, von Chien-Hrones-Reswick und die TSummen-Regel. Die mit den Einstellregeln erhaltenen Einstellwerte müssen bei Bedarf weiter optimiert werden. Eine generell günstigste Reglereinstellung existiert nicht. Die optimalen Einstellungen hängen vom Prozess ab. Zielsetzungen sind z.B. ein gutes Führungsverhalten, ein gutes Störverhalten, eine kleine Überschwingweite, ein kurzes Überschwingen, ein rasches Erreichen des Sollwerts u.a.m..
634
23 Einstellregeln für industrielle Regler
23.1 Ziegler-Nichols Bei dieser Methode wird der Regler vorerst als reiner Proportionalregler eingestellt (Tn = ∞, Tv = 0). Darauf wird ausgehend von einem großen Proportionalbereich XP , d.h. kleinem Proportionalbeiwert KR , der Proportionalbereich schrittweise verkleinert, bis der Regelkreis nach einem Sprung der Führungsgröße periodisch zu schwingen beginnt. Als Sprungweite werden etwa 10 % des Führungsbereichs vorgeschlagen. Aus dem zum Zeitpunkt der konstanten Schwingung am Regler eingestellten Proportionalbereich XP krit und der Schwingungsdauer Tkrit (s. Abb. 23.1) können gemäß der Tabelle 23.1 je nach Reglertyp zweckmäßige Einstellwerte abgeleitet werden. x
Tkrit.
t
Abb. 23.1. Schwingungsdauer bei periodischen Schwingung des Regelkreises
Tabelle 23.1. Einstellwerte nach Ziegler-Nichols Reglerstruktur P-Regler
Einstellparameter XP = 2,0 ⋅ XP krit
PI-Regler
XP = 2,2 ⋅ XP krit Tn = 0,85 ⋅ Tkrit
PD-Regler
XP = 1,25 ⋅ XP krit Tv = 0,12 ⋅ Tkrit
PID-Regler
XP = 1,7 ⋅ XP krit Tn = 0,5 ⋅ Tkrit Tv = 0,12 ⋅ Tkrit
23.2 Chien-Hrones-Reswick
635
23.2 Chien-Hrones-Reswick Bei realen Regelkreisen ist es manchmal unmöglich oder gefährlich, eine periodische Schwingung zu erzeugen, um die Einstellwerte nach der Methode von Ziegler-Nichols zu bestimmen. Für diesen Fall und bei Systemen mit größeren Verzögerungen eignet sich die Methode von ChienHrones-Reswick. Die Methode von Chien-Hrones-Reswick basiert auf der Sprungantwort der Regelstrecke, beziehungsweise auf deren Verzugszeit Tu und Ausgleichszeit Tg (s. Abb. 23.2, weitere Angaben s. Kap. „Regelgüte/ Regelbarkeit“).
100%
0% 0
1 Tu
2
3 Tg
4
5
6
7
8
9
Abb. 23.2. Verzugszeit Tu und Ausgleichszeit Tg einer Sprungantwort mit Ausgleich
Für geregelte Prozesse mit Ausgleich und einer Streckenverstärkung KS ergeben sich die in den Tabellen 23.2 und 23.3 aufgeführten sinnvollen Einstellwerte. Dabei wird einerseits unterschieden nach gutem Führungsbzw. Störverhalten und andrerseits, ob ein Überschwingen der Regelgröße erlaubt ist oder nicht. Tabelle 23.2. Einstellwerte nach (max.20%-igem) Überschwingen
Chien-Hrones-Reswick
bei
erlaubtem
Reglerstruktur P-Regler
Führungsverhalten KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
Störverhalten KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
PI-Regler
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,00 ⋅ Tg
KR = 0,71 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,30 ⋅ Tu
PID-Regler
KR = 0,95 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,35 ⋅ Tg Tv = 0,47 ⋅ Tu
KR = 1,20 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,00 ⋅ Tu Tv = 0,42 ⋅ Tu
636
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Tabelle 23.3. Einstellwerte nach Chien-Hrones-Reswick bei verbotenem Überschwingen Reglerstruktur P-Regler
Führungsverhalten KR = 0,30 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
Störverhalten KR = 0,30 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu)
PI-Regler
KR = 0,34 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,20 ⋅ Tg
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 4,00 ⋅ Tu
PID-Regler
KR = 0,59 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 1,00 ⋅ Tg Tv = 0,50 ⋅ Tu
KR = 0,95 ⋅ (1/KS) ⋅ (Tg/Tu) Tn = 2,40 ⋅ Tu Tv = 0,42 ⋅ Tu
23.3 T-Summen-Regel Speziell bei Prozessen in der chemischen Industrie führen die Methoden von Ziegler-Nichols bzw. Chien-Hrones-Reswick gelegentlich zu unbefriedigenden Ergebnissen, weshalb die T-Summen-Regel, abgekürzt TΣRegel, entwickelt wurde. Die TΣ-Regel legt hohen Wert auf die Zuverlässigkeit der Regelung. Der Regler soll eher etwas langsam wirken, um dafür ein starkes Überschwingen oder gar Instabilitäten zu vermeiden. Maßgebend für die Herleitung der Einstellwerte ist die Sprungantwort einer Regelstrecke mit Verzögerungselementen (s. Abb. 23.2). Daraus wird einerseits der Verstärkungsbeiwert KS und andrerseits die Summenfläche AΣ bestimmt (s. Abb. 23.3). x
KS
AΣ
t
Abb. 23.3. Streckenverstärkung KS und Summenfläche AΣ bei einer S-förmigen Sprungantwort der Regelstrecke
23.3 T-Summen-Regel
637
Das Verhältnis der Summenfläche zum Verstärkungsbeiwert entspricht der so genannten Summenzeitkonstante TΣ.
TΣ =
AΣ
(23.1) KS
Die Summenzeitkonstante TΣ ist ein Maß für die Schnelligkeit, mit der ein Signal in der Regelstrecke übertragen wird. Bei einer Auswertung von Hand kann man die Summenzeitkonstante TΣ auch als die Zeit finden, bei der gemäß Abb. 23.4 die beiden schraffierten Flächen A1 und A2 gleich groß sind. x KS
A2
A1 t
TΣ
Abb. 23.4. Streckenverstärkung KS und Summenzeitkonstante TΣ bei einer Sförmigen Sprungantwort der Regelstrecke
Tabelle 23.4. Einstellwerte nach der T-Summen-Regel für normale oder schnelle Regelungen Reglerstruktur P-Regler
normale Regelung KR = 1,0 / KS
schnelle Regelung KR = 1,0 / KS
PI-Regler
KR = 0,5 / KS Tn = 0,5 ⋅ TΣ
KR = 1,0 / KS Tn = 0,7 ⋅ TΣ
PD-Regler
KR = 1,0 / KS Tv = 0,33 ⋅ TΣ
KR = 1,0 / KS Tv = 0,33 ⋅ TΣ
PID-Regler
KR = 1,0 / KS Tn = 0,66 ⋅ TΣ Tv = 0,167 ⋅ TΣ
KR = 2,0 / KS Tn = 0,8 ⋅ TΣ Tv = 0,194 ⋅ TΣ
638
23 Einstellregeln für industrielle Regler
Aus den beiden Größen KS und TΣ lassen sich gemäß der Tabelle 23.4 praxisnahe Einstellwerte herleiten, wobei zwischen einer normalen, stabilen und einer schnellen, dafür etwas instabileren Einstellung unterschieden wird.
23.4 Fragen aus der Praxis Ziegler-Nichols
Von welchen geregelten Prozessen in einem chemischen Betrieb erwarten Sie, dass die Methode von Ziegler-Nichols anwendbar ist? Einstellparameter eines PID-Reglers
In der Heizanlage eines Wirbelschichtreaktors, in der Luft durch einen dampfbeheizten Wärmeübertrager geschickt wird, soll die Temperatur möglichst konstant eingehalten werden. Aus diesem Grund wurde ein PIDRegler eingebaut. Durch Aufnahme einer Sprungantwort, wobei das Dampfventil von 60 auf 70% geöffnet worden war, erhielt man eine Verzugszeit von 15 s und eine Ausgleichszeit von 120 s. Die Temperatur stieg allmählich von 210 auf schließlich 230 °C (Beharrungswert). Die höchste erreichbare Arbeitstemperatur bei maximaler Heizleistung beträgt vergleichsweise 280 °C. Es ist mit Störungen von außen zu rechnen. Welche Einstellparameter schlagen Sie für den Regler vor? T-Summen-Regel und Chien-Hrones-Reswick
Es sind die Einstellparameter eines PID-Reglers gemäß der T-SummenRegel und der Methode von Chien-Hrones-Reswick für eine Regelstrecke zu berechnen, deren Sprungantwort in der Abb. 23.2 dargestellt ist. Die Verstärkung der Regelstrecke KS sei 100%. Wie können die unterschiedlichen Resultate kommentiert werden? Grenzen der Anwendung für Chien-Hrones-Reswick
Haben Sie eine Idee, weshalb die Methode von Chien-Hrones-Reswick, die im Wesentlichen auf dem Verhältnis von Tg/Tu beruht, in der Praxis versagen kann?
24 Komplexe Regelsysteme
Komplexe Regelsysteme werden bei Regelungsaufgaben eingesetzt, zu deren Lösung ein einzelner der bisher vorgestellten Regler nicht genügen würde.
24.1 Split-Range-Regelung Bei der Split-Range-Regelung wird das Reglerausgangssignal yR zwei verschiedenen Stelleinrichtungen zugeführt. Damit ist es z.B. möglich, mit einem einzigen Temperaturregler sowohl eine Heizung als auch eine Kühlung anzusteuern. Meistens ist das Übertragungsverhalten des Reglers linear (proportional). Mit dem Split-Range-Regler werden für die beiden Stelleinrichtungen zwei Proportionalbereiche XP erzeugt, in denen zwei Stellgrößen y1 und y2 variieren. Die Proportionalbereiche können unterschiedlich groß sein, d.h. die Proportionalbeiwerte des Reglers können für die beiden Bereiche voneinander abweichen. Die Abbildung 24.1 zeigt das Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers mit den beiden Proportionalbereichen. Die beiden Proportionalbereiche können gegeneinander verschoben sein, sodass z.B. eine Totzone um den Sollwert w entsteht (s. Abb. 24.1 mittig) oder die Proportionalbereiche im Bereich des Sollwerts überlappen (s. Abb. 24.1 unten). Bezogen auf eine Temperaturregelung bedeutet dies im letzteren Fall, dass in der Nähe des Sollwerts gleichzeitig geheizt und gekühlt wird. Eine solche Regelung ist sehr schnell und exakt, da die Zuleitungen nicht zuerst aufgeheizt bzw. abgekühlt werden müssen. Sie verbraucht aber viel Energie, da sich Heiz- und Kühlwirkungen z.T. unnötig kompensieren. Bei einer Totzone um den Sollwert (s. Abb. 24.1 mittig) wird in der Nähe des Sollwerts weder geheizt noch gekühlt, wodurch Energie gespart werden kann. Dafür kann nicht so schnell und genau geregelt werden wie bei direkt aneinander grenzenden oder gar überlappenden Proportionalbereichen.
640
24 Komplexe Regelsysteme
y a)
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1
yR
y2 w x
0% XP1
y b)
XP2
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1 yR
y2 w x
0% XP1
y c)
XP2
Totzone
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% y1 yR
y2
w x
0% XP2 XP1
Abb. 24.1. Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers mit Reglerausgangsgröße yR ; a) mit aneinander grenzenden Proportionalbereichen XP1 und XP2 (oben), b) mit Proportionalbereichen XP1 und XP2 und dazwischen liegender Totzone (mittig), c) mit überlappenden Proportionalbereichen XP1 und XP2 (unten)
24.2 Kaskadenregelung
641
Nicht immer lässt sich ein Regelproblem mit einem linearen Regler optimal lösen. Wenn z.B. um den Sollwert herum besonders fein und sorgfältig geregelt werden muss, wie z.B. bei einem pH-Wert am Umschlagpunkt einer pH-Kurve, so ist der lineare Regler, der seine Stellgröße proportional zur Regeldifferenz verändert, ungeeignet. Eine solche Regelung wird besser mit einem nicht-linearen Regler ausgeführt. Die Nichtlinearität lässt sich häufig an einem Potentiometer einstellen. In der Abbildung 24.2 ist die Nichtlinearität symmetrisch um den Sollwert einer Split-Range-Regelung angeordnet. Eine Nichtlinearität von 0,1 bedeutet, dass sich die Stellgröße in der Nähe des Sollwerts nur wenig (unterproportional) verändert. Eine Nichtlinearität von 0,9 bedeutet, dass sich die Stellgröße in der Nähe des Sollwerts stark (überproportional) verändert. y
Stelleinrichtung 1
Stelleinrichtung 2
100% 0.9
0.9
0.7
0.7
0.5
0.5
0.3
0.3
0.1
0.1
w
x
0% XP1
XP2
Abb. 24.2. Split-Range-Regler mit nicht-linearem Übertragungsverhalten; XP1 bzw. XP2 entsprechen Regelbereichen für die Stelleinrichtungen 1 bzw. 2
24.2 Kaskadenregelung Bisher wurden nur einschleifige Regelkreise betrachtet. Bei trägen Systemen mit schlechter Regelbarkeit (s. Kap. „Regelgüte“) kann mit einer zweischleifigen Regelung, einer so genannten Kaskadenregelung, eine deutliche Verbesserung der Regelgüte erzielt werden. Die Kaskadenregelung enthält zwei miteinander vermaschte Regelkreise, wobei der eine Regelkreis dem anderen überlagert ist. Der überlagerte Regelkreis misst die Regelgröße x1 = x und vergleicht sie mit dem Sollwert w1 = w. Der Regler des überlagerten Regelkreises,
642
24 Komplexe Regelsysteme
der Führungsregler oder Hauptregler genannt wird (engl. master), greift jedoch nicht direkt in die Regelstrecke ein, sondern übermittelt seine Stellgröße y1 als Führungsgröße w2 an einen zweiten Regler, der Folgeregler oder Hilfsregler genannt wird (engl. slave) und im unterlagerten Regelkreis eingebaut ist. Der unterlagerte Regelkreis misst eine Hilfsgröße x2 = xH und vergleicht sie mit der Stellgröße des Führungsreglers y1. Aus der Differenz e2 errechnet der Folgeregler die Stellgröße y2 = y, die nun über die Stelleinrichtung in den geregelten Prozess eingreift. Der Vorteil einer solchen Kaskadenregelung liegt darin, dass Störungen vom unterlagerten Hilfsregelkreis schnell erfasst und auskorrigiert werden und die Regelgröße durch den überlagerten Hauptregelkreis mit hoher Genauigkeit an den Sollwert herangeführt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Hilfsregelkreis im Vergleich zum Hauptregelkreis mindestens zweibis dreimal schneller reagiert und Störungen frühzeitig erkennt. Für den Hilfsregler werden oft P-Regler und für den Hauptregler PI- oder PIDRegler eingesetzt. Als typisches Beispiel einer Kaskadenregelung im Bereich der chemischen Verfahrenstechnik zeigt die Abb. 24.3 die Temperaturregelung eines dampfbeheizten Rührkessels. Störungen in der Zuleitung des Dampfs, d.h. Schwankungen im Dampfdruck, werden durch den Hilfsregelkreis schnell ausgeglichen, während der Hauptregelkreis die Innentemperatur Ti im Rührkessel nach einiger Zeit exakt an den Sollwert angleicht. Die Tabelle 24.1 stellt die Eigenschaften eines Hauptreglers denjenigen eines Hilfsreglers gegenüber. Dampf
y2 = y
Folgeregler
y1 = w2
x2 = p
Führungsregler
x1 = Ti
Kondensat
w1 = Tsoll
Abb. 24.3. Kaskadenregelung der Innentemperatur eines dampfbeheizten Rührkessels
24.3 Verhältnisregelung
643
Tabelle 24.1. Gegenüberstellung der Eigenschaften eines Führungs- und eines Folgereglers Führungsregler, Hauptregler
Folgeregler, Hilfsregler
(engl. Master) überlagerte Regelung
(engl. Slave) unterlagerte Regelung
langsame Regelung
schnelle Regelung
meist PI- oder PID-Regler
meist P-Regler
Regelgröße x1 entspricht der Regelgröße x (analog Aufgabengröße xA)
Regelgröße x2 entspricht der Hilfsgröße xH (analog Störgröße z)
Führungsgröße w1 entspricht dem Sollwert w
Führungsgröße w2 entspricht der Stellgröße des Führungsreglers y1
Stellgröße y1 entspricht der Führungsgröße des Folgereglers w2
Stellgröße y2 entspricht der Stellgröße der Stelleinrichtung y
24.3 Verhältnisregelung In der Praxis stellt sich oft die Aufgabe, eine Prozessgröße in einem gewissen einstellbaren Verhältnis zu einer anderen Prozessgröße zu halten. Dies ist beispielsweise bei der Verbrennung eines flüssigen oder gasförmigen Heizstoffs mit Luft oder bei der Mischung zweier Reaktionspartner in einer Rohrstrecke der Fall. Die Regelung eines solchen Systems wird mit einer so genannten Verhältnisregelung vorgenommen. Die Verhältnisregelung misst den Volu = x1 und multipliziert ihn im Verhältmenstrom des einen Stoffes V 1 nissteller mit dem Verhältnisfaktor der Mischung KM. Diese errechnete Größe dient als Führungsgröße für den Regelteil der Verhältnisregelung. Der Regelteil vergleicht den errechneten Wert mit dem Volumenstrom des = x2. Bei Abweichungen vom korrekten Mischungszweiten Stoffes V 2 verhältnis wirkt der Regelteil über die Stellgröße y auf ein Ventil ein, das den Volumenstrom des zweiten Stoffes entweder erhöht oder reduziert. Der Verhältnisregler berechnet somit aus zwei Regelgrößen und einem Verhältnisfaktor die Stellgröße, die eine der beiden Regelgrößen so lange verändert, bis das Mischungsverhältnis stimmt. Häufig muss auch die Gesamtmenge der Mischung geregelt werden, was in einem überlagerten Regelkreis geschieht. Somit handelt es sich bei der Verhältnisregelung häufig um eine Folgeregelung.
644
24 Komplexe Regelsysteme
Die Abbildung 24.4 zeigt als Beispiel einer Verhältnisregelung die geregelte Zumischung von Verbrennungsluft zu Brennstoff mit dem Ziel, einen Ofen effizient und schadstoffarm beheizen zu können. Die Abbildung 24.5 ergänzt die Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff (s. Abb. 24.4) mit einer Führungsregelung, die die Temperatur im Innern des Ofens kontrolliert. KM KM x x1 = w
Verhältnissteller V1 = x1
Regelteil y
V2 = x2
Ofen
Brenner
Abb. 24.4. Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff zur effizienten und schadstoffarmen Beheizung eines Ofens
KM V1’ = x1’
y’
Verhältnisregler = Folgeregler
Ofen V2’ = x2’ Brenner
T y
Temperaturregler = Führungsregler
x
w
Abb. 24.5. Verhältnisregelung von Verbrennungsluft und Brennstoff als Folgeregelung zur überlagerten Temperaturregelung (Führungsregelung) eines brennstoffbeheizten Ofens
24.4 Fragen aus der Praxis
645
24.4 Fragen aus der Praxis Heiz-Kühlsystem
Ein Rührkessel ist mit einem Heiz-Kühlsystem mit Split-Range-Regelung ausgerüstet. Das Übertragungsverhalten des Split-Range-Reglers ist in der Abb. 24.1 dargestellt. Welche Heiz- und Kühlleistung resultiert bei einer Reglerausgangsgröße von 25, 50 bzw. 75%? pH-Regelung
Welches Übertragungsverhalten eines Split-Range-Reglers würden Sie für die pH-Regelung eines kommunalen Abwassers am Neutralpunkt (pH = 7) wählen? Schnelligkeit von Hilfs- und Hauptregelkreis
Warum soll der Hilfsregelkreis in einer Kaskadenregelung schneller wirken als der Hauptregelkreis? Parameter für Hilfs- und Hauptregelkreis
Würden Sie die Einstellwerte eines Hilfs- und eines Hauptreglers einer Regelkaskade eher auf ein gutes Führungsverhalten oder auf ein gutes Störverhalten ausrichten? Luft-Benzin-Mischung
Im ersten Kapitel der Regelungstechnik wurde die Lambda-Regelung eines Autokatalysators diskutiert. Wie könnte sich die gemessene Lambda-Zahl (Luftzahl λ) auf die Volumenströme von Verbrennungsluft und Benzin auswirken? Wie sieht der entsprechende Wirkungsplan aus?
25 Prozessleittechnik
Die Prozessleittechnik beschäftigt sich mit der computergestützten Führung eines Prozesses und umfasst die Vorgänge Messen, Steuern, Regeln, Optimieren, Registrieren und Überwachen mit dem Ziel, ein Produkt möglichst kostengünstig, qualitativ hochstehend, sicher, umweltverträglich und in passender Menge zum richtigen Zeitpunkt herzustellen. Die Prozessleittechnik wird manchmal auch als Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, abgekürzt MSRT, bezeichnet. Im englischen heißt der entsprechende Begriff „Instrumentation“.
25.1 Entwicklung der Prozessleittechnik In der bisher beschriebenen Regelungstechnik wurde jeder Regelkreis für sich allein betrachtet. Jeder Regelkreis bestand somit aus einer eigenen Messsonde, einem eigenen Regler, einer eigenen Anzeige ev. mit Ausgabe und einem eigenen Stellgerät. Eine solche Regelung, bei der jede Regelgröße für sich getrennt geregelt wird, nennt man Einzelregelung. In einer chemischen Anlage müssen aber sehr viele Prozessgrößen wie z.B. Temperaturen, Drücke, Durchflüsse, Füllstände gleichzeitig und fortlaufend gemessen, überwacht, registriert, gesteuert oder geregelt werden. Besteht für jede Prozessgröße ein eigener Regelkreis, so spricht man von einer parallelen Gerätetechnik. Eine parallele Gerätetechnik zeichnet sich einerseits durch eine hohe Zuverlässigkeit aus, andrerseits ist sie wegen der vielen Regelelemente aufwändig und kostspielig. Eine Gruppenregelung enthält mehrere Einzelregelungen und ist eine Funktionseinheit zum Regeln eines zusammenhängenden Teilprozesses. Eine Prozessregelung enthält mehrere Gruppenregelungen und ist die Funktionseinheit zum Regeln des gesamten Prozesses. In Gruppen- und Prozessregelungen können sich verschiedene Regelkreise einzelne Funktionselemente teilen. So kann z.B. ein Regler in hintereinander geschalteten Zeitsequenzen die Regelung mehrerer Regelkreise übernehmen, was die Regelung wesentlich vergünstigt.
648
25 Prozessleittechnik
Die Anzeige, Überwachung und Regelung von Prozessgrößen in chemischen Anlagen kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen. Das Betriebspersonal kann die Anlage entweder direkt vor Ort oder von der Messwarte aus führen. Bei einer Bedienung vor Ort muss das Betriebspersonal oft lange Wege zwischen den verschiedenen Messanzeigen und Stellgeräten (Schaltern, Ventilen, etc.) auf sich nehmen. Das Betriebspersonal ist dabei höherer Gefahr ausgesetzt, bedingt durch die unmittelbare Umgebung von chemischen Stoffen (toxisch, ätzend, verbrühend, explosiv, brandgefährlich) und mechanischen Apparaten (rotierende Wellen, Hebel, Förderbänder). In einer konventionellen Messwarte werden die verschiedenen Informationsangaben in einer Vielzahl einzelner Anzeige- und Schreibinstrumenten dargestellt. Dabei werden die Messwerte in ein abstrahiertes Bild der Produktionsanlage übertragen. Das Anlagenschema enthält an geeigneter Stelle die gemessenen Informationsgrößen (Druck, Temperatur, pH, Durchfluss, Füllstand, etc.). Die unmittelbare Veranschaulichung des Orts der Informationsentstehung, also der Apparate und Leitungen der Anlage, ist gegenüber einer Regelung vor Ort verloren gegangen. Wichtige Zusatzinformationen wie veränderte Geräusche, Vibrationen, Leckagen etc. sind in der Messwarte nicht mehr wahrnehmbar. Deshalb sind periodische Sicherheitsrundgänge in der Anlage erforderlich. Bei komplexeren Anlagen ergeben sich in den Messwarten oft sehr breite Anlagenschemata, die sich über ganze Wände erstrecken. Die große Breite und die langen Wege zu den Instrumenten führen zu Unübersichtlichkeit und neuen Gefahrenquellen. In Prozessleitsystemen werden die zahlreichen Einzelinformationen verarbeitet und in Führungsgrößen zusammengefasst. Das Anlagenschema wird zusammen mit den Führungsgrößen auf Bildschirmen (Monitoren) übersichtlich dargestellt. Auf Wunsch kann statt des Anlagenschemas eine einzelne Apparategruppe oder der zeitliche Verlauf einer Prozessgröße auf den Bildschirm gebracht werden. Bedieneingriffe, Betriebszustände oder Alarme werden meistens durch einen Drucker protokolliert. Die Bedienung der Produktionsanlage erfolgt nahezu ausschließlich vom Sitzplatz vor den Bildschirmen aus mit entsprechenden Bedienelementen wie Tastatur, Lichtgriffel, Rollkugel oder Computermaus. Durch die Verknüpfung der Vielzahl von Einzelinformationen in einem einzigen System wird es möglich, den Ablauf eines chemischen Prozesses sequenziell zu steuern, das heißt eine Synthesevorschrift oder Rezeptur ohne menschlichen Eingriff ablaufen zu lassen. Als Mangel eines Prozessleitsystems gilt wie bei der Messwarte die große Distanz zur Anlage, die gegebenenfalls fehlerhafte Zustände nur schwerlich erkennen lässt. Periodische Kontrollgänge
25.1 Entwicklung der Prozessleittechnik
649
in der Anlage sind angebracht. Die Abbildungen 25.1 und 25.2 illustrieren den Unterschied zwischen der Struktur eines konventionellen Regelsystems und dem Aufbau eines modernen Prozessleitsystems.
21
Abb. 25.1. Konventionelles Mess- und Regelsystem
Betriebsleitebene
Prozessleitebene
E/A-Ebene
Feldebene
Abb. 25.2. Aufbau eines modernen Prozessleitsystems
650
25 Prozessleittechnik
25.2 Aufbau eines Prozessleitsystems Wie aus der Abbildung 25.2 ersichtlich ist, besteht ein Prozessleitsystem aus einer Betriebsleitebene, einer Prozessleitebene, einer E/A-Ebene und einer Feldebene. Die Betriebsleitebene enthält im Normalfall einen oder bis zu fünf Computer mit Monitoren sowie Ein- und Ausgabegeräte (Tastatur, Maus, Schreiber, Disketten-, Magnetbandgerät). Über die Betriebsleitebene wird der einzelne Prozess kontrolliert, gesteuert und geregelt. Prozessdaten können archiviert und ausgewertet werden. Die Betriebsleitebene ist die einzige Schnittstelle im Prozessleitsystem zwischen Mensch und Anlage bzw. Prozess. Hier können Verfahrensvorschriften eingegeben, geändert, freigegeben und gestartet werden. Die Zugriffsberechtigung muss ausführlich und eingehend geregelt sein. Als Betriebssystem findet das amerikanische UNIX-System verbreitet Anwendung. Als Benutzeroberfläche wird häufig WINDOWS verwendet. Dies ermöglicht eine intensive Beobachtung des Prozesses in mehreren Bildern und eine flexible und schnelle Bedienung über die Maus. Die Prozessleitebene enthält einen oder bis zu zwanzig Computer, die den eigentlichen Prozess überwachen, steuern und regeln. Hier werden Messsignale umgewandelt, verarbeitet und Stellgrößen errechnet. Jeder Computer (mit 32 Bit Prozessor) wirkt in der Regel selbstständig und ist einem Anlagenteil bzw. einem Teilprozess fest zugeordnet. Funktionsmodule und das firmenseitig entwickelte Betriebssystem sind in einem EPROM abgelegt. Konfigurierung und Parametrierung erfolgen online im RAM der Station. Die Kommunikation mit der Betriebsleitebene läuft durch ein sehr schnelles BUS-System (z.B. Ethernet) über Koaxial- oder Glasfaserkabel. Die E/A-Ebene verknüpft Prozessleitebene und Feldebene. In der E/AEbenen werden die Messsignale aus der Anlage in für den Prozessrechner verständliche Signale umgewandelt. Umgekehrt werden Stellsignale vom Prozessrechner über Eingabe-Ausgabe-Wandler in brauchbare Stellgrößen auf der Feldebene verändert. Es gibt drei Arten von Signalformen, die Eingabe-Ausgabe-Wandler verarbeiten. Analoge Signale kommen als Stromoder Spannungswerte direkt von Sensoren. Zur Verarbeitung müssen analoge Signale digitalisiert werden. Digitale Signale aus der Prozessleitebene werden über Digital-Analog-Wandler als Analogwerte zu den entsprechenden Stellgliedern ausgegeben. Binärsignale stammen von Relaiskontakten, Grenzwertgebern, Tastern und Schaltern. Alle Meßwerte werden zyklisch erfaßt, d.h. sie werden in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge abgefragt. Die Zykluszeit ist abhängig vom dynamischen Verhalten der
25.3 Funktionen eines Prozessleitsystems
651
Regelstrecke. Durchfluß und Druck verlangen z.B. kürzere Abtastzeiten als Füllstand und Temperatur. Jeder Meßwert wird vor der Verarbeitung auf seine Gültigkeit überprüft (z.B. Fehler durch Leitungsbruch). Die Kommunikation mit der Prozessleitebene erfolgt über ein robustes BUSSystem mit hoher Datensicherheit (z.B. Profibus). Die Feldebene besteht aus den Messsonden und Stellgliedern vor Ort in der Prozessanlage. In explosionsgefährdeten Bereichen muss die Datenverbindung zur E/A-Ebene ex-sicher ausgeführt sein. Verwendet werden z.B. Koaxial- oder Glasfaserkabel. In jüngster Zeit besteht ein Trend, Messsonden mit eigener „Intelligenz“ auszustatten, sodass sie die Messsignale selbst auswerten und in ein für den Prozessrechner direkt verständliches (z.B. digitales) Signal umwandeln.
25.3 Funktionen eines Prozessleitsystems Die Aufgaben eines Prozessleitsystems können mit den vier Funktionen Überwachen, Protokollieren, Regeln und Steuern umschrieben werden. Durch dauerndes Überwachen der Anlage und des Prozesses werden Störungen oder gefährliche Betriebszustände frühzeitig erkannt. Beim Eintritt von Störungen können verschiedene Maßnahmen ausgelöst werden, wie z.B. Störmeldungen auf dem Bildschirm und/oder dem Drucker, Senden von Meldungen über das Telefonnetz oder Funk, Auslösen von Sirenen und Blitzlicht, Aktivierung von Schutz- und Sicherheitsschaltungen oder gar eine Notabschaltung der Anlage. Protokolle können entweder spontan bei jedem Ereignis, zyklisch zu einer bestimmten Uhrzeit oder durch eine Bedienhandlung erstellt werden. Beim Protokollieren unterscheidet man − Störprotokolle (Grenzwertüberschreitungen, Systemfehlermeldungen), − Bedienprotokolle (Bedieneingriffe, Konfigurier- und Parametriereingriffe) und − Betriebsprotokolle (Betriebsdaten, Betriebszustände). Das Regeln von Betriebszuständen ist eine weitere zentrale Aufgabe eines Prozessleitsystems. Regler in einem modernen Prozessleitsystem sind reine Software-Bausteine, mit denen sowohl einfache als auch komplexe Regelaufgaben gelöst werden können. Ein solcher Baustein „Regler“ erlaubt z.B. folgende Funktionen:
652
− − − − − − −
25 Prozessleittechnik
Festwert- und Folge-Regelung PID- Regelung 2-Punkt/3-Punkt-Regelung Split-Range-Regelung Kaskadenregelung Verhältnisregelung Grenzwertmeldungen
Durch Steuern können diskontinuierliche Prozesse automatisiert werden. Der erste Schritt zur Automatisierung eines Prozesses ist die Darstellung des Prozessablaufs in einem Flussdiagramm. Dabei wird der gesamte Prozessablauf in einzelne Schritte, die so genannten Takte, aufgeteilt. Diese werden im Flussdiagramm als Rechtecke dargestellt. Im allgemeinen wird ein Takt erst dann eingeleitet, wenn bestimmte logische oder zeitliche Bedingungen (so genannte Fortschaltbedingungen) erfüllt sind. Diese Bedingungen werden in Rhomben im Flussdiagramm eingezeichnet. Die Abbildung 25.3 zeigt ein solches Flussdiagramm. Vor Beginn des Taktes 1 wird beispielsweise abgeklärt, ob das Bodenventil des Reaktors geschlossen ist. Nur wenn dies der Fall ist, wird der Takt 1 eingeleitet, wenn nicht, verzweigt sich der Prozessablauf. Es wird eine Störmeldung ausgegeben und der Prozess wird gestoppt. Start
Bodenventil geschlossen?
Feststoff
nein
M Wasser
ja (Takt 1)
100 L Wasser einfüllen
Störmeldung
Stop Einfüllen fertig?
nein
Heizschlange
ja (Takt 2)
50 kg Feststoff einfüllen
Stimmt Gewichtskontrolle?
Bodenventil nein
ja (Takt 3)
Rührwerk ein
Störmeldung
Stop Aufheizen auf 70°C
Abb. 25.3. Flussdiagramm einer Rührkesselsteuerung
25.4 Darstellungen im Prozessleitsystem
653
Wie das Beispiel in der Abb. 25.3 zeigt, ist die Aufgabe einer Steuerung, die Sequenz der Prozessschritte zu durchlaufen und zu überwachen und allenfalls Verzweigungen, Schleifen oder Sprünge zu befehlen oder Alarme auszulösen. Man nennt eine solche Steuerung auch Sequenzsteuerung, Ablaufsteuerung oder Programmsteuerung. Flussdiagramme zur Steuerung von diskontinuierlichen chemischen Prozessen sind als Programm-Ablauf-Pläne (PAP) bekannt und normiert [4]. Der PAP ist ein Kommunikationsmittel, das in einer für den Verfahrensgeber wie für den Regeltechniker gleichermaßen verständlichen Form Abläufe und Verknüpfungen so darstellt, dass die darauf basierende Software sauber strukturiert und überschaubar wird.
25.4 Darstellungen im Prozessleitsystem Auf den Monitoren der Betriebsleitebene sind vielfältige Darstellungen möglich. Die wichtigsten sind Übersichtsbilder, Gruppenbilder und Kurvendarstellungen. Übersichtsbilder zeigen die gesamte Anlage oder größere zusammenhängende Anlagenbereiche in einem relativ kleinen Maßstab. Dies erlaubt es, die Struktur der Anlage auf einen Blick zu erfassen. Durch Anwählen einzelner Anlageteile oder Funktionen werden diese aufgerufen. Mittels WINDOWS-Technik können diese Bilder dem Übersichtsbild ausschnittsweise überlagert werden. Gruppenbilder zeigen einen Ausschnitt der Gesamtanlage, typischerweise eine Apparategruppe mit gemeinsamer Funktion. Kurvendarstellungen zeigen den zeitlichen Verlauf analoger oder binärer Prozessgrößen. Dies dient in erster Linie der Prozessüberwachung und der Protokollierung. Aus Messarchiven sind Prozessabläufe auch noch nach längerer Zeit nachvollziehbar. Im Störfall kann die Zeitachse zum Zeitpunkt des Ereignisses gespreizt werden, was eine detaillierte Analyse der auslösenden Umstände erlaubt. Zur Darstellung von dynamisch veränderlichen Prozessgrößen auf dem Bildschirm bestehen folgende Möglichkeiten: − − − − − −
Anzeigen des Zahlenwertes Ein- und Ausblenden von Texten Fluten von Bargraphen und Füllflächen (in verschiedenen Richtungen) Änderung von Farben oder Schattierungen Positionsänderung des grafischen Symbols Blinken des Symbols
654
25 Prozessleittechnik
25.5 Sicherheit computergesteuerter Anlagen Sicherheit kann nicht einfach auf ein bestehendes Prozessleitsystem „aufgepfropft“ werden. Sie muss von Anfang an projektbegleitend geplant und eingeführt sein. Aufgrund des RI-Schemas und der Verfahrensvorschrift soll das Projektteam die verschiedenen Prozessabläufe möglichst genau (einschließlich Schnittstellen) definieren und einer Risikoanalyse unterziehen. Daraus sind die notwendigen Maßnahmen (z.B. Verriegelungen, Redundanz, Notkühlung, etc.) abzuleiten und in den Programm-Ablauf-Plänen (PAP) festzuhalten. Die Risikoanalyse ist mit dem Fortgang des Projektes laufend nachzuführen und den veränderten Situationen anzupassen. Eine geeignete Methode zur Risikoanalyse von computergeführten Chemieanlagen ist CHAZOP (Computer Hazard and Operability Study). CHAZOP wurde in Analogie zur HAZOP-Methode (Hazard and Operability Study; PAAG-Verfahren) entwickelt, welche in der chemischen Industrie vielerorts bekannt ist. Nähere Angaben zu CHAZOP finden sich z.B. in T. Kletz, Computer Control and Human Error [16]. Je nach dem Ergebnis der Risikoanalysen sind auch Störungen der Energieversorgung (einschließlich Notenergieversorgung, Niederspannungsbereiche) in die Überlegungen zur Sicherheit des Automationssystems mit einzubeziehen. Prozessleitsysteme sollten mit einer unterbruchslosen Stromversorgung ausgerüstet sein. Der „unterbruchslose“ Übergang von Normalversorgung zur Notstromversorgung ist unter praxisnahen Bedingungen zu überprüfen, da beim Übergang häufig ein, wenn auch extrem kurzer Unterbruch oder Spannungsabfall eintreten kann. Die Zuverlässigkeit von Prozessleitsystemen kann durch Redundanz wesentlich erhöht werden. Redundanz bedeutet, dass sicherheitsrelevante Systeme in doppelter Ausführung vorhanden sind. Die redundanten Systeme sollten unabhängig von einander und nach verschiedenen Prinzipien wirken. Im Falle einer Störung übernimmt das Reservesystem oder Teile davon die Funktion der ausgefallenen Systemeinheit (Back up). Speziell mit der Anwendung von Prozessleittechnik in der chemischen Industrie beschäftigt sich die „Interessengemeinschaft Prozessleittechnik der chemischen und pharmazeutischen Industrie, NAMUR“ . NAMUR-Geschäftsstelle c/o Bayer AG Geb. K9 D-51368 Leverkusen Tel. 0049/214/ 30-71034 Fax 0049/214/ 30-72774 internet: http://www.namur.de
25.5 Sicherheit computergesteuerter Anlagen
655
Erläuterung von Sicherheitsbegriffen Aktiver Fehler (funktionsauslösend) Defekt, der bewirkt, dass z.B. das Sicherungssystem anspricht, ohne dass ein kritischer Zustand vorhanden ist (z.B. weil ein defekter Temperaturfühler das Überschreiten eines kritischen Grenzwerts simuliert, so dass die Notkühlung aktiviert wird). Passiver Fehler (funktionshemmend) Defekt, der bewirkt, dass trotz kritischem Anlagezustand z.B. das Sicherungssystem nicht anspricht (z.B. weil ein defekter Temperaturfühler die Unterschreitung der Solltemperatur simuliert, heizt das System weiter, obwohl die Temperatur bereits kritische Werte erreicht). Common Mode Failure Ausfall mehrerer Elemente eines redundanten Systems, der wegen unerkannter Abhängigkeiten der Elemente durch die gleiche Ursache ausgelöst wird. Häufige Ursachen für Common Mode Failures sind z.B. − „normale“ äußere Einflüsse wie Staub, Schmutz, Temperatur, Feuchtigkeit, Korrosion, Vibrationen − „unerwartete“ äußere Einflüsse wie Überschwemmung, Feuer, Energieausfall, Erdbeben − Entwurfs-/Fertigungs-/Material-Fehler − Fehler bei der Montage, Wartung oder Instandsetzung Plausibilitätstest Überprüfung eines Analogwertes, ob der Signalpegel im Einheitsbereich von 4 bis 20 mA bzw. bei pneumatischen Steuerungen von 0.2 bis 1 bar liegt. Da die meisten Defekte eines Geräts wie Kurzschluss, Unterbruch etc. ein Über- oder Unterschreiten dieser Bereiche bewirken, sind bis zu 95 % der Fehler mit dem Plausibilitätstest erfassbar. Watchdog („Wachhund“) Der Watchdog ist ein Teil des Rechners und hat die Aufgabe, periodisch (typisch 1 Mal pro Sekunde) alle „lebenswichtigen“ Systemfunktionen zu überprüfen.
656
25 Prozessleittechnik
Software-Sicherheitsstellung (SSS) Beim Auftreten eines kritischen Anlagezustandes werden die Aktoren in einen durch die Software (Programm) definierten Sicherheitszustand befohlen (Ventile auf, zu oder verharrend, Motoren meistens aus, Regelventile oder drehzahlvariable Motoren meistens auf Null bzw. Minimalwert des Stellbereiches). Die Software-Sicherheitsstellung darf nur ausgelöst werden, wenn das Prozessleitsystem noch funktionsfähig ist. Hardware-Sicherheitsstellung (HSS) Sicherheitsstellung, die nur durch die eingesetzten Mess-, Steuer- und regeltechnischen Elemente (und ihre Schaltung) bestimmt wird, auf welche das Prozessleitsystem keinen Einfluss hat. Sie wird dann eingeleitet, wenn Hinweise darauf bestehen, dass das Prozessleitsystem einen Defekt aufweisen könnte. Unabhängige Sicherungsebene Eine vom normalen Automationssystem der Anlage völlig unabhängige übergeordnete Ebene für alle sicherheitsrelevanten Sensoren und Stellglieder. Das Ansprechen dieser Ebene bringt die Anlage unabhängig vom Zustand des normalen Automationssystems in die Hardware-Sicherheitsstellung und löst ev. zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aus (z.B. Verwässern des Ansatzes). Not-Aus Der Ausdruck wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, z.B. Schalter, der eine ganze Anlage stromlos macht (,,Feuerwehrschalter“) oder Schalter zur manuellen Auslösung der Hardware-Sicherheitsstellung.
25.6 Fragen aus der Praxis Prozessleittechnik und konventionelle Regeltechnik Welche Vor- und Nachteile hat die moderne Prozessleittechnik gegenüber einer konventionellen Mess-, Steuer- und Regeltechnik?
25.6 Fragen aus der Praxis
657
Aufbau eines Prozessleitsystems Können die verschiedenen Funktionen eines Prozessleitsystems räumlich von einander getrennt werden? Darstellungen und Eingriffe Wie wird das Prozessgeschehen bei einem Prozessleitsystem dargestellt und wie kann in den Prozessablauf eingegriffen werden? Veränderliche Prozessgrößen Auf welche Art und Weise können veränderliche Prozessgrößen auf dem Monitor dargestellt werden? Maßnahmen bei Störungen Wie kann ein Prozessleitsystem auf eine Prozessgröße reagieren, die stark vom Sollwert abweicht? Aktiver und passiver Fehler Verursacht ein aktiver oder ein passiver Fehler den größeren Schaden? Redundanz Kennen Sie Beispiele für Redundanz aus dem Alltag? Software- und Hardware-Sicherheitsstellung Worin besteht der Unterschied zwischen einer Software-Sicherheitsstellung und einer Hardware-Sicherheitsstellung? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich im Betrieb?
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
26.1 Einleitung Regelungsvorgänge im Alltag a) z.B. Lambda Regelung des Automotors: xA x w e yR y z1 z2 z3 z4
Schadstoffkonzentration im Abgas elektrische Spannung (Istwert der λ-Sonde) elektrische Spannung (Sollwert ≈ 200 mV) Spannungsdifferenz (= w - x) Strom zum Öffnen des Ventils Öffnung des Benzinventils Benzinqualität Luftdruck Temperatur des Motors Verschmutzung der λ-Sonde
b) z.B. Temperaturregelung beim Duschen: xA=x aktuelle Temperatur des Mischwassers (empfundener Istwert) w angenehme Temperatur des Mischwassers (gedachter Sollwert) e Temperaturdifferenz (= w - x) yR Verdrehung des Wasserhahns y Öffnung des Mischventils z1 Wasserdruck des Kaltwassers z2 Wasserdruck des Warmwassers z3 Temperatur des Kaltwassers z4 Temperatur des Warmwassers
660
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Aufgabengröße und Regelgröße Tabelle 26.1. Gegenüberstellung von Aufgabengrößen xA und Regelgrößen x (Beispiele) Aufgabengröße xA Säuregehalt von Abwässern Feuchtigkeit von Textilbahnen Durchfluss von Abgasen in einem Kamin Staubgehalt im Abgasstrom Viskosität eines Polymerisats im Rührreaktor Füllstand in Kugelmühlen Temperatur im Solekreislauf Sauerstoffgehalt des Blutes
Regelgröße x pH-Wert elektrische Leitfähigkeit oder Dielektrizität Druckabfall über Blende oder Rohrstrecke Lichtstreuung (elektr. Signal) Motorstrom, Drehmoment des Rührwerks Drehmoment des Antriebmotors el. Widerstand des Pt100-Fühlers CO2-Gehalt des Blutes
Regelung durch Menschen Der Mensch verfügt als Regler über folgende vorteilhafte Eigenschaften: − − − − −
universell einsetzbar billig bei einmaligen oder veränderlichen Prozessen lernfähig mit vielen Sensoren ausgestattet komplex denkend und vielfältig handelnd
Der Mensch besitzt als Regler folgende nachteilige Eigenschaften: − unzuverlässig (Ermüdung, Stress, Emotionen, Überforderung, Vergesslichkeit) − teuer bei wiederholten, gleichartigen Prozessen − beschränkte Schnelligkeit − geringe Verträglichkeit gegenüber Chemikalien und Umwelteinflüssen
26.2 Steuerung und Regelung Vorzeichenumkehr im Wirkungsplan Es gibt zwei Möglichkeiten, das Vorzeichen eines Signals in einem Wirkungsplan zu wechseln. Erstens kann eine Additionsstelle mit Vorzeichenumkehr eingefügt werden (s. Abb. 26.1 links). Zweitens kann ein Funktionsblock mit entsprechendem Inhalt eingezeichnet werden. (s. Abb. 26.1 rechts).
26.2 Steuerung und Regelung
661
+/ -
a) Additionsstelle
b) Funktionsblock
Abb. 26.1. Vorzeichenumkehr in einem Wirkungsplan
Lenken eines Autos Beim Lenken eines Autos handelt es sich um eine typische Handregelung. Die Aufgabe des Reglers übernimmt der Mensch. Das menschliche Auge folgt dem Straßenverlauf (Folgeregelung), das Hirn verarbeitet die Signale und über die Arme werden Lenkkorrekturen ans „Steuerrad“ übertragen. Die Bezeichnung „Steuerrad“ ist strenggenommen falsch. Korrekterweise müsste man von einem „Reglerrad“ sprechen. Störgrößen können sowohl bei der Regeleinrichtung (= Autofahrer) als auch bei der Regelstrecke (= Auto + Fahrbahn) auftreten. Alle typischen Elemente einer Regelung sind bei der Lenkung eines Autos vorhanden. Regeln heißt andauerndes Messen, Vergleichen, Berechnen, Verstärken und Stellen. Die Abbildung 26.2 zeigt den Wirkungsplan für das Lenken eines Autos. Alkohol, Drogen, Gespräch, Musik, Handy
Seitenwind, Haftung, Beschleunigung
z Strassenverlauf w
Autofahrer; Auge, Hirn = Regler
z Lenkeinschlag yR
Lenkvorrichung; Steuerrad, Lenkgetriebe = Steller
Radstellung y
Fahrbahn, Fahrzeug = Regelstrecke
Fahrtrichtung x
Abb. 26.2. Wirkungsplan für das Lenken eines Autos
Textil-Waschmaschine In einer Textil-Waschmaschine wirkt eine Ablaufsteuerung mit teils zeitgeführten und teils prozessabhängigen Schritten. Bei zeitgeführten Schritten (z) dauern Aktionen unabhängig von weiteren Einflüssen, bis eine vorgegebene Zeit abgelaufen ist. Ein Beispiel ist der Waschvorgang, der unab-
662
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
hängig vom Verschmutzungsgrad der Wäsche innerhalb einer gewissen Zeitdauer stattfindet. Bei prozessabhängigen Schritten (p) dauern Aktionen, bis ein Abbruchkriterium erfüllt ist. Ein Beispiel ist das Füllen der Maschine mit Wasser, das beim Erreichen des gewünschten Füllstands beendet wird. Die Prozessschritte einer Waschmaschinen-Steuerung sind: Wasser auffüllen (p), Waschmittel zugeben (z), Aufheizen (p), Rühren/Waschen (z), Wasser ablassen (z), Spülwasser einlassen (p), Rühren/Waschen (z), Wasser ablassen (z), Schleudern (z) Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers Die Zuordnung der Elemente eines Fliehkraftreglers zu den Regelungsgrößen der Abb. 19.8 ist nicht immer einfach. Die Tabelle 26.2 entspricht einem Vorschlag. Tabelle 26.2. Regelungsgrößen und Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers Regelungsgröße Eingangsgröße u Aufgabengröße xA Führungsgröße w
Regelgröße x Reglerausgangsgröße yR Stellgröße y Störgröße z1 Störgröße z2
Elemente des Watt’schen Fliehkraftreglers gewünschte Drehzahl effektive Drehzahl Höhe des Nutrings an der Pendelwelle, eingestellt durch Verdrehung des Handrads, sodass die gewünschte Drehzahl gerade erreicht wird effektive Höhe des Nutrings an der Pendelwelle Höhenlage des Ventilkörpers freier Strömungsquerschnitt für den Dampf Vordruck des Dampfs in der Zuleitung Leistungsentnahme durch Verbraucher
Schwingungen Nur Regelkreise, bei denen ein Signal an den Regler zurückgeführt wird, können schwingen. Bei Steuerstrecken ist dies unmöglich. Ursachen für Schwingungen sind Verzögerungen auf dem Wirkungsweg, die an den verschiedensten Stellen auftreten. Der Eingriff des Reglers in das geregelte System erfolgt dadurch oft zu spät. Schwingungen sind insbesondere zu befürchten, wenn − − − −
das System über große Totzeiten oder Verzögerungszeiten verfügt, das zurückgeführte Signal einen hohen Verstärkungsfaktor aufweist, Führungsgrößen schnell und massiv verändert werden, sich Störgrößen schnell und massiv verändern.
26.3 Übertragungsverhalten
663
26.3 Übertragungsverhalten Schwingungsfähigkeit bei Verzögerungen In allen Systemen der Abb. 20.8 sind die Verzögerungselemente in Serie geschaltet und bestehen aus physikalisch gleichwertigen Speicherelementen. Eine Rückkoppelung fällt daher aus. Anstiegsfunktion und -antwort Die Anstiegsantworten eines Proportional-Glieds (P-Glied), eines IntegralGlieds (I-Glied) und eines Differential-Glieds (D-Glied) zeigt die Abb. 26.3. Gestrichelt ist die Anstiegsfunktion dargestellt, die jeweils am Eingang des Übertragungsglieds ansteht. Die Anstiegsfunktion eignet sich gut zur Bestimmung eines Differentialverhaltens (s. Abb. 26.3 rechts). u; v
u; v
u; v
v
v
u
u
u v
t
t
P-Glied
t
I-Glied
D-Glied
Abb. 26.3. Anstiegsantworten von P-, I- und D-Gliedern
Impulsfunktion und -antwort Wie die Abbildung 26.4 zeigt, eignet sich die Impulsfunktion gut zur Bestimmung eines Integralverhaltens. u; v u
v t I-Glied
Abb. 26.4. Impulsantwort eines I-Glieds
664
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Regelbarkeit bei verschiedenem Übertragungsverhalten Die fünf Grundtypen des Übertragungsverhaltens sind das Proportionalverhalten (P), das Integralverhalten (I), das Differentialverhalten (D), das Verzögerungsverhalten (PTn) und das Totzeitverhalten (Tt). Totzeiten, Verzögerungen und schlagartige Änderungen von Größen sind besonders schwierig zu regeln. Vereinfachend gilt für die Regelbarkeit: P: I: D: PTn: Tt :
sehr einfach einfach schwierig schwierig sehr schwierig
Sinusfunktion und -antwort Die Sinusfunktion und -antwort ist in der Abb. 26.5 dargestellt. Die Sinusantwort besitzt maximale Amplituden, wenn die Sinusfunktion bereits wieder den Nullwert durchläuft. Im Nyquist-Diagramm erweist sich die Darstellung mit einem einzigen Vektor, der senkrecht nach unten zeigt, als besonders einfach (s. Abb. 26.5 unten). u 1 0 -1 v
Sinusfunktion
ϕ = 90°
t
1 0 -1
t Sinusantwort
1 -90° 0.5
Nyquist-Diagram
Abb. 26.5. Sinusfunktion und -antwort dargestellt als zeitlicher Verlauf und im Nyquist-Diagramm
26.3 Übertragungsverhalten
665
Bode- und Nyquist-Diagramm Bei einem Proportionalglied (P-Glied) gibt es keine Verzögerungen und auch keine Frequenz abhängigen Dämpfungen. Die Wirkungsweise lässt sich sowohl im Bode- als auch im Nyquist-Diagramm sehr einfach darstellen (s. Abb. 26.6 oben). Bei einem Verzögerungsglied erster Ordnung (PT1-Glied) wirkt sich die Verzögerung vor allem bei hohen Kreisfrequenzen ω aus. Die Amplituden werden im Verhältnis v0/u0 gedämpft und die Perioden um den Phasenverschiebungswinkel ϕ verzögert (s. Abb. 26.6 mittig). Ein Totzeitglied (Tt-Glied) verzögert vor allem bei hohen Frequenzen. Es tritt aber keine frequenzabhängige Dämpfung des Ausgangswerts auf (s. Abb. 26.6 unten). Bode P
Nyquist ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = Kp
Kp
0 log ω
PT1
ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = Kp log ω
Tt
log ω
Kp
0° -90°
log ω
ϕ
log v0 /u0 v0 /u0 = 1
1
0 log ω
-90°
log ω
Abb. 26.6. Bode- und Nyquist-Diagramme für P-, PT1- und Tt-Glieder
666
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
26.4 Reglertypen Berechnung des Proportionalbereichs Der Proportionalbereich XP eines Reglers ist eine Funktion des Stellbereichs Yh und des Proportionalbeiwerts KR. Es gilt gemäß Gl. 21.2
XP =
(26.1)
Yh 100 % = = 500 % KR 20 %
Proportionalbereich und Regeldifferenz
Die Regelabweichung e fällt umso kleiner aus, je größer der Proportionalbeiwert KR ist. Dies folgt beispielsweise aus der Gl. 21.1. Der Proportionalbeiwert KR darf aber nicht zu groß gewählt werden, da das System sonst instabil wird und zu unkontrollierbaren Schwingungen neigt. Sprungfunktion und -antwort
P-, PI- und PID-Regler verhalten sich genau gleich wie die entsprechenden Funktionsblöcke (P-, PI-, PID-Glieder), die im vorhergehenden Kapitel besprochen wurden. Die Sprungantworten sind in der Abb. 26.7 dargestellt. y
y
t
0 P - Regler
y
t
0 PI - Regler
t
0 PID - Regler
Abb. 26.7. Sprungantworten von P-, PI- und PID-Reglern
Vergleich von P-, PI- und PD-Reglern
Die Tabelle 26.3 fasst die Vor- und Nachteile der verschiedenen Regler zusammen.
26.4 Reglertypen
667
Tabelle 26.3. Vor- und Nachteile von P-, PI- und PID-Reglern Reglertyp P-Regler PI-Regler PD-Regler
Vorteile schnell, einfach keine Regeldifferenz noch schneller
Nachteile bleibende Regeldifferenz etwas langsamer bleibende Regeldifferenz, Neigung zu Schwingungen
Wahl des Reglers
Die Wahl des Reglers richtet sich nicht nur nach der geregelten Größe, sondern auch nach dem Wirkungsablauf im Regelkreis, nach dem zeitlichen Verhalten der Führungsgröße, nach dem Einfluss von Störungen, nach der geforderten Genauigkeit und vielem mehr. Die Tabelle 26.4 schlägt mögliche Lösungen vor. Tabelle 26.4. Reglertypen für typische Regelaufgaben in der Chemie Regelgröße Temperatur Druck Durchfluss Füllstand
idealer Reglertyp P, PI, PID, 2-Punkt PI, 2-Punkt PI P, (PID), 2-Punkt
Unbekannter Reglertyp
Wenn der Proportionalbeiwert KR unendlich groß ist, so ist der Proportionalbereich XP unendlich klein (s. Gl. 26.1). Das statische Übertragungsverhalten des Reglers kennt dann nur zwei Zustände. Die Reglerausgangsgröße yR ist entweder 0 oder 100%. Dies entspricht einem klassischen Zweipunktregler ohne Schaltdifferenz. Zweipunktregler
Wie die Abbildung 26.8 zeigt, führt ein kleinerer Abstand zwischen den Grenzwerten einerseits zu einer genaueren Regelung der Regelgröße x und andrerseits zu häufigerem Schalten. Während eine genauere Regelung wünschenswert ist, kann das häufigere Schalten zu Abnutzungserscheinungen an Schaltkontakten und geschalteten Geräten führen.
668
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
x
xSo
kleine Schaltdifferenzen häufiges Schalten
xSu t
x xSo grosse Schaltdifferenzen seltenes Schalten xSu t
Abb. 26.8. Verlauf der Regelgröße x als Funktion der Zeit t bei einem Zweipunktregler mit veränderten Grenzabständen; xSo = oberer Schaltpunkt, xSu = unterer Schaltpunkt
Dreipunktregler
Bei tiefen Werten der Regelgröße schaltet der Dreipunktregler positiv auf yR = +1. Bei hohen Werten der Regelgröße schaltet er negativ auf yR = -1. Dazwischen schaltet er neutral auf yR = 0. Bei konstanter Führungsgröße w schwankt die Reglerausgangsgröße yR zwischen nur zwei Werten. Entweder muss periodisch geheizt oder gekühlt werden, aber nie beides zusammen. Folglich entsteht ein zeitlicher Verlauf der Regelgröße x analog einer Zweipunktregelung, wie sie in der Abb. 21.6 oder 26.9 wiedergegeben wird. Beim Erreichen des oberen Schaltpunkts xSo schaltet der Regler beispielsweise auf yR = 0. Beim Erreichen des unteren Schaltpunkts xSu schaltet der Regler auf eine Reglerausgangsgröße von yR = +1. x
yR
xSo w xSu
100%
0% 1
2
3
4
1
2
3
4
Abb. 26.9. Zeitlicher Verlauf der Regelgröße x und der Reglerausgangsgröße yR eines Dreipunktreglers, falls die Führungsgröße w konstant bleibt
26.5 Regelgüte
669
26.5 Regelgüte Führungs- und Störverhalten
Der Eingriff der Führungsgröße erfolgt im Regelkreis weit vorne direkt im Regler. Dagegen kann eine Störgröße irgendwo im Regelkreis auftreten. Es dauert länger, bis sich ein Sprung der Führungsgröße in der Regelgröße bemerkbar macht, als dies bei einer Störung der Fall ist. Eine Störgröße kann direkt auf die Regelgröße einwirken und wird dann vom Messsystem sofort erfasst. Ein Regler für ein gutes Störverhalten darf deshalb etwas schneller und stärker reagieren als ein Regler für ein gutes Führungsverhalten (s. Tabellen 23.2 und 23.3). Ziele einer guten Regelung
Die Anforderungen an eine gute Regelung sind: − ein schnelles Erreichen der vorgegebenen Führungsgröße (kurze Anregelzeit, kurze Ausregelzeit) − kein großes Überschwingen der Aufgabengröße (kleine Überschwingweite) − ein genaues Einhalten der Führungsgröße (kleine bleibende Regeldifferenz) − ein unempfindliches Verhalten gegenüber Störungen (Stabilität, keine Schwingungen) Eine allzu schnelle Regelung kann zu großen Überschwingweiten und Instabilitäten führen. Es muss ein Kompromiss zwischen den Kriterien Genauigkeit und Stabilität einerseits und Schnelligkeit andrerseits gefunden werden. Totzeit und Verzugszeit
Innerhalb der Totzeit bleibt die Regelgröße unverändert, weil das Signal auf dem Wirkungsweg so lange braucht, bis es zur Regelgröße gelangt. Innerhalb der Verzugszeit kann sich hingegen die Regelgröße bereits verändern, auch wenn dies nur in geringem Ausmaß geschieht. Diese minimale Änderung der Regelgröße kann ein empfindlicher D-Regler bereits frühzeitig erkennen und daraus Korrekturmaßnahmen ableiten.
670
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Ausgleichszeit und Anregelzeit
Es gibt keinen mathematisch exakten Zusammenhang zwischen der Ausgleichszeit und der Anregelzeit. Grundsätzlich gilt aber, dass eine längere Ausgleichszeit auch die Anregelzeit verlängert (s. Abb. 26.10). Die Anregelzeit kann nie kleiner als die Ausgleichszeit sein. Als grobe Schätzung gilt Anregelzeit ≈ Verzugszeit + Ausgleichszeit.
Tu
Tg TAnregel
Abb. 26.10. Verzugszeit Tu, Ausgleichszeit Tg und Anregelzeit TAnregel einer Sprungantwort mit der Regelgröße x und der Zeitdauer t seit dem Sprung
Regelbarkeit und Regelgüte
Die erreichbare Regelgüte hängt unter anderem auch von der Regelbarkeit des Systems ab. Bei einem Prozess mit einer schlechten Regelbarkeit kann bei vergleichbarem Regelaufwand nur eine schlechte Regelgüte erreicht werden. Regelbarkeit bei gegebener Sprungantwort
Das Verhältnis von Ausgleichszeit zu Verzugszeit Tg/Tu beträgt 2,4. Der Prozess ist somit gemäß Tabelle 22.2 nur schlecht regelbar. Verursacht wird dies durch die relativ große Totzeit und den schnellen Anstieg der
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler
671
Sprungantwort. Zur Regelung braucht es bereits eine Regelkaskade, ein einzelner PID-Regler genügt nicht mehr (s. Tabelle 22.3). Regelflächen als Kriterium
Es werden folgende Kriterien für die Regelflächen vorgeschlagen: a) quadratisch b) zeitgewichtet, eventuell quadratisch c) linear oder quadratisch d) quadratisch Eine quadratische Regelfläche ist immer dann sinnvoll, wenn eine große Regeldifferenz nicht erlaubt ist. Im Fall a) darf der Zwischenspeicher nie leer laufen oder überfüllt werden, da sonst der Prozess unterbrochen wird oder brennbares Lösungsmittel austreten könnte. Im Fall b) darf das Notstromaggregat keine zu hohen Spannungen erzeugen, da sonst die Sicherungen der elektrisch betriebenen Geräte durchbrennen. Im Fall d) darf der Reaktor nicht zu heiß werden, da sonst die exotherme Reaktion beschleunigt wird, die Temperatur weiter ansteigt und die Zersetzungsreaktion einsetzt. Eine lineare Regelfläche ist sinnvoll, wenn eine bleibende Regeldifferenz längerfristig unterdrückt werden soll. Dies ist beispielsweise bei der Neutralisation c) der Fall. Die Wahl der zeitgewichteten Regelfläche ist dann zweckmäßig, wenn es auf eine kurze Ausregelzeit ankommt. Dies trifft auf die Drehzahlregelung des Notstromaggregats im Fall b) zu. Eine relativ große Überschwingweite ist beim Notstromaggregat zu Beginn erlaubt, da der Strom erst nach dem Einschwingvorgang den Verbrauchern zur Verfügung gestellt wird.
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler Ziegler-Nichols
Die Methode von Ziegler-Nichols eignet sich für Prozesse, bei denen eine periodische Schwingung eingestellt werden darf, ohne dass die Anlage oder die Umgebung einen Schaden erleidet. Die periodische Schwingung ist eine Voraussetzung dafür, die Regelparameter festzulegen. Die Methode von Ziegler-Nichols wird in der Praxis angewendet bei der
672
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
− Drehzahlregelung bzw. Antriebsregelung, − Druckregelung, sofern die Druckamplituden den zulässigen Bereich des Betriebsdrucks weder über- noch unterschreiten, − Füllstandsregelung, sofern ein Überfüllen oder ein Leerlaufen ausgeschlossen werden kann, − Durchflussregelung, sofern kritische Drücke oder Fließgeschwindigkeiten (Kavitation) nicht erreicht werden. Einstellparameter eines PID-Reglers
Mit der Ausgleichszeit Tg = 120 s und der Verzugszeit Tu = 15 s kann die Regelbarkeit der Heizanlage abgeschätzt werden. Aus dem Verhältnis von Tg/Tu = 8 folgt gemäß Tabelle 22.2, dass der Prozess gut regelbar ist und ein PID-Regler für die gestellte Aufgabe vollkommen genügt (s. Tabelle 22.3). Wenn die Stellgröße y von 60 % auf 70 % zunimmt, steigt die Temperatur um 20 °C. Für den Regelbereich der Heizanlage werden Temperaturen zwischen 20 °C (Raumtemperatur) und 280 °C (maximale Arbeitstemperatur) angenommen. Der Regelbereich erstreckt sich also über 260 °C. Somit kann die Streckenverstärkung KS berechnet werden.
20 °C 260 °C 7,7 % ∆x = = = 0,77 KS = ∆y 70 % − 60 % 10 %
(26.2)
Die Methode von Chien-Hrones-Reswick unterscheidet vier Möglichkeiten, um die Regelparameter festzulegen. Die Parameter hängen davon ab, ob ein Überschwingen beim Anfahrvorgang erlaubt oder verboten ist und ob ein gutes Führungsverhalten oder Störverhalten im Vordergrund steht (s. Tabellen 23.2 und 23.3). Aufgrund der Aufgabenstellung sind keine temperaturkritischen Reaktionen zu erwarten, dafür treten Störungen von außen auf. Deshalb werden die Regelparameter für ein erlaubtes Überschwingen bei gutem Störverhalten bestimmt (s. Tabelle 23.2). Für die Reglerverstärkung KR gilt
KR =
1,2 Tg 1,2 ⋅ = ⋅ 8 = 12,5 K S Tu 0,77
(26.3)
Für die Nachstellzeit Tn gilt
Tn = 2,0 ⋅ Tu = 2,0 ⋅ 15 s = 30 s
(26.4)
26.6 Einstellmethoden für industrielle Regler
673
Für die Vorhaltezeit Tv gilt Tv = 0,42 ⋅ Tu = 0,42 ⋅ 15 s = 6,3 s
(26.5)
Die Streckenverstärkung KS wurde mit der Gl. 26.2 nur grob abgeschätzt. Daher ist das Resultat für die Reglerverstärkung KR gemäß der Gl. 26.3 mit Vorsicht zu betrachten. Die Reglerverstärkung KR sollte von Hand an die realen Verhältnisse angepasst und optimiert werden. T-Summen-Regel und Chien-Hrones-Reswick
Gemäß der Abbildung 23.2 betragen die Streckenverstärkung KS = 100 %, die Summenzeitkonstante TΣ = 3,0 , die Verzugszeit Tu = 1,6 und die Ausgleichszeit Tg = 2,7. Die Regelparameter werden mit den Tabellen 23.2, 23.3 und 23.4 berechnet. Die Tabelle 26.5 fasst die Resultate zusammen. Tabelle 26.5. Vergleich der T-Summen-Regel (T-Σ) mit der Methode von ChienHrones-Reswick (CHR) anhand der Einstellparameter eines PID-Reglers; KR = Reglerverstärkung, Tn = Nachstellzeit, Tv = Vorhaltezeit, mÜ = mit Überschwingen, oÜ = ohne Überschwingen, FV = Führungsverhalten, SV = Störverhalten Methode T-Σ normal T-Σ schnell CHR mÜ FV CHR mÜ SV CHR oÜ FV CHR oÜ SV
KR 1,0 2,0 1,6 2,0 1,0 1,6
Tn 2,0 2,4 3,6 3,2 2,7 3,8
Tv 0,5 0,6 0,8 0,7 0,8 0,7
Die Resultate der T-Summen-Regel und der Methode von ChienHrones-Reswick sind ähnlich. Auffallend ist die große Bandbreite für die Reglerverstärkung KR, die aber stark vom erlaubten oder nicht erlaubten Überschwingen abhängt. In der Praxis muss die richtige Größe für KR noch gefunden werden. Auch die Nachstellzeiten Tn und die Vorhaltezeiten Tv variieren. Wie aus den kleineren Werten für die Nachstellzeit Tn zu entnehmen ist, gewichtet die T-Summen-Regel den Integralanteil des Reglers stärker als die Methode von Chien-Hrones-Reswick. Die etwas kleineren Werte für die Vorhaltezeit Tv bei der T-Summen-Regel weisen darauf hin, dass der Differentialanteil des Reglers hier weniger Bedeutung erhält als bei der Methode von Chien-Hrones-Reswick. Dies ist für träge Systeme, die in der chemischen Technik häufig anzutreffen sind, sicherlich zweckmäßig.
674
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Grenzen der Anwendung für Chien-Hrones-Reswick
Die Methode von Chien-Hrones-Reswick basiert auf dem Verhältnis der Ausgleichszeit Tg zur Verzugszeit Tu einer Sprungantwort eines Systems. Die in der Abbildung 26.11 dargestellten Sprungantworten zweier verschiedener Systeme besitzen scheinbar dieselbe Regelbarkeit, da Tg/Tu in beiden Fällen identisch ist. Es ist aber offensichtlich, dass das System rechts in der Praxis viel schwieriger zu regeln ist als das System links. Die Regelgröße x bewegt sich zu Beginn gar von der neuen Führungsgröße w weg, was den Regler zu falschen Eingriffen verleiten könnte. x
x
t Tu
Tg einfach regelbar
t Tu
Tg
schwierig regelbar
Abb. 26.11. Sprungantworten zweier Systeme mit gleichem Verhältnis Tg/Tu
26.7 Komplexe Regelsysteme Heiz-Kühlsystem
Die Proportionalbereiche XP für das Heizen und Kühlen können aneinander angrenzen (Abb. 24.1 oben), auseinander liegen (Abb. 24.1 mittig) oder sich überschneiden (Abb. 24.1 unten). Es ist beispielsweise zu beachten, dass bei einer Reglerausgangsgröße yR von 50 % in der Abb. 24.1 oben nur geheizt wird, in der Mitte weder geheizt noch gekühlt wird und unten sowohl geheizt als auch gekühlt wird. Die genauen Werte für die Heiz- und Kühlleistung sind der Tabelle 26.6 zu entnehmen.
26.7 Komplexe Regelsysteme
675
Tabelle 26.6. Heiz- und Kühlleistung bei einem Split-Range-Regler Reglerausgangsgröße yR 25 % oben 50 % oben 75 % oben 25 % mittig 50 % mittig 75 % mittig 25 % unten 50 % unten 75 % unten
Heizleistung y1 54 % 11 % 0% 28 % 0% 0% 62 % 37 % 0%
Kühlleistung y2 0% 0% 44 % 0% 0% 42 % 4% 25 % 69 %
pH-Regelung
Der pH-Wert gibt den Säuregehalt eines Wassers anhand der Konzentration von freien Protonen im logarithmischen Maßstab wieder. Es gilt § c( H + ) · ¸ pH = − log10 ¨¨ ¸ © mol / L ¹
(26.6)
Da der pH-Maßstab nicht linear, sondern logarithmisch aufgebaut ist, braucht es z.B. für eine Korrektur des pH-Werts von pH 11 auf pH 10 tausendmal mehr Säure als für eine Korrektur von pH 8 auf pH 7. Dies gilt, falls keine puffernden Säure-Basenpaare wirken. In der Nähe eines pHWerts von 7 führen bereits kleine Mengen von Säuren oder Laugen zu großen pH-Verschiebungen. Der Regler sollte also ein Verhalten aufweisen, das ausgehend von pH 7 progressiv verläuft. Ist der pH-Wert > 7, muss Säure zudosiert werden. Ist der pH-Wert < 7, muss Lauge zudosiert werden. Der Regler muss also zwei Stelleinrichtungen bedienen, die eine für die Säure und die andere für die Lauge. Geeignet ist deshalb ein SplitRange-Regler für Säure und Lauge mit einem nicht linearen, stark progressiven Übertragungsverhalten. Schnelligkeit von Hilfs- und Hauptregelkreis
Der Hauptregelkreis hat insgesamt größere Verzögerungen als der Hilfsregelkreis. Wäre er schneller, so würden unkontrollierbare Schwingungen auftreten.
676
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Parameter für Hilfs- und Hauptregelkreis
Hilfsregelkreis und Hauptregelkreis unterscheiden sich in den Anforderungen. Ein Hilfsregelkreis wird extra eingebaut, um den Einfluss von Störungen zu vermindern. Der Hilfsregelkreis wird deshalb auf ein gutes Störverhalten ausgelegt. Ein Hauptregelkreis will die Regelgröße der Führungsgröße nachführen. Störungen wirken sich hier auf die Regelgröße nur mit Verzögerung und in abgeschwächter Form aus. Der Hauptregelkreis wird deshalb auf ein gutes Führungsverhalten ausgelegt. Luft-Benzin-Mischung
Die Lambda-Zahl (Luftzahl λ) beeinflusst das korrekte Mischungsverhältnis im Verhältnisregler für Verbrennungsluft und Benzin. Der Wirkungsplan ist in der Abb. 26.12 gezeichnet. KM = λ konst.
Verhältnisregelung
λ - Messung
VL Luft Benzin
Motor
VB
Abgas
"Gaspedal"
Abb. 26.12. Wirkungsplan der Verhältnisregelung Luft-Benzin im Automotor
26.8 Prozessleittechnik Prozessleittechnik und konventionelle Regeltechnik
Bei der konventionellen Regeltechnik braucht jede Regelgröße einen eigenen Regler. Bei der Prozessleittechnik erfolgt die Regelung der verschiedenen Regelgrößen mit nur einem Rechner. Die Regelgrößen werden getaktet abgerufen. Daraus ergibt sich eine minimale Verzögerung von einigen Millisekunden, bis die Größen verarbeitet sind. Geht der Rechner kaputt, so sind mehrere Regelkreise betroffen. Die Vorteile der Prozessleittechnik sind die geringeren Kosten und die einfache Programmierung am Bildschirm.
26.8 Prozessleittechnik
677
Aufbau eines Prozessleitsystems
Die vier Ebenen eines Prozessleitsystems sind nicht wie die konventionelle Regeltechnik vertikal in Regelkreise gegliedert, sondern horizontal nach Gemeinsamkeiten in der Aufgabenstellungen geordnet. Die Ebenen und ihre Funktionen sind häufig auch örtlich getrennt. Die Tabelle 26.7 zeigt die vier Ebenen eines Prozessleitsystems, ihre Funktionen und mögliche Standorte. Tabelle 26.7. Funktionsebenen eines Prozessleitsystems Ebene Betriebsleitebene Prozessleitebene E/A-Ebene Feldebene
Funktion Schnittstelle Mensch-Computer Steuerung und Regelung Wandlung der Signale Schnittstelle Computer-Anlage
Standort Leitwarte, Arbeitsplatz Mensch Computerraum oder Schrank Vorraum der Anlage oder Schrank Chemieanlage, eventuell Ex-Zone
Darstellungs- und Eingriffsmöglichkeiten
Bei einem Prozessleitsystem wird ein Prozessablauf auf dem Bildschirm dargestellt mit Hilfe von Übersichts- und Gruppenbildern, Tabellen und Diagrammen. Eingriffsmöglichkeiten bestehen über Tastatur, Maus, Joystick, TrackPoint, TouchPad, Rollkugel oder Lichtgriffel in die Wahl der Rezeptur, die Sequenzsteuerung, die Reglerkonfigurierung und die Reglerparametrierung. Veränderliche Prozessgrößen
Dynamische Veränderungen können in Übersichts- und Gruppenbildern auf mannigfaltige Weise dargestellt werden. Es bestehen folgende Möglichkeiten: − − − − − −
Veränderliche Zahlenwertanzeige (z.B. „pH = 7“) Einblendung von Texten (z.B. „H2SO4 conc.“) Veränderliche Füllflächen (z.B. Füllstand in einem Stehtank) Farbänderungen (z.B. Wechsel von Schwarz auf Rot) Positionsänderungen (z.B. veränderte Lage von Hebeln, Lasthaken) Blinkende Symbole (z.B. „leerer Säurebehälter“)
678
26 Berechnungen und Antworten zu Teil IV
Maßnahmen bei Störungen
Je nach Ausmaß der Abweichung reagiert das Prozessleitsystem mit einer einfachen Registrierung, einer Störmeldung, einer Alarmierung, einem Prozesseingriff oder einem Anfahren der Software-Sicherheitsstellung (Not-Aus). Aktiver und passiver Fehler
Ein aktiver Fehler ist eine scheinbare Störung, die Alarm auslöst, aber nicht wirklich existiert. Fälschlicherweise wird der Sicherheitszustand angefahren. Ein passiver Fehler ist eine wahre Störung, die aber nicht erkannt wird und keinen Alarm auslöst. Der Sicherheitszustand wird fälschlicherweise nicht angefahren. Ein passiver Fehler ist in der Regel tragischer als ein aktiver Fehler. Redundanz
Redundanz bedeutet das doppelte Auslegen und Installieren von sicherheitsrelevanten Einrichtungen. Beispiele sind − − − −
Zweikreis-Bremssystem des Autos, Bargeld, Kreditkarte und Checks, Elektrische Sicherungen des Gebäudeanschlusses und eines Apparats, Inertisierung und Vermeidung von Zündquellen.
Software- und Hardware-Sicherheitsstellung
Die Software-Sicherheitsstellung wird vom Prozessleitsystem aktiv angefahren. Das Übergehen in einen sicheren Prozesszustand kann schonend erfolgen, sodass z.B. Zwischenprodukte später weiterverarbeitet werden können. Die Hardware-Sicherheitsstellung wird bei einem Ausfall des Prozessleitsystems ohne Hilfsenergie angefahren und erfolgt vergleichsweise abrupt. Das Hochfahren eines Prozesses aus der Hardware-Sicherheitsstellung ist aufwändiger, zeitraubender und kostspieliger als aus der Software-Sicherheitsstellung.
27 Literatur zur Regelungstechnik
Die folgenden Literaturangaben beziehen sich ausschließlich auf die Regelungstechnik, d.h. den Teil IV des Buchs. Literaturangaben zu den Prozessen der chemischen Verfahrenstechnik, d.h. zu den Teilen I-III des Buchs, finden sich am Ende der jeweiligen Kapitel.
27.1 Normenwerke [1] (1993) DIN 19'221, Regelungstechnik und Steuerungstechnik – Formelzeichen. Beuth, Berlin [2] (1994) DIN 19'226, Regelungstechnik und Steuerungstechnik. Beuth, Berlin, Teile 1-6 [3] (1993) DIN 19'227, Grafische Symbole und Kennbuchstaben für die Prozessleittechnik. Beuth, Berlin, Teile 1-4 [4] (1983) DIN 66'001, Sinnbilder für Datenfluss- und Programmablaufpläne (PAP). Beuth, Berlin
27.2 Lehrbücher [5] Blasinger F (1996) Regelungstechnik. 2 Aufl, JUMO Mess- und Regeltechnik, Stäfa [6] Lutz H, Wendt W (1998) Taschenbuch der Regelungstechnik. 2 Aufl, Harri Deutsch, Thun [7] Simic D, Hochheimer G, Reichwein J (1996) Messen, Regeln und Steuern. 2 Aufl, VCH, Weinheim [8] Merz L, Jaschek H (1996) Grundkurs der Regelungstechnik. 13 Aufl, Oldenbourg, München [9] Samal E (2000) Grundriss der praktischen Regelungstechnik. 20 Aufl, Oldenbourg, München [10]Schlitt H (1993) Regelungstechnik. 2 Aufl, Vogel, Würzburg [11]Hengstenberg J, Sturm B, Winkler O (1994) Messen und Regeln in der chemischen Technik. Springer, Berlin Heidelberg New York [12]Ignatowitz E (1997) Chemietechnik. 6 Aufl, Europa-Lehrmittel, HaanGruiten, Kap V, XII
680
27 Literatur zur Regelungstechnik
27.3 Fachaufsätze [13](1985) Abgastechnik für Ottomotoren. Robert Bosch GmbH, Stuttgart [14]Kuhn U (1995) Eine praxisnahe Einstellregel für PID-Regler: Die TSummen-Regel. Automatisierungstechnische Praxis (atp) 5:10-16 [15](1998) ESCIS Bulletin Nr.5, Prozessleitsysteme und Ereignisse zur Sicherheit computergesteuerter Anlagen. SUVA, Luzern [16]Kletz T (1995) Computer Control and Human Error. Institution of Chemical Engineers, Rugby GB
Sachverzeichnis
Abdampfen 399 Abgaskatalysator 578, 659 Abrasion 71 Absorption 332, 339 Abtriebsgerade 474, 565 Abtriebsteil 468 Achat 144 ACHEMA 9 Admiralitätslegierung 100 Adsorption 315, 511 Ähnlichkeit 21 Aktivität 407, 450 Aktivitätskoeffizient 450 Alitieren 81 Aluminium 92, 97, 179 Aluminiumbronze 101 Amplitudengang 606, 607 Analogien 347 Anlagenmodell 38 Anode 73 Anregelzeit 623, 625, 670 Anstiegsantwort 596, 663 Anticorrodal 97 Antoine 405, 447 Apparateschema 36 Äquivalentdurchmesser 203 Aramidfasern 121, 133 Archimedeszahl 160, 392, 554 Armaturen 204 Arrhenius 312, 342 Assmann 530 Aufgabengröße 576, 660 Auftreiben 387 Ausbeute 150, 179 Ausgleichsvorgänge 183 Ausgleichszeit 629, 635, 670 Ausregelzeit 624, 625
Austauschgrad 486 Austenit 90, 94 Autoinhibition 165 Autokatalyse 165, 546 Autoklav 154 Avional 97 Azeotropbildner 504 Azeotropie 453, 501 Azeotropwandler 504 Bachbildung 489, 492 Badger-McCabe 461 Balkendiagramm 50 Batchprozess 148 Baumann 70 Beharrungsverhalten 593, 600, 626 Belastungsgrenze 493 Benchmarking 6 Bernoulli 187, 355, 390 Beschichtung 79 Betriebskennlinie 207 Betriebsleitebene 650 Betriebsschema 36 Bilanzgerade 473, 474 Bingham-Plastizität 221 Bitumieren 83 Blasensäule 157 Blasensieden 409, 413, 417 Blasius 202 Blei 103 Bleiglas 117 Blockschema 34 Bode-Diagramm 607, 665 Bodenkolonne 156, 484 Borsilikatglas 118 Boudouard-Gleichgewicht 88 Brinell 68
682
Sachverzeichnis
Bronze 100 Brown’sche Bewegung 377, 389 Bruchspannung 63 Brüden 400 Brüdenverdichtung 420 Brünieren 82 Buckingham Π-Theorem 30, 176, 263, 321 BUNA 139 Burn Out 410, 413, 556 Butylkautschuk 140 CAD-3D-Grafik 39 CAVE 40 Chargenbetrieb 148 CHAZOP 654 Chen-Othmer 309 Chien-Hrones-Reswick 635, 673 Chilton-Colburn 490 Chrom 92 Chromatieren 82 Clausius-Clapeyron 330, 403, 555 Colburn 323 Colebrook 202 CW-Wert 193, 357 Dalton 440 Damköhlerzahl 29, 339 Dampf 287, 297, 402 Dampfbelastungsfaktor 496 Dampfdruckkurve 402, 427, 444 Dampfgeschwindigkeit 493 Dampfstrahlverdichter 420 Danckwerts 333 Dauerstandfestigkeit 64 Dauerwechselfestigkeit 64 Dekanter 505 Dephlegmator 434, 498 Destillation 439, 560 Differentialregler 615 Differentialverhalten 601 Diffundieren 81 Diffusion 306, 307, 368, 377, 428 Diffusionskoeffizient 309 Dilatanz 219
Dimensionslose Kenngrößen 25, 262, 320 Dispergierung 378 Distex-Verfahren 503 Doppelrohr 155, 291 Drahtmodell 38 Dreilaufregler 620 Dreipunktregler 620, 668 Dreipunktschrittregler 620 Dry Out 414, 415 Dünnschichtverdampfer 418 Duroplaste 122, 134 E/A-Ebene 650 Edelmetalle 73, 79, 108 Eindampfen 399 Einheitsoperationen 5, 374 Einstein 233, 236, 394 Eisen 88 Elastizität 217 Elastizitätsgrenze 61 Elastomere 123, 136 Elektrographit 120 Elektrostatik 547 Eloxieren 82, 97 Email 82, 118, 179 Emissionsfaktor 237 Energieerhaltungssatz 234 Epoxidharze 123, 135 Erosion 71 Erosionskorrosion 77, 86 Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk 140 Ethylentetrafluorethylen 131 Eulerzahl 28, 349 Eutektikum 91, 543 Eutektoid 91 Extraktion 327 Fachorganisationen 8 Fallfilmverdampfer 214, 418 Fanning Friction Factor 202 Farbencode 38 Feldebene 651 Fenske 482 Ferrit 90, 94
Sachverzeichnis Festbett 276, 324 Festigkeit 59 Feuchtegehalt 522 Feuchtigkeitsbindung 516 Feuchtkugeltemperatur 531 Feuerfeste Steine 113 Feuerverzinken 80, 81, 104 F-Faktor 496 Fick’sches Gesetz 307, 313, 316 Filmkondensation 428 Filmsieden 411 Filmströmung 210, 429 Fittinge 204 Fließbett 158, 539 Fließgrenze 221 Fließschema 34 Flockung 389 Flotation 387 Flüchtigkeit 442, 453 Fluorethylenpropylen 131 Fluorkautschuk 141 Fluorsilikone 142 Flussdiagramm 652 Flutpunkt 493 Folgeregler 642 Formänderungsarbeit 63 Formfaktor 393 Fourier 243, 248, 254, 257 Frequenzgang 605, 606 Frischen 89 Froudezahl 28, 158, 160 Fugazität 453 Fugazitätskoeffizient 453 Führungsgröße 576 Führungsregler 642 Führungsverhalten 588, 623, 669 Füllkörper 176, 436, 487 Füllkörperkolonne 156 Funktionsblock 582 Galvanisieren 81 Gantt-Diagramm 50 Gasblasenkolonne 157 Gay-Lussac 29 Gefriertrocknung 516, 542 Gegenstrom 148, 284, 423, 534
683
Gepackte Kolonne 157, 436, 491 Gibbs-Duhem-Margules 451 Gilliland-Diagramm 482 Glas 115 Glasfasern 118, 123 Glaskeramik 118 Gleichgewichtslinie 470 Gleichstrom 148, 283, 423, 534 Glühfarbe 236 Gold 109 Granit 144 Grashofzahl 29, 263 Grauguss 95 Grenzschichten 350 Griechisches Alphabet 15 Grigull 432 Grundfließbild 34 Grundoperationen 5, 33, 373 Grünspan 99 Gummieren 83 Gusseisen 89, 95 Güteziffer 63 Guttapercha 139 Hagen-Poiseuille 198, 202 Handregelung 579, 588, 661 Härte 66 Härter 122 Hartlot 76 Hastelloy 102, 105 Hattazahl 29, 338 Hauptausführung 21 Hauptregler 642, 675 Hebelgesetz 445, 528, 570 Henry 329 Hermann 202 HETS 489 Higbie 332 Hilfsregler 642, 675 Hochfrequenztrocknung 515 Holz 142 Homochronzahl 29 Homogenisieren 378 Hooke’sches Gesetz 60, 217 Hordentrockner 535 HTU 491
684
Sachverzeichnis
Hydraulischer Durchmesser 203, 211 Hygroskopische Güter 517 ILMAC 10 Impulsantwort 596, 663 Impulskraft 214, 361 Inbetriebnahme 45 Inchromieren 81 Incoloy 102 Inconel 102 Induktionstrocknung 515 Induktionszeit 547, 548 Inertgase 428 Inhibitoren 86 Inoxidieren 82 Integralregler 614 Integralverhalten 600 Isometrische Zeichnung 39, 40 Isoprenkautschuk 139 ITAE-Verfahren 628 IZOD-Probe 65 Kalrez 141 Kaltfluss 131 Kalzinieren 517 Kapazität 150 Kapillarflüssigkeit 517 Karman’sche Wirbelstraße 390 Kaskadenregelung 641 Kassatkin 460 Katalyse 337, 339 Kathode 73 Kautschuk 136 Kavitation 71, 210 Keramiken 110 Keramische Auskleidung 82 Kern der Strömung 259 Kevlar 121, 133 Kirchhoff’sches Gesetz 234, 238 Knoop 68 Knudsen-Fluss 544 Kobalt 93, 102 Kohlenstofffasern 121 Kolonne 156 Kondensatoren 434
Kondensieren 427, 511, 558 Konnoden 445, 448 Konstantan 100 Konstruktion 84 Kontaktabstand 620 Kontaktkorrosion 76, 97 Kontinuitätsgleichung 185, 355 Konvektion 233, 259, 306, 317, 377 Konzentrationsdifferenz 335 Konzentrationsgrenzschicht 318 Korrosion 71, 75, 178 Korrosionschutz 78 Kreuzstrom 148, 285, 535 Kriechen 64, 97, 103, 131 Kristallglas 117 Kristallisation 399, 417, 419, 424 Kritischer Punkt 402 Kühlgrenzlinie 530 Kühlgrenztemperatur 519, 526, 529, 567 Kunstkohle 120 Kunststoffe 121, 179 Kupfer 92, 99 kv-Wert 361 k-Wert 279 Kybernetik 575 Lackieren 83 Lambert’sches Cosinusgesetz 242 Le Châtelier Prinzip 330 Ledeburit 91 Leerrohrgeschwindigkeit 493 Lehm 111 Leichtmetalle 97 Leidenfrost-Phänomen 411 Leistung 150 Leitbleche 292 Leitermethode 288 Lewiszahl 343 Lignin 143 Liner 124 Lochfraß 76, 79, 86, 104, 179 Lokalelemente 76 Mäanderströmung 214 Magerungsmitteln 112
Sachverzeichnis Magnesium 98 Mammutpumpe 413 Managementteam 46 Mangan 93 Manganbronze 101 Martens 67 Martensit 91, 94 Maßeinheiten 11, 175 Massenbilanz 560 Maßstabsvergrößerung 21 McCabe-Thiele-Diagramm 448, 473, 499 Mehrstufenverdampfung 421 Meilensteine 44 Melaminharz 135 Melpolder-Headington 443 Messeinrichtung 589 Messing 100 Messwarte 574, 648 Metalle 299 Mikrowellentrocknung 515 Milchglas 118 Mineralöle 299 Mischen 377, 553 Modell 21 Mohs’sche Härteskala 67 Mollier-Diagramm 524, 567 Molybdän 92, 106 Monel 102 M-Zahl 160 Nachstellzeit 614 NAMUR 654 Nassdampf 402, 444, 448 Naturkautschuk 136 Naturstoffe 142 Naturumlauf 419 Nebelgebiet 525 Neopren 140 Nernst’sche Gleichung 85 Nernst’sches Verteilungsgesetz 326, 371 Netzplantechnik 50, 177 Neusilber 101 Newton’sche Flüssigkeit 192, 218 Newton’scher Wärmeübergang 261
685
Newtonzahl 382, 553 Nickel 92, 101 Nickelbronze 100 Nikuradse 202 Nimonic 102 Niob 92, 105, 106 Nitrilkautschuk 139 Not-Aus 656, 678 NPSH-Wert 210 NTU 490 Nusselt’sche Wasserhauttheorie 430 Nusseltzahl 28, 264 Nyquist-Diagramm 608, 664, 665 Oberflächenerneuerungstheorie 333 Oberflächenspannung 415 Oberflächenverdampfung 417, 418 Omegazahl 160 Opferanode 85 Ostwald 220 Parallelstrom 424 Parametrierung 617 Partialdruck 440 Patina 99 PD-Regler 616 Pech 83 Penetrationstheorie 332, 468 Perfluoralkoxy 131 Perfluorkautschuk 141 Perlit 91 Pflichtenheft 43 Phasengang 606, 607 Phenolharz 134 Phosphatieren 82 pH-Wert 85, 675 PID-Regler 617, 672 Pi-Größen 30 PI-Regler 614 Planck’sches Strahlungsgesetz 235 Planung 33 Plastizität 217, 221 Platin 109 Plattieren 80 Plexiglas 132, 179
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Sachverzeichnis
Poise 192 Poisson-Zahl 61 Poldi 70 Polpunkt 529 Polyacetal 132 Polyamid 132 Polyaramid 121, 133 Polybutadien 139 Polycarbonat 132, 179 Polychloropren 140 Polychlortrifluorethylen 131 Polyester 123, 135 Polyetherimid 133 Polyethersulfon 133 Polyethylen 130 Polyimid 133 Polymere 121 Polymethacrylsäuremethylester 132, 179 Polyolefine 130 Polyoxymethylen 132 Polyphenylenether 133 Polyphenylenoxid 133 Polyphenylensulfid 133 Polypropylen 130 Polystyren 130 Polysulfon 133 Polytetrafluorethylen 131 Polyurethan 135 Polyvinylchlorid 131 Polyvinylfluorid 131 Polyvinylidenfluorid 131 Porzellan 113 Prandtl 200, 202 Prandtlzahl 265 P-Regler 613 Programm-Ablauf-Plan 653 Projektierung 21, 176 Projektleiter 49 Projektmanagement 41 Projektorganisation 46 Projektphasen 41 Proportionalbereich 613, 666 Proportionalregler 613 Proportionalverhalten 595 Protokolle 651
Prozessleitebene 650 Prozessleittechnik 647, 676 Prozessschema 34 Pseudoplastizität 219 Psychrometer 530, 567 Pufferzeit 54 Pumpenkennlinie 207 Qualifizierung 45 Quarzglas 119 Randgängigkeit 489, 492 Raoult 406, 440, 450 Rauhigkeit 201 Rayleigh-Gleichung 458 Rayleighzahl 267 Reaktion 336, 507 Reaktionstechnik 147, 179 Reaktivdestillation 507 Reaktoren 152, 160 Redox-Gleichung 74 Redundanz 654, 678 Regelbarkeit 629, 664, 670 Regeldifferenz 576, 624, 666 Regeleinrichtung 587, 661 Regelflächen 626, 671 Regelglied 589 Regelgröße 576, 660 Regelgüte 623, 669, 670 Regelkreis 586, 588 Regelstrecke 587, 661 Regelsystem 587 Regelung 573, 575, 586 Regeneratoren 290 Regler 589, 611, 666 Reglerausgangsgröße 576 Reglerverstärkung 613 Reibung 187, 190 Rektifikation 314, 467, 563 Rekuperatoren 283, 290 Relative Feuchtigkeit 523 Relative Flüchtigkeit 442, 452 Ressourcenplanung 49 Reynoldszahl 28, 263, 381, 429, 434 Rheologie 216, 363
Sachverzeichnis Rheopexie 223 Rieselfilm 428 RI-Schema 36 Robertverdampfer 419 Rockwell 69 Rohranordnungsfaktor 273 Rohrbündel 269, 292, 418, 435, 558 Rohrkrümmer 361 Rohrleitungseinbauten 204, 360 Rohrleitungsmodell 38 Rohrreaktor 155, 166, 169, 180 Rohrreibungszahl 201, 269 Rohrströmung 196, 358 Rohrwendel 270 Rose 442, 561 Rotguss 100 Rotorverdampfer 418 Rücklauf 469 Rücklaufverhältnis 473, 478 Rücksprunghärteprüfung 70 Rühren 377, 553 Rührertypen 378 Rührkessel 153, 165, 167, 170, 180, 274, 287, 379, 417, 553 Rührkesselkaskade 171 Salzschmelze 299 Sattdampf 402 Sättigungslinie 525 Säule 156 Scale-Up 24 Schaltdifferenz 618 Scheinbare Masse 388 Scheinvorgang 55 Scherrate 190 Scherverdickung 219 Scherverdünnung 219 Schichtenmodell 262, 318, 320 Schleppmittel 503 Schlünder 468 Schmidtzahl 321 Schnittpunktsgerade 476 Schubspannung 60, 190 Schüttschicht 276 Schutzschicht 73 Schwärzegrad 237
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Schwermetalle 99 Schwimmender Kopf 292 Scope 43 Sedimentator 395 Sedimentieren 387, 554 Selbsttätige Regelung 588 Selektivität 150, 179 Sherardisieren 81 Sherwoodzahl 28, 321, 369 Shore 69, 71 Sicherheitsstellung 656, 678 Siedediagramm 447 Siedekeime 409 Siedelinie 444, 448 Siedepunktserhöhung 406, 415, 557 Siedeverzug 409, 416 Signalflussplan 581 Silafont 97 Silber 108 Silikone 141 Sinusantwort 596, 664 SI-System 11 Sole 299 Sollwertabweichung 624, 625 Sondermetalle 104 Sorptionsisotherme 518, 545 Spaltkorrosion 77 Spannung 60, 84 Spannungsrisskorrosion 77, 125 Sphärizität 393 Sphäroguss 95 Split-Range-Regelung 639, 675 Spongiose 76 Sprödigkeit 66 Sprühgranulatoren 539 Sprühtrockner 539, 546, 547 Sprungantwort 595, 596, 666 Stahl 88, 89, 92, 178 Stahlguss 94 Standardbedingungen 72 Stande 153 Statische Mischer 383, 553 Staudruck 204 Staupunkt 493 Stefan’scher Verdrängungsstrom 316, 317, 325
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Sachverzeichnis
Stefan-Boltzmann’sches Gesetz 236 Steifigkeit 61 Steine 144 Steingut 112 Steinzeug 112 Stelleinrichtung 589 Steller 589 Stellglied 589 Stellgröße 576 Stellit 81, 102 Steuereinrichtung 585 Steuerkette 584 Steuerstrecke 585 Steuersystem 585 Steuerung 575, 584, 652 Steuerungsausschuss 48 Stoffbilanz 163, 560 Stoffdurchgang 325 Stoffdurchgangskoeffizient 329 Stofftransport 305, 368 Stoffübergangskoeffizient 319 Stoffumwandlung 3 Stokes 192, 198, 391 Störgrößen 576 Störgrößenaufschaltung 586 Störverhalten 588, 625, 669 Stradivarizahl 26 Strahlung 232, 233, 364, 411, 515 Strahlverdichter 208, 420 Strangaufweitung 223 Strass 117 Streckenverstärkung 597 Streckgrenze 62 Strombrecher 153, 274, 380 Strömungsformen 211 Strömungsführung 148, 283 Strömungsgrenzschicht 318 Strömungslehre 185, 355 Strukturierte Packung 436, 491 Strukturumschaltung 617 Strukturviskosität 219 Styren-Butadien-Kautschuk 139 Sublimationstrocknung 516 Sumpf 400 Suspendieren 378 SWOT- Analysis 6
Taktzeit 148, 151 Tantal 92, 105, 107 Taulinie 444, 448 Taupunkt 427, 526, 544, 567 Teilstrom 148 Temperaturdiagramm 447 Temperaturdifferenz 286 Temperaturgrenzschicht 318, 408 Temperguss 95 Thermokompression 420 Thermoplaste 122, 127 Thixotropie 222 Titan 92, 98 Toleranzbereich 623 Tombak 100 Ton 111 Tongut 111 Tonzeug 112 Torricelli 188, 356 Totzeit 623, 669 Totzeitverhalten 603 Trägerdampfdestillation 460 Transformationstemperatur 115 Trennfaktor 442 Trennstufenzahl 481 Tripelpunkt 402 Trockenspiegel 513, 520 Trockner 534 Trocknung 315, 345, 511, 567 Trocknungsabschnitt 519 Trombe 380 Trouton’sche Regel 404, 471, 555 T-Strom 286 T-Summen-Regel 636, 673 Turbulenzballen 259, 317, 377 Turm 156 Überschwingweite 624, 625 Überströmlänge 271 Übertragungsfaktor 597 Übertragungsverhalten 593, 663 Umrechnungen 15 Umsatz 150, 179 Underwood 479 Vagabundierende Ströme 85
Sachverzeichnis
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Validierung 45 Van Laar 451 Vanadium 93 Ventile 205, 361 Venturi-Rohr 226, 355, 420 Verbundwerkstoff 119, 121, 123 Verdampfen 399, 514, 555 Verdampfer 417 Verdunsten 315, 399, 514, 567 Verfahrensfließbild 34 Verfahrenstechnik 4, 175 Vergleichsglied 589 Vergrößerungsfaktor 21 Verhältnisregelung 643, 676 Verschleiß 71 Verstärkungsgerade 471, 565 Verstärkungsteil 468 Verstärkungsverhältnis 486 Verweilzeitverteilung 169 Verzögerungsverhalten 598 Verzugszeit 629, 635, 669 Verzunderung 71, 93 Vickers 68 Viskoelastizität 218, 223 Viskosität 176, 190, 218 Viton 141 Vorhaltezeit 616 Vulkanisieren 136
Wasserstoffbrückenbindung 452 Wasserstoffversprödung 77, 85, 86, 98, 99 Watt’scher Fliehkraftregler 577, 662 Weberzahl 28, 158 Weißblech 76, 79, 104 Weissenberg- Effekt 224 Weißrost 97 Werkstoffe 59, 79, 87, 178 Whitman-Lewis 326 Widerstandsbeiwert 193, 204 Wiedemann-Franz’sches Gesetz 99 Wien’sches Verschiebungsgesetz 236 Wilke-Chang 310 Wirbeldiffusion 377 Wirbelschicht 277, 538, 546 Wirbelschichtreaktor 158, 181 Wirbelsintern 83 Wirbelwiderstand 193 Wirbelzähler 390 Wirkungsablauf 584 Wirkungslinie 582 Wirkungsplan 581, 660 Wirkungsweg 584 Wöhler-Kurven 64 Wolfram 93, 107
Wandrauhigkeit 201 Wärmebilanz 289 Wärmedurchgang 277 Wärmeeindringzahl 251 Wärmeleitung 232, 243, 365, 514 Wärmerohr 295 Wärmestromdichte 246 Wärmeträger 297 Wärmeübergang 367, 429 Wärmeübertrager 290 Wärmeübertragung 231, 342, 364 Wasser 297 Wasserdampfbeladung 522 Wasserdampfdestillation 461, 562 Wasserdampftafel 297 Wasserhauttheorie 430 Wasserspiele 45
Zähigkeit 66 Zeitplanung 49 Zeitverhalten 593 Zellulose 142 Zementit 91 Zentrifugation 394 Zerstäubung 30 Zerstäubungstrockner 539 Ziegler-Nichols 634, 671 Zink 80, 104 Zinn 104 Zinnbronze 100 Zinnpest 104 Zirkaloy 106 Zirkonglas 117 Zirkonium 105, 106 Zuber-Vishnev 410
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Sachverzeichnis
Zugfestigkeit 62 Zusammensetzungsdiagramm 448 Zwangsumlauf 419
Zweifilmtheorie 326, 371, 468, 489 Zweipunktregler 587, 618, 667 Zwickelflüssigkeit 516