DAS BUCH An einem regnerischen Sommertag meldet sich der Oberfähnrich zur See Schneider in Le Havre zum Dienst in der 3...
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DAS BUCH An einem regnerischen Sommertag meldet sich der Oberfähnrich zur See Schneider in Le Havre zum Dienst in der 38. Minensuchflottille. Er wird auf den vergammeltsten Logger der Einheit kommandiert, denn seinen Führungsbogen ziert ein dunkler Fleck. Ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten hatte ihm Bunker eingebracht. Doch ausgerechnet dieser Schinder kommandiert den Lepradampfer, eine explosive Konstellation, in der die Gedanken der Männer an eine gewisse Michou die Situation noch verschärfen Spät in der Nacht läuft der Logger aus. Betrunken setzt der Kommandant den falschen Kurs ab. Logger-29 läuft auf Grund und verliert zu allem Unglück noch die Schraube. Wasser dringt ein. Bewegungslos liegt das Schiff im Nebel – ebenso wie ein britisches Schnellboot, das von den Deutschen gekapert wird. Doch diese Bravourleistung wird nur ein zwiespältiger Sieg. DER AUTOR C.H. Guenter wurde 1924 in Franken geboren. Wie viele seiner Altersgenossen legte er im Krieg das Notabitur ab und wurde dann zur Marine eingezogen, der er bis Kriegsende angehörte. Seine wichtigsten Einsätze erlebte er als Seeoffizier, zum Teil auf U-Booten. Seine Laufbahn als Schriftsteller begann C. H. Guenter mit dem Schreiben von Schlagertexten und Kurzgeschichten. Später folgten Drehbücher und Kriminalromane. Viele seiner Romane erschienen in den USA, in England, Frankreich, Brasilien, Italien und Rumänien.
C. H. Guenter
Kriegslogger-29 Den letzten fressen die Haie Roman
Ullstein
Wenn einer glaubt, diese Geschichte sei Erfindung, nur ein Roman und folglich unwahr, so irrt er sich. Ich hatte Gelegenheit, die Ereignisse aus nächster Nähe zu beobachten und zu verfolgen. Dinge, die sich wirklich ereigneten, wurden nur zusammengefaßt und verdichtet. Manches mußte verschwiegen werden, weil man nicht alles über den Krieg einfach hinschreiben kann. Auch dem Logger-29 wurde einiges angedichtet, was auf andere Konten geht. Aber das Gesamtbild stimmt. Ich kenne einen Mann, der lange Zeit als seemännische Nummer eins auf dem Lepradampfer fuhr. Es ist mein Kamerad Lothar B. Ihm ist dies zur Erinnerung gewidmet... C. H. Guenter
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Der Mann im marineblauen Uniformmantel hatte in der Schule gut aufgepaßt. Deshalb war es ihm gelungen, sich mit seinem Minimal-Französisch vom Bahnhof bis zum Hafen durchzufragen. Eine Stunde vor Mittag war er bei strahlender Sommersonne in Le Havre angekommen. Jetzt goß es in Strömen. Aber der Seewind, der die Wolken von England über die Meerstraße zum Festland herübertrug, blies wenigstens den Mief der französischen Eisenbahnwaggons aus seinen Lungen, diesen Mischgestank aus Eigenbautabak und Knoblauchwurst. Der Soldat schlug den Kragen seines Uniformmantels hoch, weil ihm das Wasser am Hals herunterlief. Innerlich fluchend wechselte er den schweren Koffer von links nach rechts. Nach wenigen hundert Metern setzte er endgültig ab. Bist selbst schuld, dachte er. Du hättest bei der Flottille anrufen müssen, dann hätten sie eiligst ein Auto geschickt. Einen Mercedes für Oberfähnrich zur See Schneider - absolut lachhaft! Gehustet hätten sie mir was, dachte er grimmig weiter. Bei dem Verein, der sich Marine nennt, war es ziemlich egal, ob man Schneider hieß oder Schuster, wenn man nicht zufällig Admiral war oder einen 5
Onkel hatte, der Admiral war. Schneider hatte keinen Flaggoffizier zum Onkel. Gewiß wäre mancher Admiral froh gewesen, Schneiders Familie anzugehören, auch wenn man in diesen Kreisen keinen Bedarf an Admiralen hatte. Diese Überlegungen spielten beim Kofferschleppen keine Rolle. Vielmehr war es ausschließlich eine Frage der Zähigkeit und des Willens. Und beides hatte man Schneider anerzogen. Er erinnerte sich an die erste Zeit bei der Marine. Es waren Wochen, die ihn hart gemacht hatten. Immer wenn er erschöpft war, wenn er etwas brauchte, um sich zusammenzureißen, mußte er daran denken. Da war ein Ausbilder gewesen, ein Gruppenführer im Range eines Bootsmaats, Köhler hieß der Kerl und war der Flotte größter Schinder gewesen. Ein Sadist, der Rekrutenknochen wie kein anderer in preußische Fasson brachte, der ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatte, der am liebsten die Atemluft rationiert hätte. »Das Herz eines Soldaten hat bei >Stillgestanden< nur 30mal zu schlagen. Befehl von mir. Von Bootsmaat Köhler.« Dieser Köhler hatte einen hundsgemeinen Trick. Selbst mit der Stimme einer paralysierten Baßgeige gesegnet, ließ er ständig singen. Wo es ging, mußte Köhlers Gruppe singen. Bei Reinschiff, bei Geländeübungen, unter der Gasmaske, beim Sport. Ein Lied mag die Laune heben, aber nicht vollhalsiger Gesang, der ohne Unterbrechung Stunden dauert. Vier Stunden hatte er sie einmal singen lassen. Es war bei einem Marsch in voller Ausrüstung auf einem Schießplatz im nördlichen Holland gewesen. Kurz bevor die ersten umfielen, ließ Köhler Pause machen. Auch in der Pause mußten sie noch singen und dabei die Feldflasche ausschütten, damit keiner Tee trinken konn6
te. Dann weiter. Singen, marschieren, singen, volle Dekkung, singen, Waffen schleppen. Manchmal, wenn Schneider nachts träumte, schrie plötzlich und unvermittelt Köhlers Reibeisenstimme: »Ein Lied ...!« Wenn Schneider bei Köhler etwas gelernt hatte, dann war es, wie man einen Menschen haßt und wie man hart wird. Schneider haßte den ehemaligen Kanalarbeiter Köhler vom ersten Tag an, bis sie sich dann 1941 aus den Augen verloren. Köhler aber verachtete in Schneider nicht den Matrosen, sondern den Juniorchef der Magnus Schneider Berg-, Hütten- und Walzwerke AG. Den Blechschneider, wie sie ihn nannten. Den Jungen, der die besten Schweizer Internate besucht hatte und dem ärmere Tanten zum Geburtstag rote Sportwagen schenkten. Köhler war es gewesen, der Schneider soweit gebracht halte, daß er Reserveoffizier wurde. Damit ihm nie mehr einer in die Suppe spuckte und damit er sich die Schuhe nicht mehr selbst zu putzen brauchte. Der Oberfähnrich zur See stand immer noch an der Place de l'Opera. »Köhler«, murmelte er vor sich hin, und es war schlimmer als der gräßlichste Fluch. Ein Lied! befahl er sich dann, nahm den Koffer hoch und schleppte ihn weiter. Die lange Straße zum Hafen hinaus. *** Ein unterernährtes Pferd zog mit müdem Schritt einen Fischwagen vorbei. Das struppige Fell dampfte vor Nässe, Der Kutscher saß unter einer Segeltuchplane und hatte die Baskenmütze tief im Gesicht. Schneider kam in Versuchung, den Koffer auf den Kar7
ren zu schwingen, unterließ es aber. Er hätte neben dem Wagen herlaufen müssen, und dem Fischhausierer wäre es vielleicht nicht recht gewesen. Wer in der Normandie etwas auf sich hielt, der übersah, daß der Feind im Land stand, der übersah die fremden Soldaten, wie man einen Barbaren übersieht, der sein Kotelett mit den Fingern zerreißt. An der Ecke mischte sich in den Seewind der Hafengeruch, Schneider atmete die Nähe des brackig fauligen Wassers, das zuerst Übelkeit erregte, dessen Geruch man später aber nie mehr vergaß, weil er an Schiffe erinnerte, an Seefahrt und an Freiheit. Er schleppte seinen Koffer bis zur Sperre. Der Posten prüfte seine Papiere. »Gehen Sie mal hier längs, Herr Oberfähnrich, dann da längs. Die Achtunddreißigste können Sie gar nicht verfehlen. Die Verwaltung ist in einer Villa am Kai. Suchen Sie sich ein Haus aus. Jeder hat hier sein eigenes Haus oder mindestens eine eigene Wohnung. Die Hafenzone ist geräumt, und so viele Seeleute haben wir gar nicht wie Häuser.« Schneider schaute sich erst einmal die Gegend an. Am Ende fiel die Straße zum Pier ab. Masten ragten darüber. Die dazugehörigen Schiffe sah man nicht. Es war Ebbe, und sie lagen tief. Der Tidenunterschied am Kanal konnte acht Meter und mehr betragen. Bei Flut drückte das Wasser die Boote wieder in die Höhe. So ging es auf und ab, im Rhythmus von sechs Stunden. Zweimal am Tag war Flut, zweimal Ebbe. Hinter dem Pier stachen Kräne hoch empor, und dann sah man nur noch Himmel. Grauen, regnerischen Himmel. Der Posten schlenderte wieder auf Schneider zu. 8
»Herr Oberfähnrich, die Herren bevorzugen Haus Nummer 19. Das grüne neben dem braunen. Da bedient eine Rothaarige«, er wölbte beide Hände vor der Brust, »mit solchen Augen.« »Frauen gibt es hier auch?« fragte der Oberfähnrich erstaunt. Der Posten schien ein erfahrener Matrose zu sein. »Weiber sind überall«, meinte er. Schneider schätzte Diskussionen über Dinge, die er nicht bezweifelte, wenig. Wieder nahm er den Koffer auf und suchte sich ein Haus. Er ging nicht in Nummer 19, sondern in Nummer 21. Rasch wollte er sich etwas in Ordnung bringen, seine Papiere auf der Schreibstube abgeben und sich beim Flottillenchef melden. Deshalb trat er in das Parterrezimmer links. Er fand es sauber, fast leer. Bett, Tisch, Stuhl und Schrank waren die nüchterne Einrichtung. Er zog den Mantel aus, wusch sich in einer gefliesten Badenische des Erdgeschosses und wechselte das Hemd. Als er mit nassem, nacktem Oberkörper im Koffer herumwühlte, hörte er ein Geräusch an der Türe. Er blickte sich um und sah ein Mädchen am Fenster stehen. Er wußte, daß es die Rote von Nummer 19 war, »mit zwei Händen voller Augen«, Sie hatte eine Art, stumm dazustehen, die ihn nervös machte. Endlich begann sie zu sprechen. »Guten Tag. Ich bin Jacqueline. Und Sie?« Ihre Blicke liefen dabei im Zimmer roundabout und blieben an Schneiders Schweinslederkoffer hängen. Sie sprach ein fürchterliches Deutsch, und der Oberfähnrich antwortete auf französisch. »Ich bin ein Mann«, sagte er, »un homme.« »Das sehe ich.« Sie lachte, ging ungeniert im Zimmer umher, hob hier seinen Dolch auf und dort seine Krawat9
te. Dabei flog mit jeder Drehung des Kopfes das rote Haar von einer Schulter zur anderen. Den Pullover mochte sie schon als Kind getragen haben. Jetzt schätzte er sie auf 17 Jahre. Schneider stellte seinen Spiegel auf und beobachtete sie, während er sich die Krawatte band. Das Mädchen hatte einen Gang, wie man ihn nicht häufig zu sehen bekam und nicht immer ertragen konnte. Speziell von hinten. Weil seine Hose keine Bügelfalte mehr aufwies, beschloß er, in die erste Garnitur zu wechseln. Man mußte beim Chef einen guten Eindruck machen, besonders dann, wenn man ein so unexquisites Führungsbuch hatte wie Oberfähnrich Schneider. »Jacqueline, verduften Sie. Ich will mich umziehen.« Sie zog einen Flunsch und verließ das Zimmer. Nach wenigen Minuten ging die Tür auf, und Jacqueline erschien wieder. Er war fertig und wollte gerade gehen. »Hast du eine Zigarette?« fragte sie. Dabei kam sie näher, als ihm lieb war. Er schnellte eine aus der Juno-Packung und reichte ihr Feuer. »Mon cher, das ist so«, fuhr sie fort, »ich kann so selten mit einem Kerl reden, weil sie alle unsere Sprache nicht verstehen. Compris? Das heißt, sie verstehen zu we nig. Sie wissen nur, was >dormir< heißt und >BettHaben Schraube verloren, treiben nordwestlich ab. Bitten um Schlepphilfe. Position folgt. Gezeichnet Köhler.Ja< oder >Nein