Parker und die weiße Göttin
Roman von Günter Dönges
»Wir sind uns also einig, daß Mike Rander und dieser komische B...
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Parker und die weiße Göttin
Roman von Günter Dönges
»Wir sind uns also einig, daß Mike Rander und dieser komische Butler Parker ermordet werden müssen«, sagte Lefty Claim zu sammenfassend. »Fragt sich nur, wie wir das anstellen. Wie denkt ihr darüber?« Lefty Claim sah sich in der Runde um. Claim, etwa fünfundvier zig Jahre alt, mittelgroß und mit leichtem Bauchansatz, hatte das gerötete Gesicht eines Trinkers. Seine wasserblauen Augen wirk ten leicht trübe. Sie spiegelten den Whisky wider, den er bereits konsumiert hatte. Claim gegenüber saßen Joe Hyman und Lew Strapetta. Joe Hyman war knapp dreißig Jahre alt, sah aber wesentlich äl ter aus. Sein schütteres braunes Haar war kurz geschoren. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht. Wenn er redete, waren seine bräunlich gefärbten, schadhaften Zähne zu sehen. Seine grauen Augen wirkten kalt und berechnend. Wesentlich erfreulicher hingegen wirkte Lew Strapetta. Lew konnte seine italienischen Vorfahren nicht verleugnen. Er war eher klein als mittelgroß, fast überschlank und hatte pechschwar zes Haar. Die olivbraune Hautfarbe und sein schneeweißes Raub tiergebiß verliehen ihm ein draufgängerisches Aussehen. Strapet ta war knapp fünfunddreißig Jahre alt und kleidete sich stets eine Spur zu modisch. Er bevorzugte lebhaft gestreifte Krawatten. Joe Hyman und Lew Strapetta hatten bisher schweigend zuge hört. Das hing damit zusammen, daß man einfach den Mund hielt, wenn Lefty Claim redete. Das war kein Akt der Höflichkeit, sondern eine Frage der Gesundheit. Claim duldete niemals Wider spruch. Er war der unbestrittene Chef der Runde. »Na also, laßt euch was einfallen«, forderte Lefty Claim seine Zuhörer auf. »Wie können wir Rander und Parker umbringen. Und zwar so, daß wir keinen Ärger mit der Polizei bekommen.« »Na ja, ich meine, Mord müßte man uns erst mal nachweisen«, ließ Joe Hyman sich vernehmen. »Eben, und damit das nicht geschieht, müssen wir ein erstklas siges Alibi haben«, antwortete Lefty Claim. »An wen wird sich die Polizei wenden, wenn Rander und Parker ins Gras gebissen ha ben? Doch erst mal an uns, oder?«
»Warum eigentlich, Lefty?« erkundigte sich Lew Strapetta naiv. Er hörte einen Augenblick damit auf, sich um seine Fingernägel zu kümmern, die er sich am Revers seines Jacketts unentwegt blankrieb. »Dumme Frage, Lew«, meinte Lefty Claim und schüttelte er staunt den Kopf. »Wer hat denn unseren Laden hochgehen las sen? Wem verdanken wir es, daß wir kurztreten müssen? Doch nur Parker und sein Boß. Wir können noch von Glück sagen, daß wir frei herumlaufen. Und wenn wir uns nicht etwas beeilen sind auch wir noch an der Reihe. Wenn das einer schafft, dann dieser verdammte Parker. Der ist gefährlicher als die Polizei.« »Können wir uns nicht ein anständiges Alibi kaufen?« warf Joe Hyman ein. Dazu grinste er und legte sein schadhaftes Gebiß frei. Er sah in diesem Augenblick wie ein altes Pferd aus. »Ist nicht…!« Lefty Claim schüttelt nachdenklich den Kopf. »Wir dürfen nicht das geringste Risiko eingehen.« »Ja, wie wollen wir die dann aber umbringen?« Lew Strapetta sah ratlos und geistig überfordert aus. »Mit anderen Worten, wir brauchen ein Alibi, müssen gleichzei tig aber zulangen. Keine Ahnung, wie wir das schaffen wollen.« Joe Hyman sah seinen Chef ratlos an. Dann kam ihm so etwas wie eine Erleuchtung. Er grinste und leckte sich nervös die Lip pen. »Können wir nicht ein paar Killer besorgen?« »Die hauen ab, wenn sie hören, wen sie aufs Korn nehmen müssen«, antwortete Lefty Claim. »In unserer Branche hat es sich inzwischen herumgesprochen, was mit Parker und seinem Boß los ist.« »Dann lassen wir es also, oder?« Lew Strapetta zuckte resigniert die Schultern. »Damit wir mit Sicherheit auffliegen?« Lefty Claim schüttelte energisch den Kopf. »Nee, Jungens, so schnell gibt ein Lefty Claim nicht auf. Rander und Parker müssen noch in dieser Woche von der Bildfläche verschwinden, damit wir endlich weiterarbeiten können. Die Kunden werden schon verdammt ungeduldig. Wir müssen bald wieder mit den Lieferungen loslegen, sonst schaltet sich die Konkurrenz ein. Die wartet doch nur darauf, daß wir ein packen und abhauen.« Joe Hyman und Lew Strapetta sahen sich hilflos an. Sie wurden hier mit einem Problem konfrontiert, das sie ohne fremde, wohl wollende Hilfe nicht zu lösen vermochten.
Lefty Claim hatte inzwischen wohl eingesehen, daß von seinen beiden Partnern nichts mehr zu erwarten war. Er füllte sich sein Glas und nahm einen erstaunlich tiefen Schluck. Nachdem er sich ausgiebig geschüttelt hatte, schien ihm so etwas wie eine Er leuchtung gekommen zu sein. Sein Gesicht nahm einen gerisse nen, fuchsschlauen Ausdruck an. Er beugte sich vor und dämpfte unwillkürlich seine Stimme, als er zu reden begann. Er setzte seinen beiden Mitarbeitern den Plan auseinander, den er gerade gefaßt hatte. Und während Lefty Claim redete, klärten sich gleichzeitig seine Gedanken. Vage Vorstellungen wurden zur Gewißheit. Und er las es an den Gesichtern seiner Freunde und Mitarbeiter ab, daß er auf dem richtigen Weg war. »Genauso bringen wir sie um«, meinte Lefty Claim abschlie ßend. »Und ich gehe jede Wette ein, daß das hinhauen wird. Man muß nur die richtigen Leute vor seinen Karren spannen, oder…?« * »Die Abendpost, Sir…!« Josuah Parker war lautlos in den großen Salon der Dachgarten wohnung gekommen und schritt würdevoll auf den großen Schreibtisch zu, hinter dem Anwalt Mike Rander saß und in einer Akte arbeitete. Parker trug zu den schwarzen Hosen die unvermeidliche ge streifte Weste, wie sie nur Butlern zustand. Auf den hochgestell ten, gespreizten Fingern seiner rechten Hand balancierte er ein silbernes Tablett, auf dem die Post lag. Parker kam an dem brei ten Fenster vorbei, von dem aus man einen phantastischen Blick auf die Wasserfront des Michigan-Sees hatte. Kurz vor dem Schreibtisch blieb er abwartend stehen, bis sich der Blick seines jungen Herrn hob. »Legen Sie das Zeug dorthin«, meinte Mike Rander zerstreut. Ihn beschäftigte ein juristisches Problem. Er war nicht in der Stimmung, sich mit seinem Butler zu unterhalten. »Gewiß, Sir, wie Sie befehlen«, antwortete Parker höflich. »Wenn mir eine Bemerkung gestattet ist, möchte ich Ihre Auf merksamkeit auf jenen Brief lenken, den ich zuoberst des Brief stapels deponiert habe.«
»Nehmen Sie den Brief weg und schmeißen sie ihn in den Pa pierkorb«, gab Mike Rander zurück. »Wie Sie befehlen, Sir…!« Josuah Parker nahm den Brief und ließ ihn in den Papierkorb flattern. Statt zu gehen und den Salon zu verlassen, dessen Wän de mit wohlgefüllten Bücherregalen bedeckt waren, blieb er je doch stehen. »Was ist denn noch?« Mike Randers Stimme klang leicht ge reizt. Wie gesagt, er war mit einem juristischen Problem beschäf tigt und wollte nicht abgelenkt werden. »Darf ich Sie höflichst darauf aufmerksam machen, Sir, daß be sagter Brief, den ich auf Ihr Geheiß hin in den Papierkorb warf, eine Mordandrohung enthielt?« »Wie bitte…?« Mike Rander sah erstaunt hoch. »Eine Mordandrohung«, wiederholte Josuah Parker. »Sie dürfen versichert sein, daß ich diesen an Sie gerichteten Brief nicht ge öffnet habe.« »Woher wissen Sie dann, daß es sich um eine Mordandrohung handelt?« »Ich erhielt einen ähnlichen Brief, Sir, das heißt, Aufmachung und Papiermaterial dieses Schreibens dürften identisch sein.« »Lassen Sie mal sehen…!« Josuah Parker bückte sich und fischte den Brief; aus dem Pa pierkorb. Als Mike Rander danach greifen wollte, schüttelte Parker fast unmerklich, aber dennoch irgendwie vorwurfsvoll den Kopf, legte den besagten Brief zuerst auf das Silbertablett, um ihn dann an Mike Rander weiterzureichen. Der junge Anwalt zog den Brief vom Tablett, riß den Umschlag auf und entfaltete das Schreiben, auf dem nur wenige Zeilen Text zu lesen waren. Diese wenige Textzeilen hatten es allerdings in sich. Mike Rander wurde zuerst einmal als gemeiner, hinterhältiger Polizeispitzel und Schnüffler bezeichnet. Dann wurde ihm mitge teilt, die »Langen Messer« hätten beschlossen, ihn aus dem Ver kehr zu ziehen. Und das innerhalb der kommenden drei Tage. Flucht sei sinnlos, so wurde weiter mitgeteilt. Die Wurfmesser stünden schon bereit. Statt einer Unterschrift waren die Umrisse eines langschneidigen Messers zu sehen. »Alberner geht’s wohl nicht«, sagte Mike Rander und warf den Brief auf den Tisch. Dann sah er zu Parker hoch, der stumm und
stocksteif vor dem Schreibtisch stand. »Haben Sie auch solch einen Wisch erhalten, Parker?« »In der Tat, Sir…!« »Na, und was halten Sie davon?« »Ich erlaube mir, Sir, Ihnen beizupflichten«, erwiderte Josuah Parker. Mit spitzen Fingern nahm er das Schreiben hoch und legte es zurück auf das Silbertablett. »Diese kindliche Naivität, diese robuste Primitivität könnten allerdings, wenn ich es recht betrach te, eine bewußte Finte sein.« »Sie wollen diesen Wisch ernst nehmen, Parker?« »Mordandrohungen, Sir, pflege ich immer als eine Art persönli che Beleidigung zu betrachten«, entgegnete der Butler gemessen. »Schön, haben Sie schon mal etwas von den »Langen Messern« gehört?« »Ich nahm mir die Freiheit, bereits in meiner Privatkartei nach zuschlagen«, antwortete Parker. »Eine Gang, die sich >Lange Messer< nennt, ist darin nicht verzeichnet, was nicht unbedingt heißen soll und kann, daß es eine Gang dieses Namens nicht gibt.« Mike Rander, einmal abgelenkt, sortierte die übrige Post. Er hielt ein langes, schmales Couvert hoch, dem ein schwacher Par fümgeruch entströmte. »Rita Malcona…«, las er den Absender halblaut vor. »Auch dieser Name ist in meiner Privatkartei nicht existent«, schaltete Parker sich ein. »Tragen Sie etwa die Namen meiner weiblichen Bekannten in Ihre Kartei ein?« erkundigte Mike Rander sich verblüfft. »Nur aus Gründen der allgemeinen Übersicht«, entschuldigte sich der Butler. »Kennen wir eine Miss Rita Malcona?« Mike Rander öffnete das Couvert und nahm eine Briefkarte heraus. Nachdem er die Zeilen überflogen hatte, reichte er die Karte an Parker weiter. In Parkers Gesicht verzog sich kein Muskel, als er die Zeilen las. Mit einer knappen Verbeugung reichte er dann die Briefkarte an seinen jungen Herrn zurück. »Noch eine Mordandrohung, wenn auch indirekt und nicht ge gen Sie oder meine bescheidene Wenigkeit gerichtet«, sagte er dann. »Nähere Einzelheiten möchte uns Miss Malcona heute a bend im Nachtclub Amazonas mitteilen, Sir. Darf ich an dieser Stelle fragen, ob Sie den Smoking zu tragen wünschen?«
»Wer sagt Ihnen, daß ich Miss Malcona besuchen will, Parker?« Mike Rander lächelte unwillkürlich. »Wie ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß, Sir, daß Sie niemals eine junge Dame hilflos und unbeschützt lassen werden, wenn sie ermordet werden soll.« »Schön, ich nehme den Smoking.« »Und welches Kaliber bevorzugen Sie für die Nacht, Sir?« »Was paßt denn Ihrer Meinung nach zu einem Smoking?« fragte Mike Rander ironisch. »Wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf, Sir, wür de ich zu einem kleinen, handlichen 38er raten«, gab der Butler todernst zurück. »Dieses Kaliber hat den Vorteil, den Stoff nicht zu sehr auszubeulen.« »Also schön, den 38er also«, entschied Mike Rander und unter drückte ein Lächeln. »Dann werde ich mich, wenn Sie erlauben, Sir, zurückziehen und die erforderlichen Vorbereitungen für die Nacht treffen.« * Der Portier des Amazonas-Club war ein mit allen Wassern ge waschener Endfünfziger, dem nichts Menschliches mehr fremd war. Er hatte in seinem Beruf schon die verrücktesten Dinge er lebt und wunderte sich über nichts mehr. In jener Nacht aber staunte er dermaßen, daß sein Unterkiefer fassungslos herunterklappte. Dann rieb der Mann in der gold betreßten Uniform sich wiederholt die Augen und schüttelte ver ständnislos den Kopf. Nachdem er einigermaßen sicher war, daß sein Blick ihn nicht täuschte, räusperte der Portier sich die trockene Befangenheit aus der Kehle und nahm fast schutzsuchend Deckung an der harten Hauswand. Er wollte es einfach nicht glauben, daß dieses vierrädrige Vehi kel auf Rädern tatsächlich fuhr. Er wollte es einfach nicht glau ben, daß dieses komische Fahrzeug direkten Kurs auf den roten, gewölbten Baldachin nahm, der den Eingang zur Bar mit der Fahrbahn verband. Röchelnd, stinkend, eine düstere Wolke hinter sich lassend, wurde dieses seltsame Monstrum auf Rädern vor den Baldachin
gelenkt. Dieses Fahrzeug war nichts anderes als ein Londoner Taxi, das vom Zahn der Zeit bereits ziemlich angenagt worden war. Es war schon fast ein kleines Wunder, daß es überhaupt noch aus eigener Kraft rollte. Am Steuer des hochbeinigen Monstrums saß eine erstaunliche Gestalt. Der Mann, auf dessen Kopf eine Melone thronte, trug einen ungemein korrekten tief schwarzen Anzug, wie ihn hoch herrschaftliche Butler zu tragen pflegen. Als er ausstieg, um sei nem Fahrgast im Fond die hintere Wagentür zu öffnen, lüftete der Fahrer höflich die schwarze Melone und deutete eine knappe, kor rekte Verbeugung an. Ein junger, sportlich aussehender Mann mit angenehmen Ge sichtszügen stieg aus. Er trug einen tadellosen Smoking, dessen Schnitt schon verriet, daß er von einem der teuersten Schneider der Stadt stammen mußte. Der Portier hatte sich von seiner nahenden Ohnmacht erholt. Dennoch waren seine Schritte etwas unsicher, als er dem jun gen Mann entgegenging. Der Portier war sich noch nicht schlüs sig, wie er sich hier und jetzt zu verhalten hatte. »Mr. Rander«, meldete der schwarz gekleidete Butler. »Wenn ich mich recht erinnere, wurde ein Tisch bestellt.« »Sehr wohl, Sir!« Der Portier dienerte und war gleichzeitig wütend über diesen Butler. Schon allein die korrekte, englische Ausdrucksweise be hagte ihm nicht. Und schon gar nicht diese selbstverständliche Sicherheit, vor der man seelisch unwillkürlich in die Knie ging. »Soll ich Ihren… Wagen auf den Parkplatz fahren lassen?« frag te der Portier. Es gelang ihm, einen Unterton von Spott in seine Stimme zu bringen. »Das besorge ich lieber allein, der Wagen könnte sonst Schaden nehmen«, meinte Josuah Parker. »Ich gehe doch richtig in der Annahme, daß in diesem Etablissement die weiße Göttin auftritt, oder?« »Der Star der Show«, erwiderte der Portier. Nur mühsam dämpfte er seine Gereiztheit. Schon allein die Fragestellung die ses Butlers ging ihm auf die Nerven. Deshalb beschloß er, diesem so würdig auftretenden Mann eins auszuwischen. Er fügte hinzu: »Für das Personal haben wir im Hof eine Kantine eingerichtet.« Parker sah den Portier mit höflichem Interesse an.
»Dann wissen Sie ja, junger Mann, wohin Sie sich in Ihrer Frei zeit zu begeben haben«, meinte er dann. Mike Rander hatte schmunzelnd zugesehen und zugehört. Nun hielt er es für an der Zeit, sich einzuschalten. »Ich erwarte Sie in der Bar, Parker«, sagte er zu seinem Butler. »Beeilen Sie sich…!« »Selbstverständlich, Sir, Schnelligkeit gehört zu den wenigen Tugenden, die ich besitze.« »Sind Sie sicher?« frotzelte Mike Rander. Und bevor Parker antworten konnte, verschwand Mike Rander hinter der Glastür, die der Portier nervös aufgestoßen hatte. Mike Rander wollte sich auf keinen Fall auf eine Diskussion mit seinem Butler einlassen, die Zeitverschwendung wäre nämlich zu groß gewesen. Interessiert sah er sich in dem Club um. Es herrschte nur Halblicht. Es reichte gerade aus, die Menschen an den Nebentischen zu erkennen. Junge Damen in mehr als knapp sitzenden Badeanzügen servierten die diversen Getränke. Die einteiligen Badeanzüge waren aus Gründen der allgemeinen Schicklichkeit mit einigen zusätzlichen Stoffetzchen drapiert wor den. Dennoch blieb der Eindruck einer gewissen Peinlichkeit. Die spärliche, auf die Kurven der Damen hinweisende Kleidung wirkte unnötig provozierend. Vom Erdgeschoß des Clubs aus führten zwei weit ausladende Freitreppen hinauf zu einer Galerie, auf der ebenfalls Tische stan den. Eingerahmt von den beiden Freitreppen befand sich eine kleine Bühne, auf deren Hintergrund sehr naturalistisch die Ein zelheiten eines üppigen, tropischen Dschungels zu sehen waren. Dichtes, saftstrotzendes Buschwerk rankte sich hoch bis zur Gale rie. Es gab echte Baumstämme, Lianen, die wie dicke Stricke he runterhingen und dazu noch kreischende Papageien, die den Lärm der kleinen, aber gut spielenden Band übertönten. Diese Band saß in einer Grotte unter der rechten Freitreppe. Ihr genau gegenüber befand sich in einer anderen Grotte ein Minia tursee, der von einem Quell plätschernd gespeist wurde. Dieser Quell, von buntem Licht magisch angestrahlt, entsprang der Wand. Im Club herrschte eine im wahrsten Sinne des Wortes schwüle, tropische Atmosphäre. Das hing wahrscheinlich damit zusammen, daß der Manager des Clubs die Klimaanlage auf plus fünfund
zwanzig Grad aufgedreht hatte. Einmal zur Förderung der tropi schen Atmosphäre, dann, damit seine weiblichen Angestellten sich auf keinen Fall erkälteten und schließlich, um den Umsatz an eisgekühlten Getränken zu heben. Mike Rander ließ sich von einer der jungen Damen an seinen Tisch führen. Er stand in der Nähe der kleinen Bühne, auf der sich vorerst noch nichts tat. Rander bestellte für sich und Parker schottischen Whisky, zündete sich eine Zigarette an und war dar auf gespannt, wie Parker diese Umgebung kommentieren würde. »Sonst noch Wünsche?« erkundigte sich die junge Dame bei ihm, nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte. »Sagen Sie, wann tritt die >Weiße Göttin< auf?« fragte Rander. »In einer guten Viertelstunde, Sir.« Die junge Dame im Badean zug gab sich freundlich, aber betont reserviert. »Eine Frage am Rande, wissen Sie, wie sie außerdem noch heißt?« »Wenden Sie sich bitte an den Manager, Sir«, lautete die Aus kunft. »Sie nennt sich Rita Malcona, ja?« »Warum fragen Sie, wenn Sie es ohnehin schon wissen.« Die junge Dame lächelte etwas mokant. »Wer weiß das nicht. Sie ist doch bekannt wie eine bunte Kuh… oh, ich meine, wie ein bunter Hund…!« »Sie mögen Sie nicht, wie?« Rander lächelte. »Die Getränke werden sofort serviert«, antwortete die junge Dame ausweichend. Und bevor Mike Rander weitere Fragen stel len konnte, hatte sie bereits den Tisch verlassen, und war im Halbdunkel des Clubs verschwunden. Mike Rander sah sich nach seinem Butler um. Josuah Parker aber ließ sich nicht blicken. Für einen ganz kur zen Moment dachte Rander an die Möglichkeit, daß Parker sich schon wieder einmal auf ein Abenteuer eingelassen haben könnte. Doch wie gesagt, daran dachte er nur einen kurzen Augenblick. Er hatte keine Ahnung, wie richtig und zutreffend seine Vermu tungen waren… *
Nachdem Parker sein hochbeiniges Monstrum auf dem Parkplatz untergebracht hatte, schickte er sich an, zurück zum Eingang der Bar zu gehen. Er kam dabei an einigen dürftigen Bäumen vorbei, die hier inmitten des Häusermeers ihr Leben fristeten. Plötzlich wurde Parker alarmiert. Nicht etwa durch ein lautes Geräusch, durch ein Scharren oder durch irgendeine verdächtige Bewegung, Nein, in seinem Innern schrillte irgendwo eine laute, nicht zu überhörende Alarmklingel, die ihn förmlich elektrisierte. Schließlich hatte Parker so etwas wie einen geheimen Sinn für drohende Gefahr entwickelt. Nicht umsonst schlug er sich schon seit Jahren mit tückischen und raf finierten Gangstern herum. Parker blieb also nicht nur stehen, sondern ging zusätzlich noch hinter einem der Baumstämme in Deckung. Was sein Glück war, wie sich Sekunden später zeigte! Irgend etwas klirrte scheppernd gegen den Baumstamm. Dann waren schnelle, hastige Schritte zu hören, die sich irgendwo in der Dunkelheit verliefen. Parker wartete sicherheitshalber noch einige Zeit ab, bis er sei ne Deckung hinter dem Baumstamm verließ. Dann bückte er sich nach dem Gegenstand, der vom Stamm abgeprallt und zu Boden gefallen war. Seine tastenden, suchenden Finger kamen mit einer Messerklinge in Berührung. Der Butler hob das Messer auf und sah es sich sehr interessiert an. Trotz des mangelnden Lichts auf dem Parkplatz stellte er fest, daß es ein Wurfmesser war, wie es von Artisten im Variete benutzt wurde. Dieses Messer hier war besonders scharf. Es war ein perfektes Mordwerkzeug! Leicht beeindruckt ließ Parker dieses Wurfmesser in die Innen tasche seines schwarzen Jacketts gleiten. Dann legte er sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt zur Straße hinüber. Er war si cher, nun nicht mehr beobachtet zu werden. Der Inhaber und Werfer des Messers hatte sich gewiß längst abgesetzt und in Si cherheit gebracht. Natürlich dachte Parker an die beiden Drohbriefe, die seinem jungen Herrn und ihm zugeschickt waren. In beiden Fällen hatte die Unterschrift »Die langen Messer« geheißen. War dieses Wurfmesser hier eine erste deutliche Erinnerung des Briefschrei bers?
Dieser Verdacht lag selbstverständlich nahe. Demnach handelte es sich wahrscheinlich doch um eine ernstzunehmende Drohung, eine Tatsache, die sein junger Herr unbedingt und schleunigst erfahren mußte. Parker hatte die Straße erreicht und hielt bereits auf den bewußten Baldachin zu, als seine Blicke magisch angezo gen wurden. In einer schmalen Gasse zwischen dem Nachtclub und einem benachbarten“ Bürohaus stand eine junge Frau, die recht unge wöhnlich gekleidet war und auf keinen Fall in diese Umgebung paßte. Sie wurde vom Licht der gleißenden Neonreklamen im merhin so gut angeleuchtet, daß Parker einige Einzelheiten zu unterscheiden vermochte. Diese junge Frau hatte erst einmal nackte Füße. In einer Groß stadt und um diese Zeit schon ungewöhnlich genug. Sie trug ei nen tief auf den Hüften sitzenden Sarong nach Art der SüdseeEingeborenen und auf dem schmalen Oberkörper eine Art Blu mengirlande. Im langen, glatten Haar, das bis auf die Schultern herabfiel, stak eine leuchtend bunte Orchidee, die dem schmalen Gesicht mit den hervortretenden Backenknochen einen exotisch aparten Reiz verlieh. Parker war sehr beeindruckt, zumal diese Frau von einem nor mal gekleideten Mann geohrfeigt wurde. Parker konnte es grundsätzlich nicht ausstehen, wenn Frauen auf diese Art und Weise behandelt wurden. Er sah sich also ge zwungen, in die Privatunterhaltung der beiden einzugreifen. Laut los und geschmeidig wie eine Katze stand er nach wenigen Schrit ten seitlich hinter dem Mann. »Mach’ das nicht noch einmal, sonst bring’ ich dich um«, fauch te die knapp bekleidete Frau wütend. »Ich werde schneller sein als du«, gab der Mann zurück. Seine Stimme klang böse und drohend. »Überleg dir genau, was du tust, Rita! Ich lass’ mich nicht gern an der Nase ‘rumführen.« »Geh’ zum Teufel«, sagte die ungewöhnlich gekleidete Frau. – Sodann wandte sie sich ab und wollte gehen. Der Mann, der einen normalen Straßenanzug trug, schien ihr im ersten Augenblick nachlaufen zu wollen. Dann aber blieb er ste hen und beschränkte sich darauf, ihr nur nachzuschauen. Die auf reizende Lässigkeit, mit der die junge Frau in der Dunkelheit der schmalen Gasse verschwand, mußte ihn ungewöhnlich reizen.
Plötzlich griff der junge Mann in seine Rocktasche und zerrte wütend ungeschickt eine Schußwaffe hervor. Er schien fest ent schlossen zu sein, einen Schuß auf die Frau abzufeuern. »Wie leicht kann man mit Handfeuerwaffen dieser Art Unheil an richten«, sagte Parker, sich vorwurfsvoll einschaltend. »Ich würde doch sehr empfehlen, die Waffe wieder einzustecken und sie dann bei Gelegenheit zu veräußern.« Der junge Mann, der so plötzlich angesprochen wurde, wirbelte blitzschnell herum. Sein Reaktionsvermögen war erstaunlich. Doch nicht schnell genug. Wenigstens nicht für einen Josuah Par ker. Der Butler klopfte mit dem bleigefütterten Griff seines Univer sal-Regenschirms leicht auf die Waffe, die daraufhin prompt zu Boden fiel. Als der junge Mann sich schnell nach ihr bücken woll te, kickte Parker das Schießeisen wie ein gelernter Fußballspieler unter einen an dem Straßenrand parkenden Wagen. »Warum, so frage ich mich, wollen Sie sich unglücklich ma chen?« »Hauen Sie ab, Mann…!« Der junge Mann erwachte wie aus ei nem tiefen Traum. Er fuhr sich fahrig über die Stirn und wandte sich ab. Ohne sich weiter um den Butler zu kümmern, schritt er die Straße hinunter. Selbst die entfallene Waffe schien er bereits vergessen zu haben. Parker angelte sie mit der Spitze seines Regenschirms unter dem Wagen hervor und steckte sie ein. Dann folgte er dem jun gen Mann, der bereits die nächste Straßenecke erreicht hatte und in ein wartendes Taxi einstieg. Parker beschränkte sich darauf, sich das Kennzeichen des Taxis zu merken. Dann ging er würdevoll und gemessen zurück zum Nachtclub, während das Taxi davonfuhr. Parker verzichtete darauf, den Nachtclub durch den Hauptein gang zu betreten. Er bog in die schmale, dunkle Gasse ein und suchte den Weg, den die junge Frau aus der Südsee genommen hatte. Er folgte diesen Spuren nicht gerade errötend, aber im merhin doch sehr interessiert. Parker war eben von Natur aus neugierig, wenn es darum ging, geheime Zusammenhänge aufzu decken. »Nee, hier dürfen S’ nich’ durch«, sagte ein kleines, energisch aussehendes Mädchen, das den Bühneneingang bewachte. Um
seinen Worten Nachdruck zu verleihen, breitete es beide Arme wie eine Schranke aus. »Sie kennen mich nicht?« erkundigte sich Josuah Parker. »Nee, tu’ ich nich’«, antwortete das Mädchen respektlos. »Daran würde ich an Ihrer Stelle aber einiges tun«, meinte Par ker, höflich seine schwarze Melone lüftend. »Sie könnten sonst in die peinliche Lage versetzt werden, Nachhilfestunden nehmen zu müssen.« »Wie war das…?« Das Mädchen ließ beeindruckt die Arme sin ken. »Ich rate Ihnen ebenso herzlich wie dringend, über meine Wor te einmal gründlich nachzudenken«, erklärte Parker, setzte die Melone wieder auf und schritt würdevoll wie ein Aristokrat an dem verblüfften Mädchen vorbei. Zielsicher fand Parker die Garderoben der Künstler. Sie waren in einem niedrigen Seitenbau untergebracht und sahen nicht beson ders einladend aus. Zwei der vier Türen waren weit geöffnet. Sie gaben den Blick frei auf nackte Ziegelwände, einfache Schminkti sche und billiges, abgewetztes Mobiliar. Parker öffnete nach sehr leisem Anklopfen die dritte Tür und sah sich zu seiner Freude der jungen Südseeschönheit gegenüber, die sich gerade die Nase pu derte. »Ich wünsche einen erfreulichen und ruhigen Abend«, grüßte Parker, als sich die junge Frau erstaunt zu ihm umwendete. »Ich freue mich, Sie nach so kurzer Zeit wiedersehen zu können.« »Sie haben mich in der vorherigen Vorstellung gesehen?« fragte die junge Dame, deren Vorname Rita lautete, wie Parker inzwi schen wußte. »Die Vorstellung, der beizuwohnen ich das Glück hatte, fand erst vor wenigen Minuten statt«, sagte Parker milde lächelnd. »Spuren dieser Vorstellung dürften sich noch auf Ihrer linken Wange befinden. Ich empfehle übrigens, die deutlich abgezeich neten Finger ebenfalls etwas zu überpudern…!« Das höfliche Lächeln Ritas erstarb jäh. Sie kniff die Augen zu sammen und ließ die Puderquaste auf den Schminktisch fallen. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie dann! »Der junge Mann, mit dem Sie sich lautstark unterhielten, schien mir nicht besonders gut erzogen gewesen zu sein«, erklär te Parker.
»Schnüffeln Sie mir etwa nach?« Scharf und wenig freundlich klang die Frage der jungen Dame. »Ich verhütete den Gebrauch einer Handfeuerwaffe, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf«, setzte Parker ihr auseinander. »Mit anderen Worten, jener junge Mann schien darauf erpicht gewesen zu sein, Sie zu erschießen.« »Unsinn…! Wovon reden Sie eigentlich? Wer sind Sie denn? Was haben Sie überhaupt hier in der Garderobe zu suchen. Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen, he?« »Welche der vier Fragen möchten Sie zuerst beantwortet ha ben?« »Wer sind Sie?« präzisierte Rita ihre Fragen und Wünsche. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Ich habe die Ehre und die Freude, der Butler Mr. Mike Randers zu sein.« »Mike Rander? Meinen Sie den Anwalt?« »Genau ihn, Miß Malcona…! Das dürfte doch wohl Ihr Name sein, nicht wahr?« »Ach so… Ja, das bin ich… Hat Ihr Chef Sie geschickt?« »Nicht direkt, Miß Malcona. Mr. Rander wartet in der Bar auf Sie und möchte sich Ihren Auftritt auf keinen Fall entgehen lassen.« »Wollen Sie nicht auch zusehen?« fragte Rita Malcona und lä chelte Parker etwas zu schelmisch an. »Darf ich mit einer bescheidenen Gegenfrage antworten?« »Na? Was haben Sie denn auf dem Herzen, Mr. Parker?« Sie lä chelte noch schelmischer. »Wollen Sie mir nicht sagen, wer der junge Mann ist, der so un höflich zu Ihnen war?« »Sagen Sie mal, wovon reden Sie eigentlich?« fragte sie ge spielt erstaunt. Sie wollte absichtlich nicht verstehen. »Ich werde nicht weiter in Sie eindringen«, meinte Parker. »Frauen müssen wohl ihre kleinen Geheimnisse haben. Ich darf aber wohl annehmen, daß dieser junge Mann nicht mit dem iden tisch ist, von dem Sie fürchten ermordet zu werden, ja?« »Aber nein«, erklärte sie, womit sie natürlich insgeheim zugab, den jungen Mann gut zu kennen. »Ermorden wollen mich ganz andere…! Und die haben es in sich… Warten Sie, bis mein Auftritt vorüber ist, dann erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte. Viel leicht haben Sie dann plötzlich keine Lust mehr, irgend etwas für mich zu tun…!«
»Wenn Sie gestatten, warte ich hier in Ihrer Garderobe auf Sie«, bat Josuah Parker, »ein Mensch wie ich braucht seine klei nen Ruhepausen. Sie werden gewiß Verständnis dafür haben, nicht wahr?« »Schlafen Sie aber bloß nicht ein«, sagte sie auflachend. Dann wirbelte sie auch schon zur Tür hinaus und ließ den Butler allein in der Garderobe zurück. Josuah Parker wartete, bis ihre schnellen Schritte auf dem Kor ridor verhallt waren. Dann machte er sich daran, etwas Ordnung zu schaffen. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus, dazu war er schließlich der geborene hochherrschaftliche Butler… * Mike Rander langweilte sich sichtlich. Und das hing mit der »Weißen Göttin« zusammen, die sich auf der kleinen Bühne zwi schen den beiden Freitreppen zu den Klängen der Band abmühte, das Barpublikum zu unterhalten. Dieses Abmühen bestand darin, die an sich schon reichlich spärliche Kleidung noch weiter zu de zimieren. Rita Malcona gab sich redliche Mühe, das alles recht spannend zu machen, aber Vorführungen dieser Art waren eben doch auf der ganzen Welt genormt. Neue Reize ließen sich dem wahrlich nicht abgewinnen… Mike Rander, der gerade einen Schluck aus dem Drinkglas nahm, sah zur Bühne hinüber. Rita Malcona turnte im Miniatur dschungel herum und bekam plötzlich Schwierigkeiten, da zwei Kopfjäger aus dem dichten Unterholz hervorpreschten und die »Weiße Göttin« einzufangen versuchten, was auf der kleinen Bühne an sich bestimmt nicht sonderlich schwerfallen konnte, wenn die Lichtverhältnisse wegen der abgeblendeten Scheinwer fer auch deutlich nachließen. Rita Malcona entzog sich immer wieder geschickt diesen bösen Nachstellungen. Ihr kam zugute, daß die beiden federgeschmück ten, schwarzen Kopfjäger sich außergewöhnlich ungeschickt und dumm anstellten. Kurz, auf der kleinen Schaubühne wickelte sich ein mehr oder weniger neckisches Spiel ab, das die Zuschauer nun doch in ihren Bann zog. Der Kontrast zwischen der schlanken
weißen Göttin und den beiden bösen schwarzen Verfolgern erreg te zumindest Interesse. Die beiden schwarzen Verfolger waren endlich übereingekom men, die »Weiße Göttin« in eine Ecke der Bühne zu treiben, als Rita Malcona plötzlich erschreckt aufschrie und sich an den Ober arm faßte. Die Verfolger blieben wie angewurzelt stehen und starrten auf einen der Baumstämme, in den sich ein noch wippendes Wurf messer hineingebohrt hatte. Mike Rander, der ziemlich nah an der Bühne saß, sprang sofort auf. Dieser Zwischenfall war offensichtlich nicht gestellt. Auf dem Oberarm der »Weißen Göttin« war jetzt ein blutender roter Strich zu sehen. Rita Malcona war verletzt worden. Unter den Zuschauern entstand Verwirrung. Die ersten Rufe nach der Polizei wurden laut. Einige Frauen kreischten leise bis laut auf und verlangten, sofort nach Hause gebracht zu werden. Stühle und Tische kippten um. Und dann war schlagartig das gesamte Licht weg. Mike Rander ließ sich nicht beirren. Er flankte zur Bühne hoch und drang in den Dschungel ein. Dabei rammte er einen schweiß nassen Körper, dessen Besitzer bei dieser Berührung entsetzt aufbrüllte, wegrannte und dann irgendwo im Unterholz stolperte. Dann war das Licht wieder da. Randers erster Blick galt der »Weißen Göttin«. Rita Malcona stand ängstlich neben dem Kunstteich und sah sich wie ein gehetztes Wild um. Im Unterholz des Miniatur dschungels war einer der schwarzen Verfolger zu sehen, der die Orientierung verloren hatte und sich mit einer abgerissenen Liane abmühte. Der zweite Schwarze lief mit schnellen Schritten zu Rita hinüber und baute sich breitbeinig vor ihr auf. Als Rander sich, ihm näher te, ging der Mann in Boxauslage. Rander lief an ihm vorbei und barg erst einmal das Messer, das nach wie vor im Baumstamm saß und immer noch vibrierte. Es mußte mit sehr viel Kraft und Schwung auf die Reise geschickt worden sein. Es handelte sich um ein Wurfmesser, wie es in der Regel von Varieteartisten verwendet wird. Die breite Klinge und Feder und besonders der schwere, ausbalancierte Griff, ließen keine andere Deutung zu.
*
Parker hatte in der Garderobe von Rita Malcona Ordnung ge schafft und wartete nun geduldig auf die Rückkehr der Tänzerin, die sich hier im Klub blumenreich »Weiße Göttin« nannte. Er sah noch einmal hinüber zu der großen Handtasche der »Weißen Göttin«, die jetzt geschlossen und ordentlich auf dem Schminktisch stand. Parker hatte nicht nur den nachlässig her vorquellenden Inhalt zurück in die Tasche geschoben, sondern sie auch wieder richtig hingestellt. Parker hatte zudem etwas Ord nung in den Seitenfächern des Schminktisches geschaffen. So etwas lag in seiner Natur, und es war reiner Zufall, daß er bei seinen Aufräumungsarbeiten fast ungewollt auch die einzelnen Dinge in die Hand genommen hatte. Mit einem ordinären Nach schnüffeln hatte das auf keinen Fall etwas zu tun. Solche Hand lungsweise hätte der Butler mit Nachdruck und Entrüstung ent schieden von sich gewiesen. Parker hörte plötzlich laute, schnelle Schritte auf dem Korridor. Dann erregte Stimmen. Dieser Lärm näherte sich der Gardero bentür, eine Tatsache, die ihn veranlaßte, schnell seinen Standort zu wechseln und hinter einem Vorhang zu verschwinden, der eine schmale Ecke vom übrigen Raum abtrennte. Kaum in Deckung, wurde auch schon die Tür der Garderobe aufgestoßen. Die jetzt etwas schrille Stimme der Malcona war zu hören. »…natürlich war das Messer für mich bestimmt«, sagte sie auf gebracht und nach Luft schnappend. »Ich weiß das genau…! Und ich sage Ihnen noch mal, daß die Polizei her muß…!« »Wer sollte denn das Messer auf Sie geworfen haben, Rita?« antwortete eine Stimme, die sich irgendwie talgig anhörte. »Wer sollte schon eine Rita Malcona umbringen wollen…?« »Mann, haben Sie eine Ahnung…!« Rita Malcona ließ sich auf ei nen Stuhl fallen und zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an. Parker sah sich diese Szene durch einen Spalt im Vorhang an. Vor Rita Malcona stand ein kleiner, dicker, schwitzender Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen etwas zu knapp sitzenden Smoking trug. Dieser Mann – offensichtlich der Manager des
Klubs – stand breitbeinig vor der Nachtclubtänzerin und fuchtelte aufgeregt mit seinen Händen in der Luft herum. »Wenn Sie den Messerwerfer kennen, lasse ich ihn festneh men«, sagte der schwitzende Mann. »Wer sagt Ihnen, daß ich ihn kenne?« Rita Malcona schien sich die Sache wieder anders überlegt zu haben. Sie stand mit einer ruckartigen Bewegung auf und drückte die gerade angerauchte Zigarette mit einer energischen Bewegung im bereits überquel lenden Aschenbecher aus. »Ist schon gut, Grandel… zerbrechen Sie sich nicht meinetwegen den Kopf. Lassen Sie auch von mir aus die Polizei aus dem Spiel!« »Sie treten also wieder auf?« »„Welleicht, das muß ich erst noch gründlich überlegen… Lassen Sie mich jetzt allein! Bis zum nächsten Auftritt habe ich ja noch fast eine Stunde Zeit.« »Rita, lassen Sie mich nicht in Stich«, schnaufte der Dicke. »Sie wissen doch, wie teuer die Bühnendekorationen gewesen sind…« »Ja, doch…! Hauen Sie jetzt endlich ab…!« Rita Malcona schob den schwitzenden Mr. Grandel zur Tür, ver setzte ihm fast einen Stoß in den Rücken und schloß dann hart und laut die Tür hinter sich. Parker wollte gerade den Vorhang zur Seite schieben, als Rita Malcona mit schnellen, zielbewußten Schritten zum Wandtelefon ging und den Hörer aus der Gabel nahm. Sie wählte eine Nummer lehnte sich mit dem nackten Rücken gegen die Ziegelwand und schloß für einen Moment die Augen. Dann, als sich auf der Gegenseite eine Stimme meldete, drückte sie sich mit den Schulterblättern abrupt von der Wand ab und senkte den Kopf wie zu einem Angriff. »Lee, bist du es…? Donnerwetter, das hätte ich nicht gedacht! Warum ich erstaunt bin…? Ist jetzt egal. Hör’ mir genau zu, mein Junge…! Nein, unterbrich mich nicht, du sollst mir jetzt zuhören! Ich habe deinen Drohbrief bekommen… Jawohl, Drohbrief… Ver stelle dich doch nicht. Jawohl, ich spreche von einem Drohbrief. Und ich spreche jetzt von einem Messer, das eben auf mich ge worfen wurde, als ich auf der Bühne war. Ich mache dir einen Vorschlag, Lee, vergessen wir, was gewesen ist. Aber höre sofort damit auf, weiter hinter mir her zu sein. Mo ment, ich rede immer noch! Und ich meine es verdammt ernst! Glaube nur ja nicht, daß ich ohne Freunde bin. Ich weiß mich
schon zu schützen. Und du und deine Freunde können sich auf was gefaßt machen, wenn ihr mich nicht in Ruhe laßt. So, das habe ich sagen wollen! Ende!« Rita Malcona knallte den Hörer zurück auf die Gabel, ging mit schnellen Schritten zurück zum Schminktisch und zündete sich eine weitere Zigarette an. Tief sog sie den Rauch ein. Parker, irgendwie peinlich berührt, Zeuge dieses Gesprächs ge worden zu sein, hatte gerade den festen Entschluß gefaßt, sich bemerkbar zu machen, als sich schon wieder die Garderobentür öffnete. Verständlicherweise blieb Parker daraufhin in seinem Versteck und wartete weiter ab. Er war nicht sonderlich verwundert, als sein junger Herr eintrat. Mike Rander starrte aus großen, weit aufgerissenen Augen auf Rita Malcona, gab einen dumpfen, stöhnenden Laut von sich und brach dann wie vom Blitz getroffen in sich zusammen… * »Sie sehen mich bestürzt und betroffen, Sir«, sagte Josuah Par ker, nachdem er aus seinem Versteck hervorgestürzt war und sich um Mike Rander gekümmert hatte. Parker war die Schwellung im Nacken seines jungen Herrn nicht entgangen. Er hatte den jungen Anwalt zusammen mit Rita Mal conas Hilfe auf eine schmale Liege gehoben und beträufelte das Gesicht des wieder zu sich kommenden Anwalts mit Wassertrop fen. »Verflixt…!« sagte Mike Rander stöhnend. Er faßte sich in den Nacken und versuchte, sich aufzurichten. »Bleiben Sie ruhig liegen«, entgegnete Rita Malcona, die sich erstaunlich ruhig und gefaßt zeigte. »Soll ich einen Arzt holen?« »Ich glaube mit Sicherheit annehmen zu können, daß wir des sen nicht bedürfen«, stellte Parker nach einer weiteren Untersu chung fest. »Dann besorge ich Ihnen einen Drink«, meinte die Tänzerin. Und bevor Parker erneut Einwände ins Treffen führen konnte, hatte sie bereits die Garderobe verlassen. »Ich möchte auf keinen Fall aufdringlich sein, Sir«, schickte Parker voraus, »aber es würde mich doch brennend interessieren,
woher diese Schwellung rührt, die ich in Ihrem Nacken gefunden habe.« »Woher wohl? Ich bin niedergeschlagen worden.« Rander fühlte sich schon wieder besser und richtete sich auf. »Als ich hierher zur Garderobe wollte, bekam ich den Schlag ab!« »Ich darf nicht hoffen, Sir, daß Sie den Täter gesehen haben?« »Leider nicht, Parker. Ich ging sofort zu Boden, kam dann wie der hoch und flüchtete hierher…!« »Ein abscheuliches Attentat«, erklärte Parker nachdrücklich. »Ob es mit dem Mordbrief ein Zusammenhang besteht, den Sie und meine Wenigkeit heute morgen erhalten haben?« »Dann hätte man wohl auf mich geschossen, Parker, oder?« »Allerdings, Sir!« »Zerbrechen wir uns nicht unnötig den Kopf, Parker. Früher o der später bekommen wir heraus, wer mich zu Boden geschickt hat. Was haben Sie inzwischen gemacht, als die Malcona draußen auf der Bühne mit einem Wurfmesser beworfen wurde?« »Darf ich dieses Messer einmal sehen, Sir?« »Hier ist es…! Moment mal, jetzt sind es ja zwei…!« »Eben, Sir. Dieses handliche Wurfmesser, dies hier in meiner linken Hand, wurde auf dem Parkplatz unfreundlicherweise auf mich geschleudert. Und dieses Messer hier dürfte von der Bühne stammen. Beide müssen aus der gleichen Kollektion stammen, wenn ich nicht sehr irre…!« »Denken Sie mal an die Unterschrift unter unserem Drohbrief.« »Sie spielen damit auf die Langen Messen an, nicht wahr?« »Natürlich. Worauf sonst, Parker Merken Sie was! Ob das zweite Messer gar nicht der Malcona galt?« »Sie glauben, es sei auf Sie geschleudert worden, Sir?« »Immerhin saß ich sehr nahe an der Bühne…!« »In beiden Fällen ein mehr als miserabler Messerwerfer«, stellte Parker kopfschüttelnd fest. »Hoffentlich bedauern Sie das nicht zu sehr«, spottete Mike Rander. »Was mich anbetrifft, so bin ich verdammt froh darüber. Die Dinger sind nämlich rasiermesserscharf.« »Ich erlaube mir, mir einige Gedanken zu machen, Sir.« »Nichts dagegen einzuwenden. Was brüten Sie denn aus?« »Ich denke an einen Drohbrief, der nichts anderes enthält als eine lupenreine Mordandrohung, Sir, die sich auf Sie und meine bescheidene Wenigkeit bezieht.«
»Schön, aber das sind inzwischen alte Hüte, Parker.« »Ich denke ferner an die Unterschrift Sir, die eindeutig drauf hinweist, daß Messerhelden in des Wortes wahrster Bedeutung tätig werden wollen.« »Na und?« »Nun, Sir, in zwei Fällen sind diese Messerhelden bereits aktiv geworden was Sie nicht abstreiten können. Und in beiden Fällen erweisen sich die Messerhelden als das, was man im Volksmund so treffend Nieten nennt.« »Und die Schlußfolgerung? Auf so etwas wollen Sie doch hin aus?« »Vielleicht, Sir, haben wir es gar nicht mit Messerhelden zu tun.« »Ich verstehe kein Wort, Parker.« Mike Rander sah seinen But ler mit verständnislosem Kopfschütteln an. »Ich leider auch nicht, Sir«, gestand Josuah Parker. »Meine Ge danken bedürfen erst noch einer gründlichen Klärung, ein Vor gang, den Sie mir bitte erlauben wollen.« »Melden Sie sich, wenn es soweit ist«, gab Mike Rander ironisch zurück. »Kümmern wir uns inzwischen aber um Rita Malcona. Sie braucht sehr viel Zeit, um den Drink zu besorgen…!« * Parker sorgte sich um die »Weiße Göttin«. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, daß er seinen jungen Herrn allein zurücklassen konnte, verließ er die Garderobe und suchte nach Rita Malcona. Wie gesagt, seiner bescheidenen Ansicht nach, hätte sie längst mit dem Drink zurück sein müssen. Wo war sie geblieben? Was war passiert? Nun, der Butler wurde seiner Sorgen enthoben, als er sie plötz lich aus einem Zimmer kommen sah. Er merkte sofort, daß sie zumindest leicht beschwipst war. Sie taumelte leicht und hielt eine Flasche Whisky in der Hand. Als sie den Butler erkannte, winkte sie ihm mit einer unsicheren Handbewegung zu. »Na, Alterchen«, meinte sie dann sehr aufgeräumt, »Sehnsucht nach mir gehabt? Nur nicht ungeduldig werden, Rita kommt im mer wieder zurück. Sie hat nur einen kleinen Schluck getrunken. Bin jetzt wieder vollkommen in Ordnung…!«
»Ihre Angst muß ungewöhnlich groß sein«, gab Parker gemes sen zur Antwort. »Wieso Angst? Wieso soll ich Angst haben?« erwiderte sie mit schriller Stimme. Sie lachte plötzlich nicht mehr und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Korridors. »Los, sagen Sie schon, weshalb ich Angst haben sollte?« »Mr. Rander wartet auf den Drink«, erwiderte Parker, schnell das Thema wechselnd. »Darf ich Sie zur Garderobe begleiten?« »Ich will hier weg«, gab sie zur Antwort und tat nichts mehr, ih re Angst zu verbergen. »Los, alter Knabe, bringen Sie mich weg…! Ich weiß, daß ich umgebracht werden soll.« »Und von wem, wenn mir diese höfliche Frage gestattet ist?« »Von Harris…!« sagte sie leise. So leise, daß Parker diesen Na men gerade noch verstehen konnte. »Meinen Sie etwa Lee Harris?« fragte Parker erstaunt zurück. »Wen denn sonst…! Wenn Lee sich was in den Kopf gesetzt hat, dann tut er es auch. Los, bringen Sie mich weg! Ich trete nicht mehr auf!« »Sie stehen unter Mr. Randers Schutz«, erklärte Parker nach drücklich. »Von meinem bescheidenen Schutz erst gar nicht zu sprechen, Miß Malcona. Kommen Sie!« Sie ließ sich willig zur Garderobe geleiten und nickte Rander nur flüchtig zu, der sie erstaunt ansah. Rita Malcona raffte einige Kleidungsstücke an sich und verschwand hinter dem Vorhang, hinter dem Parker sich erst vor wenigen Minuten verborgen hatte. Rander sah seinen Butler fragend an, doch Josuah Parker schüt telte nur betont den Kopf. In Anwesenheit von Rita Malcona woll te er nichts sagen. Die »Weiße Göttin« zog sich sehr schnell um und an. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie wieder hinter dem Vorhang hervor trat. Sie trug jetzt ein einfach geschnittenes, fast unauffälliges Kostüm. Ihr Gesicht war nur noch eine Maske. In ihren Augen aber stand die nackte Angst. »Worauf warten wir noch?« fragte sie Rander. »Bringen Sie mich weg! Sie wollen mir doch helfen, oder?« »Und wohin dürfen wir Sie bringen, Miß Malcona?« erkundigte sich Josuah Parker. »Dürfte es Ihre Wohnung sein, Madam?« »Sind Sie wahnsinnig?« fragte Rita Malcona nervös. »Wie ich Lee kenne, wird er gerade dort auf mich warten.«
»Sie sprechen erneut von jenem Mr. Lee Harris, mit dem Sie eben per Telefon gesprochen haben, ja?« Parker sah die junge Frau interessiert an. »Woher kennen Sie Lee?« wollte Rita Malcona wissen. Sie beug te sich vor den Spiegel und zog ihre Lippen nach. Sie schien ver gessen zu haben, daß Parker sich während ihres Gespräches in der Garderobe befunden hatte. »Warum will Harris Sie umbringen?« mischte Mike Rander sich schnell in die Unterhaltung ein. Damit enthob er Parker der Not wendigkeit, auf Ritas Frage zu antworten. »Das ist eine lange Geschichte«, meinte die Tänzerin auswei chend. »Auch lange Geschichten können recht anregend und interes sant sein«, stellte der Butler würdevoll fest. »Bringen Sie mich erst weg«, wiederholte Rita Malcona. »Ihr Wunsch soll uns Befehl sein«, meinte der Butler und deute te eine leichte Verbeugung an. Er ging zur Tür, öffnete sie und ließ Rita Malcona hinausgehen. Mike Rander folgte der jungen Frau auf dem Fuß. Dann schloß sich der Butler an. Ritas Schwips schien sich inzwischen verstärkt zu haben. Sie kam einige Male gefährlich nahe an die Korridorwand heran, drückte sich dann geschickt ab und ging steifbeinig auf den Büh nenausgang zu. Sie schien ihre doppelte Begleitung vergessen zu haben. Sie drehte sich nicht mehr nach Rander oder Parker um. Der Butler schob sich vor und ging als erster hinaus in die Dun kelheit der schmalen Gasse. Dann folgten Rita Malcona und Mike Rander. Sicher war sicher! Die junge Tänzerin sollte damit gegen jede unangenehme Überraschung abgesichert werden. Parker, bereits in der Gasse, blieb stehen. Laut und deutlich hörte er das Schrillen seiner inneren Alarm klingel. Er sah zwar nichts. Er hörte auch nichts. Doch er wußte mit letzter Sicherheit, daß Gefahr in der Luft lag. Irgend etwas stimmte nicht hier in dieser dunklen Gasse. Dann, vollkommen automatisch und nur aus dem Instinkt her aus handelnd, hakte er mit dem Bambusgriff seines UniversalRegenschirms nach der noch geöffneten Tür, hinter der das schwache Licht des Eingangs brannte. Ruckartig zog er die Tür zu und stieß dann Rander und Rita Mal cona jäh und auch ein wenig unliebenswürdig zur Seite. Mike Rander und Rita Malcona taumelten gegen die Hauswand.
Bruchteile von Sekunden später bellten die ersten Schüsse auf. Eine Serie von Bleigeschossen ratterte bösartig aus einer Ma schinenpistole und klopfte den Putz von der Hauswand. Die nächtliche Stille zerriß. Blaurote Flammenzungen eines Mün dungsfeuers leckten in die Dunkelheit hinein Parker, ansonsten ein durchaus friedlicher Mensch und Mitbürger, sah sich zu sei nem Leidwesen gezwungen, dieses Feuer aus der Maschinenpisto le zu beantworten. Er besorgte das sehr nachdrücklich, denn das, was er tat, erle digte er meist ungemein gründlich. Er hatte längst seinen alten, vorsintflutlichen Colt in der Hand, der noch aus der Zeit der Goldgräber stammen mochte. Diese Handfeuerwaffe entwickelte den Lärm eines mittelschweren Mi nenwerfers. Und die Feuerkraft dazu. Parker hatte es längst vorgezogen, sich in Deckung zu begeben. Er kniete neben einer Batterie von viereckigen Mülleimern und erwiderte das Feuer. Das Maschinenfeuer auf der anderen Seite endete schlagartig. Es wurde beendet von einem halb erstickten Aufschrei, dem ein metallenes Geräusch folgte, als sei die Waffe rasselnd und pol ternd zu Boden gefallen. Dann waren schnelle Schritte und kurz darauf das Aufheulen eines Automotors zu hören. Parker erhob sich, klopfte sich pedantisch den Staub von den Beinkleidern und sah sich nach seinen beiden Begleitern um. »Ich würde sagen, daß die Gefahr beendet ist«, rief er Rander und Miss Malcona zu. »Unter diesen Umständen ist es angebracht und angezeigt, die Deckung zu verlassen.« »Schnell, Parker, helfen Sie…!« Randers Stimme klang besorgt. Josuah Parker folgte ihrem Klang und blieb neben dem knienden Mike Rander stehen. »Miss Malcona ist verletzt«, sagte Mike Rander. »Hoffentlich ist es nicht so schlimm…!« * »Ach was, es geht schon wieder«, behauptete Rita Malcona eine halbe Stunde später. »Auch diesen Kratzer werde ich überleben. Geben Sie mir noch ‘n Schluck…!« »Haben Sie nicht schon genug?« fragte Mike Rander.
»Im Grunde schon, aber nicht genug vom Whisky«, erwiderte sie mit schwerer Zunge. »He, Parker, noch eine Füllung für mein Glas. Los, zieren Sie sich nicht…!« »Sie werden sofort bedient, Miss Malcona«, sagte Parker und verbeugte sich höflich. »Es darf unter Umständen auch ein Dop pelter sein?« »Die wollen mich umbringen«, murmelte Rita Malcona, die ihren Wunsch nach einem neuen Drink schon wieder vergessen hatte. »Ich muß hier weg… Sie erwischen mich sonst. Früher oder spä ter…!« »Wir werden Sie in Sicherheit bringen«, versprach Mike Rander. »Sie können vorerst mal irgendwo auf dem Land untertauchen.« »Aber vorher, Miss Malcona,’ sollten Sie uns Ihre Geschichte er zählen«, schaltete Josuah Parker sich ein. Er kam mit einem ge füllten Glas zur Couch zurück, auf der Rita Malcona lag. Der Arm der Tänzerin und der linke Unterschenkel waren ver bunden. Parker hatte sich als Sanitäter betätigt und ganze Arbeit geleistet. Nach der Schießerei in der Gasse waren sie auf dem schnellsten Weg zurück in Mike Randers Dachgartenwohnung ge fahren. Der Polizei waren sie aber absichtlich sehr schnell aus dem Weg gegangen. Was nicht besagen sollte, daß Rander und Parker ohne Verständigung mit der Polizei arbeiten wollten. »Beginnen wir, wenn Sie erlauben, mit dem Brief, den Sie an Mr. Rander geschickt haben«, sagte Parker und reichte ihr das Glas. »Aus diesem Schreiben ging hervor, daß Sie sich bedroht fühlen und Angst haben, ermordet zu werden.« »Habe ich etwa gelogen?« fragte sie aggressiv zurück. »In der Tat nicht, Miss Malcona. Sie befürchten, von einem ge wissen Mr. Lee Harris umgebracht zu werden?« »Er ist schon seit Monaten hinter mir her«, sagte sie mit leiser Stimme und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Ich weiß, daß er mich umbringen will.« »Welche Gründe könnte jener Mr. Lee Harris haben, Miss Mal cona?« »Er glaubt, ich hätt’ ihn damals verpfiffen.« »Lee Harris…! Gehört er irgendeiner Gang an?« Mike Randers schaltete sich ein. »Weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß Lee vor einem knappen hal ben Jahr aus dem Gefängnis entlassen wurde.« Rita Malcona rich tete sich, etwas auf und starrte auf ihr Glas. »Er wurde mit
Rauschgift geschnappt. Heroin. Wir kamen damals aus Mexiko. Drüben hatten wir uns verkracht. Verstehen Sie?« »Darf ich Ihre Worte so auslegen, daß es zu einem Streit zwi schen Ihnen und Mr. Harris kam?« fragte Josuah Parker. »Du lieber Himmel, wie vornehm Sie sich ausdrücken«,’ gab sie spöttisch zurück. »Aber es stimmt, wir hatten Krach… Er interes sierte sich zu sehr für ‘ne kleine Mexikanerin. Da bin ich einfach losgefahren und zurück nach Los Angeles… Lee kam einen Tag später nach und wurde an der Grenze geschnappt. Er dachte na türlich, ich hätt’ ihn verpfiffen.« »Wußten Sie von dem Heroin in seinem Reisegepäck?« fragte Parker interessiert. »Keine Ahnung hab’ ich davon gehabt«, erwiderte sie überra schend schnell. »Aber Mr. Harris dachte so, nicht wahr?« »Hat er sich wenigstens eingebildet«, gab sie zurück. »Er hat eigentlich noch Glück gehabt und bekam nur ein Jahr. Und wie gesagt, vor ‘nem halben Jahr ist er rausgekommen. Und seitdem ist er hinter mir her.« »In welcher Form, wenn ich mir diese Frage gestatten darf?« »Zuerst hat er so getan, als wollte er wieder zu mir zurück. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.« »Und wann kam es zu der Mordandrohung?« warf Mike Rander ein. »Ich bekam ‘nen Brief… Wissen Sie, so einen, ohne Absender und richtigen Buchstaben. Alles war aus ‘ner Zeitung rausge schnitten worden.« »Besitzen Sie diesen Brief noch?« »Klär… Der liegt in meiner Wohnung. Den können Sie haben…« »Wann traf dieser Brief bei Ihnen ein?« »Vorgestern… Ich hab’ sofort Lee angerufen. Er arbeitet nämlich hier in Chikago. Ich hab’ ihm auf den Kopf zugesagt, daß er den Wisch geschickt hat.« »Und wie reagierte Mr. Lee Harris darauf?« wollte Parker nun wissen. »Er hat mich ausgelacht und gesagt, so schön und interessant war’ ich nun auch wieder nicht.« »Er stritt also ab, diesen Brief geschrieben und an Sie abge schickt zu haben?«
»Genau…! Aber ich lass’ mich nicht täuschen. Ich weiß, daß er ihn geschrieben hat. Lee ist rachsüchtig…! Der kann ‘ne verflixt lange Zeit warten, aber dann ist er auf einmal da…!« »Ist jener Mr. Lee Harris identisch mit dem jungen Mann, der Sie geohrfeigt hat?« fragte Parker. »Nein…!« gab sie kurz und knapp zurück. »Der hat mit der gan zen Geschichte nichts zu tun…!« »Dürfen wir den Namen dieses jungen Mannes erfahren?« »Nein«, wiederholte Rita Malcona noch einmal. »Ich hab’ Ihnen doch gerade gesagt, daß er mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hat.« »Darf ich Sie höflich und auch sehr nachdrücklich darauf auf merksam machen, daß jener junge Mann auf Sie schießen woll te?« »Ach, Unsinn…!« »Sparen wir uns das aus«, entschied Mike Rander lächelnd. »Sie wissen, wo wir Lee Harris finden können?« »Klar, er arbeitet als Installateur. In irgend so einer kleinen Bu de…!« »Mit der genauen Adresse wäre uns sehr gedient.« »In der Hubbard Street 1245. Dort wohnt er auch. Da hat er ‘ne. kleine Wohnung.« »Ist Ihnen der Begriff >Lange Messer< schon mal ans Ohr ge drungen?« fragte Mike Rander. Rita Malcona schüttelte erstaunt den Kopf, um dann ihr Glas in einem Zug leer zu trinken. »Kennt Lee Harris sich im Messerwerfen aus?« stellte er seine nächste Frage. »Messerwerfen…! Daß ich nicht früher darauf gekommen bin…!« Rita Malcona sprang viel zu schnell von der Couch auf. Sie schwankte leicht, verlor das Gleichgewicht und mußte sich an der Stuhllehne festhalten, die sich in ihrer Nähe befand. Sie schüttel te den Kopf, um ihrer, Trunkenheit Herr zu werden. »Messerwer fen…! Das ist das Stichwort…!« »Könnten Sie sich möglicherweise etwas deutlicher ausdrü cken?« bat Josuah Parker. »Lee hat einen Freund. Norman Culler heißt er… Der hat früher mal in ‘nem Zirkus als Messerwerfer gearbeitet. Das weiß ich ge nau. Davon hat Norman oft erzählt. Und Norman wohnt auch in der Hubbard Street. Ganz in der Nähe von Lee… Hören Sie, ich
weiß jetzt, wer das Messer geworfen hat. Das kann nur Culler gewesen sein Der hat sich mit Lee zusammengetan, um mich zu ermorden…!« »Sie schläft«, stellte Mike Rander wenig später verblüfft fest. Er sah auf die zurückgesunkene Rita Malcona hinunter, deren Augen sich fest geschlossen hatten. Tiefe, gleichförmige Atemzüge zeig ten an, daß er sich nicht getäuscht hatte. »Sie schläft«, antwortete Josuah Parker. »Übrigens kein Wun der, Sir, zumal ich Miß Malcona ein harmloses Einschlafmittel in den Drink mixte. Mir kam es darauf an, sie zu beruhigen.« »Und wie bekommen wir sie jetzt aus der Wohnung?« »Ich habe mir die Freiheit genommen, Sir, Dan Shultz und Ray Shelby hierher zu bitten. Meiner vorsichtigen Schätzung nach müßten die beiden Herren bald eintreffen.« »Wollen Sie die hier auch einquartieren?« »Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, Sir, sollten Mr. Shultz und Shel by sich um Miß Malcona kümmern und sie irgendwo am Rande der Stadt in Sicherheit bringen.« »Schön, diese Erlaubnis haben Sie, Parker. Ich merke schon, worauf Sie hinauswollen.« Parkers Gesicht wurde zu einem Fragezeichen. »Sie wollen sich freie Hand verschaffen, um sich um Harris und Culler kümmern zu können, nicht wahr?« »Sir, ich bin beschämt, wie gut Sie mich zu durchschauen ver mögen«, räumte Parker ein. »Ich brenne tatsächlich darauf, mich mit diesen Herren zu unterhalten. Sie dürften der Schlüssel zu den bisherigen Anschlägen sein.« Bevor Mike Rander etwas erwidern konnte, meldete sich die Türklingel der Dachgartenwohnung. Parker entschuldigte sich durch eine kleine Verbeugung und ging hinaus in die Wohnhalle. Hier öffnete er einen unauffällig angebrachten Wandschrank und schaltete das hier eingebaute Fernsehgerät ein. Mittels dieser Übertragung konnte Parker hinüber in das Trep penhaus des Bürohochhauses sehen. Die Kamera dort erfaßte die Endstation des Lifts, den kleinen, fast viereckigen Korridor, die vier Stufen und die sehr solide Tür zum eigentlichen Dachgarten. Sie erfaßte jetzt auch den Besucher, der ungeduldig wartend vor der Tür stand. »Wer ist da?« fragte Mike Rander, der seinem Butler nachge gangen war.
»Ich fürchte, Sir, wenn mich nicht alles täuscht, so haben wir es mit Leutnant Madden zu tun.« »Natürlich ist es Madden.« Mike Sander sah auf den Bildschirm. »Der hat uns gerade noch gefehlt.« »Soll ich öffnen?« »Zuerst müßten wir Miß Malcona wegschaffen.« »Das wird im Handumdrehen geschehen, Sir.« Parker verließ die Wohnhalle und verschwand im großen Salon der Dachgarten wohnung. Mike Rander drückte unterdessen auf die elektrische Klingel, die die Tür zum Dachgarten automatisch öffnete. Dann verließ er das Penthouse und betrat den weiträumig angelegten Dachgarten, der die gesamte Fläche des Bürohauses umfaßte. Mike Rander konnte sich solch einen Luxus leisten. Luxus des halb, weil Dachgärten dieser Größe mit einem dazugehörigen Penthouse mit Gold aufgewogen wurden. Er konnte sich diesen Luxus leisten, weil er der Besitzer des Bürohochhauses war, eine Tatsache, die er allerdings nur zu gern verschwieg. Leutnant Madden, ein mittelgroßer, schlanker, drahtiger Mann von etwa achtundvierzig Jahren, kam ihm bereits entgegen. Er schritt durch die Blumenpracht des Dachgartens und schien von dieser Schönheit inmitten des Häusermeeres nichts zu halten. Sein an sich schon schmales Gesicht sah verkniffen und verärgert aus. »Der Ärger ist an der Garderobe abzugeben«, sagte Rander, den Polizeioffizier begrüßend. »Welche spezielle Laus ist Ihnen diesmal über die Leber gelaufen.« »Das wissen Sie verdammt genau, Rander.« »Wie wäre es mit einem hinweisenden Tip?« »Wie war das mit der Schießerei gegen Morgen, he?« »Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken? Aber kommen Sie doch erst mal ins Haus, Madden. Parker wird uns einen Drink mixen.« »Parker…! Das ist mein Stichwort, Rander. Er hat sich vor ein paar Stunden mit undefinierbaren Leuten herumgeschossen. Und zwar vor dem Amazonas-Nachtclub. Wollen Sie das etwa abstrei ten?« »Ich machte erst gar nicht diesen Versuch. Wir wollten ohnehin eine Anzeige erstatten. Hat man es nötig, als gewissenhafter Steuerzahler sich dauernd anschießen lassen zu müssen?«
»Kommen Sie mir bloß nicht mit dieser Tour«, erwiderte Leut nant Madden ironisch. »Die nehme ich Ihnen schon seit Jahren nicht mehr ab, Rander. Ich will wissen, was in der Nacht los ge wesen ist.« »Woher wissen Sie eigentlich, daß Parker und ich im Amazonas Nachtclub gewesen sind?« »Das liegt an Ihrem verdammten Butler. Der fällt auf wie ein bunter Papagei. Ich meine das natürlich im übertragenen Sinn, damit wir uns nicht falsch verstehen.« »Haben wir uns schon je falsch verstanden?« fragte Mike Rander. Er hatte zusammen mit Madden den großen Salon erreicht, von dem aus man hinaus auf den Michigan See blicken konnte. »Was müssen Sie für ein schlechtes Gewissen haben, Rander.« Leutnant Madden grinste. »So viel Höflichkeit kenne ich ja gar nicht. Also, heraus mit der Wahrheit, was war los? Und wo steckt Ihr Butler? Ich hoffe nicht, daß er schon wieder auf dem Kriegs pfad ist.« »Sie können ihn sofort sprechen, Madden. Und er soll Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Aber vorher eine Frage am Rande. Was sagen Ihnen die Namen Lee Harris und Norman Culler?« »Wie war das? Können Sie die Namen noch einmal wiederho len?« »Lee Harris und Norman Culler…!« Leutnant Maddens Stirn wurde von einigen tiefen Steilfalten zerschnitten. Er fuhr mit dem Finger über den Nasenrücken und nahm dann plötzlich ruckartig den Kopf zur Seite. »Norman Culler«, wiederholte er den Namen. »Klar, ich kenne ihn. Er ist die rechte Hand von Glenn Hayes. Und dieser Name wird Ihnen doch etwas sagen, oder?« »Glenn Hayes…? Natürlich, Madden. Ist Hayes nicht der Chef ei ner Gang, die sich mit Rauschgift befassen soll?« »Soll ist gut.« Leutnant Madden verzog, sein Gesicht. »Er befaßt sich damit, verlassen Sie sich darauf. Schade nur, daß wir ihn bisher nicht fassen konnten…!« * »Die Herren Shultz und Shelby«, meldete Josuah Parker eine knappe halbe Stunde später. Dann schaute er leicht mißbilligend
auf einen untersetzten, dicken, schnaufenden Mann, der sich in den Salon schob. Dan Shultz, ein Privatdetektiv, der oft und gern für Anwalt Rander arbeitete, war außer Atem. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen. Völlig ausgepumpt und scheinbar entkräftet ließ er sich in einen der tiefen Sessel plumpsen und wischte sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Jetzt könnte ich einen Drink vertragen«, sagte er dann und nickte Mike Rander zu. »Ich wette, es gibt so was in Ihrem Haus, Mr. Rander.« »Sie haben die Wette gewonnen«, gab Rander lächelnd zurück. »Dürfen es auch ein paar Sandwiches sein?« fragte Parker spitz. Er kannte die Freßsucht dieses Besuchers, der keine Gelegenheit ausließ, sich den Magen zu füllen. »Sie haben meinen Nerv getroffen, Parker«, meinte Dan Shultz dankbar. »Es brauchen nur ein paar kleine Happen zu sein. Sie wissen ja, daß ich genügsam bin.« »Einbildung ist alles«, murmelte Ray Shelby, der Assistent von Dan Shultz. Ray Shelby war etwas über mittelgroß, schlank, fast hager und nicht nur äußerlich das. genaue Gegenteil seines Chefs. Shelby nutzte jede Gelegenheit, sich über seinen Chef zu mokieren. Obwohl sie sich gegenseitig bei jeder passenden Gele genheit anfuhren, verstanden sie sich ausgezeichnet. Dabei spiel te es im Grunde überhaupt keine Rolle, daß Shelby pro Tag we nigstens einmal gekündigt wurde. Es handelte sich um Drohun gen, die Shelby überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Er wußte sehr gut, daß Shultz ohne ihn nicht auskam. »Halten Sie bloß Ihren frechen Rand«, fauchte Shultz nach Shelbys Bemerkung. »Ich weiß, Sie glauben nicht, daß ich Sie eines Tages feuern werde, aber irgendwann werden Sie mal Ihr blaues Wunder erleben.« »Einige kleine Sandwiches«, meldete Josuah Parker von der Tür her. Er schleppte sich mit einem ovalen, großen Silbertablett ab, auf dem sich wahre Gebirge von belegten Broten befanden. »Sehr schön, sehr schön«, lobte Shultz und nahm dieses nahr hafte Gebirge in näheren Augenschein. »Nicht zu viel und nicht zu wenig, gerade richtig für meinen hohlen Zahn.« »Vergessen Sie Ihre komischen Pillen nicht, Chef…!« Shelby grinste niederträchtig zu seinen Worten. Er kannte die Pillensucht seines Chefs.
»Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann«, gab Shultz überraschend friedlich zurück. Er griff in seine Westentasche und holte einige Tablettenröhrchen hervor. Er öffnete sie nacheinan der, schüttelte die diversen Pillen in seine hohle Handfläche und kippte die Tablettenansammlung dann ruckartig hinunter. »Wogegen nehmen Sie das alles?« fragte Mike Rander beein druckt. »Leber, Galle, Verdauung, nervöser Magen, Gastritis«, zählte Dan Shultz nacheinander und routiniert auf. »Sie ahnen ja, nicht, Mr. Rander, wie gefährlich man lebt.« »Womit wir möglicherweise bei der Sache sind«, gab Rander zu rück. »Ich habe einen speziellen Auftrag für Sie.« »Shelby, passen Sie auf, damit ich alles mitbekomme«, sagte Shultz, sich an seinen Assistenten wendend. Dann lehnte er sich bequem im Sessel zurück und bekämpfte ein besonders groß geratenes Sandwich. Dazu schloß er genuß reich die Augen. »Wir suchen Name und Adresse eines jungen Mannes, der auf die >Weiße Göttin< schießen wollte«, sagte Mike Rander. »Moment mal, was haben Sie mit Rita Malcona zu tun?« fragte Dan Shultz, ohne die Augen zu öffnen. Seine Trägheit war nur gespielt. In Wirklichkeit war er ein sehr wachsamer und, wenn es sein mußte, scharfer Privatdetektiv. Er wußte, was in der Unter welt gespielt wurde. »Sie kennen Rita Malcona?« fragte Mike Rander zurück. Er war ehrlich verblüfft. »Die Malcona hat es faustdick hinter den Ohren«, antwortete Dan Shultz und griff nach dem nächsten Sandwich. »Sie war frü her mal mit Glenn Hayes befreundet, sprang dann aber ab und hat seitdem nichts mehr mit Gangstern zu tun. Glaube ich we nigstens.« »Wer ist Glenn Hayes?« erkundigte sich Mike Rander. Er war gespannt, welche Antwort Shultz geben würde. Ob sie sich mit der von Leutnant Madden deckte? »Hayes macht in Rauschgift«, kam die prompte Antwort. »Los, Shelby, rattern Sie herunter, was ich über Hayes weiß!« »Glenn Hayes, zweiundfünfzig Jahre alt, unverheiratet, mehr fach vorbestraft, handelt mit Rauschgift und beliefert vor allen Dingen Jugendliche. Bisher wegen Rauschgifthandel noch nicht geschnappt. Hayes betreibt in der Hubbard Street ein Installati
onsgeschäft, alles vollkommen regulär, zahlt regelmäßig seine Steuern und ist gefährlich wie eine gereizte Klapperschlange.« »Sie haben seine Mitarbeiter vergessen«, kaute Shultz dazwi schen. »Ach so, die auch noch…! Also gut, hier sind sie… Da ist zuerst Lee Harris, gelernter Installateur, ein Jahr wegen Rauschgiftbe sitz. Und dann Norman Culler, ehemaliger Artist, steifes, linkes Knie, sehr gefährlich, toller Messerwerfer.« »Von den kleinen Fischen dieses Vereins ganz zu schweigen«, fügte Dan Shultz hinzu, der gerade einen relativ leeren Mund hat te, aber schon hastig nach einem weiteren Sandwich langte. »Brauchen Sie noch weitere Informationen, Mr. Rander?« »Das reicht vorerst«, erwiderte der Anwalt lächelnd. »Sollen wir uns an den Hayes-Verein ranmachen?« fragte Dan Shultz. »Ich sage Ihnen gleich, daß das ein verdammt heißes Ei sen ist. An Hayes haben sich schon ganz andere die Zähne aus gebrochen.« »Kümmern Sie sich vorerst um den jungen Mann, der auf Rita Malcona schießen wollte«, gab Mike Rander zurück. »Parker wird Ihnen gleich das Kennzeichen des Taxis nennen, mit dem dieser Bursche unterwegs war. Wird das reichen, an ihn heranzukom men?« »Wird das reichen, Shelby?« erkundigte sich Shultz bei seinem geduldigen Mitarbeiter. »Mir reicht das schon«, gab Ray Shelby betont zurück. »Ich bin ja schließlich Detektiv.« »Wenn Sie frech werden wollen, Shelby, müssen Sie mir das vorher ankündigen, damit ich mich drauf einstellen kann«, frot zelte Shultz grinsend. »Am besten schriftlich…!« »Darf ich mir eine höfliche und bescheidene Frage erlauben?« schaltete Josuah Parker sich in diesem Augenblick ein. Der Klang seiner Stimme schien Shultz zu alarmieren, denn er öffnete sofort seine kleinen, listigen Augen. Shultz wußte sehr wohl, wie er den Butler einzuschätzen hatte. »Nur heraus mit Ihrer Zeitbombe?« sagte er dann. »Ich möchte mir die Freiheit nehmen, noch einmal von diesem Norman Culler zu reden«, schickte Parker voraus. »Sagte Mr. Shelby nicht, daß Norman Culler ein sehr guter Messerwerfer ist?« »Hat er gesagt«, bestätigte Shultz.
»Darf ich Mr. Shelbys Worte so verstehen, daß Mr. Culler ein erstklassiger Messerwerfer ist?« »Genau das«, meinte Ray Shelby und nickte bestätigend. »Er könnte heute noch in einem Variete auftreten, wenn er nicht das steife Knie hätte. Aber selbst das würde nicht stören. Er ist ge fährlich gut…!« »Dann wundert es mich in der Tat«, sagte Parker würdevoll und nachdenklich zugleich, »warum dieser Norman Culler in zwei Fäl len sein Ziel verfehlte…!« * Glenn Hayes, der Inhaber des Installationsgeschäftes mochte zwar zweiundfünfzig Jahre alt sein, wie Ray Shelby angegeben hatte, in Wirklichkeit aber sah er wesentlich älter und verbrauch ter aus. Tiefe Falten durchschnitten sein fleischiges Gesicht, dicke Tränensäcke hingen unter den trübgrauen Augen. Glenn Hayes sah nicht wie ein Gangster aus. Auch seine Umge bung deutete nicht daraufhin, daß er illegale Geschäfte machte. Hayes saß hinter einem ziemlich verschrammten Schreibtisch in seinem nüchtern eingerichteten Büro. Er kaute auf einer Zigarette und schluckte deutlich, als Josuah Parker höflich das Büro betrat. Hayes war derart beeindruckt, daß er die Zigarette aus dem Mund nahm. Sein Unterkiefer klappte herunter, und er schluckte erneut. Dies alles hing sehr wahrscheinlich mit Parkers Aussehen zusammen. Rein äußerlich wirkte er schließlich wie eine Kreuzung aus Leichenbitter und Haushofmeister. »Bin ich richtig in der Annahme, mit Mr. Glenn Hayes zu spre chen?« erkundigte sich Josuah Parker. Er nahm seine schwarze, steife Melone ab und hakte seinen Universal-Regenschirm vom Unterarm los. »Wie…? Ob ich Hayes bin…? Klar! Und wer sind Sie?« »Parker ist mein bescheidener Name«, stellte der Butler sich vor. »Ich komme, um Ihre Hilfe zu erbitten.« »Moment mal, den Namen Parker hab’ ich doch schon mal ge hört«, versuchte Hayes sich laut zu erinnern. »Ein durchschnittlicher Allerweltsname«, meinte der Butler mil de lächelnd. »Zu Ihrer Erklärung möchte ich aber hinzufügen, daß ich die Ehre habe, der Butler Mr. Mike Randers sein zu dürfen.«
»Ach nee…!« Glenn Hayes schien ein Licht aufgegangen zu sein. Plötzlich erinnerte er sich, wo und unter welchen Vorzeichen er diese beiden Namen schon gehört hatte. Er stand unwillkürlich auf und beugte sich über den Schreibtisch. Seine Augen vereng ten sich zu schmalen, prüfenden Schlitzen. »Und was wollen Sie von mir?« fragte er dann. »Unsere Wasserleitung ist undicht«, behauptete Parker unver froren. »Dann tun Sie was dagegen«, gab Hayes zurück. »Deshalb bin ich ja hier bei Ihnen, Mr. Hayes. Sie sollen tat sächlich ein Installationsgeschäft betreiben.« »Wer behauptet das Gegenteil? Worauf spielen Sie an?« »Nun, bestimmt nicht auf gewisse Gerüchte, die im Umlauf sind«, erwiderte Parker höflich und gemessen. »Wenn Sie gestat ten, nehme ich Platz. Ein alter und verbrauchter Mann sollte seine Beine schonen.« »Setzen Sie sich von mir aus, Parker, aber rücken Sie endlich mit der Sprache heraus. Sie sind doch niemals wegen ‘nem trop fenden Wasserhahn gekommen, oder?« »Der Wahrheit die Ehre, ich komme aus anderen Gründen.« »Lassen Sie endlich die Katze aus dem Sack!« »Warum sind Sie daran interessiert, Mr. Rander und meine be scheidene Wenigkeit umbringen zu lassen?« »Wollen Sie das noch mal wiederholen? Ich soll hinter Ihnen und Ihrem Boß her sein?« Hayes sah den Butler ungläubig und mißtrauisch an. »Gewisse Tatsachen sprechen dafür«, gab Parker zurück. »Unsinn, Parker. Wer behauptet denn das?« »Zwei Messer, die auf Mr. Rander und auf meine bescheidene Wenigkeit geschleudert wurden. Ich glaube nicht, daß ich mich deutlicher ausdrücken muß.« »Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen oder nur provozieren?« »Weder, noch, Mr. Hayes. Um noch deutlicher zu werden möch te ich mich auf einen Ihrer Mitarbeiter beziehen, der im Werfen und Schleudern von mehr oder weniger scharfen Messern beson ders geschickt sein soll.« »Meinen Sie Norman Culler?« entrutschte es Hayes ungewollt. »In der Tat, Norman Culler. Vielleicht hat er privat etwas gegen Mr. Rander und gegen meine Wenigkeit.«
»Das ist doch… Moment mal…!« Hayes drückte auf einen auf dem Schreibtisch angebrachten Klingelknopf. Dann ließ er sich in seinen Sessel zurückfallen und kaute nervös auf seiner Zigarette herum. Dabei beobachtete er den Butler. Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich eine zweite Tür des Büros. Ein schmaler, schlanker Mann von etwa vierzig Jahren trat ein. Er trug einen angeschmutzten blauen Overall und hatte ölverschmierte Hände. »Was ist, Chef?« fragte er. »Culler, hier beschwert sich einer über dich«, sagte Hayes und grinste plötzlich. »Du sollst mit Messern nach Mike Rander und seinem Butler geworfen haben.« »Ich…?« »Also nicht?« »Nee, bestimmt nicht. Kann ja auch gar nicht stimmen, Chef. Wenn ich nach einem geworfen haben sollte, könnt’ der sich jetzt nicht mehr beschweren.« »Sind Sie tatsächlich so gut?« erkundigte Parker sich ungläubig. Norman Culler gab eine Probe seines Könnens. Blitzschnell griff er in die Seitentasche seines Overalls und hatte plötzlich ein schweres Wurfmesser in der Hand. Die Schneide blitzte kurz auf, dann wirbelte das Messer durch die Luft. Genau auf den Butler zu. Es zischte gefährlich dicht an seinem linken Ohr vorbei und lan dete hinter Parker in der Bürotür. »Sind Sie jetzt überzeugt?« fragte Culler und grinste. »Erstaunlich, in der Tat, frappierend«, antwortete Parker höf lich. Er erhob sich und zog das schwere Wurfmesser aus der Tür. Dann, ohne jede Vorwarnung, warf er das Messer zurück. Norman Culler kickste überrascht, als das Messer sich durch den Ärmel seines groben Sporthemdes bohrte und es an der anderen Tür festnagelte. »Sind Sie wahnsinnig?« brüllte er dann und riß sich los. »Beina he hätten Sie mich getroffen…!« »Das hätte nicht in meiner Absicht gelegen«, meinte Parker gemessen und schüttelte leicht den Kopf. »Das Messer steht übri gens wieder zu Ihrer alleinigen Verfügung.« »Sie sind auf dem Holzweg«, brauste Hayes auf. Er stand wie der auf und stemmte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch
auf. »Mich provozieren Sie nicht, Parker. Zum Henker, wer hat Sie geschickt? Wer will mir Schwierigkeiten machen?« »Sie haben noch einen weiteren Angestellten, der sich Lee Har ris nennt?« fragte Parker ungerührt. »Ich würde doch sehr emp fehlen, zu einem normalen Tonfall zurückzukehren, zumal sich dann leichter reden läßt.« »Zuerst Culler, jetzt also Harris…! Ist der etwa auch hinter Ih nen her? Mann, Sie haben vielleicht Nerven…! So ist noch keiner mit mir umgesprungen. Ich hätte große Lust, Sie an die frische Luft setzen zu lassen.« »Sie sollten einem alten Mann nicht drohen«, mahnte Parker. »Sie nutzen nur meine Hilflosigkeit aus.« »Hören Sie bloß auf mit diesem Theater, Parker. Ich weiß inzwi schen sehr genau, wer Sie sind…!« »Lee Harris war einmal vor Antritt seiner Gefängnisstrafe mit einer gewissen Rita Malcona befreundet, nicht wahr?« »Weiß ich nicht«, entgegnete Hayes wütend. »Diese junge Dame fühlt sich von Lee Harris bedroht«, redete Parker ungerührt weiter. »Sie behauptete sogar, von Harris einen Drohbrief erhalten zu haben.« »Norman, hol’ Harris…!« Hayes hatte sich an den Messerwerfer gewendet, der inzwischen das Messer aus dem Hemd gezogen und wieder eingesteckt hatte. Norman Culler zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Er hatte bisher unentwegt auf den Butler gestarrt. Er konnte es wohl noch immer nicht fassen, daß auch Parker nicht gerade ungeschickt war, was den Umgang mit einem Wurf messer anbetraf. Als er das Zimmer verlassen hatte, kam Hayes um den Schreib tisch herum. Er baute sich vor dem sitzenden Parker auf. »Wir wollen mal offen miteinander reden«, sagte er dann. »Sind Sie scharf darauf, mit mir anzubandeln, Parker? Wenn Sie unbe dingt Streit haben wollen, werden Sie ihn bekommen. Jede Menge davon. Sie haben es nicht mit ‘nem Anfänger zu tun.« »Ich kenne Ihren Ruf, Mr. Hayes«, erwiderte Parker. »In Rauschgift und Gangsterkreisen haben Sie sich unzweifelhaft ei nen gewissen Namen gemacht.« »Das ist ‘ne Falle, ‘ne verdammte Falle«, murmelte Hayes und sah den Butler erneut mißtrauisch an. »Sie müssen irgendeine
Trumpfkarte in der Hand haben, sonst wären Sie nicht hierher ins Büro gekommen.« »Den Grund meines Kommens habe ich Ihnen offen und ohne Hehl genannt«, meinte Parker höflich, aber bestimmt. »Ich möch te, um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu wiederholen, den Grund erfahren, warum Ihre Leute Messer nach uns werfen.« »Sie sind verrückt, Parker. Jetzt geht mir ein Licht auf. Sie ha ben nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ah… da ist ja Harris…!« Lee Harris betrat das Büro. Es handelte sich um einen Mann von etwa fünfunddreißig Jah ren. Er war etwas über mittelgroß, stämmig und sah recht gut aus. Die schwarzen Haare waren leicht gewellt. In den ebenfalls schwarzen Augen glomm ein gefährliches Leuchten. Lee Harris schien sehr wütend zu sein. »Was ist los, Chef?« wandte er sich an Hayes. »Was ist mit Rita?« fragte Hayes ungeniert. Er störte sich nicht daran, daß er eben erst abgestritten hatte, Rita Malcona zu ken nen. »Was soll mit der sein, Chef?« Lee Harris zuckte verständnislos die Schultern. »Rita hab’ ich seit Monaten nicht mehr gesehen.« »Sie fühlt sich von dir bedroht. Behauptet Parker hier.« »Wer ist schon Parker…!« Lee Harris kam mit schnellen, ge schmeidigen Schritten auf den Butler zu und holte tief Luft. »Wer mich anödet, lernt mich kennen…!« Möglich, daß er nicht die Absicht hatte, Parker einen Schlag zu versetzen. Möglich, daß Lee Harris sich nur am Kinn kratzen woll te. Doch diese Bewegung konnte durchaus mißverstanden wer den. Und Parker entschloß sich, sie mißzuverstehen. Er stieß die Spitze seines Universal-Regenschirms auf die linke, dicke Zehe des Mannes, der daraufhin einen Laut ausstieß, der an den Klageruf eines hungrigen Wolfes erinnerte. Dann knickte Har ris in der Leibesmitte ein und wollte nach seinem mißhandelten und schmerzenden Zeh greifen. Dabei verrechnete er sich sehr gründlich. Er übersah nämlich den bleigefütterten Griff des Regenschirms und schlug mit dem Kinn auf. Daraufhin verdrehte er stumm die Augen und rutschte groggy in sich zusammen. Er blieb müde und schlaftrunken auf dem schmuddeligen Fußboden liegen. Norman Culler, der mitgekommen war und an der Tür stand, fühlte sich veranlaßt, nach seinem Wurfmesser zu greifen und es
auf den Butler zu schleudern, eine Affekthandlung, die sich, wie er bald merken sollte, bestimmt nicht auszahlte. Parkers Universal-Regenschirm aber schnellte hoch. Der Schirmstock fing die Klinge mitten in der Luft ab und schlug sie zu Boden. Klirrend landete das Messer auf dem Boden. Glenn Hayes kochte vor Wut. Seine beiden Männer waren außer Gefecht gesetzt worden. Er glaubte, besonders günstig zu stehen. Hayes war schnell und geschmeidig. Er warf sich auf den Butler und wollte ihn mit seinem angespitz ten Ellbogen niederschlagen. Um ein Haar wäre ihm das sogar gelungen. Wenn Parker nicht noch schneller reagiert hätte. Der Butler hielt plötzlich eine flache schwarze Automatik in der Hand, deren Lauf auf das Gesicht des Gangsters gerichtet war. Doch damit nicht genug. Parker hatte keine Bedenken, den Ste cher dieser Waffe durchzuziehen…! Glenn Hayes brüllte wie ein verwundeter Stier auf. »Sie haben mich getroffen, Blut!« Hayes rieb sich das Gesicht. »Es hat sich um einen rot gefärbten Wasserstrahl gehandelt«, erwiderte Parker trocken. Hayes starrte ihn an. Er faßte sich ein zweites Mal ins Gesicht und wischte die tat sächlich rote Flüssigkeit ab, die er bisher für Blut gehalten hatte. Dann entdeckte er den Wahrheitsgehalt von Parkers Worten. Es handelte sich tatsächlich nur um Wasser, das Parker aus ei ner geeigneten Pistole auf ihn abgefeuert hatte. Der berufsmäßige Messerwerfer Norman Culler rüstete inzwi schen zu neuen Taten, zumal er nun wußte, daß sein Boß nicht tödlich verwundet worden war. Da Culler im Augenblick kein weiteres Messer zur Hand hatte, warf er sich auf den Butler, um ihn mit einigen geeigneten Faust hieben zu Boden zu schicken. Es paßte ihm ausgezeichnet in den Kram, daß Parker nicht rea gierte, ja, daß Parker ihn möglicherweise sogar übersah. Norman Culler holte mit seiner Rechten aus. Dann schlug er kurz, und trocken zu. Das Ziel seiner Faust war die Magenpartie des Butlers. Der Treffer war unabwendbar. Er mußte zu einer Ka tastrophe führen. Was durchaus eintraf. Cullers Faust knallte auf Parkers Magen.
Während Parker jedoch völlig unbeeindruckt stehen blieb und keine Wirkung zeigte, brüllte nun auch Norman Culler auf. Er schlenkerte die gestauchten Finger in der Luft umher und verzog weinerlich sein Gesicht. Viel sehen konnte er im Moment nicht, da der stechende Schmerz in seinen Fingern ihm das Wasser in die Augen trieb. Culler konnte unmöglich wissen, daß Parker seinen stählernen Magenschützer mit auf diesen Besuch genommen hatte. Und Cul lers Faust war nun mit dieser handlichen Stahlplatte in innige Be rührung gekommen. »Sie sollten Ihre Hand kühlen, bevor sie allzusehr anschwillt«, riet Parker seinem Gegner. Dann wandte er sich wieder Glenn Hayes zu, der keine Lust verspürte, diesen Kampf fortzusetzen. »Sind Sie jetzt in der Stimmung, Mr. Hayes, einige klärende Wor te mit mir zu wechseln?« »Ich bring’ Sie um… ich bring’ Sie glatt um…!« schnaufte Hayes aufgebracht. »Das hat noch keiner mit mir gemacht…!« »Vielleicht ist es angebracht, diesen Zeitpunkt noch etwas hi nauszuschieben«, meinte Parker höflich und gemessen. »Ich fürchte, Sie neigen zu jähen und unüberlegten Schlüssen…!« Lee Harris war inzwischen wieder zu sich gekommen, doch sein Blick war noch leicht verglast. Er rieb sich nachdenklich das miß handelte Kinn, wollte dann aufspringen, sackte aber wieder in sich zusammen. »Sie unterschätzen den Griff meines Regenschirms«, meinte Parker höflich zu dem Gangster. »Überstürzen Sie nichts, junger Mann! Lassen Sie sich hur etwas Zeit!« Lee Harris nickte zerstreut und blieb auf dem Boden sitzen. Norman Culler befühlte vorsichtig seine schmerzenden Finger und hatte ebenfalls keine Lust mehr, sich als Kämpfer zu betätigen. Glenn Hayes tastete sich zurück zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen. »Wenn Sie erlauben, Mr. Hayes, kommen wir wieder auf unser Thema zurück«, begann Parker höflich. »Vor dieser kleinen Aus einandersetzung hatten Sie also keineswegs die Absicht, Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit umbringen zu lassen?« »Jetzt ja…!« brüllte Hayes. »Ihren Worten entnehme ich, daß dieser beabsichtigte Doppel mord erst jetzt geplant ist, ja?«
»Scheren Sie sich zum Teufel! Wir sprechen uns noch…! Und dann sind wir am Drücker, Parker!« »Sind Ihnen Männer bekannt, die sich Lange Messer nennen?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Nein…!« schnaufte Hayes. »Was sollen diese blödsinnigen Fra gen?« »Ihr Norman Culler hat auch keineswegs Messer nach Mr. Rander oder nach mir geworfen?« »Nein«, keuchte Hayes, der an seinem Verstand zu zweifeln be gann. »Aber das wird sich verdammt schnell ändern.« »Wer, so frage ich mich dann, könnte die Messer dann wohl geworfen haben?« »Interessiert mich nicht, Parker, Hauen Sie ab…!« »Haben Sie Feinde, wenn ich diese Frage stellen darf?« »Ich erwürg’ Sie…!« stammelte Hayes, doch er blieb vorsichts halber sitzen und rührte sich nicht. »Ich glaube zu bemerken, daß Sie jetzt nicht in der richtigen Stimmung sind, eine kleine Unterhaltung mit mir zu pflegen«, stellte der Butler fest. Nach einer kleinen, höflichen Verbeugung fügte er dann hinzu: »Ich werde mir die Freiheit nehmen, zu ei nem anderen Zeitpunkt noch einmal vorzusprechen. Ich wünsche Ihnen das, was man einen schönen guten Morgen nennt.« Parker verließ das Büro und ließ die drei vollkommen konster nierte Gangster zurück, die den Glauben an ihre Welt verloren hatten. Sie merkten überhaupt nicht, daß Parker den Schlüssel der Tür mitgenommen hatte und sie nun von außen verschloß. Parker schritt gemessen wie ein Haushofmeister durch den Kor ridor und blieb vor einem Vorhang stehen, der eine Wandnische zum Korridor hin abschloß. Er schlüpfte hinter diesen Vorhang und verschwand so erst einmal von der Bildfläche. Wie richtig seine Taktik war, sollte sich sehr schnell zeigen. Plötzlich wurde an der verschlossenen Tür gerüttelt, dann, es klang wie eine Explosion, wurde sie auf gerammt. Norman Culler und Lee Harris purzelten hinaus in den Korridor und nahmen mit einiger Verspätung die Verfolgung des Butlers auf. Wahrscheinlich brannten sie darauf, ihn noch vor dem Erreichen der Straße umzubringen. Glenn Hayes folgte mit einiger Verspätung. Als er am Vorhang vorüberkam, wischte er sich die letzten Trop fen der rot eingefärbten Flüssigkeit aus den Augen…
* »Also, raus mit der Sprache, Lee! Bist du hinter Rita her?« Glenn Hayes war mit seinen beiden Männern zurück ins Büro gekehrt und forschte nun nach den Gründen von Parkers Erschei nen. »Rita kann mir gestohlen bleiben«, erwiderte Lee. Harris ge reizt. »So was wie die, ist leicht zu ersetzen.« »Sag’ die Wahrheit, Lee…!« »Nein, Chef, ich hab’ sie wirklich seit Monaten nicht mehr gese hen. Aber…« »Was aber…?« »Sie hat mich gestern angerufen. Sie hat wie dieser verdammte Butler etwas vom Messerwerfen gequasselt. Ich hab’ kein Wort verstanden. Sie drohte noch, ich sollte nur ja die Finger von ihr lassen, sonst war’ was gefällig.« »Warum, zum Teufel, erfahre ich das erst jetzt?« brüllte Hayes aufgebracht. »Nehmen Sie Rita etwa ernst?« gab Lee Harris unsicher zurück. »Die hat doch nicht alle Tassen im Schrank. Aber wenn Sie mei nen, kann ich ja mal zu ihr gehen und ihr auf den Zahn fühlen.« »Finger weg von Rita«, sagte Glenn Hayes, dessen Gesicht den sprichwörtlich nachdenklichen Ausdruck angenommen hatte. »Das riecht alles nach irgendeiner Falle, ich weiß nur nicht, wer uns da was einbrocken will…!« »Dieser verdammte Parker natürlich«, schaltete sich Norman Culler in die Unterhaltung ein. »Is’ doch vollkommen klar, Chef, der will uns hochnehmen.« »Möglich, aber nicht vollkommen sicher«, meinte Hayes, dessen Gesicht noch nachdenklicher wurde. »Lee hat schon recht, wir müssen mit Rita sprechen. Sie muß sich ja was gedacht haben, als sie Lee anrief.« »Vielleicht hat Parker sie angestiftet«, gab Culler zu überlegen und vergaß nicht, seine schmerzenden Fingergelenke zu massie ren. »Er sucht irgendeinen Vorwand, um mit uns anbandeln zu können.« »Krach kann er haben.« Hayes stand auf und nickte nachdrück lich. »Paßt auf, wir mobilisieren unsere Leute. Ab sofort gibt es
eine Treibjagd auf Parker und seinen Boß…! Ob die was gegen uns im Schilde führen oder nicht, Hauptsache, sie verschwinden so schnell wie möglich.« »Und was steht auf dem Programm?« erkundigte sich Lee Har ris. »Nichts einfacher als das.« Hayes grinste tückisch. »Irgend wann gehen sie ja mal in ihre Wohnung oder kommen heraus…! Das reicht, um eine Serie aus einer Maschinenpistole auf sie ab zufeuern. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.« In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, aus der vor einer knappen, halben Stunde Norman Culler gekommen war. Parker trat ein. »Ich muß mich entschuldigen«, sagte er höflich, vielleicht sogar etwas zerstreut. »Nach Lage der Dinge habe ich mich beim Ver lassen des Hauses verlaufen. Ein Versäumnis, das sich hoffentlich schnell korrigieren läßt.« Die drei Gangster fielen, bildlich gesprochen, aus allen Wolken. »Ich möchte und werde auf keinen Fall länger stören«, redete der Butler weiter und lüftete höflich seine schwarze, steife Melo ne. »Bei dieser Gelegenheit möchte ich offen und ehrlich, wie es meine Art ist, gestehen, daß ich Ohrenzeuge Ihres Planes gewor den bin, Mr. Hayes. Demnach scheinen Sie ein unverträglicher Mensch zu sein. Wollen Sie denn wirklich schießen lassen?« »Ich… ich bringe Sie um…!« stöhnte Hayes. »Das sagten Sie schon einmal, wenn mich nicht alles täuscht«, erwiderte der Butler, »Bestehen Sie unbedingt darauf?« »Los, ran, Jungens…!« kreischte Hayes wie von Sinnen. Er selbst riß die Schreibtischlade auf und griff nach der Waffe, die dort griffbereit lagerte. Parker ließ in diesem Augenblick einen kleinen Glaskörper zu Boden fallen. Er war nicht größer als eine kleine Glühbirne. Das dünne Glas zerschellte beim Aufprall auf den Boden. Und augenblicklich, bevor die drei Gangster aktiv werden konn ten, wallten dichte, schwefelgelbe Nebelschwaden hoch, die den Raum in Bruchteilen von Sekunden ausfüllten und jede Sicht nahmen. Durch diese Schwaden hindurch war das Zuklappen einer Tür zu hören.
Parker war gegangen, wie die drei Gangster erst nach aufre genden fünf Minuten genau feststellten, nachdem sie im Nebel Parker vergeblich gesucht hatten… * Parker hatte den Hinterhof verlassen, in dem das Installations geschäft von Glenn Hayes untergebracht war und ging eilig, wenn auch nicht unter Verzicht von Würde und Gemessenheit, durch den niedrigen Torbogen, der hinaus auf die Straße führte. Er hielt es für unfein, sich unterwegs noch einmal nach den Gangstern umzusehen. Er wußte, daß sie der Nebel hinlänglich beschäftigte. Mit ihrem Auftauchen war vorerst bestimmt nicht mehr zu rechnen. Parkers Privatwagen in Spezialausführung stand am Straßen rand. Einige Halbwüchsige hatten sich um ihn versammelt und stießen lästerliche Bemerkungen aus. Was übrigens zu verstehen war, denn Parkers Wagen war nichts anderes als ein hochbeiniges Monstrum auf Rädern. Es handelte sich um ein ehemaliges Taxi aus London, das nach Parkers Spezialwünschen umgebaut wor den war. Dieser Umbau hatte seinerzeit darin bestanden, daß der eckige Aufbau auf ein Renngestell gesetzt worden war. Selbstver ständlich war der hochgezüchtete Rennmotor nicht vergessen worden. Wenn Parker also wollte – und er wollte oft und gern –, brauchte er nur etwas Gas zu geben, um sein Monstrum wie eine Rakete zu beschleunigen. Parker ging also auf dieses Monstrum zu und überhörte taktvoll die mehr oder weniger anzüglichen Bemerkungen. Er hatte sich im Laufe der Zeit an diese und ähnliche Frotzeleien gewöhnt und nahm sie kaum noch zur Kenntnis. Die spöttischen Redensarten der Jugendlichen erstarben, als sie Parker sahen, der mittels ei nes großen Schlüssels umständlich das Türschloß aufsperrte. Dieser Mann war ja noch interessanter als der komische Wagen! Nun ja, Parker paßte wirklich nicht in diese Umgebung. Selbst verständlich war er korrekt gekleidet. Auf seinem Kopf thronte die schwarze Melone, über dem angewinkelten, linken Unterarm hing der schwarze Regenschirm. Der steife Eckkragen, die grundsolide Krawatte und schließlich sein rabenschwarzer Anzug vervollstän digten das Bild.
Parker wollte gerade in den Wagen steigen, als er ein sattsam bekanntes >Plopp< hörte. Diesem >PloppDie Weiße Göttin< in einem Nachtlokal auftritt.« »Bisher haben Sie Tatsachen aufgezählt, Parker, aber keine Vermutungen«, unterbrach Rander seinen Butler. »Gewiß, Sir, aus den Tatsachen nun resultieren die Vermutun gen, auf die ich jetzt zu sprechen komme. Sowohl der Drohbrief an Miß Malcona als auch die beiden Mordandrohungen an Sie und meine Wenigkeit zwangen eindeutig dazu, sich mit der HayesBande zu befassen. Darf ich das als richtig unterstellen?« »Sie dürfen«, gab Mike Rander interessiert zurück. »Wozu fra gen Sie immer, zum Teufel? Sie wissen doch genau, daß Sie sprechen dürfen.« »Ich möchte die gültigen Formen auf keinen Fall verletzen, Sir«, erwiderte Parker würdevoll. »Um aber auf meine Theorie zurück
zukommen, Sir, so möchte ich annehmen, daß unsere Aufmerk samkeit absichtlich auf die Hayes-Bande gelenkt werden soll. Ich betone das schlichte Wort >absichtlichWeißen GöttinAmazonas Nachtclub< geohrfeigt hatte.« »Wie bitte…?« Mike Rander war nicht ganz bei der Sache. »Mr. Shelby meint jenen jungen Mann, Sir, der anschließend in einem Taxi davonfuhr, nachdem ich mir die Freiheit genommen hatte, ihm eine Schußwaffe abzunehmen.« »Na, und wer ist das…?« Rander wandte sich ausschließlich an Shelby, da Shultz vollauf damit beschäftigt war, die Eßwaren auf dem Tisch in seinen Magen umzuladen. »Der Junge heißt Walt Dalton und arbeitet als Mixer in einem Nachtclub. Der Taxifahrer gab mir den Tip. Gut, daß Parker sich das Kennzeichen des Taxis gemerkt hat. So konnte ich die Spur ohne Ärger aufnehmen.« »Was wissen Sie über diesen Walt Dalton?« »Der scheint soweit in Ordnung zu sein. Näheres müßte er uns selbst sagen, denke ich…!« »Ist seine Adresse bekannt?« »Die hab ich, Mr. Rander. Sein Dienst beginnt erst gegen zwei undzwanzig Uhr. Wenn Sie wollen, können wir ihn vorher noch besuchen.« »Wie denken Sie darüber, Parker?« Rander sah zu seinem But ler hinüber, der schweigend, und sehr aufmerksam zugehört hat te. »Welche Handfeuerwaffe wünschen Sie zu tragen, Sir?« erkun digte sich der Butler nur. Für ihn stand es fest, daß dieser Walt Dalton unbedingt besucht werden mußte… * Die vier Männer fuhren mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage des Bürohauses und bestiegen hier Parkers hochbeiniges Monst rum. Der frisierte Rennmotor unter der eckigen Motorhaube brüll
te willig auf, als Parker vorsichtig Gas gab. Dann rollte er auf die schräge Rampe zu, die die Garage mit der Straße verband. Plötzlich bremste Parker den Wagen jäh ab. Mike Rander fand sich an der Windschutzscheibe wieder. Dan Shultz rutschte vom Rücksitz herunter und landete auf dem Wagenboden. Es paßte ihm gar nicht, daß sein Assistent Shelby es sich auf ihm bequem machte. »Ich möchte nur davor warnen, die Wagenscheiben herunterzu drehen«, sagte Parker. »Bleigeschosse, gleich welchen Kalibers, hätten sonst ungehinderten Zutritt.« Dann ließ er seinen Wagen erneut vorzischen. Shultz und Shel by wurden von der Gewalt des anziehenden Fahrzeuges gegen die Rückpolster geworfen, da sie sich gerade hochgerappelt hatten. Sekunden später hatte der Wagen bereits die Straße erreicht und bog auf zwei laut kreischenden Rädern in die Straßenmitte ein. Genau in diesem Augenblick glaubte Shultz einige Hagelkörner zu hören, die gegen die Wagenscheiben prasselten. »Schallgedämpfte Schüsse aus einer Maschinenpistole«, ver kündete Parker ungerührt. »Eine neue Errungenschaft unserer Gegner. Ich muß gestehen, haben sie sich sehr viel Mühe geben.« »Das waren Schüsse?« rief Ray Shelby beeindruckt aus, um sich gleich darauf an seinem dicken Chef festzuhalten. »Wir sind eben begehrte Leute.« Rander grinste Parker aner kennend zu. »Fragt sich nur, wer auf uns schießen laßt. Hayes oder irgendein anderer Gangsterboß, dem wir auf die Füße getre ten haben.« »Bestimmt ist Mr. Walt Dalton in der Lage, in dieser Hinsicht ei nige brauchbare Hinweise zu geben«, erklärte Parker und ließ sein Monstrum in die nächste Straße einbiegen, was bei den In sassen nicht ohne Komplikationen abging. Shultz und Shelby um armten sich erneut wider Willen und klebten zusammen wie zwei Brotschnitten. Parker minderte das Tempo, um die ständig steigenden Unkos ten an Strafmandaten nicht noch zusätzlich zu erhöhen. Dieses Tempo aber reichte immer noch vollkommen aus, die beiden un erfahrenen Privatdetektive wie zwei Bälle durch den hinteren Wa genraum rollen zu lassen. Sie waren in Schweiß gebadet, als sie endlich aussteigen durften.
»Ich… ich brauche eine Stärkung«, keuchte Dan Shultz und warf Parker einen klagenden Blick zu, »Um ein Haar hätten Sie mich umgebracht.« »Taktische Erwägungen zwangen mich, das Tempo unwesentlich zu erhöhen«, gab Parker würdevoll zurück. »Gangster hätten uns sonst verfolgen können.« »Lieber das, als noch einmal von Ihnen herumgeschaukelt zu werden«, meinte Shultz nachdrücklich. Er stützte sich so auf sei nen sehr viel schmaleren Assistenten auf, daß Shelby sofort in die Knie ging. »Sie können noch etwas frische Luft schnappen«, meinte Rander zu den beiden Detektiven. »Parker und ich werden in einer halben Stunde wieder zurück sein.« Dann schaute Mike Rander an dem grauen, schmutzigen und verbauten Haus hoch, in dem Walt Dalton wohnen sollte, falls Shultz und Shelby sich nicht geirrt hatten. »Hoffentlich keine neuen Überraschungen«, sagte er dann zu seinem Butler, der bereits auf die Haustür zuging und sie für sei nen jungen Herrn höflich aufdrückte. Sie gelangten in einen kaum erleuchteten Hausflur, von dem aus eine enge und steile Treppe hinauf in die Stockwerke führte. Rander wollte gerade die erste Stufe nehmen, als im ersten Stockwerk eine Tür ins Schloß fiel. Kurz darauf waren zwei Män nerstimmen zu hören. Eine davon klang heiter, fast fröhlich. »Darf ich Sie höflich bitten, sich noch etwas zu gedulden?« frag te Parker bei seinem jungen Herrn an, um ihn dann höflich, aber entschlossen aus dem Licht zu ziehen. »Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich gerade die Stimme jenes jungen Mannes ge hört, der Rita Malcona niederschießen wollte…!« »Verdammtes Pech…!« Lew Strapetta hatte längst wieder die Maschinenpistole im Wa gen verstaut und sah dem davonjagenden hochbeinigen Monst rum nach. »Wieder nichts!« »Ich hab genau auf die Scheiben gehalten«, beschwerte sich Joe Hyman. »Aber Essig, mein Junge…! Die Dinger sind nicht kleinzukriegen.« »Panzerglas«, meinte Lefty Claim. »Diese Schnüffler arbeiten mit allen Tricks. So was müßte glatt verboten werden.« »Und jetzt, Chef?« erkundigte sich Strapetta. »Warten wir, bis die Schnüffler zurückkommen?«
»Nee, lieber nicht. Wer weiß, welche Teufeleien die sonst noch aushecken«, entgegnete Lefty Claim. »Jetzt ist die Konkurrenz mal an der Reihe.« »Hayes und seine Gang?« »Richtig, Lew. Die spitzen wir jetzt noch mal richtig an, damit sie über die Schnüffler herfallen.« »Und wie willst du das machen, Chef?« erkundigte sich Hyman. »Keine Sorge, dafür gibt’s Rezepte.« Lefty Claim grinste tü ckisch. »Los, fahr’ zur nächsten Telefonzelle! Ich muß Hayes an rufen!« »Dann weiß er doch, was los ist«, rief Strapetta aus. »Du Kamel, ich ruf ja nicht unter meinem Namen an«, meinte Claim kopfschüttelnd. »Natürlich tu ich so, als war ich Rander. Geht dir jetzt ein Licht auf?« »Mann, toll…!« Strapetta sah seinen Chef begeistert und be wundernd an. »Auf die Idee würd’ ich nie kommen!« »Glaube ich dir aufs Wort«, gab Lefty Claim ironisch zurück. Gemütlich rekelte er sich am Polster zurecht und war sehr mit sich zufrieden… * Wesentlich weniger zufrieden war Glenn Hayes, als er fünfzehn Minuten später den Telefonhörer wieder auflegte. Ratlos und nachdenklich sah er Lee, Harris an, der neben dem Schreibtisch des kleinen Installationsbüros stand. »Ist was?« fragte Harris. »Mike Rander hat eben angerufen«, berichtete Hayes. »Er hat mir Rache geschworen, weil wir schon wieder auf ihn und seinen verdammten Butler geschossen haben sollen.« »Stimmt doch überhaupt nicht«, erklärte Harris aufgebracht. »Wem sagst du das…!? Aber wer kann da geschossen haben?« »Ich komm’ einfach nicht dahinter, wer uns diese Suppe ein brockt«, antwortete Harris. Er wandte sich an Norman Culler, den Messerwerfer, der sich nach alter Tradition, und wie es in ein schlägigen Filmen immer wieder gezeigt wird, mit einem seiner Wurfmesser die Fingernägel reinigte. »Muß einer sein, der uns verdammt gut kennt«, schlußfolgerte Norman Culler, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
»Einer, der uns verdammt gut kennt!« Hayes wiederholte me chanisch diese Worte, um dann plötzlich wie von einer Tarantel gebissen aufzuspringen. »Einer, der uns verdammt gut kennt! Das ist es, Jungens. Jetzt hab’ ich die richtige Witterung.« »Und wer ist das?« fragten Culler und Harris wie aus einem Mund. »Wer wohl…? Wem haben wir in letzter Zeit massenhaft die Kunden abgejagt, he? Wem haben wir das Wasser abgegraben, nachdem Rander und Parker im vergangenen Jahr die Claim-Gang hochgenommen haben?« »Lefty Claim…!« Lee Harris nickte sehr nachdrücklich. »Klar, Boß, der hat doch in unserer Branche gearbeitet. Und als sie von der Bildfläche verschwinden mußten, haben wir Claim die Kunden weggeschnappt.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, meinte Glenn Hayes. »Jetzt ist mir alles klar.« »Und Claim kennt uns erstklassig«, führte Lee Harris weiter aus. »Er weiß, daß Culler früher mal Messerwerfer gewesen ist. Und er weiß, daß ich mal mit Rita befreundet gewesen bin.« »Und deswegen ist Rita auch umgelegt worden«, erklärte Glenn Hayes in der rüden Ausdrucksweise seiner lichtscheuen Branche. »Claim will Rander und Parker mit allen Mitteln auf uns hetzen.« »Zum Henker, warum denn?« fragte Norman Culler, der mit dem Messer zwar recht schnell war, mit den grauen Zellen seines Gehirns aber nur wenig anzufangen wußte. Glenn Hayes verdrehte die Augen und seufzte schwer. »Begreif doch endlich«, sagte er dann mit erzwungener Geduld. »Claim will erreichen, daß Rander und Parker uns angreifen. Und er hofft, daß wir uns das nicht gefallen lassen.« »Worauf er sich verlassen kann«, meinte Norman Culler dro hend. »Mit diesem Butler hab’ ich noch ein Hühnchen zu rupfen.« »Eben, das wollen die Claim-Leute doch nur. Während wir uns mit Rander und Parker herumschlagen, kann Claim seine Ver kaufsorganisation wieder in aller Ruhe aufbauen. Hast du’s jetzt endlich kapiert?« »Ich glaub’ schon«, behauptete Norman Culler etwas sehr unsi cher. »Aber wir werden Claim was pfeifen«, redete Glenn Hayes wei ter. »Er kann so lange warten, bis wir uns an Rander und Parker ranmachen. Wenn wir schon loslegen, dann gegen Claim.«
»Von mir aus sofort«, sagte Norman Culler. »Nur nichts überhasten«, warnte Glenn Hayes. »Wir dürfen jetzt keine Fehler machen.« »Seit wann hast du Angst, Chef?« fragte Norman Culler. Er warf das Messer hoch in die Luft und fing es geschickt wieder auf. »Was hat das mit Angst zu tun?« brauste Hayes auf. »Gerade du müßtest doch wissen, was mit diesem Parker los ist. Der hat dich doch ganz schön aufs Kreuz gelegt, oder?« »Und dafür werd’ ich mich revanchieren«, versprach Norman Culler. »Der soll mich noch kennenlernen. Dann werd’ ich ihm zeigen, wer besser mit dem Messer umgehen kann, er oder ich…!« »Claim muß von der Bildfläche verschwinden«, überlegte Hayes laut. »Früher oder später wird er sich wieder mausig machen. Wenn sein Trick mit Rander und Parker nicht klappt, wird er sich was anderes einfallen lassen.« »Was werden wir tun?« fragte Lee Harris. »Wir räuchern Claim und seine Jungens aus«, schlug Glenn Hayes vor. »Dann haben wir endgültig Ruhe vor ihm. Und ziehen die letzten Kunden von ihm an uns.« »Und anschließend rechnen wir mit diesem Butler ab«, sagte Norman Culler hartnäckig. »Warum drehen wir den Spieß nicht einfach um?« erkundigte sich Lee Harris und grinste triumphierend. »Welchen Spieß?« fragte Norman Culler, dessen Hirnzellen ein fach nicht mitspielen wollten. »Mann, das war doch bildlich gemeint«, fuhr Harris seinen Part ner an. »Hättest du ja vorher sagen können, ich bin ja kein Hellseher.« »Mal Ruhe, Boys, Lees Idee ist gar nicht so schlecht.« Glenn Hayes schmunzelte. »Wir stecken Rander und Parker, daß Claim diesen ganzen Wirbel verursacht hat. Dann wissen sie, an wen sie sich zu halten haben. Und wenn sie dort auftauchen, schalten wir uns ein und räumen gründlich ab. Und die Polente glaubt schließ lich, Rander und Parker seien von Claim umgebracht worden.« »Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr«, beschwerte sich Norman Culler. »Hat auch kein Mensch zu hoffen gewagt«, erwiderte Hayes iro nisch. »Hauptsache, ich weiß, was jetzt auf dem Spielplan steht,
mein Junge. Verschiedene Leute werden sich bald gründlich wun dern…!« * Walt Dalton war nicht sonderlich erbaut, als er Parker vor sich sah. »Wie haben Sie mich gefunden?« fragte er mürrisch. »Ich wet te, Rita hat Ihnen meine Adresse gegeben, oder?« »Dazu war sie leider nicht mehr in der Lage«, gab der Butler zu rück. »Wieso, war…!« »Rita Malcona lebt nicht mehr«, sagte der Butler. »Mit anderen Worten, und um genau zu sein, sie wurde ermordet!« Walt Dalton sah den Butler völlig entgeistert an. Dann schluckte er und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Korri dors. »Sie… ist… ermordet worden?« wiederholte er dann. »Sie fiel zwei Revolverschüssen zum Opfer«, erläuterte Parker. »Wenn Sie es wünschen, drücke ich Ihnen gern mein Beileid aus.« »Moment mal, und jetzt glauben Sie, ich hätte sie umge bracht?« »Hatten Sie das nicht schon einmal versucht?« antwortete der Butler. »Ich darf mir erlauben, Sie an gewisse Vorfälle zu erin nern, die sich in der dunklen Gasse neben dem >AmazonasNachtclub< abgespielt haben.« »Aber ich wollte sie doch gar nicht umbringen«, stöhnte der junge Mann. »Glauben Sie mir, ich hätte niemals auf sie geschos sen.« »Ob die Polizei Ihnen das auch glauben wird, steht auf einem völlig anderen Blatt«, meinte Parker. Mike Rander mischte sich nicht ein. Er hörte nur zu und amüsierte sich wieder einmal über die völlig unkonventionelle Verhörtechnik seines Butlers. »Polizei…?« Walt Dalton wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Eine Möglichkeit, die man immerhin in Erwägung ziehen soll te«, tippte der Butler an. »Aber ich darf wohl vorschlagen, daß wir diese Themen nicht gerade in diesem Treppenhaus abhan deln, zumal dieser Ort hier wenig erfreulich ist.«
Die drei Männer suchten und fanden eine kleine Bierbar, in der sie sich ungestört weiter unterhalten konnten. Parker nahm den Faden der Unterhaltung wieder auf, nachdem einige erfrischende Getränke serviert worden waren. »Sie hatten also Streit mit Miß Malcona«, stellte er fest. »Es würde mich interessieren zu erfahren, welcher Anlaß es war, der zu dieser handfesten Auseinandersetzung führte. Sollte vielleicht so etwas wie Eifersucht mit im Spiel sein?« Walt Dalton nickte nur. »Sie wollte sich von Ihnen trennen?« fragte Parker. »Sie hatte sich mit irgendeinem Kerl getroffen«, brach es aus Walt Dalton heraus. »Hinter meinem Rücken. Und sie belog mich noch dazu. Sie stritt das glatt ab. Obwohl ich’s doch mit eigenen Augen gesehen habe.« »Ich würde gern erfahren, mit wem sie sich wo traf?« »Mit einem gewissen Claim, wenn ich richtig gehört habe.« Walt Dalton merkte nicht, daß Parkers Augen plötzlich sehr wach und aufmerksam wurden. »Lefty Claim…!« Bei Mike Rander wirkte dieser Name wie eine explosionsartige Zündung. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Lefty Claim«, wiederholte Walt Dalton noch einmal. »Wer das ist, weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Ich weiß nur, daß sie mich betrogen hatte. Und das, obwohl wir bald heiraten wollten…!« Walt Dalton stierte einen Moment zu Boden. Dann hob er jäh den Kopf und sah Parker forschend an. »Wer hat Rita umgebracht?« fragte er dann mit fast schriller Stimme. »Sobald ich nähere Einzelheiten darüber in Erfahrung bringen kann, werde ich mich umgehend mit Ihnen in Verbindung set zen«, antwortete Josuah Parker. »Ich bedanke mich auch im Na men von Mr. Rander für dieses Gespräch, Mr. Dalton.« * »Der Fall liegt klar auf der Hand«, faßte Mike Rander noch ein mal zusammen. »Parker und ich haben Claims Gang vor Monaten unschädlich gemacht und auffliegen lassen. Das heißt, alle seine Zwischenverkäufer mußten einpacken und wurden eingesperrt.
Nur Claim und einige wenige seiner Gang konnten sich herausre den. Seinerzeit beschlagnahmte die Polizei die gesamten Rausch giftvorräte der Claim-Bande.« »Kein Wunder, daß er scharf auf Sie und Parker ist«, warf Dan Shultz ein. »Eben. Und er wird beschlossen haben, Parker und mich umzu bringen«, führte Rander weiter aus. »Vorsichtig, wie Claim nun einmal ist, wollte er dieses Doppelmordgeschäft nicht selbst ü bernehmen. Die Polizei sollte nach unserer Ermordung in die Irre geführt werden.« »In Richtung auf Hayes und seine Gang, nicht wahr?« Ray Shel by nickte lächelnd. »Nicht schlecht ausgedacht, Mr. Rander. Er hätte damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er hätte sich an Ihnen und Parker gerächt und gleichzeitig dafür gesorgt, daß Hayes in Schwierigkeiten gerät, wenn sie sich nicht sogar gegenseitig umgebracht hätten.« »Das ist sein Plan«, bestätigte Mike Rander und nickte. »Und dagegen müßte man eigentlich etwas unternehmen.« »Heben wir Claim und seine Gang aus?« erkundigte sich Dan Shultz. »Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich noch nicht gegessen habe.« »Rita Malcona war der Lockvogel«, redete sein Assistent Ray Shelby weiter. »Sie wird im Auftrag von Claim gearbeitet haben. Und der Drohbrief an Sie, Mr. Rander und an Ihren Butler sollte auf Umwegen auf Norman Culler hinweisen.« »Ganz schön raffiniert«, sagte Rander und nickte zustimmend. »Rita hat sich von Claim kaufen lassen. Das geht schon daraus hervor, daß die beiden Mörder auf der Farm wiederholt von Hayes gesprochen haben. Vielleicht war hier zu dick aufgetragen wor den.« »Und Miß Malcona mußte sterben, nachdem sie ihre Schuldig keit getan hatte«, fügte der Butler hinzu. »Wenn ich mir einen Hinweis erlauben darf, Sir, so ist es an der Zeit, der Claim-Gang einen Denkzettel zu verabreichen.« »Das ist unser Stichwort.« Rander drückte die Zigarette im A scher aus und sah die beiden Privatdetektive Shultz und Shelby an. »Kümmern Sie sich ab sofort um Claim! Finden Sie heraus, wo er steckt und wo er sich eingerichtet hat! Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust! Denken Sie daran, daß wir beweiskräftig
nichts gegen Claim unternehmen können! Was wir hier geäußert haben, waren reine Vermutungen!« »Wo erreichen wir Sie, Mr. Rander?« wollte Shultz wissen. »Hier in meiner Wohnung. Allerdings erst in ein oder zwei Stun den. Parker und ich werden uns mit Glenn Hayes unterhalten. Vergessen wir nicht, daß auch er ein Gangster ist. Und ein viel leicht nicht viel üblerer als Claim, denn er steckt tief im Rausch giftgeschäft. Es wird Zeit, daß auch ihm das Handwerk gelegt wird…!« * Glenn Hayes, Lee Harris und Norman Culler verließen das Hin terhaus. Sie wollten zum Wagen neben den düsteren Hinterhofga ragen und anschließend einen kleinen Ausflug unternehmen. Für diesen Ausflug hatten sie sich bereits gerüstet. Sie trugen Werkzeugtaschen aus dickem Segeltuch und schienen eine drin gende, nächtliche Montagearbeit ausführen zu müssen. Doch ne ben dem Werkzeug in diesen Taschen befanden sich handliche Schußwaffen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Hayes und seine beiden Monteure wollten sich mit Claim befas sen. Vorher aber sollten noch Mike Rander und sein Butler ange rufen werden. Glenn Hayes träumte davon, sie und die ClaimGang in einem Aufwaschen erledigen zu können. Und zwar in Grunde risikolos. Die eintreffende Polizei sollte später annehmen, Claim und Rander und Parker hätten sich gegenseitig und nach drücklich umgebracht. Ein sauberer Plan, zweifelsfrei… Er hatte nur den Nachteil, daß Harris plötzlich den Butler aus machte, der durch den fast dunklen Torweg kam. Dennoch war der Butler nicht zu übersehen. Selbst das schwache Hoflicht reich te vollkommen aus, seine typische Silhouette identifizieren zu können. »Parker«, sagte Harris zusätzlich. »Mann, darauf hab’ ich doch nur gewartet«, freute sich Norman Culler und griff nach seinem schweren Wurfmesser. »Messer weg…!« zischte Glenn Hayes. »Doch nicht hier. Wenn schon, dann vor Claims Haustür, du Idiot…!«
»Ich hoffe, ich störe nicht sonderlich«, sagte Parker, der die drei Männer inzwischen erreicht hatte. Höflich lüftete er seine schwar ze Melone. »Sie sind auf dem Weg, dringende Arbeiten zu erledi gen?« »Kann man wohl sagen«, antwortete Glenn Hayes grinsend. »Ist bei Ihnen etwa auch ‘ne Leitung kaputt?« »Weniger bei meiner bescheidenen Wenigkeit, als vielmehr bei einem gewissen Mr. Lefty Claim.« »Claim?« fragte Hayes vorsichtig und gab sich zurückhaltend. »Wer ist das?« »Nun, einer Ihrer früheren Konkurrenten, der wahrscheinlich wieder zurück ins Geschäft möchte«, antwortete Parker und stützte sich auf seinen schwarzen Universal-Regenschirm. »Also auch ‘n Installateur«, bemerkte Hayes, der zur Tarnung seiner Rauschgiftgeschäfte tatsächlich eine echte Installationsfir ma besaß, da er in früheren Jahren einmal in dieser durchaus ehrenwerten Branche gearbeitet hatte. »Ich hatte jetzt, um frei und offen zu sein, mehr an gewisse Rauschgiftgeschäfte gedacht«, sagte Parker höflich. »Wollen Sie damit sagen, daß auch ich Rauschgift verkaufe?« »Ich sprach von Claim«, korrigierte Parker. »Ich muß Sie ent täuschen, wenn Sie jetzt und gerade an eine Beleidigungsklage dachten. Die, falls überhaupt, sollten Sie an Mr. Claim richten, wenn ich mir diesen vorsichtigen Hinweis erlauben darf.« »Claim soll mich beleidigt haben?« »Mehr als nur das«, entgegnete der Butler in seiner unnach ahmlich höflichen Art. »Er rechnet offensichtlich damit, daß es zwischen Ihnen, Mr. Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit zu einem offenen Streit kommt.« »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?« fragte Hayes, der immer vorsichtiger wurde. »Mit anderen Worten, Mr. Claim möchte den Anschein erwe cken, daß Sie und Ihre Angestellten alles tun, um Mr. Rander und mich zu erschießen. Ich hoffe, ich war diesmal deutlich genug.« »Wie kommen Sie denn darauf?« wunderte Hayes sich laut. Scheinbar ratlos sah er Harris und Culler an. »Den Beweis kann ich leider nicht antreten, Mr. Hayes«, erklär te der Butler. »Noch nicht, wie ich hinzufügen möchte.« »Wo wohnt dieser Claim?« fragte Hayes unnötigerweise.
»Verlangen Sie nicht von mir, daß ich Ihnen die Adresse dieses Mannes nenne«, erwiderte Parker zurückhaltend. »Sagten Sie nicht, daß Sie einen Mann namens Claim gar nicht kennen? So muß ich dann wirklich unterstellen und glauben, daß ich einem bedauerlichen Irrtum zum Opfer gefallen bin.« »Oder auch nicht, Parker…!« Während Hayes sprach, zog er blitzschnell eine seiner vielen Waffen. Es handelte sich um eine solide 45er, deren Mündung er Parker gegen die kurzen Rippen preßte. »Nur keine Aufregung, Parker…! Sobald wir uns in aller Ruhe unterhalten haben, können Sie von mir aus wieder abhauen!« »Ich beuge mich, wenn auch unter Protest, der nackten und ro hen Gewalt«, sagte der Butler. »Zwingen Sie einen alten Mann nicht, die Hände zu heben.« »Wozu wir Sie noch zwingen werden, sagen wir Ihnen später«, gab Hayes zurück. Dann wandte er sich an seine beiden Mitarbei ter Harris und Culler. »Los, saust rüber zur Straße und schnappt euch den Anwalt. Wo Parker ist, kann der nicht weit sein.« »Ich muß Sie enttäuschen«, sagte der Butler. »Mein junger Herr befindet sich zu dieser Stunde an anderer Stelle. Mit anderen Worten, er ist nicht mitgekommen.« »Los, nachsehen«, schnauzte Hayes nervös. Er hatte kurzfristig seine Pläne geändert. Er wußte noch nicht mit letzter Sicherheit, ob seine Pläne auch durchzuführen waren. Pannen konnte er ge rade jetzt nicht brauchen. »Drehen Sie sich um«, herrschte er Parker an. Und dann, als Josuah Parker diesem Wunsch nachkam, schlug der Gangsterboß mit dem Lauf seiner Waffe kurz und trocken zu. Der Butler stöhnte diskret auf. Dann rutschte er haltlos in sich zusammen und blieb auf dem nackten Steinboden des Innenhofes regungslos liegen… * Mike Rander war selbstverständlich mitgekommen, doch er blieb im Hintergrund. So hatte er es vorher mit seinem Butler ausge macht. Hayes war eben nicht zu trauen. Er hörte von der Straße her, daß Parker sich unterhielt. Dann, nach wenigen Minuten schon, ein dumpfes Stöhnen.
Mike Rander wußte sofort, daß seinem Butler etwas zugestoßen sein mußte. In der ersten Aufwallung wollte er sich durch den Torweg hinüber in den Innenhof stürzen, um dem Butler Beistand zu leisten. Dann besann er sich aber gerade noch im letzten Au genblick auf die gemeinsame Absprache. Mike Rander lief zu Parkers hochbeinigem Monstrum zurück und blieb stehen. Würden die Hayes-Gangster Ausschau nach ihm halten? Tatsächlich… Man suchte nach ihm. Schritte waren zu hören. Mike Rander öffnete den hohen Kofferraum des hochbeinigen Monstrums und ließ sich in den Stauraum hineingleiten. Vorsichtig ließ er den Deckel wieder zufallen und verriegelte ihn von innen. Parker hatte alle diese zusätzlichen Dinge, auch das Innenschloß des Kofferraums einbauen lassen, eine Maßnahme, die sich gera de jetzt als besonders richtig erwies. Die schnellen Schritte näherten sich dem Wagen, in dessen Kof ferraum Mike Rander Platz genommen hatte. Zwei Männer unter hielten sich leise miteinander, Einzelheiten waren aber leider nicht zu verstehen. Schon nach kurzer Zeit wurden die Stimmen und Schritte schwächer. Die beiden Männer kehrten sehr wahrschein lich in den Innenhof zurück. Mike Rander wußte nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. Ab sofort war er auf Improvisation angewiesen. Ging die Rechnung des Butlers auf, daß man bei einem eventuellen Zwischenfall da für sorgen würde, daß der Wagen weggeschafft wurde? Erneute Schritte. Mike Rander bedauerte es gerade in diesem Moment ungemein, daß sein Butler es versäumt hatte, eine Art Periskop einzubauen, durch das man die Umgebung des Wagens hätte beobachten können. So war er nur auf sein Gehör angewiesen. Nun, irgendwelche Hände beschäftigten sich mit dem Wagen. Eine Tür wurde geöffnet. Dann sank der Wagen in die an sich strammen Stoßdämpfer und Federn. Er wurde also nicht nur mit einer weiteren Person belastet. Kurz darauf brummte der Motor auf. Dann setzte das hochbeini ge Monstrum sich in Bewegung und fuhr los. Doch schon an der Art des Starts konnte der junge Anwalt merken, daß nicht sein Butler am Steuer saß…
* Parker war wieder zu sich gekommen. Das heißt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eigentlich war er überhaupt nicht bewußtlos gewesen. Der zuschlagende Revolver lauf hatte zwar seinen Kopf getroffen, daran gab es nichts zu zweifeln, doch der grausamharte Schlag war durch die Stahl blecheinlage der steifen Melone bis auf ein Minimum gedämpft worden. Parker genoß es, einmal gefahren zu werden. Und zwar in sei nem eigenen Wagen. Er lag auf dem Rücksitz seines hochbeinigen Monstrums und wurde von dem Messerhelden Norman Culler bewacht, der neben ihm saß. Am Steuer wirkte Lee Harris, der einige Schwierigkeiten hatte. Neben ihm hatte es sich der Bandenboß, Mr. Glenn Hayes bequem gemacht. Parker rührte sich nicht. Er wollte herausbekommen, was die Gangster planten. »Wohin soll’s nun gehen, Boß?« fragte Harris auch prompt, als habe er nur auf sein Stichwort gewartet. »Raus zum See… zur Hütte… Den Weg kennst du ja…!« »Da draußen ist es aber verdammt einsam«, meinte Lee Harris. »Deswegen fahren wir ja dorthin«, erwiderte Hayes lächelnd. »Wir werden Parker dort ablegen und dann die Claim-Leute anlo cken. Anschließend machen wir reinen Tisch. Womit wir dann aus dem Schneider wären, oder nicht?« »Na, ob Claim und seine Leute antanzen werden, Boß?« fragte Lee Harris. »Die werden kommen, darauf kannst du dich verlassen. Ich werde ihnen Parker zum Fraß vorwerfen.« »Verstehe ich nicht.« »Sehr einfach. Ich rufe Claim an und sage ihm, daß ich Rander und Parker erwischt habe. Ich werde Claim vorschlagen, daß wir uns für die Zukunft einigen wollen. Dazu gehört aber, daß wir gemeinsam Rander und Parker verschwinden lassen, damit wir uns gegenseitig in der Hand haben.« »Ob Claim uns das abnehmen wird?« »Er wird, wenn er Parkers Stimme hört. Claim wird mit seinen Jungens sofort anrauschen. Und das ist für uns dann die Gele
genheit, Claim aus dem Wege zu schaffen! Rander und Parker knallen wir später mit Claims Waffen nieder. Die Polizei muß dann annehmen, daß Claim sich mit Rander und Parker herumgeschos sen hat. Sie wird uns auf keinen Fall das Gegenteil beweisen kön nen.« »Klingt verdammt gut«, meinte Lee Harris, dessen skeptischer Unterton in der Stimme sich verflüchtigte. »Aber wird Claim nicht doch mit einer Falle rechnen?« »Natürlich wird er das. Dazu ist er viel zu mißtrauisch. Aber er wird trotzdem kommen. Einmal wegen Parker, dann wegen uns. Er hofft natürlich, uns aus dem Anzug stoßen zu können.« »Na schön… In der Beziehung wird er sich mächtig täuschen, Boß. Bleibt nur noch dieser Anwalt Rander. Es ist ja nun ‘ne Tat sache, daß er noch frei herumläuft.« »Ohne seinen Butler kann er nicht viel machen«, beschwichtigte Hayes seinen Mitarbeiter. »Rander erwischen wir irgendwann mal später. Der eilt nicht so…!« * »Das is’ ‘ne Falle«, beschwor Joe Hyman seinen Boß, nachdem Lefty Claim den Hörer aufgelegt hatte. »Das is’ ‘ne gemeine Fal le…! Hayes wird sich niemals mit uns einigen. Dazu ist er viel zu gierig. Der will uns nur aufs Kreuz legen.« »Wem sagst du das?« wunderte sich Lefty Claim und grinste. »Natürlich will Hayes uns fertigmachen. Klarer Fall… Aber wir wis sen das, und das macht den Unterschied.« »War wirklich dieser komische Butler am Telefon?« schaltete sich Lew Strapetta mit seiner Frage ein. »Klar war er’s…! Ich hab’ seine Stimme genau erkannt.« »Fahren wir nun raus an den See oder nicht?« wollte Joe Hy man wissen. »Wir fahren raus, aber wir sorgen für ein paar hübsche Überra schungen.« »Bringen wir ihm was mit?« fragte Strapetta naiv, wie es seine Art war. »Ja, blaue Bohnen.« Lefty Claim grinste. »Wir schnappen uns Hayes und seine Jungens. Dann sorgen wir dafür, daß Parker und die Hayes Jungens sich angeblich gegenseitig umbringen. Und die
Polizei wird uns später nichts am Zeug flicken können. Wir stehen mit sauberer Weste da…!« »Prächtig«, freute sich Joe Hyman. »Aber wie legen wir Hayes rein? Einfach ist das nicht.« »Paßt mal gut auf, Boys«, sagte Claim. »Ich hab’ da wieder ‘ne prächtige Idee. Die muß hinhauen. Und ich sag’s euch schon jetzt, in spätestens einer Stunde haben wir unser Problem gelöst und sind wieder allein im Verkauf, wetten?« * Josuah Parker sah ungemein mitgenommen aus. Die Behandlung durch die drei Gangster Hayes, Harris und Cul ler schien diesmal wirklich an seiner Substanz genagt zu haben. Wie ein müder, alter und verbrauchter Mann ließ er sich vor allen Dingen von Jorman Culler herumstoßen. Die drei Gangster und Josuah Parker befanden sich in einem Holzhaus hart am See, in dem sich während der Badesaison eine Art Schnellimbiß befand. Dieser Holzbau lag in einem jetzt arg verwilderten Garten. An dem langen Bordsteg, der hinaus in den See führte, schaukelten mit Planen abgedeckte Boote aller Art und Größe. Josuah Parker stand an der Stirnseite der leergeräumten, hohen Bartheke, vor der die Sitzhocker am Boden festgeschraubt waren. Auf einem dieser drehbaren Hocker lümmelte sich Norman Culler herum und spielte mit einem seiner Wurfmesser. Hayes und Lee Harris unterhielten sich leise. Sie standen an ei nem der niedrigen, breiten Fenster, durch die man hinaus auf den weiten Vorplatz sehen konnte, der sonst wohl als Parkplatz dien te. Obwohl sie ziemlich leise miteinander sprachen, konnte Parker sie recht gut verstehen. »Du kletterst rauf in das Gebälk«, sagte Hayes und deutete hin auf zur Decke der Eßbar, wo die nackten Holzstreben des Daches zu sehen waren. »Bleib gleich über der Tür, Lee… Und sobald Claim und seine Leute drin sind, brauchst du nur drauf zuhalten.« »Haut das auch hin?« erkundigte sich Harris.
»Du brauchst nur richtig hinzuhalten«, meinte Hayes lächelnd. »Sie werden niemals auf den Gedanken kommen, daß du unter dem Dach hockst.« »Und ihr…?« »Ich werde dort an der Theke stehen«, sagte Hayes. »Ich werd’ zuerst vollkommen vernünftig mit Claim reden. Und dann, wie’n Blitz aus heiterem Himmel, drückst du ab. Ich werd’ dir ein Zei chen geben.« »Und wie sieht das aus?« »Ich zupf an meinem Ohrläppchen ‘rum…! So, nun weißt du Be scheid, klar?« »Claim wird sich wundern.« Lee Harris schmunzelte, als gälte es, einen tollen Spaß in Szene zu setzen. Dann aber wurde er jäh wieder ernst. »Und was ist mit diesem Butler? Wird der uns kei nen Strich durch die Rechnung machen?« »Dafür werde ich schon sorgen«, versprach Hayes. »Den lass’ ich von Culler in den Keller schaffen.« »Und wann werden Claim und seine Leute wohl hier antanzen, Boß?« »Innerhalb der nächsten halben Stunde. Paß genau auf! Da o ben im Gebälk ist das kleine, runde Oberlicht. Von dort aus hast du einen erstklassigen Überblick. Alarmier’ uns sofort, sobald ein Wagen auftaucht!« »Bleibt der komische Wagen von Parker auf dem Parkplatz?« »Natürlich. Der ist doch der Beweis, daß wir Parker einkassiert haben.« Parker sah interessiert zu, wie Lee Harris nach oben ins Dach gebälk kletterte. Harris und Hayes stellten so viele Tische und Stühle übereinander, bis Harris ohne Schwierigkeiten verschwin den konnte. Anschließend räumte Hayes Tische und Stühle wieder ab und stellte die alte Ordnung wieder her. Von Lee Harris war nichts mehr zu sehen. Josuah Parker mußte ehrlich einräumen, daß Hayes auf einen tödlich guten Gedanken gekommen war. Sein Plan mußte glü cken. Parker beobachtete Norman Culler, der auf dem Drehstuhl vor ihm saß und im Moment einen recht desinteressierten, fast abwe senden Eindruck machte.
Parker fragte sich, ob es an der Zeit, war, das Heft wieder in die Hand zu nehmen. Sollte er versuchen, die drei Gangster zu über raschen? Mit Norman Culler und Glenn Hayes konnte das durch aus glücken. Aber da war noch dieser Lee Harris im Dachgebälk. Seine Position war in jeder Beziehung beherrschend. Doch bevor der Butler einen Entschluß fassen konnte, war die Stimme von Lee Harris zu hören. »Da kommt ein Wagen an«, rief er aus dem dichten Gebälk nach unten. »Der Schlitten schwenkt hier auf den Parkplatz ein. Ich glaube, Boß, gleich geht’s los…!« * Parker ließ sich von Culler aus dem Gastraum schieben. Er wirkte vielleicht noch hinfälliger als vor wenigen Minuten. Er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Er stütz te sich mit dem rechten Unterarm immer wieder an der Wand des Korridors ab. »Nun beeil’ dich schon, verdammtes Wrack«, schimpfte Culler. »Ich will dabei sein, wenn das Theater losgeht…!« »Ja doch, ja doch…« Parker holte tief Luft und überstand nur mit Mühe einen neuen Schwächeanfall. In diesem Augenblick beging Culler einen Fehler. Seine linke Hand legte sich wie eine böse Klaue auf Parkers Schulter. Dies geschah nicht etwa aus Hilfsbereitschaft, sondern nur, um Parker weiter anzutreiben. Des Butlers rechte Hand kroch vor der Brust hoch. Dann faßte er blitzschnell nach Cullers Fingern. Parker schaffte es durch eine Folge von kleinen Tricks, daß Cul ler jäh wie ein Frosch in die Luft sprang und dann einen gekonn ten Salto schlug. Anschließend landete er mit dem Rücken auf dem harten Boden des Korridors. Natürlich wollte Culler sein Messer durch die Luft befördern. Und zwar in Richtung auf den Butler. Doch auch dazu reichte es nicht mehr, denn Parker ließ seine Melone zu Boden fallen. Sie landete mit der Rundung und der dazugehörigen Stahlblech füllung auf dem Handgelenk des Gangsters. Daraufhin verlor Norman Culler sein Messer und zeigte sich äußerst beeindruckt.
Bevor Culler schreien konnte, fiel ein zweiter Gegenstand auf den Gangster hinunter. Diesmal handelte es sich um den bleigefütterten Griff des Uni versal-Regenschirms, den Parker ja immer noch mit sich führte. Cullers Kopfpartie war ungeschützt. Der Aufprall des Griffes war dementsprechend hart. Norman Culler verdrehte die Augen, seufzte noch einmal wie ein satter Säugling, um dann sofort sein Bewußtsein zu verlieren. Parker zog und zerrte den am Boden liegenden Mann in eine kleine Abstellkammer hinein, die er anschließend von außen verschloß. Dann machte er sich auf den Weg zurück zum Gastraum, um dort, falls notwendig und gewünscht, einzugrei fen… * »Du hast nur Hyman mitgebracht?« fragte Hayes genau in die ser Sekunde. Claim, der den Gastraum betreten hatte, nickte stumm. Mit schnellen Augen sah er sich im Gastraum um und suchte nach verborgenen Fallen. »Wo sind deine Jungens?« wollte er dann wissen. »Harris und Culler…?« »Verdammt, du weißt genau, wen ich meine. Wo stecken sie…?« »Die sind unten am Wasser. Die machen das Boot für Parker und Rander fertig.« »Wieso…?« Claim blieb mißtrauisch. Sein Begleiter Hyman trat etwas tiefer in den Gastraum hinein und sah sich um. Die Be leuchtung im Schnellimbiß war nicht gerade festlich zu nennen. »Na, wenn wir sie abserviert haben, müssen sie ja schließlich erst mal verschwinden, oder?« Lefty Claim nickte und entspannte sich etwas. Er war sich seiner Sache vollkommen sicher, da Lew Strapetta ja zu Fuß unterwegs war, um von irgendeinem Fenster aus auf Hayes und dessen Mitarbeiter zu schießen. »Ich denke, wir lassen das verdammte Mißtrauen«, sagte Hay es. »Vergessen wir, was gewesen ist, Lefty. Wir alle haben
Dummheiten begangen. Aber die lassen sich ja wieder ausbügeln, oder?« »Hört sich nicht schlecht an, Glenn«, gab Lefty Claim zurück. »Und wie stellst du dir die Zusammenarbeit in Zukunft vor?« »Wir ziehen das Heroingeschäft gemeinsam auf«, schlug Hayes vor. »Und wir teilen ehrlich.« »An mir soll’s nicht liegen«, antwortete Lefty Claim und wunder te sich gleichzeitig darüber, daß Strapetta noch nicht schoß. »An mir sicher auch nicht«, sagte auch Glenn Hayes und nahm sich vor, schon bald an seinem Ohrläppchen zu zupfen. »Gibt’s hier was zu trinken?« erkundigte sich Joe Hyman. Er stand mit dem Rücken zur Wand und kontrollierte die beiden Tü ren hinter der Theke. »Wollte ich gerade vorschlagen«, meinte Hayes. Er griff vorsich tig nach einer vorher bereitgestellten Whiskyflasche und näherte sich dem Tisch, hinter dem Lefty Claim sich aufgebaut hatte. »Hoffentlich ist das hier keine Falle«, sagte Claim, der sich ir gendwie unbehaglich fühlte. »Ich spiele mit offenen Karten«, log Hayes und bemühte sich, das Gesicht eines Ehrenmannes zu zeigen. »Ich nämlich auch«, schwindelte Claim treuherzig. »Einmal muß der Ärger ja begraben sein. Ich denke, darauf sollten wir trin ken.« »Ausgezeichnet«, pflichtete Hayes seinem Gast bei. »Hauptsa che, Rander und dieser verdammte Parker verschwinden für im mer.« »Wo stecken die jetzt?« »Im Keller… Da sind sie sicher… Die richten kein Unheil mehr an.« »Wann kommen deine Jungens vom Wasser zurück?« wollte Lefty Claim wissen. »Die lassen sich aber verdammt viel Zeit.« »Kann ich auch nicht verstehen«, sagte Glenn Hayes und griff nach seinem Ohrläppchen. Worauf prompt geschossen wurde… *
Glenn Hayes, Lefty Claim und Joe Hyman sprangen entsetzt auseinander, als Lee Harris im Sturzflug das Dachgebälk verließ und auf einem Tisch landete. Lefty Claim schaltete sofort. »Verdammter Schuft«, rief er in seiner wenig schönen Aus drucksweise. Er meinte nicht Harris, sondern dessen Chef Hayes, der völlig entgeistert war. Claim zog blitzschnell seinen Revolver, um Glenn Hayes nieder zuschießen. Genau in dieser Sekunde donnerte ein Schuß los, der die Fens terscheiben erzittern ließ. Claim brüllte auf, als habe er mit nackten Füßen in eine Glas scherbe getreten. Er ließ die Waffe fallen und griff stöhnend nach seinem Ober arm. Doch damit nicht genug. Eine der Fensterscheiben zerklirrte. Das Gesicht von Lew Strapetta war vage zu erkennen. Strapetta schoß auf Hayes, der endlich wieder zu sich gekom men war und seine Schußwaffe gezogen hatte. Hayes hatte die Absicht, Joe Hyman niederzuschießen. Strapetta war etwas schneller. Er erwischte Glenn Hayes mit einem Streifschuß. Dieser Schuß reichte aus, um Hayes erst mal außer Gefecht zu setzen. Hayes stöhnte und fiel auf Claim, der inzwischen am Boden kniete und mit der gesunden Hand nach seiner entfallenen Waffe suchte. Der Zusammenprall der beiden Gangsterchefs war so stark, daß sie beide umfielen und sich zu einem vorerst unentwirrbaren Knäuel von Händen und Füßen verwickelten. Strapetta visierte bereits sein nächstes Opfer an. Doch er hatte das Pech, daß Joe Hyman, sein Partner, äußerst nervös geworden war, was in Anbetracht der sich überstürzenden Ereignisse durchaus verständlich war. Joe Hyman verwechselte seinen Partner Strapetta mit einem Gegner und drückte auf ihn ab. Strapetta warf die Arme hoch in die Luft und kickte. Dann tau melte er zurück in die Dunkelheit vor dem Schnellimbiß. Hyman wollte die Flucht ergreifen. Eine andere Chance sah er nicht. Er hastete zur Tür und riß sie auf.
Sie öffnete sich nicht. Sie war oder schien verschlossen worden zu sein. Bis Hyman seinen Irrtum bemerkte. Die Tür mußte aufgestoßen werden. Dann öffnete sie sich näm lich. Hyman rannte hinaus in die Dunkelheit, doch er kam nicht weit. Im Schatten neben der Tür streckte jemand sein Bein aus, über das er auch prompt stolperte. Joe Hyman vollführte eine fast gekonnte Bauchlandung und schrammte auf dem harten Zement auf. »Nur nicht so hastig«, sagte dazu eine angenehm klingende Ba ritonstimme. »Ich denke, wir sollten uns alle noch etwas unter halten.« »Wer… wer sind Sie?« stöhnte Hyman. »Rander mein Name«, stellte der Besitzer des ausgestreckten Beines sich höflich vor. »Kommen Sie, Hyman, ich denke, wir sollten Bestandsaufnahme machen…!« * Leutnant Madden sah sich beeindruckt um. Auf einen Anruf hin war er mit einigen Streifenwagen erschie nen und ließ die blasierten Gangster einsammeln. Sie waren in zwischen verarztet worden und trugen durchweg Handschellen. Sie saßen sich wie feindliche Brüder gegenüber, fein säuberlich getrennt nach ihren Gangs. Auf der einen Seite Glenn Hayes, Lee Harris und Norman Culler. Auf der anderen Seite Lefty Claim, Joe Hyman und Lew Strapet ta. Ihre Verwundungen hatten sich als relativ harmlos herausge stellt. Akute Lebensgefahr bestand in keinem Fall. »Sie haben es geschafft«, sagte Leutnant Madden zu Rander und Parker. »Bis auf kleine Ausnahmen haben die Gangster sich gegenseitig lahmgelegt.« »Und müssen sich im Sinne einer Anklage sogar schuldig be kennen«, meinte Rander lächelnd. »Die Verwundungen allein be weisen das schon.«
»Keine Sorge, auch das Heroin der beiden Gangs werden wir jetzt finden«, antwortete Leutnant Madden. »Jetzt können wir ja ungestört danach suchen.« »Bedanken Sie sich bei Parker, daß alles so geklappt hat«, sag te der Anwalt. »Er hat sich wieder einmal als Lockvogel angebo ten und das ganze Risiko auf sich genommen.« »Während Sie, Sir, die ganze Zeit über im Kofferraum sein mußten«, gab der Butler zurück. »Ich hoffe, Sie können mir des wegen noch einmal verzeihen.« »Nur so konnte ich doch Strapetta und Hyman erwischen«, meinte Anwalt Rander lächelnd. »Hayes hatte keine Ahnung, daß er mich die ganze Zeit über mit herumfuhr.« »Dann ist es also Tatsache, daß Rita Malcona als Lockvogel be nutzt wurde?« wollte Leutnant Madden wissen. »Das ist geklärt. Es entspricht den Tatsachen, Sir.« Parker nick te zustimmend. »Die Einzelheiten, die Mr. Rander und meine We nigkeit vermuteten, erwiesen sich als Fakten. Mit anderen Wor ten, Claim wollte Mr. Rander und mich auf dem Umweg über die Hayes-Gang ermorden lassen und sich damit rächen.« »Und wer erschoß die »Weiße Göttin«?« »Das ist ebenfalls bereits geklärt«, sagte Parker höflich. »Es waren die beiden Gangster Hyman und Strapetta. Die >Weiße GöttinWeiße Göttin< nun nicht mehr auftreten kann.« »Dieser Mord sollte Hayes in die Schuhe geschoben werden«, fügte Mike Rander hinzu. »Er sollte die endgültige Schießerei zwi schen uns und Hayes auslösen.« »Etwas zu raffiniert ausgedacht«, gab Leutnant Madden kopf schüttelnd zurück. »Dann haben auch die Claim-Gangster auf Sie und Parker geschossen,--nicht wahr?« »In der Tat, Sir«, schaltete der Butler sich wieder ein. »All diese und jene Anschläge wurden von Mr. Lefty Claim ausgelöst.« »Und wer schlug mich im >Amazonas-Nachtclub< nieder?« fragte Mike Rander, der sich plötzlich wieder an diesen rätselhaf ten Zwischenfall erinnerte. »Walt Dalton, jener junge, eifersüchtige Mann, der noch einmal in den Nachtclub zurückkehrte«, erklärte Parker. »Dalton gestand
es mir, als ich ihn danach fragte, und ihm diese Tat auf den Kopf zusagte.« »Er langte ganz schön zu, aber vergessen wir es«, meinte der Anwalt, »Ich denke, Madden, dieser Fall wäre gelöst. Jetzt sind Sie und der Staatsanwalt an der Reihe.« »Für den Mord an Rita Malcona werden Claim und seine beiden Leute zumindest bis zum Rest ihres Lebens im Zuchthaus sitzen«, sagte Madden. »Und was die Hayes-Gang angeht, so reicht die Schießerei vollkommen aus, Hayes und seine Leute für lange Jah re hinter Gitter zu bringen. Falls wir nicht zusätzlich noch Rausch gift finden, womit ich aber fest rechne.« »Damit dürfen wir uns wohl verabschieden«, sagte Rander und nickte dem Leutnant lächelnd zu. »Wir müssen noch Shultz und Shelby ablösen. Die stehen sich vor Claims Haus die Beine in den Leib.« »Davon bin ich keineswegs überzeugt, Sir«, entgegnete Parker. »Und was vermuten Sie?« »Ich nehme an, Sir, daß Mr. Shultz zur Zeit für sein leibliches Wohl sorgt und sich dabei die mehr oder weniger anzüglichen Bemerkungen seines Assistenten Shelby anhört.« »Er liegt schon wieder richtig«, sagte Madden auflachend. »Hatten Sie etwas anderes erwartet?« gab Mike Rander zurück.
-ENDEDer nächste Roman:
Parker und der »Herr der Roboter«