Curd H. Wendt
PARKER
blendet
die Brandstifter
»Das wäre doch eine hübsche Abwechslung, Mister Parker«, fand Lady ...
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Curd H. Wendt
PARKER
blendet
die Brandstifter
»Das wäre doch eine hübsche Abwechslung, Mister Parker«, fand Lady Agatha, als der Butler sie auf das große Reklameschild am Straßenrand aufmerksam machte. »Ich werde mir das mal aus der Nähe ansehen.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Josuah Parker und lenkte sein altertümlich wirkendes Gefährt von der breiten Fahrbahn in einen schmalen Weg. Die Lady und der Butler waren zu einem erholsamen Spätsommer-Wochenende an die englische Südküste unterwegs. Doch dem Hinweis auf den Westernpark mit Rodeo-Show konnte und wollte die ältere Dame nicht widerstehen. Turbulente Aktionen und handfeste Vergnügungen gingen ihr nun mal über alles. Und beides versprach die Werbung an der vielbefahrenen Straße. Daß sich nicht alles auf das Geschehen in der Arena beschränken würde, ahnte Mylady in diesem Moment noch nicht. 1
Die Hauptpersonen: Frank Hatfield veranstaltet öffentlich Rodeos und betreibt insgeheim Acker
bau.
Andrew Matthews sieht seine Felle davonschwimmen, als eine gewichtige
Dame aufs Pferd steigt.
John Cunningham zieht alle Register, um Preisbrecher vom Markt fernzu
halten.
Gilbert Meathers wagt es, Lady Simpson unsportliches Verhalten zu unter
stellen, und empfängt eine Liebkosung besonderer Art.
Alan Bold schlägt eine Warnung in den Wind und bezahlt dafür.
Lady Simpson feiert Triumphe in der Arena und ordnet eine Hinrichtung bei
Mondschein an.
Butter Parker aktiviert fast vergessene Fähigkeiten und entgeht einem
Mordanschlag.
Die Show war bereits in vollem Gang, als Parker wenig später sein schwarzes
Vehikel abstellte und seiner Herrin diskret beim Aussteigen half. Die
Veranstaltung war gut besucht, wie man aus der Zahl der Wagen auf dem
Parkplatz schließen konnte.
»Da ohne mich begonnen wurde, werde ich natürlich nur den halben Eintrittspreis entrichten, Mister Parker«, entschied die ältere Dame mit dem ausgeprägten Hang zur Sparsamkeit, während man auf die im Blockhausstil errichteten Gebäude zuschritt. Agatha Simpson war eine Erscheinung, die man mit Recht als stattlich und ehrfurchtgebietend bezeichnen konnte. Obwohl sie die Sechzig überschritten hatte, wirkte der Elan, mit dem Mylady sich ihren Aufgaben widmete, manchmal geradezu jugendlich. Ihre große Leidenschaft war die Kriminalistik. Dabei ging die resolute Dame keiner Gefahr aus dem Weg und trat lustvoll in jedes Fettnäpfchen, das sich in Reichweite befand. Daß Josuah Parker auf diskrete Weise die Fäden der Ermittlungen zog und geduldig eine Panne nach der anderen ausbügelte, fand die passionierte Detektivin kaum der Erwähnung wert. Vermutlich merkte sie es nicht mal... Josuah Parker, ein Mann mit glattem, alterslos wirkendem Gesicht und durchschnittlicher Statur, war seiner Herrin treu ergeben. Der schwarze Covercoat, die Melone und der altväterlich gebundene Re genschirm am angewinkelten Unterarm wiesen ihn als hochherrschaftlichen Butler aus. Seine makellosen Umgangsformen und die in allen Lebenslagen geradezu unerschütterliche Höflichkeit entsprachen dem äußeren Erscheinungsbild. Der Mann im Kassenhäuschen ließ nicht mit sich reden. »Unverschämte Geldmacherei!« mokierte sich die vermögende Dame,
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als Parker den vollen Eintrittspreis zahlte. »Dafür steht mir mindestens ein Platz in der ersten Reihe zu.« Was ihr - wirklich oder vermeintlich - zustand, nahm sich Mylady auch. Dabei kümmerte es sie keineswegs, daß etliche Zeitgenossen gequält jaulten, als sie sich durch die dichte Menge ihren Weg nach vorn bahnte. Hauptsache, sie hatte endlich die Absperrung erreicht und konnte ungehindert das Geschehen in der Arena genießen. »Nicht übel, Mister Parker«, bemerkte Agatha Simpson anerkennend, als ein Quartett stilechter Indianer auf braun-weiß gefleckten Mustangs über die staubige Piste jagte und Reiterkünste zeigte, die das Prädikat >akrobatisch< verdienten. »Vielleicht sollte ich das auch mal versuchen.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, gab der Butler ebenso höflich wie ab wesend zur Antwort. Er hatte dem atemberaubenden Wirbel in der Arena nur kurze Aufmerksamkeit geschenkt, denn er fixierte unauffällig zwei Männer, die in einiger Entfernung standen. Der ältere von ihnen war rund fünfzig und untersetzt. Sein kahler, eckiger Schädel glänzte in der Nachmittagssonne mit den Goldzähnen um die Wette, die sein vorstehendes Gebiß als eindrucksvolle Vermögensanlage erscheinen ließen. Den Begleiter schätzte Parker auf Anfang Dreißig. Sein sonnengebräuntes Gesicht mit den ausgeprägten Backenknochen und den eisblauen Augen wirkte hart und verschlossen. Des weiteren zeichnete sich der junge Mann durch eine athletische Figur und eine deutliche Ausbuchtung unter der Jacke aus. »Darf man sich möglicherweise erlauben, Mylady auf die beiden Herren dort drüben aufmerksam zu machen?« wandte sich der Butler an die passionierte Detektivin. »Die habe ich natürlich auch längst bemerkt, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson umgehend. Dabei ließ sie suchend ihre Blicke schweifen, um herauszufinden, wen Parker wohl gemeint hatte. »Mister Cunningham dürfte sich kaum zum Vergnügen hier aufhalten, falls man eine Vermutung äußern darf«, fuhr der Butter fort. »Das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen einer engagierten Kriminalistin und einem Ganoven, Mister Parker«, dozierte die ältere Dame. »Man ist sozusagen immer im Dienst.« »Eine Feststellung, der man sich nur anschließen kann, Mylady.« »Wo habe ich den Namen Runningham schon mal gehört, Mister Parker?« »Mister Cunningham, den Mylady zweifellos meinen dürften«, korrigierte Parker in seiner höflichen Art, »werden gemeinhin Schutzgelderpressungen großen Stils zugeschrieben. Auch mit dem Handel von Kokain wurde der Genannte bereits in Verbindung gebracht, ohne daß die Polizei dem Herrn etwas nachweisen konnte.«
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»Das überrascht mich nicht im geringsten, Mister Parker«, gab die De tektivin ihre bekannte Meinung über die britische Polizei zum besten. »Wie sollen die Leute einem raffinierten Gangster auf die Schliche kommen, wenn sie es nicht mal schaffen, den Verkehr zu regeln?« In diesem Augenblick sah Cunningham zufällig herüber und gewahrte das skurrile Paar in der Menge. Seine Gesichtszüge versteinerten sich. Die wegen ihrer unkonventionellen Ermittlungsmethoden berüchtigte Lady und der schwarz gewandete Butler waren ihm nur zu gut bekannt. Die Erstarrung, in die der unverhoffte Anblick den Gangster versetzte, dauerte jedoch nur Sekundenbruchteile. Dann verpaßte er seinem Bodyguard einen Rippenstoß und wandte sich rasch um. Gleich darauf waren die Männer in der Menge verschwunden. »Warum tun Sie denn nichts, Mister Parker?« empörte sich Agatha Simpson. »Wollen Sie diese Subjekte einfach entwischen lassen?« »Mylady haben sich bereits entschieden, Ermittlungen gegen Mister Cunningham einzuleiten?« vergewisserte sich der Butler. »Wenn die Polizei unfähig ist, dem Lümmel seine Schandtaten nachzu weisen, muß ich mich wohl der Sache annehmen, Mister Parker«, antwortete die leidenschaftliche Kriminalistin. »Ein Vorhaben, dem man den Beifall keineswegs versagen kann, Mylady«, erwiderte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. »Dennoch ist unter Umständen der Hinweis erlaubt, daß es bislang an einer Handhabe fehlt, um Mister Cunningham festzunehmen.« »Sie zäumen wieder mal das Pferd vom Schwanz auf, Mister Parker«, kri tisierte Agatha Simpson. »Erst muß ich den Burschen haben. Dann findet sich auch eine Handhabe gegen ihn.« * Mylady mochte zetern, wie sie wollte - die Gangster waren verschwunden und blieben es auch. Jedenfalls für den Rest des Tages. Mittlerweile war auch die Show in der Arena mit einem furiosen Finale zu Ende gegangen. Der Chef des Unternehmens bedankte sich per Lautsprecher bei den Zuschauern und lud sie gleich anschließend mit beredten Worten ein, dem >Westernpark Dodge City< am nächsten Tag einen erneuten Besuch abzustatten. »Es lohnt sich, am morgigen Sonntag wiederzukommen, meine Damen und Herren«, hallte die Stimme über den Platz. »Manche von Ihnen wissen wahrscheinlich schon, daß wir an jedem Sonntag unser >Rodeo für jeder mann< veranstalten. Und damit das Mitmachen noch mehr Spaß bereitet, gibt es wieder attraktive Geldprämien zu gewinnen.« »Was der Mann wohl unter attraktiv versteht?« wandte sich Lady Simpson an den Butler. Die Ankündigung hatte sie sofort hellhörig gemacht. Eine Ge legenheit, ihr Vermögen zu mehren, ließ sie sich nie entgehen. 4
»Die Höhe der Preise richtet sieh nach der Schwierigkeit der Prüfungen«, fuhr der Sprecher fort, während Lady Agatha interessiert die Ohren spitzte. »Wer im Kampf gegen den meisterhaften Bogenschützen >Fighting Eagle< vom Stamm der Dakota-Indianer bestehen kann, kassiert die Superprämie von tausend Pfund.« »Besser als nichts«, kommentierte Agatha Simpson. »Ich werde die Her ausforderung annehmen, Mister Parker.« »Mylady planen, gegen den indianischen Bogenschützen anzutreten?« »Warum nicht, Mister Parker? Bogenschießen ist eine Kunst, in der ich mich lange genug geübt habe.« »Eine Tatsache, die meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus bekannt ist, Mylady«, versicherte Parker. Das Bogenschießen gehörte neben dem Golfspiel zu Lady Simpsons be vorzugten Sportarten. Daß sie es zu besonderer Treffsicherheit gebracht hätte, konnte man zwar nicht behaupten, dafür verdankte sie dem Training aber ihre gut entwickelte Armmuskulatur. »Darf man höflich fragen, ob Mylady an dem Plan festhalten, die Nacht in einem Hotel in Brighton zu verbringen?« erkundigte sich der Butter, während man zum Wagen schritt. »Nein, nein«, schüttelte Agatha Simpson heftig den Kopf. »Ich werde nach London zurückkehren. Ein bißchen Training mit Pfeil und Bogen könnte vielleicht nicht schaden. Immerhin geht es um tausend Pfund.« »Und das Picknick, das Mylady auf dem Weg nach Brighton einzulegen wünschten?« »Dem werde ich mich jetzt unverzüglich widmen, Mister Parker«, entschied die resolute Dame. »Eine kleine Stärkung könnte ich schon brauchen. Frische Luft macht hungrig, sagt man.« »Was meine Wenigkeit keineswegs bezweifeln möchte, Mylady.« »Ich stelle mir ein richtig idyllisches Plätzchen vor«, geriet die ältere Dame unvermittelt ins Schwärmen. »Mit einem rauschenden Blätterdach, in dem Vögel zwitschern, mit einem murmelnden Bach...« Fünf Minuten später hatte der Butler das ideale Gelände gefunden, von dem seine Herrin träumte. Eine solide Holzbank stand am Rand eines Wiesenstücks. In Baumkronen zwitscherten die Amseln, und nicht mal der klare Bach fehlte. Das etwas abgelegene Seitental bot ein Bild des Friedens. Lady Agatha genoß die idyllische Umgebung und den trockenen Rotwein, den Parker zu kalter Hirschkalbpastete mit Preiselbeerrahm servierte, in vollen Zügen. »Manchmal ist es doch recht erholsam, ohne Pflichten zu sein, Mister Parker«, bemerkte die Detektivin, während der Butler diverse Sorten Käse bereitstellte und die zweite Flasche entkorkte. »Eine Feststellung, der man nur beipflichten kann, Mylady«, antwortete Parker. Er verzichtete darauf, die gerade aufgenommenen Ermittlungen gegen John Cunningham zu erwähnen. 5
Die Gelegenheit, Mylady daran zu erinnern, würde nicht lange auf sich warten lassen. »Und jetzt werde ich mir noch etwas Bewegung verschaffen, Mister Parker«, kündigte Agatha Simpson an, nachdem sie auch den letzten Rest verspeist und das letzte Glas geleert hatte. »Sie dürfen in der Zeit abräumen und den Wagen startklar machen.« »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit immer Befehl«, sagte der Butler mit einer höflichen Verbeugung und schickte sich an, das Geschirr in den Picknickkorb zu packen. Parker hatte gerade den Korb im Wagen verstaut, als das baritonal gefärbte Organ der älteren Dame an sein Ohr drang. Agatha Simpson war inzwischen bis in den hinteren Teil der Wiese vorge drungen, die von einer dichten Hecke begrenzt wurde. Die ältere Dame hatte die Zweige auseinandergebogen und winkte heftig. »Das ist wirklich zu hübsch«, rief sie entzückt, während der Butter würdevoll auf sie zugeschritten kam. »Das müssen Sie sich ansehen, Mister Parker. Ich verstehe nicht, wie jemand eine derartige Blütenpracht hinter einer solchen Hecke verstecken kann«, meinte Mylady kopfschüttelnd und ließ Parker durch das Loch in der Hecke blicken. In der Tat erstreckte sich hinter der grünen Mauer ein wogendes Blütenmeer, an dessen Pracht sich das Auge erst gewöhnen mußte. Wie frisch gefallener Schnee leuchteten die weißen Blütenblätter in der spätsommerlichen Sonne. Die dunkelvioletten Flecke am Grund der Kelche bildeten dazu einen reizvollen Kontrast. Der Butler erkannte die Pflanzen, die ein Unbekannter in großem Stil angebaut hatte, sofort. Aus Freude an Blumen hatte der fleißige Landmann sich bestimmt nicht die Mühe gemacht. Und daß er seinen blühenden Acker durch eine Hecke abschirmte, war nur allzu verständlich. * »Mylady dürften erwägen, unverzüglich gezielte Ermittlungen aufzunehmen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, äußerte Parker, nachdem er den Kopf aus der Hecke gezogen hatte. »Ermittlungen?« wiederholte die passionierte Detektivin mit allen Anzeichen von Irritation. »Sie meinen gegen diesen Erzganoven Punningham, Mister Parker?« »Mylady dürften die Möglichkeit, daß Mister Cunningham als Eigentümer dieses Feldes in Betracht kommt, zumindest nicht grundsätzlich aus schließen«, erwiderte der Butler. »Sie sprechen in Rätseln, Mister Parker«, beschwerte sich Lady Agatha. »Bei den blühenden Pflanzen dürfte es sich nach der unmaßgeblichen Mei nung meiner bescheidenen Wenigkeit um Exemplare der Gattung >Papaver somniferum< handeln, die gemeinhin als Schlafmohn bekannt ist, Mylady«, teilte Parker mit. 6
»Meinetwegen«, erwiderte Agatha Simpson einsilbig. »Was hat das mit Runningham zu tun?« »Mylady dürfte bekannt sein, daß aus dem Milchsaft der unreifen Sa menkapseln das Rauschgift Opium gewonnen wird«, half der Butler seiner Herrin auf die Sprünge. »Dachten Sie etwa, das wüßte ich nicht, Mister Parker?« gab sie mürrisch zurück und versank in tiefes Nachdenken. »Sie müssen sich irren, Mister Parker«, meinte Mylady gleich darauf, »In England wird doch kein Opium angebaut. Das Zeug kommt von ganz woanders her.« »In der Tat liegen die wichtigsten Anbaugebiete im tropischen Klima Südostasiens«, räumte Parker ein. »Sehen Sie!« triumphierte die Detektivin. »Tropisch kann man unser englisches Klima ja wirklich nicht nennen, Mister Parker.« »Der Ertrag dürfte sich hierzulande in Grenzen halten und von minderer Qualität sein«, erläuterte der Butler. »Dennoch sollte man nicht grundsätzlich ausschließen, daß der Anbau auf die Gewinnung von Rohopium abzielt.« »Hirngespinste, nichts als Hirngespinste, Mister Parker«, schob die pas sionierte Detektivin das Thema beiseite. »Und das werde ich auch beweisen: Wenn ich morgen wieder in der Gegend bin, mache ich den Besitzer des Feldes ausfindig und frage ihn einfach.« »Meine Wenigkeit dürfte Mylady kaum widersprechen.« »Das ist schön, Mister Parker«, unterstrich die resolute Dame. »Ich weiß, was ich tue. Im Moment geht aber das Training mit Pfeil und Bogen vor.« * »Mich würde ja schon interessieren, ob sich in unseren Breiten aus Mohn kapseln Opium gewinnen läßt«, bekannte Myladys Gesellschafterin, die attraktive Kathy Porter, als man am Abend vor flackerndem Kaminfeuer in der Wohnhalle saß. Mit der jungen Dame war Anwalt Mike Rander gekommen, der in der nahe gelegenen Curzon Street eine Kanzlei betrieb, sich aber in der Hauptsache der Verwaltung von Lady Simpsons Vermögen widmete. Er wirkte auf seine männliche Art nicht weniger sportlich und attraktiv als die gut zehn Jahre jüngere Kathy. Randers Ähnlichkeit mit einem prominenten James-BondDarsteller war im übrigen frappierend. Die ältere Dame hatte die beiden gleichermaßen ins Herz geschlossen und betrachtete sie als ihre Kinder. Nur in einer Hinsicht machte das junge Paar ihr Kummer: Kathy Porter und Mike Rander dachten nicht daran, Myladys hartnäckigem Drängen nachzugeben und endlich vor den Traualtar zu treten. »Haben Sie denn nicht ein Buch, in dem man das nachlesen kann, Parker?« wollte der Anwalt wissen. »Meine Wenigkeit war so frei, Professor Edward Keanly telefonisch um
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eine entsprechende Auskunft zu bitten«, teilte der Butler mit. »Den bekannten Biologen?« vergewisserte sich Rander. »Sie sagen es, Sir«, bestätigte Parker. »Und?« Kathy Porter, die auf dem Sofa neben der Hausherrin Platz ge nommen hatte, gab sich keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen. »Der Wissenschaftler bestätigte, daß die Pflanze auch im westeuropäischen Klima den Milchsaft produziert, der von Opiumbauern durch Anritzen der unreifen Kapseln gewonnen wird«, berichtete der Butler. »Allerdings dürfte der Gehalt an berauschenden Alkaloiden deutlich niedriger liegen als unter tropischer Sonne.« »Dann stammt der Mohn im Mohnkuchen also von einer anderen Pflanze, Mister Parker?« schloß Myladys attraktive Gesellschafterin. »Keineswegs und mitnichten, Miß Porter«, entgegnete Parker. »Jetzt erzählen Sie dem Kind doch nicht solchen Unsinn, Mister Parker!« fuhr Agatha Simpson dazwischen. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß in den Londoner Bäckereien Rauschgift verkauft wird?« »Eine solche Möglichkeit sollte man in der Tat ausschließen, Mylady«, ent gegnete der Butler. »Die Erklärung dürfte darin liegen, daß die reifen Sa menkörner nach den Ausführungen von Professor Keanly im Gegensatz zum Milchsaft keinerlei Alkaloide enthalten.« »Trotzdem kommt mir kein Mohnkuchen mehr ins Haus, Mister Parker«, ordnete Lady Agatha an. »Womöglich hat der gute Professor sich geirrt, und ich verfalle der Opiumsucht.« »Eine Vorstellung, die man nur als entsetzlich bezeichnen kann, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Dann könnte es sich bei dem Feld in der Nähe des Westernparks doch um eine legale Angelegenheit handeln«, kam Mike Rander wieder auf das eigentliche Thema zurück. »Vielleicht gehört es einem Bauern, der die Bäcker der Umgebung beliefert.« »Diese Annahme dürfte durch die Art der Pflanzen, mit denen angrenzende Ackerflächen bebaut sind, nahezu eindeutig widerlegt werden, Sir«, entgegnete der Butler. Anschließend lenkte er seine Schritte gemessen in Richtung Diele und kehrte wenig später mit einer Plastiktüte zurück. Unter den Augen der Anwesenden breitete Parker die Pflanzenteile, die er in der Nachbarschaft des Mohnfeldes gesammelt hatte, auf einem kleinen Tisch aus. »Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, meinte der Anwalt und ergriff ein dunkelgrünes Blatt, dessen fingrige Form an das Laub des Kastanienbaumes erinnerte. Nur war Parkers Mitbringsel wesentlich zierlicher und zarter. »Fraglos dürfte es sich um >Cannabis indica sativa< handeln«, teilte der Butler mit. »Eine Pflanze, die als >Indischer Hanf< oder >Marihuana< bei Drogenkonsumenten bekannt ist und im übrigen der Gewinnung von Ha schisch dient.«
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»Sieh an!« Mike Rander pfiff leise durch die Zähne. »Eine hübsche kleine Rauschgiftplantage mitten in England.« »Aber Marihuana wird doch gewöhnlich aus südlichen Ländern ein geschmuggelt, Mister Parker«, gab Kathy Porter zu bedenken. »Daß man das Kraut hier anbauen kann, habe ich nicht gewußt.« »Mit Cannabis dürfte es sich ähnlich verhalten wie mit dem eingangs er wähnten Schlafmohn, Miß Porter«, erklärte Josuah Parker. »Trotz beschei dener Ernten von minderer Qualität dürfte der Anbau durchaus einen ge wissen Profit versprechen.« »Ihr könnt ruhig staunen, Kinder«, machte die Hausherrin endlich auf sich aufmerksam, nachdem sie der Erörterung schweigend gefolgt war. »Nur meinem unfehlbaren kriminalistischen Gespür ist es zu verdanken, daß die verbrecherischen Praktiken aufgedeckt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.« »Sie wollen also doch in Ermittlungen einsteigen, Mylady?« vergewisserte sich der Anwalt. »Selbstverständlich, mein lieber Junge«, nickte die Detektivin. »Eigentlich ist der Fall schon so gut wie gelöst.« »Sie vermuten, daß John Cunningham mit der Sache zu tun hat?« wollte Rander weiter wissen. »Das liegt doch auf der Hand, Mike«, erwiderte Lady Agatha im Brustton der Überzeugung. »Oder glauben Sie, daß sich ein Mitglied der Londoner Drogenmafia rein zufällig nach Lodge Kitty verirrt?« »Wohin bitte, Mylady?« fragte Kathy Porter dazwischen. »Mylady geruht den Westernpark Dodge City zu meinen«, griff der Butler erläuternd ein. »Aber daß die Londoner Drogenbosse jetzt schon dazu übergehen, ihren Stoff selbst anzubauen, überrascht mich doch«, wandte der Anwalt ein. »Die fertigen Produkte zu verschieben, ist doch viel bequemer und vermutlich auch profitabler.« »Eine Einschätzung, der sich auch meine Wenigkeit anschließen möchte, falls es genehm ist, Sir«, pflichtete Parker ihm bei. »Wie auch immer«, setzte die ältere Dame den Schlußpunkt. »Ich werde einen schonungslosen Kampf gegen die Drogenmafia führen. Jetzt steht aber erst eine Trainingsstunde auf dem Plan.« »Was für ein Training, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter, während Agatha Simpson ihre Pfunde aus dem Sofa hievte. »Mit Pfeil und Bogen, Kindchen«, ließ die ältere Dame verlauten. »Was es damit für eine Bewandtnis hat, wird Mister Parker erklären.« Huldvoll nickend schritt Mylady von dannen und steuerte auf der ge schwungenen Freitreppe das Obergeschoß an, wo ihre privaten Gemächer lagen. »Schade, daß Kathy und ich nicht dabeisein können, wenn Mylady mit dem Indianer um die Wette schießt«, schmunzelte Mike Rander, nachdem
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Parker die Besucher über das bevorstehende >Rodeo für jedermann< ins Bild gesetzt hatte. »Wir sind beide schon für den Nachmittag verabredet. Aber wir können ja am Abend vorbeikommen und hören, wie es ausgegangen ist.« »Ein Vorschlag, der auch Myladys Beifall finden dürfte, sofern man sich nicht sehr täuscht, Sir«, sagte der Butler und geleitete das junge Paar zum Ausgang. * Die ersten Wettbewerbe waren schon im Gang, als Parker und seine Herrin am frühen Sonntagnachmittag im Westernpark Dodge City eintrafen. Das Publikum johlte und kreischte vor Vergnügen, wenn wieder ein selbstbewußter Amateurcowboy nach wenigen Sekunden vom Rücken des scheuenden Mustangs in hohem Bogen in den Sand der Arena katapultiert wurde. »Das war Mister Jeremy Brown aus Uckfield«, tönte die Stimme des Ansa gers aus den Platzlautsprechern, während Agatha Simpson zielsicher den Tisch ansteuerte, an dem die Freiwilligen sich zu melden hatten. »Mister Brown hat sich genau zehn Sekunden auf dem Pferderücken halten können«, war weiter zu erfahren. »Damit dürfte Mister Andrew Matthews aus Crawley, der als erster antrat und dreiundzwanzig Sekunden schaffte, als Sieger feststehen.« »Verzeihung, meine Damen und Herren«, korrigierte sich der Sprecher gleich darauf. »In letzter Minute ist noch eine Meldung eingegangen.« Unruhe entstand. Andrew Matthews, der sich schon als Sieger der ersten Rodeo-Runde fühlte und seinen Hundert-Pfund-Gewinn einstreichen wollte, hielt irritiert inne. »Für den letzten Durchgang dieser Prüfung kann ich Ihnen eine besondere Überraschung ankündigen«, fuhr der Sprecher nach kurzer Unterbrechung fort. »Eine Dame will es wagen, dem ungezähmten Mustang ihren Willen aufzuzwingen. Bitte Beifall für Lady Simpson aus London.« Erhobenen Hauptes trat die resolute Dame wenig später in die Arena und nahm huldvoll die Ovationen der Zuschauer entgegen. Der Vierbeiner schien schon zu ahnen, was ihm blühte. Mit geblähten Nüstern bäumte das Tier sich auf, aber vier als Indianer ausstaffierte Stallbur schen hielten es eisern fest. »Möchten Sie nicht doch lieber Reithosen anziehen, Mylady?« erkundigte sich der Sprecher, der mit einem drahtlosen Mikrofon wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Arena herumlief. »Im Damensitz dürfte Ihre Chance gleich Null sein.« »Das lassen Sie nur meine Sorge sein, junger Mann«, beschied Agatha Simpson ihm von oben herab. »Belehrungen habe ich nicht nötig.« Drei kräftige Helfer gerieten ins Schwitzen, aber mit Hilfe einer kleinen Rampe schafften sie es schließlich, die selbstbewußte Dame auf den Rücken des Pferdes zu hieven. Auf den Zuschauerrängen konnte
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man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören, als der Sprecher langsam zu zählen begann: »Drei... zwei... eins... los!« Im selben Moment gaben die vier Indianer das Zaumzeug des braun-weiß gescheckten Mustangs frei und brachten sich mit Hechtsprüngen in Sicherheit. Das Publikum hielt den Atem an und wartete gespannt auf den ersten Versuch des temperamentvollen Tieres, sich von der drückenden Last zu befreien. Doch nichts geschah. »Fünf Sekunden«, meldete der Sprecher in die Stille hinein. »Und jetzt schon zehn Sekunden ...« Mit bebenden Flanken stand der eben noch so feurige Mustang da, ließ ein klägliches Wiehern hören und rührte sich nicht vom Fleck. Genau 26 Sekunden hielt das Tier durch. Dann knickte es langsam in den Vorderbeinen ein und ging zu Boden. »Tierquälerei!« schrien einzelne Zuschauer empört, während Lady Agatha triumphierend die Finger zum >VictoryNah kampf< einsetzte, enthielt den sogenannten Glücksbringer, ein solides Hufeisen, das von einem schweren Brauereigaul stammte. Den Empfängern brachte das schmiedeeiserne Souvenir, das nur in eine Lage Schaumstoff gewickelt war, meistens alles andere als Glück. Frank Hatfield konnte immerhin noch von Glück reden, da er das nahende Unheil im letzten Moment gewahrte und sich geistesgegenwärtig aus der Flugbahn warf. So verspürte er nur einen Luftzug, als der Beutel an seiner Nasenspitze vorbeisauste und danach auf einen rustikalen Eichentisch krachte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen nahm der von der Sonne gebräunte Teint des Westernpark-Besitzers eine Farbe an, die an die Kreidefelsen von Dover erinnerte. Der unstete Blick der grauen Augen wurde starr. Den Gästen an den blank gescheuerten
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Holztischen blieb das Essen im Hals stecken. Ein Teil von ihnen schien den Auftritt des skurrilen Paares für eine gelungene Darbietung des Veranstalters zu halten und zeigte eine Art belustigte Neugier. Andere riefen nach der Rechnung und hatten es plötzlich sehr eilig, den Parkplatz aufzusuchen. »Wenn Sie sich derart uneinsichtig aufführen, muß ich leider die Polizei rufen, Mylady«, drohte Hatfield, von dessen bleicher Stirn kleine Schweiß tropfen perlten. »Die wird sich sowieso mit Ihren kriminellen Machenschaften beschäftigen müssen, junger Mann«, gab Lady Agatha frostig zurück. »Aber vorher habe ich ein Wort mit Ihnen zu reden.« Die Gesichtsfarbe des Hausherrn schlug zusehends von Kalkweiß in To matenrot um. Aber der Mann zeigte sich fest entschlossen, vor den noch verbliebenen Gästen die Fassung zu bewahren. »Darf ich Sie bitten, mir in mein Büro zu folgen, Mylady?« preßte er mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Das Lächeln, das Hatfield dazu aufsetzen wollte, entgleiste jedoch. »Warum nicht gleich so, junger Mann?« ließ die ältere Dame sich vernehmen und war plötzlich die Freundlichkeit in Person. * »Wie können Sie es wagen, mir im Beisein meiner Gäste kriminelle Ma chenschaften vorzuwerfen, Mylady?« empörte sich Hatfield, sobald er die Bürotür geschlossen und seinen Besuchern Plätze angeboten hatte. »Entweder, Sie nehmen die lächerliche Anschuldigung zurück...« »Keinen Millimeter nehme ich zurück, Mister Catfield!« unterbrach Lady Agatha mit trotzig vorgeschobenem Kinn. »Verzeihung, Mylady«, meldete Hatfield sich zu Wort. »Mein Name ist Frank Hatfield. Nicht Catfield.« »Falls Sie das verstanden haben, müssen Sie sich verhört haben«, stellte Agatha Simpson unmißverständlich klar. »Aber wie auch immer. Ich nehme nichts zurück, denn lächerlich sind die Anschuldigungen gegen Sie weiß Gott nicht. Immerhin geht es um hundert Pfund.« »Hundert Pfund?« wiederholte Hatfield irritiert. »Ein kleines Vermögen für eine alleinstehende Dame in bescheidenen Verhältnissen«, fuhr die wohlhabende Dame fort. »Was denn für hundert Pfund, Mylady?« wollte der Westernpark-Besitzer wissen. »Natürlich meine ich die hundert Pfund, um die Sie mich betrogen haben, Mister Ratfield«, antwortete die Detektivin prompt. »Niemand anders hat so lange auf dem Pferd gesessen wie ich. Also bin ich eindeutig die Gewinnerin.« »Ach, Sie sind die Dame, die eben beim Rodeo angetreten ist und das arme Pferd...« »Das arme Pferd?« unterbrach die 13
ältere Dame erneut. »Sie wollen mich doch nicht etwa beleidigen, Mister Ratfield?« »Das ist mir nur so herausgerutscht, Mylady«, bekannte Frank Hatfield. Er schien verlegen, aber doch irgendwie erleichtert. »Sie zu beleidigen, lag mir - fern.« »Sind Sie da wirklich ganz sicher, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha enttäuscht. »Ich werde Ihnen die hundert Pfund auszahlen, Mylady«, zeigte sich Hatfield als kulanter Geschäftsmann. »Über die Entscheidung, die Gilbert getroffen hat, kann man wirklich geteilter Meinung sein.« »Wer ist dieser Gilbert, von dem Sie da gerade reden?« hakte Mylady inter essiert nach. »Gilbert Meathers ist der Ansager, den Sie in der Arena gesehen haben«, gab Hatfield bereitwillig Auskunft. »Ein recht guter Mann sonst. Aber so ein Fall wie heute ist ihm eben noch nie passiert.« »Wie hieß der Mann?« verlangte Agatha Simpson noch mal den Namen. »Gilbert Meathers«, wiederholte der Gesprächspartner. »Wieso?« »Und der dreiste Lümmel hat ganz allein die Entscheidung getroffen, mich zu disqualifizieren, obwohl er vor den Zuschauern behauptete, sich mit Ihnen abgesprochen zu haben?« wollte Agatha Simpson weiter wissen. »Da hat der gute Gilbert ein bißchen geschwindelt«, meinte Hatfield ach selzuckend. »Ist das denn so schlimm, Mylady?« »Das schlimmste ist, daß der Schurke vorsätzlich handelte, als er mich disqualifizierte, Mister Catfield«, erwiderte die passionierte Detektivin. »Die Motive für seine Machenschaften liegen ja klar auf der Hand.« »Starke Worte, Mylady«, gab Hatfield mit verhaltener Entrüstung zurück. »Warum sollte Gilbert so etwas tun?« »Vermutlich will er sich mit seinem Bruder die Prämie teilen«, äußerte Mylady. »Als erfahrene Kriminalistin brauche ich nur den Namen eines ge wissenlosen Subjekts zu hören, und alles ist klar, Mister Ratfield.« Für Hatfield schien jedoch überhaupt nichts klar zu sein. Er starrte die ältere Dame mit offenem Mund an und schüttelte stumm den Kopf. »Darf man vermuten, daß Mylady eine Komplizenschaft zwischen Mister Meathers und Myladys schärfstem Konkurrenten unterstellen?« erkundigte sich Parker. Ihm war es schon eher gegeben, in die manchmal etwas eigenwilligen Gedanken der älteren Dame einzudringen. »Das liegt doch sonnenklar auf der Hand, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson. »Oder sind Sie etwa anderer Ansicht?« »Möglicherweise ist der Hinweis gestattet, daß der Mann, der von Mister Gilbert Meathers zum Sieger ausgerufen wurde, Andrew Matthews hieß«, wandte der Butter in seiner höflichen Art ein. »Verwandtschaftliche Bande dürften deshalb nicht ohne weiteres zu unterstellen sein, Mylady.« Agatha Simpson brauchte nur
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Sekundenbruchteile, um eine leichte Irritation zu überspielen. »Wie auch immer, Mister Parker«, schob sie den Einwand gelassen beiseite. »Eine Abreibung hat der Lümmel verdient.« »Sie sollten Ihren Ärger endlich vergessen, Mylady«, schlug Hatfield vor. »Vielleicht hilft ein guter Schluck, die ganze Aufregung zu vergessen.« »Wenn Sie meinen, Mister Catfield«, zierte sich die ältere Dame. Dem Hausherrn dämmerte bald, welche Begehrlichkeit er geweckt hatte. Der Cognac, den er seinem Schreibtisch entnommen hatte, war wirklich >passabelWaffe< durfte Fighting Eagles Gegenspieler ein Lasso schwingen. »Macht man sich unnötige Sorgen, wenn man in diesem Zusammenhang eine gewisse Verletzungsgefahr in Betracht zieht, Mister Hatfield?« wollte Parker wissen. »Die Pfeile sind natürlich stumpf, falls Sie das meinen«, gab sein Gegenüber Auskunft. »Verletzen kann man sich höchstens, wenn man vom Pferd fällt.« »Und wie hoch ist die Prämie, Mister Ratfield?« kam Lady Agatha ohne Umschweife auf den Kern des Themas zu sprechen, der sie am meisten inter essierte. »Tausend Pfund, Mylady«, teilte Hatfield mit »Wollen Sie etwa gegen Fighting Eagle antreten?« »Ich nicht, junger Mann«, entschied die Detektivin nach kurzem Überlegen. »Ich habe mich im Training ausschließlich dem Bogenschießen gewidmet. Deshalb könnte Mister Parker mich vertreten.« Hatfield und Meathers tauschten belustigte Blicke. Sie schienen unent schlossen, ob sie die Ankündigung für bare Münze nehmen sollten. Dieser Butler, der so wirkte, als hätte er einen Ladestock verschluckt, wollte es mit dem Meisterschützen Fighting Eagle aufnehmen? »Man wird sich uneingeschränkt bemühen, Myladys Erwartungen keinesfalls zu enttäuschen«, versprach Josuah Parker mit undurchdringlichem Pokergesicht. Er erinnerte sich an die Jahre, die er gemeinsam mit Mike Rander in den
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Staaten verbracht hatte. Damals hatte er den Cheyenne-Häuptiing Running Buffalo kennengelernt, der den schwarz gewandeten weißen Mann in die hohe Kunst des Lassowurfs eingeführt hatte. Jetzt würde sich zeigen, ob die erworbenen Fähigkeiten dem Butler nach all den Jahren noch zu Gebote standen.
Während Parker an der Seite seiner Herrin den Weg zur Arena einschlug, registrierte er beiläufig, daß Frank Hatfield es wieder sehr eilig hatte, das lange verschobene Gespräch mit einem ungenannten Mitarbeiter zu fuhren. Ein Gefühl sagte ihm, daß das Thema dieses Gespräches etwas mit seiner Person zu tun hatte. Parker ahnte nicht, daß es sich bei dem fraglichen Mitarbeiter um den Bogenschützen handelte, der ihm wenig später in der staubigen Arena ge genüberstehen sollte. Er konnte auch nicht wissen, daß es bei dem Wettkampf um wesentlich mehr als tausend Pfund ging. Der Beifall der Rodeo-Fans kannte keine Grenzen, als der Butter gemessen und würdevoll in die Arena trat und höflich die schwarze Melone lüftete. »Ganz überraschend hat sich doch noch ein Freiwilliger gefunden, der bereit ist, gegen Fighting Eagle anzutreten«, meldete der Ansager. »Wir drücken Mister Parker aus London die Daumen. Für ihn steht eine Prämie von tausend Pfund auf dem Spiel.« Anschließend erläuterte er dem Publikum die Regeln des nicht alltäglichen Spiels. Die dreiköpfige Countryband intonierte einen Tusch, und von der Gegenseite trat Fighting Eagle in das staubige Rund. Mit federnden Schritten kam er auf Parker zu, blieb in kurzer Entfernung stehen und verneigte sich mit verschränkten Armen. Ebenso höflich begrüßte der Butter seinen Wettkampfgegner auf altbritische Art. Dabei musterte Parker den >Kämpfenden Adler< mit ebenso diskreten wie aufmerksamen Blicken. Daß Fighting Eagle kein echter Indianer war, hatte er schon von weitem erkannt. Der stilechte Lederanzug und der beeindruckende Kopfschmuck konnten ebensowenig wie die geschickt aufgetragene Schminke darüber hinwegtäuschen, daß es sich vermutlich um einen Briten irischer Abstammung handelte. Der »Kämpfende Adler< schritt gleich darauf zu einem Holzgerüst und
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holte seinen Bogen. Parker fiel auf, daß der Mann den rechten von zwei Köchern schulterte, die dort hingen. Als Ansager Gilbert Meathers den Zu schauern die stumpfen Pfeile gezeigt hatte, waren es die drei aus dem linken gewesen. Das mußte nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben, dennoch verdoppelte der Butler seine Wachsamkeit. Wenig später wurde ein braunweißer Mustang herangeführt. Das Tier machte einen feurigen, aber durchaus gutmütigen Eindruck und schnupperte interessiert, als Parker es am Halfter nahm und ihm auf der schwarz be handschuhten Rechten ein Stück Zucker hinstreckte. Auch das Lasso, das Meathers ihm reichte, wirkte vertrauenerweckend, als der Butler es probeweise durch die Hand gleiten ließ. Auf den Zuschauerrängen wurde es still, als Parker sich mit lässiger Eleganz, die man seiner Erscheinung nie zugetraut hätte, auf den Rücken des Pferdes schwang. Agatha Simpson war die einzige, der die Spannung nicht die Sprache ver schlug. »Vorwärts, Mister Parker!« feuerte sie ihren Butler an und schwenkte den Pompadour. Anscheinend hatte Fighting Eagle damit gerechnet, daß sein Gegner un verzüglich dem Mustang die Sporen geben und im Galopp durch die Arena reiten würde, um den Pfeilen kein festes Ziel zu bieten. Josuah Parker jedoch tat nichts dergleichen. Er saß auf dem Pferderücken und hielt das Lasso in der rechten Hand. Seinen schwarzen Universalschirm hielt er wie eine Reitgerte in der linken Hand. Der angebliche Indianer zögerte kurz, bevor er ein paar Schritte zurücktrat und sich erneut vor dem Butler verneigte. Während der Trommelwirbel im Hintergrund ausgesprochen wirkungsvoll anschwoll, prüfte Fighting Eagle umständlich die Sehne seiner Waffe. Erst dann griff er entnervend langsam über die Schulter zum Köcher. Für Sekundenbruchteile begegneten sich seine und Parkers Augen. Dem Butler schien es, als hätte er ein kurzes Zaudern, eine kleine Unsicherheit im Blick seines Gegners wahrgenommen, aber im selben Moment griff Fighting Eagle den ersten seiner drei Pfeile am gefiederten Ende und zog ihn ruckartig aus dem Köcher. Von den Zuschauern bemerkte niemand den Sonnenreflex, der die mes serscharfe Pfeilspitze aufblitzen ließ. Parker dagegen registrierte nicht nur das verräterische Blinken. Er nahm auch den tödlich entschlossenen Ausdruck im geschminkten Gesicht unter dem wogenden Kopfschmuck wahr. Und er setzte das Lasso in Bewegung. Auf den ersten Blick war dem >Kämpfenden Adler< klar, daß er es mit keinem Anfänger zu tun hatte. Diese Erkenntnis trug erheblich zur Beschleunigung seiner Bemühungen bei. Der Mann im bunt bestickten Lederanzug schaffte es gerade noch, den
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gefiederten Pfeil auf die Sehne zu legen. Den Bogen zu spannen, gelang ihm nicht mehr. Mit ruckartiger Bewegung hatte der Butler die rotierende Lassoschlinge davonschwirren lassen. Unfehlbar steuerte sie ihr Ziel an und senkte sich mit kaum hörbarem Geräusch, das an Vogelschwingen denken ließ, über den falschen Indianer. Fighting Eagle stieß einen Schrei aus, als die Schlinge sich ruckartig zu sammenzog und ihm die Arme an den Leib schnürte. Pfeil und Bogen ließ er in den Sand fallen. »Bravooo!« Lady Agatha rief es derart durchdringend, daß das gutmütige Pferd, auf dem Parker saß, förmlich zusammenzuckte und sich umgehend aufbäumte. Anschließend machte das verschreckte Tier Anstalten, in ge strecktem Galopp auf die Weide zurückzukehren. Reaktionsschnell ließ der Butler die Lassoleine nachlaufen und ersparte damit seinem unterlegenen Gegner die unangenehme Erfahrung, mitgeschleift zu werden. Beim Blick in Richtung Zuschauertribüne gewahrte Parker die bunte Kulisse fröhlicher Menschen, die ihm zujubelten, wobei sie Hüte und Kopftücher schwenkten. Nur einem Beobachter schien der Ausgang des ungleichen Kampfes gegen den Strich zu gehen. Frank Hatfields Gesicht wirkte grau und hart wie Stein. Bevor Parker in würdevoller Haltung die Absperrung ansteuerte, um sich bei seiner Herrin zurückzumelden, zog er noch die beiden verbliebenen Pfeile aus dem Köcher des ziemlich abgekämpft anmutenden >AdlersZum letzten Nugget< nicht aufkommen. Allein Agatha Simpson zeigte sich in glänzender Laune. Frank Hatfield dagegen schien ausgesprochen nervös und fahrig. Seine Stimme zitterte, und er verhedderte sich mehrfach, als er Parker mit wenigen Sätzen gratulierte. Fighting Eagle hatte es vorgezogen, der Zusammenkunft fernzubleiben. » ... und wünschen wir Ihnen weiterhin viel Glück, Mister Parker«, schloß der Westernpark-Besitzer seine kleine Ansprache. Anschließend erhob er das Sektglas. Bevor er den schlanken Kristallkelch an die Lippen führen konnte, entglitt er jedoch seinen zitternden Fingern und zerschellte am Boden. »Scherben bringen Glück, Mister Ratfield«, versuchte die Detektivin den Hausherrn über das Malheur hinwegzutrösten. »Hoffentlich haben Sie recht, Mylady«, erwiderte Hatfield zerstreut und hätte um ein Haar auch das zweite Glas fallen lassen, das der Barkeeper 19
ihm reichte. »Glück ist etwas, das jeder Mensch brauchen kann.« »In der Tat, Mister Hatfield«, pflichtete der Butler ihm bei. »Ohne jenes sprichwörtliche Glück säße meine Wenigkeit jetzt wohl kaum hier.« »Wie ... wie meinen Sie das, Mister Parker?« wollte sein Gegenüber mit allen Anzeichen tiefer Verunsicherung wissen. »Möglicherweise ist die Anmerkung gestattet, daß Mister Fighting Eagle statt der angekündigten stumpfen Pfeile solche mit scharfen Stahlspitzen im Köcher hatte, Mister Hatfield«, gab Parker mit unbewegter Miene Auskunft. »Was?« fuhr der Rodeo-Veranstalter in gut gespieltem Entsetzen auf. »Das kann doch nicht wahr sein!« »Bedauerlicherweise sieht man sich genötigt, in diesem Punkt ebenso höflich wie entschieden zu widersprechen, Mister Hatfield«, entgegnete der Butler kühl. »Dann muß Alan aus Versehen nach dem falschen Köcher gegriffen haben«, fand Hatfield rasch eine Erklärung. »Jetzt erinnere ich mich auch, daß die stumpfen und scharfen Pfeile dicht nebeneinander am Gerüst hingen.« »Eine Feststellung, die man nur bestätigen kann und muß, Mister Hatfield«, ließ Parker sich vernehmen. »Im übrigen darf man möglicherweise um Auskunft darüber bitten, wen Sie mit Alan zu meinen belieben.« »Alan Bold natürlich«, informierte der Westernpark-Besitzer. »Er ist mein Kompagnon und tritt in der Arena als Fighting Eagle auf.« »Demnach sollte man von der Annahme ausgehen, daß Sie nicht der alleinige Inhaber des Westernpark Dod-ge City sind, Mister Hatfield?« hakte der Butler nach. »Alan hat das Gelände geerbt und in das Unternehmen eingebracht«, legte sein Gesprächspartner die Eigentumsverhältnisse offen. »Ich habe die Bauten und Anlagen finanziert.« »Interessant. Der Lümmel ist also gar kein echter Indianer und hätte um ein Haar auch noch Mister Parker auf dem Gewissen gehabt«, schaltete die ältere Dame sich unüberhörbar ein. »Wo steckt das gewissenlose Subjekt eigentlich?« »Alan ist nicht mehr hier«, gab Hatfield Auskunft. »Er mußte gleich nach der Show nach London fahren.« »Also geflüchtet«, kommentierte die passionierte Detektivin grimmig. »Aber der Schurke entwischt mir nicht.« »So können Sie das nicht sehen, Mylady«, wandte der Hausherr mit be schwichtigender Geste ein. »Alan hatte die Fahrt schon gestern vor. Er will... äh ... seine Freundin besuchen, glaube ich.« »Wie auch immer«, reagierte Lady Agatha unwirsch. »Ich werde den Lümmel auf jeden Fall zur Rechenschaft ziehen.« »Jeder Mensch macht mal Fehler«, gab Hatfield zu bedenken. »Ich nicht, Mister Catfield«, unterbrach Agatha Simpson selbstbewußt. »Aber alle anderen«, fuhr der Rodeo-Veranstalter
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unbeirrt fort. »Alan wird sich bei Mister Parker entschuldigen, und dann sollte man die Sache vergessen.« »Und wenn ich Mister Parker nicht rechtzeitig gewarnt hätte?« beharrte die ältere Dame und nahm gleichzeitig eine unauffällige Korrektur der tat sächlichen Ereignisse vor. »Wenn ihn eins von diesen gefährlichen Geschossen getroffen hätte?« »Nicht auszudenken, Mylady«, erwiderte Hatfield und wirkte zerknirscht. »Immerhin wäre Alans Artisten-Versicherung für die Arztkosten aufge kommen.« »Und wenn Mister Parker keinen Arzt mehr gebraucht hätte, junger Mann?« spann Agatha Simpson die düstere Vision weiter. Dabei bedachte sie ihr Gegenüber mit vor Zorn funkelnden Blicken. »Wir wollen ja nicht gleich das Schlimmste heraufbeschwören, Mylady«, versuchte Hatfield von dem peinlichen Thema abzulenken. »Freuen Sie sich doch lieber über die tausend Pfund, die Mister Parker gewonnen hat.« »Warum soll ich mich über etwas freuen, das mir sowieso zusteht, Mister Ratfield?« reagierte die Detektivin brüsk. »Aber stellen Sie sich vor, der Lümmel hätte wirklich Mister Parker getroffen. Dann hätte ich nicht mal die tausend Pfund bekommen.« In Mylady brodelte es. Sie sah im Geist den falschen Indianer, wie er den Bogen spannte. »Wo hält der feige Bursche sich denn in London versteckt?« wollte die ältere Dame in einem Ton wissen, der an das Knurren eines gereizten Hundes erinnerte. »Bedaure, Mylady«, antwortete Hatfield achselzuckend. »Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wo seine Freundin wohnt.« »Das ist gelogen!« empörte sich die resolute Lady. »Einer Kriminalistin machen Sie nichts vor.« »Unsinn«, gab Hatfield ärgerlich zurück. »Warum sollte ich denn lügen?« »Weil Sie dieses Subjekt decken, Mister Ratfield«, entgegnete Lady Agatha. »Glauben Sie denn ich durchschaue Ihre Taktik nicht?« »Ich glaube, Sie leiden an Wahnvorstellungen«, ereiferte sich der Hausherr. »Wahrscheinlich haben Sie zu viele Krimis im Fernsehen gesehen.« »Der Mensch beleidigt mich, Mister Parker!« »Eine Feststellung, der man sich nur anschließen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner aufgebrachten Herrin bei. Doch dieser Bestätigung hatte es nicht bedurft. Agatha Simpson ging spontan dazu über, sich Genugtuung zu verschaffen. Beherzt griff sie nach den abstehenden Ohren ihres Gesprächspartners und drehte daran, als hätte sie die Knöpfe eines Radioapparates in der Hand. Hatfield produzierte Geräusche, die an gestörten Kurzwellenempfang denken ließen. »Raus mit der Sprache!« herrschte Lady Agatha den Chef des Westernparks an. »Wo hält der Lümmel sich versteckt?«
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Hatfield wand sich wie ein Schlangenmensch im Zirkus. Als Agatha Simpson schließlich abrupt den Griff lockerte, fiel er vor der resoluten Dame auf die Knie. »Also?« blieb die Detektivin unerbittlich. »Wie lautet die Adresse?« »Ich weiß es wirklich nicht«, jammerte der Hausherr und überzeugte sich argwöhnisch, ob seine malträtierten Ohren noch am gewohnten Platz saßen. »Nun gut, ich will es dabei bewenden lassen«, entschied die energische Lady. »Man erlaubt sich, noch einen möglichst unterhaltsamen Tag zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone, bevor er seine Herrin aus dem Saloon >Zum letzten Nugget< hinausgeleitete. Frank Hatfield war derart mit sich selbst beschäftigt, daß er den freundlichen Gruß nicht mal erwiderte. * »Skandalös, was dieser Mensch seinen Kunden zumutet«, grollte Lady Agatha, während Parker ihr in den Fond des hochbeinigen Monstrums half. »Eine Einschätzung, die meine Wenigkeit nur teilen kann, Mylady«, gab der Butler ihr recht, sobald er am Steuer Platz genommen hatte. Bei dem schwarzen Gefährt, das jetzt wieder Richtung London rollte, handelte es sich um ein ehemaliges Taxi, das Parker vor Jahren erworben und für seine ganz speziellen Zwecke umgebaut hatte. Seitdem war daraus eine sogenannte Trickkiste auf Rädern geworden, an der ein James Bond seine helle Freude gehabt hätte. Neben schußsicherer Panzerung und einem hochbeinigen Spezialfahrwerk verfügte das altertümlich wirkende Vehikel über ein vielpferdiges Zusatztriebwerk, das nur darauf wartete, seine Muskeln spielen lassen zu können. Durch eine Reihe von Kipphebeln am Armaturenbrett konnte Parker zusätzlich gewisse Überraschungen auslösen, die auch den hartnäckigsten Verfolger zur Verzweiflung brachten. »Und das mit den Pfeilen war wirklich sträflicher Leichtsinn«, fuhr die passionierte Detektivin fort. »Ich werde dem Lümmel im Indianerkostüm ein paar passende Worte sagen, wenn ich ihn in die Finger bekomme.« »Kann und muß man Myladys Äußerung entnehmen, daß Mylady an ein Versehen zu glauben geneigt sind?« Eine geradezu hörbare Pause trat ein. Erst nach etlichen Sekunden übertrug die Sprechanlage, die den durch eine Trennscheibe gesicherten Fond mit dem Fahrerplatz verband, ein Geräusch, das an das bedrohliche Grollen eines heraufziehenden Gewitters erinnerte. »Also Mordversuch?« vergewisserte sich Agatha Simpson grimmig. »Mylady dürften eine solche Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen, falls man sich nicht gründlich täuscht.« »Aber das ist doch Unsinn, Mister Parker«, machte Agatha Simpson
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unmittelbar darauf ihren Schwenk wieder rückgängig. »Kein Mörder ist so dumm, sein gräßliches Handwerk in einer Arena auszuüben.« »Zweifellos hätte Mister Bold einen tödlichen Treffer als tragischen Un glücksfall dargestellt. Wegen der zahlreichen Zeugen hätte vermutlich niemand an einen Mord geglaubt, sofern der Hinweis gestattet ist.« »Außer mir natürlich, Mister Parker«, stellte die resolute Dame klar. »Und ich hätte das Gesindel schon zur Strecke gebracht.« »Was man keinesfalls bezweifeln möchte, Mylady.« »Auf jeden Fall wäre es schon mal eine Dummheit gewesen, wenn die Gangster ausgerechnet Sie ermordet hätten, Mister Parker.« »Darf man um Aufklärung bitten, wie Mylady diese Äußerung verstanden wissen möchten?« »Die eigentliche Gefahr hätten sie dann erst recht am Hals gehabt. Die bin nämlich ich«, rückte die ältere Dame sich gebührend in den Vordergrund. »Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als dieser Auffassung zu wider sprechen, Mylady.« »Aber anscheinend haben die Lümmel meine Gefährlichkeit noch nicht richtig erkannt. Sonst würden Sie doch wenigstens bewaffnete Verfolger auf mich hetzen.« »Bedauerlicherweise sieht man sich gedrängt, Mylady auf ein kleines, aber nicht ganz belangloses Versehen hinzuweisen«, meldete Parker in diesem Moment nach einem erneuten Kontrollblick in den Rückspiegel. »Endlich haben Sie es auch gemerkt, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson sich nahtlos auf die geänderte Situation ein. »Mir ist der grüne Ford schon lange aufgefallen.« »Meine bescheidene Wenigkeit hatte eher an den weißen Volvo gedacht, der Mylady geradezu beharrlich folgt.« »Seien Sie nicht immer so pingelig, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin unwirsch. »Den meinte ich natürlich auch.« »Wie gedenken Mylady mit den Herren zu verfahren?« »Ich gehe davon aus, daß die ungezogenen Lümmel mir nur nachspionieren und herausfinden wollen, wo ich wohne?« vergewisserte sich Mylady. »Dieser Annahme dürfte der Umstand widersprechen, daß die erwähnten Herren sich offensichtlich nicht die geringste Mühe geben, unentdeckt zu bleiben.« In der Tat hatten die Männer im Volvo schon eine Weile ziemlich dicht aufgeschlossen. Sie machten sogar hin und wieder Anstalten, auf der schmalen Landstraße ein Überholmanöver zu riskieren. Derartige Bemühungen vereitelte der Butler jedoch ausgesprochen wirksam mit kleinen Schwenks auf die andere Fahrbahnseite. »Also sind es Killer?« wollte die ältere Dame wissen. »Mylady dürften unterstellen, daß die Herren bewaffnet sind.«
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»Dann werde ich mir die Burschen höchstpersönlich vorknöpfen, Mister Parker«, entschied sie. »Ein Vorsatz, den man nur begrüßen kann, Mylady.« »Bei den Details lasse ich Ihnen gerne freie Hand, Mister Parker. Sicher fällt Ihnen etwas Hübsches ein.« »Man wird sich jede erdenkliche Mühe geben, Mylady keinesfalls zu enttäuschen«, versprach der Butler, und danach handelte er auch. * Die Verfolger glaubten, ihren Augen nicht trauen zu dürfen, als das schwer fällig wirkende Gefährt unvermittelt wie ein Formel-Eins-Renner davonzog. Postwendend gab auch der Volvolenker Vollgas, aber gegen den Rennmotor unter der eckigen Haube von Parkers hochbeinigem Monstrum hatte der Mann nicht den Hauch einer Chance. Ausgesprochen dankbar registrierte er deshalb, daß gleich darauf eine schwarze, ölige Rauchwolke aus dem Auspuff des altertümlichen Vehikels quoll. Als Parker im nächsten Moment das bullige Zusatztriebwerk wieder abschaltete und das Tempo drosselte, stand für die Insassen des weißen Volvo fest, daß der altertümliche Kasten einen Motorschaden erlitten hatte. Der Butler hatte jedoch nur einen der zahlreichen Kipphebel am Arma turenbrett umgelegt. Die Verfolger glaubten sich am Ziel ihrer Wünsche, als sie die Qualm wölke durchstoßen hatten und Parkers schwarzen Kasten plötzlich dicht vor sich sahen. Den Männern klappten allerdings die Kinnladen herunter, als der Butler den nächsten Zwischenspurt einlegte. Verständlich, daß die Verfolger sich genasführt fühlten. Verständlich, daß sie das wütend und unüberlegt machte. Aber das war genau die Gemütsverfassung, in der Parker seine Gegner haben wollte. Verbissen umklammerte der Volvofahrer das Lenkrad und trat das Gaspedal fast durchs Bodenblech. Er wollte sich um keinen Preis abhängen lassen. Deshalb schloß er auch sofort wieder dicht auf, als Parker das Gaspedal ein wenig zurückgleiten ließ. Hätte das hochbeinige Monstrum dem Mann nicht jede Sicht nach vorn versperrt, wäre er sicher auf die scharfe Kurve aufmerksam geworden, die unweigerlich näher kam. Als er bemerkte, wie zwei Düsen am Heck des schwarzen Vehikels eine wasserklare Flüssigkeit auf die Fahrbahn sprühten, wurde es dem Volvolenker ausgesprochen mulmig. Sekundenbruchteile später griff er geistesgegenwärtig ins Lenkrad und unternahm den Versuch, die unversehens aufgetauchte Kurve zu meistern. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Der Mann hatte das Gefühl, mitten im Sommer auf Glatteis geraten zu sein. Da kam auch schon der von Büschen gesäumte Straßengraben näher... und dahinter ein hoher Maschendrahtzaun...
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Mehr sahen die Insassen des weißen Volvo erst, als der Wagen zum Stehen kam und sie vorsichtig die Augen öffneten. Akustisch hatten sie schon vorher unüberhörbare Signale empfangen, die keinen Zweifel daran ließen, wohin ihre leichtsinnige Fahrweise sie geführt hatte. Gackernd und krähend machte das zahlenmäßig ansehnliche Hühnervolk seinem Unmut über die motorisierten Eindringlinge Luft. In ungebremster Schußfahrt war der Volvo am Eingang der Kurve geradeaus gerast und hatte mühelos den Maschendraht des weitläufigen Geheges zerfetzt. Bei dieser Gelegenheit hatte man auch gleich die Lattenkonstruktion in Brennholz verwandelt. Von weitem machte der Volvo einen durchaus noch fahrtauglichen Eindruck. Aber der Sprung über den Straßengraben schien seinem Fahrwerk nicht bekommen zu sein. Jedenfalls verließen die Männer fluchend den Wagen, als Parker sein Fahrzeug gerade wieder bis zur Kurve zurückgesetzt hatte. Von Lady Simpson und dem Butler, die nun ebenfalls ausstiegen, nahm das Duo vorerst keine Notiz. Zu sehr waren die Männer damit beschäftigt, das zeternde Federvieh abzuwehren, das wie ein Schwärm überdimensionaler Mücken um ihre Köpfe flatterte. Wenn man Hühnern nachsagt, daß sie dumm und furchtsam sind, so traf das zumindest auf diese Vertreter der Gattung nicht zu. Wie Krähen stürzten sich die Eierproduzenten auf die ungebetenen Besucher, die schon einen reichlich entnervten Eindruck machten. Der stolze Hahn führte kampfeslustig den Feldzug gegen die vermeintlichen Nebenbuhler. Myladys Verfolger zeigten sich deshalb erleichtert, als sie das Gewirr von Maschendraht und zerbrochenen Latten hinter sich gebracht hatten und die sprichwörtlichen Beine in die Hand nehmen konnten. Weit kamen die Flüchtlinge allerdings nicht. Von dem furiosen Angriff der gackernden Mistkratzer noch völlig irritiert, liefen die Männer dem Paar aus Shepherd's Market buchstäblich in die Arme. »Ich übernehme den linken Burschen, Mister Parker«, sagte die passionierte Detektivin und hinderte den Mann durch zielsicheren Einsatz ihres Glücksbringers am Weiterlaufen. Sein Begleiter bettete sich nach kurzem Gleitflug neben ihn. Parker hatte mit gelassener Miene zugesehen, wie die Füße des Mannes sich im Bambusgriff seines schwarzen Universal-Regenschirmes verfingen. »Sorgen Sie dafür, daß die Lümmel mir unverzüglich für ein Verhör zur Verfügung stehen, Mister Parker«, ordnete Lady Agatha an, als die VolvoInsassen Neigung zeigten, sich einem ausgedehnten Nickerchen hinzugeben. »Ein ungestörtes Gespräch mit den Herren dürfte an Ort und Stelle kaum durchführbar sein, Mylady«, gab der Butler zu bedenken und machte auf den Trecker aufmerksam, der von einem rund 500 Schritt entfernten Farmhaus herantuckerte.
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»Den Bauern jage ich weg, wenn er sich einmischen will«, verkündete die ältere Dame. »Mylady dürften die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es sich um den Besitzer des zerstörten Hühnergeheges handelt«, wandte Parker ein. »Unter solchen Umständen wäre mit einer Einmischung fest zu rechnen, falls der Hinweis genehm ist.« »Also ein hübscher kleiner Zwischenfall«, stellte Lady Agatha ungerührt fest. »Warum gönnen Sie mir die Freude nicht, Mister Parker?« »Der fragliche Landwirt dürfte fraglos darauf bestehen, daß die Polizei hinzugezogen wird, Mylady.« Das wirkte. »Dann unterbreiten Sie mir einen anderen Vorschlag, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame. »Man könnte die Herren unverzüglich an Bord nehmen und in Shepherd's Market einer eingehenden Befragung unterziehen, falls dies Myladys Beifall findet.« »Ich kann es mir beim besten Willen nicht leisten, die Lümmel unter meinem Dach zu beherbergen und durchzufüttern, Mister Parker«, lehnte Agatha Simpson das Angebot ab. »Außerdem handelt es sich sowieso nur um belanglose Randfiguren, die eine Kriminalistin nicht weiter interessieren.« »Eine Einschätzung, der man sich ausdrücklich anschließen möchte, Mylady.« »Aber ein bißchen Strafe hätten die Subjekte schon noch verdient«, überlegte Agatha Simpson, während sie sich wieder in den luxuriös gepolsterten Fond des hochbeinigen Monstrums helfen ließ. »Diese Aufgabe dürfte der geschädigte Landwirt mit Begeisterung übernehmen, falls man sich nicht sehr irrt, Mylady«, gab der Butler zur Ant wort. Schon nach kurzer Fahrt begegnete man dem eilig herantuckernden Trek ker. Parker stoppte und senkte sein Fenster. »Man hat sich davon überzeugt, daß die Herren frei von ernsthaften Verlet zungen sind«, erläuterte der Butler, nachdem er dem Bauern einen möglichst angenehmen Tag gewünscht hatte. »Das Weitere dürfte die Polizei erledigen.« »Waren die Kerle besoffen?« wollte der stämmige Mittvierziger auf dem Treckersitz wissen. »Die Herren machten einen etwas verwirrten und abwesenden Eindruck, wenn man es mal so formulieren darf«, gab Parker durchaus wahrheitsgemäß Auskunft. »Sie zeigten sich aber überraschend einsichtig und erwarten Sie zu einer klärenden Aussprache.« »Von wegen Aussprache!« knurrte der Bauer. »Denen werde ich eine deftige Tracht Prügel verabreichen, bevor ich sie bei der Polizei abliefere.« »Ein Vorhaben, zu dem man Sie nur beglückwünschen kann«, sagte der Butler, lüftete höflich die schwarze Melone und ließ das hochbeinige Monstrum wieder anrollen. Sollte die Polizei ruhig kommen; die flüssige Seife, die Parker auf die Fahrbahn gesprüht hatte, war in der 26
Nachmittagssonne längst zu einem unsichtbaren Film angetrocknet. Die letzten Reste würde der nächste Regenguß im Handumdrehen wegspülen. * Das zweistöckige Fachwerkhaus, das Agatha Simpson als Stadtwohnung diente, war ein Gebäude von ausgesprochen repräsentativem Zuschnitt. Im Souterrain, wo unter anderem Parkers private Räume untergebracht waren, konnte man noch die wuchtigen Grundmauern einer steinalten Abtei besichtigen, auf denen der Bau errichtet worden war. Inmitten des hektischen Großstadtgetriebes bildete das Anwesen eine Oase der Ruhe. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, daß die Nachbarhäuser an der stillen Wohnstraße seit Jahren leer standen. Den einstigen Bewohnern war das Steckenpferd der unternehmungslustigen Lady mit der Zeit zu nervenaufreibend geworden. Sie hatten ihre Häuser an die ältere Dame verkauft und waren fortgezogen. Deshalb fiel dem Butler sofort der rote Porsche auf, der ihm entgegenkam. Doch die Männer im Sportwagen brausten vorbei und bogen in die breite Durchgangsstraße ein, von der Parker und seine Herrin gekommen waren. Der Butler ließ die gewohnte Vorsicht walten, als er sein hochbeiniges Gefährt auf dem Vorplatz abstellte und Mylady diskret beim Aussteigen half. Verdächtiges bemerkte er allerdings nicht. Auch die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn schon oft vor tödlichen Gefahren gewarnt hatte, hüllte sich in Schweigen. »Wahrscheinlich haben die Leute sich nur zufällig in die Gegend verirrt, Mister Parker«, meinte Lady Agatha, nachdem Parker ihr in der großen Wohnhalle den ersten Sherry serviert und dabei den roten Sportwagen er wähnt hatte. »Eine Möglichkeit, die man nicht von vornherein ausschließen sollte, Mylady«, räumte der Butler ein. »Wenn es Gangster gewesen wären, hätten sie doch sofort das Feuer eröffnet, Mister Parker«, war sich die Detektivin sicher. »Was man keinesfalls bezweifeln möchte«, gab der Butler mit einer an gedeuteten Verbeugung zurück. »Dennoch dürften Mylady auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die fraglichen Herren lediglich die Aufgabe hatten, Myladys Rückkehr zu melden.« Wie richtig Parker mit dieser Einschätzung lag, sollte sich schon Minuten später herausstellen. Würdevoll lenkte er seine Schritte in Richtung Diele, als das Telefon läutete. »Wie man hört, sind Sie den Typen aus dem Westernpark auf der Spur, Parker«, begann der Anrufer ohne Umschweife das Gespräch. »Darf man höflich fragen, mit wem meine Wenigkeit das Vergnügen hat und woher Sie Ihre Kenntnisse beziehen?« unterbrach der Butler. »Das braucht Sie nicht zu interessieren
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Parker«, erwiderte der Unbekannte. »Dann darf man sich gegebenenfalls nach dem Grund Ihres Anrufs erkun digen«, begehrte Parker zu wissen. »Wir wollen Ihnen nur ein bißchen Arbeit abnehmen«, behauptete der Mann am anderen Ende der Leitung und ließ ein meckerndes Lachen hören. »Meine Wenigkeit wäre dankbar für einen Hinweis, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten«, hakte der Butler nach. »Stellen Sie sich doch nicht naiver an, als Sie sind, Parker«, reagierte der Anrufer unwirsch. »Sie wissen genausogut wie ich, daß Frank Hatfield und Alan Bold ins Drogengeschäft einsteigen wollen.« »Kann und muß man vermuten, daß Sie damit auf die Existenz gewisser Pflanzungen von Schlafmohn und Indischem Hanf anspielen?« erkundigte sich Parker. »Genau, Parker«, bestätigte der Unbekannte. »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf. . . Lassen Sie die Finger von der Sache. Wir erledigen das schon für Sie.« »Darf man um eine Mitteilung bitten, wen Sie mit >wir< zu meinen belie ben?« fragte der Butler nach. »So lange, wie Sie schon im Geschäft sind, sollten Sie sich solche Fragen längst abgewöhnt haben, Parker«, entgegnete sein Gesprächspartner. »Geht man unter Umständen recht in der Annahme, daß Sie im Auftrag eines gewissen John Cunningham anrufen?« tippte Parker. Doch der Unbekannte ließ nur wieder sein meckerndes Lachen hören und legte auf. * Nachdenklich hörte die Hausherrin zu, als der Butler sie über den Inhalt des Telefonats in Kenntnis setzte. »Und wie bewerte ich diesen Anruf, Mister Parker?« wollte sie danach wissen. »Mylady dürften zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen, falls man sich nicht gründlich täuscht.« »Und welche beiden sind das?« »Als weniger wahrscheinlich dürften Mylady die Annahme ansehen, daß der unbekannte Anrufer im Auftrag von Mister Hatfield und Mister Bold handelte.« »Das ist absurd, Mister Parker«, befand die Detektivin. »Warum sollten die Lümmel auf solch eine Idee kommen?« »Triebfeder könnte der Wunsch sein, Zeit zu gewinnen, Mylady.« »Zeit - wofür?« »Die Erntezeit für Schlafmohn und Indischen Hanf dürfte unmittelbar be vorstehen.« »Der Lümmel will das Rauschgift verschwinden lassen, bevor ich ihm das kriminelle Handwerk lege, Mister Parker?« vergewisserte sich Lady Agatha. »Nichts anderes versuchte meine Wenigkeit anzudeuten, Mylady.« »Wie auch immer, Mister Parker. Gelingen wird ihm das nicht. Und welches ist die zweite Variante?« »Mylady dürften die Möglichkeit in 28
Erwägung ziehen, daß es sich bei dem anonymen Anrufer um ein Mitglied des Londoner Drogenkartells handelte.« »Was hat denn das Londoner Drogenkartell mit Mister Fatfields Westernpark zu tun?« »Mister Hatfields Drogen dürften in einschlägigen Kreisen als Unliebsame Billigprodukte gelten, Mylady.« »Deshalb trieb sich auch dieser Gangster in Lodge Kitty herum«, fiel bei Mylady der Groschen. »Wie war noch der Name des Schurken, Mister Parker?« »Mylady dürften Mister John Cunningham und seinen bislang unbekannten Begleiter meinen«, antwortete der Butler. »Richtig. Runningham. Der Name lag mir auf der Zunge«, nickte die pas sionierte Detektivin. »Ich habe das gewissenlose Subjekt natürlich sofort durchschaut, Mister Parker.« »Mister Cunninghams Interesse dürfte eindeutig Mister Hatfields illegalen Pflanzungen gegolten haben.« »Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen, Mister Parker«, versicherte Agatha Simpson umgehend. »Darf man um Aufklärung bitten, welche Konsequenzen Mylady aus den bislang vorliegenden Erkenntnissen zu ziehen gedenken?« »Wenn die Londoner Unterwelt Mister Ratfields kriminellen Nebenerwerb unterbinden will, werde ich mich aus der Sache heraushalten, Mister Parker«, entschied die ältere Dame nach kurzem Nachdenken. »Mylady planen, die Ermittlungen einzustellen?« erkundigte sich Parker überrascht. »Warum nicht, Mister Parker?« reagierte die Detektivin gelassen. »Das erspart mir eine Menge Kosten. Außerdem: Wenn die Unterwelt schon mal ein gutes Werk tun will, werde ich sie nicht daran hindern.« »Edle Motive dürften den Mitgliedern des Londoner Drogenkartells bei einem Vorgehen gegen Mister Hatfield und Mister Bold kaum zu unterstellen sein, Mylady«, gab der Butler zu bedenken. »Sondern, Mister Parker?« »Im Vordergrund könnte der feste Wille stehen, Preisbrecher vom Dro genmarkt fernzuhalten und damit den eigenen Machtbereich zu zementieren, Mylady.« »Genau, Mister Parker«, zeigte sich die Detektivin wieder mal flexibel. »In diese Überlegung wollte ich Sie ohnehin noch einweihen. Ich werde also den Kampf gegen die Drogenmafia in der Stadt und auf dem Land mit aller Entschiedenheit fortsetzen.« »Ein Entschluß, den man nur mit tiefer Befriedigung zur Kenntnis nehmen kann und muß, Mylady«, sagte Parker und schenkte seiner Herrin aus der kostbar geschliffenen Kristallkaraffe nach. * »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Abend zu wünschen, Mister Pickett.« Josuah Parker stand am Telefon in der Diele und hatte soeben 29
die Nummer seines geschätzten Helfers gewählt, der für Meisterleistungen auf dem Gebiet der Observation bekannt war. Horace Pickett war als >König der Londoner Taschendiebe< eine prominente Unterweltfigur gewesen. Allerdings hatte er seine flinken Finger nur nach Brieftaschen ausgestreckt, die ohnehin zu prall gefüllt waren, weshalb er seine damalige Tätigkeit manchmal mit >Eigentumsumverteiler< angab. In einer brenzligen Situation hatte der Butler ihm das Leben gerettet. Seitdem beachtete der ehrenwerte Mister Pickett streng die Gesetze und hielt etwas darauf, für Parker und Mylady tätig zu sein. Dabei hatten sich seine intimen Kenntnisse der Londoner Szene schon oft als ausgesprochen wertvoll erwiesen. Auch diesmal zeigte sich der etwa sechzigjährige Pickett, dessen gepflegte Erscheinung an einen pensionierten Offizier denken ließ, gut informiert. »Ich weiß, wen Sie meinen, Mister Parker«, sagte er, als der Butler den Namen John Cunningham ins Gespräch brachte. »In der Szene trägt er den Beinamen >die NatterNatter< glänzende Geschäfte mit Kokain macht«, wußte der Anrufer. »Die Polizei hat ihm aller dings noch nie etwas beweisen können.« »Eine Aufgabe, der Mylady sich derzeit mit Hingabe widmet, Mister Pickett«, ließ Parker verlauten. »Man begegnete Mister Cunningham rein zufällig während einer Vorführung in einem Westernpark, der sich Dodge City nennt.« »Cunningham beim Rodeo? Das kann ich mir kaum vorstellen, Mister Parker«, gab der frühere Eigentumsumverteiler überrascht zurück. »Kann es nicht sein, daß Sie sich getäuscht haben?« »Irren ist in der Tat menschlich, wie der Volksmund ebenso schlicht wie treffend sagt, Mister Pickett«, räumte
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der Butler ein. »Im vorliegenden Fall dürfte eine Verwechslung jedoch aus scheiden. Mister Cunningham hatte offensichtlich einen geschäftlichen Grund, um nach Dodge City zu kommen.« »Ja dann...« antwortete Pickett gedehnt. »Er hat sich also mit einem Ge schäftsfreund getroffen, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mister Pickett«, erwiderte Parker. »Eher dürfte die >Natter< nach Dodge City gefahren sein, um sich über die Dro genprodukte eines neuen Konkurrenten zu informieren.« Anschließend setzte er Pickett über den bisherigen Stand der Ermittlungen ins Bild. Dabei erwähnte er natürlich auch den anonymen Anruf vom Nachmittag. »Das könnte tatsächlich auf eine geplante Abrechnung hindeuten, bei der die >Natter< nicht gestört werden will, Mister Parker«, kommentierte Pickett. »Soll ich den Burschen mal im Auge behalten und Sie anrufen, wenn sich was tut?« »Darf man aus Ihrer Äußerung schließen, daß Ihnen der derzeitige Aufenthaltsort der >Natter< bekannt ist, Mister Pickett?« vergewisserte sich der Butler. »Man hört so manches, wenn man die Ohren offenhält, Mister Parker«, lautete die Antwort. »Eine Feststellung, der man sich nur anschließen kann, Mister Pickett. Im übrigen ist unter Umständen der Hinweis erlaubt, daß Mylady Ihnen sehr verbunden wäre, wenn Sie der >Natter< Ihre Aufmerksamkeit schenken würden.« »Mach ich gern, Mister Parker«, versicherte Pickett. »Sobald ich Näheres erfahre, melde ich mich wieder.« »Mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen, ist stets aufs neue eine Freude, Mister Pickett«, sagte Parker und beendete das Gespräch. Er wollte gerade die im Souterrain gelegene Küche aufsuchen, als an der Haustür geläutet wurde. Vorsichtshalber schaltete Parker die Video-Überwachungsanlage ein, aber die abendlichen Besucher waren alles andere als Mitglieder der Unterwelt. »Man erlaubt sich, einen möglichst harmonischen und entspannten Abend zu wünschen, Miß Porter und Mister Rander«, sagte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung und ließ das junge Paar eintreten. »Na, hat Mylady den ersten Preis im Bogenschießen gewonnen, Parker?« wollte der Anwalt schon im verglasten Vorflur wissen. »Gegen Frank Hatfield und seinen Kompagnon Alan Bold scheint sich das Unheil an zwei Fronten zusammenzubrauen«, meinte die attraktive Kathy Porter, nachdem Parker den Besuchern zum aktuellen Informationsstand verhelfen hatte. »Mylady auf der einen, die >Natter< auf der anderen Seite - ich wüßte nicht, vor wem ich mehr Angst hätte«, setzte der Anwalt schmunzelnd hinzu. »Mylady bringt Bold und Hatfield hinter Gitter, wenn sie ihr in die Finger fallen«, gab die zierliche Begleiterin 31
zu bedenken. »Cunningham wird beide ins Jenseits befördern.« »Zumindest sollte man darauf gefaßt sein, daß die sogenannte Natter einen entsprechenden Versuch unternimmt, Miß Porter«, pflichtete Parker der jungen Dame bei. »Noch heute nacht?« wollte die hübsche Kathy wissen. »Auch diese Möglichkeit sollte man keineswegs von vornherein ausschließen, Miß Porter.« »Wann will Mylady denn aufbrechen, und wie will sie vorgehen, Parker?« erkundigte sich Rander. »Bisher hat Mylady noch keine konkreten Absichten geäußert, Sir«, erwi derte der Butler. »Mit Entscheidungen dürfte zu rechnen sein, sobald Mylady ihre Meditation beendet hat.« »Meditieren - ach so!« lachte Rander. Die Geräusche, die von oben in die Wohnhalle drangen, waren nicht zu überhören und auch nicht falsch zu deuten. »Laß sie nur, Mike«, nahm Kathy Porter die ältere Dame in Schutz. »Mylady braucht auch mal eine Ruhepause.« Agatha Simpson fühlte sich auch nicht gestört, als wenig später das Telefon in der Diele schrillte. »Hier bei Lady Simpson«, meldete sich Parker. Die Stimme des ehemaligen Eigentumsumverteilers klang aufgeregt. »Eben sind zwei Wagen von Cunninghams Hof gestartet, Mister Parker«, teilte Pickett mit. »In jedem saßen zwei Männer, die bis an die Zähne bewaffnet waren.« »Mister Cunningham selbst hält sich nach Ihrer Kenntnis noch im Hause auf, Mister Pickett?« wollte der Butler wissen. »Die >Natter< war mit Sicherheit nicht dabei, Mister Parker«, bestätigte der Anfrufer. »Deshalb hielt ich es für besser, auf eine Verfolgung der Wagen zu verzichten und statt dessen hier auf dem Posten zu bleiben.« »Eine Entscheidung, die man nur ausdrücklich begrüßen kann, Mister Pickett«, sagte Parker. »Über das Ziel der erwähnten Fahrzeuge dürfte ohne hin kaum Unklarheit bestehen.« »Dann brechen Sie jetzt nach Dodge City auf, Mister Parker?« fragte der Anrufer. »Einen entsprechenden Vorschlag wird man Mylady unverzüglich unter breiten, Mister Pickett«, versprach der Butler. »Hoffentlich kommen Sie noch rechtzeitig, um Blutvergießen zu verhindern, Mister Parker.« »Am entsprechendem Bemühen wird man es keineswegs fehlen lassen, Mister Pickett. Im übrigen darf man möglicherweise die Bitte äußern, daß Sie der >Natter< weiterhin Ihre geschätzte Aufmerksamkeit widmen, bis Mylady bei Ihnen eintrifft«, ließ Parker sich vernehmen. »Sie können sich hundertprozentig auf mich verlassen, Mister Parker«, versicherte Pickett und hängte ein. »Ich gehe sofort Mylady wecken«, 32
bot Kathy Porter an, als der Butler die Neuigkeit mitteilte. »Ihr freundlicher Vorschlag kommt einer Bitte meiner Wenigkeit zuvor, Miß Porter«, erklärte Parker mit höflicher Verbeugung. Während die junge Dame rasch die geschwungene Freitreppe hinaufstieg, lenkte der Butler würdevoll seine Schritte in Richtung Souterrain. Dort lag neben seiner kleinen Wohnung, wo Parker seine wenigen freien Stunden verbrachte, ein Raum, den Lady Agatha manchmal spöttisch als >Mister Parkers Labor< bezeichnete. Genaugenommen handelte es sich um eine vielseitig eingerichtete Werkstatt, in der der Butler mit elektronischen Neuheiten experimentierte und jene Überraschungen austüftelte, über die schon mancher Gangsterboß gestolpert war. An den sorgfältig geordneten Regalen und Schubladen versorgte sich Parker mit nützlichen Kleinigkeiten, ehe er gemessenen Schrittes in die weitläufige Wohnhalle zurückkehrte. »Kathy scheint Schwierigkeiten zu haben, Parker«, empfing Rander ihn mit besorgter Miene. In der Tat hielten die Geräusche aus dem Obergeschoß unvermindert an. Gleich darauf erschien Myladys attraktive Gesellschafterin am Treppenabsatz und zeigte eine Geste der Hilflosigkeit. »Ich bekomme Mylady beim besten Willen nicht wach«, bekannte die junge Dame. »Sie schnarcht so laut, daß sie nichts anderes hört.« »Dann brechen Parker und ich allein auf, Kathy«, entschied der Anwalt. »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« »Und ich soll wieder als Babysitter zurückbleiben und Blitzableiter spielen, wenn Mylady erwacht«, beklagte sich die unternehmungslustige Kathy. »Ihr könnt nachkommen«, schlug Rander vor. »Schwacher Trost«, erwiderte seine Begleiterin, schickte sich aber ins Un vermeidliche, nachdem Parker ihr den Weg zum Westernpark Dodge City er klärt hatte. »Aber seid vorsichtig, wenn ihr dort ankommt«, mahnte der Anwalt. »Mit den Burschen, die Cunningham in Marsch gesetzt hat, ist vermutlich nicht zu spaßen.« »Genau dasselbe könnte ich dir auch raten, Mike«, entgegnete Kathy Porter. In ihrer Stimme schwangen unüberhörbar Trotz und Enttäuschung mit. Trotzdem bekam Rander unter der Haustür noch einen Abschiedskuß, während Parker schon zum hochbeinigen Monstrum schritt. * Frank Hatfields Wohnhaus lag gut fünfhundert Schritt von den Gebäuden des Westernparks entfernt, abseits an einem Wiesenhang. Im Gegensatz zu den im Blockhausstil errichteten Bauten der kleinen Rodeostadt handelte es sich jedoch um einen phantasielosen Bungalow, den eine Fertighausfirma hierher verpflanzt hatte.
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Das aus vorfabrizierten Platten zusammengesetzte Haus verfügte allerdings über ein massives, voll ausgebautes Kellergeschoß mit zwei Fenstern zur Talseite. Josuah Parker und Mike Rander hatten das hochbeinige Monstrum gut getarnt hinter einem Holunderbusch abgestellt und näherten sich ihrem Ziel zu Fuß. Die Dunkelheit schluckte ihre Gestalten, das feuchte Gras der Wiese ihre Schritte. »Sie sind wirklich gefahren wie der Teufel, Parker«, flüsterte der Anwalt. »Cunninghams Leute scheinen noch gar nicht hier zu sein.« »Ein Umstand, den man nur begrüßen kann, Sir«, bemerkte der Butler. Inzwischen hatte man die hohe Ligusterhecke erreicht, die das Haus als Sichtschutz umgab. Geräuschlos bog Parker die Zweige auseinander und spähte hindurch. Wenn Cunningham wirklich seine Killerkommandos nach Dodge City entsandt hatte, woran der Butler keine Sekunde zweifelte, war man den Gangstern tatsächlich zuvorgekommen. Vor dem Haus stand nur ein Ge ländewagen japanischer Bauart, bei dem es sich um Hatfields Fahrzeug handeln mußte. Dünne Lichtstreifen sickerten durch die Rollos aus den Fenstern im Wohngeschoß. Wesentlich hellerer Lichtschein fiel aus den Kellerfenstern. Allerdings war auch dort kein Einblick möglich. Die Scheiben bestanden aus Milchglas. »Meine Wenigkeit würde zunächst das Kellergeschoß in Augenschein nehmen, Sir«, raunte Parker dem Anwalt zu, nachdem er eine Weile auf merksam die Ohren gespitzt, aber nicht die Andeutung eines verdächtigen Geräusches vernommen hatte. »Dann könnte ich mich in der Wohnung umsehen, Parker«, erwiderte Rander im Flüsterton. »Ein Vorschlag, dem man unverzüglich nähertreten sollte, falls die An merkung erlaubt ist, Sir«, bestätigte der Butler und setzte sich lautlos in Bewegung. Die Wege der Männer trennten sich für kurze Zeit. Noch immer war von den Killern der >Natter< nichts zu hören und nichts zu sehen. Die stählerne Kellertür, vor der Parker gleich darauf stand, war zwar durch ein modernes Zylinderschloß gesichert, aber ein ernst zu nehmendes Hindernis stellte sie trotzdem nicht dar. Seelenruhig zog der Butler sein handliches Universalbesteck aus der linken Außentasche des schwarzen Covercoats und wählte mit sicherem Griff die passende Metallzunge. Das zierliche Werkzeug erinnerte zwar auf den ersten Blick an das Besteck eines passionierten Pfeifenrauchers, die Einsatzmöglichkeiten waren aber ungleich vielseitiger. Insbesondere hatte es sich schon oft als >Sesam-öffnedich< bewährt. Seine Qualitäten zeigten sich auch jetzt, als Parker die elastische Metallzunge vorsichtig in den Schlitz gleiten ließ und dem Mechanismus ein paar Sekunden gut zuredete. Langsam drückte der Butler die 34
schwere Tür auf und stand gleich darauf in einem unbeleuchteten Vorflur. Der kurze Gang führte an der Heizungsanlage vorbei in den großen Keller, der zu dieser späten Abendstunde noch hell erleuchtet war. Obwohl es hier keine weitere Tür, sondern nur einen schweren Wollvorhang gab, nahm Parker zunächst keine Geräusche wahr. Erst als er den Atem anhielt, wurden Geräusche eines Menschen hörbar, der sich hinter dem Vorhang befinden mußte. Dann drang leises Zischen wie von einer Gasflamme an das Ohr des Butlers sowie leises Klirren von Glas. Millimeter für Millimeter schob Parker mit der schwarz behandschuhten Rechten den Vorhang ein Stück zur Seite und riskierte einen Blick. Frank Hatfield war viel zu beschäftigt, um den Eindringling wahrzunehmen. Was vor den Augen des Butlers lag, war eine Art chemisches Labor. Die Ausstattung mit einer leistungsfähigen Destillieranlage und das Vorhan densein von mehreren großen Ballonflaschen reinen Alkohols ließen darauf schließen, daß Hatfield sich mit der Destillation von pflanzlichen Wirkstoffen im großem Stil befaßte. Um welche Wirkstoffe es dabei ging, war Parker sofort klar, als er die dicken Bündel getrockneter Pflanzen im Hintergrund des Raumes erblickte. Das war eindeutig Cannabis, in einschlägigen Kreisen auch als Marihuana oder unter dem Tarnnamen >Gras< bekannt. Doch ehe der Butler weitere Einzelheiten registrierte, wurde seine Auf merksamkeit durch ein kaum hörbares Motorengeräusch in Anspruch ge nommen, das von draußen hereindrang und gleich darauf verstummte. Hatfield, der in diesem Augenblick aufgestanden war und mit den ra schelnden Pflanzenbüscheln hantierte, hatte nichts mitbekommen. Das leise Kratzen an der Haustür hörte der eifrige Feierabend-Chemiker ebensowenig wie die vorsichtig tastenden Schritte, die gleich darauf das Wohngeschoß durchquerten. Ahnungslos kehrte der Hausherr an seinen Arbeitstisch zurück und machte Notizen auf einem Block, während Parker auf seinem Lauschposten ausharrte und die Aufmerksamkeit verdoppelte. Hatfield hatte gerade nach einem Glaskolben mit einer schwarzen, teer ähnlichen Flüssigkeit gegriffen und hielt ihn gegen das Licht, als Cunning hams Männer die Treppe herabkamen und sich breitbeinig hinter dem voll beschäftigten Laboranten aufbauten. Schon die Masken, die sie trugen, ließen auf wenig freundliche Absichten schließen. Die Maschinenpistolen, die die Killer im Anschlag hielten, un terstrichen diesen Eindruck jedoch auf wirkungsvolle Weise. * Frank Hatfield fiel vor Schreck der gläserne Kolben aus der Hand, als einer der Männer sich unvermittelt räusperte. Im Zeitlupentempo setzte er seinen Drehstuhl in Bewegung und wandte sich den Maskierten zu. Sein
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sonnengebräuntes Gesicht wurde schlagartig aschfahl, während er langsam die Hände hob. »Hätteste nich gedacht, was?« meinte der stämmigere der beiden Killer hämisch. »Ich... ich...« Hatfield blickte ratlos durch die goldgeränderten Gläser seiner Brille. Deutlich sah Parker die winzigen Schweißperlen auf der Stirn des Drogenproduzenten. »Sieht so aus, als wäre unsere Warnung nicht deutlich genug gewesen, Hatfield«, stellte der zweite Gangster in schneidendem Ton fest. »Der Chef hat es nicht gern, wenn man ihm in die Suppe spuckt.« »Aber...«, setzte Hatfield an. »Nichts aber«, schnitt ihm der Stämmige das Wort ab. »Mündlich wird bei uns nur einmal gewarnt. Dann folgen Taten, klar?« »Aber ihr könnt mich doch nicht einfach umlegen!« stieß der Hausherr verzweifelt hervor. »Können wir schon, Hatfield«, gab der Killer ungerührt zurück und stimmte ein polterndes Gelächter an. »Aber heute wollen wir nur ein bißchen aufräumen.« »Aufräumen?« fragte der Feierabend-Chemiker irritiert. »Das ist unsere letzte Warnung«, erläuterte sein Gegenüber. »Wenn die nicht hilft, werden wir dich spicken wie einen Rehrücken - mit Blei allerdings.« »Los, beiseite!« herrschte jetzt der zweite Killer den vor Angst schlotternden Mann an. Gehorsam kam Hatfield der Aufforderung nach und wich ein paar Schritte zurück. Dabei geriet er so nahe an den Vorhang, daß Parker ihn mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können. In der nächsten Sekunde hämmerten beide Maschinenpistolen los. Mün dungsfeuer blitzte grell. Ehe Hatfield ein Wort hervorbringen konnte, war von seiner teuren La boreinrichtung nur noch ein Trümmerhaufen übrig. »Und leg es nicht drauf an, daß wir noch mal kommen müssen, Hatfield«, drohte der untersetzte Killer. »Dann bist du nämlich selber dran!« Anschließend wandten sich die Maskierten zum Gehen und steuerten die Treppe an, die zu Hatfields Wohnräumen führte. Der Butler sorgte jedoch dafür, daß der Abgang der Gangster ausgesprochen unprogrammgemäß verlief. In seinem Versteck hatte Josuah Parker längst einen kleinen Sicherungshebel am Griff des schwarzen Universalschirmes gelöst und anschließend die bleigefüllte Spitze des Regendachs rechtwinklig zur Seite geklappt. Dadurch entpuppte sich der Schaft des Schirmes als Lauf, aus dem der Butler kleine gefiederte Pfeile verschießen konnte. Angetrieben wurden die kaum stricknadelgroßen Geschosse von einer Patrone mit komprimierter Kohlensäure, die sich in den schwarzen Stoffalten verbarg. Der erste Pfeil schwirrte aus dem Rohr, glitt unhörbar an dem ahnungslosen Frank Hatfield vorbei und suchte unbeirrbar sein Ziel
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Vor Überraschung stieß der Gangster einen spitzen Schrei aus, als er den Einstich in seiner Wade verspürte. Irritiert wandte er sich um und stieß prompt den nächsten Schrei aus, der eindeutig das Prädikat >gellend< ver diente. Die Augen des Maskierten schienen aus den Höhlen springen zu wollen. Zitternd beugte er sich nach hinten und wollte das bunt gefiederte Geschoß herausziehen. Daß ihm dabei die Maschinenpistole entglitt und polternd über die Stufen rutschte, schien den Mann nicht weiter zu interessieren. Das konzentrierte, aber unschädliche Betäubungsmittel pflanzlicher Herkunft, mit dem Parker die Pfeilspitzen wie stets präpariert hatte, entfaltete bereits seine Wirkung. Ehe der Mann sich aus dem Geschehen zurückzog, wollte er jedoch unbe dingt eine Pirouette auf einem Bein probieren. Da dem ungeübten Tänzer bereits die Sinne schwanden und er unglücklicherweise auch noch auf den ersten Stufen der Treppe stand, endete das ehrgeizige Unterfangen mit einem totalen Mißerfolg, was man nur als kläglich bezeichnen konnte. Torkelnd landete der Gangster in dem Scherbenhaufen, der von Frank Hatfields Labor noch übrig war. Die unbequeme Unterlage störte ihn nicht im geringsten. Mit einem erlösten Seufzer machte er es sich für ein Nickerchen bequem. Über das Gesicht des Killers, von dem die Maske gerutscht war, glitt ein Lächeln. Auf seinen Komplizen, der schon einige Stufen voraus war, übte die trotz gewisser Schwächen ungemein wirkungsvolle Darbietung eine unübersehbare Faszination aus. Interessiert drehte er sich um und kam langsam wieder die Treppe herab. Seine martialische Waffe hielt er schußbereit im Anschlag. Gerade wollte Parker auch den zweiten Killer mit einem Pfeil erfreuen, da sackte der Mann schon stöhnend in sich zusammen. Nach dem Reinfall, den sein Begleiter mit klassischer Tanzkunst erlebt hatte, entschied er sich für eine humoristische Einlage, die zeitweise an orientalischen Bauchtanz erinnerte. Der temperamentvolle Auftritt strapazierte die Kräfte des Gangsters jedoch derart, daß er schon nach wenigen Sekunden von der Bühne abtrat und wie ein nasses Handtuch über einem demolierten Labortisch hängen blieb. »Pardon, Parker. Bin ich Ihnen zuvorgekommen?« erkundigte sich Mike Rander, der gleich darauf die Stufen herabkam. Er hatte am oberen Treppenabsatz gestanden und den Killer mit einem Handkantenschlag außer Gefecht gesetzt, als dieser ihm gerade den Rücken zuwandte. »Keineswegs und mitnichten, Sir«, erwiderte der Butler und trat in wür devoller Haltung hinter dem Vorhang hervor. »Man erlaubt sich, für die freundliche Unterstützung in aller Form zu danken.« »Mi... Mister Parker?« stammelte Frank Hatfield mit aufgerissenen Augen.
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»Die vergangenen Minuten dürften Ihnen ausgesprochen eindringlich ge zeigt haben, mit welchen Risiken es verbunden ist, die Londoner Drogenmafia zu reizen, Mister Hatfield«, erwiderte Parker mit unbewegter Miene. »Darf man vermuten, daß dies nicht Ihr erster Kontakt mit Abgesandten der >Natter< war?« »Die >Natter< - wer soll das denn sein?« erkundigte sich der Hausbesitzer verwirrt. »Mister Parker spricht von einem Mann namens John Cunningham, der in der Drogenszene als >Die Natter< bekannt und gefürchtet ist«, schaltete der Anwalt sich ein. »Nie gehört«, schüttelte Hatfield den Kopf. »Aber kann schon sein, daß diese ... diese >Natter< hinter den Drohungen steckt.« »Möglicherweise darf man Sie bitten, die erwähnten Drohungen etwas ausführlicher zu schildern, sobald meine Wenigkeit die beiden Herren hier an einen sicheren Platz gebracht hat, Mister Hatfield«, sagte der Butler und machte sich unverzüglich ans Werk. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er mit Mike Rander die ausgesprochen entspannt wirkenden Killer in den Heizungskeller geschleift und die stählerne Feuerschutztür sorgfältig verriegelt hatte. Anschließend verließ man das verwüstete Kellerlabor, um das Gespräch in Hatfields luxuriös eingerichtetem Wohnraum fortzusetzen. »Hatte Pickett nicht zwei Wagen von Cunninhams Hof fahren sehen, Parker?« wollte der Anwalt wissen, während das Trio in verschwenderisch gearbeiteten Sesseln aus weißem Leder Platz nahm. »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Obwohl das zweite Fahrzeug auch ein anderes Ziel gehabt haben könnte, sollte man mit dem Eintreffen weiterer Gangster uneingeschränkt rechnen.« »Was?« fuhr der Hausherr mit allen Anzeichen des Entsetzens auf. »Da kommen noch mehr?« »Ich kann ja nach draußen gehen und vorsichtshalber Ausschau halten, Parker«, schlug Rander vor. »Ein Angebot, das man mit Dankbarkeit vermerkt, Sir«, erwiderte Parker. Während der Anwalt lautlos die Haustür hinter sich zuzog und im dunklen Garten untertauchte, wandte der Butler seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem auf Abwege geratenen Westernpark-Betreiber zu. * Hatfield schien den Eindruck gewonnen zu haben, daß Parker ohnehin alles wußte, was den Drogenanbau auf dem Gelände des Westernparks Dodge City anging. Er erzählte frei von der Leber weg, wobei aber vermutlich auch die Tatsache eine Rolle spielte, daß der Auftritt des Killerduos ihn in einen schockähnlichen Zustand versetzt hatte. »Die erste Drohung erhielt mein Kompagnon Alan Bold, als er letzte Woche mit einer Probe von unserem 38
>Gras< nach London fuhr und Kontakte zu Abnehmern knüpfen wollte«, be richtete der Rodeo-Veranstalter. »In einer Kneipe drückten ihm zwei Männer plötzlich Revolverläufe in den Rücken. Sie sagten, wenn er sich noch mal in der Gegend sehen ließe, würden sie abdrücken.« »Eine Drohung die man durchaus ernst und wörtlich nehmen sollte, Mister Hatfield«, warf der Butter ein. »Seit einer halben Stunde weiß ich das auch«, nickte der Hausherr depri miert. »Hätte ich Alan nur daran gehindert, in die Stadt zu fahren!« »Kann und muß man Ihre Äußerung so verstehen, daß Mister Bold einen erneuten Versuch unternehmen wollte, in die Drogenszene einzudringen?« hakte Parker nach. »Ich habe ihn gewarnt, als heute nachmittag der Anruf kam«, teilte Hatfield mit. »Das war gerade während des Jedermann-Rodeos. Aber Alan lacht nur, und gleich nach der Show ist er gefahren.« »Meine Wenigkeit war bisher der Ansicht, Mister Bolds Fehlen im Saloon wäre mit der offenkundig beabsichtigten Benutzung scharfer Pfeile in Zusammenhang zu bringen, Mister Hatfield«, wandte der Butter mit un bewegter Miene ein. Sein Gegenüber zuckte zusammen wie vom Stromschlag getroffen. Er senkte den Blick und sagte kein Wort »Des weiteren konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie es waren, der diese unsportliche Variante des Wettkampfes anordnete«, fuhr Parker fort und behielt den Drogenproduzenten scharf im Auge. Frank Hatfield schwieg weiterhin, aber sein Gesichtsausdruck ersetzte jedes verbale Geständnis. »Darf man an dieser Stelle möglicherweise die Frage anschließen, welchem konkreten Zweck das professionell ausgestattete Labor im Untergeschoß Ihres Hauses dient, Mister Hatfield?« wechselte der Butler das Thema. »Bisher habe ich nur eine bescheidene Menge Cannabisöl destilliert«, verriet der Feierabend-Chemiker. »Auf längere Sicht wollten wir dort unser Rohopium weiterverarbeiten.« »Darf man um Auskunft bitten, welche Ziele Sie mit der Produktion von Cannabisöl verfolgen?« fragte Parker. »Ich kann die berauschenden Alkaloide von zehn Kilogramm Pflanzen in einem Fläschchen unterbringen«, antwortete Hatfield. »Angewendet wird das Öl ähnlich wie Haschisch, nur ungleich sparsamer dosiert.« »... was wiederum Vorteile bei Transport und Vertrieb bietet, falls man sich nicht gründlich täuscht«, setzte der Butler hinzu, und sein Gesprächspartner nickte. »Wann erwarten Sie Mister Bold übrigens aus London zurück, Mister Hat field?« wollte Parker noch wissen. »Im Lauf der Nacht wollte er wieder hier sein«, teilte der Drogenproduzent mit. »Hoffentlich ist er nicht diesen Gangstern in die Hände gefallen.« »Eine Möglichkeit, mit der man unbedingt rechnen sollte, so unerfreulich sich das auch anhört«, gab der 39
Butler seine Einschätzung wieder. »Im übrigen ist gegebenenfalls die An merkung erlaubt, daß Sie und Ihr Kompagnon sich durch kriminelle Aktivitäten leichtfertig in Gefahr brachten und selbst Bereitschaft zeigten, sich durch Mord eines Mitwissers zu entledigen.« »Da ist eben ein Wagen gekommen, aber er ist zur Westernstadt raufgefah ren«, meldete Mike Rander, der gerade den Raum betrat. »Ob die mich da oben suchen?« mutmaßte Hatfield und zeigte deutliche Anzeichen von Nervosität. »Eine Frage, die man den Herren persönlich stellen sollte, falls man eine Anregung unterbreiten darf«, ließ Parker sich vernehmen. »Gute Idee«, stimmte der Anwalt zu. »Und was machen wir solange mit Hatfield?« »Man wird Mister Hatfield bitten, sich einstweilen hier im Hause aufzu halten«, antwortete der Butler. Gleichzeitig zog er ein Paar Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl aus der Tasche. Damit kettete er den nur verhalten protestierenden Westernpark-Besitzer am eisernen Treppengeländer fest und verließ anschließend mit Mike Rander das Haus. * Kein Mondschimmer milderte die Finsternis über der kleinen Westernstadt. Dennoch konnte Parker mit seinen scharfen Nachtvogelaugen schon von weitem erkennen, daß die Nachzügler ihr Fahrzeug vor den Stallungen abgestellt hatten, wo die Pferde von Dodge City untergebracht waren. Mit weiten Schritten schlugen der Butler und der Anwalt einen Bogen durch die nachtfeuchten Weiden, um sich dem Stallgebäude von der Rückseite zu nähern. »Da ist Licht«, flüsterte Mike Rander wenig später und deutete auf die schmalen Fenster. »Die Burschen werden doch nicht zum Pferdestehlen gekommen sein?« »Möglicherweise ist der Hinweis genehm, daß man sich nicht im amerika nischen Westen, sondern im Herrschaftsgebiet der Londoner Drogenmafia befindet, Sir«, gab Parker zu bedenken. »Insofern sollte man den Herren entsprechend abweichende Ziele und Arbeitsmethoden unterstellen.« Inzwischen hatte der Butler mit einer Behendigkeit, die keineswegs zu seinem würdevollen Auftreten paßte, ein Weidegatter überstiegen und näherte sich zielstrebig der Hintertür des Pferdestalles. Schon im Gehen zog er das handliche Universalbesteck aus einer der Außentaschen seines schwarzen Covercoats. Augenblicke später gab der simple, aber halbeingerostete Schließmechanismus knirschend seinen ohnehin aussichtslosen Widerstand auf. Zwar ließen die lange nicht geölten Scharniere ein leises Quietschen hören, als Parker vorsichtig die Tür aufzog, aber den Gangstern, die im vorderen Teil des Stalles beschäftigt waren, entging das verräterische Geräusch. Es wurde übertönt vom unruhigen 40
Schnauben und Scharren der Tiere, denen die nächtlichen Besucher offen kundig nicht geheuer waren. Zudem wurde die Aufmerksamkeit der Männer, die schweigend im Schein einer Taschenlampe hantiert hatten, in diesem Moment vom Nahen eines weiteren Autos voll in Anspruch genommen. Die Gangster schienen keine Verstärkung mehr zu erwarten. Das schlössen Parker und Rander eindeutig aus der Hektik, mit der die Unbekannten ihre Lampe ausknipsten und an einem der vorderen Fenster Posten bezogen. Einer von ihnen drückte rasch den Fensterflügel ein Stück auf, während der zweite eine langläufige Automatic aus der Schulterhalfter zog und entsicherte. »Warte, Brian«, raunte sein Komplize. »Laß sie noch näher rankommen.« Inzwischen war deutlich das Motorengeräusch des Wagens zu vernehmen, der mit aufgeblendeten Scheinwerfern direkt den Pferdestall ansteuerte. Der Butler und der Anwalt sahen sich gleichzeitig an, wobei Mike Rander breit grinste, während Parkers glattes Pokergesicht undurchdringlich wie immer blieb. Das konnte nur der Mini-Cooper sein, den Myladys attraktive Gesell schafterin benutzt hatte, um an den Ort des Geschehens zu gelangen. Gelassen zog der Butler ein weißes Plastikröhrchen aus der Tasche und zeigte es kurz seinem Begleiter, um ihn zu warnen. Der Anwalt wußte sofort, daß es sich um eine der Mini-Blitzlichtbomben handelte, die Parker in seinem Labor entwickelt und schon mehrfach erfolgreich eingesetzt hatte. Umgehend wandte er sich ab, schloß die Augen und bedeckte sie zusätzlich mit den Händen. Mit geschickter Bewegung knickte der Butler das Röhrchen in der Mitte und warf es in den vorderen Teil des Stalles, als der Wagen gerade stoppte und die Scheinwerfer verloschen. Die Wirkung des kleinen Wurfgeschosses war frappierend. Parker preßte sich die stahlgefütterte Melone vors Gesicht, um dem Lichtblitz zu entgehen, neben dem ein Halogenscheinwerfer wie eine trübe Funzel gewirkt hätte. Die Gangster dagegen traf das leuchtende Ereignis wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. Der gleißende Lichtschein, der nur für Sekundenbruchteile aufzuckte, war zuviel für ihre Sehnerven, die postwendend mit Arbeitsverweigerung reagierten. Völlig geblendet tappten die Männer hilf- und orientierungslos im Stall umher, bis Parker und Rander sich ihrer annahmen. Auf die Pferde übte der künstliche Blitz eine schockähnliche Wirkung aus. Ängstlich wiehernd bäumten sie sich in ihren Boxen auf. Die Tiere beruhigten sich jedoch schnell wieder, als die Männer ihnen gut zuredeten und weitere Schrecknisse ausblieben. »Da scheint ein Gewitter heraufzuziehen, Kindchen«, war Lady Agathas sonores Organ vor dem Stall zu vernehmen
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»Ich möchte nur wissen, wo Mister Parker steckt.« »Stets zu Diensten, Mylady«, ließ der Butler sich in gewohnter Höflichkeit vernehmen, während er aus der Stalltür trat und seine Herrin mit einer formvollendeten Verneigung begrüßte. * »Über Ihre Eigenmächtigkeiten unterhalten wir uns später noch, Mister Parker«, grollte die ältere Dame. »Was geht hier eigentlich vor?« »Zwei Gangster, denen man nur die übelsten Absichten unterstellen kann und muß, warten im Stall darauf, von Mylady verhört zu werden«, meldete der Butler. »Das Verhör wäre reine Zeitverschwendung, Mister Parker«, erklärte die passionierte Detektivin. »Darf man aus dieser Äußerung den Schluß ziehen, daß Mylady von einer Vernehmung keine neuen Erkenntnisse erwarten?« erkundigte sich Parker. »Daß als Auftraggeber der kriminellen Subjekte nur die Kreuzotter in Frage kommt, ist für eine Kriminalistin sonnenklar, Mister Parker«, prunkte Mylady mit dem Wissen, das sie Kathy Porter verdankte. »Was man keinesfalls bezweifeln möchte, Mylady«, gab der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung zurück. »Dennoch dürfte von gewissem Interesse sein, welche Art von Auftrag die Herren hier erfüllen sollten.« »Ist Ihnen das etwa nicht klar, Mister Parker?« tat Agatha Simpson überrascht, folgte dann aber doch in den Stall, was den Schluß nahelegte, daß sie selbst noch mit Unklarheiten zu kämpfen hatte. Die Hände mit stählernen Handschellen an die Eisenstäbe einer Futterraufe gekettet, machten die im Stroh sitzenden Gangster einen beinahe mitleiderregenden Eindruck. Wie blinde Bettler starrten sie ins Leere und jammerten laut. »Die gegenwärtige Irritation Ihrer Sehnerven dürfte in kurzer Zeit restlos verschwinden, falls der Hinweis genehm ist«, setzte Parker die Männer ins Bild. »Einstweilen muß und kann die Mitteilung genügen, daß Lady Simpson vor Ihnen steht und gewisse Fragen zu stellen beabsichtigt.« »Mann, ich sehe nur noch Sterne und Kreise«, beschwerte sich der links sitzende Gangster, ein kahlköpfiger Hüne von knapp fünfzig Jahren, in dessen Mund drei Stummelzähne ein einsames Dasein führten. »Stellen Sie sich gefälligst nicht so wehleidig an, junger Mann«, grollte Lady Agatha mit ihrem baritonal gefärbten Organ. »Sollten Sie sich weigern, vollständig und wahrheitsgemäß auf meine Fragen zu antworten, werde ich ausgesprochen ungehalten.« »Bleib mir doch mit deinen dämlichen Fragen vom Hals!« knurrte der Gangster. »So 'ne alte Schrulle hat mir gerade noch gefehlt.« Da er die resolute Lady nicht sehen konnte, entging dem Mann, daß Agatha Simpsons Gesicht sich puterrot verfärbte. Er war deshalb nicht wenig
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überrascht, als er eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen kassierte. Myladys muskulöse Rechte schmiegte sich ungestüm an die Wange des Gangsters. Postwendend stieß der Mann ein dumpfes Brüllen aus. Haltlos pendelte sein Kopf von einer Schulter zur anderen. Den gleichfalls zum zeitweiligen Nichtstun verurteilten Komplicen ließ diese handfeste Belehrung nicht unbeeindruckt. Der etwa zwanzig Jahre alte Ganove, dessen sommersprossiges Gesicht von kärglichem rotem Bartgestrüpp umrahmt wurde, hatte nicht nur den Schlag und die Schmerzäußerungen des Glatzköpfigen vernommen. Er hatte auch den Luftzug verspürt, als Myladys Hand dicht an seiner Nase vorbeifuhr. Erschrocken hatte er den Kopf eingezogen und zeigte keine Nei gung, den Zorn der Entrüsteten auf sich zu lenken. »Ich hoffe, die kleine Lektion hat Ihnen gezeigt, daß man eine Lady Simpson nicht ungestraft beleidigt«, kam die ältere Dame nach dieser kurzen Einlage zur Sache. »Mister Parker wird Ihnen die Fragen stellen.« »Mylady begehrt zu wissen, mit welchem Auftrag Sie hier in den Pferdestall eingedrungen sind«, fing der Butler routiniert den Ball auf, den seine Herrin ihm zugespielt hatte. »Wir sind eben Pferdenarren und wollten die lieben Tiere ein bißchen streicheln«, versuchte es der Glatzköpfige gleich mit einer faustdicken Lüge, was ihm prompt die nächste Ohrfeige eintrug, diesmal von links. Alles, was der Gangster daraufhin noch von sich gab, war langgezogenes Stöhnen. Anschließend ließ er den Kopf auf die Brust sinken und signalisierte damit überdeutlich, daß er das Interesse an der Unterhaltung verloren hatte. * »Wenn Sie nicht wünschen, daß ich meine Vernehmungsmethoden ver schärfe, kann ich Ihnen nur raten, unverzüglich mit der vollen Wahrheit herauszurücken, junger Mann«, herrschte die Detektivin den Sommer sprossigen an. »Wird's bald?« »Wir...« druckste der Mann herum, »wir... wollten eigentlich ein Pferd klauen, um ganz offen zu sein. Aber wir hatten uns schon entschieden, die Finger davon zu lassen, als Sie hier ankamen.« »Fast wäre ich geneigt, dem Lümmel das abzunehmen, Mister Parker«, meinte Agatha Simpson unschlüssig und blickte hilfesuchend zu ihrem Butler hinüber. »Aus der Ausrüstung, die die Herren mitgebracht haben, dürften Mylady völlig andere Schlüsse ziehen, falls der Hinweis erlaubt ist.« Parker hob einen gefüllten Benzinkanister vom Boden. »Brandbeschleuniger?« vergewisserte sich die Detektivin sachkundig. »Also Brandstiftung?« »Eine Möglichkeit, die Mylady zumindest nicht ausschließen dürften.« »Um diesen halbverrotteten Stall wäre es allerdings nicht besonders
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schade gewesen, Mister Parker«, bemerkte die Detektivin herablassend. »Gegebenenfalls darf man Mylady auf die Pferde aufmerksam machen, die in den Flammen umgekommen wären.« »... wenn ich die kriminellen Subjekte nicht auf frischer Tat ertappt hätte«, ergänzte Mylady aus ihrer sehr persönlichen Perspektive. Erst allmählich schien ihr das Ausmaß des teuflischen Plans aufzugehen, an dessen Ausführung Cunninghams Leute im letzten Moment gehindert worden waren. »Die armen, unschuldigen Tiere!« stieß Agatha Simpson hervor. Aber ihre Stimme klang keine Spur mitleidig, sondern wie das drohende Rollen eines fernen Erdbebens. Im nächsten Augenblick setzte sie mit einer energischen Handbewegung den perlenbestickten Pompadour in Marsch. Das Geräusch, das der Lederbeutel produzierte, als er sich nach kurzem Anflug auf der Schulter des Sommersprossigen niederließ, war dagegen eher als dumpfes Klatschen zu bezeichnen. Der rotbärtige Jüngling jaulte wie ein liebestoller Wolf bei Vollmond und glaubte, eines der Pferde hätte ihn getreten. Dieser Eindruck war um so verständlicher, wenn man an die Herkunft des schmiedeeisernen Glücks bringers denkt, den die ältere Dame in ihrem Pompadour aufbewahrt. Parker nutzte die kurze Pause, in der keiner der beiden Gangster, sich vernehmungsfähig zeigte, um seine Herrin über das Geschehen in Frank Hatfields Haus zu informieren. Lady Simpsons Stimmung wurde dadurch nicht gerade versöhnlicher. »Wie würde man in Lodge Kitty mit Kriminellen dieser Art verfahren, Mister Parker?« erkundigte sie sich. »Darf man vermuten, daß Mylady die berühmt-berüchtigte Kleinstadt namens Dodge City im sogenannten Wilden Westen zu meinen geruhen?« korrigierte der Butler auf seine höfliche Art. »Ich habe nichts anderes gesagt, Mister Parker«, erwiderte Agatha Simpson souverän und sprach Rander an, der bisher abseits gestanden und sich im Flüsterton mit Kathy Porter unterhalten hatte. »Mike, mein lieber Junge, Sie wissen doch, was für Gesetze in Lodge Kitty herrschten. Was hätte man mit solchen Schurken im Wilden Westen gemacht?« »Aufhängen«, gab der Anwalt lapidar Auskunft. »Egal, ob sie Pferde stehlen oder Feuer legen wollten.« »Sehr schön«, stellte die ältere Dame fest. »Traditionen soll man auf rechterhalten.« »Darf man um Auskunft bitten, wie Mylady diese Äußerung verstanden wissen möchten«, schaltete Parker sich wieder ein. »Nachdem die Schurken überführt sind, steht der Exekution im Morgen grauen nichts mehr im Weg, Mister Parker«, erklärte die resolute Lady mit energisch vorgeschobenem Kinn. »Ich werde der Hinrichtung übrigens persönlich beiwohnen.«
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»Hinrichtung?« fragte Kathy Porter entsetzt. »Hinrichtung?« echote der gerade wieder erwachte Glatzkopf, noch eine Spur entsetzter. »Es gibt doch bestimmt einen Galgen hier, Mister Parker?« fuhr Lady Agatha ungerührt fort. »Zwei sogar, Mylady«, teilte der Butter mit. »Sie befinden sich in knapp hundert Schritt Entfernung auf einer kleinen Anhöhe, falls der Hinweis genehm ist.« »Dann veranlassen Sie, daß die Delinquenten unverzüglich dorthin gebracht werden, Mister Parker«, verlangte die passionierte Detektivin. »Ich möchte keine Zeit verlieren.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte Parker mit einer ange deuteten Verbeugung, nahm den Ganoven die Handfesseln ab und half den schlaftrunken wirkenden Gestalten auf die Beine. »Darf man die Herren bitten, zum Galgenberg voranzuschreiten?« sagte der Butler, lüftete höflich die schwarze Melone und wies den vor Angst schlotternden Gangstern den angeblich letzten Weg. * Mit hängenden Köpfen stolperten die verhinderten Brandstifter zur Hü gelkuppe, wo sich zwei stilechte Galgen als schwarze Silhouetten vom Nachthimmel abhoben. Inzwischen schien das Duo die Sehfähigkeit wiedergefunden zu haben. Allerdings wurde die Orientierung erleichtert, weil der fast volle Mond durch die Wolken brach und die Szene in ein gespenstisch wirkendes Licht tauchte. Der glatzköpfige Hüne und sein rothaariger Begleiter zweifelten offenbar keinen Moment daran, daß die resolute Dame Ernst machen und auf Hin richtung durch den Strang bestehen würde. Von panischer Angst getrieben, unternahm der jüngere Ganove auf halbem Weg einen verzweifelten Ausbruchsversuch. Er kam jedoch nicht weit und bezahlte seinen Ungehorsam mit einer schmerzhaften Bauchlandung auf dem Schotterweg. Parker, der hinter dem Mann ging, war auf der Hut gewesen. Mit dem Bambusgriff seines schwarzen Universalschirmes hatte er dem Flüchtling förmlich die Beine unter dem Leib weggezogen. Auf den Kahlköpfigen übte der Zwischenfall eine abschreckende Wirkung aus. Er versuchte erst gar nicht, dem drohenden Schicksal zu entgehen, so daß man ohne weiteren Aufenthalt das Ziel erreichte. »Ich nehme an, Sie sind jetzt in vollem Umfang geständig«, sprach Mylady die Gangster an, die wie begossene Pudel unter den im Nachtwind schau kelnden Schlingen standen. »Spielt doch überhaupt keine Rolle mehr«, brummte der Hüne mit den Stummelzähnen deprimiert. »Wenn wir auspacken, knüpfen Sie uns auf, und wenn wir dichthalten, vermutlich auch.« »Selbstverständlich, junger Mann«, nickte Agatha Simpson und setzte ein 45
Lächeln auf, das man nur als maliziös bezeichnen konnte. »Dennoch sollten Sie die Gelegenheit nutzen und Ihr Gewissen erleichtern.« »Na gut«, lenkte der Ganove ein. »Wir wollten den Pferdestall in Brand stecken, um Hatfield, oder wie der Kerl heißt, endlich zur Vernunft zu bringen.« »Kann und muß Mylady davon ausgehen, daß Sie von einem Mann entsandt wurden, den man in der Szene >Die Natter< nennt?« schaltete der Butter sich ein. Der kahlköpfige Hüne zögerte einen Moment und bedachte die über ihm pendelnde Schlinge mit einem bekümmerten Blick, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. »Stimmt«, teilte er einsilbig mit. »Darf man im übrigen die Vermutung äußern, daß die >Natter< in Mister Hatfield einen unerwünschten Konkurrenten sieht, der vom Drogenmarkt ferngehalten werden soll?« wollte Parker weiter wissen. »Der Chef ist stinksauer auf den Typ«, meldete der Sommersprossige sich zu Wort. »Dennoch scheint die >Natter< bislang vor einem Mord zurückzuschrecken, falls man sich nicht gründlich täuscht«, redete der Butler weiter. »Ihre Kollegen, die vor einer Stunde in Mister Hatfields Haus eindrangen, hatten jedenfalls den Auftrag, das Labor zu zerstören, Mister Hatfield selbst aber zu schonen.« »Dafür steht Hatfields Kurier, dieser dreiste Alan Bold auf der Abschußliste«, teilte der Rothaarige ungefragt mit. »Wenn der Kerl das nächstemal in der Szene auftaucht, will der Chef ihn umlegen lassen. Als letzten Warnschuß für Hatfield sozusagen.« »Eine etwas ungewöhnliche Wortwahl, falls die kritische Anmerkung erlaubt ist«, entgegnete Parker. »Gemeinhin zeitigt ein Warnschuß keine tödlichen Folgen. Mylady dürften davon ausgehen, daß Mister Bold sich in akuter Gefahr befindet, sofern er überhaupt noch am Leben ist«, wandte der Butler sich an die Detektivin. »Hält der Bursche sich denn in London auf?« schaltete Mike Rander sich ein. »Mister Bold hat heute nachmittag Dodge City verlassen, um Kontakte in der Drogenszene zu knüpfen, Sir«, teilte Parker mit. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren und unverzüglich der >Natter< auf die Bude rücken«, schlug der Anwalt vor. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät.« »Eine Hoffnung, die man bedauerlicherweise nur als vage bezeichnen kann, Sir«, erwiderte der Butler. »Unsinn, Mister Parker«, zeigte sich Agatha Simpson zuversichtlich. »Ich bin noch nie zu spät gekommen.« »Eine Feststellung, der meine Wenigkeit keinesfalls widersprechen möchte, Mylady.« »Aber was mache ich mit den dreisten Subjekten hier, Mister Parker?« schien die ältere Dame ratlos. »Vielleicht fallt Ihnen etwas Hübsches ein.« »Gegebenenfalls sollte man den Herren Gelegenheit geben, noch eine Weile ungestört über ihren kriminellen 46
Lebenswandel nachzudenken» Mylady«, schlug der Butler vor. Wenig später hatte er die Ganoven mit zwei Rollen Paketklebeband so an die Galgenmasten gefesselt, daß sie die schwingenden Schlingen ständig vor Augen hatten. »Zu gegebener Zeit wird man die Polizei bitten, Sie aus dieser mißlichen Lage zu befreien«, versprach Parker, ehe er sich abwandte und seiner energisch ausschreitenden Herrin folgte. * Als Parkers hochbeiniges Monstrum und gleich darauf Kathy Porters MiniCooper an dem Eckhaus im Londoner Osten vorbeirollten, das Horace Pickett als derzeitigen Aufenthaltsort John Cunninghams bezeichnet hatte, war der Morgen nicht mehr fern. Von dem ehemaligen Eigentumsumverteiler, der es übernommen hatte, die >Natter< diskret zu beobachten, war weit und breit keine Spur zu entdecken. Das war nicht weiter verwunderlich, da Pickett unter wechselnden Masken zu operieren pflegte, die mitunter so perfekt waren, daß selbst der Butler sie erst beim zweiten Hinsehen durchschaute. Parker drehte deshalb noch eine Runde um den Block und wartete darauf, daß sein Mitarbeiter aus irgendeinem Torweg treten und sich zu erkennen geben würde. Doch diesmal blieb der sonst so zuverlässige Pickett un auffindbar. Da Agatha Simpson ohnehin eingenickt war, beschlossen Parker und Rander, das Gebäude näher in Augenschein zu nehmen. Kathy Porter half alles Protestieren nichts. Sie wurde dazu ausersehen, über den Schlaf der älteren Dame zu wachen. Es dauerte jedoch kaum zehn Minuten, bis die Männer zurück waren. »Das Haus ist völlig leer«, setzte der Anwalt die junge Dame ins Bild. »Und alles sieht nach übereiltem Aufbruch aus.« »Der feige Schurke hat also vor mir Reißaus genommen«, meldete Lady Agatha sich unvermittelt zu Wort und ließ ein herzhaftes Gähnen hören. »Eine Möglichkeit, die man nicht grundsätzlich ausschließen sollte, My lady«, ließ der Butler sich vernehmen. »Unter diesen Umständen dürfte es sich jedenfalls empfehlen, in Shepherd's Market auf eine Nachricht des ehrenwerten Mister Pickett zu warten.« »Glauben Sie, daß er Cunningham gefolgt ist, Parker?« wollte Rander wissen. »Eine Frage, die man aus der Erfahrung jahrelanger Zusammenarbeit eindeutig bejahen sollte, Sir«, antwortete Parker. »Ich wollte ja nicht an Picketts Pflichtbewußtsein zweifeln, Parker«, versicherte der Anwalt eifrig. »Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.« »Ein Wunsch, dem man sich nur ausdrücklich anschließen kann, Sir«, erwiderte der Butler. »Im übrigen ist möglicherweise die Anmerkung erlaubt, daß der ehrenwerte Mister Pickett
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erfahren und vorsichtig genug sein dürfte, um etwaigen Übergriffen der Unterwelt zu entgehen.« Zwanzig Minuten später trennten sich die Wege des Quartetts. Im ersten Morgengrauen verließen Kathy Porter und Mike Rander ihren Wagen vor dem Haus in der Curzon Street, das die Kanzlei und die Privatwohnung des Anwalts beherbergte. Parker und Lady Simpson fuhren das kleine Stück bis Shepherd's Market weiter. Schon vor dem Einbiegen in die stille Wohnstraße, an der Myladys reprä sentatives Stadthaus lag, hielt der Butler konzentriert nach möglichen Hin terhalten, nach verdächtigen Personen und Fahrzeugen Ausschau. Aber es fand sich nichts, was auf Aktivitäten der >Natter< hingedeutet hätte. In der Morgendämmerung bot Agatha Simpsons Anwesen einen fast ver träumten Anblick. Das ganze Viertel erwies sich wieder mal als Oase der Ruhe inmitten einer Millionenstadt, in der allmählich der Berufsverkehr losbrach. Wie trügerisch diese Ruhe war, sollte sich einige Zeit später erweisen. * Agatha Simpson hatte sich gleich nach der Rückkehr in ihr Studio zu rückgezogen, um noch ein wenig an ihrem taktischen Konzept zu feilen, wie sie es ausdrückte. Die Geräusche, die wenig später an Parkers Ohr drangen, verrieten jedoch eher eine andere Beschäftigung. Mittlerweile hatte der Butter alle Vorbereitungen getroffen, um seiner Herrin nach dem Erwachen ein opulentes Frühstück servieren zu können. Daß Mylady nicht zur gewohnten Zeit im Salon erschien, nahm er gelassen hin. Aber daß Mister Pickett sich noch immer nicht gemeldet hatte, bereitete ihm zunehmende Sorge. Als nach einer Weile an der Haustür geläutet wurde, lenkte Josuah Parker unverzüglich seine Schritte in die Diele, um nachzusehen. Es war jedoch nicht der ehemalige Eigentumsumverteiler, den er erwartete. Vor der Tür stand Mike Rander. Das Gesicht des ständig zu einem Scherz aufgelegten Anwalts wirkte ungewöhnlich ernst. In der Hand hielt er eine aufgefaltete Morgenzeitung, die er dem Butler gleich nach dem Eintreten reichte. »Das dürfte erklären, warum Cunningham heute nacht so eilig seine Wohnung geräumt hat, Parker«, bemerkte der Besucher und deutete auf einen Artikel, der in fetten Lettern die Überschrift trug: DROGENHÄNDLER BRUTAL ERSCHLAGEN Mit undurchdringlicher Miene überflog Parker den nicht sehr langen Text. »Vor einer Gaststätte im Stadtteil Wapping wurde in den späten Abend stunden der 36jährige Alan B. von zwei Männern angefallen und mit so genannten Totschlägern zu Boden gestreckt«, stand dort. »Der zufällig vor beikommenden Besatzung eines Polizeistreifenwagens gelang es, einem 48
der Täter an Ort und Stelle festzunehmen. Der Komplice konnte entkommen. Ärztliche Hilfe kam für Alan B. zu spät«, schrieb der Kriminalreporter weiter. »Die Polizei vermutet, daß er Opfer eines Machtkampfes zwischen Drogenhändlern wurde. In der Jacke des Toten fanden sich nämlich drei kleine Glasflaschen mit einer schwarzen, klebrigen Flüssigkeit, die ein Rauschgiftspezialist von Scotland Yard als Cannabis-Öl identifizierte. Alan B., der bisher in der Londoner Drogenszene nicht in Erscheinung ge treten war«, hieß es abschließend, »war alleinstehend und zuletzt als Sensationsdarsteller in einem sogenannten Westernpark beschäftigt. Was die Hintermänner der Tat angeht, tappt die Polizei noch im dunkeln. Sachdienliche Hinweise...« »Als Auftraggeber des Mordes dürfte niemand anders als die >Natter< in frage kommen, falls man eine Vermutung äußern darf«, meinte auch Parker und reichte dem Anwalt die Zeitung zurück. »Und Pickett?« wollte Rander mit besorgter Miene wissen. »Hat er sich inzwischen gemeldet, Parker?« »Man bedauert ausdrücklich, Ihnen keinen positiven Bescheid geben zu können, Sir«, erwiderte der Butler. »Dennoch sollte man die Hoffnung keinesfalls aufgeben.« »Er wird bestimmt gleich anrufen«, versuchte der Anwalt zuversichtlich zu erscheinen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Zwei Minuten später schlug tatsächlich das Telefon an, und es war Horace Pickett, der sich meldete. »Tut mir leid, daß ich Sie nicht früher anrufen konnte, Mister Parker«, schickte der Eigentumsumverteiler voraus. »Ich bin der >Natter< kreuz und quer durch London gefolgt und hatte zeitweise Mühe, den Anschluß nicht zu verlieren.« »Meine Wenigkeit ist außerordentlich erleichtert, Sie unversehrt und auf freiem Fuß zu wissen, Mister Pickett«, sagte Parker. »Dachten Sie etwa, ich wäre der >Natter< zum Opfer gefallen, Mister Parker?« gab der Anrufer amüsiert zurück. »Mister Bold, der für Mister Hatfield als Kontaktmann tätig war, ist in der Vergangenen Nacht der >Natter< zum Opfer gefallen, Mister Pickett«, teilte der Butler mit. Anschließend machte er seinen Gesprächspartner mit dem Inhalt der Zeitungsmeldung bekannt. »Der Fall trägt eindeutig Cunninghams Handschrift«, urteilte Pickett. »Das erklärt auch meine Beobachtungen, auf die ich mir bisher keinen Reim machen konnte.« »Darf man um Auskunft bitten, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Mister Pickett?« »Kurz vor Mitternacht hielt in der Nähe von Cunninghams Haus ein Taxi«, berichtete der einstige Eigentumsumverteiler. »Ein etwa dreißigjähriger Mann stieg aus, wartete, bis das Taxi abgefahren war, und verschwand dann eilig im Haus.« »Möglicherweise dürfte die Vermutung zutreffen, daß es sich dabei um 49
das entkommene Mitglied des Totschläger-Duos handelte«, warf Parker ein. »Zehn Minuten später schoß Cunninghams Wagen, ein silbergrauer Bentley, vom Hof«, setzte Pickett seinen Bericht fort. »Am Steuer saß der junge Bursche, der im Taxi angekommen war, auf dem Rücksitz ein älterer Mann, bei dem es sich eigentlich nur um Cunningham selbst gehandelt haben kann.« »Und es gelang Ihnen, die Spur der >Natter< zu verfolgen, Mister Pickett?« vergewisserte sich der Butler. »Er machte an insgesamt drei Stellen, die ich natürlich notiert habe, kurze Besuche von ein paar Minuten«, teilte der Anrufer mit. »Zuletzt hat die >Natter< sich vor dem Hotel >Beverley< an der Marylebone Road absetzen lassen. Dort hält er sich jetzt schon eine halbe Stunde auf.« »Eine Mitteilung, die man mit uneingeschränktem Interesse zur Kenntnis nimmt, Mister Pickett«, ließ Parker sich vernehmen. »Selbstverständlich wird man Mylady unverzüglich vorschlagen, das genannte Hotel aufzusuchen.« Daß die Dame des Hauses noch gar nicht zum Frühstück erschienen war und der Aufbruch deshalb auf sich warten lassen würde, behielt der Butler in seiner diskreten Art für sich. »Ich werde hier auf dem Posten bleiben, bis Sie eintreffen, Mister Parker«, versprach der Eigentumsumverteiler und hängte ein. »Vielleicht sollten Sie den Versuch unternehmen, Mylady zu wecken, Par ker«, schlug Mike Rander vor, nachdem der Butler ihn über das Telefonat mit Pickett informiert hatte. »Nicht, daß uns der Vogel noch davonfliegt.« »Ihre Anregung verdient es zweifellos, unverzüglich aufgegriffen zu werden, Sir«, antwortete Parker und stieg würdevoll über die geschwungene Treppe ins Obergeschoß. Oben mußte sich der Butler vernehmlich räuspern und sogar an die Tür pochen, bis Mylady die geräuschvolle Arbeit an ihrem taktischen Konzept unterbrach und sich meldete. Doch dann ging alles sehr schnell. Zehn Minuten später erschien die Hausherrin im Salon, wo Parker inzwischen den Frühstückstisch gedeckt hatte, und begrüßte Mike Rander mit einer Freundlichkeit, die herzlich wirkte. »Ein Gangster kann noch so brutal und raffiniert sein. Mir entgeht er nicht«, warf Agatha Simpson sich in die ohnehin füllige Brust, während sie den Köstlichkeiten zusprach, die der Butler servierte. Eine halbe Stunde später verließ das Trio das Haus. Parker schaltete mit routinierten Handgriffen die hauseigene Fernsehüberwachungsanlage ein, die in einem Wandschrank im verglasten Vorflur untergebracht war. Als Sekunden später das kristallklare Bild auf dem kleinen Monitor auf leuchtete, sah der Butler mit einem Blick, daß die Vorsichtsmaßnahme sich wieder mal gelohnt hatte. »Bedauerlicherweise sieht man sich genötigt, um Verständnis für einen kurzen Aufschub zu bitten«, teilte Parker
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seiner Herrin und dem Anwalt mit, die gerade plaudernd aus der Wohnhalle traten. * Der metallicblaue Buick parkte unmittelbar gegenüber der Einfahrt. Die Männer auf den Vordersitzen schienen es geradezu darauf abgesehen zu haben, daß man sie bemerkte. Sie hatten die Seitenfenster gesenkt und das Radio voll aufgedreht. Von Zeit zu Zeit sahen die Unbekannten zum Haus herüber und spielten dabei demonstrativ mit langläufigen Pistolen. »Sieht nach purer Einschüchterung aus«, bemerkte Mike Rander nach einem Blick auf das Fernsehbild. »Vermutlich will man Sie davon abhalten, das Haus zu verlassen.« »Eine Vermutung, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit bean spruchen dürfte, Sir«, räumte der Butler ein. »Dennoch sollte man die Mög lichkeit in Betracht ziehen, daß es sich bei dem auffälligen Verhalten der Her ren um ein Ablenkungsmanöver handelt.« »Sie rechnen also mit versteckten Scharfschützen, Parker?« vergewisserte sich der Anwalt. »In der Tat, Sir«, bestätigte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung und stieg gemessen und würdevoll die Treppe ins Obergeschoß hinauf. Wenig später hatte er den weitläufigen Dachboden erreicht und öffnete langsam eines der kleinen Fenster zur Straße. Die Männer im Buick spielten noch immer mit ihren Mordwerkzeugen und produzierten nebenbei dicke Wolken von Zigarettenqualm. Versteckte Scharfschützen waren auch von hier oben nicht zu erkennen. Aber in den dichtbelaubten Kronen der Straßenbäume, hinter Mauervorsprüngen und Hecken gab es reichlich Möglichkeiten zur Tarnung. Gelassen zog der Butter die Gabelschleuder aus einer der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats. Dabei handelte es sich im Prinzip um eine Zwille, wie auch manche Lausbuben sie benutzen. Parkers Spezialanfertigung war diesen primitiven Geräten jedoch an Reichweite und Treffsicherheit überlegen. Sorgfältig plazierte er eine hartgebrannte Tonerbse in der ledernen Schlaufe und strammte die starken Gummistränge. Sekunden später glitt das winzige Geschoß davon und steuerte geräuschlos sein Ziel an. Der Buick-Lenker, der mit seiner langläufigen Waffe gerade filmreife Geschicklichkeitsübungen am offenen Wagenfenster zeigte, jaulte wie ein getretener Hund, als die tönerne Kugel sein Handgelenk erreichte. Reflexartig zog er die Hand zurück, als hätte er unversehens eine Starkstromleitung berührt. Die Automatic entglitt seinen Fingern und landete polternd auf dem Straßenpflaster. Augenblicklich glitten die Seitenscheiben des Straßenkreuzers in die Höhe. Eine Minute geschah überhaupt nichts. Dann hatte der Gangster wieder Mut gefaßt und stieß ruckartig die 51
Wagentür auf. Er ahnte nicht, daß Parker seine Zwille längst >nachgeladen< hatte, diesmal mit einer etwas gewichtigeren Tonmurmel. Der Mann bückte sich gerade nach seiner Waffe, als der Butler den tönernen Gruß auf die Reise schickte. Ein dumpfes Brüllen wie von einem verwundeten Kampfstier wurde hörbar, als die Kugel eingehend den Ganoven massierte. Torkelnd versuchte der Mann noch, sich aufzurichten, doch dazu reichten die Kräfte nicht mehr. Röchelnd kippte er vornüber und streckte sich zu einer Verschnaufpause auf der Straße aus. Auf den Beifahrer übte dieser Zwischenfall, den er sich in keiner Weise erklären konnte, eine ausgesprochen aktivierende Wirkung aus. Knallend fiel die Fahrertür ins Schloß. Gleich darauf glitt der Gangster an der abgewandten Seite aus dem Fahrzeug und ging hinter der Motorhaube des Buick in Deckung. Sekunden später eröffnete der Mann das Feuer. Seine Automatic spuckte einen ganzen Hagelschauer an Geschossen aus, die gegen die Mauern des Hauses klatschten, von den gepanzerten Fen sterscheiben prallten und als jaulende Querschläger durch den Hof jagten. Fast gleichzeitig wurde es auch hinter den Mauerpfosten des stählernen Rolltores lebendig. Von seinem erhöhten Ausguckposten aus gewahrte der Butler zwei Männer, die sich dort verborgen hatten und nun eilig in Richtung Buick zurückzogen. Auch sie hatten langläufige Automatics in der Hand und deckten das Haus mit weiteren Salven ein. Mit unbewegter Miene sah Parker den Männern zu, wie sie den eindeutig schlaftrunkenen Fahrer zum Wagen zerrten und dabei wie wild um sich feuerten. Sekunden darauf war das schwer bewaffnete Quartett im Wagen. Der bisherige Beifahrer hatte sich ans Steuer gesetzt und ließ den Motor des Straßenkreuzers aufröhren. Gleichzeitig spannte der Butler die starken Gummistränge seiner Gabel schleuder, zum drittenmal. Jetzt lag allerdings eine kleine Papiertüte ab schußbereit in der Lederschlaufe. Parker hatte die Tüte zu einem Päckchen gefaltet, das von einem dünnen Gummiring zusammengehalten wurde. Die nicht gerade strapazierfähige Verpackung enthielt ein Dutzend sogenannter Krähenfuße. Dabei handelte es sich um Stahlnägel, die im Winkel zueinander verschweißt waren. Wie auch immer diese Krähenfuße auf dem Straßenpflaster landeten eine nadelscharfe Spitze zeigte stets nach oben und wartete nur darauf, sich in einen prall gefüllten Reifen bohren zu können. Gerade setzte sich der Buick auf durchdrehenden Pneus in Bewegung, da entließ der Butler sein Luftpostpäckchen. In hohem Bogen flogen die verpackten Krähenfüße über den anfahrenden Wagen hinweg und klatschten auf die Fahrbahn. Im selben Moment zerplatzte die Papiertüte und verstreute ihren Inhalt 52
über die ganze Straßenbreite, was für die Reifen des Straßenkreuzers ausge sprochen fatale Folgen hatte. Zischend entwich die Luft fast gleichzeitig aus allen vier Pneus. Der Fahrer ließ sich dadurch freilich nicht beirren, sondern gab weiterhin Vollgas. Dabei nahm er in Kauf, daß die Limousine auf blanken Felgen nur noch mühsam über das Pflaster humpelte und ihre Insassen gründlich durchrüttelte. Wenig später war der Wagen Parkers Blicken entschwunden. »Dem Aufbruch zum Hotel >Beverley< dürfte nun nichts mehr im Weg stehen, Mylady«, meldete der Butler, als er ins Erdgeschoß des Hauses zu rückkehrte. »Das wird auch höchste Zeit, Mister Parker«, erwiderte die passionierte Detektivin ungeduldig und wollte schon zur Tür hinaus. Doch in diesem Augenblick läutete das Telefon. * »Gut, daß ich Sie noch erreiche, Mister Parker«, meldete sich die vertraute Stimme Horace Picketts am anderen Ende. »Vor einer Dreiviertelstunde hat Cunningham das Hotel >Beverley< schon wieder verlassen. Ich bin ihm gefolgt und rufe jetzt vom Flughafen Heathrow an.« »Kann und muß man vermuten, daß die >Natter< sich ins Ausland absetzen will, Mister Pickett?« begehrte der Butler zu wissen. »Genauer gesagt: nach Kolumbien«, bestätigte der Eigentumsumverteiler a.D. »Ich habe mich mit in die Schlange am Schalter eingereiht und ihm dis kret über die Schulter gesehen. Die Maschine nach Bogota, in der er und sein Begleiter Plätze gebucht haben, startet in einer Stunde.« »Eine Nachricht, die Mylady zu größtmöglicher Eile veranlassen wird, falls man sich nicht täuscht, Mister Pickett«, sagte Parker und ließ sich noch die Nummer des Flugsteigs geben. »Glauben Sie denn, daß Sie es schaffen, Mister Parker?« erkundigte sich der Anrufer. »Oder soll ich lieber die Polizei alarmieren?« »Mit einem solchen Schritt dürfte Mylady keinesfalls einverstanden sein«, entgegnete Parker. »Er sollte sich auch erübrigen.« »Der Vogel will uns davonfliegen?« fragte Rander, sobald der Butler den Hörer aufgelegt hatte. »Sie sagen es, Sir«, bestätigte Parker. »Die >Natter< befindet sich bereits auf dem Flughafen und startet in einer Stunde. Angesichts des relativ schwachen Verkehrs zu dieser vormittäglichen Stunde dürfte es jedoch möglich sein, Heathrow rechtzeitig zu erreichen.« Eine Minute später rollte das hochbeinige Monstrum vom Hof. Agatha Simpson hatte ihren Stammplatz im behaglich gepolsterten Fond eingenommen. Mike Rander, dessen Austin mit Parkers schwarzem Kasten ohnehin nicht mithalten konnte, hatte seinen Wagen zurückgelassen und saß auf dem Beifahrersitz. Über die breite Durchgangsstraße 53
rollte tatsächlich nur geringer Verkehr. Ein Umstand, der es dem Butler erlaubte, die überlegene Technik seines altertümlich wirkenden Gefährts voll auszuspielen. Der bullige Rennmotor unter der eckigen Haube durfte sein Temperament aber erst ungehindert entfalten, als man die Autobahn M 4 erreicht hatte, die die schnellste Verbindung von der City zum Flughafen darstellte. Meile um Meile jagte das schwarze Vehikel über die sechsspurige Betonpiste in Richtung Westen. Fahrern hochgezüchteter Sportwagen fielen fast die Augen aus dem Kopf, wenn der schwerfällig anmutende Kasten wie ein leichtfüßiger Hirsch an ihnen vorbeizog. Mike Rander blickte immer wieder nervös auf seine Armbanduhr, aber Parker schaffte es. Als er von der Autobahn auf den Flughafenzubringer schwenkte, waren gerade erst dreißig Minuten Fahrzeit verstrichen. Niemand protestierte, als er gleich darauf sein Fahrzeug in der für Taxen reservierten Haltebucht zum Stehen brachte und seiner fülligen Herrin diskret beim Aussteigen half. Äußerlich wirkte der Wagen immer noch wie eine betagte Droschke, von denen im traditionsbewußten London noch etliche durch die Straßen rollten. Zielsicher durchquerte das Trio die weitläufige Eingangshalle und steuerte die Rolltreppen zu den Flugsteigen an. Ein Blick auf die Anzeigetafel belehrte Parker darüber, daß sich die Passagiere der Maschine nach Bogota gerade in der Zollabfertigung befanden. Am oberen Absatz der langen Rolltreppe wäre der Butler fast mit einem alten Mann mit eisgrauem Bart zusammengeprallt, der sich auf einen Krückstock stützte und ein Hündchen an der Leine führte. »Schön, daß Sie es so schnell geschafft haben, Mister Parker«, raunte der Greis dem Butler zu. »Cunningham hat gerade die Paßformalitäten erledigt und muß noch durch die Zollkontrolle. Bei seinem Begleiter handelt es sich übrigens um den jungen Mann, der ihn seit gestern abend kreuz und quer durch die Stadt gefahren hat.« »Eine Mitteilung, die keinesfalls überrascht, Mister Pickett«, erwiderte Parker, während sie langsam weiterschritten. »Immerhin dürfte den Ge nannten eine Anklage wegen Mordes erwarten, falls man nicht sehr irrt.« Gleich darauf wandte sich der frühere Eigentumsumverteiler wieder ab und studierte eingehend die Flugpläne. Agatha Simpson, Mike Rander und der Butler näherten sich dem Abfertigungsbereich. »Wo steckt denn dieses kriminelle Subjekt, Mister Parker?« wollte die re solute Lady wissen und ließ unternehmungslustig ihren perlenbestickten Pompadour kreisen. »Man hofft, Mylady kurzfristig einen konkreten Fingerzeig geben zu kön nen«, versicherte Parker, der den Gangster auch noch nicht entdeckt hatte. »Bestimmt hat der Lümmel sich
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verkrochen«, mutmaßte die Detektivin und blickte sich suchend um. »Hier kann er nirgends sein. Ich würde die Kreuzotter doch auf den ersten Blick erkennen.« »Darf man vermuten, daß Mylady die >Natter< zu meinen belieben?« kor rigierte der Butler auf seine höfliche Art. »Namen sind Schall und Rauch - wie auch immer, Mister Parker«, überging Mylady souverän den kleinen Unterschied. »Ich werde die ganze Schlangenbrut am Boden zertreten.« »Eine Ankündigung, die Myladys Tatkraft und Entschlossenheit in ein drucksvoller Weise dokumentieren«, gab Parker mit einer angedeuteten Verbeugung zurück und spähte am Schalter der Paßabfertigung vorbei in den Sperrbereich. Da! Der kahle Quadratschädel über den breiten Schultern... Das war ein deutig John Cunningham, die gefürchtete >NatterNat ter< tatsächlich gehofft hatte, unbemerkt 55
eine Schußwaffe mit an Bord nehmen zu können? Der gut fünfzigjährige Cunningham reagierte schnell, jedenfalls schneller als die deutlich jüngeren Zollbeamten, die in seiner Nähe standen und erst auf einen Einsatzbefehl zu warten schienen. Mit dem Tempo eines durchtrainierten Sportlers sprintete der untersetzte Gangster zurück in Richtung Paßkontrolle. Doch mitten im Lauf blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Entsetzt gewahrte er die Detektivin und ihren Butler, die ihm erwartungsvoll entgegensahen. Der Schock, den dieser Anblick der >Natter< versetzte, dauerte jedoch nur Sekundenbruchteile. Im nächsten Moment machte Cunningham auf dem Absatz kehrt und spurtete seitlich durch den Abfertigungsbereich. Auch sein Komplice suchte in der entgegengesetzten Richtung das sprichwörtliche Weite. »Warum unternehmen Sie denn nichts, Mister Parker?« reagierte die ältere Dame völlig außer sich. »Wollen Sie den Erfolg meiner Ermittlungen gefährden, indem Sie die Schurken einfach entwischen lassen?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, erwiderte der Butler und griff mit der schwarz behandschuhten Rechten nach der stahlverstärkten Krempe seiner Melone. Mit fast lässiger Handbewegung schickte er die halbkugelförmige Kopfbedeckung auf die Reise. Cunningham, der inzwischen mehrere Packtische übersprungen und zwei Absperrgitter mit formvollendeten Flanken überwunden hatte, wähnte sich schon fast in Sicherheit. Aber die fliegende Melone schwirrte ihm wie eine schwarze Frisbeescheibe nach. Elegant legte sich der rotierende Flugkörper in die Kurve und nahm Kurs auf den Hinterkopf des flüchtenden Gangsters. John Cunningham stieß einen Jaulton aus und warf die Arme in die Luft, als die Kante des Bowlers über seinen Schädel strich und die letzten grauen Borsten sauber wegrasierte. Postwendend zeigte die >Natter< deutliche Symptome einer akuten Gleichgewichtsstörung. Die Schritte des Gangsters wurden unsicher. Sein Oberkörper pendelte haltlos hin und her. Stolpernd schaffte Cunningham noch ein paar Meter, wobei er vorsichtig das rasch wachsende Hörn an seinem Hinterkopf abtastete. Doch die Kräfte verließen ihn zusehends. Auf einknickenden Knien schleppte er sich noch bis zu einem Gepäckför derband, auf dem gerade Koffer und Taschen aus einer Maschine heranrollten, die vor einer halben Stunde gelandet war. Anschließend ließ die >Natter< sich auf einer ledernen Hutschachtel nieder, die unter dem Gewicht des Gangsters schlagartig ein völlig neues Design gewann. Sein müdes Haupt bettete Cunningham auf einen Schalenkoffer, dessen Härte ihn aber nicht mehr zu stören schien. »Ist der Schurke doch entkommen.
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Mister Parker?« grollte die ältere Dame, der ein Blick auf das Gepäckband durch den Paßschalter verstellt war. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gab der Butler mit einer höflichen Verbeugung zurück. »Mister Cunningham dürfte Mylady kurzfristig am be nachbarten Flugsteig zur Verfügung stehen, sofern der Hinweis erlaubt ist.« Umsichtig geleitete Parker seine mißtrauische Herrin an das Ende des Förderbandes, wo die Gepäckstücke in einer Schleife an den wartenden Passagieren vorbeirollten. Beherzt setzte die energische Lady ihre Ellenbogen ein. Wo das nicht half, schaffte auch ein Tritt gegen ein störendes Schienbein freie Bahn. Sekunden später stand Agatha Simpson in der ersten Reihe. Alles, was da anrollte, trug Adressenanhänger einer US-amerikanischen Fluggesellschaft. Nur John Cunningham nicht. Daran konnte es aber nicht liegen, daß etliche Damen plötzlich hysterische Schreie ausstießen und eine von ihnen sogar in Ohnmacht fiel. Der Anblick des leblos wirkenden Gangsters zwischen Koffern und Taschen war zuviel für ihre Nerven. Agatha Simpson nahm diese leicht überzogenen Reaktionen mit einem mißbilligenden Blick zur Kenntnis, ließ sich aber nicht ablenken. Zielsicher packte sie die >Natter< beim Kragen und zerrte den nicht gerade leicht gewichtigen Gangster mit einem energischen Ruck zwischen den Gepäck stücken heraus. »Der gewissenlose Mensch hat sich schon ergeben, Mister Parker«, meldete Lady Agatha triumphierend. Nachdem sie ihren Griff gelockert hatte, war Cunningham haltlos zusammengesackt wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hat. »Mylady waren wieder mal absolut Spitze, wie es der Volksmund ausdrücken würde«, spendete Parker unter den fassungslosen Blicken der Umstehenden das Lob, das seine Herrin verdient zu haben glaubte. »Darf man möglicherweise um Auskunft bitten, wie Mylady weiter mit Mister Cunningham zu verfahren gedenken?« »Ein Gangster, der sich nicht mehr wehrt, ist kein Gegner für eine Krimi nalistin, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson mit verächtlichem Blick auf die immer noch ausgesprochen teilnahmslos wirkende >Natter< klar. »Den Rest kann von mir aus die Polizei erledigen.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, antwortete der Butler. Vorsichtshalber schränkte er Cunningham jedoch mit Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl in seiner Bewegungsfreiheit ein, ehe er nach der nächsten Telefonzelle Ausschau hielt. »Wo ist denn eigentlich Mike, der gute Junge?« fragte die Detektivin un vermittelt. »Eben war er doch noch hier.« »Mister Rander dürfte es übernommen haben, Mister Cunninghams Be gleiter zu verfolgen, falls man eine Vermutung äußern darf«, teilte Parker mit.
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»Hoffentlich ist ihm nichts passiert«, meinte die ältere Dame mit besorgter Miene. »Ich kann doch nicht auch noch auf den Jungen aufpassen, wenn ich ständig meine schützende Hand über Sie halten muß, Mister Parker.« »Myladys Fürsorge verpflichtet meine Wenigkeit zu tiefem Dank«, versi cherte der Butler in seiner unbeirrbaren Höflichkeit. Er war inzwischen auf eine dichte Menschenmenge aufmerksam geworden, die sich in einiger Entfernung gebildet hatte. Aufgeregte Stimmen schallten herüber. Gleich darauf schrillte eine Polizeipfeife. In der Gasse, die sich den anstürmenden Beamten öffnete, erschien Anwalt Mike Rander, der lächelnd die Krawatte zurechtrückte. Cunninghams Bodyguard lag am Boden und zeigte nur undeutliche Lebenszeichen. »Jetzt habe ich mir aber eine kleine Stärkung ehrlich verdient«, stellte die passionierte Detektivin tief befriedigt fest, als man wenig später an einem der weißgedeckten Tische im VIP-Restaurant des Flughafens Platz nahm. »Wir sind Ihnen für Ihren beherzten Einsatz natürlich außerordentlich dankbar, Mylady«, betonte der Leiter der Flughafenpolizei, der mitgekommen war, um zu erfahren, wen seine Leute da überhaupt festgenommen hatten. »Das setze ich voraus, junger Mann«, erwiderte Mylady mit
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herablassender Geste. »Ohne mich hätten Sie die Kreuzotter nie erwischt.« »Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei, während befrackte Kellner den ersten Gang eines opulenten Feinschmeckermenüs auftrugen. »Erinnern Sie mich daran, daß ich Scotland Yard die Rechnung schicke, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, noch ehe sie zur Gabel griff. »Was meine bescheidene Wenigkeit keinesfalls versäumen wird, Mylady«, versprach der Butler mit unbewegter Miene. ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 379 Edmund Diedrichs
PARKER rückt dem »Eisbär« auf den Pelz Lady Agatha verläßt den neueröffneten Supermarkt. Ein älterer Mann vor Parkers Wagen macht einen erschöpften Eindruck und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Die passionierte Detektivin wittert einen neuen Fall und nimmt sich des Bedauernswerten an, der an diesem strahlend schönen Tag total unterkühlt ist. Im altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd's Market erfährt man Erstaunliches über den neuen Gast: Ein Gangster namens Eisbär bringt seine Opfer in Kühlhäusern unter und zwingt sie dort, hohe Barschecks auszustellen. Während der »Eisbär« die Schecks einlösen läßt, bleiben die Opfer zur Sicherheit in der Kälte zurück. Agatha Simpson ist empört, erst recht, als sie telefonisch selbst zur Kasse gebeten wird. Sie animiert den Butler, dem »Eisbär« auf den Pelz zu rücken. Parker geht den Fall diskret an, bewahrt seine Herrin davor, Polarluft zu genießen und verschafft dem »Eisbär« eine denkwürdige Begegnung... Ein neuer BUTLER PARKER aus der Feder von Edmund Diedrichs. Sie sollten die Story lesen! Butler Parker erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 13. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Werterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: EX-PRESS-Verlag GmbH, Zehntwiesenstraße 5, 7505 Ettlingen 1. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung Porto- und Verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 2352,7550 Rastatt. ; Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Printed in Germany Scan, Korrektur und Layout – Herry – 25.09.02
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