Butler � Parker � Nr. 194 � 194
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Butler � Parker � Nr. 194 � 194
Günter Dönges �
Parker zeigt der � Mafia die Nase �
2 �
Es waren sehr ehrenwerte Herren, die sich in den eleganten Räumen einer Grundstückserschließungsgesellschaft in New York trafen. Jeder der sechs Männer war gut für acht bis zwölf Jahre Zuchthaus, doch das sah man ihnen nicht an, ganz abgesehen davon, daß kein amerikanisches Gericht in der Lage gewesen wäre, ihnen eine entsprechende Tat nachzuweisen. Sie trugen graues Flanell und sahen nicht aus wie muskelbepackte, hirnlose Gangster in einschlägigen Filmen. Sie alle hielten auf Gesundheit und Form, trieben Sport und hatten vertrauenerweckende Gesichter, also durchaus Männer, die älteren Damen höflich über die Straße halfen und kleinen Kindern Kaugummis schenkten. Ralph Hynes, der Senior der Gesellschaft, etwa fünfundvierzig Jahre alt, wartete in dem kleinen Konferenzsaal, bis seine Gäste sich mit Drinks versorgt hatten. Es war auffallend, daß sie ohne Ausnahme Tomatensaft bevorzugten und ihn höchstens mit einigen Spritzern Wodka versetzten. »Kommen wir zur Sache«, begann Hynes höflich. »Ihr könnt euch vorstellen, daß ich nicht ohne Grund zu einer Versammlung außer der Reihe eingeladen habe.« »Macht das FBI Schwierigkeiten?« fragte Bert Banders. Er war dreißig Jahre alt, drahtig und dynamisch.
»Schlimmer«, erwiderte Ralph Hynes. »Ist es die CIA?« warf Jerry Clanden ein. Er war nicht weniger drahtig und dynamisch als Banders. »Schlimmer«, lautete die Antwort des Konferenzvorsitzenden. »Ich hab’s«, meinte Hank Lafitte und lächelte bereits wissend. Der leicht untersetzte Fünfunddreißigjährige lehnte sich zurück. »Es gibt Ärger innerhalb unserer Familie, wie?« »Schlimmer.« Ralph Hynes genoß Wissensvorsprung und seinen wandte sich an die beiden restlichen Männer. Einer war Chuck Montanelli, der andere Bill Shuster. Sie hätten Zwillinge sein Können, so ähnlich waren sie sich, ihr Alter lag um die vierzig. »Ich hab’s«, sagte Montanelli. »Das Finanzamt ist uns auf den Fersen.« »Schlimmer.« Mehr gab Hynes nicht von sich. »Schlimmer?« Bill Shuster schüttelte ratlos den Kopf. »Moment mal, setzt das Syndikat uns etwa an die frische Luft?« »Schlimmer!« Ralph Hynes seufzte. »Okay, ich werde die Fakten auf den Tisch legen, Freunde: Wir bekommen Besuch!« »Besuch?« Bert Banders wußte nun überhaupt nicht mehr, woran er war. Er sah seine Freunde irritiert an. 3 �
»Besuch«, bestätigte Hynes und erforschte seine Ledermappe, bis er einige Fotos gefunden hatte. Er sortierte sie und reichte sie an seine Mitarbeiter. »Was ist denn das für eine komische Alte?« fragte Jerry Clanden und betrachtete die Frau auf einmal wild. Sie war etwa sechzig, trug ein ausgebeultes Tweedkostüm und hatte einen Hut auf dem Kopf, der eine pikante Mischung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. »Das ist Lady Agatha Simpson«, erklärte Ralph Hynes. »Stinkreich und leicht verrückt.« »Ist das hier ihr Butler?« fragte Hank Lafitte und tippte auf ein anderes Foto, auf dem ein original englischer Butler zu sehen war. Er trug einen schwarzen Zweireiher, eine schwarze Melone und einen altväterlich gebundenen Regenschirm über dem angewinkelten linken Unterarm. »Butler Josuah Parker«, sagte Ralph Hynes. »Wie er leibt und lebt.« »Aus welchem Jahrhundert stammt denn der?« wollte Bill Shuster wissen und schmunzelte amüsiert. »Und dieser Besuch soll also schlimm sein?« Bert Banders, der Sekretär dieser ehrenwerten Vereinigung, schien ratlos. »Noch schlimmer.« Ralph Hynes lächelte nicht mehr überlegen. »Die-
ses Duo ist gefährlicher als eine Ladung Nitroglyzerin.« »Ausgeschlossen!« Jerry Clanden schüttelte den Kopf. »Wollen die beiden sich etwa mit uns anlegen?« »Möglich und wahrscheinlich«, entgegnete Ralph Hynes. »Daher auch diese Sondersitzung! Das Syndikat verlangt, daß wir die Lady und ihren Butler ausschalten…« »Warum ausschalten?« erkundigte sich Bill Shuster. »Sie haben uns vor ein paar Monaten in Florida viel Ärger bereitet«, faßte Hynes zusammen. »Da ist also noch eine alte und hohe Rechnung offen, Freunde, die wird jetzt beglichen.« »Kleinigkeit.« Jerry Clanden winkte lässig ab. »Diese Rechnung kann schon jetzt als erledigt betrachtet werden.« »Es geht nämlich nichts über einen gezielten Schuß«, meinte Chuck Montanelli ironisch. »Stop, Freunde!« Ralph Hynes winkte energisch ab. »Das Syndikat wünscht eine stille Bereinigung, also keine Schuß- oder Stichwaffen. Das Syndikat denkt an einen perfekt inszenierten Unfall.« »Und warum diese Rücksicht?« Hank Lafitte schüttelte erstaunt den Kopf. »Die Lady ist zu bekannt«, erklärte Hynes. »Ein Mord würde große Schlagzeilen machen.« »Sie ist bekannt?« wunderte sich 4 �
Jerry Clanden. »Na ja, in Polizeikreisen«, führte Hynes weiter aus. »Sie betätigt sich nämlich als Hobby-Detektivin. Ich warne aber, sie ist explosiver als Nitro.« »Und was will die komische Alte hier in New York?« erkundigte sich Bill Shuster. »Ist sie hinter einer Sache her?« »Sie nimmt an einer Tagung für Kriminalschriftsteller teil.« Ralph Hynes lächelte. »Sie hält sich nämlich nebenbei für eine Schriftstellerin.« »Okay, ihren Mord kann sie haben«, erklärte Jerry Clanden. »Ich denke, Lafitte und ich werden das übernehmen. Wie schon gesagt, heftet den Fall ab. Er ist bereits Vergangenheit!« * »Scheußlich, was diese Emporkömmlinge aus der netten Halbinsel gemacht haben«, stellte Agatha Simpson fast angewidert fest. »Alles ohne jedes Maß, finden Sie nicht auch, Mr. Parker?« Die Lady sprach nicht von jenen Indianern, die einst die Halbinsel Manhattan bewohnt hatten, sondern meinte die jetzigen Amerikaner, die in ihren Augen immer noch Abtrünnige der britischen Krone waren. Sie saß zusammen mit ihrem Butler in einem Taxi und befand sich
auf dem Weg ins Waldorf Astoria in der Park Avenue. Trotz der langen Flugreise und der Zeitverschiebung machte die resolute Dame einen sehr munteren Eindruck. »Sie sprechen wohl nicht mehr mit mir, wie?« fragte sie spitz, als die Antwort des Butlers ausblieb. »Mylady mögen entschuldigen«, erwiderte Josuah Parker in gemessenem und würdevollem Tonfall, »mich deucht, Mylady werden bereits seit dem Verlassen des Flughafens verfolgt.« »Sehr schön.« Sie nickte erfreut und war keineswegs überrascht. »Meine Ankunft scheint sich bereits herumgesprochen zu haben.« »Es handelt sich um zwei etwa dreißigjährige Männer, Mylady, die einen hier üblichen Chevrolet benutzen.« »Wer könnte mir die auf den Hals geschickt haben, Parker?« Agatha Simpson, deren Alter man vielleicht auf gute sechzig Jahre geschätzt hätte, wandte sich ungeniert nach den möglichen Verfolgern um. Sie war eine Frau, die stets direkt ihr Ziel ansteuerte und dabei alles überrollte, was sich als Hindernis in den Weg stellte. Die ältere Dame warf einen Blick auf die beiden Männer im Wagen und nickte dann wissend. »Natürlich Gangster«, stellte sie fest. »Sie sehen einfach zu betont harmlos aus. Ich weiß jetzt übrigens, 5 �
was man von mir will.« »Mylady denken an die ein wenig turbulenten Tage in Florida?« »Diese Mafia-Subjekte wollen wahrscheinlich eine Retourkutsche fahren, nicht wahr?« »Dies steht in der Tat zu befürchten, Mylady.« »Dann werde ich mich wenigstens nicht langweilen, Mr. Parker. Rechnen Sie mit einem Feuerüberfall?« »Dies, Mylady, läßt sich nur schwer abschätzen«, gestand Josuah Parker. »Sicherheitshalber sollte man davon ausgehen.« »Dann lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen.« Sie zeigte keine Nervosität oder Unruhe. »Nur keine Hemmungen!« »Mylady, ich möchte betonen, daß ich mir erlaube, vorerst nur einen vagen Verdacht zu hegen.« »Entschuldigen kann man sich später immer noch«, entgegnete sie wegwerfend. »Für mich sind das Gangstervisagen.« Der Fahrer des Taxis hatte selbstverständlich die interessante Unterhaltung mitgehört und fürchtete nicht nur um seinen Wagen. Er war zu dem Entschluß gekommen, seine beiden Fahrgäste möglichst schnell los zu werden. Er bog in die nächste Seitenstraße und hielt in einer Parklücke. »Ich… Ich habe einen Platten«, behauptete er rundheraus. »Suchen Sie sich einen anderen Wagen!«
»Ein guter Vorschlag«, sagte Parker, der sofort reagierte. »Vielleicht wird man den kleinen Rest auch zu Fuß zurücklegen.« »Ich will mich ja nicht in Ihre Sachen mischen«, fügte der Taxifahrer hastig hinzu, »aber wenn die Mafia hinter Ihnen her ist, würde ich rennen wie ein gehetzter Hase.« »Das dürfte eine Frage des Stils sein«, antwortete Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, als Agatha Simpson aus dem Wagen stieg. Sie besorgte das mit einer Sportlichkeit, die erstaunlich war. »Und jetzt?« fragte die ältere Dame, als sie mit ihrem Butler auf dem Gehweg stand. »Vielleicht sollte man den sprichwörtlichen Stier bei den Hörnern packen«, schlug Josuah Parker vor. »Ich möchte davon ausgehen, daß die beiden Verfolger es sich zur Ehre anrechnen werden, Mylady, und meine bescheidene Wenigkeit mitzunehmen. Wenn Sie gestatten, werde ich meinen Daumen in jener typischen Geste anheben, die für Anhalter so charakteristisch ist.« * Im Chevrolet saßen die beiden Mafia-Vertreter Jerry Clanden und Hank Lafitte. Sie waren von Ralph Hynes dazu ausersehen worden, Lady Simpson 6 �
und Butler Parker zu überwachen. Die Versammlung der ehrenwerten Herren hatte ihnen völlig freie Hand eingeräumt. Sie sollten aus der gegebenen Situation heraus reagieren und dafür sorgen, daß dieses Duo aus Great Britain gar nicht erst zur Entfaltung kam. »Siehst du das auch, was ich sehe?« fragte Clanden, der den Wagen steuerte. »Die Alte und ihr Butler.« Lafitte beugte sich unwillkürlich vor. »Die sind aus dem Taxi gestiegen.« »Und machen auf Anhalter!« Jerry Clanden flüsterte es fast andächtig. »Und wir machen mit«, sagte Hank Lafitte. »Mensch, Jerry, die werden gar nicht erst im Hotel ankommen. Eine bessere Chance erhalten wir nie wieder.« Jerry Clanden hatte inzwischen gestoppt, und Hank Lafitte kurbelte die Wagenscheibe herunter. Er beugte sich vor und setzte sein bestes Lächeln auf, das ihm zur Verfügung stand. »Schwierigkeiten?« fragte er. »Hätten Sie die Freundlichkeit und Güte, Mylady, ins Waldorf zu bringen?« fragte der Butler und lüftete seine schwarze Melone. »Mylady hat die Entfernung wohl doch ein wenig unterschätzt.« »Ich wette, Sie kommen aus England.« Hank Lafitte war bereits ausgestiegen und öffnete die hintere Wagentür. »Tja, hier ist alles weiter
und größer, da verschätzt man sich leicht.« »Eine durchaus zutreffende Feststellung«, gab Parker zurück und wartete, bis seine Herrin im Fond des Chevrolet Platz genommen hatte. Dann stieg er nach und lobte noch mal ausgiebig die Hilfsbereitschaft der beiden Männer. »Sind Sie schon mal in New York gewesen?« fragte Jerry Clanden, der sich vor Freude und Triumph noch immer nicht fassen konnte. Reibungsloser konnte er sein Versprechen Hynes gegenüber gar nicht einlösen! Die alte Mafiarechnung aus Florida war wirklich so gut wie beglichen. »Dies ist mein erster und letzter Besuch«, schaltete sich Lady Agatha mit einer sonoren Stimme ein. »Erster und letzter Besuch.« Hank Lafitte hüstelte leicht, denn ihn amüsierte die Doppeldeutigkeit dieser Antwort. »Wir werden einen kleinen Umweg machen«, erklärte Jerry Clanden dann, »die meisten Straßen sind hier verstopft, Lady, da braucht man schon Schleichwege, um schnell ans Ziel zu kommen.« »Sehr nett«, entgegnete Agatha Simpson, die selbstverständlich die Stadt kannte und nun auch wußte, was die beiden Männer im Schild führten. Sie wollten etwaiges Mißtrauen abbauen, um ihre Opfer sicherer in eine Falle locken zu kön7 �
nen. »Wir fahren an der Wasserfront entlang«, erklärte Jerry Clanden. »Bei der Gelegenheit können Sie sich gleich die Hafenanlagen ansehen. Die scheinen nie aufzuhören.« »Mylady lädt die beiden Herren bereits jetzt schon zu einem Drink ein, wie man hier zu sagen pflegt.« Butler Parker wußte, was diese beiden drahtigen Männer planten. Sie würden mit letzter Sicherheit irgendwann von der Hauptstraße abbiegen und ein Kai ansteuern, um dann völlig ungestört von lästigen Zuschauern zur Sache zu kommen. Er hatte längst festgestellt, daß sie Schulterhalfter trugen, die natürlich nicht leer waren. »Hier geht’s lang zum Battery Park«, lenkte Lafitte ab und deutete nach vorn. »Werden Sie wohl schon gehört haben, die südlichste Spitze von Manhattan, netter Park.« »Ihre Freundlichkeit ist geradezu bestürzend«, bedankte sich der Butler. »Könnten Sie Ihre Güte möglicherweise auf die Spitze treiben und Mylady einen Blick auf eine typische Kaianlage werfen lassen?« »Läßt sich machen.« Jerry Clanden war mit diesem Vorschlag mehr als einverstanden. Er kannte genug Molen, die auf den Abriß warteten und wo man ungestört war. »Ich habe da nämlich einen interessanten Kriminalfilm gesehen«, warf die passionierte Detektivin ein.
»Die Handlung spielt auf solch einem Kai. Gangster bringen dort einige Menschen um, in dem sie sie mit Zementschuhen ausstatten.« »Zementschuhe?« Hank Lafitte tat erstaunt. »Was stellt man sich denn darunter vor?« »Die Beine des Opfers werden in einen Kübel mit Schnellbindezement gesteckt«, erklärte die informierte Dame. »Nach dem Festwerden der Masse wird das Opfer dann brutal ins Wasser gestoßen.« »Das ist ja direkt scheußlich«, meinte Jerry Clanden, der wohl wußte, was Zementschuhe sind. »Wie kann man nur auf solche Gedanken kommen?« »Nun, die Idee an sich ist noch nicht mal schlecht«, fand Agatha Simpson. »Arbeiten Sie auch mit solchen Dingern?« Es dauerte fast eine Sekunde, bis die beiden überhaupt begriffen, wonach die Lady aus Great Britain gerade gefragt hatte. Dann aber schalteten sie recht schnell. Hank Lafitte griff nach seinem Revolver, doch er kam nicht mehr dazu, ihn auch aus der Schulterhalfter zu ziehen. Er machte nämlich Bekanntschaft mit dem Pompadour der Lady Agatha! * Es handelte sich um einen perlenbestickten und altmodisch aussehen8 �
den Handbeutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende noch trugen. Der Pompadour sah harmlos aus, doch er hatte es in sich. Oberflächlich umwickelt mit dünnem Schaumstoff hatte darin ein echtes Pferdehufeisen Platz. Und diese Glücksbringer genannte Waffe knallte auf Hank Lafittes Hinterkopf. Der zeigte sich ungemein beeindruckt. Lafitte glaubte, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er rutschte haltlos über den Sitz nach unten und landete auf dem Wagenboden. Jerry Clanden spürte etwas Spitzes im Nacken und kam zu dem Schluß, daß der hinter ihm sitzende Butler vielleicht ein Messer gegen seine Wirbelsäule drückte. Er hütete sich also, eine unvorsichtige Bewegung zu machen und schwitzte innerhalb weniger Augenblicke vor Angst. »Mylady würde gern dort den halb abgerissenen Lagerschuppen betrachten«, sagte der Butler. »Ich möchte davon ausgehen, daß Sie diesem Wunsch nachkommen werden.« »Was… Was soll das?« fragte Jerry Clanden mit belegter Stimme. »Warten Sie’s doch ab, junger Mann«, schlug Agatha Simpson ihm vor. »Ich werde Ihnen jetzt den Revolver aus der Halfter nehmen. Achten Sie auf Ihr Genick!«
Jerry Clanden blieb stocksteif sitzen und minderte die Geschwindigkeit des Chevrolets, der inzwischen das abbruchreife Lagerhaus erreicht hatte. Während die ältere Dame ihm energisch die Schußwaffe abnahm, bremste Clanden den Wagen, bis er stand. »Nun zur Sache, Sie Subjekt«, begann die Lady. »Wer hat Ihnen befohlen, mich zu verfolgen und umzubringen?« »Lady, das… das muß ein Irrtum sein«, protestierte Jerry Clanden. »Sie müssen meinen Freund und mich verwechseln.« »Steigen Sie aus, Sie Flegel!« Josuah Parker stand bereits neben dem Wagen, als Clanden dem Befehl der Lady nachkam. Clanden sah eine Chance, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Vielleicht konnte er sogar noch mal das Blatt wenden. Wer war dieser komische Butler schon? Der Mann hatte zwar das ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, aber wahrscheinlich war das nur Arroganz. Zudem trug er keine Waffe. Und der uralte Regenschirm war doch eher ein Hindernis als eine echte Waffe. Jerry Clanden ließ es also darauf ankommen und fiel den Butler an. »Sie scheinen meine Zurückhaltung zu mißdeuten«, schickte Josuah Parker voraus, bevor er mit dem bleigefütterten Bambusgriff des alt9 �
väterlich gebundenen Regenschirms leicht zulangte. Er traf damit die Stirn des Gangsters, der daraufhin leise seufzend gegen den Wagen rutschte. Doch noch war Clanden nicht ausgeschaltet. Er glich einem angeschlagenen Boxer, der sich aufraffte und alles in einen letzten, verzweifelten Schlag setzte. Clanden drückte sich ab, holte zu einem gewaltigen Heumacher aus und verlor parallel dazu sein Gleichgewicht. Butler Parker hatte den Griff seines Regenschirms benutzt, um das linke Standbein des Gangsters an sich zu ziehen. Clanden klatschte erneut gegen den Wagen und machte es sich dann neben dem linken Vorderrad auf dem Boden so bequem, wie die Umstände es gerade zuließen. »Eine Beleidigung, mir solche Anfänger über den Weg zu schicken«, fand Agatha Simpson. »Werden diese Flegel reden, Mr. Parker?« »Dies, Mylady, sollte man tunlichst nicht in Betracht ziehen«, gab der Butler zurück. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wäre es reine Zeitverschwendung, etwas in dieser Richtung zu versuchen.« »Ich hätte große Lust, diese beiden Subjekte in den East River zu werfen.« »Dem steht selbstverständlich nichts im Weg, Mylady.« »Könnten Sie ihnen nicht einen Ihrer Minisender mitgeben?«
»Das Gepäck, Mylady, wird in einem Sammeltransport ins Hotel geschafft, zur Zeit scheidet solch eine Möglichkeit also leider aus.« »Okay, setzen Sie diese Individuen erst mal matt, Mr. Parker. An die Polizei brauchen wir sie wohl nicht weiterzureichen, nicht wahr?« »Auch dies, Mylady, fiele in die Rubrik der Zeitverschwendung.« Josuah Parker kümmerte sich um den Mann, der sich noch im Wagen befand, zog ihn ins Freie und setzte die beiden Gangster dann auf seine Art und Weise matt. Lady Simpson nahm inzwischen am Steuer des Chevrolet Platz und wartete darauf, ihren Butler zum Waldorf zu fahren. Sie freute sich schon auf das Verkehrsgewühl der Riesenmetropole. Es mit ihrem Fahrstil auszuzeichnen, bedeutete für sie ein Erfolgserlebnis ohnegleichen. Butler Parker freute sich bedeutend weniger! Er suchte nach einem rettenden Ausweg. * Jerry Clanden und Hank Lafitte fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut. Zuerst dachten sie an die Blamage, die sie erlitten hatten, dann auch an ihre mehr als peinliche Lage. Man hatte sie ihrer Hosen und ihrer Schuhe beraubt. Sie kamen sich nackt und hilflos vor, hier draußen 10 �
auf dem verlassenen Kai. Zudem litten sie unter einem gewissen körperlichen Unwohlsein, dessen Gründe sie natürlich kannten. Zuerst beschimpften sie einander und gaben sich wechselseitig die Schuld an dieser Niederlage. Dann fanden sie sich mit ihrer Situation ab und überlegten, was zu tun war. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Hinüber zur South Street trauten sie sich natürlich nicht. Sie wären mit Sicherheit entweder boshaft ausgehupt worden oder würden einer Polizeistreife in die Arme laufen. Daran waren und konnten sie nicht interessiert sein. »Hier muß es doch irgendwo ein Telefon geben«, sagte Jerry Clanden. »Pirschen wir uns rüber zum nächsten Kai.« »Hynes reißt uns den Kopf ab«, prophezeite Hank Lafitte. »Und die anderen werden uns in Grund und Boden lachen.« Sie schnürten wie scheues Wild am halb abgerissenen Lagerschuppen vorbei und hielten auf eine Baustelle zu, in deren Nähe sie eine Baracke entdeckt hatten. Sie hatten sie noch nicht ganz erreicht, als zu ihrer großen Freude ein Taxi erschien. Clanden und Lafitte winkten und machten sich bemerkbar. Der Fahrer wurde auf die beiden sehr frei gekleideten Männer aufmerksam und hielt sofort auf sie zu. Am Steuer des Taxi saß ein älterer
Mann, der eine Lederweste, eine Brille und eine Lederkappe trug. Er grinste, als er hielt. »Macht ihr auf Freikörperkultur?« erkundigte er sich im typischen Slang der Taxifahrer. Er mußte ein waschechter New Yorker sein. »Die Fuhre und eine Extraprämie«, sagte Clanden. »Wir… Wir sind überfallen worden«, fügte Lafitte hinzu. »Wie hoch soll die Prämie denn ausfallen?« Der Taxifahrer verstand seinen Job denn er ließ seinen Wagen wieder langsam anrollen. »Fünfzig Dollar«, bot Clanden. »Zahlbar sofort«, verlangte der Taxifahrer. »Am Ziel«, widersprach Lafitte. Er hatte nach seiner Brieftasche gegriffen und vermißte sie. Dann wandte er sich an seinen Partner. »Oder hast du vielleicht noch deine Brieftasche?« »Alles weg«, erwiderte Clanden gereizt. »Wir sind schließlich überfallen worden.« »Und wie heißt das Ziel?« erkundigte sich der Taxifahrer mißtrauisch. »Ihr könnt mir viel vom Pferd erzählen.« »Canal Street«, gab Lafitte zurück. »Mann, das schaffen Sie doch in Rekordzeit.« »Und wer garantiert mir die fünfzig munteren Sachen?« fragte der Chauffeur und ließ den Motor mahnend aufrauschen. 11 �
»Schon mal was von einem Syndikat gehört?« Jerry Clanden hatte nun die Geduld verloren. »Mann, wir kennen inzwischen deine Taxinummer. Willst du Ärger haben?« Der Mann am Steuer stammte eindeutig aus New York und wußte mit dem Begriff Syndikat einiges anzufangen. Er stoppte sofort seinen Wagen und stieg sogar aus, um die hintere linke Wagentür zu öffnen. Er machte jetzt einen fast devoten Eindruck. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte er, als Clanden und Lafitte einstiegen. »Vergiß, was wir gesagt haben, Mann, vergiß, wie wir aussehen.« Hank Lafitte ließ sich seufzend in die Polster fallen. »Und jetzt rausche ab, bevor wir restlos sauer werden.« Der ältere Taxifahrer nickte und setzte sich ans Steuer. Er machte einen ziemlich geschockten Eindruck. * »Wo haben Sie denn so lange gesteckt, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson den älteren Taxifahrer, der die kleine Pizzeria betrat. »Ich langweile mich hier ja fast zu Tod.« »Ich möchte um Vergebung bitten, Mylady«, erwiderte der Angesprochene und nickte einem etwa fünfzigjährigen Mann zu, der mit der älteren Dame am Tisch saß und
einen leicht angetrunkenen Eindruck machte. »Der Verkehr hier in den Straßen, Mylady, zeichnet sich durch einen erstaunlichen Stillstand aus.« »Weil diese Eingeborenen nichts vom Fahren verstehen«, mokierte sich Lady Simpson. »Die zuständigen Behörden sollten sich mal in London entsprechend schulen lassen.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich mich jetzt wieder umkleiden.« »Nehmen Sie sich Zeit, Kumpel«, rief ihm der echte Taxifahrer nach, von dem Parker sich den Wagen gegen eine hübsche Summe ausgeliehen hatte. »Ich hab Zeit, ich mache für heute Schluß.« »Vergessen Sie nicht, daß man Sie gezwungen hat, das Taxi zu verlassen, junger Mann«, schärfte die Lady dem echten Taxifahrer ein. »Wenn Sie bei dieser Aussage bleiben, werden Sie sich vielleicht einigen Ärger ersparen.« »Keine Sorge, Lady, ich weiß, wo’s lang geht.« Der Taxifahrer griff nach seinem Weinglas. »Ich werde aus der Stadt verschwinden, ich wollte schon immer mal runter in den Süden.« »Vielleicht eine gute Idee, junger Mann.« Mylady war großzügig und drückte dem Fahrer eine zusätzliche Banknote in die Hand, worauf der Mann fast Stielaugen bekam. Solch 12 �
eine Banknote hatte er noch nie in Händen gehabt. »Kann ich nicht noch was für Sie tun, Lady?« fragte er. »Doch, fahren Sie möglichst noch heute in den Süden.« Agatha Simpson stand auf, denn Josuah Parker kam bereits aus dem Waschraum. Er hatte sich in den korrekten Butler zurückverwandelt, beglich die Zeche am Tresen und geleitete seine Herrin dann hinaus. Er hielt sofort Ausschau nach einem Taxi. »Hat diese alberne Maskerade sich wenigstens gelohnt?« wollte Lady Agatha wissen. »Sie hat mich ein Vermögen gekostet.« »Die beiden Revolverträger ließen sich in einem kleinen, aber durchaus noblen Hotel in der Nähe des Broadway absetzen«, berichtete Josuah Parker. »Sind Sie mit dem Taxi etwa bis in die Empfangshalle gefahren«, spottete Detektivin. »In die Tiefgarage, Mylady«, berichtete Parker weiter. »Dort wurden sie bereits erwartet und bekamen Bademäntel gereicht.« »Ist das schon alles?« Die ältere Dame war enttäuscht. »Die beiden Hotelangestellten trugen ebenfalls Schulterhalfter, Mylady«, erzählte Parker beherrscht und gemessen weiter. »Nachdem man mich entlohnte und sich tatsächlich auch an die Höhe der ausgesetzten Prämie hielt, war ich so
frei, in der näheren Umgebung dieses Hotels einige Erkundigungen einzuziehen. Es gehört einem gewissen Mr. Ralph Hynes, der in einem direkt anschließenden Bürohaus eine Grundstückerschließungsgesellschaft betreibt. Diese Auskünfte, Mylady, wurden nur widerstrebend gegeben, wie ich hinzufügen möchte. Man scheint den gerade erwähnten Mr. Hynes geradezu zu fürchten.« »Das hört sich bereits besser an, Mr. Parker. Ich frage mich, warum wir im Waldorf absteigen sollen? Wäre dieses noble Hotel am Broadway nichts für mich?« »Es ist leider belegt, Mylady.« Parker schien mit solch einem Vorschlag bereits im vorhinein gerechnet zu haben. »Wieso belegt? Woher wollen Sie das wissen?« »Nach den eingezogenen Erkundigungen, Mylady, nahm ich mir die Freiheit, im Hotel anzurufen und um zwei Einzelzimmer zu bitten. Die Antwort war negativ. Angeblich ist das Haus völlig ausgebucht, und zwar auf Wochen hinaus.« »Nun gut, fahren wir also erst mal ins Waldorf, aber das andere Hotel und diesen Mr. Hynes werde ich mir selbstverständlich schon bald aus der Nähe ansehen. Es ist doch sonnenklar, daß das betreffende Gebäude nur das Hauptquartier dieser Gangster sein kann. Aber das 13 �
haben Sie natürlich noch nicht durchschaut, Mr. Parker.« »Wie Mylady meinen und wünschen«, lautete Parkers gelassene und höfliche Antwort. Im Gegensatz zu seiner Herrin war er nicht sehr optimistisch. Ihm war längst klar, daß die Mafia sich eingeschaltet hatte. In den nächsten Stunden und Tagen war mit überraschenden Aktionen zu rechnen. Aus diesem Grund hatte er auch ein Überseegespräch geführt und in London eine bestimmte Nummer angerufen. Doch davon sagte er der Lady kein Wort, sie hätte sich sonst aus dem Stand heraus mit Ralph Hynes angelegt, was wohl einem Selbstmord gleichgekommen wäre. * »Ich werde an diesem Schriftstellerkongreß selbstverständlich nicht teilnehmen«, erklärte Agatha Simpson. Sie befand sich in ihrer Hotelsuite und zeigte noch immer keine Spur von Müdigkeit. »Die besten Kriminalromane schreibt immer noch das Leben, finden Sie nicht auch, Mr. Parker?« »Wenn Mylady gestatten, möchte ich mich dieser Feststellung anschließen«, antwortete Josuah Parker. »Die Voraussetzungen für meinen Krimi sind doch einmalig gut«, begeisterte sich die ältere Dame wei-
ter. »Wir kennen das Hauptquartier dieser Subjekte, wir kennen den Mann, der mir die beiden Lümmel auf den Hals geschickt hat.« »Hinzu kommt die Tatsache, Mylady, daß man sich in einer Stadt befindet, deren Unterwelt von der Mafia beherrscht wird.« »Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Parker? Sie sagen das doch nicht ohne Grund.« »Nach den Regeln der Taktik, Mylady, sollte man sich das Terrain, auf dem eine Schlacht stattfindet, niemals von seinen Gegnern aufzwingen lassen.« »Sie nehmen mir das Wort von der Zunge.« Die Lady nickte wohlwollend, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Parker dazu sagen wollte. »Dann darf ich Myladys Anregung also aufgreifen und eine Übersiedlung in die Wege leiten?« »Meine, äh, Anregung?« Agatha Simpson entschied sich für ein angedeutetes Kopfnicken. »Mylady werden sich im Westchester County miit Sicherheit ungemein wohl fühlen.« »Westchester County? Das hört sich ja direkt nach Wildnis an, Mr. Parker.« »Eine Grafschaft im Norden New Yorks, Mylady. die sich durch Anmutigkeit und eine gewisse, noch vorhandene herbe Wildnis auszeichnet. Sie ist nur eine Autostunde von New York entfernt.« 14 �
»Also tiefste Provinz.« Sie verzog ihr Gesicht. »Ein bevorzugter Wohnort für New Yorker, die über entsprechende Geldmittel verfügen. Myladys Einverständnis voraussetzend, habe ich bereits in White Plains ein Landhaus gemietet.« »Wollen Sie mich etwa aus dem Verkehr ziehen?« Ihre Stimme grollte. »Mylady dürfen versichert sein, daß die Mafia ihre Vertreter nach White Plains schicken wird.« »Nun gut, aber falls nicht, dann kehren wir nach New York zurück, Mr. Parker. Und vor der Abreise in dieses Provinznest möchte ich diesem Hynes noch auf die Füße treten. Sorgen Sie dafür, daß das ein voller Erfolg wird!« Josuah Parker verbeugte sich und reagierte dann auf das Läuten des Telefons. Er ging zum Apparat, hob ab und meldete sich. Eine glatte, gut geschulte Stimme war zu vernehmen. »Hynes! Ich bin der GeneralManager einer Grundstückserschließungsgesellschaft. Ich hätte Lady Simpson ein paar sensationelle Angebote zu machen.« »Mylady bedankt sich schon jetzt für Ihre Bemühungen«, antwortete Josuah Parker, der nicht die Spur erstaunt war. Mit solch einem Anruf hatte er gerechnet. Ihm waren gewisse Spielregeln der Unterwelt
nur zu vertraut. »Wir hätten da ein paar Ländereien im Westen. Sie dürften im Moment hunderttausend Dollar wert sein. Ich möchte fast behaupten, daß Lady Simpson schnell zulangen wird.« »An lohnenden Anlagen ist Mylady stets und immer interessiert, Mr. Hynes«, antwortete der Butler. »Irre ich mich in der Annahme, daß Sie mit einem unkonventionellen Transfer rechnen?« »Nee, Sie irren sich nicht«, lautete die Antwort. »Und wann muß Mylady ihren Entschluß bekannt geben?« »Na ja, da gibt’s noch mehrere Interessenten. Sie sollte sich schon in ein paar Stunden melden, schlage ich vor.« »Und wie soll das geschehen, wenn ich fragen darf?« »Machen wir’s doch so: Ich werde mich in, sagen wir, zwei Stunden wieder melden, klar? Bis dahin könnte das Bargeld ja zur Verfügung stehen. Ich sagte Bargeld!« »Ich werde es nicht versäumen, Mylady sofort von Ihrem Angebot zu unterrichten«, erwiderte Josuah Parker, »aber ich möchte bereits jetzt schon deutlich machen, daß Mylady mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit solch eine einmalige Chance nutzen wird.« »Ich auch«, sagte Hynes trocken und lachte leise. »Wer läßt sich solch 15 �
ein Angebot schon durch die Lappen gehen!?« * Natürlich war Lady Agatha nach solch einer frechen Beleidigung verärgert. »Glauben diese Windhunde denn tatsächlich, daß ich zahlen werde?« fragte sie ihren Butler. »Sie dürften sich dessen vollkommen sicher sein, Mylady.« »Schnickschnack, Mr. Parker! Auf Erpressungen lasse ich mich grundsätzlich nicht ein. Gütiger Himmel, hunderttausend Dollar. Ich bin doch keine Millionärin.« »Dies stimmte nur insofern, als die ältere Dame mehrfache Millionärin war, eine Tatsache, über die sie allerdings so gut wie nie redete.« »Ich glaube, ich werde diesem Lümmel ein paar Ohrfeigen verabreichen«, redete sie grimmig weiter. »Mr. Parker, wir werden sofort in die Canal Street fahren.« »Mylady, ich möchte keineswegs der Schwarzmalerei huldigen«, schickte Josuah Parker voraus. »Ein Besuch im erwähnten Hotel käme allerdings fast einem Selbstmord gleich.« »Wird dieser Hynes mit meinem Erscheinen rechnen?« »Diese Frage muß ich verneinen, Mylady.« »Eben. Und das ist mein Vorteil.
Wir fahren sofort los, Mr. Parker. Holen Sie ein paar hübsche Überraschungen aus Ihrem Spezialkoffer!« »Darf ich mir erlauben, erneut Bedenken anzumelden, Mylady?« »Aber selbstverständlich«, entgegnete Agatha Simpson. »Tun Sie das während der Fahrt hinüber in die Canal Street. Eine Lady Simpson erpreßt man nicht, das wird dieser Flegel sehr bald spüren!« Butler Parker war bewußt, daß weitere Mahnungen oder Warnungen sinnlos waren. Wenn Lady Agatha sich erst mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie ihre Absichten auch aus. Sie griff nach der viel zu weiten Kostümjacke und dann nach dem Pompadour. Sie setzte sich ihren eigenwilligen Hut auf und befestigte ihn mit einigen erstaunlich langen Hutnadeln im grauweißen Haar. Dann nickte sie Parker unternehmungslustig zu, der inzwischen einige völlig durchschnittlich und harmlos aussehende Gegenstände aus seinem schwarzen Koffer geholt hatte. »Ob man uns bereits überwacht?« fragte sie, als sie das Zimmer verließen. »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Man wird sich über jeden Schritt Myladys informieren.« »Dann werden Sie die Verfolger abschütteln«, verlangte die Detektivin. »Und seien Sie nicht wieder so 16 �
zimperlich! Wegen mir brauchen Sie keine Rücksichten zu nehmen, ich kann einiges vertragen.« In einer der großen Empfangshallen im Erdgeschoß nahm Lady Agatha in einem Sessel Platz und schien auf ihren Butler warten zu wollen, der sich mit einem Empfangschef unterhielt. Es sah so aus, als ob Lady Agatha sich langweile, in Wirklichkeit aber prüfte sie die vielen Menschen, die sich in der Halle befanden. Sie suchte nach Männern, die man auf sie angesetzt hatte. Es ärgerte sie maßlos, daß sie diese Männer nicht entdeckte. Um sie herum war zwar viel Betrieb, doch sie war einfach außerstande, sich für eine bestimmte Person zu entscheiden. Butler Parker hingegen hatte bereits zwei Männer ausgemacht, die seinem sicheren Gespür nach von Hynes geschickt worden waren, um Lady Agatha und ihn zu beschatten. Die beiden Männer sahen aus wie Manager der gehobenen Klasse. Sie mochten etwa fünfundvierzig Jahre zählen, benahmen sich etwas zu unauffällig und fielen daher auch prompt auf. Während alle anderen Personen in der Halle sich mehr oder weniger verstohlen nach Agatha Simpson umschauten oder sie beobachteten und taxierten, schienen diese beiden Männer die skurril aussehende ältere Dame überhaupt nicht zu sehen.
Parker mußte sich aus dem Stand heraus etwas einfallen lassen, um diese mutmaßlichen Gegner möglichst gewaltlos außer Gefecht zu setzen. Er ging auf Umwegen direkt auf sein Ziel los und näherte sich zwei männlichen Gästen, die eindeutig ein wenig angeheitert waren und laut miteinander lachten. Parker rempelte sie ein wenig mit seiner Rückseite an und entschuldigte sich dann ungemein wortreich für sein Verhalten. Er versäumte es nicht, sich um den korrekten Sitz der Kleidung der beiden Männer zu kümmern und strich nicht vorhandene Falten der beiden Jacketts wieder glatt. Innerhalb weniger Sekunden verfügte er dann über zwei fremde Brieftaschen, die wie durch Zauberei in der Wölbung seiner schwarzen Melone verschwanden, die er höflich abgenommen hatte. Anschließend wechselte Josuah Parker zu den beiden eigentlichen Opfern hinüber, die ihren Standort inzwischen gewechselt hatten. Hier absolvierte Josuah Parker das Spiel noch mal, allerdings mit einer kleinen Variante. Er stolperte, glitt ein wenig aus und fiel gegen die beiden Männer, die zusammenzuckten, als würden sie von einer Klapperschlange belästigt. »Verzeihen Sie das Ungeschick eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes«, entschuldigte 17 �
sich der Butler wortreich wie im ersten Fall und verteilte die beiden Brieftaschen an die Männer. Dann setzte er wieder die schwarze Melone auf und wechselte zur Rezeption zurück. »Ihren Hausdetektiv«, verlangte er hier in einem leisen, aber entschiedenen Ton. »Die beiden Herren dort neben der Palme sind eindeutig Taschendiebe, wie ich soeben zu beobachten das Vergnügen hatte. Bitte, beeilen Sie sich!« Es erschienen zwei Hausdetektive. Josuah Parker stellte sich als der Butler der Agatha Simpson vor und deutete dann diskret auf die beiden ahnungslosen Mafiavertreter, die sich nach wie vor bemühten, die Lady nicht zu sehen. »Ich möchte zusätzlich noch behaupten, daß diese beiden Männer Waffen tragen«, schloß Parker seine Anschuldigung. »Aber das werden Sie besser beurteilen können als meine bescheidene Wenigkeit.« Die Hausdetektive waren groß und stämmig. Wahrscheinlich hatten sie früher mal als Polizeibeamte Dienst getan, Sie setzten sich in Bewegung und schlenderten wie zwei gelangweilte Gäste auf die Mafiavertreter zu, um sie dann allerdings routiniert und blitzschnell in die Zange zu nehmen. Nach einem nur kurzen Stichwortwechsel gingen die beiden Mafiavertreter steif und wie aufgedreht hin-
über zur Rezeption, dicht gefolgt von den Hausdetektiyen, die ihnen wohl gesagt hatten, daß sie nicht unbewaffnet waren. Wenig später verschwand die Vierergruppe hinter einer Tür. »Mylady mögen die kleine Verzögerung entschuldigen«, sagte Parker, als er vor seiner Herrin erschien. »Einer freien und unbeobachteten Ausfahrt dürfte nun nichts mehr im Weg stehen.« »Wie, Sie haben die beiden Lümmel bereits abserviert?« wunderte sich Agatha Simpson. »In der Tat, Mylady«, gab Parker höflich zurück. »Sie werden nun erklären müssen, wie zwei fremde Brieftaschen in ihren Besitz gelangt sind.« »Das dort sind doch die beiden Subjekte«, behauptete die Lady und deutete auf zwei junge und drahtig aussehende Männer, die nicht weit von ihr entfernt sich ihre Drinks genehmigten. Mylady hatte sich nämlich inzwischen entschieden und festgelegt. »Ich glaube, daß ich sie zur Rede stellen werde.« »Die beiden Herren sind UNOBeamte, Mylady, wie ich eben hörte«, präzisierte Parker. »Aber vielleicht sollte man sie dennoch im Auge behalten, wenn ich diesen Vorschlag machen darf.« »Uno-Beamte? Lächerlich! Sie haben eben keine Menschenkenntnis, Mr. Parker. Sie werden gleich 18 �
sehen, wie hartnäckig sie uns folgen werden. Sie folgten natürlich nicht! * Die Empfangshalle der Grundstückserschließungsgesellschaft »StarLand« zeichnete sich durch diskrete Vornehmheit aus. Auf dem Boden lagen dicke Teppiche, die Wände waren holzvertäfelt. Es gab einige Sitzinseln aus schwarzem Leder, Chromtische und indirekte Beleuchtung. Ralph Hynes, der Inhaber dieser Gesellschaft, hatte sich, obwohl der Mafia zugehörig, längst moderner Methoden bedient und sich eine bestechend aussehende Visitenkarte zugelegt. Wer diese Empfangshalle betrat, war sicher, es mit seriösen Geschäftsleuten zu tun zu haben. Hinter einem Schreibtisch knapp vor den beiden Fahrstühlen saß ein junger, korrekt gekleideter Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er erhob sich respektvoll und versprühte gleichzeitig ein wohleinstudiertes Lächeln, als ein seltsam und altmodisch aussehendes Paar die Halle betrat. Der junge Mann kam um den Schreibtisch herum und erkundigte sich nach den Wünschen der beiden Besucher. Verdacht schöpfte er natürlich nicht. Dieses Paar sah so aus, als könne es kein Wässerchen trüben. »Zu Mr. Hynes«, sagte Lady Simp-
son in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Hoffentlich ist er noch in seinem Büro, ich habe mich etwas verspätet.« »Darf ich Ihren Namen erfahren, Madam?« »Caroline Hynes«, antwortete die ältere Dame. »Ich bin seine Tante.« »Befindet sich Mr. Hynes noch im Haus?« fragte Parker. »Selbstverständlich, Sir.« Der junge Mann war beeindruckt. Er hatte zwar noch nie etwas von einer Tante seines Chefs gehört, aber die Tatsache, daß sie augenscheinlich einen Butler beschäftigte, war beachtlich. Er wandte sich um und ging hinüber zu seinem Schreibtisch. Genau das erwies sich für ihn als gravierenden Fehler. Er hatte keine zwei Schritte hinter sich gebracht, als er plötzlich zusammenfuhr wie vom Stich einer Tarantel. Er blieb wie angewurzelt stehen und begriff mit Verspätung, daß mit diesem Besuch etwas nicht stimmte. Er wollte nach seiner Schulterhalfter greifen, doch der Bambusgriff eines Regenschirms hinderte ihn daran. Dieser Griff hielt seinen Arm wie in einer Zwinge fest. Inzwischen brach dem jungen Mann bereits der kalte Schweiß aus. Er fühlte eine gewisse Schwäche in sich hochsteigen, wankte ein wenig und knickte in den Knien ein. »Sie sollten sich vielleicht setzen«, schlug Josuah Parker in seiner höfli19 �
chen Art vor. »Hier wäre ein Stuhl.« Lady Simpson drückte mit beiden Händen gegen die Brust des jungen Mannes, der daraufhin auf den Stuhl plumste und gähnte. Er bekam schon nicht mehr mit, daß Josuah Parker ihm einen kurzläufigen Revolver aus der Schulterhalfter zupfte. Josuah Parker trat hinter den Schreibtisch und warf einen Blick auf die Telefonanlage, deren Hauptkabel hinter einem Wandgitter verschwand. Parker holte mit der ihm eigenen Gelassenheit ein kleines Taschenmesser aus einer der vielen Westentaschen, klappte es auf und durchschnitt mit spielerischer Leichtigkeit dieses mehr als daumendicke Kabel. Er öffnete die Tür des linken Fahrstuhls, lüftete höflich seine schwarze Melone und ließ seine Herrin eintreten. Nachdem die Tür geschlossen war, drückte Parker den Knopf für die oberste Etage und beförderte Mylady und sich hinauf zu Mr. Ralph Hynes, der nach den Regeln des Managements selbstverständlich nur ganz oben wohnen konnte. Bevor der Fahrstuhl sein Ziel erreichte, entnahm Parker einer anderen Westentasche eine kleine Spraydose, wie sie von der Kosmetikindustrie zur Mundhygiene angeboten wird. Er machte sich einsatzbereit, um etwaige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Agatha Simp-
son nestelte inzwischen an einer ihrer Hutnadeln. Auch sie wollte, wenn es sein mußte, nicht untätig bleiben. Mit solch einer präparierten Hutnadel hatte sie bereits den jungen Mann in der Empfangshalle in einen erholsamen Tiefschlaf geschickt. Der Fahrstuhl vibrierte noch, als von außen bereits die Tür aufgerissen wurde. Zwei Männer waren zu sehen, die einen neugierigen und auch ein wenig irritierten Eindruck machten. Immerhin war ihnen diese Fahrt von der Halle aus nicht angekündigt worden. Eine Sekunde später waren die beiden Männer noch wesentlich irritierter, zumal sie momentan nichts mehr sahen. * »Was ist denn?« fragte eine herrische Stimme, nachdem Josuah Parker höflich an der Tür zu Hynes’ Privatbüro angeklopft hatte. Der Butler öffnete die Tür und ließ Lady Agatha eintreten. Dem Inhaber der Grundstücksverwertungsgesellschaft fiel im wahrsten Sinne des Wortes der Unterkiefer herunter. Er starrte die ältere Dame entgeistert an, überflog dann den Butler mit schnellem Blick und wußte offensichtlich, mit wem er es zu tun hatte. »Sie haben die Ehre, Lady Simpson begrüßen zu dürfen«, sagte Josuah Parker. »Mylady wollte 20 �
sich möglichst noch mal Ihr Angebot unterbreiten lassen.« Josuah Parker bekam mit, daß Hynes verstohlen den Knopf einer Alarmanlage betätigte. Parker wechselte zu einer Nebentür und baute sich hier wie zufällig auf. Lady Agatha marschierte inzwischen auf Hynes zu und musterte ihn abfällig. »Sie sind das also, der eine alte Frau in Angst und Schrecken jagen will?« erkundigte sich die Lady dann drohend. In diesem Augenblick wurde die Seitentür ruckartig aufgestoßen, und zwei jüngere Männer schickten sich an, ziemlich hastig und ungestüm einzutreten. Sie hatten ihre Waffen, die übrigens mit Schalldämpfern versehen waren, bereits gezogen. Butler Parker bereinigte das an sich kleine Problem. Mit seinem Universal-Regenschirm entwaffnete er die beiden Männer, deren Schießprügel sich plötzlich selbständig machten und weit durch das Privatbüro segelten. Die beiden Leibwächter hätten sich gebend gern mit dem Butler befaßt, doch sie schafften es einfach nicht, ihre rechten Hände in eine Art Schlagposition zu bringen. Die Attacke mit dem Regenschirm hatte die Handgelenke empfindlich gelähmt. »Setzen Sie sich möglichst umgehend, meine Herren«, sagte Josuah Parker. »Ich gehe von der Annahme aus, daß Sie den Ernst der hier herr-
schenden Situation inzwischen begriffen haben.« Seine Annahme erwies sich als falsch. Die jungen Männer wollten ihre linken Hände einsetzen und zusätzlich sogar noch ihre Beine. Sie galten im Haus immerhin als versierte Spezialisten und hatten einen Ruf zu verlieren. Sekunden später saßen sie nicht – sie lagen! Josuah Parker wußte mit seinem Regenschirm atemberaubend schnell umzugehen. Selbst ein ausgelernter Kendokämpfer aus Japan hätte wahrscheinlich noch von seiner privaten Technik profitieren können. Die beiden jungen Männer lagerten sich auf dem Teppich ab und hatten inzwischen ihre Augen geschlossen. Butler Parker warf einen prüfenden Blick in den kleinen Nebenraum. Er war wie ein Büro eingerichtet, jetzt aber menschenleer. Es gab dort eine Tür, die wahrscheinlich auf einen Korridor führte. Der Butler begab sich gemessen zu jener Tür und drehte den Schlüssel im Schloß. Als er in das Privatbüro zurückkehrte, litt Hynes sichtlich unter Gleichgewichtsstörungen. Auf seiner linken Wange waren fünf kräftige Finger abgezeichnet. »Das muß man sich mal vorstellen«, sagte Agatha Simpson erfreut und deutete auf den Grundstücksverwerter. »Er wollte mich 21 �
doch wirklich angreifen, mich, eine hilflose Frau!« »Mylady mußten eine pädagogische Maßnahme ergreifen?« »Er kann von Glück sagen, daß ich noch völlig übernächtigt bin«, erwiderte die ältere Dame, die allerdings einen ungemein frischen und animierten Eindruck machte. »Das… Das werden Sie mir noch büßen«, zischte Ralph Hynes wütend. »Dafür laß ich Sie hetzen wie einen tollen Hund.« »War das eine Beleidigung, Mr. Parker?« erkundigte sich die Lady bei ihrem Butler. »Daran besteht kein Zweifel, Mylady.« Agatha Simpson nickte zufrieden und schickte ihren Pompadour an den Kopf des Gangsters. Hynes flog aus seinem pompösen Ledersessel, vollführte eine leicht mißglückte Kunstflugfigur und landete krachend vor einem niedrigen Sideboard. Hier blieb er auf dem Teppich liegen und rührte sich nicht. »Werden wir hier etwas finden, was von Nutzen sein könnte?« fragte Lady Simpson. »Mit Sicherheit nicht, Mylady.« Parker beugte sich über Hynes und durchsuchte dessen Taschen. Er durchblätterte die Brieftasche und steckte ein Scheckheft ein. Agatha Simpson war neugierig genug, sich die Fotos auf dem Sideboard anzusehen. Sie interessierte sich vor allen
Dingen für das Foto einer reizvollen und kurvenreichen Blondine, deren Kleidung eigentlich nur aus einigen wenigen Straußenfedern bestand. Unter einer pikanten Widmung, die sich auf traumhafte Nächte bezog, stand der Name Kate Kandale. »Wie wäre es mit einem kleinen Feuer hier, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson und sah sich im Büro um. »Man könnte ja auch nur das Mobiliar zertrümmern.« »Wenn es gestattet ist, würde ich Mylady von beiden Vorschlägen abraten«, gab Parker zurück. »Mr. Hynes könnte daraus vorzeitig Rückschlüsse ziehen und Mylady richtig einschätzen.« »Ich weiß, ich weiß, Sie nehmen mir jede Freude«, beklagte sich die ältere Dame daraufhin. »Ihre Korrektheit, Mr. Parker, wird mich noch mal frühzeitig ins Grab bringen.« * »Okay, ich wiederholte es noch mal«, sagte Ralph Hynes höflich dienstbeflissen zu seinem Gesprächspartner am Telefon. »Und ich will nichts beschönigen. Wir sind nach allen Regeln der Kunst hochgenommen worden, Sir.« Es entstand eine kleine Pause, dann war Hynes wieder an der Reihe. »Noch weiß ich nicht genau, wie die Lady und ihr Butler meine 22 �
Adresse herausgefunden haben«, fuhr Hynes fort. »Wahrscheinlich dürfte sein, daß sie Clanden und Lafitte verfolgt haben. Ja, Clanden und Lafitte, Sir. Ich hatte sie zum Flughafen geschickt. Leider waren sie etwas zu übereifrig und legten sich mit diesen beiden Typen aus England an. Wie die Geschichte ausging, Sir, wissen Sie ja inzwischen.« Es entstand wieder eine kleine Pause, in der Hynes zuhörte. Dann räusperte er sich. »Selbstverständlich, Sir, wir bringen die Sache sofort hinter uns. Ich wiederhole noch mal: Lady Simpson und ihr Butler werden umgehend in einer Großaktion aus dem Verkehr gezogen. Natürlich werde ich alle meine Leute einsetzen. Nein, nein, Sie können sich fest auf mich verlassen, Sir, diesmal wird es keine Panne mehr geben. Wir alle hier wissen inzwischen genau, mit wem wir es zu tun haben. Ich möchte allerdings sagen, daß dieser Butler und seine Lady sehr unfair kämpfen. Anders kann man es nicht sagen. Wer hat schon mit solchen gemeinen Tricks rechnen können?« Hynes legte auf. Es entstand eine kurze Pause, dann wurde ein Feuerzeug angeknipst, und Hynes rief nach Montanelli und Shuster. Seine Stimme hatte sich übrigens entscheidend verändert, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Hynes war jetzt wieder der Boß, der den Ton
angab. »Ich habe gerade mit dem Chef gesprochen«, sagte er, nachdem eine Tür geöffnet worden war, als Schritte zu hören waren. »Er gibt mir völlig freie Hand. Großaktion, damit wir uns richtig verstehen! Der Butler und die Lady sind sofort hochzunehmen. Allerdings auch jetzt ohne großes Theater mit anschließenden Schlagzeilen in der Presse. Ist das klar?« »Und was haben Sie sich vorgestellt?« fragte eine weiche und fast singende Stimme. »Alarmiert alle Mitarbeiter, Montanelli«, antwortete Hynes. »Aber eigentlich warte ich auf eure Vorschläge.« »Ich hätte da einen«, schaltete sich eine harte Stimme ein. Sie klang ein – wenig aggressiv. »Raus damit, Shuster«, forderte Hynes. »Laden wir die Alte doch zu einem Interview ein. Ich wette, darauf wird sie anspringen.« »Ausgezeichnet, Shuster«, lohte Hynes. »Wir besitzen ja schließlich einen eigenen Sender. Packt das sofort an! Haben wir den Butler erst mal mit seiner komischen Alten in unserem hauseigenen Bau, dann sind die Weichen bereits gestellt.« »Und wohin mit ihnen?« wollte der aggressive Bill Shuster wissen. »Rein in einen Müllkahn«, schaltete sich die weiche und singende 23 �
Stimme Chuck Montanellis ein. »Das läßt sich leicht erreichen.« »Vorsicht, Vorsicht«, mahnte Hynes. »Clanden und Lafitte haben sich auch verdammt sicher gefühlt und sind schließlich reingelegt worden. Immer daran denken: Der Butler und die Lady sind gefährlicher als Nitro, ich hatte es euch ja gleich gesagt. Die arbeiten mit sämtlichen faulen Tricks, aber im Endeffekt werden sie gegen unsere bewährten Methoden doch nicht ankommen. Also, legt los, Leute! Ich will Erfolge sehen. Die Sache muß noch heute über die Bühne gehen. Die Alte wird auf dieses Interview mit Sicherheit reinfallen.« * »Dieser Flegel scheint mich für eitel zu halten«, grollte Lady Simpson, die neben dem Butler in einer nahen Toreinfahrt stand. »Ich hätte große Lust, noch mal zu diesem Lümmel hinaufzufahren, Mr. Parker.« »Wenn es gestattet ist, möchte ich Mylady von einem zweiten Versuch dringend abraten«, sagte Parker höflich. »Mr. Hynes dürfte seine Firmenräume ab sofort so sicher bewachen lassen wie die Bank von England, wenn ich mir diesen Vergleich erlauben darf.« Josuah Parker hatte im Privatbüro des Mafiavertreters eine kleine Wanze hinterlassen, nämlich einen
seiner winzig kleinen, aber leistungsstarken Minisender, die aus seinem Privatlabor stammten. Er hatte keine moralischen Bedenken, sich solcher Elektronik zu bedienen, da es ja darum ging, Gangster auszuforschen. Private Gespräche zwischen normalen Bürgern waren für ihn natürlich stets tabu. Der Butler steckte den flachen Empfänger zurück in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und bemühte sich dann um ein Taxi, das sie zurück ins Waldorf brachte. »Wer mag dieser Bursche sein, Mr. Parker, den Hynes so devot mit ›Sir‹ angeredet hat?« fragte Agatha Simpson, als sie sich in ihrer Suite befand. »Es dürfte sich um einen Spitzenmann der New Yorker Mafia handeln, Mylady«, antwortete Parker. »In diesem Zusammenhang möchte ich höflichst noch mal darauf verweisen, daß Mylady das Terrain der kommenden Auseinandersetzungen bestimmen sollte.« »Sie wollen mir um jeden Preis dieses Provinznest außerhalb von New York einreden, nicht wahr?« »White Plains, Mylady.« Parker nickte andeutungsweise. »In der Grafschaft Westchester gelegen, ein, wie ich bereits erwähnte, bevorzugter Wohnort New Yorker Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Kultur.« »Und wo Sie ja bereits ein Landhaus gemietet haben, wie?« »Prophylaktisch, Mylady«, bestä24 �
tigte der Butler. »Und was ist mit dieser Kate Kandale?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ein wenig irritiert.« »Die Widmung auf einem Foto in Hynes’ Privatbüro. Es ist ja klar, daß er mit ihr ein Verhältnis hat. Mit anderen Worten, er wird häufig zu ihr fahren, oder wollen Sie das etwa bestreiten?« »Dies, Mylady, würde ich mir nie gestatten. Wenn Mylady erlauben, möchte ich schnell das Scheckbuch durchblättern.« »Was versprechen Sie sich davon?« Jetzt war sie irritiert. »Aus der Art der Zahlungen und deren Empfänger läßt sich möglicherweise schließen, welche Gewohnheiten Mr. Hynes pflegt, Mylady.« Parker holte das Scheckbuch aus seiner Tasche und blätterte die Kontrollstreifen durch. Dann sah er sich die Eintragungen auf dem Sammelverzeichnis an. »Eine Miß Kate Kandale, Mylady, wird hier regelmäßig mit beachtlichen Geldzuwendungen bedacht«, meinte er dann. »Nicht weniger wichtiger ist die Tatsache, daß Mr. Hynes erst gestern einen Scheck für einen Supermarkt ausgestellt hat, der sich drüben in New Jersey befindet.« »Warum soll er nicht seine Rechnungen bezahlen?«
»Mr. Hynes dürfte demnach in New Jersey wohnen, Mylady. Darauf deuten auch einige Eintragungen hin, die sich auf eine Garage und eine Autowerkstatt beziehen.« »Sehr hübsch. Mir kommt da eine Idee, Mr. Parker.« »Mylady beabsichtigen, Mr. Hynes bei passender Gelegenheit einen privaten Besuch abzustatten?« »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker.« Die Detektivin lächelte versonnen. »Es muß ja nicht sofort sein.« »Mylady goutieren also eine Übersiedlung nach White Plains?« »Wir fahren«, entschied sie. »Ich habe ja schon immer gesagt, daß man sich die Bedingungen einer Auseinandersetzung nicht aufzwingen lassen darf. Darauf sollten Sie in Zukunft achten, Mr. Parker. Selbst Sie können von mir noch einiges lernen, verlassen Sie sich darauf!« »Mylady sehen einen ungemein gelehrigen Schüler vor sich«, lautete Parkers neutrale Antwort. Sein Gesicht blieb dabei ausdruckslos. * Agatha Simpson gab sich überraschend friedlich. Nach angenehmer Fahrt weit hinauf in den Norden der Großregion von New York hatten sie die Hauptstadt von Westchester County bereits hinter sich gelassen. Von 25 �
einem Provinznest konnte selbstverständlich keine Rede sein. Diese ansehnliche Stadt, die fast hunderttausend Bewohner hatte, war unter anderem der Sitz der General Electric und General Food, zweier Unternehmen von Weltgeltung also. Besonders stolz waren die Bewohner dieser Stadt darauf, daß seinerzeit General Washington hier Quartier bezogen und die berühmte Schlacht von White Plains geschlagen hatte. Myladys Zufriedenheit hing allerdings mit einem echten Land-Rover zusammen, den der Butler in einer Autovermietung aufgetrieben hatte. Das war ein Wagen nach ihrem Herzen. Er war nicht nur hart gefedert und geländegängig, sondern sie fühlte sich in solch einem Wagen fast wie zu Hause jenseits des Atlantik. Mit den weich gefederten und ein wenig schwammig liegenden US-Limousinen konnte sie sich einfach nicht anfreunden. »Wir sind doch hoffentlich verfolgt worden, oder?« fragte sie, als Parker das gemietete Landhaus ansteuerte. Sie wandte sich um, konnte jedoch zu ihrer Enttäuschung keinen verdächtigen Wagen ausmachen. »Ich war so frei, Myladys neue Adresse im Waldorf Astoria zurückzulassen«, antwortete Parker. »Mit dem Auftauchen der Mafiagangster dürfte noch in dieser Nacht fest zu rechnen sein.« »Hoffentlich haben Sie das richtige
Landhaus gemietet, Mr. Parker.« »Der Beschreibung nach, Mylady, müßte es allen Wünschen entsprechen«, antwortete Parker. »Es befindet sich dort drüben im Hügelgelände und hat keine unmittelbaren Nachbarn, die möglicherweise später gefährdet werden könnten.« Parker hatte richtig gewählt, wie sich wenig später erwies. Über eine schmale Straße, die durch ein Wäldchen mit dichtem Unterholz führte, erreichten sie das Landhaus, das aus Bruchsteinen errichtet war. Der Garten glich einem kleinen Park, der mit Büschen und Sträuchern durchsetzt war. Hier draußen vor den Toren von White Plains war man mit Sicherheit ganz unter sich. Parker hielt neben einem vor dem Haus parkenden Wagen, aus dem jetzt ein kleiner, rundlicher und Optimismus verbreitender Mann ausstieg. Es war der Makler, der das Haus den neuen Mietern übergeben wollte. Er hieß Les Strings und war außer sich, als er einer echten englischen Lady vorgestellt wurde. »Hier werden Sie die Ruhe finden, Mylady, die Sie brauchen«, schwärmte er sofort begeistert. »Hier werden Sie in aller Ruhe Ihren Roman schreiben können.« »Welche Nachbarn habe ich, junger Mann?« fragte die ältere Dame. »Im Grund, äh, keine, Mylady! Die Besitzer der drei Landhäuser da drü26 �
ben haben ihre Stadtwohnungen in New York, sie werden nur hin und wieder hier sein.« »Das klingt gut, junger Mann. Gibt es nur diese eine Straße?« »Die so gut wie keinen Verkehr hat«, schwärmte der Makler weiter. »Links und rechts von der Straße ist nur Wald und Buschgelände. Aber das wollten Sie ja unbedingt haben, wenn ich das richtig verstanden habe.« »Ich glaube, ich werde sehr zufrieden sein.« Agatha Simpson schaute sich um. »Mr. Parker wird Ihnen einen Scheck ausschreiben.« »Sollte ich Ihnen nicht das Haus zeigen, Mylady? Es ist ausgezeichnet eingerichtet, bester Komfort.« »Bemühen Sie sich nicht, junger Mann! Ich brauche jetzt meine Ruhe.« »Ich habe die Eisschränke und Tiefkühltruhen auffüllen lassen.« »Sie werden es im Leben noch zu etwas bringen, mein Bester.« Lady Simpsons Wohlwollen steigerte sich noch. »Ich denke, Mr. Parker wird Ihnen noch einen zusätzlichen Bonus auszahlen.« Sie betrat die Wohnhalle des Landhauses und verzichtete auf jeden kritischen Kommentar, als sie die bunte und üppige Pracht der teuren Einrichtung inspizierte. Butler Parker regelte inzwischen die finanzielle Seite des Vertrags und wartete, bis Les Strings davonfuhr. Dann betrat
auch er das Haus und erkundigte sich nach den Wünschen seiner Herrin, die ihren Rundgang bereits hinter sich gebracht hatte. »Haben Sie die wunderbaren Kellerräume gesehen?« fragte sie. »Kleine Bunker, nur mit Dynamit aufzusprengen. Und dann die Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoß! Mr. Parker, ich bin ein wenig zufrieden, das möchte ich nicht verhehlen.« »Mylady machen meine bescheidene Wenigkeit glücklich«, erwiderte Josuah Parker. »Darf ich jetzt das Gepäck ins Haus bringen?« »Nachdem Sie mir einen kleinen Kreislaufbeschleuniger gereicht haben«, antwortete sie. »Ich glaube, daß ich jetzt etwas Ruhe verdient habe.« Parker reichte ihr wenige Minuten später einen französischen Kognak, um sich dann gewissen Vorbereitungen zu widmen. Für ihn stand es fest, daß die Mafia nicht lange auf sich warten ließ. * »Wie kann man nur so dämlich sein und in die Wildnis ziehen?« wunderte sich Chuck Montanelli. Er saß neben Bill Shuster, der den Kastenlieferwagen steuerte. »Angst, nichts als Angst«, erwiderte Shuster. »Die wollen sich da draußen verstecken.« 27 �
»Es wird Tage oder Wochen dauern, bis man sie finden wird.« Montanelli zweifelte keinen Moment am Erfolg des nächtlichen Unternehmens. Im Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens saßen vier ausgesuchte Spezialisten der Grundstückserschließungsgesellschaft, Männer, die schon manche heikle Aufgabe geräusch- und spurenlos erledigt hatten. Bei der Auswahl dieser Leute hatten Montanelli und Shuster gründlich gesiebt. Im Gegensatz zu Clanden und Lafitte wollten sie erstklassige Arbeit liefern. Einige Pluspunkte in Hynes Personalkartei waren ihnen bereits jetzt so gut wie sicher. »Machen wir auf Lebensmittelvergiftung?« fragte Shuster. »Damals in hat das prima Vermont hingehauen.« »Oder wie wär’s denn mit einer Liebestragödie?« schlug Montanelli vor. »Eine Lady und ihr Butler scheiden gemeinsam und freiwillig aus dem Leben?« »Sie konnten zusammen nicht kommen, wie?« Bill Shuster grinste. »Damit kamen wir doch mal ganz prächtig in New Jersey durch.« Sie hatten White Plains bereits hinter sich gelassen und näherten sich der Abfahrt in das bewaldete Hügelgelände, wo das Landhaus lag. Es war leicht gewesen, die neue Adresse zu bekommen. Eigentlich zu leicht, wie sie mißtrauisch hätten
denken müssen, doch sie fühlten sich einfach zu sicher. Und Hynes hatte ihnen vor der Abfahrt noch mal eingeschärft, nicht zu leichtsinnig zu sein, aber was zählte das schon? Die Lady und ihr Butler stammten doch aus einem anderen Jahrhundert, kämen aus England und hatte keine Ahnung, wie man hier in den Staaten arbeitete. Daß Clanden und Lafitte hereingelegt worden waren, zählte nicht. Daß sogar Hynes draufgezahlt hatte, hatten sie nur amüsiert zur Kenntnis genommen. Montanelli und Shuster hielten sich für die Größten und verstanden es nicht, daß sie nicht längst innerhalb der Mafia Karriere gemacht hatten. Doch das sollte jetzt anders werden. Plötzlich sahen sie auch bereits die schmale, asphaltierte Straße, die zum Landhaus führte. Bill Shuster schaltete die Scheinwerfer des geschlossenen Kastenlieferwagens aus. Das Mondlicht war hell genug, um die Fahrbahn gut auszumachen. Nach der ersten Serpentine hielt er den Wagen an und stellte den Motor ab. »Den Rest machen wir zu Fuß«, sagte Bill, »sind ja nur noch ein paar Minuten.« Montanelli wandte sich um und schob die kleine Sichtklappe zur Seite. Durch ein engmaschiges Gitter konnte er in das Innere des Kastenaufbaus sehen. Dort brannte ein 28 �
schwaches Licht. Auf zwei Längsbänken hatten die vier Spezialisten Platz genommen. Sie trugen die Overalls einer Konstruktions- und Fertighausfirma, die ebenfalls zur Firmengruppe gehörte, die Hynes für die Mafia gegründet hatte und auch verwaltete. »Gleich geht’s los, Leute«, sagte er aufgeräumt. »Noch mal, wir arbeiten völlig geräuschlos. Nachdem die Tür geknackt ist, verteilen wir uns im Haus und setzen das Duo erst mal außer Gefecht. Keine Gewalt, die ein Arzt später feststellen könnte! Arbeitet auf die sanfte Tour! Ist das klar?« Es war ihnen klar. Sie nickten und warteten darauf, den an sich recht engen Kastenaufbau endlich verlassen zu können. Sie wollten sich die Sonderprämien für diesen Einsatz möglichst schnell verdienen. »Moment mal, was stinkt denn da so nach verbranntem Lack?« wunderte sich Bill Shuster plötzlich. »Schmort da ein Kabel durch?« »Ich rieche nichts.« Montanelli zuckte die Achseln. »Es stinkt!« Shuster stieg hastig aus dem Wagen und schnupperte wie ein Jagdhund. Dann nickte er und lief zur Rückseite des Wagens. Als er um das Heck bog, prallte er überrascht zurück und schloß geblendet die Augen. Panik stieg in ihm hoch, doch er kam gar nicht mehr dazu, sich von ihr packen zu
lassen. Er spürte plötzlich einen harten Schlag auf seinen Hinterkopf und setzte sich unmittelbar danach auf den Asphalt. * Montanelli roch inzwischen auch etwas. Er stieg aus dem Wagen, rief den vier Spezialisten aber noch hastig zu, sich völlig ruhig zu verhalten. Er rannte auf der anderen Seite zum Heck des Kastenlieferwagens und starrte ratlos und entsetzt auf zwei grelle Lichtpunkte, von denen flüssiges Metall auf den Asphalt tropfte. Montanelli konnte das nicht einordnen. Woher stammten die beiden noch grellroten Lichtpunkte? Was hatten sie zu bedeuten? Weshalb tropfte flüssiges Metall zu Boden? Er griff automatisch nach seiner Schulterhalfter, wollte seine Schußwaffe hervorholen und dann die hintere Wagentür öffnen, doch er kam wegen der strahlenden Hitze erst gar nicht an den Griff heran. Er wich wieder zurück und schnaufte vor Ratlosigkeit. »Shuster, Shuster«, rief er mit leiser Stimme. »Mann, wo steckst du?« »Mr. Shuster läßt sich entschuldigen«, hörte Montanelli in diesem Augenblick hinter sich eine höfliche Stimme. Der Gangster fuhr herum, riß seine schallgedämpfte Waffe hoch und stöhnte dann auf, als sie 29 �
ihm mit dem Bambusgriff eines Regenschirms aus der Hand geschlagen wurde. Vor ihm stand ein schwarz gekleideter Mann, der höflich seine Melone lüftete. »Betrachten Sie meine bescheidenen Maßnahmen als eine Art Notwehr«, entschuldigte sich dieser Mann. »Ich kann mir unmöglich vorstellen, daß Sie nur als Gäste kommen wollten.« Montanelli wußte inzwischen, mit wem er es zu tun hatte. Das also war dieser Butler, von dem bereits Clanden und Lafitte gesprochen hatten. Montanelli wagte einen Ausfall und warf sich auf diesen Mann, der angeblich voller Tricks sein sollte. Montanelli hatte einige Erfahrungen in Karate und rechnete sich eine Chance aus. Er fintierte, wich zurück, fintierte erneut und wollte dann einen Handkantenschlag anbringen. Er lädierte nur die Luft. Montanelli wurde vom Schwung seines gedachten Schlages nach vorn gerissen und fiel mit der Stirn gegen den bleigefütterten Griff des Universal-Regenschirms. »Sie dürfen versichert sein, daß mir Gewalt unendlich fern ist«, hörte er noch den Butler sagen, bevor er es sich auf dem Asphalt einigermaßen bequem machte. Josuah Parker kümmerte sich nicht weiter um den Mann, sondern kon-
trollierte jetzt erst die beiden Schweißpunkte, die die hintere Tür mit dem Kastenaufbau fest verbanden. Sie waren gut gesetzt und machten einen soliden Eindruck. Sie stammten übrigens von einem seiner Spezialkugelschreiber, die mit Thermit geladen waren, jenem Aluminiumpulver, das nach Zündung und Kontakt mit Sauerstoff höchste Hitzegrade entwickelte und Metall zum Schmelzen brachte. Wie gut und fest diese beiden Schweißpunkte waren, sollte sich wenig später erweisen. Die vier Insassen im geschlossenen, fensterlosen Kastenaufbau hatten inzwischen auch gemerkt, daß einiges nicht stimmte. Sie versuchten die Tür zu öffnen, doch das stellte sich als unmöglich heraus. Diese Tür war nur mit speziellem Werkzeug wieder zu öffnen. Parker sammelte erst mal die beiden Schußwaffen von Montanelli und Shuster. Dann schritt er gemessen zum Fahrerhaus und drückte mit der Spitze seines Wunderschirms die Sprechklappe zur Seite. »Sie echauffieren sich völlig unnötig«, schickte er höflich voraus. »Ich habe mir erlaubt, die Tür zuzuschweißen, eine Maßnahme, die Sie gewiß verstehen werden. Ich darf Ihnen versichern, daß Ihnen vorerst nichts gesehen wird, falls Sie gewisse Spielregeln einhalten.« Im Kastenaufbau wurde es still. 30 �
»Mein Name ist übrigens, Josuah Parker«, stellte der Butler sich noch vor. »Ich werde Sie mitsamt dem Wagen von der Straße bringen. In wenigen Minuten können Sie wieder der Ruhe pflegen. Ich möchte Ihnen empfehlen, sich zu entspannen.« Parker transportierte die beiden außen liegenden Männer zum Beifahrersitz und verlud sie im Wagen. Er stapelte sie übereinander, was mehr als einfach war, denn die Körper von Montanelli und Shuster waren weich und schlaff. Dann saß er am Steuer, ließ den Motor an und steuerte den Kastenlieferwagen über die nächsten Serpentinen hinauf zum Landhaus. Er ließ ihn vor der geöffneten Doppelgarage stehen, die durch eine Art Laubengang mit dem Haupthaus verbunden war. Er band die beiden Mafiaunterführer mittels einer privaten Handschelle aneinander und wartete, bis sie wieder zu sich kamen, dann bat er sie mit wohlgesetzten Worten und ausgesuchter Höflichkeit ins Haus. Butler Parker hielt in jeder Lebenslage stets auf Formen, die seiner Ansicht nach ein Zusammenleben erst ermöglichten. * »Eine wunderbare Nacht«, sagte Agatha Simpson, als Josuah Parker am anderen Morgen die obligate Tasse Tee servierte. Seine Herrin
trug einen wallenden Morgenmantel, der ihre imposante Fülle minderte. Sie trat an die geöffnete Balkontür und atmete tief. »Und was für eine herzhafte Luft, Mr. Parker!« »Sie zeichnet sich in der Tat durch Frische und Würze aus, Mylady. Wann wünschen Mylady zu frühstücken?« »In einer halben Stunde, Mr. Parker, aber denken Sie an meine Diät.« »Ich werde mich streng daran halten, Mylady.« »Nur ein Rührei mit geröstetem Speck, ein paar Würstchen, ein wenig Roastbeef und dazu Kaffee. Und höchstens zwei Toastschnitten mit Landbutter. Hat dieser Makler eigentlich für alles gesorgt?« »Er hielt sich genau an meine telefonischen Anweisungen, Mylady.« Sie nickte und trank schluckweise den Tee, den Parker selbstverständlich aus England mitgebracht hatte. »Was ich noch sagen wollte«, meinte die Detektivin und setzte die Teetasse ab. »Wo sind denn Ihre angekündigten Mafiasubjekte geblieben? Da haben Sie sich aber wieder mal gründlich verschätzt!« »Sie kamen in der Tat ein wenig früher als gedacht, Mylady.« Mehr sagte der Butler nicht. »Sie… Sie kamen? Wir hatten Besuch!?« Sie sah ihn groß an. »In einem Kastenlieferwagen, Mylady. Zwei sogenannte Unterführer und vier ordinäre Mafiavertre-
ter.« »Und… Und das erfahre ich erst jetzt, Mr. Parker?« grollte sie. »Es lag meiner Wenigkeit fern, Myladys Schlaf wegen solch einer Lappalie zu stören.« »Und? Hat es wenigstens ein wenig Ärger gegeben?« »Diese Frage muß verneint werden, Mylady. Die sechs Mafiabesucher benahmen sich wie erwartet: Sie tappten geradezu leichtsinnig in die provisorisch gestellte Falle.« »Wo stecken diese Subjekte jetzt? Ich werde sie nach dem Frühstück sofort verhören.« »Vier Männer befinden sich noch im zugeschweißten Kastenlieferwagen, Mylady, die beiden Unterführer brachte ich in einem der Kellerräume unter.« »Hat Hynes sich noch nicht gemeldet?« »Damit dürfte kaum zu rechnen sein, Mylady. Er muß befürchten, daß seine Unterhaltung mitgeschnitten wird. Ich möchte allerdings unterstellen, daß er sich bereits gewisse Sorgen wegen des Verbleibs seiner Mitarbeiter machen wird.« »Eigentlich würde ich ihn gern anrufen, Mr. Parker. Sie haben doch seine Rufnummer, nicht wahr?« »Sie steht Mylady zur Verfügung.« Parker nickte andeutungsweise. »Falls Mylady nicht anrufen, wird Mr. Hynes gezwungen sein, Beobachter hierher zu schicken.«
»Eben, das sage ich ja!« Sie genierte sich nicht, sofort die Argumente zu wechseln. »Sie sollten nicht anrufen, Mr. Parker. Warten wir auf weitere Subjekte. War es nicht eine gute Idee, hierher aufs Land zu fahren?« »Mylady trafen die richtige Entscheidung«, entgegnete Parker und verzog wieder mal keine Miene. »Wenn Mylady erlauben, werde ich jetzt die diversen Frühstücke richten.« »Sie wollen doch nicht etwa auch diese Mafiasubjekte verpflegen?« Ihre Stimme bekam einen grollenden Unterton. »Ein Gebot der Menschlichkeit, Mylady, wenn ich so sagen darf.« »Also schön, aber verwöhnen Sie diese Flegel nicht zu sehr!« Sie trat wieder auf den Balkon und zuckte zusammen, als dicht neben ihr etwas vorbeipfiff, was sich ungewöhnlich giftig anhörte. Mylady, im Umgang mit Gangstern nicht gerade unerfahren, begriff sofort, um was es sich handelte, zumal das Geschoß gegen einen schweren Bruchstein klatschte, um dann als Querschläger wegzujaulen. Sie beeilte sich, zurück in ihr Zimmer zu kommen. Josuah Parker warf einen schnellen Blick auf Lady Agatha, baute sich dann am Fenster auf und beobachtete den Hügel jenseits der Doppelgarage, von der nur das Dach zu sehen war. Seiner Ansicht nach war
von dort geschossen worden. »Was sagen Sie zu dieser Frechheit?« Agatha Simpson war empört. »Das Frühstück für diese Mafiasubjekte wird natürlich gestrichen, Mr. Parker.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker hatte sich orientiert. »Darf ich mir erlauben, mich bei Mylady zu entschuldigen? Mr. Hynes scheint bereits aktiv geworden zu sein. Und dem sollte man einen Riegel vorschieben, wie der Volksmund es wohl auszudrücken beliebt.« * Für Josuah Parker stand es fest, daß draußen im Gelände sich nicht nur ein einziger Schütze herumtrieb. Ein Mann wie Hynes, der einige erstklassige Mitarbeiter vermißte, würde nach den bereits erlittenen Niederlagen alles daransetzen, endlich auftrumpfen zu können. Immerhin hatte er ja mit einem Mann gesprochen, den er mehr als respektvoll mit Sir angeredet hatte. Eine weitere Panne würde dieser Sir mit Sicherheit nicht hinnehmen. Der Butler begab sich also auf den Kriegspfad. Vor diesem Ausflug hatte er allerdings ein wenig in seinem privaten Spezialkoffer gesucht und sich für einige Waffen entschieden, die hier in den Staaten mit Sicherheit mehr als ungewöhnlich sein mußten. Es
handelte sich einmal um eine völlig normal aussehende Gabelschleuder, auch Zwille genannt, wie sie von fast allen Jungen rund um den Globus verwendet wurde. Mit diesem Gerät verschoß Parker ohne Schwierigkeiten hart oder auch nur oberflächlich gebrannte Tonmurmeln, deren Wirkung allerdings erstaunlich war. Für besondere Fälle verfügte er selbstverständlich auch über kleine Stahlkugeln, deren Reichweite noch größer war. Ihre Wirkung konnte schon fast als bösartig bezeichnet werden, falls man nicht genau traf. Darüber hinaus verfügte Josuah Parker über ein fast anderthalb Meter langes Blasrohr, das aus einzelnen Plastikelementen zusammengesteckt werden konnte. Hiermit schickte er im Bedarfsfall buntgefiederte Pfeile auf die Reise, die etwa die Länge einer normalen Stricknadel besaßen. Indianer aus dem Amazonasgebiet hätten mit diesem Blasrohr nicht geschickter umgehen können als Parker. Und wie die Indianer es zu tun pflegten, hatte der Butler auch seinen sehr persönlichen Pfeil mit Gift präpariert. Dieses Gift entstammte dem Labor eines bekannten pharmazeutischen Herstellers und garantierte eine fast übergangslose, blitzschnelle Lähmung der Sinne. Gesundheitlich gefährlich war es selbstverständlich nicht. Ein Mann wie Butler Parker war nicht daran 33 �
interessiert, seine Gegner auf Dauer zu schädigen. Er wollte sie nur kampfunfähig machen und für den Abtransport in eine Zelle herrichten. Versehen mit diesen beiden Patentwaffen, begab sich Josuah Parker also ins Freie und wählte einen Kellerabgang auf der Rückseite des Landhauses. Obwohl er es mit Gangstern zu tun hatte, verzichtete er keineswegs auf seine schwarze Melone. Korrektes Auftreten auch in solch einem Fall war selbstverständlich für ihn. Vom Kellerabgang wechsele er blitzschnell zu den nahen Sträuchern und Büschen jenseits der Terrasse. Hier tauchte er im Grün unter und sondierte erst mal die allgemeine Lage. Die Besucher mußten sich seiner Ansicht nach bereits näher an das Haus herangeschoben haben, und wahrscheinlich würden sie sich auf den Kastenlieferwagen vor der Doppelgarage konzentrieren. Parker schritt also zum Laubengang hinüber und bemerkte zwei Männer, die oberhalb der Garage auf dem Hang waren und sich tatsächlich nach unten pirschten. Sie nahmen den genau richtigen Weg, denn sie mußten früher oder später in den Bereich seiner beiden ungewöhnlichen Waffen gelangen. Ein schneller Blick zurück zum Haus sagte Parker, daß seine Herrin sich an die verabredete Taktik hielt. Sie war im Haus geblieben und
sorgte dafür, daß die Gangster das Gebäude unter Sichtkontrolle hielten. Lady Agatha bewegte Gardinen, als würde sie in panischer Angst von Fenster zu Fenster eilen, um Ausschau nach ihren Gegnern zu halten. Parker suchte nach der Telefonleitung. Sie führte von der Außenwand des Landhauses hinüber zu den Doppelgaragen, schwang dann weiter zur Serpentinenstraße und hing dort schlaff und durchtrennt von einem Pfosten zur Erde. Die Gangster waren methodisch vorgegangen und hatten dafür gesorgt, daß die Polizei nicht alarmiert werden konnte. Die vier Insassen des Kastenlieferwagens hatten den Abpraller natürlich gehört und richtig gedeutet. Sie hämmerten inzwischen mit ihren Fäusten gegen die Innenseite des geschlossenen Aufbaus und machten sich so verständlich. Der Kastenaufbau schien sich inzwischen in eine riesige Buschtrommel verwandelt zu haben. Das Trommeln war weithin zu vernehmen und schuf eine unheimliche Atmosphäre, die auf die Gangster unbedingt einwirken mußte. Sie wurden förmlich rhythmisch angetrieben, schleunigst hinunter zur Doppelgarage zu kommen, um nach dem Grund dieser seltsamen Geräusche zu forschen. Butler Parker baute sich neben einer Fichte auf, die wie ein Mast aus dichtem Gestrüpp emporragte. 34 �
Er besaß die schier unerschöpfliche Geduld eines Asiaten, wenn die Lage es erforderte. In diesem speziellen Fall wurde seine Geduld allerdings nicht strapaziert. Nach etwa fünf Minuten schnürte ein Mann um die Garage. Er pirschte in geduckter Haltung an den Kastenlieferwagen heran und hielt einen schweren Revolver in seiner Rechten, der mit einem ungewöhnlich langen Schalldämpfer ausgestattet war. Josuah Parker entschied sich für eine hart gebrannte Tonmurmel und die Gabelschleuder, zumal der Mann seine linke Hand hob, in der sich ein kleines Funksprechgerät befand. Der Mann schien so etwas wie eine Positionsmeldung durchzugeben, für den Butler ein sicheres Zeichen dafür, daß Hynes nicht nur zwei Männer zum Einsatz seiner Truppe aufs flache Land geschickt hatte. * Lady Agatha litt unter Langeweile. Bisher hatte sie sich an die Abmachung gehalten, die sie mit Parker getroffen hatte. Nun aber war sie es leid, nichts als Gardinen zu bewegen. Sie wollte selbst etwas tun und überlegte, wie sie dem Butler wieder mal hilfreich unter die Arme greifen konnte. Immerhin verfügte sie über zwei Schußwaffen, die Parker den
beiden Gangstern abgenommen hatte. Lady Agatha beobachtete ebenfalls die Doppelgarage und hielt es für eine ausgemachte Frechheit, wie laut die vier eingeschlossenen Männer waren. Sie empfand das Trommeln als eine Art akustischer Beleidigung und kam zu dem Schluß, daß sie diesen vier Subjekten eine Lektion erteilen mußte. Sie ging in das Obergeschoß des Landhauses und öffnete hier vorsichtig ein flaches Dachfenster. Als sie ihren Kopf vorschob, zuckte sie in Bruchteilen einer Sekunde wieder zurück. Dicht neben ihr pfiff wieder ein unsichtbares und offenbar hochgiftiges Insekt vorüber und landete klatschend in der Zimmerwand. Die resolute ältere Dame war verärgert. Man hatte erneut auf sie geschossen, man nahm keine Rücksicht auf eine ältere Frau, die doch in den Augen dieser Gangster eigentlich wehrlos sein mußte. Man legte es ganz eindeutig darauf an, sie so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Für eine Lady Simpson gab es grundsätzlich nur Angriff, niemals jedoch Verteidigung. Wer sich erfrechte, sie zu beleidigen oder gar töten zu wollen, der müßte mit Sanktionen rechnen. Mit einem Tempo, das man ihr nicht zugetraut hätte, wechselte sie in einen anderen Raum, griff nach einem Kissen und 35 �
öffnete dann verstohlen das Schiebefenster. Natürlich wußte sie, daß der Schütze auf diese Bewegung bereits aufmerksam geworden war. Sobald sich am Fenster auch nur der Schatten einer Person zeigte, würde dieser Mann erneut schießen. Und wie er schoß! Als die Lady das bewußte Kissen durch das halb hochgeschobene Fenster nach draußen warf, war zweimal das unsichtbare, aber hochgiftige Insekt zu hören. Das Kissen wurde von den beiden Projektilen erfaßt und zerrissen. Lady Simpson hatte diesmal von der Fensterecke aus genau beobachtet. Der Schütze saß oder lag eindeutig im oberen Hangteil des Gartens hinter einem Zierstrauch. Agatha Simpson wartete geduldig, ob und wann der heimtückische Mann seinen Standort wechselte. Wahrscheinlich rechnete der Schütze damit, Lady Simpson sei jetzt auf dem Weg, ein anderes Fenster zu besetzen. Es dauerte etwa zehn Sekunden, bis der Schütze sich aufrichtete. Er spähte zum Landhaus herunter und sprang dann hangabwärts, um einen neuen Platz näher am Haus zu besetzen. Damit war für Lady Simpson der Zeitpunkt ihres Einsatzes gekommen. Gut, sie war eine ältere Dame, die schon seit einigen Jahren absichtlich darauf verzichtete, ihre Geburts-
tage zu feiern. Sie hatte beschlossen, etwa sechzig zu bleiben, wie sie stets zu sagen pflegte. Doch sie spielte Golf, übte sich noch kraftvoll im Bogenschießen und wußte auch mit Schußwaffen umzugehen. Sie eröffnete, nicht gerade ungeübt, das Feuer und scheuchte den völlig überraschten Schützen durch das Gelände. Der Mann sprang herum wie ein nervöser Hase, warf sich kopfüber ins Gras und überschlug sich. Er rutschte auf dem steilen Teilstück des Hanggartens seitlich weg, stieß einen Schrei aus und war aus Lady Simpsons Blicken entschwunden. »Lümmel«, murmelte die resolute Dame. »Hoffentlich habe ich getroffen!« Sie fühlte sich außerordentlich animiert, zumal sie laut und deutlich den Aufschrei gehört hatte. Sie suchte nach weiteren Zielen, doch zu ihrem Groll ließen die sich nicht ausmachen. Lady Agatha war der Ansicht, daß sie einen kleine Kreislaufbeschleuniger verdient hatte. Sie verließ das Zimmer und wollte hinunter ins Erdgeschoß. Sie stand gerade auf der oberen Galerie, als sie unten im Haus das leise Klirren von Fensterscheiben hörte. Befinden sich die Gangster bereits im Haus? Hatte man sie geschickt abgelenkt, um so in aller Ruhe eindringen zu können? Lady Agatha geriet keineswegs in Panik, sondern freute sich darauf, daß der Butler 36 �
offensichtlich auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Er trieb sich draußen im Garten herum, während sie nun allein mit den Mafiagangstern umspringen konnte. Jetzt hatte sie endlich wieder mal die Gelegenheit, es Joshua Parker gründlich zu zeigen. Lady Agatha blieb oben auf der Galerie und nahm in einem dort in der Ecke stehenden Sessel Platz. Von diesem Sessel aus konnte sie recht gut in die große Wohnhalle sehen, wo nun bald weitere Subjekte der Mafia auftauchen würden! * Die hart gebrannte Tonmurmel lag in der Lederschlaufe der Gabelschleuder, doch Butler Parker hatte das eigenwillige Geschoß noch nicht auf die Luftreise geschickt. Nachdem der Mann seinen Spruch mittels des kleinen Funksprechgeräts abgesetzt hatte, erschien schon nach wenigen Augenblicken ein zweiter Mann vor der Doppelgarage. Auch er war mit einem großkalibrigen, schallgedämpften Trommelrevolver ausgerüstet. Diese beiden Männer unterhielten sich leise miteinander und beantworteten anschließend die Trommelsignale, die aus dem Innern des Kastenlieferwagens zu hören waren. Daraufhin wurde es im Wagen still. Die beiden Männer liefen nach vorn zum Fahrerhaus, doch sie mußten erkennen,
daß beide Türen zugesperrt worden waren. Parker hatte dafür gesorgt, um eine Befreiung der vier im Wagen sitzenden Gangster zu erschweren. Genau in diesem Moment zuckte selbst Josuah Parker zusammen. Vom Landhaus her war eine Art Trommelfeuer zu hören. Schuß auf Schuß hallte durch den weitläufigen Garten. Die Detektivin, die die Schalldämpfer der beiden erbeuteten Waffen abgeschraubt hatte, war eindeutig tätig geworden. Die Gangster hätten solch einen weit hörbaren Lärm niemals verursacht. Befand die Lady sich in unmittelbarer Bedrängnis? Parker fragte sich, ob er sofort zum Landhaus zurück gehen sollte. Brauchte seine Herrin Hilfe? Oder war es ihr nur zu langweilig geworden? Der Butler kannte das vulkanische Temperament der Lady nur zu gut. Die beiden Gangster am Kastenlieferwagen hatten das Dauerfeuer natürlich ebenfalls gehört und waren hinter dem Kühler des kleinen Lieferwagens erst mal in Deckung gegangen. Nachdem es drüben am Landhaus dann ruhig geworden war, trauten sie sich wieder hervor und untersuchten noch mal die zugeschweißte hintere Tür des Kleinlasters. Sie schlugen mit den Griffstücken ihrer Waffen auf die Schweißpunkte, mußten jedoch 37 �
bald erkennen, daß damit das technische Problem nicht zu lösen war. Einer von ihnen lief nach vorn zum Fahrerhaus und machte sich daran, die Seitenscheibe einzuschlagen, was gar nicht so einfach war. Der Sinn dieser Bemühungen war klar. Der Mann wollte ans Steuer, die Bremsen lösen, Batterie und Zündung kurzschließen und den Lieferwagen dann möglichst schnell über die Serpentinen nach unten ins Wäldchen bringen. Nun schoß auch Butler Parker. Er hatte die beiden Gummistränge gespannt und beförderte die Tonmurmel in Richtung Gangster, der die Seitenscheibe inzwischen in kleine Trümmer zerlegt hatte. Besser hätte ein Treffer gar nicht sein Ziel erreichen können! Der Mann zuckte wie unter einem unsichtbaren Elektroschock zusammen, ließ dann seine Waffe fallen und setzte sich müde auf das breite Trittbrett. Von dort aus tropfte er im Zeitlupentempo auf den Boden. Der zweite Mann hatte etwas gehört, preschte mit gezückter Waffe um den Wagen herum und lief genau in die zweite Tonmurmel. Sie erwischte ihn auf seiner hohen Stirn. Der Gangster wollte automatisch nach der Aufschlagstelle fassen, doch dazu reichte die Kraft nicht mehr. Er taumelte zurück, schlug mit dem Hinterkopf gegen den Kastenaufbau und ging dann in
Form einer Spirale ebenfalls zu Boden. Josuah Parker blieb neben seiner schützenden Fichte stehen. Er schaute kurz zum Landhaus hinüber, doch dort tat sich im Augenblick nichts. Es herrschte eigentlich schon eine ahnungsvolle, gefährliche Stille. Wie mochte es Lady Simpson gehen? Die Gangster konnten sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht überrumpelt haben, sonst hätte man Lady Agatha als Geisel benutzt und vor das Haus geschickt, um Parker zur Aufgabe zu zwingen. Der Butler blieb also stehen und wartete weiter. Der Ausfall der beiden Gangster, die neben dem Kastenlieferwagen lagen, konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Wie viele Männer mochte der Mafiavertreter Hynes wohl hierher nach White Plains geschickt haben? Hatte der Mann endlich begriffen, daß er es auf keinen Fall mit zwei exzentrischen Amateuren zu tun hatte? * Zwei Männer waren ins Haus eingedrungen. Von ihrem Sessel auf der Galerie konnte Lady Agatha sie genau beobachten. Sie trugen selbstverständlich schallgedämpfte Schußwaffen in Händen und bewegten sich auf Zehenspitzen. Sie machten natürlich nicht nur einen profihaften Ein38 �
druck, sondern schienen darüber hinaus ausgebuffte Profis zu sein. Selbstverständlich sahen sie nicht aus wie Gangster. Nur in Kriminalfilmen sehen solche Männer entsprechend aus. Diese beiden Männer sahen gepflegt und sportlich aus und hätten sich hinter der Schaltertheke einer Bank hervorragend gemacht, was die Optik betraf. Sie tuschelten leise miteinander, schauten dann in Richtung Galerie und konnten die ältere, unternehmungslustige Dame nicht mehr wahrnehmen. Lady Agatha war inzwischen in Deckung gegangen und wartete wohlgemut und freudig gestimmt auf einen ersten Kontakt. Sie wog eine der beiden schweren Schußwaffen in der rechten Hand und schleuderte sie kraftvoll in Richtung Treppe, als der Kopf des Mannes, der vorausging, gerade auftauchte. Er wurde voll erwischt und gab glucksende Laute von sich, bevor er wieder nach unten in Richtung Halle verschwand. Das ging selbstverständlich nicht ohne Geräusche ab. Der Mann benutzte nämlich keineswegs die Beine um nach unten zu eilen. Er verwandte seinen Rücken als breite Schlittenkufe und versuchte sich kurz vor dem Eintreffen auf dem Boden der Halle noch als Kunstturner: Er riskierte einen Salto mit Schraube, was allerdings total mißlang.
Der zweite Gangster hatte natürlich mitbekommen, daß oben auf der Galerie einiges nicht stimmte. Er drückte sich mit seinem Bauch auf die Kanten der teppichbelegten Stufen und verwandelte sich in übertragenem Sinn in eine Riesenschlange, die ungemein vorsichtig nach oben kroch. Er dachte keinen Moment daran, sich um seinen Partner zu kümmern. Das hatte Zeit. Er wollte erst mal die verrückte ältere Dame erledigen, denn darum ging es schließlich. Noch hatte er die letzten Stufen nicht erreicht, als ein ganz bestimmtes Verhängis seinen Lauf nahm. Über den Teppichläufer, der den Boden der Galerie bedeckte, rollte eine schwere, massive Bodenvase näher, die von der Lady geschickt in Bewegung gebracht worden war. Das sah der zweite Gangster natürlich nicht, denn noch traute er sich nicht, den Kopf zu heben, um sein Opfer anzuvisieren. Er wollte es erst im letzten Augenblick tun, um dann aber auch gleichzeitig zu schießen. Die vierte, die dritte, dann die zweite Treppenstufe… Der Gangster hob vorsichtig den Kopf und schob erst mal die Stirn über die Kante der Stufe. Im gleichen Moment hatte die schwere Bodenvase den Teppich verlassen und knallte mit Vehemenz gegen die Stirn des neugierigen Mannes. Das Resultat war mehr als 39 �
erfreulich, allerdings nur aus der Sicht der Lady Simpson. Der Gangster ging umgehend wie ein knockout geschlagener Boxer in eine totale Bauchlage und sah nur noch Sterne. Dann erhob er sich automatisch, taumelte, verlor sein Gleichgewicht und segelte rücklings die Treppe hinunter. Nach einigen Überschlägen landete er auf seinem Begleiter, der sich gerade erheben wollte. Der Mann schlug erneut hin und landete mit dem Hinterkopf an der Wand. Danach herrschte wohltuende Ruhe im Haus. Lady Agatha Simpson warf einen interessierten Blick nach unten in die große Wohnhalle. Zu ihrer Enttäuschung war von weiteren Gangstern im Augenblick nichts zu sehen. Sie hätte sich liebend gern mit zusätzlichen Gegnern herumgeschlagen. Die ältere Dame fühlte sich in bester Laune und hätte gern noch mal zugeschlagen. Sie stieg die Treppe hinunter und räumte auf. Agatha Simpson bemühte einen stabilen Teewagen, um darauf die beiden besinnungslosen Gangster zu verladen. Sie ging dabei recht robust mit den Männern um und karrte sie anschließend in Richtung Kellertreppe. Dabei erreichte sie die Hintertür des Landhauses. Sie entdeckte eine eingeschlagene Scheibe und wußte jetzt, auf welchem Weg die Gangster ins Haus gelangt waren. Robust war das Verladen der bei-
den gewesen. Noch robuster war das Ausladen. Lady Simpson kippte den Teewagen ein wenig an und beförderte die beiden Gegner hinunter ins Kellergeschoß. Zufrieden nahm sie zur Kenntnis, wie die schlaffen Körper nach unten rollten. Dann schloß sie die schwere Tür und ließ den Schlüssel im Ausschnitt ihres Tweedkostüms verschwinden. Agatha Simpson bewaffnete sich mit einem Feuerhaken, den sie neben dem Kamin fand, und nahm in einem Sessel Platz, der neben der Hintertür stand. Hier wartete sie auf weitere Besucher, fest entschlossen, auch sie dann im Keller verschwinden zu lassen. * »Noch immer keine Nachricht aus White Plains?« fragte Ralph Hynes nervös. »Nichts, Chef«, erwiderte Bert Banders und hob bedauernd und auch ein wenig ratlos die Schultern. »Völlige Funkstille. Aber das ist sicher ein gutes Zeichen.« »Unsinn«, regte sich Hynes auf und sah seinen engsten Vertrauten gereizt an. »Ein verdammt schlechtes Zeichen ist das! Wenn alles geklappt hätte, müßten wir längst einen Anruf erhalten haben.« »Was soll denn nicht geklappt haben?« Bert Banders, der dynamisch aussehende, junge Mann, 40 �
bemühte sich um Optimismus. »Schließlich haben wir doch vier einsame Spezialisten zum Landhaus geschickt.« »Und warum, Bert?« wollte Hynes wissen. »Weil Montanelli und Shuster sich nicht gemeldet hatten.« »Eben, Bert, eben! Und warum haben sie sich nicht gemeldet? Weil sie reingelegt worden sind. Und das von zwei stocksteifen Engländern!« »So stocksteif soll die alte Lady aber gar nicht sein.« »Spalten Sie jetzt bloß keinen Kümmel, Bert!« Hynes war gereizt und stand unter Dampf. »Wie soll ich das alles der Zentrale Süd erklären? Die werden uns doch für total unfähig halten.« Bert Banders überhörte das wir geflissentlich. Im Gegensatz zu seinem Chef Hynes hielt er sich nämlich überhaupt nicht für unfähig. Seiner Ansicht nach war Hynes im Lauf der Jahre unbeweglich und fett geworden. Er verdiente einfach zu leicht das große Geld und hatte keine Ideen mehr. Bert Banders wartete nur darauf, daß der Chef von der Zentrale Süd endlich abgelöst wurde. Bert Banders rechnete sich echte Chancen aus, die Stelle von Hynes zu übernehmen. »Warum sagen Sie nichts, Bert?« fragte Hynes erbost. »Sie glauben doch nicht etwa, daß Sie die ganze Sache nichts angeht, oder?«
»Sie sind der Chef«, erwiderte Bert Banders. »Man hätte die beiden Amateure aus England gleich draußen auf dem Flugplatz abknipsen sollen.« »Das wäre gegen die Anweisungen der Zentrale gewesen. Diese verrückte Lady und ihr Butler sind einfach zu bekannt.« »Vielleicht kommt der Anruf aus White Plains doch noch«, sagte Bert Banders ohne jede Überzeugungskraft. »Aber was ist, falls nicht, Chef?« »Darüber muß ich nachdenken. Haben Sie keine Idee, Bert?« »Wir müssen die Lady und ihren Butter zurück in die Stadt locken. Hier geben wir allein den Ton an.« »Und wie wollen Sie das anstellen?« »Rufen Sie den Butler doch an, Chef! Schlagen Sie ihm irgendein Gespräch vor!« »Und darauf wird so ein gerissener Hund eingehen, wie? Mann, haben Sie keine besseren Vorschläge?« »Oder wir schicken noch eine dritte Mannschaft nach White Plains. Aber diesmal massiert.« »Damit haben wir dann genau das, was die Zentrale Süd eben nicht will«, entgegnete Hynes gereizt. »Hören Sie genau zu, Bert! Sie werden sich umgehend in Ihren Schlitten setzen und draußen in White Plains mal umsehen. Sie rühren aber 41 �
keinen Finger, ist das klar? Sie beobachten nur.« Bevor Bert Banders darauf antworten konnte, läutete das Telefon. Hynes zuckte nervös zusammen und hastete zu seinem Schreibtisch hinüber, um den Hörer abzunehmen. Er hoffte, daß Montanelli oder Shuster sich melden würden. Sie meldeten sich aber nicht. »Ich möchte nicht versäumen, in Lady Simpsons Namen für die Besuche zu danken«, war eine gemessene Stimme mit klassischem englischen Unterton zu vernehmen. »Mylady war ungemein angetan, wie ich Ihnen versichern darf. Mylady genoß diese Entspannung, von meiner bescheidenen Wenigkeit mal ganz abgesehen.« »Parker?« fragte Hynes gedehnt. Sein Mund war wie ausgetrocknet. Er hatte einige Schwierigkeiten, diesen inzwischen verhaßten Namen deutlich auszusprechen. Sein Blutdruck stieg, sein Gesicht färbte sich rubinrot. »In der Tat, Mr. Hynes«, erwiderte der Butler höflich. »Ich darf Ihnen übrigens versichern, daß es den Besuchern gut geht, wenn sie auch noch unter gewissen Katererscheinungen leiden, um es mal so zu umschreiben.« »Hatten… Hatten Sie sehr viel Besuch?« fragte Hynes, der selbstverständlich mehr erfahren wollte. »Mylady sprach scherzhaft, ich
darf fast wörtlich zitieren, von einem Betrieb, wie er nur auf einem großen Zentralbahnhof herrscht.« »Und… Und wann können diese Besucher wieder in New York sein, Mr. Parker?« »Dies, Mr. Hynes, läßt sich im Moment noch nicht übersehen«, erwiderte Josuah Parker. »Es waren anstrengende Stunden hier auf dem Land.« »Jetzt hören Sie mal genau zu, Mr. Parker«, legte Hynes los. Er hatte sich entschlossen, offen zu reden. »Sie und Ihre Lady sind nicht schlecht, zugegeben. Sie sind sogar besser als mancher Profi. Okay! Aber glauben Sie nur ja nicht, daß Sie gewissen Firmen gegenüber weiter auftrumpfen können. Irgendwann kommt auch für Sie mal der bewußte Zahltag.« »Dies war, so könnte man es nennen, die Prämisse«, erwiderte Josuah Parker in seiner unverwechselbaren Art und sprach absichtlich das nasale klassische Englisch. »Und wie lautet nun Ihre These?« »Wovon quatschen Sie eigentlich?« regte sich Hynes auf. »Lassen wir das.« Josuah Parkers Stimme klang noch arroganter. »Sie waren dabei, Mylady und meiner bescheidenen Person zu drohen. Kommen Sie möglichst bald zur Sache, Mr. Hynes!« »Schicken Sie diese Besucher umgehend zurück nach New York, 42 �
Mr. Parker. Umgehend! Oder ich lasse Sie hetzen und jagen, bis Sie wahnsinnig werden. Verdammt, jetzt ist meine Geduld beim Teufel! Sie werden nicht die geringste Chance haben.« »Ein gutes Stichwort, Mr. Hynes«, erwiderte Parker höflich. »Wie sieht es mit Ihren Chancen aus? Sollten Sie sich darüber keine Gedanken machen? Wie wird jener Mann reagieren, den Sie so respektvoll mit Sir anzureden pflegen? Wird er Ihre Unfähigkeit auch weiterhin tolerieren? Oder wird er Sie vielleicht auswechseln? Es gibt der Möglichkeiten viele, wie ich Ihnen versichern möchte.« Die Sahara war naß gegen die Trockenheit in Hynes’ Mund. Er brauchte einige Sekunden, bis er das Gesagte endlich geschluckt hatte. Er rang nach Luft und fetzte sich die Krawatte vom Hemdkragen. »Das… Das war Ihr Todesurteil«, antwortete er schließlich und merkte, daß er nur heiser flüsterte. »Ich werde mir erlauben, Mylady entsprechend zu informieren«, gab der Butler gemessen zurück. »Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß Mylady und meine bescheidene Wenigkeit White Plains selbstverständlich verlassen haben. Ich fürchte, Sie werden einige Zeit aufwenden müssen, um Ihre Opfer zu finden. Darf ich Ihnen zum Abschluß dieser interessanten und
aufschlußreichen Unterhaltung noch einen relativ angenehmen Tag wünschen?« * »Nun, Mr. Parker, haben Sie es diesem Subjekt auch ordentlich gegeben?« erkundigte sich Lady Simpson, als der Butler ins Landhaus zurückgekehrt war. Er hatte von einer Telefonzelle einer nahen Tankstelle aus mit Hynes geredet. »Ich befleißigte mich außerordentlicher Höflichkeit, Mylady«, erwiderte Parker würdevoll. »Dennoch konnte ich Myladys Vorstellungen und Ansichten deutlich machen.« »Sie waren also wieder mal zu höflich.« Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Wann werden Sie es endlich begreifen? Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.« »Wer, Mylady, vermag schon über seinen eigenen und bescheidenen Schatten zu springen?« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Darf ich übrigens darauf verweisen, daß Mr. Hynes mit einiger Sicherheit weitere Hilfstruppen in Marsch setzen wird?« »Das klingt ja erfreulich.« Sie lächelte versonnen. »So langsam wird sich der Keller füllen, Mr. Parker.« »Falls Mylady nicht die Örtlichkeit wechseln, wie Mylady es bereits anzudeuten beliebten.« 43 �
»Was habe ich angedeutet?« Agatha Simpson hatte keine Ahnung. »Wenn ich Myladys Wünsche richtig interpretiert habe, wollen Mylady nach wir vor das Terrain bestimmen, auf dem man sich mit den Gangstern der Mafia auseinandersetzt.« »Natürlich, Mr. Parker. Und was werde ich tun?« »Mylady werden dieses Landhaus verlassen, falls ich recht und richtig verstanden habe. Mylady werden die Mafiavertreter auf ein neues, ihnen unbekanntes Gelände locken.« »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker! Und wie sieht dieses neue Gelände aus?« »Darf ich mich erkühnen, Mylady eine Flucht vorzuschlagen?« »Mr. Parker!« Sie sah ihn grollend an. »Eine Lady Simpson ergreift niemals die Flucht!« »Eine vorgetäuschte Flucht, Mylady! Die Gangster um Mr. Hynes sollten und müßten den Eindruck gewinnen, Mylady gehe weiteren Auseinandersetzungen tunlichst aus dem Weg.« »Das klingt schon besser. Und morgen oder übermorgen erscheinen wir dann wieder in New York.« »Ich freue mich, wenn ich so sagen darf, Mylady richtig verstanden zu haben.« »Und was wird aus den Flegeln im Lieferwagen und im Keller?« »Diese Herrschaften sollten von
der sogenannten Bildfläche verschwinden, Mylady. Man müßte sie in New York finden.« »Damit Hynes bis auf die Knochen blamiert wird, wie?« »Myladys Anregungen sind immer wieder beglückend.« »Natürlich, weil ich Phantasie habe!« Sie nickte selbstzufrieden. »Vier der Lümmel sitzen im Kastenlieferwagen. Die können nicht heraus. Aber wie schaffen wir die übrigen Subjekte nach New York?« »Myladys Einverständnis voraussetzend, habe ich mir erlaubt, einen Kastenlieferwagen zu zweiten beschaffen. Es handelt sich um ein Gebrauchtfahrzeug, das den Weg bis nach New York noch schaffen dürfte.« »Diese Idee könnte von mir sein.« »Wenn ich weiter vorschlagen darf, könnten Mylady eventuell einen der beiden Kastenlieferwagen übernehmen.« »Wann wird er hier sein?« Sie fieberte bereits wieder vor Tatendrang. »Der erwähnte Kastenlieferwagen, Mylady, steht bereits auf der Rückseite des Landhauses. Ich war so eigenmächtig, den Rover in White Plains zu lassen.« »Das gefällt mir.« Sie nickte wohlwollend. »Aber vor der Rückfahrt nach New York werde ich die beiden Anführer noch vernehmen. So ungeschoren werden die mir nicht davonkommen.« 44 �
»Die Zeit, Mylady, könnte möglicherweise ein wenig knapp werden«, gab der Butler zu bedenken. »Mr. Hynes dürfte seine Entsatztruppen bereits in Marsch gesetzt haben. Hinzu kommt, daß gerade der Verzicht auf eine intensive Befragung die Mafiagangster noch zusätzlich verunsichern dürfte. Sie werden nicht in der Lage sein, dieses scheinbare Versäumnis einzuordnen und daher vor einem Rätsel stehen.« »Was ich die ganze Zeit über schon sagen wollte!« Sie schwenkte wieder mal schamlos um. »Reine Zeitverschwendung, diese Lümmel in die Zange zu nehmen, Mr. Parker. Das müßten Sie doch wissen! Wir werden die Subjekte verladen und sofort losfahren. Und wenn sie nicht parieren wollen, werde ich ihnen Beine machen. Hoffentlich parieren sie nicht!« * Bert Banders führte das Unternehmen an. Er hatte sich drei ausgewählte Killer ausgesucht und sie entsprechend instruiert. Auch diese drei Männer sahen nicht aus wie Gangster. Sie trugen teure Sportanzüge, deren Jacketts ein wenig weit geschnitten waren, damit die Schulterhalfter sich nicht abzeichneten. Die drei Männer hatten für die Zentrale Süd der
Mafia schon manche heikle Aufgabe diskret und tödlich zugleich gelöst. Und in diesem Fall waren sie von Bert Banders noch zusätzlich vergattert worden. Als sie sich dem Landsitz näherten, hielt Banders den durchschnittlich aussehenden Chevrolet an und wandte sich an seine Mitfahrer. »Also, Herrschaften«, schickte er eindringlich voraus. »Wir haben es auf keinen Fall mit blutigen Amateuren zu tun. Immer daran denken! Der Butler und die Lady sind ausgebufft, die verstehen ihr Handwerk. Hynes hat das bisher leider nicht richtig eingeschätzt. Der Butler und die Lady stecken voller mieser Tricks. Und es ist sehr gut möglich, daß sie oben im Landhaus nur darauf warten, daß wir ins offene Messer laufen.« Die drei Killer nickten knapp und stellten keine Fragen. Sie wirkten gesammelt und ernst. Nein, diese Aufgabe nahmen sie nicht auf die leichte Schulter. Immerhin wußten sie von Banders, daß rund zehn Mitarbeiter der Mafia von der Bildfläche verschwunden waren. Amateure hätten so etwas nie geschafft. »Wir werden auf Überraschung machen«, redete Bert Banders weiter. »Wir preschen mit dem Wagen bis dicht vor den Eingang und sprengen die Tür aus den Angeln, wie wir es besprochen haben. Sind die Ladungen fertig?« 45 �
Die drei Killer nickten. »Dann nichts wie rein in den Bau«, schärfte Bert Banders seinen Killern ein. »Der Butler und die Lady dürfen überhaupt keine Chance bekommen, sich auf uns einzustellen. Die werden umgenietet. Rücksicht gibt’s jetzt nicht mehr! Die Zentrale Süd pfeift inzwischen auf alle Vorsicht.« Der Chevrolet erklomm in langsamer Fahrt den Serpentinenweg. Er glich jetzt irgendwie einem riesigen Tier, das zum Sprung auf seine Beute ansetzt. Der Motor war stark genug, um den Wagen nach der letzten Kehre rasant zu beschleunigen. Bert Banders hatte sich zu diesem Vorpreschen entschlossen. Er wollte reinen Tisch machen und Ralph Hynes beweisen und demonstrieren, wie man solch heikle Aufgaben löste. »Und jetzt!« Banders, der neben dem Fahrer saß, entsicherte seine Maschinenpistole, deren Mündung ein Schalldämpfer zierte. Die beiden Killer auf den Rücksitzen machten die Sprengladungen einsatzbereit. Das Aufsprengen der Tür konnte höchstens eine halbe Minute dauern, so kurz war der Zündpunkt eingestellt worden. Der Fahrer gab Vollgas. Der Chevrolet schien sich geradezu zu strecken. Der Motor heulte auf und beförderte das Vehikel in einem Satz über den freien Vorplatz hinüber zum Landhaus. Die beiden
Killer mit ihren Sprengladungen rollten aus dem Wagen und brachten ihre Ladungen an. Dann warfen sie sich in Deckung und warteten auf die Zündung. Ein Bersten war zu hören. Eine Luftdruckwelle beutelte Banders und den Killer neben ihm. Sie duckten sich unwillkürlich, schauten zur Haustür und sahen die Trümmer von ihr, die durch die Luft wirbelten. Eine grau-gelbe Rauchwolke quoll hoch, wurde vom Hangwind erfaßt und aufgelöst. Die beiden Killer, die die Sprengung durchgeführt hatten, waren bereits nicht mehr zu sehen. Sie mußten sich schon im Haus befinden. Banders und sein Begleiter nahmen ihre Position ein und beobachteten die Rückfront des Landhauses. Dieser Überfall ließ dem Butler und der Lady keine Chance. Bert Banders war stolz auf seine hier angewandte Technik. Seine vier Kollegen Clanden und Lafitte, Montanelli und Shuster waren gegen ihn doch nur arme Würstchen, wie er ironisch dachte. Sie hatten alles völlig falsch angefaßt, wogegen er natürlich überhaupt nichts hatte. Sie waren von ihm überrundet worden. Und er, Banders, würde schon dafür sorgen, daß die Zentrale Süd der Mafia umgehend erfuhr, wer dieses kleine Problem elegant gelöst hatte. Es war immer gut und sinnvoll, Pluspunkte zu sammeln. 46 �
*
Die beiden Killer, die die Haustür aufgesprengt hatten, standen bereits in der Halle und hielten Ausschau nach ihren Opfern. Auch sie wußten, was sie ihrem Ruf schuldig waren. Sie warteten nur darauf, ihre Maschinenpistolen sprechen zu lassen. Und sie warteten und warteten… Von einem Butler und einer Lady war weit und breit nichts zu sehen. Das Haus machte einen unbewohnten Eindruck. Die Killer suchten die Räume im Erdgeschoß ab und marschierten dann über die Treppe hinauf zur Galerie, um auch die oberen Räume zu inspizieren. Nichts! Inzwischen meldete sich Bert Banders von der Rückseite des Hauses her. Er fragte, was, zum Teufel, denn eigentlich los sei… erhielt die entsprechende Antwort und erschien wenig später ebenfalls im Haus. »Das sieht nach einem Flop aus«, meinte er, als er sich mit den beiden Spezialisten traf, die wieder ins Erdgeschoß gekommen waren. »Die sind abgehauen«, meinte Banders’ Begleiter, »die haben Lunte gerochen. Und was machen wir jetzt?« »Wo sind vor allen Dingen die Trottel, die sie abgefangen haben?« meinte der zweite Killer unruhig.
»Zehn ausgewachsene Männer«, warf der dritte Killer ein. »Die können die doch unmöglich mitgeschleppt haben.« »Moment mal.« Bert Banders hatte auf einem Tisch neben dem offenen Kamin ein kleines Tonbandgerät entdeckt. Hinter diesem war eine Visitenkarte zu erkennen. Banders ging schnell zum Kamin hinüber und nahm die Visitenkarte hoch. Er entdeckte Josuah Parkers Namen darauf und eine kurze Botschaft. Der Butler teilte mit, das Tonband enthalte eine unter Umständen wichtige Mitteilung, die man zur Kenntnis nehmen könne, falls man wolle. Bert Banders wollte. Er schaltete das Gerät ein und trat sicherheitshalber einen guten Schritt zurück. Er rechnete mit irgendeinem Trick, mit irgendeiner unangenehmen Überraschung. Nun, überrascht wurde er tatsächlich. Die würdevolle und gemessene Stimme des Butlers war zu vernehmen. Er teilte seinen Zuhörern wohlformuliert mit, Lady Simpson und seine bescheidene Wenigkeit hätten den Ort der Handlung aus verständlichen Gründen gewechselt und sich ins Innere des Landes begeben, um dort ein wenig zu entspannen. Weiter teilte der Butler mit, man habe diese Exkursion in Begleitung einiger Herren unternommen, denen es recht gut gehe. Abschließend bat 47 �
Parker, einem Mr. Hynes die herzlichsten Grüße zu übermitteln und schloß mit der Bemerkung, man würde sich irgendwann mit Sicherheit wieder melden. »Der Kerl nimmt uns doch auf den Arm«, ärgerte sich der erste Killer. »Der zeigt uns eine Nase«, fand der zweite. »Der scheint überhaupt keine Ahnung zu haben, mit wem er sich anlegt«, deutete der dritte Killer diese an sich recht höfliche und freundliche Botschaft. »Und was machen wir jetzt?« Bert Banders war tief enttäuscht. Er hatte sich diesen Ausflug aufs Land erheblich anders vorgestellt. Hier bot sich keine Chance, an Profil zu gewinnen. Oder vielleicht doch? »Moment mal«, sagte er halblaut. »Sie haben unsere Jungens mitgenommen. Der Kastenlieferwagen ist immerhin verschwunden. Und was macht man, bevor man eine Fahrt antritt? Man tankt! Los, Freunde, wir klappern die Tankstellen ab, eine nach der anderen. Irgendwo muß getankt worden sein. Und haben wir erst mal die Tankstelle gefunden, sitzen wir auf einer heißen Spur, klar?« Seine Killer fanden diesen Hinweis bestechend. Auch sie schöpften neue Hoffnung, doch noch zum Schuß zu kommen. »Bevor wir gehen, sehen wir aber erst noch im Keller nach«, ordnete Bert Banders an. Er deutete auf die
beiden Killer, die die Tür aufgesprengt haben. »Werft mal einen kurzen Blick runter, Jungens! Wir gehen schon mal rüber zum Wagen.« Banders und seine Begleiter verließen das Landhaus und schlenderten zum Chevrolet hinüber. Angekommen, warteten sie auf die Rückkehr der beiden anderen und zündeten sich Zigaretten an. Als sie sie halb aufgeraucht hatten, wurde Banders unruhig. »Was, zum Henker, treiben die denn da im Keller?« fragte er. »Vielleicht haben sie was entdeckt, oder?« »Wir sehen mal nach.« Banders lockerte den Sitz seiner Waffe und setzte sich in Bewegung. Als er und sein Begleiter in der Wohnhalle waren, rief er, erhielt aber keine Antwort, und sein Begleiter entsicherte automatisch die Maschinenpistole. »Da muß was passiert sein«, sagte er. »Ich pirsch mich mal an die Kellertreppe ran, einverstanden?« »Ich komme selbstverständlich mit.« Banders wurde jetzt nervös. Er dachte automatisch an die Tricks, die der Butler bisher reichhaltig angeboten hatte. Die beiden Männer gingen also zur Kellertreppe, und Banders rief nach unten. Nichts… »Das gibt’s doch nicht.« Banders sagte diesen Teil seines Satzes relativ leise, dann aber brüllte er den zwei48 �
ten Satz nach unten. »Meldet euch endlich, verdammt noch mal!« Keine Antwort! »Soll ich mal runterschleichen?« fragte Banders’ Begleiter. »Paßt mir eigentlich gar nicht.« Banders war unentschlossen. Er hatte inzwischen das sichere Gefühl, daß der Butler eine kleine Teufelei inszeniert hatte. Dann aber nickte Banders seinem Begleiter zu. Der Killer schob die Maschinenpistole vor und stieg langsam und vorsichtig nach unten. Banders folgte ihm, war noch wachsamer und dachte an eine mögliche Blamage. »Da… Da liegen sie!« Der Killer hatte den Kellerboden unter seinen Schuhsohlen und entdeckte die beiden Partner. Sie lagen vor einer halb geöffneten Tür auf dem Beton und rührten sich nicht. »Jetzt aber vorsichtig!« flüsterte Banders, als er mit seinem Begleiter weiter marschierte. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Der Butler mußte mit einem Trick die beiden Superspezialisten in Sachen Mord ausgeschaltet haben. Banders spürte plötzlich ein angenehmes Gefühl hinter der Stirn und entspannte sich. Er lächelte, doch er merkte es nicht. Das entspannende Gefühl steigerte sich zur ausgelassenen Heiterkeit. Er hörte sich glucksen vor Lachen und grinste breit, als sein Begleiter sich zu ihm umwandte und ebenfalls lächelte.
Dieser Begleiter schwankte ein wenig, als habe er getrunken, warf dann seine Maschinenpistole weg und nahm auf dem Boden Platz. Auch Banders tat es wie selbstverständlich. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Korridors und kicherte albern wie ein Backfisch. Dann gähnte er breit und schloß versuchsweise die Augen, um sie nicht mehr zu öffnen. Sein Begleiter hielt es für eine prächtige Idee, ein Schläfchen zur Entspannung einzulegen. Wenige Sekunden später schnarchte er mit Banders bereits um die Wette. * Die Szene war bestens arrangiert und verhieß ein großes Spektakel. örtliche Fernsehsender hatten ihres Übertragungswagen auf den Pier geschickt, um live zu senden. Jede Zeitung, die auf sich hielt, war mit einem großen Stab von Reportern und Fotografen erschienen, um heiße Berichte und Fotos zu ergattern. Hinzu kam eine beachtlich zu nennende Menge von Zuschauern, die über Radiosender auf dieses Ereignis am späten Nachmittag aufmerksam gemacht worden waren. Daraus hatte sich so etwas wie eine kleine Kettenreaktion ergeben. Wo Menschen waren, die neugierig auf ein bestimmtes Ereignis warteten, erschienen weitere Neugierige, 49 �
die auf etwas Interessantes hofften. Sie alle bildeten einen großen Kreis, in dessen Mittelpunkt zwei Kastenlieferwagen standen. Die ebenfalls alarmierte Polizei hatte diese beiden durchschnittlich aussehenden Wagen zur Menge hin abgesperrt. Sprengstoffspezialisten sondierten inzwischen ungemein vorsichtig die beiden Wagen, die eindeutig nicht leer sein konnten. Fäuste hämmerten ein wenig unrhythmisch gegen die Anbauten, wütende Stimmen waren aus dem Innern der beiden Wagen zu hören. Inzwischen hatte es sich herumgesprochen, daß die hinteren Ladetüren zugeschweißt worden waren. Dies zeigten nun längst auch in Nahaufnahmen die Fernsehkameras. Einer der Zuschauer hieß übrigens Ralph Hynes, der vor etwa zwanzig Minuten durch einen höflichen Anruf informiert worden war. Dieser Informant hatte sich als Butler Parker vorgestellt, doch das nur am Rand. Hynes rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er ahnte selbstverständlich, wer sich in den beiden Kastenaufbauten befand. Er stand neben einer der Fernsehkameras und hörte den Kommentar des Journalisten, der die Vorgänge mit einem gesunden Sinn für Dramatik und Sensationslust seinen Zusehern schilderte. Die Sprengstoffspezialisten hatten
sich davon überzeugt, daß die beiden Kastenlieferwagen keineswegs mit Dynamit oder sonstigen Sprengstoffen gefüllt waren. Sie machten sich daran, gewisse Schweißpunkte zu durchtrennen und abzumeißeln, die die beiden Türen in ihren Rahmen festhielten, ein Unterfangen, das sich als recht schwierig erwies. Nach etwa zwanzig Minuten wurden die beiden Türen geöffnet. Bewaffnete und uniformierte Polizisten hatten einen engen Ring um die beiden Wagen gezogen und nahmen die Insassen in Empfang, die durchweg einen übelgelaunten, unrasierten und dazu noch gereizten Eindruck machten. Als sie sich der Menge gegenübersahen, drehten sie durch und begingen einen Kardinalfehler. Sie wollten sich der Neugier der Zuschauer und der Polizei entziehen und sich schleunigst absetzen. Es kam, wie es kommen mußte. Ralph Hynes wurde Augenzeuge einer solchen Prügelei, als die Gangster den Polizeikordon durchbrechen wollten. Die Polizei war damit nämlich gar nicht einverstanden und nahm die Herausforderung genußvoll an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die neugierige Menge vor Vergnügen Beifall klatschte, zumal gewisse Einzelaktionen ungemein spannend und dynamisch verliefen. Ralph Hynes stöhnte. 50 �
Er hatte noch nicht mal die Möglichkeit, sich schlichtend einzuschalten. Seine Leute dort, die sich als wilde Einzelkämpfer betätigten, hatten natürlich keine Chance. Sie alle würden nacheinander überwältigt werden und mit Handschellen versehen in diverse Sammelzellen wandern. Dieser Butler, der ihn angerufen hatte, schien alles genau vorausberechnet zu haben. Er hatte es geschafft, daß zehn der besten Männer für lange Tage ausgeschaltet wurden. Hinzu kamen da noch Anklagen wegen verbotenen Waffenbesitzes, denn die ersten Schußwaffen wurden inzwischen aus den Kastenaufbauten herausgeholt. Der Fernsehjournalist auf dem Übertragungswagen war mit Leib und Seele dabei. Seine Stimme überschlug sich. Es war ein guter Mann. Er hatte seine Augen überall und lieferte hinreißende Kampfberichte. Hynes konnte seinen momentanen Platz leider nicht verlassen, obwohl er es gern getan hätte. Er mußte sich diesen Kommentar anhören und miterleben, wie einer seiner Leute nach dem anderen von Handschellen geziert wurde. Die Polizeibeamten hatten sich inzwischen durchgesetzt und kassierten Hynes’ Leute ab. Hynes dachte an die Zentrale Süd, an einen Mann, den er mit ›Sir‹ anzureden hatte und an seinen sinkenden Stern. Er dachte aber auch
an Butler Parker, der ihm diese ganze Suppe eingebrockt hatte. Er fragte sich, ob Bert Banders es vielleicht doch noch geschafft hatte, diesen Butler zu erwischen. Nur dann würde die Sonne der Zentrale Süd wieder über ihm scheinen! * Sie schien nicht! Hynes stand neben seinem Schreibtisch in seinem Privatbüro und fand kaum Zeit, hin und wieder Jawohl, Sir zu sagen. Die Gegenseite hatte ihm eine Menge zu sagen. Der Mann, den er mit ›Sir‹ anredete, hatte die Fernsehübertragung vom Pier ebenfalls mitverfolgt und war genau orientiert. »Wissen Sie Idiot eigentlich, was morgen geschehen wird?« fragte der ›Sir‹ jetzt mit einer gefährlichen Ruhe in der Stimme. »Sagen Sie kein Wort, ich werde es Ihnen ausmalen: Die Zeitungen werden sich überschlagen mit Berichten und Fotos. Man wird uns durch den Kakao ziehen. Respekt, Hynes, das haben Sie erstklassig hinbekommen! Sie können sich was darauf einbilden, die Mafia im südlichen Manhattan lächerlich gemacht zu haben! Das hat vor Ihnen noch keiner geschafft!« »Sir, bitte, ich mußte mich immerhin an Auflagen halten«, wehrte Hynes sich schwach. »Normaler51 �
weise hätten wir den Butler und die Lady schon gleich nach ihrer Landung erwischt.« »Sie Anfänger, auch das hätten Sie und Ihre Leute verpatzt, Hynes«, gab die Stimme am Telefon zurück. »Werden Ihre komischen Spezialisten wenigstens dicht halten?« »Dafür verbürge ich mich, Sir.« »Ich habe mit unserem Aufsichtsrat gesprochen, Hynes. Wir werden Sie jetzt erst mal aus der Schußlinie nehmen, klar? Sie werden für ein paar Wochen Urlaub machen, und zwar ab sofort.« »Sir, noch sind Bert Banders und drei erstklassige Leute unterwegs«, entgegnete Hynes hastig. »Vielleicht haben die es geschafft, einen Abschluß hinzubekommen.« »Ach was, schreiben Sie auch diese Anfänger ab, Hynes! Sie haben eine einmalige Personalpolitik verfolgt und sich mit ausgemachten Flaschen umgeben. Auch Ihr Banders wird nichts ausrichten. Sie können von Glück sagen, wenn er und seine Begleiter ohne eine blutige Nase zurückkommen. Es bleibt bei Ihrem Urlaub! Tauchen Sie weg, setzen Sie sich in Ihr Haus und lassen Sie die Rolläden herunter!« »Sir, wie wäre es mit einer letzten Chance?« bat Hynes mit schwacher Stimme. »Und wie stellen Sie sich die vor, Hynes? Haben Sie denn überhaupt eine Ahnung, wo diese beiden
Typen sich zur Zeit aufhalten?« »Nicht direkt, Sir.« »Also überhaupt keine Ahnung, Hynes!« Der Mann, den er mit ›Sir‹ anredete, lachte leise. »Dachte ich es mir doch! Sie schwimmen doch, Hynes, Sie schwimmen wie eine Bleiente! Nein, ab sofort übernimmt die Zentrale Süd den Fall. Und wir werden Ihnen mal zeigen, wie so etwas aufgezogen wird…« »Äh, Sir, muß ich damit rechnen, daß mein Vertrag gekündigt wird?« wollte Hynes wissen. »Ich habe ein gutes Wort für Sie eingelegt, Hynes. Sie bleiben im Vertrag, aber man wird Sie zurückstufen, aber das ist Ihnen ja wohl klar, nicht wahr?« »Hauptsache, ich kann weiter für die Firma arbeiten.« Hynes wischte sich dicke Schweißperlen von der Stirn. Seine Stimme bebte vor Dankbarkeit. »Also, ab sofort Urlaub«, wiederholte der ›Sir‹ noch mal. »Sie tauchen weg und warten, bis ich mich wieder bei Ihnen melde, ist das klar?« »Vollkommen, Sir. Vielen Dank!« Hynes legte auf und bekam einen ausgeprägten Wutanfall. Er schmetterte einen schweren Aschenbecher gegen eine der Wände, stampfte mit den Beinen auf dem teppichbelegten Boden herum und stand dicht davor, Amok zu laufen. Seine Reaktion war menschlich 52 �
durchaus verständlich. Vor ein paar Stunden noch war er ein respektables Mitglied der Mafia gewesen. Und nun gehörte er wieder zum allgemeinen Fußvolk und mußte wohl nach seinem Zwangsurlaub wieder Straßendienst tun. Er mußte davon ausgehen, daß seine Einkünfte sich drastisch minderten. In dieses Privatbüro würde er nie wieder zurückkehren. Und er war mal der Chef der Star-Land gewesen! Für einen Augenblick keimte noch mal Hoffnung in ihm auf, als das Telefon sich meldete. Rief Banders an? Kam jetzt die rettende Meldung? Es war tatsächlich Banders, doch seine Stimme klang deprimiert. »Wir… Äh… Wir sind hier bei der Polizei in White Plains«, sagte er. »Man hat uns wegen Einbruch eingebuchtet. Wir sollen ein Landhaus geknackt haben, Chef. Und man wirft uns vor, dabei Sprengmittel verwandt zu haben. Sie müssen uns hier rausholen, Chef, das alles ist ein blödes Mißverständnis. Wir haben damit nichts zu tun.« »Wie ist das passiert?« fragte Hynes. »Das ist eine lange Geschichte, Chef, die wir besser unserem Anwalt erzählen«, lautete Banders’ Antwort. »Schicken Sie uns einen erstklassigen Fachmann, ja? Die Behörden hier in White Plains sind ziemlich scharf und lassen sich auf
nichts ein.« Ralph Hynes legte auf und warf einen zweiten Aschenbecher gegen eine der Wände. Dann griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer jenes Mannes, den er nur mit ›Sir‹ anredete. * »Ein Abschluß, den ich als ungewöhnlich erfreulich bezeichnen möchte«, sagte Josuah Parker, als er seinen Miniaturempfänger abschaltete. Er wandte sich an Lady Simpson, die neben ihm im neuen Leihwagen saß. »Wieso erfreulich?« mokierte sich die ältere Dame. »Hynes ist also abgesetzt und aus dem Spiel. Und wie soll es jetzt weitergehen, Mr. Parker?« »Darf ich mir erlauben, Mylady auf das Drehen der Wählerscheibe zu verweisen?« »Wollen Sie daraus etwa die Nummer dieses Lümmels namens ›Sir‹ rekonstruieren?« »Falls Mylady gestatten, werde ich diesen Versuch unternehmen.« »Und was hätten Sie gemacht, wenn er einen modernen Apparat mit Drucktasten benutzt hätte?« »Mylady hätten meine bescheidene Wenigkeit dann durchaus ratlos gesehen.« »Schade, daß er diesen Drucktastenapparat noch nicht hat«, gab sie 53 �
prompt zurück. »Ich hätte Sie gern mal ratlos gesehen.« »Ich werde mich für die nähere Zukunft bemühen, Myladys spezielle Wünsche zu erfüllen«, antwortete Parker gemessen. »Sind Mylady für den Augenblick damit einverstanden, die Canal Street zu verlassen?« »Und was habe ich vor?« »Mylady möchten gewiß erfahren, wer sich hinter der eben gewählten Nummer verbirgt und sich mit ›Sir‹ anreden läßt.« »Und wo wollen Sie dieses Tonband auswerten, Mr. Parker?« »Wenn ich Mylady richtig verstanden habe, gedenken Mylady nach New Jersey überzuwechseln.« »Richtig, das hatte ich ja vor«, sagte sie geistesgegenwärtig. »Man könnte sich vielleicht in der Nähe von Mr. Hynes! Wohnsitz einmieten, Mylady.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen«, behauptete sie weiter. »Und sobald wir wissen, wer dieser ›Sir‹ ist, werde ich mir diesen Mafialümmel kaufen, Mr. Parker. Und daran werden selbst Sie mich nicht hindern!« »Mylady werden meine bescheidene Wenigkeit zur Seite sehen«, antwortete Josuah Parker und ließ den Leihwagen anrollen. Er war mit der Entwicklung der Dinge recht zufrieden. Es war ihm gelungen, der Mafia einige Schlappen beizubrin-
gen. Darüber hinaus waren die organisierten Gangster nachdrücklich lächerlich gemacht worden. Seiner Ansicht nach würde diese Zentrale Süd nun zurückstecken, zwar zähneknirschend, aber dennoch. Weitere Öffentlichkeitsarbeit dieser negativen Art konnte sie sich eigentlich nicht leisten. Schon die vielen Abendzeitungen würden die Prügelei auf dem Pier groß herausstellen und mit entsprechenden Kommentaren nicht geizen. Selbstverständlich hatte Parker dafür gesorgt, daß diejenigen, die er anonym angerufen hatte, genau wußten, welche Männer sich in beiden Kastenlieferwagen befunden hatten. Parkers Hinweise auf die Mafia waren recht deutlich gewesen. Insgeheim würde die Mafia versuchen, die Spur aufzunehmen, um grausame Rache zu üben. Würden die Spitzel aber in der Nähe von Hynes’ Haus nach Mylady und ihm suchen? Sicherheitshalber war es wohl angebracht, ein wenig Maske zu machen. In dieser Hinsicht hatte der Butler bereits gewisse Vorstellungen. Er trug sie seiner Herrin vor, während sie durch den Holland Tunnel auf die Westseite des Hudson fuhren. New Jersey, im Grund mit New York bereits eine Einheit bildend, bot einen hinreißenden Blick auf die Skyline von Manhattan, doch die Detektivin nahm diese Aussicht 54 �
kaum zur Kenntnis. »Wie war das?« fragte sie, als Parker seinen Vorschlag unterbreitet hatte. »Wir sollen ein Ehepaar spielen, Mr. Parker?« »Eine durchaus treffliche Tarnung, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Eine schreckliche Vorstellung, tatsächlich mit Ihnen verheiratet zu sein.« Sie sah ihn abschätzend an. »Mylady erlauben, daß ich Myladys Auffassung teile«, sagte Josuah Parker. »Falls gewünscht, werde ich eine andere Rollenverteilung vorschlagen.« »Nein, nein, lassen Sie nur, Mr. Parker.« Sie sah ihn noch interessierter an. »Wie haben Sie das eben gemeint, daß Sie meine Auffassung teilen? Halten Sie mich etwa für ein Ungeheuer, mit dem man nicht zusammenleben kann, Mr. Parker?« »Diese schreckliche Vorstellung bezieht sich auf meine bescheidene Person, Mylady«, entgegnete Josuah Parker höflich. »Im Gegensatz zu meiner Wenigkeit müßten Mylady eine geradezu bemerkenswerte Ehefrau sein, bemerkenswert im allgemeinen und weitesten Sinn des Wortes!« Sie sah ihn durchdringend an und räusperte sich. Dann beschloß sie, über Parkers Worte gründlich nachzudenken. Sie hatte das Gefühl, daß diese Bemerkung unter Umständen doppeldeutig gemeint war.
*
Es war ein sehr nettes Ehepaar, das ein hübsches Apartment in einem supermodernen Wohnturm in der Nähe des Jersey City State College mietete. Die Ehefrau mochte etwa fünfundsechzig Jahre zählen, war groß und stattlich und trug eine modische Brille. Der Ehemann, jünger aussehend, schien völlig unter dem Pantoffel dieser Frau zu stehen. Er zeichnete sich durch ein gewisses demütiges Wesen aus und schien seiner Angetrauten jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Dieses Ehepaar namens Irvington stammte aus Maine und wollte für etwa sechs Wochen in Jersey City bleiben, wie es dem Hausverwalter gesagt hatte. Ehemann Paul wollte, wie der Hausverwalter hörte, ein Antiquitätengeschäft übernehmen oder neu einrichten. Da die Irvingtons die nicht unbeträchtliche Miete im voraus bezahlt hatten, interessierte sich der Hausverwalter nicht weiter für das Paar. Er war froh, derart solvente Mieter gefunden zu haben. Die energische Ehefrau, deren Vorname Elsie lautete, stand nach dem formlosen Einzug vor einem der Panoramafenster des Apartments und beobachtete durch ein Fernglas eine recht exklusiv aussehende Bungalowsiedlung und konzentrierte sich auf ein ganz bestimmtes Haus. 55 �
»Da sitzt dieser Lümmel«, sagte die Ehefrau unternehmungslustig und wandte sich zu ihrem Mann um. »Hynes scheint sich zu langweilen.« »Und mit Sicherheit zusätzlich zu ängstigen, Mylady«, antwortete der Ehemann. »Dieser ihm verordnete Zwangsurlaub dürfte Mr. Hynes einige Sorgen bereiten.« »Wann werden die Abendzeitungen erscheinen, Mr. Parker?« erkundigte sich die Ehefrau. »Sie dürften meiner bescheidenen Ansicht nach gerade ausgeliefert werden, Mylady. Wenn Sie erlauben, werde ich einige Zeitungen erwerben.« »Und damit sofort wieder zurückkehren«, verlangte Lady Agatha und sah den Butler mißtrauisch an. »Mylady können sich fest auf meine Wenigkeit verlassen.« Parker griff nach seinem Stock und verließ das Apartment. Er trug einen grauen Anzug und hatte sich ebenfalls mit einer Brille ausgerüstet, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Er ging ein wenig gekrümmt und schien Ärger mit der Bandscheibe zu haben. Selbst ein mißtrauischer und aufmerksamer Beobachter hätte ihn nie als Butler Parker zu identifizieren vermocht. Josuah Parker war in eine andere Haut geschlüpft und nicht mehr wieder zu erkennen. Im Erdgeschoß des Wohnturms gab es einen Zeitungsstand. Parker
versorgte sich mit einigen Exemplaren und brachte sie umgehend zurück ins Apartment. Er überreichte sie seiner Herrin, die sich gierig auf die Hauptaufmacher stürzte. Parkers Vorstellungen wurden noch weit übertroffen. Die Zeitungen berichteten ohne Ausnahme in riesiger Aufmachung von den beiden Kastenlieferwagen und deren Inhalt. Die Insassen waren inzwischen von der Polizei erkennungsdienstlich behandelt worden. Die Beamten hatten liebe, alte Bekannte entdeckt, die schon seit geraumer Zeit wegen verschiedener Delikte gesucht wurden. Die Zugehörigkeit zur Mafia wurde offen ausgesprochen. Keiner der Journalisten hatte vergessen zu erwähnen, wie blamabel für die Mafia diese Massenanlieferung von Gangstern gewesen war. Es wurde in Kommentaren herumgerätselt, wer den Mut und die List wohl aufgebracht haben könnte, solche Spitzengangster hereinzulegen. Man war sich darüber einig, daß es sich mit Sicherheit nicht um einen internen Gangsterkrieg handelte. Man sprach von unbekannten Kämpfern für das Recht, die das ermöglicht hatten, und man amüsierte sich über die gerissenen Methoden, die hier offensichtlich angewandt worden waren. Alle Zeitungen hoben hervor, wie unblutig das Ausschalten der Mafiagangster 56 �
inszeniert worden war, und man empfahl der Polizei, in Zukunft ebenfalls Phantasie zu entwickeln. »Sehr hübsch«, meinte Agatha Simpson nach der schnellen Lektüre. »Was wird die örtliche Mafia zu diesen Berichten sagen, Mr. Parker?« »Sie wird schäumen, Mylady, um diesen Vulgärausdruck mal zu verwenden.« »Man wird also intensiv nach mir suchen?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Und ich werde mir diesen ›Sir‹ kaufen, Mr. Parker. Wann weiß ich endlich, wo ich diesen Burschen finde?« »Myladys Zustimmung voraussetzend, werde ich mich unverzüglich mit der Auswertung des Tonbandes befassen«, gab der Butler zurück. »Darf man fragen, was Mr. Hynes jetzt tut?« Diese Frage war berechtigt, denn die ältere Dame schaute schon wieder durch ihr Fernglas hinüber zum Bungalow. »Er blättert Zeitungen durch«, sagte Lady Agatha genußvoll. »Ich wette, daß sein Blutdruck inzwischen Höchstwerte erreicht hat.« * Bert Banders hatte seine lang ersehnte Chance nicht erhalten. Als er gegen Abend zurück in die Büros der Star-Land kehrte, saß
Jerry Clanden hinter Hynes’ Schreibtisch und mühte sich mit einer Zigarre ab. Banders wußte sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Er kämpfte seinen Jähzorn und seine grenzenlose Enttäuschung nieder und nickte seinem neuen Boß zu. »Die Zentrale hat mich für Hynes eingesetzt«, sagte Clanden und bemühte sich um eine gewisse Herablassung. »Hank Lafitte ist mein Stellvertreter.« »Glück muß der Mensch haben«, rang Bert Banders sich ab. »Glück hast du gehabt«, erwiderte Jerry Clanden. »Immerhin haben die Anwälte dich und diese drei Flaschen gegen Kaution rausbekommen. Was war eigentlich los, da draußen in White Plains.« »Dieser verdammte Butler hat uns eine tückische Falle gestellt«, sagte Banders gereizt. »Irgendein Lachgas oder so was. Wir kippten im Keller der Reihe nach um. Und dann war plötzlich die Polizei da. Alles weitere wirst du ja von der Zentrale erfahren haben.« »Ich weiß genau, wo es lang geht«, meinte Jerry Clanden. »Wir machen Großjagd auf den Butler und auf die Lady. Alle übrigen Projekte sind zurückgestellt, alle! Es geht nur noch um den Butler und um die Lady. Die müssen so schnell wie möglich aufgespürt werden.« »Da sehe ich ziemlich schwarz«, entgegnete Banders müde. »Wahr57 �
scheinlich haben die sich längst abgesetzt.« »Und wenn sie zurück nach England geflogen sein sollten, die müssen aufgespürt und zurückgeholt werden. Die Zentrale Süd will, daß die Zeitungen so schnell wie möglich über das verrückte Paar berichten. Die Zentrale wünscht, lange Beine, dunkles Haar und eine aufregende Figur – wer die schöne Sandra King (25) nur als simples Sexsymbol sieht, sollte nicht vergessen, daß sie von Koreas Vizemeister in Karate ausgebildet wurde, daß sie in Paris Jura studierte und die Polizeischule in Chikago besuchte. Die britische Diplomatentochter Sandra King war Zögling des Internats von Benenden in Kent, das auch Prinzessin Anne absolvierte. Sie gehört zu Englands »Upper Ten«, arbeitet mit ihrem Bruder Bobby King und ihrem Onkel Lord John Bensing zusammen als »Büro für Internationale Angelegenheiten« (BIA), Sitz London, und bekämpft Industrie- und Wirtschaftsspionage. Als Chefin einer Anti-VerbrecherOrganisation meistert sie die unglaublichsten und haarsträubendsten Fälle – und wird in aller Welt von denen bewundert, die sie nicht zu fürchten brauchen. daß Presse, Rundfunk und Fernsehen noch eine zweite Großsendung von irgendeinem Pier bringen. Die Hauptdarsteller werden dann aber
die Lady und ihr Butler sein.« »Und wofür hast du mich eingeteilt, Jerry?« »Du wirst Klinken putzen und Hotels abklappern«, verkündete Clanden genußvoll. »Finde raus, wo das Paar steckt.« »Okay, man muß auch verlieren können.« Bert Banders hatte kaum etwas anderes erwartet. »Hoffentlich bleibst du lange genug hinter dem Schreibmöbel da, Jerry.« »Laß das meine Sorge sein«, erwiderte Clanden. »Damit wir klar sehen, Bert: Als Hank Lafitte und ich auf das Paar angesetzt wurden, da wußte niemand Bescheid. Als ihr aber losgeschickt worden seid, da hättet ihr mit faulen Tricks rechnen müssen. Das wenigstens meint die Zentrale, Ihr habt euch wie Dorftrottel benommen.« »Vielleicht drücken wir bald gemeinsam Klinken«, sagte Banders giftig. »Schon gut, schon gut, rege dich erst gar nicht auf! Aber eins will ich noch sagen: Die Zentrale hat überhaupt keine Ahnung, mit wem sie sich anlegt…« »Soll ich das an die Zentrale weiterleiten?« fragte Jerry Clanden genußvoll. »Tue, was du willst, Jerry. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken. Irgendwann wirst du zur Kasse gebeten. An diesem Butler werden wir uns alle noch die Zähne ausbeißen.« 58 �
Er ging. Als er den Raum verlassen hatte, erschien Hank Lafitte im Chefzimmer der Star-Land. Er hatte durch die nur angelehnte Verbindungstür alles mitangehört. »Der ist stocksauer«, sagte er und grinste. »Ich gönne ihm das. Er hat sich viel zu wichtig genommen.« »Mistunternehmen«, meinte Jerry Clanden und sah gar nicht mehr optimistisch aus. »Wann werden wir geschlachtet, Hank? Haben wir eine Chance gegen dieses verrückte Duo?« Bevor Hank Lafitte antworten konnte, läutete das Telefon. Jerry Clanden hob ab und meldete sich als Generalmanager der Star-Land. Er erkundigte sich überaus höflich nach den diversen Wünschen des männlichen Anrufers. »Sie sprachen gerade von einer Chance, Mr. Clanden«, sagte eine etwas salopp klingende Stimme. »Sie existiert selbstverständlich nicht, glauben Sie mir. Sie existiert noch nicht mal andeutungsweise.« »Wer… Wer spricht da?« fragte Jerry Clanden hastig. »Ein interessierter Zuschauer«, erwiderte die saloppe Stimme. »Und ein interessierter Zuhörer dazu, um genau zu sein. Ist Ihre Zentrale Süd noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Zentrale Mitte oder Nord diesen Butler engagiert haben könnte, um für Trouble zu sorgen? Denken Sie mal darüber
nach! An Ihrer Stelle würde ich das mal Ihrem komischen ›Sir‹ unterbreiten.« »Wer… Wer sind Sie!?« »Irgendwann werde ich mich mal persönlich vorstellen, mein Junge«, folgte die ironische Antwort. »Und jetzt würde ich die Büros der StarLand mal gründlich entstören lassen. Wetten, daß da irgendwo eine Wanze steckt?« Auf der Gegenseite wurde aufgelegt, und Jerry Clanden sackte in seinem Ledersessel in sich zusammen. Es machte ihm plötzlich keinen Spaß mehr, auf diesem Schleudersitz zu sitzen. Als sein Bewußtsein das verarbeitet hatte, sprang er hoch und fragte sich, warum er eigentlich nicht Automechaniker geworden war, wie er es in seiner Jugend sich immer gewünscht hatte. * Mike Rander, vierzigjährig, sportlich, schlank und jungenhaft aussehend, verließ die Telefonzelle, von wo aus er Jerry Clanden angerufen hatte. Er ging zu einem Buick hinüber, auf dessen Beifahrersitz eine junge Dame saß, die fünfundzwanzig schien. Sie hatte kastanienbraunes Haar und beeindruckend schöne Augen. Sie erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues Reh, auf den zweiten und dritten Blick aber an eine Pantherkatze, die im Moment 59 �
entspannte. Sie hieß Kathy Porter und war die Gesellschafterin und Sekretärin einer gewissen Lady Agatha Simpson. Der sportliche Mann, der zu ihr in den Wagen stieg, hieß Mike Rander und war Anwalt von Beruf. In früheren Jahren war er der sogenannte Arbeitgeber Butler Parkers gewesen, dann aber hierher in die Staaten gekommen, um sich im internationalen Handels- und Wirtschaftsrecht zu vervollkommnen. Seit einiger Zeit hielt Mike Rander sich wieder in London auf und war von Lady Agatha geradezu vereinnahmt worden. Sie hatte ihn mit der Verwaltung ihres immensen Vermögens beauftragt. Auf diese Art und Weise war der Butler in der für ihn erfreulichen Lage, sich wieder um Mike Rander kümmern zu können. Die Anwesenheit Randers und Kathy Porters in New York hatte einen bestimmten Grund. Per Telefon hatte der Butler das junge Paar gebeten, umgehend in die Staaten zu kommen. Parker war sofort klar geworden, daß Lady Simpson und er ohne Hilfe nicht auskamen. Er unterschätzte seine Gegner nämlich keineswegs. Gewonnene Schlachten bedeuteten für ihn noch lange keinen gewonnenen Krieg. Mike Rander und Kathy Porter hatten eine Concorde genommen, um möglichst schnell am Ziel zu
sein. Bei der zentralen Poststelle des Internationalen Flughafens hatte ein kleines Päckchen auf den Anwalt gewartet. Gegen ein vereinbartes Codewort war dieses Päckchen augeliefert worden. Neben einem Miniempfänger, der aus dem Labor des Butlers stammte, hatten Mike Rander und Kathy Porter die entsprechenden Hinweise studieren können. Nur so war es zu erklären, daß Rander gerade eben das Büro der Star-Land hatte abhören können. Der Anwalt hatte sich genau an die Vorschläge des Butlers gehalten und die Zentralen Mitte und Nord ins Gespräch gebracht. »Sie scheinen zufrieden zu sein, Mike«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Große Verblüffung auf der Gegenseite«, erwiderte der Anwalt. »Parkers Intrige schlägt voll ein. Er hetzt die Bluthunde der Mafia aufeinander.« »Wo mögen er und Lady Simpson stecken, Mike?« »Das werden wir bald wissen, Kathy, Fahren wir erst mal ins Sheraton, wie er es vorgeschlagen hat. Dort kann er uns dann jederzeit erreichen. Und vergessen Sie nicht, wir sind ein frisch getrautes Ehepaar aus Irland, das für eine Woche Urlaub in New York macht.« »Ich werde mich bemühen, Mike.« Sie lächelte. »Moment mal, Sie müssen sich bemühen, meine Frau zu spielen?« 60 �
Er sah sie gespielt enttäuscht an. »Ich werde mich sehr bemühen, Ihnen eine gute Ehefrau zu sein«, gab sie lachend zurück. »Aber damit keine Mißverständnisse aufkommen, Mike, nur optisch gesehen!« »So was habe ich befürchtet.« Er seufzte. »Sie sollten mich übrigens nicht so ansehen, Kathy, sonst geraten gewisse Vorsätze in Wanken.« »Vorsätze, Mike?« »Ich hatte eigentlich vor, Junggeselle zu bleiben.« »Ich werde Ihnen helfen, Ihren Grundsätzen treu zu blieben, Mike. Wollten wir nicht ins Sheraton? Vielleicht liegt dort bereits eine Nachricht vor.« »Sie weichen vom Thema ab.« »Natürlich.« Sie nickte und schmunzelte. »Flirten können Sie später ja immer noch, Mike. Jetzt geht es erst mal um Lady Simpson und Butler Parker. Glauben Sie wirklich, daß sie sich in akuter Gefahr befinden?« »Davon bin ich sogar fest überzeugt. Parker ahnt wohl nicht, wie dichtmaschig das Informationsnetz der Mafia ist. Sie haben überall ihre Spitzel. Parker und Lady Agatha müssen schon verflixt auf Draht sein, wenn sie nicht aufgespürt werden wollen!«
betagte Ehepaar hatte das Apartmenthaus verlassen und erging sich noch ein wenig im nahen Park. Der ältere Herr war rührend besorgt um seine Frau und machte sie auf jedes noch so geringe Hindernis auf der Straße und später im Park aufmerksam. Es sah nach reinem Zufall aus, daß dieses sehr nette und ältere Ehepaar in die Bungalowsiedlung geriet und sich dem Haus eines gewissen Ralph Hynes näherte. Obwohl es gerade erst ein wenig dunkelte, hatte der Bewohner dieses Bungalows bereits alle Fenster geschlossen und die Rolläden heruntergelassen. Ralph Hynes schien offensichtlich Angst vor der kommenden Nacht zu haben. »Warum besuchen wir dieses Subjekt nicht?« fragte Agatha Simpson, als sie die Höhe des Bungalows erreicht hatten. »Ich würde diesem Gangster gern mal einheizen.« »Vielleicht könnten Mylady diesen Besuch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben«, antwortete der Butler ausweichend. »Darf ich höflichst darauf verweisen, daß der Bungalow bereits unter Kontrolle steht?« »Was Sie nicht sagen!« Lady Agatha lachte spöttisch. »Glauben Sie etwa, ich hätte das noch nicht gemerkt? Es sind die beiden Flegel auf den Motorrädern dort drüben, * nicht wahr?« »Fast, Mylady«, korrigierte Parker. Das sehr nette und schon recht � »Es sind die beiden älteren Herren 61 �
dort drüben auf der Bank.« »Oder die!« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Sie wollen natürlich wieder mal recht haben, nicht wahr!?« »Auch die Rückseite des Bungalows dürfte überwacht werden, Mylady«, redete Butler Parker weiter. Auf seine angebliche Rechthaberei ging er nicht weiter ein. »Seit wann kapitulieren Sie vor einigen kleinen Gangstern?« fragte die Detektivin gereizt. »Sie werden sich diese Lümmel auf der Rückseite des Hauses vorknöpfen, ich hingegen die beiden Wachen auf der Bank.« »Myladys Inkognito könnte dabei ein wenig brüchig werden«, sagte Parker. »Ich brauche einfach etwas Bewegung.« Für sie war die Sache bereits entschieden. »Wer rastet, der rostet, Mr. Parker! Dieser Hynes ist vielleicht bereit, ein paar hübsche Aussagen zu machen, finden Sie nicht auch?« »Ein bemerkenswerter Hinweis, Mylady.« »Worauf warten wir dann noch?« Lady Agatha machte den üblich animierten Eindruck. »Darf ich mir erlauben, Mylady kleine Variante eine vorzuschlagen?« »Wenn es also unbedingt sein muß.« Sie seufzte fast tragisch auf. »Aber kommen Sie mir ja nicht mit
weiteren Bedenken!« »Dürfte ich Mylady hinüber zu den beiden Herren auf der Bank begleiten? Jetzt eine Trennung würde auffallen.« »Genau diesen Vorschlag wollte ich Ihnen gerade machen, Mr. Parker. Kommen Sie! Ich werde nach etwa zehn Schritten etwas hinken. Richten Sie sich darauf ein!« Sie besorgte das meisterlich. Nach genau zehn Schritten vertrat sie sich überzeugend den linken Fuß und ließ sich von Butler Parker zur nahen Parkbank führen. Die beiden Herren – sie mochten etwa fünfundvierzig sein und tranken Dosenbier – schöpften überhaupt keinen Verdacht und rückten bereitwilligst zusammen, damit das sehr nette und betagte Paar sich setzen konnte. Lady Agatha seufzte erleichtert auf und nestelte anschließend an ihrer großen Brosche, die sich wohl gelöst haben mußte. Sie nahm sie in die Hand und betrachtete angelegentlich die lange und solide Nadel. »Du lieber Himmel«, sagte sie dann plötzlich und deutete mit der freien Hand nach rechts. »Das hätte aber beinahe einen bösen Zusammenstoß gegeben.« Die beiden Herren schauten automatisch in die angegebene Richtung und wurden dann von Lady Simpson und Butler, Parker behandelt. Die ältere Dame rammte die Nadel ihrer Brosche in den rechten Ober62 �
arm des einen Gangsters, der daraufhin scharf die Luft einzog und nach seiner Waffe greifen wollte. Doch er schaffte es einfach nicht. Die erwähnte Broschennadel war chemisch vorbehandelt worden. Das leichte Lähmungsgift reichte zur Blockade wichtiger Muskelpartien aus. Der Mann war einfach nicht mehr in der Lage, den angestochenen Arm zu heben. Zudem wurde ihm bereits ein wenig übel. Josuah Parker war selbstverständlich nicht untätig geblieben. Er hatte seine Krawattennadel als Miniaturdegen eingesetzt und die Spitze in den Oberschenkel des anderen Mannes gerammt. Der Getroffene sprang auf, als sei er von einer Wespe gestochen worden. Er starrte völlig verwundert auf seinen Oberschenkel und wollte erst mit einiger Spätzündung nach seiner Waffe greifen. Natürlich war Josuah Parker dagegen. Er klopfte mit dem Stockgriff gegen das Genick des Mannes, der sich daraufhin wieder setzte und einschlummerte. »Darf ich unterstellen, daß Mylady zufrieden sind?« erkundigte sich der Butler dann. »Es läßt sich recht hübsch an«, fand sie wohlwollend. »Ein angenehmer Abend, Mr. Parker, finden Sie nicht auch?«
*
Es dauerte lange, bis Ralph Hynes sich hinter der Haustür meldete. »Wer ist da?« fragte er mit einer Stimme, der man die innere Erregung deutlich anmerkte. »Mrs. und Mr. Irvington«, erwiderte Parker mit verstellter Stimme. »Sir, in Ihrem Vorgarten liegen zwei Herren, denen übel sein muß, wenn meine Brille mich nicht täuscht.« »Zwei Männer!?« »Ob man vielleicht einen Polizeioder Rettungswagen anrufen sollte, Sir?« »Moment mal.« Ralph Hynes war daran natürlich nicht sonderlich interessiert und öffnete spaltbreit die Haustür, um dann… mit viel Schwung zurück ins Haus zu fliegen. Mylady hatte sich machtvoll gegen die Tür geworfen und so ganz nebenbei die Sicherheitskette aus den Halterungen gerissen. Ihre kraftvolle Fülle schaffte das mit spielerischer Leichtigkeit. »Ich möchte mich korrigieren, wenn es erlaubt ist«, entschuldigte sich der Butler, als er die Haustür hinter Mylady und sich schloß. »Die vier Herren befinden sich inzwischen auf der Terrasse Ihres Bungalows, Mr. Hynes. Sie pflegen dort der Ruhe, wie ich betonen möchte.« »Butler… Parker?« Hynes ging ein Licht auf. »Agatha Simpson«, stellte Parker 63 �
die ältere Dame vor. »Sie sollten davon ausgehen, Mr. Hynes, daß Mylady Ihnen einen wertvollen Dienst erwiesen hat. Hoffentlich wissen Sie das zu schätzen.« »Einen… Dienst?« Hynes setzte sich erst mal in einen der Sessel, die mit buntem Stoff bezogen waren. Sein Hirn arbeitete auf Höchsttouren. Er suchte nach einem rettenden Ausweg aus der Situation. »Sie sollten auf unnötige Aktivitäten verzichten«, riet Josuah Parker. Er wußte genau, womit der Gangster sich beschäftigte. »Die Zentrale Süd wird Ihnen glauben, daß Mylady und meine bescheidene Wenigkeit Sie aufgesucht haben. Man wird vermuten, daß Sie sich um eine Flucht bemühten.« »Wollen… Wollen Sie mich umbringen?« stöhnte Hynes. »Reden Sie keinen Unsinn«, fuhr die Detektivin ihn an. »Ich werde nur dafür sorgen, daß Sie für eine gewisse Zeit in ein Zuchthaus kommen. Es wird höchste Zeit, daß ein Subjekt, wie Sie eines sind, aus dem Verkehr gezogen wird.« Ralph Hynes setzte auf seine Schnelligkeit. Er ließ sich vom Aussehen dieses angeblichen Ehepaares täuschen, startete aus dem Sessel und rannte in wilden Sätzen ins angrenzende Zimmer. Er hatte es noch nicht ganz erreicht, als sich ein Spazierstock zwischen seinen Beinen verhedderte. Hynes legte sich auf
einen runden Tisch, der dann unter ihm zusammenbrach. Es war noch ausreichend Schwung in dem Gangster, denn er segelte zusammen mit der Tischplatte weiter über den Teppich und krachte gegen den Sockel eines Sideboards. Danach blieb er allerdings wesentlich ruhiger liegen. »Sobald Sie sich erholt haben, Mr. Hynes, sollten Sie Ihre vier Überwacher in den Keller schaffen«, schlug Josuah Parker vor. »Danach könnte Mylady sich dann intensiv mit Ihnen unterhalten. Ich möchte davon ausgehen, daß Mylady Ihnen eine durchaus passable Chance bieten wird, die sich mit Ihrer kurz-, mittelund langfristigen Zukunft befassen wird.« »Oder umgekehrt«, sagte in diesem Moment leider eine leise, aber auch eindringliche Stimme. »Nee, keine Bewegung, Mr. Parker! Das gilt auch für Sie, Lady. Wir benutzen erstklassige Schalldämpfer. Schon vor den Fenstern würde man keinen Schuß hören. Also, hoch die Arme!« »Darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie vor ein paar Sekunden erst gegen jede Bewegung waren?« erkundigte sich der Butler in seiner überaus höflichen Art. »Witzbold«, sagte die leise Stimme. »Brauchen Sie ‘ne Bleiladung im Bein!? Hoch die Arme, aber ein bißchen dalli!«
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*
»Sie wissen hoffentlich, Mr. Parker, wem ich das alles zu verdanken habe«, sagte die Lady eine halbe Stunde später. »Sie haben sich wieder mal völlig übertölpeln lassen.« »Mylady sehen meine bescheidene Person untröstlich«, lautete die Antwort des Butlers. Er verzichtete, seiner Herrin darauf zu antworten. Sie war es schließlich gewesen, die Hynes unbedingt hatte besuchen wollen. Nun, an den augenblicklichen Dingen ließ sich nichts ändern. Parker und Agatha Simpson saßen in einem Straßenkreuzer und wurden zur Wasserfront von New Jersey gebracht. Daß man sie nicht dazu eingeladen hatte, die Skyline von Manhattan jenseits des Hudson zu bewundern, lag auf der Hand. Die Gangster schienen klare Anweisungen erhalten zu haben. Diese Anweisungen konnten nur auf einen Doppelmord hinauslaufen. Die Zentrale Süd der Mafia wollte wohl so schnell wie möglich einen endgültigen Schlußstrich ziehen. »Ich ahnte, daß Sie früher oder später kommen würden«, sagte Hynes, der auf dem Beifahrersitz saß und seine beiden Szenen mit einer schußbereiten Pistole bewachte. Hynes lächelte wieder frei und offen. Alle Verkrampfung war von ihm abgefallen. Seine Pechsträhne
schien beendet zu sein. Er hatte die beiden verhaßten Amateurdetektive endlich fest im Griff. »Ich möchte einräumen und gestehen, daß ich mit solch einem Aufgebot nicht gerechnet habe«, antwortete Josuah Parker. »Ein unentschuldbarer Irrtum.« Josuah Parker und Agatha Simpson waren von zwei weiteren Mafiagangstern im Bungalow von Ralph Hynes überrascht worden. An eine Gegenwehr war überhaupt nicht zu denken gewesen. Es wäre sonst unweigerlich noch im Haus zu einer einseitigen Schießerei gekommen. »Ihr Stern dürfte also wieder steigen, junger Mann, wie?« Lady Simpson gab sich friedlich und fast schon verbindlich, was Parker ein wenig beunruhigte. Plante sie einen Angriff? Das wäre einem sofortigen Selbstmord gleichgekommen. Neben dem Fahrer und Hynes befanden sich immerhin noch die beiden Männer im riesigen Wagen, von denen sie überwältigt worden waren. Auch diese beiden Männer zeigten ihre Schußwaffen. »Und Ihr Stern sinkt rapide«, meinte Hynes genußvoll. »Sie gedenken, Mylady und meine Wenigkeit nachhaltig aus dem Weg zu räumen, Mr. Hynes?« erkundigte sich der Butler. »Was denn sonst?« Hynes nickte. »Haben Sie das Theater vergessen, daß Sie für die Presse und fürs Fern65 �
sehen aufgezogen haben? So was können wir uns nicht bieten lassen.« »Bestehen bereits gewisse Vorstellungen darüber, wie man Lady Simpson und meine Wenigkeit zu töten gedenkt?« Parker sprach in einem Ton, als ginge ihn das alles überhaupt nichts an. »Sie können’s wohl gar nicht erwarten, oder?« Hynes grinste spöttisch. »Soll der Hudson Mylady und meine Wenigkeit hinaus in den Atlantik tragen?« »So ungefähr.« Hynes nickte. »Aber keine Sorge, wir sind menschlich. Reiner Unsinn, daß die Mafia angeblich ihre Opfer quält. Wir sind immer für saubere Sachen.« »Ein ungemein trostreicher Gedanke, Mr. Hynes.« »Sie haben uns ganz schön Ärger gemacht«, redete Hynes weiter. »Hätte ich Amateuren gar nicht zugetraut. Ihr Pech, daß Sie auf der falschen Seite stehen. Bei uns hätten Sie Karriere machen können, Parker.« »Man soll verschütteter Milch nicht nachtrauern«, lautete Parkers Antwort. »Hoffentlich reiten Sie das richtige Pferd, Mr. Hynes, um einen Terminus Ihrer Branche zu benutzen.« »Worauf wollen Sie hinaus?« Hynes beugte sich etwas vor. »Wird Ihre Zentrale Süd nach wie vor der festen Ansicht sein, daß Sie
loyal sind?« »Wovon, zum Teufel, reden Sie eigentlich?« »Ich erlaube mir, mich zu fragen, ob Sie nicht längst zur Zentrale Mitte oder Nord gehören.« Hynes verschlug es zuerst mal die Sprache. Dann nahm er seine Waffe hoch und schien dicht vor einer Kurzschlußreaktion zu stehen. Diese beiläufige Frage enthielt Dynamit, wie er und auch Parker wußten. »Tun Sie’s nicht«, sagte einer der beiden Begleiter von Hynes und richtete wie zufällig den Lauf seiner Waffe auf Hynes. »Nur nicht durchdrehen«, fügte der zweite Gangster hinzu. Die Mündung auch seiner Waffe richtete sich auf Hynes. »Das ist… Das ist doch eine himmelschreiende Lüge«, brüllte Hynes und pfiff auf eine genaue sprachliche Interpretation. »Wie können Sie behaupten, ich würde von der Mitte oder von Nord bezahlt werden!?« »Von einer Behauptung oder Anschuldigung kann keine Rede sein«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichgemessenen Art. »Es handelte sich um eine hypothetische Frage, wenn ich so sagen darf. Man sollte stets alle Aspekte eines Problems beleuchten. Ich bin sicher, daß Sie Ihrem Vorgesetzten schon wahrheitsgemäß und richtig antworten werden, Mr. Hynes. Warum, so gestatte ich mir zu fragen, sollte ein 66 �
Mann Ihrer Position den Arbeitsbereich wechseln? Ihre Stellung in der Zentrale Süd ist doch eindeutig fest und unumstritten. Oder sollte ich mich da ein wenig täuschen?« Hynes hätte am liebsten geschossen, doch er konnte es nicht riskieren. Seine beiden Begleiter hätten das nie zugelassen. Ihr Argwohn war geweckt worden. Und damit hatte der Butler genau das erreicht, was er wollte: Der geplante Doppelmord an Lady Simpson und an ihm war vorerst mal hinausgeschoben worden. Und falls Mike Rander und Kathy Porter sich inzwischen in New York befanden, wie es ausgemacht war, dann hatten auch sie entsprechendes Mißtrauen gesät. * Das junge Ehepaar war im Sheraton abgestiegen, hatte dort tatsächlich einen Brief des Butlers vorgefunden und danach sofort wieder das komfortabel eingerichtete Hotel verlassen. Josuah Parker hatte hinterlassen, wo er zusammen mit Lady Simpson drüben in New Jersey abgestiegen war. Die Adresse suchten Mike Rander und Kathy Porter natürlich umgehend auf. Von einer nahen Telefonzelle aus rief Mike Rander im Apartment an. Auf der Gegenseite wurde überraschend schnell abgehoben. Eine Stimme meldete sich mit dem
Namen Irvington. Es war eindeutig aber nicht die Stimme des Butlers, wie Mike Rander sofort feststellte. »Filmore«, gab der Anwalt zurück, ohne sich etwas anmerken zu lassen. »Sie suchen nach einem Wohnmobil, wie mir im Büro gesagt wurde?« »Das… Das hat sich inzwischen überholt«, erwiderte der angebliche Irvington. »Tut mir leid, daß nichts draus wird. Vielen Dank für Ihre Bemühungen!« »Macht überhaupt nichts.« Mike Rander sprach mit einem leichten New Yorker Slang. »Vielleicht kommen wir später mal ins Geschäft, okay?« »Ist durchaus drin«, lautete die Antwort. Dann wurde auf der Gegenseite aufgelegt. Mike Rander ging zum Leihwagen, in dem Kathy Porter saß. Er teilte ihr mit, was er gehört hatte. »Da stimmt doch etwas nicht«, sagte sie sofort. »Worauf Sie sich verlassen können, Kathy.« Rander nickte. »Und was da nicht stimmt, werden wir bald genau wissen.« Kathy Porter stieg sofort aus dem Wagen und nickte dem Anwalt zu. Sie war erfahren in so gut wie allen Künsten der fernöstlichen Kampfarten und konnte sich innerhalb von Sekunden in eine Pantherkatze verwandeln. Mike Rander, der ein wenig distanziert-versnobt wirkte, hatte es ebenfalls in sich. Ohne 67 �
Übergang stellte er einen harten Einzelkämpfer auf die Bühne. Während sie auf das Apartmenthaus zugingen, besprachen sie stichwortartig die Einzelheiten ihres Vorgehens. Als sie die Halle betraten, gab es keine Unklarheiten mehr. Der Hausverwalter, der in einer Art Pförtnerloge saß, nahm unwillkürlich Haltung an, als Mike Rander sich als Anwalt der Irvingtons vorstellte und Kathy Porter als seine Sekretärin ausgab. Als der Hausverwalter den Anwalt telefonisch ankündigen wollte, winkte Mike Rander ab. »Nicht nötig«, sagte er, »wir werden ja erwartet.« Der Hausverwalter nickte. Mike Rander ging zusammen mit Kathy Porter zu den Fahrstühlen hinüber. Er fühlte sich von dem Hausverwalter genau beobachtet und zog daraus seine Schlüsse. Der Mann hatte einen sehr wachsamen und sprungbereiten Eindruck auf ihn gemacht. »Der Bursche täuscht was vor«, sagte er zu Kathy, als er den Fahrstuhl erreicht hatte. »Würden Sie ihn mal kurz übernehmen, Kathy? Sicher ist sicher!« Sie lächelte, nickte und ging dann mit schnellen Schritten zu der kleinen Pförtnerloge zurück. Sie verstand es ausgezeichnet, etwaiges Mißtrauen des Mannes abzubauen, indem sie gekonnt die Hüften wiegte und dann ihre Handtasche
zu Boden fallen ließ. Als sie sich danach bückte, präsentierte sie dem Hausverwalter ein recht offenherziges Dekollete. Der Mann tat das, worauf sie es angelegt hatte. Er verließ seine kleine Pförtnerloge und beeilte sich, ihr zu Hilfe zu kommen. »Vielen Dank«, flötete Kathy Porter, als er sich ebenfalls bückte. »Sie sind aber wirklich sehr nett.« »Ich kann noch viel netter sein«, meinte er und… legte sich dann der Länge nach auf die Fliesen. Kathy Porter hatte ihn mit einem blitzschnellen Spezialschlag außer Gefecht gesetzt, wobei ihre Handkante eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Mike Rander war inzwischen zurückgekommen und nickte, als Kathy Porter ihm die Schußwaffe des Hausverwalters zeigte, die sie in einer Schulterhalfter gefunden hatte. Er schleifte den besinnungslosen Mann an den Beinen auf eine Seitentür zu und verstaute ihn in einer engen Besenkammer. »Ganz netter Anfang, Kathy«, meinte er. »Um den richtigen Hausverwalter werden wir uns später kümmern. Jetzt geht’s erst mal um die angeblichen Irvingtons. Lady Simpson und Parker scheinen in leichten Schwierigkeiten zu! stecken!« *
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Von leichten Schwierigkeiten konnte keine Rede sein. Die Lage, in der Lady Agatha und Butler Parker sich befanden, war lebensgefährlich! Sie befanden sich immerhin in der Hand der Mafia, die ihren Tod beschlossen hatte. Man hatte das Duo auf einen Bugsierschlepper gebracht, der an einem kleinen Nebenpier in der Nähe der Anlegestelle einer Fähre liegen mußte. Die typischen Geräusche der Fähren waren immer wieder deutlich zu hören. Agatha Simpson hatte auf einer leeren Kiste Platz genommen und ärgerte sich. Sie übersah die fetten Ratten, die ziemlich ungeniert über eine Leiste wischten. Auch Parker nahm die Nager nicht weiter zur Kenntnis. Er hatte das enge und nach Dieselöl riechende Gefängnis bereits genau inspiziert und wußte, daß an ein Entkommen vorerst nicht zu denken war. Der Raum war vollgestopft mit Tauwerk, Handwerkszeug und Kanistern, die Tür bestand aus einem Stahlschott, das selbstverständlich fest verschlossen war. Ein Bullauge gab es nicht, nur ein schmales Skylight oben in der Decke, das allerdings einen vor Rost zugeschweißten Eindruck machte. »Warum sagen Sie nichts?« grollte die Lady den Butler an. »Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?« »Keineswegs und mitnichten,
Mylady«, erwiderte Parker höflich. »Zur Sorge besteht meiner bescheidenen Ansicht nach vorerst kein tiefer Grund.« »Vorerst, Mr. Parker?« Sie lachte gereizt. »Ist es nicht völlig gleichgültig, welche Mafiazentrale uns hier festhält? Ob Süd, Mitte oder Nord, man wird mich in jedem Fall ermorden wollen.« »Dies entspricht in der Tat den Absichten der Mafia, Mylady.« »Und was gedenken Sie dagegen zu tun?« »Man wird sich auf einen längeren Aufenthalt einrichten müssen, Mylady, der Stunden oder sogar Tage dauern kann.« »Wegen dieses Hynes, nicht wahr?« »Jener Gangster, den man mit ›Sir‹ anredete, Mylady, wird sich seinem Mißtrauen hingeben«, redete der Butler weiter. »Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach konferiert er bereits mit den Zentralen Mitte und Nord von Manhattan. Er wird in Erfahrung bringen wollen, ob Mr. Hynes gekauft worden ist.« »Daraus soll einer klug werden.« »Wenn Mylady erlauben, möchte ich mir gestatten, Mylady einiges über die Mafia zu berichten.« »Bevor ich vor Langeweile umkomme? Reden Sie doch endlich, Mr. Parker! Hoffentlich ist es eine spannende Geschichte.« »Manhattan dürfte in drei auto69 �
nome Bezirke aufgeteilt worden sein«, schickte Parker voraus. »Jede Zentrale arbeitet für sich und wacht natürlich eifersüchtig über ihr Einflußgebiet. In allen drei Bezirken geht es um die Gewinnmaximierung, wenn ich es so ausdrücken darf. Jeder Chef der jeweiligen Zentrale bemüht sich darum, der Dachorganisation möglichst hohe Gewinne zu überweisen. Dabei wird es zwangsläufig immer wieder zu gewissen Übergriffen kommen. Man wird auch versuchen, die Konkurrenz ins Hintertreffen zu bringen.« »Klingt nach freier Wirtschaft«, meinte die ältere Dame boshaft. »Durchaus und in der Tat, Mylady.« Parker deutete ein zustimmendes Nicken an. »Kann nun eine Zentrale der anderen unlauteren Wettbewerb nachweisen, so wird die Dachorganisation als Schiedsrichter angerufen. Mr. Hynes ist nun in den Verdacht geraten, mit unsauberen Mitteln gearbeitet zu haben. Schon dieser Verdacht allein reicht aus, um ihn zur Dachorganisation zu zitieren.« »Obwohl er die Zentrale Süd leitete?« »Er könnte dennoch von den Zentralen Mitte oder Nord im Sinn der Mafiamethoden geschmiert worden sein, Mylady. Mr. Hynes’ Verhör bringt immerhin einen erfreulichen Zeitgewinn.« »Den Sie hier vertrödeln«, grollte
die ältere Dame weiter. »Wo sind denn Ihre Zaubermittel, he? Warum schaffen Sie es nicht, dieses Schott dort zu öffnen?« »Ein Schott dieser Bauart, Mylady, wird mittels zweier großer Hebel geschlossen, die auch mit einer kleinen Thermitladung nicht zu durchtrennen sind.« »Mit anderen Worten, Sie wissen also nicht weiter, wie?« »So lautet in der Tat die vereinfachte Formel, Mylady, wie ich gestehen und einräumen muß.« Agatha Simpson war wütend. Sie griff nach einem kleinen, leeren Ölkanister und warf ihn auf zwei fette Ratten, die quiekten und sich erst mal in Sicherheit brachten. Dann deutete die Detektivin auf das Skylight in der Decke. »Es ist leider zusätzlich vergittert, Mylady.« Parker hatte die Geste sofort richtig gedeutet. »Ich bin verärgert«, sagte Lady Agatha und erhob sich von der Kiste. »Schlagen Sie wenigstens die Scheibe ein, Mr. Parker!« »Mylady versprechen sich davon eine Veränderung der gegenwärtigen Situation?« »Hauptsache, irgend etwas geschieht.« »Wie Mylady wünschen.« Parker nahm einen vollen Kanister und schmetterte ihn gegen die dicke Glasscheibe des Oberlichts. Die Scherben prasselten herunter und 70 �
frische Luft strömte in die enge Kammer. Leider jedoch auch ein kühler Nieselregen. Im Viereck des Skylights erschien ein Gesicht. »Wollt ihr unter Wasser gesetzt werden?« fragte der Gangster wütend. »Kleinigkeit für uns. Ich brauch nur ‘nen Wasserschlauch reinzulassen, Leute.« »Mylady verzichtet auf diese zusätzliche Erschwernis der momentanen Situation«, antwortete Parker höflich. »Der Schaden wird Ihnen natürlich ersetzt werden.« »Den buchen wir unter Unkosten ab«, sagte der Gangster. »Also, keine weiteren Mätzchen, Leute, sonst lassen wir uns was einfallen!« »Wann ist mit der Rückkehr Mr. Hynes’ zu rechnen?« fragte Parker. »Innerhalb ‘ner Stunde, Leute«, lautete die schleppende Antwort. »Der wird jetzt abgeklopft. Danach seid ihr an der Reihe. Ehrlich, in eurer Haut möcht ich nicht stecken!« »Denkt man an eine Versenkung dieses Bugsierschleppers?« fragte der Butler weiter. »Könnte schon sein.« Der Gangster lachte leise. »Das Ding hier besteht eigentlich nur noch aus Rost.« Das Gesicht verschwand, und Parker dachte an den gerade gelieferten Hinweis, der sich auf den Rostzustand des Schleppers bezog. Er dachte weiter und begann dann, den Schnürsenkel seines linken Schuhs
zu öffnen und aus den Schuhösen zu ziehen. Lady Agatha sah diesem Tun mißtrauisch zu und beobachtete dann das Skylight. Sie hatte den Eindruck, daß ihr Butler sich anschickte, wieder die Initiative zu ergreifen. * Sie kamen ahnungslos aus dem Apartment des Ehepaares Irvington und dachten nicht im Traum daran, ein wenig behelligt zu werden. Sie hatten das Apartment in aller Ruhe auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden, was der Mafia hätte gefährlich werden können. Die beiden stämmigen Männer – sie sahen diesmal finster aus wie Filmgangster – gingen zu den Fahrstühlen hinüber und passierten dabei eine Fensternische. Sie sahen zwar gerade noch eine Bewegung, aber sie fanden keine Zeit, nach ihren Waffen zu greifen. Kathy Porter und Mike Rander ließen sich auf kein Risiko ein. Mit Handkantenschlägen schalteten sie die beiden Besucher des Apartments aus, die stumm zu Boden gingen. Mike Rander zog ihnen die Schußwaffen aus den Schulterhalftern und schleifte die Schlafenden zusammen mit Kathy Porter zurück in das Apartment. »Ob sie wissen, wohin man Lady Simpson und Mr. Parker gebracht 71 �
hat?« fragte Kathy den Anwalt. »Natürlich wissen sie es, aber sie werden nichts sagen«, antwortete Mike Rander. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und schaute auf die beiden Gangster hinunter. »Reine Zeitverschwendung, sie zum Reden bringen zu wollen.« »Und wenn wir sie laufen lassen, Mike? Vielleicht bringen sie uns zum Versteck.« »Ausgeschlossen, Kathy, das können wir uns abschminken. So dumm werden sie nicht sein.« »Und wenn wir diese Zentrale Süd anrufen und einen Austausch vorschlagen, Mike?« »Möchten Sie ein Hohngelächter der Mafia hören?« Er schüttelte den Kopf. »Das hier gehört zum Bodensatz der Mafia. Kein Gegenwert für Lady Agatha und Parker.« »Aber wir müssen doch etwas tun, Mike!« Sie sah ihn eindringlich an. »Wir können doch nicht die Hände in den Schoß legen.« »Filzen wir die Anzüge der beiden Typen, Kathy. Vielleicht finden wir einen brauchbaren Hinweis. Riechen Sie nichts?« »Sie riechen nach Maschinenöl, das ist mir sofort aufgefallen.« »Die Jeans sind ölverschmiert. Sehen Sie sich mal die Hände an, rissig und verarbeitet. So sehen Hände von Mechanikern aus.« Rander kniete neben einem der beiden stämmigen Gangster und
durchsuchte dessen Taschen. Kathy Porter befaßte sich mit dem zweiten Mann und… richtete sich wenig später bereits auf. »Hier, Mike«, sagte sie hastig. »Ein Flaschenöffner mit einem Reklameaufdruck.« »Johnston’s Tunnel-Bar«, las Mike Rander und stand sofort auf. Er ging zum Telefon, holte das Verzeichnis hervor und brauchte nur eine halbe Minute, bis er die Adresse gefunden hatte. »Immerhin ein Strohhalm«, sagte er zu Kathy. »Die Bar scheint in der Nähe des Holland-Tunnel zu liegen. Wir sollten dorthin fahren.« »Und die beiden Männer hier?« »Die werden wir verschnüren und ins Badezimmer packen. Die sind jetzt unwichtig.« Rander reichte Kathy den Flaschenöffner, den sie im Lumberjack des Gangsters verschwinden ließ. Sie kehrten dem Apartment den Rücken, das Parker für sich und die Lady unter dem Namen Irvingston gemietet hatte, um dann schleunigst zum Leihwagen zu eilen, der in der Seitenstraße stand. Weit bis zur Ausfahrt des HollandTunnels hatten sie nicht. Sie waren nach einer halben Stunde in der Nähe einer Fährenanlegestelle, verließen hier den Wagen und gingen zu Fuß weiter. Es war eine reichlich finstere Gegend, nicht nur was die Straßenbeleuchtung anbetraf. Bis zu 72 �
den vielen Piers und Docks war es nicht mehr weit. Es roch nach fauligem Brackwasser, nach Unrat und nach Verbrechen. »Wir sollten uns vielleicht anpassen«, sagte Mike Rander, der an ihre korrekte Kleidung dachte, die hier unbedingt auffiel. »Das ist schnell getan.« Kathy lächelte und verschwand in einem Torweg. Nach wenigen Augenblicken kehrte sie auf die Straße zurück und hatte sich völlig verwandelt. Sie glich einem leichten und sehr billigen Mädchen und wirkte herausfordernd. Kathy Porter hatte sich den Rock bis zum Oberschenkel eingerissen und die leichte Bluse kokett geöffnet. Ihr Gang paßte zu ihrer Aufmachung. Sie wiegte sich in den Hüften und glich einer großen Katze, die nach Beute Ausschau hält. Mike Rander verwandelte sich in die Beute, die sie gefunden zu haben schien. Er hatte sich die Krawatte gelockert und spielte den Angetrunkenen, der sich hierher in diese Gegend verirrt haben mußte. Er ließ sich von Kathy einhaken und förmlich abschleppen. So schlenderten sie auf Johnston’s Tunnel-Bar zu, die in der nächsten Querstraße lag. Am Ende dieser Straße war das Drahttor eines Piers zu sehen. Und genau davor seltsamerweise ein teurer Personenwagen, der so gar nicht in diese Straße paßte. »So was gibt’s also nicht nur in
Filmdrehbüchern«, sagte Mike Rander leise zu Kathy. »Der Wagen ist drüben im Staat New York zugelassen.« »Mike, Sie glauben, daß er…?« »Ein normaler Bürger würde sich hüten, solch einen teuren Wagen hier abzustellen«, erwiderte Rander. »Der Schlitten wäre längst weg, Kathy. Man hätte ihn… Achtung, wir werden beobachtet, Kathy! Die beiden jungen Damen dort scheinen Sie nicht zu mögen. Wahrscheinlich glauben sie eine Kollegin habe sich im fremden Revier verirrt. Sie werden sich auf einiges gefaßt machen müssen!« * »Sie scheinen sich häuslich eingerichtet zu haben«, schnaufte die ältere Dame. Sie meinte Parker, der im Reitersitz auf ihren breiten Schultern saß und mit dem Schnürsenkel die Eisenstäbe über dem Skylight durchtrennte. »Ich bitte um Vergebung, Mylady«, erwiderte Parker leise. »Nur noch wenige Minuten, wie ich glaubhaft versichern kann.« Nach diesem Hinweis widmete der Butler sich wieder seiner Spezialsäge, die aus flexiblem Material bestand, dessen Schärfe frappierend war. Sie schnitt wie durch Butter und verursachte dabei so gut wie keine Geräusche. 73 �
Im Zweiten Weltkrieg waren englische Kommandounternehmen mit solchen Handsägen ausgerüstet worden. Man konnte sie als normale Schnürsenkel tarnen und tatsächlich auch zum Verschnüren von Schuhen verwenden. Parker hatte diese Vorlage selbstverständlich weiterentwickelt und besaß mit dieser Schnürsenkelsäge ein Instrument, mit dem er die Zellenstäbe eines gesicherten Zuchthauses ohne jede Mühe durchtrennen konnte. Agatha Simpson, die ihn auf ihren Schultern trug, stand in der engen Kammer wie der Fels von Gibraltar. Es zeigte sich wieder mal, über welche Energie und Kondition die Dame verfügte. Sie fand sogar noch Zeit, nach einer neugierigen Ratte zu treten, die an ihrem linken Fußknöchel schnuppern wollte. Die Ratte quietschte und landete an der Wand der Kammer. Sie raffte sich auf und beeilte sich, ihren Artgenossen mitzuteilen, daß bei diesen Zweibeinern auf keinen Fall etwas zu holen war. Butler Parker, der die flexible Schnursäge mit beiden Händen bediente – sie besaß an jedem Ende einen Eisenring, um kraftvoll durchgezogen werden zu können –, durchtrennte den letzten Stab. Seitdem er mit dieser Arbeit begonnen hatte, war etwa eine halbe Stunde vergangen. Er deutete eine respektvoll-höfliche Verbeugung an, als er
dann wieder vor seiner Herrin stand. »Keine unnötigen Höflichkeiten«, sagte sie grollend. »Ich werde Sie jetzt an Deck katapultieren, Mr. Parker. Dann aber werden Sie mal ohne mich auskommen müssen.« »Ich möchte meiner tiefen Bewunderung Ausdruck verleihen«, sagte der Butler. »Unsinn, ich weiß doch, wie gut ich bin.« Sie sagte es ohne Ironie. »Kommen Sie, steigen Sie in meine Hände! Und dann passen Sie gefälligst auf!« »Darf ich Mylady darauf aufmerksam machen, daß zuviel Schwung vielleicht störend sein könnte?« »Wieso denn das, Mr. Parker?« Sie faltete ihre Hände zusammen und drehte die Außenflächen nach unten, um Parker so eine Art Steigbügel zu verschaffen. »Mylady könnten meine bescheidene Wenigkeit unter Umständen über Bord werfen.« »Eine nette Vorstellung.« Sie lächelte boshaft. Selbst im schwachen Licht der Notbeleuchtung war dies deutlich zu sehen. Parker stieg gewandt in den improvisierten Steigbügel und… wurde wenig später kraftvoll durch das Skylight nach oben an Deck befördert. Seine Warnung war berechtigt gewesen. Er segelte auf die Reling zu und 74 �
glaubte für einen Moment, tatsächlich im Wasser zu landen. Dann aber erwischte er mit der linken Hand eine Eisenstange und konnte so seinen viel zu großen Schwung gerade noch bremsen. Er schaute sich um. Zwei stämmige Männer standen vorn neben dem kleinen Ruderhaus und rauchten. Sie schienen ein irreguläres Geräusch gehört zu haben und wandten sich um. Dann kamen sie langsam in Richtung Skylight zurück, um hier nach ihren Gefangenen zu sehen. Genau in diesem Moment rief Lady Simpson um Hilfe. Ihre Stimme brachte die beiden Männer noch zusätzlich auf Trab. Sie achteten nicht weiter auf ihre Umgebung und beeilten sich förmlich, Parker in die Arme zu laufen. * »Wir können uns prügeln, Süße, aber wir können auch zusammen abkochen«, sagte Kathy Porter lässig und mit träger Stimme, die große Selbstsicherheit verriet. Sie deutete auf Mike Rander, der allein weiterschwankte und auf den großen, teuren, schwarzen Wagen zuhielt. Die beiden Frauen blieben sicherheitshalber stehen. Sie gehörten zur Gilde eines uralten, leichten Gewerbes, und sie spürten automatisch, daß diese junge Konkurrentin nicht
die Spur von Angst kannte. Das machte sie vorsichtig. »Was is’n das für’n Typ?« fragte die größere der beiden Frauen. »Den hab’ ich da drüben aufgerissen«, antwortete Kathy Porter. »Hat’n Apartment beim State College, will aber unbedingt ‘ne Hafenkneipe sehen.« »Was sitzt denn so für uns drin?« wollte die zweite Frau wissen. Sie schaute Mike Rander nach, der inzwischen den Wagen erreicht hatte und sich gegen den Kofferraum lehnte. Er schien überhaupt nicht mitzubekommen, daß über ihn intensiv verhandelt wurde. »Fünfzig für mich, fünfzig für euch. Habt ihr ‘nen passenden Schlitten?« »Nur fünfzig?« Die größere der beiden Frauen schüttelte versuchsweise den Kopf. »Dann eben nicht.« Kathy Porter ließ stich auf keine Diskussion ein. »Wem gehört der Karren dort?« »Finger weg!« Die andere Frau sagte es eindringlich und warnend. »Zu heiß für uns.« »Angst?« Kathy lächelte mokant. »Und wie!« Die Größere nickte. »Mafia. Genügt wohl, wie?« »Na, und? Wo stecken die Jungens?« »Drüben auf dem Pier.« »Paßt doch, weit weg, oder?« »Die haben da was zu ‘nem Schlepper gebracht«, sagte die 75 �
Schmalere beiläufig. »Nee, wir besorgen ‘nen anderen Wagen.« »Dann aber schleunigst«, forderte Kathy Porter. »Wir bringen den Typ in seinen Bau und nehmen ihn dann aus. Macht schon, bevor er wieder klar sieht!« Die beiden Frauen witterten ein einträgliches Zusatzgeschäft und liefen auf ein unbebautes Grundstück zu, wo einige Wagen standen. Kathy Porter wogte und wiegte auf Mike Rander zu. »Ein Schlepper«, sagte sie leise. »Seien Sie jetzt stur, Mike, und schleppen Sie mich ab. Die beiden Mädchen werden bestimmt nicht folgen.« Sie verzichteten tatsächlich darauf. Als Mike Rander das halb geöffnete Drahttor zum Pier passierte, folgte ihm Kathy. Sie tat so als wolle sie ihn zurückhalten, doch Mike Rander spielte den sturen Angetrunkenen und wankte weiter in die Dunkelheit. »Sie werden warten«, sagte Kathy, als sie außer Sicht waren. »Diesen Bissen werden sie sich nicht entgehen lassen.« »Wo mag der Schlepper liegen?« Rander blieb unschlüssig stehen. »Kommen Sie, Kathy, wir müssen uns beeilen!« Sie suchten zuerst die linke, Seite des Piers ab, konnten aber nichts finden. Als sie die Seite wechselten, waren plötzlich die Scheinwerfer
eines Autos zu sehen, das offensichtlich das Drahttor erreicht hatte. Wenig später heulte ein Motor auf, dann bündelte sich das Licht und durchschnitt die Nacht. Mike Rander und Kathy Porter hatten hinter einem halb abgewrackten Lastwagen Deckung genommen und beobachteten den Personenwagen, der in schneller Fahrt an ihnen vorbeiraste und hinter einem Lagerhaus verschwand. Jetzt war alles leicht. Mike Rander und Kathy Porter schoben sich um die Ecke des Lagerhauses herum und entdeckten den Wagen hart am Pier und vor den Aufbauten eines kleinen Bugsierschleppers. Drei Männer hatten den Wagen bereits verlassen und gingen eilig an Bord. »Jetzt kommt unser großer Auftritt«, flüsterte Mike Rander seiner Begleiterin zu. »Machen wir uns auf einiges gefaßt, Kathy.« »Aber wieso denn?« fragte eine höfliche Stimme dicht hinter ihnen. »Ich würde vorschlagen, sich nicht unnötig zu chauffieren, Sir. Die Lage ist inzwischen bereinigt, wie ich versichern darf. Man sollte allerdings auch diese drei Herren noch im wahrsten Sinn des Wortes an die Kette legen.« Das Ehepaar Irvington trat hinter einem Stapel Schnittholz hervor, und Josuah Parker verbeugte sich höflich, wie es seiner Art entsprach. 76 �
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Das Quartett aus England hatte sich natürlich auch zur großen Show eingefunden, die hier draußen unterhalb der Freiheitsstatue einer staunenden Mitwelt gezeigt wurde. Wie ein mittelgroßer, gestrandeter Walfisch lag ein Bugsierschlepper am Strand der Insel und war umgeben von Booten der Marine und der Wasserpolizei. Auf gemieteten Schleppern waren Fernsehkameras installiert worden. Scharen von Reportern standen auf anderen Schleppern und ließen ihre Kameras klicken. Die einschlägigen Medien der Millionenstadt New York waren wieder mal höflich, aber anonym informiert worden. Man hatte Presse, Funk und Fernsehen gebeten, der Öffnung eines Bugsierschleppers beizuwohnen. Der anonyme Anrufer hatte garantiert, weitere Mitglieder der Mafia würden darauf warten, von der Polizei in Empfang genommen zu werden. Diese war inzwischen dabei, das enge Kabelgatt des gestrandeten Schleppers aufzumeißeln. Kleine Schweißpunkte hielten vorerst den Zugang noch eisern fest. Kommentatoren von Funk und Fernsehen überbrückten die Wartezeit mit ihren Mutmaßungen. Man fragte sich, wer der anonyme Anrufer wohl sein
möge und welche Interessengruppe er wohl vertrete. Einig war man sich darin, daß die Mafia von New York eine weitere Schlappe habe einstecken müssen. Man sprach von einer Riesenblamage für die Unterwelt und hob besonders hervor, wie unblutig dies alles geschehen sei. Dann war es endlich soweit! Angeführt von einem gewissen Ralph Hynes erschienen stämmige und dennoch total frustrierte Gangster an Deck des gestrandeten Schleppers und kamen sich sehr komisch und veralbert vor, zumal sie offen ihre diversen Schußwaffen trugen. Man hatte sie ihnen mit soliden Kabeln an ihren Körpern festgezurrt. »Ich beginne mich zu langweilen, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson. »Haben wir nicht noch etwas zu tun?« »In der Tat, Mylady«, antwortete Parker. »Mylady wollen jenem Herrn noch einen Besuch abstatten, der sich mit ›Sir‹ anreden läßt und offensichtlich zur Spitze der Dachorganisation der New Yorker Mafia gehört.« »Eben«, sagte sie. »Haben Sie seine Adresse inzwischen herausgefunden?« »Anhand der aufgezeichneten Telefonnummer erwies sich dies als nicht sonderlich schwierig, Mylady. Wollen Mylady übrigens nicht Mr. Hynes zuwinken? Er wird wohl gleich hier vorbeigeführt werden.« 77 �
Er wurde vorbeigeführt. In seiner Begleitung befanden sich noch Jerry Clanden und Hank Lafitte, die von Butler Parker und Mike Rander aus den Büroräumen der Star-Land herausgeholt worden waren. Agatha Simpson lächelte Hynes genußvoll zu. Er blieb stehen und verlor die Selbstbeherrschung. Er riß sich von den beiden Beamten los, die ihn zwischen sich genommen hatten. Hynes, den die Dachorganisation noch in der Nacht rehabilitiert hatte, sah nur noch rot. Er raste auf die ältere Dame los, während die Optiken der Kameras und Fotoapparate ihm folgten. Sie nahmen in Großaufnahme die kräftige Ohrfeige auf, die Lady Simpson dem Chef der Zentrale Süd verabreichte. Die Optiken zeichneten jede Einzelheit des Saltos auf, den Hynes nach dieser Ohrfeige absolvierte. Hynes landete auf dem Rücken, strampelte noch ein wenig mit den Beinen in der Luft herum und weinte dann bittere Tränen. Die übrigen Gangster beeilten sich, Lady Simpson zu passieren und sahen scheu zu Boden. Sie fürchteten, ebenfalls geohrfeigt zu werden und konnten nicht schnell genug auf das Boot der Polizei übersteigen. »Das war ich mir schuldig«, sagte Agatha Simpson und wandte sich ab. »Aber jetzt möchte ich diesen ›Sir‹ sehen, Mr. Parker.« »Er wohnt in einem Hotel in der
Nähe des Central Park«, antwortete Josuah Parker. »In Anbetracht der Entfernung war ich so frei, einen Hubschrauber zu mieten. Er steht abflugbereit hinter der Freiheitsstatue.« »Sehr hübsch.« Sie nickte wohlwollend. »Manchmal haben Sie durchaus brauchbare Ideen, Mr. Parker, aber eben nur manchmal.« Mike Rander und Kathy Porter sahen sich lächelnd an, Parker hingegen verzog keine Miene. Die Detektivin setzte sich bereits in Bewegung, um ihren Fall abzuschließen. Es gab da noch einige Ohrfeigen, die sie unterzubringen gedachte. * Nach der Landung des Hubschraubers auf dem Flachdach der PanAm fuhr das »Quartett« hinunter ins Erdgeschoß, wo bereits ein vorbestelltes Taxi wartete. Bis zum Central Park war es nicht mehr weit. Lady Simpson schien so etwas wie Witterung aufgenommen zu haben. Sie machte wieder mal einen sehr animierten Eindruck. »Als was gibt dieses Subjekt sich aus?« erkundigte sie sich bei Parker. »Besagter Mann heißt Roger A. Harrison, Mylady«, antwortete der Butler gemessen. »Er arbeitet in der Filmfinanzierung, wie seine Firma es ausweist.« 78 �
»Auf mein Drehbuch kann er sich schon jetzt freuen«, verhieß die Lady. »Ich werde mit ihm eine Soloszene drehen.« Agatha Simpson stürmte förmlich das Wohnhotel und rauschte am Empfang vorüber, um möglichst schnell zum Lift zu gelangen. Dann aber hörte sie ihren Namen. Ein junger Mann hinter der Rezeption beeilte sich, ihr einen Brief nachzutragen. »Eine Nachricht von Mr. Harrison«, sagte er respektvoll. »Für mich?« »Ich möchte annehmen, Mylady, daß Sie Lady Simpson sind.« »Schon gut, junger Mann.« Sie fetzte den Umschlag auf und überflog die wenigen Zeilen. Sie bekam zornige Augen, schnaubte und reichte den Brief dann an Parker weiter! Mr. Roger A. Harrison teilte Lady Simpson durchaus höflich mit, er sei sich zu schade für ein Gespräch und habe keine Zeit für Amateurdetektive. Er schrieb, er sei in Sachen Film leider gezwungen, New York zu verlassen, würde sich aber irgendwann in naher Zukunft wieder melden. »Was sagen Sie zu diesem Feigling?« fragte Lady Simpson grollend. »Mylady dürfen versichert sein, daß Mr. Harrison sich melden wird«, antwortete Josuah Parker.
»Im Augenblick zieht er es jedoch vor, Mylady aus dem Weg zu gehen.« »Nun gut, aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« Sie grollte immer noch. »Oder ob er noch oben in seiner Suite steckt?« »Mit Sicherheit nicht, Mylady, solch ein Risiko wird er nicht eingehen.« »Und was mache ich jetzt?« Sie war ärgerlich. »Darf ich mir gestatten, Mylady auf den Kongreß der Kriminalautoren hinzuweisen?« »Richtig, deswegen bin ich ja überhaupt nach New York gekommen. Was verspreche ich mir davon, Mr. Parker?« »Möglicherweise interessante Kontakte, Mylady.« »Papperlapapp, Mr. Parker! Vergessen wir diesen Kongreß. Wir fliegen morgen nach England zurück. Wissen sie nämlich, was ich glaube?« »Mylady hoffen, daß Mr. Harrison Mylady in London erwartet.« »Richtig.« Sie nickte nachdrücklich. »Dieser gerissene Fuchs soll sich aber täuschen. Schade, daß während meines Besuchs hier so gar nichts passiert ist, was ich für meinen Bestseller brauchen könnte. Wissen Sie was, Mr. Parker? Wir werden heute nacht noch mal ausgehen. Vielleicht laufen mir da einige Lümmel über den Weg.« 79 �
Parker wußte aus Erfahrung, daß ein Gegenvorschlag sinnlos gewesen wäre. * Sie trugen Horrormasken a la Frankenstein und hatten Maschinenpistolen in ihren Händen. Sie hoben sich gegen die märchenhaft schöne, nächtliche Skyline von Manhattan ab und wollten etwas Geld haben. Sie machten keineswegs den Eindruck, als würden sie scherzen. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, während Lady Simpson ihren perlenbestickten Pompadour in Bewegung brachte. Sie erkundigte sich, was an Bargeld man von ihr erwarte. »Alles, altes Mädchen«, sagte der erste Frankenstein. »Und den Schmuck dazu«, sagte der zweite Frankenstein. »Beeilung, Leute, sonst knallt’s!« »Handelt es sich möglicherweise um einen Überfall?« erkundigte sich der Butler jetzt würdevoll. »Mensch, habt ihr eine lange Leitung!« Der Frankenstein, der das feststellte, mußte noch recht jung sein. Seine Stimme ließ das erkennen. »Sind die Maschinenpistolen mit Wasser gefüllt?« fragte Parker höflich weiter. Während er noch sprach, marschierte Lady Simpson auf die bei-
den Frankensteins zu und riß ihnen die Horrormasken vom Gesicht. Die stämmigen Wegelagerer erwiesen sich tatsächlich als junge Burschen, die hier schnelle Beute machen wollten. Sie kassierten tatsächlich. Nachdem Lady Simpson ihnen ihren Pompadour um die Ohren geschlagen hatte, wurden sie, ein wenig versöhnlicher. Sie beugte sich zu den am Boden sitzenden Halbwüchsigen hinunter. »Verzichten wir auf die Polizei«, sagte sie streng. »Mr. Parker wird Ihnen jetzt je einen Zehndollarschein geben sowie meine Adresse. Melden Sie sich, sobald Sie eine ehrliche Arbeit nachweisen können, die Sie ein halbes Jahr durchgestanden haben. Rechnen Sie dann mit einer Geldzuweisung in Höhe von, sagen wir, je tausend Dollar. Wenn Sie aber weitermachen, dann rechnen Sie mit Zuchthaus, wo Sie dann früher oder später landen werden. Und nun hinweg aus meinen Augen!« Parker versorgte sie mit je zwanzig Dollar und reichte ihnen die Visitenkarte der Lady. Die beiden demaskierten Frankensteins schlichen davon wie geprügelte Hunde. »Werden sie es schaffen?« fragte Agatha Simpson und sah ihnen nachdenklich nach. »Mylady werden es in einem halben Jahr wissen«, antwortete Parker. »Natürlich, wann sonst?« Sie 80 �
»Mylady sollten vielleicht das räuschnaubte. »Das heißt, vielleicht warten sie bereits an der nächsten men, was man gemeinhin das Feld Straßenecke auf mich, um es noch nennt«, schlug Parker vor. »Möglimal zu versuchen. In was für einer cherweise könnte hier bald ein StreiWelt muß ich leben! Man findet ein- fenwagen der Polizei erscheinen.« fach keine Zeit, sich endlich der Lite»Man hat doch nicht wegen mir ratur zu widmen, Mr. Parker.« aufgeschrien und die Flucht ergrif»In der Tat, Mylady«, sagte Parker. fen.« Sie warf die Maske weg. »Der »Die Fachwelt wird sich wahr- Schrei galt Ihnen, Mr. Parker!« scheinlich noch ein wenig gedulden Josuah Parker war erfahren genug, müssen.« um darauf nicht näher einzugehen. Agatha Simpson hielt eine der Er bugsierte seine Herrin zurück Frankensteinmasken in Händen und zum Wagen, wo Mike Rander und nahm sie dann versuchsweise vor Kathy Porter warteten. Er freute sich ihr Gesicht. Als sie sich umwandte, auf die Rückkehr nach London, kam ihr gerade ein Paar entgegen, denn eine Lady Simpson hier in den das prompt aufschrie und dann die Staaten war gut für jede noch so verFlucht ergriff. rückte Überraschung. »Albernes Volk«, ärgerte sich die ältere Dame. ENDE
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