Vollrath Hopp
Grundlagen der chemischen Technologie
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Vollrath Hopp
Grundlagen der chemischen Technologie
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Vollrath Hopp
Grundlagen der chemischen Technologie fur Studium und Berufsbildung Vierte, vollstandig uberarbeitete und erweiterte Auflage
unter Mitarbeit von Dip1.-Ing. G. Loos, Dip1.-Chem. 1. Henning Chem. Techn . F. Merz 7 Dip1.-Ing. E. Stiirz t
@WILEY-VCH Weinheim . New York . Chichester . Brisbane Singapore .Toronto
Professor Dr.-Ing. Vollrath Hopp. Universitat Rostock Odenwaldring 3 I D-63303 Dreieich
Das vorliegende Werk wurde sorgfaltig erarbeitet. Dennoch ubernehmen Autor und Verlag fur die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlagen sowie fur eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Einbandgrafik und Zeichnungen vor den Kapiteln: Vohdth Hopp, Jr., Berlin Anfertigung der FlieBbilder und Schemata: Arnim Beck
Die Deutsche Bibliothek
- CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titeldatensatz fur diese Publikation 1st bei Der Deutschen Bihliothek erhaltlich ISBN 3-527-29998-X Gedruckt auf slurefreiem Papier
0WILEY-VCH Verlag GrnbH, D-69469 Weinheirn (Federal Republic of Germany), 2001 Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie. Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache ubertragen oder ubersetzt werden. Die Wiedergabe von Warnbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme daB diese von jedermann frei benutzt werden durfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschutzte Kennzeichen handeln, wenn sic nicht eigens als solche markiert sind. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprint, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Registered names, trademarks, etc. used in this book, even when not specifically marked as such, are not to be considered unprotected by law. Satz und Druck: Zechner Datenservice und Druck, D-67346 Speyer Bindung: Wilh. Osswald, D-67433 NeustadUWstr. Printed in the Federal Republic of Germany
Gewidmet : Max Hopp ( I 999),Freiburg, Lea Hopp (1992),Berlin
Zum Geleit der ersten Auflage 1978
Die chemische Technologie wird oft als Bindeglied zwischen Chemie und Maschinenbau verstanden. Aber ist sie nicht eher als ein Instrument im Konzert der Natur- und Ingenieurwissenschaften zu verstehen? So, wie ein Musikstuck, das fur das Ohr harmonisch klingen soll, gleichen Takt und aufeinander abgestimmte Instrumente voraussetzt, so kann ein chemisches Produkt nur dann reproduzierbar hergestellt werden, wenn die Produktionsanlage in ihrem technischen Ablauf auf den chemischen Reaktionsablauf abgestimmt ist. Chemisches, physikalisches und ingenieurtechnisches Wissen im weitesten Sinne mussen dabei standig prasent sein und eingesetzt werden.
Die chemische Technologie ist ein Paradebeispiel fur das Teamwork der Wissenschaften; ihre Anwendung setzt aber gleichermaBen ein Teamwork kooperationswilliger Mitarbeiter voraus, die bereit sind, Erkenntnisse und Wissen sowohl zu erarbeiten als auch weiterzugeben. Dam gehort ein Ausbildungswesen, das die Grundlagen all denen vermitteln soll, die sich Wissen aneignen wollen. Ein Hilfsmittel dabei soll das vorliegende Buch sein, dem man nur wunschen kann, ebenso zu einem Instrument im Zusammenspiel der Lehrenden und Lernenden zu werden, wie es die chemische Technologie bei dem der verschiedenen Disziplinen der Naturwissenschaften ist. Professor Dr. rer. nat. Dr. rer. nat. h. c. Klaus Weissennel
Vorwort zur vierten Auflage
Nachdem die dritte Auflage seit einem Jahr vergriffen ist, ist es an der Zeit, eine neue Auflage vorzustellen. Wie auch die vorangegangenen Auflagen richtet sich dieses Lehrbuch mit dem Titel ,,Grundlagen der chemischen Technologie fur Studium und Berufsbildung" an die praxisorientierten Berufe der chernischen Produktion und in den Laboratorien sowie an technische und Ingenieurberufe. Doch auch die Kaufleute vom Vertrieb und der Beschaffung sollen sich durch dieses Lehrbuch angesprochen fuhlen. Die Menschen in einem Chernieunternehrnen mussen so zusammenarbeiten, wie die Mitglieder eines Orchesters zusammen spielen. Jedes Mitglied und jeder Mitarbeiter ist gleich wichtig. Alle miissen in einem Team die gleiche Sprache sprechen. Stoff-, Energie-, Informations- und Kapitalstrome hangen miteinander zusamrnen und mussen gut aufeinander eingestimrnt sein. Das ist eines der Geheimnisse eines erfolgreichen Chernieunternehmens. Deshalb richtet sich dieses Buch auch an die Finanzexperten und Manager, die die Stoffe, Energien und Informationen zu bewerten haben. Nun kann man sagen, wer versucht, einen Personenkreis mit so unterschiedlichen Interessen und Aufgaben anzusprechen, spricht niemanden richtig an. Hier liegt auch die Schwierigkeit moderner Lehrbucher, namlich die geeigneten Themen auszuwiihlen und diese in einer verstandlichen nichtakademischen Sprache zu erlautern. Expertenwissen wieder zu einer Ganzheit zu bundeln, mu8 das Ziel einer modernen Berufsbildung sein. Diese neue Auflage setzt sich aus acht Teilen zusammen: I I1
Chemische Grundlagen Physikalische Grundlagen 111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten IV Grundlagen der Maschinenkunde in der chernischen Technik V Grundoperationen VI Grundlagen der Arbeitssicherheit VTI Verhalten von Stoffen im Nanobereich VIII Anhang
Teil I umfaBt urn die Reaktionskinetik und die einfachen Grundlagen der Thermodynamik, um die Bedeutung der Energie besonders hervorzuheben. Den Abschlu8 bildet ein Abschnitt uber vergleichbare mathematische Funktionen in Natur und Technik. In Teil I1 werden die Thernen Wiirmelehre, Elektrizitatslehre, Elektrolyse und Disperse Systeme ausfiihrlich behandelt. In Teil I11 werden wichtige Prozesse zur Herstellung von chemischen Massenprodukten beschrieben. Wegen ihrer besonderen Bedeutung werden in der vorliegenden Auflage die Oxoverbindungen sowie Farbmittel, Farbstoffe und Pigmente intensiv beriicksichtigt. Das Kapitel ,,Chemie und Umwelt" unterstreicht den Entsorgungsaspekt in der chemischen Produktion und will den lernenden Leser fur die aktuelle Umweltproblernatik sensibilisieren. Ein umfangreiches Kapitel irn Teil 111 nehmen die Stoffkreislaufe des Wassers, des Kohlenstoffs, Stickstoffs, Phosphors, Sauerstoffs, Schwefels, Wasserstoffs und Chlors ein. Es sind diejenigen Elemente, die die groBe Produktionspalette der Chemiewirtschaft ausrnachen. Es sind aber zugleich auch die Elemente, die maBgeblich am Aufbau der biologischen Systeme, einschlieBlich des Menschen, beteiligt sind. Chemische Industrie, chemische Forschung und die Chemie der Natur sind nichts Gegensatzliches. Das hohe Bevolkerungswachstum zwingt uns dazu, die Chemie der Technik und die der Natur als Erganzung zu begreifen. Dieses Umdenken ist in vollem Gange und wird noch manche Produktionsverfahren verandern. Eine Chernieanlage ist ohne geeignete Maschinen, Gerate und Apparaturen nicht vorstellbar. Oft ist es schwierig, die entsprechenden Werkstoffe zu finden, um die gewunschten chemischen Reaktionen kontrolliert ablaufen zu lassen. Dem Teil IV ist sornit das Kapitel ,,Werkstofflcunde - eine Einfiihrung" hinzugefugt worden. Teil V wird durch das Therna ,,Grundoperationen" charakterisiert. Mit diesem Thema sol1 die Vielfalt der Prozesse in der chemischen Fabrik, die weniger chemischer, sondem mehr physikalischer und rnechanischer Natur ist, transparent
VlIl
Vorwort zur vierten Auflage
gernacht werden. Es wird gezeigt, daB das Prinzip vieler Grundoperationen den Kuchen in den Haushalten abgeguckt worden ist. Teil VI ,,Grundlagen der Arbeitssicherheit" beriicksichtigt in der vorliegenden Uberarbeitung neben den Grundlagen die rnodernen SchutzrnaBnahrnen und die aktuellen Gesetze. Teil VII skizziert kurz die Eigenschaftsveranderungen von Stoffen irn Nanobereich. Eine Auflockerung erfZhrt die vierte Auflage durch viele neue Skizzen, Abbildungen und FlieBschemata, die dern Leser auf einen Blick das Wesentliche vermitteln. Vorangestellt ist wieder die Landkarte der Chemiestandorte Deutschlands (s. S. 3). Sie sol1 u.a. auch auf die Bedeutung der Chemieregion zwischen Saale und Elbe hinweisen. Statt der Werkfotos vor den einzelnen Teilen sind Skizzen eines jungen Kunstlers eingefugt worden, die das geistige Wesen eines technischen Prozesses eingefangen haben. Technik ist nicht nur rationale Nuchternheit, Technik ist auch kunstlerische Phantasie und kulturelle Innovation.
Ein Lehrbuch vollig allein zu schreiben und herzustellen ubersteigt in einer Zeit der spezialisierten Arbeitsteilung das Vermogen des Autors. Viele helfende Menschen wirkten mit. Allen danke ich an dieser Stelle fur ihre Hilfsbereitschaft herzlich. Fur das sorgfaltige Anfertigen von Typoskripten der iiberarbeiteten Kapitel bedanke ich mich bei der Textverarbeiterin Frau Marlene Weber. Herm A. Beck danke ich fur die viele Miihe, die er fur die Zeichnungen aufgewendet hat. Auch den Freunden und Kollegen aus vielen Chernieunternehrnen sei aufrichtig Dank gesagt fur die zahlreich erhaltenen Informationen. Erst diese Informationen rnachten es rnoglich, aus einern klassischen Chernielehrbuch ein Buch der Chernischen Technologie fur die Berufsbildung und Praxis werden zu lassen.
Universitat Rostock Februar 200 1
Vollrath Hopp
Einfuhrung - Was sind die Grundlagen einer naturwissenschaftlichenBerufsbildung?
Eine Analyse der Buchthemen auf dem Markt der Lehrbiicher ergibt, dal3 das umfangreiche Angebot sich vorwiegend an zwei groBe Leserkreise wendet. Das sind die Schuler der allgemeinbildenden Schulen einschliel3lich der Berufsschulen einerseits und die Studenten der Universitaten andererseits. Die immer zahlreicher werdende dritte Gruppe der Techniker und Ingenieure von den Fachund Fachhochschulen und der Berufstatigen aus der Industrie und dem Handwerk, die uber Weiterbildungskurse zusatzliche Berufsqualifikationen erwerben wollen, wird kaum angesprochen. Es handelt sich bei diesem Personenkreis um Menschen, die den Zugang zu den Ingenieurund Naturwissenschaften uber anwendungsorientierte Fragen und Probleme gewinnen. Ihr Bildungsweg fuhrt vom Spezialproblem und Detailwissen zu den allgemeinen Gesetzen der Naturund Ingenieurwissenschaften, in die alle Spezialkenntnisse eingebettet sind. Hierin besteht eine wichtige didaktische Herausforderung fur Biicher zur Einfiihrung in die Grundlagen der angewandten Natur- und Ingenieurwissenschaften . Eine zweite wichtige didaktische Forderung ist eine gut verstandliche Sprachfomulierung der Probleme, ihrer Erlauterungen und konsequenten schrittweisen Herleitung von Losungsmoglichkeiten. Die ausgewiihlten Themen behandeln vorwiegend die allgemeinen Grundlagen der angesprochenen Fachgebiete und weniger die detaillierten Spezialfragen. Damit wird bewul3t auf die Bedeutung des Grundlagenwissens in der beruflichen Bildung hingearbeitet. Das Spezialwissen mul3 von Fall zu Fall am Arbeitsplatz envorben werden. Mit diesem Lehrbuch sol1 das interdisziplinare Denken und Arbeiten gefordert und ausgelost werden . Faktenwissen ist die eine Saule der Berufsqualifikation. Dieses Wissen in die Systeme der Technik und Natur einzuordnen, um Prozesse in der Technik und der Natur zu erkennen und zu verstehen, ist die zweite Saule der Berufsqualifikation. Durch sie wird Berufsqualifikation erst
zur Berufsbildung und somit zu einem erganzenden Bestandteil der allgemeinen Bildung . Beobachten, Vergleichen, Messen, Interpretieren und SchluBfolgerungen ziehen sind die Schlusseltatigkeiten eines Meisters, Technikers, Ingenieurs und Wissenschaftlers. Um immer wieder nachvollziehbar und reproduzierbar vergleichen zu konnen, miissen die Fahigkeiten des Messens und Rechnens gut beherrscht werden. Grundkenntnisse in Mathematik sind eine wichtige Voraussetzung, um Vorgange in der Technik und der Natur beschreiben und beurteilen zu konnen. Die behandelten Themen wenden sich dem Stoff, den Prozessen und Methoden, durch die er bearbeitet und verarbeitet wird, und den Apparaten und Geraten zu, die zu einer Stoffumwandlung notig sind. Stoff- und Energiestrome, ihre Wechselwirkungen sowie die dazu erforderlichen Behaltnisse und Transporteinrichtungen bestimmen die komplexen Systeme der Technik und der Natur.
Fachiibergreifendes Denken In erster Linie wendet sich dieses Buch an Menschen, die in unserer technischen Welt mit dem Stoff zu tun haben. Damit ist die Stoffgewinnung, Stoffaufbereitung, der Stoffumsatz, die Stoffreinigung und die Weiterverarbeitung von Stoffen zu Nutzungs- und Gebrauchsgutern gemeint. Stoffe und deren Umwandlungen sind komplexe Systeme. Ein breites Grundlagenwissen ist notig, um die Stoffumwandlungen in der Natur und die in der industriellen Welt zu verstehen. Gesetze aus Teilgebieten der allgemeinen Natur- und Ingenieurwissenschaften mussen fachubergreifend miteinander verknupft werden, um die unterschiedlichsten mit dem Stoffumsatz verbundenen Probleme zu losen (Abb .I ) . Warum werden immer wieder neue Lehrbucher geschrieben? Nicht deshalb, wed das Wissen veraltet und durch neues Wissen ersetzt oder ergiinzt werden muB. Das gilt fur manche Spezialgebiete, aber nicht fur die Grundlagen der Natur- und Ingenieurwissenschaften.Die Gesetze uber die Vorgange in der Natur und Technik
X
Einfuhrung
Abb. 1. Der Energie- und Stoffumsatz und seine fachubergreifenden Arbeitsgebiete.
andern sich nicht. Es andern sich die jeweiligen Aspekte, unter denen sie angewendet werden, bzw. die Phanomene und Fragestellungen. Die Fahigkeit, bekannte Gesetze auf neue Erscheinungen zu ubertragen, mu8 geubt und gelehrt werden. Das ist eine weitere Forderung an moderne Lehrbucher. Nicht alles kann ausgebildet oder studiert werden, was spater warend der Berufsausiibung gefordert wird. Fur die Berufsschulen, Technikerschulen und auch fur die Hochschulen heiRt das, technisches und naturwissenschaftliches Denken und Arbeiten wahrend der Ausbildung bzw. des Studiums auf einer breiten fachubergreifenden Grundlage zu fordern. Weg vom verengenden linearen Denken zum Denken in Analogien, Kreislaufen und vernetzten Systemen. Das ist die dritte Herausforderung an die Fachkrafte der Wissenschaft und Technik. Dieses Buch wendet sich an die Chemiefachkrafte ebenso wie an die Ingenieure der verschiedenen Arbeitsbereiche. Denn sie arbeiten in der Produktion, der Anwendungstechnik, der Beschaffung, im Vertrieb und auch in der Wissenschaft im Team. Je mehr Fakten und Daten in unserem technischen Geschehen und wahrend des wissenschaftlichen Arbeitens anfallen, desto notwendiger ist es, nach Grundmodellen und Fundamentalgesetzen Ausschau zu halten, um die Mu-
ster zu erkennen, nach denen die Prozesse in der Natur und Technik ablaufen. Analoge Betrachtungen zwischen den Informationssymbolen unserer verbalen Sprache, dem Binarsystem in der lnformatik und den Reproduktionscodes der biologischen Systeme und dem biologischen Bauprinzip mogen das verdeutlichen. Abbildung 2 zeigt die Gemeinsamkeiten von einfachen zu komplexen Bausystemen, sie zeigt den damit verbundenen Energieaufwand. Mit dem Erkennen der Gemeinsamkeiten schalen sich auch zugleich die Unterschiede heraus. Diese Betrachtungsstrategie wurde von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) erstmals formuliert. Heute ist sie Bestandteil modernen wissenschaftlichen Arbeitens und wirkt integrierend in die Steuerungs- und Regelungsmechanismen stofflicher und energetischer Umwandlungen hinein. ,,Ein neues System der chemischen Philosophie" lautete der Titel von John Daltons Buch von 1808, mit dem die moderne Chemie begann. Es war einer der ganz groRen Wurfe der wissenschaftlichen Literatur: DaR alle Stoffe aus gleichartigen Atomen oder Molekulen bestehen, wurde dargelegt, daR die Substanzen atomweise miteinander chemisch reagieren, alle Stoffe also die Elemente in ganzzahligen Mengenanteilen enthalten.
Einfuhrung
Komplexe Systeme
Schrtftsprache
W h e n aus Wirtschafl und Technologie
f2z:khsm zEEle
Programme Datebn
(Erbinformation)
Dalensatz
(Teil der DNS)
Blologlsch-
Sprache und
Sllben
Variabel lang Kombinatlon Bus 36 Zetchen Unendlikh vide Miylliikeiten 36 Zeichen
Einheitliche Lange
I
Strukturgen (Teil sines Gens)
Einheilliche Liinge
8 Zeichen (1 Byie) 3 Zelchen (TtipletI) P=256Mtiglichkeiten 43 = 64 Mglichkeibn Z. 6.: ooiioioi I ACG, ACC, CGT AABBABAB AS,, AS?, ASS' 2 Zeichen
4 Zeichen (Aminobasen)
XI
Komplexe Systeme
Organismus (Komplexe ZellZellstrukturen Organellen: Miichondrien, ChbroDhsten) Blopolymere: Nudeinauren. ATP:' Proteine, Kohlenhvdmte. Fetle Biomonomere: Nucleotide (Aminobasen, Einfachrudter, Phospho-ure), Aminosliuren, Acetylrest, Porphyrin leinfache chem.
Elemente Sonderzeichen
Symbole und Bauelemente nach V. Hopp u. L. Mischnick
Abb. 2. Analogien zwischen Alphabet, Binarsystern und biologisch-chernischen Infonnationssystemen unter
Einbeziehung der Nanotechnologie * APS = Arninosaure, A = Adenin, C = Cytosin, G = Guanin,T = Thymin, U = Uracil ** ATP = Adenosintriphosphat
John Daltons ,,Philosophie" hatte die Vorstellung bereits nahegelegt , und die Quantenmechanik hat sie bestatigt: Die Atome binden sich aneinander mit Hilfe gerichteter Valenz-,,Anne" (und nicht etwa durch kugelsymmetrische Kraftfelder). Die Folge: Molekule sind raumliche Strukturen. Und immer deutlicher schalte sich die Erkenntnis heraus, da13 die makroskopischen Eigenschaften der Stoffe nicht nur von der Zusammensetzung, sondern ebenso von der speziellen Struktur ihrer Molekule bestimmt werden. Der Chemiker unserer Tage denkt daher prinzipiell raumlich. Der Computer hat schon bald nach seiner Erfindung in der Chemie ,,Arbeit bekommen" friiher als in vielen anderen Wissenschaften. Das konnte im Grunde auch gar nicht uberraschen: Das, was die Chemie erforscht und hervorbringt, jede ihrer Hunderttausende, ja Millionen ,,Verbindungen", setzt sich aus einer nur kleinen Zahl von Baustein-Sorten zusammen, ist - gemaB Daltons ,,chemischer Philosophie" - ein kleiner, groBer oder mitunter auch riesiger Komplex aus
einer Handvoll Atomarten. Die Chemie hat also einen in hohem Grad kombinatorischen Charakter - und wer vermochte wohl besser eine unabsehbare Vielfalt von Kombinationen zu bilden, zu erfassen und zu verwalten als der Computer?
Vom Wissen zur Bildung Beobachten, Messen und Vergleichen ist die eine Seite der naturwissenschaftlichen Arbeitsmethoden. Sie allein fuhren nicht zu objektivierbaren Erkenntnissen. Auf der anderen Seite miissen die Forschungs- und Untersuchungsergebnisse im Zusammenhang mit denen von Nachbardisziplinen gesehen werden. Eine einfache Summierung von Fakten, Daten und Teilwissen bringt uns dem Verstandnis der Welt und des immer wieder faszinierenden Menschen keinen Schritt niiher. Dazu gehoren manuelles Geschick zum Experimentieren und theoretische Modelle, die die Teile zum Ganzen verbinden und veranschaulichen
XI1
Einfuhrung
um mit den Worten Werner Heisenbergs* zu sprechen. Es gilt, das Expertenwissen wieder zu einer Ganzheit und Gesamtschau zusammenzufugen, damit Wissen zur Bildung wird. Dann konnen die
-
*
Heisenberg, Werner (1901-1976) dtsch. Physiker. Arheitsthemen: Heisenbzrpsche Unwharferelation. Weltformel.
Naturwissenschaften anregend und beeinflussend auf Weltanschauung und Selbstverstandnis wirken. Die Natur erkennen und verstehen, das ist ein wichtiger Beitrag der Ingenieur- und Naturwissenschaften zur Bildung.
Inhalt
Griindungszeit und Standorte von Chemieunternehmen
2
0.1 Die Griindungszeit europaischer Chemieunternehrnen 1 0.2 Cherniestandorte in Deutschland 2
4
I
Chemische Grundlagen
6
Chemische Definitionen 12 Wasser 34 Sauren 37 Laugen oder Basen 42 Der pH-Wert, ein MaR fur die
7
0
3
Wasserstoffionen-Konzentration 44 Neutralisationsreaktionenund Salzbildung 46 7 Anorganische Oxoverbindungen Wasserstoffperoxid und Perborate 48 Kohlenwasserstoffe 56 8 Arornatische Verbindungen 9 (Aromaten) 63 10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik 113 11 Grundbegriffe aus der Thermodynarnik 134 12 Vergleichbare rnathernatische Funktionen zur Beschreibung von Prozessen in Natur und Technik 145 Literaturhinweise zu Teil I 162
6
Einige physikalische Grundlagen Kristallsysterne, ein Uberblick 167 Mechanik fester Korper 169 Mechanik der Gase 172 W m e l e h r e 177 Elektrizitatslehre 189 Disperse Systeme 198 Literaturhinweise zu Teil I1 2 13 111 Produktionsverfahrenzur
Herstellung von Chemischen Grundprodukten 1
Der Stoff- und Energieurnsatz in der chernischen Industrie 222
5
8 9 10
11 12 13 14
Vorn Steinsalz zu Chlor, Natronlauge und Soda 273 Methanchlorierung 286 Schwefelsaureherstellung nach dem Doppelkontaktverfahren 289 Vorn Rohphosphat zur Phosphorsaure 294 Aluminium- und Siliciurngewinnung 303 Vorn Luftstickstoff iiber Ammoniak zurn Diingernittel 3 18 Harnstoffsynthese 33 1 Sy nthesegaschernie 335 Ethylen und Propylen als Schliisselprodukte 357 Die Herstellung von Bioprotein 363 Chemie und Umwelt 369 Die Chernie des Erdols und der Kohle 413 Sto!Tkreislaufe und ihre Verkniipfung zwischen Natur und Technik 439 Literaturhinweise zu Teil 111 500
IV Grundlagen der Maschinenkunde in der chemischen Technik Werkstoffe 5 1 1 Schraubenverbindungen 537 Rohre und Rohrleitungen 539 Absperrvorrichtungen 545 Kontrolleinrichtungen (MeRgerate) 552 Dichtungen an Wellen 573 6 7 Lagerung und Forderung von festen Stoffen 575 Lagerung und Forderung von 8 Fliissigkeiten 579 Lagerung und Forderung gasformiger 9 Stoffe 585 10 Dosieren 588 I 1 Heizung und Kiihlung 592 12 Reaktionsapparate 598 Literaturhinweise zu Teil IV 605
XIV
Inhalt
V
Grundoperationen
1
Grundlagen der chemischen Verfahrenstechnik 610 Trennung auf thermischem Wege 613 Mechanische Trennung von Feststoffen und Fliissigkeiten 634 Trocknen 640 Zerkleinem 644 Klassieren von Festoffen 649 Mischen 654 Fermentation 662 Literaturhinweise zu Teil V 663
2 3
4 5 6 7 8
Sicherheitskennzeichnung am Arbeitsplatz und nach der Gefahrstoffverordnung, VBG 125 7 13 16 Schlubbemerkung 720 Literaturhinweise zu Teil VI 720 15
VII Verhalten von Stoffen im Nanobereich 1 2
3 4
VI Grundlagen der Arbeitssicherheit 5 1
2 3 4
5 6 7 8 9 10
11 12 13 14
Sicherheit - die Verantwortung eines jeden Mitarbeiters 669 Verhalten im Laboratorium und Betrieb 670 Personliche Schutzausriistung 674 Leitem und Geriiste 678 Transport 680 Lagem und Stapeln 68 1 Arbeiten an laufenden Maschinen 682 Arbeiten mit atzenden Stoffen 684 Gesundheitsschadlicher Staub 685 Giftige und gesundheitsschadigende Feststoffe und Flussigkeiten 686 Case und Darnpfe 688 Brand- und Explosionsgefahr 696 Gefahren durch Druck 705 Gefahren des elektrischen Stroms 708
Definition 724 Beispiele fur physikalisches Verhalten 725 Oberflachen- und Grenzflacheneffekte 726 Biologische Systerne im Nanobereich 728 Kohlenstoff-Nanorohrchen 729 Literaturhinweise zu Teil VII 729
VIII Anhang 1 2 3 4
SI-Einheiten 732 Das griechische Alphabet 734 Vorsatzzeichen fur Zehnerexponenten 735 Literaturhinweise zu Teil VIII 735 Zusammenschliisse europaischer Chernieuntemehmen - Ubersicht 736
Register 737
0 Grundungszeit und Standorte von Chemieunternehmen
0.1 Die Grundungszeit europaischer Chemieunternehmen Die Kondratiew-Zyklen Die moderne Industrialisierung der Welt ging von England aus und setzte mit dem Bau einer Dampfmaschine durch James Watt ein. Die darauf folgenden 200 Jahre waren bis in die Gegenwart immer wieder von neuen Innovationsschuben gekennzeichnet. Der beriihmte russische Volkswirtschaftler Nikolai Dimitrejewitsch Kondratiew (1892-1930) faBte diese Technologieschube zu Zyklen zusammen und leitete daraus bestimmte GesetzmaBigkeiten ab, die als die Kondratiew-Zyklen in die Literatur eingegangen sind. Stalin paf3ten diese Uberlegungen nicht in sein bolschewistisches Fortschrittskonzept, so daO Kondratiew im Moskauer Gefangnis eingesperrt und hingerichtet wurde. Den einzelnen Schwingungsphasen bzw. Frequenzen ordnete er eine Zeit von 4-60 Jahren zu, bis sie dann von einem neuen Innovationszyklus abgelost werden. Hohen und Tiefen werden als Begriffe fur Zustandsbeschreibungen von Prozessen vermieden. An ihre Stelle treten die Innovations- bzw. Aktivitatsphasen einerseits und die Regenerationsphasen andererseits. Die Unterschiede zwischen ihnen sind bei zeitlicher Verschiebung als Amplituden aufzufassen, die von den Innovationsbooms und den Regenerationsphasen begrenzt werden. Auf diese Weise gelangte Kondratiew zu den langen Wellen der wirtschaftlichen Konjunktur und ihren Basisinnovationen. Dieses Denkmodell ist auf alle biologischen und soziologischen Prozesse ubertragbar, den Lebensrhythmus des Menschen eingeschlossen. Damit wird die gemeinsame Dynamik technischer, wirtschaftlicher, biologischer und soziologischer Vorgange deutlich und ihre Vernetzung sichtbar. Auf eine Aktivitatsphase folgt immer wieder eine Ruhe-, d. h. Entspannungsphase. Das ist ein von der Natur vorgegebener Rhythmus, ein Vermeiden von Hoch und Tief in der Be-
schreibung von konjunkturellem Aufschwung und Abschwung entdramatisiert die oft hochgespielten Vorgiinge an der Borse. Der 7. Kondratiew wird wegen der zunehmenden Weltbevolkerung von dem soziologischen und psychologischen Verhalten der Menschheit bestimmt . Psycho-soziologische Innovationen werden groRe Bedeutung gewinnen (Abb. 0-1). Studiert man die Geschichte der weltbekannten Chemiefirmen, so fallt auf, daB die meisten von ihnen im 19. Jahrhundert gegriindet wurden (Abb. 0-1 und Tab. 0-1). Sie blicken damit auf eine lange Tradition wissenschaftlichen und produzierenden Arbeitens zuriick. Ihre Griindungen fallen in eine Zeit, als die Chemie sich aus der Alchemie zur erkenntnistrachtigen Naturwissenschaft entwickelte. Namen wie Antoine L. Lavoisier (1743-1794), John Dalton (1766-1844), Julius Lothar Meyer (1830-1895), Dimitrij I . Mendelejew (1834-1 907), Robert J. Mayer (1814-1878), Josiak W. Gibbs (1839-1903), Hermann v. Helmholtz ( 1821-1 894), James Watt (173&1819), Werner v. Siemens (1816-1892), Georg S . Ohm (1789-1854) und viele andere stehen fur die spannenden Entdeckungen der Gesetze der Stoff- und Energieumwandlungen. Am Ende des 18. Jahrhunderts (1789) hatte James Watt in England mit seiner Dampfmaschine die Kohle als Energietrager fur eine allgemeine Technik nutzbar gemacht. Zu nennen sind auch Werner v. Siemens und Georg S. Ohm, die die Gesetze des elektrischen Stroms fur den technischen Einsatz von elektrischer Energie anwendeten. Es war auch eine Zeit, in der in Europa die Bevolkerung stark zunahm und Hunger fur die Massen selbstverstandlicher war als satt zu sein. Viele Menschen wanderten nach den USA und Sudamerika aus. Die franzosische Revolution von 1789 zeigt ebenfalls ihre befreienden Wirkungen. Der Drang nach geistiger Loslosung von feudalen und kirchlichen Herrschaftsstrukturen tat sein ubriges (Abb. 0-1). Mit der Kohle gab es einen interessanten und unerschopflichen Rohstoff fur die Griindungen von Chemiefirmen. AuBerdem lie0 sie sich zugleich als Energiequelle nutzen. Wasser gab es in
2
I Cheniische Grundlagen
Innwationsamlaser Innovations-
umsetzung
z.:g2nQer
W v Siemens
~-
J Wan
Damphaschine - - - .. - Baumwolle
F KNPP
Stahl Elsenbahn G Siephenaono
Ohm
W. Shakley K Zuse
G.Natta
Elektrotechnik Petrochemie Chemie Automobil F Haber u
Informationstechnik
E ChargaW
K Lomz
F H Cn&
VerhaltensSYSteme
810- und Gentechologle J. D. WaUon
H Ford
Innovation
Regeneration-. Weltbevolkerung-- -
- 1.8 Mrd.
- 1 Md. I
I 1. KONDRATIEFF
11790 Franz. Revolution
I ~
Knege
- 2.5 Mrd
I
-6Mrd.
-6Mrd
I
1
- - 7 - - + - -
I
1 2 . I 3 1 4 . 1 5 . 1 6 . 1 7 . I KONDRATIEFF I KONDRATIEFF I KONDRATIEFF I KONDRATIEFF 1 KONDRATIEFF I KONDRATIEFF
I
I
1850
1900;
I
I
I
1950
1 Weltkneg 2 . Weltkfleg
I 2000
i
--l--I-2010
2020
[Zeit]
Endedes ' Kallen Kneges Globalb'erung
Abb. 0-1. Die Kondratiew-Zyklen - Rhythrnische Innovationsfolgen im Laufe des Beviilkerungswachxtums
und ihrer Industrialisierung.
Europa in seinen vielen Flussen genug. Auf ihnen konnten Rohstoffe und Endprodukte schnell und einfach transportiert werden. Ebenso waren die Flusse Wasserspender fur Kuhlung, Reaktionsmedien und Reaktionskomponenten. Mit der Nutzung der Kohle als Energiequelle wurde auch dem Abholzen der Walder in Europa Einhalt geboten. Bis dahin war Holz neben der Wasserkraft der einzige Energielieferant. Die Chemie des 19. Juhrhunderts war eine Kohluchrmie. Viele junge Chemieunternehmen dieser Zeit suchten ihr Cluck in der Produktion von Farben. Das Kapitel der chemischen Industrie begann mit dem schwierigen Gebiet der Aromutenchemie. Es bedurfte groBer Anstrengungen, um eine entsprechende Aliphatenchemie auf Kohlebasis zu entwickeln. Die Carbidchemie legte dafur ein beredtes Zeugnis groBen Erfindergeistes ab. Die Carbidchemie ist eine sehr energieaufwendige Chemie, da fur die Kohlehydrierung der Wasserstoff aus dem Wasser bereitgestellt werden mulJ. Die Geschichte der Primarchemikalien aus den verschiedenen Rohstoffquellen liest sich zusammengefal3t wie folgt: 19. Jahrh. Kohlechemie:
20. Jahrh. Petrochemie: \
Ethylen
/
/
C=C
\
Aromaten
8
ca. ab 1975 Chemie der nachwachsenden Rohstoffe: I I Ethanol -C-C-
'
I
OH
Das Bemuhen in der Rohstoffversorgung bestand immer darin, ausreichende C,- oder Aromatenbausteine, wie z.B. Acetylen, Ethylen usw., Benzol, Toluol, Xylole und Naphthaline, zur Verfugung zu haben.
0.2 Chemiestandorte in Deutschland In Deutschland gibt es drei groBe Regionen mit Chemiestandorten. Sie befinden sich entlang des Rheins, sudlich der Donau und in Mitteldeutschland zwischen Saale und Elbe. Die VEB-Chemiekombinate sind inzwischen in Aktiengesellschaften umgewandelt worden und befinden sich in einer Umstrukturierung.
0 Grundungszeit und Stdndorte von Chemieunternehmen
3
Abb. 0-2. Chemiestandorte entlang des Rheins und in Deutschland.
Rohstoff- und Energieversorgung , Transportmoglichkeiten, Markt- und Kundenniihe, qualifizierte Fachkrafte und geeignete politische Rahmenbedingungen waren die Griinde, daB sich in den drei genannten Regionen Chemiefirmen ansiedelten, die sich im Laufe eines Jahrhunderts zu internationaler Bedeutung entfalteten. Das Merkmal einer chemischen Produktion ist der Stoff- und Energieumsatz. Die Rohstoffe sollten sich entweder in der Nthe der chemi-
schen Fabriken befinden oder sich leicht transportieren lassen. Bevorzugte Transportwege sind die Fliisse. So ist verstandlich, warum sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Chemiebetriebe langs des Rheins und seiner Nebenflusse, wie Neckar, Main oder Ruhr niedergelassen haben. Die Grundlage der Chemie im letzten Jahrhundert bis zum Ende des zweiten Weltkrieges war die Kohle. Im Ruhrgebiet gab es genug Steinkohle. Auf
4
I Chemische Grundlagen
Tab. 0-1. Beispiele von Grundungen chemischer Firmen (s. auch Abb. VIII- I , S . 736)
Name und Ort
Grundungsjahr
Erste Produkte
Geigy, Schweiz
1759
Handelshaus fur Chemikalien
DuPont: E. J . du Pont de Nemours and Co., USA
1802
SchicBpulver
Riedel de Haen, Seelze, seit 1995 zu Allied Signal gehbrend
1814
Natriumsulfit, Antimonsalz
Merck AG, Darmstadt
I668 Apotheke 1827 Fabrik
Ptlanzeninhaltsstoffe, Morphin
K. Oehler, OffenbachiM (Werk Offenbach der Hoechst AG), seit 1999 zu Clariant gehorend
1842
Teerdestillation, Zwischenprodukte fur Farbstoffe
Riitgerswerke AG, Frankfurt/M
1849
Aromatische Kohlenwasserstoffe aus Kohle und Teer
Pfizer, USA
1849
Weinsaure, Kampfer
W. C. Heraeus, Hanau
1x51
Chem.-techn. Apparate aus Platin-Gold. Platin-Rhodium
Schering, AG, Berlin
I853 Apotheke
Chemikalien fur Photographie und Pharmazie
Chemische Werke Griesheim-Elektron, FrankfudM, seit 1999 zu Clariant gehorend
1856
Soda nach Leblanc. Schwefelsaure Knochenleim. wasserlosliche Stickstoffund Phosphordunger
Landwirtschaftlich-chemischeund Leimfabrik, Biebrich a. Rhein, seit 1999 Industriepark Kalle- Albert Ciba, Schweiz
1859
Fuchsin
Boehinger Mannheim GmbH, Mannheirn, seit 1998 Roche Diagnostics GmbH
1859
Chinin
Hoechst AG, FrankfudM
1863
Fuchsin, Anilinol, seit 1999 in verschiedene Nachfolgefirmen aufgeteilt
Bayer AG, Leverkusen
1863
Fuchsin, Alizarin
Kalle und Co., Biebrich a. Rhein, seit 1999 Industriepark Kalle-Albert
1863
Fuchsin, Violett, Biebricher Scharlach
Solvay u. Cie. S. A., Belgien
1863
Soda
Dr. Theodor Schuchhardt, Gorlitz (heute Munchen)
1865
Org. und anorg. Praparate, photographische Chemikalien
BASF AG, Ludwigshafen
1865
Fuchsin. Anthrazenblau. Soda
Agfa (Aktiengesellschaft fur Anilinfabrikation), Leverkusen (heute Bayer AG)
I870
Anilin, Fuchsin, Malachitgrun
Cassella AG, FrankfudM, seit 1999 zu Clariant gehorend
1870
Zwischenprodukte auf Basis Naphthalinderivate, Teerfarbstoffe
Degussa AG, Frankfurt/M
1873
Edelmetalle und deren S a k e
Henkel KGaA, Dusseldorf
I876
Wasserglas, ATA
Eli Lily a. Co., USA
I876 Apotheke
Pharmazeutika
Linde AG, Wiesbaden
I879
Luftzerlegung
0 Griindungszeit und Standorte von Chemieunternehrnen
5
Tab. 0-1. Fortsetzung. Name und Ort
Griindungsjahr
Erste Produkte
Deutsche Gelatine Fabriken Gebriider Koeuff, I880 Goppingen, heute DGF Stoess, Eberbach
Gelatine
Metallgesellschaft, FrankfudM, seit 2000 mg technologies
1881
Aufarbeitung von Erzen
Beiersdorf AG, Hamburg
1882
Hansaplast
Edison SPA, USA
1884
Elektr. Energie
C. H. Boehringer Sohn, Ingelheim
1885
Zitronensaure
Knoll und Co., Ludwigshafen (heute BASF AG)
I886
Alkaloide, Methylmorphin
Sandoz AG, Schweiz, 1998 in Novartis eingegangen
I886
Anilinfarbstoffe
Montecatini SPA, Italien
1888
Anorg. Chemikalien
Hoffrnann-LaRoche und Co., Aktiengesellschaft,Schweiz
1896
Pharmazeutika
Tropon GmbH, F r a n k f u m - Boston USA
1897
Tropon aus Fleischfasern und Leguminosen
DOW Chemicals, USA
1897
Anorg. F’rodukte
Monsanto, USA
1901
Gumrnichemikalien
Norsk Hydro, Norwegen
1903
N-Diingemittel
Rohm GmbH, Darmstadt, ab 2001 zur neuen Degussa gehorend
1907
Chemikalien zur Lederbearbeitung
1. Ammoniakfabrik (BASF)
1912
Ammoniak
Wacker Chemie GmbH, Miinchen
1914
Essigsaure, Aceton Pharmazeutika
Roussel-Uclaf S. A,, Frankreich
1920
ICI Imperial Chemical Industries, England
1926 durch Zusam- Farben, anorg. Chemikalien, ZwischenrnenschluB von 4 produkte, Polymere, Pharmazeutika engl. GroBfirmen
Ruhrchemie AG, Oberhausen, seit 1999 zu Celanese gehorend
1927
RhBne Poulenc S. A,, Frankreich
1928 durch Fusion der SociCtC des Usines du RhBne (1895) rnit Etablissement Poulenc Frkres ( I 858)
Veba Oel AG, Gelsenkirchen, seit 2000 mit Viag zur E.on fusioniert
1935
Kohle-Hydrier-Benzin
Hiils Aktiengesellschaft, seit 2001 in neue Degussa eingegangen
1938
Synthesekautschuk
Ticona, Kelsterbach, seit 1999 zu Celanese gehorend
1961
Kunststoffe
Montedison SPA, Italien (aus Montecatini SPA und Edison SPA entstanden)
1966
Montecatini 1988 (Anorganika) Edison 1884 (Energie)
Ciba-Geigy AG, Schweiz (Fusion der beiden Firmen Ciba und Geigy)
1970
Farbholzer, Fuchsin
Zeneca aus ICI hervorgegangen
1993
Pharmazeutika
Veredlung von Kohle
6
I Chemische Grundlagen
Tab. 0-1. Fortsctzung.
Name und Ort
Grundungsjahr
Erste Produkte
1995 Dystar GmbH, Frankfurt. Zusammcnschlufi der Geschaftsbereiche Textilfarben der BASF, Bayer und Hoechst AG
Text i lfarben
Astra Zeneca aus IC1 und Astra
1995198
Pharmazeutika
Novartis aus Ciba Geigy und Sandoz
1998
Pharmazeutika. Agrochemikalien
Clariant aus Ciba Geigy und Teile der Hoechst AG
1998
Fein- und Spezialchemikalien
Aventis aus RhGne Poulenc und Teile dcr Hoechst AG
1999
Pharmazeutika. Agrochemikalien
Syngenta AG, hervorgegangen aus Teilen von 2000 Novartis und Astra Zeneca
Agrochemikalien
Degussa AG (neue), fusioniert aus Degussa Huls und SKW
Fein- und Spezialchemikalien, Biotechnologie. Baustoffchemikalien
200 I
dem Rhein konnte sie einfach und kostengunstig bis nach Basel transportiert werden. Als Erganzung kam spater die Braunkohle im Revier zwischen Koln und Aachen sowie das Braunkohlebecken zwischen Halle und Leipzig hinzu. Das Chemiezentmm in Sudostbayern ist etwas jiinger. Seine Griindung ist auf den billigen elektrischen Strom um die Jahrhundertwende zuriickzufiihren, der aus der Bewegungsenergie der Flusse erhalten werden konnte (Abb. 0-2). Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Kohlechemie von der Petrochemie abgelost. Als zusatzliche Transportwege wurden Pipelines gebaut, in denen Erdol und Fertigprodukte wie z.B. Ethylen transportiert werden. Das Roholnetz in Deutschland hat zur Zeit eine Lange von 3000 km, von denen 2500 km im westlichen Teil liegen. Der Chemieschwerpunkt in Mitteldeutschland orientiert sich im Tieflandbecken um das Gebiet Halle und Leipzig an den Flussen Saale, Mulde und Elbe mit ihren Nebenflussen. Dort dominierte noch die Acetylenchemie auf der Basis von Braunkohle. Die Petrochemie steckt noch in ihren Anfangen. Eine wichtige Erdolleitung kommt aus RuBland und gabelt sich bei Schwedt an der Oder in eine nordliche Richtung zum Ostseehafen Rostock und eine sudliche in die Chemieregion Leipzig/Halle. Vor der Wende am 9. November 1989 gab es in Ostdeutschland 14 VEB-Chemiekombinate, die im wesentlichen nach Produktklassen zusammengefaRt oder abgegrenzt waren. Diese VEBChemiekombinate waren in 100 Kombinatsbe-
triebe gegliedert, die sich an 150 verschiedenen Standorten befanden. In ihnen waren 350000 Menschen beschaftigt. Inzwischen wurden diese ehemaligen Chemiekombinate neu geordnet, verkleinert und teilweise in Aktiengesellschaften umgewandelt. Einige aus der Zeit vor der Spaltung Deutschlands herriihrenden Bindungen und Freundschaften wurden wieder mobilisiert, um auf diese Weise die dritte Chemieregion Deutschlands zu modernisieren. Die BASF AG Ludwigshafen, Bayer AG Leverkusen, Degussa AG Frankfurt, Dralle GmbH Hamburg, Henkel KGaA Dusseldorf, Schering AG Berlin, SKW Trostberg AG, Wella AG Darmstadt und auslandische Firmen, wie Dow Chemical, Elf Aquitaine, um nur einige Beispiele zu nennen, entfalten ein reges Engagement auf dem Produktionssektor in dieser dritten Chemieregion Deutschlands.
Literaturhinweise: Kondratieff N. D. (1926). Die langen Wellen der Konjunktur, Archiv fur Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. 56, Nr. 3 . Nefiodew L. A. ( 1 997), Der sechste Kondratieff - Wege zur Produktivitat und Vollbeschaftigung im Zeitalter der Information, 2 . uberarb. Aufl. Rhein-Sieg Verlag, St. Augustin. Hopp, V. (2000), Die Zukunft hat schon begonnen, CIT plus. Heft 3 u . 4.
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Chemische Grundlagen
1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5 1.6 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.7.4 1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3
2 2.1 2.2 2.3
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Chemische Definitionen 12 Physikalische und chemische Vorgange 12 Physikalische Vorgange 12 Phase 12 Dispersion 12 Chemische Vorgange 12 Element und Atom als Begriff 13 Element 13 Das Atom und sein Aufbau 14 Das Periodensystem der Elemente 14 Die Atommasse 16 Absolute Atommasse 16 Relative Atommasse 16 Isotope 16 Molekul und Molekulmasse 19 Molekiil 19 Molekiilmasse 19 Stoffmenge und molare Masse 20 Die chemische Bindung 20 Der Begriff der Wertigkeit 21 Die chemische Reaktion 22 Stoffumsatz 22 Energieumsatz 22 Oxidationsreaktionen mit Sauerstoff 24 Reduktionsreaktionen 29 Metalle 30 Eigenschaften von Metallen 30 Gewinnung von Metallen 30 Halbmetalle 33 Wasser 34 Vorkommen 34 Chemische und physikalische Eigenschaften 36 Physikalische BezugsgroRen 36 Sauren 37 Schwefelsaure 37 Schweflige Saure 37 Phosphorsaure 37 Salpetersaure 38 Kohlensaure 38 Salzsaure 39 Eigenschaften von Sauren 39
3.8
Unterschiedliche Stirken von Sauren 40
4 4.1
Laugen oder Basen 42 Eigenschaften und Verhalten von Hydroxiden 42 Unterschiedliche Stkken von Laugen 43
4.2 5
5.1 6
6.1 6.2 7
7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 8 8.1 8.2 8.2.1
Der pH-Wert, ein Man fur die Wasserstof'fionen-Konzentration 44 Definition des pH-Wertes 44
Neutralisationsreaktionenund Salzbildung 46 Neutralisation 46 Eigenschaften von Salzen 46 Anorganische Oxoverbindungen Wasserstoffperoxid und Perborate 48 Begriffsbestimmung 48 Anorganische Oxosauren und ihre Salze 48 Natriumhypochlorit und Chlorkalk 48 Chlorate 49 Perchlorate 49 Permanganate 50 Chromate 50 Peroxoverbindungen 50 GroRtechnische Herstellung von Wasserstoffperoxid 50 Eigenschaften und Verwendung von Wasserstoffperoxid 52 Metallperoxide 52 Hamstoffperoxohydrat 53 Peroxoborate 53 Natriumpercarbonat ,NaPC 54 Kohlenwasserstoffe 56 Gesattigte aliphatische Kohlenwasserstoffe 56 Ungesattigte aliphatische Kohlenwasserstoffe 60 Die homologe Reihe der Alkene 60
10
1 Chemische Grundlagen
8.2.2 8.2.3
Die homologe Reihe der Alkine 61 Kohlenwasserstoffe mit mehreren Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen 62 Cycloaliphatische Kohlenwasserstoffe 62
9.7.5
Aromatische Verbindungen (Aromaten) 63 Aromatische Grundstruktur 63 Einkernige aromatische Kohlenwasserstoffe 63 Mehrkernige aromatische Kohlenwasserstoffe 63 Heterocyclen 64 Funfringe 64 Sechsringe 64 Kondensierte Heteroringsysteme 65 Funktionelle Gruppen 65 Herstellung substituierter Kohlenwasserstoffe 66 Reaktionen an funktionellen Gruppen 68 Chemische Reaktionen 70 Substitutionsreaktionen 70 Austausch- und Umwandlungsreaktionen 73 Herstellung und Weiterverarbeitung aromatischer Zwischenprodukte 79 Farbmittel, Farbstoffe und Pigmente 81 Begriffsbestimmung 8 1 Anorganische Pigmente 8 1 Chemische und physikalische Eigenschaften der Pigmente 83 Optische Eigenschaften pigmentierter Anstriche, Kunststoffe, Betonstoffe usw. 84 Leuchtfarbmittel 86 Chemische Herstellungsverfahren wichtiger Pigmente 86 Anorgnaische Fullstoffe 91 Chemische Herstellungsverfahren wichtiger Fullstoffe 93 Organische Farbmittel 95 Die Entwicklung synthetischer Fdrbmittel 95 Farbigkeit organischer Verbindungen 97 Qualitatsforderungen und Qualitatsmerkmale von Farbmitteln 98 Herstellung synthetischer Farbmittel am Beispiel von Azofarbstoffen 99
9.7.9
8.3
9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.3 9.3.1 9.3.2 9.4 9.4.1 9.4.2 9 .5 9.6 9.6.1 9.6.2 9.6.3 9.6.4 9.6.5 9.6.6 9.6.7 9.6.8 9.7 9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4
9.7.6 9.7.7 9.7.8
10 10.1 10.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6 10.3.7 10.4 10.5 10.6
10.7 10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.8
10.8.1 10.8.2
Einteilung der organischen Farbmittel 102 Das Farben von textilen Fasern 108 Organische Pigmente Anwendungsgebiete 109 Farbstoffe fur nichttextile Bereiche 111 WeiStoner 112
Grundbegriffe der Reaktionskinetik 113 Betrdchtung einer chemischen Reaktion 113 Die Reaktionszeit I 13 Die Reaktionsgeschwindigkeit 115 Allgemeines 115 EinfluB der Konzentration der Reaktionspartner auf die Reaktionsgeschwindigkeit 116 Reaktionsordnung 118 Temperaturabhangigkeitder Reaktionsgeschwindigkeit 119 Aktivierungsenergie 120 Katalysatoren 121 Beispiel zur Bestimmung der Reaktionsordnung 121 Reversible und irreversible Reaktionen, Gleichgewichtszustand 122 Das Massenwirkungsgesetz 123 Vom Prinzip des gestorten Gleichgewichtes 123 Reaktionen mit vorgelagertem Gleichgewicht 125 Definition 125 Die Oxidation von Stickstoffmonoxid zu Stickstoffdioxid als Beispiel fur ein vorgelagertes Gleichgewicht 1 25 Die Michaelis-Menten-Gleichung und die Michaelis-MentenKonstante 126 Von einfachen zu komplexen Molekulstrukturen 128 Kriterien zur Beschreibung von Reaktionen in der chemischen Technik und in biologischen Systemen 130 Vergleich chemisch-technischer Systeme mit biologischen Systemen 130 Erlauterungen zu den Kriterien zu den Beschreibungskriterien von Reaktionen 130
1 Chemische Definitionen
11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.4 11.4.5 11.4.6
Grundbegriffe aus der Thermodynamik 134 Thermodynarnische Zustande und Systeme 134 Kinetik von Systemen 134 Die Verknupfung der Therrnodynamik mit der Reaktionskinetik 134 Energiebilanzierung 135 Der HeBsche Satz 135 Erster Hauptsatz der Thermodynamik 135 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik 136 Entropiebegriff 137 Freie Reaktionsenergie und freie Reaktionsenthalpie 138 Berechnung von Enthalpien und Entropien 139
12 12.1 12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3
11
Vergleichbare mathematische Funktionen zur Beschreibung von Prozessen in Natur und Technik 145 Zustandsfunktionen 145 Ausgleichsvorgange 145 Das Gesetz fur allgerneine Ausgleichsvorgange 145 Ausgleichsvorgange mit linearern Verlauf 147 Wachsturnsprozesse 147 Abklingvorgange 154 Uberlagerungsprozesse 155 Die Zeit als Parameter in technischen, biologischen, soziologischen und okonornischen Prozessen 158 Kinetik - Betrachtung zeitabhingiger Prozesse 159 Physikalische, biologische und psychologische ZeitmaBe 159 Erfassen von komplexen Vorgangen ZahlundZeit 160
Literaturhinweise zu Teil I 162
Chemische Definitionen
1.l Physikalische und chemische Vorgange 1.1.1 Physikalische Vorgange Die Erscheinungsfurmen gasfiirmig, Jiissig und fest werden unter dem Begriff Aggregatzustande zusammengefaflt. Die drei Aggregatzustande sind durch die Beweglichkeit der Einzelteilchen des Stoffes gekennzeichnet. Im festen Stoff sind die Einzelteilchen unbeweglich, im flussigen Stoff sind sie gleitend, d. h. gegeneinander verschiebbar, und im gasformigen Stoff sind sie frei beweglich. Der Aggregatzustand eines Stoffes wird von seinem Energieinhalt bestimmt. der vun Temperatur und Druck abhangt. Die Anderung des Aggregatzustandes ist ein physikalischer Vorgang.
sehen. Dem festen Aggregatzustand eines Stoffes konnen aber mehrere Phasen entsprechen. Der im festen Aggregatzustand vorliegende Kohlenstoff kommt in den Phasen Diamant, Graphit der seltenen Fullerene* und in der teilweise amorphen Form der Kohle vor.
1.13 Dispersion Liegt eine Phase in einer anderen feinverteilt vor, so spricht man von einer Dispersion (lat. Zerstreuung) oder auch von einem dispersen (feinverteilten) System. Die Phase, die den feinverteilten Stoff enthalt, heifit Dispersiunsmittel. Der feinverteilte Stoff selbst heil3t disperser (oder dispergierter) Bestandteil. Dispersionsmittel und disperser Bestandteil bilden das disperse System. Einige wichtige disperse Systeme sind Tabelle I- 1 zu entnehmen. 1.1A Chemische Vorgange
1.1.2 Phase Als Phase im physikalischen Sinne wird die Erscheinungsform eines in sich einheitlich (homogen) aufgebauten Stoffes bezeichnet. Sie hebt sich gegenuber ihrer Umgebung und anderen Phasen durch scharfe Trennungsflachen ab. Die Aggregatzustande gasformig, flussig, fest werden zugleich als verschiedene Phasen ange-
Wasser, dem das 20fache der zur Verdampfung erforderlichen Energie zugefiihrt wird, verliert die fur das Wasser oder auch fur den Wasserdampf typischen Eigenschaften. Aus dem einheitlichen Stoff Wasser sind zwei neue Stoffe mit vollig anderen Eigenschaften entstanden, namlich Wasserstoff und Sauerstoff, die im Wassermolekul durch die Bindungs-
Tab. 1-1. Beispiele wichtiger disperser Systeme.
Bezeichnung des Systems
Dispersionsmittel
Disperser Bestandteil
Rauch, Aerosol Nebel, Aerosol Schaum Emulsion Sol, Suspension fester Schaum Schlamm
gasformig gasformig fliissig fliissig fliissig fest
fest
fliissig gasformig fliissig fest gasformig,fliissig, fest fest (z. B. Sand)
fliissig (2. €3. Wasser)
*
Fullerene sind groBe Kohlenstoffmolekule, die eine in sich geschlosssene (raumliche) Kafigstruktur aufweisen. Der stabilste und auch bekannteste Vertreter ist das BuckminsterFulleren mit der Summenforrnel CM).
1 Chernische Definitionen
13
W[kJI
2000
1600
Wasser s tof fatoms (ca 1320 kJlmol I
1200
800
Bindungsenergie des Wassermolekuls
LOO
0
.'-fest
(Eis)
Abb. 1-1.Vergleiche zwischen Energien von physikalischen und chemischen Vorgiingen.
energie zusammengehalten wurden: Wasser ist also aus zwei anderen Stoffen zusammengesetzt (Abb. 1-1). Fiihrt man einer dieser beiden Komponenten, d.h. entweder dem Sauerstoff oder dem Wasserstoff, noch mehr Energie zu, so tritt eine Spaltung in weitere Stoffe nicht mehr ein. Im Wasserstoff und im Sauerstoff mussen also elementare Stoffe vorliegen, die sich nicht mehr in weitere Komponenten aufspalten lassen. Bei noch weiterer Zufuhr von Energie nehmen die Stoffe die Eigenschaften von elektrisch geladenen Teilchen an, wenn ihre Ionisierungsenergie iiberschritten wird.
Physikalische Vorgange sind immer mit Anderung von Energieinhalten oder Energieformen verbunden. Bei chemischen Vorgangen treten neben Energieumsatzen stets Stoffumwandlungen auf.
1.2 Element und Atom als Begriff 12.1 Element Der elementare Stoff ,,Wasserstoff" oder das Element Wasserstoff muB also aus Teilchen zusam-
14
I Chemische Grundlagen
mengesetzt sein, die alle den gleichen Charakter haben. Diese Teilchen heiSen Atome. Ein Element ist demnach ein Stoff, der aus Atomen nur einer einzigen Art besteht, z.B. Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Eisen, Quecksilber. In der Natur gibt es ca. 92 stabile Elemente. Sie sind die Bausteine fur die uns umgebende belebte und unbelebte Natur. Wasserstoff und Sauerstoff sowie der in der Luft vorkommende Stickstoff sind solche Elemente. Als wichtige Elemente sollen weiterhin Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel, Fluor und Chlor genannt werden sowie die Metalle Eisen, Quecksilber, Kupfer, Gold, Blei, Silber und Platin. Dreizehn weitere Elemente sind kunstlich hergestellt worden; sie kommen nicht in der Natur vor. Dazu kommen weitere 15 Elemente, die aufgrund ihrer hohen Radioaktivitat nur eine sehr kurze Existenzdauer, d. h. Halbwertszeit haben (Abb. 1-2).
122 Das Atom und sein Aufbau Die kleinste, rnit chemischen Mitteln nicht weiter zerlegbare Einheit eines Elementes ist das Atom. Ein Atom besteht aus einem Atomkern und einer Atomhiilk.Ein Atomkern ist aus den Elementarteilchen Protonen und Neutronen zusammengesetzt. Die Atomhiilk besteht aus Elektronen. Die Anzahl der Protonen im Kern ist gleich der Anzahl der Elektronen in der Hiille. Ein Element ist ein Stoff, der aus Atomen einer Art besteht, d. h. aus Atomen mit der gleichen Anzahl Protonen.
1.23 Das Periodensystem der Elemente Die Eigenschaften der Elemente sind auRerst unterschiedlich, sie bedingen ja Ietztlich die Vielfalt der Natur. Zwischen dem leichten, explosiven Gas Wasserstoff und dem Gold liegt eine Welt. Aber schon ein fliichtiger Vergleich zeigt, daR bestimmte Merkmale in ahnlicher Form immer wieder vorkommen: Man kann die Elemente in Familien oder ,,Gruppen" einteilen. Eine Gruppenbildung liegt schon vor, wenn zwischen Wasserstoff als Gas und Gold als Metall unterschieden wird. Eine solche Einteilung kann man verfeinern. Als das eigentlich entscheidende Merkma1 stellte sich schlieRlich die Protonenzahl im Kern der Atome heraus. Ordnet man die Elemente nuch steigender Anzahl der Protonen im Kern, so ergibt sich eine
periodische Anderung der Elementeigenschaf ten. Ein darauf gegriindetes Ordnungsschemu hegt das Periodensystem der Elemente. Die Anzahl der Protonen im Kern, die diese Ordnung bewirkt, he@ Ordnungszahl (Abb. 1-2). Die waagrechten Reihen des Periodensystems, in denen sich die Eigenschafren der Elemente periodisch andern, he$'en Perioden. Die senkrechten Spulten heiJen Gruppen. Die in einer Gruppe untereinander stehenden Elemente haben ahnliche chemische und teilweise auch ahnliche physikalische Eigenschafren. Dabei ergeben sich 8 Gruppen, die man von links nach rechts zahlt und rnit der entsprechenden Gruppennummer versieht. Ganz links im Periodensystem steht die Gruppe I rnit den Alkalimetallen. Die Gruppe ganz rechts rnit den Edelgasen wird allerdings meist als Gruppe 0 (Null) bezeichnet. Erdalkalimetalle und Halogene sind andere wichtige Gruppen. Die Ordnungszahl bestimmt iiber den Aujbau der Elektronenhiille die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Elemente. Die Elektronenhiille besteht aus einzelnen Schalen oder Schichten (Orbitalen)*, die rnit Elektronen besetzt sind. Die Elektronen der jeweils aubersten Schale eines Elementes bestimmen dessen chemische Eigenschaften. Elektronen bewirken die chemischen Bindungen. Die Anzahl der Elektronen in der AuSenschale legt fest, wie viele Bindungen ein Atom eingehen kann oder welche Wertigkeit es hat. Die nahere Betrachtung fuhrt auf ein interessantes Ergebnis. Die Gruppennummer legt die maximale Wertigkeit der Elemente in der betreffenden Gruppe fest. Bei den Edelgasen ist die AuRenschale gerade bis zur maximalen Anzahl von Elektronen, die auf dieser Schicht ,,Platz" haben, aufgefullt. Hier besteht nur eine auBerst geringe Neigung, Elektronen aufzunehmen oder abzugeben, und daher sind die Edelgase in der Regel ,,nullwertig", d. h. nur schwer zur Reaktion zu bringen. Dagegen sind die im Periodensystem davor- und danachstehenden Elemente gerade besonders reaktionsfahig, weil sie leicht ein Elektron aufnehmen bzw. abgeben konnen. Wir miissen unsere Diskussion an dieser Stelle abbrechen und auf eine weitere Erorterung des Feinbaus der Elektronenhulle und der RegelmaBigkeit des Periodensystems verzichten. Es war das Ziel dieses Abschnitts, ein grundsatzliches Verstandnis fur den Bauplan der Atome zu vermitteln.
*
orbk (lat.)= Krei\
Abb. 1-2. Periodensystem der Elemente. - Atommassen in Klammern: Masse des stabilsten oder am besten untersuchten Isotops.
Schale
Q-
Schale
0-
N-
YSchale
L-
K-
16
I Chemische Grundlagen
1.3 Die Atommasse 13.1 Absolute Atommasse Messungen ergaben, daR ein Proton und auch ein Neutron ca. 1836mal schwerer sind als ein Elektron. W2re also die Masse von einem Elektron 1 g, so w2re die Masse des Protons 1,836 kg. Stets wird also die Atommasse im wesentlichen von der Masse der Protonen und Neutronen bestimmt, wahrend die Masse der Elektronen vernachlassigt werden kann. Die absolute Atommasse setzt sich aus der Summe der Massen der Neutronen und Protonen zusammen, d . h .j e mehr Protonen und Neutronen im Atomkern vereinigt sind, desto griiJ3er ist die Atommasse des Elementes. Die Atommasse des Heliums ist groRer als die des Elementes Wasserstoff, die Atommasse des Elementes Kohlenstoff ist g r o k r als die des Elementes Helium; die des Elementes Stickstoff groRer als die des Elementes Kohlenstoff. Die absoluten Masse von Proton und Neutron sind auRerst gering, namlich 1,67 * g. Entsprechend ist die Masse des Elektrons 1836mal kleiner, d.h. 0,916. g. Die GroRenverhaltisse in einem Atom sollen mit Hilfe eines Vergleiches verdeutlicht werden: Wird der Durchmesser eines Atoms mit 1 km angenommen, so hat sein Atomkern einen Durchmesser von 10cm; das entspricht also dem lOOOOsten Teil des ganzen Atomdurchmessers. Im Atomkern sind aber 99,95% der gesamten Masse des Atoms vereinigt. Auf das Element Eisen ubertragen heiRt das: Die Atomkerne von ca. lo00 m3 Eisen, die ca. 8000 t wiegen, lassen sich in 1 mm3 unterbringen. Der ubrige Raum, der von den Elektronen besetzt wird, ist praktisch ohne Masse. Im Atomkern sind die schweren Elementarteilchen auf engstem Raum angeordnet, und in ihm bejindet sich nahezu die gesamte Masse des Atoms. Da man sich unter einer Masse von 10-24g schwer etwas vorstellen kann bedeutet 0 ,.... (23 Nullen...)! - ist es sinnvoll, die Masse der Atome in einer sehr vie1 kleineren Masseneinheit aus dem atomaren Bereich selbst auszudriicken. Als BezugsgroRe fur 1 atomare Masseneinheit wurde daher das Kohlenstoffatom gewiihlt. 1 atomare Masseneinheit ( u ) ist 1/12 der Masse des Kohlenstoffatorns, dessen Kern aus 6 Protonen und 6 Neutronen besteht. Der Durchmesser eines Atoms betragt ern bis 10-7cm,
der eines Atomkerns cm bis lo-'* em; cm = 1 fm (Ferntometer) Die Masse des Wasserstoffatoms betragt 1,008 u. Es genugt fur technische Rechnungen haufig, die Masse des Wasserstoffs gleich 1 u zu setzen. Eine Vorstellung atomarer GroBenordnungen vermittelt Abb. 1-3. Der Durchmesser eines Atomkerns verhalt sich annahernd zu dem einer Kirsche wie der Durchmesser der Kirsche zu dem der Sonne.
1 3 2 Relative Atommasse Bei Massenangaben im atomaren Bereich laRt man die Einheit oft ganz weg und spricht dann von der relativen Atommasse (Tab. 1-2.). Sie gibt an, wievielmal schwerer ein Atom (allgemein: Teilchen) als ein Teilchen mit der Masse 1 u ist (oder auch als ein Wasserstoffatom, wenn es auf die kleine Abweichung in der 3. Stelle nach dem Komma nicht ankommt). Gebrauchlich ist auch die Atommasseneinheit 1 Dalton = 1 D*.
1 3 3 Isotope Neben den Protonen enthalten alle Atomkerne auRer denjenigen des normalen (Jeichten") Wasserstoffs - auch noch Neutronen. Im Gegensatz zu Protonen und Elektronen tragen Neutronen keine elektnsche Ladung, d.h. sie sind, wie in ihrem Namen anklingt, neutral. Zu einem Element mit einer bestimmten Anzahl von Protonen in den Kernen konnen nun verschiedene ,,Sorten" von Atomen gehoren, die sich durch die Anzahl der Neutronen in den Kernen unterscheiden. AuRer Wasserstoff enthalten alle Atome mindestens die gleiche Anzahl an Neutronen wie an Protonen! Die Neutronen wirken wie ,,Kit", der die Protonen, die sich gegenseitig abstoRen, zusammenhalt. Atome eines Elementes konnen eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen enthalten, sie heiRen dann Isotope. Die Masse eines Atoms wird aber von den im Atomkern vorliegenden Neutronen und Protonen bestimmt und durch die Massenzahl charakterisiert. Die Massenzahl ist definiert als die Anzahl aller Elementarteilchen - Protonen und Neutronen - im Kern, sie ist immer eine ganze Zahl (ohne Einheit). Da Protonen und Neutronen etwa
*
I Dalton = I D ist definiert als die Masse eines hypothetischen Atoms vom Atomgewicht 1 in der chem. Atomgewichtsskala und entspricht 1,66018 . 10 24 g. Dalton, John (176&1844).engI. Chemiker.
1 Chemische Definitionen
Erde
17
I8
I Chemische Grundlagen
Tab. 1-2. Die relativen Atommassen der chemischen Elementc Sym- Name bol
Atommasse
Relative Atommasse a) 1975
Sym- Name bol
I In Ir
Jod Indium Iridium
K Kr Kto
Kalium 19 Krypton 36 KurtschwatoviumO I04
La Li Lr Lu
Lanthan Lithium Lawrencium Lutetium
57 3 103 71
138,9055 6,941 (256) 174.97
Md Mg Mn Mo
Mendelevium Magnesium Mangan Molybdan
101
(257) 24.305 54,9380 95,94
N Na Nb Nd Ne Ni No Np Nt
Stickstoff Natrium Niob Neodym Neon Nickel Nobelium Neptunium Niton
0
Sauerstoff Osmium
76 15 91 82 46 61 84 59 78 94
30,97376 [23 1.03591 207,2 106,4 (145) (209) 140,9077
Pu
Phosphor Protactinium Blei Palladium Promethium Polonium Praseodym Platin Plutonium
Ra Rb Re Rh Rn Ru
Radium Rubidium Rhenium Rhodium Radon Ruthenium
88 37 75 45 86 44
[226,0254] 85,4678+ 186,207 102,9055 (222) 101,07+
S Sb Sc Se Si
Schwefel Antimon Scandium Selen Silicium
16 51 21 34 14
32,06 121,75+ 44,9559 78,96+ 28,0855
Ac Ag Al Am Ar As At Au
Actinium Silber Aluminium Americium Argon Arsen Astatin Gold
89 47 13 95 33 85 79
(227) 107,868 26,98154 (243) 39,948+ 74.92 16 (210) 196-9665
B Ba Be Bi Bk Br
Bor Barium Beryllium Bismut Berkelium Brom
5 56 4 83 97 35
10.81 I37,33 9.0 12 I8 208,9804 (247) 79.904
C Ca Cb Cd Ce Cf CI Cm Co Cp Cr Cs Cu
Kohlenstoff Calcium Columbium Cadmium Cer Californium Chlor Curium Cobalt Cassiopeium Chrom Caesium Kupfer
18
6 12,011 20 40.08 Siehe Nb 48 112,41 58 140.12 98 (25 1 ) 17 35,453 96 (247) 27 58,9332 Siehe Lu 5 1,996 24 55 132,9054 29 63.546+
0s
66
Dy
Dysposium
Em Er Es Eu
Emanation Erbium Einsteinium Europium
F Fe Fm Fr
Fluor Eisen Fermium Francium
Ga Gd Ge GI
Gallium Gadolinium Germanium Glucinium
31 64 32 Siehe Be
H Hao He Hf Hg Ho
Wasserstoff HahniumO Helium Hafnium Quecksilber Holmium
1 105 2 72 80 67
100
87
53 49 77
12 25 42 7 II 41 60 10
28 I02 93 Siehe Rn 8
Relative Atommasse a) 1975 126,9045 114.82 192.22 +
39,0983+ 83,80 (260) +
+
14,0067 22,98977 92,9064 144,24+ 20,179+ 58,80 (255) [237,0482] 15,9994 190.2
+
162,50+
Siehe Rn 68 I67,26' 99 (254) 63 151.96 9 26
Atomnummer
18,998403 55,847 + (257) (223) 69,72 157,25+ 72,59 1,0079 (262) 4,00260 178,49+ 200,59+ 164,9304
P Pa Pb Pd Pm Po
Pr R
195,09+
(244)
+
1 Chemische Definitionen
19
Tab. 1-2. Fortsetzung
Sym- Name bol
Atommasse
Relative Atommasse a)
Sym- Name bol
Atomnummer
1975
Sm Sn Sr
Ta Tb
Tc Te Th Ti TI Tm
Samarium Zinn Strontium
62 50 38
Tantal Terbium Technetium Tellur Thorium Titan Thallium Thulium
73 65 43 52 90 22 81 69
I50,4 I18,69+ 87,62 180,9479+ 158,9254 [98,9062] 127,60+ [232,0381] 47,90+ 204,37+ 168,9342
Relative Atommasse a) 1975
U
Uran
92
V
Vanadium
23
W
Wolfram
74
183,85+
Xe
Xenon
54
131,30
Y Yb
Yttrium Ytterbium
39 70
88,9059 173,04’
Zn
Zink Zirconium
40
Zr
30
238,029 50,94 14
65.38 91.22
* Relative Atmommassen 1975, bezogen auf das Kohlenstoffisotop “C. Die Unsicherheit betragt
f 1 in der letzten Stelle; wenn mit versehen, betragt sie f 3. Werte in runden Klammern geben die Nukleonenzahl (oder Massenzahl) des stabilsten bekannten Isotops an, Werte in eckigen Klammem die relative Atommasse des bekanntesten Isotops. Diese Elemente sowie deren Symbol sind international noch nicht anerkannt. +
*
die relative Masse 1 haben, gibt die Massenzahl auch die ungefhre relative Atommasse an. Isotope sind somit Atome mit gleicher Protonenzahl, aher verschiedener Massenzahl. Einige Isotope senden energiereiche Strahlen aus, man nennt sie dann radioaktiv. Das Normalkohlenstoffatom besitzt die Massenzahl 12, d. h. der Kohlenstoffkern baut sich aus 6 Protonen und 6 Neutronen auf. Das Kohlenstoffisotop mit der Massenzahl 14 hat im Kern 8 Neutronen. Es ist radioaktiv und kann zur Kennzeichnung von organischen Verbindungen herangezogen werden, die zur Aufk l b n g von Stoffwechselprozessen in der Medizin und Biochemie eingesetzt werden. Die radioaktiven Strahlen konnen mit entsprechenden Geraten, z. B. Geigerzahler, registriert werden. Somit kann immer ausfindig gemacht werden, wo sich die markierte chemische Verbindung befindet und in welcher Menge sie vorhanden ist.
1.4 Molekiil und Molekulmasse 1.4.1 Molekiil Das kleinste Teilchen einer Verbindung wird Molekiil genannt. Es entspricht dem Atom bei den Elementen. So gibt es z.B. das Wasser-Mole-
kul-, das Kohlenstoffdioxid-Molekul, das Schwefeldioxid-Molekul usw. Es gibt kleine und grol3e Molekule, je nachdem, ob sie aus wenigen oder vielen Atomen zusammengesetzt sind. Sehr grolle Molekule werden aus einer Vielzahl kleiner Molekiile gebildet und haben die Bezeichnung Makromolekiile. Als Makromolekiile sind KartoffelstQke, Cellulose (der Hauptbestandteil des Holzes) und Kunststoffe - wie Polyethylen und Polyvinylchlorid - sowie Synthesefasern (z. B. Nylon und Perlon) bekannt. Makromolekule sind aus Hunderten oder Tausenden von Atomen zusammengesetzt.
1.4.2 Molekiilmasse Die Molekiilmasse ist die Summe der Atommassen derjenigen Elemente, die am Aufbau eines Molekuls beteiligt sind. Diese Aussage gilt sowohl fur die absoluten als auch fur die relativen Massen. Die Molekiilmasse fiir Kohlenstoffdioxid, COz, errechnet sich (mit gerundeten Zahlen) wie folgt: Element C 0
Atommasse
Molekulmasse
12 16
12 32
Die Molekulmassse fur Kohlenstoffdioxid betragt also 44.
20
I Chemische Grundlagen
1.4.3 Stoffmenge und molare Masse lm ,,Gesetz iiber die Einheiten im MeBwesen" vom 26. Juli 1970 wurde fur die Basisgroae SfofSmengedie Basiseinheit Mol mit dem Zeichen mol festgelegt. Das Formelzeichen fur diese GroBe ist n. 1 mol enthalt 6,022. loz3 kleinste Teilchen (die Teilchen konnen Molekiile, Atome, lonen usw. oder Gruppen von diesen sein). Da gleiche ,,Mengen" verschiedener Stoffe die gleiche Anzahl von kleinsten Teilchen beinhalten, miissen sich die moluren Mussen (d. h. die Masse fiirje 6,022 . loz3Teilchen) verhalten wie die relativen Atom- bzw. Molekiilmassen. Die molare Masse mit dem Formelzeichen M hat als Einheit Kilogramm durch Mol mit dem Zeichen kg/mol. Haufiger wird als Einheit noch Gramm durch Mol gebraucht: g/mol. Es besteht die Beziehung I
g = 10-3- kg = 1 kg mol mol kmol
-
Den Zahlenwert erhalt man aus der relativen Atommasse (Molekiilmasse) mit der Einheit der molaren Masse. Beispiele Die relative Atommasse von Schwefel ist 32, die Stoffmenge n = 1 mol hat dann die molare Masse M=32g/mol. Die Masse des einen Mol* Schwefel betragt somit m = M.n. m =
32 g . 1 mol = 32 g mol
Die relative Molekulmasse von Kohlenstoffdioxid ist 44, folglich ist die molare Masse 44 g/mol.
1.5 Die chemische Bindung In den vorangegangenen Kapiteln 1st das Atom als das kleinste Teilchen eines Elements bezeichnet worden; es besteht aus dem Atomkern und der Atomhiille. Ein Molekiil wurde als das kleinste Teilchen einer Verbindung definiert. Molekiile bestehen aus mindestens zwei Atomen.
* Mol steht hier fur 6,022 . lo2' Atome, friiher ,,Tom".
Wie kommt eine chemische Verbindung zustande? Aus der Elektrizitatslehre ist bekannt, dafi sich gleichnamige Ladungen abstoBen und entgegengesetzte anziehen. Kommen sich zwei Atome sehr nahe, so konnen die - negativ geladenen - Elektronen des einen Atoms in den Anziehungsbereich des - positiv geladenen - Kerns des anderen Atoms geraten. Daraus resultiert in der Regel eine Anziehung. Die vorher in sich abgeschlossenen Atomhiillen der beiden Elemente haben sich nun zu einer neuen Hulle um die beiden Atomkerne formiert (Abb. 1-4). Die beiden Atomkerne dieses neu entstandenen Molekiils bleiben in einem ganz bestimmten Gleichgewichtsabstand voneinander entfernt. Dieser Abstand heiBt Atomabstand. Unter dem Atomubstund versteht man die Entfernung zwischen den Atomkernen der Atome eines Molekiils. Versucht man, die Atomkerne einander uber den Atomabstand hinaus zu nahern, so werden AbstoBungskrafte wirksam, da jetzt die gleichsinnig geladenen Kerne unmittelbar aufeinander wirken. Es muB Energie oder Arbeit aufgewendet werden, um diese AbstoBungskrafte zu iiberwinden. Umgekehrt mu8 auch Energie aufgewendet werden, um die Kerne vom Gleichgewichtsabstand voneinander zu entfernen. Nun miissen die Anziehungskrafte zwischen den Elektronen und den Atomkernen iiberwunden werden. Im Atomabstand wird die AbstoBung der positiven Atomkerne durch die negative Ladung der Elektronen, die sich im Raum zwischen den Kernen am hlufigsten aufhalten, ausgeglichen. Die beiden Atome werden zu einer Einheit, dem Molekiil, verbunden. Unter chemischer Bindung sind die wechselseitigen Anziehungskriifre zwischen den Elekrronen der Atomhiille und den Protonen verschiedener Atome zu verstehen. Die Energie, die notig ist, um eine chemische Bindung wieder zu losen, d. h. die Anziehungskrafte zwischen Kernen und Elektronen zu beseitigen, nennt man Bindungsenergie. .... ..
+
Atom
r
__c
At om
Abb. 1-4. Modell einer Molekulbildung.
Mdekul
1 Chemische Definitionen
Die chemischen Eigenschaften und das chemische Verhalten eines Elements werden von der Elektronenzahl in der auiuOersten Elektronenschale seiner Atome bestimmt. Atome, aus deren Hiille Elektronen entfernt werden oder in deren Hiille uberziihlige Elektronen eingefiillt werden, laden sich positiv bzw. negativ auf. Solche elektrisch geladenen Teilchen heiBen Ionen. Die Entfernung von Elektronen aus der Atomhulle heil3t Ionisierung, die dafur erforderliche Energie Ionisierungsenergie. Ionen sind elektrisch geladene Atome oder Molekiile. Die Elektronen konnen sich in der Elektronenschale einsam, d. h. als Einzelelektron, um den Kern bewegen. Sie konnen aber auch rnit einem zweiten Elektron zu einem Elektronenpaar gekoppelt werden und als solches den Atomkern umkrei sen. In der auBeren Elektronenschale muR zwischen einsamen - oder ,,ungepaarten" - Elektronen und Elektronenpaaren unterschieden werden. Einsame Elektronen lassen sich leichter als zu Paaren gekoppelte Elektronen aus der Elektronenschale entfernen, d. h. die erforderliche Ionisierungsenergie ist geringer als die fur Elektronenpaare.
1.6 Der Begriff der Wertigkeit Atome rnit einsamen Elektronen in ihrer auBeren Elektronenschale konnen sich durch Bildung eines gemeinsamen Elektronenpaares zu einem Molekul verbinden. Beispielsweise konnen die beiden einsamen Elektronen zweier Wasserstoffatome zu einem Elektronenpaar zusammentreten: H*+-H
-
H:H
Der Strich bedeutet die chemische Bindung. Er steht fur ein Elektronenpaar. Auch Elektronenpaare, die nicht an chemischen Bindungen beteiligt sind, kennzeichnet man oft durch Striche, die an die betreffenden Elementsymbole angelegt werden. Fur das 0-Atom beispielsweise, dessen AuBenelektronenschale zwei Einzelelektronen und zwei Elektronenpaare enthalt, ergeben sich so zwei gleichwertige Schreibweisen:
.. ..
~
oder
.O.
-0. ~
Das Sauerstoffatom rnit seinen beiden Einzelelektronen vermag mit je einem Einzelelektron zweier Wasserstoffatome zwei neue Elektronenpaar-Bindungen zu bilden. Sauerstoff ist demnach zweiwertig, Wasserstoff wieder einwertig. H.
..
+ .o. .. +
.H
oder H - 0-- H
-
..
H:O:H
oder H 2 0
Im Ammoniak, NH3, sind 3 Wasserstoffatome rnit 1 Stickstoffatom verbunden; Stickstoffim Ammoniak ist dreiwertig: H
.. :N:H ..
H I
oder IN-H I
H
H
Im Schwefelwasserstoff, H2S, sind 2 Wasserstoffatome mit 1 Schwefelatom verbunden; Schwefel in Schwefelwasserstoff ist zweiwertig :
..
H:S:H
oder
H - S-- H
Im Methan, dem wesentlichen Bestandteil des Erdgases, sind 4 Wasserstoffatome mit 1 Kohlenstoffatom verbunden; Kohlenstoff in Methan ist vierwertig: H
oder kurzer H + H
21
H,
Die Wertigkeit gibt an, wieviele Einzelelektronen ein Atom eines Elements zu den Bindungen mit anderen Atomen im Molekiil beigesteuert hat. In chemischen Formeln deutet man Elektronen, die sich in den AuDenschalen der Atome befinden, haufig - wie oben fur Wasserstoff geschehen - durch Punkte an. H. bedeutet danach den Kern des Wasserstoffatoms mit seinem Einzelelektron. Statt H:H schreibt man meist H-H.
H H:&H
..
H
I oder H-C-H I
H
Man kann die Wertigkeit eines Elements festlegen als die Anzahl der Wasserstoffatome oder das Doppelte der Anzahl der Sauerstoffatome, die ein Atom zu binden vemzag. Nach dieser Definition ist Wasserstoff immer einwertig und Sauerstoff immer zweiwertig. Der Vergleich zahlreicher Verbindungen zeigt, daJ manche Elemente in verschiedenen Wertigkeitsstufen aufireten konnen.
22
I Chernische Grundlagen
Deswegen muB gesagt werden: ,,Schwefel in Schwefelwasserstoff ist zweiwertig" und nicht einfach: ,,Schwefel ist zweiwertig". Im Schwefeldioxid, SO,, ist 1 Schwefelatom mit 2 Sauerstoffatomen verbunden. Nach der getroffenen Festlegung ist Schwefel in Schwefeldioxid vierwertig: -
~
o=s=o Im Stickstoffpentoxid, N205, [penta (grch.) funfl sind 2 Stickstoffatome mit 5 Sauerstoffatomen verbunden. Formal kommen auf 1 Stickstoffatom 2 ' / , Sauerstoffatome, die Wertigkeit des Stickstoffatoms in dieser Verbindung ist also fiinf, namlich die zweieinhalbfache Anzahl der Sauerstoffatome pro Stickstoffatom. Die so errnittelte Wertigkeit spiegelt sich in der Anzahl der Bindungen wider, die in der Formel des N205 von jedem Stickstoffatom ausgehen:
1.7 Die chemische Reaktion 1.7.1 Stoffumsatz Vereinigen sich zwei oder mehrere Stoffe derart miteinander, darj ein oder mehrere vollig neue Stoffe entstehen, so spricht man von einer chemischen Reakrion, und zwar von einer Bildungsreaktion. Man spricht auch von einer chemischen Reaktion, wenn ein Stoff in zwei oder mehrere Kornponenten mit anderen Eigenschaften zerfallt. Hier handelt es sich um eine Zerfullsreuktion. Die Reaktionsgleichung fur die Verbrennung von Wasserstoff mit Luftsauerstoff zu Wasser lautet: 2Hz
+
Wawrstoff
0,
-
Sauerstoff
2 H20 Wahser
Setzt man jetzt statt der chemischen Symbole die molaren Massen in Gramm in die Reaktionsgleichung ein, so erhalt man 2.2g
Nach diesen Beispielen kann Stickstoff 3- oder 5wertig sein, Schwefel 2- oder 4wertig. Schwefel kommt noch in weiteren Wertigkeiten vor. Die Metalle Natrium, Na, und Kalium, K, sind stets einwertig. Sie werden einer Gruppe von Metallen mit niedriger Dichte zugeordnet, die als Alkalimetalle bezeichnet werden. Die Leichtmetalle Magnesium, Mg, Calcium, Ca, und Barium, Ba, die der Gruppe der Erdalkalimetalle angehoren, sind stets zweiwertig. Die Elemente Fluor, F, Chlor, C1, Brom, Br, und Iod, I, die Halogene (Salzbildner) heifien, verhalten sich bevorzugt einwertig. Beispiele fur einwertige Halogenverbindungen, die aus einwertigen Wasserstoffatornen und einwertigen Halogenatomen gebildet werden, sind folgende Molekiile: Fluonvasserstoff Chlorwasserstoff Bromwasserstoff Iodwasserstoff
HF HC1 HBr HI
+
32g
C-CJ
4g
+
32g
-
2.18g \--
36 g
d. h. 4 g Wasserstoff reagieren mit 32g Sauerstoff unter Bildung von 36 g Wasser. Selbstverstandlich kann man statt Gramm auch andere Masseneinheiten in die Gleichung einsetzen. Wie bei jeder Gleichung mussen auf der rechten und linken Seite der chemischen Gleichung die gleichen Massen stehen. Nuch dem Gesut7 vnn der Erhaltung der Musse bkibt bei allen chemischen Vorgangen die Gesamtmasse der Reaktinn.rpartner und Reaktiorisprodukte unverandert.
Die Molekulmassun errechnen sich als Summe der Atommassen, die z. B. dem Periodensystem der Elemente zu entnehmen sind (s. Abb. 1-2).
1.7.2 Energieumsatz Wie schon in Abschn. 1-1.1.4erwahnt, wird jeder Stoffumsatz von einem Energieumsatz begleitet. Es gibt Reaktionen, bei denen warend ihres Ablaufs Energien in Form von W h n e frei werden. Das Reaktionssystem gibt also Energie ab und wird dadurch energiehner. Dieser Reaktionstyp gehort zur Gruppe der exothermen Reaktionen.
1 Chemische Definitionen
Bei einem anderen Reaktionsablauf mussen W b n e oder elektrische Energie zugefuhrt werden, um den Reaktionsverlauf zu ermoglichen. Das Reaktionssystem nimmt also Energie auf und wird somit energiereicher. Hier handelt es sich um den endothermen Reaktionstyp. Mit Hilfe der chemischen Reaktionsgleichung und den zugehorigen Energiedaten der an der chemischen Umsetzung beteiligten Reaktionspartner I a t sich eine Energiebilanz aufstellen. Energiebilanz Jeder Stoff verfugt uber einen bestimmten Energieinhnlt. Der absolute Wert dieser Energieinhalte ist nicht bekannt. Es konnen immer nur die Anderungen der Energieinhalte bestimmt werden, d. h. ob bei stofflichen Veranderungen von den jeweiligen Substanzen Energie abgegeben oder aufgenommen wird. Um zu vergleichbaren GroBen zu gelangen, werden die Energieinhalte aller chemischen Elemente in ihrem stabilen Zustand bei 298,15 K (Kelvin) und dem Normdruck von 1,013 bar gleich Null gesetzt. Reagieren je zwei Mole des Elements Wasserstoff und ein Mol Sauerstoff miteinander, so entsteht Wasser unter gleichzeitiger Freisetzung von 571,6W (Kilojoule) Wbneenergie, wenn das Wasser fliissig anfallt und eine Temperatur von 25 "C aufweist. Die Elemente Wasserstoff und Sauerstoff sind in der Verbindung Wasser um diesen Betrag energiebner. Die Wiirme wurde an die Umgebung abgegeben. Deshalb wird dieser Wert mit dem Vorzeichen (-) versehen. Die Bildungswhe, abgekiirzt ABH des Wassers betragt also A&f=-571,6 kJ/mol. Diese B i l d u n g s w h e entsteht, wenn sich 4 g Wasserstoff mit 32g Sauerstoff zu 36 g Wasser umsetzen. 2 HZW
Wasserstoff 2.2g 2.0k.l
+
OZW
Sauerstoff
32 g
OH
-
23
von den Verbindungen abgegeben (-) oder aufgenommen (+) werden, wenn ihr Aufbau direkt aus den Elementen erfolgt. Die Bildungswbnen von chemischen Verbindungen liegen in einschlagigen Tabellenwerken katalogisiert vor und sind alle auf 1 mol bezogen. Reaktionswarme (Reaktionsenthalpie) Unter Reaktionswarme versteht man diejenige Wbnemenge, die wahrend eines Reaktionsablaufes zwischen chemischen Verbindungen vom Reaktionssystem abgegeben (-) bzw. aufgenommen (+) wird. Bildungswbnen sind ein Sonderfall der Reaktionswhen. Wie schon erwiihnt, wird von Bildungswbnen immer dann gesprochen, wenn die Reaktion zwischen elementaren Partnern erfolgt. Die Reaktionswbnen, auch Reaktionsenthalpien genannt und allgemein mit AH (sprich: Delta H) gekennzeichnet, konnen aus den Bildungswbnen mit Hilfe der chemischen Reaktionsgleichnung errechnet werden (s. Kap. 1-11). Es wird die Summe der Bildungswkmen der Reaktionskomponenten der linken Seite einer chemischen Reaktionsgleichung gebildet und die Summe der Bildungswknen der Reaktionsprodukte der rechten Seite. Von der Summe der Bildungswknen der rechten Seite wird die Summe der Bildungswknen der linken Seite abgezogen. Diese Rechnung sol1 an einem allgemeinen Beispiel erlautert werden: Reaktionsgleic hung: 2A+B
-
2C+D
- -
Bildungswiirmen: 2 H,Oo, Wasser (A&,, = -57 1.6 kJ/mol) 2.18g 2 (-285,8) kJ = -571,6 kJ/mol
Wird die freigesetzte Wiirmeenergie auf 1mol Wasser, d. h. 18g, bezogen, dann betragt ihr Wert ABH,,,= -285,6 kJ/mol
Auf diesem Wege lassen sich fur alle chemischen Verbindungen die Bildungsw-en bestimmen, d. h. diejenigen W h e m e n g e n , die
2 . ASHA ;ASHB
2 . ABHC ;ABHD
linke Seite
rechte Seite
Summe der Bildungswbnen: 2 . ABHA + ABH,
2 . ABHC
+ ABHD
Reaktionswbne: ARH = ( 2 ABHC + ABHD)
-
( 2 ABHA + ABHB)
Der erste Buchstabe B als Index sol1 andeuten, daB es sich um Bildungswbnen handelt. Die
24
I Chemische Grundlagen
zweiten Buchstaben A, B, C , D als lndizes geben an, fur welche Reaktionspartner die Bildungswiirmen gelten. Fur die Verbrennung von Hexan in Luftsauerstoff ist folgende Rechnung zu vollziehen: Reaktionsgleichung : 2 c ~ H ~+~ 19 (o ~ )~ Hexan
-
,~)
+
12c02(g)
Luftsauerstoff
14H20(I,
Kohlenstoff- Wasser dioxid
Bildungswarmen (ABW: 2 . (-198.82) kJ 19. (0)kl
fur Hexan fur Sauerstoff
12 . (-393,Sl) !d 1 4 . (-285.83) kJ
fur Kohlenstoffdioxid fur Wasser
Summe der Bildungswkmen (A&): linke Seite: -397.64 kJ/mol rechte Seite: (4722,12 kJ/mol)
+
(4001,62 kJ/mol) i
-8723.74 Wlmol
Reaktionsw-e
ARH = - 8326,I kJ/mol
(A&):
ARH = (-8723,74) kJ - (-397,64) kJ = -8326,l kJ/mol
Die Reaktionsenthalpie betragt ARH = -X326,1 kJ/mol,
wenn 172 g Hexan rnit Luftsauerstoff vollstandig zu Wasser und Kohlenstoffdioxid verbrannt werden. Um diesen Energiebetrag wird das Reaktionssystem m e r . Er wird an die Umgebung abgegeben oder, z. B. beim Autofahren, technisch genutzt. Eine chemische Reaktionsgleichung rnit den dazugehorigen Mengen- und Energiebilanzen w k e also wie folgt zu formulieren:
-
2 c ~ H ~+ ~19(02(g, ~ ,
l2
Hexan
Kohlenstoff- Wasser dioxid
2.868
Luftsauerstoff
19.32~
+ l4
"2,g)
Bei der Berechnung und der Angabe von Bildungs- und Reaktionswkmen ist immer zu beriicksichtigen, fur welchen Aggregatzustand des jeweiligen Stoffs die Angaben gelten. Die Bildungswiirme fur gasformiges Wasser betragt ABH = - 241,8 kJ/mol, die fur flussiges Wasser ABH = - 285,8 kJ/mol. Die Bildungswarme fur flussiges Wasser ist also dem Betrag nach groRer als fur gasformiges, denn wahrend des Uberganges vom gasformigen in den flussigen Zustand gibt das System, in diesem Falle Wasser, noch Wiirme (die Kondensationswiirme) an seine Umgebung ab (s. Abschn. 11-4.5.3). Es wird also energiekmer. Die angegebenen Werte fur die Bildungswarmen beziehen sich alle auf die Stoffmengeneinheit 1 mol. Die Reaktionsenthalpien werden auch auf die Stoffmengeneinheit mol bezogen. Sie mussen aber immer im Zusammenhang rnit der Reaktionsgleichung, d. h. dem stochiometrischen Umsatz, gelesen und interpretiert werden. Die Reaktionsenthalpie fur die Hexanverbrennung ist in diesem Beispiel rnit
12.44g
H2°(I>
14.18g
2 . (-198.82) kJ/mol 19 . (0) !d/mol 12 . (-393,5 1) kJ/mol 14. (-285,83) kJ/mol (AnH = -8326,l kJ/mol)
angegeben. Will man die Reaktionsenthalpie fur 1 mol Hexanverbrennung angeben, muR der Wert ARH= - 8326,l kJ/mol durch 2 dividiert werden, da laut Reaktionsgleichung 2 mol Hexan verbrannt worden sind. Die Bildungs- und Reaktionswiirmen mussen ferner, wenn sie eine exakte Aussage geben sollen, immer auf eine bestimmte Temperatur bezogen werden. In der Regel ist die Bezugstemperatur 25 "C, das entspricht 298,lS K. Bei Gasen muR zusatzlich noch der Bezugsdruck angegeben werden. In der Regel ist dies der Normdruck von 1,013bar. Um anzudeuten, auf welchen Aggregatzustand sich die angegebenen Werte beziehen, werden die Stoffe in den Reaktionsgleichungen rnit einem Index versehen, und zwar: feste Stoffe mit flussige Stoffe mit gasformige Stoffe mit
(s)
(I) (8)
Stoffe, die in Wasser gelost vorliegen, werden mit dem Index (aq) versehen.
1.7.3 Oxidationsreaktionenrnit Sauerstoff Reaktionen, bei denen sich ein Element oder eine Verbindung mit Sauerstoff zu einer neuen Ver-
25
1 Chemische Definitionen
+
bindung umsetzt, nennt man Verbrennungen oder
2 H,
auch Oxidationen. Die Oxidutionsprodukte heiBen Oxide. Die dabei auftretenden W h e m e n gen werden haufig auch Verbrennungswamen eenannt. " Im Gegensatz z. B. zur Kohleverbrennung laufen manche Reaktionen so langsam ab, daR die entstehende W h e rnit unseren Sinnesorganen nicht wahr genommen wird. Es gilt also, zwischen langsam und schnell ablaufenden chemischen Reaktionen zu unterscheiden. Im weitesten Sinne versteht man unter einer Oxidation die Zunahme der positiven und Abnahme der negativen Ladung. Beim Bleiakkumulator ist die Aufladung eine Oxidation und die Entladung eine Reduktion:
Wasserstoff
-
O2
2 HzOo,
Sauerstoff
Wasser
32 g
36 g (AH=-571,6kJ/mol)
Bei Zimmertemperatur verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff praktisch nicht. Ein Gemisch von Wasserstoff und Sauerstoff im Volumenverhaltnis 2 : 1 kann man tage- und monatelang aufbewahren, ohne daR es zu einer merklichen Reaktion kommt. Die Wasserstoffund Sauerstoffmolekiile mussen erst aktiviert werden, d. h. in einen angeregten Zustand versetzt werden (s. Kap. 1-10). Das ist moglich durch Zufiihrung von Aktivierunnsenergie in Form von W m e oder Oxidation durch Heribsetzlng der Aktivierungsenergie rnit Pb" Pb4+ + 2eKatalysatoren (z. B. feinverteiltem Platin oder Reduktion Palladium). Der wahrzunehmende laute Knall dieser Schnelle Oxidationen Knallgasexplosion kommt dadurch zustande, daR der entstehende Wasserdampf infolge der moSchnelle Oxidationen verlaufen unter heftiger mentan entwickelten Oxidationswiirme ein vie1 Wmeentwicklung und haufig unter Leucht- groDeres Volumen benotigt als das urspriingliche erscheinungen, wie z. B. die Kohleverbrennung Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch,so daR die umTreibstoff-Sauerstoff-Gemisch-Verbren- gebende Luft plotzlich rnit groRer StoRkraft wegoder nung in Verbrennungsmotoren. Die bei diesen gedriickt wird. Verbrennungen auftretenden Temperaturen nennt man Verbrennungstemperaturen. Wird Kohlenstoff mit SauerstoffunterschuR Reuktion zwischen Treibstoffen und Sauerstoff verbrannt, so entsteht Kohlenstoffmonoxid. Unter Treibstoffen versteht man KohlenwasserAuch bei dieser Reaktion wird ein bestimmter stoffe wie Benzine und Dieselole. So wie es sich Energiebetrag als W b n e frei. bei der Verbrennung von Kohlenstoff rnit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid und von Wasserstoff 2c + o2 2 co mit Sauerstoff zu Wasser um energieliefemde Kohlenstoff Sauerstoff Kohlenstoffmonoxid Reaktionen handelt, werden auch bei der Ver24 i3 32 g 56 g brennung von Kohlenwasserstoffen hohe Betrage (AH=-221.0kJ/mol) an Wameenergie frei (s. Abschn. 1-1.7.2).
-
Bei 700 "C verbrennt Kohlenstoffmonoxid rnit Sauerstoff unter starker Whneentwicklung zu Kohlenstoffdioxid.
-
2co +
0,
Kohlenstoffmonoxid 56 g
Sauerstoff
2 CO, Kohlenstoffdioxid 88 g (AH= -566.0 kJ/mol)
2C6H,,
+ 190,
-
12C0,
+
14H20
Treibstoff (Hexan)
Lufrsauerstoff
Kohlenstoffdioxid
Wasser
I72 g
608 g
528 g
252 g
(AH=-8326,l kJ/mol)
Diese und %hnliche Verbrennungsreaktionen spielen sich in den Zylindern der Verbrennungsmotoren von Automobilen, z.B. den Otto- und Dieselmotoren und anderen WbnekraftmaReuktion zwischen Wusserstof und Sauerstoff schinen ab. Bringt man ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch Die im Treibstoff (2. B. Hexan) enthaltene bei ca. 600°C zur Entzundung, so bildet sich chemische Energie wird bei der Verbrennungsexplosionsartig Wasser (Knallgasreaktion, s. reaktion als Wmeenergie freigesetzt. Die Abschn. 1-1.7.1). Wlirmeenergie wird iiber die beweglichen Kol32 g
26
I Chemische Grundlagen
ben in den Verbrennungszylindern mittels der Volurnenausdehnung der Verbrennungsgase in Bewegungsenergie urngesetzt. Es gilt folgendes Energiescherna: Chemische Energie (als Bindungsenergie im Treibstoff)
1
Verbrennungsreaktion
1
Druckausgleich durch Kolbenverschiebung
Warmeenergie (Druckerhohung im Verbrennungszylinder)
Neben Pyrit, einer naturlichen Eisen-Schwefel-Verbindung, ist Schwefel der Rohstoff fur die groBtechnische Schwefelsaureherstellung. Dazu ist es notwendig, dab elementarer Schwefel uber die Reaktion mit Luftsauerstoff zu Schwefeldioxid und weiter zu Schwefeltrioxid urngesetzt wird (vgl. Abschn. 111-4.3). Diese Oxidationsreaktion erfolgt in zwei Stufen. Wird Schwefel in Gegenwart von Luftsauerstoff verbrannt, so entsteht unter Freiwerden von Warmeenergie Schwefeldioxid. 1. Stufe
+
S
0,
-
Bewegungsenergie (rnechanische Energie)
Ammoniakverbrennung
2. Stufe
Bei der Amrnoniakverbrennung handelt es sich um eine katalytische Reaktion, die allerdings, ist sie erst einmal angelaufen, unter Warmeabgabe verlauft. Die Amrnoniakverbrennung 1aBt sich zusammenfassend durch folgende Reaktionsgleichung beschreiben (vgl. Abschn. 111-7.3.2).
Die Oxidation von Schwefeldioxid zu Schwefeltrioxid erfolgt nicht ohne weiteres. Die Molekiile rnussen mittels Katalysatoren zunachst aktiviert werden, dann lauft die Reaktion unter Warrneentwicklung weiter.
+
4NH,
Kat
50,
Arnmoniak
Sauerstoff
@+g
160 g
4N0
+
2s0, 6H,O
StickqtottWasser monoxid 120 g 108 g (AH= -906,3 kl/molj
Das entstehende Stickstoffmonoxid reagiert mit dern Sauerstoff weiter zum Stickstoffdioxid. Auch hier wird Warme freigesetzt. 2N0
+
0,
-
Schwefeldioxid I28 g
Sauerstoff 32 6
so,
Schwefel 32 g
+
o* Sauerstoff
32 g
Schwefeldioxid @+g (AH = -297 kJlrnol)
Kal.
2 so, Schwefeltrioxid 160 g
(AH= -198 kJlmol)
Setzt man definitionsgerniiI3 die Oxidationsstufe* eines Elementes rnit Null an, so liegt der Schwefel im Schwefeldioxid in der positiven vierwertigen Stufe vor, Schwefeltrioxid in der positiv sechswertigen Stufe.
2 NO,
Stickstoffmonoxid
Sauerstoff
Stickstoffdioxid
60 g
32 g
92 s ( A H = - I 14.2 kUmolj
Wird das Stickstoffdioxidgas von Wasser absorbiert, entsteht durch eine weitere chernische Reaktion die Salpetersaure HNO,.
Schwefelverbrennung Elernentarer Schwefel kornmt in riesigen Lagerstatten in der Natur vor und wird als solcher abgebaut. Er fallt auBerdem in groBen Mengen bei der Reinigung, d. h. Raffinierung, des Rohols an.
0
II
o=s=o
o=s=o
Schwefeldioxid (positiv vienvertiger Schwefel)
Schwefeltrioxid (positiv sechswertiger Schwefelj
Wird Schwefeltrioxid in Wasser eingeleitet, vermag es rnit diesern zu der wichtigen Schwefelsaure H,SO, zu reagieren.
*
Oxidationsstufc. Oxidationszahl: Zahl der Ladungen, die das Atom besPBe, wenn das Molekiil aus Ionen aufgebaut ware!
1 Chernische Definitionen
Phosphorverbrennung
Elementarer Phosphor kommt in der Natur nicht vor. Er mu8 nach besonderen Herstellungsverfahren aus den Rohphosphaten gewonnen werden. Es gibt weifien, roten und schwarzen Phosphor. Diese Sorten unterscheiden sich in ihren Zustandsformen und zeigen bei gleicher chemischer Zusarnrnensetzung unterschiedliches physikalisches Verhalten (vgl. Abschn. 111-5.6.4). Der w e g e Phosphor wandelt sich beim Stehenlassen an Licht unter Leuchterscheinungen in die stabile rote Mod$kation urn. Unter Selbstentzundung reagiert er mit Luftsauerstoff unter kraftiger Wweentwicklung zu Phosphoroxid P,O,, (Diphosphorpentoxid). 4P
+
50r
-
weikr LuftPhosphor sauerstoff 160g 124g
27
an trockener Luft und in luft- und kohlenstoffdioxidfreiem Wasser nicht verandert. Unter diesen Bedingungen bildet sich an der Oberflache eine dunne, zusammenhangende Oxidschicht, die das darunterliegende rnetallische Eisen vor weiteren Luftsauerstoffangriffen schutzt. Diesen Vorgang nennt man fassivierung.
Unter Passivierung ist das Entstehen einer zusammenhangenden Oxidschicht an der Oberjlache eines Metalls zu verstehen, die das darunter liegende Metall vor weiterer Oxidation schutzt.
+
4Fe
302
metallisches Eisen 223,2g
-
trockene Luft 96g
2 Fe203 Eisenoxid 319.2 g
P4OIO
(AH= -1648.6 kJ/mol)
Phosphoroxid 284 g
(AH= -2984 kJ/mol)
Diphosphorpentoxid ist ein weiBes, sehr begierig Wasser anziehendes (hygroskopisches) Pulver. Mit Wasser reagiert es zu Phosphorsaure, die ein bedeutendes Ausgangsprodukt fur grol3technische Industriechemikalien ist. Wiihrend der Verbrennung mit Sauerstoff 2ndert sich die Oxidationsstufe von Null beim elementaren Phosphor auf positiv funf im P4010.
Die Erscheinung der Passivierung ist mit ein Grund fur die Moglichkeit, reine, hochkonzentrierte Schwefelsaure in Eisenkesseln transportieren zu konnen. Wird Eisen dagegen von feuchter Luft oder lufthaltigem Wasser angegriffen, bildet sich ein wasserhaltiges Eisenoxid. Dieses Oxid heiBt Rost und der Vorgang Rosten. Chemisch handelt es sich um eine komplizierte Reaktion, die hier nur in einer zusammenfassenden Reaktionsgleichung formuliert werden soll. 4Fe
Langsame Oxidationen Langsarne Oxidationen oder Verbrennungsvorgange, auch stille Verbrennungen genannt, verlaufen unter nicht wahrnehrnbarer W m e - oder Lichtentwicklung. Dazu gehoren: das Rosten von Eisen, das Anlaufen von Metallen (vgl. Abschn. IV13, die Passivierung von reinem Aluminium, die Verwesung von organischen Substanzen wie z.B. von Holz, Pflanzen oder tierischen Bestandteilen, die Atmung und der dadurch eingeleitete Abbau von Nahrungsmitteln im lebenden Organismus (biologische Oxidation). Rosten von Eisen
Chernisch reines Eisen ist ein silberweifles, relativ weiches Metall, das sich in kompakter Form
+
metallisches Eisen
3H20 + 2 0 ,
-
2 Fe(OH), . FeO Rost
feuchte Luft oder lufthaltiges Wasser
(AH= -1464 kJ/mol)
Die durch Rosten gebildete Oxidschicht ist unzusammenhtingend und nicht fest haftend. Der gebildete Rost ist arnorph und weich, so daB der Rostvorgang weiter in das Innere des Eisens fortschreiten kann. Die Oxidschicht als Schutzschicht
Zusammenhangende Oxidschichten konnen rnanche Metalle vor weiterer Oxidation schutzen. Diese Passivierungserscheinung macht man sich technisch zunutze. Durch spezielle Verfahren werden auf bestimmten Metallen zusarnmenhangende, gegen rnechanische Einwirkungen unempfindliche Oxidschichten erzeugt. Die Schichtdicken konnen je nach den technischen Anforderungen unterschiedlich sein.
28
I Chemische Grundlagen
Besondere Bedeutung hat die Obefluchenpassivierung beim Aluminium erlangt. Obwohl Aluminium sehr leicht mit Sauerstoff unter Wiirmeentwicklung reagiert, wird dieser Oxidationsvorgang durch die entstehende Oxidschicht gestoppt. 4Al
+
Aluminium 107,9g
30, Sauerstoff 96 g
-
2 A1203 Aluminiumoxid 203,9 g (AH = -335 1 kJ/mol)
Die Bestandigkeit von Aluminium gegenuber oxidierenden Sauren wie Salpetersaure beruht auf der Bildung einer schutzenden Oxidschicht. Mit Hilfe der elektrolytischen anodischen Oxidation von Aluminium ist es gelungen, kunstliche Oxidschichten zu erzeugen, die allen technischen Anforderungen an Schutzschichten geniigen. Anodisch oxidiertes Aluminium heiBt auch eloxiertes Aluminium. Eloxal ist elektrolytisch oxidiertes Aluminium. Da sich die Oxidschicht auch bei Beschadigungen sofort wieder neu bildet, ist das Aluminium vor korrosivem Angriff geschutzt.
- Urnwandlung
Energie-Quelle
Biologische Oxidationen
Durch die Atmung werden im lebenden Organismus sowohl der Pflanze als auch des Tieres und des Menschen organische Verbindungen wie Nahrungsmittel (Kohlenhydrate, Fette) mit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid und Wasser verbrannt; z. B. ChHIZO, Traubenzucker (Glucose) 180 g
+ 602
Biokatalysator
Kohlenstuffdioxid 108g 264g (AG = - 2876 !d/mol*)
I92 g
- Speicher
I
t
I
Fotosynthese
Atrnung
I
Sonnenenergie
6 H 2 0 + 6C0,
Die in den Nahrungsmitteln gespeicherte biochemische Energie wird bei dieser langsamen und flammlosen Verbrennung als Wiirme oder Muskelarbeit abgegeben oder wieder in Form anderer, energiereicher Aufbaustoffe im Organismus gespeichert. Die biologische Verbrennung ist das Ende einer langen Kette von Energieumwandlungsprozessen, in denen uber viele biochemische Reaktionsstufen die Sonnenenergie in eine unserem lebenden Organismus entsprechende Energieform umgewandelt wird (Abb. 1-5).
c
I
-
Wasser
Sauerstoff
'I 7 ' +
Wandler Pflanze Mikroorganismen
Speicher: Kohlehydrate, Fette, Eiweil3
Warme-
energie
'
4
i
Elektr. Energie
I G G q e n , Eiweil3, Fette
J-
I
Stoffwechsel- und Abbauprodukte; Cog, H20, Harnstoff. Phosphate u. a.
Sauerstoff,
L.2_1 Abb. 1-5. Biochemische Energie- und Stoffumwandlungen.
*
AG Freie Reaktionsenthalpie (vgl. Abschn. 1-1 1.4.5)
I I
1 Chemische Definitionen
1.7.4 Reduktionsreaktionen
2. Herstellung von Aluminium aus Bauxit
Unter Reduktion versteht man im engeren Sinne die Abspaltung von Sauerstoff aus einem Oxid oder einem sauerstoffhaltigen Molekiil. Im weiteren Sinne bedeutet die Reduktion immer eine Zunahme der negativen und Abnahme der positiven Ladung, z. B.
-
AI3’+ 3eLi +e-
Eine Reduktion geht immer mit einer Oxidation einher und umgekehrt. Deshalb spricht man auch von Redoxreaktionen. Ein Beispiel ist die Wechselreaktion zwischen zwei- und dreiwertigen Eisen-Ionen, wie sie fur den roten Blutfarbstoff charakteristisch ist. Fe”
-
-
e-
Fe2’
Wasser
-
Kohlenstoffdioxid
3. Herstellung von Eisen aus Eisenerz
Fe304 + 2 C
-
+ 6 HzO + 6 0 2
C&(OH), Glucose
Quarz
2C Kohlenstoff
-
+ 2COZ
3Fe
+
-
2Fe203 + 3 C
(AH= +33 1 kl/mol)
+ 3 CO,
4Fe
Hamatit
-
(AH = +469 kJ/mol)
2Fe + 3 C O ,
Sauerstoff (AG= +2876 kl/mol)
4. Herstellung von Phosphor aus Rohphosphat P,O,
-
+ 5c
Phosphorpentoxid
2P
Kohlenstoff
+
2Ca,(PO,),F
Si
+
Silicium
2CO Kohlenstoffmonoxid (AH= +690 kJ/mol)
+ 5CO
Phosphor Kohlenstoffmonoxid (AH= +939,3 kJ/mol)
+
15 C
Rohphosphat
Kohlenstoff
6P
+
Phosphor
15 CO
+
8 SO,
-
Quarz
6 CaSiO,
KohlenCa-Silicat stoffmonoxid
+
Ca.,Si,O,F, Ca-F-Silicat
(AH= +4423 kJ/mol)
5. Herstellung von Wasserstoff aus Wasser oder Methan
-
2 H20 Wasser
Wasser
1. Herstellung von Silicium aus Quarz
+
dioxid
Magnetit
2H,O
+
Wasser
CH, Methan
-
Beispiele von technisch wichtigen Reduktionsreaktionen: SiO,
+ Kohlenstoff-
Eisen
(AH= +302 kl/mol)
Dreiwertige Eisen-Ionen f&ben das Blut hellrot, wie es beim arteriellen Blut der Fall ist; zweiwertige Eisen-Ionen fiirben es dunkelrot, wie beim venosen Blut. Die wichtigsten Reduktionsmittel in der chemischen Technik sind Kohlenstoff und Wassersto8 Hydrierungsreaktionen sind Reduktionsreaktionen. Reduktionsverfahren haben in der chemischen Technik eine grofie Bedeutung. Auch die Photosynthese ist eine Hydrierungsreaktion und damit eine Reduktion. Der Wasserstoff-Lieferant ist in diesem Falle das Wasser, das durch die Lichtenergie in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten, d. h. photolysiert wird.
12 HzO + 6 COz
3CO2
Aluminium Kohlenstoffdioxid (AH=+2161 kJ/mol)
Eisenspat
Reduktion
Photosynthese
+
4A1
Kohlenstoff
2 FeCO, + C
Oxidation
+
-
2A1203+3C Bauxit
Eisenerz + Kohlenstoff
A1 Li-
+
29
0 2
+
2H2
Sauerstoff Wasserstoff (AH=+571,8kJ/mol)
CO,
+
4H,
KohlenWasserstoff stoffdioxid (AH = +253 kJ/mol)
6. Herstellung von Ammoniak aus Stickstoff N, Stickstoff
+
3H, Wasserstoff
-
2 NH3 Ammoniak (AH=-92,1 kJ/mol)
30
I Chemische Grundlagen
1.8 Metalle
Je nach den angewendeten Verfahren unterscheidet man zwischen der
1.8.1 Eigenschaften von Metallen
-
Metalle sind chemische Elemente rnit einer sehr hohen elektrischen Leitfahigkeit, die rnit steigender Temperatur abnimmt. Die elektrische Leitfahigkeit beruht auf dem geringen Energieunterschied der Elektronen im Valenzzustand und im Zustand der freien Beweglichkeit im Kristallgitter. Das sog. ,,Elektronengas" bewegt sich fast frei zwischen den positiv geladenen Atomriimpfen. Gekoppelt mit der elektrischen Leitfahigkeit sind -
die Warmeleitfahigkeit und
- das hohe Adsorptions- und Reflexionsvermo-
gen fur sichtbares Licht, mit dem der typische Metallglanz zusammenhangt. Die Metallbindung beruht auf der Wechselwirkung der Coulombkrafte zwischen den auf Gitterplatzen lokalisierten Metallionen und den delokalisierten Valenzelektronen. So wie die Ionenbindung und die van-derWaals-Bindung ist auch die metallische Bindung nicht gerichtet. Daher riihrt die Neigung der Metalle, Raumgitter rnit dichtester Kugelpackung zu bilden. Die Richtungsunabhiingigkeit der Bindung, auch Isotropic* genannt, ist eine Voraussetzung fur die gute plastische Verformbarkeit der meisten Metalle. Metalle sind bis auf eine Ausnahme bei Raumtemperatur fest. Diese Ausnahme ist das Quecksilber, welches bei Raumtemperatur flussig ist und erst bei -39 "C erstarrt.
Pyrometallurgie, Hydrometallurgie und - Elektrometallurgie. -
Die Pyrometallurgie befal3t sich rnit Verfahren, die im Temperaturbereich zwischen 200 "C und 3000°C ablaufen, z.B. Eisen- und Stahlerzeugung durch Reduktion von Eisenerzen. Unter Hydrometallurgie sind Verfahren zusammengefdt, die in waBrigen Medien bei Temperaturen bis 100°C bei Normdruck und im Autoklaven bei Temperaturen bis 300 "C ablaufen. Sie wird fur die Gewinnung von Nichteisenmetallen angewendet, z. B. beim AufschluB von Kupfererzen mit wiiBriger Schwefelsaure oder bei der Goldgewinnung mit wiilhiger Natriumcyanid-Losung. Die Elektrometallurgie ist durch die Anwendung des elektrischen Stroms gekennzeichnet und kann Bereiche der - Pyrometallurgie und - Hydrometallurgie
uberdecken. Die Aluminium- und Siliciumgewinnung durch Schmelzflul3elektrolyse sind elektrometallurgische Verfahren. Auswahlkriterirn ,Fir die Verjhhren
Temperatur- und druckabhangige Werte der freien Reaktionsenthalpien, AG, der jeweils vorliegenden Metallverbindungen wie - Oxide, - Sulfide, - Arsenide, -
1.8.2 Gewinnung von Metallen Nur wenige Metalle kommen in der Natur gediegen, d.h. rein vor. Diese sind Platin, Iridium, Gold und Kupfer. Die ubrigen sind nur als Verbindungen rnit anderen Elementen anzutreffen.
Allgemeine Verfahren zur Metallgewinnung Die Gewinnung von Metallen erfolgt in der Regel aus ihren Erzen in drei Stufen: -
Konzentration und Aufbereitung,
- Reduktion, -
*
Rafination (Reinigung). ism (grch.) = pleich
Halogenide
bestimmen u. a. die ani-uwendenen Verfahren. Weitere Faktoren sind die physikalische Beschaffenheit der Ausgangsstoffe und die geforderte Durchsatzleistung, Energieverfugbarkeit, Reinheit des zu erzeugenden Metalls, gewinnbare Nebenprodukte. Preis, behordliche Auflagen, Wasserreinhaltung, Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung.
1 Chemische Definitionen
Rosten Sulfidische Erze werden durch Oxidation
Teilweise in Gegenwart von Wasserstoff findet dann die thermische Zersetzung statt. Das Metall fallt in Pulverform an.
- mit Luft,
mit Sauerstoff angereicherter Luft oder - mit reinem Sauerstoff
-
31
(NH,),MCI,
therrnische
Zersetzung
Metall
+ Ammo- + Chlor niumchlorid
in Metalloxide umgewandelt. Metallsultid
+ Sauerstoff
-
Metalloxid
+ Schwefeldioxid
Folgende Sulfiderze werden dem Rosten unterworfen: Zink, Blei, Kupfer, Nickel, Molybdan und Eisen. Das Schwefeldioxid wird zu Schwefelsaure weiterverarbei tet.
Feststoff-Gas-Reaktionen rnit Wasserstoff dienen zur Reduktion von Metalloxiden und gelegentlich auch von Metallhalogeniden zu den Metallen. Metalloxid
+ Wasserstoff
-
Metall
+ Wasser
Beispiel: Molybdan, Wolfram, Rhenium.
Chlorieren Feste Metalloxide werden durch Umsetzen rnit Chlor in Gegenwart von Kohlenstoff in flussige oder gasformige Chloride ubergefiihrt. Als Reaktoren dienen Schachtofen oder Wirbelschichtreaktoren.
-+
Metalloxid
Reduktion mit Wasserstoff
Chlor + Kohlenstoff Metallchlorid + Kohlenstoffmonoxid
Beispiele: Magnesium, Titan, Zirkonium.
Reduktion
Wasserstoff/Kohlenstoffmonoxid-Gemische dienen zur Reduktion von Eisenerzpellets zu Eisenschwamm im Schachtofen.
Carbothermische Reduktion Unterschieden wird zwischen der indirekten carbothermischen Reduktion von Metalloxiden rnit Kohlenstoffmonoxid bei Temperaturen bis etwa 1000°C Metalloxid
Wahrend der Reduktion wird die aus der Konzentrationsstufe als Feststoff oder Losung hervorgehende Metallverbindung zerlegt. Das Metall wird als Roh- oder Reinmetall gewonnen. Unter Reduktion wird nicht nur die Zerlegung eines Oxids rnit Kohlenstoff oder Wasserstoff als Reduktionsmittel verstanden, sondern jede Zerlegung einer Verbindung unter Energiezufuhr. Metalloxid + KohlenMetall + Kohlenstoff stoffmonoxid
-
Reduktion rnit pyrometallurgischen Methoden Darunter versteht man die thermische Zersetzung von Metallverbindungen. In der Endstufe eines hydrometallurgischen Trennprozesses liegen z. B. die Platinmetalle als komplexe Salze vor, z. B. (NH4)2MClh M = Iridium, Osmium, Rhodium, Platin.
+ Kohlen-
-
stoffmonoxid
Metall + Kohlen- (1) stoffdioxid
und der direkten carbothermischen Reduktion von zum Teil vorreduziertem Metalloxid durch Kohlenstoff im angrenzenden Temperaturbereich bis etwa 1600"C Metalloxid
+ Kohlen- -.-
Metall
+ Kohlen-
(2)
stoffdioxid In Gegenwart von uberschussigem Kohlenstoff wird das nach G1. (1) gebildete Kohlenstoffdioxid oberhalb von 900°C wieder zu Kohlenstoffmonoxid reduziert. stoff
Kohlenstoff- + Kohlenstoff dioxid
-
Kohlenstoff- (3) monoxid
Carbothermische Reduktionen sind haufig Schmelzreduktionsverfahren.
Beispiel: Eisen und Eisenlegierungen mit Silicium, Mangan, Chrom, Nickel, Zink, Blei.
32
1 Chemische Grundlagen
Bei einer carbothermischen Reduktion werden uber die Metallcarbonyle und Metallcarbide hohere Legierungsanteile in Ferrolegierungen erhalten. Metallsulfide und Metallhalogenide lassen sich nicht mittels Kohlenstoff oder Kohlenstoffmonoxid reduzieren.
ist die elektrochemische Spannungsreihe von grundsatzlicher Bedeutung. Die Elektrodenpotentiale ?I verandern sich durch Variation der Metallionen-Konzentration, des pH-Wertes und des Wasserstoffdruckes. Zementution
Metallothermische Reduktion Diese Verfahren dienen der Gewinnung von schwer reduzierbaren, praktisch kohlenstofffreien Sondermetallen. Es bilden sich keine Carbide. Die metallothermische Reduktion ist eine Verdrangungsreaktion. Das Oxid oder Halogenid des zu reduzierenden Metalls M wird durch ein unedleres reaktives Metall R reduziert. Metalloxid Metallchlorid
+R +R
Reduktionsmetall R
-
Metall + R-Oxid
Metall + R-Chlorid
I Gewonnenes Metall M
Unter Zementation versteht man die elektrochemische Abscheidung eines Metalls aus Losungen durch Zusatz eines unedleren Metalls, das in der elektrochemischen Spannungsreihe vor dem auszufallenden Metall steht und anstelle des edleren Metalls in Losung geht. Beispiel: Auslaugen von Kupfer zur Reinigung von Kobalt- und Zink-Laugen mittels Kobalt- bzw. Zink-Pulver. Zementation von Kupfer aus Grubenwassern rnit Eisenblechschrott: CuSO,
Natrium
Titan. Tantal
Magnesium
Beryllium, Titan, Zirkonium Hafnium, Uran und I11 bGmppenmetalle
Calcium
V- und 111 b-Gruppenmetalle
Aluminium
Calcium, Chrom, Niob, Vanadium-AluminiumLegierung. kohlenqtofffreie Ferrolegierungen
Der edle oder unedle Charakter eines Metalls ist durch seine Stellung in der elektrochemischen Spannungsreihe bestimmt. Die Oxide bzw. Halogenide des zur Reduktion dienenden Metalls R miissen eine negativere freie Bildungsenthalpie besitzen als die zu reduzierenden Verbindungen des Metalls. Die metallothermische Reduktion der Oxide und Halogenide reaktiver Sondermetalle erfordert die Anwendung von vdkuum oder Schutzgas, wenn weitgehend sauerstoff- und stickstofffreie Metalle gewonnen werden sollen.
Reduktion mit hydro- und elektro-metallurgischen Methoden
+
Kupfersulfat
Fe
-
FeSO,
+
Cu
Eisensulfat (AH = - 157 kJ/mol)
Druckreuktion mit WusserstoJ
Hohere pH-Werte der Losung und hoher Wasserstoffdruck steigern die Reduktionskraft des Wasserstoffs. Beispiel: Nickelfallung aus kobalthaltigen ammoniakalischen Losungen bei Temperaturen bis 200 "C und einem Wasserstoff-Partialdruck von 20 bar. AnschlielJend kann auf dieselbe Weise auch Kobalt gefallt werden. Elektrolyse
Kathodische Metallabscheidung als Reduktionsreaktion, zum Beispiel die Aluminium- und Magnesium-Gewinnung. Beide Metalle - Aluminium ausschliealich und Magnesium uberwiegend - werden technisch durch Elektrolyse der Oxide bzw. der Chloride in Salzschmelzen gewonnen.
Fur die hydrometallurgischen Reduktionsmethoden
Gewinnung von Alkalimetallen
z. B. Zementation, Druckreaktion mit Wasserstoff, Elektrol yse
Die Gitterenergie der Alkalimetalle ist aufgrund des groBen Atom- und Ionenvolumens verhaltnismaBig klein.
1 Chemische Definitionen
Von technischer Bedeutung fur die Gewinnung von Alkalimetallen und deren Anwendung ist, daB sie bei relativ niedrigen Temperaturen in weiten Temperaturbereichen flussig sind. Die niedrigen Dampfdriicke von Lithium und Natrium sind gunstig fur eine Gewinnung mittels SchmelzfluBelektrolyse. Kalium und Casium haben einen weit hoheren Dampfdruck und sind fur eine SchmelzfluBelektrolyse nicht so gut geeignet. Kalium wird durch Reduktion von Kaliumchlorid mit Natrium bei 870 "C erhalten. Es entsteht eine Kalium-Natrium-Legierung. Diese wird im 2. Verfahrensschritt in Gegenwart von Stickstoff als Schutzgas fraktioniert destilliert.
Gewinnung von Strontium und Barium Rohstoffe: Coelestin, SrSO, Strontianit, Sr C 0 3 Schwerspat, BaSO, Witherit, BaCO,
SrSO,
+2C
SrS + C02 + H 2 0 Strontiumsulfid
-
-
SrS
Aus Strontiumcarbonat wird im elektrisch beheizten Vakuumofen Strontiumoxid gewonnen.
Gewinnung von Erdalkalimetallen Calcium kann nach der SchmelzfluBelektrolyse oder nach dem aluminothermischen Verfahren aus Calciumchlorid bzw. Calciumoxid erhalten werden. Aluminium dient als Reduktionsmittel. Das aluminothermische Verfahren wird unter Hochvakuum bei Temperaturen zwischen 1100°C bis 1200°C und einem Druck von 0,l mbar durchgefuhrt. Das erhaltene Calcium kann durch Vakuumdestillation gereinigt werden. Temp. 900°C bis 925 "C, Druck < 0,l mbar.
1.8.3 Halbmetalle
Die Reduktion von feingemahlenem Strontiumsulfat erfolgt bei 1100°C bis 1200°C mit Kohle im Drehrohrofen. Dabei entsteht Strontiumsulfid, das mit heissem Wasser ausgelaugt wird. Nach Filtration wird das Sulfid aus der Lauge mit Kohlenstoffdioxid oder Soda als Carbonat gefallt Strontiumsulfat
33
+
2COZ
Strontiumsulfid
(AH= -2300 !d/mol) S K 0 3 + H2S Strontiumcarbonat
(AH= +491 !d/mol)
Die Halbmetalle stehen beziiglich ihrer Eigenschaften zwischen Metallen und Nichtmetallen. Zu ihnen ztihlen Bor, B, Kohlenstoff, C, Silicium, Si, Germanium, Ge, Arsen, As, Antimon, Sb, Selen, Se, und Tellur, Te. Sie kommen meist in mehreren Modifikationen (Zustandsformen) vor, namlich in einer oder mehreren nichtmetallischen und in einer metallischen Modifikation. In ihrer metallischen Modifikation leiten die Halbmetalle bei Raumtemperatur den elektrischen Strom maBig. Bei W-ezufuhr jedoch steigt im Gegensatz zu den Metallen bei diesen Stoffen die elektrische Leitfhigkeit an. Die Halbmetalle und halbmetalltihnliche Verbindungen haben als Werkstoffe fur Halbleiter in der Elektroindustrie ein groBes Einsatzgebiet gefunden (s. Abschn. 111-6.2). Auch Kohlenstoff ist zu den Halbmetallen zu rechnen, sonst konnte man ihn nicht als Elektrodenmaterial verwenden.
2 Wasser
2.1 Vorkommen Wasser gehort zu den Huuptbestundteilen der uns umgebenden belebten und unbelebten Natur (s. Abschn. 111-12.2). Es bedeckt 70,s % der Erdoherfarhe in Form von Meeren, Seen und Fliissen; der menschliche Korper besteht zu einem Massenanteil von 0,6 bis 0,7 (60 bis 70%) aus Wasser, Friichte und Gemiise enthalten oftmals einen Massenanteil an Wasser, der groBer als 0,9 (90 %) ist. In geringen Erdtiefen findet man es als Grundwasser. Die Atmosphare kann Volumenanteile bis zu 0,04 (4%) an Wasser in Dampfform aufnehmen und es bei Druck- oder Temperaturiinderungen in Form von Niederschlug abgeben (Regen, Wolken, Nebel, Reif, Schnee, Hagel). Mineralien enthalten oft chemisch gebundenes Wasser als Kristallwasser. Das Gesamtwasservolumen unserer Erde betragt 1,384 Mrd Kubikkilometer. Davon sind 97,4%, das sind 1,348 Mrd Kubikkilometer, in
Verdunstung Ober Meer: 425 (0.031%)
Atmosphare:
; Weltmeere:
: 1.348.000 ;
(97.4%)
den Weltmeeren, die wegen ihres hohen Salzgehaltes nicht so ohne weiteres als Trinkwasser oder industrielles Nutzwasser geeignet sind. 2,65 % bzw. 0,036 Mrd Kubikkilometer liegen als SiiBwasser vor. Sie verteilen sich in unterschiedlichen Mengen auf das Polareis und die Gletscher 2,0%, auf das Grundwasser und die Bodenfeuchte 0,58 % und auf die Seen und Fliisse 0.02 %. Von den gesamten Wassermengen befinden sich 0,073 % bzw. 1 ,O Mio Kubikkilometer im standigen UmwandlungsprozeR zwischen Verdunstung, Kondensation (Niederschlage) und atmospharischem Bestandteil (Abb. 1-6). Der Anteil der Wasservorrate, der mit ca. 1 Mio Kubikkilometer am standigen Zyklus des Verdampfens, Kondensierens, Erstarrens und Schmelzens teilnimmt, ist sehr klein. Aber gerade dieser Teil beeinfluat das Klima auf der Erde entscheidend. Ein weiterer Klimafaktor sind die Weltmeere selbst, die sich durch eine hohe Speicherkapazitat fur die Warmeenergie auszeichnen. In den Abb. 1-7a und I-7b sind die Energiemengen schematisch einander zugeordnet, die beim
Meer: 385 (0.028%)
35
2 Wasser Aufnahme von 2260 kJ Verdampfungswanne
n
-w-
Wasser
Abgabe von 2260 kJ Kondensationswarme Wasser
Umwandlungsvorgange des mit der Masse von 1 kg
-
E
Wasser
-
c k
Wasser
Erstamngswarme Abgabe von 335 kJ
Aufnahme Schrnelzwanne von 335 kJ
(273 K = O°C; 1 kcal = 4,184 kJ)
Abb. I-7a. Energieumsetzung des Wassers. - Dabei auftretende Energieverluste sind nicht beriicksichtigt.
Verdampfungswarme (+ 2260 kJ)
w Dampf
373
Kondensationswarme(- 2260 kJ)
E
-E
I
3
x
Urnwandlungsvorgange des Wassers (H,O)
E
I-" Schmelmarrne (+ 335 kJ)
273
I
Erstamngswarme (- 335 kJ)
....-.
I.335 kJ I
419kJ
I
2260 kJ
J
*
Energie [kJ] (273K 0 OC; 1 kcal= 4,184 kJ) Abb. I-7b. Diagramm fur die Energieumsetzung des Wassers bezogen auf 1 kg. - Dabei auftretende Energieverluste sind nicht beriicksichtigt.
36
I Chemische Grundlagen
Wechsel des Wassers von Fliissigkeit, Dampf und Eis umgesetzt werden.
2.2 Chemische und physikalische Eigenschaften Wasser ist eine Verbindung, die aus einem Massenanteil von 0,889 (88.9 %) Sauerstoff (0,)und einem Massenanteil von 0,111 (1 1,l %) Wasserstoff (H,) besteht. Es entsteht beim Verbrennen von Wasserstoff oder wasserstoffhaltigen Verbindungen in sauerstoffhaltiger Atmosphare.
+
2H,
0,
-
2 H,O
Wasserstoff
Sauerqtoff
Waqser
4g
32g
36 g (AH=-S71.6kJ/mol)
Bei Neutralisationsreaktionen und vielen anderen chernischen Reaktionen entsteht ebenfalls Wasser (s. Abschn. 1-6.1). HCI Saure
+
NaOH Lauge
Neutralisation
-
NaCl Salz
+
Physikalische Daten bei Normdruck (1,013 bar): 0 "C Erstarrungspunkt 100°C Siedepunkt 334,96 I d k g Schmelzwarme 2258,4 kJ/kg Verdampfungswarme 1 kg/dm3 GroRte Dichte (bei 4°C) Volumenausdehnung am Gefrierpunkt bei Umwandlung von 9 % Massenanteil, Wasser in Eis d.h. Eis ist leichter als fliissiges Wasser Die meisten Stoffe nehmen in fester Form an ihrem Gefrierpunkt ein kleineres Volumen ein, als in flussiger Form. Beim Wasser ist das umgekehrt, man spricht daher von der Anornulie* des Wassers. Wasser hat bei Normdruck bei +4"C seine groBte Dichte.
2 3 Physikalische BezugsgroBen H,O Wasser
(AH= -56.1 kJimol)
Beide Reaktionen, sowohl die Verbrennung des Wasserstoffs als auch die Neutralisation, verlaufen exotherm, d.h. es wird Energie freigesetzt. Das Reaktionsprodukt, in diesern Fall Wasser, ist energie-er als die Ausgangsprodukte. Wasser ist eine energiearrne und damit chemisch stabile Verbindung. Umgekehrt rnuR man Energie aufwenden, um Wasser in seine Elernente Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen. Aufgrund ihres hoheren Energiegehalts sind Wasserstoff und Sauerstoff sehr reaktionsfahige Stoffe. Reines Wasser ist eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, in dicker Schicht blaulich schimrnernde Fliissigkeit.
Die Masse von 1 dm' Wasser bei 4 "C ist 1 Kilogramm (kg).
Fur die Temperaturskala nach Celsius dienen die Umwandlungstemperaturen des Wassers unter Normdruck als Fixpunkte.
0 "C 100 "C
-
Gefrierpunkt des Wassers Siedepunkt des Wassers
Auch bei der friiheren Definition der Warmemenge bediente man sich des Wassers: 1 kcal** entspricht der Wiimemenge, die man benotigt, urn 1 kg Wasser von 14,s "C auf 1 5 3"C zu erw m e n , das entspricht 4,187 kJ.Der Druck wurde oft in rnm Wassersaule angegeben.
*
**
anomales (grch.) = regelwidng, uneben. kcal als Einheit der Warmemenge ist nicht mehr zulassig.
3 Sauren
Im Abschn. 1-1.7.3 sind einige Oxidationsreaktionen zwischen Nichtmetallen und Sauerstoff vorgestellt worden. LaBt man diese Oxidationsprodukte, namlich die Nichtmetalloxide, mit Wasser reagieren, so entstehen als Reaktionsprodukte Sauren, eine wichtige chemische Stoffklasse.
von Waschrohstoffen, Kunststoffprodukten, Dungemitteln usw. Schwefelsaure mit w**(H2S0,) = I (100 %) heiBt Monohydrat, und eine Losung von Schwefeltrioxid in Monohydrat heiBt Oleum oder rauchende Schwefelsaure.
3.2 Schweflige Saure
3.1 Schwefelsaure
SOzcg, + H&) SO3(g)
+ H20(1)
Schwefeltrioxrd 80 g
----t
HzS04,,,
Wasser
Schwefelsaure
18 g
98 g
-.-
H2%,q)
Schwefel- Wasser dioxid
schweflige Siure
@g
82 g
18g
( M =-26,4 kJ/rnol) (AH=-l32,6kJ/rnol)
Schwefelsiure
0-H
Schwefeltrioxid tritt in fester Form in 3 Modifikationen auf, die bei 40 "C zu schmelzen beginnen und an der Luft stark rauchen. Die eisartige y-Modifikation schmilzt schon bei 16,8 "C. Mit Wasser reagiert Schwefeltrioxid stark exothenn. Es entsteht Schwefelsaure, eine schwere, olige Flussigkeit. Sie siedet bei 338°C mit einer konstanten Zusammensetzung von 0,98 (98 %) Massenanteilen Schwefelsaure und 0,02 (2 %) Wasser. Das ist die gewohnliche, konzentrierte Schwefelsaure des Handels. Sie ist stark wasseranziehend (hygroskopisch*). Vorsicht ist beim Verdiinnen der Schwefelsaure geboten. Immer muB die Schwefelsaure in Wasser geschuttet werden und niemals umgekehrt. Das Verdiinnen erfolgt unter starker Warmeentwicklung. Schwefelsaure hat viele Einsatzgebiete. Sie wird benotigt bei der Herstellung
* **
hygro (grch.) = Feuchtigkeit. scopein (grch.) = beobachten. spahen. w(X) ist der Massenanteil eines Stoffes X in einer Mischung. Er ist der Quotient aus seiner Masse m(X) und der Masse rn der Mischung, w(X)= ni(X)/m.
Schwefeldioxid ist im Gegensatz zurn Schwefeltrioxid ein Gas und 1aBt sich in Gegenwart eines Katalysators mit Luft zu Schwefeltrioxid oxidieren. In Wasser lost sich Schwefeldioxid, reagiert aber nur zu einem minimalen Anteil zur schwefligen Saure.
o= s / \
0-H schweflige Siure
0-H
Schwefeldioxid kommt in Druckgasflaschen und Kesselwagen in den Handel und dient zurn Bleichen und Raffnieren. Fur Bleichzwecke in der Leder- und Papienndustrie sowie in Zuckerund Starkefabriken ist Schwefeldioxid unentbehrlich.
3 3 Phosphorsaure Durch Verbrennen von Phosphor entsteht ein weikr, fester, leicht sublimierender Stoff, Diphosphorpentoxid, P,O Diphosphorpentoxid ist sehr hygroskopisch und als das starkste wasseranziehende Mittel bekannt. Die Sublimationstemperatur liegt bei 350"C, d.h. Phosphoroxid geht bei dieser Tem-
38
I Chemische Grundlagcn
peratur unter Uberspringen des flussigen Zustandes vom festen in den gasformigen Zustand iiber. Die Umsetzung von Phosphoroxid mit Wasser liefert Orthophosphorsaure, gewohnlich Phosphorsaure genannt.
4 NO,,,)
P-tOi,,,,I + 6H2011,
4 HJ'O,i.,q,
0
O~~hophoaphoruiure 392 g ( A f i= -368.6 kJ/mol)
N-0-H II 0
Phosphoroxid
Wasser
2x4 g
108 g
-
Die Phosphorsaure des Handels ist eine sirupose, viskose Flussigkeit mit einem Massenanteil von 0,80 bis 0,85 (80 % bis 85%) H,PO,. Die Wirkstoffe einiger Pflanzenschutzmittel, z.B. E 605, enthalten Phosphorsaureabkommlinge . Fur die Herstellung von reinen Phosphorsaure-Salzen, die in der Futtermittel-, Lebensmittelund Waschmittelindustrie Verwendung finden, sind groRe Mengen Phosphorsaure notwendig. Auch zur Behandlung von Metalloberflachen wird sie in groberen Mengen eingesetzt (Phosphatierung).
3.4 Salpetersaure Wird Ammoniak in Gegenwart von Katalysatoren bei Temperaturen von 450 "C bis 500°C verbrannt, so erhalt man Stickstoffoxide. 4 NH,
+
5 O,,,,
Kat.
Ammoniak Sauerstoff 6X g
160 g
2 NO,,, + Ozlr, Stickstoffmonoxid 60 g
-
4 NO,,, + 6 HZO(,t Stickstoff- Wasser monoxid 120 g 108 g (NZ = -'N6,3 kJ/mol)
Sauerstoff
Stickstoffdioxid
32 f
92 g ( M = - I 1 4 , 2 kJ/mol)
Beide Reaktionen verlaufen stark exotherm. Stickstoffdioxid ist ein braunrotes, charakteristisch riechendes, giftiges Gas. Leitet man Stickstoffdioxid zusammen mit Sauerstoff in Wasser, so erhalt man Salpetersaure .
+ 2 H,O(,, +
Stickstoffdioxid
Wasser
1X4p
36 f
Ozlp) Sailer-
-
4 HNOx.tqi Salpetsrsiure
stoff
32 g
252 g (AH = -346.9 kJ/mol)
I1
Salpetersaure
Die Salpetersaure ist neben Ammoniak die wichtigste anorganische Stickstoffverbindung. Sie ist ein starkes Oxidationsmittel und siedet bei 86°C. Die konzentrierte Saure enthalt einen Massenanteil von 0,68 (68 %) HNO,. Die Salpetersaure ist ein wichtiger Grundstoff zur Produktion von Dungemitteln, Explosivstoffen, Farbmitteln usw.
3.5 Kohlensaure Luft hat einen Volumenanteil von 0,00038 (0,038 %) Krihlcnstoffdioxid. Es dient den PflanZen als Rohstoff (vgl. Abb. 1-5). Kohlenstoffdioxid tritt bei der alkoholischen Garung auf, ebenso in vielen Verbrennungsgasen. Aus Abgasen kann Kohlenstoffdioxid rein gewonnen werden. Es kommt in fester Form als Trockeneis in den Handel. Festes Kohlenstoffdioxid sublimiert, d.h. es geht unmittelbar, ohne zu schmelZen, in Dampfform uber. Kohlenstoffdioxid wird in Druckgasflaschen gehandelt und wird vielfach als Schutzgas zum SchweiUen unlegierter Stahle eingesetzt. Kohlenstoffdioxid ist ein farbloses, geruchloses Gas. Es liist sich in Wasser und verbindet sich mit Wasser zu einem geringen Teil zu Kohlensiiure. Das gelBste Kohlenstoffdioxid kennt man in Sodawasser, Coca-Cola u.a. Hierzu wird Wasser mit Kohlenstoffdioxid unter 3 bis 4 bar behandelt .
3 Sauren
3.6 Salzsaure
Vereinfachte Schreibweise:
Durch Reaktion von Wasserstoff und Chlor (Chlorknallgas), beides Produkte, die bei der Alkalichlorid-Elektrolyse anfallen, entsteht Chlorwasserstoflgas (vgl. Kap. 111-2).
HCI
Ha,,
+
Wasserstoff 2g
Cl2W Chlor 71 E
-
2 HCl,,) Chlorwasserstoff 73 g (AH= - 1x45 kJlmol)
Chlonvasserstoffgas wird technisch bei der Chlorierung von Kohlenwasserstoffen als Nebenprodukt erhalten (vgl. Kap. 111-3). Wird Chlonvasserstoffgas in Wasser eingeleitet, entsteht unter groBer Whneentwicklung Salzsiiure (Chlorwasserstoffsaure). Die auftretende Losungswarme betragt bei 0 "C je nach Verdiinnung 54kJ/mol bis 75 kJ/mol.
H20
HCI,,) Chlorwasserstoff
-
Salzsaure
Die Salzsaure findet fur verschiedene Zwecke Verwendung in der chemischen und chemischtechnischen Industrie, Metall- und Nahrungsmittelindustrie, Leim- und Gelatinefabriken, zur Wasseraufbereitung u. a.
3.7 Eigenschaften von Sauren
Wasser
*
C1
Die allgemeine Schreibweise fur die iibrigen in den Abschnitten 1-3.1 bis 1-3.6 genannten Sauren ist dann folgende: Schwefelsaure H$04
-
+
2H'
SO,'
Das Saurerest-Ion der Schwefelsaure heiBt Sulfat-Ion . Schweflige Saure HzSOi
-
+
2H'
SOl'
Das Saurerest-Ion der schwepigen Saure heirjt Suljit-Ion.
H3P04 -.-
H30+
+
+
3H'
PO,'
Salpetersaure HNO3
CI-
Hydronium- ChloridIon Ion
-
H'
+ NO,
Das Saurerest-Ion der Salpetersaure heiBt Nitrat-Ion. Kohlensaure HK03
Sie alle dissoziieren (spalten sich) in w3Briger Losung in positiv geladene Wasserstoff-Ionen* und negutiv geladene Saurerest-lonen, wobei die Wasserstoff-Ionen niemals frei vorkommen, sondern stets an ein Wassermolekiil gekoppelt sind und in der Losung als Hydronium-Ionen, H 3 0 + , vorliegen. In chemischen Gleichungen schreibt man der Einfachheit halber gewohnlich H' statt H,O', auch spricht man nur von Wasserstoff-Ionen.
Salzslure
+
Das Saurerest-Ion der Phosphorsuure heiBt Phosphat-Ion.
(Der Index aq bedeutet: in Wasser gelost)
Dissoziation
H'
Phosphorsaure
HCLtq) (AH= -75 kJlmol)
HCI + HzO
H2O
39
-t
2H'
Das Saurerest-Ion der Kohlensaure heiBt Carbonat-Ion.
Man unterscheidet verschiedene Saurearten: die anorganischen Sauren, zu denen die sog. Mineralsauren gehoren, und die organischen Sauren, zu denen u.a. die Carbonsauren und die organischen Sulfonsauren gehoren. Wal3rige Saurelosungen schmecken sauer und ftirben blaues Lackmuspapier rot. Sie leiten den elektrischen Strom. Die positiven Ionen, die zur negativen Kathode* wandern, nennt man Kutionen, die negativen Ionen, die zur positiven Anode wandern, Anionen.
* ion (grch.) = gehend, abgekitet von;
ienai (grch.) = gehen: anienai (grch.) = hinaufgehen; kata (grch.) = hinab.
+ CO,'
*
hodos (grch.) = Weg
40
I Chemische Grundlagen
3.8 Unterschiedliche Starken von Sauren Es gibt Sauren, die in wahiger Losung fast vollstandig in Wasserstoff-Ionen und Saurerest-Ionen dissoziiert (gespalten) sind. Zu diesen gehoren z. B. Salpetersaure und Salzsaure. Diese Sauren nennt man starke Sauren. Es gibt aber auch Sauren, die nur einen geringen Anteil Wasserstoff-Ionen in wal3riger Losung abspalten; das sind z.B. Essigsaure, Kohlensaure, Schwefelwasserstoffsaure, Borsaure. Diese Sauren nennt man schwache Siiuren. Als Mal3 fur die Starke einer Saure dient die Angabe, wie weit eine Saure in wal3riger Losung in Wasserstoff- und Saurerest-Ionen aufgespalten ist. HCI
Dissoziation
-
H'
+
CI
Dieses Ma8 ist der Dissoziationsgrad einer SBure . Der Dissoziationsgrad gibt das Verhulhisder Anzahl dissoziierter Sauremolekule - oder auch der Konzentration c(H') - zur Gesamtzahl der gelosten Sauremolekiile bzw. der Konzentration c ~ ; in , ~ einer , ~ Liisung ~ an. Allgemein lautet die mathematische Formulierung des Dissoziationsgrades:
a = - c (H') Csaurr
Sind in einer Losung alle Sauremolekiile dissoziiert, d.h. ist c(H+)=cs,,,, so ist a= 1 . Sind nur 60% der Molekiile dissoziiert, ist also c(H') = 0,60 cSaure,so wird a = 0,6. Die Sauren konnen nach ihrem Dissoziationsgrad, d.h. nach ihrer Starke eingeteilt werden. Da der Dissoziationsgrad von der Temperatur und von der Konzentration der Losung abhangig ist, mussen bei der Angabe der Dissoziationswerte immer die Temperatur und die Konzentration der Saurelosung mit berucksichtigt werden.
Im allgemeinen nimmt der Dissoziationsgrad mit steigender Temperatur und steigender Verdiinnung zu. Beispiel: Konzentrierte Schwefelsaure lost keine Metalle auf. Sie kann deshalb auch in eisernen Tanks transportiert und aufbewahrt werden. Sie ist fast nicht dissoziiert. In verdunnter Schwefelsaure dagegen liegen Wasserstoff-Ionen vor, die Metalle angreifen. Haufig werden die Dissoziationsgrade fur 18°C und Losungen mit einer Aquivalentkonzentration c (eq) = 1 mol/L angegeben (alte Bezeichnung Normallosung, 1 N). Die Aquivalentkonzentration c (eq) eines gelosten Stoffes X ist der Quotient seiner Aquivalentstoffmenge n ($. X) und dem Volumen V der Losung. c ( 4 =
n (+ X)
I /
Die Aquivalentstoffmenge n (+.X) einer Saure oder Base (friiher val oder Grammaquivalent) ist diejenige Menge an Substanz, die 1,0088 (1 mol) Wasserstoff-Ionen abzugeben oder aufzunehmen vermag. Die Aquivalentstoffmenge n (+. HCI) Salzsaure entspricht 36,5/1 g HCI.
-
HCI 36.511 g
H'
+
1g
C1 35.5 g
Die Aquivalentstoffmenge Schwefelsaure n (+ H2SO4)entspricht 98/2 g H,SO,
-
HSO, 9812 g
2H'
+
SO4'9612 g
?/2 g
Die Aquivalentstoffmenge Natronlauge n ($ NaOH) entspricht 40/1 g NaOH
-
NaOH 10/1g
OH17/1
+
H' Ill g
-
Na' 231 g
H,O IX/I g
+
OH1711 g
3 Sauren
Einteilung der Sauren nach ihrem Dissoziationsgrad
3. Mittelstarke Sauren, a = 0,2 bis 0,O I
1. Sehr starke Sauren, a = 1 bis 0,l
H,PO, HF
Salpetersaure 0,82 Salzsaure 0,79 Bromwasserstoffsaure 0,9 [c HBr) = 0,1 mol/L] HI Iodwasserstoffsaure =: 0,9 =: 0,9 HCI03 Chlorsaure HClO, Perchlorsaure =: 0,9 HN03 HCl HBr
(t
2. Starke Sauren, a = 0,7 bis 0,2 H,SO,
Schwefelsaure
0,51
H2S0,
Phosphorsaure Fluorwasserstoffsaure (HuBsaure) schweflige Saure [n ($ H2S03) =
0,17 0,07
0,15 0,l mol/L]
4 . Schwache und sehr schwache Suuren, a < 0,Ol H2C03 Kohlensaure H2S Schwefelwasserstoffsaure HCN Blausaure H,BO, Borsaure
41
0,0017 0,0007 0,000 1 0,000 1
4 Laugen oder Basen
Die Oxide der Alkali- und Erdalkalimetalle sind sehr reaktionsf~hig. Sie verbinden sich sehr leicht mit Wasser zu den entsprechenden Hydroxiden, deren waBrige Losungen Laugen genannt werden ,z .B .
KOH
K-OH Kaliumhydroxid (wiBrige Losung: Kalilauge)
Mg(OH),
Mg,
, OH
Magnesiumhydroxid
OH
2 NaOH,.., Natriumhydroxid wiiBriger Lasung Natronlauge genannt)
(in
(AH= -237.65
kJimol)
2 KOH,,) Kaliumhydroxid (in waRriger Lowng Kalilauge genannt) (AH= -35 I,Of5 kJ/inol)
OH
,
Ca(OH),
Al(OH),
Calciumhydroxid 'OH (waBrige Losung: Kalkwasser oder Kalklauge) Ca':
/
OH
Al- OH
Aluminiumhydroxid
\
OH +
H
Mg(OH)a,i Magnesiumhydroxid
(AH= CaO,,, + H20,1, Calcium- Wasser oxid
-
~
H-N
H
OH
H
36.8 kJ/mol)
Arnmoniumhydroxid Ca(OHh,, Cdlciumhydroxid (in waBriger Lorung Kalkwaser genannt) (AH= -82.0 kJ/mo])
Fur die Hydroxide ist die OH-Gruppe, Hydroxidgruppe genannt, charakteristisch.
4.1 Eigenschaften und Verhalten von Hydroxiden Hydroxide zeigen gemeinsame chemische Eigenschaften und sind ebenso wie Sauren als eine typische Verbindungsklasse anzusehen. Vergleicht man die chemischen Formeln der Laugen miteinander, stellt man fest, daR in allen die Hydroxidgruppe auftritt. NaOH
NH,OH
Na-OH Natriumhydroxid (waBrige Losung: Natronlauge)
Ein Vergleich dieser Formeln zeigt, daR die Hydroxidgruppe immer einwertig auftritt. Die Hydroxidgruppe ist immer einwertig. So wie Sauren aufgrund ihrer WasserstoffIonen (H') in waBrigen'f,osungen sauren Charakter besitzen, zeigen die Hydroxide in waariger Losung aufgrund ihrer Hydroxid-Ionen (OH-) basischen (alkalischen) Charakter. Verbindungen, die in waRriger Losung Hydroxid-Ionen bilden, nennt man Basen bzw. Laugen. Sie reagieren basisch (alkalisch) und fiirben rotes Lackmuspapier blau. Die geliisten Metallhydroxide dissoziieren in waBriger Losung in positiv geladene Metall-Ionen (Kationen) und negativ geladene HydroxidIonen (Anionen).
NaOH Natriumhydroxid
Dissoziation
Na'
+
NatriumIon
OH Hydroxid Ion
4 Laugen oder Basen
Analog dissoziiert auch Calciumhydroxid: Ca(OH),
Dissoziation
Calciumhydroxid
-
Ca'+
+
CalciumIon
Dissoziation
-
M'+
4.2 Unterschiedliche Starken von Laugen
2OHHydroxidlonen
Allgemein wird die Dissoziation der Metallhydroxide in folgender Schreibweise formuliert: M(OH)
43
OH-
M steht hier anstelle eines beliebigen einwertigen Metall-Ions.
Spezielle Hydroxide Festes Natriumhydruxid ist im. Handel als Atznatron und Kaliumhydroxid als Atzkali bekannt. Sie werden in Plattchen- oder Schuppenform in Blech- oder Kunststoffbehalter luftdicht verpackt, weil sie sehr hygroskopisch sind. Atznatron ist der Grundstoff zur Herstellung von Natronlauge und wird in grol3en Mengen eingesetzt bei der Herstellung von Zellwolle, Zellstoff, Papier und Seifen, z. B. Natronseifen, die als Kernseifen bekannt sind. Ebenso ist Atznatron bei der Herstellung von Glas, Gerbstoffen, Farbstoffen und Reinigungsmitteln sowie bei der Wasseraufbereitung unentbehrlich. Atzkali dient ebenso wie Atznatron zur Herstellung von Seifen; damit werden die weniger teuren Schmierseifen hergestellt, Atzkali ist ebenso wie Atznatron ein wichtiger Rohstoff bei der Glasproduktion. Natronlauge und auch Kalilauge werden neben Chlor als Hauptprodukt der AlkalichloridElektrolyse erhalten. Nach der Hohe der gegenwiirtigen Produktion und ihrer Bedeutung als Grundstoff fur zahlreiche wichtige chemische Verfahren gehoren Natronlauge und Chlor zu den bedeutendsten Erzeugnissen der modernen anorganischen Groaindustrie.
Ebenso wie Sauren in wabriger Losung unterschiedlich stark dissoziiert (gespalten) sind, sind es auch die Metallhydroxide. Es gibt Metallhydroxide, die in wal3riger Losung nur wenig, und andere, die vollstandig in Metall-Ionen und Hydroxid-Ionen gespalten sind. Das MaR fur die Stiirke einer Base (Lauge) ist der Dissoziationsgrad. Er gibt an, inwieweit ein Hydroxid in waRriger Losung in seine Metall-Ionen und Hydroxid-Ionen dissoziiert ist.
Einteilung der Basen nach ihrem Dissoziationsgrad Der Dissoziationsgrad Jst fur 18"C und Losungen mit einer Aquivalentkonzentration* c(eq) = 1 molL angegeben (Abweichungen in Klammern). 1. Sehr starke Basen, a = 1 bis 0,7
KOH NaOH Ba(OH),
Kaliumhydroxid Natriumhydroxid Bariumhydroxid
0,77 0,73 0,70
2 . Starke Basen, a = 0,7 bis 0,2 Ca(OH),
Calciurnhydroxid 0 76 [c($Ca(OH),) = 0,015 rnol/L]
Sr(OH),
Strontiumhydroxid
= 0,6
3. Mittelstarke Basen, a = 0 2 bis 0,l AgOH
Silberhydroxid 0.6 [c(+AgOH) = 0,l mol/L]
4 . Schwache und sehr schwache Basen, a < 0,l NH,OH
Ammoniumhydroxid 0,14 [c(+NH,OH) = 0,l mol/L]
Al(OH)3
Aluminiumhydroxid
*
Aquivalentkonzentration s. Abschn. 1-3.8
< 0,1
5 Der pH-Wert, ein Man fur die Wasserstoffionen-Konzentration
Bei der Klassifizierung der Sauren (Abschn. 1-3.8) wurde zwischen starken, weniger starken und schwachen SBuren unterschieden. Als UnterscheidungsmaB diente der Dissoziationsgrad, der angibt, wieviel Prozent der vorliegenden Sauremolekule in Wasserstoff-Ionen und Saurerest-Ionen gespalten sind. Damit ist aber noch nicht ausgesagt, wieviele Wasserstoff-Ionen in der jeweiligen Saurelosung vorliegen. In einem Liter einer konzentrierten Losung einer schwachen Saure konnen mehr freie Wasserstoff-Ionen vorliegen als in einem Liter einer verdunnten Losung einer starken Saure. Um ein MaB fur die Menge der in einer Losung vorliegenden Wasserstoff-Ionen zu schaffen, wurde die pH-Skala eingefuhrt. Sie umfaBt praktisch die Werte 0 bis 14. Der pH-Wert ist ein MaJficr die Konzentration freier Wasserstoff-lonen (Hydronium-Ionen) in wayriser Liisung.
5.1 Definition des pH-Wertes Als Bezugssubstanz fur die Definition des pHWertes dient reinstes Wasser. Genaue Messungen haben ergeben, daB reinstes Wasser zu einem ganz geringen Teil in Wasserstoff-Ionen (Hydronium-Ionen) und Hydroxid-Ionen dissoziiert ist, und Lwar nach folgender Gleichung:
+
2H20
H,O’
Wd\\er
pocltlv
negdtii
gelddene
gelddene
Hqdronium
Hydroxid Ionen
Ionen
e
H’
+
In einem Wasser-Volumen von 10 Mio L = lOOOOOOOL = lo7 L ist bei Zimmertemperatur 1 mol(18g) Wasser in Ionen gespalten und zwar in 1 mol ( 1 g) H+-Ionen und 1 mol (17 g) OH-Ionen. Danach errechnet sich die Konzentration an dissoziiertem Wasser und damit die Konzentration an Wasserstoff- und Hydroxyd-lonen L . ( H ~ O ) ~=~ ,c(H+) , = C=O besitzt ahnlich wie das Ethen, H2C=CH2,eine Doppelbindung, die das Molekul reaktionsfaig macht. Die bevorzugten Reaktionen sind deshalb neben der Oxidation - Additionweaktionen.* Oxidation zu Carbonsauren H CH3-C< 0 Ethanal (Acctaldehyd)
+
1/202
-
Sauerstoff
CH3-C\
/
OH 0
Ethansaure (EhsigsPure)
Diese Reaktion ist groatechnisch zur Herstellung von Essigsaure, einem vielfach eingesetzten Produkt, von Bedeutung. Essigsaure wird heute zunehmend auf Basis des Synthesegases, CO+H,, nach der Oxosynthese produziert. Ketone lassen sich nicht weiter oxidieren, da bei ihnen das H an der Carbonylgruppe fehlt.
Sauerstoffhaltige funktionelle Gruppen a ) Hydroxygruppe Die wichtigste Reaktion der Hydroxygruppe ist die Oxidation zu Aldehyden und Ketonen. Die ebenfalls bedeutende Reaktion mit Carbonsauren wird unter c) beschrieben.
*
Sa1.z der salpetrigen Saure HNOZ.
* Wcgen
der groBen ElektonegativitPt des Sauerstoffatomr kann man bei chemischen Rcaktioncn die Carbonylgruppe in folgendcr Form schreiben:
Ein polares Molekiil (z. B . H-OH) wird jetzt so addiert. daB der positive Teil (H') an den negativen Sauerstoff und der negative Teil (OH-) an den positiven Kohlenstoff geht.
69
9 Arornatische Verbindungen (Aromaten)
Stickstoffhaltigefunktionelle Gruppen
Polare Additionsreaktion cH3\
-
+ H-CN
C=O CH3' Aceton
CH3, /
a ) Aminogruppen
,OH C
CH?
\
CN _.
Acetoncyanhydrin ( Ausgangsprodukt fur Plexiglas)
Blaudure
c ) Carboxygruppe
Wie die anorganischen Sauren bilden auch die organischen Carbonsauren mit Basen in einer Neutralisationsreaktion Salze:
+ NaOH
CH,-COOH Essigsiure
-
Natronlauge
Natnumacetat
-
Methylamin
Essigsaure
-
Wasser
H,C-C-NH-CHI II 0
+ HzO
Essigsaure-N-methylamid Wasser
Eine wichtige Amidbindung kommt in den Eiw e i k n vor, sie wird hier auch Peptidbindung genannt. (EiweiBe sind polymere Verbindungen aus Aminosauren.) Auch in einer Gruppe von Synthesefasern, den Polyamiden (Nylon, Perlon) und den Polyurethanen ist die Amidbindung der verknupfende Bestandteil.
b ) Cyanogruppe - Nitrilgruppe
0 Ethanol
0 Benzoesaureethylester (Pfefferminzol)
Wasser
Ester aus niederen Carbonsauren und kurzkettigen Alkoholen sind - oft naturlich vorkommende - Duft- und Aromastoffe. Auch Fette und Wachse gehoren zur Gruppe der Carbonsaureester (s. Tab. 1-9). Tab. 1-9. Ubersicht uber die Zusammensetzung von Estern.
Ester
Carbonsauren
Alkohole
Fruchtessenzen Fette
niedere und mittlere Kettenlange gesattigte und ungesattigte Iangerkettige Kwst. groRe Kettenlange
niedere und mittlere Kettenlange Glycerin
Wachse
CH3NH2+ H3C-C-OH II n
CH,-COO Na'+ HzO
Die Alkalisalze hoherer Carbonsauren (wegen ihres Vorkommens in Fetten auch Fettsauren genannt) sind die Seifen. Die wichtigste Reaktion der Carbonsauren ist ihre Verbindung rnit Alkoholen zu Carbonsaureestern
Benzoesaure
Verbindungen mit einer Aminogruppe verhalten sich ahnlich wie die entsprechenden Alkohole. Sie konnen mit Sauren unter Wasserabspaltung zu esteranalogen Verbindungen, den Saureamiden reagieren:
groRe Kettenlange
Reaktionen an der Cyanogruppe (-C EN) ahneln denen an der Carbonylgruppe. Es finden vorwiegend Additionsreaktionen statt, wobei die Dreifachbindung der Nitrilgruppe weniger leicht reagiert als die Doppelbindung der Carbonylgruppe. Eine der wichtigsten Reaktionen der Cyanogruppe ist die Hydrolyse (Reaktion mit H,O) zu Carbonsauren: CH2-CeN Benzylcyanid
+ 2 H20 Wasser
D C H z - C - OI1 H
+
NH3
0 Phenylessigsiiure
Ammoniak
Eine weitere Additionsreaktion ist die Reduktion mit Wasserstoff zu Aminoverbindungen. Man gewinnt so das fur die Nylonsynthese wichtige Hexamethylendiamin aus Adipinsauredinitril:
70
I Chemische Grundlagen
N=C-(CHZ).,-C=N Adipintauredinitril Kdt --t
+
Chlorierung
4 H, Wasserstoff
HIN - CH, - (CHZ), - CH2 - NH,
Bei der Chlorierung werden H-Atome am Ring durch C1-Atome ersetzt.
Hexamcthylendiamin ( I .6-Diaminohexan)
Sulfonsauregruppe Der in ein Kwst-Molekul eingefuhrte Sulfonylrest kann als starke Saure leicht mit Basen zu Salzen neutralisiert werden. Bei langen Kwst-Resten kommt man zu einer wichtigen Gruppe synthetischer Detergentien, den Alkansulfonaten: R-SO,H
+ NaOH
AlkanNaLronsulfonsaure lauge
-
R-SO,- Na' Alkansulfonat
+ H,O Wasser
9.4 Chemische Reaktionen Die chemischen Reaktionen des Benzols und der anderen aromatischen Verbindungen gleichen keineswegs denen der ungesattigten Cycloalkene. Die typischen Reaktionen des Benzols sind nicht Additionsreaktionen an Doppelbindungen, sondern solche, bei denen der Wasserstoff am Ring gegen andere Atome oder Atomgruppen ausgetauscht wird. Die aromatische Struktur des Rings lndert sich bei diesen Substitutionsreaktionen nicht. Der Vielzahl der darstellbaren aromatischen Verbindungen steht dabei eine verhaltnismlBig kleine Zahl grundlegender Verfahren gegenuber, mit deren Hilfe am aromatischen Grundkorper, dem ,,Kern", Substituenten eingefuhrt und gegeneinander ausgetauscht werden konnen. Man kann diese Reaktionen in zwei Gruppen einteilen: a) einfache Substitutionsreaktionen, b) Austuusch oder Urnwandlung bereits vorhandener Substituenten.
9.4.1 Substitutionsreaktionen
Es gibt vier wichtige Substitutionsreaktionen, die an der Stamrnsubstanz Benzol erlautert werden sollen.
Benrol
Chlor
ChlorbenLol
Chlorwasserbturr
Wird nur ein H-Atom durch ein C1-Atom ersetzt, spricht man von Chlorierung. Bei der Mehrfachchlorierung entsteht Di- undoder Trichlorbenzol .
Sulfonierung Bei der Sulfonierung (Sulfierung, Sulfurierung) werden H-Atome am Ring durch die SOIHGruppe (Sulfonylgruppe) ersetzt.
Benzol
Schuefelsaurc
Die Einfuhrung der Sulfonylgruppe erfolgt mit Schwefelsaure, Oleurn (reine H2S0, + SO,) oder Chlorsulfonslure, HSOJCl. Die Sulfonierung ist eine Gleichgewichtsreaktion, die zum vollstandigen Umsatz einen groBen UberschuB an Schwefelsaure erfordert. Andererseits kann die Sulfonylgruppe aber relativ leicht gegen andere Gruppen ausgetauscht werden. Die Einfuhrung einer Sulfonylgruppe in eine aromatische Verbindung erhoht durch den hydrophilen Charakter der Gruppe die Wasserloslichkeit der Verbindung. Die Verbindungsklasse hat als Sulfonamide in Arzneimitteln und als Sulfonate fur Detergentien grolle Bedeutung. Da es oft schwierig ist, die Sulfonsauren aus dem Reaktionsgemisch abzutrennen, iiberfuhrt man die freie Saure mit Natronlauge in das Natriumsalz, das leichter zu handhaben ist:
71
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
w
H + C1 C2H5
Benzolsulfonsaure
Natronlauge
Natriumbenzolsulfonat
Benzol
Ethylchlorid
Ethyl benzol
Wasser
Chlorwasserstoff
GroBtechnisch wichtiger ist die Alkylierung mit ungesattigten Kohlenwasserstoffen.
Nitrierung Bei der Nitrierung substituiert man H-Atome am Ring durch NO,-Gruppen (Nitro-Gruppen).
Benzol Benzol
Salpetersaure
Nitrobenzol
Wasser
Man nitriert mit sog. Mischsauren, die aus Salpetersaure und Schwefelsaure in verschiedenen Konzentrationen bestehen. Die Nitrierung verlauft unter starker Warmeabgabe. Da die Nitroverbindungen brennbar oder explosiv sind (Trinitrotoluol, TNT), muB unter Kuhlung und besonderen SchutzmaBnahmen gearbeitet werden., Ahnlich wie die Chlorverbindungen dienen die Nitroverbindungen als Vorstufen fur wichtige aromatische Zwischenprodukte. Die wichtigste Folgereaktion ist die Reduktion zu aromatischen Aminen.
Alkylierung Bei der Alkylierung wird ein H-Atom am Ring durch eine Alkylgruppe (aliphatischer KwstRest) ersetzt.
Ethylen
Ethylbenzol
Man kann sie auch als Addition von Benzol an ein Alken auffassen. Ethylbenzol wird durch Dehydrierung der Seitenkette zu Styrol, dem Monomeren des Polystyrols, umgesetzt. Technisch wichtige Zwischenprodukte wie Cumol (Isopropylbenzol) werden auf diese Weise hergestellt: CH3
I
Benzol
Propylen
Cumol
Cumol ist Ausgangsstoff fur die Herstellung von Phenol und Aceton.
Mehrfachsubstitution,Isomerie, Nomenklatur Werden am Benzolring statt eines H-Atoms (Monosubstitution) zwei (Disubstitution) oder mehrere (Mehrfachsubstitution) durch andere Atomgruppen ersetzt, tritt Stellungsisomerie auf. Es ergibt sich die Notwendigkeit, am Benzolring die C-Atome zu bezeichnen, die die Substituenten tragen. Bei Disubstitution ergeben sich drei isomere Derivate:
72
I Chemische Grundlagen X
X
X
X I .2-ortho-(w) (grch.) = neben
I .3-n7e/u-(m-) (grch.) = darwischen
1,4-poru-(p-j (grch.) = gegenuber
NH:!
c1 Handelsname: 4-Chlor-toluidin Echtrot TR-Base rationelk Bez.: 4-Chlor-2-methylaminohenzol
Die Numerierung irn Benzolring erfolgt irn Uhrzeigersinn. Es gibt dernnach drei verschiedene Xylole oder Dirnethylbenzole
SO3H Handelsname: o-Chlor-m-toluidin-p-sulfonsau~ Lackrot-C-Saure rationelle Bez.: 2-Amino-5-chlor-4-methylbcnzolsulf~nsaure
Ch 0-Xylol ( I 2-Dimethylbenzol)
in-Xylol ( 1 5Dimethylbenzol)
p-Xylol ( I A-Dimethylbenzol j
In kondensierten Ringsystemen werden die CAtorne nicht nur durch Numerierung, sondern auch durch griechische Buchstaben bezeichnet: OH
Befinden sich drei oder mehr Substituenten am Benzolring, wird analog nurneriert:
c1 cr-Naphthol ( I -Hydroxynaphthalin)
c1 I .2A-Trichlorhenzol
Sind die Substituenten verschieden, bestirnmt die ranghochste Gruppe die Verbindungsklasse; die ubrigen Sustituenten werden in alphabetischer Reihenfolge - unter Wahrung des Prinzips kleinster Chiffren - genannt. Rangfolge (Beispiele): Carbonsauren, Saurederivate, Nitrile, Aldehyde, Ketone, Alkohole, Amine, ... Daneben sind immer noch eine Reihe von Trivial- oder Handelsnarnen gebrauchlich, die allerdings keinerlei Ruckschlusse auf die chernische Konstitution zulassen:
Bei Heterocyclen benutzt man fur die Starnmsubstanz meistens eingeburgerte Trivialnamen. Rationelle Bezeichnungen sind noch weitgehend ungebrauchlich. Bei substituierten Heterocyclen mit einem Heteroatom beginnt die Zahlung der Ringatorne beim Heteroatorn. Sind zwei Heteroatome irn Ring, erfolgt die Zahlung von einem Heteroatom ausgehend uber das zweite Heteroatom in der Reihenfolge 0, S und N. I1
I
3-Methylpyrrol
4-Aminopyrimidin
2-Aminothiazol
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Fur die Synthese mehrfach substituierter Benzole gelten zwei einfache Regeln: a) 1st am Ring bereits eine CI-, OH-, NH2oder Alkylgruppe (Substituenten 1. Ordnung) vorhanden, geht die Substitution relativ leicht weiter. Dabei werden vorzugsweise o- oder pIsomere gebildet . b) 1st am Ring eine NO2-, S03H- oder COOHGruppe (Substituenten 2. Ordnung) vorhanden, ist die weitere Substitution erschwert. Wenn sie doch erfolgt, entsteht vorwiegend das mIsomere. Substituenten 1. Ordnung erleichtern also die weitere Substitution und dirigieren in a- und p Stellung, wobei die p-Stellung bevorzugt ist. Substituenten 2 . Ordnung erschweren die weitere Substitution und dirigieren in m-Stellung. So liefert die Nitrierung von Chlorbenzol das a- und p-Nitrochlorbenzol:
c1
c1
c1
73
chen Substitutionsreaktionen nicht herstellen. Man erhiilt sie durch Austausch- oder Umwandlungsreaktionen an bereits substituierten Aromaten.
Austauschreaktionen Austauschreaktionen nennt man die Reaktionen, bei denen ein vorhandener Substituent am Benzol (z. B. S03H-, C1-) gegen einen anderen Substituenten (z. B. OH-, NH,-) ausgetauscht wird. Verseifung zu Phenolen Austauschreaktionen mit OH-Gruppen (Verseifung) fiihren zu aromatischen Hydroxyverbindungen, den Phenolen. Setzt man Chlorbenzol bei hohem Druck und Temperatur mit wariger Natronlauge um, erhalt man iiber die Zwischenverbindung Natriumphenolat das Phenol. OH
CI
Chlorhenzol
Natronlauge
Phenol
Natrium chlorid
N@ Chlorbenzol
o-Nitrochlorbenzol
p-Nitrochlorhenzol
Die Trennung der beiden Isomeren erfolgt mit physikalischen Methoden wie Destillation oder Kristallisation. Eine wirtschaftliche Herstellung von Zwischenprodukten ist allerdings nur dann moglich, wenn alle anfallenden Isomeren verwertet werden konnen. m-Nitrochlorbenzol lli13t sich auf diese Weise nicht herstellen. Hierzu muR entsprechend den Substitutionsregeln Nitrobenzol chloriert werden.
Der Austausch des Chlors gegen die Hydroxygruppe gelingt wesentlich leichter, wenn das Halogen durch Nitrogruppen in 0- oder p-Stellung aktiviert wird. So konnen a- oder p-Nitrophenol durch einfaches Erhitzen mit wariger Natronlauge unter geringem Uberdruck aus den entsprechenden Nitrochlorbenzolen hergestellt werden: CI
NQ p-Nitrochlorhenzol
Nitrobenzol
m-Nitrochlorbenzol
9.4.2 Austausch- und Umwandlungsreaktionen Eine Reihe wichtiger aromatischer Zwischenprodukte I a t sich durch die beschriebenen einfa-
OH
NQ! p-Nitrophenol
Eine weitere Moglichkeit, die OH-Gruppe in den aromatischen Kern einzufuhren, ist die ,Reaktion von Sulfonsauren mit Atzkali- oder Atznatronschmelzen. Ausgehend von der Benzol-mdisulfonsaure fiihrt der ProzeB zum Resorcin, einem fur die Reifenindustrie, Holzleimherstellung und fur pharmazeutische Zubereitungen wichtigen Produkt:
74
I Chemische Grundlagen SO3H
I
+
4NaOH o-Nitrochlorbenzol
Benzol-m-disulfonsaurc ( B e n m - I ,3-disulfonJure)
Ammoiiiak
n-Nitranilin (2-Nitroaminobenrol)
Ammoniumchlorid
OH
Austausch gegen Alkoxygruppen Etherbildung Tauscht man, entsprechend der Verseifung, einen Chlorsubstituenten gegen eine Alkoxy-Gruppe (aus aliphatischen Alkoholen) aus, erhalt man aromatisch-aliphatische Ether:
Resorcin (nz-Dihydrcixybenrolj
Analog entsteht aus P-Naphthalinsulfonsaure das @-Naphthol,ein wichtiges Zwischenprodukt fur die Farbmittelchemie:
W
S
O
3
"
+
2NaOH
OCHj
CI
()-Nitrochlorbenrol
Mcthanol
o-N i t roan i sol (2-Nitromethoxybcnzol)
@-Naphthalinsulfonsaure
,H-4-w,
OH
@-Naphthol
Die gleiche Verbindung kann man auch durch Veretherung des entsprechenden Phenols gewinnen .
Umwandlungsreaktionen
Technisch bedeutend sind diese Verseifungsreaktionen nur fur die Herstellung von Phenolderivaten, da Phenol selbst vorwiegend auf andere Weise (Cumol-Phenol-Synthese nach Hock*) gewonnen wird.
Bei Umwandlungsreaktionen wird ein vorhandener Substituent durch chemische Reaktionen in einen anderen umgewandelt.
Aminolyse zu Anilinen
Reduziert man Nitrobenzol, kommt man zur einfachsten Aminoverbindung des Benzols, zu Aminobenzol oder Anilin. Die Reaktion kann mit verschiedenen Reduktionsmitteln durchgefiihrt werden, am giinstigsten ist jedoch die Reduktion mit katalytisch angeregtem Wasserstoff.
Aromatische Chlorverbindungen rnit einem reaktiven Chloratom, wie z.B. die envahnten Nitrochlorbenzole, lassen sich statt rnit Natronlauge auch leicht mit Ammoniak umsetzen. Es entstehen aromatische Amine, die Aniline. Diese Reaktion wird als Aminolyse bezeichnet und bietet eine Moglichkeit Verbindungen herzustellen, die aul3er der Amino- noch eine Nitrogruppe am Kern besitzen, die sog. Nitruniline:
Reduktion von Nitroverhindungen
Nitrobend
*
Hock, Heinrich (1887-1971 j , deutscher Chcmiker.
NH2 I
Noz I
Wasserstoff
Anilin
Waaaer
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Auch substituierte Aniline. die technisch groBe Bedeutung besitzen, lassen sich auf diese Weise herstellen:
N%
75
Oxidationsreaktionen Eine weitere Gruppe wichtiger Zwischenprodukte wird durch Oxidation substituierter Benzole hergestellt , Besondere Bedeutung haben in letzter Zeit Oxidationsprozesse unter Verwendung von Luftsauerstoff erlangt, so z.B. die Oxidation von p-Xylol zu Terephthalsaure, einem Vorprodukt der Synthese von Polyestern wie z.B. Trevira@.
NHZ
2,4-Dinitrotoluol
m-Toluylendiamin (2,4-Diaminomethylbenzol)
Bei Anwesenheit aktiver Chloratome ist die Reduktion mit katalytischem Wasserstoff nicht mehr moglich. Statt dessen muB rnit Eisen und Salzsaure reduziert werden. Dabei entsteht als Nebenprodukt ein Gemisch von Eisenoxiden, das zu anorganischen Farbmitteln aufgearbeitet werden kann (s. Abschn. 1-9.6.2). Die Reduktion aromatischer Nitrogruppen ist chemisch ein sehr komplizierter Vorgang, der uber verschiedene Zwischenstufen verlauft. Mit speziellen Reduktionsmitteln, wie z.B. Zink in stark alkalischer Losung, erhalt man eine dieser Zwischenstufen, das Hydrazobenzol. Durch Saureeinwirkung entsteht daraus durch Umlagerung die Biphenylverbindung Benzidin.
COOH
CH3
Terephthalsaure
p-Xylol
(Benzol-p-dicarbonsaure)
Durch Oxidation von Hydrochinon erhalt man p-Benzochinon: OH
0
OH
0
Hydrochinon @-Dihydroxybenzol)
p-Benzochinon
Veretherung von Phenolen
Nitrobenzol
Phenole lassen sich iihnlich wie aliphatische Alkohole mit Alkylverbindungen zu Phenolethern umsetzen: Hydrazobenzol
@N-@
O
i
K
p -Nitrophenol
t CH2- CH3 Ethylchlorid
Benzidin
Substituierte Benzidine sind technisch wichtige Zwischenprodukte fur die Farbmittelherstellung, wahrend das Benzidin selbst wegen seiner krebserregenden Eigenschaft nur noch sehr selten synthetisiert wird.
p-Nitrophenetol (4Nitroethoxybenzol)
Setzt man mit Methylchlorid um, erhalt man die entsprechenden Methoxyverbindungen oder Anisole.
76
I Chemische Grundlagen
Acylierung von Anilinen
Genau wie aliphatische Amine lassen sich auch Anilin und seine Derivate mit Carbonsauren (Acylgruppen) zu Saureamiden umsetzen. Durch Reaktion von Anilinen rnit Essigsliure entstehen Acetylaminoverhindungen:
& OCH3
N
H
t
x
t C -C H 3 I1
0 o-Anisidin (2-Aminomerhox ybenzol)
Beide reagieren in Bhnlicher Weise wie die Acetessigsaure und fuhren zu den gleichen Endprodukten. Phenylhydrazine
Phenylhydrazine sind arornatische Derivate der anorganischen Verbindung Hydrazin NH2-NH2. Die Hydrazinogruppe -NH-NH, entsteht aus einer Aminogruppe durch sog. Diazotieren (Reaktion mit Natriumnitrit, NaNO,, und Saure zur Diazoniumverbindung [A r - b N ] und anschlieBende Reduktion mit Natriumhydrogensulfit, NaHSO,).
Essigslure
OCHi
NH2
o-Acetanisidid
Wasser
(2-Acetylaminomethoxybenzol)
mi-Nitranilin
Analog entstehen mit der Aceressigsliure Acetoacetylaminoverbindungen, sog. Acetessigarylide (aromatische Acetessigsaureverbindungen):
,,Diazoniumchlorid”
&
NH- NE12. HCl
Reduktiot NaHS03
NO;?
N
H
o-Anisidin
t
x
rti-Nitrophenyl-hydrazin-hydr~chlorid
t C- CH2- C-CII3 I1
11
0
0
Die Phenylhydrazinderivate werden als Salze (Hydrochloride oder Sulfate) gewonnen. Durch Umsetzung mit Basen konnen sie in das freie Phenylhydrazinderivat uberfuhrt werden. Phenylhydrazinderivate sind u. a. Ausgangsprodukte fur die Herstellung von Pyrazolonen, bedeutenden heterocyclischen Zwischenprodukten.
Acelessigsiiure
Aceteaaig-o-anisidid
Wasscr
(2-Acetoacetylaminomethoxybenzol)
Die Acetessigarylide sind wichtige Vorstufen zur Pigmentherstellung (s. Abschn. 1-9.6.2). Statt der sehr unbestandigen Acetessigsaure wird ihr Ethylester, der sog. ,,Acetessigester“ (CHZ-C-CH2-C -OC,H,), seit einigen JahII II 0 0 ren auch Diketen (CH,=C-CH2) verwendet. I I
Sandmeyer*-Reaktion
Die oben beschriebene Diuzoniumverbindung kann a u k zu Phenylhydrazin auch zu anderen wichtigen Zwischenprodukten weiterreagieren. + So 1aRt sich die Diazoniumgruppe -NGNI unter Mitwirkung eines Katalysators gegen Chlorid-, Brornid- oder Cyanidgruppen austauschen und zu den entsprechenden Chlor-, Bromoder Nitrilverbindungen urnsetzen.
0-c=o
*
Sandmeyer, Trdugott (185&1922). schweiL. Industriechemiker be1 Geigy.
77
9 Arornatische Verbindungen (Aromaten)
ren* als Katalysator verwendet werden, bei b) jedoch jede Spur von Eisen, Aluminium, Kupfer usw. vermieden werden muB. Die Reaktion wird statt dessen durch Bestrahlen mit ultraviolettem Licht beschleunigt. Auch die Reaktionstemperaturen sind verschieden. Wiihrend a) schon in der Kdte ablauft, reagiert b) erst bei Siedetemperatur. Kurz zusammengefaBt gilt also:
SandmeyerL.aL,.
,,Diazoniumchlorid
Katalysator
Natriumcyanid
a) Kalte
o-Chlorbenzoniuil
Stickstoff
b) Siedehitze
Natriumchlorid
Die Bedeutung der Sandmeyer-Reaktion liegt darin, uber eine Nitrogruppe Substituenten in den aromatischen Kern einzufuhren, die durch direkte Substitution gar nicht (oder nicht an der gewunschten Stelle) eingefuhrt werden konnen. - Noz
- Rcduktion
+ Katalysator:
Diazotieren
-NH2
-t
--EN1
+
Kernsubstitution
KKK
Sonnenlicht: Seitenkettensubst.
SSS
Werden bei der Seitenkettenchlorierung groBere Mengen Chlor verwendet, entstehen neben einfach auch rnehrfach chlorierte Produkte:
Sandmeyer
-
-CENI
Seitenkettenchbrierung Chloriert man Alkylaromaten wie Toluol, die Xylole oder Ethylbenzol, gibt es zwei grundsatzlich verschiedene Moglichkeiten der Reaktion: a) Das Chloratom ersetzt ein Wasserstoffatom am Benzolkern (0-, m-, p-Chlortoluol): Kernchlorierung (s. Abschn. 1-9.4.1). b) Das Chloratom ersetzt ein Wasserstoffatom der Alkylgruppe: Seitenkettenchlorierung .
cfH2-+-
Toluol
Benzylchlorid (Chlormethylbenzol)
Benzotrichlorid (Trichlormethylhenzol)
Durch Austauschreaktionen mit OH- oder Fluoridgmppen entstehen daraus wichtige Synthesezwischenprodukte . a) Verseifen mit H 2 0 CH2CI I
CH2- OH I
Chlor Benzylchlorid
Benzylchlorid (Chlormethylbenzol)
Benzalchlorid (Dichlormethylbenzol)
Benzylalkohol
Chlorwasserstoff
Chlorwasserstoff
Beide Reaktionen werden in iihnlicher Weise durchgefiihrt . Der wesentliche Unterschied liegt darin, dal3 bei a) Eisen oder andere Lewis-Sau-
*
G. N . Lewis schlug 1923 vor,den Saurebegriff zu enveitem. Danach zkhlen alle Elektronenakzeptoren, d. h. positiv geladenen lonen, zu den Sauren.
78
I Chemische Grundlagen
6 6
H I
6 -6 c=0
CHCl2
+
€120
Benzalchlorid
-
+
2HCI
D
COOH
+2H>O
Benmtrichlorid
Benzotrichlorid
6 CF3
3HF FluBsaure
-
’
u t HH5C20
I
C-CH?
-
II
b) Austausch gegen Fluorid
+
N
0
+3HCI
Bcnzoesaure
cc13
c -C H ~
+ - +N
Benzaldehyd
CCI 1
6
Die Herstellung erfolgt durch eine Ringschluj’rraktion mit Phenylhydrazin und Acetessigester als zweiter Komponente. Unter Abspaltung von Ethanol und Wasser bildet sich aus den beiden Molekulen ein neuer Ring:
+ 3HCI
Benzotrifluorid
Phenylhydrazin
Acetessigester
@NTCH3 0 1 -Phenyl-3-methyI~S-pyrerolon
Das Analgetikum Pyramidon@ist ein Derivat dieser Verbindung. Analog entstehen aus:
Die Darstellung von Benzotrifluorid durch Fluorieren der Seitenkette von Toluol gelingt nicht.
RingschluJ zu Pyrazolonen Pyrazolone sind heterocyclische Zwischenprodukte, die in der Farbmittel- und Arzneimittelproduktion Verwendung finden. Grundkorper ist ein Keton des Pyrazols, das Pyrazolon .
nr-Nitranilin (3-NitroaminobenLol)
Jn-Nitropyrazolon ( 1 -(3-Nitrophenyl)-3-methyl5-pyrazolon)
0 Sulfanilsaure ( I -Aminobenzol-4-sulfons~iiire) Pyrazolon
Das wichtigste Derivat ist 0
0 Pyrarolsaure-41 -(4-sulfophenyl)-3-mt.thyl-S-pyra7olon
1 -Phenyl-3-methyl-S-pyrazol~n
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Eine weitere Gruppe von Pyrazolonen, die besonders fur die Herstellung von Pyrazolonfarbstoffen wichtig ist, wird mit Oxalessigester (anstelle von Acetessigester) hergestellt:
-
Im Regelfall gelangen sie weder in die Hand des Verbrauchers noch in die Natur. Nach den unter Abschnitt 1-9.4 besprochenen chemischen Reaktionen lassen sich die meisten aromatischen Zwischenprodukte dem Bedarf entsprechend gezielt herstellen. An einem Beispiel, ausgehend vom Benzol, sol1 fur das p-Acetaminophenol ein Syntheseweg zusammenfassend dargestellt werden (s. Schema 1).
II
0 Phenylhydrazin
79
Oxalessigester
COOC2H5
+ H2O + R-OH
Carbethox ypyrazolon ( I -Phenyl-5-pyrazolon-3-carbonslureethylester)
Durch Verseifung der Estergruppe entsteht daraus COOH
Ausgangsprodukt ist das Benzol, das zum groaten Teil durch chemische Aufarbeitung des Erdols gewonnen wird. Durch Chlorieren erhalt man Chlorbenzol, Dieses wird anschlieBend nitriert zu den beiden Isomeren o-Nitro- und pNitrochlorbenzol (Abschn. 1-9.4.1). Nach der physikalischen Trennung der beiden Isomere verseift man das p-Nitrochlorbenzol zu p-Nitrophenol. Dann w i d die Nitrogruppe zum p-Aminophenol reduziert (Abschn. 1-9.4.2). Acetylieren der Aminogruppe fuhrt zum p-Acetaminophenol. Diese Substanz ist pharmakologisch als Analgetikum wirksam. Uber Briickenglieder konnen die Aromatenkerne auch miteinander verknupft werden. Seitenketten und Briickenglieder ermoglichen un-
0 Carboxypyrazolon ( I -Phenyl-5-pyrazolon-3-carbonsaure)
9.5 Herstellung und Weiterverarbeitung aromatischer Zwischenprodukte Was sind aromatische Zwischenprodukte? Zwischenprodukte sind Produkte zwischen den (oft aus der Petrochemie stammenden) Rohstoffen und den Endprodukten, die chemisch nicht mehr weiter umgewandelt werden. Im engeren Sinn: bestimmte ,,aromatische" (ringfomige Molekulstruktur) Verbindungen (Abb. I- 13). Sie sind somit Produkte, die entweder selbst weiterverarbeitet oder von anderen Chemiefirmen zur Weiterverarbeitung gekauft werden: Ihr Markt ist hinsichtlich der Zahl der Abnehmer begrenzt: ,,Produkte von Fachleuten fur Fachleute".
Abb. 1-13. Stammbaum fur aromatische Zwischenprodukte
80
I Chemische Grundlagen
Schema I
0
ZlorierunE
Benzol
c1 f ! J ,
c1
NY :;i g_
@ w
Chlorbenzol
OH
OH
Vri&ung_
@
,fJ
:hktion_
NOL
p-Nitrochlorbenzol
NH2
p -Nitrophen01
p-Aminophenol
I
Acetylieren
zahlige Variationen fur die Synthesen in der Aromatenchemie.
CH+XOH
I
Miigliche Briickenglieder zwischen aromatischen Struktureinheiten
@!j
-CHz-; -0-; -CH2-0- CH2- CH,- ; -S-; -CH2-S-CHZ- CHZ- CHZ- ; - S - S - ; - CH2- S - S - N = N - ; -C,H,- N = N - CeH, - ; Abbildung I- 13 veranschaulicht den Stammbaum fur aromatische Zwischenprodukte auf der Basis von Benzol und Toluol. Aromatische Zwischenprodukte werden hauptsachlich zu Endprodukten in folgenden Bereichen weiterverarbeitet: Farbmittel Pestizide Pharmazeutika, z.B. Aspirin Gummichemikalien und Antioxidantien Sonstige
(ca. 47%) (ca. 13%) (ca. 12%) (ca. 11%) (ca. 17%)
Aspirin Aspirin bzw. die Acetylsalicylsaure ist Bestandteil der Weidensafte [salix (lat.) - Weidensaft]. 0 O : L E - C H II ~ I
OH
Schon Hippokrates von Kos (460-377 v. Chr.) erkannte die schmerzlindernde Wirkung des Saftes. Krauterfrauen im Mittelalter kochten die Weidenrinde auf und gaben das bittere Gebrau den schmerzgeplagten Menschen. Das Pfliicken der Weiden wurde aber bald unter Androhung von hohen Strafen verboten, weil man sie dringend fur die Korbherstellung benotigte.
NH
I
c-0 I
CH3 p Acctarnrnophenol ~
Als Napoleon 1806 die Kontinentalsperre verhangte, konnte Chinin als das damals bekannte fiebersenkende Mittel nicht mehr aus Peru importiert werden. Man erinnerte sich an die Weidensafte. 1828 kochte der Munchener Pharmazieprofessor Johann Andreas Buchner daraus eine gelbliche Masse, die er Salicin nannte, der franzosische Apotheker Leroux gewann daraus kristallines Salicin. Der Marburger Professor Hermann Kolbe (1818 - 1884) klarte die Struktur auf und synthetisierte die Salicylsaure, so dab 1874 mit der industriellen Produktion begonnen werden konnte. Dem Bayer-Chemiker Dr. Felix Hoffmann gelang die Umsetzung der Salicylsaure mit Essigsaure [acetum (lat.) - Essig] zur besser vertraglichen Acetylsalicylsaure (ASS). Am 1. Februar 1899 wurde Aspirin als Warenzeichen durch Bayer angemeldet und bereits am 6. M a n desselben Jahres in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin eingetragen.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
9.6 Farbmittel, Farbstoffe und Pigmente 9.6.1 Begriffshestimmung Farben, Farbstoffe, Farbmittel und Farbpigrnente* sind Begriffe, die vom Nichtfachmann haufig im gleichen Sinne verwendet werden und so in ihrer Bedeutung nicht scharf voneinander unterschieden werden. Von den Fachnormenausschussen Farbe, Pigmente undFullstoffe im Deutschen NorrnenausschuB (DNA) sind diese Begriffe definiert und eindeutig gegeneinander abgegrenzt worden. Wird als Farbe in DIN 5033 ein durch das Auge vermittelter Sinneseindruck verstanden, so ist der Ausdruck ,,Farbmittel" nach DIN 55945 als Sammelname fur alle farbgebenden Stoffe zu verwenden. Die Farbmittel sind unterteilt in Pigmente und Farbstoffe. Ein Pigment ist ein in Losemitteln und/oder Bindemitteln praktisch unlosliches organisches oder anorganisches buntes oder unbuntes** Farbrnittel. Ein Farbstoff dagegen ist ein in Losemitteln und/oder Bindemitteln losliches organisches Farbrnittel. Bei den Pigmenten ist nach DIN 165 15 zwischen den anorganischen und organischen Pigmenten zu unterscheiden. Zu den anorganischen Pigmenten zkihlen die naturlichen anorganischen Pigrnente (Erdpigrnente), synthetische anorganische Pigmente (Mineralpigmente), metallische Pigmente (Bronzen) und die Kohlenstoffpigmente . Die organischen Pigrnente werden wie Farbstoffe in naturliche (tierische oder pflanzliche) und synthetische Pigmente unterteilt.
9.6.2 Anorganische Pigmente Anorganische Pigmente werden oft gerneinsam mit Fullstoffen verarbeitet und die Trennlinie zwischen beiden ist flieRend. So werden bei der Papierherstellung Silikate und Kieselsauren sowohl als Fullstoffe verwendet, weil sie das Papiervolumen vergroBern und das Durchschlagen von Druckfarben verhindern, als auch als Pigmente betrachtet, weil sie WeiRheit und Undurchsichtigkeit des Papiers verbessern.
* **
pigmentum (lat.) - Malerfarbe. Schwarz und WeiD sind unbunte Fwben.
81
Auch der RuR ist ein Beispiel dafur, wie der gleiche Stoff sowohl als verstiirkender Fullstoff (in Kautschukmischungen) als auch als Pigment (z.B. in Druckfarben) verwendet wird. Im allgemeinen ist die Trennlinie zwischen Pigmenten und Fullstoffen durch folgende Kriterien markiert: - Pigmente sind feinteiliger als Fiillstoffe, - Pigmente sind teurer als Fullstoffe, - WeiRpigmente haben einen groBeren Bre-
chungsindex als weiRe Fullstoffe. Die meisten anorganischen Pigrnente sind Metalloxide wie Titandioxid Ti02, Eisen(II1)oxid Fe,03 und Zinkoxid ZnO. Der unterschiedliche chemische Aufbau der anorganischen Pigmente gegenuber den organischen Farbmitteln bedingt ihre groRere Dichte, ihre im allgemeinen bessere Lichtechtheit und ihre meist weitaus groDere Ternperaturbestandigkeit . So ist es nicht moglich, ein Ernail, das einer Metalloberflache aufgeschmolzen wird, mit einern organischen Pigment anzuf&ben. Organische und anorganische Pigmente werden sowohl nebeneinander als auch in Kombinationen verwendet. In den Kombinationen nutzt man vor allern die groRere farbliche Brillanz organischer Pigmente aus.
Einteilung der anorganischen Pigmente nach DIN 55944 Natiirliche anorganische Pigmente werden erhalten durch Schroten, Mahlen, Sieben, Schlarnmen und Trocknen (Abb. 1-14). Beispiele sind Kreide, Ocker, Griinerde, Umbra, gebrannte Terra di Siena, Graphit u. a. Aufgrund ihrer chernischen Stabilitat sind die anorganischen Pigrnentteilchen sehr licht-, wetter- und ternperaturbestandig. Lediglich Pigmente, die wie das gelbe Eisenoxid oder das griine Chromoxidhydrat Kristallwasser enthalten, andern warend des Erhitzens ihren Farbton, wenn das irn Pigment gebundene Wasser abgespalten wird. Eisenoxidschwarz, Fe,O,, andert beim Brennen seine Farbe durch Oxidation zum roten FeZ03. Synthetische anorganische Pigmente werden aus geeigneten anorganischen Grundstoffen durch chernische und physikalische Umwandlungen wie AufschlieBen, Fallen und Gluhen gewonnen. Zu den anorganischen Pigmenten zahlen ferner die Glanzpigmente mit Metalleffektpigrnenten, die Perlglanzpigmente und Aufdampfschich-
82
I Chemische Grundlagen
Mineralisches Erz (aufbereitet)
Feinmahlen < 0,5 mm Sieben
Feingut
f Feinstmahlen < 0,05 mm
S ichten Eindic kenlFiltrieren
+
Pigment
Ruhrwerksmahlen
Feinteige
I
Mischen
Mahlen in Strahlmuhlen
Pigment Mikronisieren > 5 ~ m
mikronisiertes Pigment
Abb. 1-14. Mechanischer Verfahrensflua zur Herstellung von anorganischen Pigmenten.
ten sowie die Leuchtpigmente mit Fluoreszenzund Phosphoreszenzeigenschaften. Glanzeffekte beruhen auf einer gerichteten Reflexion des Lichtes an flachig ausgebildeten und ausgerichteten Pigmentteilchen, 2.B. Aluminium- oder Silberbronzen. Bronzen sind Legierungen, die sich aus mindestens 60% Kupfer und einem oder mehreren Hauptlegierungszusatzen, von denen Zink nicht uberwiegen dad, zusam-
mensetzen. Silberbronzen bestehen aus einer Kupfer-Zink-Nickel-Legierung . Bei Aluminiumbronzen handelt es sich urn reines Alurniniumpulver. Metalleffektpignente enthalten blattchenformige Metallteilchen, wie z. B . Goldbronze, Silberbronze, Aluminiumbronze u. a. Perlglanzpigmente bestehen aus farblosen transparenten und stark lichtbrechenden Blatt-
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
83
Tab. 1-10. Beispiele von synthetischen anorganischen Pigmenten.
Zusammensetzung
Bezeichnung
ZnO TiO, ZrO,
ZnS Zn + BaSO,
Zinkoxid Titanoxid Zirconiumdioxid Zinndioxid Antimontrioxid BleiweiB basisches Zinkcarbonat basisches Bleisulfat Zinksulfid Lithopone
Pb(Cr, S)O, Pb@4 CoAI,O, a-Fe,O, Cr,O, Cd(S, Se) in ZrSiO, Na8[A16Si60241Sx
Chromgelb Mennige Cobaltblau Hamatit (gelbrot bis blaurot) Chromoxid Cadmiumrot Ultramarin
Fedh (Fe, Mn),03 Co,O, braun bis schwarz Co,04 grau bis schwarz
Eisenoxidschwarz Eisen-Manganschwarz Cobaltschwarz
WeiBpigrnente Oxide
SnO, Sb@, 2 PPbCO, . Pb(OH)2 2 ZnCO, .3 Zn(OH), 2 PbSO, . Pb(OH)2
Carbonate Sulfate Sulfide Buntpigmente Oxide
Silikate + Sulfide Silikate Schwarzpigmente
chen. Nach einer Parallelorientierung der Pigmentteilchen in Lacken und Kunststoffen wird das Licht an der Oberflache mehrfach in unterschiedlicher Tiefe der Beschichtung reflektiert und dadurch ein weicher Glanzeffekt erzielt. Das erste Pigment dieser Art war das heute noch in Nagellacken verwendete guaninhaltige Fischsilber.
H
H Guanin (2-Amino-6-hydroxypurin)
GroBere Mengen kristallines Guanin finden sich in den Schuppen und in der Haut von Fischen, Amphibien und Reptilien, worauf deren eigenartiger Glanz zuriickgefiihrt wird. Guanin ist neben Adenin, Cytosin, Thymin und Uracil ein wichtiger Bestandteil der Nukleinsauren.
9.63 Chemische und physikalische Eigenschaften der Pigmente Anorganische Pigmenge sollen moglichst iiber keine chemische Reaktionsfahigkeit verfiigen, es sei denn, sie werden fur Korrosionsschutzanstriche benutzt, wo von ihnen eine Verbesserung der Schutzwirkung erwartet wird. In diesen Fallen verwendet man aktive Pigmente. Das Vergilben von Anstrichen und das anschlieBende Kreiden sind Zeichen fur eine Zerstorung des Bindemittels, die vom Pigment verursacht sein kann. Wenn an die chemische Inaktivitat hochste Anforderungen gestellt werden, werden die Pigmentteilchen unter Umstanden durch Oberflachenbehandlung mit vollig inaktiven Stoffen abgedeckt. Das geschieht u.a. bei speziellen Titandioxidpigmenten. In erster Linie werden von Pigmenten physikalische Eigenschaften erwartet, wie - hohes Deckvermogen, groBes Aufhell- oder F~beverrnogen, - bei WeiBpigmenten moglichst g r o k Brechzahl,
84 -
-
-
I Chemische Grundlagen
moglichst vollstandige Unloslichkeit in Bindemitteln (z.B. Kunststoffen) und Losemitteln (z.B. Wasser), groRe und gleichmlljige Feinheit der Pigmentteilchen, leichte Verteilbarkeit der Pigmentteilchen im Bindemittel.
Das Brechungsgesetz nach Snellius* Einfallslot N
optisches dunneres Medium 1 Physikalische und chemische Eigenschaften fur die Beschreibung von Pigmenten in der Kosmetik sind: Reflexionseigenschaften, z. B. gllnzend matt Brechungseigenschaften, Brechungsindex - Licht- und Warmebestandigkeit - Hydrophile und hydrophobe Eigenschaften - Hautvertraglichkeit - Schutzeigenschaften - Bestandigkeit der Pigmente und der dispergierten Systeme
A
optisches dichteres Medium 2
-
In der Kosmetik spielen die Effektpigmente zum Einfarben von Lippenstiften, Nagellacken, Wimperntusche, Augenbrauenstiften, Hautschutzmitteln eine herausragende Rolle. Der Farbeindruck und die Farbvariationen wird durch die Lichtstreuung an den Pigmentteilchen wesentlich beeinfluat. Physikalische Eigenschaften und Gesetze zur Beschreibung der Lichtstreuung sind die Wellenlungen der verschiedenen Lichtstruhlen bzw. das Rejlexionsgesetz.
Lichrhrechung (Refraktion)** ist die Richtungsanderung (Ablenkung), die ein Lichtstrahl neben der Reflexion erfahrt, wenn er im Winkel in ein optisch andersartiges Medium eintritt, z. B. beim Ubergang von Luft in Wasser. Dabei andert er seine Fortpflanzungsgeschwindigkeit c. Je optisch dichter das Medium, desto geringer die Lichtausbreitungsgeschwindigkeit. Das Snelliussche Brechungsgesetz besagt, daR der Quotient aus dem Sinus des Einfallswinkels a des einen optischen Mediums und dem Ausbreitungswinkel p des anderen optischen Mediums fur die jeweils kombinierten Stoffe eine konstante G r o k ist. Sie ist eine Materiulkonstunte. sin a ~
sin p
Einfallslot N Einfalls-
I
sin
Ausfalls-
(Y
sin p
=n
-
n = Materialkonstante
CI ('2
Je groBer sein Brechungsindex n , desto optisch dichter ist ein Stoff.
9.6.4 Optische Eigenschaften pigmentierter Anstriche, Kunststoffe, Betonsteine usw. Es gilt: Einfallswinkel a = Ausfallswinkel a ' . Die GroBe des Einfallswinkels hangt unter anderem von der Beschaffenheit der Stoffoberflache ab.
Farbigkeit Die bunte oder unbunte Farbe eines nicht selbstleuchtenden Korpers, z. B, eines pigmentierten Kunststoffes oder eines Papiers, nennt man Korperfarbe. Sie hangt von der Lichtart ab, mit der der Gegenstand beleuchtet wird.
* **
Snellius, Snell von Rojen (1580-1626), niederlandischer Mathematiker und Physiker. refringere, refractus (lat.) - aufhrechen. Brechung.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Das weiBe Sonnenlicht ist ein Gemisch der bunten, leuchtenden Spektralfarben, wie sie geordnet im Regenbogen sichtbar sind. Ein Korper, der im Sonnenlicht schwarz erscheint, verschluckt (absorbiert) alle diese Farben. RUB ist fast vollkommen schwarz. Er absorbiert etwa 95% der eingestrahlten Lichtenergie. Die aufgenommene Lichtenergie kann einen farbigen Gegenstand sowohl erwiimen als auch chemische Reaktionen in ihm bewirken. Violettes Licht und die unsichtbaren ultravioletten Strahlen sind besonders energiereich. Fehlen im zuriickgeworfenen Licht einzelne Farben, so erscheint der Gegenstand irn Sonnenlicht rot oder griin usw., je nachdem, welche Mischfarbe der Rest ergibt. WeiB und Blau mischen sich zu Hellblau, WeiB und Gelb zu cremefarbenem Gelb usw. Je weniger Licht ein Korper zuriickschickt, desto dunkler wirkt seine Farbe. Dabei entsteht z.B. aus Rot Rotbraun und Dunkelbraun. Werden alle Farben des Sonnenlichtes in gleichem Ma13 zuriickgestrahlt, so entsteht der Farbeindruck WeiB. Polierte Silberoberflachen reflektieren etwa 90% der Helligkeit jeder Spektralfarbe . An Oberflachen, die nicht hochglanzpoliert, sondern mehr oder weniger uneben sind, findet keine spiegelnde Reflexion, sondern eine diffuse, in verschiedene Richtungen gelenkte Reflexion statt.
Lichtbrechung, Brechzahl Fallt Licht auf einen Korper, so wird ein Teil davon an der Obefflache reflektiert, w2hrend ein anderer Teil in den Korper eindringt. Das in den Stoff eintretende Licht wird gebrochen, d. h. es andert seine Richtung. Je groBer diese Lichtbrechung ist, desto groBer ist die Brechzahl des betriffenden Stoffes (Tab. I- ll).
Deckvermogen, Farbe- und Aufhellvermogen Pigmentierten Materialien liegen feinverteilte (dispergierte) Pigmentteilchen vor. Durch diese kleinen Teilchen wird das eingedrungene Licht diffus reflektiert und erneut gebrochen - und dadurch gestreut. Gleichzeitig wird das eingedrungene Licht durch Absorption geschwacht, so daB es nicht tief in den pigmentierten Gegenstand eindringen kann. Auf diese Weise wird der Untergrund eines Lackes abgedeckt: Der pigmentierte Klarlack wird undurchsichtig. Je besser das Deckvermogen eines Pigmentes in einem Anstrichfilm bestimmter Filmdicke ist,
85
Tab. 1-11. Brechzahlen von Bindemitteln, Fullstoffen und WeiBpigmenten.
I ,o
1. Luft 2. Bindemittel
Wasser Hamstoff-Formaldehydharze
1,3 I,6
3. Fiillstoffe
Stoffgruppe Substanz Kieselsaure S ili kate
Carbonate Oxide Sulfate
Siliciumdioxid Kieselgur (Diatomeenerde) Aluminiumsilikat Kaolin (China Clay) Calciumsilikat Natrium-Aluminium-Silikat Kreide gefalltes Calciumcarbonat Tonerde Bariumsulfat (Blanc fixe)
4. Weifipigmente
Stoffgruppe
Substanz
Sulfide Oxide
Zinksulfid Zinkoxid Titandioxid (Anatas) Titandioxid (Rutil)
2.4 2 ,o 2,55 2.75
desto geringer braucht seine Konzentration zu sein, um den Anstrich undurchsichtig zu machen. Ebenso wird eine Chemiefaser, die transparent ist, undurchsichtig und matt, wenn sie mit einem WeiBpigment pigrnentiert wird. Die beiden Faktoren, von denen das Deckvermogen einer Pigmentdispersion ganz iiberwiegend abhangt, sind - die Brechzahl des Pigmentes; je groBer sie ist, desto besser ist das Deckvermogen. - GroBe und Form der Pigmentteilchen; die Pigmentteilchen miissen kugelig und moglichst klein sein. Bei FarbruBen liegt die TeilchengroBe (der Primiirteilchen) zwischen 15 nm und 30 nm. Die als Fiillstoff verwendeten GummiruBe dagegen haben etwa lo00 ma1 so groBe Durchmesser. Beim Titaldioxid liegen die optimalen Teilcheng r o k n zwischen 400 nrn und 500 nrn. Um ein maximales Furbevermogen bzw. bei WeiBpigmenten ein maximales Aufhellvermogen zu erzielen, miissen diese optimalen Teilchen-
86
I Chcmischc Grundlagcn
griiljen auch im Bindernittel vorliegen. Kommt es im Bindemittel zu einem teilweisen Zusammenballen (Agglomeration) der Pigmentteilchen - zur Bildung der sog. Sekundarstruktur -, sinken Farbstarke und Deckvermogen. Volle Farbstarke wird also erreicht, wenn jedes Pigmentteilchen vom Bindemittel umhullt ist. Eine spezielle Oberflachenbehandlung mancher Pigmente hat das Ziel, die Pigmentteilchen ,,bindemittelfreundlicher" zu machen. Verglichen mit den Pigrnenten haben Fiillstoffe Brechzahlen, die sich nur unwesentlich von der Brechzahl des betreffendcn Bindemittels unterscheiden. Haben Bindemittel und Fullstoff die gleiche Brechzahl, so ist der Fiillstoff im Bindemittel ebenso unsichtbar wie Ethanol in Wasser. Die grol3e Brechzahl des Titandioxids dagegen hat zur Folge, dalj impragniertes Papier weiB und auf regennasser StralJe die Weiljmarkierung gut sichtbar bleibt.
9.65 Leuchtfarbmittel Eine besondere Gruppe anorganischer Farbmittel sind die Leuchtpigmente (Luminophore). Bei Belichtung oder anderen Arten der Energieeinstrahlung leuchten diese Pigmente kurzfristig (Fluoreszenz) oder langfristig (Phosphoreszenz) nach. Lichtpigmente bzw. Lurnineszenzpigmente sind anorganische oder organische lumineszenzfahige Stoffe, die nach Anregung durch elektromagnetische Strahlung (Licht) Fluoreszenz und/ oder Phosphoreszenz zeigen. Sie werden Anstrichstoffen, Beschichtungen, aber auch Kosmetika beigegeben. Als Lumineszenz* wird die Emission von Strahlungsquanten (Photonen), die Stoffe nach vorzugsweiser quantenhafter Anregung ohne Einwirkung von thermischer Energie zeigen, bezeichnet. Dieser Effekt wird von einem Leuchten der Stoffe begleitet, dabei mulj zwischen Fluoreszenz** und Phosphoreszenz*** unterschieden werden. Bei einer Fluoreszenz strahlt (emittiert)**** der angeregte Stoff innerhalb von lo-"' Sekun-
*
** *** ****
lumen (lat.) - Licht. Leuchte: LumineaLenL is1 dnr Leuchten yon Stoffen hei normaler Tcmperatur (kaltes Licht). fluere (lat.) flieRen; Fluorcsrcnz ist das Selhstleuchten mancher Stoffe bei Belichtung. phoaphoros (grch.) lichttragcnd: Phosphorcszcnz ist die Eigenschaft von Stoffen, nach Bestrahlung (Anregung) nachruleuchten. emittere (lat.) - aussenden.
den bis 10 ' Sekunden Licht in anderer meist groRerer Wellenlange aus. Bei der PhoupharesZen: beginnt die Eigenausstrahlung erst nach lo-' Sekunden und dauert nach dem Aussetzen der Anregung als Nachleuchten an. Die Lumineszenzeffekte von Stoffen beruhen auf der Wechselwirkung zwischen den Elektronen der Substanzmolekiile und der von auBen einwirkenden elektromagnetischen Strahlung des Lichtes, den Photonen (Lichtquanten). Durch die energetischen Einwirkungen von Photonen auf eine Substanz werden Elektronen innerhalb eines Molekuls auf ein hoheres Energieniveau angehoben. Fallen diese angeregten Elektronen wieder in den Grundzustand zuruck, senden sie den Differenzenergiebetrag zwischen dem hiiheren Energieniveau und dern Grundzustand in Form von Lichtenergie an die Umgebung Bus.
9.6.6 Chemische Herstellungsverfahren wichtiger Pigmente Fallungsverfahren aus waRrigen Losungen Die meisten anorganischen Pigmente werden durch Fallungsreaktionen hergestellt. Um Pigrnentteilchen gewiinschter Grolje zu erhalten, miissen jeweils bestirnmte Fallungsbedingungen eingehalten werden. Temperatur und pH-Wert sind beim Fallen ebenso von Bedeutung wie die Konzentrationen der Ausgangslosungen und die Entscheidung, ob beide Losungen nacheinander oder gemeinsam einlaufen und wie schnell in der Mischturbine geriihrt wird.
Fallung von Lithoponen (Bariumsulfat/Zinksulfid) Bas
+
ZnSO,
Bnriurnsulfid
+
Zinksulfat
-
RaSO,L
+
ZnSl
Bariumsulfat (weiB)
+
Zinksulfid (weiB)
Je grol3er der Anteil an Zinksulfid im Lithopon ist, desto wertvoller ist es.
Fallung von Chromgelb (Bleichrornat) Pb(NO,), +Na,CrO, Bleinitrat
+ Natriunichroinat
-
PbCrO,l
+ 2NaN0,
Rlcichromat (gclb)
+ Natriumnitrat
-
-
Auch die anderen Chromatpigmente wie Zinkchromat, ZnCrO, (Zinkgelb), und Bariumchromat, BaCrO, (Barytgelb), werden durch FBIlung hergestellt.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Fallung von Cadmiumgelb (Cadmiumsulfid) CdCl,
+ Na,S
Cadmium. chlorid
+
Natriumsulfid
-
CdS 1 + 2NaCl Calcium + Natriumsulfid chlorid (gelb)
Nach der Fallung werden die Pigmente abgetrennt, gewaschen und getrocknet. Einige Pigmente, z.B. die Chromatpigmente und das Cadmiumgelb, werden dann hu; noch gemahlen, um miteinander verwachsene Kristalle zu trennen. Haufig werden jedoch nur Rohpigmente ausgefallt, die in Bezug auf Kristallstruktur und TeilchengroBe keine optimalen Pigmenteigenschaften haben. Solche Rohpigmente sind Titandioxid, Eisenoxid, Lithopone, Cadmiumrot u. a. Sie werden durch Gluhen nachbehandelt. Bei dieser Wiirmebehandlung ordnen sich die Bausteine des Pigments, die Anionen und Kationen, unter Umstanden zu veriinderten raumlichen Gruppierungen: Die Kristallstruktur andert sich.
Herstellung von Titandioxid (Sulfatverfahren) Titandioxidpigmente werden nach zwei miteinander konkurrierenden Verfahren produziert, nach dem Sulfat- und dem Chloridverfahren, wobei Neuanlagen aus okologischen und okonomischen Griinden nach dem Chloridverfahren arbeiten. Das Sulfatverfahren ist ein Fallungsverfahren (Abb. 1-15). Als Rohstoff werden das Mineral 11menit, FeTi03, ilmenithaltige Sande oder aus Ilmeniten gewonnene eisenarme Titanschlacken eingesetzt. Das Ausgangsmaterial wird mit Schwefelsaure aufgeschlossen. Je nach Verunreinigung durch begleitendes Gestein, der sog. Gangart, enthalt Ilmenit gewichtsmaaig 30% bis 55% TiO,, Titanschlacken dagegen 70% bis 85% TiO,. Beim AufschluB mit Schwefelsaure werden zur Beseitigung des Ilmenit gebundenen Eisens pro 1 kg Eisen 1.8 kg 100%ige Schwefelsaure verbraucht. Titanschlacken werden bei uber 1200°C im Lichtbogenofen gewonnen. Dabei wird das Eisenoxid des Ilmenits zu metallischem Eisen reduziert und so abgetrennt. Beim Sulfatverfahren bereiten der Schwefelsaurehaushalt und besonders die Aufarbeitung der Abfalle (Eisensulfat und mit Eisensulfat verunreinigte verdunnte Schwefelsaure) Schwierigkeiten. Zur Reinhaltung der Umwelt ist das aber erforderlich.
87
Die Herstellung von Titandioxid nach dem Sulfatverfahren laBt sich in vier Verfahrensschritte gliedern. AufschluR des Ilmenits und Reduktion der Eisenionen - Abtrennung der Gangart und eines Teils des gebildeten Eisen(I1)-sulfats - Fallung von Titandioxid - Nachbehandlung des Titandioxids -
I . AufschluJ und Reduktion Beim AufschluB des Ilmenits bildet sich Eisen(II1)-sulfat, das bei der Fallung des titandioxids durch Bildung von Unloslichem rotbraunem Eisen(II1)-hydroxid storen wurde. 4FeTi0, Ilrnenit
+ 14H,SO,
+
Schwefelsaure
4Ti(S04)?+ 2Fe,(SO,), Titansulfat
+ 14H,O
Eisen( 111)sulfat
Wasser
Durch Zusatz einer berechneten Menge Eisenschrott werden die Fe'+ des Eisen(II1)-sulfats zu Fez+des Eisen(I1)-sulfats reduziert: Fe2(S04)3 Eisen(1Il)-sulfat
+
Fe
-
Eisen
3FeS0, Eisen( 11)-sulfat
2. Abtrennung der Gangart und eines Teils des Eisen(il)-sulfats Da die Gangart von der konzentrierten Schwefelsaure nicht angegriffen wird, laRt sie sich in AbsitzgefaBen von der Liisung des aufgeschlossenen Ilmenits abtrennen. Die AufschluRreaktion ist exotherm. Beim Abkiihlen der heiRen Losung fallt ein Teil des gebildeten Eisen(I1)-sulfats alb kristallwasserhaltiges Salz, FeSO, . 7 H20, aus. Aus diesem Abfallsalz wird Schwefelsaure zuriickgewonnen.
3. Fallung von Titandioxid Durch Verdunnen der stark schwefelsauren Losung reagiert das Titansulfat mit dem zugefuhrten Wasser (sog. Hydrolyse). Es fallt wasserhaltiges Titandioxid aus. Ti(s04)2
+' 2 "
. aq
-+
+
H2S04
weiB
Die Fdlung wird durch Zusatz von Kristallisationskeimen gefordert .
88
I Chemische Grundlagen I
it
4.
Sc,hwefelsaure
Nachbehandlung
7 ser
t
Sedlmentleren
Gangart
At
Wasser
Flltrleren Waschen
Kristalllsleren
Trocknen
Mahlen
I
Rohtitandioxid
Titandioxid (oberflachenbehandelt)
Abb. 1-15. Herstellung von Titandioxid (Sulfatverfahren).
4 . Nachhehandlung des Titandimids
Nachdem das Rohpigment von der Diinnsaure, einer verdunnten Schwefelsaure mit FeS0,-Gehalt, abfiltriert und sorgfaltig gewaschen ist, wird es in Drehrohrofen gegliiht (calciniert). Bei Temperaturen von uber 1000°C entsteht dabei aus der Kristallform des Anatas die dichter gepackte Kristallstruktur des Rutils. Titandioxid ist in dieser Kristallstruktur pigmenttechnisch wertvoller,
weil Rutil die hohere Brechzahl aufweist (s. Tab. 1-11). Da bei der Kristallisation im Drehrohrofen zu groRe Pigmentteilchen entstehen, wird anschlieBend gemahlen. Dann schlieBt sich meist eine chemische Nachbehandlung an, bei der durch Fallung Hydroxide und Oxide des Aluminiums, Siliciums und Zinks auf der Oberflache des Pigmentkorpers abgeschieden werden. Auf diese Weise werden Licht- und Wetterstabilitat des
9 Arornatische Verbindungen (Arornaten)
Pigments erhoht. Durch Nachbehandlung mit organischen Chemikalien wird die Dispergierbarkeit in Lacken und Kunststoffen verbessert.
Ein zweiter Rohstoff fur die Herstellung von Titandioxidpigmenten ist der seltene und teuere Natur-Rutil. Er ist mehr oder weniger reines TiO, und wird auch durch Aufkonzentrieren von Sanden, die nur 0,1% Rutil enthalten, gewonnen. Das Chloridverfahren hat nicht nur in den USA, sondern auch in Westeuropa zunehmend an Bedeutung gewonnen. Natur-Rutil oder Titanschlacken werden in korniger Form mit Petrol-
Titanerze Petrolkoks oder -schlacke
koks vermischt und wirbelnd mit gasformigem Chlor aufgeschlossen (Wirbelchlorierung) (Abb. 1-16):
2Ti02 + 3C + 4C1,
Herstellung von Titandioxid (Chloridverfahren)
Chlor
-
2TiC1,
+ C02 + 2CO
Das Titantetrachlorid, TiCl,, wird durch Destillation gereinigt, denn insbesondere beim AufschluD von Titanschlacken werden auch andere Metallchloride, vor allem Eisenchlorid, gebildet. Abgetrenntes, reines Titantetrachlorid wird unter gleichzeitiger Ruckgewinnung eingesetzten Chlors mit reinem Sauerstoff zu hochreinem Titandioxid verbrannt: TiC14+ O2
+
Ti0, + 2C1,
Sauerstoff
r Destillation
89
Verbrennung
1' Nachbehandlung
90
I Chemische Grundlagen
Durch Nachbehandlung lassen sich Wetterstabilitat und Dispergierbarkeit des Titandioxids verbessern.
Herstellung von Eisenoxidpigmenten Die Farbskala der verschiedenen Eisenoxidpigmente reicht vom leuchtenden Gelb uber Orange, Rot und Braun bis zum Schwarz. Ihre optische Leistung ist, bezogen auf ihren Preis, sehr hoch. Billige Ausgangsstoffe fur ihre Herstellung sind z. B. die Dunnsauren aus Ilmenitaufschlussen und die Beizlosungen aus der eisenverarbeitenden Industrie. Durch Zusatz von Eisenschrott wird der SaureuberschuB dieser Losungen weitgehend beseitigt und zusatzlich in Eisen gelost: Fe
+
H,SO,
-
Eisen(l1)~ulfat
Schwefelelure
Eisen-
schrott
FeSO,
+
Hz Wasser\tOff
Durch Neutralisation, z. B. mit Natronlauge, wird Eisen(I1)-hydroxid ausgefallt. FeSO,
+
Eisen(I1)sulfat
2NaOH
-
Natriumhydroxid
Fe(OH)21 + NaSO, Eisen(I1)hydroxid
Natriumsulfat
Durch Einleiten von Luft wird das Fe(OH), je nach Dosierung ganz oder teilweise zu ebenfalls unloslichem Eisen(II1)-hydroxid, Fe(OH),, oxidiert. Nach dem Filtrieren werden durch Trocknen oderhnd Gluhen Eisenoxidpigmente in drei Grundfarben gewonnen: gelb
rot schwarz
FeO(0H) FezO, FeO . Fe,O,
basisches Eisen(II1)-oxid Eiscn(II1)-oxid (Fe704)Eisen(l1,III)-oxid
Ein anderes bedeutendes Verfahren zur Herstellung von Eisenoxidpigmenten nutzt die Tatsache, daR bei der Reduktion von Nitrobenzol zu Anilin rnit Guaeisenspanen in saurer Losung Eisenoxide anfallen. Durch Zusatz geeigneter Metallsalze lassen sich so hochwertige Pigmente gewinnen. Durch Waschen, Abfiltrieren und anschlieaendes Trocknen oder Gliihen werden leuchtend gelbe, rote, blaustichig rote, braune oder schwarze Pigmente hergestellt. Harte Eisenoxidpigmente werden auch als Bestandteil von Polierpasten und ferromagnetische Eisenoxide fur Magnetbander zum Speichern von Informationen verwendet.
Andere Herstellungsverfahren fur Pigmente Im gasformigen Zustand werden bei hohen Temperaturen z. B. Metalldampfe mit Sauerstoff zu Pigmenten umgesetzt 2Zn+0, Zink
-
2Zn0 Zinkoxid (ZinkweiR)
oder Metallchloride in der Wasserstoffflamrne (Knallgas) in Oxide verwandelt. 6H2 + 3 0 2 + 4AlCI, Knallga\
-
2A1,0,
+ 12HCI
Aluminium-
Aluminium-
chlorid
oxid
Im geschmolzenen Zustand werden z.B. kobalthaltige Erze mit Quarzsand und Kaliumcarbonat (Pottasche) zu einem dunkelblauen Pigment umgesetzt, das zum Farben von Keramik, Glas und Email verwendet wird.
Verwendung und wirtschaftliche Bedeutung von Pigmenten 1998 wurden weltweit 11 Mio t Pigmente hergestellt. Davon entfallen 10 % auf den organischen Teil. Anorganische Eisenoxidpigmente naturlichen Ursprungs, sog. Erdpigmente (Mineralien), wurden in prahistorischer Zeit beim Ausmalen von Hohlen verwendet. Schon im Altertum wurden aber auch die anorganischen Pigmente BleiweiB und Mennige hergestellt. In wirtschaftlichen Mengen wurden Pigmente aber erst im 19. Jahrhundert produziert . Heute konnen sowohl der steigende Bedarf als auch die Qualitatsanforderungen, die an anorganische Pigmente gestellt werden, von den in der Natur vorkommenden Minerdhen nicht befriedigt werden. Die anorganischen Pigmente werden daher uberwiegend synthetisch hergestellt. Synthetische Pigmente zeichnen sich durch groRere Reinheit, gleichbleibende Qualitat, hohere Farbstarke und spezielle Verarbeitungseigenschaften aus. Ein typischer Anwendungsbereich fur anorganische Pigmente ist das Einfarben von Anstrichstoffen und Kunststoffen. Von Bedeutung sind auch die Einfiirbung von Waschbeton, Asbestzement, von Keramik, Glas und Email und die Verwendung anorganischer Pigmente fur Druckfarben. Die Verwendung der WeiRpigmente reicht vom Heizkorperlack uber weiRes Papier und weiBe Hemden aus Chemiefasern bis zum Zebrastreifen auf der StraBe.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Nach Menge und wert gemessen, sind die WeiBpigmente die weitaus wichtigste Gruppe unter den anorganischen Pigmenten*. Weit uber die Halfte der Weltproduktion an anorganischen Pigmenten (ohne RUB) entfallt auf das WeiRpigment Titandioxid. Die Produktion weltweit betrug 2000 ca. 4,2 Mio t. An zweiter Stelle folgen in der westlichen Welt die synthetischen Eisenoxidpigmente. Es sind gleichzeitig die wichtigsten Buntpigmente. Je nach chemischem Aufbau und nach raumlicher Anordnung der kleinsten Teilchen in den winzigen Kristallen haben Eisenoxidpigmente die Farbe gelb, rot, braun oder schwarz. In Europa werden diese Buntpigmente uberwiegend zum Einf&ben von Baustoffen (Betonsteine, Dachpfannen. Pflastersteine, Asbestzement, Fassadenputze), in Nordamerika fur Anstrichstoffe verwendet. In der Bundesrepublik Deutschland wird fast die Halfte der Weltproduktion an synthetischen Eisenoxiden erzeugt. Eisenblau, auch Berliner Blau (Fe"'-[Fe(CN),] genannt, wird in einer Menge von 12000 t hergestellt. Zinkoxid ist ein WeiBpigment, das besonders in Osteuropa fur Anstrichstoffe Bedeutung hat. In der westlichen Welt werden jahrlich etwa 550 000 t Zinkoxid als Aktivator und Vulkanisationsbeschleuniger in der Kautschukindustrie und erst in zweiter Linie als Pigment fur Anstrichmittel und in der Keramik- und Glasindustrie hergestellt. Zinkoxid wird auch fur die Herstellung von Kopierpapieren verwendet, weil bestimmte Zinkoxide bei Belichtung unterschiedliches elektrostatisches Verhalten zeigen. Die Jahresproduktion anorganischer Pigmente in der Welt betrug 1998 knapp 10 Mio t. Der Anteil von Zinksulfid und Lithoponen entspricht ca. 5%. Mit insgesamt weniger als 5% an der Weltproduktion sind folgende Buntpigmente beteiligt: Chromatpigmente (Bleichromat, Zinkchromat, Bariumchromat) Chromoxid Molybdatrot Cadmiumgelb (Cadmiumsulfid) Cadmiumselenide Eisenhaltige Blaupigmente (z.B. Berliner Blau) Ultramarin
91
Mennige (Bestandteil korrosionsschutzender Grundierungen, rot) BleiweiB Auch wenn man von der RuRproduktion absieht, werden in der Bundesrepublik der Menge nach mehr anorganische Pigmente als organische Farbmittel und organische Pigmente hergestellt. Andererseits sind die anorganischen Pigmente durch ihren einfachen Aufbau aber vie1 billiger. Im Gegensatz zu raschen, forschungsintensiven Entwicklungen auf dem Gebiet der organischen Farbmittel und zu schnellen Veranderungen der Farbpaletten fur Textilien sind in den letzten Jahren nur wenige anorganische Verbindungen fur die Verwendung als Pigmente entwickelt worden. Die Aufmerksamkeit richtet sich bei den anorganischen Pigmenten in erster Linie darauf, die Eigenschaften der bekannten Pigmente zu verbessern. RuBpigmente werden weltweit in einer Menge von ca., 400000 t jahrlich (2000) produziert.
9.6.7 Anorganische Fiillstoffe
Begriffsbestimmung Fullstoffe sind Zusatzstoffe, die in zahlreichen Produkten enthalten sind - von Tabletten und kosmetischen Praparaten iiber Seifen, pulverformige Wasch- und Reinigungsmittel, Druck- und Malerfarben, Klebstoffe, FuBbodenbelage aus PVC, Kunststoffolien, duroplastische KunstharzPrehassen und vulkanisierte Kautschukmischungen bis zu Edelputz, Textilien, Papieren und Tapeten. Mit Ausnahme von RuR, Holzmehl, Papierund Textilschnitzeln sind alle bedeutenden Fullstoffe weiBe pulvrige, durchweg anorganische Substanzen. Fullstoffe sind ebenso wie Pigmente in Bindemitteln und Losemitteln unloslich. Fullstoffe sind heute nur noch selten bloBe (billige) Streck- oder Verschnittmittel. Sie sind uberwiegend Hilfsstoffe, die die Qualitat eines Produktes erhohen. In diesem Sinn spricht man von aktiven Fullstoffen. Aktive Fiillstoffe konnen wichtige Gebrauchseigenschaften von Produkten verstarken oder uberhaupt erst bewirken.
Einteilung der Fiillstoffe *
Literaturhinweis: Crerner. M. (1986). Non-Ti02 white pigments with special reference to ZnS pigments, Technical Service Note, Sachtleben Chemie GmbH (Hrsg.), Duiaburg.
Ebenso wie bei den Pigmenten unterscheidet man bei den Fullstoffen die Naturprodukte von den synthetisch hergestellten Produkten, den sog.
92
I Chemische Grundlagen
Extendern. Fullstoffe, die in der Natur vorkommen, sind: Schwerspat BaSO, (Bariumsulfat) Kreide CaCO, (Calciumcarbonat) Kieselgur oder wasserhaltiges SiOz Diatomeenerde (Siliciumdioxid) Kaolin und Tone Calcium-Aluminiumsilikate China Clay besonders reines Kaolin Quarzmehl, Schiefermehl, Gesteinsmehl, Glaskugelchen und Glasschuppchen Fullstoffe, die synthetisch hergestellt werden, sind: RuRe C (Kohlenstoff) Uber 90% der Jahresproduktion sind Fullstoffe, sog. GummiruMe. Weniger als 10% sind feinteilige FarbruRe fur Druckfarben, Lacke und Kunststoffe. - Kieselsauren (Si02), . x H,O und modifizierte Kieselsauren, die Oxide wie CaO, MgO, AI,O? und BaO enthalten.
-
Nach dem Herstellungsverfahren und Verwendungszweck unterscheidet man zwischen pyrogenen und gefallten Kieselsauren. - Blanc fixe BaSO, (Bariumsulfat) - SatinweiR ein Gemisch aus CaSO,/Al,O, - Calciumsilikat wasserhaltiges CaSiO, - Aluminiumsilikat wasserhaltiges A1,0,. SiO, - Tonerdehydrat Al,O,. H 2 0 - gefalltes CalciumCaCO, carbonat Mit Ausnahme von Glas, Schiefermehl, Gesteinsmehl, Tonen und der RuRe sind alle genannten Fullstoffe weiRe Feststoffe.
Physikalische Eigenschaften - Aunere und innere Oberflache,Thixotropie* Alle Fullstoffe sind feinteilige Feststoffe. Ihre hervorstechende gemeinsame Eigenschaft ist ihre groRe Oberflache. Je groRer der Zerteilungsgrad eines Stoffes ist, desto g r o k r ist seine auBere Oberflache. Die GroEe der Fullstoffteilchen (Primirteilchengrok) liegt gewohnlich zwischen 10 nm und 100 nm. Je nachdem, ob diese Partikel platte, runde oder zerkluftete Ober*
thixis (grch.) - Beriihrung. trepein (grch.) wenden. ~
flachen haben, betrlgt die spezifische Oberflache zwischen 10 m2 und 400 m' pro Gramm Fullstoff. Zu den aktiven Fullstoffen zahlen RuBe (VerbrennungsruRe), Kieselgur, gefallte und pyrogene Kieselsauren, gefalltes Calcium- und Aluminiumsilikat . Die groRe auRere Oberflache laRt Anziehungskrafte (sog. Grenzflachenkrafte) zur Wirkung kommen. AuRerdem haften die Fullstoffteilchen auch teilweise aneinander (Sekundiirstruktur), wodurch sie das Bindemittel wie ein Geriist durchziehen. Auf diese Weise wird die mechanische Festigkeit eines ,,gefullten" Elastomeren aus Kautschuk oder Siliconkautschuk erhoht , Eine besonders interessante Wirkung haben hochaktive Kieselsauren in Lacken. Diese Lacke tropfen nicht. sie sind thirotrop, d. h. unter dem Druck eines Pinsels oder einer Malerrolle oder bei mechanischen Erschutterungen flieRen sie, um beim Verschwinden des Druckes oder beim Ruhestand schlagartig wieder fest zu werden. Thixotropie ist ganz besonders bei Tauchlacken erwunscht, urn ein Ablaufen und Nachtropfen zu verhindern . Ursache fur die Thixotropie ist die Geriiststruktur, die die Fullstoffteilchen im Bindemittel bilden. Bei Einwirkung einer Kraft zerbricht das Geriist. Beim Verschwinden der Scherkraft baut sich erneut eine Geriiststruktur auf
Geriiststruktur = nichttropfender Lack
zerstorte Geriiststruktur = fliissiger Lack
Andere Fiillstoffe, wie z.B. Gele der Kieselsauren und Metalloxide zeichnen sich durch eine besonders groRe innere Oberfache aus. Die Partikel dieser Fullstoffe weisen eine starke innere Zerkluftung auf, sie haben z. B. kapillare Struktur. Dadurch konnen sie z.B. gut Feuchtigkeit binden und so die Rieselfahigkeit von Pulvern verbessern oder durch die Aufnahme von Losemitteln als Verdickungsmittel wirken. Sie haben besonders als Adsorptionsmittel Bedeutung.
93
9 Arornatische Verbindungen (Arornaten)
9.68 Chemische Herstellungsverfahren wichtiger Fiillstoffe
Fallungsverfahren aus wahrigen Losungen fur Silikate und Kieselsauren
RuBe
Bei den Fallungsverfahren werden zwei Losungen miteinander vermischt. Dabei bildet sich durch chemische Reaktionen der unlosliche Fullstoff. Er fallt als fester Stoff aus. Diese Fiillstoffe heiBen deshalb nuJgefallte Fiillstoffe. Eine der beiden Losungen ist stets eine Wasserglaslosung (Natriumsilikat-Losung). Sie wird durch Zusammenschmelzen von gemahlenem Quarzsand und Soda und durch anschlieBendes Auflosen dieser Schmelze in Wasser hergestellt. Die zweite Losung ist
RUB ist sehr feiner, feinteiliger Kohlenstoff mit einem geringen, wechselnden Gehalt an Wasserstoff und Sauerstoff. Zu seiner Herstellung werden gasforrnige, flussige oder feste Kohlenwasserstoffe bei ungenugendem Luftzutritt unvollstandig - also ruBend - verbrannt. Diese sog. VerbrennungsruJe sind aktive Fullstoffe. Sie haben besondere Bedeutung als verstakende Fullstoffe in der Kautschukindustrie. OfenruJ (Furnace-RUB) wird aus Ruckstandsolen und Teerolen, aus Erdolraffinerien, Kokereien und Crackanlagen, die reich an aromatischen Kohlenwasserstoffen (besonders Naphthalin und hoheren Aromaten) sind, hergestellt . Die Ole werden in die Ofenflamme eingespritzt. Sie werden dabei thermisch gecrackt in RUB und Wasserstoff. Es lassen sich auch Ofenruk gewinnen, die so feinteilig sind, daB sie als FarbruBe geeignet sind. GasruJ (channel black) wird aus gasforrnigen oder vergasten Kohlenwasserstoffen durch partielle Verbrennung hergestellt. GasruR ist ein idealer FarbruB. FlammruJe haben unter den Verbrennungsruben die geringste Bedeutung. Die sog . SpultruJe werden bei vollstandiger Abwesenheit von Sauerstoff gewonnen. Vor allem Erdgas (Hauptbestandteil: Methan) wird thermisch zersetzt:
hohe
CH4
Methan
RUB
+
2H2
Wasserstoff
Spaltrulle sind weniger feinteilig als Verbrennungsrulle. Sie haben jedoch gute Leitfahigkeit fur elektrischen Strom. Sie werden deshalb zur Herstellung von Elektroden verwendet. Ein bekanntes Beispiel sind die Kohleelektroden in der Trockenbatterie. Als inaktive RuBe haben SpaltruBe fur Spezialzwecke Bedeutung, z. B. f i r Vulkanisate, die elektrische Leitfahigkeit haben sollen.
a) bei der Herstellung von gefallten Kieselsauren eine Saure:
+ 2HC1
Na,O. (SiO,), Wasserglaslosung
Salzsaure
(SiOJn . x H,O Polykieselsaure
+ 2 NaCl Natriumchlorid
b) bei der Herstellung von gefullten Silikuten eine saure Salzlosung wie Aluminiumsulfat-Losung oder Calciumchlorid-Losung: Na,O . (SiO,),
+
Wasserglaslosung
3CaSi0, H 2 0 Calciumsilikat
3CaC1,
3
Calciumchlorid
+
2NaCl Natriumchlorid
+ 4HCI Salzsaure
Durch Wahl geeigneter Fallungsbedingungen bilden sich Fullkorperpartikel gewunschter Primiirgrok. Durch Verwachsen und Verkitten mehrerer Primarteilchen entsteht die erforderliche Sekundkstruktur. Die gefallten Kieselsauren bestehen aus porenreichen Teilchen. Sie besitzen daher auch eine innere Obefflache.
Pyrogene Kieselsauren Die pyrogenen (im Feuer gewonnenen) Kieselsauren sind besonders reine Kieselsauren mit uber 98% Si02-Gehalt*. Sie bilden sehr kleine kugelformige Teilchen mit porenfreier Oberflache. Deswegen haben pyrogene Kieselsauren eine grobe Aktivitat. *
Obwohl SiO, = Siliciurndioxid dab Anhydrid der Kieselsauren ist, setzt man oft SiOLund ,,Kieselsaure" im Sprachgebrauch gleich.
94
I Chcmischc Grundlagcn Siiure oder Salzlosung
Wassei
UI I
Natriumsilikat-
Mutterlauge
Abb. 1-17. GrundflieRbild der Herstellung naRgefallter Kieselsluren und Silikate.
Zu ihrer Herstellung wird Siliciumtetrachlorid, SiCl,, verdampft und in einer Knallgasflamme zu SiOz umgesetzt. Beim Brennen der Knallgasflamme bildet sich Wasserdampf, der das Siliciumtetrachlorid in Siliciumdioxid umwandelt. Als Nebenprodukt entsteht Chlorwasserstoffgas. 2Hz + 0
2
-
Knallgas
SiCI,
8 Warserstofl
2H20 Wasserdampf
+ 2H,O
Wassertetrachlorid darnpf Silicium-
SiCI,
1Ooo"C
Reaktion im Brenner
( A H= -S7 I ,S kJirnol) LUft
SiO, Siliciumdioxid
+ 4HCI
Wiedergcwinnung
D
Salzsaure
Da das SiCl, in einer Flamme mit H,O umgesetzt wird, tragt das Verfahren den Namen Flarnrnenhydrolyse. Die kugelformigen Einzelteilchen der gebildeten Kieselsaure schlieBen sich ahnlich wie RuBteilchen zu Ketten und Bandern zusammen und werden von den Verbrennungsgasen als Flocken abgetrennt. Um Reste von Chlorwasserstoff, HCI, die an der grol3en Oberflache der Fiillstoffpartikel haften, zu entfernen, wird mit feuchter HeiRluft nachbehandelt. Dariiberhinaus werden vor allem pyrogene Kieselsauren mit Chemikalien nachbehandelt, um durch chemische Reaktionen die Oberflache der Kieselsauren vertraglicher fur die Einbettung (Dispergierbarkeit) in organische Substanzen (z. B. Kunststoffe) zu machen.
HeiRluft
Chcmikalien
50, pyrogene Kieselsaure
Abb. 1-18. GrundflieRbildder Flammcnhydrolysevon
Silicium-Tetrachlorid.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Azofarbstoffe
9.7 Organische Farbmittel
Aus dem 1841 gefundenen Anilin
9.7.1 Die Entwicklung synthetischer Farbmittel
Mauvein, Fuchsin und Indigo Als erstes synthetisches Farbmittel wurde 1856 Mauvein, ein basischer Azinfarbstoff, von W. H. Perkin* in England hergestellt. Drei Jahre spater entwickelte Verguin in Frankreich den Triarylmethanfarbstoff Fuchsin. Beide wurden zum Ftirben von Wolle eingesetzt, spielen heute als Textilfarbstoffe jedoch keine Rolle mehr. In der Papierindustrie ist Fuchsin allerdings auch heute noch als Farbstoff sehr bedeutsam. Folgende Strukturformel gibt seinen chemischen Aufbau wieder:
95
’ 0
\-NH,
stellte der Chemiker P. Griess*** 1858 die erste Diazoniumverbindung her. Uber die Diazoniumverbindungen war der Zugang zu der groljen Klasse der Azofarbmittel eroffnet .
Indanthren@ 1901 wurde durch das Indanthrenblau RS die Entwicklung der Anthrachinon-Kupenfarbstoffe eingeleitet . Das Indanthrenblau RS hat folgende chemische Struktur:
-
0
L
I NH, Fuchsin
-
Mit der Synthese der Farbstoffe Mauvein, Fuchsin und Alizarin wurde eine umwalzende Entwicklung der Farbenindustrie eingeleitet, in der bald Deutschland die Fuhrung ubernahm. Die Synthese von Indigo durch Adolf v. Baeyer** im Jahre 1880 leitete das Zeitalter der synthetischen Farbmittel ein. Echtere und brillantere Farbmittel wurden synthetisiert und f i r die verschiedensten f&berei- und drucktechnischen Anwendungen entwickelt.
Anilin-hydrochlorid ( Aniliniumchlorid)
* ** ***
****
+
salpetrige Saure
-
Die Indanthrenfarbstoffe enviesen sich als licht- und waschecht. Ihr Name wurde zu einer geschutzten Qualitatsbezeichnung fur gute Farbstoffeigenschaften zum Farben von Zellulosefasern. Die Ausgangsstoffe fur diese kompliziert aufgebaute Farbstoffklasse wurden friiher aus dem Steinkohlenteer gewonnen. ay
= Registriertes Warenzeichen
Phthalocyanine In den Jahren 1928/29 wurden von Linstead**** und de Diesbach die Phthalocyanine aufgefun-
Benzoldiazoniumchlorid
Perkin, William Henry (1838-1907),engl. Chemiker. Von Baeyer, Adolf (1835-1917). dtsch. Chemiker. Griess, Peter (1829-1902),dtsch. Cherniiker. Lindstead, Sir Reginald Patrick (1909-1966). engl. Chemiker
+
Wasser
96
I Chemische Grundlagen
den. Der technisch bedeutendste Vertreter ist das Kupferphthalocyanin. Es ist als Pigment gleichermal3en geeignet zum Einfiirben von Kunststoffen und Lacken und findet als Druckfarbmittel groBe Verwendung. Die GroBe des Molekuls, die Art seiner Kristalle und die PigmentteilchengroBe sowie die TeilchengroBenverteilung sind fur die Verwendung als Pigment von entscheidender Bedeutung. Das Kupferphthalocyanin frirbt rnit klaren Tonen blau, chloriertes Kupferphthalocyanin frirbt dagegen griin. Das Molekul besitzt als farbtragendes Strukturelement ein cyclisches System von konjugierten Doppelbindungen. Fiihrt man in das Phthalocyaninmolekul Sulfonsaure- (- SO,H) oder Hydroxylgruppen ein, dann wird es wasserloslich und eignet sich zum F k b e n von Nichtsynthese-Fasem.
Reaktivfarbstoffe Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Reaktivfarbstoffe entwickelt, die aufgrund ihrer Echtheit von sich reden gemacht haben. AuBer der eigentlichen Farbstoffiomponente enthalten sie spezielle reaktionsfahige chemische Gruppen, durch die sie eine stabile chemische Bindung rnit der anzufarbenden Cellulose-oder Proteinfaser eingehen. Die guten Waschechtheitseigenschaften sind auf die Stabilitat der Faser-Farbstoffbindung zuruckzufuhren.
Organische Pigmente Auf der durch Runge* 1834 geschaffenen wissenschaftlichen Grundlage der Steinkohlenteerindustrie wurden zunachst Textilfarbstoffe synthetisiert. Spater erst wurden aus diesen die ersten organischen Pigmente hergestellt. Man setzte wasserlosliche anionische oder kationische Farbstoffe rnit entsprechenden Fallungsreagenzien um. Auch machte man sich die Erkenntnisse der Eis-und spater Naphtol-ASh-Farberei zunutze. Man versuchte die echtesten Textilfarbstoffe, die unloslichen Kupenfarbstoffe, durch entsprechende Finish-Prozesse in Pigmente umzuwandeln. So lief die Pigmententwicklung lange Zeit parallel zur Textilfarbstoffentwicklung. Erst mit den fortschreitenden Erkenntnissen der Pigmentphysik in neuerer Zeit hat sich die Pigmentchemie mehr und mehr von der Textilfarbstoffchemie geliist und stellt eine eigene Forschungsrichtung dar.
*
Runge. Ferdinand (1795-1867). dtrch Chemiker
Pigmententwicklung in chronologischer Reihenfolge: Verlackte Pigmente aus Textillarbstoffen bis 1900 Litholrot 1899 Litholrubin I903 Toluidinrot 1 YO5 Nichtverlackte Pyrazolonpigmente, Dinitranilinorange 1907 Hansagelbpigmente 1909 Naphtol-AS-Pigmente 1911 Phthalocyanin- und Diarylidgelbpigmente I935 Kiipenpigmente ah 1950 Chinacridonpigmente 19% Azokondensationspigmente. Ampigmente der Benzimidamlon-Reihe und der I ndol inon-Reihe, AzomethinMetallkomplexpigmente ab I960 In der organischen Farbmittelerzeugung steht die Bundesrepublik Deutschland in der Welt mit knapp 15% an zweiter Stelle. Der wertmaBige Anteil ist allerdings hoher anzusetzen. Er wird auf ca. 18% bis 19%geschatzt. Der Grund dafur ist die groBe Palette hochwertiger Farbmittelspe.tiahtaten. Mehr als die Halfte gehen in den Textilsektor, ca. 25% werden als organische Pigmente fur Druckfarben, Lacke, Anstrichfdrben und fur das einfarben von Kunststoffen benotigt und der Rest wandert in Sondergebiete wie den Papier-, Leder-, Pelzsektor u.a. Im Colour-Index sind alle bis zum heutigen Tag bekannten einheitlichen Farbmittel registriert.* Die Aufwendungen fur die Entwicklung neuer Farbmittel wuchsen seit dem zweiten Weltkrieg immer schneller. Allein schon aus diesem Grund kann die Entwicklung synthetischer Farbmittel in der ganzen Welt maBgeblich nur von den grol3en Chemiefirmen wahrgenommen werden. Vor allem fur die synthetischen Fasem und Kunststoffe die entsprechenden Farbmittel zu entwickeln, ist heute ein Hauptanliegen der For-
*
I n ihm sind allc synthetischcn Farbmittcl von Gclh nach Schwarz geordnet und einzeln heachrielxn. Er lxateht L Z ~ . aus 5 Binden yon je ca. 1000 Seiten. Der erste Band enthiilt das Register. iin rweiten Band hind die Konstitutionen der Farbmittel aufgefuhrt und im dritten his funften Band sind die einzelncn Vcrtreter der Farhmittelklassen bewhriehen. Die letzte Auflage erfolgte im Jahr 1971. Der Colour-Index wird vieneljahrlich durch Bciheftc crganzt. Herausgeber: Society of Dyers and Colourists. Bredfordi England und American Association of Textile Chemists and Colorists. Chorlcy & Picker\gill Ltd. in Leed.; and L o n Verlag: don
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten) schung. Weitere Aufgaben und Probleme ergeben sich aus den Veranderungen in der Fiirbereitechnik. Die Eigenschaften von Druckfarben miissen neuen Papiersorten und schnell laufenden Druckmaschinen angepaBt werden. Bei den Lacken werden die anorganischen Pigmente durch hochechte organische Pigmente ersetzt. Die Maschinenindustrie schuf eine ganze Anzahl von Maschinen, die halb- und vollkontinuierliche Fiirbe- und Ausriistverfahren ermoglichen . Mit dem sogenannten Pad-Steam-Verfahren gelang es nach dem zweiten Weltkrieg, die einzelnen Stufen der diskontinuierlichen Kupenf&berei von Baumwolle zu einem vollkontinuierlichen Vorgang zusammenzufassen. Farbstoffe mussen heute also auch fur Fabemaschinen mit hoher Warengeschwindigkeit geeignet sein.
9.72 Farbigkeit organischer Verbindungen Licht und Farbe Farbigkeit ist auf die Eigenschaften des Lichtes und die chemische Zusammensetzung der Stoffe zuriickzufuhren, aus denen die Gegenstiinde in unserer Umwelt aufgebaut sind. Licht 1aBt sich physikalisch als elektromagnetische Welle beschreiben. Das menschliche Auge kann von diesen elektromagnetischen Strahlen nur den Wellenlangenbereich von ca. 400 nm bis 750 nm (sichtbarer Bereich) wahrnehmen.
WeiBes Licht (Sonnenlicht) setzt sich im sichtbaren Bereich aus Spektralfarben, denen jeweils ein bestimmter Wellenlangenbereich zukommt, zusammen (Tab. 1-1 1). Innerhalb des Spektrums* gibt es je zwei Farben, die sich zu weiBem Licht erganzen, sie werden Komplementiidarben** genannt. Wird von einem Korper die Gesamtheit aller auftretenden Lichtstrahlen unverandert reflektiert, dann erscheint uns dieser Korper weis. Werden samtliche Lichtstrahlen absorbiert***, erscheint der Korper schwarz. Absorbiert der Korper dagegen selektiv eine Spektralfarbe, so erscheint er uns in der KomplementWarbe zur absorbierten Farbe.
Absorption der Spektralfarbendurch chemische Verbindungen Eine chemische Verbindung erscheint dann farbig, wenn sie aus dem sichtbaren Bereich des Sonnenspektrums einen Teil der Spektralfarben absorbiert. Gesattigte Kohlenwasserstoffe, wie das gasformige Methan oder flussige Oktan, sind fur unser Auge farblos, sie absorbieren nur im Ultraviolettbereich bei ca. 200 nm. Betrachtet man dagegen Kohlenwasserstoffe mit einer Doppelbindung, so beobachtet man eine Verschiebung der Absorption in Richtung zum sichtbaren Teil des Spektrums. Durch Haufung von Doppelbindungen, besonders von konjugierten Doppelbindungen (d. h. Doppel- und Einfach-
Tab. 1-11. Farben des Sonnenlichtes und Komplementarfarben.
Wellenlangenbereich nm
Absorbierte (verschluckte) Spektralfarbe
Reflektierte Komplementarfarbe, wenn die entsprechende Spektralfarbe absorbiert wird
unterhalb400 400-435 435-480
ultraviolett violett blau (indigo) blau oder tiirkis blaugriin griin gelbgriin gelb orange rot ul trarot
(unsichtbar) gelbgriin gelb orange rot purpur violett blau blau oder tiirkis blaugriin (unsichtbar)
480490 490-500
500- 560 560-580 580-595 595405 605-750 oberhalb 750
* **
***
spectrum (lat.) - Erscheinung. complere (lat.) - erganzen. absorbere (lat.) - verschlingen
97
98
I Chernische Grundlagen
bindungen in regelmaRigem Wechsel), verlagert sich die Absorption immer mehr in das Gebiet des sichtbaren Spektrums. Typisch hierfur sind die Polyene, die durch mehrere konjugierte Doppelbindungen gekennzeichnet sind; bei Polyenen rnit funf Doppelbindungen ist bereits ein Gelbton zu beobachten. Zu der Gruppe der Polyenfarbmittel gehoren u.a. die Carotine, die den Karotten die gelbrote Farbe verleihen. Bei der Lichtabsorption treten die Elektronenpaare der (Farbmittel-)Molekule mit den elektromagnetischen Wellen des Lichtes in Wechselwirkung, d.h. sie werden durch die eingestrahlte Lichtenergie angeregt. Diese energetische Wechselwirkung erfolgt besonders leicht in organischen Verbindungen rnit leicht beweglichen (freien) Elektronenpaaren. Organische Farbmittel mussen daher Bausteine mit konjugierten Doppelbindungen oder aromatischen Systemen aufweisen. Tragt ein solches Molekiil Substituenten, die ebenfalls Doppelbindungen enthalten, wird die Anregung erleichtert und der Absorptionsbereich verschiebt sich vom ultravioletten zum energiearmeren, sichtbaren Spektralbereich. Atomgruppen, die die selektive Absorption in Richtung zum sichtbaren Bereich entscheidend beeinflussen, nennt man Chromophore (Farbtriiger). Phc,,,,l
>llrlrnlnp
b
p-Nilrophcnol
U,l~llTU"~ b
Pikrinsdure
OH
0H
aromatischen Teil der farbigen chemischen Verbindung. Folgende funktionelle Gruppen haben auxochrome Wirkung: Hydroxyl- b w . Phenolgruppe
4 H -NH,
-N
Aminogruppe (primares Arnin)
/Rl
'RL
substituierte Arninogruppc (tertiares Amin)
Die Bausteine eines Farbmittelmolekuls sind zusammengefal3t am Beispiel des para-Aminoazobenzols (Anilingelb) dargestellt:
C'hrornophor
I
I
-/+ 'hrornoge ; i\inochrorn (
('hromogcn
ti
+ :\ii\ochrorn = Farbrnittelrnolekiil
Eine farbige Verbindung ist aber noch nicht in jedem Fall ein Farbmittel. Von diesem erwartet man eine stabile Haftfahigkeit, die physikalischer oder chemischer Natur sein kann, und rnit den zu farbenden Fasern, Geweben, Gewirken, bzw. im Fall der Pigmente Unloslichkeit und Vertraglichkeit in den betreffenden Bindemittelsystemen aufweisen.
OF1
9.73 Qualitatsforderungenund Qualitatsmerkmalevon Farbmitteln Qualitatsforderungen Wichtige Chromophore sind z. B.: -N=N-
Azogruppc
-N=O
Nitrosogruppe >C=O
-N
NO
Nitrogruppe
>C=C< Ethylengruppe
Carbonylgruppe
>C=NH Carbiminogruppe
NO
Verbindungen, die ein System von konjugierten Doppelbindungen und - in der Regel mehrere - chromophore Gruppen enthalten, nennt man Chromogene (Farberzeuger). Eine zusatzliche Verschiebung der Farbigkeit, z.B. von gelb uber orange nach rot, erreicht man durch die Einfuhrung von Auxochromen* in den
*
auxrhis (lat.) Zunahme ~
Die Qualitat eines Farbmittels hat den Forderungen zweier Personenkreise Rechnung zu tragen, dem Verarbeiter ( 2 . B. FarbedAusriister) und dem Verbraucher. Der Verarbeiter fordert von einem Farbmittel. daR es leicht auf das zu farbende Material aufzubringen ist und das Material selbst nicht geschadigt wird. Je nach Material und Verwendungszweck werden bestimmte coloristische und Echtheitseigenschaften gefordert, wie z.B. jiir Textiljarbsrcffe: Lichtechtheit Wasserechtheit Waschechtheit SchweiRechtheit Reibechtheit Bugelechtheit Temperaturbestandigkeit u.a.
fur Pigmenre:
Wetterechtheit Lichtechtheit Ausblutechtheit Uberspritzechtheit u.a.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Farbmittel durfen nicht giftig sein. Lebensmittel- und Kosrnetikfarbstoffe unterliegen gesetzlichen Bestimmungen. Die Vielfalt der speziellen Eigenschaften, die die Farbmittel haben sollen, wird bestimmt durch die groBe Palette der zu farbenden Materialien und der geforderten anwendungstechnischen Eigenschaften, von denen oben einige genannt worden sind. Folgende Materialien seien als Beispiel aufgefuhrt: Wolle, Seide, Baumwolle und Leinen, Regenerat- und synthetische Fasern, Leder, Pelze, Gummi, Papier, Kunststoffe, Lacke, Druckfarben, Holz, Fette, Wachse u.a. m.
Qualitatsmerkmale Die Qualitatsmerkmale eines Farbmittels richten sich nach dem Einsatzgebiet. Die Wahl eines Farbmittels wird bestimmt von dem Material, das geRrbt oder bedruckt werden soll. Ein Farbstoff fur Futterstoffe des Oberbekleidungssektors rnuR nicht licht-und braucht nur bedingt waschecht zu sein. Zum Farben von Tischdecken werden Licht- und hohe Waschechtheit verlangt. Dagegen mussen Farbmittel fur das Farben und Bedrucken von Vorhangen zwar hoch lichtecht, aber nicht besonders waschecht sein . Wahrend irn textilen Sektor die Farbstoffe dorninieren, spielen in der graphischen Industrie, der Druckfarbenindustrie, in der Lackindustrie und zurn Farben von Kunststoffen die Pigmente die groBere Rolle. Bei allen Farbmitteln werden sowohl bei Farbstoffen als auch Pigmenten eine ganze Anzahl von verschiedenen Echtheitseigenschaften unterschieden. Sie werden in Skalen gemessen, die in 5 Stufen eingeteilt sind. Die 1 steht fur schlechte und die 5 fur sehr gute Eigenschaften. Ein wichtiges Echtheitsmerkmal fur Farbmittel ist die Lichtechtheit. Hier ist die Echtheitsskala in 8 Stufen unterteilt, wobei 1 wieder die schlechte Eigenschaft und 8 die sehr gute zurn Ausdruck bringt. Die Farbstiirke wird irn Vergleich zwischen der Probe und einer standardisierten Mustervorlage bestirnrnt. Die Priifungen werden mit einem Farbmeagerat vorgenomrnen. Haufig sind auch noch visuelle Priifungen notwendig. Hierfiir sind groae praktische Erfahrungen und geubte Augen notig. Die Ausgiebigkeit gibt an, wieviel Farbmittel zum Flirben einer bestimmten Materialmenge und Farbtiefe notig ist.
99
9.7.4 Herstellung synthetischer Farbmittel am Beispiel von Azofarbstoffen Es soll das technologische Verfahren zur Darstellung von Hansa-Gelb@G vom Prinzip her erlautert werden. Hansa-Gelbm G ist ein organisches Pigment und gehort chernisch zur Gruppe der Azoverbindungen . Als Ausgangskomponenten zur Herstellung von Azofarbrnitteln dienen u. a. aromatische Amine, die sich chemisch z.B. vom O N H ,
Anilin
herleiten lassen. Fur die Herstellung von HansaGelbm G geht man vom 4-Amino-3-nitro-] -methylbenzol aus.
'NO,
Diazotierung Um die chromophore Gruppe, in diesem Fall die Azogruppe -N=N-, aufzubauen, wird das aromatische Amin im stark sauren Medium rnit salpetriger Saure umgesetzt. Die Reaktion eines aromatischen Amins mit salpetriger Saure zu einer Diazoniumverbindung nennt man Diazotieren . -NH2
4-Amino-3-nitro1-rnethylbenzol
-
+ HCI + HO-N=O -2H,O
+
salpetrige Saure
Salzsaure
4-Amino-3-nitro- l-methylbenzoldiazoniurnchlorid
+ Warme
In wahriger saurer Losung ist das entstandene Diazoniumchlorid schwach gelb gefiirbt. Die Diazotierung ist eine exotherme Reaktion. Schon bei Zimmertemperatur zersetzt sich die Diazoniumverbindung schnell, deshalb wird die Diazotierung unter Eiskuhlung durchgefuhrt.
100
1 Chcmische Grundlagen
K uppIung Das Diazoniumsalz wird rnit einer weiteren Kornponente, der sogenannten Kupplungskornponente, haufig auch Azokornponente genannt, zur Reaktion gebracht. Dabei vergroaert sich das Molekiil, weil ein zweites Molekiil (an-)gekuppelt wird.
-
Diazoniumsalz + Kupplungskomponente Farbmittel + SalLsaure Die Kupplung von 4-Amino-3-nitro- 1-methylbenzoldiazoniumchlorid und Acetessigsaureanilid in waBriger Losung ergibt das Pigment Hansa-Gelb@G.
Acetessigsaureanilid
3. Reinigung der Diamknmpnnente und Kupplung
Urn die Diazokomponente von nicht Umgesetztem zu befreien, muB die Losung der Diazokomponente meistens auch filtriert werden. Irn allgerneinen wird so verfahren, daR die geklarte Losung unrnittelbar in den Kuppelbottich einlauft. Urn die Diazokomponente schnell rnit der Kupplungskornponente (Azokomponente) zur Reaktion zu bringen, wird wahrend des Zulaufs iiber eine Verteilerbrause kraftig geriihrt. Es bildet sich eine Suspension (Niederschlag) von HansaGelb@G. Die bei der Kupplung entstehende Salzsaure wird neutralisiert. Auf diese Weise wird der pH-Wert auf der gewiinschten Hohe gehalten. pH-Wert, Temperatur und Geschwindigkeit des Zulaufs der Diazokomponente haben bei der Kupplung neben anderen Einwirkungen groBen EinfluB auf die Qualitat des entstehenden Pigments. Damit ist der chernische Teil der Herstellung des Hansa-Gelb" G abgeschlosscn. 4 . Aufarbeitung
Hansa-GelbmG
Technische Durchfiihrung I . Diazotierung In einern gegen Saure widerstandsfahigen Riihrgefal3 wird das aromatische Arnin mit Wasser und Salzsaure angeschlamrnt und bis zu rnehreren Stunden geriihrt. Hierbei bildet sich eine Losung oder Suspension des arornatischen Aminchlorids. Vor der eigentlichen Diazotierung wird sie durch Eiszugabe oder rnittels Mantelkuhlung auf eine Temperatur von ca. 0°C eingestellt. Auf keinen Fall darf die Temperatur 10 "C ubersteigen. AnschlieBend laBt man eine waRrige Natriumnitritlosung solange zulaufen, bis das Molverhaltnis l : l betragt (Abb. 1-19).
2. Liisen der Kupplungskomponente (Azokomponente) Parallel zur Diazotierung wird in einem GefaR rnit Ruhrwerk, dern sogenannten ,,Kuppelbottich", die Kupplungskornponente in Wasser gelijst oder angeschlarnmt, ein bestirnmter pHWert eingestellt und auf die zur Kupplung erforderliche Temperatur gekuhlt.
Nach der Kupplung mu8 das Farbrnittel von der Mutterlauge, das ist die Losung, in der das Pigment entstanden ist, getrennt werden. An das Filtrieren schlieBen sich die Arbeitsgange des Waschens, Trocknens und Mahlens an. Das Filtrieren und Waschen erfolgt hiufig in ein und demselben Apparat. Beim Mahlen von Fdrbmitteln handelt es sich urn das Zerkleinem von feuchter oder getrockneter Fabrikationsware (z. B . PreBkuchen) zu Pulver. Generell ist zwischen einer diskontinuierlichen und kontinuierlichen Aufarbeitung zu unterscheiden. Der Vorteil einer diskontinuierlichen Aufarbeitung besteht in dem Einsatz von einfachen und universe11 verwendbaren Geraten wie Nutschen, Filterpressen und Trockenschranken. So konnen fast alle Farbmittel aufgearbeitet werden. Andererseits ist dieses Verfahren sehr lohnintensiv. Kontinuierliche Aufarbeitungsanlagen werden dann erstellt, wenn eine ganze Farbmittelgruppe oder gar ein spezieller Farbstoff oder spezielles Pigment einen bestirnrnten Produktionsurnfang erreicht hat und die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Sie sind weniger arbeitsintensiv und damit wirtschaftlicher.
5 . Formierung Da die Eigenschaften eines Farbmittels nicht nur durch seinen chemischen Aufbau, sondern auch wesentlich von seinem physikalischen Verhalten
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Einsatz Diazotierung
10 1
DiazotiergefaO
Ve r un rein igu ng en
Kupplungskomponente
I Wasc hwasser
Kuppelbottich
Filterpresse Mutterlauge Abwasser
Trockner
Muhle
Waage Azopigment Abb. 1-19. Schema zur Herstellung eines Aropigments
bestimmt werden, muB es haufig in eine Form mit den gewunschten physikalischen und anwendungstechnischen Eigenschaften ubergefuhrt werden. Dies gilt vor allem fur Pigmente und Dispersionsfarbstoffe. Unter Formierung (haufig auch Finish genannt) werden somit die letzten Arbeitsgange
einer speziellen physikalischen Nachbehandlung fur bestimmte Farbmittel verstanden. Nicht alle Farbmittel mussen formiert werden. Spezielle Vorgange des Formierens sind Mahlen, Mischen und thermisches Behandeln. Durch das Mahlen sol1 das Farbmittel auf eine bestimmte KorngroBe mit einem optimalen Verteilungsgrad ge-
102
I Chernische Grundlagen
bracht werden. Haufig werden KorngroBen zwischen 0,O 1 p m und 1 p m gefordert, da von ihnen die Farbstarke, Deckkraft und andere wichtige Eigenschaften wesentlich beeinfluat werden. Der hohe Grad der FeinverteilunR wird im allgemeinen durch Vermahlen von feuchtem Mahlgut oder einer Suspension auf Spezialmuhlen mit Hilfe von Mahlhilfskorpern und gegebenenfalls unter Zusatz von oberflachenaktiven Substanzen erreicht. Als Muhlen werden oft Ruhrwerkskugelmiihlen und Rollmuhlen eingesetzt, auch Kneter werden zur Zerkleinerung herangezogen. Der Feinheitsgrad eines Farbmittels wird u.a. beeinfluBt von den zugesetzten oberflachenaktiven Substanzen, der Mahldauer, der Mahltemperatur und dern pH-Wert des Mahlgutes. Die Art der Kristallstruktur eines Farbmittels, KorngroBe und Korngrofienverteilung konnen die mannigfaltigen Eigenschaften wie Farbstarke, Lichtechtheit, Deckkraft, Brillanz und vieles andere mehr beeinflussen. Die dem Farbmittel bei der Formierung vermittelten Eigenschaften sind Arbeitsergebnisse, die empirisch durch zahlreiche und sehr sorgfaltig gefuhrte Versuche gewonnen werden. Sie gehoren zum Know-how eines jeden Farbmittelherstellers.
6 . Einstellen eines Furhrnittels Wenn auch nicht alle Farbmittel formiert werden, so mussen doch alle auf einen Handelstyp, d . h. eine bestimmte Farbstarke, Nuance, u.a. eingestellt werden. Die Handelstypen sind sehr oft keine chemisch einheitlichen Farbmittel, sondern Mischungen aus diesen. Fur das Einstellen werden Farbstoffmuhlen benutzt. Der Handelstyp ist ein Farbmittelmuster, das im allgemeinen bei der Herstellung des jeweiligen Farbmittels als maagebend fur die Qualitat festgelegt wird. Alle folgenden Partien werden nach diesem Muster angefertigt und, wenn notig, so lange korrigiert, bis sie dem Typmuster entsprechen. Erst dann wird das Farbmittel zum Verkauf freigegeben. Je nach Einsatzgebiet und Verarbeitungsweise kommen die Farbmittel als Granulate, Pulver, PreBkuchen, Teige, Pastcn oder in Flussigform in den Handel.
9.75 Einteilung der organischen Farbrnittel Die Farbmittel lassen sich im allgemeinen nach zwei verschiedenartigen Prinzipien einteilen. Einmal nach ihrer chernischen Struktur, wie z.B.
Arofarbrniltel Anthrachinonfarbmittel Indigoide FarbrnittCl Triarylrnethanfarbrnittcl
Phthalocyaninfarbmittel Acridinfarbrnittel Chinacridonfarbmittel Perylenfarbrnittel
Schwefe'farbmittcl
Zum andern nach coloristischen Uberlegungen, d.h. nach den Anwendungsgebieten und Farbemethoden. Als Beispiel seien einige wichtige Klassen aus der Gruppe der Farbstoffe, d.h. der loslichen Farbmittel, genannt. Es sind dies die Direktfarbstoffe Kupenfarbstoffc Reaktivfarbstoffc Saurefarbstoffc
Kationische Farbstoffe Dispersionsfarbstoffe Schwefelfarbstoffe Naphthol AS-Farbstoffe
Einteilung einiger loslicher Farbmittel nach ihrer farbereitechnischen Anwendung Direktfclrbs tqffe Unter Direktfarbstoffen wird eine Gruppe von Farbstoffen zusammengefaBt, die auf pflanzliche Fasern ohne besondere Vorbehandlung aus wal3riger Losung direkt aufzuziehen vermogen. Die Direktfarbstoffe werden an der Zellulosefaser durch zwischenmolekulare Krafte gebunden. Das Anhaften der Farbstoffmolekule ist in dem strukturellen Aufbau des Farbstoffmolekuls und seiner Aggregationsfahigkeit begriindet. Zu dieser Gruppe gehort eine groOe Zahl von Azofarbstoffen. Kiipenfurbstoffe Kupenfarbstoffe sind wasserunloslich. Durch Zugabe von Natriumdithionit Na,S,O,, Zinkstaub, Eisen-(11)-salzen oder anderen Reduktionsmitteln lassen sie sich leicht reduzieren und in alkalischen Flotten (Farbebad) in eine losliche Form uberfuhren. Die reduzierte Form der Kupenfarbstoffe ist oft farblos oder weniger farbintensiv als der eigentliche Kiipenfarbstoff, deshalb werden die reduzierten Kupenfarbstoffe auch als Leukoverbindungen* bezeichnet. Der Vorgang des Reduzierens heifit Verkiipen, die entstandene Farbstofflosung Kupe. Die zu farbende Faseware wird in die Kupe gebracht und nach dem Farben der auf der Faser befindliche Farbstoff oxidiert. Durch den Sauerstoff erfolgt eine Ruckoxidation zum urspriinglichen wasserunloslichen Farbstoff. Kupenfarbstoffe sind sehr
*
leukoa (priech
)
~
farhlos. weiB.
103
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten) Tab. 1-12. Farbmittel nach ihrer chemischen Struktur (einige wichtige Farbmittelklassen) Chernische Bezeichnung
Verwendungsbeispiele
Azofarbmittel
Hauptvertreter der organischen Pigmente und Farbstoffe: Saure-, Direkt-, Reaktiv- und Dispersionsfarbstoffe zur Farbung von Natur- und Chemiefasem;
~~~~
Monoazofarbmittel Disazofarbmittel Polyazofarbmi ttel
Farbmittel BeispieleName
Formel
~
Echtrot AV (Farbstoff)
?I1
7 0 2
Pigmente fur die Druck-, Lack- und KunststoffIndustrie
Hansa-Rot@ (Pigment) B
H3c-o-N=N-Q -
Anthrachinonfarbmittel als Kiioen- und ReaktivIndanthren-Rot 5 GK farbstdffe zum Farben und Farbstoff Beizenfarbmittel Bedrucken von CelluloseAnthrachinonfasern fur hochste Ekhtheitsanspriiche Dispersionsfarbmittel Anthrachinon-Kupenals Saurefarbstoffe zum farbmittel Fiirben von Wolle; Anthrachinon-Reaktivals Dispersionsfarbstoffe farbmittel zum F ~ b e von n Synthetics Indigoide Farbmittel Kupenfarbstoffe Indigosole@ Anthrasole@ Pigmente
zum Flrben und Bedrucken von Cellulosefasem fur hochste Echtheitsanspruche zur Herstellung hochwertiger Industrielacke
Indigo (Farbstoff)
H
\pJ/ I H
\c/
o”‘c=c”‘~ \
Permanent-Rotviolett MR (Pigment)
0 II
I
/
/I 0
Cl I
c1
0”
/ I
Cl Tkiarylmethanfarbmittel als kationische Farbstoffe zum Farben und Amino- und OxitriarylBedrucken von Polyacrylmethanfarbmittel nitrilfasern: als Saurefarbstoffe fur Wolle; als Farblacke und innere Salze haben sie als Pigmente Bedeutung
Kristallviolett (Farbstoff) +
c1-
104
I Chemische Grundlagen
Tab. 1-12. Fort.tet:utig
Chemische Bezeichnung
Verwendungsbeispiele
Farbmittel BeispieleiName
Formel
Schwefelfarbmittel
zum Farben von Baumwolle ahnlich den Kiipenfarbstoffen
Immedial-Reinblau"OB (Farbstoff
Phthalocyaninfarbmittel
als Pigmente fur Lacke.
Hostaperm-Blau Druckfarben und KunstB2GL stoffe und zum Bedrucken Hostaperm von Cellulosefasern, (Pigment) als lasliche Farbstoffe 7um Farben von Cellulosefaxem
N
N II
I
Acridin- und Chinacridonfarbmittel
Kationische Farbstoffe: einigc Vertreter fur die Ledcrfiberei sowie fur Kokos und ahnliche Fasern
Acridinorange NO (Farbstoff) u
r
t als Pigmente fur hoch-
Hostaperm-Rot E3Ba
wertige Industrie- und Autolacke
wasch- und lichtecht und haben im allgemeinen ein hohes Echtheitsniveau (,,Indanthren"-Farbstoffe). Leukokupenesterfurhstoffe: Die Leukoverbindungen, d . h. die reduzierte Form der Kupenfarbstoffe, lassen sich in organischen Losemitteln und in Gegenwart von Metallpulver mit Chlorsulfonsaure, Cl-SO,H, verestern. Als organisches Losemittel dient haufig Pyridin. Es entstehen die Leukokupenesterfarbstoffe. In technischen Verfahren werden Reduktion und Veresterung in einem Arbeitsgang durchgefuhrt. Auf diese Weise werden die Leukokupenesterfarbstoffe der Indigo-und Anthrachinonreihe erhalten. Sie dienen zum Farben und
l+ €i
a;yJyJ 0
H
I H
II 0
Bedrucken von pflanzlichen Fasern. Da es sich bei den Leukoestern um stabilisierte Leukoverbindungen handelt, mussen sie nach dem Aufbringen auf das zu farbende Material nach der Esterspaltung wieder durch Oxidation zum Kupenfarbstoff entwickelt werden. Reuktivfurbstoffe
Die Reaktivfarbstoffe wurden erst nach 1945 entwickelt. Sie enthalten neben der eigentlichen Farbstofflkomponente spezielle reaktionsfahige Gruppen, die sogenannten Reaktivkomponenten, uber die sie mit den Faserstoffen chemisch verbunden werden konnen. Als Farbstoffkomponente sind im Prinzip alle organischen Farbstoffe geeignet. Beim Farben geht die Reaktivkomponen-
-
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
te z.B. mit den freien Hydroxylgruppen der Zellulose oder mit den Amino- (-NH,), Carboxyl(-COOH) und Thiol-( -SH) Gruppen der Wolle, Seide und Polyamidfasern eine echte chemische Verbindung ein. Wichtige Reaktivkomponenten sind die
@-A
+H
@-sO,-CH=CH,
O
-
7
105
1
Cellulosefaser
@-so~-cH,-cH~-o-~ I
I
gefirbte Cellulosefaser
H
Monochlortriazinkomponente
"7-Cl
Nv/N I
R H
Dichlortriazinkomponente
@-"(""iCl
N-N I
c1
,
@-N-C\
Ad
ycl
@-SO,--CH,--CH,--O--SO$
Dichlorchinoxalinkomponente Oxethylsulfonschwefelsaureesterkomponente
Saurefarbstoffe Saurefarbstoffe lassen sich in Gegenwart von Sauren auf tierische und Polyamid-Fasern aufbringen. Sie sind wasserloslich und ziehen direkt auf die Fasern auf. Da sowohl Wolle, Seide als auch Haare chemisch ahnlich aufgebaut sind - allen gemeinsarn ist eine Vielzahl von Arnidgruppen -N-Cund Aminoendgruppen - lassen sie I II H O sich alle mit Saurefarbstoffen anfkben und bedrucken. Die Aminoendgruppen binden die Sauregruppen der Farbstoffe salzartig. Die Wasserloslichkeit dieser Farbstoffe ist auf die Anwesenheit von wasserloslichmachenden Gruppen, den hydrophilen Gruppen, zuriickzufiihren. Hydrophile Gruppen im Saurefarbstoffmolekiil sind z.B.
R I
N/~N @-HN/'-N/\F "
,J
Monofluortriazinkomponente
Difluorchlorpyrimidin-
die Carboxylgruppe R-COOH, die Sulfonsauregruppe R-SO,H die Hydroxygruppe R-OH.
In wuriger Liisung liegt der Farbstoff dissoziiert vor:
r
,OH
@ steht fur die Farbbstoffkornponente.
Die Mono- und Dichlortriazingruppen reagieren mit der Cellulosefaser unter Bildung von Celluloseestern bei Abspaltung der Abgangsgruppen, beispielsweise des Chlors, als HCI. Die Oxethylsulfonschwefelsaureestergruppe dagegen bildet in alkalischer Liisung zuerst eine Vinylsulfongruppe, die sich anschliel3end mit der Cellulosefaser zu einern Celluloseether urnsetzt.
@ -S02-CH2-O-S0,H Redk t i v farbbtoff
Alkali
@ -S02-CH=CH2 Vinylsulfongruppe
und
&Naphtholorange, Siiurefarbstoff
1
1
Der Farbstoff ist in diesem Falle das Anion, deshalb spricht man auch von anionischen Farbstoffen. Wolle, Seide und Haare bestehen aus EiweiR rnit den entsprechenden freien Aminogruppen. Im sauren Firbebad, der Flotte, bilden die Molekiile dieser tierischen Faser reaktionsf h i g e Ammoniumkationen aus. Vereinfacht wird dieser Vorgang durch folgende Gleichung ausgedriickt:
106
I Chemische Grundlagen
- O O C - ~ ~ - - N H +~H+ +
Wollemolekul
+ Wasserstoffion
--[HOOC---NHNH,+] -
Wollemolekul mit reaktionsfahigem Amnioniuniion
Das Farbstoffanion und das kationische Wollemolekul ziehen sich gemaB ihrer entgegengesetzten Ladungen elektrostatisch an und gehen eine feste Salzbildung ein, so daB der Farbstoff auf der Faser haftet. Zur Gruppe der Saurefarbstoffe gehoren auch Azofarbstoffe, Anthrachinonfarbstoffe, Azinfarbstoffe, Triarylmethanfarbstoffe. Nitrofarbstoffe u.a.
Schwefe&rbstoffe Schwefelfarbstoffe, auch Immedial-Farbstoffe genannt, sind hochmolekulare schwefelhaltige Verbindungen aus aromatischen Ringsystemen, die z.B. aus Disulfidbrucken -S-S-,
Kutionische bzw. busische Furbstoffe Kationische Farbstoffe enthalten als Auxochrome NH2- oder N(R),-Gruppen und auch stickstoffhaltige Heterocyclen. Zu ihnen zahlen einige Azofarbstoffe. Die kationischen Farbstoffe gehorten in der Welt zu den ersten synthetischen organischen Farbstoffen der Farbenfabriken. Wegen ihrer mangelnden Lichtechtheit auf Wolle und Baumwolle sind sie unbedeutend geworden. Erst durch die PAC-Faser erlangten sie erneut die grol3e Bedeutung. Zur Polyacrylnitrilfaser besitZen die kationischen Farbstoffe eine hohe Affinitat und zeichnen sich in vielen Fillen durch eine sehr hohe Lichtechtheit sowie gute Brillanz und Farbstiirke aus.
Dispersion$urbstoffe Dispersionsfarbstoffe sind nur spurenweise wasserloslich und werden somit aus wai3rigen Dispersionen auf die Faser aufgebracht. Sie dienen zum Fiirben von Polyester- und Celluloseacetatfasern. Den Dispersionsfarbstoffen gehoren u. a. wasserunlosliche Monoazo-, Disazo-, Anthrachinon- und Chinophthalonfarbstoffe an. Die dispergierten Farbstoffe werden bei 120°C his 130°C oder in Gegenwart eines Carriers bei Kochtemperatur auf die Polyesterfaser aufgebracht. Carrier sind Fiirbebeschleuniger, die dem Fiirbebad zugesetzt werden, um die Diffusion der Farbstoffe in die Faseroberflache zu fordern. Der Farbkorper des Dispersionsfarbstoffes diffundiert in die ,,aufgeweichte" Faseroberflache und wird in der Faser gelost. Ein weiteres Verfahren zum Farben mit Dispersionsfarbstoffen ist das Thermosolieren. Die Faser wird mit einer waRrigen Farbstoffdispersion impragniert, anschlieBend wird die Farbung getrocknet und ca. 30 Sekunden mit heiBer Luft von 200°C bis 220°C behandelt. Bei dieser Temperatur wird die gesamte Faser aufgequollen und der Farbstoff diffundiert in das Faserinnere.
H I
Hc/N_\ Thiazinringen
11
HC,-,CH S -
CH I1
und anderen Schwefelverbindungen aufgebaut sind. Sie entstehen durch Erhitzen der verschiedensten aromatischen Stoffe mit schwefelabgebenden Komponenten wie elementarem Schwefel. S,, oder Natriumpolysulfiden, z.B. Na-SS- S -S -S -S -Na. Bei den Schwefelfarbstoffen handelt es sich immer um Gemische einander ahnlicher Verbindungen von unterschiedlichem Schwefelungsgrad, d. h. sie unterscheiden sich in ihrem Schwefelgehalt und der Verkniipfung durch Schwefelbriicken zu groBmolekularen Strukturen. Ein wichtiger Farbstoff dieser Gruppe ist das licht- und waschechte Schwefelschwarz T. Es wird durch Schwefelung von 2.4-Dinitrophenol 0,N-
0 \
\
-OH,
NO, erhalten. Ebenfalls besonders licht- und waschecht sind die Hydronblau-Marken, z. B. Hydronblau R. Sie werden durch Schwefelung von Carbazol-indoanilin in Butanol gewonnen.
H
Carbam-indtuni I i n
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Hydronblau R baut sich aus den Ringsystemen des Thianthrens und Phenothiazins auf.
lungskomponenten und den diazotierten Echtbasen bzw. Echtsalzen. Eine der zahlreichen Kupplungskomponenten ist das unter dem Warenzeichen '€0 fur Dystar (s. Tab. 0-1) geschutzte 3-Hydroxy-2-naphthoesaureanilid.
--
Thianthren
Naphtholkomponente
-
H
Phenothiadn* Schwefelfarbstoffe iihneln den Kupenfarbstoffen. Die Verknupfung wird auf die Anwesenheit von Mercaptogruppen, -SH, oder Schwefelbriicken, - S - , zuriickgefuhrt, die rnit Natriumsulfid, Na-S-Na, in Na-S-Gruppen ubergehen. 2R-SH Mercaptoverbindung
+
Na-S-Na
-
Anilidsaurekomponente
Die Buchstaben AS stehen fur Anilidsaure. Anilide zahlen zur Stoftklasse der Amide und lassen sich von organischen Sauren R-CH,-C-OH durch Substitution der OHII 0 Gruppe durch den Anilidrest ableiten: R-CH,-C-OH It 0
organ. Saure
+ H-N-
I
-H-OH
H Anilin
Natriumsulfid 2 R-S-Na
Natriumsalz der Mercaptoverbindung
+
H-S-H Schwefelwasserstoff
Schwefelfarbstoffe dienen vorwiegend zum F ~ b e nvon Baumwolle. Sie zeichnen sich durch leichte Firbbarkeit, hohe Waschechtheit und niedrige Gestehungskosten aus. Schwefelfarbstoffe sind preiswert und einfach herzustellen. Sie sind je nach Handelsform vorreduziert und damit wasserunloslich. Mittels Sauerstoff entsteht durch Ruckoxidation der urspriingliche Farbstoff rnit guter Licht- und Waschechtheit auf der Faser. Eine groRe Rolle spielen die Blau- und Schwarzmarken fur Arbeitsanzuge. Naphtol A,!?-Farbstoffe Die Naphtol AS-Farbstoffe ziihlen zur Gruppe der Entwicklungsfarbstoffe. Sie entstehen als Azofarbstoffe auf der Textilfaser durch Kupplungsreaktionen zwischen den Naphtholkupp*
107
Phenothiazin wird auch als Vertilgungsmittel fur Muckenlarven und als Darmantiseptikum bei Tieren benutzt.
Anilid
Die Entwicklung der Naphtol AS-Komponenten kann mit einer Vielzahl Diazokomponenten, den Echtbasen, erfolgen. Unter einer Naphtol AS@-Kombinationist das Kupplungsprodukt einer diazotierten Farbstoffbase auf der Faser rnit Naphtholverbindungen zu verstehen. Viele wasserlosliche Textilfarbstoffe sind so gut wasserloslich, daB sie nicht nur als Farbstoffpulver, sondern auch nach dem Aufbringen auf die Faser durch Firben oder Drucken bis zu einem gewissen Grad noch loslich sind und daher oftmals nur geringe Ndechtheitseigenschaften aufweisen. Dieses Problem la& sich ausschalten, wenn auf der Faser ein wasserunloslicher Farbstoff erzeugt wird. Das gelingt, indem man auf die Faser zuerst eine Naphtol AS-Marke und anschlieaend ein diazotiertes aromatisches Amin aufbringt, die zusammen den unloslichen Farbstoff ergeben. Echtbasen bzw. Echtsalze ist eine Sammelbezeichnung fur Diazokomponenten auf der Grundlage aromatischer Amine, z.B. Anilin. Sie ergeben nach einer Diazotierung zu Diazoechtsalzen mit Kupplungskomponenten z. B. Naphtol AS-Entwicklungsfarbstoffe.
108
I Chemische Grundlagen
9.7.6 Das Farben von textilen Fasern Urn sich eine Ubersicht uber Farbrnittel fur das Anfarben von Textilfasern zu verschaffen, ist es zweckrnaBig, die Vielfalt der Fasertypen nach gemeinsamen Eigenschaften in funf Gruppen zusamrnenzufassen. Cellulosefasern: Baurnwolle, Leinen, Hanf, Jute Regeneratfasern: regenerierte Cellulosefasern. Die bedeutendsten sind die Viskose(CV) und Acetatfasern (CA und CT) Animalische Fasern: Wolle, Seide, Haare (auf dern Textilsektor haben speziell die Kaninchenhaare fur die Herstellung von Haarhuten eine besondere Bedeutung) Synthesefasern: Polyamidfasern (PA), Polyesterfasern (PES), Polyacrylnitrilfasern (PAC) Glasfasern: Fasern anorganischer Zusammensetzung. Ihr Hauptbestandteil ist Siliciurndioxid, SiO,, mit unterschiedlichen Zusatzen von Alurniniurntrioxid, AI2O3, und Bortrioxid, B203. Die Glasfaser hat zunehrnende Bedeutung fur nicht-brennbare Textilien gewonnen. Fur das Farben von textilen Fasern spielen die Farbstoffe eine dorninierende Rolle. Die Pigrnente sind fur die Spinnfarbung von Bedeutung. Sie haben auch fur den Druck von Textilien einen erheblichen Marktanteil. Auf dern Weltrnarkt fur Textilfarbstoffe wurden 1999 8,3 Mrd DM urngesetzt; daran ist DyStar als der groflte Farbmittelproduzent rnit 1,45 Mrd DM beteiligt.
Farbstoffe fur Cellulosefasern Zurn Farben und Bedrucken von Cellulosefasern eignen sich Direktfarbstoffe (,,substantive" Farbstoffe) Kupenfarbstoffe Reaktivfarbstoffe Azoentwicklungsfarbstoffe Schwefelfarbstoffe Leukokupenfarbstoffe Beizenfarbstoffe
Farbstoffe fur Regeneratfasern Die Grundstrukturen und der chemische Aufbau der Viskosefasern entsprechen irn Prinzip denen der Cellulosefasern (Baurnwolle). Somit eignen sich zum Fiirben und Bedrucken von regenerierten Cellulosefasern die gleichen Farbstoffe, wie
sie bei den Cellulosefasern venvendet werden. Das sind Direktfarbstoffe, Kiipenfarbstoffe, Naphtol-AS-Kornbinationen, Schwefel- und Reaktivfarbstoffe.
Farbstoffe fur animalische Fasern Zum Farben und Bedrucken von tierischen Fasern eignen sich insbesondere die Saure-und Reaktivfarbstoffe.
Farbstoffe fur synthetische Fasern Beim Farben und Bedrucken von synthetischen Fasern mussen wir zwischen Polyarnid-, Polyester- und Polyacrylnitrilfasern unterscheiden. Der chemische Aufbau von Polyarnidfasern ist wie bei den tierischen Fasern durch die Amidgruppe -N-C-gekennzeichnet. Fur die salzI II H O artige Bindung FasedFarbstoff sind jedoch nur die freien Aminogruppen geeignet. Fur Polyamidfasern kornmen Saurefarbstoffe, wie sie fur Wolle, Seide und Haare venvendet werden, in Betracht. Fur das Farben von Polyesterfasern eignen sich insbesondere die Dispersionsfarbstoffe und fur die Polyacrylnitirilfasern die kationischen Farbstoffe.
ComputergestutztesFarben mit Remazol-Farbstoffen Remazol-Farbstoffe gehoren zur Gruppe der Reaktivfarbstoffe. Irn Gegensatz zu anderen Farbstoff-Klassen gehen Reaktivfarbstoffe eine chemische Bindung mit der Faser ein. Dadurch entstehen Farbungen rnit hoher Echtheit. Gewebe oder Gewirke aus Cellulosefasern lassen sich mit Remazol-Farbstoffen nach dem Ausziehverfahren und Klotzverfahren farben. Behandelt man das zu farbende Material Iangere Zeit in einer wasserigen, mit Alkali aktivierten Losung von Remazol-Farbstoffen, der sogenannten Fabeflotte, zieht der Farbstoff aus dern Bad auf die Faser und wird dort fixiert. Beirn Klotzverfahren wird die Gewebebahn kontinuierlich innerhalb weniger Sekunden durch einen Behalter (Chassis) rnit Farbstoff-Losung gefuhrt. D.ie Ware nirnmt dabei die F%rbeflotte auf. Der Uberschulj wird - ahnlich wie bei einer Waschemangel - rnittels zweier Walzen herausgepreBt. Diesen Vorgang nennt man in der Fachsprache Klotzen. Auf dem so irnpragnierten Gewebe tritt anschlieljend die Reaktion des Farb-
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
stoffes rnit der Faser ein. Diese kann nach verschiedenen Methoden erfolgen. Das wichtigste Klotzfkbeverfahren fur Rernazol-Farbstoffe ist das ,,Klotz-KurzverweilVerfuhren" (KKV). Hierbei setzt man bereits der Farbstoff-Losung Alkali als Fixiermittel zu. Die Ware wird mit dieser Flotte geklotzt und dann ,,auf Docke gefahren", das heiBt, es werden einige tausend Meter Gewebe auf eine groBe Rolle aufgewickelt. Nach einigen Stunden des Lagerns bei Raurntemperatur wird die Ware wieder von diesem 'Wickel abgezogen, nachgewaschen und fertiggestellt. Die Vorteile dieses Verfahrens: niedriger Investitionsaufwand, geringer Energiebedarf und hohe Betriebssicherheit. Allerdings bewirkt das Alkali, das beirn KKVVerfahren der Farbstoff-Losung zugesetzt werden rnuB, auch eine unenviinschte Nebenreaktion rnit dern Wasser, die sogenannte Hydrolyse. Sie vemngert die Farbausbeute. Die Stabilitat der Klotzflotte ist daher begrenzt. Aus diesern Grund werden Farbstoff und Alkalilosung getrennt angesetzt und iiber ein Mischgerat entsprechend dem Flottenverbrauch durch die Ware erst unrnittelbar vor Bedarf dern Chassis zugefiihrt. Dennoch kann bei ungunstigen Arbeitsbedingungen schon irn Chassis die Hydrolyse so weit voranschreiten, daR eine fehlerhafte Fiirbung entsteht. Fur ein sicheres Arbeiten nach dern KKV-Verfahren ist es daher wichtig, die jeweilige Haltbarkeit der Flotte zu beriicksichtigen. Angaben uber die Haltbarkeit waren aber bisher nur bedingt moglich. Man kann nur stehende Flotten priifen. Unter Betriebsbedingungen jedoch wird diese Flotte einerseits standig von der Ware verbraucht, andererseits fortlaufend frische Flotte zugefiihrt. Dadurch stellt sich ein Gleichgewichtszustand ein, der von den Arbeitsbedingungen abhangt und nur schwer abzuschatzen ist. Moderne Textilfairbernethoden bedienen sich eines Rechenprogramms, das sich in einen GroRoder Taschencomputer eingeben laat. Damit kann der Praktiker auch ohne besondere mathematische Kenntnisse genaue Berechnungen iiber den Zustand der Flotte bei laufendern Verfahren anstellen. Der Computer fragt den Anwender iiber eine LCD-Anzeige nach folgenden Parametern des Verfahrens: 1 . Inhalt des Chassis in Litern 2. Gewicht der zu fkbenden Ware in Grarnrn pro laufender Meter 3. Geschwindigkeit des Verfahrens in Meter pro Minute
109
4. Flottenaufnahme in Prozent des Warengewichts 5. Temperatur der Flotte in Grad Celsius Auaerdem werden noch Hydrolyse- und Temperatur-Konstanten der einzelnen RemazolFarbstoffe benotigt. Der Fkber kann sie aus einer aufgestelltenTabelle ablesen. Shtliche Daten gibt er uber die Tastatur des Rechners ein. Der Computer errechnet dann die Gleichgewichts-Konzentration an reaktionsfihigern Rernazol-Farbstoff und teilt uber die Anzeige rnit, ob die zulassigen Toleranzen eingehalten werden. 1st dies nicht der Fall, ermittelt er die fur ein sicheres Arbeiten erforderlichen Verfahrensbedingungen. In extrem ungunstigen Fallen erscheint auf dem Anzeigefeld ein Hinweis, sich mit einem Spezialisten der Anwendungstechnik in Verbindung zu setzen. Mit der beschriebenen Neuentwicklung wird die Betriebssicherheit des KKV-Verfahrens fur Remazol-Farbstoffe noch weiter erhoht.
9.7.7 Organische Pigmente Anwendungsgebiete Bedeutung und Eigenschaften organischer Pigmente Die organischen Pigrnente haben in den letzten Jahren standig an Bedeutung gewonnen, vor allern durch den stark zunehrnenden Verbrauch an bunten graphischen Druckfarben, gefkbten Kunststoffen und farbigen Lacken in Dispersionen. Auch fur die iibrigen Einsatzgebiete der organischen Pigrnente ist insgesarnt eine steigende Tendenz zu erkennen: die Spinnfkbung synthetischer und regenerierter Fasern, das Bedrucken von Textilien rnit Pigrnenten, das Anfkben von kosmetischen Artikeln und Buroartikeln, das Fiirben von Papier und Leder etc. Es kommen organische Pigrnente der verschiedensten Verbindungsklassen zur Anwendung. Monoazopigrnente des P-Naphthols, der P-Naphtholarylide, der Acetylacetanilide, verlackte Monoazofarbstoffe, Disazopigmente des 3,3 '-Dichlorbenzidins, der Pigrnente auf Basis von Naphthalintetracarbonsaure, des Thioindigos, der Chinacridone, des Carbazols, des Tetrachlorisoindolinons, der sulfierten Triphenylacrylmethane u.a. rnehr. Neben der chernischen Konstitution der Pigrnente ist deren physikalische Beschaffenheit (Kristallform, TeilchengroBe und TeilchengroBenverteilung) fur die Anwendungstechnik von ausschlaggebender Bedeutung .
110
I Chernische Grundlagen
Dies wird bei der Herstellung der Pigmente bereits beriicksichtigt. Man lenkt den Herstellungsprozelj so, daR Pigmentteilchen entstehen, die hinsichtlich Dispergierbarkeit, Farbstdrke, Echtheitseigenschaften und EinfluR auf die rheologischen* Eigenschaften der pigmentierten Systeme ein Optimum darstellen. Unter den Bedingungen des Trocknens der aus waBrigem Medium isolierten Pigmente lagern sich solche Teilchen zu lockeren Agglomeraten msammen, die sich beim Dispergiervorgang in Dreiwalzwerken, Kugelmuhlen oder Dissolvern wieder leicht in ihre Primarteilchen zerlegen lassen. Die GroRe der Teilchen liegt zwischen 1 p m und 0,Ol p.m; die spezifische Oberflache der Pigmente reicht von 8 m' bis ubcr 100 m2 pro Gramm . Besonders einfach ist der Dispergiervorgang fur die pigmentverarbeitende Industrie dann, wenn vom Pigmenthersteller Pigmentpraparationen geliefert werden, die entweder unter Umgehung des Trocknens durch Flushprozesse** erhalten wurden oder bei denen durch Vordispergierung in einem geeigneten Medium die Agglomerate weitgehend zerlegt worden sind. In neuerer Zeit sind auch eine Reihe von leicht dispergierbaren Pigmenten in den Handel gekommen, bei denen die Agglomerationstendenz durch Umhullung der Pigmentoberflache mit geeigneten Substanzen wahrend der Herstellung vermindert wurde. In allen diesen Fallen genugt zur Pigmentierung ein einfaches Verteilen durch Einriihren der Pigmente in das zu farbende Medium.
Organische Pigmente fur graphische Farben Zur Herstellung von graphischen Farben werden uberwiegend Pigmente mit hoher Farbstarke und hoher Transparenz benotigt. Dies sind Voraussetzungen, die bei vielen organischen Pigmenten besser als bei den anorganischen erfullt sind. Fur den Mehrfarbendruck kommen hauptsachlich Pigmente auf Basis 3,3 '-Dichlor-benzidin (Gelb), calciumverlackte P-Hydroxynaphthoesaurepigmente (Rot) und Phthalocyanine der P-Modifikation (Blau) in Frage. Dariiber hinaus werden vor allem fur Verpackungsdruckfarben
* **
rheos (grch.) - HUB; Kheologie 1st die Lehre von den FI ieSeigenschaften. Ein FlushproLeB ist das Uberfuhren eines Pigments iius der waisrigen in die lipophile. d.h. fettlosliche Phase. Dabei wird der wPBrige PreRkuchen mit Mineralolen oder synthetischen Firniasen geknetet.
zahlreiche andere, meist farbstarke Pigmente maRiger bis mittlerer Lichtechtheit verwendet. Die Pigmente werden in den Druckfarbenfabriken in Pulverform oder als Prlparation auf die Weise verarbeitet, daR sie je nach Viskositat des Druckfarbenfirnisses und der Dispergierbarkeit des Pigmentes mit Dreiwalzwerken, mit Kugelmuhlen, im Falle pumpfahiger Dispergieransatze rnit Ruhrwerkskugelmuhlen oder mit Dissolvern dispergiert werden. Zur Verbesserung der verarbeitungstechnischen Eigenschaften und der Farbstarke werden vor allem die Oberflachen von Pigmenten fur den Illustrationstiefdruck und den Offsetdruck prapariert. Praparationen fur den Spezialtiefdruck enthalten ca. 20% bis 50% Pigmente und als Bindemittel Nitrocellulose, Maleinatharze oder Copolymerisate auf Basis Polyvinylchlorid/Polyvinylacetat.
Organische Pigmente fur Lackund Anstrichsysteme Fur Anstrichstoffe verwendet man vorwiegend anorganische Pigmente wegen ihrer uberlegenen Deckkraft und der hohen Licht- und Wetterechtheiten. Organische Pigmente kommen immer dann in Frage, wenn sie auch hohe Deckkraft besitzen und in der Licht- und Wetterechtheit an die anorganischen Pigmente heranreichen oder wenn man die Vorzuge von anorganischen Pigmenten mit denen der organischen Pigmente in Kombinationsfarbungen verbinden will. Es handelt sich um spezielle organische Pigmente mit besonderen KorngroRenverteilungen. Das konnen hochwertige Azopigmente der Benzimidazolon- und Azokondensationsreihe sowie polycyclische Pigmente der Phthalocyanin-, Chinacridon-, Perylen- und Perinonreihe sein. Die Dispergierung in den verschiedenen Bindemitteln erfolgt mit Dreiwalzwerken, Ruhrwerkskugelmuhlen, Sandmuhlen oder Dissolvern . An Pigmentpraparationen fur Anstrichsysteme sind die folgenden Typen im Handel: waBrige Pigmentteige fur wabrige Dispersionsanstric hfarben, Dispersionen in mittelol igen AlkydharzlGsungen als Abtonpasten, Universalabtonpasten fur die Pigmentierung waBriger und nicht waBriger Anstrichsysteme sowie in Nitrocellulose dispergierte Pigmente in Chipform fur Nitro- und Nitrokombilacke.
9 Aromatische Verbindungen (Aromaten)
Organische Pigmente fur das Farben von Kunststoffen Fur das Einfirben von Kunststoffen werden anorganische wie organische Pigmente verwendet. Die rneisten eingefarbten Materialien sind PVC, Kautschuk, Polyolefine, Polystyrol, Polyrnethacrylat, ungesattigte Polyester und Polyurethane. Fur PVC werden organische Pigmente auf Basis 3,3' -Dichlorbenzidin, verlackte Pigmente auf Basis P-Hydroxynaphthoesaure, Monoazopigrnente des Benzimidazolons, kondensierte Azopigmente, Derivate der Perylentetracarbonsaure, Phthalocyaninpigmente,Carbazolpigrnente,Thioindigopigmente, Pigrnente auf Basis Tetrachlorisoindolinon und Chinacridonpigmente eingesetzt . Aus der Vielzahl der fur PVC geeigneten organischen Pigrnente werden zum Fiirben von Kautschuk diejenigen herausgegriffen, die sich durch besonders hohe Farbstkken auszeichnen und die den Beanspruchungen der Vulkanisation widerstehen. Bei Polyolefinen ist die Zahl der geeigneten Pigmente noch mehr eingeschrankt wegen der hohen Verarbeitungsternperaturen. Fur Niederdruckpolyolefine (Verarbeitungstemperatur bis zu 300 "C) kornmen nur noch Phthalocyanin-, Chinacridon-, Perylentetracarbonsaurepigrnente und temperaturstabile Azopigmente in Frage. Je nach Art des Kunststoffes werden die Pigmente entweder in dem thermoplastischen Material bei Temperaturen oberhalb des Erweichungspunktes dispergiert oder sie werden bereits wahrend der Herstellung des duroplastischen Kunststoffes dern Reaktionsgemisch als fertige Dispersion zugefugt . Zur Erleichterung des Dispergiervorganges, der rnittels Extrudern, Zweiwalzwerken, Knetern, Zweischneckenmaschinen oder Dissolvern vorgenomrnen wird, werden der pigmentverarbeitenden Kunststoffindustrie von den Pigmentherstellern eine Reihe von Pigmentkonzentraten (Master-Batches, Praparationen) in grol3eren Stiicken, als Pulver, Granulat, Mikrogranulat oder in Pastenform angeboten. Die F'raparationen enthalten die betreffenden Pigrnente fein verteilt in verschiedenen, dern jeweiligen Anwendungsgebiet angepdten Dispergiermedien, z. B. in Weichmachern, Vinylcopolymerisaten, Polyolefinen und Polyolefinwachsen.
Organische Pigmente fur Spinnfarbungen Das Prinzip der Spinnfirbung beruht darauf, dal3 losliche Farbstoffe oder farbgebende fein disper-
11 1
gierte Pigrnente in der Spinnrnasse rnit versponnen und dadurch gleichmaig im Fasermaterial eingebettet werden. Die Zugabe der Pigrnente zu den Spinnmassen erfolgt in Form wal3riger Dispersionen (Viskosefarbung), dispergiert in Losungen des zu verspinnenden Materials (Spinnfkbung von Celluloseacetat, Polyvinylchlorid, Polyacrylnitril) oder als Pigrnentkonzentrat in einern plastisch erweichten Material (Schrnelzspinnfarbung von Polypropylen). Dementsprechend sind waiBrige Teige und in den betreffenden Medien vordispergierte Pigmente als Praparationen im Handel. Die zugrundeliegenden Pigmente gehoren den verschiedenen organischen Pigmentklassen an und werden ausgewahlt nach Dispergiermediurn, Farbton und Echtheit.
Organisehe Pigmente fur verschiedene Anwendungsgebiete Neben den drei Haupteinsatzgebieten Druck, Lack und Kunststoffe - die Spinnf&bungen werden zum Bereich der Kunststoffeinfirbung gerechnet - werden organische Pigrnente nach gleichen oder anlichen anwendungstechnischen Verfahren noch fur viele andere Zwecke eingesetzt: zum Fiirben von Papier und Papieranstrichen, Pigrnentieren von Lederzurichtungen, Fiirben von Seifen, Lippenstiften, Nagellack, Anf&ben von Buntstiftminen und Tuschen, zur Herstellung von Kunstlerfarben und Plakatfarben, f i r Schuhpflegemittel, Bohnerwachse, Holzbeizen u. a.
9.78 Farbstoffe fur nichttextile Bereiche Zu den Farbkorpern, welche fur nichttextile Bereiche Verwendung finden, werden auch Farbstoffe gerechnet, die sich im Gegensatz zu den Pigmenten in den zu fairbenden Medien losen und deren Einsatz eben auf dieser Loslichkeit beruht. Zu dieser Gruppe gehoren die kohlenwasserstoffloslichen Fettfarbstoffe, die alkoholloslichen Zaponfarbstoffe und die in transparenten Kunststoffen wie Polystyrol, Polyrnethacrylat und ungesattigten Polyestern gut loslichen Fluoreszenzfarbstoffe, ebenso die Solvaperm@-und Hostanol@'-Farbstoffe. Die Fettfarbstoffe, hauptsachlich Monoazofarbstoffe des P-Naphthols und Pyrazolons, dienen zurn Anfiirben von Wachsen, zurn Fiirben von Treibstoffen, Mineralolen und Schmierfetten sowie zurn Fiirben von Phenolharzprehassen und vereinzelt auch als Farbstoffe fur transparente Polystyrol- und Polyestereinf&bungen.
I12
I Chemische Grundlagen
Die Zaponfarbstoffe, welche aus wasserloslichen Farbstoffen der verschiedensten Verbindungsklassen durch Umsetzung der Sulfongruppen mit langkettigen Aminen hergestellt werden, werden fur bunte, transparente Folienlacke auf Basis alkoholloslicher Nitrocellulose (Zaponlacke) sowie fur Metalleffektlacke eingesetzt, verlieren ihre Bedeutung auf diesem Gebiet aber mehr und mehr an bestimmte, wasserunlosliche Metallkomplexfarbstoffe, die auRer in Alkoholen auch in Estem und Ketonen loslich sind. Bei den Fluoreszenzfarbstoffen handelt es sich um Vertreter verschiedener chemischer Klassen, um Naphthoesaure-, Rhodamin-, Xanthensiure- und Thioxanthensaurederivate; sie fluoreszieren nur dann, wenn sie in den betreffenden Medien echt gelost sind. Die gute Loslichkeit hat allerdings eine geringe Migrationsechtheit* zur Folge. Man versucht diesen Nachteil dadurch auszugleichen, daR man die Fluoreszenzfarbstoffe in hochvemetzte Harze auf Basis PhenoUMelamin einbettet und das erhaltene Material gemahlen in Pulverform als Fluoreszenzpigmente (Tagesleuchtfarben) einsetzt. Die Einfarbung technischer Kunststoffe, z. B . Polystyrole, Polycarbonate u. a. mit loslichen Farbstoffen gewinnt zunehmend an Bedeutung. 9.7.9 WeiBtoner
wart von Weifitonern mehr sichtbares Licht zuriickgestrahlt, als er empfangen hat. Er wirkt weil3er. Man wendet WeiBtoner iiberall dort an, wo naturliches WeiB verbessert werden SOH. Im Gegensatz zum IdealweiB remittiert natiirliches WeiB iiber den sichtbaren Spektralbereich nicht hundertprozentig. Es remittiert im Blaubereich des Spektrums vie1 weniger (Blaudefekt) und wirkt dadurch gelblich. Die menschliche Psyche bewertet gelbliches WeiB aber als schmutzig, ein blaustichiges WeiB dagegen als rein, sauber (schneeweia!). Der von WeiBtonem hervorgebrachte Blaustich kommt dieser Bewertung sehr entgegen. Ein im Schnee liegender optisch aufgehellter Gegenstand laBt diesen erwiinschten Blaustich deutlich hervortreten und zeigt, daB man das SchneeweiB noch ubertreffen kann. Weiatoner sind selbstverstandlich wirkungslos, wenn die beleuchtende Lichtquelle kein langwelliges UVLicht enthalt. Zur Zeit werden mehr als 1000 Handelsprodukte weltweit angeboten. Viele Handelsprodukte sind chemisch identisch und lassen sich auf ca. 80-100 Verbindungen zuruckfiihren. Diese wiederum basieren auf wenigen chemische Grundkorpern . Der bedeutendste dieser Grundkorper ist ein Stilbenderivat:
Optische Eigenschaften Eine besondere Art von organischen Substanzen sind die WeiBtoner (WeiRmacher, optische Aufheller). Sie enthalten im Molekiil ein System konjugierter Doppelbindungen und sind den organischen Farbstoffen, einer Untergruppe der bunten Farbmittel, in dieser Hinsicht sehr ahnlich. Unterschiedlich sind WeiBtoner und bunte Farbmittel aber in der Absorption elektromagnetischer Strahlung. Farbstoffe absorbieren im Bereich des sichtbaren Spektrums, remittieren also nur einen Bruchteil des eingestrahlten Lichtes und wirken deshalb farbig. WeiBtoner, korrekt angewandt, absorbieren kein sichtbares Licht. Sie vermogen aber unsichtbares UV-Licht zu absorbieren. Die so aufgenommene Energie wandeln WeiBtoner in energiearmeres, Iangerwelligeres blaues Licht um und emittieren dieses dann. Man nennt diese Erscheinung Fluoreszenz. Vom beleuchteten Korper wird also in Gegen-
*
rnigrare (lat.)
~
(aus-)wandern
\
X
R und R ' sind Substituenten am Stilbenmolekiil, X und X' konnen H oder als Substituenten die Gruppe -S 0 3 H bedeuten. Durch die Substituenten werden neben der Nuance der Fluoreszenz (rotliches oder griinliches Blau) auch die Affinitat zu diversen Substraten, die Loslichkeit, die Stabilitat gegen Saure und Alkali, gegen Oxidationsmittel, die Lichtechtheit usw. bestimmt. Die wichtigsten Einsatzgebiete sind zu: 47% 32% 17% 4%
Waschmittelaufheller Textilaufheller Papieraufheller fur synthetische Fasem
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
10.1 Betrachtung einer chemischen Reaktion Verfolgt man den Ablauf einer chemischen Reaktion, z.B. die Umsetzung von Wasserstoff und Stickstoff zu Ammoniak oder von Synthesegas zu Methanol 3HZ
+
Wasserstoff
2H,
+
Wasserstoff
Hinreaktlon
N,
2 NH?
Ruckreaktlon
Stickstoff
CO
Ammoniak
-
Kohlenstoffmonoxid
(AH= - 92,l kJlmol) CHSOH Methanol
(AH= 92,O kJ/mol) ~
zeichnet. Die Bestimmung des chemischen Gleichgewichts gehort zu den Fragestellungen der Thermodynamik.Die Lage eines chemischen Gleichgewichts wird durch das Massenwirkungsgesetz und die Gleichgewichtskonstanten beschrieben (s. Abschn. 1-10.5 und -10.6). 4 . Mit welcher Geschwindigkeit Iauft eine chemische Reaktion ab? Hier findet der Faktor Zeit Eingang bei chemischen Betrachtungen. Den zeitlichen Ablauf einer Reaktion zu verfolgen und die Reaktionsgeschwindigkeit zu ennitteln, gehort zu den wesentlichen Aufgaben der Reaktionskinetik, die ein Teilgebiet der physikalischen Chemie ist.
5. Wie verhalt sich ein Reaktionsverlauf in einem offenen System? Die Gesetze zur Beschreibung von FlieBgleichgewichten sind heranzuziehen.
so stellen sich fiinf Fragen: 1. In welchem Massen- oder Volumenverhiiltnis reagieren die Ausgangsprodukte miteinander, und in welchen Mengen entstehen die Reaktionsprodukte? Auf diese Frage gibt die Stiichiometrie eine Antwort.
2. Welche Energiemengen werden bei der Reaktion umgesetzt? Handelt es sich um eine energiefreisetzende (exotherme) oder eine energiebindende (endotherme) Reaktion? Durch Kenntnis der Bildungswarme der in der Reaktionsgleichung vorkommenden Verbindungen kann diese Frage beantwortet werden (vgl. Abschn. 1-1.7.2).
3. Stellt sich ein Gleichgewicht beim Reaktionsablauf ein? Bei vielen chemischen Reaktionen reagieren die Endprodukte wieder miteinander und setzen sich zu den Ausgangsprodukten um. Bei solchen Reaktionen gilt es zwischen einer Hin- und einer Riickreaktion zu unterscheiden. Wahrend des Reaktionsablaufes wird ein Zustand erreicht, in dem gleich viele Molekiile der Ausgangskomponenten zu den Endprodukten reagieren wie Molekiile der Endprodukte zu den Ausgangskomponenten riickreagieren. Dieser Zustand wird als chemisches Gleichgewicht be-
10.2 Die Reaktionszeit Es sollen zwei Versuche beschrieben werden, an denen verdeutlicht wird, daB die Zeiten, die zum Ablauf einer chemischen Reaktion erforderlich sind, sehr verschieden sein konnen. 1. Versuch
In ein Reagenzglas wird eine waBrige Natriumchlorid-liisung gegeben und mit einer salpetersauren Silbernitrat-Losung versetzt. Augenblicklich bildet sich ein w e i k r Niederschlag von Silberchlorid. NaCl Natriumchlorid
+
AgNOS
-
Silbemitrat
AgCl J Silberchlorid
+
NaNO,
Natriumnitrat (AH=- 5836 kJimol)
Der Niederschlag wird sofort abfiltriert. Das Filtrat bleibt klar, es hat sich also kein weiteres Silberchlorid gebildet. Der Versuch zeigt, daB das Silbernitrat in sehr kurzer, praktisch nicht meBbarer Zeit mit dem Natriumchlorid reagiert hat. Die Reaktionsgeschwindigkeit war also sehr groB.
114
I Chemische Grundlagen
2 . Versuch In einem Reagenzglas wird verdunnte Wasserstoffperoxid-Ltjsung vorgelegt und dazu werden einige Milligramm Mangandioxid (Brdunstein) gegeben. Sofort beginnt sich Sauerstoff zu entwickeln.
stoffperoxid
An diesen beiden Versuchen wird sichtbar, daa es Reaktionen gibt, bei denen die Reaktionszeit keine Rolle spielt, da sie praktisch unmeabar schnell ablaufen, und solche, bei denen die Reaktionszeit eine mefibare GroBe darstellt. Die letzteren, die zeitabhangigen chemischen Reaktionen, sollen anschlieaend naher erlautert werden.
Konzentration-Zeit-Kurve (AH=- 196.1 kJimol)
Auf das Reagenzglas wird ein Ableitungsrohr gesetzt und der sich entwickelnde Sauerstoff in einem mit einer Volumenskala versehenen Zylinder aufgefangen (Abb. 1-20).
Abb. 1-20. MeBmethode fur die Sauerstoffentwicklung.
Die gebildete Sauerstoffmenge nimmt am Anfang des Reaktionsverlaufes schnell, dann immer langsamer zu, bis die Sauerstoffbildung schliealich ganz zum Erliegen kommt. Die Reaktion ist beendet . Im Gegensatz zum ersten Versuch hat diese Reaktion eine Iangere Zeit gebraucht, um vollstandig abzulaufen.
Der Zerfall des Wasserstoffperoxids in Wasser und Sauerstoff wurde in seinem zeitlichen Ablauf uber die Bestimmung der gebildeten Sauerstoffmenge verfolgt. In ahnlicher Weise kann die Abnahme der Wasserstoffperoxid-Konzentration der Ausgangslosung gemessen werden. Im ersten Falle betrachtet man die Zunahme der Menge des Reaktionsprodukts, im zweiten Falle die Abnahme der Menge einer Ausgangskomponente. Das Wasserstoffperoxid hat am Anfang des Versuchs eine bestimmte Anfangskonzentration. Da zu Beginn der Reaktion vie1 Sauerstoff entsteht, nimmt auch die Peroxid-Konzentration am Anfang schnell ab. Eine geringer werdende Sauerstoffentwicklung auf der einen Seite bedeutet auf der anderen Seite auch eine langsame Abnahme der Wasserstoffperoxid-Konzentration.Wenn die gebildete Sauerstoffmenge ihren Hochstwert erreicht hat, dann haben alle Peroxidmolekule reagiert. Die Peroxidkonzentration ist also praktisch auf Null abgesunken. Zur anschaulichen Darstellung des Reaktionsverlaufes wird in einem Diagramm die Konzentration des Peroxids in Abhangigkeit von der Reaktionszeit aufgetragen (Abb. 1-21), Das Kurvenbild von Abbildung 1-21 ist typisch fur die Konzentrationsanderungen bei allen einfachen chemischen Reaktionen, die vollstandig ablaufen.
A
E 0
E +
z6 0
Konzentration ist fasl aui Null abgesunken
t (Reaktionszeit)
Abb. 1-21. KonzentrdtionZeit-Kurve.
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
115
103 Die Reaktionsgeschwindigkeit
Fur die Reaktionsgeschwindigkeit gilt analog
103.1 Allgemeines
c2-cI v=-=t2 - t I
Legt ein Auto in der Stunde einen Weg von 50 km zuriick, dann f;ihrt es mit einer Fahrgeschwindigkeit von 50 kmih. Geschwindigkeit =
zuriickgelegter Weg benotigte Zeit 50 krn
v = -- 50 krn/h
lh
Eine Analogieiiberlegung fuhrt zu dem Begriff der Reaktionsgeschwindigkeit. Werden bei einer chemischen Reaktion in einer Stunde 50 kg eines chemischen Endproduktes erhalten, so ist die Reaktionsgeschwindigkeit 50 k g h . gebildete Stoffrnenge Am Reaktions=benotigte Zeit At geschwindigkeit = 50 kg
--
Ih
kg
=50 -
h
2
oder
Konzentrationsanderung Ac Reaktions=geschwindigkeit = benotigte Zeit At
AC At
cI ist die Konzentration zum Zeitpunkt t l , c2 die Konzentration, die zum Zeitpunkt tz gemessen wird (vgl. Abb. 1-21).
Berechnung der Reaktionsgeschwindigkeit f i r den Peroxidzerfall Die bei einer chemischen Reaktion entstehenden oder umgesetzten Stoffmengen werden haufig nicht absolut in Gramm oder Kilogramm angegeben, sondern auf den stochiometrischen Formelumsatz bezogen, man spricht von relativen Konzentrations- bzw. Mengenangaben. Das hat den Vorteil, daB die Reaktionsgeschwindigkeiten fur alle Reaktionspartner in vergleichbaren Zahlenwerten ausgedriickt werden. Die MaBzahl fur relative Mengenangaben ist die Aquivalentstoffmenge n (eq) (friiher Grammaquivalent oder Val). Nach den Gesetzen der Stiichiometrie errechnet sich der Formelumsatz des Wasserstoffperoxidzerfalls aus folgender vereinfachter Reaktionsgleichung: HzOz
-
Wasserstoffperoxid 34 g
H,O
+
$0,
Wasser
Sauerstoff
18g
16 g
(AH = - 9R.05 kJimol)
xrnol/L =x---m o l L - rnol -lh h h.L In der Praxis werden bei der Bestimmung der Geschwindigkeiten nicht die absoluten Weglangen bzw. Stoffmengen oder Konzentrationen der Reaktionssubstanzen und Zeiten ermittelt, sondern deren Differenzen. Das Zeichen fur Differenzen ist A (gesprochen: Delta). Bei der Fahrgeschwindigkeit wird die Weganderng As in einer bestimmten Zeit At und bei der Reaktionsgeschwindigkeit die Stoffmengenanderng Am oder Konzentrationsanderng Ac in einer bestimmten Zeit gemessen. Zur Abkurzung der Begriffe werden Formelzeichen verwendet. Fur die Geschwindigkeit setzt man den Buchstaben v , fur den Weg s und fur die Konzentration c . sZ-s,
As
tZ - t ,
At
Fahrgeschwindigkeit v = -- -
Aus 34g Wasserstoffperoxid entstehen 18 g Wasser und 16 g Sauerstoff. Wenn beispielsweise im 2. Versuch (Abschn. 1-10.2) 20 g Wasserstoffperoxid pro Stunde zerfallen, betragt die Reaktionsgeschwindigkeit v = 20 g/h. Gleichzeitig haben sich 20. 18 -g = 1039 g Wasser und 34
20. 18
34
g = 9,41 g Sauerstoff
gebildet . Die auf Wasser bezogene Reaktionsgeschwindigkeit w*e 10,59gh und die auf Sauerstoff bezogene 9,41 g h . Wird dagegen mit den relativen, auf den Formelumsatz bezogenen Mengen (Aquivalentstoffmengen) gerechnet, dann haben alle Ge-
116
1 Chemische Grundlagen
schwindigkeiten den gleichen Zahlenwert (s. Tab. 1-12}.
1 0 3 2 EinfluB der Konzentration der Reaktionspartnerauf die Reaktionsgeschwindigkeit
I
Zwei chemische Substanzen A und B reagieren miteinander zu den Produkten C und D nach der Reaktionsgleichung: A
+
B
-----)
HqC-CHZ-OH Ethylalkohol
+
die Reaktionswahrscheinlichkeit mit der Anzahl der Zusammenstoae zu. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Anzahl der ZusammenstoJk, d . h . mit der Konzentration der Reaktionspartner ;u Die Reaktionsgeschwindigkeit ist also direkt proportional der jeweils vorhandenen Konzentration der Reaktionspartner: dc
- - c
dt
C + D
Unter Einfuhrung eines Proportionahtgtsfdktors k gelangt man zu einer mathematischen Gleichung:
H,C-COOH Essigsiure
Es sol1 der Konzentrationseinflulj dieser beiden Komponenten auf die Reaktionsgeschwindigkeit untersucht werden. Voraussetzung fur das Zustandekommen einer chemischen Umsetzung ist, daB sich die Molekiile des Stoffes A mit denen des Stoffes B bis zum ZusammenstoB nahem. Es ist leicht einzusehen. dalj die Anzahl der Zusammenstolje in einem vorgegebenen Reaktionsvolumen pro Zeiteinheit umso groBer sein wird, je mehr Molekule von A und B in dem vorgegebenen Reaktionsvolumen vorhanden sind, d.h. je groljer die Konzentration der Reaktionspartner ist. Obwohl nicht jeder ZusammenstoB zwischen den Molekulen zu einer Reaktion fuhrt, nimmt
Der Proportionalitatsfaktor heifit in diesem Falle Reaktionsgeschwindigkeitskonstante. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstantegibt diejenige Reaktionsgeschwindigkeit an, die bei der Konzentrationseinheit ,,eins" herrschen wurde. Fur eine Reaktion 1 . Ordnung (s. Abschn. I- 10.3.3) ist beispielsweise die Geschwindigkeitsgleichung fur die abreagierende Substanz L8=
dc -=-k.c dt
Fur einen speziellen Fall moge der Wert fur k = 2,s . lo-' s-I betragen. Das bedeutet, daB
Tab. 1-12. Berechnung der Reaktionsgeschwindigkeit der Zersetzung von Wasserstoffperoxid. Stoff
Molare Masse
Reaktionsgeschwindigkeit molih
g/mol
2 0 g . 1 rnol Peroxid
34
Wasser
18
10,59
Sauerstoff
16
9,41
1059 g . 1 mol
h . 18g 9,41 g . 1 rnol
h.16g
= 0,58X
= 0,588
10 Grundbegriffeder Reaktionskinetik
bei einer Konzentration c = 1 m o l L der vergehenden Substanz die Reaktionsgeschwindigkeit 25 * moV(Ls) betragt. Es muB beriicksichtigt werden, daD die Dimension von k von der Reaktionsordnung abhangt . Nimmt die Konzentration des Reaktanden ab (abreagierende Substanz), dann ist die Konzentrationsanderung und damit die Reaktionsgeschwindigkeit negativ: dc
v= -=-k.c dt
Nimmt die Konzentration des Reaktanden zu, dann ist sie positiv: dc
v= -=+k.c dt
Zu kliiren ist nun noch, ob die Reaktionsgeschwindigkeit der Summe oder dem Produkt der Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer, auch Reaktanden genannt, proportional ist. Diese Frage sol1 anhand eines Denkmodells beantwortet werden (Abb. 1-22). In einem abgeschlossenen Raum befinden sich je ein Molekiil A und B. Die beiden Molekiile sind standig in Bewegung, haben also eine gewisse kinetische Energie. Sie stoaen an die Wandungen und werden von dort elastisch zuriickgeworfen. Irgendwann treffen die beiden Molekiile aufeinander.
117
Die Anzahl der ZusammenstoBe pro Zeiteinheit wird willkiirlich mit 1 angenommen. Wird nun die Anzahl der A-Molekiile auf 2 erhoht, dann erhoht sich auch die Wahrscheinlichkeit der Zusammenstok pro Zeiteinheit auf 2, da sich die StoDmoglichkeiten von 1 auf 2 erhoht haben. Ein weiteres Teilchen B erhoht die StoBmoglichkeiten auf 2 . 2 = 4, also auch die Zahl der Zusammenstobe pro Zeiteinheit auf 4. Bei 3 Molekiilen A und 2 Molekiilen B erhoht sich die Zahl der ZusammenstoBe pro Zeiteinheit auf 2 * 3 = 6, da jedes Molekiil A mit jedem Molekiil B zusammenstoBen kann. Bei 3 Molekiilen A und 3 Molekiilen B ergeben sich somit 3 . 3 = 9 Zusammenstok pro Zeiteinheit. Tab. 1-13 ist zu entnehmen, daR sich die Wahrscheinlichkeit der ZusammenstoDe pro Zeiteinheit aus dem Produkt der Teilchenanzahl der Reaktanden, die sich in einem bestimmten Volumen befinden, ergibt. Tab. 1-13.Zusammenfassende Ubersicht der Ergebnisse des Denkmodells.
Anzahl der A-Molekule
Anzahl der
B-Molekule I 1
2 2 3
Wahrscheinlichkeit der ZusammenstoSe pro Zeiteinheit 1.1=1 2. I =2 2.2=4 3.2=6
3.3=9
Abb. 1-22 a-d. Zusammenhang zwischen StoSzahl und Teilchenkonzentration.
118
I Chemische Grundlagen
Eine Teilchenzahl pro Volumen ist eine Konzentration. Daher ist auch die Anzahl der ZusammenstoRe von Teilchen A und Teilchen B vorn Produkt ihrer Konzentrationen abhiingig. Nicht alle Zusammenstoae fiihren zu einer Reaktion, sondern nur ein Bruchteil davon. Je mehr Molekiile pro Zeiteinheit zusammenstoJen, um so hoher ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist die bei einer chemischen Reaktion auftretende Konzentrationsanderung der Reaktionspartner (Reaktanden) in der Zeiteinheit. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist also dem Produkt der Konzentrationen der miteinander reagierenden Stoffe direkt proportional. Kurz ausgedriickt:
- c ( A ) . c(B)
v
dc
Anderung der Konzentration
dt
Anderung der Zeit
-
~'2-c'
dt v
c(A) c(B)
-
v
1st die Geschwindigkeit einer Reaktion nur von der Konzentration des Stoffes A abhangig, dann lautet die Geschwindigkeitsgleichung: v = k . (.'(A)
Eine solche Reaktion wird als Reaktion I . Ordnung bezeichnet. 1st die Geschwindigkeit von zwei Konzentrationen LJ
tz-fi
Reaktionsgeschwindigkeit Konzentration des Stoffes A Konzentration des Stoffes B steht fur ,,ist proportional"
= k.c(A).c(B)
Diese Gleichung besagt, daR die Reaktionsgeschwindigkeit urn so groljer ist,
a) j e hoher die Konzentrationen der an der Reaktion beteiligten Stoffe sind, b) j e hoher die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante ist. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstantegibt den Bruchteil der ZusammenstoRe an, die zu einer chemischen Reaktion fiihren. Betrachtung der Reaktion: Es gilt
A+2B A+B+B
dann gilt
v
-
= k.c'(A).c'(B)
oder vom Quadrat einer Konzentration abhtinRig? L)
dc
=-=
v
1 0 3 3 Reaktionsordnung
= k . (.?
so liegt eine Reaktion 2 . Ordnung vor. Die Reaktionsordnung wird durch die Reaktionspartner bestimmt, deren Konzentrationen biw. Partialdriicke die Geschwindigkeit der betrachteten chemischen Reaktion beeinflussen. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Reaktionsmolekularitat, die bestimmt wird durch die Anzahl der Teilchen, wie z.B. Molekiile, Atorne, Ionen und Radikale, deren gleichzeitige Interaktion zur chemischen Umsetzung fuhrt. Mathematisch erhalt man die Reaktionsordnung nus der Summe der Exponenten der KonZentrationen der geschwindigkeitsbestimmenden beteiligten Reaktionspartner. Der Exponent der Konzentration nur eines Reaktionspartners in der Geschwindigkeitsgleichung gibt die Teilreaktionsordnung des Reaktionssystems an. Fur die Reaktion, die irreversibel verlauft 2 A + B + C -
D
sol1 die Geschwindigkeitsgleichung fur die vergehenden Substanzen lauten: D D
- c ( A ) . c ( B ) . c(B)
v = k . (.(A). ?(B)
Die Koeffizienten einer chemischen Reaktionsgleichung treten als Exponenten in der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichungauf.
df Die Teilreaktion ist beziiglich der Reaktionskomponente A von 2 . Ordnung, Reaktionskomponente B von 1 . Ordnung, Reaktionskomponente C von 0. Ordnung.
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
Die Gesamtreaktion ist von 3. Ordnung, d.h. sie ist die Summe der Teilreaktionsordnungen. 1st eine Reaktion in bezug auf einen Reaktanden von 0. Ordnung, so hat dieser auf die Geschwindigkeit der Reaktion keinen EinfluR. Das ist dann der Fall, wenn sich die Reaktion 2 A + B + C
-
2. Ordnung Die Verseifung von Estern H~C-C-OC~HS II
+
B
E + C 2A
+B+C
-
+
Alkali
D Gesamtreaktion
Die erste Teilreaktion ist hier geschwindigkeitsbestimmend. Die Konzentration von C in der zweiten Teilreaktion hat auf die Reaktionsgeschwindigkeit keinen EinfluR.
WasseI
-
D
E langsame Teilreaktion (1) D sehr schnelle Teilreaktion (11)
HOH
0 Essigsaureethylester
in Teilreaktionen zerlegen l a t , die nacheinander ablaufen und von verschiedener Geschwindigkeit sind, wie z. B. 2A
119
H3C-C-OH II
+ C~HSOH
0 Essigsaure
Ethylalkohol
3 . Ordnung Reaktionen 3. Ordnung finden selten statt, da sie die gleichzeitige Interaktion von drei Molekiilen voraussetzen.
103.4 Temperaturabhangigkeitder Reaktionsgeschwindigkeit
Bei den iiberlegungen zur Herleitung des Zusammenhanges zwischen der Konzentration der Reaktionspartner und der Reaktionsgeschwin0. Ordnung digkeit wurde davon ausgegangen, daR sich die Elektrolyse; die Elektrolysegeschwindigkeit ist Molekule regellos bewegen. Sie besitzen einen unabhhgig von der Konzentration des Aus- bestimmten Energieinhalt der Bewegung ,kinetische Energie genannt. gangsproduktes. Wird den Molekiilen in Form von W&me Autokatalyse; die entstehenden Produkte wirken weitere Energie zugefiihrt, erhoht sich damit reaktionsgeschwindigkeitserhohend, aber die auch ihre Bewegungsgeschwindigkeit. Durch die Geschwindigkeit der Autokatalyse ist unabhanschnellere Bewegung stoBen die Molekiile haufigig von der Konzentration der Ausgangsstoffe. ger zusammen, und die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt zu. Zufuhr von Warme, die sich durch eine SteiI . Ordnung gerung der Reaktionstemperatur bemerkbar Der Zerfall radioaktiver Substanzen. macht, bewirkt eine Zunahme der ReaktionsgeDie Hydrolyse des Rohrzuckers in Glucose und schwindigkeit . Fructose In der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung wird dies durch die Temperaturabhangigkeit der C,,H,,O,, + HOH C ~ H I Z +O ~C ~ H I Z O ~ Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten k zum Saccharose Wasser Glucose Fructose Ausdruck gebracht. Die Decarboxylierung
Beispiele fur Reaktionsordnungen
-
R-COOH
-
organische Saure
RH
+
Kohlenwasserstoff
CO, Kohlenstoffdioxid
Der Zerfall von Distickstoffpentoxid KO5 Distickstoffpentoxid
-
N,O, Distickatoffoxid
+
1/20, Sauerstoff
v = k . c ( A ) . c(B) k =f(r,
k ist eine Funktion der Temperatur T . Der niederlandische Cherniker Jacobus Hendricus van't Hoff (1852-1911) fand als Faustregel, daR eine Temperaturerhohung urn 10K ein Anwachsen der Reaktionsgeschwindigkeit urn das Zwei- bis Vierfache bewirkt.
120
I Chemische Grundlagen
1 0 3 5 Aktivierungsenergie
Hierin bedeuten k die Geschwindigkeitskonstante, H der Haufigkeits- oder Frequenzfaktor, E , die Aktivierungsenergie, R die universelle Gaskonstante, T die absolute Temperatur. GemaB der kinetischen Theorie haben die einzelnen Molekiile bei gegebener Ternperatur einen unterschiedlichen Gehalt an Translations-, Rotations-, Schwingungs- und gegebenenfalls an Elektronenanregungsenergie. Die Verteilung dieser Energien zwischen den Molekiilen kann durch das Maxwell-Boltzrnannsche Energieverteilungsgesetz beschrieben werden (Abb. 1-24). Bei jeder Temperatur existiert folglich ein definierter Bruchteil von Molekiilen, deren Energieinhalt den kritischen Wert der Mindestenergie ubersteigt. Der Haufigkeitsfaktor H gibt die (theoretisch) maximal mogliche Reaktionsgeschwindigkeit wieder.
Darnit zwei Molekiile iiberhaupt reagieren konnen, rniissen sie zusamrnenstoBen. Der ZusammenstoR allein geniigt jedoch nicht, er muB vielmehr mit einer bestimmten Mindestenergie erfolgen. Diejenige Energie, die den Molekiilen zugefuhrt werden muR, urn sie auf die erforderliche Mindestenergie zu bringen, nennt man Aktivierungsenergie E, (Abb. 1-23), 1st der Anteil der ZusamrnenstoBe, der zur Reaktion fuhrt, gering, dann rnuR ein hoher Energiebetrag als Aktivierungsenergie zugefuhrt werden. Fur die Reaktion zwischen Silbernitrat und Natriumchlorid (s. Versuch 1 , Abschn. I- 10.2) irn wal3rigen Medium ist eine Zufuhr von zusatzlicher Aktivierungsenergie fast nicht erforderlich. Die fur die Reaktion notwendige Mindestenergie ist in diesem Fall vorhanden, der Reaktionsablauf erfolgt spontan, die Reaktionsgeschwindigkeit ist sehr grol3. Urn Wasserstoffperoxidrnolekiile in Wasser und Sauerstoff zu spalten (s. Versuch 2, Abschn. I-10.2), wird eine hohe Aktivierungsenergie benotigt, um das Niveau der Mindestenergie zu erreichen, das die Reaktion erst ermoglicht. Die Abhangigkeit der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten von der Temperatur kann in vielen Fallen mathematisch durch die von dern schwedischen Physikochemiker Svante August Arrhenius (1 859-1927) formulierte Differentialgleichung beschrieben werden.
E.
Der Ausdruck e R l entspricht nach der kinetischen Theorie dernjenigen Bruchteil der Molekiile, die beim ZusarnrnenstoB aufgrund der vorhandenen Mindestenergie zur Reaktion befahigt sind. E.
Das Produkt k = H . e -FF gibt also die tatsachliche Reaktionsgeschwindigkeit in der Einheit der Konzentration wieder.
-
wenn T
Nach Integration erhalt man d In k = -
E, RT
-
~~
0;dann e
EX Rr
-
0;
k sehr klein, die Reaktion verlauft sehr langsarn; wenn
+ Konstante ( H )
T sehr groB; dann e
_ _Ea
RT
-
I;
k = H , das bedeutet eine explosionsartige Reaktion; alle Zusarnrnenstok fuhren zur Reaktion. Energie EnergleinhaH
t - r i i t i v i e r u n g s e n e r g i e
EA+B
der Reaktionskomponenten
1
Abb. 1-23. Darstelluna
\
Energieinhalt
E der Reaktlonsprodukte
A
B
B Reaktionsverlauf
,
der Aktivierunaenergie.E, AktivierunGnerSe, EA+BEnergieinhalt der Reaktionskomponenten A und B, E,, Energiezustand
des Reaktionsproduktes AB.
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
121
Abb. 1-24. Maxwell-Boltzmannsche*** Energieverteilung. T = Temperatur in Kelvin; E, = Aktivierungsenergie
103.6 Katalysatoren* In Versuch 2,Abschn. 1-10.2, wird erst durch Zusatz von Mangandioxid der Reaktionsablauf eingeleitet und damit die Reaktionsgeschwindigkeit erhiiht. Mangandioxid wirkt hier als Katalysator. Substanzen, die dem Reaktionsgemisch in nur geringer Menge zugegeben werden miissen, dabei die Reaktionsgeschwindigkeit erhohen und nach der Reaktion unverandert vorliegen, nennt man Katalysatoren. Substanzen, die eine Reaktionsgeschwindigkeit erniedrigen, nennt man Inhibitoren**. Die Mindestenergie wird hier erhoht und damit auch der erforderliche Betrag an Aktivierungsenergie.
103.7 Beispiel zur Bestimmung der Reaktionsordnung Zu bestimmen sind die Ordnung und Reaktionsgeschwindigkeitskonstante aus den folgenden Versuchsdaten unter der Annahme, daB die Reaktion bei gleichen Anfangskonzentrationen isotherm und isochor ablauft (Tab. I-14a und-14b). Zur Auswertung sind die integrierten Geschwindigkeitsgleichungenzu verwenden. Gsung: Es werden die Zeitgesetze fur die Reaktionen 1. und 2. Ordnung iiberpriift. 1. Ordnung: c, = co e-*'; In c, = - k t
Zusammenfassung Die Geschwindigkeit einer Reaktion kann im wesentlichen durch drei MaBnahmen erhoht werden:
2. Ordnung: c, =
co ~
l+kcot
+ In c,
1
1
c,
C,
., - -- k I + -
In Abb. 1-25a ist In c, gegen f aufgetragen.
Tab. I-14a. MeBdaten. t i n min
0
I
c,inmollL
0,200
0,141
2 0,109
3 0,088
4 0,075
1. Durch die Erhohung der Konzentration der Reaktionspartner, da dadurch die Anzahl der ZusammenstoBe vergriiBert wird. 2. Durch Erhohung der Reaktionstemperatur, da sich dadurch die Molekiile schneller bewegen, was ebenfalls die Anzahl der ZusammenstoBe erhoht . 3. Durch Zugabe von Katalysatoren, da diese eine Herabsetzung der Aktivierungsenergie bewirken. *
**
***
katalysis (grch.) - Aufldsung. inhibere (lat.) - einhalten. hemmen. Maxwell, James Clerk (1831-1879),engl. Physiker. Boltzmann, Ludwig (18441906), osterr. Physiker.
5 0,065
6 0,057
7 0,051
8 0,046
9
10
0,042
0,038
Tab. I-14b. Auswertung der MeBdaten. t i n min
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
10
In c, -1,609 -1,959 -2,216 -2,430 -2,590 -2,733 -2,865 -2,976 -3,079 -3,170 -3,270
1Ic,
5 ,ooo 7,092
9,174 11,360 13,330 15,380
17,540 19,600 2 1,740 23,810 26,310
122
I Chemische Grundlagen
Es ergibt sich keine Gerade. Eine Reaktion 1. Ordnung liegt also nicht vor. In Abbildung 1-25b ist Ilc, gegen t aufgetragen . Die Punkte liegen auf einer Geraden. Es liegt also eine Reaktion 2. Ordnung vor. Aus der Steigung der Geraden errechnet man die Geschwindigkeitskonstante k .
A
-
-k
Hinreakuon
Ruckreaknon
-
C + D
Viele chemische Reaktionen verlaufen nicht nur einseitig irn Sinne der Reaktionsgleichung, sondern die entstandenen Reaktionsprodukte setzen sich wieder zu den Ausgangskomponenten urn. Es ist also zwischen einer Hin- und einer Riickreaktion zu unterscheiden. Dieser Sachverhalt wird fur ein abgeschlossenes System durch nachstehende Gleichung beschrieben.
Bei Vorliegen der Stoffe A und B setzt die Reaktion mit der Hinreaktion ein. Die Kornponenten Aund B reagieren zu den Endprodukten C und D. Liegen auch nur geringste Mengen C und D vor, setzt sofort die Ruckreaktion zu den Ausgangskomponenten ein. Reaktionen, die nicht nur von links nach rechts, sondern gleichzeitig von rechts nach links ablaufen, heil3en umkehrbare oder reversible Reuktionen. Bei den reversiblen Reaktionen stellt sich immer ein Gleichgewicht ein. Im Reaktionsverlauf wird ein Zustand erreicht, in dern sich gleich viele Molekiile A und B zu den Produkten C und D urnsetzen, wie Molekule C und D wieder zu den Ausgangsstoffen A und B reagieren. Einen solchen Zustand nennt man den thermodynamischen Gleichgewichtszustand. Die Zahl der in der Zeiteinheit gebildeten neuen Molekule ist gleich der Anzahl der riickgebildeten Molekule der Ausgangsstoffe. Obwohl weiterhin standig Hin- und Riickreaktionen ablaufen, ist die Gesarntreaktion fur den Betrachter auBerlich zurn Stillstand gekomrnen. Der Gleichgewichtszustand ist erreicht.
y * = h ct
y*=
k=
y**-y*,
26-5 L -=2.1 10-0 mol min ~
n*,-x*,
10.4 Reversible und irreversible Reaktionen, Gleichgewichtszustand
'
t
-13-
-2,o-
-25-
-3,O-
-35-
Abb. 25a. Auswertung nach einer Reaktion I . Ordnung
Abb. 25 b. Auswertung nach einer Reaktion 2. Ordnung
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
Ein solches Gleichgewicht, bei dem also ein standiger Austausch stattfindet, nennt man ein dynamisches Gleichgewicht. Als Beispiel einer reversiblen Reaktion sol1 folgende Reaktion betrachtet werden:
CO
+
CO, + H,
H,0
Kohlen- Wasser stoffmonoxid
KohlenWasserstoff stoffdioxid
(AH=-41 Idimol)
Wird ein Gemisch von Kohlenstoffmonoxid und Wasser zur Reaktion gebracht, so entstehen Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff. Fur diese von links nach rechts ablaufende Hinreaktion gilt die Geschwindigkeitsgleichung v- = k ,
. c (CO).c (H,O)
Sowie sich aber Kohlenstoffdioxid- und Wasserstoffmolekule gebildet haben, setzt auch die Ruckreaktion ein, bei der aus CO, und H, wieder CO und H,O entstehen. Fur diese von rechts nach links ablaufende Ruckreaktion kann die Geschwindigkeitsgleichung V,
= k , . c (CO,). c
(H,)
angesetzt werden. Zu Beginn der Reaktion wird, da die Konzentration an CO und H,O hoch, die C0,- und H,Konzentration aber klein sind, die Hinreaktionsgeschwindigkeit v- g r o k r sein als die Ruckreaktionsgeschwindigkeit v,. Da jedoch die CO- und H,O-Konzentrationen abnehmen. wahrend die C0,- und H,-Konzentrationen zunehmen, wird einmal der Zeitpunkt kommen, wo die Reaktionsgeschwindigkeiten von Hin- und Riickreaktion gleich sind: v, = v.
123
Die Konzentrationen werden mit * gekennzeichnet, da es sich hier nicht urn beliebige Konzentrationen handelt, sondern urn die Gleichgewichtskonzentrationen. Stellt man diese so urn, dal3 die Geschwindigkeitskonstantenauf der einen Seite und die Gleichgewichtskonzentrationen auf der anderen Seite stehen. erhalt man: k+
_ --
k-
c*(CO2).c*(Hz) c*(CO).c*(H,O)
Da k , und k, Konstanten sind, ist auch der Quotient aus beiden eine Konstante. K,=
k, -
k,
Diese Konstante wird Gleichgewichtskonstante K,- genannt. Der Index ,,c" deutet darauf hin, daR auf der rechten Seite der Gleichung Konzentrationen stehen. Die Gleichgewichtskonstante ist also der Quotient aus der Geschwindigkeitskonstanten der Hinreaktion k, und der Geschwindigkeitskonstanten der Ruckreaktion k,. Damit gilt fur den Gleichgewichtszustand:
c*(CO,).c*(H,) k, - K =c*(CO).c*(H,O) ' k , Das Massenwirkungsgesetz, abgekiirzt MWG geschrieben, sagt aus, daj' das Verhaltnis der Produkte der Gleichgewichtskonzentrationen der Endprodukte und der Ausgangsstoffe einer Reaktion bei gegebener Temperatur konstant ist. Das Massenwirkungsgesetz bzw. die Gleichgewichtskonstante stellt die Verknupfung her zwischen der chemischen Thermodynarnik und der Reaktionskinetik. Es ist zuerst von den Norwegern Carl Maxirnilian Guldberg (1 8 3 6 1 902) und Peter Waage ( 1833-1 900) formuliert worden. C . M . Guldberg war Chemiker und Mathematiker, und P. Waage war Naturforscher.
10.5 Das Massenwirkungsgesetz Da im chemischen Gleichgewichtszustand die Geschwindigkeiten der Hin- und Ruckreaktion gleich sind, d. h. v- = v, ist, gilt auch, daR die rechten Seiten der beiden Geschwindigkeitsgleichungen gleich sind. k , . c*(CO). c*(H,O) = k ,
. c*(CO,). c*(H2)
10.6 Vom Prinzip des gestorten Gleichgewichts Ein fur die chemischen Prozesse in der Natur und Technik wichtiges Gesetz ist das von dem chernischen Gleichgewicht. Es spielt bei Stoffumwandlungen eine bedeutende Rolle und besagt,
124
I Chemische Grundlagen
daR bei einer chemischen Umsetzung Hin- und Ruckreaktion immer in einem thermodynamischen Gleichgewicht stehen. Das heifit, ein ProzeS lauft nie zu 100% in Richtung der gewunschten Produkte ab. Sie befinden sich immer in Wechselbeziehung mit den Ausgangsstoffen. Allerdings gilt das nur fur abgeschlossene Systeme. Komplizierter werden die Verhaltnisse in offenen Systemen, in Systemen also, die in standigem Energie- und Stoffaustausch mit ihrer Umgebung stehen, so daR die Produkte aus dem Reaktionsraum weggefuhrt werden. Dann ist das Gleichgewicht gestort. Ausgangsstoff
z.B. CO
Nz
+ H,O + 3Hz
--
-
+
gewunschte Produkte, ~ U dem S Reaktor ausgeschleust
Gleichgewicht herrscht, wenn rnL= rnR,d.h. wenn die Massen auf beiden Seiten des (gleicharmigen) Waagebalkens gleich sind. Zwischen den links- und rechtsseitigen Massen besteht keine Austauschbarkeit, damit existiert auch keine Reversibilitat. Therrnodynarnisches Gleichgewicht
Gleichgewicht herrscht, wenn
dmA dt
-
'IB
_ . _ -
ist, d. h. wenn die VerBnderungsgeschwindigkeit des Stoffes A gleich der des Stoffes B ist.
CO, + H,? 2 NH3?
Biologische und okologische Systeme sind solche offenen Systeme. Zwar haben Begriffe wie ,,biologisches" und ,,okologisches Gleichgewicht" uberall Eingang gefunden, doch handelt es sich dabei nicht um thermodynamische Gleichgewichte, sondern um FlieSgleichgewichte. Thermodynamische Gleichgewichte schlieSen die Umkehrbarkeit ein. Sie sind im Grundsatz ,,reversibel". FlieBgleichgewichte sind dagegen irreversibel.
Diese Forderung bedingt die Reversibilitat und den Austausch der Reaktionskomponenten. Das thermodynamische Gleichgewicht beinhaltet den Faktor Zeit und bildet die Verknupfung zur Kinetik und gibt damit Hinweise uber Veranderungen im molekularen Bereich. Im Gegensatz zu stationken Systemen handelt es sich hierbei um beidseitig fluide Systeme. Zwischen der linken und rechten Seite findet ein standiger Austausch statt.
Von den verschiedenen Gleichgewichten in Technik und Natur
FlieJgleichgewicht
Generell ist zu unterscheiden zwischen dem mechanischen und dem thermodynamischen Gleichgewicht sowie dem FlieRgleichgewicht.
mE
'
I
I
Masse des Eingangsproduktes
mp
'
Masse des Ausgangsproduktes
Mechanisches Gleichgewicht Flie6gleichgewicht (steady state) herrscht, wenn
d m ~ dmp - dt dt
Ein mechanisches Gleichgewicht ist stationar.
unter der Bedingung der IrreversibiIiHist.
FlieBgleichgewichte sind einseitig gerichtete fluide Systeme, die offene Systeme bedingen. Ein biologisches Recyclingsystem ist zeitlich einer standigen Veranderung unterworfen. Nichts ist station&, alles ist im FluR. Das ist Leben (s. Abschn. 111-12.1.2).
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
10.7 Reaktionen mit vorgelagertem Gleichgewicht
in G1. (5) eingesetzt, ergibt V,
Besteht eine Reaktion aus mehreren Stufen, von denen ein Zwischenprodukt (AB) mit den Ausgangsstoffen A und B im thermodynamischen Gleichgewicht steht, so spricht man von einem vorgelagerten Gleichgewicht. +
B
(AB)
Ausgangs- Ausgangsstaff A staff B
-
Zwischenprodukt AB
Endprodukt C
V,
= k, . c ( A ) . c(B)
(1)
V,
= k , . c(AB)
(2)
Fur ein thermodynamisches Gleichgewicht gilt
K=-
k, k,
=
= k;c(AB)
(3)
c(AB) c(A).c(B)
(4)
Bei diesem Modellansatz wird der geringere Anteil von dem Zwischenprodukt (AB), der sich langsam zum Endprodukt C umsetzt. vernachlassigt . Fur die Berechnung der Bildungsgeschwindigkeit des Endproduktes C darf folgende Gleichung formuliert werden: dc(C) v, = -= k L . c ( A B ) dt
Aus GI. (4) folgt c(AB) = K . c ( A ) . c ( B )
k , K=-
k,
ist v, =
k', . k, ~
k,
C
Vor-Gleichgewichte (engl. pre-equilibrium) treten auf, wenn die Bildung des Zwischenproduktes und seine Ruckreaktion in die Ausgangssubstanzen vie1 schneller erfolgen als die Weiterreaktion zu einem Endprodukt. Unter der Voraussetzung, daB zwischen A, B und (AB) ein thermodynamisches Gleichgewicht besteht, kann folgender rechnerischer Ansatz formuliert werden:
k;c(A).c(B)
= kl, K . c ( A ) . c(B)
da
10.7.1 Definition
A
125
(5)
. c ( A ) . c(B)
Teilreaktionsgeschwindigkeitskonstanten Die werden zu einer neuen Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten zusammengefaBt: k=-
k', . k, k+
oder k=kL.K
Die Reaktionsgeschwindigkeitsgleichungfur das Endprodukt C lautet demnach: v, = kl, . K . (.(A) . c (B)
siehe die Analogie zu GI. (1 0) v, = k
,
c(A). c(B)
(6)
Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k fur die irreversibel angenommene Reaktion zum Endprodukt C setzt sich wie folgt zusammen: A + B
(AB)
-
C
k , steht fur die Reaktion k, kl,
fur fur
A + B A + B (AB)
-
(AB) (AB) C
10.7.2 Die Oxidation von Stickstoffmonoxid zu Stickstoffdioxidals Beispiel fur ein vorgelagertes Gleichgewicht Ein Beispiel fur eine Reaktion mit vorgelagertem Gleichgewicht ist die Oxidation von Stickstoffmonoxid zu Stickstoffdioxid:
126
I Chcmische Grundlagen
- N,O,* -
2 NO N,O,+O, 2NO+0,
-
Stickstoffmonoxid
(1) ( M = - I 9 0 . 7 5 kJimol)
2 NO2
(11)
(AH=+76.61
{NLO:
-
+ O,}
Zwischenprodukt Didckstoffdioxid
kJimol)
2N0, (111)
Endprodukt Stickstoffdioxid
(AH = - I 14.14 kJiniol)
Wurde man die Gesamtreaktionsgleichung ohne Beriicksichtigung des Zwischenproduktes N 7 0 2hinschreiben, namlich 2NO+02
-
2 NO2
dt
oder
c(N202)= K . (.'(NO)
(9)
Wird Gleichung (9) in Gleichung (8) eingesetzt, so folgt die Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung fur die Oxidation des Stickstoffmonoxid zu Stickstoffdioxid
(1V)
= k . c'(N0). ~ ( 0 ~ )
um eine Reaktion 3 . Ordnung handeln, und die Reaktion miil3te sich in einem einzigen Schritt vollziehen. DreierstoRe sind in der Technik und auch in der Natur sehr unwahrscheinlich oder zumindest sehr selten. Experimentell wurde auMerdem beobachtet, daR bei einer Erhijhung der Reaktionstemperatur die Reaktionsgeschwindigkeit abnimmt. Diese Beobachtung laRt auf einen komplizierten Reaktionsverlauf schliebcn. Sie erkllrt sich durch ein vorgelagertes Gleichgewicht zwischen dem Zwischenprodukt N,02 und der Ausgangskomponente NO. Die Reaktionsgeschwindigkeitsgleichunglautet fur die Reaktion (I)
und die fur Reaktion (11)
*
C(N202) K=(.'(NO)
(AH= - I 14 kJirnol)
dann wurde man uber den Ablauf der Reaktion zu Fehlschlussen kommen. Nach Gleichung (IV) wiirde es sich nach der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung dc(N02)
Das Massenwirkungsgesetz fur die Reaktion (I) liefert die Massenwirkungskonstante K .
Rildung\enthalpic von N,O, 4 , H = -10,2508 kJimol. Lit. Dinerman. Carl, E. Ewing. George. E. (1970). J . Chem. Phys. 53 ( 2 ) . S . 6 2 6 6 3 I.
Gleichung (10) erklart die abnehmende Reaktionsgeschwindigkeit bei steigender Temperatur. Die Gleichgewichtskonstante nimmt ab, da die Dirnerisierung von Stickstoffmonoxid LU Distickstoffdioxid exotherm ist. 2N0
N,O, (AH=-I90.75 klimol)
Dieses Phlnomen kann unter der Annahme eines Modells mit vorgelagertem Gleichgewicht erfaBt werden.
10.73 Die Michaelis-Menten-Gleichung und die Michaelis-Menten-Konstante Vorgleichgewichte spielen bei Reaktionen in biologischen Systemen eine grol3e Rolle. Eine allgemeine Theorie wurde 1913 von L. Michaelis* und M. L. Menten entwickelt und spater von G . E. Briggs und J. B. S. Haldone erweitert. Reaktionen in biologischen Systemen laufen in der Regel unter Beteiligung von Enzymen** ab. Enzyme sind katalytisch wirkende Zellinhaltsstoffe, die die zur Umsetzung der Reaktionskomponenten (Substrate) benotigte Aktivierungsenergie herabsetzen. Wie sich experimentell zeigen IaRt, hangt die Geschwindigkeit einer enzymatischen Reaktion bei Konstanthaltung aller iibrigen EinfluBgroRen von der Enzymkonzentration ab. Analog der allgemeinen Reaktionsgleichung fur ein vorgelagertes Gleichgewicht
-
A
+
* **
Michaelir. Leonor (1875-1949). amcrikan. Cheiniker 7yme (grch.) Saucrtcig.
(AB)
B
-
C
(V)
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
laBt sich eine enzymatische Reaktion wie folgt beschreiben: E
+
k +2
k+l
S
k-l
Enzym Substrat
(ES)
e
EnzymSubstrat-
k -2
P Produkt
+
E
(VI)
Um die aus der GI. (VI) resultierende Zerfallsgeschwindigkeit vom Enzym-Substrat-Komplex zu bestimmen, mussen sowohl die Zerfallsreaktionen aus der G1. (VII), (ES) % E + S und aus GI. (VIII), (ES)% P + E beriicksichtigt werden.
Enzym
(13)
Komplex
Die Reaktionsgleichung (VI) 1aBt sich in zwei Teilschritte zerlegen: E
+
S
k+l
(ES)
k-l
k +? (ES) 1------ P
+
E
(VIII)
k-2
[ F ] z 2 = - k + 1 c(ES)
Die Summe dieser beiden Zerfallsreaktionsgeschwindigkeitsgleichungen (13) und (14) entspricht dem totalen Zerfall des Enzym-SubstratKomplexes. Die entsprechende Zerfallsgeschwindigkeit fur den totalen Zerfall Z lautet dann:
Die Anfangsgeschwindigkeit einer Enzymreaktion vo ist der Konzentration des EnzymSubstrat-Komplexes (ES) direkt proportional. Aus der Reaktionsgleichung (VII) folgt: q,= k+2 . c(ES)
dt
d c (ES)
= - k-1 c(ES) - k+, c(ES)
(11)
Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstantek+2 und die Konzentration des Enzym-SubstratKomplexes sind nicht direkt bestimmbar. Fur v, mussen andere meBbare Parameter gefunden werden. Aus G1. (VII) folgt fur die Bildungsgeschwindigkeit des Enzym-Substrat-Komplexes (ES) dc(ES)
= k+l [C(E,)- c(ES)] . c(S)
c (I%,-) ist die totale vorliegende Enzymkonzentration, die um den Betrag c(ES) gemindert ist, mit dem sie im Enzym-Substrat-Komplex vorliegt. Nach dieser Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung ist die Enzymreaktion 2. Ordnung. Der Anteil der Enzym-Substrat-KomplexKonzentration, der aus einer moglichen Ruckreaktion E + P (ES) gebildet wird, wird im weiteren Rechnungsgang vernachlassigt. Das ist erlaubt, da der Beginn der Hinreaktion nach GI. (VII) unter der Voraussetzung betrachtet ist, daB die Substratkonzentration c(S) sehr hoch ist und die Endproduktkonzentration c (P) noch nahe bei Null liegt. AuBerdem sol1 die Reaktion nach GI. (VIII) sehr langsam verlaufen.
3
127
-
[F]
= k-, c(ES) + k+z c(ES)
(15)
HieRgleichgewicht (steady state) herrscht aber nur dann, wenn die Bildungsgeschwindigkeit einer Substanz gleich ihrer Zerfallsgeschwindigkeit ist. Fur unser Modell bedeutet das, daB GI. (121, die fur die Bildungsgeschwindigkeit steht, und GI. (15), die fur die Zerfallsgeschwindigkeit steht, gleichgesetzt werden konnen. k+,[c(E,)-c(ES)] . c ( S ) = k-,c(ES)+k+,c(ES)
k,, [c(E,) - c(ES)] ’ c(S) = (k-1
+ k+2)
c(ES)
Es folgt: [c(Er)-c(ES)I c (ES)
’
c(S) - k-,
+k+2
k+ I
= KM
(16)
K M Michaelis-Menten-Konstante Gleichung (16) ist die Michaefis-MentenGfeichung. Sie erlaubt uns, die Gleichgewichtskonzentration eines Enzym-Substrat-Komplexes zu berechnen:
128
I Chemische Grundlagen
K,.(.(ES)=C(S).C(&)-C(ES).C(S)
Die Michaelis-Menten-Konstante Fur den speziellen Fall der halben maximalen
In GI. (17) ist die totale Enzymkonzentration c(ET) bekannt. Sie wird in einem Experiment vorgegeben. Dasselbe gilt fur die Substratkonzentration. Sie kann gemessen werden. Die Michaelis-Menten-Konstante K M ist bekannt bzw. kann aus den Teilreaktionsgeschwindigkeitskonstanten berechnet werden. Wird GI. (17) in GI. ( I 1 ) fur die Bestimmung der Anfangsgeschwindigkeit einer Enzymreaktion eingesetzt, dann ist
Reaktionsgeschwindigkeit -= vo la& sich aus 2 der Michaelis-Menten-Gleichung, G1. (20). folgende Beziehung herleiten: \'m.,x ~
2 1
-
2
-
~'m.,, .
C(S)
K, + c ( S )
c.6) K,+c(S)
K,v = c (S)
Die Michaelis-Menten-Gleichung Wird die Substratkonzentration in einem enzymatischen Reaktionssystem so hoch vorgegeben, daB das Enzym im wesentlichen als Enzym-Substrat-Komplex (ES) vorliegt, d . h. das Enzym vollig mit Substrat abgesattigt ist, dann wird die maximale Anfangsgeschwindigkeit erreicht. Aus GI. ( 1 1) v(, = k+? . c(ES)
folgt dann
Denn in diesem Falle ist r(ES) = c(E$). WirdGI. (19) inG1.(18)eingesetzt,dann wird die Michaelis-Menten-Gleichung zur Berechnung der Anfangsgeschwindigkeit erhalten.
Die Michaelis-Menten-Gleichung (20) verknupft hier mathematisch die Anfangsgeschwindigkeit v,, mit der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit v,,,,,, der Substratkonzentration c (S)und der Michaelis-Menten-Konstanten K M . Die totale Enzymkonzentration c(&) steckt im Ausdruck v,,,;,~ = k + Z . c(&).
(21)
Hieraus folgt, daB die Michaelis-MentenKonstante K M gleich derjenigen Substratkonzentration ist, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit halb so groB wie die maximale Reaktionsgeschwindigkeit ist. Es folgt weiter, daB der Wert der K,-Konstanten unabhangig von der Enzymkonzentration ist. Ihre Einheit fur eine Ein-Substrat-Reaktion ist Mol pro Liter (mol/L). So wie die Gleichgewichtskonstante ein signifikantes Kriterium fur ein thermodynamisches Gleichgewicht ist, das von Guldberg und Waage* durch das Massenwirkungsgesetz mathematisch formuliert worden ist, so ist analog die Michaelis-Menten-Konstante ein Kriterium fur enzymatische Reaktionen, die sich durch vorgelagerte Gleichgewichte auszeichnen.
10.7.4 Von einfachen zu komplexen Molekiilstrukturen Prozesse einer steten, ununterbrochenen Stoffund Energieumwandlung konnen nur erfolgen, wenn sich kein thermodynamisches Gleichgewicht einstellt. In der Tat gehorchen die in der Natur ablaufenden Vorgange einem Prinzip der steten Gleichgewichtsstorung. Auch in der chemischen Produktion macht man sich diesen Effekt zunutze. Eine wirtschaftlich vertretbare Stoffausbeute wird nur erreicht, wenn bei Gleichgewichtsreaktionen das Reaktionsprodukt dem Reaktionssystem entzogen wird. Das Gleichgewicht wird nach der gewunschten Richtung stindig verschoben, indem
*
G u l d k r g , Carl Maxiinilian (1836-1902). norweg. Chrmiker iind Mathematiker stellte zusammen mit Waage, Peter ( 1833-1900) das Massrnwirkuii€seeset/ s u f .
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
die entstandenen Produkte sofort ausgeschleust werden. Dabei versucht es sich immer wieder von neuem einzustellen. Das ist das Prinzip von kontinuierlich arbeitenden chemischen Produktionsverfahren. In ahnlicher Weise verlaufen die Bioprozesse in unseren Okosystemen. Auch hier werden Gleichgewichtseinstellungen durch Storungen verschiedenster Art verhindert. Die Reaktionsprodukte werden allerdings aus dem System ,.Natur" nicht vollstandig ausgeschleust. Sie konnen mit anderen Reaktionspartnern weiterreagie-
ren und auf mehr oder weniger ,,verschlungenen" Wegen ins Ausgangsprodukt zuriickverwandelt werden; es entsteht ein Kreislauf. Reagieren sie mit dem urspriinglichen Reaktionspartner weiter, bilden sich neue Reaktionsprodukte, die zugleich auch die Reaktionsbedingungen verandern. Bei bestimmten kritischen Zustanden nehmen die Molekule hohere Organisationsstrukturen ein, die ab einer bestimmten Komplexitat zum Metabolismus, zur Reproduktion und Mutation befahigt sind. Quantitat wandelt sich in Qualitat um (s.Abb. 1-26 u. Abb. 2 im Kap. Einfiihrung).
Chlorophyll - BlattgrCln Hamin - roter Blutfarbstoff Cyanocobalamin - Vitamin 812 Phthalocyanine - synthetische Farbstoffe
Porphyrinringstruktur
Nukleinsauren (NukleotidmolekCll)
Phosphor- Ribose lteterocyclische SiiUE Basen H
H
I
R
-
Aminoseuren
C - COOH
&2
H
I
I
I
1
HS-C-C
- COW
Proteine
H NH2
CH20H I
Sttlrke, Glycogen, Zellulose
Aktivierte Essigsllure
H ~ C CSS -
lsopren
H C=C-CH=CH 2 1 2
II
Fettsauren
-Coenzym A
- Fette
Kautschuk
ErdOl Erdgas
I
H
Kohlenstoff, elementar
1
I.C=
Kohlenstoffdioxld
I
Bausteine
c -c=c- c-c.1 ICqln;
ICgln:
C02 : ICO3I2-
I
n
Ceo
129
Karbin Diarnant, Graphit und Fullerene Carbonate
IFoaalle StoffelBiopolymX]
Abb. 1-26. Von einfachen zu komplexen Molekiilstrukturen
130
I Chemische Grundlagen
Hierbei handelt es sich um endergonische Vorgange, d.h. um Prozesse, die freie Energie binden. Die Entropie nimmt standig ab, da die Ordnungsstruktur komplexer wird (s. auch Hopp, V. (2000); Grundlagen der Life Sciences, Chemie - Biologie - Energetik, Wiley-VCH, Kap. 11).
10.8 Kriterien zur Beschreibung von Reaktionen in der chemischen Technik und in biologischen Systemen 10.8.1 Vergleich chemisch-technischer Systeme mit biologischen Systemen Ein Vergleich chemisch-technischer mit biologischen Systemen ist in Tab. 1-15 beschrieben.
10.8.2 Erlauterungen zu den Beschreibungskriterienvon Reaktionen Temperatur Limitierender Faktor fur die Temperaturbereiche von technischen Reaktionen ist die Stabilitat der Eingangs- und Ausgangsprodukte. Biologische Reaktionen verlaufen in waBrigen Medien. Die Fixpunkte des Wassers sind die limitierenden Faktoren. In der Nahe des Siedepunktes des Wassers koagulieren die Proteine und begrenzen damit in der Regel den Fortbestand von Lebensvorgangen. Mit dem Gefrieren des Wassers bzw. der warigen Losungen verliert das Wasser seine Eigenschaft als Transportmittel. Die physiologischen Vorgange kommen zum Stillstand. Im Gegensatz zur EiweiBkoagulation ist dieser Stillstand reversibel. Druck Die grol3e Druckspanne fur technische Reaktionen ist erforderlich, da viele chemische Umsetzungen in der Gasphase erfolgen. Es kann das gesamte Spektrum vom Vakuum bis zu hohen Uberdrucken ausgenutzt werden. Limitierende Faktoren sind durch die Stabilitats- und Festigkeitseigenschaften der Werkstoffe gegeben. Die Drucksteigerung oder Druckemiedrigung fur Reaktionen im biologischen Bereich halt sich in engen Grenzen. Biologische Prozesse vollziehen sich in wal3rigen Medien. Druckveranderungen in waRrigen Losungen sind durch die geringe Kompressibilitat der Flussigkeiten begrenzt.
Der EinfluB gasformiger Stoffwechselprodukte wird durch die Substrate begrenzt. Drucksteigerungen wirken sich auf die Enzymaktivitat negativ aus, da sich die Stereochemie der Enzyme, wie auch die der Substrate, verandert. Durch eine Steigerung der Substratkonzentration w i d die Reaktion nur wenig beeinflul3t. Ein Enzym kann immer nur bis zur Sattigung in seiner Aktivitat mobilisiert werden. Eine Druckemiedrigung fuhrt umgekehrt zur Verringerung der Enzym-Substrat-Komplexbildung , damit wird das vorgelagerte Gleichgewicht nach Michaelis-Menten nach links verschoben (s. Abschn. 1-10.7.3). E+S
(ES)
P
+
E
Es bedeuten: E S (ES) P
Enzym Substrat Enzym-Substrat-Komplex biologisches Reaktionsprodukt.
Konzentrationen Bei technisch-chemischen Reaktionen werden, soweit moglich, immer hohe Konzentrationen der Reaktionspartner angestrebt. Auf diese Weise sol1 eine hohe Stoffausbeute in angemessener Reaktionszeit und im Verhaltnis zum Reaktionsvolumen erreicht werden. Biologische Reaktionen verlaufen in wal3rigen Losungen bei niedrigen Konzentrationen. Der osmotische Druck innerhalb der Zelle als Reaktor und die Konzentrationsunterschiede fur die Austauschbarkeit der Stoffwechselprodukte zwischen Zellinnerem und ZellauRerem sind die Grenzen fur Konzentrationsvariationen. Eine Konzentrationsminderung wurde das FlieBgleichgewicht zwischen Enzym-Substratund Produktkonzentration storen. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist die Reaktion des Enzym-Substrat-Komplexes zum Endprodukt. (ES)
-
P
+
E
Reaktionszeit Die Reaktionszeit in chemisch-technischen Systemen kann durch die Temperatur, den Druck und die Konzentrationen beeinflufit werden. Alle drei Parameter dienen dam, die Wahrscheinlichkeit der StoBhaufigkeit der Reaktionspartner und damit auch die Reaktionswahrscheinlichkeit zu steigem. Die Temperatursteigerung erhoht
10 Grundbegriffe der Reaktionskinetik
131
Tab. 1-15. Vergleich chemisch-technischer mit biologischen Systemen. ~
~________
Chemische Technik
Biologische Systeme
Temperatur
Breites Temperaturspektrum von niederen his zu sehr hohen Temperaturen. Meist groBe Temperaturdifferenzen.
Temperaturgrenzen durch die Fixpunkte des Wassers vorgegeben, daher relativ niedriges Temperaturniveau rnit kleinen Temperaturdifferenzen .
Druck
Niedrige bis hohe Drucke. Vielfach groBe Druckdifferenzen.
Normdruck in der Regel 1013 mbar. Keine extremen Druckdifferenzen, mit Ausnahme von Kapillardrucken.
Konzentrationen
Es werden aus Wirtschaftlichkeitsgriinden u. a. hohe Konzentrationen im Reaktionsmedium angestrebt. GroRe Konzentrationsgradienten. Reaktionen verlaufen rnit dem Konzentrationsgefalle.
Reaktionsmedien mit meist niedrigen Konzentrationen. Kleine Konzentrationsgradienten. Viele Reaktionen verlaufen entgegen einem Konzentrationsgefalle.
Reaktionszeit
Kurze his lange Reaktionszeiten Hohe Stoff-Zeit-Ausbeute.
Stoffwechsel mit langen Reaktionszeiten. Niedrige Stoff-Zeit- Ausbeute.
Systemtyp
Geschlossen, adiabatisch geschlossen und offen.
Offen
Reuktor Flachen- und Volumenbedarf fur Reaktionsort
Kleine Reaktionsoberflachen im Verhaltnis zur Reaktionsmenge.
GroRe innere Reaktionsflachen im Verhaltnis zur Reaktionsmenge. Verschiedene Reaktionskompartimente.
Katalyse
Heterogene und hornogene Katalysatoren. Geringe Substratspezifitat. Starke Herabsetzung der Aktivierungsenergie in einer Stufe oder in wenigen grol3en Stufen.
Heterogen fixierte Homogenkatalysatoren. Gezielte Substratspezifitat. Starke Herabsetzung der Aktivierungsenergie, dies jedoch in vielen kleinen Stufen.
Reaktionsarten
Reversible, irreversible, Folge- und Parallelreaktionen.
Bedingt reversible, irreversible. Ausgepragte Folgereaktionen. Ausweichreaktion bei Zwischenproduktstau .
Gleichgewichtstyp
Thermodynamisches Gleichgewicht und FlieBgleichgewicht. Prinzip des standig gestorten thermodynamischen Gleichgewichtes.
FlieRgleichgewicht.
Verfahrenstyp
Diskontinuierlich, semikontinuierlich, kontinuierlich.
Semikontinuierlich, kontinuierlich
Reaktionsprodukte
Haupt- und Nebenprodukte. Konsequenz: Reinigungs- und Trennmethoden.
Spezifische Reaktionsprodukte, wenig Nebenprodukte. Nebenprodukte werden zumeist metabolisiert . Die Zelle belastende Nebenprodukte werden ausgeschleust.
Keine
Flexible Anpassungsmoglichkeiten an unterschiedliche Substrate.
Binarcode
Triplettcode aus vier Zeichen (s. Abb. 2 im Kap. Einfuhrung)
Speicherung von Iigormationen
132
1 Chemische Grundlagen
auBerdem den Anteil der aktivierten Reaktionspartner. Die begrenzenden Faktoren fur die Rcaktionszeit und Reaktionsgeschwindigkeit in biologischen Systemen sind die hohen Verdiinnungen, die Stereospezifitat zwischen Substrat und Enzym und das enge Temperaturintervall. Sie bedingen eine niedrige Stoff-Zeit-Ausbeute. Sie wird ausgeglichen durch die Vielzahl der wirksamen Zellen, d . h. der biologischen Reaktoren .
Systemtyp Isolierte Systerne in bezug auf Stoff- und Energieaustausch gibt es sowohl im technischen als auch biologischen Bereich nicht. Es sind Denkrnodelle. Im technischen Sektor dominieren die geschlossenen Systeme, die durch einen Energieaustausch charakterisiert sind, oder die offenen Systeme, die den gleichzeitigen Stoff- und Energietausch mit der Umgebung ermoglichen. Biologische Systeme sind prinzipiell offene Systeme. Zur Aufrechterhaltung der Lebensvorgange wie Metabolismus, Reproduktionsfahigkeit, Reizbarkeit, Adaption und Mutation ist ein standiger Stoff- und Energietausch mit der Umgebung erforderlich.
Reaktor Technische Reaktoren zeichnen sich durch kleine Reaktionsflachen im Verhaltnis zur Reaktionsmenge aus. Der Wunsch nach groBen Reaktionsfllchen fur die Reaktanden wird durch spezielle Reaktoreinbauten und Mischvorgange realisiert. Das Verhaltnis zwischen Reaktorvolumen und Reaktionsflache muR fur jeden Reaktionstyp und jeden Reaktionsverlauf immer von neuem optimiert werden. Die Vielzahl der Mikroreaktoren, der Zellen, bedingt im biologischen Sektor eine groBe Reaktionsoberflache im Verhaltnis zum Reaktionsvolumen. Auch im Inneren der Zellen stehen groRe Reaktionsoberflachen im Verhaltnis zur Reaktionsmenge zur Verfiigung.
Katalyse - Enzymatik Die Katalysatoren dienen dazu, die Aktivierungsenergie sowohl fur technische als auch biologisch-chemische Reaktionen herabzusetzen. Das bedeutet, daB der Anteil der aktivierten Reaktionspartner schon bei niederer Temperatur
relativ hoch ist. Im chemotechnischen Bereich stehen hierfur nur ein- oder zweistufig wirkende Katalysatoren zur Verfugung. Sie erniedrigen die Aktivierungsenergie in relativ groRen Energiespriingen. Dabei werden oft unerwunschte Begleitreaktionen mitinitiiert. Biologische Reaktionsverlaufe arbeiten rnit Enzymkomplexen, die aus einer ganzen Serie von substratspezifischen Enzymen bestehen. Die Herabsetzung der Aktivierungsenergie erfolgt stufenweise nach dem Treppenprinzip. Das bedingt eine Reaktionsfolge aus zahlreichen Einzelreaktionen. Es entstehen keine unerwunschten Nebenreaktionen.
Reaktionsarten Chernisch-technische Reaktionen liefern selten nur das eine gewunschte Produkt. Folge- und Parallelreaktionen fuhren zu unerwunschten Begleitprodukten. Ein weiteres Kriterium chemotechnischer Reaktionen ist hlufig ihre Reversibilitat. Um hohe Stoffausbeuten zu erhalten, mu13 durch spezielle chemotechnische Manipulationen nach dem Prinzip des standig gestorten thermodynamischen Gleichgewichtes eine Irreversibilitat angestrebt werden. Das gelingt durch standiges Ausschleusen des Reaktionsproduktes aus dem Reaktionssystem. Biologische Reaktionen sind irreversibel . Das Grundprinzip dieser Irreversibilitat wird durch das Verhalten des Enzym-Substrat-Komplexes bestimmt. Die Reversibilitat beschrankt sich auf das vorgelagerte Gleichgewicht zwischen Enzym, Substrat und Enzym-Substrat-Komplex. E
+
S
k+l
(ES)
k-l
Die nachfolgende Reaktion vom Enzym-Substrat-Komplex zum Produkt und dem abgespalteten Enzym verlauft in der Regel irreversibel. (ES)
-
P + E
Dieses Reaktionsverhalten bedingt das FlieRgleichgewicht im biologischen Bereich (s. Abschn. 1-10.7.3).
Gleichgewichtstypen FlieBgleichgewichte schlieRen eine Reversibilitat aus. Es sind einseitig gerichtete fluide Systeme, die offene Systeme bedingen.
10 Gmndbegriffe der Reaktionskinetik
In der chemischen Technologie wird nach dem Prinzip des standig gestorten thermodynamischen Gleichgewichts gearbeitet, um reversible Prozesse in quasi irreversible Prozesse umzuwandeln. Auf diese Weise gelingt es, auch thermodynamische Gleichgewichte, deren Gleichgewicht sehr weit nach der linken Seite verschoben ist, zu hohen Stoffausbeuten zu zwingen. Biologische Systeme gehorchen generell den Gesetzen der FlieBgleichgewichte. In der Gesamtheit sind biologische Vorgange nicht reversibel. Ihre Erneuerung erfolgt immer iiber eine biologische Reproduktion, aber getrennten enzymatischen Wegen.
Verfahrensty p Chemisch-technische Verfahren konnen sowohl diskontinuierlich als auch halbkontinuierlich oder kontinuierlich ausgelegt werden. Die Auswahl richtet sich nach dem gewiinschten Produkt und der Produktmenge, auBerdem nach den Ausgangsstoffen, deren Reaktionsstufen und Reaktionsmechanismen. Fur biologische Systeme sind kontinuierliche Prozesse kennzeichnend, wenn man sie auf das Individuum bezieht. Kontinuierliche Prozesse bedingen ein FlieBgleichgewicht. Versorgung und Entsorgung miissen sich in der Balance befinden. Semikontinuierliche Vorgange sind dort anzutreffen, wo biologische Systeme fur technische Zwecke ausgenutzt werden, z. B. bei der Herstellung von Bioprodukten durch Mikroorganismen. In bestimmten Zeitintervallen muB ein Teil der Biomasse aus dem Nahrmedium entfernt werden.
Reaktionsprodukte Bei chemisch-technischen Reaktionen fallen Haupt- und Nebenprodukte an, die haufig durch aufwendige Operationen voneinander getrennt werden miissen. Ein unvollstandiger Reaktionsablauf zwingt zu technischen Kunstgriffen. Nicht umgesetzte Ausgangsstoffe miissen aus dem Endreaktionsgemisch abgetrennt werden und dann wieder als Reaktionskomponenten den Ausgangsstoffen zugesetzt werden. Bei biologischen Prozessen fallen relativ wenige Begleitstoffe an. Die Zelle belastende Stoffe werden automatisch ausgeschleust. Die ausgeschiedenen Stoffwechselprodukte der einen Spezies bilden in vielen Fallen die Nahrungsquellen fur andere.
133
Auf diese Weise stellen die biologischen Systeme insgesamt einfluides Recyclingsystem ohne Reversibilitat im Einzelorganismus dar.
Reaktionsflexibilitat Chemotechnische Reaktionssysteme sind inflexibel. Sie sollen es auch sein, da sie gemaB den vorgegebenen Bedingungen verlaufen sollen. Reaktionssysteme im biologischen Bereich sind flexibel. In bestimmten Grenzen pal3t sich der Metabolismus* einer Veranderung durch auRere Einfliisse an. Die Anpassung kann so weit gehen, daB sie zu einer Umorganisation der Organismenstruktur fiihren kann. Man spricht dann von einer Adaption**. Fiihrt die Adaption zu vererbbaren Verhaltensanderungen, dann ist es eine Mutation***. Um diese Vorgange zu verfolgen, miissen die Lebensdaten der Organismen nicht in willkiirlich definierten Zeiten angegeben werden, sondern in Generationsfolgen. Es sind die Generationsfolgen und die damit einhergehenden Veranderungen zu bestimmen.
Speicherung von Informationen Veranderungen in Technik und Natur beruhen auf Informationsiibertragung durch Signale, Im kulturell-sprachlichen Bereich liegen die Informationen in Worten, Satzen, Schriften und Bibliotheken gespeichert vor. Im stofflichen Bereich sind die Informationen durch die Struktur der Molekiile und Molekiilverbande verschliisselt. Fur die gesamte derzeitig iiberschaubare Materie gibt es dafiir 109 Elemente, d. h. Informationssymbole. Die moderne Technik bedient sich des Binarcodes und verschafft sich wegen der einheitlichen Wortlange schnell verschliisselbare Informationen. Analog verfahren biologische Systeme mit dem Triplettcode. Die Vielfalt der Kombinationen ist durch einen Triplettcode erheblich groBer als bei einem Binkcode. Das ist auch notwendig, um die biologische Komplexitat von einer Generation zur anderen weiter zu vermitteln (Abb. 2, Einfiihrung).
* **
***
metabole (grch.) Veranderung. adaptare (lat.) - anpassen an. mutare (lat.) - wechwln. verandern. ~
11 Grundbegriffe aus der Thermodynamik*
11.l Thermodynamische Zustande und Systeme Die Thermodynamik ist die Lehre von den inneren Energiezustanden von Stoffen oder Stoffsystemen. Zur Beschreibung der Energiezustande dienen ZustandsgroBen wie z.B. Temperatur T , Druckp, Volumen V , Masse m ,elektrische Spannung U , Stromstlrke I. Sie sind in der Regel leicht zu messen. Aus ihnen lassen sich mittels der thermodynamischen Zustandsfunktionen und -gesetze die thermodynamischen Daten, wie die Enthalpien, Entropien oder die Gleichgewichtskonstanten berechnen. Zu beriicksichtigen bei thermodynamischen Betrachtungen ist die Systemart. d . h. oh ein abgeschlossenes, geschlossenes, offenes oder adiabatisch** abgeschlossenes System vorliegt. Diese vier Modellsysteme konnen alle den gleichen Stoff beinhalten. Sie unterscheiden sich aber in ihren Abgrenzungen und der Beschaffenheit ihrer Wande. Abgeschlossene Systeme sind undurchlassig fur Stoffe, Arbeit und Warme. z.B. cine ideale Thermosflasche. - Geschlossene Systeme sind undurchlassig fur Stoffe und durchlassig fur Arbeit und Warme, z. B. Warmetauscher, Heizkorper. - Offene Systeme sind sowohl durchlassig fur Stoffe, als auch fur Arbeit und Warme, z.B. Verdampfer, Lebewesen, biologische Systeme. - Adiabatisch abgeschlossene Systeme sind undurchlassig fur Stoffe und Warme aber durchlassig fur Arbeit, (elektrische Energie, Strahlung), z.B. Akkumulatoren.
-
11.2 Kinetik* von Systemen Sowohl die thermodynamischen als auch die kinetischen Gesetze sind zur Beschreibung von chemischen Reaktionssystemen notig.
*
**
therme (grch.) - Wiirme; dynamis (grch.) Kraft. adiabenein (grch.) nicht hindurchgehcn; in dicsem Falle bedeutet das. dal5 keine Warme hindurchflieBt. ~
~
Die Thermodynamik beschreibt die Zustande eines Systems und vermag dann Zustande miteinander zu vergleichen. Die Kinetik gibt Informationen uber die Art und Weise von Systemveranderungen. Mit ihrer Hilfe konnen zusatzlich Tendenzaussagen uber einen Reaktionsverlauf gemacht werden. Die Kinetik versucht die Gesamtheit der Eigentumlichkeiten von Prozessen zu beschreiben. Im Vordergrund stehen dabei Aussagen uber Zeitabhangigkeit und Tendenz eines Prozesses. Wahrend also durch die Thermodynamik die energetischen und stofflichen Zustande eines Systems vor und nach einer chemischen Reaktion bestimmt werden, verfolgt man mit der Kinetik den VeranderungsprozeB in eincm festgelegten Zeitintervall. Als weitere Variable wird dafur die Zeit eingefuhrt. Der Parameter Zeit ist das Charakteristikum der Reaktionskinetik. An einem einfachen Beispiel moge das erlautert werden. Als Zustandsbeschreibung ist es unbedeutend, ob die Fullhlihe eines Glases mit einer Flussigkeit als halbvoll oder halbleer bezeichnet wird. Aus der Sicht der Kinetik bekommen diese Aussagen eine groBe Bedeutung. Von einem Glas zu sagen, dal3 es halb voll sei, bedeutet, da8 es der Tendenz nach voller wird und nicht leerer.
11 3 Die Verknupfung der Thermodynamik mit der Reaktionskinetik Die Briicke zwischen Thermodynamik und Reaktionskinetik bilden die van't Hoffsche** Reaktionsisotherme, Reaktionsisobare und die Reaktionsisochore.
* **
kinein (grch.) hewefen. Jaccobu\ Henricua van't Hoff (1852-191 I ) . niederliindischer Chemiker. 11.a.Profebsor in Berlin. Fur seine Unterwehungen dcr elektrolytischen DissoLiation und die Entdeckung deb Ge\etLe\ uber den osmoti\chen Druck in vcrdunnten Ldsungen erhielt er I901 den ersten Nobelpreis fur Chemie. ~
11 Grundbegriffe aus der Thermodynamik
Das Massenwirkungsgesetz ist einerseits definiert als der Quotient aus den Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten der Hin- und Ruckreaktion (s. Abschn. 1-10.5). k, K.= k,
Andererseits stehen die Gleichgewichtskonstanten rnit den freien Reaktionsenthalpien durch folgende Gleichung in Beziehung: AG=-RTIn K
Hierin bedeuten AG die Anderung der freien Reaktionsenthalpie, R die universelle Gaskonstante, T die absolute Temperatur und K die Gleichgewichtskonstante. Aus dieser Gleichung lassen sich die van? Hoffsche Reaktionsisotherme, Reaktionsisobare und Reaktionsisochore herleiten* ( s . Abschn. I- 12.3).
11.4 Energiebilanzierung 11.4.1 Der HeBsche Satz Zur Charakterisierung und Bilanzierung von chernischen Reaktionszyklen sind nicht nur Stoffurnsatze, sondern auch die Energieurnsatze von groRem Interesse. Wahrend die Massenbilanzen von chemischen Reaktionen aufgrund der stochiornetrischen Gesetze relativ einfach aufzustellen sind, ist das Erstellen von Energiebilanzen schon schwieriger. Massenveranderungen konnen durch Massenbestimmungen, z. B. durch Wagen oder Volumenmessungen der Ausgangs-, Zwischen- und Endprodukte ermittelt und verfolgt werden. Energiebilanzierungen von chernischen Reaktionsablaufen stoaen auf zwei Schwierigkeiten. Die absoluten inneren Energieinhalte von Stoffen und Stoffsysternen sind von Natur aus nicht bekannt. Es konnen prinzipiell imrner nur die Anderungen der inneren Energie bestirnrnt werden. Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, daR nicht jede Anderung der inneren Energie experirnentell nachvollzogen werden kann. Um Angaben uber Veranderungen von inneren Energien zu machen, rnussen die Ausgangsund Endzustande von Stoffen und Stoffsysternen vor und nach den chemischen oder physikali*
isos (grch.) - gleich, therme (grch.) - Warme. barns (grch.) - Schwere. isobar - gleicher Druck choros (grch.) - Volumen.
135
schen Prozessen genau definiert und beschrieben werden. Das erfolgt in der Regel durch die Angabe von Temperatur, Druck oder Volumen. Die Anderungen innerer Energien von Stoffsysternen konnen experirnentell uber die Bestimrnung von Reaktionswarmen, d. h. zum Beispiel iiber Ternperaturmessungen ermittelt werden. Dieser Methode liegt der HeRsche Satz von den konstanten Warmesurnrnen zugrunde. Er wurde 1840 von H. G. HeR* als Erfahrungssatz, vor der Formulierung des 1. Hauptsatzes der Thermodynarnik, ausgesprochen. Der HeJsche Satz besagt, daJ die aufgenommenen oder freigesetzten Reaktionswarmen von Stofimwandlungsprozessen nur vom Ausgangsund Endzustand des Stoffsystems abhangen und nicht von den Reaktionswegen, d . h . den einzelnen Reaktionszwischenstufen. Aufgrund des HeRschen Satzes ist es also rnoglich, auch Reaktionswarmen von experirnentell nur schwer zuganglichen Stoffumsatzen zu berechnen. Die Berechnungen von Bildungsenthalpien, Reaktionsenthalpien und freien Bildungs- und Reaktionsenthalpien basieren auf dern HeRschen Satz und den therrnodynarnischen Daten.
11-42 Erster Hauptsatz der Thermodynamik** Nach dern Energieerhaltungssatz kann Energie weder gewonnen werden noch verloren gehen. Eine Energieform kann nur in eine andere umgewandelt werden. Eine Sonderstellung nirnrnt die Warmeenergie ein. Sie IaRt sich nicht vollstandig in andere Energieformen, wie Volumenarbeit, chernische Energie, elektrische Energie u. a. iiberfiihren. Ein Restbestandteil bleibt im System
* H.G.Hel3 (1802-18.50), russischer Chcmikcr und Professor an der Universitlt Petersburg. Mediziner in Heilbronn,crkannyon mechanischer te 1842 ala erster das Aquivalen~prin~ip Energie und Wimeenergie. Er berechnete das mechaniache Warmeiiquivalent. J . P. Joule ( I 8 I8 -I 889) war Brauereibesitzer und splter Prasident der Literary and Philosophical Society in ManChester. Durch die verschiedensten experimentellen Untersuchungsmethoden gelang es ihm 1843, den Zahlenwert fur das mechanische Wlrmeiquivalent exakt anzugeben. Unabhangig von Mayer definierte er klar das Energieprinzip. H. von Helmholtz (1821-1894), Militararzt und spdter Inhaber eines Lehrstuhls fur Physik an der Universitat Berlin. sprach 1847 den Zusammenhang zwischen dem Energieprinzip und der Unmoglichkeit eines ,.Perpetuum mobile" aus. Damit war der 1 . Hauptsatz der Thermodynamik als Erfahrungssatz formuliert .
** J . R . Mayer (1814-1878).
136
I Chemische Grundlagen
immer als ,,gebundene Energie" nicht umwandelbar. Dagegen lassen sich alle ubrigen Energieformen vollstandig in Warmeenergie umsetzen. So wie jeder Stoff und jedes Stoffsystem durch die systemeigenen GriiBen Masse und Volumen gekennzeichnet sind, besitzen sie auch ihre systemeigene Energie u . Wie Masse und Volumen, ist auch die innere Energie eine ZustandsgroBe und hangt von den Zustandsvariablen ab: Temperatur Volumen Druck Masse u
V
P m
Unter innerer Energie ist der gesamte Energievorrat eines Systems aufgrund seiner Zustandsvariablen (innere Parameter) zu verstehen. In der chemischen Therrnodynamik sind der Arbeits- und Warmeaustausch bei Stoffumwandlungen mit der Umgebung von besonderem Interesse. Im 1. Hauptsatz der Thermodynamik, der ebenfalls ein Erfahrungssatz ist, ist die Anderung der inneren Energie eines Systems mit den zuoder abgefuhrten Warmeenergien y und den ubrigen Arbeitsenergien w in Zusammenhang gebracht worden. Mit dem 1 . Hauptsatz wird die Sonderstellung der Warmeenergie gegenuber allen anderen Energieformen, wie elektrische Energie, magnetische Energie, Strahlungsenergie, mechanische Energie u. a. herausgestellt. Im Gegensatz zu allen ubrigen Energieformen laat sich die Warmeenergie nicht vollstandig in andere Energien uberfuhren. Er beschreibt ein Naturgesetz und zeigt ein Problem unserer technischen Energieversorgung an. Der 1.: Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daB die Anderung der inneren Energie gleich der Summe der einem System in Form von Warme und/oder Arbeit zu- oder abgefuhrten Energie ist. Die mathematische Formulierung lautet
+
Aw
(1)
Unter Berucksichtigung von differentiellen Anderungen* der inneren Energie eines Systems gilt die Schreibweise
*
+ dw
(2)
Bei chemischen Reaktionen tritt anstelle der Arbeit haufig die Volumenarbeit dw = -p. dv du = dq - p . dv
(3)
Fur Reaktionssysteme, die bei konstantem Volumen, d. h. dv = 0, ablaufen, gilt demnach du = d q
T
= f ( T ; v; m) und u = f ( R p : m )
Au = Aq
du = dq
Mit differentiellen Anderungen sind aolche gemeint. die nur sehr geringe Zustandsanderungen bewirken oder in sehr kleinen Teilschritten erfolgen. Mit ihnen lasren sich reversihle Prmesse nachvollziehen. und sie kKnnen mit Hilfc von L)iffert.ntialgleichungen rnathematisch beschrieben werden.
Die dem System zu- oder abgefuhrte Warme macht sich vollstandig in der Anderung der inneren Energie bemerkbar. Chemische Reaktionen, die bei konstantem Druck ablaufen, spielen in der Natur wie auch in der Prozelitechnik eine groBe Rolle. Bei diesen muB also die erbrachte Volumenarbeit, haufig auch Volumenenergie genannt, bei der Berechnung von Reaktionswarmen mitberiicksichtigt werden. Bei isobaren Prozessen werden die Andemngen der inneren Energie und der Volumenenergie zu einer neuen ZustandsgroBe, der Enthalpieunderung* dh, zusammengefaljt. dh = du
+p
. dv
(4)
11.43 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik Der 1 . Hauptsatz bringt die Sonderstellung der Warmeenergie zum Ausdruck. AuBerdem macht er eine Aussage uber die Umwandelbarkeit von mechanischer Energie in Warmeenergie und umgekehrt. Er macht aber keine Aussage dariiber. welcher Anteil der Warmeenergie sich in mechanische Energie umwandeln laBt und in welche Richtung derartige Vorgange verlaufen. Fallt ein Korper von einem hoheren Niveau auf ein niedrigeres, so wird die potentielle Energie in kinetische Energie uberfuhrt, und letztere wandelt sich beim Aufprall in Warmeenergie um. Dieser Vorgang verlauft freiwillig. Die umgekehrte Richtung ist nicht moglich. Fur alle freiwillig ablaufenden Vorgange ist somit eine ganz bestirnmte Richtung vorgegeben. *
Enthalpcin (grch.) - erwiirmcn. - Diese GroUe wurde 1850 von Rudolf Clauhiur (1822-1888) eingefihrt. Er war Phyaikprofeasor an den Universititen Berlin, Wurrhurp wwie Bonn und an der ETH Zurich. Er prigte auch den Ausdruck der inneren Energie.
1 1 Grundbegriffe aus der Thermodynarnik
Ebenso geht W-eenergie immer nur von einem wbneren Korper zu einem kalteren iiber. R. Clausius' und W. Thornsen** faBten diese Erfahrungen 1850 zu einer allgemeinen Aussage als Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zusammen: Es ist unmoglich, periodisch Arbeit auf Kosten von Warmeenergie zu gewinnen, ohne ahJ diese gleichzeitig von einem warmeren auf ein klilteres ReservoirjlieJt. Zur Bestimmung desjenigen Anteils der Wiirmeenergie, der sich unter vorgegebenen Bedingungen nicht in mechanische Energie (z.B. Arbeit) uberfiihren l u t , ist von R. Clausius 1865 der Begriff der Entropie*** eingefuhrt worden. Damit war die mathematische Formulierung des zweiten Hauptsatzes moglich geworden.
137
Entropie als Man der Zustandswahrscheinlichkeit Die einem System zugefiihrte W-eenergie kann sich z. B. durch Temperaturerhohung, Schmelzvorgange und Verdampfungen auBern. Diese Vorgange sind immer mit einer Zunahme der molekularen Unordnung verbunden. Fiihrt man einem System (Korper) einen bestimmten Wbnebetrag dq bei einer konstanten Temperatur T zu, z.B. zum Schmelzen eines Feststoffes bei der Temperatur T , so erhoht sich nach der Gleichung dq = T.ds,
&=dq T
11.4.4 Entropiebegriff Die Entropie, S, kann als der Kapazitatsfaktor der thermischen Energie (Wbneenergie) aufgefaBt werden, wahrend die Temperatur der Intensitatsfaktor ist. Die therrnische Energie setzt sich aus dem Produkt dieses Kapazitats- und Intensitatsfaktors zusammen. = Kapazitatsfaktor Energie Thermische = EntropieEnergie menge
= s
¶
x x
Ternperatur Ternperatur
As>O
. T
Fur differentielle Anderungen gilt also d9
= s
dT
d9
= T
ds
(5)
Durchflieljt eine gegebene Entropiemenge s ein Temperaturgefalle dT, so wird dabei die thermische Energie dq frei. Die Einheit der Entropie ist Joule durch Kelvin (J K-'). Die Entropie ist ebenfalls e k e ZustandsgroBe. Das bedeutet, daB jedes System, genauso wie es eine Masse, ein Volumen, eine Temperatur oder eine innere Energie besitzt, auch durch eine bestimmte Entropie charakterisiert ist. s = f ( T ; v ; rn) und s = f ( T ; p ; rn)
*
** ***
auch die Entropie urn den Betrag ds. Die Entropie kann somit auch als ein Ma8 fur die Unordnung eines Systems angesehen werden. In der Natur sind ungeordnete Zustande wahrscheinlicher als geordnete. Da freiwillig ablaufende Vorgange sich immer von einem geordneten in einen ungeordneteren Zustand vollziehen, sind sie immer mit einer Entropiezunahme verbunden.
R. J. E. Clausius (1822-1888). Physiker und Professor in Zurich, Wiirzburg und Bonn. Mitschopfer der mechanischen W h e t h e o r i e . W. Thomsen (Lord Kelvin; 1824-1907), Physikprofessor in Glasgow. entrepein (grch.) - umkehren.
Hieraus folgt eine weitere Formulierung des 2 . Hauptsatzes. Bei freiwillig verlaufenden Vorgangen erhoht sich stets die Entropie des Systems und strebt einem Hochstwert zu. Bei abgeschlossenen Systemen, die mit ihrer Umgebung weder in einem Stoff- noch Energieaustausch stehen - ist im Gleichgewichtszustand die Entropieanderung gleich Null. ds = 0
Reaktionsentropie Jeder Stoff besitzt einen ganz bestimmten Entropieinhalt, der unter definierten Zustandsbedingungen exakt angegeben werden kann. Entsprechend kommt auch den Reaktanden eines Ausgangsgemisches eine bestimmte Entropie zu, die sich aus der Summe der Entropien der einzelnen Reaktanden zusammensetzt. Das gleiche gilt fur die Endstoffe eines Reaktionssystems. Die Anderung des Energievorrates wiihrend der Reaktion, die Reaktionsentropie, ist also gleich der Differenz aus den Summen der
138
I Chemische Grundlagen
Entropien der Endstoffe und den Summen der Entropien der Ausgangsstoffe* . AS = Z tiESki- Z n,,, S ,
(7)
11.45 Freie Reaktionsenergie und freie Reaktionsenthalpie Chemische Reaktionen sind immer mit Energieumsatzen verbunden, die sich in freiwerdenden oder aufgenommenen Reaktionswarmen BuRern. Ein Teil dieser bei Stoffurnwandlungen umgesetzten Warmeenergien lafit sich in die verschiedensten Energieformen, also in Nutzarbeit wNutroder elektrische Arbeit umwandeln, wahrend ein anderer Teil nur als Warme an die Umgebung abgegeben wird und nicht in Nutzarbeit uberfuhrt werden kann. Die umgesetzten Reaktionsenergien bei chemischen Prozessen setzen sich aus einem freien Energieanteil, der als Arbeit genutzt werden kann, und aus einem gebundenen Energieanteil, das ist diejenige Wmeenergie, die nicht in Arbeit umgewandelt werden kann, zusammen. Reaktions- = freie Reaktionsenergie energie A1lRerltiwi
=
Reaktionsenergie
+ AqC2chrlnct~.n
= T.ds
lautet die mathematische Formulierung dUReaktlon = dcc’,,,,
-t
7 ’ ds
Das ist die Reaktionsenergie fur einen isothermisochoren Reaktionsablauf. Da die freie Reaktionsenergie wichtige Aussagen iiber die Triebkraft von isotherm-isochoren Prozessen macht, wird sie durch das Symbol f ** hervorgehoben: du df
*
**
= df = du
+ -
T,ds 7 . d ~
dh = du
+ p.dv
Auch in diesem Fall setzt sich die Anderung der Reaktionsenthalpie aus einem freien Teil, der freien Reaktionsenthalpie mit dem Symbol g und dern gebundenen Tei1.zusammen. Fur differentielle Anderungen lautet die Gleichung dhRcau,,,,,
= dh,,, + dhgc~Lx,,,c,,
dh,,,,
= dg It. Definition
( 1Oa)
Aus dem ersten Hauptsatz lafit sich fur isotherme Prozesse herleiten
du
Fur differentielle Anderungen und unter Beriicksichtigung des 2 . Hauptsatzes dq
Fur chemische Reaktionen, die isobar verlaufen, wurde die Anderung der inneren Energie u und die dabei zu verrichtende Volumenarbeit zu einer neuen ZustandsgroIJe zusammengefafit, s. auch G1. (4).
= dw =
+ p.dv
+ dq
-p . dv
+
T . ds
= T.ds
(8)
Aus den dargelegten Uberlegungen und dem 1. Hauptsatz folgt =
f = f ( T : 1’; u ) .
drr d11
+ gebundene + Aq!,,,”,,,,,,
A’frc,
J’ist ebenfalls eine Zustandsfunktion.
(9)
Die mathematische Gleichung fur die freie Reaktionsenthalpie kann man demnach schreiben als, wenn GI. 10b in GI. 10a eingesetzt wird dhR,;,,,,,,, = dg
+
T . ds
dl:
-
T . ds
(11)
Fur isotherm-isobare Vorgange ist die freie Reaktionsenthalpie diejenige Nutzarbeit, die eine chemische Reaktion auf Kosten ihrer inneren Energie unter Beriicksichtigung der Volumenarbeit zu verrichten vermag. Die Gleichungen (9) und (1 1 ) df dX
= du - T . ds und = dh - T.d.5
sind unter dem Namen Gibbs*-Helmholtzsche Gleichungen oder thermodynamische Zustdndsfunktionen bekannt.
* Index .,E‘ steht fur die Endstoffe und ..A‘ fur Ausgangsstoffe. n ist die Stoffmenge in mol der an drr Reaktion heteiligten Komponenten. Nicht LU verwechseln mit Beseichnung fur Funktionen. z.B.,f(x) = x’.
= dh
J . W. Gibha (1839-190.1). Professor fur mathem. Physik an dcr Yale-UnivcrsitaUUSA. Er gehorte zu den maageblichen Begandern drr Thermodynamik und fuhrte thermodynamische Berechnungen chemischer Vorglnge auf hreiter Basis durch. Er stellte die Phasenregcl fur heterogene Gleichgewichtszustlnde auf.
11 Grundbegriffe aus der Thermodynamik
Sie sind die Fundamentalgleichungen der chemischen Thermodynamik. Mit ihrer Anwendung konnen die Nutzarbeiten chemischer Reaktionen berechnet werden. Die Berechnung dieser thermodynamischen GroBen erfolgt uber die Bestimmung der kalorischen GroBen wie Reaktionsenergie, -enthalpie und -entropie, die wiederum auf Messungen von Temperatur-, Druck- und Volumenanderungen beruhen. Je nachdem, ob bei chemischen Reaktionen Enthalpien vom Reaktionssystem abgegeben oder aufgenommen werden, d. h. ob sie negativ oder positiv sind, spricht man von exothermen Reaktionen oder von endothermen Reaktionen
Ah = (-) Ah = (+)
139
Zwischen den Molwbnen von idealen Gasen fur isobare und isochore Temperaturanderungen besteht die Beziehung C" - c,. = p . d V
Fur pdV folgt aus der thermischen Zustandsgleichung fur ideale Gase bezogen auf 1 mol pV p.dV
=RT = R.dT,
laut Definition der M o l w m e ist dT = 1 K, und somit ist p.dV
= R
J C,. = R = 8 , 3 1 mol . K
Prozesse mit negativen freien Reaktionsenthalpien heil3en exergonisch, die mit positiven freien Reaktionsenthalpien werden endergonisch genannt.
C,
exergonisch endergonisch
11.4.6 Berechnung von Enthalpien und Entropien
Werden die Stoffumsatze immer auf 1 mol einer jeweiligen Reaktionskomponente bezogen, dann werden anstelle der kleinen Buchstaben fur die Symbole groRe Buchstaben verwendet. Die Gibbs-Helmholtzschen Gleichungen lauten demnach fur molare Umsatze:
Unter Bildungsenthalpie wird diejenige Bildungswbne verstanden, die bei der Bildung chemischer Verbindungen aus den Elementen unter isobaren Bedingungen von diesen aus der Umgebung aufgenommen oder an diese abgegeben wird. Sie wird bei molarem Umsatz mit dem Symbol ABH bezeichnet. Jeder Stoff hat einen bestimmten inneren Energieinhalt. Die absoluten Werte dieser inneren Energie sind nicht .bekannt. Wie schon erwiihnt, konnen nur die Anderungen der Energieinhalte gemessen oder berechnet werden. Es kann bei Stoffumsatzen bzw. Stoffveranderungen nur ermittelt werden, ob von den Reaktionskomponenten Wkneenergien abgegeben oder aufgenommen werden. Urn zu vergleichbaren BezugsgroBen zu gelangen, werden die inneren Energien aller chemischen Elemente vereinbarungsgemiiI3 gleich Null gesetzt . Kommt ein Element in verschiedenen Modifikationen vor, wird unter den jeweiligen Zustandsbedingungen die stabilste Modifikation als Bezugselement ausgewahlt, z. B. f i r Kohlenstoff Graphit. Fur die Standardbildungsenthalpie,d. h. unter den Bedingungen bei p = 1,013bar des gilt also ABHn,,, = 0. Kohlenstoffs CGraphit Daraus ergibt sich fur den Kohlenstoff in der Diamantmodifikation CDiamant
AF
= A U - T.AS AG = AH- T.AS
oder fur differentielle Umsatze d F = dU - T ' d S dG = dH - T . d S
Der Zusammenhang zwischen der freien Reaktionsenergie und -enthalpie besteht iiber die Volumenarbeit bzw. uber die Nutzarbeit. Unter Beriicksichtigung von d f i = dU
+ p.dV
gilt: dG = dU
dF = d U dG
-
+
p.dV- T'dS - T.dS
d F = p . d V = dWN,,,
(12)
Analog gilt fur den Zusammenhang zwischen der Reaktionsenthalpie und -energie dH
-
dU = p * d V
(13)
-
(s. Abschn. 11-3.5).
ABH0Z9R =
+ 1,8966 J/mol
140
I Chemische Grundlagen
Um die Bildungsenthalpien der verschiedensten chemischen Verbindungen miteinander vergleichen zu konnen, mussen auch die Zustandsbedingungen, namlich der Druck und die Temperatur, angegeben werden. Hier wird zwischen den Standardbildungsenthalpien &HOT und - den Normalbildungsenthalpien &HoZYK
und der Summe der molaren Bildungsenthalpien der Ausgangsstoffe
zn,ABHoZYH
Au5g.,ng,rtc,ffr
AKHoZUX = Z n,A,H"ZUx- Z n,ABHoZyX Cnd,tolfe
(15)
Au%g.mg%\tofte
-
unterschieden. Die Standardbildungsenthalpie bezieht sich immer auf einen Druck von 1 ,013 bar, wobei die Bezugstemperatur T als Index anzugeben ist. Die Normalbildungsenthalpie ist immer auf einen Druck von 1,O 13bar und eine Reaktionstemperatur von 298,15 K bezogen. Die Bildungsenthalpien werden in der Regel kalorimetrisch ermittelt. 1st dies nicht moglich, konnen sie aufgrund des Heljschen Satzes unter Hinzuziehen der Reaktionsenthalpien errechnet werden. Beispiel: Die Normalbildungsenthalpie von Wasser aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff wurde kalorimetrisch bestimmt.
Beispiel: Berechnung der Reaktionsenthalpie fur die Verbrennung von Hexan rnit Luftsauerstoff 2 GH14i1i+ 19 0
~
g
i
-
12 COz,e)+ 14 HZOII,
Bildungsenthalpien A s p z y X linke Seite: 2 . (-198,82) kJ/mol + 19. (0) kJ/mol rechte Seite: 12. (-39331) kJ/mol + 14. (-285,83) kJ/mol Summe der Bildungsenthalpien I:n,ARL'0298., Ausgangsstoffe: -397,64 Hlmol
Endstoffe: -8723.74 kJlmo1
Reaktionsenthalpie ARH'IY, ena an = -8723,4 kJ/mol - (-397,64 kJ/mol) = -8326,l kJ/mol Da laut Reaktionsgleichung von 2 mol Hexan ausgegangen wurde, muR der Wert der Reaktionsenthalpie durch 2 dividiert werden, urn die molare Reaktionsenthalpie zu erhalten.
Bestimmung von Reaktionsenthalpien Die Reaktionsenthalpien konnen entweder experimentell rnit kalorimetrischen Methoden ermittelt oder aus den Bildungsenthalpien berechnet werden. Und zwar miissen die Bildungsenthalpien der Ausgangsstoffe und der Endstoffe eines chemischen Reaktionssystenis bei gleichen Zustandsbedingungen bekannt sein. Unter Anwendung des Hebschen Satzes ist die Reaktionsenthalpie gleich der Differenz der Summe der molaren Bildungsenthalpien der Endstoffe
zn,ABH02yX.
**
E ~ ~ . L < ~ I I ~
* **
Die Indizes g. I und s stehen fur die Aggregatmstande gasformig. tlussig (liquid) und fest (solid) eines Stoffes. Der Index .,i" steht fur die jeweilige Reaktionskomponente.
8326,l kJ kJ/mol A ~ H= ~ ) ~ ~ = -4163 ~ 2 mol ~
Berechnung der Bildungsenthalpie LaSt sich die Bildungsenthalpie einer Verbindung nicht so ohne weiteres experimentell ermitteln, kann man sie unter Hinzuziehen der Reaktionsenthalpie berechnen, wenn die Bildungsenthalpien der ubrigen Reaktionskomponenten bekannt sind. Beispiel: Berechnung der Bildungsenthalpie fur Brenztraubensaure Die Verbrennungsreaktion von Brenztraubensaure verlauft nach folgender Reaktionsgleichung: 2 CH,-C-COOH(l) II
0
+ 5 02(,)
-
6 CO2(,i + 4 HzOoi
141
1 1 Grundbegriffeaus der Thermodynamik
Die Bildungsenthalpie von Wasser ist
In der Umkehrung dieser Aussage bedeutet das, daB fur Temperaturen oberhalb Null Kelvin fur jeden Stoff ein Entropiewert existieren muB. Die mathematische Formulierung des 3. Hauptsatzes lautet
ABHnz,, = -285,83 kJ/mol
limS = 0
Die Reaktionsenthalpie betragt ARHoZsX= -1168 kJ/mol.
(16)
T-0
und von Kohlenstoffdioxid ABHn,,, = -39331 kJ/mol.
Auf der Basis des HeBschen Satzes lautet die mathematische Gleichung f i r die Normalreaktionsenthalpie der Brenztraubensaure* :
Der 3. Hauptsatz macht verstandlich, warum rnit dem Entropieinhalt eines Stoffes unmittelbar der Temperaturbegriff verknupft ist. Der 3. Hauptsatz ist auch unter der Bezeichnung ,,Nernstsches Wiirmetheorem" in die Thermodynamik eingegangen*.
2 &H"zYx.BTS = 6 ABH"zY,,KD + 4 ABH'Z,~.w - 2 A B H ~ ~ Y ~ ~ . B T S
Gesucht ist die Bildungsenthalpie fur Brenztraubensaure, BTS. Entsprechend wird diese Gleichung umgestellt: 2 ABH"ZY,. BTS = 2 ABH*Zyx.eTS = 2 ABH"2,,. B~~ = 2 ABHo2,,, BTS = ABH'~,,, BTS =
- 2 ARHOm,. el-s + 4 ABH~ZY,, w 6 ABH'z,,, KD 6 (-39351 kJ/rnol) + 4 (-285,83 kJ/rnol) - 2 (-1168 kJ/mol) + 2336 kJ/mol - 1143,3 kJ/mol -2361 ,I kJ/rnol -1 168,4 kJ/mol -584,2 kJ/mol
Der 3. Hauptsatz - Berechnung der Reaktionsentropie
Die molare Reaktionsentropie errechnet sich also nach folgender Gleichung
Die Reaktionsentropien konnen nach dem gleichen Rechenverfahren ermittelt werden wie die Reaktionsenthalpien, wenn die Entropiewerte der einzelnen Ausgangs- und Endstoffe einer chemischen Reaktion bekannt sind. Im Gegensatz zu den Enthalpien wird hier rnit den absoluten Entropiewerten der Reaktanden gerechnet. Auch die chernischen Elernente besitzen bei den jeweiligen Zustandsbedingungen bestimrnte Entropiegehalte. Dieser Tatbestand ist auf den 3 . Hauptsatz der Thermodynamik zuriickzufuhren. Er besagt, daB die Entropien aller Stoffe im Idealfall mit fortschreitender Ann2herung an den absoluten Nullpunkt dem Wert Null zustreben.
AB9298
Es wird ebenfalls wieder zwischen Standardund Nonnalreaktionsentropien unterschieden . Beispiel: Berechnung der Reaktionsentropie fur die Verbrennung von Hexan 2 ChH14(1, + 19 OzcU,
-
12 COZca,+ 14 H20c1)
Die Nonnalentropien sind n,5"so,,,.,, in J/(mol * K)
*
Wasser.
ni9298.,u,$ang~~totfe
(17)
2 . (296)
* BTS Brenztraubensaure: KD Kohlenstoffdioxid; W
= z n,pZY8,End\roffe -
19. (205,033
-
12. (21359)
14. (6991)
W. Nernst (1864-1941), Professor fiir physikalische Chemie in Gottingen und spater fur Experirnentalphysik an der Universitat Berlin. 1906 wurde van ihm der 3 . Hauptsatz ausgesprochen und 1911 von dem deutschen Physiker M . Planck mathernatisch definiert. M. Planck (1858-1947), Professor fur theoretische Physik an der Universitat Berlin.
142
I Chemische Grundlagen
Die Surnrne der Norrnalentropien Z n,S)r9x,, Daraus folgt fur die freie Reaktionsenthalpie ist fur Ausgangsstoffe:
Endstoffe:
448737 J/(mol K)
354 1 $2 J/( mol K)
Die Reaktionsentropie betragt:
AnS)2qx= 3541.82
-
4487,57
= -945.75 J/(mol K) bzw. auf I Mol bezogen =
4.4728 kJ/(K. rnol)
Berechnung der freien Bildungs- und Reaktionsenthalpie Wie bei den anderen therrnodynarnischen Zustandsgroaen dienen als definierte BezugsgroBen die
AKG”25)X = -8052,84 - (-8.56) = -8044.28 kJ/mol
bzw. auf 1 mol bezogen -4022,14 kJ/rnol. Die Standard- und Norrnalwerte fur die Bildungs- und Reaktionsenthalpien sowie fur die entsprechenden Bildungs- und Reaktionsentropien und die freien Bildungs- und Reaktionsenthalpien sind, soweit sie bekannt sind, in Tabellenwerken fur therrnodynarnische Daten aufgefuhrt. Aus der Gibbs-Helmholtzschen Gleichung (Gl. 11) kann sehr einfach der gebundene und der freie Anteil der Reaktionsenthalpie errechnet werden.
freien Standardbildungsenthalpien A , d ’ , und die + gebundene Reaktions- = freie freien Norrnalbildungsenthalpien ARG02LJX enthalpie ReaktionsReaktionssowie die enthalpie enthalpie freien Standardreaktionsenthalpien ARC0, und die - 4163,05 kJ/mol freien Normalreaktionsenthalpien A,6’,,, = - 4022,14 kJ/mol + 298.15 K . (- 0,47288) kJ/(K rnol) Die freien Bildungsenthalpien der chernischen Elernente sind definitionsgemaa wieder gleich - 4 163.05 kJ/mol Null gesetzt. = - 4022,14 kJ/mol - 140,99 kJ/mol Es konnen nur die Anderungen der freien Bildungs- oder Reaktionsenthalpien bestirnrnt werBei der Verbrennung von 1 mol Hexan, das den. Absolute Werte gibt es nicht. Sind die freien sind 86g, werden bei einer Ternperatur von Bildungsenthalpien der Ausgangs- und Endstoffe 298,15 K 4163 kJ Wiirmeenergie freigesetzt. eines Reaktionsablaufs bekannt, so gilt wieder Von diesen lassen sich theoretisch 4022 kJ unnachstehende Gleichung fur die Berechnung der rnittelbar in Nutzarbeit umsetzen. 141kJ konnen rnolaren freien Reaktionsenthalpie. nicht in Arbeit urngewandelt werden. Vergaserkraftstoffe enthalten betrachtliche AR@29x = niABC2’2c,H. - n,ABG’29x. (18) ~.ndbtl,rrc A””gil,lg,Anteile Hexan. Nirnrnt man an, daa reines Hexan ,l 0 oder a < 0 ist, handelt es sich urn eine Wachstums- oder Abklingfunktion. Die ijberlagerungsfunktionen entstehen durch Addition oder Substraktion zweier oder mehrerer Ausgleichsfunktionen (Beispiele Abb. 1-37 bis 141).
12.2.2 Ausgleichsvorgange mit linearem Verlauf Ausgleichsvorgange mit linearem Verlauf gehorchen der Funktion A,=C.t+B
Die Steigung C beinhaltet haufig phanomenspezifische Konstanten (Abb. 1-31). Die Widerstandsfaktoren treten beim Stoffund Energietausch insbesondere an den Grenzflachen auf, bei einem Informationsaustausch an den Schnittstellen. Viele Ausgleichsvorghge setzen sich aus gleichgerichtet und entgegengesetzt wirkenden dynamischen Teilprozessen zusammen. Ihre mathematischen Funktionen sind entsprechend kompliziert und ihre Losung erfordert einen groBeren rechnerischen Aufwand. Zu ihnen zahlen unter anderem die ijberlagerungsfunktionen. Uberlagerungsfunktionen dienen auch zur Erfassung von Speichervorgangen. Eine Speicherung tritt irnmer dann auf, wenn sich der Abnahmeprozess gegeniiber dem Zuwachsprozess verzogert, z. B. bei Vermehrungsfunktionen von Mikroorganismen, der Zunahme der Weltbevolkerung oder der Verweilzeit eines Arzneimittels im Organismus.
12.2.3 Wachstumsprozesse Unlimitiertes Wachstum Unlimitierte Wachstumsprozesse gehorchen der Beziehung: A, = A o . e"'
*
Es bedeuten:
I
A,
A, a C
B
= Zeit als unabhagige Variable der Funktion = Zustand des Vorganges zur Zeit t = Zustand des Systems zur Anfangszeit r=O = Ausgleichskonstante = Steigung der Geraden = Konstante (Abschnitt auf der Ordinaten)
I Chemische Grundlagen
Rate 1st unabhang,gvon der Menge
4
Menge
Zeit
E
'5 m
P
r 0
L
m
E,
a
Abb. 1-29. Vergleich zwischen verschiedenen Ratensatzen. a) unabhangig von der Menge, b) lineare Ratenzunahme, c ) quadratische Ratenzunahme.
*
Abb. 1-30. Vergleich zwischen linearen (a), exponentiellen (b) und hyperbolischen ( c ) Wachstumsfunkt ionen.
a (grch.) - nicht; syn (grch.) - zusarnrnen; piptein (grch.) fallen. asymptome ~
~
nicht zusammenfallen; Nahemngsgrade
12 Vergleichbare mathematische Funktionen
149
Beispiele*: Ohmsches Gesetz AC AU -= -=[ A1 R
A(t) = 27
Diffusion nach Fick (station&)
W iirmeubertragung
Filtration AV -=-
P~-P[
At
Wk
t
Abb. 1-31. Linearer Ausgleichsvorgang. A(t)
= hEXP(0.4t)
26 24 -
5
2220 18 16 14-
Q 1210 -
8-
64-
2 0 0
I
1
I
I
2
1
I
I
3
I
4
t
Abb. 1-32. Unlimitiertes Wachstum.
Hierbei handelt es sich um Wachstumsvorgiinge, die keinem Endzustand zustreben, z. B. wenn die Potentialdifferenzen sich nicht ausgleichen (Abb. 1-32).
* Es
1
~~~~~~
= Widerstand I = Strornstiirke t =&it n = Anzahl der diffundierenden Teilchen c = Konzentration q = Querschnitt an der hrgangsflache T = Temperatur in Kelvin
x
= Diffusionsstrecke
D = Diffusionskoeffizient Q = Wmernenge 1 = Schichtdichte der Wglrmedurchgangsflache q V = Filratvolumen Ap = Filrationsdruck (p2-p1) W, = Widerstand des Filterkuchens A = Wiirmeleitzahl
150
I Chemische Grundlagen
Beispiele fur unlimitiertes Wachstum sind:***
- Zellteilung
- Konzentrationszunahme eines chemischen Reaktionsproduktes, z. B. bei einer Autokata-
lyse, einer Esterhydrolyse, deren Reaktionsgeschwindigkeit durch die gebildeten Wasserstoffionen beschleunigt wird oder der Rubenbzw. Rohrzuckerhydrolyse.
1 r'.
dc
- = a!
dr
-
.c ;
-
dT
In?
- Kapitalvermehrung durch Verzinsung
K, = KO . eh' ; 6 =In(l-v)
I
;dc =a!sdt
Dampfdruckzunahme bei steigender Temperatur (Clausius-Clapeyron*-Gleichung) dlnp
N , = No . e"
AHv
RT'
-
Weitere Beispiele sind die van't Hoff'sche* Reaktionsisobare, Reaktionsisochore und Reaktionsisotherme (s. Abschn. 1-1 1.3 u. 11.4).** Die Reaktionsisobare driickt den Zusammenhang der Gleichgewichtskonstaten (kp, k,, k,) in Abhangigkeit von der Temperatur bei konstantem Druck aus.
Die Reaktionsisochore stellt den Zusammenhang zwischen der Gleichgewichtskonstanten und der Temperatur bei konstantem Volumen her.
_-AHV
p(T) =p(To).e
RT
- Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeitskon-
stanten bei steigender Temperatur (Arrhenius**-Gleichung) dlnk
-
dT
E
(drTkc) - A d v RT' ~
Die Reaktionsisotherme bringt den Zusammenhang zwischen der Gleichgewichtskonstanten und dem Druck bei konstanter Temperatur zum Ausdruck.
RT2 AV
E -~
k(t)
=H.e
Rr
- Bevolkerungszunahme
dB
-=P.B dt
B,
* ** ***
= B, . eBr
Clqxyron, Benoit. Pierre, Emile (1799-1864). frz. Ingenieur. Clausius, Rudolf ( I 822 - 1888). dtsch. Physiker. Arrhenius, August, Svante (1859-1927), schwed. Physikochemiker. Essind: H , = Verdampfungsenthalpie E = Aktivierungsenergie k = Reaktionsgeqchwindigkeitskonstante H = Haufigkeitsfaktor B, = aktuelle BevBlkerungszahl in Jahren B, = Bevolkerung zur Zeit t,, /3 = Wachstumsrate zuc Zeit 0,01 1 pro Jahr
7'
RT
Herleitung der Zinses-Zins-Gleichungin exponentieller Schreibweise*: KO K,
Anfangskapital zur Zeit f = 0; Kapital nach t Jahren
r
(Zinssatz) =
~
P 100
Nach einem Jahr hat sich das Anfangskapital K,, vermehrt um
* Hoff, van't, Jacobus Hendricus (1852-191 I ) , niederl. Chemiker. (grch.) - gleich; baros (grch.) - Schwerc, Druck; choros (grch.) - Platz, Raum; therme (grch.) - W h e .
** isos
12 Vergleichbare mathematische Funktionen nach zwei Jahren Kz
= K,
+ K, . r = K, (1 + r) = KO(l+r)'
Aus Gleichung (1) folgt dann, wenn At = td und Nt = 2 No gesetzt: 2 No
In-=
nach t Jahren K,
= K,-I
In2
=p.td
Id
In 2 - -
Logarithmierung der letzten Gleichung ergibt:
CL
In K , = In KO+ t . ln(l+r)
Wenn In( 1 + r ) = S
gesetzt wird, dann folgt
=InKO+t.6
Durch Entlogarithmieren wird die ZinsesZins-Gleichung in exponentieller Schreibweise erhalten: K, = Ku.es
p.td
NO
+ K,- .r = Kt- , ( l + r )= KO(l+r)'
InK,
15 1
S = In( 1+2)
In 2 P
= -
p
= n.ln2 1 - Teilungsrate, entspricht dem rezi-
n
td
rd
proken Wert der Verdoppelungszeit.
Gleichung (2) in Gleichung (1) eingesetzt, ergibt N,
= NO.en
In
Ar
Zellteilung als unlimitiertesWachstum Herleitung der expunentiellen Wachstumsfunktion uhne Berucksichtigung der Sterberate *:
Limitiertes Wachstum
Der Zuwachs der Zellen dN in der Zeit dt ist der Anzahl der Zellen N , zur Zeit t direkt proportional. Es gilt somit
Limitiertes Wachstum strebt immer einen Endzustand an. Die zugehorige Funktionsgleichung (Abb. I33)
cW-N
A,
= A;(l-e-"')
cW- dt dN-N.dt
laBt sich wie folgt herleiten:
Einfiihrung der Proportionskonstanten p als spezifischer Wachstumsrate ergibt
-
dt
= a@-A,)
Integration der Differentialgleichung
dr
nach Trennung der Variablen und Einfuhrung der Integrationsgrenzen
cW= p . N . dt Differentialgleichungen werden durch Integration gelost.
A,
0
t
* Nt In - = p At NO
Es sind: N , = Zellzahl zum Zeitpunkt f n = Anzahl der Zellteilungen in der 1
Zeiteinheit = Teilungsrate n = t
f,
Berechnung der Verdoppelungszeit td. Das ist die Zeit, in der sich die Anzahl der Zellen N, zur Zeit t bzw. eine Biomasse verdoppelt hat.
= Zeit = Verdoppelungszeit der E l l -
Id
masse = Generationszeit [h] = spezifische Wachstumsrate [h-1] K, = Kapital zum Zeitpunkt I k, = Anfangskapital 6 = Wachstums- bzw. Zinsintensitat p
152
I Chemische Grundlagen A.
I
-In(A,-A,)
I
=ar
A,
I
fiirr=OistA,=O, fiirr=r istA,=A,
0
Einsetzen der Grenzen fuhrt zu -[[ln(A,-O)]-[In(A,-A,)]]= In Ae - In [A, -A,]
[a.O-ar] = at
Bei biologischen, pharmakokinetischen, chemischen, technischen, okonomischen und soziologischen Prozessen bleibt der treibende Gradient in der Regel nicht konstant; er andert sich ebenfalls mit der Zeit. Das wird mathematisch durch einen zeitabhiingigen Proportionalitatsfaktor ausgedriickt, z. B. A(?) bzw. a(t).Die entsprechende Exponentialfunktionen bekommen folgende Formel:
= at
Die bisher vorliegenden Daten uber die Verbreitung der mit dem Aidsvirus infizierten und erkrankten Menschen scheint ebenfalls dem Ge-
Beispiele fur limitierte Wachstumsvorgiinge sind*:
*
- freier Fall
- Kondensatoraufladung
Es sind: V, = Fallgeschwindigkeit Lur Zeit t V, = End-Fallgeschwindigkeit p = Reibungskoeffizient rn = Masse des fallenden Korpers U , = Spannung am Kondensator zur &it Uc = anliegende Endspannung
f
1 = Zeitkonstante; R = Widerstand; C = Kondensator-
RC kapazitat p, = spezifische Wachstumsrate [h-'1 S = Konzentration des wachstumslimitierenden Substrats [g . L-I1 K , = Substratkonzentration bei maximaler Wachstumsrate p,,,,. A, = Grenzkonzentration (mogliche Endkonzentration
- limitiertes Zellwachstum (Abb. 1-34 und 1-35)
A(t) = 1 .Jr(l-EXP(-t)) .,-
14
-
GrenzkonzentrationA,
13
I .2 1.2 1.1
-
11.0 .o -
0,8 0.6 0.5 0.3
0.2 0.1 0.0 0
1
2
t
3
Abb. 1-33.Limitiertes Wachs-
tum.
12 Vergleichbare mathematische Funktionen
0
3
2
1
Abb. 1-34. Beispiel fur ein limitiertes Zellwachstum.
4
t
'/*
153
'ID
loo
An Eftragsblldung
100
belelligl:
-90
++-I4
- 80 --+
- 70
Y
-60
- 50 - 40 - 30
50
-20 10 .Gnaml-N-Aufnahmo"
0
April
Mai
Juni
Juli
naChStURWundJUNG .Elnlage?ung def Acslmllatr" nad~ STOY
August
Abb. 1-35. Stickstoffaufnahmeund Assimilateinlagerung*im Weizenkorn w2hrend der Wachstumsphase. (Quelle: Manzenschutz (1992) Folienserie des Fonds der chemischen Industrie, Karlstr. 21, Frankfurt am Main)
*
Assimilatio (lar.) - Angleichung. Urnwandlung.
154
I Chemische Grundlagen
setz des limitierten Wachstums zu gehorchen (Abb. 1-36). Das lafit einerseits eine Prognose uber die noch zu erwartende Aidsausbreitung zu, andererseits kann auch zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Selbstimmunisierung der Menschen erwartet werden. Nimmt man eine konstante Inkubationszeit von 7 Jahren an, so zeigt die gestrichelte Kurve den plotzlichen Anstieg des Aids-kankheitsverlaufs.
A(t) = 5+EXP(0.8t)
6 1 5
4 c h
7
3
2 1
0
I /-
1
0
loo
2
3
4
t
Abb. 1-37. Abklingfunktion.
Beispiele fur Abklingvorgange sind:* Konzentrationsabnahme einer Substanz wahrend einer chemischen Reaktion
-
5
0
I
I
10
15
t [Jahre]
Abb. 1-36. HIV*-Inzidenz (Aids-Erkrankung), (Quelle: Fricke, J. (1988) Modelle zur Seuche Aids, Physik in unserer Zeit, 19. Jg. Nr. 3.)
C, ( t ) =
c,., . e-k'
- radioaktiver Zerfall
Beriicksichtigt man die realistischere Erkrankungsfunktion, so steigt die Aids-Erkrankungskurve zunachst schneller, zu spateren Zeitpunkten langsamer an, als die urn 7 Jahre versetzte Sprung-Funktion.
cw -
dt
N, -
12.2.4 Abklingvorgange A,=Ao.e
Vorgange, die von einer gegebenen Grundgesamtheit A" beim Zeitpunkt to starten und die zeitliche Abnahme der Grundgesamtheit darstellen, werden als Abklingvorgange oder auch Degressionen** bezeichnet. Ihre Vorgange werden vielfach durch lineare Differentialgleichungen beschrieben, deren Losung eine fallende Exponentialfunktion ergibt (Abb. 1-37). * HIV, Human Immunodeficiency Virus. **
incisio (lat.) - einschneiden, einfallen; lnridenz bezeichnet die Anzahl neuer Erkrankungsfalle in der Zeiteinheit. degredi (lat.) - herabschreiten.
= N,, . e
Kondensatorentladung U,
04'
=A.N
=U,,.e
I - RC _
- Lichtabsorption Jd
-
=Jo.e-k'd
Barometrische Hohenformel _ _m - g nh
=n,.e
kT
'h
Eine Erweiterung des Giiltigkeitsbereichs des barometrischen Hohensatzes fuhrt zum Boltschmannschen e-Satz.
12 Vergleichbare rnathematische Funktionen
155
AuswaschprozeB von kontinuierlichen Biokult uren
-
x, = x, .
e-(D-
X"
- Tilgungen
K --K , e- 6 1 . , ,
10
In X, - In X, = ( p - D ) (t - ro)
S=ln(l+r)
Xt In X,
= ( p - D ) At
=xo.
e(w-n)Af
Herleitung der Gleichung fur den AuswaschprozeBvon kontinuierlichen Biokulturen
Xl
Die Anderung der Biomassekonzentration dX ist direkt proportional der Ausgangskonzentration X ( t ) zu Zeit t und der Auswaschzeit dt.
Uberlagerungs- bzw. Ubergangsprozesse entwickeln sich im Zusammenwirken von Wachsturns- und Abklingvorgangen. Aus den entsprechenden Wachstumsfunktionen werden Ubergangsfunktionen, wenn der WachstumsprozeB durch parallel laufende Abklingvorgange kompensiert wird (Abb. 1-38 und 1-39). In den Phasen A, B, C und D ist die Vitalitat eines Systems erheblich stiirker als die Mortalita* (Sterblichkeit). In der Phase E ist die Wachstumsrate gleich der Sterberate. Das Wachstum leitet in einen Abklingvorgang iiber, wenn die parallel verlaufenden Abnahmeraten grol3er sind als die Zuwachsraten. Zur Aufkliinrng von natunvissenschaftlichen, wie chemischen, biologischen, pharmakologischen Reaktionen, technischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorgangen sind die Ubergangsphasen von besonderem Interesse (Abb. 1-40). Analog zum Wachstum von Mikroorganismen verhalt sich uber den Zeitraum der Menschheitsgeschichte die Wachstumskurve der Weltbevolkerung (Abb. 1-39). Wird das Niihrstoffangebot bei beiden betrachteten Populationssystemen unter den normalen Bedarf verringert, treten Strel3situationen ein, die die Sterblichkeitsziffer erhohen. Deshalb ist es interessant und wichtig, dariiber zu spekulieren, wann die Bevolkerungswachstumskurve in die stationiire Phase ubergehen und von welchen Symptomen sie begleitet wird, z. B. Hunger, Epidemien, Burgerkriegen, Psychoterror u. a. Mathematisch konnen Uberlagerungsvorgange qualitativ durch folgende Uberlegungen beschrieben werden:
dx - x ( t )
dx
-X(t) .df
dX -df
dX
= pX(r)dr-DX(t)dr
p ist in diesem Fall die spezifische Wachstumsrate [pro Stunde] und D ist die Verdunnungsrate [pro Stunde].
*
Es sind r
n
f Vn
= spez. Wachstumsrate
-- Verdunnungsrate
f = v,, =
ZufluBrate = AhfluBrate Arbeitsvolumen c, = Konzcntration einer Reaktionskomponenten A C.4" = Ausgangskonzentration der Komponenten A zur Zeit I = 0
k
= Reaktionsgeschwindigkeitskonstante
N, Nu A
= Anzahl der Teilchen zur Zeit t = Anzahl der Teilchen zur Zeit t = 0
&I
c
x,
xn J, Jo d c k nh no rn
g
k p
D
KO 8
= Zerfallskonstante = Ausgangsladung des Kondensators zur Zeit f = 0 = Kondensatorkapazitat = BiomassekonLentration [g . L-'1 zur Zeit t = Biomassekonzentration zur Zeit f = 0 = Lichtintensitat in Abhangigkeit der Schichtdicke des ahsorbierenden Mediums = Lichtintensitat vor Eintritt in das Medium = Schichtdicke des Mediums = Konzentration einer absorbierenden Losung = Ahsorptionskonstante = Teilchen in der Hohe h = Teilchenzahl in der Hohe 0 m = Masse der Gasteilchen = Gravitationskonstantc = Boltzmannsche Konstante = spez. Wachstumsrate [h-'1 = Verdunnungsrate [h-l] = Anfangsschuldenbetrag = Wachstums- bzw. Zinsintensitat
12.2.5 Uberlagerungsprozesse
*
mortalitas (lat.) - Sterblichkeit, Sterblichkeitsziffer.
156
I Chemische Grundlagen
A
.-0 c
2
c
a
2 Y 0
.-E
A Inkubationsphase" B Accelerationsphase C exponentielle Wachstumsphase E stationare Phase (Stagnation) F letalephase
2?
*&.
d
\ *
Zeit
Abb. 1-38. Wachstumskurve von Mikroorganismen.
8
Mrd.
2.Gtine Revolutio
i
Stickstoffdungung 6
Revolutionder Krankheitsbekampfung
f5
1-
5 4
1. Griine Revolution
lndustrielle energe-
0
Verhaltensevolutior
> z- 3
&
U
&-----q 1350
l
1650
1700 1750
1800
1850
1900 1950
2000 2050 2100
Jahreszahl-
Abb. 1-39. Wachstumskurve der Erdbevolkerung.
Mengenhderung im Ubergangsmilieu = zuflieRende Menge-abfliel3endeMenge dAz -= F , .A,(r)-F,.A,(t)
dt
Dabei handelt es sich urn eine lineare inhomogene Differentialgleichung. F , und F, sind Konstanten. die berechnet werden miissen-und fur das jeweils betrachtete System zu interpretieren sind.
* Ln = Logarithmus naturalis, d.h. zur Basis e=2,718282, Eulersche Formel. **
Euler, Leonhard (1701-1783). schweiz. Mathematiker. incubare (lat.) - briiten; accelerare (lat.) - beschleunigen; letalis (lat.) - tMIich: stagnare (lat.) - still stehen.
12 Vergleichbare mathematischeFunktionen
157
Modell: Kesselkaskade
-
MasseZulauf
Masseirn Folgekessel
-
MasseAblaui
Stoffurnsatz: Chemie: A-Produkt
Folgereaktion I.Ordnung Z-Produkt
Enzymreaktion:
Flieagleichgewicht
p
E- Produkt
I C . 1 F]
r--l
m ~,
EnzymSubstrat-
Komplex
Substrat
Enzym
Pharmakologie: Verhalten eines Arrneimittels im Organismus Muskel Urin
I c p , 1-
Physik: Mutternuklid
pT-
1-
Radioaktiver Zerfall Tochternuklid
V l
Enkelnuklid
Umwandlung von U-238 in Pu-239 Abb. 1-40. Analogien zwischen Uberlagerungsvorgangen.
Beispiele: - Wachstum der Bevolkerung (Abb. 1-39) - Konsekutivreaktionen einer chemischen Um-
setzung (Abb. 1-40) - Enzymreaktionen (FlieBgleichgewichte) (Ab-
schn. 1-10.7.3, Michaelis-Menten-Gleichung) Verweilzeitverhalten einer Substanz in einer Riihrkesselkaskade Absorption und Ausscheidung einer Wirksubstanz im Organismus, Pharmakokinetik (Abb. 1-41)
- Lebenszyklus eines Industrieproduktes (Abb.
1-42) - Radioaktiver Zerfall unter Beriicksichtigung der Zwischenstufen (Abb. 1-40) - Zusammenspiel von KapitalzufluB und -abfluB - Wachstumskurve von Mikroorganismen
158
I Chemische Grundlagen
Verweilzeitfunktionen von Arzneimitteln und Produkt-Lebenszyklen als Uberlagerungsfunktionen Typische Beispiele fur Uberlagerungsfunktionen, die aus Wachstums- und Abklingvorgangen zusammengesetzt sind, sind die Verweilzeitfunktionen von Arzneimitteln im menschlichen Korper. Sie ermoglichen exakte Aussagen uber die notwendige Mindest- und Hochstdosierung von Arzneimittelgaben, deren wirksame Aktivitat und Eingrenzung von Nebenwirkungen (Abb. 1-41), Die Verzogerungszeit ist diejenige Zeit, die von der Einnahme bzw. Applikation* eines Arzneimittels bis zum Beginn der Resorption** durch den Korper erforderlich ist. Im Punkt C ist die Arzneimittelkonzentration so hoch, daB sie pharmakologisch zu wirken beginnt. Im Punkt D ist das Maximum der Konzentration erreicht. Danach beginnt die Ausscheidung des Arzneimittels aus dem Korper. Die Uberlagerungskurve flacht ah. Im Punkt E unterschreitet die Arzneimittelkonzentration die Wirkungsschwelle. Ein ideales Arzneimittel ist dasjenige, bei dem die Wirkungsdauer moglichst lang und das Maximum im Punkt D oberhalb der Wirkungsschwelle moglichst niedrig. Die Lebenszyklen von Produkten auf den Mlrkten gehorchen hlufig ebenfalls den Gesetzen von Uberlagerungsprozessen. Wird ein Produkt nach der Forschung und Entwicklung in den Markt eingefuhrt, durchlauft es eine Einfuh-
rungsphase in der noch keine Gewinne erzielt werden. Mit zunehmendem Umsatz steigen auch die Gewinne und erreichen wahrend der beginnenden Sattigungsphase, d. h. Umsatzstagnation, die hochsten Werte (Abb. 1-42). Dieses ist der Zeitpunkt, in dem ein Unternehmen Maanahmen fur eine neues Produkt oder mindestens fur eine Produktverbesserung einleiten sollte. In der Regel ist dieser Zeitpunkt schon zu spat, vielmehr sollte bereits wahrend des exponentiell-ahnlichen Umsatzwachstums uber neue marktgangige Produkte nachgedacht werden. Wahrend der Degenerationsphase nehmen sowohl der Umsatz als auch die Gewinne ab, wobei ersterer zu Beginn der Degeneration* oft starker als der Gewinn sinkt. Das fuhrt haufig zu falschen oder verzogerten Entscheidungen.
12.3 Die Zeit als Parameter in technischen, biologischen, soziologischen und okonomischen Prozessen Die Zeit manifestiert sich als Folge nacheinander ablaufender Ereignisse. Sie verkniipft Ereignisse miteinander, wobci die Verknupfungsdichte unterschiedlich sein kann, nlmlich sehr lose oder eng, je nachdem wie dicht die Ereignisse aufeinander folgen.
1 z1 C
0 .c
e
c
C
mN
-
C
s I
c
-
Verzogerungszeit A B C Einnahrne
1 Wirkungsdauer
Zeit x
I D
* applicare (lat.) - nahebringen. ** resorbere (lat.) - einsaugen.
E
Abb. 1-41. Verweilzeitfunktion
(idealisiert)eines Arzneimittels.
*
degenerare (lat.)
~
entarten
12 Vergleichbare mathematische Funktionen
159
Zeit Deganera-
tiansphase
Abb. 1-42. Produkt-Le-
benszyklus (idealisiert)
Die Zeit wird als etwas Stromendes wahrgenommen, kann aber weder reguliert noch manipuliert werden. Wie ein Flu13 ist sie ein einseitig gerichteter Parameter und damit unumkehrbar, d. h. irreversibel. Eine riicklaufige und damit entgegengerichtete bzw. negative Zeit gibt es nicht.
12.3.1 Kinetik* - Betrachtung zeitabhangiger Prozesse Physikalische Ereignisse und Tatbestande spielen sich in Raum und Zeit ab. Ihre Bestimmung bzw. Fixierung erfolgt mit Hilfe von Raum- und Zeitkoordinaten. Die Kinetik ist eine Lehre von zeitabhangigen Prozessen, z. B. Bewegungen, Stromungen, Vermehrungen, Konzentrationsanderungen, Temperatur- und Druckanderungen. - Kinetik des Wachstums der Pflanzen, der Mi-
kroorganismen und der Weltbevolkerung (Abb. 1-38 und 1-39). - Anderung der Menge als Funktion der Zeit (Wachstumsgesetze, Abb. 1-28). - Anderung der Wachstumsgeschwindigkeit mit der Menge, d. h. Abhangigkeit der zeitlichen Anderung der Menge von der Menge selbst (Ratengesetz, Abb. 1-29 und 1-30). - Mechanik** ist die Lehre von den Bewegungen und den sie auslosenden au13eren und inneren Kraften. *
**
kinesis (grch.) - Bewegung. mechanike techne (grch.) - Maschinenkunst.
- Reaktionskinetik ist die Lehre von chemi-
schen Reaktionsverlaufen in Abhangigkeit von der Zeit (Konzentrationszeit-Zeit-Funktionen, Abb. 1-32 und 1-37). - Pharmakokinetik ist die Lehre von den Konzentrationsanderungen von Pharmaka im Organismus in Abhangigkeit von der Zeit (Resorption - Verteilung - Elimination, Abb. I41). - Agrokinetik der Pflanzenschutz- und Dungemittel ist die Lehre von den Konzentrationsanderungen der entsprechenden Wirkstoffe im Boden und in der Pflanze (Abb. 1-35).
12.3.2 Physikalische, biologische und psychologische Zeitmafie Die Zeit ist ohne Korper und Form, sie ist mit den Sinnesorganen nicht ertastbar, sie hat keinen Anfang und kein Ende. Sie ist deshalb nur bedingt meBbar, nicht als absolute GroBe, sondern relativ, als Differenz von willkurlich festgelegten Bezugspunkten, den Anfangs- und Endereignissen. Als physikalisches MuJ ist die Sekunde [s] als Basiseinheit 1 s = 9191 631 779 . To festgelegt worden. T,, ist die Periodendauer der Strahlung, deren Frequenz (Energie) dem ijbergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von '33C~-Atomenentspricht. Das biologische MuJ ist die Generationsphase einer lebenden Spezies. Sie unterscheidet sich vom physikalischen Ma13 in ihrer variablen Dauer. Aber sie ermoglicht es, Generationsfolgen
160
I Chetnische Grundlagen
verschiedener biologischer Systeme miteinander zu vergleichen und auftretende Veranderungen wie z. B. Adaptationen*, Mutationen**, ResistenZen***, Krankheitsdauer, zueinander in Beziehung zu setzen. Das psychologische MaR lallt sich als quantitative Basiseinheit nicht definieren. Es ist subjektiver Art. Es hangt von der Ereignisdichte und der Wahrnehmungs- bzw. Erlebnisfahigkeit des jeweiligen Menschen ab. Je hoher Ereignisdichte und Wahrnehmungsdichte sind, desto schneller wird der ZeitfluB empfunden.
12.3.3 Erfassen von komplexen Vorgangen Zahl und Zeit Mit Zahlen werden nicht nur quantitative Aussagen gemacht. Zahlen dienen auch zum Vergleich von nicht mellbaren Phanomenen, z. B. psychologischer oder mentaler Art, von Leistungsverhalten in Schule und Beruf usw. Allzu leicht wird dabei die Komplexitat der Phanomene nicht erfallt und es kommt zu fatalen Fehlschlussen. Das gilt insbesondere fur Vorgange in biologischen bzw, lebenden Systeme, fur die haufig nur - unter Vorbehalt - Trends aufgezeigt werden konnen. Das gilt auch im Bereich der Wirtschaft, wo der Zahl in ihrer Bedeutung zum Darstellen von wirtschaftlichen Fakten und Entwicklungen ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Trotzdem ist es schwer, anhand des vielen Zahlenmaterials zuverlassige Prognosen zu stellen. Im allgemeinen werden dynamische Prozesse, die sich in fortlaufenden Veranderungen von Zustanden offenbaren, durch zeitabhangige Parameter nach dem linearen Kausalitatsprinzip beschrieben. Sie werden nach dem Muster des linearen A 4 B + C + D
Kausaldenkens in der Zeitfolge als nacheinander auftretende Ereignisse und Ablaufe behandelt. Diese Denkmethode erlaubt es, viele FlieBvorgange, d. h. stromende Veranderungen durch einfache mathematische Funktionen auszudriicken. Da es ublich geworden ist, Eigenschaften und Ereignisse durch Zahlen zu bewerten, kommt der Zahl als Quantitatsmerkmal bei der Darstellung dynamischer Vorgange in der Natur, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft eine beson*
**
***
aptare (lat.) - anpassen; ad (lat.) an, zu. mutare (lat.) - wechseln, verandern. resistere (lat.) Widerstand leisten. ~
~
dere Bedeutung zu. Diese Art naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Denkens hat in den letzten zwei Jahrhunderten auch zu aullergewohnlichen Ergebnissen von Erkenntnissen iiber Natur, Technik und Mensch gefuhrt. Der Erfolg einer linearen kausalen* Betrachtungsweise fuhrt aber zugleich an ihre Grenzen der moglichen Erkenntnisse. La& sich die Kinetik einer chemischen oder mancher biochemischen Reaktion exakt und reproduzierbar mittels Abkling-, Wachstums- oder Uberlagerungsfunktionen verfolgen, so stollt man in der Pharmakokinetik, bei biologischen Systemen oder bei wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Prozessen auf unubenvindliche Schwierigkeiten, sofern man nur dem linearen Kausalitatsprinzip folgt. Wie ist es zu erklaren, daB viele Prognosen und Trends, obwohl sie mit wissenschaftlicher Zuverlassigkeit und Akribie erstellt werden, sich nicht bewahrheiten bzw. an der Realitat vorbeizielen? Neben dem Quantitatsdenken muR auch das Qualititsdenken beim Erfassen und Analysieren von dynamischen Prozessen in gleicher Weise entwickelt werden. Das setzt voraus, dall neben der Zerlegung eines komplexen Prozesses in seine Teilprozesse, d. h. in der expliziten funktionellen Darstellung von zwei oder drei Parametern, z.B. y = f ( x ) bzw. z = ( x ; y ) , auch der komplexe Vorgang in seiner Gesamtheit beschrieben werden sollte, F(x,y,z, ...) = 0. Dafur werden mathematische Funktionen benotigt, die die qualitativen Zusammenhange ausdriicken. Sie gibt es zur Zeit noch nicht. Hierfur mull zunachst die Aussagekraft der Zahlen erweitert werden. Neben der quantitativen Aussage mussen die Zahlen rnit einem qualitativen Aussagemerkmal belegt werden. Qualitatsdarstellungen durch Zahlen unter Beriicksichtigung von gegenseitiger und multilateraler Wechselwirkung haben in der chinesischen Kultur eine jahrtausendalte Tradition. Der Vergleich einer Wachstumsfunktion eines chemischen Reaktionsablaufes mit dem einer Wachstumsfunktion fur die Vermehrung von Mikroorganismen oder mit der Zunahme der Erdbevolkerung zeigt vordergriindig auf viele Gemeinsarnkeiten hin; z. B. das unterschwellige EinsetZen des Vorganges (Inkubation), das dann in ei-
*
causalis (lat.) LU causo - Ursache. Das Kausalgesetz ist der Grundsatz. daH jeder Sachverhalt. jedes Ding seine Ursache haben muR.
12 Vergleichbare mathematische Funktionen
nen beschleunigten Ablauf uberleitet, der sich zunachst oft sehr gut durch Exponentialfunktionen beschreiben M t , spater in der Regel einem oberen Grenzwert zustrebt, bei dem als ProzeB zum Stillstand kommt (Stagnationsphase). Diesen drei dynamischen Prozessen ist weiterhin das Zusammenwirken einer endlichen, aber sehr groBen Menge von Individuen der Grundgesamtheit gemeinsam (Abb. 1-33 bis 1-42). Trotzdem sind direkte Vergleiche und Ruckschlusse nach der linearen Kausalitat nur bedingt erlaubt. W a r e n d die EinfluBparameter einer chemischen Reaktion und ihre Interaktionen uberschaubar und bekannt sind, gilt das fur pharmakokinetische, biologische, wirtschafts- und gesellschaftsveriindernde Prozesse nicht. Sie sind das Ergebnis einer Vielzahl von in Abhangigkeit stehenden und sich gegenseitig beeinflussenden Parametern, die analytisch im einzelnen nicht zu erfassen sind. Der Komplexwirkungen enzymatischer Systeme ist man sich heutzutage bewuBt, vielleicht werden sie eines Tages auch aufgekliirt sein. Komplizierter wird es allerdings bei Prozessen in biologischen Systemen, und zwar im gesamten Spektrum von den Mikroorganismen bis zum Menschen. Individual- und Gruppenverhalten mussen beriicksichtigt werden. Hier schlagen die Qualitiitsparameter 6 1 1 durch, die bei quakitativen mathematischen Berechnungen miteinbezogen werden miifiten. Ein weiteres Phanomen wird beim Vergleich der vorgenannten Beispielen offenbar. Allen gemeinsam ist die Abhangigkeit vom Parameter &it. Der Ablauf einer chemischen Reaktion wird in der Kinetik in Sekunden, Minuten und Stunden gemessen, die Vermehrung von Mikroorganismen in der Regel in Minuten oder Stunden,
161
das Bevolkerungswachstum dagegen in Jahren. Die Bezugsgrok dieser Zeitangaben beruht auf dem Zeitempfinden und der zeitlichen Erlebensfaigkeit des Menschen. Sie kann bei der Deutung von Prognosen und Trends zu Fehlschlussen fuhren, was im biologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich auch oft der Fall ist. Dynamische Prozesse von biologischen Systemen, einschlieBlich die des Menschen, mussen in Generationsfolgen dargestellt werden. Die Zeitphase ,,eine Minute" hat bei einem Mikroorganimus eine andere Bedeutung als die von einer Eintagsfliege oder die von einem Menschen. Zeitlich adaquat ist die Generationsphase von 20 min eines Escherichiu CoEi zu der von 12 Stunden einer Eintagsfliege und der Generationsphase von 20 Jahren beim Menschen. Nimmt man die Existenz des homo supiens seit ca. 6 Mio Jahren an, so hater bis zur Gegenwart 300000 Generationen durchlebt, mutiert und evolutioniert. Dagegen benotigen Bakterien mit einer Generationsphase von 20 min fur 300000 Generationsfolgen 11,4 Jahre - wen verwundert da noch die relativ schnelle Mutationsfaigkeit von Mikroorganismen bzw. die Entwicklung ihrer Resistenzkraft gegenuber toxischen SubstanZen? Der Mensch muB seinen Zeitbegriff relativieren, um zu neuen Erkenntnissen uber Biologie, Wirtschaft und Gesellschaft zu gelangen. Wenn die Wissenschaften von der Natur, Technik und Wirtschaft weiterfuhrende Erkenntnisse erschlieBen wollen, mussen in der Mathematik Funktionen zur Erfassung von qualitativen Prozessen entworfen werden. Die Wissenschaften stehen an der Schwelle neuer Methoden, wie die Natur, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und Komplexitat durchleuchtet und verstanden werden kann.
162
I Chemische Crundlagen
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I1 Einige Physikalische Grundlagen
1
Kristallsysteme, ein Uberblick 167
4.5.4
2 2.1 2.2 2.3
Mechanik fester Korper 169 Arbeit 169 Leistung 169 Energie 170
3 3.1
Mechanik der Gase 172 Volurnenabhangigkeit des Gasdruckes 172 Temperaturabhangigkeit des Gasdruckes 173 Temperaturabhangigkeit des Gasvolurnens 174 Das Abhangigkeitsverhaltnis zwischen Volurnen, Ternperatur und Gasdruck 174 Die universelle Gaskonstante 175
4.5.5 4.5.6 4.5.7 4.5.8 4.5.9 4.5.10
3.2 3.3 3.4 3.5 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.2 4.2.1
4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Warmelehre 177 Wiime als Energieform 177 Wiime und Ternperatur 177 Wiimernenge 177 Einheit der Wiirmernenge 178 Spezifische Wiirme 178 Berechnung der W h e m e n g e 178 Ausdehnung durch Warme 179 Langenausdehnung bei Feststoffen 179 Volurnenausdehnung von Flussigkeiten 179 Volurnenausdehnung von Gasen 180 Ternperaturmessung 180 Quecksilberthermorneter 180 Andere Flussigkeitsthermometer 180 Wiirmeubertragung 182 Wiimeleitung 182 Wiirmestrornung 182 Warmestrahlung 182 Aggregatzustande 183 Ternperatur und Aggregatzustand 183 Schmelzwarme und Erstarmngsw&me 183 Verdarnpfungs- und Kondensationsw&me -184-
4.6 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.5
5.5.1 5.5.2 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.7 5.8 5.9 5.10 5.1 1 5.12
6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.3 6.3.1
Verdarnpfen, Verdunsten, Sieden 185 Siedepunkt und Druck 185 Sublimieren 186 Losungswiime 186 Gefrierpunkt - Schmelzpunkt 187 Uberhitzter Darnpf 187 Siedepunkt von Losungen, Siedepunktserhohung 188 Verbrennungswhe 188
Elektrizitiitslehre 189 Reibungselektrizitat 189 Elektrische Spannung 189 Elektrischer Strorn 189 Elektrische Spannungsquellen 190 Galvanische Elernente 190 Elektrische Leiter und Nichtleiter 191 Strornleitung in Metallen (Leiter 1 . Ordnung) 191 Strornleitung in Flussigkeiten (Leiter 2. Ordnung) 191 Zusarnrnenhang zwischen Spannung, Strornstkke und Widerstand 192 Spannung und Strornstkke 192 Widerstand und Stromstkke 192 Das Ohrnsche Gesetz 193 Elektrische Ladung 193 Elektrische Arbeit und Leistung 193 Wiirmewirkung des elektrischen Strornes 194 Chernische Wirkung des elektrischen Strornes (Elektrolyse) 196 Der Bleiakkurnulator 197 Prinzip des Generators und Elektromotors 197 Disperse Systeme 198 Einteilung der dispersen Systeme 198 Grob-disperse Systerne 199 Eigenschaften und Beispiele 199 Trennrnethoden grob-disperser Systerne 199 Kolloid-disperse Systerne 201 Eigenschaften 201
166
6.3.2 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.6
I1 Einige Physikalische Grundlagen
Herstellung und Trennung kolloid-disperser Systeme 202 Molekular-disperse Systeme 203 Eigenschaften 203 Trennung homogener Gemische 205 Losemittel 205 Beispiele fur disperse Systeme 206 Legierungen 206 Emulsionen 207 Schaume 207 Aerosole 207 Disperse Systeme in verschiedenen Arzneiformen 208
6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.6.5 6.6.6 6.6.7 6.6.8 6.6.9 6.6. I0
Definition des Begriffes Arzneimittel 208 Arzneimittel als disperse Systeme 208 Aerosole 208 Pulver und Puder 209 Schaume 209 Emulsionen 2 10 Gele 210 Salben, Pasten, Cremes 210 Tabletten-Komprimate 21 1 Suppositorien 2 13
Literaturhinweise zu Teil I1 2 13
1 Kristallsysteme, ein Uberblick
Stoffe unterscheiden sich voneinander durch ihre chemische Zusammensetzung und ihre strukturierte geometrische Form. Die Mehrzahl der Stoffe zeichnet sich durch eine geometrisch gesetzmaBige Form aus. Sie treten kristallin* auf. Es gibt aber auch Stoffe, die keine strukturierte geometrische Form aufweisen. Sie sind amorph**, d. h. ohne eine spezifisch charakteristische Gestalt, z. B. Gele (erstarrte kolloidale Losungen). Kristalle dagegen sind nach geometrischen Gesetzen aufgebaute Korper, die von ebenen Flachen begrenzt sind. Ihre Flachen schneiden sich in Kanten und Ecken. Fur jeden kristallinen Stoff ist eine bestimmte geometrische Form spezifisch. Die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Kristallformen 1 s t sich in sieben Kristallsysteme unterteilen (Abb. 11-1). Diese sind: -
das kubische*** (regulae) Kristallsystem rnit drei gleichwertigen senkrecht aufeinander stehenden Hauptachsen, z. B. Steinsalz, Bleiglanz,
- das tetragonale**** (quadratische) Kristall-
system mit zwei gleichwertigen Nebenachsen im 90O-Winkel und einer verschieden langen, dazu senkrechten Hauptachse,
* krystallos (grch.) - Eis. ** amorphe (grch.) - ohne Gestalt *** kubus (lat.) - Wiirfel. **** tetragon (grch.) - Viereck.
-
das trigonale* Kristallsystem mit drei gleichwertigen Achsen, die in ihrem Schnittpunkt schiefwinklig aufeinanderstehen,
- das hexagonale** Kristallsystem mit drei
gleichwertigen Nebenachsen, die sich im Winkel von 90" schneiden und einer verschieden langen im Schnittpunkt dazu senkrechten Hauptachse, - das orthorhombische*** Kristallsystem rnit
drei ungleichwertigen aufeinander senkrecht stehenden Achsen, - das monokline**** Kristallsystem rnit drei
ungleichwertigen Achsen, die sich unter zwei rechten und einem schiefen Winkel schneiden, - das trikline Kristallsystem mit drei ungleich-
wertigen Achsen, die sich unter schiefen Winkeln schneiden. Eine Kenntnis der Kristallsysteme ist notwendig, urn die vielen physikalischen und mechanischen Eigenschaften von Stoffen zu verstehen. Das raumliche Vorstellungsvermogen von Chemiefachkraften sollte wieder zurn Bestandteil des Studiums und der beruflichen Ausbildung werden.
* ** *** ****
trigon (grch.) - Dreieck. hexagonale (grch.) - sechseckig. orthos (grch.) recht; rhombos (grch.) - Umdrehung; Raute. monos (grch.) - einzig; klinein (grch.) - neigen. ~
168
I1 Einige Physikalische Grundlagen
a+
b
kubisch a=b=c a=p=y=goo
1. Wurfel
2. Oktaeder
@ K7
4. Pyritoeder
5. Tetraeder
3. Rhombendodekaeder
6. Bleiglanz
C
hexagonal a, = a2= a,# c a = p = 90":y = 120" 7.Hochquarz
Q
trigonal a, = a2= a, a,= a2=a,# 90"
tetragonal a=b#c a = p = y = 90"
i
8. Apatit
11. Rhomboeder
14. Anatas
orthorhombisch a#b#c
15. Wulfenit
0
9. Beryl1
12. Skalenoeder
13. Turrnalin
16. Zirkon
17. Apophyllit
20. Baryt
21. Topas
19. Aragonit
1
fel
monoklin a#b#c a = y = 90";p # 90" 22. Auripigment
ED
24. Otthoklas
23. Augit
a*
triklin a#b#c b a # p # y # 90"
25. Kupfersulfat
26. Rhodonit
27. Plagioklas
Abb. 11-1. Die sieben Kristallsysteme (aus Werk + Wirken, April 1987, Zeitschrift der Wacker-Chernie GmbH, Munchen).
2 Mechanik fester Korper
Fur 1 Nm fuhrt man die Einheit Joule (J) ein. 1 Joule entspricht 1 Wattsekunde (W s).
2.1 Arbeit Im taglichen Leben spricht man von Arbeit, wenn etwa ein Schlosser feilt oder ein Bauarbeiter eine Last hebt, also mit Muskelkraft die Hemmungen ubenvindet, die in der Festigkeit des Materials bzw. im Gewicht der Last liegen. In der Physik faBt man den Ausdruck Arbeit genauer. Da die GroBe der Arbeit sowohl von der wirkenden Kraft als auch von der Liinge des zu uberwindenden Weges abhangt, versteht man unter der Arbeit im physikalischen Sinne das Produkt aus diesen beiden GroBen, wobei die Kraft in Richtung des Weges maBgebend ist. Arbeit = Kraft x Weg x cos a
1 N m = 1-
1 kgm2
= l J = 1Ws
S2
Um 1 kg eines Stoffes 1 m zu heben, mul3 eine Arbeit von 9,81 N m = 9,8 1J aufgewendet werden, da 1 kg mit einer Gewichtskraft von 9,81 N von der Erde angezogen wird.
Rechenbeispiel Es sollen 15 Fasser mit einer Masse von je 50 kg von der Laderampe in ein 24 m hoher gelegenes Stockwerk gebracht werden. Welche Arbeit ist dazu notig? 1kg wird mit einer Kraft von 9,81 N von der Erde angezogen. 15 . 50 kg werden dann mit einer Kraft von N
15 50 kg .9,81
-
= 7357,s N
kg
angezogen. Der Weg, entlang dem diese Kraft wirkt, ist 24 m lang. M
S
Daraus folgt: Arbeit ist das skalare* Produkt zwischen Kraftvektor** F , dem vom Massenpunkt M zuriickgelegten Weg s und dem Cosinus des eingeschlossenen Winkels a zwischen Kraftkomponente und Wegrichtung . Die Einheit der Kraft ist das Newton***, die Einheit des Weges ist das Meter. Die Einheit der Arbeit ist dann das
Kraft
x
73573 N
*
Weg = Arbeit 24 m = 176580 N m
= 1765805
Die aufzuwendende 176580 J.
Arbeit
betragt
also
2.2 Leistung
Newton x Meter = Newtonmeter (N m).
* ** ***
scala (lat.) - Treppe. Skalar ist eine durch eine einzige Zahl bestimmte Grok. z.B. Temperatur. vector (lat.) - Trager, eine durch MaRzahl und Richtung besrimmte G r o k . Newton, Isaac (1643-1727). engl. Mathematiker und Physiker.
Wenn ein Arbeiter Ziegelsteine der Gesamtmasse 600 kg in 50 min 10 m hoch und ein anderer Arbeiter 400 kg in 25 min 15 m hoch tragt, so verrichten beide Arbeiter die gleiche Arbeit. Arbeiter 1: m
600kg.9,81 - . 1 0 m = 5 8 8 6 0 J S2
170
11 Einige Physikalische Grundlagen
Arbeiter 2:
2. Rechenbeispiel
m 4 0 0 k g - 9 . 8 1 y .1 5 m = 5 8 8 6 0 J S-
Da der zweite Arbeiter die Arbeit in kurzerer Zeit ausgefuhrt hat, hat dieser aber eine groBere Leisrung vollbracht. Allgemein gilt, daR die Leistung groBer wird, wenn die fur dieselbe Arbeit benotigte Zeit kleiner wird .
Wie groB ist die Leistung einer Pumpe, wenn sie in 5 min 10 m-3Wasser 20 m hoch fordert? Berechnung der Arheit: Zu diesem Zweck mu8 zunachst die Masse des Wassers bestimmt werden. Dies geschieht durch Umrechnen mit der Dichte ( p ) des Wassers. Dichte ( p ) =
Arbeit Lcistung = Zeit
Die Einheir der Leistung ergibt sich durch Division der Einheit der Arbeit durch die Einheit der Zeit. Die Einheit der Arbeit ist das Joule. Die Einheit der Zeit ist die Sekunde. Arbeit J Lcistung = -in - (Joule durch Sekunde) Zeit s
Fur 1 Joule* durch Sekunde wird die Einheit Watt (W) eingefuhrt.
171
;
Volurnen ( V )
111
= 10 in'
111
= 10 000 kg
1000
p=-
V
kg rn
Dies ist die Masse Wasser, die gefordert werden soll. Kraft
x
m 9,81 y
I0000 kg
Nm J I---=l-=]W S
Masse ( i n )
Weg =Arbeit
2 0 m = 1962000
S-
kg m2
(J)
S-
Die aufzuwendende Arbeit betragt 1 962 000 J (Joule) = 1,96 MJ (10" Joule = I MJ).
S
1. Rechenbeispiel Ein Aufzug fordert I 000 kg in 30 s 25 m hoch. Welche Forderleistung hat er?
Berechnung der Leistung: Die Arbeit sol1 in 5 min = 5 . 60 s = 300 s geleistet werden.
Berechnung der Arbeit:
Arbeit Leistung = Zeit
Kraft
x
Weg
=
Arbeit
Ill
kg in
s-
S-
I000 kg .9,81 ;25 m = 245 250
= 245 250 J
Berechnung der Leisrung: Leistung =
Arbeit
1 962 000 J
300 s = 6 540 W
= 6540
J S
= 6.54 kW
Die Pumpe hat somit eine Forderleistung von 6.54 kW.
~
&it
245 250 J J -= XI75 - = 8175 W 30 s b
8175 W = 8,175 kW, denn 1 kW = 1000 W Der Aufzug hat also eine Beforderungsleistung von 8,175 kW (Kilowatt).
*
-
Joule, James Prescott (1818-1889) engl. Physiker
2 3 Energie Hebt man einen Stein vom Boden auf, so muR man eine Arbeit verrichten. LaRt man diesen Stein wieder fallen, so venichtet dieser seinerseits eine Arbeit. Daraus ist zu entnehmen, daB der Stein allein aufgrund seiner erhohten Lage imstande war, Arbeit zu verrichten. Die Fahigkeit, Arbeit zu verrichten, wird als Energie bezeichnet.
IL llll
I
Abb. 11-2. Energieformen bei einem festen Korper.
Energie ist also gespeicherte Arbeit. Es gibt verschiedene Energieformen. Der aufgehobene Stein hat eine bestirnmte Energie der Lage oder potentielle Energie. LaBt man den Stein fallen, so wandelt sich die potentielle Energie in Bewegungsenergie urn. Die Bewegungsenergie heiBt auch kinetische Energie. Trifft der Korper auf dem Boden auf, wird er mornentan abgebrernst. Die kinetische Energie wird als Deformationsarbeit verbraucht. Dabei wird ein Teil der kinetischen Energie in Warmeenergie umgewandelt (Abb. 11-2). Mit diesern Gedankenexperiment sind drei verschiedene Energieformen beschrieben worden: 1 . die potentielle Energie*, 2 . die kinetische Energie**, 3. die Wbneenergie.
*
**
potens (lat.) - machtig. kinein (grch.)- bewegen.
2 Mechanik fester Korper
171
Genannt werden sollen auaerdem noch die elektrische Energie und die chemische Energie. In Substanzen ist die chernische Energie gespeichert. Bei vielen chemischen Reaktionen wird ein Teil dieser chemischen Energie als Warmeenergie freigesetzt (s. Abschn. I- 11.4.5). Bei allen Energieumwandlungsprozessen gilt irnrner der Satz von der Erhaltung der Energie: Energie kann weder gewonnen werden noch verloren gehen. Es konnen nur die einzelnen Energieformen ineinander umgewandelt werden. Eine oft vorkommende Kette von Energieurnwandlungen. ist die folgende: Bei der Verbrennung von 01 entsteht aus chemischer Energie Warmeenergie. - Mit der Wiirmeenergie wird Wasserdampf erzeugt, der eine Dampfturbine treibt. Es entsteht aus Wbneenergie Bewegungsenergie. Hierbei ist zu beriicksichtigen, dal3 nicht die gesamte freigesetzte Wbneenergie in Nutzenergie umgesetzt wird. - Die Darnpfturbine treibt einen Generator an. Aus Bewegungsenergie entsteht elektrische Energie. - Mit der elektrischen Energie wird ein Motor angetrieben. Aus elektrischer Energie entsteht wieder Bewegungsenergie usw. Die Einheit der Energie ist dieselbe wie die der Arbeit, da Energie gespeicherte Arbeit ist. Energiemengen, gleich welcher Art, werden in Joule angegeben.
3 Mechanik der Gase
3.1 Volumenabhangigkeit des Gasdruckes
Druck x Volumen = ? I 2 10
Flussigkeiten lassen sich praktisch nicht zusammendriicken. Bei Gasen (Luft, Stickstoff, Wasserstoff usw.) ist das anders. Gase lassen sich zusammendriicken (komprimieren). Setzt man ein in einem Behalter eingeschlossenes Gas unter Druck, so wird, wie man aus der tiglichen Erfahrung weiB, der vom Gas eingenommene Raum kleiner (vgl. Fahrradpumpe). Bei Verdoppelung des Druckes wird das Volumen halbiert. Diese Vorgange lassen sich auch mittels eines Zylinders, der einen beweglichen Kolben besitzt, demonstrieren (Abb. 11-3).
'
I
= I
. 0,5
= 1 = I
.
0.1
Das Resultat ist, daB das Produkt aus Druck und Volumen hier immer 1 ergibt. Daraus folgt: Das Produkt aus Druck ( p ) und Volumen ( V ) ist gleichbleibend, namlich in diesem Fall immer gleich 1. Deshalb lautet die Formel des Boyle-Mariotteschen Gesetzes: p .V
= konstant (gleichbleibend)
bzw. 1
P
= konstant
-
V
Das bedeutet, daB der Gasdruck dem Volumen umgekehrt proportional ist.
-1 P
- -V1
Das Zeichen - bedeutet ,,ist proportional". Wird der Druck auf das Gas bei konstanter Temperatur vergroBert, vemngert sich das Volumen; wird das Volumen vergrokrt, nimmt der Gasdruck ab.
Abb. 11-3. Zusarnrnenhang zwischen Druck und Volumen.
Auch hier gilt wieder, daB der vom Gas eingenomrnene Raum kleiner wird, wenn der Druck ansteigt. Diese Beziehungen zwischen Druck und Volumen sind im Boyle-Mariotteschen Gesetz* zusammengefaBt. Aus folgenden Versuchen wird dieser Zusarnmenhang abgeleitet. Wenn der jeweilige Druck mit dem zugehorigen Volumen multipliziert wird, so werden folgende Werte erhalten:
*
Robert Boyle (1627-1691) engl. Physiker und Chemiker. Edme Seigneur de Chazeuil Mariotte (1620-1684) franz. Physiker.
Das Produkt aus Anfangsdruck und Anfangsvolumen ist bei gleichbleibender Temperatur gleich dem Produkt aus Enddruck und Endvolumen.
p , . V , = konst. = p 2 . V2
Dabei kann beliebig jeder Druck mit dem zugehorigen Volumen als Anfang oder Ende angesehen werden. Wichtig ist, daB das Boyle-Mariottesche Gesetz nur bei gleichbleibender Temperatur gilt. Die Temperatur des Anfangszustandes mu13 also gleich der Temperatur des Endzustandes sein. Die Aussage dieses Gesetzes wird an einem Betriebsheispiel erlautert: Es ist die Aufgabe ge-
3 Mechanik der Gase stellt, aus einer Gasdruckflasche von 60 L Inhalt und einem Druck von 150 bar 500 L Wasserstoffgas von 1 bar in eine in einem offenen Kessel befindliche Fliissigkeit zu leiten. Folgende Uberlegung wird angestellt: Wiirde Wasserstoff, der in einer Druckgasflasche von 60L Inhalt unter einem Druck von 150 bar steht, in ein groBes GefaB ausstromen, in dem der Druck dann nur 1 bar betragt, wurde aufgrund der Versuche ein GefaB von 9000 L benotigt. Die Berechnung ergibt sich aus dem BoyleMariotteschen Gesetz, wonach das Produkt aus Anfangsdruck und Anfangsvolumen gleich dem Produkt aus Enddruck und Endvolumen ist. Also: 150
.60
Anfangsdruck
x
=
1
Anfangs- = Endvolurnen druck
. 9000 x
Endvolurnen
Nun werden von den 9000 L, die unter dem Druck von 1 bar stehen, die geforderten 500 L unter dem Druck von 1 bar entnommen. Dann bleiben 8500 L Wasserstoffgas unter dem Druck von 0,9444 bar iibrig. Diese 8500 L Wasserstoffgas sollen nun wieder in die Druckgasflasche mit dem Volumen von 60 L zuriickgebracht werden. Hierzu mussen die 8500 L auf 60 L zusammengepreat werden. Es fragt sich, welchen Druck das Gas dann haben wird. Der Anfangsdruck ist jetzt 0,9444 bar ( p l ) , das Anfangsvolurnen 8500 L ( Vl). Das Endvolumen (V,) ist gegeben durch den Rauminhalt der Druckgasflasche (60 L). Der Enddruck ( p , ) ist unbekannt, I a t sich aber nach dem uns nun bekannten BoyleMariotteschen Gesetz berechnen: 0,9444.8500 = p 2 . 60 8024
= 60P2
P2
--
P2
=
8024 60
133,79bar
In dieser Druckgasflasche mit 60 L Inhalt wiirde also das Wasserstoffgas unter einem Druck von 133,79bar stehen. Selbstverstandlich wird man nicht erst Gas aus der Flasche ausstromen lassen und dann wieder in die Flasche hineinpressen, sondern man wird aufgrund des Boyle-Mariotteschen Grundgesetzes berechnen, daB man aus einer Druckgasflasche von 60 L In-
173
halt und 150 bar dann 500 L Gas von 1 bar Druck entnommen hat, wenn der Druck auf 133,79 bar abgesunken ist. Diese Beziehungen zwischen Druck und Volumen sind auch aus anderen Griinden wichtig. Bekanntlich diirfen Druckkessel erst benutzt werden, wenn sie vorher ,,abgedriickt", d.h. gepriift sind. Diese Priifung nimrnt man so vor, daB man den Kessel restlos rnit einer Fliissigkeit, meistens Wasser, fiillt und unter Druck setzt. Platzt hierbei der Kessel, so fliegen die Stiicke nicht weg, weil sich ja Flussigkeiten kaum zusamrnenpressen lassen. Die unter Druck stehende Flussigkeit dehnt sich also beim Platzen des Kessels nicht aus, so daB keine Stiicke wegfliegen konnen. Wurde man den Kessel mit einem Gas abdriicken, etwa einen Kessel von l00L Inhalt mit einem Druck von 10 bar, so wurden beim PlatZen des Kessels einzelne Stiicke wegfliegen, weil das Gas sich stark ausdehnt. In diesem Fall wiirden die im Kessel unter Druck von 10bar stehenden 100 L Gas sich plotzlich auf 1000 L ausdehnen, da sich nach dem Boyle-Mariotteschen Gesetz 10 bar. 100 L = 1 bar. 1000 L,
also lo00 L von 1 bar ergeben, was etwa dem Atmosphfirendruck entspricht.
3.2 Temperaturabhangigkeit des Gasdruckes Das Boyle-Mariottesche Gesetz gilt nur, wenn die Temperatur vollig gleich bleibt. Aus der tiiglichen Erfahrung ist aber bekannt, dal3 Gase sich bei Erw-ung ausdehnen. Wurde das Gas in einem vollig geschlossenen GefaB erw-t, wobei sich das Volumen nicht vergroaem kann, so wurde der Druck in diesem G e f d steigen. Wurde ein G e f d erw-t, das einen beweglichen Deckel (Kolben) -besitzt, so wiirde der Gasraum (Volumen) groBer werden, der Druck wiirde gleich bleiben. Man hat gefunden, daB bei gleichbleibenden Volumen (wenn das GefaB keinen beweglichen Deckel besitzt) der Druck bei jedern Grad Erwbnung urn /3 = 1/273 des Druckes zunimmt, unter dem das Gas bei 0 "C steht. Steht also ein Gas bei 0°C unter dern Druck po = 10 bar und wird es auf 80°C e r w b t , so wird folgender Enddruck p erreicht:
174
I1 Einigc Physikalische Grundlagen
1 prr=10bar+10bar~-----80°C 213 "C = 10 bar+
800
bar 213 = 10 bar + 2,93 bar p , = 12,93 bar ~
vi3
Der Enddruck betragt also 12,93 bar. Die allgemeine Formel dieses Gesetzes von Amontons* bei gleichbleibenden Volurnen lautet: Prr = PI, +PI) .
I ~
213
. I7
folgt
/w)
p ist der Kompressibilitatskoeffizient.
Wenn die Temperatur nicht in Grad Celsius, sondern in Kelvin angegeben ist, kann man den Gasdruck auch folgendermal3en bestimmen:
oder p = konst.. T
Nach der Formulierung gilt, daR der Gasdruck der absoluten Temperatur direkt proportional ist .
3 3 Temperaturabhangigkeit des Gasvolumens 1st dagegen der Deckel eines geschlossenen Gefal3es heweglich, wird also der Gasraum bei Erwarmung griiBer, so bleibt der Druck gleich
= IOOL
+-
Guillaume Amontons (1663-1705), franr. Physiker.
=
1
273 "C
v,, + V,)
v,= v,,
8000
80 "C
L
I '
(
I+-
-'
213
6
2:3)
T
vo = v,, 213
wobei 6wieder die betreffende Temperatur in "C ist.
v, Q
= Vn.(l
ist der Volumenausdehnungskoeffizient.
3.4 Das Abhangigkeitsverhaltnis zwischen Volumen, Temperatur und Gasdruck Bis jetzt sind die Volumenabhangigkeit des Gasdruckes (Boyle-Mariottesches Gesetz) und die Temperaturabhangigkeit des Gasdruckes (Amontonsches Gesetz) unabhangig voneinander betrachtet worden. Bei diesen Betrachtungen ist immer eine der EinfluRgriikn, Volumen, Druck oder Temperatur, konstant gebliehen. Jetzt sollen Druck und Volumen gleichzeitig verandert werden.
* *
+ IOOL. -.
213 = 100 L + 29,31 L V, = 129,3 L
v,
wobei fur 6 jeweils die betreffende Temperatur in "C einzusetzen ist. pit = PI,' (1 +
= 100L
Das allgemeine Gesetz von Gay-Lussac* fir gleichbleibenden Druck lautet fur diesen Fall entsprechend:
213 +6
T = 213+6 T Prr = PI, 213
und das Volumen nimmt um 11273 des Volumens zu, welches das Gas bei 0 "C eingenommen hat. Nirnmt ein Gas hei 0 ° C einen Raum von lOOL ein, so nimmt bei Erwarmung auf 80°C das Gas folgenden Raum ein:
Joseph Louis Gay-Lussac (1778-1 850). franz. Physiker u. Chemiker.
3 Mechanik der Gase
Es wird von den bereits bekannten Abhangigkeiten ausgegangen: p p
1
- V -T
-
175
Die Gleichung
-P I-' V I - -P 2 . V Z TI
(Boyle-Mariotte) (Amontons)
T2
wird nach der gesuchten GroRe V , umgestellt.
Die Vereinigung der beiden Beziehungen ergibt: T P - -
Auf der rechten Seite werden nun die bekannten Zahlenwerte und Einheiten eingesetzt.
V
Durch Einfuhrung einer Proportionalitatskonstanten (konst.) ist: p = konst..
T -
V
oder
v,
=
I bar. S m' .263 K 298 K .0,4bar
= 11
rn3
Das Gas dehnt sich auf ein Volumen von 1 I m3 aus. Diese Tatsache muR beim Entwerfen eines entsprechenden Ballons beriicksichtigt werden.
P.V - = konst.
T
Analog zum Boyle-Mariotteschen Gesetz kann dann die folgende Gleichung formuliert werden:
3.5 Die universelle Gaskonstante Zunachst werden in die Zustandsgleichung fur ideale Gase
-"T
Diese Gleichung wird als Zustandsgleichung der idealen Gase bezeichnet. Sie setzt sich aus den Gesetzen von Boyle-Mariotte, Gay-Lussac und Amontons zusammen. In dem folgenden Rechenbeispiel sind die Zustandsvariablen (Druck, Temperatur, Volumen) durch die Zustandsgleichung fur ideale Gase miteinander verknupft. Auf der Erde wird ein Wetterballon bei 25 "C mit 5 m3 Wasserstoffgas mit einem Druck von 1bar gefullt. Welches Volumen nimmt das Gas im Balloninneren ein, wenn der Druck in grol3eren Hohen auf 0,4 bar abftillt und gleichzeitig die Temperatur auf -10°C sinkt? Liisung:
- konst.
die Zahlenwerte der Zustandsvariablen (Druck, Temperatur, Volumen) fur den Normzustand eingesetzt . Fur den Gasdruck gilt: PO
N = 1,013. 10' -, rnz
das entspricht 1,013 bar. Fur die Temperatur gilt: T,, = 273,lS K,
Zunachst wird die Temperatur von Grad Celsius in Kelvin umgerechnet:
das entspricht 0 "C.
0 ° C = 273K 25°C = 298K -10°C = 263K
Als Volumen im Normzustand ist das Volumen von 1 Mol eines idealen Gases bei Normdruck und 273,15 K definiert. Dieses
176
I1 Einige Physikalische Grundlagen
Volumen wird auch als Molvolumen bezeichnet. Es hat den folgenden Wert:
v gibt das Volumen von x Molen eines Gases an. Daraus resultiert:
V,, = 22,4 L/mol
p ' I' -=
R ' T bzw
n
Wenn die gegebenen Werte in die Zustandsgleichung eingesetzt werden, erhalt man die universelle Gaskonstante. Sie wird mit dem Buchstaben R bezeichnet.
=n.R.T
p.v
Diese Gleichung wird als allgemeine Zustandsgleichung fur ideale Gase bezeichnet.
Rechenbeispiel Wasserstoff befindet sich in einer Stahlflasche mit einem Volumen von 20 L bei einem Druck von 200 bar und 20 "C. Wieviel Gramm Wasserstoff befinden sich in der Stahlflasche? Nm J R = 8,31 - = 8.31 rnol K mol K ~
Die universelle Gaskonstante hat die Dimension einer Energie pro Mol und K . Wenn fur die Zustandsvariablen (Druck, Temperatur, Molvolumen) Zahlenwerte mit anderen Dimensionen gegeben sind, nimmt die universelle Gaskonstante ebenfalls andere Werte an. Mit der Einfuhrung der universellen Gaskonstante nimmt die Zustandsgleichung fur ideale Gase folgende Form an:
N
1 bar = 10' ;
rn-
200. 10' N . 20. 10 ' m' . rnol . K
-
n
m 2 . 8.31 N m , rnol. 293 K 200. 100. 20 = rnol = 164,3 mol 8,31 . 293
Die Molmasse von Wasserstoff betragt 2 g/mol. P --V - R T
Stoffrnenge = m
12
V steht fur das Molvolumen und die Gleichung gilt nur fur 1 Mol. Sol1 die Gleichung fur rnehrere Mole gelten, muB die Stoffmenge n eingefiihrt werden. Dies geschieht uber die Beziehung Y = n . V.
Masse Molmasse
= -
M
m = n.M=164,3rnol.2-
s mol
m
= 3286g
Die Stahlflasche enthalt 328,6 g Wasserstoff.
Warmelehre
4.1 Warme als Energieform Fullt man aus der Wasserleitung Wasser in einen Eimer, so empfindet man es als kalt. Hangt man einen Tauchsieder hinein und schaltet ihn ein, so ernpfindet man es erst als warm, dann als heil3. Beirn Erhitzen wurde elektrische Energie aus dem Stromnetz entnommen und diese dem Wasser zugefuhrt, d. h. elektrische Energie wurde in Warmeenergie umgewandelt. Auch andere Energieformen konnen in Wirme umgewandelt werden, z.B. entsteht beim Reiben zweier Korper aneinander W m e ; die Strahlung der Sonne wird beim Auftreffen auf einen Korper zum Teil in W k n e umgewandelt.
(Ferner gibt es noch die Temperaturskalen nach Rkaurnur* und, vorwiegend in englisch sprechenden Landern, nach Fahrenheit* * .)
4.1.1 Warme und Temperatur Wenn man sagt, dal3 ein Korper warm oder kalt ist, so ist dies keine exakte, vergleichbare Aussage. Um vergleichbare Aussagen machen zu konnen, wurde der Begriff der Temperatur eingefuhrt. Die Ternperatur eines Korpers wird mit Thermornetern gemessen und als Zahlenwert angegeben. Die in Deutschland allgemein iibliche Celsius-Skala ist benannt nach dem schwedischen Astronom Celsius*. Der Nullpunkt der CelsiusSkala ist die Temperatur des schmelzendes Eises. Der Siedepunkt des Wassers bei 1,013 bar ist der andere Festpunkt (Fixpunkt). Den Abstand zwischen diesen beiden Fixpunkten, dem Schmelzpunkt des Ekes und dem Siedepunkt des Wassers, teilte Celsius in 100 "C. Neben der Einteilung nach Celsius-Graden ist besonders die Kelvin-Teilung** wichtig. Diese Teilung geht vom absoluten Nullpunkt (-273 "C) aus: Kelvingrade bezeichnet man mit K (Kelvin). Man gibt damit die absolute Temperatur an (Abb. 11-4).
*
**
Abb. 11-4. Vergleich der Temperaturskalen "C und K .
4.12 Warmemenge Betragt die Temperatur einer bestimmten Wassermenge z. B. 8 0 ° C so ist noch lange nicht bekannt, wieviel W h e e n e r g i e wirklich vorhanden ist. Ein MaB fur die Wmeenergie ist die Wiirmemenge. Mit einem Versuch sol1 dieser Zusammenhang veranschaulicht werden: In ein hohes, 2 L fassendes GefaR rnit Drahtriihrer werden ein Tauchsieder und ein Thermometer hineingehangt. Zuerst werden 0,5 L Wasser eingefullt und die Zeit gernessen, die benotigt wird, urn das Wasser von 20°C auf 50 "C zu e r w h e n . Dann wird der Versuch mit 1 L bzw. 2 L Wasser wiederholt. Der Versuch zeigt, daB bei groBeren Wassermengen langer geheizt werden mul3, um die gleiche Temperatur zu erreichen. Da der Tauchsieder in gleicher &it stets die gleiche Energiemenge abgibt, heifit das, daB *
Anders Celsius (1701-1744), schwedischer Astronom. William Thomson (182&1907), 1892 Erhebung in den Adelsstand, Lord Kelvin. engl. Physiker.
**
Reaumur, de Rent Antione Ferchault (1683-1757). franz. Jurist und Naturforscher. Fahrenheit, David Gabriel (168&1783), Physiker in Deutschland und England.
I78
I1 Einige Physikalische Grundlagen
die groRere Wassermenge mehr Energie aufnimmt und folglich dann auch die groRere Warmemenge enthalt. Daraus folgt: Die in einem Korper enthaltene Wurmemenge ist von der Masse des Korpers abhungig. Je grop e r die Masse, umso griger ist die Warmemenge, die er bei gleicher Temperatur enthalt.
In einem zweiten Versuch werden zwei 500mL-Becherglaser rnit je 0,25 L Wasser gefullt. In einem Glas hat das Wasser 20 "C, im zweiten 60°C. AnschlielJend wird zerkleinertes Eis zugegeben. Um das Eis zu schmelzen, ist Warme notwendig, diese wird dem Wasser entzogen. Es wird soviel Eis hineingegeben, bis es nicht mehr schmilzt. Im Wasser von 60°C ist ca. 3mal soviel Eis geschmolzen wie in dem Wasser von 20°C. In dem warmeren Wasser ist also eine groaere Warmemenge enthalten. Daraus folgt:
Energie zugefuhrt werden, um die gleiche Temperaturerhohung zu erreichen. Damit ergibt sich, daf3 die Warmemenge, die notig ist, um 1 kg Glykol von 20°C auf 50°C zu erwarmen, kleiner sein mu13 als diejenige, die man benotigt, um 1 kg Wasser von 20°C auf 50 "C zu erwarmen. Zur gleichen Erkenntnis gelangt man, wenn in ahnlichen Versuchen Metalle gepriift werden. Fur ein Experiment werden u. a. ein Heizbad, rnit dem Wasser zum Sieden erhitzt wird, drei Becherglaser rnit je 0,3 L Wasser von 20"C, Thermometer, Ruhrer und drei gleichschwere Metallklotze aus Aluminium, Eisen und Blei benotigt. Die drei Klotze werden fur ca. 5 min in das siedende Wasser getaucht. Danach werden sie schnell in die Becherglaser rnit kaltem Wasser gebracht. Unter Ruhren wird der Temperaturanstieg des Wassers beobachtet (Abb. 11-5).
Die in einem Korper enthaltene Warmemenge ist von der Temperatur des Korpers abhangig. Je hoher die Temperatur, desto griiier ist die Warmemenge, die er bei gleicher Masse enthalt.
Zusammenfassend gilt: Die in einem Korper enthaltene Warmemenge ist abhangig von der Masse und der Temperatur des Korpers.
4.13 Einheit der Warmemenge Die Whnemenge ist eine Form der Energie, ihre Einheit ist das Joule (J). l J = I N m = IWs*
4.1.4 Spezifische Warme Wahrend in den vorhergehenden Versuchen nur mit Wasser gearbeitet wurde, werden jetzt auch andere Stoffe betrachtet. Ein 2000-mL-Becherglas wird mit 1000 g Wasser gefullt und diejenige Zeit bestimmt, die benotigt wird, um das Wasser von 20°C auf 50°C zu e n v h n e n . AnschlieRend werden anstatt Wasser 1000 g Glykol eingefullt und wieder die Zeit fur die Temperaturerhohung von 20°C auf 50°C gemessen. Es wird eine kurzere Zeit benotigt. Bei gleicher Stoffmenge muRte weniger
*
In der Technik wird manchmal noch die Einheit Kalorie (cal) verwendet. 1 cal = 4,187 J .
Abb. 11-5. Versuch zur spezifischen Warme.
Obwohl die Metallklotze gleiche Masse und Anfangstemperatur haben, erwarmen sie das Wasser verschieden stark. Und zwar erwarmt der Aluminiumklotz das Wasser am stiirksten und der Bleiklotz am schwachsten. Dies bedeutet wieder, daR die Stoffe unterschiedliche Warmemengen enthalten. Bei gleicher Masse und Temperatur ist die in einem Stoff enthaltene Warmemenge noch von einer weiteren Stoffeigenschaft, der spezz5schen Warme abhangig. Als spezifische Warme wird die Warmemenge in I d definiert, die benotigt wird, um 1 kg eines Stoffes um 1 K zu envarmen. Einige Beispiele spezifischer Warmen verschiedener Stoffe gibt Tab. 11-1 wieder. Wasser besitzt von allen Stoffen die hochste spezifische Warme.
4.15 Berechnung der Warmemenge Anhand der durchgefuhrten Versuche sieht man, da13 die Warmemenge ( Q ) umso groRer ist, je groaer die Masse ( m ) , die Temperaturdifferenz (A@) und die spezifische Warme ( c ) sind.
4 Warmelehre Tab. 11-1. Spezifische Wiirme einiger Stoffe.
Stoff
Spezifische Warme kJ kg . K
Wasser Eis Alkohol
Glycerin Aluminium
Eisen Blei
4.19
2,Ol 2,43 2 39 0,88 0,SO 0,13
Daraus ergibt sich folgende Gleichung:
zur Berechnung der Warmemenge.
4.2 Ausdehnung durch Warme 4.2.1 Langenausdehnung bei Feststoffen Ein Metallrohr wird auf einer Seite befestigt. Mit der anderen Seite wird es auf eine drehbare Scheibe rnit Zeiger gelegt. Der Zeiger bewegt sich, wenn das Rohr vom durchstromenden Wasserdampf erwarmt wird. Wird die Dampfzufuhr gestoppt, kiihlt sich das Rohr wieder ab. Der Zeiger bewegt sich zuriick (Abb. 11-6). Der Zeiger hat sich bewegt, weil sich das Rohr bei der E r w h u n g ausgedehnt und beim Abkuhlen wieder zusammengezogen hat. Diese Liingenanderungen durch Temperaturschwankungen sind in der Technik von sehr groaer Bedeutung, da dabei gleichzeitig sehr g r o k Krafte auftreten.
Kalt
tL
Abb. 11-6. Ausdehnung eines Metallrohres.
*
Bei der Berechnung von Wiirmemengen rechnet man im allgemeinen mit Temperaturangaben in "C (Grad Celsius). Bei Berechnung mit den Gasgesetzen beniitigt man die absolute Temperatur in K (Kelvin).
179
Ein Eisentrager einer Briicke, der bei 10°C eine Lange von 10 m hat, andert seine Lange bei einer Erwtimung auf 30°C im Sommer um ca. 0,5cm. Diese Langenzunahme mu13 beim Bau der Briicke durch Dehnungsfugen beriicksichtigt werden. Andere Beispiele, bei welchen die Langenausdehnung bei Envarmung eine wichtige Rolle spielt, sind, der Bau von langen Rohrleitungen sowie der Uberlandleitungen. Ein Stab von 1 m Lange dehnt sich bei IOK Erwarmung um einen bestimmten Betrag aus (Tab. 11-2). Die Liingenausdehnung ist von Stoff zu Stoff verschieden, aber fur jeden einzelnen Stoffchurakteristisch. Zwischen 0 "C und 100 "C kann man mit einer regelmaBigen Langenausdehnung rechnen, d. h. je Grad E r w h u n g dehnt sich ein Korper einer bestimmten Lange um einen bestimmten Betrag aus. Der Ausdehnungskoeffizient ist die Zahl, die angibt, um den wievielten Teil seiner Lange sich ein Stab bei Erwarmung um 1 "C (1 K) ausdehnt. Tab. 11-2 gibt die Ausdehnung von Staben aus verschiedenen Materialien bei Erwknung an. Tab. 11-2. Ausdehnung eines Stabes von 1 m Lange bei Erwiirmung urn 10 K.
Stoff
Ausdehnung (in mm)
Aluminium Stahl Kupfer Fensterglas
02 4 0,12 0,17 0,08S
4.22 Volumenausdehnung von Fliissigkeiten Ein OJ-L-Kolben wird bei Zimmertemperatur vollstandig mit Alkohol gefiillt und rnit einem Stopfen verschlossen, durch den ein diinnes Steigrohr fiihrt. UmfaBt man jetzt den Kolben rnit den Handen, so steigt die Flussigkeit im Rohr schnell hoch (Abb. 11-7), sie dehnt sich aus. Fliissigkeiten dehnen sich bedeutend starker aus als Feststoffe, z.B. dehnt sich 1 L Eisen bei IOK Temperaturerhohung um 0,36 cm' aus, I L Alkohol dagegen um 11 cm3. Deshalb spielt die Ausdehnung von Flussigkeiten beim Fullen von Fassern und anderen geschlossenen Behaltem eine g r o k Rolle; solche Behalter diirfen nie bis zum Rand gefullt werden. Wird z. B. ein FaB von 200L Inhalt bei 10°C vollig mit Alkohol gefiillt
180
II Einige Physikalische Grundlagen
und dann in der Sonne bei 30°C gelagert, so nimmt das Volumen um 4,14 L zu. Das StahlfalJ dehnt sich zwar auch aus. aber nur um 0.14 L. Das bedeutet, daB das Fa13 durch die Ausdehnung des Inhaltes platzen kann, da die auftretenden Krafte sehr groB sind.
1,013bar und 0°C besitzt (Normaustand). aus (vgl.Abschn. II-3.3),d. h. das Volumen eines Gases vergrol3ert sich bei l K Erwarmung bei einem Ausgangsvolumen von I m i um 3,66 L.
4 3 Temperaturmessung Um die Temperatur eines Korpers zu messen, werden Thermometer [therme (grch.), W k m e ] und andere TemperaturmeBinstrumente benutzt. Hierbei nutzt man das Verhalten verschiedener Stoffe beim Erwarmen aus und miBt damit die Temperatur eines anderen Korpers.
43.1 Quecksilberthermometer 20oc
30°C
Abb. 11-7. Ausdehnung von Fliissigkeiten.
4.23 Volumenausdehnung von Gasen Um die Volumenanderung von Gasen zu zeigen, werden ein 0,25 L groBer, dunnwandiger Glaskolben mit langem, dunnen Rohransatz und ein Becherglas mit, Wasser benotigt. Der Kolben wird mit der Offnung nach unten ins Wasser getaucht und mit beiden Handen envarmt (Abb. 11-8). Nach kurzer Zeit tritt Luft aus dem Kolben aus und perlt durch das Wasser nach oben. Das Volumen des Gases (der Luft) hat sich vergroBert. Nimmt man nun die Hande weg und llUt den Kolben abkuhlen, so zieht sich das Gas wieder zusammen. Da ein Teil des Gases beim Erwarmen entwichen ist, steigt nun Wasser in dem Rohr hoch.
n
Abb. 11-8. Ausdehnung von Gasen. Gaw dehnen sirh noch starker als Fliissigkeiten aus. Erwarmt man ein Gas um 1 K, so dehnt es sich um 1/273 seines Volumens, das es bei
Am bekanntesten ist das Quecksilberthermometer. Es besteht aus einem kleinen, mit Quecksilber gefullten GlasgefaB mit einer angesetzten, evakuierten Kapillare. Beim Erwarmen dehnt sich das Quecksilber aus und steigt in der Kapillare hoch. Die Steighiihe ist ein MaJ fur die Temperutur. Auf einer Skala hinter der Kapillare kann dann die Temperatur abgelesen werden (vgl.Abschn. 11-4.1. I ) . Quecksilberthermometer sind fur den Temperaturbereich von -39 "C (Erstarmngspunkt des Quecksilbers) bis +350 "C brauchbar. Fur hohere Temperaturen (bis etwa +600"C) muU die Kapillare uber dem Quecksilber mit Stickstoff gefullt werden . Falls man statt des Glasgefaks ein QuarzgefaB fur das Thermometer verwendet, kann man es bis +750 "C benutaen.
4 3 2 Andere Fliissigkeitsthermometer Anstelle des Quecksilbers kann man auch Ethylalkohol als Thermometerflussigkeit verwenden. Eth~lalkoholthermometerlassen sich fur Temperaturen zwischen -100 "C und +70 "C benutzen. - Fur Temperaturen zwischen -190°C und +20 "C kann man mit Pentan oder anderen niedrig siedenden Kohlenwasserstoffen gefullte Thermometer verwenden. Bei Fliissigkeitsdruckthermgmetern ist eine Flussigkeit (Quecksilber oder 01) in eine Rohre eingeschlossen; die Flussigkeit dehnt sich beim Erwarmen aus und bewegt durch ihren Druck ein Hebelsystem und einen Zeiger uber einer Skala (Abb. 11-9).
4 Warmelehre
181
erwarmt, so flieat weniger Strom. Die Skala des StrommeBgerates A kann direkt in Graden geeicht werden. Der MeRbereich urnfaRt Temperaturen von etwa -220 "C bis +750 "C. R
II Abb. 11-9. Quecksilberdruckthermometer.
U
433 Weitere Temperaturmefiinstrumente Das Bimetallthermometer (Abb. IT- 10) besteht aus einer Spirale aus Bimetall, die sich bei Ternperaturanderung knirnrnt. Ein Bimetall besteht aus zwei verschiedenen, aufeinander gewalzten oder geschweihten Metallstreifen (z. B. A1 auf Fe), die verschiedene Ausdehnungskoeffizienten besitzen. Mit ihrem freien Ende bewegt die Bimetallspirale einen Zeiger. Dieses Thermometer hat einen MeBbereich bis 500 "C.
B
Abb. 11-11. Widerstandsthermorneter. - B Batterie, R Widerstand, A Amperemeter.
Ein Thermoelement besteht aus zwei verschiedenen Metalldrahten, die an einem Ende rniteinander verlotet sind. Erwarmt man die Liitstelfe, d.h. bringt man die Lotstelle dorthin, wo die Temperatur gemessen werden soll, und halt die beiden anderen Enden der Drahte kalt, so entsteht eine elektrische Spannung, deren GroRe ein MaR fur den Temperaturunterschied zwischen der Lotstelle und den beiden anderen Drahtenden ist . Es sind nur solche Metallkombinationen brauchbar, die eine genugend groRe Thermospannung erzeugen, die man in Millivolt miRt. Das Miflivoltmeter kann wiederum direkt in Celsiusgraden geeicht werden (Abb. 11-12).
a Kupfer
Konstanton
Abb. 11-10. Bimetallthermometer.
Abb. 11-12. Thermoelement.
Das Widerstandsthermometer beruht auf der Tatsache, daO der elektrische Widerstand eines Metalldrahtes von der Temperatur abhangt. Als Metal1 venvendet man Platin oder Nickel. Erhitzt man einen stromfuhrenden Draht, so wird sein Widerstand groRer. Bei der Anordnung (Abb. 11-11) flieht von der Batterie B aus ein Strom uber den Draht, durch den Widerstand R und das StrommeOgerlt. Wird der Widerstand R
Am haufigsten benutzt man Thermoelemente entsprechend Tab. 11-3. Beim Pyropter oder optischen Pyrameter (Abb. 11-13) schaut man durch ein Fernrohr, in dem man den zu messenden gluhenden Korper und einen dunnen elektrischen Heizdraht (Normalstrahler) erblickt. Mittels der Batterie B kann man den Heizdraht ebenfalls zum Gluhen bringen. Man Bndert den Heizstrom so lange, bis der
182
I1 Einige Physikali\che Grundlapen
Tab. 11-3. Temperaturbereichc von Thermoelementen.
Thcrmoclcment Kupfer-Konstantan* Eisen-Konstantan* Nickel-Chromnickel Platin-Platinrhodium
*
Temperaturbereich in "C von
his
-200 -200 0
+ 600
0
+
900 +I300 + I600
Konstantan ist eine Widerstandslegierung aus Kupfer. Nickel. Mangcn oder Eisen.
Heizdraht dieselbe Gluhfarbe hat wie der zu messende Kiirper. Der hierru benotigte Strom wird mit einem MeRinstrument gemessen, das direkt in Celsius-Graden geeicht ist. Bei der Messung mussen die Oberflacheneigenschaften des Strahlers berucksichtigt werden. Dieser Pyrometer ist nicht rum Messen von Flammentemperaturen geeignet. Objektiv
usw. Schlechte Warmeleiter sind Haare, Federn, Stroh, Holz, Glas und alle Case. Cute Warmeleiter braucht man, um Warme schnell zu ubertragen oder wegzuleiten. Schlechte Warmeleiter (W?irmeisolatork) benutzt man, um Warmeleitung weitgehend zu verhindern.
4.4.2 Warmestromung Bei der Warmeleitung bleiben die Teilchen des leitenden Korpers auSerlich in Ruhe. Bei der Warmestriimung wandert nicht nur die Warme, sondern auch der Stoff. Warmestromung findet man deshalb nur bei fliissigen und gasformigen Stoffen. Von dieser Warmestriimung macht man z.B. bei der Warmwasserheizung Gebrauch (Abb. 11-14).
Okular
Abb. 11-13. Optisches Pyrometer*. - B Batterie.
Abb. 11-14. Demonstration der Warmwasserheizung.
4.4 Warmeubertragung
4.43 Warmestrahlung
4.4.1 Warmeleitung Halt man das Ende eines Metallstabes in eine Flamme, so wird bald auch das andere Ende warm, das man in der Hand halt. Die Warme wird also innerhalb des Stabes weitergeleitet. Man spricht deshalb von Warmeleitung. Es gibt gute und schlechte Warmeleiter. Cute Warmeleiter sind Metalle. Am besten leitet Silber die Warme, dann Kupfer, Aluminium, Eisen
*
pyr (grch.) Fcucr ~
In der Nahe eines heiRen Ofens empfindet man, dab vom Ofen her eine Erwarmung des menschlichen Korpers stattfindet, ohne daR eine Warmestromung oder eine Warmeleitung vorhanden ist. - Beispielsweise erreicht die Energie der Sonne die Erde auch durch den Jeeren" Raum des Weltalls. Diese Art der Warmeubertragung wird als Warmestrrihlung bezeichnet. Es ist eine den Lichtstrahlen ahnliche Strahlung, die sich auch im Vakuum ausbreitet. Sie wird infrarote Strahlung genannt und ist fur das menschliche Auge unsichtbar.
4 Wmelehre
4.5 Aggregatzustande Man unterscheidet drei Aggregatzustande: fest - fliissig - gasformig Beim fesren Aggregatzustand sind im allgemeinen die kleinsten Teilchen des Stoffes - die Atome bzw. Molekiile - in einem bestimmten System fest in ein Kristallgitter eingeordnet (Abb. 11-15), Gegeneinander sind sie nur sehr schwer zu verschieben. Der Stoff hat eine bestimmte Form und nimmt ein bestimmtes Volumen ein.
fest
flussig
gasformig
Abb. 11-15. Aggregatzustande.
Im fliissigen Aggregatzustand sind die Teilchen nicht mehr an einen Ort gebunden, sie lassen sich gegeneinander leicht verschieben. Zwar besitzt eine Flussigkeit noch ein bestimmtes Volumen, nimmt aber jede beliebige Form an. Im gusfirrnigen Aggregatzustand sind die Teilchen weit voneinander entfernt und iiben kaum noch Krafte aufeinander aus. Sie lassen sich sehr leicht gegeneinander verschieben. Eine Gasrnenge nimmt jede beliebige Form an und jedes beliebige Volumen ein.
45.1 Temperatur und Aggregatzustand Ein Stuck Eis ist bei 0°C bekanntlich fest. Die Wassermolekule sind in einem festen Gitter angeordnet. Halt man Eis in der Hand, so wird die Hand kalt. Das Eis nimmt Warme auf und
183
schmilzt. Dabei entsteht Wasser, das fliissig ist. Wird Wasser in einem Topf aufgefangen und zum Kochen gebracht, so verdampft es und wird gasformig. Durch Energiezufuhr kann ein Stoff vom festen in den gasformigen Zustand uberfuhrt werden. Die dabei zugefiihrte Energie regt die Teilchen des Stoffes zum Schwingen an. Durch das Schwingen wird zuerst das Kristallgitter zerstort, der Stoff wird fliissig; dann werden auch noch die in der Fliissigkeit vorhandenen Anziehungskrafte iiberwunden und der Stoff wird gasformig. 4 5 3 Sehmelzwarme und Erstarrungswarme In einem Becherglas wird 1 kg Wasser von 0°C auf moglichst kleiner Flamme erwarmt. In einem anderen Becherglas wird mit gleich kleiner Flamme 1 kg fein zerkleinertes Eis von 0°C erwiirmt (Abb. 11-16), Wahrend im Glas mit dem Wasser die Temperatur langsam. aber stiindig ansteigt und das Thermometer je nach der GroBe der Flamme schon 30 bis 40 "C anzeigt, herrscht im Glas mit dem Eis nach sorgfaltigem Umriihren immer noch eine Temperatur von 0 " C ,solange Eis vorhanden ist. Die dem Eis zugefuhrte Warme wird also nicht zur Temperaturerhohung verbraucht, sondern zum Schrnelzen. Man nennt sie deshalb Schrnelzwarrne. Erst wenn das gesamte Eis geschmolzen ist, beginnt die Temperatur zu steigen. Schrnelzwarrne ist also die Warme, die man braucht, um eine bestimmte Menge, z.B. 1 kg eines Stoffes, ohne Temperaturerhohung vom festen in den fliissigen Zustand zu uberfuhren. Sie wird auch latente* (verborgene) Warme genannt. Die verschiedenen Stoffe nehmen also beim Schmelzen Warme auf, ohne daB die Temperatur ansteigt. Sie benutzen die W-eenergie, um das feste Kristallgefuge zu lockern. Die Temperatur, bei der ein Korper vollig fliissig wird, heiBt Schrnelzpunkt. L a t man einen geschmolzenen Korper abkuhlen, so beginnt er wieder fest zu werden, sobald er die Temperatur erreicht, bei der er vorher geschmolzen ist. Dieser Punkt ist der Ersturrungspunkt. Manche Fliissigkeiten, z. B. Natriurnthiosulfat, lassen sich auch unter den Erstarmngspunkt abkuhlen, wenn man sie ganz ruhig stehen lafit. Durch AnstoR, durch Einwer*
latere (lat.) verborgen sein. ~
184
I I Einige Physikalische Grundlagen
L Zeit
o-ooc
n Anfangszustand
-
a Erwarmen
Endzustand
Ahh. 11-16. Versuch zur Schnielzwarmc.
fen eines Kristalls, oft schon durch ein Staubkornchen, erstarren sie ganz plotzlich. Flussigkeiten, die unterhalb ihrer Erstarrungstemperatur noch ,,flussig" sind, nennt man unterkuhlte Flussigkeiten. Wird z. B . etwas Natriumthiosulfat (Schmclzpunkt + 4 8 "C) in einem Reagenzglas geschmolZen und dann vorsichtig abgekuhlt, so bleibt es unter Umstanden bis +IS"C flussig. Wird ein Kristall Natriumthiosulfat hineingeworfen, so beginnt die flussige Schmelze zu erstarren. Gleichzeitig steigt das Thermometer auf + 4 8 "C. Dieses Ansteigen der Temperatur zcigt, dab beim Erstarren Warme frei wird; das ist dieselbe latente Warme, die zum Schmelzen notwendig ist, d.h. dem Korper zugefiihrt werden mulJ. Die Ersturrungswarme ist diejenige Warmemenge, die frei wird, wenn ein Korper vom flussigen in den festen Zustand iibergeht. - Erstarrungspunkt und Schmelzpunkt eines Kiirpers sind gkich.
4 5 3 Verdampfungs- und Kondensationswarme In einem offenen Becherglas wird I kg Wasser solange crhitzt, bis das hineingehaltene Thermometer 100°C anzeigt. Dann wird weiter erhitzt. Obwohl mit der Flamme stlndig mehr Warme zugefuhrt wird, steigt die Temperatur nicht uber 100°C. Dagegen verringert sich die Wassermenge: Das flussige Wasser verwandelt sich in Wasserdampf. Die Warme, die dem Wasser weitcr zugefuhrt wurde, diente d a m , das Wasser in Dampf zu verwandeln. Sie heiBt deshalb Verdumpfungswiirme. Sie ist ebenfalls eine latente Warmemcnge (vgl. Tab. 11-4). Wird der Dampf wieder abgekuhlt, indem er in Wasser von 0°C eingeleitet wird, so wird diese Warme als Kondensationswarme wicder frei. Das kalte Wasser erwarmt sich. Verdampfungswarme ist diejenige Wlrmemenge, die man braucht, um eine bestimmte
4 Wiirmelehre
185
Tab. 11-4. Schmelz- und Siededaten einiger Substanzen. Stoff
Schmelzpunkt
"C Wasser Ethylalkohol Schwefelsiiure Aluminium Blei Schwefel
0 .oo - I I4 10.5 660 327 I13
Schmelzwiirme kJ/kg
Siedepunkt "C
VerdampfungswLme kJikg
333.7 I05 109 386 24 39
lO0,oo 78.3 338 2 500 1 700 444
2 258 858 51 1 10 796 92 1 293
Menge (meist 1 kg) eines Stoffes ohne Temperaturerhohung vom flussigen in den gasformigen Zustand uberzufuhren. Kondensationswarme ist diejenige Warmemenge, die frei wird, wenn eine bestimmte Menge (meist 1 kg) eines Stoffes ohne Temperaturerniedrigung vom dampfformigen in den flussigen Zustand ubergeht.
Thermometer O
mit
h
Aceton
45.4 Verdampfen, Verdunsten, Sieden Wenn einer Flussigkeit am Siedepunkt Wiirmeenergie zugefuhrt wird, dann verdampft sie. Daneben gibt es auch ein Verdampfen, das ohne Heizen vor sich geht. Man nennt es Verdunsten. Es ist der langsame Ubergang einer Flussigkeit in den Dampfzustand. Wird ein Thermometer mit einem kleinen Wattebausch oder etwas Filterpapier umwickelt und mit wenig Aceton getrankt, so sinkt die Temperatur des Thermometers langsam. Das Aceton aus dem Wattebausch verdunstet gleichzeitig. Dabei hat sich die Umgebung, also auch das Thermometer, abgekiihlt. Das Aceton hat zum Verdunsten Warme gebraucht, die als Verdunstungskiilte bezeichnet wird (Abb. 11- 17). Die Geschwindigkeit der Verdunstung ist von verschiedenen Umstanden abhangig: a) von der Art des Stoffes b) von der GroBe der Oberflache c) von der Luftbewegung oberhalb der Flussigkeit d) von dem Dampfgehalt der uber der Flussigkeit stehenden Luftsaule e) von der Temperatur
4 5 5 Siedepunkt und Druck Wird eine Flussigkeit bis zu ihrem Siedepunkt erhitzt, so steigen in der Flussigkeit Dampfblasen
Abb. 11-17. Verdunstungskalte.
an die Oberflache. Die Flussigkeit siedet. Wasser siedet unter normalem Luftdruck von 1,O 13 bar bei +IOO"C. Wird Wasser in einen Kolben gefullt und mit einer Wasserstrahlpumpe Luft aus dem Kolben gesaugt, so siedet das Wasser schon bei niedrigerer Temperatur. Der Siedepunkr einer Flussigkeit ist druckabhangig. Mit steigendem Druck steigt auch der Siedepunkt an. Eine Fliissigkeit siedet dann, wenn ihr Dampfdruck den auf der Fliissigkeit lastenden Druck iiberwindet .
186
I1 Einige Physikalische Grundlagen
4.5.6 Sublimieren Ein Reagenzglas wird in einen durchbohrten Stopfen gesteckt und in die Offnung eines Rundkolbens eingepal3t (Abb. 11-18).In dem Reagenzglas befindet sich etwas Schwefel, der mit kleiner Flamme enviirmt wird, zugleich wird der Kolben mit Wasser gekuhlt.
auflost, z.B. Kochsalz in Wasser. Lost man einen solchen Stoff in Wasser auf, so entzieht er dem Wasser die zum Auflosen notige W-e, die Liisungswarme. Das Wasser kiihlt sich ab. Die Losungswarme ist nicht bei allen Stoffen gleich grol3. Besonders gut laBt sie sich bei solchen Stoffen feststellen, die eine groRe Losungswarme besitzen.
,Schwefel
I I Nach kurzer Zeit hat sich an der gekuhlten Wand des Kolbens Schwefel angesammelt. Im Reagenzglas dagegen befindet sich kein geschmolzener Schwefel. Die bisherigen Gedankenexperimente haben bewiesen, darj sich durch Warmezufuhr ein Stoff erst verfliissigt und dann verdampft. Durch Warmeentzug (Abkuhlen) wird der Stoff wieder fliissig, dann fest. Bei dem beschriebenen Versuch tritt der fliissige Zustand nicht auf, sondern der Stoff wird sofort gasformig und bei Abkiihlung wieder fest. Diese Eigenschaft nennt man Sublimieren*. Dabei muR beim Erwarmen gleichzeitig die Schmelz- und die Verdampfungswarme zugefiihrt bzw. wieder abgefiihrt werden.
4.5.7 Losungswarme Von der Schmelzwarme, die ein Korper braucht, um ohne Temperaturerhohung vom festen in den fliissigen Zustand iiberzugehen, ist die Losungswarme zu unterscheiden. Manche Stoffe benotigen Wiirme, wenn man sie in einem Losemittel
* sublimare (lat.) - emporheben
Abb. 11-18. Sublimation.
Lost man z. B. 30 g Ammoniumchlorid (NH,CI) in 100 g Wasser, so sinkt die Temperatur um ungefiihr 18"C, also z. B. von +20"C auf +2"C. Lost man 60g Ammoniumnitrat (NH,NO,) in 100 g Wasser, so sinkt die Temperatur sogar um 20"C, also etwa von +15 "C auf -5 "C. In diesem Falle ist auch bei -5 "C die warjrige Losung noch nicht gefroren, wahrend doch sonst Wasser bei 0 "C gefriert (s. Abschn. 11-4.5.8). Neben Stoffen, die beim Auflosen Losungswarme aufnehmen, gibt es andere, die beim Auflosen Warme abgeben. Lost man z.B. Kaliumhydroxid in Wasser, so kiihlt sich das Wasser nicht ab, sondem envarmt sich. Man spricht deshalb allgemein von der Warmetonung des Losungsvorgangs. Tritt beim Auflosen eines Stoffes eine Temperaturemiedrigung auf, wird Losungswarme aufgenommen, und man spricht von einer negativen Warmetiinung. Tritt dagegen beim Auflosen eines Stoffes in einem Losemittel durch andere beim Auflosen ablaufende Prozesse eine Temperaturerhohung ein, so wird von einer positiven Warmetiinung gesprochen. Die eigentliche Losungswiirme ist immer negativ. Tritt beim Auflosen eine positive Warme-
4 Wiirmelehre
tonung ein, so ist der Losungsvorgang von chemischen oder physikalischen Reaktionen begleitet.
4.5.8 Gefrierpunkt- Schmelzpunkt Kiihlt man Wasser ab, beginnt es bei 0°C zu gefrieren. Die Temperatur bleibt so lange konstant , bis das ganze Wasser gefroren ist. Das Eis kann man dann weiter abkiihlen. Beim Gefrieren des Wassers wird die sog. Erstarmngswarme freigesetzt. Die Erstarmngsw m e ist die W m e m e n g e , die beim Erstarren einer Fliissigkeit ohne Temperaturandemng frei wird. Die Temperatur, bei der diese Phasenumwandlung stattfindet, wird als Erstarrungspunkt oder Gefrierpunkt bezeichnet. Erwarmt man Eis von sehr niedrigen Temperaturen, beginnt es bei 0°C zu schmelzen. Die Temperatur bleibt solange konstant, bis das ganze Eis geschmolzen ist. Erst dann kann das entstandene Wasser weiter erwarmt werden. Die Warmemenge, die zum Schmelzen des Eises benotigt wird, wird als Schmelzwarme bezeichnet. Sie ist genau so grol3 wie die Erstarmngswme, also sind auch GefLier- und Schmelzpunkt gleich. Die Schmelzwarme ist die Wkmemenge, die beim Schmelzen eines Korpers ohne .Temperaturanderung frei wird. Wenn man Salz in Wasser lost und diese Losung abkiihlt, stellt man fest, dal3 die Losung bei 0 "C noch fliissig ist. Sie gefriert erst bei einer Temperatur, die deutlich tiefer als der Gefrierpunkt von Wasser liegt. Der Gefrierpunkt bzw. Schmelzpunkt waBriger Losungen liegt also unterhalb von 0°C. Es 1st eine Gefrierpunktserniedrigung oder Gefrierpunktsdepression* eingetreten. Die Grol3e der Gefrierpunktserniedrigung hangt von der Masse des gelosten Stoffes ab. Da wal3rige Losungen erst unterhalb 0°C gefrieren, kann man Kiihlsolen herstellen, die Temperaturen von -20 "C und niedriger aufweisen. Diese werden z. B. zum Kiihlen von Reaktionskesseln venvendet. Von der Gefrierpunktsemiedrigung macht man Gebrauch, wenn man im Winter Eis oder Schnee mit einem Salz auftaut. Wird Salz auf Eis gestreut, schmilzt das Eis, weil die aus der Mischung entstehende Salzlosung einen tieferen Gefrierpunkt hat als das reine Wasser.
*
deprimere (lat.) niederdriicken ~
187
45.9 Uberhitzter Dampf Nicht nur ein niedrigerer (vgl. Abschn. II-4.5.5), sondern auch ein hoherer Siedepunkt kann durch die Verandemng des Druckes erreicht werden. Wasserdampf kann mit einem Gas verglichen werden. Nach dem Gesetz, von Amontons (s. Abschn. 11-3.2) Pi+ = Po (1 +
LW)
wird ein hoherer Dmck erhalten, wenn Gase erwarmt werden und dabei die VergroBerung des Volumens verhindert wird. Es mu13 in einem vollig geschlossenen GefaB gearbeitet werden. Wird z. B. Wasser in einem geschlossenen GefaB erhitzt, so dal3 der entstehende Dampf nicht entweichen kann, so steigen sowohl Druck als auch Temperatur von Wasser und Dampf. Folgende MeBdaten veranschaulichen diesen Zusammenhang :
Temperatur in "C
Dampfdruck in bar
105 110 120 130 150 200 300
1,21 1,43 1,98 2,10 4,16 15,54 86,l
Dampf bei der zugehorigen Kondensationstemperatur bezeichnet man als gesattigten Dampf (Sattdampf) . Uberhitzter Dampf oder HeiJdampf entsteht aus gesattigtem Dampf, wenn man weiter erhitzt. Man stellt iiberhitzten Dampf in Dampferhitzem her. Es kommt manchmal vor, dal3 eine Fliissigkeit erst zu sieden beginnt, nachdem sie langst iiber ihren Siedepunkt hinaus erhitzt ist. Man spricht dann von Siedeverzug. Er kann z.B. eintreten, wenn in einem gut gereinigten Gefal3 luftfreies Wasser erhitzt wird. Das Sieden kann dann plotzlich durch eine leichte Erschiitterung des GefaBes, durch Hineinwerfen eines Steinchens 0. a. ausgelost werden. Dann verwandelt sich plotzlich eine groBe Menge Fliissigkeit in Dampf. Diese plotzlich entstehende Dampfmenge kann bei geschlossenen Kesseln zu Kesselexplosionen fiihren, da die Offnung des Sicherheitsventils in die-
I88
11 Einige Physikalische Grundlapen
sem Fall oft zum Abfuhren des Dampfes nicht geniigt. Man vermeidet den Siedeverzug, wenn man die Flussigkeit durch Riihren bewegt. Luft hindurchsaugt oder poriise Tonscherben (Siedesteinchen) in den Kessel gibt. 45.10 Siedepunkt von Losungen,
Siedepunktserhohung Es wurde festgestellt, daU Liisungcn einen tieferen Erstarrungspunkt haben als das reinc Liisemittel (Gefrierpunktsdepression). Aber nicht nur der Erstarrungspunkt, sondern auch der Siedepunkt ist bei Losungen anders als beim reinen Losemittel: Liisungen von festen Stoffen haben einen hoheren Siedepunkt als das reine Losemittel. Man nennt diese Erscheinung S i d e punktserhchung . VErsuch: In einem Becherglas wird eine Liisung von 12.4g Kochsalz in lOOg Wasser zum Sieden gebracht. Das Thermometer zeigt einen Siedepunkt von 102°C. In einem anderen Becherglas wird eine Liisung von 40,7g Kochsalz in l00g Wasser ebenfalls Lum Sieden gebracht. Es stellt sich einc Siedetemperatur von I08,X"C ein. Wird das Thermometer in den aufsteigenden Dampf gehalten. so zeigt e5 in jedem Falle eine Temperatur von 100 "C an (Abb. 11- 19).
Wahrend des Erhitzens einer Salzliisung steigt der Siedepunkt immer weiter an, je mehr Wasser verdampft. Man kann auf diese Weise aus der jeweiligen Siedetemperatur die Konzentration der Losung feststellen. SchlieBlich wird ein Punkt errcicht. an dem sich festes Kochsalz abscheidet. Dann ist die Liisung gesattigt, und der Siedepunkt steigt nicht mehr weiter. Bei weiterem Eindampfen fallt immer mchr festes Salz aus, ohne dal3 der Siedepunkt ansteigt.
Eine Sirclepiitikt.serhiihulrlg tritt iriirner nur dotin ein, wenn drr Uampfdriick des geliisten Stoffes niedrigcr licgt cils der Dnmpfdruck de.s Liisernitte1.s. Dies trifft fur das Liisen von Fcststoffen. z.B . von Salzen, in Wasser zu. Lost man 25g Kochsalz in 1OOp Wasser. so siedet diese Losung bei 104,6 "C. Anstelle cine5 Salzes kann aber auch eine Fliissigkeit in Wasser gelost werden. Bei Aufliisung von Ethanol in Wasser liegt der Siedepunkt niedriger als dcr des Wassers. Der Siedepunkt einer 70 %igen Alkohol-Wasser-Liisung liegt bei 80 "C. Reiner Alkohol siedet bei 78 "C, reines Wasser bei 100°C. Bei manchen derartigcn Gemischen, bei denen beide Komponenten fluchtig sind, kann oft durch Destillation keine vollstandige Trcnnung herbeigefuhrt werden, wie das bei einer Salzliisung durch Verdampfen des Wassers miiglich ist. Mischungen, die durch Destillation nicht zu trennen sind, werden als nzeotrope* Gemische bezeichnet.
4.6 Verbrennungswarme
r
Abb. 11-19. Siedepunkt von Liisungcn
Die Verbrennungswiirme oder Verbrennungsenthalpie wird bei der vollstiindigen Verbrennung von Verbindungen frei. Der Heizwert ist diejenige Warmemenge. die bei der Verbrennung eines Brennstoffes frei wird. Sie errechnet sich BUS der Verbrennungsenthalpie und wird i.a. auf 1 kg Brennstoff bezogen. Man unterscheidet zwischen einem unteren Heizwert, H , , . und einem oberen. H,, ( s . Abschn. 1-11.4.6 und Tab. 1-16), *
ich \icdc: t r o p w (frch.) (grch.) nicht: ~ e (grch.) o Kichtung: ;i/rotrop ( F r c h . )- nicht in cine Kichtung \leden. d. h . nicht trennhor. ii
~
5 Elektrizitatslehre
5.1 Reibungselektrizitat Der Name Elektrizitiit kommt vom griechischen ,,Elektron". Dies ist die griechische Bezeichnung fur Bernstein. Reibt man Bernstein (man kann auch andere nichtleitende Stoffe, z.B. Glas, Kunststoff oder Hartgummi nehmen) mit einem trockenen Wolllappen und bringt dann in die Nahe des Bernsteins kleine Papierstuckchen, so werden diese angezogen. Der Bernstein ubt eine Kraft auf die Papierstuckchen aus, obwohl sich am Bernstein auBerlich nichts verandert zu haben scheint. Wie ist diese Kraftwirkung zu erklaren? Fur die Entstehung des ,,elektrischen" Zustandes sind Elektronen verantwortlich, negativ geladene Elementarteilchen (vgl. Abschn. I- l .2.2). Durch das Reiben des Bernsteins hat man Elektronen vom Bernstein abgetrennt. Sie sarnmeln sich auf dem Lappen an. - Werden Ladungen getrennt, so haben sie das Bestreben, sich wieder zu vereinigen. Zwischen ihnen herrscht eine Kraft, die auch auf andere Korper, z.B. Papierstuckchen, wirken kann. Zwischen Bernstein und Wollappen besteht ein Ladungsunterschied, der sich nicht ausgleichen kann. Die Krafte zwischen den Korpern werden umso grofler, je mehr Ladungen man voneinander trennt. Reibt man den Stab lange genug, so kann man beobachten, wie Funken zwischen Lappen und Stab uberspringen. Jetzt tritt durch die Luft ein Ladungsausgleich ein. Diese Erscheinung ist in der Natur als Blitz beim Gewitter zu beobachten. Es handelt sich dabei urn eine Ladungstrennung durch Reibung. Durch Luftstromungen reiben sich Luftmolekule aneinander, und die Ladungen sammeln sich in den Wolken an. Sind die Ladungen sehr groB, so tritt Entladung in Form eines Blitzes auf.
5.2 Elektrische Spannung Den Ladungsunterschied zwischen zwei Korpern kann man messen. Man bezeichnet ihn als elek-
trische Spunnung und gibt ihm die Einheit Volt* (V). Folgende Aufstellung gibt Beispiele fur Spannungswerte an: Autoakkumulator Netzspannung Fernleitungen Blitz
6 V, 12 V 110v,220v bis 380 000 V bis 10 Millionen V
5 3 Elektrischer Strom Wird an den Klemmen eines Autoakkumulators (z. B. 6V) eine Gluhlampe (6V) angeschlossen, so leuchtet die Gluhlampe auf, und man sagt, es tlieRt ein Strom. Was geschieht hier? - Zunachst sei an die Reibungselektrizitat erinnert. Negative Elektronen wurden vom Bernstein abgetrennt und sammelten sich auf dem Lappen. Die Stelle, an der sich die Elektronen sammeln, die also negativ geladen ist, wird als Minuspol (-), die Stelle, an der Elektronen fehlen, die also positiv geladen ist, als Pluspol (+) bezeichnet. Beim Autoakku ist eine Klemme mit einem (-)-Zeichen, die andere mit einem (+)-Zeichen versehen. Diese Klemmen sind am Minuspol bzw. am Pluspol befestigt. Werden die beiden Pole des Akkus uber den diinnen Draht der Gliihbirne miteinander verbunden, so kiinnen die Elektronen vom (-)-Pol zum (+)-Pol flieBen. Dieser Vorgang des Ladungsausgleiches ist das FlieRen von elektrischem Strom. Stromrichtung In der Technik ist festgelegt: Der elektrische Strom fliel3t vom Pluspol zum Minuspol. Die Einheir der elektrischen Stromstiirke isr das Ampere** (A). Den Strom kann man mit Strommessern (Amperemetern) messen. Einige Beispiele fur Stromstarken sind:
*
Volta (ital.)
~
Drehung, Wendung.
** Andre-Marie Ampere (1775-1836), franzosischer Mathematiker u. Physiker.
190
11 Einigc Physikalische Grundlagen
192
I I Einigc Physikalischc Grundlagen
Teilchen heifien Ionen*. Aufgrund ihrer elektrischen Ladung in der Losung sind die Ionen, ebenso wie die freien Elektronen irn Metall, in der Lage, den elektrischen Strom zu leiten. Sie bewegen sich in der Flussigkeit zwischen den Elektroden. Ebenso wie Salze dissoziieren auch Sfuren und Laugen in waBriger Losung. Wafirige Losungen von Salzen, Sauren oder Laugen bezeichnet man als Elektrolyte oder Leiter 2. Ordnurig (s. Abschn. 1-3.7,l-4 u. 1-5).
5.6 Zusammenhang zwischen Spannung, Stromstarke und Widerstand 5.6.1 Spannung und Stromstarke
r--
100 crn
I -
7 -
Ahh. 11-22. Verxuch zum Ohmschen CesetL. Gleichbleibender Widerstand. variierende Spannung.
5.6.2 Widerstand und Stromstarke Bei gleichbleibender Spannung von 6 V l-liefit ein elektrischer Strom durch einen Konstantandraht von 100 em, 200 ern und 300 crn Lange. Dabei wird die Stromstiirkc gemesscn (Abb. 11-23),
Um uber die Beziehung zwischen elektrischer Spannung und Stromstlrke etwas auszusagen, wird bei gleichbleibendem (konstantem) Widerstand die Anderung der Stromstarke gemessen. Elektrischer Strom aus einem Akkumulator flieht durch den Konstantandraht (Widerstand) von 100 em Lange und 0.5 rnm Durchrnesser bei verschiedenen Spannungen (Abb. 11-22). VersuLhsersehnis:
Spannung
2V
3V
6V
Stromstiirke
0.13 A
0.26 A
0,39 A
bei 1 . 2 V Spannung hat man 1 .0,13 A Stromstarke bei 2 . 2 V Spannung hat man 2 .0,13 A Stromstarke bei 3 . 2 V Spannung hat man 3 .0,13 A Stromstfrke Folgerung: Je grb$er die Spannung, urnso gro$er die Stramstarkc.
Wenn die 'pannung verdoppelt, verdreifacht usw. wird, wird auch entsprechend die Stromstarke bei konstantem Widerstand 2mal, 3mal usw. grof3er.
I
T
I
1
Abb. 11-23. Vcrsuch zum Ohmschen Gesetz. Glcichbleibendc Spannung, variicrcnder Widerstand.
Bei gleichbleibender Spannung von 6 V werden folgende MeRwerte erhalten: Widerstandsliinge 100 cm
200 cm
300 cm
Stromstlrke
0.82A
055A
1,64A
Aus den Menwerten folgt: J e groj3er der Widerstand, urn so kleiner i,yt die StrcpnLytarke, Diese BeLiehungen kannen auch formuliert werden: bei 1 . 100 cm = 100 cm Widerstandslfnge erhalt man *
I " A
1
I "
*
0
.>...I..
5 Elektrizitltslehre
5.5 Elektrische Leiter und Nichtleiter Versuch: Es sind eine Spannungsquelle (6 V) und eine 6-V-Gliihbirne erforderlich. Weiterhin braucht man je zwei Kupferdrahte, Konstantandrahte und Kunststoffdrahte von gleicher Dicke (z.B. 0,5 mm Durchmesser) und 0,5 m Lange. Die Gluhbirne wird zuerst mit den beiden Kupferdrahten mit der Spannungsquelle verbunden. Die Lampe brennt hell. Werden die beiden Kupferdrahte durch Konstantandrahte ersetzt, so brennt die Lampe dunkler. Bei Verwendung von Kunststoffdrahten bleibt die Lampe vollig dunkel (Abb. 11-21),
191
Teil der Elektronen ist im Metall frei beweglich. Legt man einen Metalldraht an die beiden Pole einer Gleichspannungsquelle, so wandem die freibeweglichen Elektronen zum Pluspol, da dort die Elektronen fehlen. Am Minuspol sind zu viele Elektronen, die nun in den Draht und dann durch diesen Draht zum Pluspol wandern. MaRgebend fur die Stromleitung im Metall sind also die freien Elektronen. In einem Nichtleiter sind keine freien Elektronen vorhanden, die zum Pluspol wandern konnten. Da im Metall die Atome in ein Kristallgitter eingebaut sind, miissen sich die freien Elektronen zwischen Atomen hindurchschlangeln. Die Atome im Draht wirken auf die sich bewegenden Elektronen wie ein Hindernis. Der Draht besitzt einen elektrischen Widerstand. Vergleiche zwischen gleich langen und gleich dicken Drahten ergeben: Je groBer der Widerstand eines Drahtes ist, um so schlechter leitet er den Strom. Die Einheit des elektrischen Widerstandes ist das Ohm (Q).* 552 Stromleitung in Fliissigkeiten
(Leiter 2. Ordnung)
Lampe
Abb. 11-21: Schaltung zur Untersuchung von Leitern und NichtleiGrn.
Da wahrend des Versuches nur die Driihte ausgewechselt wurden, muB die Helligkeit der Lampe durch die Drahte hervorgerufen worden sein.
Versuchsergebnis: Die Stoffe leiten den elektrischen Strom sehr unterschiedlich. Stoffe, die den elektrischen Strom gut leiten, werden als Leiter eingestuft. Silber leitet den Strom am besten, danach folgen Kupfer und die anderen Metalle. Diese Metalle werden als Leiter 1. Ordnung bezeichnet. Nichtleiter sind Stoffe, die den elektrischen Strom nicht leiten, man nennt sie Isolatoren*. Zu ihnen gehoren: Kunststoffe, Keramik, Glas, Papier und trockenes Holz.
5.5.1 Stromleitungin Metallen (Leiter 1. Ordnung)
In ein Becherglas mit destilliertem Wasser werden zwei Platinelektroden hineingestellt. Uber eine kleine Gliihbirne (6V) wird eine Gleichspannungsquelle angeschlossen. Das Birnchen leuchtet bei Verwendung von destilliertem Wasser nicht auf. Jetzt wird etwas Kochsalz, NaC1, in das Wasser gestreut. Das Salz lost sich auf, und die Gluhbime beginnt zu leuchten. Derselbe Effekt tritt auf, wenn anstelle von Kochsalz etwas Schwefelsaure, H 2 S 0 4 , oder Natronlauge, NaOH, in das destillierte Wasser gegeben wird. Durch das Auflosen von Salzen, Sauren oder Laugen wird das Wasser stromleitend. Beim Losen eines Salzes in Wasser zerfallt das Salzmolekiil in mehrere Teilchen, die elektrisch unterschiedlich geladen sind; es dissoziiert. Beispielsweise: NaCl
-
Na'
+
C1
Das Natrium-Teilchen ist positiv und das Chlor-Teilchen negativ geladen. Diese geladenen
Metalle sind aus Atomen aufgebaut. Diese bestehen aus Atomkernen und Elektronenhullen. Ein
* *
isolare (lat.) - abtrennen.
Georg Simon Ohm (1789-1854), Physiker u. Mathematiklehrer u. a. in Niirnberg.
192
11 Einige Physikalische Grundlagen
Teilchen heiBen Zonen". Aufgrund ihrer elektrischen Ladung in der Losung sind die Ionen, ebenso wie die freien Elektronen im Metall, in der Lage, den elektrischen Strom zu leiten. Sie bewegen sich in der Fliissigkeit zwischen den Elektroden. Ebenso wie Salze dissoziieren auch Sauren und Laugen in waBriger Losung. WaBrige Losungen von Salzen, Sauren oder Laugen bezeichnet man als Elektrolyte oder Leiter 2. Ordnung ( s . Abschn. I-3.7,I-4 u. 1-5).
5.6 Zusammenhang zwischen Spannung, Stromstarke und Widerstand 5.6.1 Spannung und Stromstarke
w 100 cm
T
Abb. 11-22. Versuch zum Ohmschen Gesetz. Gleichbleibender Widerstand, variierende Spannung.
5.6.2 Widerstand und Stromstarke Bei gleichbleibender Spannung von 6 V fliel3t ein elektrischer Strom durch einen Konstantandraht von 100 cm, 200 cm und 300 cm Lange. Dabei wird die Stromstarke gemessen (Abb. 11-23).
Um iiber die Beziehung zwischen elektrischer Spannung und Stromstarke etwas auszusagen, wird bei gleichbleibendem (konstantem) Widerstand die Anderung der Stromstiirke gemessen. Elektrischer Strom aus einem Akkumulator flieBt durch den Konstantandraht (Widerstand) von lOOcm Lange und 0,5mm Durchmesser bei verschiedenen Spannungen (Abb. I€-22).
300 cm 200 cm 100 cm
Versuchsergebnis: Spannung
2V
4V
6V
Stromstarke
0,13 A
0,26 A
0,39 A
bei 1 . 2 V Spannung hat man 1 .0,13 A Stromstarke bei 2 . 2 V Spannung hat man 2 .0,13 A Stromstiirke bei 3 . 2 V Spannung hat man 3 .0,13 A Stromstarke Folgerung: Je groper die Spannung, umso groj3er die Stromstarke. Wenn die Spannung verdoppelt, verdreifacht usw. wird, wird auch entsprechend die Stromstarke bei konstantem Widerstand 2ma1, 3mal usw. grol3er.
*
Ion (grch.) gehen, wandern ~
Abb. 11-23. Versuch zum Ohmschen Gesetz. Gleichbleibende Spannung, variierender Widerstand.
Bei gleichbleibender Spannung von 6 V werden folgende MeBwerte erhalten: Widerstandslange 100 cm
200 cm
300 cm
Stromstiirke
0,82A
03.5 A
1,64A
Aus den MeRwerten folgt: Je groper der Widerstand, um so kleiner ist die Stromstarke. Diese Beziehungen konnen auch formuliert werden: bei 1 . 100 cm = 100 cm Widerstandslange erhalt man 1 . 1,64A = 1,64AStromstarke
5 Elektrizitatslehre
bei 2 . 100 cm = 200 cm Widerstandslange erhalt man 0,5 . I ,64A = 0,82 A Stromstarke bei 3 . 100 cm = 300 cm Widerstandslange erhalt man 1
3
- 1,64 A
= 0,55 A Stromstarke
F~~gleichbleibende spannung gilt: wenn der Widerstand verdoppelt, wird die Stromstarke halbiert. Zu Ehren des deutschen Forschers Georg Simon Ohm (1787-1854) heiBt die Einhejt des elektrischen Widerstands Ohm. Man benutzt das Zeichen R (ein griechisches 0,gesprochen Omega).
5.63 Das Ohmsche Gesetz Georg Simon Ohm fand 1826 das nach ihm benannte Ohmsche Gesetz, das die Beziehung zwischen Spannung, Widerstand und Stromstiirke wiederg ibt . 1 . Die Stromstarke ist um so groper, je groper die Spannung ist .
2 . Die Stromstarke ist um so kleiner, je groper der Widerstand ist. Deshalb lautet das Ohmsche Gesetz: Stromstdrke =
Spannung Widerstand
Man bezeichnet die Stromstarke auch mit I (Intensitat), die Spannung mit U (Hohenunterschied, Spannungsunterschied) und den Widerstand mit R (Reibung). Dann kann man das Ohmsche Gesetz in folgender Form schreiben: I
U - R
Fur die Berechnung des Widerstundes gilt:
I
193
5.7 Elektrische Ladung Wenn bei den Versuchen einer Stromquelle die Stromstarke von 1 A entnommen wird, so flieRt aus der Stromquelle eine bestimmte Ladungsmenge, d. h. eine bestimmte Menge Elektronen, ab. Als Einheit der Elektrizitatsmenge (elektrische Ladung) wird die Ladung definiert, die aus einer StrOmqUelle abflieBt, wenn cine Sekunde lang ein Strom von einem Ampere fliefit. 1 Ampere x 1 Sekunde = Ampere- = I Coulomb* sekunde IA . IS =1As = IC
Die elektrische Ladung (Elektrizitatsmenge) errechnet sich dann nach folgender Gleichung: Elektrizitatsmenge
Q
= Stromstarke x Zeit = I ' t
Als Beispiel sei hier die Ladung erwahnt, die in einem Bleiakkumulator** enthalten ist. Auf dem Etikett ist z.B. angegeben: 64Ah (Amperestunden). Man kann dem Akkumulator also 64 Stunden lang 1 Ampere oder 32 Stunden lang 2 Ampere oder 1 Stunde lang 64 Ampere usw. entnehmen. Man konnte aber auch auf kleinere Zeiteinheiten umrechnen, z.B. I Stunde hat 3600 Sekunden, 64A . 3600 s = 230400 As; das bedeutet, dab man 230 400 s lang eine Stromstarke von 1 A entnehmen kann (s. Abschn. 11-2).
5.8 Elektrische Arbeit und Leistung Mit Hilfe des elektrischen Stromes konnen ein Elektromotor betrieben, Lasten angehoben, Fahrzeuge bewegt werden, d. h. es wird Arbeit verrichtet. Fur die mechanische Arbeit wurde als MaBeinheit das Joule (J) eingefuhrt. Diese Arbeitsbzw. Energieeinheit muB auch fur die elektrische Arbeit gelten (s. Abschn. 11-2). Die elektrische Arbeit ist das Produkt aus Spannung und Ladung:
Fur die Berechnung der Spannung gilt: U
= 1.R
*
**
Charles Augustin Coulomh (173ct1806). franz. Physiker und tngenieuroffizier. accumulare (lat.) anhaufen. ~
194
I1 Einige Physikalischc Grundlagen
Elektrische Arbeit = Spannung x Ladung W = u .fJ Als MaBeinheit ergibt sich dann: Einheit der Spannung x Einheit der Ladung = V
= Wh
A5
W s (Wattsekunde)
=
J
In der Mechanik ist die Leistung als die in der Zeiteinheit geleistete Arbeit definiert worden, Arbeit also als . Zeit ~
Entsprechend lautet die Formel fur die elektrische Leistung: Elektrische Leistung = -
Zeit Zeit
Es gilt weiter, da13 Ladung/Zeit die elektrische Stromstarke ergibt. Wird deshalb fur Ladung/Zeit die Bezeichnung Stromstiirke eingefuhrt, so leitet sich daraus die Formel fur die elektrische Leistung her: Elektrische Leistung = Spannung =
IW
=
I kWh = 1000 W . 3600 s = 1 kW. 1 h
Spannung x Ladung
Spannung x Stromstarke x Zeit
P
Die Multiplikation mit der Spannung ergibt die Leistung. Diese Leistung ist um so kleiner, jc linger die Zeit ist, die das Elektrizititswerk fur die Lieferung der Elektrizitatsmenge braucht. Was dem Elektrizitatswerk bezahlt wird, wenn der Zahler abgelesen wird, kann also nicht die Leistung sein. Denn sonst mul3te um so weniger bezahlt werden, je langer das Elektrizitatswerk fur die Lieferung von 10 Coulomb braucht. Das Elektrizitatswerk erhalt die elektrische Arbeit vergutet, die mit dem flieRenden Strom verrichtet worden ist. Die Einheit der elektrischen Arbeit ist aber die Wattsekunde ( W s ) oder das Joule (J). Die in der Technik venvandte Einheit ist die Kilowattstunde (kWh).
U IV
x
Stromstlrke
.
I
.
I A
5.9 Warmewirkung des elektrischen Stromes Vursuch: Ein Tauchsieder von 1000 W wird in 2.5 kg Wasser von 20 " C ,die sich in einer Thermosflasche befinden, gesteckt. Dann wird genau 5 min lang aus der Steckdose Strom von 220 V Spannung hindurchgeleitet. Nach dem Ausschalten des Stromes wird noch 1 bis 2 Minuten gewartet, ehe der Tauchsieder herausgenommen wird. Das Wasser wird gut umgeriihrt. Nun wird eine Wassertemperatur von 46,8 "C gemessen (Abb. 11-24).
Die Einheit d e r elektrischen Leistung ist dann (VA). Dieses Produkt erhielt den Namen Watt (W).* 1000 W = 1 kW (Kilowatt). Wenn elektrischer Strom benotigt wird, dann liefert das Elektrizitatswerk eine gewisse Menge von Elektronen, z . B. 10 Coulomb. Wenn diese Menge in 10 Sekunden geliefert wird, dann ist die Stromstarke 220v [ =
Q
-
=
IOCoulomb
lOAs
--
10Sekunden
t
10s
= IA
Ahh. 11-24. IJrnwandlung van elektrischer Energie in WBrme.
wenn sie in 1 Sekunde geliefert wird, ist die Stromstarke: I =
Q ~
t
*
=
IOCoulomb I Sekunde
IOAs
-~ -
= 10A
Is
Der Englsnder James Watt (1763-1819) entwickelte die erste lechnisch nurrbare Damphischine.
Es sol1 die Warmewirkung des elektrischen Stromes berechnet werden. Ein Tauchsieder von 1000W war 5 Minuten lang an einem Stromkreis von 220 V angeschlossen. Watt ist die Einheit der elektrischen Leistung.
Elektrische Leistung
x
Zeit
P
'
t
= elektrische Arbeit =
W
5 Elektrizitatslehre
195
Es wurde elektrische Arbeit in Warmeenergie umgewandelt. (Energie = ,,aufgewendete Arbeit"!)
Wenn man genau miBt und jeden W m e verlust vermeidet, erhalt man aus einer Wattsekunde ein Joule.
W = P.t
IWs= IJ
W = 1000W.5~60~
Man nennt diese Zahl das elektrische Warmeaquivalent. Es ist diejenige Wiirmemenge, die der elektrischen Arbeit gleichwertig (aquivalent) ist.
W = 300 000 WS
Die errechnete elektrische Arbeit ist aufgewendet worden, um 2,5 kg Wasser von 20°C auf 46,8 "C zu erwarmen. Aus der Formel zur Berechnung der Warmemenge (vgl. Abschn. 11-4.1-5) kann die zugefuhrte Warmemenge Q ermittelt werden. Warmemenge = Masse x spezifische Warme -
Q
m
.
c
x
Tcmpexatur
.
o
Die spezifische Warme des Wassers betragt =4,187-
c
kJ
Eine kW h (Kilowattstunde) = loo0 Watt x 3600 Sekunden = 3 600 000 Wattsekunden
entsprechen also 3 600 000 Joule. 3600000Ws = 3600000J = 3600kJ Unter Anwendung der Formel fur die Errechnung der Warmemenge Q ergibt sich, daR man mit einer Kilowattstunde ungefahr 10 kg Wasser von Zimmertemperatur (ca. 18 "C)zum Kochen (100 "C) bringen kann.
kg "C
Sicherungen Am Anfang betrug die Wkmemenge Ql = 2,5 kg. 4,187
kJ ~
kg "C
20 "C
Q l = 209.4 kJ
Nach dem Erwarmen ergibt sich eine Warmemenge Q2 = 2 5 kg ' 4,187
kJ ~
kg "C
46.8 "C
Q2 = 4899 kJ Die zugefuhrte W m e m e n g e ist die Differenz aus den beiden errechneten Wmemengen:
Q,
=
QZ
-
QI
QL = 4899 kJ
-
209,4 kJ
Q, = 2803 kJ = 280500J
Die zugefuhrte Warmemenge wird durch die elektrische Arbeit dividiert. Fur die elektrische Arbeit von 1 W s wird eine Wiimemenge von 0.935 J erhalten: Q, = -
W
280500J 300000 W s
= 0,935 J
1Ws
Bei dem Tauchsieder und bei Gluhbirnen werden die Driihte durch elektrischen Strom erwarmt und zum Gliihen gebracht. Der Widerstand eines Leiters ist vom verwendeten Material, dem Querschnitt und der Lange des Drahtes abhangig. Je kleiner der Querschnitt des Drahtes, urn so groRer ist sein Widerstand. Die Erwbnung eines Drahtes ist urn so groher, je groRer der flieknde Strom und je groRer der Widerstand ist. Bei elektrischen Leitungen in lndustrie und Haushalt mussen die Zuleitungsdrahte so stark sein, d. h. einen so grol3en Querschnitt haben, daB sie nicht warm oder gar gluhend werden. Die Stromstiirke darf also nicht g r o k r sein, als der Querschnitt der Drahte es ohne Gefahr zulal3t. Andernfalls wurde die Isolierung der Drahte verschmoren, es konnte ein Brand entstehen. Um aber ganz sicher zu gehen, baut man bei allen elektrischen Leitungen zwischen Stromzufiihrung und Verbraucher ein diinnes Drahtchen, eine sog. Sicherung ein. Diese Sicherung, eine Schmelzsicherung (Abb. 11-25), besteht aus einem diinnen Drahtchen, meistens einem Silberdrahtchen, das in einer Porzellan- oder Glashulle in Sand eingebettet ist. Schmilzt das Drahtchen infolge zu grol3er Stromstiirke durch, so wird der Stromkreis sofort unterbrochen. Es kann dann in dem abgesicher-
196
I1 Einigc Phyxiknlischc Grundlagen Siihrungselemenl 1
Potzellankdrper Schraubkappe
Fu6kontakt
KopfkontaM SanclMlung Kontmllhiilchen
Abb. 11-25, Schmehicherung
ten Leitungssystem kein Brand entstehen. Die Brandgefahr beim Durchschmelzen des Sicherungsdrahtes ist durch die Einbettung in Sand ausgeschaltet. Ein Sicherungsuutomut ist ein Schalter, der vom Strom selbst betatigt wird. Flieljt ein starker Uberstrom, so erregt er einen Elektromagneten so kriiftig, daB dieser den Kontakt unterbricht. Bei schwachem Uberstrom, der zum Betatigen des Magneten nicht ausreicht, aber bei langem FlieRen des Stromes doch Schaden verursachen konnte, wird ein Bimetallstreifen erw k m t , der nach einigen Sekunden den Kontakt ebenfalls unterbricht. Zur willkiirlichen Abschaltung kann man den Sicherungskontakt mit einem Druckknopf unterbrechen. Wenn die Storung beseitigt ist, kann man den StromfluR durch einen zweiten Druckknopf wieder herstellen.
Zur Erzeugung von Chlor aus Kochsalz benotigt man elektrischen Gleichstrom. In einem Gefalj befindet sich unten eine Quecksilberschicht, die an den ncgativen Pol der Stromquelle angeschlossen wird. Uber dem Quecksilber befindet sich reine Kochsalzlosung, in die eine Kohleelektrode eintaucht. Die Kohleelektrode wird an den positiven Pol der Stromquelle angeschlossen. Laljt man nun einen Strom durch die Losung tlieRen, so steigen an der Kohleelektrode Gasblasen auf. Beobachtet man das Quecksilber, so kann man sehen, dalj es nach einiger Zeit fest wird. Was passiert in dieser Anordnung? In der waljrigen Kochsalzlosung liegt das Kochsalz in Ionenform vor. Es gilt:
2Na'
+
2CI
Flieljt Gleichstrom durch die Losung, so wandern die negativen Chlor-Ionen zur positiven Elektrode (Anode). Dort sind zu wenig negativ geladene Ladungen. Die Chlor-Ionen geben ihre negativen Ladungen, die Elektronen, ab. und es entstehen Chlor-Molekule.
-
2 CI-
CI2
+
2e
Das entstehende Chlor entweicht gasfijrmig. Das Natrium-Ion ist positiv geladen und wandert zur negativen Elektrode (Kathode). Dort befinden sich Elektronen im Uberschulj, und die Natrium-Ionen nehmen Elektronen auf und gehen in Natrium-Atome iiber. 2Na'
5.10 Chemische Wirkung des elektrischen Stromes (Elektrolyse)
-
2 NaCl
+
2e
-
2Na
Das Natrium lost sich im Quecksilber und bildet cine Quecksilber-Natrium-Legierung (Amalgam*). Diese wird fest, wenn sich vie1 Natrium im Quecksilber gelost hat. Bei dem technischen Verfahren darf keine Verfestigung der Legierung auftreten, deshalb IiiRt man das Quecksilber langsam durch das Gefa8 flieBen (s. Abschn. 111-2.3). Mit Hilfe des Gleichstroms werden Ionen ,-u den Elektroden transportiert, dort entladen und als Gas oder Feststoff abgeschieden, d.h. mit elektrischer Energie lassen sich in Losungen Stoffe voneinander trennen und isolieren. Diesen Vorgang nennt man Elektrolyse. Die elektrolytische Chlorgewinnung ist ein sehr wichtiges Verfahren. - Weiterhin benutzt man die Elektrolyse zur Gewinnung von Wasserstoff und Sauerstoff aus Wasser sowie zur Ge-
*
al-malgham (arab.) - erweichende Salbe.
5 Elektrizitatslehre
197
winnung und Reinigung von Metallen (z. B. Aluminium, Kupfer, Zink).
5.12 Prinzip des Generators und Elektromotors
5.11 Der Bleiakkumulator
Hohere Sannungen - wie man sie z. B. aus dem Stromnetz entnehmen kann - erzeugt man mit Generatoren. Das Prinzip kann an einem einfachen Versuch klargemacht werden. Dazu sind ein starker Hufeisenmagnet und eine Spule mit ca. 50 Windungen aus Kuferdraht erforderlich. Die beiden Enden der Spule werden an ein empfindliches Spannungsmefigerat angeschlossen (Abb. 11-27),
Es werden zwei saubere Bleiplatten in verdunnte Schwefelsaure der Dichte 1,18 g/cm3 gesteckt. Dann schlieSt man iiber ein Amperemeter eine geeignete Gleichspannungsquelle an und 1aSt 60 s lang einen Strom von 1 Ampere flieSen. Die Elektroden verilndern sich. Die eine Platte farbt sich braun, wahrend die andere blank bleibt. Schaltet man nun den Strom ab, so sieht man am angeschlossenen Voltmeter, daR auch jetzt noch eine Spannung von ca. 2,2 V an der Platte liegt. An den Bleiplatten wird elektrische Energie in Form von chemischer Energie gespeichert, die anschlieaend wieder entnommen werden kann. Beim Laden und Entladen treten in der Losung und an den Platten Reaktionen auf, die zu Farbanderungen fuhren: Beim Ladevorgang entsteht dort, wo der positive Pol der Spannungsquelle angeschlossen wird, braunes Bleidioxid, Pb02, am negativen Pol Blei, Pb. Bei der Entladung entsteht an beiden Platten Bleisulfat, PbSO4, wie Abb. 11-26 zeigt.
Anode
Kathade
Abb. 11-26. Aufbau eines Bleiakkumulators. - Chemische Reaktionen, die beim Entladen des Bleiakkumulators ablaufen; beim Ladevorgang erfolgt die Riickreaktion.
n
Abb. 11-27. Versuch zur Spannungserzeugung. Wird die Spule iiber einen Schenkel des Magneten bewegt, so schlagt das MeSgerat nach links oder rechts aus. Es zeigt eine Spannung an. Diese Art der Spannungserzeugung wird bei den Genereatoren in Kraftwerken ausgenutzt. Dabei drehen sich zwei groBe Spulen in starken Magnetfeldern. Bei der Umkehrung des Versuchs hangt die Spule still iiber dem Magneten. Fur kurze Zeit wird eine Gleichspannung an die Enden der Spule gelegt, es flieRt ein Strom. Deutlich sichtbar bewegt sich die Spule. Wird die Spannung umgepolt, so bewegt sich die Spule in entgegengesetzter Richtung. Aus den Versuchen ergibt sich: Befindet sich eine stromdurchflossene Spule in einem Magnetfeld, so tritt zwischen Spule und Magnet eine Kraft auf, die die Spule in Bewegung versetzt. Dies ist das Prinzip des Elektromotors. In der Praxis baut man eine drehbar gelagerte Spule in ein starkes Magnetfeld und erhalt auf diese Weise eine Drehbewegung. Diese laBt sich vie1 gunstiger ausnutzen als die oben beschriebene Langsbewegung.
Reaktionsablauf Pb(s)
Fmladen
+ SO4&
PbO,,,, +SO,&,
Laden
+ H+,.,,
+ 2 e-
Enrladm
Laden
PbSO,,,,
+2 e
6 Disperse Systeme
6.1 Einteilung der dispersen" Systeme Wenn man die Stoffe des taglichen Lebens auf ihre chemische Natur untersucht, zeigt es sich, daB man nur selten mit Elementen oder reinen Verbindungen zu tun hat. Die meisten Stoffe sind vielmehr Gemenge. Haufig bezeichnet man den betrachteten Ausschnitt aus der stoftlichen Welt als System. Ein solches System kann der Inhalt eines Reagenzglases oder einer ganzen Produktionsapparatur sein, ein Stuckchen Granit oder die ganze Erde. Der Begriff ,,System" enthalt keine groBenmaBige Begrenzung, er sagt auch nichts uber die Einheitlichkeit der darin enthaltenen Stoffe aus. Sehr viele naturliche und auch technisch hergestellte Systeme erscheinen schon mit dem blolJen Auge uneinheitlich oder hererugen. Eine Handvoll Erde enthalt z. B. viele Bestandteile, angefangen von kleinen Gesteinsbrocken, die selbst wieder aus mehreren kristallinen Komponenten aufgebaut sein kiinnen, uber Sandkornchen und verwesende Pflanzensubstanzen (Humus) bis zu den eingeschlossenen, feinsten Luftblaschen. - Im Ziegelmauerwerk erkennt man zunachst die groben Bezirke der Ziegelsteine und des Mortels. Jedes dieser Systeme ist wiederum heterogen aufgebaut. Der Mortel z. B. enthalt, aul3er Lufteinschlussen und Sandkornern, den abgebundenen Kalk, in dem man mit der Lupe oder dem Mikroskop verfilzte Kalksteinkristalle entdecken kann. In manchen Fallen mu8 man noch leistungsfahigere VergroRerungsgerate benutzen, urn die verschiedenen Bestandteile heterogener Systeme sichtbar zu machen. So erscheint Glas unter dem Lichtmikroskop noch vollkommen einheitlich (homogen). Erst bei 100OOOfacher VergrBRerung mit dem Elektronenmikroskop zeigen sich feinste, tropfchenformige Bezirke, die andere stoffliche Eigenschaften besitzen als die sie umgebende zusammenhangende Masse.
*
dispergere Oat.) - zerstreuen
Die Gesamtheit aller gleichartigen festen, tlussigen oder gasformigen Teile eines heterogenen Systems bezeichnet man als Phase. Ein solches System besteht also mindestens aus zwei Phasen. Zwischen diesen existieren Grenzflachen, an denen sich die stofflichen Eigenschaften sprunghaft andern. Sind in dem ganzen System keine Grenzflachen zu erkennen, so besteht es nur aus einer Phase, es ist humogeti. Ein Kochsalzkristall, Kochsalzliisung oder Luft sind Beispiele fur homogene Systeme. Viele heterogene Systeme bestehen aus einer zusammenhangenden Phase und einer anderen, die darin mehr oder weniger fein verteilt ist. Ein derartiges System bezeichnet man als disperses System. Die zusammenhangende Phase nennt man Dispersionsmittel, die feinverteilte heist disperse Phase. In der folgenden Ubersicht (Tab. 11-5) sind einige Beispiele, geordnet nach dem AggregatLustand der beiden Phasen, aufgefuhrt. Zwei gasformige Phasen konnen nur kurze Zeit nebeneinander existieren, denn sie vermischen sich stets homogen miteinander (Beispiel: Luft). Ebenso besteht die Moglichkeit, dalj sich auch Flussigkeiten untereinander homogen vermischen. Das gilt auch fur feste Stoffe. Prinzipiell lassen sich also heterogene Dispersionen uber verschiedene Zwischenstufen in eine homogene Phase uberfuhren, d. h. in eine echte Losung. Die Einteilung der Dispersionen erfolgt nach dem sog. Dispersionsgrad, d. h. dem Feinheitsgrad des verteilten Stoffes. Man unterscheidet hierbei drei groOe Gruppen: 1. Grob-disperse Systeme
a) makroskopische Systeme b) mikroskopische Systeme 2. Kolloid-disperse Systeme 3. Molekular- oder ionen-disperse Systeme Durch geeignete Zerkleinerungsprozesse ist es moglich, die GroBe der Teilchen bis zur MolekulgroBe herabzusetzen. Die disperse Phase durchIauft dabei die obengenannten drei Stufen. Wahrend grob-disperse und kolloid-disperse Systeme
6 Disperse Systeme
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Tab. 11-5. Disperse Systerne.
Disperse Phase
Dispersionsrnittel
fest
fest Xerosole*
fliissig Lyosole**
gasformig Aerosole***
Thermit, Gesteine, Legierungen, Gold im Rubinglas
Blut, Anstrichfarben
Rauch, Staub
Allg.: Suspensionen fliissig
Dynamit, Einschliisse von Mutterlauge in Kristallen
Latex, Mayonnaise, Milch, FuBbodenpflegemittel Allg.: Emulsionen
gasformig
Schaurnglas, Bimsstein, Schaurnstoffe
Schlagsahne, Seifenschaum, Mineralwasser
Allg.: feste Schiiume
Allg.: Schaume
* **
Nebel, Spray
xeros (grch.) - trocken.
solutus (lat.) - aufgelost; lysis (grch.) - Auflosung.
*** aer (grch.)- Luft.
unechte Losungen darstellen, handelt es sich bei molekular-dispersen bzw. ionen-dispersen Systemen um echte Losungen. Grobe Stoffe
Zeneilung Dispersion
* Kolloide
Sie llBt sich mikroskopisch gut bestimmen. Beispiele fur diese Art der Dispersionen sind: Aufschlammungen von Ton, Sand oder 01in Wasser.
Zusammenballung Kondensation
Der kolloide Zustand der Materie ist ein Gebiet mit besonderen Eigenschaften. Es ist ein allgernein moglicher Zustand, unabhangig vom chemischen Charakter des Stoffes. Nachfolgend sollen die drei dispersen Systeme im einzelnen behandelt werden.
6.2 Grob-disperse Systeme 6.2.1 Eigenschaften und Beispiele Die grob-dispersen Systeme unterteilen sich in makroskopische und mikroskopische Dispersionen. Bei den ersteren betragt die GroBe der Teilthen 1 mm; diese sind noch ohne Hilfsmittel wahmehmbx. Die Bestimmung der GroBe kann durch Sieben oder direktes Messen erfolgen. Bei den mikroskopischen Systemen liegt die TeilchengroBe zwischen 1rnm und 1/10000 mm.
Echte Losungen
Dazu zahlen auch Rauch und Nebel sowie Mineralgemische. Diese so verschieden erscheinenden Dispersionen haben eines gemeinsam: die Teilchen der dispersen Phase setzen sich nach kurzer Zeit ab, sofern sie sich selbst uberlassen sind. Die Absetzzeit hangt dabei von der GroBe der Teilchen und von deren Dichte ab. Diese Eigenschaft der grobdispersen Systerne wird fur eine Reihe von Trennmethoden ausgenutzt.
6.2.2 Trennmethoden grob-disperser Systeme
%nnung fest-fliissiger G~~~~~~ Die einfachste Methode ist die &dhenfalion*. Der feste Stoff sinkt ZU Boden, die Suspension** klart sich und zwar desto schneller, je grol3er der
*
**
&ere (iat.) sich setzen. suspendere (lat.) - schweben machen, aufhangen. ~
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I1 Einige Physikalische Grundlagen
Dichteunterschied zwischen Feststoff und Flussigkeit ist. Die Trennung erfolgt praktisch durch die Einwirkung des Schwerefeldes der Erde. VerIauft die Sedimentation infolge zu kleiner Dichteunterschiede oder zu geringerer Teilchengrofie nur langsam, kann man die sedimentierende Kraft vervielfachen, indem man das Gemenge Lentrifugiert. Die Schwerkraft wird dabei durch die Fliehkraft erganLt.
Trennung fliissig-gasformigerGemenge
Trennung fest-fester Gemenge
Infolge cines Dichteunterschiedes trennen sich die Fliissigkeiten in zwei Schichten. So samrnelt sich auf stehender Milch der leichtere Rahm an der Oberflache. Auch hier kann man die Trennung durch Zentrifugieren beschleunigen (Milchzentrifuge).
Diese kann man durch das Schwimm-Sink-Verfohreii mit Hilfe von Fliissigkeiten trennen, deren Dichte zwischen denen der Gemengebestandteile liegt. Der schwerere Stoff sinkt zu Boden. wahrend der leichtere an der Oberflache schwirnmt. - Sind beide Stoffe schwerer als die Fliissigkeit, so kann man die evtl. unterschiedlichen Absetzgeschwindigkeiten ausnutzen. Als Beispiel diene ein Gemenge von Bleiglanz und Sand. Wiihlt man das Gemenge in einem Gefafi mit unter Druck stehendem Wasser auf, so wird der spezifisch leichtere Sand fortgeschwemmt, wahrend sich das Mineral absetzt. Man bezeichnet dieses Verfahren als Schliimmen. Man wendet es heute noch zur Aufbereitung von Erzen an, friiher wurde es in der Goldwascherei angewendet. - Benutzt man anstelle der Fliissigkeit Luft, so spricht man von ,,Windsichten", einem Verfahren, das man zur Reinigung von gedroschenem Getreide anwendet oder zur Klassierung von Kunststoffgranulat.
Trennung fest-gasformiger Gemenge Liegt ein fest-gasformiges Gemenge vor, so scheiden sich die Teilchen ebenfalls aufgrund ihrer Dichte ab, ahnlich wie bei den fest-fliissigen Gemengen. Ein Beispiel ist die Flugstaubreinigung von rauchiger Luft. Zur Erhohung der Absetzgeschwindigkeit baut man Prallwande in die Kammern, durch die das Gemisch hindurchzieht. Auch hier kann man die Schwerkraft durch eine starkere Kraft ersetzen: die elcktrische Anziehungskraft. Die Staubteilchen werden an einer Spruhelektrode (Kathode) negativ aufgeladen und bleiben an der Niederschlagselektrode (Anode) hangen, wo sie mechanisch beseitigt werden. Vielfach wird dieses Verfahren nach Cottrell* auch als Elektrofiltration bezeichnet, was jedoch nicht exakt ist.
*
Frederik Gardener Cottrell (1877-1948), amerikan. Chemiker. Er entwickelte ein Verfahren zur Entstaubung von Gasen.
Eine Miiglichkeit dcr Trennung beruht auf dem Dichteunterschied der Partner. Ein Beispiel hierfur ist das Niederschlagen von Wassertropfchen aus nebliger Luft. Eine zweite Moglichkeit ist durch Herabsetzung der Aufientemperatur gegeben (Ausfrieren).
Trennung fliissig-fliissiger Gemenge
Filtration Ein wichtiges Trennverfahren heterogener Systeme, das sowohl bci flussigen als auch gasfiirmigen Dispersionsmitteln Verwendung findet, ist die Filtration. Nach der Teilchengrofie des zu filtrierenden Stoffes richtet sich das Filtermaterial. Als solches werden verwendet: Papierfilter, Filtertucher, Sinterinassen und keramisches Material. Die Fliissigkeitsteilchen sind kleiner als die Poren des Filtermaterials und laufen infolge ihres eigenen Gewichts durch das Filter, wahrend die grofieren Feststoffteilchen zuriickgehalten werden. Diese Operation laat sich beschleunigen durch erhohten Druck oberhalb des Filters oder durch Druckminderung unterhalb desselben. Technisch von Bedeutung ist vor allem die Druckfiltration mit Filterpressen. Sie findet Anwendung auf dem Farbstoff- und Kunststoff-Sektor sowie in der Zuckerindustrie zum Auspressen von Rubenschnitzeln, ebenso noch beim Keltern. Von der Filtration unter Druckverminderung oder Vakuumfiltration macht man Gebrauch bei der Trennung von fest-flussigen, fest-gasfiirmigen und fliissig-gasformigen Gemischen, indem man die Gase durch Watte oder Tuchfilter hindurchsaugt; in dicsen bleiben die festen bzw. fliissigen Teilchen haften. Anwendungsbeispiel sind die Filter der Gasmasken.
Flotation* Eine in der Erzaufbereitung vielfach angewendete Trennmethode, das Flotieren, beruht auf der unterschiedlichen Benetzbarkeit der Komponen* flot (franr.) Welle. ~
6 Disperse Systeme
ten. Erze werden von Wasser schlechter benetzt als die Begleitsteine, die sog. Gangart. Diese Grenzflacheneigenschaften kann man noch beeinflussen durch den Zusatz bestimmter organischer Verbindungen, die man Sammler nennt. Diese werden von den Erzkomchen adsorbiert und verstkken deren wasserabweisende Wirkung (Hydrophobic*). Blast man durch eine Suspension eines auf diese Weise praparierten Mineralgemisches von unten Luft durch, so bildet sich Schaum. Die schlechter benetzbaren Erzteilchen setzen sich an den Luftblaschen fest und werden mit diesen nach oben gerissen. Sie sammeln sich im Schaum, der anschlieBend abgetrennt wird. Das Flotationsverfahren wurde anfangs nur zur Sortierung von Roherzen angewendet, hat heute aber in fast alle Gebiete des Feststoffsortierens Eingang gefunden. Bedingung ist, daB die Teilchen auf eine GroBe zwischen 0,05mm und 0,l mm gebracht werden konnen. Anwendungsbeispiele sind: Abtrennen von Feinkohle, Ruckgewinnen wertvoller Rohstoffe aus Industrieabgangen, Trennen organischer, infolge ihrer Konstitution unterschiedlich hydrophober Verbindungen, Reinigung von Nahrungsmitteln.
6.3 Kolloid-disperse Systeme** 6.3.1 Eigenschaften Zerkleinert man die relativ groBen Molekulverbande einer Aufschlammung bis auf 1/1000 000mm TeilchengroBe, so erhalt man noch keine Einzelmolekule, sondern sehr kleine Molekulpakete. Eine solche Losung kann zwar rein auBerlich das Aussehen einer echten Losung haben, ihre physikalischen Eigenschaften sind jedoch andere. Kolloide Teilchen konnen mikroskopisch nicht gesehen werden, auBer mit dem Elektronenmikroskop. Fallt ein Lichtstrahl durch ein sog. Sol,*** so wird er an den Teilchen gebeugt und sein Weg somit sichtbar. Diese Erscheinung - Tyndall-Effekt**** genannt - kann man z. B. auch an einem Sonnenstrahl in staubiger Luft beobachten, da die Staubteilchen
* ** ***
****
hydor (grch.) - Wasser: phohos (grch.) - Furcht; philos (grch.) - Freund. kolla (grch.) - Lcim. solutus (la1.j - au~geliisl. John Tyndall(I820-1893), engl. Physiker.
20 1
kolloidale GroBe besitzen. Im Gegensatz zu grobdispersen Systemen, die sich infolge der Einwirkung der Schwerkraft in ihre Komponenten zerlegen lassen, sedimentieren kolloide Dispersionen gar nicht oder nur sehr langsam. Auch durch normale Filtration konnen sie nicht getrennt werden. Benutzt man jedoch Cellulosederivate als Filtermaterial, so werden die Kolloidteilchen zuriickgehalten, wahrend die leichteren Losemittelmolekule das Filter passieren, ebenso wie die echt gelosten Teilchen. Man macht sich diese Tatsache bei der Dialyse zunutze. Hierbei werden echte Losungen von kolloiden getrennt aufgrund ihrer Fahigkeit, durch sog. Ultrajlter zu wandem. Friiher vermutete man, daR nur kristalline Stoffe in der Lage seien, solche Membranen zu durchdringen. Thomas Graham (1 805-1 869), englischer Chemiker und der Begriinder der Kolloidlehre, unterschied deshalb kristalline und kolloide Stoffe. Erstere gehen als Ionen in Losung und konnen deshalb dialysieren, kolloide Stoffe nicht. Heute weil3 man jedoch, dab auch kristalline Stoffe kolloid in Losung gehen konnen. Kolloidteilchen in Form von Molekul- oder Ionen-Verbanden bezeichnet man gelegentlich als Micellen, im Gegensatz zu Molekiilkolloiden. Bei letzteren handelt es sich um Makromolekule, die infolge ihrer GroBe keine echte Losung mehr bilden. MaBgebend fur das Vorliegen einer echten oder einer kolloiden Losung ist also der Durchmesser des gelosten Teilchens, nicht der Zustand, in dem es in der Losung enthalten ist.
Lyophile Kolloide Sole - auch als Lyosole oder, mit dem Dispersionsmittel Wasser, als Hydrosole bezeichnet sedimentieren zwar nur sehr langsam, sind jedoch im Vergleich zu echten Losungen instabil. Sie streben der Ausflockung oder Koagulation zu. Das Sol geht dabei in ein Gel uber. Der umgekehrte Vorgang, die Losemittelanlagerung an ein ausgeflocktes Gel unter Bildung eines Sols, heifit Peptisation. Sol
* ** ***
-
Koagulation*, Ausflockung
Peptisation* *
-
Gel***
coagulare (lat.) - gerinnen. pcpsis (grch.) - Vcrdauung, Wiedcrauflosung. Gel, KurzbeLeichnung fur Gelatine.
202
I1 Einige Physikalische Grundlagen
Man kann sich diese Erscheinung folgendermaljen crkliiren. Fur den kolloiden Zustand ist die groBe Oberflache der Teilchen kennzeichnend. Entsprechend der Oberflache nimmt aber auch die Oberflachenenergie zu. Da in der Natur der energieQmste Zustand zugleich der stabilste ist, muljten sich die Kolloidteilchen sofort zusammenballen und ausflocken. Dies ist jedoch nicht der Fall, da zwischen den gleichartig aufgeladenen Teilchen AbstoRungskrafte wirksam sind. Erst wenn diese iiberwunden werden, z. B. durch Zugabe eines Elektrolyten, erfolgt Ausfallung. Laat sich das koagulierte Gel zuruckvcrwandeln, so spricht man von einem reversiblen Vorgang. Man unterscheidet demzufolge zwei Arten von Kolloiden: reversible und irreversible. Bei letzterem ist die Ausflockung nicht riickgangig zu machen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von lyophilen und lyophoben Kolloiden. Lyophile - oder auf Wasser bezogen, hydrophile - Kolloide gehoren zu den reversiblen. Die Stabilitat dieser Systeme (z. B. Eiweilj, Starke, Leim, Gelatine) beruht auf einer Wechseiwirkung mit dem Dispersionsmittel. Die Solvatmolekule umhullen die Teilchen und verhindern somit einen Zusammenschlulj. Die Oberflache dieser Teilchen ist also die durch das Losemittel gebildete Solvathulle. Bei Koagulation geht die Sole dann in die stark losemittelhaltigen Gele uber. Eine vollstandige Ausfillung ist nur zu erreichen, wenn man eine groBe Menge eines Elektrolyten zusetzt oder das Losemittel vollig entzieht. Der pH-Wert, bei dem die Ausflockung eintritt, also die geringste Loslichkeit vorhanden ist, nennt man isoelektrischen Punkt. AuRerdem kann man Sole durch eine Elektrolyse ausflocken, da die geladenen Kolloidteilchen wie die Ionen in der Losung wandern und sich an einer Elektrode entladen. Die Gele sind infolge ihrer groljen Oberflache, der Hohlraume und Kapillaren in der Lage, vie1 Losemittel bzw. Wasser aufgrund von Adsorption zu binden. Eingetrocknete Gele werden deshalb in der Chemie als Trockenmittel verwendet, z. B. Kieselsauregel. ~
Lyophobe Kolloide Die Ursache der Stabilitat lyophober Kolloide also solcher Kolloide, die kein Losemittel aufnehmen - beruht auf der elektrischen AbstoBung der gleichsinnig aufgeladenen Teilchen, die bei Ionen durch die Eigendissoziation gegeben ist. Als Beispiel seien kolloidale Losungen von ~
Metalloxiden und -hydroxiden genannt. Die Teilchen werden sich bei Annaherung gegcnseitig abstolien, so daR sie nicht ausfallen. Gibt man jedoch einen Elektrolyten oder ein gegensinnig aufgeladenes Kolloid zu, so erfolgt die Ausfallung. Dies ist bei einem lyophoben (oder mit Wasser als Dispersionsmittel, hydrophoben) Kolloid nicht wieder riickgangig LU machen, d. h. es liegt ein irreversibler ProzeR vor. Zu dieser Gruppe gehoren die meisten kolloiden Losungen von Metallen, z.B. ein Sol von kolloidem Silber, Gold oder Platin. Es kann jedoch eine Stabilisierung erfolgen durch Zusatz von Stoffen, die die kolloiden Teilchen einhullen und dem Dispersionsmittel ahnlich sind. Dadurch werden die lyophoben Kolloide in lyophile umgewandelt. Solche Zusatzstoffe nennt man Schutzkolloide. Im Handel befindliche Metallsolen enthalten stets Schutzkulluide. Silber mit Eiweilj als Schutzkolloid ergibt das in der Medizin haufig gebrauchte ,,Kollargol"; kolloides Platin enthalt meist Gelatine. Eiweilj und Gelatine ubertragen dabei ihre Fahigkeit, reversibel von einem Gel in ein Sol ubergehen zu konnen, auf ihre lyophoben Schutzlinge.
6.3.2 Herstellung und Trennung kolloid-disperser Systeme Kondensation Wie schon erwahnt, entspricht bei einer Reihe von Stoffen die MolekulgroBe der Groae von kolloid-dispersen Teilchen. Dazu gehoren u. a. viele Kunststoffe, Starke, Cellulose und EiweiBstoffe. Bei der Auflosung erhalt man hier keine echten Losungen, sondern Kolloide. Man nennt solche Stoffe, deren kolloidaler Charakter nicht vom Dispersionsgrad, sondern von der MolekulgroRe herruhrt, Molekulkolloide. Im Gegensatz dazu stehen die Phasenkolloide, dercn disperser Anteil eine Phase ist. Die Grundbedingung fur die Darstellung von kolloiden Losungen ist die Schwerliislichkeit des Stoffes im Dispersionsmittel. Dabei kann man von echten Liisungen ausgchcn und diese in das Dispersionsmittel, in dem der Stoff schwer 16slich ist, einflieljen lassen. Dispersionsmittel und Losemittel mussen hier vollig mischbar sein. Man bezeichnet dicscn Vorgang auch als Kondensation von Kolloiden.
6 Disperse Systeme
Diwersion Der zweite Weg der Darstellung geht von grobdispersen Stoffen aus, weshalb man hier von Dispersionsrnethoden spricht. - Die Zerteilung von grob-dispersen Stoffen kann einmal durch Zermahlen in Kolloidmuhlen erfolgen. Zum anderen lassen sich kolloide Losungen durch Zerstaubung im elektrischen Bogen unter Wasser herstellen. Die letzte Methode wird vor allem bei Metallen angewendet, wobei diese die beiden Elektroden darstellen. Weiterhin kann man die Zerteilung durch hochfrequente Erschutterungen (Ultraschall) durchfiihren. Bei den genannten Verfahren erfolgt eine Umwandlung der zugefuhrten Energie (mechanische Energie, Warmeenergie usw.) in Oberflachenenergie, denn diese oberflachenreichen Systeme sind sehr energiereich. Urn die Bestandigkeit der kolloiden Systeme zu erhohen, miissen sie gereinigt werden, eventuell beigemengte Elektrolyte mussen entfernt werden. Dies geschieht vor allern durch die Dialyse.
Dialyse* Die kolloide Losung befindet sich in einem zylindrischen GefaR, dessen Wand fur die kolloiden Teilchen undurchlassig ist (D-e, Pergament, Cellulosederivate). Dieses GefaR befindet sich in einem groaeren, das von reinem Wasser durchstrornt wird. Entsprechend dern Konzentrationsunterschied zwischen der Losung und dern Wasser diffundieren die echt gelosten Teilchen aus der Losung in das Wasser und werden von dort weggefiihrt. Die kolloiden Teilchen bleiben zuriick, d. h. die Losung ist vom Elektrolyten getrennt worden.
6.4 Molekular-disperse Systeme 6.4.1 Eigenschaften Unter einer Losung versteht man ein homogenes System, in welchem die disperse Phase - ein Stoff oder mehrere Stoffe - bis auf Molekiil- oder IonengroBe zerteilt sind. Der Durchmesser der dispergierten Teilchen liegt bei 1/1 000 OOO mm bis 1/10 OOO 000mm. Schickt man einen Lichtstrahl durch eine solche Losung, so durchlauft er
*
dialysis (grch.)
~
Aufliisung.
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diese, ohne seinen Weg sichtbar zu machen. Das Licht wird an den Molekiilen oder Ionen nicht reflektiert, so daB die Losungen ,,optisch leer" erscheinen, wie es bei rauch- und staubfreier Luft der Fall ist. Der Begriff ,,Losung" wird irn allgemeinen nur auf fliissige Losungen angewendet, gilt jedoch in gleicher Weise fur den festen und den gasformigen Aggregatzustand. Eine ,,feste Losung" liegt dann vor, wenn zwei kristalline Substanzen sich im Kristallgitter vertreten und sog. Mischkristalle bilden. Dies ist bei einigen Legierungen unter besonderen Bedingungen der Fall, z. B. bei Gold - Kupfer, Silber - Kupfer und Aluminium - Zink. Im Gaszustand sind alle Stoffe unbegrenzt ineinander loslich; haufig wird hier auch der Ausdruck Mischbarkeit anstelle von Loslichkeit angewendet. Kennzeichnend fur eine Losung ist, daO die disperse Phase unverandert aus der Losung zuriickgewonnen werden kann. Ein Beispiel dafur ist die Kochsalzgewinnung aus Salzlosungen in den Salinen oder aus dem Meerwasser in den sog. Salzgirten. Hierbei wird durch zugefiihrte Wgjme oder unter Ausnutzung der Sonnenwkme das Wasser abgedampft, wahrend das Salz in kristalliner Form zuriickbleibt.
Losevorgang Die Fahigkeit einer Substanz, mit einem geeigneten Losemittel Losungen zu bilden, ist fur die jeweilige Kombination spezifisch und eine Funktion der Temperatur. Bei festen Stoffen nimmt die Loslichkeit im allgemeinen rnit steigender Temperatur zu, bei Gasen dagegen nimmt sie ab. Das ist die E r k l b n g fur den Sauerstoffmangel in den Gewassern an sehr heiBen Tagen und das in solchen Zeiten auftretende Fischsterben. Um eine Substanz in Losung bringen zu konnen, ist es offenbar notig, daB zwischen dem Losemittel und dem zu losenden Stoff gewisse hnlichkeiten bestehen. Diese treten dadurch in Erscheinung, daB sich Solvate - lockere Addukte des Losemittelmolekuls an das Feststoffmolekul oder Feststoffion - bilden. Alkohole, deren charakteristische Gruppe die OH-Gruppe ist, losen sich ebenso in Wasser (H-OH), wie die mehrere OH-Gruppen enthaltenen Zuckermolekule. In Wasser nicht loslich sind vollig artfremde Molekule wie Fette und Ole oder Wachse. Diese konnen in Wasser nur im groBeren Molekiilverband dispergiert werden und bilden sornit heterogene Systeme.
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I1 Einige Physikalische Grundlagen
Man stellt sich den Losevorgang bei echten Losungen - auch Solvatation* genannt - folgendermaBen vor. In einem Losemittel ist die Anziehungskraft der Feststoffmolekule untereinander geringer als in Luft. Es konnen sich Feststoffteilchen vom Verband trennen und in die Flussigkeit hineinwandern. Durch hohere Temperaturen, also groBere Eigenbewegung der Molekule, wird dieser Vorgang beschleunigt. Da die Molekule des Feststoffs in der Losung von allen Seiten von Molekulen des Losemittels umgeben sind, haben sie nicht mehr die Moglichkeit, in den Feststoffverband zuriickzugelangen. Aus diesem wandern jedoch weiterhin Molekule in die Flussigkeit hinein. Vermag das Losemittel vom zugesetzten Stoff nichts mehr aufzunehmen, so liegt eine gesattigte Losung vor. Aber auch hier losen sich aus dem Feststoff noch Teilchen heraus, gleichzeitig wandern aber ebensoviele in den Molekulverband zuriick. Urspriinglich galten diese Betrachtungen nur fur ionen-disperse Systeme, also fur echte Losungen von Elektrolyten. Hierbei wird das Ion von den Dipolmolekulen des Wassers vollig eingeschlossen. Das Modell laDt sich jedoch auch auf den Losevorgang bei Molekulen anwenden. Hier spielt der polare Charakter von Losemittel und zu losendem Stoff eine wesentliche Rolle. Der Losevorgang 1aRt sich durch drei Faktoren beschleunigen. VergroBert man die Oberflache, so konnen die Molekiile leichter in die Flussigkeit hineinwandern. Schon envahnt wurde die Temperaturerhohung und die damit verbundene schnellere Eigenbewegung der Molekule. - Zukker lost sich bekanntlich in heiRem Tee schneller als in kaltem. - Ebenfalls beschleunigend wirkt das sofortige Wegfuhren des gelosten Stoffes. Dies wird durch intensives Ruhren erreicht.
Die Osmose spielt in der Natur eine groBe Rolle bei allen Lebensvorgangen. Die Zellwande dienen dabei als semipermeable Membranen. Auf dieser Erscheinung beruhen z. B. das Offnen und SchlieBen der Bluten, das Welken, der Stoffwechsel usw. Eine physiologische Kochsalzlosung rnit 0,95 % Volumenanteilen NaCl hat den gleichen osmotischen Druck wie das Blut und kann deshalb dieses fur kurze Zeit ersetzen; man spritzt es bei Operationen direkt in die Blutbahn. Hatte die Losung einen kleineren osmotischen Druck, so wiirde Wasser in die Blutkorperchen dringen, wodurch diese stark schwellen und zerplatzen konnten. Bei zu hohem osmotischen Druck klme es zum Austritt von Wasser aus den Blutkorperchen und damit zu einer Schrumpfung.
Diffusion**
Gefrierpunktserniedrigung
Zu den wichtigsten Eigenschaften einer Losung zahlt unter anderem die Diffusion. Legt man einen tiefblauen Kupfersulfatkristall in ein mit Wasser gefulltes GefaB, so beobachtet man eine allmahliche Auflosung des Kristalls, die mit der Bildung und der Ausbreitung einer blauen Schicht verbunden ist. Nach einigen Wochen ist die Blaufarbung gleichmaaig uber die gesamte Flussigkeit verteilt. Die gelosten Salzpartikel sind entgegen der Schwerkraft nach oben gewandert.
Eine weitere, fur das tagliche Leben interessante, physikalische Eigenschaft von Losungen ist die Veranderung von Siedepunkt und Gefrierpunkt. Eine Salzlosung siedet bei einer hoheren Temperatur als das reine Losemittel. Umgekehrt liegt ihr Gefrierpunkt bei einer tieferen Temperatur als beim Losemittel. Eine Salzlosung bleibt auch noch bei 0 "C fliissig, wahrend das Wasser zu Eis gefriert. Man nutzt diese Tatsache im Winter bei der Schnee- und Eisbeseitigung mit Hilfe von Streusalz aus. In der Technik macht man davon
* **
solvere (lat.) losen. diffundere (lat.) - ausbreitcn.
Dieses Ausdehnungsbestreben bezeichnet man als Diffusion. Setzt man diesem einen Widerstand entgegen mit einer sog. semipermeablen Membrarz, d. h. halbdurchlassigen Wand, so kann man die treibende Kraft messen. Befinden sich zu beiden Seiten dieser Membran Losungen verschiedener Konzentration, so hat die starkere Losung auch das starkere Bestreben, sich auszudehnen. Die Molekiile des gelosten Stoffes konnen nicht durch diese Wand hindurch, wohl aber die Molekule des Wassers. Diese dringen in die konzentriertere Losung ein und verdunnen sie, wodurch auf dieser Seite ein Uberdruck entsteht, den man als osmotischen Druck bezeichnet. Als semipermeable Membranen konnen Pergamentpapier, Cellophan, tierische Haut oder auch Tonzellen rnit einem anorganischen Niederschlag venvendet werden.
Osmotischer* Druck
~
*
osiiios (grch.)
~
StoR
6 Disperse Systeme
Gebrauch beim Kuhlen mit sog. Kaltesolen. Das sind stark konzentrierte Salzlosungen, die infolge ihrer Gefrierpunkterniedrigung auch unterhalb von 0°C noch flussig bleiben (s. Abschn. 11-4.5.8).
6.4.2 Trennung homogener Gemische Destillation und Kondensation Eine Bedingung, die an ein Losemittel im Sinne einer echten Losung gestellt wird, ist die, daB sowohl das Losemittel als auch die disperse Phase unverandert zuriickgewinnbar sein miissen. Eine Moglichkeit wurde schon am Beispiel einer Salzlosung aufgezeigt: Ruckgewinnung des Feststoffes durch Verdampfen des Losemittels. Zur Ruckgewinnung des Losemittels wendet man die Destillation an, d. h. Verdampfen des leichter fliichtigen Gemengebestandteiles und anschlieBendes Kondensieren des Dampfes. - Dieses Verfahren ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Siedepunkte der beiden Komponenten weit genug auseinander liegen. Destilliert man dagegen eine wassrige Alkohollosung, so enthalt der Dampf neben dem leichter fliichtigen Alkohol auch Wasser. Man wird also in diesem Falle keine vollstandige Trennung erreichen. Unterwirft man die erhaltene Fraktion mehrmaliger Destillation, so IaBt sich die Reinheit steigern (s. Abschn. V-2). Gasformige Losungen lassen sich trennen, indem man sie bis zur Verflussigung abkuhlt und anschlieaend fraktioniert destilliert. Auf diesem Wege zerlegt man Luft in ihre Bestandteile.
Trennung durch Phasenneubildung aufgrund von Temperaturanderungen Durch Abkuhlen einer flussigen oder gasformigen Losung kann man eine feste Phase gewinnen, die entweder aus einer Losungskomponente besteht oder beide in einem anderen Verhaltnis enthalt. Kuhlt man z. B. eine verdunnte wassrige Salzlosung ab, so scheiden sich zunachst reine Eiskristalle aus, das reine Salz reichert sich in der Losung an. Man nutzt diese Tatsache bei der Konzentrierung von Losungen aus, z. B. bei der Erhohung des Alkoholgehaltes von Weinen durch Ausfrieren des Wassers. Von groBerer Bedeutung ist dieser Vorgang jedoch bei geschmolzenen Metallgemischen. Durch Kristallisation der einen Komponente ist eine Anreicherung des Gemisches in Bezug auf die zweite Komponente zu erreichen. Bei mehrmaliger Kristallisation spricht man von fraktionierter Kristallisation.
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Phasenneubildung nach dem Nernstschen Verteilungssatz AuRer durch Temperaturanderungen ist eine Phasenneubildung auch durch Zugabe einer weiteren Komponente zu erreichen. Gibt man zu einer Losung eines Feststoffes in flussiger Phase ein zweites Losemittel hinzu, das mit dem ersten nicht mischbar ist, so wird sich der Feststoff in beiden verteilen, wie es seiner jeweiligen Loslichkeit entspricht. Diese Tatsache beschreibt der Nernstsche* Verteilungssatz:
Ein Stoff verteilt sich in zwei nicht miteinander mischbaren Liisemitteln im Verhaltnis seiner beiden Einzelloslichkeiten. Die Trennung des Feststoffes vom Losemittel erfolgt umso vollsttindiger,je besser die Loslichkeit des Feststoffes im zweiten Losemittel 1st. Der Feststoff laat sich allerdings nicht vollig aus dem einen Losemittel entfernen, da es sich um einen GleichgewichtsprozeB handelt. Da sich die Phasenneubildung mit einem Losemittel auch auf feste Stoffe anwenden IaBt, kann man auf diesem Wege verunreinigte Kristalle durch Auflosen in einem geeigneten Losemittel und Wiederauskristallisieren reinigen. In der Technik benutzt man bei Gasreaktionen haufig spezifische Losemittel fur eine Komponente eines Gasgemisches. So wird z. B. beim Haber-Bosch-Verfahren mit Hilfe von Druckwasser das Kohlenstoffdioxid aus dem Synthesegas herausgelost. Die beiden Phasen lassen sich dann sehr einfach voneinander trennen.
6.4.3 Losemittel Im engeren Sinne sind Losemittel Stoffe, die einen Stoff oder mehrere Stoffe - gleichgiiltig, in welchem Aggregatzustand sie vorliegen - in eine homogene Losung uberfuhren konnen. Das Geloste mu13 wieder in der urspriinglichen Form zu gewinnen sein. Im allgemeinen bezeichnet man aber auch solche Stoffe als Losemittel. in denen das Geloste weder molekular-dispers vorliegt noch vollstandig zuriickzugewinnen ist. Die Losemittel konnen die verschiedensten Aufgaben erfullen. Sie konnen einmal als Depotund Transportmittel fur Case, Fliissigkeiten und feste Stoffe dienen, da sie es ermoglichen, feste
*
Wallher Nernst (1864-1941), dtsch. Physikochemiker.
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11 Einige Physikalische Grundlagen
Stoffc unter Formveranderung zu ubertragen. Ein Beispiel sei die Oberflachenlackierung: der Lackrohstoff wird dispergiert, als Losung aufgetragen und nach dem Abdampfen des Losemittels in feinverteilter Form auf der Oberflache des zu lackierendcn Objektes erhalten. Als chemische Substanz kann das Losemittel zwischenzeitlich Partner der darin ablaufenden Reaktionen sein. Neben dem wichtigsten Losemittel Wasscr, in dem sich S a k e ionen-dispers und Gase als Molekule losen, gibt es cine Reihe von Substanzen, die man als wasserahnlich bezeichnet. Dazu gehorcn Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Essigslure und die Alkohole Methanol und Ethanol sowie in einigen Fallen auch Aceton. Inlolge ihrer stark polaren Wirkung sind diese Liiscmittel wie Wasser in der Lage, Ionengitter zu brechen. Eine weitere Aufgabe der Losemittel ist die Beeinflussung von Reaktionen in fliissiger Phase. Hierher gehoren bekannte Verfahren der organischen Synthese, wie Hydrierung, Oxidation, Chlorierung, Veresterung usw. Fur jede Reaktion muR das Losemittel ausgesucht werden, das optimale Betriebsbedingungen liefert. Es kann aber auch unmittelbar an der Reaktion beteiligt sein. Schon der einfache Fall, daB ein Losemittel die Ausgangsprodukte leicht, die Reaktionsprodukte praktisch nicht lost, hat groUe Bedeutung. Wenn ein Partner unloslich ist, so wird dieser zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts stindig nachproduziert, was letzten Endes einen fast 100 %igen Umsatz ergibt. Davon macht man z.B. in der Kunststoffproduktion bei der FB1lungspolymerisation Gebrauch. Wahrend das Monomere im Reaktionsmedium gut loslich ist, fallt das Polymere solort aus (s. Abschn. 111-1.6).
6.5 Beispiele fur disperse Systeme 6.5.1 Legierungen Legierungen konnen sowohl echte Losungen in einem Feststoff sein, als auch grob-disperse Systeme darstellen. Die Metalle Gold und Silber losen sich in flussigem wie in festem Zustand vollig ineinander und bildcn eine luckenlose Reihe von Mischknstallen. Die Bedingung dafur ist, daU die Metalle sich chemisch ahnlich verhalten und ihre Atomradien nicht allzu verschieden sind. Die Mischkristallbildung kann einmal erfolgen, indem ein Atom des Kristallgitters durch ein Atom des anderen Metalls ersetzt wird. Dazu gehoren die Legierungen von Silber und Kupfer
mit Gold. Die Verteilung der Atomarten im Kristallgitter erfolgt statistisch. Ebenso konnen Mischkristalle gebildel werden, bei denen in die Zwischenriume des Kristallgitters Atome mit kleinerem Atomradius eingelagert werden. Es erfolgt hierbei kein Austausch der Gitteratome. Dies ist z. B. bei Kohlenstofflegierungen der Fall. Man fuhrt die Hiirte der Stahle und die besondere hartende Wirkung geringer Fremdzusatze auf die Bildung solcher Einlagerungsstrukturen zuruck.
Messing Legierungen, deren Hauptbestandteile Kupfer und Zink sind, bczcichnet man als Messing. Es handelt sich hierbei um eine echte Losung, bei welcher Kupfer und Zink eine Verbindung bilden. Man unterscheidet drei Arten von Messing. Tombak und RotguB enthalt bis zu 2 0 % Zink und besitzt infolge des hohen Kupfergehaltes eine gelbrote Farbe. Das gewohnliche Messing, auch als GelbguU bezcichnet, enthalt etwa 20% bis 50 % Zink. Messing mit iiber SO % Zink ist sehr sprodc und kann nicht mehr mechanisch bearbeitet werden (WeiBguR).
Bronzen Ebenfalls um feste Liisungen handelt es sich bei den Bronzen. Das sind Kupfer-Zinn-Legierungen. Der schon seit altester Zeit bekannte Begriff Bronze wurde inzwischen auch auf Kupferlegierungen ausgedehnt, die kein Zinn enthalten. Man spricht so von Aluminium-, Phosphor- und Silicium-Bronzen. Reine Zinnbronzen wurden friiher zum GlockenguR verwendet und deshalb als Glockenbronzen bezeichnet. Sie enthalten ungefahr 20 % Zinn in Kupfer. - Das Munzmetall der sog. Kupfermunzen ist eine Aluminiumbronze. - Phosphorbronze ist eine Kupfer-ZinnLegierung, die Phosphor nur in Spuren enthalt. Sie zeichnet sich durch Widerstandsfghigkeit gegen Chemikalien aus, und wird auch vie1 im Maschinenbau verwendet.
Amalgame* In die Reihe der Feststoff-Feststoff-Dispersionen, die echte Losungen darstellen, gehoren auch die Quecksilber-Legierungen, die sog. Amalgame. E s bilden sich Verbindungen von Silber, Gold oder Zinn mit Quecksilber. Diese Losungen kon-
*
al-malgharn (arah.) emeichcnde Salbe ~
6 Disperse Systeme
nen teils fest, teils flussig sein, dies richtet sich nach dem Anteil des beigemengten Metalls. Die Amalgame von Silber und Gold werden vielfach in der Zahnmedizin zu Zahnfullungen benutzt. Natriumamalgam dient in der Chemie als Reduktionsmittel. Bei der Alkalichloridelektrolyse bildet sich aus dem abgeschiedenen Alkalimetal1 Natrium das Natriumamalgam (s. Abschn. 111-2.3). 6.5.2 Emulsionen (s. Abschn. 11-6.6.6) Milch Sie ist eine kolloide Disperion von Oltropfchen und EiweiBstoffen in wariger Phase. Nach langerem Abstehen erfolgt eine Entmischung, die Aufrahmung. Durch Erhitzen auf eine bestimmte Temperatur sowie durch Zusatz von Mineralsauren oder Metallsalzen wird eine irreversible Ausfallung des EiweiBes erreicht, man spricht hier von einer Denaturierung (Kochen von Milch und EiweiBstoffen).
207
Schmutzteilchen und Tensidmolekiil, so wird der Schmutz in der Reinigungslosung dispergiert. Tenside stellen eine Art Schutzkolloid dar, indem sie das Schmutzteilchen von allen Seiten umgeben und somit in Micellen einschlieBen. Man spricht hier vom Schmutztragevermogen der Reinigungsflotte. Dieses ist ein Ma13 fur die Wirksamkeit eines Reinigungsmittels.
6.5.3 Schaume Kohlenstoffdioxid in Getranken Hier handelt es sich um eine echte Losung von Kohlenstoffdioxid in flussigen Medien, da Kohlenstoffdioxid molekular-dispers vorliegt. Da die Loslichkeit von Gasen in flussiger Phase bei Druckerhohung zunimmt, ist Kohlenstoffdioxid unter erhohtem Druck in den Getranken gelost. Beim Entspannen der Losung entweicht soviel Gas, bis die dem herrschenden Aufiendruck entsprechende Konzentration in der Losung erreicht ist. Das gilt auch fur Dispersionen von anderen Gasen in flussigen Medien.
Latex* Dies ist der Milchsaft einiger tropischer Wolfsmilchgewachse. Er enthalt in einer kolloiden Emulsion 35% Rohkautschuk, der in Form von Makromolekulen in waDriger Phase dispergiert ist. Beim Ansauern oder Rauchern des Latex wird der Rohkautschuk als z5he klebrige Masse abgeschieden. In dieser Form wird er den unterschiedlichen Verarbeitungsprozessen zugefuhrt.
Seifenschaum
Reinigungsmittel
6.5.4 Aerosole
Es sind meist kolloide Emulsionen von grenzflachenaktiven Substanzen in waBrigen oder alkoholischen Medien. Solche Stoffe, auch Tenside** genannt, enthalten eine hydrophile d.h. wasserlosliche - und eine hydrophobe wasserabweisende - Gruppe im Molekul. Man nimmt an, daB sie infolge ihres Zwittercharakters nur in sehr verdunnten Losungen molekulardispers vorliegen, normalerweise aber Micellen also Molekiilverbiinde - bilden. Aus diesen konnen Einzelmolekule herauswandern und z. B. an der Grenzflache eines Schmutzteilchens adsorbiert werden. 1st die Anziehungskraft zwischen einem Schmutzteilchen und dem Material, an dem es haftet, geringer als die zwischen
Nebel
* **
latex (lat.) - Fliissigkeit. tensio (lat.) - Spannung
Hier liegt keine echte Losung mehr vor. Die Luft, bzw. allgemein das Gas, ist in kleinen Blaschen in der Flussigkeit dispergiert; es handelt sich demnach.. um ein kolloid- oder grob-disperses System. Ahnlich verhalt es sich mit Schlagsahne oder Eischnee.
Bei Nebel handelt es sich teils urn kolloiddisperse oder auch grob-disperse Systeme von Feuchtigkeit in Luft. Bei starker Zusammenballung der Wasserpartikel zu groBeren Tropfen schlagen sie sich als Tau oder Regen nieder. Die Bezeichnung Nebel bezieht man auch auf Dispersionen von anderen Flussigkeiten in einem Gas. Man spricht z. B. von Olnebel, Saurenebel usw. (s. Abschn. 11-6.6.3).
Spriihmittel Bei den Spriihmitteln befindet sich das Gas in der Spraydose unter erhohtem Druck. Es enthalt als disperse Phase die zu verspriihende Fliissigkeit. Bei Betatigung des Ventils an der Spraydose wird das Aerosol aus der Dose gedriickt und entspannt
208
I I Einige Physikalische Grundlagen
Tab. 11-6. Disperse Systcme verschiedener Arzneiformen.
Disperse Phase/Dispersionsmittel
Arineiform
flussig/gasfiirmig fest/gasfiirmig gasfiirmig/flussig flussig/flussig fcst/flussig gasforrniglfest flussig/fest fest/fest
Aerosole/lnhalate* Staubaerosole, Puder, Pulver Schaume Emulsionen Gele, Salben, Pasten, Cremes Tabletten, Kleinkomprimatc**
* ** *** ****
Emulsionssuppositoricn*** Suspensionssuppositorien****
inhalare (lat.) - anhauchen, cinatmen eines Heilmittels. cornprimere (lat.) - zusammendriicken. emulgere (lat.) - ausrnclken; supponere (lat.) darunterlegen suspendere (lat.) - aufhangen. schwebend machen.
sich. Dabei reiRt das Gas die Flussigkeitspartikeln mit sich und verteilt sie in feinster Form. Zum Teil besteht die flussige disperse Phase wiederum aus einer Dispersion, z. B. eines Feststoffes in einer Flussigkeit. Hierbei wird durch das Aerosol die Suspension verspriiht, deren leichtfluehtiges Dispersionsmittel verdunstet, wahrend der Feststoff feinstverteilt auf einer bespruhten Flache zuriickbleibt. Solche kombinierten dispersen Systeme fafit man jedoch alle unter der Bezeichnung Aerosol zusammen. Beispiele dafur sind: Lacksprays, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel etc. Aerosole haben infolge i hrer einfachen Handhabung sehr starke Verbreitung auf vielen Gebieten des taglichen Lebens gefunden.
menschlichen oder tierischen KBrpers abweichende Zustande zu erkennen. Ein Arzneimittel ist immer ein Mehrkomponentensystem. Es besteht aus dem Wirkstoff und den Hilfsstoffen. Die Art der Hilfsstoffe hangt davon ab, wie ein Arzneimittel appliziert*. d.h. angewendet oder dargereicht werden soll. Applikation und Darreichungsform bestimmen die Arzneimittelzubereitung, die Art der Zusammensetzung des Mehrkomponentensystems und damit die Verfahren der Arzneimittelfertigung. Ein Arzneimittel mu8 so zubereitet sein, dab es den Organismus nicht schadigt und der Wirkstoff an dem gewunschten Ort des Korpers in der vorgesehenen Zeit freigegeben wird.
6.6.2 Arzneimittel als disperse Systeme
6.6 Disperse Systeme in verschiedenen Arzneiformen* 6.6.1 Definition des Begriffes Arzneimittel Arzneimittel sind Stoffe, die am menschlichcn oder tierischen Korper angewendet werden. Dort sollen sie Krankheiten, Schaden, Storungen, Beschwerden oder sonstige vom Normalbefinden des Korpers abweichende Zustande heilen, beheben, verhuten oder lindern. Zur Gruppe der Arzneimittel zahlen auch die Diagnostika, die d a m dienen, Krankheiten, Schaden, Storungen, Beschwerden oder andere vom Normalbefinden des
*
Hopp, V. (2000). Grundlagen der Life Sciences, Chcmic Biologie Energetik, Kap. XXV u. XXVI. Wiley-VCH Verlag GrnhH. Weinheim. ~
Arzneimittel sind nach ihrem Aufbau disperse Systeme. Legt man das Ordnungsprinzip der Dispersitlt zugrunde, so lassen sich Arzneimittel in 8 groRe Gruppen unterteilen (s. Tab. 11-6).
6.6.3 Aerosole (s. Abschn. 11-6.5.4) In Aerosolen** sind Flussigkeiten in einem Gas als Feinsttropfchen verteilt. Sie befinden sich in dem Gas in der Schwebe. Etherische Ole oder Inhaliermittel sind auf diese Weise dispergiert. Das Dispersionsmittel, in diesem Falle das Gas, dient bei sogenannten Druck- oder Treibgaspackungen als Treibgas (Abb. 11-28), * applicare (lat.) - nahebringen.
**
aer (arch.) I.uft; soIutu\ ~
(131.) -
aufgrliist.
6 Disperse Systeme Sprirhknopf
(QaMnig) M i u n g aus
whkstofn6sung
209
verteilt. Die Feinverteilung des Gases auaert sich in Gasblasen. Die Schaumstabilitat hangt von der GroBe der Blasen und von derViskositat* des Dispersionsmittels ab. Es wird zwischen einem Kugelschaum und Polyederschaum unterschieden. Der Kugelschaum ist eine Anhaufung in sich selbstandiger Kugelblasen. Jede Blase ist durch eine eigene Blasenmembran zur Nachbarblase abgegrenzt (Abb. 11-29),
und fliissigemTreibgas Steigrohr
Abb. 11-28.Aufbau einer Treibgaspackung.
Aerosol-Treibgaspackungen werden zur Anwendung von Lokalanaesthetica in der Zahnheilkunde, von Dermatica, Antiseptica, Antimykotica. Antibiotica, bei Wundverbanden u. a. verwendet. Abb. 11-29. Kugelblasenhaufwerk.
6.6.4 Pulver und Puder Pulver und Puder sind als disperse Systeme ,,fest in gasformig" aufzufassen. Das Dispergiermittel ist die Luft. Die disperse Phase, namlich die Feststoffpartikelchen sind so dicht gepackt, daB sie sich gegenseitig indirekt beriihren, denn diese Beriihrung erfolgt uber absorbierte Luft- oder Feuchtigkeitsschichten. Diese ,,nur" indirekte Beriihrung erlaubt eine leichte Verschiebung der Feststoffteilchen gegeneinander und bestimmt die Lockerheit dieses Systems. Pulver und Puder werden mittels Zerkleinern stuckiger oder korniger Substanzen hergestellt. Sie konnen aber auch durch Ausfallen und der damit einhergehenden Vergroberung von molekular- oder ionendispersen Systemen erhalten werden. Zerkleinerungsprozesse sind sehr energieaufwendig. Pulver und Puder unterscheiden sich durch ihren Feinheitsgrad der KorngroBen. Da die Fertigprodukte moglichst eine einheitliche Korngroaenverteilung aufweisen sollen, schlieBt sich an der Zerkleinerung immer eine Klassierung an. Puder und Pulver durfen sich an der Luft nicht zersetzen und bei Feuchtigkeits- und Flussigkeitsaufnahme nicht zerflieSen. 6.6.5 Schaume (s. Abschn. 11-6.5.3)
Schaume sind ,,gasformig-flussig" disperse Systeme. Gas ist in einem flussigen Medium fein
Der Polyederschaum** ist aus polyedrisch geformten Blasen aufgebaut. Typisch ist, daR benachbarte Blasen sich eine gemeinsame Membran*** teilen (Abb. 11-30),
Abb. 11-30. Polyederblasenhaufwerk.
*
** ***
viscum (lat.) - Vogelleim, Mistel; visqueux (frz.) - zahfliissig, klebrig. poly (grch.) - "iCl;he& (grch.) - sitz,Flkche. membrurn ( h i . ) - Korperglied.
210
I1 Einige Physikalische Grundlagen
Bekannte Schaume, deren disperse Phase aus Luft besteht, sind Rasierschaum, Schlagsahne oder die Schaummasse auf Gelatinebasis i n Mohrenkopfen. Bei pharmazeutisch wirksamen Schaumen handelt es sich immer um Blasen mit Polyederstruktur. Schlume fur Arzneimittelfertigung enthalten hlufig andere Case als Luft. Angewendet werden kontrazeptiv* wirksame Schaume. Auch in der Dermatologie** werden Wirkstoffe uber Schaume appliziert.
6.6.6 Emulsionen ,,Flussig-flussig" disperse Phasen heillen Emulsionen. Von zwei nicht oder nur begrenzt ineinander loslichen Flussigkeiten ist die eine Flussigkeit das Dispersionsmittel, d. h. die geschlossene Phase und die andere die zerteilte - disperse Phase. In Milch ist Wasser das Dispersionsmittel und Fett die zerteilte Phase. In Butter und auch Lebertran ist es umgekehrt (s. Abschn. 11-6.5.2). Die Stabilitat von Emulsionen hangt vom Verteilungsgrad der dispersen Phase und von Stabilisatoren ab. In der Milch ubernimmt das MilcheiweiB die Stabilisatorfunktion. Die Stabilisatoren, auch Emulgatoren genannt, verhindern die Entmischung von Dispersionsmittel und disperser Phase. Pharmazeutische Emulsionen sind sowohl Wasser in 01-,als auch 01 in Wasser-Emulsionen. Emulsionspraparate werden zur innerlichen oder aullerlichen Anwendung hergestellt. Olige Praparate, z. B. fettlosliche Vitaminkompositionen, lassen sich als , , 0 1 in Wasser-Emulsionen" leichter verabreichen.
6.6.7 Gele Gele sind erstarrte fest-flussige Dispersionen. Die feste Phase ist in einer Flussigkeit fein verteilt. Die flussige Phase ist wegen der Erstarrung nicht mehr frei beweglich. Ein allgemein bekanntes Gel ist eine erstarrte Gelatinelosung. Wenn die zerteilte feste Phase BUS organischen Makromolekulen, den Polymeren***, besteht, werden die Gele auch als Gallerten bezeichnet.
*
**
***
contra (lat.) - gegen; concipere (lat.) kontra7eptiv. empfangnivverhiitend. derma (grch.) - Haut. merns (grch.) Teil. ~
-
aufnehmen:
Gelatine ist aus tierischen EiweiRmolekulen aufgebaut. Gallerten zeichnen sich durch eine hohe Formstabilitat aus. Setzt sich die feste disperse Phase aus anorganischen Substanzen zusammen, wie z. B. Bentonit", Aluminiumhydroxid, Silikatverbindungen u. a., dann werden die Gele zur Unterscheidung von den Gallerten als Magma bezeichnet. Die Strukturen von Gelen sind unterschiedlich. Sie sind aus Fadenmolekulen mit wenigen Haftpunkten aufgebaut (Abb. 11-3 1 a). Die Fadenmolekule konnen parallel angeordnet und durch mehrere Haftpunkte miteinander verknupft sein (Abb. 11-31 b). Die Fadenmolekule konnen aullerdem zu Strlngen gebundelt sein. Dabei bilden sich kristalline Bereiche heraus. Dieser Strukturtyp wird haufig von Cellulosesubstanzen bevorzugt (Abb. 11-3I c). Bentonite bilden in der Regel eine sogenannte Kartenhausstruktur (Abb. 11-3I d). Haufig sind bei Gelen auch Nadelgeriiststrukturen, die aus langlichen Partikeln bestehen, anzutreffen (Abb. 11-31 e) oder lockere Geriiste aus kugelformigen Teilchen (Abb. 11-31 f). Die Kristallblattchen der Bentonite besitzen eine sehr groRe spezifische Oberflache in der GroRenordnung von 100m' bis 300 m2 pro Gramm. Schon eine 8 his 12%ige Bentonitkonzentration bildet gut streichfahige stabile Gele. Bentonite erhohen die Viskositat der waRrigen Dispersionsmittel. Deshalb werden sie als Emulsionsstabilisatoren bei 0 1 in Wasser-Emulsionen und als Suspensionsstabilisatoren bei der Salbenzubereitung benutzt.
6.6.8 Salben, Pasten, Cremes Salben sind ,,fest-flussige" disperse Systeme. Die disperse Phase ist eine Festsubstanz. Das Dispersionsmjttel ist eine Flussigkeit. Es kann aus Wasser, Olen, Fetten u. a. bestehen. Salben sind demnach Gele mit plastischer Verformbarkeit. Die Wirkstoffe enthalten sie im Dispersionsmittel gelijst, emulgiert oder suspendiert. Salben wirken entweder nur abdeckend zum Schutz der LulJeren Haut gegen UV-Strahlung, Wasser, Chemikalien und andere Einflusse. Sie heillen deshalb Schutz- oder Dccksalben. Salben
*
Bentonite sind Magnesium/Aluminiumsilikate mil einer typischen Krictallstruktur. die vie1 Wasscr aufzunchmcn vcrmag. Die Bezeichnung Bentonit kommt von dem groaen Fundort bei Fort Renton. Wyoming (USA).
6 Disperse Systeme
b
unvemeigte Fadenmolekule mit wenigen Haftpunkten
21 1
C
einzelne Fadenmolekule verlaufen, durch rnehrere benachbarte Haftpunkte rniteinander verknirpft, Dber sine kurze Strecke paralell zueinander
rnehrere Fadenmolekijle sind zu Strangen oder Biindeln assoziiert
f
Kartenhausstruktur aus
larninaren Partikeln
lockeres Gerirst aus spharioden Partikeln
NadelgerM aus liinglichen Pattikeln
Abb. 11-31. Strukturen von Gelen.
rnit Arzneimittelwirkstoffen werden zur lokalen Behandlung von erkrankten Haut- und Schleirnhautpartien verwendet. Der Wirkstoff rnuB dabei in die tiefergelegenen Hautschichten eindringen. Salben rnit Eindringungseigenschaften heiBen Penetrationssalben *. Es ist zu unterscheiden zwischen Salben, die auf einer wasserfreien oder auf einer wasserhaltigen Grundlage zubereitet werden. Cremes sind Salben rnit besonders weicher Konsistenz, die irn allgerneinen durch einen hohen Wasseranteil erreicht wird. Pasten sind Salben rnit fester Konsistenz. Sie enthalten einen hohen Prozentanteil an pulveroder puderformigen Festbestandteilen. Die physikalischen Eigenschaften der Salben, Cremes und Pasten, wie Viskositat, Konsistenz, Streichfihigkeit, Eindringfaigkeit in die Haut, werden von dem Aufbau der Grundlage bestimmt. Wichtige Substanzen fur Salbengrundlagen sind: - Kohlenwasserstoffgele,
z. B.
Paraffinole,
Vaselin; - Lipogele, das sind Fettgele, bzw. fettahnliche
Gele, wie z. B. Wachse;
*
penetrare (lat.) - durchdringen.
- Hydrogele, das sind Gele, deren disperse Pha-
se aus Wasser besteht, z. B. Alginate, Gelatine, Pektine, Stiirke; - Silicongele, das sind Gele aus Silikatverbin-
dungen, z. B. Siliconole; -
Polyethylenglykolgele, das sind Polyrnerisationsprodukte aus Ethylenoxid- und Ethylenglykolgernischen. Es sind hochrnolekulare Stoffe, die je nach Kettenlange Gele rnit unterschiedlichen Verformbarkeitseigenschaften zu bilden vermogen.
6.6.9 Tabletten*, Komprimate Tabletten und andere Komprimate wie Pillen und Dragees ziihlen zur Gruppe der einzeldosierten Arzneiformen. Unter Zugabe von Hilfsstoffen werden aus feinen kristallinen oder granulierten Pulvern durch Pressen Tabletten hergestellt. Je nach dern Verdichtungsgrad dieser kleinen Haufwerke entstehen disperse Systerne ,,fest-gasformig" bis ,,gasformig-fest". Bei den rneisten Tabletten liegen beide Systeme gleichzeitig vor. Die Gestalt der Tabletten ist sehr unterschiedlich. Sie ist eines der wichtigsten Unterschei-
*
tabuletta (lat.) - Tafelchen.
212
I1 Einige Physikalische Grundlagen
dungsmerkmale zwischen Tabletten mit unterschiedlichen Wirkstoffen. Die Tablettenform wird auch von der geforderten mechanischen Festigkeit und der Anwendungsart bestimmt. -
Tabletten, die ihren Wirkstoff sehon in der Mundhohle freisetzen und dort von den Schleimhauten resorbiert* werden, heiaen deshalb auch Buccal**- oder Sublingual***Tabletten.
- Eine andere Gruppe sind die Lutsch- und
Kautabletten. Im Mund- und Rachenraum uben die freigesetzten Wirkstoffe eine lokale desinfizierende und teilweise auch anasthesierende Wirkung aus.
-
- es ist eine Steuerung der Wirkstoff-Freigabe
und damit die Resorption durch die Zugabe von geeigneten Hilfsmitteln moglich, -
-
Tabletten, die mittels operativer Maanahmen in Korpergewebe eingesetzt werden, heiaen Implantationstabletten** ***. Sie mussen stenlisiert sein und diirfen keine irritierenden, d. h. Reize erregenden Stoffe enthalten. Entsprechende Anforderungen sind auch an Augentabletten zu stellen, die zum Einlegen in Bindehautsacke verwendet werden.
- Losetabletten dienen zur Herstellung von Lo-
sungen mit bekannter Konzentration. In diesem Fall mussen sowohl Wirk- und Hilfsstoffe in dem jeweiligen Losemittel hundertprozentig loslich sein. Eine besondere Art der Losetabletten sind die Reagenzientabletten. Durch sie eriibrigt sich das Abwiegen und Abmessen von Reagenzien. Die Fertigung von Arzneimitteln in Tablettenform hat viele Vorzuge. Einige sind:
sie lassen sich leicht einnehmen und handhaben,
- fast alle festen Wirkstoffe lassen sich zu Ta-
bletten verarbeiten, - Tabletten sind als trockene Arzneiform lange
haltbar, lassen sich gut lagern und einfach transportieren, -
- Eine dritte Gruppe von Tabletten gibt die
Wirkstoffe erst im Magen-Dam-Trakt frei. Spezielle Tablettentypen passieren den Magen unzersetzt und die Wirkstoffe werden erst im Darmkanal von den Schleimhauten aufgenommen. Durch spezielle Hilfsstoffe kann eine verzogerte Resorption durch MagenDarmschleimhaute erreicht werden. Man spricht von den Retard****-Formen.
die zu inkorponerenden* Wirkstoffe lassen sich leicht dosieren,
Tabletten konnen maschinell in groBen Mengen rationell hergestellt werden.
Granulate** Granulate sind ,,fest-gasformig" disperse Systeme und als solche Feststoffzusammenballungen aus kleineren Teilchen, wie z.B. Pudern und Stauben. Durch das Granulieren werden Feststoffpartikel zu groaeren Komem vereinigt. Die auBere Form der Granulate ist sehr unterschiedlich, sie kann kugel-, stahchen- oder zylinderformig sein. Die Durchmesser der einzelnen Granulate variieren zwischen 0,5 mm bis 2 mm. Gegenuber Pulvern zeigen die Granulate eine bessere FlieBfahigkeit. Sie ist auf die geringere Gesamtoberflache eines Granulats und den niedrigeren Adhasionskraften zwischen den Teilchen zuriickzufuhren. Pulverpartikel stehen in einer vie1 innigeren Beriihrung miteinander. Tabletten aus Granulaten haben eine hohere mechanische Festigkeit als die aus Pulverpartikeln. Je nach Granulierungsverfahren wird zwischen einem Krustengranulat, Klebstoffgranulat und Sintergranulat unterschieden. Granulate sind staubfrei. Dragees
Drdgees sind Komprimate, die zusatzlich mit einer luckenlosen haufig gefarbten Schicht iiberzogen sind. Die Kerne eines Dragees konnen Tabletten, Pillen oder besonders geformte Granulate sein. Meistens werden als Kerne Tabletten verwendet. Die Uberzugschichten bestehen aus Zucker. weiteren Gesehmacksstoffen, Farbmitteln und _,
* **
*** **** *****
resorbere (lat.) - einsaugen. bucca (lal.) - die Backe. sublingual (lat.) - untcr der Zungc. retardare (lat.) - zuriickhalten. plantare (lat.)- pflanzen; implantare. einptlanzen
*
**
corpus (lat.) - Knrper; incorpus (lat.)- Einverleibung. granula (lat.)- Komchen.
6 Disperse Systeme
anderen Hilfsstoffen. Je nach der Dicke der ijberzugsschicht wird zwischen Normaldragees, Dunnschichtdragees und Filmdragees unterschieden. Nach der Art ihrer Applikation gibt es Schluckdragees, die unzerkaut ganzheitlich zu schlucken sind, Lutschdragees und Kaudragees. Komprimate mit einer Deckschicht zu uberziehen, dient dazu, einen unangenehmen Geschmack, Geruch oder unappetitliches Aussehen zu verdecken, das Arzneimittel irn Kern gegen mechanische Einflusse, Luftfeuchtigkeit oder Luftsauerstoff zu schutzen, eine bessere Einnahmemoglichkeit durch den Patienten zu gewarleisten, eine notwendige Magensaftresistenz* zu erzielen und damit eine Wirkstoffabgabe aus dem Kern erst im Dunndarm sicherzustellen,
2 13
Gehorgange, Harnriihre, Scheide oder Mastdarm sind unterschiedliche Formen notig. Suppositorien werden als Zapfchen, Stabchen oder Kugel geformt. Die in den Suppositorien eingearbeiteten Wirkstoffe sind emulgiert oder suspendiert. Man spricht deshalb auch von Emulsionssuppositorien oder Suspensionssuppositorien. Die Problernatik bei ihrer Herstellung besteht darin, daR sie bei Raumternperatur eine feste Konsistenz besitzen und bei Korpertemperatur schmelzen mussen. Die Temperaturspanne fur die Fertigung, Haltbarkeit, Lagerung und Transport ist relativ gering. Als Grundmassen fur Suppositorien, in denen die Wirkstoffe emulgiert, suspendiert oder gar gelost sind, dienen Fette, Paraffine, Gelatine, Polyethylenglykole u. a. Prinzipiell komrnen nur Substanzen in Frage, die bei Korpertemperatur schmelzen und sich in der am Anwendungsort vorhandenen Korperflussigkeit losen (s. Tab. 11-6).
die Wirkstoff-Freigabe zu steuern, einer Verwechselungsgefahr mit anderen Arzneimittelkomprirnaten vorzubeugen. Pillen** Pillen sind kugelformige Arzneimittelzubereitungen aus plastischen Massen, sie sind zur oralen Einnahrne bestimmt. In der modemen Arzneimittelfertigung haben die Pillen keine Bedeutung mehr. An ihre Stelle sind Tabletten oder Kapseln getreten.
6.6.10 Suppositorien*** Suppositorien sind Darreichungsformen von Arzneimitteln, die am Applikationsort erweichen, sich verflussigen oder zerfallen sollen. Sie dienen zur ortlichen Behandlung. Emulsionssuppositorien sind ,,flussig-fest" disperse Systeme und Suspensionssuppositorien sind ,,fest-fest" disperse Systeme. Zurn Einfuhren in die verschiedenen Korperhohlen wie
*
**
***
resistere (lat.) - Widerstand leisten. pilula (lat.) - Kiigelchen. supponere (lat.) - darunterlegen.
Literaturhinweise zu Teil I1 Brockhaus (1972/1973), ahc, Physik, 1 u. 2. Bd., VEB F. A. Brockhaus Verlag, Leipzig. Fleischmann, R. (19801, Einfuhrung in die Physik, 2. Aufl., Physik Verlag, Weinheim. Grimsehl, E. (1988), Lehrbuch der Physik, Bd. 2, Elektrizitatslehre, BSB B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig. Heywang, F.; u. a. (1999), Physikfir Techniker mit Versuchen undAufgabenbeispielen, Verlag Handwerk und Technik GmbH, Hamburg. Higatsberger, M. J. (1977), Physik in 700 Experimenten, Dr. G. Holland (Hrsg.), Blick in die Welt - Film- und Dokurnentations-GmbH, Frankfurt (M). Tadros, T. F. (1 987), Einige theoretische Aspekte auf dem Gebiet der Emulsionen und Dispersionen, Sonderdruck der ICI Speciality Chemicals, Heft Sept., Kortenberg, Belgien.
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I11 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
1
1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 I .2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.4.6 1.5 1.5.1 1.5.2 I .6 1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.6.4 1.6.5 1.6.6 1.6.7 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.8
Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie 222 Chemie, die Wissenschaft vom Stoff- und Energieumsatz 222 Das Grundkonzept einer chemischen Produktion 223 Veranderte Produktionsbedingungen in der chemischen Industrie 223 Formen 223 Die Reaktion 224 Trennen und Reinigen 226 Formulieren 226 Verpacken und Verladen 227 Die Schaltwarte 227 Der Energiebedarf 227 Oxidation und Reduktion in der chemischen Technik 228 Ethylenoxid 229 Acetaldehyd 229 Aceton 230 Essigsaure 230 Acrylnitril 230 Formaldehyd 230 Hydrierungsprozesse 23 1 Methanolsynthese 23 1 Oxosynthese 23 I Polymerisationreaktionen,Herstellung von Makromolekulen 232 Isotaktische, syndiotaktische und ataktische Polymerisation 232 Polymerisationsverlauf 233 Copolymerisation 234 Verfahren zur Polymerisationstechnik 235 Polyaddition und Polykondensation 236 Strukturen der Makromolekule 237 Einteilung von technischen Polymeren 239 Katalytische Reaktionen (Katalysen) 249 Technische Katalysatoren 249 Metallocen-Katalysatoren 252 Biokatalysatoren 254 Grundtypen und technische Betriebsformen von chemischen Reaktoren 256
1.8.1 1.8.2 1.8.3
1.8.4 1.8.5 1.9 1.9.1 1.9.2 1.9.3 1.10
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 2.6.6
3 3.1 3.2 3.3
Chargenbetrieb 256 FlieBbetrieb 257 TeilflieBbetrieb 257 Grundtypen chemischer Reaktoren 258 Bildliche Darstellung von Verfahren und Anlagen 260 Verbundsysteme in der Chemiewirtschaft 264 Rohstoffe 264 Stoff- und Energieverbund 265 Transportverbund 267 Organisation eines Chemieunternehmens 268
Vom Steinsalz zu Chlor, Natronlauge und Soda 273 Das Element Chlor 273 Chemische Grundlagen der Alkalichlorid-Elektrolyse 274 Technische Durchfiihrung des Amalgam-Verfahrens 274 Konkurrierende Verfahren 276 Elektrolyse in Diaphragmazellen 276 Elektrolyse in Membranzellen 277 Vergleich von Quecksilber-, Diaphragma- und Membranverfahren 278 Technologie-Entwicklungder Alkalichlorid-Elektrolyse; Deutsches Reich, Bundesrepublik Deutschland 279 Technische Verwendung von Chlor, Natronlauge und Wasserstoff 279 Sodagewinnung nach Solvay 28 1 Rohstoffe 281 Chemische Grundlagen 281 Technische Durchfuhrung 282 Technische Verwendung von Soda 284 Das Trona-Verfahren 284 Der Verbund zwischen der Sodaund Alkalichlorid-ElektrolyseChemie 284 Methanchlorierung 286 Chemische Grundlagen 286 Technische Durchfuhrung 287 Technische Verwendung der Chlorierungsprodukte 288
218
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
4
Schwefelsaureherstellungnach dem Doppelkontaktverfahren 289 Schwefel- und Sulfidvorkommen 289 Ausgangsstoffe 289 Technische Durchfiihrung 290 Technische Verwendung von Schwefelsaure 293
6.2.6
Vom Rohphosphat zur Phosphorsaure 294 Phosphor und seine Eigenschaften 294 Rohphosphatvorkomrnen 294 Forderung der Rohphosphate 294 Verwendung der Phosphate 294 Das NaBaufschluBverfahren fur Rohphosphate 295 Rohstoffe 295 Chemische Grundlagen 295 Endprodukte und Nebenprodukte 296 Verfahrensbeschreibung 296 MengenfluD an Stoff und Energie 297 Apparative Beschreibung 297 Elektrothermisches Verfahren zur Herstellung von Phosphor 299 Chemische Grundlagen 299 Technische Durchfuhrung 299 Siiderberg-Elektrode 300 Vom Phosphor zur Phosphorsaure 300 Verwendung von rotern Phosphor 302
7.1.1
4.1 4.2 4.3 4.4 5
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5 5.5.6 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.6.5
6 6.1 6.1.1 6.1.2 6. I .3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5
Aluminium- und Siliciumgewinnung 303 Aluminiumgewinnung 303 Aluminium und seine Eigenschaften 303 Bauxitvorkommen 303 Technische Durchfiihrung der Aufbereitung des Bauxits 303 SchmelzfluDelektrolyse 304 Siliciumgewinnung 306 Vorkommen des Siliciums 306 Reduktion des Quarzes zu Silicium 307 Technische Verfahrensschritte zur Herstellung von Trichlorsilan 307 Herstellung von polykristallinem Reinstsilicium 309 Herstellung von SiliciumEinkristallen nach dern Zonen- und Tiegelziehverfahren 3 10
6.2.7
7 7.1
7. I .2 7.2 7.2. I 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2
8 8.1
8.2 8.3 8.3.1 8.3.2
9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.4 9.4.1
Aufarbeitung von Siliciumtetrachlorid zu Kieselsaure 3 12 Produktpalette von Siliciumverbindungen 3 I3
Vom Luftstickstoff uber Ammoniak zum Dungemittel 3 I 8 Stickstoff als Bauelement von EiweiD 318 Eigenschaften und Vorkomrnen des Stickstoffs 3 18 Die Stickstoffixierung in der Atrnosphare 3 18 Ammoniaksynthese 3 19 Eigenschaften des Arnrnoniaks 3 19 Technische Durchfiihrung 3 19 Technische Verwendung des Ammoniaks 323 Vorn Arnmoniak zum Dungemittel 324 Diingemittelbedarf 324 Salpetersaure und Diingernittelsalze 324 Harnstoffsynthese 33 1 Rohstoffe fur die Harnstoffproduktion 33 1 Eigenschaften des Harnstoffs 33 1 Herstellung von Harnstoff 331 Chernische Grundlagen 331 Synthese 332 Die Synthesegaschemie 335 Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid als Synthesegas 335 Herstellung von Synthesegas 335 Direktsynthesen auf Synthesegasbasis 335 Die Methanolsynthese 336 Eigenschaften des Methanols 336 Chemische Grundlagen 337 Technische Durchfuhrung 337 Technische Venvendung 338 Die Oxosynthese 339 Chemische Grundlagen 339 Technische Durchfuhrung 340 Das Niederdruck-RhodiumOxoverfahren 342 Wirtschaftliche Bedeutung von Oxoprodukten 344 Die Chernie der C,-Bausteine ein Uberblick 344 Wichtige C, -Bausteine in der chemischen Technik 344
I11 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.4.6 9.4.7 9.4.8 9.4.9 9.4.10 9.4.11 9.4.12 9.5 9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4
10 10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3
Kohlenstoffdioxid, COz 345 Kohlenstoffmonoxid, CO 345 Methan, CH4 346 Methanol (Methylalkohol), CH30H 346 Formaldehyd, HZC=O 346 Ameisensaure, HCOOH 346 Harnstoff, HzN-CO- NH2, Isocyansaure, H -N=C=O, Cyanwasserstoff, H-CGN 347 Cyanwasserstoff nach dern DegussaBMA-Verfahren 348 Isocyansaure, H-N=C=O 350 Phosgen (Kohlenstoffoxochlorid), COCI, 350 Schwefelkohlenstoff (Kohlendisulfid), cs, 351 Essigsaure nach dem Carbonylierungsverfahren 351 Eigenschaften der Essigsaure 35 1 Chemische Grundlagen 35 1 Technische Durchfuhrung der Carbonylierung 352 Technische Verwendung 355
Ethylen und Propylen als Schlusselprodukte 357 Produktstammbaum des Ethylens und Propylens 357 Die Entdeckung des Makromolekuls 357 Ethylen und Propylen als Schlusselprodukte fur die Chemieproduktion 358 Ethylen (Ethen) als Prirnarchemikalie 358 Propylen (Propen) als Prirnslrchemikalie 360 Vorn Ethylen zum Polyethylen 360 Chernische Grundlagen 361 Technische Verfahrensschritte 36 1 Verarbeitung 362
Die Herstellung von Bioprotein 363 Nahrungsmittelmangel und EiweiRknappheit 363 Der Produktionsweg von Nahrungs11.2 rnittelproteinen 363 11.3 Herstellung von Bioprotein auf rnikrobiologischem Wege 364 11.3.1 Das Prinzip einer mikrobiologischen Produktion 364 1 1.3.2 Bioreaktoren 364 11.4 Die technische Bioproteinproduktion 365
11 11.1
11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.4 1 1.4.5 11.5 11.6
2 19
Sterilisation 365 Impfen 365 Regelung 366 Trocknung 366 Weitere Aufarbeitung 367 Ausbeute und Bilanz 367 Sojamehl bzw. -schrot als EiweiBquelle 367
Chemie und Umwelt 369 Der Mensch und seine Umwelt 369 12.1 12.1.1 Evolutionszyklen 369 12.1.2 Stoffzyklen und FlieBgleichgewichte 370 12.1.3 Exponentiell fortschreitende Evolutionsschwingungen 370 12.1.4 Recycling 37 1 12.1.5 Biosphslre 373 12.1.6 Hydrosphslre 374 12.1.7 UmweltangepaBte chemische Produktionstechnik 374 Wasser 377 12.2 12.2.1 Kreislauf des Wassers in der Natur 377 12.2.2 Naturliche Wasserarten 377 12.2.3 Inhaltsstoffe in naturlichem Wasser 377 2.2.4 Aufbereitung des naturlichen Wassers nach Verwendungszweck 377 2.2.5 FluBwasseraufbereitung mit Ozon 380 2.2.6 Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung 380 Abwasserreinigung 38 1 2.3 12.3.1 Vorgiinge in Gewassern 38 1 12.3.2 Reinigung von Abwassern 384 12.3.3 Der Biohoch-Reaktor 386 12.3.4 Wasser in einem Chemiewerk 388 Entsorgung 390 12.4 12.4. I Begriffsbestimmungen 390 12.4.2 Das Entstehen von Reststoffen 390 12.4.3 Entsorgungsstrategien und ihre Manahmen 390 12.4.4 Produktionsintegrierter Umweltschutz 391 12.4.5 Reststoffverwertung 392 12.4.6 Beispiel einer Entsorgung aus der Industrie 393 12.4.7 Beseitigungsverfahren 394 Luft 402 12.5 12.5.1 Zusammensetzung der Atmosphtire 402 12.5.2 Luftverunreinigung 403 12.5.3 Reinigung von Abgasen 404 12.5.4 Rauchgasreinigungsanlage 406
12
220
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Crundprodukten
12.5.5 Fluorchlorkohlenwasserstoffe 408 12.5.6 Der mikrobiologische Abbau von Erdol - eine Moglichkeit der Entsorgung 4 10
13 13.1 13.1.1 13.1.2 13.2 13.3 13.4 13.5 13.5.1 13.5.2 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3 14
14.1 14.1.1 14.1.2 14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4 14.2.5 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
Die Chemie des Erdols und der Kohle 413 Die fossilen Kohlenstoffquellen 41 3 Entstehung von Erdol, Kohle und Erdgas 413 Vorkornrnen 424 Vergleich zwischen Erdol und Kohle als Rohstoffe fur die Chemie 43 1 Chemische Zusammensetzung des Rohols 432 Destillation des Rohols 433 Technische Durchfuhrung der Destillation 434 Theorie 434 Destillationsvorgang 434 Die Chernie der Kohle 436 Historische Entwicklung 436 Vergasen 437 Kohleverflussigung 437 Stoffkreislaufe und ihre Verknupfung zwischen Natur und Technik 439 Das Zusamrnenwirken der verschiedenen Stoffkreislaufe 439 Von einfachen Molekulen zu komplexen Molekulstrukturen 439 Kohlenstoffverbindungen als Bausteine von biopolymeren Naturstoffen 442 Der Kohlenstoffzyklus 447 Kohlenstoffdioxid als Schlusselverbindung irn Kohlenstoffkreislauf 447 Biochemischer Auf- und AbbauprozeR von Biopolymeren 449 Die Photosynthese als Motor des Kohlenstoffzyklus 450 Einige typische biochernische Reaktionen innerhalb des Kohlenstoffzyklus 451 Massen und Energiebilanz des Kohlenstoffzyklus 454 Der Stickstoffzyklus 457 Eigenschaften und Vorkomrnen des Stickstoffs 457 Biologischer Stickstofflcreislauf 458 Abbau pflanzlicher und tierischer Stickstoffverbindungen 458 Biologische Stickstoff-Fixierung 458
14.3.5 Einbringen von Amrnoniak, NH,, und Nitraten, NO1-, aus Niederschlagen 459 14.3.6 Vom Stickstoff zum Ammoniak 459 14.3.7 Amrnoniak als Schlusselverbindung 460 Der Phosphatzyklus 46 I 14.4 14.4.1 Vorkommen und Entstehung von Phosphatlagern 461 14.4.2 Der Phosphor als Bioelement 463 14.4.3 Phosphate als Nahrsubstanz fur Pflanzen 464 14.4.4 Der Zyklus der Phosphorsaure in der Biosphiire 465 Der Sauerstoffzyklus 466 14.5 14.5.1 Eigenschaften und Vorkommen des Sauerstoffs 466 14.5.2 Die reduzierende Erdatrnosphiire 469 14.5.3 Die Entstehung der sauerstoffhaltigen Atmosphare 470 14.5.4 Sauerstoffbindende Reaktionen Oxidation durch Luftsauerstoff 473 14.5.5 Zusamrnenfassung - die Erdatrnosphare als Bestandteil der Biosphiire 474 Der Schwefelzyklus 478 14.6 14.6. I Vorkornmen 478 14.6.2 Geochemische Bildung von elementarem Schwefel 478 14.6.3 Wechselbeziehungen zwischen Sulfiden und Sulfaten 478 14.6.4 Technische Gewinnung von Schwefel 480 Wasserstoff - Schlusselelement in der 14.7 chemischen Technik und in der Chemie der biologischen Systeme 481 14.7.1 Vorkornmen 48 1 14.7.2 Wasserstoff als energiereiches Element 481 14.7.3 Wasserstoff und Wasserstoff-Ionen als Bezugselement fur physikalischchemische MeRgroBen 481 14.7.4 Wasserstoff als Reaktionspartner 482 14.7.5 Stoffzyklen in der Natur - die Photosynthese als Hydrierung 482 14.7.6 Amrnoniaksynthese und biologische Stickstoffixierung 484 14.7.7 Einsatzgebiete fur Wasserstoff als Hydrierrnittel 486 14.7.8 Zukiinftige Verfahren fur die Wasserstoffgewinnung 487 Chlor und seine Verbindungen - ihr 14.8 Kreislauf in Natur und Technik 487 14.8.1 Bedarf an Chlor und Chlorverbindungen 487 14.8.2 Eigenschaften des Chlors 489
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
14.8.3 Physiologisches Verhalten von Chlor gegenuber lebenden Organismen 490 14.8.4 Chlorwasserstoffsaure,HCl, oder Salzsaure 490 14.8.5 Vorkommen in der Natur 491 14.8.6 Bindungsarten von Chlorverbindungen 492 14.8.7 Chlor als hochreaktiver Aktivator, z. B. Vinylchlorid, PVC 494
22 1
14.8.8 Kreislauf des Chlors 494 14.8.9 Entsorgung von chlororganischen Verbindungen 496 14.8.10 Gesichtspunkte zur Verminderung des Chlorverbrauchs 498 14.8.11 Festlegung von Bezugsgrooen 498 Literaturhinweise zu Teil I11 500
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
1.1 Chemie, die Wissenschaft vom Stoff- und Energieumsatz Die Chemie ist eine Wissenschaft, die sich mit den Gesetzen und Methoden der Energie- und Stoffumwandlung und der Stoffcharakterisierung befalk Das Ziel der chemischen Technik ist es, neue Stoffe auf ihre anwendungstechnischen Eigenschaften hin zu prufen und geeignete Produkte fur den menschlichen Bedarf unter kostengunstigen und umweltschonenden Bedingungen im groBen Mal3stab zu produzieren. Die Leistungsfahigkeit einer chemischen Industrie driickt sich einerseits in dem Produktionswert aus, andererseits aber auch in der breiten Palette veredelter Endprodukte. Diese kann aus Massengutern wie Kunststoffen, Fasern oder Dungemitteln bestehen, aber auch aus hochwirksamen Praparaten wie Arzneimitteln, Pflanzenschutzmitteln, Farbmitteln odcr Feinchemikalien. Die Aufgabe der industriellen Chemie ist es, Produkte bereitzustellen, die die Lebensbedingungen in aller Welt erleichtern helfen. 6 Milliarden Menschen wollen tiiglich essen, trinken, sich bekleiden, sich vor Krankheiten und Seuchen schutzen und Wohnungen errichten. Im Jahre 2025 werden es uber 8 Mrd Menschen auf unserem Planeten sein, die leben wollen. Die Chemie vermag hier einen wesentlichen Beitrag zu leisten, indem sie zur Sicherung der Ernahrung Dungemittel, Pflanzenschutzmittel und Konservierungsmittel produziert. Ein Drittel der Weltgetreideernte, die 1998 2,06 Mrd Tonnen (einschlieBlich Mais) betrug (s. Abschn. 111-14.1. I , Tab. HI- lo), wird immer noch durch Schadlinge vernichtet. Stoffe mussen auf ihr chemisches Verhalten, ihre physikalischen Eigenschaften und toxischen Wirkungen gepriift werden. Die Herdusforderung besteht darin, aus relativ wenigen organischen Rohstoffen - wie Erdol, Erdgas, Kohle, Holz und nachwachsenden Rohstoffen - oder anorganischen Rohstoffen - wie Steinsalz, Rohphosphate, Schwefel, Luftstickstoff, Sauerstoff und Wasser - veredelte Endprodukte herzustellen. Neben den schon genannten Produkten sind
dies Fasern, Folien, Lacke, Reinigungsmittel und viele andere mehr. Die chemische Industrie ist einer der forschungsintensivsten Wirtschaftszweige. AuGerdem ist sie sehr exportintensiv. Sie mu13 es sein, denn die Bundesrepublik Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Mit den sog. chemischen ,,Intelligenzprodukten" mussen wichtige Importstoffe wie Erdol, Erdgas, Rohphosphate, Bauxit, Erze u.a. bezahlt werden. Nur wenige Rohstoffe gibt es bei uns iin Inland: Kohle, Steinsalz, Kalk, Luft und Wasser. Doch dann ist die Liste der Rohstoffvorkommen in der Bundesrcpublik Deutschland, die fur eine Chemieproduktion von Bedeutung sind, schon abgeschlossen. Die gesamte chemische Industrie in der Welt produzierte 1999 Produkte im Gegenwert von 2852 Mrd DM. Nach den USA und Japan steht Deutschland mit einem Anteil von 6,7 % der Welt-Chemieproduktion, das entspricht 100,O Mrd DM, an 3. Stelle. Davon wurden Chemieprodukte im Wert von 127,6 Mrd DM. exportiert. Mit einer Exportquote von 6 7 % ist die deutsche chemische Industrie eng mit dem internationalen Markt verknupft. 2000 waren in Deutschland im Chemiesektor 471 000 Personen beschiiftigt. ,,Chemikalie", ein mifiverstandener Begriff
Der Begriff ,,Chemikalie" hat fur viele Menschen einen leichten Beigeschmack erhalten, der sich mit Vorstellungen von giftig, gefiihrlich. verschmutzend, kunstlich und anderen negativen Eigenschaften verknupft. Mangelnde Kenntnisse naturwissenschaftlicher Zusammenhange und industrieller chemischer Verarbeitungsmethoden mogen hierzu beigetrdgen haben. Steinsalz und Kochsalz unterscheiden sich chemisch nicht voneinander. Beide sind fast reines Natriumchlorid. Wann ist Kochsalz ein Gewurz und Konservierungsmittel fur Nahrungsmittel und wann eine Chemikalie? Der Chemiker sagt, Natriumchlorid ist eine Chemikalie, die sich sowohl zum Wurzen von Speisen als auch zum Konservieren von Nahrungsmitteln eignet, auBerdem ist es ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung von Chlor. Dabei fallen noch als interes-
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
sante Nebenprodukte Natronlauge und Wasserstoff an. Entsprechendes gilt fur Essigsaure, Soda, Zucker, Ethylalkohol. Diese Aufztihlung lafit sich um viele andere Stoffe erweitern. Essigsaure ist eine Chemikalie, die in Form ihrer 3 %- bis 5 %igen waBrigen Losung, als Gewurz- und Konservierungsmittel dient. Sie reagiert aber auch mit Cellulose zu loslichem Celluloseacetat. Die Cellulose bildet die pflanzliche Geriistsubstanz, ist also eine Biochemikalie. Sie ist aber auch ein wichtiger textiler Ausgangsstoff. Celluloseacetat laBt sich leicht zu Celluloseacetatfaden und -fasern verarbeiten. Mit Ethylen reagiert Essigsaure in Gegenwart von Sauerstoff zu Vinylacetat. Es polymerisiert unter bestimmten Bedingungen leicht zu Polyvinylacetat. Als Polymerisat ist es ein Kunststoff, der als Bindemittel in Dispersionsfarben sowie als Klebstoff, Lackrohstoff und Textilausriistungsmittel eingesetzt wird. Aber auch zu Fasem 1aBt es sich verarbeiten. Aus der Mischpolymerisation mit Ethylen gewinnt man eine Selbstglanzemulsion fur die FuBbodenpflege. Polyvinylacetat ist aufierdem Bestandteil von Haarsprays und die Basiskomponente fur Kaugummi. Natriumhydrogencarbonat dient in geringer Dosierung als Treibmittel beim Kuchenbacken. Soda ist eine Chemikalie mit der chemischen Bezeichnung Natriumcarbonat. Sie dient zur Neutralisierung und ist eine wichtige Reaktionskomponente zur Herstellung von Waschmitteln, Seifen und Glas. Ethylalkohol ist ebenfalls eine Chemikalie, die einerseits ein Genufimittel ist, als Konservierungsmittel Verwendung findet und auBerdem ein bedeutendes Zwischenprodukt fur ungezahlte organische Endprodukte in der Synthesechemie ist. Rohrzucker ist ein Disaccharid aus Glucose und Fructose und somit auch eine Chemikalie. Er ist ein ganz wichtiges Grundnahrungsmittel. AuBerdem ist Zucker Ausgangsprodukt fur viele mikrobiologische Prozesse. Kochsalz, Essigsaure, Soda, Ethylalkohol und Zucker konnen alle giftig wirken, wenn sie vom Menschen in einer unvernunftigen Dosis eingenommen werden. Die Grenzen zwischen Chemikalien, Endprodukten und Gebrauchsgutern sind fliefiend und in wissenschaflichem Sinne nicht so ohne weiteres zu definieren. Es kommt immer darauf an, was der Mensch mit einem Stoff (einer Chemikalie) beabsichtigt zu tun.
223
1.2 Das Grundkonzept einer chemischen Produktion 1.2.1 Veranderte Produktionsbedingungenin der chemischen Industrie Kapital-, Stoff-, Energie- und Informationsstrome bestimmen den Rhythmus einer technologisch hochentwickelten Chemiewirtschaft. Das Optimieren chemischer Verfahren wird von der technologischen Seite heute von vier wesentlichen Faktoren bestimmt: - sparsamer Rohstoffeinsatz, - hohe Energieausnutzung und Produktausbeu-
te, umweltangepafite Reaktionsfuhrung, - sicherer Verfahrensablauf. -
Unter diesen Vorgaben mussen die Produkte neben ihrer Qualitat auch von der Kostenseite her auf dem Weltmarkt noch konkurrenzfahig sein. Dem Vertrieb obliegt die Aufgabe, die chemischen End- und Zwischenprodukte zugig und anwendungsgerecht an den Weiterverarbeiter oder Endverbraucher zu bringen. Das erfordert geeignete Transportmittel und eine den Produkten gernafie Lagerhaltung. Entsprechende Sicherheitsmafinahmen mussen auch hier beriicksichtigt werden. Ein ausreichender Vorrat an Rohstoffen, Zwischenprodukten und Fertigprodukten ist notwendig, um kurzfristige Schwankungen des Angebotes und der Nachfrage auf den Mi4rkten der Rohstoffe und Veredelungsprodukte fur einen ausgeglichenen Produktionsablauf abzufangen. GroBe Lagerhallen fur die Massenguter Dungemittel und Kunststoffe sind ebenso erforderlich wie Gefrierkammern fur kleinere Mengen hochempfindlicher Wirkstoffe.
1.2.2 Formen Stoffe, die miteinander reagieren sollen, mussen zueinander gefuhrt und in Reaktionskesseln oder -rohren miteinander in Kontakt gebracht werden. Doch vorher mussen die Reaktionskomponenten in einen reaktionsbereiten Zustand versetzt werden. Feststoffe mussen bis zu bestimmten Stuckoder Korngrofien zerkleinert werden. Dazu sind Brecher, Schroter, Muhlen, Schneidwerke oder andere Zerkleinerungsmaschinen notwendig (Abb. 111-1).
224
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
HBufig mussen Feststoffe erst in entsprechenden Losemitteln gelost werden, damit sie sich mit dem Reaktionspartner gut durchmischen lassen. Das Losen von Steinsalz fur die Alkalichlorid-Elektrolyse erfolgt in speziellen Losebunkern, die ein Fassungsvermogen bis zu 5000 m3 und mehr haben konnen. Bauchspeicheldriisen werden durch einen Fleischwolf zerkleinert, bevor aus ihnen wertvolle Hormone extrahiert werden konnen. Das Formen von Rohstoffen ist sehr energieaufwendig. Mineralien wie Rohphosphate zur Phosphorsaure- oder Phosphorherstellung, Bauxit zur Aluminiumgewinnung oder Metallerze werden erst durch Brecher, Schroter oder Miihlen zerkleinert. Hierzu ist sehr vie1 mechanische Energie notwendig. Braunkohle enthalt bis zu 60% Wasser. Sie mul3 vorher getrocknet werden, um sie in Synthesegas, ein Gemisch aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff, umzuwandeln oder als Reduktionsmittel fur Eisenerze einzusetzen. Zum Trocknen bedarf es der Zufuhr einer grol3en Warmemenge.
Steinsalz wird durch Elektrolyse zu den Produkten Chlor, Wasserstoff und Natronlauge umgesetzt. Vorher muB es in eine waBrige Losung uberfuhrt werden. Hierzu ist Energie fur eine gute Durchmischung notig. Formgebungen sind physikalische Umwandlungsprozesse, die, ebenso wie chemische Reaktionen, nicht ohne Energiezufuhr moglich sind. Stoff- und Energieumwandlungen sind eng miteinander verknupft.
1.2.3 Die Reaktion Reaktionsfuhrung Die Prozesse in chemischen Produktionsbetrieben konnen diskontinuierlich, kontinuierlich oder halbkontinuierlich gefuhrt werden. Der klassische Reaktionsbehalter fur einen diskontinuierlichen Betrieb, auch Chargen- oder Satzbetrieb genannt, ist der Ruhrkesselreaktor. Er wird u. a. bei der Herstellung von Farbmitteln und Wirkstoffen fur Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Derselbe Reaktor kann
Einrichtungen und MaBnahmen zum Umweitschutz
Katalysator n
Abb. 111-1. Schema eines Grundkonzeptes einer chemischen Produktion.
[
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
fur die verschiedensten Produkte verwendet werden. Fur kontinuierlich arbeitende Verfahren haben sich als Reaktoren Stromungsrohre, DurchfluBriihrkessel oder Kesselkaskaden bewahrt (s. auch Abschn. 111-13). Die kontinuierliche Anlage fur den sog. FlieBbetrieb ist in der Regel nur fur ein einziges Produkt ausgelegt. Sie ist mit einem hohen Aufwand von Me&, Steuer-, Regel- und Dosiereinrichtungen ausgeriistet. Die Ammoniak- und Methanolsynthese, ebenso die Oxosynthese, die Alkalichlorid-Elektrolyse und das elektrothermische Verfahren zur Phosphorherstellung sind klassische Beispiele fur FlieBbetriebe. Es wird immer angestrebt, Massenprodukte nach kontinuierlichen Verfahren zu fertigen. Aufgrund des chemischen Reaktionsablaufs mu8 oft die eine Komponente in einem Reaktionsbehalter vollstandig eingefiillt werden. Das entspricht dem Chargenbetrieb. Die zweite Reaktionskomponente Iauft danach kontinuierlich zu. Dabei beginnt die chemische Umsetzung. Fliichtige Reaktionsprodukte werden dann wieder, ahnlich wie in einem FlieBbetrieb, kontinuierlich wahrend der Reaktion abgezogen. Beispiele hierfur sind Veresterungsreaktionen oder die Chlorierung flussiger Kohlenwasserstoffe. Das Wesentliche einer chemischen Reaktion, die Interaktion der Komponenten im Reaktor mit allen ihren Konsequenzen der stofflichen und energetischen Veranderungen, kann nicht sichtbar gemacht werden. Sichtbar sind immer nur die Ausgangs- und Endzustande, die zum einen an der Bildung eines neuen Stoffes selbst, zum anderen an Temperatur-, Druck-, Konzentrationsund pH-Anderungen zu erkennen sind. Um den Ablauf einer chemischen Reaktion zu verfolgen, sind eine Vielzahl von Meainstrumenten notwendig. Sie sind die Voraussetzung fur automatisch gesteuerte chemische Prozesse und garantieren ein HochstmaR an Sicherheit und optimaler Energieausnutzung und Produktausbeute. Dem Reaktor miissen Energien zugefuhrt werden, wenn in ihm endotherme, d.h. energiebindende Stoffumsetzungen ablaufen sollen. Endotherme Verfahren sind die AlkalichloridElektrolyse, die elektrothermische Phosphorherstellung, die Schmelzfluklektrolyse zur Aluminiumgewinnung, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei exothermen Verfahren sind die freigesetzten Energien abzufuhren. Ein Reaktor ist nicht nur der Ort des Stoffumsatzes, sondern auch der des Energieaustausches und der Energieumwandlung .
225
Unvollstiindiger Reaktionsablauf Reagieren zwei Stoffkomponenten A und B miteinander unter Bildung eines neuen Stoffes C, so kommt in vielen Fallen die Reaktion nach einiger Zeit BuBerlich zurn Stillstand, ohne dab sich alle Ausgangsstoffe zum gewunschten neuen Produkt umgesetzt haben. Es hat sich ein chemisches Gleichgewicht eingestellt. Dieses Gleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet, daB ein Teil der entstandenen Endprodukte wieder in die Ausgangskomponenten zuriickreagiert. Bei vielen chemischen Reaktionen befindet sich dieses Gleichgewicht sehr weit auf der Seite der Ausgangsstoffe. Der Anteil der Endprodukte ist sehr gering. Um auch solche Reaktionstypen im Verfahrensablauf wirtschaftlich zu gestalten, d. h. eine hohe Ausbeute an Reaktionsprodukten zu erzielen, werden die Ausgangskomponenten im Kreislauf gefuhrt. Durch die Abtrennung der Reaktionsprodukte C wird das chemische Gleichgewicht standig gestort, und die Reaktion verlauft zugunsten der Endprodukte immer weiter. Der nicht umgesetzte Teil der Ausgangskomponenten wird nach Abtrennung des Reaktionsproduktes wieder in den Reaktor zuriickgefiihrt. Dabei werden sie um diejenigen Mengen Ausgangsstoffe ergbzt, die sich zum Endprodukt umgesetzt haben. Auf diese Weise ist haufig auch eine optimale Energieausnutzung moglich (Abb. 111-2). chem. e
A + B L__
-~
Ausgangs-
komponenten
C
Gleichgewicht
Endprodukt
Unter Ausnutzung dieses Effektes des fortwarend gestorten Gleichgewichtes sind viele groBtechnischeVerfahren entwickelt worden. Typische Beispiele sind die Ammoniaksynthese, Methanolsynthese und die Harnstoffsynthese. Bei der Ammoniaksynthese reagieren nur ca. 20%des Stickstoffs und Wasserstoffs zu Ammoniak. Der nicht umgesetzte Stickstoff- und Wasserstoffanteil wird wieder dem Rohrreaktor zugeleitet. Entsprechend verlauft auch die Methanolsynthese aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Das nicht verbrauchte Synthesegas wird nach der Methanolabtrennung und Anreicherung mit Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff erneut in den Reaktor gebracht. Nach dem gleichen Prinzip ist die Harnstoffsynthese konzipiert worden, die von den Reaktionspartnern Arnmoniak und Kohlenstoffdioxid ausgeht.
226
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
Stoffeinsatz Energieeinsatz
Stoffurnsatz Energieurnsatz
Stofftransport Energietranspolt
Fittrieren Extrahieren Destillieren u. a.
Reaktionspartner
Reaktions-
Warrneenergie
Reststoffe, Entsorgung
Abb. 111-2. Schema fur einen unvollstandigen Reaktionsablauf.
1.2.4 Trennen und Reinigen Nach abgelaufener chemischer Umsetzung mussen die gewunschten Reaktionsprodukte von den durch Nebenreaktionen entstandenen Begleitstoffen oder den nicht vollstandig umgesetzten Ausgangsstoffen befreit werden. Das geschieht in den speziellen Trennungs- und Reinigungsstufen, die einer Reaktoranlage nachgeordnet sind, wie z. B. durch Filtrieren, Kristallisieren, Extrahieren, Windsichten, Sieben u. a. Mit einer Filtrution werden die Feststoffe aus einem Feststoff-Flussigkeitsgemisch abgetrennt. Als Trennmittel wirkt der Filterkuchen selbst, der sich an oder auf einer porosen Unterlage bildet, die fur die Flussigkeit durchlassig ist. Durch Krisfullisieren werden aus Losemitteln Feststoffe in Form von Kristallen abgeschieden, die dann durch Filtration abgetrennt werden konnen. Voraussetzung fur die Bildung von Kristallen ist, daR eine ubersattigte Losung vorliegt. Die Destillurion 1st ein Verfahren zum Trennen von Flussigkeitsgemischen durch Verdampfen mit anschlieRender Kondensation des Dampfgemisches. Die Trennung beruht auf den unterschiedlichen Dampfdriicken der Flussigkeitskomponenten bzw. den unterschiedlichen Siedepunkten. Unter Extruhieren ist das Herauslosen bestimmter Stoffe aus flussigen oder festen Stoff-
gemischen mit einem selektiv wirkenden Losemittel zu verstehen. Unter Ausnutzung der Schwer- bzw. Fliehkraft konnen durch Windsichfm Feinkomteilchen gleicher Dichte nach der KomgroBe oder Teilchen gleicher KorngroBe nach der Dichte getrennt werden. Sieben ist das Trennen von Feststoffen, die in Form von Kiirnem vorliegen, nach ihrer Korngrol3e. Eine spezielle Art der Trennung und Reinigung ist das Trocknen. Die Reaktionsprodukte mussen haufig noch von Restbestanden organischer oder waBriger Losemittel befreit werden. Das geschieht durch Verdunsten oder Ausdampfen der Flussigkeiten. Die dazu erforderliche Warmeenergie wird durch Trocknungsluft oder beim Ausdampfen durch Beheizung zugefuhrt.
1.2.5 Formulieren Liegen die gewunschten chemischen Wirkstoffe fur ein Arzeinmittel, Pflanzenschutzmittel, Farbmittel oder fur ein Dungemittel gereinigt vor, dann miissen sie fur den Verbraucher und Anwender in eine anwendungsgeeignete Form gebracht werden. Dafur werden sie oft rnit Zusatzen versehen. Wirkstoffe fur Arzneimittel wer-
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
den zu Tabletten, Dragees, Pulver, Salben und anderen Darreichungsformen fur den Patienten verarbeitet . Dragieren ist das ijberziehen eines Arzneirnittels rnit rnehreren Schichten, die aus Zuckersirup, Puderzucker oder Sttirke und einern Farbstoff bestehen konnen. Die auBere Schicht wird rnit Wachsen oder Olen poliert. Das Dragieren erfolgt in rotierenden Kesseln. Die Eigenschaften eines Farbrnittels werden nicht nur durch seinen chernischen Aufbau, sondern auch wesentlich von seinern physikalischen Verhalten bestirnrnt. Deshalb rnuR es haufig in eine Form rnit den gewiinschten anwendungstechnischen Eigenschaften ubergefuhrt werden. Unter Formierung, haufig auch Finish genannt, werden sornit die letzten Arbeitsgange einer speziellen physikalischen Nachbehandlung fur bestimrnte Farbrnittel verstanden. AnschlieSend rnussen sie noch auf einen Handelstyp, z.B. FarbstPke und Nuance, eingestellt werden. Pflanzenschutzrnittel rnussen als bestiindige Ernulsionen, Pulver oder Granulate ausgeliefert werden, darnit sie vorn Landwirt in der entsprechenden Dosierung auf dem Feld verspriiht bzw. zerstaubt werden oder durch Beizen direkt auf dern Saatgut fixiert werden konnen. Die Qualitat eines Dungernittels richtet sich nicht nur nach seiner chernischen Zusamrnensetzung, sondern auch danach, wie gut es sich lagem und auf das Feld bringen lafit. Ein Diingernittel darf warend des Lagerns weder verbacken, verhirten noch zerflieBen. Deshalb werden rnoglichst runde Granulate in bestirnrnter KorngroBenklasse hergestellt. Wenn notwendig, werden sie noch mit besonderen Stoffen eingepudert. Auf diese Weise erreicht man, dab zwischen den Granulaten nur wenig Beriihrungsflachen bestehen.
1.2.6 Verpacken und Verladen Die deutsche chernische Industrie ist sehr exportintensiv. lhre Erzeugnisse werden in alle Welt verkauft. Die Chernieunternehrnen sind in fast allen Landern durch Produktionsstatten, Verkaufskontore und Niederlassungen vertreten. Diese halten eine schnell reagierende Verteilerorganisation aufrecht. Fur den Transport zurn Kunden als Weiterverarbeiter oder Endverbraucher rniissen die chernischen Produkte zweckentsprechend verpackt und versandt werden. Die Produkte konnen Gase, Flussigkeiten, Feststoffe und Gernische sein. Sie fallen als Massenguter an oder auch nur in Milligrarnrnmengen. Darunter
227
befinden sich gegenuber W-e, Feuchtigkeit, Sonnenlicht und anderen aul3eren Einflussen hochernpfindliche Substanzen, wie z. B. Arzneirnittel, Biochernikalien oder Feinchemikalien. Sie konnen nur in Spezialverpackungen versandt werden. Jedes Produkt erfordert seine besondere Verpackungsart und sein entsprechendes Transportmittel. Verpackung und Transportmittel bestirnmen wieder die Bauweise der Abfiillstationen und die Art des Verladens. Es gibt kein rnodernes Verpackungsrnittel, das sich der Versand von chernischen Produkten nicht zunutze gernacht hat. Chemieprodukte werden in Fassern, Sacken. Kisten, Containern, ebenso aber auch als Schuttgut transportiert. Die Verpackung hat allen Sicherheitsforderungen vorn Produkt und dern Schutz der Urnwelt her zu geniigen.
1.2.7 Die Schaltwarte Die rapide Entwicklung der Informations- und Leistungselektronik hat dazu gefuhrt, daR auch in der chernischen ProzeRtechnik die Autornatisierung weit vorangeschritten ist. Grofie Produktionseinheiten werden nur noch von einer Schaltwarte aus gesteuert. Das Messen von Stoffzustanden, wie Ternperaturen, Driicken, Konzentrationen, pH-Werten, und die Verarbeitung dieser Daten hat durch die Informationselektronik zur optirnaleren Energie- und Rohstoffnutzung und vor allern zu unfallsicheren Verfahren gefiihrt. Die autornatische Steuerung hat die Storanfalligkeit von chernischen Prozessen erheblich verrnindert.
1.3 Der Energiebedarf Urn Stoffe reaktionsbereit zu rnachen, rnuR ihnen wduend einer standigen innigen Durchrnischung zusatzlich Energie zugefuhrt werden. Es mu8 Wweenergie aufgewendet werden, urn die Hemrnschwelle zu iiberwinden, die haufig einer chernischen Umsetzung von Reaktionspartnern entgegensteht. Diese Barriere wird rnittels technischer Katalysatoren gesenkt. Energie ist auch notwendig, urn rnit Kornpressoren Druck zu erzeugen, rnit Purnpen zu evakuieren oder auf tiefe Ternperaturen zu kiihlen, um nur einige Beispiele zu nennen. Elektrische Energie wird insbesondere bei der Elektrolyse von Schrnelzen oder waBrigen Losungen benotigt.
228
I11 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
Der Primarenergieverbrauch in Deutschland betrug 1998 492 Mio t SKE (Steinkohleeinheiten). Der Anteil an elektrischer Energie war mit 13,8% 67 Mio t SKE. Die chemische Industrie gehort zu den Branchen mit einem hohen Energiebedarf. Der Bedarf an elektrischem Strom belief sich 1998 auf 6,l Mio t SKE*; das entspricht 44940 Mio kWh.
derlichen Temperaturen auf, bei denen die Reduktion des Eisenerzes durch Kohle und Kohlenstoffmonoxid einsetzt. Der Reaktionsablauf des endothermen Reduktionsprozesses im Hochofen ist sehr komplex. Vereinfachend lafit er sich durch nachstehende Gleichungen beschreiben: 2Fe203,,, + 3 C
Exotherme und endotherme Reaktionen In der Chemie gibt es exotherme (energiefreisetzende) und endotherme (energieverbindende) Reaktionen. Bei exothermen Reaktionen muB die im Reaktor freiwerdende Energie iiber Warmetauscher abgefiihrt werden. Die Ammoniaksynthese verlauft stark exotherm.
3H,
+
Waserstoff
N,
--
Kat
Stickstott
L
Ammoniak
Bei stark exothermen Verfahren dient die freiwerdende Energie in Abhitzekesseln zur Erzeugung von Wasserdampf, dessen Warmeenergie nun anderen Produktionsverfahren zugefiihrt wird (s. Abschn. 111-1.9.2). Ein schon seit Jahrhunderten bekanntes und sehr bedeutendes endofhermes Verfahren ist die Eisengewinnung. Als chemischer Reaktor dient der Hochofen. Beim HochofenprozeJ werden die Eisenoxide mit Kohle bei Temperaturen zwischen 400 "C und 1400°C reduziert. Der Kohle fallen hier zwei Aufgaben zu: einmal die des Energiespenders fur die erforderliche Reduktionswarme und zum anderen die des Reduzierens. Die Kohle, die im Hochofenschacht in Ebenen verschiedener Hohe zwischen Eisenerz und Zuschlag geschichtet liegt, verbrennt mit dem Luftsauerstoff exotherm zu Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid.
+
0,
2 CO + O2
-
2CO
(AH=-221,0kl/mol)
2 COz
(AH= - 566, I kllmol)
Die freiwerdende Verbrennungswarme heizt die Beschickung des Hochofens bis zu den erfor-
*
FeO,,, Eiwnoxid
+ +
2C
CO
Kohlcnctoff
+ 3 CO, (AH= + 469,4 kJ/mol) 3 Fe,,, + 2 CO,
4 Fe,,,
(AH = +331,7 kUmol)
+ C02 (AH = - 16,7 kJ/mol)
Fe,,,
reduziertcs Eisen
Kohlenstotfdioxid
2 NH,
(AH= - 92,l kJ/mol)
2C
Fe,O,,,,
-
I SKE = 29308 kJ = 7000 kcal = 8,141 kWh
Mit zunehmender Reduktionsstufe nimmt der Sauerstoffgehalt der Eisenoxidverbindung ab. Der HochofenprozeR zeigt als klassisches Beispiel eines chemischen Produktionsverfahrens, wie Energien von exothermen und endothermen Reaktionen zur optimalen Ausnutzung sinnvoll gefiihrt werden konnen. Die bei der Verbrennung von Kohlenstoff zu Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid freigesetzten Warmeenergien dienen dazu, die Beschickung des Hochofens auf die Temperaturen aufzuheizen, bei denen die Reduktion des Eisenerzes zu metallischem Eisen eingeleitet wird. Der ReduktionsprozeR ist ein energiebindender Vorgang. Die notwendige Energie wird durch die Verbrennung (Oxidation) der Kohle geliefert (s. Abschn. 1-1.7.4 u. 1-1 3).
1.4 Oxidation und Reduktion in der chemischen Technik Nur wenige chemische Elemente und Verbindungen kommen in der Natur so vor, wie sie die Industrie zur Verarbeitung und die Menschen zum Verbrauch benotigen. Da SauerstofS das haufigste Element auf der Erde (s. Abschn. 111-14.1.1, Tab. 111-8) und auaerdem sehr reaktionsfreudig ist, kommen viele andere chemische Elemente an Sauerstoff gebunden als Oxide - wie z. B. Erze, Sake und andere Mineralien - vor.
229
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
Die Sauerstoffverbindungen sind in der Regel sehr stabil, d. h. energiearm. Zur Abtrennung des Sauerstoffes aus seinen Verbindungen muB haufig sehr vie1 Energie aufgewendet werden, d. h. bei Reduktionsprozessen handelt es sich vorwiegend um endotherme Reaktionen. Die Metalle werden im allgemeinen durch Reduktion gewonnen. Als Reduktionsmittel dienen u. a. Kohlenstoff, Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff, daneben auch Methan und Ammoniak. Ammoniak wird als Reduktionsmittel zur Entfernung von Stickstoffoxiden aus Rauchgasen eingesetzt. Dabei entstehen dann elementarer Stickstoff und Wasser. 4NH,
+
Ammoniak
4N0
+
Stickstoffmonoxid
0,
-
Eine g r o k Rolle spielt die Oxidation von organischen Schliisselprodukten, wie z. B. Ethylen, Propylen und Methanol, zu wichtigen organischen Zwischenprodukten.
1.4.1 Ethylenoxid
Die Direktoxidation von Ethylen an Silberkatalysatoren nach dem ShellprozeR fihrt zum Ethylenoxid. H ~ C = C H Z (+~ , 112 0 2
Ag
H~C-CHZ,~) \ / 0
4N, Stickstoff
+
6H,O Wasser
(AH= - 1896 kllmol) In diesem Zusammenhang sei nochmals auf den HochofenprozeR hingewiesen. Beispielhaft genannt seien auBerdem die SchmelzfluBelektrolyse zur Gewinnung von Aluminium aus Bauxit und das elektrothermische Verfahren zur Gewinnung von elementarem Phosphor aus Rohphosphaten. In beiden Fallen wird Kohlenstoff als Reduktionsmittel eingesetzt (s. Abschn. 1-1.7.4). Andere Stoffe mussen dagegen oxidiert werden, um aus ihnen die gewiinschten Endprodukte zu erhalten. Elementarer Schwefel wird zu Schwefeldioxid und Schwefeltrioxid oxidiert. Diese Schwefeloxide reagieren mit Wasser leicht zur schwefeligen Saure bzw. Schwefelsaure. Die Phosphorverbrennung, d. h. die Oxidation von elementarem Phosphor, fuhrt zu Phosphorpentoxid, aus dem mit Wasser reinste Phosphorsaure hergestellt wird. Ein Oxidationsmittel fur groatechnische Verfahren ist der Luftsauerstoff. Reaktionen mit Luftsauerstoff verlaufen immer exotherm. Oxidations- und Reduktionsvorgiinge sind unmittelbar miteinander gekoppelt. Wird ein Stoff oxidiert, mu8 ein anderer reduziert werden. 1st das gewunschte Endprodukt ein Oxidationsprodukt, dann spricht man von einem Oxidationsverfahren. Das ist bei der Schwefelverbrennung der Fall, ebenso bei der Ammoniakverbrennung zu Stickstoffoxiden. Aluminium wird durch Reduktion mit Kohlenstoff wahrend der SchmelzfluBelektrolyse gewonnen. Hier handelt es sich um ein Reduktionsverfahren (s. Abschn. 1-1.7.3 und 1-1.7.4).
Ethylen 28 g
Sauerstoff 16 g
Ethylenoxid 44g
(AH= - 105,OkJ/mol) Der Vorgang verlauft exotherm. Ethylenoxid ist das Ausgangsprodukt fur die Herstellung von Ethylenglykol HZC-CHZ
I
OH
1
OH
das als Gefrierschutzmittel fur wassergekuhlte Automobile groBe Bedeutung erhalten hat. Ethylenglykol und Terephthalsaure sind die Ausgangskomponenten fur Polyesterfasern (z. B. Trevira@).
1.4.2 Acetaldehyd
Nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren gelangt man durch Direktoxidation des Ethylens in Gegenwart von Palladiumchlorid und Kupfer(I1)chlorid als Katalysatoren zum Acetaldehyd. Die dabei ablaufenden Teilreaktionen lassen sich durch eine Gesamtreaktionsgleichung ausdriicken:
?I)
Kat.
Ethylen 28 g
Sauerstoff 16 g
Acetaldehyd 44g
(AH= - 244,7 kJlmol) Dieses Verfahren wird heute mehr und mehr durch die Carbonylierung auf Synthesegasbasis verdrangt (s. Abschn. 111-9.5).
230
111 Produktionsverfahren zur Herstcllung von chemischen Grundprodukten
1.4.3 Aceton
1.4.5 Acrylnitril
Nach dem gleichen Verfahren wird Propylen zum Aceton oxidiert.
Von einfachen Rohstoffen ausgehend, namlich von der Primlrchemikalie Propylen, die leicht aus Benzinfraktionen des Erdols zu bekommen ist, dem Ammoniak und dem Luftsauerstoff, gelangt man uber nur wenige Verfahrensschritte zu einem hochveredelten Endprodukt. Nach dem Sohio-Verfahren erhalt man durch Ammoniakoxidation des Propylens, d. h. durch katalytische Oxidation in Gegenwart von Ammoniak, Acrylnitril.
CH.? I
HC=CH2(g,
+
112 0 2
-
H~C-F-CHJ(I)
0 Propylcn 42 g
Sauerstoff 16 g
Aceton
5s P
(AH = -268,6 kJ1mol)
1.4.4 Essigsaure
II?C=CH-CH3(,)
+ NH3(g) + 3/2 02
Propylen
Ammoniak
42 g
17 g
Wird Acetaldehyd mit Luftsauerstoff katalytisch weiteroxidiert, so entsteht Essigsaure (s. Abschn. 111-9.5).
Kat.
Luftsauerstoff 48 g
+ 3 H20(g)
H$=C-CGN(,, I
H 0 I/
+
H3C-C
117 02Cg)
I
-
H3C-C
44g
(AH= - 5 16,O kJ/mol)
I
041, Sauerstoff 16 g
Wasser 54 g
53 g
II
H Acetaldehyd
Acrylnitril
0
Essigsiure 60 g
(AH = -292,O kJlmol)
Essigsaure gehort zu den wichtigsten aliphatischen Zwischenprodukten. Auch bei der Vergarung von Wein zu Essig handelt es sich um eine Oxidation. Sie ist die 81teste Methode zur Essigslureherstellung und wird auch heute noch bei der Gewinnung von feinem Speiseessig angewendet. Der Ethylalkohol wird enzymatisch oxidiert. Die En,-?.me, auch Biokaralysaroren genannt, werden von speziellen Bakterien (Acetobacter) geliefert.
Als Nebenprodukte fallen Acetonitril, H,C-C=N, und Blausaure, H - C = N , an. Die Polymerisation des Acrylnitrils fuhrt zum Polyacrylnitril, das geschmolzen und versponnen die Faser Dokin@(Dralon@,Orlon@u. a.) liefert.
H
1H
CN
CNln
Polyacrylnitril
AcrylniLril
(AH = -76.6 kJ1mol Monomer)
1.4.6 Formaldehyd Formaldehyd wird groBtechnisch durch katalytische Oxidation des Methanols erhalten. Als Katalysator wird u. a. eisenhaltiges Molybdinoxid eingesetzt (s. Abschn. 111-9.4). CH30H,,,
04,) Ethylalkohol 46 g
Luftsauerstoff 32 g
EvigsPure
60 g
Wasser 18 g
(AH = - 494 kJ1mol)
Methanol 32 g
+ I/:!
Ol(g,
Sauerstoff 16 P
0 II H-C-H(,,
Moo3 KaL.
Formaldehyd 30 g
+
H20(1)
Wasser 18g
(AH = - 164.5 kJ1mol)
I Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen lndustrie
Formaldehyd kondensiert leicht rnit Phenol zu den Fomldehyd-Phenol-Harzen, die je nach Kondensationsgrad als thermoplastische oder duroplasrische Kunststoffe und Kunstharze Verwendung finden. Formaldehyd-Harnstoff-Kondensationsprodukte haben als Lackharze Bedeutung erlangt, die Formaldehyd-Melamin-Harzeals Einbrennlacke.
1.5 Hydrierungsprozesse Umsetzungen von chemischen Elementen bzw. Verbindungen rnit Wasserstoff bezeichnet man als Hydrierungen. Es sind im weitesten Sinne Reduktionsreaktionen. Elektronentheoretisch betrachtet ist eine Oxidation irnmer gleichbedeutend rnit einer Elektronenabgabe des oxidierten Elementes (s. Abschn. 111- 14.7). Oxidation,
2 Fe Eisen
+
3/20,
Reduktion,
6e------)
Sauerstoff Elektronen
2 Fe
+ 3/2 Oz
Eisen
-
2 Fe3+ + 6e-
23 1
Allen Hydrierungen ist gemeinsam, daR sie bei erhohten Temperaturen unter Druck und in Anwesenheit von Katalysatoren verlaufen. Sie sind alle exotherm, denn Wasserstoff ist eines der energiereichsten und damit auch reaktionsfreudigsten Elemente. Verbindet sich Wasserstoff chemisch rnit einem anderen Element, wird ein Teil seiner Energie als Wiirme freigesetzt. Neben der Ammoniaksynthese sind die Methanol- und Oxosynthese groatechnisch gleichbedeutende Hydrierungsverfahren. Mit der Entwicklung der Ammoniaksynthese im Jahre 1913 durch Fritz Haber (1868-1934) und Carl Bosch (1874-1940) wurde eine neue Entwicklung in der chemischen Verfahrenstechnik eingeleitet. Die GesetzmaSigkeiten bei Arbeiten bei hohen Temperaturen und Driicken und der EinfluR von Katalysatoren konnte eingehend studiert werden. Die Erfahrungen konnten dann auf technisch ahnlich ablaufende Verfahren, wie die Methanolsynthese und auch Oxosynthese, ubertragen werden.
Eisen-Ionen Elektronen
1.5.1 Methanolsynthese
30’-
Ausgangsprodukte fur die Synthese von Methanol sind Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Als Katalysator dient ein Gemisch aus ZinkoxidChromoxid, ZnO/Cr,03 (s. Abschn. 111-9.4.1).
Sauerstoff-lonen
-
( 2 Fe” + 3 02-]
Sauerstoff
Fe,O,
Eisen(II1)oxid
Es gilt also: Oxidation = Elektronenabgabe = Zunahme der positiven Ladung
Kohlenstoffmono x id
28 g
Reduktion = Elektronenaufnahme = Zunahme der negativen Ladung
-
3 Hz
N,
+
Stickstoff
3H,
6e-
-
Elektronen
+
Wasserstoff
N, Stickstoff
6H’
+
Methanol
4g
32 g
(AH= - 92 kllmol)
Eine typische Hydrierungsreaktion ist die Ammoniaksynthese. Der Stickstoff wird durch den Wasserstoff reduziert, der Wasserstoff selbst wird dabei oxidiert (s. Abschn. 111-7.2) Warserstoff
Wasserstoff
he-
Wasserstoff- Elektronen Ionen
Wie bei der Ammoniaksynthese und auch der Oxosynthese geht rnit der Reaktion eine Volumenabnahme einher. Die Bildung dieser drei genannten Hydrierungsprodukte wird durch Druck stark begunstigt. Die Halfte der gesamten Methanolproduktion in der Bundesrepublik Deutschland wird fur die Gewinnung von Formaldehyd verwendet (s. Abschn. 111-9.2).
2 N3Stickstoff-Ionen
{6H’+ 2N’ )
-
1.5.2 Oxosynthese 2NH,
Ammoniak (Stickstoffhydrid)
(AH= - 92 kJ/mol)
Je nach den angewendeten Verfahren lassen sich aus einfachen Grundprodukten interessante Zwischen- und Endprodukte rnit eindeutigen Eigenschaften gewinnen (s. Abschn. 111-9.3).
232
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
Fur Propylen als ungesattigten Kohlenwasserstoff lassen sich die Reaktionsablaufe durch folgende Gleichung beschreiben:
+ 2 CO,,, +
2 H,C-CH=CH,,,, Propylen
Kohlcnstoffmonoxid
2 H,,,, Wasscrstoff
But anal
0
+ H3C-CH-CC, I
fi
(AH= - 243.5 kJ/mol)
%)
CH3 2-Methylpropanal
1.6 Polymerisationsreaktionen, Herstellung von Makromolekulen Bisher sind Reaktionstypen besprochen worden, die aus kleinen Molekulen zusammengesetzte Produkte liefern. Es erhebt sich die Frage, welche Reaktionen ablaufen mussen, um zu Stoffen zu gelangen, die aus gro8en Molekulen aufgebaut sind. Viele Naturstoffe setzten sich aus solchen Makromolekulen zusammen. Bekannt sind der Naturkautschuk, die Starke, Cellulose, EiweiR und die Nukleinsauren, um nur einige zu nennen. Starke und Cellulose sind aus einer Vielzahl von gleichen Bausteinen zusammengesetzt, die untereinander chemisch gebunden sind. Die Bausteine der Starke und Cellulose sind Glucosernolekiile. Sie reihen sich als Kette aneinander. Bei der chemischen Verkniipfung von zwei Glucosebausteinen wird immer ein Molekul Wasser frei.
Glucosernolekiile
Sllrke
Wassermolekiile
Die Bausteine fur Eiwege, auch Proteine genannt, sind die Arninosauren. Die erwahnten in der Natur vorkommenden Molekule werden von den lebenden Organismen fur zahlreiche Zwecke genutzt. Sie bauen daraus Geriistsubstanzen, wie
Pflanzenfasern (Cellulose), Knochensubstanz (Kollagen) oder lagerfahige Reservestoffe (Depotstoffe), z. B. Glycogen in der Leber, und Starke oder Fette fur die Eigenemahrung auf, sowie die Nukleinsauren als Informationsspeicher. Die Polymerisation* ist ein chemischer Vorgang, bei dem sich viele kleine Molekiile eines einfachen Stoffes oder mehrerer einfacher Stoffe zu groRen Molekulen, den Makromolekulen, verknupfen. Die als Bausteine dienenden kleinen Molekule hei8en Monomere** und die aus den Makromolekulen bestehenden Endprodukte Polymerisate. Die Molmasse des neuen Molekulverbandes nimmt GroRenordnungen bis in die Millionen an. Das Polymerisat hat vollig andere chemische und physikalische Eigenschaften als das Monomere. Die Polymerisation des gasformigen Ethylens fuhrt in Gegenwart wirkungsspezifischer Katalysatoren zu festem Polyethylen, das nach dem Niederdruckverfahren groatechnisch hergestellt wird.
H
H
Ethylen
LH
H
I1
111 n
Polyethylen
(AH = -106,3 kJ/mol Monomeres und flussiges Polymerisat)
Polymerisationsreaktionen sind exotherme Vorgange. Die Polymerisationswiime des Ethylens ist sehr hoch und mu8 abgefuhrt werden, da sonst Explosionen auftreten konnen. Die Eigenschaften des Polymerisates hangen entscheidend von der GroBe des Molekulverbandes ab, die wiederum vom Katalysator, der Reaktionstemperatur und dem Reaktionsdruck bestimmt wird.
1.6.1 Isotaktische, syndiotaktische und ataktische Polymerisation*** Geht man fur die Polymerisation nicht vom Ethylen, sondern vom Propylen als Monomerem aus, werden je nach der Anordnung der Methyl-
*
**
***
poly (grch.) - viel; meros (grch.) Teil. monos (grch.) - ein. iso(grch.)-gleich; syn (grch.)-mit. zusammen: a(grch.) - als Vorsilbe, unrhythmisch. ~
I Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen lndustrie
seitengruppe, CH3., verschiedene Polymerisationsprodukte erhalten, die sich in ihren mechanischen und physikalischen Verhalten sehr voneinander unterscheiden. Innerhalb der Polymerenkette konnen die Methylgruppen auf derselben Seite des Kohlenstoffgeriistes stehen, wobei man von einem isotaktischen Polymer spricht. H H I 1 nC=C I I H CH3
-
Vinylchlorid
H,C=C-H
I
Tetrafluorethylen
H2C =CH
H
H I
H
H I
H
H I
H
-
Polyvinylchlorid
-
Polyacrylnitril
-
Polytetrafluorethylen
-
Polystyrol
C=N Acrylnitril
F2C=CF2
Propylen
H I
H,C=C-H I CI
233
I1 I Styrol
H
I H CH3
I H CH3
I H CH3
I H CH3
Allen diesen Polymerisaten gemeinsam ist ein aus einer Kohlenstoffkette bestehendes Geriist:
isotaktisches Polypropylen
Befinden sich die Methylgruppen in regelmaBiger Folge abwechselnd auf der einen und der anderen Seite der Kohlenstoffkette, so liegt ein syndiotaktisches Polypropylen bzw. Polymerisat vor. H
H
H
CH3
H
H
H
H
CH3
Von einem ataktischen Polymerisat spricht man, wenn die Seitengruppe, in diesem Falle die Methylgruppen, regellos auf beiden Seiten der Kohlenstoffkette verteilt sind. H
H
H
H
I H CII~
CH~
I
H
I H
H
H
H
I H CH3
Weitere Monomere, die nach dem gleichen Prinzip wie Ethylen und Propylen polymerisieren, sind:
R I
R
I
An diesem hangen nun die verschiedenen Seitengruppen in isotaktischer, ataktischer und syndiotaktischer Verteilung. Sowohl der chemische Charakter der Seitengruppen als auch ihre statistische Verteilung langs der Kohlenstoffkette bieten Variationsmoglichkeiten fur die Werkstoffeigenschaften von Polymerisationsprodukten (s. Abschn. 111-1.6.7).
1.6.2 Polymerisationsverlauf Die Polymerisation wird in der Regel durch einen Katulysator eingeleitet. Er bestimmt wesentlich den Polymerisationsgrad, namlich die Kettenlange des Polymerisates, die Verteilungsart der Seitenketten und die Polymerisationsgeschwindigkeit. Die Polymerisationen sind Kettenreaktionen und lassen sich wie folgt unterteilen: -
Startreaktion,
- Wachstumsreaktion, -
Abbruchsreaktion.
Die Geschwindigkeit der Polymerisation wird durch die langsamste Teilreaktion bestimmt.
234
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Cirundprodukten
Die Startreaktion erfordert die hochste Aktivierungsenergie aller Teilreaktionen, sic leitet die eigentliche Reaktion ein und kann durch Zufuhr von Warmeenergie, d. h. durch thermische Anregung, durch Strahlungsenergie von UV-Licht oder Gammastrahlen und schliefllich durch spezielle Substanzen, die unter den Begriffen Aktivatoren, Initiatoren oder Katalysatoren bekannt sind, ausgelost werden. Bei der Polymerisation des Ethylens zum Polyethylen besteht die Startreaktion in der Aufspaltung der Ethylendoppelbindung. Es bilden sich reaktionsfahige Ethylenradikale.
Abbruchsreaktion:
c-c.
2 R . + .C-C
I Abbruchsregler
I
I
Polymensationkeue Radikaienden
init
LH
Sta rtreaktion: H I
14
I H
I H
I
I
FiJn+3
Polyrnsrisationrprodukt
Encrpic
II
H
I
I
I H
I H
c=c y .c-c. Ethylenmolekiil
Ethylenradikal
Je nach der chemischen Struktur der Monomeren verlaufen die Start-, Wachstums- und Abbruchsreaktionen nach sehr unterschiedlichen Reaktionsmechanismen ab.
Wachstumsreaktioii:
2
H
H
I
I
I
I
H
H
*c-c.
+
n
H I
H I
I
I
H
H
c=c
Ethylradikalc
Polymerisationskettc mit Radikalendcn
Die Ethylenradikale sind nun befahigt, eine Kohlenstoffkette zu knupfen, indem die Radikale sich mit weiteren Ethylenmolekulen verknupfen. Wahrend der Wachstumsreaktion werden so weitere Monomere an die aktivierten Endmonomere, auch Primaraddukte genannt, angelagert. Das Ende dieses Molekulkettenwachstums wird durch eine Abbruchsreaktion erreicht. Das Radikalende des Kettenmolekuls wird abgesattigt. Dazu werden vielfach spezielle Abbruchsregler verwendet. In diesem Falle konnen es Fremdmolekule mit Radikalcharakter sein.
1.6.3 Copolymerisation Fur eine Polymerisation kann nicht nur von Monomeren eines Stoffes, sondern auch von Monomeren zweier oder dreier Stoffe als Bausteine ausgegangen werden. Auf diese Weise werden Copolymerisate erhalten, z. B. die Copolymerisate von Ethylen mit Propylen. Die Anordnung der verschiedenen Monomeren in der Kette ist wieder vielfaltig und hangt unter anderem von dem Molverhaltnis der Monomerenkomponenten ab (Abb. 111-3). Die Reihenfolge der Bausteine kann statistisch scin, sie gehorcht keiner GesetzmaBigkeit. Das Produkt ist dann ein statistisches Copolymerisat. Eine andere Mijglichkeit ist der alternierende Aufbau. Nach einem Monomeren A folgt das Monomere B, dann wieder A und so fort. Die dritte Moglichkeit ist die Anordnung in Blocken. An eine aus den Monomeren A aufgebaute Teilkette schlieat eine aus den Monomeren B zusammengesetde Teilkette an. Eine vierte Variation der Anordnung von verschiedenen Bausteinen ist die des Pfropfens. Auf eine vorhandene Polymerkette aus der Komponente A wird eine andere aus der Komponente B aufgepfropft.
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen lndustrie
235
statistisches Copolymer
alternierendes Copolymer
Block-Copolymer
Pfropf-Copolymer
0Monomer A MonornerB
Abb. 111-3. Bauprinzipien von Copolymeren. 1.6.4 Verfahren zur Polymerisationstechnik
Zahlreiche Polymerisationsverfahren sind in der Kunststoffchemie entwickelt worden. Jede Polymerisationsmethode fuhrt zu Produkten mit ganz speziellen und eindeutig definierten Eigenschaften. Wichtig in der Polymerisationstechnik angewandte Methoden sind die - Blockpolymerisation, -
Losemittelpolymerisation,
- Fallungspolymerisation, -
Emulsionspolymerisation,
- Suspensions- oder Perlpolymerisation.
Bei der Blockpolymerisation erstarrt das Polymerisationsprodukt zu einer geschlossenen Masse. Besonderes Augenmerk ist auf das Abfiihren der exothermen Polymerisationswiirrne zu richten, da sich leicht Blasen im Polymerisationsgut bilden. Der Polymerisationsvorgang wird deshalb sehr langsam gefiihrt. Dickwandige grol3e Formteile oder Rotationsformen von Hohlkorpern werden nach dem Blockverfahren hergestellt. Wie der Name schon ausdriickt, erfolgt die Liisemittelpolymerisation in geeigneten Losemitteln. In ihnen miissen das Monomere wie auch
das Polymerisat loslic.. sein. In Gegenwart von Katalysatoren und bei entsprechender Temperatur setzt die Polymerisation ein. Die niedrige Viskositat des Reaktionsgemisches erlaubt vor allem eine leichte Wiirrneableitung, z. B. durch Arbeiten am RuckfluRkuhler. Bei der Losemittelpolymerisation entstehen im allgemeinen kurze Molekulketten, da die Losemittel einen friihzeitigen Kettenbruch begunstigen. Werden Losemittel verwendet, in denen das Monomere loslich ist, das Polymere aber als unlosliches Produkt ausfallt, so spricht man von der Fallungspolymerisation. Die Viskositat der Losung andert sich in dem Falle nicht. Nach diesem Verfahren werden Ziegler*-Polyethylen und Polyacrylnitril, um nur zwei zu nennen, hergestellt. Bei der Emulsionspolymerisation werden in Wasser unlosliche Monomere durch Zugabe von Emulgierungsmitteln und unter Ruhren in feinste Topfchen verteilt, d. h. emulgiert. Der Katalysator ist wasserloslich und wird der Emulsion zugesetzt, dabei wird standig geriihrt. Die Polymerisation setzt bei den Monomeren ein, die in der Niihe der Emulsionstropfchen zum geringeren Teil im Wasser gelost sind. Aus den Tropfen der Monomer-Emulsion werden standig losliche Monomere nachgeliefert. Es entsteht ein milchi-
*
Ziegler, Karl (1898-1973), drsch. Chemmiker.
236
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
ges Dispersionspolymerisat, aus dem die festen Polymere abgetrennt und getrocknet werden. Wird das Monomere ohne Emulgiermittel oder Schutzkolloid nur durch Ruhren in Wasser fein verteilt, erhalt man eine Suspension. Der zugesetzte Katalysator ist im Wasser ebenfalls nicht loslich, dagegen aber im Monomeren. Diese Polymerisationsmethode heifit Suspensions- oder Perlpolymerisation. Sie findet direkt in den Suspensionstropfchen statt, und das Polymerisat fallt in Perlen an. Diese Methode vereinigt in sich die Vorziige der Block- und Emulsionspolymerisation. Es entstehen reine und klare Polymerisate, und die Warmeabfuhr bereitet keine speziellen Probleme. Polyvinylchlorid wird nach diesem Verfahren in grofiem Umfang hergestellt.
1.6.5 Polyaddition und Polykondensation Neben der Polymerisation gibt es noch zwei weitere Reaktionstypen zum Aufbau von Makromolekulen aus Monomeren. Diese sind die Polyaddition und die Polykondensation. Damit sich die Monomeren auf eine dieser Polymerisationsarten zu einer Kette verkniipfen konnen, mussen die Monomermolekiile mindestens zwei gleiche oder auch verschiedenartige funktionelle Gruppen besitzen. Sie miissen bifunktionell sein.
0
0 I ,I-Rutrndiol
Im Gegensatz zu Polymerisationsreaktionen verlaufen die Polyadditionen im allgemeinen unter milderen Bedingungen und vielfach ohne Katalysator und bei Raumtemperatur. Wie bei der Polymerisation werden bei der Polyaddition keine niedermolekularen Molekiile als Nebenprodukte abgespalten. Die Polyurethane beispielsweise entstehen durch fortlaufende Addition der Monomeren Is. GI. (l)]. Die Addition kommt dadurch zustande, daR die Wasserstoffatome des Butandiols zum Hexamethylendiisocynat wandern. Die reaktionsfahigen Zentren der Monomere fur die Polymerisation sind die ungesattigten Kohlenstoff-Kohlenstoffbindungen (Doppel- und Dreifachbindungen). Im besprochenen Beispiel einer Polyaddition treten als reaktionsbereite Zentren die funktionellen Gruppen auf. Im Butandiol ist es die alkoholische und im Hexamethylendiisocynat die Isocynatgruppe. Die Polykondensalion ist der ZusammenschluR von Monomeren unter Abspaltung einfacher niedermolekularer Verbindungen, wie Wasser, Ammoniak, Chlorwasserstoff, Alkohole u. a. Die Synthese der Polyesterfaser Treviraa Iauft iiber die Polykondensation. Es kondensieren Ethylenglykol mit den zwei alkoholischen Gruppen und Terephthalsaure mit den beiden Carboxylgruppen. Dabei tritt Wasser aus [s. GI. (2)].
Hexamethylendiisocyatiat
O
H
H
o l n
O
H
H
O
Polyurethan
n
Ethylenglykol
Terephthalsaure (2)
n Polyethyleiiglykolterephthalat
Wasser
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
Es ist leicht einzusehen, dal3 tri- oder polyfunktionelle Monomere iiber die Polykondensation engmaschig, raumlich vernetzte Molekiilstrukturen liefern.
1.6.6 Strukturen der Makromolekiile
237
mensetzen, so abwechslungsreich und mannigfaltig sind auch die Strukturen der Makromolekiile. Die verschiedenen Bauprinzipien lassen sich in vier Grundtypen unterteilen (Abb. 111-4). GroBe und Molekiilmasse der gebildeten Makromolekiile sind nicht einheitlich. Kettenlange und Vernetzungsgrad eines Polymerisates und damit auch die Molekiilmasse liegen in statistiY
So zahlreich wie die verschiedenartigen Monomere, aus denen sich die Makromolekiile zusam-
Abb 111-4. Bauprinzipien von Makromolekiilen. - a) Lineares Makromolekul, b) verzweigtes Makromolekul.
238
111 Produktionsverfahren zur Herstellung von chernischen Grundprodukten
scher Verteilung vor. Der Verteilungsbereich kann j e nach Herstellungsmethode sehr breit, aber auch sehr eng gefafit sein und beeinflufit die Werkstoffeigensc@ten und das physikalische Verhalten der hochmolekularen Stoffe maBgeblich. Die Vielzahl der Variationsmoglichkeiten zur Herstellung hochmolekularer Substanzen erlaubt es der Kunststoffchemie, Polvmere fur einen sehr weiten Anwendungsbereich zu produzieren.
Einige Faktoren, durch die die Polymerprodukte in Qualitat, Verhalten und Eigenschaften wesentlich beeinflufit werden, sind:
Die monomeren Bausteine a) ungesattigten Kohlenstoff-Kohlenstoffbindungen b) mit funktionellen Gruppen c) oder ohne Seitengruppen
2. Die Anordnung der Seitengruppen innerhalb der polymeren Kette; iso-, syndio- oder ataktische Anordnung
Abb 111-4. Bauprinzipien von Makrornolekiilen. - c ) Vernetztes Makromolekiil, d) Vernetztung nach dern Lei-
terprinzip.
1 Der Stoff- uind Energieumsatz in der chemischen Industrie
3. Der Polymerisationsgrad 4. Der Vernetzungsgrad und die Molekulstruktur 5. Der Verteilungsgrad der polymeren Kettenlangen 6. Wahl der Katalysatoren in bezug auf ihre Wirkungsspezifitat 7. EinfluR von Druck und Temperatur 8. Polymerisationstechniken
1.6.7 Einteilung von technischen Polymeren Die Unterscheidungsmerkmale der technischen Polymere orientieren sich an ihren physikalischen und mechanischen Eigenschaften und den davon abzuleitenden Verwendungsarten. Fusern zeichnen sich durch linear ausgerichtete Kettenstrukturen der Makromolekule aus. Diese bilden sich wiihrend eines einseitig gerichteten Streckvorganges aus. Sie werden mittels Spritzdusen erhalten. Beispiele sind Fasern auf Basis von Celluloseacetat, Polyamiden, z. B. Nylon, Perlon, Aramide, Polyester, z. B. Trevira, Polyacrylnitril, PAC, u. a. Folien sind dunne, flachige, flexible, aufwickelbare Bahnen, die durch GieRen, Kalandrieren, Extrudieren u. a. Methoden erhalten werden konnen. Besonders dunne Folien nennt man Filme. Zweidimensionale Verstreckungsmechanismen fuhren zu geringsten Schichtdicken und gleichmaBiger Oberflachenbeschaffenheit. Produktionsbeispiele sind: Polyethylenfolie (HDPE = high density polyethylene), PVC-Filme, Polyesterfilme, Celluloseacetatfilme u. a. Plustomere*, Kunststoffe im engeren Sinne, sind Polymere, deren Makromolekiile uber Seitenketten oder Briickenglieder dreidimensional miteinander vernetzt sind. Der Vernetzungsgrad kann durch Zusatzstoffe (Additive) beeinflulit werden. Weitmaschig vernetzte Plastomere heiBen Elastomere**, engmaschig vernetzte Duromere***. Neben der Vernetzung weisen die Kunststoffe in ihrer Struktur teilkristalline Bereiche auf. Aus den Kunststoffen werden Blocke, Hohlkorper, Flachenstucke geformt, die als Werkstoffe zur Fertigung von Bau- und Apparateteilen, Apparaten, Geraten, Behaltern u. a. dienen.
*
**
***
plassein (grch.) - bilden. meros (grch.) - Teil elastos (grch.) - dehnbar. durus (lat.) - hart.
239
Bekannte Beispiele sind: Polyethylen, Polypropylen, PVC, Polyacrylsaureester, Polystyrol, Polyurethan, Silicon u. a. Harze sind makromolekulare Verbindungen, deren Struktur sie an einer Ausbildung von Kristallgittern hindert. Sie sind deshalb meist amorph und haben keinen ausgepragten Schmelzpunkt, sondern ein Erweichungsintervall, das sich uber einen grol3eren Temperaturbereich erstrecken kann. Harze verhalten sich wie unterkuhlte Schmelzen. Beispiele fur Kunstharze sind: Phenol-Formaldehydharze, Melamin-Formaldehydharze, Hamstoff-Formaldehydharze,Epoxidharze, Siliconharze u. a. Wachse sind chemisch betrachtet Ester aus langkettigen Alkoholen der Kettenlange ab C24 und langkettigen Fettsauren der Kettenlange ab c22.
Die Montanwachse sind als Naturwachse, die aus den Bitumen der Braunkohle gewonnen werden, sehr bekannt. Sie bilden ein Gemisch aus 53 % Ester, langkettigen Fettsauren, freien Wachsalkohlen und asphalthaltigem Material. Wachse dienen zur Oberflachenbehandlung von Holz, Kunststoffen, Metallen sowie als Gleitmittel und als Zusatzmittel in Lippenstiften, Druckfarben, Bunt- und Fettstiften. Klebstoffe sind Polymere mit oberflachenbzw. grenzflachenaktiven Eigenschaften. Je nach Anwendungsort und -bereich wird zwischen Kalt-, Warm-, Reaktionsklebstoffen und Leitklebstoffen unterschieden. Kalt- und Warmklebstoffe binden uber Adsorptivkrafte. Der AbbindeprozeB bei den Reaktionsklebstoffen verlauft uber chemische Reaktionen wie z. B. die verschiedenen Polyreaktionen zeigen. Leitklebstoffe sind haufig Kunstharzsubstanzen, die mit elektrisch leitenden Metallpulvern oder -pigmenten versetzt sind. Beispiele: Polyvinylacetat, Polyvinylalkohol, Polymethacrylate, Polyisocyanate, Leime auf EiweiR- oder Stiirkebasis, Silicone. Biopolymere sind makromolekulare Naturstoffe pflanzlicher oder tierischer Herkunft. Naturkautschuk ist ein Polyisopren, dessen rnonomerer Baustoff Isopren ist. Stiirke ist ein Polysaccharid, in dem die Glucosemolekiile a-(1,4)-glykosidisch verkettet sind. Sie ist die Energiereserve fur viele PflanZen, z. B. Getreide. Cellulose ist ebenfalls ein Polysaccharid, in dem im Gegensatz zur Stiirke die Glucoseeinheiten p-( 1,4)-glykosidisch miteinander verknupft sind. Cellulose ist der Geriiststoff im Holz
240
Ill Produktionsverfdhren zur Herstellung von chemischen Grundprodukten
Nukleinsauren sind Biopolymere, die aus den Bausteinen der Phosphorsaure und Ribose zu einer Polyribosephosphorsaurekette aufgebaut sind. An dieser Hauptkette sind nach einem bestimmten Rhythmus Nucleobasen* angeknupft. Jedes Basentriplett, d. h. 3 benachbarte Aminobasen, enthalt jeweils eine biologische Information gespeichert. Anorganische Polymere auf der Basis von Kieselsaure. Diese Polymergruppe bestimmt in ihren unuberschaubaren Abwandlungsmoglichkeiten den Aufbau der mineralischen Natur. Als Hauptkette ist immer wieder die
und in Fasem wie Baumwolle, Sisal, Flachs und Jute. Die Faserstrukturen dieser Pflanzen sind sehr mannigfaltig. Lignin ist ein Copolymerisat aus Cellulose und Phenylpropanol. Proteine sind Biopolymere, die sich aus his zu 20 verschiedenen Aminosauren aufbauen konnen. Im tierischen Bereich stellen sie die Geriiststoffe, Geriistproteine genannt. Von diesen unterscheiden sich die Funktionsproteine in den verschiedensten Wirkungen. Weit verbreitete Proteine sind - Weizeneiweib, der sogenannte Kleber - MilcheiweiB, Casein - Kollagen, Knochenfasern - Gelatine, hydrolysiertes Kollagen - Wollproteine, Wollfasern - Insulin, ein Hormon - Enzyme, Biokatalysatoren
-&i-&-ij-
I
Veknijpfung
I
anzutreffen. Produktionsumfang und Einsatzgebiete von Kunststoffen sind den Abbildungen 111-5 und 111-6 zu entnehmen.
Polypropylen 16 YO
Sonstige17%
hi-
P S I EPS 8 %
- PUR5%
\
m-.. PC
I
P W ABS I sAN/ ASA
PVC 15 %
technische Kunststoffe, Blends 10 %
SONST:
Abb. 111-5. Weltproduktion von Kunststoffen aufgegliedert nach Kunststoffarten 1 Y98 (Tonnage in Prozent). Sonstige 18.8 %
Verpackung
26.2 % Mobel 7,6 %
Landwirtschaft 1.6 % Haushaltswareni 4.9 % FahneWe Elektroindustrie 7.896 7,3010
Bau 25,8 %
*
Abb. 111-6. Einsatzgebiete von Kunststoffen in Deutschland (Prozent) 1998.
z.B. Adenin, Cytosin. Guanin, Thymin, Uracil
1 Der Stoff- und Energieumsatz in der chemischen Industrie
Ubersicht iiber wichtige technische Polymere
EPM
Polymere, deren Hauptkette aus einer Verkniipfung von Kohlenstoffatomen besteht
HDPE
I
High Density Polyethylene aus Ethylen H2C=CH2. Nach dem Niederdmckverfahren werden weitgehend lineare, wenig verzweigte Makromolekiile erhalten, s. LDPE.
241
Ethylen-Propylen-Kautschuk (Rubber). Das M steht anstelle von ,,R" immer dann, wenn es sich um eine gesattigte Kohlenwasserstoffkette handelt. H*C=CH* Ethylen; H 2 C = C H Propylen I c H3 H2C I
Chlorophyll
12H20
+
C6H6(OH)6 + 6H2O + 6 0 2 Glucose
Wasser
Sauerstoff
(AG = +2876,6 kJ/mol)
CH20H I
c-0
H I
\I:
I /H
I
H
I
OH
Unter Bildung von Sauerstoffbruckenbindungen und Wasserabspaltung entstehen die Polymerprodukte Stake, Cellulose oder Glycogen, das Depotkohlenhydrat in der Leber (Abb. III126 und - 127). Der Auflau von EiweiJsubstunzen erfolgt uber die Verknupfung einer Vielzahl von Aminosauren. Sie sind die Bausteine der Proteine und damit des Lebens. Bisher sind in der Natur 26 Aminosauren gefunden worden, von denen 20 fur den Aufbau biologischer Systeme von groBer Bedeutung sind. Acht von diesen sind fur den menschlichen Organismus essentiell. Sie konnen von ihm nicht aufgebaut werden und mussen ihm mit der Nahrung zugefuhrt werden. Das Charakteristische einer Aminosaure ist die Aminogruppe. Bei den in der Natur vorkom-