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PARKER reizt die „Klapperschlange“ Edmund Diedrichs Josuah Parker verbeugte sich vor der älteren Dame. »Mylady mögen verzeihen, aber die Entfernung diverser Speisen scheint dringend geboten«, teilte er mit. »Der Telefonanruf so eben kam von Mister Fisher, der vor dem Verzehr bei ihm einge kaufter Lebensmittel warnte.« »Ich glaube, mein Kreislauf bricht zusammen«, murmelte Agat ha Simpson und faßte sich an den üppigen Busen, wo sie ihr Herz vermutete. »Das mit ansehen zu müssen, ist zuviel für eine reife Frau. Meine dringend benötigte Diät, Mister Parker, entführen Sie!« Sie seufzte und ließ sich in ihren Sessel sinken. Der Butler hielt bereits eine Kristallkaraffe in der Hand und füllte einen Cog nac-Schwenker. »Man bittet noch mal um Verzeihung, Mylady«, bemerkte er. »Die Sorge um Myladys Wohlergehen veranlaßten meine bescheidene Wenigkeit zu diesem außergewöhnlichen Schritt. Mister Fisher ist nämlich der Ansicht, daß die heute bei ihm erstandenen Lebensmittel möglicherweise vergiftet sind.« Die Hauptpersonen: Samuel Fisher beliefert Mylady mit Delikatessen, die nicht ihr Ziel erreichen. Gus Myers und Peter Shelley reklamieren angeblich verdor bene Waren und werden dabei von Mylady »bedient«. Gordon Reynolds betreibt eine Spedition und wird vom eige nen Schwiegersohn unter Druck gesetzt. Paul Wilson setzt sich ins gemachte Bett und lanciert dunkle Geschäfte. Ray Henderson führt eine zwielichtige Kneipe und freut sich über Parkers Besuch. Lady Agatha besucht eine Sportveranstaltung und lehrt einem Boxer das Fürchten. »Man will mich vergiften, Mister Parker?« Die passionierte De tektivin war von dieser Vorstellung keinesfalls schockiert. Sie lehnte sich zurück und sah sich bereits in einem neuen, erregen den Kriminalfall verwickelt. 2
»Möglicherweise«, wiegelte Parker ab. »Es dürfte berechtigter Anlaß bestehen, daß ein Teil von Mister Fishers Vorräten einzig zu dem Zweck vergiftet wurde, um ihn erpressen zu können.« »Kaufen Sie öfter dort ein?« wollte Lady Agatha wissen. »Dem ist in der Tat so, Mylady.« »Na also!« Für die Dame des Hauses war der Sachverhalt wie der mal völlig klar. »Es ist also kein Geheimnis, daß ich von da einen Teil meiner Vorräte beziehe«, überlegte sie. »Das hat sich ein Gangster zunutze gemacht, dem ich auf die Füße getreten bin. Ich bin nicht gerade beliebt in der Unterwelt, Mister Parker, das wissen Sie doch.« »Eine These, die keinesfalls von der Hand zu weisen ist«, räum te Parker ein. »Man wird Ermittlungen auch in dieser Richtung betreiben müssen.« »Nur in dieser Richtung, Mister Parker«, korrigierte sie ihn und nickte nachdrücklich. »Gleich morgen früh werde ich diesen Tis her aufsuchen und ihm einige unangenehme Fragen stellen. Wahrscheinlich steckt er mit den Gangstern unter einer Decke.« »Es handelt sich um einen Mister Fisher«, berichtigte Parker den Namen des Händlers. »Er gilt übrigens als außerordentlich seriös und über alle Zweifel erhaben.« »Tarnung, Mister Parker, nichts als Tarnung.« Die resolute Da me sah ihren Butler an und hob mahnend den Zeigefinger. »Sie dürfen sich nicht vom äußeren Augenschein täuschen lassen, Mis ter Parker. Man muß hinter die Fassade sehen.« »Ein ungemein wertvoller Hinweis, Mylady«, bedankte sich der Butler. »Man wird sich bemühen, diesen in Zukunft stets zu be rücksichtigen.« * »Es tut mir aufrichtig leid, Mister Parker«, beteuerte Samuel Fi sher und breitete die Arme in hilfloser Geste aus. »Wann erfuhren Sie von der Vergiftung Ihrer Waren, Sir?« er kundigte sich der Butler gemessen, die Entschuldigung überhö rend. »Kurz, bevor ich Sie anrief. Ich erhielt selbst einen Anruf, in dem man mir mitteilte, daß ein Teil meiner Ware vergiftet wäre. Man sagte mir, um welche Artikel es sich handelte und daß ich 3
demnächst mitgeteilt bekäme, wieviel ich zur Vermeidung weite rer Vergiftungen zu zahlen hätte und wie die Geldübergabe statt finden sollte. Dann legte der Anrufer wieder auf, und ich alarmier te alle Stammkunden, um sie zu warnen.« »Sie haben alle Käufer erreichen können, die möglicherweise vergiftete Ware erstanden haben, Sir?« wollte Parker wissen. »Mit Sicherheit, Sir. Sehen Sie, das hier ist keine Laufgegend, und mein Warenangebot ist nicht für jedermann bestimmt. Ich habe nur langjährige Stammkundschaft. Sie selbst kommen ja auch schon einige Jahre.« »Das ist allerdings richtig, Mister Fisher. Man war bisher mit Ih rem Warenangebot außerordentlich zufrieden.« »Mit Ausnahme von heute natürlich, als Sie mich vergiften woll ten«, mischte sich die ältere Dame ein. »Sie vergiften, Mylady? Aber ich bitte Sie!« Samuel Fisher sah die Detektivin entsetzt an und schüttelte den Kopf. »Man hat es ausschließlich auf mich abgesehen, mein Bester«, informierte sie ihn. »Das ganze Theater mit der Erpressung und so weiter ist nichts als Tarnung, um den wahren und einzigen Zweck dieser Aktion zu vertuschen. Man will mich beseitigen, wei ter gar nichts!« »Aber… aber warum denn das, Mylady?« wunderte sich der De likatessenhändler. »Warum sollte man eine geschätzte Dame der Gesellschaft umbringen wollen?« »Haben Sie eine Ahnung!« Lady Agatha lachte leise. »Man fürchtet mich in der Unterwelt, das hätten Sie nicht gedacht, o der?« »Wirklich?« Der Delikatessenhändler verstand immer weniger und sah Josuah Parker hilfesuchend an. »Mylady beschäftigt sich in der Freizeit mit der Aufklärung schwieriger Kriminalfälle«, erläuterte Parker gemessen. »Myladys Erfolgsquote ist sensationell, so daß sie in der Tat von der krimi nellen Szene gefürchtet wird.« »Ungelöste Fälle gibt es bei mir nicht.« »Dann sind Sie ja besser als Scotland Yard, Mylady«, bemerkte Samuel Fisher respektvoll. Agatha Simpson zierte sich. »Schon gut, ich weiß, daß ich eine Kriminalistin bin, sogar eine begabte.« Sie blickte auf eine Warenprobe, die auf einem Tisch an der Wand stand. 4
»Was enthalten die Behälter?« erkundigte sie sich. »Langusten, Mylady«, informierte der Delikatessenhändler. »Ei ne Firma, die mit mir ins Geschäft kommen will, hat mir einige zur Probe geschickt. Ich bin allerdings noch nicht dazu gekom men, mich darum zu kümmern. Die Behälter sind kurz vor Ihrem Besuch eingetroffen.« »Hoffentlich sind die nicht vergiftet«, bemerkte die Detektivin und runzelte nachdenklich die Stirn. »Auf gar keinen Fall, Mylady. Der Erpresser hat mir alle Waren genannt, die vergiftet wurden, ich habe mir eine Liste angefertigt. Er wollte vermeiden, daß jemand zu Schaden kommt, sagte er, mir aber gleichzeitig demonstrieren, wie leicht es ist, die Ware zu präparieren.« »Außerordentlich human«, stellte Agatha Simpson fest und konnte ihren Blick nicht von den Schaumstoff-Behältern lösen. »Ich bin übrigens eine Expertin, was Langusten angeht. Mister Parker wird Ihnen das bestätigen.« »Tatsächlich?« staunte der Delikatessenhändler. »So ist es, Sir«, stimmte Parker seiner Herrin zu, ohne mit der Wimper zu zucken. »Das ist ja wunderbar«, freute sich Fisher und verbeugte sich vor der Lady. »Wenn ich Sie vielleicht um einen Gefallen bitten dürfte, Mylady?« »Nur zu, mein Bester, wenn ich helfen kann, werde ich das ger ne tun.« Sie nickte huldvoll und lächelte. »Wenn ich Ihnen eine Languste zubereiten dürfte?« bat er. »Ihr Urteil würde mich sehr interessieren.« »Allerdings«, überlegte sie, »gehört dazu auch der richtige Wein. Haben Sie das bedacht?« »Ich bitte Sie, Mylady, ich bin doch kein Barbar!« Samuel Fisher sah die ältere Dame beleidigt an. »Kredenzen Sie mir aber nicht einen billigen Tropfen, Mister Tisher«, mahnte sie. »Fisher ist mein Name, Mylady. Und was den Wein betrifft… ich habe da einen Rothschild Laffitte, der Ihnen zusagen dürfte. Sie werden begeistert sein.« »Hoffentlich stimmt auch der Jahrgang, mein Lieber?« »1923, Mylady, der beste Jahrgang überhaupt. Ich weiß doch, was man einer Dame anbieten darf.« »Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack«, lobte Agatha 5
Simpson und lächelte versonnen. »Ich hoffe, Sie lassen mich nicht zu lange auf meine Kostprobe warten.« Josuah Parker betrat den Verkaufsraum und erkannte die Ursa che des Lärms. Es handelte sich um zwei etwa dreißigjährige Männer, die keinesfalls so aussahen, als gehörten sie zur Stamm kundschaft. Sie trugen ausgewaschene Jeans, ausgefranste TShirts mit dem Aufdruck einer amerikanischen Universität und an den Füßen sogenannte Western-Boots mit schiefgelaufenen Ab sätzen. Sie standen vor einem Tresen, hinter dem sich eine ältere An gestellte aufhielt und die beiden verängstigt musterte. Zwischen den Männern und der Frau stand ein Karton auf dem Tresen, der wohl der Gegenstand der hitzigen Erläuterungen zu sein schien. Parker machte sich durch dezentes Hüsteln bemerkbar und schritt gemessen und würdevoll auf die beiden Hitzköpfe zu, die dem Butler entgeistert entgegenstarrten. Parker nickte knapp der Angestellten zu. »Meine Wenigkeit sagt vielen Dank. Bemühen Sie sich nicht weiter, Madam.« Hinter dem Butler schnappte der Delikatessenhändler hörbar nach Luft. Er wollte sich an Parker vorbeidrängeln, um die Dinge in die Hand zu nehmen, aber der Butler hielt ihn zurück. Die ältere Frau sah verwirrt zu ihrem Brötchengeber hinüber und entfernte sich eilig, als dieser ihr zunickte. Parker blieb vor den beiden Männern stehen, die ihm grinsend entgegensahen. Sie musterten ihn herausfordernd von oben bis unten und sparten nicht mit anzüglichen Bemerkungen. »Donnerwetter, hat sich der Opa schick gemacht«, fand einer von ihnen und kicherte laut. »Der ist bestimmt aus’ m Museum«, vermutete sein Partner. »Daß es so was noch gibt«, überlegte der erste wieder. »Dach te, die Typen wären längst ausgestorben.« »Man wünscht den Herren einen außerordentlichen schönen und erfolgreichen Tag«, ließ sich Parker vernehmen und lüftete seine schwarze Melone. »Na, wenn das kein vornehmer Laden ist«, staunte der eine der beiden, ein untersetzter, stiernackiger Mann, dem bereits die Haare auszufallen begannen. »Sie sind wohl hier der Obermimer, wie?« wollte sein Kollege wissen, der im Gegensatz zu seinem Begleiter über reichlich Haa 6
re verfügte, die in fettigen Strähnen auf seine Schultern fielen. »Meine bescheidene Wenigkeit hat die Ehre, diesem Unterneh men als Geschäftsführer vorstehen zu dürfen«, behauptete Parker ungeniert. »Darf man nach dem Grund Ihrer Erregung fragen, meine Herren?« »Dürfen Sie, alter Knabe, dürfen Sie!« Der Mann mit den Sträh nen langte in die Kiste und holte einen Hummer hervor. »Den haben wir gestern bei Ihnen gekauft«, erklärte er. »Wir wollten uns mal was Gutes leisten.« »Ein Entschluß, zu dem man Sie nur beglückwünschen kann«, fand Josuah Parker. »Das Vieh ist aber nicht, in Ordnung«, fuhr der Beschwerdefüh rer fort und deutete anklagend auf dunkle Flecken an der Unter seite und an den Scheren des Hummers. »Da, sehen Sie selbst… Sie haben uns verdorbene Ware angedreht!« »Außerordentlich bedauerlich«, fand Parker und lüftete erneut die Melone. »Möglicherweise ist das Tier sogar vergiftet.« »Sie geben es also auch noch zu?« staunte der Untersetzte und sah seinen Partner stirnrunzelnd an. »Die Symptome deuten daraufhin.« Parker blieb ruhig und ge lassen. »Darf man fragen, welches Mittel die Herren verwendet haben?« Die beiden Männer stutzten und wußten nicht, was sie auf diese direkte Frage, mit der sie auf keinen Fall gerechnet hatten, ant worten sollten. Der Mann mit den Strähnen überwand seine Überraschung zu erst. »Was wolln’se denn damit sagen, he?« erkundigte er sich und schob sich auf den Butler zu. * »Was ist hier los?« Aus dem Hintergrund grollte Lady Agathas baritonal gefärbtes Organ und ließ die beiden Beschwerdeführer erschrocken zusammenfahren. »Wer ist’n das?« erkundigte sich der Untersetzte und musterte die ältere Dame, die langsam näher kam, mit scheuem Respekt. »Mylady ist eine Freundin des Hauses«, erläuterte Parker. »Sie nimmt an den Belangen der Firma regen Anteil und ist häufige 7
und gerngesehene Besucherin.« »Wer sind die Lümmel?« wollte die passionierte Detektivin wis sen und faßte die beiden Männer ins Auge. Sie benutzte zu die sem Zweck eine Lorgnette, durch die sie die Männer wie zwei be sonders seltene Exemplare im Zoo betrachtete. »Das geht Sie nichts an, gute Frau, wir haben hier ‘ne Reklama tion, die wir klären müssen«, raunzte der Mann mit den Strähnen. »Für Reklamationen bin ich zuständig«, freute sich die ältere Dame. »Vertrauen Sie sich mir ruhig an, bei mir sind Sie an der richtigen Stelle.« »He, was ist hier eigentlich los?« Der Untersetzte hatte seine Scheu vor der walkürenhaften Erscheinung verloren und starrte die ältere Dame mit hochgezogenen Brauen an. »Was meinen Sie denn, junger Mann?« Lady Agatha steckte ih re Sehhilfe weg und lächelte. »Wohl alle unter einer Decke, was«, argwöhnte der Mann. »Ihr wollt euch über uns lustig machen?« »Etwas komisch wirken Sie schon«, gab Lady Agatha zu. »Zur Sache.« Der Mann mit den fettigen Haaren räusperte sich energisch und griff nach dem Hummer. Er trat auf Parker zu und hielt ihm das Meerestier unter die Nase. »Das Vieh war verdorben, als Sie es uns verkauft haben, ka piert?« knurrte er. »Und das lassen wir uns nicht bieten.« »Man wird Ihnen selbstverständlich Ersatz zukommen lassen, Sir«, gab Parker ungerührt zurück. »Meine bescheidene Wenigkeit wird sofort alles Nötige veranlassen.« »Mit Ersatz ist es nicht getan«, warf der Untersetzte ein. »Wir hatten uns so darauf gefreut, und dann so was!« »Man wird Ihnen zwei Hummer einpacken, meine Herren«, ver sprach Parker würdevoll. »Auch das reicht noch nicht.« Der Mann mit dem Fetthaar schüttelte betrübt den Kopf. »Stellen Sie sich mal vor, so was spricht sich herum.« »Sie haben bestimmte Vorstellungen, was die Art der Wieder gutmachung angeht?« erkundigte sich Parker höflich. »Na also, Alterchen, allmählich verstehen wir uns.« Der Unter setzte grinste. »Unser… äh… Chef, für den wir eigentlich einge kauft haben, hat Sie ja schon angerufen. Wir sind nur noch mal vorbeigekommen, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.« »Sie denken möglicherweise an eine monatliche Zahlung?« 8
wollte Parker wissen. »Stellen Sie sich mal vor, wir hätten was von dem verdorbenen Zeug gegessen und wären daran eingegangen«, gab der Unter setzte zu bedenken. »Wir sind gerade noch mit dem Schrecken davongekommen, aber der Schock, Sie verstehen? Wir werden den Rest unseres Lebens auf Hummer verzichten müssen, wir würden nie wieder so was über die Lippen bringen.« Er seufzte abgrundtief. »Als Feinschmecker wissen Sie natürlich, welch ein herber Verlust an Lebensqualität das ist.« »Wie könnte man einen Ausgleich dieses Verlustes bewerkstelli gen?« erkundigte sich Parken. »Nun, im Prinzip überhaupt nicht.« Der Mann mit den strähnigen Haaren wiegte nachdenklich den Kopf. »Aber ich denke, tausend Pfund monatlich wären schon eine Linderung.« »Eine Alternative sehen die Herren nicht?« »Doch, Opa, weitere Vergiftungen.« Der Untersetzte lachte höhnisch. »Wenn erstmal jemand einen ernsthaften gesundheitli chen Schaden erlitten hat… zum Glück haben wir noch rechtzeitig bemerkt, daß mit der Ware etwas nicht stimmt, und Sie gewarnt, aber das war ein Glücksfall. Beim nächstenmal geht’s nicht so glimpflich ab, befürchte ich.« »Diese Lümmel haben auch meinen Einkauf vergiftet«, fiel Lady Agatha ein. Die ältere Dame drängte energisch nach vorn und blieb direkt vor den beiden Männern stehen. Ihr voluminöser Bu sen berührte den Untersetzten und veranlaßte ihn zu hastigem Rückzug. Sein Kollege mit dem Fetthaar glaubte, Hilfe leisten zu müssen. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und brachte ein tü ckisch aussehendes Messer zum Vorschein. Er drängte sich vor seinen Kollegen und streckte Agatha Simpson das Messer entge gen, die es ohne jegliches Anzeichen von Furcht musterte. »Sie bedrohen mich also, Sie Lümmel?« vergewisserte sie sich und lächelte. »Jetzt werden wir Fraktur reden, sonst kommen wir ja nie zu Rande«, knurrte der Messerheld und schwenkte seine Waffe vor Myladys Gesicht. »Geht man so mit einer Dame um?« beklagte sie sich und trat ihm kräftig gegen das Schienbein. Der Mann mit dem Fetthaar schrie überrascht auf, ließ das Messer fallen und griff nach dem malträtierten Bein. Dabei mußte er sich zwangsläufig bücken, und 9
die ältere Dame konnte dieser Einladung nicht widerstehen. Sie verpaßte ihm eine schallende Ohrfeige. >Fetthaar< heulte auf und taumelte zurück. Er ruderte mit den Armen durch die Luft und suchte verzweifelt nach einem Halt. Diesen fand er in einem Bassin, das seine suchenden Hände er tasteten. Er wollte sich daran festhalten, rutschte ab und… geriet mit der rechten Hand ins Wasser. Dort hielten sich einige Hum mer und Langusten auf, die ihrem vorbestimmten Schicksal ent gegensahen. Sie fühlten sich durch den Eindringling gestört und setzten sich umgehend zur Wehr. Ein besonders angriffslustiger Hummer schloß seine Zangen liebevoll um die Hand des fetthaa rigen Mannes und kniff sie zusammen. Der Besitzer der Hand brüllte entsetzt auf und zog sie zurück. Die hastige Bewegung wiederum verunsicherte den angreifenden Hummer und versetzte diesen in eine gewisse Panik. Er preßte die Scheren noch fester zusammen und vermittelte dem solcher art attackierten Mann das unangenehme Gefühl, eine Amputation ohne Betäubung zu erleben. Er schlenkerte seine Hand wild durch die Luft, stierte aus her vorquellenden Augen auf den Meeresbewohner an seiner Hand und hatte im übrigen bereits mit der Welt abgeschlossen. Der rundliche Delikatessenhändler schüttelte den Kopf und trat vor, um die Situation zu bereinigen. Mit geübtem Griff nahm er das Tier, löste es von der Hand des Fetthaarigen und setzte es ins Bassin zurück. »Ich bitte Sie, Mister, wie kann man denn mit der Hand in ein Bassin mit lebenden Hummern langen«, rügte er und warf dem geschockten Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. »Hoffentlich ist dem Tier nichts passiert«, sorgte sich Agatha Simpson. »Immerhin mußte es sich dank dieses Lümmels eine ganze Weile außerhalb des gewohnten Elements aufhalten.« »Hummer sind sehr zähe Tiere«, beruhigte der Delikatessen händler sie. »Nicht, daß sich der Schock auf den Geschmack des Hummers auswirkt«, bedachte Mylady den kulinarischen Aspekt der kleinen Szene. Der Untersetzte hatte das Unglück seines Kollegen aus ungläu bigen Augen mitverfolgt. Er lehnte am Tresen des Empfangspul tes und konnte nicht begreifen, was da geschah. Dann aber löste sich die Erstarrung, und er wollte das Gesetz 10
des Handelns an sich reißen. Seine Hand fuhr unter’s Jackett und tastete nach der Pistole, die er dort trug, wie Parker längst mit sachverständigem Blick festge stellt hatte. Dem Butler unterlief ein kleines Mißgeschick. Er rutschte auf dem glatten Boden aus, als er sich seiner Herrin zuwenden wollte, und suchte nach einem Halt. Er fand ein Faß, das neben ihm stand, und hielt sich daran fest. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte und seine Hand löste, lag seltsamerweise ein großer Aal darin, der im Faß auf einen Käufer gewartet hatte. Die geräucherte Delikatesse zischte durch die Luft, legte sich auf das Handgelenk des Pistolenhelden und verursachte dort ne ben einem klatschenden Geräusch auch einen gewissen Schmerz. Der Untersetzte löste die Finger vom Kolben seiner Waffe und zog sie betroffen zurück. Parker vertraute den zweckentfremdeten Fisch wieder seinem Behältnis an und entschuldigte sich höflich. »Ein bedauerliches Mißgeschick, Sir«, ließ er den Mann wissen und hielt bereits eine kleine Bürste in der Hand. Er fuhr damit über die Brust des Untersetzten, um sie von Spuren zu säubern, die der Aal eventuell hinterlassen hatte. Dabei rutschte die Pistole des Mannes aus der Innentasche sei nes Jacketts und verschwand wie durch Zauberei unter Parkers Covercoat. »Hören Sie doch endlich auf, an mir rumzufummeln«, be schwerte sich der Untersetzte und wischte Parkers Hände ärger lich beiseite. * »Alles in allem habe ich mich recht gut amüsiert«, freute sich die ältere Dame. Sie saß im kleinen Salon ihres altehrwürdigen Hauses beim Tee und hatte gerade Kathy Porter und Mike Rander von ihren Erlebnissen in dem Delikatessengeschäft berichtet. »Ihr Besuch scheint auch sonst sehr erfreulich für Sie verlaufen zu sein, Mylady«, bemerkte Mike Rander spöttisch. Der stets ein wenig lässig wirkende Anwalt, der an einen bekannten James Bond Darsteller erinnerte, war der Vermögensverwalter der 11
Hausherrin. Er betrieb außerdem in der nahen Curzon Street eine Anwaltskanzlei, in der ihm Kathy Porter, die offiziell als Myladys Gesellschafterin und Sekretärin fungierte, assistierte. Es war Lady Agathas innigster Wunsch, die beiden Kinder, wie sie sie nannte, miteinander zu verheiraten. Sie scheute keine Mühe, dieses Ziel zu erreichen. »Wie kommen Sie darauf, mein Junge?« Die Hausherrin nippte an einem Sherry, von dem ihr der Delikatessenhändler einige Flaschen zur Begutachtung überlassen hatte. Lady Agatha hatte ihn darauf hingewiesen, daß sie, was Sherry betraf, als renom mierte Expertin galt. »Ich sah Mister Parker einige Kisten, Behälter und Taschen aus laden«, gab Mike Rander lächelnd zurück. »Ich nehme an, man hat Ihnen großzügig Schadenersatz geleistet für die vergifteten Waren.« »Das ist ja wohl auch das mindeste, was man verlangen kann«, fand die Hausherrin. Sie sah sich auf dem reich gedeckten Tisch um und entschied sich für eine Scheibe Toast, die sie mit würzi ger Landbutter aus Schottland bestrich und dann mit BelugaKaviar versah. »Normalerweise halte ich Diät und esse so was natürlich nicht«, machte sie deutlich. »Aber dieser nette Händler bat mich instän dig, seinen Kaviar zu kosten und ein Urteil darüber abzugeben.« »Sie konnten natürlich nicht ablehnen, Mylady«, stimmte Kathy Porter ihr zu. Die ältere Dame seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich bin ein fach zu gutmütig, Kindchen, das ist es.« »Was war denn in den anderen Behältnissen?« wollte Rander von Parker wissen, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter dem Sessel seiner Herrin stand. »Einige Hummer und Langusten, etwas Lachs und Räucheraal, ein wenig Schinken sowie diverse Sorten Wurst, die Mister Fisher aus Deutschland importiert hat«, zählte Parker auf. »Außerdem ein Eimerchen mit russischem Kaviar, einige Flaschen Krimsekt sowie ein Karton mit Sherry und ein solcher mit schottischem Malt-Whisky. Mister Fisher war sehr bemüht, Myladys Verärge rung wegen der vergifteten Lebensmittel aus der Welt zu schaf fen, Sir.« »Zudem nahmen Sie sein Hilfeersuchen an und willigten ein, für ihn einige Stichproben auf Qualität durchzuführen, nicht wahr?« 12
erkundigte sich Kathy Porter lächelnd. »Was ich natürlich in Rechnung stellen werde«, verkündete die Hausherrin umgehend und nickte energisch. »Geschulte Koster mit sensibler Zunge sind gesuchte Leute und entsprechend teuer. Erinnern Sie mich daran, eine Rechnung zu schreiben, Mister Par ker.« »Sie würden gegebenenfalls auch mit Entlohnung in Naturalien einverstanden sein?« warf Mike Rander ein. »Nun ja, wenn das dem guten Mann lieber sein sollte… Wie dem auch sei, ich werde mich dieser Herausforderung stellen und mei ne Tests gewissenhaft und mit äußerster Sorgfalt durchführen.« »Leidet darunter nicht Ihre Diät?« gab Kathy Porter zu beden ken. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Kindchen, aber Sie ha ben natürlich recht.« Lady Agatha sah ihre Gesellschafterin be sorgt an. »Ich werde meine Diät für die Zeit meiner Tests zurückstellen müssen, wenngleich mir das sehr schwerfallen wird. Sie wissen, wenn ich etwas anfange, ziehe ich es auch konsequent durch. Das gilt erst recht für meine Diät. Mister Parker, setzen Sie außerdem eine Erschwerniszulage auf die Rechnung, schließlich gefährde ich ja durch die Unterbrechung der Diät meine Gesundheit.« »Möglicherweise sollten Mylady Mister Fisher die Proben zurück geben und ihm mitteilen, daß Mylady aus schwerwiegenden Gründen leider die versprochenen Tests nicht durchführen kann«, schlug Josuah Parker vor. »Wenn Mylady es wünschen, wird sich meine bescheidene Wenigkeit diesbezüglich mit Mister Fisher ins Benehmen setzen.« »Papperlapapp, Mister Parker!« Agatha Simpson maß ihren But ler mit entrüstetem Blick. »Disziplin, Mister Parker, das ist es, worauf es ankommt! Ich habe die Aufgabe übernommen, also führe ich sie auch zu Ende. Was soll der Mann denn sonst von mir denken?« »Mylady stehen über den Dingen«, bemerkte Parker höflich. »Das haben Sie schön gesagt, Mister Parker.« Lady Agatha er hob sich und nickte den Anwesenden zu. »Ich werde an meinem Kriminalroman weiterarbeiten, ich denke, ich werde auch etwas mit vergifteten Lebensmitteln einbauen«, verkündete sie und suchte ihre Privaträume im Obergeschoß auf. »Was wurde aus den beiden Ganoven?« erkundigte sich Mike 13
Rander, nachdem die Hausherrin gegangen war. »Einer von ihnen verhedderte sich bedauerlicherweise in einem Fischernetz«, berichtete Parker. »Es kostete einige Mühe, ihn wieder daraus zu befreien.« »Ein Fischernetz? Das müssen Sie mir näher erklären, Mister Parker«, forderte Kathy Porter und beugte sich gespannt vor. »Besagtes Netz hing als Dekorationsstück von der Decke und wurde von Mylady versehentlich heruntergezogen«, erinnerte sich Parker. »Was für ein Pech!« spottete Mike Rander. »Was geschah mit dem anderen Beschwerdeführer? Stieß dem auch ein kleines Unglück zu?« wollte Kathy Porter weiter wissen. »In der Tat, Miß Porter. Der junge Mann verwechselte beim be absichtigten Verlassen der Firma die Türen und geriet versehent lich in den Kühlraum. Zum Glück wurde er bereits wenige Minuten später von meiner bescheidenen Wenigkeit entdeckt und befreit.« »Mein Gott, hatten die beiden Kerle aber auch ein Pech.« Mike Rander schüttelte mitfühlend den Kopf. »Ich nehme an, daß Ih nen versehentlich auch die Brieftaschen der Pechvögel in die Hände fielen, wie?« »Ein erstaunlicher Zufall, Sir«, gab Parker zu. »In der Tat verlo ren die Herren ihre Brieftaschen, die von mir gefunden wurden. Man wird sie auf dem üblichen Postweg zurückgehen lassen. Be dauerlicherweise waren die rechtmäßigen Eigentümer schon ge gangen, als man auf ihren Verlust aufmerksam wurde.« »Und was sagten Ihnen die Fundstücke, Mister Parker?« erkun digte sich Kathy Porter. »Die Herren hören auf die Namen Gus Myers und Peter Shel ley«, entgegnete Parker höflich. »Sie trugen Firmenausweise bei sich, die sie als Mitarbeiter einer Spedition bezeichnen.« »Eine bekannte Firma, Parker?« wollte Mike Rander wissen. »Mister Pickett recherchiert in dieser Angelegenheit«, unterrich tete der Butler ihn. »Er dürfte in Kürze mit ersten Informationen dienen können.« »Ach ja, der gute Pickett?« grinste Mike Rander, der den ehe maligen Eigentumsumverteiler sehr schätzte. »Hat Mylady übri gens schon einen Termin für den Tee angesetzt, zu dem sie ihn seit langem einladen möchte?« »Ein Zeitpunkt steht noch nicht fest, Sir«, informierte Parker ihn. »Mylady konnte sich diesbezüglich noch nicht entscheiden.« 14
»Hoffentlich passiert Ihrem Händler nichts, Parker«, fiel Mike Rander ein. »Wenn die Gangster Ihren Besuch mit der Erpressung in Verbindung bringen, könnten sie sich an diesem Mister Fisher rächen wollen.« »Man hat überzeugend zu vermitteln gewußt, daß dieser Besuch lediglich einer Reklamation diente«, beruhigte Parker ihn. »Myla dys diesbezügliche schauspielerischen Fähigkeiten sind über jeden Zweifel erhaben.« »Das stimmt allerdings.« Kathy Porter lächelte wissend. Sie hat te ihre Chefin oft genug beobachtet und kannte ihr darstelleri sches Talent. »Dennoch werden die Gangster darauf kommen, mit wem sie sich da angelegt haben, wenn auch rein zufällig«, sorgte sich der Anwalt. »Man wird Mylady und Sie möglicherweise aus dem Weg räumen wollen, Parker. Gift ist sehr tückisch, weil man es meis tens gar nicht entdeckt.« »Man wird sich einer gewissen Aufmerksamkeit befleißigen, Sir«, gab Parker gemessen zurück. * Butler Parker und Mike Rander waren am späten Nachmittag unterwegs. Sie hatten die Absicht, sich die Spedition anzusehen, die im Londoner Osten ansässig war, wie Parker anhand des Branchenbuches ermittelt hatte. »Das sieht doch recht ordentlich aus, Parker«, fand der Anwalt. Mike Rander saß neben dem Butler im hochbeinigen Monstrum, wie Parkers Privatwagen von Eingeweihten genannt wurde. Bei diesem Fahrzeug handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das sich aufgrund des äußeren Scheins nach dem Schrott platz sehnte. In Wirklichkeit war das Auto aber eine Trickkiste auf Rädern, die nach den sehr speziellen Wünschen des Butlers um gebaut, worden war. Unter der eckigen Haube arbeitete ein Rennmotor, wie er in manchem Tourenwagen nicht eingebaut war. »In der Tat, Sir, ein zumindest nach außen hin respektabel er scheinendes Unternehmen«, stimmte der Butler seinem Beifahrer zu. Das ehemalige Londoner Taxi rollte durch eine schmale Stra ße, die links und rechts von Gewerbebetrieben gesäumt war. 15
Die internationale Spedition Gordon Reynolds lag am Ende der Straße und schien der größte Betrieb in dieser Gegend zu sein. Ein großes, weitgeöffnetes Tor führte auf einen riesigen Hof, wo diverse Lastzüge parkten oder an einer Rampe beladen wurden. »Hat sich eigentlich schon der gute Pickett gemeldet, um Nähe res zu dieser Spedition mitzuteilen?« wollte Mike Rander wissen. »Man wird sich mit Mister Pickett im Laufe des Abends treffen, Sir«, informierte Parker ihn. »Hoffentlich kriegt das Mylady nicht mit«, schmunzelte der An walt. »Sie wissen, sie mag es nicht, wenn sie von den laufenden Ermittlungen ausgeschlossen wird.« »Meine Wenigkeit hat einige sehr unterhaltsame, neue Videofil me ausgeliehen«, bemerkte Parker gemessen. »Es steht zu er warten, daß Mylady diese sehr ausgiebig studieren wird.« »Na, dann!« Mike Rander lachte leise. Er kannte die Vorliebe der älteren Dame für spannende Videofilme. Parker stellte seinen Privatwagen am Ende der Rampe ab und näherte sich einem der Lkw-Fahrer, die die Beladung ihrer Fahr zeuge überwachten. »Wo könnte man die Verwaltung finden, Sir?« erkundigte er sich höflich, während er die Melone andeu tungsweise hob. »Da hinten, die verglaste Tür am Anfang der Rampe«, teilte der Fahrer ihm freundlich mit und musterte grinsend die Kleidung des Butlers. »Als Fahrer wollen Sie sich wohl nicht bewerben, wie?« »Nicht unbedingt, Sir«, antwortete Parker gemessen. »Wäre ei ne solche Position denn vakant?« »Mann, Sie können sich vielleicht ausdrücken!« Der LKW-Fahrer in der hüftlangen, abgeschabten Lederjacke nickte anerkennend. »Wir suchen noch Kollegen, wir haben jede Menge Aufträge, aber nicht genug Personal«, teilte er bereitwillig mit. »Dabei zahlt die Firma echt gut, aber wer will schon wochenlang von zu Hause weg sein?« »Sie fahren demnach überwiegend auf Auslandsrouten, Sir?« »Stimmt, Vorderer Orient, Türkei, Nordafrika und so weiter. A ber wie gesagt, das Geld stimmt bei uns, da ist die Firma wirklich großzügig. Entschuldigen Sie mich jetzt, mein Wagen ist fertig.« Der mitteilungsbedürftige Mann wandte sich ab und kletterte auf die Ladefläche seines Sattelschleppers. »Schon etwas herausgefunden?« erkundigte sich Mike Rander, der über den Hof geschlendert war und sich umgesehen hatte. 16
»Man scheint vorzugsweise im Vorderen Orient und Nordafrika tätig zu sein«, berichtete Parker. »Außerdem sucht man dringend weiteres Personal, das diese Position anfährt.« »Klingt alles sehr ordentlich, Parker.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Scheint sich um ein aufstrebendes Unternehmen zu handeln. Warum sollten die sich auf krumme Touren einlassen? Ist vielleicht doch nur ein Zufall, daß die beiden Ganoven hier arbeiten. Schließlich kann die Firma nichts dafür, wenn sich die beiden in ihrer Freizeit zusätzliches Geld verdienen und für ir gendeinen Gangster Leute einschüchtern.« »Durchaus richtig, Sir.« Parker nickte. »Man wird allerdings Mis ter Picketts Bericht abwarten müssen, um sich ein endgültiges Urteil bilden zu können. Die angefahrenen Ziele dieser Firma wä ren allerdings für manche kriminelle Organisation von besonde rem Interesse.« »Das stimmt natürlich, Parker. Vorderer Orient, Türkei… da drängen sich unwillkürlich gewisse Assoziationen auf.« »Es wäre allerdings voreilig, Sir, diese als Tatsachen zu über nehmen«, bemerkte der Butler gemessen. »Warum sind wir eigentlich hier hergefahren, bevor Sie Mister Picketts Bericht gehört haben, Parker?« wollte Mike Rander wis sen. »Man wollte sich Vorab einen persönlichen Eindruck von der Firma verschaffen«, gab Parker höflich zurück. »Sollte das Unter nehmen tatsächlich in kriminelle Machenschaften verwickelt sein, geht es meiner bescheidenen Wenigkeit zudem um eine gewisse Verunsicherung.« »Sie wollen wieder mal provozieren, stimmt’s?« Rander lachte leise. »Aber denken Sie daran, daß so was auch mal ins Auge gehen kann, Parker.« Sie hatten eine schmale Treppe erreicht, die zu der gläsernen Tür führte, die der Fahrer Parker gewiesen hatte. Der Butler hielt Mike Rander die Tür auf und ließ ihm höflich den Vortritt. »Man wünscht einen außerordentlich angenehmen Tag«, grüßte Parker und lüftete seine Melone. Die in dem kleinen Vorraum Anwesenden wandten sich um und blickten verblüfft auf den Butler. Eine Erscheinung wie die Parkers kannten sie mit Sicherheit noch nicht in der Wirklichkeit, sondern bestenfalls aus einschlägigen alten Filmen. 17
»Was… eh… können wir für Sie tun, Sir?« Eine junge, sehr att raktive Blondine näherte sich der Barriere, die kurz hinter der Tür den Raum abtrennte, und sah den Butler unsicher lächelnd an. »Man würde gern mit dem Firmenchef einige Worte wechseln«, ließ sich Parker höflich vernehmen. Er griff in seine Tasche und reichte der Dame, die ihn immer noch ehrfurchtsvoll anstarrte, seine Karte. »In welcher Angelegenheit, Sir?« »Lady Agatha Simpson, der als Butler zu dienen meine Wenig keit die Ehre und das unbestreitbare Vergnügen hat, gedenkt, mit Ihrer Firma möglicherweise einige größere Abschlüsse zu tätigen. Mylady beauftragte Mister Rander und meine Wenigkeit, den diesbezüglichen Kontakt herzustellen.« »Wenn Sie sich bitte einen Augenblick gedulden wollen, Sir?« hauchte die junge Angestellte und verschwand mit Parkers Karte hinter einer gepolsterten Tür. »Mein Gott, der Kleinen haben Sie aber mächtig imponiert, Par ker«, witzelte der Anwalt. »Was meiner bescheidenen Wenigkeit außerordentlich peinlich ist, Sir«, gab Parker gemessen zurück. »Wenn ich bitten darf, meine Herren?« Die Blondine kam er staunlich schnell zurück und öffnete eine Klappe in der Barriere, die als Durchgang diente. * »Zwei Erpresser, die bei uns angestellt sein sollen?« Gordon Reynolds, der Firmeninhaber, schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, Gentlemen. Bei der Aus wahl unseres Personals gehen wir außerordentlich sorgfältig vor. Wissen Sie, wir transportieren hochwertige Güter, da können wir es uns nicht leisten, in Personalfragen fahrlässig zu sein.« »Sie suchen zur Zeit wieder Fahrer, Sir?« erkundigte sich Josu ah Parker gemessen. »So ist es.« Reynolds nickte eifrig. Er war gut und gern siebzig mit dem Aussehen und dem Gehabe eines Patriarchen. Er war hochgewachsen und schlank, hielt sich trotz seines Alters aufrecht und hatte noch volles, silberfarbenes Haar. Seine Augen sahen die Besucher hellwach durch eine sogenannte Halbbrille an. 18
»Wir nehmen nicht jeden, wie ich schon sagte«, fuhr er fort. »Bewerbungen gibt es weiß Gott genug, aber was sich da so vor stellt heutzutage… Allerdings ist mein Schwiegersohn in diesem Punkt anderer Meinung als ich. Er meint, ich sei zu pingelig.« »Ihr Schwiegersohn ist auch in der Firma tätig, Sir?« wollte Mi ke Rander wissen. »Ja, er ist Geschäftsführer. Ich lasse mich täg lich nur noch zwei oder drei Stunden blicken, das Alter, wissen Sie… Paul jedenfalls meint, ich solle nicht so kleinlich sein, sonst fänden wir nie genug Personal. Ich bin aber nicht dieser Ansicht.« Der alte Herr zuckte die Achseln und breitete die Hände in resig nierender Gebärde aus. »Ein Generationen-Konflikt, vermutlich. Sagten Sie in der Anmeldung nicht, Lady Simpson wolle eine ge schäftliche Verbindung prüfen? Worum geht es dabei?« »Mylady ist geschäftlich in vielerlei Hinsicht engagiert«, gab Parker ausweichend zurück. »Unter anderem ist Mylady auch an einigen Im- und Exportfirmen beteiligt. In diesem Zusammen hang fiel der Name Ihres Unternehmens, Sir.« »Ich kenne Ihre Chefin natürlich, wenn auch nur dem Namen nach«, bemerkte der Silberhaarige. »Ich würde mich freuen, wenn die Firma Reynolds mit Ihnen zusammenarbeiten dürfte.« »Mylady wird Sie demnächst persönlich aufsuchen und Ihnen ih re Vorstellungen vortragen«, fuhr der Butler gemessen fort. »Die Aufgabe Mister Randers und meiner Wenigkeit war nur, durch persönliche Kontakte festzustellen, in welchem Umfang Ihre Fir ma überhaupt Kapazitäten frei hat.« »Ein etwas ungewöhnliches Vorgehen, finden Sie nicht auch?« Gordon Reynolds lachte leise. »Möglicherweise will Lady Simpson unsere Dienste ja wirklich in Anspruch nehmen, aber sie ist ja auch noch in anderer Hinsicht tätig, nicht wahr?« »Wie darf meine Wenigkeit das verstehen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Ich bitte Sie, Mister Parker, jedermann weiß doch, daß sich Ih re Chefin als Amateurkriminalistin betätigt! Ich nehme an, Sie sind in erster Linie wegen dieser beiden Ganoven hier, die angeb lich in meinen Diensten stehen.« »Sie beschämen meine bescheidene Wenigkeit, Sir«, murmelte Parker und deutete eine Verbeugung an. »Ich möchte Lady zu gern mal kennenlernen, ich wette, sie hat eine Menge interessanter Geschichten auf Lager.« Der alte Herr lächelte versonnen. »Nun gut, ich lasse meinen Schwiegersohn 19
rufen, er ist auch Personalchef.« Gordon Reynolds drückte eine Taste der Sprechanlage und sprach kurz. Ein großer, bulliger Mann betrat wenig später das Zimmer und sah den Firmenchef fragend an. Trotz seines eleganten und mit Sicherheit sehr teuren Nadelstreifenanzugs wirkte er eher wie ein Lagerarbeiter, nicht wie der Geschäftsführer einer internationalen Spedition. »Das ist Paul Wilson, mein Schwiegersohn und Geschäftsfüh rer«, stellte Gordon Reynolds vor. »Paul, die beiden Herren sind Mister Rander und Mister Parker, die für Lady Agatha Simpson tätig sind. Sie haben einige Fragen wegen zweier Leute von uns.« Wilson wandte sich zu den Besuchern um und runzelte die Stirn. »Um was geht es?« wollte er wissen, während er sich in einem Sessel niederließ. »Es handelt sich um die Herren Gus Myers und Peter Shelley, Sir«, erläuterte Parker gemessen. »Könnten Sie sich vorstellen, daß sie möglicherweise in kriminelle Handlungen verstrickt sind?« »Ich habe doch richtig verstanden, Sie beide sind für eine Lady Sowieso tätig, stimmt’s?« vergewisserte sich der SpeditionsGeschäftsführer. »So ist es in der Tat, Sir«, gab der Butler ungerührt zurück. »Dann verstehe ich Ihre Frage nicht so ganz, um ehrlich zu sein. Die hat nämlich so geklungen, als kämen Sie von der Poli zei.« »Zu dieser Institution pflegt Lady Simpson hervorragende Kon takte, Sir«, versicherte Parker. »Mylady beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit bemerkenswertem Erfolg mit der Aufklärung von Kri minalfällen. Heute vormittag machte sie die Bekanntschaft der Herren Myers und Shelley, die ganz offensichtlich den Inhaber einer Feinkosthandlung zu erpressen versuchten.« »Und Sie oder Ihre Lady waren dabei?« wollte Paul Wilson wis sen. »Ein Zufall, Sir. Mylady und meine bescheidene Wenigkeit hiel ten sich in bewußter Feinkosthandlung auf, um einige Einkäufe zu tätigen. Mylady konnte nicht umhin, regulierend einzugreifen.« »Was heißt das?« Wilson musterte den Butler und Mike Rander aus zusammengekniffenen Augen und schien für die beiden Män ner nicht allzuviel Sympathie zu empfinden. »Mylady rief die beiden Herren zur Ordnung und veranlaßte sie, 20
den Laden umgehend zu verlassen«, erläuterte Parker. Dabei ver loren sie ihre Brieftaschen, die man bei dieser Gelegenheit zu rückgeben möchten Parker griff in seinen Covercoat und brachte die Brieftaschen zum Vorschein. Er deponierte sie auf dem niedri gen Tisch vor dem Speditions-Geschäftsführer und trat dann wie der zurück. »Wenn Sie den Herren ihr Eigentum zukommen ließen, Sir?« bat er höflich. »Das wird leider nicht gehen.« Paul Wilson schüttelte gelang weilt den Kopf. »Ich habe die beiden vor ein paar Tagen hinaus geworfen. Sie haben mir zuviel getrunken und immer wieder Streit mit den anderen Fahrern angefangen. Offensichtlich hat meine Sekretärin vergessen, ihnen die Firmenausweise abzuneh men.« Er zuckte die Achseln und hielt Parker die Brieftaschen hin. »Die können Sie sicher bei der Polizei oder auf dem Fundbüro abge ben. Wir können Ihnen da nicht helfen. Die Kerle haben bereits ihre Papiere und ihren Restlohn erhalten und werden hier nicht wieder auftauchen.« »Wenn man noch mal auf die anfangs gestellte Frage zurück kommen dürfte, Sir«, bat Parker höflich. »Könnten Sie sich vor stellen, daß Ihre ehemaligen Mitarbeiter in kriminelle Machen schaften verstrickt sind?« »Woher soll ich das wissen?« Paul Wilson winkte müde ab. »Man kann nicht in die Leute reinschauen, nicht wahr? Tja, ich denke, das war’s wohl, oder? Ich habe viel zu tun, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden.« Wilson stand auf und nickte seinem Schwiegervater und den beiden Besuchern zu, dann verließ er den Raum. »Sie müssen Paul das nachsehen, sonst ist er nicht so kurz an gebunden«, entschuldigte Gordon Reynolds seinen Schwieger sohn. »Er hat viel um die Ohren. Wir haben Aufträge wie nie zu vor, aber leider nicht genügend Fahrer, um sie alle termingerecht ausführen zu können, Paul ist ständig unterwegs, um nach Leuten zu suchen, und von Zeit zu Zeit fährt er sogar selbst noch.« »Mister Wilson war früher in Ihrer Firma als Fahrer tätig, Sir?« erkundigte sich Parker. »Stimmt, und bei dieser Gelegenheit lernte er meine Tochter kennen.« Gordon Reynolds lächelte etwas wehmütig. »Wie das eben so geht im Leben. Voriges Jahr ist er mein Schwiegersohn 21
geworden.« »Und fungiert seitdem auch als Ihr Geschäftsführer, wenn man fragen darf?« »Ja, genau. Und ehrlich gesagt, bin ich froh darüber. In meinem Alter muß man etwas kürzer treten.« Der alte Herr streckte seinen Besuchern die Hand entgegen und führte Rander und Parker zur Tür. »Denken Sie daran, daß ich gern Ihre Lady kennenlernen möchte«, bat er. »Eine Begegnung mit ihr dürfte sicher hochinteressant sein, denke ich.« »Davon sollte man auf jeden Fall ausgehen, Sir«, gab Parker ein wenig zweideutig zurück. »Viel hat der Besuch nicht gerade gebracht, Parker«, fand Mike Rander. »Abgesehen von der Erkenntnis, daß uns der Geschäfts führer und Schwiegersohn nicht mag.« »Auch diese Erkenntnis könnte sich als wertvoll erweisen, Sir«, erwiderte Parker gemessen. »Es erhebt sich die Frage, warum sich Mister Wilson so abweisend verhalten hat.« »Ihm gefiel eben einfach nicht, daß wir hinter seinem Personal herschnüffeln«, vermutete Rander. »Irgendwie kann ich ihm das sogar nachfühlen.« »Möglicherweise hörte Mister Wilson aber auch bereits von den Herren Myers und Shelley Myladys Namen und den meiner be scheidenen Wenigkeit«, gab Parker zu bedenken. »Auch dies könnte eine Ursache für seine ablehnende Haltung gewesen sein.« »Möglich, Parker, aber das sind im Augenblick hur Spekulatio nen. Warten wir ab, was Mister Pickett Ihnen heute abend zu be richten hat.« Der Anwalt lehnte sich bequem im Sitz zurück und sah gedan kenverloren auf die Straße. Plötzlich fuhr er hoch und klammerte sich an den Haltegriff am Armaturenbrett. »Vorsicht, Parker, das kommt mir verdammt komisch vor.« Mi ke Rander musterte aus zusammengekniffenen Augen einen rie sigen Sattelschlepper, der am Ende der Straße auftauchte. Das Fahrzeug fuhr ziemlich genau in der Mitte der Straße und ließ links und rechts lediglich einen schmalen Streifen frei, durch den nicht mal ein Motorrad gekommen wäre. »Merkwürdiger Zufall«, meinte Mike Rander, während er den unaufhaltsam näherkommenden Sattelschlepper beobachtete. »In der Tat, Sir. Man sollte hinter dem Auftauchen sowohl die 22
ses als auch des Lastzuges hinter uns eine Absicht vermuten.« »Hinter uns?« Mike Rander fuhr herum wie von der Tarantel ge stochen. Hinter dem ehemaligen Londoner Taxi war ebenfalls ein Lastwagen aufgetaucht. Er bog gerade vom Hof der Spedition auf die schmale Straße und nahm Fahrt auf. Auch dieses Fahrzeug schien die ganze Straßenseite für sich in Anspruch zu nehmen. »Die wollen uns zerquetschen«, vermutete der Anwalt. »Also scheint die Spedition doch irgendwie in der Geschichte drin zu hängen. Allerdings hätte ich nicht gedacht, daß sie uns gleich hier, sozusagen vor der eigenen Haustür, umbringen wollen. Und der alte Knabe machte auf mich eigentlich einen ganz passablen Eindruck.« »Mister Reynolds dürfte auf keinen Fall in kriminelle Machen schaften verstrickt sein, wenn man hierzu eine Meinung äußern darf«, gab Parker gemessen zurück. »Wie dem auch sei, Parker, wir haben jetzt andere Sorgen.« Mi ke Rander blickte abwechselnd durch die Front- und die Heck scheibe. Was er sah, war nicht dazu angetan, seine Nerven zu beruhigen. Die schweren Transporter waren jeweils nur noch rund fünfzig Meter vom Heck beziehungsweise Kühler des ehemaligen Taxis entfernt. »Unternehmen Sie was, Parker«, bat Rander. »Ich fürchte, die werden uns wirklich plattwalzen.« »Eine Absicht, die man vereiteln sollte, Sir«, stimmte der Butler ihm gemessen zu, ohne auch nur ein Quentchen seiner gewohn ten Ruhe zu verlieren. Ein hochherrschaftlicher englischer Butler pflegte grundsätzlich und in jeder Situation Haltung zu bewahren. Josuah Parker ließ seine behandschuhte Linke über das reich haltige ausgestattete Armaturenbrett gleiten und drückte auf ei nen Knopf. Einen Augenblick später quoll aus dem Auspuff des hochbeini gen Monstrums dicker, schwarzer Qualm, der die Straße hinter Parkers Privatwagen einnebelte und den nachfolgenden Lastwa gen in eine schwarze Wand fahren ließ. Der ölige Qualm traf auf die Windschutzscheibe des Lasters und ging eine innige Verbindung mit ihr ein. Die Scheibe war urplötz lich von einem schmierigen Film bedeckt und raubte dem Fahrer jede Sicht. Ein zweiter Druck auf eine der zahllosen Tasten des Armaturen 23
bretts öffnete den Verschluß eines eckigen Kastens unter der hochbeinigen Karosse. Sogenannte Krähenfüße ergossen sich auf die Straße und warteten darauf, ihre Stahlspitzen in Gummireifen bohren zu können. * »Verdammt, was ist denn das?« Der Fahrer des LKWs starrte ungläubig auf seine Windschutzscheibe, die von einem Augenblick zum anderen undurchsichtig geworden war. Der Beifahrer kurbelte das Fenster an seiner Seite herunter und beugte sich nach draußen. Er langte um die Ecke des Führerhau ses und begann, mit einem schmutzigen Taschentuch auf der Windschutzscheibe zu wischen. »Das Zeug geht nicht ab«, sagte er, während er seine Anstren gungen verdoppelte. »Wo kommt denn das her?« Der Fahrer trat auf die Bremse und kurbelte gleichzeitig die Scheibe herunter. Er streckte den Kopf hinaus und versuchte, den schwarzen Qualm mit den Augen zu durchdringen. Neben sich sah er einen noch dunkleren Schatten auftauchen. Entsetzt riß er das Steuer herum und lenkte in die entgegenge setzte Richtung. Gleichzeitig zog er den Kopf in die schützende Fahrerkabine zurück. Das war sein Glück. Die rechte Seite des schweren LKWs schrammte an einer Mauer entlang und verursachte ein krei schendes Geräusch. Ein Funkenregen sprühte und durchdrang den schwarzen Qualm. Der Fahrer legte sein ganzes Gewicht aufs Lenkrad. Er stemmte sich förmlich dagegen und schaffte es end lich, etwas Abstand zwischen der Außenhaut seines Fahrzeuges und der Mauer zu schaffen. Der schwere LKW schwenkte auf die Straße zurück, schob mit blockierten Rädern weiter und… rutschte in die Krähenfüße, die ihn bereits ungeduldig erwarteten. Die Stahldornen bohrten sich hingebungsvoll in die Pneus und entlüfteten sie umgehend. Das Verunsicherte. Das schwere Fahrzeug geriet wieder außer Kurs, schoß quer über die Straße und nahm mit dem Kühler Kon takt zu der dort in die Höhe wachsenden Mauer auf. Die erwies sich aber als stärker und gebot dem Laster Einhalt. 24
Der Kühler verwandelte sich in eine Ziehharmonika. Leise zi schend entwich Dampf. Der Beifahrer im Führerhaus legte die Stirn gegen die Front scheibe und beschloß, eine kurze Ruhepause einzulegen. Er rutschte vom Sitz und machte es sich auf dem ungemütlichen Boden bequem. Der Fahrer prüfte mit der Stirn die Stabilität des Fensterrah mens und eiferte seinem Kollegen nach. Er ließ sich entspannt zurücksinken und schloß müde die Augen. Dann rutschte er auf die Seite und legte sich auf den Sitz. Einen Augenblick später schnarchte er laut vor sich hin. * Lady Agatha saß im kleinen Salon ihres altehrwürdigen Hauses in Shepherd’s Market und hatte sich von Parker Bericht erstatten lassen. »Wie sind Sie denn dieser LKW-Falle entkommen?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie wandte sich mit der Frage zwar an den But ler, ihr besorgter Blick hing jedoch an Mike Rander, der ihr beru higend zulächelte. »Ein Wunder, daß Sie ohne meine Hilfe diesen Anschlag über standen haben«, stellte die Hausherrin nüchtern fest. »Das wird für die Zukunft eine Lehre sein, hoffe ich.« »In der Tat, Mylady. Man wird sich künftig vor allen ins Auge gefaßten Aktionen mit Mylady wieder abstimmen.« »Das genügt nicht, Mister Parker.« Die ältere Dame sah den Butler kopfschüttelnd an und hob mahnend den Zeigefinger. »Nur wenn ich dabei bin, sind Sie sicher. Daran sollten Sie stets den ken.« »Meine bescheidene Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady«, versprach Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, unbewegten Gesicht rührte. »Mister Parker, bitte«, flehte Kathy Porter. »Pardon, Miß Porter, man wird den Hergang sofort schildern.« Der Butler deutete eine Verbeugung in Richtung der jungen Frau an. »Parker hat wieder mal in die Trickkiste gegriffen«, freute sich der Anwalt. 25
»Nun ja, er hat einiges von mir gelernt, obwohl er natürlich noch längst nicht perfekt ist«, warf die Hausherrin ein und nickte gewichtig. »Man schaltete zunächst den verfolgenden LKW aus, indem man sich des in meinem bescheidenen Privatwagen eingebauten Raucherzeugers bediente«, erläuterte der Butler gemessen. »Ich erinnere mich gut, wie ich seinerzeit zum Einbau geraten habe«, behauptete Agatha Simpson ungeniert und lächelte ver sonnen. »Zuerst wollten Sie nicht auf mich hören, Mister Parker, aber zum Glück haben Sie sich dann doch überzeugen lassen.« »Wofür man Mylady noch heute dankbar ist«, reagierte Parker ebenso ungeniert. Kathy Porter und Mike Rander sahen sich lä chelnd an. Sie wußten nur zu gut, daß der Privatwagen des But lers nach dessen ureigensten Plänen umgerüstet worden war und seinerzeit die Detektivin sich über manches Detail mokiert hatte. »Dank des Raucherzeugers gerieten die Verfolger aus dem Kurs und verloren die Übersicht«, fuhr Parker fort. »Der LKW geriet aus unerfindlichen Gründen in sogenannte Krähenfüße und verlor die Luft aus den Reifen. Eine solide Mauer stand im Weg und er wies sich für die Verfolger als unüberwindlich.« »Ja, die Krähenfüße«, sinnierte die Lady. »Das war eine nette Idee von mir, das verwirrt Verfolger.« »In der Tat, Mylady«, stimmte der Butler ungerührt zu. »Und was war nun mit dem Sattelschlepper, der von vorn auf Sie zukam?« wollte Kathy Porter gespannt wissen. »Man bediente sich einer sogenannten Blendhandgranate«, er läuterte Parker. »Diese nahm den Herren im Führerhaus des be sagten Sattelschleppers die Sicht und auch die Lust, sich weiter mit Mister Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit zu be schäftigen. Man stoppte und gab sich einem gewissen Welt schmerz hin.« »Und dann, Mister Parker, wie ging es weiter?« Kathy Porter konnte es nicht erwarten, den Rest der Geschichte zu hören. »Parker setzte im Affentempo zurück und lenkte den Wagen in eine Toreinfahrt«, erzählte Mike Rander an Parkers Stelle. »Dabei ging leider das Tor zu Bruch, aber wir haben selbstverständlich als Entschädigung einen Scheck hinterlassen.« »Hoffentlich nicht von meinem Haushaltskonto«, schreckte die ältere Dame auf. »Keinesfalls und mitnichten, Mylady«, beruhigte Parker sie. 26
»Man bediente sich dabei des Privatkontos meiner bescheidenen Wenigkeit.« »Gott sei Dank.« Lady Agatha maß ihren Butler mit strengem Blick. »Daß Sie mich immer so erschrecken müssen«, beklagte sie. »Sie wissen doch, wie leicht mein Kreislauf zusammenbricht.« »Man wird dem umgehend entgegenwirken, Mylady«, versprach Parker, der bereits den Cognac in der Hand hielt. Er versorgte seine Herrin mit der gewünschten Medizin und verneigte sich an deutungsweise. »Wir gingen daraufhin zurück zur Spedition und sprachen mit Paul Wilson«, fuhr Mike Rander fort. »Aber der Mann konnte sich den Anschlag natürlich nicht erklären, obwohl der Sattelschlepper seiner Firma gehört.« »Wilson?« schaltete sich die ältere Dame ein, die sich erstaun lich schnell erholt hatte. »Irgendwie sagt mir der Name etwas, Mister Parker.« »Mister Wilson ist der Schwiegersohn und Geschäftsführer Mis ter Gordon Reynolds’, Mylady«, erläuterte der Butler höflich. »Keine Verwirrspiele, Mister Parker«, forderte sie umgehend. »Wer ist dieser Rammonds?« »Mister Reynolds«, korrigierte Parker den Namen diskret, »ist der Inhaber und Seniorchef der Speditionsfirma, deren Angestell te Mylady beim Delikatessenhändler belästigt haben.« »Ach, die beiden Lümmel, die nichts vertrugen«, erinnerte sie sich. »Sie haben leider nur wenig Widerstand geleistet, muß ich sagen.« Agatha Simpson schüttelte den Kopf und blickte zur Decke. »Aber zur Sache, Mister Parker. Was hatte dieser geschäftsfüh rende Schwiegersohn zu dem Attentat zu sagen?« »Nichts, Mylady«, antwortete der Anwalt an Parkers Stelle. »Der Sattelschlepper war angeblich wenige Minuten vorher vom Fir menhof entführt worden, die Insassen sind leider flüchtig.« »Mir wären sie nicht entkommen, das nur nebenbei«, stellte die ältere Dame spitz fest. »Glauben Sie diesem Lümmel?« »Nicht unbedingt, Mylady. Das Gegenteil dürfte jedoch nur schwer zu beweisen sein«, erklärte Parker gemessen. »Und der Senior? Was sagt der dazu?« wollte Kathy Porter wis sen. »Der alte Herr war sichtlich schockiert«, erinnerte sich Mike Rander. »Im Grund war er sogar außer sich. Er hat sich tausend 27
mal bei uns entschuldigt und seinem Eidam bittere Vorwürfe ge macht, daß ein Wagen einfach vom Hof verschwinden konnte.« »Alles nur Tarnung.« wußte die Hausherrin und winkte noncho lant ab. »Aber man kann ja alles erzählen, und Sie nehmen es für bare Münze.« Die ältere Dame schüttelte den Kopf angesichts soviel vermeintlicher Naivität. »Man wird sich bemühen, auch in dieser Hinsicht von Mylady stets zu lernen«, versprach Parker. »Der zweite Wagen stammte übrigens nicht aus dem Fuhrpark der Firma Reynolds.« »Sehr interessant, Mister Parker«, fand die Hausherrin. »Und woher kam er? Irgend jemand muß die Besatzungen doch von Ihrer Abfahrt verständigt haben, damit man Sie in die Zange nehmen kann. Haben Sie daran schon gedacht?« »In der Tat, Mylady. Die Gangster dürften Komplicen in der Spedition haben, es sei denn, es handelt sich hierbei um ein – wie der Volksmund so schön sagt – raffiniertes Täuschungsmanöver.« »Es ist dieser Senior.« Lady Agatha hatte sich bereits eine Mei nung gebildet. »Was Sie woraus schließen?« konnte sich Mike Rander nicht verkneifen zu fragen. Er zwinkerte Kathy Porter zu und freute sich auf die Antwort der Lady. »Instinkt, mein lieber Junge, aber das werden Sie natürlich nicht begreifen.« Die ältere Dame nickte überzeugt und lächelte huldvoll. »Das kann man nicht lernen, man hat’s, oder man hat’s nicht«, schloß sie und lehnte sich zufrieden zurück. »Mit Verlaub – der Schwiegersohn könnte es nicht sein, Myla dy?« erkundigte sich Josuah Parker. »Er machte keinen sehr ver trauenswürdigen Eindruck, wenn Mylady diesen Hinweis gestat ten.« »Schwiegersöhne sind grundsätzlich verdächtig«, belehrte die Detektivin ihn umgehend. »Demnach könnte man Mister Reynolds senior von Myladys Lis te der Verdächtigen streichen und an seiner Stelle Mister Wilson aufnehmen?« vergewisserte sich Parker. »Muß ich denn alles allein machen?« Lady Agatha richtete sich auf und sah mißmutig von einem zum anderen. »Ich habe bereits die Generalrichtung abgesteckt«, fuhr sie fort. »Jetzt ist es Ihre Sache, Mister Parker, sich um unwichtige Details zu kümmern. Mister Rander kann Ihnen dabei helfen, es wird Zeit, daß er etwas 28
dazu lernt.« Sie stemmte sich aus ihrem Sessel und ging in Richtung Frei treppe, die ins obere Stockwerk zu ihren Privatgemächern führte. »Mir ist gerade eine Idee gekommen, die ich unbedingt zu Pa pier bringen muß«, erklärte sie. »Wir sehen uns zum Dinner.« »Was ist das für eine Idee, Mylady?« erkundigte sich Kathy Por ter neugierig. Die Hausherrin wehrte erschrocken ab und hob die Hände. »Es bringt Unglück, wenn ein künstlerischer Mensch seine Ideen preisgibt, bevor er sie in irgendeiner Form fixiert hat.« »Na, dann…« Kathy Porter, die ebenso wie Mike Rander und Parker wußte, daß Mylady der Ruhe frönen wollte, resignierte lächelnd. »Was habe ich nach dem Dinner eigentlich vor, Mister Parker?« wollte sie noch wissen, während sie vom Treppenabsatz auf ihren Butler herabschaute. »Möglicherweise wollen sich Mylady einem neuen Kapitel wid men«, vermutete Parker. Agatha Simpson runzelte mürrisch die Stirn. »Nicht heute a bend, Mister Parker. Wahrscheinlich wollen Sie hinter meinem Rücken wieder das Haus verlassen.« »Keinesfalls und mitnichten, Mylady. Allerdings müßte man in den späten Abendstunden einen kleinen Spaziergang unterneh men, um sich mit Mister Pickett auszutauschen.« »Papperlapapp, daraus wird nichts, Mister Parker, keine Eigen mächtigkeiten mehr. Ich werde Sie begleiten und auf Sie aufpas sen. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen.« »Myladys Fürsorge ist beschämend«, behauptete Parker, ohne mit der Wimper zu zucken. Hinter ihm kicherten Kathy Porter und Mike Rander ungeniert vor sich hin. »Ich hoffe, Sie haben etwas Abwechslung zu bieten«, fügte die Hausherrin hinzu. »Sie wissen, ich langweile mich nicht gern.« »Möglicherweise ist ein Anschlag auf Myladys Haus geplant«, gab der Butler zu bedenken. »In diesem Fall wäre es gut, wenn Mylady zu Hause wäre, um solch ungehörigem Tun Einhalt zu gebieten.« »Nun ja, dann müssen die Gangster eben warten, bis ich wieder zurück bin«, entschied sie. »Ich kann mich schließlich nicht teilen, Mister Parker.«
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»Ein Boxkampf, Mister Pickett?« wunderte sich die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und befand sich auf dem Weg zu dem vereinbarten Treffen mit Horace Pickett, dem ehemaligen Eigentumsumverteiler. »So ist es, Mylady«, bestätigte der Butler vom Volant her. »Man ging davon aus, daß ein solches Treffen in der zu erwartenden Menschenmenge untergeht und mit Sicherheit nicht beachtet wird.« »Schon möglich, Mister Parker«, bestätigte sie und nickte. »Sie wissen, ich begebe mich zu Studienzwecken gerne unters Volk.« »Meine Wenigkeit könnte Mylady auch zu einem in der Nähe ge legenen Restaurant von beachtlichem Ruf fahren und nach dem Treffen dort wieder abholen«, schlug Parker gemessen vor. »Da kann ich anschließend hingehen«, überlegte sie. »Auf die ser Veranstaltung werden doch sicher auch gewisse Kleinigkeiten angeboten?« »Mylady können mit einer bescheidenen Verköstigung rechnen. Vom kulinarischen Standpunkt aus betrachtet, dürfte das Angebot allerdings unbefriedigend sein.« »Man muß sich begnügen können, Mister Parker«, seufzte die ältere Dame. »Sie wissen, ich stelle keine großen Ansprüche.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, stimmte Parker höflich zu. »Ich möchte natürlich vorn am Ring sitzen, Mister Parker«, be merkte sie, nachdem der Butler das ehemalige Taxi auf dem Parkplatz abgeschlossen hatte. »Man wird sich bemühen, entsprechende Karten zu erstehen«, versprach er gemessen. »Was gibt es dort drüben?« wollte sie plötzlich wissen und deu tete auf einen dicht umlagerten Stand. »Man bietet dort anscheinend begehrte Kleinigkeiten zu essen an«, vermutete Parker. »Besorgen Sie mir etwas davon.« »Wie Mylady wünschen.« Parker lüftete die Melone und entfern te sich. Während seine Herrin vor einer Plakatwand die ange schlagenen Ankündigungen studierte. »Sogenannte Bratwürstchen, Mylady«, meldete Parker kurze Zeit später, als er zurück war. Er reichte Lady Simpson einen 30
Pappteller und eine Papierserviette und wünschte ihr guten Appe tit. »Da bin ich gespannt, Mister Parker«, bemerkte sie und muster te neugierig das duftende Gebilde auf dem Pappteller. »Eine kontinentale Spezialität, Mylady«, verriet Parker. »Ein deutschstämmiger Mitbürger bietet sie auf Sportveranstaltungen vom Grill an.« »Nicht schlecht«, fand die ältere Dame, nachdem sie herzhaft abgebissen hatte. Sie hatte schnell das erste Würstchen vertilgt und beschäftigte sich bereits hingebungsvoll mit dem zweiten. »Direkt am Ring ist bedauerlicherweise nichts mehr frei«, teilte Parker seiner Herrin kurze Zeit später mit. »Das kann doch wohl nicht sein, Mister Parker«, empörte sie sich und sah sich suchend um. »Vielleicht möchte jemand tau schen?« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker lüftete die Melone und ging gemessenen Schrittes auf einige Männer mittleren Alters zu, die neben dem Eingang standen und in heftige Diskussion verwickelt waren. »Pardon, die Herren, wenn man möglicherweise stören dürfte?« entschuldigte sich Parker, während er zu der kleinen Gruppe trat. »Die Herren verfügen eventuell über Karten für die erste Rei he?« erkundigte sich der Butler höflich. »Und wenn, Mann?« reagierte einer der Männer, ein robust aus sehender Mittvierziger, grob. »Würde man gerne einen Tausch vorschlagen«, antwortete Par ker gemessen. »Ach nee?« »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler ruhig. »Lady Simpson, der zu dienen ich den Vorzug habe, legt aus gewissen Gründen Wert darauf, das Geschehen aus der ersten Reihe zu verfolgen. Meine Wenigkeit wäre bereit, für einen entsprechenden Wertaus gleich zu sorgen. Zwanzig Pfund dürften ein faires Angebot sein.« »Ich hätte ‘n besseren Vorschlag«, grinste ein Mann in Lederja cke. »Wir behalten unsere Karten und du deine, und zusätzlich rückst du hundert Pfund raus, okay?« »Ihr Vorschlag entbehrt nicht einer gewissen Unausgewogen heit, Sir«, bemängelte Parker. »Genug diskutiert«, fand der Mann, der plötzlich ein Messer in der Hand hielt. »Her mit dem Geld, oder ich werde ungemütlich!« 31
»Sie haben die Absicht, von der Waffe Gebrauch zu machen, Sir?« erkundigte sich Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ich werd’ dich damit gleich ‘n bißchen kitzeln, wenn du nicht sofort die Scheinchen rausrückst«, drohte der Mann und hob den Arm, um auf Parker einzudringen. »Ihr Benehmen läßt zu wünschen übrig, Sir«, fand Parker, lüfte te zur Verblüffung des Angreifers die Melone und… ließ sie vor seine Hemdbrust fallen. Der Messerheld konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen und machte eine schmerzhafte Erfahrung. Die Messerspitze traf auf die Wölbung von Parkers Kopfbedeckung und rutschte dank der Stahlblechfütterung daran ab. Das Handgelenk des Angreifers wurde ein wenig gestaucht und vermittelte seinem Besitzer ein recht unangenehmes Schmerz empfinden. Der Mann in der Lederjacke ließ die Waffe fallen und heulte vor Wut. Er umfaßte die malträtierte Körperstelle mit der anderen Hand und blickte den Butler anklagend an, der inzwi schen das Messer in den unergründlichen Tiefen seines Coverco ats hatte verschwinden lassen. »Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« erkundigte sich Lady A gatha ungeduldig. Sie trat näher und war offensichtlich etwas ungehalten über die Zeit, die der Butler zum Umtausch der Kar ten benötigte. »Meine Wenigkeit, Mylady, hatte eine kleine Meinungsverschie denheit«, entschuldigte sich Parker höflich. »Die Herren erlaubten sich, meine bescheidene Person mit dem Messer zu attackieren.« »Und damit letzten Endes mich, Mister Parker«, freute sie sich und musterte die vor ihr stehenden Leute kriegerisch. »Wie kommen Sie dazu, meinen Butler anzugreifen?« herrschte die ältere Dame den ihr zunächst Stehenden an und runzelte un willig die Stirn. Dieser untersetzte und stiernackige Mann war mit Sicherheit nicht mehr ganz nüchtern. Er rollte seine Schultern unter dem schnuddeligen T-Shirt und wandte sich feixend an seine Umge bung. »Habt ihr das gehört, Jungs?« erkundigte er sich mit dröhnender Stimme. »Die alte Fregatte will was von mir. Wie findet ihr das?« Er hatte keine Gelegenheit mehr, den Beifall seiner Komplicen zu genießen. Lady Agatha hatte Maß genommen und rief ihn mit 32
tels einer energischen Ohrfeige zur Ordnung. Der Schmuddelige wurde von den Beinen gerissen, segelte einige Meter rückwärts durch die Luft und landete unsanft an einem Hydranten. Die beiden übrigen Männer sahen sich betreten an. Sie überleg ten einen Augenblick, nickten sich zu und wandten sich mit unsi cherer Stimme an den Butler. »Wie war doch gleich Ihr Angebot, Sir?« wollten sie wissen. »Klang im Prinzip nicht schlecht.« »Man stellt Ihnen zwei Karten der dritten Reihe sowie das Geld für zwei weitere zur Verfügung, außerdem erhalten die Herren zwanzig Pfund als Wertausgleich«, erläuterte Parker gemessen und trat mit den beiden Männern etwas abseits, um das Tausch geschäft abzuwickeln. »Sie haben sich sicher übervorteilen lassen, Mister Parker«, monierte Lady Agatha, während sie durch die Menge der Besu cher pflügte und in die große Halle strebte. »Keinesfalls und mitnichten, Mylady«, versicherte Parker ge messen. »Man kann hier auch Wetten abschließen?« erkundigte sie sich und musterte erfreut einen Mann in weißem Kittel, der durch die Reihen ging und die Besucher lautstark animierte. »In der Tat, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. »Allerdings soll es dabei nicht immer korrekt zugehen, wie man hört.« »Eine Lady Simpson betrügt man nicht«, stellte die resolute Dame selbstbewußt fest und winkte dem Wettenanbieter. * »Man wünscht einen angenehmen und unterhaltsamen Abend, Mister Pickett«, begrüßte Josuah Parker den ehemaligen Eigen tumsumverteiler. Horace Pickett war ein schlanker, sich aufrecht haltender Mann um die sechzig, der an einen pensionierten Kolonialoffizier erin nerte. In früheren Jahren hatte Pickett betuchte Bürger, die sich durchaus einen Verlust leisten konnten, um ihre Brieftaschen er leichtert, bis er an einen Mafia-Boß geriet, der sich als ausgespro chen nachtragend erwies. Ein gewisser Josuah Parker befreite Pickett aus seiner Notlage und führte ihn auf den vielzitierten Pfad der Tugend zurück. Seit 33
dem war Pickett oft und gern für Lady Agatha und den Butler tä tig und rechnete es sich zur Ehre an, bei der Aufklärung diverser Kriminalfälle behilflich zu sein. »Lady Agatha scheint sich durchaus zu amüsieren«, stellte Pi ckett fest, nachdem er den Butler begrüßt hatte. Die beiden Män ner standen in einer Nische über den Rängen und blickten auf das Menschengewimmel unter sich. Etliche Reihen unter ihnen war Lady Agatha dabei, tempera mentvoll mit dem Wettenverkäufer zu verhandeln. »Mylady hat beschlossen, meine bescheidene Wenigkeit zu be gleiten und Milieustudien zu betreiben«, erklärte Parker würde voll. »Man darf davon ausgehen, daß Mylady einige Zeit von dem Geschehen in Anspruch genommen sein wird. Konnten Sie Nähe res über die Spedition Reynolds erfahren, wenn man auf den Zweck dieser Zusammenkunft kommen darf?« »Selbstverständlich, Mister Parker. Tja, das ist schon irgendwie merkwürdig, muß ich sagen.« Pickett nippte an seinem Whisky glas und sah den Butler nachdenklich an. »Bis vor einem Jahr war Reynolds eine hochrenommierte Spedi tion, der man bedenkenlos die Kronjuwelen hätte anvertrauen können.« »Vor mehr oder weniger genau einem Jahr trat der nunmehrige Schwiegersohn Mister Reynolds’ in die Firma ein«, erinnerte sich Parker. »So ist es, Mister Parker, ich sehe, Sie waren zwischenzeitlich auch nicht untätig.« »Meine Wenigkeit besuchte die Firma Reynolds«, berichtete Par ker. »Dabei lernte man auch Mister Wilson, den Schwiegersohn und Geschäftsführer, kennen.« »Seitdem der Mann in der Firma ist, hat es eine Reihe von merkwürdigen Verlusten gegeben«, berichtete Pikkett. »Plötzlich verschwanden Lastzüge der Firma und wurden später wieder leer gefunden. Einige verschwanden ganz und tauchten nie wieder auf, oder sie verunglückten, und die Fracht wurde dabei vernich tet.« »Es dürfte sich also nicht empfehlen, die Firma Reynolds zur Zeit mit dem Transport höherwertiger Güter zu beauftragen«, erkundigte sich Parker gemessen. »Auf keinen Fall, Mister Parker«, wehrte Horace Pickett ab. »Das wäre der sicherste Weg, sein Eigentum loszuwerden.« 34
»Es wurde berichtet, daß die Firma Schwierigkeiten hat, trotz einer gewissen Expansion geeignetes Personal, insbesondere Fah rer zu finden«, merkte Parker an. »Kein Wunder.« Horace Pickett lachte leise. »Wer möchte sich schon gern in der Türkei oder sonstwo im Vorderen Orient verhaf ten lassen und ins Gefängnis wandern? Genau das ist nämlich einigen Fahrern von Reynolds passiert. Ihre LKWs wurden kon trolliert, und bei dieser Gelegenheit wurden beträchtliche Mengen von Drogen gefunden, von deren Existenz die Fahrer angeblich keine Ahnung hatten – was ich ihnen übrigens sogar abnehmen würde. Aber die Gefängnisse in diesen Regionen sind nunmal alles andere als komfortabel, und die Methoden, derer sich die Behör den dort bedienen, entsprechen nicht unbedingt unseren Vorstel lungen.« »Was die Überlegungen meiner bescheidenen Person betrifft, Mister Pickett, so geht man davon aus, daß man durch entspre chende Zahlungen genauere Überprüfungen seitens der dortigen Behörden vermeidet«, gab Josuah Parker zu bedenken. »Mit Sicherheit hat man das auch getan, Mister Parker«, erwi derte Horace Pickett achselzuckend. »In der Branche geht das Gerücht, daß ein Konkurrent den Behörden dort noch höhere Summen gezahlt hat, damit die Fahrzeuge der Firma Reynolds genauer unter die Lupe genommen werden.« »Das würde manches erklären«, überlegte Parker. »Wie sehen Sie nun die Situation des Mister Reynolds senior?« »Der alte Herr hat nichts mehr zu sagen, Mister Parker, der wird nur noch als Aushängeschild gebraucht«, wußte Horace Pickett zu berichten. »Sein Schwiegersohn hat ihn voll und ganz in der Hand.« »Und das Faustpfand dürfte die Tochter Mister Reynolds’ sein?« vermutete Parker. »So ist es, Mister Parker. Reynolds ist sozusagen Gefangener in seiner eigenen Firma.« »Ähnliches hat man bereits vermutet, Mister Pickett. Ihre In formationen sind wie immer außerordentlich interessant und auf schlußreich.« »Sie schmeicheln mir, Mister Parker. Lady Agatha scheint übri gens ein wenig unzufrieden zu sein, um es gelinde auszudrü cken.« Diesen Eindruck hatte auch Parker. Selbstverständlich hatte er 35
als perfekter Butler seine Herrschaft keine Sekunde aus den Au gen gelassen, um sofort zur Stelle zu sein, wenn er gebraucht wurde. Agatha Simpson sah angestrengt zum Ring hinüber und schien mit dem Geschehen überhaupt nicht einverstanden zu sein. Sie war aufgesprungen, gestikulierte mit den Armen in der Luft her um und schien einen der Kämpfer anzufeuern. »Sie wird doch nicht etwa auf den falschen Mann gewettet ha ben?« vermutete Horace Pickett und lächelte. »Mylady pflegt sich grundsätzlich nicht zu irren«, gab Parker zu rück. »Allerdings sollte man bedenken, daß bei solchen Veranstal tungen gern regulierend eingegriffen wird.« »Das haben Sie sehr hübsch formuliert, Mister Parker«, freute sich der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Womit Sie sehr richtig feststellen wollten, daß geschoben wird, um es mal vulgär auszu drücken.« »Sie treffen den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, Mister Pi ckett«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Wenn Sie gestatten, wird sich meine bescheidene Wenigkeit zurückbegeben, um besänftigend auf Mylady einzuwirken.« »Eine wirklich nicht ganz leichte Aufgabe«, wußte Pickett und nickte dem Butler aufmunternd zu. »Dennoch, viel Glück, Mister Parker!« »Man dankt, Mister Pickett.« Josuah Parker begab sich zu seiner Herrin. Agatha Simpson hatte inzwischen ihren Platz verlassen und stand direkt am Ring. Sie hatte ihre Hände auf die Stelle gelegt und gab ihrem Favoriten in beschwörendem Ton Tips. »Mylady beschäftigen sich damit, einen der Faustkämpfer zu coachen?« erkundigte sich Parker diskret, als er seine Herrin er reicht hatte. »Wenn er doch nur auf mich hören würde!« klagte sie und schüttelte heftig den Kopf. »Der Mann hat ja keine Ahnung vom Boxen. Wieso haben Sie mir nur geraten, ausgerechnet auf die sen Versager zu wetten?« »Möglicherweise dürfte ein Mißverständnis im Spiel sein, Myla dy«, vermutete Parker. »Wie dem auch sei, aus dem Mann wird nie etwas«, stellte sie fest und schaute wieder in den Ring. Ihr Favorit wurde gerade von einem Schwinger seines Gegners ge troffen und in die Seile katapultiert. 36
»Stellen Sie sich nicht so an, junger Mann«, raunzte die ältere Dame. Der Boxer hatte das Pech, ausgerechnet auf Myladys Seite in die Seile zu fliegen und so ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit zuteil zu werden. »Was’n los?« murmelte der junge Mann und drehte sich auf die Seite, um sich auszuruhen. »Das ist ja wohl die Höhe!« Agatha Simpson griff durch die Sei le und rüttelte den Boxer resolut an der Schulter. »Schämen Sie sich nicht?« wollte sie wissen. »Und auf so einen Waschlappen habe ich zehn Pfund gesetzt. Wollen Sie mich denn ruinieren?« »Lassen Sie den Mann in Ruhe!« Der Ringrichter war an die Sei le getreten und wies Lady Agatha energisch zurück. »Man wird doch wohl noch seinen Favoriten anfeuern dürfen«, bemerkte sie spitz. »Alles hat seine Grenzen, Lady«, entgegnete der Ringrichter. »Außerdem Ihre Anfeuerung kommt zu spät, der ist hinüber.« »Sie wollen doch nicht sagen, daß er gegen dieses Leichtge wicht verloren hat?« Lady Agatha richtete sich empört auf und wies mit der ausgestreckten Hand auf den Gegner ihres Favori ten. Der Champion stand lässig in seiner Ecke und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Er wußte um seine Überlegenheit und stellte sie demonstrativ zur Schau. Lady Agatha sah das anders. »Den kann man doch umpusten«, verkündete sie zur Gaudi der in der Nähe sitzenden Besucher. »Wie kann man sich denn von diesem Menschen auspunkten lassen?« »Na, Oma, du hast wohl auf den Falschen gesetzt?« Der siegrei che Boxer war endlich auf die ältere Dame aufmerksam geworden und kam langsam näher. »Bilden Sie sich nur nichts darauf ein, junger Mann«, wies sie ihn zurecht. »Den hätte ich auch geschafft.« Die Zuschauer links und rechts johlten. Lady Agatha fühlte sich dadurch angefeuert und faßte den Athleten im Ring genauer ins Auge. »Und Sie lege ich auch aufs Kreuz«, verkündete sie und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite. Der Boxer war sichtlich perplex. »Wie bitte?« erkundigte er sich und legte die Handflächen hinter seine Ohrmuscheln. 37
»Als Dame kann ich natürlich nicht gegen Sie antreten«, fuhr die Detektivin animiert fort. »Könnte ich das, hätten Sie schlechte Karten, Sie Lümmel.« Der >Lümmel< schluckte und sah sich hilflos um. Dann brannte bei ihm die Sicherung durch und er bog die Seile auseinander, um sein Gesicht ganz dicht vor das der älteren Dame zu halten. »Warum eigentlich nicht?« zischte er wütend. »Sie trauen sich also?« fragte die Detektivin erfreut. * »Mylady sollten sich auf keinen Fall provozieren lassen«, emp fahl Josuah Parker. »Es gibt für alles Grenzen, Mister Parker«, gab die ältere Dame zurück. Während sie sich erhob und eine Hand auf eines der Ringseile legte. »Ich lasse mir nicht nachsagen, ich hätte geknif fen.« Lady Agatha war nicht mehr zu halten. Der siegreiche Boxer starrte aus hervorquellenden Augen auf die ältere Dame, die ihm plötzlich gegenüberstand. Auch der Ringrichter wußte nicht so recht, wie er reagieren sollte. Er entschloß sich schließlich, seinen Amtsbonus geltend zu machen. »So geht das nicht«, schrie er und schob sich an dem abwar tend stehenden Boxer vorbei. »Nicht so stürmisch, junger Mann, einer nach dem anderen.« Lady Agatha legte eine Hand auf die Hemdbrust des Schiedsrich ters und drückte ihn mühelos zur Seite. »Aber keine Angst«, fuhr sie fort und lächelte freundlich. »Wenn ich mit diesem Lümmel hier fertig bin, dürfen Sie gern gegen mich antreten.« Der Schiedsrichter, ein gestandener Mann um die fünfzig und alter Hase im Boxsport, schluckte trocken und wischte sich ver stohlen den Schweiß von der Stirn. Lady Agathas baritonal gefärbtes Organ trug mühelos weit in den Saal, so daß sie von den meisten Besuchern gut verstanden wurde. Ganz allgemein erwartete man eine kleine Sensation. Die Mitar beiter einiger Lokalblätter hatten sich um den Ring postiert und schossen die ersten Fotos. Lady Agatha stülpte sich ihre wie eine Kreuzung von Napfku 38
chen und Südwester anmutende Hutschöpfung, die sie abge nommen hatte, wieder auf den Kopf und hängte sich den perlen bestickten Handbeutel über den rechten Unterarm. Sie nickte dem immer noch wie die sprichwörtliche Salzsäule stehenden Bo xer aufmunternd zu und wartete auf die Eröffnung des Kampfes. »Was ist nun, junger Mann?« wollte sie wissen. »Fangen wir an?« Der >junge Mann< war sichtlich konsterniert. Er stand mit hän genden Armen da und konnte sich zu keiner Reaktion aufraffen. »Das ist gegen die Regeln«, meldete sich dafür der Schiedsrich ter zu Wort, der inzwischen seine Erstarrung überwunden hatte. »Unsinn! Wie kommen Sie denn darauf?« wies ihn die ältere Dame unwirsch ab. »Ein solcher Kampf ist in den Regeln nicht vorgesehen«, machte er geltend. »Dann ist er auch nicht verboten«, gab sie resolut zurück und schwang die Fäuste probeweise. Die Stimmung im Saal begann zu kochen und nahm südländische Ausmaße an. »Außerdem tragen Sie nicht die vorgeschriebene Bekleidung«, reklamierte der Schiedsrichter halbherzig. »Sie haben ja nicht mal Boxhandschuhe.« »Genau«, mischte sich ihr >Gegner< ein und nickte eifrig. »Also machen Sie schon, daß Sie aus dem Ring kommen, die Show ist aus, Oma.« »War das eine Beleidigung, Mister Parker?« Sie drehte den Kopf und sah den Butler unten am Ring fragend an. »Mitnichten, Mylady.« Parker lüftete die Melone. »Die Bemer kung dürfte aus einer gewissen nervlichen Streßsituation heraus gefallen sein. Mylady sollten sich möglicherweise großzügig zei gen und dem jungen Mann verzeihen.« »Stimmt, war doch nicht so gemeint, altes Haus«, zeigte sich der Boxer erleichtert und vergriff sich erneut im Ton. »Schluß jetzt, Sie Lümmel! Wollen Sie nun kämpfen oder sich drücken?« Agatha Simpson wurde allmählich ungeduldig und wollte aktiv werden. Auch das Publikum wollte endlich etwas sehen für sein Geld. Man forderte lautstark den Beginn der Auseinandersetzung. Die Wettverkäufer paßten sich der neuen Situation flexibel an und boten umgehend Wetten für den ungewöhnlichen Kampf. Dabei zeigte es sich, daß die ältere Dame beim Publikum nicht in 39
schlechtem Ansehen stand. »Jetzt reicht’s, Schluß aus, Ende!« Der Schiedsrichter warf sich in einer Aufwallung von Verzweiflung und Heldenmut zwischen die beiden Kontrahenten. Das war sein Pech. Lady Agatha hatte bereits ausgeholt, traf ihn am Kinn und wischte ihn ein wenig zur Seite. Aus dieser Richtung kam un glücklicherweise die Faust des Boxers und streifte seine Nase o berflächlich. Der Ringrichter ging in die Knie, blieb einen Moment wie in Andacht versunken hocken und legte sich dann lang. Das Publikum raste vor Begeisterung. Man johlte und geriet au ßer Rand und Band. Einige jüngere Männer aus den hinteren Rei hen fingen lautstark an, den zu Boden gegangenen Schiedsrichter auszuzählen. Lady Agatha strahlte übers ganze Gesicht und grüßte mit erho benen Fäusten ins Publikum. Ihr Widerpart stand neben ihr und blickte betreten vor sich hin. »Ausgezeichnetes Publikum, Mister Parker«, stellte sie fest, während sie sich an den Butler wandte und dankend eine Flasche Mineralwasser entgegennahm. »Außerordentlich sachverständig und fair.« »Man scheint Mylady gegenüber bemerkenswerte Sympathien aufzubringen«, stimmte der Butler zu. »Man liebt mich, Mister Parker«, stellte die ältere Dame klar und nahm einen Kreislaufbeschleuniger in Form eines alten, fran zösischen Cognacs zu sich, den Parker ihr im Becher seiner Ta schenflasche reichte. »Mir reicht’s, ich verschwinde«, verkündete der junge Boxer und schickte sich an, den Ring zu verlassen. Er sah sich um seine Show gebracht und hatte keine Lust, sich noch länger an dem Spektakel zu beteiligen. Das gefiel dem Publikum keineswegs. Lautstark wurde er aufge fordert, im Ring zu bleiben und sich zu stellen. Der Modellathlet war jedoch nicht damit einverstanden und zeigte dies den Besuchern deutlich. Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und streckte außerdem die Zunge heraus. Lady Agatha erstarrte. Sie reichte Parker den Becher zurück und schüttelte mißbilligend den Kopf. Der Bursche wagte es, sie öf fentlich zu beleidigen. Er hatte ihr den Vogel gezeigt und außer dem die Zunge herausgestreckt. Energisch schritt Agatha Simpson zur Vergeltung. Sie stampfte 40
mit der Zartheit einer entfesselten Dampfwalze auf den entsetzt blickenden Athleten zu, dem dämmerte, daß er gleich Opfer eines Mißverständnisses werden würde. Mit der düsteren Voraussicht lag er richtig. Lady Agathas Rechte legte sich klatschend auf seine Wange und hinterließ dort einen roten Fleck. Der Gemaßregelte hob die behandschuhte Faust und wollte nach der getroffenen Stelle greifen. Mylady sah darin einen tätlichen Angriff und wehrte ihn souve rän ab. Ihr rechter Fuß zuckte vor und tippte gegen das Schien bein des entnervten Boxers. Der junge Mann schrie auf und be gann eine kleine Tanzeinlage. Dabei geriet er erneut in Myladys Reichweite und wurde von ih rem Handbeutel gestreift, der in Schwung geraten war und an den langen Schnüren in die Höhe flog. Im Pompadour befand sich der sogenannte Glücksbringer. Er enthielt ein stämmiges Hufeisen, das einem soliden Brauereipferd als >Fußbekleidung< gedient hatte. Aus humanitären Gründen war dieses Hufeisen allerdings mit einer Lage dünnen Schaum stoffes oberflächlich umwickelt. Der Glücksbringer traf das Brustbein des Boxers und ließ ihn auf die Zehenspitzen steigen. Er stierte anklagend auf die ältere Da me, schüttelte hilflos den Kopf und setzte sich dann auf den stau bigen Ringboden, um sich von der Attacke zu erholen. Einen Mo ment später kippte er zur Seite und beschloß, die Augen für ein paar Minuten zu schließen, um diesem Alptraum zu entkommen. Das Publikum war nicht mehr zu halten und jubelte der älteren Dame frenetisch zu. Nur Josuah Parker, der nach wie vor am Ring stand, blieb ungerührt. Auch Horace Pickett war von Myladys Leistung entzückt. Zwar stand er nicht auf einer Bank, um Lady Agatha zuzujubeln, aber er schob sich neben den Butler und knuffte diesen in die Seite, um ihm seine Begeisterung mitzutei len. »Pardon, Mister Parker, da ist offensichtlich mein Temperament mit mir durchgegangen«, entschuldigte er sich umgehend. Josuah Parker kam nicht zur Antwort. Er half seiner Herrin aus dem Ring und reichte ihr ein Handtuch, das er aufgetrieben hatte. »Wo wird denn hier die Börse ausbezahlt?« wollte sie wissen und sah sich suchend um. »Ich finde, die habe ich mir reichlich verdient, Mister Parker.«
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»Da scheinen wir ja eine echte Sensation verpaßt zu haben«, wandte sich Mike Rander grinsend an Kathy Porter, die neben ihm saß. Man befand sich im kleinen Salon des altehrwürdigen Fachwerk hauses beim gemeinsamen Frühstück. Parker hatte in Myladys Auftrag hierzu eingeladen, weil sie danach dürstete, ihre neues ten Erlebnisse weiterzugeben. »Ich habe diesen Möchtegern-Sportlern mal gezeigt, wo es lang geht«, äußerte die Hausherrin voller Zufriedenheit. Sie lächelte versonnen und deutete einen Schwinger an, der den Anwalt ve ranlaßte, den Kopf zurückzunehmen. »Ist ein solcher Kampf denn überhaupt erlaubt?« wunderte sich Kathy Porter. »Ich habe noch nie gehört, daß sich im Ring ein Mann und eine Frau gegenüberstehen.« »Danach habe ich natürlich gar nicht erst gefragt«, gab die pas sionierte Detektivin zurück. »Dieser Lümmel hat mich herausge fordert, also habe ich sein Angebot angenommen und bin gegen ihn angetreten.« »Wie war das noch mal mit der Börse?« erkundigte sich Mike Rander. »Man händigte Mylady zweihundert Pfund aus«, erläuterte Par ker gemessen. »Dies ist der Satz, den man bei solchen Veranstal tungen üblicherweise bezahlt, wie zu hören war.« »Nun ja, ich mußte allerdings erst energisch werden«, erinnerte sich die ältere Dame lächelnd. »Ich habe den Hallenmanager nachdrücklich darauf hingewiesen, daß mir diese Gage zusteht.« »Er hat diesen Hinweis doch einigermaßen überstanden?« be merkte Rander sarkastisch. »Er erlitt eine an sich unbedeutende Gleichgewichtsstörung«, gab Parker Auskunft. »Danach zeigte er sich Myladys Anliegen gegenüber außerordentlich aufgeschlossen.« »Er ist gestolpert, Mister Parker, weiter nichts«, machte die Hausherrin deutlich. »Ich habe ihn jedenfalls kaum berührt.« »Als Tatbestand würde man sagen: oberflächlich«, stimmte der Butler zu. »Der junge Mann warf sich förmlich in Myladys ausrut schende Hand.« »Genauso war es«, freute sich die resolute Dame. »Aber danach 42
war er sehr vernünftig.« »Die Zuschauer müssen begeistert gewesen sein«, vermutete Kathy Porter. »Sie haben mich auf den Schultern aus der Halle getragen und förmlich darum gebeten, bald wieder einen Kampf zu geben«, erwiderte die Hausherrin nur zu gern. »Tatsächlich?« äußerte sich Mike Rander in zweifelndem Ton. »Dem war in der Tat so, Sir«, bestätigte Parker gemessen. »Man bemächtigte sich Myladys Person und trug sie im Triumph zug aus der Halle. Ein zufällig anwesender Boxpromotor bot Myla dy eine beträchtliche Summe, wenn sie bei ihm einen Vertrag unterschreibt.« »Woran ich übrigens ernsthaft denke«, überlegte Agatha Simp son. »Das war ja ein ausgesprochener Glücksfall«, gratulierte Mike Rander spöttisch. »So ist es, mein Junge, und ich gedenke diesen Glücksfall auch zu nutzen«, stimmte sie prompt zu. Lady Agatha blickte konsterniert zum Telefon, das sich gerade bemerkbar machte. »Was sind das bloß für Manieren?« klagte sie. »Um diese Zeit sitzt das ganze Königreich beim Frühstück.« »Ein bedauerlicher Verfall der Sitten«, stimmte der Butler ihr zu und begab sich gemessen zum Telefon, um abzuheben. Er hörte einen Moment schweigend zu, dann bedankte er sich für den Anruf und wandte sich an die Hausherrin. »Sir Arthur Billings, Mylady«, sagte er. »Sir Arthur bittet wegen des frühen Anrufes um Entschuldigung, aber er wollte Mylady eine außerordentlich wichtige Information zukommen lassen.« »Billings von British Food?« erkundigte sich Mike Rander auf horchend. »In der Tat, Sir«, bestätigte Parker gemessen. »Sie kennen den Mann?« wunderte sich die ältere Dame und ließ die Gabel sinken. »Sie auch, Mylady«, lächelte Mike Rander. »Sir Arthur Billings ist der Vorstandsvorsitzende der British Food, die in ganz England Supermärkte betreibt.« »Ach die«, winkte die Hausherrin ab und schüttelte den Kopf. »Das ist doch diese Supermarktkette mit den unverschämten Preisen, nicht wahr, Mister Parker? Ich erinnere mich, daß ich Sie 43
mal in einen Laden dieser Firma begleitet habe. Ich bin damals fast zu Tode erschrocken über die Preise, die man den Leuten abnehmen will.« »Es handelt sich um ein Unternehmen, das nur Ware allerbester Qualität anbietet«, sagte Parker höflich. »Und Qualität hat be kanntlich ihren Preis, wie der Volksmund zu sagen pflegt.« »Papperlapapp, Mister Parker, mir streut man keinen Sand in die Augen.« Lady Agatha ließ sich nicht beirren. »Das mit der Qualität ist nur ein Vorwand, um die Preise hochzutreiben.« Die Detektivin nickte heftig und fuhr geringschätzig mit der Hand durch die Luft. »Nur Leute, die nicht Bescheid wissen, kaufen bei dieser Firma, Mister Parker.« »Die Liste der Food-Gesellschafter liest sich wie ein Almanach der besten britischen Gesellschaft, Mylady«, mischte sich Mike Rander ins Gespräch. »Wissen Sie übrigens, wer der Hauptgesell schafter ist?« Lady Agatha winkte erst ab, bezwang dann aber doch nicht ihre Neugier. »Also gut, wenn Sie diese Information unbedingt los werden wollen… Wer ist es schon?« »Sie, Mylady!« Mike Rander lächelte entwaffnend. Die ältere Dame musterte ihn stirnrunzelnd und räusperte sich. »Nun ja«, bemerkte sie und widmete sich ihrer Teetasse. »Wie Mister Parker schon sehr richtig sagte, Qualität hat eben ihren Preis.« Sie räusperte sich erneut und wandte sich an den Butler. »Was wollte Sir Anthony um diese unmögliche Zeit von mir? Er hat doch sicher nicht angerufen, um mich über günstige Angebote zu un terrichten.« »Von einem Angebot sprach Sir Anthony in der Tat«, gab Parker gemessen zurück. »Es kam von jemandem, der sich mit dem a nimalischen Pseudonym >Klapperschlange< bezeichnet und von Sir Arthur beziehungsweise der British Food die Zahlung von einer Million Pfund verlangt. Ansonsten würde besagte >Klapperschlan ge< eine Reihe nicht näher bezeichneter Lebensmittel in den Märkten der Firma vergiften.« »Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Lady Agatha zeigte flammende Empörung. »Man versucht, eine Firma zu erpressen, an der ich beteiligt bin? Habe ich es richtig verstanden, Mister Parker?« »So ist es, Mylady.« Der Butler nickte ungerührt. 44
»Das geht zu weit.« Die ältere Dame schüttelte entschieden den Kopf. »Ich werde diese Klapperschlange zur Strecke bringen.« Agatha Simpson schnaufte empört und griff nach ihrem Kreis laufbeschleuniger, den der Butler vorsichtshalber servierte. »Mylady haben bereits bestimmte Vorstellungen?« erkundigte sich Parker höflich. »Ich kümmere mich nur um die große Linie, Mister Parker.« ließ sie sich vernehmen. »Deshalb dürfen Sie die Schlangengrube ausheben, ich treibe die Giftnudel dann hinein.« »Wie Mylady wünschen«, gab der Butler zurück und verneigte sich andeutungsweise. * Josuah Parker hatte die Klappe eines Wandschränkchens im verglasten Vorflur geöffnet und blickte auf einen Monitor, der sich eben belebte. Auf der Mattscheibe wurden zwei Männer mittleren Alters sichtbar, die vor der massiven Eingangstür des altehrwür digen Fachwerkhauses standen. Die Männer trugen Aktenkoffer und hatten mit Sicherheit keine Ahnung, daß man sie beobachte te. Sie sahen erwartungsvoll zur Tür und warteten darauf, Einlaß zu finden. »Bei Lady Simpson«, machte sich der Butler über die Gegen sprechanlage bemerkbar. »Wen darf man melden?« Die beiden Männer sahen sich bedeutungsvoll an und nickten sich zu. Obwohl sie nicht wußten, daß sie beobachtet wurden, rückten sie unwillkürlich ihre Krawatten zurecht. »Miller und Smith vom Königlichempirischen Institut«, gab der Mann mit der Glatze zurück. »Wir führen im Auftrag der Stadt eine Umfrage durch und würden in dieser Angelegenheit gern den Haushaltsvorstand sprechen.« »Man wird Mylady Ihr Anliegen vortragen«, versprach Parker via Sprechanlage und schaltete sie scheinbar ab. Die Männer hörten es im Lautsprecher neben der Tür knacken und grinsten. Sie gingen davon aus, daß sie nicht mehr gehört werden konnten und gaben sich völlig ungeniert. »Das haut hin, Junge, der Job ist so gut wie erledigt«, freute sich der Mann mit der Glatze, der Parker geantwortet hatte. Sein Partner war gut einen Kopf größer und erinnerte an eine 45
Vogelscheuche. Er hatte ein ausgemergeltes, düster wirkendes Gesicht und starrte finster vor sich hin. Sein Anzug schien ihm zu groß zu sein und schlotterte. »Die Prämie haben wir so gut wie im Sack«, stimmte er dem Glatzköpfigen zu. »Verstehe überhaupt nicht, warum der Boß so’n Theater um die alte Tante macht.« »Da müssen eben Profis wie wir ran«, bemerkte der Mann mit der Glatze. »Gegen uns haben Amateure wie die hier keine Chan ce.« Die Kerle griffen wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig in ihre Jacketts und nestelten daran herum. Parker, der den Bild schirm aufmerksam beobachtete, bemerkte erwartungsgemäß, daß die angeblichen Befrager der Stadt offensichtlich bewaffnet waren. Der Butler ließ es erneut im Lautsprecher knacken und vermit telte den Besuchern die Illusion, die Sprechanlage wieder einge schaltet zu haben. Die beiden Männer strafften sich unwillkürlich und nahmen so etwas wie Haltung an. Ihr kleines Gespräch wur de abgebrochen. Statt dessen starrten sie schweigend auf die Tür und warteten darauf, daß man ihnen endlich öffnete. Parker löste per Knopfdruck die elektrische Sperre des Tür schlosses und forderte die Männer höflich zum Eintreten auf. Der Glatzköpfige und die Vogelscheuche ließen sich nicht lange bitten und stürmten förmlich in den Eingang. Im Laufen zogen sie die Pistolen und richteten sie auf den Butler, der hinter der ver glasten Tür stand und ihnen ungerührt entgegen sah. Der Glatzköpfige drückte die Klinke nieder, woraufhin sich nichts tat. Verblüfft rüttelte er und schüttelte ratlos den Kopf, als sich die Tür nicht öffnen wollte. Sein an eine Vogelscheuche erinnernder Partner schien nicht viel von der Fähigkeit seines Kollegen zu halten. Er schob ihn bei seite und rüttelte seinerseits energisch an der Klinke. Aber auch ihm gelang es nicht, die Tür zu öffnen. »Sie sollten sich nicht allzu sehr echauffieren, meine Herren«, riet Josuah Parker. »Die Tür ist nur auf elektronischem Weg von innen zu öffnen.« »Was Sie nicht sagen!« Der Glatzköpfige starrte den Butler wü tend an. Dann preßte er die Mündung seiner Waffe gegen die Scheibe und grinste tückisch. »Na, Opa, wissen Sie zufällig, was das hier ist?« erkundigte er sich höhnisch. 46
»Eine Automatic des Fabrikats FN, Kaliber 7,65, hergestellt in Belgien, wenn sich meine bescheidene Person nicht täuscht«, gab Parker gemessen zurück. Der Kerl vor der Tür stierte ihn ungläu big an und schüttelte den Kopf. Dann sah er auf seine Pistole und musterte sie prüfend. Anscheinend hatte er selbst nicht gewußt, was für eine Waffe er benutzte. »Stimmt, Opa, und wenn Sie schon so schlau sind, wissen Sie ja auch, was für Löcher so’n Ding verursacht«, knurrte er. »Also machen Sie auf, bevor ich abdrücke.« »Dürfte man Sie auf ein kleines Problem aufmerksam machen, das dabei auftreten könnte?« sagte Parker höflich. »Die Scheibe besteht aus Panzerglas und dürfte Ihren Bemühungen mit Sicher heit standhalten.« »Das ist doch Bluff.« Der Glatzköpfige schüttelte den Kopf und hob die Pistole. Er schien einen Versuch wagen zu wollen. Der Mann, der einer Vogelscheuche glich, legte die Hand auf den Lauf und drückte die Waffe herunter. »Warte mal, was ist, wenn er die Wahrheit sagt?« »Weshalb sollten sich Amateure ‘ne schußsichere Glastür zuge legt haben?« fauchte der Mann mit der Glatze wütend. »Ich sage dir, der Schwarzkittel, will uns reinlegen, weiter nichts.« »Ich hab’ keine Lust, mir selbst ‘n Loch in’n Pelz zu brennen«, machte die Vogelscheuche klar. »So toll ist die Prämie nun auch wieder nicht.« »Na schön, wenn du meinst.« Der Glatzköpfige steckte seine Pistole ein und wandte sich ab. »Hauen wir eben wieder ab, das ist Pech, da kann man nichts machen.« Er zuckte die Achseln und griff nach der Klinke der Eingangstür, die sich aber störrisch zeig te. »Möglicherweise möchte Mylady einige Worte mit Ihnen wech seln«, gab Parker zu bedenken. »Aus diesem Grund sollten Sie noch einen Augenblick verweilen, bis meine bescheidene Wenig keit sich bei Mylady befragt hat.« Die beiden Männer verzichteten auf eine Antwort. Sie sahen ihre Felle davonschwimmen und hatten nur noch den Wunsch, schleu nigst zu verschwinden. Auch jetzt erwies sich die Vogelscheuche wieder als der aktivere Teil. Während der Glatzköpfige ratlos auf die massive Tür starrte, trat sein Komplice einige Schritte zurück und nahm Anlauf. Die schwere Tür nahm seinen Anprall kaum zur Kenntnis. Dafür tau 47
melte der dürre Mann schreiend zurück und rieb sich die schmer zende Schulter. »Blinder Eifer schadet nur, wie der Volksmund so treffend zu sagen weiß«, kommentierte der Butler seine Bemühungen. »Man hofft, daß Sie sich nicht ernsthaft verletzt haben, Sir.« »Weg da, laß mich mal!« Der Glatzköpfige verlor die Beherr schung und richtete die Pistole auf das Türschloß. Bevor Parker ihn warnen konnte, hatte er bereits abgedrückt. Die Kugel prallte aber zurück und sirrte als Querschläger durch den Raum. Die Ker le warfen sich zu Boden und legten schützend die Hände über die Köpfe. »Die Eingangstür hat einen Rahmen aus Edelstahl«, klärte Par ker auf, nachdem das Projektil mehrmals hin- und her geflogen, und schließlich kraftlos zu Boden gefallen war. »Auch das Schloß ist entsprechend geschützt. Dies zur Information der Herren.« »Lassen Sie uns raus hier«, wimmerte der Glatzköpfige und stemmte sich mühsam hoch. »Wenn Sie uns gehen lassen, ver gessen wir die ganze Angelegenheit, und Sie werden uns nie wie dersehen.« »Andernfalls werden Sie nichts zu lachen haben.« Auch die Vo gelscheuche hatte sich inzwischen wieder aufgerafft und soweit von ihrem Schrecken erholt, daß sie schon wieder Drohungen ausstoßen konnte. »Sie vergessen, daß Mylady möglicherweise mit Ihnen zu spre chen wünscht«, erinnerte Parker gemessen. Der Glatzköpfige fuchtelte wütend mit dem Kolben seiner Pisto le. Der Mann, der aussah wie eine Vogelscheuche, holte ein Feu erzeug aus der Tasche und hielt die Flamme an die Täfelung der Eingangstür. »Sie dürften beide eine kleine Erfrischung brauchen«, fand Par ker und drückte auf einen Knopf auf der Schalttafel neben dem Monitor im Wandschrank. Die beiden Männer im Vorraum zuckten erschrocken zusammen und sahen ungläubig nach oben. Dort hatten sich anscheinend einige Schleusen geöffnet. Eine wahre Sintflut stürzte herab. Die angeblichen Befrager ließen ihre Pistolen fallen und rissen sich die Jacketts vom Leib. Sie schlangen sie um die Köpfe und versuchten sich so klein wie möglich zu machen. »Man hofft, daß den Herren die Temperatur zusagt«, erkundigte sich Parker höflich. 48
»Das ist ja eiskalt«, jammerte der Glatzköpfige und fing an zu zittern. »Eine Wechseldusche ist der Gesundheit ungemein zuträglich, wie die Medizin zu berichten weiß.«, bemerkte Parker und drehte am Temperaturwähler. Einen Augenblick später verhüllten dichte Schwaden den Vorraum und ließen die Männer darin verschwin den. »Wollen Sie uns kochen?« brüllte einer der beiden aus dem Ne bel und hämmerte mit den Fäusten gegen die Glastür. »Keinesfalls und mitnichten, Sir«, versicherte Parker ihm und drosselte die Temperatur. »Was ist los, Mister Parker?« erkundigte sich in diesem Augen blick die Hausherrin. Sie hatte in der Halle ein Geräusch gehört und kam, um nach der Ursache zu forschen. »Mylady erhielten zwischenzeitlich Besuch«, meldete Parker. »Die Herren säubern sich gerade, bevor sie sich Mylady zu einem klärenden Gespräch zur Verfügung stellen.« »Lassen Sie mich mal.« Die Detektivin griff nach dem Tempera turregler. »Sie verwöhnen die Leute, Mister Parker!« Entschlossen stellte Mylady auf >kaltKlapperschlangeGoldene Anker< ist nicht e ben das, was man dem Normalbürger empfehlen könnte.« »Sie kennen den Laden also?« Mike Rander sah den Butler grin send an. »Hätte mich auch sehr gewundert, wenn es anders ge wesen wäre.« »Man verfügt in der Tat über gewisse Informationen«, räumte Parker ein. »Diese bedürfen allerdings einer gewissen Aktualisie rung, um es mal so zu formulieren.« »Mit anderen Worten, Sie werden diese Pinte mit Ihrem Besuch beehren«, übersetzte der Anwalt. »Da lasse ich Sie natürlich auf keinen Fall allein hingehen, ich werde Sie begleiten.« 54
»Ihre Gesellschaft wird meiner bescheidenen Wenigkeit ein Ver gnügen sein, Sir«, bedankte sich Parker höflich. »Ich weiß nicht, ob das das Richtige für Sie ist, mein lieber Jun ge«, meldete sich die ältere Dame besorgt zu Wort. »Lokale die ser Art sind wahre Brutstätten des Lasters. Wie leicht könnte da ein junger Mensch irreparablen Schaden an seiner Seele neh men.« »Ich würde das Risiko eingehen können, denke ich«, gab Mike Rander lächelnd zurück. »Was meinst du, Kathy?« »Ich nehme an, Mylady ist sowieso dabei und wird auf dich auf passen«, reagierte Kathy süffisant. »Ich denke, du kannst es wa gen.« »An und für sich setze ich keinen Fuß in solche Spelunken«, machte die ältere Dame deutlich. »Aber wenn es den Ermittlun gen dient, werde ich mich natürlich opfern.« »Wir gehen auch allein«, bot Mike Rander an, der natürlich ge nau wußte, wie gern die Detektivin Kneipen dieser Art besuchte, wobei allerdings eher von >heimsuchen< zu sprechen war. »Nein, mein lieber Junge, solche Ermittlungen führe ich lieber selbst«, wehrte sie ab. »Dafür braucht man Einfühlungsvermögen und das gewisse Händchen, und das habe ich nun mal.« Sie lächelte versonnen und blickte auf die Wanduhr im kleinen Salon. »Ich ziehe mich jetzt zurück, um an meinem neuen Krimi nalroman zu arbeiten«, kündigte sie an und erhob sich. »Mir sind da einige interessante Ideen gekommen.« Sie ging zur großen Freitreppe hinüber, die zu den Privatgemä chern im Obergeschoß führte, und hob mahnend den Zeigefinger. »Mister Parker, ich möchte bei diesem Besuch auf jeden Fall da bei sein, denken Sie daran!« »Mylady können sich wie stets auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, versprach der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Falls ich sehr intensiv nachdenken sollte, dürfen Sie mich stö ren und an den Besuch erinnern«, teilte sie mit und schritt nach oben. »Das heißt, daß sie sich schlafen legt und geweckt werden muß, Parker. Wir werden also nicht allein gehen können und uns hin terher damit entschuldigen, daß sie nicht gestört werden sollte«, murmelte Rander und blickte Parker und Kathy an. »Dem >Goldenen Anker< steht ein ereignisreicher Abend bevor, 55
Sir«, vermutete Parker, während er seiner Herrin nachsah. * »Das gefällt mir aber gar nicht, Kindchen«, bemerkte die ältere Dame. Sie sah Kathy Porter, die neben Parkers hochbeinigem Monstrum wartete, stirnrunzelnd an und schüttelte den Kopf. »Ich möchte auch mal Milieustudien betreiben, Mylady«, lächel te Kathy. »Außerdem, was soll mir schon passieren, wenn Sie dabei sind?« »Trotzdem, Kindchen!« Die Detektivin kletterte in den Fond und kuschelte sich bequem zurecht. »Ich habe so eine Ahnung«, fuhr sie fort. »Ich glaube, ich werde in dieser Kneipe alle Hände voll zu tun haben.« »Das denke ich auch«, ließ sich Mike Rander vom Beifahrersitz vernehmen. Er hatte sich umgedreht und zwinkerte Kathy Porter zu. »Nun gut, Mister Parker, starten Sie«, seufzte die ältere Dame. »Ich werde auf das Kind eben ein Auge haben müssen.« »Vielen Dank, Mylady, ich weiß das zu schätzen«, gab Kathy Porter, das >KindGoldenen Anker< einfin den.« Mylady informierte der Butler seine Herrin, während er das ehemalige Londoner Taxi in Richtung City lenkte. »Das wird ja das reinste Familientreffen«, spottete Mike Rander. »Haben Sie übrigens schon einen Termin für Mister Picketts Ein ladung zum Tee festgelegt, Mylady?« »Man soll nichts überstürzen, mein Junge«, wehrte sie umge hend ab. »Gut Ding braucht Weile, pflege ich immer zu sagen.« »Es wird schon irgendwann klappen«, gab der Anwalt feixend zurück. »Was weiß man über den >Goldenen Anker< Parker?« Der Butler saß stocksteif, als habe er den sprichwörtlichen La destock verschluckt, am Steuer des ehemaligen Taxis. »Das Lokal dient als eine Art Nachrichtenbörse für kriminelle Umtriebe, Sir«, berichtete Parker gemessen. »Auch Aufträge je der Art werden hier gehandelt. Man spricht davon, dass sich der Wirt hin und wieder auch als Hehler betätigt.« »Und trotzdem befindet sich dieses Objekt noch in Freiheit?« empörte sich die ältere Dame. »Das ist unerhört, da sieht man 56
wieder mal, was man von den Behörden zu halten hat.« »Mylady ahnen natürlich, daß dies einen besonderen Grund hat«, ließ sich Parker vernehmen. »Das ist sonnenklar«, kam umgehend ihre Antwort. Mylady nickte zu diesen Worten bedeutungsschwer und wartete ungedul dig, daß der Butler erklären würde, was ihrer Meinung nach son nenklar war. »Eben«, ließ sich auch Mike Rander zu diesem Thema hören und nickte energisch. »Genau«, bemerkte Kathy Porter und unterdrückte mit Mühe einen aufsteigenden Lachkrampf. Die ältere Dame wunderte sich und sah konsterniert von einem zum anderen. »Fassen Sie doch noch mal zusammen, Mister Par ker«, forderte sie. »Ich bin gespannt, ob Sie die Dinge richtig in terpretieren.« »Man wird sich Mühe geben, Mylady«, versprach der Butler ge messen. Kathy Porter und Mike Rander verbargen nur mühsam ihren Heiterkeitsausbruch. »Mister Henderson versorgt die zuständigen Behörden von Zeit zu Zeit mit Hinweisen«, erläuterte Parker. »Aus diesem Grund räumt man ihm gewisse Freiheiten ein. Hin und wieder ist er selbst auch aus Gründen der Tarnung Ziel polizeilicher Aktivitä ten, die sein Ansehen in bestimmten Kreisen erhöhen.« »Wohin man auch sieht, erblickt man einen wahren Abgrund an moralischem Verfall und Auswucherungen des Verbrechens«, kommentierte Lady Agatha. »Zum Glück gibt es Sie, Mylady«, konnte sich der Anwalt nicht verkneifen zu sagen. »Sie werden diesen Sumpf trockenlegen, die Polizei schafft das ja doch nicht allein.« »So ist es, mein Junge«, stimmte sie ihm zu und nickte lebhaft. »Wie sähe es nur aus, wenn man sich ausschließlich auf die Be hörden verlassen würde?« »Es ginge zu wie in Sodom und Gomorrha«, meinte Kathy Por ter. »Eben, Kindchen, eben.« Die Detektivin seufzte und blickte un geduldig aus dem Seitenfenster. Man befand sich bereits in Ha fennähe. Die Umgebung sah alles andere als gepflegt aus. Ausge schlachtete Autowracks wechr selten sich mit Schutt- und Müll halden ab und gaben der Szene einen abstoßenden Anstrich. 57
»Man dürfte den >Goldenen Anker< in wenigen Minuten er reicht haben«, versprach der Butler, der das Lokal von früheren Besuchen her kannte, auch wenn diese schon einige Zeit zurück lagen. »Darf man Mylady und Miß Porter noch mal darauf hinwei sen, daß es dort mit Sicherheit recht unkonventionell zugehen wird? Man sollte die Umgangsformen und dort anzutreffende Gäs te nicht mit der Elle bürgerlicher Maßstäbe messen.« »Das klingt, als würden Sie sich in der Kneipe auskennen, Par ker«, bemerkte Mike Rander beiläufig. »Der Wirt ist nicht zufällig ein alter Bekannter von Ihnen, der Ihnen einen kleinen Gefallen schuldet, oder?« Der Anwalt spielte damit auf Parkers großen Bekanntenkreis an und auf die Tatsache, daß viele dieser Bekannten dem Butler we gen gewisser Hilfeleistungen, die er ihnen irgendwann hatte zu kommen lassen, verpflichtet waren. Der Anwalt staunte immer wieder, wie viele solcher Leute Parker von früher her kannte. »So ist es in der Tat, Sir«, gab Parker ungerührt zu. »Mister Henderson konnte dank der bescheidenen Hilfe, die man ihm zu gewähren in der Lage war, von einem häßlichen Verdacht befreit werden.« »Mit anderen Worten, Sie haben ihm aus der Patsche geholfen, als er eine Mordanklage oder etwas ähnliches am Hals hatte«, kommentierte der Anwalt trocken. »Es gelang meiner bescheidenen Wenigkeit, den tatsächlichen Mörder unter Mister Hendersons damaligen Begleiterin zu entlar ven«, erklärte Parker würdevoll. »In welchen Kreisen haben Sie nur verkehrt, bevor ich sie en gagierte, Mister Parker«, wunderte sich die ältere Dame und schüttelte den Kopf. »Mister Parker fühlt sich eben seit jeher zu dunklen Elementen hingezogen«, scherzte Kathy Porter und kicherte. »Man kann eine gewisse Faszination, die von besagten dunklen Elementen ausgeht, nicht verhehlen, Miß Porter«, antwortete der Butler gemessen. »Ein Glück, daß Sie in meine Dienste aufgenommen wurden«, überlegte Lady Agatha. »Auf diese Weise kann ich immer meine schützende Hand über Sie halten.« »Dafür ist man Mylady außerordentlich dankbar«, bemerkte Parker höflich, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich hoffe, man wird mir eine anständige Abwechslung in dieser 58
Kaschemme bieten, Mister Parker«, sorgte sich die Detektivin. »Mylady werden darauf bauen können«, beruhigte der Butler sie. »Allerdings könnte es auch sein, daß Myladys sittliches Emp finden verletzt wird.« »Wirklich?« Sie setzte sich kerzengerade auf. »Wird dort etwa gestrippt Mister Parker?« »Nicht ganz, Mylady. Aber von Zeit zu Zeit finden auf einer im provisierten Bühne Schauringkämpfe statt. Mister Henderson hat sich einige Jahre in Japan aufgehalten und sich von den soge nannten Sumo-Ringern inspirieren lassen.« »Das sind diese halbnackten Fleischberge, nicht wahr?« war die ältere Dame sofort im Bild. »Und so was kann man in diesem Lo kal sehen?« Lady Agathas Augen begannen bei dieser Vorstellung förmlich zu leuchten. Sie liebte die Abwechslung und ließ sich nur zu gern mit Neuem konfrontieren. »Man liebt dort derbe Spaße, vor allem mit neuen Gästen«, warnte der Butler. »Mylady sollten damit rechnen, angepöbelt zu werden.« »Wie schön«, stellte sie fest. »Ich hoffe, daß Sie mir nicht zuviel versprechen, Mister Parker.« »Mylady werden in dieser Hinsicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht enttäuscht werden«, gab Parker gemes sen zurück. »Selbstverständlich wird sich meine bescheidene We nigkeit bemühen, Unbill von Mylady fernzuhalten.« »Auf gar keinen Fall, Mister Parker«, wehrte sie umgehend ab. »Wie Mylady zu meinen geruhen.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wußte, daß seine Herrin Widrigkeiten liebend gern in Kauf nahm. Der Butler ahnte, daß wieder mal ein turbulenter Abend bevor stand und bedauerte im stillen die Gäste des >Goldenen AnkersWürger< starrte ihn verblüfft an und vermehrte seine An strengung. Er lief blau im Gesicht an und begann keuchend zu atmen. Die Anstrengung war ihm deutlich anzusehen. 68
»Sie sollten sich nicht unnötig echauffieren, wenn man diesen Hinweis geben darf«, rief der Butler. »Ihre Bemühungen werden auf keinen Fall von dem erwarteten Erfolg gekrönt sein.« »Aber wieso denn?« wunderte sich der Mann und zerrte an sei nen Griffen. Parker hatte nicht die Absicht, ihm zu erklären, wa rum er an ihm scheitern mußte. Sein Kragen trüg eine solide Ein lage aus hauchdünn gewalztem Stahlblech und hielt mühelos die ser Belastungsprobe stand. »Wenn Sie gestatten, Sir?« Parker hatte ein Spezialinstrument aus einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats ge nommen, das im Prinzip aussah wie eine Nagelschere. Diese hat te allerdings mit Diamantsplittern versehene Schneideflächen, die in der Lage waren, auch zähestes Material zu überwinden. Josuah Parker setzte dieses Gerät an und knipste mühelos den dünnen Draht durch. Der federte sirrend zurück, rollte sich zu sammen und legte sich um die Handgelenke des verblüfften Be nutzers. »Wenn man dem Herrn dieses gefährliche Spielzeug abnehmen dürfte?« schlug Parker vor und hielt bereits die Garotte in der Hand. Einen Moment später verirrte sich seine zweite unter das Jackett des wie erstarrt vor ihm stehenden Mannes und stellte ein Stilett sicher, das in einem schmalen Lederfutteral steckte. »Sie verfügen über eine Mülltonne, Sir?« wandte sich Parker an den Wirt, der inzwischen hinter der Theke herangekommen war und fassungslos zugesehen hatte. »Aber natürlich.« Ray Henderson konnte ein Grinsen nicht un terdrücken und deutete hinter sich. Parker lüftete grüßend die Melone, umrundete die Theke und ließ Draht und Stilett in den Behälter fallen. »Man geht davon aus, Sir, daß Sie gerade gehen wollten«, ver mutete Parker und wandte sich wieder dem Garottenbesitzer zu. »Eh… eigentlich… naja, wenn Sie meinen.« Der schmächtige Mann mit der Vorliebe für tückische Waffen schluckte, sah ein, daß der Butler recht hatte, und hatte es plötzlich eilig, zur Tür zu kommen. Der dritte Mann glaubte seine Stunde gekommen und hielt plötzlich ein wippendes Stahlfederstück in der Hand. Er ließ es auf den Tresen krachen und dabei ein großes Stück Holz absplittern, das sich ein Stück weiter in das Bierglas eines verdutzten Gastes fallen ließ. 69
»Sie wollen meiner bescheidenen Wenigkeit körperliche Pein an tun?« erkundigte sich Parker höflich. Der Mann mit der Stahlfeder hielt nichts von vielen Worten. Er stieß sich ab, stürmte vor und… stolperte über einen Barhocker, der gerade seinen Weg kreuzte. Parker hatte ihn unauffällig mit dem Fuß in Bewegung gesetzt und damit den Schwung des An greifers gebremst. Der Mann ließ die Feder fallen und ruderte haltsuchend mit den Armen in der Luft. Parker beugte sich vor, um ihm zu helfen. Da bei unterlief ihm ein kleines Mißgeschick. Der UniversalRegenschirm, der neben ihm am Tresen gelehnt hatte, fiel um und legte sich mit dem bleigefütterten Bambusgriff auf den etwas schütter behaarten Schädel des Angreifers. Der Mann stöhnte, hörte auf mit den Armen zu rudern und machte es sich auf dem Boden bequem. Parker beugte sich zu ihm nieder, zog ihn erstaunlich mühelos hoch und begleitete ihn höflich zur Tür. Er öffnete sie für ihn, brachte ihn hinaus und kehrte dann zurück. Der Riese, der sich zunächst mit Mylady angelegt hatte, glaub te, seinen unglücklichen Kollegen zur Hilfe eilen zu müssen. Er beschloß, sich der älteren Dame zu einem späteren Zeitpunkt zu widmen und erst mal den schwarz gekleideten Mann auszu schalten. Er nahm einen Barhocker und wollte ihn Parker auf den Hinter kopf schmettern. »Moment mal, junger Mann.« Lady Agatha griff zu ihrer eigen willigen Hutschöpfung und zog eine Nadel hervor, mit der die Kopfbedeckung an ihrer Frisur befestigt war. Die Nadel erinnerte, was ihre Größe und den Durchmesser be traf, an einen Bratspieß mit scharfer Spitze. Der Riese hatte den Hocker noch nicht ganz gehoben, als sich diese Spitze zielstrebig in sein fleischiges Hinterteil bohrte. Er schrie entsetzt auf und ließ den Hocker fallen. Seine Hände fuh ren nach hinten und tasteten nach der Einstichstelle. Agatha Simpson betrachtete spontan die Hutnadel und schwenkte sie vor dem Gesicht des Riesen, der einen Moment schweigend in die Gegend starrte. Dann senkte er den Kopf, glitt vom Hocker, kapitulierte und sah ein, daß heute nicht sein Tag war. Kopfschüttelnd und leise vor sich hinschluchzend trottete er zur Tür und schlurfte hinaus. 70
»Mein Gott, Mister Parker, das hätte ich nicht für möglich gehal ten.« Ray Henderson strahlte die ältere Dame an und griff über die Theke. »Ich muß Ihnen die Hand drücken, Mylady, Sie sind wirklich großartig«, gratulierte er und schwenkte ihre Hand wie einen Pumpenschwengel. »Sie können sich durchaus revanchieren«, vertraute Mylady ihm an. »Sie könnten mir einen Gefallen tun, junger Mann.« »Jeden, Mylady, jeden.« Ray Henderson war bereit, alles für die ältere Dame zu tun. Einen Augenblick später klappte ihm der Un terkiefer herunter, und er starrte fassungslos auf Agatha Simp son. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, Mylady?« keuchte er. »Das können Sie nicht von mir verlangen.« »Sagten Sie nicht, Sie tun mir jeden Gefallen?« Lady Agatha konnte ihre Enttäuschung nicht verhehlen. »Sie wollen also knei fen und nicht zu Ihrer Zusage stehen?« »Aber ich bitte Sie, das geht doch nicht!« Der Wirt wischte sich über die schweißnasse Stirn und wandte sich hilfeflehend an den Butler. »Mister Parker, sagen Sie doch auch was dazu! Sagen Sie Ihrer Lady, daß das nicht geht.« »Möglicherweise sollten Mylady tatsächlich von dem Vorhaben absehen, zumal Mister Henderson gegen Mylady chancenlos wä re«, bemerkte Parker höflich. »Mister Henderson würde das Ge sicht im eigenen Lokal verlieren und die zur Führung eines sol chen Etablissements nötige Autorität einbüßen.« »Nun ja, Mister Parker, daran habe ich auch schon gedacht.« Die Detektivin nickte nachdenklich und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. »Vielleicht sollte ich ihm diesen Kampf ersparen.« Ray Henderson atmete auf und drehte sich um. Er faltete seine klobigen Hände und sandte ein Dankgebet zum Himmel. Lady Agatha hatte ihn herausgefordert und ihm damit den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. »Allerdings hätte ich gern mal im Ring gestanden«, sinnierte die Detektivin und blickte entsagungsvoll drein. Parker wandte sich an den Wirt und besprach sich leise mit ihm. »Was gibt es da zu flüstern?« Die ältere Dame drängte sich dichter heran, um besser zu hören. »Man könnte Mylady doch noch zu einem Auftritt im Ring ver 71
helfen«, erläuterte Parker würdevoll. »Mister Henderson teilte meiner bescheidenen Wenigkeit gerade mit, wie schwer es doch immer wieder wäre, einen qualifizierten und furchtlosen Schieds richter zu finden.« »Tatsächlich?« Lady Agatha hatte sofort verstanden. »Nun ja, dann werde ich mich für dieses schwere Amt zur Verfügung stel len, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann, junger Mann«, bot sie an und strahlte. »Unbedingt, Mylady«, versicherte der Wirt und lächelte etwas verkrampft. »Ich mache mich sofort auf die Suche nach einem ordentlichen Gegner.« Er nickte Parker zu und entfernte sich eilig. * »Sie kommen zufällig vorbei, Sir?« erkundigte sich Josuah Par ker bei dem frühen Besucher. »Mehr oder weniger, Mister Parker.« Chief-Superintendent McWarden, um den es sich handelte, schob sich an dem Butler vorbei in die Halle und blieb abwartend stehen. »Ist Mylady schon auf oder erholt sie sich noch von ihren nächt lichen Unternehmungen?« erkundigte er sich anzüglich. »Mylady nimmt ihr Frühstück ein, Sir«, informierte Parker den Gast, der ein häufiger und gern gesehener Besucher des Hauses war. Der fünfundfünfzigjährige, wegen leicht vorstehender Base dowaugen stets ein wenig gereizt wirkende Chief-Superintendent galt als außerordentlich fähiger Kriminalist und leitete im Yard ein Sonderdezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Er unterstand direkt dem Innenminister und genoß dessen unein geschränktes Vertrauen. McWarden schätzte die unkonventionelle Art Lady Agathas und vor allem Parkers Trickreichtum bei der Aufklärung von Verbre chen. Er erschien häufig und gern in Shepherd’s Market, um sich Rat und Hilfe zu holen. Dafür nahm er Myladys Sticheleien in Kauf, mit denen sie ihn jedesmal bedachte. »Der Tag fing schön an, Mister Parker«, sagte die Hausherrin, als der Butler den Yard-Beamten herein führte. »Hoffentlich bleibt es auch so in Mister McWardens Gegenwart.« »Mylady dürfen durchaus mit meiner guten Stimmung rech nen«, erwiderte der Besucher. 72
Sie seufzte und blickte entsagungsvoll über den Tisch. »Natür lich kommen Sie wieder genau zur Frühstückszeit«, fügte sie hin zu. »Oder haben Sie etwa schon gefrühstückt?« »Allerdings, aber das ist schon wieder zwei Stunden her. Als Staatsdiener beginnt man seinen Tag etwas früher als Sie, Myla dy.« »Nun ja, dann brauchen Sie ja jetzt nichts mehr.« Agatha Simpson nickte zufrieden und ließ sich von Parker bedienen. »Eine Kleinigkeit könnte ich schon noch vertragen«, korrigierte McWarden sie und grinste schadenfroh. Er kannte den ausgepräg ten Hang der Hausherrin zur Sparsamkeit und freute sich, diesen herausfordern zu können. »Seien Sie nicht immer so voreilig, Mister Parker«, rügte sie den Butler, der bereits McWarden ein Gedeck vorlegte und ihm konti nental zubereiteten, starken Kaffee einschenkte. »Man ging davon aus, daß Mylady ihre sprichwörtliche Gast freundschaft zeigen und Mister McWarden zum Frühstück einla den würden«, entschuldigte sich Parker. »Nun ja, man hat mich mal wieder überführt.«, klagte sie und machte gute Miene zum bösen Spiel. »Ist der Lachs dort frisch, Mylady?« erkundigte sich McWarden und deutete mit der Messerspitze auf eine silberne Platte, wo ge räucherte Köstlichkeiten aus Schottland ruhten. »Nicht mehr ganz«, behauptete sie bissig und hob warnend ihre Gabel. »Ehrlich gesagt, ich fürchte fast, er ist schon etwas ange gammelt. Ich rate davon ab, mein lieber McWarden.« »Nun, ich denke, ich werde es riskieren«, überlegte der Mann vom Yard schmunzelnd und angelte nach einer dicken Scheibe Lachs. »Wie kann man nur so leichtsinnig sein!« Lady Agatha schüttel te den Kopf und bediente sich selbst. »Sie sollten die Platte jetzt besser abräumen, Mister Parker«, schlug sie vor. »Nicht, daß sich unser lieber Gast noch den Magen verdirbt.« »Ein Scheibchen können Sie mir allerdings noch dalassen, Mis ter Parker«, bat McWarden freundlich. Lady Agatha zuckte peinlich berührt zusammen und sah zu, wie Parker dem Chief-Superintendent noch eine ansehnliche Portion Lachs auf den Teller legte. »Es geht doch nichts über ein anständiges Frühstück, besonders wenn man eine anstrengende Nacht hinter sich hat. Finden Sie 73
nicht auch, Mylady?« ließ sich McWarden vernehmen und lächelte die Hausherrin strahlend an. Agatha Simpson musterte ihn mißtrauisch. »Wie meinen Sie das? Soll das eine Anspielung sein?« grollte sie. »Ein Kollege hat sich gestern abend mal wieder im Milieu he rumgetrieben und ist dabei in einer übel beleumundeten Kneipe namens >Goldener Anker< gelandet. Sie kennen ihn nicht zufäl lig, Mylady?« »Der Name sagt mir gar nichts, mein lieber McWarden.« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Namen sind wie Schall und Rauch. Wozu also soll man sie sich merken? Warum erzählen Sie mir das? Vermutlich, um mich zu ärgern. Ihr Kollege hat sich gewiß auf Kosten des Steuerzahlers amüsiert. Mit anderen Worten, ich habe seinen Kneipenbummel mitbezahlt.« »Wenn Sie es unbedingt so sehen wollen, Mylady.« McWarden war nicht aus der Ruhe zu bringen. Dankend nahm der den Sher ry an, den Parker servierte. Lady Agatha verzichtete ausnahms weise darauf, ihre Mißbilligung zu zeigen und wartete darauf, daß der Chief-Superintendent mit seiner Geschichte fortfuhr. »Er erlebte dort einen außerordentlich unterhaltsamen Abend, wie er berichtete«, erzählte McWarden weiter. »Und er erkannte in der Kneipe einige Leute, die er dort nie vermutet hätte.« »Hat er Sie dort etwa getroffen?« erkundigte sich die ältere Dame spitz. »Zutrauen würde ich es Ihnen ja, mein lieber McWarden.« »Leider war ich es nicht«, bedauerte McWarden süffisant. »Es soll an diesem Abend im >Goldenen Anker< hoch hergegangen sein, hörte man.« »Kommen Sie doch endlich zur Sache«, forderte die Hausherrin energisch. »Gern, Mylady. Stellen Sie sich vor, er sah dort eine ältere Da me, die sich mit einigen stadtbekannten Schlägern anlegte. Sie war übrigens in Begleitung eines Mannes, den mein Mitarbeiter als typischen Butler beschrieb.« »Was Sie nicht sagen!« Mylady sah ihn kopfschüttelnd an. »Was haben solche Leute in einer übelbeleumundeten Kneipe zu su chen?« »Eine durchaus interessante Frage!« McWarden nickte. »Nun, jedenfalls erteilte diese Dame zum Erstaunen und Vergnügen der Gäste stadtbekannten Schlägern eine Lektion und veranlaßte sie 74
zum Gehen.« »Sehr ordentlich«, lobte Agatha Simpson und lächelte. »Nicht wahr?« McWarden reagierte ebenso freundlich. »Dann sah mein Mitarbeiter noch eine sehr attraktive junge Dame, die von einigen Gästen belästigt wurde. Sie wußte sich allerdings ih rer Haut zu wehren und bekam dabei Hilfe von einem Mann, der als eine Art James-Bond-Verschnitt beschrieben wurde. Die ältere Dame eilte der jungen übrigens auch noch zu Hilfe und schwang dabei einen Handbeutel, den sie einigen der Anwesenden zu kos ten gab.« »Mister Parker, lassen Sie sich die Adresse dieser Kneipe ge ben«, forderte Lady Agatha. »Es scheint dort einiges geboten zu werden.« »Auch ein stadtbekannter, ehemaliger sogenannter Eigentum sumverteiler wurde gesichtet«, fuhr McWarden genüßlich fort. »Kurz und gut, mein V-Mann sah eine Reihe guter, alter Bekann ter.« »Wozu erzählen Sie mir das eigentlich, mein Lieber?« erkundig te sich die Hausherrin gelangweilt. »Der Höhepunkt kommt noch«, ließ sich McWarden nicht beir ren. »Spät am Abend fand der obligatorische Ringkampf statt. Die bewußte ältere Dame fungierte als Schiedsrichterin und übte die ses Amt sehr eigenwillig aus.« »Ach, und wie denn?« Lady Agathas Augen funkelten vergnügt. Sie beugte sich gespannt vor und hing förmlich an McWardens Lippen. »Nun, von Zeit zu Zeit, wenn ihr der Kampf zu langweilig wur de, griff sie selbst ein«, berichtete der Chief-Superintendent. »So zum Beispiel einmal, als sich die beiden Männer im Clinch befan den und keiner dem anderen einen Vorteil abgewinnen konnte, nahm sie die beiden Burschen bei den Ohren und zog sie hoch.« »Das kann doch wohl nicht wahr sein?« Lady Agatha sah den Chief-Superintendent kopfschüttelnd an. »Genauso wurde es mir geschildert«, fuhr McWarden fort. »Im Lokal kam es zu wahren Begeisterungsstürmen und zu einer Mas senkeilerei. Irgend jemand alarmierte schließlich die Polizei, und drei Streifenwagenbesatzungen hatten alle Hände voll zu tun, um Ruhe und Ordnung im Lokal wieder herzustellen. Ein Beamter berichtete übrigens, die ältere Dame hätte sich wie eine Furie benommen.« 75
»Reine Notwehr, Mister McWarden«, grollte Lady Agatha und funkelte den Mann vom Yard an. »Dieser junge, unreife Mensch griff nach meinem Handbeutel und wollte ihn mir entreißen. Dabei muß er ihn versehentlich getroffen haben.« »Reden wir nicht mehr davon«, winkte McWarden generös ab. »Obwohl dieser übereifrige junge Mann eigentlich Anzeige erstat ten wollte, Mylady.« »Er scheint ja eingesehen zu haben, daß ich im Recht war«, bemerkte sie spitz. »Ich habe ihm versichert, daß Sie als begeisterte Sportlerin sei ner Polizeimannschaft einen Satz Trikots spendieren«, erläuterte McWarden. »Das hat ihn überzeugt.« »Sie werden einen entsprechenden Scheck mitnehmen können, Sir«, versprach Parker gemessen. »Zehn Pfund, Mister Parker«, warnte die Hausherrin. »Ich sprach von einem Satz Trikots, nicht von einem einzigen«, mischte sich McWarden schadenfroh ein. »Aber ich bin sicher, daß wir die Angelegenheit vernünftig regeln werden, Mylady. Nun noch etwas anderes. Sie arbeiten nicht zufällig an einem neuen Fall?« »Mister Parker, was sage ich dazu?« erkundigte sie sich bei ih rem Butler, der hinter ihrem Sessel stand. »Möglicherweise beschäftigt sich Mylady mit rätselhaften Le bensmittelvergiftungen«, vermutete Parker. McWarden staunte und grinste. »Genau darauf wollte ich Sie nämlich ansprechen. Es gibt da einen Gangster namens Klapper schlange, der uns große Sorgen macht.« »Nicht mehr lange, ich ziehe dem Reptil die Giftzähne«, ver sprach die Detektivin und winkte geringschätzig ab. »Genauge nommen ist die Schlange schon so gut wie erledigt.« »Ihre Ermittlungen sind also bereits weiter fortgeschritten?« freute sich McWarden. »Wir haben von dieser Sache leider erst vor kurzem gehört. Eine Supermarktkette, die mit der Vergiftung ihres Warenangebots bedroht wird.« Er räusperte sich und blickte Parker an. »Und wie sind Sie an den Fall gekommen?« »Man wurde vor dem Verzehr gewisser Waren gewarnt, die bei einem bestimmten Händler erstanden wurden«, berichtete Parker gemessen. »Dann meldete sich das Management einer Lebens mittelkette, an der Mylady beteiligt ist.« »Eine ausgemachte Unverschämtheit«, ergänzte die Hausherrin. 76
»Da legt man seine mühsam ersparten Pfunde in so einer Firma an, und prompt wird die erpreßt. Das kann ich nicht durchgehen lassen, mein lieber McWarden, ich werde Ihnen dieses widerliche Reptil auf einem Silbertablett servieren.« »Können Sie mir nicht mit Informationen dienen?« wollte McWarden wissen. »Ehrlich gesagt, ich habe ein gewisses Inte resse daran. Verwandte des Ministers sind an dieser Supermarkt kette beteiligt. Mehr muß ich wohl nicht sagen.« »Man hatte es bislang mit unbedeutenden Randfiguren zu tun, Sir«, bedauerte Parker. »Allerdings geht Mylady davon aus, die sen Fall in Kürze abgeschlossen zu haben.« Agatha Simpson räusperte sich explosionsartig und nickte hef tig. »Das ist allerdings richtig, mein lieber McWarden, in ein paar Tagen ist dieser Fall geklärt.« »Kann ich mich darauf verlassen, Mylady?« McWarden sah die Hausherrin forschend an, obwohl er sich in Wirklichkeit an Parker wandte. »Schön, wenn dem so wäre. Der Minister wäre sehr er leichtert.« »Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Mister McWarden«, versi cherte der Butler nachdrücklich. »Mylady steht kurz vor der Auf klärung des Falles, wie man versichern darf.« * Horace Pickett stand an der mit Parker vereinbarten Stelle der in Richtung Süden führenden Ausfallstraße. Er trug einen Trench coat und seinen sogenannten Travellerhut, den er beim Heranna hen des ehemaligen Londoner Taxis grüßend lüftete und leicht durch die Luft schwenkte. Für einen zufälligen Beobachter sah es so aus, als winke ein äl terer Herr, dessen straffe, aufrechte Haltung an einen pensionier ten Offizier erinnerte, einem Taxi. »Sie haben hoffentlich nicht zu lange warten müssen, Mister Pi ckett«, bemerkte Josuah Parker, nachdem der ehemalige Eigen tumsumverteiler Lady Agatha und ihn begrüßt und auf dem Bei fahrersitz Platz genommen hatte. »Keinesfalls, Mister Parker«, gab Pickett höflich zurück. »Das Timing ist wie immer hervorragend, wenn man mit Ihnen zu sammen arbeitet.« 77
Aus dem Fond war ein warnendes Räuspern zu vernehmen. »Vor allem natürlich, wenn Sie die Planung hatten, Mylady«, be eilte sich Pickett hinzuzufügen. »Die richtige Vorbereitung ist der halbe Erfolg, mein Lieber«, bemerkte die ältere Dame und nickte Pickett im Rückspiegel ho heitsvoll zu. Josuah Parker ließ das hochbeinige Monstrum, wie sein Privat wagen von Freund und Feind genannt wurde, wieder anrollen und vergewisserte sich durch einen raschen Blick in den Spiegel, daß auch der Mini-Cooper, der ihnen beharrlich seit Shepherd’s Mar ket folgte, wieder Fahrt aufnahm. Was übrigens kein Wunder war, denn am Steuer saß Kathy Porter und neben ihr Mike Rander. Trotz Myladys Bedenken waren die beiden nicht zu bewegen ge wesen, auf das Finale zu verzichten. »Man befindet sich nach wie vor in besagtem Lagerhaus in Highcombe?« erkundigte sich Josuah Parker bei seinem Beifahrer. »Richtig, Mister Parker. Einige meiner Freunde sind direkt am Lagerhaus postiert, andere befinden sich in einer Fernfahrerknei pe, die in unmittelbarer Nähe liegt. Von da aus kann man das Lagerhaus wunderbar unter Kontrolle halten.« »Dabei dürften gewisse Unkosten aufkommen?« wollte Parker wissen. Diese Anfrage ließ Lady Agatha aufhorchen. Sie beugte sich vor und hatte einen besorgten Ton in der Stimme, als sie nachhakte. »Ihre Freunde nutzen es doch hoffentlich nicht aus, daß ich die Spesen trage?« vergewisserte sie sich. »Sie wissen, meine Mittel sind beschränkt, mein lieber Pickett, ich muß sehr haushalten.« »Dem wird stets Rechnung getragen, Mylady«, beruhigte der ehemalige Eigentumsumverteiler sie umgehend und lächelte. Er kannte Myladys Einkommensverhältnisse und ausgeprägten Hang zur Sparsamkeit, der manchen Schotten vor Neid hätte erblassen lassen. »Man wird sich arrangieren«, ließ sich Josuah Parker zu diesem Thema abschließend vernehmen. »Probleme dürfte es dabei mit Sicherheit nicht geben.« »Ist nicht eine Belohnung auf die Ergreifung dieser Klapper schlange ausgesetzt?« erkundigte sich die Detektivin. »Fragen Sie Mister McWarden danach, Mister Parker. Wenn dem so ist, könn ten Mister Picketts Freunde ja einen Teil davon erhalten«, fuhr sie fort. »Ich dachte so an zehn Prozent.« 78
»Außerordentlich großzügig«, anerkannte Pickett im voraus. »Meine Freunde werden es Ihnen zu danken wissen, Mylady.« »Kommen wir zur Sache zurück«, forderte die Detektivin und räusperte sich energisch. »Warum fahre ich mitten in der Nacht zu diesem Lagerhaus in Highcombe, Mister Parker?« »Mylady regten zu Beginn des Falles an, Mister Paul Wilson zu überwachen«, erinnerte der Butler höflich. »Ich weiß, Mister Parker, ich habe alles genau im Kopf«, be hauptete sie und runzelte nachdenklich die Stirn. »Wissen auch Sie noch, was es mit diesem Hilton auf sich hat?« »Mister Paul Wilson ist der Geschäftsführer einer Spedition, die Mylady erst kürzlich aufsuchten«, rekapitulierte Parker. »Anlaß war der Auftritt zweier junger Männer in einer Delikatessenhand lung. Die beiden Herren trugen Papiere bei sich, die sie als Fahrer jener Spedition auswiesen.« »Richtig, ich erinnere mich genau.« Die ältere Dame lehnte sich entspannt zurück. »Dabei fällt mir ein, Mister Parker, wenn dieser Fall abgeschlossen ist, sollte ich diese Delikatessenhandlung noch einmal aufsuchen und mir einige Konserven geben lassen. Bei einigen Proben bin ich mir nämlich noch nicht ganz schlüssig wie meine Expertise ausfallen wird. Da muß ich eine zweite Testreihe starten, schließlich müssen die Dinge mit größter Sorgfalt erledigt werden.« »Man wird Mylady rechtzeitig daran erinnern«, versprach der Butler und lenkte seinen Privatwagen von der Ausfallstraße auf eine Abzweigung, an der ein großes, hell erleuchtetes Schild auf das 24 Stunden täglich geöffnete Fernfahrerlokal hinwies. »Dort bekommt man sicher auch um diese Zeit einen Imbiß, nicht wahr, Mister Parker?« vergewisserte sich Lady Agatha, der das Hinweisschild natürlich nicht entgangen war. »Mit Sicherheit, Mylady«, gab Parker gemessen zurück, ohne eine Miene zu verziehen. Er wußte, daß Mylady diesen Ort auf keinen Fall verlassen würde, ohne auch die Küche des Fernfahrer rasthauses gründlich getestet zu haben. »Arbeit macht immer hungrig«, philosophierte sie. »Und vor mir liegt harte Arbeit, ich spüre es ganz deutlich.« Sie lächelte versonnen und dachte dabei an einige Gangster, mit denen sie >arbeiten< wollte.
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»Was hat das zu bedeuten?« wunderte sich die ältere Dame und sah verblüfft zu, wie sich Mike Rander und Horace Pickett weiße Kittel überzogen. Parker hatte sie dem Handschuhfach entnom men und den Männern gereicht, deren Erscheinung sich dadurch völlig veränderte. Auch Kathy Porter hatte sich einen Kittel übergezogen und sah darin reizend aus. Sie steckte gerade ihr Haar zu einer strengen Frisur hoch und setzte sich anschließend eine Brille mit Fenster glas auf. Auch Mike Rander trug eine solche Brille. Sie machte im Ver bund mit dem Kittel aus dem sonst so locker und leger wirkenden Anwalt einen langweiligen-seriösen Wissenschaftler. Horace Pickett erinnerte keinesfalls mehr an einen pensionierten Offizier, im Gegenteil. Seine Haltung war ausgesprochen schlecht. Im grassen Gegensatz zu der sonstigen Untadeligkeit zeigte sein Kittel diverse Flecken, die von Chemikalien, Tabak, aber auch Essensresten herrühren mochten. Er räusperte sich und wandte sich an Mike Rander. »Sind wir soweit, Doktor?« näselte er. »Klar doch, Herr Kollege.« Mike Rander nickte dem >Kollegen< knapp zu und wandte sich an Kathy Porter. »Alles in Ordnung, Fräulein Doktor?« »Was soll der Unsinn?« Lady Agatha verstand kein Wort und verlangte dringend nach einer Erklärung. »Man erwartet einige Chemiker, wie einem von Mister Wilson geführten Telefonat zu entnehmen war«, erläuterte Parker ge messen, »Mister Pikkett war so frei, Mister Wilsons Leitung abzu hören.« »Ist das nicht verboten, Mister Parker?« erkundigte sich die äl tere Dame. »Ich hätte nie geglaubt, daß Mister Pickett zu illega len Mitteln greift.« »Eine Maßnahme, die nicht zu umgehen war«, bedauerte Par ker. »Dafür hat sie entsprechende Ergebnisse erbracht. Die ange forderten Chemiker jedenfalls sind verhindert, sie gerieten auf dem Weg hierher in einen Unfall. Mister Picketts Freunde dürften längst entsprechende Erste Hilfe geleistet haben.« »Ich verstehe, Mister Parker«, gab die Detektivin lächelnd zu rück. »Wo ist mein Kittel?« 80
»Wenn man Mylady helfen darf?« Parker hatte diese Entwick lung vorausgesehen und ein entsprechendes Kleidungsstück be sorgt. Höflich half er seiner Herrin hinein. »Sehr hübsch«, fand sie und griff nach der Tasche, die ihr Par ker anschließend reichte. Diese erinnerte an einen Arztkoffer und diente gleichfalls der reinen Tarnung. Parker drückte auch einen Knopf auf dem reichhaltig ausgestat teten Armaturenbrett und ließ das Taxischild aus dem Wagendach schnellen. Sein Privatwagen sah jetzt einem regulären Taxi zum Verwechseln ähnlich. »Wenn ich bitten darf?« Josuah Parker wies einladend auf die geöffneten Türen und startete den Motor. Wenige Augenblicke später rollte der Wagen auf den Lagerschuppen zu, der in einigen hundert Metern Entfernung hellerleuchtet vor ihnen lag. * »Das wird aber verdammt Zeit, der Boß ist schon reichlich sau er«, brummte der junge Mann, der offensichtlich vor dem Lager haus Wache schob. Er hielt eine Schrotflinte in der Hand und rich tete sie wie unabsichtlich auf die Neuankömmlinge. »Der Wagen sprang nicht an«, nuschelte Horace Pickett, der als erster ausgestiegen war. »Und bis man in der City ein Taxi fin det… na ja, jetzt sind wir ja hier.« »Hätten Sie das Taxi nicht ‘n Stück weg oder drüben beim Rast haus halten lassen können?« erkundigte sich der junge Mann sauer. »Auffälliger geht’s wohl nicht mehr. Was soll der Taxifahrer denken, was ‘n paar Typen wie ihr hier mitten in der Nacht zu suchen habt?« »Bei diesem Sauwetter geh’ ich keinen Schritt zu Fuß, wenn ich es vermeiden kann«, mischte sich Mike Rander mit arroganter Stimme ein. Tatsächlich hatte es inzwischen zu regnen begonnen. Kathy Porter zog ihren Kittel über den Kopf und drängte sich an dem Wächter vorbei zum Eingangstor. »He, Moment mal, Lady, ich muß Sie erst auf Waffen durchsu chen.« Der Wächter grinste lüstern, wie im Schein der über dem Tor angebrachten Neonröhre deutlich zu sehen war. »Das könnte Ihnen so passen.« Kathy Porter ließ ihre Hände durch die Luft wirbeln und legte den jungen Mann mit einer genau 81
plazierten Handkante schlafen. Mike Rander fing den Burschen auf, während sich Horace Pickett des Schrotgewehres annahm. »Nicht unbegabt, Kindchen«, lobte die ältere Dame, die sich in zwischen aus dem Taxi geschoben hatte. »Das nächstemal über lassen Sie aber mir diese Arbeit, das ist nichts für ein junges Mädchen.« »Was ist denn hier los, wo ist mein Kollege?« wollte ein zweiter Wächter wissen, der um die Ecke des Lagerhauses kam. Er hielt einen Rottweiler an der Leine, der die angeblichen Chemiker aus tückisch glitzernden Augen musterte. »Mister Peter Shelley, wenn man sich recht erinnert«, grüßte Parker, der gleichfalls ausgestiegen war. Er hatte in dem Hunde führer einen der jungen Männer erkannt, die sich in der Delika tessenhandlung schlecht benommen hatten und von Mylady zur Rechenschaft gezogen worden waren. »Wilson hat anscheinend die Kündigung rückgängig gemacht, wie?« erkundigte sich Mike Rander mit spöttischer Stimme, der sich an das Gespräch mit dem Speditionsgeschäftsführer erinner te. »Verdammt!« Peter Shelley ließ die Leine los und gab dem Hund einen Befehl. Aber der Vierbeiner kam nicht mehr dazu, ihn auszuführen. Josuah Parker hielt bereits eine kleine Sprühdose in der Hand und versorgte das an sich unschuldige Tier mit einem feinen Nebel, der aus einer selbstkomponierten Chemikalie be stand. Der Rottweiler seufzte müde, gähnte, wobei er ein beeindru ckendes Gebiß zeigte, und legte sich zur Ruhe. »Moment, jetzt bin ich aber auch mal dran.« Lady Agatha drängte sich energisch vor und stellte sich vor den jungen Mann. »So sieht man sich also wieder«, freute sie sich und griff nach den Ohren, um herzhaft daran zu zupfen. »Hatten Sie mir nicht beim letztenmal versprochen, in Zukunft brav zu sein?« »Äh, ja… verdammt, Lady, Sie reißen mir ja die Ohren ab!« Der Wächter zappelte unter Myladys Griff und verzog angsterfüllt das Gesicht. »Kommen Sie mit, junger Mann, wir werden uns etwas abseits unterhalten!« forderte die ältere Dame und führte ihn an seinen Ohren ab in den Schatten. Einen Augenblick später waren klat schende Geräusche zu hören, dann kam die Detektivin zurück. »Er ist in Ohnmacht gefallen«, bedauerte sie, »dabei habe ich ihn 82
so gut wie gar nicht berührt. Ich denke, Sie können ihn jetzt ver packen, Mister Parker.« * »Na, endlich!« Der große, bullige Mann wirbelte herum, als er Schritte hinter sich auf dem rauhen Beton des Hallenbodens hör te. »In spätestens einer Stunde müssen wir hier weg…« Er runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Dann griff er in seine Innentasche und zog sich langsam in Richtung des schweren Sattelschleppers zurück, der hinter ihm stand. »Sie… Sie sind doch nicht die Chemiker, die ich bestellt habe!« Er schüttelte den Kopf und brachte eine großkalibrige Pistole zum Vorschein, die er auf die kleine Gruppe richtete. »Sie sind nicht die, die ich das letztemal schon hatte.« »Wir sind die Vertretung«, erklärte Horace Pickett, der an der Spitze der kleinen, weißgekleideten Prozession die Halle betreten hatte. »Die Kollegen sind wegen einer dringenden Sache unab kömmlich, aber keine Angst, wir wissen genau, was wir zu tun haben.« »Das gefällt mir aber gar nicht«, knurrte Paul Wilson, um den es sich handelte. Er wandte den Kopf und stieß einen Pfiff durch die Zähne aus. Einen Augenblick später stürmten drei mit Revolvern bewaffnete kompakt wirkende Männer hinter dem LKW hervor und sahen ihren Chef abwartend an. »Paßt auf sie auf«, befahl Wilson ihnen knapp. »Ich muß mal eben telefonieren.« Er drehte sich um und verschwand in einem Glasverschlag, der offensichtlich als Büro diente. »He, was ist denn mit Jack los?« Einer der drei Aufpasser starr te entsetzt auf den Mann, der sich hinter der weißbekleideten Gruppe aufgebaut hatte. Aus dem Oberschenkel des Mannes rag te ein buntgefiederter Pfeil, der bedrohlich und unheimlich aus sah. »Ein Indianerüberfall vermutlich«, ließ sich Mike Rander spöt tisch vernehmen. »Das Ding ist mit Sicherheit vergiftet.« »Ich sterbe«, brüllte der getroffene Mann und ließ die Waffe fal len. »So helft mir doch!« 83
Die beiden Männer ließen sich ablenken und mußten einen Mo ment später einsehen, daß dies ein unverzeihlicher Fehler war. Myladys Pompadour segelte durch die Luft und fällte einen von ihnen. Der andere sah sich plötzlich Mike Rander gegenüber, der ihm die Handkante zielsicher in die Halsbeuge setzte und ihn so zum Aufgeben überredete. * »Man wünscht Ihnen eine außerordentliche unterhaltsame Nacht«, grüßte Josuah Parker höflich, der den Glasverschlag betrat und Paul Wilson freundlich zunickte. »Sie?« Wilson ließ den Hörer fallen und griff nach seiner Pistole, die er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. »Pardon, Sir«, entschuldigte sich der Butler und schickte seine Melone auf die Reise. Die stahlblechgefütterte Krempe der Kopf bedeckung traf die Hand des Mannes und prellte sie nachhaltig. Wilson schrie auf und zog sie hastig zurück. Vor sich hinwim mernd massierte er sie mit der anderen Hand und sah den Butler vorwurfsvoll an. »Sie haben mir die Hand gebrochen«, beklagte er sich und schielte an Parker vorbei in die Halle. »Mit Ihren Mitarbeitern sollten Sie nicht mehr rechnen, Sir«, teilte Parker ihm höflich mit. »Die Herren dürften mittlerweile der Ruhe pflegen und nicht mehr einsatzfähig sein.« »Wie sind Sie auf mich gekommen?« erkundigte sich Reynolds’ Schwiegersohn, der begriffen hatte, daß sein Spiel zu Ende war. »Durch reine Routine, Mister Wilson«, erklärte Parker. »Man er laubte sich, Ihre Vergangenheit zu durchleuchten und entdeckte dabei auch Ihre frühere Zugehörigkeit zu der Firma eines Herrn, der in eingeweihten Kreisen der Mafia zugerechnet wird. Sie dürf ten mit gewissen Absichten in die Spedition Reynolds eingetreten sein, vermutlich auf Anweisung des besagten Herrn?« »Dazu sage ich kein Wort, Parker. Ich bin doch nicht lebensmü de.« Paul Wilson schüttelte müde den Kopf. »Die Fakten waren schnell herausgefunden, Mister Wilson«, fuhr der Butler fort. »Sie sorgten durch entsprechende attraktive An gebote dafür, daß Sie die Aufträge für die Transporte einiger Le bensmittelhersteller bekamen. Wo Ihre Angebote nicht faßten, 84
wurden die zuständigen Mitarbeiter unter Druck gesetzt. Hier in dieser Halle wurden die Lebensmittel dann von Ihren Chemikern präpariert. Entsprechende Aussagen der Herren dürften der Poli zei vorliegen.« »Wie schon gesagt, aus mir kriegen Sie kein Wort heraus, Par ker«, winkte Wilson ab. »Ich denke nicht daran, mir mein eigenes Grab zu schaufeln. Wenn Sie so gut Bescheid wissen, wissen Sie auch, wie lang der Arm der Firma ist, die Sie vorhin genannt ha ben.« »Man dürfte Sie unter Umständen sogar noch im Gefängnis be drohen können, das ist meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus bekannt, Mister Wilson. Alles in allem sind Sie eine recht klägliche Klapperschlange, wenn man dies so unverblümt sagen darf.« »Na, wenn schon!« Paul Wilson zuckte die Achseln und griff scheinbar wie abwesend nach der Schreibtischschublade. Josuah Parker kam ihm zuvor. Er griff in die Schublade und nahm eine Einwegspritze heraus, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. »Dieser Abgang würde durchaus zu einer Schlange passen, Sir, aber Sie sollten sich nicht – mit Verlaub – der irdischen Gerech tigkeit entziehen«, fand er und steckte die Spritze ein. * »Wo ist die Lady?« wollte Chief-Superintendent McWarden wis sen, der von Parker telefonisch verständigt worden war. Seine Mitarbeiter hatten die Gangster bereits verladen und warteten nur noch auf ihren Chef und Paul Wilson. »Mylady überwacht persönlich eine strenge Lebensmittelkontrol le«, teilte Parker dem Mann vom Yard mit. »Die Sendung, die vergiftet werden sollte, war nämlich für ein Unternehmen be stimmt, an dem Mylady maßgeblich beteiligt ist. Schon aus die sem Grund wollte sie Gewißheit haben, daß die Ware in Ordnung ist.« »Das würde ich mir gern mal ansehen.« McWarden sah sich su chend um. »Außerdem vermisse ich diesen Paul Wilson«, fuhr er fort. »Wo ist der denn geblieben?« »Mister Wilson ist Mylady bei besagter Kontrolle behilflich«, in formierte Parker ihn und hielt ihm die Tür zu einem kleinen Ne 85
benraum auf. Der Raum war spärlich möbliert. An den Wänden zogen sich lange Regale hin, die aber leer waren. Ansonsten enthielt er nur einen langen Tisch und einige einfache Stühle. Auf diesem Tisch türmten sich Marmeladegläser, die teilweise geöffnet waren. Es handelte sich um einen Teil der betreffenden Ware. Wilson saß am Kopfende des Tisches und hielt einen Löffel in der Hand. Gequält starrte er Lady Agatha an, die neben ihm saß und aufmunternd zunickte. »Nur zu, mein Lieber«, verlangte sie. »Wir haben noch viel Ar beit vor uns. Also, einen Löffel für Lady Agatha, ja, so ist’s recht, einen für die Polizei, ja prima… na, alles in Ordnung mit dem Glas?« »Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß wir noch gar nicht mit dem äh-… Präparieren angefangen haben, Mylady«, stöhnte der ungetreue Geschäftsführer und sah aus, als wenn er sich jeden Augenblick übergeben müßte. »Sicher ist sicher, mein Lieber.« Mylady lächelte und stellte das Glas zur Seite. »Das nächste bitte…« »Das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte der ChiefSuperintendent und schüttelte ungläubig den Kopf. »Im Dienste für die Allgemeinheit scheut Mylady keine Mühe«, gab Parker gemessen zurück. »Man sieht’s.« McWarden sah fasziniert zu, wie Paul Wilson mit gequälter Miene einen neuen Löffel voll Marmelade in den Mund schob. »Falls Sie Mylady helfen und gleichfalls kosten möchten, Sir…« begann Parker und sah McWarden an. »Ich habe zu tun, Mister Parker. Bis später!« McWarden drehte sich auf dem Absatz um und verschwand fluchtartig, was der But ler nur zu gut verstehen konnte.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 388
Günter Dönges
PARKER klärt die »Selbstmord-Serie« 86
Es sind führende Wissenschaftler, die sich brieflich und telefo nisch abmelden und dann plötzlich wie vom Erdboden verschwin den. Sie teilen ihren Firmen und Instituten schlicht und einfach mit, sie hätten die Nase voll und würden aussteigen. Das besor gen sie dann derart gründlich, daß jedes weitere Lebenszeichen ausbleibt. Selbst engste Familienangehörige stehen vor Rätseln und wenden sich besorgt an das Paar aus Shepherd’s Market. Lady Agatha wittert ein Thema für ihren geplanten Bestseller und begibt sich sofort auf den Kriegspfad. Butler Parker hat prompt wieder mal alle Hände voll zu tun, um Schaden von seiner tempe ramentvollen Herrin abzuwenden. Er entdeckt schon bald, daß diese Aussteiger keineswegs freiwillig alternativ leben wollen und kommt einer Organisation auf die Schliche, die sich das große Geld erhofft. Seine Gegner aktivieren Spezialisten für Mord und wollen auch den Butler dazu bringen, sein gewohntes Leben für immer aufzugeben. Günter Dönges legt einen neuen PARKER-Krimi vor, in dem es turbulent zugeht. Hochspannung und Witz bereiten unterhaltsame Stunden. Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!
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