Günter Dönges
PARKER katapultiert die „Römer“
[email protected] Version: 1.00
Datum: 22.12.2002
DieHauptpersonen: Professor Copals:
gräbt nach Schätzen und flirtet wie ein alter Römer. Phil Simons: Ein Gangster, der in Panik gerät. Dan Sprayton: Hat etwas gegen Wurfmaschinen! Lady Agatha Simpson: Sorgt für ein vollendetes Chaos. Butler Parker: Greift tief in die Trickkiste. Norman Blakers und Peter Bonners: Zwei »Obelixe« oder nicht? 1
»Wir wären Ihnen sehr dankbar«, sagte Gary Copals, »die Arbeiten hier sind kostspielig, Mylady.« »Und das hier ist die Sperre?« Agatha Simpson beugte sich wieder vor und betrachtete die Holztrommel, über die das Halteseil lief. Der mächtige Wurflöffel stand eindeutig unter Spannung. Er schien nur darauf zu warten, endlich vorschnellen zu dürfen. »Mylady sollten vielleicht noch einen Blick auf die eigentliche Grabung werfen«, schlug Josuah Parker vor, »man entdeckte ein Mosaik, das man nur als einmalig bezeichnen kann.« »Das ist durchaus richtig«, bestätigte Gary Copals eifrig, »es ist eines der schönsten und vollständigsten Mosaiken, die man hier im Süden Englands bisher gefunden hat.« »Später, später«, sagte Lady Agatha ein wenig unwirsch, »alles zu seiner Zeit. Lenken Sie mich nicht ab. Dieser Löffel hier steht also unter Spannung?« »Er wird von dem Seil gehalten, das über die Trommel gewickelt ist«, erläuterte Gary Copals, »sobald man die Sperre löst, wie ich bereits schon sagte, schnellt der Wurflöffel vor. Sie möchten sich die Mosaiken sicher mal ansehen, Mylady, nicht wahr?« »Aber natürlich, junger Mann«, lautete die Antwort.
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Die Lady, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte, war groß, füllig und majestätisch, seit vielen Jahren Witwe, verfügte über ein immenses Vermögen und befaßte sich mit der Aufklärung von Kriminalfällen aller Art. Unterstützt wurde sie dabei von Josuah Parker. Parker war ein alterslos scheinender Mann mit dem Gesicht eines professionellen Pokerspielers. Er war das Urbild des hochherrschaftlichen englischen Butlers und die Würde in Person. Selbst in den verrücktesten Situationen verlor er nie die Haltung. Freund und Feind fürchteten sein Improvisationstalent. Völlig harmlose Gegenstände des Alltags wurden unter seinen Händen zu raffinierten Waffen. Parker verfügte über eine Trickkiste, die schier unerschöpflich war. Jetzt und hier hatte er so seine Bedenken; was Myladys Interesse betraf. Er kannte ihre Leidenschaft für technische Dinge. Sie nutzte jede sich bietende Möglichkeit, um ihre einmaligen Fähigkeiten in der Beherrschung der Technik zu demonstrieren. Daß es dabei stets zu kleinen oder auch großen Katastrophen kam, nahm sie nicht zur Kenntnis. »Vielleicht wollen Mylady sich noch weiteres Kriegsgerät ansehen«, schlug Josuah Parker vor. Ihm ging es darum, seine Herrin so schnell wie möglich von der Wurfmaschine wegzulocken. »Und ob ich mir auch diese Geräte noch ansehen werde, Mr. Parker.« Sie nickte nachdrücklich, »so etwas lasse ich mir nicht entgehen. Erstaunlich, was die alten Römer sich seinerzeit alles einfallen ließen, nicht wahr?« »Das, Mylady, was man menschliche Intelligenz zu nennen pflegt, schwingt sich stets dann zu Höchstleistungen auf, wenn es darum geht, andere Menschen zu töten«, antwortete der Butler gemessen. 3
»Was ich seit Jahren immer wieder sage«, behauptete Lady Agatha und nickte wissend. Gleichzeitig langte sie nach dem Sperrhebel der Seiltrommel und zuckte dann doch nachhaltig zusammen. Der unter starker Spannung stehende Wurflöffel schnellte augenblicklich nach vorn und knallte Bruchteile von Sekunden später gegen den Querbalken. Dabei löste sich die Steinkugel aus dem Löffel und begann ihre Luftreise. »Allmächtiger«, stöhnte Gary Copals und starrte dem Geschoß nach, das pfeilschnell durch die Luft segelte und dabei seltsame Geräusche von sich gab. »Habe ich etwa die Sperre berührt?« fragte die ältere Dame, die sich von ihrer Überraschung schon längst wieder erholt hatte. »Falls überhaupt, Mylady, dann höchstens irrtümlich oder zufällig«, antwortete Josuah Parker. Dann reckte er andeutungsweise den Hals und beobachtete den Wirkungstreffer. Die schwere Steinkugel, die die Größe eines Kohlkopfes besaß, hatte ihre Flugbahn beendet und landete auf und dann im Dach einer Baubaracke, die man leichtsinnigerweise dort errichtet hatte. Bretter und Balken wirbelten durch die Luft und flatterten danach gebrochen zu Boden. Aus dem Einschlagloch im nur leicht geneigten Dach stieg eine Staubwolke empor. »Treffer«, stellte Agatha Simpson durchaus erfreut fest und wandte sich an ihren Butler, »sehen Sie, Mr. Parker, so etwas passiert, wenn man unachtsam ist.« »Mylady lieferten gerade wieder mal ein durchaus warnendes Beispiel«, antwortete der Butler, »die Herren Archäologen werden daraus mit Sicherheit gewisse Konsequenzen ziehen.«
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»Was haben wir denn sonst noch an Nachbauten?« erkundigte sich die passionierte Detektivin munter und wandte sich an Gary Copals, den Ausgrabungsleiter. Copals war untersetzt, rundlich und etwa fünfundfünfzig. Er war Professor an der Londoner Universität und leitete die Ausgrabungen, die von seinen Studenten vorgenommen wurden. Der Mann stand eindeutig noch unter einem Schock und fuhr zusammen, als die ältere Dame ihn ansprach. »Wir selbst haben keine Nachbauten«, sagte er, »aber dort drüben, Mylady, gibt es einen Museumspark, den geschäftstüchtige Leute eingerichtet haben. Wir können dagegen nichts machen und… Wer zahlt jetzt die Bürobaracke, Mylady?« »Welche Bürobaracke?« fragte Agatha Simpson erstaunt. »Die Bürobaracke, Mylady, die Sie zerschmettert haben.« Gary Copals holte tief Luft und deutete dann auf die Trümmer des Holzgehäuses, die inzwischen hinter dem Staubvorhang deutlich zu erkennen waren. »Ich soll was zerschmettert haben?« Die ältere Dame holte ihrerseits tief Luft und zog die Augenbrauen bedrohlich zusammen. »Ich kann nur hoffen, junger Mann, daß Sie gerade einen hübschen Scherz gemacht haben. Gehört mir etwa diese Wurfmaschine?« »Aber Sie, Mylady, Sie haben doch… Ich meine, weil Sie doch… Ich denke da an die Sperre und…« »Sie machen sich unbeliebt bei mir Copals«, stellte Agatha Simpson klar, »diese Sicherung hätte eben besser funktionieren müssen. Und wo war das Warn- und Hinweisschild? Mr. Parker, haben Sie etwa solch eine Tafel gesehen?« 5
»Sie ist eindeutig nicht vorhanden, Mylady«, sagte Parker. »Und wieso haben Sie diesen Löffel eigentlich geladen?« fragte die Detektivin weiter, »das war leichtfertig, junger Mann. Man sollte Sie wegen fehlender Aufsichtspflicht belangen und vor Gericht stellen.« »Sie haben mich mißverstanden, Mylady«, bedauerte Copals und rang die Hände, »so hatte ich es eben nicht gemeint.« »Das möchte ich Ihnen auch nicht geraten haben, junger Mann«, wetterte Agatha Simpson und nickte plötzlich freundlich, »vergreifen Sie sich noch nicht mal verbal an einer wehrlosen Frau. Wo finde ich die übrigen Nachbauten, mein lieber Copals? Sie haben mich neugierig gemacht. Sind weitere Waffen darunter?« »Einige schon, Mylady«, entgegnete Copals und wischte sich den ersten Angstschweiß von der Stirn. »Und was haben Sie mir anzubieten?« forschte die ältere Dame weiter und setzte ihre Fülle in Bewegung. »Eine Wurfmaschine für Langspeere, Mylady.« »Das hört sich sehr interessant an, nicht wahr, Mr. Parker?« Sie blickte ihren Butler an. »Sie braucht ja nicht gerade geladen zu sein«, bemerkte der Butler. »Falls nicht, ließe sich das wohl nachholen«, meinte die kriegerische Dame unternehmungslustig, »ich bin eine wissensdurstige Frau, die den Dingen stets auf den Grund geht.« »Sie deuteten soeben an, Sir, daß es hier an der Grabungsstätte keine Nachbauten gibt«, sagte Parker zu Professor Copals. »Eben«, schaltete Lady Agatha sich umgehend ein, »danach wollte auch ich gerade fragen. Wieso sind also diese Nachbauten hier?« 6
»Nun ja, die stammen von meinen Studenten«, erklärte der Mann verlegen, »sie bauen sie in ihrer Freizeit und verdienen sich damit einige Pfund. Diese Nachbauten kommen dann dort drüben in den Museumspark.« »Diesen Park werde ich mir anschließend ansehen«, kündigte Agatha Simpson an, »und danach werden wir uns über eine Spende für Ihre Ausgrabung unterhalten, mein lieber Copals.« »Dort steht die Speer-Schleuder«, sagte der Professor für Archäologie und deutete auf ein klotzig aussehendes Dreibein, das auf mit Rollen versehenen Bohlen stand. »Dieses Gerät ist bekannten Beschreibungen nachgebildet worden«, schickte Copals voraus, »es arbeitet nach dem Prinzip einer Armbrust, wie Sie gleich sehen werden, Mylady. Die beiden Bogenhälften sind dort oben links und rechts von der Führungsschiene angebracht, in die man den Langspeer legt. Über eine Seiltrommel werden die Bogenhälften gespannt.« »Und gesichert, Sir?« erkundigte sich Parker. »Meine Wenigkeit möchte darauf aufmerksam machen, daß in der Führungsschiene sich ein Langspeer befindet.« »Diesmal wird bestimmt nichts passieren«, versicherte Professor Copals leichtfertig. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch dazu fand er keine Gelegenheit mehr. Josuah Parker warf sich gegen Lady Agatha, die protestierend einen spitzen Schrei ausstieß. Danach war nur noch ein Blubbern und Prusten zu vernehmen. Parker, der sich erstaunlich ungeniert über sie geworfen hatte, drückte Myladys Mund und Nase in eine schlammige Pfütze.
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»Ich kann nur hoffen, Mr. Parker, daß Sie mit einer Erklärung dienen können«, sagte Lady Agatha wenige Sekunden später und blickte ihren Butler mehr als eisig an. »Se… Sehen Sie doch«, war Professor Copals Stimme zu hören. Seine Stimme klang heiser und drückte Entsetzen aus. »Was soll ich sehen? Lenken Sie nicht ab«, fauchte Agatha Simpson ihn an, folgte mit ihrem Blick aber dann Copals ausgestrecktem Arm und entdeckte in einer Bretterwand einen Speer, der die starken Bohlen glatt durchschlagen hatte. Er zitterte und vibrierte noch. »Mylady sehen meine Wenigkeit schier untröstlich«, entschuldigte sich Parker, »aber in Anbetracht der Lage war keine Zeit, Mylady entsprechend vorzubereiten.« »Um ein Haar wäre ich ertrunken und erstickt«, grollte sie, allerdings ohne Nachdruck. Sie deutete in die kleine schlammige Pfütze. »Sie haben den Abschuß gesehen?« »Meine Wenigkeit sah eine Gestalt, die an der Spanntrommel hantierte«, erwiderte Josuah Parker, »da der Speer erstaunlicherweise auf den Eingang dieses umfriedeten Areals deutete, wurde in meiner Wenigkeit ein gewisses Mißtrauen wach.« »Sie… Sie haben Mylady das Leben gerettet«, sagte Copals, am ganzen Leib zitternd, »der Speer hätte sie glatt durchschlagen.« »Nun übertreiben Sie nicht gleich«, meinte sie gereizt, »aber es steht immerhin fest, daß man mich wieder mal ermorden wollte.« »Dem möchte meine Wenigkeit auf keinen Fall widersprechen, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Ich werde diese Herausforderung selbstverständlich annehmen«, erklärte die ältere Dame freudig, »es war bekannt, mein lieber Copals, daß ich heute hier erscheinen 8
würde?«
»Selbstverständlich, Mylady«, antwortete der Professor,
»ich ließ den Termin sogar an der Wandzeitung
anschlagen.«
»Ich kann das nicht verstehen«, sagte Agatha Simpson, »für
den Mörder war das ja geradezu eine Einladung.«
»Meine Studenten sollten doch informiert werden«,
verteidigte sich Copals und blickte wieder auf den Speer,
der sich endlich beruhigt hatte. Das Loch, das er in die
solide Bretterwand geschlagen hatte, war furchterregend
groß und gezackt.
»Einer Ihrer Studenten ist der Täter«, behauptete Agatha
Simpson, »darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren,
Professor.«
»Ausgeschlossen, Mylady«, erwiderte Copals erregt und
gab sich einen inneren Ruck, »für meine Studenten lege ich
die Hand ins Feuer. Warum sollte einer von ihnen Sie
umbringen wollen? Es ist doch allgemein bekannt, daß
ohne eine Spende von Ihnen die Ausgrabungen für diese
Saison hätten eingestellt werden müssen.«
»Haben Sie das Subjekt gesehen, das mich speeren wollte?«
Lady Agatha wandte sich an Parker, der sie und Professor
Copals geschickt und unauffällig in die Sichtdeckung eines
Zeltes manövriert hatte.
»Meine Wenigkeit muß ungemein bedauern, Mylady«,
antwortete der Butler, »zu einer genaueren Beobachtung
blieb aus den bekannten Gründen leider keine Zeit mehr.«
»Mir wäre so etwas nicht passiert«, tadelte sie und blickte
Josuah Parker vorwurfsvoll an, »Sie neigen dazu, Mr.
Parker, den Kopf zu verlieren.«
»Er… Er hat Ihnen immerhin das Leben gerettet, Mylady«,
warf Gary Copals ein.
»Wir wollen doch nicht gleich übertreiben«, schwächte
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Lady Agatha ab und bedachte den Professor mit eisigern Blick. »Ich wäre schon noch rechtzeitig ausgewichen. Für meine Geistesgegenwart bin ich schließlich berühmt. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »Mylady pflegen in der Tat Situationen in einer Art zu meistern, die nur fassungsloses Staunen auslösen kann«, gab der Butler in seiner höflichen Art zurück. »Keine Schmeicheleien, Mr. Parker«, wehrte sie wohlwollend ab, »aber es stimmt natürlich, was Sie da gesagt haben. Bleiben wir aber bei den Tatsachen. Ich werde mich jetzt mit diesem Subjekt befassen, das mich aufspießen wollte. So etwas lasse ich nicht durchgehen.«
*
»Und Sie haben dieses Subjekt natürlich sofort gefunden, nicht wahr?« fragte Mike Rander ernst. Er und Kathy Porter befanden sich zusammen mit Agatha Simpson und Josuah Parker in der großen Wohnhalle des Hauses in Shepherd’s Market, das die ältere Dame bewohnte. Das zweistöckige, uralte Fachwerkhaus stand auf den noch älteren Gewölben einer ehemaligen Abtei und war eine Art Fuchsbau. »Um ein Haar hätte ich den Täter erwischt«, behauptete Lady Agatha, »aber leider waren bereits viele Studenten ins Camp zurückgefahren.« »Sie glauben, daß einer der Studenten der Täter war, Mylady?« fragte Kathy Porter. Sie war Agatha Simpsons Gesellschafterin und Sekretärin, groß, schlank und von eindrucksvoller Schönheit. Die mandelförmig geschnittenen Augen, das braune Haar mit dem leichten Rotstich und die hervortretenden Wangenknochen verliehen ihr einen Hauch von Exotik. »Mylady denken möglicherweise auch an eine zweite 10
Möglichkeit, was diesen eindeutigen Mordanschlag betrifft«, ließ Parker sich vernehmen. »Ach ja?« Mike Rander unterdrückte ein Lächeln, wie deutlich zu erkennen war. »Ich denke an eine zweite Möglichkeit?« wunderte sich die ältere Dame und blickte Josuah Parker erstaunt abwartend an. »Der mehrfach erwähnte Speer könnte auch durchaus Professor Gary Copals zugedacht gewesen sein, Mylady.« »Diesem Professor?« Die passionierte Detektivin holte tief Luft. Diesen Hinweis hatte sie nicht erwartet. »Ja, warum eigentlich nicht?« fragte Mike Rander, der einem bekannten James-Bond-Darsteller glich. Der rund vierzigjährige Anwalt hatte vor Jahren schon mal mit Josuah Parker zusammengearbeitet. Damals erlebten und überstanden sie in den USA viele Abenteuer. »Das ist doch Unsinn, mein Junge«, erregte sich Lady Agatha, »dieser Mordanschlag galt mir, darauf bestehe ich.« »Mylady und Professor Copals standen dicht nebeneinander«, warf der Butler ein, »nach meiner bescheidenen Erinnerung suchte und fand der Speer seinen Weg zwischen beiden Personen.« »Man sollte sich um Professor Copals kümmern«, schlug Kathy Porter vor, »er könnte ja ebenfalls Feinde haben wie Mylady.« »Das ist zwar reine Zeitverschwendung, meine Liebe, aber bitte Mike und Sie können sich da um diesen Ausgräber kümmern, bringen wird es natürlich gar nichts.« »Lassen wir uns überraschen.« Mike Rander blickte den Butler an. »Was ist mit den Leuten, die diesen Museumspark aufgezogen haben?« »Völlig unschuldige Leute, nicht wahr, Mr. Parker?« Agatha Simpson musterte Parker leicht gereizt. Sie hatte 11
sich für einen der Studenten als Täter entschieden und
wollte sich nicht mehr korrigieren.
»Mylady lassen sich grundsätzlich nie Sand in die Augen
streuen«, schickte der Butler voraus. »Eine sehr treffende
Bemerkung.« Sie nickte nachdrücklich.
»Aus diesem Grund werden Mylady selbstverständlich
auch die Betreiber des Museumsparks ins Kalkül ziehen.«
»Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker.« Agatha
Simpson lächelte wohlwollend. »Ich werde nach der
klassischen Methode vorgehen und erst mal jeden
verdächtigen.«
»Wie war das eigentlich mit dieser Wurfmaschine?«
erkundigte sich Mike Rander amüsiert. »War sie tatsächlich
so durchschlagend?«
»Die Baracke wurde in ihre Einzelbestandteile zerlegt, Sir«,
beantwortete Parker die Frage, »man muß sich selbst noch
nachträglich wundern, daß der Wurflöffel beschickt und
dieses Wurfgeschütz auf die Baracke gerichtet war.«
»Und was war in dieser Baracke untergebracht?« wollte
Kathy Porter wissen.
»Das Büro mit den Grabungsunterlagen, Miß Porter«,
entgegnete Josuah Parker, »man ist noch damit beschäftigt,
die Kartei der Fundgegenstände zusammenzustellen.«
»Mir kommt da gerade ein Gedanke«, ließ die ältere Dame
sich vernehmen. Sie räusperte sich explosionsartig und
wollte mit Sicherheit eine neue Theorie entwickeln.
»Mylady denken an die bisher gefundenen
Grabungsstücke?« fragte der Butler.
»Natürlich«, gab sie zurück, »ich wundere mich, daß ich
wieder mal allein das wirkliche Motiv entdeckt habe.«
»Mylady wecken allgemeine Neugier«, versicherte Parker
ihr.
»Es geht um Sachwerte«, entschied Lady Agatha, »ich
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denke da an Goldfunde. Hatte ich nicht erst vor wenigen Monaten mit Goldschmuck zu tun, den man aus einer Ausstellung stahl?« »Es handelte sich in der Tat um etruskischen Goldschmuck«, warf Parker ein. »Wie auch immer.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hier geht es doch eindeutig um römischen Goldschmuck, meine Lieben. Und in diesem Zusammenhang werde ich diesem Professor Copals nicht über den Weg trauen.« Agatha Simpson war berüchtigt für ihre Theorien. Sie entwickelte sie quasi am laufenden Band. Sie widersprach sich dabei ununterbrochen und löste bei ihren Zuhörern immer wieder Verblüffung aus. So auch jetzt. Kathy Porter und Mike Rander tauschten schnell einen leicht amüsierten Blick. Parkers Gesichtsausdruck hingegen blieb undurchdringlich wie das eines professionellen Pokerspielers. Bevor Lady Agatha eine Antwort zu hören bekam, klingelte das Telefon. »Wie bestellt«, spöttelte Mike Rander, »wahrscheinlich meldet sich jetzt der geheimnisvolle Täter.« Josuah Parker war bereits zum Wandtisch gegangen, hob ab und nannte seinen Namen. Er hatte bereits den Raumverstärker eingeschaltet, damit alle mithören konnten. »Hier spricht Obelix«, sagte eine undeutliche Stimme, die von einem auf- und abschwellenden Rauschen fast übertönt wurde. »Man erlaubt sich, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen«, erwiderte Josuah Parker. »Hier spricht Obelix«, wiederholte die undeutliche Stimme. »Sie erwähnten es bereits«, entgegnete Parker in seiner 13
höflichen Art.
»Wer mir in die Quere kommt, der ist geliefert«, warnte die
Stimme, »und ich werfe nicht nur mit Hinkelsteinen…«
»Sie stellten es offensichtlich bereits unter Beweis«, meinte
der Butler gemessen, »geht der geschleuderte Wurfspeer
auf Ihr Konto, wenn man fragen darf?«
»Ich habe absichtlich nicht genau gezielt«, sagte Obelix,
»solltet ihr euch noch mal draußen im Gelände blicken
lassen, werde ich zur Sache kommen.«
Bevor Parker eine weitere Frage stellen konnte, wurde auf
der Gegenseite aufgelegt.
*
»Nun, Mr. Parker, was halte ich davon?« wollte die Detektivin von ihrem Butler wissen. Sie war aus Parkers hochbeinigem Monstrum gestiegen und musterte den Eingang zum Museumspark, der sich in der Nähe der Ausgrabungsstätte befand. Zwei hohe, hölzerne Wachtürme flankierten das Tor, das aus schweren Bohlen bestand. Der Park wurde von einem Wall umgeben, auf dem eine solide aussehende Palisadenwand stand. Das solchermaßen eingezäunte Gelände befand sich am Ufer eines Flüßchens, das in einen See mündete. Alle vier Ecken des Museumsparks zeigten überdachte Wachtürme. Im Licht der bereits untergehenden Sonne hatte man wirklich den Eindruck, in Südenglands Römerzeit versetzt worden zu sein. »Der Nachbau einer römischen Festungsanlage ist frappierend, Mylady«, meinte der Butler, »man dürfte eine durchaus genaue Rekonstruktion vorgenommen haben.« »Und so etwas sehen die Leute sich an.« Agatha Simpson dachte an die Eintrittspreise und schüttelte fast 14
vorwurfsvoll den Kopf. »Man scheint eine Reise in die eigene Vergangenheit durchaus zu schätzen, Mylady«, sagte Parker und blickte auf einige junge Leute, die gerade einen VW-Bus verließen und sich lärmend dem Eingang näherten. Dabei passierten sie Parkers Privatwagen und blieben überrascht stehen. Parkers hochbeiniges Monstrum, wie der Wagen von Freund und Feind genannt wurde, war ein ehemaliges Londoner Taxi, das sich durch seine eckige und hohe Karosserie auszeichnete. Es handelte sich um ein betagt aussehendes Gefährt, das zu mitleidigem Lächeln herausforderte. Tatsächlich aber war Parkers Privatwagen eine Trickkiste auf Rädern, um die ein James Bond ihn sicher beneidet hätte. »Hat Cäsar die Karre bereits benutzt?« fragte einer der jungen Männer ironisch. »War das gerade eine Beleidigung, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha umgehend und brachte ihren perlenbestickten Pompadour sicherheitshalber in leichte Schwingung. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, wiegelte der Butler ab, »die Bemerkung kann man durchaus als witzig auffassen.« »Schade«, meinte Agatha Simpson etwas enttäuscht, »ich hätte diesem Lümmel sonst Manieren beigebracht.« Die jungen Leute hatten diesen kurzen Gedankenaustausch nicht mitbekommen, strebten bereits dem Tor zu und waren bald darauf verschwunden. Lady Simpson setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung und marschierte energisch in den Museumspark hinein. Hier gab es flach gedeckte Lagerhallen und Unterkünfte im Baustil der alten Römer. Parker entdeckte einen Brennofen für Töpferwaren, eine Glasbrennerei und dann ein Atrium-Haus mit einem 15
Schnellimbiß.
»Ich bin enttäuscht, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson,
»sehen Sie etwas von Kriegsmaschinen?«
»Möglicherweise befinden sie sich hinter den
Lagerschuppen, Mylady.« Während Parker dies sagte,
beobachtete er unwillkürlich die jungen Leute, die
zielstrebig das Atrium-Haus anpeilten. Dabei fiel sein Blick
auf einen Mann, der im Stil römischer Legionäre gekleidet
war. Dieser Soldat trug bis zum Knie geschnürte
Ledersandalen, einen derben Rock, der in Falten bis über
die Oberschenkel fiel, einen Brustpanzer und einen Helm.
In der rechten Hand hielt er ein kurzes Schwert.
Parker deutete eine knappe Verbeugung an und lüftete
höflich die schwarze Melone. Der Legionär stutzte, blickte
dann betont zur Seite und verschwand in einem der flachen
Holzschuppen.
»Wer war denn das?« fragte die Detektivin.
»Es handelt sich um einen gewissen Phil Simons, Mylady«,
antwortete Josuah Parker. »Mr. Simons scheint seinen Beruf
gewechselt zu haben.«
»Und was war er vorher?« Die ältere Dame witterte eine
Abwechslung.
»Mr. Simons stammt aus London, Mylady. Dort war er
noch bis vor einigen Wochen als Repräsentant eines
Inkasso-Büros tätig.«
»Aha. Und was stelle ich mir darunter vor?«
»Er kassierte überfällige Mieten und Zinsen und bediente
sich dabei einiger Methoden, die man nur als kriminell
bezeichnen kann.«
»Er ist also ein Schläger, wie?«.
»So kann man es allerdings auch ausdrücken, Mylady. Mr.
Phil Simons arbeitet übrigens für einen gewissen Dan
Sprayton, der in Kreisen der Londoner Unterwelt als
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besonders gewalttätig gilt.«
»Sehr schön.« Die Detektivin nickte zufrieden. »Ich sagte
Ihnen ja gleich, Mr. Parker, daß ich auf der richtigen Spur
bin. Der Speer galt eindeutig mir, nicht dem Professor.
Mein Erscheinen hier hat Unruhe ausgelöst. Man will mich
ausschalten, weil es hier Kriminelles gibt. Bringen Sie mich
zu diesem alten Römer. Ich habe einige Fragen zu stellen.«
»Man scheint sich bereits um Mylady bemühen zu wollen.«
Parker deutete mit der Spitze seines altväterlich
gebundenen Regenschirmes auf drei römische Legionäre,
die aus der Töpferei kamen und Mylady und ihn
anvisierten.
Sie führten Kurzschwerter und Lanzen mit sich.
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»Wir beginnen jetzt mit der Führung«, sagte ein Legionär
und grinste Lady Agatha wie ein Filmschurke an, »wetten,
daß Sie mitkommen werden?«
»Ich wette nur dann, wenn ich weiß, daß ich gewinne,
junger Mann«, antwortete die resolute Dame.
»Wir können Sie verdammt schnell auf Trab bringen«,
deutete der Legionär an. Er hob sein Kurzschwert, während
die beiden anderen alten Römer ihre Lanzen senkten.
»Mylady und meine bescheidene Wenigkeit werden Ihrer
so überaus freundlichen Einladung selbstverständlich
folgen«, schaltete der Butler sich ein, bevor seine Herrin
aggressiv werden konnte.
»Ist auch gesünder«, meinte der Legionär und deutete dann
mit dem Schwert auf den Lagerschuppen, in dem Phil
Simons verschwunden war, »die Waffen hier sind
verdammt echt.«
»Tatsächlich?« fragte die ältere Dame. Sie witterte ein
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kleines Intermezzo und folgte der Einladung. Zusammen mit dem Butler ließ sie sich zum Seiteneingang des Lagerschuppens führen. Die drei römischen Legionäre hatten sich inzwischen sichtlich entspannt. Sie schienen in Lady Agatha und Butler Parker keine wirklichen Gegner zu vermuten. Der Wortführer der stämmigen und muskelbepackten Römer mußte sich anstrengen, um die schwere Tür zu öffnen. Dann trat er zur Seite und nickte Agatha Simpson und dem Butler zu. »Immer reinmarschiert, Leute«, sagte er munter, »wir haben ‘ne ganze Menge zu bieten.« »Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben, junger Mann«, antwortete die ältere Dame und… setzte ihren perlenbestickten Pompadour auf den Brustpanzer des Legionärs. Myladys sogenannter Glücksbringer im Handbeutel, nämlich ein echtes Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte, tat wieder mal seine Pflicht. Es beulte zuerst mal den Brustpanzer aus Messingblech tief ein und sorgte für gewisse Zirkulationsschwierigkeiten der Atemluft in der Brust des Getroffenen. Da Agatha Simpson nachdrücklich ausgeholt hatte, wurde der Legionär weit zurückgeschleudert und rutschte mit dem Rücken gegen die Kante der schweren Tür. Dabei verschob sich der Helm des Mannes nach vorn in die Stirn und nahm dem Träger erst mal die Sicht. Bevor der Legionär sich den Helm wieder zurechtrücken konnte, setzte die ältere Dame ihren Pompadour auf die obere Wölbung der Kopfbedeckung, die daraufhin tief bis zur Nase ins Gesicht des Mannes getrieben wurde. Parker war selbstverständlich nicht untätig geblieben. Der Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes war mit Blei ausgegossen und stellte in Parkers Hand eine gefährliche Waffe dar. Mit diesem Bambusgriff klopfte 18
Parker bei dem zweiten Legionär kurz und nachdrücklich an. Er traf das Kinn des Mannes, der den Eindruck gewann, von einer rammenden Rechte getroffen worden zu sein. Der Mann verdrehte die Augen, röchelte kurz und ließ sich dann auf dem Sandboden nieder. Der dritte Legionär hatte bereits die Flucht ergriffen und rannte in das Halbdunkel des Lagerschuppens. Er kam jedoch nicht sonderlich weit. Josuah Parker hielt bereits die Lanze des zweiten Legionärs in der rechten Hand und bewies auch jetzt, daß er viel von der Verhältnismäßigkeit der Mittel hielt. Er drehte die Lanze nämlich um, bevor er sie dem Flüchtenden nachwarf. Er wollte auf keinen Fall, daß der dritte Legionär gefährlich verletzt wurde. Das stumpfe Ende der Lanze reichte jedoch völlig aus, um den Mann von den Beinen zu bringen. Wuchtig landete die Wurflanze auf dem Blech des Brustpanzers und ließ den Besitzer dieser Schutzeinrichtung straucheln. Der Mann warf sich förmlich auf die vor ihm befindliche Luft, die ihn natürlich nicht zu tragen vermochte. Nach Bruchteilen einer Sekunde sackte der Legionär mit seiner Körpermasse durch und landete klatschend auf den Dielenbrettern des Lagerschuppens. Er rutschte noch ein wenig vor, schrammte dabei das Kinn auf und blieb dann entspannt liegen. »Hoffentlich waren Mylady mit meinem bescheidenen Einsatz zufrieden«, fragte Parker in seiner höflichen Art. »Das war schon recht begabt«, erwiderte Agatha Simpson und nickte wohlwollend, »nur weiter so, Mr. Parker.« Der Butler deutete ein Nicken an und musterte das Innere des Schuppens. Er entdeckte eine Schreinerwerkstatt mit modernen Maschinen für die Holzverarbeitung, Regale mit Töpferwaren aller Art und eine Art Warenlager, das 19
hauptsächlich aus Konserven bestand. Und er machte einen Legionär aus, der offensichtlich einen höheren Rang bekleidete. Auf seinem Helm befand sich ein Kamm aus wallenden Federn, die in Bewegung gerieten. Dies hing mit der Absetzbewegung des Helmträgers zusammen, der fluchtartig eine schmale Seitentür ansteuerte.
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»Mir wäre dieses Subjekt selbstverständlich nicht entwischt, Mr. Parker«, stellte Lady Agatha tadelnd fest, »konnten Sie ihm denn nicht eines der Schwerter an den Kopf werfen?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit untröstlich«, gab Josuah Parker zurück. »Und was jetzt?« erkundigte sie sich grimmig. »Eine Verfolgung dürfte doch wohl sinnlos sein, oder?« »In der Tat, Mylady«, entgegnete der Butler, »der Kohortenführer dürfte längst das gesucht haben, was man gemeinhin das Weite zu nennen pflegt.« »Kohortenführer?« Agatha Simpson runzelte die Stirn. »Der Geflüchtete dürfte innerhalb der Legionäre einen gewissen Rang bekleiden«, sagte Parker, »ob es sich um eine korrekte Bezeichnung handelt, wird vielleicht die nahe Zukunft erweisen.« »Wie auch immer, Mr. Parker.« Sie blickte auf die drei Legionäre, die sich inzwischen von ihrer Niederlage etwas erholten und im Terzett stöhnten. »Ich werde diese Lümmel jetzt erst mal verhören, Mr. Parker.« »Ein Vorhaben, zu dem man Mylady nur gratulieren kann«, schickte der Butler voraus. Er wußte aus Erfahrung, daß man seiner Herrin nicht widersprechen durfte. 20
»Suchen Sie einen passenden Platz, Mr. Parker«, verlangte sie weiter, »ich möchte während des Verhörs nicht gestört werden.« »Mylady denken natürlich auch an die Möglichkeit, daß die Herren Legionäre so gut wie freiwillig Mylady folgen werden.« »Tatsächlich?« wunderte sie sich, denn daran hatte sie überhaupt noch nicht gedacht. »Und wie stelle ich mir das vor?« »Die Legionäre werden Mylady folgen«, redete Parker weiter, »man müßte ihnen dazu nur die Gelegenheit geben.« »Genau das habe ich mir gedacht«, behauptete sie dann und lächelte wissend, »Sie stellen sich von Fall zu Fall immer besser auf mich ein, Mr. Parker. Nur weiter so! Erledigen Sie die Details, Sie wissen ja, daß ich mich mit unwichtigen Kleinigkeiten nicht abgeben kann.« »Mylady brauchen nur wieder Platz im Wagen zu nehmen.« »Und wie ist das mit diesem Lümmel aus dem InkassoGeschäft?« »Mylady denken an Mr. Phil Simons«, erwiderte Parker, »er dürfte die drei Römer geschickt haben. Auch Mr. Simons wird sich Mylady ungewollt zur Verfügung stellen.« Sie war überzeugt, dies alles selbst gedacht zu haben, marschierte ohne jeden weiteren Einwand zurück zu Parkers Privatwagen und nahm im Fond Platz. Parkers Rechnung war aufgegangen. Die römischen Legionäre waren nicht mehr in Erscheinung getreten. Hier im Museumspark wollte man wohl kein Aufsehen erregen. Parker setzte sein hochbeiniges Monstrum noch nicht in Bewegung. Er beobachtete die jungen Leute, die 21
erstaunlicherweise ebenfalls schon wieder erschienen und fröhlich lärmten. Sie nahmen in ihrem VW-Bus Platz und fuhren bald darauf los. Parker war nicht entgangen, daß sie sich während des kurzen Aufenthaltes im Museumspark mit Souvenirs eingedeckt hatten. In den Tragetaschen aus Kunststoff mußten sich eindeutig Töpferwaren befunden haben. Parker fuhr erst an, als er unten am Fluß einen Jeep ausmachte, der über eine Wiese holperte und dann auf einem Feldweg Tempo aufnahm. Dieser Jeep verschwand hinter einer Reihe von Weidenbäumen und Sträuchern. In ihm hatte der Butler vier Männer ausgemacht. Seiner Schätzung nach handelte es sich dabei um die drei römischen Legionäre und um Phil Simons. »Ich rechne mit einer anregenden Verfolgungsjagd, Mr. Parker«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. Die schußsichere Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Fond war gesenkt worden. Mylady brauchte sich nicht über die Bordsprechanlage mit Parker zu verständigen. »Mylady denken sicher auch an eine Straßensperre«, tippte der Butler an. »An so etwas selbstverständlich auch«, gab sie zurück, »eine Lady Simpson rechnet mit jeder Überraschung. Was halten Sie denn übrigens von diesen römischen Legionären? Habe ich mir bereits eine Meinung gebildet?« »Mylady gehen davon aus, daß ein Krimineller wie Mr. Phil Simons unmöglich rein zufällig im Museumspark anzutreffen ist.« »Das finde ich allerdings auch«, sagte sie, »wo ein Gangster ist, Mr. Parker, sind noch mehrere. Ich glaube, daß man einen Kunstraub plant. Es dürfte sich dabei um einen römischen Goldschatz handeln.« »Es gibt der Möglichkeiten viele, Mylady«, sagte Parker 22
ausweichend, »Mylady werden sich aber auf keinen Fall den Blick verstellen lassen.«
*
Josuah Parker blieb etwa fünf Minuten auf der Straße, die nach Uckfield im Südosten Englands führte. Dann hielt er und wandte sich zu seiner Herrin um, die ihn irritiert anschaute. »Mylady planen gewiß einen taktischen Schachzug«, stellte Parker fest. »Selbstverständlich«, erwiderte sie lächelnd, »Sie haben meine Gedanken erraten, Mr. Parker?« »Da die vier Legionäre im Jeep unterwegs sind, dürfte man sich im Museumspark frei bewegen können.« »Richtig«, bestätigte sie, »da ist doch der Kohortenführer, nicht wahr?« »Er dürfte mehr als nur überrascht sein, wenn Mylady plötzlich vor ihm zu erscheinen geruhen.« »Wenden Sie, Mr. Parker!« Sie war Feuer und Flamme. »Ich werde diesem Subjekt die rechten Flötentöne beibringen.« Sie rückte ihre majestätische Fülle im Sitzpolster zurecht und knetete mit ihren Fingern den Pompadour, in dem sich der Glücksbringer befand. Sie verfolgte die Konturen des großen Hufeisens und zupfte dann den dünnen Schaumstoff auseinander, der das Hufeisen umgab. Parker wendete inzwischen das hochbeinige Monstrum und fuhr zurück in Richtung Museumspark. Er hoffte tatsächlich, den Kohortenführer stellen zu können. Ob es sich dabei allerdings um den Inhaber der Inkasso-Firma aus London handelte, war ungewiß. Er konnte sich kaum vorstellen, daß Dan Sprayton in der Uniform eines römischen Legionärs herumlief. Er hatte Sprayton in wesentlich 23
anderer Erinnerung. Diesmal ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum nicht auf dem Parkplatz vor den Palisaden stehen, sondern steuerte seinen Privatwagen durch das Tor bis knapp vor den Schuppen, in den man Mylady und ihn sehr nachdrücklich gebeten hatte. Lady Agatha wartete keineswegs, bis ihr Butler den Wagenschlag geöffnet hatte. Ausgesprochen munter und energiegeladen stieg sie aus und schritt zum Eingang. Parker, der sie diskret überholte, öffnete die schwere Tür und ging voraus. »Leer«, mokierte sich die ältere Dame, »so etwas hatte ich mir ja gleich gedacht. Man geht mir aus dem Weg, Mr. Parker.« »Man scheint Mylady wieder mal zu fürchten.« Josuah Parker ging weiter zu jener Tür weit hinten in der Halle, durch die der Kohortenführer die Flucht angetreten hatte. Der Butler hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als sie aufgerissen wurde. Zwei Zivilisten stürmten herein und zeigten dabei ihre Handfeuerwaffen. Zum Einsatz aber brachten sie sie nicht mehr. Mit ruckartiger Bewegung des linken Unterarmes hatte Parker den altväterlich gebundenen Regenschirm senkrecht in die Luft steigen lassen. Als der untere Teil des Schirmes seine Brusthöhe erreichte, langte der Butler mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand zu und verfügte augenblicklich über ein äußerst nützliches Schlaginstrument. Mit dem bleigefüllten Bambusgriff schlug er den beiden Zivilisten die Revolver aus den Händen und kickte dann fast beiläufig die Schußwaffen über den Holzfußboden in Richtung Lady Simpson, die sich keineswegs genierte, nach den Waffen zu greifen. Dabei vollführte sie eine Art 24
Hofknicks. »Sie bringen einen Akzent in dieses Museumsdorf, der geradezu kriminell wirkt«, sagte Parker zu den mittelgroßen, aber sportlich aussehenden Zivilisten. Sie mochten etwa dreißig Jahre zählen und trugen Jeans und Lederwesten. Die beiden Zivilisten machten übrigens immer noch einen völlig konsternierten Eindruck. Mit dieser blitzschnellen Entwaffnung hatten sie sicher nicht gerechnet. »Wo steckt Ihr Anführer?« fragte Agatha Simpson grollend und richtete einen der beiden Revolver auf die Männer. »Sie sollten möglichst schnell antworten«, schlug Parker vor, »Lady Simpson dürfte ein wenig ergrimmt sein.« »Der Chef is’ im Büro«, erwiderte einer der beiden Männer hastig und schluckte dann erst mal vor Aufregung. Er schielte auf Myladys Zeigefinger, der den Drücker bis zum Druckpunkt zurückgezogen hatte. »Und wer ist dieser Chef, wenn man fragen darf?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Sprayton, Dan Sprayton«, antwortete der zweite Zivilist, »hören Sie, Lady, das Ding da is’ geladen! Machen Sie keinen Blödsinn! Nehmen Sie den Finger vom Drücker!« »Mr. Sprayton ist der Betreiber dieses Museumsparkes?« fragte Parker gemessen und höflich weiter. »Nein, nein, er hat die Kantine gepachtet«, lautete die Antwort, »das is’ erst seit zwei Wochen oder so. Hören Sie, das hier is’n Mißverständnis. Wir dachten, hier war eingebrochen worden.« »Mylady wird Ihnen erlauben, Sie zu Mr. Sprayton zu führen«, ließ der Butler sich vernehmen, »Sie sollten bis dahin auf das verzichten, was man in Ihren Kreisen Ärger zu nennen pflegt.« »Okay, okay«, entgegnete der Mann, »es wird keinen Ärger 25
geben. Wir sind doch nicht lebensmüde.« »Enttäuschen Sie mich nicht«, sagte Agatha Simpson, »ich würde liebend gern testen, ob ich noch schießen und treffen kann.« Die Schweißperlen auf den Stirnpartien der beiden Männer waren, mehr als deutlich zu sehen.
*
Dan Sprayton war etwa fünfzig, schlank und mittelgroß. Er hatte ein schmales Gesicht, zu dem die Schneidezähne ausgezeichnet paßten. Sprayton verfügte nämlich über ein ausgesprochenes Pferdegebiß. Seine wasserhellen Augen paßten zum hellen Haar. Sprayton war insgesamt eine unangenehme Erscheinung. Er blickte hoch, als Agatha Simpson sich explosionsartig räusperte, sprang halb auf und setzte sich dann wieder. Er hatte hinter einem Tisch Stellung bezogen und war damit beschäftigt, Kassenbons zu kontrollieren. »Man sagt in der Tat nicht zu unrecht, daß die Welt klein ist«, schickte Josuah Parker voraus und lüftete höflich seine schwarze Melone, »Sie haben die Freude und den Vorzug, Lady Simpson einige Fragen beantworten zu dürfen.« Dan Sprayton blickte auf die beiden Zivilisten, die den Eindruck begossener Pudel machten. Dann starrte der Inhaber der Inkasso-Firma auf den Revolver in der Hand der Lady und sorgte sich eindeutig, da der Lauf der Waffe auf ihn gerichtet war. Sprayton rutschte zur Seite und wischte dabei mit dem Unterarm Kassenbons vom Tisch. »Sie bringen Ihre sicher interessante Buchführung in Unordnung«, mahnte der Butler und deutete auf die flatternden Kassenbons, »Sie haben sich einem neuen Beruf gewidmet, Mr. Sprayton?« 26
Vorn in der Kantine des Atriumhauses saßen Besucher des Museumsparks und nahmen Speisen zu sich, die an Hamburger erinnerten. Hier im hinteren Teil des freien Innenhofes war man unter sich. »Verdammt, Parker, was wollen Sie, « fragte Sprayton gereizt, »Sie haben mir schon mal Schwierigkeiten gemacht und mich vor Gericht geschleppt.« »Sie wurden zu Ihrer sicher großen und hellen Freude wegen Mangels an Beweisen seinerzeit freigesprochen.« »Und Sie blickten in die Röhre.« Sprayton lächelte flüchtig und blickte wieder auf den Revolver in der Hand der Lady, die auch die beiden Zivilisten in Schach hielt. »Mr. Parker hat Sie was gefragt, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Ach so, ja. Klar, ich habe den Beruf gewechselt und mach jetzt in Gastronomie, Parker. Was dagegen?« »Sie dürften sich ein nicht gerade gewinnträchtiges Unternehmen ausgesucht haben, Mr. Sprayton.« Parker deutete mit der Schirmspitze hinüber auf die spartanisch einfach eingerichtete Kantine. »Das wird alles noch«, antwortete Sprayton und bemühte sich um Höflichkeit, »jeder Anfang ist eben schwer.« »Warum haben Sie sich hier eingenistet?« stellte die ältere Dame die nächste Frage und blickte Sprayton scharf an. »Das hier wird noch ein toller Rummelplatz«, gab der Gangster zurück, »das spür’ ich in den Fingerspitzen. Wenn wir erst mal pro Tag zwei oder drei Shows durchziehen, wird’s in der Kasse klingeln. Darauf setze ich.« »Von welchen Shows sprechen Sie?« »Wir zeigen den Leuten, wie die alten Belagerungsmaschinen funktioniert haben«, erklärte Sprayton, »wir bauen hinter dem Park ‘ne kleine 27
Festungsanlage, die wir dann pro Tag zusammenhauen. Alles stilecht, nur alte Waffen und so. Sie können sich hoffentlich vorstellen, was das dann jedes Mal für ‘ne tolle Show gibt.« »Sie sind nicht zufällig hinter einem Goldschatz der alten Römer her, junger Mann?« fragte Lady Agatha streng. »Goldschatz der alten Römer, Mylady? Die Leute da drüben buddeln doch nur Scherben und verrottetes Zeug aus, mehr nicht. Nee, von ‘nem Goldschatz kann da keine Rede sein. Das hier wird ‘ne Goldader, darauf setze ich.« »Mr. Phil Simons ist einer Ihrer Mitarbeiter?« wollte der Butler wissen. »Klar, der ist mitgekommen«, sagte Sprayton, »ein guter Mann, dieser Simons. Ich hab’ überhaupt die meisten Leute aus meiner früheren Firma mitgenommen.« »Die nach wie vor mit Schußwaffen herumlaufen, wie festzustellen war.« »Gegen Einbrecher muß man sich eben sichern, Parker. Es gibt sogar Waffenlizenzen, ob Sie’s glauben oder nicht.« »Ihnen ist bekannt, daß einige römische Legionäre versuchten, Mylady und meine Wenigkeit zu belästigen?« »Keine Ahnung, Parker, wovon Sie reden. Wie gesagt, ich bin hier nur der Pächter der Kantine, mehr nicht.« »Und wer ist der eigentliche Betreiber des Museumsparkes, um auch diese nicht unwichtige Frage zu klären?« »Das sind Geldgeber, die ich überhaupt nicht kenne, Parker, ob Sie mir das nun abnehmen oder nicht.« Sprayton lächelte ironisch. »Ich habe nur mit dem Anwalt dieser Geldgeber zu tun.« »Ein Anwalt, der meiner Wenigkeit wohl kaum unbekannt sein dürfte, Mr. Sprayton.« »Gordon Whistler«, antwortete der ehemalige InkassoGangster, »Sie kennen ihn, nicht wahr?« 28
»In der Tat, Mr. Sprayton«, gab Josuah Parker zurück, »es handelt sich um einen Advokaten, den man als überaus geschmeidig und wohlorientiert bezeichnen kann, was Ihre Kreise betrifft.« »Er ist ein gerissener Hund, der alle Tricks kennt«, übersetzte Dan Sprayton ungeniert, »und an ihm werden Sie sich bestimmt die Zähne ausbeißen.«
*
»Ein unbefriedigender Abschluß, Mr. Parker«, grollte Lady Agatha eine halbe Stunde später, »im Grund haben nur Sie mich daran gehindert, diesem Subjekt ein paar Ohrfeigen zu verabreichen.« »Mr. Sprayton, Mylady, vermied jede Provokation«, erwiderte Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, »sein tiefer Respekt gegenüber Mylady war unverkennbar.« »Nun denn, aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, tröstete die ältere Dame sich, »hoffentlich belästigt man mich jetzt während der Heimfahrt.« »Mit Überraschungen sollte man in der Tat rechnen, Mylady.« Parker hatte die Scheinwerfer eingeschaltet und dachte an Phil Simons, der zusammen mit drei römischen Legionären im Jeep unterwegs war. Von Dan Sprayton waren die vier Männer sicher nicht zurückgepfiffen worden. »Sobald wir wieder in London sind, Mr. Parker, werde ich mir diesen Advokaten kaufen«, machte Agatha Simpson klar, »Sie kennen ihn, wie ich hörte?« »Mr. Gordon Whistler, Mylady, ist das, was man einen Anwalt der Unterwelt zu nennen pflegt«, schickte der Butler voraus, »seine Klientel setzt sich fast ausschließlich 29
aus Kriminellen zusammen, die er recht erfolgreich zu
verteidigen pflegt. Darüber hinaus vermittelt Mr. Whistler
Geschäfte aller Art, die sich hart am Rand der Legalität
bewegen.«
»Diesem Burschen muß das Handwerk gelegt werden, Mr.
Parker. Treffen Sie dazu alle Vorbereitungen.«
»Mr. Whistlers Büro ist ungewöhnlich gut gesichert,
Mylady.«
»So etwas ist für mich eine Herausforderung. Wo residiert
dieses üble Subjekt?«
»Mr. Gordon Whistler bewohnt ein Haus in der Nähe von
Waterloo Station, das einem Reeder gehörte. Dieses Haus
soll, wie Gerüchte besagen, zu einer schier
uneinnehmbaren Festung ausgebaut worden sein.«
»Eine reizvolle Aufgabe, Mr. Parker«, meinte die Detektivin
erfreut, »dieser Winkeladvokat wird sich noch wundern.«
»Aber Myladys Besuch erwarten«, warnte der Butler, »Mr.
Dan Sprayton dürfte ihn inzwischen informiert haben.«
»Dann gibt es wenigstens ein paar hübsche
Schwierigkeiten«, freute sich Lady Agatha weiter, »wie
gesagt, Mr. Parker, treffen Sie alle erforderlichen
Vorbereitungen… Was ist denn?«
Sie beugte sich vor, als Parker sanft bremste und den
Wagen dann ausrollen ließ.
»Ein offensichtlich schadhafter Wagen am Straßenrand,
Mylady.«
»Tatsächlich.« Sie nickte. »Er war mir sofort aufgefallen.«
»Es könnte sich um eine Straßenfalle handeln, Mylady.«
»Sie denken an die römischen Legionäre, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady. Man sollte diesen kleinen
Truppenverband vielleicht ein wenig herausfordern.«
»Ich lasse Ihnen da völlig freie Hand«, gab die ältere Dame
zurück, »auch Sie brauchen schließlich hin und wieder ein
30
Aha-Erlebnis, Mr. Parker.« Parker schaltete die Scheinwerfer noch mal voll ein. An der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit, weit vorn auf der Straße, waren die vagen Umrisse eines Autos am Straßenrand auszumachen. Weit vor dem Heck des Wagens war ein Warndreieck aufgestellt worden, auf dessen Spitze ein Warnlicht rotierte. »Wollen Sie mir etwa eine Flucht zumuten, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame völlig überrascht, als der Butler den Wagen wendete. »Eine taktische Maßnahme, die Myladys Beifall sicher noch finden wird«, erwiderte Josuah Parker, »der schadhafte Wagen am Straßenrand dürfte schon bald wieder fahrtüchtig sein.« »Tatsächlich«, stellte sie nach wenigen Augenblicken fest, »wie ich es mir gedacht habe. Der Wagen wendet ebenfalls.« »Es wird zu jener Verfolgungsjagd kommen, die Mylady sich gewünscht haben.« »Ausgezeichnet.« Sie nickte wohlwollend. »Ich werde diese Römer nach Strich und Faden hereinlegen, Mr. Parker. Ich lasse Ihnen völlig freie Hand.«
*
Sie waren einfach versessen darauf, Lady Simpson und Butler Parker so schnell wie möglich zu stellen und gaben darüber ihre Vorsicht auf. Der Jeep blieb hartnäckig auch dann noch hinter dem hochbeinigen Monstrum, als Parker den Wagen von der Hauptstraße weg in einen holprigen Feldweg lenkte, der zu beiden Seiten von lose aufeinander geschichteten Steinwällen begrenzt wurde. Das Gelände war sanft geschwungen, wies große Weideflächen, 31
Baumgruppen und Gehölz auf. Hin und wieder rissen Wolkenschleier auf und gaben dem Mond eine Chance, sein Licht auf die Landschaft zu werfen. Parker spielte mit den Verfolgern Katz’ und Maus. Er ließ den Jeep herankommen, streichelte mit dem Fuß dann das Gaspedal seines Wagens und ließ den Rennmotor unter der eckigen Haube ein wenig arbeiten. Dann schoß das hochbeinige Gefährt plötzlich weit nach vorn und sorgte für einen beachtlichen Vorsprung. Parkers Ziel war ein Gehölz auf einer kleinen Anhöhe, das er bereits anvisiert hatte. Als der schmale Weg anstieg, wurde Parkers hochbeiniges Monstrum sehr schnell und flog förmlich hinauf zum Gehölz. Hier angekommen, steuerte der Butler den Wagen in eine Schneise und hielt. Mit seiner schwarz behandschuhten Hand legte er einen der vielen Kipphebel auf dem damit reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um und setzte den Wagen soweit zurück, daß das Heck auf den Feldweg zeigte. Es dauerte nicht lange, bis der Jeep auftauchte. Der Beifahrer stand vor der Windschutzscheibe und hielt offenbar Ausschau nach Parkers Wagen. Der Jeep knallte förmlich in die vielen Schlaglöcher, tauchte ein, sprang wieder hoch und glich einem winzigen Boot auf stürmischer See. Parker wartete genau den richtigen Zeitpunkt ab. Als der Jeep in der günstigsten Position stand, langte der Butler noch mal nach dem Kipphebel auf dem Armaturenbrett und drückte ihn vollends durch. Im gleichen Augenblick schoß eine tiefschwarze, fettige Rußwolke aus zwei Düsen, die unter dem Heck des Monstrums angebracht waren. Unter hohem Druck nebelte diese Wolke den Jeep ein und machte aus ihm selbst in der Dunkelheit noch einen schwarzen Fleck. 32
Der Fahrer des Jeep wurde natürlich völlig überrascht und verriß das Lenkrand. Ein Klirren und Scheppern war deutlich zu vernehmen, dann hörte man Schreie und Flüche. »Volltreffer«, stellte die ältere Dame zufrieden fest und stieg aus. Parker folgte ihrem Beispiel und ging vorsichtig nach vorn zum Feldweg. Die fettige Rußwolke hüllte den Jeep nach wie vor ein, aber aus dem Fleck taumelten Gestalten, die ausgiebig husteten und sich die Augen rieben. Die vier Männer hatten jede Orientierung verloren und wankten unsicher auf das Gesträuch zu. Kurze Zeit später verfingen sie sich in den biegsamen, zähen Ästen, stolperten und landeten schließlich auf der Erde. Josuah Parker hatte den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums geöffnet und Arbeitshandschuhe hervorgeholt. Er streifte sie sich über seine schwarzen Lederhandschuhe und aktivierte anschließend eine Rolle Klebeband. In knapp einer Minute hatte er die verwirrten Römer verpackungssicher behandelt. Gegenwehr hatten sie nicht geleistet. »Nun reißen Sie sich mal zusammen«, schaltete Lady Agatha sich unwirsch ein, »oder glauben Sie etwa, Zeit herausschinden zu können?« »Das… Das war hinterlistig«, beschwerte sich Phil Simons hüstelnd, »verdammt, ich kann nichts mehr sehen.« »Das wird sich mit Sicherheit wieder geben«, stellte Josuah Parker höflich in Aussicht, »würden Sie Mylady freundlicherweise mitteilen, welchen Sinn und Zweck diese Verfolgung haben sollte?« »Wieso Verfolgung?« fragte Phil Simons und wunderte sich erst jetzt, daß er seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte. »Verdammt, was haben Sie mit mir gemacht, 33
Parker?« »Wehret den Anfängen«, erwiderte der Butler, »Sie neigen zu Anwandlungen, die man nur als unüberlegt und hitzig bezeichnen kann.« »Das hier wird noch ein Nachspiel haben«, drohte Phil Simons wütend, »ich bring Sie dafür vor Gericht, darauf können Sie Gift nehmen.« »Sie warteten oben an der Straße rein zufällig auf Mylady und meine Wenigkeit?« »Wer hat da wo gewartet?« regte Simons sich auf. »Kein Mensch hat gewartet. Was anderes müssen Sie uns erst mal nachweisen.« »Man wird sicher davon ausgehen müssen, daß Sie sich im Besitz einiger Waffen befinden, Mr. Simons.« »Die Sie uns untergeschoben haben«, erwiderte Simons durchaus geistesgegenwärtig, »nee, Parker, uns können Sie nicht an den Wagen fahren.« »Das ist aber doch kein Verhör«, schaltete Lady Agatha sich leicht gereizt ein, »für mich sind die bisherigen Antworten eine einzige Beleidigung. Und auf Beleidigungen reagiere ich immer nachdrücklich, Mr. Parker. Sie sollten jetzt vielleicht einen kleinen Spaziergang machen. Ich werde hier schon zurechtkommen.« »Moment mal, was soll das bedeuten, « fragte Phil Simons nervös. »Meine Wenigkeit möchte darauf nicht näher eingehen«, antwortete Josuah Parker höflich, »aber ich kann nur hoffen, daß Sie sich als Mann erweisen, wenn Mylady Sie jetzt zur Rede stellen wird.«
*
»Und hat er geredet?« fragte Mike Rander lächelnd, als 34
Josuah Parker diesen Punkt seines nächtlichen Berichts erreichte. Er und Mylady befanden sich wieder im Haus der älteren Dame in Shepherd’s Market. Der Anwalt blickte Lady Simpson erwartungsvoll an. »Ein Waschlappen, dieser Inkasso-Lümmel«, beantwortete Mylady die Frage abfällig, »ich steckte mir nur meinen Hut fest, als er schon wimmerte.« »Sie steckten sich Ihren Hut zurecht?« Kathy Porter sah die Hausherrin ungläubig an. »Er war mir verrutscht«, meinte Agatha Simpson gespielt arglos, »ich mußte eine der beiden Hutnadeln herausziehen.« »Dieser Inkasso-Lümmel faßte das sicher als Bedrohung auf«, vermutete Mike Rander. »So kommt es mir jetzt nachträglich auch vor, mein Junge«, sagte Lady Agatha, »muß dieses Subjekt eine verkommene Phantasie haben! Man kann sich wirklich nur wundern.« »Und womit rückte er heraus?« stellte Mike Rander die nächste Frage. »Mr. Parker wird darauf antworten«, entgegnete Agatha Simpson, »er hat sich in meinem Auftrag die Details gemerkt.« »Mr. Phil Simons, der erwähnte Inkasso-Lümmel, wie er genannt wurde, Sir, erklärte geradezu freudig, er sei zusammen mit Mr. Dan Sprayton in die Gastronomie übergewechselt. Er erklärte, man habe das InkassoGeschäft in London aufgegeben.« »Er erklärte das freudig?« wunderte sich Kathy Porter. »Anders kann man es kaum bezeichnen, Miß Porter«, bestätigte der Butler, »dabei blickte er wie hypnotisiert auf Myladys Hutnadel. Möglicherweise hegte er den schrecklichen Verdacht, Mylady habe die Absicht, ihn mit dieser Nadel zu traktieren.« 35
»Lächerlich«, warf Agatha Simpson ein, »ich rückte wirklich nur meinen Hut zurecht.« »Mr. Phil Simons räumte ein, daß Myladys Erscheinen auf dem Ausgrabungsgelände bei Mr. Sprayton eine gewisse Panik auslöste«, berichtete Josuah Parker weiter, »er konnte sich Myladys Auftauchen nicht erklären und wollte entsprechende Fragen stellen. Darum schickte er die Legionäre aus, Mylady zu einem Gespräch einzuladen.« »So kann man es allerdings auch ausdrücken«, sagte Rander lächelnd, »und da das nicht auf Anhieb klappte, kamen die Kerle Ihnen mit dieser Straßensperre, wie?« »In der Tat, Sir, Mr. Simons wollte von einem Überfall nichts wissen. Im Verlauf der Unterhaltung aber machte er deutlich, daß Mr. Sprayton ein Ding zu drehen beabsichtigt, wie er es wörtlich ausdrückte.« »Ein Ding, von dem er aber nichts weiß, wie?« »Selbst als ich die zweite Hutnadel zog, blieb er stumm«, beschwerte sich die ältere Dame fast, »ich bin sicher, er wäre zur Sache gekommen, wenn Mr. Parker sich nicht eingeschaltet hätte.« »Sie hätten zugestochen, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Nur spaßhalber«, entgegnete Agatha Simpson, »ein ganz klein wenig, Kindchen. Ich hätte dieses Subjekt doch niemals ernsthaft verletzt.« »Natürlich nicht, Mylady.« Kathy Porter blieb ernst und nickte. »Er will also ein Ding drehen, dieser Inkasso-Gangster«, nahm Mike Rander den Faden wieder auf, »sollte es da draußen auf dem Ausgrabungsgelände doch einen Goldschatz geben?« »Natürlich gibt es ihn, mein Junge«, behauptete die Detektivin, »und das kann mir keiner ausreden.« Während sie diese Feststellung traf, blickte sie ihren Butler 36
streng an.
»Warum sagen Sie nichts?« fragte sie schließlich, als Parker
nicht reagierte. »Sie sind natürlich wieder mal anderer
Meinung, nicht wahr?«
»Meine bescheidene Wenigkeit würde sich niemals
erlauben, Mylady zu widersprechen«, antwortete der
Butler.
»Aber Sie schließen die Existenz eines Goldschatzes aus,
Parker?« wollte Mike Rander lächelnd wissen.
»Nicht unbedingt und um jeden Preis, Sir«, antwortete der
Butler gemessen und würdevoll, »die Erde birgt ohne jeden
Zweifel Schätze, die das menschliche
Vorstellungsvermögen weit übersteigt.«
»Na schön«, erwiderte Mike Rander, der verstanden hatte,
»bleiben wir also am Ball und übersehen wir dabei nicht
unseren Professor Copals.«
»Ein Hinweis, Sir, den man keineswegs auf die leichte
Schulter nehmen sollte«, lautete Parkers Antwort.
»Ich bin keine Frau, die geduldig wartet, bis die Dinge sich
von allein regeln«, ließ Lady Agatha sich vernehmen, »wie
ist das mit diesem Winkeladvokaten, Mr. Parker?«
»Er dürfte um diese Tageszeit sein Büro geschlossen haben,
Mylady.«
»Aber er wird sich doch bestimmt irgendwo in der Stadt
herumtreiben«, mutmaßte sie, »finden Sie heraus, wo er ist,
Mr. Parker. Er soll mich noch in dieser Nacht
kennenlernen.«
*
Agatha Simpson hatte das hochbeinige Monstrum verlassen und wartete ungeduldig auf Parkers Rückkehr, der in einer zwielichtigen Bar verschwunden war. Die 37
wirklich sehr majestätisch aussehende Dame schritt an der Gehwegkante auf und ab und schwenkte dazu unternehmungslustig ihren perlenbestickten Handbeutel. Die Lady war zusammen mit Parker nach Southbank gefahren, wo der Anwalt sein Büro hatte. Die Gegend hier war nicht gerade als vornehm zu bezeichnen. Im Umfeld von Waterloo Station gab es schmale Straßen und Gassen, die man nur dann betreten konnte, wenn man über großes Selbstvertrauen verfügte. Myladys Warten am Straßenrand wurde mißverstanden. Zwei ominöse Gestalten, die gerade eine Kellerbar verlassen hatten, hielten auf die ältere Dame zu und konnten sich gewisse Anzüglichkeiten nicht verkneifen. Sie sprachen laut und ungeniert von einer lahmen Schwalbe, die den Bordstein besetzt hielt, rechneten ihre Chancen aus, was einen männlichen Begleiter betraf, und erkundigten sich anschließend sogar in völliger Verkennung der Situation nach den Nachttarifen dieser vermeintlichen zweibeinigen Schwalbe. Agatha Simpson hatte diese Ein- und Zweideutigkeiten mitbekommen und marschierte energisch auf die beiden Männer zu, die keineswegs unterentwickelt aussahen. »Was bekommen wir denn, wenn wir mitkommen?« sagte einer der beiden Männer und lachte wiehernd. Er amüsierte sich köstlich. »Ich zahle bar und ausreichend«, erwiderte Lady Agatha und… setzte ihren Pompadour auf die linke Wange des Mannes. Der sogenannte Glücksbringer ramponierte den Unterkiefer des Mannes. Sein Besitzer rutschte gegen die Hauswand, als wäre er von einem Pferd getreten worden. »Bist du wahnsinnig, Alte?« Der zweite Mann starrte auf seinen Begleiter, der inzwischen an der Hauswand auf die Steinplatten hinunterrutschte. 38
»Empfindsam«, korrigierte Agatha Simpson und trat ihm gegen das rechte Schienbein. Der Getroffene jaulte auf, tanzte auf dem noch intakten Bein und wurde so zur leichten Beute der älteren Dame. Lady Agatha setzte ihm den perlenbestickten Handbeutel auf den Rücken, worauf der Mann einen weiten Sprung nach vorn tat und dann in Form einer Rolle vorwärts ebenfalls auf den Gehwegplatten landete. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Dame zu belästigen«, warnte Agatha Simpson die beiden stämmigen Nachtschwärmer, »ich könnte sonst wirklich ärgerlich werden.« Sie brauchten einige Zeit, bis sie wieder auf ihren Beinen standen und stierten Lady Simpson dann in einer Mischung aus Scheu und Wut an. Sekunden später holte der erste Nachtschwärmer ein Klappmesser hervor und näherte sich vorsichtig der Lady. »Dafür schlitz’ ich dich an, du altes Wrack«, sagte er gereizt, »dafür mach’ ich dich fertig.« »Sie sollten die Dinge nicht auf die sprichwörtliche Spitze treiben«, ließ Josuah Parker sich in diesem Moment vernehmen, »noch haben Sie durchaus die Möglichkeit, das Feld zu räumen.« Parker war aus der Bar gekommen und stand seitlich hinter Lady Agatha. »Noch so’n komischer Vogel«, meinte der zweite Nachtschwärmer, »Mann, sind wir hier in ‘nem Panoptikum?« »Wie Sie zu meinen belieben.« Parker warf den UniversalRegenschirm mit dem angewinkelten Unterarm hoch in die Luft und griff traumhaft sicher nach der Schirmspitze. Die beiden Nachtschwärmer bremsten ihren Schwung und blickten verdutzt auf den Butler, der seinen Schirm 39
einige Male schwungvoll wie ein Schwert durch die Luft
zischen ließ. Daraufhin waren die beiden Nachtschwärmer
nicht mehr an einer Auseinandersetzung interessiert. Sie
zogen sich zurück und verschwanden in einer Seitenstraße.
»Sie kamen im denkbar ungeeignetsten Augenblick, Mr.
Parker«, räsonierte die ältere Dame, »diese Unterhaltung
versprach anregend zu werden.«
»Mylady verfügen jetzt über die Adresse, unter der Mr.
Gordon Whistler momentan zu erreichen sein dürfte«,
erwiderte der Butler.
»Gordon Whistler?« Sie runzelte die Stirn, »wer ist denn
das schon wieder?«
»Der bereits mehrfach erwähnte Anwalt der Kriminellen,
Mylady.«
»Richtig«, bestätigte sie, »ich wußte es doch sofort.«
*
Gordon Whistler war etwa fünfundfünfzig, groß, schlank und sah beeindruckend aus. Er erinnerte an das Haupt einer amerikanischen Fernsehfamilie. Whistler saß in einer Nische des Restaurants und speiste mit zwei wesentlich jüngeren Männern, deren Manieren ein wenig ungeniert wirkten. »Mr. Gordon Whistler?« erkundigte sich Parker sicherheitshalber, als er den Tisch erreichte. Er lüftete die schwarze Melone. »Stimmt, Whistler«, erwiderte der Elegante ungeduldig, »aber ich habe jetzt keine Zeit.« »Diese Zeit, Sir, sollten Sie sich aber unbedingt nehmen«, schlug Josuah Parker vor, »Lady Simpson geruht, Sie zur Kenntnis zu nehmen.« »Sie also sind das!« Die ältere Dame war nachgekommen 40
und faltete ihre Stielbrille auseinander. Durch diese Lorgnette musterte sie den Anwalt, als hätte sie ein sehr seltenes Insekt vor sich. »Haut ab, Leute«, sagte einer von Whistlers Gästen fast gutmütig, »wir haben hier was zu besprechen, is’ das klar?« »Lady Simpson?« Gordon Whistler stand geschmeidig auf und schaltete auf volle Höflichkeit um. »Ich bin untröstlich, Mylady. Warum haben Sie sich von meinem Büro keinen Termin geben lassen? Ich hätte Sie selbstverständlich bevorzugt eingeplant, aber jetzt… Sie sehen ja, ich berate Klienten, die…« »Ich denke, Sie sollten sich verziehen«, sagte der zweite Klient gereizt, »Whistler gehört jetzt erst mal uns, is’ das klar?« »Sie Schelm«, erwiderte die Detektivin und klopfte mit ihrem altmodischen Fächer auf die rechte Schulter des Mannes. Da die Stege dieses Fächers aus Bleistreifen bestanden, fiel der flüchtig wirkende Klaps mehr als nachdrücklich aus. Der Mann stöhnte und rutschte in sich zusammen. »Vielleicht bieten Sie einer Dame endlich Ihren Sitz an«, verlangte Lady Agatha anschließend, »wo sind denn Ihre Manieren?« Sie langte mit dem Fächer noch mal zu und paralysierte jetzt auch noch den anderen Arm des Mannes. »Nur kein Aufsehen, bitte«, beschwor Whistler die Klienten. »Wer is’ denn das?« fragte der Mann, der bisher ungeschoren davon kam. »Lady Simpson und ihr Butler«, stellte Whistler hastig vor, »bitte, meine Herren, geben Sie mir fünf Minuten, wir werden dann weiterreden. Nur ja kein Aufsehen…« Der Mann, der den Fächer zu spüren bekam, hatte einige 41
Mühe, sich vom Sitz zu erheben. Er starrte die ältere Dame noch immer entgeistert an. Sein Begleiter schob ihn aus der Nische und redete leise und eindringlich auf ihn ein. Nach wenigen Augenblicken hatten die Männer an einem anderen Tisch Platz genommen. »Hoffentlich haben Sie sich keinen Ärger eingehandelt, Mylady«, sagte der Anwalt besorgt, »diese Leute sind nicht gerade gut erzogen.« »Sie können bei mir Nachhilfestunden nehmen«, antwortete Lady Agatha, die sich inzwischen gesetzt hatte, »aber nun zu Ihnen, Mr. Wizzer, oder wie immer Sie auch heißen mögen.« »Whistler, Mylady, Whistler«, korrigierte der Winkeladvokat. »Mylady befaßt sich zur Zeit angelegentlich mit einem gewissen Mr. Dan Sprayton«, schickte Josuah Parker voraus, der neben Mylady Aufstellung genommen hatte, »Mr. Sprayton dürfte Ihnen ja nicht ganz unbekannt sein.« »Sprayton… Richtig, Dan Sprayton«, gab Whistler zurück, »ich wußte nicht gleich, um wen es sich handelt und…« »Schnickschnack, junger Mann«, unterbrach die Detektivin ihn, »ich will wissen, wer diesen Museumspark betreibt?« »Museumspark?« Whistler wollte eindeutig Zeit gewinnen und tat zerstreut. »Es handelt sich um einen Museumspark bei Uckfield im Südosten von England, nicht sehr weit von Brighton entfernt«, half Parker höflich aus. »Ach, ja, jetzt erinnere ich mich.« Whistler nickte und lächelte unverbindlich, »ich glaube, ich habe mir diesen Park mal kurz angesehen und…« »Mylady sollten dort umgebracht werden«, sagte der Butler, »Mylady sind darüber verständlicherweise ungehalten.« 42
»Sie sollten umgebracht werden?« Whistler blickte die Detektivin konsterniert an. »Welcher Idiot kann denn… Ich meine, wer sollte…« »Die Geldgeber, junger Mann«, ließ die ältere Dame sich grollend vernehmen, »oder brauchen Sie etwas Bratensauce auf Ihrem Oberhemd?« »Aber Mylady, Sie wollen doch nicht…« »Nur zu gern«, sagte Agatha Simpson und ließ ihn nicht ausreden. Dann griff sie nach der Sauciere und dem darin befindlichen Löffel.
*
»Weiter, weiter«, drängte Mike Rander lächelnd. »Mylady sah sich veranlaßt, der Drohung nachzukommen, da Mr. Whistler mit der Antwort zögerte«, berichtete der Butler, »Mylady färbte Mr. Whistlers Haupthaar mit der Bratensauce ein, die übrigens sehr pikant roch.« »Und was passierte dann?« Mike Rander kannte das ungestüme Temperament der älteren Dame. »Anschließend ohrfeigte Mylady den Anwalt, der mit einem vulgären Schimpfwort reagierte«, sagte Josuah Parker, »daraufhin beförderte Mylady zwei noch recht heiße, ungemein saftige Filet-Steaks ins Gesicht von Mr. Gordon Whistler.« »Du liebe Zeit«, seufzte der Anwalt amüsiert, »und so etwas konnte ich nicht miterleben, Parker.« »Mr. Whistler war das, was man wohl schockiert zu nennen pflegt«, erklärte der Butler, »er sprang auf und wollte protestieren.« »Dazu kam es aber wohl nicht, wie?« Rander sah Parker erwartungsvoll an. »Meine bescheidene Wenigkeit drückte Mr. Whistler auf 43
den Sitz zurück«, schickte der Butler voraus, »jedes
unnötige Aufsehen sollte ja gerade im Interesse Mr.
Whistlers vermieden werden. Als er wieder Platz nahm,
Sir, setzte er sich in eine reich dekorierte Gemüseplatte, die
von Mylady dort abgestellt worden war.«
»Das darf doch nicht wahr sein.« Mike Rander grinste wie
ein Schuljunge nach einem gelungenen Streich.
»So ähnlich empfand auch Mr. Whistler, Sir«, entgegnete
der Butler gemessen, »Mr. Whistler gab daraufhin jeden
äußeren und inneren Widerstand auf. Er nannte zwei
Namen, die einen gewissen Klang in Kreisen der Unterwelt
besitzen.«
»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Parker.«
»Es handelt sich um die Herren Pantrell und Haswick, Sir.
Sie sind im Drogengeschäft und in Sachen Schutzgelder
tätig.«
»Bandenführer, wie?« wollte Mike Rander wissen.
»Sie gehören zur sogenannten Oberklasse innerhalb der
Unterwelt-Hierarchie Sir. Mr. Leo Pantrell hat inzwischen
eine Position erreicht, die es ihm gestattet, nur noch die
Fäden zu ziehen. Dies gilt auch für Mr. Matt Haswick, der
ebenfalls nicht mehr in die Niederungen seines Geschäfts
hinabsteigen muß.«
»Und diese beiden Namen hat Whistler ohne weiteres
preisgegeben?«
»Er stand, Sir, wie bereits angedeutet, unter einem
erheblichen Schock.«
»Dann lebt er ab sofort aber sehr gefährlich«, vermutete
Mike Rander, »die Unterwelt hält nichts von Indiskretion.«
»Dies, Sir, machte meine Wenigkeit Mr. Whistler klar«,
erwiderte der Butler, »Mr. Whistler wurde empfohlen,
umgehend eine Reise anzutreten.«
»Hoffentlich ist er noch in dieser Nacht zum Flughafen
44
gefahren«, sagte der junge Anwalt. »Was war mit den beiden Klienten, die den Tisch verließen? Sie haben ja eben gewisse Andeutungen gemacht.« »Es handelt sich um zwei Hehler, Sir, die Mr. Whistlers Rat einholten«, beantwortete Parker auch diese Frage, »die Namen der Herren sind meiner Wenigkeit inzwischen bekannt.« »Haben die beiden Knaben mit unserem Fall etwas zu tun?« »Dies, Sir, sollte man vorerst ausschließen«, entgegnete der Butler, »aber endgültig kann man natürlich nie wissen, ob es so ist.« »Dann haben Mylady und Sie ja eine verdammt erfolgreiche Nacht hinter sich.« »Mylady war in der Tat äußerst zufrieden«, erwiderte der Butler, »es dürfte nun erwiesen sein, daß der Museumspark von zwei hochrangigen Mitgliedern der Unterwelt finanziert wird. Und das sicher nicht ohne Grund.« »Ich denke unwillkürlich wieder an so etwas wie einen Goldschatz, Parker, ich kann mir da einfach nicht helfen.« »Dann muß es sich um einen Schatz handeln, der noch nicht gefunden wurde, Sir.« »Das ist auch wieder richtig, Parker.« Mike Rander war aufgestanden und wanderte nachdenklich in der großen Wohnhalle des Fachwerkhauses auf und ab. Dann aber blieb er stehen. »Und wenn er bereits gefunden wurde, Parker?« »So etwas könnte man wohl kaum verheimlichen, Sir. Meine Wenigkeit möchte auf die vielen Studenten verweisen, die an diesen Ausgrabungen teilnehmen.« »Okay, Parker, ich gebe mich da geschlagen. Ihre Argumente sind kaum zu widerlegen. Aber da muß etwas sein, was diese Gangster anzieht. Vor zwei Wochen oder so, 45
wenn ich mich recht erinnere, hat dieser Sprayton die Kantine im Museumspark übernommen, oder?« »Dem wäre nichts hinzuzufügen, Sir.« »Warum investieren Gangster Geld in solch einen Park, Parker? Könnte er wirklich zu einer Goldgrube werden?« »Wohl kaum, Sir, dazu dürfte das Angebot an interessanten Nachbildungen doch zu beschränkt bleiben.« »Also ist dieser Museumspark nur als Tarnung gedacht?« »Dem, Sir, würde meine Wenigkeit vollinhaltlich zustimmen.« »Eine verdammt teure Tarnung, Parker.« »Woraus man schließen könnte, Sir, daß dieser finanzielle Einsatz sich in jedem Fall lohnen muß.« Bevor Mike Rander antworten konnte, klingelte das Telefon auf dem kleinen Wandtisch. Parker schritt würdevoll an den Apparat und meldete sich. Vorher hatte er den Raumverstärker eingeschaltet, damit Mike Rander mithören konnte. »Ich spreche für die Römer«, sagte eine nuschelnde Männerstimme, »kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten, ihr Schnüffler, sonst bekommt ihr es mit uns zu tun!« »Herzlichen Dank für die Warnung«, erwiderte Josuah Parker, »sprechen Sie auch im Auftrag eines gewissen Obelix, wenn man fragen darf?« »Obelix?« reagierte die nuschelnde Stimme nach einer kleinen Pause gedehnt. »Eine ungemein reizvolle Kunstfigur aus einem Cartoon«, sagte Josuah Parker, »der erwähnte Obelix pflegt sogenannte Hinkelsteine zu brechen und zu transportieren.« »Mann, wollen Sie uns auf den Arm nehmen?« nuschelte die Stimme. 46
»Keineswegs und mitnichten«, lautete Parkers Antwort,
»der Name Obelix sagt Ihnen also demnach nichts?«
»Reden Sie keinen Unsinn«, verlangte die Nuschelstimme,
»noch mal: kümmert euch um euren eigenen Dreck, sonst
gibt’s Zunder!«
Auf der Gegenseite wurde aufgelegt. Parker tat es nun auch
und ging zurück zu Mike Rander.
»Sieht so aus, als hätten wir es mit zwei Gegnern zu tun,
Parker«, sagte er, »einmal die Römer, dann dieser Obelix.«
»Eine bemerkenswerte Tatsache, Sir.«
»Zwei Gruppen, die sich gegenseitig nicht kennen, Parker.
In welches Wespennest haben Sie da gestochen? Die ganze
Geschichte wird von Stunde zu Stunde immer
komplizierter.«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte meine Wenigkeit sich
Ihrer Betrachtungsweise vollinhaltlich anschließen«, gab
Josuah Parker höflich zurück.
*
»Sie sprechen von einem Goldschatz, Mylady?« Professor Gary Copals holte tief Luft und lächelte dann. »Nein, nein, mit solch einem Fund ist nicht zu rechnen.« »Sie scheinen sich Ihrer Sache sehr sicher zu sein, Sir«, stellte der Butler fest. Er und Lady Agatha hielten sich in der Nähe der zerstörten Baracke am Ausgrabungsfeld auf. Es war ein noch recht früher Morgen, wie Mylady es ausgedrückt hatte, dennoch… es ging auf Mittag zu. »Fast sicher, Mr. Parker«, schränkte der Professor ein und blickte Agatha Simpson nach, die sich von ihnen getrennt hatte und über das weite Feld schlenderte. Sie hielt, wie nicht anders zu erwarten war, auf die Nachbildung einer Kriegsmaschine zu. Es handelte sich dabei um eine Ramme 47
mit dem nachgebildeten Kopf eines Widders. Diese Mauerramme hing in einem sehr soliden Balkengerüst und diente dazu, Tore und Palisaden einzuhämmern. »Steht dieses Gerät möglicherweise unter einer gewissen Spannung, Sir die man schlag- und ruckartig lösen kann?« erkundigte sich Parker sicherheitshalber. »Nein, nein, Mr. Parker.« Copals entspannte sich. »Die Ramme wird von wenigstens acht Männern bedient. Unmittelbare Gefahr besteht nicht.« Parker war da zwar erheblich anderer Meinung, daß weitere Kriegsmaschinen vorhanden waren, doch er sagte vorerst nichts dazu. »Um noch mal auf einen möglichen Goldschatz zurückzukommen«, hob Professor Copals an, »hier auf dem Ausgrabungsgelände haben wir es mit einem ehemaligen befestigten Feldlager der alten Römer zu tun. Weiter zum Fluß hin mögen Häuser gestanden haben, wie erste Mosaiken bereits anzeigen, aber mit Schätzen ist hier nicht zu rechnen. Diese Feldlager und Ansiedlungen wurden niemals überrannt. Man brauchte also wertvolles Goldgeschirr nicht hastig in Sicherheit zu bringen und zu vergraben.« »Handelt es sich hier um ein besonders wichtiges oder bedeutendes Feldlager, Sir?« Während Parker sprach beobachtete er Lady Agatha, die sich inzwischen mit der Ramme befaßte. Sie schaffte es tatsächlich ohne weiteres, den schweren Rammbalken in leichte Bewegungen zu versetzen, doch Schaden konnte sie nicht anrichten. »Dieses Feldlager hier beherrschte zwei Straßen in Richtung Küste«, erklärte Copals, »es gab hier Töpfereien Schmiedewerkstätten und wohl auch eine Art Waffenfabrik, wie unsere Funde beweisen. Hier dürfte man Kriegsmaschinen fast in Serie gebaut haben.« 48
»Besitzen die bisherigen Fundstücke einen materiellen Wert, Sir?« »Im engeren Sinne natürlich nicht Mr. Parker. Fundstücke, wie meine Studenten sie ans Tageslicht geholt haben, finden sich überall dort, wo die Römer sich aufhielten. Noch mal: Goldschätze wird man mit Sicherheit nicht finden. Oder lassen Sie es mich anders ausdrücken: es ist höchst unwahrscheinlich, daß man Goldschmuck finden wird.« »Solch ein Fund könnte doch mit Sicherheit nicht verschwiegen werden, Sir?« »Das wäre ausgeschlossen, Mr. Parker. Aber warum fragen Sie nach einem Goldschatz?« »Mylady interessiert sich für dieses Thema«, sagte Josuah Parker, »Ihre Zusammenarbeit mit den Betreibern des Museumsparks ist als angenehm zu bezeichnen?« »Ich habe zu diesen Leuten so gut wie keine Kontakte«, lautete Professor Copals Antwort, »mit meinen Studenten ist es da schon etwas anders. Ich sagte Ihnen ja schon, daß sie während ihrer Freizeit Kriegsmaschinen aller Art nachbauen.« »Und wie beurteilen Sie den Besuch des Museumsparkes, Sir?« »Also wirklich, ich bin eigentlich überrascht«, gestand der Archäologe lächelnd, »es kommen vor allen Dingen viele junge Menschen, die sich für die römische Zeit interessieren. Ich beobachte das mit Vergnügen. Für Geschichte muß man sich meiner Ansicht nach unbedingt engagieren.« Parker blickte erneut zu seiner Herrin hinüber, die es endlich geschafft hatte, eine kleinere Wurfmaschine zu erreichen. Sie bewegte gerade die kreisförmig angeordneten Hebel einer Spannrolle. 49
»Nein, nein, der Löffel ist nicht geladen«, beruhigte Professor Copals den Butler und lächelte entspannt. »Was nicht ist, Sir, kann durchaus noch werden«, meinte Josuah Parker. Er lüftete höflich die schwarze Melone und hielt es für angebracht, zu Lady Simpson hinüberzugehen. Sie war nach wie vor damit beschäftigt, die Seiltrommel zu spannen. Damit zog sie den elastischen Wurfbalken immer weiter zurück und versetzte ihn in Spannung. »Sehr sinnreich, Mr. Parker«, sagte sie und lächelte ein wenig, »sehen Sie doch, wie weit dieser Löffelstiel sich zurückziehen läßt.« »Sobald er in Wurfstellung ist, Mylady, kann man den Wurflöffel mit einem Geschoß nach Wahl bestücken.« »Ich hätte große Lust, einen Stein in den Museumspark hinüberzuschleudern, Mr. Parker.« »Er könnte Unheil anrichten, Mylady.« »Warum sonst würde ich einen Stein wohl schleudern?« gab sie ungeniert zurück. Ihre grauen Augen funkelten hinterlistig. »Es könnte zu Personenschaden kommen, Mylady.« »Ich weiß«, sagte sie und… löste die Sperre. Der unter starker Spannung stehende Löffelstiel schnellte nach vorn und knallte wuchtig gegen den Sperrbalken. Das schwere Gerüst vibrierte. »Wunderbar«, freute sich die ältere Dame, »ich denke, ich lasse mir eine Miniaturausgabe dieser Schleudermaschine bauen, Mr. Parker.« »Myladys Gedanken zeichnen sich stets durch Eigenwilligkeit aus. Professor Copals glaubt übrigens nicht, daß hier ein Goldschatz zu finden sein wird.« »Weil er ihn unterschlagen will«, antwortete die Detektivin, »er kann doch eine Lady Agatha nicht täuschen!«
50
*
Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einer kleinen Anhöhe abgestellt und servierte seiner Herrin einen Imbiß. Die ältere Dame saß in einem soliden Regiestuhl vor einem kleinen zusammenfaltbaren Kapitänstisch und ergötzte sich an Tee mit Rum, kaltem Huhn, geschnittenem Roastbeef und Toast. Das alles hatte Josuah Parker aus einem mitgebrachten Frühstückskorb hervorgezaubert. Agatha Simpson war wieder mal mit sich und der Welt äußerst zufrieden. Josuah Parker beobachtete durch ein Fernglas den Museumspark. Ihn interessierten die Besucher, die über Mittag erschienen. Parker schaute sich vor allen Dingen die Nummernschilder der Wagen genau an. Es war unverkennbar, daß die meisten Autos in London zugelassen waren. Das Interesse der jungen Menschen an ihrer Vergangenheit war schon recht beeindruckend. »Womit vergeude ich meine Zeit, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, als sie ihren kleinen Imbiß beendete. Sie hatte den Regiesessel verlassen und baute sich neben ihrem Butler auf. Ein wenig mißbilligend blickte sie auf den Museumspark. »Falls meine Wenigkeit sich nicht grundsätzlich täuscht, Mylady, bleiben die Besucher des Museumsparkes nie länger als etwa eine Viertelstunde innerhalb der Palisaden«, antwortete Josuah Parker, »eine vergleichsweise kurze Zeit, um sich die Kriegsmaschinen anzusehen.« »Das spricht aber doch für diese jungen Leute«, meinte die ältere Dame und nickte wohlwollend, »auf der anderen Seite macht es mich natürlich stutzig.« »Man fährt hierher nach Uckfield, Mylady, um für 51
durchschnittlich fünfzehn Minuten einen Blick in und auf den Museumspark zu werfen.« »Genau das meine ich, Mr. Parker«, erklärte Agatha Simpson nachdrücklich. Sie war froh darüber, endlich zu wissen, weshalb sie stutzig wurde. »Das Essen in der Kantine kann unmöglich der Magnet für diese vielen und kurzen Besuche sein, Mylady.« »Sie nehmen mir das Wort von den Lippen«, behauptete die Detektivin zufrieden, »und was schließe ich aus allem?« »Im Museumspark gibt es offensichtlich Dinge, die eine Fahrt von London bis hierher lohnend machen.« »Wie gut Sie meine Gedanken doch wieder mal erraten haben«, staunte sie gekonnt und nickte wohlwollend. »Die Betreiber des Museumsparkes, Mylady, sind die beiden Spitzengangster Pantrell und Haswick. Mr. Pantrell ist in der Drogenszene tätig.« »Auf diesen Punkt wollte ich gerade zu sprechen kommen«, erklärte die altere Dame, »aber nur weiter, Mr. Parker, legen Sie sich keinen Zwang auf.« »Mylady gehen sicher von der Überlegung aus, daß unten im Museumspark Rauschgift verkauft wird.« »Unbedingt, Mr. Parker, unbedingt.« Lady Agathas Augen funkelten. »Es geht um den Goldschatz und um Drogen.« »Mylady spielen sicher bereits mit dem Gedanken, einigen jungen Leuten während der Rückfahrt nach London Fragen zu stellen.« »Bohrende Fragen«, versicherte sie, »ich werde mit diesen Burschen Fraktur reden, darauf können Sie sich verlassen. Eine Lady Simpson wird man nicht täuschen!« »Meine Wenigkeit war so frei, eine Reihe von AutoKennzeichen aufzuschreiben«, sagte Josuah Parker, »auf diese Art lassen sich wohl die Namen und Adressen einiger Wagenhalter feststellen.« 52
»Manchmal haben Sie durchaus passable Ideen, Mr. Parker«, gab die ältere Dame zurück, »ich werde diese Wagenhalter bei Gelegenheit besuchen.« Parker wollte antworten, doch er wurde abgelenkt. Er hatte ein feines Rauschen gehört, das in ein Pfeifen und Gurgeln überging. Er wandte sich zur Seite um und… sah einen mächtigen Steinbrocken, der genau auf Mylady und ihn zuhielt. »Es ist mir ungemein peinlich«, konnte Parker gerade noch sagen, bevor er seine Herrin unvermittelt zur Seite stieß. Sie stolperte und landete in einem nachgebenden Strauch, der sie anschließend in seine elastischen Arme nahm und dann verschwinden ließ. Dicht an der Stelle, wo Mylady und Parker eben noch waren, krachte der Stein in den weichen Boden und hinterließ eine nicht unbeträchtliche Vertiefung. Parker ging ein Stück vor und blickte in die Richtung, aus der der Steinbrocken gekommen war. Er sah in einer Mulde eine der altrömischen Wurfmaschinen und zwei Legionäre, die gerade im Laufschritt eine nahe Buschgruppe ansteuerten.
*
»Das ist mir rätselhaft, Mylady, das kann ich mir einfach nicht erklären«, sagte Professor Gary Copals und schüttelte den Kopf, »diese Wurfmaschine stand noch nie dort in der Mulde.« »Man scheint sie überaus schnell in Stellung gebracht zu haben, Sir«, meinte Butler Parker. Er stand zusammen mit Mylady und Copals neben der Wurfmaschine. »Haben Sie denn nichts bemerkt?« wunderte sich der Professor. »Nichts, Sir, bedauerlicherweise«, räumte Josuah Parker 53
ein, »aber die Spuren der Wagenräder sind noch sehr frisch, wie der Augenschein lehrt.« »Man scheint die Wurfmaschine ganz bewußt gegen Sie in Stellung gebracht zu haben«, sagte Copals. »Das kann man wohl sagen, Professor«, schaltete die ältere Dame sich grimmig ein, »man wollte mich wieder mal ermorden, daran besteht kein Zweifel. Könnten Ihre Studenten dieses Werkzeug hierher gebracht haben?« »Das werde ich sofort feststellen, Mylady«, versprach Professor Copals, der immer noch konsterniert wirkte, »aber wirklich, um einen Studentenulk kann es sich auf keinen Fall gehandelt haben.« Der Archäologe schritt mit schnellen, kleinen Schritten zu den nahe gelegenen Ausgrabungszelten zurück und war bald nicht mehr zu sehen. Lady Agatha blickte zur Anhöhe, wo man eben noch gewesen war. »Sie haben natürlich nichts bemerkt, Mr. Parker«, räsonierte die Detektivin, »so etwas hätte Ihnen nicht passieren dürfen.« .»Mylady sehen meine Wenigkeit schier untröstlich«, entschuldigte sich Josuah Parker. »Ich hatte nur Augen für den Museumspark«, redete sie weiter. »Man dürfte die Wurfmaschine im Seilzug transportiert haben«, erklärte der Butler, »und man dürfte dazu sehr viel Energie aufgewendet haben.« »Nun, ich werde das nicht weiter vertiefen, Mr. Parker, ich bin schließlich nicht nachtragend.« Sie reckte sich unternehmungslustig, »aber die Dinge treiben bereits dem Höhepunkt zu, finden Sie nicht auch?« »Meine Wenigkeit würde sich nie einen Widerspruch erlauben.« »Diese Subjekte aus dem Museumspark können die 54
Wurfmaschine unmöglich bewegt haben«, überlegte die ältere Dame laut, »ich hätte sie ja sonst beim Verlassen der Palisaden sehen müssen. Es sind natürlich die Studenten gewesen.« »Solch ein Verdacht, Mylady, bietet sich in der Tat an.« »Ob ich sie der Reihe nach verhöre?« »Man scheint sich bereits zur Verfügung stellen zu wollen, Mylady.« Parker deutete auf zwei Studenten, die mit Professor Copals zum hochbeinigen Monstrum zurückkamen, neben dem die ältere Dame und Parker noch immer standen. »Ich habe die Übeltäter«, rief Copals. Seine Stimme klang überaus erleichtert, »es handelte sich um eine Mystifikation, wie sich gerade herausgestellt hat.« »Um wen handelt es sich?« fragte Agatha Simpson leicht gereizt. »Um eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, wenn man so sagen will.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Und wer hat wem etwas vorgetäuscht?« raunzte die ältere Dame den Professor an. Sie faltete ihre Stielbrille auseinander und musterte die beiden Studenten, die einen betretenen Eindruck machten. »Ich bin angerufen worden«, sagte einer der beiden jungen Männer, »Mr. Sprayton drüben vom Park war am Apparat. Er sagte uns, wir sollten die Wurfmaschine in die Mulde bringen.« »Darf man Ihren Namen erfahren?« erkundigte sich der Butler. »Ich heiße Norman Blakers«, stellte der Student sich vor. Er mochte etwa achtundzwanzig sein, war mittelgroß und schlank. Er hatte ein sympathisch geschnittenes Gesicht und blaue Augen. »Einer meiner Assistenten«, fügte Professor Copals hinzu, 55
»wie auch Peter Ronners.« »Sie wurden von Mr. Sprayton angerufen?« vergewisserte sich Parker. »Eindeutig, das heißt, ich bin sicher, daß ich seine Stimme erkannt habe«, versicherte Norman Blakers, »wie gesagt, wir sollten die Wurfmaschine in die Mulde schaffen, und zwar möglichst lautlos. Sie und die Lady sollten überrascht werden.« »Was Ihnen ja auch wirklich gelungen ist, junger Mann«, grollte Lady Agatha, »sollten Sie auch auf mich schießen?« »Natürlich nicht, Mylady«, erklärte Peter Ronners fast aggressiv, »trauen Sie uns etwa so was zu?« »Wir sollten nur demonstrieren, wie leicht diese Wurfmaschine zu bewegen ist«, redete Norman Blakers weiter, »und nachdem wir das Ding rübergeschafft hatten, sind wir zur Grabungsstelle zurückgegangen!« »Sie haben Zeugen für Ihre Erklärung?« fragte Agatha Simpson streng. »Klar doch, Mylady«, erwiderte Peter Ronners. Er mochte dreißig sein, war einen halben Kopf kleiner als Norman Blakers und hatte rotes Haar. Seine Nase war eingedrückt. »Wir brauchten ja noch sechs Studenten, um die Wurfmaschine in die Mulde zu ziehen«, sagte Norman Blakers, »und auch dann war’s noch schwer genug.« »Was halte ich von diesen Aussagen, Mr. Parker?« wollte Lady Simpson von ihrem Butler wissen. »Sie glauben uns nicht?« fragte Peter Ronners und gab sich erneut aggressiv. »Ich selbst war ja dabei, als Sprayton anrief.« »Sie pflegen eine gute Nachbarschaft mit den Betreibern des Museumsparks?« Josuah Parker blickte Ronners an. »Nun übertreiben Sie nicht gleich«, meinte der Assistent des Professors und winkte ab, »wir bauen für ihn die 56
Kriegsmaschinen, mehr nicht. Und wir tun’s nur, weil wir
Geld brauchen. Wie sonst sollten wir an die Geräte für die
Ausgrabungen kommen? Für so etwas hat man ja kein
Geld.«
»Schon gut, Peter«, sagte Copals leise.
»Ich sag’s, wie es ist, Professor«, antwortete Peter Ronners,
»wir müssen hier doch praktisch um jeden Penny betteln.
Werden wir noch gebraucht?«
»Sie waren Mylady eine ungemein wertvolle Hilfe«,
versicherte Josuah Parker den beiden Studenten, »aber
vielleicht noch eine Frage, falls es gestattet ist.«
»Aber selbstverständlich«, antwortete Norman Blakers, der
eindeutig bessere Manieren als Peter Ronners hatte, »ich
kann Ihren Ärger verstehen. Schließlich hat man einen
verdammt dicken Brocken auf Sie abgefeuert.«
»Wie lange stand die Wurfmaschine Ihrer Ansicht nach
unbewacht oder unbeobachtet dort in der Mulde, Mr.
Blakers?«
»Nachdem wir das Ding abgestellt hatten, sind wir wieder
zurück zum Grabungsfeld gegangen«, beantwortete
Blakers die Frage, »meiner Schätzung nach stand die
Wurfmaschine rund eine Viertelstunde allein herum,
danach kamen Sie ja dort drüben von der Anhöhe und
schlugen Alarm.«
»Habe ich sonst noch Fragen an die beiden jungen
Herren?« wollte Agatha Simpson von Parker wissen.
»Im Augenblick sicher nicht, Mylady«, erwiderte der
Butler, »man sollte jetzt vielleicht Mr. Sprayton aufsuchen.«
»Auf ihn freue ich mich schon jetzt ganz besonders«,
meinte die ältere Dame, »ich bin gespannt, mit welch faulen
Ausreden er mir kommen wird.«
*
57
»Da muß ein Irrtum vorliegen, Mylady«, sagte Dan Sprayton eine Viertelstunde später und winkte ab, »ich habe dort drüben im Ausgrabungscamp nicht angerufen. Wer das behauptet, lügt schlicht und einfach.« »Oder man könnte sich ihres Namens bedient haben, Mr. Sprayton«, sagte Josuah Parker. »Auch möglich«, räumte Sprayton ein, »ich habe auf jeden Fall nicht angerufen und die Wurfmaschine in die Mulde bestellt.« »Mylady dachten sich das bereits.« »Tatsächlich?« staunte die ältere Dame und blickte ihren Butler irritiert an. »Mylady geht davon aus, daß Sie ein fast ehrenwerter Mensch sind, Mr. Sprayton. So ähnlich beliebte sich auch Anwalt Gordon Whistler auszudrücken.« »Sie waren bei ihm?« tat Sprayton erstaunt. »Er rief Sie noch nicht an?« fragte Lady Agatha, »nun ja, vielleicht ist er nach meinem Besuch noch immer mit sich selbst beschäftigt. Er machte keinen besonders glücklichen Eindruck, als ich ihn verließ.« »Mylady, bitte, was soll das alles?« wollte Dan Sprayton wissen und verlieh seiner Stimme einen vertraulichen Unterton: »Sie glauben, daß ich hier krumme Dinger drehe. Okay, dagegen kann ich nichts machen. Aber Sie können Gift darauf nehmen, daß hier alles sauber ist. Warum soll ein Mensch sich nicht ändern können?« »Eine Katze verzichtet nur höchst ungern darauf, Mäuse zu jagen und zu fangen«, warf Josuah Parker ein. »Was mich betrifft, Parker, haben Sie mit Zitronen gehandelt. Noch mal ganz deutlich: ich habe die Wurfmaschine weder in Stellung bringen, noch abschießen lassen. Reicht Ihnen das endlich?« 58
»Meine Wenigkeit sah zwei Legionäre, die die Wurfmaschine eindeutig bedient haben müssen.« »Dann haben sich da eben irgendwelche Typen Legionärsuniformen besorgt, Parker. Besonders schwer ist das gerade nicht. Unsere Kleiderkammer ist nicht wie ein Tresor gesichert.« »Falls Sie mich weiterhin so anlachen wie bisher, werde ich mich beleidigt fühlen«, ließ die ältere Dame sich grollend vernehmen. Dan Sprayton zuckte zusammen und bemühte sich um Ernst. »Mylady wollten noch die Grabungsstätte besichtigen«, erinnerte der Butler. Er hatte längst eingesehen, daß man hier im Augenblick nichts ausrichten, konnte. Daß Sprayton zwar log, stand für ihn fest, doch er konnte es ihm nicht nachweisen. »Ich komme wieder«, versprach Agatha Simpson dem Betreiber des Museumsparks. »Sie haben immer freien Eintritt, Mylady«, Sprayton grinste und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. Er brachte sich damit aus der Reichweite von Myladys Ohrfeigen. Die ältere Dame bedachte ihn mit einem kalten Blick, wandte sich ab und schritt energisch aus dem Atriumhaus. »Was soll ich auf der Grabungsstätte, Mr. Parker?« räsonierte sie, als sie sich mit Parker dem Tor näherte. »Mylady wollen sich einen Überblick verschaffen«, erwiderte Josuah Parker. »Reine Zeitverschwendung«, meinte sie gereizt, »aber Sie müssen Ihren Kopf ja wieder mal durchsetzen.« »Mylady wollen sich zudem auch die Studenten des Professors ansehen.« »Was das schon bringen wird?« Sie seufzte. »Die jungen Leute stecken mit diesem Subjekt doch unter einer Decke. Haben Sie mitbekommen, wie penetrant der Lümmel mich 59
angrinste? Beinahe wäre mir die Hand ausgerutscht.«
»Noch fühlt Mr. Sprayton sich sicher«, entgegnete Parker,
»aber Mylady werden das schon sehr bald ändern.«
»Ich habe große Lust, mich für den Stein zu revanchieren,
Mr. Parker.«
»Eine Reaktion, Mylady, die man nur als verständlich
bezeichnen kann.«
»Schließlich wollte man mich mit diesem Geschoß
erschlagen.«
»Mylady hegen bereits bestimmte Absichten?«
»Ich denke an die Wurfmaschine«, schickte sie voraus, »ich
werde ein paar Steine in den Museumspark löffeln, Mr.
Parker.«
»Umgehend, Mylady?« Parker hatte so etwas bereits
erwartet. Er kannte seine Herrin schließlich gut genug.
»Möglichst während der Nacht«, sagte sie und lächelte
plötzlich versonnen, »sorgen Sie dafür, daß ich über einige
Wurfmaschinen verfügen kann, Mr. Parker. Wie Sie das
anstellen, ist Ihre Sache.«
»Mylady können versichert sein, daß meine Wenigkeit tätig
werden wird«, lautete Parkers gemessene Antwort. Auch er
hatte durchaus nichts dagegen, Dan Sprayton und seine
»Römer« ein wenig aufzuscheuchen.
*
Die Studenten umringten Mylady und bestaunten sie amüsiert. Für sie war Agatha Simpson eine Erscheinung wie aus einer anderen Welt, was sie übrigens auch auf Josuah Parker ausdehnten. Die jungen Frauen und Männer waren mehr als leger gekleidet und hatten wohl zum ersten Mal in ihrem Leben die Möglichkeit, eine Mylady mit ihrem Butler aus nächster Nähe zu betrachten. 60
»Sehr hübsch, was Sie hier treiben«, sagte die Detektivin und blickte in ein tief ausgehobenes Rechteck, das viele Quadratmeter groß war, »und hier also haben die alten Römer gehaust?« »Es handelt sich um ein Feldlager mit einer römischen Siedlung, die angegliedert war«, erklärte der Archäologe, »dort drüben unter dem Hügel gab es eine Zisterne, die noch erstaunlich gut erhalten ist.« »Und dann haben wir auch noch die Reste einer unterirdischen Wasserleitung«, fügte Copals Assistent Blakers hinzu, »der Gang ist fast mannshoch und sehr gut ausgebaut.« »Und dort drüben gab es eine Therme«, sagte Peter Ronners, »wir haben sie bereits teilweise ausgegraben. Selbst die Heizungsschächte sind noch vorhanden.« »Aha, junger Mann.« Lady Agatha nickte. »Und wann wurde das alles gebaut?« »Etwa um das Jahr achtzig nach Christus«, lautete die Antwort des zweiten Assistenten, »damals war hier bereits eine römische Provinz.« »Was sich inzwischen erfreulicherweise wieder geändert hat«, meinte Agatha Simpson, »aber man muß aufpassen, sonst nehmen die Touristen wieder überhand. Gab es übrigens damals Goldschmuck?« »Aber selbstverständlich, Mylady«, erwiderte Norman Blakers sofort, »die römischen Adeligen konnten sich praktisch alles leisten. Und dieses Feldlager galt als besonders wichtig. Man lebte luxuriös.« »Könnte man auch einen Goldschatz vergraben haben?« Sie kam auf ihr Lieblingsthema zurück. Myladys Augen glitzerten. »Völlig ausschließen kann man so etwas natürlich nie«, schaltete sich der rothaarige Assistent Peter Ronners ein, 61
»als die Sachsen, Picten und Scoten einfielen, muß hier auch gekämpft worden sein. Das war etwa im Jahr…« »Keine Details, wenn ich bitten darf«, unterbrach Lady Agatha, »ich möchte jetzt die unterirdische Wasserleitung und die Zisterne sehen.« »Und vielleicht auch das Mosaik, Mylady?« fragte Copals. »Später, lieber Professor, später«, gab sie zurück, »ich muß das alles erst mal auf mich einwirken lassen.« Es war eine wahre Prozession, die sich zur Zisterne begab. Die Studenten, die sehr wohl wußten, daß die Lady eine erhebliche Spende für die Ausgrabungsarbeiten zurücklassen wollte, folgten der älteren Dame respektvoll heiter. Ein kleiner Hügel war angeschnitten worden. Man sah deutlich noch sehr gut erhaltenes römisches Mauerwerk. Hinter einem noch intakten Rundbogen gab es eine einfache Holztreppe, die in die eigentliche Zisterne hinunterführte. Das Mauerwerk hier schien erst vor kurzer Zeit errichtet worden zu sein, selbst der Verputz des eigentlichen Wasserbeckens war zum größten Teil noch erhalten. Mylady bewegte ihre majestätische Fülle über die Holztreppe nach unten in das Gewölbe, das von Steinsäulen getragen wurde. Professor Copals gab Erläuterungen und zeigte der alten Dame schließlich auch die unterirdische Wasserleitung. Sie war schmal, höchstens schulterbreit und in dem weichen Feld eingeschnitten worden. Selbst jetzt war noch deutlich zu sehen, wie hoch das Wasser damals gestanden hatte. »Und wo endet dieser Gang?« fragte Agatha Simpson sehr interessiert, »gibt es denn hier keine Taschenlampe?« »Die Taschenlampe«, sagte der Assistent Blakers und 62
reichte Lady Agatha eine bereits eingeschaltete Stablampe. Die Detektivin stach mit dem Lichtkegel in die Dunkelheit des Ganges und war nicht mehr zu halten. Sie marschierte sofort los und kannte keine Hemmungen. »Mylady, bitte«, beschwor Professor Copals die ältere Dame, »der hintere Teil ist noch nicht abgestützt worden.« »Wo endet dieser Gang?« fragte Agatha Simpson noch mal. »Vor einer Geröllwand, Mylady«, erläuterte Copals, »uns fehlten bisher die Mittel, den Gang völlig freizulegen.« »Diese Mittel sind hiermit bewilligt, Professor«, sagte die Lady und wandte sich zu Parker um, der ihr gefolgt war, »erinnern Sie mich daran, daß dafür ein Scheck ausgestellt wird.« »Mylady können sich fest auf meine Wenigkeit verlassen«, gab Parker zurück, »aber sollten Mylady die Exkursion jetzt nicht abbrechen?« »Unsinn«, meinte sie unternehmungslustig, »das alles hier macht doch einen sehr soliden Eindruck. Die Touristen damals konnten bauen, das muß man schon sagen und…« Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Von weither war das dumpfe Grollen einer Detonation zu hören, dann schien der Hügel sich zu schütteln. Steine aus der gewölbten Decke des Ganges lösten sich und polterten zu Boden. Butler Parker ergriff Lady Simpsons Arm und zerrte seine Herrin zurück. Sie schnaufte wütend und stemmte sich gegen seine Bemühungen, hatte aber keine Chancen. Parker brachte sie in Sicherheit, während hinter ihnen Teile der Kanaldecke einbrachen. »Und was war passiert, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Mr. Parker schleifte mich brutal durch den Kanal«, beschwerte sich die ältere Dame und bedachte ihren Butler mit eisigem Blick, »dabei ruinierte ich meine teuren 63
Strümpfe.« »Es ging um Myladys Leben«, sagte Josuah Parker. »Schnickschnack«, tat sie diese Bemerkung ab, »Sie haben maßlos übertrieben, Mr. Parker.« »Hatte man eine Sprengladung gezündet?« fragte Mike Rander, der sich ebenfalls in der Wohnhalle in Shepherd’s Market aufhielt. »In der Tat, Sir, es handelte sich um eine Sprengladung«, bestätigte der Butler, »sie detonierte oben auf dem Hügel.« »Und wer könnte die Ladung angebracht haben?« fragte Rander weiter, »Mylady und Sie gingen doch völlig spontan in die Zisterne und dann in den Wasserkanal, oder?« »Diese Besichtigung, Sir, wurde tatsächlich nicht angekündigt«, meinte der Butler, »Studenten, die vor dem Eingang der Zisterne zurückgeblieben waren, sagten später aus, man habe die Sprengladung offensichtlich mittels einer Wurfmaschine auf den Hügel gesetzt.« »Schon wieder diese Wurfmaschine«, wunderte sich Kathy Porter, »und von woher wurde die Sprengladung abgefeuert?« »Aus dem Museumspark, wie Studenten erklärten«, beantwortete Parker die Frage, »entsprechende Nachforschungen brachten leider kein Ergebnis. Mr. Dan Sprayton und auch Mr. Phil Simons waren nicht verfügbar. Nach Auskunft einiger Angestellter waren sie auf dem Weg nach London.« »Sollte man nicht die Polizei verständigen?« tippte Kathy Porter an. »Unsinn, Kindchen«, widersprach die ältere Dame, »ich lasse mir diesen Fall doch nicht aus der Hand nehmen. Was sollte das bringen?« »Diese sogenannten Römer, wie man sie bezeichnet, dürften inzwischen die Geduld verloren 64
haben«, vermutete der Butler, »mit weiteren Mordanschlägen ist fest zu rechnen.« »Haben Sie unterwegs Besucher des Museumsparks angehalten?« fragte Mike Rander, »Sie sprachen eben davon, Parker.« »In Anbetracht der Lage hielt meine Wenigkeit es für angebracht, Mylady auf dem schnellsten Weg nach London zurückzubringen.« »Wogegen ich protestierte«, ließ die ältere- Dame sich vernehmen, »aber Sie kennen ja den Dickkopf Mr. Parker.« »Man verfügt über einige Wagenkennzeichen, Sir«, redete Parker weiter, »man könnte hier an Ort und Stelle einige Besucher des Parks aufsuchen.« »Und auch diese beiden Subjekte, die den Park finanzieren«, erinnerte Agatha Simpson, »dieser Winkeladvokat nannte mir ja die Namen, oder?« »Mylady sind bestens orientiert«, behauptete der Butler. »Ich werde jetzt ein wenig meditieren«, entschied Agatha Simpson, »nach dem Dinner werde ich mich dann wieder mit meinem Fall beschäftigen. Kommen Sie, Kindchen.« Lady Agatha trank ihr Sherryglas leer und begab sich zur Treppe, die ins Obergeschoß des Hauses führte. Kathy Porter folgte ihr notgedrungen. Rander und Parker blieben allein in der Halle zurück. »Ist Lady Simpson endlich davon überzeugt, daß sie es nicht mit Amateuren zu tun hat?« erkundigte sich der Anwalt. »Mylady pflegt Zwischenfälle der eben geschilderten Art stets auf die leichte Schulter zu nehmen«, entgegnete Parker, »und Mylady glaubt jetzt mehr denn je an einen Goldschatz, der im verschütteten Kanalgang zu vermuten ist.« »Ich rechne schlicht und einfach mit Drogen«, sagte Mike 65
Rander, »in diesem Museumspark wird das verdammte
Giftzeug an Zwischenhändler weitergereicht.«
»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mich Ihrer
Betrachtungsweise vollinhaltlich anschließen.«
»Einer der beiden Gangster hat doch mit Drogen zu tun,
nicht wahr?«
»Es handelt sich um Mr. Leo Pantrell, Sir.«
»Könnte man diesem Kerl nicht mal, auf den Zahn fühlen?
Vorerst sind wir ja unter uns.«
»Bei dieser Gelegenheit könnte man auch einige Besucher
des Parks befragen, Sir.«
»Richtig. Sie haben ja da ein paar Kennzeichen und
kommen an die Namen und Adressen.«
»Falls man Chief-Superintendent McWarden einweihen
würde, Sir, ließen sich die Namen und Adressen fast
umgehend beschaffen.«
»Okay, weihen wir ihn ein«, schlußfolgerte Mike Rander,
»wenn es um Drogen geht, bin ich gegen Alleingänge.
Diesen miesen Gangstern muß man so schnell wie möglich
das Handwerk legen.«
*
Leo Pantrell war etwa fünfundvierzig, hager und hatte eine Stirnglatze. Sein Mund war schmal wie ein Messerrücken, seine Augen ebenfalls. In jedem Krimi wäre er die ideale Besetzung für einen Gangsterboß gewesen. Selbstverständlich war dieser Mann nicht allein, als er aus dem Restaurant kam. Bevor er die Straße betrat, erschienen zwei stämmige, sehr wachsame Leibwächter, die die Gegend nach allen Seiten beobachteten. Leo Pantrell ging schnell über den Gehweg und hielt dann auf seinen Rolls zu. 66
»Auf Ihren Horace Pickett ist Verlaß«, sagte Mike Rander
anerkennend, »der Mann weiß immer Bescheid.«
»Mr. Pickett zeichnet sich durch Zuverlässigkeit aus«,
antwortete Parker am Steuer seines hochbeinigen
Monstrums, das am Straßenrand parkte.
»Und wohin fährt Pantrell jetzt?« wollte Rander wissen.
»Hat er bestimmte Gewohnheiten über Mittag?«
»Laut Mr. Horace Pickett pflegt Mr. Pantrell in seiner
Privatwohnung in Pimlico einige Stunden der Ruhe zu
frönen, Sir.«
»Bestens, Parker, leisten wir ihm dabei Gesellschaft. Sie
haben die beiden Leibwächter natürlich nicht übersehen,
wie?«
»Sie stellen in der Tat ein gewisses Problem dar, Sir.«
»Sehen Sie da unüberwindbare Hindernisse, Parker?«
»Keineswegs, Sir«, lautete Parkers Antwort, »es sollte
möglich sein, sie mit herkömmlichen Mitteln für eine
gewisse Zeit auszuschalten.«
Sie folgten dem Rolls Royce, der die City verlassen hatte
und in den Stadtteil Pimlico fuhr. Zusätzlich zu den beiden
Leibwächtern gab es noch den Fahrer des Wagens, der eine
Art Livree trug. Parkers hochbeiniges Monstrum fiel im
Straßenverkehr überhaupt nicht auf. Man hielt seinen
betagt aussehenden Wagen eben für ein Taxi.
Dann war es soweit.
Der Rolls hatte in einer ruhigen Seitenstraße ein
mehrstöckiges Haus erreicht und hielt. Die Wohngegend
hier war teuer und durchaus lukrativ. Die beiden
Leibwächter fielen förmlich aus dem Rolls und sicherten.
Nach einigen Sekunden stieg Leo Pantrell aus und ging
schnell zu der schwarz lackierten Haustür.
Er war jedoch nicht schnell genug…
Parker, der seinen Wagen gestoppt hatte, verschoß mittels
67
seiner Gabelschleuder eine hart gebrannte Tonmurmel. Geräuschlos flog dieses seltsame Geschoß durch die Luft und landete im Nacken des Gangsterbosses, der in sich zusammenbrach, als wäre er von einem unsichtbaren Blitz getroffen worden. Die beiden Leibwächter, die die Straße sicherten, merkten erst mit einiger Spätzündung, was mit ihrem Herrn und Meister passiert war. Sie brüllten sich etwas zu, was weder Mike Rander noch Josuah Parker verstanden, dann beugten sie sich über Leo Pantrell. »Was ist passiert?« rief Parker, der die schwarze Melone abgenommen hatte. Er öffnete den Wagenschlag und eilte zu den beiden Leibwächtern. »Ich habe genau gesehen, wie er zusammengebrochen ist.« »Hauen Sie ab, Mann«, sagte einer gereizt und nervös. »Ich bin in Erster Hilfe ausgebildet«, versicherte Josuah Parker den beiden Gorillas und trat noch näher an Leo Pantrell heran, der vor der Türschwelle lag. In Parkers linker, schwarz behandschuhter Hand befand sich bereits die kleine Spraydose, die nur darauf wartete, zum Einsatz gebracht zu werden. »Wahrscheinlich eine Herzattacke oder ein Schlaganfall«, redete der Butler weiter, »hier muß sofort der Kopf angehoben werden. Kommen Sie, helfen Sie!« Er wirkte ungemein überzeugend. Die beiden Leibwächter knieten nieder, um Parker behilflich zu sein. Dabei kamen sie in die Nähe der kleinen Spraydose. Parker drückte diskret auf den Auslöseknopf und versorgte die Männer mit je einer Dosis. Sie wurden völlig überrascht, schnappten nach Luft und verdrehten dann auf geradezu abenteuerliche Art die Augen. Dann wollten sie wohl noch nach ihren Waffen greifen, doch dazu fehlte es ihnen bereits an der erforderlichen Kraft. Sie lächelten plötzlich entspannt, 68
lehnten sich zurück und schlossen die Augen. »Gab es Schwierigkeiten, Sir?« erkundigte sich Parker bei Mike Rander, der vor der Haustür erschien. »Nicht mehr, nachdem ich den Fahrer überredet hatte, mal für ‘ne Viertelstunde wegzutreten«, erwiderte Mike Rander lässig, »sieht gut aus hier, Parker. Ich denke, wir nehmen nur Pantrell mit ‘rauf in seine Wohnung, wie? Warum sollten wir uns auch noch mit den beiden Gorillas abschleppen?« »Ein Vorschlag, Sir, dem man vollinhaltlich beipflichten kann und sollte«, sagte Josuah Parker daraufhin in seiner höflichen Art.
*
»Was, zum Henker, ist passiert?« murmelte Leo Pantrell und richtete sich vorsichtig auf. Er lag auf einem Ledersofa in einem Wohnraum. »Sie wurden von einem plötzlichen Unwohlsein erfaßt«, antwortete Josuah Parker, trat in das Blickfeld des Gangsterbosses und lüftete dazu seine schwarze Melone. »Wer… Wer sind denn Sie?« fragte Pantrell und brachte sich ruckartig in die Vertikale. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »meine Wenigkeit hat das Vergnügen und die Ehre, Lady Simpson als Butler beistehen zu können.« »Butler Parker? Dieser Butler Parker?!« Leo Pantrell wußte mit dem Namen eindeutig etwas anzufangen. Er runzelte die Stirn und spürte im gleichen Moment wohl einen Schmerz im Genick. Er verzog das Gesicht und öffnete den Mund. Er sog die Luft scharf ein. »Man fand Sie vor Ihrer Haustür«, erläuterte Josuah Parker, »es war einfach ein Gebot der Menschlichkeit, Sie hinauf in 69
Ihre Räume zu schaffen.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn, Parker«, brauste Leo
Pantrell auf und blickte sich um, »wo sind meine beiden…
Angestellten?«
»Ihre Leibwächter lassen sich momentan entschuldigen,
Mr. Pantrell«, meinte der Butler, »sie inspizieren zur Zeit
die Kellerräume des Hauses.«
»Was wollen Sie von mir, Parker? Das hier war doch
eingefädelt. Mir können Sie nichts vormachen.«
»Lady Simpson, die ich bereits erwähnte, interessiert sich
für einen gewissen Museumspark bei Uckfield«, schickte
der Butler voraus, »nach zuverlässigen Informationen sind
Sie und Mr. Matt Haswick die Geldgeber der Anlage.«
»Wer sagt das?« fragte der Gangsterboß.
»Mr. Gordon Whistler, um der Wahrheit die Ehre zu
geben.«
»Dieses Rindvieh«, ärgerte sich Leo Pantrell, »was er da
sagt, ist doch nur die halbe Wahrheit.«
»Und wie hört die ganze Wahrheit sich an, Mr. Pantrell?«
»Gordon Whistler hat Geld für Haswick und mich angelegt
und uns ‘ne anständige Rendite garantiert. Das ist bereits
alles, Parker. Wo das Geld jetzt für uns arbeitet, wissen
weder Haswick noch ich.«
»Sie scheinen das zu sein, Mr. Pantrell, was man einen
ahnungslosen Engel nennt.«
»Mich interessiert nur die Rendite, mehr nicht«, behauptete
der Gangsterboß, »und ich will pünktlich meine
Überweisung haben.«
»Mr. Haswick denkt ähnlich wie Sie, nicht wahr?«
»Natürlich, Parker. Was hat es denn mit diesem
Museumspark auf sich? Ist da was passiert?«
»Sie kennen nicht den Manager des Geländes?«
»Keinen blassen Dunst habe ich. Und wer ist nun der
70
Manager?« »Ein gewisser Dan Sprayton.« »Sprayton… Sprayton? Ich glaube, daß ich den Namen schon mal gehört habe.« »Sie treiben Ihre gespielte Ahnungslosigkeit auf die Spitze, Mr. Pantrell«, sagte Josuah Parker, »Mr. Dan Sprayton war im Inkasso-Geschäft hier in der Stadt tätig, und spielte keine unwichtige Rolle.« »Sagen Sie mir endlich, was Sie mir anhängen wollen, Parker?« Leo Pantrell hatte sich inzwischen erholt und baute sich innerlich auf, »und dann verschwinden Sie, klar? Ich habe Sie nicht eingeladen. Und ich bin sicher, daß Sie mich mit irgendeinem faulen Trick hereingelegt haben.« »Mylady vermutet, daß Sie die Hebung eines altrömischen Goldschatzes finanzieren«, entgegnete Parker, »damit dürften Sie eine Ausweitung Ihrer bisherigen Geschäfte vorgenommen haben.« »Bisherige Geschäfte?« Leo Pantrell tat erneut ahnungslos. »Ich arbeite im Inkasso-Geschäft, das ist doch kein Geheimnis. Ich bringe säumige Schuldner dazu, endlich Geld auf den Tisch zu legen. Dieses Gewerbe habe ich ordnungsgemäß angemeldet, Parker, ich habe nichts zu verbergen.« »Sie kassieren auch Schulden, die mit dem Kreditdienst der Unterwelt zusammenhängen, Mr. Pantrell.« »Ich kann mir meine Kunden nicht aussuchen.« »Ihre Mitarbeiter zeichnen sich durch besondere Brutalität aus, um auch darauf noch zu verweisen.« »Das muß mir erst mal einer nachweisen«, regte Leo Pantrell sich auf, »ich halte mich streng an die Gesetze. Und das gilt auch für meine Mitarbeiter. Sonst noch was? Sie sollten jetzt verschwinden, Parker.« »Wie Sie wünschen, Mr. Pantrell«, gab Parker äußerst 71
höflich zurück, »rechnen Sie aber mit Lady Simpsons Besuch.« »Sie soll sich schriftlich anmelden«, verlangte Pantrell ironisch, »vielleicht habe ich dann Zeit für sie.« »Meine Wenigkeit wird dies wörtlich an Mylady weitergeben.« »Bevor Sie abhauen, Parker, ein Wort unter vier Augen«, schickte der Gangsterboß voraus, »Ihre alte Lady und Sie spielen sich schon seit geraumer Zeit hier in London und Umgebung auf. Bisher hatten Sie verdammt viel Glück, was Ihre Gesundheit betrifft, aber so etwas kann sich verdammt schnell ändern. Mit mir machen Sie das nicht, was Sie mit anderen Kollegen abgezogen haben.« »Darf man Ihre Worte als eine Art Drohung auffassen?« »Wie Sie sie auffassen, Parker, ist mir egal«, sagte Pantrell kühl, »aber sehen Sie sich vor… Sie werden mir meine Kreise nicht stören, das schwöre ich Ihnen!«
*
»Und das haben Sie sich bieten lassen?« empörte sich Lady
Agatha, nachdem Parker Bericht erstattet hatte.
»Meine Wenigkeit wollte Mylady auf keinen Fall
vorgreifen.«
»Das ist immerhin ein Gesichtspunkt«, gab sie zu, »ich
werde dem Lümmel schon sehr bald Manieren beibringen.
Und zum Goldschatz äußerte er sich sonst gar nicht?«
»Mr. Pantrell sparte dieses Thema eindeutig aus, Mylady.«
»Das ist äußerst verdächtig«, erklärte die Detektivin,
»dieses Thema war ihm also unangenehm.«
»Er glaubt immerhin zu wissen, daß Mylady sich
ausschließlich für einen Goldschatz interessieren.«
»Was ja auch stimmt, oder?« Sie blickte Parker kurz an. Sie
72
befand sich mit ihm allein in ihrem Haus. Mike Rander und Kathy Porter waren unterwegs, um Informationen über Professor Copals zu sammeln. »Mylady schließen einen raffiniert aufgezogenen Drogenhandel keineswegs aus.« »Aha.« Sie nickte. »Richtig, darüber unterhielten wir uns ja schon. Nun, wie auch immer, Mr. Parker, ich werde sofort wieder tätig werden. Was steht auf meinem Programm?« »Mylady beabsichtigen, sich mit Chief-Superintendent McWarden zu treffen, der sein Kommen bereits ankündigte.« »Moment mal, hatte ich tatsächlich diese Absicht?« Sie runzelte die Stirn und blickte Parker irritiert an. »ChiefSuperintendent McWarden war so entgegenkommend und liebenswürdig, Mylady einige Namen und Adressen zu verschaffen. In diesem Zusammenhang sollte auf die Wagenkennzeichen draußen in Uckfield verwiesen werden.« Ein vorher vereinbartes Stichwort hätte nicht pünktlicher fallen können. Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als sich die Türglocke meldete. Gemessen und würdevoll schritt er zum verglasten Vorbau und schaute durch den Türspion. Dann erst schloß er die Tür auf und öffnete. Chief-Superintendent McWarden mochte etwa fünfundfünfzig sein. Er war untersetzt und hatte leicht vorstehende Basedowaugen. Der Yardbeamte, der dem Innenministerium direkt unterstand und Spezialist für organisiertes Bandenverbrechen war, erinnerte in seiner Art an eine stets leicht gereizte Bulldogge. Zu Lady Agatha hatte er ein ganz besonderes Verhältnis. Er stritt mit ihr stets und wollte auf seine Kontakte dennoch nicht verzichten. Ohne Lady Agatha hätte es keinen Butler Parker gegeben, dessen Rat er sehr schätzte. Der Butler und 73
Agatha Simpson verfügten über Möglichkeiten, von denen er nur träumte. McWarden konnte sich bei der Aufklärung von Verbrechen nur im streng festgelegten Rahmen seiner Dienstanweisungen halten, die ihn verständlicherweise oft einengten. Lady Agatha und Butler Parker aber kannten solche Hemmnisse nicht und verfügten darüber hinaus über finanzielle Mittel und Verbindungen, die ihm nicht zur Verfügung standen. Ohne Myladys und Parkers Hilfe hätte McWarden in der Vergangenheit schon oft die Segel streichen müssen. »Ich hoffe, mein lieber McWarden, Sie bringen gute Nachrichten«, begrüßte Lady Agatha ihren Besucher, »gibt es da einen Fall, den Sie allein wieder mal nicht lösen können?« »Ich bringe freundlicherweise Namen und Adressen, Mylady, die Sie offensichtlich dringend benötigen«, gab McWarden zurück, »und um es gleich zu sagen, gegen einen Sherry ist nichts einzuwenden. Ich bin quasi außer Dienst.« Parker hatte bereits vorgesorgt und servierte dem ChiefSuperintendent einen sehr alten und trockenen Sherry. Lady Agatha nahm dies stirnrunzelnd zur Kenntnis. Sie konnte ungemein sparsam sein. »Trinken Sie ihn schluckweise«, mahnte sie, »dieser Sherry ist sündhaft teuer.« »Wie schön«, freute sich McWarden, »dann werde ich ganz sicher nicht bei einem einzigen Gläschen bleiben. Sie arbeiten gerade an einem Fall? Darf man mehr dazu hören?« »Mylady befaßt sich mit dem sattsam bekannten Drogenhandel hier in der Stadt, Sir«, erwiderte Parker für seine Herrin. »Dieser verdammte Drogenhandel weitet sich immer mehr 74
aus«, erwiderte McWarden, »es gibt nur Teilerfolge. Die kleinen Dealer fängt man, die wirklichen Gangster sind so gut wie unangreifbar.« »Sagt Ihnen der Name Leo Pantrell etwas?« fragte der Butler. »Und ob«, bestätigte McWarden, »er ist einer der ganz großen Bosse und tarnt sich als Inkasso-Spezialist. Für ihn arbeitet Dan Sprayton, falls dieser Name Ihnen bekannt ist.« »Dan Sprayton, Sir?« wiederholte Parker. »Er hat eine Inkasso-Firma, die tatsächlich aber Pantrell gehört. Der große Boß hat mehrere Firmen dieser Art, zum Beispiel in Liverpool, Birmingham und Manchester. Wir vermuten, daß er über diese Firmen die Drogen absetzt. Wie sind Sie an Pantrell geraten? Dieser Mann ist eindeutig gefährlich, er hat drüben in den Staaten bei der Mafia gelernt, und er war bestimmt kein schlechter Schüler.« »Mr. Sprayton dürfte nach Lage der Dinge mit Steinen nach Mylady geworfen haben«, beantwortete Parker die Frage. »Würden Sie das bitte wiederholen?« »Mr. Sprayton warf mit außerordentlich kompakten Steinen nach Mylady«, erklärte der Butler. »Was ich natürlich nicht auf sich beruhen lassen werde«, schaltete die ältere Dame sich ein, »ich werde mich revanchieren.« »Was verstehe ich unter kompakten Steinen?« wollte der Chief-Superintendent wissen. Er blickte Parker ein wenig ratlos an. »Steine von der Größe eines Medizinballs, Sir«, antwortete Parker, »die Wirkung solcher Geschosse ist nur als außerordentlich beachtlich zu bezeichnen.« »Wer kann denn mit solchen Kolossen um sich werfen?« fragte McWarden ungläubig, »so was gibt es doch nicht.« 75
»Man merkt eben, mein lieber McWarden, daß Sie sich mit der Geschichte so gut wie überhaupt nicht befaßt haben«, schickte Agatha Simpson genießerisch voraus, »und das wundert mich überhaupt nicht. Haben Sie schon mal etwas von altrömischen Wurfmaschinen gehört?« »Doch, schon«, erwiderte McWarden unsicher, »sind das nicht diese Katapulte? Haben Sie nicht so ein Ding im Kleinformat, Mr. Parker?« »In etwa, Sir, was das Grundprinzip betrifft«, sagte Josuah Parker, »mittels einer künstlich hergestellten Spannung, die man schlagartig freigibt, kann man Geschosse freisetzen.« »Man hat wirklich dicke Steine auf Sie abgeschossen?« McWarden wandte sich an die Lady. »Mehrmals sogar«, erwiderte Agatha Simpson, »und dieser Lümmel von einem Inkasso-Gangster dürfte das veranlaßt haben. Lassen Sie sich die Details von Mr. Parker berichten. Sie langweilen mich nur.« »Ich langweile Sie, Mylady?« Der Chief-Superintendent stutzte. »Die Details, mein lieber McWarden, seien Sie bitte nicht so begriffsstutzig und empfindlich.« Sie nickte ihm hoheitsvoll zu und schritt dann majestätisch zur Treppe.
*
Durch zwei Hinterhöfe erreichte man einen dritten, der von den blinden und teils eingeworfenen Scheiben einer ehemaligen Fabrik eingerahmt wurde. Vor einer halb weggesackten Verladerampe stapelte sich Mauerschutt, auf dem alte, zerbrochene Möbel lagen. Eine doppelte Eisentür, stark angerostet, war weit geöffnet. Rechts von ihr stand ein bunt bemalter VW-Bus. 76
»Habe ich diesen Wagen nicht schon mal gesehen?« fragte Lady Agatha, als sie Parkers hochbeiniges Monstrum verließ. Sie schritt unternehmungslustig auf den Kastenwagen zu und musterte aus nächster Nähe die vielen schreiend bunten Farben, die aus diversen Spraydosen stammten. »Dieser VW-Bus, Mylady, war eindeutig am Museumspark«, sagte Parker, der das Kennzeichen kontrolliert hatte, »der Wagen gehört einem gewissen Ken Wanters.« »Nun, ich werde mir diesen jungen Mann ansehen«, erklärte die Detektivin und betrat ein breites Treppenhaus, das mal fabrikmäßig aus Beton gegossen worden war. Sie stieg munter nach oben und erreichte den ersten Stock. Sie hörte Musik, Stimmen und Gelächter. Selbstverständlich folgte sie dieser akustischen Einladung, dicht gefolgt von Josuah Parker, der sehr aufmerksam wirkte und stets einen Blick in jene ehemaligen Fabrikräume warf, die eindeutig unbenutzt waren. Mylady blieb vor einer spaltbreit geöffneten Tür aus Eisenblech stehen. Durch den Türspalt drang der Geruch von gekochten Tomaten und Nudeln. Lady Agatha stieß sehr ungeniert gegen das Türblatt und betrat eine Art Vorraum, in dem Möbel standen, die nur vom Sperrmüll stammen konnten. Energisch marschierte sie weiter und blieb dann in einem Türrahmen stehen. Sie blickte in einen kleineren Raum, der uralte Küchenmöbel beherbergte. Um einen großen, rechteckigen Tisch saßen junge Männer, die mehr oder weniger lustlos in Nudeln herumstocherten, über die man Tomatensauce geschüttet hatte. »Man erlaubt, sich einen allseits guten Appetit zu wünschen«, sagte Josuah Parker, der neben Lady Simpson erschien. Er lüftete höflich seine schwarze Melone. 77
Die insgesamt fünf Esser blickten Mylady und Parker völlig entgeistert an, um dann in Gelächter auszubrechen. »Hoffentlich dauert Ihre Freude an«, meinte Parker, als das Lachen sich etwas gelegt hatte, »man erlaubt sich, Grüße von Mr. Sprayton zu überbringen, wenn Sie so wollen.« »Moment mal, Sprayton?« Einer der jungen Männer stand auf. Er trug nur Jeans und Strohsandalen, sein Oberkörper war nackt. Unwillkürlich langte er nach einem Hemd, das über einem Stuhl hing und warf es sich über die Schultern. »Mr. Dan Sprayton«, wiederholte Josuah Parker, »nähere Einzelheiten erübrigen sich wohl.« »Was will Sprayton?« fragte der junge Mann und kam um den Tisch herum. Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht mit erstaunlich großen Kinderaugen, die allerdings leicht getrübt erschienen. »Kann man davon ausgehen, daß Sie Mr. Ken Wanters sind?« stellte Parker die nächste Frage. »Ich bin Ken Wanters«, bestätigte der junge Mann, »aber jetzt will ich endlich wissen, wer Sie sind. Ich hab’ Sie noch nie gesehen. Warum hat Sprayton Sie geschickt?« »Es geht um den Lieferumfang gestern«, antwortete der Butler. »Ihnen wird inzwischen kaum entgangen sein, daß Sie wesentlich mehr mitnahmen, als Ihnen zustand.« »Ausgeschlossen.« Ken Wanters schüttelte langsam den Kopf. »Das sitzt nicht drin. Wir haben alles genau durchgezählt.« »Im Museumspark ist man da erheblich anderer Meinung, Mr. Wanters.« »Hören Sie, wenn Sprayton uns über’s Ohr hauen will, dann liegt er bei uns schief«, regte Ken Wanters sich prompt auf. »Stop«, sagte ein anderer junger Mann und erhob sich ebenfalls. Er war untersetzt, stämmig und gab sich 78
aggressiv, »stop, Leute. Erst wollen wir mal wissen, wer die
beiden schrägen Vögel da sind. Das riecht doch förmlich
nach ‘nem faulen Trick.«
Während er redete, griff er hinter sich und hielt plötzlich
ein armlanges Stück Bleirohr in der Hand. Damit kam er
langsam auf Lady Agatha und Parker zu.
Die restlichen jungen Männer sprangen auf und gingen
ebenfalls zum Angriff über.
»Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Mylady,
daß die allgemeine Lage sich zuzuspitzen scheint«,
kommentierte Josuah Parker diese Entwicklung.
*
Agatha Simpson war mit dieser Entwicklung jedoch voll einverstanden. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour längst in beträchtliche Schwingungen versetzt und legte ihn auf der nackten Brust des jungen Mannes ab. Der vergaß darüber, seinen Lungen Frischluft zuzuführen riß den Mund weit auf und stierte die ältere Dame in panischer Angst an. Anschließend nahm er mit seinem Rücken auf dem nicht kleinen Tisch Platz und rutschte über die Platte ans andere Ende. Dabei nahm er diverse Teller mit, die umfielen und ihr Gemisch aus Nudeln und Tomatensauce herumspritzen ließen. Der untersetzte junge Mann drang mit dem armlangen Bleirohr auf Parker ein und wollte ihn auf klassische Art traktieren. Der Butler war mit diesem Vorgehen verständlicherweise überhaupt nicht einverstanden. Mit der Spitze seines UniversalRegenschirms piekte er in die rechte Armbeuge des Bleirohr-Besitzers, der daraufhin dieses Schlaginstrument förmlich zu Boden warf. Dann heulte er betroffen auf und befaßte sich mit seinem paralysierten Arm. 79
Die übrigen drei jungen Männer wollten sich auf ihre Fäuste verlassen und konzentrierten sich leichtsinnigerweise auf den Butler. Dabei übersahen sie die ältere Dame, die sie wahrscheinlich völlig unterschätzten. Während Parker die Faustkämpfer mit dem Schirm zurücktrieb, griff Lady Simpson in der Flanke an und setzte erneut ihren Pompadour wirkungsvoll ein. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis alle fünf Nudelesser auf dem Betonboden saßen und die Welt nicht mehr verstanden. Sie machten einen entnervten Eindruck und blickten die ältere Dame und ihren Butler fast scheu an. »Man sollte, wenn man vorschlagen darf, zur, Sachlichkeit zurückfinden«, sagte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »man darf noch mal daran erinnern, daß es um die Ware geht, die Sie im Museumspark in Empfang nahmen.« »Verdammt, wer sind Sie denn eigentlich?« wollte der Stämmige wissen, der jetzt das Bleirohr vermißte. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit gehören ebenfalls zu den Besuchern des Museumsparks«, erläuterte der Butler, »nähere Einzelheiten sollten Sie vorerst nicht in Erfahrung zu bringen versuchen.« »Also, meine Lieben, wo ist die Ware?« fragte Agatha Simpson fast freundlich. »Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.« »Wie Sie zu meinen belieben.« Parker deutete in Wanters Richtung eine knappe Verbeugung an. »Wenn Sie erlauben, wird man sich darüber noch ausführlicher und intensiver unterhalten müssen. Man geht davon aus, daß Sie Mylady begleiten werden.« »Begleiten? Wohin denn?« Ken Wanters stand vorsichtig auf. »Sie sollten sich hinsichtlich des Fahrziels jetzt und hier noch keineswegs festlegen.« 80
»Wir haben wirklich keine Ware«, wiederholte Ken Wanters. »Was hat Sprayton Ihnen denn da erzählt?« »Er sprach von gewissen Töpferwaren«, meinte Parker und deutete dann mit der Schirmspitze auf eine Reihe von Schalen und Krügen aus gebranntem Ton. Diese Nachbrennungen altrömischer Gebrauchsartikel standen in einer Ecke des Zimmers und sahen keineswegs mehr formschön aus. Sie waren durchweg aufgeschlagen worden. Parker ging zu diesen kunsthandwerklichen Artikeln hinüber und musterte sie etwas intensiver. Ihm fiel sofort auf, daß die Böden dieser Töpferwaren zerbrochen waren. »Was suchen Sie denn?« fragte Ken Wanters nervös. »Meine Wenigkeit hat bereits gefunden«, gab Josuah Parker zurück, »darüber hinaus geht es jetzt nur noch um die bereits angesprochene Ware, die wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hier in diesem Raum aufbewahrt wird.« »Stellen Sie doch alles auf den Kopf«, meinte Ken Wanters, »Sie werden nichts finden.« »Sie sollten Mylady jetzt Ihre Begleitung anbieten«, schlug Parker vor, »ein danach geführtes Gespräch dürfte für alle Teile von größtem Nutzen sein.« »Kommen Sie schon, junger Mann«, sagte Agatha Simpson burschikos und klatschte ihren Pompadour gegen Wanters’ Rücken. Der junge Mann flog daraufhin aus dem Raum und landete vor der Wand des Vorraums. Parker warf fast gleichzeitig eine perforierte Plastikkapsel zu Boden. Die Glasampulle in dieser Kapsel zerbrach sofort und schickte einen Schwaden hoch, der sich schnell ausbreitete. Während die vier jungen Männer verdutzt auf diese Schwaden blickten, beeilte sich Parker, diesen Raum zu verlassen. 81
Nicht ohne Grund, wie schon Sekunden danach deutlich zu hören war. Die verbliebenen vier jungen Männer husteten sich förmlich die Seele aus dem Leib und dachten nicht im Traum daran, ihre Besucher zu verfolgen.
*
»Natürlich haben Sie Drogen abgeholt«, sagte Parker seinem Gegenüber auf den Kopf zu, »Sie und andere junge Besucher dürften so etwas wie Schlepper sein.« »Ich weiß nichts von Drogen«, antwortete Ken Wanters fast wütend, »was wollen Sie mir da eigentlich anhängen?« »Die Drogen dürften sich in den Töpfereiwaren befinden«, redete Josuah Parker höflich und geduldig weiter, »genauer gesagt, man hat sie in doppelten Böden untergebracht.« »Blödsinn«, behauptete Ken Wanters unsicher, »woher wollen Sie das wissen? Das saugen Sie sich doch alles aus den Fingern.« Ken Wanters hatte eindeutig Angst, wie zu sehen war. Er befand sich im großen Wohnraum des Fachwerkhauses und blickte immer wieder scheu um sich. Und er zuckte zusammen, als Parker ihm auf einem kleinen Silbertablett sogar eine Erfrischung anbot. »Was… Was haben Sie mit mir vor?« fragte er, »sind Sie wirklich ‘ne echte Lady, Madam?« »Und das ist ein echter Butler«, bestätigte sie und deutete auf Parker. »Und Sie haben mit Sprayton zu tun?« wunderte sich Ken Wanters. »Mylady beabsichtigt, Mr. Sprayton hinter Schloß und Riegel zu bringen«, erklärte der Butler, »und falls Sie nicht kooperationsbereit sind, dürften Sie Mr. Sprayton eines Tages auf dem Hof eines Gefängnisses begegnen, Mr. 82
Wanters.« »Nehmen Sie Drogen, junger Mann?« fragte Agatha Simpson. »Natürlich nicht«, sagte Wanters etwas zu schnell, »ich bin völlig sauber, wenn Sie das meinen.« »Würden Sie meiner Wenigkeit dann erlauben, einen Blick auf Ihre entblößten Arme zu werfen?« erkundigte sich Parker. »Ausgeschlossen.« Wanters zuckte zurück. »Seit wann spritzen Sie sich Heroin?« lautete Parkers nächste Frage. Für ihn war es klar, daß der junge Mann drogenabhängig war. »Ich spritze kein… Hören Sie, ich will weg. Lassen Sie mich raus!« »Betrachten Sie sich als Myladys bevorzugter Gast«, meinte der Butler höflich, »man wird Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Nur mit Heroin wird man mit Sicherheit nicht zu dienen vermögen.« »Sie können mich hier nicht festhalten.« »Davon kann keine Rede sein, Mr. Wanters.« »Dann werde ich jetzt gehen.« Ken Wanters stand auf. »Mylady wäre untröstlich, wenn Sie schon jetzt gehen würden«, meinte der Butler. »Ich lasse Sie einfach nicht weg, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich gefährlich freundlich ein. »Sie ahnen ja nicht, was Ihre Gesellschaft mir bedeutet.« »Ich will aber weg«, trotzte Ken Wanters verzweifelt. »Wohin bringen Sie die sogenannte Ware aus den doppelten Böden der Töpferwaren?« fragte Parker und kam so auf das eigentliche Thema zurück. »Falls Sie übrigens mit Gewalt dem Ausgang zustreben, wird man Sie freundlichst daran hindern.« »Ich sage kein Wort, ich bin doch kein Selbstmörder.« Ken 83
Wanters nahm wieder Platz. Er machte plötzlich einen
ausgelaugten Eindruck. Schweiß bildete sich auf seiner
Stirn.
»Ihre diversen Freunde werden sich inzwischen längst
fragen, was Sie wohl alles ausgesagt haben könnten«,
machte Parker dem jungen Mann klar, »Ihr Leben ist bereits
in akuter Gefahr.«
»Und Sie haben mich da ‘reingeritten«, beschwerte sich Ken
Wanters ohne Nachdruck, »Sie haben mich ja fast entführt.«
»Sie sollten vielleicht an jene Menschen denken, für die Sie
die Drogen transportieren«, meinte Josuah Parker, »Mitleid
können Sie nicht erwarten.«
»Ich weiß doch überhaupt nicht, was in den Päckchen ist«,
log der junge Mann da und bequemte sich zu einem ersten
Teilgeständnis, »wir haben nur diese Dinger aus den
Tonwaren geholt und dann weggebracht.«
»Und wohin, wenn man fragen darf?«
»Lassen Sie mich raus, wenn ich’s sage?«
»Ihrem Weggang steht dann kaum noch etwas im Weg, Mr.
Wanters.« Josuah Parker nickte andeutungsweise.
»Wir haben die Päckchen zu einem Matt Haswick
geschafft«, lautete die überraschende Antwort, »der Mann
hat sein Büro in Soho.«
»Um welche Firma handelt es sich da?«
»Haswick macht in Werbegeschenken«, redete Wanters
schnell weiter und schien erleichtert, »das ist die Wahrheit,
wirklich. Ich schwöre, daß ich…«
»Mylady wünscht Ihnen eine gute Heimfahrt«, sagte
Parker, der mit dem Namen Haswick viel anzufangen
wußte.
»Sie… Sie lassen mich wirklich gehen?«
»Sie sollten möglichst nicht zu Ihren Freunden
zurückgehen, wenn dieser Rat erteilt werden darf, Mr.
84
Wanters.« »Ich weiß schon, was ich mache.« Er stand auf und eilte in den verglasten Vorflur. »Möglicherweise wartet man bereits auf Sie, Mr. Wanters und sieht in Ihnen einen Verräter. Warum vertrauen Sie sich nicht der Polizei an?« »Zum Henker mit den Bullen«, sagte Ken Wanters wegwerfend, »die kommen mir doch wieder mit ‘ner Entziehung und so. Nee, lassen Sie mich ‘raus. Ich schlag’ mich schon durch.« »Vielleicht doch noch eine letzte Frage«, schickte Josuah Parker gemessen voraus, »diese kleinen Drogenpäckchen befinden sich also in den Töpferwaren, nicht wahr?« »Ich hab’ nichts gesagt.« Wanters hob abwehrend die Hände. »Die Böden dieser Töpferwaren sind also hohl«, redete Parker weiter, »wahrscheinlich wurden sie nachträglich angeklebt.« »Aus mir bekommen Sie nichts ‘raus«, behauptete Wanters. »Sie und die anderen jungen Menschen scheinen nach Art der Ameisen zu arbeiten«, meinte der Butler, »viele Abholer, die stets kleine Mengen transportieren.« »Warum fragen Sie überhaupt noch, wenn Sie alles wissen?« ereiferte sich Ken Wanters. »Möge Ihnen ein langes Leben beschert sein«, wünschte Parker dem jungen Mann, während er ihn zur Tür begleitete, »die nächste Polizeistation ist keineswegs weit. Sie sollten dort umgehend Zuflucht suchen.« »Sie können mich mal«, lud Wanters den Butler ein, als er die Tür passierte, doch Parker ging auf dieses Angebot verständlicherweise nicht näher ein.
*
85
»Hier spricht Obelix«, sagte die undeutliche Stimme, »ich hatte Sie gewarnt, Parker, aber Sie und Ihre Lady wollen ja nicht hören.« »Sie haben nicht zufällig mit den sogenannten Römern zu tun?« erkundigte sich Parker. Er hatte den Raumverstärker eingeschaltet, damit Lady Simpson das Gespräch mitverfolgen konnte. »Mit den Römern?« Überraschung lag in der Frage. »Die sogenannten Römer wissen ihrerseits nichts mit einem gewissen Obelix anzufangen«, redete der Butler gemessen weiter, »wenn Sie erlauben, wird man daraus natürlich gewisse Schlüsse ziehen.« »Ihre Sache, Parker. Sie sind mir da draußen in Uckfield in die Quere gekommen. Noch mal werde ich das nicht erlauben.« »Sie werden sonst sicher erneut mit Ihren sogenannten Hinkelsteinen werfen, wie anzunehmen ist.« »Nehmen Sie meine Warnung nicht auf die leichte Schulter«, kam die nächste Androhung, »ich werfe nicht nur mit Hinkelsteinen.« Parker legte auf, ohne den sogenannten Obelix ausreden zu lassen. Er wandte sich zu Mylady um, die versonnen lächelte. »Asterix und Obelix«, meinte sie, »und die guten Hinkelsteine, Mr. Parker… Besorgen Sie mir bei Gelegenheit wieder mal etwas Lesestoff. Sie denken doch daran, daß ich in der kommenden Nacht nach Uckfield fahren werde?« »Die Vorbereitungen dazu sind bereits getroffen, Mylady.« »Hoffentlich hat man diese Wurfmaschine nicht weggeschafft, Mr. Parker«, sorgte sich Lady Agatha. »Selbst wenn dies der Fall sein sollte, Mylady, wird man 86
auf sie keineswegs verzichten müssen«, beruhigte Parker seine Herrin, »Mr. Horace Pickett stellt sich für die kommende Nacht mit einigen handfesten Freunden nur zu gern zur Verfügung.« »Ich müßte den guten Pickett wieder mal zum Tee einladen«, meinte Lady Agatha versonnen, »erinnern Sie mich daran, Mr. Parker.« Bevor Josuah Parker antworten konnte, war das Läuten der Türglocke zu hören. Der Butler ging durch den noch geöffneten Vorbau zur Tür, blickte durch den Spion und… riß dann sofort die Tür auf. Er konnte Ken Wanters gerade auffangen. Der junge Mann fiel schwer gegen ihn und keuchte. »Hilfe«, stöhnte er, »ich bin angeschossen worden.« »Was meine Wenigkeit bereits zur Kenntnis genommen hat«, versicherte der Butler ihm und zog den jungen Mann in den verglasten Vorbau. Dann schloß er die Tür und legte Wanters vorsichtig auf den Boden. Nach wenigen Sekunden der Untersuchung wußte Parker bereits Bescheid. »Eine Schußverletzung oberhalb des Herzens, Mylady«, meldete er, »es dürfte angebracht sein, einen Rettungswagen zu alarmieren.« »Ich hatte ihn ja gewarnt«, meinte die Detektivin grimmig, »aber er wollte ja nicht auf mich hören.« »Bis zum Eintreffen des Rettungswagens könnte und sollte man Mr. Wanters einen Notverband anlegen.« »Ich werde das übernehmen«, entschied Agatha Simpson, »ich war Pfadfinderin und bin in Erster Hilfe ausgebildet worden. Verständigen Sie die Polizei, Mr. Parker! Und dann brauche ich einen Verbandskasten.« Das Telefon läutete. Parker überhörte es, holte aus dem Wandschrank neben 87
dem Vorflur einen Verbandskasten und reichte ihn an Lady
Agatha weiter. Dann wählte er die Nummer der Polizei.
Nachdem er seinen Bericht erstattet und wieder aufgelegt
hatte, meldete sich das Telefon erneut.
»Josuah Parker«, sagte der Butler, »Sie wollen sicher in
Erfahrung bringen, wie es Mr. Wanters geht, nicht wahr?«
»Ich spreche für die Römer«, sagte eine wiederum
undeutliche Stimme, »es hat ihn erwischt, wie?«
»Mr. Wanters kann von Glück sagen«, antwortete Parker,
»er wird den Streifschuß bald überwunden haben.«
»Streifschuß? Machen Sie uns doch nichts vor, Parker.
Wanters ist voll getroffen worden.«
»Wie Sie zu meinen belieben«, gab der Butler zurück, »aber
Sie können als sicher unterstellen, daß er vor dem
Verlassen des Hauses zu interessanten Details Stellung
genommen hat.«
»Ein toter Mann redet nicht mehr.«
»Die erwähnten Tatsachen werden Sie davon überzeugen,
daß Mr. Wanters nach wie vor unter den Lebenden weilt.«
»Bluff, nichts als Bluff«, behauptete die undeutliche
Stimme, die mit dem sogenannten Obelix jedoch
keineswegs identisch war, »noch etwas, Parker: Die
Wohnung in der alten Fabrik in Whitechapel ist inzwischen
geräumt.«
»Haben Sie auch nicht vergessen, die zerbrochenen
Töpferwaren mitzunehmen?« erkundigte sich Josuah
Parker höflich.
»Töpferwaren?« fragte die undeutliche Stimme verblüfft
zurück.
»Die Souvenirs aus dem Museumspark«, erläuterte der
Butler, »die jungen Männer waren so leichtsinnig, sie in
ihrer Wohnung zu lassen.«
Auf der Gegenseite wurde aufgelegt.
88
*
»Wir erwischten Sie gerade noch«, berichtete Horace Pickett, »einige meiner Freunde sind am Ball geblieben. Sie finden bestimmt heraus, wo die Ameisen jetzt unterkriechen werden.« Horace Pickett war ein großer, schlanker Mann von ungefähr sechzig Jahren. Er hielt sich gerade, erinnerte an einen pensionierten Offizier bester Schule und trug einen Trenchcoat und einen Travellerhut, den er gerade absetzte. Pickett war früher mal Taschendieb gewesen und hatte sich als eine Art Robin Hood betrachtet. Diese Selbsteinschätzung hatte seinerzeit gute Gründe gehabt. Pickett hatte sich immer nur solche Opfer ausgesucht, von denen er als sicher unterstellen konnte, daß sie einen materiellen Verlust verschmerzen konnten. Eines Tages war Horace Pickett aber wegen seiner schnellen Hände in Lebensgefahr geraten. Er hatte sich mit einem Gangsterboß angelegt, ohne es zu wissen. Diesem Burschen hatte er wichtige Unterlagen aus dem Jackett gezupft und war daraufhin gehetzt und gejagt worden. Dank Parkers Hilfe lebte er heute noch. Seit dieser Zeit arbeitete Pickett nicht mehr in seinem ursprünglichen Metier. Nun stand er auf der richtigen Seite des Gesetzes und machte sich ein Vergnügen daraus, Mylady und Parker immer wieder seine Dienste anzubieten. Diese Dienste wurden gern in Anspruch genommen. Horace Pickett verfügte nämlich nach wie vor über ausgezeichnete Verbindungen und hatte viele Bekannte und Freunde, die sich darum rissen, ihm einen Gefallen zu erweisen. In der Szene galt Pickett als Pensionär, der vom 89
Ertrag seiner früheren Arbeiten gut lebte, doch tatsächlich verdiente er sein Geld durch Anzeigenwerbung. Darüber hinaus erhielt er von Parker regelmäßig pro Monat einen Scheck für die Mitarbeit. »Mylady läßt sich entschuldigen«, sagte Parker, »Mylady meditiert.« »Ich sah hier einen Rettungswagen«, tippte Pickett an und nickte höflich, als Parker ihm einen Sherry servierte. »Zu diesem Thema später mehr«, schlug der Butler vor, »Sie haben den Auszug der jungen Männer aus der ehemaligen Fabrik beobachtet?« »Sie sind Hals über Kopf abgehauen und haben sich in Richtung der West India Docks abgesetzt. Das war die letzte Standortmeldung, die ich bekam.« »Es dürfte wieder mal um Drogenhandel gehen«, meinte Josuah Parker. »Ein leider ewig aktuelles Thema, Mr. Parker.« »Die Groß- und Zwischenhändler scheinen sich einen neuen Vertriebsweg ausgedacht zu haben«, erklärte der Butler, »man will sich offenbar der bisherigen Beobachtung der Polizei entziehen.« Nach dieser Vorbemerkung berichtete Parker von den Ereignissen in Uckfield und erwähnte besonders die Souvenirs. »Warum haben Sie die Töpferwaren erwähnt, Mr. Parker«, wollte Horace Pickett wissen, als Parker seinen Kurzbericht beendet hatte. »Falls man sie jetzt weggeräumt haben sollte, Mr. Pickett, dürfte eindeutig feststehen, daß die Vermutung richtig war, wonach die Drogen in diesen Souvenirs in die Stadt transportiert wurden.« »Natürlich, natürlich.« Pickett lächelte entschuldigend. »Ich frage mich aber, wie die Ware nach Uckfield gebracht 90
wird.« »Sie kam ganz sicher nicht aus London«, erwiderte der Butler, »bei der Großanlieferung dürfte man die Hauptstadt ausgespart haben. Von Uckfield aus sickerte die Ware erst ein, und zwar in den erwähnten Kleinstmengen. Die Drogen dürften in einem südwestlichen Hafen angeliefert worden sein.« »Damit hat man den ganzen Transport auf den Kopf gestellt.« Pickett nickte. »Aber ab sofort wird wohl das System wieder geändert.« »Oder für ein paar Tage eingefroren«, vermutete Josuah Parker. »Man wird sich sehr große Mühe geben, Mylady und meine Wenigkeit in das sprichwörtliche Jenseits zu schicken.« »Und diese Drogengangster schießen scharf«, warnte der ehemalige Eigentumsübertrager ernst, »für sie stehen zu hohe Summen auf dem Spiel. Haben Sie bereits Mr. McWarden informiert, wenn man fragen darf?« »Er wurde selbstverständlich eingeweiht und ausreichend informiert«, gab der Butler zurück, »Eigeninteressen dürfen jetzt keine Rolle spielen.« »Und wie wollen Sie weiter vorgehen, Mr. Parker? Draußen in Uckfield ist ganz sicher kein Gramm Heroin mehr.« »Nicht im Museumspark«, pflichtete der Butler ihm bei, »aber die Ware dürfte sich in der Nähe dieser Anlage befinden. Man wird kaum das Risiko eingegangen sein, sie über eine längere Strecke zu transportieren.« »Haben Sie bereits eine bestimmte Vorstellung darüber, wo man die Drogen versteckt haben könnte?« »Überhaupt nicht«, sagte der Butler, »aber vorerst geht es nur darum, die Drogengangster ein wenig zu irritieren. Es besteht die Absicht, sie mit Steinen zu bewerfen.« »Womit, bitte?« Pickett setzte das Sherryglas ab und starrte 91
den Butler entgeistert an.
»Mit Steinen«, wiederholte Josuah Parker, »Sie sind
übrigens herzlich eingeladen, sich an dieser Aktion zu
beteiligen.«
»Verfügen Sie über mich«, lautete Picketts Antwort, »ich
weiß allerdings nicht, ob ich besonders weit werfen kann,
Mr. Parker, das habe ich noch nie probiert.«
*
Horace Pickett kam an Parkers hochbeinigen Wagen
zurück.
»Sie sind drüben in einem Keller«, berichtete er, »meine
Freunde haben alles genau mitbekommen. Vier junge
Männer in Jeans, mit Tennisschuhen und in Jacken sind
dort hineinbugsiert worden.«
»Man ließ sie wohl kaum aus den Augen, nicht wahr?«
»Drei kaltschnäuzige Begleiter sollen sie eskortiert haben.«
»Die den Keller nun wohl überwachen, Mr. Pickett. Ihre
Freunde sollen sehr vorsichtig sein.«
»Das sind sie von Natur aus«, meinte Horace Pickett, »wir
alle sind keine Helden. Sie wollen den Keller ausheben?«
»Aber selbstverständlich, mein lieber Pickett«, betonte Lady
Agatha. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums. »Ich
werde für reinen Tisch sorgen.«
»Kann man sich dem Kellereingang ungesehen nähern?«
wollte Josuah Parker wissen.
»Kaum, Mr. Parker. Die Kerle haben freie Sicht über den
Platz, der allerdings mit Gerümpel vollgestopft ist. Früher
stand dort auf dem Gelände eine Seilerei.«
»Lassen Sie sich einen hübschen Trick einfallen, Mr.
Parker«, verlangte die ältere Dame, »ich will die Gangster
überraschen. Warum bewachen sie eigentlich die jungen
92
Männer?« »Man will sie sicher für eine gewisse Zeit der Öffentlichkeit entziehen, Mylady, bis sich aus der Sicht der Gangster die Lage wieder normalisiert hat.« »Besteht die Möglichkeit, die drei Gangster vom Wagen aus zu überraschen?« wollte Parker von Horace Pickett wissen. »Sie kommen selbst mit Ihrem Wagen nicht durch den Schutt«, sagte der ehemalige Eigentumsumverteiler, »ich habe mir das alles von einem benachbarten Dach aus angesehen. Keine Chance. Sie würden stecken bleiben.« »Sie befanden sich auf einem Dach?« »Auf einem Flachdach, Mr. Parker, das zu einer Spedition gehört. Bis hinüber zum Kellerabgang sind es aber fast hundert Meter.« »Details interessieren mich nicht.« Die Stimme der Detektivin klang bereits ein wenig ungeduldig. »Gibt es hier in der Nähe spielende Kinder?« »Natürlich, Mr. Parker. Überall in den Straßen sind sie, und vor allen Dingen auf den leeren Grundstücken und dort drüben in den abbruchreifen und leeren Häusern«, erwiderte Horace Pickett. »Keine soziologischen Studien jetzt, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson streng. »Könnten Mylady sich entschließen, einen Spielwarenladen aufzusuchen?« fragte Josuah Parker seine Herrin. »Mr. Parker, ich habe jetzt andere Sorgen.« Ihre Stimme glich einem vorerst noch fernen Donnergrollen. »Mylady könnten in solch einem Geschäft sogenannte Frisbees kaufen und dann an die Kinder kostenfrei verteilen.« »Frisbees? Sind das diese Diskusscheiben aus Plastik?« Sie spitzte fast die Ohren. »Herumschwirrende Frisbees könnten die drei Gangster an 93
das Vorhandensein solcher Plastikscheiben gewöhnen, Mylady. Es würde dann kaum auffallen, wenn eine der Scheiben in der Nähe der Gangster landen sollte.« »Hauptsache, es kostet so gut wie nichts«, meinte sie, »ich werde mein Geld nicht für Spielereien vergeuden.« Nachdem Horace Pickett sich entfernt hatte, setzte Parker sein hochbeiniges Monstrum wieder in Bewegung und suchte nach einem Spielwarenladen. Es dauerte einige Zeit, bis er solch ein Geschäft gefunden hatte. Er entschuldigte sich bei der älteren Dame, verließ den Wagen und erstand im Laden zwei Dutzend Frisbee-Scheiben. Lady Agatha stöhnte entsetzt, als Parker mit den Plastikgeräten zurückkehrte. »Sie ruinieren mich und bringen mich noch an den Bettelstab«, empörte sie sich dann, »wollen Sie etwa alle Scheiben verschenken?« »Bis auf einen kleinen Rest, Mylady, in der Tat.« »Und wozu die sinnlose Verschwendung?« »Um Blutvergießen zu vermeiden, Mylady«, lautete Parkers Antwort.
*
»Das sieht ja recht hübsch aus«, meinte Agatha Simpson eine halbe Stunde später. Sie stand zusammen mit Josuah Parker auf dem Flachdach der Spedition und beobachtete die vielen Frisbee-Scheiben, die durch die Luft segelten. Der Butler hatte bis auf drei Scheiben alle Fluggeräte an Kinder verteilen lassen. Horace Pickett und dessen Freunde hatten dies übernommen und sich genau die richtigen Straßen ausgesucht. In der Nähe der ehemaligen Seilerei trudelten, segelten und torkelten die Plastik-Scheiben durch die Luft, kamen vom Kurs ab und konzentrierten sich auf 94
den ehemaligen Hof der Seilerei, der jetzt mit Schutt und Müll bedeckt war. »Die Herren Gangster dürften sich mit Sicherheit an die Existenz der Frisbee-Scheiben gewöhnen«, sagte Parker zu Lady Simpson, »dies dürfte sie ein wenig sorglos machen, sobald der Gewöhnungseffekt erst mal eingetreten ist.« »Und was mache ich mit den drei Scheiben?« fragte Lady Agatha und deutete auf Parkers Hand, die von einem schwarzen Handschuh umspannt wurde. »Wie Mylady natürlich längst wissen, sollen diese drei Scheiben als Träger eingesetzt werden.« »Was Sie nicht sagen!« Sie nickte zögernd. »Und was sollen die Scheiben tragen? Habe ich mir darüber bereits Gedanken gemacht?« »Mylady denken sicher an gewisse Plastikkapseln, die spezielle Glasampullen bergen.« »Ich werde mich überraschen lassen«, gab sie wohlwollend zurück, »und wann starten Sie nun endlich die erste Scheibe?« »Der Countdown läuft bereits, Mylady«, versicherte Josuah Parker und überprüfte noch mal die kleine Fracht, die er auf der Unterseite der Scheibe angebracht hatte. Durchsichtige Klebestreifen hielten die beiden Plastikkapseln fest. Und die Glasampullen in diesen vielfach perforierten Kapseln warteten nur darauf, sich in Splitter auflösen zu dürfen. »Die dritte Scheibe behalte ich mir vor«, sagte Agatha Simpson. »Wie Mylady wünschen.« Parker hatte zwar Bedenken, Mylady solch eine Scheibe in die Hand zu geben, doch aus Erfahrung wußte er, daß Widerspruch sinnlos war. Parker beugte sich etwas vor, holte weit aus und setzte die erste Plastik-Scheibe auf die Luft, die sofort Auftrieb 95
erhielt, ein wenig hochstieg und dann ausgesprochen elegant auf den ehemaligen Fabrikhof segelte. Sie schien abstürzen zu wollen, stieg aber erneut und segelte dann auf das abbruchreife Fabrikgebäude zu. Hier prallte die Flugscheibe gegen die Wand und stürzte dann jäh ab. »Nun, Mr. Parker, haben Sie getroffen?« wollte Lady Agatha wissen, »ich hatte nicht den Eindruck.« »Die Scheibe dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach direkt in den Kellerabgang gefallen sein«, erwiderte der Butler, »aber eine zweite Scheibe könnte keineswegs schaden.« »Jetzt werde ich Ihnen mal zeigen, wie man so etwas macht«, entgegnete die Detektivin Simpson unternehmungslustig, »passen Sie sehr genau auf!« Parker reichte ihr die zweite Scheibe, und Agatha Simpson stellte sich in Positur. Dann holte sie aus wie eine Diskuswerferin und schleuderte die Scheibe hoch in die Luft. Anschließend verfolgte sie mit ihrem Blick die ein wenig irreguläre Flugbahn. Die Frisbee-Scheibe stieg steil in die Luft und überschlug sich. Anschließend landete sie auf einem Luftpolster und segelte zielsicher an dem ehemaligen Fabrikgebäude vorüber. »Sie wird zurückkommen«, hoffte die ältere Dame, »ich habe ihr absichtlich diesen raffinierten Drall gegeben.« »Meine Wenigkeit würde einen Augenblick daran zu zweifeln wagen«, erklärte Josuah Parker und beobachtete weiter die Scheibe, die überhaupt nicht daran dachte, auf Gegenkurs zu gehen. Sie hatte die teilweise bereits abgewrackte Seilerei hinter sich gelassen und hielt jetzt zielsicher auf das Bürogebäude einer nahen Werft zu. »Erstaunlich, wie weit diese Scheiben fliegen«, kommentierte Josuah Parker die Flugbahn. 96
»Man muß diese Wurftechnik eben beherrschen, Mr. Parker«, lobte sich die Sprecherin. »Die Scheibe scheint das Bestreben zu haben, Mylady, dem Konstruktionsbüro der Werft einen Besuch abzustatten«, meinte Parker. Durch die großen, weit geöffneten Fenster waren die Zeichengeräte deutlich auszumachen, die in langer Reihe hintereinander standen. »Da stimmt doch etwas nicht«, erwiderte Agatha Simpson grollend, als die Frisbee-Scheibe wenige Augenblicke später in diesem Zeichensaal verschwand. »Mr. Parker, Sie haben die Scheibe nicht richtig ausgetrimmt, sonst hätte so etwas nie passieren können.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und schickte schnell die dritte Scheibe auf die Luftreise. Sie segelte genau zu der ehemaligen Seilerei, prallte ebenfalls gegen die Wand und torkelte dann nach unten. An den weit geöffneten Fenstern des Konstruktionsbüros aber drängten sich die Angestellten. Sie husteten nach Leibeskräften und schnappten gierig nach frischer Luft. Das bellende Husten war bis herauf zum Flachdach zu hören.
*
Die drei Gangster saßen vor einer Keller-Außentür und blickten Mylady und Butler Parker fröhlich an. »Darf man sich nach Ihrem Wohlbefinden erkundigen?« fragte Parker den Gangster, der eine Frisbee-Scheibe in der Hand hielt. Der Butler bekam keine Antwort. Der Mann kicherte dafür albern und schloß danach äußerst zufrieden die Augen. Er befand sich eindeutig in einer anderen Welt. Seinen beiden Partnern erging es kaum anders. Auch sie zeigten keine Spur von Aggressivität, sondern lächelten 97
milde, hatten die Schußwaffen vergessen, die neben ihnen auf der staubigen Betontreppe lagen, und fühlten sich schlicht wohl. Parker drückte die Außentür auf, betrat eine Art Korridor und blieb dann vor einer zweiten Kellertür stehen. Er klopfte leise an und hörte Stimmen. Der Butler brauchte nur wenige Augenblicke, bis er das schwere Vorhängeschloß dieser Tür geöffnet hatte. Danach sah er sich vier jungen Männern gegenüber, die er bereits kannte. Sie starrten ihn an, waren aber nicht in der Lage, auf ihn zu reagieren. Der Butler fand schnell heraus, daß man sie unter Drogen gesetzt hatte. Er entdeckte auf einer umgestürzten Kiste das übliche Besteck der Heroinsüchtigen. Da gab es zwei angerußte Löffel, einige Kerzen und zwei dünne Gummischläuche zum Abbinden der Adern, in die man die Droge spritzen wollte. Zwei behelfsmäßige Spritzen lagen unter einer Zeitung. »Man dürfte die vier jungen Männer absichtlich unter Rauschgift gesetzt haben, Mylady«, sagte Parker zu seiner Herrin, die nachgekommen war. »Und diese Dummköpfe haben sich das Gift nur zu gern gespritzt«, meinte Agatha Simpson, »was werde ich jetzt tun, Mr. Parker?« »Mylady denken sicher bereits daran, die Polizei zu benachrichtigen.« »Richtig«, bestätigte sie, »ich habe keine Lust und auch kein Geld, diese Dummköpfe in meinem Haus durchzufüttern. Und was geschieht mit den drei Subjekten auf dem Treppen-Abgang, Mr. Parker?« »Sie gehören samt den Waffen in die Obhut der Polizei, Mylady. Chief-Superintendent McWarden wird Mylady ungemein verpflichtet sein.« »Das möchte ich ihm aber auch geraten haben«, antwortete 98
sie, »nun gut, Mr. Parker, leiten Sie alles in die Wege.«
Parker brauchte sich nicht zu bemühen. Horace Pickett, der
plötzlich auf dem Grundstück erschien, schickte einen
seiner Freunde zur nächsten Telefonzelle. Dann schaute
Pickett sich die Gesichter der drei Gangster genauer an.
»Ich kenne diese Visagen«, sagte er schließlich, »wenn mich
nicht alles täuscht, gehören sie zur Haswick-Gang.«
»Sie sprechen von jenem Gangster, der in Soho einen
Handel mit Werbegeschenken betreibt, Mr. Pickett?«
»Genau den meine ich, Mr. Parker. Die drei Männer da sind
gefährlich!«
»Ihnen ist bekannt, daß die Gangster Haswick und Pantrell
zusammenarbeiten, Mr. Pickett?«
»Sie werfen sich gegenseitig die Bälle zu, Mr. Parker.«
»Sie werden sicher bald keine Bälle mehr besitzen«,
prophezeite der Butler, »ist das Büro dieses Matt Haswick
sehr gesichert?«
»Die Leute dort sind Schläger«, lautete Picketts Antwort,
»aber er dürfte auch das Haus diskret abgesichert haben.
Sie kennen das ja, Mr. Parker.«
»Nun, dem wird man begegnen können«, erklärte der
Butler, »Man sollte Mr. Haswick einen Höflichkeitsbesuch
abstatten.«
»Sie wollen ihn reizen, nicht wahr?« Horace Pickett
lächelte.
»Meine Wenigkeit möchte ihn dazu bringen, einige
bedeutende Fehler zu begehen«, antwortete der Butler, »ein
Gangster wie Haswick dürfte jede Herausforderung mit
Freuden annehmen.«
»Kann ich Ihnen dabei helfen, Mr. Parker?«
»Ihre Freunde könnten vielleicht die Außenwachen
markieren«, schlug der Butler vor, »aber sie sollten sich
dabei keineswegs in Gefahr begeben.«
99
»Das geht in Ordnung, Mr. Parker. Wir machen uns sofort auf den Weg.« Josuah Parker entließ den ehemaligen Eigentumsneuverteiler und begab sich zurück zu Lady Agatha, die einen sehr zufriedenen Eindruck machte. »Das hier wird die Römer auf die Palme bringen«, vermutete sie, »der eigentliche Clou steht ihnen bevor.« »Mylady denken an eine bestimmte Aktion?« »Ich denke an die Wurfmaschine«, sagte sie und lächelte boshaft, »ich werde den ganzen Museumspark zu Kleinholz machen.« »Könnten Mylady sich entschließen, vorher noch einen Gangster namens Haswick in Soho zu besuchen?« »Wer ist Haswick?« »Einer der beiden Geldgeber, Mylady, die über den Anwalt Whistler den gerade erwähnten Museumspark finanzieren.« »Wir werden sofort zu ihm fahren«, entschied sie freudig, um dann die rechte Hand zu heben, »was sind das für eigenartige Geräusche, Mr. Parker?« »Es dürfte sich um einen Kollektivhusten handeln, Mylady«, antwortete Parker, nachdem er kurz hingehört hatte, »im Werftbüro dürfte man noch immer unter der Nachwirkung jenes Reizhustens leiden, der mittels der Frisbee-Scheibe in den Zeichensaal verbracht wurde.« Agatha Simpson verzichtete auf eine Antwort. Nachdem sie Parker mit einem eisigen Blick bedacht hatte, schritt sie energisch zum ersten Streifenwagen der Polizei, der vorn am Grundstück aufgetaucht war.
*
Eine der beiden Außenwachen war ein Zeitungsverkäufer, 100
der seinen Stand in einem engen Hausflur aufgebaut hatte. Er befand sich damit dicht neben dem Eingang zu Matt Haswicks Firma. Dieser Mann sortierte gerade Kleingeld in einer flachen Blechdose. Er blieb plötzlich wie erstarrt stehen und rutschte dann über den Hocker, der ihm als Sitzplatz diente. »Treffer«, sagte Pickett, der neben Parker stand, »ich bewundere Sie immer wieder, Mr. Parker. Sie brauchen ja kaum zu zielen, wenn Sie mit der Schleuder schießen.« »Das ist das Ergebnis langjährigen Übens, Mr. Pickett«, antwortete der Butler, »Ihre Leute können sich jetzt um den Verkäufer kümmern.« »Die zweite Außenwache ist da drüben an der Straßenecke«, sagte Pickett, der wirklich ausgezeichnete Vorarbeit geleistet hatte, »sehen Sie den Krummbeinigen in der Passage?« »Durchaus, Mr. Pickett.« Parker hatte seine Gabelschleuder bereits nachgeladen. In der Lederschlaufe befand sich eine zweite Tonmurmel. Sie wartete nur darauf, ein Ziel zu bekommen. Der Butler konzentrierte sich auf den krummbeinigen Mann, der ebenfalls Zeitungen verkaufte. Dieser Mann war wachsam. Er hatte bemerkt, daß sein Partner auf der anderen Straßenseite über seinem Hocker lag. Um besser sehen zu können, bog der Krummbeinige sich weit vor und… zuckte dann wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Anschließend sackte er gegen den Betonpfeiler der Passage und nahm dann auf den Steinplatten Platz. »Viel Glück, Mr. Parker«, wünschte Pickett dem Butler, der sich anschickte, Mylady aus dem Wagen zu holen. Sie bewegte ihre majestätische Fülle energisch zum Firmeneingang und wartete ungeduldig, bis Parker die verschlossene Tür geöffnet hatte. Dazu brauchte er nur 101
wenige Augenblicke. Zu Schlössern aller Art hatte er ein ausgesprochen inniges Verhältnis. Sobald er sich mit ihnen befaßte, beeilten sie sich, jede Sperre zu öffnen. Das kleine Spezialbesteck, das Parker dabei benutzte, schien fast nur Zierrat zu sein. Parker übernahm die Führung und erreichte eine halb geöffnete Tür, aus der dichter Tabakrauch drang. Zwei Angestellte Matt Haswicks langweilten sich vor einem eingeschalteten Fernsehgerät und hörten überhaupt nicht, daß Kundschaft wartete. Parker stellte sich mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms kurz und knapp vor. Daraufhin knieten die beiden Männer vor dem Gerät nieder und fielen übereinander. Parker öffnete eine Verbindungstür, auf der Matt Haswicks Name stand. Lady Agatha rauschte schwungvoll in das Privatbüro des Gangsters, der gerade telefonierte und die ältere Dame entgeistert musterte. Erst mit einiger Verspätung legte Haswick dann auf. »Man wünscht einen halbwegs schönen Tag«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Mylady erlaubt Ihnen, einige Fragen zu beantworten.« »Verdammt, wer sind Sie? Wie sind Sie ‘reingekommen?« Matt Haswick, etwa vierzig Jahre alt, schwammig, ungesund aussehend, hatte einen krebsroten Kopf bekommen. »Lady Simpson«, stellte der Butler vor, »mein Name ist Josuah Parker. Anwalt Gordon Whistler war so entgegenkommend, Ihren Namen als Geldgeber in Sachen Museumspark zu nennen.« »Lady Simpson… Butler Parker.« Haswick zerdehnte die beiden Namen und nahm wieder Platz. »Sie wissen also, wer ich bin, junger Mann«, schloß die 102
Detektivin daraus, »ich werde Ihnen das Handwerk legen, wie Sie inzwischen wohl begriffen haben, oder?« »Welches Handwerk?« fragte Haswick und leckte sich die Lippen. »Mylady ist eine entschiedene Gegnerin des Drogenhandels«, schickte der Butler voraus, »Mylady weiß, daß Mr. Leo Pantrell und Sie sich eine neue Form des Drogen-Transportes haben einfallen lassen, das nach dem Prinzip der fleißigen Ameisen aufgezogen wurde.« »Sind Sie wahnsinnig?« brauste Matt Haswick auf. »Für diese Verleumdung bringe ich Sie vor Gericht.« »Ihre drei Mitarbeiter draußen bei den West India Docks haben bereits notgedrungen kapitulieren müssen«, redete der Butler weiter, »und jene vier jungen Ameisen, um bei diesem Vergleich zu bleiben, stehen jetzt zusammen mit Ken Wanters der Polizei zur Verfügung. Damit dürften die sogenannten Römer, wie Sie und Ihre Kumpane sich wohl bezeichnen, bereits auf der Verliererstraße sein.« »Sie sind doch verrückt«, behauptete Matt Haswick. »Meinen Sie etwa auch mich?« erkundigte sich die ältere Dame. »Natürlich«, gab Matt Haswick zurück und ahnte nicht, was er sich damit einbrockte.
*
»Sie ohrfeigten ihn, Mylady?« fragte Mike Rander amüsiert. Er und Kathy Porter hatten sich im Haus in Shepherd’s Market eingefunden. Parker servierte einen Imbiß, Tee und für Mylady einen Kreislaufbeschleuniger, nämlich alten Kognak. »Das auch, mein Junge«, sagte Lady Agatha, »aber ich mußte ihm auch noch gegen das Schienbein treten. Dieser 103
Lümmel wollte mich attackieren.« »Mylady erstickte jeden Angriff im Ansatz«, fügte der Butler hinzu, »als man Mr. Matt Haswick verließ, glich er einem zumindest seelisch gebrochenen Mann.« »Gehören er und dieser Leo Pantrell zu den Römern?« fragte Kathy Porter. »Daran dürfte kaum ein Zweifel bestehen, Miß Porter«, erwiderte der Butler, »Mr. Haswicks Einlassungen zu diesem Thema waren eindeutig.« »Für mich ist dieser Fall so gut wie erledigt«, stellte die Detektivin fest, »ich brauche jetzt nur noch die Ware zu finden und sie McWarden zuzuspielen.« »Bleibt dann immer noch dieser sogenannte Obelix«, erwähnte Mike Rander, »dabei scheint es sich um eine andere Gangstergruppe zu handeln, wie?« »Dies sollte man vorerst weiter unterseilen, Sir«, pflichtete der Butler ihm bei, »vorerst aber kann man davon ausgehen, daß die sogenannten Römer völlig verunsichert wurden.« »Wir bringen auch Informationen, die sich gewaschen haben«, sagte der Anwalt und nickte Kathy Porter zu, »wir haben uns mit Professor Copals befaßt.« »Es gibt da sehr interessante Aspekte«, meinte Kathy Porter, »Copals ist Fachgelehrter von Rang, daran besteht kein Zweifel, aber sein Privatleben ist ziemlich chaotisch.« »Nur weiter, Kindchen«, drängte die ältere Dame, »ich kann mir vorstellen, daß er hoch verschuldet ist und einen Goldschatz dringend braucht, nicht wahr?« »Nein, Mylady, er ist keineswegs verschuldet«, widersprach Kathy Porter lächelnd, »aber er unterhält da einige Beziehungen zu seinen Studentinnen, die sehr intim sind.« »Copals ist ein bekannter Schürzenjäger«, schaltete Mike 104
Rander sich ein und lachte, »traut man diesem Knaben eigentlich gar nicht zu, aber es ist so. Er muß eine mächtige Ausstrahlung haben.« »Seine jüngste Eroberung ist eine gewisse Susan Strings«, berichtete nun Kathy Porter weiter, »sie ist oder war die Freundin von Norman Blakers.« »Wer ist denn das schon wieder?« räsonierte die Detektivin. »Einer der beiden Assistenten von Copals«, erklärte Mike Rander, »Sie haben ihn ja draußen an der Grabungsstätte kennengelernt.« »Richtig, dieser junge Mann mit den roten Haaren…« Sie nickte. »Nein, Mylady, das ist der zweite Assistent. Er heißt Peter Ronners. Aber auch hinter dessen Freundin ist Copals her.« »Was für ein Ungeheuer«, entrüstete sich Agatha Simpson, »nutzt er seine Stellung als Professor etwa aus?« »Das könnte durchaus sein, Mylady«, gab Kathy Porter zurück, »wie gesagt, als Fachgelehrter ist Copals unumstritten, doch als Mensch wirkt er ziemlich angreifbar. Dennoch, bei seinen Studenten ist er beliebt.« »Gab es je das, was man gemeinhin Eifersüchteleien zu nennen pflegt?« wollte Josuah Parker wissen. »Darauf komme ich jetzt, Mr. Parker«, entgegnete Kathy Porter, »es gab einen harten Auftritt zwischen Copals und Peter Ronners. Der liegt jetzt gut einen Monat zurück. Es soll sogar zu einer kleinen Prügelei gekommen sein.« »Was hat das alles mit meinem Fall zu tun, Kindchen?« fragte die ältere Dame irritiert. »Es geht um das gesamte Umfeld dieses Falls«, meinte der Anwalt, »wir hatten ja vereinbart, daß wir uns um Professor Copals kümmern wollten.« »Nun gut«, sagte Agatha Simpson, »man darf natürlich 105
nichts übersehen. Aber dieser Professor dürfte mit den Drogen doch wohl nichts zu tun haben, oder?« »Wie hat das alles draußen an der Grabungsstätte begonnen?« fragte Mike Rander. »War es nicht so, daß man einen Speer auf Sie abfeuerte, Mylady?« »Eindeutig«, gab sie sofort zurück, »man wollte mich ermorden. Dieser Speer verfehlte mich nur um Haaresbreite.« »Er konnte aber auch Professor Copals gegolten haben, Mylady«, warf Josuah Parker ein. »Schnickschnack, Mr. Parker«, widersprach die passionierte Detektivin sofort grollend, »warum hätte man den Professor aufspießen sollen?« »Zum Beispiel aus Eifersucht, Mylady«, antwortete Kathy Porter.
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Es war dunkel geworden. Mylady und Kathy Porter saßen im Fond des hochbeinigen Monstrums, das von Butler Parker gelenkt wurde. Neben ihm hatte Mike Rander Platz genommen. Sie hatten die Außenbezirke von Groß-London bereits hinter sich gelassen und befanden sich auf dem flachen Land. »Ist unser guter Pickett verständigt worden?« fragte Agatha Simpson. »Er und seine Freunde sind schon seit zwei Stunden unterwegs, Mylady«, beantwortete Parker die Frage, »meiner bescheidenen Schätzung nach müßten sie das Terrain bereits erreicht und sondiert haben.« »Was sagte denn McWarden nach der Anlieferung der Gangster?« fragte der Anwalt. 106
»Der Chief-Superintendent, Sir, hätte am liebsten noch die Herren Pantrell und Haswick festgenommen«, meinte Parker, »aber er beugte sich schließlich Myladys Argumenten.« »Diese beiden Lümmel sollen glauben, daß ich die Polizei nicht eingeschaltet habe«, meinte Lady Agatha, »nur so werden sie sich noch mal hervorwagen.« »Mylady haben die Absicht, die mit Sicherheit versteckte Ware aufzuspüren«, meinte Parker, »dazu brauchen Mylady eben die Mitarbeit der beiden Römer, um die Herren Pantrell und Haswick mal so zu bezeichnen.« »Und wer ist Obelix?« warf Kathy Porter ein, »er ist für uns noch eine unbekannte Größe, nicht wahr?« »Dem ist leider beizupflichten, Miß Porter«, gab Parker zurück, »eines aber dürfte erwiesen sein: dieser Obelix sollte mit den Römern nichts zu tun haben.« »Er muß aber in etwa von den Aktivitäten der Leute wissen«, gab Parker zu bedenken, »er verwies mehrfach auf den Museumspark.« »Und zwar nachdrücklich«, fügte Mike Rander hinzu, »fast sah das nach einer gezielten Ablenkung aus, oder?« »Falls Sie erlauben, Sir, möchte man sich Ihrer Betrachtungsweise anschließen.« »Erlaubt, Parker, erlaubt.« Rander lächelte. »Für mich bleibt die Frage, ob der Speer Mylady galt oder dem Professor. Falls der Professor umgebracht werden sollte, muß einer seiner Studenten dahinterstecken.« »Unsinn, mein Junge, ich sollte umgebracht werden«, ließ die ältere Dame nicht locker. »Mylady nahmen Phil Simons erst nach diesem Attentat zur Kenntnis«, erinnerte Parker. »Wer ist Phil Simons?« fragte sie unwirsch. »Einer der römischen Legionäre, der aus dem Inkasso 107
Gewerbe stammt«, erläuterte Parker, »er arbeitet unter Mr. Dan Sprayton in der gemieteten Kantine des Museumsparks.« »Sie sehen den Wald wieder mal nicht vor lauter Bäume«, spottete die Detektivin, »warum komplizieren Sie alles unnötig, Mr. Parker? Ich kam zur Ausgrabungsstätte, wurde gesehen und erkannt. Und schon glaubten diese Römer, ich wäre hinter ihnen her. Also wollten Sie mich möglichst schnell umbringen. So einfach ist das alles. Sie werden bald sehen, wie richtig meine Theorie wieder mal ist.« Nein, sie wollte es sich nicht ausreden lassen. Mylady verbat sich jede andere Deutung des Vorfalls und war schließlich froh, als man das Ziel der Fahrt erreichte. Horace Pickett stand neben einem Ford, der am Straßenrand parkte. »Nun, Pickett, wie ist die allgemeine Lage?« fragte Mike Rander burschikos-salopp. »Die Studenten sind drüben im Dorf«, berichtete der ehemalige Eigentumsumverteiler, »wir haben zwei Wurfmaschinen herausbringen können. Sie stehen in einer Mulde hinter Sträuchern und sind geladen. Unheimlich, diese Apparate! So etwas habe ich noch nie gesehen.« »Und was tut sich im Museumspark, wenn man fragen darf?« wollte Josuah Parker wissen. »Das Tor ist geschlossen«, sagte Pickett, »die letzten Besucher sind vor etwa einer Stunde weggefahren.« »Dann werde ich mit der Belagerung beginnen«, sagte die energische Dame unternehmungslustig, »meine Herren, folgen Sie mir! Ich werde den Römern jetzt die Flötentöne beibringen!«
*
108
Der elastische Wurfbalken, der wie ein riesiger Löffel geformt war, knirschte und ächzte, als Picketts Freunde die beiden Hebel bewegten. Starke Seile zogen den Löffelstiel immer weiter nach unten. In der Löffelmulde befand sich ein mächtiger Stein, der für zusätzliches Gewicht sorgte. »Nur keine Müdigkeit, meine Herren«, kommandierte Agatha Simpson lustvoll, »nach der Belagerung werde ich wahrscheinlich Freibier spendieren.« Sie mühten sich redlich ab. Je zwei Männer an den beiden Spindeln rackerten sich ab, bis der Wurfbalken endlich seine Ausgangsstellung erreichte. »Was Sie da machen, ist eigentlich verdammt gefährlich«, flüsterte Pickett dem Butler zu. »Die Steinbrocken werden wie Bomben einschlagen.« »Mr. Rander wird telefonisch zur genau vereinbarten Zeit eine Warnung an die Insassen des Parks ergehen lassen«, beruhigte Parker seinen Gesprächspartner. »Deshalb also ist er weggefahren.« Pickett war beruhigt. »Wie müssen die Wurfmaschinen damals gewirkt haben?!« »Sie revolutionierten wahrscheinlich die damalige Kriegführung«, vermutete der Butler, »und sie forderten wahrscheinlich noch gefährlichere Gegenmaßnahmen heraus.« »Nun, Mr. Parker?« Lady Agatha deutete auf die beiden mächtigen Wurfmaschinen, »das wird diesen Römern eine Lehre sein, denke ich.« »Die Herren Pantrell und Haswick werden Ihre Geldeinlage abschreiben müssen«, gab Parker zurück. Er hatte seine altmodische, zwiebelförmige Taschenuhr hervorgeholt und blickte auf das Zifferblatt, »Mylady sollten sich noch etwa eine Minute gedulden.« »Ich selbst werde den ersten Schuß auslösen«, sagte sie, 109
»das werde ich mir nicht nehmen lassen.«
»Zumal Mylady bereits einschlägige Erfahrung besitzen«,
fügte Josuah Parker hinzu.
»Sollte das eine Anspielung sein, Mr. Parker?«
»Es handelt sich nur um den Ausdruck tiefer Hochachtung,
Mylady.«
»Sie haben schon mal eine solche Maschine bedient?«
staunte Pickett.
»Mylady zerlegt bereits mit einem Schuß eine Baracke«,
erklärte der Butler.
»Keine Einzelheiten, Mr. Parker«, sagte sie streng, »ist es
endlich soweit?«
»Mylady zerlegte bereits mit einem Wurf zu tätigen.«
Parker deutete auf eine der beiden Maschinen. Die ältere
Dame warf sich in Positur und ging auf das mächtige
Wurfgerät zu. Sie beugte sich vor, ließ sich von einem der
Pickett-Freunde eine kleine Axt geben und durchtrennte
das Spannseil mit einem kräftigen, diesmal aber
zielsicheren Schlag.
Der löffelartige Wurfbalken schnellte vor und knallte gegen
den Begrenzungsbalken. Der mächtige Steinbrocken löste
sich aus der Löffelmulde und segelte Richtung
Museumspark. Dabei verursachte er ein unheimliches
Gurgeln und Rauschen.
»Das hörte sich durchaus nach einem Treffer an, Mylady«,
sagte Josuah Parker, als splitterndes Krachen durch die
Dunkelheit drang.
»Das war ein Treffer, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame,
»so, und jetzt werde ich den zweiten Stein werfen. Mr.
Pickett, laden Sie die erste Wurfmaschine nach. Wir wollen
nicht unnötig sparsam sein.«
Es war ihr eine Wonne, auch den zweiten Schuß zu lösen.
Erneut gurgelte und rauschte es durch die Nacht. Sekunden
110
später war erneut das Krachen von splitterndem Holz zu vernehmen. »Die nächsten Schüsse könnte Mr. Pickett abfeuern«, schlug Parker vor, »Mylady können sich von der Wirkung der Geschosse oben vom Hügel aus überzeugen.« Sie war einverstanden, stieg in Parkers Wagen und ließ sich in schneller Fahrt auf den nahen Hügel bringen. Dort stieg sie aus und griff nach dem Nachtglas, das Parker ihr reichte. »Wunderbar«, jubelte sie ausgelassen, »so hatte ich mir das vorgestellt, Mr. Parker. Das Atriumhaus ist wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen.« »An Myladys Treffsicherheit bestand zu keiner Zeit auch nur der geringste Zweifel«, versicherte Parker ihr. »Auch einer der Lagerschuppen ist zerschlagen«, berichtete sie munter weiter, »und dort drüben am hinteren Tor sehe ich einige Personen, die die Flucht ergreifen. Ich glaube, sie benutzen einen Jeep.« »Die Herren Phil Simons und Dan Sprayton«, mutmaßte Josuah Parker, »falls Mylady einverstanden sind, könnte man sie vielleicht noch ein wenig irritieren.« »Einen Moment noch, Mr. Parker. Da kommt der dritte Stein!« Das Mondlicht reichte völlig, um hinter den Palisaden Einzelheiten erkennen zu lassen. Der dritte Stein wuchtete sich gerade in die Reste des Atriumhauses und ließ Balken und Bretter durch die Luft wirbeln. Danach erschien das vierte Geschoß, das etwas aus der Richtung geraten war. Es donnerte kraftvoll gegen die hintere Palisade und riß sie scheunentorweit auf. Auch dabei wirbelten wieder Balken und Holzstämme durch die Gegend. »Eine schöne Nacht«, urteilte die ältere Dame, als sie in Parkers Wagen stieg, »ich glaube, Mr. Parker, daß ich mit mir sehr zufrieden sein kann.« 111
»Man kann und muß Mylady auf der ganzen Linie gratulieren«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art.
*
Sie standen fluchend neben dem Jeep und blickten auf die beiden Vorderreifen, die ohne Luft waren. Dabei entdeckten sie auf der geschotterten, schmalen Straße einige Krähenfüße. Das waren nadelspitze, dünne Metallstifte, kreuzweise miteinander verschweißt. Wie immer sie auch auf der Straße lagen, wenigstens ein Stift ragte senkrecht nach oben und wartete nur darauf, sich in einen Autoreifen zu bohren. »Das ist doch kein Zufall«, meinte Phil Simons, »so was liegt doch nicht einfach in der Gegend ‘rum.« »Parker«, stieß Dan Sprayton hervor, »Parker…« Simons und Sprayton waren allein, blickten sich um und wurden sehr nervös. »Laß uns abhauen«, sagte Simons, »ich hab’ ohnehin die Nase voll.« »Nichts wie weg«, erwiderte Sprayton und fuhr dann wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Er beugte sich ein wenig vor, faßte im Zeitlupentempo nach seinem Gesäß und stöhnte erstickt. »Was is’ denn?« erkundigte sich Simons. »Ein Pfee… Ein Pfeil«, flüsterte Sprayton. »Ein was?« Simons wurde ungeduldig. »Nun komm’ endlich.« »Ein Pfeil! In meinem Hintern!« »Bist du verrückt?« »Ich fühl’ ihn doch… Ein Pfeil!« »Laß mal sehen.« Simons trat hinter Sprayton, fühlte nach und richtete sich dann blitzschnell auf. 112
»Ein Pfeil«, wiederholte er in lakonischer Kürze. »Das sag’ ich doch die ganze Zeit, du Idiot.« Während Sprayton das sagte, überwand er sich und zog den Pfeil aus seiner Gesäßbacke. Dann hielt er ihn in das Licht eines der Scheinwerfer des Jeeps und verzog angewidert das Gesicht. »Sieht nach ‘nem Giftpfeil aus«, sagte Simons fachmännisch, »spürst du schon was?« »Bist du bescheuert?« regte Sprayton sich auf. »Wer kann ihn abgeschossen haben?« Simons antwortete nicht. Er hatte sich in eine Salzsäule verwandelt und rührte sich nicht. »Ich hab’ dich was gefragt«, brüllte Sprayton seinen Vertrauten an. »Ein Pfeil«, flüsterte Simons. »Ja, ich weiß«, schrie Sprayton weiter, »los, ‘rein in den Wagen. Ich muß zu ‘nem Arzt.« »Ein Pfeil«, flüsterte Simons noch leiser und faßte nach seinem Gesäß. Dann zog er etwas aus dem Fleisch und brüllte. »Nichts wie weg«, sagte Sprayton. »Ein Pfeil«, stöhnte Simons und präsentierte endlich seinen eigenen Pfeil. Er war ebenfalls kaum länger und dicker als eine normale Stricknadel und hatte oben am Schaft einige bunte Federn zur Stabilisation für die Flugphase. »Parker«, sagte Simons dann entsetzt. »In der Tat, meine Herren«, war genau in diesem Augenblick die Stimme des Butlers zu vernehmen, »falls Sie darauf bestehen, werden die nächsten Pfeile selbstverständlich vergiftet sein. Sie brauchen dies nur zu wünschen.« »Wo stecken Sie?« brüllte Sprayton aufgebracht. »Ich mach’ dich fertig«, schwor Simons lauthals und riß seine Schußwaffe aus der Schulterhalfter. Dann aber warf er sie weg und weinte bitterlich. Ein zweiter Pfeil hatte ihn 113
getroffen. Er hatte sich in den Oberarm der bewaffneten Hand gebohrt. »Aufhören, aufhören«, stieß er entsetzt hervor, »wir stecken auf, Parker!« »Eine Entscheidung, die man nur als klug bezeichnen kann«, antwortete der Butler aus der Dunkelheit, »würden Sie sich freundlicherweise der anderen Waffen auch noch entledigen?« Sie kamen seinem Wunsch sofort nach. Zwei weitere Revolver und eine Maschinenpistole landeten auf der nahen Wiese. Danach legten die beiden Gangster sich bäuchlings ins taufeuchte Gras und hörten angstvoll auf leise Schritte, die sich ihnen näherten. »Damit dürfte Ihr Spiel aus sein, meine Herren«, war Parkers Stimme aus nächster Nähe zu vernehmen, »die Römer brauchen jetzt nur noch ihre Ware auszuliefern.« »Und zwar ein bißchen plötzlich«, schaltete Myladys Stimme sich ein, »ich lasse mir sonst nämlich etwas einfallen.« »Und davor, meine Herren, kann man Sie nur eindringlich warnen«, erklärte Josuah Parker, »Mylady wird alles tun, um diesen Fall noch vor Tagesanbruch abzuschließen.«
*
»Leo Pantrell und Matt Haswick sitzen inzwischen«, berichtete Chief-Superintendent McWarden, der zur Grabungsstätte gekommen war. Seine Stimme klang sehr zufrieden, »sie haben bereits gestanden, die sogenannten Römer zu sein, aber von Drogen wissen Sie angeblich nichts. Sie meinen, so etwas müßte man ihnen erst mal beweisen.« »Die beiden Herren dürften auf die Verschwiegenheit Ihrer Mitarbeiter Simons und Sprayton setzen«, vermutete der 114
Butler in seiner höflichen Art.»Und wo stecken die beiden Gangster?« »Im Fond meines Privatwagens«, beantwortete Parker die Frage. »Ausbruchsicher«, kommentierte der ChiefSuperintendent, der einige Geheimnisse des hochbeinigen Monstrums kannte. Für den Fond des Wagens, dessen Scheiben schußsicher waren, gab es eine besondere Zentralverriegelung. Wer auf den Rückpolstern saß, kam ohne Parkers Erlaubnis nicht wieder hinaus. »Ich werde die beiden Subjekte gleich verhören«, meinte Lady Agatha freudig, »nach ein paar Ohrfeigen werden sie schon Farbe bekennen.« »Sie glauben wirklich, daß die Ware hier draußen irgendwo versteckt wurde?« fragte McWarden den Butler. »Aus zwingenden Gründen, Sir. Man konnte nicht das Risiko eingehen, sie an die Küste zurückzuschaffen.« »Okay, das leuchtet mir ein, Parker, aber wie wollen Sie Simons und Sprayton zu einem Geständnis zwingen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich körperliche Gewalt ablehne.« »Man könnte einen der beiden Herren vielleicht zu einer kurzen, aber sehr intensiven Flugreise animieren.« »Was stelle ich mir denn darunter vor?« fragte McWarden. »Mylady wurde mit dieser Wurfmaschine beschossen«, erinnerte der Butler, »dafür sind die Herren Simons und Sprayton verantwortlich. Vielleicht will einer der Herren herausfinden, wie solch eine Flugreise sich aus nächster Nähe erlebt?« »Ich glaube, ich werde mir mal die Ausgrabung ansehen«, antwortete der Chief-Superintendent, »Übringes, beinahe hätte ich vergessen, das zu sagen, Parker, sowohl Haswick als auch Pantrell streiten ab, daß man versucht habe, 115
Mylady mit einem Speer umzubringen.«
»Diese Aussage erhielt man auch von den Herren Simons
und Sprayton«, erklärte der Butler, »und in diesem
Zusammenhang sollte man durchaus noch mal an die
Existenz einer Person erinnern, die sich Obelix nennt.«
»Diese Subjekte lügen doch alle«, schaltete die ältere Dame
sich ein und blickte McWarden auffordernd an, »wollten
Sie sich nicht die Grabungsstätte ansehen?«
»Ich bin schon weg«, meinte McWarden, schmunzelte und
verließ das hochbeinige Monstrum, das neben einer der
Wurfmaschinen stand. Der Wurfbalken stand schon unter
Spannung. Pickett und seine Freunde hatten dafür gesorgt.
»Was ist denn?« fragte Sprayton nervös und zeigte sein
Pferdegebiß, als der Butler die hintere Wagentür öffnete.
»Mylady haben Sie für eine Flugreise vorgesehen«,
antwortete der Butler gemessen und höflich.
»Eine Flugreise?« Sprayton schluckte.
»Die Wurfmaschine wird Ihnen dazu verhelfen«, redete
Parker weiter, »Mylady wünscht herauszufinden, ob Sie
dort das Farmhaus im Hintergrund erreichen werden. Es
handelt sich nur um ein Experiment.«
»Das ist doch Wahnsinn«, stöhnte Sprayton.
»Aber es hat durchaus Methode«, redete Parker weiter, »Sie
dürfen Ihre Waffe mitnehmen. Man denkt an die
Maschinenpistole und an eine Faustfeuerwaffe.«
»Ich… ich spiele da nicht mit, Parker. Das ist Mord!«
»Sie wollten schließlich Mylady aufspießen.«
»Damit haben wir alle nichts zu tun, Parker. Verdammt,
wie oft soll ich denn noch sagen, daß wir Ihnen aus dem
Weg gehen wollten. Wir wollten einfach wegtauchen.«
»Und wer warf die Sprengstoffladung auf die Zisterne?«
»Okay, das waren wir, aber inzwischen hatten die Lady
und Sie ja schon losgelegt, da mußten wir uns einfach
116
wehren.« »Und auch von einem Obelix wollen Sie nach wie vor nichts wissen?« »Wir haben uns doch die Römer genannt, das ist bereits alles, Mann, glauben Sie mir doch endlich! Einen Obelix kennen wir nicht…« »Würden Sie freundlicherweise im Löffel Platz nehmen, sobald man Ihnen die Maschinenpistole umgehängt hat?« »Sie wollen mich wirklich losschleudern?« Er sah Parker entsetzt an. »Sie können Mylady und meine Wenigkeit natürlich ablenken«, meinte der Butler gemessen, »und eine Ablenkung wäre, wenn man sich mit dem Versteck der Ware befassen müßte. Fassen Sie diesen Hinweis aber keineswegs als Pression auf, Mr. Sprayton, meine Wenigkeit würde dies ungemein bedauern.« Es dauerte nur wenige Minuten, bis der strampelnde Sprayton im Wurflöffel saß. Parker nahm ein Messer in die Hand und blickte den Gangster freundlich an. »Man erlaubt sich, Ihnen eine gute Reise zu wünschen«, sagte er, »während des Fluges wird Ihnen mit Sicherheit kaum etwas passieren, nur die Landung könnte allerdings ein wenig problematisch werden.«
*
»Er hat überraschend freiwillig gestanden«, sagte ChiefSuperintendent McWarden eine Viertelstunde später, »wir lassen die Ware gerade holen, Mylady.« »Und wo hat man sie versteckt?« fragte sie leicht gereizt und machte einen verstimmten Eindruck. »Die Drogen stecken in einer Erdhöhle unten am Flüßchen«, sagte McWarden, der die ältere Dame 117
aufmerksam beobachtete, »ist etwas, Mylady?«
»Immer diese Rücksichtnahme«, beschwerte sie sich, »ich
hatte mich schon so darauf gefreut, dieses Subjekt durch
die Luft zu katapultieren.«
»Sie hätten es wirklich getan, Mylady?«
»Aber selbstverständlich«, sagte sie nachdrücklich,
»schließlich hat man versucht, mich mit dem Speer zu
attackieren.«
»Die Gangster streiten das einhellig ab, Mylady.«
»Wer sonst sollte es denn versucht haben?«
»Dieser Obelix, Mylady«, erwiderte McWarden, »Parker ist
wenigstens dieser Auffassung.«
»Er ist natürlich wieder mal auf der falschen Spur«,
erwiderte sie herablassend, »er ist drüben bei diesem
Professor und bei den Studenten. Was will er denn dort
finden?«
»Vielleicht diesen Obelix, Mylady.«
»Unsinn, den gibt es doch nicht, das war eine Erfindung
der Gangster. Aber auf mich will man ja wieder mal nicht
hören.«
Während der Unterhaltung erreichten McWarden und
Agatha Simpson den Professor, der sich mit Parker
unterhielt. Copals räusperte sich ein wenig betreten, als er
die ältere Dame erblickte.
»Reden Sie nur weiter, mein lieber Professor«, sagte sie,
»ich kenne Ihr ausschweifendes Liebesleben.«
Copals bekam einen roten Kopf und blickte zu Boden.
»Sie treiben es so toll wie die alten Römer es getrieben
haben sollen, mein Bester«, stichelte die Lady.
»Und darum sollte Professor Copals auch gespeert
werden«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Mr. Copals
erhielt in jüngster Vergangenheit bereits einige Drohungen
dieser und ähnlicher Art.«
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»Von einem Obelix«, bestätigte der Archäologe, »aber
darunter kann ich mir natürlich nichts vorstellen.«
»Sie hegen einen Verdacht, wer diese Drohungen gemacht
haben könnte?« forschte Butler Parker nach.
»Keine Ahnung«, schwindelte Copals und blickte wieder
zu Boden.
»Könnte es eventuell Mr. Peter Ronners gewesen sein?«
tippte der Butler an.
»Schon möglich, aber…«
»Oder vielleicht Ihr anderer Assistent, Mr. Norman
Blakers?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, gab Copals zurück.
»Die Freundinnen beider junger Männer waren Ihnen
zugetan, um es mal so auszudrücken, nicht wahr?«
»Es ergab sich so, aber das alles war mehr als harmlos.«
»Was aber zu gewissen Mißverständnissen geführt haben
könnte.«
»Ich bin einfach überfragt und ratlos«, behauptete Copals,
»und ich möchte dieses Thema nicht weiter vertiefen,
verstehen Sie?«
»Auf Sie ist immerhin der Speer abgefeuert worden, der
unbedingt tödlich gewesen wäre«, meinte nun Chief-
Superintendent McWarden eindringlich, »wir haben es mit
einem potentiellen Mörder zu tun, Professor, der einen
zweiten Versuch riskieren könnte.«
»Ich glaube nicht, daß er einen zweiten Versuch
unternimmt«, erklärte Copals, »hören Sie, ich habe keine
Anzeige erstattet, nicht wahr? Lassen wir doch die Sache
auf sich beruhen.«
»Dieser sogenannte Obelix bemühte sich, Myladys
Aufmerksamkeit auf die Gangster im Museumspark
hinzulenken«, schickte der Butler voraus, »er muß
zumindest einen von ihnen also erkannt haben.«
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»Wie auch immer, Mr. Parker, ziehen Sie einen Schlußstrich«, bat Professor Copals, »warum wollen Sie unter Umständen einen Menschen hinter Gitter bringen, der im Grunde völlig harmlos ist?« »Myladys Leben wurde ebenfalls durch den Speer bedroht«, erinnerte Parker. »Unsinn«, sagte sie, »ich hätte mich schon rechtzeitig zur Seite bewegt, Mr. Parker. Genaugenommen ahnte ich ja instinktiv, daß dieser Wurfspeer kommen würde.« »Ich ahnte es«, spöttelte McWarden vorsichtig. »Ich ahnte, daß Sie das so und nicht anders beurteilen, Mylady.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, möchte meine Wenigkeit noch einige Worte mit den beiden Assistenten wechseln«, sagte Parker, lüftete die schwarze Melone und ging zu Norman Blakers und Peter Ronners hinüber, die ihn erwartungsvoll anschauten. »Meine Wenigkeit möchte sich kurz fassen«, begann Parker, »einer von Ihnen, meine Herren, ist der sogenannte Obelix. Nein, Sie sollten möglichst keine Erklärung abgeben. Einer von Ihnen muß in einer Art Kurzschlußhandlung falsch reagiert haben, einer von Ihnen muß aber auch einen der Gangster dort drüben im Museumspark gekannt haben.« »Wieso denn das, Mr. Parker?« fragte Ronners. »Einer von Ihnen verwies mehrmals auf den Museumspark, sicher eine Art Ablenkung. Sie gingen davon aus, daß man sich mit diesen Drogen-Gangstern beschäftigen und Obelix darüber vergessen würde.« »Muß einer von uns wirklich einen der Gangster gekannt haben?« fragte jetzt Norman Blakers. »Gibt es eine andere Erklärung?« »Dieser Obelix könnte ja auch beobachtet haben, daß Drogensüchtige mehrmals dort drüben auftauchten und 120
sich Stoff holten.« »Das wäre natürlich eine plausible Erklärung.« Parker nickte andeutungsweise. »Werden der Professor oder die Lady Strafanzeige stellen, was den Speer betrifft?« wollte Peter Ronners wissen. »Man ist nicht an einer Strafverfolgung interessiert, falls weitere Speerwürfe unterbleiben.« »Ich glaube kaum, daß noch ein Speer geschleudert wird«, sagte Peter Ronners. »Ich denke auch so«, fügte Norman Blakers hinzu, »Obelix dürfte inzwischen vernünftig geworden sein.« »Eine Erkenntnis, Mr. Blakers, zu der man Ihnen nur gratulieren kann«, erwiderte der Butler höflich, »falls Sie bei irgendeiner Gelegenheit Ihre Stimme noch mal verstellen sollten, müssen Sie das Taschentuch über der Sprechmuschel doppelt falten. Und denken Sie daran, daß Sie andeutungsweise lispeln, wie meine Wenigkeit gerade wieder heraushörte. Nun, meine Wenigkeit wünscht Ihnen noch eine heitere Zukunft.« Parker lüftete die schwarze Melone und schritt zurück zu Lady Simpson und Chief-Superintendent McWarden, die sich mit Professor Copals angeregt unterhielten. »Was hat’s gegeben?« fragte McWarden. »Mylady haben den Fall wieder mal gelöst«, sagte Josuah Parker gemessen und höflich, »aber dies war mit Sicherheit auch nicht anders zu erwarten.« »Sie sagen es, Mr. Parker«, gab sie zurück, »und jetzt habe ich endlich Zeit, mich mit dem Goldschatz zu befassen.« »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parkers Stimme klang höflich wie stets, sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er war eben der perfekte Butler. ENDE 121