Erle Stanley Gardner
Perry Mason Der Engel mit Krallen
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Erle Stanley Gardner
Perry Mason Der Engel mit Krallen
scanned by AnyBody corrected by Yfffi Perry Mason ist der berühmteste Anwalt der Welt. Hier ist sein allererster Fall, mit dem seine triumphale Karriere begann: Der Anwalt steht unter Mordverdacht... beschuldigt von seiner eigenen Mandantin! ISBN 3 548 10066 X Originaltitel: The Case of the Velvet Claws übersetzt von Irmgard Kühne Juli 1980 im Verlag Ullstein GmbH Umschlagfoto: Hubertus Mall
1 Die Augustsonne prallte gegen die Fensterscheiben. Perry Mason saß bewegungslos an seinem großen Schreibtisch, als ob er auf etwas warte. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an einen Schachspieler, der die Lage auf dem Brett studiert. In diesem Gesicht pflegten nur die Augen den Ausdruck zu wechseln. Die Wände verschwanden hinter Regalen voller Bücher mit Lederrücken. In einer Ecke thronte ein riesiger Safe. Außer dem Drehstuhl, auf dem Perry Mason saß, gab es noch zwei Sessel. Das Büro wirkte nüchtern, aber vertrauenerweckend, so als ob es das Wesen des Mannes widerspiegle, dem es gehörte. Die Tür zum Vorzimmer öffnete sich; Della Street, seine Sekretärin, schlüpfte herein. »Eine Frau«, sagte sie, »die behauptet, sie sei Mrs. Eva Griffin.« Perry Mason warf einen raschen Blick auf ihr Gesicht. »Und Sie glauben, das stimmt nicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie kommt mir unecht vor«, sagte sie. »Ich habe im Telefonbuch und im Adreßbuch nachgesehen. Es gibt eine Menge Griffins, aber keine an der Adresse, die sie angegeben hat, und überhaupt keine Eva Griffin.« »Wie ist die Adresse?« fragte Mason. »2271 Grove Street«, erwiderte sie. Perry Mason machte sich eine Notiz. »Ich werde sie empfangen«, sagte er. »Jawohl«, sagte Della Street, »ich wollte nur, daß Sie wissen, mir kommt sie wie eine Betrügerin vor.« Della blieb in der Tür stehen und sah Perry Mason eindringlich an. »Ich wünschte«, sagte sie, »Sie fänden heraus, wer sie wirklich ist, bevor wir irgend etwas für sie tun.« -2 -
»Eine Intuition?« fragte Perry Mason. »Man könnte es so nennen«, sagte sie lächelnd. Perry Mason nickte. »Ich werde mir selber ein Bild machen.« Della Street schloß die Tür, als sie hinausging; nach wenigen Sekunden trat eine Frau mit unbefangener Sicherheit ein. Sie mochte Anfang Dreißig sein oder vielleicht Ende Zwanzig, - eine gepflegte Erscheinung, der Typ der verwöhnten Frau, der kein Wunsch abgeschlagen wurde. Sie musterte das Büro mit einem raschen Blick, noch ehe sie den Mann hinter dem Schreibtisch ansah. »Kommen Sie herein und setzen Sie sich«, sagte Perry Mason. Sie sah ihn leicht verärgert an. Offensichtlich erwartete sie, daß Männer aufstanden, wenn sie das Zimmer betrat. Langsam ging sie zu dem Stuhl vor Masons Schreibtisch, setzte sich und sah ihn an. »Nun?« fragte er. »Sie sind Mr. Mason, der Rechtsanwalt?« »Ja.« Die blauen Augen, die ihn vorsichtig gemustert hatten, weiteten sich plötzlich wie auf Kommando, wodurch ihr Gesicht unglaublich unschuldig wirkte. »Ich habe Schwierigkeiten«, sagte sie. Perry Mason nickte, als ob diese Mitteilung für ihn alltäglich sei. »Sie machen es mir nicht leicht«, stieß die Frau hervor. »Die meisten Anwälte, die ich gefragt habe...« Sie verstummte plötzlich. Perry Mason lächelte sie an. »Ja«, sagte er, »ich weiß. Die meisten Anwälte, die Sie zu Rat gezogen haben, sitzen in kostspieligen Zimmerfluchten und haben eine Menge -3 -
Angestellte, die herein- und herauslaufen. Sie haben ihnen viel Geld bezahlen müssen und nichts dafür erhalten. Sie haben sich verbeugt und Kratzfüße gemacht, wenn Sie ins Zimmer kamen und Ihnen große Spesenvorschüsse abgenommen. Aber wenn Sie in einer richtigen Klemme sitzen, gehen Sie nicht zu ihnen.« Zwei bis drei Sekunden starrten sie sich an, dann senkte die Frau die Augen. »Schön«, fuhr Perry Mason fort, »wir haben jetzt genug Zeit vergeudet. Kommen Sie zur Sache und sagen Sie mir, was Sie wollen. Sagen Sie mir erst, wer Sie sind und wie Sie auf mich gekommen sind. Vielleicht wird es auf die Art leichter für Sie.« Sie begann hastig zu sprechen, als ob sie das, was sie sagte, auswendig gelernt hätte. »Ich bin verheiratet, heiße Eva Griffin und wohne 2271 Grove Street. Ich habe Schwierigkeiten, die ich nicht gut mit den Anwälten besprechen kann, die mich bisher vertreten haben. Eine Freundin, die mich bat, ihren Namen nicht zu nennen, hat mir von Ihnen erzählt. Sie sagte, Sie wären mehr als ein Anwalt. Daß sie den Dingen nachgingen und tatkräftig handelten.« Einen Augenblick schwieg sie, dann fragte sie: »Ist das wahr?« Perry Mason nickte. »Haben Sie in der Zeitung von dem Überfall in der Beechwood Tavern gestern abend gelesen? Es waren einige Gäste dort, im Hauptrestaurant und einige in Privatzimmern. Ein Mann versuchte, die Gäste auszurauben, und jemand erschoß ihn.« Perry Mason nickte wiederum. »Ich habe es gelesen.« »Ich war dort.« Er zuckte die Achseln. Sie rutschte unruhig in ihrem Stuhl hin und her, schließlich sagte sie: »Wenn Sie mich vertreten werden, sollte ich Ihnen wohl die Wahrheit sagen.« -4 -
»Unbedingt«, meinte Mason zufrieden. »Wir versuchten hinauszukommen, aber es ging nicht. Alle Eingänge wurden bewacht. Anscheinend hatte jemand noch vor der Schießerei die Polizei angerufen, als die Banditen hereinkamen. Bevor wir hinaus konnten, war ringsherum abgesperrt.« »Wer ist ›wir‹?« fragte er. Sie starrte auf ihre Schuhspitzen und murmelte schließlich: »Harrison Burke.« »Sie meinen Harrison Burke, den Kandidaten für...« »Ja«, unterbrach sie ihn hastig, als wolle sie verhindern, daß er irgend etwas über Harrison Burke sagte. »Was hatten Sie denn dort mit ihm vor?« »Zu Abend essen und tanzen.« »Na und?« fragte er. »Wir gingen ins Separee zurück und hielten uns abseits, bis die Polizisten anfingen, die Namen der Zeugen festzustellen. Der verantwortliche Beamte war ein Freund von Harrison und wußte, daß es eine Katastrophe für ihn war, wenn die Zeitungen erfuhren, daß wir dort waren. Er ließ uns deshalb in dem Zimmer, bis alles erledigt war, und schmuggelte uns dann aus der Hintertür.« »Hat Sie jemand gesehen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte.« »Schön«, sagte er, »fahren Sie fort.« »Kennen Sie Frank Locke?« Sie stieß den Namen zwischen den Zähnen hervor, als falle es ihr schwer, ihn auszusprechen. »Sie meinen den Herausgeber von Spicy Bits?« Sie preßte die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und nickte schweigend. »Was ist mit ihm?« fragte Mason. -5 -
»Er weiß davon.« »Wird er es veröffentlichen?« Sie nickte. Perry Mason spielte mit einem Briefbeschwerer. »Sie könnten sich loskaufen«, sagte er. »Nein«, erwiderte sie, »ich nicht. Sie müssen es tun.« »Warum nicht Harrison Burke?« fragte er. »Verstehen Sie denn nicht? Harrison Burke könnte erklären, warum er in der Beechwood Tavern mit einer verheirateten Frau speiste. Aber er könnte nie zugeben, daß er einem Skandalblatt Schweigegeld gezahlt hat. Er muß sich heraushalten. Sie könnten ihm eine Falle stellen.« Perry Masons Finger trommelten auf den Schreibtisch. »Und Sie möchten, daß ich die Sache ins reine bringe?« »Ich will, daß Sie sie niederschlagen.« »Wieviel wollen Sie zahlen?« »Hören Sie zu.« Sie neigte sich vor und sprach so hastig, daß sich ihre Worte überstürzten. »Ich will Ihnen etwas sagen. Passen Sie gut auf, aber fragen Sie mich nicht, woher ich es weiß. Ich glaube nicht, daß Frank Locke sich diesmal kaufen läßt. Sie müssen höher gehen. Frank Locke tut so, als ob ihm das Spicy Bits gehört. Sie wissen, was es für eine Zeitung ist, ein reines Erpresserblatt. Aber Frank Locke ist nur eine Marionette. Jemand steht hinter ihm, jemand, dem das Blatt wirklich gehört. Sie haben einen guten Rechtsanwalt, der sich bemüht, sie vor Klagen zu bewahren. Aber wenn es mal schiefgeht, muß Frank Locke dafür grade stehen.« Sie verstummte. »Ich höre«, sagte Perry Mason nach einer Weile. Sie biß sich auf die Lippen. »Sie haben herausgefunden, daß Harrison da war. Sie wissen nicht, wer die Frau in seiner Begleitung war. Sie wollen aber veröffentlichen, daß er da war, -6 -
und von der Polizei verlangen, daß sie ihn als Zeugen vorlädt. Die Schießerei ist irgendwie mysteriös. Es scheint, jemand hat den Mann zu einem Überfall verleitet, damit er niedergeschossen werden konnte, ohne daß es besonders auffiel. Die Polizei und der Staatsanwalt wollen jedem auf den Zahn fühlen, der dabei war.« »Und Ihnen nicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, sie wollen uns herauslassen. Niemand weiß, daß ich dort war, nur der Beamte. Ich gab ihm aber einen falschen Namen.« »Nun?« fragte Mason. »Verstehen Sie nicht, worum es geht? Wenn sie die Beamten unter Druck setzen, müssen die Harrison befragen. Und dann wird er ihnen sagen müssen, wer die Frau in seiner Begleitung war. Sonst würde es schlimmer erscheinen, als es wirklich war. Tatsächlich war überhaupt nichts dabei. Wir waren durchaus berechtigt, uns dort zu treffen.« Mason sah sie nur an. »Schön«, sagte er dann. »Damit es keine Mißverständnisse gibt: Sie versuchen, Harrison Burkes politische Karriere zu retten?« »Nein«, erwiderte sie rasch, »ich versuche, mich selber zu retten.« »Das wird aber Geld kosten.« Sie öffnete ihre Handtasche. »Darauf war ich vorbereitet.« Perry Mason beobachtete, wie sie Scheine zählte und in kleinen Häufchen am Rand des Schreibtisches aufbaute. »Was soll das?« fragte er. »Das ist eine Vorauszahlung auf Ihr Honorar«, sagte sie. »Wenn Sie herausgefunden haben, wieviel es kostet, die Sache geheimzuhalten, können Sie sich mit mir in Verbindung setzen.« »Wie erreiche ich Sie?« »Sie setzen eine persönliche Anzeige in den Examiner. Etwa: -7 -
›E. G. Die Verhandlungen stehen vor dem Abschluß« und unterzeichnen mit Ihren Anfangsbuchstaben. Dann komme ich in Ihr Büro.« »Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Ich mag niemals Erpresser bezahlen. Es gibt meist einen anderen Weg.« »Was für einen denn?« fragte sie. Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Manchmal findet man andere Methoden.« Sie sagte hoffnungsvoll: »Ich kann Ihnen eine Sache über Frank Locke erzählen. Vielleicht ist er einmal im Gefängnis gewesen oder so was Ähnliches.« Er sah sie an. »Sie scheinen ihn recht gut zu kennen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie im Leben gesehen.« »Woher wissen Sie dann so viel über ihn?« »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie danach nicht fragen sollten.« Seine kraftvollen Finger trommelten wieder auf den Schreibtisch. »Kann ich sagen, daß ich Harrison Burke vertrete?« fragte er. Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Sie können überhaupt nicht sagen, daß Sie jemanden vertreten. Das heißt, Sie dürfen keine Namen nennen. Sie wissen doch, wie man in solchen Fällen vorgeht, ich nicht.« »Wann wünschen Sie, daß ich anfange?« »Sofort.« Perry Mason drückte auf einen Knopf. Nach ein paar Augenblicken öffnete sich die Tür zum Vorzimmer und Della Street kam mit einem Notizblock herein. Die Frau im Sessel lehnte sich zurück und setzte seine -8 -
unnahbare Miene auf, wie jemand, dessen Affären nicht in Gegenwart des Personals diskutiert werden dürfen. »Sie wünschen?« fragte Della Street. Perry Mason langte in die rechte obere Schublade und holte einen Brief heraus. »Dieser Brief«, sagte er, »ist in Ordnung. Ich möchte nur noch einen Zusatz. Ich schreibe ihn mit der Hand hinein. Dann können Sie den Brief noch einmal tippen. Ich werde wegen wichtiger Angelegenheiten den Rest des Tages außer Hause sein. Und ich kann nicht sagen, wann ich zurückkomme.« »Kann ich Sie irgendwo erreichen?« fragte Della Street. Er schüttelte den Kopf. »Ich melde mich.« Er zog den Brief zu sich heran und kritzelte auf den Rand. Della zögerte einen Augenblick und ging dann um den Schreibtisch herum, so daß sie ihm über die Schulter sehen konnte. Perry Mason schrieb: »Gehen Sie zurück ins Vorzimmer. Rufen Sie Drake an, er soll diese Frau beschatten, wenn sie das Büro verläßt. Sie darf aber nicht wissen, daß sie verfolgt wird. Ich möchte wissen, wer sie ist; es ist wichtig.« Er reichte Della die Notiz. »Erledigen Sie es sofort«, sagte er. »So daß ich unterschreiben kann, bevor ich fortgehe.« »Jawohl«, sagte sie und nahm den Brief mit gleichgültiger Miene auf. Perry Mason wandte sich wieder der Frau im Sessel zu. »Ich muß wissen, wie hoch ich in dieser Angelegenheit gehen kann.« »Was würden Sie für vernünftig halten?« »Überhaupt nichts«, erwiderte er scharf. »Ich hasse es, Erpresser zu bezahlen.« »Ich weiß«, bemerkte sie, »aber Sie. müssen einige Erfahrung -9 -
haben.« »Spicz Bits‹‹, sagte er ihr, »wird so viel verlangen, wie sie kriegen können. Ich muß wissen, wieviel Ihnen die Sache wert ist. Wenn sie zu viel verlangen, werde ich versuchen, sie hinzuhalten. Wenn sie vernünftig sein wollen, kann ich es schnell erledigen.« »Sie müssen sie schnell erledigen.« »Wir kommen vom Thema ab«, sagte er. »Wieviel?« »Ich könnte fünftausend Dollar aufbringen«, sagte sie zögernd. »Harrison Burke betätigt sich politisch«, stellte Mason fest. »Nach allem, was ich höre, tut er das nicht aus Gesundheitsgründen. Er steht auf Seiten der Reformer, und das macht ihn um so wertvoller für die andere Seite.« »Worauf wollen Sie hinaus?« »Ich versuche Ihnen klarzumachen, daß Spicy Bits vermutlich fünftausend Dollar nur als Tropfen auf den heißen Stein ansehen wird.« »Im Notfall könnte ich neun- oder vielleicht zehntausend aufbringen.« »Es wird zu einem Notfall kommen.« Sie zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne. »Wenn es notwendig werden sollte, daß ich mit Ihnen Kontakt aufnehmen muß, ohne zu warten, bis die Anzeige veröffentlicht wird, wo kann ich Sie dann erreichen?« Schnell schüttelte sie den Kopf. »Das geht nicht. Versuchen Sie nicht, mich an meiner Adresse zu erreichen oder anzurufen. Versuchen Sie nicht, herauszufinden, wer mein Mann ist.« »Sie leben mit Ihrem Mann zusammen?« Sie warf ihm einen raschen Blick zu. -1 0 -
»Natürlich, wo würde ich sonst das Geld herkriegen?« Es wurde an die Tür zum Vorzimmer geklopft; dann steckte Della Street den Kopf durch die Tür. »Ich habe die Sache erledigt. Sie können den Brief unterzeichnen, sobald Sie wollen, Mr. Mason«, sagte sie. Perry Mason stand auf. »Schön, Mrs. Griffin. Ich werde mein Bestes tun.« Sie erhob sich und blickte auf das Geld auf dem Schreibtisch. »Bekomme ich eine Quittung?« »Gern«, sagte er bedeutungsvoll, »wenn Sie eine Quittung in Ihrer Tasche haben wollen, auf der Perry Mason Eva Griffin eine Honorarvorauszahlung bestätigt, soll es mir recht sein.« Sie runzelte die Stirn und sagte dann: »Machen Sie es anders. Stellen Sie die Quittung so aus, daß ihr Inhaber Ihnen den Betrag als Vorschuß gezahlt hat, der darauf genannt ist.« Er machte ein finsteres Gesicht, raffte das Geld rasch zusammen und winkte Della Street. »Hier, Della«, sagte er, »nehmen Sie das Geld. Richten Sie für Mrs. Griffin eine Seite in unserem Hauptbuch ein und stellen Sie ihr eine Quittung aus, daß das Konto, das unter dieser Seitenzahl in unserem Hauptbuch geführt wird, ein Guthaben von fünfhundert Dollar hat. Vermerken Sie auf der Quittung, daß es sich um einen Vorschuß handelt.« »Können Sie mir sagen, wie hoch Ihr Gesamthonorar sein wird?« fragte die Frau. »Das wird davon abhängen, wieviel Arbeit ich habe. Es wird hoch, aber angemessen sein. Und es wird vom Resultat abhängen.« Sie nickte, zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Das ist wohl alles, was ich hier zu tun habe.« »Meine Sekretärin wird Ihnen die Quittung geben«, sagte er. -1 1 -
Sie lächelte ihn an. »Adieu«, sagte sie. »Adieu«, erwiderte er. Sie blieb in der Tür zum Vorzimmer stehen, um sich noch einmal umzuwenden und ihn anzusehen. Er stand mit dem Rücken zu ihr, die Hände in den Hosentaschen und sah aus dem Fenster. »Hier entlang bitte«, sagte Della Street und schloß die Tür. Perry Mason starrte weiter aus dem Fenster. Es vergingen fünf Minuten, dann öffnete sich die Tür zum Vorzimmer wieder, und Della Street kam herein. »Sie ist fort«, sagte sie. Mason wirbelte herum und fragte: »Warum meinen Sie, daß sie unecht ist?« Della Street wich seinem Blick nicht aus. »Dieser Frau«, sagte sie, »sehe ich an der Nasenspitze an, daß sie uns in Schwierigkeiten bringen wird.« Er hob die Schultern. »Mir bedeutet sie fünfhundert Dollar Vorschuß und weitere fünfzehnhundert Honorar, wenn ich die Sache in Ordnung bringe.« »Sie ist unecht und unehrlich«, sagte Della temperamentvoll. »Sie ist eine von diesen verwöhnten kleinen Katzen, die jeden betrügen, wenn es zu ihrem Vorteil ist.« Perry Mason musterte sie. »Bei Ehefrauen«, sagte er, »die fünfhundert Dollar Vorschuß zahlen, darf man keine Loyalität erwarten. Sie ist eine Mandantin.« Della wechselte das Thema. »Ich habe Paul Drake Bescheid gesagt. Er wird auf sie warten und ihr folgen.« »Schön, zahlen Sie dreihundert aus diesem Vorschuß auf der Bank ein und geben Sie mir zweihundert zum Einstecken. Wir -1 2 -
wollen herausfinden, wer sie wirklich ist, und dann werden wir eine Trumpfkarte in der Hand haben.« Della Street nahm den Scheck, ging ins Vorzimmer zurück, kam mit zweihundert Dollar Bargeld zurück, die sie Mason übergab. Er lächelte sie an. »Sie sind ein braves Kind, Della, auch wenn Sie komische Ideen über Frauen haben.« »Haben Sie bemerkt, wie sie die Augen aufreißt, wenn sie Eindruck auf Sie machen will? Sie hat diesen Babyblick vor einem Spiegel geübt.« Er sah sie an. »Wenn alle Mandanten so loyal wie Sie wären, Della, gäbe es keine Rechtsgeschäfte. Vergessen Sie das nicht.« Sie wandte sich zum Vorzimmer. »Ich habe über Ihre Mandanten gesprochen«, bemerkte sie, »und Sie fangen an, von mir zu sprechen.« Damit marschierte sie durch die Tür. Mason stand noch da, als sich die Tür öffnete und Paul Drake ins Zimmer kam. Er betrachtete Della Street billigend, lächelte ihr zu und sagte zu Mason: »Hallo, Perry.« Mason führte ihn in sein Privatbüro. »Was ist passiert?« fragte er. Drake setzte sich in den Sessel, in dem ein paar Minuten vorher die Frau gesessen hatte, legte die Beine auf einen anderen und zündete sich eine Zigarette an. »Sie ist ein schlaues Kind«, sagte er. »Warum? Hat sie gemerkt, daß du ihr folgtest?« »Ich glaube nicht«, erwiderte Drake. »Ich stand beim Aufzug, damit ich sie sehen konnte, als sie aus dem Büro kam. Dann stieg ich vor ihr ein. Sie behielt dein Büro im Auge, um zu sehen, ob jemand herauskam. Ich glaube, sie erwartete, daß du ihr Della nachschicken würdest. Sie ging zur Ecke, ich ging hinterher, mit einigen Passanten zwischen uns. Sie schlüpfte ins Warenhaus gegenüber, ohne sich umzusehen, als ob sie genau -1 3 -
wüßte, was sie tun wollte, und marschierte geradewegs in die Toilette. Ich dachte sofort an einen Trick, deshalb fragte ich eine Angestellte, ob es noch einen anderen Ausgang aus der Damentoilette gäbe. Da ist einer in den Schönheitssalon, einer in das Manikürzimmer und einer ins Café.« »Welchen benützte sie?« fragte Mason. »Sie ging in den Schönheitssalon, fünfzehn Sekunden, bevor ich dahin gelangte. Offenbar hatte sie es schon vorher genau geplant. Ich fand heraus, daß ein Wagen vor dem Schönheitssalon auf sie gewartet hatte, mit einem Chauffeur am Steuer. Der Wagen war ein großer Lincoln, falls dir das was nützt.« »Tut es nicht«, sagte Mason. »Dachte ich mir«, grinste Drake.
2 Frank Lockes Haut war großporig und hatte die Farbe von Mahagoni, aber diese Bräune stammte nicht wie bei einem Sportler von Sonne und Luft; es schien eher, übermäßiger Nikotingenuß habe sie imprägniert. Seine Augen hatten die sanfte Bräune von Milchschokolade und waren gänzlich glanzlos. Über einem schwächlichen Mund hing eine große Nase. Wer nicht näher hinsah, konnte ihn für sanft und harmlos halten. »Nun«, sagte er, »hier können Sie offen sprechen.« Perry Mason schüttelte den Kopf. »Nein, hier haben Sie alle möglichen Diktierapparate installiert. Ich will dort mit Ihnen sprechen, wo ich sicher sein kann, daß Sie der einzige sind, der zuhört.« »Wo?« fragte Frank Locke. »Können Sie in mein Büro kommen?« fragte Perry Mason, ohne den mindesten Optimismus. -1 4 -
Frank Locke lachte freudlos. »Und jetzt bin ich dran mit Witzen.« »Schön«, sagte Mason, »setzen Sie Ihren Hut auf und kommen Sie mit mir. Wir werden uns unterwegs über einen Ort einigen.« »Wie meinen Sie das?« fragte Locke. In seinen Augen glimmte Argwohn auf. »Wir suchen uns ein Hotel«, sagte Mason. »Eins, das Sie bereits präpariert haben?« »Nein, wir werden uns in eine Taxe setzen und dem Chauffeur sagen, er soll uns herumfahren. Wenn Sie so mißtrauisch sind, können Sie das Hotel selber aussuchen.« Frank Locke zögerte und sagte dann: »Entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich muß nachsehen, ob ich jetzt das Büro verlassen kann. Ich habe da ein paar Sachen, an denen ich arbeite.« »Schön«, sagte Mason. Er wartete fast zehn Minuten. Dann kehrte Frank Locke zurück, die beiden Männer verließen das Gebäude zusammen und winkten einem Taxi. »Fahren Sie durch das Geschäftsviertel«, sagte Mason. Locke sah den Anwalt mit seinen schokoladefarbenen Augen an, die keinerlei Ausdruck zeigten. »Vielleicht könnten wir hier sprechen«, meinte er. Mason schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht brüllen, wenn ich spreche.« Das Tax lenkte nach links. »Hier ist ein Hotel«, sagte Mason. Locke grinste. »Ich sehe es«, meinte er, »aber ich mag es nicht, weil Sie es ausgesucht haben und weil es zu nahe ist. Ich werde eines wählen.« »Schön«, erwiderte Mason, »mir ist’s recht, solange Sie dem Fahrer nicht sagen, wo er hinfahren soll. Lassen Sie ihn -1 5 -
herumkreuzen und wählen Sie irgendein Hotel, an dem wir vorbeikommen.« »Sie sind vielleicht vorsichtig«, sagte Locke lachend. Perry Mason nickte. Locke klopfte an die Trennwand zum Fahrer »Wir wollen hier aussteigen«, sagte er, »vor dem Hotel.« Der Fahrer sah ihn leicht überrascht an, brachte aber den Wagen zum Halten. Mason warf ihm einen halben Dollar zu, dann traten die beiden Männer in die billige Absteige. »Wie wär’s im Salon?« fragte Locke. »Mir recht«, erwiderte Mason. Sie durchquerten die Halle, fuhren mit dem Aufzug zum Zwischenstock und setzten sich in Sesseln einander gegenüber, mit einem Rauchtisch zwischen sich. »Sie sind Perry Mason«, sagte Locke, »ein Anwalt. Sie vertreten jemanden, und Sie wollen etwas. Heraus damit.« »Ich möchte etwas aus Ihrem Blatt heraushalten«, sagte Mason. »Das wollen vie le Leute«, sagte Locke. »Um was handelt es sich?« »Lassen Sie uns erst über die Methode sprechen«, sagte Mason. »Sind Sie bereit, über ein Geldangebot zu verhandeln?« Locke schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Wir sind kein Erpresserblatt«, sagte er. »Manchmal tun wir aber Inserenten einen Gefallen.« »Aha, das ist die Masche«, sagte Mason. »So ist es«, bestätigte Locke. »Was sollte ich inserieren?« Locke zuckte die Achseln. »Das ist uns egal. Sie brauchen gar nichts einzurücken, wenn Sie nicht wollen. Wir verkaufen den Platz, das ist alles.« -1 6 -
»Verstehe«, sagte Mason. »Schön, was wollen Sie?« »In der Beechwood Tavern ist gestern ein Mord passiert. Das heißt, es war eine Schießerei. Ich weiß nicht, ob es Mord war oder nicht. Ich hörte, der Mann, der erschossen wurde, versuchte einen Überfall.« »Nun und?« »Es soll etwas Geheimnisvolles an der Sache sein. Es heißt, der Staatsanwalt wird bei der Ermittlung nichts auslassen. Jemand sagte mir aber, daß die Liste der Zeugen, die dem Staatsanwalt übergeben wurde, vielleicht nicht vollständig war.« Locke starrte ihn an. »Wen vertreten Sie?« fragte er. »Jemanden, der vielleicht in Ihrem Blatt inserieren möchte.« »Gut, lassen Sie mich den Rest hören.« »Sie wissen den Rest«, sagte Mason. »Auch wenn das stimmte, würde ich es nicht zugeben«, erwiderte Locke. »Ich tue nichts anderes, als Platz für Inserate verkaufen. Sie müssen mit der Wahrheit herausrücken. Ich rühre mich keinen Zoll vom Fleck.« »Schön«, sagte Mason. »Als Inserent Ihrer Zeitung würde ich nicht gern mit diesem Mord in Kontakt kommen. Ich würde es ganz besonders ungern sehen, wenn Ihr Blatt den Namen eines prominenten Zeugen brächte, dessen Name auf der Liste des Staatsanwalts fehlt; und wenn gefragt würde, warum er nicht als Zeuge vorgeladen und befragt würde. Und, immer noch als Inserent, würde ich es sehr ungern sehen, wenn ich eine Bemerkung darüber lesen müßte, daß dieser Zeuge in Gesellschaft war, und Vermutungen über diese Begleitung. Also, wieviel Anzeigenplatz wird mich das kosten?« »Wenn Sie dem Blatt sein Vorgehen diktieren wollen, werden Sie eine ganze Menge Platz brauchen. Ich würde einen Vertrag -1 7 -
mit Ihnen aufsetzen, um Ihnen Anzeigenplatz für eine gewisse Zeit zu verkaufen. Die Vereinbarung würde eine Klausel für Schadenersatz enthalten, für den Fall, daß Sie den Vertrag brechen. Wenn Sie dann nicht allen Anzeigenplatz brauchen, können Sie immer den Betrag für Schadenersatz bezahlen.« »Und zwar, sobald ich den Vertrag breche?« »Sicher.« »Ich könnte wohl den Vertrag brechen, sobald er aufgesetzt ist, was?« »Nein, das hätten wir nicht gern. Sie müßten schon ein bis zwei Tage warten.« »Es würde doch wohl nichts unternommen, solange ich warte?« »Natürlich nicht.« Mason musterte Locke kalt. »Schön«, sagte er, »das war’s, weswegen ich hergekommen bin. Jetzt höre ich zu.« Locke stand aus seinem Sessel auf und ging ein paar Schritte auf und ab. »Ich muß die Sache überdenken«, sagte er. Mason nahm seine Uhr aus der Tasche. »Sie haben zehn Minuten dafür.« »Sie sind zu mir gekommen«, sagte Locke, »nicht ich zu Ihnen.« »Seien Sie doch nicht albern«, sagte Mason. »Vergessen Sie nicht, daß ich einen Mandanten repräsentiere. Sie müssen mir einen Vorschlag machen, und ich muß sehen, daß er meinem Mandanten zugestellt wird. Und es wird nicht leicht sein, mit dem Mandanten in Verbindung zu treten.« Locke zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ach, so ist das?« »So ist das«, sagte Mason. »Na, vielleicht könnte ich mich in zehn Minuten entscheiden«, sagte Locke, »aber ich muß mein Büro anrufen.« »Schön«, sagte Mason. »Gehen Sie, und rufen Sie Ihr Büro an. Ich warte hier.« Locke ging sofort zum Aufzug und fuhr hinunter ins -1 8 -
Erdgeschoß. Mason schlenderte zum Geländer des Zwischenstocks und beobachtete, wie er die Halle durchquerte. Locke ging nicht zu den Telefonzellen, sondern verließ das Hotel. Mason fuhr in die Halle und überquerte die Straße. Er stand in einem Hauseingang, rauchte und beobachtete die Häuser auf der anderen Seite. Nach drei oder vier Minuten kam Locke aus einem Drugstore und ging ins Hotel. Mason überquerte die Straße, betrat das Hotel wenige Schritte hinter Locke und folgte ihm, bis er in Höhe der Telefonzellen angelangt war. Dann trat er in eine der Zellen, ließ die Tür offen, streckte seinen Kopf heraus und rief: »Hallo, Locke.« Locke wirbelte erschrocken herum. »Ich habe mir überlegt«, erklärte Mason, »daß ich telefonieren sollte, um meinen Klienten zu informieren, damit ich Ihnen dann sofort Bescheid geben könnte. Aber ich komme nicht durch.« Locke nickte noch voller Mißtrauen. »Lassen Sie’s sein, unsere Zeit ist mehr wert.« Mason zuckte die Schultern und verließ die Zelle. Die beiden fuhren im Aufzug zusammen hinauf und kehrten zu den Sesseln zurück. »Nun?« fragte Mason. »Ich habe mir die Sache überlegt«, sagte Locke und zögerte. »Das habe ich angenommen.« »Wissen Sie«, sagte Locke, »die Angelegenheit, die Sie zur Sprache brachten, ohne Namen zu nennen, könnte politisch große Bedeutung haben.« »Andererseits«, sagte Mason, »könnte das auch nicht der Fall sein - noch immer, ohne Namen zu nennen. Aber es hat keinen Sinn, wenn wir hier sitzen und einander zu übertölpeln -1 9 -
versuchen. Was ist Ihr Preis?« »Der Anzeigenkontrakt müßte eine Klausel haben, daß im Falle eines Vertragsbruches zwanzigtausend Dollar als Schadenersatz zu zahlen wären.« »Sie sind verrückt!« rief Mason aus. Frank Locke zuckte die Achseln. »Sie waren derjenige, der Platz für Anzeigen kaufen wollte«, sagte er. »Ich wüßte nicht, daß ich sehr versessen drauf wäre, ihn Ihnen zu verkaufen.« Mason stand auf. »Sie scheinen gar nichts verkaufen zu wollen«, beme rkte er. Er ging zum Aufzug. Locke folgte ihm. »Vielleicht wollen Sie ein andermal wiederkommen«, sagte Locke. »Unsere Preise sind flexibel.« »Soll das heißen, daß sie fallen?« »Das soll heißen, daß sie nur steigen können, in diesem Fall.« »Oho.« Mason blieb plötzlich stehen, machte auf dem Absatz kehrt und starrte Locke an. »Hören Sie«, sagte er. »Ich weiß genau, gegen was ich anrenne. Und ich sage Ihnen hier in diesem Augenblick, daß Sie damit nicht durchkommen.« »Womit nicht durchkommen?« fragte Locke. »Sie wissen verdammt genau, womit Sie nicht durchkommen werden«, sagte Mason erbost. »Bei Gott! Ihr Kerle habt lange genug ein Erpresserblatt betrieben und die Leute gezwungen, euch aus der Hand zu fressen. Ich sage Ihnen hier auf den Kopf zu, daß Sie scheitern werden.« Locke gewann allmählich etwas von seiner Gelassenheit zurück; er zuckte die Achseln. »Das haben schon andere vor ihnen versucht«, bemerkte er. »Schön«, sagte Mason, »wenn Sie nur wissen, was ich meine. Ich stelle euch Kerlen ab sofort nach.« Locke lächelte. »Ausgezeichnet. Inzwischen seien Sie doch so gut, den Aufzugsknopf zu drücken oder mir aus dem Weg zu -2 0 -
gehen, damit ich ihn drücken kann.« Mason drehte sich um und drückte auf den Knopf. Schweigend fuhren sie hinunter und durchschritten die Halle. Als sie die Straße erreichten, sagte Locke: »Wir sollten den Streit vergessen.« Perry Mason drehte ihm den Rücken. »Das könnte Ihnen so passen«, sagte er.
3 Perry Mason saß in seinem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Seine Gesichtszüge verrieten gesammelte Konzentration, er wirkte wie ein Boxer, der in seiner Ecke sitzt und wartet, bis der Gong ertönt. Trotzdem zeigte er kein Zeichen von Nervosität. Der einzige Hinweis auf die Spannung, in der er sich befand waren die Zigaretten, die er seit mehr als einer Stunde pausenlos geraucht hatte. Direkt gegenüber auf der Straßenseite stand das Gebäude, in dem sich die Redaktion des Spicy Bits befand. Mason hatte die letzte Zigarette seines Päckchens halb ausgeraucht, als Frank Locke aus dem Haus trat. Locke ließ die Augen umherschweifen; sie schienen nach nichts Besonderem zu suchen, sondern nur gewohnheitsmäßig herumzuspähen. Perry Mason schleuderte die Zigarette fort und trat aufs Gas. Die leichte Limousine glitt von der Bordkante in den Verkehr. Locke wandte sich nach rechts und winkte einem Taxi. Mason blieb dicht hinter dem Wagen, bis der Verkehrsstrom dünner wurde und ihn zwang, weiter zurückzubleiben. Frank Locke stieg vor einem Häuserblock aus, bezahlte das Taxi und ging in eine Kneipe. Perry Mason parkte einen halben Häuserblock weiter und nahm ein frisches Paket Zigaretten in Angriff. -2 1 -
Frank Locke hielt sich eine Dreiviertelstunde in der Kneipe auf. Dann kam er heraus, sah sich schnell um und ging zur Straßenecke. Der Alkohol hatte ihm eine gewisse Sicherheit verliehen, so daß er sich aufrechter hielt. Perry Mason beobachtete ihn, wie er ein Taxi herbeiwinkte und hineinkletterte. Er folgte ihm, bis er vor einem Hotel ausstieg. Dann parkte er, trat in die Hotelhalle und sah sich vorsichtig um. Keine Spur von Locke. Mason besah sich die Halle. Das Hotel gehörte zu der einfachen Kategorie, die von Vertretern und Verbänden frequentiert wird. Eine Reihe von Telefonzellen wurde von einer Telefonistin an einem Schreibtisch bedient. Es waren eine ganze Menge Leute in der Halle. Perry Mason musterte sie, während er langsam und vorsichtig zwischen ihnen hindurch zum Empfangsschalter ging. »Können Sie mir wohl sagen«, fragte er den Hotelangestellten am Empfang, »ob Frank Locke hier wohnt?« Der Mann fuhr mit einem Finger über die Namenkartei: »Wir haben einen John Lock.« »Nein«, sagte Mason, »es handelt sich um Frank Locke.« »Der wohnt nicht bei uns«, sagte der Angestellte, »tut mir leid.« »Das macht nichts«, sagte Mason und wandte sich ab. Er sah in das Speisezimmer auf der anderen Seite der Halle, wo einige Leute an kleinen Tischen saßen, aber Locke war nicht darunter. Im Untergeschoß war ein Friseurladen, und Mason ging die Treppe hinunter und spähte durch die Glaswand. Locke saß im dritten Sessel von hinten. Sein Gesicht war mit heißen Tüchern bedeckt. Mason erkannte ihn am Tweedanzug und den hellbraunen Schuhen. Mason kehrte in die Halle zurück. Er ging zu dem Mädchen am Telefontisch. -2 2 -
»Werden alle Telefongespräche in den Zellen von Ihnen vermittelt?« fragte er. Sie nickte. »Fein. Ich kann Ihnen verraten, wie Sie leicht zwanzig Dollar verdienen könnten.« Sie starrte ihn an. »Machen Sie sich über mich lustig?« Mason schüttelte den Kopf. »Ich brauche eine Telefonnummer, das ist alles.« »Wie meinen Sie das?« »Einfach so«, sagte Mason. »Ich werde einen Mann anrufen. Er wird das Gespräch wahrscheinlich nicht gleich annehmen, aber wird später heraufkommen, um es zu bekommen. Er ist jetzt beim Friseur. Nachdem er mit mir gesprochen hat, wird er eine Nummer anrufen. Ich möchte diese Nummer wissen.« »Aber wenn er das Gespräch nicht hier anmeldet?« fragte das Mädchen. »Dann haben Sie Ihr Bestmögliches getan und kriegen die zwanzig Dollar trotzdem.« »Ich darf keine Informationen weitergeben«, protestierte das Mädchen. »Deshalb bekommen Sie ja zwanzig Dollar dafür«, sagte Mason lächelnd. »Dafür, und damit Sie das Gespräch anhören.« »O nein, ich könnte nicht ein Gespräch belauschen und Ihnen sagen, was gesprochen wurde.« »Das brauchen Sie auch nicht. Ich werde Ihnen sagen, was gesprochen wird. Ich will mich nur vergewissern, daß die Nummer, die ich bekomme, auch die richtige ist.« Sie zögerte, sah sich verstohlen um. Perry Mason nahm zwei Zehndollarscheine aus der Tasche, faltete sie und drehte sie langsam zu einer Rolle zusammen. Der Blick des Mädchens blieb fasziniert daran haften. -2 3 -
»In Ordnung«, sagte sie endlich. Mason reichte ihr die zwanzig Dollar. »Der Mann heißt Locke«, sagte er ihr, »ich werde in etwa zwei Minuten anrufen und ihn suchen lassen. Das Gespräch, dem Sie zuhören sollen, wird folgendermaßen verlaufen: Locke wird jemand anrufen und fragen, ob es in Ordnung ist, vierhundert Dollar für den Namen einer Frau zu zahlen. Der Angerufene wird ihm sagen, es geht in Ordnung.« Das Mädchen nickte langsam. »Gehen ankommende Gespräche auch über Sie?« fragte Mason. »Nur wenn Sie Anschluß dreizehn verlangen.« »Ich werde also Anschluß dreizehn verlangen.« Er grinste sie an und ging hinaus. Im nächsten Häuserblock fand er einen Drugstore mit einem Amtstelefon. Er wählte die Nummer des Hotels und verlangte Anschluß dreizehn. »Schön«, sagte er, als er die Stimme des Mädchens hörte, »ich verlange Frank Locke. Lassen Sie ihn suchen und sagen Sie ihm bestimmt, daß er den Anruf bei Ihnen entgegennehmen soll. Er wird wahrscheinlich nicht gleich kommen, aber ich warte.« »Kapiert«, sagte das Mädchen. Er blieb etwa zwei Minuten in der Leitung, dann sagte die Stimme des Mädchens: »Er läßt um Ihre Nummer bitten, er wird Sie zurückrufen.« »Ausgezeichnet«, sagte Mason, »die Nummer ist Harrison 2 38 50. Aber sagen Sie dem Pagen, daß er den Anruf bestimmt bei Ihnen machen soll.« »Sicher, sorgen Sie sich nicht darum.« »Sagen Sie ihm, er soll Mr. Smith unter dieser Nummer verlangen.« »Keine Vornamen?« »Nein, einfach Smith und die Nummer. Das ist alles.« -2 4 -
»In Ordnung«, sagte sie, »ich habe kapiert.« Mason legte auf. Er mußte etwa zehn Minuten warten, bis das Telefon läutete. Er meldete sich mit einer hohen zänkischen Stimme und hörte Locke am anderen Ende der Leitung vorsichtig sprechen. »Hören Sie«, sagte Mason mit Fistelstimme, »es darf keine Mißverständnisse in dieser Sache geben. Sind Sie Frank Locke von Spicy Bits?« »Ja«, erwiderte Locke, »aber wer sind Sie und wie haben Sie herausgefunden, wo Sie mich erreichen?« »Ich kam zwei Minuten, nachdem Sie fortgegangen waren, in Ihr Büro, und man sagte mir, daß ich Sie in einer Kneipe auf der Webster Street oder später hier im Hotel finden würde.« »Woher wußten die das in Dreiteufels Namen?« »Weiß ich doch nicht. Sie haben es mir gesagt, und damit basta.« »Na, und was wollen Sie?« »Spitzen Sie die Ohren«, fistelte Mason, »ich weiß, daß Sie über Geschäfte nicht am Telefon reden mögen, aber dies eilt. Ich kann Ihnen was erzählen, das sehr wertvoll für Sie ist. Nicht über Telefon, und wenn Sie’s nicht haben wollen, habe ich noch einen anderen Markt für Informationen. Ich will bloß wissen, ob Sie interessiert sind oder nicht. Würden Sie gerne wissen, wer die Frau ist, die gestern abend mit Harrison Burke zusammen war?« Ein paar Sekunden schwieg das Telefon. »Wir sind ein Blatt, das pikante Neuigkeiten über prominente Leute bringt, und wir sind immer über Informationen erfreut, die neu sind.« »Servieren Sie mir keinen Quatsch. Sie wissen, was passiert ist, und ich weiß es auch. Eine Liste wurde aufgestellt und Harrison Burkes Name fortgelassen. Ebenso der Name der Frau -2 5 -
in seiner Begleitung. Ist Ihnen der absolut stichhaltige Nachweis, wer die Frau war, tausend Dollar wert?« »Nein«, sagte Locke entschieden. »Na schön«, sagte Mason hastig, »wie ist es mit fünfhundert Dollar?« »Nein.« »Ich will Ihnen mal was sagen«, winselte Mason, »sie kriegen Sie für vierhundert Dollar. Aber das ist der absolute Mindestpreis. Ich habe einen anderen Abnehmer, der dreihundertfünfzig bietet. Es war eine Menge Mühe, Sie zu finden, und wenn Sie einsteigen wollen, kostet es Sie vierhundert.« »Vierhundert ist ein Haufen Geld.« »Meine Information ist auch einen Haufen wert«, erwiderte Mason. »Sie müßten mir etwas mehr als die Information geben«, sagte Locke. »Ich brauche Beweise, falls wir wege n Verleumdung verklagt werden.« »Natürlich. Sie geben mir die vierhundert erst, wenn ich Ihnen den Beweis liefere.« Locke schwieg ein paar Sekunden. Dann sagte er: »Ich muß es mir in Ruhe überlegen. Ich werde Sie zurückrufen.« »Ich warte unter dieser Nummer. Rufen Sie hier an.« Mason legte auf. Er saß auf einem Hocker an der Eiscremebar und trank ein Glas Mineralwasser, ohne sich zu beeilen. Seine Augen waren nachdenklich, aber seine ganze Haltung blieb gelassen. Nach sechs bis sieben Minuten läutere das Te lefon wieder. »Smith hier«, fistelte Mason. »Wir sind bereit, den Preis zu bezahlen«, kam Lockes Stimme über den Draht, »vorausgesetzt, daß wir einen stichhaltigen -2 6 -
Beweis erhalten.« »In Ordnung«, sagte Mason. »Seien Sie morgen vormittag in Ihrem Büro, ich werde dort Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Aber machen Sie keinen Rückzieher, denn ich weise jetzt die dreihundertfünfzig zurück.« »Hören Sie, ich würde Sie gern noch heute abend sehen und die Sache gleich abwickeln.« In Lockes Stimme schwang Aufregung. »Das geht nicht«, teilte ihm Mason mit. »Ich könnte Ihnen zwar heute abend die Information geben, aber die Beweise habe ich erst morgen.« »Sie könnten mir doch den Namen heute abend nennen«, beharrte Locke. »Ich würde Sie dann morgen bezahlen, wenn Sie den Beweis bringen.« Mason lachte spöttisch. »Ich kann also auch Märchen erzählen?« »Na schön«, sagte Locke gereizt, »machen Sie, was Sie wollen.« »Danke«, kicherte Mason, »genau das werde ich.« Er legte auf. Er ging zu seinem Wagen und saß dort fast eine halbe Stunde. Dann kam Locke mit einer jungen Frau aus dem Hotel. Er sah zufrieden und selbstgefällig aus wie ein Mann von Welt, der sich an seiner eigenen Versiertheit freut. Die junge Frau in seiner Begleitung war nicht über einundzwanzig, wenn man nach ihrem Gesicht urteilte. Sie war gut proportioniert und verstand es, ihre Figur zur Geltung zu bringen. Ihre Kleider waren kostspielig, ihr Make- up war eine Kleinigkeit zu stark. Zweifellos eine Schönheit, wenn auch auf etwas gewöhnliche Art. Perry Mason wartete, bis sie in ein Taxi gestiegen waren, dann ging er ins Hotel an den Telefonschalter. -2 7 -
Das Mädchen sah mit ängstlichen Augen zu ihm auf und zog verstohlen ein Stück Papier aus ihrer Bluse, auf das die Telefonnummer 629803 gekritzelt war. Perry Mason nickte ihr zu und steckte das Papier ein. »Verlief das Gespräch so, wie ich voraussagte? Wenn nicht, brauchen Sie nur den Kopf zu schütteln.« Sie schlug die Augen nieder und nickte. »Das ist alles, was ich wissen wollte«, grinste Mason und wandte sich zum Gehen.
4 Perry Mason betrat das Detektivbüro des Polizeipräsidiums. »Ist Drumm da?« fragte er. Einer der Männer nickte und wies mit dem Daumen auf eine Tür, die nach innen führte. Perry Mason trat in ein verräuchertes Büro, in dem Polizisten in Hemdsärmeln tippten, telefonierten oder sich unterhielten. »Sidney Drumm«, sagte er zu einem Mann, der auf der Ecke eines Schreibtisches saß und rauchte. Jemand brüllte: »Drumm, komm raus!« Eine Tür öffnete sich, und Sidney Drumm blickte sich im Zimmer um, bis er Perry Mason erkannte, worauf sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. »Hallo, Perry«, sagte er. Er war ein hochgewachsener, dünner Mann mit hohen Backenknochen und blassen Augen. Mason winkte ihm zur Tür. »Ich glaube, ich habe was für dich, Sidney.« »Schön«, sagte Drumm. »Komme gleich.« Mason nickte und ging auf den Korridor hinaus. Nach ein paar Minuten gesellte sich Sidney Drumm zu ihm. »Leg los«, sagte er. -2 8 -
»Ich jage hinter einem Zeugen in einer Sache her, die wertvoll für euch sein könnte«, sagte Mason. »Ich weiß noch nicht, was dabei herauskommt. Im Augenblick arbeite ich für eine Mandantin und möchte Auskunft über eine Telefonnummer.« »Was für eine Telefonnummer?« »629803«, sagte Mason. »Wenn meine Vermutungen stimmen, ist der Teilnehmer mit allen Wassern gewaschen, so daß wir nicht mit der abgedroschenen Methode von der falschen Verbindung bei ihm landen können. Wahrscheinlich ist es überhaupt eine Geheimnummer. Du mußt sie direkt aus dem Register der Telefongesellschaft kriegen, und ich habe so eine Ahnung, daß es besser wäre, wenn du’s persönlich tätest.« »Mensch, du hast Nerven«, sagte Drumm. Perry Mason sah so gekränkt aus, bis Drumm grinste. »Warte, bis ich meinen Hut geholt habe. Wollen wir deinen oder meinen Wagen nehmen?« »Lieber beide«, meinte Mason. »Es könnte sein, daß ich nicht mit zurückkomme.« »Schön, wir treffen uns unten.« Mason ging hinunter und fuhr in seinem Wagen zur Zentrale der Telefongesellschaft. Drumm war in seinem Polizeiwagen noch vor ihm dort. »Ich habe mir überlegt«, sagte Drumm, »daß es besser wäre, wenn du nicht mit mir hinaufgingst. Deshalb war ich schon oben und habe das Geheimnis für dich gelöst.« »Wer ist es?« »George C. Belter«, sagte Drumm, »und die Adresse ist: 556 Elmwood. Du hattest recht mit deiner Vermutung, daß es eine Geheimnummer ist. Sie gilt als absolut dicht. Die Informationsstelle darf nicht einmal die Nummer herausgeben, geschweige denn irgendwelche Auskünfte erteilen. Vergiß also bitte, wo du sie herhast.« -2 9 -
»Natürlich«, stimmte Mason zu, bedankte sich und stieg in seinen Wagen. Mit grimmigem Gesicht trat er auf den Anlasser und fuhr zum Elmwood Drive. Die Straße lag in einem der nobleren Wohnviertel, die Häuser waren von Rasen, gepflegten Bäumen und Hecken umgeben. Mason hielt vor Nummer 556. Es war eine prunkvolle Villa auf einer Anhöhe mit einem Garten, der die Pracht des Hauses zur Geltung brachte. Die Nachbarhäuser lagen weit entfernt. Mason fuhr nicht in die Auffahrt, sondern parkte auf der Straße und ging zu Fuß zur Haustür. Ein Licht brannte über dem Eingang. Der Abend war schwül, und Myriaden Insekten schwirrten um das Licht und schlugen mit ihren Flügen gegen die Milchglaskugel. Als er zum zweitenmal geläutet hatte, öffnete ein Butler die Tür. Perry Mason holte eine seiner Visitenkarten aus der Tasche und überreichte sie ihm. »Mr. Belter erwartet mich nicht«, sagte er. »Aber er wird mich empfangen.« Der Butler warf einen Blick auf die Karte und trat beiseite. »Sehr wohl, Sir. Wollen Sie bitte eintreten, Sir.« Perry Mason schritt in ein Empfangszimmer, und der Butler zeigte auf einen Sessel. Mason konnte hören, wie er die Treppe hinaufstieg. Dann hörte er Stimmen vom oberen Flur und die Schritte des Butlers, der wieder herunterkam. »Verzeihen Sie, Sir, Mr. Belter scheint Sie nicht zu kennen. Könnten Sie mir vielleicht sagen, in welcher Angelegenheit Sie ihn sprechen wollen?« Mason sah ihm in die Augen und sagte kurz: »Nein.« Der Butler wartete einen Augenblick, ob Mason noch etwas hinzufügen würde. Als nichts erfolgte, ging er die Treppe wieder hinauf. Diesmal vergingen drei bis vier Minuten. Als er zurückkehrte, war sein Gesicht hölzern. -3 0 -
»Bitte kommen Sie hier entlang«, sagte er, »Mr. Belter möchte Sie empfangen.« Mason folgte ihm die Treppe hinauf in ein Wohnzimmer, das offenbar zu einer Suite gehörte, die sich vom Flur über einen ganzen Flügel des Hauses erstreckte. Das Zimmer war behaglich, aber stillos eingerichtet. Die Tür zu einem inneren Zimmer sprang auf, und ein riesiger Mann stand auf der Schwelle. Perry Mason konnte an ihm vorbei in das Zimmer sehen, aus dem er in Erscheinung getreten war. Es war ein Arbeitszimmer mit Buchregalen längs der Wände, einem massiven Schreibtisch und einem Drehstuhl in einer Ecke; dahinter konnte man in ein gekacheltes Badezimmer blicken. Der Mann trat ins Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Er war ein Riese mit fettem teigigem Gesicht und Ringen unter den Augen. Er hatte einen tiefen Brustkasten und breite Schultern, die Hüften dagegen waren schmal, und Mason gewann den Eindruck, daß die Beine zu dünn seien. Die Augen, hart wie Diamanten und eiskalt, beherrschten das Bild. Ein paar Sekunden stand der Mann neben der Tür und starrte Mason an. Dann kam er näher, und sein Gang verstärkte den Eindruck, daß seine Beine Mühe hatten, den schweren Rumpf zu tragen. Mason taxierte ihn auf Ende Vierzig. »Mr. Belter?« fragte er. Der Mann nickte, stellte sich breitbeinig und starrte Mason an. »Was wollen Sie?« fuhr er ihn an. »Ich bedauere, in Ihr Haus kommen zu müssen«, sagte Mason, »aber ich muß etwas Geschäftliches mit Ihnen besprechen.« »Worüber?« »Über eine gewisse Geschichte, die Spicy Bits zu veröffentlichen droht. Ich will nicht, daß sie erscheint.« -3 1 -
Unbewegt starrten die diamantharten Augen Mason an. »Warum kommen Sie deshalb hierher?« »Weil ich glaube, daß Sie der richtige Mann sind.« »Ich bin es nicht. Ich weiß nichts über Spicy Bits, auch wenn ich das Blatt ab und zu lese. Es ist ein dreckiger, erpresserischer Fetzen, wenn Sie mich fragen.« Masons Augen wurden hart. »Schön«, sagte er, »ich frage Sie nicht, ich teile es Ihnen mit.« »Teilen mir was mit?« fragte Belter. »Ich teile Ihnen mit, daß ich Anwalt bin und einen Mandanten vertrete, den Spicy Bits zu erpressen versucht. Ich teile Ihnen mit, daß ich nicht beabsichtige, den verlangten Preis zu zahlen, und ich teile Ihnen weiter mit, daß ich keinen verdammten Anzeigenplatz in Ihrem Blatt kaufen werde, und daß Ihr Blatt die Geschichte über meinen Klienten nicht veröffentlichen wird. Schlucken Sie das und richten Sie sich danach.« Belter lachte höhnisch. »Es geschieht mir recht«, sagte er, »warum empfange ich auch den ersten besten Winkeladvokaten, der an meine Tür hämmert? Ich hätte Sie vom Butler rauswerfen lassen sollen. Sie sind entweder betrunken oder verrückt. Ich persönlich glaube, beides. Werden Sie jetzt gehen oder soll ich die Polizei rufen?« »Ich werde gehen, wenn ich gesagt habe, was ich sagen will. Sie haben sich im Hintergrund gehalten und Locke zum Sündenbock gemacht; er mußte für alles herhalten. Sie saßen nur im Hintergrund und heimsten das Bargeld ein. Sie haben aus Erpressung Dividende bezogen, aber jetzt werden Sie zur Kasse gerufen.« Belter stand und starrte Mason an, ohne ein Wort zu sagen. »Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wer ich bin, oder ob Sie wissen, was ich will«, fuhr Mason fort, »aber Sie können es ziemlich schnell herausfinden, wenn Sie sich mit Locke in -3 2 -
Verbindung setzen. Ich erkläre Ihnen: Wenn Spicy Bits irgend etwas über meinen Mandanten veröffentlicht, werde ich dem Mann, dem der verdammte Fetzen gehört, die Maske vom Gesicht reißen. Haben Sie mich verstanden?« »Schön«, sagte Belter, »Sie haben Ihre Drohung angebracht, jetzt hören Sie meine. Ich weiß nicht, wer Sie sind, und es ist mir auch verdammt egal. Vielleicht ist Ihr Ruf so fleckenlos, daß Sie herumgehen können und den Leuten drohen. Vielleicht ist er das aber auch nicht. Vielleicht täten Sie gut daran, Ihren eigenen Zaun zu bewachen, bevor Sie anfangen, Schmutz über den von anderen Leuten zu werfen.« Mason nickte. »Natürlich«, sagte er, »das habe ich erwartet.« »Dann werden Sie wenigstens nicht enttäuscht«, spottete Belter. »Aber halten Sie das nicht für ein Eingeständnis, daß ich etwas mit Spicy Bits zu tun habe. Ich weiß überhaupt nichts davon, und will auch nichts wissen. Jetzt machen Sie, daß sie rauskommen!« Mason drehte sich um und schritt durch die Tür. Der Butler stand auf der Schwelle und sagte zu Belter: »Verzeihen Sie, Sir, Ihre Gattin möchte Sie sehr gerne sprechen, bevor sie ausgeht, und sie ist gerade dabei, das Haus zu verlassen.« Belter ging zur Tür. »Schön«, sagte er. »Sehen Sie sich diesen Mann gut an, Digley. Wenn Sie ihn jemals wieder auf unserem Grundstück sehen, werfen Sie ihn hinaus. Rufen Sie einen Polizisten, wenn nötig.« Mason drehte sich um und starrte den Butler an. »Besser zwei Polizisten, Digley«, bemerkte er. »Sie könnten sie brauchen.« Er schritt gemächlich die Treppe hinunter, wußte aber, daß beide Männer ihm auf dem Fuß folgten. Als er den unteren Flur erreichte, glitt eine Frau aus der Ecke neben der Tür. »Ich störe dich hoffentlich nicht, George«, sagte sie, »aber...« -3 3 -
Ihre Augen trafen auf Perry Mason. Sie war die Frau, die Mason in seinem Büro besucht und sich dort Eva Griffin genannt hatte. Ihr Gesicht verlor die Farbe, die blauen Augen wurden vor Furcht ganz dunkel. Dann nahm sie sich zusammen und riß die Augen zu dem unschuldsvollen Babyblick auf, den sie in Masons Büro praktiziert hatte. Masons Gesicht zeigte keine Reaktion. Er blickte sie heiter und gelassen an. »Was ist los?« fragte Belter. »Nichts«, sagte sie, und ihre Stimme klang dünn und furchtsam. »Ich wußte nicht, daß du Besuch hast. Tut mir leid, daß ich gestört habe.« »Du brauchst keine Rücksicht auf ihn zu nehmen«, sagte Belter, »er ist nur ein Winkeladvokat, der unter falschem Vorwand hereingekommen ist und jetzt schleunigst verschwindet.« Mason wirbelte auf dem Absatz herum. »Hören Sie zu«, sagte er grimmig, »ich werde Ihnen...« Der Butler packte seinen Arm. »Hier entlang, Sir«, sagte er. Masons kraftvolle Schultern machten eine Schwenkung, wie beim Golfspiel. Der Butler wurde durch den Flur geschleudert und schlug mit solcher Wucht gegen die Wand, daß die Bilder wackelten. Mit großen Schritten ging Perry Mason direkt auf die massige Gestalt George Belters zu. »Ich hatte vor, Ihnen eine Chance zu geben«, sagte er, »aber ich habe meine Absicht geändert. Veröffentlichen Sie ein Wort in Ihrem Schmutzblatt über meinen Mandanten, und Sie wandern für zwanzig Jahre ins Gefängnis. Haben Sie verstanden?« Die kieselharten Augen starrten ihn an. George Belters Hand war in seiner Tasche. -3 4 -
»Gut für Sie«, sagte er, »daß Sie stehengeblieben sind. Machen Sie noch eine Bewegung, und ich schieße Sie über den Haufen. Ich habe Zeugen dafür, daß es Notwehr ist, und wahrscheinlich wäre es sowieso das Richtige.« »Bemühen Sie sich nicht«, sagte Mason unbeeindruckt. »Sie können mich nicht aufhalten. Andere wissen, was ich weiß, und auch, wo ich bin und warum.« Er machte auf dem Absatz kehrt.
5 Eva Belter saß in Perry Masons Privatbüro und weinte leise in ihr Taschentuch. Perry Mason saß in Hemdsärmeln hinter seinem Schreibtisch und beobachtete sie ohne jede Sympathie. »Sie hätten das nicht tun sollen«, schnüffelte sie in ihr Taschentuch. »Woher hätte ich es denn wissen sollen?« fragte Perry Mason. »Er kennt kein Erbarmen!« Mason nickte. »Ich kann auch ganz schön brutal sein.« »Warum haben Sie denn nicht die Anzeige in den Examiner eingerückt?« »Man verlangte zuviel Geld.« »Sie wußten aber, daß es wichtig war«, jammerte sie. »Es steht so viel auf dem Spiel!« Mason schwieg. Sie weinte noch eine Weile, blickte dann auf und starrte den Anwalt in stummer Verzweiflung an. »Sie hätten ihm niemals drohen dürfen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Sie hätten nicht ins Haus kommen sollen. Mit Drohungen erreicht man bei ihm gar nichts. Sooft er in die Ecke getrieben wurde, hat er sich immer einen Ausweg erkämpft. Er verlangt keine Schonung und kennt selber kein Erbarmen.« -3 5 -
»Na, was wird er denn nun tun?« fragte Mason. »Er wird Sie ruinieren«, schluchzte sie. »Er wird jeden Prozeß ausgraben, in dem Sie aufgetreten sind, und wird Sie beschuldigen, die Jury bestochen, einen Meineid geschworen oder sich nicht fachmännisch verhalten zu haben. Er wird Sie aus der Stadt hetzen.« »Im Augenblick, da er etwas über mich in seinem Blatt bringt«, sagte Mason grimmig, »werde ich ihn wegen Verleumdung verklagen, und ich werde jedesmal eine neue Klage anstrengen, wenn er meinen Namen erwähnt.« Sie schüttelte den Kopf, während ihr noch Tränen über die Wangen rollten. »Das wird Ihnen nicht gelingen«, sagte sie. »Er ist zu gerissen. Er hat Anwälte, die ihm genau sagen, wie weit er gehen kann und was er unterlassen muß. Er wird Sie von hinten anfallen.« Perry Mason trommelte auf den Schreibtisch. »Quatsch.« »Oh, warum«, lamentierte sie, »warum sind Sie nur herausgekommen? Warum haben Sie nicht einfach eine Anzeige in die Zeitung gesetzt?« Mason stand auf. »Jetzt habe ich aber genug davon«, sagte er. »Ich bin hingegangen, weil ich es für einen guten Schachzug hielt. Dieses verdammte Blatt versuchte, mich auszunehmen, und ich lasse mich von niemandem ausnehmen. Ihr Mann mag brutal sein, aber ich bin das notfalls auch. Ich habe noch nie um Pardon gebeten, und ich werde auch keinen geben.« Er machte eine Pause und sah sie vorwurfsvoll an. »Wären Sie aufrichtig zu mir gewesen, wäre all dies nicht passiert. Aber Sie mußten herkommen und mir eine Lügengeschichte auftischen, und daher sitzen wir jetzt in der Patsche. Die Verantwortung tragen Sie, nicht ich.« -3 6 -
»Ach bitte, seien Sie mir nicht böse, Mr. Mason«, bettelte sie. »Sie sind alles, was ich jetzt habe. Es ist eine fürchterliche Situation, und Sie müssen mich herausholen.« Er setzte sich wieder hin. »Dann lügen Sie mich aber nicht mehr an.« Sie sah auf ihre Knie, zog den Saum des Kleides herunter und legte mit den behandschuhten Fingerspitzen den Stoff in kleine Falten. »Was wollen wir machen?« fragte sie. »Als allererstes«, sagte er hart, »werden Sie mir frei von der Leber weg alles erzählen.« »Aber Sie wissen doch schon alles.« »Schön«, sagte Mason, »dann sagen Sie mir, was ich weiß, damit ich vergleichen kann.« Sie zog die Stirn in Falten. »Ich verstehe nicht.« »Los«, drängte Mason, »spucken Sie’s aus. Erzählen Sie mir die ganze Sache.« Ihre Stimme klang dünn und hilflos. Sie faltete immer noch ihren Rocksaum über den Knien und sah ihn nicht an, während sie sprach. »Niemand wußte bis jetzt von George Belters Verbindung mit Spicy Bits. Er war so vorsichtig, daß niemand auch nur den leisesten Verdacht hatte. Im Büro wußte es nur Frank Locke. Und George hatte Locke in der Hand. Er weiß irgend etwas Furchtbares von ihm. Ich weiß nicht genau, was es ist. Vielleicht ist es Mord. Jedenfalls hat niemand von unseren Freunden die leiseste Ahnung. Sie haben immer geglaubt, daß George sein Geld an der Börse verdient. Ich heiratete George Belter vor sieben Monaten und bin seine zweite Frau. Ich glaube, ich war von ihm und seinem Geld verhext. Aber wir sind nie gut miteinander ausgekommen. In den letzten beiden Monaten standen wir auf gespanntem Fuß. Ich hatte vor, die Scheidung -3 7 -
einzureichen, und ich glaube, er wußte es.« Sie machte eine Pause, um Perry Mason anzustarren, aber sie sah keine Anteilnahme in seinen Augen. »Ich bin mit Harrison Burke befreundet«, fuhr sie fort, »seit etwa zwei Monaten. Es war nur eine Freundschaft, nicht mehr. Wir gingen zusammen aus, und da passierte dieser Mord. Natürlich wäre es der Ruin von Harrison Burkes politischer Karriere gewesen, wenn er meinen Namen hätte nennen müssen, denn George hätte mich sofort verklagt und ihn als den Mitschuldigen angegeben. Ich mußte es einfach verheimlichen.« »Vielleicht hätte es Ihr Mann nie herausgefunden«, meinte Mason. »Der Staatsanwalt ist ein Ehrenmann. Burke hätte ihm die Sache vortragen können, dann hätte der Staatsanwalt Sie nicht vorgeladen.« »Sie haben ja keine Ahnung, wie dieses Blatt vorgeht«, erklärte sie. »Ich weiß selber nicht genau Bescheid, aber sie haben überall Spitzel. Sie kaufen stückweise Informationen und Stöbern Klatsch auf, wo sie können. Sobald jemand so prominent wird, daß er Aufmerksamkeit erregt, geben sie sich große Mühe, möglichst alles über ihn zu erfahren. Harrison Burke ist politisch prominent, und er wird für die Wiederwahl kandidieren. Sie mögen ihn nicht, und Burke weiß das. Ich hörte, wie mein Mann mit Frank Locke telefonierte, und wußte sofort, daß sie der Information auf der Spur sind. Deshalb kam ich zu Ihnen. Ich wollte, daß Sie ihnen die Geschichte abkaufen, bevor sie eine Ahnung hatten, wer da mit Burke zusammen war.« »Wenn Ihre Freundschaft mit Burke so harmlos war, warum gehen Sie dann nicht zu Ihrem Gatten und schildern ihm die Lage? Schließlich ist es ja sein eigener Name, den er durch den Schmutz zieht.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Sie sind völlig auf dem Holzweg«, protestierte sie. »Sie -3 8 -
begreifen einfach nicht, wie man meinen Mann behandeln muß. Das haben Sie ja gestern abend bewiesen. Er ist ein brutaler Raufbold, der vor nichts zurückschreckt, wenn es um Geld geht. Wenn ich die Scheidung einreiche, wird er Unterhalt für mich und hohe Prozeßkosten bezahlen müssen. Das weiß er, deshalb ist er darauf versessen, mir den Schwarzen Peter zuzuspielen. Mir einen Fehltritt nachweisen und zugleich Harrison Burkes Namen durch den Dreck ziehen, etwas Besseres könnte ihm gar nicht passieren.« Perry Mason zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Es ist sonderbar, daß sie einen so hohen Preis verlangen«, bemerkte er. »Für politische Erpressung scheint er mir zu hoch. Glauben Sie, daß Ihr Mann oder Frank Locke vermuten, wem sie auf der Spur sind?« »Ganz bestimmt nicht.« Eine Weile war es still im Zimmer, während sie beide über ihren Gedanken brüteten. »Tja«, sagte Mason schließlich, »was machen wir nun? Zahlen wir den Preis?« »Es wird keinen Preis mehr geben. George wird jede Verhandlung ablehnen und es auf einen Kampf ankommen lassen. Er bildet sich ein, daß er es sich nicht leisten kann, Ihnen entgegenzukommen. Er glaubt, daß Sie ihn zu Tode hetzen würden, wenn er nachgibt. Das ist seine eigene Art, und er erwartete sie von allen anderen. Er kann einfach nicht nachgeben, das liegt nicht in seiner Natur.« Mason nickte grimmig. »Na schön, wenn er kämpfen will, ich bin bereit. Als erstes werde ich Spicy Bits verklagen, sobald sie meinen Namen erwähnen. Ich werde Frank Locke vorladen lassen und ihn zwingen, den wirklichen Inhaber der Zeitung bekanntzugeben oder sich wegen Verleumdung anklagen zu lassen. Es gibt viele Leute, die sich freuen würden, wenn diese Zeitung endlich bekäme, was sie verdient.« -3 9 -
»Ach«, sagte sie, »Sie haben ja keine Ahnung, wie die vorgehen.« Mason wischte das mit einer Geste beiseite. »Sie haben angedeutet«, sagte er dann, »daß Ihr Mann etwas von Frank Locke weiß, das ihn bei der Stange hält. Mir scheint, daß Sie darüber informiert sind. Wie wäre es, wenn Sie mich einweihten? Vielleicht könnte ich dann die Peitsche über Frank Locke schwingen.« Schreckensbleich sah sie ihn an. »Wissen Sie, was Sie da sagen? In was Sie sich einlassen? Man könnte Sie töten und es wäre nicht das erstemal. Sie haben gute Beziehungen zur Unterwelt.« Mason fixierte sie. »Was wissen Sie über Frank Locke?« Sie senkte die Augen. »Nichts«, sagte sie schließlich müde. »Sooft Sie herkommen, lügen Sie mich an«, sagte Mason ungeduldig. »Sie sind eine von diesen Frauen, deren Unschuldsmiene man alles glaubt. Mit Ihrer lausigen Schönheit haben Sie es immer fertiggebracht, davonzukommen. Jetzt sitzen Sie in der Klemme, aber Sie betrügen mich immer noch.« Sie sah ihn voll echter - oder gespielter - Empörung an. »Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen!« »Und ob ich das habe, in Dreiteufelsnamen«, sagte Mason grimmig. Sie starrten sich ein paar Sekunden an. »Es war etwas unten im Süden«, sagte sie dann sanft und sah auf einmal lammfromm aus. »Was?« »Die Schwierigkeit, die Locke hatte. Ich weiß nicht, was es war, und auch nicht, wo. Nur daß es eine üble Angelegenheit war und irgendwo unten im Süden passierte. Es hatte was mit einer Frau zu tun, jedenfalls anfangs. Wie es endete, weiß ich nicht. Vielleicht mit Mord. Jedenfalls weiß ich aber, daß George -4 0 -
wegen dieser Sache Macht über ihn hat. So behandelt George alle Leute. Er bringt etwas über sie in Erfahrung, hält es ihnen vor und zwingt sie zu tun, was er verlangt.« Mason sah sie durchdringend an. »Auch Sie?« »Er versucht es.« »Hat er Sie so zur Heirat gezwungen?« »Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd. »Nein... Ach, was hat das schon zu bedeuten?« Er lachte grimmig. »Vielleicht viel, vielleicht gar nichts. Ich brauche mehr Geld.« Sie öffnete ihre Handtasche. »Ich habe nicht mehr viel. Dreihundert Dollar kann ich Ihnen geben.« Mason schüttelte den Kopf. »Sie haben ein Bankkonto. Ich muß mehr Geld haben, es wird allerhand Unkosten geben. Ich kämpfe jetzt für mich und für Sie.« »Ich kann Ihnen keinen Scheck geben, ich habe kein Bankkonto. Er erlaubt es nicht. Das ist eine seiner Methoden, die Leute in der Gewalt zu behalten. Ich muß mir von ihm Bargeld geben lassen oder es mir auf andere Weise verschaffen.« »Auf welche?« fragte Mason. Sie antwortete nicht, sondern zog eine Geldrolle aus der Tasche. »Dies sind fünfhundert Dollar, und es ist bis auf den letzten Cent alles, was ich besitze.« »Schön«, sagte Mason, »behalten Sie fünfundzwanzig und geben Sie mir den Rest.« Er drückte auf einen Knopf. In der Tür erschien das fragende Gesicht von Della Street. »Schreiben Sie noch eine Quittung für diese Dame aus, genau -4 1 -
wie die vorige.« Della Street hielt das Kinn hoch, als sie das Geld nahm und ins Vorzimmer zurückging. »Wie soll ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen?« fragte Mason. »Das macht keine Schwierigkeiten«, sagte sie rasch. »Rufen Sie das Haus an, verlangen Sie mein Mädchen und sagen Sie ihr, Sie wären der Mann von der Reinigung. Sie könnten das Kleid nicht finden, nach dem ich gefragt hätte. Ich werde sie einweihen, und sie wird mir Ihre Botschaft ausrichten. Dann rufe ich zurück.« »Das kommt wie von einer Platte«, sagte Mason lachend. »Sie müssen es schon oft so gemacht haben.« Unschuldsvoll sah sie zu ihm auf, die Augen weit aufgerissen und voller Tränen. Mason schob seinen Drehstuhl zurück. »In Zukunft«, sagte er belehrend, »können Sie sich die Mühe sparen, dieses unschuldige Babygesicht aufzusetzen, wenn Sie mit mir sprechen. Ich glaube, wir verstehen einander recht gut. Sie sitzen in einer Klemme, und ich versuche, Sie herauszuziehen.« Sie stand langsam auf, sah ihm in die Augen und legte ihm plötzlich die Hände auf die Schultern. »Irgendwie«, flötete sie, »flößen Sie mir Vertrauen ein. Außer Ihnen habe ich noch keinen Mann gekannt, der es mit meinem Mann aufzunehmen wagte. Ich habe das Gefühl, Sie werden mich beschützen.« Er nahm ihren Ellenbogen und drehte sie von sich fort. »Ich werde Sie beschützen«, sagte er, »solange Sie bar bezahlen.« Während er sprach, war er mit ihr zu der Tür gegangen, die in das Vorzimmer führte. Als er die Hand auf die Klinke legte, entwand sie sich seinem Griff. -4 2 -
»Sehr gut«, sagte sie. »Und vielen Dank.« Ihr Ton war formell, beinahe eisig. Perry Mason schloß die Tür hinter ihr, ging zu seinem Schreibtisch und nahm den Telefonhörer auf. Er verlangte Paul Drake und wurde mit ihm verbunden. »Hör zu, Paul«, sagte Mason, »hier ist Perry. Ich habe einen Auftrag für dich, du mußt aber schnell machen. Frank Locke von Spicy Bits ist ein Weiberheld. Er hat eine Mieze drüben im Wheelright Hotel, mit der er herumzieht. Sie wohnt dort. Er geht ab und zu in das Friseurgeschäft und läßt sich schön machen, bevor er mit ihr ausgeht. Er kommt von irgendwoher aus dem Süden, ich weiß nicht genau, aus welcher Ecke. Er war in irgendeine Sache verwickelt, als er dort fortzog. Wahrscheinlich ist Frank Locke nicht sein richtiger Name. Ich möchte, daß du genug Männer auf ihn ansetzt, um herauszufinden, worum es sich handelt. Ihr müßt schnell machen. Wieviel wird es mich kosten?« »Zweihundert Dollar«, tönte Paul Drakes Stimme aus dem Telefon. »Und weitere zweihundert am Ende der Woche, falls ich so lange daran arbeite.« »Ich fürchte, das kann ich nicht auf meine Mandantin abwälzen«, sagte Mason. »Sagen wir, 325 Dollar alles in allem, und handle fair an mir, wenn sich später herausstellt, daß du es auf Spesenkonto buchen kannst.« »Okay«, sagte Mason, »schick sie los!« Als Mason den Hörer sinken ließ, sah er Della Street in der Tür stehen. »Ist sie fort?« fragte er. Della Street nickte. »Diese Frau wird Sie in Schwierigkeiten bringen«, sagte sie. »Das haben Sie mir schon mal erzählt.« -4 3 -
»Und jetzt sage ich es Ihnen wieder.« »Warum?« »Ihr Aussehen und die Art, wie sie sich einer Angestellten gegenüber benimmt, gefallen mir nicht. Sie hat diesen gewissen Snob-Komplex.« »Den haben viele Leute, Della.« »Das weiß ich, aber sie ist anders. Sie weiß überhaupt nicht, was Aufrichtigkeit ist. Die würde sich im Handumdrehen gegen Sie stellen, wenn es ihr nützte.« »Möchte ich ihr nicht geraten haben«, bemerkte Perry Mason zerstreut. Della Street starrte ihn an, dann schloß sie leise die Tür und ließ ihn allein.
6 Harrison Burke war ein großgewachsener Mann, der sich bemühte, distinguiert, und als vielbeschäftigter, einflußreicher Mann zu wirken. Seine Laufbahn im Kongreß war zwar nur mittelmäßig, aber er hatte sich als ›Freund des Volkes‹ ausgewiesen, als er mit einer Klicke von Politikern ein Gesetz durchbrachte, von dem er wußte, daß es nie den Senat passieren oder doch vom Präsidenten abgelehnt werden würde. In seiner Kampagne um einen Sitz im Senat suchte er geschickt die obere Schicht des Bürgertums für sich zu interessieren und ihnen zu verstehen zu geben, daß er im Herzen ein Konservativer sei. Er bemühte sich aber, dies zu erreichen, ohne, seine Gefolgschaft unter den einfachen Leuten zu verlieren. Nun musterte er Perry Mason mit scharfem Blick und sagte: »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.« »Na schön«, sagte Perry Mason, »wenn Sie’s klipp und klar hören wollen: Ich spreche von der Razzia im Beechwood und Ihrer Anwesenheit dort mit einer verheirateten Frau.« -4 4 -
Harrison Burke zuckte zusammen, als habe man ihn geschlagen. Er tat einen tiefen Atemzug, dann setzte er eine Miene auf, die er selber offenbar für undurchsichtig hielt. »Ich glaube«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, »daß man Sie falsch informiert hat. Und da ich heute nachmittag außerordentlich in Anspruch genommen bin, muß ich Sie bitten, mich zu entschuldigen.« Perry Mason trat einen Schritt auf den Schreibtisch des Politikers zu und starrte hinunter in sein Gesicht. »Sie sitzen in der Patsche«, sagte er langsam, »und je rascher Sie mit diesem Affentheater aufhören, um so eher können wir besprechen, wie wir Sie herausziehen.« »Aber ich weiß überhaupt nichts von Ihnen«, protestierte Burke, »Sie haben kein Empfehlungsschreiben oder sonst etwas.« »In diesem Fall«, dozierte Mason, »braucht man keine Ausweise, außer dem Wissen, worum es geht. Und ich habe dieses Wissen. Ich vertrete die Frau, die in Ihrer Begleitung war. Spicy Bits wird die ganze Sache veröffentlichen und verlangen, daß Sie vor dem Staatsanwalt aussagen, wer bei Ihnen war.« Harrison Burke wurde aschgrau im Gesicht. Er lehnte sich über den Schreibtisch, als ob er eine Stütze brauchte. »Was?« stammelte er. »Sie haben gehört, was ich sagte.« »Aber ich hatte keine Ahnung! Sie hat mir nichts gesagt. Ich höre jetzt zum erstenmal davon. Sicher liegt da irgendein Mißverständnis vor.« »Na schön«, sagte Mason, »zerbrechen Sie sich den Kopf noch mal. Es ist kein Mißverständnis.« »Wie kommt es, daß ich durch Sie davon erfahre?« »Wahrscheinlich will die Dame nicht in Ihre Nähe kommen«, sagte Mason. »Sie muß an sich selber denken und versucht, sich -4 5 -
herauszuwinden. Ich tue, was ich kann, und das kostet Geld. Sie gehört wahrscheinlich nicht zu der Sorte, die Ihnen einen Beitrag für den Feldzug abverlangen würde, aber ich tue es.« »Sie wollen Geld?« fragte Burke. »Was sonst, in Dreiteufelsnamen?« Es schien, als ob ihm die Erkenntnis seiner gefährlichen Lage langsam dämmerte. »Mein Gott«, stöhnte er. »Es wäre mein Ruin.« Perry Mason schwieg. »Spicy Bits kann man kaufen«, fuhr der Politiker fort. »Ich weiß nicht genau, wie sie es machen, aber es ist eine Art Geschäft. Man kauft Anzeigenplatz, erfüllt dann den Kontrakt nicht und zahlt Schadenersatz. Sie sind Jurist und sollten es wissen. Und auch, wie man mit ihnen fertig wird.« »Spicy Bits kann jetzt nicht mehr gekauft werden«, sagte Mason. »Zuerst haben sie zuviel verlangt, und jetzt wo llen sie Ihren Kopf. Es ist ein Kampf ohne Pardon.« Harrison Burke richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Mein lieber Mann«, sagte er herablassend, »ich glaube, Sie sind in einem gewaltigen Irrtum befangen. Ich wüßte nicht, warum die Zeitung sich so verhalten sollte.« Mason grinste ihn an. »Sie wissen es nicht?« »Nein, und ich glaube es auch nicht.« »Nun, der Mächtige im Hintergrund bei dieser Zeitung ist George C. Belter. Und die Frau, mit der Sie ausgingen, ist eine Frau, die vorhat, ihn auf Scheidung zu verklagen. Denken Sie das mal durch.« Burkes Gesichtsfarbe erinnerte an Kitt. »Das ist ausgeschlossen«, sagte er. »Belter würde sich nie in eine solche Affäre einlassen. Er ist ein Ehrenmann.« »Vielleicht ist er das, aber das Blatt gehört ihm.« -4 6 -
»Unmöglich«, protestierte Burke. »Es gehört ihm«, beharrte Mason. »Ich teile Ihnen Tatsachen mit. Fangen Sie damit an, was Sie wollen. Es ist nicht meine Beerdigung, sondern Ihre. Sie können aus dieser Sache nur heil herauskommen, wenn Sie Ihre Karten richtig spielen und guten Rat annehmen. Ich bin bereit, Ihnen diesen Rat zu geben.« Harrison Burkes unterdrückte Aufregung äußerte sich in seinen Händen, deren Finger sich unablässig umeinanderschlangen. »Sagen Sie genau, was Sie wollen.« »Man kann diese Bande nur mit ihren eigenen Waffen schlagen. Sie sind Erpresser, und ich werde selbst ein wenig erpressen. Ich bin dabei, eine wichtige Information auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Das kostet Geld. Die Frau hat keines mehr, und ich habe nicht die Absicht, mein eigenes Geld hineinzustecken. Sooft dieser Uhrzeiger seine Runde macht, bedeutet das, daß ich mehr Zeit investiert habe und daß andere Leute mehr Zeit investiert haben. Die Auslagen werden immer höher. Ich sehe nicht ein, warum man Sie nicht auffordern sollte, Ihr Teil beizutragen.« Harrison Burke blinzelte. »Wieviel wird es Ihrer Ansicht nach kosten?« fragte er vorsichtig. »Ich möchte jetzt fünfzehnhundert Dollar haben, und wenn ich Sie herauspauke, noch einiges mehr.« Burke feuchtete sich die Lippen mit der Zunge nspitze. »Das muß ich mir überlegen«, sagte er. »Wenn ich Geld aufbringen will, muß ich einige Vorkehrungen treffen. Kommen Sie morgen früh zurück, dann sage ich Ihnen Bescheid.« »Diese Sache nimmt einen rapiden Verlauf. Zwischen jetzt und morgen früh wird viel Wasser unter der Brücke durchgeflossen sein.« »Dann also in zwei Stunden«, sagte Burke. -4 7 -
Mason sah ihn an. »Schön. Ich weiß, was Sie vorhaben. Sie wollen feststellen, wer ich bin. Ich kann Ihnen im voraus sagen, was Sie erfahren werden. Ich bin ein Rechtsanwalt, der sich auf Strafverfahren, insbesondere Kriminalfälle, spezialisiert hat. Jeder in diesem Beruf hat sein Spezialfach, Ich bin ein Spezialist, der die Leute aus Notlagen befreit. Meine meisten Fälle kommen nicht vor Gericht. Wenn Sie sich bei einem Familienanwalt oder einem Syndikus nach mir erkundigen, wird man Ihnen wahrscheinlich sagen, daß ich ein Winkeladvokat bin. Wenn Sie einen Burschen aus dem Büro des Generalstaatsanwalts fragen, wird er Ihnen sagen, daß ich ein gefährlicher Gegner bin, daß er aber sonst nicht viel über mich weiß. Bei einer Bank werden Sie überhaupt nichts über mich herausfinden.« Burke machte den Mund auf, überlegte es sich dann aber und schwieg. »Vielleicht hilft diese Information, Zeit zu sparen«, fuhr Mason fort. »Wenn Sie Eva Belter anrufen, wird sie wahrscheinlich verärgert sein, daß ich zu Ihnen gegangen bin. Sie will die ganze Angelegenheit allein erledigen. Oder vielleicht hat sie auch überhaupt nicht an Sie gedacht, ich weiß es nicht. Wenn Sie sie anrufen, verlangen Sie das Mädchen und hinterlassen Sie eine Nachricht über ein Kleid oder so ähnliches. Dann wird sie zurückrufen.« Harrison Burke sah überrascht aus. »Woher wissen Sie das?« »So erhält sie ihre Nachrichten. Ich muß immer von Kleidern reden, welches ist Ihre Masche?« »Schuhlieferung«, platzte Burke heraus. »Ein gutes System«, sagte Mason. »Solange sie die Garderobe genau auseinanderhält. Und dann frage ich mich, wie weit man dem Mädchen trauen kann.« Burkes Zurückhaltung war verflogen. -4 8 -
»Das Mädchen weiß nichts«, sagte er. »Es richtet nur die Botschaften aus. Eva hat den Kode im Gedächtnis. Ich wußte nicht, daß sie ihn noch jemand anderem gegeben hatte.« Mason lachte. »Seien Sie nicht kindisch.« »Tatsache ist«, sagte Harrison Burke, wieder ganz Würde, »daß Mrs. Belter mich vor nicht mehr als einer Stunde angerufen hat. Sie sagte, daß sie in ernste Schwierigkeiten geraten sei und daß ich sofort eintausend Dollar aufbringen sollte. Sie bat mich um Hilfe, sagte aber nicht, wozu sie das Geld brauchte.« Mason stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ändert die Lage natürlich«, sagte er. »Ich fürchtete, sie würde Sie nicht mitspielen lassen. Es ist mir egal, wie Sie das Geld aufbringen, aber ich finde, Sie sollten helfen, das Feuer zu löschen, bevor es sich ausbreitet. Ich arbeite ebensosehr für Sie wie für Mrs. Belter, und das läuft ins Geld.« Burke nickte. »Kommen Sie in einer halben Stunde, dann sage ich Ihnen Bescheid.« »Schön«, sagte Mason, »in einer halben Stunde. Am besten besorgen Sie Bargeld, damit keine Schecks für mich über Ihr Bankkonto gehen, für den Fall, daß man nachforscht, was ich tue und wen ich vertrete.« Burke stand auf und streckte die Hand aus, aber Mason sah es nicht oder wollte es nicht sehen. Er ging mit langen Schritten zur Tür. Als er unten den Schlüssel in die Autotür steckte, klopfte ihm ein Mann auf die Schulter. Mason sah sich um. Hinter ihm stand ein Schwergewichtler mit unverschämten Augen. »Ich möchte ein Interview, Mr. Mason«, sagte er. »Interview?« fragte Mason. »Wer, zum Teufel, sind Sie denn?« -4 9 -
»Ich bin Crandall, Reporter für Spicy Bits. Wir interessieren uns für das Treiben von Prominenten, Mr. Mason. Und ich würde gern von Ihnen hören, worüber Sie mit Harrison Burke gesprochen haben.« Bedächtig zog Mason den Autoschlüssel aus der Tür, drehte sich um und musterte den Mann von oben bis unten. »Aha«, sagte er, »das ist also die Taktik, die ihr anwendet, was?« Crandall fuhr fort, ihn unverschämt anzustarren, »Seien Sie nicht bissig, damit erreichen Sie gar nichts.« »Zum Teufel«, sagte Perry Mason, maß die Entfernung und schmetterte eine Linke mitten in den grinsenden Mund. Crandalls Kopf flog nach hinten, er stolperte und fiel wie ein Mehlsack zu Boden. Fußgänger blieben stehen und starrten fasziniert. Mason beachtete sie nicht, riß die Tür seines Wagens auf, sprang hinein und fuhr davon. Von einem Laden in der Nähe rief er Harrison Burkes Büro an. Als Burke an den Apparat kam, sagte er: »Hier ist Mason. Gehen Sie lieber nicht aus dem Haus. Und suchen Sie sich jemanden, der als Leibwächter fungiert. Die Zeitung, von der wir sprachen, hat ein paar Muskelmänner in der Nähe stationiert, die Ihnen möglichst viel zu schaden suchen. Schicken Sie das Geld für mich durch einen vertrauenswürdigen Boten und sagen Sie ihm nicht, was drin ist.« Harrison Burke fing an zu sprechen, aber Mason legte energisch auf.
7 Von Südosten war ein Sturm im Anzug. Dunkle Wolken zogen langsam über den nächtlichen Himmel und schütteten -5 0 -
Wasser in Strömen über Los Angeles aus. Der Wind pfiff um die Ecken des Apartmenthauses, in dem Perry Mason wohnte. Das Schlafzimmerfenster war nur einen Spalt geöffnet, aber der Wind blähte die Vorhänge und ließ sie ununterbrochen flattern. Mason setzte sich im Bett auf und angelte im Dunkeln nach dem Telefon. Aus dem Hörer kam Eva Belters Stimme - in panischer Angst. »Gott sei Dank, daß ich Sie erreiche. Kommen Sie sofort her. Hier ist Eva Belter.« Ihre Worte überstürzten sich. »Wohin?« fragte Perry Mason verschlafen. »Was ist los?« »Es ist etwas Furchtbares passiert. Kommen Sie nicht ins Haus. Ich bin nicht da.« »Wo sind Sie dann?« »Ich bin in der Griswold Avenue in einem Drugstore. Wenn Sie in die Avenue einbiegen, können Sie die Lichter des Ladens sehen. Ich stehe davor.« »Hören Sie«, sagte Mason, der langsam munter wurde, »ich bin schon öfter nachts angerufen worden von Leuten, die mich verprügeln wollten. Ich möchte mich erst versichern, daß dieser Anruf echt ist.« »Oh, um Himmels willen, seien Sie nicht so vorsichtig!« schrie sie. »Kommen Sie sofort hier heraus! Ich sage Ihnen doch, daß ich in Not bin. Sie können doch meine Stimme erkennen!« »Das weiß ich alles«, sagte Mason ruhig. »Wie nannten Sie sich, als Sie das erstemal in mein Büro kamen?« »Griffin«, kreischte sie. »Okay«, sagte Mason, »ich komme.« Er warf seine Sachen über, steckte einen Revolver in die Hüfttasche, schlüpfte in seinen Regenmantel, zog eine Kappe tief in die Stirn und lief in die Garage. Draußen gab er Vollgas. Kleine Wasserfontänen sprühten aus dem Pflaster, wo die -5 1 -
Riesentropfen auftraten, und glitzerten im Licht der Autoscheinwerfer. Mason raste mit steigender Geschwindigkeit an den Querstraßen vorbei, als ob keine anderen Wagen unterwegs seien. Erst als er zwei Kilometer durch die Griswold Avenue gefahren war, verlangsamte er die Fahrt und suchte nach Lichtern. Eva stand im Mantel, ohne Hut und mit klatschnassen Haaren vor einem Drugstore. Ihre Augen waren weit aufgerissen und voller Schrecken. Perry Mason hielt an und öffnete die Tür für sie. »Ich dachte, Sie würden nie herkommen«, sagte sie, als sie einstieg. Sie trug ein Abendkleid, Seidenschuhe und einen Männermantel und war so durchweicht, daß das Wasser von ihr auf den Boden des Wagens tropfte. »Was ist los?« fragte Mason. »Fahren Sie schnell hinauf zum Haus.« »Was ist los?« wiederholte Mason. »Mein Mann ist ermordet worden«, wimmerte sie. Mason knipste das Innenlicht des Wagens an. »Nicht doch«, sagte sie. Er sah ihr ins Gesicht. »Erzählen Sie«, sagte er ruhig. »Wollen Sie endlich starten!« »Nicht, bevor ich die Tatsachen weiß«, sagte er ruhig. »Wir müssen hin, bevor die Polizei kommt.« »Warum?« »Weil wir müssen.« Mason schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »wir sprechen erst mit der Polizei, wenn ich genau weiß, was passiert ist.« »Oh«, stöhnte sie, »es war fürchterlich!« »Wer hat ihn umgebracht?« -5 2 -
»Ich weiß es nicht.« »Was wissen Sie denn?« »Knipsen Sie endlich das verdammte Licht aus«, zischte sie. »Nachdem Sie mir erzählt haben, was passiert ist.« »Warum wollen Sie es denn anlassen?« »Um Sie besser zu sehen, meine Liebe«, sagte er grimmig. Sie seufzte. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Wahrscheinlich war es jemand, den er erpreßt hat. Ich konnte die Stimmen im oberen Stockwerk hören. Sie waren wütend. Ich ging zur Treppe, um zuzuhören.« »Konnten Sie verstehen, was gesagt wurde?« »Nein, ich hörte sie nur fluchen. Ab und zu konnte ich ein Wort verstehen. Mein Mann sprach mit der kalten sarkastischen Stimme, die er hat, wenn er fuchsteufelswild ist. Der andere sprach mit erhobener Stimme, schrie aber nicht. Immer wieder unterbrach er meinen Mann.« »Und was passierte dann?« »Dann schlich ich die Treppe hinauf, weil ich hören wollte, was gesagt wurde.« Sie hielt an, um Atem zu schöpfen. »Weiter«, drängte Mason, »was geschah dann?« »Und dann hörte ich den Schuß und einen Körper zu Boden fallen.« »Nur den einen Schuß?« »Nur einen Schuß und den schweren Fall. Oh, es war schrecklich.« »Und was taten Sie dann?« fragte Mason. »Ich drehte mich um und rannte. Ich hatte Angst.« »Wohin liefen Sie?« »In mein Zimmer.« »Hat Sie jemand gesehen?« -5 3 -
»Ich glaube nicht.« »Und was taten Sie dann?« »Ich wartete eine Weile.« »Hörten Sie etwas?« »Ja, wie der Mann, der geschossen hatte, die Treppe hinunter und aus dem Haus rannte.« »Na, und was passierte dann?« drängte Mason. »Dann entschloß ich mich, nach George zu sehen. Ich ging in sein Arbeitszimmer. Er hatte gebadet und einen Bademantel umgenommen. Da lag er - tot.« »Lag wo?« fragte Mason ungerührt. »Oh, verlangen Sie nicht so viele Einzelheiten«, fauchte sie. »Ich weiß es nicht. Es war irgendwo nahe dem Badezimmer. Er muß in der Tür gestanden haben, als sie sich stritten.« »Wieso wissen Sie, daß er tot war?« »Ich konnte es sehen. Das heißt, ich glaube, daß er tot war, ganz sicher bin ich nicht. Bitte, kommen Sie und helfen Sie mir. Wenn er lebt, wird es keine Schwierigkeiten geben. Wenn er tot ist, sitzen wir alle in einer fürchterlichen Klemme.« »Warum?« »Weil alles herauskommen wird. Verstehen Sie nicht? Frank Locke weiß alles über Harrison Burke, und er wird ganz selbstverständlich annehmen, daß Harrison George getötet hat. Das wird Burke zwingen, meinen Namen zu nennen, und dann kann alles passieren. Man kann sogar mich verdächtigen.« »Ach, Unsinn«, sagte Mason, »Locke weiß allerdings über Burke Bescheid, aber er ist nur eine Marionette. Sobald er nicht mehr von Ihrem Gatten gestützt wird, kann er nicht mal allein stehen. Glauben Sie doch ja nicht, daß Harrison Burke der einzige war, der es auf Ihren Mann abgesehen hatte.« »Aber Harrison Burkes Motiv war stärker als das aller -5 4 -
anderen. Er war der einzige, der wußte, wem das Blatt gehörte. Sie haben es ihm gesagt.« »Ach, das hat er Ihnen erzählt, was?« »Ja. Warum mußten Sie zu ihm gehen?« »Weil ich ihn nicht zu verschonen gedachte«, sagte Mason ungeduldig. »Es war schon eine ganze Menge für ihn getan worden, und er sollte ruhig dafür zahle n. Ich wollte Sie nicht das ganze Geld aufbringen lassen.« »Meinen Sie nicht, daß ich das zu entscheiden habe?« »Nein.« Sie biß sich auf die Lippen, wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. »Hören Sie gut zu«, sagte Mason, »und merken Sie es sich: Wenn er tot ist, wird es jede Menge Untersuchungen geben. Sie dürfen nicht die Nerven verlieren. Haben Sie irgendeine Ahnung, wer im Hause war?« »Nein, nicht sicher; nur, was ich aus dem Ton der Stimme erraten konnte.« »Das ist schon etwas. Sie konnten nicht verstehen, was gesagt wurde? Haben Sie die andere Stimme schon gehört?« »Ja.« »Seien Sie nicht so verdammt geheimnisvoll. Ich bin Ihr Rechtsbeistand. Sie müssen es mir sagen.« Sie wandte sich ihm voll zu und starrte ihn an. »Sie wissen doch auch, wer es war«, sagte sie. »Ich? Ich glaube, einer von uns ist verrückt. Woher soll ich das wohl wissen?« »Weil Sie es selber waren«, sagte sie langsam. Seine Augen wurden eiskalt und hart. »Ich?« »Ja - oh, ich wollte es nicht sagen. Ich wollte Ihr Geheimnis -5 5 -
hüten, aber Sie haben es mir entlockt. Ich werde es niemandem verraten, niemals, niemals, niemals. Es ist ein Geheimnis, das nur Sie und ich kennen!« Er starrte sie an - fassungslos zuerst, dann mit finsterer Miene. »So ein Kumpel sind Sie also, was?« Sie sah ihm in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken, und nickte langsam. »Ja, Mr. Mason, mir können Sie trauen. Ich werde Sie nie verraten.« Er holte tief Luft, aber statt all das zu sagen, was ihm auf der Zunge lag, seufzte er nur. Einen Augenblick schwiegen beide. Dann fragte Mason mit völlig ausdrucksloser Stimme: »Haben Sie einen Wagen wegfahren hören - hinterher?« »Ja, ich glaube«, sagte sie nach kurzem Zögern, »aber der Sturm peitschte die Bäume gegen das Haus und machte überhaupt riesigen Lärm. Aber ich glaube, ich hörte einen Motor.« »Passen Sie auf«, sagte er eindringlich. »Sie sind erregt und völlig erschöpft. Wenn Sie vor einer Schar von Detektiven so zu reden anfangen, werden Sie sich in große Schwierigkeiten bringen. Sie sollten entweder einen völligen Nervenzusammenbruch markieren und einen Arzt kommen lassen, der dann verbietet, daß irgend jemand mit Ihnen spricht. Sie haben entweder einen Motor gehört - oder nicht. Was stimmt?« »Ja«, sagte sie trotzig, »ich hörte einen.« »Schön. Wie viele Leute sind im Haus?« »Was meinen Sie?« »Dienstboten und wer sonst noch. Ich will genau wissen, wer im Haus ist.« »Also, da ist Digley, der Butler.« -5 6 -
»Ja, ich bin ihm begegnet. Wer noch? Wer führt den Haushalt?« »Eine Mrs. Veitch, und augenblicklich hat sie Besuch von ihrer Tochter.« »Schön, aber wie ist es mit Männern? Ist Digley der einzige?« »Nein, da ist noch Carl Griffin.« »Griffin, so?« Sie errötete. »Ja.« »Daher nannten Sie sich also Griffin, als Sie das erstemal zu mir kamen.« »Nein, nein. Ich habe einfach den ersten Namen benützt, der mir einfiel. Sagen Sie nicht so etwas!« Er grinste. »Ich habe gar nicht so etwas gesagt. Sie waren es.« Hastig redete sie drauf los. »Carl Griffin ist der Neffe meines Mannes und abends sehr selten zu Hause. Ich glaube, er ist zügellos und führt ein sehr flottes Leben. Sie sagen, er käme fast immer betrunken nach Hause. Darüber weiß ich nichts Näheres, aber ich weiß, daß er meinem Mann sehr nahe steht. Soweit George überhaupt zu einem Gefühl fähig ist, liebt er Carl mehr als irgendein anderes lebendes Wesen. Sie müssen wissen, daß mein Mann ein sonderbarer Kauz ist. Er liebt niemanden. Er will nur besitzen, herrschen und unterdrücken, aber er ist außerstande zu lieben. Er hat keine nahen Freunde und ist sich selbst genug.« »Schon gut«, sagte Mason. »Ich kenne das alles. Ich bin nicht am Charakter Ihres Mannes interessiert. Erzählen Sie mir lieber mehr über Carl Griffin. War er heute abend da?« »Nein, er ging zeitig fort. Ich glaube, er hat heute nachmittag Golf gespielt. Wann hat es angefangen zu regnen?« »Ungefähr um sechs, glaube ich. Warum?« »Ja«, sagte sie, »es stimmt, ich erinnere mich. Heute -5 7 -
nachmittag war gutes Wetter, und Carl spielte Golf. Dann sagte George, Carl hätte telefoniert, daß er zum Abendessen im Golfklub bliebe und erst spät nach Hause käme.« »Sind Sie ganz sicher, daß er nicht heimgekommen ist?« »Ganz sicher.« »Wissen Sie genau, daß es nicht seine Stimme war, die Sie oben im Zimmer hörten?« Sie zögerte einen Augenblick. »Nein«, sagte sie dann. »Es war Ihre.« Mason brummte ärgerlich. »Das heißt«, sagte sie hastig, »sie klang wie Ihre. Es war ein Mann, der ganz wie Sie sprach. Er hatte dieselbe ruhige Art, das Gespräch zu beherrschen. Er konnte genau wie Sie die Stimme erheben und doch ruhig und diszipliniert wirken, aber ich werde das nie irgend jemandem erzählen, niemandem in der Welt. Und wenn sie mich foltern würden, Ihr Name käme nicht über meine Lippen.« Sie riß wieder die Augen auf und starrte ihn mit dem einstudierten Unschuldsblick ins Gesicht, den er schon kannte. Perry Mason starrte zurück und zuckte schließlich die Achseln. »Schön«, sagte er, »darüber reden wir später. Inzwischen müssen Sie sich zusammenreißen. Haben dieser Besucher und Ihr Mann über Sie gestritten?« »Ach, ich weiß nicht, ich weiß nic ht. Können Sie denn nicht verstehen, daß ich keine Ahnung habe, worüber sie sprachen? Ich weiß nur, daß ich zurück muß. Was würde passieren, wenn jemand anders die Leiche entdeckte, und ich wäre nicht da?« »Das ist richtig«, sagte Mason. »Aber nun haben Sie so lange gewartet, da machen ein paar Minuten mehr auch nichts mehr aus. Es gibt noch etwas, das ich wissen möchte, bevor wir fahren.« -5 8 -
Er streckte den Arm aus und drehte ihr Gesicht ins Licht. Dann fragte er langsam: »War es Harrison Burke, der mit ihm oben im Zimmer sprach, als der Schuß fiel?« »O mein Gott, nein«, keuchte sie. »War Harrison Burke heute abend dort draußen?« »Nein.« »Hat er Sie heute abend oder heute nachmittag angerufen?« »Nein«, sagte sie, »ich weiß nichts über Harrison Burke. Seit jenem Abend in der Beechwood Tavern habe ich nichts mehr von ihm gesehen oder gehört, und ich möchte es auch nicht. Er hat mir nichts als Unannehmlichkeiten in mein Leben gebracht.« »Woher wußten Sie dann, daß ich ihn über die Verbindung Ihres Mannes mit Spicy Bits informiert habe?« fragte Mason ärgerlich. Sie schlug die Augen nieder und versuchte, sich aus seinen Händen zu befreien. »Weiter«, sagte er ungerührt, »beantworten Sie die Frage. Hat er es Ihnen gesagt, als er heute abend draußen war?« »Nein«, murmelte sie erstickt. »Er sagte es mir, als er mich heute nachmittag anrief.« »Dann hat er also heute nachmittag angerufen?« »Ja.« »Wie bald, nachdem ich in seinem Büro war? Wissen Sie das?« »Ich glaube, es war direkt danach.« »Bevor er mir mit einem Boten Geld geschickt hat?« »Ja.« »Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Warum haben Sie behauptet, Sie hätten nichts von ihm gehört?« »Ich hab’s vergessen. Vorhin habe ich doch gesagt, daß er angerufen hat. Wenn ich Sie anlügen wollte, hätte ich Ihnen -5 9 -
doch gar nicht gesagt, daß ich von ihm gehört habe.« »O ja, Sie hätten. Sie sind die geborene kleine Lügnerin«, stellte er ohne die mindeste Gemütsbewegung fest. »Sie können einfach nicht die Wahrheit sagen. Sie können mit niemandem loyal sein, nicht einmal mit sich selber. Auch jetzt lügen Sie mir ins Gesicht. Sie wissen genau, wer im Zimmer war.« Leidenschaftlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, nein, nein! Können Sie denn nicht verstehen, daß ich es nicht weiß? Ich glaube, Sie waren es. Darum rief ich nicht vom Haus aus an. Ich lief zu diesem Drugstore hinunter. Es ist fast zwei Kilometer.« »Warum taten Sie das?« »Weil ich Ihnen Zeit lassen wollte, nach Hause zu fahren. Verstehen Sie nicht? Ich wollte sagen können, daß ich in Ihrer Wohnung anrief und daß ich Sie dort erreichte, wenn ich gefragt wurde. Es wäre furchtbar gewesen, wenn ich angerufen hätte, und Sie wären nicht da gewesen, nachdem ich doch Ihre Stimme erkannt hatte.« »Sie haben meine Stimme nicht erkannt«, sagte Mason ruhig. »Ich glaube es aber«, sagte sie bescheiden. »Da gibt’s nichts zu glauben«, sagte Mason energisch. »Ich war die letzten zwei bis drei Stunden im Bett, aber ich hätte kein Alibi. Wenn die Polizei Ihre Version glaubte, hätte ich es sehr schwer, mich zu rechtfertigen. Das haben Sie sich alles schon zurechtgelegt.« Sie sah zu ihm auf und schlang ihm plötzlich die Arme um den Hals. »Oh, Perry«, bettelte sie, »bitte sehen Sie mich nicht so finster an. Natürlich werde ich Sie nicht denunzieren. Sie sind in diese Sache genauso tief verstrickt wie ich. Sie haben alles nur für mich getan, um mich zu retten. Wir sind zusammen in Gefahr. Ich werde Ihnen beistehen und Sie mir.« Er schob sie weg und umfaßte ihren nassen Arm, bis sie es -6 0 -
aufgab. Dann drehte er ihr Gesicht wieder so, so daß er ihr in die Augen sehen konnte. »Wir sind nicht das kleinste bißchen gemeinsam in diese Sache verwickelt. Sie sind meine Mandantin, und ich stehe Ihnen bei, das ist alles. Verstehen Sie?« »Ja.« »Wessen Mantel haben Sie an?« »Er gehört Carl. Ich fand ihn in der Halle.« »Schön, überlegen Sie sich alles, während wir hinauffahren. Ich weiß nicht, ob die Polizei schon da ist oder nicht. Ob jemand anders den Schuß gehört hat?« »Ich glaube nicht.« »Schön, wenn wir vor der Polizei da sind, vergessen Sie die Geschichte, daß Sie zum Drugstore hinuntergelaufen sind, um mich anzurufen. Sagen Sie, Sie hätten mich vom Haus aus angerufen und seien dann den Hügel hinuntergelaufen, mir entgegen und deshalb sind Sie naß. Sie konnten nicht im Haus bleiben, weil Sie Angst hatten. Verstehen Sie das?« »Ja«, sagte sie demütig. Perry Mason drehte das Deckenlicht im Wagen aus, löste die Bremse und fuhr aus dem trockenen Unterschlupf unter dem vorspringenden Dach des Drugstore in den peitschenden Regen hinaus. Sie rutschte hinüber und kuschelte sich an ihn. »Oh«, lamentierte sie, »ich habe solche Angst und fühle mich so verlassen.« »Halten Sie den Mund«, sagte er grob, »und denken Sie nach.« Er fuhr schnell, bog in den Elmwood Drive ein und mäßigte das Tempo erst, als sie den Hügel hinauffuhren, auf dem das Haus lag. Er parkte direkt vor der Haustür. »Hören Sie zu«, flüsterte er, als er ihr aus dem Wagen half, »das Haus scheint ruhig zu sein. Die Polizei ist noch nicht hier. -6 1 -
Gebrauchen Sie Ihren Verstand. Wenn Sie mich angelogen haben, geraten Sie in eine schlimme Situation.« »Ich habe nicht gelogen«, beteuerte sie, »ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt - so wahr mir Gott helfe.« Sie eilten über den Vorplatz. »Die Tür ist unverschlossen, ich habe sie offengelassen«, sagte sie eifrig, »Sie können direkt hineingehen.« Sie blieb zurück, um ihn als ersten eintreten zu lassen. Perry Mason versuchte die Tür zu öffnen. »Nein«, sagte er, »die Tür ist verschlossen. Der Nachtriegel ist vorgeschoben. Haben Sie Ihren Schlüssel?« Sie sah ihn verblüfft an. »Nein«, sagte sie, »mein Schlüssel steckt in meiner Handtasche.« »Und wo ist die?« »Mein Gott«, stammelte sie, starr von Schrecken. »Ich muß meine Tasche oben im Zimmer gelassen haben, bei der Leiche meines Mannes.« »Hatten Sie sie bei sich, als Sie hinaufgingen?« »Ja, das weiß ich genau; aber ich muß sie fallengelassen haben. Ich erinnere mich nicht, daß ich sie hatte, als ich hinauslief.« »Wir müssen hineinkommen. Gibt es noch eine andere Tür, die offen ist?« Sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie plötzlich: »Ja, die Hintertür für die Dienstboten. Der Schlüssel hängt unter der Dachrinne der Garage.« »Los, gehen wir.« Das Haus war still und dunkel. Der Wind raschelte in den Sträuchern, und der Regen schlug gegen die Wände des Hauses, aber aus dem Inneren des düsteren Gebäudes klang kein Ton. »Machen Sie kein Geräusch«, warnte er sie. »Ich möchte -6 2 -
hineingelangen, ohne daß die Dienstboten geweckt werden. Wenn niemand wach ist, möchte ich ein paar Minuten Zeit haben, alles zu überprüfen.« Sie nickte, tastete unter die Dachrinne der Garage, fand den Schlüssel und schloß die Hintertür auf. »Schlüpfen Sie hinein«, sagte Mason, »und machen Sie mir die Vordertür auf. Ich will diese Hintertür von außen zuschließen und den Schlüssel zurück an seinen Nagel hängen.« Sie nickte und verschwand in der Dunkelheit. Er verschloß die Tür und hängte den Schlüssel an seinen Platz. Dann kehrte er um das Haus herum zur Vorderfront zurück.
8 Es dauerte mehrere Minuten, bis Eva Belter ihm lächelnd die Haustür öffnete. Die Eingangshalle lag im Dämmerschein einer Nachtlampe. An der Garderobe hing ein Damenmantel, im Schirmständer standen zwei Stöcke und drei Schirme. Das Licht spiegelte sich in einer kleinen Pfütze neben dem Ständer. »Haben Sie das Licht ausgedreht, als Sie fortgingen?« flüsterte Mason. »Nein«, sagte sie, »es brannte wie jetzt.« »Brennt denn nicht für gewöhnlich ein stärkeres Licht über der Treppe, bis die Familie schlafen geht?« »Manchmal, aber George lebt oben für sich in seinem Apartment. Er kümmert sich nicht um uns, und wir nicht um ihn.« Sie drückte einen Knopf, und das Treppenhaus wurde hell. Mason ging ihr voraus die Treppe hinauf, durchschritt das Empfangszimmer, in dem er bei seinem ersten Besuch auf Belter gewartet hatte, und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer. Es war ein riesiger Raum, ähnlich möbliert wie das Wohnzimmer, die Sessel ungewöhnlich breit und schwer -6 3 -
gepolstert, der Schreibtisch doppelt so groß wie normal. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, wenige Meter daneben führte eine Tür ins Bad. Die Leiche George Belters lag auf dem Boden, in der Tür zwischen Bad und Arbeitszimmer. Sie war mit einem Flanellbademantel bekleidet, der über der Brust klaffte und zeigte, daß der Tote im übrigen völlig nackt war. Eva Belter stieß einen spitzen Schrei aus und klammerte sich an Mason. Er schüttelte sie ab und kniete neben Belter nieder. Der Mann war zweifellos tot. Es war nur eine Kugel gewesen, aber sie hatte mitten ins Herz getroffen. Der Tod war augenblicklich eingetreten. Mason befühlte die Innenseite des Bademantels. Sie war feucht. Er zog den Mantel über der Brust zusammen und trat über den ausgestreckten Arm ins Badezimmer. Wie die anderen Räume dieser Zimmerflucht war das Badezimmer in seinen Ausmaßen einem großen Mann angepaßt. Die in den Boden eingelassene Badewanne war über einen Meter tief und fast zweieinhalb Meter lang. Ein riesiges Waschbecken nahm die Mitte einer Wand ein. Auf Handtuchständern hingen gefaltete Handtücher. Mason sah sie an und wandte sich dann zu Eva Belter. »Er nahm gerade ein Bad, als ihn etwas veranlaßte, wieder aus der Wanne zu steigen und hinauszugehen. Sehen Sie, er warf nur den Bademantel um, ohne sich abzutrocknen. Die Handtücher sind alle gefaltet und unbenutzt.« Sie nickte langsam. »Sollen wir ein Badetuch anfeuchten und verknüllen, damit es so aussieht, als ob er sich abgetrocknet hätte?« »Warum?« »Ach, ich dachte bloß...« »Wenn wir hier anfangen, Beweismaterial zu fälschen«, sagte -6 4 -
Perry Mason streng, »gibt es garantiert eine Katastrophe. Hören Sie genau zu und merken Sie sich, was ich jetzt sage. Offenbar weiß außer Ihnen niemand, was hier passiert ist, und wann. Die Polizei wird es übelnehmen, wenn sie nicht sofort benachrichtigt wird. Sie werden auch wissen wollen, wie es kam, daß Sie einen Rechtsanwalt vor der Polizei anriefen. Das wird Sie zunächst verdächtig machen. Verstehen Sie das?« Sie nickte wieder, mit schreckgeweiteten Augen. »Schön«, fuhr Mason fort, »passen Sie gut auf und verlieren Sie nicht die Nerven. Sie werden ihnen die pure Wahrheit sagen - genau wie mir -, mit einer Ausnahme. Daß Sie noch einmal hinaufgegangen sind, nachdem der Mann das Haus verlassen hat, gefällt mir nicht an Ihrer Geschichte, und das wird auch der Polizei nicht gefallen. Wenn Sie Geistesgegenwart genug besaßen, die Treppe hinaufzugehen und sich umzusehen, dann hatten Sie auch genug Geistesgegenwart, die Polizei anzurufen. Die Tatsache, daß sie einen Anwalt anriefen, vor der Polizei, wird man Ihnen als Schuldbewußtsein auslegen.« »Aber wir können ihnen doch erklären, daß ich Sie in dieser anderen Angelegenheit konsultiert hatte und daß alles miteinander verknüpft war. Ginge das nicht?« Er lachte ihr ins Gesicht. »Das wäre tatsächlich die beste Methode, Sie in Mordverdacht zu bringen. Die Polizei würde wissen wollen, worum es sich bei dieser anderen Angelegenheit gehandelt hat, und noch ehe Sie bis drei zählen könnten, hätten Sie ein einleuchtendes Mordmotiv geliefert. Diese andere Angelegenheit darf hierbei überhaupt nicht zur Sprache kommen. Wir müssen Harrison Burke anrufen und erreichen, daß er den Mund hält.« »Aber die Zeitung«, protestierte sie. »Was wird Spiee Bits unternehmen?« »Haben Sie schon daran gedacht«, fragte Mason, »daß nach -6 5 -
dem Tode Ihres Mannes die Zeitung Ihnen gehört? Sie können sofort die Zügel ergreifen und das Blatt lenken.« »Vielleicht hat er ein Testament hinterlassen, in dem er mich enterbt?« »Dann werden wir das Testament anfechten und versuchen, Sie als Nachlaßverwalterin einzusetzen, bis der Rechtsfall entschieden ist.« »Gut«, sagte sie eifrig. »Also ich lief aus dem Haus, und was geschah dann?« »Genau, was Sie mir berichtet haben. Sie waren von panischer Angst ergriffen. Und vergessen Sie nicht, daß Sie flohen, bevor der Mann, der mit Ihrem Mann im Zimmer war, die Treppe hinunterlief. Sie stürzten aus dem Haus in den Regen, rissen den ersten Mantel vom Garderobenständer, der Ihnen in die Finger kam. Sie waren so aufgeregt, daß Sie nicht einmal bemerkten, daß einer Ihrer Mäntel dort hing, sondern nach einem Männermantel griffen.« »Und dann?« »Dann rannten Sie in den Regen hinaus, und da stand ein Wagen in der Einfahrt, aber Sie waren zu aufgeregt, um darauf zu achten, was für ein Typ es war, ob eine Limousine oder ein Sportwagen. Gerade als Sie weglaufen wollten, kam ein Mann hinter Ihnen aus dem Haus gestürzt, sprang ins Auto und knipste die Scheinwerfer an. Sie tauchten im Gebüsch unter, weil Sie fürchteten, er würde Sie verfolgen. Der Wagen fuhr den Hügel hinunter an Ihnen vorbei, und Sie rannten hinterher, um das Nummernschild zu sehen, denn inzwischen war Ihnen klargeworden, wie wichtig es war, den Mann zu erkennen.« »Und dann?« fragte sie wieder. »Wie Sie es mir erzählt haben. Sie hatten Angst, allein ins Haus zurückzukehren, und gingen zum nächsten Telefon. -6 6 -
Vergessen Sie nicht: Die ganze Zeit wußten Sie nicht, daß Ihr Mann tot war. Sie hatten nur einen Schuß gehört, und wußten nicht, ob Belter den Mann verwundet hatte, der im Auto entkam, oder ob der Mann auf Belter geschossen hatte. Können Sie sich das alles merken?« »Ich glaube schon.« »Schön, das erklärt, warum Sie mich angerufen haben. Ich sagte Ihnen, daß ich gleich herauskommen würde. Denken Sie daran, Sie haben mir am Telefon nicht gesagt, daß ein Schuß gefallen ist. Sie haben mir nur gesagt, daß Sie in Not seien, Angst hätten, und daß ich kommen sollte.« »Warum wollte ich aber, daß Sie kommen?« fragte sie. »Ich bin ein alter Freund von Ihnen. Ich vermute, daß Sie und Ihr Mann nicht viel zusammen ausgegangen sind?« »Nein.« »Ausgezeichnet. Sie haben mich in letzter Zeit einige Male beim Vornamen genannt. Bleiben Sie dabei, wenn jemand zuhört. Ich bin ein alter Freund von Ihnen, und Sie haben mich in dieser Eigenschaft gerufen, ohne besonderen Wert auf den Rechtsanwalt zu legen.« »Ach so...« »Die Frage ist, können Sie sich alles merken? Antworten Sie.« »Ja.« Er sah sich schnell im Zimmer um. »Suchen Sie Ihre Tasche. Sie sagten, Sie hätten Sie hier oben gelassen.« Sie ging zum Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm ihre Tasche heraus. »Was machen wir mit der Waffe?« fragte sie. Er folgte ihrem Blick und sah eine Pistole fast unter dem Schreibtisch liegen, wo die Schatten sie verbargen. -6 7 -
»Nein«, sagte er, »das ist günstig für uns. Vielleicht kann die Polizei feststellen, wem die Waffe gehört.« Sie runzelte die Stirn und sagte: »Es ist sonderbar, daß ein Mann schießt und die Waffe dann wegwirft. Wir wissen nicht, wem sie gehört. Meinen Sie nicht, wir sollten etwas damit tun?« »Was denn?« »Sie irgendwo verstecken.« »Tun Sie das nur«, sagte er sarkastisch, »dann haben Sie allerhand zu erklären. Lassen Sie ruhig die Polizei die Tatwaffe finden.« »Ich habe großes Vertrauen zu Ihnen, Perry«, erwiderte sie, »aber ich hätte es viel lieber anders. Daß sie nur die Leiche hier finden.« »Nein«, sagte Mason scharf. »Können Sie sich an alles erinnern, was ich Ihnen sagte?« »Ja.« Er hob den Hörer von der Gabel und wählte. »Polizeipräsidium«, tönte es aus dem Apparat.
9 Bill Hoffman, der Leiter der Mordkommission, war ein großer, geduldiger Mann mit Augen, die alles sehr langsam und gründlich aufnahmen. Bevor er eine Schlußfolgerung zog, pflegte er sich eine Sache von allen Seiten zu betrachten. Er saß im Wohnzimmer hinter der Eingangshalle und starrte durch den Rauch seiner Zigarette Perry Mason an. »Wir haben Papiere gefunden, die darauf hinweisen, daß er der wahre Besitzer von Spicy Bits war, diesem Erpresserblatt, das die Leute während der letzten fünf bis sechs Jahre ausraubte.« »Ich wußte das, Sergeant«, sagte Perry Mason langsam und vorsichtig. -6 8 -
»Seit wann?« fragte Hoffman. »Noch nicht sehr lange.« »Wie haben Sie es herausgefunden?« »Das kann ich nicht sagen.« »Wieso waren Sie heute abend hier, bevor die Polizei kam?« »Sie haben ja gehört, was Mrs. Belter gesagt hat. Es ist wahr, sie hat mich angerufen. Sie hielt es für möglich, daß ihr Mann im Jähzorn den Besucher angeschossen hätte, wußte nicht, was passiert war, und hatte Angst, es herauszufinden.« »Warum hatte sie Angst?« Perry Mason zuckte die Achseln. »Sie haben Belter gesehen«, sagte er. »Und Sie können sich denken, was für ein Typ dazu gehört, um ein Blatt wie Spicy Bits herauszugeben. Ich würde ohne weiteres sagen, daß er kaltschnäuzig war und nicht gerade der perfekte Kavalier im Umgang mit Frauen.« Bill Hoffman ließ sich das durch den Kopf gehen. »Wir werden eine Menge mehr sagen können, wenn wir die Waffe erst identifiziert haben«, sagte er dann. »Können Sie den Besitzer feststellen?« »Ich glaube schon. Die Zahlen sind darauf.« »Es ist eine A 32 Colt Automatic, nicht wahr?« fragte Mason. »Stimmt.« Hoffman rauchte nachdenklich. Mason bewegte keinen Muskel. Er verhielt sich wie ein Mann, der völlig entspannt ist oder wie einer, der fürchtet, sich mit der kleinsten Bewegung zu verraten. Ein paarmal blickte der Chef der Mordkommission auf und sah den Anwalt mit seinem gelassenen Blick an. Endlich sagte er: »Irgend etwas ist sonderbar an dieser ganzen Angelegenheit, Mason. Ich kann es nicht richtig erklären.« -6 9 -
»Es ist Ihr Baby«, sagte Mason. »Ich habe gewöhnlich erst mit Mordfällen zu tun, nachdem die Polizei längst mit ihren Ermittlungen fertig ist.« Hoffman warf ihm einen Blick zu. »Ja«, sagte er nachdenklich, »es ist ziemlich ungewöhnlich, daß ein Rechtsanwalt vor der Polizei eintrifft, nicht?« »Ja.« Masons Stimme war farblos. »Dem Wort ›ungewöhnlich‹ kann ich zustimmen.« Hoffman rauchte eine Weile schweigend. »Haben Sie den Neffen schon gefunden?« unterbrach der Anwalt die Stille. »Nein«, erwiderte der Kriminalbeamte. »Wir haben überall nachgefragt, wo er für gewöhnlich herumbummelt. Am frühen Abend war er mit einer Mieze in einem Nachtklub. Sie sagt, er habe sie vor Mitternacht verlassen, etwa um elf Uhr fünfzehn.« Plötzlich hörte man einen Motor in der Einfahrt. Der Regen hatte aufgehört, und der Mond brach durch die Wolken. Der Motor wurde von einem regelmäßigen Klopfen übertönt. Der Wagen hielt an, eine Hupe gellte. »Was, zum Teufel...«, sagte Bill Hoffman und erhob sich. Perry Mason hielt den Kopf schief und horchte. »Klingt wie ein Platten«, sagte er. Sergeant Hoffman öffnete die Haustür. In der Einfahrt waren fünf Polizeiwagen im Kreis geparkt. Außerhalb dieses Kreises stand ein offener Tourenwagen. Von der Gestalt am Steuer konnte man nur das weiße Oval des Gesichts erkennen, das zum Haus starrte. Eine Hand lag auf der Hupe, die ununterbrochen lärmte. Sergeant Hoffman trat ins Licht, worauf die Hupe verstummte. Die Tür des Wagens öffnete sich und eine trunkene Stimme -7 0 -
lallte: »Digley, ich hab’n Plattfuß, kann nich’ wechseln... Trau’ mich nich’ zu bücken... Fühl’ mich schlecht. Kommen Sie...« »Das ist vermutlich der Neffe«, bemerkte Perry Mason. »Carl Griffin. Mal sehen, was er zu sagen hat.« Bill Hoffman grunzte. »Soweit ich auf diese Entfernung beurteilen kann, wird er nicht imstande sein, viel zu sagen.« Sie gingen zusammen auf den Wagen zu. Der junge Mann kroch hinter dem Steuer hervor, tastete mit dem Fuß nach dem Trittbrett und taumelte vorwärts. Er wäre gefallen, wenn er sich nicht am Türrahmen festgeklammert hätte. Unsicher schwankte er vor und zurück. »Plattfuß«, sagte er, »brauche Digley. Sie sind nich’ Digley. Es sind zwei... Und keiner is’ Digley. Wer, zum Teufel, sind Sie? Was woll’n Sie so spät? Nich’ die richtige Zeit zum Besuche machen...» Bill Hoffman trat auf ihn zu. »Sie sind betrunken«, sagte er. Der Mann glotzte ihn an. »’türlich bin ich das... Was denkste, warum ich aus war? ’türlich bin ich Carl Griffin.« »Schön, dann kommen Sie zu sich. Ihr Onkel ist ermordet worden.« Einen Augenblick hörte man keinen Laut. Der Mann, der sich an der Tür des Wagens festhielt, schüttelte ein paarmal den Kopf, als versuche er, den Nebel im Hirn zu verscheuchen. Als er wieder sprach, klang seine Stimme klarer. »Wovon reden Sie?« fragte er. »Ihr Onkel«, sagte der Sergeant, »das heißt, ich nehme an, es ist Ihr Onkel, George C. Belter. Er wurde vor einer oder anderthalb Stunden ermordet.« Der Mann, den Whiskywolken umgaben, rang um Haltung. Er holte tief Luft. »Sie sind betrunken«, behauptete er dann. -7 1 -
Sergeant Hoffman lächelte. »Nein, Griffin, wir sind nicht betrunken. Sie waren bummeln und haben allerhand getankt. Kommen Sie ins Haus und versuchen Sie, sich zusammenzureißen.« »Sagten Sie ermordet?« fragte der junge Mann. »Das habe ich gesagt«, erwiderte der Sergeant. Der junge Mann ging auf das Haus zu. Er hielt den Kopf hoch und straffte die Schultern. »Wenn er ermordet wurde, war es das verdammte Frauenzimmer«, sagte er. »Wen meinen Sie?« fragte der Sergeant. »Diese Hure mit dem Babygesicht, die er geheiratet hat«, sagte Carl Griffin. Hoffman nahm den jungen Mann am Arm. »Mason«, sagte er, »würden Sie den Motor abstellen und die Lichter ausschalten?« Carl Griffin blieb stehen und drehte sich schwankend um. »Reifen auch wechseln«, sagte er. »Rechter Vorderreifen. Er ist schon Meilen und Meilen platt, wechseln Sie ihn aus.« Perry Mason beeilte sich, den Motor abzustellen und die Lichter auszuschalten, damit er das Paar einholen konnte. Er kam gerade zurecht, um ihnen die Haustür zu öffnen. Im Licht der Halle sah man, daß Carl Griffin ein recht attraktiver junger Mann war, dessen Gesicht allerdings von Alkohol gerötet und von Ausschweifungen geprägt war. Seine Augen waren rot gerändert und trübe, aber eine gewisse Würde schien ihm angeboren. Seine gute Erziehung zeigte sich in der Art, wie er sich bemühte, dieser Katastrophe gerecht zu werden. Bill Hoffman betrachtete ihn eingehend. »Glauben Sie, Sie könnten sich genügend ernüchtern, um mit uns zu sprechen, Griffin?« fragte er. Griffin nickte. »Nur eine Minute«, sagte er. »Bin gleich in -7 2 -
Ordnung.« Er stolperte in eine Toilette, die neben dem Empfangszimmer im Erdgeschoß lag. Der Kriminalbeamte sah Mason an. »Er ist ziemlich betrunken«, sagte der Anwalt. »Sicher, aber darin ist er kein Amateur. Er hat den Wagen über die nassen Straßen hergefahren, und noch dazu mit einem Plattfuß.« »Ja, das konnte er.« »Offensichtlich ist keine Liebe zwischen ihm und Eva Belter verloren«, bemerkte Sergeant Hoffman. »Er war betrunken«, betonte Mason. »Sicher würden Sie eine Frau nicht auf Grund der gedankenlosen Bemerkung eines Betrunkenen verdächtigen?« »Natürlich war er betrunken«, sagte Hoffman. »Aber er brachte den Wagen richtig her. Vielleicht konnte er auch denken, obwohl er betrunken war.« Mason zuckte die Achseln. Aus dem Badezimmer hörte man schweres Erbrechen. »Ich wette, der ist gleich in Ordnung«, sagte der Sergeant mit einem prüfenden Blick auf Mason. »Und sagt nüchtern über die Frau dasselbe.« »Ich wette mit Ihnen, daß er betrunken wie ein Lord ist, egal, ob er nüchtern zu sein scheint«, sagte der Anwalt bissig. »Manche dieser Burschen können einen täuschen, wieviel sie geladen haben. Sie benehmen sich stocknüchtern, haben aber nicht viel Ahnung, was sie tun oder sagen.« Bill Hoffman zwinkerte. »Versuchen schon im voraus zu entkräften, was er etwa sagen könnte, wie Mason?« »Das habe ich nicht gesagt.« »Nein«, lachte Hoffmann. »Nicht direkt.« -7 3 -
»Wie wäre es, wenn wir ihm schwarzen Kaffee einflößten? Ich glaube, ich finde die Küche.« »Die Wirtschafterin sollte da sein. Ich möchte Sie nicht beleidigen, Mason, aber ich muß wirklich allein mit diesem Mann sprechen. Ich durchschaue Ihre Stellung in diesem Fall noch nicht - Sie scheinen ein Freund der Familie zu sein, zugleich sind Sie aber auch Rechtsanwalt.« »Ich verstehe Ihre Position, Sergeant«, stimmte Mason zu. »Ich bin zufällig hier, und bleibe auch da.« Damit ging er in die Küche. Es war eine enorme Küche, gut beleuchtet und prächtig ausgerüstet. Zwei Fraue n saßen auf gradlehnigen Stühlen an einem Tisch eng beisammen. Sie hatten leise gesprochen, als Mason eintrat, und hörten nun mitten im Wort auf und sahen ihn an. Eine von ihnen war in den späten Vierzigern. Sie hatte graue Strähnen im Haar, tiefliegende, glanzlose schwarze Augen, deren Ausdruck nicht zu erkennen war, ein langes Gesicht mit schmal- lippigem, sehr energischem Mund und hohen Backenknochen. Sie war schwarz angezogen. Die andere war viel jünger, etwa dreiundzwanzig. Ihr kohlschwarzes Haar schimmerte. Die dunklen Augen strahlten, die Lippen waren rot und voll. Ihr Gesicht war sorgfältig zurechtgemacht. »Sind Sie Mrs. Veitch?« fragte Perry Mason die ältere Frau. Sie nickte mit zusammengekniffenem Mund. »Und ich bin Norma Veitch, ihre Tochter«, sagte das Mädchen mit voller dunkler Stimme. »Was wollen Sie? Mutter ist ganz außer sich.« »Ich weiß«, entschuldigte sich Mason. »Wir wollten fragen, ob Sie uns Kaffee machen könnten. Carl Griffin ist gerade nach Hause gekommen, und ich glaube, er wird ihn brauchen. -7 4 -
Außerdem arbeiten oben Männer an dem Fall, die auch gerne welchen hätten.« Norma Veitch stand auf. »Natürlich. Es ist dir doch recht, Mutter, wenn ich ihn mache?« »Nein«, sagte die Ältere mit einer Stimme, so trocken wie raschelndes Stroh. »Ich mache Kaffee. Du weißt nicht, wo alles ist.« Sie stand auf, ging mit schleppenden Schritten zu einem Schrank und holte eine riesige Kaffeemaschine und eine Büchse Kaffee heraus. Das Mädchen wandte sich Mason zu und verzog die vollen roten Lippen zu einem Läche ln. »Sind Sie Detektiv?« fragte es neugierig. Mason schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin der Mann, der mit Mrs. Belter im Hause war und die Polizei rief.« »Ach ja«, sagte Norma Veitch, »ich habe von Ihnen gehört.« Die Mutter füllte Kaffee in die Maschine, schloß sie an und ging dann mit ihrem eigentümlich plattfüßigen Gang zu ihrem Stuhl zurück. Mit gefalteten Händen starrte sie auf den Tisch. »Gott«, Norma Veitch sah Perry Mason neugierig an, »es war fürchterlich, nicht wahr?« Mason nickte und bemerkte beiläufig: »Sie haben wohl keinen Schuß gehört?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe fest geschlafen. Ich bin überhaupt erst aufgewacht, als die Beamten kamen. Sie weckten Mutter, und vermutlich wußten sie nicht, daß ich nebenan schlief, und wollten Mutters Zimmer durchsuchen, während sie oben war. Denn als ich aufwachte, stand ein Mann neben meinem Bett und sah mich an.« Sie schlug verschämt die Augen nieder und kicherte. Offenbar hatte dies Erlebnis ihr nicht schlecht gefallen. »Was geschah dann?« fragte Mason. »Sie taten, als hätten sie einen Landstreicher im Heu -7 5 -
gefunden«, erwiderte sie. »Ich mußte mich anziehen, und sie ließen dabei keinen Blick von mir. Dann brachten sie mich hinauf und verpaßten mir, was sie, glaube ich, den dritten Grad nennen.« »Was haben Sie ihnen gesagt?« fragte Mason. »Die Wahrheit. Daß ich geschlafen habe, bis ich davon aufwachte, daß jemand mich anstarrte.« Sie kicherte wieder. »Aber man glaubte mir nicht«, fügte sie hinzu, und es klang erfreut. Die Mutter saß immer noch mit ge falteten Händen am Tisch. »Und Sie haben nichts gehört?« »Nicht das geringste.« »Haben Sie irgendeinen Verdacht?« »Keinen, den man laut aussprechen könnte.« Er sah sie durchbohrend an. »Sie haben also einen, den man nicht laut aussprechen kann?« Sie nickte. »Allerdings bin ich erst seit einer Woche hier, aber...« »Norma!« Die Stimme der Mutter war auf einmal nicht mehr tonlos, sondern klang scharf wie ein Peitschenknall. Das Mädchen verstummte. Perry Mason sah die ältere Frau an. Sie hatte nicht aufgeblickt. »Haben Sie irgend etwas gehört, Mrs. Veitch?« fragte er. »Ich bin hier angestellt. Ich sehe nichts und höre nichts.« »Sehr empfehlenswert, solange es sich um Dinge handelt, die nicht lebenswichtig sind. Aber Sie werden, fürchte ich, bald herausfinden, daß das Gesetz da anders entscheidet und daß man Sie auffordern wird, doch zu sehen und zu hören.« »Nein«, sagte sie, noch immer ohne sich zu bewegen, »ich sah nichts.« -7 6 -
»Und hörten auch nichts?« »Und hörte nichts.« Perry Mason machte ein finsteres Gesicht. Er fühlte, daß die Frau etwas verbarg. »Haben Sie ebenso geantwortet, als man Sie oben verhörte?« fragte er. »Ich glaube, der Kaffee ist gleich fertig. Sie könnten die Flamme kleinstellen, damit er nicht überkocht.« Die Kaffeemaschine war so konstruiert, daß eine möglichst große Wassermenge in möglichst kurzer Zeit erhitzt wurde, daher strahlte die kleine blaue Flamme eine fürchterliche Hitze aus. Das Wasser begann zu dampfen. »Ich passe schon auf den Kaffee auf«, sagte Mason. »Aber ich möchte wirklich wissen, ob Sie die Fragen oben genauso beantwortet haben oder nicht.« »Ich habe ihnen dasselbe gesagt«, erwiderte sie. »Ich sah nichts und hörte nichts.« »Das ist ihre Version«, kicherte Norma Veitch. »Und sie hält daran fest.« »Norma!« herrschte sie die Mutter an. Mason musterte die beiden. Sein Gesicht wirkte freundlich und gelassen, nur das Funkeln der Augen verriet, daß er rasch und scharf nachdachte. »Ich bin Rechtsanwalt, müssen Sie wissen«, sagte er. »Falls Sie mir etwas anzuvertrauen haben, wäre jetzt der richtige Augenblick dafür.« »Ja«, sagte Mrs. Veitch leise. »Was meinen Sie?« fragte Mason. »Ich habe bloß zugestimmt, daß jetzt der richtige Augenblick wäre.« Einen Augenblick war es so still im Zimmer, daß man eine -7 7 -
Fliege um die Lampe surren hörte. »Na und?« drängte Mason. »Ich habe Ihnen nichts anzuvertrauen.« Ihre Augen starrten immer noch auf den Tisch. In diesem Augenblick fing das Wasser in der Kaffeemaschine an zu sprudeln. »Ich hole Tassen und Untertassen«, sagte Norma und sprang auf. »Du bleibst sitzen, Norma.« Mrs. Veitch schob ihren Stuhl zurück, ging zu einem Schrank und nahm Geschirr heraus. »Mutter«, rief Norma, »du nimmst ja die Tassen für die Dienstboten.« »Polizisten sind auch nichts Besseres«, erwiderte Mrs. Veitch. »Das stimmt nicht«, sagte Norma. »Misch dich nicht ein«, fuhr Mrs. Veitch sie an. »Du weißt, was der Herr angeordnet hätte, wenn er noch lebte. Er hätte ihnen gar nichts gegeben.« »Er lebt aber nicht mehr«, sagte Norma. »Und jetzt hat Mrs. Belter zu bestimmen.« Mrs. Veitch wandte sich ihrer Tochter zu und sah sie mit glanzlosen Augen eindringlich an. »Darauf würde ich lieber nicht wetten«, sagte sie. Perry Mason schenkte Kaffee ein. »Geben Sie mir ein Tablett, ich werde Sergeant Hoffman und Carl Griffin den Kaffee hinaufbringen. Sie können den anderen oben servieren.« Wortlos gab sie ihm ein Tablett. Mit drei Tassen Kaffee marschierte Perry Mason ins Wohnzimmer. Dort stand Sergeant Hoffman auf weit gespreizten Beinen. Den Kopf hatte er vorgestreckt, die Schultern gestrafft. In einem der Sessel räkelte sich Carl Griffin. »Sie haben sich aber anders geäußert, als Sie ankamen«, sagte -7 8 -
der Sergeant gerade, als Perry Mason mit dem Kaffeetablett hereinkam. »Da war ich betrunken«, erwiderte Carl Griffin. Hoffman starrte ihn an. »Oft sagt jemand im Rausch die Wahrheit und lügt, wenn er nüchtern ist«, bemerkte er trocken. Carl Griffin zog die Augenbrauen hoch und markierte Überraschung. »Wirklich«, sagte er, »das habe ich noch nicht gewußt.« Der Kriminalbeamte hörte Masons Schritte, fuhr herum und grinste, als er die dampfenden Kaffeetassen sah. »Fein, Mason«, sagte er, »das kommt uns gerade recht. Trinken Sie eine, Griffin, dann werden Sie sich besser fühlen.« Griffin nickte. »Sieht gut aus; aber ich bin schon wieder ganz in Ordnung.« Der Anwalt reichte ihm eine Tasse Kaffee. »Wissen Sie etwas über ein Testament?« fragte Sergeant Hoffman plötzlich. »Darauf möchte ich lieber nicht antworten, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erwiderte Griffin. Hoffman nahm seine Kaffeetasse entgegen. »Es macht mir aber etwas aus«, erklärte er. »Ich verlange, daß Sie die Frage beantworten.« »Ja, es gibt ein Testament«, räumte Griffin ein. »Wo ist es?« »Ich weiß nicht.« »Woher wissen Sie dann, daß es eins gibt?« »Er hat es mir gezeigt.« »Geht der ganze Besitz an die Witwe?« Griffin schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie bekommt gar nichts, außer fünftausend Dollar.« Sergeant Hoffman zog die Augenbrauen hoch und stieß einen -7 9 -
leisen Pfiff aus. »Das«, stellte er fest, »verändert die Perspektiven.« »Welche Perspektiven?« fragte Griffin. »Der ganzen Situation«, erwiderte Hoffman. »Sie hing also vollständig von ihm ab? In dem Augenblick, als er starb, stand sie praktisch vor dem Nichts?« »Ich glaube, sie paßten nicht sehr gut zusammen«, versuchte Griffin zu erklären. Sergeant Hoffman sagte nachdenklich: »Das ist nicht der springende Punkt. Wir müssen in solchen Fällen gewöhnlich ein Motiv herausfinden.« Mason grinste ihm ins Gesicht. »Wollen Sie etwa Mrs. Belter den tödlichen Schuß auf ihren Mann in die Schuhe schieben?« fragte er, als ob die Idee geradezu ein Witz wäre. »Ich führe eine Routineuntersuchung, Mason.« »Dann werde ich vermutlich auch verdächtigt werden«, bemerkte Griffin gelassen. »Wieso?« fragte Hoffman. »Nach den Bestimmungen des Testaments bekomme ich praktisch den ganzen Nachlaß. Ich glaube nicht, daß das ein Geheimnis ist. Onkel George hatte mich, glaube ich, lieber als sonst irgendeinen Menschen. Das heißt, er brachte mir soviel Liebe entgegen, wie er bei seiner Veranlagung überhaupt aufbringen konnte. Ich bezweifle allerdings, daß er echter Gefühle fähig war.« »Wie standen Sie zu ihm?« »Ich hatte alle Hochachtung vor seinem Kopf«, erwiderte Carl Griffin vorsichtig. »Und ich glaube, ich verstand seinen Lebensstil. Er lebte sehr zurückgezogen, weil er Unaufrichtigkeit verabscheute und Scheinheiligkeit nicht ertragen konnte.« -8 0 -
»Warum mußte er deshalb einsam leben?« Griffin zuckte die Schultern. »Wenn Sie so dächten, brauchten Sie nicht zu fragen. Der Mann hatte einen wunderbaren Intellekt. Er durchschaute die Leute und erkannte Ausflüchte und Heuchelei - eben der Typ, der keine Freunde gewinnt. Er war so selbstsicher, daß er keine Unterstützung brauchte, und es daher auch nicht nötig hatte, Freundschaften zu schließen. Er war darauf versessen zu kämpfen und schlug sich mit der ganzen Welt herum.« »Aber offensichtlich nicht mit Ihnen«, bemerkte Hoffman. »Nein«, gab Griffin zu, »er griff mich nicht an, weil er wußte, daß ich mich den Teufel um ihn und sein Geld scherte. Ich leckte ihm nicht die Stiefel, andererseits hinterging ich ihn auch nicht. Ich sagte ihm meine Meinung und war aufrichtig zu ihm.« Sergeant Hoffman kniff die Augen zusammen. »Wer hinterging ihn?« fragte er. »Wieso? Was meinen Sie?« »Sie sagten eben, Sie hätten ihn nicht hintergangen, deshalb mochte er Sie.« »Stimmt.« »Und Sie betonen das ›ich‹.« »So habe ich es nicht gemeint.« »Wie stand er mit seiner Frau? Liebte er sie?« »Ich weiß es nicht. Er hat mit mir nicht über sie gesprochen.« »Hat sie ihn hintergangen?« »Woher sollte ich das wissen?« Der Kriminalbeamte starrte den jungen Mann an. »Sie verstehen ganz gut, die Dinge für sich zu behalten«, sagte er. »Aber ich rede ja«, protestierte Griffin. »Ich will Ihnen alles sagen, was ich weiß.« Sergeant Hoffman seufzte. »Können Sie mir genau schildern, -8 1 -
wo Sie waren, als der Mord passierte?« Griffin errötete. »Tut mir leid, aber das weiß ich nicht.« »Warum?« »Weil ich nicht weiß, wann der Mord stattfand, und selbst wenn ich es wüßte, nicht sagen könnte, wo ich gerade steckte. Ich fürchte, es war ein ziemlich toller Abend. Zuerst war ich mit einer jungen Frau zusammen, und danach ging ich allein in ein paar Nachtlokale. Als ich dann nach Hause fuhr, hatte ich den verflixten Plattfuß, und ich wußte, daß ich zu betrunken war, um das Rad zu wechseln. Ich konnte keine geöffnete Garage finden, und es regnete. Deshalb manövrierte ich den Karren weiter. Es muß Stunden gedauert haben, bis ich endlich hier ankam.« »Der Reifen war ganz schön demoliert«, bemerkte der Sergeant. »Übrigens, wußte noch niemand von dem Testament Ihres Onkels? Hat es jemand anderer gesehen?« »Ja natürlich, mein Rechtsanwalt.« »So«, sagte Hoffman. »Sie haben also auch einen Anwalt?« »Natürlich habe ich einen Anwalt. Warum denn nicht?« »Wie heißt er?« »Arthur Atwood. Seine Büros sind im Mutual Building.« »Ich kenne ihn nicht«, sagte Hoffman zu Mason. »Kennen Sie ihn?« »Ja, ich bin ihm ein- oder zweimal begegnet. Er ist ein Glatzkopf, der sich mit Beleidigungsprozessen befaßt. Man sagt ihm nach, daß seine Fälle nie vor Gericht kommen und daß er für seine Mandanten gute Vergleiche zustandebringt.« »Wie kam es, daß Sie das Testament in Gegenwart Ihres Anwalts sahen?« drängte Sergeant Hoffman. »Es ist doch nicht üblich, daß man den Begünstigten mitsamt seinem Anwalt einlädt, um ihnen das Testament zu zeigen!« Griffin preßte die Lippen zusammen. »Darüber müssen Sie meinen Rechtsbeistand befragen. Ich kann einfach nicht darüber -8 2 -
sprechen. Es ist eine ziemlich komplizierte Geschichte.« »Schön«, fuhr ihn der Sergeant mit ganz veränderter Stimme an, »reden wir nicht mehr davon. Und jetzt schießen Sie los und berichten Sie.« »Was meinen Sie?« fragte Griffin erstaunt. Bill Hoffman drehte sich so um, daß er dem jungen Mann direkt gegenüberstand und auf ihn heruntersah. Sein Kinn war angriffslustig vorgestreckt, und seine geduldigen Augen blickten plötzlich hart. »Ich meine, Griffin«, sagte er langsam und drohend, »daß Sie mit dieser Art nicht durchkommen. Sie versuchen, jemanden zu schützen oder den Gentleman zu spielen. Das geht nicht. Entweder sagen Sie mir, was Sie wissen, und zwar jetzt, oder Sie werden als wichtiger Zeuge festgesetzt.« Griffin bekam einen roten Kopf. »Hören Sie mal«, protestierte er, »ist das nicht recht ungewöhnlich?« »Ich schere mich den Teufel darum, wie ungewöhnlich es ist«, sagte Hoffman heftig. »Dies ist ein Mordfall, aber Sie sitzen hier und versuchen, Schnipp-Schnapp mit mir zu spielen. Los, reden Sie endlich. Was wurde damals gesagt, und wie kam es, daß das Testament Ihnen und Ihrem Anwalt gezeigt wurde?« »Ist Ihnen klar«, sagte Griffin widerwillig, »daß ich dieses nur unter Protest sage?« »Sicher. Los, reden Sie.« »Ich habe schon angedeutet«, sagte Griffin mit sichtlichem Widerwillen, »daß mein Onkel und seine Frau nicht gerade gut miteinander auskommen. Onkel George glaubte, daß sie eine Scheidungsklage einreichen würde, falls sie erst die notwendigen Beweise hatte. Onkel George und ich hatten einige gemeinsame Transaktionen, müssen Sie wissen, und als Atwood und ich eines Tages mit ihm eine geschäftliche Angelegenheit besprachen, fing er plötzlich von dieser anderen Sache an. Es -8 3 -
war mit peinlich, und ich wollte nicht mit ihm darüber sprechen, aber Atwood sah es genauso an wie jeder Anwalt an seiner Stelle. Also, dieses einzige Mal ging Onkel George aus sich heraus. Er sagte, seine Frau und er kämen nicht miteinander aus, und er hielt uns ein Papier hin, das in seiner Handschrift geschrieben schien. Er fragte Mr. Atwood als Anwalt, ob ein Testament, das ausschließlich in der Handschrift des Testators geschrieben sei, rechtsgültig sei, auch ohne daß Zeugen es unterzeichnet hätten, oder ob noch Zeugen nötig seien. Er habe sein Testament verfaßt und halte einen Rechtsstreit für wahrscheinlich, weil er seiner Frau nicht viel hinterließe. Ich glaube, er erwähnte die fünftausend Dollar und sagte, daß der Hauptanteil an mich gehen würde.« »Haben Sie das Testament nicht gelesen?« »Nicht genau. Nicht so, wie Sie es durchsehen würden, Wort für Wort. Ich warf einen Blick hinein, sah seine Handschrift und hörte, was er dazu bemerkte. Ich glaube, Atwood hat es sorgfältiger gelesen.« »Schön«, sagte Hoffman, »fahren Sie fort. Was geschah dann?« »Das war alles.« »Nein«, drängte Hoffman, »es war nicht alles. Was können Sie noch berichten?« Griffin zuckte die Achseln. »Er sagte noch Dinge, die ein Mann manchmal eben sagt. Ich achtete gar nicht darauf.« »Lassen Sie diesen Quatsch. Was sagte er?« »Er sagte«, platzte Griffin heraus, während das Blut ihm wieder ins Gesicht schoß, »er wollte alles festlegen, damit seine Frau nicht profitierte, wenn ihm etwas zustieß. Er sagte, er würde ihr zutrauen, daß sie sein Ende beschleunigte, falls es ihr nicht gelänge, sich in einem Scheidungsprozeß einen großen Anteil zu sichern. Jetzt wissen Sie alles, was ich weiß, und ich glaube nicht, daß es Sie etwas angeht. Ich teile Ihnen das unter -8 4 -
Protest mit, und ich schätze Ihre Haltung durchaus nicht.« »Schenken Sie sich die Kommentare«, sagte Hoffman. »Ich nehme an, daß dies der Grund für Ihre Bemerkungen war, als Sie betrunken waren und von dem Mord gehört hatten, nämlich daß...« Griffin unterbrach ihn, indem er die Hand hochhielt. »Bitte, Sergeant«, sagte er, »bringen Sie das nicht vor. Falls ich es gesagt habe, erinnere ich mich jedenfalls nicht mehr daran, und auf keinen Fall habe ich es ernst gemeint.« »Vielleicht nicht«, sagte Mason, »aber Sie haben es tatsächlich fertiggebracht...« Sergeant Hoffman fuhr herum. »Genug, Mason«, sagte er. »Dies ist mein Fall. Sie sind als Zuhörer hier. Sie können den Mund halten oder weggehen.« »Sie schüchtern mich nicht die Bohne ein, Sergeant«, sagte Mason. »Ich bin hier im Hause als Mrs. Eva Belters Rechtsbeistand und höre, wie ein Mann Aussagen macht, die den Ruf meiner Mandantin schädigen und vielleicht nicht nur den Ruf. Ich werde dafür sorgen, daß diese Erklärungen bewiesen oder zurückgezogen werden.« Der Ausdruck von Geduld in der Physiognomie der Sergeanten war endgültig verschwunden. Er starrte Mason mürrisch an. »Na schön«, sagte er, »verteidigen Sie Ihre Rechte, wenn Sie wollen. Aber ich weiß nicht, ob Sie nicht auch eine ganze Menge zu erklären haben. Es ist verdammt komisch, daß die Polizei hier einen Ermordeten vorfindet, während Sie und eine Frau hier sitzen und die Dinge bereden. Und es ist auch verdammt komisch, daß eine Frau, die entdeckt, daß ihr Mann ermordet wurde, ihren Anwalt anruft, bevor sie irgend etwas anderes unternimmt.« »Das ist nicht fair«, sagte Mason hitzig, »und Sie wissen es. -8 5 -
Ich bin mit ihr befreundet.« »So scheint es«, bemerkte Sergeant Hoffman trocken. Der Anwalt stellte sich breitbeinig vor ihn hin. »Das müssen wir mal richtigstellen«, sagte er. »Ich vertrete Eva Belter. Es gibt auf Gottes weiter Welt keinen Grund, Schmutz gegen sie zu schleudern. George Belter war tot nicht einen Deut für sie wert. Dagegen war er für Griffin wertvoll. Dieser Bursche kommt mit einem Alibi hereingeschneit, das überhaupt keins ist, und fängt an, meine Klientin zu beschuldigen.« Griffin protestierte zornig. Mason heftete seine Augen auf Hoffman. »Bei Gott, Sie können eine Frau nicht wegen einer Menge losen Geschwätzes verurteilen. Dazu gehört eine Jury. Und eine Jury kann sie nicht verurteilen, wenn sie ihr die Schuld nicht zweifelsfrei nachweist.« Der Kriminalbeamte sah Mason prüfend an. »Und Sie suchen Zweifel, Mason?« Mason zeigte mit dem Finger auf Griffin. »Reißen Sie den Mund lieber nicht zu weit auf, junger Freund«, sagte er, »Glauben Sie, ich sei so dumm, nicht den Vorteil zu erkennen, den es mir bringt, Sie und das Testament in den Fall hineinzuziehen?« »Sie halten ihn für den Mörder?« fragte Sergeant Hoffman hinterhältig. Doch Mason ließ sich nicht ködern. »Ich bin kein Detektiv«, erwiderte er, »sondern Rechtsanwalt. Ich weiß, daß die Geschworenen niemanden verurteilen können, solange begründete Zweifel bestehen. Und wenn Sie versuchen, meiner Klientin etwas unterzuschieben - hier sitzt mein begründeter Zweifel.« Er deutete auf Griffin. Hoffman nickte. »Das habe ich erwartet«, sagte er bitter. »Ich hätte Ihnen nicht erlauben sollen, bei den Verhören zugegen zu sein. Jetzt können -8 6 -
Sie sich trollen.« »Ich gehe jetzt«, teilte Mason mit, als habe er ihm gar nicht zugehört.
10 Es war fast drei Uhr früh, als Perry Mason bei Paul Drake anrief. »Paul«, sagte er, »ich habe noch eine Aufgabe für dich, und es ist eine sehr eilige Sache. Hast du noch Leute, die du für meinen Fall einsetzen kannst?« »Gott, Junge«, sagte Paul Drake schläfrig, »bist du denn nie zufrieden?« »Wach auf«, sagte Mason, »und spitz die Ohren. Ich habe eine Aufgabe, die rasch erledigt werden muß. Ihr müßt der Polizei zuvorkommen.« »Wie, zum Teufel, kann ich der Polizei zuvorkommen?« fragte Drake, jetzt hellwach. »Du kannst es«, dozierte Mason, »weil ich weiß, daß du Zugang zu gewissen Akten hast. Du hast den Verband zum Schutz von Kaufleuten vertreten, der Register über alle Feuerwaffen führt, die in der Stadt verkauft werden. Ich möchte alles über eine 32er Automatic wissen, mit der Nummer 127337. Die Polizei wird die Sache routinemäßig untersuchen, zugleich mit einer Menge Fingerabdrücken, und es wird sicher der Vormittag vergehen, bevor die Nummer in die Mühle kommt. Sie wissen zwar, daß es wichtig ist, aber sie glauben, daß es nicht eilt. Mir kommt es darauf an, daß du die Information vor der Polizei hast. Ich muß sie einfach dabei schlagen.« »Was ist mit der Waffe passiert?« »Jemand hat einmal damit geschossen, mitten durchs Herz des Opfers.« Drake pfiff durch die Zähne. »Hängt das mit der anderen -8 7 -
Sache zusammen, in der ich ermittle?« »Ich glaube nicht, aber die Polizei glaubt es vielleicht.« »In Ordnung«, sagte Drake. »Wo kann ich dich erreichen?« »Überhaupt nicht. Ich werde dich anrufen.« »Wann?« »In einer Stunde.« »Bis dahin habe ich noch nichts«, protestierte Drake. »Das ist unmöglich.« »Du mußt«, beharrte Mason. »Auf alle Fälle werde ich dich anrufen.« Damit legte er auf. Dann rief er die Wohnung von Harrison Burke an, bekam aber keine Antwort. Della Streets schläfriges ›Hallo?‹ kam dagegen gleich nach dem ersten Läuten. »Hier ist Perry Mason, Della, wachen Sie auf und wischen Sie sich den Schlaf aus den Augen. Wir haben Arbeit.« »Wieviel Uhr ist es denn?« »Etwa drei Uhr oder Viertel nach.« »Schön, was soll ich tun?« »Sind Sie wirklich wach?« »Natürlich! Denken Sie, ich rede im Schlaf?« »Lassen Sie die Witze, es ist Ernst. Können Sie ein paar Sachen anziehen und sofort ins Büro kommen? Ich werde ein Taxi bestellen, das Sie abholt.« »Nehme ich mir Zeit, mich zurechtzumachen, oder werfe ich nur ein paar Sachen über?« »Machen Sie sich hübsch, aber verwenden Sie nicht zu viel Zeit darauf.« »Schon dabei«, sagte sie und legte auf. Wenige Minuten später trat Mason in sein Büro. Er schaltete die Lampen an und zog die Vorhänge vor. Leicht gebeugt, die Hände auf dem Rücken, den Kopf vorgestreckt, lief er ruhelos -8 8 -
hin und her. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, und Della Street kam herein. »Guten Morgen, Chef«, sagte sie. »Sie haben wirklich eigenartige Bürostunden.« Er winkte ihr, sich hinzusetzen. »Jetzt«, erklärte er, »fängt ein Tag an, an dem wir sehr viel zu tun haben.« »Worum dreht es sich?« fragte sie und sah ihn sorgenvoll an. »Um Mord.« »Vertreten wir einen Mandanten?« »Ich weiß noch nicht. Es kann sein, daß wir mit hineinverwickelt werden.« »In Mord?« »Ja.« »Natürlich durch diese Frau«, sagte sie wütend. Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich wünschte, Sie könnten sich von diesen Vorurteilen freimachen, Della.« »Ich habe aber doch recht. Ich wußte, daß etwas mit ihr nicht stimmte.« »Na schön«, sagte Mason erschöpft, »und jetzt vergessen Sie es, damit ich Ihnen Instruktionen geben kann. Ich weiß nicht, was sich hier abspielen wird, es kann sein, daß Sie allein weitermachen müssen, wenn mich etwas daran hindert.« »Was sollte Sie hindern?« »Kümmern Sie sich nicht darum.« »Aber ich kümmere mich«, sagte sie mit schreckgeweiteten Augen, »Sie sind in Gefahr!« Er tat, als habe er sie nicht gehört, und erzählte ihr alles, was sich ereignet hatte, seit er am Vortag das Büro verlassen hatte. »Leider hatte ich einen Zusammenstoß mit Sergeant Hoffman«, beendete er seinen Bericht. -8 9 -
»Wie schlimm?« »Schlimm genug, so wie die Dinge liegen.« »Sie meinen, Sie müssen für Ihre Mandantin einstehen?« fragte sie. »Was wird bloß als nächstes passieren?« »Ich weiß nicht. Vielleicht wird die Haushälterin plaudern. Sie haben sie offensichtlich noch nicht genügend in die Zange genommen. Das werden sie aber nachholen. Ich glaube, daß sie etwas weiß. Ich bin nicht einmal sicher, daß mir Eva Belter alles berichtet hat.« »Das wäre ja auch das erstemal«, sagte Della Street wütend, »daß sie nicht gelogen hätte. Weiß Harrison Burke von dieser Mordgeschichte?« »Ich habe versucht, ihn anzurufen. Er ist nicht zu Hause.« »Meinen Sie, daß er draußen war, als der Schuß fiel?« »Ich meine überhaupt nichts. Gehen Sie ans Telefon, rufen Sie alle zehn Minuten bei ihm an, bis Sie ihn erreichen, oder sonst jemand ans Telefon kommt.« »Okay«, sagte sie. »Außerdem rufen Sie Paul Drake an. Er ist wahrscheinlich in seinem Büro. Wenn nicht, nehmen Sie die Nummer für Notfälle, die er uns gegeben hat. Er arbeitet zur Zeit für mich.« »Jawohl, Chef.« Della ging ins Vorzimmer. Perry Mason fing wieder an, hin und her zu laufen. Nach ein paar Minuten läutete das Telefon. Er nahm den Hörer ab. »Hallo, Perry«, sagte Paul Drakes Stimme. »Ich hatte Glück bei der Sache mit der Waffe.« »Bist du sicher, daß dein Telefon nicht abgehört wird?« »Ja«, sagte Drake, »es ist alles in Ordnung.« »Dann schieß los.« »Es interessiert dich doch nicht, wo die Pistole hergestellt und von wem sie verkauft wurde. Du willst doch nur den Käufer -9 0 -
wissen, nicht wahr?« »Stimmt.« »Schön, die Waffe wurde zuletzt von einem Pete Mitchell gekauft, der als Adresse 1322 West 69. Straße angab.« »Fein. Hast du sonst noch was? Über Frank Locke?« »Nein, ich habe noch keinen Bericht von meiner Agentur im Süden. Seine Spur wurde bis nach Georgia verfolgt, und es scheint, daß er dort seinen Namen gewechselt hat.« »Dort wird die Geschichte gespielt haben. Hast du darüber etwas herausbekommen?« »Ich habe die Mieze im Wheelright Hotel identifiziert, ein Mädchen namens Esther Linten. Sie wohnt dort in Zimmer Nr. 946 und zahlt Monatsmiete.« »Wovon lebt sie?« »Vermutlich von jedem, der des Weges kommt. Wir konnten noch nicht viel über sie feststellen, aber gib uns Zeit und laß mich einmal schlafen. Man kann nicht überall zugleich sein.« »Du wirst dich dran gewöhnen, besonders in diesem Fall. Bleibe fünf Minuten im Büro, ich rufe dich an.« »Schön«, seufzte Drake und legte auf. Perry Mason ging ins Vorzimmer. »Della«, fragte er, »erinnern Sie sich noch an den politischen Rummel vor ein paar Jahren? Haben wir nicht ein paar Briefe abgelegt?« »Ja«, erwiderte sie, »wir haben einen Ordner ›politische Briefe‹. Ich verstand nicht, warum Sie sie aufhoben.« »Beziehungen«, sagte er. »Sie werden einen über den Klub ›Burke in den Kongreß‹ finden. Holen Sie ihn mir heraus, rasch.« Mason setzte sich auf die Schreibtischecke, während Della sich auf die Regale stürzte, die eine ganze Zimmerwand -9 1 -
einnahmen. »Sehr gut«, lobte er, als Della ihm schon nach wenigen Minuten einen Brief überreichte. Auf dem rechten Rand enthielt er eine Liste der Vizepräsidenten des Klubs in kleinem Druck. Es waren fast hundert Namen. Mason kniff die Augen zusammen und las die Liste durch, während sein Daumen von einem Namen zum anderen wanderte. Als fünfzehnter war ein P. J. Mitchell aufgeführt, Adresse 1322 West neunundsechzigste Straße. Mason faltete den Brief schnell zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Verbinden Sie mich wieder mit Paul Drake«, sagte er, ging in sein Privatbüro zurück und schlug die Tür zu. »Hör gut zu, Paul«, sagte er, als Drake sich meldete, »ich möchte, daß du etwas für mich tust.« »Schon wieder«, stöhnte Drake. »Nimm einen Wagen«, sagte Mason eindringlich, »und fahre nach West neunundsechzigste Straße Nr. 1322. Hole Pete Mitchell aus dem Bett. Du mußt behutsam vorgehen, damit du nicht dich in eine Patsche bringst und mich dazu. Du mußt dich wie ein Tölpel von Detektiv aufführen, der zuviel quatscht. Frage Mitchell nichts, bevor du ihm alles ausgeplaudert hast. Erzähle ihm, daß du Detektiv bist, daß George Belter heute nacht in seinem Haus ermordet wurde, und daß du gehört hast, die Nummer auf der Mordwaffe sei dieselbe wie die auf der Pistole, die man Mitchell verkauft hat. Sage ihm, du glaubst, daß er die Waffe noch hat und daß man die Nummern verwechselt hat, daß du aber wissen möchtest, ober er sagen kann, wo er um Mitternacht und kurz danach war. Frage ihn, ob er eine Waffe hat und was er damit gemacht hat. Aber erzähle ihm alles ganz genau, bevor du ihn fragst. Sei ein richtiger großer Dussel und vergiß nachher alles so schnell wie möglich.« »Verstehe. Ich muß mich so verhalten, daß man mir hinterher -9 2 -
nichts anhängen kann.« »Mach es genauso, wie ich’s dir gesagt habe. Genauso«, sagte Mason müde und legte auf. Im selben Augenblick hörte er die Tür gehen, und als er aufblickte, sah er Della Street schreckensbleich hereinschlüpfen. »Draußen ist ein Mann«, flüsterte sie, »der Sie zu kennen behauptet. Er heißt Drumm und ist ein Detektiv aus dem Polizeipräsidium.« Hinter ihr wurde die Tür aufgestoßen, und das grinsende Gesicht von Sidney Drumm erschien im Türrahmen. Seine blassen Augen schienen ganz leblos, und mehr denn je sah er wie ein kleiner Schreiberling aus, gerade aufgestanden, um Formulare zu suchen. »Verzeih mein Eindringen«, sagte er, »aber ich wollte gern mit dir sprechen, bevor du dir etwas ausdenkst.« »Wir haben uns schon an die schlechten Manieren von Polizisten gewöhnt«, lächelte Mason. »Ich bin kein Polizist«, protestierte Drumm, »ich bin nur ein Kriminaler, den echte Polizisten hassen, ein armer unterbezahlter Kriminaler.« »Komm rein und setz dich«, forderte Mason ihn auf. »Fabelhafte Bürostunden habt ihr Leute«, bemerkte Drumm. »Ich suche dich überall, und da sehe ich Licht in deinem Büro.« »Stimmt nicht«, stellte Mason fest, »wir haben die Rolläden heruntergelassen.« »Na ja«, sagte Drumm noch immer grinsend, »ich hatte so eine Ahnung, daß du hier wärst, weil ich weiß, wie hart du arbeitest.« »Schön«, sagte Mason, »du kannst die Witze weglassen. Ich vermute, dies ist ein amtlicher Besuch?« »Sicher«, erwiderte Drumm. »Ich bin neugierig. Ich lebe davon, daß ich neugierig bin und meine Neugierde befriedige. -9 3 -
Im Augenblick bin ich wegen der Telefonnummer neugierig. Ich stürze ins Amt und bringe dir Nummer und Adresse, und du bedankst dich höflich. Dann tauchst du an der Adresse auf und sitzt mit einem Ermordeten und seiner Frau zusammen. Die Frage lautet: Ist das Zufall?« »Und die Antwort?« fragte Mason. »Nein«, polterte Drumm, »meine Aufgabe ist es nicht, zu spekulieren, sondern Fragen zu stellen. Du bist dran mit dem Antworten.« »Die Antwort lautete, daß ich dort war, weil die Frau mich darum ersuchte.« »Komisch, daß du die Frau kanntest und den Mann nicht«, bohrte Drumm. »Sehr komisch«, sagte Mason sarkastisch. »Das ist das Üble, wenn man eine Rechtsanwaltspraxis hat. So oft kommen Frauen allein, und vor allem, wenn es sich um häusliche Probleme handelt, weigern sie sich, ihren Mann mitzubringen. Ich habe sogar von zwei oder drei Fällen gehört, in denen Frauen in Anwaltsbüros gingen und nicht wünschten, daß ihr Mann etwas davon erfuhr.« Drumm grinste immer noch. »Und würdest du sagen, daß dies solch ein Fall war?« »Ich würde gar nichts sagen«, erwiderte Mason. Drumm legte den Kopf in den Nacken. Träumerisch betrachtete er die Decke. »Das macht die Sache interessant«, sagte er langsam. »Frau kommt zu Rechtsanwalt, der für sein Geschick bekannt ist. Anwalt kennt die Telefonnummer des Gatten nicht. Anwalt fängt an, für die Frau zu arbeiten. Anwalt entdeckt Telefonnummer, verfolgt die Spur bis zum Ehemann. Geht hin, Frau dort, Mann tot.« »Glaubst du, daß du so irgendwas herausfindest, Sidney?« -9 4 -
fragte Mason ungeduldig. Drumm grinste wieder. »Ich will meinen Hut essen, wenn ich das weiß, Perry«, sagte er. »Aber ich sitze nicht still.« »Wirst du es mich wissen lassen, wenn du etwas erfährst?« »Oh...« Drumm stand auf. »Das wirst du schnell genug erleben.« Er blickte von Mason zu Della Street hinüber. »Ich fasse deine letzte Bemerkung als mein Stichwort auf, die Szene zu verlassen.« »Beeile dich nur nicht.« Drumm blieb stehen und starrte den Anwalt an. »Weißt du, Perry, wenn du aufrichtig zu mir gewesen wärest, hätte ic h dir vielleicht ein bißchen helfen können. Wenn du aber Allüren annimmst und schnippisch wirst, muß ich herumschnüffeln.« »Natürlich«, gab Mason zu, »das verstehe ich. Es ist dein Beruf. Und ich habe meinen.« »Wiedersehen, Perry.« »Wiedersehen, Sidney. Komm mal wieder vorbei.« »Keine Sorge, ich komme.« Sidney Drumm schloß die Tür hinter sich. Impulsiv ging Della auf Mason zu. Er winkte sie zurück und sagte: »Sehen Sie im Vorzimmer nach, ob er auch wirklich gegangen ist.« Noch ehe sie die Tür erreichte, flo g sie auf, und Sidney Drumm steckte den Kopf wieder herein. Lachend sah er sich um. »Ihr seid nicht darauf reingefallen. In Ordnung, Perry, diesmal gehe ich wirklich.« »Schön«, sagte Mason. »Leb wohl.« Als Drumm die Tür schloß und kurz darauf die äußere Tür mit einem Knall ins Schloß flog, war es vier Uhr morgens.
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11 Perry Mason zog den Hut tief ins Gesicht und schlüpfte in seinen Mantel, der noch so feucht war, daß er nach nasser Wolle roch. »Ich gehe mich ein bißchen umhören«, teilte er Della Street mit. »Früher oder später werden sie den Kreis der Verdächtigen einengen, und dann kann ich nichts mehr unternehmen. Sie bleiben hier und halten die Festung. Ich kann Ihnen keine Telefonnummer hinterlassen, wo Sie mich erreichen können, weil ich gewisse Befürcht ungen hege, wenn Sie mich anrufen. Aber ich werde ab und zu hier anläuten, mich als Johnson melden und sagen, ich sei ein alter Freund von Mason, ob er eine Nachricht hinterlassen hätte. Sie können dann verschlüsselt antworten.« »Sie meinen, die werden uns er Telefon anzapfen?« »Könnte sein. Ich weiß nicht, wohin diese Sache noch führt. Seien Sie also vorsichtig«, sagte er und verließ das Büro. Es war noch dunkel, als er die Halle des Hotel Ripley betrat und ein Zimmer mit Bad verlangte. Er schrieb sich als Fred B. Johnson aus Detroit ein und bekam Zimmer Nr. 518. Da er kein Gepäck hatte, mußte er im voraus bezahlen. Im Zimmer zog er die Vorhänge zu, bestellte vier Flaschen Bier, viel Eis und eine Flasche Whisky. Dann setzte er sich, legte die Füße aufs Bett und rauchte. Die Tür war unverschlossen. Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, während der er eine Zigarette an der anderen ansteckte, dann öffnete sich die Tür, und Eva Belter kam, ohne anzuklopfen herein. Sie schloß die Tür hinter sich ab, lächelte ihn an und sagte: »Ach, bin ich froh, daß Sie wirklich hier sind.« »Sind Sie sicher, daß Sie nicht verfolgt wurden?« »Ganz sicher. Die Polizei sagt, daß ich eine wichtige Zeugin -9 6 -
sei und die Stadt nicht verlassen oder sonst irgend etwas unternehmen dürfe, ohne die Polizei zu verständigen. Glauben Sie, die werden mich verhaften?« »Das kommt darauf an.« »Auf was?« »Auf eine Menge Dinge. Ich möchte mit Ihnen sprechen.« »Gut. Ich habe das Testament gefunden.« »Wo?« »In seinem Schreibtisch.« »Was haben Sie damit gemacht.« »Ich habe es mitgebracht.« »Wir wollen es ansehen.« »Es ist genauso, wie ich erwartet habe. Nur komme ich noch schlechter weg, als ich dachte. Ich hoffte, er würde mir wenigstens so viel hinterlassen, daß ich nach Europa reisen und mich umsehen könnte und... Mich eben irgendwie neu einrichten.« »Sie meinen, sich einen neuen Mann suchen.« »Ich habe nichts dergleichen gesagt.« »Ich spreche nicht von dem, was Sie gesagt haben, sondern was Sie meinten«, stellte Mason richtig, noch immer mit einer kühlen unbeteiligten Stimme. Ihr Gesicht drückte beleidigte Würde aus. »Wirklich, Mr. Mason, ich finde, das Gespräch schweift ab. Hier ist das Testament.« Ohne ihr zu antworten, streckte er die Hand aus, nahm ihr das Papier ab und begann, es langsam zu lesen. »Ist es seine Handschrift?« fragte er. »Nein«, erwiderte sie, »das glaube ich nicht.« Er sah sie scharf an.»Es scheint aber alles in derselben Handschrift zu sein.« -9 7 -
»Ich halte es dennoch nicht für seine Handschrift.« Er lachte. »Das wird Ihnen nichts nützen. Ihr Mann zeigte das Testament Carl Griffin und Arthur Atwood, dem Anwalt von Griffin. Er sagte ihnen, es sei sein Testament, in seiner Handschrift.« Eva Belter schüttelte ungeduldig den Kopf. »Sie meinen, er zeigte ihnen ein Testament und sagte, es sei in seiner Handschrift. Nichts hinderte Griffin, das Testament zu zerreißen und ein gefälschtes unterzuschieben. Habe ich recht?« Er sah sie kühl an. »Wissen Sie, was Sie da sagen? Oder sind es leere Worte?« »Natürlich nicht.« »Das ist eine gefährliche Anschuldigung, wenn Sie keine Beweise haben.« »Noch habe ich keine Beweise«, sagte sie langsam. »Dann«, warnte er, »sprechen Sie die Anschuldigung lieber nicht aus.« »Sie sagen mir dauernd, Sie seien mein Anwalt, und ich müßte Ihnen alles sagen.« Ihre Stimme bebte vor Ärger. »Aber wenn ich Ihnen alles sage, fangen Sie an, mich zu schelten.« »Ach, lassen wir das.« Mason reichte ihr das Testament zurück. »Diese Miene beleidigter Unschuld sparen Sie sich für die Gerichtsverhandlung auf. Bei mir zieht sie nicht. Jetzt erzählen Sie mir von dem Testament. Wie sind Sie dazu gekommen?« »Es war in seinem Arbeitszimmer«, sagte sie zögernd. »Der Safe war unverschlossen. Ich zog das Testament heraus und schloß den Safe.« »Wissen Sie, das ist nicht einmal drollig«, sagte Mason. »Sie glauben mir nicht?« »Natürlich nicht.« -9 8 -
»Warum?« »Weil die Polizei das Zimmer höchst wahrscheinlich bewachen läßt. Auf jeden Fall hätten sie aber bemerkt, daß der Safe offenstand, und hätten ein Inhaltsverzeichnis gemacht.« Sie senkte die Augen. »Erinnern Sie sich, wie Sie den Toten ansahen und den Bademantel befühlten?« »Ja«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Da habe ich es aus dem Safe genommen. Der Safe stand offen. Ich verschloß ihn. Sie sahen sich gerade die Leiche an.« Er zwinkerte erstaunt. »Bei Gott, das glaube ich. Sie waren tatsächlich in der Nähe des Schreibtisches und des Safes. Warum haben Sie das getan? Warum haben Sie mir nicht gesagt, was Sie vorhatten?« »Weil ich sehen wollte, ob das Testament für mich günstig war oder nicht. Meinen Sie, ich sollte es vernichten?« »Auf keinen Fall«, explodierte Mason. Sie schwieg mehrere Minuten. »Gibt es noch etwas?« fragte sie schließlich. »Ja«, antwortete er, »setzen Sie sich dort auf das Bett, wo ich Sie sehen kann. Ich möchte einiges wissen. Ich habe Sie nicht gefragt, bevor die Beamten mit Ihnen gesprochen haben, weil ich fürchtete, Sie zu verwirren. Ich wollte, daß sie Ihre Haltung bewahrten, während Sie mit ihnen sprachen. Aber jetzt ist die Lage anders. Jetzt möchte ich ganz genau wissen, was passiert ist.« Sie riß die Augen auf und setzte wieder ihre Engelsmiene auf. »Ich habe Ihnen doch erzählt, was passiert ist.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das taten Sie nicht.« »Beschuldigen Sie mich der Lüge?« Er seufzte. »Um Himmels willen, lassen Sie das Theater und kommen Sie von der Bühne runter.« -9 9 -
»Was genau wollen Sie denn wissen?« »Sie waren gestern fröhlich angezogen.« »Wie meinen Sie?« »Das wissen Sie genau. Sie trugen ein dekolletiertes Abendkleid und Seidenschuhe.« »Na und?« »Und Ihr Mann war im Bad. Sie haben sich nicht für ihn angezogen.« »Natürlich nicht.« »In Wirklichkeit waren Sie gestern abend aus und kamen erst kurz bevor Ihr Mann ermordet wurde zurück. Stimmt’s?« Leidenschaftlich schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie, »ich war den ganzen Abend zu Hause.« Perry Mason sah sie kalt und durchdringend an. »Die Haushälterin sagte mir, daß jemand wegen Schuhen angerufen hätte«, schwindelte er auf gut Glück. Ganz offensichtlich war Eva Belter überrascht, aber sie riß sich zusammen. »Und was ist dabei?« fragte sie kühl. »Sagen Sie mir erst, ob Ihr Mädchen Ihnen so eine Botschaft gebracht hat.« »Ja, ich glaube. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich hatte Ärger mit ein Paar Schuhen, und es lag mir viel daran, sie zu bekommen. Ich glaube, Marie bekam eine Nachricht und sagte es mir. Was danach passierte, verdrängte es aus meinem Gedächtnis.« »Wissen Sie, wie die Leute hingerichtet werden?« fragte Mason brutal. »Ich verstehe nicht.« »Die Mörder«, fuhr er fort. »Es geschieht meistens am Morgen. Sie kommen hinunter in die Todeszelle und lesen Ihnen das Todesurteil vor. Dann schnallen sie Ihnen die Hände auf den Rücken, schnallen ein Brett auf ihren Rücken, damit Sie nicht -1 0 0 -
umsinken. Sie marschieren durch den Gang zum Galgen. Es sind dreizehn Stufen, die Sie hinaufklettern müssen, dann stehen Sie auf einer Falltür. Gefängnisbeamte stehen daneben, um alles zu beobachten, und hinter der Falltür, in einem kleinen Verschlag, sitzen drei Gefangene mit scharfen Messern. Drei Stricke laufen über das Brett. Der Henker streift Ihnen eine Schlinge über den Kopf und eine schwarze Jacke, dann fesselt er Ihre Beine...« Sie schrie auf. »Hören Sie auf!« »Genau das wird Ihnen passieren, wenn Sie mir nicht die reine Wahrheit sagen.« »Ich sage ja die Wahrheit«, stotterte sie. Er schüttelte den Kopf. »Sie müssen lernen, aufrichtig zu sein und alles zu sagen, wenn wir Sie aus dieser Patsche ziehen sollen. Sie wissen genau wie ich, daß diese Botschaft über Schuhe nur ein Kode war und bedeutete, daß Harrison Burke sich mit Ihnen in Verbindung setzen wollte. Genauso haben Sie mir den Kleider-Kode gegeben.« Nur mühsam brachte sie ein Nicken zustande. »Also, nun erzählen Sie mir, was passierte. Harrison Burke sandte Ihnen diese Botschaft. Dann sagten Sie ihm, daß Sie ihn an einem bestimmten Platz treffen wollten, zogen sich an und gingen aus. »Richtig?« »Nein«, sagte sie, »er kam ins Haus.« »Was tat er?« »Sie hatten ihm gesagt, daß George der Besitzer von Spicy Bits war und er wollte es zuerst gar nicht glauben. Als er es dann tat, wollte er mit George sprechen. Ich riet ihm ab, aber er kam trotzdem. Er glaubte, er könne George alles erklären. Er war zu allem bereit, wenn nur Spicy Bits seine Attacke abblies.« Sie schwieg. »Woher wußten Sie’s?« fragte sie dann. »Was?« »Daß die Schuhe unser Kode waren.« -1 0 1 -
»Ach, er sagte es mir.« »Und dann hat die Haushälterin von der Botschaft gesprochen? Ich wüßte gern, ob sie es auch der Polizei gesagt hat.« Mason schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein«, sagte er, »sie hat der Polizei nichts gesagt und mir auch nicht. Es war nur ein kleiner Bluff.« Sie schmollte. »Das gefällt mir nicht.« »Habe ich auch nicht erwartet. Es wird noch vieles geben, was Ihnen nicht gefällt, bevor wir mit dieser Geschichte über den Berg sind. Also Harrison Burke kam ins Haus, und dann?« »Er drängte immer wieder darauf, George zu sehen. Ich sagte ihm, es sei glatter Selbstmord, George auch nur nahe zu kommen.« »Gut«, sagte Mason, »jetzt kommen wir endlich voran. Er wollte Ihren Mann sehen, aber Sie versuchten, ihn zurückzuhalten. War es so?« »Ja. Ich hatte Angst«, sagte sie langsam, »daß er meinen Namen nennen würde.« »Tat er es?« »Das weiß ich nicht.« Sie zögerte, dann sprudelte sie die Worte nur so hervor: »Das heißt, natürlich nicht. Er hat ja George gar nicht gesehen. Er sprach mit mir, und ich überzeugte ihn, daß er nicht mit Geroge zusammentreffen dürfe. Und da verließ er das Haus.« Perry Mason lachte vergnügt. »An diese Ausrede haben Sie etwas zu spät gedacht, junge Frau. Harrison Burke war also oben und sprach mit Ihrem Mann. Wie lange blieb er oben?« »Ich weiß nicht. Nicht über fünfzehn Minuten.« »Schon besser. Und Sie sahen ihn nicht mehr, nachdem er herunterkam?« -1 0 2 -
»Nein.« »Wurde der Schuß abgefeuert, während Harrison Burke oben war, und lief er dann die Treppe hinunter und aus dem Haus, ohne Ihnen etwas zu sagen?« Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein«, beteuerte sie, »Burke ging weg, bevor mein Mann erschossen wurde.« »Wie lange vorher?« »Vielleicht fünfzehn Minuten, vielleicht länger, vielleicht nicht so lange.« »Und jetzt«, sagte Mason, »ist Harrison Burke nicht zu finden.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Genau, was ich gesagt habe. Er ist nicht aufzufinden. Er meldet sich nicht am Telefon und ist nicht in seiner Wohnung.« »Woher wissen Sie es?« »Weil ich andauernd versucht habe, ihn anzurufen; ich habe auch Privatdetektive in seine Wohnung geschickt, weil ich wußte, daß man ihn wegen der Schießerei verdächtigen würde.« Sie sperrte wieder die Augen auf. »Wie wäre das möglich? Niemand weiß, daß er im Haus war - außer uns. Und wir werden es natürlich nicht sagen.« »Der Schuß fiel aus seiner Pistole«, sagte Mason langsam. Sie starrte ihn erschrocken an. »Warum sagen Sie das?« »Weil eine Nummer auf der Waffe steht. Sie kann von der Fabrik zum Großhändler und über den Einzelhändler zum Kunden verfolgt werden. Es war ein gewisser Pete Mitchell, der in der neunundsechzigsten Street Nummer 1322 wohnt, ein enger Freund von Harrison Burke. Die Polizei ist hinter Mitchell her, und wenn sie ihn haben, wird er erklären müssen, was er mit seiner Pistole gemacht hat.« »Ich wußte, daß wir etwas mit der Waffe hätten tun müssen«, -1 0 3 -
sagte sie fast hysterisch. »Ja«, erwiderte Mason, »und dann hätten Sie Ihren Hals in die Schlinge gesteckt. Ihre eigene Lage ist nicht allzu rosig. Natürlich wollen Sie Burke möglichst retten. Aber was ich zu erreichen versuche, ist, daß Sie mir die Wahrheit sagen, falls Burke der Täter ist. Wir werden ihn dann heraushalten, wenn es geht. Aber ich möchte nicht, daß eine Klage gegen Sie gebaut wird, weil Sie versuchen, Burke zu retten.« Sie fing an, hin und her zu laufen und ihr Taschentuch mit nervösen Fingern zu bearbeiten. »O mein Gott«, sagte sie, »o mein Gott, mein Gott.« »Ich weiß nicht, ob es Ihnen jemals eingefallen ist, daß man für Beihilfe nach der Tat oder Behinderung der Polizei bestraft wird. Wir wollen beide nicht in diese Lage kommen. Wir wollen einfach herausfinden, wer es getan hat, und das vor der Polizei. Wenn Burke schuldig ist, müssen wir uns mit ihm in Verbindung setzen und ihn dazu bringen, daß er gesteht. Dann muß der Fall durchgepeitscht werden, bevor das Büro des Staatsanwalts zu viele Beweise sammeln kann. Ich werde Schritte unternehmen, daß Locke ruhig bleibt und den Erpresserartikel absetzt.« Sie starrte ihn erstaunt an: »Wie wollen Sie das schaffen?« »In diesem Spiel«, lächelte er, »bin ich derjenige, der alles wissen muß. Je weniger Sie wissen, um so weniger können Sie verraten.« »Sie können mir vertrauen. Ich kann ein Geheimnis bewahren.« »Sie sind eine gute Lügnerin«, bestätigte er, »falls es das ist, was Sie meinen. Aber hier brauchen Sie einmal nicht zu lügen, weil Sie nicht wissen werden, was vorgeht.« »Aber Burke hat es nicht getan«, sagte sie noch einmal mit großer Überzeugung. Er runzelte die Stirn. -1 0 4 -
»Das ist der Grund, warum ich Sie sprechen wollte. Wenn Burke es nicht getan hat, wer sonst?« Sie blickte ihn nicht an. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ein Mann eine Besprechung mit George hatte. Ich weiß nicht, wer es war. Ich glaubte, Sie seien es. Es klang wie Ihre Stimme.« Er sprang mit verfinstertem Gesicht auf. »Hören Sie, wenn Sie diese Art Spiel mit mir treiben, werfe ich Sie den Wölfen vor. Sie haben es schon einmal versucht. Das ist mehr als genug.« Sie fing an zu weinen. »Ich kann es doch nicht ändern«, schluchzte sie. »Ich habe Ihre Stimme gehört, ich werde es nicht der Polizei sagen, auch nicht, wenn sie mich foltern.« »Sie haben meine Stimme nicht gehört, weil ich überhaupt nicht da war. Und hören Sie mit dem Gewinsel auf!« »Dann war es jemand, dessen Stimme wie Ihre klang«, beharrte sie. Er sah sie zornig an. »Sind Sie in Burke verliebt?« fragte er. »Und versuchen Sie, die Dinge so zu drehen, daß Sie mich in Verdacht bringen, falls es mir nicht gelingt, Burke herauszupauken?« »Nein, nein. Sie haben verlangt, daß ich Ihnen die Wahrheit sage, und das tue ich.« »Ich hätte große Lust, davonzugehen und Sie im Schlammassel sitzen zu lassen!« drohte er. »Dann wäre ich natürlich gezwungen«, sagte sie samtweich, »der Polizei zu sagen, wessen Stimme ich gehört habe.« »Ach, sieh mal an, das ist Ihr Trick, was?« »Ich habe keine Tricks. Ich sage die Wahrheit.« Ihre Stimme war honigsüß, aber sie sah ihn nicht an. Mason seufzte. »Ich habe noch nie einen Mandanten im Stich gelassen, ob er unschuldig oder schuldig war«, sagte er. »Aber bei Gott, die Versuchung, Sie sitzenzulassen, ist fast -1 0 5 -
übermenschlich!« Sie saß auf dem Bett und knetete nervös ihr Taschentuch. »Als ich das Haus verlassen hatte und den Hügel hinunterging«, begann Mason nach einer Pause, »bin ich in den Drugstore gegangen, aus dem Sie mich angerufen haben. Der Verkäufer hat Sie natürlich beobachtet. Eine Frau in Abendkleidung, mit einem Männermantel um die Schultern, die triefend naß nach Mitternacht in die Telefonzelle eines Drugstores geht, erregt Neugierde. Dieser Verkäufer hat mir erzählt, daß sie zwei Gespräche geführt haben.« Sie sah ihn mit großen Unschuldsaugen an und sagte wieder nichts. »Wen haben Sie außer mir angerufen?« »Niemanden. Der Verkäufer irrt sich.« Perry Mason setzte den Hut auf. »Ich weiß noch nicht, wie ich Sie aus dieser Sache herauskriege«, sagte er, sie wütend musternd, »aber ich werde es schaffen. Aber Sie müssen schwer dafür blechen!« Damit trat er auf dem Flur und schmetterte die Tür zu, daß es durchs Haus hallte. Am östlichen Himmel dämmerte der Morgen herauf.
12 Die Morgensonne vergoldete die Dächer, als Perry Mason Harrison Burkes Haushälterin herausklingelte. Sie war eine korpulente Endfünfzigerin, die ihn aus kleinen Augen, die zwischen Fettpolstern fast verschwanden, feindselig anfunkelte. »Es ist mir egal, wer Sie sind«, keifte sie. »Ich sage Ihnen, er ist nicht hier und ich weiß nicht, wo er steckt. Er kam erst um Mitternacht nach Hause, dann rief ihn jemand an, und er ging wieder weg. Danach hat das Telefon die ganze Nacht geklingelt, aber ich bin nicht rangegangen, weil er ja nicht da war und ich so kalte Füße kriege, wenn ich mitten in der Nacht aufstehe. -1 0 6 -
Und ich mag auch nicht zu so verrückter Zeit aus dem Bett geholt werden.« »Glauben Sie, er hat den Anruf erwartet?« »Woher soll ich das wissen? Als er heimkam, wachte ich auf. Ich hörte, wie er die Tür wieder zuschloß. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, als ich das Telefon läuten hörte. Da hörte ich ihn reden und dann in sein Schlafzimmer hinauflaufen. Er packte wohl nur ein paar Sachen in eine Reisetasche, denn am Morgen war die Tasche weg. Ich hörte ihn hinunterrennen und die Haustür zuknallen.« »Das ist alles, was Sie zu sagen haben?« fragte Mason. »Darauf können Sie wetten!« Sie schlug die Tür zu. An einem Hotel hielt Mason und rief sein Büro an. Als er Della Streets Stimme hörte, fragte er: »Ist Mr. Mason da?« »Nein«, erwiderte sie. »Wer spricht?« »Ein Freund von ihm«, sagte er. »Mein Name ist Fred B Johnson. Es liegt mir sehr viel daran, Mr. Mason zu erreichen.« »Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wo er ist, aber er wird wohl bald kommen. Verschiedene Leute fragen nach ihm und einer, ein Mr. Paul Drake, hat, soviel ich weiß, eine Verabredung mit ihm. Deshalb glaube ich, daß er bald kommen wird.« »Schön«, bemerkte Mason, »ich rufe zurück.« »Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?« »Nein«, sagte er, »nur, daß ich wieder anrufen werde.« Dann rief er Paul Drake an. »Reiß keine Witze, wenn dich jemand hören kann, Paul«, sagte Mason, »ich fürchte, mir wollen einer ganzen Menge Leute Frager stellen, die ich im Augenblick lieber nicht beantworten möchte. Du weißt, wer am anderen Ende ist.« »Junge«, erwiderte Drake, »ich kann dir was erzählen...« -1 0 7 -
»Schieß los.« »Ich ging zu diesem Typ in der neunundsechzigsten Straße und fand etwas Merkwürdiges.« »Weiter.« »Der Bursche wurde kurz nach Mitternacht angerufen. Er schien recht erschrocken, packte ein paar Sachen, und gegen dreiviertel eins holte ihn ein Wagen ab. Er sagte seiner Frau noch, er sei wegen wichtiger Geschäfte nach auswärts gerufen worden. Heute morgen bekam sie ein Telegramm. Da stand nur drin: ›Alles in Ordnung, mach Dir keine Sorgen, Liebling‹ und mehr weiß sie nicht. Natürlich ist sie ein bißchen beunruhigt.« »Großartig«, sagte Mason. »Kannst du was draus machen?« »Ich glaube schon. Muß noch drüber nachdenken, aber es könnte sehr wichtig sein. Weißt du was Neues über Locke?« »Ich konnte noch nichts Genaues feststellen, aber ich glaube, ich bin auf der richtigen Spur. Erinnerst du dich an diese Biene im Wheelright Hotel? Diese Esther Linten?« »Was ist mit ihr?« »Sie stammt aus Georgia. Ist das nicht sonderbar?« Mason stieß einen leisen Pfiff aus. »Und das ist noch nicht alles. Sie bekommt alle zwei Wochen einen Scheck von einem Spezialkonto, das Spicy Bits auf einer Bank in der City unterhält. Wir konnten den Kassierer im Hotel zum Reden bringen. Die Dame hat den Scheck regelmäßig durch das Hotel eingelöst.« »Kannst du ihre Spur nach Georgia verfolgen und herausfinden, in was sie dort verwickelt war? Vielleicht hat sie ihren Namen nicht gewechselt.« »Wir sind schon dabei. Ich habe meine Agentur in Georgia beauftragt, mir ein Telegramm zu schicken, wenn sie was gefunden haben.« -1 0 8 -
»Genau richtig. Kannst du mir verraten, wo Frank Locke heute nacht war?« »Den haben wir beschattet, so daß wir über jede Minute Bescheid wissen. Willst du einen vollständigen Bericht?« »Ja, sofort.« »Wohin soll ich ihn schicken?« »Mit einem Boten, dem du trauen kannst, zum Hotel Ripley. Aber paß auf, daß er nicht verfolgt wird. Er soll den Bericht für Fred B. Johnson im Hotel abgeben.« »Wird gemacht. Melde dich wieder.« »Gewiß.« Mason legte auf. Er ging auf dem nächsten Weg ins Hotel Ripley. Die Tür zu seinem Zimmer war unverschlossen. Er marschierte hinein, und da saß Eva Belter rauchend auf seinem Bett. Auf dem Tischchen neben ihr standen eine halb geleerte Whiskyflasche und ein Glas. Ein dicker Mann mit flackernden Augen saß im Polsterstuhl. »Gut, daß Sie kommen«, sagte Eva Belter, »Sie werden es nicht glauben, aber ich bringe Ihnen den Beweis.« »Den Beweis wofür?« fragte Mason. Er starrte den Dicken an, der aufgestanden war und seinen Blick verlegen erwiderte. »Den Beweis, daß das Testament eine Fälschung ist«, erklärte Eva Belter. »Dies ist Mr. Dagett, Kassierer bei der Bank, über die Georges Geschäfte liefen. Er weiß auch eine ganze Menge über Georges Privatangelegenheiten. Und er sagt, es sei nicht seine Handschrift.« Dagett verbeugte sich lächelnd, doch ohne die Hand auszustrecken. »Sie sind ein bekannter Rechtsanwalt, Mr. Mason. Es freut mich, Sie kennenzulernen.« Mason stellte sich breitbeinig hin und sah dem dicken Mann direkt in die Augen. »Sie brauchen sich nicht so zu winden. Sie hat Sie natürlich in -1 0 9 -
der Hand, sonst würden Sie nicht so früh am Morgen hier aufkreuzen. Wahrscheinlich rufen auch Sie das Mädchen an und hinterlassen eine Nachricht - vielleicht über einen Hut? Das ist mir völlig egal. Ich suche Tatsachen. Kümmern Sie sich nicht darum, was Sie aussagen sollen. Glauben Sie mir, Sie helfen ihr am besten, wenn Sie aufrichtig sind. Also ist die Geschichte wahr?« Der Bankangestellte wurde rot. Er machte einen Schritt auf den Anwalt zu, blieb dann stehen, holte tief Atem und fragte: »Sie meinen das Testament?« »Das Testament«, bestätigte Mason. »Es ist eine Fälschung, und nicht einmal eine gute. Wenn Sie es genau ansehen, werden Sie bemerken, daß die Handschrift ein paarmal ohne die charakteristischen Merkmale ist. Als ob jemand hastig eine Fälschung fabrizieren wollte und zwischendurch müde wurde.« »Zeigen Sie mir das Testament«, fuhr Mason ihn an. Eva Belter reichte es ihm. »Wie wäre es mit noch einem Highball, Charlie?« fragte sie kichernd. Dagett schüttelte heftig den Kopf. »Nein«, sagte er ärgerlich. Mason studierte das Testament eingehend. Seine Augen zogen sich zusammen. »Bei Gott!« stieß er hervor. »Sie haben recht.« »Zweifellos«, erklärte Dagett. »Wären Sie bereit, das vor Gericht zu bezeugen?« »Um Himmels willen, nein! Aber Sie brauchen mich nicht dazu. Es springt ins Auge.« »Schön«, sagte Perry Mason. »Das wäre alles.« Dagett machte sich eilig davon. Mason fixierte Eva Belter. »Ich habe Ihnen zwar gesagt, daß Sie mich hier treffen könnten, um die Lage zu besprechen, aber ich wollte keineswegs, daß Sie sich hier häuslich niederlassen. Haben Sie denn gar nicht daran gedacht, in welche Situation wir kämen, wenn man uns früh am Morgen im selben Zimmer entdeckte?« -1 1 0 -
Sie zuckte die Achseln. »Etwas müssen wir schon riskieren, und es lag mir daran, daß Sie mit Mr. Dagett sprachen.« »Wie haben Sie ihn hergekriegt?« »Rief ihn an und sagte, er müsse herkommen, es sei wichtig. War nicht nett von Ihnen, solche Andeutungen zu machen. Ungezogen!« Und sie kicherte beschwipst. »Kennen Sie ihn näher?« »Wie meinen Sie das?« »Sie wissen verdammt gut, was ich meine. Sie nannten ihn Charlie.« »Allerdings. Das ist sein Vorname. Er ist mein Freund, ebenso wie der von George.« »Ich verstehe«, sagte Mason grimmig. Er ging zum Telefon und rief sein Büro an. »Hier ist Johnson«, sagte er, »ist Mr. Mason inzwischen gekommen?« »Nein«, erwiderte Della Street, »ich fürchte aber, daß er sehr beschäftigt sein wird, wenn er kommt, Mr. Johnson. Heute nacht ist etwas passiert. Ich weiß nicht genau was, aber es war irgendein Mordfall, und Mr. Mason vertritt einen der Hauptzeugen. Ein paar Reporter haben versucht, ihn zu sprechen, und jemand besteht darauf, im Vorzimmer auf ihn zu warten. Ich glaube, es ist ein Polizeibeamter. Deshalb fürchte ich, Sie werden kein Glück haben, wenn Sie Mr. Mason heute vormittag sprechen wollen.« »Zu dumm«, sagte Mason. »Ich muß ein paar Dokumente diktieren, die Mr. Mason sicher sehen wollte und wahrscheinlich auch unterzeichnen müßte. Wüßten Sie vielleicht jemanden, der ein Stenogramm aufnehmen könnte.?« »Ich glaube schon«, sagte Della Street. »Ich bin im Hotel Ripley.« »Okay.« Sie legte auf. Mason sah Eva Belter verdrossen an. »Da Sie hier sind und -1 1 1 -
soviel riskiert haben, werden Sie auch noch eine Weile bleiben.« »Was haben Sie denn vor?« »Ich werde eine Verwaltungsvollmacht beantragen«, sagte er. »Das wird sie zwingen, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Sie werden das Testament zur Bestätigung durch das Gericht vorlegen, und wir werden die Bestätigung anfechten und beantragen, daß Sie als vorläufige Nachlaßverwalterin eingesetzt werden.« »Was bedeutet das alles?« »Das bedeutet, daß Sie von jetzt an im Sattel sitzen und wir Sie da halten werden, ganz egal, was die anderen machen.« »Was soll mir das nützen? Wenn ich in dem Testament enterbt bin, müssen wir doch erst beweisen, daß es eine Fälschung ist. Kann ich denn überhaupt einen Cent bekommen, bevor eine Gerichtsverhand lung stattgefunden und die Sache entschieden hat?« »Ich denke an die Verwaltung der Eigentumsrechte aus dem Nachlaß an Spicy Bits zum Beispiel.« »Ach so, jetzt verstehe ich Sie.« »Wir werden diese Papiere alle zugleich diktieren«, fuhr Mason fort, »und sie bei meiner Sekretärin hinterlegen, so daß sie sie nacheinander einreichen kann. Sie müssen das Testament zurücklegen. Wahrscheinlich ist das Zimmer jetzt bewacht, so daß Sie es nicht dorthin zurücklegen können, wo Sie es gefunden haben. Aber Sie können es ins Haus irgendwohin schmuggeln.« Sie kicherte wieder. »Das kann ich.« »Sie riskieren verdammt viel«, sagte Mason ungehalten. »Wozu Sie das Testament dort herausgeangelt haben, ist mir völlig schleierhaft. Wenn Sie damit erwischt werden, könnte das böse ausgehen.« »Seien Sie unbesorgt«, sagte sie heiter. »Ich werde nicht -1 1 2 -
erwischt werden. Sie gehen wohl immer auf Nummer Sicher, was?« »Guter Gott«, seufzte Mason, »was bin ich für ein Risiko eingegangen, als ich mich in Ihre Angelegenheit mischte. Sie sind pures Dynamit!« »Finden Sie?« Sie lächelte ihn verführerisch an. »Ich kenne ein paar Männer, die solche Frauen lieben.« Er starrte sie voller Widerwillen an. »Sie werden gleich sternhagelvoll sein. Hören Sie mit dem Trinken auf.« »Du meine Güte, Sie reden ge nau wie ein Ehemann.« Er nahm die Whiskyflasche, schloß sie in eine Kommode ein und steckte den Schlüssel in die Tasche. »War das nett?« fragte sie. »Ja«, sagte er. Es klopfte an der Tür. Ein Boy brachte ein Paket, das ein Bote für Mason abgegeben hatte. Es kam von der Detektei Drake und enthielt einen Bericht, wie Frank Locke den Vorabend verbracht hatte. Es war nicht schwierig gewesen, ihn zu beschatten. Locke war für eine halbe Stunde in eine Kneipe gegangen, hatte sich dann bei einem Friseur rasieren und massieren lassen, war dann ins Whellright Hotel, Zimmer 946, gegangen, fünf bis zehn Minuten dort geblieben und dann mit Esther Linten zum Essen ausgefahren. Sie hatten gegessen und bis elf Uhr getanzt, waren dann ins Wheelright zurückgekehrt. Der Zimmerkellner hatte Ingwerbier und Eis aufs Zimmer gebracht, und Locke war bis halb zwei Uhr geblieben. Mason steckte den Bericht in die Tasche und begann mit den Fingern auf die Fensterscheibe zu trommeln. »Sie machen mich nervös«, klagte Eva Belter. »Sagen Sie mir -1 1 3 -
doch, was los ist. Was war das für ein Papier?« »Eine Geschäftsangelegenheit.« »Was für eine?« Er lachte sie aus. »Muß ich Ihnen alles über meine Klienten erzählen, weil ich zufällig für Sie arbeite?« Sie runzelte die Stirn. »Sie sind wirklich ekelhaft.« Er zuckte die Achseln und fuhr fort, auf die Scheibe zu trommeln. Es klopfte an die Tür. »Herein«, sagte Mason. Die Tür öffnete sich, und Della Street kam herein. Sie zuckte zusammen, als sie Eva Belter auf dem Bett sitzen sah. »Fein, Della, daß Sie’s geschafft haben«, sagte Mason. »Wir müssen einige Papiere für einen Notfall ausfertigen, der eintreten könnte. Einen Einspruch gegen die Bestätigung eines Testaments, einen Antrag, daß Mrs. Belter durch Gerichtsverfügung zur vorläufigen Nachlaßverwalterin ernannt wird, eine Vollmacht für sie und beglaubigte Abschriften dieser Vollmacht, die den interessierten Parteien zuzustellen sind.« »Wollen Sie jetzt diktieren?« fragte Della Street kühl. »Ja, und außerdem Frühstück.« Er rief den Zimmerservice an und bestellte. Della Street sah Eva Belter mißbilligend an. »Tut mir leid«, sagte sie, »aber ich brauche den Tisch.« Eva Belter zog die Augenbrauen in die Höhe und nahm ihr Glas vom Tisch. Dabei zog sie ein Gesicht wie eine Frau, die ihre Handtasche an sich preßte, wenn sie einer Bettlerin auf der Straße begegnet. Zwanzig Minuten lang diktierte Mason im Eiltempo. Dann kam das Frühstück. Alle drei aßen herzhaft, fast ohne zu sprechen. Eva Belter brachte es fertig, so zu wirken, als äße sie mit ihrem Dienstpersonal. Nur war niemand da, dem sie damit imponieren konnte. -1 1 4 -
Nach dem Frühstück ließ Mason den Tisch abräumen und diktierte weiter. Um halb zehn war er fertig. »Gehen Sie ins Büro zurück und schreiben Sie die Dokumente«, wies er Della an. »Und halten Sie sie für die Unterschrift bereit. Aber lassen Sie niemanden sehen, was Sie tun. Schließen Sie die äußere Bürotür ab. Sie können für die Anträge vorgedruckte Formulare benützen.« »Okay«, erwiderte sie. »Ich hätte Sie gern einen Augenblick allein gesprochen.« »Achten Sie nicht auf sie, sie geht jetzt.« »O nein, das tue ich nicht«, sagte Eva Belter. »Doch«, befahl Mason. »Sie gehen sofort. Ich mußte Sie hierbehalten, solange ich die Papiere diktierte, um die nötigen Informationen von Ihnen zu bekommen. Sie gehen jetzt zurück und bringen das Testament ins Haus. Heute nachmittag fahren Sie in meine Kanzlei und unterschreiben alle diese Papiere. Die Reporter werden Sie irgendwo stellen, dann werden Sie Ihren ganzen Sex-Appeal mobilisieren und von dem schrecklichen Unglück, das Ihnen widerfahren ist, niedergeschmettert sein. Sie werden unfähig sein, ein zusammenhängendes Gespräch zu führen und sie von Ihrem Kummer überzeugen. Sooft eine Kamera auf Sie zielt, zeigen Sie viel Bein und drücken auf die Tränendrüsen. Haben Sie mich verstanden?« »Sie sind brutal«, sagte sie kalt. »Ich erfülle meinen Zweck«, belehrte er sie. »Was hat es für einen Sinn, daß Sie mir einen Haufen Theater vorspielen, obwohl Sie doch genau wissen, daß es bei mir nicht zieht?« Sie nahm Hut und Mantel und stolzierte zur Tür. »Gerade, als ich anfing, Sie wirklich zu mögen«, sagte sie, »müssen Sie alles ruinieren.« Er hielt ihr schweigend die Tür auf und verbeugte sich. Dann setzte er sich dicht neben Della Street und fragte: »Was ist, Della?« Sie steckte die Hand in ihren Ausschnitt und zog einen -1 1 5 -
Umschlag heraus. »Das brachte ein Bote. Es ist Geld.« Er klappte den Umschlag auf und zog zwei Scheckformulare heraus, beide über tausend Dollar und ordnungsgemäß unterzeichnet. Der Name des Empfängers war freigelassen. Angeklammert war eine hastig mit Bleistift gekritzelte Mitteilung: »Ich halte es für besser, eine Weile zu verschwinden. Tun Sie Ihr möglichstes, mich aus der Sache herauszuhalten. Egal, was passiert, halten Sie mich heraus. H. B.« Mason gab Della Street die Schecks. »Das Geschäft blüht«, sagte er. »Seien Sie vorsichtig, wenn Sie sie einlösen.« Sie nickte. »Sagen Sie mir, was los ist. In was hat sie Sie hineingeritten?« »Sie hat mich in nichts hineingeritten, nur ein paar gute Honorare eingebracht. Und bevor wir mit ihr fertig sind, wird sie noch mehr bezahlen.« Sie rümpfte die Nase. »Das bedeutet aber noch nicht, daß Sie stillhalten müssen, wenn man Sie wegen Mordes anklagt.« Er lächelte. »Springen Sie hinüber und machen Sie die Dinger fertig - und sorgen Sie sich nicht um mich. Ich muß arbeiten. Wenn Sie herkommen, passen Sie auf, daß Ihnen niemand folgt.« »Dies ist das letztemal, daß ich es wage. Es war schrecklich schwer, herzukommen. Sie versuchten, mir zu folgen. Ich habe denselben Trick angewandt, wie Mrs. Belter, als sie das erstemal zu uns kam. Ich ging durch die Garderobe. Einmal fallen sie darauf rein, aber nicht zweimal.« »Okay«, sagte Mason, »ich habe mich fast schon so lange versteckt, wie es geht. Sie werden mich heute irgendwann schnappen. Lassen Sie Mrs. Belter die Papiere unterzeichnen und sehen Sie zu, daß alles ordnungsgemäß ist. Es kann sein, daß ich sie grapschen und davonrennen muß oder Sie anrufe, damit Sie mich wo treffen.« -1 1 6 -
Sie lächelte ihn an und ging davon, sehr adrett, sehr selbstbeherrscht, loyal - und sehr verängstigt. Mason wartete fünf Minuten, zündete sich dann eine Zigarette an und verließ das Hotel.
13 Vor der Tür des Zimmers 946 im Wheelright Hotel blieb Mason stehen und pochte leise gegen das Holz. Er wartete einen Augenb lick und klopfte dann etwas lauter. Er hörte das Krachen von Bettfedern und dann eine Frauenstimme rufen: »Wer ist da?« »Telegramm«, sagte Mason. Das Schloß klickte, und die Tür ging auf. Mason schob die Tür mit der Schulter zurück und betrat das Zimmer. Das Mädchen trug einen Seidenpyjama, der nichts von ihrer Figur verhüllte. Sie hatte geschlafen, ihre Augen waren geschwollen. Unter den Überresten des Make-up war die Haut fahl. Im erbarmungslosen Morgenlicht erkannte Mason, daß sie älter war, als sie erschien. Aber sie war schön, und ihre Gestalt hätte einen Bildhauer entzückt. Die Augen waren dunkel und groß. Um den Mund lag ein schmollender Zug. Sie gab sich keine Mühe, sittsame Scheu vorzutäuschen, sondern sah ihn trotzig an. »Was soll das, hier einfach hereinzuplatzen?« fragte sie. »Ich wollte mit Ihnen sprechen.« »Das ist eine verteufelt seltsame Methode!« Mason nickte. »Kriechen Sie ins Bett zurück. Sie werden sich erkälten.« Sie ging zum Fenster, zog den Vorhang auf und wandte sich ihm zu. »Na, spucken Sie’s schon aus.« »Tut mir leid, aber Sie sitzen in der Patsche.« »Das sagen Sie.« -1 1 7 -
»Zufällig sage ich die Wahrheit.« »Wer sind Sie überhaupt, Sie Wichtigtuer?« »Mein Name ist Mason.« »Ein Detektiv?« »Nein, ein Rechtsanwalt.« »Herrjemine!« »Ich vertrete Mrs. Eva Belter, sagt Ihnen das etwas?« »Nicht das lausigste bißchen.« »Nana, Sie brauchen nicht gleich grob zu werden. Wußten Sie, daß Spicy Bits Frank Locke gar nicht gehört?« »Wer ist Frank Locke, und was ist Spicy Bits?‹‹ Er lachte spöttisch. »Frank Locke ist der Mann, der die Schecks auf dem Spezialkonto von Spicy Bits unterzeichnet, die Sie alle vierzehn Tage kassieren.« »Sie sind ein ganz Schlauer, was?« »Ich erfahre allerhand.« »Na und?« »Locke war nur eine Marionette. Die Zeitung gehörte einem gewissen Belter. Locke tat, was Belter ihm befahl.« Sie reckte die Arme und gähnte. »Was geht mich das an? Haben Sie eine Zigarette?« Mason gab ihr eine. Sie trat dicht neben ihn, als er das Streichholz daran hielt, schlenderte dann auf die andere Seite des Zimmers, setzte sich auf das Bett, zog die Füße hinauf und umschlang ihre Knie. »Reden Sie ruhig«, sagte sie. »Ich kann doch erst weiterschlafen, wenn Sie weg sind.« »Sie werden heute nicht mehr schlafen.« »Was Sie nicht sagen!« »Vor der Tür liegt eine Morge nzeitung. Wollen Sie die sehen?« »Wozu?« »Es steht ein Bericht über den Mord an George C. Belter drin.« »Ich mag vor dem Frühstück keine Morde.« -1 1 8 -
»Dieser dürfte Sie aber interessieren.« »Na schön, holen Sie mir die Zeitung.« »Nein«, sagte Mason, »Sie holen die Zeitung. Sonst könnte es passieren, daß ich hinausgestoßen werde, wenn ich die Tür öffne.« Sie stand auf, ging gelassen zur Tür und hob die Zeitung auf. Schlagzeilen über den Belter-Mord hatten auf der ersten Seite kaum Platz für andere Neuigkeiten gelassen. Sie setzte sich wieder aufs Bett und las die Nachrichten. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »was das in meinem jungen Leben ändern soll. Jemand wurde abgeknallt. Schlimm, aber warum soll ich deshalb meinen Schönheitsschlaf opfern?« »Strengen Sie Ihr einfältiges Köpfchen mal an. Dann wird Ihnen klar werden, daß jetzt Mrs. Belter den ganzen Besitz verwaltet; und ich bin ihr Rechtsbeistand.« »Na und?« »Sie haben Frank Locke erpreßt, und er hat Gelder aus dem Spezialkonto von Spicy Bits unterschlagen. Dieses Spezialkonto wurde ihm zur Verfügung gestellt, damit er Informationen kaufte. Er hat statt dessen Sie damit gekauft.« Sie warf die Zeitung zu Boden. »Mir kann man nichts anhängen«, fauchte sie. »Ich hatte keine Ahnung.« Er lachte. »Und wie steht es mit der Erpressung?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« »Und ob Sie das wissen, Esther. Sie beuten ihn mit der Georgia-Sache aus.« Das schlug ein. Sie erblaßte, und zum erstenmal wirkte sie erschrocken. »Das würde nicht sehr gut aussehen«, fuhr Mason fort. »Vielleicht haben Sie schon mal etwas von Begünstigung gehört? Das gilt in diesem Staat als Verbrechen.« -1 1 9 -
Sie musterte ihn mißtrauisch. »Sind Sie wirklich kein Detektiv, nur ein Anwalt?« »Nur ein Anwalt.« »Schön, und was wollen Sie?« »Sie waren gestern abend mit Frank Locke zusammen.« »Wer behauptet das?« »Ich. Sie gingen mit ihm aus, kamen mit ihm zurück, und er blieb bis in die Morgenstunden.« »Ich bin frei, weiß und über einundzwanzig, und dies ist mein Heim. Ich habe wohl das Recht, Freunde bei mir zu haben, wenn mir der Sinn danach steht.« »Was haben Sie gestern abend gemacht, als Sie hierher zurückkamen?« »Natürlich über das Wetter geredet.« »Famos. Sie ließen sich etwas zum Trinken heraufbringen, saßen, plauderten, und dann wurden Sie schläfrig und gingen zu Bett.« »Wer behauptet das?« »Ich behaupte das. Sie waren müde und hatten getrunken.« Mason sprach langsam wie ein Lehrer, der einem Schüler eine Lektion einpaukt. »Sie zogen Ihre Pyjamas an und schliefen gegen elf Uhr vierzig ein, und Sie können sich an nichts erinnern, was danach geschah. Sie wissen nicht, wann Frank Locke fortging.« »Ich schlief aber nicht ein.« »Das sollten Sie sich gut überlegen.« Sie starrte ihn abschätzend an, sagte aber nichts. Mason ging ans Telefon und wählte Drakes Nummer. »Du weißt, wer am Apparat ist, Paul«, sagte er, als Drake sich meldete. »Hast du etwas Neues?« »Ja«, erwiderte Drake, »etwas über das Weibsbild.« »Laß hören.« -1 2 0 -
»Sie gewann einen Schönheitswettbewerb in Savannah, als sie noch nicht volljährig war. Sie wohnte mit einem anderen Mädchen in einem Apartment. Ein Mann brachte dies Mädchen in die Patsche und ermordete sie. Er versuchte, das Verbrechen zu vertuschen, vermasselte es aber total. Er wurde verhaftet und verhört. Deine Biene änderte im letzten Moment ihre Aussage und verschaffte ihm dadurch Aufschub. Er war von der ersten Instanz zum Tode verurteilt worden und konnte flüchten, bevor es zur nächsten Verhandlung kam. Er ist hier noch von der Justiz gesuchter Flüchtling. Sein Name ist Cecil Dawson. Ich versuche, ihn nach Beschreibung und Fingerabdrücken zu identifizieren, und noch mehr über ihn zu erfahren. Es könnte der Kerl sein, den du meinst.« »Schön«, sagte Mason, als hätte er nichts anderes erwartet. »Dies kommt gerade gelegen. Bleib am Ball, ich rufe später wieder an.« Er legte auf und wandte sich dem Mädchen wieder zu. »Na«, fragte er, »was ist die Antwort: ja oder nein?« »Nein«, sagte sie. »Ich habe Ihnen das schon mal gesagt, und ich bleibe dabei.« Er sah sie durchbohrend an. »Wissen Sie«, sagte er langsam, »das Komische ist, daß die Geschichte noch weiter zurückgeht, als nur zur Erpressung. Sie reicht bis in die Zeit, als Sie Dawson die Möglichkeit zur Berufung gaben. Wenn er gefaßt und unter Mordanklage vor Gericht gebracht wird, bringt es Ihnen wahrscheinlich eine Anklage wegen Meineids ein, weil Sie hier mit ihm zusammen waren und seine Schecks angenommen haben.« Diesmal wurde sie totenblaß. »Mein Gott«, stöhnte sie. »Eben«, sagte Mason. »Sie schliefen also gestern abend.« Sie sah ihn unverwandt an. »Würde das die Sache klären?« »Kann ich nicht sagen. Hier würde Ihnen nichts passieren. Ich weiß aber nicht, ob irgend jemand die Geschichte in Georgia -1 2 1 -
aufrühren wird...« »Schön, ich habe geschlafen.« Mason stand auf und ging zur Tür. »Vergessen Sie’s nicht«, sagte er. »Niemand weiß etwas über unsere Abmachung, außer mir. Wenn Sie Locke sagen, daß ich hier war oder Ihnen einen Vorschlag gemacht habe, werde ich dafür sorgen, daß Sie durch die Mühle gedreht werden.« »Seien Sie nicht albern«, sagte sie mürrisch. »Ich weiß, wann ich geschlagen bin.« Mason stieg in seinen Wagen und fuhr zu Sol Steinburgs Pfandleihe. Steinburg war fett und pfiffig, seine Augen zwinkerten, und sein Mund war zu einem ständigen Lächeln verzogen. Er strahlte Perry Mason an und sagte: »Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Lange nicht mehr gesehen, mein Freund.« Mason schüttelte ihm die Hand. »Tatsächlich, Sol. Und jetzt sitze ich in der Klemme.« Der Pfandleiher nickte und rieb sich die Hände. »Wenn Sie Sorgen haben, kommen Sie zu Sol Steinb urg. Was ist los, mein Freund?« »Passen Sie auf«, sagte Mason eindringlich, »Sie sollen etwas für mich tun.« »Für Sie tue ich alles. Wenn es sich um eine geschäftliche Angelegenheit handelt, müssen Sie die Sache entsprechend behandeln und gewisse Prinzipien akzeptieren. Aber wenn es sich nicht um Geschäfte handelt, mache ich alles.« Mason zwinkerte vergnügt. »Es ist ein Geschäft für Sie, Sol, weil Sie fünfzig Dollar dran verdienen werden. Aber Sie brauchen nichts zu investieren.« Der Fettwanst brach in Gelä chter aus. »Das«, erklärte er, »sind mir die liebsten Geschäfte. Was soll ich tun?« -1 2 2 -
»Lassen Sie mich das Verzeichnis der Pistolen sehen, die Sie verkauft haben.« Der Pfandleiher zog ein abgenutztes Heft unter dem Tisch hervor. Es enthielt den Typ, die Ausführung, die Nummer und den Käufer der Waffe, dazu die Unterschrift des Käufers. Mason blätterte die Seiten durch, bis er eine 32er fand. »Das ist die Waffe«, sagte er. »Was soll’s damit?« »Ich werde heute oder morgen irgendwann mit einem Mann hereinkommen. Und sobald Sie ihn sehen, nicken Sie lebhaft und sagen: ›Das ist der Mann.‹ Ich werde Sie fragen, ob Sie Ihrer Sache sicher sind, und Sie werden immer mehr davon überzeugt sein. Er wird es abstreiten, aber je mehr er es abstreitet, um so sicherer werden Sie.« Sol Steinburg spitzte die Lippen. »Das könnte ins Auge gehen.« Mason schüttelte den Kopf. »Wenn Sie es vor Gericht sagen würden. Aber Sie werden es nicht vor Gericht sagen. Sie werden es überhaupt zu niemandem sagen, außer zu diesem Mann. Und Sie werden auch nicht sagen, was er getan hat. Sie werden ihn nur als ›den Mann‹ identifizieren. Dann gehen Sie in den hinteren Laden und lassen mich mit dem Waffenregister hier. Ist das klar?« »Sicher, sicher«, sagte Steinburg. »Ich verstehe ausgezeichnet - mit einer Ausnahme: woher kommen die fünfzig Dollar?« Mason schlug auf seine Hosentasche. »Direkt von hier, Sol.« Er zog eine Rolle Geldscheine heraus, zählte fünfzig Dollar ab und übergab sie dem Pfandleiher. »Jeder, mit dem Sie hereinkommen?« fragte er. »Ist das die Masche?« »Jeder, mit dem ich hereinkomme«, sagte Mason. »Ich komme hier natürlich nur herein, wenn ich den Richtigen habe. Kann sein, ich muß ein bißchen Theater spielen, aber Sie werden auf Ihr Stichwort reagieren? Ist das klar?« Der Pfandleiher faltete die Geldscheine liebevoll zusammen. -1 2 3 -
»Was Sie tun, mein Freund, ist mir recht. Ich sage, was Sie von mir erwarten, und ich sage es laut, damit man es versteht.« »Fein«, freute sich Mason. »Lassen Sie sich darin nur nicht irre machen.« Mason wanderte vergnügt pfeifend davon.
14 Frank Locke saß in seinem Redaktionsbüro und starrte Perry Mason verdutzt an. »Ich dachte, Sie würden gesucht?« sagte er. »Von wem?« fragte Mason unbekümmert. »Reporter, Polizei, Detektive, ein Haufen Leute.« »Ich habe sie alle gesprochen.« »Heute nachmittag?« »Nein, gestern abend. Warum?« »Oh, nichts. Nur daß Sie jetzt vielleicht auf andere Weise gesucht werden. Was wollen Sie?« »Ich schaue nur herein, um Ihnen zu sagen, daß Eva Belter beantragt hat, als Nachlaßverwalterin eingesetzt zu werden.« »Was geht mich das an?« fragte Locke, aber dabei hingen seine schokoladenfarbenen Augen an Mason. »Es bedeutet, daß Eva Belter von jetzt an hier der Boß ist und daß Sie Anweisungen von ihr bekommen werden«, sagte Mason. »Und da ich Eva Be lter vertrete, werden Sie auch einige Anweisungen von mir entgegennehmen. Die erste ist, daß Sie alles über die Affäre in der Beechwood Tavern niederschlagen.« »Ach, wirklich?« fragte Locke sarkastisch. »So ist es«, sagte Mason nachdrücklich. »Sie sind, was man einen Optimisten nennt.« »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Nehmen Sie den Hörer ab, -1 2 4 -
und rufen Sie Eva Belter an.« »Ich brauche weder Eva Belter noch sonst jemanden anzurufen. Ich bestimme, was in dieser Zeitung geschieht.« »So wollen Sie sich also verhalten, was?« »Genauso«, knurrte Locke. »Ich könnte besser mit Ihnen sprechen, wenn wir wohin gingen, wo nicht zu viele Leute zuhören«, bemerkte Mason. »Warum nicht hier?« »Sie wissen, was ich von diesem Büro halte. Ich fühle mich darin unbehaglich, und ich rede nicht, wenn ich mich unbehaglich fühle.« Locke zögerte und sagte schließlich: »Ich gebe Ihnen fünfzehn Minuten. Aber Sie müssen ohne Umschweife zur Sache kommen.« »Das kann ich«, erwiderte Mason. »Schön, ich bin immer bereit, eine Chance wahrzune hmen.« Locke setzte den Hut auf und ging mit Mason davon. »Wie wär’s, wenn wir uns ein Taxi nähmen und herumführen, bis wir einen Platz finden, der uns geeignet erscheint?« fragte Locke. »Wir wollen um den Häuserblock herumgehen, damit ich sicher bin, daß wir nicht in ein bestelltes Taxi steigen«, erwiderte Mason. Locke zog eine Grimasse. »Oh, lassen Sie die Wild-WestManieren. Seien Sie kein Kind. Ich habe natürlich im Büro eine Anlage, damit ich einen Zeugen ins Gespräch einschalten kann, wenn es mir paßt, aber bilden Sie sich doch nicht ein, daß ich mir die Mühe gemacht habe, draußen etwas zu arrangieren, damit ich höre, was Sie sagen.« Mason schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »wenn ich Geschäfte mache, dann auf meine Art.« -1 2 5 -
»Und ich mag diese Art nicht«, brummte Locke. »Das geht vielen so«, gab Mason bereitwillig zu. Er führte ihn die Straße hinunter, bis sie zu Sol Steinburgs Geschäft kamen. »Wir wollen hier hineingehen«, sagte Mason. Locke sah ihn mißtrauisch an. »Ich rede nicht dort drinnen.« »Das brauchen Sie auch nicht. Wir gehen nur hinein, und Sie können gleich wieder herauskommen.« »Was soll hier für ein Schwindel steigen?« fragte Locke. »Oh, seien Sie nicht albern«, sagte Mason ungeduldig. »Wer ist jetzt mißtrauisch?« Locke ging hinein und sah sich vorsichtig um. Sol Steinburg kam aus dem hinteren Zimmer, wie immer mit einem seraphischen Lächeln im Gesicht. Er trat auf Mason zu und sagte: »Hallo, wie geht’s, was wollen Sie heute?« Dann schien er Frank Locke zu bemerken und hörte auf zu lächeln. Sein Gesicht spiegelte einen ganzen Katalog von Empfindungen wider. Zuerst machte das Lächeln einem Ausdruck erschrockenen Wiedererkennens Platz, aus dem erschrockenen Wiedererkennen wurde eine rücksichtslose Entschlossenheit. Er zeigte mit zitterndem Zeigefinger auf Locke und sagte: »Das ist der Mann.« Masons Stimme war schneidend. »Überstürzen Sie nichts, Sol. Wir müssen unserer Sache ganz sicher sein.« Der Pfandleiher brach in einen Schwall von Worten aus. »Bin ich etwa nicht sicher? Sie haben mich gefragt, ob ich ihn erkennen würde, wenn ich ihn sehe, und ich sagte Ihnen: ›Ja‹. Und jetzt sehe ich ihn und sage Ihnen wieder: ›Ja‹. Das ist der Mann. Man kann sich nicht irren. Dieses Gesicht würde ich überall wiedererkennen. Ich kenne diese Nase, und ich kenne diese Augen aus Milchschokolade.« Frank Locke sprang zur Tür zurück. »Was geht hier vor?« -1 2 6 -
knurrte er. »Was wollen Sie mir anhängen? Das wird Sie teuer zu stehen kommen!« »Immer mit der Ruhe«, sagte Mason gelassen und wandte sich wieder dem Pfandleiher zu. »Sol«, sagte er eindringlich, »Sie müssen so absolut sicher sein, daß Sie auf dem Zeugenstand durch kein Kreuzverhör irre gemacht werden.« Sol wedelte ausdrucksvoll mit seinen fetten Händen. »Wie könnte ich noch sicherer sein?« fragte er. »Stellen Sie mich vor Gericht. Bringen Sie hundert von diesen Rechtsverdrehern an. Ich werde bei meiner Aussage bleiben.« »Ich habe diesen Mann noch nie im Leben gesehen«, sagte Frank Locke. Sol Steinburgs sarkastisches Lachen war eine Glanzleistung. Kleine Schweißtröpfchen erschienen auf Lockes Stirn. »Was soll das?« fragte er Mason. »Was ist das für ein Affentheater?« Mason schüttelte ernst den Kopf. »Es gehört zu meinem Fall«, sagte er. »Es paßt, das ist alles.« »Was paßt?« »Daß Sie die Pistole gekauft haben«, flüsterte Mason. »Sie sind total verrückt!« kreischte Locke. »Ich habe hier in meinem ganzen Leben keine Waffe gekauft. Ich war noch nie in diesem Laden. Und eine Waffe habe ich nie bei mir.« »Geben Sie mir Ihr Waffenregister, bitte«, sagte Mason zu Steinburg. »Dann lassen Sie uns allein. Ich möchte mit ihm sprechen.« Steinburg gab ihm das Heft und watschelte hinaus. Mason klappte das Heft auf der Seite auf, wo die 32er eingetragen war. Er hielt die Hand unauffällig so, daß die Nummer der Waffe teilweise verdeckt war. Mit dem Zeigefinger zeigte er auf die Worte, dann fuhr er mit dem Finger an den Rand, wo der Name des Käufers notiert war. -1 2 7 -
»Wahrscheinlich wollen Sie leugnen, daß Sie das geschrieben haben?« fragte er. Locke wurde von dem Wunsch, so schnell wie möglich fortzukommen, und seiner Neugierde hin und her gerissen. Er lehnte sich vor. »Natürlich streite ich ab, daß ich das geschrieben habe. Ich war nie in dieser Bude, habe diesen Mann noch nie gesehen. Ich habe nie eine Waffe hier gekauft, und das ist nicht meine Unterschrift.« »Ich weiß, daß es nicht Ihre Unterschrift ist, Locke«, sagte Mason geduldig. »Aber wollen Sie auch behaupten, daß Sie es nicht geschrieben haben? Seien Sie lieber vorsichtig, denn das kann einen großen Unterschied machen.« »Natürlich habe ich’s nicht geschrieben. Was, zum Teufel, wollen Sie bloß?« »Die Polizei weiß es noch nicht«, sagte Mason bedeutungsvoll, »aber mit dieser Waffe ist George Belter gestern ermordet worden.« »Das ist also Ihre dreckige Masche!« »Seien Sie nicht so voreilig, Locke«, warnte Mason. »Ich hätte mit dieser Sache zur Polizei gehen können, aber ich habe es nicht getan. Ich arbeite nach meiner eigenen Methode und gebe Ihnen eine Chance.« »Es gehören mehr als Ihre Aussage und die Behauptung eines verlogenen Pfandleihers dazu, um mir so was anzuhängen«, sagte Locke giftig. »Für diese Sache werde ich Sie in Stücke reißen.« Masons Stimme blieb kühl und geduldig. »Gehen wir hinaus, wo wir ein bißchen reden können. Ich möchte mit Ihnen sprechen.« »Sie haben mich hierher gelockt, um mich reinzulegen. Das habe ich davon, daß ich mich von Ihnen überreden ließ. Von mir -1 2 8 -
aus können Sie jetzt geradewegs in die Hölle marschieren.« »Ich habe Sie hierher gebracht, damit Sol Sie genau ansehen konnte, mehr nicht. Er sagte mir, daß er den Mann wiedererkennen würde, wenn er ihn sähe. Ich mußte sichergehen.« Locke zog sich zur Tür zurück. »Was für ein Schwindel«, sagte er. »Wenn Sie mit so einer Geschichte zu den Polypen gegangen wären, hätte man mich in eine Reihe mit anderen Männern gestellt. Aber das haben Sie nicht getan. Sie brachten mich einfach her. Wer sagt mir, daß Sie dem Mann nicht Geld zugesteckt haben, damit er eine Show abzieht?« Mason lachte. »Wenn Sie zur Polizei gehen wollen und sich in eine Reihe von Männern stellen lassen, fahre ich Sie hin. Und ich vermute, Sol kann Sie auch dann erkennen.« »Natürlich, jetzt, da Sie mich ihm präsentiert haben...« »Also, das führt zu nichts. Kommen Sie, gehen wir.« Er nahm Lockes Arm und führte ihn durch die Tür. In der Straße versuchte Locke, sich loszureißen, und zischte wutentbrannt: »Mit Ihnen bin ich fertig. Sie kriegen von mir kein einziges Wort zu hören. Ich kehre in mein Büro zurück, und Sie können zum Teufel gehen.« »Das wäre nicht sehr klug«, sagte Mason und hielt seinen Arm fest. »Sehen Sie, ich habe das Motiv für den Mord, die Gelegenheit und alles.« »Wirklich?« höhnte Locke. »Es würde mich interessieren, was das Motiv ist.« »Sie haben Gelder vom Konto für besondere Ausgaben veruntreut«, sagte Mason, »und Sie fürchteten die Entdeckung. Sie wagten nicht, Belter entgegenzutreten, weil er zuviel von der Savannah-Affäre wußte. Er hätte Sie zurückschicken können und unter Mordanklage stellen. Deshalb gingen Sie hin, gerieten -1 2 9 -
in Streit mit ihm und töteten ihn.« Locke war kreidebleich geworden. Seine Lippen zitterten, er stand wie festgenagelt und starrte Mason an. Er versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton heraus. »Ich möchte fair sein«, fuhr Mason in einem Ton fort, als sei ihm die ganze Sache gar nicht wichtig. »Ich glaube zwar, daß man Sol trauen kann. Aber wenn es ein Schwindel ist, wird man Sie nicht verurteilen. Die Schuld eines Mannes muß erst zweifelsfrei bewiesen werden. Solange ein Zweifel besteht, ist die Jury verpflichtet, den Angeklagten freizusprechen.« Locke hatte seine Stimme wiedergefunden. »Und was geht das Sie alles an?« fragte er. »Ich bin der Rechtsvertreter von Eva Belter«, sagte Mason achselzuckend, »das ist alles.« Locke versuchte, eine höhnische Miene aufzusetzen, aber es glückte nicht ganz. »So, sie ist also auch dabei? Sie haben sich mit diesem hinterhältigen Weibsbild zusammengetan.« »Sie ist meine Mandantin, wenn Sie das meinen.« »Das meine ich nicht.« Masons Stimme klang nicht mehr beiläufig, sondern wurde hart. »Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn Sie jetzt den Mund hielten, Locke. Sie erregen Aufsehen. Die Leute drehen sich nach Ihnen um.« Locke riß sich mit Mühe zusammen. »Ich weiß nicht, was für ein Spiel Sie treiben, aber ich werde ihm jetzt ein Ende machen. Ich habe ein ehernes Alibi für die Tatzeit gestern nacht. Und damit Sie sehen, wie fadenscheinig Ihr Lügengewebe ist, werde ich es Ihnen jetzt um die Ohren schlagen.« Mason zuckte die Achseln. »Schön, schlagen Sie es mir um die Ohren.« -1 3 0 -
Ein Taxifahrer sah Lockes Winken und hielt an. »Wheelright Hotel«, sagte Locke und kletterte hinein. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, zündete sich mit zitternder Hand eine Zigarette an und wandte sich Mason zu. »Sie sind doch ein Mann von Welt. Ich werde Sie in das Zimmer einer jungen Dame bringen. Ihr Name soll nicht hineingezogen werden. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, ich will Ihnen nur beweisen, wie wenig Chancen Sie mit dieser erfundenen Anschuldigung hätten.« »Sie brauchen nicht zu beweisen, daß es ein Schwindel ist, Locke. Alles, was Sie brauchen, sind begründete Zweifel. Wenn Sie die hervorrufen können, wird keine Jury Sie verurteilen.« Locke schleuderte die Zigarette zu Boden. »Hören Sie um Himmels willen mit diesem Geschwätz auf. Ich weiß, was Sie versuchen. Sie wollen mir meine Nerven zermürben und mich in Panik versetzen. Was hat es für einen Sinn, wie die Katze um den heißen Brei herumzugehen? Sie wollen mir etwas anhängen, und ich lasse es mir nicht gefallen.« »Warum regen Sie sich so auf, wenn es Schwindel ist?« »Weil ich Angst vor einigen Dingen habe, die Sie aufs Tapet bringen könnten.« »Sie meinen die alte Geschichte in Savannah?« Locke fluchte und wandte sich ab. Vor dem Hotel stieg er aus und verwies den Fahrer mit der Hand an Mason. »Nein, Locke«, sagte Mason, »dies ist Ihre Party. Sie wollten die Taxe.« Locke warf dem Fahrer ein Geldstück zu und eilte durch den Hoteleingang. Mason folgte ihm in den Lift. Als sie im neunten Stock ankamen, ging Locke hastig auf Esther Lintens Zimmertür zu, ohne sich darum zu kümmern, ob Mason ihm folgte. Er klopfte. »Ich bin’s, Schätzchen«, rief er. Esther Linten öffnete. Sie trug einen Kimono, der vorn die rosaseidene Unterwäsche sehen ließ. Als sie Mason bemerkte, zog sie den Kimono rasch zusammen und wich mit großen -1 3 1 -
Augen zurück. »Was soll das heißen, Frank?« fragte sie. Locke schob sie beiseite und trat ins Zimmer. »Ich kann keine großen Erklärungen abgeben, Schätzchen, aber ich möchte, daß du diesem Burschen sagst, wo ich die letzte Nacht war.« Sie schlug die Augen nieder. »Wie meinst du, Frank?« »Laß das Blech«, sagte Locke brutal. »Du weißt genau, was ich meine. Los, ich bin in einer Zwangslage. Du mußt die Wahrheit sagen.« Sie starrte ihn verwirrt an. »Ihm alles sagen?« fragte sie. »Alles«, sagte Locke. »Er ist kein Polizist, sondern nur ein Tölpel, der glaubt, er kann mich reinlegen.« Sie sagte leise: »Wir waren aus, und dann kamst du her.« »Und dann?« drängte Locke. »Ich zog mich aus«, murmelte sie. »Weiter«, sagte Locke. »Sag es ihm. Erzähl ihm alles. Sprich lauter, damit er dich versteht.« »Ich ging ins Bett«, sagte sie langsam. »Ich hatte ein paar Gläser getrunken.« »Wann war das?« fragte Mason. »Etwa um elf Uhr dreißig«, sagte sie. Locke starrte sie an. »Was war danach?« fragte er. Sie schüttelte den Kopf. »Ich wachte am Morgen mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf, Frank. Und ich weiß natürlich, daß du hier warst, als ich schlief. Aber ich habe keine Ahnung, wann du weggingst oder sonst etwas. Ich war einfach weg, sowie ich im Bett lag.« Locke sprang von ihr fort, als müsse er sich vor einem Angriff der beiden schützen. »Du dreckiges, verlogenes...« Mason unterbrach ihn. »So spricht man nicht zu einer Dame.« -1 3 2 -
Locke tobte. »Sie dämlicher Hund! Können Sie nicht sehen, daß das keine Dame ist?« Esther Linten starrte ihn böse an. »So wirst du nichts erreichen, Frank. Wenn du nicht wolltest, daß ich die Wahrheit erzähle, warum sagst du mir dann nicht gleich, daß du ein Alibi brauchst? Wenn du wolltest, daß ich lüge, warum gabst du mir nicht vorher einen Tip? Ich hätte alles ausgesagt, was du wolltest. Aber du sagtest, ich solle die Wahrheit erzählen, und das tat ich.« Locke fluchte wieder. »Die junge Dame will sich offensichtlich anziehen«, sagte Mason. »Wir sollten sie nicht aufhalten. Ich hab’s eilig, Locke. Wollen Sie mitkommen oder hierbleiben?« Lockes Ton verhieß nichts Gutes, als er sagte: »Ich bleibe hier.« »Schön«, sagte Mason, »ich möchte nur noch mal schnell telefonieren.« Er wählte eine Nummer und sagte nach einer Weile: »Bitte, verbinden Sie mich mit Sidney Drumm von der Detektivabteilung.« Locke beobachtete ihn mit den Augen einer in die Enge getriebenen Ratte, »Um Himmels willen«, krächzte er heiser, »legen Sie den Hörer auf, schnell.« Mason drehte sich zu ihm um und betrachtete ihn mit milder Neugier. »Legen Sie auf!« kreischte Locke, jetzt völlig außer sich. »Zum Teufel, Sie haben mich in der Hand. Sie haben einen Verdacht gegen mich fabriziert, den ich nicht widerlegen kann. Es ist zwar idiotisch, aber ich kann es mir nicht leisten, daß Sie das Motiv vortragen. Das bringt mich in die Todeszelle. Wenn Sie der Jury das Motiv servieren, schert sie sich um nichts anderes mehr.« Mason legte den Hörer auf und drehte sich zu Locke herum. -1 3 3 -
»Endlich«, sagte er, »können wir vernünftig reden.« »Was wollen Sie von mir?« fragte Locke. »Das wissen Sie.« Locke breitete die Hände aus. Es war eine Geste der Resignation. »Schön«, sagte er, »akzeptiert. Noch was?« Mason schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht. Sie sollten sich aber vor Augen halten, daß Eva Belter die wahre Besitzerin der Zeitung ist. Meiner Meinung nach sollten Sie bei ihr anfragen, bevor Sie irgend etwas veröffentlichen, was ihr unangenehm sein könnte. Sie erscheinen alle vierzehn Tage, nicht wahr?« »Ja, nächsten Donnerstag kommen wir wieder heraus.« »Bis dahin kann allerhand passieren, Locke«, sagte Mason. Locke schwieg. »Tut mir leid, daß wir Sie gestört haben, Miss«, sagte Mason zu dem Mädchen. »Macht nichts. Wenn der blöde Kaffer will, daß ich lüge, warum sagt er’s mir nicht?« Locke wirbelte auf dem Absatz herum. »Du lügst, Esther. Du weißt verdammt gut, daß du nicht eingeschlafen bist, als du ins Bett gingst.« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht«, sagte sie, »aber ich erinnere mich an nichts. Oft kann ich mich an den ganzen Abend nicht erinnern, wenn ich einen zuviel getrunken habe.« »Das gewöhnst du dir besser ab, sonst könnte es fatale Folgen haben«, sagte Locke bedeutungsvoll. »Du solltest genug von Freundinnen haben, denen fatale Dinge passieren«, fuhr sie ihn wütend an. Er wurde totenblaß. »Halt den Mund, Esther. Merkst du nicht, was vorgeht?« »Halte du selber den Mund. Ich bin kein Mädchen, mit der -1 3 4 -
man so umspringen kann.« »Lassen Sie’s gut sein«, unterbrach Mason, »es ist ja jetzt alles geregelt. Kommen Sie, Locke, wir wollen gehen. Ich glaube, es ist besser, wenn Sie mitkommen. Ich möchte Ihnen noch einiges sagen.« Locke drehte sich in der Tür noch einmal zu Esther Linten um, wobei aus seinen milden Schokoladenaugen pure Bosheit leuchtete, und trat auf den Gang. Mason nahm Lockes Arm und dirigierte ihn zum Lift. »Wissen Sie, dieser Schwindel war so primitiv, daß man nicht einmal darüber lachen kann. Es war die Georgia-Geschichte, die Sie erwähnten. Ich möchte nicht, daß jemand darin herumschnüffelt. Ich glaube, daß Sie falsche Ideen darüber haben, aber es ist ein abgeschlossenes Kapitel in meinem Leben.« »Ach nein, Locke«, sagte Mason lächelnd. »Mord verjährt nicht, und man kann Sie immer zu einem neuen Verhör zurückholen.« Locke schob Mason fort, seine Lippen zuckten. »Ich kann die Anklage niederschlagen, wenn man mich in Savannah verhört. Aber wenn Sie mich hier mit einem anderen Mord in Verbindung bringen, würden sie kurzen Prozeß mit mir machen, und Sie sind schlau genug, das zu wissen.« Mason hob die Schultern. »Ganz nebenbei vermute ich, Locke, daß Sie Geld unterschlagen haben, um dies hier zu finanzieren.« Er zeigte auf das Zimmer, das sie gerade verlassen hatten. »Dreimal dürfen Sie raten«, sagte Locke. »In dieser Sache können Sie mir nichts anhaben. Niemand auf der ganzen Welt weiß, was meine Abmachung mit George Belter war. Es gab nichts Schriftliches.« »Seien Sie vorsichtig«, warnte Mason, »und vergessen Sie -1 3 5 -
nicht, daß Mrs. Belter jetzt die Besitzerin der Zeitung ist. Sie sollten sich mit ihr in Verbindung setzen, bevor Sie weiter Geld ausgeben. Ihre Abrechnungen werden vom Gericht geprüft werden.« Locke fluchte leise. »So ist das also?« »Jawohl. Ich werde Sie vor dem Hotel verlassen. Gehen Sie nicht zurück, um das Mädchen zu verprügeln. Es macht nicht den geringsten Unterschied, wenn sie etwas anderes aussagt. Ich weiß nicht, ob Sol Steinburg recht hat, wenn er behauptet, daß Sie die Mordwaffe gekauft haben. Aber auch wenn er sich irrt, brauchen wir ja nur den Behörden in Georgia einen Tip zu geben, und Sie müssen zurück zu einer neuen Gerichtsverhandlung. Vielleicht werden Sie freigesprochen, vielleicht auch nicht. Hier jedenfalls sind Sie aus dem Weg.« »Wenn ich nur wüßte, was Sie eigentlich vorhaben«, sagte Locke neugierig. »Sie sind verdammt undurchsichtig.« Mason sah wie die personifizierte Unschuld aus. »Ich bin weder Detektiv noch ein Polizeibeamter. Ich bin einfach ein Anwalt und vertrete Mrs. Belter. Sonst nichts.« Der Aufzug brachte sie in die Hotelhalle, und Mason ging an die Tür und winkte einem Taxi. »Auf Wiedersehen, Locke«, sagte er. »Bis später.« Als das Taxi davonfuhr, stand Locke in der Tür und lehnte sich an die Wand, als ob er eine Stütze brauche. Sein Gesicht war blaß und die Lippen zu einem gefrorenen Lächeln verzerrt.
15 Perry Mason saß in seinem Hotelzimmer. Sein Gesicht war grau vor Müdigkeit, und um seine Augen lagen tiefe Schatten; aber sein Blick war wie immer gleichmütig, und seine Miene verriet kühle Konzentration. Durch die Fenster strömte Morgenlicht herein. Auf dem Bett -1 3 6 -
waren Zeitungen verstreut, deren Schlagzeilen das Neueste vom Belter-Mord brachten. Wer zwischen den Zeilen zu lesen verstand, konnte aus den verschiedenen Kommentaren entnehmen, daß eine sensationelle Neuentwicklung bevorstand. Durch die Zeitungen war Mason auf dem laufenden. Er hatte erfahren, daß die Polizei die Waffe bis zu einem gewissen Pete Mitchell verfolgt hatte, der direkt nach der Schießerei auf geheimnisvolle Weise verschwunden war, aber ein perfektes Alibi für die Tatzeit besaß. Die Polizei nahm an, daß er jemanden schützte. Es wurden keine Namen genannt, aber Mason konnte erkennen, daß die Polizei Harrison Burke dicht auf den Fersen war. Ganz besonders interessierte ihn, was er über eine zufällige Bemerkung von Eva Belter las, welche die Polizei veranlaßt hatte, nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der sie vertreten hatte, und aus seinem Büro verschwunden war. Die Polizei erklärte voller Selbstvertrauen, sie werde das Geheimnis binnen vierund-zwanzig Stunden gelöst und den Schuldigen hinter Gittern haben. Jemand klopfte. Mason legte die Zeitung, die er gerade las, weg und horchte mit schiefem Kopf. Es klopfte wieder. Mason zuckte die Achseln, ging zur Tür, drehte den Schlüssel um und öffnete. Della Street stand im Gang. Sie trat schnell an ihm vorbei, knallte die Tür ins Schloß und schloß sie zu. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen es nicht riskieren«, sagte Mason. Sie sah ihn an. »Das ist mir egal«, sagte sie. »Ich habe es fertiggebracht, sie -1 3 7 -
abzuhängen. Eine Stunde lang habe ich mit ihnen Katz und Maus gespielt.« »Die Burschen sind schlau, Della. Manchmal lassen sie Sie denken, daß Sie sie abgeschüttelt haben, nur um herauszufinden, wohin Sie gehen wollten.« »Mich haben sie nicht hereingelegt«, sagte Della mit einer Stimme, die verriet, daß sie nur noch ein Nervenbündel war. »Ich sage Ihnen, sie wissen nicht, wo ich bin.« Er merkte den hysterischen Ton. »Na, ich bin froh, daß Sie hier sind. Ich überlegte gerade, wo ich jemandem diktieren könnte.« Sie zeigte auf die Zeitungen. »Chef, ich habe Ihnen gesagt, daß sie Sie in Schwierigkeiten bringen wird. Sie kam ins Büro und unterzeichnete die Papiere. Ein Rudel Reporter lungerte natürlich herum und folgte ihr. Dann nahm der Detektiv sie zu weiteren Vernehmungen mit ins Polizeipräsidium. Jetzt lesen Sie, was sie ausgesagt hat.« Mason nickte. »Das macht nichts. Regen Sie sich nicht auf, Della.« »Aufregen? Wissen Sie, was sie getan hat? Sie hat da unten zu Protokoll gegeben, daß sie Ihre Stimme erkannt hat. Daß Sie der Mann im Zimmer waren, als der Schuß abgefeuert wurde. Und dann führte sie ihnen eine Ohnmacht vor, hysterische Anfälle und solches Zeugs.« »Das macht nichts, Della«, sagte er beruhigend. »Ich wußte, daß sie’s tun würde.« »Sie ist eine miese Ratte und verlogen obendrein«, sagte Della aus tiefster Brust. Mason zuckte die Achseln und ging zum Telefon. Er rief Paul Drake an. »Hör zu, Paul, vergewissere dich, daß dir niemand folgt, und komm’ ins Zimmer 518 im Hotel Ripley. Bring ein paar -1 3 8 -
Stenogrammblocks mit und ein Bündel Bleistifte, ja?« »Sofort?« fragte der Detektiv. »Sofort. Es ist jetzt acht Uhr fünfundvierzig, und ich erwarte, daß um neun eine Show beginnt.« Della Street war neugierig. »Was wird dann passieren, Chef?« »Ich erwarte Eva Belter um neun Uhr«, sagte er kurz. »Ich will nicht da sein, wenn dieses Weib kommt«, erklärte Della Street kategorisch. »Ich kann mich nicht beherrschen.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Setzen Sie sich und beruhigen Sie sich, Della. Es wird eine Auseinandersetzung geben.« Vor der Tür waren Schritte zu hören. Die Klinke bewegte sich und Eva Belter tänzelte herein. Sie sah Della Street an und sagte: »Ach, Sie sind hier.« »Anscheinend«, sagte Mason, »haben Sie ein bißchen geschwatzt.« Er deutete auf die Zeitungen. Sie ging auf ihn zu, ohne von Della die geringste Notiz zu nehmen, legte ihm die Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen. »Perry«, sagte sie samtweich, »ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so elend gefühlt. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, es zu sagen. Sie schleppten mich ins Polizeipräsidium und durchlöcherten mich geradezu mit Fragen. Jeder schrie mich an, ich habe so was noch nie erlebt. Ich versuchte, Sie zu decken, aber es ging nicht. Es schlüpfte mir heraus, und sobald ich den ersten Fehler gemacht hatte, stürzten sie sich alle darauf. Sie drohten mir, mich wegen Begünstigung anzuklagen.« »Was haben Sie ihnen genau gesagt?« fragte Mason. Sie setzte sich aufs Bett, zog ihr Taschentuch heraus und fing an zu weinen. Della Street trat zwei rasche Schritte auf sie zu, aber Mason packte sie am Arm. -1 3 9 -
»Ich erledige diese Sache«, sagte er. Eva Belter fuhr fort, in ihr Taschentuch zu schluchzen. »Reden Sie schon«, sagte Mason. »Was haben Sie ihnen gesagt?« Sie schüttelte den Kopf. »Lassen Sie die Heulerei«, sagte er. »Sie macht im Augenblick keinen großen Eindruck. Wir sitzen in der Klemme, und es wäre besser, Sie berichteten mir alles.« Sie schluchzte: »Ich h-h- habe ihnen n- n-nur g-g-gesagt, daß ich Ihre St-St-Stimme hörte.« »Sagten Sie, es war meine Stimme, oder eine, die wie meine klang?« »Ich sagte ihnen alles. Es war Ihre Stimme.« »Sie wissen verdammt genau, daß es nic ht meine Stimme war.« Sein Ton war schneidend. »Ich wollte es ihnen nicht sagen«, jammerte sie, »aber es war die Wahrheit. Es war Ihre Stimme.« »Schön, wir wollen es dabei belassen«, sagte Mason. Della Street machte den Mund auf, aber sie verstummte, als Mason sie fixierte. Es war still im Zimmer, bis auf die Geräusche von der Straße und das Schluchzen der Frau. Nach ein paar Minuten ging die Tür auf, und Paul Drake kam herein. »Guten Morgen allerseits«, sagte er vergnügt. »Habe ich nicht einen Rekord aufgestellt? Ich hatte Glück. Niemand schien das geringste Interesse daran zu haben, wo ich war oder was ich tat.« »Hast du jemanden hier vor dem Hotel herumlungern sehen?« fragte Mason. »Ich bin nicht ganz sicher, ob sie nicht Della gefolgt sind.« »Habe niemanden bemerkt.« -1 4 0 -
Mason deutete auf die Frau, die mit gekreuzten Beinen auf dem Bett saß. »Das ist Eva Belter«, sagte er. Drake grinste und sah die Beine an. »Ja«, sagte er. »Ich habe sie nach dem Bild in der Zeitung wiedererkannt.« Eva Belter nahm das Taschentuch von den Augen und lächelte Drake an. »Nicht einmal ihre Tränen sind echt«, zischte Della. »Seien Sie still, Della«, fuhr Mason sie an. »Ich bestimme hier. Hast du die Blocks und Bleistifte gebracht, Paul?« Der Detektiv nickte und übergab Della Street ein Paket. »Können Sie mitschreiben, was gesagt wird, Della?« »Ich werde es versuchen«, sagte sie erstickt. »Schön. Halten Sie vor allem fest, was sie sagt.« Und er zeigte mit dem Daumen auf Eva Belter. Eva Belter sah von einem zum anderen. »Was ist los?« fragte sie. »Was haben Sie vor?« »Ich will alles klarstellen«, antwortete ihr Mason. »Brauchst du mich hier?« fragte Paul Drake. »Natürlich, du bist Zeuge.« »Sie machen mich nervös«, sagte Eva Belter. »So haben die es gestern abend auch getrieben. Sie brachten mich in das Büro des Staatsanwalts, und Leute mit Notizbüchern und Bleistiften saßen herum. Es macht mich nervös, wenn die Leute aufschreiben, was ich sage.« »Das kann ich mir denken«, lächelte Mason. »Haben sie nach der Pistole gefragt?« Eva Belter riß die Augen zu dem Unschuldsblick auf, der sie so jung und hilflos erscheinen ließ. »Sie wissen genau, was ich meine«, drängte Mason ungerührt. »Haben sie danach gefragt, wieso Sie die Waffe hatten?« -1 4 1 -
»Wieso ich die Waffe hatte?« fragte sie. »Ja«, sagte Mason, »Harrison Burke gab sie Ihnen, wie Sie wissen, und deshalb riefen Sie ihn an, um ihm zu sagen, daß es diese Pistole war, die bei dem Mord abgefeuert wurde.« Della Streets Bleistift flog emsig über die Seiten. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Eva Belter würdevoll. »Und ob Sie es wissen! Sie haben Burke angerufen, daß ein Unfall oder ähnliches stattgefunden und daß seine Waffe dabei eine Rolle gespielt habe. Ihm war die Pistole von einem Freund namens Mitchell gegeben worden. Burke fuhr direkt zu Mitchell und nahm ihn mit, und dann verschwanden die beiden.« »Was?« rief sie. »Das ist ja unglaublich!« »Geben Sie sich keine Mühe, Eva, ich habe Burke aufgesucht und besitze eine von ihm unterzeichnete Erklärung.« Sie zuckte bestürzt zusammen. »Sie haben eine von ihm unterzeichnete Erklärung?« »Ja.« »Ich dachte, Sie seien mein Anwalt.« »Warum soll ich als Ihr Rechtsbeistand nicht eine Erklärung von Burke haben?« »Aber er lügt, wenn er behauptet, daß er mir die Waffe gegeben hat. Ich habe sie nie im Leben gesehen.« »Das vereinfacht die Sache«, stellte Mason fest. »Wieso?« »Sie werden schon sehen. Jetzt wollen wir erstmal ein oder zwei andere Dinge aufklären. Als Sie Ihre Tasche holten, lag sie im Schreibtisch Ihres Mannes. Erinnern Sie sich?« »Was meinen Sie?« fragte sie zögernd. »Als ich mit Ihnen dort war und Sie Ihre Tasche holten.« »O ja, ich erinnere mich daran. Ich hatte sie am frühen Abend -1 4 2 -
in den Schreibtisch gelegt.« »Fein. Nun sagen Sie mir einmal im Vertrauen, was glauben Sie denn nun wirklich, wer im Zimmer Ihres Mannes war?« »Sie«, sagte sie schlicht. »Großartig«, sagte Mason wenig begeistert. »Und Ihr Mann hatte gerade gebadet, als der Schuß fiel?« Zum erstenmal schien sie unsicher. »Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist, daß ich Ihre Stimme hörte.« »Sie waren mit Burke aus«, sagte Mason langsam, »und kamen nach Hause. Sie nahmen Ihre Handtasche nicht mit, weil Sie in Abendkleidung waren, nicht wahr?« »Nein, ich hatte sie nicht mit«, gab sie zu und biß sich plötzlich auf die Lippe. Mason grinste sie an. »Wie kam sie dann in den Schreibtisch Ihres Mannes?« »Ich weiß nicht.« »Erinnern Sie sich an die Quittungen, die ich Ihnen gab?« Sie nickte. »Wo sind sie?« »Ich weiß nicht, ich habe sie verloren«, sagte sie achselzuckend. »Das ist der letzte Beweis.« »Beweis für was?« »Die Tatsache, daß Sie ihn getötet haben. Sie wollen mir nicht sagen, was passiert ist, deshalb werde ich es Ihnen sagen. Sie gingen mit Burke aus. Er brachte Sie zurück und verließ Sie an der Haustür. Sie gingen hinauf, und Ihr Mann hörte Sie kommen. Er war gerade im Bad und hatte eine furchtbare Wut. Er sprang aus der Wanne, warf den Mantel um und rief Ihnen zu, sie sollten in seine Suite kommen. Als sie eintraten, zeigte er Ihnen die beiden Quittungen, die er in Ihrer Handtasche gefunden hatte. Sie waren von mir unterzeichnet. Ich war dort -1 4 3 -
gewesen und hatte ihm gesagt, was ich aus Spicy Bits heraushalten wollte. Er rechnete zwei und zwei zusammen und wußte, wen ich vertrat.« »Das ist ja unglaublich! Darauf wäre ich nie gekommen!« »O doch«, Mason grinste sie an. »Sie wußten es. Sie sahen voraus, daß es zu einer Auseinandersetzung kommen mußte, und erschossen ihn. Als er hinfiel, rasten Sie fort, doch nicht, ohne vorher die Pistole fallenzulassen, denn Sie hatten den Kopf nicht verloren. Sie wußten, daß man sie zu Harrison Burke verfolgen würde, aber nicht weiter. Sie wollten Burke hineinziehen, damit er Ihnen beistand, und aus demselben Grund wollten Sie mich in die Sache verwickeln. Sie gingen hinunter und riefen Burke an, erzählten ihm, daß etwas passiert sei, daß seine Waffe gefunden werden würde, und rieten ihm, sich zu verstecken und mir eine Menge Geld zu schicken; denn nur, wenn ich den Fall weiter verfolge, sei eine Rettung möglich. Dann riefen Sie mich an und überredeten mich, herauszukommen. Auf diese Weise hatte ich kein Alibi, und Sie konnten mich nach Belieben hineinzerren, wenn es Ihnen einfiel, das Märchen zu erzählen, daß Sie meine Stimme erkannt hätten. Auch glaubten Sie, wenn man Sie etwa bei der Polizei in die Zange nehmen sollte, könnten Sie die ganze Sache auf mich abwälzen und Burke und mich dazu bringen, uns gegenseitig zu beschuldigen.« Sie starrte ihn an. Ihr kalkweißes Gesicht mit den vor Angst verdunkelten Augen war eine Maske. »Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen«, stammelte sie. »Und ob ich das habe. Ich habe Beweise.« »Was für Beweise?« Er lachte grimmig. »Was glauben Sie, was ich gestern abend gemacht habe, während Sie verhört wurden? Ich habe Kontakt mit Harrison Burke aufgenommen, und wir haben mit Ihrer -1 4 4 -
Haushälterin gesprochen. Sie versuchte, Sie zu schützen, aber sie weiß, daß Sie mit Burke nach Hause kamen und daß Ihr Mann Sie rief, als Sie hinaufgingen. Sie wußte, daß er sie schon vorher gesucht hatte. Als Sie die Quittungen ausstellen ließen, vergaßen Sie, daß mein Name drunter stand und daß Ihr Mann, sobald er von dem Fall erfuhr, daraus schließen konnte, um welche Frau es sich handelte.« Sie kämpfte mit den Tränen. »Sie sind mein Rechtsbeistand. Sie können doch nicht alles, was ich Ihnen erzählt habe, dazu benützen, eine Anklage gegen mich aufzubauen. Sie müssen doch meine Interessen wahrnehmen.« Er lachte bitter. »Vermutlich soll ich mich auch des Mordes anklagen lassen, damit Sie davonkommen, was?« »Das habe ich nicht gesagt. Nur daß Sie loyal sein sollen.« »Ausgerechnet Sie reden von Loyalität!« Sie versuchte es auf andere Weise. »Das sind alles Lügen, die Sie nicht beweisen können.« Perry Mason holte seinen Hut vom Haken. »Vielleicht nicht«, sagte er. »Aber Sie haben die Nacht dazu benützt, dem Distriktanwalt einen Bären aufzubinden. Jetzt gehe ich zu ihm und gebe eine Erklärung ab. Wenn ich fertig bin, werden sie ziemlich gut über den Fall orientiert sein. Ihr Telefongespräch mit Burke, über die Waffe und die Aufforderung, sich zu verstecken, und das Motiv, das Sie hatten - nämlich Ihre Affäre mit Burke vor Ihrem Garten zu verbergen -, werden der Polizei ermöglichen, eine recht solide Anklage gegen Sie aufzubauen.« »Aber ich habe doch mit seinem Tod nichts gewonnen.« »Das ist noch so ein Trick von Ihnen, genau wie alles andere. Oberflächlich gesehen wirkt es günstig, aber es ist nicht pfiffig genug, um wirklich zu überzeugen. Die Fälschung des Testaments ist ein ganz gescheiter Einfall.« -1 4 5 -
»Was meinen Sie?« »Genau, was ich sage«, fuhr er sie an. »Ihr Mann informierte Sie, daß er Sie enterbt hatte, oder vielleicht fanden Sie auch das Testament im Safe. Auf jeden Fall kannten Sie den Inhalt und wußten, wo es aufbewahrt wurde. Sie wußten, daß es keinen Zweck hatte, das Testament zu vernichten, weil Carl Griffin und sein Anwalt es gesehen hatten, so daß Sie in Verdacht gerieten, wenn es fehlte. Aber Sie dachten, Sie könnten Griffin hereinlegen. Wenn er der Begünstigte war und das Testament sich als Fälschung erwies, mußte Griffin in eine zweideutige Lage geraten. Deshalb fälschten Sie das Testament, indem Sie Wort für Wort kopierten, und machten es so schlecht, daß die Fälschung jedem ins Auge springen mußte. Als ich im Haus die Leiche überprüfte, taten Sie, als ob Sie zu erschüttert seien, um sich in die Nähe des Toten zu wagen. Inzwischen holten Sie das Originaltestament hervor und legten die Fälschung an seinen Platz. Das Original vernichteten Sie. Griffin und sein Anwalt gingen natürlich in die Falle. Sie behaupten, es sei das Original, weil sie den Inhalt kannten. Die Fälschung ist so schlecht, daß Ihnen kein Handschriftenexperte das Testament als von Belter geschrieben anerkennen wird. Da Sie bereits eine Erklärung abgegeben haben, daß es das Original ist, trauen Sie sich nicht, davon zurückzutreten. Es ist eine ganz flotte Masche!« Sie stand langsam auf. »Das müssen Sie erst beweisen«, sagte sie mit dünner, zitternder Stimme. »Geh nach nebenan«, sagte Mason zu Drake, »und bringe Mrs. Veitch herein. Sie soll bestätigen, was ich gesagt habe.« Drake ging mit steinernem Gesicht zu der Doppeltür, die in das benachbarte Zimmer führte, öffnete sie und rief: »Mrs. Veitch.« Man hörte ein leises Rascheln, dann erschien Mrs. Veitch - groß, knochig, schwarzgekleidet und mit glanzlosen -1 4 6 -
Augen. »Guten Morgen«, sagte sie zu Eva Belter. »Einen Augenblick, Mrs. Veitch«, sagte Perry Mason plötzlich. »Da ist noch ein Punkt, den ich gerne klären möchte, bevor Sie Ihre Aussage vor Mrs. Belter machen. Bitte, gehen Sie noch einmal nach nebenan.« Mrs. Veitch wandte sich um. Paul Drake warf Mason einen Blick zu und schloß die Tür. Eva Belter machte zwei Schritte zur äußeren Tür, taumelte plötzlich und fiel vornüber. Perry Mason fing sie auf, Drake nahm ihre Beine hoch. Zusammen trugen sie sie zum Bett. Della Street tat einen überraschten Ausruf, legte ihren Bleistift hin und stieß ihren Stuhl zurück, um aufzustehen. Mason warf ihr über die Schulter einen Blick zu und sagte heftig: »Bleiben Sie da und schreiben Sie alles auf, was jetzt gesprochen wird. Lassen Sie kein Wort aus!« Er ging zum Waschtisch, tauchte ein Handtuch in kaltes Wasser und schlug es auf Gesicht und Hals der Bewußtlosen. Sie schnappte nach Luft und erwachte. Als sie Perry Mason über sich gebeugt sah, sagte sie: »Bitte, Perry, helfen Sie mir.« Er schüttelte den Kopf. »Solange Sie mich anschwindeln, kann ich Ihnen nicht helfen.« »Ich will die Wahrheit sagen«, wimmerte sie. »Gut. Was ist in Wirklichkeit geschehen?« »Genau, wie Sie es gesagt haben, nur hatte ich keine Ahnung, daß Mrs. Veitch es wußte.« »Wie nahe standen Sie vor ihm, als Sie schossen?« »Ein ganzes Stück entfernt«, sagte sie tonlos. »Die Pistole hatte ich nur zur Verteidigung in der Hand, für den Fall, daß er mich angriff. Ich hatte Angst vor ihm, er war sehr jähzornig, und ich wußte, daß er etwas Fürchterliches tun würde, wenn er jemals meine Freundschaft mit Harrison Burke entdeckte. Es -1 4 7 -
war wirklich nicht geplant, sondern unüberlegt. Er hatte meine Handtasche gefunden und nach Briefen durchsucht; das tat er oft. Ich war nicht dumm genug, Briefe darin zu lassen, aber ich hatte die Quittungen vergessen, und er erriet alles. Als ich nach Hause kam, badete er gerade. Er kletterte aus der Wanne, warf den Bademantel um und fing an, nach mir zu brüllen. Als ich hinaufkam, hatte er die Quittungen in der Hand. Er beschuldigte mich, daß ich die Begleiterin von Harrison Burke in der Beechwood Tavern gewesen sei, und warf mir noch eine Menge anderer Vorwürfe an den Kopf. Er sagte, er würde mich ohne einen Cent auf die Straße setzen. Ich wurde hysterisch, packte die Pistole und schoß auf ihn, dann rannte ich blindlings davon. In der Halle hing mein Mantel, aber ich war so verstört, daß ich einen alten von Carl Griffin vom Haken riß. Als ich in den Drugstore kam, wurde mir klar, daß ich jemanden brauchte, der mir Rückhalt gab. Ich hatte kein eigenes Geld, mein Mann gab mir immer nur kleine Summen. Und da ich das Testament kannte, wußte ich, daß ich auch keins bekommen würde, solange der Nachlaß nicht geregelt war. Deshalb rief ich Harrison Burke an, sagte ihm, daß ich nicht wüßte, wer George getötet hätte, daß aber seine Pistole auf dem Fußboden liege. Burke war außer sich. Ich sagte ihm, er solle sich verstecken und Ihnen möglichst viel Geld schicken, damit Sie alles täten, um ihn aus der Sache herauszuhalten. Dann rief ich Sie an, und während Sie herfuhren, überlegte ich, daß es gut wäre, wenn ich der Polizei einen Hinweis geben konnte, falls sie anfing, mich zu verdächtigen. Wenn man Sie verdächtigte, würden Sie, um Ihre Haut zu retten, auch mich herauspauken, und in wirkliche Gefahr konnten Sie gar nicht kommen, weil Sie viel zu klug und geschickt sind. Wenn sie mir zu nahe auf den Pelz rückten, wollte ich sie also auf Ihre Spur setzen.« Mason sah Paul Drake an. »Ist sie nicht reizend?« Es klopfte. Als Mason öffnete, stand Sidney Drumm auf der Schwelle und hinter ihm ein zweiter Polizeibeamter. -1 4 8 -
»Hallo, Perry«, sagte er, »es war verteufelt schwer, dich zu finden. Wir folgten Della Street bis ins Hotel, brauchten aber eine ganze Weile, um herauszufinden, welchen Namen du dir hier zugelegt hast. Es tut mir leid, daß ich dich stören muß, aber du mußt eine kleine Fahrt mit mir machen. Der Distriktanwalt möchte dir ein paar Fragen stellen.« Mason nickte. »Komm nur herein.« »Perry, Sie müssen mich schützen. Ich war aufrichtig. Sie müssen mir beistehen.« Perry sah sie an, drehte sich auf dem Absatz um und sagte zu Sidney Drumm: »Du hast Glück und kannst eine Verhaftung vornehmen. Und zwar Eva Belter, die gerade den Mord an ihrem Mann gestanden hat.« Eva Belter schrie gellend auf, sprang auf die Füße und taumelte. Drumms Augen gingen unschlüssig zwischen ihr und Mason hin und her. »Es ist Tatsache«, sagte Drake. Mason zeigte auf Della Street. »Sie hat alles schwarz auf weiß. Es gibt Zeugen, und wir haben ihr Geständnis wörtlich.« Sidney Drumm stieß einen leisen Pfiff aus. »Bei Gott, Perry«, sagte er, »da hast du Glück. Sie wollten dich unter Mordanklage stellen.« »Von Glück kann keine Rede sein«, sagte Mason wütend. »Ich war bereit, ihr eine Chance zu geben, solange sie nicht querschoß. Aber als ich in den Zeitungen las, daß sie mich hineingezogen hat, beschloß ich, der Sache ein Ende zu machen.« »Weißt du wirklich, wo Burke ist?« fragte Paul Drake. »Keine Spur«, knurrte Mason. »Ich bin heute nacht überhaupt nicht aus diesem Zimmer gekommen. Habe einfach hier gesessen und nachgedacht. Mrs. Veitch habe ich allerdings angerufen. Ich sagte ihr, Eva Belter wollte heute morgen hier Reportern eine Mitteilung machen und Mrs. Veitch dabeihaben, damit sie einige Tatsachen bezeuge. Ich schickte Mrs. Veitch ein Taxi und -1 4 9 -
ließ sie herbringen.« »Sie hätte also deine Behauptungen gar nicht bestätigt?« »Wahrscheinlich nicht. Ich habe überhaupt nicht mit ihr gesprochen, denn sie lehnt es ab, mir irgendwelche Auskünfte zu geben. Ich bin überzeugt, daß sie etwas weiß und es verschweigt. Du solltest nur die Tür öffnen, damit Eva Belter sie sah und unter Druck stand.« Eva Belter starrte Perry Mason kreidebleich an. »Sie gemeiner, hinterhältiger Schuft«, stieß sie hervor. Es blieb Sidney Drumm vorbehalten, dem Porträt von Eva Belter, das hier in der letzten Stunde entworfen worden war, noch ein Licht aufzusetzen. »Pfui Teufel«, sagte er. »Es war Eva Belter, die uns deine Adresse verriet, Perry. Sie sagte uns, daß sie heute morgen zu dir fahren würde, wir sollten aber warten und so tun, als seien wir Della Street gefolgt.« Mason schwieg. Er sah plötzlich sehr müde aus.
16 Perry Mason saß in seinem Büro und sah sehr erschöpft aus. Della Street, ihm am Schreibtisch gegenüber, vermied es, ihn anzusehen. »Ich dachte, Sie könnten sie nicht ausstehen?« bemerkte Mason. »Konnte ich auch nicht«, gab sie zu. »Aber es tut mir leid, daß Sie derjenige sein mußten, der die Sache aufklärte. Sie verließ sich darauf, daß Sie sie aus der Klemme ziehen würden, und Sie übergaben sie der Polizei.« »Ich tat nichts dergleichen; ich weigerte mich nur, das Opferlamm zu sein.« Sie zuckte die Achseln. »Ich kenne Sie seit Jahren«, sagte sie zögernd, »und immer kamen Ihre Mandanten zuerst. Sie haben sich die Fälle und die Mandanten nicht ausgesucht. Sie nahmen -1 5 0 -
sie, wie sie kamen. Manche wurden hingerichtet. Andere wurden freigesprochen. Aber solange sie Ihre Mandanten waren, haben Sie sie nie im Stich gelassen.« »Ist das eine Predigt?« fragte er. »Ja.« Er trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Della, ich möchte Sie um eines bitten: Haben Sie Vertrauen zu mir.« Sie sah endlich auf und ihm in die Augen. »Sie meinen...?« Er nickte. »Sie ist noch nicht überführt, solange die Jury sie nicht schuldig spricht.« »Aber sie will doch nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Sie wird jetzt einen anderen Anwalt nehmen, und sie hat ihr Geständnis vor der Polizei wiederholt und unterzeichnet. Was können Sie da noch tun?« »Ich kann sie noch freibekommen. Solange eine Jury einen begründeten Zweifel hat, kann sie nicht verurteilen.« Della sah ihn finster an. »Warum haben Sie nicht durch Paul Drake der Polizei einen Wink geben lassen, welche Fragen sie ihr stellen sollten?« »Weil sie sich aus allen Fragen, die ihr die Polizei hätte stellen können, herausgelogen hätte. Diese Frau ist gerissen. Sie wollte meine Hilfe, dachte aber, sie könnte mich jederzeit den Wölfen vorwerfen, wenn das Rudel ihr zu nahe kam.« »Also haben Sie lieber sie dem Rudel vorgeworfen?« »Wenn Sie es so ausdrücken wollen«, gab Mason zu und zog seine Hand von ihrer Schulter zurück. Sie stand auf und ging zur Verbindungstür zum Vorzimmer. »Carl Griffin und sein Anwalt Arthur Atwood sind draußen.« »Schicken Sie sie herein«, sagte Mason. Es klang müde und enttäuscht. -1 5 1 -
Carl Griffins Gesicht zeigte die Spuren der Ausschweifung, aber seine Haltung war tadellos, ganz der liebenswürdige Gentleman. Er entschuldigte sich bei Della Street, daß er vor ihr durch die Tür trat, lächelte Mason bei der Begrüßung höflich und nichtssagend an. Arthur Atwood war ein Endvierziger mit verschmitzt funkelnden Augen und einem Gesicht, das offenbar selten Sonne und Luft ausgesetzt wurde. Er war kahl bis auf einen dünnen Haarkranz, der ihm wie ein dürftiger Heiligenschein um den Hinterkopf stand. Seine Lippen waren zu einem ständigen geschäftsmäßigen Lächeln verzogen. Er war schwer zu taxieren, fest stand nur, daß er ein gefährlicher Gegner war. Perry Mason bot ihnen Sessel an, und Della Street ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. »Entschuldigen Sie«, begann Carl Griffin das Gespräch, »wenn ich zu Beginn Ihre Motive falsch eingeschätzt habe. Wie ich erfuhr, ist Eva Belters Geständnis hauptsächlich Ihren klugen Ermittlungen zu verdanken.« »Überlassen Sie das Reden mir, Carl«, unterbrach Atwood liebenswürdig. Er zog sich einen Stuhl dicht an den Schreibtisch, setzte sich hin, sah Perry Mason an und sagte: »Schön, Herr Rechtsanwalt, ich glaube, wir verstehen einander.« »Ich bezweifle das«, erwiderte Mason. »Sie sind der Anwalt«, fuhr Atwood fort, »der Eva Belters Anfechtung des Testaments und ihren Antrag, sie als Nachlaßverwalterin einzusetzen, eingereicht hat. Es würde die Dinge vereinfachen, wenn Sie beides zurückzögen.« »Für wen würde es die Dinge vereinfachen?« fragte Mason. Atwood wedelte mit der Hand in Richtung seines Mandanten. »Für Mr. Griffin natürlich.« »Ich vertrete Mr. Griffin nicht«, sagte Mason kurz -1 5 2 -
angebunden. Atwood lächelte jetzt nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen. »Das trifft natürlich für den Augenblick zu. Aber erlauben Sie mir, ohne Umschweife zur Sache zu kommen: Mein Mandant war sehr von dem ungewöhnlichen Geschick und dem Geist der Unparteilichkeit beeindruckt, die Sie in dieser Angelegenheit bewiesen haben. Es sind natürlich sehr peinliche Umstände, die meinen Mandanten nicht wenig schockiert haben, aber es unterliegt ja nun keinem Zweifel mehr, was geschehen ist, und mein Mandant wird bei der Fortführung der Geschäfte viel sachverständigen Rat brauchen - wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Was meinen Sie wirklich?« fragte Mason. »Gott, wenn ich ganz ungeschminkt reden muß, wir sind ja hier unter uns - es ist möglich, daß mein Mandant herausfinden wird, daß die Überwachung von Spicy Bits besondere Sorgfalt erfordert. Ich werde mit der Verwaltung des übrigen Nachlasses alle Hände voll zu tun haben, deshalb erwog er, die Dienste eines erfahrenen Anwalts für diese spezielle Aufgabe in Anspruch zu nehmen. Er sollte das Blatt dirigieren, bis das Testament zur Vollstreckung freigegeben wird.« Atwood sah Mason bedeutungsvoll an. Als Mason nichts sagte, fuhr er fort: »Die Aufgabe würde Zeit in Anspruch nehmen, für die Sie außerordentlich gut entschädigt würden.« »Wozu die Umstandskrämerei?« sagte Mason grob. »Sie wollen, daß ich den Streitfall aufgebe und Griffin das Ruder überlasse? Und er wird dafür sorgen, daß dabei Geld für mich herausspringt. Ist das Ihr Vorschlag?« »Ich möchte mich nicht auf eine so primitive Formulierung festlegen. Wenn Sie aber meine Worte überlegen, werden Sie finden, daß sie das Berufsethos nicht verletzen, aber den Standpunkt ausreichend klären.« -1 5 3 -
»Ach, zum Teufel mit all dem Gewäsch. Wenn Sie nicht unzweideutig sprechen können, dann tue ich es. Wir stehen an verschiedenen Seiten des Zaunes, Sie vertreten Griffin, versuchen, die Nachlaßverwaltung zu erhalten und das Erbe in Besitz zu nehmen. Ich vertrete Mrs. Belter und werde dieses Testament zunichte machen. Es ist eine Fälschung, und Sie wissen es.« »Das nützt Ihnen nichts.« Atwoods Augen blickten stahlhart. »Sie hat gestanden, daß sie das Original vernichtet hat; wir können den Inhalt des Originals beweisen und damit den Besitz übernehmen.« »Schön«, sagte Mason, »das ist ein Rechtsstreit. Sie denken, Sie haben recht, ich denke das Gegenteil.« »Außerdem«, sagte Atwood, »kann sie gar nicht erben, weil sie ihn ermordet hat. Das Gesetz verbietet, daß der Mörder von dem Opfer erbt.« Mason schwieg. Atwood wechselte einen Blick mit seinem Mandanten. »Bezweifeln Sie das?« fragte er Mason. »Allerdings«, sagte Mason. »Aber ich gedenke nicht, das mit Ihnen hier auszufechten. Das werde ich vor Gericht tun. Ich bin nicht von gestern und weiß genau, was Sie wollen. Sie glauben, ich könnte Ihnen behilflich sein, Eva Belter des geplanten Mords zu überführen, indem ich Ihnen ein Motiv dafür nachweise. Ein Mörder kann nach dem Gesetz nicht erben. Wenn sie aber nicht wegen Mords, sondern nur wegen Totschlags verurteilt wird, kann sie erben. Sie sind hinter dem Besitz her und wollen mich bestechen. Damit haben Sie kein Glück.« »Wenn Sie so weitermachen, Herr Anwalt, könnten Sie eines Tages selber unter Anklage stehen.« »Prächtig. Wie nennt man das schlicht - Erpressung?« -1 5 4 -
»Sie können uns die Zügel auf die Dauer nicht vorenthalten, und wenn wir erst im Sattel sitzen, werden wir verschiedene Entscheidungen treffen, die auch Ihre Tä tigkeit betreffen.« Mason sprang auf. »Ich kann dieses Drumherumreden nicht ausstehen.« Carl Griffin hüstelte. »Meine Herren«, sagte er, »vielleicht dürfte ich etwas hinzufügen, was die Situation vereinfacht.« »Nein«, sagte Atwood unfreundlich, »ich besorge das Reden.« »Tragen Sie uns nichts nach«, lächelte Griffin, zu Mason gewandt. »Bitte!« sagte Atwood scharf. »Ach, ich bin ja schon still.« Mason machte eine Geste zur Tür. »Ich glaube, meine Herren, die Besprechung ist beendet.« »Wenn Sie nur eine Möglichkeit wahrnähmen, die Eingaben zurückzuziehen«, versuchte es Atwood noch einmal, »würden wir viel Zeit sparen. Sie müssen ja zugeben, daß unser Anspruch unanfechtbar ist, wir möchten nur die Zeit und die Kosten sparen, ihn durchzusetzen.« »Vielleicht glauben Sie wirklich, unwiderleglich im Recht zu sein, aber einstweilen sitze ich im Sattel, und ich gedenke, die Zügel nicht aus der Hand zu geben«, sagte Mason mit steinernem Gesicht. Atwoods Maske unerschütterlicher Liebenswürdigkeit zerbarst. »Sie werden sich keine vierundzwanzig Stunden halten«, fauchte er. »Glauben Sie?« »Erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, Herr Anwalt, daß Sie der Begünstigung nach der Tat beschuldigt werden könnten. Die Polizei würde sich zweifellos unseren Wünschen sehr -1 5 5 -
zugänglich zeigen, da mein Mandat jetzt der gesetzliche Erbe ist.« Mason trat auf ihn zu. »Wenn ich Sie brauche, um mir meine Position klarzumachen, werde ich sie anrufen.« »Schon gut«, sagte Atwood. »Wenn Sie schwierig sein wollen, wir können es auch sein.« »Ja«, erwiderte Mason, »ich werde sehr schwierig sein.«
17 Paul Drake saß an seinem zerkratzten Schreibtisch und grinste Perry Mason an, der ihm gegenübersaß. »Recht gewitzt«, sagte er. »Hattest du das schon die ganze Zeit in petto, oder hast du sie nur hereingelegt, weil sie es zu toll trieb?« Mason war ernst. »Ich wußte ungefähr, was vorgegangen war, aber eine Idee haben und sie zu beweisen, ist zweierlei. Jetzt muß ich sie retten.« »Laß das lieber«, sagte Drake nüchtern. »Erstens ist sie es nicht wert, und zweitens geht es gar nicht. Ihre einzige Chance wäre Notwehr, und das zieht nicht, weil sie ja zugibt, daß sie am anderen Ende des Zimmers stand, als sie schoß.« »Sie ist aber meine Mandantin, und ich lasse Mandanten nicht im Stich. Sie zwang mich zu meinem Vorgehen, weil wir sonst alle beide in der Klemme gesessen hätten.« »Ich würde keinen Gedanken mehr an sie verschwenden«, beharrte Drake. »Sie ist nur ein verlogenes Flittchen, das die Chance, Geld zu heiraten, beim Schopf ergriffen hat und seitdem jedermann hintergangen hat. Wenn ein Mandant dir einen Mord anhängen will, hört doch wirklich die Gemütlichkeit auf.« Mason sah ihn müde an. »Ganz egal, ich werde sie retten.« »Wie denn bloß?« -1 5 6 -
»Kapiere doch endlich einmal, daß sie nicht schuldig ist, solange sie nic ht überführt ist.« »Aber sie hat doch gestanden?« »Das macht keinen Unterschied. Das Geständnis kann nur als Beweismaterial gegen sie benützt werden, weiter nichts.« »Na, und was wird die Jury tun? Du kannst sie nur aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit oder Notwehr retten, und sie haßt dich, und wird sich einen anderen Anwalt nehmen.« »Das ist es gerade. Es gibt verschiedene Methoden, wie man sie retten könnte, aber davon will ich jetzt nicht reden. Ich denke an das Ergebnis. Du sollst für mich alles über die Veitch-Familie herausbringen.« »Meinst du die Haushälterin?« fragte Drake erstaunt. »Die Haushälterin und ihre Tochter. Die ganze Familie.« »Du glaubst immer noch, daß die Haushälterin etwas verschweigt?« »Ich weiß es.« »Schön. Ich werde meine Meute auf die Haushälterin loslassen. Wie kam dir das Material aus Georgia zupaß?« »Ausgezeichnet. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, daß es auf Minuten ankommt. Alles, was ich unternommen habe, sollte mir nur Zeit verschaffen. Arbeite, so schnell du kannst.« Perry Mason ging in sein Büro zurück. Della Street warf ihm einen Blick zu, als er eintrat und sah dann wieder auf ihre Schreibmaschine. »Della«, bat er, »rufen Sie das Statistische Amt an und versuchen Sie, den Abteilungsleiter an den Apparat zu bekommen. Die Kosten spielen keine Rolle. Wir brauchen eine Information, und das sofort. Wir wollen wissen, ob Norma Veitch jemals verheiratet war. Ich vermute, daß es so ist. Und wir wollen außerdem wissen, ob sie geschieden worden ist.« -1 5 7 -
Della Street sah ihn erstaunt an. »Was hat denn das mit dem Mordfall zu tun?« »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Veitch ist wahrscheinlich ihr richtiger Name, das heißt, der ihrer Mutter, und sollte als Name der Braut im Heiratsregister stehen. Natürlich kann es sein, daß sie gar nic ht geheiratet hat oder nicht in diesem Staat. Aber irgend etwas ist sonderbar, und sie verbirgt ihre Vergangenheit. Ich will mehr wissen.« »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Norma Veitch in die Sache verwickelt ist?« fragte Della. »Meine Aufgabe ist es, einen begründeten Zweifel bei den Geschworenen zu wecken. Vergessen Sie das nicht.« Er ging in sein Privatbüro und schloß die Tür hinter sich. Dort begann er mit gesenktem Kopf, die Daumen in die Armlöcher seiner Weste gehakt, auf und ab zu marschieren. Als Della Street eine halbe Stunde später hereinkam, schritt er noch immer in tiefen Gedanken auf und ab. »Sie hatten recht«, sagte sie. »Die kleine Veitch ist verheiratet. Vor sechs Monaten heiratete sie einen Mann namens Harry Loring. Von einer Scheidung ist nichts bekannt.« Mason sprang zur Tür, riß sie hastig auf und eilte zu Paul Drakes Büro. »Himmel, schon wieder du«, sagte Drake, als er die Tür öffnete. »Wann sitzt du eigentlich in deinem Büro und empfängst Mandanten?« »Paß auf«, sagte Mason atemlos, »wir haben Glück. Norma Veitch war verheiratet.« »Na und?« »Sie ist doch mit Carl Griffin verlobt!« »Na ja, sie kann geschieden worden sein.« »Nein, sie ist nicht geschieden. Dazu war gar keine Zeit. Sie -1 5 8 -
hat ja erst vor sechs Monaten geheiratet!« »Also gut. Und was willst du?« »Du sollst ihren Ehemann finden. Er heißt Harry Loring. Ich möchte wissen, wann sie sich getrennt haben und warum. Und ganz besonders interessiert mich, ob sie Carl Griffin schon gekannt hat, als sie in das Haus zu Besuch kam. Das heißt, ich möchte wissen, ob sie ihre Mutter schon früher einmal besucht hat.« Der Detektiv pfiff leise. »Kannst du dich bitte gleich um diese Sache kümmern?« »Wenn Loring irgendwo hier in der Stadt ist, erfährst du es in der nächsten halben Stunde«, versprach Drake. »Je schneller, um so besser. Ich warte in meinem Büro.« Er ging zurück. »Harrison Burke hat angerufen«, sagte Della, als er die Tür zu seinem Privatbüro aufmachte. »Wo ist er denn?« fragte Mason mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das wollte er nicht sagen. Nicht einmal seine Telefonnummer wollte er hinterlassen. Er meldet sich später noch einmal.« Als er sich gerade gesetzt hatte, hörte Mason das Telefon läuten und Della draußen sagen: »Einen Augenblick, Mr. Burke.« Er nahm den Hörer ab. Burkes tiefe Stimme hatte einen Beiklang von Panik. »Das ist ja fürchterlich«, sagte er, »ich habe gerade die Zeitungen gelesen.« »Es ist nicht ganz so schlimm«, erwiderte Mason, »Sie sind aus dem Mordfall draußen. In der anderen Sache können Sie als Freund der Familie auftreten. Es wird nicht übermäßig angenehm sein, aber doch bedeutend besser als unter Mordverdacht.« »Aber sie werden es bei meiner Wahlkampagne gegen mich -1 5 9 -
verwenden!« »Was verwenden?« »Meine Freundschaft mit dieser Frau.« »Das kann ich nicht ändern. Aber ich bin dabei, auch in dieser Sache Ihren Namen geheimzuhalten. Der Staatsanwalt will ihn nicht nennen, außer, wenn er bei der Gerichtsverhandlung ein Motiv vorweisen muß.« »Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.« Burkes Stimme klang wieder voller. »Der Staatsanwalt ist sehr anständig. Wenn es nicht zu einer Gerichtsverhandlung kommt, wird mein Name nicht hineingezogen. Sie könnten die Dinge nun so drehen, daß es zu keiner Gerichtsverhandlung kommt.« »Wie?« »Sie könnten Eva dazu überreden, Totschlag zuzugeben. Sie sind ja noch ihr Anwalt. Deshalb würde der Staatsanwalt Sie zu ihr lassen. Ich habe mit ihm gesprochen.« »Kommt nicht in Frage«, erwiderte Mason. »Ich werde versuchen, Ihre Interessen wahrzunehmen, aber so, wie ich es für richtig halte. Bleiben Sie einstweilen noch unauffindbar.« »Es würde Ihnen ein fettes Honorar einbringen«, sagte Harrison Burke mit öliger Stimme. »Fünftausend bar und vielleicht könnten wir sogar noch etwas höher gehen...« Perry Mason knallte den Hörer auf. Wieder lief er in seinem Büro auf und ab. Eine Viertelstunde später läutete sein Telefon wieder. Diesmal war es Paul Drake. »Ein Mann namens Harry Loring wohnt in den Belvedere Apartments. Seine Frau hat ihn vor etwa einer Woche verlassen. Es heißt, sie lebt jetzt bei ihrer Mutter. Brauchen wir ihn?«. »Sehr schnell sogar. Kannst du mit mir hinausfahren? Ich werde wahrscheinlich einen Zeugen brauchen.« »In Ordnung. Ich habe einen Wagen da, falls du keinen hast.« -1 6 0 -
»Wir wollen zwei Wagen nehmen.«
18 Harry Loring war ein mageres nervöses Individuum. Er zwinkerte unablässig und benetzte seine Lippen immer wieder mit der Zungenspitze. Auf einem verschnürten Koffer sitzend, sah er Drake kopfschüttelnd an. »Nein«, sagte er, »Sie sind an der falschen Adresse. Ich bin nicht verheiratet.« Drake warf einen fragenden Blick zu Perry Mason hinüber. Der zuckte leicht die Achseln, was offenbar bedeutete, daß Drake das Reden besorgen sollte. »Haben Sie jemals eine Norma Veitch gekannt?« setzte Drake die Befragung fort. »Niemals«, sagte Loring und leckte sich die Lippen. »Sie ziehen aus?« »Ja, ich kann die Miete hier nicht mehr zahlen.« »Sie waren nie verheiratet?« »Nein, ich bin Junggeselle.« »Wohin ziehen Sie jetzt?« »Das weiß ich noch nicht.« Loring sah blinzelnd von einem zum anderen. »Sind Sie Polizeibeamter?« »Kümmern Sie sich nicht um uns. Es handelt sich um Sie.« »Jawohl, Sir«, sagte Loring und versank in Schweigen. »Sie räumen Ihre Wohnung plötzlich, was?« fuhr Drake fort. Loring hob die Schultern. »Es ist gar nicht so plötzlich, und da ist nicht viel zu räumen.« »Passen Sie mal auf«, sagte Drake drohend. »Es hat keinen Sinn, daß Sie uns einen Bären aufbinden. Wir können die Tatsachen herausfinden. Sie sagen, Sie waren nie verheiratet. Stimmt das?« -1 6 1 -
»Ja, Sir. Ich bin Junggeselle, wie ich Ihnen schon sagte.« »Die Nachbarn sagen aber, daß Sie verheiratet waren. Bis vor einer Woche hat eine Frau hier bei Ihnen gelebt.« Loring rutschte auf dem Koffer hin und her. »Ich war nicht mit ihr verheiratet«, sagte er. »Wie lange haben Sie sie gekannt?« »Etwa zwei Wochen. Sie war Kellnerin in einem Restaurant.« »In welchem?« »Den Namen habe ich vergessen.« »Wie hieß sie?« »Sie wurde Mrs. Loring genannt.« »Das weiß ich. Wie hieß sie wirklich?« »Jones, Mary Jones.« Drake lachte höhnisch. Loring schwieg. »Wo ist sie jetzt?« fragte Drake plötzlich. »Ich weiß es nicht. Sie verließ mich. Ich glaube, sie ging mit jemand anderem fort. Wir hatten Krach.« »Weswegen?« »Ach, ich weiß nicht. Einfach so.« Drake warf Mason wieder einen Blick zu. Mason trat vor und übernahm die Fortsetzung des Gesprächs. »Lesen Sie Zeitung?« fragte er. »Ab und zu«, erwiderte Loring, »nicht sehr oft. Manchmal sehe ich mir bloß die Schlagzeilen an.« Mason holte einige Zeitungsausschnitte aus der Tasche und faltete einen auseinander. Darauf war ein Bild von Norm Veitch. »Ist das die Frau, die hier mit Ihnen gelebt hat?« fragte er. Loring sah das Bild kaum an, schüttelte aber heftig den Kopf. »Nein«, beteuerte er, »das war nicht die Frau.« -1 6 2 -
»Sie haben ja das Bild noch gar nicht angesehen. Vergewissern Sie sich lieber, bevor Sie so heftig verneinen.« Er hielt das Bild Loring vor die Augen. Loring nahm es in die Hand und studierte es etwa fünfzehn Sekunden. »Nein«, sagte er noch einmal. »Das ist nicht die Frau.« »Dauerte ja eine ganze Weile.« Loring blieb stumm. Mason wandte sich plötzlich um und nickte Drake zu. »Na schön«, sagte er zu Loring. »Wenn Sie sich so verhalten wollen, müssen Sie eben Ihre Medizin schlucken. Sie können nicht verlangen, daß wir Sie beschützen, wenn Sie uns anlügen.« »Ich lüge nicht.« »Komm«, sagte Mason grimmig. »Laß uns gehen.« Die beiden Männer verließen die Wohnung und schlossen die Tür hinter sich. »Was hältst du von ihm?« fragte Drake. »Er ist ein Jammerlappen, sonst hätte er versucht, den Empörten zu spielen und uns gefragt, was wir uns dabei dächten, uns in seine Angelegenheiten zu mischen. Er sah mir so aus, als ob er sich schon eine ganze Zeitlang versteckt und Angst vor der Justiz hat. Er ist es gewöhnt, von Detektiven schikaniert zu werden.« »Ganz meine Ansicht«, sagte Drake. »Was machen wir jetzt?« »Wir könnten dieses Zeitungsfoto bei den Nachbarn herumzeigen und sehen, ob sie jemand identifiziert.« »Wir waren nicht sehr grob mit ihm«, stellte Drake fest. »Er ist der Typ, der zusammenbrechen würde, wenn wir ihm richtig zusetzen.« »Sicher, das können wir immer noch machen. Ich möchte erst noch etwas mehr über ihn erfahren.« Von unten hörte man Schritte näherkommen. Ein dicker, -1 6 3 -
untersetzter Mann stampfte die Treppe herauf und ging an ihnen vorüber. Er trug einen abgetrage nen Anzug, und seine Manschetten waren ausgefranst. Trotzdem wirkte er wie jemand, der seiner Sache sicher ist. »Ein Gerichtsbote«, flüsterte Drake. Der Mann sah die beiden an und fragte: »Ist einer von Ihnen Harry Loring?« Mason trat prompt vor und sagte: »Ja, ich.« Der Mann steckte die Hand in die Tasche. »Sie werden wohl wissen, worum es sich handelt«, sagte er. »Ich habe hier die Vorladung, die Kopie der Klage und eine Kopie der Vorladung im Prozeß Norma Loring gegen Harry Loring. Ich zeige Ihnen hiermit das Original der Vorladung und händige Ihnen die Kopien der Vorladung und der Klage aus. Sie werden wohl wissen, was drin steht. Es hieß, die Klage würde nicht angefochten, und Sie erwarteten mich.« Mason nahm die Papiere. »Sicher«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung.« »Nichts für ungut«, sagte der Bote, wandte sich um, machte auf der Rückseite der Originalvorladung mit Bleistift eine Notiz und stapfte die Treppe wieder hinunter. Mason grinste Drake an. »Ein Glücksfall«, sagte er. Sie falteten die Kopie der Klageschrift auseinander. »Es ist ein Antrag auf Annullierung, nicht auf Scheidung«, stellte Mason fest. Sie lasen das Schriftstück durch. »Das Heiratsdatum stimmt«, sagte Mason. »Laß uns zurückgehen.« Sie klopften an die Tür. »Wer ist da?« fragte Loring. »Dokumente für Sie«, sagte Mason. Loring öffnete die Tür und prallte zurück, als er die beiden -1 6 4 -
erkannte. »Sie!« rief er erschrocken. »Ich dachte, Sie seien fort?« Mason hielt die Papiere, die er dem Justizboten abgenommen hatte, in die Höhe und trat ins Zimmer. Drake folgte. »Das ist sehr sonderbar«, sagte Mason. »Wir wollten Ihnen diese Dokumente übergeben, aber vorher mußten wir uns überzeugen, ob wir sie der richtigen Person aushändigten. Deshalb fragten wir Sie nach Ihrer Heirat...« »Ach, so ist das«, unterbrach Loring ihn eifrig. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Natürlich, das war’s ja, worauf ich wartete. Sie hatten mir gesagt, ich solle hierbleiben, bis die Papiere kämen, und dann gleich verschwinden.« Mason markierte Empörung. »Warum haben Sie das nicht gesagt, statt uns all die Mühe zu machen? Sie heißen Harry Loring und heirateten Norma Veitch an dem Tag, der hier aufgeführt ist. Stimmt’s?« Loring neigte sich vor, um das Datum zu lesen, auf das Masons Zeigefinger wies. Er nickte. »Und Sie trennten sich an diesem Datum?« Masons Zeigefinger wies auf das zweite angeführte Datum. »Stimmt.« »Schön«, sagte Mason. »In der Klage steht, daß Sie eine Frau hatten und noch nicht von ihr geschieden waren, als Sie Norma Veitch heirateten und daß daher die zweite Heirat ungesetzlich war und daß die Klägerin die Ehe zu annullieren wünscht.« Wieder nickte Loring. »Ist es denn wahr?« »Natürlich ist es wahr.« »Dann ist es meine Pflicht, Sie wegen Bigamie zu verhaften.« Loring erblaßte. »Er hat gesagt, ich würde keine Scherereien haben.« -1 6 5 -
»Wer sagte das?« »Normas Anwalt, der mich besuchte.« »Die haben Sie nur an der Nase herumgeführt«, erklärte Mason. »Damit die Heirat annulliert wird und Norma den Burschen heiraten kann, der ein paar Millionen erbt.« »Das haben sie gesagt, aber auch, es handle sich nur um eine Formalität.« »Zum Teufel mit der Formalität. Wissen Sie nicht, daß es ein Gesetz gegen Bigamie gibt?« »Aber ich habe doch gar keine Bigamie begangen«, protestierte Loring. »O doch«, sagte Mason. »Hier steht es schwarz auf weiß, durch die Unterschrift eines Rechtsanwalts und die eidesstattliche Erklärung Normas bestätigt. Es heißt, eine erste Frau von Ihnen lebt noch, und Sie wurden nie von ihr geschieden. Deshalb müssen Sie mit uns ins Polizeipräsidium kommen. Ich fürchte, Sie haben da ernste Schwierigkeiten.« Loring zitterte. »Es ist nicht wahr«, brachte er schließlich stockend hervor. »Was soll das heißen, es ist nicht wahr?« »Es ist nicht wahr. Ich war noch nie verheiratet. Norma weiß das und der Anwalt auch. Ich sprach mit ihnen, und sie sagten, sie könnten die Scheidung nicht abwarten, das würde zu lange dauern. Norma habe eine Chance, diesen Mann zu heiraten, und ich würde ein Stück Geld bekommen, wenn ich Norma diese Klage gegen mich durchgehen ließe. Ich sollte in meiner Antwort zugeben, daß meine erste Frau noch lebte, aber sagen, ich hätte gedacht, wir seien geschieden. Dann würde mir nichts passieren, und sie könnten die Heirat annullieren lassen. Der Anwalt hatte meine Antwort schon entworfen, und ich unterzeichnete sie. Er wollte sie morgen einreichen.« »Und dann die Annullierung durchpeitschen, was?« knurrte -1 6 6 -
Mason. Loring nickte. »Sie sehen, es zahlt sich nie aus, Leute anzulügen, die Tatsachen feststellen wollen«, sagte Mason. »Das beste ist, Sie geben uns eine schriftliche Erklärung, die können wir dann mit unserem Bericht abgeben.« Loring zögerte. »Oder«, schlug Mason vor, »Sie können auch mit uns zum Polizeipräsidium kommen und dort alles erklären.« »Nein, nein. Ich gebe Ihnen die Erklärung.« »Schön.« Mason nahm einen Kuli und Notizbuch aus der Tasche. »Setzen Sie sich dort auf den Koffer und schreiben Sie die Erklärung. Aber machen Sie es ausführlich. Daß Sie nie eine andere Frau hatten, daß der Anwalt Ihnen erklärte, er wolle für Norma eine schnelle Annullierung, und daß er Ihnen eingab zu sagen, Sie hätten eine andere Frau, damit Norma diesen Burschen heiraten könnte, der das Vermögen erben wird.« »Wird mir das keinen Ärger machen?« »Das ist die einzige Möglichkeit für Sie, Ärger aus dem Weg zu gehen. Sie sind beinahe in eine recht üble Sache hineingeschliddert. Gut, daß Sie zu uns aufrichtig waren.« Loring seufzte. »Schön«, sagte er und griff nach dem Tintenkuli. Er setzte sich hin und begann ein mühsames Gekritzel. Mason stand breitbeinig dabei und sah ihm geduldig zu. Drake grinste und zündete sich eine Zigarette an. Nach etwa zehn Minuten war Loring fertig und reichte Mason den Bogen. »Wird das reichen?« fragte er. »Mir liegt so was nicht sehr.« Mason las die Erklärung durch. »Sehr gut«, sagte er. »Unterzeichnen Sie.« Loring unterzeichnete. -1 6 7 -
»Schön«, sagte Mason, »wollte der Anwalt nicht, daß Sie hier ausziehen?« »Ja. Er gab mir Geld und sagte, ich dürfe nicht bleiben. Er hatte Angst, daß mich jemand finden und interviewen könnte.« »Wissen Sie schon, wo Sie hinziehen?« »In irgendein Hotel, egal, in welches.« »Kommen Sie mit uns«, sagte Drake. »Wir werden Ihnen ein Zimmer besorgen. Sie sollten einen anderen Namen angeben, für den Fall, daß jemand Sie aufsuchen will. Aber wir müssen mit Ihnen in Verbindung bleiben. Es könnte sein, daß Sie diese Erklärung in Gegenwart eines Zeugen bekräftigen müssen.« Loring nickte. »Der Anwalt hätte mir von Ihnen erzählen sollen«, meinte er, »er hätte mich beinahe in eine fürchterliche Patsche gebracht.« »Kam Norma mit ihm her?« fragte Drake. »Nein. Zuerst kam ihre Mutter. Und dann der Anwalt. Ich habe Norma gar nicht gesehen.« »Kommen Sie mit uns«, sagte Mason. »Wir besorgen Ihnen ein Zimmer. Sie könnten sich Harry Legrande nennen.« »Und das Gepäck?« fragte Loring. »Der Hotelportier wird alles für Sie erledigen.« Als sie alle drei im Wagen saßen, sagte Mason zu Drake: »Wir wollen ihn ins Hotel Ripley bringen, das liegt günstig.« Im Ripley, wo Mason unter dem Namen Johnson eingetragen war, sagte Mason zum Empfangschef: »Dies ist Mr. Legrande aus Detroit, meiner Heimatstadt. Er möchte ein paar Tage hier wohnen. Können Sie ihm ein Zimmer auf meiner Etage geben?« Der Mann sah in seinem Register nach und sagte: »Sie sind in Nr. 518, Mr. Johnson, nicht wahr? Ich kann ihm 522 geben.« »Bleiben Sie hier und gehen Sie nicht aus«, sagte Mason, nachdem sie Loring in sein Zimmer gebracht hatten. »Es könnte -1 6 8 -
sein, daß wir Sie anrufen. Vielleicht müssen wir Ihnen noch ein paar Fragen stellen, nachdem wir im Polizeipräsidium unseren Bericht abgegeben haben. Aber es wird alles klar gehen. Nachdem wir Ihre schriftliche Aussage haben, haben Sie nichts mehr zu fürchten. « »Gott sei Dank.« Loring tat einen tiefen Seufzer. »Der Anwalt wollte aber, daß ich ihn anrufe, sobald ich mich umquartiert habe.« »Nein, das ist nicht nötig«, sagte Mason, »weil Sie ja mit uns in Verbindung sind. Rufen Sie gar niemanden an. Bleiben Sie ruhig hier, bis Sie von uns hören. Sie können nichts unternehmen, bis wir im Polizeipräsidium berichtet haben.« »Schön, ganz wie Sie meinen«, sagte Loring erleichtert. Sie verließen das Zimmer und schlössen die Tür hinter sich. Drake schlug Mason auf die Schulter. Er strahlte. »Junge, was ein Dussel! Was machen wir jetzt?« »Jetzt ziehen wir eine Schau ab.« In der Hotelhalle trat Mason in die nächste Telefonzelle, rief das Polizeipräsidium an und verlangte Sidney Drumm. »Hier ist Mason«, sagte er, als Drumm sich meldete. »Ich habe eine neue Spur im Fall Belter, aber ich brauche Unterstützung. Ich habe dir die Chance gegeben, die Frau zu verhaften, und ich möchte, daß jetzt du mir eine Chance gibst.« Drumm lachte. »Ich bin nicht so sicher, ob du mir diese Chance gabst, oder ob ich nicht zufällig dazukam und du auspacktest, weil du Angst um die eigene Haut hattest.« »Wozu streiten?« sagte Mason. »Na schön, was willst du?« »Nimm Sergeant Hoffman mit und erwarte mich am Anfang vom Elmwood Drive. Ich möchte dir im Belter-Haus etwas zeigen.« »Ich weiß nicht, ob ich den Sergeant noch finde«, protestierte -1 6 9 -
Drumm. »Es ist schon spät.« »Wenn er noch da ist, nimm ihn mit. Und ich möchte auch Eva Belter dabei haben.« »Na hör mal, das ist aber viel verlangt! Wenn wir sie herausholen, werden wir Aufsehen erregen.« »Nicht, wenn du’s heimlich machst. Bring so viele Leute mit, wie du magst, nur errege kein Aufsehen. Ich rufe dich in fünf Minuten wieder an. Wenn es klappt, treffen wir uns unten am Hügel.« Er legte auf. »Du riskierst ein bißchen viel, Junge«, sagte Drake kopfschüttelnd. »Weißt du wirklich, was du tust?« »Ich denke schon.« »Wenn du für das Weibsbild eine Verteidigung ausknobeln willst, wäre es doch besser, die Polizei damit zu überraschen, statt sie dabeizuhaben.« »Es handelt sich nicht um diese Art Verteidigung. Ich brauche die Polizei.« Drake zuckte die Achseln. »Na, hoffentlich gibt es keinen Reinfall.« Mason nickte, ging zum nächsten Kiosk und kaufte Zigaretten. Nach fünf Minuten rief er Drumm an. »Ich habe Bill Hoffman überreden können«, sagte Drumm, »aber er will Eva Belter nicht mitbringen. Er fürchtet, du könntest ihm eine Falle stellen. Es lauern fast zwei Dutzend Reporter vor dem Gefängnis. Wir können sie nicht herausholen, ohne daß sie uns verfolgen. Hoffman meint, du könntest ihn hinauslocken und dann irgendwas inszenieren, was ihn blamiert und ein Fressen für die Zeitungen wäre. Aber er ist bereit, selber mitzukommen.« »Schön«, sagte Mason, »so geht’s auch. Wir erwarten euch am Elmwood Drive in einem schwarzen Buick.«
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19 Die vier Männer kletterten die Stufen zum Landsitz der Belters hinauf. Sergeant Hoffman sagte stirnrunzelnd zu Mason: »Also keinen Hokuspokus. Ich vertraue Ihnen.« »Halten Sie nur Augen und Ohren offen, und wenn Sie glauben, ich decke etwas auf, gehen Sie der Spur nach. Wenn Sie meinen, ich bin nicht aufrichtig mit Ihnen, können Sie jederzeit davongehen.« »Gut, das ist fair.« »Wir müssen uns an ein paar Dinge erinnern, bevor wir anfangen«, warnte Mason. »Ich traf Mrs. Belter unten am Drugstore am Fuß des Hügels, und so kamen wir zusammen herauf. Sie hatte ihre Schlüssel und ihre Handtasche nicht mit und hatte die Tür offengelassen, als sie hinauslief. Als aber ich die Tür aufmachen wollte, war sie verschlossen. Der Nachtriegel war vorgeschoben.« »Sie lügt so viel, daß ich überzeugt bin, die Tür ist verschlossen, wenn sie sagt, sie sei offen«, bemerkte Drumm. »Das mag stimmen, aber bedenken Sie, daß wir keine Schlüssel bei uns hatten«, sagte Mason eigensinnig. »Sie lief ja in den Regen hinaus und mußte sich den Rückweg offenhalten.« »Vielleicht war sie zu verstört«, meinte Hoffman. »Nicht dieses Herzchen«, bemerkte Mason trocken. »Na schön, reden Sie weiter. Was noch?« drängte Hoffman. Sein Interesse war geweckt. »Als ich hineinging, stand ein nasser Schirm im Ständer. Er hatte auf dem Boden eine Pfütze gebildet. Wahrscheinlich haben Sie es bemerkt, als Sie kamen.« Hoffman kniff die Augen zusammen. »Ja«, sagte er, »ich besinne mich. Was soll’s?« »Nichts«, erwiderte Mason. »Noch nichts.« -1 7 1 -
Er drückte auf den Klingelknopf. Nach ein paar Minuten öffnete der Butler die Tür und starrte sie erstaunt an. »Ist Carl Griffin zu Hause?« fragte Mason. Der Butler schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, er hatte eine geschäftliche Verabredung.« »Ist Mrs. Veitch, die Haushälterin, da?« »Ja, Sir, selbstverständlich.« »Und ihre Tochter Norma?« »Ja, Sir.« »Gut. Wir gehen hinauf in Belters Arbeitszimmer. Sagen Sie niemandem ein Wort, daß wir hier sind. Haben Sie verstanden?« »Ja, Sir.« Hoffman trat in die Garderobe und sah nachdenklich den Schirmständer an. Drumm pfiff leise vor sich hin, sichtlich nervös. Sie gingen die Treppe hinauf in das Zimmer, wo Belters Leiche gelegen hatte. Mason schaltete das Licht an und begann, die Wände Zentimeter um Zentimeter abzusuchen. »Ich wünschte, ihr Leute würdet mir suchen helfen«, sagte er. »Was suchst du denn?« fragte Drumm. »Einen Kugeleinschlag.« Hoffman grunzte. »Die Zeit können Sie sich sparen. Wir haben das Zimmer gründlich durchsucht und fotografiert. Eine Kugel konnte hier nicht abgeschossen werden, ohne ein Loch zu hinterlassen, das wir gefunden hätten. Und es wäre auch Verputz von der Wand gefallen.« »Ich weiß«, sagte Mason. »Ich habe schon gesucht, bevor Sie kamen. Aber ich möchte noch einen Versuch machen. Ich weiß, was passiert sein muß, aber ich kann’s nicht beweisen.« Sergeant Hoffman war plötzlich mißtrauisch. »Hören Sie mal, Mason, versuchen Sie etwa, diese Frau reinzuwaschen?« -1 7 2 -
Mason wandte sich ihm zu. »Ich versuche zu demonstrieren, was tatsächlich vorgefallen ist.« Hoffman runzelte die Stirn. »Das beantwortet meine Frage nicht. Versuchen Sie, die Frau zu befreien?« »Ja.« »Ohne mich«, sagte der Kriminalbeamte. »Nein«, protestierte Mason. »Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Ihr Foto in sämtliche Zeitungen zu bringen.« »Das war’s, was ich befürchtet hatte. Sie sind gerissen. Ich habe mich über Sie orientiert!« »Schön, wenn Sie sich über mich orientiert haben, dann wissen Sie auch, daß ich meine Freunde nie im Stich lasse. Sidney Drumm ist einer meiner Freunde. Ich habe ihn hinzugeholt. Wenn es eine Falle gewesen wäre, hätte ich jemanden mitgenommen, den ich nicht kenne.« »Na schön, ich warte noch ein bißchen«, murrte der Sergeant. »Aber versuchen Sie keine komischen Touren.« Mason stand und starrte das Badezimmer an. Kreidelinien markierten die Lage von Belters Leiche. Plötzlich lachte er. »Was ist so witzig?« fragte Drumm. Mason wandte sich an Sergeant Hoffman. »Ich bin jetzt bereit, Ihnen etwas vorzuführen. Würden Sie bitte Mrs. Veitch und ihre Tochter holen lassen?« Hoffman sah unentschlossen aus. »Was wollen Sie mit ihnen machen?« »Ich möchte ihnen ein paar Fragen stellen.« »Nicht, ehe ich Näheres weiß«, lehnte Hoffman ab. »Sie brauchen wirklich nichts zu befürchten, Sergeant«, drängte Mason. »Sie brauchen nur zuzuhören. Sobald Sie glauben, ich überschreite meine Kompetenzen, können Sie mich -1 7 3 -
stoppen. Zum Teufel, Mann, wenn ich Sie reinlegen wollte, würde ich Sie vor Gericht zitieren und meine Ermittlungen als Überraschung servieren. Ich würde ganz bestimmt nicht die Polizei mitnehmen, damit sie merkt, wie meine Verteidigung aussieht.« Sergeant Hoffman dachte angestrengt nach. »Das ist logisch«, sagte er endlich. »Bringen Sie die beiden Frauen herauf, Drumm.« Drumm nickte und verließ das Zimmer. Paul Drake sah Mason neugierig an. Aber aus Masons Gesicht konnte man keine Schlüsse ziehen. Niemand sagte ein Wort, bis Schritte vor der Tür laut wurden. Drumm komplimentierte die beiden Frauen ins Zimmer. Mrs. Veitch war verdrießlich wie immer. Ihre stumpfen schwarzen Augen sahen die Männer ohne jedes Interesse an. Norma Veitch trug ein enges Kleid, das ihre Kurven betonte. Sie sah mit einem halben Lächeln von einem zum andern und war sich ihrer Reize durchaus bewußt. »Wir wollten Ihnen einige Fragen stellen«, begann Mason. »Schon wieder?« sagte Norma. »Mrs. Veitch, was wissen Sie von der Verlobung Ihrer Tochter mit Carl Griffin?« Mason ignorierte Norma. »Ich weiß, daß sie verlobt sind.« »Wußten Sie von einer Liebesgeschichte?« »Wenn zwei junge Leute sich verloben, handelt es sich gewöhnlich um eine Liebesgeschichte«, sagte sie mit ihrer heiseren, tiefen Stimme. »Das meine ich nicht«, sagte Mason. »Bitte, beantworten Sie meine Frage, Mrs. Veitch. Spielte zwischen den beiden eine Liebesgeschichte, und wußten Sie davon, bevor Norma herkam?« -1 7 4 -
Die dunklen eingesunkenen Augen schweiften einen Augenblick zu Norma, bevor sie zu Masons Gesicht zurückkehrten. »Nein«, sagte sie. »Nicht, bevor sie herkam. Sie lernten sich erst hier kennen.« »Wußten Sie, daß Ihre Tochter verheiratet war?« Sie starrte ihn an. In ihrem Gesicht bewegte sich kein Muskel. »Nein«, sagte sie müde. »Sie war nicht verheiratet.« Mason wandte sich rasch Norma zu. »Wie ist es, Miss Veitch? Waren Sie je verheiratet?« »Noch nicht«, sagte sie. »Aber ich werde heiraten. Und ich kann mir nicht vorstellen, was das mit dem Mord an George Belter zu tun hat.« »Wie könnten Sie Carl Griffin heiraten, da Sie doch schon verheiratet sind?« fragte Mason. »Ich bin nicht verheiratet«, sagte Norma Veitch aufgebracht. »Und ich verbitte mir diese unverschämten Bemerkungen.« »Harry Loring sagt das Gegenteil.« »Loring?« fragte das Mädchen kühl, ohne mit der Wimper zu zucken. »Nie von ihm gehört. Hast du jemals von einem Mann namens Loring gehört, Mammi?« Mrs. Veitch runzelte die Stirn. »Nicht daß ich wüßte, Norma. Ich behalte Namen ja nicht gut, aber einen Loring kenne ich nicht.« »Vielleicht kann ich Ihr Gedächtnis auffrischen«, sagte Mason unverändert gleichmütig. »Er wohnte in den Belvedere Apartments, Nr. 312.« Norma Veitch schüttelte hastig den Kopf. »Das ist sicher ein Mißverständnis. « Mason zog die Kopien der Vorladung und der Klage auf Scheidung aus der Tasche. »Vielleicht können Sie dann -1 7 5 -
erklären, wie es kommt, daß Sie diese Klage unterschrieben, in der Sie eidesstattlich versichern, daß Sie mit Harry Loring eine rechtsgültige Ehe geschlossen haben?« Norma Veitch warf einen raschen Blick auf das Schriftstück, und sah dann ihre Mutter an. Mrs. Veitch’s Gesicht war ausdruckslos. »Bedauerlich, daß Sie das herausgefunden haben«, sagte Norma Veitch hastig. »Aber da Sie es doch wissen, kann ich es Ihnen auch erzählen. Ich war verheiratet, hatte Schwierigkeiten mit meinem Mann und verließ ihn. Ich wollte nicht, daß Carl Griffin etwas davon erfuhr. Als ich Carl begegnete, war es Liebe auf den ersten Blick. Wir wagten nicht, etwas über unsere Verlobung bekanntwerden zu lassen, weil wir wußten, daß Mr. Belter wütend darüber sein wü rde. Als Mr. Belter tot war, hatten wir keinen Grund mehr, es geheimzuhalten. Ich hatte herausgefunden, daß mein Mann noch eine erste Frau hatte. Das war einer der Gründe, warum wir uns trennten. Ich sprach mit einem Anwalt, und er riet mir, eine Annullierung zu beantragen. Ich wollte es nicht bekanntwerden lassen. Ich dachte nicht, daß irgend jemand etwas darüber erfahren oder den Namen Veitch mit dem von Loring in Verbindung bringen würde.« »Griffin sagt es anders«, belehrte Mason sie. »Natürlich«, meinte sie. »Er hat ja keine Ahnung.« »Nein, nein«, sagte Mason, »Griffin hat gestanden. Wir versuchen, sein Geständnis nachzuprüfen und herauszufinden, ob Sie ihm geholfen haben oder nur ein Opfer der Umstände sind.« Sergeant Hoffman trat vor. »Ich glaube, das ist der Moment, den Auftritt zu beenden, Mason.« »Hören Sie nur noch eine Minute zu«, bat Mason. »Dann können Sie immer noch einschreiten.« -1 7 6 -
Norma Veitch sah hastig und ängstlich von einem zum anderen. Mrs. Veitch’s Gesicht war eine Maske erschöpfter Resignation. »Folgendes ist geschehen«, fuhr Mason fort. »Mrs. Belter hatte einen Streit mit ihrem Mann und feuerte einen Schuß auf ihn ab. Dann rannte sie davon und bildete sich ein, wie Frauen nun einmal sind, weil sie den Schuß abgefeuert hätte, habe sie ihn auch getroffen. In Wirklichkeit hatte sie - auf die Entfernung und aufgeregt, wie sie war - wenig Chancen. Sie lief die Treppe hinunter, riß einen Mantel vom Haken und stürzte in den Regen hinaus. Sie, Miss Veitch, hörten den Schuß und kamen nachsehen, was passiert war. Inzwischen war Carl Griffin mit dem Wagen nach Hause gekommen, hatte seinen Schirm in den Ständer gestellt und war die Treppe hinauf ins Arbeitszimmer gegangen. Sie hörten Griffins und Belters Stimmen und horchten. Belter erzählte Griffin, daß seine Frau auf ihn geschossen hätte, daß er Beweise für ihre Untreue gefunden habe, und fragte seinen Neffen um Rat. Griffin interessierte sich für die Schießerei, veranlaßte Belter, sich wieder so in die Badezimmertür zu stellen, wie er gestanden hatte, als Mrs. Belter auf ihn schoß. Als er ihn in diese Stellung hineinmanövriert hatte, hob er, noch mit Handschuhen, die Pistole auf und schoß Belter durchs Herz. Dann warf er die Waffe wieder hin, steckte die zweite Geschoßhülse ein, sprang in seinen Wagen und fuhr fort. So einfach war das. Er betrank sich gründlich, ließ die Luft aus einem Reifen, um eine Erklärung für seine späte Heimkehr zu haben, und kam erst zurück, als die Polizei schon da war. Er tat so, als sei dies seine erste Rückkehr, vergaß aber den Schirm im Ständer und auch, daß er die Tür offen vorgefunden und den Riegel vorgeschoben hatte. Er erschoß seinen Onkel, weil er wußte, daß er erben würde, und weil er erkannt hatte, daß Eva glaubte, Belter erschossen zu -1 7 7 -
haben. Er wußte, daß es ihre Waffe war, und daß aller Augenschein gegen sie sprach. Die Handtasche, in der Belter die Beweise für ihre Untreue gefunden hatte, lag in Belters Schreibtisch. Sie und Ihre Mutter besprachen, was Sie gesehen hatten, und beschlossen, Griffin einen hohen Preis für Ihr Schweigen zahlen zu lassen. Er wurde vor die Wahl gestellt, wegen Mordes überführt zu werden, oder Sie zu heiraten.« Sergeant Hoffman kratzte sich den Kopf. Norma Veitch sah ihre Mutter an. Mason sagte langsam: »Dies ist Ihre letzte Chance, die Wahrheit zu erzählen. Tatsächlich sind Sie ja beide Helfershelfer nach der Tat und als solche genauso unter Mordanklage, als ob Sie den Mord begangen hätten. Griffin hat gestanden, und wir brauchen Ihre Aussage nicht. Wenn Sie weiter schwindeln wollen, nur zu. Wenn Sie mit der Polizei zusammenarbeiten wollen, dann jetzt.« »Ich stelle jetzt eine Frage«, unterbrach Sergeant Hoffman, »und die setzt den Schlußpunkt. Haben Sie getan, was Mason sagt?« »Ja.« Normas Stimme war kaum zu hören. Mrs. Veitch wachte endlich aus ihrer Apathie auf. »Norma«, kreischte sie, »halt den Mund, du Gans! Es ist doch alles ein Bluff. Merkst du das nicht?« Sergeant Hoffman trat auf sie zu. »Und wenn es ein Bluff war, Mrs. Veitch«, sagte er langsam, »die Aussage Ihrer Tochter und was Sie dazu bemerkten, haben Sie verraten. Sagen Sie lieber die Wahrheit. Es ist Ihre einzige Chance. Sonst muß ich Sie als Helfershelfer nach der Tat betrachten.« »Ich hätte wirklich gescheiter sein sollen, als dem dummen Ding zu vertrauen«, brach es wütend aus Mrs. Veitch hervor. »Sie wußte von nichts. Sie schlief wie ein Murmeltier. Ich war -1 7 8 -
es, die den Schuß hörte und heraufkam. Ich hätte ihn zwingen sollen, mich zu heiraten, statt meine Tochter ins Vertrauen zu ziehen. Aber ich dachte, es wäre ihr Glück. Und das ist der Dank!« Sergeant Hoffman stand wie versteinert und starrte Mason an. »Das ist ja eine tolle Geschichte. Was wurde aus der Kugel, die Belter verfehlte?« Mason lachte. »Sergeant«, sagte er, »das war’s, was mich die ganze Zeit irre machte. Der nasse Schirm im Ständer und die verschlossene Tür ließen mir keine Ruhe. Ich zerbrach mir den Kopf, was passiert war. Ich habe jeden Zentimeter dieses Zimmers nach einem Kugeleinschlag durchsucht. Und dann wurde mir klar, daß Griffin zu schlau war, um das Verbrechen zu begehen, wenn es noch einen Kugeleinschlag gegeben hätte. Deshalb konnte es für den Verbleib der Kugel nur eine Lösung geben. Erraten Sie es nicht? Belter hatte gebadet. Es ist eine enorme Badewanne, in der das Wasser mehr als einen halben Meter hoch steht. Wenn Sie sich dort hinüberstellen, können Sie die Flugrichtung der Kugel markieren, indem Sie den Finger ausstrecken. Als die Kugel ihn verfehlte, flog sie ins Wasser, was ihren Aufschlag stoppte. Als Belter Carl Griffin von dem Schuß erzählte, unterzeichnete er unbewußt sein Todesurteil. Griffin erkannte seine Chance.«
20 Die Morgensonne schien durch die Fenster von Perry Masons Privatbüro. Der Anwalt saß an seinem Schreibtisch, die Augen noch immer von Schlaflosigkeit gerötet. Ihm gegenüber saß Paul Drake. »Er brach gegen sechs Uhr morgens zusammen«, berichtete der Detektiv. »Sie haben ihn die ganze Nacht in der Zange gehabt. Norma Veitch versuchte, ihr Geständnis zurückzunehmen, als sie sah, daß er leugnete. Es war die Mutter, -1 7 9 -
die seinen Widerstand brach. Sie ist sonderbar. Sie hätte bis zum Jüngsten Gericht geleugnet, wenn ihre Tochter nicht einen Sprung bekommen und das Geheimnis verraten hätte.« »Da hat sie also schließlich gegen Griffin ausgesagt?« »Ja, das ist das Komische. Sie lebt nur für ihre Tochter. Als sie glaubte, Griffin sei eine gute Partie für sie, hielt sie dicht. Als sie erkannte, daß er in der Falle saß und bei ihm nichts mehr zu gewinnen war, ihre Tochter aber ins Gefängnis kommen konnte, wenn sie ihr Zeugnis weiter verweigerte, sagte sie gegen Griffin aus. Sie war ja diejenige, die alle Tatsachen kannte.« »Und Eva Belter?« fragte Mason. »Wurde gegen sieben Uhr freigelassen.« Die Tür vom Flur zum Vorzimmer öffnete sich und schnappte wieder ins Schloß. Drake sprang auf, machte drei große Schritte, riß die Tür auf, sah hinaus und grinste. »Guten Morgen, Della«, sagte er. »Ist Mr. Mason schon da?« fragte Della. »Ja«, sagte Drake und schloß die Tür wieder. »Deine Sekretärin kommt ja zeitig zur Arbeit«, bemerkte er zu Mason. »Es ist noch nicht einmal acht Uhr.« »Sie fängt normalerweise erst um neun Uhr an, und ich habe sie auch heute nicht früher bestellt, weil sie mit diesem Fall so schrecklich viel Arbeit hatte. Ich habe die Eingabe, Mrs. Belter freizulassen, heute noch selber getippt und um Mitternacht von einem Richter unterzeichnen lassen.« »Das hättest du dir sparen können. Sie ist ja frei.« »Besser, man hat die Papiere fertig und braucht sie nicht, als umgekehrt«, sagte Mason grimmig. »Glaubst du, sie wird herkommen?« Mason zuckte die Achseln. »Vielleicht wird sie dankbar sein, -1 8 0 -
vielleicht auch nicht. Das letztemal, als ich sie sah, verwünschte sie mich.« Wieder hörte man die äußere Tür gehen und danach eine männliche Stimme im Vorzimmer. Dann klingelte Masons Telefon. »Mr. Harrison Burke ist hier und möchte Sie gerne sprechen«, sagte Della Street. »Es sei wichtig.« Da es draußen noch ruhig war, hatte Drake die Worte gehört. Er stand auf. »Ich muß weiter, Perry«, sagte er. »Kam nur herein, um dir zu sagen, daß Griffin gestanden ha t und deine Mandantin auf freiem Fuß ist.« »Tausend Dank, Paul«, sagte Mason und winkte zu der Tür, die von seinem Büro direkt in den Flur führte. »Du kannst dort hinausgehen.« Und in die Muschel: »Schicken Sie ihn herein, Della, Drake geht gerade.« Harrison Burke strahlte übers ganze Gesicht, als er zur Tür hereinkam. »Wunderbare Arbeit, Mr. Mason«, sagte er. »Einfach fabelhaft. Die Zeitungen sind voll davon. Sie prophezeien, Griffin werde bis heute mittag gestehen.« »Er hat heute früh gestanden«, sagte Mason trocken. »Setzen Sie sich.« Harrison Burke setzte sich, war aber sichtlich nervös. »Der Staatsanwalt ist sehr freundlich zu mir«, sagte er. »Mein Name wird der Presse nicht bekanntgegeben. Die einzige Zeitung, die Bescheid weiß, ist dieses Skandalblatt.« »Meinen Sie Spicy Bits?« »Ja. Ich möchte gern, daß Sie sich versichern, daß mein Name dort nicht erscheint.« »Das sollten Sie Eva Belter sagen. Sie wird den Nachlaß verwalten.« »Und das Testament?« »Das Testament ändert nichts. Eva Belter war in Belters Testament enterbt. Aber da Griffin, den das Testament -1 8 1 -
begünstigt, nicht erben kann, fällt der Nachlaß Eva Belter als der einzigen überlebenden Erbberechtigten zu.« »Dann wird sie die Zeitung besitzen?« »Ja.« »So«, sagte Harrison Burke und machte aus seinen Fingerspitzen ein Dach. »Wissen Sie, was die Polizei mit ihr vorhat? Sie war doch im Gefängnis.« »Sie wurde vor ungefähr einer Stunde auf freien Fuß gesetzt.« »Darf ich Ihr Telefon benützen, Sir?« fragte Burke. Mason schob es ihm hin. »Sagen Sie nur meiner Sekretärin, welche Nummer Sie haben wollen.« Harrison Burke nickte, gab Della eine Nummer an und hielt den Hörer so routiniert, als sitze er einem Fotografen; nach einer Weile quäkte es aus dem Hörer, und Burke sagte: »Ist Mrs. Belter da?« Der Hörer quäkte wieder. Harrison Burkes Stimme nahm einen salbungsvollen Ton an. »Wenn sie nach Hause kommt, richten Sie ihr bitte aus, daß die Person, die ihr melden sollte, wann die bestellten Schuhe gekommen seien, telefoniert hat und sagen läßt, sie hätte ihre Größe jetzt im Vorrat. Sie kann sie jederzeit bekommen.« Er lächelte in die Muschel, nickte ein- oder zweimal, als spräche er vor einem unsichtbaren Auditorium, legte den Hörer mit Akkuratesse wieder auf die Gabel und schob das Telefon zurück. »Danke, Sir«, sagte er. »Ich bin Ihnen zu größerem Dank verpflichtet, als ich in Worte fassen kann. Meine ganze Karriere war in Gefahr. Ich glaube, daß nur durch Ihre Anstrengungen ein schweres Unrecht verhütet wurde.« Perry Mason grunzte etwas Unverständliches. Harrison Burke richtete sich zu seiner vollen Höhe auf, strich seine Weste glatt und streckte das Kinn vor. -1 8 2 -
»Wenn man sein Leben der Arbeit am öffentlichen Wohl widmet«, sagte er mit dröhnender Stimme, »macht man sich natürlich politische Feinde, die auch die niedrigsten Mittel nicht verschmähen, um ihre Ziele zu erreichen. Jede kleine harmlose Indiskretion wird aufgebauscht und in der Presse in völlig falschem Licht breitgetreten. Ich habe dem Gemeinwohl gut und treu gedient...« Perry Mason stand heftig auf. »Sie können sich das für jemanden sparen, der es hören will, Was mich anbelangt, so wird Eva Belter mir fünftausend Dollar zahlen. Ich werde ihr vorschlagen, daß sie sich etwa die Hälfte von Ihnen ersetzen lassen soll. Ich glaube, ich brauche Sie nicht länger aufzuhalten, Mr. Burke.« Harrison Burke schluckte mühsam, wollte etwas sagen, überlegte es sich anders, begann seine rechte Hand auszustrecken, sah das Funkeln in Masons Augen, zog die Hand wieder zurück und sagte: »Ja, natürlich, danke. Ich wollte Sie nur aufsuchen und Ihnen meine Anerkennung aussprechen.« »Nicht der Rede wert«, sagte Mason. »Sie können gleich durch diese Tür in den Korridor gehen.« Er stand stumm an seinem Schreibtisch und sah den Rücken des Politikers durch die Tür verschwinden. Dann starrte er die Tür an, eine Welt voll Feindseligkeit in den Augen. Die andere Tür wurde leise geöffnet. Della Street stand im Türrahmen und betrachtete sein Profil. Dann, als sie sah, daß er sie nicht kommen gehört hatte, ging sie leise über den Teppich, bis sie neben ihm stand. »Bitte«, sagte sie, »verzeihen Sie mir.« Er fuhr zusammen und drehte sich um. »Ich hätte es besser wissen sollen, Chef. Ich habe die Zeitungen heute früh gelesen und bin mir wie ein Wurm vorgekommen.« Er legte ihr den Arm um die Schultern. -1 8 3 -
»Vergessen Sie’s, Kind«, sagte er warm. Von der Tür erklang ein leises Husten. Unbemerkt war Eva Belter aus dem Vorzimmer hereingekommen. »Verzeihen Sie«, sagte sie eisig, »es scheint, daß ich störe, aber es liegt mir sehr viel daran, Mr. Mason zu sprechen.« Perry Mason ließ Dellas Schulter los. »Kommen Sie herein und setzen Sie sich«, sagte er. »Was möchten Sie?« »Ich wollte Ihnen gern sagen, wie sehr ich Sie mißverstand; wieviel es mir bedeutete...« Perry Mason zeigte durch die offene Tür auf die Aktenschränke im Vorzimmer. »Machen Sie die Schubladen auf, Della«, sagte er. Della beugte sich über die Schubladen und zog eine nach der anderen auf. Sie waren voll gepackt mit Mappen. Eva Belter sah ihn fragend an. »Das sind alles Fälle«, erklärte Mason. »Jede Mappe betrifft einen Mandanten. Alle habe ich vertreten und viele davon wegen Mordes. Wenn ich mit Ihrem Fall fertig bin, werden auch Sie eine Mappe da drin haben, genauso groß wie die andern und genauso wichtig. Miss Street wird Ihnen eine Nummer geben. Wenn dann mal etwas vorkommt, das mich veranlaßt, Ihren Fall noch einmal anzusehen, gebe ich ihr die Nummer, und sie holt mir die Mappe mit den Papieren.« Eva Belter zog die Stirn in Falten. »Was ist?« fragte sie. »Fühlen Sie sich nicht gut? Was versuche n Sie zu sagen?«. Della Street schloß leise die Tür zum Vorzimmer. Perry Mason sah Eva Belter ohne eine Funken Sympathie an und sagte: »Ich erkläre Ihnen gerade, welchen Status Sie in diesem Büro einnehmen. Sie sind ein Fall und sonst nichts. Hunderte liegen davon im Aktenschrank, und Hunderte werden noch dazukommen. Sie haben mir schon einiges gezahlt, und es werden noch fünftausend Dollar dazukommen. Wenn Sie auf -1 8 4 -
meinen Rat hören, berechnen Sie die Hälfte davon Harrison Burke.« Eva Belters Lippen zitterten. »Ich wollte Ihnen danken«, sagte sie. »Glauben Sie mir, ich meine es aufrichtig. Es kommt von Herzen. Ich habe Ihnen viel Theater vorgespielt, aber diesmal ist es echt. Ich würde alles für Sie tun, was in meiner Macht stünde. Sie sind einfach wundervoll. Ich kam herauf, um Ihnen das zu sagen, und Sie reden mit mir, als ob...« Diesmal waren ihre Tränen echt. »Es gibt noch sehr viel zu tun«, unterbrach er nüchtern. »Sie müssen dafür sorgen, daß man Griffin wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt, damit das Testament ungültig wird. Sie müssen im Hintergrund bleiben, aber Sie dürfen die Waffen nicht strecken. Das einzige Geld, an das Griffin herankann, ist das in George Belters Safe. Wir müssen dafür sorgen, daß er nichts davon bekommt. Und das ist nur einiges von dem, was wir tun müssen. Ich sage es Ihnen, damit Sie wissen, daß Sie nicht ohne mich weitermachen können.« Es klopfte an die Tür, und Della Street schlüpfte herein. »Können Sie heute einen neuen Fall annehmen?« Er schüttelte den Kopf, als ob er Nebel daraus vertreiben wollte. »Was für einen Fall?« fragte er. »Ich weiß es nicht, ein elegant gekleidetes Mädchen, gut erzogen und nicht häßlich. Sie hat Sorgen, will aber nichts sagen.« »Zwielichtig, was?« »Ich würde eher meinen, in der Klemme.« »Das sagen Sie, weil sie Ihnen gefällt.« Mason grinste. »Andernfalls würden Sie behaupten, sie sei zwielichtig. Was sagt Ihre Intuition, Della? Gewöhnlich erraten Sie ziemlich sicher, wie die Fälle ausgehen. Zum Beispiel bei unserer letzten Mandantin.« -1 8 5 -
Della Street warf Eva Belter unwillkürlich einen Blick zu und sah schnell wieder weg. »Dieses Mädchen«, sagte sie langsam, »ist innerlich furchtbar zornig. Es zerreißt sie fast. Aber sie ist eine Dame.« Mason tat einen tiefen Seufzer. Das wütende Funkeln verschwand langsam aus seinen Augen, und sein Blick drückte nachdenkliches Interesse aus. Er lächelte Della an. »Sobald Mrs. Belter gegangen ist, will ich sie sehen. Und«, fügte er hinzu, »das wird in wenigen Minuten sein.«
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