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PARKER demaskiert die »Duplikate« Günter Dönges »Sagen Sie mir, daß ich träume, Mister Parker«, verlangte Lady Agatha und starrte auf die bizarren Felsen. Die Stimme der älteren Dame, stets ein wenig unwirsch klingend, war leise und nachdenklich geworden. »Haben Mylady einen bestimmten Grund, solch eine Bestätigung von meiner bescheidenen Person zu erhalten?« fragte Josuah Parker in seiner würdevollen Art. Er war gerade dabei, ihr und Anwalt Rander eine kleine Erfrischung zu servieren. »Ich träume«, wiederholte Lady Agatha. »Ich weiß genau, daß ich etwas sehe, was nicht sein kann.« »Wahrscheinlich eine Halluzination, Mylady«, meinte Mike Rander. Er saß auf einem Campinghocker und rauchte eine Zigarette. Nicht weit von ihnen rollte die Brandung des Mittelmeeres auf dem kleinen Sandstrand aus. Der Butler in seinem schwarzen Zweireiher kam inzwischen zu dem Schluß, daß seine Herrin wohl doch keiner Sinnestäuschung unterlag. Er gewahrte nämlich ein halbes Dutzend Froschmänner, die ihre Harpunen direkt auf Lady Simpson, Mike Rander und ihn richteten… Die Hauptpersonen: Jerome Bliss bewohnt eine private Insel und scheint mehrfach vorhanden zu sein. Steve Morland kommandiert eine dubiose Inselwache. Barry Bandom will als Sekretär des Mr. Bliss überzeugen. John Harrods restauriert angeblich Möbel und findet eine Flaschenpost. Marty Keene privatisiert als »Gangster in Pension« Kommissar Vernon verzweifelt an einer Lady Simpson. Lady Agatha Simpson setzt eine Polizeitruppe außer Gefecht. Butler Parker wehrt Unterwasser-Harpunen ab. Die Absicht dieser Froschmänner war unverkennbar. Innerhalb der nächsten Sekunden wollten sie die Auslöser drücken, doch Parker kam ihnen zuvor. Er lüftete höflich seine schwarze Melone und deutete eine Ver2
beugung an. Ihm war klar, daß er ohnehin keine andere Chance hatte, den mit Sicherheit tödlichen Schüssen zuvorzukommen. Das Resultat war frappierend. Die Froschmänner drückten nicht ab. Sie blieben unbeweglich zwischen den bizarren Felsformationen der Küstenpartie stehen und rätselten wahrscheinlich, was sie von diesem höflichen Gruß halten sollten. Und dann, wie durch Zauberei, waren die Taucher plötzlich verschwunden, als hätte sie es nie gegeben. »Eine ganz schön kitzelige Situation«, sagte Mike Rander und entspannte sich. »Ich habe also doch nur geträumt, Mister Parker, nicht wahr?« erkundigte sich Lady Agatha. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Die Taucher waren Realität.« »Und sind’s bestimmt noch«, pflichtete Mike Rander dem Butler bei. Er drückte sich hoch und ließ die Felsformation nicht aus den Augen. »Ich würde vorschlagen, Mylady, den Strand zu räumen.« »Etwas Champagner, Sir?« schlug Parker vor. Er schien diesen optischen Zwischenfall schon wieder vergessen zu haben und brachte das ovale Silbertablett gemessenen Schritts zum Campingtisch. Er wartete die Antwort des Anwalts nicht ab, sondern servierte Champagner. Genau in diesem Moment passierte es. Butler Parker sah ein schwarzes längliches Etwas von den Felsen zum Tisch schwirren. Es konnte sich mit Sicherheit nur um eine Unterwasserharpune handeln. Sie war sehr schnell und gut gezielt. Parker verlor nicht die Nerven. Wie selbstverständlich streckte er seinen linken Arm aus. Mit dem Silbertablett in der Hand unterbrach er die Flugbahn der Harpune, die mit viel Wucht gegen das Tablett schrammte. Ein erstklassiger Tennis-Spieler hätte den geschnittenen Ball seines Gegners nicht besser parieren können. Die Harpune deformierte leicht das Tablett und taumelte dann zu Boden. »Das galt mir«, sagte Lady Simpson und erhob ihre majestätische Fülle. Sie schaute grimmig zu den bizarren Felsen hinüber. »Mister Parker, jagen Sie diese Strolche umgehend zum Teufel! Ich habe meinen Champagner verschüttet…« »Wie Mylady es wünschen.« Der Butler behielt das schwere Sil3
bertablett in der Hand und schritt gemessen auf die Felsformation zu. Er hatte kaum zwei Meter hinter sich gebracht, als weitere Harpunen in der Luft erschienen. Sie alle hatten die eindeutige Tendenz, das Trio Lady Simpson, Mike Rander und Butler Parker aufzuspießen! * Mike Rander bewies seine Geschicklichkeit. Mit einer Schnelligkeit und Kraft, die man ihm auf keinen Fall zugetraut hätte, riß er den Campingtisch hoch und benutzte ihn als Schutzschild. Er fing blitzschnell die durch die Luft zischenden Harpunen auf und hinderte sie am Weiterflug. Mit welcher Wucht diese Preßluftgeschosse abgefeuert worden waren, merkte er an den jeweiligen Einschlägen. Jede Harpune war in der Lage, einen Menschen zu durchbohren. Mike Rander hatte sich vor der Lady aufgebaut und gab ihr volle Deckung. Die ältere Dame – um die sechzig, wie sie ihre Lebensjahre vage umschrieb – hatte durchaus mitbekommen, wie ernsthaft dieser Mordanschlag war. Sie preßte sich an den Anwalt und sagte kein Wort. Josuah Parker wehrte noch zwei Harpunen ab, dann aber hatte er bereits die Felsen erreicht. Er sorgte für Verwirrung. Es kam ihm zustatten, daß er selbst anläßlich eines kleinen Strandausflugs stets einige Abwehrwaffen mit sich führte. Butler Parker warf zwei Patentkugelschreiber zwischen die Felsen und brauchte nur Sekunden zu warten, bis der von See kommende Wind das weiß-gelbe Reizgas landeinwärts transportierte. Die Schwaden blieben in den Felsformationen hängen und lösten an einigen Stellen leichte bis mittelschwere Hustenanfälle aus. Parker begnügte sich keineswegs damit. Ihm ging es darum, einen dieser Froschmänner einzufangen. Er wollte herausfinden, wer sie waren und aus welchen Gründen sie ihre Harpunen verschossen hatten. Er bestieg ungemein geschmeidig die Felsformation und hörte bald darauf das harte Aufklatschen von großen Gegenständen im Wasser. Die Froschmänner setzten sich also ab. Butler Parker pirschte sich an eine spitze Felsnase heran und 4
warf einen Blick hinter sie. Er hatte sich nicht getäuscht. Drei der. Froschmänner tauchten nach ihren Sprüngen gerade wieder aus dem schäumenden Wasser. Zwei weitere Männer waren dabei, sich in die richtige Sprungposition zu bringen. Um ein Haar hätte der Butler einen fünften Froschmann übersehen. Er tauchte seitlich hinter einer abgeflachten Felskuppe auf, hatte sein Unterwassergewehr nachgeladen und richtete die Spitze seiner Harpune auf den Gegner. Josuah Parker reagierte automatisch. Er hielt noch das schwere Silbertablett in der linken Hand. Aus dem Handgelenk heraus schleuderte er es als Riesendiskus auf diesen Froschmann. Das Silbertablett lag gut in der Luft, rotierte ein wenig und landete mit der Längskante an der Stirn des heimtückischen Schützen. Der Froschmann stieß einen unterdrückten Schrei aus. Die Harpune löste sich und jagte steil in die Luft. Der Schütze hingegen blieb platt und mit ausgestreckten Armen auf der Felskuppe liegen. Josuah Parker war mit dem Erfolg seiner Bemühungen durchaus zufrieden. Nach der Bergung dieses Mannes konnte man sich eingehend mit ihm über die Motive des Überfalls unterhalten. Ohne Grund konnte er nicht erfolgt sein, wenngleich Lady. Simpson, Rander und Parker wirklich nur als Kurzurlauber an die französische Mittelmeerküste gereist waren. Länger als drei oder vier Tage sollte dieser Abstecher nicht dauern, denn in London schien bereits ein neuer Kriminalfall zu warten. Josuah Parker warf einen Blick in die Runde. Die Froschmänner hatten sich wohl abgesetzt. Ob sie vom Wasser aus noch eine Chance erhielten, denn auf der flachen Kuppe liegenden Mitschwimmer zu erreichen? Parker beeilte sich, den Besinnungslosen in Deckung zu ziehen. Er bewegte den Froschmann gerade ruckartig zur Seite, als aus dem schäumenden Wasser zwischen den weit ins Wasser ragenden Felsen weitere Harpunen heranzischten! Sie richten aber kein Unheil mehr an. Josuah Parker hatte seinen Mann bereits in Sicherheit gebracht, zerrte ihm die Taucherbrille vom Gesicht und streifte die kapuzenartige Kopfbedeckung ab. Er schaute in das harte Gesicht eines Mannes, der seiner Schätzung nach dreißig Jahre zählen mochte. 5
Während die Harpunen wirkungslos über die flache Felskuppe zischten, warf Parker einen prüfenden Blick auf den schmalen Sandstreifen. Lady Agatha saß bereits wieder auf einem Hocker und ließ sich von Mike Rander ein Glas Champagner reichen. Der Butler gestattete sich den Anflug eines andeutungsweise amüsierten Lächelns, Myladys eigenwilliger Hut, der eine pikante Mischung aus Südwester und Napfkuchen darstellte, saß schief auf dem Kopf seiner Herrin. Lady Agatha rückte ihn gerade wieder zurecht und reichte Rander erneut ihr Glas. Sie war dabei, ihren geschädigten Kreislauf zu regenerieren. Die Welt war für sie wieder in Ordnung. * Der Froschmann hingegen befand sich in einem seelischen Tief. Er war zu sich gekommen und hatte natürlich längst festgestellt, daß seine Hände gebunden waren. Er lehnte mit dem Rücken gegen eine Felswand und starrte Lady Simpson mürrisch an. Sie saß auf einem Hocker vor ihm und nickte zufrieden. »Natürlich war das alles nur ein harmloser Spaß«, sagte sie zu dem Mann. »Sie hatten nie vor, mich umzubringen, nicht wahr?« Der Froschmann antwortete nicht. »Sie werden natürlich auch nie verraten, wer Sie geschickt hat«, redete die ältere Dame weiter. »Auch Ihre Freunde werden Sie nicht anschwärzen.« »Sie können mich mal…« Mehr sagte der Froschmann nicht und schmollte. »Zum Beispiel mit einer Harpune beschießen?« Agatha Simpson nickte und erhob sich. »Eine gute Idee! Wie du mir, so ich dir… Vielen Dank für den Tip. Mister Parker wird Sie sofort als Zielscheibe herrichten.« »Mylady riefen?« Parker tauchte neben seiner Herrin auf und sah sie fragend an. »Er hat mich zu einem kleinen Spiel eingeladen, Mister Parker. Er bietet sich als Zielscheibe an. Was halten Sie davon?« »Ein Vorschlag, Mylady, den ich als ausgesprochen kreativ bezeichnen möchte. Allerdings möchte ich in aller Höflichkeit darauf verweisen, daß Mylady keine sonderliche Übung besitzen, was 6
den Umgang mit solch einer Harpune betrifft.« »Übung macht den Meister, Mister Parker«, gab sie gut gelaunt zurück. »Ich werde mich schon einschießen. Hauptsache, wir haben genügend Harpunen.« »Ich war so frei, sie einzusammeln. Mylady können ausgiebig diesem neuen Sport frönen.« »Worauf warten wir eigentlich noch, Mister Parker? Richten Sie dieses Subjekt ein wenig her.« Während sie das sagte, hantierte sie bereits reichlich unfachmännisch mit dem Preßluftgewehr. Wie zufällig richtete sich die Spitze der aufgesetzten Harpune dabei immer wieder auf den Froschmann, der rasch ins Schwitzen geriet. Der Mann beugte sich zur Seite, um dem nadelspitzen Ding aus dem Weg zu gehen, doch immer wieder mußte er auf das scheußliche Geschoß blicken, das ihm magnetisch folgte. Josuah Parker ging auf den Froschmann zu, dessen Gesicht inzwischen schweißnaß geworden war. Er hatte den Gangster noch nicht ganz erreicht, als dicht neben Parker eine Harpune vorbeizischte und sich nur wenige Zentimeter von dem Froschmann entfernt tief in den Sand bohrte. Parker zuckte mit keiner Wimper. Im Gegensatz zu diesem schweißnassen Burschen wußte er, wie gut die resolute Dame mit Waffen aller Art umzugehen verstand. Sie war zum Beispiel eine vorzügliche Sportbogenschützin, die ihre Pfeile stets genau ins Ziel brachte. »Hoppla«, meinte Lady Agatha und tat überrascht, »das hätte aber schief gehen können.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich gleich aus der Schußlinie gehen werde«, versicherte Parker und langte nach dem Froschmann, um ihn als Ziel umzufunktionieren. »Sind… Sie wahnsinnig? Die Alte bringt mich doch glatt um«, keuchte der vor Angst Zitternde und sperrte sich. »Sie sollten das Leben optimistischer und positiver sehen«, schlug Josuah Parker dem Mann vor. »Jede Harpune muß ja nicht gleich treffen…« »Das ist… Mord«, flüsterte der Froschmann mit eindeutig versagender Stimme. »Mylady sehen das erheblich anders.« Parker blieb gelassen und richtete den Mann auf, der sofort danach wieder zusammenrutschte, weil die Beine ihm den Dienst kündigten. 7
»Von mir aus kann er auch sitzen bleiben«, rief Lady Agatha, die das Unterwassergewehr frisch geladen hatte. »Je kleiner das Ziel, desto größer die Herausforderung!« »Die… Die is’ doch wahnsinnig«, stöhnte der Froschmann. »Eine unbewiesene Behauptung, die dazu noch mehr als leichtfertig geäußert wird«, tadelte Josuah Parker. »Halten Sie sich für wahnsinnig, nur weil Sie auf Lady Simpson schossen?« »Wir sollten doch gar nicht treffen«, ereiferte sich der Mann, um dann aufzuschreien. Dicht neben ihm landete eine zweite Harpune im Sand. Das Geschoß bohrte sich vor seiner linken Schwimmflosse ins Erdreich. »Sie sollten nur was, wenn ich höflichst fragen darf?« »Euch… verscheuchen«, gestand der Mann und rückte so zur Seite, daß er von Josuah Parker gedeckt wurde. »Ehrenwort, wir sollten euch nur ‘nen Schrecken einjagen, mehr nicht.« »Dies muß Gründe haben, würde ich sagen.« »Die kenn ich nicht. Ich gehör ja nur zur Inselwache.« »Wäre es Ihnen möglich, meiner bescheidenen Wenigkeit diese Insel zu beschreiben?« »Sie liegt dort hinter der Klippe.« »Und wer bewohnt dieses Eiland, um auch schon die nächste Frage zu stellen?« »Jerome Bliss. Irgendein verrückter Ami. Ehrenwort, ich hab den noch nie gesehen.« »Jerome Bliss!?« Parker zeigte die Andeutung einer Überraschung und trat einen halben Schritt zurück. »Seit wann existiert diese sogenannte Inselwache?« »Wir sind vor drei Monaten engagiert worden«, redete der Froschmann weiter und schielte vorsichtig an Parker vorbei zu Lady Simpson, die sich weiterhin mit Zielübungen befaßte. Auch jetzt richtete sich die Spitze der Harpune immer wieder auf den Inselwächter, der hastig zurückfuhr. »Wie groß ist die Inselwache?« forschte der Butler weiter. »Ich bin sicher, daß Sie keinen Verrat begehen werden, wenn Sie mir auch dieses an sich unwichtige Detail noch nennen.« »Wir sind ein Dutzend Froschmänner«, kam prompt die Antwort. »Und wir haben noch nie auf Touristen geschossen.« »Sondern sie nur verscheucht, wie Sie es ausdrückten.« »Weil hier manchmal Fotografen auftauchen und Bilder schießen wollen.« 8
»Es ist noch nie zu einer Anzeige empörter Badegäste gekommen?« »Ich glaube, so was regelt Steve Morland immer mit einem Scheck«, redete der Froschmann weiter. »Morland ist unser Inselboß.« »Der Sekretär des verwöhnten Jerome Bliss?« »Nein, nein, der Boß von uns Inselwächtern. Der Sekretär heißt Barry Bandom, aber den sehen wir auch nur ganz selten.« »Was wird mit Ihnen geschehen, wenn Lady Simpson Sie zur Insel zurückschwimmen läßt.« »Keine Ahnung!« Der Froschmann hob die Schultern. »Bisher is’ ja noch nie einer von uns erwischt worden.« Bevor der Froschmann antworten konnte, hörte der Butler einen Schuß, der schallgedämpft war… * Mike Rander erschien zwischen den bizarren Klippen. »Wir bekommen noch mal Besuch«, sagte er lässig. »Diesmal schießen die Herrschaften mit richtiger Munition.« »Darf man Einzelheiten erfahren, Sir?« erkundigte sich Butler Parker gemessen. Er blieb gelassen wie stets. »Vier Mann in einem Schlauchboot«, antwortete der Anwalt. »Sie haben sich als Sportfischer getarnt. Sie schießen übrigens nicht schlecht. Um ein Haar hätte es mich erwischt.« Während er sprach, klopfte er Steinsplitter von seinem Jackett. »Sie haben nicht zufällig was Brauchbares, um zurückzuschießen?« »Mit einer regulären Schußwaffe, Sir, vermag ich zu meinem tiefsten Bedauern nicht zu dienen«, antwortete Parker. »Könnte man möglicherweise das vorhandene Preßluftgewehr benutzen?« »Gute Idee, Parker.« Mike Rander zeigte ebenfalls weder Aufregung noch Hektik. Er schien sich mit dem Butler über die klimatischen Bedingungen auf der Insel zu unterhalten. Er war der ein wenig phlegmatisch wirkende Engländer, wie man ihn aus Büchern und Filmen kennt. Daß die Situation sich gefährlich zuspitzte, war ihm nicht anzumerken. Der Froschmann erkannte seine Chance. Obwohl seine Hände gebunden waren, versuchte er zu den bi9
zarren Felsen zu springen, die knapp hinter ihm waren. Er schaffte auch tatsächlich zwei bis zweieinhalb Meter, aber dann wurde sein Hinterkopf von einem perlenbestickten Pompadour getroffen, den Lady Agatha Simpson ihm nachgeworfen hatte. In diesem Handbeutel, wie ihn die vornehmen Damen der Jahrhundertwende trugen, befand sich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Ein auskeilendes Pferd hätte keine bessere Wirkung erzielen können! Der Froschmann überschlug sich fast und blieb dann regungslos im Sand liegen. »Lümmel«, sagte Agatha Simpson mit grollender Stimme. »Das fehlte gerade noch, eine hilflose alte Frau anzugreifen.« »Sie gestatten?« Mike Rander stand neben Lady Agatha und bekam von ihr die Unterwasserharpune. Der Anwalt versorgte sich mit den Harpunen, die Parker vorher bereits gesammelt hatte. Dann nickte er dem Butler zu und verschwand wieder hinter den Felsformationen der Steilküste. »Verstehen Sie das alles?« Die Detektivin hatte sich an den Butler gewandt. »Warum dieser Aufwand? Und wer ist dieser Bliss, oder wie er heißen mag?« »Ein sogenannter Tycoon, Mylady.« »Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken? Ich mag diese amerikanischen Slangausdrücke nicht.« »Ein Wirtschaftsgewaltiger, Mylady, der Imperien kontrolliert und dirigiert, der gleichzeitig aber auch jede Publicity scheut. Ich bin mir durchaus bewußt, daß diese Interpretation nur unvollkommen ist.« »Und dieser Tycoon wohnt dort drüben auf einer Insel?« »Dem scheint so zu sein, Mylady, wenn man die Aussage des Inselwächters im Sand nicht bezweifeln will.« »Diesem Flegel werde ich Manieren beibringen«, erklärte die ältere Dame grimmig. »Bereiten Sie einen Besuch bei diesem Bliss vor, Mister Parker!« »Sehr wohl, Mylady. Soll es sich um einen offiziellen oder inoffiziellen Besuch handeln?« »Was schlagen Sie vor, Mister Parker? Ich würde am liebsten ein paar Kilo Dynamit mitnehmen.« »Diesen durchaus nützlichen Stoff sollte man in der Tat nicht vergessen, Mylady. Darf ich mich jetzt empfehlen? Vielleicht er10
wartet Mister Rander meine bescheidene Hilfe.« »Ich werde mich noch etwas mit diesem Lümmel dort im Sand befassen«, versprach Agatha Simpson und nickte Parker huldvoll zu. »Geben Sie es diesen angeblichen Sportanglern, Mister Parker! Sollten Sie aber in Bedrängnis geraten, dann rufen Sie mich! Dann werde ich mich nämlich einschalten und diesen Subjekten Manieren beibringen…« * Anwalt Mike Rander lag in taktisch günstiger Position und beobachtete das Schlauchboot, das nach einer passenden Landestelle suchte, was gar nicht so einfach war. Gab es am Nord-Strand der Insel weißen und flachen Sandstrand, so war die Südküste steil und unzugänglich, auch und gerade von See her. Es herrschte zwar keine donnernde Brandung, doch die Dünung brach sich schäumend an den Felsen und Klippen dieser Steilküste. Das Schlauchboot mit seinen vier Sportfischern wurde von einem starken Außenborder getrieben, dennoch scheiterte es immer wieder an einer schmalen Einfahrt, die erst eine halbwegs sichere Landung in einer kleinen Bucht ermöglichte. Mike Rander sah einen Moment zu Parker hinüber, der seinen Universal-Regenschirm mitgebracht hatte. Dieser Schirm mit dem Bambusgriff, sehr altväterlich gebunden und aussehend, hatte es im wahrsten Sinn des Wortes in sich. Er ließ sich innerhalb weniger Sekunden in eine potente Waffe umfunktionieren. Durch den Schirmstock konnte der Butler, nur um ein Beispiel zu nennen, entweder bunt gefiederte Blasrohrpfeile oder kleine Schrotpatronen verschießen. Noch aber brauchte Parker nicht einzugreifen. Höflich, wie es seiner Art entsprach, überließ er dem Anwalt die Abwehr. Und Mike Rander konnte mit einem Preßluftunterwassergewehr gut umgehen. Während seiner Tätigkeit in den USA hatte er sich sportlich viel betätigt. Die Insassen des Schlauchbootes waren erneut auf den Anwalt, allerdings auch auf den Butler aufmerksam geworden. Zwei Sportfischer hatten ihre Angelruten mit kurzläufigen Schnellfeuergewehren vertauscht, deren Mündungen lange Schalldämpfer aufwiesen. 11
Mit diesen Schußwaffen legten sie eine Art Sperrfeuer zwischen sich und die beiden Verteidiger. Immerhin wollten sie möglichst ungehindert und ohne Blessuren an Land kommen. Dank der Brandung lag das Feuer schlecht. Die Geschosse jaulten als Querschläger durch die bizarre Gegend, ohne Unheil anzurichten. »Logisch dürfte dieses Gefecht nicht gerade sein«, sagte Mike Rander und öffnete sein Zigarettenetui. Josuah Parker reichte formvollendet Feuer für die Zigarette, um erst dann zustimmend zu nicken. »Diese Burschen müssen doch mit einer Anzeige rechnen, Parker.« »Durchaus, Sir, aber man wird sie nicht belangen können.« »Weshalb nicht, Parker?« »Man wird ihre Identität nicht feststellen können, Sir. Man wird sie für eine gewisse Zeit von der sprichwörtlichen Bildfläche verschwinden lassen.« »Glauben Sie wirklich, daß man uns umbringen will?« »Es hat erstaunlicherweise durchaus den Anschein, Sir. Darf ich noch etwas hinzufügen?« »Natürlich, Parker. Sie halten das da unten für einen Trick, nicht wahr?« »In der Tat, Sir! Eine zweite Gruppe, die sich Ihrem und meinem bescheidenen Blick entzieht, dürfte an anderer Stelle an Land gehen.« »Und was nun? Die Insel ist zwar nicht besonders groß, Parker, aber winzig ist sie gerade auch nicht.« »Man sollte, wenn ich es vorschlagen darf, eine andere Verteidigungsstellung beziehen.« »Und die wäre wo?« »Ich erlaube mir, die üppige Vegetation dieses Geländes zu empfehlen.« »Nicht schlecht, Parker. Da dürften wir ‘ner kleinen Armee überlegen sein. Aber Moment noch, bevor wir uns zurückziehen, möchte ich mal das Preßluftgewehr ausprobieren.« Mike Rander visierte kurz nach unten und löste die Harpune. Sie jagte hinunter zum Wasser und… landete vorn im Bug des Schlauchbootes. Der Sportfischer am Außenborder riß das Steuer herum und gab Vollgas, um aufs Meer zu jagen. »Das ist genau die Atempause, die wir brauchen.« Mike Rander 12
lächelte zufrieden. »Okay, setzen wir uns ab, Parker. Man soll sein Schicksal nicht unnötig versuchen.« Die beiden Männer traten den Rückzug an und brauchten nur wenige Minuten, bis sie den schmalen Sandstreifen zwischen den Felsen und Klippen erreicht hatten. »Mylady scheint einen kleinen Ausflug unternommen zu haben«, stellte der Anwalt fest, der die ältere Dame dort vermißte, wo sie eigentlich hätte sein müssen. »Darf ich höflichst widersprechen, Sir?« schickte der Butler in seiner gemessenen Art voraus und deutete auf unübersehbare Schleifspuren im feinen Sand. »Mylady dürfte nach Lage der Dinge inzwischen entführt worden sein.« * »Demnach sind wir jetzt an der Reihe, wie?« Rander schaute nach allen Seiten. »Sie haben recht behalten, Parker, das Schlauchboot hat uns ablenken sollen.« »Eine Aktion, der man taktisches Geschick nicht absprechen sollte.« »Ihre Ruhe möchte ich haben, Parker. Gleich sind wir dran. Irgendwo werden die Kerle ja noch herumlungern.« »Kaum, Sir, um es knapp und lakonisch zu sagen.« »Und warum nicht?« Mike Rander hielt das geladene Harpunengewehr schußbereit in Händen und schaute sich erneut um. »Dieser Froschmann ist natürlich auch verschwunden.« »Man dürfte Lady Simpson als Geisel genommen haben, Sir«, stellte der Butler ruhig fest. »Damit befinden Sie sich, Sir, in der Rolle einer Person, die nur noch reagieren darf. Von meiner bescheidenen Person mal ganz zu schweigen.« »Okay. Wir werden ab sofort nach der Pfeife dieser Froschmänner tanzen müssen. Wenn man nur wüßte, wer sie sind.« »Eben erwähnter Froschmann machte in dieser Richtung einige interessante Aussagen, Sir.« »Da liegt ein Wisch im Sand, Parker. Der scheint für uns bestimmt zu sein.« »Mit Sicherheit, Sir, ich war so frei, ihn bereits zu bemerken.« »Dann nichts wie hin, vielleicht erfahren wir Einzelheiten.« Mike Rander wollte sich sofort in Bewegung setzen. Er machte sich 13
Sorgen um Lady Simpson. »Darf ich anregen, Sir, diesen Zettel zu übersehen?« »Warum denn das, Parker? Vielleicht steht darauf, unter welchen Bedingungen wir die Lady auslösen können.« »Mit Sicherheit dürften solche Hinweise auf dem Zettel stehen, Sir. Jedoch, man könnte wertvolle Zeit gewinnen, wenn man den Zettel nicht zur Kenntnis nimmt und ihn quasi übersieht.« »Ganz schön schlitzohrig, Parker.« Mike Rander hatte verstanden und lächelte. »Hauen wir also ab, Parker. So ganz sicher fühle ich mich hier nicht.« »Darf ich das vorschlagen, Sir, was man eine übereilte Flucht nennen würde?« »Panik oder so, Parker?« »Sie dürfen versichert sein, Sir, daß ich mir ehrliche Mühe geben werde, eine gewisse Panik an den Nachmittag zu legen.« »Dann nichts wie los!« Rander schaute sich noch mal wie ein jetzt gehetztes Tier um und rannte davon. Er hielt auf den schmalen Pfad zu, der durch die Klippen zum Plateau hinaufführte. Der Butler bemühte sich, wie versprochen, um Panik. Er ging ein wenig schneller als üblich, deutete sogar so etwas wie einen verhaltenen Lauf an. Dennoch blieben seine Bewegungen würdevoll und gemessen, wenn man nur genauer hinsah. Parker war es so gut wie unmöglich, Hast an den Tag zu legen. Mike Rander hatte den Rand des Plateaus erreicht und sah auf das Mittelmeer. Als Parker neben ihm stand, deutete der Anwalt auf das Schlauchboot, das weit draußen im Meer trieb. »Sie haben sich abgesetzt«, sagte er. »Aber wo mag Lady Simpson nur sein?« »Darf ich mir erlauben, Sir, eine Befürchtung zu äußern?« »Sie… Sie glauben doch nicht, daß man sie umge…? Mensch, Parker, malen Sie nicht den Teufel an die Wand!« »Man dürfte Mylady in Richtung der Ile du Levant schaffen.« »Die ist von hier nicht einzusehen. Kommen Sie, vergewissern wir uns!« Nach knapp einer Viertelstunde sahen sie eine kleine Motoryacht, die zusätzlich noch ein Segel gesetzt hatte. Dieses kleine schneeweiße Fahrzeug hielt tatsächlich auf die dritte der drei Hauptinseln der Iles d’Hyeres zu. »Hoffentlich stimmt Ihre Vermutung, Parker«, seufzte Mike 14
Rander. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Eine Lady Simpson ist zu wichtig, als daß man sie einfach umbringen würde.« »Und woher weiß man, wer sie ist, Parker?« »Der erfolgte Überfall, Sir, dürfte ein Indiz hierfür sein.« »Man hat uns also nicht nur angegriffen, weil wir so eine Art Bannmeile verletzten?« »Die Massivität des Überfalls läßt darauf schließen, Sir, daß man Mylady und Sie, Sir, sehr wohl kannte.« »Sie nehmen sich bescheidenerweise wieder mal aus, wie?« Mike Rander lächelte. »Vielleicht dürfte auch meine Wenigkeit von einem gewissen Interesse sein, Sir.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an. »Also schön, Parker. Dann haben wir es mit einem Gangsterboß zu tun, der glaubt, daß wir ihm Ärger bereiten wollen, wie?« Mike Rander wußte noch nichts von dem Teilgeständnis des Froschmannes, er hatte den Namen des Tycoon noch nie gehört. »Ein Gangsterboß, Sir.« Parker fragte eigentlich nicht, sondern wiederholte nur völlig neutral diesen Begriff. »Wenn Sie erlauben, möchte ich dem zustimmen Sir, selbst dann, wenn Sie erfahren, wem die kleine Insel östlich der Ile Port-Gros gehört.« * »Ich kenne nur den Namen, Mister Parker, sonst weiß ich gar nichts von diesem Mann«, sagte Kathy Porter. »Jerome Bliss muß ein ganz großes Tier sein, nicht wahr?« Die fünfundzwanzigjährige Kathy Porter, schlank, etwas über mittelgroß, hatte kastanienrotes Haar und ein pikant geschnittenes Gesicht. Sie erinnerte auf den ersten Blick ein wenig an ein scheues Reh und schien sich ihrer eindeutigen Reize überhaupt nicht bewußt zu sein. Allerdings konnte sie sich in Sekunden in eine Pantherkatze verwandeln und nachdrücklich zuschlagen. Die junge Dame war in allen einschlägigen fernöstlichen Kampfarten bestens bewandert und darüber hinaus Parkers Meisterschülerin, was das Anlegen von Masken betraf. Als Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson wurde Ka15
thy von der älteren Dame wie eine leibliche Tochter behandelt. Sie war vor einer halben Stunde aus dem nahen Toulon gekommen, wo sie für Lady Agatha geschäftlich unterwegs war. Nun wußte sie inzwischen, was ihrer Chefin widerfahren war. Ihre Betroffenheit war nicht gespielt. »Jerome Bliss ist eine Art Howard Hughes«, antwortete Josuah Parker. »Er kontrolliert ein riesiges, weitverzweigtes Wirtschaftsimperium, Miß Porter. Dazu gehören Bankgruppen, Flugzeugfirmen, Werften und Ölfelder. Mister Bliss gilt als ungemein menschenscheu und wurde seit etwa zehn Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.« »Und er wohnt auf einer der Hyeres-Inseln?« staunte Kathy Porter. »Möglicherweise nur vorübergehend«, redete Parker gemessen weiter. »Mister Bliss ist dafür bekannt, daß er seine zahlreichen und oft geheimen Wohnsitze jäh ändert.« »Wie kann solch ein Mann ein Wirtschaftsimperium kontrollieren?« »Er hat seine Sekretäre, Vertrauten und Direktoren«, warf Mike Rander ein. »Das alles dürften Marionetten in seinen Händen sein. Wenn er hustet, haben sie gefälligst erkältet zu sein.« Mike Rander, Kathy Porter und Butler Parker befanden sich nicht im Hotel, in dem Lady Simpson Quartier bezogen hatte. Um auch telefonisch vorerst nicht erreicht werden zu können, hatten sie ein kleines Bistro in der Nähe des Hotels aufgesucht, Hyeres, dieser wohl älteste Kurort an der französischen Riviera, lag nicht direkt am Wasser, sondern klebte mit seinen Gassen und Häusern am Südhang eines Schiefermassivs, von wo aus man weit aufs Mittelmeer sehen konnte. Für diese Schönheiten hatten die drei Begleiter der Lady Simpson jetzt allerdings kein Auge. Es galt, den richtigen Weg zu finden, um Mylady wieder zu befreien. Daß man sie als Druckmittel und Geisel benutzen würde, war ihnen klar. »Noch mal zurück zu Ihrer These, Parker«, schickte Mike Rander voraus. »Ihrer Ansicht nach ist es Bliss aufgestoßen, daß wir hier herumkrebsen. Habe ich das richtig verstanden?« »In der Tat, Sir!« »Demnach muß er doch Dreck am Stecken haben.« »Das meine ich allerdings auch«, pflichtete Kathy Porter dem Anwalt bei. 16
»Nicht unbedingt Mister Jerome Bliss«, erwiderte Josuah Parker. »Man könnte auch durchaus davon ausgehen, daß er von den Methoden seiner Mitarbeiter kaum eine oder gar keine Ahnung hat.« »Dann muß man Bliss eben den Star stechen, Parker«, sagte Mike Rander aufgebracht. Er verlor ein wenig von seiner sonst gezeigten Lässigkeit. »Eine ältere Dame entführen! Das muß man sich mal vorstellen.« »Die Bewohner der kleinen Privatinsel haben tatsächlich keine Ahnung, Sir, worauf sie sich da eingelassen haben«, lautete Parkers trockene Antwort. »Ach so!« Nun lächelte Rander, dann auch Kathy Porter. Sie wußten ja nur zu gut, wie dynamisch Lady Agatha war. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die beim Anblick einer Maus oder gar einer Ratte in Schreikrämpfe verfielen. Den Schneid ließ sie sich fast nie abkaufen, und selbst in Gefahrensituationen, die weit über das Normale hinausgingen, blieb sie aggressiv und zäh. In der Vergangenheit hatte das schon mancher Gangster am eigenen Leib erfahren. »Verzeihung, darf man stören?« fragte plötzlich ein älterer Herr, der einen grundsoliden, konservativen Eindruck machte. Er stand neben dem runden Tisch und reichte Mike Rander seine Visitenkarte. »Mein Name ist Harrods, Sir, Möbelrestaurator in London.« »Was kann ich für Sie tun, Mister Harrods?« fragte Rander, der natürlich sofort an einen Boten der Gangster dachte. Er tauschte mit Parker und Kathy einen schnellen Blick. »Ich hörte am Nebentisch, daß Sie Briten sind«, redete Harrods weiter. »Ihnen kann ich mich vielleicht anvertrauen und wohl auch um einen Rat bitten.« »Durchaus, Mister Harrods.« Mike Rander war aufgestanden. »Ich… habe eine Flaschenpost gefunden, Sir«, sagte der etwa fünfundfünfzigjährige Harrods. »Eine sehr merkwürdige Geschichte!« »Flaschenpost ist an den Meeresküsten gar nicht so selten, Mister Harrods.« »In der Sherryflasche fand ich diesen kleinen Zettel, mit dem ich nichts anfangen kann, Sir. Ich wollte zuerst zur Polizei gehen, aber dann fürchtete ich mich lächerlich zu machen.« Mike Rander nahm den Zettel entgegen, der offensichtlich von einer einfachen Papierserviette stammte. Er warf einen kurzen 17
Blick auf die Unterschrift, stutzte und reichte den Zettel dann an Josuah Parker weiter. »Unser Tycoon hat sich da gemeldet«, meinte Rander dazu. »Seltsamer Zufall, nicht wahr!?« * Lady Agatha war gereizter Stimmung. Sie ärgerte sich noch immer darüber, daß man sie so einfach und wirkungsvoll überfallen und entführt hatte. Von dem gefangenen Froschmann abgelenkt, hatten sich ein paar Männer an sie herangepirscht und mittels eines in Chloroform getränkten Lappens außer Gefecht gesetzt. Unter den Nachwirkungen des Chloroforms litt sie jetzt noch, als man die Tür zu ihrer winzig kleinen Kabine öffnete. Sie schloß für einen Moment die Augen, um sie dann vorsichtig an das grelle Sonnenlicht zu gewöhnen, das in die Kabine fiel. Sie sah vor sich zwei sportlich gekleidete, muskulöse Männer, die sich überlegen und ruppig zeigten. »Raus, Lady«, sagte der Untersetztere der beiden in breitem Südstaaten-amerikanisch. »Nun machen Sie schon – oder sollen wir Ihnen Beine machen?« Zur Unterstreichung seiner Worte hielt er ihr die Klinge seines Messers entgegen. Er erwartete wohl, Mylady würde jetzt mit angstvoll geweiteten Augen darauf reagieren, doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Mann jaulte auf, als Agatha Simpson ihm die Spitze ihres sportlichen Schuhs gegen das linke Schienbein setzte. »Wie benehmen Sie sich denn einer Dame gegenüber?« fragte die Sechzigjährige dann grollend und musterte bereits den zweiten Muskulösen, der sicherheitshalber einen Schritt zurückgewichen war. »Dafür werd ich dich…« Der Getretene massierte in gebückter Haltung sein schmerzendes Bein und sah dabei Lady Simpson giftig an. »Gar nichts werden Sie! Gehen Sie voraus und zeigen Sie mir den Weg!« »Schon gut«, vermittelte der zweite, Mann. »Alles in bester Ordnung, Lady. Sie sollen hoch an Deck kommen. Wir sind da.« »Wo sind wir!?« 18
»Auf der Insel«, erwiderte der Mann. »Der ganze Irrtum wird sich gleich aufklären.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Man hatte ihr den perlenbestickten Pompadour erfreulicherweise nicht abgenommen und ahnte wohl nicht, daß sich darin ein Hufeisen befand. Agatha Simpson wartete, bis die Kabinentür freigegeben wurde und kletterte dann scheinbar steifbeinig und unbeholfen über einen steilen Niedergang an Deck der kleinen kombinierten Motor- und Segelyacht. Die Detektivin sah sich neugierig um und war enttäuscht. Von der Insel, die man erreicht haben wollte, war leider nicht viel zu sehen. Die kleine Yacht befand sich in einer Art Naturdock, das aus aufeinandergesetzten Natursteinen bestand. Eine Steintreppe führte nach oben und verschwand hinter überhängenden Sträuchern. »Wer wohnt hier?« raunzte sie den Muskulösen an, der sich betont höflich gab. »Sie werden den Besitzer gleich kennenlernen«, lautete die Antwort. »Würden Sie jetzt mal raufgehen, Lady? Sie werden da oben erwartet.« Agatha Simpson schätzte blitzschnell ihre Chancen ab. Außer den beiden Muskulösen befanden sich noch vier weitere Männer an Deck, die alle nicht gerade unterernährt oder unsportlich aussahen. Nein, sie machte sich nichts vor! Gegen solch eine Übermacht konnte sie sich auch mit ihrem Pompadour nicht durchsetzen… Hinzu kam selbstverständlich die stets hellwache Neugier der älteren Dame. Sie wollte jetzt dem Besitzer dieser Insel unbedingt Auge in Auge gegenüberstehen. »Also gut«, entschied sie und musterte mißtrauisch die Treppe. »Hoffentlich schaffe ich dieses Hindernis, ich bin nicht gerade gut auf den Beinen.« Sie schaute zu den Sträuchern hinauf, hinter denen die Steintreppe verschwand. Dort waren jetzt zwei weitere Männer aufgetaucht. Auch sie sahen nicht aus wie Stubenhocker und hielten schußbereite Harpunengewehre in ihren Händen. Lady Agatha war froh, nichts unternommen zu haben. Sie hätte sicher den kürzeren gezogen, deshalb stieg sie von Bord der kleinen Yacht auf den schmalen Kai und machte sich daran, schnaufend die Steintreppe zu erklimmen. Es kam ihr darauf an, den 19
Männern zu zeigen, wie schlecht ihre Kondition war. Sie brauchten noch nicht mal zu ahnen, daß in ihr die Dynamik einer Dampfwalze schlummerte. * »Ein Hilferuf, falls ich den Text richtig interpretiere«, sagte Josuah Parker, nachdem er den knappen Inhalt überlesen hatte. »Dieser Hilferuf ist in englischer Sprache abgefaßt und von einem gewissen Bliss unterschrieben.« Während Parker dies zusammenfaßte, reichte er den Zettel an Kathy Porter weiter. »Hilfe, sitze im Bunker«, las Myladys Sekretärin halblaut vor. »Totale Plastik oder Wahnsinn. Ile de…« »Der Name der Insel ist nicht ausgeschrieben«, warf Mike Rander ein, um sich dann an den interessiert zuhörenden Möbelrestaurator zu wenden. »Wo haben Sie die Flasche gefunden? Können Sie sich noch an den genauen Punkt und auch an die Zeit erinnern?« »Das war heute morgen, so gegen zehn Uhr«, erwiderte Harrods. »Ich war am Oststrand von Giens, unterhalb von Hyeres. Beinahe hätte ich die Sherryflasche übersehen. Sie lag zwischen angetriebenem Tang.« »Darf man fragen, wo die besagte Flasche sich befindet, Sir?« wollte Josuah Parker wissen. »Die habe ich ins Meer zurückgeworfen.« Harrods zuckte die Achseln. Er deutete auf den Zettel. »Ist das eine wichtige Nachricht? Oder nur ein Jux, den irgendwelche Burschen sich erlaubt haben?« »Schwer zu sagen, Sir.« Mike Rander lächelte neutral. »Mit solch einem makabren Spaß muß man natürlich immer rechnen.« »War die Flasche noch nicht von den Spuren des Meeres gezeichnet?« warf Josuah Parker ein. »Von wem, bitte?« Harrods hatte nicht ganz verstanden. »Waren bereits Muscheln an ihr, Sir?« schaltete sich nun Kathy Porter ein. »War es eine moderne Flasche? Befand sich noch das Etikett auf ihr?« »Nein, nein, keine Muscheln, sie sah ziemlich neu aus, aber sie hatte kein Etikett mehr. Also, wenn Sie mich fragen, so kann sie 20
erst seit kurzer Zeit im Wasser gewesen sein.« »Und woraus schließen Sie das, Mister Harrods?« fragte der Anwalt. »Der Korken, verstehen Sie, der Korken! Das Salzwasser hatte ihn noch nicht angefressen. Und versiegelt, mit Wachs oder so, war sie nicht.« »Ein wichtiger Hinweis, Sir«, bedankte sich Parker. »Und was soll ich jetzt tun?« wollte Harrods wissen. »Ist das eine Sache für die Polizei?« »Sind Sie damit einverstanden, daß wir das in die Hand nehmen?« erkundigte sich der Anwalt und reichte Harrods seine Visitenkarte. »Ich bin Anwalt und weiß, wie man mit Behörden umgeht.« »Aber bitte, Sir, für mich ist die Sache damit erledigt.« Harrods atmete sichtlich erleichtert auf. »Ich habe nämlich hier in der Gegend noch viel zu tun, müssen Sie wissen. Ich kaufe alte Möbel und muß noch einige Gutachten schreiben.« »Wo könnte man Sie eventuell erreichen, falls eine Belohnung gezahlt werden sollte?« fragte Parker höflich. »Ich wohne hier in Hyeres«, antwortete der Restaurator, »im Val Rose, um genau zu sein. Gegen Abend werden Sie mich dort immer erreichen. Ich bleibe noch mindestens eine Woche.« »Dann wird man sich hin und wieder sehen«, sagte Rander und lächelte. »Sie wollen doch schließlich wissen, was aus dieser seltsamen Geschichte geworden ist, oder?« »Glauben Sie, daß es sich um ein Verbrechen handelt, Sir?« Harrods’ Stimme senkte sich unwillkürlich. »Kaum.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Ich denke da an einen Streich, den irgendwelche Bengels uns Erwachsenen gespielt haben.« »So wird es wohl sein.« Harrods nickte und verließ den Tisch. Er beglich am Tresen umständlich seine Rechnung und war bald darauf auf dem kleinen Platz verschwunden. »Was vermuten Sie, Parker?« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Hat sich hier unser Tycoon Bliss gemeldet?« »Solch einen Verdacht sollte man immerhin nicht ausschließen«, gab der Butler gemessen zurück. »Ich erlaube mir bereits, über die Begriffe Plastik und Wahnsinn nachzudenken, doch ich muß offen gestehen, daß ich mir darauf im Augenblick noch keinen Reim machen kann.« 21
* »Steve Morland«, seilte der schlanke, kleine Mann sich vor. Er konnte fünfunddreißig sein und hatte unruhige Augen, die fast ständig in Bewegung waren. Dunkle, ein wenig fanatisch wirkende Augen. »Wer ich bin, dürften Sie ja inzwischen wissen«, grollte Agatha Simpson. »Und ich sage Ihnen gleich, daß ich mir solch eine Behandlung nicht bieten lasse. Sie werden Ärger bekommen.« Die energische Lady befand sich in einem nüchtern eingerichteten Büro, das in einem alten Gewölbe untergebracht war. Sie war mit Morland leider nicht allein. Hinter ihr standen die beiden Männer, die sie aus der Kabine geholt hatten. »Sie werden sich das gefallen lassen müssen, was ich Ihnen verordnen werde«, antwortete Morland und lächelte böse. »Und ich kann hier eine Menge verordnen, wetten?« »Sie haben mich entführen lassen und halten mich hier gegen meinen Willen fest.« »Die Strafe für Ihre Neugier, Lady Simpson.« »Wieso Neugier? Ich bin auf der Durchreise. Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Privatgelände betreten? Ich war an einem völlig normalen Strand drüben auf der Ile Port-Gros.« »Wie wollen Sie das beweisen, Mylady? Sie waren hier auf der Ile des Grottes! Und diese Insel ist nun mal Privatbesitz.« »Papperlapapp! Sie haben mich heimtückisch entführen lassen. Ich möchte sofort den Besitzer dieser Insel sprechen.« »Das schaffen selbst Sie nicht, Lady Simpson, aber Sie können sich mit seinem Sekretär unterhalten.« »Wie heißt denn der Besitzer?« Die Detektivin tat so, als habe der Froschmann nichts gesagt. »Sie wissen es tatsächlich nicht?« Der schmale kleine Mann lächelte wissend und boshaft. »Woher sollte ich das wissen?« brauste die ältere Dame auf. »Sie sind doch nicht zufällig auf die Insel gekommen, Lady Simpson.« »Und was hätte ich hier verloren, junger Mann?« »Keine Ahnung, Mylady. Vielleicht wollten Sie sich mit Mister Bliss unterhalten.« 22
»Wer ist denn das nun wieder?« tat Agatha Simpson erstaunt. »Schon gut, schon gut, Sie brauchen sich nicht anzustrengen, Sie brauchen sich auch nicht zu verstellen. Ich werde Mr. Bandom verständigen. Meine Arbeit ist getan. Ich habe Sie abgefangen, soll er entscheiden, was man mit Ihnen anstellt.« Steve Morland griff nach dem Haustelefon und teilte Barry Bandom mit, er habe sein Verhör abgeschlossen. Dann stand er auf und ging zur Verbindungstür, die in einen Nebenraum führte. Er hatte sie gerade geöffnet, als ein streng wirkender, aber noch recht junger Mann auftauchte, der etwa dreißig Jahre zählte. Er trug einen korrekten, erstklassig geschnittenen Anzug und eine schwarze Hornbrille, die ihm ein professorales Aussehen verlieh. Er verbeugte sich bereits in der Tür vor Agatha Simpson. »Ich bringe gute Nachrichten«, sagte er, bevor die Lady reagieren konnte. »Mister Bliss wird Sie für ein paar Minuten empfangen, Mylady.« »Tatsächlich?« Der Boß der Inselwächter sah den Sekretär des Tycoon mehr als überrascht an. »Wie überaus gütig«, entrüstete Agatha Simpson sich. »Hoffentlich wird er sich auch bei mir entschuldigen.« »Mylady, diese Insel ist Privatbesitz«, erinnerte nun auch der Sekretär des geheimnisvollen Wirtschaftsgewaltigen. »Wenn Sie Unannehmlichkeiten gehabt haben sollten, so bedaure ich das zwar, letztlich aber haben Sie sich allen Ärger selbst zuzuschreiben.« Mylady war versucht, ihren perlenbestickten Pompadour samt dem »Glücksbringer« einzusetzen, doch sie bezähmte die aufsteigende Lust. Immerhin sollte sie diesen geheimnisumwitterten Jerome Bliss kennenlernen. Das war mehr, als sie erwarten durfte. Auf der anderen Seite mußte sie natürlich auf der Hut sein. Vielleicht war das Angebot einer Unterhaltung mit Jerome Bliss nur eine Falle, um sie auf raffinierte Art und Weise aus dem Büro zu locken. Doch Lady Agatha sollte angenehm enttäuscht werden. Der Privatsekretär ging voraus, wandte sich hin und wieder höflich zu ihr um und führte sie über eine teppichbelegte Treppe in das Erdgeschoß des Hauses, in dessen Gewölben sie sich eben noch befunden hatte. »Das Haus ist geschickt in eine alte Abtei eingebaut worden«, 23
erklärte Barry Bandom. »Mister Bliss legt größten Wert darauf, daß die natürliche Umgebung nicht zerstört wird, wie man das leider oft an der Küste findet.« »Scheint ja ein reizender Mensch zu sein, junger Mann.« Sarkasmus war in ihrer Stimme. »Warum versteckt er sich nur vor der Öffentlichkeit?« »Eine Marotte, Mylady. Mister Bliss möchte seine Geschäfte ungestört abwickeln.« »Sind Sie seine einzige Verbindung zur Außenwelt, junger Mann?« fragte sie streng weiter. »Aber nein, Mylady.« Barry Bandom schüttelte den Kopf. »Mister Bliss hält monatlich eine Sitzung der Spitzenmanager ab.« »Hier auf der kleinen Insel? Faßt denn die alle Leute?« lag Spott in ihrer Stimme. »Diese Sitzungen finden an Orten statt, die kurz vor den jeweiligen Terminen erst genannt werden. Wegen der Reporter, Mylady, Sie verstehen?« »Alles sehr geheimnisvoll, das muß man schon sagen.« »Alles sehr verständlich, Mylady. So, wenn ich jetzt bitten darf. Sie sind ja bereits angemeldet.« Barry Bandom hatte im Erdgeschoß eine gepolsterte Tür erreicht und drückte in bestimmtem Rhythmus auf einen am Rahmen angebrachten Klingelknopf, um die schwere Tür dann aufzudrücken. Mylady war ehrlich neugierig und gespannt auf Jerome Bliss. Sie blickte zuerst in ein halbdunkles Zimmer, sah einen mächtigen Schreibtisch und hörte dann rechts hinter einem Bogen ein hartes Räuspern, das wie eine schwache Explosion klang. »Lady Simpson?« fragte eine heisere Stimme. »Jerome Bliss?« lautete die Gegenfrage. »Könnte man nicht mehr Licht haben?« »Meine Augen«, erwiderte Jerome Bliss und kam um den Torbogen herum, der den saalartigen Raum in zwei Hälften teilte. Lady Agathas Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Neugierig betrachtete sie diesen Mann, über den, die Zeitungen in aller Welt seit vielen Jahren schrieben, ohne jedoch konkrete Angaben machen zu können. »Nehmen Sie einen Drink, Mylady?« erkundigte sich Bliss. Er war an die sechzig Jahre alt, groß, hager und hatte dünnes, weißes Haar. Er trug einen Morgenmantel. »Sie wissen, daß man mich gegen meinen Willen auf diese Insel 24
gebracht hat?« fragte die Detektivin scharf. »Lassen wir das.« Jerome Bliss winkte gelangweilt ab. »Angestellte überziehen gern ihre Befugnisse. Regen wir uns nicht über Kleinigkeiten auf.« »Man hat mich mit Chloroform betäubt.« »Vergessen Sie es, Mylady. Morland werde ich bei Gelegenheit feuern. Der Mann übertreibt. Nehmen Sie einen Drink? Bandom, für mich ein Ginger-Ale. So, Mylady, und jetzt stellen Sie Ihre Fragen. Ohne Grund sind sie ja nicht hierher gekommen. Wollten Sie sich davon überzeugen, daß es mich noch gibt?« * »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, sagte Mike Rander und sah Agatha Simpson kopfschüttelnd an. »Er hat Sie empfangen und sich ausgiebig mit Ihnen unterhalten?« »Über eine Stunde, Mike.« »Und man hat Sie wieder zum Hotel zurückgebracht?« »Barry Bandom besorgte das. Er hatte alles vorbereitet. Mal abgesehen von dieser Entführung, für die er sich entschuldigte, bin ich erstklassig behandelt worden.« »Das ist ja fast eine Sensation, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Bliss hat seit Jahren keinen Menschen mehr empfangen. Mit der Außenwelt verkehrt er nur über seine Spitzenmanager und Anwälte. Manche glauben sogar, daß Bliss schon lange nicht mehr lebt.« »Auf mich machte er einen sehr munteren Eindruck, Kindchen. An Sie, Mister Parker, scheint das alles nicht heranzukommen, wie?« »Ich erlaube mir, mich einer gewissen und ausgeprägten Überraschung hinzugeben, Mylady.« »Wegen der Entführung, nicht wahr? Übereifrige Angestellte! Bliss ist mit einer Handbewegung darüber hinweggegangen, ich dann selbstverständlich auch. Dieser Bliss ist ein sehr gescheiter Bursche, offen gesagt.« »War es Mister Jerome Bliss, Mylady?« »Was soll denn die Frage, Mister Parker?« Lady Agatha sah den Butler fast empört an. »Trauen Sie mir keine Menschenkenntnis zu? Glauben Sie etwa, eine erfahrene Frau wie mich könnte man 25
täuschen?« »Niemals, Mylady. Aber ich darf jetzt wohl auf eine gewisse Flaschenpost verweisen.« »Flaschenpost, Mister Parker?« Agatha Simpson war irritiert. »Die Geschichte ist schnell erzählt, Mylady«, schaltete sich Anwalt Rander ein. »Sie ist ziemlich abenteuerlich, das möchte ich gleich vorwegnehmen.« Er reichte ihr den Zettel, der aus einem Stück Papierserviette bestand und ließ der älteren Dame Zeit, den Text genau zu überlesen. Als dies geschehen war, schüttelte sie den Kopf und lehnte sich in ihren Sessel zurück. »Was soll das heißen: Plastik oder Wahnsinn? Was habe ich mir darunter vorzustellen, Mister Parker?« »Meine bescheidene Person befindet sich noch im Stadium des Nachdenkens«, antwortete der Butler. »Ich möchte allerdings darauf verweisen, daß man diesen Text nicht als einen dummen Scherz betrachten sollte.« »Natürlich ist das ein dummer Scherz, Mister Parker. Sie wittern einen Kriminalfall, wo keiner ist. Das ist doch typisch für Sie! Ich habe mit Bliss gesprochen…« »… den Mylady kennen?« fragte Parker überraschend knapp. »Äh, natürlich nicht, das heißt, ich habe da einige Fotos von ihm gesehen. Bliss ist groß, hager, hat schütteres weißes Haar und räuspert sich in einer Art, als würde er Sprengkörper verschießen. Ja, und dann trinkt er Ginger Ale.« »Eine, wenn ich es sagen darf, perfekte Beschreibung des Mister Jerome Bliss«, entgegnete der Butler und verbeugte sich andeutungsweise zustimmend. »Er besitzt eine heisere Stimme, Mylady?« »Richtig, seine Stimme ist heiser, rauh wie ein Reibeisen.« »So wird Bliss in Magazinen und Zeitungen beschrieben«, warf Kathy Porter ein und nickte. »Soll ich ein paar Aufnahmen von Jerome Bliss besorgen, Mylady? Unsere Geschäftsfreunde in Toulon könnten das bestimmt arrangieren.« »Wozu denn dieser Umstand?« Agatha Simpson zeigte sich halsstarrig. »Ich weiß, daß ich mit Bliss gesprochen habe, ich bin doch kein kleines Schulmädchen, das man täuschen kann!« »Aber eine Dame, die man auf neutralem und der Öffentlichkeit zugänglichem Boden mittels einiger Unterwasserharpunen vom Leben zum Tod befördern wollte, Mylady«, erwiderte Josuah Par26
ker höflich. »Verdammt, Parker, da wäre doch noch der Wisch, der am Sandstrand zurückblieb«, erinnerte der Anwalt plötzlich. »Dieses Schreiben dürfte inzwischen nicht mehr existieren«, antwortete der Butler gemessen. »Eine Fahrt zur Insel Port-Gros erübrigt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.« »Schnickschnack, meine Herren!« Agatha Simpson hatte sich in ihrer ganzen fülligen Majestät erhoben. »Ich habe mich mit einem gebildeten und höflichen Gentleman unterhalten, der eindeutig Jerome Bliss ist. Er hat mich übrigens gebeten, diesen Besuch und dieses Gespräch als vertraulich zu behandeln. Wir alle werden uns daran halten, nicht wahr?« Parker nickte zustimmend, wenngleich er fest entschlossen war, die Sache mit der Flaschenpost nicht auf sich beruhen zu lassen. * »Sieht tatsächlich so aus, als habe man die Lady einer kleinen Gehirnwäsche unterzogen«, sagte Anwalt Rander später im Hotel. Er befand sich im Zimmer des Butlers und schaute vom Balkon auf die Hügel und die darauf stehenden Villen der Costebelle, einem südlichen Stadtteil von Hyeres. »Auch meine bescheidene Wenigkeit gibt sich einem leichten Staunen hin«, räumte der Butler ein. »Mylady ist von einer geradezu bestürzenden Friedfertigkeit.« »Haben Sie schon mal daran gedacht, daß man sie vielleicht mit Drogen behandelt hat, Parker?« Mike Rander hatte auf Wunsch des Butlers auf das distanzierende »Mister« verzichtet und war zu jener Anrede gekommen, die er vor seinem Aufenthalt in den USA verwendet hatte. Damit war ein vertrauter Zustand der gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen ihnen wiederhergestellt worden. Die zeitliche und räumliche Trennung der beiden Männer schien nie existiert zu haben. Es war für Josuah Parker selbstverständlich, nun auch wieder Mike Rander zu betreuen. Schwierig war das überhaupt nicht, dafür hatte eigentlich Lady Simpson Sorge getragen. Mike Rander wohnte und arbeitete in einem Haus, das nicht weit von dem entfernt war, in dem die ältere Dame in London lebte. Darüber hinaus hatte sie den Anwalt 27
kurzerhand zu ihrem Vermögensverwalter ernannt. »Drogen oder nicht, das ist hier die Frage«, wiederholte der Anwalt noch mal. »Warum ich an Drogen denke? Wir kommen gerade aus Italien, wo wir eine Drogengeschichte geklärt haben, Parker.« »Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich Drogen ausschließen«, antwortete der Butler. »Die Wirkung solcher Pharmaka, mögen sie auch noch so konzentriert oder langfristig sein, wird mit Sicherheit nachlassen.« »Also, was vermuten Sie, Parker?« »Man dürfte Mylady mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt haben, Sir. Zudem geht eine gewisse Faszination von der Tatsache aus, daß Mylady den fast einmaligen Vorzug hatte, mit Mister Jerome Bliss sprechen zu dürfen.« »Man hat sie also nur erstklassig eingewickelt, wie?« »So könnte man es natürlich auch ausdrücken, Sir.« »Bleibt aber der eindeutige Mordversuch, Parker, bleibt die Entführung… Und hinzu kommt noch, die Tatsache, daß man es sehr wohl wußte, wen man da abschleppte.« »Ein regulärer Mister Bliss würde sich niemals um eine Lady Simpson kümmern, Sir.« »Angeblich waren seine Mitarbeiter zu übereifrig.« Rander lächelte ungläubig. »Woher, so sollte man sich dann fragen, kennen diese übereifrigen Mitarbeiter Lady Simpson?« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Warum, so stellt sich bereits automatisch die nächste Frage, wollten diese angeblich so übereifrigen Mitarbeiter Mylady, Sie und meine bescheidene Wenigkeit umbringen?« »Nur ausgemachte Gangster können so reagieren, Parker.« »Dieser Aussage möchte ich mich vollinhaltlich anschließen, Sir.« »Die Frage lautet also: Ist Bliss von Gangstern umgeben, ohne es zu wissen? Oder ist er selbst ein ausgemachter Gangster?« »Zwei ungemein wichtige Fragen, Sir.« »Die Ihnen aber noch nicht genügen, wie?« »Wenn es gestattet ist, Sir, möchte ich mir erlauben, eine Variante anzubieten.« »Und die hört sich wie an, Parker?« »Ist Mister Jerome Bliss, den Mylady sah und sprach, identisch mit dem echten Jerome Bliss? Ich darf in diesem Zusammenhang 28
noch mal auf die zufällige Flaschenpost verweisen. Danach bittet ein Mister Bliss, der in einem Bunker zu sitzen vorgibt, um Hilfe und spricht von der Möglichkeit einer sogenannten totalen Plastik oder dem Wahnsinn.« »Zum Teufel, was stellt man sich unter einer totalen Plastik vor?« Rander drückte seine Zigarette aus. »Mit Bildhauerei hat das ja wohl kaum was zu tun, oder?« »Diesen Begriff, Sir, gibt es in der sogenannten Schönheitschirurgie«, schloß Josuah Parker. »Falls man von solch einer totalen Plastik ausgeht, eröffnen sich schreckliche und vielfache Assoziationen oder auch Vorstellungsverknüpfungen, um es ein wenig banaler auszudrücken.« »Okay, ich knüpfe mal drauflos, Parker.« Mike Rander lächelte amüsiert. Parker drückte sich wieder mal sehr barock aus. »Demnach sind wir noch längst nicht aus dem Schneider, oder?« »Auf keinen Fall, Sir! Mit weiteren Aktivitäten übereifriger Angestellter ist meiner bescheidenen Ansicht nach fest zu rechnen.« * Josuah Parker rechnete am anderen Morgen fest mit einem Verkehrsunfall. Selbstverständlich waren die übereifrigen Angestellten des Jerome Bliss nicht während der Nacht erschienen und hatten reinen Tisch gemacht. Für so dumm und instinktlos hielt er die Gegner nicht. Nein, seiner Ansicht nach legten sie es darauf an, einen Unfall mit tödlichem Ausgang zu provozieren. Und die Gelegenheit dazu war mehr als günstig. Bevor Mylady die Mittelmeerküste in Richtung London wieder verlassen wollte, hatte sie Mike Rander, Kathy Porter und dem Butler einen kleinen Abstecher nach St. Tropez vorgeschlagen, das etwa fünfundsechzig Kilometer entfernt war. Parker war beauftragt worden, ein entsprechendes Fahrzeug zu mieten, was er inzwischen erledigt hatte. Vor dem Hotel wartete ein Citroen auf das Quartett. Eine sichtlich gutgelaunte Lady erschien nach einem frugalen Frühstück, wie sie es nannte, in der Hotelhalle. Sie wurde hier bereits von Parker und Rander erwartet, die sich vom Chefportier über einige attraktive Landschaftspunkte hatten aufklären lassen. 29
Es war vor allen Dingen Mike Rander gewesen, der seine Fragen laut und deutlich gestellt hatte. Die Hotelgäste, die bereits in der Lobby warteten, mußten seine Fragen auf jeden Fall gehört haben. Zu diesen Gästen zählte auch der Möbelrestaurator Harrods, der zögernd und ein wenig befangen auf das Quartett zukam. Butler Parker stellte ihn seiner Herrin vor und bezeichnete Harrods als den Finder der Flaschenpost. »Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen«, sagte Harrods, der unter den prüfenden Blicken der Lady förmlich zusammenknickte. »Aber haben Sie bereits etwas wegen dieses Zettels und der Hilferufe unternommen?« »Ich habe mich mit Mister Bliss unterhalten«, erwiderte die Detektivin, bevor Mike Rander Stellung nehmen konnte. Sie bemühte sich um freundliches Wohlwollen. »Diese Flaschenpost ist natürlich ein dummer Scherz, guter Mann. Wie war der Name noch.« »Harrods, Mylady, John Harrods.« »Ihre Aufmerksamkeit verdient immerhin Anerkennung«, redete Lady Agatha weiter. »Sobald Sie wieder in London sind, sollten Sie sich bei meiner Sekretärin oder bei meinem Butler melden. Ich bin sicher, daß Sie in Zukunft einiges für mich tun können.« »Das wagte ich nicht zu hoffen, Mylady.« John Harrods strahlte beglückt. »Ich glaube, daß meine kleine Firma einen guten Ruf hat.« »Einen schönen Tag noch, Mister Harrods!« Agatha Simpson nickte hoheitsvoll und marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum Ausgang. Sie wollte schließlich nach St. Tropez und keine Zeit mehr verlieren. Erstaunlicherweise hatte sie nichts dagegen, daß Parker das Steuer des Wagens übernahm. Sie wollte sich die Schönheiten entlang der Küstenstraße in aller Ruhe ansehen, zumal auch dieser Tag sich wieder von seiner besten Seite zeigte. Während Parker den Citroen zur Küstenstraße lenkte, schaute er wiederholt in den Rückspiegel und fahndete nach eventuellen Verfolgern. Obwohl er nichts Außergewöhnliches feststellen konnte, legte sich sein Mißtrauen nicht. Er war nach wie vor fest davon überzeugt, daß gewisse übereifrige Angestellte noch mal zuschlagen würden. Seine innere Alarmanlage hatte sich bereits gemeldet, wenn auch nicht sonderlich mahnend. Demnach war die Lage 30
noch nicht besonders kritisch, doch das konnte sich innerhalb von Minuten entscheidend ändern. Butler Parker war fest davon überzeugt, daß die übereifrigen Angestellten des Mister Jerome Bliss bereits damit beschäftigt waren, handfeste Mordpläne in die Wege zu leiten. Wenn es nämlich zutraf, was Parker vermutete, dann durfte jener Mister Bliss, mit dem Lady Simpson sich so, angeregt unterhalten hatte, keine Minute zögern und mußte so schnell wie möglich dafür sorgen, daß gewisse Dinge nicht an die Öffentlichkeit drangen. Parker trat plötzlich hart auf das Bremspedal und schalt sich einen Dummkopf, wenn auch nicht laut. »Was ist?« fragte Mike Rander. »Irgendwas nicht in Ordnung?« »Mister John Harrods, Sir«, gab Parker zurück. »Unverzeihlich, nicht an ihn gedacht zu haben. Ich muß gestehen, daß ich mich eines Versäumnisses schuldig gemacht habe.« »Nichts wie zurück.« Mike Rander hatte sofort verstanden. »Der Mann schwebt in Lebensgefahr!« * Es dauerte nur zehn Minuten, bis der Citroen wieder vor dem Hotel stand. Während der Rückfahrt hatte Agatha Simpson erstaunlicherweise kaum protestiert. Wenn Parker in solch einer Weise sich über ihre Wünsche und Absichten hinwegsetzte, mußte das Gründe haben. In der Vergangenheit hatte sie dies oft erlebt. Ihr Gesicht zeigte jedoch einen leicht mißmutigen Ausdruck. Sie fühlte sich nicht eingeweiht und übergangen, mehr noch, ihr Plädoyer für Jerome Bliss schien bei Mike Rander und Butler Parker nicht gefruchtet zu haben. Parker verließ den Wagen, schritt durch die Hotelhalle und erkundigte sich bei dem Chefportier nach John Harrods. »Tut mir leid, der Herr wohnt nicht bei uns«, lautete die Antwort. »Können Sie sich an ihn erinnern? Er hatte den Vorzug, mit Lady Simpson einige Sätze wechseln zu dürfen. Ein etwa fünfundfünfzigjähriger, seriös aussehender Herr, der…« »Natürlich, jetzt erinnere ich mich.« Der Chefportier nickte. »Der Herr verließ die Halle zusammen mit zwei jüngeren Män31
nern. Sie unterhielten sich sehr angeregt.« »Ich darf davon ausgehen, daß die drei Herren anschließend gemeinsam in einem Wagen davonfuhren?« »Das ist richtig«, bestätigte der Chefportier. »Wo finde ich das Hotel >Val Rose