Ren Dhark Drakhon – 15- Welt der Goldenen
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Es war ein Alptraum..
Rückzug! dachte Ren Dhark. Wie versteinert saß e...
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Ren Dhark Drakhon – 15- Welt der Goldenen
1.
Es war ein Alptraum..
Rückzug! dachte Ren Dhark. Wie versteinert saß er da, die Bildkugel ins Auge gefaßt - die Bildkugel, die jene Sequenzen übertrug, die dem Commander der Planeten und Leiter der Orn-Expedition ein spürbares Gruseln verursachte - ebenso wie jedem anderen Beobachter. Schuld daran waren die Statuen. Goldene, gigantische Statuen - so weit das Auge reichte.
Sie waren herumgeschwenkt, waren dem Irrflug der POINT OF gefolgt und hatten dann, wie in einer absurden Choreographie, ihre Arme erhoben und gegen den Ringraumer gerichtet. Arme, die schreckliche Waffen waren... Rückzug! wiederholte Dhark seinen Befehl an die Adresse der Gedankensteuerung. Die nicht reagierte. Nicht in der befohlenen Weise jedenfalls. »Eines Tages werde ich diese alte Blechkiste eigenhändig in ihre Bestandteile zerlegen«, knurrte Dan Riker im Kopilotensitz neben Dhark. Und Dhark dachte: Er hat recht. Er hat verdammt noch mal recht. Was hat dieser vermaledeite Computer vor? Warum stellt er sich taub?
Gedankensteuerung und Checkmaster waren eins in seiner Vorstellung. Und oft genug hatte das mysteriös agierende Bordgehim bewiesen, daß es sich nicht als simpler Befehlsempfänger und ausführendes Organ verstand. Besaß es wirklich eine Biokomponente? Besaß es, wie ihm vielfach angedichtet worden war, Seele} In manch stiller Stunde hatte sich Dhark gefragt, ob sich nicht einer der geheimnisvollen Erbauer der POINT OF, Margun oder Sola, von denen kaum mehr als ihre Namen überliefert waren, mit dem Checkmaster sein eigenes Denkmal gesetzt hatte. Oder mehr noch: Ob sie nicht vielleicht sogar beide eine sehr spezielle Abart der Unsterblichkeit für sich kreiert hatten. Die Galoaner hatten bewiesen, daß es machbar war. Für ihr Nareidum, ihre Regierungsspitze, hatten sie einen Supercomputer entwickelt und eine Möglichkeit erschaffen, die Seelen verdienter Verstorbener zu konservieren - ihnen nach dem Tod der biologischen Hülle neue Heimat in einer kybernetischen Vollprothese zu gewähren. Die Mitglieder des Bundes der Weisen Toten waren sogar imstande, sich auslagern zu lassen - in vergleichsweise winzige Chips, die dann von lebenden Galoanern wie Schmuck getragen wurden und den Nareidums-Angehörigen, so erforderlich, Mobilität verliehen... Theoretisch konnte der Checkmaster also durchaus die Bewußtseine von Margun und Sola enthalten letztgültige Beweise dafür fehlten jedoch nach wie vor. Auch das Innenleben des Checkmasters war und blieb ein Rätsel. Bislang hatte man hinter der Uni-tallverkleidung nur einige fast banal anmutende Module entdeckt. Und etwas, von dem man annahm, daß es eine permanente Verbindung zum Hyperraum darstellte - dem Ort, wo der eigentliche Checkmaster-Komplex vermutet wurde. »Anja?« Dhark wandte sich Anja Riker zu, der Expertin für M-Mathematik, die im allgemeinen einen besonderen Draht zum »Orakel« der POINT OF besaß. »Warum blockiert die Gedankensteuerung?« Anja stand vor dem Terminal und wirkte ebenso ratlos wie Dhark selbst. »Keine Ahnung.« Schulterzucken. »Er reagiert auch auf keine manuelle Eingabe...« »Seh... eibenkleister!« fluchte Dan Riker, der sich genötigt fühlte, aufzustehen und zu seiner Frau zu eilen. Dhark blieb sitzen. Seine Finger flogen regelrecht über die Sensorschalter der Lehnen. Nichts an den Anzeigen verriet, daß jedes Gerät, jedes Instrument, mit dem versucht wurde, aktiv ins Geschehen einzugreifen, wert- und nutzlos geworden war. Die Anzeigen, auch auf den Konsolen rundum, wirkten normal. Als spiele der Checkmaster Katz und Maus mit der Besatzung. Und dies in einer Situation, die prekärer kaum sein konnte. Von überallher klangen jetzt Rufe, in denen blankes Entsetzen mitschwang: »... Ortung tot...« Tino Grappa saß wie ein Häufchen Elend hinter seinem Pult. »... Funk-Z meldet Verbindungsabbruch zu Orbitaleinheiten...« Dhark sah Glenn Morris förmlich vor sich, wie er sich an den Sende- und Empfangsgeräten zu schaffen machte. »Intervallum läßt sich nicht mehr schalten...« Auch Leon Bebir schien an der Grenze seiner Beherrschung angelangt zu sein. Er huschte wild gestikulierend von einem Platz zum anderen. Dann rief plötzlich eine Stimme, die alle anderen übertönte: »Achtung - Manöver! Schiff verläßt seine Position!« Das war Hen Falluta, der die ganze Zeit über die Navigation im Auge behalten hatte. Er trat neben Dhark und sprach aus, was dieser auch schon begriffen hatte. »Sir, wir landen.« Dhark war kaum imstande zu nicken. Sein Blick suchte Gisol. Der stand neben Juanita, dem Mädchen, das eine Art Halbgott in dem Worgun zu sehen schien. Oder auch nur den starken großen Bruder - so ganz war Ren Dhark noch immer nicht hinter das Verhältnis gestiegen, das die junge Terranerin und den Mysterious zu sammenschweißte. Aber er vertraute Gisol auch diesbezüglich. Genau wie er in anderer Hinsicht Vertrauen in
ihn setzte - nämlich was Gisols Schilderungen anging, daß sein Volk in der 10 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernten Galaxis Om ein geknechtetes Dasein führte, seit es von den »Zyzzkt« überrannt und besiegt worden war. Dennoch: Getreu dem alten Wahlspruch »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« hatte Dhark sich entschlossen, eine Expedition nach Om zu entsenden. Zwei Raumschiff s verbände waren gestartet. Der eine setzte sich aus der POINT OF und neun S-Kreuzern zusammen, der andere aus Gisols EPOY, die mit neun weiteren Schiffen aus dem Besitz des Worgun gekoppelt war. Laut Gisol war diese Kopplung die einzige Möglichkeit, um eine Triebwerksleistung zu erreichen, die es ermöglichte, die Kluft zwischen den Galaxien zu überbrücken. Und nun... nun befand sich der Verband auf halber Strecke, rund fünf Millionen Lichtjahre von daheim entfernt - sowohl dem Daheim Gisols als auch dem der Menschen - und drohte auf dem Zwischenstop, den Dhark befohlen hatte, zu scheitern. Ein einsamer Planet, der eine einsame rote Sonne im intergalaktischen Leerraum umkreiste. Ein Planet, bei dem die Femortung aus dem Raum keine noch so schwachen, verwertbaren Ergebnisse erbracht hatte. Über dem eine Art Schleier zu liegen schien - den die POINT OF Minuten zuvor durchstoßen hatte. Und nicht zuletzt ein Planet, der - wie sich jetzt herausgestellt hatte - in unmittelbarer Verbindung mit den Worgun/Mysterious stehen mußte, denn seine Oberfläche war übersät mit 8 Kilometer hohen, goldenen Statuen, die identisch mit den Monumenten zu sein schienen, denen Terraner in der Milchstraße bereits häufiger begegnet waren, auf Babylon und anderswo. All diese Eindrücke brauchten nicht länger als Sekundenbruchteile, um sich in Dharks Gehirn zu manifestieren. Die Kontaktaufnahme zur Gedankensteuerung scheiterte indes auch weiterhin. Die Möglichkeit, lenkend in den Kurs des Ringraumers einzugreifen, war auf Null gesunken. Der Checkmaster mißachtete jeden Befehl, blockierte die Gedanken- wie die Normalsteue-mng... ... und übernahm selbst die Regie. »Dieser vermaledeite Blechkasten!« variierte Riker seinen Fluch geringfügig - während die POINT OF dem Boden der Fremdwelt auf Antigravpolstern entgegensank. Umringt von Goldenen, groß wie Gebirge.Auch in der Folge scheiterten alle Versuche, die Kontrolle über das Schiff wiederzuerlangen. Schließlich berührte der 180 Meter durchmessende, blauviolette Ring den felsigen Boden der mutmaßlich in Worgunbesitz befindlichen Welt - umzingelt von gok denen Giganten, die den stolzen Raumer zum lächerlich zwergenhaften Spielzeug degradierten...»Wie viele Arme sind auf uns gerichtet?« »Wir sind auf die normalvisuelle Verbindung nach draußen beschränkt«, antwortete Leon Bebir auf Dharks Frage. »Demnach mindestens zwei Dutzend.« Dhark hatte die letzte Phase der vom Checkmaster erzwungenen Landung stumm, fast in sich gekehrt, auf seinem Sitz verbracht und die hilflose Hektik in seinem Umfeld kaum noch wahrgenommen. Tausend Dinge gingen ihm durch den Kopf. Er wog ab und verwarf - ohne zu einem brauchbaren Resultat zu gelangen. Nicht genug damit, daß der Planet sein Geheimnis mit massiver Waffendrohung verteidigte, nein, sehr viel schlimmer wog aus Dharks Sicht, daß der Checkmaster sich offenbar zum Komplizen der Instanz machte, die die POINT OF ins Visier genommen hatte. Oder hatte der Checkmaster nur die größere Voraussicht und tat, was nötig war, um Schiff und Besatzung vor größerem Schaden, vielleicht sogar der Vernichtung, zu bewahren? Aber warum kommuniziert er dann nicht einfach mit uns?, dachte Dhark. Nein, hier ist etwas faul. Es kommt mir vor, als hätte er uns schon hierher gelockt. Er hat als einziger einen Funkspruch aufgefangen, nicht einmal Gisols EPOY war es möglich, ihn wahrzunehmen. Als ob die Sendung nur für ein Schiff mit einem Checkmaster an Bord bestimmt gewesen wäre...
Welche Schlüsse ließen sich daraus ziehen? Laut eigener Aussage war Gisol ein Gerät wie der Checkmaster vollkommen fremd. Die POINT OF selbst hatte er als in weiten Teilen »veraltet« tituliert - ohne bislang einen Beweis für diese These erbringen zu können. Aber der Checkmaster hatte es ihm von Anfang an angetan, ihn regelrecht fasziniert. Was für eine Büchse der Pandora, was für einen Unheilsbringer hatten Margun und Sola vor tausend Jahren auf Hope ersonnen? Waren all die Aussetzer der Vergangenheit nur Vorboten dieses Moments gewesen, in dem er sein wahres Gesicht zeigte und sich gegen seine Besitzer verschwor? Aber wer - oder was - hatte ihn zu diesem Verrat bewogen? Wer oder was wußte, wie man mit einem Checkmaster verfahren mußte, um ihn zu einem gehorsamen Diener umzufunktionieren? »Anja?« »Unverändert, tut mir leid, da ist nichts zu machen. Er blockiert. Aber gleichzeitig...« »Ja?« »... gibt es immer mehr Anzeichen dafür, daß der Checkmaster hochaktiv ist.« »Kannst du das näher definieren? Wahrscheinlich wendet er alle Energie auf, um uns die Führung des Schiffes aus der Hand zu nehmen...« »Nicht nur das.« Anja schüttelte den Kopf. Sie kniete neben der offenen Verkleidung des Checkmasters, in
dem seltsame Ver-schachtelungen zu sehen waren. Und etwas, das Arc Doorn einmal als »Antenne« bezeichnet hatte. Als Schnittstelle zum Hyperraum. Über der Spitze der Antenne züngelte eine Art grünliche Flamme. Ren Dhark ging neben Anja in die Hocke und seufzte, als er das Phänomen entdeckte. »Ich verständige Are.« Anja nickte. »Vielleicht kann er meinen Verdacht bestätigen.« »Welchen Verdacht?« »Daß der Checkmaster Impulse abstrahlt. Meinem Diagnose-Suprasensor zufolge...«, sie hielt ein etuigroßes Instrument hoch, über dessen Anzeige verwirrende Amplitudenfolgen huschten, »... handelt es sich dabei um hyperelektrische Wellen. Mit anderen Worten...« »... er kommuniziert?« »Es ist nur ein Verdacht.« »Aber naheliegend«, erwiderte Dhark und richtete sich wieder auf. Hinter ihm standen Dan Riker und Gisol. »Ich wußte von Anfang an«, sagte der Worgun unaufgefordert, »daß ein Schiff, das unbekannte Komponenten wie diesen >Checkmaster< enthält, eine Gefahr für seine Besatzung darstellt. Ich verstehe nicht, daß ihr nicht rechtzeitig viel mehr Anstrengungen unternommen habt, hinter das Geheimnis dieser... Installation zu gelangen. Nun ist es zu spät...« »Es ist nie zu spät«, widersprach Dhark heftiger als gewollt. »Dan - verständige Arc Doorn. Er soll zusammen mit Anja versuchen, ihren Verdacht entweder zu entkräften oder zu bestätigen. Und... er soll sich beeilen.« An Gisol gewandt, der seine Jim-Smith-Gestalt trug, von der kein Uneingeweihter vermutet hätte, daß sie nur »Maske« war, fragte er: »Kannst du mir immer noch nichts über diesen Planeten der Statuen sagen?« Gisol schüttelte in perfekter Adaption menschlicher Verhaltensweise den Kopf. »Wie ich schon erklärt habe: Es befinden sich in den Speichern meines Schiffes keinerlei Hinweise auf ein System inmitten der Großen Leere. Aber ich vermute wie du, daß es Verbindungen zu meinem Volk gibt und dieses sowohl die hiesige Sonne als auch den Planeten dereinst hier stationiert hat. Womöglich als Etappenstation auf dem Weg zur Milchstraße - oder in andere Galaxien des Clusters.« Dhark nickte. »Falls die Statuen tatsächlich über den kompletten Planeten verteilt sind... was mögen sie wohl bewachen? Es muß von enormem Wert sein. Handelt es sich vielleicht um waffenstarrende Tankvorrichtungen, ähnlich wie auf Babylon? Wurden hier einst bei Bedarf Tausende und aber Tausende Ringraumer mit To firitstaub versorgt, um sie in die Schlacht gegen die Zyzzkt zu schicken...?« »Das macht keinen Sinn«, verwarf Gisol den Gedanken. »Mein Volk verfügte nie über genügend Vorkommen an Tofirit, um ein solches planetenumspannendes Netz von >Tankstellen< betriebsfähig zu halten.« »Wer weiß.« Dhark zuckte mit den Achseln. »Vielleicht irrst du, was das angeht. Da sich in den Speicherbänken deiner Schiffe und auch in deinem Gedächtnis keine Hinweise auf diese Basiswelt finden lassen, könnte doch alles möglich sein.« Damit war Gisol nicht zu überzeugen. Er setzte zu einer Erwiderung an. Doch in diesem Moment geschah zweierlei. Zum einen öffnete sich fauchend das Zentraleschott, und der bullige Sibirier Arc Doorn trat ein. Zum anderen rief eine aufgeregte Stimme, in der Dhark Hen Falluta erkannte: »Da! Da bewegt sich etwas! Allmächtiger - das... das kann doch nicht wahr sein...!« Dhark folgte dem perplexen Blick seines Ersten Offiziers. Und erstarrte. Grundgütiger, dachte er - und blickte in die Bildkugel, die die Außenwelt wiedergab. , Jene gigantischen, goldfarbenen Statuen... ... von denen gerade eine von ihrem Sockel herabstieg und in steifem Gang auf die POINT OF zukam...
Die Realität schien in Brüche zu gehen. Als wäre sie aus Glas. Glas, auf das ein unsichtbarer Titan mit seiner Keule eindrosch. Waren die Riesenstatuen etwa Roboter? Dhark schloß kurz die Augen. Nur für einen Sekundenbruchteil. Erinnerungen schössen ihm durch den Sinn. Er hatte Vonnock, den Wächter kennengelernt. Vonnock, den Fanjuur, dessen Seele auf einen eigentlich seelenlosen Roboter übertragen worden war -einen Wächterrobot der Mysterious. Der aus Tofirit bestand. Formbarem Tofirit, in das auch biologische Elemente eingewoben waren. Die wahnsinnigste Legierung, die ein Mensch sich vorstellen konnte. Ausgerechnet Tofirit, dachte Dhark. Wie paßt das zusammen mit Gisols Behauptung, es habe den Worgun immer daran gemangelt? Lügt er mich an? Habe ich immer noch ein gefälschtes Bild der Mysterious? Sind sie am Ende doch nicht die Geknechteten, und Gisol ist der Betrüger, den manche ohnehin in ihm sehen?
Die Konsequenz daraus wäre gewesen, daß auch in Orn völlig andere Machtverhältnisse herrschten, als der Worgun es geschildert hatte. Doch soweit wollte Dhark nicht gehen. Dieser Planet war auch keine von Gisol
gestellte Falle - die Idee, hier einen Zwischenstopp einzulegen, ging einzig auf Dhark selbst zurück, nachdem der Checkmaster die mysteriösen Funkimpulse aufgefangen hatte. Der Checkmaster, der sich seit der Landung totstellte. Er ist der Verräter, dachte Dhark. Nicht Gisol. Anscheinend gehörten die Zeiten, da der Checkmaster sich als undurchschaubare Graue Eminenz an Bord der POINT OF aufspielte, doch nicht, wie erhofft, der Vergangenheit an. Seine Aufmerksamkeit fand zum Geschehen zurück. Was hatte der Goldene vor?
»Verdammt!« krächzte Dan Riker. »Gleich ist er da! Er wird uns zertreten wie eine Blechdose!« Dhark zögerte nicht länger. »Clifton! Rochard!« rief er über Bordsprech. »Wir nehmen den Giganten unter konzentriertes Feuer...« »Negativ«, wurde er unterbrochen. »Wir haben keinen Einfluß auf die Steuerung der Waffensysteme. Hier ist auch alles blok-kiert.« »Das heißt, daß wir verloren sind«, eine Kleinmädchenstimme. »Wir werden alle sterben... Gisol!« Dhark drehte sich um und sah den Worgun auf das Mädchen zugehen, tröstend den Arm um es legen. Die Angst stand Juanita ins Gesicht geschrieben. Und Gisol? Was mochte in ihm vorgehen, der sich innerlich bereits auf seine nicht unproblematische Heimkehr nach Om vorbereitet hatte? Verfluchte er den Leichtsinn seiner terranischen Verbündeten? Als er Dharks Blicke bemerkte, sagte er: »Wir müssen evakuieren. Die Transmitter...« »... funktionieren auch nicht mehr«, übernahm Riker die Erwiderung an Dharks Stelle. »Wir sitzen hier wie in Isolationshaft! Alles um uns herum ist zur Staffage geworden, zur Kulisse für ein Trauerspiel, das unser hochgeschätzter Checkmaster inszeniert!« Seine Stimme troff vor Sarkasmus. »Wahrscheinlich müssen wir dankbar sein, daß er uns noch nicht die Frischluftzufuhr und Heizung abgedreht hat...« Dhark warf einen Kontrollblick zur Bildkugel. Der Goldene bewegte sich plump, fast zeitlupenhaft. Entweder konnte er nicht schneller oder er nutzte seine Langsamkeit zur weiteren Steigerung des Terrors, den er ohnehin schon verbreitete. Nur noch Sekunden, dann würde das eintreten, was Dan Riker prophezeit hatte. Das - oder etwas völlig anderes. Aber etwas würde geschehen. Vielleicht würde er seine Waffen aus nächster Nähe sprechen lassen, nachdem sich der Ringraumer als wehrlos erwiesen hatte. Weder im Defensiv- noch im Offensivbereich gehorchte auch nur ein einziges Element den Befehlen der Besatzung. »Ein mieser Ort zum Krepieren«, murmelte Riker. Er stand auf und eilte zu seiner Frau, die nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Die nackte Angst waberte in Anjas Augen... ... genau wie in denen der übrigen Besatzung. Hilflos. Wehrlos. Wann hatte sich die POINT OF jemals in einer so aussichtslosen Situation befunden, in der gar nichts mehr gehen wollte? Evakuierung war zum unerfüllbaren Wunschtraum geworden. Und falls es noch eine Rettung gab - woher sollte sie kommen? Aus dem Orbit? Dort oben wußte mit Bestimmtheit niemand, was hier unten vorging. Der Funk streikte wie alles andere, und die Femaufklärung war nach wie vor nicht in der Lage, die Wolkenschleier zu durchdringen. Wenn sie klug sind, werden sie auch keinen Versuch unternehmen, uns w folgen, dachte Dhark. Wenn sie klug sind, koppeln sie wieder und treten die Rückreise in die Milchstraße an.
Er dachte es, ohne wirklich zu glauben, daß dies das Ende sein sollte. Seines, das der POINT OF und das der übrigen Besatzung. Der Goldene erzeugte eine Unwirklichkeit, die es fast unmöglich machte, an eine reale Bedrohung zu glauben. Und doch... »Jetzt!« kreischte Juanita, heftig an Gisol geschmiegt. Der ohne Sockel immer noch sieben Kilometer hohe Gigant, dessen Füße bei jedem Schritt jeweils einen quadratkilometergroßen Flecken Boden zerstampften, war tatsächlich da. Die Bildkugel erzeugte eine Darstellung, in der Schiff und Statue zu sehen waren - der Goldene noch einen seiner mächtigen Schritte entfernt und innehaltend, als würde er kurz überlegen, mit welchem seiner beiden unzählige Tonnen schweren Füße er den Ringraumer in die Planetenrinde treten sollte. Dhark hielt den Atem an. Wie jeder andere, der die Bilder sah, wußte er, daß die nächsten Momente über Tod oder Leben entschieden. »Das ist Wahnsinn - er wird uns nichts tun«, stöhnte Anja. »Dein Wort in des Goldenen Ohr«, seufzte Riker. Und Dhark hörte sich etwas sagen, was ihn selbst überraschte: »Wir sollten auf unseren Beschützer vertrauen. Er hat uns noch nie im Stich gelassen, auch wenn es oft so schien. Auch diesmal wird er...« »Der Checkmaster?« fragte Riker. »Du hast Nerven. Wenn er nicht schnell handelt, wird ihm keine
Gelegenheit mehr bleiben, wiedergutzumachen, was er vermasselt hat. Dieser...« Seine Stimme brach. Weil der Goldene draußen sein kurzes Innehalten beendete. Es ist soweit, dachte Dhark. Er hat seine Entscheidung getroffen - oder von irgendwoher seine Befehle erhalten. Wenn man uns als Bedrohung ansieht, wird er uns vernichten. Aber falls man sich unsicher über unsere Natur ist...
Er betete förmlich, daß sie Gelegenheit erhalten würden, die Herren des Planeten, und sei es auch nur eine kybernetische Instanz, von ihrer Friedensliebe zu überzeugen. Aber es konnte genauso gut... Vorbei sein.
Jetzt. Trotz Schwerkraftausgleichern an Bord glaubte Dhark die Erschütterung bis in seinen Körper hinein zu spüren, als der Gigant sich draußen in unmittelbarer Nähe wieder rührte. Erhob ein Bein. Nein... er knickte es ein! Für einen Augenblick sah es aus, als wolle sich der Gigant selbst zu Fall bringen, die POINT OF nicht nur unter seiner Sohle, sondern unter dem ganzen Körper begraben. Doch dieser Eindruck täuschte. »Er... er kniet sich neben uns nieder...!« Wieder war es die kleine Juanita, die ihre Beobachtung in Worte faßte. Und sie hatte Recht: Der goldene Riesenroboter ging neben der POINT OF in die Knie... ... winkelte den Arm an... ... streckte die gigantische Hand nach dem Schiff aus... ... legte sie beinahe zärtlich auf das Flaggschiff der terranischen Rotte... ... und nagelte es auf diese Weise, die so absurd war, so grotesk und bizarr wie alles Vorausgegangene, am Boden der fremden Welt fest. Henner Trawisheim, Stellvertreter des Commanders der Planeten, konnte den Panoramablick über Alamo Gordo nicht genießen. Er hatte zu arbeiten und bedankte sich dafür innerlich ganz herzlich bei Ren Dhark, der lieber im Weltraum herumzigeunerte, als sich den Regierungsgeschäften zu widmen, wofür er eigentlich gewählt worden war. Über Dharks Aktivitäten konnte man geteilter Meinung sein. Sicher lag dem Commander das Wohl der Erde und der Menschheit am Herzen. Oft genug hatte er mit Risikoeinsätzen auch unendlich große Gefahren abgewehrt. Aber hätten andere das nicht ebensogut erledigen können? Mußte er immer an vorderster Front stehen und überall an den Brennpunkten persönlich eingreifen? Mußte er immer wieder seinem Hirngespinst, den Mysterious, nachjagen? Jahrelang hatte er gehofft, sie in den Weltraumtiefen zu entdekken, jene Rasse, die vor tausend Jahren aus der Galaxis verschwunden war, um nichts Persönliches zu hinterlassen, was Rückschlüsse auf ihr Aussehen und ihre Lebensart ermöglicht hätte. Nur ihre technischen Relikte waren geblieben, von den Ter-ranem hier und da entdeckt und in Besitz genommen. Und nun war er endlich dem ersten Mysterious begegnet. Es gab sie noch, aber in einer anderen Galaxis, und sie schienen in Schwierigkeiten zu stecken. Prompt erbot sich der Commander, ihnen zu helfen! Verdammt, was konnten die Terraner mit ihrer vergleichsweise steinzeitlichen Technik schon tun, um einem Volk zu helfen, das vor tausend Jahren schon mit perfektester Supertechnik mehrere Galaxien beherrscht hatte, als sich auf Terra noch christliche Kreuzritter und islamische Krieger gegenseitig mit Schwertern, Säbeln und Streitkeulen die Schädel einschlugen und noch glaubten, daß die Erde eine Scheibe sei und die Sonne sich um sie drehte? Trawisheim wünschte sich inständig, daß Dhark sich endlich einmal um das kümmerte, was näherlag. Schließlich war er der Regierungschef! Aber der Commander hatte in Trawisheim ja einen erstklassigen Stellvertreter, der noch dazu der erste und einzige Cyborg auf geistiger Basis war. Nicht für Kampfeinsätze geschaffen, sondern für Verwaltung und Logistik prädestiniert und mit einem Goldhändchen für richtige und schnelle Entscheidungen. Noch dazu fehlte Trawisheim jegliche Machtsucht. Mit seinen Fähigkeiten hätte er Dhark längst stürzen können. Aber er war loyal. Es reichte ihm, die Nummer Zwei zu sein. Denn de facto war er ja ohnehin längst derjenige, der die Entscheidungen traf. Wann war Commander Dhark denn mal auf Terra zu finden, um gefragt zu werden? »Ren Dhark«, formten seine Lippen lautlos, und er sah über die Köpfe der anderen im Konferenzraum hinweg durch das große Panoramafenster, das ihm aus der Höhe des 43. Stockwerks des Regierungsgebäudes die bis zu 800 und mehr Meter aufragenden Stielbauten zeigte, die das moderne Alamo Gordo repräsentierten: Riesige, himmelhohe Säulen, auf denen noch riesigere Wohnkugeln langsam rotierten, die jede eine Art Stadt in der Stadt waren, mit autarker Versorgung. Das Regierungsgebäude repräsentierte das alte Alamo Gordo. Es war ein grauer Betonklotz. Unansehnlich, aber funktionell. In diesem Konferenzraum waren sie versammelt, sieben Staatssekretäre der verschiedenen Ministerien und
dazu Finanzminister Lamont persönlich. Der sah wie Trawisheim endlich einen kleinen Hoffnungsschimmer, was den desolaten Staatshaushalt anging, seit der Planet Hope im Col-System Versorgungsgüter produzierte und nach Terra lieferte, die hier dringend fehlten oder nicht produziert werden konnten, weil kein Geld dafür zur Verfügung stand. Der Mysterious Gisol hatte die Produktionsanlagen im Industriedom von Deluge entsprechend umgestellt. Die Maschinengiganten arbeiteten und lieferten die gewünschten Produkte. An Kosten fielen auf Terra nur der Transportaufwand, die Einfuhrsteuer und eine kleine Gewinnmarge an - und die Waren kosteten den Endverbraucher weniger als ein Drittel dessen, wofür terranische Fabriken sie hätten herstellen können. Somit konnte sich auch das Heer der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wieder Produkte leisten, ohne damit gleich den ganzen Monatsetat zu verbraten. Es blieb genug, um mit der verbliebenen Kaufkraft die terranische Wirtschaft anzukurbeln. »Es bleibt eben nicht genug!« polterte Dale Earnhardt, Staatssekretär im Arbeitsministerium. »Es bleibt nicht genug bei unseren Firmen hängen, daß sie ihre Produktion erhöhen und mehr Arbeiter einstellen könnten. Dazu die Flut von Wallis-Arbeitsrobotem, die nahezu wartungsfrei sind, praktisch nur einmal bei der Anschaffung teuer sind und sich nach spätestens drei Jahren amortisiert haben, aber bis zu 30 Jahre lang nutzbar bleiben, da sie durch billige Modultechnik stets auf den neuesten Stand gebracht werden können...« »Sie reden, als wären Sie nicht im Ministerium, sondern bei den Gewerkschaften tätig«, knurrte Lamont ihn an. »Dann werfen Sie doch mal einen Blick auf die Zahlen!« verlangte Earnhardt. »Wir haben immer noch mehr als zwei Milliarden Arbeitslose weltweit. Die müssen finanziert werden. Wovon, bitte, wenn die Steuern und Sozialabgaben nicht drastisch erhöht werden? Das aber senkt die Kaufkraft wieder und verteuert zudem die Lohnnebenkosten. Also noch weniger Konsum, noch weniger Produktion, noch mehr Arbeitslose. Die Schraube dreht sich endlos weiter, während Hope uns mit den Gratisprodukten totwirft.« »Beinahegratisprodukte«, warf Arkadij Klisskow vom Sozialministerium ein, der wie ein Preisboxer aussah, aber keiner Fliege etwas zuleide tun konnte - weil die Biester einfach zu schnell für ihn waren. »Machen Sie mal einen Punkt, Genösse Earnhardt. Wir hatten noch weit höhere Arbeitslosenzahlen, bevor der Genösse Lamont auf die glorreiche Idee kam, Produkte vom Planeten Babylon einführen zu lassen. Babylon kann nicht mehr liefern, weil so gut wie alle M-Technik durch die Galaktische Katastrophe zu Schrott wurde, aber wo liegt der Unterschied zwischen den Lieferungen? Und die Arbeitslosenzahlen sind seither erheblich gesunken. Sie werden auch weiter sinken.« Der »Genösse« Lamont sah Klisskow strafend an. »Ich finde es bewundernswert, wie Sie Ihre Titulierung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts in die Gegenwart retten konnten. Man sollte Sie ins Museum stellen. Genösse Klisskow.« Der grinste nur. »Ganz so einfach, wie Mister Klisskow es darstellt, ist es nicht gerade«, fuhr Lamont fort. »Aber in gewisser Hinsicht hat er schon recht. Ich kenne meine Zahlen durchaus sehr gut, Mister Eamhardt, und ich bin noch längst nicht zufrieden. Aber wir sind auf dem Weg nach oben. Es sollte auch Ihnen klar sein, daß es drei- bis viermal so lange dauert, eine Verschuldung abzubauen, als sie zu schaffen. Wir mußten sie schaffen, weil wir den Wiederaufbau Terras nach der Giant-In vasion zu finanzieren hatten, weil wir eine schlagkräftige Abwehr aufbauen mußten - und weil schließlich der Krieg gegen die Grakos uns überrollte. Das alles ist jetzt vorbei. Wir können durchatmen und...« »Bis uns der nächste Krieg überrollt«, grummelte Klisskow. »Unser Commander wird schon dafür sorgen...« »Was wollen Sie damit sagen, Mister Klisskow?« fragte Trawis-heim peitschend scharf. Klisskow lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sehen Sie, wenn Commander Dhark nicht ständig draußen im Weltraum in Wespennestern herumstochern würde, hätten wir sicher weniger Probleme. Dann würden weniger außerirdische Mächte auf uns aufmerksam, die nichts Eiligeres zu tun haben, als uns mal eben ein bißchen zu überfallen. Wie die Rateken, wie die Grakos... oder auch wie die Robotflotten der Mysterious, die uns fast die gesamte Asteroidenverteidigung und einige Dutzend Kampfraumer zu Klump geschossen haben, ehe sie gestoppt werden konnten.« »Durch Dhark und seine Mitarbeiter!« hielt Trawisheim ihm entgegen. »Und vergessen Sie nicht, daß der Commander auch Freunde und Handelspartner für uns gewonnen hat. Utaren und Nogk... und ohne ihn und seinen selbstlosen Einsatz würde uns vielleicht jetzt schon die Galaxis Drakhon zerschmettern, deren letzte Transition für diesen Monat, April 2059, vorausgesagt wurde!« »Dieser selbstlose Einsatz hat uns wiederum -zig Milliarden Dollar gekostet!« »Lieber ein lebendiger Bettler als ein toter Millionär!« warf einer der anderen ein. »Richtig erkannt«, sagte Trawisheim. »Aus diesem Grund hat der Commander den Notstand ausgerufen.« »Der inzwischen beendet werden sollte«, verlangte Klisskow. »Bevor er sich endgültig etabliert und schließlich in eine Diktatur mündet. Darf ich an den Regionalbereich Deutschland in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erinnern, mit Brünings >NotverordnungenZuerst die gute Nachricht: Wir werden die Krankheit nach Ihnen
benennen. normaler< Hyperfunk durchdringt die Schale. Womit wir den Checkmaster ausgetrickst
hätten...«
»Ich verstehe sein Verhalten immer noch nicht.«
»Niemand versteht es, John. Aber wir arbeiten daran. Bei Ihnen alles klar?«
»Unverändert. Wie Gisol Ihnen sicher übermittelt hat, haben wir uns auf zirka 300 000 Kilometer Distanz
zurückgezogen. Es gibt keinerlei Anzeichen auf Bewegung im System. Wir sind nach wie vor die einzigen, die
sich für diese Welt interessieren. Aber etwas anderes war auch kaum anzunehmen. Es wäre wohl allzu unwahr
scheinlich, daß in zeitlicher Übereinstimmung mit uns eine weitere Rasse neugierig hier vorbei schaut...«
»Das könnten wir auch nicht gebrauchen. Wir haben auch so
schon Probleme genug.« Dhark berichtete Martell von dem Aufklärungseinsatz, der soeben gestartet worden und
dessen Risiko noch nicht abzuschätzen war. Er schloß mit den Worten: »Wir bleiben in Kontakt.«
Und Martell an Bord der CALAIS fragte sich, warum Hyperfunk die energetische Barriere mühelos überwand.
Orterstrahlen auf gleicher Basis aber weiterhin versagten...
Amy Stewart spürte die Anspannung, die Besitz von ihr ergriffen hatte. Sie hatte absichtlich noch nicht auf ihr
Zweites System umgeschaltet, das jede Adrenalinausschüttung unterbunden hätte.
Sie wollte die Situation pur erleben.
Ungefiltert.
Auf einer Ebene, wie auch Kartek das Risiko empfinden mußte.
Langsam, fast in Schrittempo, entfernte sich der Flash von der POINTOF...
... und blieb wider Erwarten völlig unbehelligt von dem knienden Koloß.
Auch die anderen Giganten reagierten nicht erkennbar auf das Ausschleusen des Beiboots. Noch immer
verschwanden ihre Arme in dem brodelnden »Feuermeer«, das den Himmel bedeckte und die Landschaft in
unwirkliches Licht badete.
Die Landschaft.
Kaum jemand an Bord der POINT OF hatte bislang Augen für die Beschaffenheit der Umgebung gehabt, in der
das Ringschiff zur Landung gezwungen worden war. Zumal die willkürliche Bildregie des Checkmasters jede
Detailbeobachtung fast unmöglich gemacht hatte.
Solcherart beeinträchtigt war der Flash nicht. Es gab kein Hemmnis, das die Außenbeobachtung störte oder gar
völlig verhinderte.
»Es ist... wunderschön«, rutschte es Amy heraus - und ihr
wurde nicht bewußt, daß sie damit dasselbe Adjektiv wählte, mit dem auch schon die Gesichter der Statuen
bedacht worden waren.
Wunderschön.
An Bord der POINT OF fing man jedes ihrer Worte auf. Die Verbindung von Flash zu Flash ermöglichte dies.
Dhark hatte eigens die Verlegung eines der Beiboote in die Schiffszentrale angeordnet. Ein einmaliger Vorgang
in der Geschichte des Ringrau-mers. Die Checkmaster-Blockade schrie geradezu nach unkonventionellen
Methoden, sie zu umgehen.
»Was genau ist wunderschön, Amy? Die Statuen?«, fragte Ren Dhark. Seine Stimme klang so klar und
unverfälscht, als befände er sich mit an Bord des Flash.
»Die Landschaft«, sagte Amy. »Die geologischen Strukturen des Planeten wirken sehr alt, das Klima ist mild -
zumindest in diesen Breiten - und alles, was ich überblicken kann, erinnert an die Nationalparks der Erde. Kein
englischer Rasen, wenn Sie verstehen, was ich meine - aber überall gibt es Hinweise darauf, daß hier nichts
völlig wild und ungeordnet wächst. Hier gibt es ordnende Hände - auch wenn uns bis jetzt noch keine über den
Weg gelaufen -«
Sie stockte.
»Was ist?«
»Da bewegt sich etwas.« Sie verständigte sich mit Kartek darauf, tieferzugehen.
Der Flash glitt hinab. Die Flächenprojektoren erhöhten den Schub geringfügig.
»Sehen Sie selbst, Sir«, sagte Amy.
Ihr Flash war mit dem in der Zentrale synchron geschaltet. In der dortigen Deckenholographie bildete sich
demzufolge genau das ab, was auch der weibliche Cyborg und Kartek sahen.
Ein Tier.
Zumindest sprach sein Verhalten dafür, daß es sich um eine relativ intelligenzarme Spezies handelte, eine
Mischung aus terrani-schem Leguan und einem Vogel. Nur daß es weder Schuppen noch
Gefieder besaß, dafür ein wie rotlackiert glänzendes Kurzhaarfell. Selbst seine eng an den Körper gelegten
Flügel waren fellüberzogen. Seine Größe entsprach etwa der eines ausgewachsenen Krokodils. Es saß im
blattlosen Gezweig eines eigentümlich kahl, wie verbrannt aussehenden Baumes, dessen Äste wirr nach allen
Seiten abstanden. Sie wuchsen nicht beliebig aus dem Stamm hervor, sondern allesamt aus dessen oberem Ende.
In der Mitte des Baumes existierte eine Art Nest, aus dem ein ständig die Farbe wechselndes Leuchten drang.
Wovon es verursacht wurde, blieb unklar. Der »Vogel« indes bemerkte nun die Annäherung des Flash, entfaltete
erschrocken seine Flügel, die eine Spannweite von mindestens fünf Metern aufwiesen - und erhob sich damit in
die Lüfte.
Er flog jedoch nicht weit davon, sondern legte die Flügel unvermittelt wieder an und raste in fast senkrechtem
Sturzflug, den mit Homwülsten gepanzerten Schädel voran, in die Tiefe.
Er fiel wie ein Stein. Der tödliche Aufprall schien unvermeidlich.
Doch dann durchstieß er den Boden, der sich an dieser Stelle als entweder sehr nachgiebig entpuppte - oder als
eine Stelle, die vielleicht von dem »Vogel« selbst präpariert worden war, um im Gefahrenfall darin abtauchen zu
können.
»Es scheint Feinde zu haben, denen zu entkommen eine ziemliche Erfindungsgabe voraussetzt«, murmelte Amy,
die noch ganz im Bann des Gesehenen stand.
»Erstaunlich«, urteilte auch Dhark von der POINT OF aus. »Ein allzu sorgloser Spaziergang im Freien ist wohl
nicht zu empfehlen.«
»Ich schreibe es mir hinter die Ohren«, gab Amy lächelnd zurück.
Der Flash setzte seine Erkundung knapp dreißig Meter über der Oberfläche fort. Dabei mußte er immer wieder
den Riesenstatuen ausweichen, die eine Art »Gebirgsersatz« zu sein schienen. Von den Goldenen abgesehen
schien es keine größeren Erhebungen zu' geben.
Aber genau diese Goldenen rückten kurze Zeit später erneut in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Irgend etwas stimmte nicht.
Irgend etwas war oberfaul an dem vermeintlichen Frieden, der sich über die Landschaft gesenkt hatte und den
Flash auf seinem in immer weitere Feme gehenden Flug begleitete.
Man will uns einlullen, uns in Sicherheit wiegen, dachte Amy. Es kann nicht echt sein. Wir werden beobachtet, aber aus unerfindlichem Grund geduldet.
Auf das Warum gab es keine Antwort. Noch nicht zumindest.
Fakt war, daß die POINT OF alles andere als friedlich oder freundschaftlich empfangen worden war.
Fakt war, daß sich die hinter den Goldenen stehende Macht gleich zu Beginn gehörigen Respekt verschafft und
das Flaggschiff der Expeditionsflotte kompromißlos auf Eis gelegt hatte.
Und jetzt durfte mal eben ein Flash zu einem Flug ins Blaue starten...?
Es war verrückt.
Unter brennendem Himmel erreichten Amy und Kartek schließlich eine Region, die sich in einem Punkt
frappierend vom Landeplatz der POINT OF unterschied.
Es war Kartek, der den Riesen als Erster bemerkte.
»Wer hätte das gedacht...«
Amy verstand sofort, worauf er anspielte. Und dann übertrug der Flash das Bild auch zur POINT OF.
Wo das Staunen sich in einem unbedachten Ausruf Dan Rikers entlud, der sein Herz einmal mehr auf der Zunge
trug: »Es gibt also auch die häßliche Version dieser Dinger...«
Einen Moment herrschte betretenes Schweigen.
Riker grinste verlegen und wischte seine eigene Bemerkung mit einer burschikosen Geste beiseite. Schon gut,
sollte das heißen. Ich weiß, man soll Geschöpfe nicht nach ihrem Aussehen beurteilen...
Doch niemand nahm sich die Zeit, auf seine flapsige Bemerkung überhaupt einzugehen.
Zu fünft umstanden sie die offene Luke des Flash und streckten ihre Köpfe ins Innere, um dem Bordhologramm
folgen zu können.
Und darin bildete sich plötzlich eine ganz neue, nie gesehene Version eines Goldenen ab.
Eines Goldenen, der eine Echse war.
Eine aufrechtgehende Echse, mit stämmigen Stummelbeinen und viergliedrigen Händen. Der Kopf war fast
gewaltiger als der Rumpf, aber auch hier...
... gab es ein liebevoll detailliert ausgearbeitetes Gesicht.
Es hatte nur nichts mit einem menschlichen gemein.
»Sauroid«, stellte Gisol kurz und knapp fest. Er nickte, als beinhalte die Entdeckung für ihn keinerlei
Überraschung.
Dhark drehte sich zu ihm um. »Du wußtest von dieser Variante?«, fragte er.
Gisol schwieg.
»Sollen wir den Flug fortsetzen?«, fragte Amy an.
Dhark bestätigte. »Ich habe die dumpfe Ahnung, daß dies nicht die letzte Überraschung ist, die uns erwartet. Wie
groß ist die momentane Distanz?«
»Achthundert Kilometer.«
»Gut. Setzen wir mal voraus, wir wären ungefähr in der Mitte dieses Territoriums gelandet«, sagte Dhark, »dann
sollte das Szenario spätestens nach der doppelten der bereits zurückgelegten Strecke abermals wechseln - falls
mein Verdacht stimmt.«
»Welcher Verdacht?«, fragte Riker.
Statt einer Antwort wandte sich Dhark erneut an Gisol. »Stimmt er?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Mir ist dieser Planet, wie ich
bereits mehrfach betonte, unbekannt. Auch sein Sinn und Zweck.«
»Aber das Auftauchen der Echsenstatuen hat dich nicht sonderlich verblüfft.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Warten wir ab, ob sich dein Verdacht bestätigt«, wich Gisol aus. Neben ihm stand Juanita, die zu alledem
schwieg.
»Ich verstehe«, sagte Riker in diesem Moment. »Du denkst, es gibt noch weitere Varianten der Statuen. Aber
wie kommst du dar
auf?«
»Spontane Eingebung.« Dhark lächelte. »Und was für ein System könnte dahinter stecken?« »Das wird uns Gisol verraten. Er hat es gerade versprochen.«
Ren Dhark stellte hellseherische Kräfte unter Beweis - oder zumindest ein stark ausgeprägtes
Vorstellungsvermögen.
»Da!«
Wieder war es Kartek, der den Wandel in der bildhauerischen Gestaltung als Erster bemerkte.
Via Gedankensteuerung zoomte das Deckenhologramm die am Horizont auftauchende Gestalt heran. Ihre Höhe
war identisch mit den Ausmaßen der humanoiden Goldenen und den Echsenabkömmlingen - die Statur
unterschied sich jedoch beträchtlich.
Gedrungener, massiger Körperbau, dachte Amy. Und es fehlt am Wesentlichen - am Köpfchen.
Die neu auftauchende Figur war in der Tat köpf-, aber nicht gesichtslos - wie sich nach eingehendem Studium des Hologramms herausstellte. Nur breitete sich die Physiognomie dieser Statue über ihren Brustbereich aus, ebenso wie die stilisierten Sinnesund Atmungsorgane! »Unglaublich...! Sehen Sie das, Commander?« »Klar und deutlich«, antwortete Dhark. »Fliegen Sie weiter.« »Noch weiter?« »Umrunden Sie den Planeten - erhöhen Sie Ihre Geschwindigkeit und achten Sie dabei hauptsächlich auf das Auftauchen weiterer Varianten. - Wie groß ist die bislang zurückgelegte Strecke?« »2300 Kilometer.« »Das stützt meine These, wonach der Planet in Parzellen unterteilt sein könnte. Jede Parzelle umfaßt im Durchmesser etwa 1500 Kilometer, plus/minus ein paar hundert. Die POINT OF muß nicht im Mittelpunkt einer Parzelle gelandet sein. Deshalb werden wir mit üngenauigkeiten in der Schätzung leben müssen, bis die Kartographierung abgeschlossen ist.« »Wir sollen den Planeten kartographieren?« »Nur hinsichtlich der Statuen-Verteilung.« Kurz nach dieser neuen Anweisung beschleunigte der nach wie vor im Intervallschutz fliegende Flash auf
nahezu Schallgeschwindigkeit. Kartek gelang es dabei, sämtlichen Hindernissen mit traumwandlerischer
Sicherheit auszuweichen.
Dennoch fragte sich Amy ein ums andere Mal, was wohl passiert wäre, wenn sie mit einer der Statuen
»kollidiert« wären - kollidiert in dem Sinne, daß der Flash sie einfach im Mantel seines eigenen
Mikrouniversums durchdrungen hätte.
Im Regelfall hätte es dabei zu keiner Gefährdung kommen dürfen - aber gab es diesen Regelfall auch auf diesem
Planeten?
Sie teilte ihre Überlegung Ren Dhark mit. »Sollen wir versuchen, in eine der Statuen einzudringen und auf diese
Weise etwas über ihr Innenleben herausfinden?«
»Ein klares Nein! Damit würden wir nur riskieren, daß der Status Quo erlischt. Und das könnte sowohl Ihr als
auch unser Leben kosten.«
Amy verstand und drängte nicht weiter darauf. Kartek, der mitgehört hatte, schien fortan aber noch
konzentrierter zu steuern.
Bald darauf tauchte die nächste Variante von Goldenen auf -aufrechtstehende, unbekannte Insektoiden, die
grazile Extremitäten in den brennenden Himmel getaucht hielten.
Auch ihre Gesichter, so fremdartig - oder häßlich, folgte man Rikers Urteil - sie für den menschlichen Betrachter
auch aussehen mochten, waren mit ungeheurer Detailfreude modelliert.
»So langsam wird mir Golden unheimlich«, brummte Amy. »Ich fühle mich wie in einem Gruselkabinett.«
»Golden?«, fragte Dhark. »Ist das kein passender Name für eine seltsame Welt wie diese?« Sie erhielt Zustimmung. Überdies war niemand in der Stimmung, sich einen eventuell passenderen Namen auszudenken. Der Flash setzte seinen Weg fort - und machte die Feststellung, daß ab der nächsten »Grenze« erneut Humanoide auftauchten, wie sie die POINT OF umzingelten. Danach folgten wieder Echsen, Kopflose und Insektoiden. Humanoide, Echsen, Kopflose, Insektoiden... Andere Artefakte waren nicht auffindbar. Stunden, nachdem der Flash gestartet war, kehrte er zur POINT OF zurück, wo bereits hitzige Diskussionen entbrannt waren. Und wo Dhark auf die Einhaltung von Gisols »Versprechen« pochte.
Juanita sog die Nähe Gisols regelrecht in sich ein. Allmählich wich ihre Angst und machte einer Neugierde
Platz, von der sie selbst überrascht wurde.
»Du wolltest mir erklären, warum dich das Auftauchen der Echsenstatuen - und wohl auch das der anderen
Figuren - nicht wirklich erstaunt hat. Wirst du uns jetzt teilhaben lassen an deinem Wissen?«
Gisols Hand lag auf Juanitas Schulter. Er wirkte ruhig und gefaßt. »Es wird uns nicht wirklich weiterbringen«,
sagte er und streichelte über Juanitas Haar.
Sie lächelte, hob ihren Arm und bekam Gisols Hand zu fassen.
Sie war warm und weich, und nichts daran verriet, daß sie jederzeit zur Klaue oder einer anderen Form hätte
mutieren können.
Gisol, der Gestaltwandler.
Gisol, der Außerirdische aus einer fernen Galaxis.
Gisol, der Freund.
Sie spürte das Mißtrauen, das ihm seit der Landung von den anderen entgegenschlug, und sie hätte sich
gewünscht, etwas dagegen unternehmen zu können.
»Mag sein. Laß uns trotzdem an deinen Kenntnissen teilhaben.«
Gisol zierte sich nicht länger.
»Für euch«, sagte er, »mag es eine neue Erfahrung sein, Statuen unterschiedlicher Ausprägung zu Gesicht zu
bekommen. Ihr konntet bisher nur auf das zurückgreifen, was euch in eurer eigenen Galaxis begegnete - und dort
sind sämtliche Relikte dieser Art humanoid.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Die Eingriffe der Worgun in die Natur von Planeten beschränkten sich nicht nur auf die Milchstraße. Die
Goldenen repräsentieren die in einer Galaxis gepflegte Grundform, mit der mein Volk experimentierte. Bei euch
war es die humanoide Lebensform, anderswo dominierten die Sauroiden, wieder anderswo die Insektoiden und
zu guter Letzt jene methanatmende Abart eines Humanoiden, die ihr mit dem Gesicht auf dem Oberkörper gese
hen habt.«
Seine Worte hinterließen ungläubiges Staunen.
»Auch in der Milchstraße«, sagte Dhark schließlich, »gibt es Insektenabkömmlinge, Amphibien, amorphe
Lebensformen... was auch immer.«
»Die Worgun nahmen nie für sich in Anspruch, die einzigen Lebens- oder Intelligenzbringer zu sein. Es ist keine
Frage, daß sich viele intelligente Völker aus freiem Antrieb heraus entwickelt haben.«
Dhark ließ nicht erkennen, was diese Aussage in ihm hervorrief. »Was ich immer noch nicht verstehe... warum
haben die Figuren
hier samt und sonders ausdrucksstarke Gesichter, während sie den Statuen in der Milchstraße ausnahmslos
fehlen? Was für einen Grund gab es, die Monumente in meiner Heimatgalaxis gesichtslos
zu halten?«
»Auch darauf vermag ich dir keine Antwort zu geben.« Gisol erweckte nicht den Eindruck, als versuche er sich
vor einer Aussage zu drücken. Offenbar kannte er die Antwort wirklich nicht. »Die meisten Daten, die sich mit
der Historie meines Volkes beschäftigen, sind heutzutage unter Verschluß. Ein normaler Worgun wie ich hat
keine Chance, an dieses heute von den Zyzzkt bewachte Wissen heranzukommen.«
Dhark nickte. »Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, uns Zugang zu dem Hort zu verschaffen, wo es verwahrt
wird.«
»Dazu müssen wir zunächst einmal einen Weg finden«, sagte Gisol, »diese Welt wieder zu verlassen.«
»Das sehe ich genauso.« Dhark wandte sich mit einem Ruck an die Zentralebesatzung. »Insbesondere durch den
reibungslos verlaufenen Ausflug von Amy Stewart und Kartek bin ich zu dem Entschluß gelangt, einen weiteren
Vorstoß mit den Flash zu wagen. Ich zähle jetzt die Namen derer auf, die mich begleiten werden...« Er schüttelte
den Kopf, was Dan Riker galt, der bereits zu einer Erwiderung anhob, aber gar nicht erst dazu kam, weil Dhark
unbeeindruckt fortfuhr: »Nein, diesmal lasse ich mich nicht davon abbringen, selbst an dem Erkundungsflug
teilzunehmen. Neben mir werden Gisol, Artus, Doorn und Sass insgesamt fünf Flash belegen. Jedem
zugewiesen wird von mir noch ein Pilot - die Namen gebe ich später bekannt. - Irgendwelche Einwände, die
sachlicher Natur sind?«
Dan Riker konnte seinen Mißmut kaum verbergen. »Und ich darf wieder mal hier an Bord die Stellung halten.«
Dhark verzichtete darauf, noch mehr Salz in die offene Wunde zu streuen.
»Start ist in einer Stunde«, sagte er. »Treffpunkt Depot.«
4. Ein erneuter Blutaustausch, um die Giftstoffe aus Bert Strangers Körper zu schwemmen, erwies sich als nicht
erforderlich. Allein die fehlenden Erinnerungen verhinderten, daß die wenigen nach der Entgiftung neu
entstandenen Partikel aktiv werden konnten. Sie wurden auf normalem Weg vom Körper abgebaut.
Professor Wehster warnte ihn dennoch eindringlich. »Mister Stranger, Sie sind wieder fit wie eh und je, aber Sie
sollten sich hüten, ein weiteres Mal mit dieser heimtückischen Variante der Sensorium-Chips in Kontakt zu
kommen. Noch einmal entgiften können Sie nicht, weil es dann mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einer
Deformation des Gehirns kommt, die eine nochmalige Heilung unmöglich macht.«
»Was wollen Sie damit sagen? Deformation?«
»Wissen Sie, was Robonen von Terranem unterscheidet?« fragte Webster trocken. »Nicht nur ihr Wille, sich
Terra Untertan zu machen, und nicht nur ihre enorme Reaktionsschnelligkeit, sondern vor allem eine
Deformation einer ganz bestimmten Gehirnpartie. Durch die Behandlung der Giants wurden dort bestimmte
Teile miteinander verschmolzen. Der Commutator-Enzephalo, mit dem Commander Dhark seinerzeit die von
den Giants zu verdummten Marionetten gemachten Terraner und auch die Robonen wieder umschaltete, konnte
diese Verschmelzung bei den Robonen nur teilweise rückgängig machen.«
Stranger nickte. Er erinnerte sich an das, was Manu Tschobe und der Cyborg Holger Alsop einmal berichtet
hatten. Die beiden hatten sich wie kaum jemand sonst mit den Robonen befaßt.
»Dann seien Sie mal völlig unbesorgt«, versicherte er. »Ich habe nicht vor, jemals wieder ein Sensorium zu
benutzen. Nicht das eine und nicht das andere.«
»Dann wünsche ich Ihnen Standhaftigkeit«, lächelte Webster. »Denn das Sensorium wird seinen Weg machen -
so oder so...«
Der Reporter meldete sich noch nicht sofort nach der Entlassung aus dem Medo-Center bei seinem Arbeitgeber
zurück. Er wollte zuvor noch etwas erledigen.
Er nahm die Chips, über die er noch verfügte; sowohl die bereits gebrauchten, die er noch nicht weggeworfen
hatte, als auch die ungebrauchten, und suchte einen ihm bekannten Suprasensorspe-zialisten auf. Niklas Bratislav
war ihm einen Gefallen schuldig. Besonders begeistert zeigte er sich nicht gerade, als Stranger vor seiner
Wohnungstür auftauchte. Er packte den Reporter und zerrte ihn herein.
»Nett, daß du mal vorbeischaust«, fauchte er. »Wenn dich hier jemand sieht...«
»Was dann, Nik?«
»Ach, verdammt.« Bratislav winkte ab. »Du bist doch nur hier, weil du wieder Ärger mit dir herumschleppst.
Und das ist das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann. Die suchen nur nach einem Grund, mich aus dem Projekt
zu feuern, und wenn jemand ausgerechnet jetzt einen Reporter deines Kalibers mit mir zusammen sieht, bin ich
den Job los!«
»Was ist denn das für ein Job?« fragte Stranger.
»Einer, der dich 'nen feuchten Dreck angeht. Regierungsprojekt, und man traut mir wieder mal nicht.«
»Dann denk daran, daß ich dir schon mal aus 'ner Mißtrauensfalle geholfen habe.«
»Was willst du, Rotfuchs?« Damit spielte er auf Strangers dünne Haarpracht an.
»Einen Willkommensdrink, einen Sitzplatz und daß du dir mal ein paar Chips anschaust.«
»Was sind das für Chips?«
»Das sollst du für mich herausfinden.«
»Du kannst mich mal«, knurrte Bratislav, streckte aber die Hand
aus und nahm die Chips entgegen. »Hm«, brummte er. »Sehen ganz normal aus. Was ist da Besonderes dran?«
»Untersuch sie einfach mal. Du bist der Spezialist.«
Bratislav bot ihm keinen Drink und keinen Sitzplatz an, sondern verschwand wortlos mit den Sensorium-Chips
in seinem Arbeitszimmer. Die Tür zog er hinter sich zu, aber Stranger hörte kein Vemegelungsklicken.
Er wußte, daß Niklas Bratislav in seinem Arbeitsraum einen der besten Suprasensoren hatte. Der war für die
GSO bestimmt und vor einem halben Jahr ganz. zufällig von einem Lastenschweber gefallen. Welch ein Zufall,
daß Bratislav gerade zur Stelle war, um das Gerät vor der Schrottentsorgung zu retten... seitdem stand der
Suprasensor im Arbeitszimmer seiner Privatwohnung. Damals hatte jemand den Namen Bratislav ins Spiel
gebracht, als es darum ging, das Verschwinden des Gerätes zu untersuchen, aber Bert Stranger hatte dafür
gesorgt, daß dieser Name ganz schnell wieder von der Liste der Verdächtigen verschwand. Unterschlagungen
technischer Geräte waren gang und gäbe, und sowohl Bratislav als auch Stranger wußten, daß sie sich strafbar
machten - der eine wegen Diebstahl, der andere wegen Begünstigung einer Straftat. Aber schon damals ahnte
Stranger, daß ihm dieses Gerät einmal nützlich werden könnte.
Jetzt trat dieser Fall ein. Wenn Stranger die Chips an einem öffentlichen Institut untersuchen ließ, erregte das
Aufsehen. Das wollte er aber vermeiden. Es konnte seiner Arbeit und vor allem ihm selbst schaden. Besser war
es, zum Schluß mit einem Paukenschlag aufzutreten und somit dafür zu sorgen, daß der Gegner keine Chance
mehr bekam, etwas dagegen zu unternehmen.
Langsam näherte er sich der Tür zu Bratislavs Arbeitszimmer. Lautlos öffnete er sie - nicht lautlos genug.
Bratislav knurrte ihn an, ohne sich zu ihm umzuwenden: »Dachte ich's mir doch, daß du neugierig bist. Ich bin's
auch. Erzähl mir was über die Chips. Was ist Besonderes daran?«
»Stichwort Sensorium.«
»Dazu gehören diese Speicher?«
»Ja. Mehr kann ich dir nicht sagen. Einige sind leer. Da war mal was drauf, wurde aber gelöscht, nur nicht von
mir.«
»Du hast so ein teures Ding? Stimmt auch nur die Hälfte von dem, was die Werbung verspricht?«
»Es stimmt alles«, sagte Stranger. »Oder auch gar nichts... und deshalb bin ich hier.«
»Gelöscht, aber nicht von dir«, murmelte Bratislav. »Hm... selbstlöschende Programme? Die gibt's seit
Ewigkeiten, das ist völlig normal und müßte selbst jemandem wie dir bekannt sein.«
»Untersuch die Dinger bitte trotzdem.«
»Weil du's bist...«
Bratislav schob einen der Chips in die Aufnahme des Suprasensors. Er startete ein Analyseprogramm. »Ganz
gewöhnlicher Datenträger«, murmelte er. »Kompatibel zu nahezu allen Aufnahme-und Wiedergabegeräten.
Oberflächenstruktur... normal. Kapazität... ups. Ziemlich groß. Aber noch im normalen Rahmen. Müssen sehr
neue Chips sein, die mit spezieller Datenkompression mehr speichern können als gewöhnlich. Aber kein
Problem. Das läßt sich trotzdem mit den gängigen Wiedergabegeräten auslösen.«
»Was heißt das?«
»Die entpackten Daten werden in einem Puffer zwischengelagert und abgerufen. Kennen wir alles schon. Ich
frage mich, weshalb du hier bist, Rotfuchs. Was ist da so Besonderes dran?«
»Das aufgespielte Programm.«
»Hm«, machte Bratislav, Er betrachtete die Detailauswertung der Analyse, die auf drei Monitoren parallel
ausgegeben wurde. »Willst du einen Ausdruck?« Stranger nickte. Der Spezialist berührte eine Sensortaste. Augenblicke später warf der Suprasensor ein halbes Dutzend Folien aus. Stranger warf keinen Blick darauf, faltete sie und ließ sie in der Jackentasche verschwinden. Bratislav aktivierte jetzt das auf dem zu analysierenden Chip aufgespielte Programm. »Mal sehen, was da drauf zu sehen ist...« Unwillkürlich zuckte der Reporter zusammen. Aber dann entspannte er sich wieder. Wenn dieser hochmoderne Suprasensor in der Lage war, die Erlebnisbilder abzurufen und wiederzugeben, dann nur in Form einer normalen Holoprojektion. Es war kein Sensorium, die Bilder würden Stranger nicht wieder süchtig machen können. Über einen der Holomonitore zuckten blaue Blitze. Augenblicke später erlosch die Wiedergabe. Der Suprasensor schaltete auf den zweiten Monitor um, der gleichfalls Sekunden danach erlosch. Dann der dritte... »Verdammt!« stieß Bratislav hervor. Er hieb auf die Unterbrechertaste, dann auf Stop. Der Suprasensor reagierte nicht darauf. Im Gegenteil, plötzlich knisterte und knackte es im Inneren des Gerätes. Der Speicherchip ließ sich nicht auswerfen! Kleine Farbanzeigen signalisierten die Katastrophe. »Stranger!« brüllte Bratislav. »Was hast du Schweinepriester mir da für ein Kuckucksei ins Nest gelegt? Ich bring' dich um!« Seine Finger tanzten auf den Sensortasten, versuchten zu stoppen und zu retten. Aus einer der Öffnungen des Suprasensors drang ein dünner Rauchfaden. Dann tanzten Funken über das Zugriffsterminal. Kurzschlüsse zischten.
»Das ist eine Chaosschaltung!« tobte Bratislav. »Verdammt noch mal, was soll das? Hast du das absichtlich...?« »Hältst du mich für so idiotisch?« fauchte Stranger ihn an. Im Gerät rauschte und knisterte es weiter. Nacheinander erloschen die Kontrollen. Der Suprasensor war irreparabel zerstört. »Wie konnte das passieren?« überlegte der Reporter. »Weiß ich nicht!« knurrte Bratislav. »Aber du nimmst jetzt deine verdammten Chips und verschwindest, um dich hier nie wieder sehen zu lassen. Wir sind quitt, hast du mich verstanden? Und jetzt hau ab, oder du lernst mich von einer Seite kennen, die du sicher gar nicht kennenlernen willst!« Stranger zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, das war so nicht geplant.« »Dann plane jetzt deinen strategischen Rückzug, oder ich prügele dich hinaus! Verdammt noch mal, ausgerechnet dieses Wahnsinnsgerät... durch deine verfluchten Dreckchips... ich könnte dich totschlagen, Mann, wirklich!« Strangerging. Was sollte er noch sagen?
Stunden später rief Bratislav ihn an.
»Dein verdammter Chip hat eine Chaosschaltung ausgelöst«, berichtete er. »Ich habe versucht, die Aktion
nachzuberechnen. Das Programm muß eine Sicherheitssperre haben, die jeden unberechtigten Zugriff abwehrt
und zerstörerisch wirkt.«
»Was heißt das?« fragte Stranger.
»Es heißt, daß diese Chips nur von einem Sensorium ausgelesen werden können. Eine Analyse ist demzufolge
nicht möglich, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Sensorium selbst diese Option zuläßt.«
Da mußte Stranger ihm zustimmen. Er verstand zwar nichts von diesen Geräten, aber warum sollten deren
Erbauer eine solche Möglichkeit zugelassen haben?
Er stand also wieder am Anfang.
Die Folienausdrucke, die er mitgenommen hatte, besagten nichts weiter, als daß es sich um ganz normale Chips
handelte. Das half ihm nicht.
Bratislav war immer noch stinksauer über den Verlust seines Rechners. Den Suprasensor konnte er als
Totalschaden sehen. Wie gewonnen, so zerronnen... und Bert Stranger hatte mit diesem Analyseversuch nichts
erreicht.
Tags darauf ließ er sich endlich wieder in seinem Terra-Press-Büro sehen. Von dort aus rief er über Vipho
Veronique de Brun im französischen Le Puy an. Sie hatte er ja schon vor ein paar Wochen aufgesucht, weil er
den Verdacht hatte, Wallis Industries könnte hinter der Sensorium-Technologie stecken. Immerhin hatte er in der
Patentschrift gelesen, daß die Geräte mit induzierten Deltawellen arbeiteten. Bei den letzten Aktionen der
Robonen, ehe diese im September des vergangenen Jahres Terra endgültig verließen, war es zu Manipulationen
von Deltawellen gekommen, und die zum Wallis-Konzern gehörende Firma Biotechnologique befaßte sich mit
der Erforschung dieses Phänomens.
Aber de Brun hatte ihn enttäuschen müssen. Da es sich bei jener Psychowaffe um eine robonische Erfindung
handelte, war nach dem Verschwinden der Robonen die Forschung daran eingestellt worden; es bestand ja nun
keine unmittelbare Gefahr mehr.
Stranger war mit seinem Schweber nach Paris weitergeflogen, um sich dort mit einem Informanten zu treffen.
Aber er hatte festgestellt, daß er verfolgt wurde, die Verfolger abgeschüttelt und dadurch Zeit verloren. Als er in
einem kleinen Landgasthof im Bour-bonnais übernachtete, mußte er feststellen, daß seine Verfolger sich
durchaus nicht hatten abschütteln lassen, wie er geglaubt hatte, sondern ihn in der Nacht überfielen und ihn mit
ihrem speziellen Sensorium schon beim ersten Einsatz süchtig machten.
Danach hatte er logischerweise kein Interesse mehr gehabt, den Informanten zu treffen. Und inzwischen war er
schon gar nicht mehr sicher, ob der Mann ihm tatsächlich helfen konnte.
»Sie schon wieder?« hörte er de Brun fragen, als sie sein Konterfei auf ihrem Viphoschirm sah. »Was wollen Sie
diesmal?«
»Es geht immer noch um das Sensorium - Sie erinnern sich an unser letztes Gespräch vor einigen Wochen?«
»Da sagte ich Ihnen doch schon, daß ich Ihnen nicht weiterhelfen kann«, erwiderte sie.
»Vielleicht doch, wenn auch unter anderen Voraussetzungen«,
hoffte er. »Da gibt es nämlich ein nettes kleines Problemchen.«
»Ausgerechnet Sie haben ein Problemchen, Stranger?« staunte sie. »Ich hätte Ihnen ja fast alles zugetraut,
aber...«
»Es ist mir verdammt ernst. Können Sie mir ein paar Minuten lang zuhören?«
Sie konnte. Er schilderte ihr sein Problem und schloß: »Ich hoffe, daß Biotechnologique vielleicht eine
Möglichkeit hat, die von den Spezialchips erzeugten Deltawellen zu analysieren. Kann ich Sie in Le Puy
aufsuchen?«
Sie zögerte. Stranger glaubte plötzlich auf heißen Kohlen zu sitzen. Vorsichtshalber hatte er das Fiasko bei
Bratislav nicht erwähnt. Roch de Brun den Braten trotzdem?
Schließlich gab sie sich einen Ruck.
»Weil Sie es sind. Stranger. Weil ich weiß, daß ein Reporter Ihres Kalibers sich nicht mit Nebensächlichkeiten
abgibt. Ich lasse ein Labor für Sie bereitstellen, nur sollten Sie pünktlich sein. Biotechnologique ist ziemlich
unter Auftragsdruck. Wir haben dermaßen viel zu tun, daß wir Probleme bekommen, wenn wir ein Labor länger
als einen halben Tag nicht nutzen können.«
»Hoffentlich reicht ein halber Tag«, unkte Stranger.
»Ein halber, keine Sekunde länger. Seien Sie morgen früh mit Ihren Chips hier. Mehr kann ich Ihnen nicht
gewähren.«
»Werden wir schon hinkriegen«, brummte er. Überall herrschte Rezession, aber Biotechnologique hatte volle
Auftragsbücher - offensichtlich fiel der Wallis-Konzern samt seinen Tochterfirmen selbst in wirtschaftlich
schlechten Zeiten immer wieder auf gesunde Füße - sicher ein Verdienst der erstklassigen Geschäftsleitung.
Stranger beendete die Vipho Verbindung und rieb sich die Hände. Er hätte gleich auf die richtige Idee kommen
und es in Le Puy versuchen sollen!
Zufrieden rief er das Terminal des Interkontinentalflughafens von Alamo Gordo an, um einen Jett nach
Frankreich zu buchen.
»Welches Konto, bitte?« flötete die bildhübsche Angestellte und strahlte ihn so fröhlich an, daß es einfach nicht
echt sein konnte.
Er nannte sein Geschäftskonto der Terra-Press.
»Einen Moment, bitte, Sir...« Und dann, eine halbe Minute später: »Es tut mir leid, Sir. Aber Sie sind nicht
autorisiert, über dieses Konto zu verfügen.«
»Moment mal«, stieß er verblüfft hervor. »Da liegt ein Irrtum vor.« Noch einmal nannte er die Zahlenkette.
»Kein Irrtum, Sir. Es gibt keine Autorisierung für dieses Konto.«
»Das ist ein Geschäftskonto, eingerichtet für Bert Stranger, Mitarbeiter der Terra-Press. Ich bin dieser Bert
Stranger. Bitte prüfen Sie meinen ID-Code. Er lautet - Moment, bitte...« Wann zuletzt hatte er es nötig gehabt,
sich auszuweisen? Er mußte erst mal nach dem Ausweis suchen, weil er den auch schon lange nicht mehr
benötigt hatte. Ihn mit seiner unglücklichen Figur und dem rothaarigen Kugelkopf kannte doch jedes Kind auf
Terra. Sein Aussehen war Ausweis genug.
»Sony, Sir. Ich sagte doch, daß es keine Autorisierung für dieses Konto gibt. Ich glaube Ihnen gern, daß Sie
Mister Bert Stranger sind, aber Sie haben auf dieses Konto dennoch keinen Zugriff.«
»Das kann einfach nicht sein! Vor ein paar Tagen...«
»Vor ein paar Tagen wurde die Zugriffsautorisierung gelöscht, Sir«, sagte die Hübsche.
»Von wem?« stieß er hervor. Sollten seine Gegner etwas gemerkt haben und ihn jetzt auf andere Weise unter
Druck setzen? Hatten sie sich in den zentralen Suprasensor der Terra-Press gehackt und seinen Zugriff gelöscht?
»Die Löschung erfolgte durch einen Mister Patterson, Sir. Er wies sich als autorisiert aus.«
»Patterson«, ächzte Stranger und ließ sich gegen die Sessellehne zurückfallen. »Danke, Miß. Verdammt,
Patterson...«
Er tastete die Verbindung aus.
Im gleichen Moment glomm der Viphoschirm wieder auf. Pat-tersons Gesicht erschien in Großaufnahme. »Zu
mir, Stranger. Sofort.«
Als Stranger das Büro seines obersten Chefs betrat, sah er seinen Ressortleiter Maik Caroon. Der lehnte an der
Seitenwand des Raumes, die Arme vor der Brust verschränkt, und machte ein Gesicht wie drei Jahre
Regenwetter und Urlaubssperre hintereinander. Unaufgefordert ließ Stranger sich in den Sessel vor Pattersons
Schreibtisch fallen.
Er betrachtete seinen Oberboß.
Der ignorierte ihn zunächst und zeigte sich in das Studium irgendwelcher Unterlagen vertieft. Auch Caroon
sagte kein Wort, runzelte aber die Stirn über Strangers Verhalten.
Gerade, als der Reporter etwas sagen wollte, blickte Sam Patterson auf. »Ach ja. Stranger«, sagte er. »Der letzte
Nagel zu meinem Sarg.«
Er klappte den Hefter mit den Unterlagen zu und schob ihn beiseite.
»Mein lieber Bert Stranger«, säuselte er. »Mein bester Mann, Hansdampf in allen Gassen, immer gut für
Sensationen und absolute Knüller. Wie lange ist es jetzt her, daß Sie uns den letzten großen Knüller beschert
haben? Helfen Sie mir doch mal auf die Sprünge.«
»Ich liefere ständig Knüller und bin gerade jetzt wieder dabei«, sagte Stranger, der sich fragte, ob Patterson ihm
seinen letzten Auftritt in diesem Büro nicht doch wesentlich übler genommen haben könnte als befürchtet. »Und
deshalb muß ich Sie jetzt fragen, aus welchem Grund Sie meine Arbeit behindern.«
»Welche Arbeit?« fragte Patterson trocken zurück. »Sie haben seit Wochen nichts mehr zustandegebracht. Sie
benutzen Ihr Büro,
ohne Leistung zu erbringen, Sie...«
»Manche Dinge benötigen eben etwas mehr Zeit als andere«, fuhr Stranger ihm scharf in die Parade. »Sir, auch
wenn Sie mein oberster Boß sind: Wie und in welcher Zeit ich meine Arbeit erledigen kann, bestimme immer
noch ich selbst.«
»Das bleibt Ihnen künftig unbenommen«, sagte Patterson.
Stranger machte eine abwehrende Handbewegung.
»Sie müßten das aus eigener früherer Erfahrung wissen, Sir«, fuhr er frostig fort. »Sie haben doch auch mal als
Reporter angefangen, nicht wahr? Und sind langsam die Karriereleiter hochgeklettert. Könnte es sein, daß Sie
ein paar Kleinigkeiten vergessen haben, was den Ablauf eines Arbeitsvorgangs angeht? Warum haben Sie
meinen Kontozugriff gelöscht?«
Pattersons Augen wurden schmal.
»Ihre Frechheit ist fast noch bewunderungswürdiger als Ihre Faulheit«, sagte er. »Mann, Stranger! Haben Sie
immer noch nicht begriffen, weshalb Sie gerade jetzt hier in meinem Büro sitzen? Oder wollen Sie es nicht
begreifen?«
»Vielleicht können Sie's ja mal in allgemeinverständlichen Worten erklären, statt das Orakel von Delphi in den
Schatten stellen zu wollen«, konterte Stranger.
»Also gut. Ganz langsam zum Mitschreiben: Sie sind gefeuert.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Worte in Bert Strangers Bewußtsein eindrangen. Etwas irritiert sah er
Caroon an. Der schwieg immer noch.
Stranger sah wieder zu Patterson. »Begründung?« fragte er knapp.
»Geht Ihnen schriftlich zu. Unanfechtbar. Die juristische Abteilung hat alles genau abgesichert. Sie bekommen
nicht mal eine Abfindung, falls Sie darauf hoffen. Sie sind einfach weg vom Fenster, draußen, erledigt.«
»Intermedia nimmt meine Story mit Kußhand«, konterte Stranger. Er bemühte sich, nicht zu zeigen, wie es in
ihm aussah. Gefeuert! Von einer Minute zur anderen! Deshalb die Kontosperre. Sein Chef hatte schon
beschlossen, ihn vor die Tür zu setzen, als Stranger noch als krankgemeldet galt. Verdammt!
Es war nicht so, daß Stranger sich wirklich Sorgen um seine Zukunft machte. Er war gut, das wußte er, und das
wußten auch alle anderen. Er war sogar sehr gut. Und selbst wenn ihm ungünstigenfalls niemand eine
Festanstellung geben würde, konnte er sich noch als freier Journalist und Rechercheur verdingen und seine
Storys allen anbieten, die gut zahlten. Und wenn alle Stricke reißen, bewerbe ich mich bei der GSO, dachte er
spöttisch.
Was ihn schockierte, war das Plötzliche dieses Rausschmisses. Damit hatte er nicht gerechnet.
Und das alles verdanke ich euch Sensorium-Dreckschweinen, dachte er zornig. Wenn ihr mich nicht so kaputtgemacht hättet... Freunde, euch mische ich noch richtig auf, und wenn es das letzte ist, was ich jemals tue...
»Welche Story denn. Stranger?« fragte Patterson derweil in gespielter Langeweile. »Seit Wochen laborieren Sie
an dieser Sen-sorium-Geschichte und kommen keinen Schritt vorwärts. Falls Sie noch ein rudimentäres
Erinnerungsvermögen besitzen, fällt Ihnen möglicherweise ein, daß wir uns erst vor ein paar Tagen darüber
unterhalten haben. Sie wollten die Karten nicht auf den Tisch legen. Sie haben sich hier aufgeführt wie Graf
Koks von der Gasanstalt. Sie seien der einzige, der diesen Job machen könne. Und? Es gibt immer noch keine
Resultate. Warum wir die brauchen, dringend brauchen, habe ich Ihnen begreiflichzumachen versucht. Aber
wenn Sie Ihre Ohren auf Durchzug geschaltet haben...«
»Langsam, Mister Patterson, Sir. Denken Sie an Ihren Blutdruck«, warnte Stranger betont höflich.
»Daran denke ich seit Tagen!« brüllte Patterson ihn an. »Aber der sinkt erst wieder, wenn Sie Parasit Ihren
Schreibtisch geräumt haben und mein und Ihr bisheriges Büro nicht mehr mit Ihrer ver
dämmten Anwesenheit verpesten!«
Endlich regte sich auch Caroon.
»Sir, Stranger hat immerhin stets zu unserer Zufriedenheit gearbeitet...«
»Er hat - in der Vergangenheit! Aber die Welt dreht sich weiter! Wenn wir jeden Faulenzer und Nichtskönner
durchfüttern, der jemals in der Vergangenheit etwas geleistet hat, können wir gleich Bankrott anmelden. Was
früher war, war früher. Was zählt, ist das Jetzt! Und jetz.t leistet Stranger seit über zwei Monaten nichts, gar
nichts, absolut nichts!«
Er wandte sich wieder dem Reporter zu. »Sind Sie immer noch nicht draußen?«
»Da Sie mich noch vor sich sehen - nein«, blieb Stranger seiner großspurigen Linie treu. Mit der hatte er sich oft
genug eher Feinde als Freunde geschaffen, und in diesem Tonfall seinem wütenden Chef entgegenzutreten, war
ein Risiko besonderer Art. »Sie haben mich gefeuert, okay. Aber vielleicht...«
»Nichts vielleicht! Raus, Sie Laus!« brüllte Patterson, der Choleriker. ^
Ritt Stranger der Teufel, als er eine Hand ausstreckte, Zeige- und Mittelfinger zu einem V formte, dessen Spitzen
auf Pattersons Augen zielten?
»Ganz ruhig, Sir. Ganz ruhig bleiben, hinsetzen und zuhören«, sagte er und hatte selbst nicht an seinen Erfolg
geglaubt, aber tatsächlich schwieg Patterson verblüfft und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen.
»Vielleicht möchten Sie noch erfahren, was Ihnen durch die Finger gleitet, wenn ich gehe. Sie haben mich auf
Sensorium Inc. angesetzt, weil die Terra-Press die Firma gern übernehmen möchte.« Neben ihm schnappte
Caroon plötzlich nach Luft; damit bestätigte er Strangers Vermutung vor einigen Tagen, daß auch der
Ressortchef nicht hundertprozentig eingeweiht war.
»Aber es geht hier weniger um Sensorium Inc. oder um diese Übernahme. Es geht um eine ganz andere Sache.
Die ist heiß wie
eine Sonne, und ich bin jetzt so dicht dran, wie keiner meiner Kollegen es jemals schaffen wird. Ich bin nicht nur
dicht dran, Boß, ich bin drin!«
»Wovon, zum Teufel, reden Sie?« fragte Caroon, als Patterson immer noch schwieg.
»Von Politik!« sagte Stranger kalt. »Von Gangsterpolitik! Von Manipulation, von Bewußtseinskontrolle, von
Sucht!«
»Was soll das heißen? Und wieso sind Sie da drin?«
Der rundliche Reporter lachte bitter auf.
»Ich war eines der Opfer! Ein Opfer, das man zum Täter machen will! So tief bin ich schon drin! Hören Sie -
das normale Sensorium, das in den Läden frei verkauft wird, ist ein harmloses Ding! Es gibt aber auch noch eine
zweite Version, und es könnte passieren, daß die plötzlich auch in den Handel kommt, nur merkt das keiner,
weil es keine äußerlichen Unterschiede gibt! Die stecken innen drin, und sie stecken in den Erlebnischips!
Verdammt, ich hab's erlebt und bin darüber süchtig geworden. Unter diesem Suchteinfluß habe ich die
Recherchen verschleppt und verschoben. Aber seit ein paar Tagen bin ich wieder Herr über mich selbst! Meine
Krankmeldung - das war die Entgiftung. Ich bin nicht mehr süchtig.«
»Süchtig durch das Sensorium?« hakte Patterson nach. Er war schlagartig ruhig geworden. Etwas Lauerndes war
in ihm; etwas von einem Alligator, der jeden Moment zuschnappen konnte. Nur einen Moment lang fragte sich
Stranger, ob Patterson mit zu den Verschwörern gehörte. Aber das war unsinnig. Es wäre für ihn zu riskant
gewesen. Stranger in der Angelegenheit arbeiten zu lassen, und erst recht hätte er ihn nicht gefeuert.
Der Reporter nickte.
»Süchtig durch das Sensorium«, echote er. »Hören Sie zu.«
Wieder erzählte er seine Geschichte, offen und schonungslos sich selbst gegenüber. Caroons Gesicht verdüsterte
sich. Patterson lauschte aufmerksam. »Diese Entgiftung hat funktioniert, ich habe die Sucht überwunden«, sagte
Stranger schließlich. »Das einzige Risiko für mich ist, daß ich noch einmal mit diesem speziellen Sensorium zu
tun bekomme und mit den speziellen Chips. Dann erwischt es mich vermutlich zum zweitenmal. Ich bin zwar
geheilt, aber nicht resi-stent.«
»Robonentechnik?« fragte Caroon. »Sie sagten eben etwas von Deltawellen.«
»Es gibt keine Robonen mehr auf Terra, oder ich wüßte etwas davon«, erwiderte der Reporter. »Also ist es auch
keine Robonentechnik, es sei denn, jemand bediente sich ihrer.«
»Gianttechnik«, spann Caroon seinen Faden weiter. »Die Robonen haben eine Menge von den All-Hütem
übernommen, und die haben uns Menschen doch vor Jahren schon mal aufs Kreuz gelegt mit ihrer
Verdummungsstrahlung, die aus Menschen funkferngesteuerte Roboter machte... könnte es sein, daß jemand
entsprechende Gianttechnik gefunden und weiterentwickelt hat?«
»Das werden wir hoffentlich bald herausfinden. Was aber eigentlich dahintersteckt, ist mir erst vor ein paar
Tagen begreiflich geworden - nach unserer letzten freundlichen Aussprache, Boß!« wandte Stranger sich wieder
Patterson zu. »Da war ich noch sen-soriumsüchtig. Ich fand einen Briefumschlag mit Chips, und gleich der erste
zeigte mir einen meiner Kidnapper, der mich aufforderte, künftig im Interesse der Fortschrittspartei tätig zu sein.
Daß das die derzeit größte Partei der Erde ist, dürfte wohl auch dem letzten Mohikaner geläufig sein...«
In Pattersons Augen funkelte es. »Sind Sie da absolut sicher?«
»Absolut.«
»Ich hoffe, es ist Ihnen bewußt, was Sie da für einen Verdacht äußern«, warf Caroon ein.
»Und wie mir das bewußt ist... deshalb rede ich von Gangsterpolitik, und deshalb sage ich, die Story ist heißer
als die Sonne.«
»Sie bleiben dran«, sagte Patterson.
Stranger schüttelte den Kopf.
»Den Teufel werd' ich tun. Ich verlasse jetzt diesen Raum,
räume mein Büro und gehe zur Konkurrenz.«
Patterson sprang schon wieder auf. »Dann nagele ich Sie persönlich ans Kreuz, Stranger!« drohte er lautstark.
»Sie werden diese Story nicht der Konkurrenz zuspielen!«
»Wem denn sonst? Sie wollen sie doch nicht haben. Sie sind ja nicht daran interessiert und haben mich statt
dessen gefeuert. Also bin ich dahingehend frei und kann...«
Patterson kam um den Schreibtisch herum und zu Strangers Sessel. Er legte dem Reporter eine Hand auf die
Schulter.
»Mein lieber Junge, nun nehmen Sie doch nicht gleich alles wörtlich, was ein alter Mann sagt. Sie sind natürlich
nicht gefeuert. Damit wollte ich Sie doch nur einschüchtern. Selbstverständlich arbeiten Sie weiterhin für uns.
Die Story ist wirklich heiß. Wenn Sie's richtig anpacken, kann sogar eine Extraprämie für Sie dabei
herausspringen.«
Fehlte nur noch, daß Patterson ihn abknutschte. Sein lieber Junge sah zu, daß er aus dem Sessel herauskam und
ein paar Schritte Abstand zu Gottes Aufsichtsratsvorsitzendem gewann. »Was die Prämie angeht, nehme ich Sie
beim Wort. Ein Jahresgehalt extra!«
Da war Patterson nicht mehr in Knutschlaune. »Jetzt werden Sie nicht unverschämt! Liefern Sie erst mal Ihre
Resultate ab, dann reden wir über die Finanzen.«
»Aber daß es eine gibt, steht fest. Maik, Sie haben's gehört!« machte Stranger seinen Ressortchef zum Zeugen.
»Und mein Geschäftskonto...«
»Ist selbstverständlich wieder für Sie verfügbar. Ich richte Ihren Zugriff unverzüglich wieder ein.
Fortschrittspartei... Mann, die Sache ist wirklich heiß. Wenn wir die bringen können, ist der Wahlkampf
gelaufen. Und wir sind diejenigen, die Terras Geschichte schreiben!«
Er strahlte Stranger an.
Der schenkte ihm einen tiefsinnigen Blick aus seinen unschuldigen großen Babyaugen. »Boß, Sie sind wie
immer genial«, ätzte er
ausgesucht höflich. »Was wäre die Galaxis ohne Ihre gloriosen Ideen? Ein lebensfeindlicher Sternendschungel,
in welchem die Menschheit nicht die geringsten...«
»Jetzt halten Sie mal die Klappe, Bert«, unterbrach Caroon ihn. »Gehen Sie an die Arbeit.«
»Aye, Sir«, spöttelte Stranger.
»Was haben Sie als nächstes vor?« wollte Patterson wissen.
»Ich will nach Frankreich, nach Le Puy. Die Experten von Bio-technologique sollen diese verdammten
Speicherchips untersuchen. Für morgen früh habe ich ein paar Laborstunden bewilligt bekommen.«
Patterson grinste.
»Gut. Sehr gut. Buchen Sie zwei Plätze.«
Auf dem Rückweg in sein Büro versuchte Bert Stranger, mit seiner Verblüffung fertig zu werden. Buchen Sie
zwei Plätze! Hieß das, daß Sam Patterson höchstpersönlich mitkommen wollte? In seinen Augen lag dieser
seltsame Glanz, den Bert Stranger nur zu gut kannte... hatte es den alten Knaben doch noch einmal gepackt,
selbst mit aktiv zu werden?
Er hielt das nicht für gut.
Patterson mochte einst ein guter Reporter gewesen sein - Bert konnte das nicht beurteilen, weil er keine der
Arbeiten seines Chefs kannte - aber er war schon viel zu lange raus aus dem Geschäft und hinter seinem
Schreibtisch eingetrocknet. Außerdem paßten sie beide nicht zusammen. Der konservative Patterson und das
enfant terrible Stranger gemeinsam, das konnte nicht gutgehen.
Stranger seufzte. Er ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen und wartete einige Minuten ab. Zwei Plätze
buchen... verdammt, wenn Patterson selbst mitwollte, warum ließ er die Buchung dann nicht von seinem
Vorzimmerdrachen durchführen? Stranger war
doch nicht sein Lakai!
Was steckte wirklich hinter dieser Anweisung?
Gerade wollte er erkunden, ob sein Geschäftskonto wieder freigeschaltet war, als jemand sein Büro betrat, ohne
vorher anzuklopfen. »Raus«, knurrte Stranger automatisch, aber der Besucher dachte nicht daran, der
Aufforderung zu folgen, sondern legte eine Art Aktenkoffer auf Strangers Schreibtischrand ab.
Stranger sah auf.
Vor ihm stand ein Vielzweckroboter.
Einer vom »Blechmanntyp«, entfernt menschenähnlich, aber kaum mehr als eine Stahlplastikkonstruktion, wie
die Zeichner der SF-Romantitelbilder der 60er- und 70erjahre des vorigen Jahrhunderts sie sich vorgestellt
hatten. Die reinste Horrorgestalt.
Unwillkürlich mußte Stranger an »Artus« denken, diesen Blechmannroboter, der seit ein paar Monaten durch die
Medien geisterte und der angeblich eine eigene Persönlichkeit entwickelt haben sollte. Bert war da eher
skeptisch; er war davon überzeugt, daß Roboter vielleicht menschliches Verhalten nachahmen, aber nicht selbst
entwickeln und weiterentwickeln konnten. Von daher sah er diesen Artus nicht anders als einen Gag.
Dieser Roboter hier, das stellte er ebenso rasch wie erleichtert fest, besaß jedenfalls keine Persönlichkeit. Er war
nicht mehr und nicht weniger als eine leistungsfähige Maschine von hoher Effizi-enz. Zumindest behauptete sein
Mini-Suprasensor das, als Stranger ihn danach fragte.
Der Reporter atmete auf. So ein überkandideltes Unikum, wie es Artus den Berichten zufolge sein sollte, hätte
ihm gerade noch gefehlt, um ihn endgültig in den Wahnsinn zu treiben. Da war ihm Chris Shantons Robothund
Jimmy wesentlich sympathischer.
»Ich bin Theta 3«, erklärte der Roboter. »Ich bin beauftragt, für Ihren Personenschutz zu sorgen, Mister
Stranger.«
»Ich kann sehr wohl auf mich selbst aufpassen«, protestierte der Reporter. Das fehlte ihm noch, daß er diesen
Blechkameraden als Leibwächter ständig hinter oder neben sich hatte! »Also mach die
Fliege.«
»Dieser Ausdruck ist nicht in meiner Datenbank gespeichert«, behauptete Theta 3. »Erbitte Information.«
»Vergiß es und hau ab! Mach die Parfümnummer und verdufte! Verschwinde! Laß mich in Ruhe, du
Schrottskelett!«
»Diese Ausdrücke sind nicht in meiner Datenbank gespeichert. Erbitte Information.«
Das konnte ja heiter werden. »Ich habe dich nicht angefordert«, sagte er. »Also entferne dich. Und nimm das da
mit.« Dabei deutete er auf das Köfferchen.
»Mich aus Ihrer Nähe zu entfemen widerspricht einem Vorrang-befehl.«
»Wer hat den erteilt?«
»Mister Sam Patterson. Er teilte mich Ihnen als Personenschutz zu. In diesem Behältnis befinden sich diverse
Waffen, die zu dem genannten Zweck meines Einsatzes angewandt werden können. Möchten Sie die Waffen
überprüfen?«
»Ich möchte dich mitsamt deinen Waffen in die nächste Schrottpresse werfen«, seufzte Stranger, der noch nie
Freund gewaltsamer Auseinandersetzungen gewesen war. Er trug seine Fehden lieber mit spitzer Zunge und
scharfem Intellekt aus, gepaart mit einer gehörigen Portion Frechheit. »Ich brauche keinen Leibwächter.«
Theta 3 reagierte nicht.
Stranger schaltete sein Vipho ein und ließ sich mit Patterson verbinden. »Haben Sie mir diesen Konservenheini
auf den Hals geschickt? Wenn ja, pfeifen Sie ihn zurück! Ich brauche keinen Rosteimer, der auf mich aufpaßt.«
»Sind Sie da sicher? Ich wäre es an Ihrer Stelle nicht«, erwiderte Patterson. »Angesichts der Brisanz Ihrer Aktion
und des damals erfolgten Überfalls auf Sie in Frankreich bin ich in Sorge um Ihr Wohlergehen. Ich werde Theta
3 auf keinen Fall zurückbeordern. Finden Sie sich mit ihm ab. Der zweite Platz, den Sie reservieren sollen, ist
übrigens für Theta 3. Haben Sie schon gebucht?«
Stranger schaltete wortlos ab.
Er schüttelte den Kopf.
Ein Roboter als sein Leibwächter. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. »Warum immer ich?« murmelte er.
Aber ihm blieb keine andere Wahl.
Er buchte zwei Plätze in dem Transkontinentaljett. Einen für sich und einen für den Blechmann. Dabei wünschte
er sich, es mit einem Mysteriousroboter zu tun zu haben; die sahen wenigstens nicht ganz so unmenschlich
menschlich aus. Und sie redeten nicht.
Am Jettport wunderte sich niemand über die Reservierung. Es war längst üblich, daß Vielzweckroboter für
Kurierdienste eingesetzt wurden.
Aber vorsichtshalber buchte Stranger den Roboterplatz weit hinter seinem eigenen Sitz. So hatte er mit etwas
Glück wenigstens während des Fluges Ruhe vor der Maschine.
Glaubte er.
Ren Dhark hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich vor einem Außeneinsatz - und solange der zeitliche
Rahmen es zuließ -noch einmal zurückzuziehen und sich zu sammeln.
Nachdem sich die Versammlung aufgelöst hatte, war er mit Dan Riker übereingekommen, daß der in der
Zentrale geparkte Flash auch weiterhin als Verbindungsglied zwischen Außenteam und POINT OF genutzt
werden sollte.
Als erstes Ziel des neuerlichen Erkundungs verbände s hatte Dhark den Sockel ausgewählt, der von seinem
Goldenen verlassen worden war.
Erfahrene Piloten wie Rui Warren, Pjetr Wonzeff, Mike Doraner und wiederum Kartek würden am Einsatz
teilnehmen.
Nach diesen Absprachen, die sich auch auf den psychologischen Umgang mit der Besatzung erstreckten - der
Streß durfte bei einzelnen angesichts dieser absurden Form von Gefangenschaft nicht unterschätzt werden - zog
sich Dhark in seine Kabine zurück.
Ein paar Minuten Privatsphäre.
Ein paar Minuten Ruhe.
Von Abschalten war nicht die Rede. Den Knopf, der ihm dies auf Wunsch ermöglicht hätte, hatte er in all den
Jahren noch nicht an sich entdeckt. Es reichte ihm, mit sich alleinzusein. Mit sich und den Erinnerungen, die die
Wände seiner Kabine pflasterten.
Bilder, Schmuck von fremden Planeten, Artefakte, teilweise auf Welten der nicht mehr in diesem Universum
befindlichen Galaxis Drakhon gefunden...
Über allem »thronte« das Konterfei seines Vaters, mit dem alles begonnen hatte - seine eigene Weltraumsucht,
sein Aufbruch zu den Sternen, sein Kontakt mit dem Erbe der Mysterious...
Ren Dhark lächelte, während er in die ausdrucksstarken Augen des Toten schaute. Sie waren miteinander im
reinen. Sam Dhark, dessen von kosmischer Strahlung gegerbte Haut (die alten Raumschiffe mit dem Time-
Effekt-Antrieb waren bei weitem nicht so perfekt isoliert gewesen wie heutige oder gar die Schiffe der Wor-gun)
ihn fast wie einen Angehörigen eines nordamerikanischen Indianerstamms wirken ließ, war immer für seinen
Sohn dagewesen - auch in schwierigen Zeiten. In den sehr schwierigen Zeiten, die jeder junge Mensch
durchmachte, wenn er die Schwelle zwischen Kind- und Erwachsenensein überschritt.
Ren Dhark hatte seine Mutter, die unter so tragischen Umständen ums Leben gekommen war, immer vermißt -
aber er hatte immer auf seinen Vater bauen können. Trotz manchmal wochenlanger Abwesenheit, die den
Commander Sam Dhark in die Tiefen des damals erschlossenen Raumes geführt hatte, war sich Ren nie allein
oder im Stich gelassen vorgekommen. Schule und Akademie hatten den Großteil seiner Energie beansprucht,
und dort, auf der Raumfahrerakademie, hatte er auch Dan kennengelernt.
Ein Anfang nicht ohne Mißverständnisse, dachte er wehmütig, aber dann...
Mit Dan verstand er sich nicht immer blind, Dan tolerierte nicht jede Marotte - aber ihre Freundschaft hatte sich über die Jahre hinweg hundertfach bewährt. Dhark schloß die Augen. Für ein paar Sekunden fühlte er sich in die »wilde Zeit« seiner Ausbildung zurückversetzt - als er noch nichts von den Geheimnissen hatte ahnen können, die der Kosmos für ihn bereithielt. Die Mysterious... mysteriös waren ihm damals allein die Frauen erschienen. Und eigentlich... ... eigentlich hält das bis heute an, dachte er in Anspielung auf Joan Gipsy, mit der ihn eine gescheiterte Beziehung verband - und ein knapp einjähriger Sohn. lonAlexandru...
Er ertappte sich dabei, daß er seit Erreichen dieses unglaublichen Systems mitten im Abgrund zwischen den
Stemeninseln noch kein einziges Mal an seinen Sprößling gedacht hatte.
Es versetzte ihm einen Stich.
Die Erinnerung an die mit harten Bandagen ausgefochtene jüngste Begegnung mit Joan und Ion in Acapulco
war noch frisch. Erneut hatte ihn Joan zu linken versucht - mit Hilfe eines Fernsehteams, das Dhark einem
Milliardenpublikum als Rabenvater hatte vorführen wollen... in letzter Minute war dieses Vorhaben gescheitert -
dank der Einmischung von Terra-Press, die den Konkurrenzsender als Schwindler entlarvt hatte...
Dhark spürte die unguten Gefühle, die in ihm erwachten - nicht Ions wegen, sondern wegen der Frau, die er
einmal geliebt hatte und die diese lange Zeit enge Verbindung nun mit Füßen trat, immer auf Kommerz und
Profit erpicht. Offenbar war er für Joan von Anfang an nichts weiter als Mittel zum Zweck gewesen...
Er würde trotzdem nicht zum Frauenhasser werden. Joan war eine schmerzvolle, aber heilsame Lehre.
Was nichts daran änderte, daß Frauen weiterhin vor allem eines für ihn blieben: mysteriös.
Mit diesem Gedanken beendete er die Klausur, in die er mit sich gegangen w^r.
In der Hygienezelle erfrischte er sich noch rasch, dann verließ er die Kabine und begab sich auf kürzestem Weg
zum Flashdepot.
Während sich der Flash-Pulk dem verlassenen Sockel des herabgestiegenen Giganten näherte, fragte sich Artus,
wie er selbst in dieses Sammelsurium von Persönlichkeiten paßte, das Ren Dhark zusammengestellt hatte.
Er war ein Roboter.
Ein »Blechmann«, wie Chris Shanton ihn erst jüngst tituliert hatte. (»Aber einer mit Seele«, hatte er dem
untersetzten Ingenieur erwidert - selbstbewußt, wie es seine Art war.)
Wäre es um philosophische Fragen gegangen, die gelöst werden mußten, hätte Artus es eher verstanden, daß er
Berücksichtigung gefunden hatte. Doch nach Lage der Dinge war nicht auszuschließen, daß sie in Kämpfe auf
Leben und Tod verwickelt wurden.
Ein Kämpfer war er von allem am wenigsten.
Ich hätte mich weigern können, dachte er. Hätte ich?
Selten hatte er sich so verunsichert gefühlt wie in diesen Minuten. Und der verwaiste Sockel rückte unaufhaltsam
näher.
Auch Gisol fand die Zusammenstellung der Gruppe, die die POINT OF verlassen hatte, gelinde gesagt...
merkwürdig.
Aber er hörte spätestens in dem Moment auf, darüber nachzudenken, als er ins Freie kletterte und ein warmer
Wind um seine Nase strich. Warm und würzig.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor eine Welt betreten zu haben, deren Düfte und Aromen derart stark
ausgeprägt gewesen waren, zugleich aber in keiner Weise aufdringlich wirkten.
Und zudem vertraut wirkten.
Als hätten die Worgun, die vor unbestimmter Zeit eine Sonne samt Planet bewegt und hier in der gewaltigen
Leere deponiert hatten, ein Stück Heimat mit nach Golden genommen.
Golden.
Der Name bot Wohlklang selbst für das Gehör eines Worgun, dessen Idiom sich gravierend vom Angloter der
Terraner unterschied.
Gisol sah, wie sich Ren Dhark von der Fünfergruppe absetzte und auf den Sockel zuging, der auch ohne die
Figur, für die er geschaffen worden war, von imposanter Höhe war.
Gut einen Kilometer hoch und ebenso breit. Quadratischer Grundriß. Das Baumaterial: unbekannt.
Unbekannt?
Gisol stutzte. Insgeheim fragte er sich, ob sie nicht einem gigantischen Betrug auf den Leim gingen. Was, wenn
die Statuen gar nicht von den Worgun erbaut worden waren, sondern einzig dem Zweck dienten, Worgun
anzulocken?
Er überlegte, ob er Dhark Einblick in seine Befürchtungen gewähren sollte, entschied sich aber dagegen.
Nachdem er einen letzten Blick zurück zu den auf spinnenbein-artigen Auslegern geparkten Flash geworfen
hatte, folgte er den vier vorauseilenden Gestalten, unter denen sich auch der sonderbar primitiv anmutende
Roboter befand, dem Gisol schon mehrfach begegnet war.
Die Piloten blieben bei den Beibooten zurück, hatten Weisung erhalten, in Startbereitschaft zu bleiben.
Unter Gisols Sohlen raschelte sprödes Gras, in dessen weißlichen Büscheln sich das Feuermal des Himmels
spiegelte. Eine bleierne Atmosphäre herrschte; der brennende Schirm hing wie ein Gewicht über ihren Köpfen,
das jederzeit herabstürzen konnte.
Von Schwermut erfüllt, erreichte Gisol die Gruppe, die am Fuß des Sockels stehengeblieben war.
Dhark drehte sich zu ihm um und sagte: »Wir brauchen deine Hilfe, Gisol. Are hat Schwierigkeiten, den
Eingang zu finden...«
Aus der Entfernung betrachtet schien die POINT OF schon nicht mehr zu existieren. Sie war unsichtbar. Der
Arm des Kolosses verdeckte sie komplett.
Ren Dhark überwand die Beklemmung, die versuchte, Besitz von ihm zu ergreifen. Als er sich umdrehte, erhob
sich vor ihm eine gewaltige Steilflanke - eine der vier Sockelseiten.
»Nichts zu machen«, seufzte Arc Doorn, der die Wand mit einem Mobiltaster untersucht hatte. »Entweder es
existiert auf dieser Seite kein Zugang - ich entdecke nirgends den üblichen Schattenriß, der ein verborgenes
Portal kennzeichnet - oder meine Instrumente sind nicht in der Lage, ihn anzumessen.«
»Notfalls müssen wir den Klotz komplett umrunden«, sagte Dhark. »Aber vielleicht kann uns Gisol helfen.« Er
winkte den Worgun, der sich hatte zurückfallen lassen, herbei.
Gisol nickte, als er von Doorns Scheitern erfuhr. Selbstsicher erklärte er: »Kein Problem. Ich habe schon auf
Babylon einen komfortablen Weg ins Innere des dortigen Goldenen gefunden. Ich nehme jedoch an, daß sich die
Mechanismen wesentlich unterscheiden. Auf Babylon handelte es sich um eine Mixtur aus Worgun- und
Gianttechnologie. Hier rechne ich eher mit purer Wor-guntechnik - was mir aber entgegenkommen sollte...«
Sein Optimismus erfuhr in den folgenden Minuten einen herben Dämpfer. Schließlich stellte er seine
Bemühungen sogar ganz ein. »Es gibt ein Portal - dessen bin ich mir sicher«, erklärte er sichtlich enttäuscht.
»Aber es spricht auf keinen Impuls an.«
Resignierend ließ er das Instrument sinken, mit dem er zu Werke gegangen war - offenbar eine verfeinerte
Ausgabe des Werkzeugs, mit dem er auf Babylon bei der dortigen Plastik zum Erfolg gekommen war.
»Heißt das, wir müssen unverrichteterdinge wieder umkehren?«, fragte Bram Sass, der genau zugeschaut hatte,
dessen Cyborg-Fähigkeiten hier aber ebenfalls nutzlos schienen.
»Nein«, erwiderte Dhark entschieden. »Ich bin sicher, daß wir an Bord nicht weiterkommen - keinen noch so
winzigen Schritt.
Im nachhinein kommt es mir vor, als liefe der Checkmasterstreik -ich zögere, länger von Verrat zu sprechen -
nur auf eines hinaus:
Uns dazu zu bewegen, in kleiner Gruppe mit der hier herrschenden Macht in Verbindung zu treten. Auch der
unbehelligte Flug von Amy und jetzt unser Verlassen der POINT OF spricht dafür, daß man von uns erwartet,
die Initiative in einer Weise zu ergreifen, von der sich der oder die Unbekannten nicht bedroht fühlen müssen.«
»Es fällt schwer zu glauben, daß sie sich überhaupt von irgend etwas bedroht fühlen müssen - wenn ich mir die
auf diesem Planeten zusammengezogene Kampfkraft anschaue...« Doorn schüttelte den Kopf. »Davon
abgesehen hat der Commander recht: Wir müssen uns alle Seiten des Sockels vornehmen. - Worauf warten wir
also?«
Um die anderen mitzureißen, setzte er sich selbst in Bewegung. Er hatte jedoch noch keine zehn Schritte getan,
als er von Ren Dharks Stimme aufgehalten wurde.
»Warten Sie, Are! Hier stimmt etwas nicht...«
Doorn drehte sich um und sah Dhark neben Artus stehen.
Etwas stimmte mit dem Roboter nicht.
Der plötzlich zu torkeln begann...
... und schließlich der Länge nach zu Boden schlug.
5. Stranger hatte den Direktflug nach Lyon mit dem 19-Uhr-Jett gebucht. Er hielt es für besser, ein Zeitpolster zu haben. Wenn er jetzt flog, war er zwar trotz der unterschiedlichen Zeitzonen etwa zwei Stunden zu früh in Frankreich, aber er mußte von Lyon dann ja auch noch nach Le Puy gelangen. Dafür mietete er ohne Rücksicht auf die Kosten bereits jetzt einen superschnellen Schweber an, der die Strecke in nur wenig mehr als einer halben Stunde zurücklegte, wenn man das Äußerste aus der Maschine herausholte. Da er wieder Zugriff auf sein Geschäftskonto hatte, spielte Geld keine Rolle mehr. Caroon und Patterson würden das schon alles genehmigen. Angeblich sollte irgendwo zwischen Lyon und Le Puy ein Parapsychologe leben, dem man eine ähnliche Unsterblichkeit nachsagte wie dem legendären Grafen von Sankt Germain. Stranger hatte schon einmal überlegt, eine Reportage über diesen Mann zu machen, aber er hatte nie die Zeit dafür gehabt. Daran würde es auch jetzt scheitern. Andererseits... wenn die Experten von Bio-technologique scheiterten, war dieser Mann vielleicht auch ein Ansprechpartner. Immerhin war es nicht auszuschließen, daß die Manipulation der Deltawellen in den Parabereich ging. Aber das war jetzt irrelevant. Er mußte erst einmal zusehen, daß er überhaupt nach Frankreich kam. Nachtruhe würde er höchstens im Jett finden, und dort auch nur etwa drei Stunden lang. Mehr Zeit brauchte die Maschine nicht, den halben amerikanischen Kontinent und den Atlantik zu überqueren. Sie flog gegen die Zeit; im Osten
war es gute acht Stunden später als in Alamo Gordo.
Von einem Schwebertaxi ließ Stranger sich zum Jettport bringen. Gepäck führte er nicht mit sich. Wenn die
Laborarbeit vorbei war, wollte er unverzüglich nach Alamo Gordo zurück. Eine Übernachtung in Prankreich
plante er erst gar nicht ein. Er ahnte, daß die Zeit drängte. Über kurz oder lang würde die andere Seite
erfahren, daß er nicht mehr süchtig war, und erneut versuchen, ihn unter Druck zu setzen. Dem mußte er
zuvorkommen. In Alamo Gordo hatte er wenigstens »Heimspiel« - da konnte er notfalls für eine Weile im Terra-
Press-Gebäude untertauchen oder besser noch Bernd Eylers persönlich um Unterstützung bitten. In Frankreich
gab es zwar auch ein Regionalbüro der Galaktischen Sicherheitsorganisation, aber dem Pariser GSO-Rayon
traute er nicht über den Weg. Dort mochte man Reporter im allgemeinen und Bert Stranger im besonderen nicht
sehr...
Aber auf den von Sam Patterson angeordneten robotischen Personenschutz konnte er gern verzichten. Er
vertraute den Maschinen nicht, die stur ihrem Programm folgten und daher unflexibel sein mußten. Deshalb hatte
er den »Mülleimer auf Beinen« angewiesen, ihm in einem zweiten Taxi zu folgen. Die Maschine hatte das
widerspruchslos akzeptiert, aber um eine Definition des genannten Begriffs gebeten, welcher nicht in ihrer
Datenbank gespeichert sei...
Mehrmals sah der Reporter sich um. Von dem zweiten Taxi war im regen Luftverkehr nichts zu sehen.
Unwillkürlich grinste er bei dem Gedanken, daß Theta 3 vielleicht den Anschluß verlor und begann, nach seinem
Schutzbefohlenen zu suchen, statt auf dem kürzesten Weg den Jettport anzusteuern und Stranger dort
einzuholen. Aber diese Hoffnung war bestimmt illusorisch.
Ganz so schlecht war die Programmierung dieser Blechkameraden nun doch nicht.
Nach einer Weile landete der Schweber vor dem Haupteingang des Gebäudekomplexes. Stranger ließ den Preis
des kurzen Fluges von seiner TP-Kontokarte abbuchen und speicherte im Gegenzug mit einer Sensorberührung
die Quittungsdaten auf der Karte; damit konnte er sie zur Verrechnungsstelle senden, sobald er wieder in seinem
Büro war. Eigentlich hieß jene Abteilung »Spesenkonten-Abrechnungszentrum«, aber der Begriff
»Verrechnungsstelle« hatte sich unter den Kollegen eingebürgert, weil es öfters vorkam, daß sich das
Computersystem verrechnete - mal zu Gunsten, mal
zu Ungunsten der Mitarbeiter. Was dann immer für heilloses Durcheinander und wilde Proteste sorgte - mal von
den Mitarbeitern, mal von den Ressortleitern oder der Chefetage.
Das Taxi verschwand.
Von dem anderen Schweber mit Theta 3 an Bord war weit und breit nichts zu sehen.
So dicht der Luft- und Straßenverkehr Alamo Gordos um diese Stunde war, so dicht war auch das Gedränge in
der Halle des Jettports. Tausende von Menschen hegten die Absicht, unbedingt zu dieser Uhrzeit mit einer
schnellen Maschine andere Städte oder Kontinente anzufliegen. Die typische Feierabendszene. Stranger seufzte;
er wäre lieber auf einen späteren Flugtermin ausgewichen, zu einem Zeitpunkt, an dem es etwas ruhiger zuging,
aber der nächste Direktflug nach Lyon fand erst am nächsten Morgen statt, und dann konnte er seine Laborzeit
vergessen. Eine Maschine nach Paris ging eine Stunde später, aber von Paris nach Lyon oder direkt nach Le Puy
weiterzukommen, kostete ebenfalls Stunden. Damit schied diese Option aus. Wenn de Brun einen anderen,
späteren Termin zur Verfügung gestellt hätte, wäre alles wesentlich einfacher gewesen...
Aber Stranger mußte nehmen, was er bekam. Anders ging es einfach nicht.
Also stürzte er sich ins Getümmel. Ellenbogen rechts ausfahren und anstoßen, links ausfahren und anstoßen, dem
Vordermann dezent auf die Hacken treten, permanent nicht wirklich ernstgemeinte Entschuldigungen murmeln...
langsam aber sicher kämpfte er sich in Richtung Terminal voran. Er sah einige Roboter, aber keiner von ihnen
war Theta 3. Der schien den Anschluß tatsächlich verloren zu haben.
Stranger grinste unwillkürlich.
Aber nur so lange, bis er die Blastermündung in der Seite spürte.
Der »Schwindel« erfaßte Artus ohne jedes Vorzeichen. Er hatte sich an der Suche nach einem verborgenen
Portal beteiligt und dabei all seine Sinne strapaziert.
Dann hatten plötzlich sonderbare Schwingungen auf ihn eingedroschen - eingedroschen, ja!
Die Nachanalyse ergab, daß es sich dabei um unbekannte Schwingungsmuster im subatomaren Bereich
handelte.
Die Nachanalyse erfolgte Hegend.
Artus fand sich am Boden wieder. Er war gestürzt, konnte sich aber nicht daran erinnern. Kurzzeitiger
Gedächtnis- und Orientierungsverlust. Ein klassischer geistiger Kurzschluß...
Ren Dhark kniete wie eine Miniaturausgabe des weit entfernten Goldenen neben ihm und fragte besorgt: »Was
ist passiert, Artus?«
Aus dem Hintergrund näherte sich Arc Doorn, der eigentlich schon ein Stück weit vorausgegangen war.
Offenbar war er wieder umgekehrt.
Wegen mir. Ein Gefühl wie Scham überkam den Roboter mit der einzigartigen Entstehungsgeschichte. Er hatte nie
Ambitionen verspürt, als menschlich betrachtet zu werden. Normalerweise analysierte er die Menschen, machte
sich ihre Schwächen bewußt.
Nun hatte er selbst Schwäche gezeigt.
Wie konnte das passieren?
Die eigentliche Frage aber war: Was für eine Art Schwingung hatte ihn da aus der Bahn geworfen? Welche
Bedeutung hatte die Frequenz, auf die er zunächst in ungewohnt heftiger Weise reagiert hatte?
Inzwischen war es ihm gelungen, sich darauf einzustellen. Seine Sicherheit kehrte zurück. Wortlos erhob er
sich. Fremde Hilfe benötigte er dabei nicht.
Zu viert umstanden sie ihn: Dhark, Doorn, Sass und Gisol.
Artus begriff, daß sie warteten.
Inzwischen war die interne Auswertung der noch immer anhaltenden Impulse abgeschlossen.
»Ich glaube«, wandte sich der Roboter an seine Begleiter, »ich habe eine interessante Entdeckung gemacht. Da
ist... etwas. Ich glaube, ich kann Kontakt mit ihm herstellen.«
Genau das war, noch während er die Worte formulierte, bereits geschehen.
Kontakt. Aus dem Sockel heraus begann etwas mit ihm zu kommunizieren...
»Es handelt sich um einen Rechner«, sagte Artus. »Eine Art... Steuerung.«
»Woher willst du das wissen?« fragte Ren Dhark skeptisch. »Kommuniziert er in M-Algorithmen mit dir?«
»Ja.«
»Seit wann beherrschst du die?« Noch während er die Frage stellte, fiel ihm ein, daß sich Artus seit dem Start
der Expedition verdächtig häufig in Anja Rikers Nähe herumgetrieben hatte. Möglich, daß er sich von ihr in die
Geheimnisse der M-Mathema-tik hatte einweihen lassen.
Artus schwieg, drückte sich um eine Antwort. Nachdem er eine Weile in sich gelauscht und die »Ansprache« des
Fremdrechners offenbar zaghaft erwidert hatte, sagte er: »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir uns Zugang
verschaffen können. Er wird das Tor für uns öffnen. Es sind nur noch ein paar kleine Verständigungsbarrieren zu
überwinden, aber... jetzt. Jetzt ist es schon soweit.«
Wäre er in der Lage gewesen, ein Lächeln auf seinen metallenen Zügen abzubilden, er hätte es in diesem
Moment wahrscheinlich getan.
Das Portal materialisierte gleichsam in der Sockelwand - gut hundert Meter von der Gruppe entfernt.
Seine Ausmaße waren gewaltig. Ren Dhark schätzte das entstandene Fünfeck auf mindestens vierzig Meter
Höhe. Er verständigte sich über Armbandvipho mit den Flashpiloten und trug ihnen auf, die POINT OF über die
neue Entwicklung auf dem laufenden zu halten. Dann setzte er sich mit seinen vier Begleitern in Bewegung und
schritt auf das Tor zu.
Auf dem Weg dahin betonte Gisol mit Verweis auf die Goldenen dieses Planeten noch einmal, daß ihm eine
vollbewegliche Version dieser Plastiken unbekannt war - für ihn selbst hatten sie bis zur Entdeckung von Golden
immer nur Tank- und Verteidigungsanlagen mit variierendem Innenleben dargestellt.
Bei seinen Worten wurde Dhark an den museumsähnlichen Komplex im Sockel der Statue auf Babylon erinnert,
wo die Wor-gun Exemplare von fremden Spezies, mit denen sie über die Jahrtausende in Kontakt getreten
waren, ausgestellt hatten. Nogk hatten sich darunter befunden, Utaren... mehrheitlich aber Geschöpfe, wie sie
noch nie zuvor eines Menschen Auge erblickt hatte.
Die Milchstraße war reich an Leben, unabhängig von seiner äußeren Gestalt. Die Frage, die sich dabei stellte,
war, warum die Worgun das Gleichgewicht der Artenvielfalt hatten stören wollen. Welche Intention hatte sie auf
die Idee gebracht, ausgerechnet der Milchstraße ein Übergewicht an humanoiden Intelligenzen aufzwingen zu
wollen - während sie anderenorts, in anderen Gala-xien, wiederum Echsenartige oder Insektoiden privilegierten.
Was er längst ahnte, schien sich hier zu bestätigen: Auch die Worgun, Unterlegene im Großen Krieg gegen die
verwerflich handelnden Zyzzkt, waren moralisch nicht makellos. Zumindest nicht, wenn man menschliche
(humanoide?) Moralvorstellungen als Maßstab nahm.
Unter dem brennendem Himmel erreichten sie das Portal, hinter dem sich ein in kaltem Blaulicht erstrahlender,
riesiger Raum auftat. Anders als auf Babylon, erkannte Dhark auf Anhieb, beherbergte er keine Ausstellung,
sondern gewaltige Maschinenaggre
gate. Eine Produktionsstätte wie im Industriedom von Deluge? . Er bedeutete den anderen, ihm in den Sockel zu folgen. Dabei inspizierte er beiläufig die Kanten der
entstandenen Öffnung. Nirgends war zu erkennen, wohin die Wand, die sie zuvor nahtlos verschlossen hatte,
verschwunden war. Sie hatte sich nicht einfach abgesenkt oder beiseitegeschoben - von einem Augenblick zum
anderen hatte sie schlichtweg aufgehört zu existieren.
War sie nur ein Trugbild gewesen, eine Projektion?
Nein, dachte Dhark. Wenn, dann eine materielle Projektion -wie auch immer das funktionieren soll. Verdichtete Energie...
Es war nur eines von vielen Rätseln, für die sie vielleicht keine Antwort finden würden.
Plötzlich schob sich Gisol an ihm vorbei und übernahm die Führung. Er erreichte das nächststehende Aggregat
als erster, blieb davor stehen und legte die Hände auf die Oberfläche.
Als Dhark ihn erreichte, sagte der Worgun: »Tot. Nicht die leiseste Vibration. Diese Maschinen stehen still.«
»Das erkennst du durch bloßes Handauflegen?« spöttelte Dhark.
Gisol lächelte mysteriös, so daß Dhark die Möglichkeit in Betracht zog, daß die Hände eines Worgun über eine
höhere Sinnesschärfe verfügten als die eines Terraners - selbst wenn er sich in der Maske eines solchen bewegte.
»Was wir sehen«, meldete sich aus dem Hintergrund Arc Doorn zu Wort, »ist nur eine von vielen Hallen, die
hier untergebracht sind. Der Raum wirkt groß, aber er nimmt nur einen Bruchteil des Gesamtgrundrisses ein.
Dort vorne... dort ist ein Durchgang. Wahrscheinlich die Verbindung zum nächsten Saal.«
Dhark folgte dem ausgestreckten Arm des Sibiriers.
»Gibt es Hinweise auf den Zweck der Maschinen?« wandte sich Ren Dhark nicht an Gisol speziell, sondern an
alle in seiner Nähe.
Sowohl Doorn als auch der Worgun verneinten. Von Bram Sass und Artus erfolgte überhaupt keine Antwort.
Der Cyborg phantete seit Betreten des Sockels, und Artus schien nach wie vor der
»Stimme« in sich nachzuspüren.
Dhark hatte genug Vertrauen in den Roboter, aber er wußte auch, daß nach dem merkwürdigen Checkmaster-
Verhalten nicht auszuschließen war, daß es auf Golden eine Macht gab, die Computergehirne umdrehen konnte.
Demnach stellte Artus nicht nur eine Hilfe dar, wie er es gerade eindrucksvoll bewiesen hatte, sondern auch eine
stete, latente Gefahrenquelle. Allerdings glaubte Dhark eher, daß der Checkmaster eine Ausnahmestellung
einnahm. Artus entsprang terranischer Fertigung, der Checkmaster war ein Worgun-Produkt.
Genau wie diese Welt.
Letzte Zweifel an seiner Integrität beseitigte Artus bereits Minuten später.
»Vorsicht!« rief er mit ungewohnt schriller Stimme.
Und schon im nächsten Moment entströmte dem Verbindungsgang, auf den Arc Doorn noch kurz zuvor
hingewiesen hatte, eine Schar von Robotern, die ohne Vorwarnung das Feuer eröffneten.
Die Nervosität überfiel Artus fast so machtvoll wie die vorherige Bewußtlosigkeit, die er inzwischen fast
vollständig wieder abgestreift hatte.
Daß er neuerlich unter äußeren Einfluß geriet, ließ alle Alarmglocken auf einmal in seinem Programm
aufheulen.
Er spürte, daß etwas auf sie zukam. Etwas...
»Vorsicht!«
Mehr als diese Warnung war ihm nicht möglich, als auch schon die kugelförmigen Roboter aus dem Korridor
auf der gegenüberliegenden Seite quollen - auf Antigravpolstern heranjagende Maschinen, deren ungestüme
Ankunft nichts Gutes erahnen ließ.
Artus, der mehr menschliche Regungen unter seiner Karosserie verbarg als die meisten Menschen, stellte sich
sofort vor Ren Dhark, um ihm Schutz und Deckung zu geben.
Und schon einen Augenblick später schlug der erste Treffer in ihn ein.
Defensive! dachte Gisol.
Diesen Gedanken zu fassen und nach dem an seinem Gürtel hängenden Blaster zu greifen war eins.
Die heranjagenden Kugelroboter wirkten moderner und auch etwas kleiner als jene, mit denen er sich im
Goldenen auf Babylon hatte herumschlagen müssen - aber ihre Absicht war die gleiche.
Verteidigen! Das Innere der Statue gegen unbefugte Eindringlinge sichern!
Die Frage, warum man erst Tür und Tor geöffnet hatte, um die Eintretenden dann als unbefugt zu kategorisieren, stand im Raum, blieb aber unbeantwortet. Gisol legte den Worgunblaster an, stellte auf breite Fächerung, um möglichst viele der Defensiven auf einmal auszuschalten - und drückte ab. Der nachfolgende Schock malte einen entgeisterten Ausdruck auf sein Jim-Smith-Gesicht. Der Schock darüber, daß keinerlei Energie den Abstrahlpol seiner Waffe verließ. Nicht einmal genug, um einer Fliege gefährlich zu werden. Nichts. Gar nichts! Von irgendwoher rief eine blecherne Stimme: »Sie haben ein Dämmfeld errichtet, das deine Waffe blockiert, Gisol!« Artus! Der Primitivroboter düpierte den Worgun zum zweitenmal an diesem Tag - erst hatte er scheinbar mühelos gefunden, wonach Gisol vergeblich gesucht hatte, und nun analysierte er fast beiläufig, worauf das Versagen des Blasters zurückzuführen war... Gisol stieß einen Fluch in seiner Muttersprache aus. In seiner Nähe wurde Arc Doorn getroffen, der sprintend versuchte, den nächsten Maschinenblock zu erreichen und dort in Deckung zu gehen. Mitten im Laufen wurde er von einem weißlichen Strahl getroffen, der sich kurz vor dem Auftreffen spaltete wie die Zunge bestimmter Reptilien. Aber statt zusammenzubrechen, schrie Doorn nur auf, als hätte ihn ein kurzer Stromschlag ereilt. Bevor Gisol sich näher mit dem Bild befassen konnte, züngelten schon mehrere Strahlen auf ihn selbst zu.
Aus dem Stand heraus warf er sich zur Seite. Der harte Aufprall auf dem Boden irritierte ihn keine Sekunde.
Und während er sich den Kopf über eine Möglichkeit zerbrach, die Defensiven auch ohne einsatzfähigen
Blaster zu stoppen, hörte er Ren Dhark aufstöhnen. Der Terraner war von Artus' Körper verdeckt und
trotzdem getroffen worden.
Gisol wurde Zeuge, wie sich die Strahlen förmlich um den Blechmann herumbogen, der selbst keine Zeichen
von Beeinträchtigung zeigte. Die Treffer perlten an ihm ab.
Keine tödlichen Waffen, erkannte der Worgun. Sie wollen uns nur Schmerzen zufügen.
Schmerzen, die er in der nächsten Sekunde am eigenen Leib zu spüren begann, denn vier, fünf Strahlen auf
einmal konnte auch er nicht mehr ausweichen.
Die Energie biß sich buchstäblich in seinem Körper fest. Gisols Muskeln kontrahierten. Der Schmerz war
quälend, aber erträglich.
Doch kaum verdaut, schlug auch schon der nächste bleiche Strahl in Gisols Menschenkörper ein, und für
einen Moment drohte eine Spontanverwandlung davon ausgelöst zu werden. Nur mühsam schaffte es der
Worgun, seine Zellen unter Kontrolle zu halten.
»Schocker!« rief Ren Dhark ihm zu. »Sie feuern nur mit einer Art Schocker - Schwachstrom...«
Plötzlich raste ein Schemen an ihnen vorbei geradewegs auf die Defensiven zu.
Bram Sass!
Der Cyborg wurde von unzähligen Strahlen getroffen und zeitweilig ganz allein ins Visier aller Kugelroboter
genommen - doch anzuhaben vermochten sie ihm nichts. Völlig unbeeindruckt er
reichte er die ersten Angreifer. Auf sein Zweites System geschaltet, war er offenbar völlig immun gegen die
verwendete Strahlenform.
Plötzlich flogen Trümmer durch den Raum. S äs s hatte einen der Defensiven mit bloßen Händen aus der
Luft gefischt und mit unheimlicher Wucht gegen den nächststehenden Maschinengiganten geschleudert - wo
die Kollision den kleinen Roboter in seine Einzelteile zerlegte.
Für einen Moment fragte sich Gisol, wie der Krieg gegen die Zyzzkt wohl ausgegangen wäre, wenn die
Worgun jemals über Soldaten vom Kaliber der Cyborgs verfügt hätten.
Wehmut umschlich sein Herz...
... wurde aber brutal von einem weiteren, schmerzhaften Treffer der Defensiven verscheucht, die nun
ausschwärmten und dabei wieder alle Eindringlinge unter Beschuß nahmen.
Der Cyborg erhielt indes Schützenhilfe. Artus setzte sich in Bewegung, etwas linkisch zwar, aber den
Defensiven fiel dies nicht weiter auf. Sie mußten erkennen, daß sie es mit zwei Gegnern zu tun hatten, die
von ihren Salven nicht im mindesten beeindruckt wurden. Bei Artus sah es im Gegenteil so aus, als genieße
er das Bad in dem Strahlenschauer!
Doch immer mehr, unübersehbar viele Defensive strömten in den Raum - eine wahre Flut. Die Zerstörungen,
die Sass und Artus unter ihnen anrichteten, fielen kaum ins Gewicht. Eine riesige Schar sonderte sich ab,
widmete sich, während die Kämpfer anderweitig beschäftigt waren, ausschließlich den Nicht-Immunen...
Sinnlos, dachte Bram Sass ohne Emotion. Es ist vollkommen sinnlos.
Er sah, wie Dhark, Doorn und Gisol jetzt gezielt von Energiestößen durch den Raum getrieben wurden.
Auf den Korridor zu, dem die Defensiven entsprungen - wo sie
hergekommen waren!
Roboter scheuchten Lebewesen wie eine Herde vor sich her...
»Genug!« fauchte Sass der Maschine zu, die an seiner Seite kämpfte - einer Maschine mit Seele, wie
inzwischen unstrittig feststand. Artus als Individuum zu akzeptieren fiel Sass aber nach wie vor schwer, und
damit stand er nicht alleine.
»Wir dürfen die anderen nicht verlieren!«
Die hatten jetzt den Durchgang erreicht, der in einen Korridor von unbekannter Länge und danach
wahrscheinlich in die nächste Halle führte.
Artus stellte sich sofort auf die veränderte Situation ein, begriff scheinbar intuitiv, was von ihm erwartet
wurde. Ohne eine Antwort zu geben, ließ er die Kugelroboter links liegen und eilte der Gruppe nach, die aus
Dhark, Doorn und Gisol bestand.
Bram Sass hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten - was aber daran lag, daß ihn die Angreifer inzwischen wie
Trauben umgaben und bei jeder Bewegung behinderten.
Ganz offenbar schätzten sie ihn als den gefährlicheren der beiden Kämpfer ein.
Damit war Sass einverstanden.
»Keine Gegenwehr mehr!« keuchte Ren Dhark, eingekeilt zwischen Gisol und Doorn. »Wenn wir uns fügen
und genau dorthin bewegen, wohin sie uns haben wollen, verzichten sie auf ihre Schläge - zumindest wenn
meine Beobachtung zutrifft. Ich glaube, sie wollen uns mit den Stromstößen nur lenken.«
»Den Versuch ist es wert«, knurrte Doorn, der trotz seiner bulligen Statur ein ums andere Mal aufstöhnte
unter den Treffern und zwischenzeitlich ebenso schweißgebadet war wie Dhark.
Der einzige, der nicht schwitzte, war Gisol. Wobei fraglich war, ob die Worgun überhaupt so etwas kannten.
Als sie den Durchgang erreichten, drehte sich Dhark um und rief
in Richtung von Sass und Artus: »Versucht uns zu folgen!«
Offenbar hatte das ungleiche Paar dies ohnehin gerade vor.
Vor Dhark öffnete sich ein kurzer Korridor, und Gisol sagte: »Mir gefällt das nicht. Es ergibt keinen Sinn. Warum setzt sich die Instanz, die für unseren Abstecher zu dieser Welt verantwortlich ist, nicht direkt mit uns in Kontakt? Ich gehe fest davon aus, daß man uns hier hergelockt hat - über euren Checkmaster. Nur der Grund ist mir schleierhaft...« »Es kann nichts Gutes bedeuten«, vertrat Doorn seine Überzeugung. »In friedlichen Kontakt mit uns zu treten wäre sehr viel einfacher gewesen, als Aktionen wie diese zu starten... Stromschläge! Die sind doch völlig durchgeknallt!« Nach friedlicher Kontaktaufnahme sah es wirklich nicht aus. Aber auch in der Gewaltskala gab es Bereiche, die die angewendeten Methoden mühelos übertroffen hätten. So gesehen bewegte sich die Gewalt im gerade noch akzeptablen Bereich. Die Frage aber blieb, was die unbekannte Macht damit bezwekken wollte. Eine simple Gefangennahme konnte es nicht sein. Dann wäre es einfacher gewesen, Artus zu vernichten und die übrigen Mitglieder der Gruppe zu betäuben, damit die Kugelroboter sie ohne Gegenwehr verschleppen konnten. Warum dies nicht geschah, warum man Widerstand billigend in Kauf nahm, blieb ebenso unklar wie vieles andere auch. Sie wollen uns bei vollem Bewußtsem, nicht narkotisiert, nicht paralysiert - wir sollen denken und handeln können.
Dhark hoffte, daß er mit dieser Einschätzung richtig lag.
Der Raum, in den sie getrieben wurden, unterschied sich deutlich von dem, aus dem sie gerade kamen.
Er war leer.
Weit und breit war kein Aggregat oder ein sonstiger Gegenstand auszumachen - als wäre dieser Bereich vor
langer Zeit schon geräumt worden.
Ein Phänomen, dem Menschen in Zusammenhang mit den Mysterious nicht zum erstenmal
gegenüberstanden. Vielerorts in der
Milchstraße hatten die Worgun bei ihrem Rückzug vor tausend Jahren alle Spuren mit großer Akribie
verwischt.
Hinter Dhark entstand Tumult, als Bram Sass und Artus zu ihnen vordrängten. Auch sie hatten den
Widerstand eingestellt und wurden nur noch selten beschossen.
Sass blieb dennoch und vernünftigerweise im Zweiten System.
»Dann wären wir also wieder komplett«, frotzelte Doorn.
Schritt um Schritt wurden sie in den leeren Raum dirigiert. Er war kleiner als der erste, und als sie seine
ungefähre Mitte erreichten, zogen sich die Kugelroboter unvermittelt bis an den Rand zurück. Kein Schuß
fiel mehr.
»Wir sollen offenbar hier warten«, meinte Gisol. »Vielleicht erfahren wir jetzt endlich, wer hinter alledem
steckt...«
Dhark ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, in dem aus verborgener Quelle das typisch blaue Licht
der Mysterious strömte. Weit und breit gab es keinen Anhaltspunkt auf das, was ihrer Verschleppung folgen
sollte.
Bis das andere Licht plötzlich aufflammte, sie einhüllte...
... und verschlang.
»Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht...« Rui Warren lehnte an der Außenhaut seines Flash und schaute den Rauchkringeln nach, die jedes Mal seinen Mund verließen, nachdem er genüßlich an seiner obligatorischen Pfeife gezogen hatte. »Was genau gefällt dir nicht?« Der Mann, der fragte, war ukrainischer Abstammung, 33 Jahre jung und hatte mit Warren und Doraner zusammen schon die legendären Scoutboote des Kolonistenraumers GALAXIS geflogen: Pjetr Wonzeff.
Auch der ein Jahr jüngere Mike Doraner kam zu ihnen geschlendert. Dabei watete er regelrecht durch das an dieser Stelle etwas höhere Gras, das spröde wie morsche Knochen war und sofort knirschend zerbrach, wenn man den Fuß von oben darauf setzte. Schlurfte man dagegen, teilte es sich vor den Schuhspitzen und blieb unversehrt. Doraner tat es aus Achtung vor einer Welt, auf der sie nur Besucher waren. Und das Gras konnte sicherlich am allerwenigsten etwas dafür, daß die Begrüßung von Seiten des Planeten nicht unbedingt freundlich ausgefallen war... Warren nickte in die Richtung, in die er auch den Rauch schickte - zum Eingang des Sockels hin, der gut hundert Meter vom Landeplatz der Flash entfernt lag. »Das gefällt mir nicht.« »Ich habe schon immer geschätzt, wie präzise du dich auszudrücken vermagst«, spöttelte Doraner und grinste breit von einem Ohr zum anderen. »Macht nur eure Witze...« »Sie können selbst auf sich aufpassen«, erwiderte Wonzeff in väterlichem Ton. Auch er konnte ein Schmunzeln nicht verhindern. »Zur Erinnerung: Wir haben genaue Anweisung, hier zu warten. Als Kindermädchen wurden wir nicht engagiert - dafür ist offenbar diese Blechbüchse zuständig.« »Artus?« Warren hob die Brauen. »Klar.« »Was haltet ihr eigentlich von dem Kameraden?« »Dürfte mir jederzeit vor den Flash kommen«, frotzelte Doraner weiter. »Ich bremse auch für Konserven.« Allgemeines Gelächter. Auch Kartek und Scott, der fünfte im Bunde, gesellten sich jetzt zu ihnen. Von ihnen schlurfte keiner. »Wie lange sind sie jetzt schon da drin?« »Ein paar Minuten.« »Sollten wir nicht die Verbindungsachse zur POINT OF darstellen?« »Ich seh mal nach...« Es war Warren, der im Schlendergang, die Pfeife zwischen die Zähne geklemmt, die Hände in den Hosentaschen vergraben, auf das Tor zuschritt. Die anderen tauschten Blicke, dann schlössen sie sich ihm wortlos an. Zwei Minuten später erreichten sie das Portal. Es stand nach wie vor offen - was sie auch schon aus der Entfernung erkannt hatten - aber statt der Personen, die sie dahinter zu sehen erwarteten, hatten sich mehrere hundert kugelförmige Roboter wie Perlen an einer unsichtbaren Schnur entlang des Eingangs aufgereiht - und verwehrten jeden Zutritt. Warren, der es als Erster entdeckte, prallte regelrecht zurück. Seine Hand fuhr zur Waffe. Aber die Kugelroboter machten keine Anstalten anzugreifen. Sie begnügten sich damit, einen Kordon zu
bilden. Eine Schranke, durch die es gewaltfrei kein Durchkommen geben würde.
Wonzeff und der Rest der Gruppe schlössen zu Warren auf; auch sie erkannten den Ernst der Lage auf
Anhieb.
»Verdammt!« fluchte Scott. »Verdammt, verdammt, verdammt!«
Wonzeff bewies Galgenhumor, indem er die Flüche trocken kommentierte: »Nicht gewußt, daß wir die
Verdammten sind?«
Scott grunzte.
Doraner hob die Hände vor den Mund und formte einen Trichter: »Commander! Doorn! Artus... Hört mich
jemand?«
Keine Antwort.
Die Stille wirkte wie gefroren im blauen Licht der Mysterious.
»Gottverdammt!« fluchte Scott noch einmal. Dann drehte er sich um und rannte zu seinem Flash zurück, um
die POINT OF zu verständigen.
Unwillkürlich wollte Bert Stranger zur anderen Seite ausweichen. Aber da spürte er einen zweiten Blaster.
Langsam wandte er
den Kopf.
»Weitergehen«, zischte der Mann rechts neben ihm. »Ganz unauffällig. Nicht umschauen.«
Was blieb ihm anderes übrig? In dem Gedränge hatte er keine Chance, sich zu wehren. Ihm fehlte die
Bewegungsfreiheit. Zudem gefährdete er damit die anderen Flugreisenden, die den Abfertigungsterminals
entgegendrängten.
Die beiden Halunken dagegen hatten sicher keine Skrupel zu schießen, und ihre Chancen standen gut,
anschließend im Gedränge unterzutauchen, ohne daß jemand sie erkannte oder gar aufzuhalten versuchte.
Der Reporter unterdrückte eine Verwünschung. Sie hatten ihn viel schneller wieder erwischt, als er anfangs
befürchtete.
Mit ihren Strahlwaffen dirigierten sie ihn wortlos, als wäre er ein Pferd, dem man die Sporen gibt, um es in
eine bestimmte Richtung zu zwingen.
Sie trieben im Strom, steuerten dabei aber seitwärts einem Nebenraum entgegen. Am Rand der
Menschenmenge ging es dann ein wenig zurück, aber auch hier gaben sie Stranger keine Chance, sich zu
wehren.
Und niemandem fiel auf, daß zwei Blaster auf ihn gerichtet waren! Die beiden Männer drängten sich so dicht
an ihn, daß keiner die Waffen bemerkte.
Sie passierten einen Robonenspürer, der wie überall an Flug-und Raumhäfen oder Magnetbahnterminals
auch nach einem Jahr immer noch in Betrieb war, getreu dem GSO-Motto »Traue niemandem«. Im nächsten
Moment befanden sie sich vor einer Tür, die lautlos vor ihnen aufglitt und sich hinter ihnen wieder schloß.
Jetzt erst gingen die Männer auf Abstand zu dem Reporter. Einer von ihnen aktivierte die
Sicherheitsverriegelung der Tür.
Stranger erkannte die beiden Entführer wieder. Es waren jene, die ihn vor Wochen in Frankreich erwischt
hatten.
»So sieht man sich wieder«, sagte einer von ihnen spöttisch. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß wir nicht
mitbekommen
hätten, was Sie treiben? So einfach kommen Sie uns nicht davon, mein Bester.«
»Und? Was habe ich getrieben?« Stranger sah den schmalen Koffer, den der andere Mann jetzt langsam auf
der Tischplatte absetzte. Daneben gab es noch zwei ziemlich unbequem aussehende Stühle. Stranger
vermutete, daß dieser Raum hin und wieder von den Kontrollorganen des Jettports für Verhöre benutzt
wurde.
»Sparen Sie sich das Theater, Stranger«, sagte der Mann. »Sie waren im Medo-Center und haben sich
behandeln lassen. Sie sind der Ansicht, sich vom Einfluß unseres wunderschönen Gerätes befreit zu haben,
nicht wahr?«
»Woher wollen Sie das wissen?« War jemand im Medo-Center zum Verräter geworden? Arbeitete Professor
Webster möglicherweise mit diesen Halunken zusammen? Oder Crasso, der Psychologe?
»Ach, Stranger, Sie haben Spuren hinterlassen, die wir lesen konnten. Die jeder lesen konnte. Eine Spur so
breit wie der Amazonas. Sie standen unter permanenter Beobachtung. Wir wußten die ganze Zeit über jeden
Ihrer Schritte Bescheid. Wenn wir gewollt hätten, wäre es uns leichtgefallen, die Entgiftung zu verhindern
oder zu manipulieren. Aber so, wie es jetzt ist, ist es doch viel schöner, oder?«
Er grinste wölfisch.
Einerseits war Stranger erleichtert. Wenn er selbst diese Schurken hinter sich hergezogen hatte, war
wenigstens kein Verrat im Spiel. Andererseits mußte er sich selbst ungeheuren Leichtsinn bescheinigen. Er
hatte nie geprüft, ob jemand ihn überwachte!
Das war doch sonst nicht seine Art! Er, der mit Kameras, Mikrofonen und anderen Aufnahmetechniken
bestens vertraut war, weil sie zu seinem Job gehörten, hätte daran denken müssen, daß jemand
Überwachungstechnik gegen ihn einsetzte!
Die Sucht hatte ihn leichtsinnig werden lassen und seinen Verstand ausgeschaltet. Er hatte an kaum noch
etwas anderes gedacht als daran, den nächsten Chip genießen zu können. Alles andere
war nebensächlich gewesen.
Sein verdammter, großer Fehler! Und der wurde ihm jetzt zum Verhängnis.
Er ahnte, was sich in dem schmalen Koffer befand.
»Setzen Sie sich«, sagte der Mann an der Tür und deutete auf einen der beiden Stühle.
»Danke, ich stehe lieber«, sagte Stranger. »Ich habe heute schon in meinem Büro lange genug gesessen.
Aber das wissen Sie doch sicher, das haben Sie doch bestimmt auch verwanzt.«
»Setzen!« Beide Blaster waren wieder auf Stranger gerichtet.
»Sie werden mich nicht erschießen«, sagte er. »Sie brauchen mich noch. Sonst würden Sie nicht so viel
Aufwand betreiben, um mich unter Ihre Kontrolle zurückzubekommen. Sie beziehungsweise Ihre
Fortschrittspartei. Euch Brüdern muß der Hintern ja gewaltig auf Grundeis gehen, daß ihr zu solchen
Methoden greift. Haben eure Oberschurken soviel Angst, sie könnten die Wahl verlieren?«
Der Mann an der Tür streckte den Arm aus. Die B lastermündung zielte jetzt direkt auf Strangers Kopf. Der
zweite Mann trat etwas zur Seite, um nicht in die Schußbahn zu kommen, falls Stranger eine
Ausweichbewegung machte oder sich in seine Richtung fallen ließ.
Genau das hatte der Reporter eigentlich beabsichtigt.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Sie erschießen mich nicht. Ich bin zu wertvoll.«
»Da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher«, warnte der andere. »Wir müssen Sie nicht töten; es reicht. Sie
zu verkrüppeln. Dann können Sie uns immer noch von Nutzen sein. Vielleicht sogar mehr als zuvor.«
»Wir können Sie aber töten«, sagte der an der Tür. »Dann schnappen wir uns eben einen Ihrer Kollegen. Wir
brauchen Sie nicht wirklich. Stranger. Sie dürfen es als Ehre ansehen, daß unsere Wahl auf Sie gefallen ist.
Übrigens - könnte sein, daß Ihr Sterben sehr langsam stattfindet und sehr weh tut. Wenn ich Sie
stückchenweise amputiere... Sie werden nicht mal schnell genug verbluten können, weil die Strahlhitze die
Adern verschweißt.«
»Also überlegen Sie es sich«, sagte der andere. »Aber schnell. Unsere Geduld ist begrenzt. Wir sind nicht
auf Sie angewiesen, aber Sie auf uns, wenn Sie überleben wollen. Wir können jeden anderen Mann nehmen.
Bei Ihnen ist es aber einfacher, weil ja schon Vorarbeit geleistet wurde.«
Er weiß es, verdammt noch mal, dachte Stranger. Er weiß, daß es beim zweitenmal keine Heilung mehr gibt.
Aus den Augenwinkeln sah er, daß der Verbrecher mit seinem Blaster auf Strangers linken Fuß zielte. Von ihm ging die Gefahr aus, nicht von dem Mann an der Tür, dessen Strahlwaffe immer noch auf den Kopf des Reporters gerichtet war. »Na schön«, murmelte er unbehaglich. Vielleicht bekam er ja noch den Hauch einer Chance, wenn sie versuchten, ihm das Sen-sorium überzustülpen. Dann mußte zumindest einer von ihnen die Waffe beiseite legen und direkt an Stranger heran. Er war kein Kämpfer, er verabscheute Gewalt. Aber er wußte sich zu wehren. Vielleicht schaffte er es ja noch mit etwas Glück. Wenn nicht, war er erledigt für alle Zeiten. Dann konnte er es auch auf die Spitze treiben und sich tatsächlich erschießen lassen. In ihm tobte die Angst. Er wollte nicht sterben. Er wollte aber auch nicht wieder süchtig werden. Verdammt, warum hatte er diesen Mülleimer auf Beinen nicht in seiner Nähe behalten? Wenn Theta 3 da gewesen wäre, hätte der sie alle drei paralysieren können, ehe die Entführer zum Schuß kamen. Aber er hatte den Roboter ja unbedingt auf Distanz halten müssen. Zur Hölle! Ich bin der größte Idiot dieser Galaxis!
Langsam schlurfte er auf den Stuhl zu, als könne er durch sein Zögern noch etwas ändern. Aber dann saß er. Jetzt mußte zumindest einer der beiden Männer den schmalen Koffer öffnen und ihm das Sensorium aufsetzen. Dazu mußte er die Waffe weglegen und an Stranger heran... jetzt mußte er es tun... Strangers Chance... Der Mann öffnete den Koffer mit einer Hand und klappte ihn auf. Wie hypnotisiert starrte Stranger das darin liegende Sensorium an. Der Mann schob den Koffer zu ihm herüber. »Nehmen Sie das Gerät heraus«, sagte er. »Der Chip ist schon eingesetzt. Setzen Sie sich das Sensorium auf.« »Nun machen Sie schon«, drängte der andere an der Tür. Scheiße. Die sind m vorsichtig, diese Dreckskerle!
Es war vorbei. Die winzige Chance, die Bert Stranger sich erhofft hatte, existierte nicht. Er konnte jetzt nur wieder süchtig werden oder sterben. Und er glaubte dem Schurken bedingungslos, daß er sich mit dem Töten eine Menge Zeit lassen würde. Der Reporter überlegte fieberhaft. Vielleicht gab es ja doch noch irgendeine Möglichkeit, etwas, das er übersehen hatte, einen kleinen Trick, mit dem er wenigstens einen der beiden Männer ablenken konnte. Wäre es einer, war es relativ leicht. Drei Gegner hätte er gegeneinander ausspielen können. Aber sie waren zu zweit. Da war nichts zu machen. Langsam streckte Bert die Hand nach dem verfluchten Apparat aus und hob den »Brillenbügel« aus dem Koffer. Die Hand zitterte. Er fühlte den Angstschweiß auf seiner Stim. »Nun machen Sie schon. Sie kommen ja doch nicht daran vorbei. Je schneller Sie das Sensorium aufsetzen, desto schneller haben Sie es hinter sich«, sagte der Mann an der Tür.
Es waren seine letzten Worte.
Etwas krachte gegen die sicherheitsverriegelte Tür. Beim zweiten Schlag flog das gesamte Türblatt, das bei
normalem Öffnen und Schließen zur Seite glitt, nach innen. Das abgesprengte Schloß flog wie ein Geschoß
durch den Raum, haarscharf an Bert Stranger
vorbei. Die Tür knallte dem Entführer in den Rücken und schleuderte ihn zu Boden. Er kam halb unter der
Stahlplastikplatte zum liegen, sein Blaster schlidderte durch den Raum.
Der andere Mann riß die Waffe herum und feuerte. Der blendend grelle Blitz fauchte aus dem Abstrahlpol
der Mündung und verfehlte sein Ziel nur um Millimeter. In der Wand neben der Tür entstand ein Loch mit
glühenden Schmelzrändern und verriet Stranger, welche enorme Kapazität diese Blaster aufwiesen.
Ein anderer Strahl blitzte auf. Er traf den Schützen. Dessen Oberkörper wurde glatt durchschlagen. Er sah
ungläubig an sich herunter, sah die riesige Wunde und konnte schon nicht mehr atmen, als er den Blaster
noch einmal hob und auf Bert Stranger richtete.
Der war nicht fähig, sich zu rühren. Das blanke Entsetzen hatte ihn gepackt, lahmte ihn. Wieder feuerte der
Ankömmling. Plötzlich besaß der Entführer keinen Unterarm mehr. Er taumelte einige Schritte zurück, war
schon tot, obgleich er sich noch auf den Beinen hielt. Er stieß gegen die Wand und rutschte dann langsam an
ihr herunter.
Der andere hatte sich unter der von Theta 3 eingetretenen Tür hervorgearbeitet und seinen Blaster doch noch
wieder erwischt. Er zielte auf den Roboter. Der feuerte aus zwei Blastem zugleich. Die Strahlschüsse
hämmerten in den Körper des Entführers und zerschmolzen ihn förmlich. Ein weiterer Schuß fegte Stranger
das Sensorium aus der Hand, ohne den Reporter dabei zu verletzen. Die Reste des verglühenden Apparates
rutschten über die Tischkante hinweg und zerschellten am Boden. Das Ganze hatte nur ein paar Sekunden
gedauert. Für Bert war es, als seien Jahrtausende vergangen. Jede Einzelheit des Geschehens hatte sich ihm
unauslöschlich eingeprägt. Der Gesichtsausdruck des Mannes, der ihn zu töten versucht hatte und jetzt halb
an die Wand gelehnt tot hockte, die Wut in den Zügen des anderen, der auf Theta 3 schoß... Und irgendwie
empfand Stranger Enttäuschung, weil die beiden
Männer angesichts ihres Todes nicht mehr die Zeit bekommen hatten, selbst jene furchtbare Angst zu
empfinden, die sie in ihm selbst ausgelöst hatten.
Langsam drang das bösartige Jaulen einer Sirene an Strangers Ohren. Das Aufsprengen der Tür hatte ihn
ausgelöst.
Theta 3 stand da, die dünnen Unterarme angewinkelt und in jeder Stahlhand einen Blaster. Die
Projektionsdome glühten immer noch.
»War...«, murmelte Stranger, räusperte sich, um den Kloß herunterzuschlucken, der in seiner Kehle steckte,
»war das nötig? Hättest du sie nicht paralysieren können?«
»Die Exekution der beiden Kriminellen erwies sich aufgrund der von ihnen gegen Sie ausgerichteten Gefahr
als zwingend erforderlich, Sir«, schnarrte der Blechmann.
Bert Stranger nickte langsam.
Der Blechmann wurde ihm unheimlich. Galten für ihn die Robotergesetze nicht?
Ein Roboter, der kompromißlos tötete... nicht nur ein Leibwächter, sondern ein Killer! ,
Was hatte Patterson ihm da nur für einen Klotz ans Bein gebunden?
Die Sirene heulte immer noch. Und Bert, der versuchte, aufzustehen, schaffte das nicht, weil die Knie unter
ihm nachgaben.
Er wußte, daß er dem Tod selten so nahe gewesen war wie jetzt. Weder seinerzeit im Brana-Tal, als er einen
durchdrehenden Cy-borg-Anwärter zur Strecke brachte, der die ganze Station vernichten wollte, noch im
vergangenen Jahr, als Robonen auf Borneo eine Atombombe zündeten.
Endlich hörte das schrille Heulen auf.
Und es wimmelte von Polizisten, die mit schweren Blastem auf Theta 3 zielten...
»Nicht schon wieder«, murmelte Stranger. Er fühlte sich müde, unendlich müde. Er sah nicht einmal auf sein
Chrono, um zu prüfen, wieviel Zeit ihm noch bis zum Abflug des Jetts verblieb. Er hatte jegliches Zeitgefühl
verloren, und er wollte es in diesem Moment auch nicht zurückgewinnen.
Er starrte die Polizisten an, die hinter der Tür in der Halle standen, ihre Blaster auf Theta 3 gerichtet. Und er
starrte Theta 3 an, der seinerseits mit beiden Waffen auf die Polizisten zielte. Unschuldige gefährden konnte
er nicht; die Halle war in der Schußlinie geräumt worden. Stranger staunte über das Tempo, mit dem diese
Räumung abgelaufen sein mußte, bis ihm einfiel, daß er einige Zeit mit seinen beiden Entführern in diesem
Raum zugebracht hatte. Da konnte ein großer Teil der Reisenden schon normal zu den Startfeldern der
diversen Maschinen durchgeschleust worden sein.
»Theta 3«, sagte er brüchig. »Die Waffen 'runter. Diese Männer bedrohen mich nicht.«
»Sind Sie ganz sicher, Sir?« schnarrte der Blechmann.
»Ich sagte, Waffen 'runter. Und sichern«, befahl Stranger etwas schärfer.
Das Glühen der Dome erlosch. Theta 3 senkte die Arme, so daß die Blastermündungen nach unten gerichtet
waren.
Jetzt entspannten sich auch endlich die Polizisten. Einer von ihnen betrat vorsichtig den Raum und sah sich
um. Er runzelte die Stirn, während er die beiden Toten genauer betrachtete.
Dann wandte er sich Stranger zu. »Ist das Ihr Auftragskiller?«
»Mein Wachroboter«, sagte der Reporter. »Eigentum der Terra-Press. Er hat den Auftrag, mich zu schützen.«
»Terra-Press? Warten Sie mal - dann sind Sie Bert Stranger? Ich hab' Sie schon mal im Holo gesehen, glaube ich.« »Genau der bin ich«, sagte Bert. »Und, glauben Sie mir, nur auf der Durchreise. Ich habe nicht vor, den Jettport auf den Kopf zu stellen.« »Dafür, daß Sie das nicht vorhaben, haben Sie's aber ganz nett hingekriegt«, warf einer der anderen Polizisten ein. »Sagen Sie dem Roboter, daß er sich zur Überprüfung bereithalten soll.« »Ich bin bereit«, sagte Theta 3. »Eine dahingehende Instruktion durch meinen Mandanten ist nicht erforderlich. Da Sie offenbar meinem Mandanten keinen unmittelbaren Schaden zufügen wollen, akzeptiere ich Ihre Autorität.« »Reden diese Blechkerle immer so geschraubt?« fragte der Einsatzleiter, während der andere Beamte eine kleine Klappe am Brustteil des Robots öffnete und einen Diagnosesensor andockte. »Wachroboter mit Waffenlizenz vom Paraschocker bis hin zum Triple-Hy-Lasergeschütz«, las er ab. »Lizenz ausgestellt vom Justizministerium am 4. Januar dieses Jahres, identisch mit Fertigungstag des Roboters. Eigentum der Terra-Press.« Stranger hob die Brauen. Am Tag der Fertigung war der Rob garantiert noch nicht an die Terra-Press ausgeliefert worden. Das hieß, daß die Waffenlizenz der Maschine noch von Wallis Indu-stries beantragt worden war. »Bis zum Triple-Hy«, murmelte der Einsatzleiter kopfschüttelnd. »Also höchste überhaupt erlaubte Privatlizenz. Alles, was darüber hinausgeht, ist nur noch für die TF und Terra Defense reserviert... mein lieber Schwan! Da hat aber einer ganz weit ausgeholt.« Er sah Stranger an. »Haben Sie dafür gesorgt? Man munkelt ja, daß Sie Verbindungen bis in Regierungskreise haben sollen.« »Man munkelt viel«, sagte der Reporter. »Der Blechkasten wurde mir regelrecht auf gezwungen. Ich wollte den gar nicht haben. Bin aber jetzt froh, daß er hier war.« »Was ist passiert?« »Diese beiden Männer wollten mich entführen. Im Gedränge bin ich wohl für kurze Zeit aus dem Wahrnehmungsbereich des Robots geraten. Er kam etwas später dazu«, wich Stranger aus. Er wollte diese Sache jetzt so schnell wie möglich hinter sich bringen, und das ging nur mit einer möglichst simplen Geschichte. Die ganze Wahrheit konnte er den Polizisten nicht erzählen. Erstens 1^ würden sie ihm vermutlich nicht glauben, und zweitens begannen dann Nachforschungen, die Strangers eigene Arbeit erheblich behinderten und ihn vielleicht sogar in noch größere Gefahr brachten. Denn wenn diese Fortschrittsparteiknechte ihn bislang intensiv überwacht hatten, entging ihnen auch dieses Fiasko nicht. »Entführen? Wieso?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Stranger. Er hoffte, daß niemand die Reste des verglühten Sensoriums
beachtete, oder wenn, dann erst später.
»Und Ihr Roboter hat dann die Entführer niedergeschossen.«
»Sie bedrohten mich mit Blastern. Er war bei der Entführung selbst nicht in der Nähe und ging wohl
davon aus, daß die beiden Männer mich töten wollten. Also hat er geschossen.«
»Man hätte das verdammte Scheißding ja auch mit Paraschok-kem ausstatten können«, knurrte einer der
anderen Polizisten.
»Wäre mir auch lieber«, sagte Stranger. »Hat man aber wohl nicht. Es war nicht meine Entscheidung.«
»Wir werden uns darüber mal mit Ihrer Firma unterhalten«, versprach der Einsatzleiter. »Nur noch als
Formalität: Ich hätte gern auch Ihren Ausweis noch gesehen.«
Stranger reichte ihm die Karte und bekam sie sofort zurück. »Hoffentlich erreiche ich meinen Flieger
noch«, murmelte er.
»Keine Sorge. Derzeit ist der ganze Flug- und Abfertigungsbetrieb gestoppt. Wohin fliegen Sie?«
»Weg von hier«, sagte Stranger. »So weit weg wie möglich.«
»Ihr Ziel?«
»Muß ich Ihnen nicht verraten, Sir.« In Bert erwachte die alte Vorsicht. Natürlich würden sie es
herausfinden, aber nicht jetzt sofort. »Kann ich jetzt gehen?«
»Ich habe die Protokolldatei abgerufen und gespeichert«, sagte der Mann mit dem Diagnosesensor und
schloß die Klappe am Roboter wieder.
»Dann wünsche ich Ihnen und Ihrem metallenen Blasterhelden einen guten Flug«, sagte der Einsatzleiter.
Stranger erhob sich. Er fühlte sich wieder etwas besser. Er stieß Theta 3 an. »Auf geht's. Alter. Wir wollen
die Leute doch nicht mehr länger auf ihre Flieger warten lassen. Jede Verspätung rächt sich irgendwann.«
Der Robot verließ den Raum. Neben der Tür bückte er sich kurz nach seinem Köfferchen, öffnete es und ließ
die beiden Blaster blitzschnell darin verschwinden - so schnell, daß niemand sehen konnte, was sich noch an
Waffen darin befand.
Der Einsatzleiter aktivierte sein Armbandvipho.
»Alarm beendet. Normalbetrieb kann wieder aufgenommen werden«, hörte Stranger ihn sagen.
Zehn Minuten später befanden sie sich bereits im Jett. Es war eine Interkontinentalmaschine, die rund dreihundert Passagieren Platz bot und gut besetzt war. Einige Sitze blieben jedoch frei. Für einen Moment hockte Stranger sich neben den Roboter, dessen Waffenkoffer problemlos durch die Kontrollen gekommen war. Noch vor 50 oder 60 Jahren, dachte Bert, wäre das völlig unmöglich gewesen. Aber die Zeiten änderten sich; trotz der über-standenen Robonengefahr und tel'scher Separatisten, die sich vermutlich immer noch auf Terra hemmtrieben, schätzte man das Attentatsrisiko auf einen Flieger als kaum noch gegeben ein. Und Maschinen mit den entsprechenden Lizenzen galten als äußerst zuverlässig. »Es war wirklich nicht nötig, die beiden Männer zu töten«, sagte Stranger leise, aber vorwurfsvoll. »Wenn du sie paralysiert hättest, hätte man sie verhören können. Dann wären wir ihren Hintermännern vielleicht schneller auf die Spur gekommen.« »Die Exekution der beiden Kriminellen erwies sich aufgrund der von ihnen gegen Sie ausgehenden Gefahr als zwingend erforderlich, Sir«, wiederholte Theta 3. »Meine Sensoren registrierten die energetischen Streuwerte scharfer Blaster hinter der Tür. Ich han delte entsprechend meiner Programmierung.« »Zum Teufel damit«, knurrte Stranger. »Kennst du die asi-niov'sehen Gesetze?« »Dieser Ausdruck ist nicht in meiner Datenbank gespeichert«, leierte Theta 3 seinen alten Spruch herunter. »Erbitte Information.« »Gesetz l: Ein Roboter darf keinen Menschen töten oder verletzen oder durch Untätigkeit zulassen, daß ein Mensch getötet oder verletzt wird. Gesetz 2: Ein Roboter hat menschlichen Befehlen zu gehorchen, es sei denn, sie stehen im Widerspruch zu Gesetz l. Gesetz 3: Ein Roboter hat seine eigene Existenz zu schützen, es sei denn, das steht im Widerspruch zu Gesetz l und Gesetz 2.« »Diese Gesetze sind nicht in meiner Datenbank gespeichert und daher irrelevant.« »Dann speichere sie jetzt gefälligst.« »Ich kann meine Datenbank nicht selbst verändern, Sir«, widersprach Theta 3. Dann kann ich nur hoffen, daß ich nicht noch einmal in eine solche Situation gerate wie vorhin, dachte Stranger kopfschüttelnd. Er erhob sich und suchte seinen eigenen Platz weiter vorn auf. Theta 3 blieb im hinteren Bereich des Passagierraums zurück. Stranger sehnte sich nach den alten Zeiten, in denen die von dem Physiker und SF-Autor Isaac Asimov erstmals aufgestellten drei Robotergesetze noch allgemeine Gültigkeit hatten. Aber - natürlich, ein Wach- oder Kampfroboter konnte bei Anwendung dieser Gesetze in einen unlösbaren Entscheidungskonflikt geraten, bei dem ihm nicht einmal Fuzzy-Logik weiterhalf. Hier das Opfer, da der Täter - um das Opfer zu schützen, mußte er eventuell den Täter töten, was im Widerspruch zum l. Gesetz stand. Tötete er den Täter nicht, löschte der das Leben des Opfers aus, was ebenfalls im Widerspruch zum l. Gesetz stand. Selbst Asimov hatte diese Problematik seinerzeit erkannt und eine Menge Kurzgeschichten um die Robotpsychologin Dr. Calvin geschrieben, die sich mit die sen Problemen befaßte. Eine Stewardeß riß Stranger aus seinen Gedanken. Sie erkundigte sich nach seinen Wünschen, brachte ihm sein Getränk. Der Jett starte mit nur wenigen Minuten Verspätung, versicherte sie ihm auf seine Nachfrage, und der Pilot sei zuversichtlich, diese Minuten über dem Atlantik wieder einzuholen, da eine günstige Wetterlage für starken Westwind sorgte, die Maschine so vor sich hertrieb und nicht nur die Fluggeschwindigkeit etwas erhöhte, sondern zudem für Treibstoffersparnis sorgte. - So genau wollte Bert das eigentlich gar nicht wissen... Er beobachtete die Stewardeß, während sie sich um die anderen Fluggäste kümmerte. Irgendwie erschien sie ihm fahrig und un-konzentriert. Noch dachte er sich nichts dabei; so etwas kam schon mal vor. Vielleicht war sie mit ihren Gedanken schon bei ihrem Freund, der in Lyon auf sie wartete. Nach einer Weile verschwand sie in einem der kleinen Personalräume. Es dauerte etwa 15 Minuten, bis sie wieder auftauchte, um sich erneut den Fluggästen zu widmen. Und jetzt wirkte sie regelrecht euphorisch! . Verdammt, das kannte er doch! Aus eigener Erfahrung... Er erhob sich von seinem Sitz und schlenderte durch die Großraumkabine in Richtung Toiletten. Dabei mußte er zwangsläufig an dem Personalabteil vorbei. Das Kämmerchen war nur durch einen schweren Vorhang vom Gang getrennt. Stranger tat, als stolpere er über seine eigenen Füße, mußte sich dabei an dem Vorhang festhalten und zog ihn eine Elle weit auf. Der Raum dahinter war mit einem kleinen Wandklapptisch, zwei Hockern und einem Schränkchen ausgestattet, auf dessen Bord eine Kaffeemaschine, zwei Tassen und eine Packung Zigaretten lagen. Aber auf einem der beiden Hocker lag noch etwas ganz anderes. Das Gestell eines Sensoriums...!
6. Ren Dhark wußte sofort, wo er sich befand, als er sich umblickte
- nicht nur im Raum, in dem das Transportfeld sie abgesetzt hatte, sondern über dessen Grenzen hinaus. Die Wände ringsum waren durchsichtig und erlaubten einen glasklaren Blick bis in weite Feme, wo die goldenen Kolosse aufragten; wo der Himmel lohte, wie in flüssiges Feuer getaucht, durch das immer wieder Blitze jagten. Und der Umstand, daß er zu den Köpfen der entfernteren Statuen emporblicken mußte, erlaubte ihm weitere Rückschlüsse auf ihren Aufenthaltsort... »Das war ein Transmitterfeld - wir wurden räumlich versetzt!« konstatierte Arc Doorn, was ohnehin jedem bewußt war. Bram Sass nahm Verteidigungshaltung ein. Unklar blieb, ob er einen erneuten Ansturm von Kugelrobotern erwartete oder einen gänzlich anders gestrickten Gegner. »Die Defensiven folgen uns nicht - sie hatten nie die Absicht«, sagte Gisol in diesem Moment. »Deshalb zogen sie sich zum Rand des Raumes zurück, in dem die Transportvorrichtung versteckt war.« In dieser Einschätzung stimmte Dhark mit ihm überein. »Wir befinden uns im Kopf des Goldenen, der die POINT OF am Boden festhält«, sagteer. Und prompt fragte Artus: »Woraus schließen Sie das?« »Ganz einfach: Ich weiß, wie es im Schädel einer Statue aussieht - zumindest dort aussah, wo ich schon einmal Gelegenheit hatte, sie zu besuchen... Gisol wird mir beipflichten.« Gisol nickte. Dann fuhr er fort: »Die Schlußfolgerung ist naheliegend. Es gibt nur eine Figur, die niederkniet - eben die, welche die POINT OF festhält. Wir befinden uns auf eindeutig niedrigerem Höhenniveau als die umstehenden Statuen... Ren Dhark hat Recht. Auch mit allem anderen. Dies hier ist die Kopfzone eines Gol denen. Die Bestückung...« er wies auf die sie umgebenden Bestandteile der Einrichtung »... läßt diesen Rückschluß zweifelsfrei zu.« Dhark hörte den Erläuterungen des Worgun kaum mehr zu. Er blickte sich um, stellte Vergleiche an zu der Situation, wie sie im Goldenen auf Babylon anzutreffen gewesen war, nachdem auch dort ein Transmitterfeld die Versetzung in den Schädel der Statue ermöglicht hatte. Unweit von ihm hing freischwebend etwas in der Luft, was an ein riesiges Knäuel aus Drähten erinnerte auch das hatte es auf Babylon gegeben. Sein Sinn und Zweck war bis heute unbekannt. Bis zu dieser Sekunde. Gisol war seinem Blick gefolgt. »Es ist ein Rechner«, sagte er. »Seine unsichtbare Vernetzung reicht wahrscheinlich bis tief in die Planetenrinde...«
Ein Rechner...
.
Gisols Behauptung fand großen Nachhall in Ren Dharks Bewußtsein. Dennoch hielt er sich nicht lange damit
auf, den Blick auf dem schwebenden »Knäuel« zu belassen.
»Are... Artus... schaut euch um. Hier gibt es viel zu entdecken, vielleicht...«
»Du denkst, du findest den Mechanismus, der den Goldenen zwingt, von der POINT OF abzulassen und
wieder auf seinen Sokkel zurückzusteigen?« fiel Gisol ihm ins Wort.
»Wäre das so undenkbar?«
»Für euch -ja. Ich respektiere, was die Menschen geleistet haben. Ohne Vorkenntnis ist es euch nach und
nach allein durch Geduld und Hartnäckigkeit, gelungen, viele Funktionsweisen der Worguntechnik zu
entschlüsseln. Aber hier...« Er schüttelte den Kopf, als wäre ihm menschliche Gestik längst in Fleisch und
Blut übergegangen. »Hier würdet ihr scheitern. Zumal wir nicht unbe
grenzt Zeit haben.« Er stockte kurz, dann fügte er hinzu: »Laßt es mich versuchen.«
Dhark hob die Schultern. »Laß es uns alle versuchen«, erwiderte er. »Acht Augen und eine künstliche Optik
sehen mehr als zwei.«
»Einverstanden.«
»Bleibt nur zu hoffen, daß man uns die Zeit gibt, uns umzusehen«, knurrte Doorn schwarzmalerisch.
Damit sprach er allen aus dem Herzen.
Selbst Artus, der keines besaß.
Ein überraschter Ausruf... Bram Sass hatte eine Sensorfläche berührt, ohne sich bewußt zu sein, daß es sich
um eine solche handelte... und schon veränderte sich das Innere des Kopfes der Statue grundlegend.
Die Transparenz der Wände wurde aufgehoben.
Etwas anderes rückte an ihre Stelle und unterband den freien Ausblick nach draußen, der ohnehin
gewöhnungsbedürftig gewesen war.
Staunend akzeptierten die Besucher (oder waren sie in Wahrheit nicht eher Gefangene?), daß es sich um
keinen Angriff handelte, sondern um eine Neukomposition der Verhältnisse. .
An Stelle der durchsichtigen Wände trat ein Hologramm.
Ein rundum laufendes Hologramm, das eigentlich aus etlichen Einzelholos bestand, deren Grenzen aber
verwischten und die kaum merklich ineinander übergingen.
»Das ist... Holotechnik in Vollendung!« schwärmte Arc Doorn, noch bevor er mehr als einen flüchtigen
Blick darauf geworfen hatte. »Bei allen Schwarzen Löchern des Universums - das übertrifft sogar die
Qualität der Bildkugeln auf der POINT OF und auf Gisols EPOY um ein Beträchtliches...!«
Niemand fragte, woran er das so schnell meinte festmachen zu können.
Jeder, der mit ihm Zeuge des Aufbaus der Holoflächen wurde, spürte, daß es stimmte.
Binnen eines Sekundenbruchteils (kein Flackern war erkennbar geworden, nichts, keine noch so klitzekleine
Störung während des Aufbaus) war innerhalb des Kopfes der Statue eine gigantische Schaltzentrale
entstanden, die jene umlaufende Holoprojektion beinhaltete!
Nach einer Weile, in der Ren Dhark die veränderte Umgebung auf sich hatte einwirken lassen, meldete sich
der Verdacht in ihm, daß möglicherweise gar nicht Bram Sass der Auslöser der Veränderung gewesen war.
Denkbar war auch, daß sie vorsätzlich für die Besucher herbeigeführt worden war - von der immer noch in
kognito agierenden Macht, die auch dafür gesorgt hatte, daß sie hierher gelangten.
Grund für diese Annahme waren die Bilder, die von den Holo-sektionen wiedergegeben wurden - zum einen
Ausschnitte der Außenwelt, Landschaft, Statuen, verlassener Sockel... zum anderen aber auch Szenen, die
eindeutig im Weltall spielten, im nahen Raum um den Planeten. ,
Mühelos identifizierte Dhark neunzehn Ringschiffe, und um die Gefahr, in der die kleine Flotte schwebte,
nachhaltig klarzumachen, legte sich plötzlich ein Zielraster über jedes Schiff...
Kein Zweifel: Die Raumer, die sich unter Martells Kommando in genügendem Sicherheitsabstand zum
Planeten wähnten, befanden sich in Wirklichkeit voll im Visier weitreichender Waffen!
Gisol sonderte sich von den anderen ab. Kurz beobachtete er noch, wie Arc Doorn und Artus auf ihre Weise
versuchten, die Funktionsweise dieses Ortes zu erkunden, dann widmete er sich ganz den eigenen
Recherchen.
Er war klar im Vorteil. Die hier verwandte Technik ähnelte dem, was er kannte... und unterschied sich
dennoch gleichzeitig in einer
Weise, die ihn seltsam berührte.
Die hiesige Technologie mußte älter als die in Om aktuell gebräuchliche sein. Trotzdem empfand er sie in
vielerlei Hinsicht als progressiver und ausgereifter, was eigentlich unlogisch hätte sein müssen; es sei denn...
... es sei denn, meine Spezies hat in den Jahrhunderten der Unterdrückung schon eine spürbare Degeneration durchlaufen.
Rückschritt statt Fortschritt - unter der »Fürsorge« der Zyzzkt.
Gisol spürte einen brennenden Haß, und als sein Blick die Ho-lowiedergabe eines Himmelsausschnitts
streifte, fand er diesen geradezu symbolhaft für die in ihm streitenden Gefühle.
Verzehrende Flammen... was würde ich darum geben, die Zyzzkt in dieses Höllenfeuer stürzen zu können!
Er wußte, daß es beim Wunschdenken bleiben würde. Selbst mit Hilfe der Terraner - und vorausgesetzt, sie
erreichten Orn überhaupt - würde es ein Ding der Unmöglichkeit sein, die Herrschaft der Zyzzkt zu beenden.
Alles, worauf Gisol realistisch betrachtet hoffen konnte, war, daß die Expedition nach Orn die Menschen von
der Notwendigkeit überzeugte, nach ihrer Rückkehr in der Milchstraße eine riesige Armada
zusammenzustellen, mit der sie den Worgun zu Hilfe eilten.
Aber all dies stand in den Sternen.
Mehr denn je.
Kleine Schritte, ermahnte er sich. Du mußt in ganz kleinen Schritten vorangehen. Zunächst müßt ihr die Prüfung bestehen, die dieser Planet für euch bereuhält...
Er wünschte, er hätte mehr Geduld besessen. Mehr Gelassenheit. Aber schon seit dem Aufbruch aus der Milchstraße spürte er, wie sich seine Erwartungen hochschaukelten, gleichgültig wie stark er dagegen ankämpfte. Wenn du wüßtest, kleines Mädchen, wie es wirklich in mir aussieht, wanderten seine Gedanken kurz zu Juanita. Aber ich bin nur stark für dich. Du sollst nicht merken, wie meine Gefühle mich manchmal überwältigen. Es wäre nicht gut für dich. Nicht gut...
Es war nicht das einzige Geheimnis, das er vor ihr verbarg. Es gab noch ein größeres. Er liebte dieses Kind.
In einer Form, wie nur Worgun es vermochten...
Ren Dhark wirbelte herum, als in seiner unmittelbaren Nähe bunte Felder materialisierten.
Hologramme.
Ein jedes knapp handflächengroß und zwei bis drei Zentimeter dick. Die geometrische Form variierte. Es gab
Rechtecke, Trapeze, Kreise, Dreiecke, Oktaeder, Tetraeder...
»Schon gut«, meldete sich Gisol und trat zwischen Dhark und die Projektionen. »Ich bin dafür
verantwortlich. Ich habe die Schaltung gefunden, die sie erzeugt.«
»Worum handelt es sich?« Auch Arc Doorn war aufmerksam geworden und stellte die Frage.
»Wenn ich nicht völlig daneben liege«, antwortete Gisol, »um die gesuchte Steuerung.«
»Eine Steuerung...?« Dhark machte gar nicht erst den Versuch, seinen Unglauben zu verhehlen.
»Die Erbauer dieser Einrichtung waren kreativ«, bestätigte Gisol ungerührt. »Mein Volk war über lange
Zeitalter kreativ.«
»Niemand stellt dies in Abrede«, beruhigte ihn Dhark, weil er plötzlich spürte, an welch seidenem Faden
Gisols vorgespielte Selbstbeherrschung hing. »Kannst du es auch bedienen?«
»Ich werde es versuchen.«
Gisol berührte scheinbar willkürlich eine Reihe von projizierten Flächen mit der Hand. Zunächst sah es aus,
als würde keine Reaktion erfolgen. Dann rief Bram Sass, der zufällig einen der Holoschirme, auf dem das
Außengeschehen wiedergegeben wurde, im Auge behielt: »Sofort aufhören! Nein... nicht aufhören! Sofort
rückgängig machen - was immer Gisol ausgelöst hat!«
Er zeigte auf die Szene, die auf dem Holoschirm erschien. Die POINT OF unter der Hand des Goldenen. Der
das Schiff plötzlich nicht mehr nur festhielt, sondern den Ringraumer in den Boden zu drücken begann!
»Kannst du es rückgängig machen? Dann tu es!«
Ren Dhark spürte einen Anflug von Panik, während er den Zuruf des Cyborgs auffing und mit eindringlichen
Worten an die Adresse des Worgun wiederholte.
Gisol zögerte keine Sekunde. Offenbar hatte er nicht willkürlich getestet, zumindest aber die Abfolge der
Feldberührungen noch perfekt in seinem Gedächtnis gespeichert.
Nun kehrte er sie um, wenn Dharks eigene Erinnerung nicht trog.
Sofort meldete Sass: »Okay. Die Hand geht wieder nach oben -aber nur soweit, daß sie die POINT OF nach
wie vor festklemmt.«
»Gisol?« Fragend blickte Dhark den Mann aus der zehn Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernten
Galaxis an.
»Es ist nicht ohne Risiko - ich kann einen weiteren Versuch starten, aber dieses Instrumentarium ist selbst
mir weitestgehend fremd... nicht bei den Worgun gebräuchlich. Nicht mehr...«
»Darf ich mal ran?«
Aus dem Hintergrund näherte sich Arc Doorn. »Ich habe zugesehen und glaube den Mechanismus
durchschaut zu haben. Jede Berührung löste auch eine Reaktion auf dem holographischen Diagramm aus.«
Er wies auf die Stelle in der Rundumprojektion, die er meinte. »Das sich daraus ergebende Muster macht
Sinn. Es steht in direkter Relation zu der schematischen Darstellung der Statue-dort...«
Wieder folgten ihm alle Blicke.
Und während Dhark und Sass noch skeptisch wirkten, trat Gisol unvermittelt beiseite, um seine
Bereitwilligkeit auszudrücken, den
Menschen Doorn probieren zu lassen, was ihm, dem Worgun, zumindest auf Anhieb nicht gelungen war: die
Befreiung der POINT OF.
Das Veto kam schließlich von anderer Seite - noch bevor Doorn das erste in der Luft schwebende Lichtfeld
berühren konnte.
»Ich rate davon ab. Wirklich!«
Alle Augen richteten sich auf Artus, der mit hocherhobenem Zeigefinger dastand und wie die Karikatur eines
altmodischen Schulmeisters wirkte.
»Ich empfange neue Signale, und ich verstehe sie als eindringliche Warnung, es nicht einmal zu versuchen,
die Sperre, die unser Schiff festhält, zu beseitigen...«
Artus hatte schon zweimal richtiggelegen mit seinen Behauptungen; niemand wollte darauf bauen, daß er
sich ausgerechnet beim drittenmal täuschte.
»Diese Signale«, wandte sich Dhark an ihn. »Kannst du uns etwas über den Absender sagen? Stehst du
soweit in Kontakt mit ihm, daß du seine Natur durchschaust?«
Artus bejahte. »Es handelt sich eindeutig um einen anderen Rechner - er gehört zu dieser Anlage.«
»Bist du sicher?«
»Absolut.«
»Ist er identisch mit... diesem Gellecht, das wir hier sehen und von dem Gisol meint, es handele sich um
einen Computer unbekannter Bauweise?« Dhark zeigte auf das freischwebende Knäuel aus golden
schimmernden Drähten.
Golden.
Allmählich entwickelte er eine erschreckende Aversion gegen diese Farbe, auf deren Namen Amy den
ganzen Planeten getauft hatte.
»Ich kann seinen Standort nicht eruieren.«
Dhark beließ es dabei, wandte sich statt dessen der umlaufenden Holoprojektion zu und begann sie schärfer
als bisher in Augenschein zu nehmen.
Er war kein Techniker wie Doorn, aber er besaß Mentcap-Wis-sen, über das nur wenige verfügten - und
schon nach kurzer Zeit glaubte er, gewisse Muster zu durchschauen und Hinweise darauf zu finden, daß es
von hier aus Verbindungen gab, die bis tief in die Planetenrinde reichten.
Hatte nicht Gisol vorhin in Zusammenhang mit dem schwebenden Computer von einer Vernetzung bis ins
Innere des Planeten gesprochen?
Spontan streckte Dhark die Hand aus, um mit dem Finger dem Verlauf einer besonders auffälligen
Schemadarstellung zu folgen.
Seine Hand tauchte in die Projektion ein, stieß auf keinerlei Widerstand.
Daß sie verschwand, bemerkten nur die Umstehenden, nicht Dhark selbst.
Aus dem einfachen Grund, weil er mit ihr verschwunden war...
»Auch das noch!« Auf Arc Doorns Stirn schwoll eine Zomesa-der - Ausdruck hilfloser Wut auf sich selbst
und auf Ren Dhark. Der wieder einmal zuviel riskiert und dafür die Quittung erhalten hatte. Sie alle hatten es
auszubaden, denn wenn er verschwunden blieb...
Nicht auszudenken.
»Wo ist er hin?«
Es war ausgerechnet Artus, der die Frage stellte, von der er selbst wissen mußte, daß niemand der
Anwesenden sie ihm beantworten konnte. Eine aufgeregte Suche nach dem Commander begann. Die
Hoffnung, es könnte ihn lediglich in einen anderen Winkel der Zentrale verschlagen haben, sorgte anfangs
dafür, daß die Besorgnis nicht in gegenseitige Vorhaltungen umschlug.
Als Dhark verschwunden blieb, untersuchte Gisol das Hologramm, an dem sich der Commander vor seinem
Verschwinden zu schaffen gemacht hatte. »Seltsam...« die Lippen des Worgun kräuselten sich »... so etwas
ist mir noch nie begegnet.«
Wie die Goldenen, die Roboter waren.
Wie der Schild, der sich flammend um den ganzen Planeten spannte.
Wie...
Er spürte, wie sich Niedergeschlagenheit unter den anderen Mitgliedern des Unternehmens breit machte.
Furcht und Ratlosigkeit.
Gisol vertiefte sich noch stärker in das Hologramm, glaubte ein Signal zu bemerken, das die schematisierte
Darstellung des Statuenkopfes mit einer Stelle tief im Untergrund des Planeten verknüpfte...
Mehr fand er jedoch selbst bei stärkstem Bemühen nicht heraus.
Die Minuten verstrichen. Eine Art Lähmung hatte die Menschen befallen. Selbst ein Geschöpf wie Artus,
immerhin ein Roboter, schien davon nicht völlig ausgenommen zu bleiben.
»Was sollen wir tun?«, fragte Doorn. »Was können wir tun?«
Niemand antwortete. Bis Artus das Schweigen brach. »Ich habe versucht, Kontakt zu den Flash
aufzunehmen. Aber das Dämmfeld, das schon Gisols Blaster funktionsuntüchtig machte, wirkt sich offenbar
auch auf Kommunikationsversuche aus. Zumindest auf solche, die nach draußen gerichtet sind. Denn
erstaunlicherweise empfange ich ja permanent Impulse.«
»Vom hiesigen Fremdrechner«, sagte Doorn.
»Exakt.«
Ein fatalistischer Zug trat in die Augen des sibirischen Kraftpakets. »Was würde wohl geschehen, wenn wir
dieses Knäuel zerstörten?« Er zeigte auf das schwebende Gebilde, von dem sie mittlerweile alle annahmen,
daß es sich um den Computer handelte, der den Goldenen steuerte.
Gisol trat einen Schritt auf ihn zu. Zum erstenmal seit Betreten des Sockels flackerte auch in seinem Blick
eine kreatürliche
Angst, die fast an Hysterie grenzte.
»Das würde niemand überleben.«
Die Art, wie er »niemand« betonte, bezog offenkundig die POINT OF mit ein.
»Wer garantiert uns, daß wir es überleben, wenn wir das Ding nicht kurz und klein schlagen?« erwiderte
Doorn in angriffslustigem Ton.
Den plötzlichen Luftzug spürte er so intensiv wie jeder andere, Artus ausgenommen.
Unmittelbar vor dem Wust aus goldenen Drähten, etwas abseits des Zentrums der Steuerzentrale, stand Ren
Dhark in leicht gebeugter Haltung.
Stand da und schaute drein, als sei er gerade einem Zyzzkt begegnet. »Commander... dem Himmel sei
Dank!«
Ren Dhark hatte noch nie gesehen, daß sich Arc Doorn bekreuzigte - in diesem Moment, in dieser
unwirklichen Situation jedoch tat er es.
»Es tut mir leid, wenn ich für Aufregung gesorgt habe«, sagte Dhark. »Aber es kam auch für mich
überraschend.« Er machte einen Schritt nach vom, zögerlich, tastend, als mißtraue er der Festigkeit des
Bodens unter seinen Füßen.
»Wo warst du?« Gisol nickte ihm zu. »Die ganze Zeit hier und unsichtbar, oder...?«
»Oder«, antwortete Dhark launig. Seine Frisur war zerzaust, als ob er sich die Haare gerauft hätte - immer
und immer wieder.
»Sir...« Bram Sass trat neben ihn. Katzenhaft geschmeidig. Alarmiert wie jeder andere. Darüber hinaus aber
auch fest entschlossen, es nicht zu einer Wiederholung des Verschwindens kommen zu lassen - koste es, was
es wolle.
»Ich bin da auf etwas gestoßen...«
»Wo?« Doorn platzte fast vor Neugier. Die Erleichterung, wieder mit Dhark vereint zu sein, putschte ihn
förmlich auf, reaktivierte verschüttete Kraft und Motivation.
»Ich nehme an, es handelt sich um eine tief unter der Erde gelegene Anlage - jedenfalls gab es keine Fenster
oder Vergleichbares. Außerdem spricht dafür, womit ich mich gerade beschäftigte, als es mich... fortzog...«
Fortzog.
Welch verharmlosende Umschreibung für das, was geschehen war.
»Eine unterirdische Anlage - abseits des Goldenen... vielleicht unter seinem Sockel gelegen? Die Fortsetzung
des Sockels nach unten?«
Gisols Bemerkungen waren weniger ein Dialog mit den anderen als eine Zwiesprache mit sich selbst.
Dhark hatte seine Souveränität wiedererlangt. Unmittelbar nach der Rückkehr hatte er leicht benommen
gewirkt, eben unter dem Eindruck des Erlebten stehend.
Das war abgeklungen. .
Er sagte: »Sehen wir uns das umlaufende Hologramm genauer an - alle gemeinsam. Und niemand berührt
irgend etwas.«
»Haben Sie etwas berührt, Sir?«
Dhark beantwortete die von Bram Sass gestellte Frage mit einem schuldbewußten, fast lausbübischen
Grinsen.
»Ich war nie ein Musterschüler«, sagte er.
Gisol hinterfragte die Bedeutung des Wortes nicht. Er drängte darauf, fast mehr noch als Dhark, das
Hologramm zu untersuchen.
»Offenbar ist es an bestimmten Stellen mit einem Transmitterfeld gekoppelt - aber einem, das anders arbeitet
als das, von dem wir aus dem Sockel hierher verfrachtet wurden. Diese eindringliche Lichterscheinung
fehlte...«
»Licht hin. Licht her - es funktioniert jedenfalls tadellos und absolut schmerzfrei. Ich habe es unfreiwillig
getestet. Es unterscheidet sich ein wenig vom Gang durch eine Ringantenne, es ist...
sanfter. Man hat das Gefühl, eine winzige Zeitspanne vergehen zu fühlen. Also kein absoluter
Nullzeittransfer - zumindest dem Gefühl nach nicht.«
»Wie sieht die Anlage aus, in der du herausgekommen bist?«, fragte Gisol, ohne die Untersuchung des
Holos zu unterbrechen.
»Erklärungen hinken - man muß es gesehen haben.«
»Dann werden wir es vielleicht nie erfahren...«
Dhark schwieg. Auf eine Weise, die zumindest Arc Doorn und Bram Sass veranlaßte, sich ihre ganz eigenen
Gedanken zu machen. Gedanken, die sich bald darauf bestätigen sollten.
Die Untersuchung des Hologramms ergab keinen Hinweis auf eine Transferverbindung zu einem anderen
Punkt als dem, den Ren Dhark zufällig angewählt hatte.
Durch Berührung eines ganz bestimmten, durch das Hologramm hindurchfließenden Datenstroms.
»Ich habe nichts anderes erwartet, wollte aber die Bestätigung«, sagte Dhark. »Stimmen wir ab: Wer möchte
hier oben versauern -und wer möchte mich dorthin begleiten, von wo ich gerade komme...?«
Die Antworten fielen einhellig aus. Selbst Artus' Votum wurde zur Kenntnis genommen.
»Stellt euch neben mich und streckt eure Hände in den Bereich des Hologramms, den ich schon einmal
berührt habe...«
Er machte es vor.
Und verschwand. Im Sekundentakt folgten ihm die anderen.
Den Abschluß bildete Gisol.
Zuvor sah er sich noch einmal in der Steuerzentrale des Goldenen um, ließ seinen Blick für ein paar
Herzschläge auf dem leuchtenden Knäuel verharren, das aber keine merkliche Reaktion zeigte.
Dann berührte auch er den Signalfluß, der den Molekularverbund seines Körpers auflöste, in eine Ungewisse
Tiefe trug - und dort, so hoffte Gisol zumindest, wieder fehlerfrei zusammenfügte...
7. »... ALARMSTART! ALARMSTART!«
Lautstarke Audiowarnungen pulsierten durch die Korridore und Räume der CHARR. Die normale Helligkeit
der Innenbeleuchtung in dem Fünfhundertmeterriesen nogkscher Fertigung war vom Taktiksuprasensor
heruntergefahren worden, um die visuelle Erkennung der Instrumente und Tastenfelder mit ihrer
Eigenbeleuch-tung zu erleichtem, während der eiförmige, golden schimmernde Druckkörper der CHARR das
Geret-System mit hoher Fahrt hinter sich ließ.
Lee Prewitt, leicht nach vom gebeugt im Konturensessel sitzend, ganz angespannte Konzentration, ließ den
Blick von einer Anzeige zur anderen und dann wieder zu den Darstellungen auf der Allsichtsphäre
schweifen, um sich ein Urteil über ihre Lage zu verschaffen. Sein Gesicht wirkte ungerührt, als gäbe es
nichts in diesem Universum, was ihn erschüttern könnte - dennoch fühlte er sich ziemlich unbehaglich. Ein
mulmiges Gefühl, das den Ersten Offizier der CHARR und Huxleys Stellvertreter beherrschte, seit sie
überstürzt und mit fliegenden Pulsen aus dem Nogk-Archiv, dem Kraat-kal-meeg, geflohen waren. Gerade
noch rechtzeitig, ehe sich die Herberge des Wissens, wie Kraat-kal-meeg ins Anglo-ter übersetzt lautete,
durch einen automatisch in Gang gesetzten Selbstzerstörungsmechanismus in ihre atomaren Bestandteile auf
gelöst hatte, und mit ihr ein schier unersetzliches Wissen unwiederbringlich verloren gegangen war.
Immerhin, dachte der I. 0. jetzt in einem Anflug von leichtem Fatalismus, sind wir noch zur rechten Zeit in
den Raum gekommen.
In der Tat hatte das atomare Inferno auf der Oberfläche von Ge-ret III die CHARR nur marginal tangiert.
Was von den Ausläufern der Druckwelle doch durchkam, war von den Schutzschirmen mühelos abgefangen
worden.
Prewitts forschender Blick kehrte zur abgeschrägten, bogenförmigen Konsole des Leitstandes zurück; mit
ihrem Kaleidoskop von Lichtern, Instrumenten und Datenterminals, Anzeigen und Monitoren bot sie einen
sinnverwirrenden Anblick für jeden, der zum erstenmal die Hauptzentrale des Ellipsenraumers betrat.
Trotz der terranischen Besatzung war die CHARR ein durch und durch nogksches Erzeugnis. Und doch, das
ehemalige Schlachtschiff der Nogk-Streitmacht wich in seinem Inneren von seinen baugleichen Pendants ab,
den 500 Meter hoch aufragenden Ellip-senraumern, die das Rückgrat der Hauptflotte der Nogk bildeten. Sie
war zwar, ehe sie vom Rat der Fünfhundert an Frederic Huxley als äußeres Zeichen der Anerkennung für
seine Dienste um das Volk der Hybridwesen in Form einer feierlichen Schenkung übergeben wurde, auf
menschliche Bedürfnisse hin verändert worden, trotzdem herrschte noch überall die nogksche Symbolik vor.
Dank der im Sonnenhangar der CHARR periodisch durchgeführten Mentalschulungen hatten Huxley und
seine Besatzung jedoch keine Mühe mit deren Interpretation. Ja, man konnte fast schon behaupten, daß sich
die Mannschaft der CHARR inzwischen zu Nogk-Ex-perten gemausert hatte.
Zu Prewitts Linken saß Frederic Huxley vor seiner Kommandantenkonsole. Dahinter, am anderen Ende des
bogenförmigen Leitstandes, ließ Ortungsoffizier Perry seine Systeme nicht aus den Augen. John Butrovich
assistierte ihm. Der Funktechniker der CHARR hatte bereits zur Mannschaft gehört, als der grauhaarige,
hagere Colonel noch ausschließlich die FO-1 befehligte...
Die CHARR beschleunigte mit hohen Werten. Mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit jagte sie im
steilen Winkel aus der Ekliptik des Planetensystems der Sonne Geret in den freien Weltraum.
Es war nicht die Selbstzerstörung des Archivs, die die Mannschaft aus Terranern, diesmal verstärkt durch
zehn kobaltblaue Nogk und dreißig Meegs, bewogen hatte, Hals über Kopf das System zu verlassen und eine
Nottransition einzuleiten.
Der wahre Grund lag darin, daß die Sonne Geret zeitgleich mit der atomaren Vernichtung des Kraat-kal
meeg alle Merkmale einer unmittelbar bevorstehenden Verwandlung in eine Supernova zeigte.
Und wenn das geschah, wollte Huxley sich auf gar keinen Fall mit der CHARR in der Nähe aufhalten.
Lee Prewitt war ihm dankbar dafür. Zwar hatte der I. 0. großes Vertrauen in die Fähigkeiten des
Fünfhundertmeterriesen, aber daß ein Raumschiff, mochte es noch so ein Wunderwerk der Ingeni-eurskunst
sein, den Ausbruch einer Supernova in unmittelbarer Nachbarschaft, sozusagen in ihrem Hinterhof,
überstanden hätte, davon hatte er noch nie gehört.
Die CHARR hätte bereits unmittelbar zwischen den Planeten die Sprungetappe einleiten und in Transition
gehen können, aber Frederic Huxley schien sich aus einem ganz bestimmten Grund dazu entschlossen zu
haben, die Transition weiter nach draußen zu verlegen.
Der 1.0. warf einen schnellen Blick auf den Kommandanten; er forschte nach der gleichen Anspannung, wie
er sie verspürte. Doch Lee Prewitt hatte Pech. Die hageren, ledernen Züge Frederic Huxleys verrieten nichts
von dem, was den hochqualifizierten Raumschiffer bewegte.
Jetzt sagte Huxley, und seine Stimme klang aufreizend ruhig:
»Mister Perry!«
Der Kopf des Dritten Offiziers und Ortungsspezialisten wandte sich ihm zu.
»Sir?«
»Alles klar mit den Sonden?«
»Positiv, Kommandant.«
»Gut. Starten Sie die Operation.«
Perry tastete einen Schalter.
»Sondenausstoß aktiviert.«
»Raus mit ihnen!« nickte Huxley.
Ein Schwärm winziger Robotsonden, jede einzelne autark und
vollgestopft mit Nanotechnologie, verließ die Abschußköcher in der Außenhülle der CHARR und jagte zurück ins Geret-System. Sie sollten die Aktivitäten der zur Supernova mutierenden Sonne an die außerhalb der Gefahrenzone wartende CHARR übermitteln, damit die Astrometrie eine Datenauswertung in die Wege leiten konnte. Huxley verfolgte den Flug der Fernerkunder einen Augenblick auf der segmentierten Allsichtsphäre, auf dem eine Dreihundert-sechziggraddarstellung des Geret-Systems zu sehen war, dann wandte er sich an seinen Ersten Offizier. Er nickte scharf. »Jetzt, I. 0.! Jetzt dürfen Sie!« Na endlich! dachte Lee Prewitt und leitete die Sprungetappe ein. Hab mich schon gefragt, wie lange der Chef noch warten will! Seine Finger glitten über die Bedienfelder der Konsole... Die Transition der CHARR verlief absolut unspektakulär. Unter der Schaltung Prewitts tauchte sie in das übergeordnete Kontinuum des Hyperraums... ... und erschien einen praktisch nicht meßbaren Augenblick später wieder weit, sehr weit von ihrem Eintauchpunkt entfernt im Normaluniversum. Zwischen den Koordinaten der Entstofflichung und der Rematerialisation lag ein halber Lichttag. Es war für Lee Prewitt nach wie vor ein über alle Maßen erstaunlicher Prozeß. Obwohl er auf der CHARR und im Leitstand der in einem Hangar des Ellipsenraumers verankerten FO-1 sozusagen nur noch von nogkscher Technik umgeben war, glich der Vorgang der höherdimensionalen Fortbewegung der nogkschen Ovoide für ihn - wie auch für die anderen Männer und Frauen der Besatzung, dessen war er sich sicher einem technischen Wunder, das er noch nicht ganz verinnerlicht hatte. Transitionen nogkscher Raumschiffe erfolgten sozusagen aus dem Stand. Mußten terrani-sche Schiffe noch knapp auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, um die Sprungetappe einleiten zu können, erzeugten die Hochleistungsgeneratoren der Ellipsenraumer eine Antisphäre um die Schiffshülle, die in einem nicht mit normalen Methoden meß baren Zeitrahmen als Fremdkörper aus dem Normaluniversum ausgestoßen wurde - mit allem, was sich innerhalb dieser Sphäre befand - in den Hyperraum eintauchte und innerhalb eines Myons - der Zeitspanne, die zur erneuten Umpolung der Antisphäre nötig war - wieder im Einsteinkontinuum und am vorberechneten Ziel erschien. Als die Sterne wieder auf den Schirmen zu sehen waren, war eine Veränderung der Konstellationen mit bloßem Auge nicht feststellbar. Geret war unter den Myriaden von Sonnen lediglich ein weiterer Lichtpunkt. Unter dem Einfluß des Navigationscomputers verringerte sich die Geschwindigkeit der CHARR innerhalb kürzester Zeit auf Null. In der Tiefe der Antriebssektion, Chief Erkinssons Heiligtum, wurden die Aggregate auf Bereitschaft heruntergefahren, was den Konverterbänken Gelegenheit gab, sich zu regenerieren. Scheinbar antriebslos schwebte die CHARR im Raum. Was nicht ganz zutreffend war. In Wirklichkeit griff der Hauptrechner ständig mit winzigen Korrekturen ein, wann immer die Gezeitenkräfte ferner Sonnen oder winziger Schwarzer Löcher an der goldenen Hülle des Schiffes zerrten und es von seiner Position abzudriften drohte. Frederic Huxley studierte die Allsichtsphäre und die in sie hin-einprojizierten Datensätze. Suprasensorische Signale wisperten aus den Tonphasen, während die Scanner den umgebenden Raum durchforsteten und die Zentrale fortwährend mit Daten und Informationen versorgten... Schließlich fuhr Huxley seinen Gliedersessel etwas in den Schienen zurück und stemmte den rechten Fuß auf die Raste. »Statusbericht, I. 0.!« »Alle Systeme okay, Skipper«, meldete der Erste Offizier. Lee Prewitt war vermutlich der Einzige an Bord der CHARR, der den Kommandanten hin und wieder Skipper nannte - und es auch durfte. »Ausgezeichnet«, nickte Huxley. »Mr. Perry? Irgendwelche An zeichen in der näheren Umgebung, worüber wir uns Sorgen machen müßten?« »Negativ, Sir. Nichts weit und breit, Kapitän. Wir sind sozusagen allein im Revier.« »Ausgezeichnet«, brachte der hagere, grauhaarige Mann seine Genugtuung zum Ausdruck. Seine Hand schloß einen Kontakt. »Astrometrie hier. Colonel?« Der Erste Bordastronom der CHARR blickte von einem Monitor der Kommandantenkonsole. Wie viele an Bord der CHARR, so hatte auch Professor Allister Bannard bereits Dienst auf der FO-1 getan - war schon dort Leiter der Astroabteilung gewesen. Ein integrer Wissenschaftler und Astronom mit einem immensen Wissen über Sterne. »Mr. Bannard«, wollte Frederic Huxley wissen, »schon etwas Konkretes über die Sonne?« »Teils, teils, Sir!« zögerte der Professor. »Wir bekommen zwar gerade die ersten Daten der Sonden über Hyperfunk herein. Aber die Meßergebnisse in Bezug auf das Zentralgestirn des Geret-Sy-stems werden immer widersprüchlicher.« »Werden Sie konkret, Mister Bannard!«
»Wenn ich das könnte...« gab der Wissenschaftler unumwunden zur Antwort. Über seiner Nasenwurzel
bildete sich eine Unmutsfalte, während er das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und es
grübelnd massierte.
»Erzählen Sie mir doch nichts, Allister«, Huxley versuchte, die Skepsis in seiner Stimme abzumildern, aber
es gelang ihm nicht ganz. »Sie werden doch irgendeine Erklärung parat haben, oder?«
»Wenn, dann nur eine sehr unwissenschaftliche«, gestand der Professor.
»Lassen Sie hören! Ich bin dankbar für alles.«
Bannard schwieg zunächst. Schließlich meinte er zögerlich: »Was mich über alle Maßen irritiert, ist die Tatsache, daß sich nach dem ersten Ansteigen der Amplituden Helligkeit und Größenausdehnung des Sterns wider Erwarten verringert haben - was an sich bei einer beginnenden Supernova schon unmöglich ist -nur um wenig später erneut um wenigstens zwei Klassen zuzunehmen.« Er warf die Arme in einem plötzlichen Ausbruch von Fatalismus in die Höhe, ehe er fortfuhr: »Es ist fast so, als knipse jemand ein Licht in unregelmäßigen Intervallen an und aus. Aber das ist...« Unmöglich, wollte er sagen, kam aber nicht mehr dazu, seinen Satz zu vollenden. Ein Alarm ertönte. Er kam aus der Astrometrie selbst! Huxleys Brauen wölbten sich fragend. »Was geht da vor bei Ihnen, Professor?« wollte er wissen. »Höchstwahrscheinlich steht die Explosion unmittelbar bevor, Sir«, meldete sich eine andere, aufgeregt klingende Stimme. Auf Huxleys Konsole war kurz das Gesicht des Wissenschaftlers Bemard neben dem des Professors zu sehen. »Sie irren sich nicht?« »Die Muster sind eindeutig«, bekannte der Astrophysiker der FO-1. »Ich... o Himmel!« Bernard verschwand vom Schirm. Huxleys Stirn furchte sich. »Was geht da vor bei Ihnen, Alli-ster?« »Augenblick, Colonel.« Plötzlich wurde leises Gemurmel vernehmlich. Allister Bannard richtete mit gedämpfter Stimme Fragen an einen seiner Astronomen außerhalb des Erfassungsbereichs der Vipho-Optik, dann wandte er sich wieder an den Colonel und sagte: »Gerade wurde das Licht...« »Sagen Sie ja nicht, es wurde wieder ausgeknipst!« Huxleys Miene sprach Bände. »Nein, Colonel, nur... nur gedimmt...« Professor Bannard brachte ein verunglücktes Lachen zustande. »Ehrlich. Ich habe noch nie dergleichen beobachtet, und ich kann mit Fug und Recht von mir behaupten, so ziemlich jede Sternanomalie zu kennen.« Huxley machte eine Handbewegung, doch der Wissenschaftler fuhr unbeirrt fort: »Ich weiß, wie das für Sie klingt, aber ich kann nichts dafür. Schlagen Sie nicht den Boten...« »Früher wurden die Überbringer schlechter Nachrichten vom Leben zum Tode befördert«, warf Prewitt ungerührt ein. »Nun, wir wollen hier doch keinen Rückfall in die zivilisatori-sche Steinzeit praktizieren, Mister Prewitt«, mahnte Huxley an, und ein winziges Lächeln nistete in seinen Mundwinkeln. »Obwohl diese Methode sicherlich auch etwas für sich hatte...« »Aber Sir! Colonel!« Der Professor erschrak sichtlich. »Mir geht's schon mies genug.« Frederic Huxley zog überlegend die Stirn in Falten. »Wann werden Sie wissen, wie sich die launische Diva entschieden hat, Professor?« Allister Bannard hob die Hände und kehrte die Innenflächen nach außen. »Das steht in den Sternen«, bekannte er. »Womit er irgendwie recht hat«, murmelte Perry an seiner Konsole, was ihm einen verweisenden Blick des Colonels einbrachte, der abschließend an die Adresse aller in der Hauptzentrale sagte: »Üben wir uns also ein wenig in Geduld, meine Herren...« Er konnte das unbedenklich tun, ohne die Titulierung »und Damen« hinzuzufügen, da sich im Augenblick kein weibliches Besatzungsmitglied auf der Brücke aufhielt, auch nicht Sybilla Bontempi, die Anthropologin und Fremdvölkerexpertin der CHARR. Die Geduld, die Colonel Huxley seinen Leuten abverlangte, wurde für Lee Prewitts Begriffe auf eine sehr harte Probe gestellt. Tantal kam in die Zentrale und nahm seinen üblichen Platz im Leitstand ein. Captain Bontempi schaute dann doch kurz mal vorbei - und zog sich wieder in ihre Arbeitsräume zurück, als sie die angespannte Stimmung mitbekam, die in der Zentrale vorherrschte. Lee Prewitt hatte seinen Sitz dem Zweiten Piloten Henroy überlassen und lief im hinteren Teil der Hauptzentrale hin und her, einen Thermobecher mit Kaffee in den Fingern. Für Stunden hatten die Fernerkunder nur verwirrende Daten über die widersprüchlichen Spektrallinien Gerets an die Warteposition der CHARR übermittelt. Langsam machte sich eine Stimmung der Frustration breit. Dann zeigte sich ein verwirrter Professor Bannard auf Huxleys Schirm. »Tut mir leid, Colonel«, bekannte er, »doch Geret ist wieder völlig normal.« Frederic Huxley schüttelte verwundert den Kopf. »Aber das ist...«, begann er, nur um von dem
Wissenschaftler unterbrochen zu werden.
»Ich weiß, Sir. So etwas ist physikalisch unmöglich. Dennoch geschieht es. Warum und wie? Das entzieht
sich meiner Kenntnis und der der gesamten wissenschaftlichen Abteilung hier an Bord -vorerst zumindest.«
Huxleys graue Augen wurden schmal.
Seiner Miene sah man an, daß ihn etwas bewegte, daß etwas in ihm arbeitete. Aufblickend bemerkte er, daß
Professor Bannard noch immer auf dem Schirm war und auf eine Entscheidung von ihm wartete. [ »Danke, Allister«, sagte er und nickte. »Das war's für den Augenblick. Sie informieren mich, sobald wieder
eine Änderung erfolgt?«
»Umgehend, Sir.«
Der Schirm wurde dunkel.
Huxley schloß kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, war sein Gesichtsausdruck völlig beherrscht.
Er wandte sich an Lee Prewitt, der seine Wanderung aufgegeben und hinter dem Colonel Aufstellung
genommen hatte, als Professor Bannard seine Erklärung abgab.
»I. 0.! Setzen Sie Kurs auf das Geret-System.«
»Sir?«
»Sie haben richtig gehört, Mister Prewitt. Wir kehren zurück. Ich will wissen, was dort abläuft!«
»Aye, Skipper.«
Henroy räumte auf ein Zeichen Prewitts den Pilotensitz und zog sich auf seinen Platz zurück. Von dem aus
konnte er jederzeit eingreifen, falls es nötig sein sollte.
Minuten später verschwand die CHARR im Hyperraum...
Der Commander der Planeten, der Mysterious/Worgun Gisol, der Cyborg Bram Sass, der Allroundtechniker
Arc Doorn und der lebendige Roboter Artus fanden sich in einer überdimensionalen unterirdischen Anlage
wieder.
Ren Dhark kam unwillkürlich der neunhundert Quadratkilometer große Industriedom auf dem Inselkontinent
Deluge in den Sinn. Er erinnerte sich noch gut an die Entdeckung jenes fünfhundert Meter hohen
Höhlenkomplexes und an die Faszination, die damals alle Anwesenden befallen hatte. Immer wieder hatten
sie in die scheinbar endlosen Straßenschluchten hineingestarrt oder empor zur fernen Decke. Der Anblick
mächtiger Wolkenkratzeraggregate hatte bei manch einem Beklemmungen und Erschütterung ausgelöst. Die
Menschen waren sich dort wie Ameisen vorgekommen.
Hier und jetzt genügte dieser Größenvergleich aus dem Tierreich nicht mehr. Dhark und seine Begleiter
waren kaum mehr als ein winziger Teil von Fliegenkot, denn gegen die Anlage, in der sie sich gerade
aufhielten, nahm sich der Industriedom wie eine Miniatur aus. Die hiesigen Straßenschluchten waren nicht
endlos -sondern nahezu unendlich. Und zur Hallendecke emporzustarren war für Normalsterbliche überhaupt
nicht möglich, weil man dafür die Decke hätte sehen müssen. Nur wenn Dhark und Doorn lange und intensiv
genug hinblickten, konnten sie sehr weit oben verschwommen so etwas wie eine Überdachung erkennen,
besser gesagt: erahnen.
Hunderte (oder sogar Tausende?) von Aggregaten, so breit und hoch, daß sich Beschreibungen wie
»gewaltig« und »riesig« eher verniedlichend angehört hätten, fuhren auf Vollast. Umgeben waren sie von
immens dicken Schallschutzwänden, ansonsten hätte der höllische Lärm zur völligen Taubheit bei den
Menschen geführt.
»Zweifelsohne die Energieerzeugungszentrale des Planeten«, stellte Are nach einer ersten
Inaugenscheinnahme und einer kurzen Fachberatung mit Gisol fest.
Gemeinsam mit dem Worgun machte er sich daran herauszufinden, nach welcher Systematik die Anlage
einst aufgebaut worden war. Dazu waren einige Berechnungen notwendig.
»Die Steuerungszentrale müßte sich in der Mitte des Komplexes befinden«, sagte Doorn schließlich - mehr
zu sich selbst, als zu den anderen.
»Sicher?« fragte ihn der Commander skeptisch.
»Nein«, lautete Ares gewohnt knappe Antwort.
»Exaktere Ergebnisse können wir erst nach einer intensiveren Begehung liefern«, erklärte Gisol. »Aber auf
den ersten Anschein stimme ich Doorn zu. Leider wissen wir nicht, wie weit es bis zur Mitte ist, weil wir
noch nicht ermitteln konnten, an welchem Punkt der Anlage wir uns befinden. Wegweiser gibt es hier nicht,
wir müssen uns daher anderweitig orientieren.«
Dhark fühlte sich unwillkürlich an seine letzte, schon sehr lange zurückliegende Bergwaldwanderung
erinnert - und an die elektronischen Wegweiser, die vom Tourismuszentrum an jeder größeren Kreuzung
eingerichtet worden waren. Eine leichte Berührung genügte, und auf einer übersichtlichen, durch
unzerbrechliches Glas geschützten Landkarte blinkte ein Licht auf. Und über dem Licht erschien der digitale
Schriftzug: Sie befinden sich hier. Um an sein Ziel zu gelangen, mußte man lediglich einen weiteren Sen
sorschalter betätigen. Dem Wanderer standen dann mehrere Routen als Auswahl zur Verfügung.
Heutzutage hatte der Commander für derlei Vergnügungen keine Zeit mehr. Wenn er einen Wald
durchquerte, dann geschah dies meist in höchster Eile, beispielsweise während einer wichtigen Mission auf irgendeinem fremden Planeten. Mal war er auf der Suche nach außerirdischen Relikten, mal waren ihm bewaffnete Verfolger dicht auf den Fersen... von Vergnügen konnte dabei kaum die Rede sein. Arc Doorn ging langsam weiter, Gisol neben ihm her. Beide konzentrierten sich auf die Begutachtung des Umfelds sowie ihre Messungen und Berechnungen. Sass und Dhark folgten ihnen vertrauensvoll und stellten dabei eigene Beobachtungen an. Artus sonderte sich von der Gruppe ab, er ging lieber allein auf Erkundungstour. Um die anderen nicht zu verlieren, prägte er sich alle Wege und Abzweigungen genau ein.
Meine vier Begleiter waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie mein Verschwinden überhaupt nicht registrierten. Ich wollte ein bißchen allein sein, in der Gruppe konnte ich nicht frei denken. Auch mir war natürlich daran gelegen, die Zentrale dieser mächtigen Anlage zu finden. Dort gab es sicherlich einen Rechner, der uns nähere Auskünfte über den künstlich hierher gebrachten Planeten geben konnte. Möglicherweise ließ sich von der Zentrale aus die flammende Energiewand deaktivieren, die uns von unseren Raumschiff s verbänden im All trennte. Ich schaltete meine Sensoren auf Empfang und versuchte, irgendein Signal anzupeilen, an dem ich mich eventuell orientieren konnte. Es gelang mir, ein paar eintönige Funksignale auszumachen, die aber nur sehr schwach ausgeprägt waren. Irgendwo verständigte sich irgendwer mit irgendwem - wobei fortwährend dieselben Signallaute verwendet wurden. Das ganze war vergleichbar mit einer Ansammlung von Menschen, die alle miteinander redeten, insgesamt aber nur sechs, sieben Wörter beherrschten. Die Signale kamen von oben. Ich stellte meine Optik schärfer ein und suchte alles über mir gründlich ab. Am unteren Teil der weit entfernten Überdachung entdeckte ich eine Vielzahl schwarzer Flecke. Nach einer weiteren Schärfeeinstellung nahmen die Flecke Konturen an. Sie sahen aus wie Schwalben, die mit ausgebreiteten Flügeln unter der Decke klebten. Plötzlich lösten sich mehrere von ihnen und ließen sich in die Tiefe gleiten. Mit eleganten Bewegungen segelten sie durch die Lüfte, teilten sich in zwei Gruppen auf. Die kleinere Gruppe hatte es offensichtlich auf mich abgesehen. Vier der S chw albenähnlichen hielten direkt auf mich zu. Je näher sie kamen, um so größer erschienen sie mir. Schon bald sahen sie nicht mehr wie Vögel aus, sondern wie fliegende schwarze Rochen. Obwohl sie bereits dicht über mir schwebten, rührte ich mich nicht. Bisher gab es noch keinen Grund zur Gegenwehr. Das änderte sich schlagartig. Eins der Rochenwesen flog von vorn auf mich zu und breitete dabei weit die Segelflügel aus. Dicht vor mir änderte es seine Flugrichtung und bog abrupt nach links ab. An der Unterseite der Flügel befanden sich mehrere nebenein-anderliegende Saugnäpfe. Daß die Saugnäpfe noch eine weitere Funktion hatten, erkannte ich erst, als es beinahe schon zu spät war. Aus zweien davon schoß ein weißliches Sekret, nicht als flüssiger Strahl, sondern in Form von Tröpfchen ähnlich wie bei einer Spraydose oder einem Parfümzerstäuber. Gerade noch rechtzeitig konnte ich dem Angriff ausweichen. Nur ein paar vereinzelte Tropfen erwischten meinen rechten Oberarm. Ich wollte sie wegwischen, doch sie klebten wie Mikrokletten an mir. Der zweite Angriff erfolgte aus dem Hinterhalt. Damit hatte ich jedoch gerechnet. Ich drehte mich blitzschnell um und schlug mit der Handkante zu, noch bevor der Sprühvorgang ausgelöst wurde. Der Flugrochen zerbrach in zwei Teile und fiel zu Boden. Nunmehr wurde ich von drei Seiten attackiert. Ich duckte mich und entging dadurch einer doppelten Sprühattacke. Zwei der Angreifer sprühten sich gegenseitig ein, es schien ihnen jedoch nichts auszumachen. Mit einem Fußfeger, der jeden Jiu-Jitsu-Meister vor Neid hätte erblassen lassen, holte ich einen weiteren Rochen aus der Luft. Ich riß ihn zu Boden und zertrat ihn dort. Besonders widerstandsfähig waren die fliegenden Maschinen nicht. Mein Versuch, ihnen durch Änderung ihrer Programmierung meinen Willen aufzuzwingen, scheiterte kläglich. Sie waren nur auf einen einzigen Befehl programmiert, und der lautete: Sprühangriff! Löschte ich diesen Befehl, baute er sich sofort wieder neu auf. Jedwede Kommunikation mit ihnen war unmöglich, dafür hatte man sie nicht erschaffen. Sie waren lediglich in der Lage, das Angriff s signal zu aktivieren und an andere Flugrochen weiterzuleiten. Ihre hartnäckigen Attacken gegen mich würden sie erst einstellen, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten - oder wenn sie alle zerstört worden waren. Den nächsten Angreifer ergriff ich mit beiden Händen und brach ihn in der Mitte entzwei. Jetzt hatte ich es nur noch mit einem Gegner zu tun. Aber wo war er? Plötzlich lösten sich weitere »schwarze Flecken« von der Decke und segelten zu mir herab. Dadurch wurde meine Aufmerksamkeit für eine Sekunde abgelenkt. Zeit genug für den noch verbliebenen Gegner, meinen
Rücken mit einer vollen Ladung des weißlichen, klebrigen Tröpfchensekrets einzusprühen.
Ich kam mir vor wie ein Insekt in einem Salatfeld, das mit Gift bekämpft werden sollte. Auf der Erde waren
derlei gesundheitsschädliche Maßnahmen längst verboten. Scheinbar hatte sich das bis Golden noch nicht
herumgesprochen.
Die nächste volle Ladung traf mich von vom. Wieder hatte ich nicht aufgepaßt.
Die Übermacht war zu groß. Bald klebten die Tropfen überall an
mir. An meinem gesamten Metallkörper gab es vermutlich keine freie Stelle mehr.
Erst jetzt ließen die schwarzen Biester von mir ab. Sie schwebten wieder empor. Die einzige in ihrer
Programmierung enthaltene Aufgabe hatten sie erledigt.
Die zweite Gruppe stieß wieder zu ihnen. Ich konnte mir denken, von woher sie zurückkam. Wahrscheinlich
hatte man auch Dhark und die anderen einem Luftangriff ausgesetzt.
Ich wollte zu ihnen - doch ich konnte mich keinen Zentimeter vom Fleck rühren. Obwohl ich aus garantiert
rostfreiem Material bestand, fühlten sich meine Gelenke an wie eingerostet.
Vorsichtig näherte sich Mokkzera dem vermeintlich leblosen Raubtier und stupste es mit dem Speer an. Sie
wollte kein Risiko eingehen. Manchmal kam es vor, daß sich die Slaat nur totstellten, um die Aasfresser zu
täuschen. Kaum war man nahe genug heran, wurden sie plötzlich quicklebendig.
Diesmal war ihre Furcht jedoch unnötig. Der Slaat - normalerweise ein gefürchteter Jäger auf sechs
muskulösen, schnellen Beinen - konnte niemandem mehr etwas antun. Ein stärkeres Raubtier hatte ihn
gerissen, sich den besten Teil seines massigen, fleischigen Körpers einverleibt und die Überreste zum
Verfaulen im Gras liegenlassen.
Ein noch warmer, weicher Kadaver - so mochte Mokkzera ihre Mahlzeiten am liebsten. Mit einem leisen
Zischen machte sie sich über das Aas her. Jetzt war sie froh, nicht auf ihren Anführer gehört zu haben, der
allen Stammesangehörigen geraten hatte, im Dorf zu bleiben, um den Zorn der Flammendämonen nicht noch
mehr zu entfachen. Innerhalb der Reviergrenze fühlte sie sich verhältnismäßig sicher.
Mokkzera gehörte dem Stamm der Lekkraner an, einem Volk, das man auf Terra wohl als Riesenechsen
bezeichnet hätte. Aller
dings pflegten terranische Echsen nicht auf den Hinterbeinen zu gehen, und nur wenige ihrer Art erreichten
einen Meter und achtzig.
Die Lekkraner kannten Terra nicht. Sie wußten überhaupt nicht, daß es andere Planeten gab. Nicht einmal die
Existenz des Weltalls war ihnen bewußt. Der unerreichbare, trübe Himmel stellte für sie die Grenze allen
Seins dar.
Jener Himmel, der sich vor kurzem auf unheimliche Weise in eine Feuerhölle verwandelt hatte...
Das Leben der Lekkraner beschränkte sich überwiegend auf ihre nähere Umgebung, und ihre Erinnerungen
reichten kaum weiter zurück als ein paar Jahrzehnte. An den Ursprung seines Volkes konnte sich keiner von
ihnen mehr besinnen. Soweit sie sich erinnerten, waren sie schon immer in dieser Gegend angesiedelt. Ein
einfaches Hüttendorf war ihr Zuhause, und ihre fleischliche Nahrung bestand aus dem, was gefährlichere
Lebewesen für sie übrigließen. Sie waren von mäßiger Intelligenz und verließen sich lieber auf ihren
Urinstinkt denn ihren Verstand.
Mokkzera vernahm ein Geräusch hinter sich und drehte ihren beweglichen Echsenkopf etwas zur Seite.
Tikkum, ein Lekkraner-mann, näherte sich. Die Echsenfrau sah ihm an, was er von ihr wollte - und hatte
nichts dagegen, solange er sie nicht beim Fressen störte.
Es gab verhältnismäßig wenige Tiere im lekkranischen Revier, weshalb sich die aufrechtgehenden Echsen in
erster Linie von Pflanzen ernährten, in allen Variationen. Fleisch schmeckte ihnen zwar besser, doch es war
rar. Wer zufällig auf ein getötetes Tier stieß, war eigentlich verpflichtet, die Aassucher zu benachrichtigen,
damit der Kadaver zum Teilen ins Dorf gebracht wurde. Mokkzera war sich lieber selbst die Nächste.
Der Echsenmann hob ihren starken Stützschwanz leicht an. Damit machte er ihr deutlich, daß er sich zu
paaren wünschte. Mokkzera signalisierte ihm Zustimmung und ließ ihn gewähren. Lekkraner paarten sich zu
allen möglichen Gelegenheiten, wobei
es eine untergeordnete Rolle spielte, wer mit wem Zugange war. Feste Partnerbindungen kannte man
innerhalb des Stammes nicht. Wichtig war nur die Arterhaltung, ein Naturtrieb, der in jedem Lebewesen
steckte.
Daß es trotzdem erhebliche Nachwuchsprobleme gab, war den Lekkranern nur recht. Die Existenz des
Volkes zu sichern war eine Sache - Übervölkerung eine andere. Das in einem großen Kreis aufgestellte
Hüttendorf bot nur einer begrenzten Anzahl von Bewohnern Platz, und eine Ausweitung des Reviers kam für
die aufrechtgehenden Echsen nicht in Frage. Sie fürchteten sich vor dem Unbekannten außerhalb ihrer
Grenzen.
Nachdem er den Paarungsvorgang beendet hatte, forderte Tik-kum seinen Anteil an Mokkzeras Aasfund ein.
Sie teilte mit ihm, schließlich war genügend da.
Obwohl jeder Lekkraner einen angespitzten Holzspeer bei sich trug, benutzte er ihn so gut wie nie zur Jagd.
Die Speere dienten ihnen lediglich zur Abwehr von Raubtieren und eventuellen Angreifern von außerhalb.
Zu ihrer weiteren Bewaffnung zählten schwere Keulen, die sie allerdings selten mit sich führten.
Solange die Lekkraner zurückdenken konnten, hatten sie noch nie einem Feind gegenübergestanden, den
man nicht mit Zähnen, Speeren oder Keulen hätte besiegen können. Seit kurzem war das anders. Die
Flammendämonen, die sich am Himmel ausgebreitet hatten, waren unerreichbar für die primitiven Waffen
des Echsenvolkes.
Selbst die ältesten und somit klügsten Stammesmitglieder standen vor einem Rätsel. Was konnte man tun,
um die Dämonen zu besänftigen?
Ob ihnen wohl ein Blutopfer gefallen würde...?
Begleitet von der unvermeidlichen Gravitationsschockwelle -die sich allerdings nur von Hypertastern
erkennen ließ - glitt das
golden schimmernde Ovoid der CHARR aus dem Gefüge des übergeordneten Kontinuums zurück in den
Normalraum.
Diesmal hatte das Ellipsenschiff in zwei Sprungetappen die Distanz von einem halben Lichttag zwischen
seiner letzten Position und dem 14-Planeten-System mit seinem Zentralgestirn Geret überwunden.
Die CHARR, in einer etwas erhöhten Position zur Ekliptik verharrend, blieb zunächst außerhalb der
Umlaufbahn des äußeren Planeten, von dem sie nicht mehr als vier Astronomische Einheiten entfernt war.
Das war viermal die Entfernung Erde - Sonne.
Oder 598,4 Millionen Kilometer im Mittelwert.
Eine riesige Entfernung, wenn man einen festen Bezugspunkt hat, wie beispielsweise die Oberfläche eines
Planeten. Ein Nichts allerdings in der Unendlichkeit des Weltraumes, in dem selbst eine Anhäufung von
zigtausend Sonnen nicht mehr als ein flüchtiger Gedanke war.
Huxleys Hand schloß einen Kontakt. Der Erste Bordastronom blickte vom Monitor der
Kommandantenkonsole.
»Colonel?«
»Gibt es Neuigkeiten, Professor?«
»Die Sonne betreffend?«
Huxley nickte, ein wenig ungeduldig, wie es den Anschein hatte.
»Nein«, bedauerte Professor Bannard. »Unverändert, seit sie wieder normal geworden ist.« Ohne es zu
wollen, hatte er das Wort »normal« hervorgehoben. Erst als ihm die Vipho-Optik das leichte Grinsen der
Offiziere um Huxley übermittelte, ging ihm auf, wie man seine Erklärung aufgenommen hatte. Er räusperte
sich. »Ich meine...«
»Wir wissen, was Sie meinten, Allister«, winkte Huxley ab. »Bleiben Sie am Ball und melden mir jede
Veränderung. Ich möchte nicht überrascht werden, wenn wir einfliegen. Verstanden?«
Während das Bild aus der Astrometrie verblaßte, wandte sich
der Colonel an seinen 1.0.
»Fliegen Sie uns nach Geret III, Mister Prewitt.«
»Aye, Sir!«
Aus ihrer überhöhten Position ließ sich die Entfernung ins Innere des Systems bis zur Umlaufbahn von
Nummer drei in einem fast geradlinigen Sprung überbrücken.
Die CHARR nahm weit außerhalb der Atmosphäre über dem ehemaligen Nogk-Archiv eine geostationäre
Position ein; der Femscan zeigte die hohe Reststrahlung, die vom atomaren Arma-geddon übriggeblieben
war.
Nun, sie würden sich hüten, auch nur in die Nähe der Ruinen zu kommen.
Mit einemmal spürte Huxley die Anwesenheit Tantals hinter sich.
Er drehte sich mitsamt dem Sitz herum und sah sich von den schwarzen Facettenaugen des Kobaltblauen
fixiert.
Nogk waren eine faszinierende Mischung aus Insekt und Reptil, knapp zweieinhalb Meter groß, langbeinig,
mit kräftigen Armen, an deren Enden sich vierfingrige Hände befanden. Sie konnten sich mit einer
Schnelligkeit bewegen, die an die frühen Raubechsen der Erdgeschichte gemahnte. Ihre lederartige, braune
Haut, so sie nicht von Kleidung bedeckt wurde, war gelblich gepunktet. Das absolut Fremdartige an ihnen
war der mächtige libellenartige Kopf mit den gefährlich wirkenden Mandibeln, den großen, seitlich am Kopf
stehenden schwarzen Facettenaugen und den zwei langen Fühlerpaaren dazwischen.
Tantal wich allerdings vom Ideal der Nogk erheblich ab. Der Kobaltblaue war der erste seiner Art gewesen,
deren Anderssem sich vor allem in ihrem Äußeren manifestierte und sie grundlegend von den alten Nogk
abhob. Er war im Oktober 2057 auf dem längst verlassenen Planeten Nogk II aus einer vergessenen Puppe
geschlüpft, in der er unter den Strahlen der mutierten Sonne Tantal herangereift war. Ausgestattet mit dem
gesamten Rassegedächtnis seines Volkes, war er der primus inter pares einer Reihe weiterer
kurz nach ihm geschlüpfter Nogk-Mutanten. Tantal und seine Artgenossen waren im Gegensatz zu den
normalen Nogk nur noch zirka zwei Meter groß und besaßen eine kobaltblaue Haut. Außerdem waren sie
resistent gegen die Strahlung des Exspects, was jetzt allerdings an Bedeutung verloren hatte, nachdem diese
Barriere verschwunden war.
Tantal war ein unbequemer Nogk und sich seiner herausragenden Stellung durchaus bewußt, was ihn immer
wieder auf Kollisionskurs zu seinem Eivater Charaua und leider auch zu Frederic Huxley führte.
»Was kann ich für dich tun, Tantal?« fragte der Colonel.
Der Kobaltblaue sagte es ihm.
Huxley hob die Brauen.
»Du willst was?«
Tantal wiederholte sein Verlangen.
»Habe ich mich doch nicht verhört«, brummte Huxley. Er lehnte sich in seinem Gliedersessel zurück. »Was
bringt dich zu dieser Vermutung? Eine Vorahnung? Ein Vorherwissen? Eine innere Stimme? Oder einfach
nur eine bislang brachliegende Erinnerung deines Rassegedächtnisses?«
Tantals Libellenschädel bewegte sich ruckartig, als lausche er einem schwachen Echo aus längst
vergangenen Dekaden.
»Es ist wohl von allem etwas«, drangen dann seine Bildimpulse sowohl in Huxleys Geist wie auch aus dem
Implantat des Colo-nels.
Tantal hatte einen Verdacht, wie er es formulierte. Eine, wie er argumentierte, begründete Vermutung, die
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem rätselhaften Verhalten des Zentralge-stims und den
Vorgängen auf Geret III herstellte. Er schlug vor, einige Robotsonden auf dem dritten Planeten abzusetzen,
die, mit Spezialrobotem für die unterschiedlichsten Aufgaben besetzt, einige der alten Nogk-Anlagen
aufsuchen sollten.
Zu den vielfältigen Aufgaben, die die FO-1 zu absolvieren hatte, gehörte auch das Erkunden von Welten, die
für das Betreten durch
Menschen nicht geeignet waren. Aus diesem Grund führte das terranische Forschungsschiff eine Reihe von
Spezialrobotern mit sich, vielgliedrige, autark operierende Maschinen, die in Me-thanathmo Sphären ebenso
einsetzbar waren wie in den Tiefen von aus basischer Säure bestehenden Ozeanen, die in fremde Indu
striekomplexe eindringen und Aggregate und technische Vorrichtungen stillegen und gleichermaßen
aktivieren konnten. So gesehen, bot Tantals Wunsch keine Schwierigkeiten. Und vielleicht ergaben sich doch
Zusammenhänge, die zur Lösung des Rätsels um die fluktuierende Sonne führten.
Deshalb stimmte Huxley Tantals Vorhaben zu und beauftragte das technische Personal unter Chief
Erkinssons Leitung mit den Vorbereitungen. sorgten dafür, daß die Astrometrie kein besonders großer Raum
an Bord der CHARR war. Lediglich ein knappes Dutzend Konsolen befanden sich in halbkreisförmiger
Anordnung vor dem großen Allsichtschirm, auf dem das die CHARR umgebende Raumsegment in der Art
einer Merkatorprojektion den Blicken der Anwesenden dargeboten wurde.
Professor Bannard aktivierte eine computergenerierte dreidimensionale Darstellung des Systems, mit der
Sonne als dominierendem Mittelpunkt. Er würde sie nicht aus den Augen lassen, würde als erster jedwede
Veränderung sofort erkennen und den Erfolg von Tantals These anzeigen.
Dann machte er Platz für den Kobaltblauen. Der Nogk-Mutant wollte von hier aus den Einsatz der
Robotsonden überwachen und gegebenenfalls korrigierend eingreifen. Ihm zur Seite Skett, ein anderer
Kobaltblauer, sowie der Meeg Srool, der schon den Einsatz im Kraat-kal-meeg vor wenigen Stunden
mitgemacht hatte.
Huxley saß im Sessel des Chefastronomen, den Bannard bereit
willig geräumt hatte, und vertiefte sich für Sekunden in die Betrachtung der von den Astro-Computern
virtuell aufbereiteten Systemsonne, die als holographische Projektion abgesetzt vor der gekrümmten
Hauptsichtsphäre sich um eine imaginäre Achse drehte, die Nord- und Südpol schnitt.
Dann schloß seine Hand einen Kontakt.
Ein kleinerer Bildschirm auf der Konsole vor ihm wurde hell und zeigte ihm einen Ausschnitt der
Ortungszentrale mit dem 3. Offizier Perry im Fokus der Bilderfassung.
»Alles klar bei Ihnen, Mister Perry?«
Der Ortungsoffizier hob die zur Faust geballte Linke und streckte den Daumen nach oben.
»Dann raus mit den Dingern.«
Drei Robotschiffe, jedes versehen mit einem Sprungtriebwerk in Mikroausführung, verließen die CHARR.
Eine Datenzeile in einem Holo meldete alle Systeme positiv, Sensoren und Sichtanzeigen waren aktiviert.
Die Mikro-Suprasen-soren führten eigenständig notwendige Anpassungen durch.
Dann zeigten alle Parameter Grün.
»Mister Perry!« wandte sich Huxley an den Ortungsoffizier. Die Phase zur Ortung stand permanent. »Legen
Sie die Kommandocodes der Sonden auf die Steuerkonsole der Astrometrie. Ab hier übernehmen wir.«
»Verstanden, Sir!«
Frederic Huxley sagte: »Tantal, die Robotschiffe gehören euch!«
Der kobaltblaue Nogk bestätigte.
Die Finger seiner viergliedrigen Hand tanzten über die Kontrollen an seinem Pult. Hin und wieder beugte
sich er sich vor und betrachtete eingehend irgendein Detail.
Auf einem Nebenschirm machten sich Skett und der nogksche Wissenschaftler Leroo an die Entzifferung der
Daten, die in binärer und tertiärer Symbolschrift in das Holo eingeblendet waren. In den Computern der
Robotschiffe waren die Daten über Standort und Lage der verlassenen nogkschen Ansiedlungen ver
ankert, welche die CHARR beim ersten Kontakt mit Geret III aus dem Orbit und beim Abstieg auf die
Planetenoberfläche gesammelt hatte. Sie waren zu einem Suchmuster zusammengestellt, nach dem sich die
vollautomatischen Aufklärer orientierten. Jetzt teilten sie sich auf und gingen, jeder in eine andere Richtung,
auf Erkundungsflug.
»Nun heißt es wohl warten«, meinte Sybilla Bontempi auf ihrem Platz schräg hinter Huxley. Die
Anthropologin und Fremdvölkerexpertin hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Experiment beizuwohnen.
Und Huxley ließ sie gerne gewähren.
Erste Schnappschüsse aus der Sicht der Sondenoptiken huschten über die korrespondierenden Schirme der
Astrometrie und im Leitstand der CHARR. Staubschleier in den oberen Luftschichten gaben die
Planetenoberfläche zunächst verzerrt wieder. Dann stabilisierten sich die visuellen Eindrücke, nachdem die
Robotschiffe einen tieferen Flugkorridor aufgesucht hatten.
»Sonden erreichen in wenigen Augenblicken die Zielgebiete«, meldete der gelbuniformierte Meeg.
Und dann war es soweit... .
»Da!« Sybilla Bontempi deutete auf den Schirm.
Eiförmige Objekte von zum Teil mehreren hundert Metern Ausdehnung erhoben sich aus dem Wüstenboden.
Der Hochauflösungszoom zeigte die zerschrammten, staubüberkru steten Wände der Gebäude - alte,
verlassene Nogk-Anlagen, aufgegliedert über mehrere Ebenen, die terrassenförmig anstiegen. Auf der
windab-gewandten Seite waren die Gebäude vom Sand einer gigantischen Wanderdüne nahezu vollständig
zugeschüttet, die Luvseite jedoch hatte der Wind freigelegt.
Die korrespondierenden Sichtschirme der anderen Robotsonden zeigten mit kleinen Abweichungen die
gleichen, zumindest jedoch ähnliche Bilder.
»Geret III ist zweifelsohne eine nogkspezifische Welt, mit Nogk-Architektur!« stellte Bontempi fest.
Unvermittelt wandte sie sich an Tantal: »Aber ist sie auch eine der >alten< Nogk-Welten,
besiedelt noch vor der Zeit, als eure Rasse im Charr-System zu Hause war. Was ist, was sagt dir dein
Rassegedächtnis?«
Tantal antwortete zunächst nicht, sondern erwiderte nur den Blick der Terranerin. Stumm, mit starren
Facettenaugen, in denen sich die Beleuchtung der Astrometrie spiegelte, die aber ansonsten keine Regung
ihres Trägers verrieten. Schließlich erreichten seine Impulse doch noch die Menschen. »Ich habe es schon
einmal erklärt - die Anordnung der Gebäude ähnelt zwar jener, wie sie in der Anfangszeit im Charr-System
üblich war. Aber das ist auch alles, was ich dazu sagen kann.«
Tantal wandte den Libellenkopf in Richtung des Kommandanten.
»Wir werden das Rätsel hier und heute nicht lösen können, Huxley«, stellte er abschließend fest, während
nun doch ein leichtes Zittern seine Fühler in Unruhe versetzte. »Wir sollten uns auf das Problem
konzentrieren.«
»Welches was ist?«
»Herausfinden, ob etwas auf diesem Planeten der Grund für die physikalische Anomalität des Zentralgestirns
sein könnte.«
Huxley straffte sich.
»Das sollte unser vorrangiges Ziel sein. Ich muß dir beipflichten.«
Tantal wandte sich wieder seiner Konsole zu.
»Ich lande jetzt die Sonde und schleuse den Roboter aus«, ließ er sich vernehmen.
Huxley nickte, obwohl es der Kobaltblaue nicht sehen konnte, aber möglicherweise hatte er ja
Sinneseinrichtungen, die ihm auch das ermöglichen konnten, nach hinten sehen nämlich, ohne sich umdrehen
zu müssen. Wer konnte das mit Sicherheit ausschließen? Es waren längst nicht alle Geheimnisse der Nogk
ergründet, und die Menschheit war noch weit davon entfernt, dieses Volk von Hybridwesen in allen Nuancen
zu kennen.
»Mister Perry!«
»Sir?« Das Gesicht des Ortungsoffiziers kam ganz nahe an die
Aufnahmeoptik heran.
»Schon irgendwelche Energiesignaturen geortet? Wird irgendwo ein Meiler hochgefahren?«
»Keinerlei Anzeichen, Kommandant.«
Huxley, den Sichtschirm nicht aus den Augen lassend, sah, wie die Sonde landete, die Ladebucht aufklappte
und der vielgliedrige Spezialroboter sich auf den Sandboden herabließ. Unverzüglich setzte er sich in
Richtung des nächstgelegenen Gebäudekomplexes in Marsch.
Wieder wandte sich der Colonel an Perry.
»Werden irgendwelche Waffensysteme oder Verteidigungsanlagen aktiv?«
»Negativ, Sir. Ich...« Perry verstummte mit einem Laut der Überraschung.
»Was haben Sie, Perry? Reden Sie, Mann. Was gibt es?«
Perrys Stimme klang lauter als sonst, als er erwiderte: »Sir, ich lokalisiere ein energieerzeugendes System
von erheblichem Umfang in dem Komplex, den Ihr Schirm zeigt. Die Energiesignaturen sind die eines
Fusionsreaktors!«
Also doch, durchzuckte es Huxley, und laut: »Genaue Koordinaten?«
»Kommen!«
Tantal zoomte die entsprechende Stelle größer, wobei er die Optik des Roboters benutzte, der unbeirrbar auf
den Außenbezirk der Ruinenstadt zuhielt.
Aber dort war nichts zu sehen.
Noch nicht, wisperte eine kleine Stimme in Huxleys Geist.
Die Sekunden zerrannen zur Minute...
Über die Außenmikrophone war ein Grollen zu vernehmen, das die Windgeräusche übertönte. Ein
unheimlicher Ton wie von Millionen Sirenen breitete sich aus. Huxley wechselte einen schnellen Blick mit
Captain Bontempi, die einigermaßen ratlos die Schultern hob; sie schien beunruhigt und wartete auf das
Ereignis, das sich durch dieses entnervende Geräusch ankündigte.
Zu sehen war auf dem Schirm nichts.
Huxley wandte sich an Perry.
»Was machen die anderen beiden Sonden? Sind in den dortigen Ruinen ebenfalls Fusionsreaktoren
angelaufen?«
»Negativ.«
»Hmm...«
»Es sind nur Wohnbezirke«, ließen sich Tantals semitelephati-sche Impulse vernehmen. »Sie besitzen keine
Verteidigungskomplexe.«
Huxley verzichtete darauf zu fragen, woher der Kobaltblaue das wußte. Er nahm sich nur vor, bei
entsprechender Gelegenheit den Nogk-Mutanten gehörig zur Brust zu nehmen ob seiner ewigen
Geheimniskrämerei.
Der Roboter folgte den Koordinaten, die ihm von Tantal übermittelt wurden, bewegte sich über eine Düne
auf einen flachen Hügel vor den Mauern der Nogk-Ansiedlung zu.
Dann sahen sie es, die Menschen und die Nogk in der CHARR.
Und Huxley sog scharf die Luft ein.
Unter Grollen und Donnern und während dieses schrillen Heulens begann sich der Hügel zu bewegen. Zuerst
wuchs er, dann teilte er sich horizontal und bildete einen breiten Spalt. Auf allen Seiten regnete es
Gesteinstrümmer und lange Sandfontänen herunter. Hinter den Schleiern aus Sand und Staub wurden
wuchtige, metallene Wände sichtbar. Und aus dem Untergrund von Geret III wuchs ein unförmiges Etwas
wie ein Geschwür ans Tageslicht. Gestein und Geröll rutschte von der flach gewölbten Oberseite.
»Ich werde verrückt!« murmelte Professor Bannard, der für einen Augenblick seine Sonne vernachlässigte
ob des ungewöhnlichen Schauspiels, das sich ihnen bot.
»Ich traue meinen Augen nicht«, hieb Captain Bontempi in die gleiche Kerbe. »Ein unterirdisches Fort!«
»Wir mußten uns wehren«, vermittelten Tantals Bildimpulse. »Mit allen Mitteln. Gegen einen uralten,
gesichtslosen Feind, wie ihr wißt. Offenbar hat die Annäherung des Roboters einen Kontakt
aktiviert und die Abwehrmechanismen des alten Forts in Gang gesetzt.«
»Kannst du das nicht stoppen?« fragte Sybilla Bontempi.
»Wenn du mir sagst wie, gerne!« Die Physiognomie Tantals war zu keiner Ironie fähig, aber Huxley spürte
aufgrund seines Implantats, daß der blauhäutige Nogk eine Spur zu abfällig von der Ter-ranerin dachte.
Du vergißt dich, Tantal! schickte er ihm einen scharfen Impuls zu, ohne Einschaltung des Translators.
Tantals Fühler gerieten in Aufruhr; offenbar hatte er nicht erwartet, daß Huxley zu einer tonlosen
Verständigung fähig sein würde.
Du lernst schnell, Ratsmitglied Huxley, du könntest einer der unseren werden!
Das bin ich bereits, schickte der Colonel seine Impulse. Gerade deshalb solltest du uns Menschen mit mehr
Respekt begegnen.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann senkte Tantal den Kopf, und seine Fühler knickten nach vome. Du hast recht, Ratsmitglied Huxley. Ich bitt6 um Vergebung für meine Überheblichkeit. Gewährt.
Die ganze, auf geistiger Ebene geführte Diskussion hatte kaum einen Augenblick gedauert und war von niemandem in der Astro-metrie bemerkt worden.
»Sehen Sie nur, Colonel!« rief die Anthropologin aufgeregt.
Das Fort hatte jetzt seine ganze Tarnung abgeschüttelt und wehrte sich. Eine dunkle, drohende Masse aus Metall, ausgerüstet mit Geschütztürmen, die nach allen Seiten starrten wie die Stacheln eines Igels.
Das Fort begann zu feuern.
Die Luft war erfüllt von Blitzen und langen, leuchtenden Strahlen, die sich auf den kleinen Roboter fokussierten und ihn regelrecht zu Atomen pulverisierten. Der korrespondierende Sichtschirm zeigte nur noch Schnee. Tantal schaltete ihn ab.
»So etwas nennt man wohl Unverhältnismäßigkeit der Mittel«, konnte Professor Bannard sich nicht verkneifen zu sagen. »Der arme kleine Roboter und das riesige Fort...«
»Sir!« Perry in der Orterzentrale hatte einen eigenartigen Unterton in der Stimme, als er sich einschaltete. »Ich höre?« sagte Huxley alarmiert und von einer unbestimmten Ahnung erfüllt. »Die Überwachung zeigt, daß immer mehr alte Abwehreinrichtungen zum Leben erwachen. Wir registrieren rund um den Planeten mehr oder weniger starke Energiesignaturen. Da muß noch eine ganze Reihe der alten Meiler anlaufen. Ich habe vorsorglich die Kapazität der Schirme erhöht.« »Die Abwehrforts auf diesem Planeten haben einen Rechnerverbund. Wird irgendwo Alarm gegeben, fahren alle Meiler hoch, um die Energie für eine planetenweite Verteidigung bereitzustellen«, erklärte Skett, der andere Kobaltblaue. Noch ehe Huxley weitere Fragen stellen konnte, zeichnete sich bereits die zweite Hiobsbotschaft ab. »Sir! Da, sehen Sie doch!« Professor Bannard zeigte auf die holographische Projektion der Systemsonne. Der Wissenschaftler stand vor dem Geländer, das den Astroschirm vom übrigen Raum trennte, und es hatte den Anschein, als verlöre er jeden Moment die Fassung. »Was soll ich sehen?« »Können Sie es denn nicht erkennen? Warten Sie, ich vergrößere die Darstellung.« Er nahm eine Schaltung an seiner Instrumentenkonsole vor. Augenblicklich erfüllte ein bösartiges Leuchten die Astrometrie, als die virtuelle Sonne anschwoll, sich ausdehnte, bis die Anwesenden das Gefühl hatten, von dem feurigen Ball verschlungen zu werden. Auf der Sonnenoberfläche wurden Details deutlicher -verzerrte Linien, die auf magnetische Feldlinien hindeuteten. Zarte Schleier erschienen und verflogen wieder wie der feine Dunst eines Morgennebels. Dazwischen hell strahlende Gruppen tanzender Funken. »Dies hier«. Bannard deutete mit seinem Leuchtzeiger auf eine bestimmte Stelle, an der sich Plasmabänder ineinander verflochten wie Zöpfe, »müssen Sie sich genau ansehen.« Er war jetzt ganz in seinem Element und begann zu dozieren. Huxley richtete seine Aufmerksamkeit auf die bezeichnete Stelle und vertiefte sich in die Betrachtung der von den Astro-Computern suprasensorisch aufbereiteten Systemsonne. Aber er konnte nicht erkennen, was Bannard in Aufregung versetzte. Er war kein Astrophysiker, glaubte aber dennoch zu wissen, was der Professor ihnen zeigen wollte. »Wollen Sie sagen, daß die Sonne schon wieder Anzeichen einer beginnenden Supernova-Explosion aufweist?« »Exakt«, sagte der Wissenschaftler fast triumphierend. Huxley nickte, als er seine Befürchtungen bestätigt sah. Es hat also wieder angefangen, dachte er und seine Kiefermuskeln spannten sich »Wie ich erwartet habe«, ließen sich Tantals Bildimpulse über die Translatoren vernehmen. »Es gibt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Energieerzeugung auf diesem Planeten und der Sonnen Veränderung.« »Aber das ist ja schrecklich«, rief Captain Bontempi halblaut aus. »Sollten wir uns nicht besser aus dem Staub machen?« »Kein Grund zur Panik«, erwiderte Huxley. »Geret III ist zehn Lichtminuten von seinem Zentralgestirn entfernt. Mister Perry läßt mit Hypertastern überlichtschnell die Sonne überwachen. Sollte sie tatsächlich zur Supernova explodieren, können wir rechtzeitig durch eine Nottransition aus dem System verschwinden. Der Zeitrahmen ist ausreichend groß.« Sein Blick ruhte einen Moment auf der zweiunddreißigjährigen Frau mit der blauschwarzen Pagenfrisur. Die schlanke, fast zierlich wirkende Anthropologin und Fremdvölkerexpertin hatte ihm im Sommer 2057 bei den schwierigen Verhandlungen mit den Utaren mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Es war fast zwangsläufig, daß sie nach Beendigung der schwierigen Mission der FO-1 als neues Besatzungsmitglied im Rang eines Captains zugeteilt wurde. Eine Entscheidung der TF, die Huxley noch zu keiner Stunde bereut hatte. Der Blick ihrer mandelförmigen Augen - Erbe der thailändischen Großmutter, wie Huxley aus ihrer Personalakte wußte -drückte noch immer Skepsis aus, auch schien sie nur halbwegs beruhigt, als sie meinte: »Wenn Sie es sagen, Sir.« Sie dachte einen Moment nach, ehe sie hinzufügte: »Hat man eigentlich schon ein mal in Betracht gezogen, daß sich die Erschütterungen einer Su-pemova-Explosion bis in den Hyperraum hinein erstrecken? Was, wenn es dort zu einem Unfall kommt?« »Hab ich noch nie von gehört«, brummte Allister Bannard. »Vielleicht weil die, die davon betroffen wurden, nie mehr aufgetaucht sind«, gab sie zu bedenken. Es war Huxley, der ihre Zweifel auszuräumen versuchte, indem er sagte: »Die Explosionen von Sonnen breiten sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit aus. Wir sind durch unsere Fähigkeit, quasi aus dem Stand zu transitieren, davor gefeit, von den Auswirkungen dieser stellaren Katastrophe eingeholt werden zu können. Trägt das zu Ihrem Seelenfrieden bei, Sybilla?« Sie wurde einer Antwort enthoben. Im Hintergrund hatte sich das Schott geöffnet. Ein gelbgekleideter Meeg kam herein und trat zu Tantal. Huxley runzelte ärgerlich die Stirn; am Spiel der Fühler erkannte er, daß die beiden Nogk auf einer Ebene miteinander kommunizierten, die bewußt alle anderen davon ausschloß. Ein erneuter Affront. Der Colonel räusperte sich nachdrücklich. Tantal wandte sich von dem Meeg ab und Huxley zu. »Verzeiht«,
kamen seine Bildimpulse für jedermann verständlich. »Aber was ich gerade von Leroo erfahren habe, ist von einer solchen Tragweite, daß ich für einen Augenblick in unsere uralte Sprache verfallen bin. Es wird in Gegenwart von Terranem nicht mehr vorkommen.« »Was ist geschehen?« wollte Huxley wissen. »Die Meegs haben den alten Code entschlüsselt, den wir in der Herberge des Wissens gefunden haben. Jetzt erhalten wir Zugriff auf die Rechner der noch aktiven Anlagen auf Geret III.« Tantal konnte das Triumphgefühl kaum unter Kontrolle halten, das ihn durchströmte. »Wir können uns als Nogk zu erkennen geben und alles deaktivieren.« »Das«, so sagte Huxley mit Nachdruck, »ist nun wirklich mal eine gute Nachricht.«
»Wo ist Artus?« Ren Dhark war der erste, dem das Verschwinden des eigenwilligen Roboters auffiel. »Hatte ich nicht angeordnet, daß wir alle zusammenbleiben sollen?« »Nicht direkt«, antwortete ihm Arc Doorn »Selbst dann gibt es für ihn keinen Grund, sich unerlaubt von der Gruppe zu entfernen«, erwiderte der Commander ärgerlich. »Es versteht sich doch wohl von selbst, daß wir auf diesem riesigen Gelände möglichst nah beieinander bleiben. Wenn er nicht zu uns zurückfindet, werden wir ihn suchen müssen, so etwas hält nur unnötig auf.« »Unser talentierter Blechkamerad wird sich schon nicht verlaufen«, meinte Bram Sass. »Der Bursche kann gut auf sich selbst aufpassen und wird sicherlich bald wieder zu uns stoßen.« »Vielleicht war es ja ein Fehler, ihn an Bord zu holen«, knurrte Dhark. »Als ob es auf der POINT OF nicht schon genug Besatzungsmitglieder gibt, die für ihre Alleingänge berüchtigt sind.« Der letzte Satz war auf Arc Doorn gemünzt. Der Sibirier benahm sich jedoch so, als hätte er es nicht gehört. Er ahnte, warum der Commander so gereizt war. Die Suche nach dem Zentralgehirn dieser Anlage ging ihm nicht schnell genug voran. Doorn und Gisol taten, was in ihrer Macht stand, doch die Sache erwies sich als äußerst schwierig. In diesem Augenblick deutete Sass nach oben. Gleichzeitig griff er nach seinem Strahler. Mehrere schattenhafte Flugmaschinen stürzten sich auf die Männer herab. Dabei versprühten sie massenhaft ein geruchloses Sekret, das zum Teil an der Kleidung, überwiegend aber den Waffen und Geräten haften blieb. Sass, Doorn und Dhark waren gute Schützen. Es gelang ihnen, einige der rochenartigen Angreifer herunterzuholen. Die Maschinen gingen bereits bei leichten Streifschüssen kaputt und fielen in Einzelteilen zu Boden. Kurz darauf zogen sich die schwarzen Rochen wieder zurück. Ihre Arbeit war getan. Dhark untersuchte die Trümmerteile der seltsamen Flugmaschinen näher. »Einfache Computertechnik, eingebettet in einer nicht sonderlich stabilen Umhüllung«, sagte er nachdenklich. »Das verstehe ich nicht. Wieso konzipiert jemand fliegende Angriffswaffen, die derart leicht zu zerstören sind?« »Vielleicht sind es gar keine Waffen«, entgegnete Sass. »Wie kriegen wir bloß dieses klebrige Zeug von unseren Meßgeräten runter?« warf Gisol ein. »Nur Geduld, es verschwindet gleich von selbst«, vernahm er plötzlich Artus' vertraute Stimme. »Es wirkt kurz ein und löst sich dann in seine Bestandteile auf.« Der Roboter trat aus einem Gang zwischen zwei dicht beieinander stehenden Aggregaten hervor. »Verdammt, wo hast du gesteckt?« herrschte der Commander ihn an. »Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit den fliegenden Spraydosen, genau wie ihr«, antwortete der Roboter. »Sie gaben erst Ruhe, nachdem sie mich vollständig eingesprüht hatten. Danach konnte ich mich für eine halbe Minute nicht rühren. Das war allerdings kein unangenehmes Gefühl. Ganz im Gegenteil. Fast volle dreißig Sekunden lang fühlte ich mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Das hat vermutlich dieses seltsame Sekret bewirkt. Ich schätze mal, es handelt sich dabei um eine Art Metallpflegemittel. Völlig unschädlich für normale Roboter - doch auf Roboter mit Bewußtsein hat es eine nahezu berauschende Wirkung.« »Eine Droge?« bemerkte Doorn. Artus verneinte. »Dafür war die Wirkung zu harmlos. Ich denke mal, die schwarzen Biester, die zu Tausenden hoch oben unter der Überdachung kleben, wollten mir nur etwas Gutes tun. Und ich undankbares Subjekt habe drei von ihnen zerstört.« »Hättest du sie nicht in die Wüste schicken können?« fragte Dhark ihn. »Aus deiner Akte weiß ich, daß du über die bemerkenswerte Fähigkeit verfügst, andere Rechner zu manipulieren.« »Das habe ich versucht«, antwortete Artus. »Doch ich konnte ihre Programmierung weder ändern noch löschen. Sie entzogen sich meinem Einfluß, indem sie ihren einzigen Programmbefehl jedesmal wieder selbsttätig erneuerten. Auch sonst war es mir unmöglich, mit ihnen zu kommunizieren.« »Sie wollten nicht mit dir reden?« »Sie konnten es nicht. Zwar verfügt jede der Flugmaschinen über einen eingebauten Minirechner, dessen
Funktion beschränkt sich jedoch aufs Allemötigste. Auf äußere Einflüsse reagiert er nicht, weil er sie gar nicht wahrnimmt.« »Willst du damit sagen, Artus, diese Minirechner seien schlichtweg zu dumm, um eine Kommunikation mit einem außenstehenden Computer zu führen?« »So ist es, Dhark. Stell dir vor, ein Wesen auf niedrigster Intelligenzstufe verrichtet fortlaufend eine einfache Aufgabe, immer dieselbe, ohne darüber nachzudenken. Nun kommt ein hochintelligentes Wesen hinzu und sagt ihm, es solle die Arbeit einstellen und sich lieber mit etwas Nützlicherem beschäftigen. Das dümmere Wesen kapiert jedoch nicht, was das klügere von ihm will, also macht es mit stoischer Gelassenheit weiter. Dagegen ist das intelligente Wesen letztlich machtlos.« »Ein dummer Computer - eigentlich ein Widerspruch an sich«, sinnierte Bram Sass. »Und genau das ist wiederum das Geniale daran.« »Die meiste Zeit über verharren die Sprühautomaten an ihrem Ruheplatz«, fuhr Artus fort. »Sobald sie in ihrer Nähe Metall erfassen, das noch nicht mit dem Sekret behandelt wurde, verständigen sie sich untereinander und schwärmen aus. Nach Erledigung ihrer Arbeit kehren sie an ihren zugewiesenen Warteplatz zurück und versetzen sich in Ruhestellung bis zu ihrem nächsten Einsatz.« »Wir sind nicht aus Metall«, sagte Sass. »Warum haben sie uns besprüht?« »Haben sie doch gar nicht«, stellte Dhark richtig. »Sie hatten es ausschließlich auf die Metallteile abgesehen, die wir mit uns führen. Nicht nur unsere Waffen und Geräte sind teilweise aus Metall, auch an unserer Kleidung tragen wir welches, beispielsweise die Gürtelschnalle. Daß wir beim Dekontaminieren dieser Dinge selbst einiges abbekamen, blieb nicht aus.« »Dekontaminieren?« wiederholte Doorn. »Eben war noch die Rede von Metallpflege.« »Glauben Sie wirklich, Are, die Erschaffer dieses künstlichen Sonnensystems haben zahllose fliegende Maschinen hergestellt und über der gesamten Anlage positioniert, nur zu dem Zweck, hin und wieder das Metall aufzupolieren?« fragte ihn der Commander. »Nein, es steckt mehr dahinter. Ich vermute, bei dem Sekret handelt es sich um ein Entgiftungs- oder Schutzmittel.« »Schutz?« wiederholte Sass. »Wovor?« Dhark hob die Schultern und wandte sich Gisol zu. »Kannst du uns mehr darüber sagen?« »Ich bin ebenfalls auf Spekulationen angewiesen«, erwiderte der Worgun. »Möglicherweise gab es hier früher Bakterien, die imstande waren, Metall zu zersetzen. Um die Aggregate und sonstigen Maschinen zu schützen, entwickelte man das Sekret und versprühte es überall. Wie schon gesagt, das ist nur eine Mutmaßung. Hätten wir Zeit für eine gründliche Analyse, wüßten wir bald mehr. Ich bezweifle ebenfalls, daß es sich um ein reines Pflegemittel handelt. Für die Pflege von Geräten sind üblicherweise Wartungsroboter zuständig.« »Apropos«, warf Doorn ein. »Wo stecken die Handwerkerkolonnen eigentlich? Solche Monstermaschinen müssen doch regelmäßig gewartet und überwacht werden.« »Vielleicht üben die Roboter ihre Tätigkeit nur in sporadischen Abständen aus, mal in diesem, mal in jenem Sektor der Anlage«, überlegte Sass. »Oder aber die Maschinen warten sich selbst.« »Die Bakterientheorie halte ich gar nicht mal für so abwegig«, griff Dhark den Faden wieder auf. »Metallviren, die den natürlichen Zersetzungsvorgang beschleunigen, könnten hier einen Haufen Schaden anrichten. Als wir damals den Industriedom auf Deluge entdeckten, wateten wir durch dicken Metallstaub, der ganze Boden war damit bedeckt. Stellt euch vor, die Riesenmaschinen hier fallen plötzlich in sich zusammen, aufgrund von Bakterienbefall oder aus welchen Gründen auch immer. Der gesamte Planet wäre zum Untergang verdammt. Und wir würden im Staub erStikken. Lebend kämen wir nicht mehr ins Freie.« »Wie auch?« entgegnete Sass. »Weit und breit ist kein Ausgang zu sehen. Wenn wir nicht bald die Zentrale finden, werden wir wohl umkehren müssen.« »Keine Sorge«, beruhigte ihn Gisol. »Doorn und ich sind schon nahe an der Zentrale dran. Die Richtung, die wir einschlagen müssen, steht inzwischen fest.« Mittlerweile hatten sich die klebrigen Tropfen aufgelöst, wie Artus es angekündigt hatte. Dem Weitermarsch stand somit nichts mehr im Wege.
»Wie weit ist es schätzungsweise noch?« erkundigte sich Dhark nach wenigen Kilometern. »Kommt darauf an, wie groß die Anlage insgesamt ist«, antwortete Arc Doorn - und damit hatte sich's. Der Commander seufzte leise. Warum hatte er den maulfaulen Kerl überhaupt gefragt? Dhark verspürte Durst und leichten Hunger. Mehr als einen kleinen Lebensmittelpillen-Notvorrat für unterwegs hatten sie nicht bei sich, darauf konnte er allerdings getrost verzichten. Ihm stand der Sinn nach einem deftigen Steak - nicht nach einer Tablette mit Steakgeschmack. Ein Schluck Wasser aus der röhren förmigen Feldflasche am Gürtel genügte ihm daher fürs erste. Immer wieder stieß die Gruppe auf größere Freiflächen mit mehreren Abzweigungen. Dort wurde jedesmal eine kleine Pause eingelegt, und alle warteten ab, bis Gisol und Doorn weitere Berechnungen durchgeführt hatten. Mitunter schienen sie nicht derselben Meinung zu sein und stritten im Flüsterton miteinander, doch letztlich einigten sie sich dann doch auf einen gemeinsamen Weg.
Denn sie wissen hoffentlich, was sie tun, dachte Ren Dhark, dessen Vorrat an leisen Seufzern sich langsam
erschöpfte.
Wieder kam es zu einer kurzen Rast. Um sich die Wartezeit während des »Expertenstreits« zu verkürzen,
ließ Dhark seine Phantasie spielen und überlegte, auf welche Weise man die triste Freifläche hätte
verschönern können. Am Schnittpunkt der Abzweigungen hätte er einen Goldenen aufgestellt, mitsamt
Sockel. Inmitten der gigantischen, gebäudeähnlichen Maschinenklötze würde die kilometerhohe Statue
aussehen wie ein normales Denkmal in einer normalen Großstadt.
Außer den gewaltigen Aggregaten verstreuten sich innerhalb der Anlage diverse kubusförmige Apparaturen,
deren Sinn und Zweck Dhark ein Rätsel war. Auch Gisol konnte ihm nicht weiterhelfen -zumindest nicht
ohne intensivere Untersuchung, und dafür war nicht genügend Zeit.
Artus versuchte, mit den fremden Apparaten, deren Kantenlänge in etwa fünfzig Meter betrug, in Kontakt zu
treten, doch seine Bemühungen schlugen wieder einmal fehl - diesmal aus anderen Gründen als bei den
fliegenden Rochen.
»Ich vermute mal, die würfelförmigen Maschinen füngieren als Bindeglied zwischen den Aggregaten und
dem Zentralrechner«, überlegte der Roboter laut. »Es sind sozusagen die kleinen Brüder des großen
Rechners. Leider blockiert eine eingebaute Schutzsperre mein Signal, weshalb ich nicht an sie
herankomme.«
»Demzufolge werden die Riesenaggregate nicht direkt vom Zentralrechner gesteuert, sondern von solchen
Zwischenstationen aus«, entgegnete Bram Sass. »Wozu soll das gut sein?«
»Sicherheitsgründe«, meinte Ren Dhark. »Hat eine der Stationen einen Defekt, fällt lediglich ein Teil der
Aggregate aus. Und kommt es zu einem Ausfall in der Zentrale, arbeiten die Stationen trotzdem noch eine
Weile weiter, nehme ich an.«
Auch er war in dieser respekteinflößenden Umgebung auf Vermutungen angewiesen. Genaueres hätten ihm
nur die Erbauer der unterirdischen Anlage sagen können.
»Irre ich mich, oder vibriert der Boden unter meinen Füßen?« erkundigte sich Sass, als die Gruppe wenig
später auf einer Viererkreuzung eintraf.
»Ich spüre es auch«, bestätigte der Commander. »Ein unterirdisches Beben?« Artus betätigte sich umgehend
als lebender Seismograph. Seine Messungen dauerten nur wenige Sekunden.
»Die Vibrationen kommen nicht von unten«, teilte er den anderen mit. »Ich schätze, wir kriegen Besuch.«
Automatisch legten die Männer ihre Handflächen auf die Griffe ihrer Waffen. »Hört sich nach einem
schweren Räderfahrzeug an«, sagte Dhark.
»Nach mehreren«, verbesserte Sass ihn. »Sie scheinen von allen vier Seiten heranzurasen.«
Noch hatte man keinen Augenkontakt mit den vermeintlichen Fahrzeugen, aber man konnte sie immer
deutlicher hören. Und weit und breit gab es kein sicheres Versteck.
Plötzlich waren sie da. Zunächst waren sie nur verschwommen in der Feme zu sehen, doch mit rasanter
Geschwindigkeit kamen sie immer näher.
Sie - hunderte von Robotern. Unförmige Metallklumpen auf Rädern, ausgestattet mit zahlreichen
Extremitäten und Werkzeugen. »Hattest du vorhin nicht nach den Wartungsrobotern gefragt?« sagte Artus zu
Doorn. »Das sind sie.«
»Müssen die ausgerechnet jetzt und hier aktiv werden?« entgegnete der Sibirier, der sichtlich unruhig wurde,
was selten bei ihm war. »Sie werden uns überrollen!«
»Kannst du sie stoppen?« fragte Dhark den Roboter.
»Unmöglich, dafür sind es zu viele«, antwortete Artus. »Einige der eingebauten Rechner könnte ich
manipulieren, aber nicht alle auf einmal.«
»Und was unternehmen wir jetzt?« wollte Doorn wissen.
»Nichts«, erwiderte Ren Dhark. »Rein gar nichts. Wir bleiben stehen, wo wir sind.«
Sass und Doorn blickten sich ratlos an. Der Kommandant steckte auf und ergab sich in sein Schicksal? Das
paßte überhaupt nicht zu ihm.
Vier Robot-Arbeiterkolonnen rollten von vier Seiten auf das kleine Grüppchen zu. Es war den Männern
unmöglich, auszuweichen. Der Zusammenprall war nur noch eine Frage von Sekunden. ..
Bei fast allen Völkern, gleich in welcher Galaxis sie lebten, zählten die Heilkundigen zu den angesehensten
Personen. In der Hierarchie standen sie meist ganz weit oben. Niemand wollte es sich mit ihnen verderben,
denn irgendwann benötigte jeder mal einen Mediziner, Arzt, Doktor...
Bei den Lekkranern war das anders. Der Stamm der aasfressenden Echsenwesen strotzte nur so vor
Gesundheit. Schwere Krankheiten kannten sie nicht. Schlimmstenfalls kam es mal zu einer harmlosen
Infektion oder leichten Magenverstimmung, wenn jemand allzu frisches Fleisch verzehrt hatte. Zum
Auskurieren ge
nügten meist die körpereigenen Abwehrkräfte.
Der Heiler war somit das überflüssigste Mitglied der Horde -weshalb man wenig respektvoll mit ihm
umsprang.
Jeden Tag zogen die Pflanzensammler los, um frische Nahrung für den Stamm zu besorgen. Nach ihrer Rückkehr verteilten sie Blüten, Blätter, Wurzeln und Gräser zu gleichem Anteil an die Hüttenbewohner. Nur den »nutzlosen« Heiler ließen sie dabei regelmäßig aus, er mußte sich seine Mahlzeiten selbst pflücken. Beim Teilen von gefundenem Aas verfuhr man genauso; er bekam selten etwas davon ab, durfte später nur die Knochen abknabbern. Ikkol, der derzeitige Heiler der Lekkraner, war sich seines niederen Standes bewußt. Mit Langmut ertrug der Alte die fortwährenden Demütigungen. An seine ihm zugewiesene Rolle als Untertänigster unter den Untertanen hatte er sich längst gewöhnt. Seine Hütte war die kleinste im Dorf. Damit das auch richtig zur Geltung kam, hatte man sie direkt neben der größten Hütte plaziert, in welcher Pakkuma, der Stammeshäuptling, lebte. Begegneten sich beide vor ihren Unterkünften, grüßte Ikkol seinen Herrn stets ehrerbietig - und jedesmal wurde er von ihm wie Luft behan delt. Obwohl Ikkols Zuhause alles andere als pompös ausgestattet war, fühlte er sich darin wohl. Er hatte es nach seinem persönlichen Geschmack gestaltet - mit aus Lehm gefertigten Beschwörungsmasken, selbstgeschnitzten kleinen Holzstatuen und rahmenlosen Bildern, die er mit Fingerfarben auf Baumrinde gemalt und mit kunstvoll drapierten Grashalmen verziert hatte. Sogar das Regal, in welchem er seine Kräuterheiltränke und Pülverchen aufbewahrte, hatte er mit Pflanzenranken künstlerisch veredelt. So ganz zufrieden war Ikkol mit der Ausstaffierung seiner Hütte allerdings noch nicht. Ihm fehlte gewissermaßen das Tüpfelchen auf dem i (obwohl er diesen Buchstaben nicht einmal kannte). Nur zu gern hätte er seinen Kunstwerken das Whuu hinzugefügt, das nebenan in der Unterkunft des Häuptlings an der Wand hing und von den Frauen des Stammes täglich mit Blumen geschmückt wurde. Aber Pakkuma würde es ihm niemals geben. Der Echsenführer erlaubte niemandem, das Whuu auch nur zu berühren, denn es war das Symbol seiner uneingeschränkten Macht über sein Volk. Ikkol schielte nicht heimlich nach der Macht, darauf legte er keinen Wert. Er wollte nur das Whuu. Schon des öfteren hatte er daran gedacht, sich heimlich in die Häuptlingshütte zu schleichen und das Whuu zu stehlen. Allein der Besitz hätte ihn bereits zufriedengestellt. Ikkol hätte das Whuu irgendwo draußen versteckt und es immer mal wieder heimlich hervorgeholt, um es zu betrachten... Ein Wunschtraum, weiter nichts. In der Realität war er ein Feigling, der es niemals wagen würde, seinen Anführer zu bestehlen, ganz egal, wie gemein Pakkuma zu ihm war. Nur in Ausnahmefällen wurde der Heiler höflicher als sonst behandelt, immer dann, wenn sich ein Stammesangehöriger verletzt hatte. Unfälle kamen zwar selten vor, weil die Echsen durch ihre Schuppenpanzer weitgehend geschützt waren, so daß ihnen beispielsweise bei Stürzen kaum etwas passierte, doch manchmal fügten ihnen wilde Tiere Verletzungen zu, und die mußten dringend versorgt werden. Von Ikkol. Für ihn brachen dann jedesmal glücklichere Zeiten an. Er konnte allen zeigen, wozu er fähig war, und die Dankbarkeit seines schmerzgepeinigten Patienten war ihm gewiß. Der Heiler wurde nunmehr gegrüßt, man brachte ihm seine Pflanzennahrung ins Haus, und bei der Faulfleischverteilung kam er nie zu kurz. Leider hielten weder die allgemeine Bewunderung noch die Dankbarkeit sonderlich lange an. Sobald der Verletzte geheilt war, geriet die gute Tat allmählich in Vergessenheit. Und schon bald war Ikkol wieder der unwichtigste Untertan des gesamten Stammes, einer, der so gut wie nie gebraucht wurde und daher keinen Respekt verdiente. Ikkol wünschte sich, wenigstens ein einziges Mal irgend etwas Großes, Außergewöhnliches zu vollbringen, das ihm für den Rest seines Lebens dauerhaften Stammesruhm einbrachte. Als der Himmel in Flammen aufgegangen war, hatte er kurz mit dem Gedanken gespielt, das unerklärliche Phänomen für sich zu nutzen und zu behaupten, magische Kräfte zu besitzen. Aber letztlich hatte er diese kühne Idee wieder verworfen. Die Feuerdämonen hätten ihm seine Aufschneiderei bestimmt übelgenommen. Oder der Häuptling hätte ihn an einen der heiligen blauen Pfähle fesseln lassen und den Stammesgöttem geopfert. Der Heiler der Lekkraner war ein Traumichnicht. Seine eigenen Bedenken standen ihm immer im Wege. Nur ein einziges Mal hatte er eine riskante Idee erfolgreich in die Tat umgesetzt. Danach hatte er viele Nächte wachgelegen, aus Furcht, daß man ihm noch im nachhinein auf die Schliche kommen und ihn aus dem Dorf verbannen würde. Glücklicherweise war nichts dergleichen passiert, keiner hatte etwas gemerkt. Während Ikkol aus sicherer Entfernung Mokkzera und Tikkum beim Paarungsvorgang beobachtete, überlegte er, ob es ratsam war, das Risiko ein zweitesmal einzugehen. Würde man ihm auch diesmal wieder unbesehen glauben? Mokkzera war eine Echsenschönheit sondergleichen. Dennoch verzehrte sich Ikkol nicht nach ihr, und er war auch nicht eifersüchtig auf Tikkum. Der Heiler befand sich bereits im fortgeschrittenen Alter, sein Geschlechtstrieb war mittlerweile versiegt. Erst als sich das Paar gemeinsam über das leckere Aas hermachte, packte Ikkol der Neid. Hoffentlich ließen sie ihm noch ein bißchen was übrig. Wenig später verließen Mokkzera und Tikkum den Platz. Jeder ging in eine andere Richtung davon. Voller Gier verspeiste Ikkol die spärlichen Reste des Slaat. Nachdem er den letzten Knochen abgenagt hatte, machte er sich auf die Suche nach Tikkum. Der Heiler war
jetzt fest entschlossen, ein weiteres Mal aktiv zu werden - auch wenn ihn das wieder viele schlaflose Nächte kosten würde. Doorn schloß die Augen, als die vier Roboterkolonnen heranwaren. Doch seine Furcht war unnötig. Die klobigen Wartungsmaschinen bogen in verschiedene Richtungen ab und suchten jeweils den Arbeitsplatz auf, den ihnen ihre Programmierung zuwies. Einige rollten ganz dicht an der Fünfergruppe vorbei, ohne sie auch nur zu streifen - man verspürte bestenfalls einen Luftzug. Wenig später war der ratternde Spuk vorüber. Die Hälfte der Roboter war bereits hinter den Schallschutzmauern verschwunden, um die Arbeit aufzunehmen. Die andere Hälfte war noch unterwegs. Der Lärm, den ihre Rollen verursachten, wurde leiser und verlor sich bald in der Ferne. »Woher wußtest du, daß uns nichts passieren würde, Comman-der?« erkundigte sich Gisol. »Von Wissen kann keine Rede sein«, gab Ren Dhark offen zu. »Ich vertraute darauf, daß die Programmierung der Roboter Zusammenstöße aller Art verhindert, um Beschädigungen zu vermeiden. Im übrigen war auf der Mitte der Kreuzung einwandfrei der sicherste Platz. Warum sollten die Worgun teure Wartungsroboter so programmieren, daß sie von mehreren Seiten auf eine Weggabelung zurasen und mittendrauf zusammenprallen? Das ergab für mich keinen Sinn, daher erschien es mir logisch, daß sie abbiegen würden.« Daß auch er größte Angst verspürt hatte, zeigte er nicht - vor allem nicht dem wortkargen Sibirier. Doorn ließ ihn schließlich auch nicht in sich hineinschauen. Die Suche nach der Zentrale der Anlage wurde fortgesetzt. Auf weitere böse Überraschungen waren alle gefaßt, doch jeder wünschte sich insgeheim, es würde nichts Aufregendes mehr passieren - wenigstens eine Zeitlang. Stunden vergingen, ohne daß sich an der Umgebung sonderlich viel änderte. Mitunter hatte Dhark das Gefühl, im Kreis zu gehen, aber Gisol und Doorn versicherten ihm hoch und heilig, sich auf dem richtigen Weg zu befinden. Der Erfolg gab ihnen recht - plötzlich standen sie mitten in der Steuemngszentrale. Dhark wurde allerdings das Gefühl nicht los, daß sich die beiden »Fährtensucher« selbst am meisten darüber wunderten. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er sie. »Wir sind hier doch richtig, oder?« »Schon möglich«, erwiderte Arc Doorn ausweichend. Jetzt langte es dem Commander. »Was heißt hier > schon mög-lich