PARKER stört die Karriere-Damen
Ein Roman von Edmund Diedrichs
Die Situation war eindeutig.
Zwei Männer um die dr...
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PARKER stört die Karriere-Damen
Ein Roman von Edmund Diedrichs
Die Situation war eindeutig.
Zwei Männer um die dreißig nahmen eine attraktive Frau in ihre
Mitte und schleppten sie zu einem roten Honda. Das weibliche
Wesen wurde auf den Rücksitz gezwungen, ihre Peiniger wählten
danach die Vordersitze. In der nächsten Sekunde rollte der kleine
Sportwagen an.
Während er ein hochbeiniges, schwarzes Gefährt passierte, das
wie ein antiquiertes Londoner Taxi aussah, drehte sich der Mann
auf dem Beifahrersitz um und sprach auf die unfreiwillige Mitfah
rerin ein.
»Was sage ich dazu, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson ihren
Butler, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter dem mächtigen
Steuerrad seines Privatwagens saß.
»Mylady dürften Zeuge einer Entführung geworden sein«, urteilte
Josuah Parker. Lady Agatha nickte. Trotz ihres Alters pflegte sie
unentwegt ihr Hobby, die Kriminalistik. »Ganz meine Meinung«,
fand sie. »Ich werde das Kidnapping natürlich vereiteln, Mister
Parker. Blockieren Sie den Weg der Ganoven!«
Die Hauptpersonen:
Charlotte Kelly will als Model Karriere machen, hat es aber mit
einer fragwürdigen Agentur zu tun.
Ken Walker demoliert eine Wohnung und wird dabei überrascht.
Sid Wilkins ist Masseur und drangsaliert Patientinnen, bis er ei
ner Lady begegnet.
Nigel Bellamy veranstaltet Shows und wird auf offener Bühne
mit einem Pompadour beglückt.
John Borman gibt sich als Gentleman zweifelhaften Vergnügun
gen hin und wird um »Kooperation« gebeten.
Agatha Simpson betätigt sich als Ansagerin und jagt einen Kid
napper über die Bühne.
Josuah Parker geht zu einem Herrenabend und »funktioniert«
ihn um.
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Auf dem Sitz neben ihr ruhte ihr perlenbestickter, mit langen Schnüren versehener Pompadour, der allerdings nicht die übli chen Utensilien einer Dame enthielt, sondern das veritable Hufei sen eines längst dahingeschiedenen, stämmigen Brauereigauls. Mylady bezeichnete dieses Eisen gern als ihren Glücksbringer, in Wirklichkeit war es eine Waffe, die schon so manchen Gangster gefällt hatte. Der Butler wirkte irgendwie alterslos. Er war etwas über mittel groß und fast schlank. Josuah Parker war die Würde in Person und konnte seine Profession zu keiner Zeit verleugnen, was ihm allerdings auch nie in den Sinn gekommen wäre. Er trug zur diskret gestreiften schwarzen Hose einen schwarzen Covercoat, einen schwarzen Binder und auf dem Kopf einen schwarzen Bowler. Zusammen erlebte das skurrile Paar Kriminalfälle am laufenden Band, wobei Mylady allerdings davon ausging, daß sie die ent scheidenden Impulse gab. In Wirklichkeit war es aber Josuah Par ker, der durch unkonventionelles Vorgehen und Trickreichtum die Fälle klärte. Dabei hielt er zusätzlich die schützende Hand über seine Herrin, die durch ihre direkte Art ungeniert in jedes erreich bare Fettnäpfchen trat. »Eine Möglichkeit der Reaktion, die Mylady letztendlich verwerfen, weil dadurch Leben und Gesundheit des Opfers gefährdet werden könnten«, vermutete der Butler. »Richtig! Sie haben mitgedacht, Mister Parker. Was habe ich nun weiter vor?« »Mylady denken daran, den Wagen zu verfolgen, um herauszu finden, wohin man die junge Dame bringt«, antwortete der But ler. »Das weitere Vorgehen sollte man – mit Verlaub – von den Umständen abhängig machen.« »Genau das schwebt mir vor, Mister Parker.« Die ältere Dame nickte beifällig. »Folgen Sie dem Wagen also unauffällig, und ver gessen Sie nicht, sich die Nummer zu notieren!« »Was umgehend geschehen wird, Mylady«, versprach der Butler, der das Kennzeichen längst in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. »Es ist wirklich unerhört, Mister Parker«, monierte Mylady aus dem Ford. »Da werden jetzt schon am hellen Tag die Leute ent führt.«
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»Glücklicherweise ist der Vorgang noch nicht abgeschlossen«,
tröstete der Butler sie. »Mylady werden mit Sicherheit dafür Sor
ge tragen, daß es bei dem Versuch bleibt.«
»Und ob!« Agatha Simpson spürte schon das Prickeln der bevor
stehenden Aktion und strich unwillkürlich mit den Fingerspitzen
über ihren Pompadour.
* Der rote Honda hielt vor einem unverputzten Backsteinbau in Chelsea nahe den Lennox Gardens. Die Türen des kleinen Sportwagens flogen auf, die beiden Entfüh rer stiegen aus und zerrten die junge Frau vom Rücksitz. Dann verschwand das Trio in dem Gebäude. »Die Leute gehören hierher, sie hatten einen Schlüssel, Mister Parker«, stellte die passionierte Detektivin fest, während sie das vierstöckige Gebäude musterte. »In der Tat, Mylady«, stimmte der Butler zu. Auch er hatte gese hen, daß der Honda-Fahrer über einen Schlüssel verfügte und diesen auch einsetzte. Wohin das Trio verschwunden war, war unschwer zu raten. Es gab vier Messingschilder neben dem Eingang, anscheinend aus schließlich Geschäftsadressen. Im vierten Stock gab es ein Fitneß-Center, in der Etage darunter eine Modellschule- und Agentur, in der zweiten eine Import- und Exportfirma und in der ersten eine Versicherungs- und Finanzie rungsgesellschaft. Das Erdegeschoß war der Halle vorbehalten, von der aus man zwei Aufzüge und eine breite Treppe benutzen konnte. Lady Agatha musterte interessiert das Schild der Modellagentur. »LMSA, London Model School & Agency – meine Güte, Mister Par ker, eindeutiger geht es wirklich nicht mehr«, bemerkte sie. »Da haben sie das arme Kind hingebracht, da gibt es gar keinen Zwei fel.« »Eine Überlegung, um die auch meine Wenigkeit nicht herum kommt, Mylady«, sagte der Butler. »Mylady gedenken den Aufzug zu benutzen?« »Natürlich, Mister Parker. Jetzt zählt jede Minute. Wer weiß, was man inzwischen mit dem Opfer anstellt?«
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Josuah Parker drückte die Vier, als sie eingestiegen waren, und handelte sich damit prompt einen Vorwurf seiner Herrin ein. »Die Modellagentur ist aber im dritten Stock, Mister Parker«, mo nierte sie. »Wo haben Sie Ihre Gedanken?« »Meine Wenigkeit ging davon aus, daß Mylady ihre Gegner täu schen wollen«, zeigte sich Parker unbeeindruckt. »Würde der Auf zug auf der dritten Etage halten, könnte man dies vermutlich in der Agentur hören und sich auf ungebetenen Besuch einstellen.« »Sehr gut, Mister Parker! Darum ging es mir eigentlich auch«, erklärte die ältere Dame daraufhin, was den Butler allerdings nicht wunderte. Mylady war von erstaunlicher Wandlungsfähigkeit und konnte das Gegenteil von dem, was sie einen Augenblick zu vor propagiert hatte, plötzlich als ihre eigene Meinung ausgeben. * Eine große Glastür, auf der in goldenen Buchstaben die Firmenbe zeichnung stand, stellte den Zugang zur Agentur dar. Die Tür war nur angelehnt und eröffnete dem skurrilen Paar alle Möglichkei ten. Lady Agatha stapfte mit der ihr eigenen Energie und Zielstrebig keit zum Empfang. Hinter dieser Tür war Stimmengemurmel ver nehmbar. Als Mylady eintrat, verstummte das Gespräch. Drei Menschen musterten sie erstaunt. Es handelte sich um zwei Frauen und ei nen Mann, den Josuah Parker, der seiner Herrin auf dem Fuß folg te, unschwer als den Honda-Fahrer erkannte. »Wie kommen Sie hier rein?« staunte die jüngere der beiden Frauen, die hinter einem Schreibtisch saß und gerade eine Kaffee tasse zum Mund führen wollte. »Durch die Tür natürlich. Wie denn sonst?« räsonierte Agatha Simpson. »Sie war nur angelehnt, außerdem ist das jetzt auch egal. Sie sind die Chefin hier, meine Liebe?« »Ja, ich bin Eileen Rogers, die Leiterin der Schule und Agentur«, gab die Frau zurück und straffte sich dabei unwillkürlich. »Was kann ich für Sie tun?« »Mister Parker, tragen Sie bitte mein Anliegen vor!« wandte sich die Detektivin an den Butler.
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»Mylady wünscht ihre Nichte zu sehen«, sagte der Butler zu der erstaunten Agenturleiterin. »Sie hat sie beim Betreten des Hauses zufällig beobachtet.« »Ihre Nichte?« Eileen Rogers runzelte die Stirn und sah den Mann neben sich hilfesuchend an. »Hier ist in der letzten Stunde niemand reingekommen«, behaup tete der und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Sie irren sich wohl, oder Ihre Nichte ist im Fitneß-Studio oben. Die haben viel weibliche Kundschaft.« »Sie sind ganz sicher, Sir?« Der Butler sah den Mann kühl an. »Man sah die betreffende Person aus einem roten Honda steigen, der von Ihnen pilotiert wurde.« Eisige Stille herrschte. Die junge Frau am Schreibtisch begann in einigen Papieren zu kramen, die vor ihr lagen. Die Agenturleiterin interessierte sich plötzlich sehr für ihre Fingernägel, und der Hon da-Fahrer sah aufmerksam zur Wanduhr, als plagte ihn die Ein haltung eines dringenden Termins. »Honda?« echote er schließlich, als Myladys und des Butlers Bli cke ihm weiterhin zusetzten. »Ein roter«, ergänzte die Detektivin und lächelte. »Der Wagen steht vor dem Haus, Sir«, fügte Parker hinzu. »Auch mit dem Kennzeichen könnte man dienen, falls das hilft.« »Wie… äh… heißt denn Ihre Nichte?« wollte der Mann wissen. »Anne«, gab die ältere Dame umgehend Antwort. »Sie saß in dem Honda. Aber da war etwas, das mir gar nicht gefiel, nicht wahr, Mister Parker?« »In der Tat. Myladys Nichte machte nicht den Eindruck, sich frei willig in dem Fahrzeug aufzuhalten, und sie schien erst recht nicht aussteigen zu wollen.« »Was wollen Sie damit sagen?« Die Stimme des Honda-Fahrers klang flach und tonlos. »Im sogenannten Klartext, Sir: Man schien die junge Dame unter Druck gesetzt zu haben«, merkte der Butler an. »Sie wurde recht unsanft aus dem Wagen gezerrt, wie man deutlich beobachten konnte.« »Unsinn! Sie fühlte sich nicht wohl, da haben wir ihr geholfen«, wehrte der Mann ab. »Ich meine natürlich dem Mädchen, das wir von einem Fototermin abgeholt haben.« Er hatte schon wieder verdrängt, daß der Vorname mit dem der jungen Frau, die er ab geliefert hatte, nicht übereinstimmte.
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»Wissen Sie, Anfängerinnen unterschätzen manchmal die An strengungen, die mit diesem Job verbunden sind«, berichtete die Agenturleiterin und zeigte ein verkrampftes Lächeln. »Die sehen nur das Geld und meinen, es fiele ihnen in den Schoß. Aber so ist das nicht! Modellstehen ist eine harte Arbeit, und schon so man che Frau hat dabei schlappgemacht.« »Und die hier auch«, fügte der Honda-Fahrer hinzu. »Das arme Kind!« Lady Agatha gab einen Seufzer von sich und sah den Butler an. »Ich werde helfen, Mister Parker. Am besten, wir nehmen die Kleine mit nach Hause, damit ich mich um sie kümmern kann.« »Äh, Moment mal, das geht nicht. Sie wird gerade… äh… behan delt, und heute nachmittag hat sie wieder einen Termin«, wehrte die Agenturleiterin sofort ab. »Sind Sie überhaupt sicher, daß es Ihre Nichte ist?« »Meinen Sie denn, ich erkenne mein eigen Fleisch und Blut nicht mehr?« raunzte Mylady. »Ich habe das Kind sofort erkannt, ob wohl wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben. Sie wissen ja, wie die heutige Jugend ist – sie weiß immer alles besser und will ihre eigenen Wege gehen.« * »Myladys Zeit ist begrenzt«, forcierte Parker die Dinge. »Würden Sie nun freundlicherweise Myladys Nichte rufen lassen?« »Das geht nicht, ich sagte es schon.« Die Agenturleiterin sah den Butler ärgerlich an. »Sie bringen unseren ganzen Arbeitsablauf durcheinander. Die junge Frau, die eben hier eintraf, befindet sich in Behandlung, das heißt, sie wird abgeschminkt und danach von einer Kosmetikerin behandelt und schließlich massiert. Außerdem stehen noch andere Dinge auf dem Programm. Sie arbeitet hier. Verstehen Sie das nicht? Und Feierabend hat sie heute nachmit tag um fünf. Sie können vor dem Haus auf sie warten, wenn Sie wollen.« »Warum regen Sie sich so auf, meine Liebe? Niemand will hier etwas durcheinanderbringen. Aber Sie sollten doch etwas mehr Verständnis für eine Tante aufbringen!« »Wenn hier von jeder Schülerin und jedem Modell besorgte Ver wandte auftauchten, müßten wir anbauen«, mokierte sich die
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Agenturleiterin. »Können Sie vielleicht in eine andere Firma ge hen, um Nichten, Neffen oder sonstwen zu sprechen oder sogar einfach mitzunehmen, wie Sie es ja vorhaben?« »Man versteht Ihren Standpunkt durchaus, Mistreß Rogers«, ver sicherte der Butler ihr. »Der Hauptgrund, warum Mylady auf einer sofortigen Kontaktaufnahme besteht, ist der, daß man den Ein druck hatte, ihre Nichte wäre hier mit Gewalt hereingeschafft worden.« »Ich sagte Ihnen doch schon, daß das Unsinn ist. Das Mädchen war erschöpft – das ist alles«, gab Eileen Rogers scharf zurück. »Deshalb wehrte sich die junge Dame vermutlich auch«, bemerk te der Butler trocken. »Ich höre mir das nicht mehr länger mit an«, stellte die Agentur chefin fest. »Bitte, verlassen Sie jetzt die Firmenräume! Zwingen Sie mich nicht, die Polizei zu rufen!« »Darauf freue ich mich jetzt schon, meine Liebe«, lächelte Agatha Simpson. »Meinen Sie nicht, daß die Beamten prüfen müßten, ob an meiner Behauptung etwas dran ist? Das heißt, sie werden si cher meine Nichte sehen und sprechen wollen. Abgesehen davon – wie wirkt sich das auf das Image Ihrer Agentur aus?« »Darum brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Gehen Sie jetzt! Wie gesagt, um fünf ist hier Feierabend. Guten Tag!« »Was sage ich dazu, Mister Parker?« Lady Agatha sah den Butler nachdenklich an. »Mylady möchten sicher an anderer Stelle noch mal die Dinge überdenken«, konnte sich Parker vorstellen. »Möglicherweise hat man Mylady die Wahrheit gesagt. Beobachtungen können, beson ders, wenn Emotionen im Spiel sind, sehr subjektiv sein und ein völlig falsches Bild vermitteln.« »Das sagen wir doch die ganze Zeit über«, reagierte die Agentur chefin. »Glauben Sie mir doch: Sie haben nicht den geringsten Grund, sich um Ihre Nichte zu sorgen. Das werden Sie heute nachmittag sehen, wenn Sie sie nach Feierabend abholen.« »Das werde ich tun. Verlassen Sie sich darauf.« Lady Agatha maß die Anwesenden noch mal mit scharfem Blick, dann drehte sie sich um und ging in Richtung Tür. »Ich gehe, Mister Parker«, verkündete sie lautstark. »Aber eines ist klar: Ich komme wieder, wenn das Kind heute nachmittag nicht auftaucht. So leicht lasse ich mich nicht abspeisen.«
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*
»Mylady werden ihre Gegner natürlich täuschen und in Sicherheit wiegen«, stellte der Butler fest. »Das ja; aber was meinen Sie wohl, was die jetzt mit dem armen Mädchen machen?« »Das hat meine Wenigkeit keineswegs verdrängt, Mylady«, gab der Butler zurück. »Aus diesem Grund hat man eine Abhöreinrich tung im Büro der Agentur hinterlassen.« »Sehr schön, Mister Parker! Dann stellen Sie mal das Radio an! Ich bin gespannt, was ich zu hören bekomme.« Parker hatte bereits eingeschaltet und die Frequenz, die er für solche Fälle eingerichtet hatte, hereingeholt. Die Wanze im Büro war geräuschaktiv, das heißt, sie schaltete sich ein, wenn irgend etwas wahrzunehmen war, und blieb sonst passiv. »… gerade noch mal gut«, war die Stimme Eileen Rogers’ zu hö ren. »Verdammt noch mal, Ken, könnt ihr nicht besser aufpas sen? Mußtet ihr die Kleine vor Zeugen ausladen?« »Das kann doch keiner ahnen«, verteidigte sich Ken, der HondaFahrer. »Wer kann denn diesen Zufall einkalkulieren, daß ausge rechnet ‘ne Verwandte auftaucht? Außerdem: Ich denke, die Mäd chen haben keine Verwandten?« »Das stimmt. Zumindest sollte das so sein.« Die Stimme der A genturchefin klang wütend. »Wir fragen sie natürlich, und wenn eine angibt, Anhang zu haben, in welcher Form auch immer, wimmeln wir sie ab. Das weißt du doch. Diese Gans muß uns an gelogen haben.« »Warum sollte sie? Ich meine, ‘ne alte Tante ist doch nichts Schlimmes«, fand die junge Dame, die hinter dem Schreibtisch gesessen hatte und offenbar die Sekretärin war. »Ich meine, so lange sie keinen Ehemann oder Freund haben…« »Ja, schon – aber wir wollen ja sichergehen, daß nicht irgendwer ‘n Riesentheater macht, wenn mal wirklich eine verschwindet… und das kann ja immer mal vorkommen, nicht wahr?« Der Honda-Fahrer lachte. »O ja! Manche gehen auf netten Urlaub in den Orient, und dann kommen sie einfach nicht wieder, diese Treulosen!«
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»Verschon mich mit deinem seltsamen Humor, Mann!« wies ihn
Eileen Rogers zurück. »Du hast keinen Grund zum Lachen. Wer
hat denn die Tür offengelassen?«
»Ich hätte schwören können, daß ich sie wieder ins Schloß gezo
gen habe«, beteuerte Ken. »Ich verstehe das nicht.«
»Hoffentlich warst du eben gründlicher. Hast du auch genau ge
sehen, daß die beiden wirklich verschwunden sind?«
»Habe ich. Die sind in so ‘ne alte Klapperkiste gestiegen. Sieht
aus wie’n Taxi aus der Steinzeit, und als ich genauer hinsah, fiel
mir ein, daß die tatsächlich irgendwann hinter uns auftauchte.
Aber wer denkt denn gleich an so was?«
»Du sollst nicht denken, sondern aufpassen! Du weißt also nicht,
wie lange die schon hinter euch herfuhren?«
»Nee, aber ich glaube, die tauchten erst kurz vorher auf. Die
müssen irgendwo in der Nähe gewesen sein.«
»Aber sicher bist du nicht. Es könnte genausogut sein, daß die
schon von.
Anfang an hinter euch waren und womöglich sogar mitgekriegt
haben, wie ihr die Kleine in den Wagen verfrachtet habt?«
»Eigentlich ausgeschlossen – das liegt nicht drin.« Kens Stimme
klang beschwörend. »Ehrlich, Eileen, das hätten wir gemerkt. Wie
gesagt, die sind erst in der Nähe des Hauses hinter uns gewe
sen.«
»Na, hoffentlich! Wo ist die Kleine jetzt oben?«
»Klar! Wo sonst?« gab der Hondafahrer zurück und kicherte. »Sid
wird sich schon mit ihr befaßt haben. Die hat bestimmt bereut,
daß sie abgehauen ist.«
»Hoffentlich übertreibt er nicht! Er hat manchmal ‘ne Art an sich,
die mir mißfällt«, bemerkte die Agenturchefin. »Er denkt hoffent
lich daran, daß man nichts sehen darf.«
»Keine Angst, dafür ist er schließlich Spezialist«, beruhigte Ken
sie. »Oder hast du schon mal was gesehen, wenn er eines von
den Mädchen in der Mangel hatte?«
»Was sage ich dazu, Mister Parker?« Lady Agatha beugte sich vor
und sah den Butler im Rückspiegel an. »Man foltert die Kleine.
Das ist Ihnen doch hoffentlich klar?«
»In, der Tat, Mylady. Deshalb gilt es, die junge Dame aus dem
Fitneßcenter zu befreien.«
»Fitneßcenter? Wieso denn?« wunderte sich die Detektivin.
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»Man sprach davon, die junge Dame nach oben gebracht zu ha ben, Mylady. Über der Agentur befindet sich nur noch ein Fitneß center.« »Stimmt, Mister Parker. Und dieser Mensch, den man erwähnte, wer ist das?« »Entweder der Inhaber oder einer der Angestellten, Mylady. Auf jeden Fall jemand, der das Vertrauen der Agentur besitzt. Ein Fitneßcenter bietet natürlich vielfältige Möglichkeiten, jemanden zur Vernunft zu bringen, um es mal sehr freundlich auszudrü cken.« »Das meine ich auch. Ich war übrigens schon lange nicht mehr in einem solchen Laden«, stellte sie fest. »Ich denke, etwas Training dürfte mir guttun. Was meinen Sie?« »Körperliche Betätigung fördert immer die Gesundheit, Mylady«, stimmte der Butler ihr zu, der natürlich genau wußte, welche Art von Training seiner Herrin vorschwebte. Er beschleunigte und bog in eine schmale Seitenstraße ein, die auf der Rückseite des Gebäudes vorbeiführte, in dem sich Agen tur und Fitneßcenter befanden. * »Das ist eigentlich nichts mehr für einen Mann Ihres Alters«, stellte die ältere Dame fest und blickte nicht eben begeistert auf die schmale Treppe, die Josuah Parker als Aufstiegsmöglichkeit vorgeschlagen hatte. Dabei handelte es sich um einen Treppen schacht, der auf der Rückseite des Gebäudes installiert war und wohl als Notausstieg diente. Man sah ihm an, daß hier lange nie mand mehr durchgekommen war: Der Staub lag fingerdick, und überall in den Ecken könnt man Spinnweben entdecken. »Man ist sich dessen wohl bewußt«, gab Parker würdevoll zurück. Er kannte die Abneigung seiner Herrin gegen Treppensteigen. »Aber dies scheint die einzige Möglichkeit zu sein, unentdeckt hinaufzukommen.« »Nun gut, wenn Ihnen die Puste ausgeht, können wir ja eine Pau se machen, obwohl wir nicht viel Zeit haben«, entschied sie und machte sich widerwillig an den Aufstieg. »Sagen Sie nur Be scheid, wenn Sie nicht mehr können! Ich habe dafür durchaus Verständnis.«
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»Wofür man Mylady im voraus dankt«, gab Parker zurück, der die Stufen mit erstaunlicher Leichtigkeit nahm. »Wenn man Mylady um eine kleine Pause bitten dürfte?« fragte der Butler auf dem zweiten Treppenabsatz, als er sah, daß seine Herrin eine solche sehr wohl brauchen konnte. »Jetzt schon?« tat sie überrascht und wandte sich schwer atmend um. »Sie müssen dringend etwas für Ihre Kondition tun, Mister Parker!« fand sie und keuchte. »Sie dürfen sich nicht so gehen lassen! Gerade in Ihrem Alter muß man seiner Gesundheit mehr Aufmerksamkeit widmen.« »Ein ungemein wertvoller Hinweis, den zu beherzigen sich meine Wenigkeit bemühen wird«, dankte der Butler. »Darf man sich erkühnen, Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anzubieten?« »Dürfen Sie!« Lady Agatha sah interessiert zu, wie Parker eine lederumhüllte Taschenflasche aus seinem Covercoat zog und den als Verschluß dienenden Becher für sie füllte. Der sogenannte Kreislaufbeschleuniger war ein sehr alter französischer Cognac, der Mylady als Medizin zur Stützung ihres angegriffenen Kreis laufs diente. Sie nahm einen Schluck und nickte anerkennend. »Das tut gut, Mister Parker«, stellte sie fest. »Ich habe noch einige Treppen vor mir, nicht wahr?« Josuah Parker wußte diesen Hinweis zu interpretieren. Er füllte den Becher umgehend nach und deutete dabei eine Verbeugung an. * Die schwere Eisentür, die im vierten Stock die Feuertreppe abschloß, war kein Problem, wenngleich hier ein besseres Schloß installiert war. Parker überredete es, sich willig zu ergeben und zu entsperren. Dahinter lag ein schmaler Gang, der nur notdürftig beleuchtet war. Rissiges Linoleum bedeckte den Boden, Wände und Decke schrien förmlich nach einem Anstrich. Die Luft roch muffig, obwohl es im Gang zwei schmale Fenster gab, die man öffnen konnte. Allerdings machten sie nicht den Eindruck, daß dies in den letzten Monaten mal geschehen war.
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»Sehr einladend sieht es hier aber nicht aus, Mister Parker«, stellte die ältere Dame fest. »Wenn die Gäste dieses Fitneßcen ters hier reinschauen könnten, würden sie alle auf Nimmerwie dersehen verschwinden.« »In der Tat, Mylady, aber in den eigentlichen Geschäftsräumen dürfte es wesentlich anders aussehen.« Josuah Parker schritt in dem düsteren Flur voran und erreichte eine weitere Metalltür. Als er sie, nachdem er das Schloß entrie gelt hatte, vorsichtig aufzog, sah er einen breiten, teppichbeleg ten Gang vor sich, von dem diverse Türen abgingen und der sich am gegenüberliegenden Ende zu einer großen Fläche erweiterte, die man als Bar nutzte. Zwar gab es zwischen Bar und Gang ei nen dicken Vorhang, doch der war nur halb zugezogen, so daß man Einzelheiten erkennen konnte. Rechts gab es einen Tresen mit diversen Hockern, von denen drei besetzt waren. Die junge Frau dahinter trug einen der augenblick lich modischen Aerobic-Anzüge und war damit beschäftigt, eine Kaffeemaschine zu füllen. Links gab es zwei niedrige Tische, diverse Sessel und ein Regal, in dem Zeitschriften und Prospekte lagen. Hinter der Bar schien es zum Übungsraum zu gehen, denn von dort war Lärm zu hören, der auf sportliche Betätigung schließen ließ. Lady Agatha stand neben dem Butler und schaute durch den schmalen Schlitz, den er geöffnet hatte. »Aha, ich weiß Be scheid«, stellte sie fest. »Man wird das arme Ding irgendwo in einem Raum hinter der Bar festhalten, nicht währ, Mister Par ker?« »Dort dürfte der Übungsraum liegen, Mylady«, vermutete Parker. »Da man zur Zeit sicher auch normale Gäste hat, dürfte es sich aus der Sicht dieser Leute nicht anbieten, gerade dort jemanden zu drangsalieren.« »Genau das, was ich sagen wollte«, behauptete die Detektivin und sah gespannt zu, wie sich einer der drei jungen Männer an der Bar erhob und den anderen zuwinkte. »Ich gehe in die Sau na!« verkündete er laut genug, daß man es hinter der Tür noch verstehen konnte. Dann verschwand er. »Haben Sie gehört, Mister Parker? Es gibt hier eine Sauna. Mei nen Sie nicht, daß ich dort nach dem armen Ding suchen sollte?« Dieser Ort schien Josuah Parker schon wahrscheinlicher. Vor al lem dann, wenn das Fitneßcenter über mehrere Saunen verfügte.
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»Wenn Mylady gestatten, wird meine Wenigkeit vorangehen«, schlug er vor und setzte diesen Vorschlag auch gleich in die Tat um, bevor seine Herrin Einspruch erheben konnte. Er zog die Tür ganz auf, wartete, bis Mylady sie passiert hatte, und schloß sie dann vorsichtig wieder. Er bewegte sich an der Wand entlang, so daß er nicht gleich von der Bar her entdeckt werden konnte, wenn jemand rein zufällig durch den halboffenen Vorhang spähte. Zum Glück folgte ihm Mylady auf dem Fuß, wie er beruhigt feststellte. Die Tür zur Sauna war nicht abgeschlossen. Parker öffnete sie vorsichtig und sah sich forschend um. Wiedergab es einen Gang dahinter, der allerdings nicht lang war. Er endete bereits nach zwei Metern. Links und rechts ging je eine Tür ab. Beide waren beschriftet. Auf der linken war »Zur Massage« zu lesen, auf der rechten »Umklei deräume.« Die Tür am Ende des Ganges war mit »Sauna« be schriftet. * Parker steuerte die rechte Tür an, öffnete sie vorsichtig und trat ein. »Was will ich hier, Mister Parker?« beschwerte sich Agatha Simp son, die ihm gefolgt war. »Sagte ich nicht, daß ich die junge Frau in der Sauna vermute?« »In der Tat, Mylady. Vielleicht sollte man sich aber mit einigen tarnenden Utensilien versehen. Wenn sich Mylady freundlicher weise einen Augenblick gedulden würden.« Von dem kleinen Gang gingen drei Türen ab, die mit »Damen«, »Herren« und »Material« beschriftet waren. Parker wählte letzte re, die entriegelt werden mußte. Er fand dahinter, was er suchte. Der Raum hatte an den Wänden Regale, die mit allen möglichen Dingen vollgepackt waren. Parker traf seine Auswahl und begab sich dann zu seiner Herrin zurück. »Was haben Sie da, Mister Parker?« Mylady musterte neugierig das Päckchen, das Parker trug. »Einige Dinge, die zur Tarnung beitragen dürften, Mylady.« Der Butler reichte seiner Herrin einen Bademantel, Gummisandalen
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und ein großes Badetuch sowie eine Badekappe. »Soll ich das hier
anziehen?« mokierte sie sich.
»Es dürfte genügen, wenn Mylady den Bademantel überziehen
sowie Badekappe und Gummischuhe anlegen«, schlug Parker
gemessen und würdevoll vor. »Dies und das über den Arm dra
pierte Badetuch dürften als wenn auch sehr oberflächliche Tar
nung ausreichen.«
»Na schön, wenn Sie meinen. Was mache ich mit meinem Hut
und den Schuhen? Den Pompadour behalte ich natürlich bei mir.«
»In der Umkleidekabine dürfte es verschließbare Fächer geben,
Mylady«, glaubte der Butler.
»Gut, ich bin gleich wieder zurück. Verkleiden Sie sich auch?«
»In der Tat, Mylady.«
»Da bin ich aber gespannt.« Die ältere Dame öffnete die Kabine
und verschwand darin, während sich Parker in den Herren Um
kleideraum begab.
Zusätzlich zu seiner Melone und den Schuhen verstaute er auch
den Schirm in einem der Fächer. Dieser wäre denn doch zu auf
fällig gewesen, hätte er ihn hier getragen.
Der Butler war aber sicher, auch ohne seinen Schirm und die als
Waffe einsatzfähige Melone über genügend Mittel zu verfügen,
um sich zur Wehr zu setzen, falls er angegriffen würde. Zudem
war er ideenreich und konnte selbst einen noch so harmlosen
Gegenstand zur Abwehrwaffe umfunktionieren.
»Um Himmels willen, Mister Parker, wie sehen Sie denn aus?«
amüsierte sich Agatha Simpson, als der Butler auf den Flur trat.
Die enganliegende Gummikappe auf dem Kopf, die Gummischuhe
an den Füßen und der flauschige Bademantel kamen durchaus
gut zur Geltung.
»Meine Wenigkeit bittet um Verzeihung, sollte der Anblick meiner
Wenigkeit zu Kritik Anlaß geben«, entschuldigte sich der Butler.
»Aber im Interesse der Sache sollten Mylady Nachsicht üben.«
* Der Gast, der ihnen entgegenkam, schien an der Aufmachung nichts zu finden. Er streifte Mylady und Parker mit einem flüchti gen Blick, nickte ihnen zu und ging vorbei.
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»Da sehen Sie mal wieder, wie wichtig eine gute Tarnung ist, Mis ter Parker«, bemerkte die Detektivin, nachdem die Tür hinter dem Gast zugeschlagen war. »In der Tat, Mylady. Man kann und muß Mylady zu diesem Einfall gratulieren«, gab Josuah Parker ungeniert zurück. »Nicht wahr?« Agatha Simpson strahlte. Ihr war tatsächlich so, als hätte sie diesen Einfall gehabt. Der Saunabereich bestand aus insgesamt drei Kabinen. Nur über einer brannte ein rotes Licht, das anzeigte, daß sie benutzt wur de. Weit und breit war niemand zu sehen. Lady Agatha griff ohne Zögern nach dem großen Hebel, der die Tür versperrte, drückte ihn herunter und die Tür auf. Dichte Schwaden wehten ihr entge gen. »Beeilung bitte! Die ganze Hitze zieht ja ab!« brüllte eine ärgerli che Stimme von drinnen. »Haben Sie sich nicht so!« beschied Mylady den Mann und trat ein. Sie zog die Tür an, tastete sich durch den Dunst und stieß mit den Knien gegen eine Bank. Sie streckte die Arme vor und erfühlte schließlich ein Gesicht, das sie einer näheren Inspektion unterzog. Sie zupfte an einem Ohr läppchen, drückte eine Nase und wühlte sich danach durch einen dichten Bart. Der Besitzer des Gesichts fand das keineswegs lustig. »Ver dammt, was soll das?« fauchte er und sprang auf. »Entweder Sie saunen oder machen, daß Sie rauskommen, aber schnell!« »Wie reden Sie mit einer Dame?« Lady Agatha war zwei Schritte zurückgetreten. Sie erkannte vage die Umrisse des Gesichts, das sie kurz zuvor mit den Händen erforscht hatte. Sie kam zu der Auffassung, daß sie etwas vergessen hatte, und holte das umge hend nach. Lady Agatha ließ ihre Hand durch die Luft zischen, traf die Wange und lächelte, als sie das Klatschen hörte, dem gleich darauf ein zorniger Aufschrei folgte. »Das wird Sie lehren, anständig mit einer Dame zu sprechen«, gab sie dem Mann bekannt. »Sind Sie allein hier?« »Sehen Sie sonst noch jemanden?« reagierte der Gemaßregelte und flüchtete vorsichtshalber auf eine weiter hinten gelegene Bank.
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»Gut, dann machen Sie jetzt weiter!« Die Detektivin drehte sich um und verließ die Kabine, vor der Parker auf sie wartete. »Ein frecher Lümmel, hatte keine Manieren, Mister Parker«, be richtete sie. »Wo könnte das Mädchen sonst noch sein?« »Es böte sich noch der Massageraum an, Mylady«, schlug der Butler vor. »Eventuell nach draußen klingende Schreie wären si cher nicht ungewöhnlich und könnten leicht mit einer gewissen Überempfindlichkeit erklärt werden.« »Das stimmt. Masseure neigen zur Übertreibung«, behauptete die ältere Dame. »Die denken immer, sie müßten ihre Opfer kneten.« Josuah Parker erwiderte nichts darauf. Statt dessen öffnete er die Tür zum Gang und spähte hinaus. Als er sah, daß sich niemand dort aufhielt, gab er seiner Herrin ein Zeichen, ihm zu folgen. Die Tür zum Massageraum war seltsamerweise verschlossen. Ein Zettel mit einer handschriftlichen Notiz besagte, daß heute aus personellen Gründen keine Massagen verabreicht werden. Den noch meinte der Butler, von drinnen symptomatische Geräusche zu hören. »Hatte ich also recht«, schlußfolgerte Mylady, als gleich darauf ein Schrei ertönte. »Machen Sie auf, Mister Parker! Ich werde dem Lümmel eine Lektion erteilen.« »Stets zu Diensten, Mylady.« Josuah Parker ging daran, das Schloß auf die ihm eigene Art zu überreden. Es war bestens geölt und gab deshalb kein Geräusch von sich. Lady Agatha folgte dem Butler ungestüm. Es war offensichtlich, wohin sie wollte. Insgesamt vier Kabinen waren durch Vorhänge abgeteilt. Hinter dem ersten auf der linken Seite wurde jemand behandelt, und dem gelegentlichen Wimmern nach zu folgern, nicht eben sanft. Die Detektivin riß den Vorhang beiseite und trat ein. * Die Situation war eindeutig. Auf einer mit grünem, Kunstleder bezogenen Pritsche lag die jun ge Frau, die sie schon im Parkhaus des Kaufhauses gesehen hat ten. Sie war nackt, an Händen und Füßen gefesselt und hatte die Augen geschlossen.
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Neben der Pritsche stand ein herkulisch gebauter Mann mit Stier nacken, glänzender Glatze und einem Dschingis KhanSchnurrbart. Er hatte kleine, tückisch blickende Augen, deren dunkle Pupillen er auf die hereinstürmende Lady richtete. In der herabhängenden Rechten hielt er eine Peitsche mit mehreren Schnüren. »Wie kommen Sie hier rein?« Seine Stimme klang wie dumpfes Grollen. »Das überrascht Sie, nicht wahr, Sie Subjekt?« Agatha Simpson blickte zu der jungen Frau hinüber. »Haben Sie keine Angst, mei ne Liebe! Es ist alles vorbei«, tröstete die ältere Dame sie. »Ich hole Sie heraus.« »Ach ja? Da wüßte ich aber gern, wie…«, knurrte der Riese und hob die Hand mit der Peitsche. »Sie wollen sich an mir vergreifen, Sie Unhold?« erkundigte sich Mylady, ohne eine Spur von Angst zu zeigen. »Was heißt hier, vergreifen? Ich werde Ihnen zeigen, was es heißt, hier einfach einzudringen. Oder wollen Sie noch gehen, bevor ich ärgerlich werde? Aber andererseits – kann ich Sie ge hen lassen? Sie sind bestimmt ‘ne Plaudertasche, die klatscht und tratscht. Ich muß Ihnen eine Lektion erteilen, damit Sie begrei fen, daß Sie diesmal das Maul zu halten haben.« »Eine Ausdrucksweise haben Sie, junger Mann! Wohl keine Kin derstube gehabt?« tadelte Mylady den etwa Vierzigjährigen. »Entweder sind Sie blind, dumm oder unglaublich naiv, oder aber eine Mischung aus allem«, stellte der Muskulöse fest. »Sehen Sie das hier?« Er hob die Hand. »Eine Peitsche – na und? Glauben Sie, Sie imponieren mir damit, Sie Subjekt?« »Ach, kann ich das nicht?« Der Herkulische grinste. »Na, das wol len wir doch mal sehen.« Er trat etwas zurück und ließ für eine Sekunde die ältere Dame aus den Augen. Und das war sein ent scheidender Fehler. Mylady hatte längst ihren Pompadour ergriffen, und der Handbeu tel krachte gegen die breite Brust ihres Gegenübers und ließ ihn zurücktaumeln. Während der Mann mit den Armen durch die Luft ruderte, landete seine Peitsche auf dem Boden und wurde von Lady Agatha mit raschem Tritt unter die Liege befördert.
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Josuah Parker stand vor der Kabine und machte sich nicht be merkbar. Das hatte seinen guten Grund. Noch beherrschte Myla dy die Situation, wie er durch einen Spalt im Vorhang sah. Aber das konnte nicht lange so bleiben. Der Muskelberg war dafür ein fach zu stark. Sollte sich die Situation grundlegend ändern, würde Parker ein greifen und seine Herrin vor Schaden bewahren. Angesichts der Enge der räumlichen Verhältnisse in der Kabine war es besser, von außerhalb zu überraschen. »Na schön, Oma, einen Punkt für dich«, konzedierte der Muskulö se. »Aber jetzt ist Schluß mit der Pietät, jetzt dreh’ ich dir den Kragen um!« »Schämen Sie sich nicht, so mit mir zu reden, Sie Lümmel?« raunzte die ältere Dame unbeeindruckt, ließ ihren Fuß vorschnel len und an seinem Schienbein landen. Der Koloß heulte auf, stürmte vorwärts, riß die Hände hoch und machte Anstalten, seine Gegnerin zu umarmen. Die ältere Dame reagierte erstaunlich schnell. Sie trat beiseite, und der Koloß flog vorbei und halb aus der Kabine hinaus. Dort wartete Josuah Parker. Er hatte sein Badetuch gerollt und vorne einen Knoten geknüpft. Dieser Knoten war erstaunlich stark und streichelte die Stirn des Herkulischen. Der Mann prallte zurück, taumelte in die Kabine und stürzte über Myladys Bein. Krachend schlug er zu Boden und rollte sich dort zusammen. Einen Augenblick später sprang er bereits wieder mit einem Wutschrei auf die Füße und sah sich mit blutunterlaufenen Augen um. Josuah Parker hatte einen seiner winzigen, stricknadeldünnen Pfeile verschossen, der ein schnell wirkendes, aber harmloses Narkotikum enthielt. Sonores Schnarchen zeigte, daß der Getrof fene bereits schlief und vorerst als Gefahrenquelle ausschied. »Darf man Mylady einen Vorschlag hinsichtlich des weiteren Vor gehens unterbreiten?« »Immer, Mister Parker. Ich bin gespannt, ob Sie mit meinen Plä nen übereinstimmen.« »Mylady denken womöglich auch an die Sauna«, schlug Parker gemessen und würdevoll vor. »Eine solche eignet sich hervorra gend zur Durchführung eines effektiven Verhörs.«
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Bei dieser Ankündigung fiel ihr Blick auf die nackte junge Frau. »Ach, Kindchen, einen Moment mal!« bemerkte sie und zog ihren Bademäntel aus. Sie deckte die junge Frau damit zu und wandte sich dann an den Butler. »Haben Sie gesehen, wie der Unhold sie zugerichtet hat, Mister Parker?« klagte sie. »Mit dem größten Bedauern, Mylady. Dennoch nahm man die Striemen sozusagen aus den Augenwinkeln Wahr. Man gibt der Hoffnung Ausdruck, rechtzeitig gekommen zu sein.« Josuah Parker nahm indes ein sogenanntes Feuchtigkeitstuch, befreite es von seiner Verpackung und reichte es seiner verblüff ten Herrin. »Könnten Mylady vielleicht feststellen, ob die Strie men der jungen Dame aus einem Filzmaler herrühren?« Damit hielt der Butler den Stift hoch, und Mylady starrte verständnislos auf das Schreibgerät. Dann dämmerte es ihr. »Sie meinen…?« begann sie, brach dann ab und griff nach dem Tuch. Sie lüftete den Bademantel über den Schenkeln der jungen Frau, benützte das Tuch und betrachtete eingehend die rote Farbe. »Tatsächlich«, staunte sie. »Aber wa rum, Mister Parker? Außerdem, ich habe das Kind doch deutlich schreien hören.« »Auch meine Wenigkeit, Mylady«, stimmte Parker zu. »Hier wen det man einen ebenso raffinierten wie verabscheuungswürdigen Trick an. Wahrscheinlich zeichnete der Masseur die Striemen auf den Körper der jungen Dame und kündigte ihr gleichzeitig an, daß er sie sozusagen als Zielscheibe angebracht habe. Damit setzte er sie sogenanntem psychologischem Terror aus, der sich schließlich in dem von Mylady und meiner Wenigkeit wahrgenommenen Schrei artikulierte.« »Ja, aber… wollte er sie denn gar nicht schlagen?« wunderte sich die Detektivin. »Mylady erinnern sich an das abgehörte Gespräch«, erläuterte Parker gemessen. »Darin ging es unter anderem darum, daß der jungen Dame keine Beschädigungen, wie man sich unqualifiziert ausdrückte, zugefügt werden dürften. Wenn die Agentur, wie My lady längst vermuten, dazu dient, junge Damen gegen ihren Wil len der Prostitution zuzuführen, hat man ein gewisses Interesse an der körperlichen Unversehrtheit der Betreffenden.« »Entsetzlich, Mister Parker! Wie kann man nur so etwas tun?« Lady Agatha blickte angewidert auf den Muskelberg zu ihren Fü ßen.
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»Schaffen Sie den Lümmel in die Sauna, Mister Parker, und hei zen Sie ihm ordentlich ein! Ich komme nach, wenn ich mich um das Kind gekümmert habe«, ordnete sie an und beugte sich über die Liege. Der Butler verließ den Massagebereich und steuerte den Material raum an. Er erinnerte sich, dort etwas gesehen zu haben, das er jetzt brauchen konnte. Zwei Minuten später schob er einen flachen Karren, der norma lerweise wohl zum Transport von Getränkekisten diente, in den Massageraum. Er lud den Fleischberg auf, was er erstaunlich leicht bewerkstelligte, und rollte den Wagen zur Sauna. Wenige Augenblicke später ruhte der Koloß auf der höchsten Bank in einer der Kabinen, und Parker machte sich daran, dem Strolch richtig einzuheizen. * Der Dschingis Khan-Schnurrbärtige erwies sich als nicht sehr wi derstandsfähig. Sein Körper schien sich förmlich in Schweiß auf zulösen, während er auf seiner Bank hockte. Von Zeit zu Zeit betrat Josuah Parker die Kabine und sah nach dem Mann. Er kannte dessen Konstitution nicht und wollte auf jeden Fall vermeiden, daß ihm etwas passierte. Der körperlich beeindruckende Herkules sollte nicht über Gebühr strapaziert werden. Der Butler schien bei den Sauna-Visiten nichts von der feuchten Hitze zu spüren, obwohl er kein Stück seiner gewohnten Kleidung abgelegt hatte, wenn man mal von den Schuhen absah. Mylady hingegen, die gleichfalls des öfteren in der Kabine verschwand, kehrte jedesmal mit schweißglänzender Stirn zurück und benötig te einen Kreislaufbeschleuniger, um sich zu erholen. »Der Lümmel schwitzt sich die schwarze Seele aus dem Leib, Mis ter Parker«, teilte sie dem Butler nach ihrem letzten Besuch mit. »Ich wette, er ist jetzt schon so weich, daß er alles sagen wird, was er weiß, nur, um da rauszukommen. Ich gebe ihm noch zehn Minuten.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab der Butler gemessen zurück. »Sollte man nicht in der Zwischenzeit nach den Kleidern
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der jungen Dame suchen, um mit ihr möglichst unauffällig das Fitneßcenter zu verlassen?« Die resolute Dame sah ihn einen Augenblick überrascht an, dann nickte sie. »Ach ja, gut. Wo könnten ihre Sachen denn sein, Mis ter Parker?« »Möglicherweise in einem der Schließfächer, Mylady. Meine We nigkeit könnte sie öffnen und nachsehen.« »Daß Sie die Sachen aber nicht genauer ansehen, wenn Sie sie gefunden haben, Mister Parker!« ermahnte sie ihn. »Ich möchte nicht, daß Sie durcheinandergebracht werden.« »Man wird sich bemühen, Mylady«, versprach Parker und entfern te sich, um sich zu den Schließfächern zu begeben. * Der Muskelmann hatte nicht viel zu berichten. Er gab lediglich zu, der von der Agenturchefin erwähnte Sid zu sein und fügte mit »Wilkins« auch seinen Familiennamen hinzu. Ansonsten konnte er nur noch berichten, von Ken, dem Honda-Fahrer, den Auftrag erhalten zu haben, die junge Frau so zu behandeln, daß sie nie wieder auf die Idee käme zu flüchten, und daß dies mit dem Ein verständnis der Agenturchefin erfolgt war. Dies alles wußte man bereits. Josuah Parker hatte die Aussage auf Tonbandkassette aufgenommen und verfügte damit über ein Mittel, mit dem er später die beiden Auftraggeber konfrontieren und provozieren wollte. Gerichtsverwertbar war das Band kaum, auch die Aussage nicht, die sowohl er als auch Mylady bezeugen konnten. Jeder clevere Anwalt hätte sie mit dem Hinweis, daß sie unter Zwang zustande gekommen war, vom Tisch gewischt. Dennoch war der Butler zufrieden. Seine Ahnungen hatten sich bestätigt. Die Agenturchefin, so hatte der Muskelmann weiter berichtet, ließ regelmäßig junge Frauen ihm vorführen und drohte ihnen damit, daß er sich sehr intensiv mit ihnen befassen würde, sollten sie auf dumme Gedanken kommen. Seine Erscheinung war beeindruckend, daß die Frauen jedesmal eingeschüchtert worden wären und bislang niemand einen Flucht versuch unternommen hatte. Bis auf Charlotte Kelly, die noch auf
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der Liege im Massageraum lag und sich von ihrem Schrecken er holte, von dem sie das Paar aus Shepherd’s Market befreit hatte. * Charlotte Kelly hatte sich einigermaßen gefangen. Sie hing am Arm der älteren Dame und machte ganz den Eindruck, diesen so schnell nicht mehr loszulassen. »Wenn man bitten dürfte?« Josuah Parker schob den Vorhang zur Bar beiseite und ließ die beiden Damen passieren. Die Menschen am Tresen blickten erstaunt auf, vor allem zwei junge Männer, die Mylady und den Butler fassungslos musterten. Die junge Frau dahinter stellte das Glas ab, das sie gerade polier te, setzte ihr einstudiertes Lächeln auf, als sich das Trio dem Tre sen näherte, und nickte andeutungsweise. »Was darfs denn sein?« erkundigte sie sich mit unsicherer Stimme. »Haben Sie einen trinkbaren Cognac, Kindchen?« erkundigte sich die ältere Dame freundlich. »Ich bitte Sie, Alkohol gibt’s hier nicht«, entrüstete sich die Be dienung. »Nicht in einem Fitneßcenter! Sie können Säfte haben, wir verfügen über eine reichhaltige Auswahl. Oder auch Mineral wasser.« »Aber Kaffee haben Sie doch wenigstens?« »Ja, natürlich.« »Gut, geben Sie uns Kaffee und zwei leere Gläser extra.« Verwundert führte die junge Frau die Bestellung aus. Sie stellte drei Tassen Kaffee auf den Tresen und zwei leere Gläser, wie sie sie zum Servieren von Fruchtsäften verwendete. »Mister Parker, zwei Kreislaufbeschleuniger, wenn ich bitten darf«, wandte sich Mylady an den Butler. Josuah Parker hatte den Wunsch bereits geahnt, als Lady Agatha die leeren Gläser orderte. Er goß großzügig bemessene Portionen ein und deutete eine Verbeugung an. »Kommen Sie, Kindchen, das bringt Sie wieder auf die Beine«, war die Detektivin sicher und reichte Charlotte Kelly ein Glas. Sie prostete ihr zu, setzte ihr eigenes Glas an und leerte es zügig. Die jungen Männer vor der Theke und die Bedienung sahen fas sungslos zu. »Das gibt’s doch nicht!« stammelte die junge Frau hinter dem Tresen und schüttelte ungläubig den Kopf.
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»Das kann ich nicht glauben«, kommentierte ein junger Mann und sah seinen Freund aus großen Augen an. »Was ist man schuldig?« erkundigte sich Josuah Parker bei der Bedienung und legte einen Schein auf die Theke. »Meine Wenigkeit darf Ihnen versichern, daß der Aufenthalt in Ihrem Etablissement durchaus anregend und kurzweilig wirkte«, teilte er dabei mit und lüftete andeutungsweise die Melone. »Ich habe Sie gar nicht kommen sehen«, gab die junge Frau zu rück. »Man bemühte sich um eine gewisse Zurückhaltung. Darin dürfte der Grund liegen«, tröstete Parker sie. »Immerhin dürfte ihr ge wohntes Publikum über ein anderes Äußeres verfügen.« »Da haben Sie – verdammt noch mal – recht«, stellte der andere junge Mann vor der Theke fest und lachte laut. »Amüsieren Sie sich etwa über mich, Sie Subjekt?« raunzte Myla dy ihn an und faßte ihn scharf ins Auge. »Ich hab’ Ihnen doch nichts getan«, steckte der Mann sofort zu rück, grinste dabei aber leichtsinnigerweise. »Das wollte ich Ihnen auch geraten haben, Sie kleiner Schlingel«, bemerkte Mylady schelmisch und zwickte ihn oberflächlich in die Wange. Das Gesicht des jungen Mannes verfärbte sich. Er stöhnte, be gann auf seinem Hocker zu schwanken und lief Gefahr herunter zu fallen, wenn ihn nicht der Butler rechtzeitig abgestützt und wieder zurechtgerückt hätte. »He, was hast du denn?« wollte sein Freund wissen und sah ihn besorgt an. »Vermutlich eine kleine Kreislaufschwäche, die gleich wieder vor über sein dürfte«, vermutete Josuah Parker und nickte freundlich. Dann wandte er sich an die junge Frau hinter dem Tresen und tat so, als hätte er etwas vergessen. »Mylady hat sich umgesehen, um sich erste Informationen über Ihr Etablissement zu verschaffen«, teilte er ihr mit. »Würden Sie so freundlich sein und veranlassen, daß man Lady Agatha Simp son Prospekte und Preislisten Ihres geschätzten Unternehmens ins Haus schickt?« Damit reichte er ihr seine Karte, die die junge Frau automatisch entgegennahm, ohne darauf zu sehen. »Aber das können Sie doch gleich mitnehmen«, schlug sie vor. »Ich habe alles da.«
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»Aus bestimmten Gründen würde man den Postweg vorziehen«, wehrte Parker ab. »Sie haben doch die Freundlichkeit, dafür zu sorgen?« »Wenn Sie unbedingt wollen.« Die junge Frau zuckte die Achseln, ihr war das schließlich egal. Sie legte die Karte in ein Fach hinter sich und nickte Parker zu. Der Butler legte indes nicht den geringsten Wert auf das Werbe material des Fitneßcenters. Ihm ging es nur darum, daß die Ad resse von Myladys Haus in Shepherd’s Market vorlag, um die Gangster zu gewissen Maßnahmen herauszufordern. Wenn man erst mal festgestellt hatte, was hier vorgefallen war, würde man sicher die ahnungslose junge Frau befragen und sich von ihr eine Beschreibung von Mylady und seiner Wenigkeit ge ben lassen. Die Bedienung sah kopfschüttelnd hinter ihnen her, als sie zum Aufzug gingen. So etwas hatte sie noch nicht gesehen. Dann aber kamen einige andere Fitneßapostel aus dem Übungsraum und setzten sich an die Bar, und sie vergaß das skurrile Paar, das of fenbar in Begleitung seiner Tochter gekommen war, als die sie Charlotte Kelly eingestuft hatte. »Würden sich Mylady noch einen Augenblick gedulden?« bat der Butler, nachdem man den Wagen erreicht hatte. »Was haben Sie vor, Mister Parker?« »Meine Wenigkeit möchte die Stimmung in der Agentur noch ein wenig anheizen, Mylady, und deshalb noch mal kurz vorbeischau en.« »Und wie stellen Sie sich das vor, Mister Parker?« Der Butler sagte es ihr, und Mylady nickte zufrieden. »Das gefällt mir, Mister Parker. Eigentlich müßte ich mitkommen und dabei sein. Aber ich werde mich um das arme Kind kümmern müssen. Beeilen Sie sich aber, und lassen Sie vorsichtshalber den Kreis laufbeschleuniger da. Ich fürchte, das Kind ist noch immer sehr durcheinander.« »Ein Eindruck, den auch meine Wenigkeit gewann«, stimmte der Butler zu und reichte ihr die lederumhüllte Taschenflasche in den Fond. *
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Die Empfangsdame sah konsterniert auf, als der Butler erneut in der Tür stand. »Sie?« dehnte sie das Wort und drückte gleichzeitig heftig einen Knopf auf ihrem Schreibtisch. Wenige Augenblicke später erschien die Agenturchefin, die durch das Signal wohl alarmiert worden war. Auch sie bekam große Au gen, als sie Parkers ansichtig wurde. »Ja, aber…« begann sie und brach dann hilflos ab. »Verzeihen Sie, wenn man die Damen noch mal belästigt«, ent schuldigte sich Josuah Parker höflich. »Bevor Sie übrigens die diesbezügliche Frage stellen, die Tür stand schon wieder offen. Möglicherweise liegt ein Defekt des Schließmechanismus vor. Sie sollten vielleicht einen Fachmann konsultieren.« »Das glaube ich nicht«, stieß die Agenturchefin hervor. »Wo ist Ken?« wandte sie sich an ihre Mitarbeiterin. »Schon gegangen«, bedauerte die Sekretärin. »Vor fünf Minu ten.« »Der rote Honda stand nicht mehr vor dem Haus«, bestätigte Parker. »Aber nun zum Anlaß meiner Rückkehr. Mylady läßt Ih nen noch mal ausdrücklich für Ihr Verständnis danken. Ihre Be sorgnis ist jetzt völlig ausgeräumt, sie war in der erfreulichen La ge, zwischenzeitlich auf ihre Nichte zu stoßen und sich ihrer an zunehmen.« »Sie war was?« Eileen Rogers wurde blaß. »Im Fitneßcenter über Ihnen«, fuhr Parker ungerührt fort. »Myla dy wollte sich eine solche Einrichtung schon immer mal ansehen und traf dabei auf ihre Nichte!« * »Na ja, welches gutaussehende junge Mädchen träumt nicht da von?« Charlotte Kelly saß im kleinen Salon des altehrwürdigen Fach werkhauses, das Lady Agatha in Shepherd’s Market bewohnte, und lächelte entschuldigungsheischend. Die anderen Personen waren außer der Hausherrin Kathy Porter und Mike Rander. Der Butler stand wie immer stocksteif und hochaufgerichtet hinter dem Stuhl seiner Herrin und fixierte einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand.
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Kathy Porter galt offiziell noch immer als Sekretärin und Gesell schafterin Myladys. Sie war eine attraktive junge Frau um die dreißig, deren hochangesetzte Wangenknochen und schrägge schnittenen Augen ihr exotischen Reiz verliehen. Wie sie so saß, wirkte sie wie ein scheues Reh. Allerdings konnte sie sich im Bedarfsfall in eine Pantherkatze verwandeln, die in allen fernöstlichen Verteidigungsarten bestens bewandert war. Schon vor geraumer Zeit hatte Mylady sie in die Kanzlei Mike Randers delegiert, damit sich die beiden >KinderThe Golden KnightGolden Knight< Erkundigungen einge zogen und dabei die Hilfe Mister McWardens in Anspruch genom men. Das Restaurant gehört einer Unternehmensgruppe, die ein deutig von Personen des organisierten Verbrechens beherrscht wird. Die Firma Bell Entertainments hält einen Anteil von zehn Prozent.« »Meine Güte, wie sind Sie nur darauf gekommen, daß da ein Zu sammenhang besteht, beziehungsweise, gibt es überhaupt ei nen?« wunderte sich Mike Rander. »Im Grund befinden sich beide Etablissements im selben Häuser block, Sir, nur genau entgegengesetzt. Deshalb liegen sie an Pa rallelstraßen. Auch dieser Block gehört der erwähnten Unterneh mensgruppe.« »Es ist also nicht ausgeschlossen, daß die beiden Lokale mitein ander verbunden sind, etwa im Kellerbereich. Wollen Sie das da mit sagen?« »In der Tat, Sir. Man muß die Verbindung nachträglich geschaffen haben. Aber sie dürfte ausgezeichnete Möglichkeiten bieten. So könnten Gäste des Restaurants den Club aufsuchen, ohne diesen von der Straße her zu betreten. Außerdem wäre eine solche Ver bindung auch umgekehrt von Nutzen. Bei Gefahr könnten Clubbe
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sucher das Restaurant aufsuchen und dort als ganz normale Gäs te auftreten.« »Da ist allerdings was dran, vor allem dann, wenn man die Be sitzverhältnisse berücksichtigt. Wie kriegen Sie solche Sachen nur immer in so kurzer Zeit raus, Parker? Und vor allem, wie haben Sie die Verbindung hergestellt? Das haben Sie noch nicht erklärt. Immerhin handelt es sich um zwei völlig verschiedene Adressen.« »Das hat er von mir gelernt, mein lieber Junge«, ließ sich Mylady vernehmen. »Reine Intuition, Sir, etwas Glück und dazu kam ja auch, daß beide Adressen zumindest im selben Stadtteil liegen. Außerdem kennt meine Wenigkeit die Gegend«, blieb der Butler besonnen. »Das ist alles schön und gut, aber wir müssen jetzt aufbrechen«, wurde die Hausherrin ungeduldig. »Oder gibt es noch etwas dazu zu sagen, Mister Parker?« »Mister Borman erhielt einen Anruf Mister Bellamys, der ihn auf eine kurzfristig angesetzte Veranstaltung im >Golden Knight< hinwies, die heute abend stattfindet. Er könnte dort gern erschei nen, seine blaue Karte, die für eine andere Veranstaltung be stimmt ist, habe auch dort Gültigkeit. Offiziell handelt es sich um eine Versteigerung alter Wertpapiere und Briefmarken, die von den Damen der Agentur herumgereicht werden.« »Ach ja?« spöttelte Mike Rander. »Und wie werden dann die ein zelnen Damen vergeben?« »Sie werden auf der Bühne, während ein Conferencier die einzel nen Stücke oder Sammlungen noch mal anbietet, diese hochhal ten oder darauf zeigen, soweit sie in fahrbaren Vitrinen verwahrt werden, erklärte Mister Borman. Der traurige Rest läuft – mit Verlaub – ab wie gehabt«, informierte der Butler. »Scheußlich!« Mike Rander schüttelte sich. »Ob die Strolche die Sache extra wegen Kathy und der Kelly angesetzt haben? Um besonders die beiden anbieten zu können? Und wenn ja, wie? Ich meine, in Kathys Fall dürfte das risikoreich sein.« »Man dürfte nicht davor zurückschrecken, notfalls auch Drogen einzusetzen Sir.« »Verdammt, ja, daran hab’ ich noch gar nicht gedacht. Also, wie gehen wir vor?« »Mister Borman ist bereit, Sie und Mister Pickett als vertrauens würdige Gäste einzuschleusen, Sir. Mylady wiederum hat die Ab sicht, sich auf andere Weise Zugang zu verschaffen.«
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»Und ob!« Agatha Simpson nickte grimmig. »Ich wiederhole mei ne Frage, Mister Parker: Wann breche ich endlich auf?« »In wenigen Minuten, Mylady, wenn man dies vorschlagen darf. Dann dürfte auch die Dunkelheit allmählich einsetzen und Myla dys Vorhaben begünstigen. Darf man bis dahin eine Erfrischung servieren? Der kommende Abend könnte turbulent werden.« * »Meine Güte, das ist das reinste Labyrinth.« Kathy Porter schaute vorsichtig um eine Ecke. Die beiden jungen Frauen schlichen schon eine halbe Stunde durch die ausgedehnte Kelleranlage, ohne bisher an eine Treppe gekommen zu sein, die nach oben führte. Dafür hatten sie Unterkünfte entdeckt, die einen trostlosen Ein druck machten. Die Räume waren nur noch dürftig mit einer Lie ge, einem Stuhl und einer Chemietoilette ausgestattet und erin nerten an Gefängniszellen. Im letzten Raum dieser Art, den Kathy Porter öffnete, fanden sie eine junge Frau, die sich verängstigt in eine Ecke drängte, als die Tür aufschwang. »Bitte, laßt mich doch endlich in Ruhe!« flehte sie, während sie abwehrend die Hände ausstreckte. »Bleiben Sie ruhig! Wir werden Ihnen helfen«, gab Kathy Porter in beschwörendem Ton zurück und zog die junge Frau aus ihrem Gefängnis. »Sie haben auch für LMSA gearbeitet?« erkundigte sie sich, während sie zu dritt weitergingen. »Ja, und als ich dann verschwinden wollte, haben sie mich er wischt. Die haben in allen Zimmern versteckte Kameras ange bracht. Ich hatte überhaupt keine Chance.« »In den bewußten Zimmern?« vergewisserte sich Randers Freun din. »Ja.« Die junge Frau schluchzte leise. »Na, da haben ja einige Herren noch Glück gehabt, daß wir uns jetzt um diese Strolche kümmern«, fand Kathy Porter. »Obwohl ich es ihnen fast gönne. Aber ich könnte mir vorstellen, daß die Kameras nicht nur zur Überwachung da sind. Für peinliche Bilder und Filme kann man leider viel Geld verlangen.«
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Dann stoppte sie abrupt, hielt ihre Begleiterinnen an den Armen fest und bedeutete ihnen, sich nicht zu rühren. In der Dunkelheit hörte man Schritte, die rasch näher kamen. Kathy Porter ließ die Feuerzeugflamme ausgehen und lauschte angespannt. * John Borman betrat mit seinen beiden »Geschäftsfreunden« den Raum, der keineswegs wie ein öder Konferenzsaal aussah. Man hatte die Tische mit weißen Damastdecken belegt, Kristallgläser funkelten, und an einer Längsseite gab es ein großes Büffet. Vor jedem Platz lag ein Katalog, der die angebotenen alten Wert papiere und Briefmarken beschrieb. Allerdings gab es in diesem Katalog auch einen Sonderteil, in dem man die netten Hostessen vorstellte, die die angebotenen Dinge präsentieren würden. Mike Rander wunderte sich nicht, daß auch ein Bild von Kathy und Charlotte Kelly dabei war. Alles in allem war die Organisation erstklassig. Die Gangster muß ten unter anderem über eine leistungsfähige Schnelldruckerei verfügen, die in wenigen Stunden in der Lage war, einen derart aufwendigen Prospekt herzustellen. »Die Kataloge werden nach der Veranstaltung wieder eingesam melt«, erläuterte Borman. »Obwohl sie genaugenommen harmlos sind, denn niemand könnte daraus Rückschlüsse ziehen, die dar auf hindeuten, daß… na ja, Sie wissen, was ich meine.« »Ja, ich weiß.« Mike Rander hatte Borman auf der Herfahrt übri gens gebeten, während ihres Aufenthalts im Konferenzsaal nichts Unüberlegtes von sich zu geben. Er konnte sich gut vorstellen, daß überall Richtmikrophone verteilt waren, die die Gäste be lauschten. Abgesehen davon fiel es ihm nicht schwer, versteckte Kameras auszumachen. Sie waren hervorragend getarnt, aber für ein geschultes Auge durchaus erkennbar. * Lady Agatha sah sich interessiert um. »Das sieht nicht schlecht aus hier«, fand sie.
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»Wie meine Wenigkeit bereits andeutete, hat das Restaurant ei nen ausgezeichneten Ruf, Mylady«, berichtete Parker. »Und wie Mylady sehen können, erfreut es sich deshalb eines regen Zu spruchs.« Dem war in der Tat so. Das Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt. Der Oberkellner näherte sich ihnen und sah Parker ab wartend an. »Man nimmt an einer Auktion teil, die in einem Ihrer Räume stattfindet«, erklärte der Butler. »Allerdings hat man sich ein we nig verspätet und müßte noch mal die Auslagen hinter der Bühne überprüfen. Eine von Myladys Firmen gehört zu den Anbietern.« »Da sind Sie bei mir falsch, Sir«, wurde Parker informiert. »Wenn Sie das Restaurant verlassen und der Ausschilderung zu den Kon ferenzräumen folgen, finden Sie neben der Garderobe eine ver schlossene Tür, die zu den Räumen hinter dem Podium führt. Ich werde anrufen und Bescheid geben, daß man öffnet.« »Verbindlichsten Dank! Sie sind sehr liebenswürdig«, sagte der Butler und schritt zu der bewußten Tür. Dort erwartete sie schon ein junger Mann in Abendkleidung. Der Oberkellner hatte erstaun lich schnell gehandelt. »Die Firma Finney Auktionshaus«, stellte Parker vor. Den Namen hatte er von John Borman erfahren. Offiziell war Finney der Ver anstalter des Abends. Mit Sicherheit gehörte auch dieses Unter nehmen zum Umfeld der Ganoven und diente dazu, auf kriminelle Weise verdientes Geld zu waschen. »Ich hoffe, hier kommt nicht jeder herein, junger Mann«, be merkte Mylady, während sie sich an dem Angesprochenen vorbei drängte. »Die Marken, die wir versteigern, sind sehr wertvoll.« »Keine Angst, bei uns kann nichts passieren«, behauptete der junge Bedienstete, während er die Tür hinter ihnen wieder schloß. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« »Bringen Sie mir bitte ein Gläschen Champagner! Geschäfte re gen mich immer an«, gab die ältere Dame zurück und lächelte erwartungsfroh. »Sehr gern.« Der Mann verschwand und war schon eine Minute später wieder zurück. »Schreiben Sie es auf meine Rechnung!« bat Mylady, während Parker ihm ein Trinkgeld reichte. »Wir finden uns allein zurecht«, teilte er ihm dabei mit. »Während der eigentlichen Veranstaltung ist ja niemand hier hinten?« »Nein, nur im Saal sind Kollegen, die dort bedienen.«
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»Sehr schön.« Parker nickte dem Ahnungslosen zu und entließ ihn. Dann wandte er sich an seine Herrin. »Man sollte jetzt viel leicht die Garderoben der Damen suchen, Mylady?« * »Moment mal! Wer seid ihr denn?« wunderte sich ein kompakt gebauter Mann Mitte Dreißig und stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte. Er baute sich vor dem skurrilen Paar auf und musterte es mißtrauisch. »Man möchte an der Auktion teilnehmen, Sir. Man ist doch hier an der rechten Stelle, oder?« erkundigte sich Josuah Parker ge messen und würdevoll. »Das hier sind sozusagen die Betriebsräume. Hier haben Gäste nichts zu suchen. Wie kommen Sie überhaupt hier rein?« »Würden Sie freundlicherweise den Weg zu den den Gästen zu gänglichen Räumlichkeiten zeigen, Sir?« bat Parker, ohne auf seine Frage einzugehen. »Ich kann hier nicht weg.« Der Kompakte sah sie mürrisch an. »Warten Sie! Ich ruf ‘nen Kollegen.« Damit wandte er sich um und griff nach einem Wandtelefon. Josuah Parker trat umgehend in Aktion. Er ließ den Schirmgriff auf den Mann fallen und fing den Zusammenbrechenden ge schickt auf. Dann rüttelte er an der Klinke der Tür, wo der Mann Wache gehalten hatte, und wunderte sich nicht, daß sie ver schlossen war. Den Schlüssel hatte der Kompakte in der Tasche. * Die jungen Frauen in dem Raum waren geschmackvoll gekleidet,
ohne dabei aber ihre Reize zu verbergen. Ihre Kleider waren so
raffiniert geschnitten, daß die körperlichen Vorzüge zumindest zu
erahnen waren.
Als die Tür geöffnet wurde, wandten sie ihre Gesichter dorthin
und starrten erstaunt dem eintretenden Paar entgegen.
Parker schloß die Tür hinter sich und zog die Melone vom Kopf.
Dann legte er einen Finger an die Lippen, bedeutete den Damen,
nichts zu sagen, und zog ein kleines Instrument aus der Tasche,
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das er durch die Luft schwenkte. Das Gerät begann umgehend leise zu fiepen, und eine kleine rote Lampe flackerte auf. Der Butler brauchte nicht lange, um mit Hilfe seines Spezialgeräts die »Wanzen« zu entdecken, mit denen die Garderobe abgehört wurde. Erst dann sprach er die jungen Frauen an. »Meine Wenig keit wünscht Ihnen einen Abend, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr viel angenehmer verlaufen wird, als Sie befürchtet haben«, begann er. »Man möchte Ihnen zunächst Lady Agatha Simpson vorstellen, die Sie in die Freiheit zurückfüh ren wird.« * Eileen Rogers schüttelte verärgert den Kopf, als sie um die Ecke bog und sah, daß der Wächter nicht vor der Tür stand. Sie würde Bellamy darüber berichten und dafür Sorge tragen, daß der Kerl eine ordentliche Abreibung bekam, beschloß sie wütend, kramte in ihrer Abendtasche, suchte und fand den Schlüssel und öffnete die Tür. »Nur herein, meine Liebe! Sie kommen gerade recht!« rief Mylady ihr entgegen. Die Agenturchefin erstarrte. Die Schlüssel fielen ihr aus der Hand, und der Mund blieb offenstehen. Sie blickte sich ungläubig um und begriff nicht, was sie sah. »Sie… Sie… wie kommen Sie hier herein?« »Immer dieselben Fragen«, reagierte Mylady mürrisch und winkte ab. »Das ist doch gleichgültig. Ich bin jedenfalls hier, und nur das zählt. Versuchen Sie übrigens nicht zu fliehen! Es hätte keinen Sinn.« »Die ist an allem schuld. Ich zerkratze ihr die Visage!« schrie ei nes der Mädchen und sprang auf. Sie spreizte ihre Finger und stürzte sich auf die Agenturchefin. »Später vielleicht, Kindchen«, wurde sie von der älteren Dame gestoppt. »Lassen Sie mich erst weitererzählen, wie ich mir das alles vorstelle!« Josuah Parker warf einen Blick auf seine Uhr. Dann nickte er zu frieden. Inzwischen durfte McWarden mit seinen Leuten in Stel lung gegangen sein; außerdem sollten Mike Rander und Horace
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Pickett bereits im Saal sein. Die Veranstaltung würde jeden Au genblick beginnen… * »Ich begrüße Sie recht herzlich und freue mich, daß Sie so zahl reich erschienen sind«, verkündete ein gutgelaunter Nigel Bella my auf der Bühne und sah lächelnd auf sein Publikum im Saal. »Wir kommen sofort zur Sache. Nun, also Objekt Nummer eins: ein kompletter Satz kolonialindischer Marken. Die Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Prospekt! Präsentiert wird die erlesene Sammlung übrigens von unserer reizenden Miß Peggy.« Damit verbeugte er sich, wartete, bis der Beifall verrauscht war, und drehte sich um. Er deutete auf den Vorhang hinter der Büh ne, der gerade aufging, und… Eileen Rogers erschien. Sie tat dies nicht ganz freiwillig. Hinter ihr stapfte Lady Agatha und trieb sie herein. Die ausschließlich männlichen Besucher an diesem Abend hielten das für einen Gag und klatschten Beifall. Mike Rander und Horace Pickett indes paßten auf. Als die ersten Kellner an ihnen vorbeieilen wollten und dabei unauffällig in ihre Innentaschen griffen, stellten sie die Beine vor und brachten die Männer zu Fall. Dann standen sie auf und sahen sich nach Bella mys Helfershelfern um. »Sie ist noch etwas schüchtern«, erklärte Agatha Simpson am Mikrophon zur Freude der Gäste. Niemand maß den Kellnern Be deutung bei, alle sahen aufmerksam zur Bühne. Dort wurde es noch turbulenter. Plötzlich erschienen Kathy Porter und die beiden anderen Frauen, ihnen auf den Fersen ein grimmig dreinblickender Mann, der sie zurückhalten wollte. Die drei Frauen hatten den Männern nicht ausweichen können. Zwei von ihnen hatte Kathy Porter ausschalten können, der dritte hatte eine Schußwaffe gezogen, und sie mußten fliehen. Er verfolgte sie durch ausgedehnte Kellergänge, bis sie eine nach oben führende Treppe fanden und hinaufeilten. Kathy sah sofort, daß sie hinter eine Bühne gelangt waren, und lief instinktiv auf den Vorhang zu, riß ihn auf und jagte an die Rampe. Ihr Verfolger mußte notgedrungen die Pistole einstecken, folgte aber.
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Nigel Bellamy sah, daß da etwas schiefgegangen war. Er warf sich herum und wollte fliehen, doch er hatte die Detektivin vergessen. Der Pompadour war schon unterwegs und schlug an seine Beine. Unter dem Beifall der Gäste wurde der Dicke nervös und versuch te, über eine schmale Treppe neben der Bühne in den Saal zu entkommen. Mylady nahm unverzüglich die Verfolgung auf, polterte hinter ihm die Stufen hinab und griff nach einem Sektkübel. Josuah Parker trat dem Verfolger der drei jungen Frauen in den Weg, entschuldigte sich bei ihm für das kommende Ungemach und klopfte mit dem bleigefüllten Schirmgriff an die Stirn des Mannes. * Die Gentlemen standen bedrückt in einer Ecke und musterten scheu die Polizisten, die McWarden mitgebracht hatte. Keiner von ihnen schien sich wohl zu fühlen in seiner Haut. »Da sieht man gewisse Wirtschaftsbosse mal ganz anders, Par ker«, bemerkte Mike Rander spöttisch und zwinkerte McWarden, der bei ihnen stand, zu. »Was sagen Sie dazu?« »Erst mal gar nichts. Was meinen Sie, was ich mir schon alles anhören mußte!« Der Chief-Superintendent lächelte grimmig. »Aber daraus mache ich mir nichts. Die Herrschaften haben einen Denkzettel verdient.« »Und ob!« Mike Rander sah, wie Lady Agatha auf die Männer zu ging, vor ihnen stehenblieb und jeden einzelnen scharf ins Blick feld nahm. »Mylady scheint sie ein bißchen einschüchtern zu wollen«, be merkte er zu den beiden anderen. »Mylady dürfte den Geboten der Höflichkeit folgen, Sir«, erklärte der Butler die Absichten seiner Herrin. »Sie stellt sich vor und bittet im Gegenzug den angesprochenen Herrn um seinen Na men.« »Wirklich?« Mike Rander lachte amüsiert. »Den der Mann natür lich gerne nennt?« »Das entzieht sich der Kenntnis meiner Person, Sir. Mylady deu tete allerdings an, daß ihr Gehör plötzlich unter einer hoffentlich vorübergehenden Beeinträchtigung leidet, so daß sie die Namen
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der Herren möglicherweise nicht gleich beim ersten Mal versteht und um eine Wiederholung bitten muß…«
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 537 Curd H. Wendt
PARKER stürzt den »Kälberkönig« Zufällig wird Lady Agatha Zeuge, wie Kälber rabiat auf die Lade fläche eines Viehtransporters getrieben werden. Sie entdeckt ihr Herz für Tiere und… sticht in ein Wespennest. Was weder die lei denschaftliche Amateurdetektivin noch Butler Parker ahnen kön nen: Die Kälber sind für einen der zahlreichen Mastbetriebe be stimmt, die unter dem Kommando des geheimnisvollen »Kälber königs« stehen. Und der läßt sich nicht gern in die Karten gucken. Doch das skurrile Paar aus Shepherd’s Market läßt sich durch An schläge nicht abschrecken, nimmt jede Herausforderung an und enthüllt die Praktiken des skrupellosen Großmasters, der beden kenlos mit Hormonspritzen und verseuchtem Kraftfutter arbeitet. Hauptsache, die Kasse stimmt. Er selbst käme ja auch nie auf die Idee, einen Kalbsbraten aus eigener Produktion zu verzehren…
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