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PARKER klärt die »Selbstmord-Serie« Günter Donges »Hegen Sie möglicherweise die Absicht, sich zu entleiben?« fragte Butler Parker den Mann, der auf der steinernen Brüstung einer Brücke stand und wie hypnotisiert auf die unten liegenden Gleise starrte. Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Gefährt angehalten und stieg aus. Er befand sich in einem südlichen Außenbezirk von London und benutzte eine kaum befahrene Landstraße. Der Angesprochene schien nichts gehört zu haben. Er hielt sich mit der rechten Hand an einer gußeisernen Laterne fest. »Falls Sie tatsächlich springen, Sir, haben Sie auf keinen Fall die Garantie, auch wirklich tot zu sein«, redete Josuah Parker mit ruhiger Stimme weiter. »Es kann zu schmerzhaften Knochenbrüchen oder inneren Verletzungen kommen.« »Bleiben Sie stehen, oder ich springe!« »Bevorzugen Sie in solch einem Fall den Kopfsprung, Sir?« Die Hauptpersonen: Jerry Linfalt setzt einen Kleinlaster in den Graben. Henry Burgess will unbedingt von einer Brücke springen. Jill Burgess wundert sich über das Auftauchen ihres Mannes. Mike Loemond erlebt eine Lady Agatha aus allernächster Nähe. Dave Potting landet in einem Dach-Container. Carlo Viteilo unterzieht sich einer Käse-Gesichtspackung. Lady Agatha Simpson legt sich mit einigen Lümmeln an. Butler Parker reizt einen geheimnisvollen Gartenzwerg. Der Butler fügte hinzu: »Es verlangt eine gute Körperbeherrschung, wie meine Wenigkeit Ihnen versichern darf.« »Bleiben Sie stehen«, verlangte der potentielle Selbstmörder, der sich inzwischen halb umgewandt hatte und Parker aus leeren Augen anblickte. »Ihr wahrscheinlich letzter Wunsch ist meiner Wenigkeit selbstverständlich Befehl«, erwiderte der Butler. »Darf man übrigens 2
fragen, ob Sie vor dem Sprung noch zusätzlich auf einen Zug warten?« Parker deutete mit der Schirmspitze über die Brüstung hinweg auf die beiden Gleise, die hinter einer sanften Biegung in einem kleinen Waldstück verschwanden. Der kleine Trick zahlte sich aus. Der Mann, der nach wie vor fest entschlossen schien, sich von der Brücke zu stürzen, nahm den Kopf herum und suchte nach dem Zug, auf den der Butler hingewiesen hatte. Diese kleine Unaufmerksamkeit reichte Parker völlig, um seinen Schirmgriff als eine Art Rettungsanker zu verwenden. Blitzschnell legte Parker den Bambusgriff um den Hals des Sprungbereiten und zerrte ihn zurück auf den schmalen Gehweg vor der Brüstung. Der Mann schrie auf, wehrte sich gegen den Halsgriff und war wie von Sinnen. Er überfiel den Butler mit üblen Schimpfworten und wollte zusätzlich noch handgreiflich werden. Er schwang ungelenk die Fäuste und hoffte auf einen Zufallstreffer. »Sie scheinen ein wenig außer sich zu sein«, stellte der Butler höflich fest. Er war einen Schritt zurückgewichen und setzte den Schirmgriff erneut ein. Mit wohlgezieltem Schlag auf die Stirnpartie des Mannes machte er dem potentiellen Brückenspringer den Garaus und blickte dann auf den Mann hinunter, der sich vor der Steinbrüstung niedergelassen hatte. Butler Parker beugte sich über ihn und leistete Erste Hilfe. Dabei glitten seine geschmeidigen Finger natürlich auch in die Anzugtaschen des Mannes. Parker wunderte sich kaum darüber, daß er nichts fand. Die Taschen waren leer geräumt. Als er sich wieder aufrichtete, hörte er einen näher kommenden Wagen. Parker machte einen kleinen Kastenlieferwagen aus, der in schnellem Tempo jäh gebremst wurde. Der Fahrer schob den Kopf durch das geöffnete Seitenfenster und rief: »Is’ was? Brauchen Sie Hilfe?« »Nicht unbedingt«, lautete Parkers Antwort. »Der Passant dürfte seine kleine Kreislaufschwäche bereits überwunden haben.« »Okay dann, ich hab’s eilig.« Der Fahrer des Kastenlieferwagens winkte Parker zu und… hielt plötzlich eine Faustfeuerwaffe in der linken Hand. Diese Waffe war mit einem überdimensional großen Schalldämpfer versehen. Bevor der Fahrer diese an sich etwas sperrige 3
Waffe auf Parker richten konnte, nahm der Butler seinen altväterlich gebundenen Schirm hoch und schoß seinerseits. Aus dem hohlen Schirmstock, der nichts anderes war als ein Blasrohr nach der Art der Amazonasindianer, jagte ein kleiner, buntgefiederter Pfeil auf den Kastenwagen zu und… bohrte sich in den Oberarm des Schießwütigen. Danach verzichtete er auf den geplanten Schuß. Der Fahrer nahm ungemein hastig die Hand zurück ins Fahrerhaus und brauchte nur wenige Augenblicke, um den Wagen wie eine Rakete zu beschleunigen. Josuah Parker war klar, daß er den Wagen samt Fahrer bald wiedersehen würde. * Der kleine Kastenlieferwagen lag seitlich im Straßengraben. Er schien relativ sanft weggerutscht zu sein, denn der Aufbau hatte sich nicht unter der Wucht des Aufpralls verschoben. Der Butler stoppte sein hochbeiniges Gefährt, stieg aus und begab sich hinüber zur Unfallstelle. Erfreulicherweise war das Wegrutschen bisher noch nicht wahrgenommen worden. Die Landstraße, auf der man sich befand, war durch eine breite Umgehungsstraße praktisch aus dem Verkehr gezogen worden. Sein Fahrgast im Fond des Wagens wirkte nach wie vor apathisch. Er hing förmlich in der rechten Wagenecke und schien zu schlafen. Als Parker mit dem Fingerknöchel gegen die Scheibe klopfte, erfolgte keine Reaktion. Ebenfalls keine Reaktion zeigte der Fahrer des Kastenlieferwagens. Er lag zusammengekauert in einer Ecke des Fahrerhauses und blickte den Butler aus weit geöffneten, aber leeren Augen an. Das chemische Präparat an der Pfeilspitze hatte wieder mal prompt gewirkt. »Sie müssen ein wenig vom Pfad der Tugend abgewichen sein«, sagte Josuah Parker zu dem Mann, der plötzlich reagierte. »Darf man sich erlauben, Ihnen aus dem Wagen zu helfen?« Der Mann lächelte schüchtern und drückte sich versuchsweise hoch. Parker reichte ihm die rechte Hand und zog den Mann aus seiner Schieflage nach oben. Nach wenigen Minuten stand der Fahrer des kleinen Kastenwa4
gens neben seinem Fahrzeug und machte wieder einen apathischnachdenklichen Eindruck. Daß er längst nicht mehr im Besitz seiner Schußwaffe war, hatte er nicht mitbekommen. Mit der Geschicklichkeit eines Taschendiebes hatte Parker ihm die Waffe aus der Schulterhalfter gezogen. »Sie hatten den Auftrag, auf jemand zu schießen?« erkundigte sich Parker. »Weiß ich nicht«, lautete die verblüffende Antwort. »Wollten Sie jenen Mann treffen, der auf der Steinbrüstung der Brücke stand?« »Ich glaub’ schon«, erwiderte der Fahrer. »Und von wem hatten Sie diesen speziellen Auftrag, um auch diese Frage zu klären?« »Vom Gartenzwerg«, antwortete der Mann, ohne eine Miene zu verziehen. »Würden Sie dies freundlicherweise noch mal wiederholen?« Parker ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er war und blieb das Muster eines britischen Butlers, den nichts zu erschüttern vermochte. »Vom Gartenzwerg«, bekräftigte der Fahrer seine erste Aussage. Er lächelte und scharrte ein wenig verlegen mit der linken Schuhspitze auf dem Asphalt der Straße. »Und wo, bitte, erreicht man diesen Gartenzwerg?« wollte der Butler wissen. »Weiß ich nicht.« Der Fahrer lächelte nicht mehr. Er runzelte die Stirn und dachte sichtlich angestrengt nach. »Wie setzte er sich denn mit Ihnen in Verbindung?« fragte Josuah Parker. »Telefon«, lautete die lakonische Antwort. »Macht der mit dem Telefon.« »Ihr Telefon steht wo und ist unter welcher Adresse zu erreichen?« Der Mann nannte umgehend eine Adresse im Londoner Osten. Und lieferte dann gleich noch seinen Namen nach. Er hieß Jerry Linfalt und war arbeitslos, wie er hinzufügte. »Demnach gehört Ihnen dieser Wagen nicht?« »Der stand an der Straßenecke. Und der Schlüssel lag im Briefkasten«, erklärte der Fahrer. »Hat der Gartenzwerg alles am Telefon gesagt.« »Und wie lautete genau Ihre Aufgabe?« 5
»Ich sollte Burgess überwachen, Henry Burgess.« »Damit meinen Sie den Mann auf der Brücke?« Der Fahrer schüttelte sich leicht. Seine Augen nahmen plötzlich einen anderen Ausdruck an, wie Parker bemerkte. Die Wirkling des chemischen Präparats aus der Pfeilspitze ließ sichtlich nach. Er atmete tief durch, schien Parker jetzt erst richtig zu sehen und wich langsam zurück. »Verdammt, haben Sie mir nicht den Pfeil verpaßt?« fragte er dann mit völlig veränderter Stimme. »In der Tat«, gab der Butler zurück. Der Fahrer blickte sich verstohlen um und rannte los. Er wollte eindeutig die Flucht ergreifen, griff dabei aber nach der längst nicht mehr vorhandenen Waffe und… rutschte in sich zusammen. Er hatte seine Kräfte überschätzt. * Sie hatte vor vielen Jahren beschlossen, sechzig Jahre alt zu bleiben. Sie war groß, eine majestätische Erscheinung, hatte weißgraues Haar, eine tiefe, sonore Stimme und war von der Energie eines Bulldozers beseelt. Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verwandt, zeichnete sich durch Ungeniertheit aus. Sie sagte stets das, was sie gerade dachte, und trat somit in jedes erreichbare Fettnäpfchen. Die ältere Dame war immens vermögend und konnte sich den Luxus leisten, sich als Amateurdetektivin zu betätigen. Sie wurde dabei ungemein diskret von ihrem Butler beschützt, der stets alle Hände voll zu tun hatte, um seine Herrin vor Schaden zu bewahren. Agatha Simpson befand sich an diesem frühen Abend in der großen Wohnhalle ihres Fachwerkhauses in Shepherd’s Market und hatte gerade Parkers Bericht zur Kenntnis genommen. »Wieso waren Sie eigentlich unterwegs«, fragte sie kopfschüttelnd, »und das auch noch ohne mich?« »Mylady ließen durch meine Wenigkeit den Zustand einer alten Dorfkirche überprüfen«, erinnerte der Butler. »Mylady spielen in diesem Zusammenhang mit dem Gedanken, sich finanziell an der Renovierung des Gotteshauses zu beteiligen.« »Was ich mir noch sehr gründlich überlegen werde«, meinte sie 6
umgehend. Sie war sparsamer als ein ganzer Schotten-Clan zusammen. »Ich muß schließlich mit jedem Penny rechnen. Aber zurück zu diesem Zwischenfall, Mister Parker: Sie sind sich hoffentlich im klaren darüber, daß Sie wieder mal einen Fehler begangen haben, nicht wahr?« »Mylady wollen dies gütigst entschuldigen.« Parkers glattes Pokergesicht blieb unbewegt. »Wenn ich dieses Subjekt verhört hätte, wüßten wir jetzt mehr über diese Vogelscheuche.« »Gartenzwerg, Mylady«, korrigierte Parker gemessen. »Ob Vogelscheuche oder Gartenzwerg, Mister Parker, das ist doch völlig gleichgültig«, meinte sie abfällig. »Ich hätte in jedem Fall wertvolle Hinweise bekommen.« »Die Adresse des Mister Jerry Linfalt ist bekannt, Mylady.« »Sie wird natürlich nicht stimmen. Er hat Sie nach Strich und Faden belogen, aber das haben Sie nicht mitbekommen, Mister Parker. Sie sind und bleiben einfach zu vertrauensselig.« »Eine Schwäche, Mylady, die es zu korrigieren gilt.« »Und was ist mit diesem Selbstmörder nun?« forschte sie noch mal nach, obwohl Parker ihr natürlich mitgeteilt hatte, daß er sich als Gast des Hauses betrachten durfte. »Mister Henry Burgess dürfte innerhalb der nächsten Stunde ansprechbar sein, Mylady.« »Hat er während der Fahrt hierher nach London nichts gesagt?« »Er hüllte sich in Schweigen, Mylady.« »Weil Sie ihn wohl falsch angepackt haben«, seufzte sie verzweifelt. »In meiner Gegenwart hätte er natürlich gesprochen. Nun gut, ich werde ihn später verhören und dann erfahren, wer er ist.« »Mister Henry Burgess dürfte nicht gerade unbekannt sein, Mylady.« »Aha, der Name kam mir ja gleich so geläufig vor«, behauptete sie umgehend. »Ich wollte Ihnen nur nicht vorgreifen, Mister Parker. Und wer ist das nun?« »Mister Henry Burgess ist ein in Fachkreisen bekannter Physiker, Mylady, der vor einigen Monaten plötzlich untertauchte. Über sein Verschwinden wurde seinerzeit erheblich gerätselt, wie Mylady sicher wissen.« »Selbstverständlich, Mister Parker.« Sie nickte bekräftigend. »Ich habe die Schlagzeilen noch vor mir. Man behauptete damals, 7
er wäre übergelaufen, nicht wahr?« »Nicht direkt, Mylady«, erfolgte Parkers sanfte Korrektur. »Man sprach davon, er wäre als Geisel im Nahen Osten genommen worden. Mister Burgess verschwand während einer Urlaubsreise an den Gestaden des östlichen Mittelmeers.« »Ich wußte es doch.« Sie nickte und lächelte wohlwollend. »Und nun ist er, mein Gast hier. Ich weiß bereits jetzt, daß ich wieder mal einem sensationellen Kriminalfall auf der Spur bin, Mister Parker.« »Dem möchte meine Wenigkeit, wenn es gestattet ist, sich voll und ganz anschließen«, antwortete der Butler. »Allein schon der Hinweis auf einen sogenannten Gartenzwerg garantiert einen zusätzlichen Reiz, wenn man es mal so ausdrücken darf.« * Josuah Parker rechnete mit Ärger. Er hatte den Fahrer des Kleinlasters nicht ohne Grund neben seinem weggerutschten Fahrzeug zurückgelassen. Er brauchte Informationen über diesen Mann, der im Auftrag eines seltsamen Gartenzwerges gehandelt hatte. Diese Informationen sollte Horace Pickett ihm beschaffen, den er gleich nach dem Zwischenfall per Telefon alarmiert hatte. Pickett und seine Freunde überwachten nun die Umgebung der Wohnung dieses Jerry Linfalt und ließen ihn nicht aus den Augen. Für Parker war es klar, daß Linfalt seinerseits ebenfalls telefoniert hatte, wenn schon nicht mit dem Gartenzwerg, dann wohl mit Freunden, die ihrerseits vielleicht wußten, wie man sich mit diesem ominösen Mann in Verbindung setzen konnte. Es war also damit zu rechnen, daß die Gegenseite bereits geschaltet hatte und nur darauf wartete, einen unbequemen Augenzeugen zu beseitigen. Lady Agatha saß während der abendlichen Ausfahrt im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Privatwagen genannt wurde. Dieses ehemalige, schon betagt aussehende Londoner Taxi war allerdings nach seinen genauen Vorstellungen in eine Trickkiste auf Rädern umgebaut worden. Um diesen Wagen hätte selbst James Bond ihn mit einiger Sicherheit beneidet. »Ich fahre jetzt also zu wem, Mister Parker?« fragte sie nach 8
einer Weile. »Zu Mistreß Jill Burgess, Mylady«, erinnerte Parker. »Es handelt sich dabei um die Ehefrau des Mister Burgess, der sich von der Brücke stürzen wollte.« »Aha. Und ich werde dieser Frau die erfreuliche Mitteilung machen, daß ihr Mann lebt.« »Vielleicht nicht umgehend, Mylady«, schlug der Butler vor. »Mylady haben sicher die Absicht, sich erst mal Mistreß Burgess anzusehen.« »Das ist doch wohl selbstverständlich«, mokierte sie sich. »Eine Lady Simpson fällt nie mit der Tür ins Haus. Hier ist äußerste Diskretion geboten, aber so etwas gehört ja zu meinen Spezialitäten.« »Mylady behandeln heikle Themen stets mit größter Delikatesse«, meinte Parker in seiner höflichen Art. »Man sollte Mistreß Burgess vielleicht mitteilen, man habe auf Umwegen erfahren, daß Mister Burgess ein Lebenszeichen von sich gegeben haben könnte.« Während Parker diesen Vorschlag unterbreitete, blickte er wieder wie beiläufig in den Außenspiegel und sah erneut einen unauffälligen Austin, der seinem Gefährt beharrlich folgte. Am Steuer saß ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, der keineswegs wie ein Gangster aussah. Er rauchte mit sichtlichem Genuß eine Zigarre und griff immer wieder nach vorn zu seinem Radio. Unauffälliger und ziviler konnte sich ein Autofahrer kaum benehmen, doch davon ließ der Butler sich nicht täuschen. Sein stets waches Gefühl sagte ihm, daß man es mit einem Profi zu tun hatte. Immerhin folgte der Unauffällige ihm durch die schmälsten Seitenstraßen der City. So etwas konnte kein Zufall sein. Parker wollte sich Gewißheit verschaffen. In einer relativ ruhigen Zone hielt er vor einem mächtigen Bürohaus, in dem laut Messing- und Bronzeschildern wenigstens sechs Anwälte ihre Praxen hatten. »Was ist denn?« fragte Lady Agatha, die ein wenig meditiert hatte, wie sie ihre kurzen Schlafpausen zu umschreiben pflegte. »Würden Mylady bereit sein, sich als Köder für einen Verfolger anzubieten?« fragte Parker. »Aber jederzeit«, meinte sie und war sofort wieder hellwach. »Wer verfolgt mich?« 9
»Offenbar ein Handlanger des Gartenzwerges, Mylady.« »Und wie werde ich dieses Subjekt hereinlegen?« »Mylady brauchen nur im Wagen zu bleiben. Mit einem Überfall dürfte fest zu rechnen sein.« »Sehr schön«, freute sie sich. »Ich werde wieder mal ein Exempel statuieren, Mister Parker. Und was werden Sie tun?« »Meine Wenigkeit wird den Besuch bei einem Anwalt vortäuschen«, meinte der Butler. »Der Verfolger wird sich aber mit Sicherheit mit Mylady befassen wollen.« »Ich bin gewappnet«, kündigte sie an und legte sich ihren perlenbestickten Pompadour zurecht. In diesem kleinen Handbeutel befand sich ihr Glücksbringer, wie sie das veritable Hufeisen eines mächtigen Brauereipferdes nannte. Sie lächelte in echter Vorfreude und hatte nun nichts dagegen, daß ihr Butler den Wagen verließ. * Er betrachtete Lady Agatha als leichte Beute. Nachdem der Butler das Bürohaus betreten hatte, stieg der Vierzigjährige aus dem Wagen und schlenderte langsam zu dem hochbeinigen Monstrum des Butlers. Er konzentrierte sich auf die Dame, die in der Wagenecke saß und gelangweilt in einem Modejournal blätterte, das sie aus einem Seitenfach der Tür geholt hatte. Plötzlich wurde der Verfolger sehr aktiv. Nach einem verstohlenen Blick in Richtung Eingangstür des Bürohauses faßte er schnell nach dem Türgriff des hochbeinigen Monstrums. Er hatte die Absicht, die hintere Tür schwungvoll aufzureißen. Dabei langte er gleichzeitig nach einer Waffe, die sich in einer Schulterhalfter befand. Vor dem Verlassen des Wagens hatte Josuah Parker einen der vielen Kippschalter auf dem reichlich besetzten Armaturenbrett umgelegt. Damit hatte er die Türgriffe unter Strom gesetzt, der schlagartig die Handmuskeln kitzelte. Der Mann, der sich für Mylady interessiert hatte, verspannte sich. Dann drückte es ihn vom Wagen weg, als hätte eine unsichtbare Riesenfaust zugeschlagen. Der Angreifer landete auf dem Rücken, wälzte sich auf die linke Seite und war nicht mehr 10
fähig, eine koordinierte Bewegung auszuführen. »Darf man sich erlauben, Ihnen eine hilfreiche Hand zu leihen?« erkundigte sich Josuah Parker. Er war aus dem Eingang getreten, wo er auf dieses Ergebnis gewartet hatte. Der Butler beugte sich über den Vierzigjährigen, der ihn aus vor Schreck geweiteten Augen anblickte. Er wollte etwas sagen, doch er schaffte es nicht. »Entspannen Sie sich«, schlug Parker dem Mann vor. Er hatte längst die Waffe in der Schulterhalfter gefunden und nahm sie an sich. »Sie werden Ihren Schock gleich überstanden haben.« Josuah Parker half dem Mann hoch und zeigte dabei, wie durchtrainiert er war. Er versorgte den Vierzigjährigen mit erstaunlicher Leichtigkeit und hievte ihn in den Wagenfond, nachdem er vorher die Türgriffe neutralisiert hatte. Dazu hatte er einen kleinen, aber langen Schlüssel in eine Ausbohrung gesteckt, die von einer Gumminoppe verdeckt war. »Er ist voll auf mich hereingefallen«, lobte die ältere Dame sich grimmig. »Dieses Subjekt wird gleich etwas erleben.« Während sie noch redete, zog sie eine ihrer Hutnadeln aus dem skurrilen Gebilde, das auf ihrem Kopf saß. Parker drückte den Vierzigjährigen in die freie Ecke und verband die Handgelenke mit einer Handschelle. Für weitere Sicherungen brauchte er nicht zu sorgen. Mylady war nicht die Frau, die man so leicht überrumpeln konnte. Der Vierzigjährige kam langsam wieder zu sich und atmete wesentlich freier als zuvor. Er nahm etwas mühsam den Kopf herum, denn seine Muskeln waren noch immer verspannt. Er blickte auf Lady Agatha und fragte etwas, das man allerdings nicht verstehen konnte. Seine Zunge war noch wie gelähmt. »Ich hoffe, Sie werden gleich versuchen, junger Mann, mich anzugreifen«, sagte Lady Agatha und prüfte mit dem linken Zeigefinger die Spitze der Hutnadel. »Ich habe dann die Gelegenheit, in Notwehr zu handeln.« Er schielte auf die einem Bratspieß ähnliche Waffe und rückte, soweit es überhaupt möglich war, noch weiter in seine Ecke zurück. * »Sie sollten Mylady nicht in eine ärgerliche Grundstimmung ver11
setzen«, warnte Parker den Fahrgast. »Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Angaben zur Person und zu Ihrem Auftrag zu machen.« »Was… was soll das alles?« empörte sich der Vierzigjährige. Er kam sich wieder fit vor. »Wieso verschleppen Sie mich eigentlich?« »Noch eine Frage dieser Art, junger Mann, und ich werde Sie ohrfeigen«, kündigte die ältere Dame grollend an. »Sie wollten sich an mir vergreifen, an einer wehr- und hilflosen Frau.« »Ich… ich wollte nach der Uhrzeit fragen«, lautete die mehr als faule Ausrede, »und dann hab’ ich plötzlich so einen verrückten Schlag bekommen.« »Der sich gleich wiederholen wird«, prophezeite Lady Agatha erfreut. »Sie versuchten im Auftrag eines gewissen Gartenzwergs, Mylady und meine Wenigkeit zu überfallen und vielleicht sogar auch zu töten«, schaltete der Butler sich ein. Er saß längst wieder am Steuer und lenkte sein hochbeiniges Monstrum durch die Straßen. Sein Ziel war nach wie vor, Mrs. Burgess einen Besuch abzustatten. Man hatte Regent’s Park bereits passiert und war auf dem Weg nach St. John’s Wood. »Gartenzwerg? Nie von gehört«, behauptete der Mitfahrer umgehend. »Und wer soll das sein?« »Demnach verfolgen Sie Mylady also im Auftrag einer anderen Person?« Parker konnte auf die Wechselsprechanlage verzichten. Er hatte die Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Wagenfond versenkt. »Ich hab’ überhaupt keinen verfolgt«, sagte der Vierzigjährige. »Mann, was bilden Sie sich eigentlich ein? Leiden Sie unter Verfolgungswahn?« »Wird man die Schreie des Subjekts draußen auf der Straße hören, Mister Parker?« vergewisserte sich Agatha Simpson sachlich. »Was für Schreie, Lady?« Der Mitfahrer dämpfte unwillkürlich die Stimme, schielte noch mal auf die Hutnadel und wagte dann dummerweise einen Ausfall. Er warf sich auf die ältere Dame und wollte seine an den Händen gefesselten Arme über ihren Kopf schieben, um sie auf diese Art in die Zange zu nehmen. Dann schrie er allerdings fast ungläubig auf. Lady Agatha hatte sich nicht geniert, ihm die Spitze der Hutnadel in die Hüfte zu drücken. Natürlich hatte sie nicht übertrieben 12
reagiert, doch ihre Andeutung reichte völlig, um den Mann aus der Fassung zu bringen. »Sie… Sie bringen mich um«, stöhnte er und zog sich in seine Ecke zurück. »Reden Sie keinen Humbug«, antwortete die passionierte Detektivin. »Das war nur ein freundlicher Pikser, ich kann ganz anders zustechen. Sie brauchen es nur zu sagen.« »Falls Mylady zu wünschen geruhen, könnte man die Fahrbahn verlassen und einen kleinen Aufenthalt in einer stillen Seitenstraße einlegen.« Parker nahm den Kopf andeutungsweise herum. »Ein guter Vorschlag«, erwiderte die ältere Dame und nickte wohlwollend. »Kommt nicht gleich der Regent’s Canal?« »Es gibt dort erfreulich ruhige Passagen, Mylady.« Parker nickte. »Was… was wollen wir dort?« stotterte der Mann weiter. Auf seiner Stirn hatten sich dicke Schweißperlen gebildet. »Mylady wird Sie dazu überreden, einige Informationen preiszugeben«, beantwortete der Butler die Frage. »Tun Sie mir die Freude und reden Sie nur nicht vorzeitig«, fügte Agatha Simpson grimmig hinzu. »Bringen Sie mich nicht um mein Vergnügen, junger Mann.« Der Fahrgast zweifelte eindeutig an seinem Verstand. Er blickte die resolute Dame verstohlen abschätzend an und kam wohl zu dem Schluß, es mit einer Verrückten zu tun zu haben. Während seiner Jahre als Gangster war ihm eine solche Frau nie über den Weg gelaufen. Was den Butler betraf, so wußte er mit dieser Höflichkeit nichts anzufangen. Sie war ihm schlicht unheimlich. »Okay, Lady, ich packe vorzeitig aus«, sagte er hastig. »Ich bin Joe Cattners und arbeite für einen gewissen Mike Loemond. Sind Sie jetzt zufrieden?« »Überhaupt nicht«, gab Agatha Simpson enttäuscht zurück. »Und wie lautete Ihr Auftrag, Mister Cattners?« fragte der Butler. »Ich sollte die Lady und Sie zwingen, nach Hause zurückzufahren.« »Zurück nach Shepherd’s Market, Mister Cattners?« »Genau. Und von dort sollte ich dann ‘ne bestimmte Telefonnummer anrufen.« »An die Sie sich bestimmt erinnern werden, Mister Cattners.« »Klar doch, die hab’ ich mir genau eingeprägt. Wollen Sie sie 13
hören?« »Wenn Sie so liebenswürdig sein würden.« Josuah Parker nickte verhalten und prägte sich seinerseits die Nummer ein, die Joe Cattners ihm nannte. * Butler Parker stand in einer Telefonzelle und hatte gerade die ihm genannte Telefonnummer gewählt. Auf der Gegenseite wurde nach einer Weile abgenommen, eine helle Stimme meldete sich. Parker hörte Hintergrundgeräusche, die erkennen ließen, daß sein Gesprächspartner sich wohl in einem Pub aufhielt. »Mister Loemond, wenn man bitten darf«, sagte Parker. »Man spricht übrigens mit welcher Lokalität?« »Lokalität?« Die Frage kam einigermaßen erstaunt. »Der Name des Restaurants, in dem Sie offensichtlich als Barkeeper arbeiten.« »Ach so… Na ja, Restaurant ist leicht übertrieben, Mann. Sie sind mit dem Double Pint verbunden. Wen wollen Sie sprechen?« »Mister Mike Loemond«, wiederholte Parker den Namen, den der Vierzigjährige genannt hatte. »Moment mal, ich rufe ihn aus.« Der Barkeeper besorgte das sehr laut und deutlich. Er wiederholte den Namen einige Male, um sich dann wieder mit normaler Stimme zu melden. »Pech für Sie, Sir«, sagte er. »Hier meldet sich keiner.« »Ist Ihnen denn ein Mister Loemond bekannt?« »Keine Ahnung«, lautete die vorsichtige Antwort. »Kommt mir aber ziemlich fremd vor, denke ich.« Parker bedankte sich und legte auf. Er schritt gemessen zum Wagen zurück. Der Mitfahrer blickte ihn in einer Mischung aus Sorge und Angst an. »Hat er sich gemeldet?« fragte er, als Parker wieder am Steuer Platz nahm. »Bestimmt nicht«, warf Agatha Simpson boshaft ein. »Sie haben mich natürlich angelogen, was diesen Namen betrifft.« »Bestimmt nicht, mein Wort, Lady.« Der Mann schielte nach der Hutnadel. »Als der mich angehauen hat, hat er sich als Loemond vorgestellt.« »Sie haben ihn als Person gesehen, Mister Cattners?« fragte der 14
Butler. »Nee, das nicht, der hat mich in meinem Billardclub angerufen.« »Sie betreiben ein Pub dieser Art?« »Im Osten der Stadt, in Stepney«, redete der Mann hastig weiter. »Und dort hat er mich angerufen. Vorher hab’ ich von diesem Loemond noch nie gehört.« »Ihnen ist bekannt, was sich unter der von Ihnen genannten Telefonnummer verbirgt, Mister Cattners?« fragte Parker geduldig weiter. »Na ja, ich hab’ da angerufen, ich wollt’ mal wissen, was mit der Nummer los ist.« »Und zu welchem Resultat kamen Sie, Mister Cattners?« »Das is’ das Double Pint, irgendein Pub in Soho.« »Sie lügen selbst dann, wenn Sie nur guten Tag sagen«, warf Lady Agatha ein. »Ich glaube Ihnen kein Wort.« »Man sollte Mister Cattners vielleicht einladen, mit nach Shepherd’s Market zu kommen, Mylady.« »Nun gut, aber was mich das alles wieder kostet«, seufzte die Detektivin. »Möglicherweise wird Mister Cattners Mylady nur für wenige Stunden zur Last fallen«, beruhigte Parker seine Herrin. »Das hört sich schon besser an«, meinte sie. »Während dieser Zeit braucht er ja wohl kaum verpflegt zu werden, nicht wahr?« »Man könnte Mister Cattners eine Tasse Tee anbieten, Mylady.« »Was dann aber auch schon reichen wird«, sorgte sie sich. »Und was plane ich nun, Mister Parker? Da war doch noch etwas, das ich unbedingt erledigen wollte.« »Mylady sind auf dem Weg zu Mistreß Burgess«, erinnerte Josuah Parker höflich. »Für den Rest der Fahrt wird Mister Cattners sicher nicht mehr gebraucht.« Bevor Mylady sich dazu äußern konnte, hatte Parker bereits gehandelt. Er betätigte wieder einen der vielen Kippschalter, worauf Cattners auf seinem Sitz leicht zusammenzuckte. »Was ist denn, junger Mann?« raunzte die ältere Dame sofort. »Sitzen Sie gefälligst ruhig. Oder möchten Sie mich noch mal angreifen?« »Da hat mich was gestochen«, beschwerte sich der Mann und rutschte ausgesprochen unruhig auf dem Sitz hin und her. »Unsinn«, erwiderte die ältere Dame, obwohl sie diesmal sehr 15
genau wußte, was passiert war. Parker hatte eine im Sitzpolster versteckt angebrachte Nadel aktiviert. Die Spitze dieser Nadel hatte Kontakt mit einer der beiden Gesäßhälften des Gangsters aufgenommen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Cattners eingeschlafen war. * Till Burgess war etwa dreißig Jahre alt, langbeinig, blond und sehr attraktiv. Sie öffnete eine kleine, viereckige Sichtklappe in der Haustür und blickte Parker überrascht an. »Mistreß Jill Burgess?« vergewisserte sich der Butler noch mal. Er hatte sie sich von einer Nachbarin genau beschreiben lassen. »Richtig«, bestätigte die Blondine. »Und wer sind Sie? Wissen Sie eigentlich, daß man um diese Zeit keine Besuche mehr macht?« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, schickte der Butler voraus. »Lady Simpson gibt sich die Ehre, Ihnen einen Besuch abzustatten.« »Aber nicht um diese Zeit! Und wer, zum Teufel, ist Lady Simpson?« Sie war eindeutig beschwipst und lächelte den Butler in einer Mischung aus Ironie und Herablassung an. »Lady Simpson geruht, wegen Ihres verschwundenen Gatten zu kommen, von dem es möglicherweise ein Lebenszeichen gibt, Mistreß Burgess.« »Von Henry?« Sie lächelte plötzlich nicht mehr und runzelte die Stirn. »In der Tat, Madam«, erwiderte der Butler. »Wollen Sie nun etwas erfahren oder nicht, Kindchen?« schaltete sich Lady Agatha in diesem Moment ein. Die kräftigen Schallwellen ihrer Stimme drückten den Kopf der Blondine ein wenig nach hinten. »Von Henry?« fragte Jill Burgess dann noch mal und erstaunlich laut. »Warten Sie, ich mache sofort auf. Wo steckt denn nur der Schlüssel?« »Könnte es sein, daß er sich im, Schlüsselloch befindet, Mistreß Burgess?« tippte der Butler an. »Nein, nein«, erklärte sie nervös. 16
»Bitte, warten Sie einen Moment. Ich glaube, er liegt in der Küche. Moment, ich bin sofort wieder zurück.« Sie wollte die kleine Sichtklappe in der Tür schließen, doch sie schaffte es nicht. Sie drückte gegen die Klappe, doch auch jetzt ließ sie sich nicht zudrücken. »Beeilen Sie sich, meine Liebe«, dröhnte Myladys Stimme. »Ich habe meine Zeit schließlich nicht gestohlen.« »Einen Moment nur, bitte!« Jill Burgess unternahm vor Nervosität keinen weiteren Versuch und verließ die Haustür. Parker zog den kleinen Finger seines Lederhandschuhs aus dem Rahmen der Sichtklappe, wartete kurz und langte dann geschmeidig mit Arm und Hand durch die Klappe zur Innenseite der Tür. Er spürte einen Schlüsselbund im Schloß. »Da bin ich schon wieder«, war die etwas schrille Stimme von Jill Burgess zu hören. Schritte näherten sich schnell wieder der Tür. Dann rasselte deutlich und unüberhörbar ein Schlüsselbund. »Bitte, Mylady, treten Sie ein«, bat sie dann, während sie die Tür öffnete. »Ich bin ja so schrecklich aufgeregt… Sie haben wirklich Nachricht von Henry? Wo ist er? Wie geht es ihm? Warum hat er sich bisher nicht gemeldet?« Jill Burgess hatte sich einen Bademantel über ihren Hausanzug geworfen und war noch dabei, den Gürtel zuzubinden. Sie trug hochhackige Pantöffelchen und zeigte ein Make-up, das zwar kunstvoll war, aber ein wenig zerlaufen wirkte. »Ich störe doch hoffentlich nicht, mein Kind?« fragte die ältere Dame und schnupperte. »Sie sind eine starke Raucherin, nicht wahr?« »Bitte, was ist mit Henry?« gab die Blondine zurück, die die Frage der älteren Dame überhört zu haben schien. »War da nicht eben ein Butler an der Tür?« »Mister Parker vertritt sich diskret die Beine, meine Liebe«, gab Agatha Simpson zurück. »Gegen einen guten Brandy habe ich übrigens nichts einzuwenden. Genieren Sie sich nicht!« * Er stand an der Ecke der Doppelgarage, nahm fast so etwas wie Witterung auf und querte dann das kurze Rasenstück. Sein Ziel war die mannshohe Taxushecke vorn an der Straße. Es war ein17
deutig, daß der Mann sich heimlich davonstehlen wollte. Er hatte die bewußte Hecke noch nicht ganz erreicht, als er plötzlich wie versteinert stehenblieb, förmlich einfror und dann zusammensackte. Dabei griff er noch mit der rechten Hand nach seinem Nacken, ohne ihn allerdings zu erreichen. Butler Parker, der hinter einem Strauch rechts vom Eingang stand, steckte gemessen seine Gabelschleuder in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und begab sich dann zu dem Mann, der auf dem Rasen lag. Er war von der hartgebrannten Tonerbse, die Parker mit seiner Zwille verschossen hatte, im Genick voll erwischt worden und merkte nicht, wie schnell und geschickt er von dem Schützen durchsucht wurde. Parker entdeckte eine Brieftasche, klappte sie auf und fand heraus, daß der Besitzer Steven Mondon hieß und wohl Makler war. Der Butler schob die Brieftasche zurück und verließ den Ruhenden. Nach seiner Erfahrung dauerte es höchstens noch wenige Minuten, bis Steven Mondon wieder zu sich kam. Er hatte kaum den bewußten Strauch wieder erreicht, als Mondon sich bereits rührte. Der Mann hob versuchsweise den Kopf, faßte nach dem Genick, stemmte sich hoch und blickte ausgesprochen verwirrt um sich. Dann ging er unsicher auf die Taxushecke zu, blieb noch mal stehen, blickte zurück auf das Landhaus und zwängte sich dann durch die Hecke. Butler Parker wartete noch eine Weile und begab sich dann auf die Rückseite des Hauses. Nicht umsonst hatte er vorn am Haus auf einen Besucher der Till Burgess gewartet. Nachdem er den Schlüsselbund im Türschloß entdeckt hatte, war ihm klar gewesen, daß Mrs. Burgess Zeit herausgeschunden hatte, damit ihr Besucher sich entfernen konnte. »Ihr Herumlaufen macht mich ganz nervös, Mister Parker«, war Mylady in diesem Augenblick deutlich zu vernehmen. »Kommen Sie gefälligst ins Haus. Ich habe keine Geheimnisse. Und Sie haben doch schließlich diesen eigenartigen Tip bekommen.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone, passierte die kleine Terrasse und betrat den Wohnraum. »Sie also haben diesen Tip bekommen?« erkundigte sich Till Burgess, bei ihm. Sie wirkte ungeduldig und unsicher zugleich. Sie sah ihn abschätzend an und fragte sich wohl, ob er ihren Be18
sucher gesehen hatte. »Ein Standeskollege, Madam, erwähnte den Namen Ihres Gatten«, schwindelte Parker umgehend. »Er will einen Mister Burgess in Brighton gesehen haben.« »In Brighton? Wieso kam er darauf, daß es sich um meinen Mann gehandelt haben könnte? Der Name Burgess ist nicht gerade ungewöhnlich. So erzählen Sie doch endlich genauer.« »Mein Standeskollege will Ihren Mann anhand eines Zeitungsfotos wiedererkannt haben, Madam. Er verständigte meine Wenigkeit, da ihm bekannt ist, daß Mylady sich mit rätselvollen Kriminalfällen beschäftigt.« »Er hat meinen Mann eindeutig wiedererkannt? Das ist doch kaum möglich. Wenn Henry, ich meine natürlich Mister Burgess, wenn Henry also in Brighton wäre, hätte er sich doch längst hier gemeldet.« »Sie vermissen ihn seit wann, meine Liebe?« fragte Lady Agatha. »Fast seit dreieinhalb Monaten«, lautete die Antwort. »Henry verschwand während einer Studienreise. Er fuhr in den Nahen Osten. Seine letzte Karte kam aus Kreta. Seit dieser Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehört.« »Mylady brachte in Erfahrung, daß Ihr Gatte, Mistreß Burgess, als Plasmaphysiker in einem staatlichen Institut arbeitet.« »Das ist richtig.« Sie nickte. »Was er dort genau tat, hat er mir nie verraten. Es muß sich um militärische Dinge oder so gehandelt haben. Aber ich glaube, daß er sich nur etwas wichtig machen woll… Ich meine, er redete nie über seine Arbeit, aber das sagte ich ja wohl schon.« Parker hatte selbstverständlich vor, weitere Fragen zu stellen, doch als plötzlich die Scheibe eines Seitenfensters barst und gleichzeitig der ungemein spitze Aufschrei der Jill Burgess zu vernehmen, war, schloß der Butler die Befragung erst mal ab, um sich den heimtückischen Schützen zu angeln. Er dachte unwillkürlich an jenen Steven Mondon, der sich gerade erst durch die Taxushecke gezwängt hatte. * »Natürlich wollte man mich treffen, mein Junge«, sagte Agatha 19
Simpson ungemein zufrieden in Richtung Mike Rander. Er und Kathy Porter waren erst vor wenigen Minuten im altehrwürdigen Haus der Agatha Simpson eingetroffen und hatten sich von Parker informieren lassen. »Dieser Schuß galt allein mir.« »Man weiß eben, wie erfolgreich Sie als Kriminalistin sind, Mylady«, versicherte der Anwalt und blickte sie treuherzig an. Rander, um die vierzig Jahre alt, erinnerte in Statur und Wesen an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Er verwaltete das immense Vermögen der älteren Dame und wurde dabei von Kathy Porter unterstützt, die als Lady Simpsons Sekretärin und Gesellschafterin fungierte. Kathy Porter, zehn Jahre jünger als Mike Rander, war eine ausgesprochen attraktive Erscheinung, der man keineswegs ansah, daß sie sich meisterhaft in allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung auskannte. »Ich weiß, Mike, daß man mich fürchtet«, lobte sich die ältere Dame ungeniert. »Man hat auch allen Grund dazu. Leider schaffte es Mister Parker nicht, diesen Schützen zu stellen.« »Man wird in dieser Beziehung gewissen Spuren nachgehen«, versicherte Parker pauschal. »Vielleicht wird auch Mister Cattners dazu beitragen können, diesen Schützen zu finden.« »Sie haben ihn noch nicht verhört, Mister Parker?« wollte Kathy Porter wissen. »Weder ihn noch Mister Burgess«, faßte der Butler zusammen. »Die beiden Herren befinden sich noch in einer Art regenerativen Phase, wenn meine Wenigkeit es mal so ausdrücken darf.« »Könnte es sich bei Burgess um eine Ehegeschichte handeln?« tippte Kathy Porter an. »Mistreß Burgess scheint sich auf jeden Fall recht nachdrücklich getröstet zu haben, Miß Porter«, antwortete der Butler. »Mylady wollen diesem Aspekt noch nachgehen.« »Und zwar gründlich«, versicherte die Detektivin. »Für mich ist der neue Fall völlig klar.« »Sie machen uns neugierig, Mylady«, erklärte der Anwalt. Mike Rander wußte aus Erfahrung, daß Agatha Simpson sich gern und vorschnell festlegte, aber auch keine Hemmungen hatte, eine Theorie gegen die andere auszutauschen. »Sie will ihren Mann umbringen lassen«, fuhr die ältere Dame munter fort. »Das beweist doch schon die Tatsache, daß er von der Brücke springen wollte.« 20
»Freiwillig, Mylady«, erinnerte Rander. »Aber nein«, widersprach sie sofort. »Mister Parker hat das nur völlig falsch gesehen. Man wollte ihn zwingen, von der Brücke zu springen. Als er es nicht tat, schoß man sogar auf ihn. Sehen Sie, mein lieber Junge, man muß nur einen Blick für die inneren Zusammenhänge haben. Mister Parker fehlt es noch am richtigen Gespür für solche Dinge.« »Ein Manko, Mylady, das sich vielleicht im Lauf der Jahre ausgleichen läßt«, warf der Butler ein. Sein Pokergesicht blieb ausdruckslos. »Ich werde Ihnen dabei helfen, Mister Parker«, versprach sie. »Im Augenblick habe ich natürlich andere Sorgen. Ich will endlich wissen, wer diese Vogelscheuche ist.« »Sie sprechen jetzt vom Gartenzwerg?« fragte Mike Rander. »Natürlich, mein Junge.« Agatha Simpson nickte und nahm überhaupt nicht zur Kenntnis, daß sie einen falschen Begriff verwendet hatte. »Mister Parker, ich erwarte von Ihnen einige Vorschläge in meinem Sinn. Der morgige Tag muß die Lösung dieses harmlosen Rätsels bringen. Ich verlasse mich da ganz auf Sie.« Josuah Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an, doch war ihm klar, daß von einem harmlosen Rätsel keine Rede sein konnte. * Lady Agatha hatte sich in ihr Studio zurückgezogen, um über den Fall gründlich nachzudenken. Tatsächlich aber saß sie vor dem Fernsehgerät und schaute sich das Mitternachtsprogramm an. Selbstverständlich tat sie dies nicht aus purem Vergnügen, nein, sie studierte die Technik des Drehbuchschreibens, wie sie stets versicherte. Lady Agatha war nach wie vor dabei, Ihren geplanten Bestseller zu konzipieren. Parallel dazu wollte sie noch einen Kriminalroman und ein Bühnenstück schreiben. Es war ihre feste Absicht, die Welt der Unterhaltung zu revolutionieren. Butler Parker und Mike Rander hatten die Gelegenheit für eine gemeinsame Ausfahrt genutzt. Sicherheitshalber war Kathy Porter im Fachwerkhaus der älteren Dame zurückgeblieben, um Lady Agatha vor spontanen Handlungen zu bewahren. 21
Die beiden Männer saßen recht beruhigt in Parkers hochbeinigem Monstrum und waren auf der Fahrt nach Soho, um sich das Double Pint aus nächster Nähe anzusehen. Joe Cattners hatte dort anrufen und nach einem gewissen Mike Loemond fragen sollen. Vor dieser Ausfahrt hatte Josuah Parker sich entsprechend vorbereitet. Er trug einige seiner raffinierten Miniatur-Abwehrwaffen bei sich. Sie sahen aus wie Dinge des täglichen Gebrauchs und erweckten ganz sicher kein Mißtrauen. »Was halten Sie von diesem Physiker, Parker?« fragte Rander. »Braucht Burgess nicht einen Arzt?« »Einen Spezialisten sollte man in der Tat konsultieren, falls Mister Burgess’ Zustand sich in den kommenden Stunden nicht bessert, Sir«, pflichtete der Butler dem Anwalt bei. »Bisher war Mister Burgess nach wie vor nicht ansprechbar. Er befindet sich in einem Stadium völliger Apathie und Gleichgültigkeit.« »Denken Sie nicht auch an Drogen, Parker?« »Dieser Verdacht, Sir, drängt sich durchaus auf«, erwiderte Parker. »Meine Wenigkeit war so frei, Mister Burgess nach kleinen Einstichwunden zu untersuchen. Es konnte nichts gefunden werden.« »Vielleicht hat man Burgess auch oral etwas verpaßt, Parker.« »Eine bequeme Methode, Sir. Falls es sich um Drogen handelt, muß es etwas sein, was sich von bekannten und herkömmlichen Mitteln unterscheidet. Man darf daran erinnern, daß sich Mister Burgess ohne ersichtlichen Zwang unbedingt von der Brücke stürzen wollte.« »Und als Sie ihn daran hinderten, wurde geschossen. Auf Sie nun, Parker, oder auf Burgess?« »Mit letzter Sicherheit läßt sich dies nicht sagen, Sir. Auch der potentielle Schütze dürfte wie unter fremdem Zwang gehandelt haben. Er erwähnte aber immerhin eine Person, die er als Gartenzwerg bezeichnete.« »Eine verrückte Geschichte.« Rander schüttelte den Kopf. »Pickett observiert diesen Jerry Linfalt?« »Zusammen mit einigen Freunden, Sir. Er dürfte keine Chance haben, sich solch einer Überwachung zu entziehen.« »Der gute Pickett versteht sein Handwerk«, gab Mike Rander lächelnd zurück. »Warten wir’s ab, was diese Überwachung bringen wird. Vielleicht führt Linfalt uns ungewollt an den Gartenzwerg 22
heran.« »Damit, Sir, ist leider kaum zu rechnen«, lautete die Antwort des Butlers. »Mister Linfalt hat den sogenannten Gartenzwerg nie gesehen, wenn man daran erinnern darf.« »Aber der Gartenzwerg muß Linfalt kennen«, entgegnete Mike Rander, »sonst hätte er ihn ja wohl kaum so ohne weiteres anheuern können.« »Man wird sich Mister Linfalts Umfeld sehr genau ansehen müssen, Sir«, meinte der Butler in seiner höflichen Art. »Dies gilt natürlich auch für das Double Pint.« »Warum, zum Teufel, setzt sich ein Wissenschaftler so einfach von seiner Frau ab, taucht nach dreieinhalb Monaten wieder im Land auf und will von einer Brücke springen?« fragte Mike Rander halblaut. »Wo war dieser Bursche während der ganzen Zeit? Was hat er getrieben? Wir wissen so gut wie nichts über ihn!« »Man wird am morgigen Tag seinen früheren Arbeitgeber fragen müssen, Sir«, schlug der Butler vor. »Es könnte durchaus sein, daß er für eine staatliche Institution arbeitete.« »Ich denke, wir werden noch eine Menge Überraschungen erleben«, prophezeite der Anwalt. »Mit letzter Sicherheit, Sir«, schloß Parker sich der Meinung Randers an. »Und einen Vorgeschmack davon könnte man bereits im Double Pint bekommen.« * Josuah Parker lag mit seiner Vermutung völlig richtig. Das Double Pint entpuppte sich als eine Bierschwemme, deren Gäste mit Sicherheit der Unterwelt angehörten. Es handelte sich um ein buntgemischtes Volk aus stämmigen Schlägern, aalglatten Zuhältern und verwegenen Glücksrittern. Sie alle machten hier eine Pause, um sich von der bereits geleisteten nächtlichen Arbeit zu erholen. Als Parker und Rander das Pub betraten, herrschte für einen Moment absolute Stille. Man maß die neuen Gäste mit mehr oder weniger aggressiven Blicken und tat dann so, als hätte man sie schon wieder vergessen. Es war aufreizend, wie Parker und Rander auf die Stammgäste wirkten. Parker war als hochherrschaftlicher Butler natürlich so23
fort einzuordnen. Typischer als er konnte kein Butler aussehen. Mike Rander trug zur grauen Flanellhose einen dunkelblauen Blazer, ein diskret gestreiftes Hemd und eine Krawatte. Die beiden Männer, die so gar nicht in diese Umgebung paßten, suchten sich einen Platz am Tresen und bestellten Bier. Der Barkeeper nickte beiläufig und schien dann vergessen zu haben, was die neuen Gäste wünschten. Dafür aber gingen zwei stämmige Trinker aus ihrer gespielten Reserve heraus und widmeten sich Parker und Rander. »Wetten, daß ihr euch verlaufen habt?« fragte jener Stämmige, dessen Knorpelnase verriet, daß er sich in jüngeren Jahren wohl in einem Boxring betätigt hatte. »Aber überhaupt nicht, guter Mann«, erwiderte Mike Rander bewußt nasal und dadurch ein wenig hochmütig-herablassend. »War das gerade ‘ne faustdicke Beleidigung?« Der Stämmige wandte sich an seinen Partner. »Ich hab’s genau gehört«, bestätigte der Bursche und grinste dümmlich. »Er hat dich ‘n Miststück genannt.« »Un’ so was lass’ ich mir nicht gefallen«, meinte der erste Stämmige nun wieder. »Dafür schlage ich dir die Nase ein.« Während er noch diese Ankündigung machte, holte er zu einem mächtigen Heumacher aus. Dabei wichen die näher Stehenden geschickt nach hinten und zur Seite aus, um nicht in die Reichweite des Armes zu kommen. »Un’ ich schneid’ ihm den Strick vom Hals«, meinte der zweite Stämmige und hielt plötzlich ein Klappmesser in der linken Hand. »Darf man einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten?« schaltete Josuah Parker sich betont höflich ein. »Wieso? Was is’ denn?« fragte der angehende Messerheld verblüfft. »Sie haben eine Laufmasche in Ihrem Pullover«, fügte der Butler hinzu und hob seinen altväterlich gebundenen Regenschirm. »Dort, wenn Sie genau hinsehen wollen.« Um den Punkt zu bezeichnen, stieß der Butler mit der Spitze seines Schirmes auf das Brustbein des Mannes. Er tat es blitzschnell und sehr nachdrücklich. Er traf einen Nervenpunkt, der bei dem Messerträger deutlich erkennbare Luftnot auslöste. Der Getroffene riß den Mund auf, hechelte die Luft in sich hinein und bekam dabei einen krebsroten Kopf. Dann taumelte er gegen die Kante des Tresens und ließ dabei ein Stöhnen vernehmen, als 24
wäre in seinen Lungen ein schadhafter Staubsauger in Tätigkeit gesetzt worden. »Dort ist noch eine weitere Laufmasche«, erkannte der Butler und legte die Schirmspitze diesmal auf die Herzpartie des Mannes. Der schaltete seinen inneren Staubsauger daraufhin sofort ab und ging zu Boden. Dabei verlor er sein Messer, das Mike Rander mit schnellem Kick unter einen der wenigen Tische an der Wand des Pubs beförderte. Der Stämmige, der noch auf den Beinen stand, starrte zuerst auf seinen Partner hinunter, dann auf den Butler und schließlich auf Mike Rander. Jetzt erinnerte er sich daran, daß er dabei war, einen mächtigen Heumacher anzubringen, holte also noch mal aus und legte seine Fingerknöchel in Form einer geradezu riesigen Faust auf die Hutwölbung von Parkers schwarzer Melone. Die Innenseite dieser Kopfbedeckung war mit zähem Stahlblech ausgefüttert, was der Schläger natürlich nicht wissen konnte. Parker hatte die Melone genau im richtigen Moment abgenommen und sie vorschnellen lassen. Der Schläger jaulte, blickte fasziniert auf seine Faust, deren Finger er nicht mehr öffnen konnte, produzierte dicke Krokodilstränen und greinte anschließend. »Stopp, Leute! Ich will hier keinen Krach haben«, war dann eine harte Stimme zu vernehmen. Hinter dem Tresen erschien ein mittelgroßer, schlanker Mann von etwa vierzig Jahren. Er trug einen dunkelgrauen Sportanzug und schien die Autorität in diesem Pub zu besitzen. Einige Gäste, die sich bereits mit Rander und Parker befassen wollten, zogen sich sofort zurück. »Man wünscht einen wundervollen Abend«, grüßte Parker, bevor er seine schwarze Melone wieder aufsetzte. »Kann man davon ausgehen, daß Sie dieses Lokal betreiben?« »Ich bin Mike Loemond«, antwortete der Mann. Er hatte eisgraue Augen, einen schmalen Mund und eine überraschend kleine Nase. »Der hier in dieser Lokalität recht unbekannt zu sein scheint«, gab der Butler zurück. »Vor einigen Stunden rief meine Wenigkeit hier an und fragte nach Ihnen. Der Barkeeper konnte sich unter dem Namen Loemond aber nichts vorstellen.« »Reine Routine, ich bin nicht für jeden Anrufer zu sprechen.« Loemond lächelte ironisch. »Und wer sind Sie?« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich 25
vor. »Meine Wenigkeit überbringt die Grüße eines gewissen Mister Joe Cattners.« »Parker…?« Loemond zerdehnte den Namen und hüstelte dann. »Und wer ist Joe Cattners?« »Der Betreiber des Billardsalons in Stepney, Mister Loemond.« »Okay, kommen Sie mit in mein Büro«, schlug Loemond vor. »Wir sollten uns mal in aller Ruhe unterhalten.« »Zum Beispiel über den Gartenzwerg«, warf Mike Rander belustigt ein. Loemond maß ihn mit schnellem Blick, lächelte dann neutral und übernahm die Führung. Es ging durch einen schmalen, sehr langen Korridor, bis man eine Tür erreichte, die nur angelehnt war. Loemond blieb stehen und wandte sich zu seinen Besuchern um. »Ich darf vorausgehen?« fragte er höflich. »Warum nicht?« antwortete Mike Rander und reagierte auf recht ungewöhnliche Art. * Er lag plötzlich flach in der Luft, passierte den völlig verdutzten Loemond, rollte sich im richtigen Moment auf dem Boden ab und stieß mit den Füßen die angelehnte Tür auf. Damit löste Mike Rander eine Kettenreaktion aus. Zwei Männer, die links und rechts neben der Tür Aufstellung bezogen hatten, wollten mit Axtstielen zuschlagen, taten es auch, doch sie trafen nichts als Luft. Mike Rander hatte das Büro zu schnell und zu ungewöhnlich betreten. Bevor sie sich auf den Anwalt einstellen konnten, hatten sie bereits auf der ganzen Linie verloren. Mike Rander, stets ein wenig lässig und desinteressiert wirkend, hatte sich in einen Einzelkämpfer verwandelt. Er stand schon längst wieder auf den Beinen, setzte seine Handkantenschläge ein und durchmischte sie mit Fußtritten, die alle ihr Ziel trafen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die beiden Männer am Boden lagen und aufgaben. Loemond blickte fassungslos auf die Szene. Er stand in der Tür und wandte sich zu Parker um. Loemonds Gesicht hatte eine kalkweiße Farbe angenommen. »Mister Rander und meine Wenigkeit gingen davon aus, daß Sie 26
per Fernsehüberwachung sehr genau wußten, was sich vorn am Tresen abspielte«, erläuterte der Butler höflich. »Ohne eine solche hausinterne Übertragung hätten Sie nicht so prompt hinter dem Tresen erscheinen können.« »Das da… das da hab’ ich nicht veranlaßt«, log Loemond und deutete auf seine Mitarbeiter. Sie hatten sich hochgesetzt und überprüften ihre diversen Gliedmaßen. Dabei produzierten sie verhaltene Stöhnlaute. »Wie auch immer, Loemond«, sagte Mike Rander, dem man überhaupt nicht ansah, daß er sich körperlich betätigt hatte. »Kommen wir zur Sache, was diesen Joe Cattners betrifft.« »Vielleicht können Sie sich zusätzlich dazu entschließen, einige Hinweise auf einen sogenannten Gartenzwerg zu geben, Mister Loemond«, fügte der Butler hinzu. Er dirigierte Loemond mit der Schirmspitze ins Büro und schloß die Tür hinter sich. Neben Loemonds Schreibtisch entdeckte Josuah Parker einen kleinen Monitor, der noch eingeschaltet war. Das Bild zeigte den Tresen und die vielen Gäste davor. Damit bestätigte sich der Verdacht. Loemond hatte die Szene am Tresen genau verfolgen können. Die beiden Männer, die sich hochgesetzt hatten, krochen mühsam in eine Zimmerecke und machten einen Bogen um Mike Rander. Parker folgte ihnen und fragte nach Waffen. Sie hoben die Hände und wollten damit andeuten, daß sie waffenlos waren. »Sie erlauben, meine Herren, daß man sich versichert«, schlug Josuah Parker vor. »Nach einem sattsam bekannten Zitat ist Vertrauen gut, Kontrolle jedoch besser.« Er entdeckte je einen Revolver und diverse Stichwaffen, nahm diese Gegenstände an sich und ließ sie in den Außentaschen seines schwarzen Covercoats verschwinden. »Wie wäre es denn jetzt mit ein paar hübschen Hinweisen, Loemond?« fragte Mike Rander. »Wie ist das mit diesem Gartenzwerg? Wollen Sie abstreiten, Joe Cattners in Marsch gesetzt zu haben?« »Ich kenne keinen Cattners«, log Loemond. »Schön, dann wollen wir dieses Thema mal leicht vertiefen«, gab der Anwalt zurück und betrachtete seine Hände. »Aber fühlen Sie sich nur ja nicht unter Druck gesetzt, Loemond.« »Okay, Rander«, erwiderte Loemond. »Ich packe aus.« »Aber auf keinen Fall eine Schußwaffe«, reagierte Rander iro27
nisch. »Ich könnte das mißverstehen.« »Sie haben da eben von einem Gartenzwerg gesprochen«, begann Loemond und hütete sich, die Hände von der Schreibtischplatte zu nehmen. »Der hatte mich angerufen und sich nach einem guten Mann erkundigt.« »Daraufhin schlugen Sie wen vor, Mister Loemond?« fragte Josuah Parker. »Cattners«, lautete die Antwort. »Er sollte Sie und die Lady in das Haus nach Shepherd’s Market zurückbringen. Wozu das gut sein sollte, weiß ich nicht, aber ich häb’ auch nicht danach gefragt.« »Der erwähnte Gartenzwerg war für Sie bereits eine bekannte Größe, Mister Loemond?« »Eben nicht, aber das spielt auch keine Rolle. Ich bekam die Vermittlungsprovision, und damit hatte es sich für mich auch schon.« »Auf welche Art und Weise sollte Mister Cattners das Gelingen seiner Operation an Sie weitergeben?« »Durch ‘nen Anruf, Mister Parker«, fuhr Loemond fort und schien nicht zu lügen. »Wir hatten da ein Stichwort abgemacht. Er sollte nach mir fragen, und ich sollte dann in Shepherd’s Market anrufen. Als dann nach mir gefragt wurde, rief ich bei dieser Lady an, aber Cattners meldete sich nicht. Da ahnte ich, daß was schiefgelaufen war.« »Wie sollten Sie Verbindung mit dem ominösen Gartenzwerg aufnehmen, Mister Loemond?« »Der wollte hier anrufen, hat es aber bisher nicht gemacht. Und das ist auch schon die ganze Geschichte. Mehr hab’ ich wirklich nicht zu bieten. Sie haben Cattners erwischt, nicht wahr?« »Der Knabe scheint nicht gerade zur Spitzenklasse zu gehören«, antwortete Mike Rander lächelnd. »Hoffentlich wird der Gartenzwerg Ihnen die falsche Wahl nicht ankreiden, Loemond.« »Ich kenne den Mann ja gar nicht«, behauptete Loemond erneut. »Dafür aber müßte er Sie kennen, Mister Loemond«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Der Gartenzwerg wird Sie kaum zufällig angerufen haben.« »Darüber hab’ ich auch schon nachgedacht«, räumte Loemond ein. »Aber ehrlich, von einem Gartenzwerg hab’ ich bisher noch nie was gehört. Ein verrückter Name, finden Sie nicht auch?« 28
»Er dürfte gut für wenigstens einen Mord sein, Loemond«, sagte Mike Rander. »Falls Sie doch etwas über ihn wissen sollten, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken. Es stirbt sich schnell in der Unterwelt.« »Ich kenne keinen Gartenzwerg«, erklärte der Pub-Betreiber mit Nachdruck. »Und ich hab’ noch nicht mal ‘ne Ahnung, wo ich ihn suchen sollte.« »Mister Rander und meine Wenigkeit nehmen Ihnen fast jedes Wort ab«, schloß Parker die Unterhaltung. »Sie haben jetzt den Vorzug und das Vergnügen, einen Weg vorzuschlagen, um auf die Straße zurückzugelangen.« »Freiwillig oder auch nicht«, fügte Mike Rander ironisch hinzu. * Es waren drei Wagen, deren Insassen nur darauf warteten, die Verfolgung des hochbeinigen Monstrums aufnehmen zu können. Die Autos standen fahrbereit am Straßenrand. Ihre Motoren liefen. Josuah Parker und Mike Rander hätten im hochbeinigen Monstrum Platz genommen und entließen Loemond, der sie bis hierher geführt hatte. Man hatte einen Nebenausgang benutzt, war durch einen Hinterhof gegangen und hatte dann die schmale Straße erreicht, die in engen Kurven zu einer Durchgangsstraße führte. »Das kann eine ziemlich heiße Rückfahrt werden, Parker«, meinte der Anwalt gelassen, als er sich eine Zigarette anzündete. »Loemond scheint nachtragend zu sein.« »Und zudem auch kaum lernfähig, Sir«, antwortete der Butler. »Er müßte eigentlich inzwischen wissen, daß dies nicht seine Nacht ist.« Während Parker diese Feststellung traf, griff er in eine seiner vielen Westentaschen und holte einen völlig regulär aussehenden Kugelschreiber hervor. Auf die Schreibspitze steckte er eine Art Zuckerwürfel. »Eine neue Blitzlichtbombe, Parker?« erkundigte sich Mike Rander interessiert. »In der Tat, Sir«, gab der Butler zurück. »Die Leuchtkraft konnte noch zusätzlich angehoben werden. Sie brauchen nur den Halteclip abzuwinkeln, um die Zündung auszulösen.« 29
»Und möglichst dazu die Augen schließen, wie?« »Es empfiehlt sich durchaus, Sir«, redete Parker weiter. »Noch besser wäre es natürlich, eine Schutzbrille überzustreifen.« Der Butler konnte natürlich auch damit dienen. Er zog eine Art Schublade unter dem Fahrersitz hervor und reichte dem Anwalt eine zusammenlegbare Brille, wie man sie unter der Höhensonne zu tragen pflegte. Rander streifte sie sich über und nickte dann dem Butler zu, der sein hochbeiniges Gefährt bereits in Fahrt gebracht hatte. Parker blickte in den Rückspiegel. Die drei Fahrzeuge lösten sich vom Straßenrand und nahmen die Verfolgung auf. Die Insassen waren darauf abgerichtet worden, das Duo im ehemaligen Taxi irgendwo zu stellen. Loemond wußte wohl von einer besonders hohen Prämie, falls es ihm gelang, zumindest Parker zu stellen. Der Gartenzwerg schien dafür eine fürstliche Belohnung ausgesetzt zu haben. Parker schaltete schnell hoch, als hätte er die Verfolger wahrgenommen und nun die Absicht, einen Vorsprung herauszufahren. Die verfolgenden Wagen wurden prompt schneller, paßten sich der Geschwindigkeit an und taten genau das, was Parker von ihnen erwartete. »Vielleicht könnten Sie die Bombe hinter der nächsten Biegung zünden, Sir«, schlug Parker dem Anwalt vor. »Mit dem größten Vergnügen.« Rander schob sich die Schutzbrille über die Nase und paßte die beiden Schalen seinen Augen an. Er blickte zurück, als Parker die Biegung nahm, wartete, bis die drei Wagen erschienen, und… zündete die Miniaturbombe. Greller konnte kaum die Sonne sein. Obwohl Mike Rander den Augenschutz trug, blendete ihn für einen Moment die Lichtfülle. Er sah nichts als ein grelles Weiß, danach vielfarbige Kreise und verspürte einen leichten Schmerz im Kopf. Dann aber hörte er bereits, wie sich drei Wagen offenbar ineinander verkeilten. Die Fahrer hatten die Lenkräder verrissen und waren außer Kurs geraten. Die Fahrzeuge schrammten aneinander, stießen sich ab, krachten wieder zusammen und wurden dann zu einem schier unentwirrbaren Knäuel aus Blech. Glas splitterte, eine Hupe sägte an den Nerven. Parker hielt und nahm eine zwickerähnliche Brille von seinem Nasenbein. Auch er hatte die Augen natürlich geschützt. Er wand30
te sich um und beobachtete die Straße hinter sich. Sie war völlig blockiert. Die drei Wagen produzierten inzwischen Dampfsäulen aus ihren Kühlern, und die ersten Fahrer stiegen mühsam aus. »Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie mit meiner Wenigkeit andeutungsweise zufrieden sind?« fragte der Butler. »Kann man wohl sagen«, gab der Anwalt zurück. »Man könnte Sie direkt empfehlen, Parker.« * Henry Burgess machte einen leicht erholten Eindruck. Er hatte auf der Bettcouch seines Gästezimmers gelegen und richtete sich auf, als Josuah Parker ihm das Frühstück servierte. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Morgen zu wünschen«, grüßte der Butler. »Und einen guten Appetit dazu, Mister Burgess.« »Hallo«, antwortete der verhinderte Selbstmörder. »Darf man sich nach Ihrem Befinden erkundigen, Sir?« »Wo bin ich hier?« fragte Burgess. Seine Stimme war leise. »Sie sind Gast Lady Simpsons, Sir«, erwiderte der Butler. »Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, Sie vor einem Sprung von einer Brücke zu bewahren, wie Sie sich vielleicht erinnern werden.« »Tatsächlich?« wunderte sich Henry Burgess verhalten. »Sie erinnern sich an diesen Vorgang nur vage, Sir?« »Kann sein«, gab der Physiker nachdenklich zurück. »Ich habe scheußliche Kopfschmerzen.« »Vielleicht wird der starke Kaffee diesen Zustand ändern, Sir. Sie sollten ihn versuchen. Meine Wenigkeit nahm übrigens Kontakt mit Ihrer Frau auf.« »Aha.« Burgess zeigte kein Interesse. Er war aufgestanden und kam auf den Couchtisch zu. »Sie verließen Mistreß Jill Burgess vor etwa dreieinhalb Monaten.« »Jill Burgess?« Er runzelte die Stirn. »Ihre Frau, Sir«, erinnerte Parker höflich. »Meine Frau.« Er nickte und nahm am Couchtisch Platz. »Sie vermißt Ihre Gegenwart seit dreieinhalb Monaten, Mister 31
Burgess.« »Ich muß gleich zurück ins Camp«, sagte der Physiker. »Ich werde erwartet.« »Man wird Sie nach dem Frühstück dorthin geleiten, Mister Burgess«, machte Parker ihm geduldig klar. Der Butler hatte inzwischen längst erkannt, daß der Physiker zur Realität kein Verhältnis mehr zu haben schien. »Und dann die Brücke.« Burgess wartete, bis ihm Kaffee eingegossen wurde, und nahm dann einen Schluck. »Ich habe Kopfschmerzen.« Er lehnte sich im Sessel zurück, wo er Platz genommen hatte, und drückte die Innenflächen seiner Hände gegen die Schläfen. Er schloß die Augen und stöhnte. »Sie haben die Absicht, diesen Brückensprung noch mal zu wagen, Sir?« tippte der Butler an. »Ich muß… ich muß frei sein«, entgegnete Burgess. »Wo findet man das Camp, das Sie erwähnten, Sir?« »Ich weiß es nicht«, lautete die verblüffende Antwort. »Irgendwo… Ich muß zurück zur Brücke.« »Und vielleicht auch zum Gartenzwerg, Mister Burgess?« »Zum Gartenzwerg.« Burgess lächelte versonnen. »Ein Name, der Ihnen etwas sagt, Mister Burgess?« »Ein guter Mann«, erklärte der Physiker. »Er sorgt für Freiheit.« Nach dieser Feststellung schien Burgess das Frühstück bereits wieder vergessen zu haben. Er stand auf, legte sich wieder auf die Bettcouch, schloß die Augen und preßte erneut die Hände gegen die Schläfen. Parker verließ diskret das Gästezimmer. Ihm war klar, daß Burgess in die Hand eines Arztes gehörte. Und dieser Arzt mußte sich in Drogen auskennen. Henry Burgess stand nach Parkers Beobachtung eindeutig unter Psychopharmaka. Als Parker den Trakt mit den diversen Gästezimmern verlassen hatte und im Korridor stand, der hinauf ins Erdgeschoß von Myladys Haus führte, läutete das Telefon. Wenige Augenblicke später hatte Parker den oft erwähnten Gartenzwerg in der Leitung. *
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Natürlich war die Stimme verfremdet und klang quäkend. »Sie lassen sich da auf ein sehr gefährliches Spiel ein, Parker«, sagte die Stimme. »Ich habe große Lust, auch Sie und Ihre Lady zu behandeln.« »Sie agieren als sogenannter Gartenzwerg, nicht wahr?« erkundigte sich der Butler. »Ein hübscher Tarnname, nicht wahr?« Weibisches Kichern war zu hören. »Über Fragen des Geschmacks sollte man tunlichst niemals streiten«, erwiderte der Butler. »Ihnen ist natürlich bekannt, daß Mister Henry Burgess sich in Myladys Obhut befindet.« »Versprechen Sie sich nichts davon, Parker. Er hat jede Übersicht verloren.« »Ihre Drogen scheinen sehr wirkungsvoll zu sein.« »Sie werden sie am eigenen Leib verspüren, wenn Sie weitermachen, Parker! Das gilt auch für Ihre Lady!« »Meine Wenigkeit wird sich erlauben, Mylady in dieser Hinsicht zu informieren«, versprach, der Butler. »Kann man davon ausgehen, daß nicht nur Mister Burgess von Ihnen behandelt wird?« »Davon können Sie ausgehen«, kam die von Parker vermutete Bestätigung. »Ich befreie eine Menge Leute von ihren Komplexen und von ihrer Arroganz.« »Zum Beispiel durch einen Sprung von einer Brücke, Mister Gartenzwerg?« »Auch so, Parker, auch so.« Da war wieder dieses weibische Kichern. »Ich gebe jedem die Möglichkeit, sich von sich selbst zu befreien.« »Demnach fühlen Sie sich als Wohltäter?« »So kann man sagen, Parker. Ich sorge für klare Verhältnisse.« »Sie suchen sich Ihre Freiheitssucher sicher sehr gezielt aus, Mister Gartenzwerg, nicht wahr?« »Ich gebe mir Mühe, Parker. Sie wollen mich natürlich aufs Glatteis führen, aber das wird Ihnen nicht gelingen.« »Könnte es sein, daß Sie Ihren Freiheitssuchern gegenüber gewisse Rachegefühle hegen, Mister Gartenzwerg?« Parker brachte instinktiv diese Wendung vor. »Rachegefühle, Parker? Aber nein, auf keinen Fall. Warum sollte ich Rachegefühle haben? Und gegen wen? Ich sorge nur dafür, daß unser Globus keinen Kollaps erleidet.« »Sie überschätzen die intellektuellen Möglichkeiten meiner We33
nigkeit«, stapelte Parker tief. »Könnten Sie eine Art Übersetzung Ihrer letzten Bemerkung vornehmen?« »Ich sorge dafür, daß unsere Erde nicht zu schnell kaputtgeht, Parker. Haben Sie jetzt kapiert?« »Demnach müßte man Sie als eine Art Menschheitsbeglücker bezeichnen, Mister Gartenzwerg?« »Das gefällt mir schon besser, Parker. Ich bin bereits auf einem guten Weg, wie man später merken wird.« »Sie ließen bereits andere Personen über Brückengeländer springen?« »Es gibt ja schließlich noch andere Möglichkeiten, Parker. Aber bleiben wir bei Ihnen: Ich warne Sie noch mal! Ziehen Sie sich zurück, lassen Sie Burgess frei, und setzen Sie ihn in einem Warenhaus in der City ab! Wenn das geschehen ist, werde ich Sie und Ihre Lady vergessen. Falls Sie aber nicht mitspielen wollen, sorge ich dafür, daß Sie sich sehr frei fühlen werden.« »Vielleicht noch eine abschließende Frage«, bat Parker höflich und geduldig. »Warum nennen Sie sich Gartenzwerg? Zu Ihnen würde doch besser >Retter der Menschheit< passen.« »Das ist völlig richtig.« Josuah Parker wartete auf das weibische Kichern, doch es erklang nicht. »Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen, Mister Parker?« »Dachten Sie an ein bestimmtes Warenhaus, was Mister Burgess betrifft?« »Das ist mir völlig gleichgültig«, entgegnete der Gartenzwerg. »Brauchen Sie möglicherweise die Adresse eines erstklassigen Psychiaters, Mister Gartenzwerg?« Nach dieser Frage wurde auf der Gegenseite kommentarlos aufgelegt, was Josuah Parker aber nicht weiter verwunderte. * »Dieser Lümmel hat Ihnen doch nur etwas vorgemacht«, erklärte Lady Agatha und lächelte überlegen, »und Sie haben sich wieder mal ins Bockshorn jagen lassen, Mister Parker.« Die ältere Dame war im Salon ihres Hauses erschienen und begutachtete das Frühstück. Da sie nach wie vor strenge Diät hielt, hatte sie sich nur ein paar Kleinigkeiten ausgebeten. Sie nickte, als sie das Rührei mit Speck, die gebackenen Nierchen, den 34
Lachs, etwas Roastbeef, kaltes Huhn, diverse Brotsorten, gesalzene Butter, Käse und Marmeladen wahrnahm. »Das muß einfach reichen«, seufzte sie. »Aber irgendwann, Mister Parker, werde ich damit aufhören, mich zu kasteien.« »Mylady könnten sonst in der Tat vom Fleisch fallen«, kommentierte der Butler diesen Entschluß. »Sie glauben also, daß dieser Mann in die Hand eines Arztes gehört?« fragte sie weiter. »Mylady deuteten dies bereits an«, behauptete der Butler. »Das ist richtig«, sagte sie umgehend. »Ich will da kein unnötiges Risiko eingehen. Und diese Vogelscheuche sagte am Telefon, sie wolle sich mit mir befassen?« »Es war unüberhörbar, Mylady.« Parker nahm keine Namenskorrektur vor. »Das soll mir ein Vergnügen sein.« Sie lächelte erfreut. »Habe ich da nicht noch einen zweiten Gast im Haus?« »Mister Joe Cattners«, erinnerte Parker. »Er versuchte im Auftrag des Mister Loemond, Mylady zu schädigen.« »Aber da war doch noch ein drittes Subjekt?« Sie runzelte die Stirn, vergaß darüber aber nicht, einige kleine Scheiben Roastbeef zu sich zu nehmen. »Mister Jerry Linfalt, der Schütze von der Brücke«, gab der Butler die gewünschte Auskunft. »Er wird von Mister Pickett observiert.« »Hat der gute Pickett sich bisher gemeldet, Mister Parker?« »Sehr wohl, Mylady, doch Mister Linfalt erschien bisher nicht in seiner Wohnung.« »Es war ein Fehler, daß Sie ihn freiließen, Mister Parker, aber ich will das jetzt nicht weiter vertiefen, ich habe ohnehin alle Hände voll zu tun. Was plane ich für diesen Morgen?« »Mylady haben die Absicht, Mister Burgess’ Arbeitgeber zu kontaktieren.« »Das bringt zwar nichts, aber es muß wohl sein.« Sie aß schnell und ausgiebig. »Aus der kurzen Unterhaltung mit dem Gartenzwerg ging hervor, Mylady, daß diese geheimnisvolle Person wohl noch weitere Personen betreut, um es mal so auszudrücken.« »Dieser Lümmel hat doch nur den Mund voll genommen«, wußte sie wieder im voraus. »Ich werde Ihnen sagen, wie der Fall tatsächlich liegt.« 35
»Mylady spannen meine Wenigkeit geradezu auf die sprichwörtliche Folter.« »Es handelt sich um eine einfache Dreiecksgeschichte, Mister Parker«, entwickelte sie ihre Sicht der Dinge. »Diese Mistreß Burgess will ihren Mann loswerden und hat ihren Freund auf diesen armen Kerl angesetzt. Und der Liebhaber nun ist die Vogelscheuche, die ich bald überführen werde.« »Mylady sprechen jetzt von Mister Steve Mondon?« »Ihn gilt es zu überführen.« Sie nickte. »Alles andere ist reine Spekulation, Mister Parker.« Parker kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Ein hoher Piepton, der die große Wohnhalle und auch den Salon geradezu körperlich ausfüllte, zeigte an, daß mit Besuch zu rechnen war. Man hatte das geöffnete zweiflügelige Gittertor vorn an der Durchgangsstraße gerade passiert. Sensoren hatten dies wahrgenommen und weitergeleitet. Parker begab sich hinüber in die Wohnhalle, öffnete den Wandschrank rechts im verglasten Vorflur und schaltete die hauseigene TV-Anlage ein. Nach einer Sekunde war auf dem Bildschirm ein Morris zu sehen, der sich in schneller Fahrt dem überdachten Eingang näherte. »Der gute McWarden, nicht wahr?« vermutete die ältere Dame ironisch. »Er weiß schließlich, daß ich um diese Zeit frühstücke.« »Vielleicht handelt es sich auch um Abgesandte des Gartenzwergs, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Er machte am Telefon einen Eindruck der Ungeduld.« »Dann möchte ich vorerst nicht gestört werden«, verlangte die Hausherrin energisch. »Gangster empfange ich nur nach dem Frühstück.« * Sie wirkten nicht gerade vertrauenerweckend, drückten die Haustür auf und sahen sich bereits als Sieger auf der ganzen Linie. Ihre Maschinenpistolen modernster Bauart im Hüftanschlag, kamen sie sich wahrscheinlich wie zwei Helden in einem ActionFilm vor. Sie marschierten im Sturmschritt in den verglasten Vorflur und merkten nicht, wie sich hinter ihnen die schwere Haustür 36
geräuschlos schloß. »Man wünscht einen angenehmen Morgen«, grüßte Parker, der sich vor der Tür des verglasten Vorflurs aufgebaut hatte. In seiner rechten Hand befand sich ein Fernbedienungskästchen, das dem einer Video-Anlage glich. Einer der beiden Waffenträger griff nach dem Türknauf der Glastür und wollte sie schwungvoll aufreißen, was sich aber als unmöglich erwies. Die Tür war elektronisch verschlossen. »Sofort aufmachen, oder es kracht!« brüllte der Mann wütend und richtete den Lauf der Maschinenwaffe auf den Butler. »Wen, bitte, darf man melden?« erkundigte sich Parker gemessen. »Hast du noch alle Tassen im Schrank?« fuhr ihn der zweite Waffenträger fast entgeistert an. »Siehst du nicht, was wir hier mitschleppen?« »Es dürfte sich dem Augenschein zufolge um Maschinenpistolen handeln«, antwortete der Butler. »Damit sägen wir dich in zwei Teile.« »Falls die Geschosse in der Lage sind, die Panzerglasscheiben zu überwinden, meine Herren.« »Panzerglas?« Der erste Gangster runzelte die Stirn. »Ein Spezialglas, das dem von Bankschaltern erheblich überlegen ist, was die Widerstandskraft betrifft.« »Soll das etwa ‘n Bluff sein?« »Sie können es selbstverständlich auf einige Schüsse ankommen lassen«, schlug Josuah Parker vor. »Rechnen Sie in solch einem Fall allerdings mit diversen Querschlägern.« Sie waren eindeutig aus dem Konzept gebracht. Mit einer solchen Entwicklung hatten sie nicht gerechnet. Sie spielten, das war ihnen anzusehen, durchaus mit dem Gedanken, einen Feuerstoß zu riskieren, doch die Angst, sich dabei selbst zu verletzen, stand dem entgegen. »Okay, wir kommen wieder.« Der erste Gangster wandte sich um und starrte die längst wieder geschlossene Haustür an. »Betrachten Sie sich als Myladys Gäste«, erwiderte der Butler. »Die kann uns mal«, schlug der zweite Waffenträger vor. Er ging zur Tür und langte nach dem Knauf. Sie sah normal und durchschnittlich aus, doch sie besaß einen Stahlkern, der noch nicht mal mit einer Sprengladung zu verbiegen war. »Sofort aufmachen«, verlangte der Gangster, als auch diese Tür 37
sich nicht rührte. »Sie kommen im Auftrag eines Mister Loemond?« fragte Parker. Er ging auf die Forderung des wütenden Gangsters nicht ein. »Sofort aufmachen, oder ich säge das Schloß raus«, drohte der Gangster noch aufgebrachter. »Auch in solch einem Fall ist fest mit Querschlägern zu rechnen, meine Herren.« »Na schön, und wie soll’s jetzt weitergehen?« Der erste Gangster ließ den Lauf seiner Maschinenpistole sinken. »Wie gesagt, betrachten Sie sich als Myladys Gäste«, wiederholte der Butler die Einladung. »Auf einen bestimmten Zeitraum sollten Sie sich allerdings nicht einrichten.« »Sie wollen uns hier festhalten?« »So kann man es auch ausdrücken«, fand Parker und deutete ein zustimmendes Kopfnicken an. »Okay, wir kommen von diesem Learmond«, sagte der zweite Gangster. »Könnten Sie diesen Namen freundlicherweise wiederholen?« »Learmond… Haben Sie doch eben selbst gesagt, Mann.« »Und wo, bitte, befindet sich seine Schrotthandlung?« Parker wußte längst, daß die beiden Männer nicht von Loemond geschickt worden waren. Die Gangster hatten den wirklichen Namen nicht parat. »Na, wo schon«, erwiderte der Gangster und kam sich sehr geschickt vor. »In der Eastside…« »Sie haben noch genau eine Möglichkeit, sich zu korrigieren«, sagte Josuah Parker. Sein Zeigefinger schwebte über den kleinen Tasten der Fernbedienung. »Learmond hat uns geschickt«, tippte der Gangster an. »Machen Sie es sich so bequem wie nur eben möglich.« Parkers Zeigefinger drückte eine bestimmte Taste, worauf sich die geteilte Falltür unter den Füßen der beiden Gangster öffnete. Die ungebetenen Besucher schrien und waren völlig überrascht. Sie warfen ihre Maschinenwaffen und Arme hoch in die Luft, strampelten ein wenig und… sausten dann nach unten in die Fallgrube. Wenig später hatte die Falltür sich wieder geschlossen. Butler Parker begab sich zurück in den kleinen Salon, um Mylady Kaffee nachzugießen und sich nach weiteren Wünschen zu erkundigen.
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* »Falls Sie Besuch haben sollten, möchte ich auf keinen Fall stören«, meinte Chief-Superintendent McWarden, ein untersetzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat für das organisierte Verbrechen und war ein mehr als guter Freund des Hauses. »Meine Wenigkeit möchte Ihnen versichern, Sir, daß Sie niemals stören«, versicherte Parker dem Besucher, während er ihn in den kleinen Salon geleitete. McWarden absolvierte einen etwas verunglückten Kratzfuß in Richtung Mylady und beteuerte sofort, er habe bereits gefrühstückt. »Das höre ich sehr gern«, antwortete die ältere Dame. »Natürlich hätte ich Sie sonst eingeladen, einen Happen mitzuessen.« »Mir ist der Appetit vergangen. Und das schon seit Tagen. Um offen zu sein, Mylady, seit einigen Wochen.« »Sie arbeiten also wieder an einem Fall, den Sie ohne meine Hilfe nicht lösen können.« Agatha Simpson lächelte boshaft und zufrieden zugleich. »Ich werde mit der Tür ins Haus fallen, Mylady.« »Diplomatie war noch nie Ihre Stärke«, erwiderte die passionierte Detektivin anzüglich. »Wir im Yard haben es mit einer rätselhaften Selbstmordserie zu tun«, begann McWarden und nickte zerstreut, als Parker ihm einen Kaffee servierte, was Mylady mit leicht verweisendem Kopfschütteln zur Kenntnis nahm. »In einer Stadt wie London sind Selbstmorde leider an der Tagesordnung, Sir«, schaltete der Butler sich ein. »Handelt es sich um Selbstmorde besonderer Art?« »Das kann man wohl sagen«, seufzte McWarden und nickte. »Diese Selbstmordserie betrifft fast ausschließlich Wissenschaftler, die in ihren Fachbereichen einen Namen haben.« »Warum habe ich davon noch nicht in den Zeitungen gelesen?« wunderte sich Lady Agatha grollend. »Hat der Yard wieder mal Schweigen verordnet?« »Bisher haben wir diese Fälle diskret behandelt, aber nun geht das nicht mehr«, fuhr der Chief-Superintendent fort. »Die Presse ist hellhörig geworden und hat ihrerseits recherchiert.« »Was ja auch wohl ihre Aufgabe ist, McWarden«, machte die äl39
tere Dame deutlich. Sie nickte grimmig dazu. »Sie sprachen von fachbekannten Wissenschaftlern, Sir«, erinnerte Parker diskret und kam auf das Thema zurück. »Könnte man Details erfahren?« »Die Namen der Toten werden Ihnen kaum etwas sagen«, schickte der Yard-Beamte voraus. »Aber es handelt sich um Männer, die in der Forschung tätig waren. Wir haben es da mit einem Atomwissenschaftler zu tun, mit einem Elektronikspezialisten, mit Männern aus der Rüstungstechnik und einem Spezialisten für Biologie, Fachbereich Viren.« »Die wahrscheinlich in verschiedenen Instituten arbeiteten, Sir?« fragte der Butler. »Das ist völlig richtig. Nach unseren Ermittlungen kannten die Männer sich untereinander so gut wie gar nicht. Herausgefunden haben wir, daß sie sich mal auf verschiedenen Kongressen gesehen haben könnten, sicher ist das jedoch nicht.« »Und um welche Todesarten handelte es sich, Sir, um auch diese Frage noch zu klären?« »Einer sprang aus einem sehr hohen Hotelfenster, der andere nahm sich einen Strick, ein anderer wieder nahm Tabletten, dann gab es einen Todesfall in einer Garage, Sie wissen, Autoabgase bei laufendem Motor, dann wieder jagte einer der Wissenschaftler mit seinem Wagen gegen einen Brückenpfeiler. So und ähnlich kam es zu den Selbstmorden. Ein Fremdverschulden ist in sämtlichen Fällen auszuschließen, Mister Parker.« »Auf den ersten und zweiten Blick, mein lieber McWarden«, warf Lady Agatha skeptisch ein. »Natürlich ist da Fremdverschulden im Spiel gewesen, Sie haben das nur hoch nicht erkannt.« »Um wie viele Selbstmorde handelte es sich bisher, Sir?« Butler Parker kam auf das eigentliche Thema zurück, höflich und diskret, aber beharrlich. »Es handelt sich bisher um acht Wissenschaftler«, gab McWarden Auskunft. »Wir befürchten aber, daß mit weiteren Selbstmorden zu rechnen sein wird. Wir machen uns da überhaupt nichts vor.« »Und jetzt soll ich wieder mal die Feuerwehr spielen, mein Lieber?« fragte Lady Simpson. »Vielleicht entdecken Sie etwas, das uns bisher verborgen geblieben ist, Mylady«, meinte der Yard-Beamte. »Ich werde Ihnen unsere Unterlagen gern zur Verfügung stellen. Ich habe Ko40
pien anfertigen lassen und verstoße damit eindeutig gegen meine Vorschriften, aber das ist mir im Augenblick völlig gleichgültig.« »Die Lebensumstände der Verblichenen waren normaler Natur, Sir?« Parker ließ sich nicht ablenken. »In keinem Fall gab es Schulden oder finanzielle Abenteuer wie Wetten oder so«, erklärte McWarden. »Auch die Ehen waren soweit in Ordnung. Die acht Wissenschaftler hatten alle eine steile Karriere vor sich, sofern sie sie nicht bereits gemacht hatten. Wie gesagt, wir stehen vor einem Rätsel, Mister Parker.« »Aber nicht mehr lange, mein Bester«, erklärte die Hausherrin optimistisch wie stets. »Betrachten Sie auch diesen Fall bereits als gelöst. War da nicht noch etwas, Mister Parker?« »Myladys Gast«, erinnerte der Butler. In Anbetracht der Umstände mußte er Henry Burgess in die Hand eines Polizeiarztes geben. »Sie haben einen Gast?« McWarden ahnte, daß die ältere Dame hin und wieder gewissen Personen besondere Gastfreundschaft angedeihen ließ, doch er hatte sich bisher stets gehütet, Fragen zu stellen. »Ein Passant, Sir, der die Absicht hatte, sich von einer Brücke zu stürzen«, präzisierte Parker seinen Hinweis. »Es könnte durchaus der Fall sein, daß auch dieser Mann sich in die Reihe der Selbstmörder einreihen wollte.« »Das ist ja sensationell!« rief McWarden und sprang auf. »Vielleicht kann diese Person uns erste Angaben machen. Seit wann ist der Mann hier im Haus?« »Seit einigen Stunden«, gab Parker pauschal zurück. »Mylady möchte aber gleich darauf aufmerksam machen, daß er sich bisher als nicht sehr gesprächig erwies.« »Wie sind Sie an diesen Mann gekommen?« Der ChiefSuperintendent war sehr munter geworden. »Wie heißt er?« »Mister Parker wird Ihnen alles berichten«, sagte Agatha Simpson. »Und wenn ich alles sage, meine ich das auch so, nicht wahr, Mister Parker?« Der Butler verbeugte sich stumm und wußte, daß er den Gartenzwerg mit Sicherheit nicht erwähnen würde. *
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Bevor Josuah Parker mit Lady Agatha das Haus verließ, schaltete er die hausinterne Video-Anlage ein und ließ sich ein Bild aus der Fallgrube liefern. Die beiden Maschinenwaffenträger lagen erstaunlich entspannt auf den elastischen und weichen Streifen aus Schaumstoff und wagten nicht, eine heftige Bewegung zu machen. Sie hatten inzwischen herausgefunden, daß sie sonst nach unten wegsackten und sich mühsam wieder nach oben arbeiten mußten. Ihre Maschinenpistolen hatten sie längst auf den Grund der Fallgrube sinken lassen. »Sie werden sich noch ein wenig gedulden müssen, meine Herren, bevor man sich mit Ihnen näher befassen kann«, gab Parker über die Wechselsprechanlage durch. »Sie machen einen verdammt großen Fehler«, erwiderte einer der beiden Waffenträger sehr vorsichtig. Er hatte Angst, schon die Bewegung seines Unterkiefers könnte ihn wegsacken lassen. »Feststellungen dieser und ähnlicher Art sind meiner Wenigkeit nur zu vertraut«, erwiderte der Butler. »Sie sollten die Gelegenheit auch noch nutzen, die obligaten Drohungen auszustoßen.« »Was soll nun werden?« fragte der andere Gangster vorsichtig. »Wie lange wollen Sie uns hier festhalten?« »Darüber wird Lady Simpson entscheiden. Rechnen Sie aber sicherheitshalber mit einigen Tagen.« »Mit einigen Tagen? Hier in dieser verdammten Fallgrube?« »Mylady hatte schon Gäste, die über eine Woche blieben, meine Herren.« »Das ist… das ist doch glatte Freiheitsberaubung.« »Eine Frage des Standpunktes.« »Hören Sie mal, was ist denn, wenn wir auspacken?« tippte der Mann an. »Nach einer Verifizierung Ihrer Angaben dürfte Ihrem Weggang nichts mehr im Weg stehen.« »Nach einer was?« Verblüffung war in der Stimme. »Sobald sich herausgestellt hat, daß Ihre Angaben und Hinweise der Wahrheit entsprechen, können Sie das Haus verlassen.« »Ach so.« Der Mann hatte endlich begriffen. »Okay, wir werden auspacken. Kennen Sie Dave Potting?« »Bisher kreuzte ein Mann dieses Namens noch nicht Myladys Weg.« »Potting hat uns losgeschickt. Und wir sollten hier nur mal kurz 42
einschüchtern.« »Mylady und meine Wenigkeit?« »Für einen Typ, der sich Gartenzwerg nennt«, fügte der Gangster hinzu. »Aber wer das ist, hat Potting uns nicht gesagt. Wir sollten nur diesen komischen Gartenzwerg erwähnen.« »Welchem Beruf geht Mister Potting nach, meine Herren?« »Potting verkauft Wohnwagen«, lautete die Auskunft. »Der hat in Stepney seinen Platz.« »Nicht weit vom Billardclub des Mister Joe Cattners entfernt?« tippte Parker sofort an und ließ damit einen Versuchsballon steigen. »Der wohnt im Nachbarblock«, lautete die Antwort. »Und wird hin und wieder von Mister Loemond aufgesucht?« »Keine Ahnung, wer das ist«, erwiderte der Gangster, was Parker ihm ohne weiteres abnahm. »Wann werden Sie losziehen und zu Potting fahren?« wollte der zweite Gangster wissen. »Sie sollten sich ein wenig in Geduld fassen«, empfahl der Butler den Gangstern. »Mylady ist überaus beschäftigt und nimmt bereits festgelegte Termine wahr.« Bevor die Männer protestieren konnten, schaltete Parker die Wechselsprechanlage ab und wartete auf seine Herrin, die gerade die geschwungene Freitreppe herabschritt und dabei unternehmungslustig ihren perlengeschmückten Pompadour durch die Luft kreisen ließ. Mylady machte einen sehr dynamischen Eindruck. * Parker hatte umdisponiert. Wichtiger als der Arbeitgeber von Henry Burgess war jetzt Dave Potting, der die Maschinenwaffenträger ins Haus geschickt hatte. Dieser Mann war ebenfalls vom ominösen Gartenzwerg engagiert worden, um Mylady und ihn außer Gefecht zu setzen. Der Butler war übrigens froh, daß Chief-Superintendent McWarden Burgess nur zu gern zum Yard mitgenommen hatte. Der Physiker mußte unbedingt behandelt werden. Vielleicht konnten die Fachärzte schnell herausfinden, was mit der Psyche des Wissenschaftlers geschehen war. Parker rechnete mit Drogen, die man 43
Henry Burgess verabreicht hatte. Dave Pottings Wohnwagen standen im Stadtteil Stepney auf einem nicht gerade einladenden Platz, der von hohen, brandig aussehenden Hauswänden eingerahmt wurde. Zerschlissene Reklamefahnen und grelle Wimpel sollten wohl Kunden anlocken. Das Angebot an Wohnwagen war nicht gerade überwältigend. Die meisten der mobilen Wohnheime waren mit Sicherheit schon durch viele Hände gegangen. Potting war wohl kaum daran interessiert, diese Wagen zu verkaufen. Sein Geschäft diente vermutlich nur dazu, nach außen hin eine bürgerliche Arbeit vorzutäuschen. Der Herr der Wohnwagen entpuppte sich als ein vierschrötiger, sehr treuherzig aussehender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er wirkte wie ein gutmütiger Teddybär und strahlte Mylady und Parker an, als er aus seinem langen Wohnwagen kam, der ihm als Büro diente. »Hier bei mir sind Sie völlig richtig«, sagte er und lachte breit. »Ich habe genau das, was Sie suchen, Herrschaften.« »Das wird sich zeigen, junger Mann«, antwortete die ältere Dame. »Ich suche…« »… einen hübschen Trailer, nicht wahr? Habe ich alles auf Lager, Madam. Sie brauchen nur zu wählen. Und ich habe Preise, die ‘nen zusätzlichen Urlaub garantieren. So preiswert bin ich.« »Mylady ist eigentlich nicht sonderlich an einem Wohnwagen interessiert«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady wünscht einen Gartenzwerg.« Prompt lächelte Potting nicht mehr. Aus dem Teddybär wurde ein sehr wachsamer Grizzly. Die Augen des Wohnwagenhändlers wurden klein. Sein Lächeln gefror. »Sie suchen einen Gartenzwerg?« fragte Potting. »In der Tat«, redete der Butler weiter. »Zwei Ihrer Mitarbeiter waren so freundlich, darauf zu verweisen. Sie wurden zu einer Lady Simpson in Shepherd’s Market geschickt, und zwar in Ihrem Auftrag.« »Ich verstehe kein Wort«, behauptete Potting umgehend. »Hier muß ein Mißverständnis vorliegen, schätze ich.« »Natürlich«, bestätigte Lady Agatha munter und setzte ihren Glücksbringer samt Pompadour auf die Brust des Händlers, der daraufhin sofort eine gewisse Konditionsschwäche zeigte und mit seinem Rücken Kontakt mit einem Wohnwagen suchte. 44
»Eben ein Mißverständnis«, sagte die ältere Dame genußvoll. »Aber man kann ja über alles reden, nicht wahr?« Er drückte sich kraftvoll von der Seitenwand des Wohnwagens ab und hatte eindeutig die feste Absicht, Mylady mit dem Kopf zu rammen. Er pfiff darauf, daß er es mit einer Frau zu tun hatte, benahm sich wie ein Stier und schnaubte. »Mit Ihrer Erlaubnis«, ließ Josuah Parker sich in seiner höflichen Art vernehmen und setzte den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes ein. Er setzte den Griff auf den Hinterkopf des Mannes, der sich daraufhin von einem wild gewordenen Stier in einen Flugapparat verwandelte, der bereits im Begriff war, zu einer Bruchlandung anzusetzen. Dave Potting schrammte mit seinem Bauch über den Erdboden und erreichte auch noch, da genügend Fahrt vorhanden, eine Pfütze, die mit öligem Schlammwasser gefüllt war. Er durchpflügte den kleinen Teich, ließ das Wasser links und rechts aufspritzen und blieb dann dicht vor Lady Agatha liegen. »Würdelos«, konstatierte die ältere Dame und blickte ausgesprochen mißbilligend auf den Mann hinunter, der leicht stöhnte. »Mister Potting dürfte die Gebote der Höflichkeit vergessen haben, Mylady«, meinte Josuah Parker. Bevor er aber noch etwas hinzufügen konnte, wurden er und Lady Agatha aufgefordert, gefälligst und schleunigst die Hände zu heben. * Diese Aufforderung kam von einem wesentlich jüngeren Mann, der nach Parkers Einschätzung höchstens dreißig Jahre zählte. Er stand in der Tür des Wohnwagens, der Potting als Büro diente, und hielt eine schallgedämpfte Pistole in der rechten Hand. Der junge Mann trug Jeans, ein bunt bedrucktes Hemd und eine Sonnenbrille. Er hielt die Schußwaffe profihaft und schien mit ihr bestens umgehen zu können. »Flossen hoch!« verlangte der Mann noch mal nachdrücklich. »Mir macht’s überhaupt nichts aus, euch ein paar Dinger zu verpassen.« »Sie sind ein Mitarbeiter Mister Pottings, wie zu vermuten ist«, stellte Josuah Parker fest. »Sein Partner«, korrigierte der junge Mann. »Wie ist das jetzt 45
mit den Händen, Leute? Ich warte nur noch einige Sekunden.« »Wie Sie zu wünschen belieben.« Parker nahm umständlich die Arme hoch. Dabei schwenkte der Schirm in leichtem Halbkreis nach vorn. Die Spitze richtete sich für einen Augenblick auf den Waffenbesitzer. Diese Zeit reichte völlig. Parker drückte genau im richtigen Moment auf den versteckt angebrachten Schirmhals und gab damit einen Blasrohrpfeil frei, der sich im hohlen Schirmstock befand. Angetrieben von komprimierter Kohlensäure, schoß dieses seltsame Geschoß auf den jungen Mann zu und bohrte sich in seine Armbeuge. Der Getroffene reagierte zwar noch, doch er verriß diesen Schuß und starrte dann verblüfft auf den buntgefiederten Pfeil. Bevor er die Waffe neu einrichten konnte, mußte er bereits den Rand von Parkers Melone in Empfang nehmen. Parker hatte seine Kopfbedeckung aus dem Handgelenk heraus geschleudert. Wie eine Frisbee-Scheibe war sie durch die Luft gesirrt und hatte ihr Ziel getroffen, nämlich die Hand des Mannes, der daraufhin seine Waffe wegwarf. Der junge Mann sackte förmlich in sich zusammen und greinte. Er zog den Kopf ein, als Parker sich ihm näherte. »Haben Mister Potting oder Sie mit dem Gartenzwerg verhandelt?« erkundigte sich der Butler. Er nahm die Melone wieder an sich und hielt plötzlich eine kleine, schmale Bürste in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Damit säuberte er seine Kopfbedeckung, bevor er sie wieder aufsetzte. »Potting hat mit diesem Kerl gesprochen«, lautete die schnelle Antwort. Der junge Mann deutete anklagend auf den Wohnwagenhändler. Potting hatte sich hochgekniet und blickte Parker und die ältere Dame in einer Mischung aus Unglauben und Respekt an. »Ihr habt ‘ne Menge drauf, Leute«, sagte Potting dann und atmete tief durch. »Keine unnötigen Schmeicheleien, junger Mann«, wehrte Lady Agatha ab. »Wie war das mit dieser Vogelscheuche?« »Vogelscheuche, Lady? Gartenzwerg!« »In welcher Form setzte der erwähnte Gartenzwerg sich mit Ihnen in Verbindung?« verlangte Parker zu wissen. »Der hatte hier angerufen und brauchte zwei gute Leute, um ein paar Typen in Shepherd’s Market aufzumischen. Ich hab’ an 46
einen Jux gedacht und ihm die beiden Leute besorgt.« »In welcher Form bezahlte der Gartenzwerg Sie, Mister Potting?« »Da kam ein Penner vorbei und lieferte einen Umschlag ab. Und in dem Ding waren dann fünfhundert Pfund, die wir ausgemacht hatten.« »Sie haben diesen Penner, wie Sie sich ausdrücken, nach seinem Auftraggeber befragt, wie anzunehmen ist, Mister Potting.« »Der war von ‘nem Mann angehauen worden, der mit seinem Wagen vorn an der Straße stand. Und das is’ es auch schon. Ich hab’ die beiden Leute also nach Shepherd’s Market geschickt. Wie gesagt, ich hab’ an einen kleinen Scherz geglaubt.« »Mylady geht davon aus, daß Sie in einschlägigen Kreisen dafür bekannt sind, Mister Potting, zu gewissen Scherzzwecken Leute zu vermieten.« »Na ja, man hat so seine Freunde«, räumte Potting ein. »Sie verkehren normalerweise in welchem Lokal, Mister Potting?« »Im >TartiniTartiniSwan