PARKER stapelt die „Kettenschläger“ Günter Dönges »Ein Schreiben, Sir, das ich nur als äußerst befremdlich bezeichnen mö...
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PARKER stapelt die „Kettenschläger“ Günter Dönges »Ein Schreiben, Sir, das ich nur als äußerst befremdlich bezeichnen möchte«, sagte Josuah Parker und reichte den Geschäftsbrief an Mike Rander zurück. »Befremdlich und eindeutig, Parker, finden Sie nicht auch?« Der Anwalt, stets ein wenig lässig wirkend, deutete auf den Umschlag. »Kein Absender… Nicht der geringste Hinweis. Wohl ein Computerbrief, weiß der Himmel, warum man ausgerechnet der Western Tool Sanierungsvorschläge unterbreiten möchte.« »Eine Firma, die sich eines erfreulichen Umsatzes rühmen kann, Sir.« »Das kann man wohl sagen, Parker.« Mike Rander, der sich in seiner Kanzlei in der Curzon Street befand, nickte nachdrücklich. »Der Laden floriert. Es gibt da überhaupt keine Schwierigkeiten, Parker.« »Sie verwalten Myladys Vermögen, Sir«, schickte der Butler voraus, »darf man fragen, welche Werkzeuge diese Firma herstellt?« »Chirurgische Geräte aller Art.« Rander nahm das Schreiben wieder in die Hand. »Die Western Tool ist voll ausgebucht. Die Firma ist durch und durch gesund.« Die Hauptpersonen: Cliff Brooker betreut Callgirls und Pleite-Firmen. Rosy und Hetty zwei »Mannweiber«, die sich mit Kathy Porter anlegen. Richard Harris beklagt eine abgebrannte Lackfabrik. Vernon Egerton hat enge Kontakte zum »Firmenretter«. Henry Saucer sieht als Bankdirektor durchaus seriös aus. Kenneth Blame kann sich Inkorrektheiten niemals vorstellen. Kathy Porter wird in ein Katz- und Mausspiel verwickelt. Butler Parker macht Überstunden, um Mylady zu schützen. »Dennoch weist man im Brief darauf hin, daß in Anbetracht der sinkenden Umsätze der Western Tool ungewöhnliche Sanierungsvorschläge zu unterbreiten sind, deren Erfolg
garantiert wird.« »Das Ding wurde mir von der Geschäftsleitung heute morgen zugeschickt«, erklärte Mike Rander, »ich habe mit dem Manager bereits gesprochen. Der Mann kann sich diesen Brief ebenfalls nicht erklären.« »Könnte es sich um eine Verwechslung handeln, Sir?« Josuah Parker, schon rein äußerlich ein Butler wie im Bilderbuch, deutete mit seiner schwarzbehandschuhten Hand auf das Telefon, »ist es erlaubt. Sir, sich mit der Londoner Handelskammer ins Benehmen zu setzen?« »Wollte ich gerade machen, als Sie reingeschneit kamen, Parker.« Mike Rander nickte lächelnd. »Lassen Sie sich nur nicht stören. Rufen Sie mal an…« Josuah Parkers Bewegungen waren abgezirkelt und gemessen. Er wählte wie selbstverständlich die Nummer der Handelskammer. Sein Gedächtnis war bewundernswert. Mike Rander lehnte sich zurück und überflog noch mal die Zeilen. Der anonyme Verfasser empfahl seine Dienste als Firmenretter, wie es wörtlich im Brief stand. Er verwies auf Brand, Unfall und Tod und sprach in diesem Zusammenhang von bedauerlichen Schicksalsschlägen, durch die allerdings manche Firma wieder zu Kapital gekommen sei. Abschließend kündigte der anonyme Verfasser an, er erlaube sich, in den kommenden Tagen anzurufen, um sich nach möglichen positiven Reaktionen zu erkundigen. Josuah Parker hatte inzwischen sein Gespräch beendet und wandte sich wieder dem Anwalt zu, der ihn fragend anschaute. »Es könnte sich in der Tat um eine Verwechslung gehandelt haben, Sir«, schickte Josuah Parker in seiner stets ein wenig barocken Ausdrucksweise voraus, »nach Auskunft des Registers der Handelskammer existiert eine Firma, die sich West-ToolCompany nennt und ebenfalls hier in London beheimatet ist.« »Und was stellen diese Leute her?« »Ebenfalls medizinische Geräte, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »man sollte in der Tat von einer Verwechslung ausgehen.« »Ich werde mal diskret nachforschen, wie es um die Finanzen dieser Leute bestellt ist, Parker«, meinte Mike Rander. Er wollte dazu noch weitere Bemerkungen machen, doch er wurde daran gehindert. Die Tür zu seinem Büro wurde ohne jede Vorankündigung förmlich aufgetreten.
Zwei schlanke junge Männer mit schwarzen Gesichtsmasken stürmten in den Raum und richteten die Läufe ihrer schallgedämpften Pistolen auf den Butler und Mike Rander. »Flossen hoch«, sagte einer von ihnen, »hier ist ein Brief, den wir abholen sollen.« »Mr. Rander ist gerade dabei, die Post zu sortieren, meine Herren«, erwiderte Parker in seiner höflichen, gemessenen Art. »Dann haben wir’s ja schnell hinter uns. Keinen Unsinn machen, Leute, sonst verteilen wir blaue Bohnen!« Der zweite junge Mann trat vor den Schreibtisch und griff nach der Post. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er den Brief des sogenannten Firmenretters gefunden hatte. Er überflog ihn, faltete ihn hastig zusammen und ließ ihn in der Tasche seines Jacketts verschwinden. »Vergessen Sie den Wisch«, sagte der erste junge Mann, der den Butler und Mike Rander wachsam beobachtete, »das war’n Irrläufer…« »Sie sind von dem Firmenretter geschickt worden?« fragte der Anwalt. »Vergessen Sie’s möglichst schnell, Mann«, lautete die Antwort, »und vergessen Sie auch diesen Besuch.« »Sonst wird nämlich scharf geschossen«, drohte der andere Dieb, »wir sind da überhaupt nicht zimperlich.« Die beiden Gangster bemerkten nicht, daß sich Besuch eingestellt hatte. Kathy Porter stand in der Tür und machte sich bereit, die beiden Unbekannten zum Bleiben zu veranlassen… * Sie war etwa fünfundzwanzig, etwas über mittelgroß und schlank. Kathy Porter, die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson, hatte kastanienbraunes Haar mit einem pikanten Rotstich in der Färbung und erinnerte auf den ersten Blick an ein junges, recht hilfloses Mädchen. Dieses scheue Reh, wie man unwillkürlich dachte, stand hinter den beiden Gesichtsmaskenträgern und verwandelte sich plötzlich in eine Pantherkatze. Mit ihren Handkanten brauchte sie nur knapp zwei Sekunden, um die beiden jungen Kerle zu Boden zu bringen. Sie wurden völlig überrascht, fanden keine Zeit, ihre Schußwaffe zu benutzen, und rollten sich auf dem Parkett
zusammen. »Darf ich mir erlauben, Miß Porter, Ihnen meinen bescheidenen Dank auszusprechen?« fragte Josuah Parker. »Aber das war doch nicht der Rede wert, Mr. Parker«, erwiderte sie lächelnd, »hoffentlich war ich nicht zu vorschnell.« »Diesen Eindruck hatte ich gerade nicht«, warf Mike Rander ein, »ich schließe mich den Worten meines Vorredners an.« »Hier wäre das besagte Schreiben, Sir.« Josuah Parker hatte den Brief des sogenannten Firmenretters wieder an sich genommen, zudem auch die beiden Schußwaffen. Indes die Überraschten immer noch regungslos auf dem Parkett lagen. Mike Rander informierte Kathy Porter mit wenigen Worten über die Ereignisse. Sie beugte sich zu den Männern hinunter und zerrte ihnen die Gesichtsmasken vom Kopf. »Kennen Sie diese Burschen, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Zu einem Kontakt kam es bisher nicht, Sir«, lautete die Antwort, »hegen Sie besondere Wünsche, was die weitere Behandlung der beiden Besucher betrifft?« »Die Burschen haben wahrscheinlich keine Ahnung, wer sie hierhergeschickt hat, oder?« »Davon sollte man in jedem Fall ausgehen, Sir.« »Fragen Sie sie doch ob sie einer Bande angehören«, schlug Mike Rander vor. »Ein vortrefflicher Vorschlag, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf.« Josuah Parker blieb vor den jungen Männern stehen, die langsam zu sich kamen und fast gemeinsam nach ihren schmerzenden Hälsen griffen. Der Butler hatte seinen altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm vom angewinkelten linken Unterarm genommen und sah seine Opfer erwartungsvoll an. »Wäre Ihnen mit einem Glas Wasser gedient?« erkundigte er sich, während Mike Rander und Kathy Porter sich wie selbstverständlich weiter mit der Morgenpost beschäftigten. »Wasser?« krächzte der erste Besucher leicht. »Was… was ist eigentlich los?« wollte der zweite wissen. Seine Stimme war kaum weniger mitgenommen. »Man sah sich gezwungen, Ihnen eine kleine Lektion zu erteilen«, antwortete Josuah Parker, »Ihre Manieren waren beklagenswert.«
Die von weiblicher Hand Niedergeschlagenen sahen zum Schreibtisch hinüber, dann auf den Butler und kamen zu dem Schluß, daß dieser so steif und korrekt aussehende Mann leicht zu überrumpeln sein würde. Sie wollten das Feld so schnell wie möglich räumen, verständigten sich deshalb mit einigen Blicken, stöhnten und taten so, als seien sie noch immer nicht Herr ihrer Nerven und Muskeln, um dann plötzlich aufzuspringen. Es zeigte sich, daß sie die Lage falsch beurteilt hatten. Zudem hatten sie den Universal-Regenschirm in Parkers Hand übersehen. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, daß es sich dabei um eine wirkungsvolle Waffe handeln könnte. Dafür merkten sie es jedoch. Sie sprangen auf und zeigten, daß sie in sportlicher Hinsicht gut ausgebildet waren. Mit Kopf und Faust wollten sie den Butler aus dem Weg räumen und… liefen dabei gegen den Bambusgriff des Regenschirms. Da dieser Griff unter anderem mit Blei ausgegossen war, wirkte sich dieses Zusammentreffen verheerend für die beiden Angreifer aus. Es erfolgten zwei dumpfe, fast hohl klingende Laute, dann knieten die Männer vor Parker nieder, um sich anschließend auf dem Boden auszubreiten. »Gibt’s Ärger, Parker?« fragte Mike Rander beiläufig. »Keineswegs und mitnichten, Sir«, meldete Josuah Parker, »die Herren brachten gerade zum Ausdruck, noch ein wenig bleiben zu wollen.« »Ich könnte mich inzwischen etwas herrichten«, schlug Kathy Porter vor. »Dies könnte durchaus von Nutzen sein«, stellte der Butler fest, »man würde sich dadurch langwierige Fragen ersparen, wenn ich dies so salopp ausdrücken darf.« »Passen Sie aber auf sich auf, Kathy«, warnte Mike Rander, »reine Anfänger sind das bestimmt nicht…« * Kathy Porter merkte fast zu spät, daß sie verfolgt wurde. Sie saß am Steuer ihres Mini-Cooper und war als Kathy Porter nicht mehr zu erkennen. Sie trug ein Kopftuch, einen etwas zu weiten Wollmantel einfachen Zuschnitts und war eine beschäftigte
Hausfrau, die vor dem Mittagessen noch schnell einige Einkäufe tätigen wollte. Zu ihrer Verwandlung hatte sie nur wenige Minuten gebraucht. Sie verfolgte einen Ford, der sich durch den Verkehr der Londoner City schlängelte und in dem die beiden Besucher aus der Anwaltskanzlei saßen. Nach ihrer »Entlassung« durch Josuah Parker hatten sie sich sofort in ihren in der Nähe parkenden Wagen gesetzt und waren losgefahren. Die allgemeine Richtung deutete darauf hin, daß sie den Stadtteil Soho ansteuerten. Kathy Porter blickte hin und wieder in den Rückspiegel ihres kleinen Wagens und übersah eine Zeitlang den großen Rover, der ihr folgte. Am Steuer dieses Wagens saß ein Fahrer, der eine Livree trug. Zuerst dachte Kathy Porter an Zufall, daß der Rover ihr folgte, doch dann kam ihr der Verdacht, daß es sich hier um Absicht handelte. Die beiden Maskenträger, die sich im Büro von Anwalt Mike Rander eingefunden hatte, waren nicht allein gekommen. Ihr Auftraggeber schien in der Nähe gewartet zu haben. Kathy Porter konnte sich allerdings kaum vorstellen, daß der Mann im Fond des Rovers der Firmenretter war, wie er sich im Brief nannte. Soviel Leichtsinn traute sie keinem zu. Aber sie kam zu dem Schluß, daß man wahrscheinlich über diesen Mann an den Typ im Hintergrund, der die umsatzgefährdeten Firmen sanieren wollte, herankam. Der Ford hatte inzwischen Soho erreicht und fuhr in eine schmale Straße, der Rover folgte Kathys Mini-Cooper. Der Zusammenhang zwischen beiden Wagen war unverkennbar. Kathy schaute wieder in den Rückspiegel und wurde hellwach, als der verfolgende Wagen plötzlich vorschoß und dicht aufschloß. Im ersten Moment dachte Kathy Porter an einen Ramm-Versuch und gab unwillkürlich Gas. Doch unmittelbar darauf mußte sie wieder scharf bremsen. Der Ford vor ihr hielt und nagelte sie fest. Kathy Porter ärgerte sich. Angst hatte sie nicht, aber sie schalt sich eine Närrin. Sie hatte sich regelrecht in die Zange nehmen lassen und sah nun keine Möglichkeit mehr, mit ihrem Mini-Cooper auszubrechen. Der Ford und der Rover hatten inzwischen derart aufgeschlossen, daß sie völlig festsaß. Sie wollte aussteigen, doch dazu ließ man ihr keine Zeit. Einer der beiden jungen Männer aus dem Ford stand bereits neben ihrem Wagen und zeigte ihr die Mündung einer
Schußwaffe, die er verdeckt in der linken Hand hielt. Kathy sah es dem Gesicht des Mannes an, daß er nicht bluffte. Zudem war die Beifahrerseite leider nicht verriegelt. Er öffnete die Tür und ließ sich auf dem Sitz neben ihr nieder. »Hören Sie, was soll das?« fauchte sie in einer Mischung aus Angst und Aggression. »Beinahe hätten Sie meinen Wagen gerammt. Ich werde mich bei der Polizei…« »Halt die Klappe, Mädchen«, unterbrach der junge Mann sie und grinste zufrieden. »Was erlauben Sie sich?« »Fahr schon weiter, Süße, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben. Mach schon…« Der Überfall hatte nur wenige Augenblicke gedauert. Der Ford fuhr bereits wieder an, und Kathy gab nach. Sie verzichtete auf weitere Proteste, ließ den Mini-Cooper rollen und ärgerte sich noch intensiver. Sie kam sich vor wie eine Anfängerin. So etwas hätte ihr nicht passieren dürfen! »Wer sind Sie eigentlich?« fragte sie und überlegte, ob es sinnvoll wäre, den Mitfahrer zu überrumpeln. Sie traute sich so etwas durchaus zu, denn in fast allen Arten fernöstlicher SelbstVerteidigung war sie erfahren. »Ich bin ein friedlicher Hund«, erwiderte der Beifahrer, »aber ich kann auch verdammt schnell zuschnappen.« »Sie müssen mich verwechseln«, behauptete Kathy Porter ohne viel Nachdruck. »Und wie«, erwiderte der Beifahrer, »okay, Ihre Maske ist bestens, Miß Porter, aber eben doch nicht gut genug.« »Sie haben gewonnen.« Kathy hatte sich entschlossen, vorerst nichts zu unternehmen. »Wir gewinnen immer«, behauptete der Beifahrer großspurig, »Sie haben’s ja gerade mitbekommen.« »Ihr Firmenretter scheint direkt ein As zu sein«, meinte Kathy Porter. »Ist das der Mann im Rover?« »So fragt man Leute aus, Süße«, erwiderte der Mann neben ihr, »mal ganz abgesehen davon, daß ich keine Ahnung habe. Wir gehören nur zum Fußvolk.« »Es muß auch Kanalarbeiter geben«, stichelte Kathy sehr gezielt und bewußt, »Hauptsache, die Bosse verdienen.« »Fahren Sie da durch den Torweg«, forderte der Beifahrer sie auf.
»Sind wir am Ziel?« erkundigte sich Kathy Porter und hielt sich an die Anweisung. »Keine Ahnung«, lautete die Antwort, »mein Partner biegt ab, also werden wir’s auch tun.« Kathy lenkte den Mini-Cooper ohne Schwierigkeiten durch das enge Tor und hielt in einem Hinterhof, der fast restlos überdacht war. Von den Fenstern der umliegenden Häuser konnte man nicht sehen, was sich unter dem weiten Dach abspielte. »Bleiben Sie sitzen, bis ich raus bin, Miß«, sagte der Beifahrer, stieg aus und ließ Kathy nicht aus den Augen. Sie brauchte nicht nach im Wagen versteckten Waffen zu greifen, sondern konnte ihre Hände am Lenkrad behalten, denn sie war keineswegs waffenlos, wie sie dankbar feststellte. Butler Parker hatte für sie in seinem sogenannten Labor beizeiten dafür gesorgt, daß sie auf technische Hilfsmittel nicht zu verzichten brauchte. »So, Süße, raus jetzt!« Der Beifahrer öffnete die Tür und behielt die junge Dame genau im Auge, als sie aus dem Mini-Cooper stieg. Dann dirigierte er sie mit seiner Waffe zu einem Kellerabgang, wo sie bereits von dem anderen jungen Mann erwartet wurde. »Wegen der Handkantenschläge unterhalten wir uns noch«, flüsterte er ihr zu. »Sie sind nachtragend«, meinte Kathy. »Wir werden dich schon dressieren«, redete er weiter, »so, und jetzt runter mit den Klamotten, aber ein bißchen plötzlich.« »Was… was soll das heißen?« fragte sie verblüfft, während die Tür hinter ihr geschlossen wurde. »Wir wissen Bescheid, mit welchen Tricks ihr arbeitet«, sagte der junge Mann, der neben ihr gesessen hatte. »Runter mit dem Zeug«, forderte der erste Mann erneut, »wir lassen uns nicht aufs Kreuz legen.« »Ich kann mich doch nicht so einfach ausziehen«, protestierte Kathy Porter. Sie hatte sich in dem kleinen Vorraum bereits umgesehen. Er bestand aus gekachelten Wänden, roch nach feuchter Wärme, nach Seife und eigenartigerweise auch nach irgendwelchen Badezusätzen. »Versuch’s doch«, wurde sie aufgefordert, »falls du nicht klarkommst, helfen wir gern nach.« Kathy Porter verzichtete auf Hilfen dieser Art und senkte ergeben den Kopf. Dann streifte sie sich den Mantel ab, das
Kopftuch und die Schuhe. Sie wandte sich zur Seite und schien sich sehr zu genieren… * Lady Agatha Simpson, stattlich und majestätisch aussehend, war eine immens reiche Frau, seit vielen Jahren verwitwet und mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und Verschwägert. Sie war eine sehr ungewöhnliche Dame, denn sie pfiff auf alle Konventionen und nutzte jede Gelegenheit, ins Fettnäpfchen zu treten. Ihre ungenierte Art erinnerte oft an die eines überschweren Panzers, der außer Kontrolle geraten ist. Das sechzigste Lebensjahr hatte sie überschritten, doch das sah man ihr nicht an. Sie spielte mit Begeisterung Golf, zwar sehr schlecht, doch dafür verstand sie es, mit Sportbogen umzugehen und hin und wieder sogar Treffer zu verzeichnen. Sie hielt sich für eine geniale Amateurkriminalistin, für einen kommenden Bestsellerautor und merkte nicht, wie diskret und umfassend sie von einem gewissen Butler Parker gelenkt wurde. Sie hing in einer Art ruppiger Zuneigung an Kathy Porter, die sie fast wie eine Tochter behandelte, und natürlich auch an Mike Rander, der für sie so etwas wie ein Sohn war. Dennoch tat sie alles, um dieses Paar unter die Haube zu bringen, wie sie es nannte. Sie konnte es kaum erwarten, die Hochzeit auszurichten. Die skurrile und liebenswerte Dame befand sich allein in ihrem Haus in Shepherd’s Market, einer Oase der Ruhe in der Nähe von Hydepark. Sie langweilte sich und wartete auf die Rückkehr der Kinder, wie sie Kathy Porter und Mike Rander ungeniert nannte. Sie wartete aber auch auf Josuah Parker, der sich nach dem Servieren des Frühstücks in die Curzon Street begeben hatte, in der Mike Rander seine Kanzlei hatte. Ihrem Gefühl nach ließ man sie bereits zu lange allein. Sie langweilte sich. Als das Telefon sich meldete, griff die passionierte Detektivin hastig nach dem Hörer und nannte ihren Namen. Ihre Stimme hatte einen leicht grollenden Unterton. »Spreche ich mit Lady Simpson?« fragte eine energische Männerstimme. »Nennen Sie gefälligst Ihren Namen, bevor Sie indiskrete Fragen stellen«, raunzte sie.
»Mein Name tut nichts zur Sache, Mylady«, hörte sie, »aber Ihre schlechte Laune wird sich gleich noch verstärken.« »Ich verbitte mir jede Belästigung. Meine Laune geht Sie nichts an.« »Sie haben eine Gesellschafterin und Sekretärin, die Kathy Porter heißt, Mylady.« »Kommen Sie gefälligst zur Sache!« »Ich habe sie zu mir eingeladen, Mylady.« »Was stelle ich mir darunter vor?« fragte Agatha Simpson und ließ nicht erkennen, wie betroffen sie war. »Sie ist, sagen wir mal, mein Gast… Und sie wird wahrscheinlich wieder heil und gesund bei Ihnen auftauchen, falls Sie sich an gewisse Dinge halten werden.« »Sie sind noch immer nicht zur Sache gekommen«, grollte die ältere Dame, die inzwischen das Tonbandgerät eingeschaltet hatte, um das Gespräch mitzuschneiden. »Bei Ihnen ist da ein Brief gelandet, der nicht für Sie bestimmt ist«, redete der Mann weiter, »ich kann mir vorstellen, daß Sie sich als Amateurdetektivin einschalten wollen. Tun Sie’s lieber nicht, wenn Ihrer Kleinen nichts passieren soll!« »Wie lange wollen Sie das gute Kind festhalten, Sie Flegel?« fragte Lady Agatha ungeniert. »Das hängt von Ihnen ab«, lautete die Antwort, »ein paar Tage oder Wochen werden es schon werden.« »Das ist Kidnapping!« »Und Erpressung, Mylady«, fügte der Mahn fast amüsiert hinzu, »aber wie gesagt, der Kleinen wird nichts passieren. Da wäre noch etwas: Die Polizei lassen wir selbstverständlich aus dem Spiel, ist das klar?« »Wie reden Sie denn mit mir?« reagierte Lady Agatha gereizt. »Wie einer, der alle Trümpfe in der Hand hat, Mylady. Ob Sie’s wollen oder nicht, Sie werden nach meiner Pfeife tanzen müssen.« »Ich werde Ihnen etwas husten, Sie Lümmel«, donnerte Lady Agatha zurück, »und bei passender Gelegenheit werde ich Sie ohrfeigen.« »Sie werden sich umgehend in die nächste Maschine setzen und die Insel verlassen«, redete der Mann am anderen Ende der Leitung weiter, »und Sie werden erst wieder zurückkehren, wenn ich es erlaube… Mit Ihnen werden Ihr Butler und dieser arrogante
Anwalt fliegen.« »Und falls nicht?« Lady Simpsons Stimme klang plötzlich wesentlich gedämpfter. »Falls nicht, Mylady, werden Sie Ihre Gesellschafterin nicht mehr sehen«, schloß die Gegenseite, »ich meine es verdammt ernst. Ich lasse mir mein Geschäft nicht vermasseln. Ende!« * »Ich hab’ schon ‘nen besseren Striptease gesehen«, sagte der erste junge Mann betont abfällig. »Reine Anfängerin«, kommentierte der zweite Entführer. Kathy Porter nestelte an ihrem einfachen Kleid und konnte sich nicht entschließen, es über den Kopf zu streifen. Sie fuhr abwehrend zurück, als der erste junge Mann zugriff und das Kleid an ihrem Halsausschnitt brutal einriß. Der Stoff knirschte, Kathy kreuzte beide Arme vor der Brust und… ließ dann ihre Handkanten sprechen. Sie war blitzschnell und überraschte die Entführer, die sich im Moment verständlicherweise nur für ihren BH interessierten. Der Erfolg war frappierend. Die Entführer wurden voll getroffen und fielen nach links und rechts gegen je eine Wand. Kathy bückte sich und brachte sich erst mal in den Besitz der beiden Schußwaffen. Um die beiden jungen Männer kümmerte sie sich nicht weiter. Sie kannte die Dosis, die sie ihnen per Handkante verabreicht hatte. Vorerst würden sie mit Sicherheit nicht mehr aufstehen. Die Verlockung war natürlich groß, den feucht-warmen Vorraum durch die schmale Hintertür zu verlassen und sich in den Kellern, näher umzusehen. Sie dachte jedoch an Parkers Warnung, nach der sie sich vor Alleingängen hüten sollte. Kathy wandte sich ab, lief zurück zur Eingangstür und wollte so schnell wie möglich zum Kellerabgang. Immerhin wußte sie jetzt, wohin man sie gebracht hatte. Daraus ließen sich später Schlüsse ziehen. Sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht… Der Türknauf ließ sich zwar bewegen, doch die Tür war verschlossen. Sie saß fest in einem soliden Eisenrahmen und bewegte sich keinen Millimeter. Kathy rüttelte verzweifelt am Türknauf, doch gleichzeitig war ihr klar, daß dies nichts nutzen
würde, deshalb lief sie zurück, schleifte einen der beiden Männer an den Füßen zur Seite und versuchte, die schmale Tür zu öffnen, die in die Tiefe des Kellers führte. Sie gab sofort nach und führte in einen langen, schmalen Korridor, der ebenfalls gekachelt war. Ein Schwall besonders warmer, feuchter Luft schlug ihr entgegen. Sie verfügte immerhin über zwei Schußwaffen, konnte sich also verteidigen, falls es notwendig wurde. Vorsichtig betrat sie den Gang, kämpfte gegen ein Gefühl der Unsicherheit und Angst, blieb stehen und versuchte das Geräusch zu deuten, das vom Ende des Korridors zu hören war. Dort schienen Maschinen zu. arbeiten, wahrscheinlich Pumpen, wie sie glaubte. Kathy Porter ging vorsichtig weiter, bis sie eine Tür aus weißlackiertem Eisenblech erreicht hatte. Sie wußte bereits im vorhinein, daß diese Tür ebenfalls unverschlossen war. Die junge Dame hatte sich nicht getäuscht. Geräuschlos schwang die schwere Tür auf. Kathy Porter blieb stehen und orientierte sich. Im schwachen Licht einer Deckenleuchte machte sie ein Gewirr von oberschenkeldicken Rohrleitungen aus, entdeckte sie einige große Elektroaggregate und Rundkessel, die hoch bis zur Decke reichten. Dies mußte eine Wasseraufbereitungsanlage sein, die sicher ein großes Schwimmbecken versorgte. Kathy fuhr blitzschnell herum, als sie hinter sich ein metallisches Geräusch hörte. Sie nahm eine der beiden Schußwaffen, konnte aber im schwachen Licht nichts ausmachen, duckte sich und ging hinter einem der dicken Rohre in Deckung. Dabei entschloß sie sich, erst mal abzuwarten. Falls man sie bereits beobachtete, mußte sie die Aufpasser veranlassen, sich zu zeigen. Sie machte sich klein und legte sich flach auf den gekachelten Boden. Das am Hals tief eingerissene Kleid hinderte sie. Kathy häutete sich wie eine Schlange, ließ die Kleiderfetzen zurück und fühlte sich augenblicklich wohler. Nur noch mit Slip und BH bekleidet, hatte sie jetzt wesentlich mehr Bewegungsfreiheit. Sie kroch langsam auf einen der hohen Rundbehälter zu. »Sie machen das sehr schön, Miß Porter«, hörte sie plötzlich eine ironische Stimme, »ich werde alles auf Band aufzeichnen und Ihnen später vorspielen.« Kathy Porter legte sich sofort auf den Rücken und spähte nach der Fernsehkamera, von deren Optik sie wohl erfaßt worden war.
»Sie sehen sehr hübsch aus, Miß Porter«, redete die Stimme weiter, »bleiben Sie ganz ungezwungen…« »Wer sind Sie? Warum zeigen Sie sich nicht?« »Ich glaube, Sie sind eine gute Schützin«, lautete die Antwort, die von überallher zu kommen schien und die Geräusche im Maschinenkeller übertönte. Die Fernsehkamera hatte Kathy Porter ebenfalls noch nicht ausmachen können. »Sie haben Angst vor einer Frau?« rief sie. »Über dieses Thema werden wir uns später unterhalten«, kam prompt die Antwort, »ich habe Zeit, sehr viel Zeit… Ich kann warten, bis Sie freiwillig aufgeben.« »Sind Sie der Firmenretter?« fragte die junge Dame laut und direkt. »Aber nein«, hörte sie, »ich habe andere Interessen… zum Beispiel an Ihnen, Miß Porter. Wissen Sie, ich möchte Sie zähmen… Ich möchte, daß Sie mir aus der Hand fressen. Und glauben Sie mir, Sie werden es tun… Sehr bald schon!« Kathy Porter hatte sich hochgesetzt und die Knie angezogen. Sie umspannte sie mit ihren Armen, machte sich sehr klein und fühlte sich diesem Mann ausgeliefert, der sie beobachtete, ohne sich selbst zu zeigen… * »Die Peilzeichen fallen gut ein«, sagte Mike Rander. Er saß neben Josuah Parker, der sein Monstrum durch die Innenstadt lenkte. Der Privatwagen des Butlers war ein ehemaliges Taxi alter Bauart, eckig und hochbeinig. Äußerlich gesehen schien der Wagen sich nach dem nächstbesten Schrottplatz zu sehnen, doch tatsächlich war er nichts anderes als eine Trickkiste auf Rädern, wie Eingeweihte und Betroffene wußten. Parker hatte sich dieses unscheinbare Gefährt nach sehr eigenwilligen Vorstellungen umbauen lassen. Schon allein vom Motor her gesehen und von der Radaufhängung, hätte er es mit Tourenrennwagen ohne weiteres aufnehmen können. Darüber hinaus war Parker in der Lage, etwaigen Gegnern immer wieder neue Überraschungen zu bieten, um die ihn James Bond mit Sicherheit beneidet hätte.
Parkers Wagen verfügte natürlich auch über einen Empfänger, mit dem man Peilzeichen auf dem Umweg über eine diskret angebrachte Rundantenne orten konnte. Mike Rander bediente diese Antenne und hoffte, Kathy Porters Mini-Cooper möglichst schnell zu finden. Sie hatte sich seit einer Stunde nicht gemeldet. Echte Sorgen machten sich die beiden Männer zwar nicht, denn sie wußten nur zu gut, wie nachdrücklich sie sich wehren konnte. Auf der anderen Seite fanden sie es aber für richtig, endlich Ausschau nach ihr zu halten. Regulär war das bisherige Schweigen ganz sicher nicht. »Der Wagen dürfte drüben bei den East India Docks stehen, Parker«, sagte Mike Rander nach erneuter Peilung. »Darf ich mir erlauben, Sir, darauf hinzuweisen, daß man den im Mini-Cooper eingebauten Peilsender möglicherweise gefunden hat?« antwortete Josuah Parker in seiner gemessenen Art. »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand! Wie kommen Sie darauf?« »Der Anruf bei Mylady läßt darauf schließen, Sir, daß die Gegenseite durchaus weiß, wo der besagte Brief von der Post zugestellt wurde.« »Nehmen Sie diese Drohung ernst, Parker?« »Man sollte sie tunlichst nicht gerade mißachten, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ist Miß Porter bewaffnet?« »Sie denken an gewisse Hilfsmittel, Sir?« »Natürlich. Sie werden Sie doch hoffentlich ordentlich ausgerüstet haben, oder?« »Nicht speziell, Sir, da es an der nötigen Zeit fehlte. Miß Porter trägt allerdings ihren modischen Ring, eine Halskette und Clips. Dazu käme dann noch eine Haarspange.« »Das klingt gut, Parker.« Mike Rander beschäftigte sich kurz mit dem Empfänger und nickte. »East India Docks, Parker, kein Zweifel… Wie beurteilen Sie diese telefonischen Drohungen, die Mylady an uns weitergegeben hat?« »Der sogenannte Firmenretter, Sir, dürfte Mylady, Miß Porter, Sie und meine bescheidene Wenigkeit recht gut kennen. Seine Drohungen lassen darauf schließen.« »Also ein Londoner Gangster, der plötzlich größenwahnsinnig geworden ist, wie?« »Oder ein Outsider, Sir, der die Gegebenheiten gründlich
studiert hat.« »Immerhin haben Sie den beiden Burschen die Fingerabdrücke genommen, Parker. Chief-Superintendent McWarden wird uns da bestimmt weiterhelfen können.« »Falls diese Abdrücke in der Zentralkartei des Yard registriert worden sind, Sir.« »Die Peilzeichen fallen immer deutlicher ein, Parker«, meldete Mike Rander, »weit kann’s nicht mehr sein…« »Eine Region, die für eine Falle geradezu prädestiniert ist, Sir«, sagte der Butler, der sein hochbeiniges Monstrum von einer Durchgangsstraße weglenkte und ein Gelände ansteuerte, das auf den restlosen Abbruch wartete. Hier gab es verrostete Bahngleise und Lagerhallen, deren Tore windschief in den Angeln hingen, Fabrikgebäude und viele hohe Schuttberge, die bereits von Unkraut überwuchert wurden. »Ein Krimi-Regisseur würde sich die Finger danach lecken«, pflichtete Mike Rander dem Butler bei, »weit und breit kein Mensch zu sehen.« »Nur der Mini-Cooper der Miß Porter«, meinte Parker lakonisch, »er steht dort drüben neben den Resten eines Schornsteins…« »Ich habe plötzlich ein verdammt komisches Gefühl in der Magengegend, Parker«, bekannte der Anwalt, »man scheint Miß Porter erwischt zu haben.« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich Ihre Gefühle teilen«, antwortete der Butler höflich, »mit plötzlichen Überraschungen unangenehmer Art dürfte schon recht bald zu rechnen sein.« * Chief-Superintendent McWarden war etwa fünfundfünfzig und erinnerte an eine stets leicht gereizte Bulldogge. Mit Lady Simpson verband ihn eine recht seltsame Zusammenarbeit. Man blaffte sich zwar wechselseitig an, doch man schätzte und respektierte sich letzten Endes, da man sich gegenseitig brauchte. McWarden wußte nur zu gut, daß Agatha Simpson in ihrer sehr ungenierten Art direkter auf ein Ziel zusteuern konnte als er, der an Regeln gebunden war. Die ältere Dame wiederum bediente sich gern des Polizeiapparates, falls normale Ermittlungen angestellt werden mußten.
»Ich hoffe, Sie bringen brauchbare Ergebnisse, McWarden«, sagte sie, nachdem sie ihm die Haustür geöffnet hatte. »Nichts, Mylady, nichts«, antwortete der Mann vom Yard. »Die Fingerabdrücke haben nichts gebracht. Sie sind bei uns nicht registriert.« »Das ist doch eine Schlamperei«, urteilte Lady Agatha grollend, »und sie ist wieder mal typisch.« »Sie sind ungerecht, Mylady«, verteidigte sich McWarden gereizt, »und Sie wissen es…« »Papperlapapp, McWarden«, raunzte sie. »Wir besitzen nur Fingerabdrücke von Leuten, die mit der Polizei bereits in Konflikt geraten sind.« »Das bringt mich nicht weiter, McWarden«, sagte die Detektivin, »dieser Lümmel, der mich am Telefon bedroht hat, muß ein Gangster sein.« »Dieser Meinung bin ich natürlich auch, Mylady. Haben Mr. Parker und Mr. Rander sich inzwischen gemeldet?« »Immer noch nicht«, gab sie nervös zurück, »Kathy selbstverständlich auch nicht. Das alles paßt mir nicht. Ich hätte nicht im Haus bleiben sollen.« »Sie haben es freiwillig getan, Mylady?« McWarden staunte sichtlich. Er kannte schließlich das Temperament der Sechzigerin. »Ich glaube, Mr. Parker hat mich hereingelegt«, sagte sie nachdenklich, »er glaubt, dieser sogenannte Firmenretter könne sich noch mal melden und nach mir verlangen. Ich meine, im Zusammenhang mit Kathy Porter.« »Das klingt sehr logisch, Mylady.« »Nagelt mich aber hier fest«, entgegnete sie mißmutig, »was haben Mr. Parker und Mr. Rander gesagt, als sie Ihnen die Fingerabdrücke in den Yard brachten?« »Herzlich wenig, Mylady«, erklärte McWarden, »sie hatten es eilig. Ich weiß nur, daß es um Miß Porter geht. Sie ist hinter den beiden Kerlen her, die den Brief zurückholen wollten. Und von Ihnen weiß ich inzwischen per Telefon, daß sie entführt worden sein könnte.« »Natürlich ist sie entführt worden«, stellte die Lady fest, »ich zweifle keinen Moment daran. Und Sie stehen hier herum und tun nichts.« »Ich kann Ihre Besorgnis durchaus verstehen, Mylady, aber warum hat man die Gangster nicht der Polizei überstellt?«
»Und was wäre dabei herausgekommen, McWarden?« grollte sie. »Glauben Sie wirklich, diese Subjekte hätten eine Aussage gemacht?« »Nein, wohl kaum«, räumte McWarden ein. »Wie werden Sie sich verhalten? Werden Sie die Insel verlassen?« »Was bleibt mir anderes übrig?« fauchte sie, »ich kann das gute Kind doch nicht gefährden.« »Noch ist die Schlacht nicht verloren, Mylady«, meinte der Chief-Superintendent. »Ihr Butler und Mr. Rander sind ja bereits unterwegs. Ich bin sicher, daß sie den Wagen finden werden. Und damit natürlich auch Miß Porter.« »Schnickschnack«, entgegnete sie gereizt, »ich fürchte, dieser Firmenretter hat tatsächlich alle Trümpfe in der Hand, die man nur haben kann.« * Kathy Porter schien aufgegeben und sich in ihr Schicksal gefügt zu haben. Sie saß noch immer in gekauerter Haltung auf dem Boden des Maschinenraums und suchte verstohlen nach der Fernsehkamera, die sie erfaßt hatte, informierte sich aber darüber hinaus über die Neonröhren an der Decke, die die Szenerie beleuchteten. An Aufgabe dachte sie keinen Augenblick. Noch verfügte sie über zwei Schußwaffen und immer noch ausgezeichnete Nerven. In der Vergangenheit war sie mehr als einmal in ähnliche Situationen geraten, doch es war ihr immer wieder gelungen, potente Gegner zu überrumpeln. Eine kleine Bewegung neben einem Rohrstutzen, der aus der Kellerdecke ragte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Wenig später hatte sie dann die Fernsehkamera ausgemacht. Kathy ließ nicht erkennen, daß sie dieses Ziel aufgenommen hatte. Der Schuß auf die Kamera sollte plötzlich und für den Beobachter überraschend erfolgen. »Wie soll’s weitergehen?« fragte sie in den Raum hinein. »Das wissen Sie doch!« lautete die Antwort. »Geben Sie auf, Miß Porter! Werfen Sie beide Waffen dort drüben in den Abfallkorb und kommen Sie zur Tür hinter den beiden Behältern… Sie werden sie bestimmt bereits entdeckt haben. Noch etwas: Sie brauchen sich jetzt nicht mehr völlig auszuziehen, ich habe Sie ja
unter Sichtkontrolle.« »Und wie soll’s dann weitergehen?« Sie gab ihrer Stimme einen resignierenden Unterton. »Sie wollen mich zähmen? Ich soll Ihnen aus der Hand fressen? Was bedeutet das?« »Nehmen Sie’s wörtlich, Miß Porter.« Der Mann lachte ironisch auf »Ich weiß, wie kratzbürstig Sie sind. Und genau das will ich ändern.« »Sie kennen mich?« fragte sie und ließ sich noch etwas Zeit mit den Schußwaffen. Der Mann, der angeblich nicht der sogenannte Firmenretter war, schien in Stimmung zu sein, sich ausführlich mit ihr zu unterhalten. Wahrscheinlich war dieser Mann sehr eitel und gierte nach Anerkennung. »Nicht nur Sie, Miß Porter«, sagte er bereits, »ich kenne auch Lady Simpson, Mr. Rander und vor allen Dingen Butler Parker.« »Aus der Entfernung natürlich«, sagte sie. »Das auch«, lautete die geheimnisvoll-vage Antwort, »ich weiß, daß man Sie das >Quartett< nennt. Und ich weiß auch, daß Sie mit recht raffinierten Tricks arbeiten.« »Während Sie Fehler machen«, gab Kathy Porter zurück. Sie wußte inzwischen, in welcher Reihenfolge sie zu schießen hatte. Zuerst mußte die Fernsehkamera unter der Decke ausgeschaltet werden, dann die Neonröhren seitlich über ihr. Sie verfügte über zwei Schußwaffen, hatte also ausreichend Munition, um danach die anderen Leuchtstoffröhren auszuschalten. »Sie sprachen von dem Brief, nicht wahr?« Die Stimme des Mannes war zu hören. »Okay, dieser Brief ist leider falsch adressiert worden, aber Sie, Miß Porter, bieten mir die Gewähr dafür, daß der Fehler wieder ausgebügelt wird.« »Befürchten Sie nicht, daß Mr. Parker Sie erwischt?« erkundigte sich Kathy. »Er ist Ihnen ja bereits auf der Spur«, kam die umgehende Antwort, die in leichtes Lachen überging, »ich schätze, Mr. Parker wird inzwischen Ihren Mini-Cooper entdeckt haben.« »Wie sollte er?« »Vor dem Aussteigen haben Sie einen Peilsender in Betrieb gesetzt«, erwiderte die Männerstimme triumphierend, »ich habe gleich an so etwas gedacht und ließ Ihren Wagen genau untersuchen.« »Und was ist, wenn er den Wagen gefunden hat?« »Mr. Parker wird zusammen mit dem Mini-Cooper in die Luft
fliegen«, lautete die Antwort, »in seinem Fall bin ich für eine schnelle, radikale Lösung.« »Weil Sie Angst vor ihm haben, nicht wahr?« »Respekt, Miß Porter, Respekt«, korrigierte der Mann, »mit Mr. Parker möchte ich mich nicht unbedingt anlegen. Ich will meine Zeit Ihnen widmen.« »Sie scheinen Lady Simpson und Mr. Rander zu unterschätzen.« Sie hielt die Unterhaltung in Gang. »Diese Lady ist ohne Parker nichts wert«, urteilte der Mann, der Kathy beobachtete und sich bereits als Sieger fühlte, »das gilt auch für Ihren Mike Rander.« »Meinen Mike Rander?« tastete sie sich vor. »Wollen Sie etwa abstreiten, daß Sie ein Verhältnis mit ihm haben?« tippte der Mann an. »Natürlich streite ich das ab«, reagierte sie empört. »Wir sind sehr gut miteinander befreundet, aber selbst das geht Sie nichts an.« Kathy Porter ließ sich zurückfallen und riß gleichzeitig die beiden Waffen hoch. Sie konnte beidhändig schießen und wollte das Gespräch beenden. Sie visierte kurz die Fernsehkamera an und drückte ab. Es tat sich nichts… Sie zielte mit der anderen Waffe nach der Kamera, doch auch jetzt ertönte kein Schuß. Dafür aber hörte sie das spöttische Auflachen des Mannes. »Enttäuscht?« fragte er dann ironisch. »Beide Waffen waren nicht geladen, Miß Porter. Finden Sie nicht auch, daß unser Katzund Maus-Spiel prächtig beginnt?« * Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum gestoppt. Der Wagen stand auf einer Art Feldweg, der zum Fabrikgebäude, zum Schornstein und zum Mini-Cooper führte. Dieser Feldweg war eigentlich mehr eine ausgefahrene Spur, die Autoreifen in den Untergrund gedrückt hatten. Überall gab es Pfützen, kleine Schlammlöcher und Unrathaufen. »Was sagt Ihr sechster Sinn, Parker?« fragte Mike Rander. »Hat man uns bereits im Visier?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich dieser Zufahrt nicht trauen«, antwortete der Butler in seiner zurückhaltenden, gemessenen Art. »Der Zufahrt, Parker?« wunderte sich der Anwalt. »Ich traue der ganzen Gegend nicht! Wir stehen wie auf dem Präsentierteller.« »Die Fahrspur zum Mini-Cooper, Sir, könnte einige unliebsame Überraschungen beinhalten, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Moment mal, denken Sie etwa an eine Mine oder so?« »In der Tat, Sir! Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf jenen kleinen Schuttberg richten, der dort hinter der übernächsten Pfütze zu sehen ist?« »Sie dürfen, Parker, Sie dürfen…« Rander lächelte. »Er könnte erst vor kurzer Zeit zusammengekratzt worden sein, Sir.« »Und eine kleine Überraschung bieten?« »Möglicherweise, Sir.« »So etwas wie ‘ne Mine, oder?« »Auf der anderen Seite ist dieser Schuttberg mit einer geradezu penetranten Deutlichkeit markiert, Sir.« »Und das gefällt Ihnen natürlich auch wieder nicht.« »In der Tat, Sir, man scheint Sie und meine Wenigkeit zwingen zu wollen, diese Fahrspur zu verlassen.« »Um dann erst recht auf eine Sprengladung zu geraten, wie?« Mike Rander hatte sofort verstanden. »Man sollte stets mit der Phantasie seiner Gegner rechnen, Sir.« »Okay, aber wie werden Sie sich entscheiden, Parker? Der MiniCooper wartet noch immer auf uns. Warum steigen wir nicht aus und gehen zu Fuß weiter?« »Darf ich höflichst darauf verweisen, Sir, daß man nur hier im Wagen vor Scharfschützen sicher ist?« »Schön, schlagen wir hier also Wurzeln«, spottete Mike Rander, »so dürften wir das Risiko klein halten, wie?« »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Sir, sollte man weiterfahren.« Parker wartete dieses Einverständnis nicht ab, sondern ließ sein hochbeiniges Monstrum langsam anrollen und steuerte auf den kleinen Schuttberg zu, der vielleicht fünfzehn Zentimeter hoch war. »Sie haben Nerven, Parker«, stellte Mike Rander fest.
»Es handelt sich hier um eine Art Rechenaufgabe, Sir, die es zu lösen gilt«, erwiderte Josuah Parker, »nach meiner bescheidenen Theorie sollte man die Fahrspur genau einhalten.« »Vielleicht ist sie der direkte Weg in die Wolken, Parker«, gab Anwalt Mike Rander zurück und hielt unwillkürlich den Atem an, als der rechte Vorderreifen des hochbeinigen Monstrums sich dem Schuttberg näherte. »Der Boden links und rechts von der Fahrspur, Sir, ist eindeutig bearbeitet worden«, stellte Josuah Parker gemessen fest, »er dürfte nachträglich eingeebnet worden sein, wie sich unschwer erkennen läßt.« »Der Firmenretter scheint Ihrer Ansicht nach ein verdammt raffinierter Gegner zu sein, Parker.« »Zu diesem Schluß erlaubte ich mir bereits zu kommen, Sir. Der sogenannte Firmenretter dürfte die Adressaten seines fehlgeleiteten Briefes recht gut kennen.« Mike Rander verzichtete auf eine Antwort. Der rechte Vorderreifen des Wagens erkletterte gerade den kleinen Schuttberg, wie deutlich zu fühlen war. Falls unter dieser Erdund Schuttanhäufung sich eine Sprengladung befand, mußte sie innerhalb der nächsten Sekunden gezündet werden. Der Wagen sackte plötzlich rechts vorn weg. Der Reifen hatte den kleinen Schutthügel eingedrückt. Mike Rander schluckte und schloß für einen Moment die Augen. Er spürte, daß sich auf seiner Stirn kleine Schweißperlen gebildet hatten. »Die Dinge lassen sich offensichtlich recht gut an, Sir«, hörte er dann Parkers höfliche Stimme, »man wird Miß Porters MiniCooper in wenigen Augenblicken in Augenschein nehmen können!« * »Sie haben gewonnen«, sagte Kathy. Ihre Enttäuschung brauchte sie nicht zu spielen. Sie warf beide Waffen weit von sich auf den Boden und erhob sich. »Sie wollen doch nicht etwa aufgeben?« erkundigte sich die Männerstimme erstaunt. »Was erwarten Sie von mir?« »Sie hätten wenigstens mit einer Waffe nach der Fernsehkamera werfen können«, beschwerte sich der Mann.
»Ich habe keine Lust mehr«, rief sie, »nun lassen Sie mich schon abholen…« »Das hat noch Zeit. Im Moment kann ich Sie nicht brauchen.« »Mr. Parker und Mr. Rander scheinen noch nicht in die Luft geflogen zu sein, wie?« fragte sie spöttisch. »Eine Frage von Minuten, Miß Porter.« »Sie unterschätzen meine Freunde. Und Sie sind wahrscheinlich größenwahnsinnig.« Sie wandte sich ab, drehte der Fernsehkamera oben an der Decke den Rücken zu und ging auf ein Bündel Rohre zu, hinter denen sie dann verschwand. Sie nahm sich vor, auf diese Stimme nun nicht mehr zu reagieren. Sie mußte den Mann herausfordern, in Wut bringen, nur dann würde er Fehler begehen, aus denen sie Kapital schlagen konnte. Der Mann aber, mit dem sie sich bisher unterhalten hatte, verstand auch sein Handwerk. Plötzlich nämlich wurde das Licht abgeschaltet. Kathy fuhr unwillkürlich zusammen, duckte sich und wartete auf die Stimme, auf irgendeinen Kommentar. Es blieb völlig ruhig, was die Stimme anbelangte. Das Arbeiten der Aggregate aber schien lauter zu werden. Kathy hörte nun fremde, unheimliche Geräusche und glaubte, das vorsichtige Öffnen einer Tür zu vernehmen. Sie entspannte sich. Ihr war klar, daß der Mann, der sie per Fernsehkamera bisher beobachtet hatte, ihre Nerven zerfasern wollte. So etwas lag durchaus auf der Linie, die er angedeutet hatte. Wie hatte er sich noch ausgedrückt? Sie sollte ihm aus der Hand fressen, er wollte sie zähmen und dressieren. Nun, da hatte dieser Sadist sich einiges vorgenommen. Kathy blieb dort, wo sie war. Sie setzte sich, lehnte sich mit dem nackten Rücken gegen ein Rohr und schloß, die Augen. Sie schaltete völlig ab und ließ sich durch die wechselnden Geräusche nicht irritieren. Ihrer Schätzung nach würde man nicht versuchen, hier in der Dunkelheit Jagd auf sie zu machen. Natürlich wußten ihre Gegner inzwischen, wie gut sie mit ihren Handkanten umzugehen verstand. Sie dachte über das nach, was die Männerstimme ihr gewolltungewollt verraten hatte. Dieser Mann wußte eindeutig sehr gut Bescheid, was Agatha Simpson, Mike Rander, sie und den Butler anging. Er kannte sogar den Spitznamen »Quartett«.
Handelte es sich um einen Gangster aus London, der endlich zu einem Gegenschlag ausgeholt hatte? Stimmte es, daß er nicht mit dem sogenannten Firmenretter identisch war? Arbeitete er nur für diesen Gangster, war er der eigentliche Drahtzieher dieses Firmenretters? »Wie fühlen Sie sich, Miß Porter?« hörte sie plötzlich die bekannte Stimme. Kathy gab keine Antwort. »Möchten Sie nicht wissen, was aus Ihren Freunden Parker und Rander geworden ist?« Kathy schwieg weiter. Sie lächelte sogar und spürte, daß ihr Schweigen die richtige Taktik war. »Butler Parker und Mike Rander sind inzwischen in die Luft geflogen«, wurde nun wesentlich lauter weitergesprochen. Kathy dachte nicht daran, eine akustische Reaktion zu zeigen. Sie blieb vor dem warmen Rohr sitzen und lehnte den Kopf zurück. »Sie glauben, daß ich bluffe?« fragte die Stimme, die einen gereizten Unterton annahm. Kathy nickte unwillkürlich. Sie kannte den Butler und konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Parker in eine Falle ging. Dazu war der Butler ihrer Erfahrung nach viel zu kühl und viel zu überlegen. Niemals würde er sich einem Wagen unvorsichtig nähern, den man ihm praktisch als Geschenk darbot. »Ich denke, ich werde Sie jetzt holen lassen, Miß Porter«, redete der Mann weiter, »es bleibt aber bei der Dunkelheit. Versuchen Sie herauszufinden, von welcher Seite aus meine Leute Sie angreifen werden.« Kathy Porter rührte sich nicht von der Stelle, schwieg und wartete darauf, daß das Licht eingeschaltet wurde. Der Mann wollte doch selbstverständlich beobachten und genießen, wie sie jetzt durch den großen Maschinenkeller hastete, um sich in eine günstige Position zu bringen. Sie hatte sich nicht verrechnet. Ein paar Sekunden später flackerten die Leuchtstoffröhren auf und gossen dann ihr weißes Licht in den Keller. Kathy zog die nackten Beine an und hoffte, daß es da nicht eine zweite Kamera gab, von der sie erfaßt wurde. »Aha, Sie haben sich, versteckt, wie?« Die Männerstimme klang wieder ironisch. »Sehr schön, Miß Porter, das Katz- und Maus-
Spiel beginnt jetzt erst richtig. Meine Leute sind bereits im Maschinenraum. Lassen Sie sich überraschen, von welcher Seite aus Sie angegriffen werden. Drehen Sie sich ganz schnell um. Ich glaube, da steht bereits einer hinter Ihnen!« Kathy rührte sich nicht und schwieg. Noch hatte sie wesentlich bessere Nerven als ihr Gegner, der mit ihr spielen wollte. * »Gegen einen Kreislaufstabilisator hätte ich nichts einzuwenden, Parker«, sagte Mike Rander, als er neben dem hochbeinigen Monstrum stand. Josuah Parker hatte seinen Wagen hinter der Ecke des halbabgerissenen Fabrikgebäudes geparkt und musterte den Mini-Cooper, der einladend vor der Basis des Schornsteins stand. Josuah Parker schien diesen Wunsch bereits erraten zu haben. Er holte seine Taschenflasche hervor, schraubte den ovalen Verschluß ab und füllte ihn mit altem Kognak. Mike Rander nahm den kleinen Silberbecher mehr als dankbar entgegen und stärkte sich erst mal. »Und was ist mit Ihnen, Parker?« fragte er, als er dem Butler den kleinen Becher zurückgab. »Vielleicht später, Sir«, antwortete der Butler, »wenn Sie erlauben, möchte ich mir erst mal jene Stellen ansehen, die möglicherweise präpariert worden sind.« »Sie wollen sich als Minensucher betätigen?« »Eine treffliche Umschreibung, Sir, wenn ich so sagen darf.« »Wollen Sie das nicht lieber Sprengstoffexperten überlassen? McWarden wird mit Freude seine Spezialisten losschicken.« »Es könnte dadurch zu einem unnötigen Zeitverlust kommen, Sir. Darf ich darauf verweisen, daß man sich dem Mini-Cooper tunlichst nicht nähern sollte?« »Ich werde mich hüten, Parker, ich bleibe in Deckung.« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Okay, suchen Sie also Minen… Vermeiden Sie aber möglichst jeden Freiflug.« Josuah Parker lüftete höflich die schwarze Melone, löste den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms vom angewinkelten linken Unterarm und machte sich auf den Weg zurück zur Fahrspur, die sein hochbeiniges Monstrum gerade hinter sich
gebracht hatte. Mike Rander staunte wieder mal über die Kaltblütigkeit des Butlers, der mit der langen Stahlzwinge des altväterlich gebundenen Regenschirms im Boden stocherte und tatsächlich nach versteckten Minen suchte. Er bewunderte diesen alterslosen Mann, mit dem er bereits vor Jahren eng zusammenarbeitete, bis er in die Staaten übergewechselt war, um dort als Jurist für britische Firmen tätig zu sein. Nach seiner Rückkehr nach London war Mike Rander dann von Lady Simpson, die er sehr gut kannte, wie selbstverständlich vereinnahmt worden. Und Josuah Parker rechnete es sich zur Ehre an, auch für Mike Rander wieder als Butler arbeiten zu können. Der Butler, in seinem schwarzen Zweireiher ungemein korrekt aussehend, schien inzwischen fündig geworden zu sein. Rechts von dem kleinen Schuttberg, den der rechte Vorderreifen des Wagens eingedrückt hatte, schien Josuah Parker etwas entdeckt zu haben. Er stocherte weiter im Erdreich und… stemmte dann mit der Schirmspitze ein Kästchen hoch, das kaum größer war als eine Zigarrenkiste. Josuah Parker legte es sorgfältig zur Seite und wechselte zur anderen Fahrbahn über. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er ein zweites Holzkistchen entdeckt und geborgen hatte. »Du lieber Himmel, Parker«, rief Mike Rander, »wie gut, daß Sie die richtige Nase gehabt haben.« »Der kleine Schutthügel, Sir, sollte Sie und meine Wenigkeit veranlassen, die Fahrbahn zu verlassen«, erwiderte Josuah Parker, »dabei wäre es wohl unweigerlich zu einer Konfrontation mit einer der beiden Sprengladungen gekommen.« »Ob es noch weitere Minen gibt, Parker?« »Meiner bescheidenen Einschätzung nach nicht. Diese Bemerkung erstreckt sich allerdings nicht auf den Wagen von Miß Porter.« »Hoffentlich kann das Ding nicht ferngezündet werden, Parker«, sagte Mike Rander und sah mißtrauisch zum Mini-Cooper hinüber. »Mit solch einer Möglichkeit, Sir, sollte man allerdings jederzeit rechnen«, erwiderte Josuah Parker gemessen, »ich erlaubte mir bereits anzudeuten, daß man es mit einem Gegner zu tun hat, der das Schachspiel im übertragenen Sinn durchaus zu schätzen scheint.«
* »Da sind Sie ja«, sagte Kathy Porter fast gleichmütig. Sie erhob sich langsam und ging auf die drei Männer zu, die um einen der großen Filterbehälter herumkamen, Sie trugen blaue Overalls und hielten Reitgerten in ihren Händen. »Hoffentlich machen Sie Ärger, Süße«, sagte einer von ihnen. Er hob seine Reitgerte und wartete wohl nur darauf, zuschlagen zu können. »Ich gebe auf«, antwortete sie und nahm die Arme hoch. Zwei der drei Männer waren ihr bekannt. Es waren jene beiden jungen Männer, die sie verfolgt und dann später außer Gefecht gesetzt hatte. Sie sahen sie sehr giftig an. »Schade«, meinte der Wortführer, »wir hätten uns gern mal privat mit dir befaßt.« »Ob das Ihr Chef erlauben würde?« erkundigte sie sich spöttisch. »Los, schnallt ihr die Hände fest«, kommandierte der Mann und sah seine beiden Begleiter kurz an. Kathy unterdrückte den Wunsch, es jetzt zu versuchen. Sie fürchtete die drei Männer nicht, schon gar nicht die wippenden Reitgerten, Sie wußte, wie schnell sie war und wie nachdrücklich sie zuschlagen konnte. Doch sie wollte endlich diesem Mann gegenüberstehen, der sie durch die Optik der Fernsehkamera beobachtet hatte. Die beiden jungen Männer zerrten ihr die Hände auf den Rücken und fesselten sie. Sie besorgten das mit Geschick, aber ohne jede unnötige Härte. Man schien ihnen eingeschärft zu haben, sie nicht brutal zu behandeln. Kathy mußte anschließend vorausgehen und wurde durch kleine Berührungen mit einer Reitgerte in die richtige Richtung dirigiert. Sie war froh, daß man sich um ihren modischen Schmuck nicht gekümmert hatte. So ganz wehrlos war sie damit nicht. Es ging durch eine schmale Tür, über eine geflieste Treppe nach oben, bis man nach dem Passieren eines Korridors eine Art Clubzimmer erreicht hatte. Kathy sah sich neugierig um. Der Boden war mit Teppich ausgelegt, die Wände mit Stoff bespannt. Es gab eine üppige Sitz- und Liegegarnitur und vor allen Dingen eine herzförmige Riesenwanne, die im Boden eingelassen war.
»Hauen Sie sich irgendwo hin, Süße«, sagte der Wortführer der drei und deutete auf die Garnitur, »ich werde hier mit dir warten, bis der Boß kommt.« »Kann man einen Drink haben?« fragte sie. Sie setzte sich. Die Luft in diesem fensterlosen Raum war schwülfeucht. Es roch nach einem aufdringlichen Parfüm. »Kann man.« Er nickte, scheuchte die beiden jungen Männer mit einer Handbewegung aus dem Raum und öffnete einen Wandschrank, der von innen mit Spiegelkacheln ausgelegt war. Er mischte einen Drink und setzte ihr das Glas an die Lippen. Kathy Porter hatte ihn genau beobachtet und war fast sicher, daß man diesen Drink nicht verfälscht hatte. »Sind Sie der Stellvertreter des Chefs?« fragte sie. »So ungefähr, Süße.« Er wich ihrem Blick aus und sah betont zur Seite. Kathy bot schließlich einen hinreißenden Anblick in Slip und BH. »Gehört das hier zu einer Art Sauna?« fragte sie weiter. »So ungefähr«, sagte er erneut, »versuche erst gar nicht, mich aushorchen zu wollen, Süße.« »Daß wir in Soho sind, weiß ich schließlich. Ich würde dieses Haus bestimmt wiedererkennen.« »Falls du kannst, Süße. Du kennst den Chef nicht.« »Ist das sein Haus hier?« »Du fragst zuviel«, meinte er ärgerlich, »halt jetzt die Klappe, klar?« »Haben Sie Angst vor Ihrem Chef?« stichelte sie. »Quatsch«, meinte er verärgert und richtete sich auf, »aber ich will keinen Ärger haben.« Er wich wieder ihrem Blick aus und vermied es sorgfältig, Kathy anzusehen. Er blickte hinüber zur herzförmigen Badewanne, die im Boden eingelassen war. »Er scheint Sie und Ihre Partner ganz schön an der Kandare zu haben«, stichelte Kathy Porter weiter. Sie hatte sich bewußt lässig und sogar ein wenig herausfordernd zurechtgesetzt. »Unser Problem, Süße«, antwortete er, »halten Sie doch endlich die Klappe. Glauben Sie etwa, mich gegen meinen Boß aufhetzen zu können?« »Das würde keiner schaffen«, gab Kathy zurück. »Ihr Chef scheint jeden Widerspruch im Keim zu ersticken.« »Und macht jeden Gegner fertig«, fügte der Mann hinzu. Er
schwitzte und wischte sich mit dem Handrücken dicke Schweißperlen von der Stirn. »Nur nicht Lady Simpson, Mr. Parker und Mike Rander«, sagte sie wie selbstverständlich. »Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß er sie schaffen wird? Sie kennen meine Freunde doch oder?« »Ich weiß nichts, gar nichts«, meinte er, »ich kenne keinen Menschen hier. Und dir wird er das freche Maul schon zurechttrimmen, verlaß dich darauf, Süße!« »Und zwar ganz langsam«, schaltete sich in diesem Augenblick die Männerstimme ein, die Kathy bereits kannte. Diesmal klang sie deutlich und wurde nicht von einem Lautsprecher verfälscht. Sie wandte sich um und sah sich einem untersetzten Mann gegenüber, der ein weiches, fast schlaffes Gesicht hatte. Die Augen schienen so hell wie gut gefiltertes Wasser. Kathy spürte sofort, daß von diesem Mann Gefahr ausging. Sie fühlte, daß sie es mit einem Psychopathen zu tun hatte. »Es ist gut, Ed«, sagte er zu dem Mann, der Kathy bewacht hatte. Der Mann im Overall lächelte erleichtert und verließ augenblicklich den Raum. Er schloß die Tür leise hinter sich. »Sie sind das also.« Kathy richtete sich auf. »Ich bin das.« Er nickte und lächelte dünn. »Sie sind natürlich überrascht.« »Erleichtert«, gab sie zurück. »Sie haben Ihr Ziel also nicht erreicht. Ich wußte es.« »Sie sprechen von Ihren Freunden?« Er ging zur Bar hinüber und mischte sich einen Drink. »Von Lady Simpson, Mr. Rander und Mr. Parker.« Kathy nickte. »Ihre Rechnung ist nicht aufgegangen, ich sehe es Ihrem Gesicht an.« »Ich habe Sie, Miß Porter«, meinte er und trank hastig. »Sie als Geisel sind für mich wertvoller als Gold.« »Ich soll hier in diesem Raum festgehalten werden?« »Vorübergehend, Miß Porter. Das heißt, Sie werden so lange mein Gast bleiben, bis man gewisse Geschäfte abgewickelt hat.« »Firmensanierungen, nicht wahr?« »Das ist es, Miß Porter. Sie haben sich übrigens unten im Maschinenkeller recht gut gehalten, mein Kompliment.« »Sie sind nicht der Mann aus dem Rover«, stellte Kathy Porter klar.
»Das war ein Statist, Miß Porter«, behauptete der Untersetzte und lächelte wieder dünn, »ich hatte ihn zur Ablenkung eingesetzt. Sehen Sie, man hätte Sie ja überwachen und beschatten lassen können.« »Ich höre schon, Sie sind ein Genie!« Kathy hielt es für angebracht, diesen Mann jetzt zu provozieren. Sie wußte inzwischen genug, kannte ihren Gegner und wollte so schnell wie möglich wieder freikommen. »Steigen Sie ins Bad, Miß Porter«, sagte er, »aber vorher werde ich Sie ausziehen lassen.« Er klatschte fast gelangweilt in die Hände, und Kathy war gespannt, wer jetzt wohl erscheinen würde. Sie drehte sich um und beobachtete die schmale Tür, durch die der Mann gekommen war. Sie bekam eine Gänsehaut, als die beiden Wesen erschienen, um sich mit ihr zu beschäftigen… * »Zwei Sprengladungen«, sagte Chief-Superintendent McWarden, als er zu Lady Simpson, Mike Rander und Butler Parker zurückkam, »eine war nur oberflächlich angebracht, die zweite sehr raffiniert.« Mike Rander hatte den Yard-Beamten alarmiert und zu den Docks gebeten. McWarden war mit Spezialisten angerückt und hatte Lady Agatha mitgebracht. Allein in ihrem Haus in Shepherd’s Market hatte sie es nicht ausgehalten. »Und was ist mit den beiden Minen, McWarden?« erkundigte sich der Anwalt. »Diese Zigarrenkistchen?« McWarden lächelte. »Ganz schöne Ladungen, Rander. Sie und Parker hätten eine Luftreise ohne Wiederkehr angetreten, doch jetzt ist die Gefahr gebannt, würde ich sagen. Sie haben ja gesehen, daß meine Spezialisten alles abgesucht haben.« »Sie fanden im Mini-Cooper zwei Sprengladungen, Sir?« Josuah Parker erkundigte sich höflich. »Genau, Mr. Parker«, antwortete der Chief-Superintendent, »die erste sprang meinen Leuten förmlich ins Auge. Sie war mit der Zündung gekoppelt, ein übliches Verfahren.« »Und wo steckte die zweite Ladung?« schaltete sich Mike
Rander ein. »Hinter der Batterie«, lautete McWardens Auskunft, »sie hatte einen Rüttelzünder und wäre wohl erst während der Fahrt hochgegangen.« »Diese Frechheit übersteigt allmählich alle Grenzen«, sagte Agatha Simpson grimmig. »Meiner bescheidenen Ansicht nach müßte es noch eine dritte Sprengladung geben, Sir«, erklärte Josuah Parker. »Wie kommen Sie denn darauf?« McWarden schien erstaunt. »Eine an sich recht einfache Rechenaufgabe«, redete Josuah Parker weiter, »die erste Sprengladung im Mini-Cooper diente dazu, Ihren Beamten ein Erfolgserlebnis zu verschaffen, gleichzeitig aber auch ein gewisses Mißtrauen zu wecken und weiter nach einer zweiten Ladung zu suchen.« »Die meine Leute auch prompt gefunden haben«, sagte McWarden. »Ihre Spezialisten gehen nun davon aus, Sir, daß sie den Attentätern auf die sogenannte Schliche gekommen sind.« »Und suchen nur noch oberflächlich weiter?« McWarden nagte an seiner Unterlippe. »Sie treffen den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, Sir. Es gibt aber noch eine dritte Ladung«, sagte Lady Agatha triumphierend, »ich ahnte es gleich… Das heißt, ich wußte es! Eine Lady Simpson führt man nicht aufs Glatteis.« »Dann haben wir’s aber mit einem äußerst gerissenen Täter zu tun, Mr. Parker«, sagte McWarden und eilte schleunigst zu seinen Spezialisten, die die Durchsuchung des Mini-Coopers bereits einstellen wollten. Er sprach kurz mit ihnen, um dann zurückzukehren. »Jetzt wird der Wagen auseinandergenommen«, verkündete er, »jetzt wollen meine Leute es wissen.« »Kennen Sie irgendeinen Gangster hier in London, McWarden, der so raffiniert ist, wie Parker es andeutete?« fragte der Anwalt. »Die Sprengstoff-Falle links und rechts von der Fahrspur, dann die Sprengladungen im Mini-Cooper…« McWardens Zähne beschäftigten sich wieder mit seiner Unterlippe. »Im Moment muß ich passen. Aber ich werde unseren Computer fragen, vielleicht spuckt der ein paar Namen aus.« »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, dürfte der gesuchte Gegner im Polizeicomputer nicht registriert sein«, erklärte der
Butler, »der sogenannte Firmenretter dürfte sich neu etabliert haben.« »Nachwuchs, wie?« spottete der Anwalt. »Durchaus, Sir, wenn auch nur im übertragenen Sinn«, pflichtete der Butler ihm bei, »der Firmenretter dürfte eine Person sein, die Spaß am sinnverwirrenden Spiel hat.« »Ein Subjekt, das Bestätigung sucht«, warf Lady Agatha ein, »Mr. Parker, ich hoffe, Sie sind meiner Meinung.« »Durchaus und vollkommen, Mylady«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art, »es scheint dieser Person darum zu gehen, sich mit Gegnern zu messen.« Bevor Agatha Simpson sich dazu äußern konnte, erschien einer der Spezialisten und meldete, man habe tatsächlich noch eine dritte Sprengladung gefunden, und zwar hinter dem Armaturenbrett. »Ich wußte es doch gleich«, übertrieb die ältere Dame und sah den Chief-Superintendenten triumphierend an. »Phantasie muß man haben, mein lieber McWarden, aber davon kann bei Ihnen natürlich keine Rede sein. Ohne meine Warnung wären wir alle doch noch in die Luft geflogen…« * Es waren zwei Mannweiber, die den Raum betraten. Sie waren groß, breithüftig und muskulös, trugen ärmellose weiße Kittel und standen auf stämmigen Beinen. Sie musterten Kathy Porter und lächelten den Mann dann mechanisch an. »Steckt sie in die Wanne, Männer«, sagte der Mann ironisch, »und behandelt sie nach eurem Geschmack. Aber bringt sie mir nicht gleich um.« »Wie wollen Sie sie haben?« »Heil, aber gehorsam«, erwiderte der Mann, »ich werde in einer halben Stunde zurück sein.« Er nickte Kathy Porter zu und ging zur schmalen Tür, durch die die beiden muskulösen Frauen gekommen waren. In der Tür blieb er stehen und wandte sich noch mal zu Kathy um. »Das sind übrigens Rosy und Hetty«, stellte er vor, »sie sind sehr gutmütig, wenn man pariert.« Kathy atmete tief durch. Das Erscheinen von Männern wäre ihr
wesentlich lieber gewesen. Rosy und Hetty machten wirklich keinen gutmütigen Eindruck auf sie. »Laßt euch nicht reinlegen«, warnte der Mann die beiden Frauen, »ihr habt es mit einer Pantherkatze zu tun.« »Sie wird gleich schnurren«, sagte die Frau, die der Mann als Rosy vorgestellt hatte. »Und Ihnen aus der Hand fressen«, fügte Hetty hinzu. »Wir werden sie gründlich durchkneten.« Der Mann ging, und Kathy stand unwillkürlich auf, als die beiden Mannweiber sich ihr näherten. Sie hatte Angst, zumal sie wehrlos war. Die beiden Frauen bauten sich vor ihr auf und… verabreichten ihr erst mal ein paar Ohrfeigen. Kathy taumelte in den Sessel zurück und schnappte nach Luft. Aber sie war geistesgegenwärtig genug, ihren modischen Fingerring zu aktivieren. Sie drückte auf die Zierplatte mit dem eingelegten Stein und wußte, daß jetzt ein kleiner Stahldorn hervorschnellte, der kaum größer war als die Spitze einer Stecknadel. Parker hatte ihr diese Waffe zugedacht. »Schnallen wir sie erst mal los«, schlug Rosy vor und riß Kathy an den Haaren nach vorn. Hetty trat hinter Kathy und beschäftigte sich mit den Handfesseln. Kathy verhielt sich still, schien ängstlich und beeindruckt zu sein. »Spiel uns nichts vor, Kleine«, sagte Hetty ärgerlich, »wir wissen genau, daß du’s faustdick hinter den Ohren hast.« »Aber nicht mehr lange«, verhieß Rosy, »nach unserer Spezialmassage bist du’n anderer Mensch.« »Wir wissen nämlich, wie man ruppige Mädchen hinbiegt«, fügte Hetty hinzu. Sie nestelte noch immer an dem Strick herum, der Kathys Handgelenke zusammenhielt. Kathy wartete, bis sie mit dem kleinen Dorn zustechen konnte. Noch hatte sich solch eine günstige Gelegenheit nicht ergeben. Doch dann war es soweit… Hettys starke Hände kamen endlich in die richtige Position. Kathy schaffte es, mit dem scharfen Dorn die fleischige Hand anzuritzen, und handelte sich prompt einen derben Stoß ein. Sie flog gegen den gewaltigen Busen der vor ihr stehenden Rosy und hörte gleichzeitig hinter sich einen wüsten Fluch. »Was ist?« fragte Rosy und hielt Kathy fest. Sie sah nicht, daß Kathys Hände nur noch oberflächlich gefesselt waren.
»Irgendwas hat mich geritzt«, sagte Hetty verärgert, »ich blute.« Hetty betrachtete den kleinen Hautriß und führte die Hand an den Mund. Nicht ohne Genugtuung nahm Kathy zur Kenntnis, daß Hetty die kleine Wunde sogar noch aussaugte. Das chemische Präparat, mit dem der Dorn behandelt war, gelangte so noch schneller in den Kreislauf der Frau. »Mein Ring…«, stammelte Kathy ängstlich und präsentierte ihn Rosy, die sich tatsächlich ablenken ließ. Sie übersah, daß Kathy ihre Hände inzwischen befreit hatte. Sie beugte sich vor und musterte den modischen Schmuck. Kathy hatte durch einen zweiten Druck auf die Zierplatte den Dorn wieder einfahren lassen. »Zieh das Zeug aus«, befahl Rosy und deutete auf den Schmuck, dann auf die Halskette, »beeil dich, Kleine… Wir wollen mit der Behandlung anfangen.« Kathy zog die Ohrclips ab und warf sie auf den Sessel. Dann folgte die Halskette und schließlich die Haarspange. Auch die warf sie in Richtung Sessel, aber sie gab sie nicht aus der Hand. Sie tauchte unter dem linken Arm des Mannweibes weg und stach mit der Spangennadel blitzschnell zu. Sie erwischte Rosys Hüfte und hörte deren Aufschrei. »Du Miststück«, keuchte Rosy und langte nach der Angreiferin, »du kleines Aas… Jetzt kannst du was erleben.« Kathy war wesentlich schneller als Rosy, die ins Leere griff, wechselte zur herzförmigen Wanne hinüber und sah blitzschnell zu Hetty. Die Frau machte einen leicht verträumten Eindruck und atmete schnell und flach. Rosy duckte sich, breitete wie ein angreifender Ringer beide Arme weit aus und war sich ihrer Sache völlig sicher. Sie hatte Kathy in eine Ecke abgedrängt und wollte zufassen. Kathy wich immer weiter zurück, bis sie den Rand der in den Boden gelassenen Riesenwanne erreicht hatte. Dann drückte sie sich ab und warf sich gegen die Knie der riesigen Frau, die von dieser ungewöhnlichen Taktik natürlich völlig überrascht wurde. Sie verlor das Gleichgewicht und… flog über Kathy hinweg in die Wanne. Sie sorgte für eine kleine Springflut. Das Wasser schwappte hoch und verließ die Wanne. Kathy bekam einen gehörigen Guß mit, doch das machte ihr nichts aus.
Sie sprang hoch und warf einen Blick auf Rosy, die sich im Restwasser tummelte und mit den Armen um sich schlug. Kathy verlor keine Zeit. Mit der Rückkehr des untersetzten Psychopathen war jederzeit zu rechnen. Möglicherweise hatte er die ganze Szene heimlich beobachtet. Kathy, nur noch mit dem Slip bekleidet, lief zum Sessel und griff nach einem der beiden Ohrclips. Sie drückte die Plastikwölbung mit dem Fingernagel ein und warf den Clip dann zur Tür, durch die der Mann gekommen war. Es dauerte nur Sekunden, bis plötzlich eine kompakte Nebelsäule aufstieg, die sich schnell ausbreitete. Kathy, die ihre Halskette ebenfalls geborgen hatte, baute sich neben der Tür auf und wartete ab. Sie hüstelte leicht, als der Nebel immer dichter wurde und die Sicht minderte. Rosy und Hetty waren nicht mehr zu hören. Wahrscheinlich gaben sie sich ihren Träumen hin, für die Kathy gesorgt hatte. Kathy legte ihre Hand auf den Türknauf. Es dauerte nicht lange, bis er vorsichtig bewegt wurde. Kehrte der Gangsterchef zurück? Wußte er bereits, wie gründlich die Lage sich verändert hatte? Die Tür wurde langsam aufgedrückt. Kathy schlug mit ihrer Halskette durch den schmalen Türspalt und setzte auf jene Perlen in der Kette, die aus Stahl bestanden. Sie hörte einen unterdrückten Aufschrei, riß die Tür auf und warf sich gegen den Mann, der sich eben noch mit ihr herablassend unterhalten hatte. Er wurde völlig überrascht und hatte dazu noch genug mit seinem Gesicht zu tun. Die Kette hatte genau getroffen und seine Nase mißhandelt. Kathy benutzte ihre Handkante, schickte den Mann zu Boden und rannte dann durch einen zweiten Clubraum in eine Art Halle, in der eine üppige Vegetation herrschte. Hier gab es einen Swimming-pool, eine Bar, nackte Frauen und kaum weniger bekleidete Männer. Sie alle waren natürlich überrascht, als Kathy auf der Bildfläche erschien. »Feuer!« schrie Kathy. »Schnell, Feuer! Alles brennt!« Eine eingeschlagene Bombe hätte nicht wirkungsvoller sein können. Die Besucher der intim gehaltenen Halle gerieten prompt in Panik und rannten los, um sich in Sicherheit zu bringen. Kathy lief mit. Sie hatte nicht die geringste Lust, noch länger in diesem Club zu bleiben… *
»Sehr begabt, Kindchen«, meinte Agatha Simpson und nickte wohlwollend, »ich hätte es wohl kaum besser machen können.« »Ihre Ausrüstung, Mr. Parker, hat sich sehr gut bewährt«, meinte Kathy Porter, die sich wieder im Haus der Lady in Shepherd’s Market befand. »Ich hätte es natürlich ohne Hilfsmittel geschafft«, erklärte die ältere Dame umgehend, »aber das nur am Rand… Und wie ging die Geschichte weiter?« »Ich fand mich plötzlich auf einem Hinterhof, Mylady«, berichtete Kathy weiter, »es standen da eine Menge Wagen herum. Ich war so frei, mir einen auszuleihen.« »Ist das dieser Sportwagen, mit dem Sie gekommen sind, Kathy?« mischte sich Mike Rander in die Unterhaltung ein. »Er wird einem der männlichen Gäste gehören«, vermutete Kathy Porter und nickte, »es gab leider einige Blechschäden.« »Wie schön«, stellte die Detektivin sichtlich zufrieden fest. »Ich hatte nämlich keine Zeit, mir etwas überzuwerfen«, redete Kathy Porter lächelnd weiter, »einige Fahrer müssen durch mich abgelenkt worden sein.« »Sie steuerten das nächste Polizeirevier an, Miß Porter?« fragte der Butler, der bisher schweigend zugehört hatte. »Richtig, Mr. Parker. Dort gab’s auch einiges Aufsehen, als ich erschien. Leider dauerte es eine Weile, bis man mich mit ChiefSuperintendent McWarden verband. Man glaubte zuerst, ich wollte gegen irgend etwas protestieren, und packte mich erst mal in einen Polizeimantel.« »Sie konnten sich dann mit dem Chief-Superintendenten unterhalten, Miß Porter?« fragte Parker. »Ich nannte ihm die ungefähre Adresse des Clubs. Ich denke, er ist mit seinen Leuten sofort losgefahren.« »Hoffentlich, Kindchen«, meinte die ältere Dame, »dieses Nest muß ausgehoben werden. Warum sitzen wir hier eigentlich herum, Mr. Parker? Warum unternehmen nicht auch wir etwas?« »Der Mann, von dem Miß Porter berichtete, Mylady, dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach inzwischen das Weite gesucht haben.« »Sie werden dieses Subjekt aber jederzeit wiedererkennen, Kindchen?« fragte Agatha Simpson. »Auf Anhieb, Mylady«, antwortete Kathy Porter, »er
behauptete, nicht der sogenannte Firmenretter zu sein. Und wirklich, diesen Eindruck hatte auch ich nicht…« »Sollte dieser angeblich falsch adressierte Brief nicht nur eine raffinierte Falle gewesen sein?« warf Mike Rander ein und sah den Butler an. »Vergessen wir doch nicht, daß wir’s mit einem Burschen zu tun haben, der sich für unwiderstehlich hält, der mit ganz schön ausgekochten Tricks arbeitet.« »Daran denke ich bereits die ganze Zeit über«, behauptete die ältere Dame sicherheitshalber. »Dieser Mann scheint recht viel Material über Mylady zusammengetragen zu haben«, sagte Josuah Parker. Er vermied es wie stets, auch von Kathy Porter, Mike Rander oder sogar von sich zu sprechen. Er kannte die Eifersucht seiner Herrin. »Dieser ganze Fall ist eine einzige Kampfansage an mich«, pflichtete Lady Agatha ihrem Butler dankbar bei, »und er soll mich kennenlernen! Ich werde…« »Mylady entschuldigen.« Es hatte geläutet, und Josuah Parker begab sich hinüber in die große Wohnhalle des Hauses. Als er den verglasten Vorflur erreicht hatte, öffnete er einen Wandschrank und schaltete die Fernsehkamera ein, die draußen über der Eingangstür angebracht war. Auf dem Bildschirm des Monitors war sofort danach die bullige Gestalt von Chief-Superintendent McWarden zu sehen. »Darf man mit erfreulichen Nachrichten rechnen, Sir?« fragte Parker, nachdem McWarden den verglasten Vorflur hinter sich gebracht hatte. »Pleite auf der ganzen Linie«, antwortete McWarden, der sichtlich schlecht gelaunt war, »die Pächter dieser Sauna, wie der Laden sich nennt, haben sich abgesetzt.« »Pächter, Sir?« fragte Parker. »Diese Freizeit-Sauna, wie das Etablissement heißt, ist vor zwei Wochen verpachtet worden. Der Eigentümer macht irgendwo Urlaub, wir haben ihn bisher noch nicht auftreiben können.« »Hoffentlich erfreut er sich noch seines Lebens, wenn ich es mal so banal ausdrücken darf, Sir.« »Hoffentlich«, erwiderte McWarden, »meiner Ansicht nach aber wartet bereits das Leichenschauhaus auf ihn!« *
Horace Pickett war ein Mann, der Autorität ausstrahlte. Er hatte eine straffe Figur und das Benehmen eines pensionierten Militärs. Er kleidete sich mit Sorgfalt und Geschmack, verfügte über ausgezeichnete Manieren – und war ein noch besserer Taschendieb. Horace Pickett war natürlich kein gewöhnlicher Dieb, sondern er betrachtete sich als Eigentumsübertrager. Er beschäftigte sich grundsätzlich nur mit Klienten, die mittlere und größere Verluste ohne weiteres verkraften konnten. Josuah Parker gegenüber fühlte sich dieser bemerkenswerte Mann zutiefst verpflichtet, zumal der Butler ihm mal das Leben gerettet hatte. »Von einem Firmenretter habe ich tatsächlich gehört, Mr. Parker«, sagte Horace Pickett, der sich mit dem Butler in einem exklusiven Lokal in der Innenstadt getroffen hatte, »dieser Mann arbeitet in großem Stil, wie es heißt.« »Was sollte man sich darunter vorstellen, Mr. Pickett?« fragte Josuah Parker. »Sie werden die Methoden ja kennen, Mr. Parker: Firmen, die auf finanziell schwachen Beinen stehen oder in Gefahr sind, in Konkurs zu geraten, brennen plötzlich ab, fliegen in die Luft oder erleiden Wasserschäden. Die jeweiligen Versicherungen müssen dann zahlen. Um welche Summen es sich meist handelt, kann man sich ja vorstellen.« »In der Vergangenheit hatte ich bereits das Vergnügen, einen ähnlichen Fall bearbeiten zu können, Mr. Pickett.« Josuah Parker behandelte seinen Gesprächspartner keineswegs herablassend. In seinen Augen war Pickett ein Gentleman. »Firmenretter dieser Art, Mr. Parker, müssen ihr Handwerk verstehen«, redete Horace Pickett weiter, »die Sachverständigen der Versicherungen und der Polizei dürfen natürlich keine Spuren entdecken, weil die Zahlungen sonst ausbleiben.« »Mr. Rander hat sich bereits mit einigen Versicherungsunternehmen in Verbindung gesetzt«, schickte Josuah Parker voraus, »morgen, so möchte sich annehmen, dürfte eine Liste von Versicherungsfällen vorliegen, die Rückschlüsse zulassen.« »Richtige Sanierungen, Mr. Parker, müssen langfristig vorbereitet werden«, berichtete Horace Pickett weiter, »erst Monate nach Abschluß einer speziellen Versicherung darf es zu
Schäden kommen.« »Demnach dürften diese Firmenretter auch die Finanzierung der Prämien übernehmen, nicht wahr?« »Ich denke schon, Mr. Parker. Die stecken erst Geld ins Geschäft, bevor sie tätig werden. Aber das lohnt sich, wie ich mir vorstellen kann.« »Bestimmte Namen könnten Sie mir in diesem Zusammenhang nicht nennen, Mr. Pickett?« »Da muß ich leider passen, Mr. Parker. Wie gesagt, ich habe bisher nur von einem Firmenretter gehört. Ich werde aber umgehend meine Fühler ausstrecken.« »Sie sollten dabei vorsichtig zu Werke gehen, Mr. Pickett«, warnte der Butler den Eigentumsumverteiler, »in diesem Fall hat man es offensichtlich mit einem Mann zu tun, der recht einfallsreich ist. Ist Ihnen in diesem Zusammenhang folgende Person bekannt?« Parker beschrieb den Mann, mit dem Kathy Porter zusammengetroffen war. Horace Pickett hörte zu, um dann aber leicht zu nicken. Er beherrschte sich jedoch, bis Parker seine Beschreibung beendet hatte. Dann röteten sich Picketts Wangen vor Eifer. »Das kann nur Cliff Brooker sein«, sagte er dann hastig, »die Beschreibung paßt haargenau auf ihn.« »Ein Name, der meiner Wenigkeit nichts sagt, Mr. Pickett.« »Cliff Brooker leitet einen Call-Girl-Ring, Mr. Parker«, wußte Horace Pickett zu berichten, »darüber hinaus handelt er auch mit Drogen aller Art.« »Es versetzt meine Wenigkeit in einiges Erstaunen, Mr. Pickett, daß der Name und die Existenz dieses Mannes mir fremd ist.« »Mich wundert das überhaupt nicht«, erwiderte der Eigentumsübertrager und lächelte, »er muß erst vor ganz kurzer Zeit nach London zurückgekommen sein. Normalerweise arbeitet er von Brüssel aus.« »Sie sind wieder mal erstaunlich gut informiert, Mr. Pickett«, stellte Josuah Parker fest. »Sie sollten mir Einzelheiten darüber berichten.« Die beiden Männer blieben etwa eine halbe Stunde in dem exklusiven Lokal. Nachdem Pickett über diesen Call-Girl-Ring berichtet hatte, verließen die beiden Männer das Lokal, ohne vorn an der Garderobe ihre leichten Übermäntel hängen zu lassen.
Dabei kam es zu einer Begegnung mit Gästen, die das Lokal gerade besuchen wollten. Pickett zeichnete sich auch jetzt wieder als aufmerksamer Gentleman aus, der sich höflich entschuldigte, als er mit einem der männlichen Gäste unabsichtlich zusammenstieß. »Soll ich mich um diesen Cliff Brooker kümmern, Mr. Parker?« erkundigte sich Horace Pickett, als sie draußen auf der Straße waren. »Um seine sogenannten Statthalter hier in London, Mr. Pickett«, gab der Butler zurück, »darf ich darauf verweisen, daß Mr. Cliff Brooker sehr gefährlich sein dürfte?« »Ich würde schon aufpassen, Mr. Parker«, versicherte Pickett aufgekratzt. »Sie sollten sich auf diesen sogenannten Firmenretter spezialisieren«, riet der Butler, »aber auch dies nur unter Wahrung der größten Vorsicht.« »Sie bestimmen den Kurs, Mr. Parker«, sagte Pickett. Man verabschiedete sich, und der Butler schritt gemessen zu seinem hochbeinigen Monstrum. Er hatte den Wagen noch nicht ganz erreicht, als er seinen Namen hörte. Er blieb stehen und wandte sich um. Horace Pickett war ihm gefolgt und machte einen etwas verlegenen Eindruck. »Ich weiß nicht, wie Sie es gemacht haben, Mr. Parker«, sagte er, »aber ich weiß, daß ich gegen Sie ein Anfänger bin.« »Der tiefere Sinn Ihrer Rede ist mir einigermaßen dunkel«, meinte Josuah Parker. »Ich… ich vermisse zwei Brieftaschen«, sagte Horace Pickett. »Sollten Sie sie verloren haben, Mr. Pickett?« »Darf ich wenigstens meine eigene Brieftasche zurückhaben?« fragte der Eigentumsveränderer. »Aber gern und selbstverständlich.« Parker griff in die linke Außentasche seines schwarzen Covercoats und reichte Pickett eine elegant aussehende Brieftasche, die einen gutgefüllten Eindruck machte. Dann griff er in die rechte Manteltasche und reichte Pickett eine zweite Brieftasche. »Würden Sie die Güte haben, Mr. Pickett, sie an der Garderobe zurückzugeben?« fragte Parker dann, »man wird sich dort über die Aufmerksamkeit eines Gastes sicher ungemein freuen.« »Wird prompt erledigt«, antwortete Horace Pickett, »aber sagen Sie mir, wie Sie mich hereingelegt haben. Ich war sicher, daß Sie
diesmal nichts bemerkt hätten.« »Ihre Neigung, die Finger zu trainieren, Mr. Pickett, ist mir wohlbekannt«, antwortete der Butler und lächelte andeutungsweise, was bei ihm mehr als selten war, »auch ich unterlag dieser Versuchung, was Sie betraf…« »Ich werde gegen Sie ein blutiger Anfänger bleiben«, seufzte Pickett, um dann im Lokal die zweite Brieftasche abzuliefern, die an seinen Fingern klebengeblieben war… * Es war Nachmittag. Mike Rander und Kathy Porter kehrten ins Haus der älteren Dame zurück und machten einen aufgekratzten Eindruck, was Lady Agatha wohlwollend registrierte. Sie dachte dabei weniger an die Ermittlungen, mehr an persönliche Beziehungen, die sie zwischen Kathy Porter und Mike Rander nachhaltig förderte. »Wir bringen gute Nachrichten«, sagte Mike Rander. »Sehr gute sogar«, fügte Kathy Porter hinzu. »Bedeutet das etwa eine Verlobung?« Lady Simpson drohte schelmisch mit dem Zeigefinger. »Darf man gratulieren?« »Ich denke schon«, redete der Anwalt weiter und sah Kathy Porter verschmitzt an, »ich glaube, wir haben etwas wie einen roten Fäden entdeckt.« »Roter Faden?« Lady Agatha war irritiert. »Was die Arbeit dieses Firmenretters betrifft, Mylady«, erklärte Kathy Porter lächelnd, »wir kommen gerade von der Feuerpolizei und haben eine interessante Liste zusammenstellen lassen.« »Ach so.« Lady Agatha nickte zerstreut. »Und was geht aus dieser Liste hervor?« »Firmenbrände«, sagte der Anwalt und nickte dem Butler zu, der gerade den Saloon betrat. »Dubiose Firmenbrände und auch einige Schiffsuntergänge.« »Ihr Vorschlag war ausgezeichnet, Mr. Parker«, warf Kathy Porter ein, »wir ließen nur die Fälle aussortieren, bei denen man Brandstiftung vermutete.« »Stammte diese Idee nicht von mir, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Simpson. »Im Endeffekt durchaus, Mylady«, antwortete Parker und
verzog keine Miene. »Myladys Anregung war wie stets ungemein richtungweisend.« »Natürlich«, erklärte sie nachdrücklich, »dieser Firmenretter legt also Brände, damit die Versicherungen zahlen müssen, nicht wahr?« »Eine sehr einfache und immer wieder wirkungsvolle Methode, Mylady«, sagte der Butler, »die Inhaber der betreffenden Firmen dürften in allen Fällen über Alibis verfügen, die man nur als hiebund stichfest bezeichnen kann.« »Richtig, Parker«, pflichtete Mike Rander dem Butler bei, »in allen Fällen, die wir eingesehen haben, zahlten die Versicherungen erst nach langen Ermittlungen, weil die Brandstiftungen fast zu fühlen waren, aber man konnte schließlich nichts beweisen.« »Um welche Summen, Sir, handelte es sich, wenn es erlaubt ist, diese Frage zu stellen?« »Unter dem Strich dürften es Millionen sein… Und dabei geht es nur um solche Fälle, die erst ein halbes Jahr zurückliegen.« »Wurden diese Firmen wieder neu installiert und in Betrieb genommen, Sir?« lautete Parkers Frage. »Nein. Nach diesem Kriterium haben Miß Porter und ich die Auswahl noch zusätzlich abgegrenzt. In keinem Fall wurden die Firmen mit den Versicherungsgeldern ausstaffiert und wieder flottgemacht.« »Dann ist der Fall so gut wie gelöst«, schaltete sich die ältere Dame energisch ein. »Sie haben die Namen dieser Firmeneigentümer, mein Junge?« »Natürlich, Mylady.« Mike Rander nickte. »Und ich gehe davon aus, daß auch McWarden diesen Namen hat. Er dürfte nach derselben Taktik vorgegangen sein.« »Ich werde die Bankrotteure aufsuchen und sie zu einem Geständnis bringen«, redete Lady Agatha weiter, »und sie werden mir verraten, was sie diesem Firmenretter gezahlt haben.« »Mylady gehen davon aus, daß auch der Firmenretter inzwischen ahnt oder weiß, daß man eine Liste verdächtiger Firmen zusammengestellt hat«, warf Parker ein und deutete in Richtung seiner Herrin eine Verbeugung an. »Gehe ich davon aus? Warum?« Sie runzelte die Stirn. »Der sogenannte Firmenretter, Mylady, könnte gewisse Vorbereitungen treffen, um Mylady bei einem der geplanten
Besuche zu überrumpeln.« »Dagegen werden Sie sofort etwas unternehmen, Mr. Parker«, verlangte sie umgehend. »Sie wissen doch, daß ich mich mit solchen Details nie abgebe. Ich bin mehr für die große Linie zuständig.« »Gewiß, Mylady«, erwiderte Parker höflich, »ohne eine geistige Führung wäre jedes Bemühen nur Stückwerk und daher sinnlos.« »Das haben Sie recht hübsch ausgedrückt«, meinte sie und nickte wohlwollend, »ich werde mir diesen Satz merken.« * »Brooker ist dort drüben gesichtet worden«, sagte Horace Pickett und deutete auf ein Speiselokal, »ein Irrtum ist ausgeschlossen. Einer meiner Bekannten hat ihn genau erkannt.« »Davon ist meine Wenigkeit durchaus überzeugt, Mr. Pickett«, antwortete Parker, der sein hochbeiniges Monstrum verlassen hatte. »Darf man erfahren, wann und wo Ihr Bekannter die Spur des Mr. Cliff Brooker aufnehmen konnte?« »Das war vor einer halben Stunde«, erklärte Pickett. »Brooker war in der Waterloo Station und ließ sich wahrscheinlich Fahrkarten besorgen. Zwei Männer waren bei ihm, die ihn abschirmten. Danach ist er sofort hierhergefahren. Und ich habe Sie sofort angerufen, Mr. Parker.« »Sehr verdienstvoll, Mr. Pickett«, gab Josuah Parker zurück, »ist Ihnen das Lokal dort bekannt?« »Ein indochinesisches Restaurant«, sagte Pickett, »achten Sie bitte darauf, daß es nur ein paar Häuser von der Sauna entfernt ist, in der man Miß Porter festgehalten hat. Brooker dürfte sich also auskennen. Vielleicht hat er sich irgendwo in den Hinterhöfen ein Versteck genommen.« »Das riecht förmlich nach einer Einladung, Parker«, meinte Rander, der den Butler begleitete. »Wenn ich mich erkühnen darf, Sir, möchte ich mich Ihrer Ansicht anschließen«, erwiderte Josuah Parker. »Köder?« fragte Pickett, der den Anwalt natürlich gut kannte. »Brooker wird von der Polizei gesucht und weiß das auch«, erklärte Rander dem Eigentumsumverteiler, »wenn er sich also zeigt, dann doch wohl nur, um eine Spur zu legen.«
»Ich verstehe, Sir.« Pickett nickte. »Er rechnet damit, daß Sie einen Geheimtip bekommen, hier auftauchen und dann in die Falle laufen.« »Genau das ist es, Pickett«, erwiderte Mike Rander, »die Zielfernrohre dürften bereits auf Hochglanz poliert worden sein.« »Hat er denn keine Angst, daß Sie die Polizei alarmieren könnten?« wunderte sich Horace Pickett. »Brooker weiß sehr genau, daß wir darauf tunlichst verzichten«, sagte Mike Rander lächelnd, »gehen Sie davon aus, daß er uns gründlich studiert hat.« »Und was wollen Sie jetzt machen?« fragte Pickett neugierig. »Nichts«, erwiderte Butler Parker. »Mr. Rander und meine Wenigkeit werden Mr. Brooker deutlich machen, daß man nicht gewillt ist, den Köder anzunehmen.« »Ich verstehe, Sir Parker. Sie hoffen, daß er Sie dann verfolgen wird, nicht wahr?« Horace Pickett war mit Begeisterung bei der Sache. »Mr. Cliff Brooker wird dies in der Tat hoffen, Mr. Pickett«, erwiderte Josuah Parker, »und er dürfte die Zeit nutzen wollen.« »Jetzt blicke ich da nicht mehr durch, Mr. Parker«, gestand Horace Pickett. »Rechnen Sie damit, Parker, daß Brooker versuchen wird, Lady Simpson und Kathy Porter zu attackieren?« fragte Mike Rander. »Er braucht zumindest eine Geisel, Sir, wenn er seine Pläne weiter durchführen will.« »Es ist zwar nur eine Frage, Mr. Parker«, schickte Horace Pickett voraus, »aber warum tun Sie nicht das, womit Brooker ja kaum rechnet? Warum schicken Sie ihm nicht die Polizei auf den Hals?« »Weil Mr. Cliff Brooker längst einen Ortswechsel vorgenommen haben dürfte«, erwiderte Josuah Parker, »falls meine bescheidenen und unzulänglichen Überlegungen stimmen, dürfte er bereits auf dem Weg sein, den beiden Damen in Shepherd’s Market einen Besuch abzustatten. Da er dieses Haus kennen dürfte, ist damit zu rechnen, daß er sich eines besonderen Schlüssels bedienen dürfte.« *
»Herzlichen Dank dafür Mylady, daß Sie mich empfangen haben«, sagte Richard Harris, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann, der mittelgroß war und nervös schien. »Sie haben Schwierigkeiten?« erkundigte sich Lady Simpson rundheraus, »ersparen wir uns eine lange Vorrede. Sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben.« »Ich habe Sie auf einer Party kennengelernt, Mylady«, redete Richard Harris weiter, »bis vor knapp vier Monaten hatte ich eine Lackfabrik, die dann aber durch Feuer bis auf die Grundmauern niederbrannte.« »Hoffentlich waren Sie gut versichert?« fragte die Detektivin süffisant. Sie hatte durch ihre Lorgnette schnell einen Blick auf die bewußte Liste geworfen, die vor ihr auf einem Beistelltisch lag. Der Name von Richard Harris war vorhanden, gehörte also wahrscheinlich zum Kundenkreis des sogenannten Firmenretters. »Ich war gut versichert und bin eigentlich ohne Verluste davongekommen«, berichtete Harris weiter. »Es gab da einigen Ärger mit der Versicherung, die an vorsätzliche Brandstiftung glaubte. Das möchte ich auf keinen Fall verschweigen, Mylady, damit Sie keinen falschen Eindruck von mir gewinnen.« »Sie haben Ihren Betrieb nicht wiederaufgebaut, Harris?« wollte die ältere Dame wissen. »Nein, dazu fehlten mir die Nerven. Ich habe mich ins Privatleben zurückgezogen. Gegen die großen Chemiekonzerne, die ebenfalls Lacke herstellen, hätte ich auch kaum eine Chance gehabt.« »Ihre Lackfabrik brannte also ab«, erinnerte Lady Agatha, während Kathy Porter, die sich ebenfalls in der Wohnhalle befand, aufmerksam zuhörte. »Wieviel hat Sie der Brand gekostet, Harris?« Die offene Ungeniertheit der älteren Dame bewährte sich wieder mal. Richard Harris schluckte und sah Lady Agatha schockiert an. Er wollte antworten, doch die Stimme kündigte ihm erst mal den Dienst. »Sie haben das Angebot des Firmenretters angenommen, Harris«, redete Agatha Simpson weiter. »Sie haben kassiert, den Firmenretter bezahlt und werden jetzt wohl erpreßt, nicht wahr?« Richard Harris schluckte noch mal, dann aber nickte er schwach. »Ich werde erpreßt«, räumte er mit gepreßter Stimme ein,
»aber ich habe meine Lackfabrik nicht abbrennen lassen. Mein Wort darauf, Mylady, mein Wort darauf.« »Papperlapapp, Harris«, meinte die Detektivin wegwerfend, »mir brauchen Sie nichts vorzumachen.« »Ich werde mit der Behauptung erpreßt, ich hätte mich mit einem Brandstifter eingelassen«, verteidigte sich Richard Harris. Seine Stimme wurde ein wenig fester, »aber das stimmt einfach nicht.« »Wieso kann man Sie dann erpressen, Harris?« fragte Agatha Simpson ironisch. »Mit dieser Behauptung an sich, Mylady«, antwortete der ehemalige Lackfabrikbesitzer, »die Polizei würde sich wieder einschalten. Das ganze Verhörtheater begänne wieder von vorn.« »Wer erpreßt Sie denn? Hat dieses Subjekt Flagge gezeigt?« »Die Stimme am Telefon klang undeutlich. Sie war überhaupt nicht zu identifizieren, Mylady, aber ich soll mich noch in dieser Nacht mit dem Erpresser treffen und ihm eine erste Ratenzahlung von zwanzigtausend Pfund übergeben.« »Und was haben Sie bereits gezahlt?« reagierte die Detektivin unverblümt. »Fünfzig… Wieso, Mylady? Ich habe bisher überhaupt nichts bezahlt.« »Sie haben mich mißverstanden«, behauptete Agatha Simpson, »ich wollte fragen, was die Versicherung Ihnen ausgezahlt hat. Sie sollten genauer hinhören.« »Hundertvierzigtausend Pfund. Dieses Geld hat die Investitionen gerade gedeckt.« »Und davon will man jetzt zwanzigtausend Pfund sehen, Harris«, faßte die ältere Dame zusammen. »Sie sind unschuldig, haben mit dem Firmenretter nicht zusammengearbeitet. Gut, wenden Sie sich an die Polizei…« »Mylady, man weiß doch, daß Sie sich mit Kriminalfällen befassen«, schickte Richard Harris voraus, »könnten Sie nicht zum vereinbarten Treffpunkt fahren und den Erpresser festnehmen? Allein würde ich es nie schaffen.« »Das klingt allerdings verlockend«, meinte die ältere Dame, »wie denken denn Sie darüber, Kindchen?« »Eine einmalige Chance, Mylady, den Firmenretter zu stellen«, antwortete Kathy Porter umgehend. »Sie kommen also mit?« Harris atmete erleichtert auf.
»Ich denke schon. Ich werde mich schnell umkleiden. Kathy, leisten Sie Mr. Harris Gesellschaft. In zehn Minuten bin ich wieder zurück.« Lady Agatha stieg über die geschwungene Freitreppe zur Galerie des Obergeschosses und verschwand in der Dunkelheit eines Korridors. Richard Harris war aufgestanden und wanderte vor dem großen Kamin auf und ab. »Könnte ich einen Schluck Wasser haben?« fragte er dann plötzlich. »Oder lieber einen herzhafteren Drink, Mr. Harris?« bot Kathy weitere Erfrischungen an. »Einen Whisky mit Eis«, antwortete der ehemalige Lackfabrikbesitzer. »Ja, das wäre jetzt genau richtig.« »Einen Moment, ich werde schnell Eis holen«, sagte Kathy und verließ die Wohnhalle. Richard Harris nickte und wartete, bis Kathy hinter einer Tür verschwunden war. Dann lief er hinüber zur Tür des verglasten Vorflurs und öffnete sie. Sein Ziel war die schwere Haustür, die er zu öffnen gedachte. Bevor er es jedoch tat, blieb er kurz stehen und wandte sich in Richtung Wohnhalle um. Kathy Porter war noch nicht zurück. Richard Harris öffnete die Haustür und trat hastig zur Seite, als drei Männer in den verglasten Vorflur drängten. * Sie kamen nicht weit. Die Glastür, durch die die Wohnhalle zu sehen war, hatte sich hinter Richard Harris geschlossen, was er allerdings nicht bemerkt hatte. Einer der drei Männer rüttelte fast wütend am Türknauf, doch die Tür gab nicht nach. »Weg, laßt mich mal!« Der Mann, der offenbar der Anführer war, warf sich mit der Schulter gegen die Glastür, die recht zierlich aussah. Der Mann, stämmig und muskulös, warf sich mit Wucht dagegen und… wurde prompt zurückgeworfen. Er stöhnte beeindruckt und rieb sich die stark geprellte Schulter. »Das versteh’ ich nicht«, sagte er wütend, trat zurück und unternahm einen zweiten Versuch. Diesmal konzentrierte er sich auf die Mitte der Glastür und ging davon aus, daß die Füllung dort besonders brüchig sein mußte. Seine beiden Partner standen an der Wand des Vorflurs und beobachteten diesen zweiten Versuch.
Auch Richard Harris starrte fasziniert auf den Mann, der seinen Leuten endlich Zutritt zur Wohnhalle verschaffen wollte. Doch dann bemerkte Harris im rechten Augenwinkel eine Bewegung, nahm den Kopf herum und deutete zur Haustür, die sich langsam schloß. »Die… die Haustür«, rief er endlich. »Halt sie fest«, antwortete der Vormann gereizt und trat noch mal zurück, um ungestört gegen die Glastür anrennen zu können. Der ehemalige Lackfabrikbesitzer griff hastig nach dem Türknauf aus Messing und wollte die Haustür daran hindern, ins Schloß zu fallen. »Ich schaffs nicht«, keuchte er endlich, »ich kann sie nicht festhalten.« Die drei Männer hatten keine Zeit für ihn. Der Anführer der Männer krachte gerade gegen die Glasfüllung der Tür und wurde erneut zurückgeworfen. Er rutschte förmlich in sich zusammen und stöhnte. Dann massierte er sich äußerst vorsichtig die mißhandelte Schulter. »Das versteh’ ich nicht«, sagte er zu seinen beiden Begleitern, »das kapier’ ich nicht. Das ist doch nur Glas…« »Die Tür«, stöhnte Richard Harris, »die Tür… Ich kann sie nicht halten!« . Die drei Männer fuhren herum und sahen, wie Harris sich abmühte, die Tür zu halten. Sie hatte sich bereits bis auf einen Spalt geschlossen. Der Vormann begriff, warf sich auf die Tür, drängte Harris zur Seite und stemmte sich gegen die Tür, die sich weiter schloß. Er zerrte und rüttelte am Messingknauf, hatte jedoch keine Chance, die Tür zu halten. »Verdammt…«, sagte er schließlich und gab auf, »nicht zu schaffen. Jetzt sitzen wir in der Falle…« »… die Sie Mr. Cliff Brooker verdanken«, war in diesem Moment die Stimme der Lady zu hören. Die vier Männer wirbelten erneut herum und sahen sich der Hausherrin gegenüber, die vor der Glastür stand und ihre Gegner kühl musterte. »Mylady, bitte, Sie sehen das wahrscheinlich alles falsch«, meldete Richard Harris sich sofort zu Wort. Er machte sich keine Gedanken darüber, warum er die Stimme der älteren Dame so gut verstehen konnte. Es hätte ihn wahrscheinlich auch gar nicht interessiert, daß Lady Agatha über eine Wechselsprechanlage mit ihnen im verglasten Vorflur sprach. »Sie Flegel wollten mir diese Subjekte heimlich ins Haus
schleusen«, antwortete Agatha Simpson grimmig, »ich habe das alles genau beobachtet, Harris. Sie sollten sich schämen, eine flüchtige Bekanntschaft derart auszunutzen.« »Ich konnte doch nicht anders«, jammerte der ehemalige Lackfabrikbesitzer. »Brooker hat mich doch völlig in der Hand.« »Halten Sie die Klappe, Mann«, fuhr der Vormann Harris an und hatte plötzlich eine Waffe in der Hand, deren Mündung er auf die Lady richtete, »so, nun sperren Sie verdammt schnell die Tür auf, sonst passiert ein Unglück.« »Sie haben nur zu reden, wenn Sie gefragt werden«, fuhr Agatha Simpson den stämmigen Mann an. »Sie wollen es nicht anders.« Der Vormann drückte gnadenlos ab, und Richard Harris fuhr zusammen, als sei er vom Blitz getroffen worden, so laut war der Schuß im kleinen Vorflur zu hören… * Das Geschoß nahm einen recht seltsamen Weg. Es prallte erst mal an der schußsicheren Panzerglasscheibe ab, winkelte zur Seitenscheibe hinüber, um von dort aus dann zurück zum Schützen zu sirren. Es ließ sich im linken Oberschenkel des verständlicherweise überraschten Mannes nieder, riß eine Fleischwunde auf und tropfte dann fast in Zeitlupe zu Boden. Der Vormann brüllte und hielt sich seinen verletzten Oberschenkel. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen«, grollte Lady Simpson, »warum haben Sie nicht gewartet, bis ich Ihnen sagen konnte, woraus der Glaseinsatz besteht?« »Ich… Ich verblute«, jammerte der Vormann, der seine Schußwaffe zu Boden geworfen hatte. »Ich will hier raus«, schrie Richard Harris und hämmerte mit seinen Fäusten sinnlos gegen das Panzerglas. »Nur nichts überhasten, mein guter Harris«, beschwichtigte die Detektivin ihren Besucher, »zuerst möchte ich von Ihnen wissen, ob Sie mit diesem Firmenretter zusammengearbeitet haben.« »Ich kenn’ ihn nicht.« »Sicher nicht persönlich, Harris, aber Sie haben sich per Telefon mit ihm unterhalten, nicht wahr?«
»Ich verblute«, rief der Vormann dazwischen. Er hatte sich inzwischen das Hosenbein aufgerissen und band sich ein Taschentuch um die Fleischwunde. Er schaffte es nur, weil er sich die Taschentücher seiner beiden Partner auslieh. »Sind das die Subjekte, Kindchen, die Sie in der Sauna gesehen haben?« Lady Agatha überhörte die Ankündigung des Gangsters, er müsse verbluten. Sie wandte sich zu Kathy Porter, die seitlich hinter ihr erschienen war. »Das sind sie, Mylady«, bestätigte deren Gesellschafterin und Sekretärin, »ein Irrtum ist ausgeschlossen.« »Die beiden anderen Subjekte haben Sie in Mr. Randers Kanzlei überfallen, Kindchen?« »Mr. Rander würde sie ebenfalls sofort erkennen, Mylady.« »Dann werde ich jetzt nach diesem Widerling namens Cliff Brooker fragen.« Lady Agatha kam noch näher an die Tür heran und winkte einen der beiden Schläger zu sich an die Glasfüllung. Der junge Mann gehorchte umgehend und zeigte Respekt. »Wo ist dieser Brooker?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Und für wen arbeitet er?« »Der Chef ist selbständig«, lautete die umgehende Antwort. »Und wo versteckt er sich, junger Mann?« »Der hat viele Verstecke, Lady«, kam prompt die Antwort, »der hat überall seine Wohnungen. Wir selbst wissen ja nie, wo er sich gerade aufhält.« »Ich verblute«, behauptete der Vormann erneut. Er hatte sich niedergesetzt und machte einen jämmerlichen Eindruck. »Sie wollten mich niederschießen, Sie Flegel«, konstatierte die ältere Dame, »wo hält sich Ihr Gangsterboß auf? Sie allein entscheiden darüber, wann ich einen Polizeiarzt kommen lasse.« »Ich weiß von nichts«, behauptete der stämmige Vormann, dessen Vorname Ed war, wie Kathy sich erinnerte. »Dann verbluten Sie in aller Ruhe…« »Dann schieß’ ich vorher aber diesen Typ da nieder!« Ed griff nach seiner Waffe, doch die beiden Partner fürchteten wohl, es könnte zu einem zweiten unkontrollierten Schuß kommen. Einer von ihnen brachte Eds Schußwaffe hastig an sich. »Ich will hier raus«, keuchte Richard Harris. »Mylady, ich werde ein umfassendes Geständnis ablegen.« »Alles zu seiner Zeit, mein Lieber«, sagte sie ironisch, »zuerst
möchte ich von diesen Subjekten hören, wo ich Brooker finden kann. Er wird doch ein oder zwei bevorzugte Verstecke haben, oder?« »Okay, ich pack’ aus«, stöhnte Ed, »ich verblute…« »Sie wiederholen sich, junger Mann«, stellte die Detektivin grimmig fest, »und damit langweilen Sie mich bereits. Aber ich höre… Miß Porter, schreiben Sie sich die Adressen auf. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, daß eine Lady Simpson sich endlich einschaltet, sonst kommt man ja nicht von der Stelle.« * »Alles in Ordnung, Parker«, sagte Mike Rander, nachdem er wieder im hochbeinigen Monstrum Platz genommen hatte, »Mylady und Kathy… Miß Porter natürlich, sie haben sich genau an Ihre Warnung gehalten. Im Haus haben sich inzwischen drei Gangster und ein sanierter Firmeninhaber namens Richard Harris eingefunden.« »Diesen Herren dürften harte Verhöre bevorstehen, Sir.« »Lady Simpson wird wieder mal mit ihrer harten Tour bluffen«, wußte Mike Rander, »ich glaube, es macht ihr Spaß, Gaunern und Gangstern Schrecken einzujagen.« »Mylady ist auch auf diesem Gebiet ungemein überzeugend«, antwortete Josuah Parker. Er hatte nach der Trennung von Horace Pickett das Haus in Shepherd’s Market angerufen und eine Warnung durchgegeben. Er war davon ausgegangen, daß Cliff Brooker versuchen würde, sich wieder in den Besitz von Geiseln zu bringen. »Sind Sie sicher, daß Brooker unseren nächsten Schritt nicht vorausberechnet, Parker?« wollte der Anwalt wissen, während Parker bereits den Wagen in Richtung Belgravia steuerte. »Cliff Brooker dürfte in Shepherd’s Market sein, Sir, oder in der Nahe. Er rechnet sicher fest mit dem Gelingen seines Plans.« »Werden wir verfolgt, Parker?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist dies nicht der Fall, Sir«, meldete Josuah Parker nach prüfendem Blick in den Rückspiegel. »Mr. Brooker geht wahrscheinlich davon aus, daß Sie und meine Wenigkeit mit solch einer Beschattung rechnen und nun versuchen werden, die Verfolger an einem passenden
Ort zu stellen.« »Mögen Ihre Rechnungen aufgehen, Parker.« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Hoffentlich hat Brooker keine Zeit gehabt, sich mit Mr. Egerton zu befassen.« »Dies, Sir, ist allerdings ein schwacher Punkt in der Rechnung. Man kann nur hoffen, daß Mr. Brooker zu beschäftigt war, um auch diese Weiche zu stellen.« »Zeit haben wir ihm ja kaum gelassen.« »In der Tat, Sir, zumal sich Mr. Brooker ja bis vor kurzer Zeit in Sicherheit wiegen zu können glaubte. Miß Porter befand sich in seiner Gewalt.« Die Fahrt dauerte nicht lange. Butler Parker wollte einen gewissen Vernon Egerton aufsuchen, der als Eigentümer der West-Tool-Company fungierte. An diesen Mann war das Schreiben des sogenannten Firmenretters gerichtet gewesen, das dann auf dem Schreibtisch von Mike Rander gelandet war. Das Haus war alt, sah behäbig aus und verfügte über ein Portal. Eisengitter, die in schwarzer Farbe gehalten waren, zäunten einen kleinen Vorgarten ein. Parker, der das Taxischild vorn aus dem Wagendach hatte hochfahren lassen, fuhr erst mal durch die ruhige Nebenstraße und informierte sich. Er hielt Ausschau nach verdächtigen Wagen und Passanten. »Nun, was melden Ihre Sensoren, Parker?« fragte der Anwalt, als man die Straße passiert hatte. Der Anwalt sprach damit den fein ausgeprägten Instinkt des Butlers an. »Wenn Sie erlauben, Sir, sollte man mit dem geplanten Besuch noch ein wenig warten.« »Liegt Ihrer Ansicht nach Gefahr in der Luft?« »Ein vages Gefühl, Sir, läßt sich nicht völlig unterdrücken.« »Falls Brooker nicht mit dem Firmenretter identisch ist, Parker, könnten dort andere Gangster auf der Lauer liegen.« »Dieser Befürchtung wollte ich einen gewissen Ausdruck verleihen, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Und was halten Sie davon, wenn wir einen, sagen wir mal, illegalen Weg wählen?« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, Sir, als reinen Widerspruch anzumelden«, schickte Josuah Parker voraus, »aber darf man darauf verweisen, daß mögliche Gegner gerade mit solch einer Handlungsweise rechnen könnten?«
»Überstimmt, Parker«, räumte Anwalt Mike Rander lächelnd ein, »was werden wir also tun? Ich warte auf Ihr Patentrezept.« »Falls es Ihnen zusagt, Sir, sollte man auf der Gegenseite eine gewisse Nervosität auslösen«, schlug der Butler vor, »wären Sie unter Umständen bereit, den Wagen zu übernehmen? Mit einem Bowler auf dem Kopf würde man Sie bei den herrschenden Sichtverhältnissen durchaus für meine Wenigkeit halten.« »Und was werden Sie tun, Parker?« »Mich durch einen sogenannten Dummy vertreten lassen, Sir, wenn ich meinen Vorschlag weiter ausbauen darf.« * Cliff Brooker befand sich in Vernon Egertons Haus und wartete geduldig auf das Erscheinen des Butlers, den er für den gefährlichsten Jäger des »Quartetts« hielt. Der untersetzte Gangster mit den wasserhellen Augen hielt sich in einem Wohnraum des Hauses auf und nippte hin und wieder an einem Whisky. Gegenüber saß der Hausherr, Vernon Egerton, der einen ängstlichen Eindruck machte. »Sie haben’s bald überstanden«, meinte Cliff Brooker, »ich gehe jede Wette ein, daß Parker bereits in der Nähe ist.« »Wieso sollte er ausgerechnet hierher kommen?« wollte Egerton wissen. Er war groß, hager, etwa fünfzig Jahre alt. »Natürlich weiß Parker inzwischen, an wen mein Brief tatsächlich gerichtet war«, antwortete der Gangsterchef und lächelte. »Schade, daß es zu dieser dummen Verwechslung kam.« »Sind Sie der Firmenretter?« fragte Vernon Egerton. »Ja und nein«, lautete Brookers Antwort, »aber Einzelheiten sollten Sie nicht interessieren, das wäre lebensgefährlich, Egerton.« Cliff Brooker sah hoch, als ein junger, sportlich aussehender Mann den Raum betrat. »Da zuckelt gerade zum drittenmal ein Taxi durch die Straße«, meldete er, »und ich möchte schwören, daß der Fahrer ‘ne Melone auf dem Kopf hat.« »Das ist Parker«, erklärte Brooker sofort, »ist er allein im Wagen?« »Nein, nein, da ist noch ein zweiter Typ«, meldete der Mann
weiter. »Mike Rander«, sagte Cliff Brooker und nickte, »ich wußte doch, daß sie früher oder später hier aufkreuzen würden.« »Was haben Sie vor?« wollte Vernon Egerton wissen. »Sie werden gleich erleben, wie man zwei lästige Amateurkriminalisten zur Strecke bringt, Egerton.« »Mord?« Der Hausherr starrte den Gangster an. »Blattschuß«, meinte Brooker siegessicher, »und danach werde ich zwei Frauen abservieren, die mir ebenfalls auf die Nerven gehen, das heißt, eine davon darf noch ein bißchen leben.« »Lassen Sie mich da raus«, bat Vernon Egerton eindringlich, »mit Mord will ich nichts zu tun haben.« »Halten Sie den Mund, Sie werden doch gar nicht gefragt!« Der Gangster lachte. »Sie sind doch der Grund, warum ich umdisponieren muß.« »Was habe ich denn damit zu tun?« Vernon Egerton atmete flach und sah ängstlich drein. »Der Brief, der für Sie bestimmt war, ist bei diesem Butler gelandet«, erwiderte Brooker, »ohne die Panne hätte ich bereits die nächsten Sanierungen durchgezogen.« »Aber für den falsch adressierten Brief kann ich doch nicht verantwortlich gemacht werden.« »Halten Sie den Mund!« Brooker stand inzwischen am Fenster und spähte auf die Straße. »Wenn’s Ihre verdammte Firma nicht gäbe, war’ eben nicht ‘ne falsche Adresse geschrieben worden.« »Ich hätte mich nie auf solch einen Versicherungsschwindel eingelassen«, verteidigte sich Vernon Egerton umgehend, »wieso haben Sie mich eigentlich anschreiben wollen?« »Weil Ihre Firma schwimmt, weil Sie bald Konkurs anmelden müssen.« »Das… Das sind Gerüchte!« »Es ist erwiesen, Egerton! Ich weiß mehr, als Sie ahnen. Ihre Banken geben Ihnen keinen einzigen Penny mehr auf Kredit. Sie sind am Ende! Und Sie werden mit beiden Händen zugreifen, wenn Sie mit Gewinn aus dieser Patsche rauskommen können.« Als Egerton antworten wollte, winkte der Gangster wütend ab, beugte sich noch weiter vor und beobachtete das Taxi, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite stoppte. »Sehr raffiniert«, sagte Cliff Brooker fast anerkennend. »Butler Parker hat Maske gemacht. Er will mich reinlegen.«
»Kein Blutvergießen, bitte«, ließ der Hausherr sich vernehmen. »Still!« Brooker lächelte tückisch. Er beobachtete den Fahrgast, der das Taxi verließ, umständlich zahlte und dann auf einen Torweg zuschritt. Brooker wußte mit letzter Sicherheit, daß der Fahrgast Josuah Parker war, der sich in die Nähe des Hauses manövriert hatte, in dem Vernon Egerton wohnte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Butler hier erschien. Dann kam die Minute der großen Abrechnung. Brooker ging vom Fenster hinüber zur Tür und blickte in die kleine Halle. Er wollte die beiden Männer warnen, die er mitgebracht hatte. Jetzt durfte keine Panne passieren. Es ging darum, Parker erst mal ins Haus zu lassen. Einer der Leute saß auf einer Sesselkante in der Nähe der Haustür und polierte seine Schußwaffe, auf deren Mündung ein langer Schalldämpfer montiert war. »Gleich ist es soweit«, sagte Brooker, »wo steht der zweite Mann?« »Hinten in der Küche. Von da aus hat er den Garten unter Kontrolle.« »Ausgezeichnet«, freute sich Brooker, »sag ihm Bescheid. Parker muß erst hier im Haus sein, aber dann aus allen Rohren schießen, sonst kommt er mir noch mit irgendeinem Trick…« * Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als der Mann, der auf der Sesselkante saß, plötzlich zusammenzuckte und unwillkürlich nach seinem rechten Oberschenkel langte. Er richtete sich steil auf, als er einen stricknadellangen Pfeil ertastete, der sich ins Gewebe gebohrt hatte. Plötzlich röchelte der Getroffene, denn er sah jetzt auch den Pfeil, der an den eines Indianers im Amazonasbecken erinnerte. »Was ist denn?« fragte Brooker, der die Reaktion beobachtet hatte. »Das Ding hier… Ein Pfeil… Gift… Ich bin vergiftet.« Der junge Mann dachte verständlicherweise an Pfeilgift, denn schließlich kannte er einschlägige Abenteuerfilme. Er zeigte auch den Pfeil, dessen Ende mit Flaumfedern geschmückt war, und hatte einfach nicht den Mut, dieses kleine Geschoß aus dem Oberschenkel zu
ziehen. Cliff Brooker warf sich herum, sah in die Höhe, hatte automatisch einen kurzläufigen Trommelrevolver gezogen und wußte sofort, daß der Butler erstaunlicherweise bereits im Haus sein mußte. Er kümmerte sich nicht um seinen Begleiter, sondern feuerte zweimal hinauf zur Treppe und lief dann zur Haustür. Er riß sie auf und rannte auf die Straße. Sein Ziel war ein unscheinbar aussehender Morris, der unterhalb des Hauseingangs am Straßenrand stand. Brooker entwickelte dabei ein erstaunliches Tempo, das von panischer Angst noch zusätzlich angeheizt wurde. Als er den Morris erreichte, startete er den Motor und fuhr rasant an. Es kümmerte ihn überhaupt nicht, daß er dabei den Kotflügel des vor ihm parkenden Wagens streifte. Brooker wollte nichts wie weg, kurvte in Schlangenlinien die schmale Straße hinunter und riß den Wagen in die nächste Querstraße. Dann gab er erneut Vollgas und setzte seine Flucht fort. Von Überheblichkeit und Ironie war an ihm nichts mehr festzustellen. Er hatte nur noch eine wilde Furcht vor diesem Butler, der ihn doch noch übertölpelt hatte. Brooker sah in den Rückspiegel, aber Scheinwerfer tauchten hinter dem Morris nicht auf. Der Gangsterchef, der sich in der Stadt auskannte, rauschte mit seinem Wagen durch ein wahres Labyrinth von Seitenstraßen und fuhr, bis seine Nerven sich beruhigt hatten. Dann hielt er und atmete erst mal tief durch. Es kam so etwas wie ein Ausbruch. Er schrie, trommelte mit den Fäusten auf dem unschuldigen Lenkrad herum und produzierte anschließend eine Serie von ausgesuchten Flüchen. »Ich bring’ das Schwein um… Ich bring’ es stückweise um«, wütete er. »Das kann man mit mir nicht machen. Ich bin Brooker. Ich laß mir das Geschäft nicht vermasseln.« Es dauerte Minuten, bis er sich beruhigte. Er legte seinen Kopf auf das Lenkrad und hechelte erschöpft nach Luft. Dann – es dauerte wieder eine Zeit – griff er nach einer kleinen Pillendose, öffnete sie und nahm mit den Kuppen von Daumen und Zeigefinger ein weißes Pulver, das er sich auf den linken Handrücken legte. Geübt schnüffelte er das Kokain in die Nasenlöcher, lehnte sich zurück und wartete, bis die Droge wirkte.
Er wurde ruhiger, richtete sich auf und blickte in den Rückspiegel des Morris’. Nein, ein verdächtiger Wagen war nicht zu erkennen. Cliff Brooker lachte leise auf, seine Stimmung wechselte jäh. Nun fühlte er sich plötzlich wieder überlegen und unbesiegbar. Er zündete sich eine Zigarette an und fand, daß er einen Mann namens Josuah Parker eigentlich recht elegant hereingelegt hatte. Es war doch schon einsame Klasse gewesen, wie er den Butler hinter sich gelassen hatte. So etwas sollte ihm erst mal einer nachmachen. Im Grund war er es doch gewesen, der Parker auf der ganzen Linie ausgetrickst hatte. Cliff Brooker fand schließlich sogar, daß er allein diese Auseinandersetzung gewonnen hatte. Parker befand sich auf der Verliererstraße. Es war alles genauso gekommen, wie er es vorausberechnet hatte. Nein, eigentlich war der Butler kein Gegner für ihn, der einem leid tun konnte. Brooker fuhr wieder an, genoß sein Hochgefühl und überlegte, in welchem möglichst komfortablen Versteck er die Nacht verbringen könnte. Auswahl war schließlich vorhanden; er schaltete das Radio ein und summte die Schlagermelodie mit, die gerade aus dem Lautsprecher drang. Er war in der Verfassung, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. * Die beiden Begleiter Cliff Brookers machten einen niedergeschlagenen Eindruck. Sie saßen in der kleinen Halle des Hauses und trugen Handschellen, die aus Parkers Privatbesitz stammten. »Nichts«, sagte Mike Rander, der gerade den Telefonhörer aufgelegt hatte, »bei Mylady wird nicht abgehoben. Parker, das gefällt mir überhaupt nicht.« »Mylady wird die diversen Gäste gebeten haben, im Haus zu verbleiben«, antwortete Butler Parker gemessen. »Mylady wird darüber hinaus eine Spazierfahrt durch die Stadt angetreten haben.« »Wieso denn das, Parker?« »Mylady hat sich wahrscheinlich nach dem Aufenthaltsort des Mr. Brooker erkundigt, Sir, und eine falsche Auskunft erhalten.« »Parker, Ihre Ruhe möchte ich haben…« Mike Rander seufzte.
»Darf ich mir erlauben, Sir, darauf zu verweisen, daß Miß Porter sich an dieser nächtlichen Ausfahrt beteiligt?« »Nun ja, immerhin ein Trost«, räumte der Anwalt ein. »Moment mal, sagten Sie gerade etwas von einer falschen Auskunft?« »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, ist Mylady an eine Adresse verwiesen worden, von der die Eindringlinge sich etwas in ihrem Sinn versprechen.« »Könnten Sie mir das mal übersetzen, Parker?« »Mylady dürfte in ein Nachtlokal zweifelhaften Rufes geraten sein. Die Gäste dort könnten dem Niveau eines solchen Lokals entsprechen.« »Ach so.« Mike Rander lächelte erleichtert. »Dann bin ich ja beruhigt. Was machen wir mit diesen beiden Figuren, Parker?« »In der Hand der Polizei und des Chief-Superintendenten, Sir, dürften sie besonders sicher sein. Aber vielleicht könnte man sich vorher noch ein wenig mit Mr. Vernon Egerton unterhalten?« Der Hausherr und Eigentümer der West-Tool-Company saß in seinem Wohnraum und hatte sich bereits ausgiebig entspannt. Er war gerade dabei, sich einen weiteren Whisky einzugießen und sah hoch, als Josuah Parker eintrat. »Er hätte mich umgebracht«, behauptete Vernon Egerton, »ich weiß es genau, er hätte mich umgebracht.« »Sie haben sich geradezu bewundernswürdig verhalten, Sir, was man der Polizei mitteilen sollte«, antwortete der Butler, »darf ich noch mal auf jenen Mann zurückkommen, der sich Firmenretter nannte oder in dessen Auftrag gekommen sein wollte?« »Ein widerlicher Gangster. Selbst in Kriminalfilmen gibt es solche Gesichter nicht. Er wollte auch Sie umbringen, das habe ich genau gehört.« »Dank Ihrer Geistesgegenwart, Sir, kam es erfreulicherweise nicht dazu«, behauptete Parker in seiner höflichen Art. »Cliff Brooker machte also deutlich, daß Briefe verwechselt wurden, beziehungsweise Adressen?« »Hat er deutlich gemacht«, bestätigte der Hausherr, »und ich sage Ihnen gleich, daß ich solch einen Brief, wenn ich ihn bekommen hätte, in den Papierkorb geworfen hätte. Ich bin ein seriöser Geschäftsmann, der im Moment eine kleine Flaute überstehen muß. Wie wollte dieser Gangster mir eigentlich angeblich helfen? Das habe ich noch immer nicht so recht
durchschaut.« »Darüber später mehr, Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir. Der Gangster machte weiter deutlich, daß er, was Ihren Bankenverkehr betrifft, recht gut informiert war?« »Stellen Sie sich das mal vor, Mr. Parker. Meine Banken geben mir angeblich keinen Penny mehr. Das hat er gesagt.« »Würde dies in etwa den Tatsachen entsprechen, Mr. Egerton?« »Aber nur in etwa. Wie gesagt, nur eine vorübergehende Pleite, die bald überstanden sein wird.« »Sie können sich nicht erklären, warum dieser sogenannte Firmenretter eigentlich einen Brief an Sie richten wollte, der dann allerdings auf den Schreibtisch Mr. Randers geriet?« »Mir unerklärlich«, sagte Vernon Egerton, »das heißt… Moment mal, Mr. Parker! Diese Sache mit den Banken… Also, so etwas posaunt man als Geschäftsmann ja nicht gerade heraus, nicht wahr?« »Eine verständliche Taktik, Sir.« »Der Tip muß dann aus einer der Banken gekommen sein. Natürlich, nur so kann’s sein. Irgendein Angestellter einer Bank muß da den Tip geliefert haben. Logisch, nicht wahr?« »Und in der Tat äußerst naheliegend«, bestätigte Josuah Parker, »würden Sie meiner Wenigkeit freundlicherweise mitteilen, mit welchen Banken Sie zusammengearbeitet haben? Dies würde die weiteren Ermittlungen ungemein erleichtern und vorantreiben.« »Können Sie alles haben, Mr. Parker. Was glauben Sie? Wird dieser Gangster noch mal zurückkehren?« »Sicherheitshalber sollten Sie vielleicht das räumen, was man gemeinhin das Feld nennt«, antwortete der Butler, »wenn Sie erlauben, wird Lady Simpson Ihnen anbieten, Gast auf einem ihrer Landsitze zu sein.« »Das könnte meine Kreditfähigkeit ankurbeln, wie?« »Ungemein, Sir.« Parker nickte. »Darüber hinaus wird Mr. Rander Ihnen sicher ein seriöses Angebot zur Sanierung Ihrer Firma unterbreiten. Ihre energische Mitarbeit schreit geradezu nach einem Bonus, wenn ich es so umschreiben darf.« * Lady Agatha Simpson glich einer Rachegöttin aus einem
griechischen Drama. Sie hatte den Landrover verlassen, den sie zu fahren pflegte, und vergewisserte sich, daß ihr Pompadour ordnungsgemäß am linken Handgelenk baumelte. Dieser perlenbestickte Handbeutel, wie ihn die Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende trugen, hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Ein echtes Pferdehufeisen hatte darin Platz gefunden und war von der energischen Lady aus Gründen praktizierter Humanität in dünnen Schaumstoff gewickelt worden. Die Zierperlen auf dem Pompadour bestanden in der Mehrzahl aus gußeisernen Kügelchen, die bunt bemalt waren und unscheinbar-harmlos aussahen. Diese Spezialwaffe, die einen mittelalterlichen Morgenstern glatt in den Schatten gestellt hätte, war in den golfgestählten Armen und Händen der Lady Agatha geradezu vernichtend. Die Detektivin steuerte auf ein fernöstliches Restaurant in Soho zu. Hinter ihr ging Kathy Porter, die ahnte, daß der Gangster Ed ihnen eine falsche Adresse untergeschoben hatte. Diesem Gangster war es wohl nur darauf angekommen, Agatha Simpson in Schwierigkeiten zu bringen. »Es riecht recht appetitlich«, stellte die Lady fest, als Kathy ihr die Tür zum Restaurant geöffnet hatte, »vielleicht werde ich später einen kleinen Imbiß zu mir nehmen, Kindchen.« Das Erscheinen der Lady in diesem Lokal erregte einiges Aufsehen. Hinter den Trennwänden einiger Nischen tauchten Köpfe auf. Neugierige und überraschte Augen musterten die beiden Frauen, die so gar nicht in dieses Lokal paßten. Die bereits vorhandenen Damen gehörten mit Sicherheit dem sogenannten ältesten Gewerbe der Welt an. Die Männer an den Tischen und in den Nischen fungierten entweder als deren Manager oder waren eigenständige Unternehmer, die darauf warteten, auf Raub- und Beutezüge gehen zu können. Ein großer, dicker Mann, der eine Kochmütze trug, löste sich vom Tresen und kam auf die beiden Damen zu. Er machte einen amüsiert-heiteren Eindruck und glaubte sicher nicht, daß es Probleme geben würde. »Wir schließen gleich«, sagte er zu Lady Agatha. »Sie werden bestimmt ein anderes Lokal finden.« »Aber nicht dieses Subjekt namens Cliff Brooker«, erwiderte Agatha Simpson grollend, »wo finde ich es?« »Cliff Brooker?« fragte der Mann verblüfft. Er kannte natürlich
den Namen und wußte, wie gefährlich gerade dieser Gangster war. »Brooker verkehrt hier nicht. Wie gesagt, wir schließen sofort. Ich werde Sie zur Tür bringen.« »Meine Informationen stammen aus erster Hand«, widersprach die Detektivin, deren Pompadour in leichte Schwingungen geriet, »ich werde mich selbst überzeugen! Wo ist Ihr Hinterzimmer oder Büro?« Sie marschierte weiter, und der dicke, große Mann ließ sich in seiner ersten Verblüffung zur Seite Schieben. Dann aber beging er den großen Fehler, Agatha Simpson mit der Hand stoppen zu wollen. Er legte sie auf die Finger der älteren Dame und… erlebte eine böse Überraschung. Agatha Simpsons Pompadour schwang machtvoll herum und legte sich auf die Speckschicht seines Bauches. Der Mann glaubte, von einem Pferd getreten worden zu sein, schnappte nach Luft, verfärbte sich und setzte sich andeutungsweise auf den Rand eines Tisches, der nicht gerade solide aussah. Unter der Last seines Körpers knickte der Tisch dann auch prompt ein, ließ den Mann straucheln und anschließend auf dem Boden landen. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine schutzlose alte Frau zu belästigen«, herrschte Lady Agatha ihn an, »ich sollte Sie ohrfeigen. Was halten Sie davon, Kindchen?« »Es wird hier gleich sehr viel Ärger geben, Mylady«, antwortete Kathy umgehend, »die Adresse ist bestimmt falsch.« Der kleine Zwischenfall war selbstverständlich registriert worden, wie sich zeigte. Die Manager der Gunstgewerblerinnen und die selbständigen Unternehmer bildeten vor dem Tresen eine Art Halbkreis und verhielten sich erst mal abwartend. Sie kannten schließlich den Inhaber des Restaurants, der in Fachkreisen für seine Kraft bekannt war. Der dicke Inhaber stemmte sich gerade hoch und starrte die ältere Dame entgeistert an. »Sie wollen mich ohrfeigen, Sie Fossil?« fragte er dann, als er endlich wieder auf den Beinen stand. »Sie können froh sein, wenn ich Sie nicht auseinandernehme.« »Sagten Sie Fossil?« fragte Agatha Simpson. »Sie altes Wrack«, steigerte der leichtsinnige Mann und streckte beide Arme aus, um die ältere Dame an die frische Luft zu befördern. Kathy Porter schaltete sich nicht ein, obwohl sie natürlich sehr wachsam war. Falls die Lage sich zuspitzte und
kritisch wurde, konnte sie immer noch eingreifen und für klare Verhältnisse sorgen. Der dicke Mann ließ den Pompadour nicht aus den Augen. Er wußte zwar nicht, was der perlenbestickte Handbeutel enthielt, er hatte aber herausgefunden, daß dieser Gegenstand eine vernichtende Wirkung haben konnte. Der Mann rechnete nicht mit der Ungeniertheit der Lady, die Abwechslung in die Unterhaltung brachte. Sie trat dem Mann gegen das linke Schienbein, womit er überrascht wurde. Und da Lady Agathas Schuhgröße beachtlich war, die Schuhe sehr solide ausgefallen waren, zeigte der Dicke erneut Wirkung. Er heulte auf und beugte sich instinktiv zu seinem Bein hinunter. Auf den ersten Blick sah dies nach einer Geste der Ergebung und Höflichkeit aus, doch die Detektivin war ein wenig in Rage gekommen und donnerte dem Mann ihren Pompadour auf den Rücken. Daraufhin verlor der Beleidiger erneut das Gleichgewicht und legte sich flach auf den Bauch. Agatha Simpson maß die Männer, die lachten und ironisch applaudierten. Mit schwingendem Pompadour ging sie auf den Halbkreis der Manager und Unternehmer zu. »Ich hoffe, Sie werden einer hilflosen Frau keine Steine in den Weg legen«, raunzte sie, und die Männer traten respektvoll zur Seite und bildeten eine Art Gasse. Lady Agatha marschierte um den Tresen herum und begab sich in den Raum hinter der Regalwand, die mit Flaschen aller Art gefüllt war. Kathy Porter, die hinter der Lady ging, blieb völlig überrascht stehen. Sie sah sich Cliff Brooker gegenüber, den sie schließlich nur zu gut kannte. Mit seiner Anwesenheit hatte sie auf keinen Fall gerechnet. Er schien übrigens gerade erst gekommen zu sein, denn eine Tür zum Hinterhof war noch halb geöffnet. Cliff Brooker war seinerseits überrascht, dann aber glitt seine Hand blitzschnell zur Schulterhalfter unter dem Jackett. Er wollte die Gunst des Augenblicks nutzen. * »Ich lege ein Geständnis ab«, sagte Richard Harris müde. »Ich gebe auf… Es hat ja alles doch keinen Sinn mehr.« »Ich werde Ihr Geständnis auf Tonband aufnehmen, Mr.
Harris«, warf Josuah Parker höflich ein. »Die Einleitung wurde bereits mitgeschnitten.« »Erheben Sie irgendwelche Einwände, Harris?« fragte ChiefSuperintendent McWarden, der zusammen mit Mike Rander und Butler Parker in das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady gekommen war. McWardens Leute hatten die beiden Gangster aus der Wohnung Vernon Egertons bereits unter ihre Fittiche genommen und zum Yard geschafft. Vernon Egerton aber saß bereits in einem regulären Taxi, das ihn vor die Tore der Stadt brachte. Er hatte das Angebot des Butlers freudig angenommen, bis zur Klärung des Falls in einem Landsitz der älteren Dame zu bleiben. »Ich bin mit allem einverstanden«, antwortete Richard Harris, der in einem Sessel in der Wohnhalle des Hauses saß und nervös rauchte, »ich will nur endlich meine Ruhe haben.« »Ein Entschluß, zu dem man Ihnen nur gratulieren kann«, stellte Josuah Parker fest. »Sie haben Ihr Lackfabrik also vom sogenannten Firmenretter sanieren lassen.« »Ich war so unglaublich dumm.« Richard Harris nickte. »Einzelheiten, Harris«, verlangte der Chief-Superintendent, »wie kam dieses, sagen wir mal, Angebot zustande?« »Ich erhielt einen Brief«, antwortete Richard Harris, dem man die Freude deutlich ansah, endlich mal reinen Tisch machen zu können, »ich hatte plötzlich einen Brief auf dem Schreibtisch. Ein Mann, der sich als Firmenretter vorstellte, meldete sich kurz danach per Telefon.« »Kam er sofort zur Sache?« wollte Mike Rander wissen. »Sofort«, bestätigte der ehemalige Lackfabrikant, »er machte mir den Vorschlag, die Fabrik abbrennen zu lassen. Ich hatte zuerst an einen schlechten Scherz gedacht, wirklich, aber dann ließ der Gedanke mich nicht mehr los.« »Sie waren gut versichert, Harris?« erkundigte sich McWarden. »Nein, das nicht, Sir«, redete Richard Harris weiter, »aber das regelte dann dieser Firmenretter. Er schickte mir Geld, damit ich meine Versicherung aufstocken konnte.« »Wann war das, Harris?« warf der Anwalt ein. »Lassen Sie mich nachdenken«, bat Harris und runzelte die Stirn, »vor vier Monaten brannte die Fabrik ab. Richtig, zwei Monate davor bekam ich das Geld für die Aufstockung der Versicherung. Es können aber auch drei Monate gewesen sein.«
»Haben Sie den Firmenretter je gesehen?« wollte der ChiefSuperintendent wissen. »Nein, nie, Sir«, erwiderte Harris, »das alles wickelte sich per Telefon ab. Und vor dem Brand bekam ich einen Anruf. Ich sollte London verlassen, in eine Pension an der Südküste gehen und dort für ein Alibi sorgen.« »Nach dem Brand kam es zu Verhören, Harris?« McWarden gab sich mild. »Durch die Polizei und durch die Vertreter der Brandversicherung.« Richard Harris nickte. »Ich bin förmlich durch den Fleischwolf gedreht worden, aber man konnte mir natürlich nichts nachweisen. Als ich dann die hundertvierzigtausend Pfund von der Versicherung erhielt, habe ich dem Firmenretter fünfzigtausend Pfund als Honorar überwiesen.« »In welcher Form?« fragte Mike Rander. »Ich hab’ das Geld in einen Umschlag gesteckt. Eigentlich war es mehr ein Päckchen. Und das habe ich dann in einer Sauna hinterlegt.« »In einer Sauna in Soho, nicht wahr?« fragte Butler Parker. »Der Besuch dort war mir richtig peinlich«, gestand Richard Harris, »wissen Sie, es war eigentlich keine Sauna, sondern mehr ein Eros-Center, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Wann erfolgte der nächste Anruf des Firmenretters?« forschte der Chief-Superintendent. »Heute, Sir«, lautete Harris’ Antwort, »diesmal kam der Mann sofort zur Sache. Ich sollte dafür sorgen, daß ein paar von seinen Leuten in Lady Simpsons Haus eindringen konnten. Glauben Sie mir, ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, aber es war nichts zu machen. Der Firmenretter sagte, unsere telefonischen Gespräche hätte er mitgeschnitten und würde sie an die Polizei weiterleiten, falls ich nicht mitmache.« »Haben Sie vielleicht eine vage Vorstellung, wie der sogenannte Firmenretter ausgerechnet an Ihre illiquide Firma geraten sein könnte?« fragte Josuah Parker. »Danach habe ich ihn sogar gefragt«, antwortete Richard Harris bereitwillig, »ich hatte mich gewundert, woher er wußte, wie schlecht die Geschäfte gingen, ja, daß ich eigentlich dicht davorstand, Konkurs anzumelden.« »Und wie lautete die Antwort des Firmenretters, Mr. Harris?«
»Er sagte ungefähr, er hätte das aus erster Hand. Und er beruhigte mich dann. Er sagte, ich sei einer von vielen Kunden, die alle wieder finanziell saniert worden seien.« »Aber in Ihnen keimte, wenn ich es so sagen darf, ein bestimmter Verdacht, nicht wahr?« »Der Informant muß in irgendeiner Bank sitzen, mit der ich zusammengearbeitet habe«, vermutete Richard Harris, »ein Sachbearbeiter vielleicht für Kredite oder so. Anders kann ich’s mir wirklich nicht vorstellen.« * Kathy Porter wollte sich mit Cliff Brooker befassen, doch die mehr als füllige und majestätische Gestalt ihrer Chefin stand ihr wie ein Fels im Weg. Kathy mußte praktisch hilflos mitansehen, wie der kleine Gangster seine Waffe zog. Er war wirklich schnell und gierte auch wahrscheinlich danach, sich für seine bisherigen Schlappen zu rächen. Doch Lady Simpson reagierte inzwischen. Cliff Brooker, den sie von Kathys Beschreibung her kannte, stand zu weit entfernt, um von dem Pompadour erreicht werden zu können. Die ältere Dame konnte ihren Handbeutel auch nicht werfen, denn die starken Schnüre, die übrigens aus umsponnenem Stahldraht bestanden, lagen noch um das Handgelenk. Sie machte erfreulicherweise erst gar keinen Versuch, diese Schnüre zu lösen. Auch sie hatte die Handbewegung des psychopathischen Gangsterchefs richtig gedeutet. Die Detektivin entschied sich für gewisse Lebensmittel, die in gekochter Form auf einem halbleeren Teller lagen. Es handelte sich um Curryreis, wie deutlich zu riechen war, und um scharf gewürzte Fleischbällchen, die nach schwarzem Pfeffer dufteten, und schließlich auch noch um einen bunt arrangierten Salat. Bevor Cliff Brooker seine Schußwaffe auf die ältere Dame richten konnte, setzte sich eines der Fleischbällchen auf sein linkes Auge. Er zuckte zusammen, war natürlich leicht verwirrt und stöhnte, als die exotischen Gewürze sein Auge reizten. Er öffnete qualvoll den Mund und wurde fast gleichzeitig dazu gefüttert. Eine Portion Curryreis füllte seine Mundhöhle.
Brooker taumelte zurück und schoß, traf jedoch nicht. Das Geschoß jagte hinauf zur Zimmerdecke und verschwand im Putz. Agatha Simpson hatte den Pompadour inzwischen vom Handgelenk und holte zu einem urgewaltigen Rundschlag aus. Brooker schluckte inzwischen den Curryreis, soweit es ihm möglich war. Dazu wischte er sich mit der freien Hand einige Salatblätter aus dem rechten Auge. Als er erneut schießen wollte, kam Kathy Porter zum Zug, denn sie hatte die füllige und sperrige Gestalt der älteren Dame inzwischen umgangen. Da Brooker leider weiter in Richtung Tür taumelte, blieb er für ihre Handkanten unerreichbar. Um ihn aber am Schuß zu hindern, warf die Gesellschafterin der Lady eine kleine Glasschale in Richtung Brooker. In dieser befanden sich kandierte Apfelstückchen, die man in Hönig gebettet hatte. Die Schale traf haargenau und schmetterte die Waffe zur Seite. Der Mylady zugedachte Schuß löste sich zwar, doch das Geschoß verfehlte erneut sein Ziel. Es setzte sich im linken Oberarm des hereinstürmenden Lokalbesitzers fest, der aufstöhnte und alle kriegerischen Absichten vergaß. Brookers Hand wurde vom Honig umschmeichelt, ein kandiertes Apfelstück ersetzte dann das Fleischbällchen, das das linke Auge gerade verlassen hatte. Brooker, nun völlig irritiert, wandte sich um und stürmte durch die Tür nach draußen in den Hof. Kathy Porter wollte sich sofort an die Verfolgung machen, doch Lady Agatha stoppte sie mit fast barschem Zuruf. »Aber Kindchen«, sagte sie laut und grollend, »wollen Sie sich etwa niederschießen lassen?« »Ich werde schon aufpassen«, versprach Kathy, die ihren Lauf gebremst hatte. Sie war mit ihrem Satz noch nicht zu Ende, als weitere Schüsse zu hören waren. Brooker, der sich wohl ein wenig gefangen hatte, legte eine Art Sperrfeuer auf die Tür. »Nun, Kindchen, was wären Sie ohne Ihre mütterliche Freundin?« erkundigte sich die ältere Dame. »Sie wären mit Sicherheit getroffen worden.« »Vielen Dank, Mylady«, sagte Kathy, »ich glaube, die Pferde wollten mit mir durchgehen.« »Aber das macht doch nichts, Kindchen.« Die Detektivin lächelte wohlwollend und widmete sich dann dem stöhnenden Dicken, der auf einem Stuhl Platz genommen hatte. Hinter ihm war die Tür zum Restaurant weit geöffnet. Die Manager und
Selbständigen hatten sich dort aufgebaut und beobachteten die Szene. »Gehen Sie, Lady, bitte gehen Sie«, stöhnte der Lokalbesitzer flehentlich. »Sie ruinieren mein ganzes Lokal.« »Sie wollen nicht gewußt haben, daß Brooker hier war?« raunzte sie. »Mein Ehrenwort, Lady«, erwiderte der Mann, »ich bin angeschossen worden.« »Haben Sie sich gefälligst nicht so«, meinte sie wegwerfend, »diesen Kratzer werden Sie bald vergessen. Wo kann ich dieses Subjekt namens Brooker finden?« »Ich weiß es nicht. Ich hab’ keine Ahnung.« »Und wer weiß sonst noch nichts?« herrschte Agatha Simpson die Männer am Tresen an. Nein, Angst war ihr fremd. Sie hatte es mit hartgesottenen kleinen und großen Gaunern und Gangstern zu tun, aber dessen schien sie sich gar nicht bewußt zu sein. Sie baute sich hinter dem Tresen auf und musterte die Männer, die ihrerseits nicht wußten, was sie von dieser Frau halten sollten. Sie kannten nur Frauen, die ihnen bedingungslos gehorchten. »Nun, ich warte auf eine Antwort«, wurde Lady Agatha energisch und donnerte mit ihrem Pompadour auf den Tresen. Gläser sprangen hoch oder fielen um. Die Männer wichen sicherheitshalber noch weiter zurück. »Kommen Sie, Kathy«, meinte die ältere Dame, »hier scheint das große Schweigen ausgebrochen zu sein.« Die Männer bildeten erneut eine Gasse, durch die Lady Agatha und ihre Gesellschafterin das Lokal verließen. Keiner der Männer machte Anstalten, die beiden ungewöhnlichen Frauen am Verlassen des Restaurants zu hindern. Lady Simpson und Kathy Porter gingen zum Landrover hinüber. Sie hatten den Wagen noch nicht ganz erreicht, als Kathy Porter eine Bewegung hinter dem Wagen registrierte. Sie reagierte augenblicklich und drückte die ältere Dame aus einer möglichen Schußlinie. Erst dann bemerkte Kathy, daß eine weißblonde Frau neben dem Wagenheck erschien, die ihnen zuwinkte. »Was ist denn, Kindchen?« fragte Agatha Simpson. »Da scheint man Sie sprechen zu wollen, Mylady«, antwortete Kathy Porter und deutete auf die weißblonde Frau. »Laden Sie sie zu einer kleinen Rundfahrt ein, Kindchen«, schlug die Lady vor, »ich denke, die Stunden dieses Brooker sind
bereits gezählt!« * »Wären Sie ein paar Minuten früher gekommen, McWarden, hätte ich Sie noch zum Frühstück einladen können«, bedauerte die Detektivin ohne jede Überzeugungskraft. »Sie sehen, es wird gerade abgeräumt…« »Sie leben noch immer nach Diät?« fragte der ChiefSuperintendent und musterte kurz die vielen Platten, die leergegessen waren. »Alles eine Frage der Selbstbeherrschung, mein lieber McWarden«, meinte Agatha Simpson, »hoffentlich bringen Sie gute Nachrichten! Haben Sie diesen Brooker gefaßt? Natürlich nicht, wie ich vermute…« »Wir fahnden nach ihm«, meinte McWarden und nickte Mike Rander und Kathy Porter zu, die den Salon betraten. Man begrüßte sich, dann berichtete der Chef des Sonderdezernats von seinen Bemühungen, Brooker zu erwischen. Er nickte dankbar, als Josuah Parker ihm einen trockenen Sherry servierte. Agatha Simpson hingegen runzelte die Stirn und ließ dann einige spitze Bemerkungen über Staatsdiener fallen, die sich bereits am frühen Morgen dem Alkohol ergeben mußten. McWarden lächelte und genoß den Sherry. »Brooker wird eingekreist«, sagte er, »wir wissen ja, in welchen Kreisen er verkehrt… Sein gesamter Call-Girl-Ring steht bereits unter diskreter Überwachung.« »Was Mr. Brooker sicher unterstellt hat, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Irgendwo muß er ja unterschlüpfen«, erwiderte McWarden. »Wahrscheinlich bei seinem Geschäftspartner, diesem Firmenretter«, tippte Mike Rander an. »Glauben Sie tatsächlich, daß es diesen Mann überhaupt noch gibt?« »Ein eitler Mann wie Brooker würde sich bestimmt als der sogenannte Firmenretter bezeichnen, wenn er es wäre, McWarden. Aber in zwei uns bekannten Fällen hat er diese Bezeichnung nicht für sich in Anspruch genommen.« »Darf man höflichst fragen, Sir, ob die Mitglieder Ihres
Dezernats sich bereits mit den Banken in Verbindung gesetzt haben?« fragte Josuah Parker weiter. »Und es war mehr als aufschlußreich«, gab McWarden zurück, »zwei Banken kommen für all jene Firmenbesitzer in Betracht, deren Betriebe ausbrannten. Zwei Banken…« »Sie haben eine Liste der Firmen, bei denen Sie Versicherungsbetrug vermuten?« staunte die Detektivin ironisch. »Das, mein lieber McWarden, hätte ich Ihnen nicht zugetraut.« »Wir lernen unentwegt von Ihnen, Mylady«, biß McWarden grimmig und leicht gereizt zurück. »Wir haben uns mit dem Dachverband der Versicherer in Verbindung gesetzt.« »Um welche beiden Banken handelt es sich, McWarden?« fragte Mike Rander schnell, bevor das Wortgefecht zwischen Lady Agatha und McWarden sich ausweiten konnte. »Die London-Bank und die Midway-Bank, Rander«, erwiderte der Chief-Superintendent, »zwei Privatbanken, die aber einen ausgezeichneten Ruf haben. Alle verdächtigen Firmenbesitzer, die wir bisher gefaßt haben, standen in geschäftlicher Verbindung mit diesen beiden Häusern. Darf ich erwähnen, daß ich hier Dinge ausplaudere, die ich eigentlich nicht sagen dürfte?« »Ersparen Sie sich gefälligst diese unnötigen Hinweise, McWarden«, grollte Agatha Simpson umgehend, »was Sie da ermittelt haben, weiß ich bereits seit Stunden, nicht wahr, Mike?« »Ich habe zusammen mit Miß Porter auch ein bißchen herumtelefoniert«, meinte der Anwalt lächelnd, »auch wir sind auf die beiden Privatbanken gestoßen.« »Und in einer von ihnen sitzt der wahre Firmenretter«, wußte Agatha Simpson. »Dieser Schluß drängt sich tatsächlich auf«, antwortete McWarden, »wir lassen das Personal dieser beiden Banken bereits checken.« »Vergessen Sie die beiden Direktoren nicht, McWarden«, meinte die ältere Dame. »Wir nehmen keinen aus, Mylady«, versicherte der ChiefSuperintendent, »haben Sie vielleicht etwas in Erfahrung bringen können?« »Wie sollten wir?« fragte Lady Agatha belustigt. »Sie waren doch in der vergangenen Nacht unterwegs, Mylady. Sie hatten doch Kontakt mit Brooker.« »Flüchtig«, sagte sie und preßte die Lippen aufeinander.
»Sie müssen ihn ja schön zugerichtet haben. Und auch den Besitzer eines Lokals.« »Woher wissen Sie denn das?« fragte die Lady. »Das ist der momentane Gesprächsstoff«, antwortete der ChiefSuperintendent und lächelte. »Sie haben Brooker aber entwischen lassen, nicht wahr?« »Das war reine Absicht, McWarden, falls Sie das wirklich noch nicht durchschaut haben sollten.« Die Detektivin war nicht gewillt, ihre Niederläge einzugestehen. »Reine Absicht, Mylady?« wunderte sich McWarden, der ironisch schien. »Ohne Brooker komme ich nie an den Mann heran, der die Anschriften zur Firmensanierung besorgt«, meinte sie, »ist es nicht so, Mr. Parker?« »Eine Taktik, Mylady, die sich auszahlen wird«, antwortete der Butler ausweichend. »Sie hören, auch Mr. Parker ist meiner Meinung«, freute sie sich. »Ich denke im Gegensatz zu Ihnen, McWarden, eben in größeren Zusammenhängen.« »Lassen Sie bereits erneut gegen die Firmeninhaber ermitteln, deren Betriebe in Flammen aufgegangen sind?« schaltete sich Mike Rander ein, um wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen. »Darauf können Sie sich verlassen, Rander.« McWarden zog ein grimmiges Gesicht und nickte. »Wir rollen alle Fälle neu auf. Das Geständnis von Harris ist eine gute Grundlage. Da werden auf eine ganze Reihe von Firmenbesitzer böse Verfahren zukommen, dafür garantiere ich.« »Inzwischen werde ich den Firmenretter für Sie fassen, McWarden«, stichelte Lady Agatha munter weiter, »allein werden Sie’s ja doch nicht schaffen.« »Wie Sie es nicht geschafft haben, Brooker zu stellen«, parierte McWarden. »Sie wiederholen sich«, antwortete Agatha Simpson fast gelangweilt. »Ich werde ihn schneller haben als Sie. Und wissen Sie auch, warum das so sein wird?« »Überraschen Sie mich, Mylady«, sagte der ChiefSuperintendent. »Weil er mich jetzt haßt«, stellte die Detektivin fest, »ich habe diesen eitlen Gecken tief verletzt. Er wird es kaum erwarten
können, mich, zu stellen. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Es besteht nicht der geringste Grund, Myladys feinsinnige Bemerkung anzuzweifeln«, lautete Parkers Antwort. »Mr. Cliff Brooker wird ununterbrochen an Rache denken, wenn ich es mit meinen bescheidenen Worten ausdrücken darf.« * »Hier spricht Hilda Temple«, sagte die Stimme am Telefon, »ich habe nicht viel Zeit. – Wer sind Sie?« »Mein Name ist Josuah Parker. Ich habe die Ehre, Mylady als Butler dienen zu dürfen.« »Dann ist das okay, sie hat mir nämlich in der vergangenen Nacht Ihren Namen genannt.« »Darf ich Ihrem Anruf entnehmen, daß Sie Informationen über Mr. Cliff Brooker besitzen, Miß Temple?« »Und ob!« Sie lachte leise. »Ich weiß, wo der Kerl sich aufhält.« »Dann dürfte Ihnen jene Prämie sicher sein, die Mylady Ihnen in Aussicht stellte, Miß Temple.« »Bekomm’ ich das Geld wirklich?« fragte sie mißtrauisch. »Eine Lady Simpson würde niemals ihr Wort brechen, Miß Temple. Es wurden, wenn ich recht informiert wurde, tausend Pfund vereinbart, nicht wahr?« »Fünftausend! Keinen Penny weniger – sagen Sie das Ihrer Lady… Ich spiel’ immerhin mit meinem Leben.« »Ich darf diese Summe im Auftrag Myladys akzeptieren, Miß Temple.« »Bringen Sie den Kies mit, wenn Sie sich mit mir treffen, oder wer sonst kommen wird. Ich rück’ mit dem Tip nur gegen Bargeld raus.« »Wann und wo wird man das Vergnügen haben, Sie zu sehen, Miß Temple?« erkundigte sich der Butler in seiner höflichen Art. »Mensch, brechen Sie sich keine Verzierung ab«, gab sie ironisch zurück, »wir haben jetzt rund zehn Uhr, Sagen wir, in einer halben Stunde… Und wo? Moment mal, lassen. Sie mich nachdenken. Okay, sagen wir Waterloo Station, da kenn’ ich mich aus.« »Man wird pünktlich sein.« »Ich red’ aber nur mit der Lady. Zu der hab’ ich nämlich
Vertrauen.« »Würden Sie möglicherweise auch mit meiner bescheidenen Person vorliebnehmen, Miß Temple?« »Nee, Sie will ich nicht sehen«, lautete ihre Antwort, »Sie bestimmt nicht. Die Lady soll kommen.« »Ich werde es Mylady ausrichten. Wie wird man Sie erkennen, Miß Temple?« »Moment mal, die Lady kennt mich doch.« »Man geht davon aus, daß Sie wahrscheinlich Ihr Äußeres verändern werden, Miß Temple. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an eine Perücke, die Ihr weißblondes Haar tarnt.« »Sie sind ein raffinierter Bursche, Parker«, lobte sie prompt, »klar werde ich mich tarnen, damit die Bullen mich nicht erwischen. Ich werd’ mich schon bemerkbar machen, verlassen Sie sich darauf! Also, in einer halben Stunde…« Sie legte auf, und Josuah Parker begab sich in den Salon, wo er Bericht erstattete. »Eine halbe Stunde nur?« wunderte sich Mike Rander, »das ist verdammt knapp.« »Nicht, wenn ich meinen Landrover nehme…« Agatha Simpson strahlte eine unbändige Energie aus. »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu warnen?« fragte der Butler. »Vor einer Falle, wie?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie nicht, Mr. Parker, daß die Kleine mich abgefangen und angesprochen hat. Und daß sie jetzt fünftausend Pfund verlangt, spricht nur für ihre Ehrlichkeit, nicht wahr, Mike?« »Nicht unbedingt, Mylady«, warnte nun auch der Anwalt, »vergessen wir nicht, wie raffiniert dieser Brooker ist.« »Sie sprach mit mir, nachdem Brooker geflüchtet war, Mike. Wie hätte sie sich mit ihm in Verbindung setzen können?« »Sie könnte sich Brooker gegenüber besonders verpflichtet fühlen, Mylady«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Sie könnte ihn nach unserem Gespräch angerufen haben.« »Schnickschnack, Kinder«, meinte die Detektivin wegwerfend, »ich werde sofort losfahren. Auf diesen Anruf habe ich schließlich seit Stunden gewartet.« »Darf ich Sie wenigstens begleiten, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Ausgeschlossen, Kindchen, ich werde allein gehen und das
volle Risiko eingehen, falls es sich wirklich um eine Falle handeln sollte.« Sie stampfte energisch hinüber in die Wohnhalle, wurde von Butler Parker überholt, der die Tür öffnete, und begab sich dann zu ihrem leicht angeschrammten Landrover. »Du lieber Himmel«, meinte der Anwalt Mike Rander, als die ältere Dame rasant losfuhr, »jetzt hat sie sogar das Geld vergessen, oder?« »In der Tat, Sir«, antwortete der Butler, »wenn Sie erlauben, möchte ich eiligst einen gewissen Mr. Horace Pickett verständigen.« »Sie wollen Pickett auf Mylady ansetzen?« wunderte sich der Anwalt. »Indirekt, Sir«, antwortete Josuah Parker, »er wird seinerseits einige Bekannte informieren, deren Arbeitsbereich der WaterlooBahnhof ist.« »Freunde haben Sie, Parker… Es ist nicht zu glauben.« Mike Rander lächelte. »Sie werden in jedem Fall unauffälliger als die Polizei auftreten, Sir, was nicht ausschließen sollte, den Chief-Superintendenten zu benachrichtigen.« »Waterloo Station wird sich in einer halben Stunde in ein kleines Chaos verwandeln«, prophezeite der Anwalt, »kommen Sie, Kathy, das sollten wir uns aus nächster Nähe ansehen.« * Auch Josuah Parker verließ das altehrwürdige Haus in Shepherd’s Market, doch seine Interessen waren anders gelagert, wie sich bald zeigte. Er saß in seinem hochbeinigen Monstrum und fuhr hinüber in die eigentliche City. Sein Ziel war die LondonBank, die auch für Agatha Simpson tätig war, und wo man gerade ihn, Josuah Parker, gut kannte. Die Räume dieser stillen und vornehmen Privatbank waren in einem grauen Backsteingebäude untergebracht. Parkplätze vor dem Haus gab es nicht. Die Geschäftsleitung ging davon aus, daß ihre Kunden sich vorfahren ließen. Josuah Parker stellte seinen Wagen in einer schmalen Seitenstraße ab, stieg aus, legte sich den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm über den
angewinkelten linken Unterarm und lustwandelte dann zum Bankhaus. Er ließ sich in der kleinen Schalterhalle beim Direktor des Hauses melden und brauchte nur knapp fünf Minuten zu warten, bis er empfangen wurde. Henry Saucer, etwa sechzig, ungemein distinguiert aussehend, trug eine gestreifte Hose und eine Art Cut. Er betonte, es sei eine Freude, Mr. Parker empfangen zu können. »Ich komme selbstverständlich in Myladys Auftrag«, schickte Parker Voraus, nachdem er Platz genommen hatte. »Mylady würde gern durch meine Wenigkeit in Erfahrung bringen, nach welchen Kriterien die Banken untereinander Kontakte pflegen, was die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden betrifft.« »Nun, man ruft sich untereinander an, falls man sieht oder spürt, daß die Kunden finanziell gefährdet sind, aber ich möchte betonen, Mr. Parker, daß dies nur bei solchen Kontoinhabern geschieht, die über recht große Beträge disponieren.« »Gibt es sogenannte schwarze Listen, Sir?« fragte Josuah Parker weiter. »Nicht direkt, wenn Sie mich recht verstehen, Mr. Parker. Schriftlich niedergelegt wird so etwas nicht. Wie gesagt, gerade wir Privatbanken erledigen das diskret per Telefon. Gibt es einen aktuellen Anlaß, diese Fragen zu stellen?« »Der Begriff >Firmenretter< sagt Ihnen nichts, Sir?« »Firmenretter, Mr. Parker?« Mr. Henry Saucer lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß bedauern, Mr. Parker. Handelt es sich dabei um eine Art neue Form von Kreditbank?« »Im übertragenen Sinn durchaus, Sir. Kann jeder Ihrer Angestellten sich darüber informieren, wie der Kontostand der einzelnen Kunden ist?« »Aber nein, Mr. Parker.« Saucer zeigte angedeutete Entrüstung. »So etwas ist nur dem Kontenführer möglich und gestattet. Selbstverständlich auch den Mitgliedern des Direktoriums, doch dabei handelt es sich nur um einen kleinen Personenkreis.« »Eine Gepflogenheit also, wie sie in jeder Bank geübt wird?« »Durchaus. Nein, nein, den Kontenstand unserer Kunden können wirklich nur wenige Personen einsehen. Sie informieren in den meisten Fällen das Direktorium, das in speziellen Fällen dann über weitere Kreditvergaben entscheidet.« »Diese Kontenführer dürften völlig integre Personen sein, Sir?«
»Sie sind über jeden Zweifel erhaben, Mr. Parker. Es sind Bankangestellte, die über viele Jahrzehnte hinweg für ihre Häuser arbeiten und das volle Vertrauen genießen. Darf ich erfahren, warum Sie diese Fragen stellen, Mr. Parker?« »Mylady arbeitet an einem Kriminalfall, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen einige Stichworte dazu liefern.« Wenn es sein mußte, konnte Josuah Parker sich ungewöhnlich knapp ausdrücken. Er brauchte nur wenige Minuten, bis er den Bankdirektor informiert hatte. »Die Fälle Richard Harris und Vernon Egerton kenne ich«, antwortete Henry Saucer daraufhin, »hier konnte man beim besten Willen keine weiteren Kredite mehr einräumen, man hätte sonst nur Geld verloren.« »Sprach man sich auch in diesen beiden Fällen mit anderen Banken ab, Sir?« wollte Parker wissen. »Selbstverständlich, Mr. Parker«, gab Henry Saucer zurück, »aber mir ist es rätselhaft, wie diese Firmenretter an derartige Interna gekommen sein könnten, absolut rätselhaft, wirklich. Für unseren Kontenführer lege ich meine Hand ins Feuer, für meine Mitdirektoren selbstverständlich ebenfalls. Wir sind ein privates Bankhaus von Tradition.« »Wie die Midway-Bank, Sir.« »Und auch wie andere Privatgeldinstitute, Mr. Parker. Rätselhaft, wie diese Gangster an interne Informationen gekommen sein können. Das begreife ich einfach nicht.« »Eine letzte Frage wahrscheinlich, Sir: Werden Kreditsperren an eine zentrale Stelle oder Datenbank weitergemeldet?« »Unbedingt und umgehend, Mr. Parker, damit Geldverluste vermieden werden. Dieser Zentrale sind natürlich auch die Großbanken angeschlossen. Es handelt sich dabei um einen Selbstschutz, wenn Sie so wollen.« »Wo könnte man diese zentrale Datenbank erreichen, Sir? Sie sehen, ich muß leider doch noch eine Frage stellen.« Henry Saucer gab die entsprechende Auskunft, versicherte aber anschließend, auch dort herrsche absolute Diskretion. Butler Parker ließ nicht erkennen, ob er Zweifel hegte. Sein Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines professionellen Pokerspielers. *
Lady Agatha ließ ihren Landrover auf einem Parkplatz zurück, der für die Polizei reserviert war, wie auf einem großen Hinweisschild deutlich zu lesen war. Sie klemmte ein im Wagen stets vorhandenes Schild hinter die Windschutzscheibe. Darauf stand in signalroten und großen Buchstaben zu lesen: Notarzt. Die ältere Dame vergewisserte sich, daß ihr Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer gut in ihrer linken Hand lag. Dann marschierte sie energisch in die große Eingangshalle und teilte den Strom der Fahrgäste. Sie durchpflügte förmlich die Menge und hielt Ausschau nach der Gunstgewerblerin, die ihr einen heißen Tip verkaufen wollte. Mylady wollte endlich diesen Cliff Brooker festnehmen und ihn dann Chief-Superintendent McWarden genüßlich präsentieren. Sie wußte nicht, daß sie sehr sorgfältig beschattet wurde. Einige Bekannte des Mr. Horace Pickett, von ihm alarmiert, bildeten eine Art Kordon um die Detektivin. Diese Mitglieder der Zunft der Eigentumsübertragung sahen völlig durchschnittlich und unauffällig aus. Da gab es einen seriösen Herrn, der einen eleganten Koffer trug, da war ein langhaariger junger Mann mit einem Rucksack auf dem Rücken, da war eine etwas verkniffen aussehende Hausfrau mit einem Einkaufsnetz, in dem Gemüse zu sehen war, da gab es ein Liebespaar, das traumverloren durch die Halle wandelte, von tiefem Abschiedsschmerz bereits ergriffen. Horace Pickett, von Josuah Parker verständigt, war noch nicht eingetroffen. Er hatte in seiner kleinen, aber gut eingerichteten Wohnung in Pimlico auf den Anruf des Butlers gewartet, befand sich aber bereits auf dem Weg nach Waterloo Station, um die Gesamtüberwachung der Lady Agatha in seine bewährten Hände zu nehmen. Die Detektivin stand derweil vor einer Tafel, auf der die Fahrzeiten angeschlagen waren. Der Pompadour in ihrer Hand war bereits in leichte Schwingungen geraten. Sie ärgerte sich bereits, denn sie war noch nicht angesprochen worden. Die große Uhr in der Halle zeigte an, daß der Zeitpunkt des Treffs bereits um fünf Minuten überschritten war. So etwas schätzte sie überhaupt nicht, denn sie war eine recht ungeduldige Vertreterin ihres Geschlechts. Sie war wie elektrisiert, als eine junge Frau auf sie zukam. Diese besaß allerdings kein weißblondes Haar wie die
Gunstgewerblerin, von der sie in der vergangenen Nacht angesprochen worden war. Nun, sie mochte sich eine Perücke übergestreift haben. Agatha Simpson räusperte sich explosionsartig und ging der jungen Frau entgegen. »Sind Sie Hilda Temple?« erkundigte sich die Lady. »Aber nein, Madam«, lautete die Antwort, »ich heiße Margie…« »Schon gut, meine Liebe«, sagte Lady Simpson gereizt, »ersparen Sie sich alle weiteren Erklärungen und…« Lady Agatha wandte sich ab und ging auf eine andere junge Frau zu, die sich vielleicht ein wenig zu modisch gekleidet hatte. Sie zeigte rotbraunes Haar und hatte einen einladenden Schwung in den Hüften. »Da sind Sie ja endlich«, sagte die junge Dame herausfordernd, »haben Sie die Scheinchen mitgebracht?« »Alles zu seiner Zeit, meine Liebe«, antwortete Lady Agatha, »und wir wollen schnell klarstellen, daß Sie sich verspätet haben. Nun, was haben Sie mir zu sagen?« »Nicht hier. Wir gehen da rüber zu den Gepäckschaltern, Lady. Und noch mal: ohne Kies keine Information.« Sie drehte sich um und ging einfach los. Agatha Simpson folgte ihr und zeigte Ärger. Sie hatte es gar nicht gern, wenn man sie herumkommandieren wollte. In Anbetracht des kommenden Triumphes aber über Chief-Superintendent McWarden folgte sie der Gunstgewerblerin. Und sie wurde ihrerseits verfolgt von den so unscheinbar und durchschnittlich aussehenden Bekannten des Mr. Horace Pickett. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Zwei relativ junge Männer um die Dreißig warteten in der Nähe der Gepäckabfertigung auf die ältere Dame, um sie dort mit ihren schallgedämpften Schußwaffen in Empfang zu nehmen. Sie sahen bereits Hilda Temple und dahinter Lady Agatha. Es war nur noch eine Frage weniger Sekunden, bis sie zum Schuß kommen würden… Die Räume der zentralen Datenbank befanden sich in der Nähe der Fleet Street in einem alten, unscheinbaren Gebäude. Am Eingang zu diesem Bürohaus gab es noch nicht mal ein Hinweisschild auf die wichtige Institution. Diskretion wurde hier tatsächlich groß geschrieben. Josuah Parker wurde von einem agilen und dynamischen Mann empfangen, der vom Direktor der London-Bank, Henry Saucer,
bereits verständigt worden war. »Ihr Wunsch ist sehr ungewöhnlich, Sir«, sagte der Mann, der sich als Kenneth Blame vorstellte, »als Privatperson sind Sie juristisch selbstverständlich nicht berechtigt, so eine Art Verhör anzustellen.« »Dies entspricht durchaus auch meiner bescheidenen Auffassung«, antwortete der Butler höflich, »jedoch verlangen besondere Umstände besondere Maßnahmen. Es besteht der dringende Verdacht, daß Daten in unrechtmäßige Hände gelangt sind.« »Unvorstellbar, Mr. Parker.« Kenneth Blame hob abwehrend und geradezu entsetzt die Hände. »Gibt es dafür technische Gründe, Mr. Blame?« wollte der Butler wissen. »Technische Gründe? Wie meinen Sie das?« »Könnte einer Ihrer Mitarbeiter sich nicht gewisse Daten einprägen, Mr. Blame?« »Nun ja, das schon, Mr. Parker, aber unsere Angestellten sind Personen, die seit vielen Jahren für uns arbeiten. Keiner von ihnen käme auf den Gedanken, Daten aus dem Haus zu schmuggeln. Was sollte er damit anfangen?« »Er könnte sie zum Beispiel an Interessenten verkaufen.« »Unvorstellbar, Mr. Parker.« »Er könnte sie an einen sogenannten Firmenretter verkauft haben«, redete Josuah Parker weiter. »Um noch genauer, zu sein, an einen Gangster namens Cliff Brooker, der bis vor seiner, sagen wir, Betriebsumstellung einen Call-Girl-Ring leitete und mit Drogen handelte.« »So etwas würde die Grundfesten unseres Bankgewerbes erschüttern, Mr. Parker. Haben Sie einen bestimmten Verdacht?« »Sie haben nur männliche Angestellte, wie ich in Erfahrung bringen konnte, Mr. Blame?« »Ja, nur sechs Herren«, bestätigte der Mann, »sie wurden von den uns angeschlossenen Banken benannt und mehrfach durchgecheckt. Der Geheimdienst könnte seine Spitzenmitarbeiter nicht sorgfältiger durchleuchten.« »Sie scheinen die Macht des weiblichen Geschlechts nicht voll zu kennen oder zu würdigen, Mr. Blame«, erklärte der Butler, »darf ich noch mal daran erinnern, daß einer der Firmenretter einen Call-Girl-Ring leitete und es wahrscheinlich nach wie vor tut…
Einer Ihrer Mitarbeiter könnte in die bestrickenden Netze einer Dame geraten sein, die diesem Ring angehört.« Parker bluffte aus dem Augenblick heraus. Doch während er solch eine mögliche Beziehung aufzeigte, erschien sie ihm plausibel. Ja, es fiel ihm fast wie Schuppen von den Augen. Nur so konnte die Diskretion durchbrochen worden sein. Ob durch Zufall oder mit Absicht, Cliff Brooker schien eines seiner Call-Girls auf einen Mitarbeiter dieser Datenbank angesetzt zu haben. »Ich werde meine Mitarbeiter holen, Mr. Parker«, sagte Kenneth Blame, »das Betreten des zentralen Computerraums ist Außenstehenden nicht erlaubt. Ich kann da keine Ausnahme machen. Darf ich Sie in den Aufenthaltsraum bitten?« Parker war einverstanden. Er begab sich in den Raum, der recht karg eingerichtet war, und wartete, bis die Tür sich hinter Kenneth Blame geschlossen hatte. Dann aber entwickelte er eine zielstrebige Eile, die man bei ihm nur selten beobachten konnte. Josuah Parker verließ den Aufenthaltsraum, passierte den Vorflur, die kleine Halle und begab sich ins Treppenhaus. In einer Wandnische, in der eine leicht angestaubte Zimmerpalme ihr Dasein fristete, nahm er Aufstellung und wartete. Es dauerte vielleicht drei Minuten, bis die Tür zum Trakt der Datenbank geöffnet wurde. Parker blieb in Deckung. Er wollte sich überraschen lassen. Er war gespannt, welche Person sich anschickte, eiligst hinunter auf die Straße zu gehen. War es dieser Kenneth Blame? * Horace Pickett hatte Waterloo Station erreicht, doch er ersparte es sich, in der großen Halle nach Lady Simpson zu suchen. Der Spezialist für fremde Taschen und fremdes Eigentum ging davon aus, daß man versuchen würde, die ältere Dame, die er sehr verehrte, in einem Seitentrakt des Bahnhofes zu überwältigen oder gar zu erschießen. Als Kenner auch dieser Örtlichkeit – normalerweise arbeitete Pickett auf dem Flugplatz Heathrow – entschied er sich sofort für die Gepäckschalter. Von dort aus konnte man schnell wieder hinaus auf den Vorplatz und dann im Gewimmel der Menschen vor dem Bahnhof verschwinden.
Horace Pickett lief, was mehr als selten war. Er hatte einfach Angst um Agatha Simpson. Ein Gangster wie Cliff Brooker nahm seiner Schätzung nach jetzt keine Geisel mehr. Ihm konnte es nur darum gehen, die ältere Dame niederzuschießen. Von Parker wußte er, wie Brooker von Lady Agatha behandelt worden war. Horace Pickett hatte Maske gemacht. Er glich keineswegs mehr einem pensionierten Armeeangehörigen ihrer Britischen Majestät, sondern war ein sicher liebevoller, alter Großvater mit gepflegtem Vollbart. Auf seiner Nase saß eine Brille, die man keineswegs als modisch bezeichnen konnte. Pickett hatte die Seitenhalle erreicht, in der das Gepäck aufgegeben und wieder in Empfang genommen wurde, orientierte sich kurz und wußte sofort Bescheid. Er konzentrierte sich auf zwei relativ junge Männer, die gemeinsam einen Stadtplan studierten, den sie weit auseinandergefaltet hatten. Pickett spürte sofort, daß von diesen beiden tödliche Gefahr ausging. Wie richtig er lag, wurde ihm unmittelbar darauf klar. Hinter einer jungen Frau, die ein wenig zu herausfordernd ihre Hüften bewegte, war Lady Simpson zu sehen, die dieser jungen Frau folgte. Pickett machte auch einige Freunde und Bekannte aus, die er alarmiert hatte, doch sie hatten mit Sicherheit keine Möglichkeit, noch etwas für Agatha Simpson zu tun. Pickett handelte. Er baute sich neben einem Gepäckkarren auf, der mit Koffern und Taschen voll beladen war. Der Liebhaber fremder Brieftaschen griff nach einem handlichen Koffer, riß ihn vom Karren herunter und schleuderte ihn in einer Bewegung durch die Luft. Er traf haargenau. Der Koffer knallte mit seiner Breitseite gegen die Rücken der eng beieinanderstehenden Männer, die von diesem Wurfgeschoß völlig überrascht wurden. Da sie gerade ihre Waffen gezogen hatten, war es ihnen unmöglich, sie auf ihr Opfer zu richten. Es ploppte zweimal, doch die Geschosse landeten im Gepäck, das sich auf einem anderen Transportkarren befand. Die beiden Männer wirbelten herum, sahen einen aufgeregten Großvater und kamen gar nicht auf die Idee, sie könnten es mit dem Kofferbeweger zu tun haben. Sie suchten nach der Person, die sie aus dem Konzept gebracht hatte. Sie hätten sich besser auf Lady Simpson konzentriert, denn sie
hatte inzwischen erkannt, daß man sie als Zielscheibe benutzen wollte. Die Detektivin griff nach ihrem Hut, der eine abenteuerliche Kreuzung aus einem Napfkuchen und einem Südwester war, zog eine erstaunlich lange Hutnadel hervor und… rammte sie in die rechte Gesäßhälfte der jungen, hüftschwenkenden Frau. Die Getroffene quiekte auf, sprang dabei etwa fünf Zentimeter in die Luft und wurde dann von zwei Pickett-Freunden abgedrängt. Lady Agatha stürmte bereits weiter auf die beiden Männer zu, die sich umdrehten und ihr Opfer genau vor sich sahen. Sie kannten den Pompadour nicht, der in den Händen der älteren Dame zu einer vernichtenden Waffe werden konnte. Agatha Simpson hatte den perlenbestickten Handbeutel bereits auf die Luftreise geschickt. Der darin befindliche Glücksbringer, nämlich das echte Pferdehufeisen, jagte rasant auf den linken der beiden jungen Männer zu, der von diesem seltsamen Geschoß voll erwischt wurde. Der Glücksbringer landete auf der Nasenwurzel des Zielobjektes, das einen Viertelsalto rückwärts absolvierte und gegen einen Koffer flog, der sich in der Luft befand. Er stammte aus Mr. Picketts Hand. Das Zielobjekt brüllte auf, klatschte zu Boden und blieb dann regungslos liegen. Der zweite Killer sah nicht, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Noch rechnete er mit einer echten Chance, die ältere Dame zu treffen. Da er keinen Fehler begehen wollte, nahm er sich etwas Zeit, was ihm dann allerdings gar nicht bekam. Ein Gepäckkarren donnerte gegen sein Kreuz und riß ihm die Beine unter dem Leib weg. Der Killer wurde vom Schwung des voll beladenen Gepäckwagens mitgerissen und zu Boden gestoßen. Er ließ seine Schußwaffe los, als Lady Simpson ihm sehr ungeniert auf die Finger trat. »Es war mir eine Ehre, Mylady«, sagte Horace Pickett und überreichte der älteren Dame den Pompadour. »Pickett?« fragte Agatha Simpson amüsiert. »Ich bin so frei, Mylady«, antwortete der Liebhaber fremden Geldes. »Sie waren überzeugend.« »Natürlich«, gab sie in ihrer bekannten Bescheidenheit zurück, »aber man hört es natürlich immer wieder gern…«
* Es war nicht Kenneth Blame, der den Trakt der Datenbank verließ. Josuah Parker konnte inzwischen den Mann erkennen. Er hatte ihn vorher noch nie gesehen. Er registrierte einen etwa fünfundzwanzigjährigen Mann, der es sehr eilig hatte. Er hastete am Versteck des Butlers vorüber und blieb wie versteinert stehen, als Josuah Parker ihm die Spitze seines Universal-Regenschirms gegen den Rücken drückte. »Wenn Sie erlauben, werde ich Sie gern begleiten«, sagte der Butler, »mit welchem Namen darf ich Sie anreden? Die Bezeichnung Firmenretter klingt in meinen bescheidenen Ohren ein wenig zu abstrakt.« »Wer… wer sind Sie?« fragte der Mann. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Sie werden diesen und auch andere Namen bereits von Mr. Brooker gehört haben, wie ich voraussetzen möchte.« »Ich bin erpreßt worden«, sagte der Mann. »Über Details sollte man sich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten«, schlug der Butler vor, »übrigens sollten Sie mir nun Ihren Namen nennen.« »Daniel Farrings, Mr. Parker. Ich bin wirklich erpreßt worden.« »Mein Wagen wartet auf Sie, Mr. Farrings.« Parker sah kurz zur Tür hinüber, in der Kenneth Blame erschien, der einen entsetzten Eindruck machte. »Farrings? Sie?« Kenneth Blame zweifelte bereits an dieser Welt, wie seinem Gesicht deutlich abzulesen war. »Ja, ich!« Daniel Farrings hatte sich umgewandt und giftete seinen Vorgesetzten an. »Ohne Sie wäre das alles bestimmt nicht passiert! Aber wen hat man mir vor die Nase gesetzt? Wer ist übergangen worden, obwohl er dem Können nach längst an der Reihe war? Das bin doch ich gewesen, oder? Und das alles nur, weil Sie Nichtskönner eine Universität besucht haben… Nein, nein, das habe ich nicht ertragen. Dagegen mußte ich etwas tun.« »Sie sollten Chief-Superintendent McWarden verständigen, Mr. Blame«, schlug der Butler vor. »Mr. McWarden wird im Haus der Lady Simpson erwartet.« »Ich fasse es nicht. Das geht nicht in meinen Kopf hinein«,
klagte Kenneth Blame. »Was geht denn schon in Ihren traurigen Kopf, Sie Niete?« giftete Daniel Farrings weiter. »Selbst für eine normale Ablage reicht es doch bei Ihnen nicht.« »Nur keine Injurien«, bat Josuah Parker, »kommen Sie, Mr. Farrings! Während der Fahrt könnte man sich über die ersten Einzelheiten unterhalten.« »Ich wußte ja, daß eines Tages alles aus ist«, meinte Farrings, der sich beruhigte, »ich bin gar nicht überrascht. Aber mein Geld habe ich. Das ist sicher. Und eines Tages werde ich ja auch mal wieder aus dem Gefängnis heraus sein.« »Vergessen Sie nicht, Chief-Superintendent McWarden anzurufen«, bat Josuah Parker noch mal in Richtung Kenneth Blame. Er ging mit einem der beiden Firmenretter über die Treppe nach unten und wandte sich an Farrings. »Kann man davon ausgehen, Mr. Farrings, daß Mr. Brooker Sie auf dem Umweg über ein sogenanntes Call-Girl erpreßte, um bei Ihrer Bezeichnung zu bleiben?« »Genauso ist es gewesen«, bestätigte Daniel Farrings ergeben, »aber später habe ich dann allerdings freiwillig mitgemacht. Die Prämien, die Brooker mir zahlte, waren einfach zu interessant.« »Darüber hinaus stellte er Ihnen wahrscheinlich auch junge Damen aus seinem Call-Girl-Ring zur Verfügung, wie man annehmen darf?« »Das auch.« Daniel Farrings nickte. »Haben Sie Brooker auch schon erwischt?« »Dies dürfte nur noch eine Frage von Stunden sein, Mr. Farrings.« »Wenn Sie sich nur nicht täuschen«, gab Daniel Farrings zurück. »Brooker ist fast ein Genie.« »Möglicherweise nach Ihrem sehr privaten Verständnis, Mr. Farrings«, gab Parker höflich zurück, »ich möchte Sie übrigens darauf verweisen, daß ein Fluchtversuch sinnlos wäre.« »Ich denke nicht daran, mich irgendwo zu verkriechen, Mr. Parker, ich will jetzt alles hinter mich bringen.« »Eine bemerkenswert vernünftige Haltung, Mr. Farrings«, kommentierte Josuah Parker diesen Hinweis. »Sie wissen in diesem Zusammenhang nicht zufällig, wo man Mr. Cliff Brooker erreichen kann?« »Doch, das ahne ich«, erwiderte Daniel Farrings.
»Könnten Sie sich entschließen, mir Ihre Ahnung anzuvertrauen, Mr. Farrings?« »Er wird bereits neben oder hinter Ihnen stehen«, gab Daniel Farrings zurück, »so war’s nämlich ausgemacht. Brooker rechnete damit, daß Sie hier erscheinen würden.« Man hatte die Haustür gerade hinter sich gebracht, und Parker sah den Lauf der Maschinenpistole, die auf ihn gerichtet war. Er ragte ein paar Zentimeter aus dem Fond eines Wagens, der am Straßenrand parkte. Der Mann, der diese Waffe hielt, war Cliff Brooker. * »Ich hätte Sie niederschießen können, Parker«, sagte Cliff Brooker, »aber das hätte mir nichts gebracht.« Josuah Parker saß im Fond des Wagens, und Brooker hatte auf dem Beifahrersitz des Fords Platz genommen. Die Maschinenpistole war von ihm gegen eine Faustfeuerwaffe ausgetauscht worden. Daniel Farrings steuerte das Fahrzeug in Richtung Osten, wie Parker inzwischen festgestellt hatte. Seiner Ansicht nach wollte Brooker zu den Docks. »Ich möchte durchaus einräumen, Mr. Brooker, daß Sie meine bescheidene Wenigkeit überrumpelt haben«, erwiderte der Butler. »Irgendwie haben Sie mich enttäuscht, Parker«, meinte der Gangster genüßlich, »ich hätte Sie für einen besseren Rechner gehalten. Sie hätten zumindest ahnen müssen, daß ich meinen Partner Farrings abschirmen würde.« »Der sogenannte Blitzstrahl der Erkenntnis traf mich ein wenig zu spät, Mr. Brooker«, entgegnete Josuah Parker, »aber Sie können versichert sein, daß man mit Anstand verlieren wird.« »Glauben Sie etwa, ich würde Sie umbringen?« »Sollten Sie tatsächlich andere Absichten hegen?« »Sie und Ihre Freunde, Parker, werden zusammen mit mir die Insel verlassen.« »Sie beabsichtigen, meine bescheidene Person als Geisel zu benutzen?« »Sie, Lady Simpson und die beiden anderen Mitglieder des Quartetts, Parker. Richtig. Sie wissen ja nicht, daß die Lady inzwischen wohl auch in meiner Gewalt ist.«
»Eine Nachricht, die mich zutiefst bestürzt, Mr. Brooker, wenn ich so sagen darf.« Josuah Parker glaubte dem Gangster nicht. Ein Mann wie Brooker hatte sich inzwischen nicht mehr unter Kontrolle. Solch ein Psychopath wollte Rache üben. Welch eine Überwindung mochte es diesen Gangster gekostet haben, die Maschinenpistole nicht zu benutzen? Parker glaubte allerdings auch nicht, daß Lady Simpson sich inzwischen in der Gewalt von Brookers Leuten befand. Gewiß, seine Herrin war zum Waterloo-Bahnhof gefahren, aber dort stand sie ja schließlich unter der diskreten Überwachung einiger Personen, die Pickett alarmiert hatte. Nein, Brooker bluffte entweder, oder aber er wußte noch nicht, was sich auf dem Bahnhof abgespielt hatte. »Ihnen hat’s die Sprache verschlagen, Parker, wie?« höhnte Brooker. »Ich sollte nicht verschweigen, Mr. Brooker, daß ich beeindruckt bin«, schickte Josuah Parker voraus, »ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang an Mr. Daniel Farrings zu denken.« »Informationen aus erster Hand«, meinte Brooker und lächelte triumphierend, »gut, er hat einen Fehler gemacht, als er die beiden Firmen verwechselte. Sie wissen schon…« »Die West-Tool-Company des Mr. Vernon Egerton mit der Western-Tool, an der Lady Simpson beteiligt ist.« »Ohne diesen Fehler hätte ich noch lange als Firmenretter arbeiten können. Das System war perfekt, nicht wahr?« »Bewundernswert, Mr. Brooker. Darf man eine Frage stellen, die Ihre Arbeitsmethode betrifft?« »Aber natürlich, ich antworte gern. Unter uns gibt es nun keine Geheimnisse mehr.« »War es ein Zufall, daß Sie an Mr. Daniel Farrings gerieten, Mr. Brooker?« »Natürlich nicht«, behauptete Brooker, »als ich seinen Namen auf der Liste der Kunden meiner Damen fand, habe ich sofort geschaltet. Nun, man brauchte ihn nicht lange zu überreden, Farrings wartete ja nur darauf, es diesen Bankleuten heimzahlen zu können. Aber lassen Sie jetzt mich mal was fragen.« »Ich stehe zu Ihrer Disposition, Mr. Brooker.« »Seit warm wissen Sie von dieser zentralen Datenbank?« »Erst seit einigen Stunden, nachdem ich mich mit einem
Bankdirektor über die Usancen der wechselseitigen Information unterhielt. Daraufhin setzte bei mir dann der Erkenntnisprozeß ein.« »Sie haben mir ganz schön zugesetzt, Parker.« Brooker lächelte neutral. Sein Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. »Sie waren ein bemerkenswerter Gegner, Mr. Brooker.« »Nicht wahr?« Brookers Gesicht belebte sich wieder. Er lächelte geschmeichelt. »Dank Ihres Genies, wie ich es unbedingt bezeichnen sollte, haben Sie sicher eine ganze Reihe von Firmen sanieren können, nicht wahr?« »Weit über zwei Dutzend, Parker. Und die Gewinne sind einmalig gut. Wäre dieser fehlgeleitete Brief nicht gewesen…« »Sie sollten Mr. Daniel Farrings nichts nachtragen, Mr. Brooker.« »Solche Fehler dürfen aber einfach nicht passieren«, ärgerte sich Brooker umgehend. »Sie sehen ja, was daraus wird.« Parker hörte heraus, daß Daniel Farrings von der Datenbank sich in akuter Lebensgefahr befand. Doch dieser Mann schien ahnungslos zu sein und hatte kein Gespür für diesen Gangster. Parker hielt es für richtig, Daniel Farrings’ Gehör zu schärfen. »Darf ich Ihnen übrigens zu Ihrer Fairneß gratulieren?« meinte Josuah Parker zu Brooker. »Mr. Farrings hat in der Tat einen gravierenden Fehler begangen, was nicht verschwiegen werden soll. Dennoch halten Sie ihm die unverbrüchliche Treue, wenn ich es so umschreiben darf.« »Ich hätte ihn wirklich ausschalten können«, antwortete Brooker zustimmend, »nach solch einem Fehler wäre das die einzig richtige Quittung gewesen.« »Aber Sie brauchten Mr. Farrings noch, wie ich unterstellen möchte. Ein Taktiker Ihres Formats nutzt die Gegebenheiten.« »Ich brauchte ihn, Mr. Parker, um Sie abzufangen«, bestätigte Cliff Brooker, »ich wußte ja, daß Sie zur Datenbank finden würden.« »Ich möchte gestehen, daß man meine bescheidene Wenigkeit völlig auszurechnen verstand«, gab Josuah Parker zurück, der nur hoffen konnte, daß Daniel Farrings endlich richtig zugehört hatte. Der Mann ließ allerdings nichts erkennen. Er hatte sich bisher schweigend verhalten und sagte auch jetzt kein Wort. Er steuerte
den Ford bereits durch die Straßen, die zum Außenbezirk der Docks gehörten. Brooker erteilte ihm einige Anweisungen, wobei er den Butler allerdings nicht aus den Augen ließ. Daniel Farrings befolgte gehorsam die Angaben und brachte den Wagen schließlich auf ein Gelände, das von langen Lagerhallen U-förmig eingegrenzt wurde. Die Fahrt war beendet, und Josuah Parker machte sich bereit, etwas gegen seine geplante Ermordung zu tun. * Eine breite Rolladentür aus Eisen schob sich langsam nach oben und gab den Weg frei in eine Lagerhalle. »Nun fahren Sie schon, Farrings«, sagte Brooker ungeduldig, »wir wollen es hinter uns bringen.« Parker beobachtete bei der Durchfahrt einen Mann, der das Rolltor von innen bedient hatte. Dieser Mann trug einen Overall und schien zum Personal des Lagerschuppens zu gehören. Er winkte Brooker zu, der zurücknickte. »Sie planen, meine bescheidene Person hier als Geisel unterzubringen, Mr. Brooker?« erkundigte sich der Butler. »Sehen Sie sich um, Parker«, meinte der Gangster, »ich werde Sie in eine nette Kiste packen und dann irgendwo abstellen.« Der Teil des Lagerschuppens, in dem sie sich mit dem Ford befanden, war angefüllt mit hohen Stellagen aus Stahlrohrgestänge. Die einzelnen Stellagen waren mehr oder weniger dicht bepackt mit sogenannten Paletten, die Kisten und Fässer trugen. Daniel Farrings bremste den Wagen ab, weil ein Gabelstapler ihm den Weg versperrte. Der Ausleger dieses Gabelstaplers war hoch ausgefahren. Man schien gerade die oberste Stellage bepackt zu haben. »Warten Sie, Farrings«, befahl Brooker ihm, »der Stapler wird gleich weggeräumt.« »Ein ungewöhnliches Versteck, Mr. Brooker«, lobte Josuah Parker den Gangsterchef. »Einmal weggepackt, Parker, wird Sie kein Mensch mehr finden«, gab Cliff Brooker stolz zurück, »ja, in meinem Beruf muß man eben Einfälle haben.«
»Und allerdings auch vorsichtig sein«, meinte Parker und lächelte andeutungsweise. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Brooker, der sofort mißtrauisch wurde. »Nichts, Mr. Brooker«, antwortete Parker und schielte blitzschnell zur Seite, als habe er etwas gesehen. Brooker konnte der Versuchung nicht widerstehen, nahm den Kopf herum und gab Daniel Farrings so die Gelegenheit, sich seiner Haut zu wehren. Viel konnte der Mann natürlich nicht ausrichten, doch er schaffte es immerhin, die waffenbewehrte Hand des Gangsterchefs zur Seite zu drücken. Brooker drückte automatisch ab. Dicht neben Parkers Oberkörper pfiffen zwei Geschosse in das Polster, doch damit war die Sache bereits erledigt. Bevor Brooker ein drittes Mal schießen konnte, war er von Josuah Parker äußerst höflich gegrüßt worden. Der Butler legte die stahlblechgefütterte Wölbung seiner schwarzen Melone auf das Handgelenk des Gangsters, in dem es unmittelbar darauf verdächtig knackte. Brooker brüllte wütend, fuhr zurück, hatte aber nicht viel Bewegungsfreiheit vorn im Wagen. Die Spitze von Parkers Universal-Regenschirm schoß nach vorn und bohrte sich in die Magengrube des Gangsters, der prompt vergaß, nach Luft zu schnappen. Er war plötzlich wie gelähmt, stierte den Butler an und knickte dann ein. Parker war ein recht vorsichtiger Mensch. Sicherheitshalber grüßte er noch mal. Die Wölbung der Melone traf diesmal die Stirn von Cliff Brooker, der nun endlich wieder aufseufzen konnte und sich mit seinem Oberkörper über die Rückenlehne des Sitzes schob. Dann blieb er regungslos hängen. »Ich… ich habe Ihnen geholfen, Mr. Parker«, sagte Daniel Farrings hastig, »ohne mich wären Sie niedergeschossen worden.« »Man wird nicht versäumen, die Polizei auf diesen Tatbestand zu verweisen, Mr. Farrings«, erwiderte der Butler, »wenn Sie erlauben, möchte ich mich jetzt den beiden Männern widmen, die mit Sicherheit gesundheitsschädliche Aktivitäten zu entwickeln beabsichtigen.« Parker stieg aus und ging zwei Männer entgegen, die sich mit Fahrradketten und Holzknüppeln bewaffnet hatten. Einer von ihnen war der Mann, der das Rolltor geöffnet hatte. Die Angreifer
waren gewiß nicht zimperlich und wollten den Butler gnadenlos zusammenschlagen. Josuah Parker wich zurück und stieß dabei fast mit Daniel Farrings zusammen, der den Wagen verlassen hatte. Parker, der nicht in der Stimmung war, sich auf einen längeren Kampf einzulassen, zog einen seiner PatentKugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und richtete die Spitze dieses Schreibgeräts auf die beiden Männer, die völlig verblüfft waren, ihren Schwung bremsten und nicht wußten, was sie von dieser komischen Waffe halten sollten. Josuah Parker drückte auf den Halteclip des Kugelschreibers. Unter großem Druck schoß ein nadeldünner Flüssigkeitsstrahl vorn aus der Spitze. Parker sorgte durch Schwenken seines Arms dafür, daß die Gesichter der beiden Männer von der Flüssigkeit getroffen wurden. Dann trat er zur Seite und nickte Daniel Farrings zu. »Vorsichtig, Mr. Parker«, sagte Farrings und deutete auf die beiden Männer, die sich das Gesicht abgewischt hatten und jetzt weiter vorgingen. »Vielen Dank für den Hinweis, Mr. Farrings«, meinte der Butler, »aber dieses Intermezzo ist bereits als erledigt zu betrachten, wie ich Ihnen versichern kann.« Er hatte nicht zuviel versprochen. Die beiden Männer knieten bereits nieder, ließen ihre Waffen fallen, hüstelten ein wenig, schluchzten dann auf wie bestrafte Kinder und streckten sich anschließend auf dem Betonboden aus. »So was habe ich noch nie gesehen«, sagte Daniel Farrings. »Verständlicherweise, Mr. Farrings«, gab Josuah Parker zurück, »darf ich Sie übrigens bitten, mir ein wenig zur Hand zu gehen? Man sollte die drei Gangster so lange ablagern, bis die Polizei eintrifft.« * »Dort ist er«, flüsterte Agatha Simpson und vibrierte vor Eifer. Sie deutete mit der Hand in das Zwielicht der Lagerhalle. Sie hatte einen Gabelstapler ausgemacht, der gerade sein Teleskop ausfuhr und eine Last hoch oben in einem Regal absetzen wollte. »Brooker?« fragte Mike Rander, der hinter Lady Agatha stand. »Wer sonst, meine Junge?« gab sie zurück, »er will Parker
abstellen. Kommen Sie! – Es wird höchste Zeit…« Die ältere Dame setzte sich in Bewegung, gefolgt von Kathy Porter und Mike Rander. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk kam in gefährliche Schwingung. »Das ist doch Parker, Mylady«, sagte Mike Rander nach wenigen Augenblicken. »Tatsächlich?« Sie blieb stehen. »Wie schade…« »Dort neben den leeren Paletten steht ein Mann«, meldete Kathy Porter. »Ein Gangster«, entschied die Detektivin, löste den Pompadour vom Gelenk und ließ ihn an den zähen Stricken über dem Kopf kreisen. Dann schickte sie ihr Geschoß auf die Luftreise, um eingreifen zu können, falls es zu Komplikationen kam. Der Glücksbringer im Pompadour war inzwischen gelandet. Parker, der auf dem Fahrersitz des Gabelstaplers saß, nahm zur Kenntnis, wie Daniel Farrings plötzlich nach vorn kippte. Der Mann der Datenbank legte sich über eine Kiste und nahm schon nicht mehr zur Kenntnis, daß zu seinen Füßen ein perlenbestickter Handbeutel landete. »Darf ich mir erlauben, Ihnen einen recht guten Tag zu wünschen, Mylady?« fragte Parker und lüftete seine schwarze Melone. Er kannte diese Waffe und konnte sich leicht ausrechnen, wer sie so zielsicher geschleudert hatte. Parker stieg vom Gabelstapler und begab sich hinüber zu Lady Simpson. »Sie sollten sich bei mir bedanken, Mr. Parker«, sagte die Detektivin und deutete auf Daniel Farrings, »er wollte Sie heimtückisch angreifen.« »Mr. Daniel Farrings, Mylady, einer der beiden Firmenretter«, stellte Josuah Parker vor, »Mr. Brooker befindet sich dort oben auf der Palette. Ich hatte die Absicht, ihn ein wenig abzulagern.« »Hat dieser Mann ein Glück«, gab Lady Agatha grimmig zurück, »aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich werde ihn später verhören und wünsche, dabei nicht gestört zu werden.« »Mylady können jederzeit über Mr. Brooker verfügen«, antwortete der Butler gemessen. »Hat’s echten Ärger gegeben, Parker?« schaltete sich Mike Rander ein. »Keineswegs, Sir«, lautete Parkers Antwort, »darf ich fragen, wie man hierher zur Lagerhalle gefunden hat?« »Das haben Sie nur mir zu verdanken, Parker«, antwortete die
ältere Dame umgehend, »mir und meiner Hutnadel. Man hat doch wirklich die Frechheit besessen, mich niederschießen zu wollen.« »Mylady wirkten solch einer Absicht entgegen?« fragte Parker. »Nachdem ich diesem kleinen Lockvogel meine Hutnadel ins Gesäß rammte«, meinte die ältere Dame vergnügt, »sie war danach richtig versessen darauf, mir dieses Versteck hier zu verraten.« »Ihr Pickett hat sich verdient gemacht«, sagte Mike Rander. »Ein ungewöhnlich hilfsbereiter Mensch, Mr. Parker«, fand Agatha Simpson, »ich werde ihn zum Tee einladen, denke ich.« »Gilt dies auch für Chief-Superintendent McWarden, Mylady?« fragte der Butler, »bei dieser Gelegenheit könnten Mylady auch den gerade gelösten Fall an die zuständigen Behörden weiterleiten.« »McWarden wird vor Ärger platzen, daß ich es wieder mal geschafft habe«, meinte sie triumphierend. »Wer wäre Mylady schon gewachsen?« Parker deutete eine Verbeugung an. »Keiner natürlich«, sagte sie schlicht und selbstlos, »aber so etwas sollten Sie nicht gerade an die große Glocke hängen, Mr. Parker. Sie kennen meine Bescheidenheit.« »Sehr wohl, Mylady«, antwortete der Butler. Und er schaffte es selbst diesmal, daß sein Gesicht keine Regung zeigte. Er war ein Mann, den nichts zu erschüttern vermochte.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 218 Günter Dönges
PARKER zapft das »Großhirn« an