OTTO ZiERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
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DIE ALTEN MÄC...
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OTTO ZiERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
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DIE ALTEN MÄCHTE Unter diesem Titel erscheint vor Weihnachten der Doppelband 23/24 der neuartigen Weltgeschichte. Der Doppelband bebandelt das 14. Jh. n. Chr.
Der Triumph der Päpste überdauert den Sturz der Hohenstaufen nicht lange. Die Könige und Fürsten der neuen Zeit sind Realpolitiker, ihr Ziel ist persönliche oder nationale Macht. ! Der Abstieg der Ritterschaft setzt ein, der handeis und ge dmächtigeBürger kommt empor; der Gelehrte dieses 14. Jahrhunderts sucht im Humanismus und nicht mehr einzig im rhristlichen Glauben seine Ideale. Pest, Not und beginnender Türkensturm erregen tief die Gemüter; die alten Mächte behaupten nicht mehr ihre einstige Stellung
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wiedei ausgezeichnete Kunstdrudttafeln und zuverlässige historische Karten. Ei kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden Aut Wunsch werden auch Iie bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. Erschienen ist seit Januar 1951 monatlich ein Band. Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX
MURNAU/MÜNCHEN
K L E I N E B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Hans Wilhelm Smolik
D I E LETZTEN
Meister Bockert zum
Gedächtnis
VERLAG SEBASTIAN LUX » MURNAU / MÜNCHEN
Ein frischer Zweig wird als nahrhafte Beute zum Bau gebracht Wie Meister Bockert und sein Weibchen in große Getahr geraten, Bockert allein den Nachstellungen seiner Feinde entgeht und ein neues Leben beginnt
Ein ruchloser Anschlag
Es ist Anfang Februar, u n d der W i n t e r regiert in voller Strenge. Tagelang schon fegt ein s t e i f e r, eisiger Ostwind über das flache Magdeburger Land u n d wirft sich m i t voller Wucht gegen die Auwälder des Elbtales. D e r breite Strom, seine vielen N e b e n a r m e , seine Altwasser u n d alle die k l e i n e n Seen, Teiche u n d T ü m p e l der Niederung sind fest zugefroren. N u r an d e n W e h r e n , an der Mündung der flotten Mulde u n d in der N ä h e der F a b r i k e n finden die zugereisten Schellenten noch offenes Wasser. Grau und trüb im grauen u n d trüben Winternachmittag hocken die ostelbischen N e b e l k r ä h e n an den Ausflußstellen der städtischen Kanalisationsröhren. Gierig s c h n a p p e n sie nach den Brocken, die ihnen die schaumigen Abwässer zutragen. Es ist bittere N o t z e i t für sie u n d alles andere Getier, das s o m m e r ü b e r in diesen schwer zu-
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gänglichen, mückenumsummten und f alterumgaukelten Wäldern und Auen wie im Paradiese lebt. In Rudeln ziehen die dunkelfarbigen Rehe aus den Buchen- und Eschendickungen zu den Futterplätzen. Fast alle Stücke sind stark abgekommen, und so manches wird in seiner Schwäche eine sichere Beute des Fuchses werden. Schreiend schwebt der Mäusebussard über der verödeten Winterlandschaft. Er kreist schon seit Stunden und blockt nun, da die Sonne rot hinter den Eichenhainen versinkt, auf einer backofeniförmigen Erhebung am Rande eines vereisten Tümpels auf. Seltsam! Inmitten der weißen Fläche ist der Schnee auf der Kuppel des Ruheplatzes ein wenig getaut, und man sieht, daß der kleine Hügel aus vielen wirr aufeinandergetürmten und fest ineinandergesteckten Knüppeln besteht. Der Bussard rastet gern hier, denn immer will es ihm scheinen, als ob ihn von unten her ein wenig Wärme anwehe. Er entspannt sich, lockert sein Gefieder und plustert sich auf. Wie ein Gnom, ein Riesenkauz hockt er da oben. Plötzlich aber reißt er den Kopf hoch, macht sich schlank und streicht gleich darauf ab. Über die verschneiten Wiesen kommen in der rasch hereinbrechenden Dämmerung zwei Gestalten. Es sind Männer aus der Umgebung, die sich hier auszukennen scheinen. Derbe Stöcke in der Hand, stapfen sie genau auf das Hügelchen zu. Jetzt knieen sie bei ihm nieder, fegen am Grunde den Schnee weg, ziehen Strohwische aus einem Sack, überschütten sie mit Benzin und schieben sie unter die Knüppel. Ein Feuerzeug flackert auf. Knisternd und zischend springen die Flammen von Halm zu Halm und in das Schilf, mit dem irgend jemand den Haufen abgedichtet hat. Die beiden Männer nicken sich schmunzelnd zu. Ihre Hände greifen fester um die Stöcke. Breitbeinig und schlagbereit lauern sie und hören befriedigt, wie es plötzlich unter ihnen zu rumpeln beginnt. Die Wilderer wissen, daß dieser Knüppelhaufen die Winterhütte des Bibers ist; sie wissen auch, daß der Biber unter strengem Naturschutz steht. Aber die schöne Stange Geld, die jeder Kürschner für einen guten Biberbalg, jeder Apotheker für das immer noch begehrte Bibergeil zahlt, und nicht zuletzt der gute und wohlschmeckende Sonntagsbraten lassen sie alle Bedenken in den Wind schlagen. Während die Männer lauern, ist Meister Bockert mit seinem Weibchen instinktiv in die lange unter das Wasser führende Röhre 3
gefahren. Die Tiere werfen sich in die eisige Flut und versuchen das Eis von unten her aufzubrechen. Verzweifelt .mühen sie sich a\b; aber dann müssen sie einsehen, daß dieser Fluchtweg, der ihnen sonst immer den rettenden Ausweg sicherte, diesmal versperrt ist Die Eisdecke ist zu dick. Würden sie noch langer verweilen, so ginge ihnen die Luft aus; denn der Biber vermag nur wenige Minuten lang zu tauchen. Sie müssen also in die Rohre zurück. Immer (dichter ballt sich (der Rauch in dem knapp unterm Rasen liegenden Kessel. Die Flammen haben die Schilf dich tung verzehrt und fahren nun zischend in die klatschnassen Knüppel. Das Holz schwelt stark. Die kleinen blauen Augen der Biber beiginnen zu tränen. Das Atmen fällt ihnen schwer. Schnaufend und fauchend rutschen sie wieder in die Röhre zurück. Da fällt dem Weibchen die zweite Röhre ein, die über dem Wasser mündet. Diesen Zugang hatten sie bei Einbruch des Winters verstopft. Jetzt soll er als Fluchtweg dienen. Das Weibchen stürzt in den Gang, reißt mit den großen, orangefarbenen Nagezähnen und den Händen den Schilfpfropfen und die Zweige unter sich, wittert die frische Luft und schiebt sich hinaus. Im nächsten Augenblick verendet es lautlos unter den unbarmherzigen Stockhieben der beiden Männer. Denn, daß der Biber in seiner Not und Angst nach oben durchbrechen mußte, wußten sie; auf dieses Wissen hatten die Männer den Anschlag aufgebaut. Hastig schieben sie nun ihre Beute in den leergewordenen Sack, werfen scheue Blicke im die Runde und trollen sich. Sie sehen nicht mehr, daß unmittelbar darauf auch Meister Bockert seine Nase aus der Röhre in die Winterluft streckt. Warum die Menschen das zutrauliche Bibervolk verfolgen. Seit Jahrhunderten ist Meister Bockert ihr Opfer. Die letzten Biber klagen an!
Opfer der Habsucht
Rücksichtslos und brutal wie von diesen beiden Wilderern wurde der Biber in der Alten Welt bis auf wenige Hundert seines Geschlechtes verfolgt und ausgerottet. Er, der einst Norwegen, Schweden, Italien und den Balkan, Spanien und Frankreich, die britischen Inseln, Deutschland und das europäische und asiatische Rußland bevölkerte, den die indischen Magier wie die ägyptischen 1
Priester kannten, ist heute bei uns nur noch ein Museumsstück der Natur. Als der große Gelehrte Konrad Gesner in seiner Studierstube zu Zürich die fünf Bände «eines „Allgemeinen Tierbuchs" schrieb (1551—1558), gehörten die Biber gleichsam noch zum täglichen Hausrat der mitteleuropäischen Tierwelt. „Wiewohl in allen Landen ein gemein tier, so sind sie doch am liebsten, wo große Wasserflüß rinnen. Die Ar, Reiß und Lemmat im Schweyzerland, auch die Bryß und Basel hat deren vil, Hispanien fast bei allen Wassern, wie Strabo sagt, und in Italien, da der Po ins Meer laufft." In Deutschland waren Biber an fast allen Flüssen heimisch. Die Ortsnamen Biberach und Bebra, Biebrich und Beverstedt, Bobr und Böbrach verraten es uns. Biberfleisch und Biberschwanz galten als begehrte und sehr geschätzte Fastenspeise. Biberpelze und Biberhüte trugen die altehrwürdigen Ratsherren. Und mit dem Bibergeil — das in der altdeutschen Heilwissenschaft als krampflösendes Mittel viel verwendet wurde — trieben die Kaufleute jahrhundertelang einen schwunghaften Handel ins Ausland. Meister Bockert war sozusagen jedem Schulkind vertraut und ging als „Notar und Klerk" ider Tiere auch in die Dichtung, in das Lied von „Reinecke Fuchs", ein. Dann aber verringerten sich die Bestände ziemlich rasch. Während das Jagdregister des Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen im Jahre 1650 noch 347 erlegte Biber verzeichnete, stieg der Wert des Tieres schon um 1714 so bedeutend, daß der Alte Dessauer vom Landgrafen von Hessen für jeden Biber einen „Langen Kerl", einen iSoldaten für seine Truppe bekam. Da war also der Biber schon einen Menschen wert! Vom Rhein zogen sich die Biber vor dreihundert Jahren, von der Lippe vor zweihundert Jahren, von der Donau vor etwa hundert Jahren zurück. Ebenso zeitig fehlte er an allen ostelbischen Flüssen. Und gegenwärtig ist er in ganz Europa nur noch an vier letzten Zufluchtsstätten zu finden. Diese Biberinseln sind das südfranzösische Rhönedelta, das südliche Norwegen gegenüber dem Skagerrak, das vom Pripjet durchflosssene Sumpfgebiet Polesje, und das Urstromtal der Elbe zwischen Dessau und Magdeburg. 1939 soll es in diesem deutschen Biberschlupfwinkel immerhin noch 200—300 Biber gegeben haben. Nur ein paar von ihnen haben, wie der Verfasser erfahren konnte, hier die Kriegswirren überlebt. 5
Man kennt heute den Grund für die Ausrottung des Bibers nur allzu gut. Am wenigsten konnte ihm die Veränderung ider Kulturlandschaft anhaben. Meister Bockert fand sich eigentlich überraschend gut mit dem Vordringen des Menschen ab, ließ sich weder von der Flößerei noch von der Schiffahrt beirren, trauerte auch nicht den immer dünner werdenden Auenwäldern nach, sondern hielt sich brav und genügsam an die neuen Weidenbepflanzungen der Flußufer. Die neu angelegten Uferdämme und Deiche fand er sogar ideal und wie geschaffen zur Anlage seiner Erdhöhlen. Der Biber ist ja, wenn man so sagen darf, ein überdurchschnittlich begabtes Nagetier und bestimmt kein Dummkopf. Er ist wehrhaft und erfahrungsgewitzt. Um leben zu können, braucht er beileibe nicht das ganze Jahr lang Bäume zu schneiden und sich als Waldverwüster verhaßt zu machen. Als Holzfäller betätigt er sich vorwiegend nur dann, wenn es gilt, den Wintervorrat zu stapeln. Sonst genügen ihm völlig die Stockausschläge der Weiden, Espen, Birken und Erlen. Denn die dünnen und saftigen Ruten mit ihrer frischen Rinde sind es vor allem, die er verzehrt, die er auch aus den Wipfeln der gefällten Bäume schneidet, geschickt schält oder gleich einer Zuckerstange nach und nach ins Maul schiebt. Er ist als pfiffiger Bruder aber auch sehr schnell dahintergekommen, daß im Sommer der Weizen und im Herbst die Rüben und das Fallobst eine vorzügliche Zusatznahrung darstellen. Auch die Krautköpfe munden ihm, wie er ja von Natur aus und als geborener Vegetarier überhaupt für Gras, Laub und Wasserpflanzengemüse zu haben ist und als besondere Leckerbissen sogar Teichrosenblüten mummelt. Nur dann, wenn es an diesen Dingen fehlt — und ab und zu wohl auch, um seine ständig nachwachsenden Nagezähne zu betätigen — wird er zum Holzfäller. Aber diese Untugend ist nicht der Hauptgrund zur Vernichtung der Biberbestände gewesen. Auch die lange Zeit vorherrschende Meinung, daß der Biber ein Raubtier, ein Fischfresser sei, hat ihm nur wenig geschadet. Nein, es ist allein das traurige Verdienst skrupelloser Wilderer, Totschläger und Geldmacher, daß der Biber heute zu den aussterbenden Tieren der Alten Welt gehört. Unter unseren Augen vollzieht sich das gleiche tragische Geschick am amerikanischen Biber, der einst von Mexiko bis hinauf an die Grenze des ewigen 6
4ittagsmahlzeit am Knüppeldamm
Schnees an allen Flüssen hauste, und der heute, nach rund dreihundert Jahnen erbitterten Vernichtungskrieges selbst an den Flüssen Kanadas schon ein seltenes Tier geworden ist. Trotzdem werden auch heute noch alljährlich von den dortigen Pelzjägern viele tausend Biberfelle auf den amerikanischen Markt gebracht. Nur die Rothaut, der Indianer, ist immer des Bibers bester Freund gewesen. In seinen Sagen von der Erschaffung der Welt holt der Biber den Schlamm aus den Tiefen des Weltmeeres, aus dem der große Geist Manitu dann das feste Land geformt hat. Die Freundschaftderlndianer «uMeisterBockertist altund immer noch lebendig. Man weiß heute, daß der amerikanische Biber ein Einwanderer ist, der einst aus dem hohen Norden der Alten Welt in die Neue Welt hinüberwechselte, als beide Erdteile noch durch eine Landbrücke verbunden waren. Das beweisen nicht nur die völlig gleiche Lebensweise und die (gleichen Baumethoden, sondern vor allem die gleichen Arten von Schmiarotzerkäfern und -milben, die auf den neuweltlichen wie auf den altweltlichen Bibern anzutreffen sind. Einer dieser Schmarotzer, ein gelbbrauner Käfer, der einer kleinen Küchenschabe gleicht, ist beim amerikanischen wie beim europäischen Biber so kennzeichnend, daß man ihn nach ihm benannt hat — es ist die Biberlaus, mit dem Fachnamen Platypyllida.
Bockert abenteuert durch den ^^inter
EinBiberstreuntdurchdieWelt,findeteinen gedeckten Tisch; aber das schöne Leben ist nicht von Dauer. Rettung in höchster Not!
Meister Bockert, der also noch einmal mit heiler Haut davongekommene Glückspilz, hat sich inzwischen auf die Suche nach einem anderen Unterschlupf ibegeben. Lange irrt er umher und schlieft endlich in einen alten Bau, dessen Zufahrtsröhre hoch über dem Wasserspiegel liegt. Wohl ist er gerettet, aber unbarmherzig trifft ihn hier die ganze Härte des Winters. Der entdeckte Bau ist feucht in allen Winkeln, und die ehemals warme Spänestreu ist eine einzige Schimmel- und Moderdecke. Es fehlt das wärmende Knüppeldach und vor allem der Holzvorrat der vorigen Behausung, den Bockert und sein unglückseliges Weibchen in unermüdlicher nächtlicher Arbeit vor Einbruch der Kälte geschnitten und zusammengetragen hatten. Als ein meter8
breites mächtiges Floß lag dieses Holz vor der Winterhütte, halb unter das Eis gedrückt und bequem durch die ins Wasser führende Röhre izu erreichen. Bockert versucht zu schlafen. Aber er vermißt den wärmenden Rücken der langjährigen Gefährtin. Die Kälte und der Hunger jagen ihn wieder auf. In die Winterhütte wagt er sich nicht zurück. Die vereisten Stämme anzugehen, versucht er vergeblich. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auf 'die Wanderschaft zu begeben. Mit einbrechender Dämmerung 'zieht er los, watschelt über die Wiesen, erreicht iden Strom und nähert sich, (ziemlich erschöpft und sehr entmutigt, den Außenbezirken der Stadt. Dicht am linken Ufer ziehen sich die kleinen Gärten zum Wasser hin. In den Beeten stehen hier und ida wahrhaftig noch einige vergessene Kohlköpfe. Bockert ist gerettet! Er schneidet sich einen dicken Kohlkopf ab, hält ihn mit den Händen und zieht sich, fast aufrecht gehend, zum Ufer zurück. Dort schlägt er die Kelle unter den Leib, kauert sich wie ein Eichhörnchen nieder und beginnt igierig zu schmausen. Der Kohlkopf schmeckt ihm vorzüglich. Ein wenig später bolt er sich noch einen zweiten. Auch in der nächsten Nacht kommt er wieder. Und da ihn nie jemand stört, wird er so dreist, daß er sich schon mit Einbruch der Dämmerung einstellt und sogar am hellen Nachmittag in den Gärten erntet, was er nicht gesät. So bleibt es nicht aus, daß eines Tages die Menschen den Biber entdecken. Zuerst ist das ungefährlich, denn die Städter haben ihre Freude an dein so selten zu sehenden Tier. Sie bewundern sein Geschick und seinen Mut, lachen über seinen hängenden Bauch, bestaunen den merkwürdig geformten, beschuppten Schwanz und möchten am liebsten einmal über den dichten, flockigen und seidigen Pelz streichen. Sie werfen Meister Bockert Äpfel zu und sind entzückt darüber, wie er das Geschenk aufrecht sitzend in den Händen hält und wie eine riesige Maus oder Ratte benagt. Einige Tage später aber stellen die Gartenbesitzer fest, daß der Biber sich nicht niit den Kohlköpfen begnügt hat, sondern auch ihre geliebten Obstbäume benagt und der Einfachheit halber gleich umlegt. Und aus ist es mit aller Freundschaft! Am nächsten Nachmittag werden Hunde auf den Eindringling gehetzt, der die Gast9
freundschaft so schmählich belohnt hat. Doch als Meister Bockert diese Stadtköter schneidig angeht und ihnen die gefletschten Zähne zeigt, als er fauchend auf sie zuschießt, ziehen sich die Angreifer «kleinlaut zurück. Der tapfere Biber aber erntet Beifall — trotz allen Ärgers, den man mit ihm hat. Am anderen Tag versucht ein beherzter Gärtner dem Übeltäter einen Sack über die Ohren zu ziehen. Bockert greift auch den Mann an und beißt ihn in die Schuhe. Die Sprünge, die der Fänger und der Biber "vollführen, sind so drollig, daß sich die Zuschauer köstlich unterhalten und das Ringen mit sportlicher Fairneß verfolgen. Endlich gibt es der Gärtner auf. Meister Bockert hat wieder einmal gesiegt. Doch schon sind stärkere Geschütze gegen ihn aufgefahren. Gegen Abend erscheinen zwei Forstleute, fangen Bockert mit einer Dachszange und sperren ihn in einen Holzkasten. Mit Hüh und Hott geht es dann flott durch die kleine Stadt und auf der anderen Seite weit hinaus. Gegenüber der eisfreien Muldemündung wird der Gefangene wieder freigegeben. Nur zögernd verläßt er den Kasten, watschelt durch den Schnee und vermittelt den Jägern einen praktischen Anschauungsunterricht im Fährtenlesen. Ganz deutlich sind die Ballenabdrücke d e r Vorderläufe mit den fünf Krallen zu sehen, sie erinnern fast an eine Hundefährte. Die Spur der Hinterläufe jedoch zeigt die weitgespreizten Zehen und den leichten Abdruck der dazwischen liegenden Schwimmhäute; siegleicht fast der Fährte einer übergroßen Gans. Die nachschleifende Kelle hat dank des leicht körnigen Altschnees die Eindrücke nur wenig verwischt. Erleichtert aufschnaufend, wittert Bockert am Ufer das offene Wasser, gleitet lautlos hinein und sichert noch einmal zurück. Außer seiner Nase mit dem dünnen Schnurrbart, den kleinen Augen, den versteckt im Pelz liegenden Ohren und einem Teil des gekrümmten Rückens ist nichts mehr von ihm zu sehen. Da ihm aber jetzt die beiden Jäger näherrücken, wirft er die durchsichtige Nickhaut über die Augen, faltet die dichtbehaarten Ohrmuscheln, preßt die Nasenflügel zusammen und taucht. Wie auf ein Kommando reißen die Jäger in diesem Augenblick den linken Arm hoch und schauen auf ihre Uhren. Noch immer streiten sich nämlich die zoologischen Fachleute darüber, wie lange ein Biber zu tauchen vermag — wie überhaupt sehr viele Unklar10
Biber-Schleifspuren im Winterschnee
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heiten über sein Wesen, seine Lebensweise und seine Fähigkeiten und Sinne bestehen. Und weil im allgemeinen von Meister Bockert so wenig bekannt ist sei hier ein Porträt und ein Charakterbild von ihm entworfen. Wer weiß, wie bald wir ihn nur noch auf Bildern betrachten können! Im ganzen nicht häßlich, vielseitig, geschickt, drollig, urgemütlich, anhänglich, verträglich - ein Kerl, den jeder gern haben müßte . . .
Kleine Charakterskizze
Unser altweltlicher Biber ist ungefähr so groß wie der Dachs, auch so hoch, und wie der Dachs ist er ein ausgesprochener Freund der stillen und dunklen Nacht. Der eigentlich recht plumpe und starke Leib mit dem Buckel, dem nachschleppenden Hängebauch, dem kurzen dicken Hals, dem wenig ausgeprägten Kopf und dem eigenartigen, breiten, flachen, unbehaarten, rauh beschuppten Schwanz, könnten den Biber häßlich erscheinen lassen; aber der Körper weist so viele fließende und weiche Konturen auf, daß uns seine Häßlichkeit gar nicht bewußt wird. Wie hingeschmolzen liegt der ruhende Biber auf den sonnigen Sandbänken, einem dunklen runden Stein zum Verwechseln ähnlich. Seidig schimmert der dichte Pelz mit den langen und glänzenden Grannen. Mit unglaublicher Behendigkeit schnellt er empor und gleitet ins Wasser, wenn sich ein Ruhestörer naht. Neben dem Schwanz, mit dem er sich aufstemmt und mit dem er sich lupft, sind es wohl die lang geratenen und sehr kräftigen Hinterbeine, die ihm im Aufspringen Schwung verleihen. Die Hinterläufe sind es auch, die — wie beim Frosch — die ganze Schwimmarbeit leisten, während die Vorderläufe, die keine Schwimmhäute zwischen den Zehen aufweisen, an die Brust gedrückt werden und völlig unbeteiligt bleiben. Dafür weiß der Biber seine Vorderbeine sonst aber iso geschickt und vielseitig izu gebrauchen, wie wir unsere Arme und Hände; ohne sie wäre er nicht der große Baumeister, den wir in ihm bewundern. Ist das ihm vertraute Element nicht mit einem Schwung, Satz und Sprung zu erreichen, oder muß der Biber über Sand oder Schlamm laufen, dann ist es freilich imit aller Grazie aus und vorbei. Sein Gang ist nur mit einem schwerfälligen Watscheln zu vergleichen, das ihn aber gut vorwärts bringt. Immer ist es ein ulkiger L2
Anblick. Besonders dann, wenn er sich auf die Hinterbeine erhebt und seine Baustoffe aufrecht gehend davonträgt, reizt er unsere Lachmuskeln. Noch schlimmer und komischer wird das Bild, wenn Meister Bockert Eile hat und sich in höchst ungeschickten Sätzen gleich einem Seehund vorwärtsschnellt. Watschelt er auf. allen Vieren dahin, so ist von eben diesen Vieren kaum etwas zu sehen, so kurz sind sie im Grunde und so tief hängt der Bauch herab. Und doch muß man ihn gerade ob dieser drolligen Unbeholfenheit des Gehens lieb haben. Es liegt etwas unbeschreiblich Urtümliches und Urgemütliches darin, etwas, das an einen behäbigen und seiner selbst sicheren Biedermann erinnert, der sich nach getaner Arbeit noch ein wenig ergeht. Und schauen wir ihm dann noch in seine arglosen wasserblauen Augen, die so klein und tief aus dem sanftgeneigten Kopf hlinzeln, dann sind wir wahrhaftig davon überzeugt, daß er kein Wässerchen trüben kann. Wer so den Biber, diesen gutmütigen, zutraulichen Kerl, einmal aus der Nähe beobachtet hat — sein tollpatschiges Benehmen beim Überlandmarsch, sein lebhaftes Gestikulieren und wendiges Händeregen, sobald er genießerisch einen Zweig beknabbert —, dem ist es nicht mehr befremdlich, wenn die Indianer Nordamerikas den Biber für einen verwunschenen kleinen Menschen halten konnten. Wenn sie ihn jagten, um sein Fell und sein schmackhaftes Fleisch zu gewinnen, so baten sie den toten Meister Bockert vielmals um Vergebung, daß sie ihm so übel mitspielen mußten. Der Tierfarmer Stefan Zanker erzählt manch Interessantes von der Freundschaft der Indianer zu den Bibern. In den Biberdistrikten am Hudson, Mississauga,Mattawgani, in den unergründlichen Wäldern derAlitibi, in Nordquebeck und am Montrealfluß — so berichtet Zanker —, überall hieß der dickfellige, watschelnde, gutmütige Geselle nur „Der kleine Mensch", „Die sprechende Mutter", „Der kleine Bruder". Fragte man sie, warum sie den Bibern diesen Namen gäben, so sagten sie nur „Ozaantapskoche anicianabe, mahween — weil sie sind wie wir". Indianermütter, die im Kampfe ihrer Kinder beraubt wurden, nahmen sich junge Biber und fanden Trost darin. Überall, wo Indianer hausten, waren auch zahme Biber ihre freundlichsten Hausgenossen. Die Jagd des Tieres im Frühjahr, da alle Weibchen trugen, war ein Verbrechen, das dem Täter das Leben kostete. Der Tierforscher Hearne beobachtete in indianischen Wohnungen Biber, die dort als Haustiere gehalten wurden. „Sie schienen sich in Gesellschaft der Frauen und Kinder wohlzufühlen, zeigten Unruhe, 13
wenn sie lange wegblieben, freuten sich, wenn sie wiederkehrten. Sie krochen ihnen auf den Schoß, legten sich auf den Rücken, machten Männchen, betrugen sich wie junge Hunde, die ihre Freude ausdrücken wollen, wenn ihre Herren lange abwesend waren. Dabei hielten sie die Räume sehr reinlich, und gingen immer in das Wässer, im Winter auf das Eis, um ihre Notdurft zu verrichten. Sie lebten von den Speisen der Indianer und fraßen namentlich Reis und Rosinen, ja sogar Fische und Fleisch, obwohl ihnen diese Nahrung unnatürlich scheinen mochte." Gefangene Biber gewöhnen sich also schnell an den Menseben, werden anhänglich und haustreu, passen sich den neuen Verhältnissen überraschend an, treten bald in ein enges und vertrautes Verhältnis zu ihren Pflegern und zeigen sich für Zärtlichkeiten sehr empfänglich. Sie beweisen immer wieder, daß sie ein vorzügliches Gedächtnis haben, sich einen großen Erfahrungsschatz anzusammeln vermögen und alles andere als blöd und stumpfsinnig sind. Der wenig gesammelte Ausdruck ihrer Augen ist nur ein Kennzeichen ihrer Kurzsichtigkeit, idie sie mit den meisten Wassertieren gemeinsam haben. Dafür sind Gehör und Geruch hoch entwickelt und das Fühl- und Ahnungsvermögen erstaunlich verfeinert. Auch untereinander sind die Biber von einer rührenden, sanften, verträglichen und zutunlichen Art, anhänglich wie die Kletten; sie umarmen, trösten, streicheln und liebkosen sich tatsächlich ganz ähnlich wie wir Menschen. Das leise und melodische Gestöhn, das sie dabei in vielerlei Abstufungen als Laut von sich geben, erhöht noch den geimütsbetonten Eindruck. Außerdem ist der Biber, wie die meisten Nager, sehr auf Sauberkeit bedacht, kämmt sich fleißig mit den Zähnen und den bekrallten Zehen, und drückt auch, wenn er längere Zeit geschwommen ist, seinen schönen Pelz recht sorgsam und gründlich aus. Was übrigens ein Bild für Götter ist! Gewöhnlich benutzt Bockert seine Schwanzkelle als eine Art Hocker, auf dem es sich gemächlich ruhen läßt. Während des Tauchens hat er in ihm ein vorzügliches Tiefen- und Höhensteuer. Zum Schwimmen selbst gebraucht er ihn kaum. Doch gibt er mit ihm, wenn er erschreckt worden ist und sich jäh ins Wasser stürzt, laut klatschende Alarmzeichen für die Genossen oder Familienangehörigen. Er pflegt dann sofort zu tauchen, schießt senkrecht in die Tiefe und bleibt so lange unter Wasser, wie er es aushalten kann, oder er flüchtet Hals über Kopf in seinen Bau. 11
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Dieses heimliche Entweichen in seine Behausung hat wohl die vergeblich nach ihm ausschauenden Beobachter auf den Gedanken gebracht, daß der Biber bis zu zwanzig Minuten unter Wasser bleiben könne. In Wirklichkeit hockt der Flüchtling längst in seinem Bau, den er durch die unter Wasser mündende Röhre erreicht hat; kommt er dann noch einmal über der Wasseroberfläche zum Vorschein, so will er ineist nur nachsehen, ob die Luft wieder rein ist. Wahrscheinlich kann er höchstens vier bis fünf Minuten unter Wasser bleiben, ohne Luft zu schöpfen, obwohl seine ungewöhnlich großen Lungen sicher eine ganz anständige Portion Luft zu fassen vermögen. Das'letzte Wort ist hier aber immer noch nicht gesprochen.
Das Wetter hat ein Einsehen. Bockert geht auf Freierstüßen, gründet zum zweiten Male eine Familie, sichert seine Burg und schaut sich seine Häuslichkeit.
Dem Frühling entgegen
Unser Meister Bockert indessen kümmert sich wenig um diesen Tauchdauer-Streit der Fachleute und kommt bereits nach zwei Minuten wieder hoch. Ein wenig enttäuscht lassen die Jäger ihre Arme sinken und begeben sich auf den Heimweg. Bockert hat das jenseitige Ufer erreicht und vermag sie nicht mehr zu sehen. Er ahnt natürlich nicht, in welcher Gefahr er geschwebt hat und wie übel dieses ganze Abenteuer mit den Menschen hätte ausgehen können. Die meisten Biber wurden nämlich gerade während dieser winterlichen Ausflüge und Wanderungen von unwissenden oder habgierigen Menschen erschlagen und finden ein klägliches Ende. Meister Bockert hat also schon wieder einmal Glück gehabt. Und auch das Wetter hat nun endlich ein Einsehen. Es wird milder, und das Eis taut von den Rinden. Unser Freund entdeckt einen verlassenen Dachsbau, findet in dessen Nähe dichtes Weidengestrüpp und vermag sein Leben ganz leidlich zu ifristen. Da der Bau ziemlich tief im Auwald liegt, wird ihm auch das Treibeis nicht gefährlich. Selbst die Hochwasser erreichen ihn nicht. Eine Woche später — Bockert ist gerade dabei, in stiller Nacht eine Jungpappel zu schneiden — hebt er plötzlich den Kopf und windet. Ein ganz besonderer Geruch hat seine Nase erreicht. In seiner Erinnerung dämmert das Bild seines verstorbenen Weibchens auf. Er läßt den Kopf langsam sinken, lauscht ein ganzes Weilehen in sich hinein und betrachtet dann die geleistete Arbeit. Hell 15
zeichnet sich am Stamm die Schnittfläche ab, ringsumher liegen die weißen Späne. Es kann nicht mehr lange dauern, und der Baum wird stürzen. Es ist nicht zu befürchten, daß er mit der Krone in seinen Nachbarn hängen bleiben wird. Er steht allein und wird mit dem Gezweig seines Wipfels eine reichliche Mahlzeit ergeben. Bedächtig setzt Bockert noch einmal die scharfen Zähne an. Dann aber blähen sich seine Nüstern. iSchon wieder erreicht ihn 'die verlockende Duftwelle! Bockert läßt Baum und Arbeit stehen, dreht um umd watschelt davon. Nahe am Ufer eines kleinen Seitenarmes der Mulde beschnuppert er an einem Baumstumpf eine dunkle Stelle. Ein Biberweibchen hat hier seine Visitenkarte albgelegt. In ider Brunstzeit sondern die Biber beiderlei Geschlechts einen sirupartigen und durchdringend riechenden Saft, das sogenannte Bibergeil, ab. Auf diese Weise verständigen sie sich untereinander und bringen sich gegenseitig auf .die rechte Spur. Bockert schnauft aufgeregt umd spritzt auch seinerseits den Duftstoff von sich. Dann aber spitzt er die kleinen Ohren. Ganz deutlic 1 hört er in der Nähe ein ihm wohlbekanntes schnarrendes Geräusch wie es entsteht, wenn ein Biber einen Baum anschneidet. Nun wei er Bescheid und ist nicht länger mehr izu halten. Er folgt de Spur, gerät bald in eine immer dichter werdende Dunsfwelle um erblickt gleich darauf das arbeitende Weibehen. Langsam trottet er näher und stößt es leise imit der Nase an. Das Weibchen dreht sich gemächlich um, so als ob es Meister Bockert erst jetzt wahrgenommen hätte, setzt sich ouf den Schwanz und richtet sich halb auf. Gespannt, erwartungsvoll umd schweigend beäugt es den Freier. Der setzt sich daneben und wiegt den Kopf. Er läßt ein schwaches Stöhnen vernehmen, das so klingt, als ob er über seine große Einsamkeit klage. Danach rutscht er dicht an die unbeweglich Verharrende heran. Wie zwei Kinder halten sie sich umschlungen, und sind sichtlich ein Herz und eine Seele. Die Ehe ist geschlossen; bis in den Tod werden die beiden Biber beisammen bleiben. Schon ein Stündchen später sind beide gemeinsam dabei, die vom Weibchen angeschnittene dünne Weide