Günter Dönges
PARKER und die Todesstrahlen Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
[email protected] Version: 1.00
Datum: 20.01.2003
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Als der Gong sich an der geräumigen Wohndiele des Penthouse meldete, verließ der Butter seine privaten Gemächer und schritt würdevoll zur Tür. Hier angekommen, öffnete er einen WandschrankundschaltetedasdaranbefindlicheFernsehgerätein. Es
dauerte
nur
wenige
Sekunden,
bis
der
Bildschirm sich füllte. Auf der kleinen Mattscheibe war ein korrekt gekleideter Mann von etwa fünfundvierzig
Jahren
zu
sehen,
der
sich
vergewisserte, daß seine Krawatte richtig saß. Knapp hinter diesem Mann war ein zweiter Besucher zu erkennen. Er griff nicht nach seiner Krawatte, sondern beschäftigte sich intensiv mit einem
38er,
auf
dessen
Mündung
ein
Schalldämpfer aufgeschraubt war. Beide Besucher hatten selbstverständlich keine Ahnung, daß sie von einer kleinen Fernsehkamera aufgenommen wurden. Sie wußten nicht, daß Josuah Parker jede ihrer Bewegungen genau kontrollieren konnte. Beide Männer standen am Fuß jener schmalen Treppe, die hinauf zur Tür führte, durch die man
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den großen Dachgarten betreten konnte, der sich auf dem Bürohochhaus befand. Auf diesem Dachgarten lag das Penthoue Mike Randers, in dem selbstverständlich auch der Butler wohnte. „Was kann ich für Sie tun?“ erkundigte sich der Butler über die inzwischen eingeschaltete Wechselsprechanlage. „Hatte ich nicht bereits gestern die Ehre…?“ „Richtig, Mister Parker, richtig!“ gab der Mann ohne Handfeuerwaffe zurück. „Mel Rustler mein Name! Von der Allround-Insurance. Wir sprachen gestern über Ihre Lebensversicherung!“ „In der Tat“, erwiderte Parker, „haben sich neue Gesichtspunkte eingeben?“ „Nur noch eine kleine Formsache“, lautete die Antwort. Während Mister Rustler redete, zwinkerte er seinem Begleiter zu, der daraufhin den 38er bedeutungsvoll anhob. „Einen kleinen Augenblick bitte“, sagte Parker, der diese Szene sichtlich genoß, „ich werde sofort öffnen. Sie kennen ja den Weg.“ Parker drückte auf den elektrischen Türöffner und verließ anschließend sofort die Wohndiele, nicht ohne vorher allerdings trief in den Wandschrank hinein gegiriffen zu haben. Dann verschwand er zwischen den Kübelpflanzen und dem Gesträuch, mit dem der Dachgarten verschwenderisch ausgestattet war. Es dauerte nicht lange, bis Mister Mel Rustler erschien. Er kannte sich tatsächlich aus. Er schritt schnurstracks auf die Tür zum Penthouse zu und kümmerte sich nicht weiter um seinen Begleiter, der, 3
jede Deckung ausnutzend, ihm vorsichtig folgte. Parker hielt sich im Hintergrund. Er ahnte zwar, was die beiden Männer wollten. Hier lag im wahrsten Sinne des Wortes ein Mord in der Luft, doch der Butler hatte nicht die leiseste Ahnung. warum ihn dieser Versicherungsvertreter umbringen wollte. „Mister Parker .? Mister Parker .! Hallo…!“ Mel Rustler rief nach dem Butler, den er nach der kurzen Unterhaltung per Wechselsprechanlage begreiflicherweise vermißte. „Geh doch ‘rein!“ flüsterte der revolverbewehrte Mann Mel Rustler zu, „irgendwo muß er ja schließlich stecken!“ „Mister Parker?“ Mel Rustler strengte sich gehörig an, doch Josuah Parker verhielt sich vollkommen ruhig. Der Revolvermann war in seiner Nähe erschienen und wartete darauf, einen Schuß anbringen zu können. „Los, Mel, hol’s doch!“ rief er dem Versicherungsvertreter energisch zu, denn Rustler stand in der geöffneten Tür und traute sich offensichtlich nicht in das Penthouse hinein. Der Butler wunderte sich darüber, denn am Vortag hatte Mister Rustler sich erheblich anders benommen. Er war, bis auf seinen Schwächeanfall, fast aufdringlich gewesen. Erst eine Herzattacke hatte ihn veranlaßt, endlich den Mund zu halten. „Nun geh’ doch endlich!“ sagte der Revolvermann, als Rustler sich zu ihm umwandte. „Was kann schon passieren?“ Rustler passierte eine unsichtbare Lichtschranke und sah sich verblüfft um, als vor ihm ein starkes 4
Stahlgitter von der Decke herunterklappte und ihm den Weg versperrte. Er wollte sofort die Flucht ergreifen und zurück auf den Dachgarten rennen, doch die Tür schloß sich gerade. Sie ließ sich nicht mehr öffnen. Auch dies gehörte zum Mechanismus, den der Butler aus Gründen der Sicherheit hatte anbringen lassen. „Joe…! Joe…!“ Mel Rustler war völlig konsterniert und riß und zerrte an der Türklinke, die sich plötzlich aus der Tür löste und ihn zurücktaumeln ließ. Mel Rustler merkte, daß er wie eine Ratte in der Falle saß. Er merkte, daß ein gewisser Josuah Parker sehr genau wußte. was hier gespielt wurde. Als seine Überlegungen bis zu diesem Punkt gediehen waren, brach ihm prompt der Schweiß aus. Mel Rustler holte tief Luft und setzte alle seine Hoffnungen auf Joe Canders, der schließlich kein Anfänger war!
*
Joe Canders starrte seinerseits verblüfft auf die
Haustür, die sich gerade wie durch Zauberei hinter
Rustler geschlossen hatte. Er wußte nicht, was das zu
bedeuten hatte, doch sein wacher Instinkt sagte ihm,
daß Gefahr drohte.
Er hielt sich nicht damit auf, nach Rustler zu rufen.
Er rechnete damit, daß er bereits belauert wurde.
Und jetzt erinnerte er sich auch der Warnungen eines
gewissen Don Halligan, der sie auf diese Reise
geschickt hatte.
Joe Canders duckte sich hinter den Holzbottich der
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Kübelpalme und lauschte. Hier oben auf dem Dachgarten war es erstaunlich und beunruhigend still. Das dumpfe Brausen des Verkehrs tief unten in den Straßen war hier oben nur noch als feines Säuseln wahrzunehmen. Wo mochte dieser verdammte Parker nur stecken? Befand er sich noch im Haus? Canders täuschte sich keineswegs. Parker stand knapp hinter ihm und ließ seinen zweiten Besucher nicht aus den Augen. Der Butler hielt einen kleinen Holzhammer in der Hand, mit dem er normalerweise die Holzkübel pflegte und reparierte. Nun ließ es sich nicht vermeiden, diesen Holzhammer anderweitig einzusetzen. Parker hob ihn an, um den Hammer dann kurz und kommentarlos auf den Hinterkopf des Revolvermannes zu legen. Joe Canders kapitulierte. Er bäumte sich zwar ein wenig auf, doch dann beugte er sich den besseren Argumenten des Butlers. Er verlor die gepflegt aussehende Waffe und leistete sich einen wohltuenden, tiefen Schlaf. Parker barg die Waffe und stopfte den Mann in eine große Kiste, in der er die Gartengeräte aufbewahrte. Gewiß, es war ein wenig eng, doch Joe Canders war nicht in der Lage, irgendwelche Ansprüche anzumelden. Parker schloß den Deckel dieser großen Kiste und sicherte ihn mit dem dazugehörigen Schloß. Dann begab er sich zur Tür des Penthouse und lauschte. Mel Rustler verhielt sich vollkommen ruhig. Hatte er sich mit seiner Situation abgefunden? Oder wartete er nur 6
darauf, sich an Parker rächen zu können? Der Butler ging um die Hausecke herum und betrat das Penthouse durch einen zweiten, separaten Eingang, der direkt in seine Räume führte. Nach wenigen Schritten erreichte er die Wohndiele und betrachtete Rustler durch ein System geschickt aufgehängter Zierspiegel. Mel Rustler stand am Trenngitter und starrte verlangend in die große Wohndiele. Er konnte nicht sehen, daß der Butler ihn erneut beobachtete. Wie unten vor der Tür zum Dachgarten. „Darf ich jetzt erfahren, was Sie wirklich wünschen?“ erkundigte sich Parker. Mel Rustler fuhr nervös zusammen. „Wo… wo stecken Sie?“ wollte er dann wissen. „Sie haben meine bescheidene Frage noch nicht beantwortet“, stellte der Butler richtig. „Was wollen Sie wirklich?“ „Mister Parker, hören Sie zu. Lassen Sie mich erst mal raus, dann erzähle ich Ihnen alles!“ „Bedingungen schätze ich aber keineswegs“, tadelte der Butler. „Wozu haben Sie diesen Revolvermann mitgebracht? Diese Frage ist wohl berechtigt und erlaubt, nicht wahr?“ „Das ist altes so verdammt schwer zu erklären!“ Mel Rustler wischte sich über die Stirn und sah sehr erschöpft und auch verängstigt aus. Er schien wieder einem Herzanfall nahe zu sein. Wie am Vortag. „Ich würde es, wenn ich mir einen Rat erlauben darf, auf einen Versuch ankommen lassen“, sagte Parker, „sollte ich umgebracht werden? Das wäre für die Allround-Insurance doch ein äußerst schlechtes 7
Geschäft. Meine Lebensversicherung besteht doch erst seit zwei Jahren.“ „Von… von mir erfahren Sie nichts“, sagte Rustler, der sich zu einem Entschluß durchgerungen hatte. „Was sollten Sie denn holen?“ fragte Parker weiter, „wenn mich nicht alles täuscht, hatte Ihr Begleiter Ihnen etwas Derartiges zugerufen!“ „Ich sage kein Wort“, behauptete Rustler und beschäftigte sich auf dem Umweg über seinen Handrücken wieder mit dem Schweiß auf seiner Stirn. „Hat Ihr Besuch mit meiner Lebensversicherung zu tun?“ fragte der Butler weiter. „Wenn ich mich recht erinnere, war Ihr Versicherungsausweis, den Sie mir gestern zeigten, zumindest erstklassig gefälscht, wenn nicht vielleicht sogar echt!“ „Geben Sie sich keine Mühe“, entgegnete Rustler, „ich kann Ihnen nur sagen, daß Sie verdammt dumm sind, wenn Sie mich nicht laufen lassen. Das gilt auch für Canders.“ „Sie werden sich noch etwas gedulden müssen“, erwiderte der Butler in seiner höflichen Art, „Mister Joe Canders, wie er ja wohl mit vollem Namen heißt, dürfte inzwischen aus seinem kurzen Schläfchen erwacht sein. Vielleicht ist er mitteilsamer als Sie, Mister Rustler.“ „Moment noch!“ Rustler schien einen Entschluß gefaßt zu haben, „warum lassen Sie Joe und mich nicht laufen? Warum verschwinden Sie nicht mal für’n kurzen Moment. Dann ist doch schon alles erledigt. Glauben Sie mir, Mister Parker, ich meine es verdammt gut mit Ihnen!“ 8
*
„Selbstverständlich konnte ich auf diesen Vorschlag nicht eingehen, Sir“, berichtete der Butler am Abend seinem heimgekehrten jungem Herrn. Mike Rander hatte den Nachmittag in seinem Anwaltbüro verbracht und dort mit seinen Mitarbeitern konferiert. Er hatte nun gerade von Parker erfahren, was sich zugetragen hatte. „War vielleicht richtig so“, entschied der sympathische Anwalt, der an einen draufgängerischen, großen Jungen erinnerte, „die Polizei hätte Rustler und Canders doch nicht festhalten können. Dazu fehlte jede Aktion!“ „Aufgrund dieses Vorfalls habe ich mir erlaubt, sofort die ‘Allround-Insurance’ anzurufen“, redete der Butler weiter, „dort erfuhr ich aus berufenem Mund, daß Mel Rustler seit knapp einem halben Jahr nicht mehr dort tätig ist. Er wurde auf eigenen Wunsch hin entlassen.“ „Haben Sie sich seine Adresse geben lassen?“ „Selbstverständlich, Sir. Sie steht zu Ihren Diensten!“ „Kennen wir einen Joe Canders?“ fragte Mike Rander weiter, „ist er in ihrer Verbrecherkartei verzeichnet?“ „Nein, Sir. Dieser Name ist nicht enthalten. Er hatte übrigens leider keine Papiere bei sich, wie ich am Rande feststellen konnte. Man kann ihn nur über Mister Mel Rustler erreichen. Wenn überhaupt, wie ich in aller Skepsis bemerken möchte.“ „Fassen wir doch noch mal zusammen“, sagte der junge Anwalt und stand auf. Während er redete, 9
nippte er hin und wieder an seinem Glas und nickte anerkennend. Kein Wunder, die Drinks, die Parker mixte und servierte, waren in einschlägigen Kreisen berühmt bis berüchtigt. „Gestern erscheint Mel Rustler bei Ihnen, um, wie er behauptete, im Auftrag der ‘Allround-Insurance’ Ihre Versicherungspolice zu kontrollieren. Er tat das, obwohl er seit einem halben Jahr nicht mehr für diese Versicherung arbeitet. Und heute erscheint er in Begleitung eines Revolverschützen, um irgend etwas zu holen, wie Sie mitbekommen haben. Können Sie sich darauf einen Vers machen? Meinte er Ihre Versicherungspolice?“ „Ich bedaure unendlich, Sir, ich kann Ihre Frage nicht beantworten. Sie haben übrigens, wenn ich darauf hinweisen darf, ein Detail vergessen.“ „Und das wäre?“ „Mel Rustler erlitt gestern einen Herzanfall, woraufhin ich ihm ein Glas Wasser holte.“ „Und?“ „Daraufhin begab Mister Rustler sich in die Gästetoilette, wo er sich etwa zwei Minuten aufhielt.“ „Wo ist die Pointe?“ wollte Mike Rander wissen. „Unwichtig, wenn Sie mich fragen, Parker.“ „Daraufhin erbat Mister Rustler sich ein Stückchen Zucker, um darauf seine Herztropfen zu träufeln.“ „Weiter, weiter!“ drängte der Anwalt ungeduldig. „Ich führte Mister Rustler in die Küche, Sir. Dort erhielt er das Stückchen Zucker. Und in diesem Augenblick, Sir…“ Parker brach ab und sah seinen jungen Herrn bedeutungsvoll an. „Was geschah in diesem Augenblick?“ fauchte 10
Anwalt Mike Rander, „wenn Sie’s doch nicht immer so spannend machen würden, Parker. Was geschah!?“ „Es läutete, Sir!“ „Wenn schon!“ sagte Mike Rander enttäuscht. „Sie gingen also in die Diele und schauten nach, wer vor der Tür stand, oder?“ „Genauso war es, Sir!“ „Und wer stand dort, zum Donnerwetter!?“ „Niemand, Sir! Das Fernsehgerät registrierte nur noch, daß der Lift sich nach unten senkte. Mit anderen Worten, es muß einer unten an der Treppe zum Dachgarten gewesen sein, doch nach dem Läuten zog er es vor, sofort wieder hinunterzufahren.“ „Und?“ Rander war der leichten Verzweiflung sehr nahe. „Nichts, Sir. Ich ging zurück in die Küche, in der Mister Rustler inzwischen die Herztropfen zu sich genommen hatte. Ich geleitete ihn zur Tür, er verabschiedete sich und dann verließ er den Dachgarten.“ „Eine verdammt spannende Geschichte“, spottete der Anwalt, „sie läßt das Blut in meinen Adern gefrieren. Haben Sie noch mehr davon auf Lager?“ „Im Augenblick nicht, Sir“, sagte der Butler, „ich fühlte mich nur verpflichtet, Ihnen auch die Details mitzuteilen. Zusammenhänge kann auch ich leider nicht erkennen!“ „Wenn es überhaupt welche gibt“, antwortete Mike Rander leichthin, „lassen wir uns keine grauen Haare wachsen, Parker. Für mich sieht die Sache einfach 11
aus. Rustler sollte für diesen Revolvermann Canders ausspionieren, wie man an Sie herankommt. Canders wiederum wird von irgendeinem Gangsterboß beauftragt worden sein, Sie umzubringen. Ist ja schließlich, nicht der erste Versuch dieser Art!“
*
Josuah Parker gab sich innerlich mit dieser Erklärung keineswegs zufrieden. So einfach, wie sein junger Herr die Dinge hingestellt hatte, waren sie nicht. Immer wieder beschäftigte er sich in Gedanken mit dem Zuruf des Revolvermannes, der Mel Rustler aufgefordert hatte, irgend etwas zu holen. Irgend etwas! Aber was wohl? Dieses „Etwas“ mußte sich also im Penthouse befinden. Wer hatte dieses „Etwas“ dorthin gebracht? War es überhaupt möglich, einen Gegenstand in das Haus zu praktizieren? Das war im Grund so gut wie ausgeschlossen. Das Penthouse glich einer uneinnehmbaren Festung. Parker selbst hatte dafür gesorgt, daß Unberufene nicht einzudringen vermochten. Wie sicher dieses System der vielfachen Sicherungen war; hatte sich in der Vergangenheit schließlich mehr als einmal erwiesen. „Worüber denken Sie nach?“ erkundigte sich Mike Rander, als sein Butler ihm ein ausgesuchtes Dinner servierte. „Sie wittern bestimmt wieder einen Fall oder?“ „Mit Verwicklungen, Sir, dürfte zu rechnen sein.“ „Möglich, aber wir werden diesen Verwicklungen aus dem Weg gehen“, entschied Mike Rander, „ich 12
habe einfach keine Zeit, mich mit Gaunern und Gangstern herumzuschlagen. Sie ahnen nicht, welche Arbeit sich in meinem Büro angehäuft hat.“ „Ich möchte sehr hoffen, daß die Verwicklungen darauf Rücksicht nehmen“, gab der Butter würdevoll zurück, „darf ich Ihnen noch etwas vom Puter nachlegen?“ „Danke, ich wollte einen Happen essen, Parker, aber nicht gemästet werden. Sie können den Kaffee servieren. Ich muß noch arbeiten.“ „Sir, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie kaum gegessen haben?“ „Natürlich dürfen Sie das, Parker, aber das ändert nichts daran, daß ich keinen Bissen mehr schaffe!“ Er sah seinen Butler an und grinste. „Schön, ich werde Lieutenant Madford anrufen. Daran denken Sie doch die ganze Zeit, oder?“ „Es wäre in der Tat angebracht und nützlich, sich nach Joe Canders ‚zu erkundigen“, gab der Butler zurück, „wenn ich ihn richtig eingeschätzt habe, müßte es sich um einen Profi handeln.“ Mike Rander ging hinüber in sein Studio und rief Lieutenant Madford von der Mordkommission an. Er und Madford kannten sich bereits seit Jahren und spielten sich gegenseitig die Bälle zu, wenn es sich eben einrichten ließ. „Hier Rander“, meldete sich der Anwalt, als die Verbindung hergestellt war. „Hören Sie, Madford, ich habe etwas auf dem Herzen, das heißt, eigentlich ist es Parker.“ Da der Butler in diesem Augenblick das Studio betrat, um den Kaffee zu servieren, schaltete Mike 13
Rander durch Knopfdruck den Lautsprecher ein, der die Stimme Madfords im Studio widerhallen ließ. „Passen Sie bloß auf, daß Parker nicht wieder auf Kriegspfad geht“, sagte Madford und lachte bellend dazu. „Was soll’s denn sein? Kündigt sich ein neuer Fall an?“ „Malen Sie nur nicht den Teufel an die Wand“, entsetzte sich Mike Rander. „Mein Bedarf ist reichlich gedeckt. Aber zur Sache, Madford, was sagt Ihnen der Name Joe Canders?“ „Jo Canders?“ wiederholte Madford. „Nee, da muß ich Sie enttäuschen, Rander, einen Canders kenn’ ich nicht. Wer soll denn das sein?“ „Ein Revolvermann, der Parker umbringen wollte. Ersparen Sie mir Einzelheiten!“ „Na. Sie sind vielleicht gut!“ entrüstete sich Madford. „Warum sind wir nicht informiert worden?“ „Muß Parker wieder einmal vergessen haben“, antwortete Mike Rander, „denken Sie darüber besser nicht nach. Können Sie Material über Canders beschaffen? Vielleicht auf dem Umweg über das FBI und Washington?“ „Kann ich schon, Rander, aber ich will wissen, was gespielt wird.“ „Parker kommt morgen im Laufe des Tages bei Ihnen vorbei und beichtet“, versprach der Anwalt. „Wenn er nicht kommt, lasse ich ihn holen“, sagte Madford mit grimmigem Unterton in der Stimme, „seine Extratouren schmecken mir langsam. Sagen Sie ihm das ruhig!“ „Er hört sehr aufmerksam zu, ich habe Ihre Stimme auf Lautsprecher geschaltet“, erwidert Mike Rander 14
lächelnd. „Vielen Dank im voraus, Madford! Für Ihre
Mühe werden wir uns mal wieder revanchieren.“
Mike Rander legte auf und wandte sich seinem
Butler zu.
„Sie halben ja alles mitbekommen“, sagte er dann.
„Bringen Sie Madford nicht unnötig auf die Palme
und lassen Sie sich morgen bei ihm sehen.“
„Ich werde nicht versäumen, Mister Madford einen
Besuch abzustatten“, gab der Butter zurück.
„Benötigen Sie mich noch, Sir?“
„Nein, natürlich nicht. Haben Sie was vor?“
„Ich würde gern die frische und erquickende
Abendluft genießen, Sir!“
„In Ordnung, wir sehen uns dann später, Parker.“
Mike Rander nickte seinem Butler zu und wollte sich
seinem Schreibtisch zuwenden, als er wie erschreckt
zusammenzuckte. „Halt, Parker!“
„Sir?“
„Sie haben doch keine Extratouren vor, oder?“
„Sir, keineswegs“, gab Parker gemessen zurück.
„Ich lasse mich überraschen“, seufzte der Anwalt auf.
„Gut, daß Sie Canders’ Adresse nicht kennen.“
„Auf keinen Fall, Sir! Ich habe Ihnen nichts
verschwiegen, wie es ohnehin, meine Art ist!“
Parker verließ gemessen wie. ein Diplomat das
Studio und schloß leise die Tür hinter sich.
Mike Rander befaßte sich mit seinen mitgebrachten
Akten und machte sich an die Arbeit. Bis ihm
plötzlich siedendheiß einfiel, daß Parker zwar nicht
Canders Adresse kannte, dafür aber die des
Versicherungsvertreters Mel Rustler.
Doch war es bereits zu spät, den Butler an die Kette
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zu legen, denn Parker hatte es bereits vorgezogen, das Penthouse zu verlassen.
*
Parker dampfte mit seinem hochbeinigen Monstrum durch die Straßen der Stadt und ignorierte die teils amüsierten, teils empörten Blicke, die seinem Wagen galten. Es handelte sich um ein. ehemaliges Londoner Taxi, an dem sich äußerlich nichts verändert hatte. Dieses Taxi, eckig und hochbeinig, war allerdings nach den Spezialplänen des Butlers umgebaut worden. Es barg eine Fülle von Überraschungen, die es in sich hatten. Parker steuerte dieses Vehikel in den Ostteil der Stadt und parkte es in der Mango Street. Bevor er ausstieg, sah er sich interessiert um. Hier gab es Mietskasernen aller Kaliber, Läden aller Art, viel Unrat und viel buntes Neonlicht, doch von einem Slum konnte keineswegs die Rede sein. Hier wohnten und lebten Menschen, die hart arbeiteten, deren Kleingeld aber nicht ausreichte, um sich weit vor der Stadt einen Reihenbungalow zu kaufen. Parker verließ den Wagen und schritt steifbeinig und würdevoll auf ein sechsstöckiges Baus zu, in dessen Erdgeschoß sich eine Fleischerei befand. Auf dem Klingelschild neben der Haustür suchte er nach Mel Rustlers Namen. „Suchen Sie wen?“ fragte eine breite, knautschige Stimme. „Ich möchte Mister Mel Rustler einen Besuch abstatten“, gab der Butler zurück und wandte sich 16
um. Vor ihm stand ein älterer Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der eine Manchesterhose und ein Trikothemd trug. Er gehörte ganz offensichtlich hierher ins Haus. „Mel .Rustler? Meinen Sie den Versicherungsonkel?“ „In der Tat!“ „Dann müssen Sie durch den Korridor und ‘rüber ins Hinterhaus. Erdgeschoß, finden. Sie sofort!“ „Ich erlaube mir, mich herzlich zu bedanken“, gab der Butter zurück und lüftete seine schwarze Melone. Er stieß die nur angelehnte Haustür auf und durchquerte den langen, düsteren Korridor, der nur von einer nackten, schwachkerzigen Glühbirne erhellt wurde. Er erreichte die Hoftür und stand dann vor dem Hinterhaus, in dessen Erdgeschoß offensichtlich die Wurstküche der Fleischerei war. Es roch penetrant nach heißer Brühe, nach abgestandenem Fett und nach scharfen Gewürzen. Bevor der Butler sich zu orientieren vermochte, spürte er plötzlich einen harten Gegenstand, der ihm mit sehr viel Nachdruck gegen das Rückgrat gedrückt wurde. „Los, Mann, gehen Sie schon“, sagte die breite, knautschige Stimme, „nur keine Mätzchen machen, dann läuft alles von allein!“ „Sie werden nicht enttäuscht werden“, gab der Butler zurück. „Wohin soll ich mich wenden, wenn man fragen darf?“ „Rein in die Wurstküche“, entschied der Mann hinter ihm. „Joe wartet schon auf Sie! Wird der sich aber freuen!“ „Hoffentlich“, bemerkte der Butler und schritt auf 17
die Tür zu, die nun von innen geöffnet wurde. Im schwachen Licht, das in der Wurstküche brannte, erkannte der Butler den Revolvermann, den er erst vor wenigen Stunden mit einem Holzhammer behandelt hatte.
*
„Ich möchte annehmen, daß Sie meinen Besuch erwartet haben“, sagte Parker, nachdem die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. „Stimmt haargenau“, sagte der Mann mit der knautschigen Stimme und grinste. „Schließlich hatten Sie sich ja Rustlers Adresse besorgt, oder?“ „Ich hätte mit Ihrer Reaktion rechnen müssen“, gestand der Butler. „Aber welcher Mensch begeht nicht seine ganz privaten Fehler!?“ „Eben, Parker“, der Mann grinste, „und manche Fehler können verdammt tödlich sein!“ „.Darf ich in aller Form fragen, warum Sie mich umzubringen gedenken? Mir ist nicht bewußt, daß unsere Wege sich schon einmal gekreuzt haben.“ „Stimmt, Parker, aber das spielt überhaupt keine Geige“, antwortete der Mann in einem fast gemütlich zu nennenden Ton. „Das ändert aber nichts an den Tatsachen!“ Joe Canders beteiligte sich nicht an dieser Unterhaltung. Er belauerte den Butler und hielt eine 38er in der Hand, auf deren Mündung ein Schalldämpfer aufgeschraubt war. Er wartete wohl nur darauf, aktiv werden zu kommen. Schließlich hatte er mit dem Butler noch eine ganz persönliche 18
Rechnung zu begleichen. „Wenn Sie gestatten, möchte ich eine Frage stellen“, schickte der Butler voraus. „Hängt meine Ermordung vielleicht mit dem Besuch des Versicherungsvertreters Mel Rustler zusammen?“ „Genau, Parker, genau!“ „Was wollte dieser Mister Rustler aus meiner Wohnung holen? Diese Frage geht mir einfach nicht aus dem Kopf, wenn ich mich so ausdrücken darf.“ „Darauf bekommen Sie keine Antwort“, sagte der Mann und schüttelte energisch den Kopf. Dann wandte er sich an Canders und nickte ihm zu. Das war wohl das Zeichen, sich mit dem Butter zu befassen, ein Zeichen, auf das Canders sofort ansprang. Er hob die Waffe und visierte den Butler am. „Bist du verrückt, Joe“, fragte der Mann in den ausgebeulten Manchesterhosen, „doch nicht hier. Geh mit ihm rüber in die Räucherkammer!“ „Los, Parker, jetzt bin ich an der Reihe!“ Joe Canders bugsierte den Butler an den beiden großen Bottichen vorbei, in denen heißes Wasser dampfte. Parker warf einen Blick in die Kessel hinein. Er entdeckte Schinkenteile, die sich unter der Einwirkung des heißen Wassers in gekochte Schinken verwandeln sollten. Es ging vorbei an großen Cuttern, in denen die Wurstmasse zubereitet wurde, und es endete vor einer schwarzen Tür, die einen intensiven Geruch nach Holz und Teer ausströmte. „Los, Parker, mach die Tür auf!“ kommandierte Canders. Parker wandte sich um und suchte nach dem Mann, der bisher das Wort geführt hatte. Der 19
Mann in den Manchesterhosen war im Moment nicht zu sehen. Er schien im Vorraum zurückgeblieben zu sein. „Es hat wohl keinen Sinn, Ihnen gewisse Vorschläge zu unterbreiten, nicht wahr?“ fragte der Butler. „Völlig sinnlos“, meinte Joe Canders und grinste tückisch. „Auf mein Vergnügen will ich doch nicht verzichten!“ Parker nickte ergeben, drückte die schwere Klinke hinunter und schaute in die Räucherkammer, die wenig einladend aussah. Auf dem Boden dieser Kammer schwelten auf einem Rost Buchenscheite, deren Rauch den Räuchereffekt hervorrief. Im eigentlichen Rauchfang hingen Fleisch und Wurstwaren aller Art. „Na, wird’s bald?“ Canders grinste und verabreichte dem Butler einen derben Stoß. „Oh!“ stieß der Butler in diesem Moment aus und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand hinauf zu den Fleischwaren. „Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet!“ Joe Canders beging den Fehler, hinaufzusehen. Er hätte es besser nicht getan. Er fiel auf den an sich recht einfachen und plumpen Trick des Butlers herein und erhielt sofort die Quittung dafür. Josuah Parker trat dem Revolvermann energisch auf die Zehen. Dann benutzte er den bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms als eine Art Schlagring und schob ihn unter das Kinn des Mannes, der sich vor Schmerzen krümmte, zumal der Butler kräftig zugetreten hatte. Die Wirkung war frappierend. 20
Joe Canders gurgelte dumpf auf, schloß die Augen und spürte schon nicht mehr, daß Parker ihm die Handfeuerwaffe wegnahm. Um Canders erst einmal zu isolieren, schob der Butler ihn in die Räucherkammer und schloß die Tür. Akute Lebensgefahr für Canders bestand nicht, dazu war die Kammer zu groß und die Rauchentwicklung zu gering. Nach dieser Trennung machte der Butler sich auf den Weg, den Mann in den Manchesterhosen zu suchen. Dieser Mann schien inzwischen Lunte gerochen zu haben, wie sich herausstellte. Parker spürte plötzlich einen scharfen Luftzug an der linken Wange. Er wurde beschossen! Vom Schuß selbst war nichts zu hören, aber das bedeutete nur, daß der Schütze ebenfalls einen Schalldämpfer benutzte. Parker ging hinter einem der Bottiche in Deckung und wartete erst einmal ab. Noch wußte er nicht, wo der Schütze sich befand. Dicht vor seiner Nase stiegen erfreuliche Düfte auf. In einem rechteckigen Holzbottich lagen Würste aller Art. Parker griff nach einer Art Bierwurst und benutzte sie als Handgranate. Er warf die Wurst ziellos in die Wurstküche. Bruchteile von Sekunden später „ploppte“ es. Die Wurst, noch in der Luft, wurde von dem Geschoß erfaßt und zerplatzte. Der Mann in den Manchesterhosen hatte blitzschnell reagiert Vielleicht sogar etwas zu schnell, sonst hätte er die Wurst nicht zerschossen und so seinen Standort ungewollt verraten. Parker wußte nun, wo er den Mann finden 21
konnte. Nun mußte alles sehr schnell gehen. Der Butler schob sich seitlich um den Bottich herum und verhedderte sich beinahe im Gewirr eines Wasserschlauches, der am Boden lag. Dieser Schlauch, das stellte er mit einem schnellen Blick fest. war angeschlossen. Parker brauchte ihn nur mit Wasser zu füllen. Zu diesem Zweck drehte er den Hahn auf. Ein starker Wasserstrahl. schoß aus der Spritzdüse. Parker richtete den Strahl in die Wurstküche und konzentrierte sich auf die Stelle, wo er den Gegner vermutete. Der Mann in den Manchesterhosen schien Wasser in die Kehle bekommen zu haben, denn plötzlich war ein bellendes Husten zu hören. Parker nickte zufrieden und sprühte weiter. Er klemmte den Schlauch fest und wechselte die Stellung. Er verschwand hinter einem Cutter. Sein Gegner schien von Wasser nicht viel zu halten. Wütend tauchte er aus seinem Versteck hervor und suchte sich einen neuen Standort. Darauf hatte der Butler nur gewartet. Er hatte in Ermangelung einer anderen Waffe längst eine zweite Bierwurst in der Hand, die noch recht heiß war. Der Gegner war ahnungslos. Bis die Wurst sich auf seinem Gesicht breit machte. Sie platzte unter der Wucht des Aufschlags auseinander. Heiße Wurstmasse verteilte sich über das Antlitz des brüllenden Mannes, der plötzlich nichts mehr sah. 22
Der Gegner wischte sich die Wurstmasse aus dem Gesicht, torkelte dabei hilflos herum und kam so in die Reichweite des Butlers, der geduldig darauf wartete, seinen Universal-Regenschirm einsetzen zu können. Dann war es soweit. Parker langte nachdrücklich zu. Der Gegner stöhnte auf, warf die Arme hoch in die Luft und rutschte anschließend in sich zusammen. Er landete mit dem Hinterkopf derart unglücklich auf dem gekachelten Boden der Wurstküche, daß er praktisch ein zweites Mal ohmmächtig wurde. Parker bemächtigte sich auch der zweiten Waffe und schaute auf den ohnmächtigen Mann hinunter. Bis ihm einfiel, daß der Revolvermann Joe Canders noch in der Räucherkammer hockte. Es wurde höchste Zeit, ihn zu befreien. Parker war gegen alle Formen der Grausamkeit.
*
Es war höchste Zeit geworden, Joe Canders zu
befreien.
Er donnerte mit den Fäusten bereits gegen die
Blechtür und schien sich in gewisser Not zu
befinden.
Parker entriegelte die Tür und trat sicherheitshalber
zur Seite. Da er über genügend Phantasie verfügte,
konnte er sich ungefähr, vorstellen, was sich in der
Räucherkammer getan hatte.
Er sollte sich nicht getäuscht haben.
Explosionsartig flog die Tür auf.
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Dann schoß Joe Canders hervor und hinterließ im wahrsten Sinne des Wortes eine Rauchfahne. Sie rührte von der Verbrennung seines Hosenbodens her, der sich an den schwelenden Buchenscheiten entzündet haben mußte. Eigenartige Töne ausstoßend, lief Canders nach der Wurstküche und kümmerte sich nicht weiter um den Butler, der interessiert zuschaute. Dann entdeckte Canders den großen Bottich und übersah in der Hast, daß das Wasser immerhin noch dampfte, daher also noch zumindest warm bis heiß sein mußte. Er sah nur das Wasser und witterte Rettung. Mit einem wahren Hechtsprung warf er sich in die Brühe, um dann laut auf zubrüllen. Das Feuer seines Hosenbodens wurde zwar schlagartig gelöscht, dafür erlitt Canders aber leichte Verbrühungen ersten Grades. Blitzschnell jumpte er aus dem Kessel und blieb dann erschöpft und steifbeinig neben ihm stehen. „Blinder Eifer schadet nur, wie das Exempel gerade wieder einmal bewiesen halben dürfte“, tadelte der Butler den Revolvermann. „Sie hätten sich vor Ihrem Sprung bei mir nach der Temperatur des Wassers erkundigen sollen!“ „Ich… ich bring Sie um!“ stöhnte Canders wütend. „Ich bring Sie um!“ „Ich würde Ihnen dringend raten, sich nicht zu überanstrengen“, warnte der Butler mitfühlend und höflich. „Vorerst sollten Sie eine kleine Erholungspause einlegen, Mister Canders. Diesen Rat werde ich auch Ihrem Freund erteilen, sobald er wieder zu sich gekommen ist.“ 24
„Wo… wo steckt Clay?“ stöhnte Canders. „Wenn Sie den Mann in den Manchesterhosen meinen, so ruht er sich gerade von seinen Anstrengungen aus. Mister Canders. Machen Sie sich nur keine Sorgen!“ „Mann, dafür werden Sie noch büßen!“ schnaufte Canders, der sich bereits etwas erholt hatte. „Ersparen Sie sich jedes weitere Wort“, sagte der Butler. „Ich kenne Drohungen dieser Art. Sagen Sie mir lieber, wessen Unmut ich mir zugezogen habe! Sie handeln ja gewiß nicht auf eigene Faust.“ „Warten Sie’s ab, Parker!“ „Bestellen Sie Ihrem Auftraggeber, daß ich zu Gesprächen bereit bin, falls sie sich in zivilisierter Form abspielen. Wo ich zu erreichen bin, wissen Sie ja ohnehin.“ Parker hielt es für ausgesprochen witzlos, sich mit Canders weiter zu unterhalten. Weder er noch sein Partner würden mit der Sprache herausrücken. Profis dieses Schlages redeten und sangen nicht. Sie ließen sich lieber einsperren. Der Butler lüftete höflich seine Melone, legte sich den Griff seines Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und schritt zur Tür der Wurstküche. Dann bog er kurz ab, durchsuchte die Taschen des ohnmächtigen Gangsters und war nicht enttäuscht, als er nicht ein einziges Stückchen Papier fand, das auf die Identität des Mannes schließen ließ. Auf der Straße angekommen, baute der Butler sich neben seinem hochbeinigen Monstrum auf und wartete. Seine Geduld wurde nicht lange strapaziert. 25
Canders und Clay erschienen und wirkten nicht sonderlich aktiv. Sie schleppten sich auf einen am Straßenrand parkenden Ford zu und krochen mühsam in den Wagen. Dann fuhren sie los, als säße ihnen der Teufel im Nacken. Parker folgte ihnen in seinem hochbeinigen Monstrum. Er hoffte, daß man seinen skurril aussehenden Wagen nicht ausmachte. Es war immerhin dämmrig bis dunkel geworden. Er hatte eine echte Chance, nicht entdeckt zu werden. Die Fahrt endete noch im Ostteil der Stadt vor einem Apartment-Hotel der unteren Klasse. Canders und Clay krochen aus dem Ford und wankten angeschlagen in die kleine Halle des Hotels. Durch die Glasscheibe der Tür sah Parker, daß sie mit einem klapprig aussehenden Lift nach oben fuhren. Kurz danach flammte in der zweiten Etage hinter einem schmalen Fenster ein Deckenlicht auf. Die beiden Gangster schienen ihr Zimmer erreicht zu haben. Parker ging zurück zu seinem Monstrum und öffnete seine Alarmtasche. Es handelte sich um einen abgewetzt aussehenden Lederkoffer, der allerlei nützliche Gerätschaften barg. Der Butler wußte genau, was zu tun war. Er setzte mit schnellen, gekonnten Griffen ein Blasrohr aus Plastik zusammen. Es handelte sich um ein von ihm entwickeltes und ausgebautes Spielzeug, wie man es in den Spielwarenläden erhält. Er schob einen Pfeil in das Mundstück, an dessen Spitze sich ein Gummisauger befand. Im Schaft des Pfeils aber 26
befand sich ein leistungsstarkes Mikrofon, das mit einem ebenso leistungsstarken Kleinstsender gekoppelt war. Vom Wagen aus schoß der Butler diesen Pfeil hinauf in die zweite Etage. Zielsicher landete der Sender knapp neben dem Fensterrahmen unterhalb des Fenstersturzes. Parker schob das Blasrohr wieder zusammen und schaltete sein Autoradio ein. Er benutzte eine bestimmte Frequenz, die es ihm nun gestattete, alles mitzubekommen, was in dem Apartment gesprochen wurde.
*
Etwa fünfundvierzig Minuten später erschien Josuah Parker im Loop, dem eigentlichen Herzen Chikagos, vor einem großen, grauen Backsteinbau, in dem Büros aller Art untergebracht waren. Hinweisschilder im Erdgeschoß wiesen die Wege. Zu diesen Hinweisschildern gehörte auch der Name einer ganz bestimmten Firma, die sich „CityStellenvermittlung“ nannte. Inhaber dieses Büros war ein gewisser Don Halligan, wie unter der Firmenbezeichnung zu lesen war. Parker ging von der Eingangshalle aus nach links in den Korridor und war nicht sonderlich überrascht, hinter den Glasfüllungen zweier Türen Licht zu sehen. Diese Adresse hatte er auf dem Umweg über den Kleinstsender in Erfahrung bringen können. Joe Canders und sein Mitgangster Clay hatten nach der 27
Rückkehr in das miese Apartment-Hotel sofort diese Nummer angerufen und sich mit einem gewissen Don Halligan unterhalten. Der Rest, nämlich das Herausfinden der vollständigen Adresse, war für den Butler dann nur noch eine Kleinigkeit gewesen. Aus der ganzen Unterhaltung hatte der Butler den Eindruck gewonnen, daß Halligan der Chef des Unternehmens war, daß er ein ganz gewisses Interesse daran hatte, ihn ermorden zu lassen. Warum das so war, wollte, der Butler nun höflichst erfragen. Er läutete und brauchte nicht lange zu warten, bis hinter der vorderen Tür Schritte zu hören waren. Eine Vorlegekette wurde ausgehakt, dann war das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes zu sehen, dessen Nase an einen Entenschnabel erinnerte. „Ja?“ fragte der Mann mit der Entennase gedehnt. „Parker mein Name, Josuah Parker“, stellte der Butler sich in aller Form vor. „Ich möchte Mister Halligan sprechen, falls das um diese Zeit überhaupt möglich ist.“ „Parker? Sind Sie bei uns schon eingetragen?“ „Ich denke doch“, gab der Butler zurück. „Wahrscheinlich steht mein Name an der Spitze einer ganz bestimmten Liste.“ „Warten Sie eine Moment“, erklärte der Mann. „Ich frage den Chef!“ Parker nickte und wartete vor der wieder geschlossenen Tür. Angst fühlte er überhaupt nicht, obwohl er sich doch hier in die Höhle des Löwen hineinwagen wollte. Er baute auf die Verblüffung Halligans und rechnete sich echte Chancen aus. 28
„Kommen Sie rein, Mister Parker“, sagte der Mann
mit der Entenschnabelnase. „Mister Halligan wartet
in seinem Büro auf Sie! Gehen Sie gleich durch!“
„Sie sind…?“ fragte Parker und sah den Mann
forschend an.
„Steve Minstel“, stellte der Mann sich vor, um sich
gleich darauf sichtlich zu ärgern, daß ihm sein Name
herausgeschlüpft war.
„Sehr schön, Mister Minstel“, erklärte der Butler. „Ich
darf annehmen, daß Sie Mister Halligans Sekretär
sind, ja?“
„So ungefähr“, murmelte Steve Minstel und sah
verärgert aus. „Hören Sie jetzt auf mit der Fragerei!
Der Chef wartet!“
Parker durchmaß würdevoll ein vollkommen normal
aussehendes Büro, schritt durch eine geöffnete Tür,
die auf beiden Seiten, dick gepolstert war und stand
dann Mister Don Halligan gegenüber.
Don Halligan war höchstens fünfundvierzig Jahre alt,
groß, muskulös und sah nicht wie ein Gangster aus.
Er trug einen erstklassig geschnittenen Anzug und
lächelte den Butler breit und gewinnend an. Das
fleischige Gesicht des Mannes war tief gebräunt. Er
schien sich oft in freier Luft aufzuhalten.
„Don Halligan“, stellte er sich vor. „Sie wollten mich
sprechen, Mister Parker? Was kann ich für Sie tun?
Ich sehe schon, Sie suchen eine Stellung als Butler,
oder irre ich mich?“
„Danke, ich habe bereits den Vorzug und die Ehre,
Mister Mike Rander als Butler dienen zu dürfen“,
gab Parker höflich zurück. „Mein Besuch hat einen
anderen Grund. Um, wie es so treffend im
29
Volksmund heißt, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, Mister Halligan, ich möchte in Erfahrung bringen, warum Ihre beiden Angestellten Joe Canders und Clay mich unbedingt umbringen wollen!“ Don Halligans Gesicht nahm eine blutrote Farbe an, während er gleichzeitig einen mittelschweren Hustenanfall erlitt. Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, sah er den Butler irritiert an. „Wie… wie war das?“ fragte er dann. „Ich möchte wissen, warum Sie mich umbringen lassen wollen“, präzisierte und vereinfachte der Butler. „Ihre beiden Angestellten werden Ihnen ja inzwischen mitgeteilt haben, daß dieser Plan nicht recht gelang.“ „Sind Sie sicher, daß Sie sich an die richtige Adresse gewendet haben?“ wollte Don Halligan wissen. „Vollkommen sicher“, entgegnete der Butler. „Ich würde mir niemals gestatten, irgendwelche Scherze zu machen. Aber Sie haben, worauf ich Sie hinweisen möchte, meine Frage noch nicht beantwortet.“ „Ich begreife noch immer nicht“, behauptete Don Halligan und schüttelte den Kopf. „Ich kenne keinen Joe Canders und auch keinen Clay. Wer behauptet denn, daß ich zwei Gangster auf Sie angesetzt haben soll? Hier ist eine Stellenvermittlung, Mister Parker, oder sollten Sie das übersehen haben?“ „Keineswegs, Mister Halligan! Meine Informationen stammen übrigens aus erster. Hand, mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen. Darf ich hingegen erfahren, wodurch ich mir Ihr offensichtliches Mißfallen zugezogen habe? Meines Wissens haben 30
sich Ihre und meine Wege bisher noch nie gekreuzt!“ Halligan kam um den Schreibtisch herum und schüttelte irritiert den Kopf. Dann griff er nach einer Zigarette und setzte sie sehr umständlich in Brand. „Man dürfte Sie auf den Arm genommen haben“, sagte er dann langsam. „Aber angenommen, ich wäre der Mann, den sie suchen, dann besitzen Sie verdammt viel Mut oder Frechheit, hierher zu mir zu kommen, finden Sie nicht auch?“ „Das kommt immer auf den jeweiligen Standpunkt an“, gab der Butler reserviert zurück. „Ich habe bisher die Erfahrung gemacht, daß man Gangster grundsätzlich angreifen soll und muß. Man muß ihnen zeigen und zu verstehen geben, daß ihre Bäume niemals in den Himmel wachsen.“ „Und das ist bisher immer gut gegangen, Mister Parker?“ fragte Halligan ironisch zurück. „Immer“, antwortete der Butler, „es sei denn, Sie überzeugen mich vom Gegenteil!“ „Angenommen, ich bin tatsächlich ein Gangsterboß“, schickte Halligan lächelnd voraus, „glauben Sie ernsthaft, ich würde es dann zugeben?“ „Natürlich nicht“, sagte Parker und nickte andeutungsweise. „Zu diesem Bekenntnis muß man Sie erst zwingen. Ich denke, das wird aber nur noch eine Frage von Tagen sein!“
*
„Und das hat Halligan sich bieten lassen?“ fragte Mike Rander eine Stunde später, nachdem Parker von seinem Ausflug berichtet hatte. 31
„Er war glatt wie ein Aal, Sir.“ „Soll er, Parker. Geben Sie Lieutenant Madford den Tip weiter, er soll sich mit Halligan befassen. Für Sie ist der Zwischenfall damit erledigt.“ „Sir, man plant schließlich meine Ermordung!“ „Wenn schon“, sagte Rander leichthin, „daran dürften Sie sich ja inzwischen gewöhnt haben. Sie halten sich ‘raus. Habe ich Ihnen ja schon einmal gesagt!“ „Sir, ich befinde mich in der Zwangslage der Notwehr“, erklärte der Butler gemessen. „Ich darf auf keinen Fall warten, bis man mich aus dem Hinterhalt erledigt.“ „Na ja“, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei, „was schlagen Sie also vor?“ „Ich könnte mich ja in meiner Freizeit mit Mister Halligan befassen, Sir!“ „Meinetwegen“, brummte der junge Anwalt, „aber halten Sie Kontakt zu Lieutenant Madford. Er wird übrigens gleich vorbeikommen. Unser erster Tip scheint ihn alarmiert zu haben!“ Mike Rander schien das Stichwort geliefert zu haben. Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als sich der Türgong meldete. Parker verließ gravitätisch das Studio seines Herrn und öffnete in der Wohndiele den bereits bekannten Wandschrank, um das Fernsehgerät einzuschalten. Vor der Treppe, die hinauf zum Dachgarten führte, stand tatsächlich Lieutenant Madford. Er wurde begleitet von Sergeant McLean, der an einen riesigen, tapsigen Grislybären erinnerte, während Madford klein und drahtig aussah. 32
„Machen Sie schon auf, Parker“, brummte Madford, der von der Fernsehanlage wußte, „tut mir leid, daß wir nicht die Gangster sind, die Sie erwartet haben!“ Parker erwartete die beiden Polizeidetektive in der Wohndiele und führte sie ins Studio, wo Mike Rander ihnen bereits lächelnd entgegenkam. „Hallo, Madford… Hallo, McLean!“ sagte er, „schon Neuigkeiten über unsere beiden Besucher?“ „Wie man’s nimmt“, erwiderte Madford und ließ sich in einen der weichen und tiefen Ledersessel fallen. „McLean scheint sich erinnert zu haben!“ McLean blieb höflich hinter seinem Chef stehen und räusperte sich diskret. Er überhörte dabei das Klirren der Fensterscheiben, das durch sein Räuspern in unkontrollierbare Schwingungen geraten war. „Ich glaube“, berichtete er dann etwas schwerfällig, „ich glaube, daß ich Joe Canders kenne… Nämlich von New York her, Sir. Damals war ich auch bei der Mordkommission, als Anfänger.“ „… woran sich wohl kaum etwas geändert hat“, warf Madford bissig ein. „Also, damals war ich Anfänger bei der Mordkommission“, redete McLean weiter, „und da hatten wir mit einem Joe Canders zu tun. Er wurde als Gunner gesucht. Aber er wurde nie erwischt. Das heißt, man konnte ihm nichts nachweisen. Er scheint aber mit Sicherheit wenigstens drei Menschen umgebracht zu haben!“ „Scheint ja ein reizendes Früchtchen zu sein“, stellte Mike Rander fest, „liegt gegen ihn ein Fahndungsersuchen vor?“ „Nichts“, sagte Madford, „wir sind das 33
Fahndungsbuch sehr sorgfältig durchgegangen. Canders kann es sich leisten, in aller Öffentlichkeit herumzuspazieren.“ „Sagt Ihnen möglicherweise der Vorname Clay etwas?“ fragte der Butler. „Clay Denver!“ gab Sergeant McLean spontan zurück. Er sah den Butler interessiert an, „ist er Ihnen über’n Weg gelaufen?“ „Rein zufällig“, behauptete der Butler ausweichend, „das kann man noch nicht einmal sagen. Ich erfuhr diesen Namen am Rande einer Unterhaltung.“ „Sie können von Glück sagen, daß Sie nicht auf ihn gestoßen sind“, meiste Lieutenant Madford warnend. „Clay Denver ist ein bösartiger Bursche mit dem Gehabe eines Kinderfreundes. Er hat es faustdick hinter den Ohren. Ich warte nur darauf, ihm endlich etwas anhängen zu können!“ „Arbeitet besagter Clay Denver für irgendeine Bande, Sir?“ wollte der Butler weiter wissen. „Bisher war er Einzelgänger, aber das kann sich geändert haben.“ „Ist auch ein gewisser Mister Halligan ein Einzelgänger?“ stellte der Butler seine nächste Frage. „Kennen Sie einen Halligan?“ Madford sah sich nach seinem Mitarbeiter um, der daraufhin nur den Kopf schüttelte. „Was sagt Ihnen aber der Name Steve Minstel?“ bohrte der Butler weiter. „Minstel! Steve Minstel… Lassen Sie mich nachdenken, Parker.“ Madford senkte den Kopf und massierte sich die Schläfen mit seinen Fingern. „Steve Minstel, Sir, hat drei Jahre im Zuchthaus 34
gesessen. Wegen Betrug und Raubversuch“, half Sergeant McLean seinem Chef nach, „das Delikt Mordversuch mußte fallengelassen werden, da die Beweise nicht ausreichten.“ „Das läppert sich aber ganz schön zusammen“, stellte Mike Rander fest, „demnach sind Joe Canders, Clay Denver und Steve Minstel ausgemachte Gangster.“ „Und ob!“ bestätigte Madford, „gereizte Klapperschlangen sind harmlose Blindschleichen dagegen!“ „In welchem Zusammenhang sind Sie mit diesen Subjekten in Berührung gekommen?“ fragte Sergeant McLean streng. „Genau die Frage wollte ich gerade stellen“, sagte Madford und sah seinen Mitarbeiter ungnädig an, „los, raus mit der Sprache, Parker, was wird hier gespielt!“ „Man hat die wenig schöne Absicht, Sir, meine bescheidene Person ins Jenseits zu befördern“, erklärte der Butler. „Ach so, ich dachte schon, es handelte sich um etwas Wichtiges“, meinte Lieutenant Madford daraufhin, „jetzt bin ich beruhigt!“
*
„Gut, wir wissen jetzt, daß wir es mit Profis zu tun haben“, sagte Mike Rander, nachdem Madford und McLean gegangen waren, „wir wissen aber immer noch nicht, warum man Sie umbringen will, Parker. Ich finde, daß die Gangster sich in diesem Punkt verdammt zurückhaltend benehmen.“ 35
„In der Tat, Sir“, räumte der Butler ein, „das ist wirklich ungewöhnlich, normalerweise werden solche geplanten Morde doch immer angekündigt.“ „Ob wir mal unsere Fühler zur Unterwelt ausstrecken?“ „Daran hatte auch ich mir schon erlaubt zu denken, Sir. Für gewöhnlich weiß man doch in einschlägigen Kreisen, was auf dem Mordprogramm steht.“ „Also gut, ich werde das umgehend in die Hand nehmen, Parker. Wann ich zurückkomme, kann ich jetzt noch nicht sagen!“ Mike Rander bemerkte das andeutungsweise Hochstellen von Parkers linker Augenbraue. Er lächelte und nickte. „Schon gut, wundern Sie sich nicht unnötig“, meinte er dann, „die Verhältnisse sind wieder einmal stärker als meine Absichten. Ich spiele mit. Erstklassige Butler sind schließlich rar!“ „Ich bedanke mich für das Kompliment, Sir, und werde mich bemühen, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Wenn Sie erlauben, werde auch ich das Haus verlassen.“ „Was haben Sie vor, Parker?“ „Ich möchte mich noch einmal mit dem Inhaber der ,City-Stellenvermittlung’ befassen, Sir. Er ist und bleibt die Schlüsselfigur.“ „Treiben Sie die Dinge nicht auf die Spitze“, warnte Mike Rander, „lassen Sie sich vor allen Dingen auf keine Extratouren ein. Sie konnten tödlich verlaufen.“ „Ich werde mich Ihrer Warnung stets und im rechten Augenblick erinnern“, versprach der Butler und 36
sorgte dann dafür, daß sein junger Herr möglichst schnell aus dem Haus kam, nicht ohne ihm vorher noch eine handliche Automatik, Kaliber 22, zugesteckt zu haben. Anschließend baute er sich neben dem Wandtisch auf, auf dem eines der Telefone stand. Er suchte und wählte die Nummer der Stellenvermittlung und ließ sich Mister Don Halligan geben. „Halligan!“ tönte es aus dem Apparat, „mit wem spreche ich?“ „Butler Josuah Parker“, gab der Butler höflich zurück, „ich erlaube mir, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.“ „Hier am Telefon?“ „Ich werde mich in gewissen Andeutungen ergehen, Sir, die nur Sie und meine bescheidene Person verstehen werden.“ „Schießen Sie los!“ „Könnte man sich wegen einer neuen Stelle nicht arrangieren?“ erkundigte sich der Butler gemessen, „ich bin bereit, dafür gewisse Opfer zu bringen.“ „Im Moment habe ich für Sie nichts frei“, antwortete Halligan, „aber wir sollten uns tatsächlich mal über alle Möglichkeiten unterhalten.“ „Könnte dies umgehend geschehen?“ „Von mir aus, Parker. Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen. Das heißt, treffen wir uns doch im ,Shelter’, dort ist man ungestört.“ „In weniger als einer halben Stunde werde ich dort sein, Sir. Legen Sie Wert darauf, daß ich irgendwelche Unterlagen mitbringe?“ „Darüber werden wir im ,Shelter’ sprechen, Parker.“ 37
Don Halligan legte auf, worauf Parker diesem Beispiel folgte. Er ging hinüber in seine privaten Räume und bereitete sich für diesen nächtlichen Ausflug vor. Er kalkulierte, soweit das überhaupt möglich war, jede Eventualität ein. Sein hochbeiniges Monstrum brachte ihn dann in den Loop. Parker stellte seinen Wagen auf einem Parkplatz in, der Nähe des Nachtlokals ab und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück. Das „Shelter“ war eine Kellerbar, die sich eines zweifelhaften Rufes erfreute. Hier verkehrten sowohl die Unterwelt als auch sensationslüsterne Herrschaften der sogenannten guten bis besseren Gesellschaft. Hier wurde noch so etwas wie ein permanenter Nervenkitzel zusätzlich zu den Getränken serviert. Don Halligan saß bereits in einer der halbdunklen Nischen und nickte dem Butler grüßend zu. „Allein?“ erkundigte er sich. „Selbstverständlich, Mister Halligan“, gab der Butler zurück, „darf ich sofort zum Kern der Sache vorstoßen! Sie können sich vorstellen, daß ich von meiner geplanten Ermordung keineswegs begeistert bin. Bitte, Mister Halligan, geben Sie zu diesem Punkt keine Erklärung ab. Wir beide, wenn ich mich so ausdrücken darf, wissen doch sehr genau, daß dieser Mord geplant ist!“ „Unsinn, Parker!“ „Weshalb dann der Revolvermann Joe Canders? Weshalb der Überfall auf meine bescheidene Person in der Fleischerei, ausgeführt von Joe Canders und Clay Denver?“ 38
„Kein Mensch will Sie, umbringen, Parker. Das können Sie mir glauben!“ „Dann frage ich mich, warum der ehemalige Versicherungsvertreter Mel Rustler unbedingt in das Penthouse meines Herrn eindringen wollte. Was suchte er dort? Was sollte er laut Canders schnell herausholen? Warum empfahl Mister Rustler mir, nur für einen kurzen Moment das Penthouse zu verlassen, dann sei, wie er sich ausdrückte, bereits alles gelaufen? Sie müssen einräumen, Sir, daß alle diese Dinge ungewöhnlich und rätselhaft klingen.“ „Wer Sie dort oben im Penthouse besucht hat, weiß ich nicht, Parker“, stritt Halligan energisch ab. „Woher haben Sie eigentlich meinen Namen und meine Adresse?“ „Betriebsgeheimnis, Mister Halligan!“ „Ist Ihnen mein Name zugetragen worden?“ „Auch darauf möchte ich nicht antworten, Mister Halligan. Bleiben wir doch beim Thema. Sie sagen mir, was Sie besitzen wollen, ich hingegen werde mich bemühen, dieses ,Etwas’ auszuliefern. Damit dürften doch alle Mißverständnisse aus der Welt geräumt sein.“ „Würden Sie mir den Schlüssel zum Penthouse anvertrauen?“ „Wie soll ich das verstehen, Mister Halligan?“ „Geben Sie mir den Schlüssel zu Ihrer Wohnung, Parker. Und schon ist der Fall erledigt. Sie müßten allerdings in meinem Büro warten, bis ich wieder zurück bin. Mehr bekommen Sie nicht aus mir heraus.“ „Und wenn ich darauf nicht eingehen kann?“ 39
„Werden Sie gefährlich leben. Wie alle Menschen in solch einer großen Stadt. Denken Sie mal an die zahlreichen Verkehrsunfälle! Wie leicht kann da was passieren.“ „Ich glaube, ich lasse es darauf ankommen“, entschied der Butler, „aber ich möchte mich für Ihre Offenheit und für Ihre Hinweise bedanken, weiß ich doch jetzt, daß sich im Penthouse tatsächlich Dinge verbergen, auf die ich bisher nicht geachtet habe. Diese letzte Gewißheit fehlte mir bisher!“ „Was haben Sie schon davon?“ erkundigte sich Don Halligan und lächelte, „meine Leute warten nur auf ein Zeichen, um Sie zusammenzuschießen! Stehen Sie auf und gehen Sie hübsch brav hinüber zu den Toilettenräumen, Parker! So schlau wie Sie waren bin ich schon lange! Noch etwas, ich bluffe nicht! Wenn Sie einen Fluchtversuch riskieren, sind Sie ein toter Mann!“
*
Parker saß im Fond eines selbstverständlich grauen Ford, wie ihn Gangster aller Kaliber nur zu gern benutzen und ließ sich durch die Stadt fahren. Er hatte sich im „Shelter“ genau an die Anweisungen Halligans gehalten, davon ausgehend, daß dieser Mann nicht geblufft hatte. Was übrigens stimmte, denn in den Toilettenräumen war er von Canders und Denver in Empfang genommen und über einen Hinterausgang in den Ford gebracht worden. Parker saß zwischen Denver und Canders. Auf den Vordersitzen hatten es sich Halligan und sein 40
Sekretär Minstel bequem gemacht. Der Wagen wurde
von Minstel gesteuert, der stets ein wenig zu schnell
fuhr und von Halligan immer wieder ermahnt
werden mußte.
„Die Sache ist denkbar einfach“, sagte Halligan und
wandte sich zu Parker um. „Sie werden zusammen
mit Minstel und mir hinauf ins Penthouse fahren.
Dort holen wir dann das, wonach wir suchen.
Anschließend können Sie tun und lassen, was Sie
wollen!“
„Eine verlockende Verheißung“, stellte der Butler
fest, „hoffentlich ändern Sie nicht Ihre Pläne!“
„So schlecht, wie Sie glauben, bin ich gar nicht“,
antwortete Halligan auflachend, „wo steckt übrigens
Ihr Chef?“
„Mister Rander ist ausgegangen“, gab der Butler
zurück, „man wird also völlig ungestört sein!“
„Mätzchen ziehen bei mir nicht“, warnte Halligan,
„beim leisesten Verdacht schieße ich. Nicht direkt ins
Zentrum, sondern so, daß es verdammt weh tut!“
„Ich glaube Ihnen in dieser Beziehung jedes Wort“,
entgegnete der Butler würdevoll, „Sie können sich
fest auf mich verlassen. Ich werde mich bemühen,
loyal zu sein!“
*
Sie fuhren mit dem Expreßlift durch das um diese Zeit völlig leere Bürohaus nach oben, stiegen aus und betraten die schmale Treppe die von der Endstation des Lifts hinauf in den Dachgarten führte. Halligan blieb dicht hinter dem Butler. Er hielt seine 41
schallgedämpfte Waffe schußbereit in der Hand, wie es sich für einen mißtrauischen Gangster gehörte. Minstel machte die Nachhut. Auch er war selbstverständlich bewaffnet. „Denken Sie an meine Warnung“, sagte Halligan, als Parker die Tür zum Dachgarten aufschloß, „ich weiß von Canders, daß Sie da oben mit allerlei Überraschungen aufwarten können. Die werden mich aber nicht daran hindern, auf Sie zu schießen!“ Parker nickte nur. Im Augenblick wollte er nichts unternehmen, denn das wäre tatsächlich einem Selbstmord gleichgekommen. Er mußte sich noch etwas in Geduld fassen und auf den günstigen Moment warten. Sie gingen quer durch den Garten auf das Penthouse zu, das in einem Winkel des Daches stand. Das Dachgartenhaus war völlig unbeleuchtet, da Mike Rander unterwegs war. Parker nahm das erfreut zur Kenntnis. Er hatte insgeheim befürchtet, sein junger Herr wäre schon zurückgekommen. „Ist ja sagenhaft hier oben“, sagte Minstel leise, als sie sich dem Haus näherten, „so möchte ich auch mal wohnen!“ „Kommt alles“, erwiderte Halligan auflachend, „wir brauchen nur noch das Heu einzufahren!“ Parker stand vor der Tür zum Penthouse und sperrte sie auf. „Nach Ihnen!“ sagte er dann höflich zu seinen beiden Begleitern. „Genieren Sie sich bloß nicht“, spottete Halligan, um dann ernst fortzufahren, „denken Sie an meine Kanone! Der Finger liegt am Drücker. Ich brauche 42
ihn nur zu krümmen!“ Halligans Stimme klang plötzlich nervös. Wußte er sich bereits am Ziel? Der kritische Moment war gekommen. Wurde Butler Parker jetzt noch gebraucht? Kamen die Gangster ohne ihn nicht sogar besser zurecht? Sie schienen ja sehr genau zu wissen, wo sie zu suchen hatten! Parker war sich der kritischen Sekunden voll bewußt. Jetzt mußte er handeln, wenn er mit dem Leben davonkommen wollte. Es ging um Zehntelsekunden! Parker trat über die Schwelle und trat geschickt auf ein ganz bestimmtes Brettchen des Parkettfußbodens! Er trat nicht ohne Grund darauf! Etwa zweieinviertel Quadratmeter des Fußbodens waren plötzlich nicht mehr vorhanden. Sie fehlten einfach! Und mit ihnen fehlten Halligan und Minstel, die sich zusammen mit dem Stück Fußboden abgesenkt hatten. Sie schrieen noch im Niederstürzen erstickt auf, aber sie kamen gar nicht mehr dazu, auf den Butler zu feuern, der sich verständlicherweise so aufgebaut hatte, daß er nicht mit in die Tiefe rutschte. Das Schreien der beiden Gangster erstarb. Der Fußboden erschien wieder auf der Bildfläche und sorgte dafür, daß an dem Gesamteindruck nichts fehlte. Parker nickte zufrieden und leistete sich in Anbetracht der allgemeinen Lage ein andeutungsweises Schmunzeln, das man als amüsiert bezeichnen konnte…
*
43
Parker war kein Unmensch. Natürlich kümmerte er sich um seine Gäste. Er ging hinüber in die kleine, aber bestens ausgestattete Küche und öffnete einen Wandschrank. Nach dem Druck auf einen versteckt angebrachten Knopf schwenkte die Rückseite des Schranks auf und gab eine schmal Wendeltreppe frei, die hinunter in das nächsttiefere Geschoß führte. Diese Wendeltreppe endete in einem Schrank, der wiederum in einem Büro stand, das grundsätzlich nicht benutzt wurde. Es gehörte praktisch zum Penthouse und konnte auch völlig normal von einem Korridor aus betreten werden, falls man es schaffte, diese Tür zu öffnen. Diese Wendeltreppe samt Büro waren ein Teil eines raffiniert ausgebauten Fluchtsystems. Parker hatte nämlich immer etwas dagegen gehabt, sich auf dem Dachgarten einschließen zu lassen. Wenn es gewünscht wurde, konnte man von diesem getarnten Büro aus hinunter in die nächsttiefere Etage. Dieses System hatte sich in der Vergangenheit schon oft bewährt. Wie an diesem Tag, als Halligan und Minstel zu Tal gefahren waren. Parker schritt also hinunter in das Tarnbüro und blieb vor einem Tresor stehen. Er öffnete einen kleinen Schieber und schaute in diesen Tresor hinein. Im Schein einer eingeschalteten, indirekten Deckenbeleuchtung waren Halligan und Minstel deutlich zu sehen. Sie hatten sich, was ihre Arme und Beine anbetraf, zu einem Knäuel verwickelt, und waren wenig glücklich. Sie hatten nicht sonderlich viel Platz in diesem Verlies und mühten sich 44
verzweifelt ab, wieder auf die Beine zu kommen.
Parker schaltete ein Mikrofon ein, um der
Unterhaltung der beiden ungebetenen Gäste folgen
zu können.
„Dieser verdammte Hund“, stöhnte Halligan gerade,
„ich glaube, ich habe mir alle Knochen im Leib
gebrochen!“ „Wie… wie kommen wir hier wieder
raus, Chef“, stöhnte Minstel, der kein großer Held zu
sein schien. „Ich hab Sie ja gleich gewarnt! Dieser
Parker ist uns über!“
„Jetzt vielleicht!“ stöhnte Halligan zurück, „aber das
Blatt wird sich wenden. Irgendwann muß er uns ja
‘rauslassen!“
„Glauben Sie, Chef?“ unkte Minstel. „Diesem Kerl ist
alles zuzutrauen!“
„Klettern Sie auf meine Schulter“, befahl Halligan,
„versuchen Sie, den Fußboden aufzubekommen.
Machen Sie schon! Ich will hier keine Wurzeln
schlagen.“
Minstel hielt sich an die Weisungen seines. Chefs,
stieg auf dessen Schultern und langte nach oben.
Um im gleichen Moment erschreckt auf zubrüllen, da
er einen elektrischen Schlag erhielt. Er fiel, hilflos auf
seinen Chef und drückte ihn zu Boden.
„Sind Sie wahnsinnig, Minstel!“ schrie Halligan
aufgebracht und nun ebenfalls nervös, „was war
denn?“
„Ich hab ‘nen Schlag bekommen, die Decke steht
unter Strom!“
„Auch das noch!“ jaulte Halligan wütend,
„versuchen Sie’s noch einmal!“
„Jetzt sind Sie dran, Chef“, sagte Minstel und
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schüttelte ängstlich den Kopf. „Ich trau’ mich nicht mehr ‘rauf!“ „Schön, lassen wir das“, lenkte Halligan ein, „sobald Parker die Decke öffnet, schießen wir aus allen Rohren auf ihn, ist das klar? Noch hat er uns nicht im Sack!“ Parker war anderer Meinung. Er drückte auf einen zweiten Knopf und wandte sich dann ab. Für ihn gab es nichts mehr zu sehen. Er wußte, daß jetzt eine Art Lachgas in den Tresor einströmte, das die beiden Gangster völlig unschädlich machte. Und mehr wollte er im Augenblick wirklich nicht…
*
Als sie wieder zu sich kamen, brauchten sie einige Minuten, bis sie sich wieder gefunden hatten. Sie sahen sich erstaunt in der Runde um und glaubten geträumt zu haben. Sie saßen in den bequemen Sesseln der Wohndiele und fühlten sich noch ein wenig benommen. „Ich hoffe, es geht Ihnen inzwischen wieder gut“, sagte Josuah Parker, der selbstverständlich anwesend war, „Sie werden mir gewisse Dinge verzeihen müssen, aber ich sah keine andere Möglichkeit, Sie an einem Mord zu hindern.“ „Wovon reden Sie eigentlich?“ fragte Halligan mit schwerer Zunge und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, „kein Mensch will Sie umbringen.“ „Vielleicht haben Sie für den Begriff Mord einen anderen Ausdruck, im Endeffekt ändert das jedoch nichts. Sollte man nicht endlich zu einer Einigung 46
kommen, Mister Halligan?“ „Lassen Sie uns gehen“, sagte Halligan und deutete mit dem Kinn hinüber zu Steve Minstel, der noch sichtlich mit Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. „Sie können froh sein, wenn wir uns nicht an die Polizei wenden.“ „Tatsächlich?“ „Was Sie hier getan haben, ist Freiheitsberaubung“, führte Halligan weiter aus. „Aber keineswegs“, erwiderte der Butler. „Sie können selbstverständlich aufstehen und gehen. Meine bescheidene Person wird Sie daran auf keinen Fall hindern.“ „Soll das ein Witz sein?“ erkundigte sich Halligan, um sich gleich darauf mißtrauisch und zögernd zu erheben. „Gewiß nicht, Mister Halligan. Ich werde Sie und Ihren Begleiter zum Lift bringen.“ „Da steckt doch wieder irgendeine Teufelei dahinter.“ „Sie werden angenehm enttäuscht werden, Mister Halligan. Sie brauchen mir nur zu folgen. Wenn ich also bitten darf?“ Die beiden Gangster trauten dem Butler nicht über den Weg. Sie gingen langsam und zögernd zur Tür des Penthouse und wandten sich dort nach dem Butler um. „Die Tür ist geöffnet“, sagte Parker. Halligan und Minstel sahen sich kurz an und wollten den Rest des Weges bis zur Tür zurücklegen. In diesem Augenblick erinnerten sie sich der Falltür. Hastig sprangen sie zurück, und sie glichen in 47
diesem Augenblick aufgeschreckten Hasen, die die Falle witterten. In weitem Bogen erreichten sie die Tür und atmeten sichtlich auf, als sie den Dachgarten erreicht hatten. „Eine Frage noch“, sagte Parker, der ihnen gefolgt war, „was soll ich mit dem ,Etwas’ beginnen, wenn ich es gefunden habe?“ „Gehen Sie zum Teufel“, schimpfte Halligan, „lassen Sie uns endlich runter auf die Straße. Sie werden draufgehen. so oder so!“ Parker brachte seine Gäste zum Lift und wartete, bis er sich nach unten absenkte. Dann ging er zurück in das Penthouse und dachte über alles nach. Nun stand einwandfrei fest, daß die Gangster hier im Penthouse nach einem ganz bestimmten Gegenstand suchten. Und dieser geheimnisvolle. Gegenstand mußte mit größter Wahrscheinlichkeit von dem ehemaligen Versicherungsvertreter Mel Rustler ins Haus geschmuggelt worden sein. Der angebliche Höflichkeitsbesuch im Namen der „Allround-Insurance“ und auch der Herzanfall hatten zu einem genau festgelegten Plan gehört. Aber warum wollte man schon wenige Stunden nach diesem Hineinschmuggeln diesen geheimnisvollen Gegenstand wieder zurückholen? Hatte eine Verwechslung vorgelegen? Parker ging hinüber in die kleine Küche und besann sich auf die Vorfälle mit Mel Rustler. Während der angeblichen Herzattacke hatte sich der Gong gerührt. Ein Partner von Mel Rustler hatte ihn damit wohl ablenken wollen. Rustler hatte die Küche nicht verlassen, das stand einwandfrei fest. Demnach 48
mußte der gesuchte Gegenstand sich also irgendwo in der Küche befinden. Parkers Entschluß stand jetzt fest. Die Küche mußte auf den Kopf gestellt werden. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn dieser Gegenstand nicht gefunden wurde! Sehr viele Versteckmöglichkeiten bot der Raum ja nicht. Das Finden war also nur eine Frage der Zeit… Er wollte sich gerade daranmachen, die Wandschränke zu öffnen, als das Telefon sich meldete. Parker ging in die Wohndiele und hob den Hörer ab. „Hier Mel Rustler“, meldete sich die Stimme des ehemaligen Versicherungsvertreters, „Parker….?“ „Sie sprechen mit Butler Josuah Parker“, gab er zurück. „Ich muß Sie unbedingt sprechen“, sagte Rustler hastig, „es geht um Ihr Leben! Um meines auch! Ich sitze in der Patsche. Nur Sie können jetzt noch helfen!“ „Und wie stellen Sie sich meine Hilfe vor?“ erkundigte sich Parker. „Kommen Sie zu mir in die Pension“, schlug Rustler vor. „Ich habe mich im Loop verkrochen. Es sind einige Burschen hinter mir her, weil ich aussteigen will.“ „Die Adresse?“ fragte Parker, um sie sich dann zu notieren. „Werden Sie auch bestimmt kommen?“ fragte Rustler drängend. „Vorher möchte ich erst wissen, welchen Gegenstand Sie in der Küche versteckt haben und wo dieser sich 49
befindet?“
„Das sage ich Ihnen hier. Ich will sehen, daß Sie
gekommen sind, Parker. Mein Tip gegen Ihre Hilfe!
Auch Ihr Leben hängt davon ab, glauben Sie’s mir!“
*
Es war kurz vor Mitternacht, als Parker das Haus erreicht hatte, in dem Mel Rustler abgestiegen war. Auch hier handelte es sich um den üblichen, grauen Backsteinbau. Die Pension befand sich in der ersten Etage und war über eine ausgetretene Treppe zu erreichen. Parker läutete an der Tür und nickte einem vertrocknet aussehenden Männchen zu, dessen Gesicht an einen eingetrockneten Apfel erinnerte. „Zu Mister Rustler“, sagte der Butler, „ich werde erwartet!“ „Sie auch?“ fragte das Männchen erstaunt, „du lieber Himmel, mitten in der Nacht ein Betrieb wie auf einem Bahnhof. Gehen Sie rüber zu Zimmer 21!“ „Mister Rustler hat bereits Besuch? Wann ist er denn eingetroffen, wenn ich fragen darf?“ „Vor ein paar Minuten.“ Parker wußte Bescheid. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich hier um eine Falle. Halligan schien wieder einmal seine Hand mit im Spiel zu haben. Parker vergewisserte sich, daß sein vorsintflutlich alter Colt griffbereit stak und betrat dann den Korridor. Knapp zwei Minuten später wußte er, daß er zu spät gekommen war. Mel Rustler lag quer über dem einfachen Bett und rührte sich nicht. Messerstiche in 50
den Rücken hinderten ihn daran. Eine flüchtige Untersuchung zeigte, daß Rustler noch lebte. Er schlug die Augen auf, als er Parker hörte. „Wer hat es getan?“ fragte der Butler eindringlich. „Halligan oder dessen Mitarbeiter?“ „Canders!“ stöhnte Rustler mit schwacher Stimme. „Man wird ihn dafür zur Verantwortung ziehen“, prophezeite der Butler „Mister Rustler, welchen Gegenstand haben Sie in der Küche versteckt?“ Mel Rustler wollte antworten, doch seine Kräfte reichten dazu offensichtlich nicht mehr aus. Er schloß die Augen und atmete schnell und flach. „Welcher Gegenstand?“ wiederholte Parker eindringlich und brachte seinen Mund dicht an das Ohr des Sterbenden. „Kapsel!“ kam es undeutlich aus Rustlers Mund, „aufpassen! Kapsel… tödlich…!“ Parker richtete sich auf. Er konnte sich weitere Fragen ersparen. Mel Rustler war gestorben. Was er auch immer getan haben mochte, er hatte dafür bitter bezahlen müssen. Josuah Parker sah sich in dem einfachen. Zimmer um. Erst jetzt bemerkte er, daß es durchsucht worden war. Nicht ein einziges Gepäckstück war vorhanden. Der Kleiderschrank war leer, die Schubladen der Kommode weit geöffnet und ebenfalls geleert. Der oder die Mörder hatten gründliche Arbeit geleistet. Parker verließ das Zimmer und traf an der Tür zum Treppenhaus den vertrocknet aussehenden Mann. „Gibt es hier einen zweiten Ausgang?“ erkundigte er sich. „No, nur die Feuertreppe!“ „Seit wann wohnte Mister Rustler bei Ihnen?“ 51
„Der zog erst gegen Abend ein. Ist was mit ihm?“ „Ich muß Ihre Frage, bejahen“, entgegnete der Butler gemessen, „Sie sollten die Polizei verständigen. Ihr Gast, Mel Rustler, ist ermordet worden!“
*
Der Mann mit dem verschrumpelten Gesicht starrte den Butler entgeistert an und holte tief Luft, da er für Bruchteile von Sekunden das Atmen vergaß. „Mord?“ vergewisserte er sich dann. „.Sehr wohl“, gab der Butter zurück, „von welchen Personen ist Mister Rustler besucht worden?“ „Von einem Mann… Aber der sah gar nicht wie ein Mörder aus.“ „Mörder sehen selten wie Mörder aus“, erklärte Parker, „das erschwert die Arbeit so sehr. Hat Mister Rustler seit seinem Hiersein Telefongespräche geführt?“ „Und ob… ‘ne ganze Menge! Von seinem Zimmer aus.“ „Besitzen Sie zufällig noch die Nummern! Sie dürften die Gespräche ja wohl handvermittelt haben, nicht wahr?“ „Klar, die hab ich auf ‘nem Zettel stehen. Aber sagen Sie mal, wer sind Sie eigentlich?“ „Ein interessierter Mensch“, erklärte der Butler ausweichend, „würden Sie jetzt die Freundlichkeit haben und mir die bewußten Telefonnummern geben?“ Parkers Auftreten war derart zwingend, daß der Pensionsinhaber auf weitere Fragen verzichtete und 52
Parker den Block reichte, auf dem die Telefonnummern verzeichnet waren. Parker schrieb sich diese Nummern, die sich auf den Stadtbezirk von New York bezogen, in sein kleines, ledergebundenes Notizbuch und nickte dem Mann dann anerkennend zu. „Was soll ich mit dem Brief machen, den Mister Rustler geschrieben hat?“ fragte der Verschrumpelte eifrig. Er griff in ein Fach neben dem Vermittlungskasten und reichte dem Butler einen Brief, der an eine gewisse Miß Joyce Dagenham gerichtet war. Parkens Augen fotografierten den Namen und die Adresse. Dann reichte er den Brief zurück und sagte: „Bewahren Sie ihn gut auf, die Polizei wird sich dafür ungemein interessieren.“ Um dem Pensionsinhaber die Arbeit abzunehmen, steckte der Butler den bewußten Brief zurück in das Fach! „Und jetzt die Polizei“, schlug er vor, „man sollte sie nicht zu lange warten lassen!“ „Und Sie, Sir?“ „Ich werde mich ein wenig in der Abendluft ergehen“, antwortete der Butler, „keine Sorge, guter Mann, beschreiben Sie der Polizei mein Aussehen, sie weiß dann, wo sie mich kann!“ „Sie sind wahnsinnig, Parker“, empörte sich Mike Rander bald darauf, als Josuah Parker ihm seine Geschichte erzählte. Parker war in das Penthouse zurückgekehrt, knapp nach Parkers Ankunft, „was Sie da getan haben, ist Unterschlagung von 53
Beweismaterial in einem Mordfall. In dieser Hinsicht kennt Madford keine Gnade!“ „Ich kann mir wirklich nicht erklären, wie der Brief Mister Rustlers in meine Tasche geraten sein könnte“, entschuldigte sich der Butler und schüttelte leicht und verwirrt den Kopf, „ich werde Lieutenant Madford sofort verständigen.“ „Er wird annehmen, daß Sie ihn geöffnet haben.“ „Das ist bisher noch nicht der Fall gewesen, Sir.“ „Und dabei bleibt es auch. Madford entdeckt sofort, wenn Sie den Brief geöffnet haben!“ „Dazu bedarf es nicht, Sir. Ich besitze in meinen Räumen eine Speziallampe, die es mir gestattet und ermöglicht, den Inhalt des Schreibens durch den Umschlag zu lesen!“ „Ich weiß von nichts“, erklärte Mike Rander kategorisch, dann fügte er lächelnd hinzu? „Beeilen Sie sich, Parker, Madford muß bald hier auftauchen!“ Parker begab sich hinüber in seine Privatgemächer und beschäftigte sich mit dem Schreiben. Dann ging er zurück zu Mike Rander und nickte andeutungsweise. „Alles in Ordnung?“ fragte Rander. „Man könnte jetzt die Polizei verständigen und durchgeben, daß ich versehentlich einen Brief aus dem Mordhaus mitgenommen habe, Sir!“ Während Mike Rander noch mit dem Hauptquartier der Polizei sprach, dröhnte der Türgong durch die Wohndiele. „Das müßte Sergeant McLean sein“, sagte Josuah Parker, „ich erkenne ihn am Läuten. Er ist immer ein wenig ungestüm und unbeherrscht!“ 54
„Und was wollen Sie ihm jetzt sagen?“
„Wenn Sie erlauben, Sir, begebe ich mich in die
Küche. Mit anderen Worten, ich brauche ja noch
nicht zu Hause zu sein!“
„Sie wollen sich drücken?“
„Nur eine taktische Ausweichbewegung einleiten,
Sir. Sie gestattet es mir, in aller Ruhe nach dem
Gegenstand zu suchen, den der sterbende Mister
Rustler als Kapsel bezeichnete!“
*
„Nun, schon was gefunden?“ erkundigte Mike Rander sich eine gute, halbe Stunde später. Er stand in der geöffneten Küchentür und schaute seinem Butler bei der Arbeit zu. Parker ging gründlich vor. Er suchte jeden Zentimeter ab und übersah nicht das kleinste mögliche Versteck. Er hatte bisher gut ein Drittel der Kücheneinrichtung praktisch auf den Kopf gestellt. „Ich kann leider noch nicht mit einer Erfolgsmeldung dienen, Sir“, erwiderte Parker, „darf ich fragen, wie die Unterhaltung mit Sergeant McLean verlief?“ „Stürmisch“, antwortete Rander und lachte, „Sie kennen ihn ja! Wenn Madford nicht in der Nähe ist, kennt er keine Hemmungen. Er hätte mich am liebsten verhaftet!“ „Und der Brief Mister Rustlers an Miß Joyce Dagenham?“ „Mit dem ist er stolz abgezogen. Vorerst werden wir Ruhe vor ihm haben, Parker. Na, lassen Sie sich nicht 55
weiter stören. Ich werde mich hinlegen. Hören Sie
doch auf, wenigstens für ein paar Stunden. Eine
Sprengladung mit Zeitzünder dürfte Rustler ja hier in
der Küche nicht versteckt haben!“
Parker stand am Eisschrank und nickte nachdenklich.
Dann nahm er plötzlich ruckartig den Kopf hoch und
überlegte.
„Was ist denn?“ fragte Rander.
„Der Eisschrank, Sir!“
„Na und?“
„Er ist ein wenig von der Wand abgerückt worden.
Nicht sehr viel, Sir, aber die Albdruckspuren auf dem
Fußboden reden eine deutliche Sprache…“
„Wollen Sie damit sagen, daß die Kapsel sich hinter
dem Eisschrank befindet. Moment mal, das werden
wir doch gleich genau wissen. Kommen Sie, wir
schieben das Ding ein Stück zur Seite!“
Parker und Rander hatten keine Schwierigkeiten, den
Eisschrank zu bewegen. Nach getaner Arbeit
schauten sei auf die Rückfront und auf den dort
befindlichen Verdampfer.
„Nichts!“ sagte Rander bereits enttäuscht.
„Doch, Sir, Sie erlauben, daß ich widerspreche. Dort,
im Gewirr der Gitterleitungen, glaube ich, so etwas
wie eine Kapsel entdeckt zu haben.“
Er langte tief hinunter und holte dann eine kleine
Kapsel hervor, die nicht größer war als eine
Streichholzschachtel. Parker drehte diese längliche,
runde Kapsel nachdenklich in der Hand und sah
dann seinen jungen Herrn an.
„Fragen Sie bloß nicht mich“, meinte Rander sofort,
„ich habe keine Ahnung, was das darstellen soll!“
56
Parker schraubte die Kapsel auf und schüttelte den Inhalt dann auf den Küchentisch. „Sieht aus wie Blei!“ stellte Mike Rander fest, der sich neugierig über den Fund beugte. „Können Sie sich einen Vers darauf machen, Parker?“ „Geruchlos, Sir!“ meldete Parker, der sich tief über das Stückchen Blei beugte. „Zum Henker, warum schmuggelte Rustler uns dieses Ding in die Küche? Warum wollten es die Gangster um jeden Preis wieder zurückholen? Ich begreife das nicht!“ „Auch ich kann zur Zeit leider nicht mit einer Erklärung dienen, Sir. Ich… O Gott!“ „Was ist denn?“ fragte Rander und sprang unwillkürlich zur Seite, als Parker sich jäh ausrichtete. „Radioaktivität, Sir!“ „Wie bitte?“ Unglaube und Staunen, schwangen in Randers Stimme mit. „Dieses Stückchen Blei ist mit Sicherheit radioaktiv, Sir! Bitte, Sir, treten Sie zurück. Ich werde sofort ein Zählrohr holen!“ „Aber das sind doch Hirngespinste!“ „Bitte, Sir, treten Sie sicherheitshalber zurück, ich möchte das Stückchen Blei erst abhorchen!“ Parker verschwand überraschend eilig aus der Küche, um bald darauf mit einem Geigergerät zurückzukehren. Er schaltete das Gerät ein und brachte das Zählrohr in die Nähe der Kapsel. Ein wahnsinnig wildes Geknattere ließ Rander und Parker zusammenzucken. Hunderte von Maschinengewehren schienen gleichzeitig 57
Dauerfeuer zu geben. „Hochgradig aktiv“, sagte Parker respektvoll. „Tödlicher könnte keine Waffe sein!“ „Ich begreife nicht!“ „Dieses Mordmittel wirkt unhörbar, ist geruchlos und unauffällig“, faßte Parker zusammen, „es strahlt durch die Rückwand des Eisschranks und verseucht sämtliche darin befindlichen Lebensmittel. Wer diese Speisen zu sich nimmt, ist des Todes sicher, Sir!“
*
Parker benutzte zwei Gabeln, um das Stückchen Blei zurück in die Kapsel zu bugsieren. Er zog die Lederhandschuhe an, als er die Kapsel zuschraubte. Und er verbrannte sie im Kamin, als er die Kapsel hinaus auf den Dachgarten getragen hatte, wo er sie in die Erde einer Kübelpflanze vergrub. „Wenn Sie erlauben, möchte ich Sie nach Strahlen abhorchen, Sir!“ sagte er dann, sich an Mike Rander wendend. „Nun übertreiben Sie aber.“ Rander lächelte. Er lächelte nicht mehr, als das Zählrohr tickte. Nicht besonders laut und ergiebig zwar, aber immerhin. Anschließend untersuchte sich der Butler. Nun klickte es schon bedeutend lauter. Parker hatte immerhin die Kapsel in der ungeschützten Hand gehabt. „Das ist ja unheimlich“, stellte Mike Rander kopfschüttelnd fest. „Wie muß erst der Eisschrank verseucht sein!“ Er sollte sich nicht getäuscht haben. 58
Der Eisschrank verschickte Strahlen, die sich hören lassen konnten. Parker probierte daraufhin die Eßvorräte im Eisschrank. Auch sie waren strahlenverseucht, wie nicht anders zu erwarten war. „Ich schlage vor, Sir, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf, daß Sie und meine Wenigkeit umgehend das Domizil wechseln. Zudem müßte man sich von Fachleuten behandeln und entstrahlen lassen. Leichtsinn wäre tödlich!“ „Einverstanden“, sagte Rander, „informieren wir Madford…?“ „Unbedingt, Sir! Er könnte die Verhandlungen mit den zuständigen Behörden führen. Das ganze Penthouse muß total entstrahlt werden.“ „Dann nichts wie weg, Parker. Langsam bricht mir der Schweiß aus. Ich begreife nur nicht, warum man das Stück Blei ins Haus geschmuggelt hat, um es am anderen Tag schon wieder wegzuholen. Diese Dosis wäre doch bestimmt noch nicht tödlich gewesen.“ „Darauf weiß ich leider keine Antwort, Sir, aber vielleicht hängt das mit dem Beruf des ermordeten Mister Rustler zusammen.“ „Wieso? Das müssen Sie mir erklären.“ „Ich vermag im Moment meine Vermutungen noch nicht zu artikulieren“, gestand der Butler, „ich werde Sie rechtzeitig darüber informieren, wenn es soweit ist.“ „Wie lange wird man brauchen, bis wir entstrahlt sind?“ wollte Rander wissen, als sie das Haus und den Dachgarten verließen. „Das kommt auf die Strahlungsmenge an, Sir“, lautete die Antwort des Butlers, „die letzte 59
Entscheidung haben jetzt die Fachleute. Hoffentlich fällt das Urteil günstig aus!“
*
„Sie haben noch mal Schwein gehabt“, sagte Doktor
Lansen, der Leiter der zuständigen Behörde am
anderen Mittag zu Rander und Parker. „Ihr Glück,
daß Sie nichts aus dem Eisschrank gegessen haben.
Sonst sähe die ganze Geschichte verdammt böse aus.
Die Lebensmittel sind total verseucht…“
„Von diesem Stückchen Blei?“ wunderte sich Mike
Rander.
„Kobalt!“ sagte Doktor Lansen lakonisch, „noch nicht
mal besonders strahlungsaktiv. Aber es hätte dicke
gereicht!“
„Könnte man jetzt zurück in die Wohnung, Sir?“
erkundigte sich Josuah Parker.
„Keine Bedenken mehr“, erwiderte Doktor Lansen,
„meine Spezialisten haben das Penthouse gründlich
auf den Kopf gestellt. Wird etwas wüst aussehen,
fürchte ich, aber dafür gibt es unter Garantie keine
Strahlung mehr!“
„Woher stammt dieses Kobalt in der Kapsel?“ wollte
Mike Rander wissen.
„Das ließ sich sehr leicht feststellen“, erklärte Doktor
Lansen, „es wurde vor knapp einem halben Jahr von
einem biologischen Versuchsgelände gestohlen. Dort
wurden damit Pflanzenversuche gemacht.
Einzelheiten können Sie gern hören. Es geht um
Riesenwuchs von Pflanzen auf dem Umweg über
Bestrahlungen, die die Erbanlagen verändern. Sie
60
werden davon schon gehört haben.“ „Ich kann mich schwach erinnern, etwas über diesen Diebstahl gelesen zu haben“, sagte Josuah Parker. „Wir haben die Sache natürlich nicht am die große Glocke gehängt“, redete Doktor Lansen weiter, „aber die ganze Zeit über haben wir intensiv nach dieser Kapsel gesucht. Sie ahnen nicht, wie froh wir sind, das Teufelsding nun endlich gefunden zu haben.“ ,,Wo mag es bisher gewesen sein?“ Rander sah seinen Butler fragend an. „Wahrscheinlich in der Hand Mister Halligans, Sir! Er dürfte auch der Dieb sein…“ „Und wozu hat er dieses Kobalt gebraucht?“ „Um Leute umzubringen, die ihm nicht paßten!“ „Schrecklich! Läßt sich auf den ersten Blick feststellen, ob ein Mensch durch Strahlungen getötet worden ist?“ erkundigte sich Mike Rander bei dem Fachmann. „Ja und nein“, erklärte Doktor Lansen und rückte seine Brille zurecht, „die ersten Symptome sind Unwohlsein, leichtes Erbrechen, ein gewisser Haarausfall und Magen- und Darmstörungen. Die steigern sich dann von Tag zu Tag, bis der Exitus eintritt!“ „Würde ein ahnungsloser Arzt diese Symptome erkennen? Würde er auf Verseuchung durch Radioaktivität kommen?“ „Wohl kaum“, erwiderte Doktor Lansen, „wer rechnet schon damit, daß ein Patient, der mit Radioaktivität nichts zu tun hat, an einer zu großen Strahlendosis stirbt…!? Man wird auf Kreislaufversagen, Karzinom oder Herzinfarkt 61
tippen. In den meisten Fällen erfolgt ja keine Obduktion, wie Sie wissen!“ „Und falls solch eine Obduktion durchgeführt wird?“ „Könnte nur ein Fachmann die Strahlenschäden ausmachen und erkennen.“ „Mit anderen Worten, Doktor, der Besitzer solch einer Strahlenkapsel brauchte das Kobalt nur in die unmittelbare Nähe seiner ausgewählten Opfer zu schmuggeln?“ „Der Tod tritt dann sicher ein!“ „Innerhalb welchen Zeitraums?“ „Das kann schon einige Wochen dauern, oder auch nur Tage. Entscheidend ist, wie unmittelbar das Opfer mit der Kobaltkapsel in Berührung kommt. Genaues läßt sich da nur von Fall zu Fall sagen!“ „Mir bricht noch nachträglich der Schweiß aus“, sagte Rander und schüttelte sich, „bleibt die Frage, warum man Sie, Parker, auf diese Art und Weise umbringen wollte!“ „Das, Sir, dürfte uns Mister Halligan mit einiger Sicherheit verraten können“, gab der Butler gemessen und würdevoll zurück, „und Sie dürfen versichert sein, daß ich diese Frage sehr bald stellen werde!“
*
Das Penthouse glich einem Schlachtfeld.
Die Spezialisten des Doktor Lansen hatten alles mit
einer Speziallauge abgewaschen, was eben noch strahlungsverdächtig gewesen war. Dementsprechend sah es auch aus. 62
Josuah Parker stürzte sich in die Arbeit. Als ordnungsliebender . Mensch gönnte er den Mördern dadurch gewollt ungewollt wenigstens einen halben Tag zusätzlichen Vorsprung. Doch nichts auf der Welt hätte den Butler von dieser Arbeit abhalten können. Als Mike Rander gegen Abend dieses ereignisreichen Tages eintraf, konnte er nur noch anerkennend nicken. „Als wäre nichts gewesen“, stellte er fest, „nun würde ich an Ihrer Stelle aber mal ‘ne kleine Pause einlegen, Parker.“ „Ihr Wunsch, Sir, kommt meinen Bedürfnissen durchaus entgegen.“ „Na schön…!“ „Wenn Sie gestatten, werde ich mir ein wenig die Füße vertreten.“ „Daher pfeift also der Wind. Sie wollen wieder auf Kriegspfad gehen?“ „Für meine bescheidene Person eine durchaus angemessene Form der Entspannung“, erwiderte der Butler, „ich hoffe, Sie sind mit meiner Freizeitgestaltung einverstanden.“ „Nur unter der Bedingung, daß ich mich daran beteiligen kann, Parker. Wohin fahren wir zuerst?“ „Ich möchte Kontakt mit Mister Halligan aufnehmen, Sir.“ „Wir, Parker, wir…! Worauf warten wir noch…!?“ Die beiden äußerlich so ungleichen Männer fuhren mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage und setzten sich in Parkers Monstrum. Dann fuhren sie zum Loop und hielten vor dem Gebäude, in dem die Stellenvermittlung Mister Halligans untergebracht 63
war. „Ich wette, er hat sich längst abgesetzt“, sagte Rander, als sie auf die Tür zuschritten. „Ich glaube an das Gegenteil, Sir“, gab der Butler zurück, „gewiß, Lieutenant Madford dürfte Mister Halligan inzwischen vernommen haben, aber nachzuweisen ist ihm nichts! Mel Rustler ist tot, und das dürfte sein einziger, wirklicher Mitwisser gewesen sein. Die anderen Herren um Halligan sind in meinen bescheidenen Augen nichts als Schläger und Berufsschützen, die blind jedem Befehl gehorchen.“ Parkers Deutung erwies sich als richtig. Halligan hatte gar nicht daran gedacht, das sogenannte Weite zu suchen. Er empfing Rander und Parker, als sei niemals etwas geschehen. Er schien sogar bester Laune zu sein. Wenigstens tat er so und erwies sich dabei als guter Schauspieler. „Sie sehen ziemlich abgespannt aus“, sagte er nach der Begrüßung. „Es gab in der Tat sehr viel Arbeit. Ihre Leute haben Ihnen berichtet, daß Mister Randers Penthouse entstrahlt werden mußte?“ „Sie haben mir nur erzählt, daß oben auf dem Dach allerhand los war. Wieso Entstrahlung? Was soll ich mir darunter vorstellen?“ „Es handelte sich um eine kleine Kapsel, die strahlungsaktives Kobalt enthielt. Mister Rustler, den Sie möglicherweise kennen, war so unvorsichtig, diese Kapsel hinter den Kühlschrank zu stecken. Sie können sich den anschließenden Ärger vorstellen, Mister Halligan.“ 64
„Und deswegen kommen Sie zu mir?“ fragte Halligan und wandte sich Mike Rander zu. „Ich bin froh, Sie zu sehen“, sagte nun der Anwalt, „ich dachte schon, Sie hätten sich aus Angst oder Feigheit zurückgezogen und die Stadt gewechselt!“ „Vor wem sollte ich Angst haben?“ Halligan grinste. „Hier in Chikago gefällt es mir erstklassig. Auch die Polizei ist nicht schlecht. Ich lernte erst vor ein paar Stunden einen gewissen Lieutenant Madford kennen.“ „Sie kennen ihn bestimmt noch nicht richtig“, sagte Mike Rander und schüttelte den Kopf, „wahrscheinlich zeigte er heute nur seine Schokoladenseite!“ „Mir ist jede Seite recht. Ich bin ein ganz normaler Bürger dieser Stadt, Mister Rander. Was soll mir schon passieren?“ „Nun ja, höchstens eine Mordanklage“, gab der Anwalt zurück, „aber das scheinen Sie ja nicht zu scheuen.“ „Ich will Ihnen mal was sagen.“ Halligan rückte sich in seinem Sessel bequem zurecht und zündete sich eine Zigarette an, „mir kann keiner, verstehen Sie? Ob ich unter irgendeinem bestimmten Verdacht stehe, schert mich nicht. Auf die Beweise allein kommt es an. Das brauche ich Ihnen als Anwalt doch nicht besonders zu erklären, oder? Aber gewisse Leute sollen sich in mir nicht täuschen. Ich habe da noch einige Rechnungen zu begleichen. Und die werde ich präsentieren, verlassen Sie sich darauf! Diese gewissen Leute werden sich noch mächtig wundern. Ein Don Halligan bleibt niemals etwas 65
schuldig. So, und nun können. Sie abhauen! Ich habe zu tun…!“ Rander und Parker sahen sich nur kurz an, dann verließen sie höflich das Büro. Im Vorraum standen drei Bekannte des Butlers. Es handelte sich um die Herren Canders, Denver und Minstel. Sie grinsten mehr oder weniger schadenfroh, aber sie dachten nicht daran etwa nach ihren Waffen zu greifen. „Halligan fühlt sich vollkommen sicher“, sagte Rander, als sie die Straße erreicht hätten, „er scheint sogar noch einiges in petto zu haben, Parker.“ Wie richtig Mike Rander die Lage beurteilt hatte, sollte sich bald herausstellen. Als sie zurück zum Penthouse gekommen waren und in die Tiefgarage hineinfahren wollten, erwartete sie Lieutenant Madford, der selbstverständlich von Sergeant McLean begleitet wurde. „Ist was passiert?“ erkündigte sich Rander. „Ich denke schon…“ Lieutenant Madford zog ein saures Gesicht und nickte, „wir haben uns mit der gestohlenen Kapsel aus dem biologischen Versuchsgelände befaßt. Das heißt, wir haben die Experten draußen auf dem Versuchsgelände eingeschaltet.“ „Nun?“ Rander wirkte ungeduldig, während Parker völlig gelassen blieb. „Das Stückchen Blei in der Kapsel, die wir hinter dem Eisschrank fanden, ist nur ein Drittel der damals gestohlenen Gesamtmenge…!“ „Nein…! Das darf doch nicht wahr sein!“ Rander sah den Polizeileutnant entgeistert an. „Es ist leider wahr!“ 66
„Mit anderen Worten“, faßte der Butler zusammen, „Don Halligan verfügt demnach noch über zwei Drittel der Kobaltmenge. Damit kann er ganz nach Belieben noch einige Todeskapseln herstellen und sie beliebig unterbringen und verstecken!“ „Sie sagen es, Parker“, antwortete Lieutenant Madford, „was das zu bedeuten hat, brauche ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären!“
*
„Was ist eigentlich mit dieser Miß, Joyce Dagenham?“ erkundigte sich Mike Rander nach der ersten Überraschung. „Erinnern Sie mich bloß nicht an diesen Brief!“ brauste Madford auf, was er gern und schnell tat. Er schaute den Butler vernichtend an und fuhr fort: „Dieses unentwegte Unterschlagen von Beweismaterial geht mir allmählich auf die Nerven, Parker!“ „Sie wollten, wenn ich mich recht erinnere, Mister Randers Frage beantworten“, gab der Butler gemessen zurück. „Also gut!“ Madford beruhigte sich schon wieder, „diese Dagenham war die Freundin von Rustler. Sie arbeitete im Zweigbüro der ,Allround-Insurance’ hier in Chikago…“ „Und was steht im Brief?“ „Rustler schrieb ihr, er müsse für ein paar Wochen verreisen. Sie solle ihm treu bleiben und sich auf seine Rückkehr freuen. Er würde so viel Geld mitbringen, daß sie sich gemeinsam zur Ruhe setzen 67
könnten.“ „Er wird das Geld wohl von Halligan erwartet haben“, meinte Anwalt Rander. „Welchen Eindruck machte die Frau auf Sie, Madford?“ „Fragen Sie nicht mich, sondern McLean“, gab Madford grinsend zurück. „Sie ist ein tolles Persönchen“, schwärmte McLean sofort drauf los, „etwa 30 Jahre alt, schlank, sehr gut in Form. Direkt eine aparte Schönheit, wenn Sie mich fragen!“ „Auf diesem Gebiet kennt er sich eben aus“, frotzelte Madford, „dafür hapert es woanders…“ „Welchen Beruf übt Miß Dagenham in der Versicherungsfiliale aus?“ fragte Butler Parker. „Sie ist so was wie Kontenführerin“, berichtete Sergeant McLean weiter, „ist denn das so wichtig?“ „Unter Umständen“, gab der Butler knapp zurück. „Man wird ja sehen, wenn ich mich so ausdrücken darf!“ „Bleiben wir bei dem Kobalt!“ schaltete Mike Rander sich ein, „was wird die Polizei tun?“ „Wir lassen Halligan nicht aus den Augen. Mehr können wir im Moment überhaupt nicht unternehmen. Aber das weiß er natürlich und dementsprechend vorsichtig wird er sich benehmen. Man müßte ihn provozieren, aber wir dürfen ja nicht!“ „Wie wäre es denn mit Parker und mit mir?“ erkundigte sich Rander, „wir sind ja schließlich nicht an Vorschriften gebunden!“ „Versuchen Sie Ihr Glück! Sie können mir keinen größeren Gefallen erweisen, Rander, aber denken Sie 68
daran, daß dieser Halligan radioaktives Kobalt besitzt. Das ist schlimmer als zehn durchgeladene 38er…!“
*
Sergeant McLean hatte nicht übertrieben. Joyce Dagenham sah tatsächlich ungewöhnlich gut aus. Sie hätte auf jeder Schönheitskonkurrenz reelle Chancen gehabt. Sie trug einen gut geschnittenen Hausanzug, als sie die Tür öffnete und sah den Butler überrascht und verwirrt zugleich an. „Sie kommen vom Bestattungsinstitut?“ fragte sie. „Ich hoffe, Sie sind nicht sehr enttäuscht, wenn ich diese Frage verneine“, sagte Parker und stellte sich vor, „ich möchte, falls Sie einverstanden sind, mich mit Ihnen über Mister Mel Rustler unterhalten, dem ich leider nicht mehr ganz zu helfen vermochte!“ „Ich… ich verstehe kein Wort“, sagte sie und sah den Butler mißtrauisch an. „Mister Rustler hatte verschiedentlich Kontakt zu mir aufgenommen“, erklärte der Butler, „aber das müßte ich Ihnen ausführlicher darstellen!“ „Nun gut, treten Sie ein ich bin allein, Sie verstehen, da ist man etwas vorsichtig!“ „Eine ungewöhnlich nett eingerichtete Wohnung“, stellte der Butler fest, nachdem er Hut, Regenschirm und Handschuhe in der kleinen Diele zurückgelassen hatte. Er blieb auf der Schwelle zu dem Apartment stehen und nickte beifällig. „Setzen Sie sich, Mister Parker“, bat Joyce Dagenham, „Sie haben Mel gekannt?“ 69
„Es tut mir schrecklich leid, daß er so enden mußte“, sagte Parker, „sein Schicksal war wohl stärker als sein Wollen!“ „Glauben Sie auch, daß er mit Gangstern zu tun hatte?“ fragte sie ihn rundheraus. „Die Polizei behauptet das wenigstens!“ „Viele Dinge sprechen leider dafür.“ „Ich kann es einfach nicht glauben“, sagte sie, „ich kenne Mel schon seit fast anderthalb Jahren. Er war ein durch und durch anständiger Mensch!“ „Ich möchte Ihnen diesen Glauben keineswegs rauben, Miß Dagenham, aber die Tatsachen reden da eine etwas andere Sprache. Sie lernten Mel Rustler in der Filiale der ‚Allround-Insurance’ kennen?“ „Er war stellvertretender Filialleiter und stellte mich ein“, antwortete die junge Dame. „Wir lernten uns schnell schätzen, und wir hätten eines Tages auch geheiratet.“ „Sie sind als Kontenführerin tätig?“ „Eine wenig aufregende Sache“, meinte sie und lächelte schwach, „aber eines Tages hätte ich ja mit der Arbeit aufhören sollen. Mel und ich hatten feste Pläne für die Zukunft.“ „Was darf ich unter einer Kontenführerin verstehen, Miß Dagenham?“ „Sehr einfach, ich trage die eingehenden Prämienzahlungen in die betreffenden Konten ein!“ „Handelt es sich da nur um Lebensversicherungen?“ „Wieso? Aber nein! Wir arbeiten ja nicht nur in dieser Branche. Bei uns kann praktisch alles versichert werden! Sie interessieren sich aber sehr für meinen Job!“ 70
„Reine Neugierde, wenn ich so sagen darf, Miß Dagenham. Man lernt immer und gern dazu. Sind diese Konten jedem im Büro zugänglich?“ „Mehr oder weniger ja…! Sie sind ja kein Geheimnis. Wir haben bei Einstellung natürlich unterschrieben, daß wir nicht darüber reden dürfen, aber innerhalb des Büros…“ „Mister Rustler wußte demnach also genau, sagen wir, wer wie hoch versichert ist?“ „Selbstverständlich, Mister Parker!“ „Aus den Policen zu den jeweiligen Lebensversicherungen geht zudem einwandfrei hervor, wer in den Genuß solch einer Versicherung kommt?“ „Ach das, natürlich… Das ist doch in jeder Versicherung so…!“ „Könnte man aus diesem Wissen Kapital schlagen?“ „Was soll ich mir darunter vorstellen?“ Sie sah ihn verständnislos und fragend zugleich an. „Nun denn, angenommen, Sie wissen, daß mein Leben mit hunderttausend Dollar versichert ist, Sie wissen, wer in den Besitz dieser Summe kommt, falls ich vorzeitig ablebe, ließe sich daraus Kapital schlagen?“ „Wie denn? An das Geld käme ich als Außenstehender doch niemals heran!“ „Normalerweise natürlich nicht“, sagte Parker und nickte, „aber im Todesfall würde die Versicherungssumme doch überwiesen, nicht wahr? Ich meine, an die Angehörigen!“ „Richtig, aber damit komme ich doch immer noch nicht an das Geld, Mister Parker. Sie stellen sich das 71
alles viel zu einfach vor.“ „Wie werden die fälligen Gelder denn ausgezahlt?“ „Hören Sie, Mister Parker, ich habe das Gefühl, daß Sie mich verhören wollen!“ „Überschätzen Sie nicht meine banalen Fragen“, meinte Parker lächelnd, „ich möchte mich nur aus erster Hand informieren. Im Interesse Mel Rustlers! Wie werden die fälligen Gelder also gezahlt, wenn ich meine Frage noch einmal wiederholen darf?“ „Per Scheck, Überweisung oder in bar. Wie die Kunden es wünschen.“ „Wäre hier nicht ein Ansatzpunkt, um an Gelder heranzukommen? Ich meine, aus der Sicht der Gangster gesehen!“ „Ich weiß es nicht. Damit habe ich mich noch nie befaßt. Was haben Ihre Fragen mit Mel zu tun?“ „Das möchte ich ja gerade herausbekommen, Miß Dagenham! Es könnte durchaus sein, daß Mister Rustler von Gangstern mißbraucht wurde.“ „Das kann und will ich nicht glauben. Übrigens wäre Mel niemals an solche Gelder herangekommen. Er nicht und auch andere Personen nicht. Diese ausgezahlten Gelder gehen doch in die Hände entweder der Versicherten, wenn der Erlebensfall eingetreten ist, oder sie gehen an die begünstigten Verwandten oder sonstige Personen. Dieses Geld müßte von Gangstern dann ja erst gestohlen werden!“ „Sehr richtig, Miß Dagenham, das wollte ich hören.“ „Glauben Sie, daß die Bestohlenen sich das gefallen lassen würden? Wir haben ja schließlich noch eine Polizei!“ 72
„Wie wahr, Miß Dagenham, wie wahr! Diese Frage muß ich noch klären. Ich danke Ihnen auf jeden Fall für dieses Gespräch. Es hat mir, wenn ich mich so ausdrücken darf, in gewissem Sinn die Augen geöffnet!“
*
Parkers Augen öffneten sich noch weiter, als er das Haus verließ, in dem Miß Dagenham wohnte. Der Grund für dieses noch weitere Öffnen der Augen lag darin, daß zwei Männer neben ihm auftauchten, nachdem er die Straße betreten hatte. Es handelte sich um liebe, alte Bekannte. „Ich hatte Sie schon fast vermißt“, sagte Parker zu Canders und Denver, „ich nehme an, Sie wollen mich zu der in solchen Fällen obligatorischen Spazierfahrt einladen, nicht wahr?“ „Kleiner Witzbold“, sagte Canders und seine Stimme klang gereizt, „laß dich überraschen, Alterchen!“ „Bestehen Sie darauf, meinen Wagen zu nehmen?“ „Ist wohl besser“, schaltete sich Denver leichtsinnigerweise ein, „der Wagen braucht hier nicht auf der Straße rumzustehen.“ „Dann darf ich Sie herzlichst bitten, einzusteigen!“ Parker unterschätzte die Situation keineswegs, doch er dachte auf der anderen Seite auch nicht daran, in Panik auszubrechen. Situationen dieser Art hatte er schon reichlich erlebt. Und bisher war es ihm immer gelungen, mit einem blauem Auge davonzukommen. Er sperrte die hohen, rechteckigen Türen seines Wagens auf und blieb abwartend stehen. 73
„Setzen Sie sich ans Steuer“, forderte Canders ihn auf, „halten Sie sich genau an meine Weisungen!“ „Wie Sie wünschen!“ Parker war mit dieser Regelung vollkommen einverstanden, hatte er doch so die Möglichkeit, auf den Tasten, Knöpfen und Hebeln des Armaturenbretts herumzuspielen, falls die Lage es erforderte. Canders nahm neben ihm Platz, Denver stieg nach hinten und ließ sich in die schwellenden Polster fallen. Er sah sich neugierig im Fond des Wagens um und grinste. „Wie alt ist die Kiste eigentlich?“ fragte er dann den Butler, der den Motor anspringen ließ. „Ein betagter Wagen, den ich bereits gebraucht erstand“, antwortete der Butler höflich, „ich hoffe, er erfüllt seinen Zweck.“ „Bis ‘raus vor die Stadt wird er es ja wohl schaffen“, sagte Canders und grinste. „Wohin soll die Fahrt gehen, wenn ich fragen darf?“ Parker sah den Gangster erwartungsvoll an. „Rutschen Sie erst mal runter nach Süden, dann sage ich Ihnen genauer Bescheid!“ Parker gab Gas und zuckelte durch die Straßen. Es war längst dunkel geworden, und der Verkehr hatte sich inzwischen aufgelöst. Sie kamen gut voran und erreichten die Nähe der großen Betriebsbahnhöfe der Stadt mit den riesigen Lagerschuppen, Wartungswerkstätten und Fabriken aller Größenordnung. „Stop, jetzt rechts rein“, kommandierte Canders, als Parker Anstalten machte, in die große Südschleife 74
einzubiegen, „wir gehen erst mal drüben vor der Fabrik vor Anker!“ „Möchte Mister Halligan mich nicht sehen?“ erkundigte sich Parker. „Kann schon sein“, lautete die Antwort Denvers, „er wartet direkt auf Sie!“ Parker rechnete nicht mit seiner sofortigen Ermordung. Daher verzichtete er darauf, schon jetzt etwas dagegen zu unternehmen. Er wollte erst einmal mit Halligan reden. Vielleicht ließen sich aus solch einer Unterhaltung gewisse Schlüsse ziehen. Canders dirigierte ihn durch ein Gewirr kleiner, schmaler Zufahrtsstraßen, bis sie an einem geschlossenen Fabriktor anhielten. Denver stieg aus, öffnete es und wartete, bis Parker das hochbeinige Monstrum in den Fabrikhof gesteuert hatte. Dann schloß er das Tor und folgte zu Fuß nach. Parker sah sich interessiert um. Wenn ihn nicht alles täuschte handelte es sich hier um einen Betrieb, der sich mit der Herstellung von Motor-Rasenmähern befaßte. Dieser Schluß war nicht schwer, da auf der Verladerampe einige dieser erfreulichen Geräte herumstanden. „Mister Halligans Geschäftsverbindungen scheinen sehr vielseitig zu sein“, stellte Parker fest, als er notgedrungen den Wagen verließ, „ist er auch in dieser Branche tätig?“ „Sie ahnen nicht, Alterchen, was er alles auf dem Kasten hat. Lassen Sie sich gleich überraschen!“ Nach dieser zivilen Einleitung erhielt Parkier einen höchst derben Schlag auf den Kopf, der die Melone tief in seine Stirn trieb. Nur dank der 75
Stahlblechfütterung dieser Kopfbedeckung trug der Butler keine ernsthaften Schäden davon, doch er mußte dennoch einräumen, daß er mit einer gewissen Schwäche zu kämpfen hatte…
*
„Wie gefällt Ihnen jetzt die Lage?“ erkundigte sich
Don Halligan. Breitbeinig stand er vor dem Butler,
den man auf einen Stuhl gedrückt hatte. Parker tat
gekonnt so, als litte er noch unter der Schlagwirkung,
in Wirklichkeit aber war er längst wieder auf dem
Damm, wie es im Volksmund so treffend heißt.
„Mir… ist keineswegs… besonders“, murmelte der
Butler und ließ sich noch etwas tiefer auf den Sitz
rutschen.
„Sie werden sich bald ganz prächtig fühlen“,
prophezeite Halligan ironisch, „auf diesen Moment
habe ich gewartet, Parker. Ich hätte Sie ja so ganz
einfach umlegen lassen können, aber davon hätte ich
kaum was gehabt!“
„Sie scheinen mir nicht sonderlich gewogen zu sein.“
„Sie gehen mir auf die Nerven, verdammter Narr“,
schimpfte Halligan los, „ohne Ihre Schnüffelei hätte
ich keinen Ärger mit der Polizei bekommen.“
„Sie haben mich zu dieser Schnüffelei, wie Sie es
ausdrücken, immerhin gezwungen!“
„Dummer Zufall“, räumte Halligan ein, „aber warum
waren Sie auch so verdammt stur. Warum halben Sie
Rustler nicht ins Haus gelassen?“
„Wie hätten Sie sich an meiner Stelle verhalten?“
fragte der Butler zurück, „konnte ich ahnen, daß man
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eine Art Kobaltbombe en miniature in die Küche geschmuggelt hatte?“ „Passiert ist passiert“, sagte Halligan, „dafür hat Rustler ja auch bezahlt!“ „Warum sollte ausgerechnet ich dieser Strahlung ausgesetzt werden?“ wollte der Butler wissen. Er sprach leise und abgekämpft. Er hütete sich zu zeigen, daß er voll einsatzfähig war. „Zufall, sagte ich doch schon“, gab Halligan zurück, „Rustler hat nur auf die Liste gesehen und dann geschaltet!“ „War ich dazu ausersehen, Mister Halligan, als Sterbefall zu fungieren?“ „Sie haben das Prinzip schon richtig begriffen“, redete Halligan weiter, genau das tuend, womit der Butler rechnete. „Rustler hatte sich die Namen all der Personen aufgeschrieben, die hoch versichert waren. Meine Leute und ich sorgten dann dafür, daß diese Versicherten frühzeitig und unauffällig starben. Das Kobalt arbeitete erstklassig. Nach spätestens zwei Wochen waren die Leute hinüber. Sie wissen, was ich meine?“ „Ich weiß es inzwischen, Mister Halligan. Aber es gibt da verschiedene Dinge, die ich nicht begreife. Warum wollte Rustler die Kobaltkapsel unbedingt zurückholen?“ „Weil ich es wollte, Parker. Rustler hatte ja keine Ahnung, wen er da mit der Kapsel beglückt hatte. Sie waren clever genug, Verdacht zu schöpfen.“ „Vielleicht, Mister Halligan, nur vielleicht! Offen gesagt, ich wäre niemals auf eine radioaktive Strahlung gekommen. Diese Mordmethode ist 77
vollkommen neu, wie ich Ihnen versichern darf.“ „Nicht wahr? Und sie liegt doch auf der Hand. Man muß eben Einfälle haben!“ „Die haben Sie zweifelsohne, Mister Halligan, nur begreife ich immer noch nicht, wie Sie an die Versicherungssummen gekommen sind. Ich stelle mir das ungewöhnlich schwer vor!“ „Und ist doch so einfach, Parker!“ Halligan grinste und nickte seinen beiden Mitarbeitern zu. „Rustler kannte die Policen und wußte also, wer die Versicherungssummen bekam. An diese Leute haben wir uns gehalten!“ „Aber wie denn? Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sich das in allen Fällen so einfach gefallen ließ.“ „Was kann ein Toter schon dagegen machen, daß man ihn schröpft?“ „In mir regt sich ein vager Verdacht, der aber noch keine Gestalt annimmt.“ „Dann werde ich Ihnen mal auf die Sprünge helfen, Parker.“ Halligan lachte breit und fast gewinnend. „Die Erben, wenn ich mich so ausdrücken soll, starben, bevor sie das Geld kassierten! Oder sie starben kurz danach…“ „Das sollten Sie mir kurz erklären, ich kann Ihnen leider nicht ganz folgen!“ „Nun ja, entweder fälschte Rustler die Zahlungsquittungen, oder meine Leute traten in Erscheinung, wenn das Geld bar abgeholt wurde.“ „Diese Morde müssen aber doch bekannt sein!“ „Unfälle werden nicht als Mord registriert!“ „Demnach haben Sie die Versicherungsbegünstigten unauffällig umbringen lassen?“ 78
„So ist es, Parker! Ein harmloser Fenstersturz, ein Herzschlag, ein harmloses Ertrinken, ein Überfahrenwerden. Sie können sich ja vorstellen, wie viele Möglichkeiten es gibt!“ „Demnach haben Sie also, wenn ich richtig begriffen habe, pro Versicherungsbetrag jeweils zwei Morde ausführen müssen!“ „Jetzt haben Sie’s begriffen, Parker! Wir brauchten erst mal den Mann, der versichert war. Den schafften wir leicht. Sie wissen ja inzwischen, wie die Kobaltbombe wirkt. Und dann mußten wir den Empfänger der Versicherungssumme aus dem Weg räumen!“ „Und die Anverwandten dieser Menschen?“ „Rustler suchte selbstverständlich nur ganz bestimmte Fälle aus. Wir hielten uns an Menschen die keine Angehörigen mehr hatten. Davon gibt es genug. Man muß sie nur aussortieren. Rustler war dafür der richtige Mann! Er brauchte ja nur in den Karteien zu wühlen!“ „Ich möchte wetten, Sie haben bisher horrende Summen einstreichen können!“ „Übertreiben Sie nur nicht“, sagte Halligan auflachend, „wir stehen ja erst am Anfang. Bisher haben wir in sechs Fällen abkassieren können!“ „Daher wurde ich also von Mister Rustler ausgewählt“, stellte der Butler fest, „auch ich bin schließlich ohne Anhang!“ „Richtig, darin lag Rustler’s Fehler. Er erkundigte sich nicht genau wer Sie sind, Parker.“ „In meinem Fall hätte Mister Rander das Versicherungsgeld bekommen. Und nach Ihrer 79
Arbeitsmethode wäre er dann anschließend umgebracht worden.“ „Natürlich, Parker. Das ist unsere Methode, falls wir es nicht mit einfachen Quittungsfälschungen hinbekommen. Ihr Chef ist ja ebenfalls ohne Anhang. Ein Unfall hätte also kaum Staub aufgewirbelt. Und wir hätten kassiert!“ „Aber wie denn?“ Parker stellte sich absichtlich dumm. „Geldbeträge in dieser Höhe läßt man nicht zu Hause herumliegen!“ „Das wäre ja auch leichtsinnig“, pflichtete Halligan dem Butler ironisch bei, „nein, Parker, wir halfen beim Abheben von den Kassen etwas nach. Canders und Denver sind darin Spezialisten. Sie können sich von ihren Tricks gleich mal überzeugen. Sie sind sich doch klar darüber, daß Sie uns diesmal nicht mehr entwischen werden, oder?“ „Die Dinge stehen in der Tat nicht besonders gut“, räumte der Butler ein. „Noch eine letzte Frage, Mister Halligan.“ „Warum sind Sie eigentlich noch so neugierig?“ wollte Halligan kopfschüttelnd wissen, „wollen Sie dem Teufel erzählen, wie ich hier oben auf der Erde arbeite?“ „Hat sich Ihr Arbeitsgebiet bisher auf Chikago beschränkt?“ „Leider. Rustler kommt, das heißt, er kam ja nicht an die anderen Karteien heran! Aber Chikago ist ergiebig genug, glauben Sie mir. Wir haben etwa noch fünfundfünzig Fälle vor uns, die einfach ideal sind! Insgesamt macht das etwa 1,2 Millionen Dollar aus. Die dürften wir in spätestens anderthalb Jahren 80
geschafft haben. Dann werden wir nach New York übersiedeln und dort weitermachen!“ „Wie denn? Rustler ist tot!“ „Wir haben da unsere Querverbindungen“, meinte Halligan grinsend, „aber das interessiert Sie bestimmt nicht mehr! Sie haben gleich Ihre eigenen Sorgen!“ Er wandte sich an Canders und Denver, die bereits etwas ungeduldig geworden waren. „Los, Jungens, dreht ihn durch! Er soll auf seine Kosten kommen!“ „Noch eine allerletzte Frage!“ „Glauben Sie, Zeit herausschinden zu können?“ gab Halligan zurück. „Etwa ein Drittel des damals gestohlenen Kobalts wurde hinter dem Eisschrank in der Wohnung meines Herrn gefunden! Demnach besitzen Sie noch den Rest. Arbeitet der bereits für Sie?“ „Und ob!“ Halligan lachte. „Zwei Todesfälle im Gesamtwert von einhundertzweiundzwanzigtausend Dollar sind in Aussicht. Nicht jeder ist schließlich so hochversichert wie Sie, Parker!“ Canders und Denver rückten heran. Sie hatten sich inzwischen mit handlichen Schlagstöcken ausgerüstet. Sie bauten sich vor Parker auf, der sie gespielt irritiert anschaute. „Wollen Sie etwa einen alten, müden und verbrauchten Mann schlagen?“ erkundigte er sich vorwurfsvoll. „Zusammenschlagen“, korrigierte Canders und hob den Stock. „Soll mir ein Vergnügen sein!“ „Und mir erst“, verkündete Denver und traf ebenfalls Anstalten, den Butler niederzuknüppeln. 81
Worauf Parker sich gezwungen sah, etwas massiv zu werden!
*
Da man ihn natürlich entwaffnet und gründlich durchsucht hatte, besann er sich auf Waffen, die so verborgen waren, daß man sie unmöglich hätte finden können. Es handelte sich zum Beispiel um den langen, spitzen Stahldorn, der sich unter der Sohle seines rechten Schuhs befand. Er hatte diesen Dorn unauffällig hervorspringen lassen. Diesen Dorn rammte er Denver, der ungewöhnlich günstig stand, ins Gesäß. Denver brüllte daraufhin überrascht und verständlicherweise auf. Er ging etwa zweieinhalb Zentimeter steil und senkrecht in die Luft und hinderte Canders, auf den Butler einzuschlagen. Gewiß, Canders schlug zwar zu, und er war nicht mehr in der Lage, diesen Schlag zu stoppen. Dieser Schlag aber traf Halligan, der sich auf den Butler werfen wollte. Halligan brüllte, als hätte man ihn aufgespießt. Der Schlagstock hatte seine rechte Schulter getroffen und den Arm samt Hand lahmgelegt. Bevor Canders sich neu zu orientieren vermochte, spürte auch er die Gefährlichkeit und Tücke des Sporns. Parker rammte ihn in die Wade des Gangsters, der daraufhin still und intensiv vor sich hinweinte. „Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich zurück“, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er griff nach seinem Regenschirm, den man gegen eine 82
Kiste gelehnt hatte und wollte gehen. Die drei Gangster, die sich von ihrer ersten Überraschung erholt hatten, wollten das jedoch nicht zulassen. Sie hatten sich wieder etwas gefaßt und drangen nun massiert auf den Butler ein. Parker, dem jede rohe Gewalt abhold war, mußte zu seinem Leidwesen den Universal-Regenschirm einsetzen. Er drehte den Bambusgriff etwas zur Seite. Und schon zischte aus einer feinen Düse ein Gasgemisch in die Gesichter der Angreifer. Dieses Gemisch war an sich völlig harmlos. Es nahm nur die Sicht, ließ die Augen tränen und verursachte einen ausdauernden Hustenreiz. Halligan, Canders und Denver reagierten prompt. Sie waren für einen kurzen Moment blind, fuchtelten mit den Händen in der Luft herum und husteten, was das Zeug hielt. Sie vergaßen darüber den Butler, der sich anschickte, endgültig zu gehen. Doch er hatte die Rechnung ohne einen vierten Gangster gemacht: Steve Minstel erschien auf der Bildfläche. Das heißt, er mußte sich schon die ganze Zeit über am Ausgang der kleinen Halle aufgehalten haben. Er schoß aus allen Rohren, was nicht als übertrieben bezeichnet werden konnte. Er hielt in jeder Hand eine schallgedämpfte Waffe und handhabte sie noch nicht einmal schlecht. Parker sah sich genötigt, die dunkle, unbeleuchtete Tiefe der Halle aufzusuchen…!
*
83
„Sie haben keine Chance, Parker, kommen Sie freiwillig ‘raus!“ Halligans Stimme bebte vor Wut. Er stand neben einem Kistenstapel und wartete optimistisch darauf, daß Parker sich sehen ließ. Der Butler dachte nicht im Traum daran, Zielscheibe zu spielen. Er hatte sich, wie schon gesagt, in die Tiefe der Montagehalle zurückgezogen und eingesehen, daß er praktisch in einer Falle saß. Die beide Längswände waren fensterlos. An der Rückwand gab es zwei große, breite Fenster, aber die waren viel zu hoch, als daß er sie hätte erreichen können. Der einzige Weg in die Freiheit führte an den Gangstern vorbei, die damit aber sicher nicht einverstanden waren, wie sie schon angekündigt hatten. Parker besaß noch nicht einmal eine Feuerwaffe. Die Gangster hatten ihm alles weggenommen. Sie selbst dagegen verfügten über eine besorgniserregende Feuerkraft. „Parker, Ihre letzte Chance. Kommen Sie freiwillig raus, oder wir holen Sie… Danach werden Sie aber dann nur noch schreien!“ Parker glaubte ihnen aufs Wort, dennoch blieb er zwischen den Montagebändern sitzen. Er sah sich nach geeigneten Waffen um. Er entdeckte auch bereits fertig montierte Rasenmäher, die nur noch auf ihren Probelauf warteten. Und er entdeckte Rasenmäher, die bereits versandfertig waren. Parker beschloß, zum Angriff überzugehen. Er wählte drei mittelgroße Rasenmäher aus, die auf vier kleinen Rädern standen. Er füllte die Tanks mit Benzin, was nicht schwer war, da eine Zapfstelle sich 84
dazu anbot. Hier an diesem Stand wurde wohl die Funktionsfähigkeit durch einen kurzen Probelauf getestet. Parker sah kurz hinüber zu den Gangstern, die jetzt heranrückten. Sie waren sich ihrer Vorteile voll bewußt. Sie besaßen Feuerwaffen und glaubten, ihn beliebig ausräuchern zu können. Parker kam ihnen zuvor. Er startete die drei mittelgroßen Rasenmäher, die auf Anhieb ansprangen. Er stellte die Hebel auf Vollgas und verabreichte den Rasenmähern jeweils einen kräftigen Stoß. Und schon sausten die Mäher durch den freien Teil der Montagehalle auf die leicht verwirrten und überraschten Gangster zu. Da sie nicht geführt und gesteuert wurden, änderten sie praktisch ununterbrochen die Richtung. Sie glichen wild gewordenen Robotern und ratterten und knatterten furchterregend auf die Gangster zu, die ihr Heil in wilder Flucht suchten. Sie waren nicht schnell genug. Denver erwischte es. Er wich dem ersten Mäher aus; entging dem zweiten nur noch mit Mühe und Not und bekam die Schubstange des dritten hart ins Kreuz. Er stolperte, fiel zu Boden und wurde von dem ersten Mäher hart attackiert. Denver brüllte, warf sich auf die Seite und kollidierte mit dem zweiten Mäher, der ihm die Hüfte aufschrammte. Halligan, Minstel und Canders ergriffen die Flucht. Mit dieser Überraschung hatten sie nicht gerechnet. Denver aber kroch lädiert in Deckung und stöhnte. „Das werden Sie büßen, Parker“, brüllte Halligan zornig, „dafür zerreiße ich Sie in der Luft!“ 85
Parker verzichtete auf jeden Kommentar. Fieberhaft machte er sich daran, für seine Verteidigung zu sorgen. Ihm war wieder einmal der rettende Einfall gekommen. Da er als konservativer Mensch Hosenträger trug, ließ sich leicht eine Waffe basteln. Parker entledigte sich seiner Hosenträger und band die Enden an zwei Pfosten eines Montagebandes fest. Dann versorgte er sich mit Eisenschrauben und wartete auf den nächsten Angriff. Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Halligan wollte es endlich hinter sich bringen. Er schickte Canders und Minstel los, während er sich um Denver kümmerte, der immer noch stöhnte. Parker spannte und strammte die beiden Enden der Hosenträger und legte eine daumendicke Eisenschraube in die provisorische Lederschlaufe, die sich dort bildete, wo die beiden Enden zusammenliefen. Dann katapultierte er die erste Schraube. Sie sirrte zischend durch die Dunkelheit und traf Canders Brust. Der Aufprall war derart stark, daß Canders brüllte, das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Dabei glitt die Schußwaffe aus seiner Hand und landete unter einer Werkbank. Minstel ließ es gar nicht erst darauf ankommen. Er wandte sich sofort zur Flucht und rannte zurück zu Halligan. Doch die zweite Eisengewindeschraube war bereits auf der Reise. Sie landete genau zwischen den Schulterblättern des Gangsters. Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, sackte Minstel in sich zusammen und stürzte zu Boden. Halligan, der überhaupt nicht begriffen hatte, was sich da 86
abspielte, reckte sich aus der Deckung hoch und sah auf seine beiden Mitarbeiter, die außer Gefecht waren. Er wäre besser in Deckung geblieben. Parker schickte eine dritte Schraube auf die Reise. Sie traf genau das Schienbein des Gangsters, der daraufhin einen slawischen Nationaltanz aufführte. Man konnte ihn als bühnenreif bezeichnen. „Das werden Sie noch büßen!“ jaulte Halligan. „Sie sagten es bereits“, gab der Butler in seiner höflichen Art zurück. „Ihr Repertoire an Drohungen kann ich nur als mager bezeichnen!“ Denver und Canders hatten sich erhoben und wollten sich zu Halligan hinüberflüchten. Parker bremste sie geschickt. Und zwar mittels weiterer Eisenschrauben, die er hemmungslos verschickte. Canders und Denver taumelten angeschlagen und ziellos durch den hell erleuchteten Teil der Halle, bis sie endlich in Sicherheit waren. Dort ließen sie sich keuchend zu Boden fallen und waren das, was man restlos fertig nennt. Parker aber hatte inzwischen etwas bemerkt, was ihm bisher entgangen war. Unterhalb der Decke der Montagehalle verlief ein Kran, von dem ein Kabel samt Haken herunterhing. Dieser Kran konnte durch Handsteuerung vom Boden aus in Betrieb gesetzt werden. Mehr brauchte der Butler nicht. Er wußte, was zu tun war!
*
Parker hakte einige große, versandfertige Kisten ans Stahlseil, das tief über dem Boden hing und sich fast genau zwischen den beiden Montagebändern befand. 87
Dann schaltete er durch Knopfdruck den Strom ein und vergewisserte sich durch einige Schnellschaltungen, nach welchem Prinzip der Kran gesteuert wurde. Als er das herausgefunden hatte, ließ er die Laufkatze losrollen. Knarrend hoben die Kisten sich vom Boden. Parker sah zum Ausgang der Halle hinüber, wo die Gangster sich verschanzt hatten und den Ausgang blockierten. Sie ahnten noch nicht, was da im wahrsten Sinne des Wortes auf sie zukam. Bis sie die Kisten am Haken erkannten. Noch wußten sie damit nichts anzufangen, doch als Parker durch geschicktes Schalten die Last in Schwingungen brachte, da ging ihnen ein erstes, wenn auch noch schwaches Licht auf. Parker brauchte nur knapp dreißig Sekunden, bis die Kisten schwungvoll pendelten. Nachdem dies geschehen war, kam der Butler zum zweiten und letzten Teil seiner Vorstellung. Die Kisten wurden näher an das Versteck der Gangster herangefahren. Und dann krachte es nach allen Regeln der Kunst. Die pendelnde Last zerschlug alle leeren Kisten, hinter denen die Gangster sich aufgebaut hatten. Sie ließen kleine Kistengebirge einstürzen und sorgten dafür, daß Bretter und Holzteile durch die Luft wirbelten. Die Gangster ergreifen daraufhin die Flucht. Sie hatten kein Auge mehr für den Butler. Sie dachten nur noch daran, sich möglichst schnell in Sicherheit zu bringen. Da ihnen die Kistenteile um die Ohren wirbelten, zogen sie es vor, die Montagehalle zu räumen. Sie hatten es derart eilig, daß sie noch nicht einmal das Tor hinter sich schlossen, wie es sich für ordentliche Menschen gehört hätte. 88
Parker barg die Waffe, die Canders verloren hatte. Nun sah die allgemeine Lage schon erheblich erfreulicher aus. Mit einer Schußwaffe in der Hand brauchte der Butler kaum noch etwas zu befürchten. Es kam jetzt darauf an, die Gangster vom Fabrikhof zu vertreiben. Sie durften sich dort nicht einnisten, falls sie dazu überhaupt noch die Nerven hatten. Natürlich fand Parker auch jetzt, wonach er suchte. Es handelte sich diesmal um einen Elektrokarren, mit dem schwere Lasten transportiert werden konnten. Parker benutzte noch einmal den Zapfhahn für Benzin, tränkte herumliegende Holzwolle mit Kraftstoff und wuchtete dann eine Eisenplatte auf den Fahrerstand des Karrens. Dadurch wurde die große Kontaktzunge heruntergedrückt. Der Karren setzte sich prompt in Bewegung. Parker richtete ihn auf das geöffnete Tor und warf dann ein angerissenes Zündholz in die Holzwolle, die daraufhin lodernd in Flammen aufging. Der Karren rumpelte und surrte auf das Tor zu und erreichte das Freie. Die Gangster, die sich auf dem dunklen Hof versteckt hatten, wußten mit dieser Festbeleuchtung überhaupt nichts anzufangen. Sie empfanden sie sogar als ausgesprochen unbequem. Feuer…! Das bedeutete mit Sicherheit Alarm! Und Alarm war gleichbedeutend mit Polizei…! Die Rechnung des Butlers ging auf. Halligan, Canders, Denver und Minstel zogen es vor, schleunigst zu verschwinden. Sie hatten die Nase voll. Parker hörte das Knarren und Quietschen des großen Tores und bald darauf das Geräusch eines Automotors! 89
Der Butler barg seine Hosenträger, die ihm aus einer bösen Verlegenheit herausgeholfen hatten, rückte sich die schwarze Melone zurecht und begab sich hinaus ins Freie. Sein hochbeiniges Monstrum nahm ihn liebevoll auf. Als das erste Sirenengeheul der alarmierten Feuerwehr ertönte, steuerte er sein Vehikel bereits über eine normale Straße und sah interessiert den Feuerlöschwagen nach, die ihn passierten und auf ein Feuer zuhielten, das inzwischen längst wieder erloschen war.
*
„Jetzt wird es aber höchste Zeit, daß ich die Gangster festnehme“, sagte Lieutenant Madford grimmig, nachdem er sich Parkers Geschichte angehört hatte, „Beweise dürfte es diesmal ja ausreichend geben…!“ „Nur im Hinblick auf die Szenen, die sich in der Fabrik für Mähmaschinen abgespielt haben, Sir“, korrigierte der Butler. Es war Tag geworden, und Madford hatte nichts dagegen, von Parkers Kaffee zu trinken, der für sein Aroma berühmt war. „Mir reicht das vollkommen“, sagte Madford. „Hauptsache, ich kann die Kerle erst mal festsetzen!“ „Was wäre damit gewonnen?“ fragte Parker, „im Hinblick auf die eigentlichen Verbrechen wird nichts erreicht, wenn ich das in aller Bescheidenheit feststellen darf!“ „Stimmt!“ pflichtete Mike Rander seinem Butler bei, „sie werden sich hüten, über Kobalt zu reden! Und das radioaktive Zeug wirkt unterdessen lustig weiter. Wir haben doch keine Ahnung, welche Personen 90
Halligan damit beglückt hat!“ „Okay!“ murrte Madford, „.aber es ist doch zum wahnsinnig werden, daß man nichts unternehmen kann!“ „Wer sagt denn das?“ fragte Mike Rander. „Lassen Sie Parker und mich mal machen!“ „Sie bleiben also am Mann?“ „Wie denken Sie darüber?“ fragte Rander seinen Butler! „Mit nackter Gewalt ist Mister Halligan nicht beizukommen“, sagte Josuah Parker nachdenklich, „er weiß um den Vorteil seiner Position. Er rechnet damit, daß man ihn wegen gewisser Dinge nicht festnehmen wird… Ich denke da an seine Gewalttätigkeiten meiner Person gegenüber…!“ „Aber wie wollen Sie denn aus ihm herausbekommen, wo sich der Rest des Kobalts befindet?“ Madford holte tief Luft und schüttelte den Kopf. „Wie wollen Sie Halligan in die Zange nehmen? Wie wollen Sie ihn zum Reden bringen!“ „Man müßte ihm psychologisch beizukommen versuchen“, schlug der Butler vor. „Das ist leicht gesagt!“ Madford schüttelte verärgert den Kopf, „solche Methoden verfangen bei Gangstern nicht!“ „Mister Halligan hat mir gegenüber eingehend erklärt, wie er seine Opfer umbringt“, sagte Parker, „da ich keine Zeugen habe, kann er natürlich alles abstreiten! Er weiß, wie das radioaktive Kobalt wirkt. In sechs Fällen hatte er bereits Erfolg, wenn ich mich so ausdrücken darf. Man müßte…“ Parker brach mitten im Satz ab und sah nachdenklich 91
au Boden. „Na, was müßte man denn?“ Madford konnte es kaum erwarten, bis Parker weiterredete. „Sie erlauben, Sir, daß ich meinen Plan erst einmal gründlich durchdenke“, entgegnete der Butler, „ich muß mir alle Schachzüge genau überlegen!“ „Und Wir sollen die Hände in den Schoß legen? Das ist ausgeschlossen, Parker!“ „Die Behörden könnten sehr viel tun!“ sagte Parker, „die ,Allround-Insurance’ wird Ihnen mit Sicherheit Einblick in ihre Unterlagen gewähren.“ „Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen“, sagte Madford hastig und sprang auf, „wir müssen alle Fälle durchsortieren, die auf Halligans Mordsystem passen!“ „Genau!“ schaltete sich Mike Rander ein, „die Namen von immerhin sechs Begünstigten müßten sich mit den Namen von Unfallopfern decken. Damit könnte man herausbekommen, welche Personen von Halligan umgebracht worden sind!“ „Und damit könnten wir auch den Kreis der Personen einschränken, die als Opfer noch in Betracht kommen. Es handelt sich ja um alleinstehende Versicherte, deren Verwandte ebenfalls alleinstehend sein müssen!“ „Eine Heidenarbeit“, Madford seufzte, „aber man kann immerhin etwas tun. Und darauf kommt es mir jetzt an! Ich möchte nur wissen, wie viele Lebensversicherungen die ,Allround’ hier in Chikago abgeschlossen hat!“ „Miß Joyce Dagenham wird Ihnen da mit Sicherheit genaue Zahlen nennen können“, warf der Butler ein. 92
„Sie machte, auf mich einen informierten und soliden
Eindruck!“
„Also gut!“ Madford nickte Rander und Parker zu,
„gehen wir an die Arbeit. Hoffentlich fällt Ihnen bald
was ein, Parker!“
„Das ist bereits geschehen, Sir“, gestand der Butler,
„darf ich Sie um Ihre Hilfe bitten?“
„Da fragen Sie noch?“
„Könnten Sie dafür sorgen, daß die vier Gangster für
sagen wir, eine gute Stunde im Polizeihauptquartier
festgehalten werden?“
„Wozu? Selbstverständlich geht das! Ich muß sie ja
zumindest verhören!“
„Mehr möchte ich jetzt wirklich nicht sagen“, schloß
der Butler, „ich habe noch eine Verabredung mit
einigen Herren vom städtischen Strahleninstitut! Ich
hoffe, daß ich auf dem richtigen Weg bin!“
*
„Die Morgenzeitungen, Sir!“ Parker reichte seinem jungen Herrn das silberne Tablett, auf dem die einschlägigen Blätter lagen. Anschließend kümmerte der Butler sich darum, daß sein junger Herr reichlich mit Kaffee versorgt wurde und auch ordentlich aß. Aus diesem Grund befand er sich noch im Frühstückszimmer, als Rander plötzlich überrascht die Zeitung sinken ließ, in der er gerade las. „Haben Sie die Berichte schon gelesen?“ fragte Rander. „Ich war so frei, Sir…!“ „Dann müssen Sie doch über die Meldung gestolpert sein, daß man im Strahleninstitut der Universität 93
eingebrochen hat!“
„In der Tat, Sir!“
„Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen… Mann,
Parker… Halligan scheint sich neues Kobalt
verschafft zu haben. Zwei Strahlungskapseln und
eine Bleiflasche mit radioaktivem Jod sind gestohlen
worden!“
„Sehr wohl, Sir…!“
„Na, Ihre Reaktion ist aber erstaunlich gelassen“,
meinte Anwalt Mike Rander, „in der Hand Halligan«
bedeutet das doch Massenmord!“
„Das entspricht durchaus den Tatsachen, Sir, falls
Mister Halligan der Dieb wäre!“
„Ist er es nicht? Parker, reden Sie endlich! Sie
scheinen mehr zu wissen als ich!“
„Ich möchte mir erlauben, ein Geständnis abzulegen,
Sir.“
„Du lieber Himmel, haben Sie etwa das Zeug
gestohlen?“
„So soll es wirken, Sir. In Wirklichkeit wurde gar
nichts entwendet. Diese Notiz wurde von mir
veranlaßt. Ich war so frei, mich mit leitenden Herren
der Universität zu unterhalten.“
„Ja, was bezwecken Sie denn damit?“
„Mister Halligan in Schrecken zu versetzen, Sir!“
„Schön war’s…! Sie glauben, er würde darauf
hereinfallen…“
„Ganz sicher, Sir…! Ich habe mir gegen Morgen
erlaubt, in seine Räume einzudringen.“
„Und das erfahre ich erst jetzt?“
„Ich wollte Sie nicht unnötig beunruhigen, Sir…!“
„Erzählen Sie schon, was Sie planen. Ich möchte
94
Einzelheiten hören, Parker.“ „Ich war also so frei, Sir, in Mister Halligans Räume einzudringen. Sowohl in seine Geschäfts als auch in seine Privaträume! Ich hinterließ deutliche Spuren, die unbedingt auf solch einen Einbruch schließen lassen. Zudem veranlaßte ich besagte Meldung, die Sie eben zu lesen geruhten.“ „Und wo ist die Pointe?“ „Ich werde Mister Halligan einsuggerieren, daß nun meine bescheidene Person ebenfalls mit Radioaktivität arbeitet!“ „Sie wollen ihm damit nervös machen?“ „Ich hoffe, Sir…!“ „Wenn Sie sich nur nicht täuschen, Parker. Halligan hat ein dickes Fell!“ „Es wird, wenn ich mich so ausdrücken darf, hauchdünn werden…! Im Lauf des Tages werde ich mir erlauben, ihn anzurufen… Ihn und seine Mitarbeiter, die zusammen mit ihm in einem Haus wohnen!“ „Glauben Sie, er wird daraufhin zu Kreuze kriechen und uns verraten, welche Personen von Kobalt bestrahlt werden? No, Parker, da liegen Sie bestimmt falsch.“ „Damit rechne ich keineswegs, Sir… Ich möchte Mister Halligan nur aus seiner Reserve locken. Er soll unvorsichtig werden und blind um sich schlagen. Wenn ich von Mister Halligan spreche, meine ich selbstverständlich auch seine Mitarbeiter. Ich möchte die Gangster gegeneinander hetzen… Nur so ist mit Teilgeständnissen zu rechnen!“ „Versuchen kann man’s ja“, antwortete der Anwalt, 95
„wann wollen Sie Ihre psychologische Bombe zünden?“ „Gegen Mittag, Sir, sobald die Gangster nach menschlichem Ermessen gegessen haben!“ Halligan war bester Laune, als Josuah Parker in der Stellenvermittlung erschien. Es war früher Nachmittag, und Halligan tat wieder einmal so, als sei überhaupt nichts passiert. „Sie halben Nerven“, sagte er, „das muß man Ihnen lassen, Parker! Ein anderer hätte nicht den Mumm, hier aufzukreuzen.“ „Ich glaube zu wissen, Mister Halligan, wie weit ich gehen darf“, erwiderte der Butler und nahm in einem Sessel Platz, „haben Sie und Ihre Mitarbeiter den nächtlichen Ärger gut überstanden?“ „Einmal laufen Sie bestimmt auf!“ „Wer weiß, was die Zukunft birgt“, sagte Parker elegisch, „wir sind alle unserem ganz persönlichen Schicksal unterworfen. Darf ich fragen, ob Sie sich allein hier im Büro befinden?“ „So leichtsinnig bin ich nun wieder nicht“, gab Halligan zurück, „wollen Sie meine Leute sehen?“ Er wartete Parkers Antwort erst gar nicht ab, sondern schien noch während seiner Worte auf einen versteckt angebrachten Knopf gedrückt zu haben. Canders, Denver und Minstel erschienen prompt auf der Bildfläche. Sie wirkten alle reichlich mitgenommen und starrten den Butler gereizt und wütend an. Sie glichen einer Meute Hunde, die nur wartete, ihr Opfer anfallen und zerreißen zu können. „Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß man weiß, wo ich mich zur Zeit befinde!“ stellte Josuah Parker 96
klar. „Glauben Sie wirklich, ich wäre so dumm, Sie hier fertigmachen zu lassen?“ entgegnete Halligan grinsend, „es werden sich bessere Gelegenheiten bieten, denke ich!“ „Ich weiß, daß Sie einiges gegen meine Person haben“, pflichtete Parker dem Gangsterboß bei. „Übrigens, wurde bei Ihnen in der vergangenen Nacht eingebrochen?“ Halligan sah den Butler ruckartig an. Seine Augen verengten sich zu den bekannt schmalen Schlitzen, wie es in einschlägigen Schilderungen so treffend heißt. „Was wissen Sie von dem Einbruch?“ fragte er daran vorsichtig. „Erwarten Sie ein Schuldeingeständnis?“ erkundigte sich der Butler. „Sie waren also in meinen Räumen und in der Stellenvermittlung…?“ „Möglich.“ „Haben Sie etwa geglaubt, etwas zu finden? Da waren Sie auf dem Holzweg!“ „Könnte es nicht sein, daß ich Ihnen im Gegenteil etwas gebracht habe?“ „Sie wollen, mir etwas gebracht haben?“ Halligan verstand kein Wort, „worauf wollen Sie hinaus?“ „Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Notiz in dieser Zeitung lenken?“ Parker reichte Halligan eine Morgenzeitung, in der er den bewußten Artikel mit Rotstift angestrichen hatte. Halligan las, bekam einen roten Kopf und warf die Zeitung dann wütend auf die Schreibtischplatte. 97
„Reden Sie endlich.!“ fauchte er. „Was ist denn los, Chef?“ erkundigte sich Denver und griff nach der Zeitung. „Parker soll uns sagen, was los ist.“ Halligan war aufgestanden und baute sich seitlich neben dem Schreibtisch auf. Er starrte auf den gemütlich sitzenden Butler hinunter. „Ich darf zusammenfassen“, erklärte der Butler, „aus dem Strahlungsinstitut der Universität wurde radioaktiver Stoff in fester und flüssiger Form gestohlen. In derselben Nacht wurde bei Ihnen eingebrochen, wie Sie es nannten. Addieren Sie die Tatsachen, Mister Halligan, und schon dürften Sie hinreichend informiert sein!“ „Soll das etwa heißen, daß Sie…?“ „Ich habe mich Ihrer Methode bedient“, sagte der Butler gelassen. „Sie war schließlich anregend genug! So, wie Sie ahnungslose Menschen bestrahlen, um sich in dem Genuß der Lebensversicherungssummen zu bringen, so lasse ich Sie und Ihre Mitarbeiter jetzt bestrahlen. Gleiches Recht für alle!“ Denver, Canders und Minstel sahen sich an und schluckten. Halligan brach der Schweiß aus. Er stützte sich auf und stierte den Butler am. „Ist das wahr?“ fragte er mit heiserer Stimme. „Rechnen Sie zumindest mit dieser Möglichkeit“, erklärte der Butler ausweichend und verbindlich lächelnd. „Falls Sie und Ihre Mitarbeiter gefrühstückt und zu Mittag gegessen haben, dürften Sie bereits Radioaktivität in flüssiger Form zu sich genommen haben. Ausreichend genug, um Sie zu schädigen.“ „Dafür bringe ich Sie um!“ 98
Halligan verlor die Nerven und stürzte sich auf den Butler. Doch er sah sich gezwungen, im letzten Augenblick zu bremsen. Parker hatte durch einen Knopfdruck die im Regenschirm eingebaute Degenklinge hervorspringen lassen. Das nadelspitze Ende des Degens stand dicht vor seinem Adamsapfel. „Nur keine Erregung“, sagte Parker höflich und gelassen, „im Gegensatz zu Ihren Opfern, Mister Halligan. wissen Sie wenigstens, was Sie erwartet. Sie können also noch gewisse Dinge tätigen, bevor man Sie als Strahlenopfer beerdigt. Denken Sie an Ihre Opfer! Die sind ahnungslos!“ „Los, Jungens, macht ihn fertig!“ gurgelte Halligan, dessen Augen aus den Höhlen hervorquollen, „zerreißt ihn in der Luft!“ Canders, Denver und Minstel gingen zum Angriff über. Doch Bruchteile von Sekunden später blieben sie wie erstarrt stehen. Vor ihnen schoß eine dichte, gelblich gefärbte Nebelwand hoch, durch die man nicht hindurchblicken konnte. Als sie sich daran durch diese Nebelwand durchtasteten, um nach Parker zu greifen, war der Butler längst verschwunden. Er hatte es in seiner höflichen Art vorgezogen, körperlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
*
Parker blieb tätig an diesem Nachmittag. Das hochbeinige Monstrum brachte ihn zum Apartment 99
der Miß Joyce Dagenham. Sie hatte ihren Bürodienst bereits beendet und sah den Butler nach dem öffnen der Tür überrascht an, „Ja…?“ fragte sie gedehnt. Sie wirkte ein wenig nervös und fahrig. Sie versuchte das zwar zu überspielen, doch es gelang ihr nicht ganz. „Ich werde Ihre kostbare Zeit auf keinen Fall lange in Anspruch nehmen“, schickte der Butler voraus, „.ich möchte mich nur erkundigen, ob die Polizei sich schon mit dem Filialbüro der ‘Allround’ in Verbindung gesetzt hat!“ „Sie war da. Wir sind die ganzen Karteien durchgegangen! Um was geht es denn eigentlich, Mister Parker?“ „Wenn Sie gestatten, trete ich ein wenig näher!“ Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, betrat Parker das Apartment und ließ sich wie ein müder, abgespannter Mann in einen Sessel sinken. „Die Polizei versucht herauszufinden, welche Versicherungsnehmer möglicherweise frühzeitig und überraschend sterben“, beantwortete Parker, dann die Frage der jungen Frau, „diese Suche hängt mit einem Gangster zusammen, dessen Mitarbeiter Ihren lieben Bekannten Rustler umgebracht haben. Ich bin nicht befugt, nähere Einzelheiten darüber zu verraten!“ „Ich kann Sie natürlich nicht zwingen“, sagte sie, „aber dann verstehe ich nicht, was Sie bei mir suchen? Ich kann Ihnen bestimmt nicht helfen!“ „Da unterschätzen Sie sich aber, Madam!“ Parker schüttelte verweisend den Kopf. „Sie könnten mir zum Beispiel, wenn es gefällig ist, ein Schlückchen 100
Wasser anbieten. Ich sehe mich gezwungen, eine Tablette einzunehmen!“ „In Ordnung!“ sagte sie. Parker nickte ihr zu, denn sie zögerte noch, seinem Wunsch nachzukommen. „Ich könnte mir das Wasser selbstverständlich auch selbst holen“, redete der Butler weiter und wollte aufstehen. „Nein… nein, das mache ich schon!“ Joyce Dagenham hatte es nun sehr eilig, in die kleine Küche zu kommen. Dazu mußte sie aber hinaus in die Diele. Sie ließ die Tür weit geöffnet und schien es ungemein eilig zu haben, das Glas mit Wasser zu füllen. „Was ist?“ fragte sie, als sie zurück in den Wohnraum kam. Parker war aufgestanden und schien sich ein wenig die Füße vertreten zu haben. „Oh, nichts!“ meinte er und nahm das Glas dankbar nickend entgegen, „ich habe noch ein wenig umgeschaut. Sie hatten doch hoffentlich nichts dagegen.“ Sie behauptete zwar, daß es so sei, aber ihr Gesicht redete eine andere Sprache. Sie sah sich im Raum verstohlen um, als prüfe sie, ob auch alles noch am richtigen Platz stünde. „Ich fürchte, ich habe Sie unnötig bemüht“, entschuldigte sich der Butler und setzte das Glas Wasser wieder zurück auf den kleinen Rauchtisch, „ich fühle mich schon wieder besser… Ja, dann möchte ich Sie nicht länger stören. Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft, Miß Dagenham und wünsche eine gute Zeit!“ „Was wollten Sie denn nun wirklich von mir?“ fragte 101
sie, als sie ihn zur Tür begleitete. Ihre Stimme klang mißtrauisch. „Ich ließ mich darüber schon aus, wenn ich mich recht erinnere“, antwortete der Butler, „ich wünsche eine gute Nacht und gute Gesundheit!“
*
Es dauerte höchstens zehn Minuten, bis Joyce Dagenham unten auf der Straße erschien. Sie trug den bereits bekannten Hausanzug, den sie oben im Apartment getragen hatte. Sie sah sich nach einem Taxi um und bestieg es eilig. Dann ließ sie sich in die Innenstadt fahren, Parker folgte unauffällig. Er hatte mit dieser Reaktion fast gerechnet. Und in Anbetracht der allseits günstigen Entwicklung gestattete er sich wieder einmal ein amüsiertes Lächeln. In Sachen psychologischer Kriegsführung hatte er schon immer den richtigen Nerv gehabt. Joyce ließ das Taxi vor einem Mittelklassenhotel anhalten und verschwand in der Halle. Parker verließ sein hochbeiniges Monstrum und schaute durch die Glastür in die Halle. Die junge Angestellte und Kontenführerin sprach gerade mit dem Empfangschef und bekam gleichzeitig einen Zimmerschlüssel ausgehändigt. Als sie im Lift verschwunden war, betrat der Butler die Halle. Er hatte seinen Spezial- und Alarmkoffer an der Hand und glich einem ungemein würdevollen Reisenden. „Ein Zimmer, wenn ich bitten, darf“, sagte er, „ist meine junge Henrin bereits hinaufgefahren?“ „Miß Dagenham?“ fragte der Empfangschef. 102
„Natürlich“, sagte Parker, „ich möchte das Zimmer neben dem ihrigen.“ „Selbstverständlich!“ Der Empfangschef händigte ihm einen Schlüssel aus und erkundigte sich dann respektvoll nach dem Gepäck. „Ich werde es später holen“, entschied der Butler und fuhr mit dem Lift nach oben. Er schloß sein Zimmer auf und packte schnell seinen Spezial- und Alarmkoffer aus. Er wollte schließlich mitbekommen, was man so in einschlägigen Kreisen redete…
*
Parker drückte den Gummisauger fest gegen die Wand und schaltete Sender plus Mikrofon ein. Er setzte das kleine Kofferradio in Betrieb und machte es sich in einem Sessel bequem. Nachdem er die Lautstärke einreguliert hatte, konnte er gestochen scharf mitverfolgen, was im Nebenzimmer gesprochen wurde. „Don!“ sagte Joyce Dagenham gerade aufgeregt, „bei mir war dieser fürchterliche Kerl auch. Ja, eben. Er hat mich rausgeschickt. Ich sollte ihm ein Glas Wasser holen. Ob er auch bei mir…? Du weißt schon, was ich meine!“ Von Don Halligans Antwort war leider nichts zu verstehen, denn die junge Angestellte der „Allround“ telefonierte mit Halligan, dafür waren aber ihre Bemerkungen aufschlußreich. „Richtig“, sagte sie gerade, nachdem sie einen Moment geschwiegen hatte, „sicherheitshalber habe ich mein Apartment sofort verlassen. Ich möchte 103
nicht… Wie bitte? Ja, wo soll ich denn suchen? Hast du schon etwas im Büro oder in deiner Wohnung gefunden? Na, siehst du! Wir müssen auf jeden Fall etwas unternehmen! Parker muß uns verraten, was er getan hat und wo das Zeug versteckt worden ist! Gut, ich werde das übernehmen. Wohin soll ich ihn bestellen? Einverstanden. Wir treffen uns dann aber noch eine halbe Stunde vorher, ja? Ich habe mit dir noch zu reden! Gut, Ende!“ Sie legte auf und ging anschließend unruhig in ihrem Hotelzimmer auf und ab. Parker baute sein Horchgerät ab und verstaute es wieder im Spezialkoffer. Er verließ sein Zimmer und klopfte an Miß Dagenhams Tür an. „Ja?“ Parker trat ein und verbeugte sich knapp. „Sie…?“ kam wieder ihre gedehnte Frage. Sie starrte ihn völlig entgeistert an und holte tief Luft. „Schade, daß Sie Mister Halligan nicht von meiner bescheidenen Wenigkeit gegrüßt haben“, sagte Parker, „vielleicht hätte er sich darüber gefreut, wie denken Sie darüber?“ „Sie… Sie spionieren mir nach?“ „Natürlich“, entgegnete der Butler, „ich möchte ja Verbrechen verhüten. Aus diesem Grund werde ich gezwungen, ungewöhnliche Methoden . anzuwenden. Sie möchten nun gern wissen, ob ich auch in Ihren Privaträumen radioaktiven Stoff zurückgelassen habe, ja?“ „Woher… woher wissen Sie das alles?“ stotterte sie und wich vor ihm zurück. 104
„Ich habe Ihnen gleich nicht ganz getraut“, gestand der Butler, ,,Mel Rustler… nun, ich lernte ihn ja kennen. Er allein und aus sich heraus wäre wohl niemals Handlanger von Berufsmördern geworden. Er war einfach nicht der Typ dafür. Ich vermutete gleich eine Frau dahinter! Sie, Miß Dagenham!“ „Angenommen, daß es so ist!“ Sie lächelte ihn böse an, „wir sind ja unter uns und können uns offen unterhalten.“ „Ich weiß, daß es so ist. Die Frage ist nur, ob Sie die Leiterin des Unternehmens sind oder Halligan. Wenn Sie mich fragen, denke ich an Sie. Sie haben das negative Format dazu. Halligan dürfte nur Ihre Marionette sein!“ „Selbst wenn! Sie werden das niemals beweisen können!“ „Wem sollte ich das beweisen?“ Parker sah sie kühl und gelassen an, „ich werde diesen Fall auf meine sehr persönliche Art und Weise erledigen!“ „Sie wollen Halligan und mich mit dem Kobalt fertigmachen, wie?“ „Lassen Sie sich überraschen!“ „Dazu wird es nicht kommen“, sagte sie, „ich weiß, woran ich bin. Mir legen Sie kein Kuckucksei ins Nest, Parker. Ich weiß mich zu schützen!“ „Wirklich?“ „Ich brauche nur nicht zurück in mein Apartment zu gehen!“ „Damit wollen Sie sich aus der Affäre ziehen?“ Parker erlaubte sich ein etwas mitleidiges Lächeln, „ich werde Mittel und. Wege finden, Sie bestrahlen zu lassen.“ 105
„Darauf lasse ich es ankommen, Parker!“ Während sie noch sprach, griff sie blitzschnell in ihre Handtasche und zog eine 22er hervor, deren Mündung sie auf den Butler richtete. „Wetten, daß ich die Trumpfkarte ziehen werde?“ Während sie den Butler in Schach hielt, riß sie mit der freien Hand ihre Hemdbluse in Fetzen. Dann zerrte sie den Ärmel der Anzugsjacke aus den Nähten und brachte sich gekonnt ein paar blutige Kratzspuren im Gesicht bei. „Wenn ich jetzt schreie und schieße, ist das Recht auf meiner Seite“, meinte sie triumphierend, „machen Sie Ihr Testament, Mister Parker!“ „Gut ausgedacht, in der Tat“, räumte der Butler ein, „aber wenn Sie mich erschießen, Miß Dagenham, wird Halligan niemals erfahren, wo ich das Kobalt in seinen Räumen versteckt habe!“ „Na und?“ gab sie kalt zurück. „Er müßte sterben, wie seine bisherigen Opfer!“ „Na und…?“ wiederholte sie erneut. „eines Tages müßte ich mich ja doch seiner entledigen. Als Werkzeug war er geeignet! Ich würde mit ihm teilen? Ausgeschlossen! So schön ist er ja nun wieder auch nicht. Ich brauchte, ihn, damit er die Kobaltkapsel aus der Versuchsstation holte. Ich brauchte ihn, damit er unsere Opfer behandelte und kassierte, aber das Geld habe ich. Verstehen Sie, ich verwalte es. Und ich kann damit allein auskommen!“ „Hoffentlich erfährt Halligan niemals, wie Sie über ihn denken!“ „Wer sollte es ihm denn schon sagen?“ „Vielleicht meine Wenigkeit, Miß Dagenham!“ 106
„Sie leben nur noch ein paar Sekunden“, meinte sie
und ihre Augen wurden kalt wie die einer Schlange,
falls dieser Vergleich überhaupt als zutreffend zu
bezeichnen ist.
Parker glaubte ihr aufs Wort, und er nahm sich vor,
etwas gegen seine so kalt geplante Ermordung zu
tun.
*
„Sie haben an alles gedacht“, warf er Miß Dagenham vor und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, „nur nicht daran, daß ich doch niemals ohne Rückversicherung zu Ihnen gekommen wäre. Sie sollten einen Blick hinüber zum Fenster werfen. Dort steht…“ Er brauchte gar nicht weiter zu reden. Sie ging ihm prompt auf den Leim und nahm ruckartig den Kopf herum, als gäbe es am Fenster wirklich etwas zu sehen. Als sie ihren Irrtum einsah, war es natürlich schon zu spät. Parker ließ seine schwarze Melone wie einen Diskus durch das Hotelzimmer wirbeln. Die Kante der Melone traf das Handgelenk der aufstöhnenden Frau, die die Schußwaffe verlor und sich dann wie eine wütende Wildkatze auf den Butler stürzte. Parker hielt es für unter seiner Würde, mit einer Frau zu kämpfen, mochte sie auch noch so aggressiv sein. Er hatte plötzlich einen kleinen Parfümzerstäuber in der Hand, wie er in reizvollen Ausführungen von der Industrie geliefert wird: ein flaches, rechteckiges Metallkapselchen, das durch Druck zur Arbeit gebracht wurde. 107
Mit diesem Zerstäuber behandelte er Joyce Dagenham, die daraufhin nur noch zu seufzen vermochte und dann wohlig entspannt die Augen schloß. Parker legte die Frau aufs Bett und verabreichte ihr eine zweite Dosis aus dem Zerstäuber. Daraufhin durfte er sicher sein, daß Joyce Dagenham vorerst schlief. Aus Gründen einer späteren Verhandlungsführung konnte er es sich nicht erlauben, sie etwa zu binden. So etwas hätten die Geschworenen ihm mit Sicherheit als unnötige Brutalität ausgelegt. Parker verließ das Hotelzimmer und befestigte draußen an der Tür das Schild, auf dem zu lesen stand, daß der Bewohner des betreffenden Zimmers auf keinen Fall gestört werden wollte. Anschließend ging er samt seinem Koffer wieder hinunter in die Hotelhalle und blieb vor dem Empfangschef stehen. „Miß Dagenham wünscht nicht gestört zu werden“, sagte er, „ich werde bald wieder zurück sein und die Koffer bringen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ der Butler das Hotel und begab sich hinaus zu seinem Wagen. Nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hatte, holte er das Miniaturtonbandgerät aus der Innentasche seines Zweireihers hervor und spielte sich das Band vor. Seine Unterhaltung mit Joyce Dagenham war wunderbar klar mitgeschnitten worden. Ihre Stimme war deutlich zu erkennen. Einen besseren Tonbeweis hätte der Butler gar nicht haben können. Doch im Moment ließ sich damit leider nichts 108
anfangen. Als er vor der Stellenvermittlung eintraf und sich hinauf zu Halligan begeben wollte, war der Gangster samt seinen Mitarbeitern nicht mehr zu Hause. Er hatte es vorgezogen, die angeblich verseuchten Räume zu wechseln, eine Vorsichtsmaßnahme, die der Butler, sogar verstehen konnte. Doch er brauchte nicht zu verzweifeln. Lieutenant Madford war sicher in der Lage, ihm die neue Adresse zu nennen. Er ließ Halligan und dessen Mitarbeiter ja überwachen.
*
„Genau das hatten wir geplant“, sagte Madford eine gute Stunde später, nachdem er oben in Mike Randers Dachgartenwohnung eingetroffen war, „aber mein Wunderknabe McLean hat die Sache versiebt. Er hat sich abschütteln lassen!“ „Soll das heißen, daß Halligan und seine Freunde sich abgesetzt haben?“ staunte Mike Rander. „So ist es leider, Rander!“ Madford hob bedauernd die Schultern. „Das ist in der Tat eine böse Überraschung“, meinte Butler Parker, „ich hätte Mister Halligan zu gern ein kleines Tonband vorgeführt!“ Als er Madfords erstaunten Blick bemerkte, ließ er das Band abrollen. „Das ist eine Überraschung!“ sagte Madford, Parkers Worte benutzend, „die Dagenham als Chefin dieses Mordunternehmens! Wo steckt sie jetzt?“ „Im Midland-Hotel, Sir. Sie gibt sich dem Schlafe 109
hin!“ „Wenn Sie nichts dagegen hat, kann sie sich auch in einer Zelle ausschlafen.“ Madford sprang auf. „Ich werde sie sofort festnehmen lassen!“ „Tonbänder sind als Beweismaterial nicht zugelassen“, bemerkte Mike Rander und schüttelte den Kopf, „gerade Sie, Madford, müßten das doch wissen!“ „Vielleicht wird sie in einem Verhör weich.“ „Ausgeschlossen, Sir, Miß Dagenham keineswegs. So schätze ich sie nicht ein.“ „Sollen wir denn wieder mal die Hände in den Schoß legen?“ brauste Lieutenant Madford auf. „Sie, Rander und Ihr Butler, sind auch nicht weitergekommen Wir kennen die Gangster, wissen, was sie angestellt haben und können doch nichts unternehmen. Das schmeckt mir langsam. Ich will Ihnen mal was sagen. Jetzt ist meine Tour an der Reihe! Und davon hält mich nichts mehr ab!“ Er nickte Rander und Parker zu und verließ das Studio des Anwalts. Josuah Parker versuchte erst gar nicht, den Detektivlieutenant umzustimmen. Er geleitete ihn zum Lift und verabschiedete sich stumm von ihm. „Und was machen wir?“ fragte Mike Rander, als sein Butler zurück ins Studio kam. „Ich finde, Sie taktieren wirklich etwas zu vorsichtig, Parker!“ „Ich pflichte Ihnen bei, Sir. Aber Vorsicht ist angebracht, wenn ich an diejenigen Personen denke, die, ohne davon zu wissen, den Strahlen des Kobalts ausgesetzt sind. Die Gangster werden die Namen dieser Personen niemals freiwillig nennen, auch nicht 110
unter Druck. Es sei denn, sie begreifen, daß sie sich Ihr Leben erkaufen können, wenn sie reden. Und diese Möglichkeit möchte ich ihnen auf keinen Fall nehmen!“ Mike Rander wollte gerade antworten, als das Telefon sich meldete. Parker ging zum Wandtisch, und hob den Hörer ab. „Parker, Josuah Parker“, meldete er sich. „Hier spricht Minstel!“ kam die schnelle, hastige, fast atemlose Antwort, „Parker, ich stecke auf! Wo können wir uns treffen? Ich brauche aber tausend Dollar, wenn ich rede. Ich muß nämlich verschwinden, sobald ich Halligan in die Pfanne gehauen habe!“
*
Es war dunkel, als Parker und Mike Rander den vereinbarten Treffpunkt erreichten. Steve Minstel hatte sie in ein kleines Hotel im Ostteil der Stadt bestellt. Dort wollte er sich mit ahnen unterhalten. „Wir müssen natürlich mit einer Falle rechnen“, sagte Rander, als sie das hochbeinige Monstrum des Butlers verließen, „ich traue diesem Burschen nicht über den Weg.“ „Gewiß, Sir! Dort scheint Mister Minstel übrigens auf uns zu warten.“ Parker deutete mit der Spitze seines Universalregenschirms auf den Sekretär Halligans, der im Eingang stand und ihnen sogar zuwinkte. „Dann wollen wir mal!“ Rander nickte seinem Butler aufmunternd zu und vergewisserte sich gleichzeitig, 111
daß sein 38er griffbereit im Schulterhalfter stak. „Haben Sie das Geld mitgebracht?“ erkundigte sich Minstel, als Rander und Parker ihn erreicht hatten. „Das Geld steht sofort zu Ihrer Verfügung“, antwortete Josuah Parker, „doch vorher müßten noch einige Formalitäten abgewickelt werden!“ „Sie trauen mir wohl nicht, wie?“ Minstel lachte nervös, „kann ich ja verstehen, Parker.“ „Wo befinden sich Halligan, Denver und Canders?“ fragte Mike Rander. „Sie haben sich abgesetzt“, lautete Minstels Antwort. „Natürlich, aber wohin?“ „Sie halben sich…“ Weiter brauchte Minstel nicht zu reden. Weitere Worte erübrigten sich wieder einmal. Halligan, Canders und Denver erschienen auf der Bildfläche. Das heißt, sie ließen sich eigentlich nur sehen. Sie standen auf der Ladefläche eines kleinen Lastwagens, dessen Plane sie zur Seite geschoben hatten. Jeder von ihnen hatte sich mit einer handlichen Maschinenpistole ausgestattet. „Los, Leute, kommt rauf!“ kommandierte Halligan, dessen Stimme vor Triumph bebte. „Wir ballern sofort los, falls ihr Mätzchen macht!“ Was blieb Rander und Parker anderes übrig, als auf den Wagen zu steigen. Gewiß, sie hätten vielleicht einen Ausbruchversuch riskieren können, doch der hätte mit größter Wahrscheinlichkeit tödlich geendet. Die Gangster konnten sich diese Überrumpelung ohne weiteres leisten. Es handelte sich um eine dunkle, sehr stille Straße. Von Passanten war weit und breit nichts au sehen. 112
Parker und Rander bekamen oben auf der Ladefläche des Lastwagens stilvolle Handschellen verpaßt. Anschließend wurden sie gründlich durchsucht und entwaffnet. Dann mußten sie sich flach auf den Boden des Lasters legen, mit dem Gesicht nach unten. „Los, Minstel, die Reise kann losgehen“, sagte Halligan zu seinem Sekretär, „haste übrigens prima hinbekommen! Ich hätte nicht gedacht, daß die Trottel auf diese Masche reingefallen wären.“ Der Wagen ruckte kurz danach an, die Fahrt durch die Nacht begann. Halligan spielte unterdessen mit dem kleinen Tonbandgerät, das Parker mit sich getragen hatte. „Was ist mit dem Ding?“ erkundigte er sich und stieß Parker den Kolben der Maschinenpistole ins Kreuz, „mach schon den Mund auf, sonst werde ich grob!“ „Ich wollte damit die Unterhaltung zwischen Mister Minstel und Mister Rander aufnehmen und festhalten“, gab der Butler zurück, ohne den Kopf zu wenden, „das Band enthält übrigens schon ein Gespräch. Ich führte es mit Miß Dagenham!“ „Wann?“ „Vor vielleicht anderthalb Stunden, Im MidlandHotel, wenn ich genau sein darf!“ „Im Midland…?“ Erstaunen schwang in Halligans Stimme mit. „In der Tat, Mister Halligan. Sie sollten sich diese Unterhaltung einmal anhören.“ „Das werd’ ich tun, darauf kannst du dich verlassen!“ Halligans Sprache war nachlässig und rüde geworden. Der Lack war abgeblättert. Er zeigte 113
sich als das, was er war. Er konnte nicht mehr verhehlen, daß er ein ordinärer Gangsterboß war. „Wohin soll die Fahrt denn gehen?“ erkundigte sich Mike Rander. „Maul halten!“ Statt einer Antwort verabreichte Canders ihm einen Stoß mit dem Lauf der Maschinenpistole. Rander zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und warf sich unwillkürlich zur Seite. Das hatte zur Folge, daß nun auch Denver auf Mike Rander einhieb. Parker, der sich für seinen jungen Herrn einsetzen wollte und den Kopf hob, kassierte ebenfalls einige brutale Stöße ein. Daraufhin zog er es vor, auf bessere Zeiten zu warten. Lange dauerte die Fahrt nicht. Der Wagen stoppte jäh, dann mußten Rander und Parker aussteigen. Sie sahen sich neugierig um. In der Dunkelheit war nicht viel zu erkennen, doch dieser Hof, auf dem sie standen, mußte zu einem Fabrikbetrieb gehören. Im Gegenlicht der erhellten Stadt ließen sich lange Hallen unterscheiden, in denen um diese Zeit allerdings nicht gearbeitet wurde. Halligan hatte bemerkt, daß Rander und Parker
Umschau hielten. „Hier sind wir ganz unter uns“,
sagte er höhnisch, „hier stört uns kein Mensch.
Tagsüber werden hier Kochtöpfe gestanzt. Aber das
stört euch ja hoffentlich nicht!“
„Zuerst eine Rasenmäherfabrik, nun eine Stanzerei.
Sie sind äußerst vielseitig“, stellte der Butler fest.
„Beziehungen. Denver und Canders haben in diesen
Betrieben mal gearbeitet. Sie kennen sich aus!“
Weitere Worte wurden vorerst nicht . Gewechselt.
114
Die Gangster stießen und schoben ihre beiden Gefangenen in die untere Etage der Halle. Vor einer großen, hohen und mächtigen Stanze blieben sie stehen. Canders, der hier wohl gearbeitet haben mußte, schaltete eine Lampe ein, die den Stanztisch grell beleuchtete. „Machen wir’s kurz“, sagte Halligan und sah den Butler an, „Sie sagen mir jetzt, wo Sie das Giftzeug in meiner Wohnung und in meiner Stellenvermittlung versteckt haben! Je schneller Sie reden, desto weniger schmerzt es. Rechnen Sie bloß nicht mit dem Nachtwächter. Dem haben wir eins über den Kopf gezogen. Der schläft die nächsten Stunden wie ein Murmeltier!“ „Darf ich Sie noch einmal auf das Tonbandgerät aufmerksam machen!“ lenkte der Butler ab. „Sie sollten sich das Gespräch zwischen Miß Dagenham und meiner Wenigkeit sehr genau anhören!“ „Kann ich später immer noch, Parker! Also, reden Sie! Sehen Sie sich mal die Stanze genau an. Wenn ich hier auf den Hebel drücke, fährt sie blitzartig runter. Mit wenigstens fünfzig Tonnen Druck. Was werden Ihre Finger dazu sagen, wenn sie davon erwischt werden?“ „Nun denn, darauf möchte ich es erst gar nicht ankommen lassen“, sagte der Butler schnell, „Sie werden von mir die Wahrheit hören, wenn Sie einverstanden sind!“ „Dann aber schnell, Parker!“ „Das Kobalt befindet sich in ihrem Anzug!“ bluffte der Butler, „es handelt sich um eine Pulverform. Ich habe mir erlaubt, dieses radioaktive Pulver ausgiebig 115
zu verstreuen!“
„Mann…!“ Halligan starrte an sich herunter und…
handelte so schnell, als gehe es um Sekunden. Er
genierte sich nicht, eine Art Striptease vorzuführen.
Er konnte die Kleider nicht schnell genug vom
Körper herunter bekommen.
„In Ihrem Fall ist es nicht anders!“ sagte Parker, sich
an Minstel, Denver und Canders wendend. Das war
das Stichwort, auf das sie gewartet hatten. Auch sie
entkleideten sich mit der Schnelligkeit gelernter
Schönheitstänzerinnen.
„War das alles?“ fragte Halligan dann, der in seinen
kurzen, geblümten Unterhosen recht komisch
aussah.
„Dann habe ich noch je eine Kapsel in Ihrem Büro
und in Ihrer Wohnung untergebracht.“
„Wo da… ich will das genau wissen!“
„Unter dem Schreibtischbein und unter Ihrer
Kopfmatratze!“
„So ist das also!“ Halligans Gesicht wurde eine böse
Fratze, „wir alle sollten also umgebracht werden!
Dafür werdet ihr jetzt die Zeche bezahlen… Canders,
zeig’s ihm!“
Canders und Denver warfen sich auf den Butler und
zwangen ihn an die Stanze heran. Sie mühten sich ab,
seine rechte Hand unter den Stempel zu zwingen,
womit der Butler verständlicherweise nicht
einverstanden war.
„Na, los doch!“ grölt Halligan begeistert. „Ich möchte
ihn endlich wimmern hören!“
Sie nahmen seine Hand förmlich in die Zange und
brachten sie immer näher an die Stanze heran. Mike
116
Rander starrte wie gebannt auf diese brutale Szene. Er war in diesen Sekunden unfähig, etwas zu unternehmen. Dann aber faßte er sich. Er stieß Minstler, der ihn bewachte, mit einem Fußtritt zur Seite und warf sich auf Canders und Denver. Er wütete, doch er hatte keine Chance. Halligan langte nur kurz mit dem Kolben seiner Maschinenpistole zu und schon landete Mike Rander ohnmächtig auf dem staubigen, verdreckten Boden. „Wirds endlich!?“ grölte Halligan erneut. „Ich glaube, ich muß ihm erst mal ‘ne kleine Spritze verpassen!“ Er schlug mit dem Lauf seiner Maschinenpistole zu und trieb die Melone tief in Parkers Stirn. Parker taumelte unter diesem harten Schlag. Er war, wie man so sagt, geliefert. Er hatte keine Chance mehr, seine Hand zu retten.
*
Josuah Parker wäre nicht Parker gewesen, wenn er sich nicht von vornherein mit solchen und ähnlichen Situationen befaßt hätte. Nicht umsonst war seine Trickkiste tief und wohlgefüllt. Man mochte ihn entwaffnen, doch was man auch in dieser Hinsicht tat, irgendwelche Kleinigkeiten übersah man mit Sicherheit. Kleinigkeiten übrigens, die sich, was den Effekt anbetraf, zu Lawinen auswachsen konnten. So auch in dieser Nacht vor der Stanze. Zuerst setzte der Butler einmal seine Karatekenntnisse ein. Auf diesem Gebiet war er unbestrittener Meister. Mochten ihn auch zwei routinierte Gangster festhalten, geschafft 117
hatten sie den Butler damit noch längst nicht. Denver und Canders wunderten sich allerdings, als sie durch die Luft wirbelten und zwischen Bearbeitungsmaschinen landeten. Bevor Halligan sich auf diese neue Lage einzustellen vermochte, trieb der Butler seinen Angriff weiter voran. Er unterlief den anstürmenden Minstel und rammte ihm seinen Kopf samt Melone in den Magen. Minstel heulte auf wie ein Steppenwolf und klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Halligan riß seine Maschinenpistole hoch und zog gnadenlos durch. Die Geschosse peitschten aus der Mündung und erwischten Canders, der sich gerade erhob. Wie von unsichtbaren Fäusten geschüttelt, taumelte Canders zurück und fiel zwischen den Maschinen zu Boden. Parker, dessen Hände man erfreulicherweise vor dem Leib zusammengeschlossen hatte, hatte sich inzwischen die Melone vom Kopf gezerrt und hieb damit gegen den Lauf der Maschinenpistole. Dieser Schlag wurde so energisch und hart geführt, daß der zweite Teil der Ladung irgendwo im Dunkel der Halle landete. Als Halligan sich zurückwarf, um Parker endlich erwischen zu können, landete die von Parker auf die Reise geschickte Melone auf seiner Nasenwurzel. So kam Halligan. in den Genuß vieler bunter Sterne, hatte aber leider nicht mehr die Zeit und Muße, sich diese Gebilde in aller Ruhe anzuschauen. Er rutschte nämlich in sich zusammen und brauchte einige Sekunden, bis er wieder voll aufnahmefähig war. Denver hatte sich die Sache blitzschnell überlegt und setzte sich ab. Er hatte wohl keine Lust mehr, sich an 118
diesem Treiben zu beteiligen. Er rannte hinüber zum
Ausgang und wurde von einem Einzelschuß gefällt.
Parker starrte zur Tür hinüber, konnte aber nichts
erkennen. Wer mochte diesen Schuß abgefeuert
haben? Kam Hilfe? Hatte Lieutenant Madford
endlich Kontakt zu ihnen bekommen?
Parker beugte sich zu seinem jungen Herrn hinunter
und zerrte und schleifte ihn von der Stanze weg.
Halligan, durch den Einzelschuß abgelenkt, griff
nicht ein.
Als er sich dann wieder Rander und Parker
zuwenden wollte, waren sie bereits in der Dunkelheit
der Halle verschwunden. Parker deponierte seinen
jungen Herrn neben einer Schleifmaschine und griff
dann nach einem großen Schraubenschlüssel, der
offensichtlich für ihn dort niedergelegt worden zu
sein schien.
„Halligan?“
Parker spitzte die Ohren. Wenn ihn nicht alles
täuschte, hatte Joyce Dagenham gerufen. Hatte sie
auf Denver gefeuert? Parker wartete ab.
„Don!?“ tönte es erneut durch die dunkle Halle.
Wenig später waren schnelle Schritte zu hören.
„Joyce?“ fragte Halligan laut zurück. „Paß auf,
Rander und Parker schleichen da irgendwo ‘rum!“
„Wenn schon!“ sagte sie im Näherkommen. „Habt
ihr es wieder nicht geschafft?“
„Es ist wie verhext!“ fluchte Halligan. „Los, Minstel,
schaff mir die beiden Schnüffler ‘ran!“
„Mit dir ist nichts mehr los!“ sagte Miß Dagenham,
als Minstel die Stanze verließ. „Wird höchste Zeit,
daß…“
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„Was ist mit Denver?“ erkundigte sich der Gangster. „Er lief mir über den Weg und ich machte Schluß mit ihm! Wie jetzt mit dir!“ Sie sprach völlig gleichgültig und beiläufig, als unterhalte sie sich über die allgemeine Wetterlage. Und dennoch drückte sie ab, bevor Parker aus seinem Versteck heraus etwas dagegen unternehmen konnte. Halligan sah sie ungläubig an, stöhnte und fiel dann wie ein gefällter Baum zu Boden. „Minstel… schnell!“ Joyce Dagenham war gerissen. Sie tat so, als habe sie mit dem Schuß nichts zu tun. Sie hielt aber bereits die Maschinenpistole von Halligan in der Hand und wollte den gerade zurückeilenden Minstel niederschießen. Doch jetzt machte Parker ihr einen bösen Strich durch die Rechnung. Er schleuderte den Schraubenschlüssel so geschickt durch die Luft, daß er die Maschinenpistole zur Seite drückte. Minstel blieb vielleicht gerade deswegen ahnungslos. „Wer war das?“ fragte er und deutete auf Halligan. „Wer wohl?“ gab sie zurück und griff in ihre Handtasche, in die sie ihre Handfeuerwaffe zurückgesteckt hatte. „Vorsicht!“ brüllte Mike Rander, der wieder zu sich gekommen war und den Schluß der Szene mitbeobachtete. Minstel war nicht zu helfen. Er hörte nur Randers Stimme und glaubte, endlich eine Spur seines Gegners gefunden zu haben. Er wandte Joyce Dagenham den Bücken zu. Was er 120
wohl besser nicht getan hätte. Sie riß ihre Waffe hoch und wollte schießen, doch in diesem Augenblick rächte sich Halligan an ihr. Er war zu sich gekommen und riß ihr die Beine unter dem Körper weg. „Knall sie nieder, Minstel, schnell“, rief er stöhnend. „Los, mach’ doch!“ Sie war schon wieder auf den Beinen und ergriff die Flucht. Wie ein Schemen verschwand sie zwischen den Maschinen und schlug dann laut die Tür hinter sich zu. Wenig später war der hochtourige Lärm eines Automotors zu hören.
*
„Der Fall ist so gut wie abgeschlossen“, sagte Madford am anderen Tag und nickte zufrieden. „Die Gangster sind zwar böse angekratzt, aber keiner von ihnen befindet sich in Lebensgefahr!“ „Sind bereits Geständnisse abgelegt worden?“ „Am laufenden Band, wie das in solchen Fällen eben so ist“, erklärte Madford. „Jeder will dann schneller sein als der andere. Es war und ist genauso, wie Parker es bereits geschildert hatte. Die Dagenham war der Kopf der Bande. Von ihr ging auch diese Wahnsinnsidee aus, mit radioaktivem Kobalt Menschen umzubringen, die hoch lebensversichert waren. Sie machte sich an Rustler heran und bekam Konteneinsicht. Sie konnte sich die besten Fälle aussuchen. Wir wissen ja, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein mußten.“ „Und Halligan stahl die Kobaltkapseln, wie?“ Rander nahm einen Schluck aus seinem Glas und nickte 121
Madford und McLean, die sich im Studio seines Penthouse befanden, aufmunternd zu. „Halligan stahl die Kapseln, drittelte sie und setzte sie zusammen mit Rustler bei den Opfern ab. Für Rustler war das eine Kleinigkeit, denn als Versicherungsvertreter war er den Opfern ja sogar bekannt. Sie konnten kein Mißtrauen schöpfen!“ „Und Halligans Mitarbeiter kassierten nach den Todesfällen ab“, führte Mike Rander weiter aus. „Fast nahtlos, wenn man sich nicht im Falle des Butlers gründlich vertan hätte!“ „Dafür mußte Rustler ja auch sterben. Canders hat diesen Mord bereits zugegeben, redet sich aber auf Notwehr heraus; na ja, viel wird er damit nicht erreichen.“ „Sind die Namen derjenigen Personen inzwischen bekannt, die mit dem restlichen Kobalt behandelt werden sollten, Sir?“ stellte nun der Butler seine erste Frage. „Wir haben das radioaktive Zeug bereits eingesammelt und die betreffenden Personen zur Behandlung ins Strahleninstitut geschickt. Lebensgefahr besteht nicht mehr. Diese Leute haben noch einmal Glück gehabt.“ „Wie Miß Dagenham“, warf der Butler ein. „Sie befindet sich nach wie vor in Freiheit! Ich muß gestehen, daß diese Vorstellung mir keineswegs paßt. Sie ist blutgierig und grausam wie ein Vampir, um bei dem gebräuchlichen Bild zu bleiben!“ „Die Dagenham werden wir so leicht nicht wiedersehen“, sagte Lieutenant Madford. „Die ist längst über alle Berge!“ 122
„Ich fürchte, Sir, Sie nehmen die Dinge auf die leichte Schulter“, erwiderte der Butler. „Ich möchte schwören, daß wir von dieser Frau noch hören werden. Sie hat jetzt viel Geld. Praktisch die gesamte Beute der Bande. Für sie dürfte das aber nur Betriebskapital sein. Eine Frau wie Joyce Dagenham wird versuchen, dieses Geld zu vermehren. Und zwar auf eine Art und Weise, die ihr geläufig ist!“ „Lassen wir uns also überraschen“, meinte Rander und zuckte die Achseln. „Offen gestanden, ich sehne mich nicht nach ihr!“ „Ich hingegen sehr, Sir“, entgegnete der Butler. „Sie stellt eine öffentliche Gefahr dar! Hoffentlich kreuzen sich bald unsere Wege. Und ich bin sicher, daß dies der Fall sein wird!“ Parker wunderte sich nicht, als gegen Nachmittag ein Expreßbrief abgeliefert wurde. Absender war eine gewisse Joyce Dagenham. Sie teilte dem Butler mit, er stehe auf ihrer privaten Liste an erster Stelle. Sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihn umgebracht habe. „Unsinn einer hysterischen Frau“, sagte Rander zu diesem Brief. „Nehmen Sie das bloß nicht ernst, Parker!“ „Ich erlaube mir, gegenteiliger Ansicht zu sein, Sir. Ich nehme diesen Brief sogar sehr ernst. Es wird Zeit, sich mit dem Vorleben dieser Frau zu beschäftigen. Daraus lassen sich möglicherweise Schlüsse über ihren derzeitigen Aufenthalt ziehen.“ „Schluß auf der ganzen Linie!“ Rander schüttelte den Kopf. „Von Gangstern will ich jetzt nichts mehr wissen, Parker! Wir werden mal für ein paar Wochen 123
gründlich ausspannen!“
„Ein hochherziger Entschluß“, meinte der Butler,
„das stört meine bescheidenen Pläne absolut nicht!“
„Wieso?“
„Ich bin sicher, daß Miß Dagenham Kontakt zu Ihnen
und zu meiner Wenigkeit halten wird!“
„Diese Frau scheint Ihnen nicht aus dem Kopf zu
gehen, wie?“
„Ich habe gesehen, Sir, wie kaltblütig sie schoß.
Diesen Anblick werde ich so leicht nicht vergessen.
Sie erinnert mich an eine geschmeidige Wildkatze,
die Blut geleckt hat. Ich fürchte, Sie und meine
bescheidene Wenigkeit werden noch manche
Schwierigkeiten mit ihr bekommen!“
Parker sollte recht behalten. Doch das wußte er zu
diesem Zeitpunkt noch nicht, sonst wäre er vielleicht
noch vorsichtiger gewesen, als er es ohnehin schon
war. Er wußte noch nichts von seinem nächsten
Abenteuer mit „Schneewittchen“.
ENDE
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