Butler Parker Neu Nr. 120
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker gipst di...
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Butler Parker Neu Nr. 120
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker gipst die Haie ein Sie waren plötzlich im Zimmer. Sie hatten sich nicht angekündigt oder angeklopft. Die Tür mußte mit dem Nachschlüssel geöffnet worden sein. Fast gleichzeitig fiel sie ins Schloß, und zwei Männer grinsten Vivi an. »Sie müssen sich verlaufen haben«, sagte Vivi Carlson und wich unwill kürlich gegen den Tisch zurück.
»Bestimmt nicht, Süße«, sagte der schmale, schlanke Eindringling, der wie ein Frettchen aussah. »Irrtum, Kleine«, behauptete der zweite Mann, einen Kopf größer als sein Begleiter. Er war stämmig und untersetzt. »Wer... Wer sind Sie und was wollen Sie hier?« fragte Vivi, die sich zur Ruhe zwang. Sie hatte inzwischen begriffen, daß sie verwechselt wurde. Dieser Besuch galt der Eigentümerin der kleinen Wohnung: ihrer Freundin Laura Hatfield. »Nicht keß werden, Süße«, sagte das Frettchen und holte ein Klappmesser aus der Tasche. Die Klinge sprang hervor. Der Mann benutzte die Messerspitze, um sich ausgiebig die Fingernägel zu reinigen. »Wir sind die Mahnabteilung«, sagte der Stämmige und grinste, »wir schreiben nicht, wir kommen!« Vivi Carlson war irgendwie beruhigt. Diese beiden Männer waren ahnungslos. Sie kannten Laura nicht. Und Laura kam hoffentlich nicht vorzeitig zurück. Sie war unterwegs, um ihren Junget, aus dem Kindergarten zu holen. »Zwei Raten im Rückstand«, redete der Stämmige weiter und schüttelte dazu fast vorwurfsvoll den Kopf, »wo bleibt denn da die Zahlungsmoral?« »Ich werde morgen zahlen«, sagte Vivi, sich dem Thema geschickt anpassend, »bestimmt!« »Die alte Schnulze mit den alten Strophen«, kritisierte der Stämmige wegwerfend. »Ich kann's schon nicht mehr hören, Süße!« »Was soll ich denn machen?« fragte Vivi gespielt ängstlich. Sie wußte, wer ihr gegenüberstand: Schläger von der kalten
Sorte, Schläger, die wie Roboter arbeiten. »Was soll ich denn tun?« wiederholte Vivi ihre Frage. »Dein Bier«, reagierte das Frettchen gelassen. »Wer pumpt, lebt gefährlich«, steuerte der Stämmige bei. »Schade um dein Gesicht, Süße. Als Modell wirst du ab sofort keine Chance mehr haben.« Das Frettchen schien sein Stichwort gehört zu haben. Es beschäftigte sich nicht weiter mit seinen Fingernägeln, sondern kam langsam auf Vivi zu, die ihre Hände hinter sich auf der Tischplatte abstützte. »Was haben Sie vor?« stieß Randers Sekretärin mit gepreßter Stimme hervor. »Rasur gegen den Strich«, antwortete der Stämmige, »tut kaum weh. Nur ein paar harmlose Schmisse!« »Danach wird dein Gedächtnis wieder tadellos spuren«, schaltete das Frettchen sich ein. »Joe, sorg' dafür, daß sie nicht zu laut wird!« »Gegen Krach sind wir nämlich allergisch, was Herbie?« Der Stämmige grinste hinüber zu seinem Partner und kam nun ebenfalls auf Vivi zu. Ihr war klar, was sie planten. Man wollte ihr ein paar Schnittwunden im Gesicht zufügen. Dieses brutale Verfahren sollte ihre Zahlungsmoral anheben. Lauras Moral, um genau zu sein. Es machte diesen beiden Ganoven überhaupt nichts aus, das Gesicht einer Frau zu zerstören. Sie schienen es sogar gern zu tun. »Ich kann ja zahlen«, sagte Vivi hastig und deutete auf ihre Handtasche, die neben der Tür auf der Garderobenablage ihren Platz hatte. Der Stämmige wandte sich ab und ging dorthin, das Frettchen aber schob sich immer näher an Vivi heran. »Ich kann ja zahlen«, sagte Vivi beschwörend zum zweiten
Mal. »Möglich. Aber gebucht ist gebucht, Süße«, erwiderte das Frettchen, »du stehst auf der Liste, und darauf kommt's an!« Während er noch sprach, Stieß seine rechte Hand mit dem Messer nach vorn. Bruchteile von Sekunden später stöhnte er erstickt auf und klappte wie ein Taschenmesser zusammen. Vivi, die sich auf dem Küchentisch gestützt hatte, war noch schneller gewesen. Sie hatte ihre beiden Beine als Waffe benutzt und die Schuhe in den Leib des Frettchens gerammt. Der Stämmige wirbelte herum. In seinen Augen lag ungläubiges Staunen. Er sah auf das Frettchen hinunter, das verkrümmt den Boden zierte und musterte dann Vivi. »Hallo«, meinte er, ohne seine Stimme abzuheben, »ich seh' doch wohl richtig, oder?« Er entwickelte eine erstaunliche Schnelligkeit, als er auf Vivi losschoß. Sie wartete bis zum letzten Sekundenbrucht eil. Dann warf Vivi sich 2ur Seite und schlug mit der Handkante zu. Sie traf haargenau. Der Stämmige grunzte und sackte haltlos in sich zusammen. Der Boden dröhnte, als er sich neben das Frettchen legte.
»Ich fühle mich innerlich gedrängt, Miß Carlson, Ihnen meine Anerkennung auszusprechen«, sagte Josuah Parker, nachdem er zusammen mit Mike Rander Vivis Geschichte gehört hatte. Sie war zurück in das Haus des Anwalts gekommen, das sich in der Mayfair Street in London befand.
»Und mir bricht der Schweiß aus«, kommentierte Mike Rander den Bericht seiner Sekretärin. »Sie wissen doch hoffentlich, Miß Carlson, mit wem Sie sich da eingelassen haben, nicht wahr?« »Sehr genau sogar. Nachdem meine Freundin Laura zurückkam, hat sie mir alles gebeichtet.« »Und zwar?« erkundigte sich Rander. Das Trio befand sich im großen Wohnraum des villenähnlichen Hauses. »Laura war in Geldschwierigkeiten und lieh sich 50 Pfund«, erzählte Vivi Carlson. »Viel zu spät merkte sie, auf was sie sich eingelassen hatte. Ob Sie es glauben oder nicht, Mister Rander, sie muß pro Woche allein 10 Prozent Zinsen bezahlen. Von der Abtragung ganz zu schweigen.« »Es dürfte sich um sogenannte Kredithaie handeln«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Falls nicht pünktlich gezahlt wird, werden die bedauernswerten Kreditnehmer sehr brutal und nachdrücklich daran erinnert.« »Sie sprachen tatsächlich von einer Anhebung der Zahlungsmoral«, sagte Vivi Carlson und nickte. »Wie kann man sich denn auf solche Geschäfte einlassen?« wunderte sich Mike Rander, »falls man einen Kredit braucht, wendet man sich an eine Bank!« «... die in allen Fällen aber gewisse Sicherheiten verlangen«, führte der Butler gemessen und wissend aus. »Besagte Kredithaie hingegen verzichten auf solche Sicherheiten. Die Angst allein sichert solch einen Kredit ab.« »Gräßlich«, meinte Anwalt Rander, »wir werden Ihrer Freundin natürlich helfen, Miß Carlson. Schreiben Sie einen entsprechenden Scheck für sie aus! »Vielen Dank, Mister Rander!« Vivi Carlson nickte Rander zu. »Aber mit einem Scheck ist es jetzt nicht mehr getan, fürchte ich wenigstens.«
»Ich möchte Ihnen beipflichten, Miß Carlson«, sagte Parker, »die beiden Mahnboten dürften jetzt das sein, was man gemeinhin rachsüchtig nennen müßte.« »Darum habe ich meine Freundin auch sofort in einer Pension untergebracht«, erklärte Vivi schnell. »Sehr gut«, erwiderte Rander, »wer, ist Ihre Freundin eigentlich?« »Ich wohnte ein paar Wochen bei ihr, als ich nach London kam«, erzählte Vivi Carlson. »Laura arbeitet in einer Buchhandlung. Sie ist geschieden und hat einen kleinen Jungen, der tagsüber in einem Kindergarten untergebracht ist.« »Darf man wissen, wozu Ihre Freundin die 50 Pfund brauchte?« »Sie hat für Mike, das ist ihr Junge, diesen Kindergartenplatz gekauft. Es handelt sich um einen privaten Kinderhort.« »Wie alt ist der besagte Knabe?« wollte Parker wissen. »Acht Jahre«, antwortete Vivi und lächelte versonnen, »ein netter, kleiner Kerl.« »Dessen Frau Mutter um jeden Preis beschützt werden muß«, ließ der Butler, sich vernehmen. »Der Polizei wird das eine Freude sein«, wehrte Mike Rander sofort ab. Er hatte seinen Butler bereits sehr gut verstanden, »wir werden diesen Vorfall natürlich sofort melden.« »Sind Sie sicher, Sir, daß die zuständige Behörde Mrs. Hatfield in eine Art Dauerschutz nehmen kann?« warf der Butler ein. »Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Rander, »lassen Sie schon die Katze aus dem Sack, Parker!« »Man sollte sich dieses Falles annehmen«, schlug der Butler würdevoll vor, »schon im Hinblick auf den Knaben.« »Ich weiß, daß Sie es tun werden«, sagte Vivi eindringlich.
»Na, dann ...« Rander lächelte fast wehmütig. »Ich kann mich dunkel erinnern, mal ein freier Mensch gewesen zu sein. Aber das muß schon Jahrzehnte zurückliegen.«
»Natürlich ist die Kleine verfolgt worden«, sagte Cleveland, der zusammen mit seinem Schützling Longless in einem Minicooper saß. Der Wagen mit den beiden Profi-Killern aus den USA stand am Anfang jener kleinen Seitenstraße, in der Randers Haus lag. Cleveland und Longless waren vom Syndikat in Chikago beauftragt worden die Herren Rander und Parker umzubringen. Damit wollte das Syndikat ein Exempel statuieren, denn Rander und Parker hatten es seinerzeit drüben in den Staaten gewagt, gegen das Syndikat auszusagen. Besonders betroffen von dieser Aussage war Longless' Vater gewesen, der Boß des Syndikats. Er hatte lange in Untersuchungshaft sitzen müssen und dafür blutige Rache geschworen. Cleveland, ein brillanter Theoretiker des Syndikats, war mit der Ausbildung von Longless junior beauftragt worden. Longless, an ein rosiges Riesenbaby erinnernd, hatte sich jahrelang auf Colleges herumgetrieben und war von einer Prüfung durch die andere gefallen. Longless junior sollte jetzt die Weihen der Branche erhalten. Diese beiden Profis hatten, was ihren Auftrag anbetraf, bisher sehr viel Pech entwickelt. Sie waren zwar erstklassig ausgerüstet und brauchten sich über mangelndes Geld nicht zu
beklagen, aber sie hatten einfach kein Glück. Jetzt standen sie also wieder in Position und warteten auf ihren »Goldenen Schuß«. Bei der Gelegenheit war ihnen aufgefallen, daß die zum Haus zurückkehrende Vivi Carlson eindeutig beschattet worden war. Der Verfolger saß in einem Ford und beobachtete offensichtlich Mike Randers Haus. »Der Kerl sieht ja einfach widerlich aus«, stellte Longless fest, der sich den Mann aufs Korn genommen hatte, »die Visage eines Verbrechers!« »Wir sollten ihn etwas aufscheuchen«, schlug Cleveland vor. Der Ausbilder von Longless junior war mittelgroß, schlank und sah sportlich aus. Es war dunkelblond und konnte charmant sein. An einen Profi-Killer erinnerte er überhaupt nicht. »Laß mich das machen, Clevie«, bat Longless eifrig. »Und was hast du vor, Longie?« »Ich werd' ihm meine Hand auf die Nase legen«, sagte Longless. »Ich komm' lieber mit«, gab Cleveland skeptisch zurück, »In letzter Zeit scheinst du 'ne Pechsträhne zu haben.« »Du etwa nicht?« entrüstete sich Longless aufgebracht. »Ich darf doch nur an Brighton erinnern, oder?« »Man muß auch mal vergessen können«, sagte Cleveland schnell, »also schön, Junge. Scheuch' ihn weg! Aber paß auf, er kann bewaffnet sein.« Longless wollte gerade aussteigen, als sich die Tür von Randers villenähnlichem Reihenhaus öffnete. »Parker!« schnaufte Longless und kroch zurück in den Minicooper. »Na, also«, sagte Cleveland. »Irgendwann mußte er ja mal den Bau verlassen. Lad' durch, Junge! Jetzt geht's auf zur großen Hatz. Diesmal sind wir am Drücker.«
Josuah Parker öffnete die hintere Wagentür und ließ Vivi Carlson einsteigen. Dann setzte er sich ans Steuer und startete den Motor. Sein hochbeiniger Wagen war ein ehemaliges Londoner Taxi, das ganz nach seinen speziellen Wünschen und Vorstellungen umgebaut worden war. Diese Umbauten hatten sich auf das Fahrgestell und den Motor bezogen, aber auch auf gewisse Einbauten, die sämtlich aus Parkers wohlgefüllter Trickkiste stammten. Wie effektiv diese Spezialeinbauten waren, sollte sich wenig später zeigen. Als der hochbeinige Wagen nämlich anfuhr, schossen aus einem zweiten Auspuffrohr pechschwarze Rauchwolken, die einen Ford total einhüllten. Als die Wolken sich lichteten, war Parkers Wagen verschwunden. Der Fahrer des Ford aber stand neben seinem Fahrzeug und mühte sich verzweifelt ab, den öligen Rußbelag auf der Frontscheibe zu entfernen. Dieser Schmutz hatte dem Fahrer völlig die Sicht genommen und ihn daran gehindert, die geplante Verfolgung aufzunehmen. Je mehr der Fahrer jetzt mit einem Lappen auf der Frontscheibe herumwischte, desto fester und undurchsichtiger wurde der Belag. »Versuch's mal mit zwei Weißmachern!« hörte der Fordfahrer aus einem Mimcooper, der ihn passierte. Im Wagenfenster war das rosige, freundliche Gesicht eines Riesenbabys zu sehen, das ein einziges schadenfrohes Grinsen war. Der Fordfahrer erfand spontan einen neuen Fluch und prägte sich das Kennzeichen des Minicoopers ein. Es war klar für ihn, irgendwann eine Retourkutsche zu fahren. Die beiden Insassen
des Minicoopers schienen zu der kleinen Blonden zu gehören, eine Tatsache, mit der er nicht gerechnet hatte.
»Wenn mich nicht alles täuscht, Miß Carlson, so scheint es dort vor der Pension zu einem Zwischenfall gekommen zu sein«, sagte Josuah Parker. Er ließ sein hochbeiniges Monstrum langsam ausrollen und stoppte etwa 30 Meter vor dem Eingang zur Pension. Dort stand ein Krankenwagen, dessen hintere Tür geöffnet war. Zwei Träger waren gerade dabei, eine Tragbahre in den Wagen zu schieben. Einige Neugierige beugten sich über die Bahre und beschäftigten sich mit einem kleinen dunkelblonden Jungen, der lauthals weinte. »Laura...!« stieß Vivi Carlson hervor. Sie hatte den kleinen Jungen erkannt und drückte die hintere Wagentür hastig auf. Ohne Parker zu verständigen, rannte sie zu dem Krankenwagen und verschwand in der Menge der Neugierigen. Parker warf einen prüfenden Blick in die Runde, als er ausstieg. Natürlich wußte er nur zu gut von der Existenz zweier Killer, die man auf Mike Rander und ihn angesetzt hatte. Er wollte einen Zwischenfall aber nicht unnötig provozieren. Natürlich entdeckte er sofort den Minicooper, der ein paar Wagen hinter ihm hart am Straßenrand stand. Dieser Wagen war ihm bekannt. Cleveland und Longless konnten also nicht weit sein. Wahrscheinlich versuchten sie, aus der verworrenen Situation am Krankenwagen Kapital zu schlagen. Es galt also, die beiden Herren ein wenig zu beschäftigen. Und Parker hatte auch schon die richtige Eingebung, als er den Bobby sah, der aus der Menge der neugierigen Zuschauer kam, um auf der Straße angestaute Fahrzeuge wieder in Fluß zu
bringen.
Dieser Bobby war leicht konsterniert, als plötzlich seine Kopfbedeckung sich selbständig machte und zu Boden flog. Der Helm kollerte über das Pflaster und geriet unter den linken Vorderreifen eines langsam vorbeifahrenden Fahrzeugs. Der Bobby sah sich grimmig nach dem Übeltäter um, konnte ihn jedoch nicht ausmachen. Was verständlich war, denn er ahnte nicht, daß der so seriös aussehende Butler mittels einer Gabelschleuder ein Tongeschoß auf die Reise geschickt hatte. Dieses kleine, an sich harmlose Geschoß hatte vollkommen ausgereicht, den Helm vom Kopf zu fegen. Der Helm war inzwischen kein Helm mehr. Der linke Vorderreifen des vorbeifahrenden Fahrzeugs hatte den Polizeihelm inzwischen vollends überrollt und auch geschafft. Zurück blieb ein zusammengestauchtes Etwas, das an einen Helm nicht mehr erinnerte. Worüber der Bobby sich jetzt deutlich sichtbar ärgerte. »Die beiden dort drüben im Minicooper scheinen absichtlich auf Sie gezielt zu haben«, sagte Parker, der den Bobby inzwischen erreicht hatte, »ich sah deutlich, daß sie sich vor Lachen ausschütteten, wie es wohl im Volksmund heißt.« »Die beiden Männer im Mini?« fragte der Bobby. »Ich möchte mich nicht endgültig festlegen, aber mir schien, als hätten sie ...« »Das werden wir gleich haben«, sagte der Bobby und marschierte sofort in Richtung Minicooper los. Sein Schritt war energisch, vielleicht auch wutgeladen.
Parker blieb zurück und wartete, ob er die beiden Herren Cleveland und Longless richtig eingeschätzt hatte. Er hatte! Der Minicooper löste sich vom Straßenrand und fuhr los. Cleveland und Longless hatten gemerkt, daß der Bobby ihnen einen Besuch abstatten wollte. Darauf konnten und wollten sie es wegen ihrer Bewaffnung nicht ankommen lassen. Es kam genauso, wie Josuah Parker es vorausberechnet hatte. Die beiden Superprofis setzten sich mit ihrem Minicooper schleunigst ab. Sie hatten es derart eilig, daß der Bobby sich nur durch einen schnellen Sprung zur Seite retten konnte. Was dessen Laune nicht sonderlich aufbesserte. »Das leibhaftige schlechte Gewissen«, erlaubte Parker sich zu sagen, als der Bobby zurückkam. »Ich habe mir die Wagennummer aufgeschrieben«, meinte der Bobby grimmig. »Diese beiden Individuen werden noch was erleben!« »Die ganze Härte der Gesetze sollte sie treffen«, kommentierte der Butler. »Übrigens scheinen die beiden Herren vor der übernächsten Straßenecke erneut geparkt zu haben.« Das war Musik in den Ohren des Bobby. Er marschierte sofort los und kümmerte sich nicht weiter um den Butler. Womit Parker vollkommen einverstanden war.
»Ein schwerer Nervenzusammenbruch«, sagte Vivi Carlson zu Josuah parker, der zusammen mit dem kleinen dunkelblonden Jungen auf dem Korridor des Spitals stand.
»Man hat meiner Freundin ein Beruhigungsmittel gegeben. Jetzt schläft sie erst mal.« »Weiß man, was diesen Nervenkollaps ausgelöst haben könnte?« erkundigte sich Parker. Er war mit Vivi dem Krankenwagen gefolgt. Sie befanden sich jetzt in einem Spital der Innenstadt, in dem Laura Hatfield Aufnahme gefunden hatte. »Ich habe versucht, etwas aus Laura herauszuholen«, erwiderte Vivi, »aber sie schweigt. Sie scheint eine schreckliche Angst zu haben.« »Man darf und sollte wohl unterstellen, daß dieser Kollaps mit den Kredithaien zusammenhängt, nicht wahr?« »Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Vivi Carlson zurück, »es scheint vielleicht sogar um Mike zu gehen. Laura hat mich beschworen, für Mike zu sorgen.« ' Der kleine Sohn ihrer Freundin drängte sich an Vivi und suchte Schutz bei ihr. »Wenn ich Sie richtig interpretiere, Madam, so soll der Knabe in Mister Randers Haus untergebracht werden?« »Natürlich«, sagte Vivi und zog den Knaben an sich. »Mister Rander wird möglicherweise begeistert sein«, stellte der Butler fest. »Bestimmt«, behauptete Vivi arglos. »Mike wird nicht stören. Ich werde mich schon um ihn kümmern.« »Der Vater des Knaben ist nicht zu erreichen?« erkundigte sich Parker. »Mikes Vater lebt in Australien, Mister Parker«, sagte Vivi Carlson. »Ein wenig weit«, gab der Butler zurück und unterdrückte einen Seufzer. Die Vorstellung, ein Kleinkind im Haus zu haben, löste in ihm keine Begeisterung aus. »Wird Laura hier im Spital auch sicher sein?« wollte Vivi
Carlson wissen. »Eine berechtigte Frage«, pflichtete der Butler ihr bei. »Doch ich glaube, Sie beruhigen zu können, Miß Carlson. Den Mahnboten der Kredithaie ging es nur um den. Schock. Auf einen Mord wird man es sicher nicht ankommen lassen.« Während Parker redete, schaute er hinunter auf den Vorplatz des Spitals. Er nahm zur Kenntnis, daß dort gerade ein Minicooper hielt, dem die Herren Cleveland und Longless entstiegen. Sie machten einen ausgesprochen unternehmungslustigen Eindruck und beeilten sich, ins Haus zu kommen.
»Auf ihn mit Gebrüll«, stieß Longless eifrig hervor, als er den Butler entdeckte, der gerade einen Lift betrat. »Nur nicht übertreiben«, sagte Cleveland lässig, »diesmal haben wir ihn.« Sie standen in der Empfangshalle des Spitals und beobachteten, daß Parker gerade nach oben entschwebte, nachdem die Türen sich hinter ihm geschlossen hatten. »Zweite Etage«, stellte Longless fest, der die Leuchtknöpfe des Lifts beobachtete. »Chirurgische Abteilung«, las Cleveland vom Schild des betreffenden Leuchtknopfs ab. »Die werden ihm da gleich auch nichts mehr helfen können.« Sie verschwanden in einem Nachbarlift, der gerade freigeworden war und entschwebten ebenfalls nach oben. Im Lift kontrollierten sie ihre Schußwaffen: Schallgedämpfte Automatiks bester Ausführung.
»Diesmal besorgen wir's ihm gleichzeitig und gemeinsam«, ordnete Cleveland an, der irgendwie einen leicht nervösen Eindruck machte. »Okay«, sagte Longless eifrig, »für's Jenseits bekommt er 'ne Sammelkarte von uns.« Sie stiegen in der zweiten Etage aus dem Lift und sahen sich nach dem Butler um. »Da!« stieß Longless hervor, »der Fuchs ist diesmal ahnungslos, Clevie!« Longless hatte nicht übertrieben. Parker verschwand gerade ohne jede Eile in einem Zimmer, das der Treppe genau gegenüberlag. Er wirkte vollkommen ahnungslos. »Jetzt wird's ernst«, seufzte Cleveland energisch. Sie hatten die Tür erreicht, wo der Butler verschwunden war. Er sah sich unauffällig-verstohlen um und nickte Longless dann zu. »Gipsraum«, las Longless auf dem Messingschild an der Tür. Er tat das automatisch, ohne jeden Hintergedanken. Er drückte vorsichtig die Klinke und öffnete spaltbreit die Tür. »Leer!« flüsterte er Cleveland zu. »Laß sehen!« Cleveland übernahm die Führung, drängte sich an Longless vorbei und betrat den Gipsraum. Von Parker war tatsächlich nichts zu sehen, doch dann grinste Cleveland verstehend. Parker mußte sich dort im Nebenraum aufhalten. Seine schwarze Melone lag dicht neben der Verbindungstür auf der Fensterbank. Die beiden Superkiller stellten sich auf ihre Zehenspitzen und pirschten an diese Tür heran. Dabei passierten sie einen Wandschirm, hinter dem gewöhnlich Patienten sich aus- und anziehen. Sie hatten diesem Wandschirm keine Aufmerksamkeit gewidmet. Was damit zusammenhing, daß aus dem Nebenraum
Stimmen zu hören waren, zwar undeutlich und leise, aber dennoch unverkennbar. Parker schien sich zu unterhalten. Longless, der sich dicht hinter seinem Ausbilder Cleveland hielt, blieb plötzlich wie versteinert stehen und verdrehte die Augen. Er schielte zuerst ein wenig nach links, dann nach oben, dann nach rechts. Dann knickte er in den Knien ein und ging schraubenzieherartig zu Boden. Cleveland wirbelte herum. Er hatte hinter sich ein irreguläres Geräusch gehört. Was stimmte! Er sah Longless jetzt knapp vor sich auf dem Boden und dann, riesengroß und blitzschnell, einen Bambusgriff, der zu einem Regenschirm gehörte. Dieser Bambusgriff setzte sich auf seine Stirn und löste hinter der Schädeldecke eine Art Explosion aus. Cleveland sah einen mittelgroßen Sternhaufen, seufzte überrascht auf und fiel dann über seinem Schützling zusammen. Er sah nicht mehr, daß Parker hinter dem Wandschirm vortrat und erst mal seine schwarze Melone barg, die er sich korrekt aufsetzte. Anschließend holte der Butler aus dem Nebenraum seinen kleinen Taschentransistor, der die von Cleveland und Longless gehörten Gespräche geliefert hatte. Dann griff Parker nach einem weißen Kittel, der an einem Wandhaken hing, streifte ihn sich über und suchte nach passenden Gummihandschuhen. Er hatte vor, sich noch ein wenig zusätzlich zu betätigen.
»Ich bitte, mein Fernbleiben entschuldigen zu wollen«, sagte
Parker, als er nach etwa fünfzehn Minuten zu Vivi Carlson und dem Knaben Mike zurückkehrte. Er sah untadelig wie immer aus, beherrscht und würdevoll. »Haben Sie mit dem behandelnden Arzt gesprochen?« erkundigte sich Vivi arglos. »Dazu blieb leider keine Zeit«, redete der Butler weiter, »ich sah mich gezwungen, mich ein wenig mit den Herren Cleveland und Longless zu beschäftigen.« »Sie sind hier im Spital?« fragte Vivi Carlson überrascht und auch ein wenig ängstlich. Sie hatte die Ankunft der beiden Killer nicht bemerkt. »Die Herren werden meiner bescheidenen Ansicht nach auch noch einige Zeit bleiben«, gab der Butler gemessen zurück. »Sie dürften sich in einer Lage befinden, die ihnen sicher nicht sonderlich angenehm sein wird.« Während er noch sprach, entdeckte er an seinem linken Hosenbein einen kleinen weißen Spritzer, den er sofo rt mittels seiner Taschenbürste entfernte. Dieser Spritzer entpuppte sich als ein Krümelchen Gips. Es klickte, als es auf dem Boden landete..
»Hööölfe!« keuchte Longless etwa zu dieser Zeit. Er war nicht in der Lage, seinen Unterkiefer zu senken. Aus dem gewollten »Hilfe« wurde daher nur ein »Hölfe«. Das Unvermögen seines Unterkiefers, sich zu senken, hing mit einer Gipsbinde zusammen, die um seinen Kopf geschlungen worden war. Der Gips war bereits erstarrt und hielt den Unterkiefer eisern fest. Longless glich im übrigen einer Mumie. Vom Hals bis hinunter zu den Waden war er von Gipsbinden
umgeben, die seine Körperformen nachzeichneten. Longless kam sich wie in einem Riesenkorsett vor. Er schwitzte vor Panik und Angst. Er war nicht in der Lage, auch nur einen Finger oder einen Muskel zu bewegen. »Clövie!« rief er so gut er konnte, »Clövie ... Wo bist du?« Longless konnte seinen Kopf nicht zur Seite nehmen. Der Gips hinderte ihn daran. »Hör ...« kam dann zu seiner Erleichterung die sehnlichst erwartete Antwort. Cleveland, der Ausbilder von Longless junior, glich ebenfalls einer ägyptischen Mumie. Er saß in dem Behandlungsstuhl und war von Gips umgeben. Parker hatte ganze Arbeit geleistet. Die beiden Killer aus den Staaten waren von ihm total eingegipst worden. Er hatte das mit Geschick und Schnelligkeit besorgt, wie nicht anders zu erwarten war. »Parker bring ich um!« verkündete Cleveland, dessen Unterkiefer ebenfalls nic ht aktionsfähig war. Dann starrte er hoffnungsfroh auf die Tür, die sich öffnete. Zwei männliche Pfleger betraten den Gipsraum und blieben überrascht und betroffen stehen. »Hölfe!« keuchte Longless ihnen entgegen. »Ist ja schon gut«, beruhigte ihn einer der beiden Pfleger, »was ist denn mit Ihnen passiert?« »Autounfall?« erkundigte sich der zweite Pfleger. »Hööölfe!« quäkte Cleveland. »Nur nicht durchdrehen«, sagte der erste Pfleger, »wann sind Sie denn eingeliefert worden?« »Überfall!« schnaufte Cleveland. »Scheint noch unter'm Schock zu stehen«, meinte der zweite Pfleger. Er nickte seinem Begleiter verständnisvoll zu. »Überfall«, wiederholte Cleveland, »klopft den Göps ab!«
»Ich glaube, wir bringen sie erst mal in die Intensivstation«, schlug der erste Pfleger vor. Sie näherten sich den beiden eingegipsten Killern und sahen sich die Gipsmumien aus der Nähe an. »Wör sönd überfallen worden«, stieß Cleveland hervor und rollte schreckerregend mit den Augen. »Von Göngstern!« fügt Longless gequält hinzu. »Höölfe!« »Komische Vögel«, meinte der erste Pfleger zurückhaltend, »ich glaube, wir fragen erst mal bei der Aufnahme an.« »Schnöll!« beschwor Cleveland die beiden Pfleger, »der Göps wörd ömmer fester.« Die beiden Pfleger schoben sich zurück an die Tür, warfen noch einen letzten, prüfenden Blick auf die Gipsmumien und trabten dann los. Sie kamen schon bald zu dem Schluß, daß irgend etwas nicht stimmte. »Öch spöl nöcht möhr möt«, rief Longless seinem Ausbilder zu. Seine Stimme klang weinerlich. »Öch laß' möch von Daddö austauschen!« Cleveland wollte antworten, doch die Gipsbinde unter seinem Unterkiefer war inzwischen noch härter geworden. Er konnte im Moment nicht mehr sprechen.
»Ich könnte mir vorstellen, daß Cleveland und Longless jetzt ziemlich sauer auf Sie sind, Parker«, sagte Anwalt Rander lächelnd, nachdem der Butler seine Geschichte erzählt hatte. »Einen gewissen Unmut werden sie in der Tat gegen mich hegen, Sir«, antwortete Josuah Parker, »aber ich wußte mich den Nachstellungen nicht anders zu entziehen. Die Herren zwangen mich förmlich zu dieser Improvisation.«
»Diese beiden Kerle sind im Moment nicht unser Problem«, stellte der Anwalt fest und sah zu Vivi Carlson hinüber, die sich mit dem kleinen Mike beschäftigte. »Denken wir lieber an die Kredithaie, Parker.« »Man muß wohl davon ausgehen, Sir, daß sie Miß Carlson beobachtet haben, als sie Mrs. Hatfield und Sohn in die Pension brachte.« »Natürlich, sonst wäre Mrs. Hatfield ja nicht aufgespürt worden. Aber diese Kreditgangster wissen jetzt auch, wo Miß Carlson wohnt. Nämlich hier.« »In der Tat, Sir! Außer den beiden Schlägern, mit denen Miß Carlson zu tun hatte, muß es noch einen dritten Mann geben, der vielleicht vor dem Haus in einem Wagen wartete.« »Wie stellen Sie sich die weitere Entwicklung vor, Parker?« »Es dürfte damit zu rechnen sein, Sir, daß die Kredithaie Miß Carlson zur Rechenschaft ziehen werden. Sie hat immerhin, wenn ich daran erinnern darf, zwei Mahnboten außer Gefecht gesetzt. So etwas lassen sich diese Herren kaum bieten.« »Demnach dürften die Kerle hier bei uns auftauchen, oder?« »Dies, Sir, erwarte ich in der Tat.« »Danke für‘s Obst«, seufzte Mike Rander, »dann haben wir ja noch was zu erwarten.« »Man sollte selbstverständlich alles tun, um diesen Männern den Empfang zu bereiten, den sie verdient haben.« »Und der kleine Mike?« Rander deutete auf Vivi Carlson, die mit dem kleinen Blondschopf spielte. »Er dürfte sich hier in Sicherheit befinden«, antwortete der Butler. »Es kann nur eine Frage von wenigen Tagen sein, bis die Kredithaie gestellt sind.« »Ihren Optimismus möchte ich haben«, sagte Rander aufseufzend, »noch wissen wir nicht, auf was wir uns da
einlassen wollen. Wir haben es vielleicht mit einer Riesenorganisation zu tun, Parker.« »Dies, Sir, dürfte den Reiz des Falles nur erhöhen.« »Warum kann ich nicht ein Anwalt , sein, wie ich es mir mal vorgestellt habe«, fragte sich Mike Rander in gespielter Verzweiflung, »warum muß ausgerechnet ich mich mit Gangstern und Ganoven herumschlagen!?« »Das Schicksal, Sir, dürfte es gut mit Ihnen gemeint haben«, behauptete der Butler würdevoll. »Ich möchte betonen, daß ich diesen Ihren Vorzug sehr zu schätzen weiß.« »Ich komischer weise nicht«, parierte Rander. »Aber gut, bringen wir es hinter uns, Parker. Und wenn es sich einrichten läßt, dann beschleunigen Sie die Sache! Und ich möchte ein ruhiges Wochenende haben.«
»Allein auf weiter Flur«, sagte das Frettchen Herbie, als Josuah Parker und Mike Rander das elegante Haus des Anwalts verließen und sich hinüber zum hochbeinigen Wagen des Butlers begaben. »Genau das richtige Gelände für uns«, stellte der stämmige Joe zufrieden fest. »Gleich wird die Wildkatze uns die Schuhe küssen, Herbie!« Die beiden Eintreiber Herbie und Joe befanden sich in dem kleinen Park vor dem Haus des Anwalts. Man hatte sie genau instruiert und ihnen gesagt, wo sie jenes Mädchen fanden, von dem sie hereingelegt worden waren. Herbie und Joe brannten
darauf, diese peinliche Scharte auszuwetzen. Der hochbeinige Wagen des Butlers setzte sich inzwischen in Bewegung und fuhr davon. Das Haus des Anwalts lag einladend vor ihnen. Sie wußten, daß sich dort nur noch ihr Opfer befand. »Zur Sache, Schätzchen«, murmelte Herbie und nickte seinem stämmigen Begleiter zu. »Wir wollen die Kleine doch nicht warten lassen.« Sie verließen den Park und marschierten auf das Haus von Mike Rander zu. Sie befanden sich allein in dieser ausgesprochen schmalen, vornehmen Straße und brauchten Störungen nicht zu befürchten. »Melden wir uns offiziell an?« fragte Herbie, als sie die Haustür erreicht hatten. »Das könnte sie verschrecken«; widersprach Joe grinsend, »laß mal deine Künste spielen, Herbie!« Der Handlanger der Kredithaie machte sich an die Arbeit. Er zog einen Dietrich aus der Tasche und spitzelte ihn ins Türschloß. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Schloß sich aufsperren ließ. Herbie trat zur Seite und gewährte dem stämmigen Joe den Vortritt. »Stinkvornehmer Laden«, stellte Joe beeindruckt fest. Er stand in einem mittelgroßen Vorflur. Hinter einer Glaswand, in die eine zweite Tür eingelassen war, befand sich das eigentliche Treppenhaus. Erlesene Einzelmöbel, kostbar bespannte Stühle, dicke Teppiche und Wandpaneele in Mahagoni und eine große Standuhr verströmten eine Würde, die den Schläger beeindruckte. »Sobald wir hier aufgeräumt haben, wird's nicht mehr vornehm aussehen«, verkündete Herbie unternehmungslustig. Er schloß die Haustür und nickte seinem Partner auf fordernd zu.
Joe griff nach der Klinke der Glastür und drückte sie hinunter. Die Tür war verschlossen. »Laß mich mal«, sagte Herbie und bemühte erneut seinen Dietrich. Er hatte mit einem schnellen Blick gesehen, daß dieses Schloß kein Problem war. So etwas erledigte er in Sekundenschnelle. Er bemerkte in seinem Eifer nicht, daß Joe, der hinter ihm stand, plötzlich von einer deutlichen Schwäche erfaßt wurde. Joe schnaufte ein wenig, verdrehte die Augen und lehnte sich gegen die Wand. Er wollte Herbie noch etwas zurufen, doch dazu fand er schon nicht mehr die Kraft. Er rutschte an der Seitenwand des Vorflurs hinunter und machte es sich auf dem breiten und dicken Fußabtreter ausgesprochen gemütlich. Er schloß die Augen und spielte ab sofort nicht mehr mit. »Mann, bin ich müde!« sagte Herbie, der erstaunlicherweise nicht mit dem Türschloß zurechtkam. Herbie wischte sich den Schweiß von der Stirn und hatte so etwas wie Halluzinationen. Er sah das Türschloß doppelt, mußte gähnen und schaute sich nach seinem Begleiter um. »Fau ...ler Huuund ...!« sagte er dann und grinste töricht. Er hatte Joe auf dem Fußabtreter entdeckt und hielt es für eine gute Idee, sich ebenfalls zu einem kleinen Nickerchen niederzulegen. Er merkte schon gar nicht mehr, daß er bereits über seinem Partner zusammenknickte und dann schlagartig einschlief.
»Es hat wunderbar geklappt«, sagte Vivi Carlson etwa zehn Minuten später, nachdem Mike Rander und Josuah Parker zurückgekehrt waren. Sie deutete auf einen Stahlzylinder, der
an einen kleinen Feuerlöscher erinnerte, wie er in Autos anzutreffen ist. An der Austrittdüse dieses Stahlzylinders war ein dünner Gummischlauch befestigt, der unter dem Teppich im Treppenhaus verschwand. Er endete im Vorflur rechts unterhalb der Trennscheibe. »Ist das Zeug aus dem Zylinder auch nicht gesundheitsschädlich?« wollte Mike Rander wissen. »Es garantiert nur einen erholsamen Tiefschlaf, der sich über einige Stunden erstrecken wird«, antwortete der Butler, »wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die beiden Herren jetzt wegräumen.« Rander nickte und blieb mit Vivi Carlson in dem Salon unten im Erdgeschoß. Er erkundigte sich nach dem kleinen Mike. »Er hat sich endlich beruhigt«, antwortete Vivi lächelnd, »er kennt mich ja von früheren Besuchen her. Der Junge wird bestimmt nicht stören, Mister Rander.« »Aber darum geht es doch gar nicht«, erwiderte der Anwalt, »ich möchte nur nicht, daß Mike etwas passiert. Sie wissen doch, daß dieses Haus hier zu einem Treffpunkt für Gangster geworden ist.« »Rechnen Sie wirklich noch mit sehr viel Ärger?« »Natürlich«, gab Rander zurück, »die Auseinandersetzung mit den Kredithaien hat ja gerade erst begonnen. Sagen Sie, Miß Carlson, Ihre Freundin Laura hat Ihnen nicht gesagt, bei wem sie das Darlehen aufgenommen hat?« »Darüber wollte sie auf keinen Fall sprechen. Ich habe sie selbstverständlich danach gefragt. Aber sie antwortete nicht. Sie beschwor mich förmlich, keine Fragen zu stellen.« »Man wird sie sehr unter Druck gesetzt haben«, meinte Anwalt Rander nachdenklich. »Na, vielleicht findet Parker etwas in den Taschen der beiden Kreditvertreter.« »Sollte man Lauras Wohnung nicht durchsuchen?« tippte
Vivi Carlson an, »dort wäre vielleicht die Adresse zu finden, Mister Rander?« »Nicht schlecht«, .meinte der Anwalt, »ich werde mit Parker darüber reden.« »Sir, ich hörte meinen Namen?« Parker betrat den kleinen Salon. In der Hand hielt er ein Silbertablett, auf dem einige Gegenstände lagen. »Wir fragen uns gerade, wie wir an den Kreditgeber herankommen«, sagte Rander. »Möglicherweise, Sir, hilft uns dies hier weiter.« Parker präsentierte seinem Herrn das Silbertablett. Rander nahm die beiden Brieftaschen entgegen, die einen schäbigen, aber wohlgefüllten Eindruck machten. »Sie haben sie bestimmt schon kontrolliert, oder?« fragte er dann. »In der Tat, Sir«, antwortete Parker würdevoll, »zumal ich Ihnen diese banale Arbeit ersparen wollte. Die beiden Herren heißen Herbie Coll und Joe Bander und sind bei einem Herrn namens Arthur Finnegan beschäftigt, dessen Firma sich auf die Entrümpelung von Kellern und Dachböden spezialisiert zu haben scheint.« »Moment mal, kann ich das noch mal hören?« »Mister Finnegan ist der Eigentümer einer Firma, die sich auf die Entrümpelung von Kellern und Dachböden spezialisiert zu haben scheint, Sir.« »Eigenartiger Beruf!« Rander schüttelte ratlos den Kopf. »Ein Beruf, der sich unserer Zeit angepaßt hat, Sir«, erläuterte der Butler. »Die Umwelt, in der wir leben, Sir, erstickt im Müll, wenn ich es so plastisch ausdrücken darf. Sperrmüll wie alte Möbel zum Beispiel, sind über die normale Müllabfuhr kaum abzusetzen. Hier dürfte Mister Finnegan einspringen.«
»Warum lassen wir uns das nicht Von Finnegan selbst sagen?« schlug Rander vor. »Nur zu gern, Sir«, gab der Butler zurück, »ich stehe sofort zu Diensten.« »Und Sie, Miß Carlson, igeln sich hier im Haus ein«, warnte Rander seine Sekretärin, »denken Sie an die beiden Killer aus den Staaten. Und an den Mann, der Sie nach Ihrem Besuch in Miß Lauras Wohnung offensichtlich verfolgt hat!« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, habe ich Miß Carlson bereits mit den geeigneten Abwehrgeräten versorgt«, ließ der Butler sich vernehmen. »Etwaige ungebetene Besucher dürften sich hier im Haus kaum wohl fühlen.«
Arthur Finnegan war ein wohlbeleibter, gemütlich aussehender Mann von etwa 50 Jahren. Er saß in einem Verschlag, der ihm als Büro diente und sah Mike Rander aus verschmitzten Augen aufmunternd an. »Haben 'se Sorgen, haben 'se Klagen, müssen 'se nur Arthur fragen«, schmetterte er Rander dann entgegen und erhob sich mühsam von seinem Sitz. »Ich wette, Sie wollen altes Gerümpel loswerden.« »Sie treffen den Nagel auf den Kopf«, antwortete Mike Rander, der an Finnegans Angestellte Herbie und Joe dachte. »Wann, wo und wie kann ich Ihnen helfen?« wollte Arthur Finnegan wissen. »Wir haben uns bereits geholfen«, sagte der junge Anwalt lächelnd. Er deutete mit der rechten Hand durch das Fenster hinaus auf den Hinterhof, wo Parkers hochbeiniger Wagen stand. Parker kam gerade aus einer Remise zurück, in der zwei
Pritschenwagen standen. Diese Remise schloß sich an das alte, aber große Lagerhaus an, in dem Rander und Finnegan sich befanden. »Sie haben den Müll bereits mitgebracht?« staunte Finnegan. »Genau«, erklärte der Anwalt. »Sperrmüll, wenn Sie so wollen.« »Jetzt ist Arthur Finnegan zum ersten Mal von den Socken«, gestand der wohlbeleibte Mann, der ein wenig irritiert wirkte, »ehrlich, ich verstehe kein Wort.« »Kommen Sie doch mit und sehen Sie sich unseren Sperrmüll mal aus der Nähe an«, fordert Rander den Entrümpler lächelnd auf. Finnegan nickte und watschelte dann neben dem Anwalt hinaus auf den Hinterhof. Finnegan Wirkte noch irritierter, als Parker höflich seine schwarze Melone lüften und sich ihnen anschloß. »Dort hinüber, wenn ich bitten darf«, sagte Parker dazu und deutete in die Remise. Wenig später standen sie vor zwei Jutesäcken, die oben zugebunden waren und einen prallgefüllten Eindruck machten. »Was ... Was soll das?« fragte Arthur Finnegan. »Unser Sperrmüll«, erläuterte Mike Rander und nickte seinem Butler zu. Josuah Parker begab sich hinüber zu den beiden Jutesäcken und band sie auf. Als die Sackhüllen herunterrutschten, wurden die Köpfe von Herbie Gool und Joe Bander sichtbar. »Herbie! Joe...!?« Finnegan drehte sich zu Rander um. »Was soll das bedeuten?« »Sie erwiesen sich in Mister Randers Haus als ausgesprochen störend«, erklärte der Butler gemessen. »Vielleicht wissen Sie, Mister Finnegan, etwas mit diesem Müll anzufangen.« »Ich verstehe immer noch kein Wort.«
»Ihre beiden Angestellten scheinen noch einen Nebenberuf zu haben«, schaltete Mike Rander sich ein. »Sie drangen in mein Haus ein, ohne dazu eingeladen worden zu sein.« »Ausgeschlossen!« »Dennoch wahr«, sagte Mike Rander, »mein Butler sah sich gezwungen, Ihre beiden Angestellten etwas zur Ordnung zu rufen.« »Soll das etwa heißen, daß Herbie und Joe eingebrochen haben?« »So kann man es auch sagen, Mister Finnegan.« Rander nickte. »Das muß ein Mißverständnis gewesen sein. Wirklich! Ich kenne doch Herbie und Joe. Völlig saubere Jungs.« »Falls es sich um ein Mißverständnis gehandelt hat, bitten mein Butler und ich natürlich um Entschuldigung«, erwiderte Rander ironisch. »Sobald Ihre beiden Angestellten wieder zu sich gekommen sind, schärfen Sie ihnen aber zweckmäßigerweise ein, eine gewisse Mrs. Hatfield in Ruhe zu lassen! Mein Butler und ich könnten sonst ärgerlich werden. Haben wir uns verstanden?« »Ich ... Ich begreife überhaupt nicht!« Arthur Finnegan wischte dicke Schweißperlen von der Stirn, »wirklich, ich verstehe kein Wort.« »Macht ja nichts«, antwortete Rander lächelnd. »Hauptsache, Sie richten es aus, ja ...« Er nickte seinem Butler zu. Sie gingen wieder aufs College! Lieber ler-strum des Butlers und fuhren davon. Arthur Finnegan sah dem Wagen nach und massierte sich dabei unentwegt sein ausgeprägtes Doppelkinn.
»Für mich ist der Film gelaufen«, sagte Longless müde und abgespannt. »Ich fahr' zurück in die Staaten und geh wieder aufs College! Lieber lernen, als sich weiter mit Parker herumschlagen!« »Wenn sich das 'rumspricht, was mir passiert ist, bin ich aus dem Geschäft«, unkte Cleveland. Die beiden Superkiller saßen in einer Teestube in der Nähe des Spitals und zogen eine erste Zwischenbilanz. Man hatte sie vor einer halben Stunde mittels Säge, Meißel und Hammer aus dem Gips befreit, dennoch fühlten sie sich eingeengt und außer Gefecht gesetzt. »Wie konnte Parker uns das nur antun?« beschwerte sich Longless. »Er hält sich ja überhaupt an keine Spielregel«, fügt Cleveland hinzu und schüttelt pikiert den Kopf. »Es gibt doch schließlich auch so was wie ein Ehrenkodex.« »Aus mir wird eben kein Profi«, stellte Longless fest. »Und wenn mein Daddy sich auf den Kopf stellt, ich wechsele den Beruf. Vielleicht lege ich mir eine Hühnerzucht zu.« »Der behandelt uns doch wie blutige Anfänger«, regte sich Cleveland erneut auf. »Parker nimmt einem ja jedes Selbstgespräch. Vielleicht sattle ich auch um auf Privatdetektiv.« »Angenommen, du wärst einer«, meinte Longless, der sich für dieses Thema zu erwärmen begann, »wie würdest du Parker austricksen, falls der dann ein Gangster wäre?« »Hört sich verdammt reizvoll an«, gab Cleveland zu.
»Hättest du ein Allheilmittel gegen ihn?« »Laß mich mal nachdenken, Junge. Ich würd' versuchen, ihn mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Mit Raffinesse und Tricks.« »Ich auch, Clevie!« »Ich würd' ihn verunsichern.« »Bis er weich wird«, fügte Longless eifrig hinzu. »Das ist es! Bis er weich wird. Verunsichern. Bis er nicht mehr weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist.« »Warum tun wir's nicht?« »Ja, genau. Warum tun wir's nicht?« Cleveland faßte neuen Mut und richtete sich sichtbar auf. »Das ist das Rezept gegen einen Butler Parker. Verunsichern! Immer genau das tun, womit er nicht rechnet.« »Bis er sich freiwillig stellt, um endlich seine Ruhe zu haben.« Longless nickte noch eifriger und deutete dann auf die Teetassen. »Scheußliches Gesöff, Clevie! Warum nehmen wir nicht was Geistiges, was uns in Schwung bringt?« »Du hattest schon schlechtere Ideen«, lobte Cleveland seinen Schützling und erhob sich vom Tisch. »Suchen wir uns ne‘ andere Kneipe, Junge. Und dann reden wir mal ausführlich darüber, wie man Parker weich kocht.« Die beiden Super-Killer hatten wieder Hoffnung und Tritt gefaßt. Sie waren vö llig neue Menschen, als sie die Teestube verließen. Sie glaubten fest daran, daß ein gewisser Josuah Parker im Grunde schon geliefert war.
Mr. Clonmark rückte sich den Zwicker zurecht und schüttelte ratlos den Kopf.
»Ich bedaure«, sagte er dann, »darüber hat Mrs. Hatfield mit mir nie gesprochen. Nie ... Wenn sie doch nur etwas gesagt hätte. Sie hätte die 50 Pfund von mir natürlich bekommen, obwohl ich nicht gerade mit Reichtümern gesegnet bin, wie Sie sich vorstellen können. Sie brauchen sich ja nur umzusehen.« Mr. Clonmark, ein kleiner, dürrer Mann von etwa 55 Jahren, mit einer ausgeprägten Glatze, deutete mit einer vagen Handbewegung auf die Einrichtung seiner Buchhandlung. Sein Geschäft war wirklich nicht groß. Es bestand aus einem schmalen, langen Raum, der an einen Korridor erinnerte. Hinter diesem Korridor gab es eine quadratische Ecke, die ebenfalls mit Büchern vollgestopft war. Hier stand ein Arbeitstisch, an dem Laura Hatfield normalerweise arbeitete, wie er gesagt hatte. »Wer kauft hier in der Gegend schon Bücher?« fragte Clonmark elegisch und schnüffelte. »Ich wundere mich selbst, daß ich das seit Jahren durchhalte.« »Irgendwie scheint es aber zu klappen, nicht wahr?« Mike Rander lächelte höflich. »Irgendwie. Genau das richtige Wort, Mister Rander! Ich habe so eine Art Leihbücherei eingerichtet. Dann verkaufe ich Magazine und Schulartikel. Hefte, Blöcke, Bleistifte. Was die Leute hier so brauchen.« »Sie dürften sich in dieser Wohngegend auskennen, Sir«, schaltete Parker sich höflich ein. »Ist Ihnen bekannt, ob hier ein Kredithai arbeitet?« »Ein wer, bitte?« »Ein Kredithai«, wiederholte der Butler gemessen, »ein privater Geldverleiher, der kleine Summen gegen horrende Wochenzinsen verleiht.« »So wie drüben in den Staaten?« fragte Clonmark. »Ich habe davon in einem Kriminalroman gelesen.«
»Solch einen Mann meinen wir«, sagte Rander. »Tut mir leid, meine Herren!« Clonmark schüttelte den Kopf und schnüffelte erneut. »Solch einen Kredithai mag es hier bestimmt geben, aber wer würde mir davon schon erzählen?« »Wo würden Sie sich denn Geld leihen?« erkundigte sich Mike Rander. »Vorausgesetzt, Sie wüßten genau, daß die Banken ihnen keinen Kredit geben würden.« »Bei Hubert Mel... Äh ... Ich weiß nicht.« Clonmark machte einen sehr verlegenen Eindruck. Es war ihm deutlich anzumerken, daß er bereits zuviel gesagt hatte. Er biß sich auf die Unterlippe und sah hinüber zu den nahen Buchregalen. »Mr. Hubert Mel...?« wiederholte Parker aufmunternd. »Nein, nein. Schon gut, meine Herren. Ich will nichts gesagt haben. Wirklich nicht. Und jetzt entschuldigen Sie mich, bitte. Ich habe noch zu tun!« Rander und Parker stellten keine weiteren Fragen. Sie wären ohnehin sinnlos gewesen. So verabschiedeten sie sich und verließen Clonmarks Buchladen. Die Türglocke schepperte traurig, als sie hinaus auf die Straße traten. »Hubert Mel«, sagte Rander, als sie auf Parkers hochbeinigen Wagen zugingen. »Hubert Mel... Wen, zum Henker, mag er gemeint haben, Parker? Wo bleibt Ihre übliche Erleuchtung?« »Mister Hubert Melwick«, antwortete der Butler wie selbstverständlich. »Wenn ich mir erlauben darf, Sir, möchte ich ihre Aufmerksamkeit auf jene Pfandleihe lenken, die sich dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet.« »Tatsächlich«, staunte Rander und lächelte. »Was könnten wir Mister Melwick zum Pfand anbieten?« »Ich werde mir darüber Gedanken machen«, versprach der Butler, »es sollte sich nämlich tunlichst um ein Pfand handeln, das eine zusätzliche Funktion erfüllt.«
Der Mann im Ford, der Vivi Carlson verfolgt hatte und dessen Windschutzscheibe durch Parkers Wagenauspuff ganz zufällig verölt worden war, hielt sich in seiner ApartmentWohnung auf und telefonierte. » ... natürlich zwei Laien«, sagte er gerade lässig, »ich hab' mich in der Nachbarschaft umgehört. Kommen aus den Staaten, Chef. Anwalt und Butler. Die kleine Blonde ist die Sekretärin vom Anwalt. Wie? Ja, sie hat den kleinen Mike mit zu sich genommen. Ob Laura Hatfield reden wird? Kaum, Chef. Die weiß, was ihrem Jungen blühen wird, wenn sie's Maul aufmacht.« Clay Lambert, wie der Mann hieß, hörte einen Moment zu, wobei er immer wieder bestätigend nickte. »Okay«, meinte er dann und stand aus seinem Sessel auf. »Ich warte auf Nachricht. Herbie und Joe werden sich jeden Moment melden, Chef. Ich geb' dann sofort Bescheid. Die Sache ist überhaupt kein Problem.« Clay Lambert legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Dann wanderte er durch den großen, modern eingerichteten Wohnraum hinüber zur Hausbar, die sein ganzer Stolz war. Er goß sich einen Drink ein und ließ sich mit dem Glas in einem anderen Sessel nieder. Clay Lambert war so etwas wie der Vormann der Kassierer. Er war verantwortlich für die pünktliche Zahlung der Schuldner. Und er hatte das Recht, säumige Zahler zu ermuntern. In dieser Beziehung ließ der Chef ihm völlig freie Hand. Er, Clay Lambert, konnte entscheiden, welche Druckmittel anzuwenden waren. Er hatte nur dafür zu sorgen,
daß die Dinge schweigend über die Bühne gingen und keine Presse dazwischen funkte. Bisher war es nie zu besonderen Zwischenfällen gekommen. Bis auf den jetzigen Fall. Lambert verstand noch immer nicht, wieso seine beiden Eintreiber Herbie und Joe sich von einer jungen Frau hatten aufs Kreuz legen lassen. Wenn sich so etwas erst mal herumsprach, dann war mit viel Renitenz und Ärger zu rechnen. Dann würden die säumigen Schuldner sich wahrscheinlich auf die Hinterbeine stellen und verrücktspielen. Dazu durfte es erst gar nicht kommen! « Es galt also, dieser kleinen, blonden Sekretärin deutlich zu machen, auf was sie sich eingelassen hatte. Herbie und Joe mußten ja bald zurück sein. Er war gespannt, was sie mit der Sekretärin des Anwalts angestellt hatten. Clay Lambert stand lässig «auf, als das Telefon sich meldete. »Lambert«, meldete er sich, »Ja, Herbie? Wie, bitte? Das darf doch nicht wahr sein! Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte das denn passieren? Maul halten! Wir treffen uns in einer halben Stunde im Pub, ist das klar? Und laßt euch bis dahin 'ne passende Entschuldigung einfallen!« Clay Lambert knallte den Hörer zurück in die Gabel und zwang sich zur Ruhe. Was er gerade gehört hatte, war einfach nicht zu glauben. Herbie und Joe waren erneut hereingelegt worden! Man hatte sie mit irgendeinem Trick übers Ohr gehauen und außer Gefecht gesetzt. Die Blamage war damit perfekt. Clay Lambert war versucht, seinen Chef anzurufen, nahm dann aber davon Abstand. Jetzt ging es erst mal darum, klare Verhältnisse zu schaffen. Die kleine blonde Sekretärin brauchte dringend einen längeren Krankenhausaufenthalt. Und dazu mußte er selbst die Dinge in die Hand nehmen.
Clay Lambert machte sich sofort auf den Weg. Draußen vor dem Apartment-Haus stieg er in seinen Ford und achtete dabei nicht weiter auf ein Taxi, das etwa 50 Meter hinter seinem Wagen am Straßenrand stand. Wieso hätte er auch auf ein Taxi achten sollen, von denen es hier in London nur so wimmelte. Josuah Parker, der sich von seinem jungen Herrn getrennt hatte, saß am Steuer des erwähnten Taxi und war sich seiner Sache vollkommen sicher. Er hatte sich vor dem Verölen der Windschutzscheibe die Wagennummer des Ford eingeprägt. Mike Rander hatte dank seiner privaten Verbindungen hier in London innerhalb kürzester Zeit erfahren, wer der Besitzer des Ford war: Clay Lambert. Nach dieser Auskunft betätigte sich Lambert als Versicherungsagent. Er unterhielt ein ordentliches Arbeitsverhältnis mit einer englischen Versicherung und hatte seine Steuern bisher regelmäßig bezahlt. Parkers Rechnung war übrigens sehr gut aufgegangen. Er hat richtig berechnet, wann die beiden Eintreiber Herbie und Joe wieder zu sich kamen, und daraus abgeleitet, wann sie sich mit dem dritten Mann des Unternehmens in Verbindung setzen würden. Fast auf die Minute hatte alles gestimmt. Dieser dritte Mann saß jetzt in seinem Ford und fuhr in die Innenstadt. Daß es sich bei Clay Lambert um eine Art Vormann handelte, war Parker klar. Er kannte schließlich die Praktiken der Unterwelt und wußte, wie man dort Organisationen aufzog. Hier in England war das nicht anders als drüben in den Staaten. Schläger kannten nur ihren Vormann. Und die Vormänner wiederum verkehrten über Kontaktleute mit eigentlichen
Chefs. So wurden die Risiken etwaiger Aussagen von vornherein klein gehalten. Parker hatte das Taxischild ausgefahren und seine schwarze Melone abgesetzt. Nur wer sehr genau hinsah, erkannte, daß der Mann am Steuer des Taxi nun wirklich nicht wie ein regulärer Fahrer aussah. Und Lambert sah nicht genau hin. Ahnungslos bugsierte er seinen Ford durch den Verkehr und hielt nach etwa zwanzig Minuten in einer Seitenstraße vor einem kleinen Restaurant. Er stieg aus, sah sich noch nicht mal prüfend um und verschwand im Lokal. Parker passierte den Eingang und ließ seinen Wagen etwa 50 Meter weiter stehen. Er stieg aus, setzte die schwarze Melone auf und legte sich den Bambusgriff des UniversalRegenschirms korrekt über den linken Unterarm. Es war selbstverständlich kein Leichtsinn oder gar Überheblichkeit, daß Parker sich mit den Einnehmern anlegen wollte. Er brauchte für seinen Besuch bei dem Pfandleiher Melwick vollkommen freie Hand. Er wollte, falls Melwick mit den Dingen zu tun hatte, nicht identifiziert werden. Ein prüfender Blick durch die Scheibe des Restaurants sagte ihm, daß Clay Lambert sich mit den Herren Herbie Cool und Joe Bander bereits getroffen hatte. Die drei Vertreter des Kredithais saßen in einer Nische in der Nähe des Tresens und schienen sich mehr als nur angeregt zu unterhalten. Wogegen Josuah Parker nichts einzuwenden hatte. Er griff in eine seiner vielen Westentaschen und holte eine kleine Dose hervor, in der sich einige Reißzwecken befanden. Sie sahen normal und unverdächtig aus, mußten aber ein Geheimnis bergen, da Parker drei dieser Reißzwecken anschließend in die hohle linke und behandschuhte Hand nahm.
Der Ford von Clay Lambert war unverschlossen. Wogegen Josuah Parker ebenfalls nichts einzuwenden hatte. Auf diese Art ließ eine bestimmte Prozedur sich erheblich abkürzen. Er legte je eine Reißzwecke auf den Vorder-, Beifahrer- und Rücksitz. Hinsichtlich des Rücksitzes brauchte er nicht lange zu wählen, denn der linke Sitz war bereits von einer Reisetasche belegt worden. Nach getaner Arbeit begab Parker sich zurück zu seinem Privatwagen und nahm am Steuer Platz. Er legte die schwarze Melone ab und faßte sich in Geduld.
»Redet bloß keinen Blödsinn«, sagte Lambert wegwerfend. »Was wollen diese Laien schon gegen uns ausrichten?« »Du hast nicht gesehen, wie die kleine Blonde aktiv geworden ist«, warnte Herbie. »Wie 'ne Professionelle«, fügte Joe hinzu, »Karate hat sie bestimmt intus.« »Und so was findet man kaum bei 'ner normalen Sekretärin«, schloß Herbie. »Also gut, was vermutet ihr?« Lambert gab sich knapp. »Das Trio stammt aus unserer Branche«, sagte Herbie. »Wieso?« »Irgendwelche Konkurrenten, die uns das Wasser abgraben wollen«, redete Herbie weiter. »Dann müßte der Chef das längst wissen.« .Lambert schüttelte den Kopf. »Aber gut, ich komm' mit und knöpf mir
die angebliche Sekretärin mal vor. Ihr werdet sehen, daß die auch nur mit Wasser kocht. Los, lassen wir sie nicht länger warten!« Er zahlte. Die drei Kredithaie standen auf und verließen das Restaurant. Sie gingen auf den Ford zu, und nahmen darin Platz: Lambert am Steuer, Herbie neben ihm und Joe auf dem freien Rücksitz. Die Reißzwecken, die Parker auf den Sitzen untergebracht hatte, konnten sie nicht sehen. Parker hatte sie derart geschickt in die Polsterrippen der Sitze gesteckt, daß nur die feinen Spitzen hervorschauten. »Au!« schrie Lambert, als die Nadel der Reißzwecke sich in seine Kehrseite bohrte. »Auu!« begann Herbie neben ihm zu jammern, »ich würd' mal was für die Sitze tun, Clay.« »Verdammt!« sagte Joe, der sich gerade zurechtgesetzt hatte. Er fuhr vom Sitz hoch und faßte mißtrauisch nach seiner linken Gesäßhälfte. Clay Lambert wirkte plötzlich ein wenig nervös. »Was ist denn mit meinen Augen?« sagte er und zwinkerte. »Die reinste Dämmerung«, stellte Herbie fest und rieb sich seine Augen. »Mir wird flau«, krächzte Joe und gähnte. Er rieb sich den Magen, wurde von einer lähmenden Müdigkeit erfaßt und räkelte sich auf dem Rücksitz bequem zurecht. »'ne Mütze Schlaf ist genau das, was ich jetzt brauche«, murmelte Herbie und rutschte haltlos gegen Lambert. Clay Lambert rieb sich die Augen, zwinkerte und glaubte plötzlich so etwas wie eine Erscheinung vor sich zu haben. Vor dem Kühler seines Ford stand - wenn ihn nicht alles täuschte ein Mann, der wie ein Butler aussah. Dieser Mann lüftete gerade höflich seine schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an. Mehr bekam Lambert
nicht mehr mit, denn jetzt wurde auch er von einem unbezwingbaren Schlafbedürfnis erfaßt. Er sank über den auf seinen Knien liegenden Herbie, gähnte herzhaft und warf sich in Morpheus Arme, um es poetisch auszudrücken. Er merkte schon nicht mehr, daß Parker am Fenster erschien und seinen rechten Arm in den Wagen streckte. Parkers schwarzbehandschuhte Hand interessierte sich nämlich für einige Requisiten des Gangsters, wie Wohnungsschlüssel, Brieftasche und Schußwaffe. Parker wollte nicht stehlen, wie nicht besonders betont werden muß. Er wollte diese Requisiten nur für eine knappe Stunde ausleihen, um sie dann korrekt zurückzugeben. Ein Josuah Parker stahl grundsätzlich nicht!
»Schon erledigt?« wunderte sich Rander, als sein Butler in der gemütlichen Teestube auftauchte, in der sie sich verabredet hatten. »Die Herren Lambert, Cool und Bander waren so frei, sich ungewollt nach meinen Wünschen zu richten«, erklärte der Butler. »Ich hatte sogar noch Zeit, Miß Carlson einen Besuch abzustatten.« »Zu Hause alles in Ordnung?« »Diese Frage kann ich aus vollem Herzen bejahen«, erwiderte Josuah Parker, der höflich vor dem Tisch stehenblieb, an dem sein junger Herr saß. »Stehen Sie nicht so herum«, meinte Rander, »setzen Sie sich endlich!« »Man sollte vielleicht die Zeit nutzen, Sir. »Begriffen, Parker. Sie warten darauf, daß ich endlich aufstehe und mitkomme, oder?«
»In Ihrer Version, Sir, klingt das ungemein hart und fordernd.« Rander grinste. Er hatte seinen Tee bereits bezahlt und konnte sofort gehen. Als sie in Parkers Wagen saßen, berichtete er von seinen Ermittlungen. »Ich habe mich über Lambert informiert«, sagte er, »er ist Vertreter eines Rechtsschutzes für Kraftfahrer und hat eine eigene Agentur, die sich in Soho befindet.« »Ein reguläres Büro, Sir?« »Richtig, Parker.« »Eine überaus vorzügliche Tarnung für ein illegales Kreditunternehmen, Wenn ich es so ausdrücken darf.« »Sie dürfen, Parker, Sie dürfen! Wobei sich die Frage stellt, ob Clay Lambert bereits unser Mann ist.« »Wohl kaum, Sir, er dürfte wirklich nur so etwas wie ein Vormann sein. Ich darf daran erinnern, daß Mister Lambert selbst tätig ist, was die Beobachtung von Miß Carlson und Mrs. Hatfield angeht.« »Aber dann ist er zumindest der Schlüssel zu dem eigentlichen Chef der Kredithaie.« »Dieser Ansicht, Sir, würde auch ich mich anschließen. Es ist zu überlegen, ob man sich als erstes seine Büroräume in Soho ansieht, oder ob man seinem Apartment einen Besuch abstattet.« »Wieviel Zeit haben wir?« »Die Herren Lambert, Cool und Bander werden nach meinen Berechnungen etwa eine gute Stunde schlafen.« »Ich bin für Lamberts Apartment«, sagte Rander, »in seinem offiziellen Büro wird er bestimmt keine Geheimunterlagen verwahren.« »Ihr Wunsch, Sir, ist mir Befehl«, gab der Butler würdevoll zurück.
»Wenn Parkers Mühle weg is , Junge, dann is' auch Parker weg. Und wenn der weg is', Junge, dann is' auch Rander weg, klar?« Nach dieser logischen Beweisführung sah Cleveland seinen Schützling Longless an. Er sprach lässiger denn je, fühlte sich aber prächtig. Er hatte seine Niederlage in Gips bereits kompensiert und war fest entschlossen, Parker ein Bein zu stellen. »Demnach is' die kleine Carlson allein im Fuchsbau«, schlußfolgerte Longless. »Sehr gut, Junge«, lobte Cleveland den Sohn seines Bosses, »un' demnach brauchen wir uns die Kleine nur zu schnappen.« »Auf sie mit Gebrüll!« stieß Longless hervor und wollte sich aus dem Mini rutschen lassen, mit dem sie zurück zu Mike Randers Haus gefahren waren. »Langsam, Longie«, stoppte Cleveland den Tatendrang seines Begleiters. Er zog Longless zurück in den Minicooper und fuhr weiter. »Wir nehmen den Eingang für Lieferanten...« »Lieferanten des Todes«, sagte Longless, »hört sich gut an, wie?« »Sagenhaft gut«, gab Cleveland zurück. »Und wo ist der Lieferanteneingang?« wollte Longless wissen. »Wir rollen die Burg von der Rückseite auf«, erklärte Cleveland fachmännisch. »Leg' dir schon mal zurecht, wie der Text an deinen Daddy lauten soll!« Der Minicooper mit den beiden Superkillern an Bord hatte
das Ende der vornehmen Villenstraße erreicht und bog nach links ab. Cleveland steuerte die schmale Gasse an, die sich hinter der Häuserzeile befand. Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt, der seiner Ansicht nach nicht schiefgehen konnte.
Parker benutzte den Wohnungsschlüssel, den er Lambert abgenommen hatte. Er trat zur Seite und ließ Mike Rander eintreten. Der junge Anwalt sah sich nur kurz im Vorraum des Apartments um und ging dann hinüber in den eigentlichen Wohnraum. Er steuerte die Schrankwand an und befaßte sich sofort mit den einzelnen Schubladen. Parker hielt das für unnötig. Er blieb in der Mitte des Raums stehen und schien so etwas wie Witterung aufzunehmen. Er drehte sich langsam um seine Längsachse und musterte die Wohnungseinrichtung. »Was haben Sie, Parker?« fragte Rander leicht irritiert. »Ich bemühe mich, herauszufinden, Sir, wo Mister Lambert falls überhaupt - Geheimunterlagen versteckt haben könnte.« »Wo würden denn Sie so etwas verstecken, falls Sie Lambert wären?« »Auf keinen Fall in den Schränken oder Schubladen, Sir!« »Danke für die Blumen und die Belehrung, Parker!« »Da es sich um einen Neubau handelt, dürften die Wände zudem zu dünn sein, um einen Wandsafe aufzunehmen«, schlußfolgerte der Butler weiter. »Klingt einleuchtend, Mister Holmes«, Sagte Rander lächelnd und interessiert.
»Auch der Fußboden dürfte ausscheiden«, sagte der Butler weiter, »es handelt sich um eine Art Schwimmestrich, den man kaum einen Hohlraum einbauen konnte.« »Faszinierend, Parker! Jetzt brauchen Sie nur noch das Versteck zu nennen.« »Sehr wohl, Sir, nachdem ich einen kurzen Blick in die Pantry geworfen habe...« Parker schritt würdevoll und gemessen hinüber zu der kleinen Küche und blickte in den gekachelten Raum. An den Wänden standen und hingen moderne Einbaumöbel. Es gab einen Elektroherd und einen Kühlschrank. »Der Elektroherd wurde erst vor kurzem benutzt, scheidet demnach also als Versteck aus«, überlegte der Butler weiter, nachdem er die Klappe der Bratröhre kurz geöffnet hatte. Er klinkte den Kühlschrank auf und warf einen kurzen Blick in das Tiefkühlfach. »Nun?« erkundigt sich Rander belustigt. »Einige tiefgefrostete Steaks«, stellte der Butler fest, »die Eiswürfelschale ist gefüllt. Der Eismantel ist relativ dick, Mister Lambert scheint also seit einiger Zeit nicht mehr abgetaut zu haben.« »Und was schließen Sie daraus?« »Das Tiefkühlfach kommt als Versteck etwaiger Unterlagen nicht in Betracht«, stellte der Butler fest und richtete sich wieder auf, »Unterlagen müssen griffbereit sein, sie können nicht jedes Mal neu abgetaut und dann wieder tiefgefrostet werden.« »Klingt einleuchtend, Parker. Und weiter?« »Bleibt als mögliches Versteck nur die Hausbar, Sir.« »Sie müssen's ja wissen, Parker.« Rander folgte seinem Butler hinüber in den großen Wohnraum. Der Butler steuerte zielsicher die Hausbar an, die in einer Ecke stand.
Es handelte sich um einen spanischen Import. Es gab einen hohen Tresen mit einigen Barhockern, deren Sitze dick gepolstert waren. Hinter diesem Tresen befanden sich ein kleines Spülbecken, Flaschenbehälter und ein Kühlschrank. Die Bar war gut bestückt. Lambert schien geistigen Getränken gern zuzusprechen. »Rechnen Sie mit irgendwelchen Geheimverstecken?« erkundigte sich Mike Bander. »Wir haben hier ebenfalls einen Kühlschrank.« Parker schien nichts gehört zu haben. Er näherte sich den vier Barhockern und fuhr mit der Spitze seines UniversalRegenschirms prüfend über die Ledersitze. »Hier müßte sich das gesuchte Versteck befinden«, sagte er dann wie selbstverständlich und deutete mit dem Regenschirm auf den zweiten Sitz von links. »Wie, bitte?« Rander staunte sichtlich. »Darf ich mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf die Fingerspuren zu lenken, die an der Unterseite der Lederpolsterung zu erkennen sind?« »Na und?« Statt zu antworten, befaßte Parker sich mit dem Sitz. Seine schwarz behandschuhten Finger glitten prüfend und vorsichtig tastend über die Ziernägel, die das Sitzleder am Sitzschaft festhielten. Dann hörte Rander ein feines Klicken, und Sekunden später klappte Parker den Sitz wie den Deckel einer kleinen Truhe auf. »Wenn Sie sich bedienen wollen, Sir!« Parker griff in die runde Höhlung und reichte seinem Herrn ein schwarz gebundenes Notizbuch. »Wie sind Sie ausgerechnet auf den Barhocker gekommen?« staunte Rander. »Intuition, Sir. Und eben die Fingerwischspuren am Leder,
die unterhalb der Sitzfläche ein wenig deplaciert wirken.« Rander nickte geistesabwesend und blätterte bereits in dem Notizbuch. »Die reinste Goldader«, sagte er dann hochblickend. »Namen, Adressen und Daten. Die Zahlenkolonnen dürften sich auf verliehende Geldbeträge beziehen. Nehmen wir das Buch mit, Parker?« »Ich war so frei, Sir, an meine Kleinstkamera zu denken«, sagte der Butler gemessen und zog aus einer seiner vielen Westentaschen eine Art Minox hervor, die einen recht gediegenen Eindruck machte.
Sie stiegen ziemlich leichtfüßig über die mannshohe Ziegelmauer, die den Garten und das Grundstück zur Gasse hin abschloß. Dabei benahm Cleveland sich, gewandter und geschmeidiger als das Riesenbaby Longless. Cleveland mußte sich abmühen, die Fleisch- und Muskelmassen seines Schützlings an der Mauer hochzustemmen. Clevelands Stimmung sank bei dieser schweißtreibenden Arbeit unter den Nullpunkt. Longless war auf seine Schultern gestiegen und zog sich hoch. Dabei strampelte er mit seinen stämmigen Beinen herum und benutzte Clevelands linkes Ohr als Trittbrett. Was Cleveland nicht besonders gern hatte, »Idiot!« fluchte er und versetzte seinem Schützling einen energischen Stoß.
Longless wurde hochgewuchtet und konnte sich auf der Mauerkrone nicht halten. Er rutschte über sie hinweg und plumpste auf der Gartenseite hinunter ins Erdreich. Er hinterließ dank seiner Körpermasse einen Einschlagkrater von rund 20 Zentimetern. Wenig später war Cleveland neben ihm. »Reiß dich bloß zusammen, Junge«, fauchte er seinen Schützling wütend an. »Wir sind nicht auf 'nem Betriebsausflug.« »Sieh‘ dir das Fenster an«; antwortete Longless begeistert, »weit geöffnet.« »Sieht tatsächlich gut aus«, meinte Cleveland und nickte versöhnt, »man muß sich immer wieder wundern, wie leichtsinnig die Menschen sind.« Sie marschierten zu dem geöffneten Fenster im Erdgeschoß und kamen gar nicht auf die Idee, es könnte sich um eine Falle handeln. Sie waren sich ihrer Sache wieder mal zu sicher.
Hubert Melwick war ein großer, korpulenter Mann von vielleicht 50 Jahren. Er trug einen altmodisch geschnittenen Anzug, der irgendwie zu seinem üppigen Oberlippenbart paßte. Das graue Kopfhaar war kurz geschoren, die Augen über der fleischigen Nase waren kühl und schienen unentwegt abzuschätzen. »Was soll's denn sein?« fragte er, nachdem Parker höflich seine schwarze Melone gezogen hatte. Melwick stand hinter der Theke seiner Pfandleihe. An den Wänden seiner Pfandleihe und rechteckig davor befanden sich Regale, die mit Pfandgegenständen aller Art dicht besetzt waren. »Ich möchte mir erlauben, gleich mit der Tür ins Haus zu
fallen«, begann Parker höflich. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf diese Taschenuhr lenken?« Während Parker noch sprach, präsentierte er dem Pfandleiher eine lange Tachenuhrkette aus Gold, an deren Ende sich eine große, unförmig aussehende Uhr befand. Hubert Melwick nahm sie entgegen und klemmte sich eine Optikerlupe ins linke Auge. Er ließ die diversen Sprungdeckel der Uhr aufspringen und befaßte sich dann intensiv mit dem Uhrwerk. »Wo haben Sie sie her?« fragte er dann geschäftsmäßig. »Sie stammt aus Familienbesitz«, erläuterte der Butler. »Aus Ihrer Familie?« »Sozusagen.« »Wieviel erwarten Sie dafür?« »20 Pfund«, antwortete Parker, »sie ist wenigstens das dreifache wert.« »10 Pfund«, sagte Melwick und ließ die diversen Sprungdeckel wieder zuschnappen. »Hier sind die Bedingungen. Ihr Pfand verfällt, wenn Sie's nach drei Monaten nicht abholen.« »Nun denn«, sagte Parker, »ich werde mich Ihrem Angebot wohl beugen müssen, wenngleich ich mit wesentlich mehr Geld gerechnet habe.« »Jeder irrt mal«, sagte Melwick, »wollen Sie oder wollen Sie nicht?« »Ich bin einverstanden. Vielleicht komme ich in einer Stunde noch mal vorbei und bringe ein zusätzliches Pfand.« »Aus Familienbesitz?« erkundigte sich Melwick mit leichter Ironie. »In der Tat, aus Familienbesitz«, erwiderte Parker. »Sie brauchen die Flöhe dringend, wie?«
»Wenn ich Sie recht verstanden habe, meinen Sie Geld?« »Flöhe - Geld ...!« Melwick nickte. »Ich muß einräumen und gestehen, daß ich mich ein wenig verspekuliert habe.« Wieviel brauchen Sie denn wirklich, um aus der Patsche zu kommen?« Melwick fragte beiläufig. .Insgesamt 50 Pfund.« »Sie haben einen festen Job?« »Gewiß, Sir. Ich bin Butler.« »Bei wem?« »Sir Archibald Home!« »Lassen Sie sich in einer Stunde mal wieder sehen«, schlug Melwick vor, »vielleicht kann ich Ihnen das Geld beschaffen. Billig ist's aber nicht, das sage ich Ihnen gleich!« »In der Not frißt der Teufel Fliegen, wie der Volksmund es so treffend auszudrücken beliebt.« »Hier sind die zehn Pfund«, sagte Melwick und legte einige Banknoten auf den Tresen, »wie gesagt, in einer Stunde können Sie mehr haben.« »Ich werde mit Sicherheit noch mal Ihr Ladenlokal aufsuchen«, antwortete Parker, um die Pfandleihe dann würdevoll und gemessen zu verlassen. Hubert Melwick sah dem Butler nach. Dann befaßte er sich wieder mit der Uhr. Er klemmte sich erneut die Optikerlupe ins Auge und untersuchte das Innere des Werkes. Anschließend nahm er sie mit in sein kleines Büro, das sich in einem Hinterzimmer befand. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.
Sie befanden sich in eine Art Euphorie. Nach ihrem seelischen Tief hatten sie dem Alkohol etwas zu nachdrücklich zugesprochen. Die Niederlage in Gips war längst Vergangenheit. Es zählte nur noch die Gegenwart und das offene Fenster im Erdgeschoß. Innerhalb der nächsten fünf Minuten würden sie die kleine Blonde unter Kontrolle haben. Und dann brauchten sie nur noch auf die Rückkehr von Rander und Parker zu warten. »Los, bück dich«, sagte Cleveland, als sie das Fenster erreicht hatten. Er wollte sich vor allen Dingen das Ohr nicht noch mal deformieren lasse. Longless, das wohlbeleibte Riesenbaby, machte einen Buckel. Cleveland stieg auf und trat mit dem rechten Fuß auf die Fensterbank. In diesem Augenblick aber richtete sich Longless bereits wieder auf. Was Cleveland nicht sonderlich gut bekam. Wie von einem Katapult geschleudert, schoß er kopfüber in den Raum und blieb krachend auf dem Boden liegen. »Alles in Ordnung, Clevie?« fragt Longless, der jetzt ebenfalls durchs Fenster stieg. »Sowas wie du gehört in 'ne Zwangsjacke«, stöhnte Cleveland, der sich vorsichtig erhob, »kannst du denn nicht aufpassen?« »Tu« ich doch die ganze Zeit«, behauptete Longless und sah sich in dem Zimmer neugierig und erwartungsvoll um, »Ich bin prima in Form, gehen wir weiter, Clevie. Wir wollen die kleine Carlson doch nicht warten lassen.« Cleveland massierte sich die gestauchte Schulter und fuhr
sich über den rechten Oberarm. Dann schloß er sich Longless an und steuerte auf die Tür zu, die wahrscheinlich ins Treppenhaus führte. Die beiden Superkiller fuhren entsetzt herum, als hinter ihnen plötzlich ein leicht rasselndes Geräusch und ein Schnappen zu hören war. Wie gut Cleveland im Grund war, zeigte sich daran, daß er seine Schußwaffe schon nach dem zweiten Versuch in der Hand hatte. Der erste Versuch war an seinem zugeknöpften Jackett gescheitert. Longless schnaufte nervös, als er das engmaschige Drahtgitter sah, wodurch das Fenster verschlossen war. »'ne Falle«, keuchte er dann. »'rüber zur Tür!« brüllte Cleveland und rannte los. Da Longless dies ebenfalls tat, kamen sie sich etwas ins Gehege. Longless' Körper schaffte es mit Leichtigkeit, Cleveland erneut zu Boden zu schicken. Longless kümmerte sich nicht weiter um seinen Ausbilder. Er näherte sich der Tür und riß sie auf, das heißt, er wollte es, doch er hielt nur die Klinke in der Hand, die sich aus dem Schloß gelöst hatte. Da Longless mit Vehemenz gezogen hatte, war sein Rückstoß entsprechend. Er verlor das Gleichgewicht und rammte mit seinem breiten Rücken den sich gerade erhebenden Cleveland. Longless begrub seinen Ausbilder unter sich. Cleveland zappelte zuerst wütend, dann energisch herum und rollte sich unter seinem Schützling weg, der die Klinke, die in seiner Hand lag, verwundert anstarrte. »Du Flasche!« knurrte Cleveland und rannte nun seinerseits zur Tür. »Sooo macht man das!« Er warf sich gegen die Füllung, die einen leichten und
zerbrechlichen Eindruck machte. Was sie aber nicht war! Sie bestand aus Stahlblech ansehnlicher Stärke. Und sie federte zurück! Cleveland brüllte auf, wurde zurückgeschleudert und faßte dann nach seiner schmerzenden Schulter. »Blinder Eifer schadet nur, Clevie«, bemerkte Longless vom Boden her. Seine Stimme klang mahnend und ein wenig altklug. »Noch ein Wort, und ich bring' dich um«, knirschte Cleveland. »Hast du wenigstens gemerkt, daß wir in 'ner Falle sitzen?« »Vielleicht will Parker uns wieder eingipsen«, meinte Longless nervös. »Hör' bloß auf!« »Oder er sorgt dafür, daß wir den Blinddarm 'rausbekommen«, unkte Longless weiter. »Dem trau' ich doch alles zu!« »Half endlich das Maul!« »Moment mal«, überlegte Longless, um seinen Ausbilder dann fast triumphierend anzusehen, »den Blinddarm hab' ich ja gar nicht mehr. Und wie sieht es bei dir aus, Clevie?«
»Hat er irgend etwas gemerkt?« erkundigte sich Mike Rander, nachdem sein Butler zurück zum Wagen gekommen und eingestiegen war. »Mister Melwick sah sich die Uhr sehr genau an«, gab der Butler zurück, »er üßersah allerdings die Goldkette.«
»Und in der befindet sich Ihr Minisender?« »In der Tat, Sir! Im Ziermedaillon oben an der Lasche.« »Lassen wir uns also überraschen« meinte Rander. »Haben Sie den Empfänger schon eingeschaltet?« Parker nickte. Durch einen versteckt angebrachten Knopf am Autoradio ließ der Empfänger sich auf die Festfrequenz von Parkers diversen Minisendern umstellen. Zu hören war allerdings noch nichts. Hubert Melwick schien sich im hinteren Räum aufzuhalten. Rander und Parker saßen im hochbeinigen Wagen des Butlers in einer nahen Seitenstraße. Um eine fachgerechte Übertragung brauchten sie sich nicht zu sorgen. Parkers Bastelarbeiten hatten sich bisher immer durch Präzision ausgezeichnet. »Da ... Schritte ...!« stieß der Anwalt unwillkürlich hervor, als das Autoradio die Übertragung aus der Pfandleihe aufnahm. Rander hatte richtig gehört. Da waren Schritte, Räuspern, ein Hüsteln, dann das Öffnen der Ladentür. Hubert Melwick grüßte einen eintretenden Kunden und fragte ihn nach seinen Sorgen und Wünschen. Die Unterhaltung war knapp und unverfänglich. Der Kunde brauchte Geld und wollte eine Uhr versetzen. Melwick war von dem Angebot nicht, begeistert und schickte den enttäuschten Kunden nach wenigen Minuten mit einem halben Pfund zurück auf die Straße. Dann waren wieder Schritte zu hören, das Knarren des Fußbodens, das Schlagen einer Tür, Räuspern und Hüsteln und dann das Wählen einer Telefonnummer. »Hoffentlich sind wir dran«, flüsterte Rander unwillkürlich. Er saß im Fond des Wagens und beugte sich nach vorn zum geöffneten Trennfenster, um noch besser hören zu können.
»Melwick hier«, vernahmen Rander und Parker, »ich hätte da einen neuen Kunden - 50 Pfund - Eine sichere Sache - Ja, der Mann hat eine feste Anstellung. - ich glaube nicht, daß er ein Risiko ist - Soll ich vorschießen? - Bitte, wie er aussieht? Der Mann ist Butler - Ja, Butler - Ach so - Ja, kapiert - In Ordnung!« Melwick legte auf und schien einen Moment vor dem Telefon stehen zu bleiben. Dann ächzten wieder die Dielenbretter, die Schritte entfernten sich. »Aus Ihren 50 Pfund wird wohl nichts werden«, sagte Rander lächelnd zu Parker. »Ihr Aussehen scheint sich bereits in einschlägigen Kreisen 'rumgesprochen zu haben.« »Die Kredithaie sind in der Tat gut informiert«, stellte Parker fest. Er wirkte etwas nachdenklich. »Kunststück, Parker«, gab Rander zurück. »Herbie und Joe haben Sie ja aus nächster Nähe gesehen. Die werden, schon entsprechend berichtet haben.« »Gewiß, Sir.« »Können Sie herausfinden, mit wem Melwick gesprochen hat?« stellte Rander die entscheidende Frage. »Die Übertragung ist auf Tonband aufgezeichnet«, gab der Butler zurück und wies auf den flachen Kassettenrecorder unter dem Autoradio. »Die Reihenfolge der einzelnen gewählten Nummern wird sich auszählen lassen.« »Dann hätten wir doch über diesen Lambert hinaus einen weiteren Anhaltspunkt.« »Wahrscheinlich, Sir.« »Sie glauben nicht, daß Melwicks Gesprächspartner der eigentliche Kredithai gewesen ist?« »Nach Lage der Dinge scheint dies ausgeschlossen«, antwortete der Butler. »Darf ich übrigens vorschlagen, Mrs.
Hatfield einen Besuch abzustatten, bevor wir zurück nach Hause fahren, Sir? Wahrscheinlich ist sie inzwischen in der Lage, einige zusätzliche Angaben zumachen.«
»Und Laura hat gesprochen?« wollte Vivi Carlson eine knappe Stunde später wissen. Rander und Parker waren ins Haus zurückgekehrt. »Mrs. Hatfields Angst hat sich inzwischen höchstens noch gesteigert, aber sie hat ungewollt den Namen ihres Kreditgebers bestätigt.« »Und der ist?« Vivi Carlson war ganz Erwartung. »Hubert Melwick!« sagte Rander. »Der Pfandleiher scheint so eine Art Kreditvermittler in der Gegend zu sein.« »Dann hat er also die Schläger zu Laura geschickt?« »Damit dürfte er nur sehr entfernt zu tun haben«, meinte Anwalt Rander. »Diese Dinge regelt Lambert. Aber darüber mehr. Seit wann befinden unsere Dauerschatten sich denn im Käfig?« »Sie waren etwa eine halbe Stunde fort, als sie im Garten erschienen.« Vivi Carlson schmunzelte. »Sie schöpften nicht den geringsten Verdacht. Und ich glaube sogar, sie waren ziemlich angetrunken.« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mich mit den beiden Herren jetzt ins Benehmen setzen«, schlug der Butler vor. »Genießen Sie Ihren Triumph!« Parker deutete eine Verbeugung an und verließ das Zimmer. Er ging über den Korridor hinüber in den kleinen Seitenflügel des Hauses und blieb vor einer Tür stehen, die aus Stahlblech bestand. Er
öffnete einen kleinen Spion in der Tür und beobachtete Cleveland und Longless, die wie zwei gereizte Tiger im abgesperrten Zimmer herumliefen. Parker betrachtete sie fast liebevoll. Er wußte natürlich seit geraumer Zeit, welche Spezialisten man ihm und seinem jungen Herrn nachgeschickt hatte. Cleveland und Longless hatten sich bisher nicht durch übermäßig große Intelligenz ausgezeichnet, dennoch blieben sie natürlich gefährlich. Man durfte sie grundsätzlich nicht unterschätzen. Aber Parker hatte sich inzwischen an sie gewöhnt und wußte sie zu taxieren. Sie waren ihm immerhin lieber als zwei neue Profis, deren Taktieren man erst noch studieren mußte. Er hoffte, daß das Syndikat vorerst nicht daran dachte, Cleveland und Longless in die Staaten zurückzubeordern. Im Moment störten Cleveland und Longless. Parker wollte sie für einige Tage außer Gefecht setzen, bis diese leidige Angelegenheit mit dem Kredithai erledigt war. Dann sollten Cleveland und Longless von ihm aus erneut in Aktion treten und sich wieder etwas einfallen lassen. Parker drückte auf einen Knopf, der über der Tür angebracht war. Dann wandte er sich ab und ging zurück zu seinem jungen Herrn. Was sich jetzt im Zimmer abspielte, kannte er nur zu gut. Es interessierte ihn nicht.
»Neiiin! Nicht schon wieder.« Cleveland hatte diesen Satz ausgestoßen und deutete entsetzt hinauf zur Zimmerdecke. Longless lächelte dümmlich und interessiert. »Wir bekommen Nebel, was?« fragte er.
»Schlafgas!« stöhnte Cleveland. »Ich hab's die ganze Zeit über erwartet, Junge.« »Gas!?« Longless wich zurück. »Parkers Masche«, erklärte Cleveland, »in ein paar Minuten schnarchen wir um die Wette.« »Mehr nicht!?« »Das ist es doch nicht! Aber was macht er mit uns, wenn wir pennen? Wie und wo wachen wir wieder auf? Das macht mich immer so kribbelig.« Die beiden Profis starrten auf den feinen Nebel, der schnell den Raum füllte. Ein Entwischen war ausgeschlossen. Sie mußten mit sich geschehen lassen, was Parker inszeniert hatte. »Ich hau' mich hin«, erklärte Longless phlegmatisch. »Den Hals wird's uns nicht gerade kosten.« »Mann, dein Gemüt möcht' ich haben. Ich könnt' alles kaputthauen.« Cleveland sah sich gereizt um und zog dann seine Schußwaffe. Er war versucht, hinauf zur Decke zu schießen. »Laß doch den Krach«, murmelte Longless, dessen Augenlieder schwer wurden. »Ändern kannst du ja doch nichts. Cleveland stieß seine Schußwaffe zurück in die Schulterhalfter und setzte sich neben Longless. Er hatte eingesehen, daß er sich fügen mußte. »Hoffentlich macht er's diesmal gnädig!« murmelte er dann und dachte an Parkers Trickkiste, die bisher immer gut gefüllt gewesen war.
Zu der Zeit, als Cleveland und Longless gerade einschliefen, kamen Lambert, Herbie und Joe wieder zu sich. Übrigens kurz hintereinander. Sie sahen sich ziemlich verbiestert und irritiert an und wußten nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollten. »Ich glaube, ich habe geschlafen«, sagte Lambert geistreich. »Ich bin sicher, daß ich 'ne Mütze voll Schlaf genommen habe«, stellte auch Herbie fest. »Sollte man öfter tun, dann bleibt man in Form«, gab Joe von sich und reckte sich ausgiebig. »Aber wieso?« Lambert erinnerte sich an den stechenden Schmerz und griff nach seinem Gesäß. »Eine Reißzwecke«, wunderte er sich. »Bei mir auch«, meldete Herbie. »Wer hat das getan?« fauchte Joe, der seine Reißzwecke ebenfalls gefunden hatte. Statt zu antworten, griff Lambert sofort nach seiner Brieftasche und den Schlüsseln. Herbie und Joe sorgten sich um ihre Schuß-Stich-und-Hiebwaffen. »Alles an Bord«, wundert sich Lambert. »Moment mal, ich hab' da so was wie 'nen Butler gesehen. Vorn, vor dem Kühler.« »Parker!« riefen Herbie und Joe wie aus einem Mund. »Genau«, sagte Lambert. »Er muß uns das eingebrockt haben.« »Woher hat er denn gewußt, daß ...?.«, Herbie sah Lambert alarmierend an. »Ich muß sofort 'rüber in meine Wohnung«, stieß Lambert hervor. »Los, 'raus mit euch, Jungens. Nehmt euch ein Taxi. Ihr beobachtet Parkers Bau, bis ich aufkreuze, klar?« »Muß das sein?« fragte Herbie abwehrend.
»Können wir nicht lieber ein paar faule Kunden auf Vordermann bringen?« er kündigt sich Joe. »Haut ab!« Lambert wartete nicht ganz ab, bis seine beiden Eintreiber aus dem Wagen waren. Er fuhr bereits langsam an. Als Herbie und Joe auf der Straße waren, preschte er los, als säße ihm der Teufel im Nacken. Er kurvte zurück nach Hause, so schnell es sich einrichten ließ. Als er vor seinem Apartment stand, zog er seine Schußwaffe, öffnete vorsichtig und stieß dann die Tür ruckartig auf. Er ließ sich gekonnt in den Vorraum hineinfallen, absolvierte eine Rolle und sah sich dann schußbereit nach etwaigen Besuchern um. Mißtrauisch stand er auf, durchsuchte Bad und Schlafraum und beschäftigte sich anschließend mit einem seiner Barhocker. »Puh«, stieß er erleichtert aus, als er das schwarze Notizbuch fand. Er wog es fast dankbar in der Hand und konnte plötzlich wieder grinsen, »'nen Moment lang hab' ich wirklich gedacht, er hätt' sich das Buch unter den Nagel gerissen.«
Der kleine Mike war ein gut erzogener Knabe, der sich beim Abendessen sehr manierlich benahm, wie Parker erfreut feststellte. Der Junge hatte ausgiebig geschlafen und machte nun einen hellwachen Eindruck. Er saß wie ein Erwachsener am Tisch und ließ den Butler nicht aus den Augen. »So was wie dich hab' ich schon im Fernsehen gesehen«, sagte er plötzlich zu Parker. »Bilden Sie sich was drauf ein, Parker«, rief Rander
amüsiert. »In Kriminalstücken«, erläuterte der Knabe. »In einem Stück war mal der Butler der Mörder.« »Du siehst dir schon Kriminalstücke an?« erkundigte sich Vivi Carlson bei ihrem kleinen Gast. »Immer«, antwortete Mike, »aber meist wird zu wenig geschossen.« »Schein und Wirklichkeit«, sägte Rander in Richtung Parker. »In einer Stunde wird ein Krimi gesendet«, avisierte Mike altklug. »Ich freu mich schon darauf, Sir.« »Wie heißt denn das Stück?« Vivi beugte sich zu Mike hinüber, der seinen Teller zurückgeschoben hatte. »Die Killer von Soho«, antwortete Mike. »Wahrscheinlich wird es ein paar Tote geben.« Rander amüsierte sich. Mike, wie gesagt, acht Jahre alt, wohlerzogen, mit einem erstaunlich guten Sprachschatz ausgestattet, altklug und Brillenträger dazu, wirkte wie die Kleinstausgabe eines Erwachsenen. »Mister Mike scheint sich auf dem Gebiet der Kriminalität recht gut auszukennen«, schaltete der Butler sich ein. »Ich möchte behaupten, daß er über ein sehr gutes Beobachtungsvermögen verfügt.« »Ich weiß meist schon nach der ersten Viertelstunde, wer der Mörder ist«, sagte Mike höflich und rückte sich seine Brille zurecht, die ihm etwas Eulenhaftes und Weises verlieh. »Dann weiß Mister Mike auch sicher, daß seine Mutter in gewissen Schwierigkeiten steckt. »Natürlich, Sir«, antwortete Mike und sah den Butler ernst an. »Ich war ja dabei, als die beiden Gangster zu ihr kamen. Man hat mich zwar hinaus in den Korridor geschickt, aber ich habe alles mitbekommen.«
»Es geht um einen Kredit«, sagte Parker. »Meine Mütter wäre besser zu einer Bank gegangen.« Rander staunte nur noch. Mike redete nicht nur altklug, er schien auch genau zu wissen, was er sagte. »Und wohin ging die Mutter?« wollte Parker wissen. »Vielleicht hat Mister Mike es festgestellt?« »Wer ihr das Geld gegeben hat, weiß ich nicht«, erwiderte der Knabe. »Aber meine Mutter war häufig bei Mister Finnegan.« »Mister Finnegan?« Rander sah seinen Butter schnell an. »Er wohnt bei uns im Viertel«, redete Mike weiter. »Vielleicht können Sie damit etwas anfangen, Sir.« »Wahrscheinlich«, gab Parker gemessen zurück. »Ich bedanke mich für die Mitarbeit, Mister Mike.« »Werden Sie auf meine Mutter aufpassen?« erkundigte sich Mike. »Ihr wird nichts passieren«, schaltete Mike Rander sich ein. »Dann möchte ich mir jetzt den Kriminalfilm ansehen«, bat Mike und stand auf, als Vivi Carlson nickte und die Tafel aufhob. Mike verbeugte sich höflich nach allen Seiten und marschierte ohne Hast aus dem Zimmer. »Bemerkenswert«, sagte Rander, der ihm nachsah. »Es wird höchste Zeit, daß er in einen Kindergarten kommt und ein normales, verspieltes Kind wird«, meinte Vivi Carlson. »Darum wollte meine Freundin Laura wohl so schnell wie möglich einen Platz für Mike kaufen.« »Er wird ihn bekommen, dafür werde ich schon sorgen«, warf Rander lächelnd ein. »Was halten Sie von Mikes Hinweis auf Finnegan, Parker?.« »Mister Finnegan bedarf noch einer genauen Überprüfung, Sir, zumal die beiden Eintreiber Herbie Cool und Joe Bander
bei ihm angestellt sind.« »Könnte Finnegan der Kredithai sein?« tippte Vivi Carlson an. »Er steht ganz oben auf unserer Liste«, sagte Rander. »Zusammen mit dem Pfandleiher Melwick.« »Warum mag Laura sich nicht an ihren Chef Clonmark gewandt haben?« fragte Vivi nachdenklich. Sie kannte alle Einzelheiten und hatte von Rander erfahren, daß Clonmark bereit gewesen war, Laura Hatfield die dringend benötigten 50 Pfund zu leihen. »Auch dieser Punkt bedarf noch einer Klärung«, ließ der Butler sich vernehmen. »Darf ich abräumen, Sir?« »Natürlich. Den Kaffee nehmen wir in der Bibliothek, Parker. Übrigens, was ist eigentlich aus unseren Dauerschatten geworden? Sie waren erstaunlich schnell wieder zurück.« »Die Bewegungsfreiheit der Herren Cleveland und Longless konnte erheblich und nachdrücklich eingeschränkt werden«, meldete der Butler gemessen. »Ich war in der Lage, einen glücklichen Zufall ausnützen zu können.« »Hoffentlich haben Sie's nicht zu arg getrieben«, meinte Vivi fast mitleidig. »Keineswegs«, antwortete Parker. »Die betreffenden Herren befinden sich in guter Gesellschaft und dürften sich kaum langweilen.«
Paul Mark, seines Zeichens Tierpfleger im Zoo, ein handfest aussehender, muskulöser Mann von etwa vierzig Jahren, machte seine abendliche Abschluß- und Kontrollrunde im Zoo. Paul Mark war für die Affenabteilung zuständig und rechnete auch an diesem Abend mit keinerlei Überraschung.
Die Tiere waren gefüttert und würden nach Sonnenuntergang nicht mehr lange aufbleiben. Der Tierpfleger schlenderte entspannt und ausgeglichen auf das große Affenhaus zu, vor dem sich die Freigehege befanden. Er merkte erst mit einiger Verspätung, daß dort irgend etwas nicht stimmte. Statt der um diese Zeit erwarteten Ruhe war ein aufgeregtes Lärmen und Schreien zu hören. Paul Mark beschleunigte seine Schritte. Er bog um die großen Sträucher herum, die den breiten Weg säumten, und blieb dann betroffen stehen. Die Schimpansen waren es vor allen Dingen, die sehr aufgeregt waren. Sie rannten und sprangen im Freigehege herum, rasten zurück durch die Schleuse ins Affenhaus und waren Sekunden später wieder draußen. Als sie Paul Mark ausmachten, steigerte sich ihre Aufregung noch. Sie versammelten sich am breiten und tiefen Wassergraben des Freigeheges und lärmten noch mehr. »Was ist denn los, Jungens?« rief Paul Mark ihnen zu und kam hastig näher. Die Schimpansen starrten ihn aus dunklen, klugen Augen an und waren plötzlich still. »Was soll denn der Krach?« fragte Paul Mark, der zu seinen Tieren ein gutes Verhältnis hatte. Die Schimpansen brachen wieder in Lärm aus und rannten im Rudel zurück zur Schleuse, die nach ihnen ins Affenhaus führte. Im Haus schien sich der Grund für ihre Aufregung zu befinden. Paul Mark wurde von Unruhe erfaßt. Er beeilte sich, in das Affenhaus zu gelangen. Er drückte die Tür auf und schaute sich um. Hier im Kuppelbau war der Lärm der Affen fast unerträglich. Die Schimpansen hatten sich an einem
Trenngitter zu einem anderen Käfig versammelt und warfen mit Banananschalen und anderen Früchteresten. Sie stürmten gegen das Trenngitter an, stoppten dann jäh, drehten ängstlich ab und begannen erneut mit diesem Spiel. Die großen Menschenaffen benahmen sich wesentlich scheuer in ihren zusätzlich durch Glas abgeschirmten Käfigen. Die Orangs saßen hoch oben auf ihren Sitzbrettern und drängten sich ängstlich zusammen. Die Gorillas hatten dieses Stadium gerade überwunden. Zwei von ihnen, stämmige, mächtige Tiere, pirschten sich an eine Trennwand heran und rüttelten dann wütend an den dicken Gitterstäben. Paul Mark ging schnell nach vorn zu den Gitterwänden und schaute in den leeren, mittleren Käfig, dessen Einrichtung umgestaltet werden sollte. Er sah hinein und - erstarrte! Sein Gesicht färbte sich kalkweiß. Dann drehte Paul Mark sich auf dem linken Absatz um und rannte, wie von Furien gehetzt, hinaus ins Freie, um seinem Chef eine unglaubliche Nachricht zu hinterbringen.
Longless kam zu sich und fühlte sich eigentlich nicht schlecht. Er hatte einen tiefen und festen Schlaf hinter sich, reckte und dehnte sich und richtete sich auf. Er stemmte sich dabei mit seinem Rücken gegen die Wand ab und - stieß dann einen gellenden Schrei aus. »Halt doch die Klappe«, maulte Cleveland, der ebenfalls aus seinem Schlaf erwachte. Er drückte Longless gereizt von sich, denn sein Schützling hatte sich ein wenig zu heftig auf ihn geworfen.
»Clevie!« hauchte Longless mit ersterbender Stimme, »Clevie, sieh' dich um.« »Ja doch.« Cleveland rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaute sich um. »Himmel!« stöhnte er dann und wich entsetzt zurück. »Nicht rühren«, flüsterte Longless seinem Ausbilder zu. Er drängte sich an Cleveland und atmete vorsichtig. Dann schrie er erneut auf, als ein langer, schwarzbehaarter Arm durch die nahen Gitterstäbe langte. »Halt doch den Mund!« beschwor Cleveland seinen Schützling. »Du machst die Bestien nur nervös.« Er fühlte den Schweiß auf seiner Stirn und kam sich hilflos und wie ausgeliefert vor. Was mit der Unterbringung zusammenhing, für die er vorerst noch keine Erklärung fand. Zusammen mit dem Riesehbaby Longless saß er auf einem relativ schmalen Brett, das sich etwa vier Meter über dem Boden befand. Hinunter zum Boden führte nur ein dickes Seil. Von der Decke hingen - an dicken Ketten befestigt Autoreifen und Schaukelbretter. Im Raum war es fast drückend heiß. Es roch nach tierischen Ausdünstungen und nach leicht fauligem Obst. Was wohl mit den zerquetschten Bananen zusammenhing, die neben Longless auf dem Sitzbrett lagen. »Ob die hier 'reinkommen können?« flüsterte Longless seinem Ausbilder zu. Bevor Cleveland antworten konnte, war ein röhrendes Brüllen zu hören, das von klirrendem Scheppern begleitet wurde. Mächtige, schwarz behaarte Arme rüttelten an einem Gitter und schienen es aus seiner Verankerung zu lösen. »Clevie!« stöhnte Longless und schloß die Augen. »Gar nicht hinhören«, keuchte Cleveland und stopfte sich seine Zeigefinger in die Ohrmuscheln.
Paul Mark und der Zoodirektor sausten förmlich ins Innere des Affenhauses und blieben beeindruckt vor dem mittleren Käfig stehen. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte der Zoodirektor und befeuchtete mit der Zunge die trocken gewordenen Lippen. »Jetzt sind sie munter geworden«, fügte Paul Mark hinzu, womit er keineswegs übertrieb. Die beiden riesigen Menschenaffen, die erstaunlicherweise mit bunten Unterhosen-Shorts bekleidet waren, ließen sich gerade wenig geschickt an einem dicken Ende Tau von dem hohen Schlafbrett hinunter auf den Boden. Einer der beiden Menschenaffen wirkte wie ein Riesenbaby, rosig, üppig gepolstert und ungelenk. Der zweite Halbwilde war sportlich durchtrainiert. Was ihm aber kaum etwas nutzte, als das rosige Riesenbaby den Halt verlor und auf ihn hinunterfiel. Die beiden Affenmenschen purzelten auf dem Boden übereinander, worüber die Orangs, die Gorillas und die Schimpansen sichtlich ins Lachen gerieten. Die anfängliche Scheu der Menschenaffen hatte sich nämlich inzwischen gelegt. Sie beobachteten die Vettern im Mittelkäfig mit offensichtlichem Spott. »Holen Sie sie 'raus!« ordnete der Direktor an und deutete auf die Gittertür. Paul Mark nickte und bastelte am Schloß. »Was hat das zu bedeuten?« schnauzte der Zoodirektor die
beiden Affenmenschen Cleveland und Longless an. Sie hatten sich erwartungsvoll an der Gittertür aufgebaut. »Da scheint sich einer einen Streich ausgedacht zu haben«, sagte Cleveland. »Wie sind Sie in den Käfig geraten?« wollte der Zoodirektor wissen. »Man muß uns betäubt haben«, mutmaßte Longless. »Wann können wir endlich 'raus?« »Das Schloß ist kaputt, Chef«, rief Paul Mark von der Tür her. »Da steckt irgendwas in der Sperre.« »Wir können hier doch nicht übernachten rief Cleveland nervös. »Tun Sie endlich was, Direktor!« »Genau! Ich werde nämlich die Polizei verständigen.« Der Zoodirektor winkte Paul Mark zu sich. »Rufen Sie das Revier an, Mark! Die ganze Geschichte kommt mir ziemlich undurchsichtig vor.« »Warum regeln wir das nicht unter uns?« schlug Cleveland hastig vor. »Gehen Sie schon, Mark«, rief der Zoodirektor seinem Pfleger zu. »Beeilen Sie sich!« Cleveland bekam daraufhin einen leichten Wutanfall. Er wollte nicht schon wieder verhört werden und in eine Untersuchungszelle. Wütend umspannten seine Finger die dicken Gitterstäbe und rüttelten an ihnen. In diesem Moment wirkte er wie ein Gorilla-Albino, was seiner weißen Haut zuzuschreiben war. Der Zoodirektor wich unwillkürlich vom Gitter zurück, als Cleveland zusätzlich noch die Zähne fletschte. Die Menschenaffen fühlten sich durch Clevelands Attacke animiert und bestürmten jetzt ebenfalls ihre Gitter. In Sekunden glich das Affenhaus einer Lärmhölle.
Longless untersuchte inzwischen die Schleuse, die nach außen ins Freigehege führte. Als er den einfachen Mechanismus durchschaut hatte, rannte er zu Cleveland und brüllte ihm etwas ins Ohr, worauf Cleveland das Gitter losließ und zögernd seinem Schützling folgte. »Bleiben Sie hier!« rief der Zoodirektor. »Sie können uns doch nicht entwischen.« Er dachte in seiner Verwirrung in äffischen Dimensionen, nämlich an den tiefen und breiten Wassergraben, der das Freigehege umgab und eine Flucht der Tiere unmöglich machte. Diesem Wassergraben sahen sich Cleveland und Longless sehr bald schon gegenüber. Die beiden Killer zögerten ein wenig, den Graben zu durchschwimmen. Das Wasser sah nicht sehr einladend aus. »Beeilung«, drängte Cleveland aber dann. »Sie rücken bereits an!« Er hatte vollkommen richtig gesehen. Pfleger, die von Paul Mark alarmiert worden waren, rückten mit Fangnetzen und Stricken an. Longless, der sich nicht einfangen lassen wollte, warf sich mit der Grazie eines Flußpferdes in die trüben Fluten. Es entstand dank seiner Körpermassen eine Flutwelle, die Cleveland die Beine wegriß. Cleveland wurde von dieser Flutwelle erfaßt und zu Boden geworfen. Der Rückstau erfaßte ihn und zog ihn in den Graben. Es war sein sehr persönliches Pech, daß er dabei nach Luft schnappte und weit den Mund aufriß. Die Reste einer angefaulten Apfelsine gerieten in sein Zahngehege, und eine Bananenschale legte sich wie ein Diadem auf seine Stirn. Cleveland sah in diesem Moment allerdings keineswegs
königlich aus.
»Die Auswertung der Lambert-Notizen, Sir, dürfte Ihr Interesse finden«, sagte Josuah Parker. Er hatte die Aufnahmen entwickelt und vergrößert. Er präsentierte sie jetzt seinem jungen Herrn, der vor seinem Schreibtisch saß. »Was haben Sie herausgefunden?« wollte Rander wissen. Er sah sich die Fotos neugierig an. Sie enthielten gestochen scharf den Inhalt des schwarzen Notizbuches, das Parker in Lamberts Wohnung gefunden hatte. »Ich war so frei, Sir, die Zahlenkolonne zu dechiffrieren«, antwortete der Butler gemessen. »Daraus geht hervor, wann Mister Lambert zu kassieren gedenkt.« »Sie wissen genau, wann und wo die Eintreiber ihr Geschäft machen?« schaltete Vivi Carlson sich ein. »So könnte man es ebenfalls ausdrücken«, gab der Butler zurück. »Am heutigen Abend sollen diesen Notizen zufolge noch bei vier Kreditnehmern die Wochenzinsen eingetrieben werden.« »Was Ihnen sicher ins Konzept paßt, wie?« Mike Rander stand auf und lächelte. »Ich möchte keineswegs verhehlen, Sir, daß sich daraus gewisse Möglichkeiten ableiten lassen.« »Sie wollen die Eintreiber abfangen?« erkundigte sich Vivi Carlson. »Dies schwebt meiner bescheidenen Person in der Tat vor«, gestand Parker, der sich dann Rander zuwandte. »Falls ich damit nicht Ihren Unwillen errege, Sir.« »Ausnahmsweise bin ich sogar voll und ganz
einverstanden«, erwiderte der Anwalt »Hauptsache, Sie nehmen mich mit auf diesen Trip.« Bevor Parker antworten konnte, öffnete sich die Tür. Der Knabe Mike erschien, ernst und auf seine Art würdevoll. »Ist der Krimi schon beendet?« fragte Vivi erstaunt. »Der Film entsprach nicht meinen Erwartungen«, sagte der Junge. »Wissen Sie, daß draußen vor dem Haus zwei verdächtige Gestalten sind? Ich nehme an, es sind Gangster.« »Cleveland und Longless?« fragte Vivi Carlson und sah zu Parker hinüber. »Mit diesen beiden Herren dürfte vorerst nicht zu rechnen sein«, antwortete Parker gemessen. »Meiner bescheidenen Ansicht nach müssen es die eben erwähnten Eintreiber sein.« »Ob die sich für Ihre Reißzwecken revanchieren wollen?« meinte der Anwalt. »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mir ein wenig die Füße vertreten«, gab der Butler zurück, »Ich verspüre das, was man Lufthunger nennt!«
Mit einem heimtückischen Schuß aus dem Hinterhalt brauchte Josuah Parker in diesem Fall nicht zu rechnen. Er kannte die Methoden der Kredithaie von den Staaten her. Sie verließen sich lieber auf Fahrradketten, Rasierklingen und bleigefüllte Kabelenden. Sie waren an Abschreckung interessiert, nicht aber an pressefüllenden Morden. Daher verließ der Butler ungeniert das Haus seines jungen Herrn, legte sich den Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und lustwandelte gemessenen Schrittes die schmale Straße hinunter. Die beiden Beobachter vor dem Haus waren
jetzt für ihn zwar nicht zu sehen, doch sie befanden sich mit letzter Sicherheit in dem kleinen Park jenseits der Straße. Parker ging es nicht um Sensationen. Er wollte die beiden Männer ermuntern, zurück zu ihren Pflichten zu kehren, das heißt, sie sollten sich an die Arbeit machen, die Wochenzinsen einzutreiben. Dazu mußte er ihnen die Lust daran nehmen, weiter das Haus zu beobachten. Herbie Cool und Joe Bander ließen nicht lange auf sich warten. Parker hatte das Ende der schmalen Straße noch nicht ganz erreicht, als sie hinter ihm auftauchten. Sie hatten eine schnelle Gangart eingeschaltet und wollten sich ganz offensichtlich nicht abschütteln lassen. Wogegen Josuah Parker nichts einzuwenden hatte. Der Butler schritt deutlich erkennbar schneller aus, als ginge es ihm darum, einen Vorsprung zu erringen. Damit machte er seine beiden Verfolger nur noch schneller. Sie liefen fast. Parker verschwand hinter der Straßenecke und passierte dabei einen tiefen Hauseingang. Im Vorübergehen beugte er sich etwas hinunter und stellte zwei Dinge auf der Türschwelle ab, die in der Dunkelheit nicht klar zu erkennen waren. Dann verschwand er im nächsten Hausflur und wartete in aller Ruhe ab.
»Achtung«, flüsterte Herbie und bremste seinen Schwung. Er hatte zusammen mit seinem Partner Joe jetzt ebenfalls die Straßenecke erreicht und sah als erfahrener Profi sofort, daß man ihnen eine Falle gestellt hatte.
»Was ist denn?« fragte Joe. »Dort!« Mehr brauchte Herbie nicht zu sagen. Unten auf der Türschwelle des Hauseinganges waren die Spitzen zweier schwarzer Schuhe zu erkennen. Der Besitzer dieser Schuhe mußte sich demnach also im Hauseingang aufgebaut haben, um seine Verfolger zu überraschen. Das Licht einer nicht weit entfernten Straßenlaterne spiegelte sich im Lackglanz dieser schwarzen Schuhe. Joe hatte begriffen und grinste. Er griff in seine Brusttasche und zog einen Lederhandschuh hervor, dessen Handrückenseite mit halbierten Rasierklingen bedeckt war. Es handelte sich um ein halbes Dutzend dieser Klingen, die senkrecht zum Leder standen: eine ungemein grausame und gefährliche Waffe, die nur Abscheu verdiente. Herbie präparierte sich ebenfalls! Er zauberte eine Fahrradkette aus seiner Hosentasche und rollte sie aus. Zwischen den einzelnen Gliedern dieser Kette befanden sich eingearbeitete Drahtstifte. Herbie und Joe nickten sich ermunternd zu und marschierten dann scheinbar harmlos weiter. Bis zu den Schuhspitzen waren es nur noch 5 bis 6 Meter. Als sie anderthalb Meter vom Hauseingang entfernt waren, schnellten sie sich nach vorn, hoben ihre waffenbeschwerten Arme und stürzten sich auf die Person, die in den schwarzen, lackglänzenden Schuhen stehen mußte. Sie hatten nur Augen für dieses eine Ziel und waren sicher, daß sie es dem Butler endlich zurückgeben konnten. Sie droschen ohne jede Kontrolle in die Dunkelheit des Hauseingangs. Sie vergewisserten sich noch nicht mal, ob sie es tatsächlich mit Josuah Parker zu tun hatten. Sie hatten nur den einen Wunsch, den verhaßten Butler für die nächsten Monate ins Krankenhaus zu schicken.
Diese Rechnung war allerdings ohne den Wirt gemacht worden, in diesem Fall ohne Butler Parker. Als ihnen nämlich aufging, daß sie es mit leeren Schuhen zu tun hatten, war es für sie bereits zu spät. Herbie Cools Fahrradkette klatschte gegen die unschuldige Haustür. Dabei brüllte Herbie schmerzerfüllt auf, denn Joes Rasierklingenhandschuh, der ebenfalls kein Ziel gefunden hatte, schnitt sich in ein Ersatzziel ein. Vom Schwung der zuschlagenden Hand mitgerissen, kurvte der Handschuh nach links und verirrte sich in den Rücken von Herbie. »Auuu!« Herbie Cool heulte auf und und ging in die Knie. Dabei schlug er unwillkürlich, ja fast automatisch mit der Fahrradkette zurück. Was Joe Banders rechter Schulter nicht sonderlich gut bekam. Die spitzen Drahtstifte in der Kette zerrissen Joes Anzug und Bruchteile von Sekunden später auch die Haut. Es zeigte sich Deutlich, wie reaktionsschnell die beiden Schläger waren. »Auuu!« Joe Bander heulte ebenfalls auf und rutschte gegen die Eingangswand des Hauses. Dann starrten die beiden sich ziemlich betreten an und erfanden wechselseitig deftige Flüche, bei denen es sich zum Teil Um ganz neue Wortschöpfungen handelte. Der eindeutige Sieger in diesem edlen Wettstreit war übrigens Herbie Cool, wie fairerweise gesagt werden muß. Die beiden Schläger schleppten sich mühsam zurück zu ihrem Wagen, aufmerksam beobachtet von Josuah Parker, der ihnen in gemessenem Abstand folgte. Die Kondition der Kredithaie war ramponiert, wie sich deutlich zeigte. Als sie im Wagen saßen und davongefahren waren, brauchte
der Butler nur wenige Minuten, bis er seinen hochbeinigen Privatwagen erreicht .hatte. Die Schläger hatten ihren Einsatzwagen auf der anderen Parkseite abgestellt. Parker verzichtete darauf, sich bei seinem jungen Herrn besonders abzumelden. Auch diese kleine Ausfahrt fand noch unter dem Stichwort Lufthunger statt. Parker hatte von Beginn an darauf verzichtet, Cool und Bander zu verfolgen. Sein Ziel war der Hinterhof eines gewissen Mister Finnegan, der dort seinen Entrümpelungsbetrieb untergebracht hatte. Parker wollte feststellen, ob Finnegan noch in seinem Betrieb war. Dann wollte er zusätzlich herausfinden, ob die beiden Schläger Cool und Bander sich bei ihrem Arbeitgeber ausweinten. Die Zeit des abendlichen! Stoßverkehrs war längst vorüber. Parker kam dank seiner Fahrkünste schnell ans Ziel. Er ließ sein hochbeiniges Monstrum in einer Reihe parkender Wagen am Straßenrand stehen und schritt zu Fuß hinüber zur Toreinfahrt, die zum Hinterhof führte. Der Wagen der Gegner war nicht zu sehen, was nicht weiter verwunderlich war. Sie litten ja unter Konditionsmängel und konnten nicht so schnell sein wie Parker. Der Butler schritt durch den Torweg und entdeckte Licht in dem kleinen Büroverschlag Finnegans. Parker überquerte den Innenhof und baute sich unter der Remise auf. Er wartete auf die Ankunft der Schläger. Der Butler hatte übrigens ein wenig Müll mitgebracht, nämlich die beiden abgelegten Schuhe, die er im Hausflur als Köder für Herbie und Joe aufgestellt hatte. Er wußte aber noch nicht endgültig, ob er sie Finnegan übereignen sollte. Das hing von der Gelegenheit ab. Finnegan erschien plötzlich in seinem Büroverschlag. Er setzte sich an seinen alten Schreibtisch und kritzelte auf Papierfetzen. Er machte einen arbeitsintensiven Eindruck, bis
das Telefon schrillte. Parker konnte es bis in die Remise hören. Finnegan nahm den Hörer ab, doch was er sagte, konnte Parker wegen der Entfernung nicht verstehen. Das Gespräch war nur sehr kurz. Als Finnegan gerade aufgelegt hatte, war ein Auto in der Toreinfahrt zu hören. Wenig später erschien der Wagen mit den beiden Schlägern. Herbie und Joe stiegen aus. Sie schleppten sich angeschlagen hinüber in den Anbau und waren wenig später im Licht des Büroverschlags zu sehen. Finnegan stand auf und sah sie sichtlich erstaunt an. Was kein Wunder war, wie Parker ehrlich einräumte. Herbie und Joe hatten sich gegenseitig erstaunlich zugerichtet, was nur für die Grausamkeit ihrer Waffen sprach. Finnegan schien Fragen zu stellen, doch die beiden Schläger gaben sich ruppig, abweisend und beschäftigten sich mit einer Whiskyflasche, die Finnegan auf den Schreibtisch gestellt hatte. Parker verließ sein Versteck und schritt würdevoll hinüber zu dem Anbau. Er stellte sich neben das Bürofenster, um das Gespräch verfolgen zu können. Doch dazu kam es nicht mehr. Parker wurde empfindlich gestört und mußte sich gewisse Vorwürfe machen. Ein schallgedämpfter Schuß ploppte aus der Dunkelheit des Torwegs. Das Geschoß schlug dicht neben seinem Körper im Verputz der Hauswand ein. Parker, der im Widerschein der Innenbeleuchtung ein erstklassiges Ziel bot, reagierte augenblicklich, bevor ein zweiter, genauerer Schuß auf ihn abgefeuert werden konnte. Er griff in eine seiner zahlreichen Westentaschen und zog eine vollkommen normal aussehende Brasilzigarre hervor, die er allerdings sehr nachdrücklich zu Boden warf.
Das Resultat war frappierend. Die Zigarre explodierte förmlich und stieß gleichzeitig eine dunkle Rauchwolke aus, die die nähere Umgebung tintenschwarz färbte. Im Schutz dieser Tarnwolke beschloß Parker, sich zur Remise zurückzuziehen, doch er kam nicht weit. Zwei Gestalten stoppten seinen Rückmarsch, und eine Handkante sorgte dafür, daß der Butler für einige Sekunden das Bewußtsein verlor. Es zeigte sich eben und erfreulicherweise, daß auch ein Josuah Parker schließlich kein Übermensch war.
Cleveland und Longless waren am Boden zerstört. Man hatte sie etwa zehn Minuten lang durch den Zoo gehetzt und schließlich gestellt und eingewickelt. Sie waren eingehüllt worden in Fangnetze und gebunden mit soliden Stricken. Sie befanden sich zur Zeit im Büro des Zoodirektors und wurden von einem Inspektor des Yard höflich befragt. Dieser Mann wollte um jeden Preis wissen, wie sie in den Zoo geraten waren und wer sie in das Affenhaus transportiert hatte. Man hatte Cleveland und Longless natürlich aus den Fangnetzen befreit und ihnen trockenes Unterzeug besorgt. Eingehüllt in ziemlich rauhe Decken hockten sie auf Stühlen und gaben sich sehr mundfaul. »Sie können nur durch den Seiteneingang hereingekommen sein«, erklärte der Zoodirektor gerade dem Inspektor. »Das Tor dort war geöffnet für die Bautrupps. Wir nehmen hier im Zoo ein paar Veränderungen vor.« »War es so?« Der Inspektor sah Cleveland und Longless
forschend an. »Keine Ahnung«, gab Cleveland zurück. »Ich habe es ja schon gesagt, wir sind überfallen und betäubt worden.« »Und als ich aufwachte, griff dieses schwarze Ungeheuer nach mir«, fügte Longless hinzu und schüttelte sich noch mal nachträglich. »Aber Sie müssen doch zumindest ahnen, wer Ihnen diesen Streich gespielt hat?« wunderte sich der Inspektor. »Keine Ahnung«, behauptete Cleveland, der sich natürlich hütete, von einem gewissen Josuah Parker zu sprechen. »Wo wurden Sie denn betäubt?« stellte der Inspektor seine nächste Frage. »Wir - wir saßen in unserem Wagen, und plötzlich war es aus mit uns«, erwiderte Cleveland. »Und als ich aufwachte, da war da das schwarze Biest...« »Schon gut, schon gut«, stoppte der Inspektor die Aussage von Longless. »Wenn Sie nichts sagen wollen, ist Ihnen eben nicht zu helfen. Hoffentlich passiert Ihnen so etwas nicht noch mal.« »Wie meinen Sie das?« erkundigte sich Longless. »Wäre doch Pech für Sie, wenn Sie in einem Löwenkäfig landen würden«, meinte der Inspektor. »Nein, nein!« keuchte Longless und sprang auf. »Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand.« »Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können«, sagte der Yard-Beamte und schloß sein Notizbuch. »Von mir aus können Sie zurück in Ihr Hotel gehen.« »Und wer ersetzt uns unsere Anzüge?« regte sieh Cleveland auf. »Überlegen Sie gründlich, wen Sie dafür verantwortlich machen können«, erwidert der Inspektor. »Daß Sie mich
belogen haben, ist mir klar. Moment, jetzt rede ich noch! Sie verschweigen mir etwas, und Sie werden Ihre Gründe dafür haben. Aber lassen Sie sich warnen! Derjenige, der Ihnen diesen Streich gespielt hat, der hat noch wesentlich mehr auf dem Kasten.« Cleveland und Longless nickten unwillkürlich und warfen sich schnelle Blicke zu. Keiner wußte es besser als sie. Josuah Parkers Trickkiste war leider zu gut gefüllt, was sich ja wieder mal gezeigt hatte. »Ich kann Ihnen zwei Overalls stellen«, schaltete der Zoodirektor sich ein. »Nur in Unterhosen können Sie schlecht zurück in Ihr Hotel.« »Danke!« murmelte Cleveland und senkte den Kopf. Er kam sich ungemein blamiert vor. Er, der Cheftheoretiker des Syndikats, der Handbücher für die Praxis geschrieben und jahrelang den Gangsternachwuchs geschult hatte, war also wie ein Dorftrottel behandelt worden. Wie in Trance ließ er die folgenden Dinge über sich ergehen. Er stieg in einen zerknitterten Overall, schlüpfte in Strohsandalen und ließ sich zusammen mit Longless zurück in das kleine Hotel bringen, in dem sie ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten. »Warum tut Parker uns das an?« fragte er dann plötzlich, als sie allein waren. »Wir haben ihm doch nichts getan.« »Vielleicht hat er was gegen uns«, erwiderte Longless in einem Ton, als sei ihm plötzlich die Erleuchtung gekommen. »Genau das muß es sein, Clevie. Er hat was gegen uns.« »Warum nur, warum?« sinnierte Cleveland und schüttelte ratlos den Kopf.
Als Josuah Parker zu sich kam, ließ er sich das nach außen hin nicht anmerken. Er hielt die Augen geschlossen und wartete, bis seine Gedanken sich wieder geordnet hatten. Er hatte leichte Kopfschmerzen, die wohl mit dem Handkantenschlag zusammenhingen. Parker horchte in die absolute Finsternis hinein, in der er sich befand. Er hatte längst registriert, daß man ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden hatte. Übrigens mit einem dünnen Strick, was ihn hoffen ließ. Seine Nase unterschied Gerüche. Penetrant roch es nach alten, muffigen Kleidern, nach fauligem Holz und nach Mottenkugeln. Dazwischen aber mischte sich erstaunlicherweise der Geruch nach Benzin, das irgendwo in der Nahe verschüttet worden sein mußte. Parker fragte sich, ob er noch in Finnegans Firmenlager hauste? Dem Geruch nach zu urteilen, mußte es so sein. Finnegan gab sich mit altem Gerümpel ab, dementsprechend roch es auch. Parker gestand sich übrigens ein, einen Fehler gemacht zu haben, als er Finnegans Firma aufgesucht hatte. Er hätte damit rechnen müssen, daß zumindest Lambert hier auftauchte. Lambert war von der Voraussetzung ausgegangen, daß Parker sich bei Finnegan vergewissern wollte, ob Cool und Bander für ihn arbeiteten. Lamberts Rechnung war aufgegangen. Er hatte sicher nicht nur geschossen, sondern wahrscheinlich auch die Falle gestellt, in die er, Josuah Parker, im Grunde blindlings hineingetappt war. Jetzt hatte er die Quittung für seinen Leichtsinn. Er mußte
sehen, was sich aus dieser Situation machen ließ und wollte vor allen Dingen so schnell wie möglich die hinderlichen Stricke loswerden. Der Geruch von Benzin spornte den Butler an. Benzin und Feuer, das waren schließlich Dinge, die sehr eng zusammenhingen. Parker schloß geblendet die Augen, als ein starker Lichtstrahl auf ihn gerichtet wurde. »Wie fühlen Sie sich?« fragte eine Stimme. »Mister Lambert, nicht wahr?« gab Parker zurück. »Lambert«, bestätigte die Stimme. Zusätzliches Licht flammte auf, während der stark gebündelte Lichtstrahl ausgeschaltet wurde. Zögernd öffnete Parker die Augen, blinzelte und registrierte seine nähere Umgebung. Wie er es erwartet hatte, befand er sich in einem großen, niedrigen Lagerraum, der wahrscheinlich ein Keller war. Er war umgeben von alten Möbeln, Stellagen, die dicht gefüllt mit alten Kleidern waren, und Kleidersäcken. Lambert war allein. Er lehnte sich gegen einen Bretterverschlag und lächelte den Butler neutral an. »Na, endlich die Nase voll?« erkundigte sich Lambert. »Meine augenblickliche Lage dürfte man kaum als beneidenswert bezeichnen können«, erwiderte Parker. »Worauf Sie sich verlassen können!« Lambert nickte nachdrücklich. »Wer sich mit uns anlegt, zahlt immer drauf!« »Ich fürchte, daß Sie noch nicht mal übertreiben.« »Für wen haben Sie sich in unsere Geschäfte eingemischt?« wollte Lambert wissen. »Dies geschah aus reiner Privatinitiative«, entgegnete der Butler würdevoll. »Das können Sie Ihrem Arbeitgeber
ausrichten.« »Wenn Sie nur wüßten, wer das ist, ie?« Lambert lächelte mokant. »Wenn ich den Namen Finnegan erwähne, werden Sie sicher den Kopf schütteln.« »Sind das Ihre ganzen Vermutungen?« »Mister Hubert Melwick traue ich ein Kreditgeschäft ebenfalls zu.« «Mir nicht?« Lambert war eitel, wie sich gerade jetzt zeigte. Er beugte sich erwartungsvoll vor. »Nein«, antwortete der Butler, dem es darauf ankam, Lambert zu provozieren. »Ein Mann Ihres Zuschnittes, Mister Lambert, kann nur ausführendes Organ sein.« Lambert drückte sich von der Stellage ab. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er sich auf den wehrlosen Butler stürzen. Doch Lambert bezwang sich, trat wieder zurück, und ein mokantes Lächeln stand plötzlich in seinem Gesicht. »Sie sind ganz schön keß«, meinte er dann. »Ich bemühe mich nur um Wahrheit«, antwortete Josuah Parker. »Und die dürfte früher oder später ans Tageslicht kommen.« »Dann leben Sie aber nicht mehr!« »Sie wollen meine Wenigkeit umbringen?« »Erst Sie, dann vielleicht Randers Sekretärin. Und vielleicht auch Ihren Chef, Parker. Sie haben schon zu intensiv geschnüffelt.« »Ihr Auftraggeber scheint ein recht vorsichtiger Mensch zu sein.« »Sie zahlt sich aus.« »Ist der Kreditumsatz denn wirklich derart hoch?« tippte der Butler gespielt skeptisch an. »Es können doch nur relativ
geringe Umsätze gemacht werden.« »Mann, haben Sie eine Ahnung! Ich merke schon, daß Sie aus unserer Branche ganz sicher nicht sind. Was glauben Sie, wieviel Leute Geld brauchen? Geld, das sie bei den Banken nie bekommen, weil sie keine Sicherheiten auf zuweisen haben.« »Ist man sich denn der horrenden Zinsen bewußt?« »Wem das Wasser bis zum Hals steht, der rechnet nicht lange herum. Und genau das kalkulieren wir ein.« »Demnach dürften die Verluste Ihrer Kreditfirrna nicht sonderlich hoch sein.« »Sie sind gleich Null. Wen wir mal ans Zahlen erinnert haben, der stiehlt und klaut, was das Zeug hält, nur um pünktlich zu zahlen.« »Ihre beiden Eintreiber Cool und Bander, nicht wahr?« »Erstklassige Geldeintreiber«, sagte Lambert und nickte, »und so überzeugend.« »Darf man erfahren, was Sie mit meiner bescheidenen Person vorhaben?« »Haben Sie's nicht schon gerochen?« »Sie wollen einen Lagerhausbrand auslösen?« »Richtig!« »Hoffentlich ist Mister Finnegan nicht unwirsch, wenn Sie ihm dies antun?« »Sie haben Sorgen!« Lambert grinste wie ein Filmschurke. »Vielleicht ist er sogar gut versichert.« »Gestatten Sie mir möglicherweise noch eine Frage?« »Klar.« Lambert hatte ein Feuerzeug aus der Rocktasche gezogen und spielte damit provozierend. »Eine gewisse Zeitlang hatte ich Mister Clonmark als Kredithai in Verdacht.« »Clonmark!? Wer ist denn das?« Lamberts Stimme klang
ironisch. »Mrs. Hatfields Arbeitgeber. Ein Buchhändler.« »Ich werd' ihn mal bei Gelegenheit fragen«, redete Lambert lächelnd weiter. Dann knipste er das Feuerzeug an und nickte dem Butler fast aufmunternd zu. »Bringen wir es hinter uns, Parker. Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich keine Angst?« »Ich werde darüber nachdenken«, versprach Josuah Parker mit ruhiger, würdevoller Stimme.
»Er ist seit über einer Stunde unterwegs«, sagte Rander unruhig. »Warum meldet er sich nicht? Da muß was passiert sein.« »Das kann ich mir nicht vorstellen«, widersprach Vivi Carlson. »Die Falle muß erst noch erfunden werden, in die Mister Parker hineinläuft.« »Hoffen wir es.« Rander sah fast sehnsüchtig zum Telefon hinüber und wartete darauf, daß Parker endlich anrief. Dabei lief er unruhig in der Bibliothek umher. »Wohin könnte Mister Parker denn gegangen sein?« fragte Vivi Carlson. »Er hat sich mit den beiden Geldeintreibern befaßt, die vor dem Haus herumlungerten«, überlegte Rander laut. »Er wird also wahrscheinlich anschließend zu Finnegan gegangen sein. Könnte ich mir wenigstens vorstellen.« »Warum rufen wir dort nicht an?« »Ja, warum eigentlich nicht?« Rander ließ sich nicht lange nötigen. Er war schneller am Apparat als Vivi Carlson, die an sich auch nicht gerade langsam war. »Die Nummer, Miß
Carlson!« Vivi Carlson hatte sie im Kopf. Sie war eine perfekte Sekretärin, die den jeweils aktuellen Fall mit allen Einzelheiten parat hatte. Sie schaute zu, wie Rander die Nummer wählte. Ihr ging es nicht schnell genug. Sie hätte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie den Butler schätzte und gern hatte. Er war für Vivi Carlson fast so etwas wie eine Vaterfigur geworden. Sie bewunderte seine Intelligenz, seinen Einfallsreichtum und seine durch nichts zu erschütternde Würde. »Anwalt Rander«, meldete er sich, als auf der Gegenseite abgehoben wurde. »Spreche ich mit Mister Finnegan?« Er hörte einen Moment schweigend zu. Vivi Carlson merkte deutlich, daß ihr Chef sehr betroffen war, als er auflegte. Mike Rander starrte zu Boden und nagte an seiner Unterlippe. »Was ist denn passiert?« fragte sie hastig. »Finnegans Lager steht in Flammen«, sagte Rander, der jetzt plötzlich aufsprang. »Ich muß sofort hin!« »Ich werde mitkommen.« »Und Mike? Den können wir nicht allein lassen. « »Wir können!« Sie sprach in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Mike schläft. Ich muß wissen, ob Mister Parker etwas passiert ist.«
Mike schlief natürlich nicht. Der Knabe mit der Brille stand am Fenster seines Schlafzimmers und sah hinunter auf die Straße. Der schnelle Sportwagen mit Rander am Steuer schoß gerade los und verschwand nach wenigen Augenblicken in einer
Seitenstraße. Der Junge genoß es, allein im Haus zu sein. Endlich hatte er die Gelegenheit, sich im Souterrain des Hauses in Parkers Privaträumen umzusehen. Er hatte aus ungewollten Andeutungen herausgehört, daß Mister Randers Butler dort unten eine Art Laboratorium eingerichtet hatte. Mike schlüpfte in den kleinen braunen Bademantel, streifte sich Pantoffel über und marschierte durch das leere nach unten. Überraschungen brauchte er nicht zu befürchten: Glaubte er zu diesem Zeitpunkt wenigstens. Er hatte das Souterrain erreicht und näherte sich zögernd der Tür, die in Parkers Privatgemächer führte. Sie war unverschlossen und verschaffte ihm den Zutritt zu einem kleinen Vorraum, hinter dem Parkers Apartment und das Laboratorium lagen. Mike verzichtete darauf, das Licht einzuschalten. Durch die großen Fenster, die übrigens vergittert waren, strahlte ein voller Mond, der in den Parker-Räumen alles erkennen ließ. Mike näherte sich neugierig dem Laboratorium des Butlers. Es handelte sich um einen mittelgroßen, gekachelten Raum, in dem beherrschend ein großer Labortisch stand, der mit seltsamen technischen Geräten ausgestattet war. Der Knabe Mike wurde magisch von einem Gegenstand angezogen, der mit moderner Technik überhaupt nichts zu tun hatte. Es handelte sich nämlich um eine einfache Gabelschleuder, deren Y aus Leichtmetall bestand. Als Fachmann auf diesem Gebiet erkannte der Junge sofort, daß die beiden Gummistränge ungewöhnlich stark waren. Spielerisch nahm er die Zwille in die Hand und probierte die Spannkraft der beiden Gummistränge aus. Der Knabe Mike nickte zufrieden.
»Ich weigere mich, noch mal über diese verdammte Mauer zu steigen«, flüsterte etwa um diese Zeit der Vollprofi Longless. Er stand zusammen mit seinem Ausbilder Cleveland in der Gasse, von der aus man die Rückseite jenes Hauses sehen konnte, in dem Rander und Parker wohnten. »Und ich gebe dir den dienstlichen Befehl«, knurrte Cleveland gereizt, »oder soll ich die Befehlsverweigerung in deine Personalpapiere eintragen?« »Es ist heller Wahnsinn«, sagte Longless. »Du weißt genau, Clevie, daß Parkers Fuchsbau voller Fallen ist.« »Aber das Haus ist leer«, konterte Cleveland. »Und die Fallen sind weit geöffnet. Denk an das Affenhaus!« »Eben, Junge, eben. Diese Panne muß unbedingt ausgebügelt werden, wenn wir uns unsere Selbstachtung erhalten wollen. Los, hilf mir doch!« Sie hatten Randers und Vivi Carlsons Abfahrt von der anderen Straßenseite aus beobachtet. Jetzt wollten sie in das vermeintlich leere Haus eindringen und auf die Rückkehr ihrer Opfer warten, um dann hart und gnadenlos zuzuschlagen. So wenigstens schwebte es Cleveland vor. Sobald Rander, Parker und Vivi Carlson zurückkehrten, ahnungslos und ungeschützt, sollten sie mit Dauerfeuer belegt werden. Es wurde höchste Zeit, diesen Auftrag zu erledigen. Sie hatten die Mauer überwunden und pirschten sich an die Rückseite des Hauses heran. Diesmal war kein einladend geöffnetes Fenster zu sehen. Das Haus machte zum Garten hin den Eindruck eines voll gesicherten Tresors. »Wir gehen diesmal durch den Keller«, flüsterte Cleveland
seinem Schützling zu. »Wir brechen die Gitterstäbe auf.« »Falls Parker sie nicht unter Strom gesetzt hat«, unkte Longless abwehrend. »Wozu haben wir uns ein paar nette Hilfsmittel mitgenommen?« gab Cleveland überlegen zurück. »Stromprüfstifte und Wagenheber, Junge. Jetzt werde ich dir mal zeigen, wie man sowas über die Bühne bringt, schnell und präzis!« Longless verzichtete auf eine Antwort. Ergeben drehte er die Augen nach oben und schickte ein Gebet zum Himmel. Clevelands Optimismus steckte ihn diesmal überhaupt nicht an. Er wurde das Gefühl nicht los, daß sie wieder mal dicht vor einer Riesenpleite standen. Er marschierte hinter seinem Ausbilder her, der auf ein Souterrainfenster zuhielt. Doch dann stieß er einen erstickten Kickser grenzenloser Überraschung aus, als Cleveland sich plötzlich ohne jede Vorwarnung niedersetzte. Und zwar derart schnell und abrupt, als habe ihm irgend etwas die Beine unter dem Leib weggerissen.
Der Knabe Mike war begeistert. Er hatte die beiden fremden und seltsamen Figuren im kleinen Hausgarten ausgemacht und sofort geschaltet. Einbrecher! Mike dachte an einschlägige Kriminalfilme, speziell an das Fernsehstück. »Die Killer von Soho«, den er erst vor kurzer
Zeit gesehen hatte. Mike wußte, was er zu tun hatte. Er war allem im Haus und hatte es zu schützen, was er überraschend gut erledigte. Mit der Gabelschleuder vertraut, hatte er sein erstes Geschoß durch ein Fensteroberlicht abgefeuert. Das Geschoß war eine kleine Tonmurmel, von denen er einige auf dem Labortisch des Butlers entdeckt hatte. Es fand haargenau sein vorgeplantes Ziel. Cleveland war in Schläfennähe getroffen worden und hatte sofort sein Gleichgewichtsgefühl verloren. Der Knabe Mike freute sich. Er legte bereits das nächste Geschoß in die Lederschlaufe der Zwille und visierte Longless an, der sich gerade zu seinem Ausbilder hinunterbeugte. Mike strengte sich ungemein an, um die beiden Gummistränge der Gabelschleuder zu strammen. Er zielte und schickte sein nächstes Geschoß auf die Reise. Der hörbare Erfolg bestand in einem lauten, ungenierten Aufbrüllen. Longless, das Riesenbaby, faßte nach seinem Gesäß und hüpfte dann auf dem linken Bein relativ anmutig um seinen Ausbilder herum. Der Knabe Mike lächelte abfällig. Was waren das für Einbrecher!
»Du trübe Tasse«, sagte Longless wütend zu Cleveland, der wieder zu sich gekommen war. »Wer hat gesagt, daß das Haus
leer ist?« »Nichts wie weg, 'ne Falle!« stöhnte Cleveland und rieb sich die schmerzende Schläfe. »Du merkst aber auch alles«, fauchte Longless und behandelte sein schmerzendes Gesäß. Er und Cleveland sahen mißtrauisch zum nahen Haus hinüber, auf dessen Rückseite nichts Verdächtiges zu sehen war. Cleveland und Longless hielten ihre schallgedämpften Waffen schußbereit in Händen. Sie waren fest entschlossen, sofort und gnadenlos zu schießen. Was sie allerdings nicht vermochten, als grelles Blitzlicht sie blendete. Und zwar total! Der Flammenblitz durchschnitt die Dunkelheit wie ein überscharfes Rasiermesser und lahmte die Aktivität der beiden Killer aus den Staaten. Sie wurden zu Statuen aus Marmor. »Clevie«, rief Longless konsterniert, streckte die Arme aus und tastete nach seinem Ausbilder. Er sah nur vielfarbige, geometrische Figuren aller Art, aber nicht Cleveland. »Longie«, stöhnte Cleveland und suchte seinerseits nach seinem Schützling. Auch Cleveland konnte sich über mangelnde Farben auf seiner Netzhaut nicht beklagen. Daß sie sich fanden, dabei aber nachdrücklich mit ihren Köpfen zusammengerieten, soll nicht besonders erwähnt werden. Das fiel unter die Rubrik Künstlerpech. Sie wanderten zurück zur Grundstücksmauer und nutzten die wiederkehrende Sehfähigkeit, sich gegenseitig über die Mauer zu helfen. Wie nasse Säcke plumpsten sie zurück in die schmale Gasse und legten eine kleine Ruhepause ein. »Er hat uns geknipst«, stellte Longless dann fest. »Na, und!?« »Das ist Beweismaterial«, stellte Longless dann fest. »Möglich.« Cleveland hatte im Augenblick andere Sorgen.
»Warum hat Parker uns nicht außer Gefecht gesetzt? Das ist es, was mich nervös macht.« »Ich verstehe kein Wort.« »Er hätte uns doch kassieren können. Warum hat er's nicht getan?« »Irgendeine neue Teufelei, Clevie?« »Genau, Junge. Er muß sich einen neuen Trick ausgedacht' haben. Nichts wie weg! Wir brauchen jetzt mal 'ne kleine Denkpause.« »Die hätten wir vorher einlegen sollen.« »Vielleicht.« Cleveland nickte und duldete die Kritik seines Schützlings und Schülers. Er fühlte sich schlecht, entwürdigt und kam sich wie verspottet vor. »Worauf warten wir noch?« wollte Longless wissen. »Vielleicht zieht Parker schon das Netz zu!« Das Stichwort Parker brachte sie endlich wieder in Schwung. Cleveland und Longless trabten durch die schmale Gasse hinüber zur Straße und schwangen sich in ihren Minicooper. Longless hatte das Steuer übernommen und spurtete mit dem Wagen los. Während der Fahrt durch die Stadt sah Cleveland unentwegt nach hinten. Er hatte das sichere Gefühl, verfolgt zu werden. Und was ihn besonders mißtrauisch machte, war die Tatsache, daß er Parkers hochbeinigen Wagen nicht sah. Das heißt, er sah sehr viele Taxis, aber er wußte nicht, in welchem Josuah Parker saß.
Vivi Carlson starrte auf das wütende Flammenmeer, in das sich die Lagerhalle Finnegans verwandelt hatte.
Im Hinterhof standen einige Löschfahrzeuge der Feuerpolizei. Aus vielen Rohren wurde der Lagerhausbrand bekämpft. Man schien das Feuer unter Kontrolle zu haben. Vorn auf der Straße stauten sich die neugierigen Zuschauer, die aus den nahen Häusern gestürzt waren. Sie hatten sich Morgen- oder Stadtmäntel über ihre Schlafanzüge geworfen und kommentierten die Arbeit der Löschtrupps. Der Himmel hatte sich über dem Lagerhaus blutigrot gefärbt. »Haben Sie am Telefon wirklich mit Mister Finnegan gesprochen?« fragte Vivi Carlson ihren Chef. »Der Mann am Telefon meldete sich als Finnegan«, sagte Rander. »Ob er es wirklich war, weiß ich natürlich nicht.« »Ob Mister Parker dort...?« Vivi Carlson brachte ihren Satz nicht zu Ende Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Rander antwortete nicht. Aber er machte sich so seine Gedanken. Wenn Parker tatsächlich zu Finnegan gefahren war, dann mußte das Schlimmste befürchtet werden. Falls er in der Nähe war, hätte er sich inzwischen längst gemeldet. Sollte Parker wirklich etwas passiert sein? Mike Rander konnte sich das kaum vorstellen. Bisher hatte sein Butler doch immer alle Schwierigkeiten gemeistert. Es war für Rander einfach unvorstellbar, daß seinem Butler etwas zugestoßen sein könnte. Er weigerte sich einfach, daran zu glauben. »Warten Sie hier am Wagen«, bat er Vivi Carlson. Ohne ihre Antwort abzuwarten, schob er sich durch die Menge der Neugierigen und drängte sich an den Feuerlöschfahrzeugen vorbei. Sein Auftreten wirkte derart selbstverständlich und sicher, daß er von den absperrenden Polizeibeamten nicht aufgehalten wurde. Rander stutzte, als er plötzlich Finnegan entdeckte, der am Torweg stand und auf das Flammenmeer seines
Lagerschuppens starrte. Der Anwalt hielt sofort auf ihn zu. »Wann war mein Butler hier bei Ihnen?« fragte Rander und schob sich seitlich neben Finnegan. Der Mann , schrak zusammen und wandte sich langsam um. »Butler?« fragte er dann, hinüber auf das Feuer schielend. »Sie wissen verdammt genau, wen ich meine!« Keine Ahnung«, widersprach Finnegan. »Sind Sie nicht der Mann, der meine beiden Angestellten hier bei mir als Müll abgeliefert hat?« »Haargenau - Herbie Cool und Joe Bander.« »Hören Sie mal, haben Sie etwa meinen Laden in Brand gesetzt?« Finnegan wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück und machte plötzlich einen ängstlichen Eindruck. »Hören Sie bloß mit dieser Masche auf«, ärgerte sich Mike Rander. »Sollte ich herausfinden, daß Sie meinen Butler auf dem Gewissen haben, Finnegan, dann werden Sie nicht mehr lange leben!« Mike Rander wunderte sich insgeheim, wie ernst es ihm mit seiner Drohung war. Er war nicht, mehr der lässige, große Junge, den kaum etwas aus der Fassung brachte. Er war bereit, diesen Finnegan umzubringen, fa lls er seinem Butler etwas angetan hatte. »Hauen Sie ab, Mann«, sagte Finnegan. »Oder soll ich die Polizei holen?« »Wo sind Cool und Bander?« »Die sind etwa 'ne Viertelstunde vor dem Brand noch hier gewesen.« »Und wo sind sie jetzt? Antworten Sie, Mann'« Rander war Finnegan gefolgt und sah ihn kalt an. Das Feuer, das sich in seinen sonst lustigen, braunen Augen spiegelte, verlieh ihnen etwas Dämonisches.
»Wo werden sie sein? Nach Hause sind sie gegangen.« »Und wo ist das?« »Ein paar Straßenzüge weiter.« Finnegan nannte automatisch eine Adresse, die Rander sich einprägte. Bevor er eine weitere Frage stellen konnte, wieselte Finnegan erstaunlich schnell hinüber zu einigen Feuerwehrleuten, als suche er dort Schutz. Mike Rander ging schnell zurück zu Vivi Carlson, die ihm in gespannter Erwartung entgegenkam. »Kommen Sie«, sagte er knapp. »Hier können wir im Moment nichts tun. Aber ich habe einigen Leuten ein paar Fragen zu stellen!« Vivi Carlson sah ihren Chef in einer Art an, als habe sie ihn jetzt zum ersten Mal gesehen. Diesen Ton in seiner Stimme hatte sie bisher noch nie gehört.
Sie warfen die wenigen Habseligkeiten in ihre Koffer. Herbie Cool und Joe Bander waren in bester Stimmung. Während sie einpackten, griffen sie immer wieder nach der Flasche. »Ganz nettes Feuerchen«, meinte Herbie Cool, als er wieder mal einen Blick durchs Fenster hinauf zum nächtlichen Himmel warf. »Lambert ist ein verdammt harter Bursche«, stellte Joe Bander fest. »Ich hätte nicht gedacht, daß er's tun würde.« »Wurde sogar höchste Zeit, daß der Schnüffler sich in Rauch auflöste«, erwiderte Cool. »Dieser Butler war uns verdammt dicht auf den Fersen.« »Und jetzt nichts als Rauch und Asche!« Bander griff nach
der Flasche. »Viel Vergnügen!« Er setzte die Flasche ab und starrte hinüber zur Tür. Seine Augen weiteten sich schreckhaft. Herbie Cool merkte mit einiger Spätzündung, daß irgend etwas nicht stimmte. Er wirbelte herum und griff gleichzeitig nach seiner Schußwaffe. »Besser nicht«, sagte Mike Rander knapp. Mit dem linken Fuß kickte er die Tür hinter sich ins Schloß. Er kam fast lässig näher. »Wo ist mein Butler geblieben?« Herbie Cool und Joe Bander sahen sich fast gleichzeitig an. »Ich warte genau drei Sekunden«, sagte Rander. Er hielt seinen kurzläufiger 38er in der Hand. Auf den Lauf war ein langer Schalldämpfer aufgeschraubt. »Hören Sie«, stotterte Bander los, »wir - das heißt. Ich... Also das war so...« »Drei!« zählte Rander laut und schoß. Joe Bander, der stämmige Mann, brüllte vor Schreck laut auf, als das Geschoß sich dicht vor seinem linken Zeh in den Boden bohrte. Holzsplitter wirbelten aus dem Fußboden hoch. »Stopp, Mister Rander!« Das Frettchen Cool wich ängstlich gegen die Wand zurück. »Machen. Sie keinen Unsinn! Wir haben mit der ganzen Geschichte nichts zu tun.« Er atmete scharf ein, als ein zweiter Schuß aus Randers 38er abgefeuert wurde. Dieses Geschoß schlug dicht über seiner Schulter in den Verputz der Wand. »Wo ist Butler Parker?« wiederholte Rander seine Frage noch mal. »Der nächste Schuß trifft einen von euch!« Das Frettchen Herbie verlor die Nerven. »Lambert ist's gewesen«, heulte er auf. »Lambert hat die Bude in Brand gesetzt. Ehrenwort!« »Und Parker?«
Rander schien Cool vergessen zu haben. Er sah Joe Bander jetzt zwingend an. »Im - im Lagerschuppen!« Banders Stimme klang heiser. »Lambert hat das getan!« »Wo steckt Lambert jetzt? In seinem Apartment?« Sie nickten. »Umdrehen«, kommandierte Rander. Sie gehorchten ohne jeden Widerspruch. Sie spürten daß zusammen mit Rander der Tod ins Zimmer getreten war. Der junge Anwalt trat hinter sie und benutzte den Lauf seiner Waffe, um die beiden Krediteintreiber außer Gefecht zu setzen. Er brauchte einen Vorsprung. Er wollte sichergehen, daß die beiden Ganoven ihren Chef Lambert nicht warnten. Rander drehte sich um und verließ den Raum. Sein Gesicht war starr wie eine Maske.
»Kommen Sie«, stieß Rander hervor, als er wieder beim Wagen eintraf. Er nickte Vivi Carlson zu, die ihn seltsam verkniffen ansah und sich nicht rührte. »Was ist denn?« fragte Rander scharf. »Raten Sie mal, Paragraphenreiter«, sagte Cleveland in diesem Moment und trat mit gezückter Waffe aus einem nahen Hausflur. »Keine falsche Bewegung, Rander, sonst schwirren Sie schon jetzt per Eilpost 'rauf zum Himmel!« Hinter Cleveland erschien Longless. Auch er machte einen entschlossenen Eindruck. »Sie waren plötzlich hinter mir«, erklärte Vivi Carlson. »Glück muß der Mensch nun mal haben«, erläuterte Longless. »Clevie und ich tuckerten so ganz langsam die
Straße 'runter, sahen den tollen Brand hier und dann die kleine Blonde. Wer konnte da widerstehen?« »Was ist los?« fragte Cleveland, sich an Rander wendend. Er hatte mitbekornmen, daß der Anwalt völlig geistesabwesend war. »Parker!« sagte der junge Anwalt. »Na, und? Den wollen wir uns ja jetzt gemeinsam holen. Darauf warten Longless und ich schon seit langen Wochen.« »Wahrscheinlich werden Sie ihn nie mehr sehen.« »Er ist...?« Vivi Carlson brach ihren Satz ab und starrte hinüber auf das Feuer. »Was wird hier eigentlich gespielt?« fauchte Cleveland. »Es sieht so aus, als habe es Parker erwischt«, stellte Rander fest und sah zu Boden. Er schien die Gegenwart der beiden Killer aus den Staaten vergessen zu haben. Vivi Carlson schluchzte auf. Cleveland und Longless sahen sich jetzt ebenfalls betreten an. Sie wollten und konnten es nicht glauben. »Soll das heißen, daß Parker - tot ist?« fragte Cleveland schließlich. »Das kann doch nicht wahr sein«, meinte Longless. »Clevie, sag doch was!« »Wer hat sich da in unsere Sachen eingemischt?« erkundigte Cleveland sich sehr kriegerisch. »Jawohl, wer!?« fügte Longless aufgebracht hinzu. »Kredithaie«, antwortete Rander. »Kennen Sie diese Schweine?« wollte Cleveland wissen. »Natürlich. Ich wollte ja gerade hin«, erklärte der Anwalt. »Und ich werde mich von keinem aufhalten lassen!« Er sah Cleveland überraschend kühl an. Cleveland nickte, überlegte einen kurzen Moment und steckte seine Schußwaffe
dann zurück in die Halfter. »Wir werden mitkommen«, sagte er dann zu dem Anwalt. »Wir lassen uns nicht betrügen. Parker war unsere Sache' Unsere Sache ganz allein, was Longie?« »Diesen Kredithaien werden wir jetzt mal was erzählen«, erklärte Longless. »Diese Ganoven nehmen wir hoch.« »Es gibt schließlich noch so was wie Solidarität«, schloß Cleveland. »Ich schlage 'ne Art Waffenstillstand vor, abgemacht?« Rander antwortete nicht. Er ging um seinen Sportwagen herum und setzte sich ans Steuer. Vivi nahm neben ihm Platz. Cleveland und Longless, die beiden Superkiller aus den Staaten, liefen hinüber zu ihrem Minicooper und preschten dann hinter dem losrasenden Wagen Randers her. Sie kamen nicht eine Sekunde lang auf den Gedanken, man könnte sie vielleicht geleimt haben.
Clay Lambert verließ gerade das Haus, in dem sein Apartment sich befand. Er blieb am Straßenrand neben seinem Ford stehen und zündete sich eine Zigarette an. Lambert fühlte sich sicher und achtete überhaupt nicht auf den Minicooper, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite hielt. Hinter diesem Mini erschien ein kleiner Sportwagen, der sich in eine enge Parklücke schob. Cleveland und Longless glitten aus dem kleinen Wagen, überquerten die Straße und hielten auf Lambert zu, der die Straße hinunterging. An seinem Ford schien er nicht
interessiert zu sein. »Hallo, Nachbar«, sagte Cleveland, der Lambert den Weg abschnitt. »Auf ein Wort, Gevatter«, rief Longless, der hinter Lambert erschien. Die beiden Killer hatten den Vormann der Krediteintreiber in die Zange genommen. Clay Lambert blieb sofort stehen. Er starrte Cleveland an, wagte nicht, sich nach Longless umzuwenden. Er wußte, daß er es mit Branchenkennern zu tun hatte. »Wer sind Sie?« fragte Lambert. »Parkers Kurschatten«, antwortete Cleveland, »wir haben ihn aus den Augen verloren.« »Und suchen seine neue Adresse«, fügte Longless wieder hinzu. »Parker?« »Josuah Parker«, sagte Cleveland. »Ich wette, Sie haben den Namen schon mal gehört!« »Ich - ich kann mich nicht erinnern«, behauptete Lambert achselzuckend. »Dann werden wir mal gemeinsam nachdenken. So ganz unter uns!« Longless genoß diese Rolle. Endlich konnte er sich so geben, wie er es sich die ganze Zeit über sehnlichst gewünscht hatte. Endlich konnte er Unterwelt spielen. »Wir haben nämlich was dagegen, wenn man uns fette Brocken vor der Nase wegschnappt«, sagte Cleveland. »Parker war unser Bier«, erklärte Longless. »Ihr - ihr seid hinter ihm hergewesen?« Lambert atmete auf. »Hast du's mitbekommen?« Cleveland wandte sich an Longless. »Er redete in der Vergangenheit«, stellte Longless fest. »Was
ist mit Parker passiert?« »Rauch und Asche«, sagte Lambert ahnungslos. »Er war mir in die Quere gekommen.« »Nicht gut für dich.« Cleveland schüttelte bedauernd den Kopf. »Gar nicht gut«, echote Longless und sah zur anderen Straßenseite hinüber. »Da kommt einer, der bereits in Fahrt, ist.« »Parkers Brötchengeber«, erläuterte Cleveland, »ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Mann!« Lambert reagierte blitzschnell. Er hatte endlich begriffen, daß er für seinen Mord an Josuah Parker nicht öffentlich belobigt werden sollte. Lambert riß sein rechtes Bein hoch und trat unter Clevelands Unterarm. Cleveland verlor prompt seine Schußwaffe und rutschte gegen Longless, der in seiner bekannten Geschicklichkeit wieder mal nicht an seine Waffe kam. Lambert hatte sich bereits umgedreht und rannte die Straße hinunter. Dabei zog er seine Schußwaffe. Lambert verschwand zwischen den abgestellten Wagen am Straßenrand und ging in Deckung. Er richtete die Waffe auf den jungen Mann, der ihm den Weg abschneiden wollte. Ein ungedämpfter Schuß peitschte auf. Lambert sieß einen Schrei« aus und fiel gegen den Kofferraum eines parkenden Wagens. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, rutschte zu Boden und verlor das Bewußtsein. Cleveland und Longless rannten auf Lambert zu. Hier stießen sie auf Mike Rander, in dessen Hand der kurzläufige 38er lag. »Irgendwie begabt«, stellte Cleveland fest und nickte Rander zu.
»Wieso?« Rander beugte sich über Lambert, der verkrümmt auf dem Asphalt lag. »Sieht man doch.« Cleveland deutete auf Lambert. »Ich habe doch nicht geschossen!« sagte Rander und richtete sich auf. »Wir auch nicht«, erklärte Cleveland nachdrücklich. »Dort!« stieß Vivi Carlson hervor, sie war Rander gefolgt und hatte die Gruppe der Männer erreicht. Vivi Carlson deutete auf einen Austin, der aus einer Parklücke herausschoß und die Straße hinauf preschte. Der Wagen war unbeleuchtet, die Kennzeichen nicht zu sehen. Der Austin raste auf eine nahe Straßenecke zu und verschwand dann hinter ihr.
»Sinnlos, dem Schlitten nachzufahren«, stellte Cleveland fest. »In der Tat, meine Herren«, ließ Parkers Stimme sich in diesem Moment würdevoll vernehmen. Er trat hinter einem Wagen hervor und lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich mir erlauben, Ihnen allen einen schon fast guten Morgen zu wünschen!?« Cleveland bekam einen mittelschweren Hustenanfall. Longless rieb sich nachdrücklich die Augen, bis sie tränten. Rander schluckte und schämte sich nicht seiner Tränen. Vivi Carlson flog dem Butler ungeniert um den Hals. Es rührt einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann, derart begrüßt zu werden«, stellte der Butler fest.
Er war völlig unversehrt. Seine schwarze Kleidung zeigte nicht das geringste Stäubchen. Der Universal-Regenschirm lag korrekt über dem linken Unterarm. Die schwarze Melone hätte nicht einwandfreier sitzen können. »Mensch, Parker!« sagte Rander, »Sie haben meine Nerven ganz schön strapaziert.« »Bin ich froh!« stieß Vivi Carlson hervor und löste sich etwas verlegen von Josuah Parker. »Und ich erst«, sagte Cleveland und riß seine schallgedämpfte Waffe hoch. »Ich wollte Ihnen einen tollen Kranz spendieren«, erklärte Longless. »Die Ausgaben kannst du immer noch haben«, sagte Cleveland hastig. »Der Kranz bleibt im Gespräch.« »Was ist denn nun passiert?« fragte Rander, sich an seinen Butler wendend. Er, Parker und Vivi Carlson übersahen die Schußwaffe in Clevelands Hand. »Eine lange Geschichte«, sagte der Butler. »Wenn ich vorschlagen darf, Sir, so sollte man sich jetzt um Mister Lambert kümmern. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte er noch leben.« »Hab« ich etwa vergessen, Hände hoch zu sagen?« Cleveland kam sich übergangen vor. »Später, Mister Cleveland«, bat Josuah Parker gemessen. »Im Augenblick dürften andere Dinge wichtiger sein.« »Genau« pflichtete Longless dem Butler bei und nickte nachdrücklich. »Alles zu seiner Zeit.« Cleveland nickte irritiert und senkte zögernd die Waffe. Er wollte schließlich nicht unhöflich sein.
»Noch etwas Tee?« erkundigte sich Vivi Carlson und sah Cleveland erwartungsvoll an. »Hätten Sie nicht zufällig 'nen Whisky?« fragte Cleveland, »falls das nicht gegen den guten Ton verstößt, Parker?« Cleveland war total frustiert. Er und Longless waren nach dem Zwischenfall vor Lamberts Apartment gemeinsam in Mike Randers Haus gefahren. Sie hatten den Waffenstillstand stillschweigend verlängert. Lambert befand sich inzwischen in einem Hospital und wurde ärztlich versorgt. »Alkoholika erst ab Nachmittag«, erinnerte sich Longless seiner relativ guten Kinderstube und sah seinen Ausbilder verweisend und fast streng an. »Schon gut, schon gut!« Cleveland kam sich wie ein Dorftrottel vor. »In Anbetracht der allgemeinen Lage ist gegen einen Whisky um diese frühe Morgenstunde nichts einzuwenden«, korrigierte der Butler und servierte Cleveland einen Drink. »Dann möcht ich mich auch mal von Mister Parker verwöhnen lassen«, sagte Longless schnell. Er bekam ebenfalls seinen Drink und lehnte sich zufrieden in einen Sessel zurück. Sie alle befanden sich in Randers Bibliothek, die Stimmung war entspannt und friedlich. »Ihre Geschichte«, erinnerte Rander, der am Kamin stand. »Sie ist schnell erzählt«, antwortete der Butler. »Die Herren Cool, Bander und Lambert beraubten mich meiner Freiheit und schafften mich in das Lagerhaus des Mister Finnegan. Anschließend wollte man meine bescheidene Wenigkeit dem Tod überantworten, und zwar auf dem Umweg über einen Großbrand.« »Schweinerei«, stellte Longless fest. »Keine Phantasie«, behauptete Cleveland kopfschüttelnd.
»So arbeiten doch brutale Schläger.« »Ich möchte keineswegs widersprechen«, sagte Parker und nickte den beiden Superkillern bestätigend zu. »Nachdem Mister Lambert das Feuer gelegt hatte, befreite ich mich und verließ das Lagerhaus.« »Wie sind Sie losgekommen?« wollte Cleveland wissen. »Ich durchtrennte die fesselnden Stricke«,- lautete Parkers würdevolle Antwort. »Wie!?« stieß Longless begeistert hervor. »Bestehen Sie auf Einzelheiten?« erkundigte sich Parker höflich. »Natürlich.« Cleveland war vor Spannung aufgestanden. Endlich erfuhr er aus erster Hand, mit welchen Tricks der Butler arbeitete. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf meinen rechten Schuh lenken?« begann Parker mit seiner Erläuterung. »Sie werden unschwer den eisenbewehrten Absatz erkennen, nicht wahr?« »Deutlich!« schnaufte Longless vor innerer Spannung. »Dieser Absatz- ist als eine Art Messer ausgebildet«, redete der Butler weiter. »Wenn Sie bitte mal nachfühlen wollen.« Cleveland und Longless waren schnell dabei und stießen bewundernde Pfiffe aus. Parker hatte nicht übertrieben. Die Außenkante des kleinen Schuh-Hufeisens war eine Messerschneide. »Spezialstahl, der sich nicht aufträgt«, ergänzte der Butler und senkte seinen Fuß. »Falls man mittels Draht oder Hanf gefesselt worden ist, ist eine Befreiung kein Ding der Unmöglichkeit.« »Müssen wir uns merken, Clevie«, sagte Longless und nickte seinem Ausbilder zu. »Prima Trick«, gab Cleveland zu. »und danach sind Sie zu Lambert gebraust, Mister Parker?«
Um herauszufinden, wer nun Lamberts wirklicher Auftraggeber ist«, sagte Josuah Parker. »Bei den Herren Cool, Bander und Lambert handelt es sich ja nur um ausführende Organe.« »Und wer ist dieser Kredithai?« wollte Cleveland wissen. »Dies entzieht sich im Augenblick noch meinem Wissen«, erwiderte der Butler und sah zur Tür hinüber, die sich gerade öffnete. Der Knabe Mike erschien. Er wirkte sehr wach und frisch. Er präsentierte zwei mittelgroße Fotos, stutzte, als er Cleveland und Longless sah, schaute auf die beiden Bilder, dann wieder zurück zu den beiden Profikillern und lächelte zufrieden. »Mike«, sagte Vivi Carlson und lief auf den Knaben zu. »Warum schläft du nicht? Ist irgendwas?« »Ich hatte zu tun«, sagte der Junge. »Als Sie alle weg waren, sollte hier eingebrochen werden. Ich habe die beiden Männer verscheucht und fotografiert. Als Beweismaterial!« Parker nahm die Fotos entgegen. Cleveland und Longless waren mit letzter Deutlichkeit zu erkennen. In Positionen, die ein wenig grotesk wirkten, was wohl mit den Tonmurmelgeschossen zusammenhing, von denen sie getroffen worden waren. »Wenn Sie vielleicht sehen wollen.« Parker reichte Cleveland und Longless je ein Foto. Sie hüstelten beide, als sie die Fotos zurückgaben. Rander nahm sie jetzt in Empfang und grinste wie ein großer Junge. »Gut getroffen«, stellte er fest. »Vergessen wir das Thema«, schlug Cleveland vor. »Hat er uns verscheucht?« Longless wollte es genau wissen und deutete auf den Knaben. »Es war nicht sehr schwer«, sagte Mike. »Sie haben sich wie Anfänger benommen.«
Cleveland hüstelte erneut. Longless bekam einen roten Kopf. »Jeder hat mal ein Formtief«, reagierte Cleveland dann entschuldigend. »Gut, der Junge«, sagte Longless. »Er kann nur noch verzogen werden, wenn er in die falschen Hände kommt.« Während er sprach, sah er seinen Ausbilder Cleveland strafend an. Rander verbiß sich nur mühsam ein Lächeln. Vivi Carlson schaute angestrengt zu Boden und biß sich auf die Lippen. Sie wollte um keinen Preis der Welt gerade jetzt herausprusten. Josuah Parker reichte die Fotos an Cleveland und Longless zurück. »Ich schlage vor, meine Herren«, sagte er dann würdevoll. »Sie behalten diese Fotos als eine Art Erinnerung an diesen Waffenstillstand.« Die beiden Superkiller griffen ungemein hastig nach den Aufnahmen, und ohne jede Verabredung zerrisssen sie sie dann und warfen die Stücke in den brennenden Kamin. »Damit wäre der Alltag wieder eingekehrt«, sagte Cleveland und nickte seinem Schützling zu. »Wollen und müssen Sie denn unbedingt weitermachen?« erkundigte sich Vivi Carlson fast bedauernd bei Cleveland. »Berufsethik«, entschied Cleveland und nickte. »In einer Stunde geht's weiter.« »Ich darf und kann meinen Daddy doch nicht enttäuschen«, fügte Longless fast traurig hinzu. »Als Sohn weiß man doch schließlich, was man seinem Vater schuldig ist.« »In einer Stunde also«, schaltete Parker sich ein. »Es war mir das, was man ein Vergnügen nennt.«
»Schade, daß wir uns wieder gegenüberstehen werden«, bedauerte Vivi Carlson. »Man muß eben seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun. Wir alle stehen unter diesem Gesetz, nachdem wir angetreten sind.« »Okay.« Longless sah seinen Ausbilder erstaunt an. »Das hast du sehr gut gesagt, Clevie!« »Ich werde Sie hinausbringen.« Parker geleitete seine Gäste zur Tür. Der Knabe Mike sah Cleveland, Longless und Parker nach, die im Treppenhaus verschwanden. Dann zeigte er. Rander und Vivi Carlson ein kleines Stückchen Film. »Blutige Anfänger«, konstatierte er anschließend, »nach dem Negativ haben sie überhaupt nicht gefragt.«
Ein neuer Tag. Rander und Parker fuhren an der Brandstelle vorbei, aus der noch weißer Rauch stieg. Der Feuerwehr war es gelungen, den Brand auf das Lagerhaus Finnegans zu beschränken. Es war allerdings bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. »Ist Finnegan nun unser Mann?« erkundigte sich Mike Rander, als Parker hielt. Sie stiegen aus dem hochbeinigen Monstrum des Butlers und schritten auf den Torweg zu. »Ich bin sicher, diese Frage verneinen zu müssen«, antwortete der Butler. »Mister Finnegan hätte sich wohl sonst nach meiner Ausschaltung triumphierend sehen lassen.« Finnegan wirkte tatsächlich unverdächtig. Er stand in der Nähe der rauchenden Trümmer und nickte dem Butler und Mike Rander zu, als sie sich neben ihm sehen
ließen. »Ein herber Verlust, wie?« »Kann man wohl sagen«, antwortete Finnegan, »ich war nicht versichert.« »Es wird immer vollgestopfte Keller und Dachböden geben, die Sie leeren müssen«, tröstete Rander den Mann. »Haben Ihre beiden Mitarbeiter Cool und Bander sich schon sehen lassen?« »Nein.« »Ich hätte einige Fragen an Sie zu richten, die mit dem Brand im Zusammenhang stehen«, schaltete Josuah Parker sich in seiner bekannt höflichen, aber auch etwas umständlichen Art ein. »Es könnte sich durchaus ergeben, daß sie auch ohne Versicherung für den Verlust entschädigt werden.« »Wie denn?« »Was ereignete sich in Ihrem Büro kurz vor dem Brand?« Cool und Bander rannten plötzlich aus dem Büro. Dann gab's da 'ne dicke Rauchwolke. Ich war total durcheinander. Cool schrie mir zu, es würde geschossen. Und da hab' ich mich unter den Schreibtisch gesetzt und abgewartet.« »Und später?« verlangte Rander zu wissen. »Bin ich wieder hoch und hab mich von Cool und Bander in Sicherheit bringen lassen.« »Wohin?« Rander sah Finnegan forschend an. Log der Mann? »In eine Kneipe. Cool und Bander kamen nach 'ner halben Stunde etwa zurück und sagten, es sei alles in Ordnung.« »Und dann?« »Brannte es auch schon. Sie waren gerade in der Kneipe, als man mir zurief, der Lagerschuppen wär‘ in Flammen
aufgegangen. Sagen Sie mal ehrlich, was wird eigentlich gespielt?« »Innerhalb der nächsten Stunden werden Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit in der Lage sein, Ihre Frage zu beantworten«, versprach Parker.
»Sie wollen Ihre Uhr einlösen?« erkundigte sich Hubert Melwick. Parker befand sich in der Pfandleihe und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er legte die zehn Pfund auf den Tresen und reichte Melwick den Pfandschein. Der Pfandleiher drehte sich um, öffnete einen kleinen verglasten Wandschrank und holte die Uhr heraus. Er legte sie vorsichtig auf das Zahlbrett. »Haben sich Ihre Geldschwierigkeiten erledigt?« wollte Melwick dann wissen. »In der Tat«, erwiderte Parker gemessen. »Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft auszudrücken.« Er steckte die Uhr ein und verließ nach erneutem Lüften seiner schwarzen Melone die Pfandleihe. »Na?« fragte Rander, der im Wagen zurückgeblieben war. »Kein Erstaunen über mein Erscheinen«, berichtete Parker. »Wenn Sie erlauben, werde ich jetzt Mister Clonmark einen Besuch abstatten.« Parker überquerte die Straße und betrat den Buch- und Papierladen Clonmarks. Der kleine, dürre Mann mit der Stirnglatze sah den Butler
irritiert und irgendwie nachdenklich an. »Parker mein Name«, erinnerte der Butler. »Ach ja, richtig. Sie haben sich um Mrs. Hatfield gekümmert, nicht wahr?« »Gewiß. Wie geht es ihr?« »Eben erst habe ich mit ihr gesprochen. Sie machte einen frischen Eindruck am Telefon. Ich glaube, sie hat nicht mehr diese Angst.« »Wie erfreulich«, sagte Parker. »Erlauben Sie mir, von hier aus ein Telefongespräch zu führen?« »Aber natürlich. Hinten, auf dem Arbeitstisch. Da steht der Apparat.« Parker verzichtete jedoch auf den angekündigten Anruf. Er merkte sich nur die Telefonnummer, die vorn auf dem Apparat auf einem Pappschild angebracht war. »Schon fertig? Haben Sie überhaupt angerufen?« wollte Clonmark wissen, als Parker schon wieder vorn im Laden stand. »Ich wollte mir nur Ihre Telefonnummer ansehen.« »Ja, warum denn das?« »Aus reiner Neugier«, sagte Parker. »Haben Sie gestern mit Mister Melwick gesprochen, mit anderen Worten, rief er Sie an?« »Melwick!?« »Diesen Namen nannte ich in der Tat.« »Lassen Sie mich nachdenken! Nein! Oder doch!? Nein, ich glaube nicht. Hat er das denn gesagt?« »Auf keinen Fall. Es war nur eine vage Vermutung meinerseits, Mister Clonmark. Ich erlaube mir, Ihnen noch einen schönen Tag zu wünschen.« Erneutes Lüften der Melone, dann marschierte der Butler
hinüber zu seinem hochbeinigen Monstrum und nickte, als er den Wagenschlag erreicht hatte. »Die Sterne stehen günstig«, sagte er dann. »Die Auswertung einer Telefonnummer vom Tonband dürfte sich wieder mal gelohnt haben, Sir.« »Demnach müßte sich dann bald etwas tun, oder?« »Mit Sicherheit, Sir!«
Der Austin verließ die Hauptstraße und bog in eine kleine Ansiedlung netter, altehrwürdiger Fachwerkhä user ein, die zum Teil noch aus dem Mittelalter stammten. Der Austin hielt vor einem dieser sehr gepflegten, anderthalbstöckigen Häuschen. »Interessant«, sagte Rander, der neben seinem Butler stand. Sie hatten Parkers Wagen verlassen und beobachteten den Mann, der aus dem Austin stieg und ein Fachwerkhaus betrat. Er schien es sehr eilig zu haben. »Der Herr dürfte inzwischen erfahren haben, daß Mister Lambert doch noch lebt und wahrscheinlich mit dem Leben davonkommt.« »Das haben Sie prima arrangiert« sagte Rander lächelnd. »Gut, daß der behandelnde Arzt im Hospital mitgespielt hat.« »Er war sofort einverstanden, Sir. Als ich ihm mitteilte, dieser Trick sei notwendig, um seiner Patientin Hatfield die Angst zu nehmen, war er geradezu begeistert.« »Jetzt fürchtet unser Mann, daß Lambert plaudern wird, wie?« »Zumal Mister Lambert selbstverständlich weiß, zumindest aber ahnt, wer allein diesen Schuß auf ihn abgefeuert haben könnte, Sir.«
»Sehen wir uns den eigentlichen Kredithai mal aus der Nähe an, Parker!« Rander und Parker machten einen kleinen Umweg, blieben in Deckung von gepflegten und geschnittenen Sträuchern und bauten sich genau dem Hauseingang gegenüber hinter der Taxus hecke auf. Der Kredithai kam aus dem Haus. Er schleppte sich förmlich mit einer prall gefüllten Tasche ab, die er im Kofferraum seines Austin verstaute. Als er nach vorn zur Fahrertür gehen wollte, fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. »Sie haben Ihr Geschäft schon geschlossen?« fragte Parker höflich. »Sie?« stieß der Mann hervor. »In der Tat, Mister Melwick«, erwiderte der Butler würdevoll. »Ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß Sie die Wucherzinsen Ihrer Kredite zurückzahlen wollen?« Worauf Melwick vorerst nichts zu sagen hatte.
Der Knabe Mike paßte sehr genau auf. Er befand sich zusammen mit Vivi Carlson und Mike Rander in der Bibliothek des Hauses und lauschte den Ausführungen des Butlers. Mister Melwick, der Kredithai, wurde das Opfer seiner Schlauheit«, berichtete der Butler. »Ich darf darauf verweisen, daß ich eine präparierte Taschenuhr in die Pfandleihe Mister Melwicks trug, der eine der verdächtigen Personen darstellte. Im Anhänger der Uhr befand sich ein Minisender, der Informationen liefern sollte. Mister Melwick nun rechnete mit
solch einem Trick, zumal er mich sofort erkannte, wie er inzwischen gestand. Er wußte also, daß seine anschließenden Gespräche mitgehört werden konnten. Er führte ein Scheingespräch mit seinem angeblichen Vorgesetzten, wählte dazu Mister Clonmarks Telefonnummer und drückte das Gespräch nach Wählen der Nummer aus der Leitung. Er führte also das, was man ein Scheingespräch nennen sollte.« »Prima!« lobte der Knabe Mike. »In der Tat!« Parker nickte dem Knaben zu. »Zugegebenermaßen, ein recht interessanter Trick, den Mister Melwick allerdings überzog. In diesem Scheingespräch mit seinem angeblichen Vorgesetzten tat er so, als erkundige sein Gesprächspartner sich nach dem Aussehen des neuen, potentiellen Kunden. Er fragte also nach meiner bescheidenen Wenigkeit.« »Weiter!« drängte der Knabe Mike, und sah den Butler aus großen Augen an. »Dies verriet ihn«, berichtete der Butler weiter. »Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, daß der eigentliche Kredithai sich seine Kunden beschreiben ließ. Das wäre reiner Zeitverlust gewesen. Er mußte und hat sich stets auf seine Handlanger verlassen, die ihm die Kunden ins Geschäft trieben.« »Guter Schluß!« lobte der Knabe Mike den Butler. »Danke, Mister Mike«, antwortete Parker höflich. »Ich schlußfolgerte also, daß Mister Melwick mir etwas vorspielte. Am Ende der Kausalkette konnte nur Mister Melwick als gesuchter Kredithai stehen, denn warum wollte er meine bescheidene Wenigkeit derart nachdrücklich täuschen? Doch nur, um falsche Spuren auszulegen. Er gestand übrigens ein, daß er beim Übergeben der Uhr sofort mit einem Minisender gerechnet hatte.« »Und die beiden Männer, die meine Mutter so erschreckt
haben?« wollte der Knabe Mike wissen. »Sitzen bereits hinter den sprichwörtlichen Schlössern und Riegeln«, erzählte der Butler weiter. »Mister Lambert war so frei, ebenfalls gegen Melwick auszusagen. Der Schuß auf ihn machte ihn erfreulich redselig.« »Und was ist mit dem Geld, das Melwick wegschaffen wollte?« fragte der Junge und rückte sich die Brille zurecht. »Nun«, Parker zögerte ein wenig. Seiner Ansicht nach brauchte der Knabe nicht alle Einzelheiten zu erfahren. »Ich hoffe, sie haben das Geld an die Schuldner zurückgegeben«, sagte Mike altklug. »Nun, sagen wir, die Zinsen«, räumte der Butler ein. »Das Restgeld wurde den Behörden überstellt.« »Nachdem Mister Finnegan für den Brand entschädigt wurde«, fügte Rander hinzu. »Mike soll die ganze Wahrheit erfahren.« »Und was ist mit dem Schmerzensgeld für die Leute, die von den Kredithaien mißhandelt wurden?« verlangte der Junge zu wissen. Er kannte sich aus. Er hatte genügend Kriminalfilme im Fernsehen gesehen. »Diese Personen wurden ebenfalls entschädigt«, erklärte der Butler. »Die Notizen in Lamberts Handbuch machten eine Umverteilung des sichergestellten Geldes relativ leicht.« »Fein. Dann bin ich restlos zufrieden«, sagte der Knabe Mike. »Wenn ich größer bin, Mister Parker, würden Sie mich dann ausbilden? Ich will Privatdetektiv werden.« »Es wird mir ein Vergnügen sein«, antwortete der Butler gemessen. »Ihr Rechtsempfinden, Mister Mike, scheint mir deutlich ausgeprägt zu sein.« »Und darum brauchen wir das Negativ von den beiden nächtlichen Einbrechern.« Rander lächelte den Knaben freundlich an.
»Es steht zu Ihrer Verfügung«, meinte Mike und holte es aus seiner hinteren Hosentasche. »Wollen Sie diese beiden Anfänger verhaften lassen?« »Keineswegs«, imitierte Rander den Tonfall und die Ausdrucksweise eines Butlers. »Wir wollen eine Art Dankesschuld damit abtragen. Es sind eben Anfänger, die man nicht zu hart bestrafen sollte.«
Cleveland und Longless schreckten wie furchtsame Rehe zusammen, als es an der Tür ihres Pensionszimmers klopfte. Blitzschnell zogen sie ihre handlichen Schußwaffen und bauten sich profimäßig links und rechts von der Tür auf.. »Wer da!« verlangte Cleveland dann zu wissen. »Post für Sie!« erwiderte draußen auf dem Korridor eine unverdächtig klingende Stimme. »Uralter Trick«, flüsterte Longless warnend seinem Ausbilder zu. »Schieben Sie das Zeug unter die Tür«, rief Cleveland also. »Geht nicht. Ist zu dick.« Die Stimme klang nach wie vor unverfänglich. »Trick mit Bart«, kommentierte Longless leise. »Warten Sie, ich sperre auf!« Longless nahm Druckpunkt, während Cleveland den Türknauf drehte und blitzschnell öffnete. Mit der Tür fiel fast ein junger Postbote ins Zimmer. »Wenn das lustig sein soll, muß ich das wissen. Dann lach' ich nämlich«, sagte der junge Postbote ruppig. Er drückte Cleveland ein flaches Päckchen in die Hand.
»Sprengstoff? Gift?« Longless hatte die Tür hinter dem Postboten ins Schloß geworfen und sah mißtrauisch zu Cleveland hinüber, der das Päckchen nachdenklich in der Hand wog. »Parker ist der Absender«, sagte er dann überrascht, als er die Schrift auf dem Päckchen überlesen hatte. »Dann kannst du es öffnen. Mit solchen üblen Tricks arbeitet er nicht.« Longless war sich seiner Sache vollkommen sicher. »Aber vielleicht irgend so ein Schlafgas oder Lachpulver«, meinte Cleveland mißtrauisch. »Hier, Longie! Mach' du es auf! Du traust ihm ja über den Weg.« Longless machte sich an die Arbeit. Er kniete hinter der Lehne eines Sessels, hatte die Arme über die Rückseite des Sessels geschoben und riß das Päckchen auf. Cleveland bezog in einer engen Nische zwischen Schrank und Wand Deckung. »Woher weiß Parker überhaupt, daß wir hier wohnen?« fragte er aus seiner Deckung heraus. »Wahrscheinlich hat er unsere Rechnungen gefunden, als er uns eingegipst hat«, sagte Longless. »Deckung, Clevie! jetzt nehm' ich die Verpackung ab.« Cleveland ging in die Kniebeuge. Longless zog seinen Kopf ein. Er hatte das Päckchen geöffnet und befingerte einen flachen Gegenstand. Nichts geschah. »Ein Buch!« rief Longless erstaunt, als er es riskiert hatte, nach dem Inhalt des Päckchens zu sehen. »Ein Buch? Von Parker?« »Und ein Fotonegativ«, fügte Longless hinzu. »Hier, sieh mal, Clevie!« Was Cleveland schnell tat. Er kam aus seiner Deckung und hielt das Zelluloid gegen das Licht des Fensters.
»Verflixt!« stieß er hervor. »Die Aufnahme von diesem Wunderknaben, Longless.« »Zünd es bloß an!« Longless sah sich das Negativ ebenfalls an. »Eigentlich anständig, uns das Ding zu schicken, wie?« »Nun übertreib' bloß nicht! Und was ist mit dem Buch?« »Wie werde ich Detektiv?« antwortete Longless mit leicht belegter Stimme. »Wie bitte?« »So heißt der Titel«, stöhnte Longless. »Er schickt uns ein Buch, Wie werde ich Detektiv?« »Was soll denn das?« regte sich Cleveland prompt und spontan auf. »Das ist doch eine einzige Verhöhnungspiepelei. Der will uns auf den Arme nehmen!« »Das ist 'ne Verletzung unserer Menschenwürde« stellte Longless sachlich fest. Er war auf dem College gewesen und kannte sich in diesen Feinheiten aus. »Dafür werden wir Parker zur Kasse bitten«, schwor Cleveland laut und drohend. »Los, Junge! Putz die Waffen. Polier sie auf Hochglanz. Der Krieg mit Parker geht in sein Endstadium!« Worin er sich natürlich wieder mal getäuscht haben sollte. Doch das wußten Cleveland und Longless zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sonst hätten sie sicher sofort Flugkarten für die Rückkehr in die Staaten gebucht.
Scan by Crazy2001 / Layout
und Korrektur by Larentia / Juli 2003