Der Arena LeseStier Kurze Geschichten
Katja Reider, geboren 1960 in Goslar, studierte an der Universität Göttingen Ge...
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Der Arena LeseStier Kurze Geschichten
Katja Reider, geboren 1960 in Goslar, studierte an der Universität Göttingen Germanistik und Publizistik/Kommunikationswissenschaften. Nach einem Volontariat in einer PR-Agentur arbeitete ste als Referentin für Presse- und Öftentlichkeitsarbeit. Seit der Geburt ihres Sohnes Felix 1994 ist Katja Reider auch als freie Autorin und Texterin tätig. Sie lebt mit ihrer Familie In Hamburg.
Ann de Bodo wurde 1956 in Kinshasa (Zaire) geboren. Sie studierte und unterrichtete Werbegrafik am St.-Maria-Institut in Antwerpen (Belgien). Später arbeitete sie in verschiedenen Werbeagenturen. Seit 1988 hat sie zahlreiche Kinder- und Bilderbücher in verschiedenen Sprachen illustriert.
Katja Reider
Der Hase mit der goldenen Nase und andere
Ostergeschichten Mit farbigen Bildern von Ann de Bode
In neuer Rechtschreibung! 1. Auflage 1997 © by Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Überarbeitet nach der Rechtschreibreform Einband und Illustrationen: Ann de Bode Gesamtherstellung: Westermann Druck Zwickau GmbH ISBN 3-401-04761-2
Inhalt
Ach, du dickes Ei!
7
Lisa tritt in Osterstreik
14
Der Hase mit der goldenen Nase
23
Ostern viermal anders
38
Ach, du dickes Ei! Nächste Woche ist Ostern. Alle freuen sich drauf, nur ich nicht. Denn ich weiß genau, Ostern passiert es wieder. Ostersonntag gehen wir zu Sebastian. Alle Jahre wieder machen wir das. Mama und Papa nennen es Oster-Brantsch. Das ist so eine Art zweites Frühstück mit Mittagessen. Mama sagt, Papa freut sich das ganze Jahr auf dieses Brantsch. Denn der Vater von Sebastian ist einer von Papas ältesten Freunden. Er heißt Herbert und ist mit Papa zur Schule gegangen. Sie haben unheimlich viel Spaß gehabt, damals. Bei jedem Oster-Brantsch reden sie darüber, was sie früher alles angestellt haben. Wie sie hinter den Mädchen her waren und so. Darüber können sie sich immer wieder kaputtlachen.
Bei den alten Geschichten verdrehen Mama und Tante Birgit, Sebastians Mutter, immer die Augen. Ich glaube, sie haben das alles schon hundertmal gehört. Aber meinetwegen sollen Papa und Onkel Herbert ihre Geschichten ruhig stundenlang erzählen. Denn wenn sie damit aufhören, zeigt Onkel Herbert meinem Papa immer seinen neuesten Computerkram. Und Tante Birgit führt Mama durch den Garten und zeigt ihr, wie schön der Flieder blüht. Als ob Mama so was noch nie gesehen hätte! Ja, und dann bin ich mit Sebastian allein. Das ist das Schreckliche jedes Jahr am Ostersonntag, weil Sebastian nämlich ein richtiges Ekel ist. Kaum haben sich unsere Eltern verkrümelt, sagt er mir, dass mein Vater lange nicht so viel verdient wie sein Vater. Oder dass er schon Tennis spielt, mit Trainer und so. Und dass ich bestimmt noch nicht mal einen richtigen Lederfußball hätte! Das stimmt auch alles, aber Sebastians Eltern haben ja auch richtig viel Geld und meine nicht. „Der Herbert betreut nur die ganz großen Fische“, sagt Papa immer zu Mama. Und ich habe immer noch nicht verstanden, wieso man mit Fischen so viel Geld verdienen kann. Ich glaube nicht, dass Sebastian viele Freunde hat. Blöd, wie der ist. Dafür hat er aber jede Menge teure Sachen und verdirbt mir mit seiner
bescheuerten Angeberei jeden Ostersonntag. Kaum sind wir oben in seinem Zimmer, führt er mir seinen eigenen Fernseher vor und seinen Kinder-Computer und seinen neuen Tennisschläger und und und. Total bescheuert! Aber dieses Jahr wird alles anders. Diesmal werde ich es ihm zeigen! Schon auf dem Weg zu Sebastian muss ich die ganze Zeit grinsen. Weil ich mich so auf sein Gesicht freue, wenn er mein Überraschungsgeschenk auspackt. Es ist natürlich ein Osterei, schön bemalt und verziert. Sogar in Goldpapier habe ich es gewickelt. Aber ich will nicht zu viel verraten. Erst mal ist alles wie immer: Hände schütteln, essen, alte Geschichten ... Nur kann mir das alles heute nicht schnell genug gehen. Endlich ist es so weit! Mama dreht sich noch mal nach uns um und winkt. „Spielt schön!“, ruft sie. Brav winken wir zurück. Dann stiefeln wir nach oben. Sebastian will mir seine neuen, supertollen Sportschuhe zeigen. „Solche Schuhe hast du noch nie gesehen!“, prahlt er. Ich gehe hinter ihm her, da fällt mir ein: Fast hätte ich mein Geschenk vergessen! Ich renne noch mal zurück und nehme es vorsichtig aus meiner Jacke. Oben holt Sebastian sofort die Schuhe raus und hält sie mir unter die Nase:
„Hier, die haben mindestens 200 Mark gekostet. Wenn du saubere Finger hast, darfst du sie mal anfassen.“
Eifrig befühle ich das weiche Leder. Ich muss ja so tun, als wäre alles wie immer. Dann stelle ich die Schuhe zurück auf den Boden. „Du, Sebastian“, sage ich harmlos, „ich habe dir was mitgebracht. Ein ganz tolles Osterei. Sieht aus wie ein stinknormales Hühnerei, ist aber mit Schokolade gefüllt. Guck mal, sieht doch richtig echt aus, oder?“ Ich ziehe das Ei aus der Tasche und halte es ihm hin.
„Ach, die kenne ich«, sagt Sebastian gelangweilt. »Die blasen das Eizeug raus und tun dann die Schokolade rein. Ist doch nix Besonderes!“ „Klar“, sage ich, „aber hier ist reines Nugat drin. So was Tolles hast du noch nie gegessen. Die Eier hat mir mein Patenonkel aus der Schweiz mitgebracht. Jedes einzelne hat mindestens zehn Mark gekostet.“ Bei diesem Stichwort kommt Sebastian ins Grübeln. Er greift nach dem Ei. „Um die Eierschale abzukriegen, musst du es ganz normal aufschlagen“, sage ich. „Schau her, ich zeig‘s dir.“ Ich komme mir unheimlich schlau vor und tatsächlich läuft alles nach Plan. Sebastian sagt nämlich prompt: „Nein, schließlich ist es mein Ei. Das hast du mir ja nun geschenkt.“ Dann schlägt er das bunt bemalte Ei auf der Tischkante auf. Die Schale zerbricht und der ganze Ei-Glibber klatscht runter - genau auf die neuen Sportschuhe! Sebastian guckt völlig verdattert auf die verschmierten Schuhe mit dem Glibber drauf. Und ich? Ich schlage mir auf die Schenkel vor Lachen. Ich kriege mich gar nicht mehr ein. Es hat geklappt! Endlich habe ich es dem Angeber mal gezeigt. „Mensch“, pruste ich, „da habe ich wohl aus Versehen das falsche Ei gegriffen ...! Tut mir echt Leid!“
Sebastian blickt noch immer sprachlos zwischen seinen Schuhen und mir hin und her. Dann sagt er böse: „Das hast du mit Absicht gemacht!“ Ich höre auf zu lachen und sage: „Ja, weil du nämlich ein blöder Angeber bist! Deswegen!“ Verflixt! Warum habe ich das jetzt zugegeben? „Dein ganzer teurer Kram hier interessiert mich nicht die Bohne!“, platze ich wütend heraus. „Du kannst überhaupt nicht richtig spielen - nur immer angeben mit deinem Zeug!“
Sebastian sagt kein Wort. Aber er kriegt ganz rote Ohren. Dann rennt er hinaus und holt zwei Lappen. Zusammen putzen wir den Boden und die Schuhe. Die sehen danach fast wieder aus wie neu. Dabei sprechen wir kein einziges Wort. Aber irgendwas ist jetzt anders als vorher. Ich weiß nicht genau, warum, aber ich fühle mich besser. Ob es Sebastian ähnlich geht? Eigentlich sieht er auch gar nicht mehr sauer aus. Da ruft uns plötzlich Onkel Herbert zum Eiersuchen herunter. „Na, habt ihr schön gespielt?“, will Tante Birgit wissen. Schnell schaue ich rüber zu Sebastian. Ob er wohl petzen wird? Aber er nickt nur - und ich auch. Dann laufen wir raus in den Garten, um endlich unsere Ostereier zu suchen.
Lisa tritt in Osterstreik Heute will Lisa ihrer Mutter etwas Wichtiges mitteilen. Sie holt tief Luft. Dann sagt sie es: „Für mich müsst ihr dieses Jahr keine Ostereier mehr verstecken.“ Jetzt ist es raus! Lisa beißt in ihr Knäckebrot und guckt in eine andere Richtung. Wie Mama wohl reagieren wird? Doch Mama ist gar nicht erstaunt. Sie fragt nur: „So? Warum denn nicht?“ „Ich bin jetzt zu groß für diesen Kinderkram“, erklärt Lisa. „An den Osterhasen glaube ich schon lange nicht mehr. Eiersuchen ist doch echt nur was für Babys!“ Mama zuckt die Achseln. „Tja, wenn du meinst, Lisa.“ Aber sie sieht dabei nicht mehr so fröhlich aus wie vorher. Da sagt Lisa: „Ihr habt ja noch Janni. Der ist doch ganz wild aufs Eiersuchen!“ Janni ist Lisas kleiner Bruder. Schon seit Wochen jammert er, dass der Osterhase endlich die Eier verstecken soll. Janni ist eben noch ein richtiger Zwerg. Aber Lisa nicht. Lisa ist schon groß. Und wenn man groß ist, hat man eben für diesen Babykram nichts mehr übrig!
„Ich weiß doch schon lange, dass du die Schoko-Eier im Supermarkt kaufst, Mama!“, sagt Lisa. „Und am Ostermorgen versteckst du sie mit Papa im Garten.“ „Hm“, macht Mama. „Heißt das, du willst dieses Jahr gar kein Osternest haben?“ Lisa druckst. So war das nun auch nicht gemeint. Auf die leckeren Schokoladeneier will sie nicht verzichten. „Nö, ich dachte, ihr gebt mir mein Körbchen einfach so. Ohne Verstecken eben.“ „Wie du willst“, sagt Mama. „Dann muss Janni eben alleine Eier suchen.“ Mama steht auf. „Schade. Ich wollte dich gerade fragen, ob wir Eier färben wollen. Aber dafür bist du jetzt wohl auch zu groß, nicht wahr?“ Lisa zögert. Eierfärben mit Mama ist schon schön ... Aber jetzt muss sie bei ihrem Entschluss bleiben. Wäre ja sonst albern! „Vielleicht macht Janni ja mit“, sagt Lisa.
Da kommt ihr kleiner Bruder schon aus seinem Zimmer gerannt. „Mamaaa! Janni will Eier anmalen“, kräht er. Mama lacht und nimmt den Kleinen auf den Arm. „Dann komm, ich habe die Farben schon angerührt. Und Buntstifte sind auch da.“ Janni quiekt vor Freude und rennt erwartungsvoll zu seinem Stuhl. Lisa geht in ihr Zimmer. Sie will lesen. Aber das Buch ist plötzlich langweilig. Immerzu muss sie an Janni und Mama in der Küche denken. Sicher hat der Kleine schon jede Menge Eier zerdeppert. Janni will immer alles alleine machen und sich nicht helfen lassen. Aber Mama schimpft nie beim Eierfärben. Das weiß Lisa genau. Knickeier werden einfach aufgegessen. Oder es gibt abends eine große Portion Eiersalat. Ob Lisa doch mal in die Küche lugt...? Nein, sie ist zu groß für diesen Osterquatsch. Und dabei bleibt es! Am nächsten Tag holt Papa die große Kiste mit dem Osterschmuck aus dem Keller. „Hilfst du mir beim Auspacken, Lisa?“, ruft er. Als Erstes wickelt Papa die Holzeier aus, die Oma aus Italien mitgebracht hat. Dann greift er wieder in die Kiste. „Schau mal, die gelben Porzellanhasen!“, sagt Papa.
Er hält die Figuren hoch. „Möchtest du die wieder für dein Zimmer haben?“ Doch ehe Lisa antworten kann, sagt Mama: „Lass nur, Frank. Lisa ist jetzt zu alt für die Hasen, nicht wahr, Lisa?“ Lisa bringt kein Wort heraus. Da packt Papa die Porzellanhasen auch schon wieder ein. „Schade“, sagt er. „Ich fand die Hasen auf deinem Fensterbrett immer so schön.“ Lisa verschwindet wieder in ihrem Zimmer. Am Abend ist die ganze Wohnung mit bunten Eiern, Stoffküken und Blumen geschmückt. Nur Lisas Zimmer sieht aus wie immer. Es kommt ihr plötzlich karg vor. Beim Zubettgehen bleibt Mama länger als sonst bei Lisa sitzen. „Na, meine Kleine, möchtest du die Porzellanhasen vielleicht doch haben?“, fragt sie leise. Lisa schluckt. Sie öffnet den Mund, um ja zu sagen. Doch es kommt etwas anderes heraus. Ihre Stimme klingt ganz fremd. „Meinetwegen kannst du die ollen Kitschhasen wegwerfen!“, sagt diese ungewohnte Lisa-Stimme. Lisa presst die Lippen aufeinander. Warum hat sie das eben gesagt?
Mama seufzt und steht auf. Lisa will ihre Mutter aufhalten. Sie will ihr sagen, dass sie die Porzellanhasen vermisst und überhaupt...! Doch Mama ist schon an der Tür. „Schlaf jetzt, Lisa“, sagt sie. „Du weißt ja, Oma kommt morgen schon früh.“ Lisa nickt und dreht sich zur Wand. Aber es dauert heute sehr lange, bis sie eingeschlafen ist.
Wie jedes Jahr am Ostersonntag kommt Oma gleich nach dem Frühstück. Und wie jedes Jahr bringt sie eine prall gefüllte Tasche mit. Lisa weiß natürlich, was da drin ist: die Osterkörbchen. Für jeden eins. Oma trägt das blaue Kostüm, das ihr so gut steht. Außerdem hat sie ein Seidentuch um, mit lauter kleinen Hasen drauf. Oma schaut in den Spiegel. „Wie findet ihr mein neues Tuch? Bin ich zu alt, um Tücher mit Hasen drauf zu tragen?“ Mama lacht und gibt Oma einen Kuss. „Du bist für gar nichts zu alt, Mutti. Das weißt du doch!“ Da lächelt Oma zufrieden. Verstohlen blickt Lisa an sich herunter. Sie hat heute ihre älteste Jeans angezogen. Auch das rote T-Shirt ist nicht mehr ganz sauber. Egal! Lisa hat dieses Jahr überhaupt keine Lust auf Ostern! Das sollen ruhig alle sehen! Mama scheint die ollen Jeans gar nicht bemerkt zu haben. Sie hat nichts dazu gesagt. Lisa seufzt. Wenn nur das Eiersuchen schon vorbei wäre! Sie geht mit Janni nach oben, damit Oma die Eier für den Kleinen verstecken kann. Als sie wieder herunterkommt, holt Mama ein schönes Osternest aus der Küche. Sie gibt es Lisa.
„Hier, das ist für dich. Das wolltest du ja so haben, nicht wahr?“ Lisa nimmt das Körbchen und nickt. Ihr Mund ist ganz trocken. „Alle herkommen zum Eiersuchen!“, ruft Oma jetzt und klatscht in die Hände. „Achtung - fertig - los!“ Lisa wundert sich. Wen ruft Oma denn da? Janni ist doch längst zwischen den Büschen verschwunden. Nur seine kurzen, dicken Beinchen sind noch zu sehen. Und sie selbst, Lisa, macht ja nicht mit. Doch da laufen Mama und Papa schon an Lisa vorbei in den Garten. Sie lachen sich an. Mama sucht die Blumenbeete ab. Papa stöbert in den Büschen am Gartenzaun. Lisa schüttelt verwundert den Kopf. „Was soll das denn?“, fragt sie. Oma lächelt. „Deine Eltern wollten mal wieder Ostereier suchen, so wie früher, als sie klein waren. Da habe ich ihre Nester eben auch im Garten versteckt.“ Oma schaut zu Mama hinüber und ruft: „Wo du jetzt suchst, ist es kalt, sogar ganz kalt, Elke!“ Mama winkt fröhlich. Dann geht sie weiter zu den Obststräuchern hinter dem Gartenhäuschen. „Aber Mama und Papa sind doch viel zu alt zum Eiersuchen!“, sagt Lisa.
Es klingt richtig empört. Oma sieht Lisa erstaunt an. „Findest du? Aber warum denn, mein Schatz? Meinst du etwa, irgendwann hast du keinen Spaß mehr am Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen? An Gruselgeschichten, an deinem Drachen oder an leckeren Schoko-Küssen? Viele Dinge machen doch ein ganzes Leben lang Spaß!“ Oma zupft ihr Hasentuch zurecht.
„Stell dir nur mal vor, der Spaß würde wirklich irgendwann plötzlich aufhören. Dann müssten ja alte Leute wie ich mit ganz griesgrämigen Gesichtern herumlaufen. Das wäre doch schrecklich, oder?“ Lisa antwortet nicht. Sie schaut hinaus. Triumphierend hält Papa jetzt ein riesengroßes, buntes Schoko-Ei in der Hand. Natürlich hat auch Janni das Ei schon gesehen. Er streckt die Ärmchen danach aus. Aber Papa wirft das Ei hoch in die Luft. Mama versucht es im Flug abzufangen. Doch es landet genau vor Jannis Füßen. Jubelnd stürzt sich der Kleine darauf. Alle lachen. Auch Lisa muss jetzt lachen. Dann wird sie wieder ernst. Sie zögert. Aber schließlich holt sie tief Luft und fragt: „Kannst du meine Ostereier auch noch verstecken, Oma? Ich hole schnell mein Körbchen und warte dann oben, ja?“ Oma lächelt. „Nicht nötig, Lisa. Ich habe deine Ostereier schon vorhin draußen versteckt - wie für alle anderen.“ Erstaunt sieht Lisa ihre Oma an. »Aber du konntest doch nicht wissen, dass ich nun doch...“ Oma lacht. „Manchmal können Omas eben ein bisschen hellsehen - aber nur zu Ostern. Und jetzt lauf, bevor Janni deine Ostereierauch noch findet.“ Das lässt sich Lisa nicht zweimal sagen.
Der Hase mit der goldenen Nase Kranksein ist immer doof. Aber an manchen Tagen ist es eben besonders doof. Wenn man Geburtstag hat zum Beispiel oder zu Weihnachten oder Ostern. Heute ist Ostersamstag und ich bin krank. Eine richtig dicke Erkältung habe ich. Mit Husten, Schnupfen und allem Drum und Dran. Mama sagt, das kommt davon, dass ich ohne Regenzeug draußen war. Vorgestern hat es nämlich plötzlich geschüttet wie aus Kübeln. Aber es war ganz warm dabei - einfach toll! Wer läuft denn da extra nach Hause um Regenzeug zu holen? „Moritz, wirst du denn nie vernünftig?“, hat Mama geseufzt. Dann hat sie mich bis zum Hals in heißes Badewasser gesteckt. Aber das hat auch nichts mehr geholfen.
Seit gestern bin ich also krank. Sogar ein bisschen Fieber habe ich. Leider werde ich nicht so richtig bemitleidet, weil ich mir diese Erkältung selbst zuzuschreiben habe, wie Mama sagt. Dabei ist das gar nicht bewiesen und deshalb ziemlich ungerecht. Aber das Schlimmste ist: Ich kann den Osterausflug nicht mitmachen. - Und das ist nun wirklich gemein! Jeden Ostersonntag fahren wir nämlich mit den Fahrrädern nach Bödersdorf. Dort wohnen Oma und Opa. Wenn das Wetter schön ist, machen wir im Garten ein tolles Picknick, mit Erdbeertörtchen und Hähnchensalat. Den macht Opa nach einem Geheimrezept. Das verrät er niemandem. Noch nicht mal Mama! Aber eben haben mir Mama und Papa gesagt, dass es morgen gar kein Picknick geben wird. Oma ist nämlich auch krank. Nur ist es bei ihr schlimmer, weil sie schon alt ist. Mama und Papa machen sich Sorgen um Oma. Deshalb fahren sie morgen nach Bödersdorf. Um zu sehen, wie es ihr geht. Mama meint, dass ich nicht allein zu Hause bleiben kann, weil ich krank bin. „Kann ich doch“, sage ich, „ich bin ja kein Baby mehr. Ich brauche keinen, der auf mich aufpasst.“
Aber Mama bleibt hart und sagt, dass sie schon eine tolle Idee hat. Dabei lächelt sie ganz komisch. Ich ahne schon, dass ich ihre Idee nicht so toll finden werde. Aber was dann kommt, ist schlimmer, als ich gedacht habe: Sandra soll auf mich aufpassen! Sandra wohnt mit ihren Eltern eine Etage über uns. Sie ist schon sechzehn, aber schrecklich albern. Sandra hat einen Freund, mit dem sie dauernd im Hausflur steht und knutscht. Er trägt eine dicke Motorradjacke, dabei fährt er nur Fahrrad. Und meistens hat er ein rotes Gesicht. Weil Sandra ihren Lippenstift auf seinem Gesicht verschmiert. Das ist doch eklig! Ich finde Sandra ziemlich doof. Und sie mich auch. Zumindest war das so. Aber seit ein paar Wochen macht sie immer so merkwürdig freundliche Augen, wenn sie mich sieht. Und jetzt weiß ich auch, warum. Mama hat mir nämlich erzählt, dass Sandra bei uns babysitten möchte. Als ob ich ein Baby wäre! Mama sagt, Sandra will sich ein bisschen Geld dazuverdienen. Bestimmt, um sich noch mehr von diesen schrecklichen Lippenstiften zu kaufen. Und nun soll sie am Ostersonntag auf mich aufpassen. Das kann ja heiter werden!
Ich versuche noch Mama und Papa umzustimmen. Aber sie lassen sich nicht erweichen. Morgens um zehn Uhr klingelt es an der Haustür. Dann kommt Mama mit Sandra in mein Zimmer. „Na, Kleiner, wie geht‘s dir denn?“, fragt Sandra honigsüß und lässt sich in meinen Schaukelstuhl fallen. Den habe ich von Opa geerbt. Da drin dürfen sonst nur Mama und Papa und meine allerbesten Freunde sitzen! Und dann nennt sie mich auch noch „Kleiner“! Aber bevor ich antworten kann: „Danke, schon viel schlechter“, sagt Mama schnell: „Ja, Sandra, fühl dich hier wie zu Hause. Wenn du Hunger hast, nimm dir aus dem Kühlschrank, was du magst. Und wenn irgendwas ist, ruf uns an.“ Mama gibt Sandra einen Zettel mit der Telefonnummer von Opa und Oma. Dann setzt sie sich zu mir aufs Bett und legt mir prüfend die Hand auf die Stirn. „Moritz, wir müssen jetzt los. Hast du denn noch Fieber, mein Häschen?“ Ich werde knallrot. Ob Sandra gehört hat, wie Mama mich genannt hat? Häschen!!! Mensch, ist mir das peinlich! Aber Sandra scheint sich nur für das Osterkörbchen zu interessieren, das neben meinem Bett steht.
Wahrscheinlich will sie mir alle Knickebein-Eier wegessen. Da muss ich aufpassen! Mama steht auf und geht zur Tür. „Tschüs, bis später. Und vertragt euch gut, ihr beiden.“ Sandra lächelt. „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Schäferstein. Ich habe Moritz schon im Griff.“ „Aber nur mit Handschellen!“, rufe ich noch. Schon klappt die Haustür. Mama und Papa sind weg. Ich bin mit Sandra allein. Wir schweigen erst mal ausgiebig. Doch bald wird mir das zu doof. „Ich habe 38,2“, sage ich und halte Sandra das Fieberthermometer unter die Nase. „Der Hals tut mir weh und ich habe Husten.“ „Ach“, sagt Sandra gelangweilt. Sie wippt in meinem Schaukelstuhl hin und her. Die spinnt wohl! Ich hole tief Luft und huste Sandra kräftig an. Sie weicht ein Stück zurück und ich lasse mich zufrieden in meine Kissen fallen. „Hast du mir was mitgebracht?“, frage ich dann. „Zum Krankenbesuch bringt man doch immer was mit!“ Sandra schüttelt den Kopf. „Das hier ist ja kein Krankenbesuch, sondern Arbeit“, sagt sie. „Außerdem bist du doch bestens versorgt.“
Sie zeigt auf die Spielsachen, Bücher und ‚ Naschereien, die rund um mein Bett verteilt sind. Ich greife nach einem Apfel. „Kannst du mir den waschen?“, frage ich.
Die kann schließlich mal was tun für ihr Geld. Sandra lächelt wieder honigsüß. „Deine Mutter hat gesagt, das Obst hier ist schon abgewaschen. Und abbeißen kannst du allein, oder?“ Das fängt ja gut an. Sandra ist aufgestanden. Sie schaut aus dem Fenster. „Was wollen wir denn machen?“, fragt sie. „Rausgehen kannst du ja nicht, obwohl das Wetter so schön ist...“ Will sie etwa abhauen und mich hier allein lassen? Dann hätte ich mir auch Jurek oder Tom einladen können. Das war mir sowieso lieber gewesen. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Ich will nicht allein sein. Und überhaupt: Sandra kriegt schließlich Geld dafür, dass sie hier sitzt. „Du hast meiner Mutter versprochen, dass du dich um mich kümmerst“, sage ich und huste einmal kräftig. „Ich hab‘s genau gehört.“ „Ist ja schon gut“, sagt Sandra. Sie setzt sich wieder hin. „Was möchtest du denn machen?“ „Du könntest mir eine Geschichte erzählen“, schlage ich vor. „Was möchtest du denn hören?“, fragt Sandra. Sie greift sich ein Buch aus meinem Stapel. Aber ich winke ab. „Meine Bücher kenn ich alle in- und auswendig“, sage ich. „Überleg dir doch selber was.“ Das kann sie bestimmt nicht, denke ich und warte ab.
Sandra grinst. Dann sagt sie wie aus der Pistole geschossen: „Da ist eine kleine Maus, die will unbedingt ein großes Abenteuer erleben. Eines Morgens schleicht sie sich aus dem Haus und macht sich auf den Weg zu einem großen See. Als sie den See endlich erreicht, ist es Mittag. Die Sonne steht hoch am Himmel. Es ist schrecklich heiß. Die kleine Maus ist so durstig, dass sie direkt ins Wasser springt - und prompt ertrinkt. Denn sie hat in der Eile vergessen, dass sie gar nicht schwimmen kann. - Ende!“ Sandra schweigt und wippt zufrieden in ihrem Schaukelstuhl hin und her. Was war das denn? Ich setze mich entrüstet auf und starre Sandra an. „Wie? Kaum hat die Geschichte angefangen, ist sie schon wieder zu Ende?“, schimpfe ich. „Und das Ende, das gefällt mir überhaupt nicht!“ Sandra zuckt die Achseln. „Dann denk dir doch selbst was aus“, sagt sie. „Warum soll ich mir ganz allein den Kopf zerbrechen?“ Wie meint sie denn das nun wieder? Sandra steht auf und setzt sich zu mir aufs Bett. „Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam eine Geschichte erfinden?“, sagt sie. „Es muss natürlich eine Ostergeschichte sein. Ich fange an und du erzählst die Geschichte weiter. Dann bin Ich wieder dran - und so weiter.“
Das ist ja eine komische Art Geschichten zu erzählen. „Ich glaube, das kann ich nicht“, sage ich. „Und außerdem bin ich krank.“ Sandra lächelt. „Wir können es doch mal versuchen, ja?“
Jetzt sieht sie richtig nett aus. Ich nicke also und sage: „Okay, aber du musst anfangen.“
Sandra überlegt einen Moment. Dann beginnt sie: „Also: Da ist ein Hase mit einer goldenen Nase, der arbeitet schon viele Jahre als Osterhase. Und er möchte auch gar nichts anderes machen. Kein Wunder, er hat ja nur drei Tage im Jahr zu tun. Aber diese drei Tage sind furchtbar anstrengend. Jedes Jahr am Ostersamstag schnallt er sich eine riesige Kiepe auf den Rücken und wandert los. Hügelauf, hügelab, hinunter in die Stadt. Überall in den Häusern warten schon die Kinder auf ihre Ostereier. Und unser Osterhase ist sehr großzügig. Oft versteckt er so viele Eier, dass die Kinder zu viel davon essen und Bauchschmerzen kriegen. Nur ein einziges Ei behält der Osterhase für sich selbst. Aber dieses Ei ist nicht aus Schokolade wie die anderen, sondern aus glänzendem Gold, genau wie seine Nase. Deshalb kann sich der Osterhase einfach nicht von diesem Ei trennen. Jedes Jahr packt er es sorgfältig in seine Kiepe und wandert los. Und jedes Jahr bringt er es nach Ostern wieder nach Hause zurück.“ Sandra schweigt und sieht mich erwartungsvoll an. „Jetzt bist du dran“, sagt sie. Verdammt. Am liebsten würde ich Sandra bitten weiterzuerzählen. Sie kann das so gut. Ich werde mich bestimmt blamieren. Doch plötzlich habe ich eine Idee in Sachen
Gold-Ei. Ich hole tief Luft und lege los: „Als der Osterhase in diesem Jahr wieder mit dem goldenen Ei zurückkommt, wird er zum OberOsterhasen gerufen. Und der sagt zu ihm: ‚Was habe ich da gehört? Du schleppst noch immer dieses goldene Ei mit dir herum? Verschenk es endlich, wie alle anderen auch!‘ Der Osterhase schämt sich. Er verspricht das Ei im nächsten Jahr ganz bestimmt weiterzugeben - an ein besonders liebes Kind natürlich. Im nächsten Jahr packt der Osterhase das goldene Ei wie immer zu den anderen Eiern in seiner Kiepe und wandert los. Er wandert und wandert. Bis er in unsere Stadt und in unsere Straße kommt. Endlich hat der Osterhase das richtige Haus gefunden. Er steigt die Treppe hinauf und klingelt bei der Familie Schäferst...“ Ich grinse in mich hinein. Ist ja klar, wer das goldene Ei verdient hat. „Stopp! Stopp!“, unterbricht mich Sandra.
„Ich bin wieder dran!“ Sie überlegt einen Moment und erzählt dann weiter: „Also: Der Osterhase klingelt und klingelt, aber leider ist bei Schäfersteins niemand zu Hause. Und so muss er weiterlaufen mit seiner schweren Kiepe. Als er schon ganz erschöpft ist, kommt er in einen großen Garten. Hier blühen Tausende von wunderschönen Rosen. Der Osterhase will eine Pause machen. Er setzt seine schwere Kiepe ab und lässt sich ins Gras fallen. Einen Moment später ist er schon fest eingeschlafen. Als er wieder erwacht, beugt sich ein wunderschönes Mädchen über ihn und ...“ „Halt - Stopp!“, sage ich schnell. Ich kann doch nicht zulassen, dass Sandra aus unserer Geschichte eine langweilige Liebesschnulze macht. Da weiß ich was Besseres. Das goldene Ei wird jetzt erst mal geklaut. Und der Osterhase hat ganz schön zu tun, bis er es wieder in den Pfoten hält. Wir erzählen und erzählen. Unsere Geschichte wird immer verrückter. Als die Uhr nebenan zwölf schlägt, zieht der Osterhase gerade mit einer Karawane quer durch die Wüste. Er sucht nämlich ein kleines Mädchen, das ... Mittags macht Sandra uns was zu essen. ‚ Dann gucken wir zusammen Fernsehen. Es gibt einen Zeichentrickfilm. Aber der ist ziemlich langweilig. Wir schalten den Fernseher aus und erzählen
lieber unsere Ostergeschichte weiter. Das ist jetzt ganz leicht. Sandra hört mir genauso gespannt zu wie ich ihr. Obwohl ich bestimmt nicht so toll erzähle wie sie. Jedenfalls nicht ganz so toll. Plötzlich dreht sich der Schlüssel im Schloss. Mama und Papa sind wieder da. Ich springe aus dem Bett und laufe ihnen entgegen. „Wie geht‘s Oma?“, frage ich schnell. Papa lächelt. „Schon besser. Wir haben dir auch was mitgebracht - mit ganz lieben Ostergrüßen von Opa.“ Papa hält ein Töpfchen in die Luft. Opas Hähnchensalat - ganz klar! „Aber du siehst auch schon viel besser aus, Moritz. Du hustest ja gar nicht mehr!“, sagt Mama. Stimmt, das Husten habe ich ganz vergessen. Da kommt Sandra aus meinem Zimmer. Sie nimmt ihren Schlüssel von der Kommode und winkt mir zu. „Tschüs, Kleiner, dann kann ich ja jetzt nach oben gehen.“ Aber ich will, dass Sandra noch bei uns bleibt. „Willst du nicht mit uns essen?«, frage ich sie. „Das geht doch, Mama, oder?“ Mama schaut mich überrascht an. Sie hat bestimmt erwartet, dass ich Sandra so schnell wie möglich loswerden will.
Und zu Anfang war das ja auch so. Mama lächelt. „Wir würden uns freuen, wenn du bleibst, Sandra.“ Da legt Sandra ihren Schlüssel zurück auf die Kommode und geht mit mir zusammen in die Küche. Opas Hähnchensalat wird wohl für uns beide reichen. Und danach fällt uns sicher ein schönes Ende für unsere Ostergeschichte ein...
Ostern viermal anders Wir haben eine neue Lehrerin, die heißt Bibo. Natürlich heißt sie nicht wirklich Bibo, sondern Birgit Borsutzkita. Aber dabei bricht man sich ja die Zunge. Also nennen wir sie Bibo. Mama sagt immer, Bibo macht pädagogisch wertvollen Unterricht. Ich weiß nicht genau, was das ist. Ich finde Bibo einfach gut. Sie ist anders als die anderen Lehrer. Die reden ständig und wir sollen zuhören. Wahrscheinlich haben sie sonst keinen, der ihnen zuhört. Bei Bibo ist das anders. Da sitzen wir in Gruppen zu dritt oder viert zusammen. Und Bibo gibt uns ein Thema, über das wir dann reden. Bibo hört einfach nur zu. Das macht Spaß. Aber manchmal weiß man auch nicht, was man reden soll. Heute zum Beispiel. Heute sollen wir uns gegenseitig erzählen, wie wir zu Hause Ostern feiern. Das ist wirklich langweilig. Und das sage ich Bibo auch: „Ostern ist doch überall gleich: Eier anmalen, Eier suchen, Eier essen, spazieren gehen und zum Kaffee kommen Oma und Opa.“ Bibo lacht und sagt: „Warte doch erst mal ab, Jonathan. Du bist immer so voreilig.“ Ich will Bibo nicht ärgern. Also winke ich Sven, Bodo und Nicky zu mir rüber. Wir sind nämlich immer eine gute Gruppe. Aber Bibo schüttelt den Kopf.
„Ich möchte, dass ihr heute neue Gruppen bildet Jonathan, setz du dich bitte zu Philipp, Stefan und Athena. Bodo und Nicky, geht ihr bitte rüber zu Tuley. Sven, du setzt dich zu Achmed und Nicole ...“ Bibo setzt uns tatsächlich alle um. Wir stöhnen. Aber dann machen wir, was sie sagt. Das gibt vielleicht ein Stühlerücken! Endlich haben alle ihren neuen Platz gefunden. Von meiner neuen Gruppe bin ich nicht gerade begeistert: Philipp sagt nie viel. Ich glaube, er ist ein bisschen schüchtern. Von Athena weiß ich nur, dass sie aus Griechenland kommt. Sie ist erst vor zwei Monaten hierher gezogen. Und an Stefan habe ich mich bisher nicht herangetraut. Der lässt sich nichts gefallen, weiß immer was Passendes zu sagen. Und er ist ganz schön dick. Während wir uns noch neugierig anschauen, klatscht Bibo in die Hände. Dann sagt sie: „Gestern haben wir über die Ostergeschichte gesprochen, wie sie im Neuen Testament überliefert ist. Ich habe euch erzählt, wie Jesus von einem seiner Jünger verraten und dann verurteilt wurde. Wir haben über die Kreuzigung Jesu gesprochen und über seine Auferstehung, die wir jedes Jahr zu Ostern feiern. Viele von euch kannten die Ostergeschichte gar nicht oder nur einen Teil davon.“
Ich gucke angestrengt auf mein Pult. Ich war auch einer von denen, die keinen Schimmer hatten, um was es an Ostern überhaupt geht. Bibo zwinkert mir zu und spricht weiter: „Jeder weiß, dass wir Weihnachten die Geburt Jesu feiern. Ihr kennt die Geschichte von Maria und Josef, von der Krippe und den Hirten. Aber mit Ostern verbinden heute viele Menschen nur Hase und Eiersuchen. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Arten Ostern zu feiern. Erzählt euch mal von eurem Osterfest.
Ich bin sicher, das wird nicht so langweilig, wie Jonathan befürchtet!“ Bibo geht an ihr Pult zurück. Sie tut so, als würde sie lesen. Das macht sie immer so. Jetzt müssen wir selbst sehen, wie wir klarkommen. Weil ja einer anfangen muss, erzähle ich, wie Ostern bei uns zu Hause abläuft.
Wie ich mit Mama die Ostereier färbe, wie Papa die Eier frühmorgens versteckt und so weiter. Die übliche Geschichte eben. Stefan zeigt sein breites Grinsen. „Bei uns ist Ostern ganz anders, Leute. Meine Eltern schleppen mich jedes Jahr zum Ostermarsch.“ Wir anderen schauen uns an. Ostermarsch? So genau weiß keiner, was das ist. „Hat das nicht was mit demonstrieren zu tun?“, frage ich unsicher.
Stefan nickt. „Klar. Vor Ostern treffen sich bei uns zu Hause ganz viele Leute. Da werden Plakate und Spruchbänder gebastelt. Meine Eltern sind nämlich in einer Gruppe, die sich für den Frieden einsetzt. Nicht nur gegen Waffen und so, sondern auch gegen Hass auf Ausländer. Letztes Jahr haben wir am Ostersonntag eine Menschenkette gebildet, die war zehn Kilometer lang.“ „Das habe ich im Fernsehen gesehen“, sagt Philipp. „Toll sah das aus. Und da warst du dabei?“ Stefan nickt stolz. „Klar! - Aber Ostereier kriege ich auch, keine Sorge.“ Ich grinse ihn an. „Und nicht zu knapp, wie man sieht.“ Erst kapiert Stefan nicht, wie ich das gemeint habe. Aber dann lacht er und klopft sich auf den Bauch. Er scheint nicht mal sauer zu sein. Er pufft Philipp in die Seite und fragt: „Und wie ist euer Ostern?“ Philipp zuckt die Achseln. „Bei uns ist Ostern viel mit Kirche und so. Meine Mutter arbeitet doch bei der Kirchengemeinde. Deswegen gehen wir nicht nur Weihnachten in den Gottesdienst, sondern an allen Festtagen. Natürlich auch Ostern.“ „Muss ja total öde sein!“, meint Stefan und kratzt sich am Kopf.
„Manchmal schon“, gibt Philip zu. „Aber Ostern gibt es einen extra Gottesdienst für Kinder. Nicht in der Kirche, sondern im Gemeindehaus. Die Pastorin erzählt die Ostergeschichte. Aber so, dass man das echt gut versteht. So wie Bibo eben. Danach können wir dann noch malen, singen oder tanzen. Das ist ganz toll!“ „Tanzen?“, frage ich erstaunt. Das klingt ja gut. „Wir tanzen auch zu Ostern“, sagt Athena plötzlich. Ich hatte sie ganz vergessen, weil sie so selten mal was sagt. „Erzähl doch mal, wie Ostern in Griechenland ist!“, sagt Philipp. Athena nickt. „Erst mal feiern wir Ostern meistens nicht am gleichen Wochenende wie ihr, sondern früher oder später. Aber bei uns ist Ostern das schönste Fest im Jahr. Zuerst bekommen wir von unserer Patentante eine ganz toll verzierte Kerze geschenkt. Da hängen kleine Teddys oder Blumen dran.“ „Und was macht ihr damit?“, frage ich. Stefan grinst. „Die werden an den Tannenbaum gesteckt, was sonst?“ „Quatsch!“ Athena schüttelt den Kopf. „Die Kerze nehmen wir mit in die Kirche. In der Nacht zum Ostersonntag gehen alle Menschen in den Gottesdienst. Auch wir Kinder. Meistens dauert das bis weit nach Mitternacht. Am Schluss trägt der Priester eine große Kerze in
die Kirche. Wir nennen es das neue Licht. Das ist ein Zeichen für die Auferstehung Jesu. Beim Hinausgehen zündet dann jeder an diesem Licht eine Kerze an. Dafür bekommen wir Kinder die Kerzen geschenkt.“ „Ach so!“, sagt Stefan. Schnell mache ich ihm ein Pst-Zeichen, damit Athena weitererzählen kann. Sie lächelt mir zu. „Nach dem Gottesdienst gibt es noch ein Feuerwerk und dann wird gegessen. An Schlafen denkt da keiner mehr! Und am Ostersonntag wird noch mehr gesungen und getanzt.“ Athena hat ganz rote Wangen bekommen beim Erzählen und ihre dunklen Augen sind plötzlich voller goldener Fünkchen. Schön sieht das aus. „Wenn übermorgen die Ferien beginnen, fahren wir nach Griechenland zu meinen Großeltern. Das machen wir jedes Jahr. Ich freue mich schon so darauf!“ Wir sehen Athena ein bisschen neidisch an. So ein griechisches Osterfest muss ja wirklich toll sein! Stefan pufft mich in die Seite. „Hey, was gibt‘s denn da zu grinsen?“, fragt er. „Bibo hat mal wieder Recht gehabt“, sage ich. „Ostern ist doch überall anders.“ Nach Schulschluss drücke ich mich auf dem Hof herum und warte auf Athena. Ich möchte
noch mehr hören über Ostern in Griechenland - und überhaupt. Endlich kommt sie die Treppe herunter. Sie lächelt und wirft ihren langen, dicken Zopf zurück. Bevor ich etwas sagen kann, fragt sie mich: „Na, was machst du denn so heute Nachmittag?“