Olaf Kühne Landschaft in der Postmoderne
SOZIALWISSENSCHAFT
Olaf Kühne
Landschaft in der Postmoderne Das Beispiel ...
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Olaf Kühne Landschaft in der Postmoderne
SOZIALWISSENSCHAFT
Olaf Kühne
Landschaft in der Postmoderne Das Beispiel des Saarlandes
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Lothar Bertels
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation FernUniversität Hagen, 2006
Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine Dissertation im Fach Soziologie im Fachbereich Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften der Fernuniversität in Hagen (gemäß der Promotionsordnung des Fachbereichs vom 31. Januar 2001) unter der Betreuung von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Bertels.
1. Auflage Juni 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann / Britta Göhrisch-Radmacher Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-6034-1 ISBN-13 978-3-8350-6034-0
Geleitwort Landschaft ist ein Wort, da zu unserem alltäglichen Wortschatz gehört. Landschaft ist aber auch ein Terminus, der spätestens seit Alexander von Humboldt in die Wissenschaft eingeführt wurde, und dort im Wesentlichen in der Geographie Resonanz fand. Während der Begriff der Postmoderne ± der zweite im Titel der vorliegenden Arbeit ± spätestens seit den 1970er Jahren in der Soziologie diskutiert wird, blieb Landschaft in der soziologischen Forschung lange Zeit unberücksichtigt. Doch ist im Zuge des so genannten spacial turns, der stärkeren Hinwendung zur raumbezogenen Forschung, der Soziologie in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Interesse an dem Forschungsgegenstand der Landschaft zu verzeichnen. In diesen Kontext ist die vorliegende Arbeit einzuordnen. Die zentralen Fragen dieser Arbeit sind: Wie konstruiert der Mensch Landschaft? Welche physischen Elemente wählt er für seine Konstruktion von Landschaft aus und welche nicht? Welche sozialen Einflüsse bestimmen den Prozess der Konstruktion von Landschaft? Und nicht zuletzt: Wie ist die Konstruktion von Landschaft mit dem physischen Raum rückgekoppelt? Der Rückgriff auf die Postmoderne stellt bei der vorliegenden Arbeit mehr als nur eine zeitliche Einordnung dar. Immer wieder wird begrifflich und methodisch auf die Überlegungen der postmodernen Philosophie, Sozial- und Raumwissenschaften Bezug genommen, was sich nicht zuletzt in einem Methodenpluralismus äußert. Die Betrachtungen berücksichtigen struktur- und systemanalytische Ansätze ebenso wie die Ergebnisse der von Olaf Kühne zu diesem Thema durchgeführten quantitativen und qualitativen Befragungen. Durch die Trennung von dem sozialen und individuellen Konstrukt von Landschaft und dem physischen Substrat, das das physische Ausgangsmaterial für das Konstrukt liefert, erhält der Autor zwei Bezugsebenen für seine Überlegungen wie die gesellschaftliche Postmodernisierung auf die Entwicklung von Landschaft wirkt. Auf der physischen Bezugsebene wird eine Polarisierung und Pluralisierung landschaftlicher Entwicklung sowohl im städtischen als auch im nichtstädtischen Umfeld zu einem komplexen Patchwork an Nutzungen (im Sine von poly- und monovalenten Landschaften) und Nicht-Nutzungen (nonvalenten Räumen) konstatiert. Auf der Ebene der sozialen und individuellen Konstruktion weist der Autor hier eine hohe Unterschiedlichkeit von Landschaftskonstruktion und Paradigmen des Umgangs mit Landschaft (sowohl hinsichtlich ihres physischen Substrats als auch ihrer Konstruktion) nach.
Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Bertels
V
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2005/2006 vom Fachbereich Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften der FernUniversität ± Gesamthochschule in Hagen als Dissertation angenommen worden. Auch wenn ich für die Urheberschaft dieser Arbeit verantwortlich zeichne, gibt es eine Reihe von Personen, die mir mit Rat und Milthilfe zur Seite standen. Dies betrifft zuerst Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Bertels (Hagen), der die Arbeit betreute und stets mit wertvollen Hinweisen zur Seite stand. Im Vorfeld wie auch im Verlauf der Untersuchung gab es zahlreiche Kollegen aus dem saarländischen Ministerium für Umwelt, der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz, der Technischen Universität in Kaiserslautern und der Universität des Saarlandes, die mir geholfen haben, die Fragestellung, die konzeptionelle Arbeit, die theoretische Fassung wie auch die Auswertung zu vertiefen und zu präzisieren. In besonderer Weise danke ich den Herren Axel Böcker und Eberhard Ritsch, die einerseits die Korrektur der Rechtschreibung übernommen und andererseits dem fast fertigen Manuskript durch gezieltes Nachfragen zum letzten Schliff verholfen haben. Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die sich an der quantitativen Befragung und an den qualitativen Interviews beteiligt haben, ohne sie hätte diese Arbeit nicht zustande kommen können. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Deutschen Universitäts-Verlag, der diese Arbeit in sein Programm aufgenommen und insbesondere durch die freundliche und kompetente Betreuung von Frau Britta Göhrisch-Radmacher als Lektorin unterstützt hat.
Olaf Kühne
VII
Inhaltsverzeichnis 1 Einführung _____________________________________________________________ 1 2 Wesentliche Merkmale der Postmoderne_____________________________________ 5 2.1 Leitmotive der Postmoderne _________________________________________ 5 2.1.1 Historische und terminologische Vorbemerkungen zur Postmoderne __________ 5 2.1.2 Leitmotive der wissenschaftlichen Postmoderne __________________________ 7 2.1.3 Postmoderne (Sprach-)Philosophie und die Frage der Wahrheit _____________ 12 2.1.4 Macht in der Postmoderne __________________________________________ 15 2.1.5 Die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft in der Postmoderne _______ 17 2.2 Merkmale der gesellschaftlichen Postmoderne _________________________ 21 2.2.1 Die Postmoderne in der Wirtschaft ___________________________________ 22 2.2.2 Die Postmoderne in der Politik_______________________________________ 24 2.2.3 Die Postmoderne in den sozialen Beziehungen __________________________ 29 2.2.4 Die Postmoderne in der Kultur_______________________________________ 35 2.3
Wesentliche Elemente der Postmoderne ± ein vorläufiges Fazit ___________ 40
3 Landschaft und Raum als Gegenstände sozialwissenschaftlicher Forschung ______ 43 3.1 Der Begriff des Raumes in der Soziologie ______________________________ 44 3.1.1 Die physikalische Strukturierung des Raumes: Der Behälterraum, der relationale Raum und der relative Raum _______________________________ 44 3.1.2 Der gesellschaftliche Raum _________________________________________ 45 3.1.3 Zur Vieldimensionalität der Entwicklung physischer und sozialer Räume _____ 47 3.2 Der Begriff der Landschaft in der Soziologie ___________________________ 48 3.2.1 Grundzüge einer soziologischen Landschaftsbefassung ___________________ 49 3.2.2 Landschaftsbewusstsein ____________________________________________ 54 3.2.3 Landschaft als sprachliches Phänomen ________________________________ 59 3.2.4 Der Begriff der Landschaft in der Soziologie ± ein vorläufiges Fazit _________ 61 3.3 Der Begriff der Landschaft in den Raumwissenschaften _________________ 61 3.3.1 Grundlagen des raumwissenschaftlichen Raumbegriffs ___________________ 61 3.3.2 Landschaftsbewertungsverfahren _____________________________________ 68 3.4
Ein soziologisches Konzept zur Landschaft ____________________________ 71
4 Die Entwicklung von Landschaften zur und in der Postmoderne ________________ 77 4.1
Zur historischen Entwicklung der Landschaft in Mitteleuropa ____________ 77
4.2 Landschaft und Raum in der Postmoderne ____________________________ 81 4.2.1 Strukturwandel und Landschaft: der Druck der Globalisierung______________ 82 4.2.1.1 Stadt und Region in der Globalisierung ___________________________ 84 4.2.1.2 Altindustrialisierung __________________________________________ 87 4.2.1.3 Entgrenzung von Räumen ± die postmoderne Agglomeration __________ 89 4.2.1.3.1 Grundzüge der Entgrenzung von Räumen ________________________ 89 4.2.1.3.2 Die Folgen der Entgrenzung für (ehemals) ländliche Räume _________ 93 4.2.2 Soziale Gemeinschaft im Raum ± innere Gliederungen der Stadt ____________ 95 4.2.3 Kulturalisierung und Ästhetisierung des Räumlichen _____________________ 99 4.2.4 Raum, Landschaft und Cyberspace __________________________________ 102 IX
4.2.4.1
Raumwirksamkeit von neuen Informations- und Telekommunikationstechnologien ______________________________ 102 4.2.4.2 Die Landschaften des Films ___________________________________ 106 4.2.4.3 Die Landschaften im elektronischen Netz_________________________ 109 4.2.5 Landschaft, regionale Identität und Heimat ____________________________ 112 4.2.6 Glokalität und neue Räume ________________________________________ 116 4.2.7 Gestaltete Landschaft: Parks und Gärten ______________________________ 118 4.2.8 Architektur und Raumordnung______________________________________ 120 4.2.9 Die angeeignet-physisch landschaftlichen Auswirkungen anthropogener ökologischer Veränderungen _______________________________________ 125 Die Entwicklung von Landschaften zur und in der Postmoderne ± ein vorläufiges Fazit _________________________________________________ 128 4.3.1 Zur Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft in der Postmoderne 128 4.3.2 Zur Entwicklung der gesellschaftlichen Landschaften in der Postmoderne ___ 133 4.3.3 Die Entgrenzung von angeeigneter physischer Landschaft ± Idealtypen von Landschaften____________________________________________________ 135 4.3.3.1 Polyvalente Landschaften _____________________________________ 135 4.3.3.2 Nonvalente Räume __________________________________________ 137 4.3.3.3 Monovalente Landschaften ____________________________________ 137 4.3.3.4 Das postmoderne Raumpastiche und die Dynamik der Valenzen ______ 138
4.3
5 Begriff und Wahrnehmung von Landschaft ± eine quantitative und qualitative Studie am Beispiel des Saarlandes ________________________________________ 140 5.1
Methodologische Überlegungen zur quantitativ-qualitativen Studie_______ 140
5.2
Ergebnisse des quantitativen Studienteils mit besonderer Berücksichtigung des Saarlandes _________________________________________ 142 5.2.1 Methodik und Basisdaten des quantitativen Studienteils __________________ 142 5.2.2 Ergebnisse des quantitativen Studienteils _____________________________ 147 5.2.2.1 Der Landschaftsbegriff _______________________________________ 147 5.2.2.2 Die Bedeutung von landschaftlicher Schönheit ____________________ 156 5.2.2.3 Wahrnehmung und Aneignung von Landschaft ____________________ 159 5.2.2.4 Die Beurteilung von Landschaft und landschaftlicher Veränderung anhand von Fallbeispielen_____________________________________ 164 5.2.2.5 Die Beurteilung von landschaftlicher Veränderung und landschaftlichen Bindungen im Saarland _________________________ 172 5.2.3 Die Wahrnehmung der Landschaft im Saarland ± Ergebnisse der quantitativen Befragung ± ein vorläufiges Fazit ___________________________________ 176
5.3
Ergebnisse des qualitativen Studienteils mit besonderer Berücksichtigung des Saarlandes ___________________________________________________ 179 5.3.1 Methodik und Basisdaten der qualitativen Befragung ____________________ 179 5.3.2 Ergebnisse des qualitativen Studienteils ______________________________ 181 5.3.2.1 Die Sozialisation des Begriffs Landschaft ________________________ 181 5.3.2.1.1 Primäre Landschaftssozialisation ______________________________ 181 5.3.2.1.2 Sekundäre Landschaftssozialisation ____________________________ 189 5.3.2.1.3 Die Beurteilung des Konstruktes Landschaft von Laien durch Experten _________________________________________________ 194 5.3.2.2 Unterschiedliche Aspekte des Konstruktes Landschaft ______________ 197 5.3.2.2.1 Landschaft als gesellschaftliche und angeeignete physische Landschaft 197
X
5.3.2.2.2 Landschaft und Heimat______________________________________ 199 5.3.2.2.3 Landschaft zwischen natürlicher und gesellschaftlicher Prägung und deren begriffliche Ausprägungen ______________________________ 202 5.3.2.2.4 Das Konstrukt der Rückwirkung von angeeigneter physischer Landschaft auf den Menschen ________________________________ 204 5.3.2.3 Der landschaftliche Wandel ___________________________________ 206 5.3.2.3.1 Einschätzungen zum Umgang mit altindustriellen Anlagen _________ 206 5.3.2.3.2 Ländlicher Raum __________________________________________ 211 5.3.2.3.3 Das Suburbium ____________________________________________ 216 5.3.2.3.4 Landschaften der Zukunft und Paradigmen des Umgangs mit Landschaft _______________________________________________ 219 5.3.3 Die Wahrnehmung der Landschaft im Saarland ± Ergebnisse der qualitativen Befragung ± ein vorläufiges Fazit ___________________________________ 221 6 Leitbilder der räumlichen Entwicklung und räumliche Planung zwischen Moderne und Postmoderne unter besonderer Berücksichtigung des Saarlandes __ 225 Leitbilder der räumlichen Entwicklung ± zwischen Moderne und Postmoderne ____________________________________________________ 225 6.1.1 Europäische Stadt ________________________________________________ 225 6.1.2 Zwischenstadt ___________________________________________________ 228 6.1.3 New Urbanism __________________________________________________ 231 6.1.4 Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ bzw. ÄUnser Dorf hat Zukunft³ _________________________________________________________ 234 6.1.4.1 Die Entwicklung vor der Revision zum Landeswettbewerb 2006 ______ 234 6.1.4.2 Die Revision zum Landeswettbewerb 2006 _______________________ 236 6.1.4.3 Der Wettbewerb aus postmoderner Perspektive ____________________ 237
6.1
6.2 Räumliche Planung im Saarland ± zwischen Moderne und Postmoderne __ 239 6.2.1 Der physische Raum und die Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften zur Postmoderne im Saarland ___________________________ 239 6.2.2 Raumvision Saarkohlenwald ± eine Landschaft zwischen Wald, Bergbaurelikten und kultureller Inwertsetzung _________________________ 245 6.2.2.1 Die Raumvision Saarkohlenwald im internationalen Kontext: Das Projekt SAUL (Sustainable and Accessible Urban Landscapes) _______ 245 6.2.2.2 Raumvision Saarkohlenwald ± einige Grundlagen der Planung ________ 247 6.2.2.3 Wesentliche Elemente der Planung der Raumvision Saarkohlenwald ___ 248 6.2.2.4 Raumvision Saarkohlenwald in der Postmoderne___________________ 251 6.2.3 Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land ± Landschaftsgestaltung als Folge ökonomischen Handelns___________________________________________ 253 6.2.3.1 Allgemeine Grundlagen zur Gemeinschaftsinitiative LEADER+ im Saarland___________________________________________________ 253 6.2.3.2 LEADER+ im Saarland: Der Lokalwarenmarkt der Lokalen Aktionsgruppe ÄKulturlandschaftsinitiative Sankt Wendeler Land³ __________ 254 6.2.3.3 LEADER+ und der Lokalwaren in ihrer postmodernen Dimension_____ 257 6.2.4 Exkurs: Der Äsaarländische Funktionalismus³ als siedlungsprägende Architektur _____________________________________________________ 259 6.2.5 Dorferneuerung Wolfersheim ± eine saarländische Siedlung zwischen monovalentem Historizismus, individueller Entwicklung und postmoderner Inszenierung ____________________________________________________ 261 6.2.5.1 Historische Aspekte__________________________________________ 261 XI
6.2.5.2 6.2.5.3 6.3
Bauliche Entwicklung und Dorferneuerung _______________________ 262 Dorferneuerung Wolfersheim aus Sicht der Postmoderne ____________ 264
Leitbilder der räumlichen Entwicklung und räumliche Planung im Saarland ± zwischen Moderne und Postmoderne: Ein vorläufiges Fazit ________________ 265
7 Fazit: Landschaft in der Postmoderne ± eine Synthese _______________________ 269 7.1
Die Grundlagen der Konstruktion von Landschaft: die gesellschaftliche Landschaft, die angeeignete physische Landschaft und der physische Raum ___ 269
7.2
Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft unter dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels ______________________________________ 271
7.3
Merkmale der sozialen Konstruktion von Landschaft _____________________ 275
7.4
Landschaft zwischen Erhaltung und Bereinigung, zwischen Exklusivismus und Inklusivismus _________________________________________________ 279 7.4.1 Das Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft _____________________________________________________ 280 7.4.2 Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft ____________________________________________ 281 7.4.3 Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft 282 7.4.4 Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft __________ 283
7.5
Anmerkungen zu postmoderner Landschaftsentwicklung und Landschaftsplanung _______________________________________________ 284
8 Quellen _______________________________________________________________ 289 9 Anhang_______________________________________________________________ 325 9.1
Fragebogen der quantitativen Befragung _______________________________ 325
9.2
Leitfadeninterviewfragen ___________________________________________ 330
XII
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Landschaftsbewusstsein in seiner emotionalen Dimension. ______________ 56 Abbildung 2: Strategien des Linearisierens von Raum bei dessen Verbalisierung. _______ 60 Abbildung 3: Modell des Interferenzverhältnisses von Gesellschaft und (funktionaler) angeeigneter physischer Landschaft. ________________________________ 73 Abbildung 4: Sequenzen gesellschaftlichen Einflusses auf die angeeignete physische Landschaft mit Beispielen. _______________________________________ 76 Abbildung 5: Die Verbarrikadierung (im Sinne barricades insbesondere jener der stucco walls nach Marcuse 1998b) des privaten Raumes hinter teilweise hohen Hecken im suburbanen Raum (hier in Kirkel/Saarland)._________________ 98 Abbildung 6: Die Inszenierung von Landschaft und Natur im nichtstädtischen Raum. ___ 101 Abbildung 7: Beispiel eines Raumpastiches: das Brüsseler Europaviertel._____________ 131 Abbildung 8: Von der Polyvalenz erster Ordnung zur Nonvalenz. ___________________ 137 Abbildung 9: Valenz, Dichte und Akkumulationsregime als Größen des Grades der Postmodernität von Landschaften._________________________________ 138 Abbildung 10: Landschaftsdynamik in der Postmoderne mit Beispielen. ______________ 139 Abbildung 11: Der höchste Schulabschluss der Probanden. _________________________ 144 Abbildung 12: Die Wertesysteme der Probanden. ________________________________ 146 Abbildung 13: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage ÄWenn Sie an eine Landschaft denken, welche Größe stellen Sie sich dafür am ehesten vor³ an der Gesamtzahl der Nennungen. _____________________ 148 Abbildung 14: Zusammenhang zwischen Entfernung vom Wohnort und der Fläche der als schön empfundenen Landschaften. _____________________________ 149 Abbildung 15: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage ÄWie nehmen Sie Landschaft in der Regel wahr³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable.___________________________ 159 Abbildung 16: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage ÄWie häufig denken Sie über Landschaft und ihre Veränderung nach³ an der Gesamtzahl der Nennungen. _____________________________________ 160 Abbildung 17: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage ÄWie eignen Sie sich Wissen über Landschaft an³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable.___________________________ 161 Abbildung 18: Die zur Beurteilung von Landschaft vorgelegten Fotos. _______________ 164 Abbildung 19: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äwelche Bedeutung hat Heimat für Sie persönlich³ an der Gesamtzahl der Nennungen. __________________________________________________ 172 Abbildung 20: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äwie stark ist Ihre persönliche Bindung zu den Landschaften des Saarlandes³ an der Gesamtzahl der Nennungen. ________________________________ 175 Abbildung 21: Die saarlandzentrische Raumkonstruktion der Befragten. Die in Abbildung 14 dargestellte Regressionskurve bildet die Grundlage des logarithmischen Maßstabs. ______________________________________ 177 Abbildung 22: Unterschiedliche Interviewtypen. _________________________________ 180 Abbildung 23: Die Zahl der teilnehmenden Dörfer am Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ im Saarland. ____________________________________ 234 Abbildung 24: Die Gewichtung von Bewertungskriteriengruppen beim saarländischen Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ 1967 und 2003. _________ 235
XIII
Abbildung 25: Die naturräumliche Gliederung des Saarlandes. ______________________ 240 Abbildung 26: Veränderung der Einwohnerzahlen saarländischer Gemeinden zwischen 1975 und 2003. _______________________________________________ 243 Abbildung 27: Gemeindetypen im Saarland. ____________________________________ 244 Abbildung 28: Die demographische Entwicklung der fünf Gemeindetypen im Saarland anhand von Beispielen. _________________________________________ 244 Abbildung 29: Die ÄKorona der Landmarken³ in der Raumvision Saarkohlenwald.______ 250 Abbildung 30: Die Entwicklung des Lokalwarenmarktes im Kontext der Globalisierung. _ 256 Abbildung 31: Der Äsaarländische Funktionalismus³. _____________________________ 260 Abbildung 32: Das Dorfzentrum von Wolfersheim. _______________________________ 262 Abbildung 33: Der gesellschaftliche Landschaftsbezug. ___________________________ 270
XIV
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Aussagen wichtiger Großer Erzählungen der Moderne über sich und andere Große Erzählungen. ________________________________________________ 9 Tabelle 2: Die Wissenschaft in der Moderne und Postmoderne. _____________________ 18 Tabelle 3: Die Kunst in der Moderne und Postmoderne. ___________________________ 36 Tabelle 4: Die unterschiedlichen Wahrnehmungsdimensionen und -bereiche mit Beispielen als kontstitutive Elemente (und -systeme) als Grundlagen für eine soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft. ____________ 51 Tabelle 5: Die Vieldimensionalität von Landschaftsbewusstsein. ____________________ 57 Tabelle 6: Möglicher Folgen der weiteren Ausbreitung von Electronic Commerce für die Siedlungs- und Stadtstrukturen. __________________________________ 104 Tabelle 7: Merkmale moderner und postmoderner Architektur._____________________ 120 Tabelle 8: Der höchste erreichte Berufsbildungsabschluss der Probanden. ____________ 145 Tabelle 9: Die berufliche Tätigkeit der Probanden. ______________________________ 145 Tabelle 10: Die parteipolitische Sympathie der Probanden. _________________________ 145 Tabelle 11: Häufigkeit der Antworten zur der Frage Äan welches andere Wort denken Sie zuerst, wenn Sie das Wort ÃLandschaft¶ hören³. Berücksichtigt sind Antworten, die häufiger als dreimal genannt wurden. ____________________ 147 Tabelle 12: Häufigkeit der Antworten zu der Aufforderung ÄNennen Sie bitte drei Worte, die Ihrer Meinung nach mit dem Begriff Landschaft bedeutungsmäßig verwandt sind³. Berücksichtigt sind Antworten, die häufiger als dreimal genannt wurden. __________________________________________ 148 Tabelle 13: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage Äwas gehört Ihrer Meinung nach zu einer Landschaft³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable. _____________________________ 151 Tabelle 14: Signifikanzen und arithmetische Stichprobenmittel des Stereotypizitätsindexes, unterschieden nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. ______________________________ 154 Tabelle 15: Häufigkeit der Antworten zu der offenen Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³. Berücksichtigt sind Antworten, die häufiger als dreimal genannt wurden, Landschaften innerhalb des Saarlandes wurden mit einer geographischen Spezifikation versehen.____________________________________________ 156 Tabelle 16: Häufigkeit der Antworten zu der offenen Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³, zusammengefasst nach Lage der betreffenden Landschaften in Bundesländern, europäischen Staaten (mit Ausnahme Deutschlands) und Kontinenten (außer Europa). Berücksichtigt sind Verwaltungseinheiten, die gemäß ihrer Kategorie häufiger als dreimal genannt wurden. ______________ 158 Tabelle 17: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Zahl der richtigen Antworten zu den Wissensfragen, unterschieden nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. Die Signifikanz der Abweichung bezieht sich auf die jeweiligen Mittel der komplementären Merkmale. ______ 162 Tabelle 18: Relative und absolute Häufigkeiten der Angabe der Charakterisierung der abgebildeten Landschaften. ________________________________________ 165 Tabelle 19: Relative und absolute Häufigkeiten der Angabe des Gefühls bei der Betrachtung der jeweils abgebildeten Landschaften. _____________________ 166
XV
Tabelle 20: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten zu der Frage, ob die Befragten mit Ausblick auf die jeweils abgebildete Landschaft leben möchten. _______________________________________________________ 167 Tabelle 21: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten zu der Frage, ob die Befragten es bedauerten, wenn die jeweils abgebildete Landschaft ihren Charakter veränderte. _____________________________________________ 168 Tabelle 22: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten zu der Frage, ob die Befragten bereit wären, sich persönlich für die Erhaltung der jeweils abgebildeten Landschaft zu engagieren._______________________________ 169 Tabelle 23: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten zu der Frage, in welcher Form die Befragten bereit wären, sich persönlich für die Erhaltung der jeweils abgebildeten Landschaft zu engagieren, sofern sie ihre Berteitschaft hierfür geäußert hatten.__________________________________________________ 170 Tabelle 24: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Verbundenheit mit der Heimat nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. ______________________________________________________ 173 Tabelle 25: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Bindung an die Landschaften des Saarlandes nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. __________________________________________ 174 Tabelle 26: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äim Saarland wird in letzter Zeit intensiv über den Umgang mit Hüttengeländen und Fördertürmen diskutiert. Wie sollte Ihrer Meinung nach mit solchen Anlagen umgegangen werden³ an der Gesamtzahl der Nennungen. _________ 175 Tabelle 27: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äderzeit wird im Saarland darüber nachgedacht, wie die Bergehalden des Kohlebergbaus in 30 Jahren aussehen sollen. Wie sollen Ihrer persönlichen Meinung nach Bergehalden in 30 Jahren aussehen³. _____________________ 175 Tabelle 28: Vergleich von Leitbildern der räumlichen Entwicklung und der räumlichen Planung im Saarland hinsichtlich ihres Postmodernebezugs. ______________ 266
XVI
1
Einführung
Landschaft ist kein soziologischer Fachbegriff, sondern lässt vielmehr sich als Gegenstand soziologischer Forschung fassen. Dabei ist der Begriff der Landschaft hochgradig vielschichtig. Er war ± obwohl ein wichtiger Gegenstand sozialer Kommunikation und wesentlicher Teilaspekt des Raumes ± einer soziologischen Befassung lange Zeit weitgehend entzogen (vgl. z.B. Herlyn 1990, Berking 1998, ironisch hierzu Kuhm 2003) 1. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, diese Lücke der soziologischen Raumbefassung zu schließen, indem sie sich mit den Arten der sozialen Konstruktion von Landschaft, der Vielfalt der Ist- und SollVorstellungen von Landschaft, der sozialen Bestimmtheit von angeeigneter physischer Landschaft2 wie auch mit Leitlinien der Planung und Entwicklung von Landschaft befasst. Die Untersuchung der sozialen Landschaftsbeziehungen erfolgt dabei vor dem reflexiven Hintergrund postmoderner soziologischer und epistemologischer Konzepte. Auch wenn mit der Ägeographischen Wende³ der Sozialwissenschaften (Berking 1998: 283) Raum zunehmend Gegenstand soziologischer Forschung wird3, wird er vielfach als überwundene Stufe gesellschaftlicher Entwicklung verstanden (z.B. Luhmann 1984, Cairncross 1997). Raum in der soziologischen Forschung wird dabei weder auf den physischen Raum noch auf den mentalen Raum beschränkt, Raum wird vielmehr als eine Komponente des Handelns von Akteuren beobachtet: Ökonomische, politische, soziale und kulturelle Systeme weisen eine räumliche Dimension auf. ÄThe spatial ± both as sites and as social visions of the world ± is crucial ingredient to any study of culture and social action. Space forms a µregime of articulation¶ of cultural patterns which contrast with temporal µregimes of succession¶´ (Shields 1992: 274-275). Neben dem Begriff der Landschaft ist die Postmoderne der bestimmende Begriff des Titels der vorliegenden Arbeit. Die Postmoderne gehört seit mehr als drei Dekaden zu den am heftigsten kritisierten und diskutierten Begriffen der Sozialwissenschaften. Neben der gesellschaftlichen Diagnose und Deutung Äpostmodern³ finden sich Interpretationen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen als Moderne, reflexive Moderne, zweite Moderne ebenso wie ÄPostindustrielle Gesellschaft, Risiko-, Kommunikations-, Informations-, Konsum, Multioptions-, Nonstop-, Freizeit-, Sensations-, Last-Minute-, Multi-Media-, Standby- und vor allem Erlebnisgesellschaft³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 22). Unter den genannten Konzepten erscheint jenes der Postmoderne ± wie im Detail noch zu diskutieren sein wird ± aufgrund seiner philosophischen und makrosoziologischen Diagnose am umfassendsten. Aus diesem Grunde wird die Postmoderne als Bezugskonzept der vorliegenden soziologischen Landschaftsbefassung gewählt. Der Begriff der Postmoderne ist dabei bis heute varianten1
2
3
Ausnahmen bilden beispielsweise die Arbeiten von Simmel (1990 ± zuerst 1913), Ritter (1990 ± zuerst 1978), Burckhardt (1994) und Ipsen (2002a) sowie zuletzt Kaufmann (2005). Der Begriff der angeeigneten physischen Landschaft wird in Anlehnung an Bourdieu (1991b) in Abschnitt 3.4 entwickelt und bezeichnet ± stark verkürzt ausgedrückt ± jene Elemente des physischen Raumes, die zur sozialen Konstruktion von Landschaft herangezogen werden. Als Beispiele für jüngere Untersuchungen zur Soziologie des Raumes seien die Arbeiten von Bertels (1997), Sturm (2000), Löw (2001), Ahrens (2001), Läpple (2002a), Ipsen (2002a) und Löw (2002)genannt.
1
reich, mehrdeutig und unscharf (geblieben) 4: ÄWithin postmodernism, one reads of post-industrialism, post-capitalism, post-socialism, post-communism, post culturalism, post-confessionalism, and post-everythigism. Understandably, there is concern that a pre-Renaissance of dark age of chaos will result from all these Ãpost-isms¶³ (Turner 1996: V). Trotz dieser Bedeutungsflut lässt sich der Begriff der Postmoderne im Wesentlichen auf vier Dimensionen zusammenfassen (nach Becker 1997, durch den Autor ergänzt): 1. Die deskriptive Postmoderne, die im Sinne von Ädie Welt ist postmodern³ bestimmte Ägesellschaftliche Tatsachen³ beschreibt, 2. die analytische Postmoderne, die als Erklärungsmodell gesellschaftlicher Entwicklungen dienen will, 3. die philosophisch-methodologische Postmoderne, die den wissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen ± methodenkritischen ± Rahmen postmoderner bzw. postmodernistischer Untersuchungen definiert und 4. die Postmoderne als Leitbild, die insbesondere in Raumordnung und Architektur den Entwicklungen der sich postmodernisierenden Gesellschaft gerecht werden will, indem sie die Erkenntnisse der philosophisch-methodologischen Postmoderne zur Anwendung bringen will5. Auch wenn die philosophisch-methodologische Postmoderne und die Postmoderne als Leitbild als durchaus zurückweisbar erscheinen, Äthe idea of Ãthe postmodern¶ as a destinctive epoch has value. We might describe this epoch as postindustrial but that terminology does not clearly incorporate the cultural dimension of change³ (Byrne 2001: 37; ähnlich hierzu auch Noller 1999). Mehr noch als die philosophisch-methodologischen Postmoderne ist die soziale und soziologische Postmoderne Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Als zentral lässt sich jedoch mit dem soziologischen Postmodernekonzept eine Pluralisierung, Heterogenisierung und Fragmentierung der Gesellschaft beschreiben. In der Behandlung von Landschaft besteht eine entscheidende Trennung zwischen physischer Landschaft und der Wahrnehmung von Landschaft (letztere in Form von mentalem und sozialem Raum). In dieser Arbeit über Landschaft in der Postmoderne wird also erstens, zwischen dem Einfluss der gesellschaftlichen Postmoderne auf die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft und zweitens, dem Landschaftsbild der sich postmodernisierenden Gesellschaft sowie der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Raum und Landschaft unterschieden (hierzu vgl. Soja 1989, Dear 2000, Wood 2003). Neben der Soziologie der Postmoderne ist das Parsonssche AGIL-Schema ein zentraler theoretischer Bezugspunkt der vorliegenden Arbeit. Es stellt in deutlicher Weise die charakteristische Differenzierung der modernen Gesellschaft dar und erscheint somit ± auch aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades über die fachlichen Grenzen der Soziologie hinaus ± als besonders geeignet, um als Bezugspunkt für die Darstellungen der gesellschaftlichen Verände4
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Ferchhoff/Neubauer (1997: 55) bemerken hierzu: ÄDie Begriffe [Postmoderne, Postmodernismus, Postmodernisierung oder Postmodernität; Anm. O. K.] selbst sind alles andere als eindeutig und bieten freilich keine exakten Definitionen an und werden weder intersubjektiv im übereinstimmenden noch im operationalisierbaren, standardisierten Sinne gebraucht ± eben variantenreich (post)modern.³ Eine weitgreifendere Auflistung der Charakteristika der sozialen und insbesondere philosophischen Postmoderne findet sich bei Ferchhoff/Neubauer (1997: 75-78).
rungen, die sich mit der Postmoderne ergeben, zu dienen6. Darüber hinaus weisen physische Landschaften einen hohen Grad an Persistenz auf. Dies bedeutet: Gesellschaftliche Einflüsse sind häufig noch lange rekonstruierbar, auch wenn die sie auslösenden gesellschaftlichen Strukturen und Funktionen überholt wurden. Somit kann das AGIL-Schema als Instrument der Dechiffrierung gesellschaftlicher Einflüsse auf den physischen Raum dienen. Zur Behandlung der Landschaft in der Postmoderne gliedert sich die vorliegende Arbeit in folgende wesentliche Kapitel: · In Kapitel 2 werden essentielle Merkmale der Postmoderne (als ein Postmodernekonzept unter vielen) dargestellt, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit oder Ausschließlichkeit zu erheben. Zunächst erfolgt eine Betrachtung wesentlicher Leitmotive der Postmoderne ± mit besonderer Berücksichtung ihrer Metakonzepte (insbesondere erkenntnistheoretischer Art) ± danach werden entscheidende Merkmale der gesellschaftlichen Entwicklung in der Postmoderne beschrieben. · Gegenstand von Kapitel 3 ist die Befassung mit Landschaft und Raum als Gegenstände sozialwissenschaftlicher Forschung. Hier werden bislang erzielte Forschungsergebnisse zum sozialen Raum- und Landschaftsbezug zusammengefasst und bewertet. Auf Grundlage dieser Untersuchung wird ein soziologisches Konzept zur Landschaft entwickelt, das in den darauf folgenden Kapiteln als konzeptionelle Grundlage fungiert. · In Kapitel 4 ist einerseits die Vielfalt insbesondere von angeeigneter physischer Landschaft Gegenstand der Untersuchungen, andererseits aber auch der Einfluss der Postmodernisierung auf die Genese angeeigneter physischer Landschaft. Basierend auf dieser Befassung mit landschaftlichen Veränderungen in der Postmoderne und dem in Kapitel 3 entwickelten soziologischen Konzept zur Landschaft werden Idealtypen angeeigneter physischer Landschaften konstruiert. · In Kapitel 5 werden im Gegensatz dazu die soziale und individuelle Konstruktion von Landschaft in den Fokus der Untersuchungen gestellt. Hierzu werden die Ergebnisse einer zweistufigen Querschnittsstudie anhand des Untersuchungsraumes Saarland ausgearbeitet: In einem quantitativen und qualitativen Studienteil werden die Begriffe von Landschaft, deren Sozialisierung, der individuelle und soziale Bezug zur Landschaft, wie auch die Frage der Beurteilung des Wandels von Landschaften thematisiert, typisiert und beurteilt. · Gegenstand der Untersuchungen in Kapitel 6 sind die Leitbilder der räumlichen Entwicklung sowie die Operationalisierung solcher Leitbilder in Form von Landschaftsentwicklungskonzepten und Förderprogrammen im Saarland. Darauf folgt die Untersuchung, inwiefern die Leitbilder und Förderprogramme entscheidende Merkmale der gesellschaftlichen Postmoderne berücksichtigen bzw. ob und inwiefern sie zur Postmodernisierung der Gesellschaft beitragen. · In Kapitel 7 wird mit dem Fazit eine Synthese der in der Arbeit dargestellten Untersuchungsergebnisse und Überlegungen vorgenommen. Wesentliches Element dieser Syn6
Lyotard (1999: 43) bezeichnet das Parsonssche Systemprinzip ± in Abgrenzung zum Luhmannschen ± als Änoch optimistisch³, es entspräche der Stabilisierung der Wachstumsökonomien unter der Ägide eines gemäßigten welfare states.
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these ist dabei die Interferenz zwischen der sozialen Konstruktion von Landschaft und der Entwicklung angeeigneter physischer Landschaft in der Postmoderne. Eine Studie über das Verhältnis von Gesellschaft und Landschaft in der Postmoderne ist schwerlich nicht transdisziplinär anzulegen: Zu vielfältig sind die Einflüsse der betrachteten Gegenstände und Konstrukte. Mehr noch: ÄDas Spannungsfeld des Landschaftsbegriffs, das sich zwischen Materialität und der Bildhaftigkeit aufbaut, verweist darauf, dass Landschaft nur begriffen werden kann, wenn verschiedene Disziplinen aufeinander bezogen werden³ (Ipsen 2002a: 89). Somit greift die Arbeit zwar primär auf soziologische Erkenntnisse und Methoden zurück, doch werden diese auch durch jene aus anderen Wissenschaftsbereichen, so insbesondere der Geographie und der Raum- und Umweltplanung, der Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur, aber auch der Philosophie und Anthropologie, selbst der Meteorologie, der Pedologie, der Geologie, der Botanik und der Physik und Chemie ergänzt. Hiermit ist lediglich eine Richtung von Transdisziplinarität beschrieben. Die andere Richtung stellt den Kreis der vorliegenden Abhandlung dar: Ziel ist es, einen Leserkreis anzusprechen, der neben den Sozialwissenschaftlern, insbesondere Raum- und Umweltplaner sowie Geographen, Biologen, Natur- und Landschaftsschützer in Wissenschaft, Planung, Verwaltung und Ehrenamt umfasst. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, den Begriff von Raum und Landschaft sozialwissenschaftlich zu erweitern und so eine Raumplanung zu erleichtern, die gesellschaftliche Veränderungen verstärkt wahrnimmt und berücksichtigt. Damit ist der Autor darum bemüht, sich der von Durkheim (1977 ± zuerst 1893) geforderten Synthese jener die materiellen Aspekte des Raumes behandelnden Disziplinen (Geographie, Raum- und Umweltplanung, Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur, Demographie, Geschichte und Ethnographie) mit der Soziologie anzunähern. Anhand dieser Ausführungen wird einerseits deutlich, dass viele Herausforderungen der Postmoderne eines transwissenschaftlichen Forschungsansatzes bedürfen, andererseits bedeutet ein solcher Ansatz eine Orientierung an dem nahezu paradigmatischen Wissenschaftskonzept der Postmoderne: der Pluralität 7.
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Ein Problem bleibt dem Autor, der sich mit Postmoderne befasst: das Problem der Sprache. Postmodernes und sich Postmodernisierendes ist mit der Sprache der Moderne und teilweise deren Methoden zu fassen. Insofern stellt die vorliegende Arbeit eher eine Arbeit der Postmodernisierung, denn der Postmoderne dar.
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Wesentliche Merkmale der Postmoderne
In diesem Kapitel sollen wesentliche Merkmale der Postmoderne sowohl in ihrer philosophischen und epistemologischen Dimension als auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Dimension behandelt werden. Dabei dient dieses Kapitel als Grundlage für die spätere Befassung mit postmodernen Landschaften. 2.1
Leitmotive der Postmoderne
Die Postmoderne ist ± wie bereits angesprochen ± ein vielgesichtiges und vielschichtiges Gebilde, mit den Tendenzen zu einem Schlagwort für vieles, und für vieles eine vielleicht unzulässige Vereinfachung (Pfeiffer 1999). Diese Vielgestaltigkeit gilt sowohl für die gesellschaftliche Postmoderne, ihre physischen Manifestationen, als auch für ihre philosophischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen, aber auch für postmoderne Lebensstile. Da in der vorliegenden Arbeit im Wesentlichen die Wechselbeziehung von gesellschaftlicher Postmoderne und Landschaft thematisiert wird, andererseits eine sinnhafte Betrachtung der postmodernen Gesellschaftsanalyse ohne Rückgriffe auf wesentliche philosophische und wissenschaftstheoretische Grundlagen der Postmoderne als kaum möglich erscheint, seien in diesem Abschnitt die Grundzüge und Leitmotive der postmodernen Epistemologie erläutert8. 2.1.1 Historische und terminologische Vorbemerkungen zur Postmoderne Der Begriff der Postmoderne entstand bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Adjektiv Äpostmodern³ im Kontext der englischen Malerei (vgl. Preglau 1995): Die postmoderne Malerei sollte die Dominanz des französischen Impressionismus überwinden. Populär wurde der Begriff ±auch dem Literaturkritiker Rudolf Pannwitz gelang es nicht, ihn 1917 in seinem Buch ÄDie Krisis der europäischen Kultur³ in der wissenschaftlichen Diskussion zu etablieren ± erst im Kontext mit der nordamerikanischen Literaturdebatte (ab 1959). In Architektur, Malerei und Skulptur erlangte der Begriff der Postmoderne seit Mitte der 1970er Jahre in Theorie und Praxis eine verstärkte Bedeutung (Welsch 2002, Vester 1993a). Richtungweisend war dabei insbesondere die Schrift ÄThe language of post-modern architecture³ des Architekturtheoretikers J. Jencks (1977), in der er eine Abgrenzung zu den Entwicklungen einer kommerzialisierten, modernen Architektur der so genannten ÄSpätmoderne³ vollzieht. Zeitgleich entwickelte sich in den Sozialwissenschaften im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Änachindustriellen Gesellschaft³ bzw. Äaktiven Gesellschaft³ (Etzioni 1968, Touraine 1969, Bell 1985 ± zuerst 1973, vgl. Preglau 1995) die Wahrnehmung postmoderner sozialer Entwicklungen. Aus den Verflechtungen von ökonomischem Wohlstand und postmodernem Wertewandel leitete Inglehart (1977) die Postmaterialismusthese ab. Die philosophische Wende von der Moderne zur Postmoderne erfolgte zunächst in Frankreich in Abgrenzung zum strengen Rationalismus und zum den Ordnungsprinzipien verhafteten Strukturalismus
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Eine Auseinandersetzung mit postmodernem Denken in der Philosophie liefert Bormann (2002).
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eines Lévi-Strauss (z.B. 1958) durch die Werke Foucaults (1966), Derridas (1972), Barthes¶ (1982) und insbesondere Lyotards (1979). Vielfach wird die Postmoderne als Nicht-Moderne negativ abgegrenzt. Eine positive Charakterisierung des Begriffs Postmoderne findet sich bei Welsch (1988: 4-5): Die Postmoderne lässt sich demnach Äals Verfassung radikaler Pluralität³9, in der Ädas unüberschreitbare Recht hochgradig differenter Wissensformen, Lebensentwürfe, Handlungsmuster³, anerkannt und dementsprechend eine Äantitotalitäre Option³ verfolgt wird, kennzeichnen (vgl. Vester 1993a). Bauman (1992a: 127) charakterisiert die Postmoderne als emanzipierte Moderne: ÄDie Postmoderne ist die Moderne, die die Unmöglichkeit ihres ursprünglichen Projektes eingestanden hat. Die Postmoderne ist die Moderne, die mit ihrer eigenen Unmöglichkeit versöhnt ist ± und um jeden Preis entschlossen ist, damit zu leben³. In diesem Sinne lässt sich Postmoderne als Verfassung radikaler Toleranz bezeichnen, in der sämtliche (Gewalt ablehnenden) Lebensstile akzeptiert sind. Differenz hingegen wird nicht abgelehnt, sondern zumindest akzeptiert, wenn nicht gar als Bereicherung qualifiziert. Somit wird ± nach Bauman (1992: 128) ± aus dem ÄSchlachtruf der Moderne³ nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit die Waffenstillstandsformel ÄFreiheit, Verschiedenheit, Toleranz³ der Postmoderne, aus der, wenn Toleranz in Solidarität umgewandelt werde, sogar Frieden entstehen könne. Damit sei ± so Lyotard (1979) ± das postmoderne Wissen nicht allein das Instrument der Mächte. Vielmehr verfeinere postmodernes Denken die Sensibilität für Unterschiede und bilde die Fähigkeit aus, Inkommensurabilitäten zu ertragen. Als ein Charakteristikum der Postmoderne beschreibt Welsch (1988) den sukzessiven Übergang des Bewusstseins von der nationalen zu übernationalen Kategorien10. Dabei erscheint der aus vielfachen Gründen angegriffene 11 Terminus ÄPostmoderne³ in den letzten Jahren vernachlässigbar geworden zu sein: ÄDie Anliegen und Inhalte der Postmoderne haben weithin Anerkennung gefunden. Sie sind zu leitbildhaften Beschreibungsmustern der Gegenwart geworden³ (Welsch 2002: XIII). Zur Bestimmung der in dieser Arbeit verwendeten Begriffsinhalte der sich um den Terminus Postmoderne rankenden Wortgruppe sei ± in Anlehnung an Vester (1993a) ± an dieser Stelle eine terminologische Vorklärung vorgenommen: 1. Die Begriffe ÄModerne³ und ÄPostmoderne³ beziehen sich auf jeweils charakteristische ± in der Regel nach Max Weber (1972a ± zuerst 1921) idealtypische ± Konfigurationen
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Wörtliche Zitate werden in dieser Arbeit hinsichtlich Ihrer Rechtschreibung angepasst, Hervorhebungen werden jedoch beibehalten. So konturarm der Begriff der Postmoderne als Beschreibung der Gesellschaft und auch seine historische Genese erscheinen, so umstritten ist auch seine zeitliche (und räumliche) Gültigkeit: Bereits 1947 bezeichnete Toynbee (1947) die zeitgenössische, 1875 beginnende, Phase der abendländischen Kultur als postmodern. Der Terminus ÄPostmoderne³ wird in mehrfacher Dimension angegriffen (Welsch 2002): Erstens, wird seine Legitimität angezweifelt: Es stünde beispielsweise Zeitgenossen nicht zu, Epocheneinschnitte festzulegen. Dies sei Aufgabe späterer Generationen. Zweitens, ist sein Anwendungsbereich umstritten, der Begriff werde inflationär und nicht ausreichend scharf abgegrenzt verwendet. Drittens, ist sein zeitlicher Bezug umstritten: Die Zuschreibung des zeitlichen Beginns der Postmoderne variiert von 1875 bis auf einen künftigen Zeitpunkt (siehe Fußnote 10). Viertens ist der Ausdruck Postmoderne hinsichtlich seiner Inhalte umstritten: Die einen verknüpfen damit das Zeitalter der neuen Technologien, die anderen erwarten einen Abschied von der technokratischen Dominanz, wieder andere verbinden damit die Fragmentierung der Gesellschaft etc.
oder Strukturen mit bestimmten politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Merkmalen. 2. Die Bedeutung der adjektivischen Verwendung Ämodern³ und Äpostmodern³ entspricht der oben genannten substantivischen. 3. Auch das Begriffspaar ÄModernität³ und ÄPostmodernität³ bezeichnet idealtypische Konfigurationen und ist jeweils sach- oder sachverhaltsgebunden. 4. Die Begriffe ÄModernismus³ und ÄPostmodernismus³ beziehen sich auf die reflexive Verwendung der oben genannten Begriffe, im Sinne von theoretischen Konstrukten. 5. ÄModernisierung³ und ÄPostmodernisierung³ sind Prozesse, die auf das Erreichen der in Punkt 1 genannten idealtypischen Zustände zulaufen. Postmodernisierung (wie auch Modernisierung) werden im Folgenden nicht als gesellschaftlicher Bruch (vgl. Hoppmann 2000), sondern eher als gesellschaftliche Flexur verstanden: Selbst bei größten gesellschaftlichen Verwerfungen (wie z.B. nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland) waren ± selbst im System Politik ± personelle wie auch institutionelle und organisationelle Kontinuitäten bestimmend. Durch Ädie Wichtigkeit und Existenzberechtigung von Wissensformen, Handlungsmustern und Lebensmustern, die sich nicht mit dem Muster der exakten Wissenschaften, der systematischen Weltbeherrschung und der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation fügen³ (Preglau 1995: 265), erscheint der Übergang von der Moderne zur Postmoderne weniger als Kontrast, sondern als Akzent- bzw. Schwerpunktverschiebung. Auch Lyotard sieht ± so Hoppmann (2000: 22) ± Ädie Postmoderne als eine Art Geisteshaltung, die die Hypotheken der Moderne in sich trägt, also weder einen Bruch beinhaltet, noch als eine exakt datierbare Epoche anzusehen ist. In seinem Ansatz ist die Forderung des Redigierens, des Durcharbeitens der Moderne enthalten³. Lash/Urry (1994: 3) stellen dazu fest: ÄPostmodernism is not so much a critique or radical refusal of modernism but its radical exaggeration. It is more modern than modernism. Postmodernism hyperbolically accentuates the processes of increased turnover time, speed of circulation and the disposability of subjects and objects´. Damit wird deutlich: ÄPost³ ist auch im Sinne eines zeitlichen ÄNachs³ zu verstehen. Darüber hinaus lässt sich ÄPost³ als ÄMeta³, Äwie, im Zuge einer sekundären Sinngebung, einer Metaphysik³ (Weiss 1993: 178), begreifen. 2.1.2 Leitmotive der wissenschaftlichen Postmoderne Im Unterschied zum modernen Denken konstituiert sich das postmoderne Denken nicht durch die Suche nach eindeutiger Identität, nicht durch die Suche nach einem allgemeingültigen, vereinigenden Prinzip, sondern durch die Suche nach dem Unterschied ± und dessen Tolerierung und Akzeptanz. Entstehende Paradoxien und Paralogismen werden nicht allein geduldet, sie sind vielmehr konstitutives Element einer Theorie12, die sich der prinzipiellen Gleichwer12
Hinsichtlich (postmoderner) Theorien bemerkt Landgraf (2004): ÄEs handelt sich dabei um Beobachtungsformen, die sich selbst in ihren Beobachtungen zu beobachten (und zu bezeichnen) gelernt haben. Das heißt, Theorien sind Weltsichten, die sich als Weltkonstruktionen verstehen. Theorien zeichnen sich besonders darin aus, dass sie anders als das Dogma die eigene Wahrheit als 'vorläufig' bezeichnen, dass sie von sich nicht mehr behaupten, als eine mögliche Weltsicht zu sein. Theorien bedürfen eben deshalb der Kommunikation, der Ablehnung und Zustimmung, der Diskussion, um Geltung erlangen zu können. In diesem Sinne ist eine
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tigkeit der Diskurse verschreibt. Im Sinne der Postmoderne ist ein Meta-Diskurs, folglich anderen Diskursen gegenüber, nicht präferiert und (nach welchen Maßstäben auch immer) höherwertig, sondern emergiert einen reflexiven Diskurs13 über andere Diskurse. Im Zentrum der postmodernen Kritik an der Moderne steht Ädie Infragestellung des autonomen Subjekts als letztem Erkenntnis- und Wissensgrund. Konnte in modernen philosophischen Konzeptionen das Subjekt noch als Beobachter der Welt postuliert werden, so konstatiert man in der Postmoderne die radikale Konstruiertheit aller erkenntnistheoretischen Positionen und muss sich somit auf das Beobachten von Beobachtungen zurückziehen³ (Landgraf 2004). Ein wesentliches Merkmal der Postmoderne sind Doppel- und Mehrfachcodierungen, Äd.h. in der Postmoderne kommt es zur Vermengung und Vermischung von Dingen und Ideen, die in der Moderne nichts miteinander zu tun hatten oder zu tun haben durften³ (Vester 1993a: 15). Ferner ist zu beachten, Ädass die methodologische Einheit, auf die man sich bei der Diskussion von Fragen der Prüfung und des empirischen Gehaltes beziehen muss, aus der einer Menge teilweise überschneidender, mit den Tatsachen vereinbarer, miteinander unverträglicher Theorien besteht³ (Feyerabend 1986: 44). Daraus folgend wird in dieser Arbeit eine problemorientierte Interpretation mit Hilfe verschiedener ± teilweise gegebenenfalls inkommensurabler ± Theorien14 mit unterschiedlicher theoretischer Reichweite erfolgen. Somit ist auch eine ÄSchule des postmodernen Denkens³ kaum denkbar (vgl. Wood 2003). Die unterschiedlichen Ansätze der postmodernen Wissenschaft sind teilweise theoretisch, teilweise empirisch, partiell beides, pluralistisch und kaum hierarchisiert 15. Postmoderne Wissenschaft
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Theorie (das kann auch in den Naturwissenschaften, etwa in der Astro- oder Teilchenphysik beobachtet werden) eben nichts anderes als eine Welt für sich, als die Beobachtung von ihr eigenen Welten. Und ob es dahinter noch eine Welt ohne oder außerhalb der theoretischen gibt, auch darüber kann letztlich nur wieder theoretisch entschieden werden, zugänglich wird sie immer nur theoretisch bleiben. Und es wird auf den Beobachter ankommen, ob sich an dieser Schwelle theoretischer Beobachtung Moderne und Postmoderne treffen oder trennen³. Das Problem der Reflexivität ± im Rückgriff auf den Reflexierenden ± macht Gouldner bereits 1971 (489) hinsichtlich der Soziologie deutlich: ÄReflexive sociology is and would need to be a radical sociology. Radical because it would recognize that knowledge of the world cannot be advanced apart from the sociologist¶s knowledge of himself and his position in the social world, or apart from his efforts to change these. Radical, because it seeks to transform as well as to know the alien world outside the sociologist as well as the alien world within him. Radical, because it would accept the fact that the roots of sociology pass through the sociologist as a total man, and the question he must confront, therefore, is not merely how to work but how to live´: Eine solche Vorgehensweise, die nicht die ÄKonzentration auf eine einzige Theorie unter Ausschluss aller empirisch zulässigen Alternativen³ beruht, bedeutet für den Wissenschaftler freilich einen hohen Arbeitsaufwand. Anstatt eine Theorie zu rekonstruieren, muss er sich mit einer Vielzahl, sich teilweise widersprechender, teilweise nicht kommensurabler Theorien befassen. Somit befindet sich der Wissenschaftler in einem Dilemma: Entweder droht durch intensives Studium einer einzelnen Theorie eine einseitige Weltsicht, oder er begnügt sich mit dem grundlegenden Verständnis wesentlicher Inhalte unterschiedlicher Theorien. Der Leser möge also dem Autor gewisse Grobschlächtigkeiten bei der Rekonstruktion einzelner Theorien verzeihen. Der Autor ist sich bewusst, dass er bisweilen in seiner Betrachtung gegen die eine oder andere Regel der Äpostmodernen Theorie³ verstößt, die von dem einen oder anderen Theoretiker der Postmoderne (auch wenn er sich nicht als solcher gesehen hat und seine theoretischen Beiträge a posteriori die eigenen Theorien als solche nicht wahrnehmen wollte) aufgestellt wurde. Der Autor ist sich seiner Unzulänglichkeit bewusst. Er möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese Studie als Beitrag zur Postmodernisierung und nicht zur Postmoderne zu verstehen ist, einem Prozess also, der seine Wurzeln in der Moderne hat. Dies gilt auch für das Denken des Autors (z.B. Kühne 2001a). Man möge es ihm verzeihen.
lässt sich ± gemäß Deleuze/Guattari (1980) ± als Änomadische Wissenschaft³16 begreifen, die ein unscharfes, approximatives Wissen hervorbringt, wobei sie ± statt Phänomene zu katalogisieren, zu klassifizieren und in Begriffssysteme zu pressen (wie dies bei der ÄKönigswissenschaft³ der Sesshaften der Fall sei) ± deren Entwicklung und Vernetzung untersucht. Wesentliches Element des postmodernen Wissens ist die Postulierung des Endes der ÄGroßen Erzählungen³ (Lyotard 1987a: 40), das Nietzsche17 (1983) bereits im 19. Jahrhundert andeutete, als er den Verlust der (modernen) Prinzipien wie Finalität, Einheit und Wahrheit konstatierte18, 19. Das Ende der ÄGroßen Erzählungen³ umfasst in besonderer Weise (Lyotard 1987a): · Die aufklärerische Erzählung der Emanzipation von der Unkenntnis und der Knechtung durch Erkenntnis und Egalitarismus. · Die spekulative Idee von der Verwirklichung der universellen Idee durch die Dialektik des Konkreten. · Die marxistische Erzählung der Emanzipation von der Ausbeutung und Entfremdung durch die Sozialisierung der Arbeit20. · Die kapitalistische Erzählung der Emanzipation von der Armut durch die technischindustrielle Entwicklung. Aufgrund des Ausschließlichkeitsprinzips der Großen Erzählungen weisen diese untereinander eine Autoritätskonkurrenz auf. Die sozialen Folgen dieser Konkurrenz reichen von Unbehagen gegenüber Personen, die anderen Großen Erzählungen folgen bis hin zu Kriegen um die Durchsetzung (oder dem Beweis der Leistungsfähigkeit) der eigenen Großen Erzählung zu erreichen. Die Aussagen wesentlicher ÄGroßer Erzählungen³ über sich und andere Große Erzählungen sind in Tabelle 1 dargestellt. y Christentum
Marxismus
Kapitalismus
Christentum
Die Offenbarung
Häresie
Mäßigung
Marxismus
Opium fürs Volk
Kapitalismus
Darf nicht im W ege stehen
Die ultimative Gesellschaft Kann nicht funktionieren
W issenschaft
Inexistenz von Wundern
Quelle für Forschungs- Quelle für ForschungsEinziger W eg zur W ahrheit finanzierung finanzierung
x
über
Unheilbar krank Beste aller Ordnungen
Wissenschaft Unvollständig, Gott in den Lücken Teilweise nützliche Verwendung Teilweise nützliche Verwendung
Tabelle 1: Aussagen wichtiger Großer Erzählungen der Moderne über sich und andere Große Erzählungen (nach: Blotevogel 2000). 16
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Deleuze/Guattari (1980) gehen davon aus, dass die Gesellschaft im 21. Jahrhundert erneut durch den Nomadismus, der wiederum mit der Jahrtausende alten Kultur der Sesshaftigkeit in den Staaten der Ersten Welt konfligiere, geprägt sein wird. An dieser Stelle sei auf die Affinität von dem Denken Nietzsches auf der einen und dem der Postmodernisten auf der anderen Seite nicht intensiver eingegangen. Beiträge zu diesem Thema finden sich bei Koelb (1990). Charakteristika postmodernen Denkens wie die Dekonstruktion des Subjektes, der Entzentrierung der Vernunft und Remystifizierung finden sich neben Nietzsche auch bei anderen Vorläufern des postmodernen Denkens wie Spengler, Klafes, Heidegger und Adorno (Honneth 1989). Auch Gehlen skizzierte schon 1956 in seiner Institutionenanalyse das Ende der Ägroßen Schlüsselattitüden³ von Weltdeutungen. Dies gilt nach Lyotard (1979) auch für die Kritische Theorie.
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Mit der Ablehnung der Großen Erzählungen stellt die Postmoderne eine klare Absage an teleologische Menschheitserlösungsträume dar, sie demaskiert die ÄFinalitätsmythen³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 17) der Moderne als gescheitert: die spekulative Theorie Hegels von der universellen Vernunft durch die rationalisierte Barbarei von Auschwitz, den Kapitalismus durch die Wirtschaftskrisen von 1911, 1929, 1974-1979, den Sozialismus durch die Aufstände in Ostmitteleuropa und seinen Zusammenbruch in weiten Teilen der Welt (Lyotard 1987a, vgl. auch Vester 1993a)). Den Großen Erzählungen der Moderne ist eine Negation des Mehrdeutigen, Ambivalenten und Polyvalenten eigen. Die Moderne hat wiederholt den Versuch unternommen, Ädas Mehrdeutige einer Eindeutigkeit unterzuordnen³ (Vester 1993a: 45). Postmoderne bedeutet ± wie es Bauman (1997: 41) ausdrückt ± auch Ädas Ende des Volkes als König der Geschichten³. Lyotard gewinnt dabei den Begriff der Postmoderne aus einer Reflexion21 hinsichtlich der Eigenart des modernen Wissens (Lyotard 1999: 14-15): ÄBei extremer Vereinfachung hält man die Skepsis gegenüber den Metaerzählungen für Ãpostmodern¶. Diese ist ohne Zweifel ein Resultat des Fortschritts der Wissenschaften; aber dieser Fortschritt setzt seinerseits diese Skepsis voraus. Dem Veralten des meta-narrativen Dispositivs der Legitimation entspricht namentlich die Krise der metaphysischen Philosophie und der von ihr abhängigen universitären Institution. [«] [Die narrative Funktion] zerstreut sich in Wolken, die aus sprachlichnarrativen, aber auch denotativen, präskriptiven, deskriptiven usw. Elementen bestehen, von denen jedes Valenzen sui generis mit sich führt³. Nach Welsch (2002) lässt sich der negative Minimalbegriff postmodernen Denkens somit als die Verabschiedung von Einheitswünschen fixieren, während sich ein positiver Begriff des Postmodernen Äauf die Freigabe und Potenzierung der Sprachspiele in ihrer Heterogenität, Autonomie und Irreduzibilität³ (Welsch 2002: 33) bezieht. An Stelle der Großen Erzählungen favorisiert Lyotard (1979) eine Hinwendung zu den ÄKleinen Erzählungen³, die der ÄÃPulverisierung¶ der gesellschaftlichen Realitäten³ (Ignatow 2000: 6), mit ihrer Präferenz für das Individuelle, Partielle gegenüber dem Allgemeinen und Totalen, eher gerecht werde 22. Das Ende der Metaerzählungen der Moderne, die ± so Bormann (2002: 84) ±Änicht mehr als übergreifende Modelle zur Organisation des einen Weltverständnisses³ waren, trifft nicht allein Religionen, politische Idealismen u. a., sondern auch Systemlogiken23. Im Prozess der Postmodernisierung verlieren die Entwicklungsaprioris der Modernisierung (wie die Nutzbarmachung der Natur, die Herauslösung des Menschen aus traditionellen 21
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Eine ausführliche Auseinandersetzung zum Thema Reflexivität und Reproduktion im Vergleich der Sozialtheorie Habermas¶ und Bourdieus findet sich bei Köhler (2001). Oder systemtheoretisch formuliert: In der Postmoderne (aber auch schon in der Moderne) zerfällt die vormals einheitliche Gesellschaft in jeweils gesellschaftssubsystemspezifische Beobachtungsverhältnisse, das bedeutet den Zerfall eines vormals zentrisch konstruierten Weltbegriffs in einen multizentrischen Weltbegriff, welcher Ädie traditionelle Zentrierung des Weltbegriffs auf eine µMitte¶ oder ein µSubjekt¶ hin³ (Luhmann 1984: 284) differenziert. In der postmodernen Gesellschaft steht letztlich keine Instanz mehr zur Verfügung, Ävon der her alle Operationen der Gesellschaft konditioniert werden könnten³ (Kneer/Nassehi 1993: 146). Lyotard (1999: 43-44) greift die Systemtheorie Luhmanns als Ätechnokratisch, eigentlich sogar zynisch, um nicht zu sagen hoffungslos³ an, in der er ÄBedürfnisse und Erwartungen von Individuen oder Gruppen³ zu einer Änebensächliche[n] Komponente³ des Funktionierens von Systemen degradiere.
Zwängen) ihre Wirkung 24. Die latenten Nebenfolgen des menschlichen Handelns werden manifest, sie sind ± im kybernetischen Sinne ± negativ mit kommerzieller Raumeroberung und beherrschung, sozialen Herrschaftsstrukturen etc. rückgekoppelt: Die ± nicht allein monetären, sondern auch sozialen und kulturellen ± Opportunitätskosten ± in Form von Verwaltung, Vermeidung, Schadensbehebung etc. ± für eine weitere ÄEinheit Modernität³ sind gesellschaftlich nicht mehr realisierbar. Der Modernisierungsprozess Äwird µreflexiv¶, sich selbst zum Thema und Problem³ (Beck 1986: 26). Damit ist ein wesentliches Element der Postmodernisierung benannt: Die Reflexivität, das gesellschaftliche und individuelle Hinterfragen eigener und fremder potentieller, aktualisierter und manifester Handlungen25. Die Entwicklung eines reflexiven Bewusstseins hat die Folge, dass das eigene Bewusstsein, das Me und das I, im Sinne von Mead (1968), zum Objekt der eigenen Reflexion werden. Wobei damit in der Postmoderne ± nach Hage/Powers (1992) ± auch eine Abkehr von einem einzigen Kernselbst, hin zu einer komplexeren Identitätskonstellation verbunden ist, das ständig durch Redefinition (und Reflexion) rekombiniert wird. Der Terminus der Äreflexiven Moderne³26 bedeutet somit ± im Sinne von Giddens27 (1998) ± eine Reflexion der Moderne, eine Bewusstwerdung der Probleme der Moderne, während der Terminus bei Beck (u. a. 1986) als eine reflexartige Handlung, eine bewusste oder unbeabsichtigte Infragestellung der Moderne verstanden wird. Ein wesentliches Element der (Selbst-)Reflexion in der postmodernen Theorie sind hermeneutisch-dialektische Überlegungen hinsichtlich (Jameson 1991: 12): 1. des dialektischen Verhältnisses von Wesen von Wirklichkeit und Erscheinung, 2. des Freudschen Modells von Latenz und Manifestation, 3. der existentialistischen Synopsis von Authentizität und Inautentizität sowie 4. der semiotischen Opposition von Bezeichnetem und Bezeichnendem. Diese Gegenüberstellungen als binäre Codierung (ähnlich jener von Luhmann) zu verstehen, hieße modernes klassifikatorisches Denken zu konservieren, und nicht postmodern reflexiv-vorbehaltlos abzuwägen. Als für die Philosophie der Postmoderne charakteristisch lässt sich ± so Bormann (2002) ± vielmehr der Wegfall des Dualismus von Welt und Denken, von philosophischem und alltäglichem Diskurs, oder zumindest eine Annäherung dorthin, beschreiben. Wesentliches Merkmal der Moderne ist ihre exklusivistische Tendenz in der Kunst, dem Sozialen, der Ökonomie und Politik, aber insbesondere der Wissenschaft: Makrosoziologie ist von Mikrosoziologie scharf abgegrenzt, Systemtheorie von Ethnomethodologie, Sozialwis24
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Kim (1993) wirft herkömmlichen Modernisierungstheorien (insbesondere den funktionalistischen) vor, durch das ÄAusblenden einer geschichtlich-gesellschaftlichen Perspektive³ (Kim 1993: 194) die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nicht hinreichend abbilden zu können und die Eigenarten der westlichen Moderne zu überschätzen. Nach Luhmann (1984: 601) lässt sich von Reflexivität, als prozessualer Selbstreferenz, dann sprechen, wenn die Unterscheidung von Vorher und Nachher elementarer Ereignisse zu Grunde liegt. In diesem Falle ist das Selbst, das sich referiert, nicht ein Moment der Unterscheidung, sondern der durch sie konstituierte Prozess³. Dem Begriff der Äreflexiven Modernisierung³ liegt die Auffassung zugrunde, in einer radikalisierten Moderne werde das selbst erzeugte Wissen zum Gegenstand reflexiver Prozesse gemacht, was zu einer veränderten Form der weiteren Modernisierung führe (Beck/Giddens/Lash 1996, hierzu siehe auch Noller 1999). Hoppmann (2000) weist auf die Nähe Giddens ÄTheorie der Spätmoderne³ zu postmodernen Ansätzen hin, die sich in der Forderung widerspiegelten, eine Beziehung zwischen Theorie und Praxis in der spätmodernen Theorie zu bestimmen oder auch bei der Betonung auf Beobachtungen im Alltagsleben.
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senschaften von Naturwissenschaften (Sloterdijk 1987: 34): ÄDer positivistische Szientismus, von Comte bis Carnap, verabsolutierte die wissenschaftlich zugerichtete Erkenntnisfunktion und verspricht Heilung der Weltmalaisen durch die sanitäre Leistung logischer Strenge und empirischer Unvoreingenommenheit bei der Erfassung des Wirklichen; den ethischmetaphysischen und den ästhetischen Bereich wirft man, wie einen vernachlässigbaren Rest, einigermaßen auf den Müllhaufen des Ungenauen³. Anders die Postmoderne: ÄPostmodernismus bedeutet im Grunde nichts anderes als Postexklusivismus ± nachdem der Modernismus seine exklusivistische Bewegung vollendet hat. Die Moderne hatte eine Dynamik entfesselt, die man als Abschaffung des Selbstverständlichen bezeichnen könnte. Kraft ihrer Erfolge versteht sich alles, was selbstverständlich sein will, nicht mehr von selbst. Der Modernismus war die Revolte gegen das Selbstverständliche, er war in permanenter Bewegung und besaß in seiner Ausschließungskraft sein revolutionäres Prinzip³ (Sloterdijk 1987: 49). Mit der Abschaffung der Selbstverständlichkeit in der Moderne wurde Ädie Ausschließung des alten Selbstverständlichen zur neuen Selbstverständlichkeit³ (Sloterdijk 1987: 50), wodurch deutlich wird, dass das Prinzip der modernen Reflektion als zweite Reflektion auch die Modernität zum Gegenstand macht (Sloterdijk 1987: 51): ÄDie Modernität muss es sich gefallen lassen, dass man ihre eigenen Fragen noch einmal an sie richtet³. Der Postexklusivismus der Postmoderne dagegen ist geprägt vom Inklusivismus, nicht vom Exklusivismus (Sloterdijk 1987), von der Dekonstruktion des Ausschließlichen. 2.1.3 Postmoderne (Sprach-)Philosophie und die Frage der Wahrheit28 Die Menschen finden ihre Wirklichkeit nicht als eine Gegebenheit vor, Äzu der sie sich verhalten, sondern als Welt von Bedeutungen erfinden, in der sie sinnhaft handeln: dass sie ihr Handeln über Vorstellungen führen und an Deutungen orientieren, in denen sie charakteristische ÃIdeen¶ ausdrücken und symbolisch veranschaulichen³ (Tenbruck 1989: 10)29. Aus postmoderner Perspektive ist also die Welt nur mehr als Konstrukt, als konstruierte Welt zugänglich (Landgraf 2004): ÄJede Art der Beobachtung von Welt, ob durch Wahrnehmung, Darstellung, Repräsentation, Vorstellung, Experiment, Gedanke, Theorie, oder siebten Sinn, jede Art der Beobachtung von Welt wird als Konstruktionsprozess verstanden. Dieses postmoderne Credo geht davon aus, dass was auch immer wie erscheint, immer Erscheinung eines Beobachters/einer Beobachtung ist; dass was auch immer ist, nur ist, was es ist, dank seiner Beobachtung, dank seiner Konstruktion durch einen Beobachter. Der Beobachter der Postmoderne ist dem gemäß notwendig ein Beobachter von Beobachtern und Beobachtungen. Damit wird nun aber die Beobachtung dieses postmodernen Beobachters selbst zur zentralen Aufgabe der Bestimmung und Selbstbestimmung der Postmoderne³30. Ein solcher konstruktivisti28 29
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Dieser Abschnitt fußt in Teilen auf Überlegungen, die bereits in Kühne 2003b angestellt wurden. Dieser Ansatz ± obwohl charakteristisch für die Postmoderne ± ist kein Alleinstellungsmerkmal postmodernen Gedankenguts. Es findet sich auch z.B. bei Descates (1922), Spencer Brown (1971) und Luhmann (1984). Köllerer (2004) kritisiert die postmoderne (Sprach-)Philosophie hinsichtlich ihrer prinzipiell immanent nicht vorhandenen Nachvollziehbarkeit eines jeglichen (auch eigenen Wahrheitsanspruches): ÄJede Variante dieser Theorie [der postmodernen Philosophie; Anm. O. K.] ist relativistisch, anders wären die diversen Partikularismen nicht vertretbar. Der Relativismus ist ± vor allem in den radikalen Varianten ± nun aber mit einer Rei-
scher Ansatz postmodernen Denkens liefert die Begründung für die Ablehnung der Großen Erzählungen der Moderne: ÄTraditionelles Wirklichkeitswissen wollte objektivistisch bzw. fundamentalistisch sein, während man sich an ästhetischen Phänomenen Gesetzlichkeiten genuiner Erzeugung klar machte. Unter der Hand hat man jedoch zugleich Kategorien für das Verstehen von Wirklichkeitserzeugung entwickelt³ (Welsch 1993a: 42). Auch über die Kunst hinaus haben andere Kategorien, selbst das Erkennen, einen ästhetischen Charakter31, womit selbst Kategorien wie Schein und Beweglichkeit zu ÄGrundkategorien der Wirklichkeit³ (Welsch 1993a: 42) geworden sind. Das postmoderne Welt- und Erkenntnisverständnis nimmt ferner ± auf der Dualität von Realität und Bewusstsein basierend ± einen semiotischen Blickwinkel ein. Ausgangspunkt für das postmoderne Paradigma ist die prinzipielle ÄUnhintergehbarkeit der Sprache³ (Weik 1998: 24). Sprache und Wirklichkeit sind demnach extensional nicht deckungsgleich, sondern besitzen eine Art ÄSchnittmenge³ struktureller Ähnlichkeit. Soziale Wirklichkeit wird gemäß postmodernem Denken nicht mehr als das verstanden, Äwas der symbolischen Ordnung vorgängig ist und diese hervorbringt³, vielmehr wird Äsoziale Realität als Wirkung semiotischer Strukturen³ (Wachholz 2005: 11) erklärt. Dabei zeichnet sich die narrative Kraft der Sprache neben ihrer Unhintergehbarkeit Ädurch räumliche und soziale Universalität, zeitliche Unendlichkeit, Spontaneität³ (Wachholz 2005: 72) aus32. Auch die moderne Wissenschaftstheorie und der Kritische Rationalismus stehen ± so Feyerabend ± auf einer Grundlage metatheoretischer Prämissen. Sie basieren auf einer Äden Rationalismus immer wieder rettende[n] Irrationalität³ (Feyerabend 1984: 69). Damit basiert die Wissenschaft letztlich auf einer Äexistenziellen Entscheidung³ (Feyerabend 1984: 158), eine gewisse Aussage (Theorie oder Auffassung) Äaus guten Gründen für wahr zu halten³, obwohl es Argumente geben kann, Ädie zeigen, dass entweder ihr Gegenteil oder eine schwächere Alternative wahr ist³ (Feyerabend 1989: 108). Die Ausbildung von Methoden der Wahrheitskonstruktion ist für Feyerabend Äim Grund eine Methode der Täuschung: Sie erzwingt einen blinden Konformismus und redet von Wahrheit; sie lässt intellektuelle Fähigkeiten und Einbildungskraft verkommen und redet von tiefer Einsicht³ (Feyerabdend 1986: 54). Dabei be-
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he von philosophischen Schwächen behaftet. Denn wenn alles relativ ist, ist zwangsläufig auch der Relativismus relativ, kann also konsistent nicht als Standpunkt vertreten werden. Dieses Argument ist weder neu noch originell, mussten sich doch bereits die Skeptiker der Antike damit auseinandersetzen. Trotzdem ist es gültig, und es bleibt für einen Poststrukturalisten nur ein Ausweg: seinen Standpunkt explizit als relativ zu bezeichnen, wenn er glaubwürdig bleiben will. In diesem Fall verliert seine Position jedoch jegliches Interesse. Warum sollte man sich mit irgendeiner beliebigen Theorie auseinandersetzen, für die nicht einmal ein gemäßigter Wahrheitsanspruch erhoben wird?³ Ästhetik ist einer der zentralen Begriffe der Postmoderne, er dokumentiert wie kaum ein anderer die Prinzipien postmodernen Denkens von Perspektivität und Relativität ± aber auch von Toleranz. Der Zentralbegriff der Ästhetik wiederum ist Schönheit (Borgeest 1977: 100): ÄDie Geschichte der Ästhetik besteht aus einer ständigen Uminterpretation des Schönheitsbegriffs. Es gibt zur Bestimmung des Schönen nicht einen Orientierungspunkt, der auf allseitige und allzeitliche Akzeptanz hoffen darf und von dem nicht mit gleichem Recht das Gegenteil behauptet werden könnte³. Bereits Nietzsche (1956) erklärte, Sprache täusche eine Wahrheit vor, die es nicht gebe, mit Ausnahme in der Einbildung des Menschen, da das Wort nicht mehr der Erinnerung an Ädas einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein Entstehen verdankt³ (Nietzsche 1956: 313) dient, sondern vielmehr eigenständig wird und sich vom Erlebten löst und zum Begriff verfestigt, womit die Entstehung der Sprache mit dem Vergessen der Wirklichkeit einhergehe. Fakten sind folglich lediglich solche Interpretationen der Wirklichkeit, die Autorität über alle alternativen Interpretationen erlangt haben.
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ruht die Äso genannte Autorität der Wissenschaften [...] auf einem Entschluss, dessen Richtigkeit einzig durch jene Verfahren hergestellt werden kann, die er beseitigt³ (Feyerabend 1984: 106). Der hegemoniale Expansionsdrang der modernen Wissenschaften, und insbesondere seines denotativen Sprachspiels, dekonstruiert somit seine metatheoretischen Grundlagen (vgl. Fazis 1994)33. Die Alltagssprache ± auf der letztlich auch jede wissenschaftliche Terminologie fußt (vgl. z.B. Brodbeck 1998) ± entwickelt sich in ÄSprachspielen³ (Wittgenstein 1960: 342), also in Diskursformen (z.B. unterrichten, Recht sprechen, werben usw.) deren Verlauf durch bestimmte Satz-Regelsysteme (beispielsweise argumentieren, beschreiben, fragen etc.), nach spezifischen Diskursregeln, verknüpft werden: Sprache schafft Realität, da sie die Wahrnehmung beeinflusst und wiederum Ausgangspunkt für realitätsbeeinflussende Handlungen ist. Somit ist Sprache Äkein µKommunikationsinstrument¶, sondern ein höchst komplexer Archipel, der aus Inseln von Sätzen besteht, die ungleichartigen Ordnungen angehören, so dass es unmöglich ist, einen Satz aus einer Ordnung (einen deskriptiven Satz zum Beispiel) in einen Satz einer anderen Ordnung (einen evaluativen oder präskriptiven) zu übersetzen³ (Lyotard 1985: 86, vgl. auch Lyotard 1987b). Diskurse sind heterogen, d.h. prinzipiell verschiedenartig. Meder (2004: 40) charakterisiert die Bezüge des Sprachspielers innerhalb des Sprachspiels folgendermaßen: ÄDer Sprachspieler weiß nicht, was er macht im Spiel, sondern er macht es, und was es ist, was er dabei macht, ergibt sich aus der figuralen Vernetzung von Spielzügen, in der sich das Sprachspiel aktualisiert und situativ präsentiert³. Sprachspiele lassen sich also als unintendierte Folgen von Kommunikation, mehr noch: von sozialem Handeln, auffassen. Wahrheit kann es ± gemäß der postmodernen Wissenschaftstheorie ± nur raumzeitlich begrenzt innerhalb eines Sprachspiels geben, so lange dieses Sprachspiel Geltung hat (Lyotard 1979). Dabei sind Bedeutungszuschreibungen für Objekte Änicht willkürlich, aber kontingent, d.h. sie bestimmen sich innerhalb der Koordinaten eines kulturell (räumlich) und geschichtlich (zeitlich) spezifischen Aussagesystems³ (Wachholz 2005: 24). Foucault (1981: 74, vgl. hierzu auch Bauman 1992b) charakterisiert die Produktion von Wahrheit wie folgt: ÄDie Wahrheit ist nicht von dieser Welt; in dieser Welt wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre, Ãallgemeine Politik¶ der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht³. Zentrales Element des Philosophierens (wie auch der gesamten wissenschaftlichen Arbeit) ist also der prinzipielle Verlust eines absoluten Wahrheitsanspruchs von Wissen (Lyotard 1999: 78): ÄEs ist nicht so, dass ich etwas beweisen kann, weil die Realität so ist, wie ich sage, sondern solange ich beweisen kann, ist es erlaubt zu denken, dass die Realität so ist, wie ich sage³. Dabei ± und hierbei zeigt sich der radikal pluralistische Ansatz der postmodernen Philosophie ± ist Änicht jeder Konsens [...] ein 33
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Allein aufgrund dieser Überlegungen kann eine Arbeit, die sich mit der Postmodernisierung beschäftigt, nicht allein auf einer einzigen theoretischen (beispielsweise systemtheoretischen) Grundlage beruhen.
Indiz der Wahrheit³ (Lyotard 1999: 78)34. Lyotard (1988) greift das (unter anderem daraus resultierende) Problem der Gerechtigkeit zwischen den Sprachspielen mit der Quintessenz auf, die postmodernen Sprachspiele hinsichtlich ihrer Entfaltungen nicht zu beeinträchtigen. Dagegen findet sich bei Welsch (2002) mit dem Konzept der Ätransversalen Vernunft³ auch der Versuch, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich in der Postmoderne keine Eindeutigkeiten mehr herstellen ließen35. Eine Wahrheitsaussage kann also lediglich hinsichtlich ihrer Selbstkonsistenz als stringent gelten, über dieses autopoietische System von expliziten Grundannahmen und daraus folgenden Schlüssen hinaus, können Aussagen lediglich mit abweichenden Wahrscheinlichkeiten angenommen werden. Das Auseinanderbrechen des alteuropäischen Wahrheitsbegriffes in der Postmoderne lässt sich ± so Sloterdijk (1987: 30-31) ± darauf zurückführen, Ädass die drei Dimensionen des klassischen Wahrheitsraumes in unversöhnbare Richtungen auseinander treiben. Das Wahre verliert tendenziell seine Beziehung zum Schönen und zum Guten, das Schöne emanzipiert sich mit grandiosem und bedrohlichem Eigensinn von Gutheit und Wahrheit, und das Gute wird vollends zu etwas, das zu schön wäre, um wahr zu sein³. 2.1.4 Macht in der Postmoderne Das wesentliche Element der postmodernen Machtanalyse ist die Verknüpfung von Macht und Wissen. In Rückgriff auf Nietzsches ÄGenealogie der Moral³ (vgl. Tsiros 1992) entwickelt Foucault seit 1970 seinen Machtbegriff. Das Verhältnis von Macht und Wissen wird aber auch von Karl Deutsch in der Äpolitischen Kybernetik³ deutlich: Macht lässt sich demnach als Ädie Fähigkeit einer Person oder Organisation, ihrer Umwelt die Extrapolation oder Projektion ihrer inneren Struktur aufzuzwingen³ (Deutsch 1969: 171) verstehen. Macht habe also derjenige, Äder es sich leisten kann, nichts lernen zu müssen³ (Deutsch 1969: 171). Im Gegensatz zu Deutsch kommt Foucault zu einer positiven Machtabgrenzung: Für Foucault 34
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Tenbruck (1989) weist auf die Gefahr hin, Pluralität könne einerseits zur Beliebigkeit (insbesondere der Kultur, aber auch des Denkens allgemein) werden, und sei andererseits eine durch Tabus und Sanktionen geschützte Weltanschauung. Zu den Dingen, die Äbloß deshalb nicht gesagt, nicht getan und kaum gedacht³ werden dürften, da sie an Ideen rührten, Ädie die Zeit als ihren heiligen Glauben hütet. Dazu gehört der unablässige Kult der Demokratie, deren einäugige Parolen von Freiheit und Menschenrecht man ebenso wenig laut beim Namen nennen darf wie die Geschichtsbilder der Vergangenheit und Zukunft, die er diskreditiert³ (Tenbruck 1989: 11). Nach Welsch (2002) müsse Vernunft dazu beitragen, Übergänge zwischen den einzelnen Sprachspielen herzustellen, um so die Verschiedenartigkeit der Diskurse zu sichern, da die diversen Rationalitätstypen (der Ökonomie, der Soziologie, der Technik etc.) Gefahr liefen, sich aufgrund ihrer Spezialisierungen nicht oder sogar negierend wahrzunehmen. Damit erhält die Option Äeiner Beliebigkeit der (wissenschaftlichen, politischen, [...] ästhetischen und anderen) Diskurse [...] durch die transversale Vernunft eine Alternative: nämlich die Perspektive, dass die inkommensurablen Sprachspiele kommunikativ zusammenkommen können, ohne dass der Spezifik der Diskurse durch Konkordanzwünsche oder Hegemonialabsichten ihr Eigensinn oder ihre Berechtigung entzogen würde³ (Wood 2003: 36). Damit wird eine strukturelle Ähnlichkeit der Theorie der funktionalen Entdifferenzierung und der Codierung von Systemen, wie sie in der Systemtheorie bei Luhmann (z.B. 1984) beschrieben wird, deutlich. In der postmodernen Theorie sind es die Sprachspiele, die untereinander nicht kommunizieren, in der Theorie der autopoietischen Systeme sind es die Systeme mit unterschiedlicher Codierung. Zur Verdeutlichung: ÄDie Sprache ist ohne Einheit, es gibt nur Sprachinseln, jede wird von einer anderen Ordnung beherrscht, keine kann in eine andere übersetzt werden. Diese Zerstreuung ist an sich gut, sie muss geachtet werden. Was zur Krankheit führt, dass eine Ordnung über die andere übergreift³ (Lyotard 1985: 70).
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(1995: 114) ist Macht Äder Wille zum Wissen³. Im Sinne einer Synthese aus den Ansätzen Deutschs und Foucaults wiederum bedeutet dies, dass aktuelle Macht zwar nicht per se durch eine aktuelle Wissensakkumulation bedingt ist, Machterhaltung jedoch an den Erwerb von Wissen geknüpft ist. Für aktuelle Macht genügt eine Wissensdifferenz (auch aus historischer Wissensakkumulation). Der Machtbegriff der Postmoderne ist polyvalent. Macht ist ± im Sinne Foucaults (1975, 1995) ± als Machtverhältnis in der Interaktion zwischen (freien) Personen zu verstehen, als ein vielfältiges Spiel sozialer Kräfte, in welches jedes Mitglied der menschlichen Gesellschaft involviert ist. Dabei ist Macht (vgl. Weik 1998) keine Ressource, die als Gut handel- oder tauschbar ist, keine physikalische Kraft, nicht hierarchisch diffundierend, nicht zentrisch, kein Überbau im Sinne Karl Marx¶, nicht allein Unterdrückung, Verbot und Ausschluss, nicht Kommunikation, nicht auf Angst und Konsens reduzierbar, kein Substantiv, auf kollektiven oder individuellen Interessen und Intentionen beruhend, auf ein Machtprinzip reduzierbar, das die gesamte Gesellschaft durchdringt und von Freiheit und Widerstand unabhängig ist. Macht ist eine Strategie von Regeln, Funktionen, Strukturen und Techniken. Zentrales Element der Ausübung und Wirkung von Macht ist dabei die Verinnerlichung ihrer Ziele durch Selbstkontrolle: Macht wird zum Willen des Beherrschten selbst. Dadurch perpetuiert sie sich durch fortwährende Produktion von Macht als soziale Wirklichkeit (Foucault 1975). Die Symbiose Macht-Wissen entsteht dadurch, dass keine Machtbeziehungen ohne Wissensbeziehungen sowie keine Wissensbeziehungen ohne Machtbeziehungen existieren: Das Machtsystem emergiert ein Wissenssystem, das Wissenssystem emergiert ein Machtsystem. Das ± im Sinne Foucaults ± Ädisposive³ Macht-Wissenssystem36 ist aus heterogenen Elementen zusammengesetzt. Wobei ± aus postmoderner Sicht ± das Macht-Wissenssystem folgende Aspekte aufweist (nach Deleuze 1987, vgl. auch Tsiros 1992): 1. Das System Macht-Wissen ist eine abstrakte Maschine. Es ist durch informelle Funktionen und Materien definiert, wodurch Formunterschiede zwischen Inhalt und Ausdruck, zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Formen ignoriert werden. 2. Das System Macht-Wissen befindet sich in einem prinzipiell instabilen Fließgleichgewicht, in dem Materien und Funktionen permanent neu kombiniert und neu definiert werden. 3. Das System Macht-Wissen ist intersozial und konstituierend, präexistente Gesellschaftsstrukturen werden rekombiniert und nicht rekonstruiert. 4. Das System Macht-Wissen stellt einen latenten, immanenten, inegalisierenden, dem gesellschaftlichen System koextensiven Ursachenkomplex dar: Dieser Komplex ist im gesellschaftlichen System sowohl Ursache für konkrete Anweisungen und ihre Befolgung als auch strukturimmanent, indem die konkreten Anweisungen eine Machtstruktur innerhalb des gesellschaftlichen Systems und seinen Subsystemen schaffen.
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Die postmoderne Theorie spricht hierbei (aufgrund terminologischer Vorbehalte) nicht von einem System, sondern von einem Diagramm, da dieses Diagramm allerdings die Struktur- und Funktionsweise eines Systems aufweist, wird an dieser Stelle ± zwar terminologisch bedenklich, inhaltlich aber gerechtfertigt ± von einem System gesprochen.
5. Das System von Macht-Wissen ist zugleich (in Teilen) verortet und (in anderen Teilen) raumzeitlich omnipräsent, dabei aber stets transformativ. Ein Charakteristikum von Macht ist ihre situationsspezifische Neudefinition, sie ist kein ontologisches Prinzip, sondern Äeine kulturspezifische Ausprägung von [...] Absichten und ihren unintended consequences³ (Weik 1998: 218)37. Die Kämpfe um Macht finden in der Postmoderne nicht mehr (primär) um physischen Raum, um Territorien oder Menschen statt, sondern im Cyberspace um Informationen, um Wissen (Kretzschmar 2002: 266): ÄDamit ist der Informationskrieg, ähnlich wie der Kalte Krieg, ein permanenter und Ãtotaler¶ Krieg. Die Grenze zwischen Krieg und Frieden, zwischen ziviler und militärischer Sphäre verschwimmt.³ Wobei ± sofern dieser Kalte Krieg durch einen Äheißen Krieg³ abgelöst werde ± Informationsmanagement zu einer gezielten Form der Öffentlichkeitsarbeit wird, in dem die mediale Repäsentation des Krieges einerseits zur Akzeptanzsteigerung Äan der heimatlichen Fernsehfront³ (Kretzschmar 2002: 266), andererseits zur Manipulation der Wahrnehmung des Gegeners eingesetzt wird (vgl. Gray 1997, Kretzschmar 2002, Werber 2002, Kühne 2003d). 2.1.5 Die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft in der Postmoderne In der Moderne gilt die Wissenschaft als eine Instanz, die wertfrei die Wirklichkeit erfasst. Die moderne Wissenschaft umgibt die Aura der ÄEntzauberung der Welt³ (Weber 1968a ± zuerst 1922, vgl. dazu Winckelmann 1980), deren Wahrheits- und Geltungsanspruch nicht angezweifelt wird. Der Kopernikanismus der Moderne wird als soziokultureller Modernismus Äzur Revolution in Permanenz. Er löst die traditionellen Kulturen auf dem Planeten unwiderstehlich auf; er durchmischt alle bislang autochthonen Gestalten; er entfesselt ÃProduktivkräfte¶, von denen Kopernikus nicht träumte [...]³ (Sloterdijk 1987: 62). Das Menschenbild der Moderne kann als die Konstruktion eines ± gegenüber seinen Mitmenschen autonomen ± Nutzenmaximierers, in der Kontrolle über seinen Körper und die Natur, beschrieben werden (vgl. Joas 1992)38. In der Moderne gilt die Wissenschaft als unpolitisch, über soziokulturelle Belange erhaben und ökonomisch unabhängig; Technologie wird als wertneutral angesehen. Den wissenschaftlichen Theorien der Moderne ist ein partieller (in ihrem Geltungsbereich) oder totaler, ausschließender Gültigkeitsanspruch eigen (so Evolutionstheorien z.B. die darwinsche und Fortschrittstheorien z.B. die marxsche). Dadurch genügt der Nachweis einer partiellen Ungültigkeit, um sie zu falsifizieren (Falisikationshypothese Poppers). Für Feyerabend (1986) wird durch das Ausschalten von alternativen, nicht wissenschaftlich-rationalen Gedankengebäuden die Menschheit (für ihn prinzipiell gleichwertiger) Welt37
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Eine besondere Bedeutung in dem System Macht-Wissen hat ± so Bourdieu/Passeron (1973) ± die Durchsetzung kultureller Willkür in der Sozialisierung und Habitualisierung mittels der symbolischen Gewalt inne: ÄJede Macht zu symbolischer Gewalt, d.h. jede Macht, der es gelingt, Bedeutungen durchzusetzen und sie als legitim durchzusetzen, indem sie die Kräfteverhältnisse verschleiert, die ihrer Kraft zugrunde liegen, fügt diesen Kräfteverhältnissen ihre eigene, d.h. eigentlich symbolische Kraft hinzu³ (Bourdieu/Passeron 1973: 12). Bauman charakterisiert das Bemühen der Moderne, den Menschen von seiner ÄUnterordnung unter die Natur, von den unerwünschten Bindungen zu anderen Menschen und von den Widersprüchen³ (Wagner 1995: 82) in sich selbst zu befreien als Äeine Rebellion gegen das Schicksal und die Zuschreibung³ (Bauman 1992: 92).
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deutungsmöglichkeiten beraubt. Es lässt sich die Rückkopplung zwischen Wissenschaft und Politik als eine ± im kybernetischen Sinne positive ± deuten: Je systemstützender wissenschaftliche Ergebnisse sind, desto mehr finanzielle Mittel werden für die Wissenschaft bereitgestellt. Dabei sind Wissen und Macht untrennbar miteinander verbunden, da sich Wissensgenerierung auf Praktiken der Disziplinierung (wie Normierung, Standardisierung, Ausschluss, Abweichungsmessung) stützt (Foucault 1995)39. Wissenschaftsverständnis
Moderne szientistisch, weltbildkonstituierend
Postmoderne kritisch und instrumental
Wissenschaftsmethoden
objektivierendes Erklären
Verstehen und Erklären
Verhältnis zur Metaphysik
ametaphysisch
Wissensformen
Wissenschaftsmonismus
Anerkennung eines metaphysischen Kerns von Wissenschaft Pluralität von Nutz-, Bildungs- und religiösem Wissen
Tabelle 2: Die Wissenschaft in der Moderne und Postmoderne (nach: Koslowski 1987).
Technik und Wissenschaft sind in der Postmoderne einem erheblichen Wandel unterworfen. Selbstverständliche Voraussetzungen von Wissenschaft und Technologie in der Moderne, wie ihre grundsätzliche Wertfreiheit und soziale Zweckneutralität werden angesichts ihrer überproportional wachsenden Nebenfolgen, ökosystemischer und gesellschaftlicher Art, immer fragwürdiger. Durch anhaltende wissenschaftliche Selbstkritik entzieht sich die Äwissenschaftliche Zivilisation einer ihrer Grundlagen [... und] offenbart ein Maß an Unsicherheit ihren Grundlagen und Wirkungen gegenüber, das nur noch übertroffen wird durch das Potenzial an Risiken und Entwicklungsperspektiven, das sie freilegt³ (Beck 1986: 256). Während es in der Moderne einen Diskurs über Heterogenität und Diskontinuität zu überwinden galt, Äfeiert der postmoderne Geist diesen Tatbestand als den einzig möglichen und einzig lebenswerten, auch wenn sich in der Theorie und Praxis damit die Probleme häufen³ (Türk 1990:13). Gleichzeitig hat sich mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften ein Gebilde Äunüberschaubar werdender konditionaler, selbstungewisser, zusammenhangloser Detailergebnisse³ (Beck 1986: 256) entwickelt, deren z. T. untereinander inkompatible, hypothesenwissensartige ÄÜberkomplexität³ (Beck 1986: 256) weder mit methodischen Überprüfungskriterien, noch durch Ersatzkriterien wie Reputation, Art und Ort der Veröffentlichung, institutionelle Basis etc. (Beck 1986) nicht mehr zu ordnen und zu hierarchisieren ist. Damit dehnt sich Wissenschaft zunehmend auf eine (reflexiv konstituierte) Meta-Ebene aus: Nicht die Frage ob Informationen zu bestimmten Sachverhalten gewonnen werden können, ist vordringlich zu behandeln. Vielmehr stellt sich das Problem, die Relevanz von Informationen zu einem bestimmten Sachverhalt zu beurteilen und zu synthetisieren. Die wesentlichen Unterschiede zwischen der Wissenschaft der Moderne und der Postmoderne stellt Tabelle 2 zusammenfassend dar40. 39
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Foucault hat seine Thesen nicht als postmodern bezeichnet, da er die Annahme eines ÄUmbruchs³ (wie gesellschaftliche Brüche allgemein) für überzogen hielt. Im Sinne der Postmodernisierung als gesellschaftliche Flexur, wie in diesem Buch verstanden, können Foucaults Ansätze durchaus als postmodern gelten. Die in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Grundzüge einer postmodernen Theorie sind schwerlich auf die räumliche Forschung in der Phase der Postmodernisierung anzuwenden, da sie einerseits die Gefahr bergen, als Ätheorieloser Empirismus³ (Becker 1996: 10) zu gelten, andererseits de facto Grenzen und Räume existieren. Möglicherweise kann die Postmoderne als ein Prozess charakterisiert werden, der durch
Der Prozess der radikalen wissenschaftlichen Pluralisierung der wissenschaftlichen Postmoderne lässt sich ± im Anschluss an die moderne ÄEntzauberung der Welt³ durch die Aufklärung41± als Autodekonstruktion der Wissenschaften beschreiben, einer Entzauberung der Wissenschaften, ihrer Methoden und Erkenntnisse (Bonss/Hartmann 1985). Mit dem Prozess der Autodekonstruktion der Wissenschaft ist auch ihre Demystifizierung von außen verbunden. Postmoderne wird hier mit den Mitteln der Moderne erreicht, sie stellt damit ein Beispiel für den postmodernen Prozess der reflexiven Radikalisierung der Moderne dar. Die Mystifizierung der Wissenschaft in der Moderne seitens weiter Teile der Bevölkerung erfolgte durch eine terminologisch verklausulierte Fachsprache, nicht allgemein verständlicher Methoden, Selbstinszenierung wissenschaftlicher und technologischer Allwissenheit, deren nichtwissenschaftlicher Konstruktion, die sich u. a. in Wissenschaftsgläubigkeit äußerte. Die Autodekonstruktion von Wissenschaft äußert sich ± so Alheit (1992: 205) ± in einer ÄEntfremdung zweiten Grades³: Während die ± auf Max Weber (1968a ± zuerst 1922) ± zurückgehende Beschreibung einer ÄEntfremdung ersten Grades³ darauf zurückgeht, dass Wissenschaft nicht mehr Äwahrheitsfähig³ sei, da sich Wahrheit in verschiedene Wertsphären aufgespalten habe, sei die ÄEntfremdung zweiten Grades³ Folge der Erosion von Sachlichkeit vor dem Hintergrund Äwissenschaftsinterner Methodenstreitigkeiten³ (Alheit 1992: 205), eine Entwicklung die Feyerabend (1986) in seiner Forderung nach Auflösung des ÄMethodenzwanges³ aufgreift und als Prinzip radikalisiert, was letztlich in der ÄEntzauberung der Entzauberung³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 43) der Welt gipfelt. Das wissenschaftliche System der Postmoderne sieht sich mit einer Entmonopolisierung und Dezentralisierung ihres Geltungsbereichs, in diesem Falle von (rationalistischer) Wirklichkeits- und Wahrheitskonstruktion und -erklärung, konfrontiert42. Das bedeutet, moderne Wissenschaft ist Äeine bestimmte Form
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einen anderen Prozess, nämlich den der Postmodernisierung, als Übergang zwischen Moderne und Postmoderne, einmal erreicht werden könnte ± einerseits soll diese konjunktivische Formulierung der Teleologielosigkeit der postmodernen Theorie Rechnung tragen ± andererseits kann die Postmoderne ± aufgrund ihrer möglichen (kontingenten) Vielgestaltigkeit nicht als ein einheitlich-monolithisches gesellschaftliches Modell gelten. Nicht erst in der Postmoderne lässt sich eine Formierung des Widerstandes gegen die ÄEntzauberung der Welt³ feststellen: ÄDie Romantik des 18. und 19. Jahrhunderts ist die große Gegenbewegung gegen den Prozess der ÃEntzauberung der Welt¶, der in der Aufklärung seinen stärksten affirmativsten Ausdruck gefunden hat. Die Romantik zielt aber ursprünglich nicht auf eine abstrakte Negation der aufklärerischen Rationalität, sondern darauf, deren prinzipielle Einseitigkeiten, falsche Verallgemeinerungen und ± mittlerweile eingetretene ± Trivialisierungen in einer neuen, die Gegensätze von Glauben und Wissen, Denken und Fühlen, Geist und Körper, Erkennen und Handeln etc. aufhebenden Kultursynthese zu überwinden³ (Weiss 1993: 98). Mit der Erosion des wissenschaftlichen Wahrheitsalleinvertretungsanspruchs geht ein Verfall der Autorität der Wissenschaft einher: Der Verdacht unumfassender, wenn nicht gar einseitiger und nicht objektiver Untersuchungsmethoden und -umfänge nahm unter anderem mit dem Aufkommen der Umweltbewegung in den 1960er Jahren zu (ein entscheidendes Ereignis war signifikanterweise das Erscheinen des Buches ÄThe silent spring³ der Nichtwissenschaftlerin Rachel Carson im Jahre 1962, das sich mit dem DDT-hervorgerufenen Tod von Vögeln beschäftigte), somit wurden wissenschaftliche Ergebnisse der Wissenschaft (nach modernem Wissenschaftsselbstverständnis folglich auch die Wissenschaft selbst) zunehmend von interessierten Laien in Frage gestellt, nicht Wissenschaftler allein können für sich beanspruchen, wissenschaftlich zu argumentieren, vielmehr ist eine Expertisierung von Laien (Bonss/Hartmann 1985) als ein Prozess postmoderner Emanzipationsprozesse begreifbar. Positiv betrachtet wird Wissenschaft in der Postmoderne ± aufgrund der Ausdifferenzierung und teilweisen Auflösung der Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft ± ubiquitär (Alheit 1992). Durch eine solche Grenzdifferenzierung respektive Entgrenzung zwischen dem Äinstitutionalisierten System Wissenschaft³ und seiner Umwelt ist Wissenschaft zum integralen Bestandteil von Wissen-
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von Erkenntnis, die das Seiende so und so Seiendes durchforscht³ (Shin 1996: 4). Die moderne, rationale, d.h. Äpositive Wissenschaft³ (Heidegger) ist ± so Heidegger ± nicht falsch, sondern einseitig, da sie sich nur einem Teil der Wahrheit annähere, während sie nicht in der Lage sei, weitergehende Wahrheiten zu erfassen (vgl. Shin 1996), sie ist eine unter vielen Möglichkeiten, Sein zu denken. In Bezug auf den Menschen formuliert Heidegger (1960: 11): ÄWissenschaftliche Forschung ist nicht die einzige und nicht die nächste Seinsart dieses Seienden³. Die Postmodernisierung von Wissenschaft ist mit einer inneren Pluralisierung, Ökonomisierung, Politisierung, Ästhetisierung und Kulturalisierung43 der Wissenschaften, z.B. in Form von wissenschaftlichen Gutachten (und Gegengutachten, was mit der Entmonopolisierung des wissenschaftlichen Wahrheitsanspruchs bei Auftraggebern und Bevölkerung positiv rückgekoppelt ist), der mediengerechten Darstellung von Forschungsergebnissen, der Werbung für Drittmittel etc. verbunden: ÄPostmodern science abandons absolute standards, universal categories, and grand theories in favor of local, contextualized, and pragmatic conceptual studies³ (Seidman 1994: 207). Wissenschaft in der Postmoderne wird ästhetisiert, kulturalisiert, subjektiviert und perspektiviert. Eine Entwicklung, die Paul Feyerabend (z.B. 1984) durchaus für wünschenswert hält. In dieser Weise wird die Konstruktion einer ± wie auch immer gearteten Realität ± deutlich, da ÄBegriffe, die aufgrund von expliziten und streng unhistorischen Argumentationsketten definiert werden, [...] keinesfalls den Inhalt von Begriffen ausdrücken [können]³ (Feyerabend 1984: 136)44. Für die Moderne lässt sich die Bemühung der empirischen Sozialwissenschaften konstatieren, sich ± ähnlich den Naturwissenschaften ± von ihrer philosophischen Vorgeschichte zu emanzipieren (vgl. Weiss 1993). Unter anderem aufgrund des Prinzips der Gleichheit der Diskurse und ihrer Pluralität hat die Postmoderne dieses Unterfangen eingestellt: Empirie und Philosophie lassen sich als für die Sozialwissenschaften gleichermaßen relevant und grundlegend einschätzen45. Für die vorliegende ± empirische und theoretisch-abstrahierende ± Untersuchung sollen somit folgende Grundlagen gelten: 1. Die Gleichwertigkeit der Diskurse: Unterschiedliche Theorien haben unterschiedliche Stärken und Schwächen in der Erklärung zeitlicher, räumlicher, struktureller, prozessualer Zusammenhänge. Keine Theorie kann ± aufgrund der Komplexität der Wirklichkeit ± alle Sachverhalte in gleicher Qualität abbilden und erklären.
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schaftsan- und verwenden geworden und hat zum Teil Lebenswelten erobert, die vormals, in der Moderne, lediglich indirekt von Wissenschaft geprägt waren. Wie auch das Beispiel von Rachel Carson zeigt, bleibt Wissenschaftskritik kein wissenschaftliches Privileg (Alheit 1992), sie wird auch ± legitimer Weise ± von sach- und fachkundigen Laien in Frage gestellt, zu der Autokonstruktion tritt also auch die Dekonstruktion von außen. Die sozialwissenschaftliche postmoderne Forschung greift in verstärktem Maße die kulturellen und speziell die ästhetischen Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung auf. Aspekte, die ± so Lash/Urry (1994) ± in der modernen Theoriebildung (auch jener der reflexiven Moderne) weitgehend ausgeklammert wurden. Auf die doppelte Bedeutung der Historie bei der Wahrnehmung weist auch Horkheimer (1968) mit dem Problem der doppelten Präformation ihres Gegenstandes, Ädurch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstandes und dem geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs³ (Horkheimer 1968: 149) hin. Weiss (1993) vertritt dagegen den Standpunkt, die Rehabilitierung der Philosophie, eigens mit der ÄKritischen Theorie³, sei ± im Marxschen Sinne ± aufgehoben.
2. Die Wirklichkeit ist weder wissenschaftlich noch anders (vollständig) rekonstruierbar. Ziel der Arbeit ist, die Beschreibung und Erklärung von Sachverhalten mit möglichst großer Schärfe (d.h. Wahrheitswahrscheinlichkeit) zu erreichen. 3. Sachverhalte sind in ihrer Kontextualität zu betrachten. Für die vorliegende Arbeit heißt dies: Der Prozess der Transformation von Landschaft in toto, aber auch die Transformation von einzelnen gesellschaftlichen Teilsystemen im Verhältnis zur Landschaft, werden hinsichtlich ihrer räumlichen, zeitlichen, soziokulturellen, ökonomischen und politischen Kontextualität betrachtet, da die sozialen Systeme stets in Rückkopplung miteinander stehen. 4. Die zu untersuchenden Sachverhalte werden als kontingent 46 angenommen, sie werden also weder als notwendig, noch als unmöglich angenommen (vgl. Luhmann 1984). Dies gilt insbesondere für die Untersuchung der Nebenfolgen menschlichen Handelns (und Verhaltens). 5. Theoretische Feststellungen (insbesondere ihre Übertragung auf andere Räume) müssen empirisch abgesichert werden, auch wenn eine vollständige empirische Absicherung niemals erreicht werden kann. 2.2
Merkmale der gesellschaftlichen Postmoderne
Die Moderne stellt eine neuartige Form des Gesellschaftlichen dar, deren Hauptmerkmal die funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems ist. Gleichzeitig wurden in den betreffenden Gesellschaften soziale Normen von religiösen Begründungen getrennt. So ist die Ausdifferenzierung der vier zentralen Funktionssysteme ± Wirtschaft (Ziel der Anpassung an interne und externe Prozesse), Politik (Ziel der Erreichung von gesellschaftlichen Zielen), soziale Gemeinschaft (Ziel der Integration der unterschiedlichen sozialen Gruppen) und Kultur47 (Ziel der Erhaltung von Wertmustern) ± gemäß der Systemtheorie Grundlage für die Ausbildung bestimmter Äevolutionärer Universalien³ (Parsons 1969). Zu diesen Universalien zählen Bürokratie, Marktorganisation, universalistische Normen im Rechtssystem, allgemeine und freie Wahlen sowie demokratisches Assoziierungsrecht (Parsons 1969), sie sichern langfristig die Anpassungsfähigkeit des Gesellschaftssystems an seine Systemumwelt 48. Während in der 46 47
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Auch die Erklärungen von wissenschaftlichen Theorien können als kontingent bezeichnet werden. Der Parsonssche Kulturbegriff, Kultur als ein, der gesamten Gesellschaft untergeordnetes, Subsystem zu verstehen, wird u. a. bei Tenbruck (1989) kritisiert. Da die Kultur Äim Gegensatz zur Natur alles umfasst, was durch menschliches Handeln entsteht, entspringt sie aus der Eigenart dieses Handelns, die den Menschen zum Kulturwesen bestimmt³ (Tenbruck 1989: 15). Wobei (auch) in dem Zusammenhang der Landschaftsanalyse die rigorose Abgrenzung zur Natur zweifelhaft erscheint: Ab welchem Grade der menschlichen Beeinflussung würde Natur- zur Kulturlandschaft? Inwiefern ist der Mensch als ÄKulturwesen³ (Tenbruck) nicht ± aufgrund seiner biotischen Funktionen und Strukturen ± auch ein Naturwesen? Die Bedeutung der Differenzierung für die moderne Gesellschaft findet sich auch bereits Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ± in Form der organischen Solidarität ± bei Durkheim (1977 ± zuerst 1893), bei Weber (1972a ± zuerst 1921) in Form der Differenzierung von unterschiedlichen Wirklichkeitssphären, Rationalitäten und Herrschaftslegitimationsebenen. In dieser Zeit stellte Simmel (1890) den Zusammenhang zwischen sozialer Differenzierung und Individualisierung dar. Eine Weiterentwicklung der Theorie der sozialen Differenzierung leistete die autopoietische Systemtheorie Luhmanns (z.B. 1975b und 1984). Autopoietische soziale Systeme produzieren ± als ihr konstitutives Element ± fortlaufend Kommunikation aus Kommunikation. Die Existenz sozialer Systeme setzt somit eine sinnhafte Kommunikation voraus.
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Moderne das Übernehmen der Aufgaben eines Teilsystems eines anderen, diese Substitutionsversuche mit einer ÄEntdifferenzierung, d.h. mit Verzicht auf die Vorteile der funktionalen Ausdifferenzierung bezahlt³ (Luhmann 1984: 81) werden, findet in der Postmoderne eine Differenzierung und De-Differenzierung von Differenzierungen statt: Ein Vorgang, der die Polarität von Differenzierung und Entdifferenzierung Ädurch den Begriff Pastiche ergänzt und überholt. Pastiche bedeutet nicht einfach Entdifferenzierung, sondern setzt Differenzbildung voraus, um dann zu Hybridkreuzungen, Rekombinationen, Reintegrationen zu führen³ (Vester 1993a: 29), insofern lässt sich die Pastiche-Bildung auch als Meta-Differenzierung verstehen. Die Differenzierungen der Moderne werden in der Postmoderne reflexiv rekombiniert und restrukturiert. Die Interferenzen zweier Systeme intensivieren sich in einer Form, die polare Differenzierung sozialer und räumlicher Phänomene wird durch weiche Übergänge entgrenzt (so insbesondere in der Ersten Welt die Bipolarität von Stadt und Land) 49. In diesem Abschnitt sollen die wesentlichen Merkmale der Postmoderne in der Gesellschaft im Kontrast zu den Merkmalen der Moderne aufgezeigt werden. Damit sei keineswegs gesagt, Ädass die Gesellschaft postmodern ist. Moderne Strukturen sind noch überall zu finden. Aber sie vermögen es nicht, die Ausbreitung der Postmoderne zu behindern³ (Bormann 2002: 84). Zudem ist festzuhalten, dass sich die Postmodernisierung der Gesellschaft nicht global zeitgleich ausbreitet: Während sich Gesellschaften der Ersten Welt stärker postmodernisieren, finden sich in anderen Teilen der Welt Gesellschaften mit deutlich modernem, z. T. prämodernem Eigenschaftsprofil. 2.2.1 Die Postmoderne in der Wirtschaft Durch Organisationsinnovationen und technische Prozessinnovationen (insbesondere in Form von Automation) sowie durch Produktionsverlagerungen (in Form von Betriebsverlagerungen oder der Globalisierung von Zulieferverhältnissen) wird in der Postmoderne die (auch symbolische) Dominanz des sekundären Wirtschaftssektors gebrochen50. Der erhöhte Bedarf an gehobenen Dienstleistungen (die sich zum Teil auf disposive und operative Tätigkeiten bei der Automatisierung des sekundären Wirtschaftssektors ergeben) lässt die Bedeutung des tertiären Wirtschaftssektors ansteigen. Der Anteil des ökonomischen und arbeitsmarktspezifischen Stellenwerts der personenbezogenen, gering spezialisierten Dienstleistungen bleibt ± aufgrund eines geringen Automatisierungspotenzials ± weitgehend erhalten. Der von Bell (z.B. 1985 ± zuerst 1973) geprägte Terminus der Äpostindustriellen Gesellschaft³ beinhaltet nicht die völlige Abschaffung der Industrie, sondern vielmehr eine Verlagerung im Prozess der Postmodernisierung: den Bedeutungsverlust der Schwerindustrie im Vergleich zum Bedeutungsgewinn
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Gesellschaft ist dabei als Ädas umfassendste System sinnhafter Kommunikation³ (Luhmann 1990b: 62) zu verstehen. Ob die die neu gewonnene Durchlässigkeit bzw. Differenzierung von Grenzen die Gleichzeitigkeit der prinzipiell konservierten Existenz ausdifferenzierter moderner Systeme in Frage stellt, oder lediglich ergänzt lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beantworten (vgl. Kühne 2003a). Die empirische Gültigkeit des Begriffes der Globalisierung kann mit Läpple (1997) durchaus hinterfragt werden: Zeigt sich die deutsche Exportwirtschaft eher europazentriert (daher spricht Läpple (1997: 109) eher von einer ÄEuropäisierung³ denn von einer Globalisierung) und schließt die globale Ausrichtung von Unternehmensstrategien selektiv weite Teile der Dritten Welt aus.
der hochkomplexen Computerindustrie. Die Spezialisierung bedeutet zugleich ein steigendes Maß an innergesellschaftlicher Abhängigkeit: Die Spezialisierung macht die Person abhängig von der Spezialisierung von anderen ± im Sinne von Niklas Luhmann lässt sich hier von einem innergesellschaftlichen Redundanzverzicht sprechen ±, welches zum systemimmanenten Zwang zu einem Aufbau eines komplexen gesellschaftlichen Systems führt. Im Zuge der Postmodernisierung wandelt sich dieses System Ästandardisierter Vollbeschäftigung³ in ein ÄSystem flexibel-pluraler Unterbeschäftigung³ (Beck 1986: 222). Die Norm einer lebenslangen Ganztagsarbeit wird in ihren konstitutiven Dimensionen, der zeitlichen, der räumlichen und der rechtlichen, geöffnet: Teilzeitarbeitsmodelle, räumliche Dekonzentration von Arbeit (durch Informationsmedien), Neuvernetzung von Abteilungen, Entstandardisierung von Arbeit, neue Rechtsformen von Arbeit (Zeitverträge, Arbeit auf Abruf, Leiharbeit, neue Selbständigkeit u. a.) differenziert die in der Moderne funktional ausdifferenzierten Arbeitsstrukturen zeitlich, räumlich und rechtlich weiter aus. Dabei vollzieht sich Äein schleichender Wandel: das tradierte Arbeitsethos [...] und Kaputtarbeiten im lutherischen pflichtethischen Verständnis des Berufsgedankens oder im calvinistischen Sinne einer Selbstverantwortungsethik³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 16) verlieren an Bedeutung. Die Grundlage für soziale Standardisierung in der Moderne liegt für Beck (1986) in der Homogenität der Arbeitsorte, als formal organisierte Industriebetriebe, der Homogenität der Arbeitszeiten, also dem Vorherrschen von Ganztagsarbeit, und Homogenität der rechtlichen Bedingungen, als politisch gesetztes Arbeitsrecht und ausgehandelte kollektive Tarifverträge. Die Muster der Moderne bei der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen sind Standardisierung, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Effizienz (Vester 1993a: 112). Aus dem modernen ökonomischen Paradigma des Fordismus, dem Streben nach Skalenvorteilen (economies of scale), verbunden mit einer zunehmenden Rationalisierung der Produktion, insbesondere durch Automatisierungen, sowie der Schaffung von Massenkaufkraft (durch eine Produktivitätssteigerungen antizipierende Lohnpolitik), resultiert in der modernen Wirtschaft die Schaffung großer Betriebseinheiten. Die Bindung der modernen Industrie an Verkehrswege (Wasserverkehrswege, Eisenbahnen) und/oder an die Rohstoffvorkommen (dies gilt vor allem für Gewichtsverlustmaterialen, also bei der Erzverhüttung) ließ große wirtschaftliche (insbesondere industrielle) Ballungsräume entstehen (siehe hierzu Esser/Hirsch 1987, Moulaert/Swyngedouw 1989)51. Bei dieser räumlichen Fixiertheit ist die räumliche Bezugsdimension die des Nationalstaates, die Ökonomie ist ± wie auch die ganze Gesellschaft als ÄContainer des Territorialstaates³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 20) gedacht. In der Postmodernisierung verschiebt sich die räumliche Bezugsdimension: Aus einer nationalen Wirtschaft wird eine international verflochtene, die Globalisierung Äunterläuft die ökonomische Selbstdefinition³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 23) der Moderne52. Die Globalisierung der Ökonomie in der Postmodernisierung verstärkt auch den Konkurrenzdruck (u. a. um Investitionen) auf die einzelnen 51
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Das Standortkonzept der Moderne ist das der harten Standortfaktoren, die berechenbar aus den Faktorkosten, den idealen Standort von Unternehmen und (in der Industrie) Fabrikanlagen weitgehend determinieren. Beck/Bonss/Lau (2001) sprechen ± im Gegensatz zu der in dieser Schrift vertretenen Terminologie ± von erster Moderne (hier: Moderne) und zweiter Moderne (hier: Phase der Postmodernisierung). Nach Lash (1992: 262) geht es Beck und Giddens darum, Ädass die Moderne sich in der Tat transformiert hat, allerdings nicht zur Postmoderne, sondern in die neue Gestalt einer reflexiv gewordenen Moderne³.
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Volkswirtschaften, insbesondere exportorientierte Ökonomien sehen sich gezwungen, ihre strukturelle Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen: ÄAn die Stelle des µKeynesianischen Wohlfahrtsstaates¶ tritt nun der µSchumpetersche Leistungsstaat¶³ (Ronneberger 1994: 185). Zugleich befinden sich, sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgebervereinigungen als institutionalisierte korporative Vereinigungen der durch den Arbeiter-Kapitalisten-Antagonismus geprägten (insbesondere frühen) Moderne, in einem Stadium teilweise fortgeschrittener Auflösung. Die zeitliche Dimension der Ökonomie erfährt im Transport von Gütern, Personen und Informationen eine Verkürzung; Produkte, Moden, aber auch Qualifikationen veralten schneller als in der Moderne: Damit wird eine feste Planung auf Basis ökonomischer (moderner) Grundregeln kontraproduktiv, da sich die ökonomischen, sozialen, politischen, sogar die kulturellen Bedingungen rasch ändern. Dabei verschwimmt die ökonomische Zeitgrenze zwischen Gegenwart und Zukunft: Bei Termingeschäften in Form von Optionsscheinen besteht bereits heute die Möglichkeit, ÄAktien zu einem Preis zu kaufen, von dem man denkt, dass sie ihn in einem Jahr haben werden³ (Bormann 2002: 87). In der Postmodernisierung vollzieht sich ein Wandel von den fordistischen Äeconomies of scale³ zu den post-fordistischen Äeconomies of scope³ (vgl. Harvey 1989) ± Produktpaletten werden diversifiziert, die Produkte selbst individualisiert (der erhöhte Planungsaufwand wird durch eine Elektronisierung des Prozesses weitgehend automatisiert), der mikroelektronisch automatisierte Betrieb ist nicht von einem Massenmarkt für seine Produkte abhängig: Er ist in der Lage, auch wirtschaftlich zu produzieren, indem er Älediglich für µelitäre¶ Marktsegmente produziert³ (Lanz 1996: 83). Die Individualisierung von Produkten ist dabei nur ein Aspekt der Kulturalisierung der Wirtschaft (Vester 1993a). Daneben tritt ein Marketing, das nicht mehr eindimensionalzweckrational für ein Produkt wirbt, vielmehr wird die Produktwerbung durch Imagegestaltung vollzogen, die durch Kultursponsoring, Ästhetisierung von Werbung und Produkt und um die Schaffung quasi-übergegenständlicher, idealisierter Aura bemüht ist. Dabei erstrecken sich die ĶImage-Produktionsaktivitäten¶ der Kulturökonomie [...] in der heutigen MarketingGesellschaft nicht nur auf die von Werbe- und Design-Agenturen kreierten Produkt-Images, sondern insbesondere auch auf die von der Unterhaltungsindustrie und Medienwirtschaft verbreiteten Lebensstil-Images³ (Krätke 2002: 13). 2.2.2 Die Postmoderne in der Politik In der Politik konstituiert sich die Moderne als ± so Bauman (1992) ± monopolistische Erzwingung eines neuen Regimes, Ädas durch den Willen Andersartigkeit zu identifizieren, Ordnung zu verfügen und Ambivalenzen zu eliminieren, gekennzeichnet³ (Wagner 1995: 80) ist. Das politische System der Moderne ist stark an eine (nationale) Territorialität (vgl. Sack 1986) gebunden, es ist in seiner räumlichen Machtdisposition wie in seiner Funktionalität stark strukturell begrenzt. Dabei sind der monopolitische Anspruch des modernen Staates auf das Territorium und seine Bewohner Äeng mit dem universellen Anspruch der Philosophie und (Sozial-)Wissenschaften auf Wahrheit verwandt³ (Wagner 1995: 80).
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In demokratischen Gesellschaften ist mit der Industrialisierung die Ausdifferenzierung eines Ägespaltenen Bürgers³ (Beck 1986: 301) verbunden: Er nimmt einerseits als citoyen seine demokratischen Rechte wahr, verfolgt in der Wirtschaft als bourgeois seine persönlichen Interessen (vgl. Beck 1986) und ist im soziokulturellen System um das Wohlergehen seiner Familie besorgt. Die Aufrechterhaltung der Funktion des mehrfach Ägespaltenen Bürgers³ wird im Laufe der Modernisierung immer Problem belasteter und zerbricht in der Postmoderne an ihren inneren Widersprüchen vollends: In Form von sich widersprechenden Rollenerwartungen der sozialen Umwelt, eigenen Vorstellungen etc., differenziert sich die Persönlichkeit und reflektiert sich und ihre Umgebung. Dies hat die parteipolitische Mobilisierung des Bürgers als Wähler zur Folge, er wägt unterschiedliche Konzepte ab, entledigt sich seiner modernen klassenspezifischen Bindung, wird zum Wechselwähler53. Doch auch der Prozess des Schwindens des klassenspezifischen Einflusses ist mit dem Risiko eines nicht-reflexiven, geschmacksbzw. neigungsspezifischen Wahlverhaltens verbunden, das die Verantwortlichen zu einer entmanifestisierten populistischen, inhaltsentleerten Pseudopolitik motivieren kann. Darin dominieren die Formate des Mediums, das Image, der Schein, die Manifestisierung latenter politischer Paradigmen bzw. ersetzen sie partiell oder sogar total (vgl. Vester 1993a). Solche Phänomene lassen sich ± so Baudrillard (1992) ± sowohl als Widerstand als auch als Hyperkonformität deuten (wobei Baudrillard keine Interpretation zugunsten einer der beiden Charakteristika vornimmt)54. Schon in der Moderne vollzog sich ein Wechsel in der Macht des politischen Systems, der in der Phase der Postmodernisierung manifest wird: Politische Macht wird durch das systemeigene Medium der Kontrolle über physische Zwangsgewalt gedeckt, wobei in hochkomplexen Gesellschaften nur geringe Anwendungsmöglichkeiten hierfür bestehen (Luhmann 1975b, 1990b). Für Bauman (1996) ist Gewalt ein Charakteristikum der Moderne: Gewalt ist für ihn unmittelbar an die Moderne gekoppelt, da das gesamtgesellschaftliche Paradigma der Moderne die Veränderung der Welt war und dadurch auf die Anwendung von Macht, Zwang und Gewalt angewiesen war. Damit wird Gewalt zum systemimmanenten Problem der Moderne. So wie die funktionale Grenzziehung zwischen dem System Politik und den übrigen gesellschaftlichen Teilsystemen differenziert wird55, führt in der Postmoderne auch die Dezentrali53
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In der Moderne wird dagegen die formale politische Struktur durch die Konkurrenz von Großparteien getragen. Ihre Mitglieder und Wähler rekrutieren sich nach den Gesichtspunkten der sozialen Klassenzugehörigkeit und sind so stark ideologisiert, dass die Stammwählerschaft gegenüber der Wechselwählerschaft deutlich dominiert. Politik wird dabei als Aktivität des politischen Systems verstanden. Dem politischen System wird dabei ± wie bei Parsons (1969) analysiert ± eine exponierte Stellung und steuernde Funktion gegenüber den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen zugeschrieben (vgl. Beck 1986). Die Folge solcher Prozesse ist die Schwankung in den Erfolgen von Parteien, in Abhängigkeit von ihrem Image oder dem Image ihrer Spitzenkandidaten. Dieses Image wird sorgfältig konstruiert, manifeste Leitlinien werden durch eine polyvalente Kulturalisierung medialen Handelns von Parteien und insbesondere Politikern ersetzt (vgl. Mitroff/Bennis 1989, Welsch 1993b). Mit dem Prozess der Postmodernisierung geht eine Enthierarchisierung der Gesellschaft einher. So hält bereits Luhmann (1984) Parsons Vorstellung der exponierten Stellung des politischen Systems über die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme für illusorisch, da Theorien, die noch immer Ävon einer Spitze oder einem Zentrum ausgehen³ (Luhmann 1984: 203), die Tatsache verkennen, dass durch die funktionale Gliederung der Gesellschaft eine den gesellschaftlichen Teilsystemen übergeordnete Steuerungseinheit obsolet wurde.
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sierung von Macht zu einer Differenzierung des politischen Zentrum-Peripherie-Gegensatzes. Neben der intensivierten Entstehung bzw. Stärkung von Übergangsräumen (z.B. durch die Einführung einer mehrstufigen territorialen Verwaltung) verringert insbesondere die Abtretung von Kompetenzen (und der nötigen finanziellen Mittel) an die unteren und mittleren territorialen staatlichen Gliederungen das Machtgefälle zwischen politischem Zentrum und politischer Peripherie56. Die Schwächung von nationalstaatlichen Zentren des politischen Systems durch andere nationale gesellschaftliche Teilsysteme sowie durch die Übernahme von Kompetenzen und Macht durch die räumlich (und rechtlich) untergeordneten politischen Einheiten wird in der Postmoderne durch die Internationalisierung bzw. Globalisierung gesellschaftlicher Funktionen flankiert: Sowohl Probleme (Umweltbelastung, Terrorismus, Unterentwicklung etc.) als auch die anderen gesellschaftlichen Systeme (globalisierte Wirtschaft, internationaler wissenschaftlicher Austausch usw.) haben eine globale, oder zumindest kontinentale Dimension erhalten und sind durch nationale politische Konzepte nur noch in geringem Umfang beeinflussgeschweige denn beherrschbar geworden, wie dies in der Moderne, beispielsweise in Form keynesianischer Interventionskonzepte, durchaus möglich erschien. Die Politik in der Postmoderne ist der Herausforderung der Globalisierung ± insbesondere der ökonomischen ± ausgesetzt. Dabei untergräbt Ädie global agierende Wirtschaft [...] die Grundlagen der Nationalökonomie und der Nationalstaaten³ (Beck 1997: 14). Der Staat ist territorial fixiert, sein Einfluss endet im Wesentlichen an seinen territorialen Grenzen, während Ädie Inszenierung der Globalisierung es den Unternehmern und ihren Verbänden erlaubt, die politisch und sozialstaatlich gezähmte Handlungsmacht des demokratisch organisierten Kapitalismus aufzuschnüren und zurückzuerobern³ (Beck 1997: 14). Wobei insbesondere die Inszenierung von Globalisierung ± als Ämystifizierter und ideologischer Kampfbegriff³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 24) ± als Drohfaktor gegenüber gewerkschaftlichen, aber auch staatlichen Interessen Äeine Entmächtigung nationalstaatlicher Politik³ (Beck 1997: 16) betreibt. Das Prekäre an dem Verhältnis der ökonomischen Globalisierung zur nationalstaatlichen (aber auch regionalen und kommunalen) Politik liegt in dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung: ÄDie Gladiatoren des Wirtschaftswachstums, die von Politikern umworben werden, unterminieren die Autorität des Staates, indem sie zwar seine Leitungen beanspruchen, aber ihm die Steuern entziehen³ (Beck 1997: 19). Mit der Globalisierung ± auch in Form internationaler Migration als sozialer Globalisierung ± und einer veränderten Sicherheitslage geht der Bedeutungsverlust der räumlichen Bezugsebene des modernen politischen (wie auch des ökonomischen und soziokulturellen) Systems einher: In der Moderne liegen die Hauptaufgaben des Nationalstaates in der Abwehr von Feinden und/oder ± so die Position Baumans (1999) ± in der Abwehr von Fremdem57. 56
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Als Sinnbild für die Auflösung des politischen Territorialismus und der Uneindeutigkeit von Krieg und Nicht-Krieg kann ± nach Werber (2002: 294) ± der Partisan gelten: Er ist Äeine von vielen Antworten auf die Ununterscheidbarkeit von Interventionen und Nicht-Interventionen, von Krieg und Nicht-Krieg, auf das Ende des Territorialstaates und auf den Beginn weltweiter humanitärer Missionen im Auftrag internationaler Organisationen. Es ist eben zwischen Soldat und Zivilist gar kein Unterschied mehr auszumachen, denn die Funktion entscheidet³. Eine ausführliche Würdigung der Thesen Zygmunt Baumans findet sich bei Kastner (2000).
Dabei sind auch die global player auf stabile politische und soziale Verhältnisse angewiesen. Parallel ± z. T. positiv rückgekoppelt ± mit der Entmachtung der nationalstaatlichen Politik durch die sich globalisierende Wirtschaft tritt ein Selbstressourcenentzug durch die Politik ein: Ein massiver Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung bei gleichzeitig komplexer werdenden Rechtsgrundlagen, Zusammenhänge auf der Objektebene und gestiegener Moderationsbedarf lässt das politisch-administrative Handlungspotenzial drastisch schrumpfen. Die originäre in der Moderne angelegte Aufgabe des politischen Systems, als dem Subsystem der Ziel-Erreichung (Goal-Attainment), Entscheidungen hinsichtlich der Alternativen, der Organisation und der Umsetzung zur Erreichung oder der Annäherung an einen gesamtgesellschaftlichen Soll-Zustand, wie sie Parsons formuliert, zu erfüllen, ist lediglich (noch) in Ansätzen möglich. Wesentliche Vorauswahlen werden (demokratisch nicht legitimierten) Expertengremien überantwortet, die z. T. vehemente Eigeninteressen verfolgen, und/oder werden in einem Aushandlungsprozess mit Lobbyistengruppen vollzogen. Die unionseuropäische Politik hat mindestens vier, die nationale und sub-nationale Politik schwächende Einflussfaktoren: 1. Es findet eine Verschiebung des Machtdeposits von der nationalen auf die internationale Ebene statt. 2. Die nationale, insbesondere sub-nationale politische Ebene sieht sich ± wie gezeigt ± gezwungen, die ihr verbliebenen Handlungsmöglichkeiten dem Einfluss nicht demokratisch legitimierter Organisationen (teilweise) zu unterwerfen. 3. Mit dem monetären Transfer von der nationalen zur unionseuropäischen Ebene entstehen Opportunitätskosten, die sich in der Einschränkung nationaler politischer Entscheidungsoptionen äußern. 4. Mit der starken Betonung der pekuniären Komponente der unionseuropäischen Politik durch die unterschiedlichen Fonds findet eine (partielle) Abkehr von der politischen Kommunikation mit einem politischen Code statt, der durch einen ökonomischen Kommunikationscode ersetzt wird (vgl. hierzu Kühne 2003b). Der ökonomische Kommunikationscode ist ± aufgrund der ständig prekären Finanzlage der öffentlichen Haushalte ± in immer geringem Maße anwendbar. Die verstärkte Hinwendung zu Partizipationselementen im politischen Agieren lässt sich als Ausweichen von dem politischen Code Macht/Nicht-Macht über den ökonomischen Code Haben/Nicht-Haben zu dem sozialgemeinschaftlichen Code soziale Anerkennung/Keine soziale Anerkennung interpretieren. Politisches Handeln wird zunehmend durch die Vereilung sozialer Anerkennung für Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen (wie insbesondere bei Programmen wie LEADER+ und Regionen aktiv; vgl. Wollmann 2004). Darüber hinaus hat sich mit der Entstehung und Entwicklung der Europäischen Union der Konflikt um Machtpositionen zwischen den einzelnen politischen territorialen Ebenen verschärft 58. 58
So weist Marks (1996) darauf hin, dass hinsichtlich der Vergabe von Strukturfondsmitteln ± nach Mitgliedsstaaten differenziert ± die nationale ± verhandlungsführende ± Ebene ihre Machtposition gegenüber der regionalen ± umsetzenden ± Ebene ausbaut. Dieses Ringen der unterschiedlichen politischen Ebenen mag kurzfristig mit dem Machtzuwachs einer politischen Ebene verbunden sein, insgesamt kann sie jedoch als ein Verlustsummenspiel für das politische System interpretiert werden (vgl. Morgenstern/Neumann 1961). Dies gilt auch für das hierarchische Top-down-Prinzip der europäischen Rechtsetzung. Es weist ein erhebliches Legitimitätsdefizit auf: Die Exekutiven (die Regierungen) der EU-Mitgliedsstaaten werden bei der Rechtset-
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Der Machtverlust des politischen Systems gegenüber der übrigen Gesellschaft ist mit einem Verlust an Legitimität verbunden, da ± wie Rosenau (1990) zeigt ± Legitimität nicht, wie in der Moderne üblich, fraglos aus Prinzipien ableitbar ist, sondern durch Leistungen bewiesen werden muss. Zur Kaschierung dieses realen Macht- und Legitimitätsverlustes des politischen Systems werden von Politikern Scheinprobleme im manifesten oder latenten Bewusstsein einer Scheinwirklichkeit konstruiert und deren Scheinlösung inszeniert (vgl. auch Alheit 1992, Häußermann/Siebel 1993). Damit werden politische Diskurse (um Macht, Recht und Grundfragen der gesellschaftlichen Ordnung) Äzugunsten ökonomischer, rechtlicher, wissenschaftlicher, dramaturgisch-medialer und symbolisch-ästhetischer Diskurse³ (Jain 2000: 423) verdrängt. Eine solche Politik, die Äin systemexternen ÃSachzwängen¶ aufgelöst ist³ (Jain 2000: 423), trägt dabei durch die Kommunikation in politiksystemfremden (z.B. Haben/NichtHaben des ökonomischen Systems) zu einer Dedifferenzierung der Gesellschaft bei (vgl. Luhmann 1984)59: Die mediale Schein-Möglichkeit der Politik dominiert, zum Zwecke der Schein-Machtgewinnung, die mediale Schein-Wirklichkeit. Die Politik der Postmoderne wird eine Dienstleistung, die statt mit der Kreditkarte mit dem Wahlzettel gekauft wird. Die Konstruktion von Problemen ist an Personen und/oder Gruppen mit der Definitionsmacht über Probleme gebunden und hat die Funktion Autorität zu definieren oder zu stabilisieren (Edelman 1988)60. Im Sinne der Machtdefinition Karl Deutschs (1968) stellt die Konstruktion von Scheinproblemen eine Lernverweigerung dar, die dazu dient, Macht zu erhalten, indem (noch) vorhandene Macht bewusst oder unbewusst dazu eingesetzt wird, über reale Machtnivellierungen hinwegzutäuschen. Ein zweites wesentliches Element des Kaschierens des realen Machtverlustes ist die Verlagerung des Schwerpunktes von Politik: Nicht mehr das Prinzip der Ziel-Erreichung der Gesellschaft (deren singuläre Existenz in der Postmoderne zumindest fraglich geworden ist, siehe Abschnitt 2.2.3) steht im Zentrum politischer Bemühungen, sondern Politik wird dem Primat der Öffentlichkeitsarbeit unterstellt ± mediale Verwertbarkeit dominiert sachbezogene Adäquanz. Dieser Verlust an Macht in Verbindung mit einem starken Bezug auf die Wirkung in der (veröffentlichten) Öffentlichkeit induziert ein neues Verhältnis der Rückkopplung von politischen Eliten und Massenmedien (Landgraf 2004): ÄVor wichtigen politischen Entscheidungen startet man einen so genannten Ãtrial balloon¶, ein Versuchsballönchen in der Form eines Gerüchts oder einer Ãgeheimen¶ Insiderinformation, lässt es für eine Weile durch die Medien zirkulieren, um dann ± ordo inversu ± die
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zung legislativ tätig. Eine solche Konstruktion erscheint ± aus demokratischer Sicht ± jedoch nur allein dann hinnehmbar, Äsolange die Minister einstimmig entscheiden müssen und so eine Kontrolle der Entscheidungen durch die nationalen Parlamente lückenlos möglich ist³ (Herz 2002: 113). Ähnliches gilt grundsätzlich auch für die Tendenz in der Europäischen Union, eine regulative Politik durch nicht-mehrheitsgebundene Institutionen strukturell zu bevorzugen (Majone 1996, vgl. auch Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996, Kühne 2003b). In der Terminologie Aristoteles¶ (1951, 1956) kann man die politische Postmoderne folgendermaßen charakterisieren: Die Form der Politik dominiert ± aufgrund der latenten oder manifesten Erkenntnis ihrer schwindenden Macht ± ihren Stoff, die Möglichkeit dominiert die Wirklichkeit, mit dem Zweck der Machtgewinnung. Die Etablierung von Scheinproblemen wird dann ironisiert, wenn die Konstruktion als solche demaskiert wird: So geschehen in Deutschland 2002, als das Verbot der nationalisitschen NPD durch Informationen über einen Rechtsradikalen legitimiert werden sollte, der gleichzeitig ein Verbindungsmann des Verfassungsschutzes war. D.h. Man konstruierte ein Problem (bzw. konstruierte die Verstärkung eines solchen), das es zu lösen galt.
politische Entscheidung im voraus der öffentlichen Reaktion anpassen zu können³. Ein solches politisches Kalkül Äweist auf einen Effekt, den der Selbstverständlichkeitsverlust von Kategorien wie Authentizität, Originalität und Unmittelbarkeit begleitet³ (Landgraf 2004). Die Reflexivität der Postmodernisierung im politischen System dekonstruiert das moderne Zentrum der politischen Macht: das Gesetz. Gesetze, so Derrida (1991), genössen dauerhaftes Ansehen und verfügten über einen Kredit, nicht aufgrund ihrer Gerechtigkeit, sondern weil sie Gesetze seien, worin der mystische Grund für ihre Autorität läge. Die Einschränkung der Macht des Staates durch die Postmodernisierung der Gesellschaft impliziert ein reflexives Hinterfragen der kontextualen und absoluten Sinnhaftigkeit von einzelnen Gesetzen und ein Aufbrechen der Tautologie der Gesetze (ein Gesetz ist ein Gesetz weil es ein Gesetz ist), mit der Folge der gesellschaftlichen Delegitimierung der Gesetzlichkeit (vgl. Vester 1993a). Damit wird die Legitimität von Herrschaft wie sie noch in der Moderne (vgl. die Typen der legitimer Herrschaft von Max Weber 1968b ± zuerst 1956) dekonstruiert, Legislative und Judikative, aber auch die Exekutive werden demystifiziert und kritisch hinterfragt. Für Derrida existieren zwei konkurrierende Macht-Gewalt-Konzepte: 1. Eine ÄGerechtigkeit jenseits des Rechtes und des Staates, aber ohne entscheidbare Erkenntnis³ und 2. eine Äentscheidbare Erkenntnis und Gewissheit in einem Bereich, der strukturell betrachtet der des Unentscheidbaren, des mystischen Rechts oder des Staates ist³ (Derrida 1991: 112). Damit wird die Einsicht in die Unmöglichkeit vollständiger Legitimation von Recht deutlich, zugleich wird das Recht nicht dekonstruiert und damit einer perspektivisch-kontextualen Willkür überlassen, vielmehr wird Äunter Bezugnahme regulativer Prinzipien im Sinne eines Grundrechtskatalogs eine fruchtbare Dynamisierung und Hypothetisierung³ (Fazis 1994: 98) vollzogen. Pulkkinen (1996: 118) charakterisiert die zentrale Frage postmoderner Politik in folgender Weise: Äcan we envision a politics finely turned in confronting injustices and aware of power to a high and meticulous degree, politics that does not took after a foundation in the utopia of distinguishing power³? Der Einsicht, dass menschliches Handeln stets mit der unvermeidlichen Schaffung bzw. Verstärkung von Ungerechtigkeit verbunden ist, kann die postmoderne Politik allein mit der Zielvorgabe gerecht werden, Äso wenig Unrecht wie möglich³ (Lyotard, zitiert nach Fazis 1994: 36) zu verursachen und die Ädurch die notwendigen Entscheidungen hervorgerufenen negativen Folgeerscheinungen möglichst reparabel zu halten³ (Fazis 1994: 36). Angesichts von Individualisierung und Globalisierung definiert Etzioni (1975: 35) den Transformationsbedarf der Politik wie folgt: ÄGenau wie der Übergang vom Mittelalter zur Moderne den Feudalherrn als Aktor zugunsten des Nationalstaates ablöste, erfordert der Übergang zum postmodernen Zeitalter die Entwicklung einer neuen Handlungseinheit³. 2.2.3 Die Postmoderne in den sozialen Beziehungen Die sozialen Beziehungen in der Moderne lassen sich als durch die Bemühung zur Formalisierung, Beherrschbarkeit und Berechenbarkeit von Handlungsformen gekennzeichnet be-
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zeichnen (Wagner 1995). Dabei gründet sich Formalisierung Äimmer auf Verfahren der Klassifikation³ (Wagner 1995: 57). Die Postmodernisierung ist dagegen mit einer Individualisierung in allen Lebenslagen verbunden. Dies gilt sowohl in makro- als auch mikrosozialen Gefügen61. Eine gestiegene Lebenserwartung, ein gestiegenes Pro-Kopf-Einkommen, eine abnehmende Lebensarbeitszeit, eine Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus, ein Netz an sozialen Leistungen, der Strukturwandel von der Dominanz des sekundären zur Dominanz des tertiären Wirtschaftssektors, ein gestiegenes Anrecht auf soziale Leistungen haben neben einem Anstieg des Lebensstandards auch individuelle Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet, die zur Differenzierung kollektiver, klassenspezifischer Lebensformen und Sozialmilieus führten (Beck 1986). Kann die moderne Gesellschaft als Klassen- oder Schichtgesellschaft beschrieben werden, lösen sich diese Strukturen mit zunehmender Postmodernisierung auf (vgl. Gorz 1980), die postmoderne Gesellschaft kann als von unterschiedlichen Milieus geprägt gelten (vgl. Hradil 1995). Mit der sozial-gemeinschaftlichen Postmoderne verbindet sich auch das Verschwinden von Geschlechterrollenidentifikationen, das Geschlecht (im Sinne von englisch gender) verliert seine Funktion als Orientierungsrahmen62. Die Rollenidentität von Mann und Frau wird in der Postmodernisierung erst im und durch soziales Handeln und Verhalten konstituiert (Butler 1990). In zwischengeschlechtlicher Beziehung kann somit immer weniger auf geschlechtsspezifischen Stereotypen als handlungsleitende Konstruktion der Wirklichkeit zurückgegriffen werden, Verhalten und Handeln muss individuell arrangiert werden (vgl. hierzu z.B. Brandan 1988, Hendrick/Hendrick 1992)63. Parallel, mit der Dekonstruktion von Rollenmus-
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Die moderne Gesellschaft lässt sich als Großgruppengesellschaft charakterisieren. In der marxistischen Gesellschaftsdefinition ist die moderne Gesellschaft dualistisch: zwei große Klassen, in sich weitgehend homogen, dominieren die gesellschaftliche Struktur: Arbeiter und Kapitalisten. Der Prozess der Industrialisierung entband die Arbeitsbevölkerung aus ihren traditionellen Gruppenstrukturen (Stände), kulturellen Bindungen (Religion) und lokalen Bezügen (Migration). In der ± von einer protestantischen Arbeitsethik (siehe Weber 1972b ± zuerst 1921) und wirtschaftsliberalen Grundsätzen getragenen ± Initialphase der Modernisierung der Gesellschaft vollzog sich die Proletarisierung massenhaft und bedeutete für die ± im Entstehen begriffenen ± industriellen Ballungsräume eine sozioökonomische Verschlechterung (Ehernes Lohngesetz), die mit der Solidarisierung der Arbeiterschaft und nicht etwa mit deren Zersplitterung verbunden war (Beck 1986: 132). In der zweiten Phase der Modernisierung wird die Mangelgesellschaft von einer Kultur des Massenkonsums abgelöst. Die persönlichen Ziele in der Moderne sind primär materialistisch. Die massenhafte Produktion gleicher Güter bedeutete auch Tendenzen zur Uniformierung des Raumes. Die ökonomische Rationalisierung impliziert auch eine Standardisierung der Esskultur, die in der Entwicklung von Fast-Food-Ketten als McDonaldization der Gesellschaft (Ritzer 1993) ihren Höhepunkt fand. In der Moderne zeichnet sich die Biographie gemeinhin durch Normalität und Standardisierung aus. Sie ist einerseits abgestellt auf die standardisierten Erfordernisse des Arbeitsmarktes, die Uniformisierung der Lebenswelt, andererseits auf ein gleichfalls weitgehend standardisiertes Familiensystem, dessen Funktion auf kultureller, psychosozialer wie biologischer Reproduktion beruht (männliche Berufsrollenidentität, weibliche Hausfrauenrollenidentität). Die Rollendifferenzierung in der Moderne ist jedoch nicht als Relikt einer traditionalen Gesellschaftsform zu verstehen, sondern ist ein Erfordernis der arbeitsteiligen, funktional spezialisierten Industriegesellschaft (Beck 1986). Der Übergang von der traditionellen Großfamilie zur modernen Kleinfamilien vollzog sich dabei mit einer deutlichen raumzeitlichen Differenzierung: Während sich auf dem Lande traditionelle Lebensformen als persistenter erwiesen, vollzog sich der Wechsel zur Moderne in den Städten rascher, wie Braudel (1986) am Beispiel Frankreichs beschreibt. Die Stereotypisierung betrifft nicht allein das Geschlecht, verbunden mit der engen Rollenzuweisung, sie tritt auch als Stereotypisierung von andern Völkern und Kulturen in Erscheinung. Stereotypen Äerleichtern die Kommunikation innerhalb der eigenen Gruppe durch ein basales, allgemein anerkanntes Verallgemeine-
tern positiv rückgekoppelt, entsteht in der Postmodernisierung des sozial-gemeinschaftlichen Systems eine postkonventionelle Moral (vgl. hierzu Kohlberg 1984, Habermas 1983, kritisch dazu Sutter 1990). Diese postkonventionelle Moral lässt sich ± so Colby/Kohlberg (1987)64± in ein ÄStadium eines individuellen Vertrages und individueller Rechte³ sowie in ein ÄStadium universaler ethischer Prinzipien³ gliedern. Der Übergang zwischen diesen beiden Stufen vollzieht sich - nach Habermas (1983) - von einer prinzipienorientierten Ethik, über eine Ethik der normativen Letztbegründungen zu einer Verfahrensethik, also einer diskursiven Reflexionsethik, womit Habermas Äinteraktionstheoretische Aspekte der Moral³ (Sutter 1990: 89) berücksichtigt. In Rückkopplung mit der Differenzierung der ökonomischen Entwicklung entwickelt sich aus der Normkleinfamilie der Moderne eine Pluralisierung privater Lebensformen. Durch die Emanzipation der Frau, ihrem, den Männern angeglichenen Bildungsgrad, der ein selbständiges Behaupten im Erwerbssystem, bei gleichzeitig steigendem Technisierungsgrad des Haushaltes, ermöglichte, ist das standardisierte Familiensystem mit seinen gesicherten Rollenidentitäten aufgebrochen worden. Hage/Powers (1992: 205) bezeichnen dies als Dekonstruktion sozialer Rollen und Rollenmuster, mit der Folge der Entstehung neuer partnerschaftlicher Lebensformen (z.B. Beck 1986, Siebel 1987, Preglau 1995, Bähr 1997): 1. Die Scheidungsziffern steigen, die Heiratsziffern und Wiederverheiratungsraten gehen zurück. 2. Die Zahl nichtehelicher Lebensformen und Lebensgemeinschaften nimmt zu: Zu den traditionellen Kleinfamilien treten Ehen ohne Trauschein, Singles 65, allein erziehende Väter und Mütter, gleichgeschlechtliche Partnerschaften etc. 3. Die neu entstehenden Partnerschaftstypen tragen den veränderten sozioökonomischen Umweltbedingungen Rechnung: Spagatpartnerschaften (z.B. Wochenendbeziehungen, sukzessive Partnerschaften (jeweils neue Partnerschaften an dem jeweiligen Wohnort), selbst parallele Partnerschaften (mit mehr als einem Partner) gewinnen an Bedeutung. 4. In Partnerschaft, Beruf und Politik wächst die Rivalität zwischen den Geschlechtern. Der Druck auf beide Geschlechter, in besonderer Weise aber auf die Männer, ihre soziale Identität neu zu definieren, nimmt zu. 5. An der Stelle von gleichberechtigten, und mit individuell geringen wechselseitigen Enttäuschungstoleranzen ausgestatteten, Partnerschaften wird das Kind Äzur letzten verbliebenen, unaufkündbaren, unaustauschbaren Primärbeziehung³ (Beck 1986: 193)66.
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rungs- und Typifizierungssystem³ (Kühne 2001b: 1419). Ein solcher Vorgang verstärkt die mentale raumbezogene Grenzbildung. Auch wenn das Konstrukt postkonventioneller Moral im Sinne Kolberg und Habermas¶ einer Änormativ verfahrenden Moraltheorie³ (Sutter 1990: 97) entspringt, lässt sich der Begriff auch empirisch begründen, wie die Untersuchungen zum Wertewandeltheorem Ingleharts zeigen. Nach Siebel (1987: 16) drückt sich im neudeutschen Begriff des ÄSingles³Äeine soziale Umbewertung des Alleinlebens aus, denn er signalisiert Assoziationen von Ungebundenheit und Lebenslust, Selbstbestimmung, Dynamik und Individualität³. In Anschluss an die Typisierung dauerhafter sozialer Bindungen von Max Weber (1972a ± zuerst 1921) können diese Prozesse als Verringerung von Beziehungen aus ÄBrauch³ bzw. ÄSitte³ interpretiert werden, während die Zahl der ÄInteressenbeziehungen³ zunimmt. Die Verbindlichkeit der Lebenspläne, Lebenslagen und Biographie von Beruf, Ehe und Kindern ist entkoppelt und durch neue differenzierte Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten ersetzt worden.
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Eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung postmoderner Lebensstile nimmt der reflexive und differenzierte Umgang mit der Privatsphäre ein. Privatsphäre steht ± so Bahrdt (1998 ± zuerst 1961: 100) ±Äin einem engen Zusammenhang mit dem Vorhandensein einer Öffentlichkeit³. Die Entwicklung der Privatheit erscheint als Charakteristikum der Moderne, sowohl in der antiken Polis gab es Äkaum so etwas wie eine abgesicherte Privatsphäre, dagegen eine glänzende Öffentlichkeit³ (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 101) als auch im Mittelalter übten Gilden und Zünfte einen Zwang aus, aufgrund dessen kaum von einem ÄWechselverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit³ (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 101) gesprochen werden kann. Hassenpflug (2002) charakterisiert den öffentlichen Raum des Marktes als Medium der ÄSäkularisierung, der Aufklärung, der Individualisierung und der Vergesellschaftung³, in dem sich die Prinzipien des wirtschaftenden bourgeois und des politischen Subjektes, des citoyen durchdrängen. Mit der Modernisierung der Gesellschaft entwickelte sich eine weitgehende Aufteilung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, so dass die Äfrüher beherrschenden ÃDritten¶ Bereiche, die weder öffentlich noch privat sind, nehmen nur noch einen schmalen Raum³ (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 102) einnehmen. Damit untergräbt ± so (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 102) ± Äeine Schwächung der Öffentlichkeit die private Welt und umgekehrt³. Schon 1957 beschrieb Hanna Arendt (1957) die Zurückdrängung des öffentlichen durch den privaten Raum, die Dear (2005) für ein Charakteristikum der Postmoderne hält. In der Postmoderne lässt sich zusätzlich auch eine Differenzierung von Privatheit und von Öffentlichkeit beobachten: Der rechtliche Absicherungsgrad von Räumen wird nach unterschiedlichen Zugangsrechten differenziert, elektronische Telekommunikationstechnologien schaffen neue öffentliche, teilöffentliche und private Kommunikationsräume (z.B. chat-rooms); ÄÖffentlichkeit und Privatheit sind nicht dichotom, sie schließen einander nicht aus, sondern bedingen und durchdringen einander³ (Hamm/Neumann 1996: 251). In der Postmoderne werden Gemeinschaften verstärkt situativ, örtlich und temporär gebildet. Gemeinschaft wird dabei mit partieller Teilhaberschaft gebildet, das postmoderne Gemeinschaftsmitglied geht nicht in der Totalität der Gemeinschaft (und ihrer Werte und Normen) auf, sondern ist Mitglied in unterschiedlichen Gemeinschaften mit unterschiedlichen, z. T. konkurrierenden Werten und Normen, wobei postmoderne Gemeinschaften, zumeist mit dem Ziel der Steigerung von Erlebnisempfinden gebildet (vgl. Schulze 2000), stärker zur Variabilität und Instabilität neigen als jene der Moderne (Hitzler/Pfadenhauer 1998). Ein zentraler Begriff der Moderne ist der der Identität, zu dessen Implikationen wie die Ideen von Widerspruchsfreiheit, Einheit, Ordnung, Versöhnung und Fortschritt zählen. Auf anthropologischer Ebene umfasst dieser Identitätsbegriff die Vorstellung des autonomen und souveränen Subjektes, wie sie von Rousseau und Schiller vertreten wird (Richter 1997). Die Individualisierung, das komplexer werdende System sozialer Beziehungen, Bindungen, sich wandelnder oder sogar auflösender Rollenidentitäten und -erwartungen, die Reflexivität, die ständige mit anderen Menschen rückgekoppelte Selbstbestätigung und Neupositionierung, das große Angebot konkurrierender sozialer Handlungs± und Problemlösungsvorschläge und Konfliktregelungen, lässt einen neuen Typus des (Selbst-)Bewusstseins entstehen: die ÄPatchwork-Identität³ (Keupp 1992: 176). Damit ist der Verlust von ÄIdentität³ im modernen
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Sinne verbunden67. Identität wird zeitlich und räumlich variabel, die Äeigene Biographie [erscheint] als Bastelspiel, die Gruppenzugehörigkeit als Glücksspiel ± oft sogar mit zeitlicher Begrenzung im Talkshowtakt³ (Hoppmann 2000: 85)68. Dabei wird ÄIdentitätsarbeit immer mehr zur Arbeit an der Integration von Komponenten unterschiedlicher kultureller Herkunft³ (Welsch 1994: 99). Die ± teilweise reflexive ± Konstruktion von Identität in der Postmoderne vollzieht sich dabei unter massivem Einfluss der Medien. Sie sind wesentlicher Bestandteil der kulturellen Globalisierung und tragen somit wesentlich zur Definition des Spannungsfeldes von Globalität und Lokalität bei (vgl. Winter 1997, Weisenbacher 1990), wobei der Einfluss der Medien insbesondere in Form einer Kulturalisierung im Alltag von Jugendlichen deutlich wird: Medien vermitteln kulturelle Alternativen und soziale Entscheidungsvarianten. Damit leisten sie einen Beitrag zur Individualisierung der Gesellschaft (vgl. Vogelgesang 1991). Der Einfluss von Organisationen, als rationale Zweckgebilde der Moderne, aber auch der Primärgruppe Familie auf die Identität von Jugendlichen nimmt in der Postmoderne immer deutlicher ab: ÄFeste Bindungen an zentral gesteuerte Parteien und Verbände oder Vereine, die sich auf Traditionen stützen, sind für Jugendliche nicht mehr adäquat³ (Hoppmann 2000: 87). In der Postmoderne sind zunehmend erworbene nicht mehr zugeschriebene Merkmale entscheidend für Ädie Verteilung von Lebenschancen³ (Hoppmann 2000: 87). Keupp/Ahbe/Gmür/Höfer/Mitzscherlich/Kraus/Straus (2002: 55) beschreiben die zunehmend imperativische Bedeutung einer reflexiven Identitätskonstruktion wie folgt: ÄArchitekt und Baumeister des eigenen Lebensgehäuses zu werden, ist allerdings für uns nicht nur Kür, sondern zunehmend Pflicht in einer grundlegend veränderten Gesellschaft. [...] Nur noch in Restbeständen existieren Lebenswelten mit geschlossen weltanschaulich-religiöser Sinngebung, klaren Autoritätsverhältnissen und Pflichtkategorien³. Heranwachsende in der Postmoderne entziehen sich zunehmend den traditionellen Verbänden der Jugendarbeit, da Äder Sinn, der mit Freizeitaktivität unlösbar verknüpft wird, [...] nicht individuell verfügbar [ist], sondern [...] im Rahmen der Verbandsideologie über sachliche Merkmale und vor allem aber über die soziale Funktion der Freizeitaktivität generiert [wird]³ (Eckert/Drieseberg/Willems 1990: 95). Dabei seien die festen ÄAktivitäts-SinnPakete³ (Eckert/Drieseberg/Willems 1990: 95) in weit geringerem Maße für Äindividuelle Variationen und Ausgestaltungen offen als wertunbelastete Freizeitangebote im kommerziellen Bereich³ (Eckert/Drieseberg/Willems 1990: 95). An Bedeutung für die Bildung von Identitäten bei Jugendlichen gewinnen vielmehr die in sich z. T. funktional und hierarchisch differenzierten peer-groups69. Heranwachsende haben also einen institutionell höheren Grad an Frei67
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Identität lässt sich mit Keupp/Ahbe/Gmür/Höfer/Mitzscherlich/Kraus/Straus (2002: 28) als Äselbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt³ begreifen, wobei sie Ädas unverwechselbar Individuelle, aber auch das sozial akzeptable darstellbar machen³ soll. Die Auflösung der Einheit von Raum und Zeit im Bewusstsein des Menschen ist keine Erfindung der Postmoderne, vielmehr setzte sie bereits bei der Bildung des menschlichen Bewusstseins, aufgrund des gedanklichen Hinwegsetzens über raumzeitliche Beschränkungen, ein. Durch die Erfindung der Schrift wurde die Auflösung dieser sozialen Einheit durch die Abkopplung von Kommunikation und Interaktion weiter vorangetrieben (vgl. Esposito 2002). Neben dem sich verringernden Einfluss der Eltern auf die Sozialisation und Habitualisierung von Heranwachsenden ist auch ein schwindender Einfluss der Schule auf deren Entwicklung zu konstatieren. Damit sinkt auch der Einflussanteil eines hinsichtlich der gesellschaftlichen ± und insbesondere kulturellen ± Struk-
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heit hinsichtlich der Akzeptanz von Werten und Normen als die voran gegangenen Generationen, wobei sich in der Postmoderne zahlreiche (patchworkorientierte) Jugend(sub)kulturen ausmachen lassen (Ferchhoff/Neubauer 1997). Burckhardt (1995: 102) sieht für die postmoderne Gesellschaft vielfach ein Kontinuum zwischen Jugend(sub)kulturen und der Gesellschaft der Erwachsenen: ÄDer Gegensatz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen schwächt sich ab. Die Alten teilen sich in ehemalige Jugendgruppen. Unter den Bedingungen permanenter Arbeitslosigkeit und marginaler Jobs verlässt der Heranwachsende nie seine Jugendkultur, da er im beruflichen Sinne nie ein Erwachsener wird³. Die Patchwork-Identität des postmodernen Individuums ist Ergebnis der reflektiven Regulierung des Alltags, dessen Basis sich aus dem Äkompetente[n] Gebrauch von populären Filmen, Fernsehsendungen, Videoclips, die die Funktion von ästhetischen Expertensystemen einnehmen³ (Winter 1997: 68) rekrutieren und Äin der Reflexion über das eigene Leben, in der Kleidung und Frisur³ (Winter 1997: 68) konstruiert werden. Das postmoderne Subjekt ist also Äohne eine gesicherte, wesentliche oder anhaltende Identität konzipiert³ (Hall 1994: 182). Eine besondere Bedeutung hat in der postmodernen Patchwork-Identitätsbildung der Konsum, der nicht die Funktion eines Gebrauchswertes, sondern vielmehr den Wert eines symbolischen Austauschs hat (Baudrillard 1981), mit dem sich Milieu-Unterschiede inszenieren lassen (vgl. Bourdieu 1979), der jedoch auch ein zentrales Element der sozialen Integration ist, indem das ÄIndividuum versucht, der normativen Erwartung der Gesellschaft zu entsprechen, als Konsument zu agieren und Geld auszugeben³ (Wood 2003: 52). Hierin äußert sich ± so Koslowski (1987: 107) ± die Suche nach sozialer Identität, die Ķkulturell¶ angereicherte, ästhetisch verfeinerte [...] Güter³ durch einen hohen Grad an Differenziertheit zu vermitteln scheinen: ÄSubjektivitätscollagen bewahren abwechslungsreiche Lebendigkeit, und die Techniken des balancierenden und kreativ-virtuosen Rollenspiels werden im bunten Mix als ÃPatchworkKarriere¶, ÃPatchwork-Persönlichkeit¶ und ÃPatchwork-Identität¶³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 29-30) in postmodernen Gemeinschaften perfekt beherrscht. Die solcherart vollzogene Bildung von ÄPatchwork-Identität³ auf Basis einer mediatisierten Kommunikation ± als ÄDiagnose einer zunehmenden Heterogenisierung³ postmoderner Gesellschaften Ämit einem kompensatorischen Pendant, der sozialen (Re-)Integration³ (Sander 1998: 92) ± birgt dabei stets die Gefahr einer manifestierten bzw. vergrößerten sozialen Distanz (Sander 1998, vgl. auch Habermas 1981), insbesondere aufgrund von Kontingenz± und Komplexitätssteigerungen von Kommunikations± und Interaktionsmöglichkeiten. Die Patchwork-Identität ist auch eine Folge von sozialen Umbrüchen, die soziale Identitäten ebenso erschüttern wie persönliche Identitäten. Durch diese Prozesse Äwerden Menschen aus ihren identitätsbereitenden sozialen Kontexten herausgerissen³ (Wagner 1995: 98-99) und somit entwurzelt. Durch aktives, kreatives Engagement könnten dagegen auch Äneue Kontexte derart geschaffen werden, dass neue soziale Identitäten³ (Wagner 1995: 99) ausgebildet werden können, also Wiederverwurzlungen entstehen. Da postmoderne polyvalente Identitäten von den modernen gesicherten Rollenidentitäten abweichen, vollzieht sich die soziale Zuschreibung von Devianz in weniger engen Grenzen von Normen, Werten, Vorschriften und turerhaltung verpflichteten Organisation als einer Organisation der kulturellen Willkür (Bourdieu/Passeron 1973, Bourdieu 1973).
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Verhaltenserwartungen als in der Moderne: Toleranz gegenüber anderen Werten und Normen nimmt zu (vgl. Watzlawick 1995). Damit erhält das Subjekt seine Kritikfähigkeit: Aus der Differenz von Sprachspielen, aus seiner variablen Perspektive lassen sich die Nebenfolgen von Handlungen deutlicher wahrnehmen, antizipieren und zum Gegenstand von (Meta-)Kommunikation machen. Die Entstehung von postmodernen Patchwork-Identitäten, die Abkehr von der Ägesicherten Identität des Individuums³ (Mingione 2004: 232) der Moderne geht jedoch einher mit persönlicher und sozialer Instabilität, Risiken und Unsicherheiten (Beck 1986, Bauman 1999, Mingione 2004). Sofern mit der sozialen Postmodernisierung keine Postmodernisierung des individuellen Bewusstseins einhergeht, drohen Äein zunehmender Mangel an sozialer Integration und ein Unsicherheitsgefühl, niedrige Toleranzgrenzen und geringe Solidarität, eine Kombination, die ohne Zweifel Kreisläufe sozialer Ausgrenzung hervorruft³ (Mingione 2004: 328), wie sie für Städte der Moderne typisch war bzw. ist. Doch auch die Folgen einer solchen Individualisierung der Berufs-, privater Lebensform± und Lebensortbiographie sind ± wie gezeigt ± ambivalent: Dem vergrößerten persönlichen Freiheitspielraum und der Entwicklung eines reflexiven Bewusstseins stehen Risiken in Form von Bindungsverlust, eine gewachsene individuelle und partiell schwer einschätzbare Verantwortung für die Nebenfolgen der eigenen Entwicklung und die Substitution reflexiver Überlegungen ± dieser Zusammenhang lässt sich nach Skolnick (1991) als psychological gentrification bezeichnen ± und Diskurse durch einen unreflektierten ÄGeschmacks- und Neigungsaustausch³ (Habermas 1990: 261) entgegen. 2.2.4 Die Postmoderne in der Kultur Mit dem Ende der Großen Erzählungen der Moderne verlieren auch ihre Heroen und Ideale an Bedeutung. Mit dem Verschwinden der Ideale ± so Lyotard 1993: 417) lässt Ädas Interesse daran nicht etwa nach, sondern verlegt sich auf die Manier, sie darzustellen. ÃManier¶ nannte Kant den modus aestheticus des Denkens. Ästhetisch ist der Modus einer Zivilisation, die von ihren Idealen im Stich gelassen worden ist. Sie kultiviert das Gefallen an deren Darstellung ± und sie nennt sich dann Kultur³. Dadurch verlässt die Ästhetik ihr modernes Reservat der Kunst und greift auf das Denken über. Postmoderne ästhetisiert, wo in der Moderne das Aufklärungs- und Vernunftmodell galt, Wirklichkeit erweist sich immer mehr als Änicht Ãrealistisch¶, sondern [als] Ãästhetisch¶ konstruiert³ (Welsch 1995: 7). Dabei findet eine Transformation der Ästhetik statt: Ein über die Kunst hinausgreifendes ästhetisches Denken ist nicht allein der Gegenstand der Reflexion, ästhetisches Denken stellt eine ÄMobilisierung der Sinne im Denken, ein Praktizieren von Denken, das über Sinne verfügt und mit ihnen Sinn macht³ (Heinze 1997: 101) dar. Dabei wird Ästhetik nicht auf das hochkulturell ÄSchöne³ beschränkt, sondern stellt die ÄThematisierung für Wahrnehmungen aller Art³ (Welsch 1995: 9) dar. Das Ästhetische wird dadurch zu einer Erfahrungsart sui generis, die Äganze Dimensionen und Welten [zu] öffnen vermag³ (Welsch 1995: 60) ± Dimensionen und Welten, die stets plural sind, individuell und sich nicht auf eine allgemein- und alleingültige Ästhetik beschränken lassen.
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In der Moderne bestand ein Kunstwerk aus Zeichen, die für etwas anderes, von ihm verschiedenes, bestanden. Dabei existierte eine klare Abgrenzung zwischen Signifikant und Signifikat, ein Unterschied, den die postmoderne Kunst entdifferenziert (Bormann 2002: 85): ÄSie setzt das Thematisieren der Realität mit der Realität selbst eins³. Ein zentrales Moment der Postmoderne liegt in der ÄAbwendung von der Beobachtung eines Objektiven, das als gegeben vorausgesetzt wird, zugunsten einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber dessen Beobachtung, Konstruktion und schließlich Simulation³ (Landgraf 2004). Die Kultur der Postmoderne ist also ± wie auch ihr Geschichtsbild ± nicht linear, sondern vielmehr zyklisch, Kultur ist nicht eine Kultur des Neuen, sondern des reflexiv Umgestalteten, des Zitierten, des ÄPlaygiats³ (z.B. Federman 1991), des Re-Zyklierten. Referenz wird durch Image ersetzt, Simulationen ersetzen reale Bezüge, werden hyperreal und als ÄSimulacra³ (Baudrillard 1976, Baudrillard 1994) ± im Sinne Durkheims (1984 ± zuerst 1912) ± sakralisiert und angebetet (vgl. Vester 1993a). Zurückführen lässt sich dies auf die Simulation, die Äsich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d.h. eines Hyperrealen³ (Baudrillard 1978: 7) bedient: ÄIn the postmodern era, simulacra no longer present a copy of the world nor do they produce replicas of reality. Today, simulations no longer refer to any reality; they create the idea of a reality, which they simultaneously claim to represent. Postmodernity is organized around such simulations. From model homes to models of urban planning, good sex, masculinity, fashion, and personal identity, social reality is structured by codes and models that produce the reality they claim to merely represent³ (Seidman 1994: 210). Der Realitätsbezug der Postmoderne ist Ädie Feier der Fälschung, wobei von Fälschung eigentlich gar nicht mehr gesprochen werden kann. Denn in der Welt der Simulationen können wir gar nicht mehr die Fälschung von der authentischen Fassung unterscheiden³ (Vester 1993a: 38-39), da die Kopie dem Original an Perfektion vielleicht sogar überlegen ist (Tabelle 3 verdeutlicht die Transformation der Kunst von der Moderne zur Postmoderne). Dies bedeutet: ÄIn a postmodern hyperreal condition, the quest for reality, for experiences that unambiguously mark reality is intensified, a marker ironically of our very inability to distinguish the real from the unreal´ (Seidman 1994: 211). modern
postmodern
Zeichenspreche der Architektur
Funktionalismus / Konstruktivismus
Versinnbildlichung
Sprachstil
"puritanisch"
"barock"
Ziel der Zeichensprache
Ausdruck von Funktion und Konstruktion
Funktion und Kommunikation
Sprache der Künste
Formalistisch, Einfachcodierung
Narrativ, Mehrfachcodierung
Verhältnis Kunst-Technik
Technischer Determinismus der Kunst
Determinismus der Technik und Kunst
Gemeinsamkeiten von Kunst und Vorrang der Analyse und Konstruktion, Allgemeinheit der Methode und des Wissenschaft Begriffs "Methodismus"
Betonung der Immagination, Vereinigung von Singularität und Allgemeinheit, "Kreativität"
Verhältnis der Kulturbereiche und Segmetierung Kunstformen
Wechselseitige Druchdringung, z.T. strukturelle Kopplung
Tabelle 3: Die Kunst in der Moderne und Postmoderne (nach: Koslowski 1987).
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Durch das Abrücken von den ÄGroßen kulturellen Erzählungen³, den teleologischen Letztbegründbarkeiten und Axiomen lässt sich auch von der Entwicklung einer Patchwork-Kultur sprechen: ÄDie Auslese, die die Kultur einer Gruppe oder einer Klasse objektiv als symbolisches System definiert, ist insofern willkürlich, als sich die Struktur und die Funktionen von keinem universellen, physischen, biologischen oder geistigen Prinzip herleiten lassen, da sie durch keine der ÃNatur der Dinge¶ oder einer Ãmenschlichen Natur¶ innewohnenden Beziehung verbunden sind³ (Bourdieu/Passeron 1973: 17)70. In der Postmoderne entwickelt sich eine intensive wechselseitige Durchdringung mit der Wirtschaft: Werbung, die auf ästhetisierte Weise Produkte zu verkaufen sucht, wird über Massenmedien verbreitet und trägt so dazu bei, nahezu alle Lebenswelten zu ökonomisieren (Jameson 1984: 85): ÄThe postmodern machine, organizes by the logic of simulacrum, reproduces, rather than produces. The aesthetic embodiment of this process, especially in advertising, film, and television does more the merely replicate the logic of late capitalism; it reinforces and intensifies it³. Für Lyotard (1987) liegt das einzige unüberwindliche Hindernis, auf das die Hegemonialbestrebungen des ökonomischen Diskurses stoßen, in der Heterogenität der Satz- und Regelsysteme und Diskursarten, wobei dieses Hindernis im Willen der Menschen oder einem anderen Sinn bestehe, sondern im Widerstreit71, der die Menschen mahne, sich in unbekannten Satz-Universen zu situieren. Die Neudefinition des Interaktionsverhältnisses von Ökonomie, Sozialem und Kultur in der Postmoderne dokumentiert auch die Einführung des Begriffes des symbolischen Kapitals (Bourdieu 1981 und 1991a, vgl. Sander 1998): Hierunter wird das Vermögen verstanden, durch wirtschaftliche Tätigkeit (ökonomisches Kapital), durch Beziehungen und Netzwerke (soziales Kapital) und durch die Aneignung von Wissen und Titeln (kulturelles Kapital) an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben und den Status in der Hierarchie der Gesellschaft (Prestige, Ehre und Anerkennung) zu verändern. Insbesondere das kulturelle Kapital ist aufgrund seiner ± im Vergleich zum ökonomischen Kapital ± subtileren Mechanismen in der Lage Ädie feinen Unterschiede³ (Bourdieu 1979) in der Gesellschaft zu dokumentieren ± und in der Schnittmenge zwischen Klassenlage und individuellem Handeln zu habitualisieren 72. Während aus der modernen Sicht in der Gesellschaft eine hierarchisch über den partikularen Ordnungen von Teilkulturen stehende Schnittmenge von Werten und Normen existiert, wird ± so Sander (1998)73± im postmodernen Modell zu einer teilkulturinternen Angelegenheit, zu normativem Univeralismus enthierarchisiert: ÄDas ÃGemeinsame¶ wird relativ, es ist abhängig von den spezifischen Vorstellungen autonomer Kulturen über Normalität, Normen und Werte. 70
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Das In-den-Vordergrund-Rücken des Pastiches, des Patchworkhaften, das Ausschließen eines absoluten Beobachtungspunktes birgt allerdings kulturell stets die Gefahr von Oberflächlichkeit, von Beliebigkeit (z.B. Jameson 1984). Die Politik ist ± so Lyotard (1987a) ± im Widerstreit ständig gezwungen, verschiedenartige Diskursarten zu verbinden, so die der Ermittlung von Gegebenheiten, der Handlungsmöglichkeiten, der Entscheidungsfindung, der normativen Grundlagen etc. Sander (1998) verweist darauf, dass sich die Äfeinen Unterschiede³ ± anders als bei Bourdieu intendiert ± sich nicht allein auf eine allgemeine Decodierbarkeit erstrecken, sondern insbesondere für Insider bedeutsam sind, während sie für Außenstehende ihren Distinktionswert verlieren. Wobei Sander (1998) nicht von der Moderne und Postmoderne spricht, sondern von der traditionellen und der neuen Sicht.
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Ältere und Jüngere, Atheisten und Gläubige, Männer und Frauen, Land- und Stadtbewohner und viele andere unterschiedliche Gruppierungen oder einzelne Personen verfügen damit allesamt über ihre eigene Version von Konsens, Normalität und verbindender Gemeinsamkeit. Interessanterweise muss diese teilkulturell und individuell konstruierte Fiktion von etwas Gemeinsamem, vom geteilten Verbindenden nicht notwendig zu Problemen führen. Das Ãunterschiedliche Gemeinsame¶, von den einzelnen jeweils fraglos hingenommen, wird in alltäglicher Kommunikation kaum tangiert. [...] Nicht nur in den Metropolen, auch in dörflichen Regionen existiert heute eine ganze Reihe traditioneller und neuer sozialer Kulturen nebeneinander, ohne voneinander sonderlich Notiz zu nehmen³ (Sander: 1998: 67-68). Im kulturellen, aber auch im politischen System der sich vollziehenden Postmodernisierung findet die Reflexivität in sprachlicher Form in einer z. T. ironischen Rhetorik ihren Ausdruck. Ironie drückt dabei die Perspektivität und Relativität Ädes menschlichen Geistes auf der Suche nach Wahrheit aus, die ihm [dem menschlichen Geist; Anm. O. K.] entflieht und ihm lediglich einen ironischen Einblick oder ein Übermaß an Selbstbewusstsein gestattet³ (Hassan 1987: 161-162). Im Zentrum der rhetorischen Sprachspiele steht häufig nicht mehr die Wahrhaftigkeit einer Aussage, sondern ihre Wirkung (was insbesondere in der Politik durchaus Ambivalenzen mit sich bringt). In der Kultur, insbesondere der Literatur, treten im Zuge der Postmodernisierung neben der Ironie zwei weitere Kommunikationselemente bestimmend hervor (Hoppmann 2000): Polysemie (oder Polyvalenz, nach Vester 1993a) und insbesondere Intertextualität. Polysemie rekurriert dabei auf die Vielsinnigkeit von Aussagen von Texten ± wobei unter ÄTexten³ alle kulturellen Phänomene zu verstehen sind, die interpretationsfähig und daher für verschiedene Auslegungen offen sind (neben Literatur, also Filme, TVSendungen, Liedtexte, Architektur). Unter Intertextualität sind die Bezugnahmen von Texten auf andere Texte zu verstehen74. Ausdruck der Polysemie in Texten sind dabei die Stilmittel der Metapher, der Übertragung eines konkreten Begriffs auf einen abstrakten, sowie die Allegorie (Hoppmann 2000), der Darstellung eines abstrakten Begriffs durch ein Bild. Mit dem allegorischen Verweis auf andere Allegorien entsteht in der Postmoderne eine selbstreferentielle Hyperrealität, in der Konstruktion, Fiktion und Realität ununterscheidbar werden. Galt in der Moderne noch eine deutliche Trennung von sozialem und kulturellem Subsystem, wird diese Grenze in der Postmodernisierung durch die ÄKulturalisierung des Sozialen³ (Vester 1993a: 33) ersetzt. Ein steigender Bildungsgrad der Bevölkerung hat die Kulturisierung breiter Bevölkerungsteile ermöglicht und hat die Grenze zwischen Hochkultur und ungebildetem Plebs obsolet gemacht, ohne dass hierdurch zwingend eine in sich homogene Massenkultur entstehen müsste. Vielmehr ist mit der Kulturalisierung des Sozialen eine Diversifizierung und Pluralisierung des gesellschaftlichen Systems (was auch die Systeme Wirtschaft und Politik einschließt) verbunden. Kulturprägend für die postmoderne Kunst wird also die Aufhebung der Grenze zwischen anspruchsvoller, elitärer ÄHochkultur³ und unterhaltsamer, anspruchsloser ÄPopularkultur³ (vgl. Vester 1993a). Im Gegensatz zur Moderne erhebt die Postmoderne Änicht mehr den Anspruch, Bedeutsames zu verkünden, denn die Unterscheidung wichtig/unwichtig fällt [...] der Entdifferenzierung zum Opfer³ (Bormann 2002: 74
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Als beispielhaft mag hierfür Marcel Prousts Roman ÄA la recherche du temps perdu³ gelten.
85). Im Vergleich zur Moderne sieht Lash (1988) in der Postmoderne in Kunst und Kultur einen Vorrang der Diskursivität vor der Figuralität. Rationalistische Auffassungen von Kunst und formale Qualitäten in der Kunst sowie eine gewisse Distanz des Betrachters zur Kunst dominierten gegenüber einer figuralen Ästhetisierung des Alltags. Wobei sich ein Regime der Bezeichnung aus der spezifischen Art, Bedeutung zu ermitteln Äaus dem Signifikationsmodus und aus der kulturellen Ökonomie³ (Hoppmann 2000: 31) zusammensetzt. Diese Bedeutungskonstruktion besteht dabei aus den spezifischen Produktionsverhältnissen kultureller Güter, bestimmten Bedingungen der Rezeption und einem bestimmten institutionellen Rahmen, der zwischen Produktion und Rezeption angelegt ist sowie aus der Art der Zirkulation kultureller Güter (Hoppmann 2000). Als ein wesentliches Element der modernen Kultur kann ± so Fayet (2003) ± ihr Drang nach Ordnung und Reinheit gelten. Dabei gehöre es zum Wesen des Reinigens, Ädass sein Effekt nicht nur der eigentlich angestrebte ± nämlich die Herstellung von Reinheit ± ist, sondern dass es zu gleich zwei problematische ÃNebenerscheinungen¶ mit sich bringt: Erstens produziert es Abfall, der ja überhaupt erst anfällt, wenn gereinigt wird, zweitens tritt als Folge des Reinigungsprozesses eine Verarmung der akzeptierten Wirklichkeit, eine Verringerung ihres Reichtums und ihrer Fruchtbarkeit ein³ (Fayet 2003: 157). Dies bewirke so Fayet (2003: 157), dass, aufgrund der enormen Rigorosität, mit der die Moderne ihr Reinigungsprojekt verfolge, ÄAbfall und Sterilität, in großer Menge beziehungsweise in hohem Maße eingetreten³ seien. Dem Reinigungsunterfangen wurde das Alte, Historische, das Nicht-mehr-Moderne (sei es in der Philosophie als auch hinsichtlich der Architektur) ebenso unterworfen wie Äalles Vermischte, alles Unreine im Sinne des Nicht-Getrennten und Nicht-Autonomen³ (Fayet 2003: 157-158)75. In der Postmoderne verliert das moderne gesellschaftliche Paradigma der Ordnung, des Unvermischten und des Reinen seine Bedeutung, das Historische, das Alte wird akzeptiert und (polytextual) inwertgesetzt: ÄDie Postmoderne macht sich nun den Reichtum des historischen Abfalls zu nutzen und praktiziert die laufende Rückführung von Beständen aus dem Bereich des Verworfenen in die Sphäre des Akzeptierten³ (Fayet 2003: 167). Die Historisierung der Postmoderne vollzieht sich dabei Äallerdings nicht im Sinne des Historismus der vorangegangenen Jahrhunderte, also nicht in der Art ehrfürchtiger Übernahme historischer Vorbilder, deren Bedeutsamkeit sich aus der Überlegenheit ihrer Herkunftsepoche ergibt, sondern im Sinne eines souveränen Verfügens³ (Fayet 2003: 167), die Postmoderne vollzieht ein ÄHerstellen fiktiver Vergangenheiten³ (Burckhardt 1995: 100). Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Postmoderne das Historische aus Bereich des Unwerten herauslöst (Fayet 2003), während der Historismus es als etwas begriff, Ädas eigentlich zum Bereich des Wertvollen gehörte, aber in den Bereich des Wertlosen hinübergetreten war³ (Fayet 2003: 167). Der Historismus zielte dabei auf die Sichtbarmachung des Vergangenen und seiner Qualitäten. Dabei bestand das Problem nicht in der Verneinung des Historischen, sondern in seiner fehlenden Wahrnehmung (und Wahrnehmbarkeit); Ziel war es also, die Sichtbarkeit des Historischen wiederherzustellen. ÄDemgegenüber greift sich das Subjekt der Postmoderne 75
Fayet (2003: 158) nennt in diesem Zusammenhang die in der Moderne nicht zugelassene Mischung von Körper und Geist (wie bei Descartes), das Äam Körperlichen anteilhabende Geistige wie auch das am Geistigen anteilhabende Körperliche³ oder (wie bei Loos) die Mischung von Kunst und Gebrauchsobjekt.
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gezielt Dinge heraus, die es für einen Transfer in die Sphäre des Wertvollen für würdig erachtet³ (Fayet 2003: 168) ± wobei über deren Verwendbarkeit die Kontextualität der Postmoderne entscheidet. Charakteristisch für die Postmoderne ist ein Abrücken von dem Prinzip der ÄKontrollmetaphorik³ (Holzinger 2004: 254) der Moderne (Holzinger spricht dabei in Beckscher Tradition von Erster und Reflexiver Moderne): Natur erscheint nicht mehr als Objekt der Kontrolle und Beherrschung durch den Menschen, sondern es erfolgt die Einsicht Äin die Nichtbeherrschbarkeit von Objekten³ (Holzinger 2004: 254). Daraus leitet sich ein sorgsamer und vorsichtiger Umgang sowohl mit historischen Objekten also auch mit Natur in der Postmoderne ab. In kybernetischer Terminologie lässt sich von einer positiven Rückkopplung zwischen Kultur und Ökonomie sprechen, einem gegenseitigen Verstärkungsverhältnis, wobei ± so Koslowski (1987) ± der Dienstleistungssektor stärker von der Kulturierung der Ökonomie betroffen ist als die Industrie. Baudrillard (1978) sieht durch eine zunehmende Kulturierung des Alltags und der De-Differenzierung von Kultur und Ökonomie das Risiko einer Überwältigung der Gesellschaft durch das Hyperreale. 2.3
Wesentliche Elemente der Postmoderne ± ein vorläufiges Fazit
Im Unterschied zur Moderne bemüht sich die Postmoderne nicht um die Konstruktion einer eindeutigen Identität, der Suche nach einem allgemeingültigen, vereinigenden Prinzip, sondern sie konstituiert sich als Suche nach dem Unterschied: Die Postmoderne, Äals Verfassung radikaler Pluralität³ (Welsch 1988: 4), erkennt die Konstruiertheit aller Erkenntnisse und Aussagen über Ädie Wirklichkeit³ als systemimmanent an. Demnach ist in der Wissenschaft in der Postmoderne auch ein polyvalenter Theorienpluralismus notwendig, mit dessen Hilfe der Forschungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven ± niemals abschließend ± untersucht wird. Allgemeiner gesagt, ist die Bemühung um die Minderung von Kontingenz ein Programm der Moderne, während die Postmoderne Kontingenz zulässt. Dabei gilt in der Postmoderne das Primat der Ästhetik, wo in der Moderne das Aufklärungs- und Vernunftmodell, Wirklichkeit wird, nicht mehr ÄÃrealistisch¶, sondern Ãästhetisch¶ konstruiert³ (Welsch 1995: 7). Der ästhetisch-konstruktive Realitätsbezug wird dabei noch durch ein differenziertes und differierendes Sprachverständnis verstärkt: Sprache schafft unterschiedliche Realitäten. Wahrheit existiert ± aus der Perspektive der postmodernen Wissenschaftstheorie nur raumzeitlich begrenzt innerhalb eines Sprachspiels ± so lange dieses Sprachspiel Geltung hat (Lyotard 1979). Mit dem Ende der Vorstellung von eindeutigen Identitäten ging das Ende der ÄGroßen Erzählungen³ einher, Ideensystemen also, die durch exklusivistische Wahrheitsansprüche partieller oder totaler Dimension gekennzeichnet waren. Damit bedeutet Postmodernismus im Wesentlichen nichts anderes als Postexklusivismus (Sloterdijk 1987: 49). In der Postmoderne findet eine Differenzierung und De-Differenzierung von Differenzierungen statt: Die Polarität von Differenzierung und Entdifferenzierung wird durch den Begriff des Pastiches aufgehoben. Pastiche-Bildung bedeutet dabei nicht einfach Entdifferenzierung, sie setzt vielmehr die Bildung von Differenzen, um diese dann in Form von Hybridkreuzungen, Rekombinationen und Reintegrationen zu rekombinieren und zu synergetisieren (Vester
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1993a). Eine solche Symbiose gewinnt in der Postmoderne an Bedeutung: Macht-Wissen. Sie entsteht dadurch, indem ± insbesondere durch die Vernetzung von Wissen und auch Macht ± keine Machtbeziehungen ohne Wissensbeziehungen sowie keine Wissensbeziehungen ohne Machtbeziehungen existierten. Ein Charakteristikum von Macht wie auch Wissen ist, ihre bzw. die jeweilige situationsspezifische Neudefinition ± Wissen und Macht haben ihre statische Zentrierung auf bestimmte Räume, Personen und Personengruppen verloren. In der postmodernen Ökonomie wird die (auch symbolische) Dominanz des sekundären Wirtschaftssektors gebrochen, die mit dem Wandel von den fordistischen economies of scale³ zu den post-fordistischen economies of scope (Harvey 1989) einhergeht. Zugleich wird der ökonomische Raumbezug in vielen Funktionen ein globaler: Globale Vernetzungen von Liefer- und Abnehmerbeziehungen, von Steuerungs- und Produktionsfunktionen ergänzen bzw. ersetzen sub-globale Bezüge. In den Ländern der Ersten Welt wird ± unter Verweis auf die Globalisierung als Ämystifizierter und ideologischer Kampfbegriff³ (Ferchhoff/Neubauer 1997: 24) ± aus einem System Ästandardisierter Vollbeschäftigung³ ein ÄSystem flexibelpluraler Unterbeschäftigung³ (Beck 1986: 222). Diese Entwicklungen führen zur Auflösung der Vorstellung der ganzen Gesellschaft im ÄContainer des Territorialstaates³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 20) und tragen zum Machtverlust der nationalstaatlichen und auch sub-nationalstaatlichen Politik bei, der mit der Auflösung der modernen klassenspezifischen Parteienbindung, durch das Eindringen neuer Formen der Zivilgesellschaft in das politische System (z.B. Bürgerinitiativen) und dem reflexiven Hinterfragen der kontextualen und absoluten Sinnhaftigkeit von einzelnen Gesetzen wie auch dem Aufbrechen der Tautologie der Gesetze auf nationaler Ebene einhergeht. Die Unfähigkeit der nationalen Politiken, die globalisierten gesellschaftlichen Probleme zu lösen, äußert sich in der Konstruktion und der inszenierten Lösung von Scheinproblemen. Mit der Entgrenzung von Politik und Ökonomie geht auch die Etablierung neuer Lebensstile, der Pluralisierung privater Lebensformen in der Postmoderne einher. Diese wird durch die Individualisierung, das Aufbrechen traditioneller Rollenidentitäten, die Entstehung einer postkonventionellen Moral, die Differenzierung von Privatheit und Öffentlichkeit begleitet. Dabei vollzieht sich in der Postmoderne eine Abkehr von einem einzigen Kernselbst, hin zu einer komplexeren Identitätskonstellation von Subjektivitätscollagen, die sich in PatchworkKarrieren, Patchwork-Persönlichkeiten und Patchwork-Identitäten äußern. In der Postmoderne verliert das moderne gesellschaftliche Paradigma der Ordnung, des Unvermischten und des Reinen seine Bedeutung. Die Kultur der Postmoderne ist nicht eine Kultur des Neuen, sondern des reflexiv bis zum ÄHerstellen fiktiver Vergangenheiten³ (Burckhardt 1995: 100) Umgestalteten, des Zitierten, des Doppel- und Mehrfachcodierungen aufweisenden ÄPlaygiats³, des Ironischen und des Polyvalenten. Referenz wird durch Image ersetzt, reale Bezüge durch Simulationen, die hyperreal zu ÄSimulacra³ werden (Baudrillard 1976). Als kulturprägend für die postmoderne Kunst erweist sich die Aufhebung der Grenze zwischen anspruchsvoller, elitärer ÄHochkultur³ und unterhaltsamer, anspruchsloser ÄPopularkultur³ (vgl. Vester 1993a), die sich auch in der Ästhetisierung des Ökonomischen äußert und durch Massenmedien verbreitet wird und letztlich zu einer Ökonomisierung nahezu aller Lebenswelten beiträgt. 41
Die gesellschaftliche Postmoderne bzw. der Weg dorthin, die Postmodernisierung, lässt sich als hochgradig ambivalent charakterisieren: Pluralismus und Individualisierung sowie die abnehmende Bedeutung sozial und kulturell prädefinierter Normen und Werte bedeuten einen Gewinn an persönlicher Freiheit, bedürfen aber auch eines hohen Grades an Reflexionsvermögen und -bereitschaft, die neuen Freiheiten, gesellschaftlich und ökologisch verantwortungsvoll einzusetzen. Auch die zunehmende Mediatisierung kann einerseits als Chance der Vervollständigung der eigenen postmodernen Patchwork-Identität verstanden werden, aber sie äußert sich auch in der Manifestierung bzw. Schaffung von sozialer Distanz.
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Landschaft und Raum als Gegenstände sozialwissenschaftlicher Forschung
Nachdem wesentliche Elemente der Postmoderne bzw. der Postmodernisierung erläutert wurden, erfolgt in diesem Kapitel eine Befassung mit dem Thema Raum und Landschaft aus Sicht der Sozialwissenschaften. Soll eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung von Raum und Landschaft vollzogen werden, ergeben sich prinzipiell mehrere (hier untersucht: drei) Möglichkeiten: Erstens, die Untersuchung des angeeigneten physischen Raumes bzw. der angeeigneten physischen Landschaft; zweitens, der Untersuchung der gesellschaftlichen Raum- bzw. Landschaftskonstruktionen; drittens, die Untersuchung des Interferenzverhältnisses zwischen angeeignetem physischem Raum bzw. angeeigneter physischer Landschaft und gesellschaftlichen Konstrukten von Raum bzw. Landschaft, wobei dieses Interferenzverhältnis in zweierlei Richtung zu interpretieren ist: Einerseits hinsichtlich der gesellschaftlichen Interpretation von Raum und Landschaft im Sinne einer Beobachtung eines Ist-Zustandes und andererseits in der gesellschaftlichen Formulierung von Soll-Vorstellungen im Sinne von gesellschaftlichen Ansprüchen an den physikalischen Raum bzw. der physikalischen Landschaft und deren physischer Vollzug. Wissenschaftshistorisch lassen sich deutliche Forschungsschwerpunkte hinsichtlich des Gesellschafts-Raumverhältnisses in einzelnen Disziplinen feststellen: Während sich die Soziologie primär mit der Erforschung gesellschaftlicher Raum- (und eingeschränkt Landschafts-) Vorstellungen (inklusive der gesellschaftlichen Interpretation physischen Raumes bzw. physischer Landschaft) befasst hat, stand über Jahrzehnte der angeeignete physische Raum im Zentrum geographischer Forschung, während die Umsetzung eines gesellschaftlich formulierten Soll-Zustandes und Planungen in der Raumplanung von zentraler Bedeutung war. Klagen über eine mangelnde gegenseitige Beachtung sind dabei bis heute zu vernehmen. In Abschnitt 3.1 wird der Begriff des Raumes in der Soziologie als Grundlage für den spezielleren Begriff der Landschaft (Abschnitt 3.2) des Faches erläutert. Daran anschließend erfolgt die Betrachtung des Begriffs der Landschaft in den Raumwissenschaften. Indem ein straffer Überblick über den Entwicklungsstand soziologischer und raumwissenschaftlicher Forschung präsentiert wird, soll den Vertretern der jeweils anderen Disziplinen ein Einblick in die Logik der jeweiligen Forschung vermittelt werden, um so zu einem größeren Verständnis der jeweils anderen Disziplinen beizutragen. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels (Abschnitt 3.4) wird ein soziologisches Konzept zur Landschaft entwickelt. Dieses Konzept enthält einige terminologische Neufassungen, die in den nachfolgenden Kapiteln (Kapitel 4 ff) zur Anwendung kommen. Auf eine Nutzung dieser Terminologie wird in den Abschnitten 3.1 bis 3.3 verzichtet, da diese die Grundlage für die Entwicklung der terminologischen Entwicklungen darstellen.
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3.1
Der Begriff des Raumes in der Soziologie
Landschaft im Besonderen und Raum im Allgemeinen gehören nicht zu den populären Gegenständen soziologischer Theoriebildung, die in der Geschichte der Soziologie eine herausragende Position eingenommen hätten. Nur wenige Soziologen haben sich vor der Hinwendung zu räumlichen Forschungsprogrammen seit den 1990er Jahren ± im Zuge der fortschreitenden Globalisierung, der Ausprägung von Global Cities, der Liberalisierung von Märkten u. a. ± mit dem Thema des Raumes befasst: Unter den Klassikern der Soziologie sind es insbesondere Durkheim76, Lévi-Strauss77 und Simmel78 sowie Bourdieu, die räumliche Fragestellungen ± wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise ± ausführlicher behandelt haben. Heute werden die komplexen Raumbeziehungen des Menschen zunehmend Gegenstand einer theoretischen soziologischen Auseinandersetzung (wie bei Sturm 2000 und Löw 2001). Bei dieser Behandelung wird deutlich, dass das Konzept des absolutistischen Container-Raumes keine ausreichende Basis für die komplexen ästhetisch- und sozialräumlichen Entwicklungen bietet, wie sie für die Gegenwart charakteristisch sind. Aufgrund der großen Bedeutung des Themas Raum für die ÄAbleitung des Raumes Landschaft³ seien im Folgenden wesentliche Konzepte und Strömungen soziologischer Raumbefassung kurz skizziert. 3.1.1 Die physikalische Strukturierung des Raumes: Der Behälterraum, der relationale Raum und der relative Raum Der Behälterraum ± wenn auch in seinen Grundzügen zurückgehend auf die griechische Antike ± lässt sich als Ergebnis eines ± die anthropozentrischen traditionell-gesellschaftlichen Raumvorstellung überwindenden ± Prozesses der Entwicklung eines physikalischen ± vom Menschen unabhängigen ± Raumbegriffes zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert verstehen. Dieser Behälterraum stellt eine Vereinfachung des Newtonschen Raumverständnisses dar, da Newton den absoluten Raum als einen unendlichen Raum definiert ± eine Vorstellung, 76
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Das Problem des Raumes wird bei Durkheim in erster Linie aus erkenntnissoziologischer Sicht behandelt. Grundlage der Raumbetrachtungen bei Durkheim (1977 ± zuerst 1893) ist Ädie soziogenetische Analyse der Anschauungsformen³ (Konau 1977: 19). Aus dieser Grundlage wird die These evident, die elementarsten Kategorien des Denkens (Raum, Zeit, Substanz) seien sozialen Ursprungs. Durkheim (1977 ± zuerst 1893) unterstellt ± im Sinne des prinzipiellen Soziodeterminismus ± die Abhängigkeit der Kategorienbildung von der sozialen Struktur (vgl. Konau 1977). Lévi-Strauss (1969) nimmt an, dass die Beziehungen zwischen räumlichen Konfigurationen und sozialer Struktur vielschichtig und bisweilen widersprüchlich sind. Ein Widerspruch ergibt sich dabei in besonderer Weise häufig aus den nicht offensichtlichen Strukturen der Gesellschaft, sich unbewusste Strukturen in Raumvorstellungen und räumlichen Vorstellungen zu manifestieren, was nicht ausschließlich für primitive, sondern auch für komplexe Gesellschaften gilt (vgl. Konau 1977). Grundsätzlich lassen sich nach LéviStrauss (1969, vgl. Konau 1977) drei Grundmuster der Umsetzung von Sozialordnungen in Raumordnungen unterscheiden: Erstens, die unmittelbare Projektion der Sozialordnung in eine Raumordnung; zweitens, die (vordergründige) Indifferenz der Sozialordnung gegenüber dem Raum; drittens, die bewusste Ge- und Beplanung des Raumes. In der Soziologie Simmels nehmen Raum und Landschaft eine bedeutende Stellung ein. Ein zentrales Element in der Soziologie des Raumes ist bei Simmel der Zusammenhang zwischen kognitiver Raumanschauung und handlungsbezogener Raumanschauung im Raum, aus dem sich eine Emanzipation vom Raum ergibt (vgl. Konau 1977). Die räumliche Dimension der Gesellschaft stellt damit einen Aggregatzustand einer Vergesellschaftung dar, Ädie ihn rückwirkend tragen helfen³, wobei das Äsoziologisch Entscheidende [...] die Bildung einer Einheit aus einer Vielheit³ (Simmel 1958: 518-519) darstellt.
die der menschlichen Alltagsraumkonfrontation sehr fern liegt (vgl. Sturm 2000). Gemäß der Vorstellung vom Behälterraum existiert eine von materiellen Körpern unabhängige Realität, die mit materiellen Körpern gefüllt werden kann oder eben auch nicht 79. Neben diesem Behälterraum identifizieren Läpple (2002a) und Ipsen (2002a) ± in Anlehnung an Albert Einstein ± den Ärelationalen Ordnungsraum³, der ohne physische Objekte nicht denkbar ist. Raum wird dem gemäß als relationale Anordnung körperlicher Objekte generiert. Ohne Körper gäbe es keinen Raum, Raum entsteht dadurch, dass Orte nur in ihrer relationalen Lage zu anderen Körpern gegeben sind. Mit der Entwicklung des Einsteinschen Relativitätsprinzips wurden die mechanistischen Vorstellungen Newtons zu einem Spezialfall in der physikalischen Relativität. Durch die Auflösung von absolutem Raum und absoluter Zeit in einem vierdimensionalem Raum-ZeitKontinuum konstituiert sich Raum als Beziehungsstruktur zwischen sich ständig bewegenden Körpern (Löw 2001: 34): ÄRaum ist demnach nicht mehr der starre Behälter, der unabhängig von den materiellen Verhältnissen existiert, sondern Raum und Körperwelt sind verwoben³. Damit wird der Raum ± als raumzeitliche Anordnung von Objekten ±Äabhängig vom Bezugssystem der Beobachter³ (Löw 2001: 34). Raum und Zeit werden somit jeweils zu immanenten Kategorien: ÄJede Veränderung im ÃRaum¶ ist eine Veränderung der ÃZeit¶, jede Veränderung in der ÃZeit¶ ist eine Veränderung im ÃRaum¶³ (Elias 1994: 75). 3.1.2 Der gesellschaftliche Raum Als einer der Ersten prägte Sorokin (1959) den Begriff des Äsozialen Raumes³: Grundsätzlich ist dem gemäß zwischen sozialem und geometrischem Raum zu unterscheiden. Der soziale Raum sei durch Relationen zwischen Menschen und Menschengruppen bzw. zwischen sozialen Phänomenen vielfach differenziert. Als Hauptdifferenzierungen ließen sich dabei ± so Sorokin (1959) ± die horizontale (in Gruppen) und die vertikale Differenzierung (die Position, die einzelne Personen in Gruppen einnehmen) nachweisen (vgl. Löw 2001, Ipsen 2002a, Löw 2002). Auch Giddens (1988) konzeptioniert Raum als eine Form der gesellschaftlichen Differenzierung: Über ein Geflecht raum-zeitlicher, routinisierter und institutionalisierter Handlungen werde Raum als eine an sich existierende Dimension in Regionen eingeteilt, wobei diese Regionen eine Form gesellschaftlicher Differenzierung darstellen (vgl. dazu Löw 2001, Löw 2002). Eine differenzierte und akzentuierte Vorstellung von der gesellschaftlichen Bedeutung von Raum bietet das Konzept eines Ägesellschaftlichen Raumes³, das sich an die Vorstellung des Ärelationalen Ordnungsraumes³ anknüpfen lässt (Bertels 1997, Läpple 2002a, Ipsen 2002a): 1. Das materiell-physische Substrat setzt sich aus menschlichen, häufig ortsgebundenen Artefakten, aber auch durch den Menschen überformte Natur, dem Körperraum des
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Löw (2001: 63) würdigt die Sicht des Behälterraumes in historischer Perspektive wie folgt: ÄDas euklidische Denken, welches in Sozialisations± und Bildungsprozessen vermittelt wird, ist für die Konstitution vieler Räume ohne Zweifel eine kulturell notwendige Leistung, um Gegenstände, sich selbst oder andere Menschen in ein Raster einordnen zu können. Diese ordnende Aktivität wird unterlegt und stärkt die Vorstellung, Ãim Raum zu leben¶³.
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Menschen wie auch seiner be- und gebauten Umwelt zusammen. Es stellt die materielle Erscheinungsform des gesellschaftlichen Raumes dar. 2. Die gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen basieren auf dem Handeln von Akteuren im Rahmen von Schicht-, Klassen- und Milieuverhältnissen, eingeschlossen die konfliktären Abgrenzungs- und Verdrängungsprozesse unter unterschiedlichen Lebensstilen, Gruppen unterschiedlicher ökonomischer Potenz u. a. 3. Das institutionalisierte und normative Regulationssystem (Kontrollbeziehungen, Eigentumsformen, Regeln, Normen, Rollen) regelt den Zugang und den Umgang zu und mit den raumstrukturierenden Objekten. Es fungiert als ÄVermittlungsglied zwischen dem materiellen Substrat des gesellschaftlichen Raumes und der gesellschaftlichen Praxis seiner Aneignung und Nutzung³ (Ipsen 2002a: 20). 4. Das Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem regelt den Umgang mit Objekten als Träger von Zeichen als Semiotik des Raumes. Sie sind einerseits Elemente der Vorstrukturierung menschlicher Handlungen und andererseits stellen sie Geschichte dar und sind somit ± als Basis für eine regionale Identität ± Elemente eines kollektiven Gedächtnisses. Der gesellschaftliche Raum lässt sich also als gesellschaftliches Geflecht von Herstellungen, Aneignungen und Verwendungen auf Basis seines materiellen Substrates durch InBeziehung-Setzung der vier oben beschriebenen Komponenten charakterisieren (Ipsen 2002a). Damit wird deutlich, dass Ädie Konstitution von Raum selbst als sozialer Prozess gefasst werden muss³ (Löw 2001: 67), Raum also nicht allein eine Rahmenbedingung soziologischer Untersuchung darstellt (Löw 2001: 67): ÄWas zuvor Ausgangs- oder Bezugspunkt einer Untersuchung war, wird nun selbst zum soziologischen Gegenstand: die Konstitution von Raum³. Bourdieu (1991b) unterscheidet ± sozialrelevant ± den sozialen Raum, der als eine Metapher für Gesellschaft entwickelt ist, und den angeeigneten physischen Raum, den er auch als reifizierten sozialen Raum benennt. Darüber hinaus gibt es für ihn die Raumkategorie des physischen Raumes, wenn willentlich von dem Bewohnt-Sein und der Aneignung von physischem Raum abgesehen wird (vgl. Löw 2001). Als sozialer Raum ist dabei die relationale Anordnung von Positionen bestimmter Formen von Macht (oder Kapital) zu sehen (Bourdieu/Wacquant 1996). Der physische Raum wird für Bourdieu Änicht zum Raum durch die Anordnungen, sondern in ihm (mit anderen Worten: im absoluten Raum) werden die relationalen Anordnungen realisiert³ (Funken/Löw 2002: 86). In dem angeeigneten physischen Raum finden also selektiv Relationen des sozialen Raumes physisch ihren Niederschlag. Die differenzierte Konzeption von gesellschaftlichen Räumen kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten soziologischen (insbesondere stadt- und regionalsoziologischen) Studien auf Grundlage des Behälter- oder Container-Prinzips durchgeführt wurden. Häufig boten und bieten politisch-administrative Grenzen den Bezug, häufig werden funktionale und strukturelle Grenzen in den Untersuchungsräumen bestimmt. Sofern die rückgekoppelten Relationen zwischen Gesellschaft und Raum deutlich werden, erscheint ein prinzipieller Bezug auf Raum-Zeit-Kontinua durchaus vernachlässigbar, u. a. auch, da sich Lebenswel-
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ten der einzelnen Welten nicht im Bewusstsein der Einsteinschen Relativitätstheorie konstituieren (die letztlich auch nur ein bewusstseinsinternes Konstrukt ist). 3.1.3 Zur Vieldimensionalität der Entwicklung physischer und sozialer Räume In der soziokulturellen Evolution hat die Gesellschaft Strategien zur Kontrolle des Raumes entwickelt, wobei ± so Stichweh (2003: 98) ± Kontrolle in diesem Zusammenhang nicht als intentionales Geschehen zu verstehen ist, sondern als Ädie strukturellen Effekte der operativen Vollzüge eines Systems³. Nach Stichweh (2003) lassen sich fünf solcher Strategien charakterisieren: 1. Die Substitution natürlicher durch künstliche Begebenheiten. Hierbei treten zunehmend räumliche Bedingungen (Straßen, Wasserwege, Gebäude), als Folgen gesellschaftlichen Handelns, an die Stelle von Vorgegebenheiten, Ädie nicht durch Kommunikation und soziales Handeln beeinflusst zu sein scheinen³ (Stichweh 2003: 98). Damit erwerben sie das Moment einer von der Gesellschaft nicht leicht beeinflussbaren Exteriorität, Ädas räumlichen Bedingungen von Gesellschaft eigen ist³ (Stichweh 2003: 98). 2. Die Überlagerung physischer Räume durch soziale Räume 80. Hierbei werden soziale Räume beispielsweise in Form von Netzwerken konstruiert, wobei die Restriktionen der physischen Räume in ihrer Bedeutung zurücktreten. Zwischen sozialer und physischer Distanz besteht kein Kausalzusammenhang. 3. Die Invisibilisierung einer faktisch vorliegenden und als Struktur unhintergehbaren räumlichen Ordnung. Hierbei handelt es sich um Strategien und Techniken der Nutzung des Raumes, die strukturierende Wirkung dieser Nutzung unsichtbar machen, wie dies bei der Telekommunikation vielfach der Fall ist. 4. Die Substitution funktionaler durch räumliche Ordnungen. Hierbei werden ehemals räumlich exakt verortete Funktionen (z.B. Märkte) über alternative Wege abgewickelt (z.B. über das Internet). 5. Die Domestikation des Raumes. Bei dieser Strategie wird der Raum nicht substituiert, sondern kontrolliert. Über den Raum wird ein Netzwerk der Lokalisierung und Berechenbarkeit der Ortsveränderung gelegt, das sich in just-in-time-Lieferungen ebenso äußert wie in der eindeutigen Lokalisierbarkeit durch Adressen (Name, Straße, Hausnummer, Ländercode, Postleitzahl, Siedlungsname) und der Abstimmung von Flugzeiten im Hubs-and-spokes-System (siehe hierzu Kühne 2002) . Für eine Zerstörung des Raumes oder eine Enträumlichung in letzter Konsequenz existieren nur wenige Anhaltpunkte, Raum ist vielmehr einer Differenzierung und Polarisierung unterworfen (vgl. Ahrens 2001, Kronauer 2000, Scholz 2003). Dies ist im Wesentlichen auf die starke räumliche und soziale Selektivität der neuen Raumüberbrückungstechnologien zurückzuführen: Ökonomisch Benachteiligte sind ebenso von einer Raumkompaktion ausgeschlossen wie vielfach periphere Räume, zu deren infrastruktureller Ausstattung weder internationale Flughäfen noch leistungsfähige Verbindungen zum globalen Telekommunikationsnetz gehören. Es entstehen ÄFacetten der Neutralisierung, der Invisibilisierung und der Überlagerung 80
Auf soziale Räume wird noch in Anschnitt 3.1 einzugehen sein.
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des Raumes durch neue Ordnungsmuster und neue Formen sozialer Räumlichkeit³ (Stichweh 2003: 100, vgl. auch Ahrens 2001). Nachvollziehbar ist letztlich eine Wandlung der sozialen und individuellen Raumerfahrung. Statt einer flächenhaften Raumaneignung durch individuelle Anschauung wird die Vorstellung von Raum verinselt: Raum wird nicht mehr allein im unmittelbaren Anschauungsbereich oder mit Hilfe von Karten als geschlossenes Gebilde (vgl. Bertels 1997), sondern in Form von Inseln systemartiger Verdichtung von Kommunikation (re-)konstruiert. U-Bahnen und Flugverbindungen tragen in besonderer Weise zur Verinselung von Raum- und Landschaftsaneignungen bei. Zwischenräume, Räume zwischen den Inseln der eigenen Raum- und Landschaftserfahrung werden ± wenn überhaupt ± durch hochgradig symbolisierte Erfahrungen aus zweiter und dritter Hand gefüllt (auch die Signaturensprache der Kartographie ist letztlich eine Symbolsprache unterschiedlicher Zeichendimension)81. 3.2
Der Begriff der Landschaft in der Soziologie
Gehört Raum zu den in der Soziologie wenig thematisierten gesellschaftlichen Bezügen, gilt dies in besonderer Weise für Landschaft. Nur wenige soziologische Publikationen befassen sich mit diesem Thema. Exponiert sind hierbei die Textsammlung von Gröning/Herlyn (1990) zur Thematik der Landschaftswahrnehmung und -erfahrung zu nennen, das Kapitel ÄRaum als Landschaft³ bei Ipsen (2002a) sowie die kultursoziologische Arbeit von Kaufmann (2005). Den soziologischen Forschungsbedarf zum Thema Landschaft fixiert Ipsen (2002a; durch den Autor ergänzt; vgl. auch Wood 2003) anhand dreier Aspekte: 1. Die Schwierigkeit, in der Gegenwart Stadt und Land voneinander zu trennen, da sich Europas neue Landschaften zwischen Stadt und Land entwickeln. Die soziologischen Fragen, die sich mit der Entstehung neuer Landschaften verbinden sind, wie sich diese Räume erfahren lassen, wie sich soziales Leben in diesen Räumen organisiert, wie es zur Entstehung dieser Landschaften kommt. 2. Die steigende Bedeutung von Landschaft als Standortfaktor. Dies gilt insbesondere aufgrund eines geringeren Differenzierungsgrades zwischen Stadt und Umland hinsichtlich der Infrastrukturausstattung, was entscheidend mit einer Veränderung von Lebensstilen und Statussymbolen zusammenhängt: Freizeitaktivitäten in einer Landschaft verleihen Lebenssinn und gesellschaftlichen Status. 3. Landschaft ist dabei nicht identisch mit Natur oder natürlicher Umwelt. Dennoch besteht ein enger Zusammenhang: Umweltbelastungen und deren Lösung sind mit dem gesellschaftlichen Umweltverhältnis gekoppelt. Landschaft lässt sich dabei als Vehikel für die Änderung des gesellschaftlichen Umweltverhältnisses einsetzen. Damit kann eine soziale Auseinandersetzung mit Landschaft zur Entwicklung einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie beitragen.
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Darüber hinaus findet sich in der Substitution von Straßenkarten durch elektronische Navigationssysteme ein weiteres Element des Überganges zur Konstituierung von Raum- bzw. Landschaftsverinselungserfahrungen: Statt Routen (zumindest ansatzweise) im Raum- bzw. Landschaftskontext auf Karten wahrzunehmen, wird Raum auf eine Linearität zwischen Start und Ziel reduziert, die es zu überwinden gilt.
Insbesondere der erste genannte Punkt unterliegt dabei einer intensiven Diskussion. Der Raumplaner Sieverts (2001) spricht bei der Angleichung von Stadt und Land von verlandschafteten Städten oder verstädterten Landschaften, wobei er insbesondere die Bezeichnung ÄStadt³ für unangemessen hält und als lediglich tradiert kritisiert. Die Dichotomie von Stadt und Land(schaft) löse sich auf (Sieverts 2001: 65): ÄDie offene Landschaft wird vom einbettenden Grund der Stadt zur von der Siedlungsmasse eingefassten Figur³, womit ± so Ipsen (2000a) ± sich Landschaft, als kompositorischer Begriff aufgrund sich gegenseitig durchdringender Strukturen (Kühn 2001), sowohl für ländliche als auch städtische Landschaften verfügbar machen lasse (vgl. auch Kaufmann 2005). Aus kultursoziologischer Perspektive begreift Kaufmann (2005: 154) Landschaft als Netzwerke, Äin denen sich politische Visionen, gesellschaftliche Vorstellungen von Natur und von Naturverhältnissen, Vorstellungen von geordneten sozialen Verhältnissen und gesellschaftlichen Entwicklungsidealen manifestieren ± Netzwerke, in denen sich aber zugleich immer wieder die ÃNatur¶ mit Überraschungen äußert.³ 3.2.1 Grundzüge einer soziologischen Landschaftsbefassung Ein wesentliches Element der soziologischen Befassung mit Landschaft ist die Betonung der sozialen Konstruktion82 von Landschaft: eine soziale Konstruktion also, die wesentlich auf der Vorstellung von Landschaft basiert und ein soziokulturelles Sinnsystem darstellt. Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich die Konstruktion von Landschaft als Systembildung und damit als Entkomplexisierung beschreiben, die mit der Absonderung von Sinn verbunden ist (vgl. Luhmann 1984). Barthelmess (1988: 15) folgert aus dem naturwissenschaftlichen Landschaftsforschung beheimateten Begriff des ÄBiotops³ zur Verdeutlichung der psychischen Dimension den Begriff des ÄPsychotops³. Die Vorstellung von Landschaft lässt sich ± so Simmel (1990 ± zuerst 1913) ± mit der Entstehung eines Kunstwerkes vergleichen: In der Wahrnehmung von Landschaft entsteht, wie bei der Landschaftsmalerei83 durch die Betonung des als wesentlich und unter Weglassung des als unwesentlich Erachteten, ein neues Ganzes, ÄLandschaft wird nicht vorgefunden, sondern ist ein bestimmter Ausschnitt [...], der sich in Landschaft verwandelt, wenn er sich der ästhetischen Erfahrung erschließt³ (Vöckler 1988: 277)84. Dabei wird Natur Ädurch den tei82
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Krämer-Badoni (2003: 276) betont, dass der konstruktivistische Raumbegriff ± im Gegensatz zum marxistischen oder auch positivistischen ±Äheute die einzig mögliche Basis raumbezogener Wissenschaften zu sein scheint³. Eigens die Landschaftsmalerei des frühen 19. Jahrhunderts trug zu einem geänderten Naturverständnis bei. Sowohl die Portraitlandschaften als auch die komponierten Ideallandschaften thematisierten die Distanz von Mensch und Natur (König 1997), eine Differenz, die das Beobachten von einzelnen Naturphänomenen als ästhetisierte Landschaft induziert. Die prinzipielle Unmöglichkeit, die Frage zu beantworten, was das Ästhetische, das Schöne sei, wird auch in der Landschaftsbetrachtung ± und insbesondere -planung ± deutlich: die Problematik der Operationalisierbarkeit von Ästhetik bzw. Schönheit, die Frage also, Äob Schönheit etwas Objektives, dem Objekt anhaftend und damit beweisbar oder doch Ãnur¶ etwas Subjektives, das individuell und emotional ist und somit nicht messbar sein kann³ (Wöbse 2002: 114-115). Dieses Problem der Objekt-Subjektpolarität setzt über die Dualität von ÄLandschaft als ästhetischem Objekt und dem Menschen als wahrnehmendem Subjekt³ (Wöbse 2002: 115) hinaus im Bereich der Ästhetik fort: der Polarität von objektiver und subjektiver Ästhetik. Die Position der objektiven Ästhetik wird dabei von Plato formuliert, der die Auffassung vertritt, jedem Gegen-
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lenden und das geteilte zu Sondereinheiten bildenden Blick des Menschen zu der jeweiligen Individualität ÃLandschaft¶ umgebaut³ (Simmel 1990: 69)85. Ritter (1990: 31) beschreibt die Konstruktion von Landschaft als Vorgang ästhetischen Empfindens: ÄLandschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist: Nicht die Felder vor der Stadt, der Strom als ÃGrenze¶, ÃHandelsweg¶ und ÃProblem für Brückenbauer¶, nicht die Gebirge und die Steppen der Hirten und Karawanen (oder Ölsucher) sind als solche schon Landschaft³86. Die soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft stellt dabei eine Abstraktion einzelner Elemente und Systeme auf unterschiedlichen räumlichen Wahrnehmungsdimensionen (als Größenskalen) dar (Beispiele für solche landschaftlichen Elemente und Systeme finden sich in Tabelle 4), Landschaft ist angesichts des Raumes Ämit Bezug auf den Menschen [...] ein reflexives Gebilde³ (Freyer 1990: 44) . Sie ist das Ergebnis einer Suche Änach Zusammenhängen, nach charakteristischen Einheiten³ und stellt dabei als Gestaltwahrnehmung keinen Zufall, sondern ein Vorurteil dar (Loidl/Bernhard 2003: 17). Konstituiert wird das soziale Konstrukt Landschaft im Lauf der Kulturgeschichte, durch Dichtung, Malerei, Postkarten, Kino, Fernsehen, Touristenwerbung u. a. (vgl. Ipsen 2002a, Hauser 2003), wobei die Verengung der Bedeutung des Begriffs Landschaft auf seinen heutigen (ästhetisierenden) Bedeutungsinhalt eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts ist, bis in das 18. Jahrhundert umfasste der Begriff der Landschaft einen weitgehend geschlossenen Wirtschafts- und Siedlungsraum mit mehr oder minder einheitlichen rechtlichen, sozialen und kul-
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stande läge eine Idee zugrunde, die umso schöner erscheine, je mehr sich diese Idee materiell auspräge, während Kant die Position der Auffassung der subjektiven Ästhetik vertritt, schön sei das, was ohne Begriff allgemein gefalle. Wobei mit Äohne Begriff³ ohne Besitzanspruch und mit Äallgemein³ die Mehrheit der Wahrnehmenden zu verstehen ist (Wöbse 2002). Frohmann (1997: 175) unterscheidet zwischen subjektorientierter Ästhetik, auf Basis von Äsoziokulturellen Werten, erlernten Normen, persönlichen Erfahrungen, Charaktereigenschaften und Wunschvorstellungen³, objekt-orientierter Ästhetik, die auf Äobjektiven Gesetzmäßigkeiten³ basiere und dem intersubjektiven Ansatz, der eine Verbindung zwischen den beiden genannten Ansätzen darstelle, Äwenn in der Wahrnehmung der ästhetischen Wirkung einer Landschaft oder einzelner Elemente Subjekt und Objekt miteinander verschmelzen³. Hunziker (2000) arbeitet fünf Prinzipien der Ästhetik auf Grundlage bislang publizierter landschaftsästhetischer Vorstellungen heraus: Erstens, die Landschaftsästhetik der klassischen Ästhetik, als interesselose ästhetische Erfahrung im Sinne Kants; zweitens, die biologische Dimension der Landschaftsästhetik, im Sinne einer, die urmenschlichen Überlebensbedürfnisse am besten befriedigenden, Verfügbarkeit von Wasser, Überblick und Schutz; drittens, Die soziale Dimension der Landschaftsästhetik, im Sinne einer Aneignung von Symbolen im Prozess der Sozialisation, viertens, Die individuelle Dimension der Landschaftsästhetik, im Sinne individueller Vorstellungen und Wahrnehmungen, die Hunziker (2000) jedoch als nahezu unbedeutend charakterisiert; fünftens, das integrierte Modell der Landschaftsästhetik, das die unter Punkt 1 bis 4 genannten Modelle zu integrieren sucht. Diesen Vorgang der Entstehung von Landschaft im Bewusstsein des Betrachters fasst Simmel (1990: 71) noch genauer: ÄDenn das Verständnis unseres ganzen Problems hängt an dem Motiv: das Kunstwerk Landschaft entsteht als die steigernde Fortsetzung und Reinigung des Prozesses, in dem uns allen aus dem bloßen Eindruck einzelner Naturdinge die Landschaft ± im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ± erwächst. Eben das, was der Künstler tut: dass er aus der chaotischen Strömung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stück herausgrenzt, es als eine Einheit fasst und formt, die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die weltverbindenden Fäden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zurückgeknüpft hat ± eben dies tun wir in niederem, weniger prinzipiellem Maße, in fragmentarischer, grenzunsicherer Art, sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine ÃLandschaft¶ schauen³. Auch wenn Ritter hier von Natur spricht, wird aus dem Kontext deutlich, dass hier keine Unterscheidung von nicht-anthropogen und anthropogen vollzogen wird, sondern Landschaft auch anthropogene Elemente enthält bzw. enthalten kann.
turellen Normen und Werten (Hard 1970, vgl. dazu auch Amann 1999, Haber 2000, Zika 2003, Siekmann 2004). Bereits seit dem 15. Jahrhundert wurde der Fachbegriff der Landschaft ± parallel zu dem tradierten Begriffsgebrauch ± in die Malerei für die Darstellung eines Naturausschnittes eingeführt (Haber 2000), dabei war Landschaft zunächst eine Szenerie im Hintergrund von Gemälden, bevor sich Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert als eigenes Genre etablierte (Jessel 2000)87. Die Typisierung und Idealisierung der Landschaftsmalerei wurde seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Vorbild der Gestaltung von (englischen) Landschaftsgärten und -parks (Maier-Solgk/Greuter 1997), die in strikter Abgrenzung zu der barocken (französischen) Gartenarchitektur standen. Der Wille zur Gestaltung der angeeigneten physischen Landschaft ging in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so weit, dass Franz von Anhalt-Dessau ± inspiriert von den englischen Landschaftsgärten ± sein gesamtes Fürstentum in ein ÄGartenreich³ umwandeln wollte, in dem sich seine Bewohner wohl fühlen sollten (Haber 2005). Mikroskalig Niederschlag
Mesoskalig
Makroskalig
bereifte und betaute Bäume, Schneefall Licht Staub im Lichtstrahl, Funkeln eines Schattenspiele z.B. im Wald Wassertropfens Geologie, Relief Einzelminerale Felswände, Pingen, Dolinen
Sonnenuntergang, ziehende Wolkenschatten Gebirge, Schichtstufen
Wasser
Tropfen
See, Meer
Vegetation
Blüten, Staubgefäße, Blattnerven, Baumrinde Gebäudedetails
Bebauung Bewegung Geräusche Gerüche
Tropfen, Eis- und Schneekristalle
Flussabschnitte, Seeufer, Brandung Pflanzen, Bäume
verschneite Landschaft
Pflanzengesellschaften, Wälder
Häuser, Häusergruppen
Ortschaften
Ameisen, Käfer, Spinnen im Netz, Blattbewegungen Mücken- und Fliegengesumm
fliegende Vögel, windbewegte Bäume Vogelgezwitscher
ziehende Wolken
Schwacher Blütenduft: Cyclamen, Hamamelis, Viburnum fragrans
Starker Blütenduft: Linden, Holunder, Lavendel
ferner Donner Verwesendes Laub im Wald
Tabelle 4: Die unterschiedlichen Wahrnehmungsdimensionen und -bereiche mit Beispielen als konstitutive Elemente (und -systeme) als Grundlagen für eine soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft (nach: Wöbse 2002, durch den Autor verändert).
Wie in der soziologischen Betrachtung des Raumes (vgl. Löw 2001) betont auch die soziologische Betrachtung von Landschaft stark den relationalen Charakter (Ipsen 2002a: 88): ÄLandschaft stellt sich [...] als ein Begriff dar, der eine Beziehung beschreibt. Die Beziehung konstituiert sich zwischen einem Menschen und einer durch Natur und Arbeit geformten Umwelt³. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung geht auch eine Veränderung der sozialen Landschaftskonstruktion einher: Die Moderne ist durch eine radikale Veränderung der räumlichen Erfahrung und damit auch des Landschaftserlebnisses geprägt. Ein besonderer Einfluss auf die Veränderung von individuellen und sozialen Raum- und Landschaftskonstruktionen 87
Falter (1999) weist darauf hin, dass bereits in der Antike Räume als Landschaften wahrgenommen wurden, die ÄEigenart³ von angeeigneten physischen Landschaften wurde mit Hilfe der Benennung mit Universalcharakteren, wie sie in den Götternamen dargestellt waren, vorgenommen. D.h. es wurde von Landschaften gesprochen, in denen Äz.B. das Dionysische dominiert³ (Falter 1999: 176).
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kommt dabei der Eisenbahn zu: ÄDurch die Eisenbahn wird der Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig³ (Burckhardt 1994: 278). Vöckler (1998: 278) führt zum geänderten Verhältnis der Gesellschaft zur Landschaft durch die Eisenbahn folgendes aus: ÄDie Schiene teilt in zwei Welten: in eine zerfließende Landschaft, die keine Widerstände mehr bietet, und einen Reisenden, der durch die Geschwindigkeit von dem Raum getrennt wird, den er durchquert. Als Reiseziel erscheint Landschaft nun so leicht erreichbar und zugleich verfügbar, dass sie gleichsam zum Produkt der Verkehrstechnologie wird. Das räumliche Näherrücken macht sie konsumierbar. Die Landschaft wird heimatlos³. Daneben verinselt auch die Erfahrung von Landschaft, denn Ädie Geschwindigkeit des Reisens ist immer weniger erfahrbar und die Intensität zwischen wahrgenommener Landschaft und Reisendem verliert sich³ (Ahrens 2001: 28). Ein weiterer Schritt der Verfügbarmachung von Landschaft geht mit der Automobilisierung der Gesellschaft einher. Landschaftserfahrung erfolgt nicht mehr durch den abfolgenden Wechsel unterschiedlicher Landschaften, sondern Äals Stimmungsbild erlebt, als Ãgute Aussicht¶ mit Hilfe der ADAC-Karte konsumiert³ (Vöckler 1998: 278). Durch die automobile Verfügbarkeit von Landschaft wird sie zu einem Element des privaten Raumes und lässt sich ± als Stimmungsbild ± individuell beispielsweise mit der persönlich favorisierten Musik kombinieren und so atmosphärisch verdichten. Im Zuge der Modernisierung hat sich die Beziehung des Menschen zu seiner Landschaft gewandelt: Die ÄEntzauberung der Welt³ (Weber) hat auch die Beziehung MenschLandschaft ergriffen. Rationalisierung und Urbanisierung haben den Menschen Äin den Komplex von Arbeitsteilung und Entfremdung eingebunden³ (Ipsen 2002a: 88, vgl. auch Vöckler 1998)88, Landschaft wird in Systeme und Elemente gegliedert und (insbesondere natur)wissenschaftlich analysiert und beherrscht. Mit dieser neuen Naturerkenntnis und Naturbeherrschung ging ± so Hammerschmidt/Wilke (1990) ± eine Entfremdung des Menschen von einer ursprünglichen Naturverbundenheit einher89, was wiederum die Basis für eine ästhetische Wahrnehmung von Landschaft war: ÄErst der Ãaufgeklärte¶ Mensch des 18. Jahrhunderts hatte sich so weit von der Natur entfernt, dass es ihm möglich war das Landschaftliche selbst in jenen Formen ästhetisch zu genießen, die bis dahin als schrecklich, Furcht erregend oder bedrohlich abgelehnt worden waren. Das ÃErhabene¶ in der Natur ± Symbol eines gewandelten Weltbildes ± wurde entdeckt³ (Hammerschmidt/Wilke 1990: 9; vgl. auch Gröning/Herlyn 1990, Burckhardt 1995, Wöbse 2002, Zika 2003), wobei Äerst der subjektiv erlebende, ästhetisch empfindsame Mensch als Gegenpol zur Natur [...] das Landschaftserlebnis [ermöglicht]³ (Vöckler 1998: 278). Siekmann (2004: 58) bezeichnet die Konstitution des ästhetischen Landschaftsbegriffs als der Entzauberung und der Welt entgegenwirkende Äästhetische Verzauberung³. Diese Konstitution des ästhetischen Landschaftsbegriffs lässt sich gewissermaßen auch 88
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Da die Termini Urbanisierung und Verstädterung häufig synonym verwendet werden, sei darauf hingewiesen, dass In der vorliegenden Arbeit unter Verstädterung Ädie Konzentration der Bevölkerung in den Städten ± also die Veränderung der Siedlungsstruktur³ (Häussermann/Siebel 2004: 19) verstanden wird, während mit Urbanisierung Ädie damit verbundene Veränderung der Lebensweise³ bezeichnet wird (Häussermann/Siebel 2004: 19). Simmel (1990: 69-70) stellt in diesem Zusammenhang fest: ÄDie Religionen primitiverer Zeiten scheinen mir gerade ein besonders tiefes Gefühl für ÃNatur¶ zu offenbaren. Nur die Empfindung für das besondere Gebilde ÃLandschaft¶ ist spät gewachsen, und zwar gerade, weil dessen Schöpfung ein Losreißen von jenem einheitlichen Fühlen der Allnatur forderte³.
als postmoderner Vorbote in der Modernisierung verstehen, der in der Postmoderne zu voller Entfaltung kommt (vgl. Hasse 1999). Auch wenn sich landschaftliches Erleben erst in der Moderne konstituierte, gilt es im Zuge einer funktionalistisch-positivistischen Betrachtung als überholt und sentimental: Landschaft wird als Kitsch verstanden90 und häufig mit dem Empfinden des Proletariates konnotiert, das staunend Sonnenuntergänge vor Alpenpanoramen bewundert (vgl. Bourdieu 1979). Ahrens (2001) geht in Anlehnung an Schivelbusch (1979) davon aus, dass im Zuge der mechanisierten Raumüberwindung sich die vorherrschende Wahrnehmung von Raum verändere, Äund zwar vom Landschaftsraum zum geographischen Raum³ (Ahrens 2001: 28), wobei sie den ÄLandschaftsraum³ als lediglich in Ausschnitten erfahrbar charakterisiert. Im Landschaftsraum sei Äjeder Ort durch sein Verhältnis zu den benachbarten Orten im Umkreis der Sichtbarkeit³ (Ahrens 2001: 28) bestimmbar. In Anlehnung an Schivelbusch (1979) geht Ahrens (2001) von einer verstärkten panoramatischen Raumwahrnehmung durch die Einführung moderner Verkehrmittel aus, die dadurch gekennzeichnet seien, dass Vorder- und Hintergrund zu einer Fläche verschmelzen. Diese Betrachtungen zeigen eine Differenzierung der gesellschaftlichen Raum- und Landschaftskonstruktion in der Moderne. Ein zentrales Element soziologischer Landschaftsuntersuchung ist die Frage nach der gesellschaftlichen Regulierung und sozialen Konstruktion von Landschaft. Ipsen (2002a: 92) unterscheidet Ädrei miteinander verbundene, aber gleichwohl selbständig wirkende Regulierungscluster³ von Landschaft 91: 1. Die systemische Regulierung. Hierbei handelt es sich um die spezifische Form von Akkumulationslogik und Steuerung von Produktion und Zirkulation sowie die politische Steuerung (wobei die ökonomische und die politische Dimension der Systemischen Regulierung auch als selbständige Einheiten zu verstehen sind). 2. Die kulturelle Regulation. Diese bezieht sich auf Werte und zeitspezifische Sichtweisen wie Begriffe, Bilder und Leitbilder. 3. Die lebensweltliche Regulation. Hierbei handelt es sich um in einer bestimmten Periode entfaltete und wirksame Lebensstile, Konsumpraktiken und soziale Gruppierungen von Haushaltformen über politische Parteien, Interessensvertretungen, Vereine, Freundesgruppen, sofern diese nicht völlig Teil des politischen Systems sind. Auch in der sozialwissenschaftlichen Landschaftsbefassung ist davon auszugehen Ädass der naive Empirismus ± als der Forscher den toten Mann spielte ± überwunden ist zugunsten einer Methodologie der teilnehmenden Beobachtung³ (Sloterdijk 1987: 81). Für eine postmoderne Landschaftsbetrachtung ist es also unvermeidlich, Ädie entscheidenden Fragen nicht zu ent90
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Als Randnotiz der Beurteilung von Landschaft als Kitsch sei der Gebrauch des deutschen Wortes ÄLandschaft³ im Polnischen angemerkt: Das deutsche Wort ÄLandschaft³ bedeutet so viel wie Äkitschige Aussicht³. Sofern diese Regulationscluster mit einem hohen Grad an Kohärenz aufeinander abgestimmt sind, lässt sich ± so IPSEN (2002a) ± von einem Regulationsregime sprechen. Wobei nicht auszuschließen ist, dass Ungleichzeitigkeiten existieren, so können auch in neuen Regulationsregimen Elemente älterer Regulationsregime persistieren. Unter Kohärenz ist ein relativer, fließender Zustand zu verstehen, der in sich wiederum durch Spannungen, Widersprüche und Konflikte gekennzeichnet ist. Eins dieser Regulationsregime ist der moderne Fordismus. Auch die Postmoderne lässt sich ± unter Berücksichtung der verringerten Wirkung von Normativität ± als Regulationsregime bezeichnen.
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scheiden, sondern zugunsten permanenter Reflexion und Weiterforschung und Reflexion offen zu halten³ (Sloterdijk 1987: 90). Auch die wissenschaftliche Landschaftsbeobachtung ist also dem Prinzip des ÄAuch-anders-sein-Könnens³ (Sloterdijk 1987: 90) unterworfen. 3.2.2 Landschaftsbewusstsein Landschaft stellt sich einerseits in ihrer physischen Verortung, andererseits auch als individuelles und insbesondere soziales Konstrukt dar. Dieses Konstrukt entsteht ± wie bereits thematisiert ± aus der Abstraktion und relationalen Verortung im menschlichen Bewusstsein, womit die Verringerung von Komplexität verbunden ist (vgl. Kuhm 2003). Dabei wird durch die Reduktion von Komplexität aus der nahezu unbegrenzten Vielgestalt der materiellen Welt eine bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft: ÄDer Mensch reagiert [...] nicht auf Flussterrassen, Bodentypen, Pflanzengesellschaften, Besonnungsdauer und naturräumliche Einheiten, er reagiert nicht auf Ãdie Wirklichkeit¶, sondern auf seine Wirklichkeit, d.h. die Wirklichkeit, wie er glaubt, dass sie sei³ (Hard 1970: 16). Die bewusstseinsinterne Konstruktion einer Landschaft wird dabei stark von der relationalen Anordnung der Objekte beeinflusst, eine willkürliche Anordnung von Objekten wird gemeinhin nur schwerlich als ÄKunstwerk³ interpretiert, Landschaft als leerer Raumbehälter ist darüber hinaus nicht denkbar, womit sich eine starke Affinität von Landschaft und relationalem Raum ergibt 92. Zwischen Bewusstsein und Raum ist ein konkretes Sinnverhältnis zu konstatieren ± Bewusstsein und Raum Ästehen zueinander im Verhältnis der Verwirklichung³ (v. Dürckheim 1931, zit. nach Herlyn 1990: 9). Hierbei bedarf es einer Äspezifischen Wahrnehmungs- und Interpretationsleistung, um Ausschnitte aus der uns umgebenden Natur als Landschaft zu konstituieren. Um sie als eine spezifische, unverwechselbare Gestalt erfahren zu können, waren historische Voraussetzungen notwendig, die sowohl im gesellschaftlichen Wandel als auch im Wandel individueller Erlebnischancen zu suchen sind³ (Herlyn 1990: 9). Individuelle Erlebnischancen von Landschaft lassen sich insbesondere in der Konstitution von ÄAtmosphären³ nachvollziehen. Atmosphären entstehen ± so Luhmann (1997: 181) ± als ÄÜberschusseffekt der Stellendifferenz³, die das Medium betreffen, während ÄObjektdifferenzen die Formen des Mediums³ (Luhmann 1997: 180) markieren. Dabei ist Ädas Medium Ãan sich¶ kognitiv unzugänglich. Nur die Formen machen es wahrnehmbar³ (Luhmann 1997: 180). Atmosphäre ist somit zwar an Dinge gebunden, da sie verschwände, wenn die Dinge verschwinden, dennoch ist sie nicht aus den Dingen unmittelbar abzuleiten, sondern sie entsteht dadurch, Ädass jede Stellenbesetzung eine Umgebung schafft, die nicht das jeweils festgelegte Ding ist, aber auch nicht ohne seine Umgebung sein könnte³ (Luhmann 1997: 181). Damit wird Atmosphäre Ädas Sichtbarwerden der Einheit der Differenz, die den Raum konstituiert; also auch die Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit des Raumes als eines Mediums für Form-
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Die in den Raumwissenschaften vielbeschworene Identität der Landschaft (wie bei Gerhards 2003; abgegrenzt von der Identifikation mit der Landschaft) stellt somit aus soziologischer Sicht (wie auch die Identifikation mit der Landschaft) ein bewusstseinsinternes Konstrukt dar. Die Zusammenschau von Objekten bleibt eine bewusstseinsinterne Konstruktion ± ob mit oder ohne die Attribute von Identifikation und Identität.
bildungen, sie ist jedoch nicht der Raum selbst, der als Medium niemals sichtbar weden kann³ (Luhmann 1997: 181-182; vgl. hierzu auch Löw 2001)93. Die soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft 94 lässt sich als ÄLandschaftsbewusstsein³ beschreiben. Ipsen (2002a: 95-96) subsumiert unter ÄLandschaftsbewusstsein³ die implizit oder explizit im Bewusstsein von Akteuren vorhandenen Ämateriellen und ästhetischen, die wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte einer Landschaft³. Das Landschaftsbewusstsein unterliegt dabei · zeitlichen (Landschaften wurden im Mittelalter beispielsweise anders bewertet als heute), · kulturellen (die Bewertung einer Weinbaulandschaft variiert zwischen Personengruppen christlicher und muslimischer Tradition), · sozialen (Landschaften werden in unterschiedlichen Milieus unterschiedlich konstruiert und bewertet), · ökonomischen (Landschaften werden z.B. unterschiedlich nach ihrem touristischen Potenzial bewertet), · politischen (Landschaften werden bestimmte politische Präferenzen ihrer Bewohner zugeschrieben) Variabilitäten und Transformationen. Grundlage jeden individuellen wie sozialen Landschaftsbewusstseins sind jedoch ± folgt man Burckhardt (1990: 106-107) ± Kenntnisse des Zeichensystems der Ägesellschaftliche[n] Aussage der Landschaft³95. Die Kenntnisse des Zeichensystems lassen sich ± in Konsequenz des Simmelschen Landschaftsbegriffes ± mit dem Zeichensystem eines Kunstwerkes vergleichen: Landschaft wie ein Kunstwerk Äim Sinne eines symbolischen ± und nicht so sehr eines ökonomischen ± Gutes [...] existiert als Kunstwerk [bzw. als Landschaft; Anm. O.K.] nur für denjenigen, der die Mittel besitzt, es sich anzueignen, d.h. es zu entschlüsseln³ (Bourdieu 1974: 169). Somit gibt es auch keine Landschaftswahrnehmung, Ädie nicht einen unbewussten Code einschlösse³ (Bourdieu 1974: 162). Eisel (2004: 21) fasst den Verweis auf die Symbolhaftigkeit von Landschaft anhand des Beispieles des Rheingaus wie folgt: ÄWas [...] am Rheingau gefällt, ist das, was man liebt. Das ist nicht die Reliefenergie der Taunusvorgebirge, sondern die Erfüllung der Idee vom Rheingau. Es geht um den Inhalt der Vorstellung jenes in der Sonne glänzenden breiten Flusses mit seinen großen Auwäldern auf den Inseln in der 93
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Den Äsemantischen Hof³ des Begriffs der Landschaft beschreibt Hard (1969: 10-11): ÄDie (wahre) Landschaft ist weit und harmonisch, still, farbig, groß, mannigfaltig und schön. Sie ist primär ein ästhetisches Phänomen, dem Auge näher als dem Verstand, dem Herzen, dem Gemüt und seinen Stimmungen verwandter als dem Geist und dem Intellekt, dem weiblichen Prinzip näher als dem männlichen. Die wahre Landschaft ist etwas Gewachsenes, Organisches, Lebendiges. Sie ist uns eher vertraut als fremd und dennoch eher fern als nahe, eher Sehnsucht als Gegenwart, denn sie hebt uns über den Alltag hinaus und grenzt an die Poesie. Aber so sehr sie auch ins Unbegrenzte, ja ins Unendliche weist, so bietet die mütterliche Landschaft doch immer Heimat und Geborgenheit. Sie ist ein Hort der Vergangenheit, der Geschichte, der Kultur und der Tradition, des Friedens und der Freiheit, des Glücks und der Liebe, der Ruhe auf dem Land, der Einsamkeit und der Erholung von der Hast des Alltags und dem Lärm der Städte.³ Der Konstruktion von Landschaft vorgelagert ist das Begreifen räumlicher Relationen, das einen entwicklungspsychologisch fortschreitenden Prozess ± sowohl auf der Wahrnehmungsebene als auch auf der Vorstellungsebene ± darstellt (Piaget/Inhelder 1975 ± zuerst 1947). Diese Kenntnisse des Zeichensystems der Landschaft sind dem Naiven verborgen, weswegen er nicht in der Lage sei ± so Burckhardt (1990) ± Landschaft zu sehen.
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Strommitte, verbunden mit den lang gestreckten Hügeln und tief eingeschnittenen Bachtälern, Hügeln, auf denen das Kreuz und Quer der geometrischen Weinbergsmuster von Mauern und Hecken durchbrochen ist; darin eingebettet prächtige Schlösser und kleine Weindörfer mit kleinen Straußwirtschaften [...]. Das gibt es ähnlich auch anders, aber so nur dort. Am Moseltal lieben wir etwas Ähnliches, aber nicht genau dies.³ Landschaftsbewusstsein lässt sich ± so Ipsen (2002a) ± in drei Dimensionen erfassen: 1. Landschaftsbewusstsein hat kognitive Bestandteile, d.h. es existiert ± ein mehr oder minder differenziertes ± Wissen über Landschaften. Für die Wirksamkeit dieses Wissens ist es von Bedeutung, ob es professionalisiert ist oder ob es als Allgemeinwissen breiten Bevölkerungsteilen verfügbar ist. 2. Landschaftsbewusstsein umfasst einen ästhetischen Dimensionsbereich. Dieser umfasst sowohl die Wahrnehmung als auch die ästhetische Bewertung. 3. Landschaftsbewusstsein hat einen emotionalen Dimensionsbereich. Dieser kann beispielsweise als Ortsbezogenheit oder räumliche Identität in Erscheinung treten Abbildung 1: Landschaftsbewusstsein in seiner emotionalen Dimension. Die Zuschreibung land(Abbildung 1)96. schaftlicher Identitätsmerkmale kann dabei Landschaftsbewusstsein lässt sich als Kon- durchaus zu verschiedenen Ergebnissen führen, wie die Karikatur zeigt (Karikatur: Robs ± Robert strukt verstehen, dessen Kern aus einer ge- Szecówka, aus: Kaim/Burkamp 2001). fühlsbezogenen Komponente, ästhetischen Intentionen und einer kognitiven Komponente besteht. Die drei Dimensionen des Landschaftsbewusstseins können hochgradig differierend und in sich differenziert auftreten. So kann das Wissen über eine Landschaft ± möglicherweise aufgrund eines professionellen Bezuges (etwa als Lokalredakteur einer Zeitung) ± sehr groß sein, während die emotionale Identifikation mit der Landschaft gering ausgeprägt ist. Darüber hinaus können auch die einzelnen Dimensionen des Landschaftsbewusstseins wiederum in sich differenziert sein. Das Wissen über eine Landschaft kann sich auf ihre kulturhistorische Entwicklung, ihre Geologie und Geomorphologie, ihre Sozialstruktur, ihre Ökosysteme, ihre Stadtentwicklung etc. beziehen. Die Vieldimensionalität von Landschaftsbewusstsein ist in Tabelle 5 dargestellt. Damit wird deutlich: Die Aneignung von Landschaft ist ± in Analogie zur Aneignung von Kunstwerken ± ein Privileg dessen, der in der Lage ist, Landschaft ± sei es als anthropogen veränderte oder eine natürliche Landschaft ± in ihren verschiedenen Dimensionen (Geologie, Städtebau, Vegetation, Klima, 96
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Insbesondere der ästhetische und der emotionale Dimensionsbereich lassen die Atmosphäre von Landschaft entstehen, hier konstituiert sich die Luhmannsche (1997: 181) ÄEinheit der Differenz³ am deutlichsten.
kulturelle Eigenheiten) zu decodieren. Somit ist auch Landschaft dazu geeignet, die Verfügbarkeit symbolischen Kapitals ± im Sinne von Bourdieu (1979) ± zu demonstrieren und damit zur sozialen Distinktion beizutragen. Darüber hinaus besteht für jene, die über die Definitionsmacht der landschaftlichen Symbole verfügen, gemäß Bourdieu (1974), die Möglichkeit diese zur Manipulation der Interpretation der Symbole einzusetzen. Kognitive Beziehung
Ästhetische Beziehung
Emotionale Beziehung
Naturraum
Geologie, Geomorphologie, Geotope, Biotope, Ökosysteme
Naturästhetik, Naturbeobachtung
Naturliebe
Ökonomische Nutzung
Standortwissen, ökonomische Wahrnehmung des Potenziale, ökonomische Nutzungsgefüges Artefakte
Politisch-administrative Bedeutung
Rechtliche Regelungen, Raumordnung, Schutzverordnungen, politische Artefakte
Wahrnehmung der Ergebnisse politische Bedeutung und politisch-administrativen Eigenheiten Handelns
Soziale Strukturierung
Eigentumsverhältnisse
Kulturelle Bedeutung
Märchen, Literatur, Malerei, Dichtung
Besondere Orte, Persönlichkeiten Symbolische Bedeutung besonderer Orte
Nutzungsbedingungen, Standortbedeutung
Soziale Netzwerke, räumlich fixierte Milieus Dialekt, Heimat, Identität
Tabelle 5: Die Vieldimensionalität von Landschaftsbewusstsein (verändert nach: Ipsen 2002a).
Landschaft wird ± wie Raum auch ± nicht kontinuierlich, sondern vielmehr diskontinuierlich erfahren (Kuhm 2003). Ausgehend von der bewusstseinsinternen Konstruktion von Raum im Allgemeinen lässt sich für die bewusstseinsinterne Repräsentation von Landschaft in zweifacher Weise nachweisen (Herrmann/Schweizer 1998): In der Feldperspektive (FPerspektive) und der Beobachterperspektive (B-Perspektive). Bei der inneren Repräsentation von Raum bzw. Landschaft in der F-Perspektive liegt eine Äquasi dreidimensionale Abbildung eines räumlichen Ambientes [vor], wobei sich die Person mitten in der Szene, im ÃFeld¶ befindet³ (Herrmann/Schweizer 1998: 145). Die bewusstseinsinterne Konstruktion von Raum, aber auch die soziale Kommunikation über Raum, entspricht dabei einer Bildsequenz, einer Folge von Szenen, die beispielsweise vom ÄStraßenniveau aus bzw. aus der Fußgängerperspektive wahrgenommen worden sind³ (Herrmann/Schweizer 1998: 145). Die Feldsperspektive kann demnach Äinsofern als die primäre Perspektive beurteilt werden, als sie zum einen der üblichen Umgebungsrepräsentation des wahrnehmenden Menschen entspricht und zum anderen beim Erwerb von Routenwissen in der Regel der im Folgenden zu besprechenden Perspektive [der Beobachterperspektive; Anm. O.K.] zeitlich vorausgeht³ (Herrmann/Schweizer 1998: 145). In dieser Beobachterperspektive wird Raum bzw. Landschaft als Äannähernd zweidimensionales, lang gestrecktes, flächenartiges Gebilde³ (Herrmann/Schweizer 1998: 145) repräsentiert, auf das aus der Vogelperspektive geschaut wird, also der Form nach einer Karte (oder vielmehr einem Kartogramm) oder einem Luftbild entspricht. Die B-Perspektive verlangt ± im Vergleich zur F-Perspektive ± ein deutlich höheres Niveau an Überblickswissen und kann als sekundäre Perspektive bezeichnet werden. Die Beobachterperspektive ist also ± im Sinne von Herrmann/Schweizer (1998) ± das Ergebnis einer Recodierung und/oder Rekonstruktion der primären F-Perspektive. Herrmann/Schweizer (1998: 146) weisen darauf hin, dass im Allgemeinen ÄSysteme, die Routenwissen erworben
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haben und die betreffende Route unter der B-Perspektive repräsentieren können, leicht in der Lage [sind], zwischen der F- und der B-Perspektive zu wechseln³. Räumliches bzw. landschaftliches Überblicks- (und Karten-)Wissen, also die Verfügung über mentale Karten (mental maps), stellt eine der B-Perspektive übergeordnete Perspektive dar. Der Unterscheidung von Überblicks- und Kartenwissen, die bei Herrmann/Schweizer (1998) zu finden ist, wobei Überblickswissen aus vorherigem Routenwissen, Kartenwissen aus dem Lesen von Karten entstehe, sei an dieser Stelle nicht gefolgt. Überblickswissen kann auch als das Ergebnis einer Syntheseleistung des Lesens von Karten und F-perspektivischen Bildsequenzen entstehen, somit ist eine Trennung von Überblicks- und Kartenwissen empirisch nur sehr schwer nachzuweisen. Die Übergangsvarianten von Routenwissen (gewonnen aus der F- und teilweise der B-Perspektive) und Überblickswissen stellen Herrmann/Schweizer (1998) folgendermaßen dar: · Überblickswissen1 wird gewonnen aus mehreren Routen unter der F-Perspektive. Der Übergang zwischen zwei Routen vollzieht sich dabei ohne Schwierigkeiten, wenn das handelnde Subjekt ± unter prinzipieller Beibehaltung der F-Perspektive ± beispielsweise Abkürzungen bzw. Umgehungen findet. · Überblickswissen2 wird aus mehreren Routen der B-Perspektive gewonnen, die sich bei überlappenden bzw. sich berührenden Routen zu einer mentalen Karte integrieren. · Überblickswissen3 ist das Ergebnis der Integration einer oder mehrerer Routen in eine unter B-Perspektive vorliegenden mentalen Karte, wobei die ± bereits verfügbare ± mentale Karte entweder durch das vorhergehende Studium einer (Land-)Karte (und/)oder durch die Verfügbarkeit von Überblickswissen2 generiert sein kann. Dabei wird deutlich, dass die angeeignete physische Landschaft und die bewusstseinsinterne bzw. soziale Konstruktion von Landschaft in der Regel zwar korrespondieren, in den seltensten Fällen (selbst bei Vertretern der wissenschaftlichen Landeskunde) deckungsgleich sind: 1. Die physische Landschaft kann einem Wandel unterworfen sein, während das Bild von ihr unverändert bleibt (beispielsweise durch den Bau von Autobahnen, durch ökosystemische Sukzession, Nutzungsänderungen in der Landwirtschaft), 2. Das Bild, die bewusstseinsinterne und soziale Konstruktion, von einer Landschaft kann sich verändern, Landschaftselemente, die in früheren Zeiten als bedrohlich galten (wie z.B. der Wald, wilde Flüsse, Felsküsten), werden heute als schön und ökologisch wertvoll empfunden. Die bewusstseinsinterne bzw. soziale ± als Ergebnis einer Reduktion von Komplexität entstandene ± Konstruktion von Landschaft ist wiederum rückgekoppelt mit der angeeigneten physischen Landschaft, indem Nutzungen und politische Regulation direkt oder indirekt gesteuert werden (hierauf wird im Folgenden noch näher einzugehen sein). Dabei weist Landschaft, wie auch Natur, ein hohes symbolisches und physisches Handlungspotenzial auf, beide sind Äjene Umwelt konstituierenden Interpretationsformen, in denen wir uns die Begrenztheit selbstherrlicher, scheinbar zweckrationaler Weltveränderung durch den Menschen veranschaulichen. Sie sind nicht nur Produkt unserer Erlebnisweise, sondern auch Ergebnis unseres Handelns³ (Bahrdt 1990 ± zuerst 1974: 101). 58
Hinsichtlich der Genese eines Landschaftsbewusstseins lassen sich nach Ipsen (2002a) fünf Ebenen ausweisen: 1. Die genetische Strukturierung unterstellt eine frühgeschichtliche Prägung von Landschaftsbewusstsein (ÄSavannenhypothese³). 2. Die kulturelle Strukturierung bezieht sich auf kulturelle Prägungen von Landschaftsbewusstsein in unterschiedlichen Kulturräumen und unterschiedlichen Epochen 97. 3. Die regional bestimmte Strukturierung bezieht sich auf die Prägung von Landschaftsbewusstsein durch Äkleinräumige [...] Landschaftstypen³ (Ipsen 2002a: 99). 4. Die soziodemographische Strukturierung findet ihren Bezug in der Prägung von Landschaftsbewusstsein, in seinen Unterschieden nach Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Schichtzugehörigkeit, Milieus und Lebensstilgruppen. 5. Die biographische Strukturierung bezieht sich auf die Prägung von Landschaftsbewusstsein durch individuelle Erfahrungen mit Landschaften, insbesondere durch Reisen, durch Landschaften, in denen man aufgewachsen ist und/oder lebt oder gelebt hat 98. Die Bildung eines Landschaftsbewusstseins bezieht sich dabei in der Regel nicht auf eine einzelne Strukturebene, sondern ist aus unterschiedlichen Ebenen zusammengesetzt, wobei ein in sich kohärentes Landschaftsbewusstsein entstehen kann, was allerdings nicht zwingend ist. Insgesamt ist jedoch eine geringe empirische Forschungstiefe hinsichtlich der Ausprägung des Landschaftsbewusstseins festzustellen99. 3.2.3 Landschaft als sprachliches Phänomen Das Phänomen der Entkomplexisierung, die mit der Entstehung von Landschaftsbewusstsein einhergeht, beschränkt sich nicht allein auf die Konstruktion eines Landschaftsbildes, sondern findet sich in dem Gebrauch von Sprache zur Beschreibung von Landschaft (sowohl physischer als auch kognitiver): ÄIn language we classify the flowing phenomena of our universe³ (Bloomfield 1962: 21). Bereits aufgrund der im Gebrauch von Sprache institutionalisierten Interpretationsmuster ist eine vorbehaltlose Rekonstruktion von ÄRealität³± und somit auch von Landschaft, sofern die synthetisierende Beobachtung von relationalen Raumstrukturen als Realität bezeichnet werden kann ± nicht oder lediglich hypothetisch möglich100. Ein wesentlicher 97
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Unter Kultur versteht Ipsen (2002: 99) in diesem Zusammenhang Ädas Insgesamt an Deutungen und Bedeutungen, mit dem einzelne Personen und Gruppen eine Beziehung zu ihrer Umwelt herstellen³. An dieser Stelle ließen sich auch Landschaften ergänzen, die über Postkarten, Prospekte, per Internet, per Kino u. a. vermittelt werden. Diesem Forschungsdefizit soll insbesondere mit der in Abschnitt 5.2 ausgewerteten empirischen Studie zum Landschaftsbewusstsein der saarländischen Bevölkerung begegnet werden. Die Problematik sprachlich-kultureller Restriktionen macht DAVIS (2004: 20) anhand der Besiedlung Südkaliforniens deutlich: ÄDie Neuankömmlinge wurden von ihrer Sprache und ihrem kulturellen Erbe regelrecht im Stich gelassen. Denn die auf ein feuchtes Klima zugeschnittenen englischen Begriffe erwiesen sich als unbrauchbar für die präzise Erfassung der Dialektik von Wasser und Dürre, die eine mediterrane Landschaft kennzeichnet. Zum Beispiel kann man selbst bei großzügigster Auslegung einen arroyo nicht als Ãglen¶ (Schlucht) oder Ãhollow¶ (Talmulde) bezeichnen, denn er ist das Resultat eines völlig anderen hydrologischen Prozesses. Den englischen Einwanderern blieb oft keine andere Wahl als die zutreffenderen spanischen Bezeichnungen zu übernehmen, wobei sie allerdings den weiterreichenden landschaftlichen Kontext außer Acht ließen³. Mit den Folgen einer ± den klimatischen Bedingungen unangepassten ± Besiedlung sieht sich Kalifornien noch heute konfrontiert: Die Bebauung der Täler führt ± aufgrund des raschen Abflusses infolge der
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Aspekt der Problematik des sprachlichen Landschaftsbezugs besteht unter anderem in der Schwierigkeit für kommunizierende Personen, bislang unbekannte Landschaftszusammenhänge sprachlich zu fassen. Das Problem der sprachlichen Erfassung von Landschaft lässt sich jedoch auf noch basalere Dimensionen raumbezogener Kommunikation zurückverfolgen: Das Blickpunktproblem und das Linearisierungsproblem (Herrmann/Schweizer 1998). Mit dem Blickpunktproblem ist der Sprecher beim Sprechen über Raum konfrontiert. Es bezieht sich auf Raumreferenzen, bei denen der räumliche Standpunkt des Beobachters (= des Sprechers) eine entscheidende Bedeutung hinsichtlich des Verständnisses der räumlichen Information aufweist, z.B. die Streuobstwiesen befinden sich hinter Assweiler. Diese Aussage provoziert zur Gegenfrage: Von welcher Richtung aus gesehen? Das Linearisierungsproblem beim Sprechen über Landschaft (bzw. über Raum) kann auf ein generelles Problem des Sprechens (aber auch Schreibens) zurückgeführt werden, stellt aber bei der Beschreibung mindestens dreidimensionaler Räume eine Komplizierung dieses allgemeinen Phänomens dar. ÄSprecher stehen stets vor dem Problem, dasjenige, worüber sie reden wollen, zu linearisieren beziehungsweise zu sequenzieren³ (Herrmann/Schweizer 1998: 38), dagegen sind Äzeitliche und kausale Abfolgen [...] weniger schwierig linear darzustellen³ (Jahn/Knauff 2003: 59). Bei der Linearisierung und Sequenzierung bei der sprachlichen Formulierung von Raum bzw. raumrelevanter Inhalte stehen mehrere Strategien zur Verfügung: Erstens, das Prinzip der Verbundenheit (d.h. räumlich benachbarte A) Objekt D B) Komponenten werden aufeinander folgend verObjekt C Objekt E balisiert), zweitens, das Stapel-Prinzip (ein AusObjekt C Objekt D Objekt B gangspunkt P einer Verzweigung von Strecken Objekt B wird immer wieder aufgesucht, nach AbarbeiObjekt A tung einer Strecke S1-Sn kommt der Sprecher Objekt A auf Punkt P zurück), drittens, das Ökonomieprinzip (bei der Auswahl von zwei von P ausgeC) D) Objekt F henden Strecken wird zunächst die kürzere verObjekt C Objekt E balisiert); vgl. auch Buhl 1996). An dieser Stelle Objekt C Objekt E Objekt B Objekt D lässt sich ein viertes Prinzip annehmen, das Objekt B Objekt D Wichtigkeitsprinzip, nach dem zunächst die am Objekt A Objekt A wichtigsten (bzw. die am unwichtigsten) erscheinende Stecke verbalisiert wird und sich der Abbildung 2: Strategien des Linearisierens von Sprecher zur am unwichtigsten (am wichtigsten) Raum bei dessen Verbalisierung: A) das Prinzip erscheinenden Strecke formuliert (vgl. der Verbundenheit, B) das Stapel-Prinzip, C) das Ökonomieprinzip, D) das WichtigkeitsprinAbbildung 2). zip. Neben dem Problem räumliche Aspekte der Landschaft zu verbalisieren, tritt auch das Problem, die zeitliche Dimension zu erfassen. Wie Elias (1993) feststellt, werden räumliche Aspekte vom Ruhezustand ausgehend sprachlich gefasst und erst durch das Hinzufügen eines Verbs wird Bewegung artikuliert. Womit der Ruheklimatypischen Starkniederschläge ± zu großen Sach- und Personenschäden in Folge von Überschwemmungen. Phänomene, die es im gemäßigten Klimaraum West- und Mitteleuropas in dieser Form nicht gibt.
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zustand als Normalzustand definiert wäre, während die raumzeitliche Veränderung als vom Normalzustand abweichend beschrieben wäre ± eine Sicht, die die Vorstellung vom Behälterraum stützt (vgl. Löw 2001). 3.2.4 Der Begriff der Landschaft in der Soziologie ± ein vorläufiges Fazit Der Begriff der Landschaft weist mindestens zwei Ebenen auf: Er ist aus soziologischer Sicht als Konstrukt zu begreifen, andererseits dienen Elemente des physischen Raumes als Grundlage für die soziale und bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft. Das Konstrukt Landschaft dient dabei, die räumliche Komplexität der Welt zu reduzieren und somit soziale Systeme und Bewusstseinssysteme handlungsfähig zu erhalten. Bei der sozialen und bewusstseinsinternen Konstruktion von Landschaft handelt es sich nicht um ein passives Verständnis von Raum, sondern vielmehr um einen aktiven und selbst bestimmten Umgang mit einer räumlich-relationalen Anordnung von Objekten. Raum wird dabei individuell und sozial interpretiert, ihm werden unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben. Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen lassen sich dabei nicht als statisch auffassen, sondern unterliegen einem Wandel im Lebenslauf (Herlyn 1990), sie variieren zwischen unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Landschaft wird vom reinen Objekt szientistischer Analysen zu einem Konstrukt, das Ädie Beziehung zwischen dem Einzelnen als gesellschaftlichem Subjekt und der Umwelt [...] für Erfahrungen [offen hält], die in der verdinglichten Naturbeziehung verloren gingen³ (Ipsen 2002a: 89). Landschaft ist ± aufgrund der ästhetischen Komponente im Denk- und Wahrnehmungsprozess mehr als Raum ± eine sozial präformierte Synthese, gebunden an menschliche Konstitutionsleistungen. Das soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstrukt lässt sich in Anlehnung an Ipsen (2002a) als Landschaftsbewusstsein charakterisieren. Landschaftsbewusstsein hat kognitive Bestandteile, einen ästhetischen Dimensionsbereich und einen emotionalen Dimensionsbereich. Dabei lassen sich insbesondere die kognitiven und ästhetischen Dimensionsbereiche zur sozialen Distinktion verfügbar machen. Die Konstruktion von Landschaft unterliegt gegenwärtig erheblichen Veränderungsprozessen, die sich als doppelte Kontingenz beschreiben lassen: Einerseits ist die physische Landschaft einem verstärkten Wandel unterworfen, andererseits findet ein Wandel der sozialen Konstruktion von Landschaft statt. Gegenwärtig sind Stadt und Land nicht mehr eindeutig voneinander zu trennen, Landschaft ist durch die hohe individuelle Mobilität nahezu unbegrenzt verfügbar, die Bedeutung von Landschaft als weicher Standortfaktor steigt. 3.3
Der Begriff der Landschaft in den Raumwissenschaften
3.3.1 Grundlagen des raumwissenschaftlichen Raumbegriffs Landschaft und Raum sind Begriffe, die vielfältig verwendet werden, sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltagsgebrauch. Landschaft ist einer der Zentralbegriffe der geographischen Wissenschaft, bis Ende der 1960er Jahre ± vor dem Beginn der sozialwissenschaftlichen Wende (der Anthropogeographie) ± lässt sich sogar von dem zentralen Begriff in der 61
Geographie sprechen. In diesem Abschnitt wird der Versuch unternommen, die in sich unterschiedlichen Bedeutungsinhalte von Landschaft und Raum zu skizzieren und sie für die weitere Behandlung nutz- und fruchtbar zu machen. Ein wesentliches Element der Landschaftskonstruktion ist die wissenschaftliche Befassung mit dem Phänomen Landschaft. Diese Befassung findet vorwiegend in den raumbezogenen Wissenschaften Geographie, den raumplanungsbezogenen Ingenieurwissenschaften (Raumund Umweltplanung, Stadtplanung, Landschaftsplanung u. a.) wie auch ± diesen gegenüber abgeschwächt ± in zahlreichen Sozial- und Naturwissenschaften statt. Den Erfolg der explizit raumbezogenen Wissenschaften (insbesondere der Geographie) macht Blotevogel (2000: 475) an den modernen (teilweise mit deutlich vormodernen Elementen) geographischen ÄMetaErzählungen³ fest: 1. Die Meta-Erzählung von der Harmonie von Mensch und Erde. Bis Carl Ritter war diese Meta-Erzählung theologisch begründet, wurde danach säkularisiert und im 20. Jahrhundert im Landschafts-Paradigma fortgeführt. In ihrer ursprünglichen Fassung lässt sie sich als ÄMeta-Erzählung von der göttlichen Ordnung³ charakterisieren. 2. Die Meta-Erzählung von der Erde als einem räumlichen Mosaik von Volks-Lebensräumen, Nationalstaaten, Kulturerdteilen, Stammesgebieten u. a., die sich in ihrer säkularisierten, naturalistisch umgedeuteten Fassung als die ÄMeta-Erzählung von der natürlichen Raum-Ordnung³ bezeichnen lässt. 3. Die Meta-Erzählung von der ÄMenschen gemachten Raumordnung³, einer von Mängeln durchsetzten Raumstruktur und der Aufgabe für die Raumwissenschaften, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Probleme durch eine angewandte szientifistische Geographie zu lösen (bzw. Mängel zu reparieren). Eine umfassende Definition der (physischen) Landschaft wird Alexander von Humboldt zugeschrieben101: ÄLandschaft ist der Totalcharakter einer Erdgegend³. Mit dem Begriff des Totalcharakters wird Landschaft einer subjektiven, individuellen und emotionalen Bewertung (Wöbse 2002) zugänglich gemacht, womit er ± worin möglicherweise die zahlreichen von der Humboldtschen Definition abweichenden Definitionen von Landschaft in der Moderne zu erklären sind ± durchaus mit dem Gedankengut der Postmoderne vereinbar ist. Ein anderer, als klassisch geltender Definitionsversuch102 für den Begriff der Landschaft wird von Paffen (1953: 17-18) geliefert: ÄDie geographische Landschaft ist eine vierdimensionale (raumzeitliche) dynamische Raumeinheit, die aus dem Kräftespiel, sei es physikalisch-chemischer Kausalitäten unter sich, sei es diese mit vitalen Gesetzmäßigkeiten oder auch geistigen Eigengesetzlichkeiten gepaart in einer stufenweisen Integration von anorganischen, biotischen und gegebenenfalls kultürlich-sozialen Komplexen als Wirkungsgefüge und Raumstrukturen erwächst³. Damit werden Landschaften als räumliche Individuen gesehen, wobei das Ziel landeskundlicher Betrachtung darin liegt, den ÄLandschaftsraum als selbständiges Eigenwesen 101
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Hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern diese Definition wirklich von Alexander von Humboldt stammt, siehe Wöbse (2002). Neef (1967: 19) kommentiert die Definitionsbemühungen zum Thema Landschaft in der Geographie folgendermaßen: ÄAlle geographischen Vorstellungen axiomatischen Charakters ± darunter auch die Landschaftsvorstellung ± entziehen sich der Definition. Wie viel Kraft ist vergeudet worden, geographische Grundvorstellungen zu definieren, ohne damit zu einem anerkannten Ergebnis zu kommen³
zu betrachten³ (Paffen 1953: 19). Die Einheit ± und damit implizit die Abgrenzung ± von Landschaften rückt Schmithüsen (1964: 13) stärker in den Fokus der Betrachtung: ÄEine Landschaft (Synergose) ist der Inbegriff der Beschaffenheit eines auf Grund der Totalbetrachtung als Einheit begreifbaren Geosphärenteils von geographisch-relevanter Größenordnung³. Die Konstruktion von Landschaft als objektiv gegeben, hat Folgen für ihre Begrenzung: ÄDa ÃLandschaften¶ als objektive Gegenstände angesehen werden, ist die Frage Ãnatürlicher Grenzen¶³ (Weichhart 2000: 486) von zentraler Bedeutung103. In der Landschaft wird ein erdraumspezifischer Zusammenhang zwischen Natur und Kultur angenommen. Grundlegende Modellvorstellung ist dabei die ÄIntegrationsstufenlehre³. Diese besagt, dass sich die einzelnen ÄPartialkomplexe³ der Geofaktoren zu höherrangigen organismischen ÄGanzheiten³, den Landschaften, zusammenfügen, wobei in der Regel zwischen Natur- und Kulturlandschaften104 unterschieden wird. Kulturlandschaften werden dabei als ĶIntegrationsprodukt¶ verstanden [...], in dem die ÃLandesnatur¶ mit den kulturellen Phänomenen untrennbar und gestalthaft verknüpft sei³ (Weichhart 2000: 485)105. Die terminologische Trennung von Natur- und Kulturlandschaft spiegelt ± so Siekmann (2004: 32) ± ein, der okzidentalen Kulturgeschichte immanentes, dichotomes Verhältnis von Natur und Kultur wieder, Ädas menschliches Wirken abgrenzt vom außermenschlichen, natürlichen Geschehen³106. 103
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Insgesamt kann die Konstruktion von Grenzen als ein Charakteristikum der Moderne angesehen werden. Die Abgrenzung von menschlichem Körper und seiner Umwelt, des Körperäußeren zum Körperinneren, ist ein charakteristisches Beispiel hierfür. Dadurch wurde der Körper etwas, was man hat, und nicht mehr was man ist (vgl. Löw 2001). Seit den 1990er Jahren sind hingegen verstärkt Vorstellungen artikuliert worden, die den ständigen Austausch des Körpers mit seiner Umgebung betonen (z.B. bei Grosz 1994, zit. nach Löw 2001), so dass hier eine Grenzdifferenzierung bzw. Grenzauflösung konstatiert wird. Burckhardt (1995: 166) stellt zum Begriff der Kulturlandschaft treffend fest: ÄKulturlandschaft ± Vorsicht! Auch dieser Begriff ist eine Chimäre, er suggeriert Ewigkeit. Wir stehen vor der Versuchung, Landschaft geschichtslos zu sehen: Die Höfe und Reisfelder der Poebene, die Weingüter des Bordelais, die Büffelherden der römischen Campagna spiegeln uns die scheinbar zyklische Produktion und Reproduktion zeitloser Gesellschaften vor. ÃDie alten Kulturlandschaften¶, das klingt so wie Ãdie Wiege der Menschheit¶. [...] Und doch ist das Ganze paradox: Kultur ist Tätigkeit, ist Erfindung, ist Fortschritt. Die Kulturlandschaft ist also gerade nicht ewig, sondern entspricht einer historischen Momentaufnahme³. So definiert Wöbse (2002: 185) den Terminus Kulturlandschaft folgendermaßen: ÄKulturlandschaft ist eine vom Menschen gestaltete Landschaft, deren ökonomische, ökologische, ästhetische und kulturelle Leistungen und Gegebenheiten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, die eine kontinuierliche Entwicklungsdynamik gewährleisten und langfristig geeignet sind, Menschen als Heimat zu dienen³. Auf die einzelnen Zusammenhänge wird an späterer Stelle noch detaillierter einzugehen sein. Landschaft ist ± wie bereits festgestellt wurde ± in der Regel nicht (allein) auf gegenwärtige Nutzungen zurückzuführen, sondern stellt das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses dar. Daraus ergibt sich der ± in dieser Arbeit ebenso wenig wie der der Kulturlandschaft verwendete ± Begriff der historischen Kulturlandschaft, den Wöbse (2002: 186) folgendermaßen fasst: ÄEine historische Kulturlandschaft ist eine von Menschen vergangener Zeiten geprägte Landschaft. Sie gibt Zeugnis vom Umgang früherer Generationen mit Natur und Landschaft und lässt Rückschlüsse auf das Mensch-Natur-Verhältnis unserer Vorfahren zu, sie gibt Ausdruck von deren Lebensstil, Bedürfnissen und Möglichkeiten. Historische Kulturlandschaften tragen in starkem Maße zur Eigenart und Schönheit von Landschaft bei³. Haber (1991) differenziert wiederum die Kulturlandschaft in die drei möglichen Hauptbestandteile der städtisch-industriellen, der ländlichen sowie der Äechten³ Landschaft, die als Elemente der Naturlandschaft zu verstehen sind (vgl. hierzu auch Schafranski 1996). Burckhardt (1995: 167) stellt sich dem Begriff der Kulturlandschaft in anderer Weise: ÄKulturlandschaft ist die Landschaft, in die man zu spät kommt, deren Reiz darin besteht, dass man darin gerade noch lesen kann wie es einmal war³. Haber (2000) widerspricht der Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung von Natur- und Kulturlandschaft: Er unterstreicht, Landschaft sei ein Ausdruck von Kultur und sei es nur in ihrer Wahrnehmung. Die strikte
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Die beiden zentralen klassischen Grundprinzipien der geographischen Landschaftsbefassung, die Physiognomik und der Holismus wurden seit Ende der 1960er Jahre von Teilen einer jüngeren Geographengeneration als zu beschränkt (Physiognomik) bzw. in seinem Allerfassungsanspruch nicht empirisch belegbar kritisiert (Siekmann 2004). Durch das Prinzip der Physiognomie werden in der klassischen Landschaftsgeographie die potentiell zahlreich vorhandenen Beschreibungsmöglichkeiten eingeschränkt, wobei methodologisch eine Außenorientierung zu Nachbarwissenschaften weitgehend abgelehnt wird ± der Beobachtung (der Arbeit Äim Feld³) wird dabei prinzipiell der Vorzug vor anderen Erhebungsmethoden gegeben. Eine klare Trennung zwischen Deskription und Erklärung erfolgt nicht (Weichhart 2000). Die verallgemeinerten ästhetischen Empfindungen solcher Betrachtungen gipfelten und gipfeln ± wenn man die Bestrebungen der quantifizierten Wertigkeit von Landschaft (z.B. bei Kiemstedt 1967, Wagner 1999) betrachtet ± häufig im Konstrukt einer Äidealen Landschaft³ (vgl. Hard 1965). Mit dem Streben, Landschaft als Ganzheit darstellen zu wollen, ging in der modernen wissenschaftlichen Landschaftsuntersuchung auch ein Streben nach Eindeutigkeit einher: Landschaft sollte in ihrer funktionalen und/oder strukturalen Eindeutigkeit benannt werden, so entstanden Termini wie beispielsweise ÄGetreidelandschaft³, ÄBaumlandschaft³, ÄSiedlungslandschaft³, ÄStadtlandschaft³ aber auch Ägeradezu grotesk wirkende Verbindungen³ (Gerling 1965: 13) wie ÄBahnhofslandschaft³, ÄKulturlandschaft³, ÄWechsellandschaft³ u. a. Bereits im Jahre 1965 wurde ein solches, auf Ganzheit der Landschaft gerichtetes, Landschaftskonzept von Gerling (1965) als wissenschaftlich problembehaftet kritisiert, da diese Ganzheit nicht aus der Landschaft durch Untersuchungen abgeleitet worden sei, sondern lediglich eine Behauptung darstelle, die Äohne grundlegende Beweisführung konstituiert und definiert³ (Gerling 1965: 9) worden sei, in diesem Sinne erfüllt eine solche Landschaftsbetrachtung nicht die Kriterien einer szientifistischen Untersuchung, wie sie für die Moderne charakteristisch ist. In der postmodernen Geographie charakterisiert Soja (1989: 122) die Unzulänglichkeit aller modernen räumlichen Betrachtungen ± also auch der landschaftlichen ± als Äillusion of opaqueness³: ÄA confusing myopia has persistently distores spatial theoretization by creating illusions of opaqueness, short-sighted interpretations of spatiality which focus on immediate surface appearances without being able to see beyond them. Spaciality is accordingly interpreted and theorized only as a collection of things, as substantive appearances which may ulTrennung von Kultur und Natur lässt sich ± nach Holzinger (2004) ± als Projekt der Modere verstehen, die in der Postmoderne überwunden werde: In der Postmoderne werde Natur und Gesellschaft vernetzt. Ein wesentliches Element der ökonomischen Moderne ist ein Naturkonzept, Ädas auf einer Ausblendung und Ausbeutung der Natur beruht³ (BECK/BONSS/LAU 2001: 20). Dadurch wird Natur ± in der Denktradition der Aufklärung als Ķobjektiv¶ existierendes, großes Uhrwerk, das nach strengen, unabänderlichen Gesetzen in Raum und Zeit abläuft³ (SCHAFRANSKI 2000: 182) konstruiert ± als eine neutrale Ressource betrachtet, die unbegrenzt verfügbar erscheint und zu einem beherrschbaren ÄAußen³ der Gesellschaft degradiert wird (BECK/BONSS/LAU 2001): ÄDie Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft ist eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts, die dem Doppelzweck diente, die Natur zu beherrschen und zu kontrollieren. Natur ist unterworfen und vernutzt am Ende des 20. Jahrhunderts und damit von einem Außen- zu einem Innen-, von einem vorgegebenen zu einem hergestellten Phänomen geworden. Im Zuge ihrer technisch-industriellen Verwandlung und weltweiten Vermarktung wurde Natur in das Industriesystem hereingeholt. Zugleich ist sie auf diese Weise zur unüberwindlichen Voraussetzung der Lebensführung im Industriesystem geworden³ (BECK 1986: 9).
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timately be linked to social caution but are knowable only as things-in-themselves´ (Soja 1989: 122). Eine solche räumliche Betrachtung lässt sich ± gemäß Soja (1989) ± als Kombination von Perzeption ± basierend auf Sinneswahrnehmung (in der Tradition von Hume, Locke und Comte) ± und cartesianischen mathematisch-geometrischen Abstraktionen sowie mechanischer post-newtonscher materialistischer oder post-darwinistischer Soziobiologie bezeichnen. Im Gegensatz zu der Geographie des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts (bis Ende der 1960er Jahre), die um die Einheit des Begriffes ÄLandschaft³ bemüht war, lässt die gegenwärtige Geographie eine erhebliche Bedeutungsvielfalt zum Begriff ÄLandschaft³ zu. So sind im ÄWörterbuch der Allgemeinen Geographie³ zwölf Dimensionen von ÄLandschaft³ verzeichnet (Leser/Haas/Mosimann/Paesler 1993): 1. Landschaft bedeutet erlebtes Landschaftsbild. 2. Landschaft bedeutet das äußerliche Erscheinungsbild eines Erdraumes. 3. Landschaft wird in der wissenschaftlichen Geographie in ihrer Ädinglichen Erfüllung³ verstanden. 4. Landschaft kann eine Region sein, die als kultur- und/oder naturräumliche Einheit oder als Gesamtraum begriffen werden kann. 5. Landschaft kann eine räumliche Ordnungsstruktur repräsentieren, was sich in den Begriffen der Landschaftsgliederung ausdrückt, die eine Hierarchie der räumlichen Einheiten repräsentiert. 6. Landschaft kann als landschaftliches Ökosystem oder Geoökosystem begriffen werden, das eine funktionale Einheit eines Erdraumausschnittes repräsentiert. 7. Landschaft bedeutet in den Biowissenschaften die Umschreibung für die Umwelt tierischer und pflanzlicher Organismen oder deren Lebensgemeinschaften. 8. Landschaft kann als Naturraumpotenzial begriffen werden, auf das sich der Mensch mit seiner Nutzung einstellt. 9. Landschaft kann durch Ähistorische Konstanten³ einer Region geprägt sein, die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart für die Weiterentwicklung der Kulturlandschaft von Bedeutung waren und sind. 10. Landschaft kann im Sinne der Systemtheorie als ein räumlich begrenztes Interaktionssystem begriffen werden. 11. Landschaft kann auf das Verbreitungsgebiet eines Phänomens reduziert werden, z.B. auf die Verbreitung von Sprachen. 12. Landschaft kann auch, in metaphorischer Verwendungsweise, eine Phänomengesamtheit beliebiger Art ausdrücken, wie es vorwiegend in der Alltagssprache erfolgt. Auf Grundlage dieser ± sicherlich nicht vollständigen ± Aufzählung lassen sich wesentliche Elemente des Begriffes Landschaft in ihrer geographisch-wissenschaftlichen Konstruktion herausstellen107: Landschaft hat (sofern der Begriff nicht metaphorisch eingesetzt wird) eine 107
Ähnlich vielschichtig wie der Begriff der Landschaft ist auch derjenige des Raumes. Aus geographischer Sicht unterscheidet Blotevogel (1995, unter Hinzunahme von Wolkersdorfer 2001) sieben verschiedene Raumkonstruktionen: 1. Gegenständlicher Raum. Hierbei handelt es sich um das alltägliche Raumverständnis, eine Geographie der Dinge.
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physisch-räumliche Dimension. Darüber hinaus lassen sich zwei wesentliche Konstruktionsweisen von Landschaft identifizieren: Einerseits das Erleben von Landschaft und andererseits die wissenschaftliche Konstruktion unter Anwendung unterschiedlicher wissenschaftlicher Theorien (Systemtheorie, Hermeneutik, Analyse) 108. Die sich postmodernisierende Raumwissenschaft entwickelt sich zunehmend (seit den 1970er Jahren, verstärkt in den 1990er Jahren) von einer paradigmatischen Monovalenz der Moderne zu pluralistischen wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Postmoderne. Weichhart (2000: 485-487) weist in der Anthropogeographie109 gegenwärtig sechs (konkurrierende) Paradigmen aus: 1. Die Landschaftsgeographie. Hierbei handelt es sich um eine Persistenzform der klassischen ÄEinheitsgeographie³, die einen erdraumspezifischen Systemzusammenhang zwischen Kultur und Natur annimmt. Räume werden dabei als organismische Gegenstände aufgefasst. 2. Die raumwissenschaftliche Geographie stellt einen neopositivistisch orientierten Ansatz dar, der nach spezifischen Raumgesetzlichkeiten sucht, wobei Raum als Produkt eines als homo oeconomicus handelnden Menschen angesehen wird. Zentrales Element ist die Wertneutralitätsthese. 3. Unter den politisch-emanzipatorischen Paradigmen lassen sich Strömungen wie die welfare geography, die radical geography, die marxistische Geographie sowie die feministische Geographie zusammenfassen. Das gemeinsame Kennzeichen dieser Ansätze liegt
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2. Raum als Anschauungsform. Raum und Zeit werden als a priori der Wahrnehmung vorgeschaltete Instanzen betrachtet. 3. Absoluter Raum. Dabei handelt es sich um einen dinglichen, vom Menschen unabhängigen Raum. 4. Relationaler Ordnungsraum. Raum wird als Ordnungsraum konstruiert, als ein System von Lagerelationen. 5. Raum als natürliche Umwelt des Menschen. Im Vordergrund der Raumuntersuchung stehen dabei der Raum in seiner physischen Ausprägung und die Interferenz zwischen menschlicher Gesellschaft und natürlicher Umwelt. 6. Subjektiver Raum. Raum wird nicht als objektiv betrachtet, Raum wird vielmehr als durch den Menschen wahrgenommener und gedeuteter Raum verstanden. 7. Sozialer und ökonomischer Raum. Raum unterliegt in diesem Konzept der Konstruktion von Gemeinschaften und Gesellschaften. Diese unterschiedlichen Raumdimensionen, die in der wissenschaftlichen Geographie diskutiert werden, bedeuten den Abschied von einer positivistischen Wissenschaft (z.B. aus handlungstheoretischer Perspektive bei Werlen 1995 und Werlen 1997, aus systemtheoretischer Perspektive bei Fliedner 1993). Damit wird deutlich, dass ein- und dieselbe physisch-räumliche Einheit durchaus unterschiedliche Landschaftsdimensionen aufweisen kann. Aus geologisch-geomorphologischer Perspektive mag es sich bei dem selben Ausschnitt der Erdoberfläche um eine ÄBuntsandstein-Schichtstufenlandschaft³ handeln, aus klimatologischer Sicht um eine ÄWaldklimalandschaft³, aus siedlungsgenetischer Perspektive um eine ÄStraßendorflandschaft³, aus dem Blickwinkel des Wanderers um eine Äschöne Landschaft³, aus architektonischer Sicht ÄLandschaft der südwestdeutschen Einhäuser³, aus soziologischem Blickwinkel um eine ÄLandschaft, geprägt von einer Wohnbevölkerung des liberal-intellektuellen Milieus³ u. a., wobei diese ÄLandschaftsschichten³ nicht strikt in ihrer Verbreitung in einer ÄGanzheit³ begrenzt sein müssen, sondern in jeder Landschaftsschicht individuelle Übergangszonen zu anderen Landschaften (z.B. vom liberal-intellektuellen Milieu zum postmodernen Milieu) festzustellen sind. Innerhalb der Geographie ist die Art der Raumbetrachtung durchaus different: Hat sich in der Sozialgeographie die Betrachtung des Raumes als individuelles oder soziales Konstrukt weitgehend durchgesetzt, ist der eher Äaltgeographisch³ (Hard 1999) orientierten physischen Geographie und der Landeskunde eine solche Orientierung größtenteils fremd. Die sich den Naturwissenschaften zurechnende physische Geographie beteiligt sich ± charakteristisch für Naturwissenschaften ± lediglich ansatzweise an der wissenschaftstheoretischen Diskussion.
in dem Ziel der Aufhebung raumstrukturell fassbarer sozialer Ungerechtigkeiten, wobei die Wertneutralitätsthese als Grundlage der Wissenschaft verworfen wird. 4. Subjektorientierte Paradigmen beinhalten Ansätze der Verhaltensgeographie, der handlungstheoretischen Geographie und der humanistischen Geographie, wobei stets eine Subjektorientierung des Raumbegriffes vorliegt. Diese betrachten Landnutzungssysteme und die räumlich-materiellen Ausprägungen der Kultur als ÄProdukte³ menschlichen ÄTuns³. 5. In der neuen regionalen Geographie findet eine Neuinterpretation des Regionenbegriffs statt. Regionen werden als emergente Phänomene angesehen, die auf der Räumlichkeit sozialer und ökonomischer Beziehungen gegründet sind. 6. In der humanökologischen Geographie finden sich transaktionistische Erklärungsansätze mit systemtheoretischer Ausrichtung. In einem postmodernen Konzept der raumwissenschaftlichen Forschung unterscheidet Soja (1996) zwischen drei Arten von raumwissenschaftlicher Epistemologie, den Äfirstspace³, Äsecondspace³ und Äthirdspace epistemologies³: ÄFirstspace epistemologies tend to privilege objetivity and materialitiy, and to aim toward a formal science of space. The human occupance of surface of the earth, the relations between society and nature, the architectonics and resultant geographies of the human Ãbuilt environment¶, provide the almost naively given sources for the accumulation of (First)spacial knowledge³ (Soja 1996: 75). Bei den Epistemologien des Äfirstspace´ handelt es sich also im Wesentlichen um das Paradigma moderner raumwissenschaftlicher Forschung. Gegenüber den Äfirstspace epistemologies³ weisen die Äsecondspace epistemologies³ eine Anerkenntnis konstruktivistischer Elemente des Raumes auf: ÄSecondspace is the interpretive locale of the creative artist and artful architect, visually or literally re-presenting the world in the imagine of their subjective imaginaries; the utopian urbanist seeking social and spatial justice through the application of better ideas, good intentions, and improved social learning; the philosophical geographer contemplating the world through the visionary power of scientific epistemologies or the Kantian envisioning of geography as way of thinking or imaginative Ãpoetics¶ of space; the spacial semiologist reconstituting Secondspace as ÃSymbolic¶ space, a world of rationally interpretable signification; the design theorist seeking to capture the meanings of spatial form in abstract mental concepts´ (Soja 1996: 79). Kann die Äsecondspace epistemology³ noch in wesentlichen Teilen ± aufgrund dem Folgen Großer Erzählungen ± der Moderne zugerechnet werden, sind die Äthirdspace epistemologies³ Ausdruck postmodernen Denkens: ÄThirdspace epistemologies can now be briefly re-described as arising from the sympathetic deconstruction and heuristic reconstruction of the Firstspace-Secondspace duality, another example what I have called thirding-as-othering. Such thirding is designed not just to critique Firstspace and Secondspace modes of thought, but also to reinvigorate their approaches to spatial knowledge with new possibilities herefore unthought of inside the spatial disciplines. Thirdspace becomes not only the limitless Aleph but also what Lefebvre once called the city, a µpossibilities machine;¶ or,
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recasting Proust, a Madeleine for a recherces des espaces perdus, a rememberencerethinking-recovery of spaces lost « or never sighted at all´110 (Soja 1996: 81). Damit findet in der raumwissenschaftlichen Forschung (zumindest teilweise), das sozialwissenschaftliche Paradigma des Konstruktivismus auch hinsichtlich des Landschaftsbegriffs Anwendung. So stellt Hasse (1997: 151) fest: ÄSeh-Erwarungen liegen den reellen Bildern immer schon voraus. Wo Natur zur Landschaft wird, ist sie kulturell als Bild konstruiert.³111 Dennoch lässt sich in den Raumwissenschaften noch immer die Dichotomie eines subjektunabhängigen und eines subjektabhängigen Landschaftsbegriffs feststellen (vgl. hierzu Jessel 2000). 3.3.2 Landschaftsbewertungsverfahren Neben den Fragen der sozial- und kulturwissenschaftlichen Grundlagenforschung zum Thema Landschaft, wurde in den vergangenen Jahrzehnten ± insbesondere im Zuge landschaftsplanerischer Bedürfnisse ± eine Vielzahl von Bewertungsverfahren für Landschaft bzw. landschaftliche Elemente und Teilsysteme entwickelt. Ziel der Mehrzahl dieser Verfahren ist eine Übersetzung landschaftlicher Spezifika in ein quantifizierendes, objektivierendes Darstellungsschema. Eine besondere Bedeutung erlangt die Umsetzung von landschaftlichen Spezifika in operationalisierbare Bewertungsschemata durch die rechtliche Priorität, die bereits in § 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesrepublik Deutschland 2002) deutlich wird: ÄNatur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen³112. Infolge der unterschiedlichen wissenschaftlichen Denktraditionen haben sich verschiedene Herangehensweisen an die Operationalisierung der Bewertung von Landschaft als Grundlage zu deren Schutz entwickelt. Grundsätzlich lassen sich dabei drei Bewertungsansätze unter-
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Soja bezieht sich hier auf die Kurzgeschichte ÄThe Aleph³ von Jorge Luis Borges, in welcher der Autor seine Verzweiflung darüber zum Ausdruck bringt, über Simultanitäten von Raum in linearer Weise schreiben zu müssen. Henri Lefebvre wird von Soja (1996: 6) als ÄMeta-Philosoph³ charakterisiert. Lefebvre verband mit der Bezeichnung ÄTransdisziplinarität³ die Forderung nach einer Verbindung zwischen historischen Wissenschaften, Sozialwissenschaften und Raumwissenschaften. Mit den Worten Ärecherces des espaces perdus´ spielt er auf den Roman von Marcel Prust ÄA la recherche du temps perdu³ an, in dem die Abfolge von Ereignissen und die Rekonstruktion von Ereignissen in der Erinnerung thematisiert wird. In dieser zitierten Passage wird die für postmoderne Autoren charakteristische Vorgehensweise deutlich, einerseits Anleihen aus belletristischer Kunst zu übernehmen, andererseits teilweise sehr wortgewaltig zu argumentieren. Damit setzen sie sich deutlich gegen moderne wissenschaftliche sachlich-terminologisch gefasste Texte ab, in denen Anleihen aus der schöngeistigen Literatur selten und dann lediglich zur Illustration eingesetzt wurden. Auch in der postmodernen wissenschaftlichen Literatur wird somit eine Ästhetisierung deutlich. Vgl. hierzu auch Hasse (1993) und Schafranski (1996). Aus soziologischer Sicht lässt sich die Zuschreibung eines intrinsischen Wertes von Natur und Landschaft durchaus kritisch hinterfragen, da ± systemtheoretisch formuliert ± Werte Handlungssystemen eigen sind, nicht jedoch ökologischen Systemen, deren Funktion nicht den funktionalen Codes der gesellschaftlichen Subsysteme folgt. Damit ist die Zuschreibung eines Eigenwertes von Natur und Landschaft noch immer anthropozentriert, da ökologische Systeme ihre Funktion durch Selektion und Anpassung nicht durch die Sozialisation von Werten aufrechterhalten.
scheiden: Erstens, ökologische Naturraumbewertungen, zweitens, ökonomische Landschaftsbewertungen und drittens, Bewertungen der ästhetischen Wirksamkeit von Landschaften 113. Ökologische Naturraumbewertungen beziehen sich auf die Wirkungsgefüge biotischer bzw. abiotischer Faktoren, in Abhängigkeit ihrer räumlichen Anordnung, der Intensität der Wechselbeziehungen und dem äußeren Erscheinungsbild. In Abhängigkeit vom landschaftsökologischen Subsystem und fachwissenschaftlichem Schwerpunkt lassen sich hierbei wiederum geomorphologische (z.B. Leser 1987, Ahnert 1987), pedologische (z.B. Arbeitsgemeinschaft Bodenkunde 1982, Wittmann 1995), hydrologisch-hydrogeologische (z.B. Matthess 1990), biologische (z.B. Ellenberg 1979, Müller 1980), landschaftsökologische (Finke 1996, Hütter 1996) und klimatologische Ansätze (z.B. Domrös 1966, Bründel /Mayer/Baumgartner 1987, Fezer 1995) unterscheiden. Gegenstand der ökologischen Naturraumbewertungen sind dabei neben den Primärfaktoren Energie und Materie die Intensität und Steuerung der Sekundärfaktoren Energiezufuhr, Verfügbarkeit von Transportmedien, räumliche Beziehungen der Ökosysteme sowie der Faktor Zeit (Preu/Leinweber 1996). Gemein ist den unterschiedlichen Naturraumbewertungen ihre weitgehende Beschränkung auf naturwissenschaftlich fassbare Messgrößen wie Lufttemperatur (in Grad Celsius bzw. Kelvin bei Temperaturdifferenzen), Energie (in Joule), Austauschkapazitäten (in Millival) u. a. Ökonomische Landschaftsbewertungen basieren auf der Bewertung von Umwelt mit monetären Einheiten (vgl. Wicke 1986, Wicke 1993). Wesentliche Methoden der monetären Bewertung von Landschaften als Ausdruck des Prinzips der Konsumentensouveränität sind dabei das Konzept der Entschädigungsforderung (der Schädiger eines Landschaftsbildes hat für dessen Wiederherstellung aufzukommen), die Erfassung der Zahlungsbereitschaft (für die Erhaltung bzw. Erzielung eines landschaftlichen Zustandes) und die Reisekostenmethode (als Ermittlung einer monetären Bewertung der Attraktivität einer Landschaft; Löwenstein 1994, Corell 1994, Jung 1995, Müller 2002). Bewertungen der ästhetischen Wirksamkeit insbesondere hinsichtlich des Erholungspotenzials von Landschaften werden insbesondere durch die Transformation einzelner Bewertungskomplexe in numerische Werte vorgenommen. Während frühe Verfahren zur Landschaftsbewertung einfach strukturiert waren und auf wenigen Bewertungskriterien basierten, weisen die Verfahren mittlerweile einen hohen Grad an Komplexität und Differenziertheit an Zielsetzungen auf. So genügten dem klassischen Bewertungsschema nach Kiemstedt (1967) zur Berechnung des so genannten Vielfältigkeitswertes Eingangswerte für Wald- und Gewässerränder, Reliefenergie, klimatische Bedingungen und die Eignung eines Gebietes für bestimmte Erholungsarten (z.B. Spazieren gehen und Wandern). Nohl (1977) bezog sich bereits auf die vier Bedürfniskomplexe nach Schönheit, Wissen, Geborgenheit und Nützlichkeit, deren Bewertung sich ihrerseits wiederum aus vier Adjektivpaaren zusammensetzt (z.B. dem semantischen Differenzial von malerisch-nüchtern und behaglich-kühl) 114. Aktuelle Bewer113
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Die unterschiedlichen Verfahren zur Bewertung der Landschaft können im Rahmen dieser Arbeit lediglich angerissen werden. Einen genaueren Einblick in die Landschaftsbewertung geben die Überblickswerke von Preu/Leinweber (1996) und Bastian/Schreiber (1999) sowie der Grundlagenteil in der Arbeit von Schafranski (1996). Sowohl Krause/Klöppel (1996), Schafranski (1996) wie auch Rudolf (1998) kritisieren solche quantifizierenden Verfahren der Bewertung der Landschaftsästhetik als unzureichend hinsichtlich der Angemessenheit von
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tungsverfahren beziehen subjektive Deutungsmuster von Landschaft ein bzw. verzichten ganz auf die Quantifizierung von ästhetischer Landschaftswirksamkeit (wie bei Schafranski 1996). Grundsätzlich ist festzustellen: Jede Bewertung von Landschaft stellt eine soziale Konstruktion von Wirklichkeit dar, die aufgrund der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft auch eine Komponente der Symbiose Macht-Wissen ist, da sie in der Regel von Laien nicht nachvollzogen wird, respektive diesen nicht oder nur schwer zugänglich ist. Der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Bewertungsebenen liegt in der differierenden Zahl der Ableitungen von Konstruktionen. Während die naturwissenschaftliche Bewertung von Ökosystemen (hier auch als ökologische Naturraumbewertung bezeichnet) lediglich die Konstruktion eines als Ökosystem definierten Wirkungsgefüges biotischer und abiotischer Faktoren (bzw. sogar einzelner Faktoren) behandelt, bewertet die ökonomische wie auch die ästhetische Konstruktion von Bewertungsschemata nicht die Ökosysteme selbst, sondern die soziale Konstruktion einer Landschaft auf Basis des Wirkungsgefüges biotischer und abiotischer Faktoren. Ökosysteme stellen letztlich eine wissenschaftliche Konstruktion einer gesellschaftlichen Konstruktion von angeeignetem physischen Raum dar (vgl. Schulz 1985, Rudolf 1998, Kühne 2004e). Die ökonomische und die ästhetische Konstruktion von Bewertungsschemata haben eine ökosysteminkonforme Konstruktion häufig quantifizierter Bewertungsmatrixen gemein, unterscheiden sich jedoch in der Kodifizierung der Bewertung. Während die ökonomische Bewertungskonstruktion auf den Code monetärer Größen zurückgreift, unterliegen ästhetische Bewertungsmatirizes der Konstruktion von Punktbewertungssystemen, deren Anbindung an sozialisierte Codes (wie dem des Geldes) nicht oder nur teilweise vollzogen wird (wie bei Ökopunktekonten115)116. Darüber hinaus wird im Zuge der quantifizierten Bewertung der ästhetischen Bedeutung landschaftlicher Elemente lediglich eine vordergründige Objektivierung erreicht: bei näherer Betrachtung wird die doppelte Subjektivierung deutlich: Im ersten Schritt werden bei der Wert-/Indikator-Erzeugung (als Wertsetzung) individuelle ästhetische Standards gesetzt und bei der Objekt-Bewertung durch den Bewerter werden diese individuell gesetzten Standards im zweiten Schritt individuell interpretiert. Im Sinne einer konstruktivistischen Systemtheorie lässt sich dieser Vorgang als Konstruktion der Konstruktion der Konstruktion einer Konstruktion von Wirklichkeit interpretieren: Der Bewerter konstruiert mit der subjektiv konstruierten Matrix der Bewertungskriterien den sozialen ästhetischen Wert eines als Landschaft konstruierten Raumes (vgl. Kühne 2004e).
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Definition und Inhalt der ästhetischen Kategorien Vielfalt, Eigenart und Schönheit. Ferner seien Handhabbarkeit und Planungsrelevanz methodologisch unterbewertet. Bei Ökopunktekonten werden Eingriffe in den Naturhaushalt bzw. die Schönheit von Landschaft mit Ökopunkten ebenso bewertet wie Maßnahmen zur Qualitätssteigerung von Naturhaushalt bzw. der Schönheit von Landschaft. Damit soll der gesetzlich fixierte Zwang zum Ausgleich ökologisch wirksamer Eingriffe (z.B. die Ausweisung von Gewerbegebieten) operationalisiert werden. Eine ausführliche Abwägung von Chancen und Problemen der quantifizierenden Bewertung von Umwelt findet sich bei Kühne 2004e.
3.4
Ein soziologisches Konzept zur Landschaft117
Die Wahrnehmung bzw. die soziale und bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft ist einer der beiden wesentlichen Interaktionsvorgänge zwischen Gesellschaft und physischem Raum. Der andere ist die Transformation des physischen Raumes durch die Gesellschaft. Prinzipiell ist ± so Grundmann (1984; ähnlich Wood 2003) ± davon auszugehen, dass sich jede Gesellschaft eine ihr adäquate Raumstruktur schafft. Dabei überformt sie die ihr inadäquaten Raumstrukturen (sowohl jene des natürlich-physischen Raumes als auch jene des gesellschaftlich-physischen Raumes). Ähnlich lässt sich dieses Verhältnis von Gesellschaft und Raum auch mit dem häufig zitierten Satz Bourdieus beschreiben: ÄEs ist der Habitus, der das Habitat macht³ (Bourdieu 1991b: 23). Wobei sich dieser Habitus durchaus differenziert darstellt: Raum- und landschaftsrelevantes Handeln (und Verhalten) erfolgt nach dem ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital. Der Habitus entscheidet ± so Bourdieu (1991b) ± über die Verfügungsgewalt über den angeeigneten physischen Raum wie auch über die damit korrespondierende Position im sozialen Raum. Landschaft wird also u. a. dadurch geschaffen, dass bestimmte Siedlungen oder Siedlungsteile von bestimmten Bevölkerungsteilen als Wohnorte präferiert werden, bestimmte landschaftsrelevante Freizeitaktivitäten favorisiert werden oder bestimmte landschaftsrelevante Handlungsnormen sozialisiert werden ± womit bestimmte Klassenstrukturen, so Bourdieu (1991b), reproduziert würden (vgl. Löw 2001). Landschaft ± als ästhetisch qualifizierte Unterkategorie von Raum ± kann damit sowohl in ihrer physischen Angeeignetheit als auch als soziales und individuelles Konstrukt als Objektivation von Machtstrukturen verstanden werden, indem beispielsweise bestimmte Gruppen in der Lage sind, die angeeignet-physischen Grundlagen von Landschaft zu modifizieren, oder aber durch räumliche Exklusion in der Lage sind, bestimmte Gruppen von der Konstruktion bestimmter Landschaften auszuschließen (z.B. durch Betretungsverbote von Privatgelände, aber auch von Naturschutzgebieten). Ein soziologisches Konzept der Landschaft muss also das wechselseitige und differenzierte Verhältnis zwischen Gesellschaft/Gemeinschaft/Person auf der einen und physischem Raum auf der anderen Seite betrachten. Das im Folgenden dargestellte Konzept weist im Wesentlichen zwei Dimensionen des Interaktionsverhältnisses von Mensch und (zu Landschaft synthetisiertem) physischem Raum auf: Erstens, die unterschiedlichen sozialen Befassungsebenen mit Raum/Landschaft; zweitens, die funktionale Gliederung von Landschaft. Dieses Konzept der gesellschaftlichen Landschaft lässt sich im Wesentlichen als durch folgende landschaftsbzw. raumsoziologische Betrachtungen angeregt bezeichnen: Die grundsätzliche Dimension der Art der Entstehung von Landschaft als Konstrukt von Georg Simmel (1990 ± zuerst 1913). Das Konzept der gesellschaftlichen Funktionsräume wie sie Dieter Läpple (2002a) konzipiert. Die Dreigliederung in sozialen Raum, angeeigneten Raum und physischen Raum von Pierre Bourdieu (1991b; Bourdieu/Wacquant 1996), die Bedeutung des Platzierens (Spacing) von Objekten im Raum und der Syntheseleistung, Ensembles von Gütern (in diesem Zu-
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Das hier dargestellte Konzept stellt eine Weiterentwicklung der in Kühne (2004b) dargestellten Gedanken dar.
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sammenhang weniger von Menschen) zu einem Element zusammenzufassen von Martina Löw (2001) und der Entstehung von Atmosphäre in Räumen von Niklas Luhmann (1997). Die gesellschaftlichen Befassungsebenen in Bezug auf Landschaft bzw. Raum lassen sich in gesellschaftliche Landschaft, angeeignete physische Landschaft sowie in den physischen Raum differenzieren. Als gesellschaftliche Landschaft lässt sich eine ästhetisierte bewusstseinsinterne, sozial präformierte Zusammenschau relational räumlich angeordneter Objekte und Symbole betrachten118. Dieses bewusstseinsinterne Konstrukt lässt sich differenzieren in einen Ist-Zustand, bei dessen Konstruktion physische Objekte, aber auch Symbole, zueinander in Relation gesetzt werden und Objekte und Relationen eine synthetisierende Bezeichnung erfahren (z.B. als Äschöne Landschaft³, als ÄIndustrielandschaft³ oder als ÄBuntsandsteinlandschaft³) und einen Soll-Zustand, der in besonderer Weise von Idealtypen des Zustandes von Landschaften geprägt ist119 (vgl. Raffelsiefer 1999). Als angeeignete physische Landschaften lassen sich hingegen diejenigen Objekte in räumlich-relationaler Anordnung bezeichnen, die bei der bewusstseinsinternen Konstruktion von Landschaft relevant sind. Hierbei handelt es sich sowohl um Objekte, die durch menschliche Tätigkeit räumlich platziert wurden (z.B. Häuser, Windräder, Felder) als auch um Objekte, die durch natürliche Prozesse angeordnet wurden (z.B. spontane Vegetation, natürliche Wälder). Entscheidend für die angeeignete physische Landschaft und ihre Elemente ist ihre Relevanz für die Konstruktion gesellschaftlicher Landschaft 120. Gerade räumliche Platzierungen sind häufig mit anderen Platzierungen verknüpft, diese ÄHeterotopien³ weisen die Eigenschaft auf, andere Platzierungen zu spiegeln, sich zu ihnen ins Verhältnis zu setzten (Foucault 1991, vgl. hierzu auch Löw 2001). Wobei die Aneignungen von physischer Landschaft (und Raum) untrennbar mit den Praktiken der Macht verbunden sind (Foucault 1991), Aneignungen, räumliche Platzierungen symbolisieren und manifestieren die relationale Anordnung der Symbiose Macht-Wissen. Landschaft wird somit zum Gegenstand symbolischer Kommunikation (im Sinne Blumers 1969). Der Begriff Landschaft (ohne Adjektiv) lässt sich als Sammelbezeichnung für gesellschaftliche Landschaft als auch die angeeignete physische Landschaft verwenden. Als Ausdruck des individuellen oder sozialen Aneignens von Landschaft lässt sich der Begriff der Atmosphäre verwenden. Sie kennzeichnet den ÄÜberschusseffekt der Stellendifferenz³ (Luhmann 1997: 118
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Aus diesem konstruktivistischen Vorstellungssystem generiert sich eine wissenschaftliche Weltsicht, die sich als ÄHypothetischer Realismus³ (Vollmer 1983: 34-40) bezeichnen lässt. Wobei Äder Geltungsanspruch des ÃHypothetischen Realismus¶ bezüglich der Aussagen über die Welt [...] bescheiden [ausfällt]: Alle Aussagen über die Welt sind bloße Hypothesen³ (Hügin 1996: 10). Somit lässt sich weder Raum noch Landschaft niemals unfalsifizierbar ± im Sinne Poppers ± beschreiben. Die bewusstseinsinterne Rekonstruktion von Landschaft ist somit stets der Beschränkung durch kognitive Filter, der sensorischen Beschränkung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit sowie soziokulturellen Beschränkungen unterworfen. Die Differenz von Ist- und Sollzustand des Konstruktes Landschaft lässt sich dabei als handlungsleitend für die Landschaftspflege bezeichnen. Entspricht das Konstrukt des Ist-Zustandes nicht jenem des SollZustandes, wird dies zum Anlass genommen, in die angeeignete physische Landschaft regulierend einzugreifen. Der angeeignete physische Raum ± im Sinne von Bourdieu (1991b) ± wird durch die relationale Anordnung von Gütern, Dienstleistungen und der physischen Lokalisierungen von einzelnen Menschen und Gruppen bestimmt, teilweise von immateriellen Anordnungen also, die bei der bewusstseinsinternen Konstruktion von Landschaft keinen unmittelbaren Einfluss haben (vgl. Löw 2001).
181) und symbolisiert gewissermaßen die immanente Kontingenz landschaftlicher Elemente und somit letztlich auch die Kontingenz einer Landschaft. Als physischer Raum sei die räumlich-relationale Anordnung von Objekten im Allgemeinen bezeichnet. Dieser bildet die Grundlage für die angeeignete physische Landschaft, aber auch für die gesellschaftliche Landschaft. Er beinhaltet die für die Synthese von Landschaft notwendigen Objekte in relationaler Anordnung, aber auch Objekte, die nicht in eine ästhetisierte Landschaftsbetrachtung einfließen (entweder weil sie maßstäblich unpassend scheinen (mikroskalig: einzelne Mikroben; makroskalig: ganze Kontinente) oder nur temporär in Erscheinung treten (Wolken, vorbeifahrende Autos). Im Wesentlichen handelt es sich dabei um den Gegenstandsbezug der physischen Geographie mit Ausnahme der Klimageographie (deren unmittelbarer Forschungsgegenstand ist einerseits temporär variabel, z.B. Bewölkung, Niederschläge, Wind, und/oder optisch nicht unmittelbar wahrnehmbar, wie die Lufttempera-
Sozial-gemeinschaftlich geprägte
Abbildung 3: Modell des Interferenzverhältnisses von Gesellschaft und (funktionaler) angeeigneter physischer Landschaft (aus: Kühne 2005a).
tur, Luftfeuchte). Die angeeignete physische Landschaft ist ± sieht man von bewussten Planungen wie Parks, Englischen Gärten, Französischen Gärten o. ä. ab ± in der Regel nicht mit dem Ziel eines ästhetischen Gesamteindrucks geschaffen worden. Sie ist vielmehr Nebenfolge menschlichen Handelns, auch wenn sie bisweilen als Instrument der symbolischen (Macht-)Kommunikation dient. Wird durch den Menschen modifizierter bzw. geprägter Raum als das Ergebnis der sich in der räumlichen Entwicklung manifestierenden vier gesellschaftlichen Subsysteme Ökonomie, Politik, soziale Gemeinschaft und kulturelles Treuhandsystem (nach dem Parsonsschen 1975 und 1976 AGIL-Paradigma) 121, häufig in krisenhafter Relation zueinander als Heterotopien, verstanden, so lässt sich die angeeignete physische Landschaft in vier Ebenen gesell121
Ipsen (2002a) und Läpple (2002c) bestimmen diese Zusammenhänge zwischen Raum einerseits und Ökonomie, Politik, Sozialem und Kultur allgemeiner und ohne Landschaftsbezug als ÄFunktionsräume³.
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schaftlichen Einflusses ± als systemisch differenzierte Landschaft ± gliedern (Kühne 2005a; vgl. Abbildung 3): 0. Der topographisch-ökosystemische Raum ist dabei die Ausgangsbasis für gesellschaftssystemisch bedingte Landschaftstransformationen. Der topographisch-ökosystemische Raum kann damit als das Äschon da gewesene³, vor dem Einfluss des Menschen, gelten. 1. Die ökonomische angeeignete physische Landschaft ist durch die ökonomischen Tätigkeiten der menschlichen Gesellschaft entstanden. Bei Industrielandschaften wird der ökonomische Einfluss besonders deutlich. 2. Die politische angeeignete physische Landschaft ist durch die Folgen und Nebenfolgen des raumrelevanten Agierens des politischen Systems entstanden. Hierbei handelt es sich um Folgen, die durch die Ziehung von politischen Grenzen ± oder anders ausgedrückt: durch die Etablierung politikräumlicher Systembildungen ± entstanden sind. Hierbei kann es sich ebenso um Grenzwallanlagen, wie auch um die Folgen von RayonBestimmungen oder aber auch die Folge unterschiedlicher politischer Förderungen in Zonenrandgebieten, Umsetzungen von politischen Raumplanungen etc. handeln. 3. Die angeeignete physische Landschaft des Systems soziale Gemeinschaft manifestiert sich im angeeigneten physischen Raum beispielsweise durch Verfallserscheinungen wie Brachen, Wüstung von Siedlungen aufgrund negativer Bevölkerungsentwicklungen, aber auch durch gemeinschaftlichen Druck Gebäude Äso-und-nicht-anders³ zu bauen, Felder Äso-und-nicht-anders³ zu bestellen etc. 4. Die angeeignete physische kulturelle Landschaft ist die räumliche Folge bzw. Nebenfolge des Agierens des kulturellen Systems. Durch die systemimmanent lange Persistenz kultureller Erscheinungen wandeln sich die räumlichen Nebenfolgen des Agierens des kulturellen Systems sehr langsam, sofern keine Störungen aus den übrigen gesellschaftlichen Subsystemen (Bevölkerungswechsel) oder der gesellschaftssystemischen Umwelt (beispielsweise Naturkatastrophen, Klimaverschiebungen) auftreten. Bei kulturellen Landschaften handelt es sich um landschaftsspezifische Ausprägungen kultureller gesellschaftlicher Spezifika. Sie lassen sich insbesondere anhand religiöser, ethnischer u. a. Differenzen wahrnehmen. Die gesellschaftlichen Subsysteme lassen sich dabei als nicht-materielle Ebenen beschreiben, die jedoch mit der topographischen (ökosystemischen) Landschaftsebene rückgekoppelt sind und durch diese Rückkopplung die topographische Landschaft verändern. Die gesellschaftlichen Ebenen der Landschaft sind dabei wiederum ± im Gefolge der gesellschaftlichen Transformationen ± einem ständigen Transformationsprozess unterworfen. Durch die Rückkopplungen zur topographischen Landschaftsebene wird diese wiederum an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. Begreift man angeeignete physische Landschaft funktional als Folge bzw. Nebenfolge 122 des Agierens der gesellschaftlichen Subsysteme, so bauen auf dem topographisch-ökosystemischen Raum mehrere Ebenen auf, wobei im seltensten Fall die durch den Menschen überformte Landschaft Folge des Agierens eines einzelnen gesellschaftlichen Subsystems ist. Am 122
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Begreift man angeeignete physische Landschaft als Nebenfolge des Agierens der Gesellschaft, lässt sie sich im Sinne von Fayet (2003) auch als Abfall (der modernen Gesellschaft) interpretieren.
deutlichsten sind die Nebenfolgen des ökonomischen Handels ± sie sind differenziert nach den drei ökonomischen Sektoren, und der Interferenz mit der natürlichen und der gesellschaftssystemischen Umwelt. Als Nebenfolgen des ökonomischen Handelns, sind die primärwirtschaftssektoralen Raumnutzungen Ackerland, Brache, forstliche Nutzung etc. anzusehen. Sie dominieren flächenhaft in der angeeigneten physischen Landschaft. Diese Nebenfolgen des Agierens des ökonomischen Systems werden modifiziert durch das politische System: Es nimmt ± in unterschiedlichem Maße ± Modifikationen der ökonomischen Raumgestaltung vor. Planungen und Ge- und Verbote begrenzen das Aktionspotenzial des ökonomischen Subsystems in Form von Flächennutzungsplanungen, Naturschutzbestimmungen etc. Dabei ist räumliche Wirksamkeit dem politischen System immanent ± Politik ist das System, das die Territorialität des Menschen über Jahrhunderte am deutlichsten kultiviert hat (vgl. Sack 1986). Gerade im politischen System sind die gesellschaftslandschaftlichen Ist-SollDifferenzen deutlich ausgeprägt. Die Politik definiert durch die Aufstellung von Plänen, Geund Verboten den landschaftlichen Sollzustand. Die unmittelbaren räumlichen Folgen des Agierens des politischen Systems sind ± im Flächenvergleich ± hingegen weniger räumlich manifest: Straßen, Verteidigungsanlagen u. a. haben in der Regel weniger flächenhafte, vielmehr linienhafte und/oder punkthafte Ausprägungen. Auch sozial-gemeinschaftliche Elemente interferieren mit der ökonomisch dominierten Landschaftsentwicklung ± soziale Normen und Werte wirken direkt (z.B. über die soziale Normierung welche Baum-, Strauch- und Blumenarten im Garten mit der Überzeugung als Naturschützer kompatibel sind und welche nicht) oder via politisches System auf das ökonomische System (z.B. im sozialen Wohnungsbau, Bau von Einrichtungen für die Erziehung, der Definition von Gestaltungssatzungen). Ähnliches gilt für das kulturelle System: Beide gesellschaftlichen Subsysteme modifizieren die Nebenfolgen der ökonomischen angeeignetphysisch-räumlichen Entwicklungen, beispielsweise durch das (nicht natürlich, ökonomisch und/oder politisch erzwungene) Durchsetzen bestimmter (teilweise ethnisch definierter) Bau-, Siedlungs- und Flurformen. Mit dem ökonomischen ± aber auch sozial-gemeinschaftlichen und kulturellen ± Strukturwandel in den Staaten der Ersten Welt, mit der Industrialisierung und später der Tertiärisierung des ökonomischen gesellschaftlichen Subsystems sowie der quantitativen und qualitativen Wandlung der Interferenzverhältnisse zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen, aber auch der natürlichen Umwelt, haben sich auch die räumlichen Manifestationen der Strukturen und Prozesse des gesellschaftlichen Systems gewandelt. Viele angeeignet-physische räumliche Strukturen wurden und werden aufgrund dieses gesellschaftlichen Wandels entfunktionalisiert und somit zu Relikten (Kühne 2005a). Der Einfluss der gesellschaftlichen Subsysteme auf die angeeignete physische Landschaft differiert hinsichtlich seiner Intensität. Die Folgen bzw. Nebenfolgen menschlichen Handelns können sich in einer völligen Überformung des physischen Raumes (z.B. in Form von Shopping malls) manifestieren, sie können sich aber auch in dem Spacing natürlicher Landschaftselemente (z.B. durch die Anlage von Wiesen und Wäldern) äußern. Als natürliche Landschaft kann der physische Raum (bzw. die physische Landschaft) ohne unmittelbaren landschaftsre-
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Anteile des Einflusses
levanten Eingriff des Menschen bezeichnet werden. Diese Sequenzen gesellschaftlichen Einflusses auf die angeeignete physische Landschaft sind in Abbildung 4 dargestellt.
Natürliche landschaftliche Elemente
Gesellschaftlich angeordnete landschaftliche Elemente Gesellschaftlich (nahezu) vollständig überformte Landschaft Shopping malls
Industrielandschaft
Natürliche Landschaft
Landwirtschaftlich geprägte Landschaft
Extensiv genutzte Waldlandschaft
Urwald
Abbildung 4: Sequenzen gesellschaftlichen Einflusses auf die angeeignete physische Landschaft mit Beispielen.
Die soziale und individuelle Konstruiertheit von Landschaft macht deutlich, dass auf Grundlage eines physischen Raumes, eine nahezu unendliche Zahl von Landschaften konstruiert werden kann: Einerseits ist dies abhängig vom Standort der landschaftskonstruierenden Person im physischen Raum (vgl. Hard 1973), so kann ± je nach Standort ± ein physischer Raum z.B. als hügelige Waldlandschaft konstruiert werden, wenn aufgrund des Standortes des Beobachters etwaige Industrieanlagen in Tälern außerhalb seines Blickfeldes liegen, andererseits ist die Konstruktion von Landschaft von individuellen und sozialen Vorstrukturierungen abhängig (kognitive Filter, sensorische Beschränkungen der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit und soziokulturellen Beschränkungen), wie sie sich beispielsweise durch die Ansicht äußert, Landschaft sei zwingend ländlich123.
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Die Frage wie sich Landschaft ohne sensorische Beschränkungen konstruieren ließe, bietet Raum für anregende Gedankenexperimente: Wie zum Beispiel, wie würde Landschaft erlebt, wenn das menschliche Auge in der Lage wäre, Infrarotlicht wahrzunehmen? Würde (bzw. wie würde) Landschaft konstruiert, wenn das menschliche Auge (wie das von Insekten) lediglich Helligkeitsunterschiede wahrnehmen könnte?
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Die Entwicklung von Landschaften zur und in der Postmoderne
In diesem Kapitel werden die Auswirkungen der gesellschaftlichen Postmoderne, der ÄVerfassung radikaler Pluralität³ (Welsch 1988: 4), auf die angeeignete physische Landschaft wie auch auf die gesellschaftliche Landschaft untersucht. Dabei wird das im vorangegangenen Abschnitt entwickelte soziologische Konzept der Landschaft als Grundlage der Untersuchung dienen. Ziel ist es, auf dieser Basis die wesentlichen Merkmale postmoderner Landschaften herauszuarbeiten. 4.1
Zur historischen Entwicklung der Landschaft in Mitteleuropa
Angeeignete physische Landschaften weisen neben ihrer (offensichtlichen) räumlichen Dimension auch eine (häufig weniger präsente) zeitliche Dimension auf. Landschaften sind ± so Freyer (1990: 46) ±Ämit Geschichte geladen, mit Geschichte getränkt, einige nur oberflächlich, wie wenn eine Flutwelle über sie hinweg geschlagen wäre, andere so eindringlich, dass es keinen Fleck gibt, der nicht von Menschenhand genützt, gebahnt, gestaltet wäre³ (vgl. auch Küster 1999). Wie bereits angesprochen, kann angeeignete physische Landschaft als Folge bzw. insbesondere Nebenfolge menschlichen Handelns (aber auch Unterlassens) gekennzeichnet werden. Würde der Mensch auf für die angeeignete physische Landschaft relevantes Handeln verzichten, würde sich diese durch die natürliche Sukzession in eine Naturlandschaft (zurück)verwandeln. Diese wäre durch die Äheutige potenziell natürliche Vegetation (HPNV)³ geprägt. Dieses Konstrukt bezeichnet einen biotisch-landschaftlichen Zustand, ohne Einfluss des Menschen, allerdings unter rezenten ökologischen (in besonderer Weise klimatischen) Bedingungen. In Mitteleuropa wäre dies entweder ein Eichen-Birken-Mischwald (auf trockeneren Sandstandorten, wie der Norddeutschen Tiefebene), ein von Rotbuchen dominierter Wald im Bereich der Mittelgebirge (mit geringerer Seehöhe) bzw. ein Koniferenwald (in den höheren Lagen der Mittelgebirge). Diese potenziell natürlichen Landschaften wären nicht nur artenärmer als die durch den Menschen bestimmten Landschaften des rezenten Mitteleuropas, sondern wiesen ± aufgrund der großflächigen Verbreitung vergleichsweise artenarmer Pflanzengesellschaften ± eine erhebliche Monotonie auf (vgl. Wöbse 2002). Eine durch die Äheutige potenziell natürliche Vegetation (HPNV)³ geprägte Landschaft stellt die Bezugsebene des Grades landschaftlicher Veränderungen dar: War der physische Raum in Mitteleuropa nach dem Ende des Würm-/Weichsel-Glazials weitgehend durch primäre Buchen- und Koniferenwälder dominiert, erfolgte bis zum Beginn der Industrialisierung eine weitgehende Entwaldung zur Energie- und Baustoffgewinnung (vgl. Küster 1999, Radkau 2000). War das gesellschaftliche Verhältnis zum Raum in der Vormoderne stark reaktiv geprägt, ist ein Charakteristikum des modernen Raumbezugs jener der Eroberung: Die Raumeroberung der Moderne verläuft dabei weitgehend eindimensional ± um ein Zentrum wird ± idealtypischer Weise ± der Radius der Beeinflussung immer größer. Solcherart entsteht ein Äidealer Staat³, wie ihn Thünen (1966 ± zuerst 1826), in klassisch modernem Denken, beschreibt. Gegenüber der Vormoderne bedeutet die fordistische Moderne eine Äradikale Umstellung der Effizienzstandards und Konsummuster³ (Ipsen 2002a: 93). Mit der Durchsetzung 77
von fordistischen Prinzipien (vor allem Rationalität und Effizienz) in Ökonomie, aber auch in Politik und Administration war auch eine tief greifende Umgestaltung der Landschaft verbunden: Angeeignete physische Landschaft wurde funktionalisiert und geometrisiert (nahezu idealtypisch im American-grid-System, wie Kaufmann 2005 zeigt). Der Fordismus ermöglichte durch eine immer höhere Effizienz ein antizipierendes Steigen von Löhnen und Gehältern, wodurch weite Teile der Bevölkerung an einem steigenden Warenangebot teilhaben konnten und insbesondere wollten. Landschaftlich bedeutete der Fordismus im städtischen Raum in der Ersten Welt ein verstärktes Hineinwachsen der Kernsiedlungen in ihr Umland, eine stärkere funktionale Trennung von Arbeit (insbesondere Industriearbeit und Büroarbeit), Wohnen, Erholung, Bildung etc.: Neben Industriegebieten entstanden Wohnquartiere, Büroflächenballungen u. a., flächenmäßig bedeutender als die physischen Veränderungen in der Stadt waren die landschaftlichen Transformationen im ländlichen Raum: Das Streben nach Konsum zwang die in der Landwirtschaft Tätigen (aber auch die in der Forstwirtschaft ± z.B. durch eine rigorose Umsetzung der Altersklassenwirtschaft ± und die in der Fischerei ± z.B. durch systematische Befischungen mit größeren Kuttern), effizienter zu arbeiten. Insgesamt bedeutet dies im primären Wirtschaftssektor einen gezielten Maschineneinsatz und Spezialisierung. Insbesondere in der Landwirtschaft war die Rationalisierung mit dem Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden verbunden (mit der Nebenfolge ökosystemischer Belastungen). Effiziente Landbewirtschaftungen ließen sich nicht in kleingliedrigen Bewirtschaftungsstrukturen durchführen: Flurbereinigungen schafften größere Flächen, Konzentrationsvorgänge (nur größere Betriebe ließen sich wirtschaftlich als Vollerwerbsbetriebe führen) ließ die Zahl der Landwirte zurückgehen, die traditionellen Hofflächen der verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe mit ihrem spezialisierten Park zumeist großer Maschinen waren in den meisten Agrarregionen zu klein geworden, die Folge war die Aussiedlung der Höfe. Die angeeignete physische Landschaft der Moderne lässt sich von jener der Vormoderne auch durch den nachhaltigen politisch-planerischen Zugriff unterscheiden. Ist Landschaft in der Vor- und Frühmoderne eine Nebenfolge des ökonomischen, sozialen und kulturellen Handelns des Menschen, greift die Politik in der Moderne mit Hilfe eines differenzierten Bürokratieapparates (Weber 1972 ± zuerst 1921) regulierend in die Gestaltung der Landschaft ein. Besonders deutlich wird der politische bzw. behördliche Zugriff auf die angeeignete physische Landschaft im städtischen Raum: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Druck auf die urbanen Zentren in Mitteleuropa durch das rasante Bevölkerungswachstum für eine geordnete Stadterweiterung derart groß, dass hierfür staatliche Planungsgrundlagen geschaffen werden mussten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erließen die deutschen Länder Gesetze als Grundlagen für Baupläne, Bebauungspläne und Fluchtlinienpläne. Die Kommunen erhielten ein Initiativrecht für die Stadtbauplanung, das in Übereinstimmung mit der Polizeibehörde auszuüben war. Neben sich umfänglich steigernden klassischen Aufgaben (wie der Armenfürsorge), entwickelten sich mit der Industrialisierung neue Aufgaben für die Kommunen, wie der Aufbau und Betrieb von Krankenhäusern, Schulen, der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung, der Müllabfuhr, der Beleuchtung von Straßen, so dass die Vormoderne ± weitgehend ehrenamtlich getragene Stadtverwaltung (vgl. Ennen 1987) ± nicht für die Bewältigung der neuen Aufgaben ausreichte und durch eine effiziente Großverwaltung ersetzt wurde 78
(Krabbe 1989: 130): ÄStellenvermehrung, Professionalisierung und Spezialisierung waren einander ergänzende Phänomene, die den Ausbau der städtischen Leistungsverwaltung besonders seit den 80er/90er Jahren des 19. Jahrhunderts begleiteten³. Das Leitbild moderner Stadtplanung lautet Funktionstrennung (gemäß der Charta von Athen): Die Daseinsgrundfunktionen ± als affirmatives epistemologisches Konzept der Mensch-Raumbeziehung im Sinne von Ruppert/Schaffer (1969) ± sind räumlich und funktional zu trennen. Wohnen, arbeiten, sich erholen, sich versorgen, sich bilden und die Freizeitgestaltung werden räumlich separiert ± und somit einfach codiert. Im Leitbild moderner Raumordnung sind Räume monofunktional fragmentiert, Gebietseinheiten sind monostrukturiert (vgl. Krier 1987). Das Ergebnis solcher Leitbilder charakterisiert Turner (1996: 5) treffend folgendermaßen: ÄTypically, governments purchased huge areas of Ãsubstandard¶ housing, destroyed the old buildings, constructed wide new highways and lined them with modern blocks³. Diese monovalente Funktionalität des Raumes wird an den Enklaven der natürlichen Umwelt in der Stadt deutlich: Stadtgrün wird weitestgehend auf Parks und Alleen beschränkt. Parks werden geplant und systematisch gepflegt, wuchernde Vegetation, sei es an Bahndämmen, Straßenrändern nur in Ausnahmefällen zugelassen. In der modernen Stadt manifestiert sich sozialräumlich die Klassen- bzw. Schichtgesellschaft. Große, hinsichtlich ihrer Bausubstanz homogene Stadteile lassen sich schichtspezifisch zuordnen: Arbeiterviertel sind von den Vierteln der gehobenen Bevölkerungsschicht strikt getrennt (vgl. Turner 1996). Insbesondere Städte sind in der Moderne physische Manifestationen der Symbiose MachtWissen, die ÄSprache der Macht Ãurbanisiert sich¶³ (de Certeau 1988: 185). Je nach Gesellschaftssystem bemühen sich ökonomische, politische und kulturelle Organisationen, Macht architektonisch zu äußern. Eine besondere Deutlichkeit erreichte diese Demonstration von Macht in den ehemals sozialistischen Staaten Ostmitteleuropas: Zentrale Aufmarschplätze und -straßen wurden gesäumt von Gebäuden eines autokratisch-historistischen Baustils. Öffentliche Gebäude wurden in gigantischen Abmessungen errichtet (vgl. z.B. Kühne 2001c). Dagegen kontrastierte der lebensweltliche Alltagsraum der Bevölkerung in den sozialistischen Staaten Ostmittel- und Osteuropas: Sie lebte weit verbreitet in einer, aufgrund von Skalenvorteilen weitgehend standardisiert, industriell gefertigten Wohnblockbebauung, die in der Regel in grauer Außenfarbe gehalten wurde, wobei man häufig in solchen Wohnvierteln auf die Anlage von Grünanlagen verzichtete ± eine Stadtentwicklung, die Juchnowicz (1990: 250) treffend als Äpathologische Urbanisierung³ kennzeichnete (vgl. Kühne 2003b). Im interkontinentalen Vergleich zeigt die, weitgehend ökonomisch, durch das freie Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage hinsichtlich des subjektiven Bodenwertes, determinierte nordamerikanische Stadt eine deutlich konzentrischere Raumstruktur (vgl. die klassischen Theorien von der Chicagoer Schule, z.B. Burgess 1925) als die, viel stärker durch ihr historisches (kulturelles wie soziales) Erbe und durch raumplanerische Maßnahmen geprägte, europäische Stadt. Zwar brachte das Schleifen mittelalterlicher Festungsbauwerke, der Bau großer Ring- und Ausfallstraßen, die Anlage von großen Boulevards im 19. und 20. Jahrhundert deutlich moderne Elemente in die europäischen Städte (vgl. Bernatzky 1960, Lichtenberger 1970), doch fielen diese deutlich geringer aus als diejenigen in dem von urbanen Neugründungen geprägten Nordamerika, dessen Raumkategorien in der Moderne weitgehend ein79
dimensional auf den monetär gemessenen Boden- und Gebäudenutzwert beschränkt sind. Neben der ökonomischen und der physischen Dimension war mit dem Schleifen der mittelalterlichen Stadtmauern auch eine symbolische Dimension verbunden: Die Städte öffneten sich der Landschaft (vgl Hassenpflug 2002). Das Paradigma (im Sinne Kuhns 1962) der Moderne in Architektur ± repräsentiert von W. Gropius, L. Mies van der Rohe, Le Corbusier u. a. ± und (insbesondere städtischer) Raumplanung bedeutete, eine Unterordnung der Form gegenüber der Funktion, eine Eliminierung des (vermeintlich) Funktionslosen. Ein solcher rein zweckrationaler Grundsatz ließ keinen Raum für Ornamentik, Fassadenkunst etc., sondern entsprach dem Streben primär nach ökonomischer und sekundär technischer (als Mittel des Erreichens des primären Ziels) Zweckmäßigkeit124. Die wesentlichen Elemente der Landschaftsveränderungen in der fordistischen Moderne im Vergleich zur Vormoderne lassen sich ± in Anlehnung an Ipsen (2002a) ± folgendermaßen zusammenfassen: · Durch eine höhere Spezialisierung in der Landwirtschaft und Forstwirtschaft hat sich die Fläche mit Monokulturen deutlich vergrößert. · Die Mechanisierung in der Land- und Forstwirtschaft hat zu einer deutlichen Geometrisierung der Flächenzuschnitte geführt, wobei vielerorts eine Nivellierung kleinräumiger topographischer Differenzierungen zu beobachten ist. · Die Aufgabe der Bewirtschaftung auf (aufgrund von Bodengüte, Relief, Flächenzuschnitt etc.) unwirtschaftlichen Standorten hat vielerorts zu ökologischen Sukzessionen geführt. · Industrialisierung und Verstädterung haben natürliche Landschaftselemente zugunsten anthropogener zurückgedrängt. · Mit der Durchsetzung der Massenmobilisierung hat die Suburbanisierung deutlich zugenommen. Dadurch sind Siedlungen entstanden, die weder einen eindeutig städtischen noch einen eindeutig dörflichen Charakter haben125. · Aufgrund einer verdichteten Verkehrserschließung ist die Größe unzerschnittener Landschaftsteile immer stärker zurückgegangen. Insbesondere Kleintiere sind aufgrund einer solchen Landschaftsverinselung in ihrem Wanderungsverhalten stark eingeschränkt. Insgesamt lässt sich mit dem Durchgreifen fordistischer Prinzipien eine Funktionalisierung von Landschaft feststellen. Die Landschaft der fordistischen Ära ist weniger kleinteilig differenziert als diejenige der vormodernen Ära. Damit habe sie ± so Ipsen (2002a) ± deutlich an ökologischer und sozialer Attraktivität und Vielfalt eingebüßt. 124
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Die von Rechtwinkligkeit und (damit verbunden) Uniformität dominierten Entwürfe von Geschäftshochhausbauten, sozialem Wohnungsbau, öffentlichen Bauten, Fabrikgebäuden etc., nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Europa, wurden von der Bevölkerung ob ihrer Sterilität abgelehnt. So definiert der Architekturtheoretiker Charles Jencks (1977: 9) das Ende der Moderne durch die Sprengung eines modernen Wohnhauskomplexes: ÄModern architecture died in St. Louis, Missouri on July 15, 1972 at 3.32 pm³. Der Beginn einer sozialen Postmoderne lässt sich dagegen nicht in dieser Genauigkeit datieren, zu diffus sind die Übergänge zwischen gesellschaftlicher Moderne und Postmoderne (vgl. Welsch 2002). Bourdieu (1998a: 21) charakterisiert dies als ÄTrugbild einer vorgeblich individuellen Form des Wohnens³, die weder die Solidarität der alten Arbeiterviertel, noch die Abgeschiedenheit der exklusiven Wohngegenden³ kenne.
4.2
Landschaft und Raum in der Postmoderne
Wie kaum in einem anderen Zeitalter hinterlassen die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse ± in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum ± ihre physisch-räumlichen Dokumente. Dabei wird auch für die Landschaft insgesamt deutlich, was Bertels (1997: 23) für die gebaute Umwelt festgestellt hat: ÄEs braucht viel Zeit, bis sich soziale Strukturen in der gebauten Umwelt verfestigt haben, und oft nur wenig, um im Zuge von Revolutionen oder gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen Spuren vergangener Gesellschaftsordnungen zu tilgen³. Neben den auf militärische Einwirkungen oder militärisches Kalkül zurückzuführenden Veränderungen und den willentlichen, politisch motivierten Versuchen, Raumstrukturen, Gebäude auszulöschen oder neu zu schaffen, zu vernachlässigen bzw. dem Vergessen preiszugeben (Bertels 1997), sind mit der Durchsetzung des ökonomischen Kalküls, dem Durchgreifen sozialer und politischer Über- und Unterordnungen, kultureller Segregationen physisch-räumliche Veränderungen verbunden, mit denen Äauch soziale Erosionsprozesse verbunden [sind] ± und umgekehrt³ (Bertels 1997: 23). Zwei wesentliche ± bereits in der Moderne angelegte ± Aspekte der Dynamik der Postmoderne sind die zeitliche Beschleunigung einerseits und die räumliche Polykontextualisierung andererseits. Erstgenannte äußert sich ± wie bereits angemerkt ± in der Mobilisierung und Beschleunigung von Kommunikation, Gütern, Zeichen, sozialen Beziehungen, Lebensstilen u. a., zweitgenannte durch eine verstärkte räumliche Verknüpfung und gesellschaftliche Neubewertung von Raum. Heterogenität und Pluralität bestehen dabei nicht mehr allein zwischen (räumlich fixierten) Kulturen, sondern auch innerhalb von Kulturen als Subkulturen126 (wobei diese subräumlich ± z.B. als Regionalkulturen ± oder kommunikationsvernetzt ± z.B. als Heavy Metal-, Biker-, Hooligan-Subkultur127 ausgeprägt sein können). Die Folge dieser Sub- und Subsubkulturierung der Gesellschaft, ist die Bildung multipler Identitäten mit unterschiedlichem räumlichen Fixierungsgrad, wobei es ± wie Sander (1998) zeigt ± zumindest mit erheblichen Schwierigkeiten belastet ist, die Vielzahl der autonomen Subkulturen in eine gesellschaftliche Ganzheitlichkeit zu integrieren, die darüber hinaus räumlich verortet ist.
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Anhand des Terminus der ÃSubkultur¶ bzw. ÃTeilkultur¶ lässt sich das postmoderne sprachliche Dilemma deutlich fassen: Eigentlich werden sie einer postmodernen Betrachtung von Gesellschaft nicht gerecht, da sie Änoch die Vorstellung des ÃBestandsteiles¶ eines wie auch immer gearteten Ganzen³ (Sander 1998: 67) suggerieren, dennoch ist der postmoderne Sprachgebrauch auf die modernen Termini angewiesen, da sich noch keine eigene Begrifflichkeit entwickelt hat. In der Postmoderne setzt sich ± rückgekoppelt mit dem Prozess der Bildung von Patchwork-Identitäten ± eine weitere gesellschaftliche Differenzierung durch, wobei diese Gesellschaften Änicht in traditioneller Sicht als ein aufgegliedertes Ganzes, sondern als Nebeneinander verschiedener, mehr oder minder eigenständiger Kulturen³ (Sander 1998: 67) zu verstehen sind. Im Unterschied zu modernen sozialen Kulturen sind diese Änicht mehr gesamtgesellschaftlich in einer gemeinsamen kulturellen Sphäre eingebettet. Vielmehr stehen sie relativ beziehungslos zueinander; Desintegration ist ihr ÃNormalzustand¶, keineswegs eine ÃAbweichung¶³ (Sander 1998: 67). Im modernen Sinne geht mit dem ÄMehr an Autonomie³± so Vester (1994: 132) ± jedoch ein ÄMehr an Anomie³ einher, das wiederum in postmodernen Gesellschaften in weiter gestreckten Grenzen durchaus häufiger toleriert werden kann, als dies in modernen Gesellschaften der Fall war. In der Postmoderne setzt sich dabei die weitere Fragmentierung von Subkulturen fort, es entstehen Subsubkulturen, wie beispielsweise der Speed Metal- Subkultur oder aber der Gaybiker, die sowohl eine Subkultur der Homosexuellen- als auch der Motorradfahrersubkultur sind ± und somit die Vernetzung von Subkulturen verdeutlichen.
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Aufgrund einer solchen Steigerung von gesellschaftlicher Komplexität und des Einflusses von Polyvalenzen differenziert sich die Wechselwirkung von Gesellschaft und physischräumlicher Umwelt immer stärker aus. Daher erscheint es sinnvoll, in diesem Abschnitt die moderne Struktur des AGIL-Schemas zu ergänzen und andere gesellschaftliche Diskurse in ihrem Verhältnis zur Landschaft zu bestimmen. 4.2.1 Strukturwandel und Landschaft: der Druck der Globalisierung Mit dem ökonomischen Strukturwandel in den Staaten der Ersten Welt, mit der Industrialisierung und später der Tertiärisierung der Wirtschaft und den damit verbundenen Anpassungsprozessen in den übrigen gesellschaftlichen Subsystemen sowie der quantitativen und qualitativen Wandlung der Interferenzverhältnisse zwischen der Gesellschaft, aber auch der natürlichen Umwelt, haben sich auch die räumlichen Manifestationen der Strukturen und Prozesse der Gesellschaft in der Landschaft gewandelt. Wie kaum ein anderer Begriff des gesellschaftlichen Wandels wird jener der Globalisierung diskutiert, in Frage gestellt, emotionalisiert, als Alibi für unpopuläre Entscheidungen verwendet. Im Vordergrund der Diskussion steht die ökonomische Dimension der Globalisierung, die Verflechtung der internationalen Finanzmärkte, des internationalen Handels, die internationale Informationsvernetzung, doch lassen sich auch Elemente sozialer (internationale Migration), politischer (Vereinte Nationen, Menschenrechte) und kultureller Globalisierung (Filme, Musik, transnationale Räume) ausmachen (vgl. Beck 1997, Kühne 2004a). Doch gerade der Globalisierung der Ökonomie wird eine besondere Bedeutung für die prägende Veränderung der Entwicklung von Nationen, Regionen, Städten und Gemeinden zugeschrieben. Dabei organisieren die global playersÄihre Wertschöpfungsketten durch gezielte Fragmentierung und Dislozierung über Landes-, Branchen- und Unternehmensgrenzen hinweg³ (Läpple 2002b: 146). Zentrale Thesen der Globalisierung sind dabei die Entgrenzung (dis-enclosure), also der Bedeutungsverlust der Nation als politischer und ökonomischer Einheit zugunsten des Weltmarktes, und die Entbettung (dis-embedding), also dem Herausheben aus ihren tradierten und ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen (siehe Giddens 1995, Beck 1997, Giddens 2001, Läpple 2002a, Läpple 2002c). Die Dynamik des Globalisierungsprozesses verläuft jedoch in hohem Grade selektiv und fragmentiert (Noller 1999: 19): ÄNicht die Herstellung von Homogenität und Gleichheit durch die Eroberung neuer ökonomischer und technologischer Markt- und Produktionsräume mit dem Ziel, universale Standards herzustellen, charakterisiert den neuen, komplexen globalen Kapitalismus, sondern die Zelebrierung und Strukturierung der Heterogenität von kulturellen und politischen nationalen und lokalen Räumen in einem ÃRegime der Differenz¶ (Peter Hall)³, diese äußere sich ± so Noller (1999: 85) ± in der ÄZelebrierung und Strukturierung der Heterogenität von kulturellen und politischen nationalen und lokalen Räumen³. Sieverts (2001: 23) charakterisiert die Folgen der ökonomischen Globalisierung für die Städte der heute Ersten Welt folgendermaßen: ÄDie Globalisierung der Wirtschaft verwandelt die Welt in ein System kommunizierender Röhren, und mit dem Arbeitsplatz- und Kapitalexport ist gleichzeitig unvermeidlich ein Armutsimport verbunden, der uns zwingen wird, unse-
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re Lebensgewohnheiten drastisch zu ändern. Schon in absehbarer Zeit werden die Grenzen zwischen Arm und Reich nicht mehr zwischen Nord und Süd, sondern quer durch alle Städte der Welt verlaufen, und Europa wird keine Ausnahme sein.³ Mit der Globalisierung wandeln sich also nicht allein die landschaftlichen Nebenfolgen des Agierens des ökonomischen Systems, sondern auch diejenigen der sozialen Gemeinschaft, aber auch des politischen und kulturellen Systems. Viele physisch-räumliche Strukturen wurden ± insbesondere unter dem Rationalisierungsund Preisdruck einer globalisierten Wirtschaft ± entfunktionalisiert und somit zu Relikten: Aufgrund des höheren ökonomischen, politischen und sozialen Drucks in den verdichteten Räumen lassen sich hier insbesondere funktionale, aber auch strukturelle Persistenzen in sehr viel geringerem Umfange feststellen als in nicht verdichteten Räumen ± hier greifen in besonderer Weise strukturelle, aber auch funktionale Persistenzen stärker durch; auch nach mehreren Jahrzehnten intensiv betriebener Flurbereinigung ist es in weiten Teilen Mitteleuropas nicht gelungen, zersplitterte Fluren, entstanden durch Realerbteilungen, flächendeckend zu arrondieren und somit eine, den gegenwärtigen agrarwirtschaftlichen Anforderungen entsprechende, Agrarstruktur zu schaffen. Ein entscheidendes Merkmal des postmodernen zum modernen (angeeigneten physischen) Raumes liegt in der nun völligen ± bereits mit der Suburbanisierung begonnenen ± Auflösung des Gegensatzes von Stadt und Land(schaft). Landschaft ist nicht nur außerhalb der Stadt, auch die Stadt wird Landschaft, wie auch die frühere Landschaft Stadt wird128. Während in der Moderne ein System die Planung des Raumes dominierte, wird die Raumentwicklung in der Postmoderne ein Prozessgefüge, das Elemente von Wirtschaft, Politik, Sozialem und Kultur synthetisiert und systematisiert: Raumplanung wird ein integrativer Prozess, der temporär und räumlich begrenzt ist. Die räumliche Struktur der Postmoderne wird polyvalent. ZentraleOrte-Netze, wie sie typisch für die Moderne (insbesondere als Norm für die Raumplanung) waren, werden ± wenn nicht völlig aufgelöst ± durch Verschiebung der Bedeutung einzelner Zentrentypen (Stärkung von Mittelzentren, Bedeutungsverluste auf der unterzentralen und nicht-zentralen Ebene), durch zunehmendes lebenslauf- und lebensstilspezifisches Versorgungsverhalten, durch zunehmende Mehrfachausrichtungen des Versorgungsverhaltens bei verstärkter Clusterbildung von Einzelstandorten u. a. erheblich geschwächt (Gebhardt 2002). Während die Stadt der Moderne archetypisch eine Industriestadt ist, ist die idealtypische Stadt der Postmoderne eine durch Dienstleistungen und Freizeit, durch informelle Tätigkeit geprägte Agglomeration, deren Raumeinheiten durch die Flexibilisierung von Arbeit und Nicht-Arbeit vielseitiger bzw. andauernder nutzbar gemacht wurden (z.B. durch die Öffnung von Fast-Food-Restaurants rund um die Uhr): ÄDer Begriff Stadt scheint für die neu entstandenen räumlichen Gebilde nicht mehr angemessen. Der Begriff ÃAgglomeration¶ spiegelt die neue Qualität des Siedlungsgefüges wieder: das Nebeneinander und Durcheinander verschiedenster Funktionen bei gleichzeitig erheblich größerer Bevölkerung und Fläche machte aus 128
In seinem Buch ÄCity as Landscape³ stellt Tom Turner (1996) auch klar, dass eine Stadt kein Entscheidungsund Planungsraum (sondern eine Landschaft) ist, die unter Einbeziehung der natürlichen Bedingungen der Ökologie, Hydrologie und Geomorphologie unter Einbeziehung der Bürger aus einer Synthese von Geometrie, Design, Kunst, Verhaltensforschung, Gestalt und den Geschichten des jeweiligen Raumes zu entwickeln sein.
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der Stadt einen diffusen Aktivitätsraum, dem die politische, ökonomische, soziale und räumliche Identität der alten Städte abhanden gekommen ist³ (Siebel 1987: 110). Die Polyvalenz der Postmoderne äußert sich auch in der Mehrfachcodierung von Landschaft. Räume werden ± deutlich häufiger als in der Moderne ± mehrfach genutzt, neben einer sukzessiven, zeitlich versetzten Mehrfachnutzung tritt auch eine parallele, zeitgleiche Mehrfachnutzung ± beispielsweise in Form von Naherholung und primärem Wirtschaftssektor. Dabei tritt neben die Mehrfachnutzung von Fläche die Aufgabe von Nutzung, oder anders ausgedrückt: die großflächige Aufgabe von primärwirtschaftlich genutzter Landschaft, insbesondere außerhalb der tertiärökonomisch-städtischen Entwicklungszentren, Teile der ± vormodernen, primärwirtschaftlichen ± Landschaft129 drohen Äüberflüssig³ zu werden, insbesondere dann, wenn die politisch induzierten finanziellen Transfers in die Primärproduktion (dies trifft sowohl die Landwirtschaft wie die Forstwirtschaft als auch die Fischerei) ± auch aufgrund internationalen Vereinbarungen, wie jenen der WTO-Verhandlungen ± verringert oder sogar aufgegeben werden. 4.2.1.1 Stadt und Region in der Globalisierung Die Städte und Regionen Europas sehen sich einem beträchtlichen Druck durch den Prozess der Globalisierung ausgesetzt, auch in Richtung eines Typus einer Äglobalisierten Stadt³. Dieser Druck differenziert sich in zwei Dimensionen (Marcuse 2004: 113): ÄEin interner Druck, der innerhalb jedes Landes, jeder Region, jeder Stadt entsteht, veranlasst die kommunalen Entscheidungsträger, sich in Richtung der globalisierten Stadt zu bewegen, und ein externer seitens der mutmaßlich wettbewerbsfähigen Städte, Regionen bzw. Länder, der die Anpassung an die Zwänge eines solchen Wettbewerbes erfordert³. Dem internen Druck des Strukturwandels und dem externen Druck internationaler Konzerne, Designs und Moden sind jedoch auch Tendenzen entgegengesetzt, die zur Erhaltung der Charakteristika der europäischen Städte beitragen (Marcuse 2004, ähnlich Häußermann 2001, Kaelble 2001): 1. die Wertschätzung der Eigenheiten der europäischen Städte, von Urbanität und Lebensqualität, von öffentlichen Leistungen und sozialen Absicherungen, 2. die Einschränkung des Wandels durch die existierende Bebauung, 3. die traditionell hohe Bedeutung des Staates in der Raumentwicklung, welche die Entwicklung eines ökonomisch dominierten Raumgefüges einschränkt, 4. die im Vergleich zu den us-amerikanischen Städten geringe Bedeutung von Segregation und Polarisierung aufgrund einer auf Konsens ausgerichteten Politik des Wohlfahrtsstaates, 5. die im Vergleich zu US-Amerika geringere Bedeutung der Suburbanisierung, 6. die geringere Tendenz zur Entwicklung primärer Wohnviertel in europäischen Städten im Vergleich zu jenen der Vereinigten Staaten.
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Charakteristikum der vormodernen Landschaft ist auch, dass ihre Aufrechterhaltung bereits in der Moderne (insbesondere in der späteren Moderne) durch finanzielle staatliche Transfers gesichert werden musste.
In besonderer Weise hinsichtlich der migrationsspezifischen Internationalisierung bzw. sogar Globalisierung sind ± so Häußermann/Siebel (2002) zwischen europäischen und amerikanischen Städten unterschiedliche Integrations- bzw. Segregationsmuster feststellbar: · In Europa bildet Äbis in die jüngste Vergangenheit eine ethnisch homogene Nationalgesellschaft das Zentrum der Gesellschaft³ (Häußermann/Siebel 2002: 61), Zuwanderer stammen zumeist aus dem eigenen Kulturraum, der vorherrschende Integrationsmodus ist jener der individuellen Anpassung, primäre Viertelsbildung ist selten anzutreffen. Das Netz des Sozialstaates sichert auch (legale) Zuwanderer. Die Differenzen zwischen Einheimischen und Fremden sind im Wesentlichen auf die kulturelle Dimension beschränkt. · In Amerika existierte dagegen auch vor dem 20. Jahrhundert keine kulturelle Homogenität, Ävielmehr entsteht die amerikanische Gesellschaft aus Zuwanderung³ (Häußermann/Siebel 2002: 61). Aufgrund des Fehlens eines Sozialstaates ist die Existenzsicherung auf substaatlicher Ebene angesiedelt. Daher bilden Zuwanderer in amerikanischen Städten Älokale Gemeinschaften, ethnische Kolonien, die auf der Basis der Kultur des Herkunftslandes für die Individuen eine solidarische Basis für weitere Integrationsschritte bieten³ (Häußermann/Siebel 2002: 61). Darüber hinaus weist Häußermann (1998: 80) auf die unterschiedliche kulturelle Bedeutung von Städten in Europa und Nordamerika hin: Während in Nordamerika die Freiheit des individuellen Eigentums Äauf dem freien Land den höchsten Wert des American way of life³ darstellt, sind in Europa Ädie Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft und Formen individueller Selbstbestimmung eng mit der städtischen Zivilisation verknüpft³. Die Differenz zwischen Europa und Nordamerika hinsichtlich der Repräsentation der Gesellschaft im angeeigneten physischen Raum beschränkt sich dabei nicht auf die städtischen Räume, sondern zeigt sich auch in den ländlichen Gebieten: So griff das ökonomische Prinzip in Nordamerika deutlich stärker auf die Monofunktionalisierung des ländlichen Raumes, zum Beispiel in Form von agrarischen großflächigen Monokulturen, durch als dies in Europa der Fall war und ist, wo weite Teile der ländlichen Räume eine multifunktionale Bedeutung zugewiesen bekamen und bekommen. Der Erhalt dieser Multifunktionalität gilt als eine wesentliche Begründung für monetäre Transfers seitens der öffentlichen Hand an die Landwirtschaft in Europa130. Damit sind nordamerikanische Primärproduzenten aber auch sehr viel rascher in der Lage, auf Änderungen der Weltmarktbedingungen zu reagieren, als dies bei europäischen der Fall ist; hier sind die Produzenten vielfach über mehrjährige Verträge mit staatlichen Stellen ± als Gegenleistung für Förderleistungen ± verpflichtet, Auflagen zur Erhaltung der Multifunktionalität des Raumes in Form von Umwelt-, Bewirtschaftungs-, Extensivierungsauflagen etc. zu erfüllen.
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Dabei ist es durchaus diskussionswürdig , ob und inwiefern das Ziel der Erhaltung der Multifunktionalität von Räumen eine Konservierung bis hin zur Sklerotisierung von physischen Raumstrukturen rechtfertigt, wie dies bei der Ausgleichzulage in benachteiligten Gebieten oder den Agrarumweltmaßnahmen durchaus interpretierbar ist.
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Die Tertiärisierung einerseits und die Globalisierung der Wirtschaft wird am Beispiel von Global Cities131 (Sassen 1991) am deutlichsten: Produktionsbetriebe werden ± insbesondere in begünstigten Lagen ± weitestgehend von Dienstleistungsbetrieben verdrängt. Aufgrund betrieblicher Konzentrationsprozesse und räumlicher Markterweiterung wächst die Bedeutung tertiärökonomischer Steuerungsfunktionen, die aufgrund ihrer hohen gegenseitigen Bindung in wenigen Global Cities verortet sind (vgl. Häußermann/Roost 2000, Gornig 2004). Dabei liegt die zentrale Argumentationslinie des Global-City-Konzeptes ± so Krätke (2002: 49) ± Äin der Aussage, dass die fortgeschrittene Internationalisierung und weltweite Organisation von Wirtschaftsaktivitäten ÃKnotenpunkte¶ der Koordination und Kontrolle dieser global ausgedehnten Wirtschaftsprozesse benötigt, und Global Cities mit ihrer Konzentration von internationalen Finanz- und Unternehmensdiensten als die Orte der Produktion globaler KontrollKapazität fungieren³. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Global Cities und herkömmlichen (vormodernen und modernen) zentralen Orten liegt darin, dass sie nicht primär als Zentren eines Umlandes zu verstehen sind, sondern untereinander ein Äautonomes Netzsystem über nationale Grenzen hinweg [bilden], wie dies bei den Finanzmärkten der Fall ist³ (Bertels 1997: 55). Den Global Cities stehen die abhängigen Städte mit nachgeordneten Produktionsund Dienstleistungsfunktionen gegenüber (Keim 2001). Der moderne Monismus von Industrialisierung und Urbanisierung wurden von dem postmodernen Possibilismus von Tertitärisierung und Urbanisierung ersetzt. Gerade die Global Cities sind sozial und kulturell vielfach fragmentiert (aus postmoderner Perspektive hierzu Dear/Flusty 1998, Dear 2000, Dear 2005). Neben den Räumen der Lebenswelt der ökonomischen Eliten (verortbar in den Central Business Districts, den shopping malls, den gated communitites u. a.) finden sich die (häufig stigmatisierten) Quartiere derjenigen, die nicht an den Errungenschaften der Globalisierungen teilhaben können, häufig der Verlierer des globalen Wettbewerbes (Sorkin 1992, Scholz 2003, Dear 2005); derjenigen also, die in ungeschützten Arbeitsverhältnissen der ± häufig bereits globalen ± Konkurrenz um gering qualifizierte Dienstleistungsbeschäftigungen ausgesetzt sind. Gerade in Global Cities findet sich eine Vielzahl differenzierter ± z. T. stark akzentuiert voneinander abgegrenzter ± Lebenswelten (vgl. Marcuse 1998a), deren Symbolhaftigkeit mit dem angeeigneten physischen Raum rückgekoppelt ist: Hier Villen, Luxusappartements und Bürokomplexe, dort heruntergekommene Wohnquartiere und ein verwahrloster öffentlicher Raum: ÄDie Stadtentwicklung erfolgt an quasi zufälligen Standorten. Im Prinzip können alle Standorte gewählt werden, da sie durch Datenautobahnen miteinander verbunden sind³ (Dear 2005: 34). Mit Noller (1999: 31) lässt sich somit feststellen, dass sich physisch angeeignete Räume (wobei sich Noller auf den städtischen Raum beschränkt) im Wesentlichen aus einer Wechselwirkung von Ökonomie und Kultur erklären lassen, das Äsowohl von einem pluralen Be131
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Der Global-City-Ansatz von Sassen (1991) bezieht sich vornehmlich auf die Funktion bestimmter Städte im globalen Finanz- und Unternehmensdienstleistungsbereich. Dem gemäß ist mit der ökonomischen Globalisierung neben der Ausprägung eines weltweiten Netzes industrieller Produktionsstandorte insbesondere ein beschleunigtes Wachstum von Finanzierungs- und Unternehmensdienstleistungen verbunden. Diese Dienstleistungsunternehmen haben die Neigung ± um Agglomerationsvorteile zu realisieren ± an wenigen Orten geballt aufzutreten. Führende Global Cities sind ± so Sassen (1991) ± London, New York und Tokio (näheres dazu z.B. Krätke 1995, Sassen 1998, Krätke 2002).
deutungsregime (Postmoderne) wie von einem flexiblen Akkumulationsregime (Postfordismus) strukturiert³ wird. Die Globalisierung löst dabei die angeeignete physische Landschaft, die Symbole, die historisch gewachsenen Raumbezüge nicht auf, sondern stellt ± gewissermaßen als neue Emergenzebene ± eine neue Vernetzungsebene dar, in der die Elemente der Äalten³ Landschaft bzw. des Äalten³ Raumes (selektiv) erhalten bleiben und in der neuen Ebene der Globalität transzendierend wirken (vgl. Kühne 2004a). 4.2.1.2 Altindustrialisierung Zeigt die vormoderne, durch die Primärproduktion geprägte Landschaft bereits in der Moderne Degradationserscheinungen oder positiv formuliert: Renaturierungserscheinungen, so geraten in der Postmoderne moderne Landschaften in Gefahr aufgegeben, überflüssig zu werden: Physisch-manifesteste Kennzeichen des Übergangs von der Moderne zur Postmoderne sind in der ökonomisch dominierten Raumstruktur der Altindustriegebiete ± nun als Relikte einer tayloristisch-fordistischen Massenproduktionsära ± zu finden. Der Regionaltyp des Altindustriegebiets lässt sich im Allgemeinen folgendermaßen charakterisieren (Buchhofer 1989, Schrader 1993, Förster 1999) durch: 1. einen überrepräsentierten sekundären Wirtschaftssektor, mit Schwerpunkt auf Großindustriebetrieben, deren Produkte sich am Ende des Produktlebenszyklus befinden; 2. eine überdurchschnittliche Einwohnerdichte; 3. eine umfangreiche, aber veraltete Infrastruktur; 4. eine dichte und überalterte Bebauung; 5. eine Durchmischung von Gewerbe- und Wohnflächen; 6. eine hohe Arbeitslosenquote und selektive Wanderungsverluste; 7. die Abwesenheit von innovativen Wachstumsgewerben; 8. Bodenabsenkungen in Bergbaugebieten; 9. eine Vielzahl von Umweltproblemen wie hohe Emissionsraten und Altlasten sowie 10. eine periphere Lage zu den politischen, wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Entscheidungszentren des Landes. Altindustrialisierung bedeutet eine ökonomische Peripherisierung alter ökonomischer Zentren. Sie sind eine Form der zentrum-periphären Übergangsraumdifferenzierung, und deuten an, wie sich, in der Phase der Postmodernisierung, eine gegenseitige Durchdringung von Zentrum und Peripherie vollzieht. In den Altindustrieräumen kulminieren die negativen Folgen von Deindustrialisierung und globalem Wettbewerb, die in anderen Regionen den Wohlstand noch steigerten, ÄArbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung³ (Friedrichs/van Kempen 2004: 67) dominieren die Zentren des modernen Wachstums (vgl. hierzu Dangschat 1997). Insbesondere altindustrielle Zentren verlieren in der Phase der Postmodernisierung (branchendifferenziert) ihre Agglomerationsvorteile, localization und urbanization economies werden durch elektronische Kommunikationstechnologien, vergrößerte Transportgeschwindigkeiten von Gütern und Personen zunehmend unwirksam. Darauf folgt eine geänderte Priorisierung bei Standortentscheidungen, unterliegen die Faktorpreise, die Verfügbarkeit von Produk-
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tionsfaktoren für Betriebs- und Unternehmensneugründungen oder -verlagerungen nur geringen wirtschaftsräumlichen Unterschieden, schwindet die Bedeutung harter Standortfaktoren zugunsten weicher Standortfaktoren ± was wiederum die Imagewerbung von Kommunen und Regionen zur Folge hat, um so die eigene ökonomische, und letztlich auch politische und soziokulturelle Relevanz im nationalen, ja globalen, Maßstab zu erhalten bzw. auszubauen. Dabei unterliegt die Stadt (und auch die Gemeinde, die Region) in der Postmoderne den Ambivalenzen der globalisierten Wirtschaft, die neben den Chancen der Globalisierung auch in der Zerstörung von räumlichen Bindungen führt (Harvey 1991). Dabei wird Raum ± im Zuge der massiven Verringerung von Transportkosten ± in der Ökonomie dem Prinzip der Zeit untergeordnet, so werden vielfach Ädie Kosten für die Überwindung räumlicher Distanzen in Zeiteinheiten bestimmt³ (Koenen 2003: 165; vgl. hierzu auch Ahrens 2001). Orte müssen möglichst problemlos und rasch erreichbar sein. Giddens (1995: 33) geht noch weiter indem er von Entbettung des Gesellschaftlichen vom Ort als dem ĶHerausheben¶ sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen³ ausgeht, die eine Äunbegrenzte RaumZeit-Spannen übergreifende Umstrukturierung³ darstellten, eine Entwicklung die insbesondere auf internationalen Finanzmärkten festzustellen ist, deren Örtlichkeit weitgehend aufgehoben und irrelevant geworden ist. Dies steht ± so Stichweh (2003: 96) ± im Widerspruch zum vormodernen Zeitverhältnis, in dem Äjedes Ãfrüher¶ oder Ãspäter¶ [...] in ein Ãnah¶ oder Ãfern¶ umgedeutet³ wurde. Siebel (2004: 48) charakterisiert alte Industrieregionen nicht als allein zurückgeblieben Äauf einem allgemeinen Modernisierungspfad, so dass man ihnen mittels Umverteilung von Ressourcen nur dabei helfen müsste, schneller voranzukommen³. Vielmehr handele es sich bei altindustriealisierten Räumen Äum Regionen, deren einstige Modernität sie in die Sackgasse geführt hat³ (Siebel 2004: 48). Der Wechsel von einem Wachstums- zu einem Schrumpfungsprozess in diesen Regionen hat einen Wandel der Aufgabenstellung von regionaler Strukturpolitik in der Postmoderne zur Folge: Eine Stadtpolitik der Regenerierung, die ÄStädte nicht mehr als Maschinen, sondern als Organismen versteht³ (Keim 2004: 217) und ihren Aufgabenschwerpunkt Ävon der physischen Infrastruktur zur Städte-Dynamik und zur Lebensqualität der Stadtbewohner³ (Keim 2004: 217) verlagert. In solchen Altindustrieregionen hat regionale Strukturpolitik nicht mehr die Aufgabe vorhandene Strukturen zu stärken, Äsondern sie gerade grundlegend zu ändern³ (Siebel 2004: 48), wobei sich solche Innovationsprozesse Änicht in hierarchischen Strukturen organisieren lassen³ (Siebel 2004: 48). Gerade in diesem Prozess räumlicher Innovationen sehen sich Altindustrieregionen weniger mit der Organisation räumlicher Expansionsprozesse (sowohl horizontal als auch vertikal) konfrontiert, als vielmehr mit der Aufgabe der Raum- bzw. Landschaftsrezyklierung. Damit wird ein wesentliches Problem der schrumpfenden Städte ± einen Archetypus hiervon stellen die Altindustriestädte dar ± deutlich: Dieses Schrumpfen ist kein gleichmäßiges Schrumpfen, eine Rekompaktion, das sich durch den Rückzug aus dem Umland definiert, sondern es ist ein selektives Außerwertsetzen (nicht nur von Industrieflächen, sondern auch von Wohnraum; Bullinger 2002), aber auch ein selektives Wachsen. Diese solchermaßen perforierte Stadt bietet neben alten ± offen gehaltenen ± öffentlichen Freiräumen wie Parks und Plätzen viele neue Freiräume, unterschiedlicher öffentlicher bzw. privater Zugriffsmöglich88
keiten und ±rechte (vgl. Selle 1997, Selle 2004), insbesondere in Altindustrieräumen lässt sich somit die Entwicklung eines Landschaftspastiches, eines Landschaftspatchworks nachvollziehen: in unmittelbarer Nachbarschaft wechseln Verfall und Wachstum, Niedergang und Neuaufbau, Armut und Reichtum. 4.2.1.3 Entgrenzung von Räumen ± die postmoderne Agglomeration 4.2.1.3.1 Grundzüge der Entgrenzung von Räumen Bereits durch die Ausdehnung des städtischen Raumes in den ländlichen Raum sternförmiglinear an Eisenbahnstrecken und den Linien der Straßenbahnen (Bertels 1997) wurde der stadtnahe Raum urbanisiert. Mit der Nutzung des Automobils wurde die Suburbanisierung flächenhaft-diffus und lässt sich als Ausdruck des ÄVerbürgerlichungsprozesses³ (Bourdieu 1998: 18) interpretieren. Die Massenmobilisierung ermöglichte es, einen urbanen Lebensstil Äim Grünen³ zu pflegen. Sieverts (2001: 18) charakterisiert diese Suburbanisierung als Ergebnis der ÄRealisierung des ÃPrinzips Tucholsky¶, der gleichzeitigen Sehnsucht nach Friedrichstraße und Ostsee³, der Rand der Stadt ermöglicht somit Äein Leben des Sowohl-als-auch³ (Hahn 2001: 230)132, das ± durch die Schaffung eines neuen Kleinbürgertums ± zu einer Stabilisierung einer demokratisch-marktwirtschaftlichen Ordnung mit konservativer Grundausrichtung beitrug (Bourdieu/Saint Martin 1998). In den vergangenen Jahren hat die Dynamisierung des Suburbiums sogar so weit geführt, dass deutliche Abkopplungstendenzen des suburbanen Raums von der Kernstadt festzustellen sind (Eisenreich/Schenk 2002), auch wenn sich diese in Deutschland derzeit im Wesentlichen auf prosperierende Regionen wie den Großraum Stuttgart (vgl. Harlander/Jessen 2001, ARL 2002)133 und auf die Region München (Kagermeier/Miosga/Schussmann 2001), zeitweise auch den Raum Hamburg (Läpple 1998, Läpple/Walter 2000) beschränken. Eine solche ReUrbanisierung, die Bildung von Agglomerationen, mit differenzierter intraregionaler Spezialisierung und teilweiser Vernetzung, die sich insgesamt als Region dem interregionalen und internationalen Wettbewerb stellen müssen, lässt eine ± häufig von kreativen Milieus getragene ± Bildung von Äpostsuburbanen Cluster-Patchworks³ (Kagermeier/Miosga/Schussmann 2001: 172) erkennen ± mit der Folge eines verstärkten Tangentialverkehrs, dem häufig weder das Straßennetz noch das öffentliche Verkehrssystem in ihren jeweils zentrumsorientierten Strukturen gewachsen sind (Bertels 1997). Diese Bildung von Patchworks impliziert auch eine differenzierte (und differenzierende) Entwicklung des suburbanen Raumes: Während in der Moderne die Suburbanisierung in demokratisch-marktwirtschaftlichen Gesellschaften als nahezu unbegrenzbar galt und Äder andauernde Prozess der Randwanderung boomender Unternehmen und wohlhabender Bürger [...] in den ökonomisch zurückgebliebenen Kernstädten zu Problemen [führte]³ (Roost 2000: 27), lässt sich in der Postmoderne selektiv ein Attraktivi132
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Gleichzeitig mit dem Prozess der Suburbanisierung waren die Land- und Forstwirtschaft hinsichtlich ihrer Beschäftigungs- und Wirtschaftsanteile im nationalen Durchschnitt nahezu bedeutungslos geworden. Harlander/Jessen (2001: 197) konstatieren für die Region Stuttgart: ÄDas Umland ergänzt nicht mehr den Kern, sondern der Kern droht immer mehr zu einer auf wenige Dienstleistungen und touristische Attraktionen spezialisierten Ergänzung des Umlandes zu werden³.
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tätsverlust bestimmter suburbaner Teilräume feststellen. Insbesondere das filtering-down (vgl. Krätke 1995), die ökonomische und kulturelle Abwertung von Vororten aus frühen Bauphasen134, die Entstandardisierung von Lebensläufen und damit auch des Wohnzyklus, der demographische Wandel lassen teilweise die Intensität der Suburbanisierung zurückgehen (vgl. Kilper/Müller 2005). Damit entstehen aus dem ehemals sozial und städtebaulich einheitlichen Suburbium Cluster jeweils ähnlicher Entwicklungen. Kunzmann (2001: 216) identifiziert acht ÄInseln im Archipel der Stadtregion³ (Kunzmann 2001, vom Autor ergänzt): 1. Aeroville± ist im Umfeld international bedeutsamer Flughäfen lokalisiert und ist durch die Niederlassungen international agierender Logistikunternehmen, Hotels, Büros, Forschungs- und Schulungszentren sowie von einem breiten Spektrum von Dienstleistungsunternehmen, die von den flughafenbezogenen Dienstleistungsbetrieben benötigt werden (Caterer, Reinigungsdienste u. a.), geprägt. 2. Knowledge City ± eine, durch Verlagerung oder Erweiterung, im suburbanen Raum entstandene Universität (als Äglobal agierende Wissensindustrie³; Kunzmann 2001: 216) mit angeschlossenen Technologie- und Wissenschaftsparks, Aninstituten, technologieorientierten Gewerbeparks, schließlich auch Hotels und Freizeitanlagen, die mit der Kernstadt über Schnellbahn bzw. Autobahnzubringer verbunden ist. 3. Weltmarkthallen ± entstanden an den ÄSchnittpunkten der internationalen Verkehrskorridore am Rande der Stadtregionen³ (Kunzmann 2001: 217), sichern das physische Überleben der Bevölkerung der Stadtregion. 4. Funurbia ± die räumliche Verdichtung von Freizeitaktivitäten: Reiterhöfe, Thermalbäder, Fußballstadien, Beachvolleyballplätze, Tennisplätze sind hier ebenso lokalisiert wie Ädie post-modernen Kunstwelten, welche die Flucht aus dem zeitgedrängten Alltag ermöglichen sollen³ (Kunzmann 2001: 218; vgl auch Hennings/Müller 1998). 5. www.suburbia ± die attraktiveren Vorstädte vorwiegend der einkommensstärkeren Familien mit Kindern, in denen Wohnen mit Arbeiten verbunden wird, wobei die Nähe zur Stadt zur Pflege der face-to-face-Kontakte ebenso entscheidend ist , wie die Verbindungen zum nahe gelegenen internationalen Flughafen. 6. Arcadia ± an den Rändern der Stadtregion gelegen, werden hier primär Erholungsfunktionen in reizvoller Landschaft nachgefragt. Ein Raum, der einem langsamen Gentrifizierungsprozess unterworfen ist. 7. Kap der chinesischen Hoffnung ± ein Sammelbegriff für die nicht gentrifizierten Resträume, sowohl in dicht bebauten Stadtgebieten als auch im Suburbium (insbesondere die Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus), Räume deren ökonomische und soziale Struktur negativ vom Durchschnitt abweicht. 8. Vorstadtvollzugsidyllen ± Standorte für Justizvollzugsanstalten, forensische Kliniken oder psychiatrische Heime, die zur funktionalen Ausstattung der Stadtregion gehören, deren Bau aber in dicht bebauten Stadtquartieren nicht mehr durchsetzbar ist. Sie werden bevorzugt in strukturschwachen Umlandgemeinden errichtet, auch um Entwicklungsdefizite auszugleichen, insbesondere aber, da hier zum einen wenig bürgerschaftli134
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Eine zusammenfassende Darstellung hinsichtlich der Zusammenhänge von Bodenpreisen und Standortwahl findet sich bei Aring (2005).
cher Widerstand zu erwarten ist und zum anderen die Grundstückspreise großflächige Anlagen zur Sicherung und auch zur optischen Kaschierung (durch Hecken, Bäume etc.) zulassen. Wird die klassische ökonomische Definition der Stadt von Max Weber (2000: 7), Äwir wollen von ÃStadt¶ im ökonomischen erst da sprechen, wo die ortsansässige Bevölkerung einen wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs aus dem örtlichen Markt befriedigt, und die Bevölkerung des nächsten Umlandes für den Absatz auf dem Markt erzeugt oder sonst erworben hat³, betrachtet, stechen drei Merkmale der Stadt-(Um-)Landbeziehungen hervor: erstens, die Kennzeichnung der Stadt durch den Markt; zweitens, der Bezug des Alltags der Stadtbewohner auf den Markt; drittens, die Zentrierung auf das lokale Austauschgeschehen zwischen Stadt und (nächstem) Umland. Bezieht man diese drei Aspekte auf die regionale Entwicklung in der Postmoderne, ist ein weitgehendes Verschwinden des Stadt-Umland-Gegensatzes festzustellen: Erstens, Märkte werden (durch ihre Virtualisierung, siehe Abschnitt 4.2.4.1) nahezu omnipräsent (sowohl zeitlich als auch räumlich); zweitens, durch den (hier insbesondere ökonomischen) Bedeutungsverlust des primären Wirtschaftssektors und der überwiegenden Berufstätigkeit der ländlichen Bevölkerung im sekundären und tertiären Wirtschaftssektor bezieht sich auch die Versorgung der Bevölkerung der ländlichen Gebiete auf den Markt; drittens, durch die Globalisierung der Märkte spielt die Versorgung der Stadt mit Primärgütern aus dem Umland eine nur nachgeordnete Rolle. Das Umland hat sich (nicht nur) ökonomisch der Stadt angeglichen, die Grenzen zwischen städtischem und ländlichem Raum Äverschmelzen in ihrer strukturellen Abhängigkeit zu einem globalen Patchwork von Multifunktionsflächen³ (Feustel 2002: 71). In der Postmoderne entwickelt sich ein polyvalentes Raumpastiche, als räumlicher Ausdruck der postmodernen Gesellschaft, in dem sich Kräfte eines Äflexiblen Kapitalismus³ (Dear 2000) in Form collagenartig unzusammenhängender Teilraumstrukturen artikulieren (Dear 2000). In diesem Prozess differenziert sich sowohl der städtische Raum als auch der ländliche Raum weiter aus (vgl. Krämer-Badoni 2004): Im gesamten folk-urban-continuum135 findet sich eine Entwicklung der Urbanisierung und Verstädterung (vgl. Blotevogel 1992) 136, in anderen Worten: ÄUrbane Kultur ist nicht mehr an Orte gebunden und sie wird auch nicht mehr von besonderen Orten erzeugt³ (Häußermann/Siebel, 1997a: 305; vgl. auch Remy 1998), die urbane, also die Äverfeinerte, intellektualisierte und distanzierte Art des Verhaltens, die Trennung von öffentlichem und privatem Leben, von Arbeit und Freizeit³ (Siebel 2004: 25) ist ubiquitär geworden, die ÄGesellschaft wurde insgesamt Ãurbanisiert¶³ (Häußermann/Siebel 1994: 383, vgl. auch Kaelble 2001), ± und mit dieser Äzentralen Rolle der städtischen Lebensweise³ (Mingione 2004: 321) haben sich auch die Risiken sozialer Ausgrenzung in die ehemals ländlichen Räume ausgedehnt (vgl. Mingione 2004). Mit einer nahezu vollständigen Urbanisierung der Gesellschaft als globaler Prozess geht ± so Lefèbvre (1972) ± die Repräsentierung des Raumes als soziales Produkt einher, das wiederum aus der Dichotomisierung 135
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In ähnlicher Weise äußert sich auch Gerling (1965) indem er dafür plädiert, die Erdoberfläche als Ganzes, als Kontinuum zu betrachten. Die Vielschichtigkeit dieses Prozesses lässt sich auch durch die Vielzahl an Begriffen hierzu dokumentieren: Suburbanisierung des zweiten bzw. des dritten Ringes, Wanderdüne, Periurbanisierung, Exurbanisierung, posturbane Siedlungsentwicklung, Des-, Dis- und Counterurbanisierung (vgl. Tönnies 2002).
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in ein spekulatives Expertenwissen und ein alltägliches, lebensweltliches Raumwissen resultiert. Die Raumrepräsentation wird also als ÄArtikulationen eines Bruches zwischen der wahrgenommenen Raumwirklichkeit und der institutionell erzeugten Repräsentation entkonzipiert³ (Noller 1999: 114), ein Prozess also, der die Relationen von Lokalität und Globalität, von Heimat und Fremde, von Anwesendem und Abwesendem, Nähe und Ferne, Landschaften, von Vorderseitigem und Rückseitigem neu artikuliert und sozialisiert. Der Urbanisierungsschock ist dabei insbesondere in jenen ehemaligen Dörfern am größten, die durch den (Sub-)Urbanisierungsprozess überformt wurden: Häufig innerhalb einer Generation griff ein neuer Lebensstil auf diese Siedlungen über: ÄMan liebt das Ambiente des Dorfes und einen Freizeitstil, der raumgreifend ist³ (Ipsen 2003: 206), ehemalige Bauernhäuser werden dem Lebensstil entsprechend umgestaltet, dennoch wird die Äsymbolische Distanz zur Stadt durch eine hohe kommunikative Verflechtung mit ihr ergänzt³ (Ipsen 2003: 206) 137. Besonders deutlich in Mitteleuropa wird die Entwicklung eines vielfach differenzierten Landschaftspastiches am Beispiel des von disparitären Entwicklungen und starken Modernisierungsgefällen geprägten Verflechtungsprozess Brandenburgs mit der Metropole Berlin (Matthiesen 2002: 13): ÄZum Teil auf engstem Raum prallen hier Gewinner- und Verlierergemeinden aufeinander, boomende Ortsteile liegen ÃWange an Wange¶ mit peripherisierten Räumen, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen: Naturschönheiten wetteifern mit Brachflächen und ehemaligen Rieselfeldern, Reste der DDR-Moderne rahmen die neuen HighTech-Kathedralen im märkischen Sand, überdimensionierte Einzelhandelsflächen legen sich wie ein Kragen an den ÃBerliner Ring¶, ruppige Biotope kontextuieren die Siedlungsräume der Neuen Gentry³. Für Prigge (1998) sind die innere Fragmentierung der Städte, die Individualisierung der Lebensstile sowie die Mediatisierung und Suburbanisierung die Elemente der Auflösung der Städte138. Das vielfach postulierte Verschwinden der Städte ist somit nicht als ein physisches 137
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Die Entwicklung von Städten und von bzw. zu Agglomerationen weist eine Phasenhaftigkeit auf (MATTHIESEN/NUISSL 2002, durch den Autor verändert): 1. Urbanisierung: die Stadt wächst aufgrund der Zuwanderung der Bevölkerungsreserven des Umlandes, sie ist von diesem klar physisch, ökonomisch, sozial und kulturell getrennt (gemäß der Methapher Ädie Stadt als Ei³ von Price, die Phase des gekochten Eis), Suburbanisierung: das Umland der Städte wächst, insbesondere als Folge einer die Entwicklung einschränkenden inneren Verdichtung sozialer, ökonomischer und kultureller Art (Phase des Spiegeleis), 2. Ex- bzw. Desurbanisierung: aufgrund von kumulierenden Agglomerationsnachteilen wächst das Hinterland auf Kosten des Ballungsraumes (Phase des Rühreis), 3. Re-Urbanisierung: mit der Revitalisierung der Innenstädte ± in Verbindung mit der Integration des Suburbiums ± setzt eine Maßstabsvergrößerung zum nächsten Zyklus ein (Phase des Omeletts). Dieses Phasenmodell weist ± so MATTHIESEN/NUISSL (2002: 38) ± zwar einen Äweitgehend pfad- und kontextfreie[n] Zyklendeterminismus³ auf, der insbesondere die Entwicklung altindustrieller Räume und sich transformierende postsozialistische Räume nicht angemessen repräsentiert, doch stellt es eine die Prinzipien moderner Stadt- und Agglomerationsentwicklung abstrahierende Idealtypisierung dar, postmoderne Tendenzen und Abweichungen von dem Phasenmodell zu spiegeln: So erscheinen gegenwärtig neben der Entwicklung der Re-Urbanisierung auch eine Fortsetzung der Des-Urbanisierung ebenso denkbar wie die Entwicklung einer nachhaltigen Stadtlandschaft (BOSE 2001, vgl. GANS 2005). Darüber hinaus lässt sich für Abwertung urbaner Lebensstile eine Parallele zu der von Bourdieu (1988) dargestellten Abwertung von Bildungstiteln feststellen: Sowohl für urbane Lebensstile als auch für Bildungstitel gilt, je mehr Menschen darüber verfügen, desto weniger eignen sie sich zur Dokumentation der Äfeinen Unterschiede³.
Verschwinden zu verstehen, sondern gemeint ist vielmehr ein Ägesellschaftlicher Strukturwandel, der langfristig sie stadträumlich, sozial und funktional so verändern wird, dass unser Begriff von Stadt- ein im Grunde alteuropäischer Begriff ± für die Bezeichnung dieser Konfigurationen unangemessen sein wird³ (Krämer-Badoni 1997a: 5). Das moderne ± auf die Trennung von Stadt und Land(schaft) ausgelegte ± Raumverständnis hat ± so Ipsen (2002a: 89) ± auch eine ökologische Dimension: ÄSolange Landschaft nur auf dem Lande stattfindet, verstrickt sich die Debatte um die Kausalität von Landschaft und Nachhaltigkeit in einem dualen Denkmuster. Auf der einen Seite ist die Stadt und der verstädterte Raum, in dem Ressourcen verbraucht und die Selbstreinigungskräfte der Natur überschritten werden, um die Freiheit des persönlichen Lebens zu erhalten. Auf der anderen Seite ist die Landschaft draußen, die als Reservat diesen Schaden psychisch und physisch kompensieren soll³. Mit dem (modernen) dichotomen Denken eines dualistischen Stadt-Land- bzw. Stadt-Landschaftsgegensatzes verbunden entsteht auch die despektierliche Bewertung des Suburbiums (Sieverts 2001: 66): ÄStatt abschätzig von Zersiedelung zu sprechen, könnte man eine engmaschige Durchdringung von Freiraum und Siedlung sehen und den Freiraum der Stadtlandschaft als das Verbindende erkennen, mit neuen Gestaltungsperspektiven.³ Zusammenfassend lässt sich eine Auflösung des dichotomen Stadt-Landgegensatzes der Vormoderne und teilweise auch der Moderne feststellen. Dies bedeutet nicht nur, dass sich der nicht-städtische Raum an den städtischen angleicht, dies bedeutet auch, dass die Stadt ± trotz physisch-landschaftlicher Persistenzen ± gesellschaftlich Äein Ort wie jeder andere werden [wird]³ (Bahrenberg 2003: 230). Wobei auch sowohl innerhalb als auch außerhalb des städtischen Agglomerationsraumes Landschaft durch gesellschaftlich überflüssige Elemente perforiert wird, die teilweise in unmittelbarer physischräumlicher Nähe zu Raumelementen ökonomischer Entwicklung (z.B. als Standort von Hochtechnologieunternehmen) lokalisiert sind. Physischer Raum wird also zu einem Patchwork139, einem Pastiche unterschiedlicher ± sich teilweise überlagernder ± Nutzungen. 4.2.1.3.2 Die Folgen der Entgrenzung für (ehemals) ländliche Räume Mit dem hohen Grad der Verstädterung und (Sub-)Urbanisierung fand eine sukzessive ökonomische Marginalisierung ländlicher Räume (und von Klein- und Landstädten; vgl. Hannemann 2002) und ± damit verbunden ± ein relativer wie absoluter Bedeutungsverlust ländlicher und kleinstädtischer Lebensstile statt: Dem ländlichen Raum und seinen Kleinstädten wird die ökonomische Grundlage zur eigenständigen sozialen und kulturellen Entwicklung entzogen (vgl. Henkel 1996, Zarth 2000, Byrne 2001, Hannemann 2002, Winkel 2003). Neben technischem Fortschritt (im eigenen, aber auch im sekundären und tertiären Wirtschaftssektor) kann die verstärkt international arbeitsteilige, globalisierte Wirtschaft als Ursache für den massiven ökonomischen Bedeutungsverlust des primären Wirtschaftssektors identifiziert werden. Auf139
Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Entwicklung eines Patchworkraumes findet sich bei Nuissl/Arndt/Jäger (2002) hinsichtlich der Ansiedlung des Unternehmens ÄEngines³ in Otterstedt (bei Berlin) wieder, wobei das ĶGespann Otterstedt-Engines¶ [...] einen aufgrund seiner weitgehenden ÃKontextlosigkeit¶ problematischen Typus suburbaner Modernisierung, der an den Rändern der Hauptstadt allerdings Ãgünstige¶ Rahmenbedingungen vorfindet³ (Nuissl/Arndt/Jäger 2002: 289-290) repräsentiert ± ein (re-)embedding des global players in den lokalen Kontext bislang nicht bzw. nur in Ansätzen gelungen ist.
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grund topographischer, rechtlicher und/oder ökonomischer Gegebenheiten können andere Volkswirtschaften ± im Vergleich zur deutschen ± kostengünstiger produzieren: Damit wird der primäre Wirtschaftssektor in Deutschland (wie auch in vielen anderen europäischen Staaten) ± soll er in seiner Funktion aufrecht erhalten werden, was eine gesamtgesellschaftliche Frage ist ± von staatlichen (bzw. überstaatlichen) monetären, aber auch non-monetären Transferleistungen abhängig. Der geringen ökonomischen und beschäftigungsspezifischen Bedeutung der Land- und Forstwirtschaft, man kann ± in Anlehnung an Scholz (2003)140± von Äökonomisch überflüssiger Landschaft³ sprechen, stehen hingegen ein erheblicher Raumanteil (im Saarland werden 45 % der Landesfläche land- und 33 % forstwirtschaftlich genutzt), eine erhebliche soziale (Erholung), kulturelle (Dorfkultur, Waldkultur) sowie eine herausragende ökologische Bedeutung (Frischluft, Trinkwasser) gegenüber. In peripheren ländlichen Räumen, jenen also, die sich am folk-Ende des folk-urbancontinuums befinden, lassen sich Migrationsverluste, insbesondere jüngerer Bevölkerungsteile feststellen141, was mit einer weiteren Passivisierung des ländlichen Raumes verbunden ist (Schwedt 1984). Das Modell der Zentralen Orte wurde in den 1930er Jahren zu einer Zeit entwickelt, als Orte ohne Zentralität noch erhebliche Selbstversorgungsfunktionen aufwiesen, die gegenwärtig nur noch in Ausnahmefällen zu finden sind. Die Konzentration von zentralörtlichen Einrichtungen auf wenige Orte im ländlichen Raum bei gleichzeitiger Verweigerung solcher Einrichtungen für Orte ohne Zentralitätszuschreibung führt bei diesen (mit Ausnahme der Wohnfunktion) zu einer völligen Entfunktionalisierung ± und lässt bei der Verteuerung von Kraftstoffpreisen, der Kürzung bzw. Abschaffung von Pendlerpauschale und Eigenheimzulage142 im Zuge des demographischen Wandels eine Entvölkerung weiter Teile ländlicher Räume befürchten. Die Entfunktionalisierung des ländlichen Raumes ist begleitet von der Übernahme der Symbolik der städtischen Moderne: Bürgersteige, Peitschenlampen, Vorstadtgärten, Begradigungen und Verrohrungen der Bäche, städtische Architekturmerkmale der Neu- und Umbauten, große Schläge in der rationalisierten und zumeist für einen anonymen, globalen Markt produzierenden Landwirtschaft 143, aus den ländlichen Siedlungen gedrängte Aussiedlerhöfe, die aussehen Äwie Fabrikhalle plus Einfamilienhaus³ (Ipsen 2000b: 142) prägen das verstädterte Bild des ländlichen Raumes. In dem Maße wie die Repräsentanten des Ländlichen, die Landwirte, aus den ländlichen Siedlungen verdrängt wurden, hielten mit städtischen Lebensstilen die oben genannten physische Repräsentationen Einzug in den ländlichen Raum. In der Moderne vollzieht sich mit dem fordistischen Prinzip von Normierung und funktionalistischer 140
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Scholz (2003) spricht von im Zuge der Globalisierung ökonomisch Äüberflüssigen³ Personen, die in der globalisierten Wirtschaft ihre Arbeitskraft nicht mehr zu der Leistung ihres Lebensunterhaltes einbringen können. Die stärkere Differenzierung von Räumen hat zu einer Vielzahl von neuen terminologischen Gliederungen geführt (z.B. bei Bade 1997, BBR 1998, ARL 1993, HARA 1995), die teilweise dezidiert soziale und ökonomische Variablen einbeziehen. Eine Abschätzung der Rationalitäten bei dem Bau von Wohnhäusern zwischen Bodenpreisen, Energiepreisen und Zinsen findet sich bei Aring (2005: 34). Dabei fordert er, Planung nicht als Gegensatz zum Markt zu verstehen, sondern vielmehr ÄStadtplanung und Stadtentwicklung als aktive Gestaltung unter Marktbedingungen zu verstehen³. Muhar (2002) stellt selbst für landwirtschaftliche Bio-Produkte eine rasch zunehmende Globalisierung des Marktes fest.
Rationalität eine ÄPeripherisierung der symbolischen Repräsentanz des Raumes³ (Ipsen 2000a: 142), die sich auf Grundlage der Stigmatisierung Äder Rückständigkeit des ländlichen Raumes³ (Henkel 1996) in der Auflösung seiner Gestaltungsprinzipien äußert144. Selbst die aktuellen Ansätze zur Stärkung des ländlichen Raumes (Dorferneuerung 145), lassen sich ± da nicht autochthon ± somit als kulturelle Normierung städtischer Vorstellungen interpretieren: der Entwicklung ländlicher Arkadien, einem Bild des ländlichen Raumes, der ± so Haber (2000) ± im krassen Widerspruch zu der Selbstverständlichkeit der städtischen Entwicklung steht, die sich selbst, nicht aber der Urproduktion, eine rationelle Produktion zubillige. Die Bedrohung zu ökonomisch Äüberflüssiger Landschaft³ zu werden, trifft in besonderer Weise strukturschwache periphere ländliche Räume. Räume in günstiger Lage zu Verdichtungsräumen, Zentren und anderen überregionalen Verkehrsachsen weisen ebenso Möglichkeiten zu einer endogenen Entwicklung auf, wie Räume, die eine hohe Attraktivität für den Fremdenverkehr feststellen lassen. Inwiefern günstige agrarstrukturelle Bedingungen in der Lage sind, eine dauerhafte Prosperität zu garantieren, hängt einerseits von der Entwicklung des Weltmarktes für agrarische Produkte ab, andererseits auch von der Subventionierungspraxis der öffentlichen Hand ± und damit verbunden ± den Auflagen für die Landwirtschaft hinsichtlich des Schutzes der Umwelt. Für eine Vielzahl peripherer ländlicher Räume lässt sich bei Fortschreibung der gegenwärtigen Trends ± so Henkel (1999: 348-349) ± im Jahre 2010 von folgenden Merkmalen ausgehen: ÄLändliche Regionen sind zur gesellschaftspolitischen machtlosen Verfügungsmasse der Verdichtungsgebiete degeneriert. Durch die fortwährende zentralistische Politik ist der ländliche Raum vor allem politisch und wirtschaftlich geschwächt. Die ländlichen Kommunen werden von den oberen Gebietskörperschaften fremd gesteuert³. Durch eine zentralistische Dorfpolitik seien die ÄDörfer nun fast ohne Infrastruktur und Arbeitsplätze³, ländliche Räume seien zwar durch Äverschiedene Förderungsmaßnahmen optisch Ãdorferneuert¶, d.h. dem jeweiligen Zeitgeist der Zentralen entsprechend modernisiert, sind aber weitgehend zu ÃSchlaf¶-Vororten der Zentralen Orte abgesunken³ (Henkel 1999: 349). 4.2.2 Soziale Gemeinschaft im Raum ± innere Gliederungen der Stadt Landschaft und ihre soziale Reflektion sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Vielzahl von Grenzen146 und Rändern aufweist. Diese Grenzen und Ränder sind bisweilen natürlicher 144
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Die Vereinheitlichung von städtischen und ländlichen Gemeinden ist zwar ein Charakteristikum des 20. Jahrhunderts doch begann sie bereits in der rechtlichen Gleichstellung im 19. Jahrhundert. Eine zusammenfassende Betrachtung der Dorfentwicklung von 1950 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts liefert Henkel (2003). Dabei werden vier Phasen der Leitbilder und Dorfentwicklung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewiesen: Erste Phase 1945/50 bis 1965, geprägt durch Neubausiedlungen am Dorfrand und Aussiedlung landwirtschaftlicher Betriebe. Zweite Phase 1965 bis 1976/77, geprägt durch Dorfsanierungen, Reformen nach dem Zentrale-Orte-Modell und starke Arbeitsplatz- und Infrastrukturverluste. Dritte Phase 1977 bis 1990, geprägt durch die Äerhaltende Dorferneuerung³ und anhaltende Infrastrukturverluste. Vierte Phase 1990 bis heute, geprägt durch die Stärkung endogener Potenziale, wachsendem Selbstbewusstsein der ländlichen Bevölkerung und neue Formen der Infrastrukturausstattung (Bürgerbüros, Bürgerläden, KOMM-IN etc.) Auf die Konstruiertheit von sozialräumlichen Grenzen weist schon Simmel (2001b: 467) hin: ÄNicht die Länder, nicht die Grundstücke, nicht der Stadtbezirk und der Landbezirk begrenzen einander; sondern die
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Art (insbesondere in der Skala der Meso- und Makroorographie), in der Regel sind sie jedoch sozialen Ursprungs147. Die Ausprägung von Grenzen und Rändern haben für unterschiedliche soziale Gruppen, Milieus und Schichten eine unterschiedliche Bedeutung und sind für sie von unterschiedlicher Relevanz. Für Vermögende und Besitzende hat der Raum in der Postmoderne seine einschränkende Qualität weitgehend verloren, er ist auf Ärealen³ und Ävirtuellen³ Wegen leicht zu durchqueren, während er sich für die ÄÜberflüssigen³ immer stärker verschließt (Beck 1997). Mit der Entwicklung neuer Lebensstile, der wachsenden Vielfalt von Erwerbsverlaufsmustern und Lebenslaufmustern (Ferchhoff/Neubauer 1997), ist auch die (partielle) Auflösung typischer Wohnungsveränderungssequenzen (ÄWohnzyklus³ nach Matthes 1978) einhergegangen (vgl. Posener 1966). Mit der Postmodernisierung verstärkt sich die Entstandardisierung der Wohnbedürfnisse: Die Wohnbedürfnisse variieren in Abhängigkeit von individualisierten Lebensplanungen und ±zwängen (z.B. aufgrund eines häufigen beruflich bedingten Wohnortwechsels; vgl. Häußermann/Siebel 1997a, Läpple/Walter 2000). Verbunden ist eine solche Wohnortmobilität mit dem Verlust traditioneller nachbarschaftlicher Bindungen148, der teilweise durch das Eingehen (instabilerer) und zeitlich begrenzter sozialer Bindungen ersetzt wird (vgl. Bertels 1990). Die Folge der Entstandardisierung von raumzeitlicher Wohnungsvariabilität ist hinsichtlich administrativer Raumordnungskategorien eine verringerte Planbarkeit, die aber auch im gewerblichen Wohnungsbau zu finden ist149. In der Postmoderne findet eine Differenzierung des privaten Raumes in einen teilprivaten Raum (z.B. gated communities) statt150. Damit verbunden ist auch eine Zurückdrängung des öffentlichen Raumes durch den teilprivaten: Statt öffentliche Einkaufsstraßen finden sich nun teilprivate shopping malls, andererseits greift auch der (teil)öffentliche Raum in den privaten Raum (z.B. durch Telearbeit) über. Auch das private Kraftfahrzeug trägt zur Differenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit bei: Es eröffnet die Möglichkeit ein Stück privaten Raumes durch den öffentlichen Raum zu bewegen.
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Einwohner oder Eigentümer üben die gegenseitige Wirkung aus [...]. Von der Sphäre zweier Persönlichkeiten oder Persönlichkeitskomplexe gewinnt jede eine innere Geschlossenheit für sich, ein Aufeinanderhinweisen ihrer Elemente, eine dynamische Beziehung zu ihrem Zentrum; und eben dadurch stellt sich zwischen beiden das her, was sich in der Raumgrenze symbolisiert, die Ergänzung des positiven Macht- und Rechtmaßes der eigenen Sphäre durch das Bewusstsein, dass sich Macht und Recht eben in die andre Sphäre nicht hinein erstrecken³. Über die soziale Bedeutung von Grenzen verdeutlicht Simmel (2001a: 467): ÄDie Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt. Das idealistische Prinzip, dass der Raum unsere Vorstellung ist, genauer: dass er durch unsere synthetische Tätigkeit, durch die wir das Empfindungsmaterial formen, zustande kommt ± spezialisiert sich hier so, dass die Raumgestaltung, die wir Grenze nennen, eine soziologische Funktion ist. Ist sie freilich erst zu einem räumlich-sinnlichen Gebilde geworden, das wir unabhängig von seinem soziologisch-praktischen Sinne in die Natur einzeichnen, so übt dies starke Rückwirkung auf das Bewusstsein von dem Verhältnis der Parteien³. Unter Nachbarschaft sei ± gemäß Hamm (2000: 174) ± eine soziale Gruppe verstanden, Ädie primär wegen der Gemeinsamkeit des Wohnortes interagiert³. Hierbei handelt es sich um Elemente von Entwicklungen, die Giddens (1993: 476-485) mit Formulierungen wie ÄEntleerung der Tradition³ bzw. Äpost-traditionale Gesellschaft³ beschreibt, wobei Traditionen auf überkommene Gewohnheiten bzw. standardisierte Relikte reduziert sind. Zur Machtausübung und symbolischen Raumbezogenheit der Differenzierungsprozesse der Moderne (hier insbesondere der Industriellen Revolution) siehe Jüngst (1988).
Auch die nachbarschaftlichen Beziehungen differenzieren sich weiter: In der Vormoderne waren sie noch durch gemeinsame Lebenswelten (und ökonomische Abhängigkeiten) geprägt, die sich bis hin zur sozialen Kontrolle gestalteten, was sich ± durch die sozialen Normen wie und wo Gebäude zu errichten, auf welche Art Felder und Wiesen anzulegen waren etc. ± in einer gleichförmigen angeeigneten physischen Landschaft niederschlug. In der Moderne wurden diese Normen rechtlich durch Nachbarschafts- und Baurecht kodifiziert und durch Bauverwaltungen professionalisiert, was mit einem Bedeutungsverlust nachbarschaftlicher Bindungen ± im Gefolge von Intellektualität, Blasiertheit und Reserviertheit des Simmelschen Großstädters ± (nicht allein in den Großstädten, sondern insbesondere auch im Suburbium, aber auch im ländlichen Raum) rückgekoppelt war (vgl. Häußermann/Siebel 2004). Gegenwärtig lassen sich Entwicklungen nachweisen, die auf einen selektiven Bedeutungsgewinn von Nachbarschaft hindeuten: Mit dem Bemühen um Verwaltungsvereinfachungen werden viele Bauordnungen liberalisiert 151. Darüber hinaus ist ± gerade in Großstädten ± ein Bedeutungsgewinn gemeinschaftlichen Handelns festzustellen: Stadtteilfeste, organisierte Nachbarschaftshilfen (z.B. in der Alten- und Kinderbetreuung), Bürgerinitiativen haben sich in den vergangenen Jahren entwickelt, die zu einen selektiven Bedeutungsverlust von Blasiertheit und Reserviertheit geführt haben, was sich aus postmoderner Perspektive als eine begrenzte reflexive de-differenzierende ÄWiederverzauberung³ des städtischen Lebens oder aber das Eindringen eines (ehemals) ländlichen Lebensstils152 in den städtischen Raum, als reflexive selektive Verdörflichung, die soziale, nicht-nachbarschaftliche, d.h. Äentlokalisierte Netze³ (Häußermann/Siebel 2004: 115; vgl. auch Bertels 1997, Hamm 2000) ergänzen153. Mit der Differenzierung der Lebensstile hat sich auch der Charakter des privaten Heims gewandelt: Die Ideologisierung des Heims als Äverbarrikadierte Fluchtburg³, die Ersatzheimat für die Familie (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 140-141) hat ihre (inszenierte) Bedeutung als ÄHort der Emotionalität und Intimität³ (Häußermann/Siebel 2004: 72) auch auf NichtFamilien ausgedehnt (vgl. hierzu Dear 2000), auch wenn Telekommunikationstechnologien, wechselnde Partnerschaften, Wohngemeinschaften etc. neue Formen der Privatheit haben entstehen lassen, der Kern der Privatsphäre gewinnt noch immer an Bedeutung (Habermas 1990, vgl. auch Schroer 2003: 84, Hradil 1995). Lässt sich ± im Sinne Goffmans (2002) ± idealtypisch der öffentliche Raum der Vorderbühne, der private Raum der Hinterbühne zuordnen, dringen Elemente der Inszenierung der Vorderbühne in den Bereich der Hinterbühne ein. Damit wird (insbesondere angeeignete physische) Landschaft, die häufig Kulisse für Inszenierungen auf der Vorderbühne war und ist, auch dimensionsverkleinert im privaten Raum (z.B. als ÄWohnlandschaft³ oder als ÄGartenlandschaft³) übertragen. Landschaft wird zur omniprä151
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An die Stelle eines formalen Genehmigungsverfahrens tritt vielfach ein nachbarschaftliches Einvernehmen, so dass ein reziproker toleranter Umgang miteinander dem Eigennutz dienlicher ist als formaljuristische Konfrontation. Eine ähnliche Entwicklung beschreibt Gans bereits 1962 in dem primären Wohnviertel des Bostoner Westends, in dem insbesondere Italo-Amerikaner einen nahezu dörflichen Lebensstil der intensiven nachbarschaftlichen Vernetzung pflegten. In ihrem Buch ÄCollage City³ entwickeln Colin Rowe und Fred Koetter (1984) anhand des Vergleiches von vormoderner und moderner Stadt eine neue Form von öffentlichem Raum: Während die vormoderne Stadt ein ÄFuchsbau³ gewesen sei, entwickele sich die moderne Stadt zu einer Kolonie von ÄIgeln³. In der Postmoderne müsse die Stadt eine Collage von Stadt der ÄFüchse³ und der ÄIgel³ werden (vgl. Fingerhuth 1997).
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senten Kulisse, vor der das ÄTheater des Lebens spielt³ (Goffman 2002): Im öffentlichen Raum (z.B. in der Äschicken Adresse³) wie auch im privaten Raum und deren Differenzierungsformen. Mit einer stärkeren gesellschaftlichen Fragmentierung nehmen auch die Ab- und Ausgrenzungserscheinungen, auch im Sinne einer weiteren Ausdifferenzierung von privatem und öffentlichem Raum, zu. Einzelne Teilräume der Stadtlandschaft sind nur bestimmten Gruppen zugänglich, diese exklusiv-teilöffentlichen Räume (von Bürokomplexen bis hin zu gated communities) werden z. T. durch Sicherheitsanlagen, durch private Sicherheitsdienste (in den USA bis hin zur Waffengewalt) vor dem Aufenthalt von Nicht-Befugten (in der Regel von Armen) geschützt (Siebel 2002) ± eine Grenzbildung, die durch ÄIdentitätssorge, Selbstdarstellungsimpulse und Repräsentationskommunikation³ (Drepper 2003: 119) angetrieben ist. Die Grenzbildung in der Stadt (aber auch im Suburbium, wenn auch hier weniger deutlich) lässt sich ± so Marcuse (1998b) ± in einschließende Grenzen, die prison-walls, in ausschließende Grenzen, die barricades, in jene, die Privilegierte schützen (stucco walls; Abbildung 5) und in imperialistische Grenzen, die walls of agression, untergliedern. Diesem ± stark auf den nordamerikanischen Raum bezogenen ± Konzept setzt Ipsen (2003) ein solches der Unterscheidung von Grenzen und Rändern entgegen, das sich stärker an der europäischen Stadtentwicklung orientiert: ÄDas schnelle Stadtwachstum ließ im Europa des 19. Jahrhunderts nicht genügend Zeit, um klare Grenzen aufzubauen und kulturell wie räumlich zu stabilisieren³ (Ipsen 2003: 199). Grenzen und Ränder lassen sich wie folgt voneinander unterscheiden (Ipsen 2003): 1. Grenzen sind symbolisch und/oder materiell eindeutig, während Ränder mehrdeutig bleiben, 2. Grenzen trennen klare sozialräumliche Einheiten, während Ränder Einheiten verbinden, indem sie ausgewählte Teile in sich aufnehmen, womit Ränder zu simultanen Räumen werden, 3. Grenzen sind eher Linien, während Ränder flächig, saumartig oder bandartig ausgeprägt sein können, 4. Ränder sind wenig reguliert, wähAbbildung 5: Die Verbarrikadierung (im Sinne barricades insbesondere jener der stucco walls nach Marcuse rend Grenzen kulturell, sozial oder 1998b) des privaten Raumes hinter teilweise hohen Hemateriell einen hohen Reguliecken im suburbanen Raum (hier in Kirkel/Saarland). rungsgrad aufweisen. Auch wenn eine Differenzierung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit stattfindet, die Öffentlichkeit in die PrivatWerden diese Kriterien der Unterheit eindringt und umgekehrt, so soll dieses Eindringen scheidung von Grenzen und Rändern vor doch kontrollierbar bleiben (Foto: Kühne). dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen von Moderne und Postmoderne reflektiert, so ist eine deutliche Affinität der Moderne zu Grenzen, eine der Postmoderne zu Rändern zu konstatieren: Ränder gebären Un98
ordnung, sie verdünnen Regelungsdichten, sie bewirken beim ÄBeobachter die Leichtigkeit, das Heitere, aber auch wieder die Melancholie³ (Ipsen 2003: 213). 4.2.3 Kulturalisierung und Ästhetisierung des Räumlichen Aufgrund ihrer hohen kulturellen Bedeutung (Münch 2000) fokussiert sich in Zentren der Urbanität (diese müssen nicht auf Städte beschränkt sein, sondern können auch virtuell erzeugt sein) kulturelle Komplexität. Sie ist so Ipsen (2004: 262) ÄProblem und Ressource städtischen Lebens zugleich. Probleme wirft die kulturelle Komplexität auf, wenn sie nicht mit kommunikativer Kompetenz verbunden ist. Und eine Ressource ist sie, wenn sich die verschiedenen Deutungen und ihre Artefakte vermitteln und neue hybride Formen bilden³, also ± in postmoderner Terminologie ± kulturelle Polyvalenzen entstehen (vgl. hierzu auch Ipsen 2002b). Die Kulturalisierung von Räumen, insbesondere von Städten, schafft ± respektive verstärkt, so Featherstone (1991) ± kulturelles Selbstbewusstsein, ein Charakteristikum der Postmoderne. Eine solche Kulturalisierung mit verbundener Imagewerbung lässt sich ± im Abschluss an die Theorie des Profanen und des Heiligen von Durkheim (1984) als Sakralisierung ± in diesem Falle als postmoderne Sakralisierung von Räumen ± bezeichnen (vgl. hierzu die Studie von Krüger 1988 und Vester 1993a). Bei dieser Imagebildung von Orten und Räumen in der Postmoderne dominiert die Bedeutung von Zeichen und Symbolen gegenüber der Produktion von Gütern (Lash/Urry 1994: 15): ÄThese signs are primarily of two types. Either they have a primarily cognitive content [«]. Or they have an aesthetic, in the broadcast sense of aesthetic, content and they are primarily postmodern goods³. Die Mehrfachcodierung von Räumen zeigt sich auch als Konsequenz der Ausdifferenzierung der Grenze von Arbeit und Nichtarbeit (z.B. des Tagungs- und Kongresstourismus, bei dem Arbeit und Vergnügen kombiniert werden), der Inszenierung von Geschichte (vgl. Vester 1993b), der Ästhetisierung des Kommerzraumes (z.B. durch die Ausgestaltung von shopping-malls, vgl. Wood 2003) ± in extremster Weise vorexerziert im Las Vegas des späten 20. Jahrhunderts (hierzu z.B. Dear 2000, Venturi/Scott Brown/Izenour 2001), aber auch der Inszenierung von Adressen154. In den shopping malls wird ± so Roost (2000) ± Urbanität (konzentriert) simuliert, hier werden Motive, die von der Unterhaltungs-Äindustrie³ erzeugt wurden, aufgegriffen und in Themenparks (bzw. ±sektionen) inszeniert (vgl. auch Sorkin 1992). ÄSo werden die Stadtregionen zu Landschaften der Simulation, die geprägt sind von der Verbreitung der Hyperrealität in den Alltag³ (Roost 2000: 33). Landschaft wird ± mit ökonomischem Interesse ± inszeniert: landschaftliche Elemente dienen ± wie in der Werbung ±Äaufgrund ihrer inhärenten Symbolik zur Förderung des Verkaufs bestimmter Produkte, sei es der Landschaft selbst oder seien es Gegenstände des alltäglichen Konsums³ (Jüngst/Meder 1984: 61), womit ein neuer Landschaftstyp entsteht, die Äconsumption-orientated landscapes³ (Dear 2000: 159), die auch in entscheidender Weise ÄEinfluss auf die symbolische Aneignung derjenigen Stadträume hat, in denen Erlebniswelten entstehen³ (Wood 2003: 62). Mit der Inszenierung der Konsumtionsräume, 154
Eine Inszenierung organisationeller ÄRaumgestaltung und -domestizierung³ (Drepper 2003: 118) endet nicht bei Höhe und Gestaltung von Gebäuden, sondern auch in deren Adressierung: So wurde für den RWE-Turm in Essen (ÄPower-Tower³) eine Straßenkreuzung ± aus Imagegründen ± zum Platz umbenannt und der ÄPower-Tower³ zum ersten Haus am Platze (Opernplatz 1; Drepper 2003).
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der kulturellen Restrukturierung von urbanen Räumen geht die Konstituierung neuer Übergangszonen einher, den Äliminal spaces³ (Zukin 1991: 28), die in der Moderne und Vormoderne mit Räumen außerhalb des Alltages (die Wildnis, der Wald, das Meer, das Sonntägliche, für den Bauern die Stadt etc.) assoziiert waren (vgl. auch Noller 1999). Kulturalisierung und Ästhetisierung, die Festivalisierung von Stadtpolitik (Häußermann/Siebel 1993), als Ausdruck einer Äästhetischen Reflexivität³ (Lash/Urry 1994: 5) von Städten, Regionen und Staaten sind ± nur in Ausnahmefällen, wie den Äpoetischen Orten³155 (Günter 1998) ± nicht altruistisch, sondern eine Investition in weiche Standortvorteile, die im globalisierten Wettbewerb von Unternehmen, Regionen und insbesondere Städten Marktanteile, oder letztlich ökonomische, politische und sogar soziokulturelle Macht sichern sollten, wobei Kultur nicht nur ein Standortfaktor im Kampf um alles ÄGehobene³ ist (Siebel 1987: 125): ÄGehobene Technologie, gehobene Mittelschicht, gehobener Städtetourismus, sondern mehr und mehr selber unmittelbarer Beitrag zum Bruttosozialprodukt³. Damit gewinnt das symbolische Kapital eines Raumes (sowohl einer Stadt als auch einer Region) an Bedeutung (Heitkamp 1998: 219): ÄEs tritt uns in Form von Zeichen, Bildern, Bedeutung und Vorstellungen entgegen und wir, einmal als beeinflussbar erkannt, Ziel von Image- und Marketingstrategien³. Die Festivalisierung von Stadtpolitik lässt sich ± vergleichbar der Entwicklung von den Erwerb eines Lebensstils ermöglichenden Persönlichkeitsstruktur ± als Suche nach dem Besonderen interpretieren (Siebel 1998) 156. Somit ist ± so Sieverts (2004) ± weniger die Substanzerneuerung der Stadt vordringlich, sondern vielmehr die Äkulturelle Qualifizierung in Gestalt und Programm [...], um in der neuartigen Konkurrenz mithalten zu können: Denn in dieser Konkurrenz werden die ehemals Ãweichen¶ zu primären Standortfaktoren³ (Sieverts 2004: 85). Diese Konkurrenz entbrennt Äum die Jugend, um qualifiziertes Humankapital und um Alterskaufkraft, knappe begehrte Güter alle drei, und zudem noch in der Standortwahl so ungebunden wie noch nie in der Geschichte der Stadt³ (Sieverts 2004: 85). Die Kulturalisierung und Ästhetisierung zum Zweck der Marktwertsteigerung einer Region beschränkt sich nicht auf städtische Landschaften, sondern greift weit darüber hinaus. Auch nichtstädtische Regionen sind darum bemüht, die Ägute Aussicht³ (Vöckler 1998: 278) ± nicht allein touristisch ± zu vermarkten (Vöckler 1998: 278): ÄDie Landschaft erhält Warencharakter³. Dabei steht physische (vermarktete) Landschaft in einem engen positiven Rückkopplungsverhältnis mit ihrer massenmedialen und werbestrategischen Inszenierung. Solche Landschaftsinszenierungen, Ädie als Wahrnehmungsstimuli den Alltag bestimmen, werden verin155
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Als poetische Orte beschreibt Günter (1998: 26) solche Orte, die ± als konkrete Orte ± den Menschen Äunter dem Lichterglanz des Stichwortes Globalisierung³, in dem alles Äaustauschbar erscheint und das konkrete Hier und Jetzt als das Beschränkte diskreditiert wird³ daran erinnern, dass Äer selbst konkret, einzigartig, in seinem Körper und in seiner Welt der Gedanken sein eigenes Zentrum ist³. Damit sind poetische Orte ÄStätten, an denen sich über die Banalität hinaus weitere Dimensionen öffnen³ (Günter 1998: 26), räumliche und (trans)historische Dimensionen also reflexiv synthetisiert werden (können). Koslowski (1987) weist in diesem Zusammenhang auf den ökonomischen Nutzen bei Importgütern hin, der durch die regionale kulturelle Zuschreibung bestimmter Produkteigenschaften entsteht (Äitalienisches Design³, Äfranzösischer Chic³, Äschwäbische Wertarbeit³), die äquivalent im Stadtmarketing zur Anwendung käme. Auch die nationale Stereotypisierung orientiert sich ± im Zuge der globalen, in der Regel auf die kontinentale Dimension beschränkte touristische Raumaneignung ± häufig an Festivalisierungen: So beschränkt sich die unmittelbare (aber auch indirekte) München- und Münchenerfahrung (aber auch Deutschland- und Deutschenerfahrung) von Nichtdeutschen vielfach auf das Münchener Oktoberfest (Agreiter 2000).
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nerlicht und strukturieren als Vorstellungsbilder wiederum die Wahrnehmung von Landschaft³ (Vöckler 1998: 279) 157. Dabei bestimmen die medial (vor-)geprägten Blickweisen die Wahrnehmung der angeeignet-physischen Landschaft, Ädas subjektive Erleben von Landschaft vor Ort findet innerhalb vorgefertigter Erwartungsmuster statt³ (Vöckler 1998: 279), wobei sich häufig die mediale Inszenierung gegenüber der physischen Landschaft als eindrücklicher gestaltet, und sich häufig ein Gefühl der Enttäuschung bei der Betrachtung der physischen Landschaft nach Konsum ihrer inszenierten Version einstellt (vgl. z.B. Vester 1993a). Die Inszenierung von physischer Landschaft wird ± auch in weniger spektakulär erscheinenden Landschaften ±als Modell der Ökopädagogik mit Ziel Regionalentwicklung betrieben. Landschaft wird zum ÄEvent³, wie dies in Fischbach bei Dahn (Rheinland-Pfalz) im Biosphärenhaus und dem angeschlossenen Baumwipfelpfad158 anzutreffen ist (Kühne 2004d). Mit dem Übergang von der modernen Produktion von Gütern zu einer postmodernen Produktion von Zeichen und Symbolen ist der Übergang vom Äindustrial-space³ zum Äpost-industrial-space³ (Lash/Urry 1994: 193) verbunden, der sich besonders drastisch in Altindustriegebieten der Ersten Welt darstellt, wie Lash/Urry (1994) am Beispiel von Glasgow verdeutlichen (für das Ruhrgebiet siehe Joly 2003). Insbesondere die mediale reflexive Ästhetisierung von Altindustriegebieten (in besonderer Weise durch den Film) werden diese Äerneut mit Bedeutung gefüllt³ (Hoppmann 2000: 159). Die Re-Valorisierung von industriellen Relikten verläuft dabei häufig in Zitaten der europäischen Gartenund Landschaftsästhetik. Die Entwürfe postindustrieller städtischer Landschaften Äassoziieren barocke Ruinenästhetik mit zerfallenden Hochöfen und Abbildung 6: Die Inszenierung von Land- Erinnerungen an den pittoresken Garten des achtschaft und Natur im nichtstädtischen Raum: Das Biosphärenhaus mit Baumwipfelpfad in zehnten Jahrhunderts mit Restlöchern des BraunFischbach bei Dahn (Foto: Kühne). kohletagebaus oder verbinden Industriegerät mit dem Konzept der ÃKulturlandschaft¶³ (Hauser 2004: 154), eine reflexive historisierend, bisweilen ironische zitierende Ästhetisierung, wie sie für 157
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Auch wenn das Suburbium nicht den Grad an Symbolisierung und Ästhetisierung erreicht (vgl. BODENSCHATZ 2001), wie die Kernbereiche der Städte und Agglomerationen, sind die Suburbiumssiedlungen der Postmoderne doch weit von der funktionalistischen Uniformisierungen jener der Moderne entfernt: Durch funktionslose, rein dekorative Verkleidungen, Verblendungen, Balken, Ziegel etc. wird der Eindruck von Traditionalität, Regionalität, Lokalität, Gemütlichkeit und Individualität durch Inszenierungen erzeugt, die den Ämodernen³ Charakter der industriegefertigeten und standardisierten Komponenten verdecken und eine Atmosphäre des Ergebnisses handwerklicher Arbeit erzeugen sollen (BOURDIEU 1998b). Der Baumwipfelpfad, in einer bis zu 18 m Höhe über dem Boden erbaut, führt durch den Bereich der Baumwipfel. Der Steg des Pfades ruht auf insgesamt 19 Stahlstämmen, die Äin abstrakter Weise an die Form von Bäumen erinnert und sich sehr harmonisch in den vorhandenen Waldbereich einfügen³ (Biosphärenhaus 2004)..
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die Postmoderne charakteristisch ist: Kulturierung und Ästhetisierung des Vergangenen (wie auch der Natur) impliziert eine reflexive Inwertsetzung, sie stellt kein Landschaftshistorizismus und keine Landschaftsmusealisierung dar. Dieses widersprüchliche, nicht stringente und zyklische Verhältnis der Postmoderne zur Vergangenheit thematisiert Burckhardt (1995: 104) in seiner Definition der Postmoderne: ÄEs ist die paradoxe Konstatierung, dass der verlorene Anspruch noch da ist, die Begründung aber nicht mehr im logischen Bereich, sondern nur noch durch Andenken, aus etymologischen Schichten zu führen ist³. Gerade hinsichtlich der Landschaften von Altindustrieregionen lässt sich ein hoher Grad an ÄAtmosphäre³ (im Sinne Luhmanns) feststellen: Mit der Zerstörung bzw. dem sukzessiven Verfall von Industrieanlagen steigt die Stellendifferenz, gerade in altindustriellen Stadtlandschaften wird die ÄEinheit der Differenz, die den Raum konstituiert³ (Luhmann 1997: 181) durch die kontingente Erfahrung des Verfalls sichtbar und insbesondere ästhetisch erlebbar. Die Allverfügbarkeit (die nötigen finanziellen Mittel vorausgesetzt) von Landschaft (bzw. des Äguten Ausblicks³ im Sinne von Vöckler 1998) impliziert die Gefahr, Landschaftserleben zu einem Element der Ärepressiven Entsublimierung³ (Marcuse 1967) werden zu lassen, Bedürfnisse nach einem Äguten Ausblick³ werden unmittelbar mit deren Befriedigung gekoppelt, so dass eine psychische (und soziale) Reifung durch eine eingehende Befassung mit Landschaft nicht erfolgt, vielmehr unmittelbare weitere Landschaftserlebnisse konsumiert werden. 4.2.4 Raum, Landschaft und Cyberspace In der postmodernen Umdefinition des Räumlichen durch die Überlagerung physischer Räume durch soziale Räume kommt Informations- und Kommunikationstechnologien eine besondere Bedeutung zu (Stichweh 2003). Informations- und Kommunikationstechnologien Äermöglichen eine bisher unbekannte Überwindung der Schranken von Raum und Zeit³ (Läpple 2004: 406) und Ätragen zur Globalisierung von Informationen bei und beginnen die herkömmlichen Zeit- und Raumstrukturen zu revolutionieren³ (Bertels 1997: 44). Die Inszenierung von Landschaften findet Höhepunkte in ihrer Darstellung in Filmen (in besonderer Weise in Spielfilmen, weniger in Dokumentarfilmen) und ausnehmend im Cyberspace, in dem die Autoren prinzipiell völlig frei Landschaften gestalten können. Ähnliches gilt für den ± hier nicht betrachteten ± Roman, wobei hier der Autor in der Regel auf die Schnittmenge von sozialen Landschaftskonstruktionselementen zurückgreift, da der Leser Landschaften ± nach Maßgabe des eigenen Landschaftsbewusstseins ± (re-)konstruiert. Virtuelle und fiktive Landschaften stellen heute einen Änicht zu leugnenden Aspekt kindlicher und jugendlicher Bildungsaspekte dar³ (Löw 2001: 93). 4.2.4.1 Raumwirksamkeit von neuen Informations- und Telekommunikationstechnologien Informations- und Kommunikationstechnologien gehören mit ihren zahlreichen ± bislang nur in Ansätzen untersuchten ± Nebenfolgen für die räumliche Struktur zu den Charakteristika der Postmoderne (Henckel/Herkommer 2004): Telearbeit ermöglicht Beteiligungen an Arbeitsprozessen, deren Zentrum an anderen Orten liegt, Fernüberwachungen von räumlich weit ent102
fernten Maschinen wird möglich. Überwachungskameras erlauben die Kontrolle von Räumen über weite Distanzen, Datenspeicherungen verringern die Notwendigkeit von Kopräsenzen und ermöglichen so räumliche und zeitliche Entkoppelungen. Insbesondere das Internet bedeutet eine weitgehende Aufhebung des Distanzwiderstandes, die Qualität der Daten wird durch die Übertragung über große Entfernungen nicht beeinträchtigt, auch wenn die ÄZugangsmöglichkeiten zu Telekommunikationsinfrastrukturen keineswegs universell³ (Läpple 2004: 408), sondern vielmehr selektiv und hinsichtlich ihrer technischen Leistungsfähigkeit (selbst in Europa innerhalb von Regionen) deutlich differenziert vorhanden sind. Von besonderer Bedeutung für raumwirksame Prozesse sind Telearbeit 159 und Electronic Commerce (Bördlein/Schellenberg 2002). Anders als in der Moderne, als der Arbeitskräftebedarf am Rohstoffstandort Ausgangspunkt für Verstädterungsprozesse war, ist es in der Postmoderne möglich, digitale Informationen mit geringen Kosten zu transportieren. Damit wird eine Veränderung der Siedlungs- und Verkehrsstrukturen möglich, da ÄBüroflächen in teuren Agglomerationsraumlagen und das zeitund energieaufwändige Pendeln von Beschäftigten vor allem in [...] Dienstleistungsunternehmen nicht mehr notwendig ist³ (Bördlein/Schellenberg 2002: 105)160. Durch den verstärkten Einsatz von Telearbeitplätzen lassen sich eine Vielzahl raumwirksamer Effekte feststellen (Kordey/Gareis 1998, Bördlein/Schellenberg 2002): · Verstärkung der Suburbanisierung durch Nachfrage nach Büroflächen in dezentralen Lagen (insbesondere in Wohngebieten), · Förderung der funktionalen Entmischung in den Innenstädten durch selektive Auslagerungen von Bürofunktionen, · Steigender Wohnflächenbedarf durch Arbeitsplätze am Wohnort, · Möglichkeit der Funktionsmischung in den Wohnorten und damit verbunden, einem abgeschwächten Kaufkraftabfluss in den Wohnorten, · neue Formen des Büroflächenmanagements (beispielsweise Desk Sharing) zur Verringerung des Büroflächenbedarfs in zentralen Lagen, · Wegfall von Pendelfahrten, dadurch eine verringerte Auslastung von Verkehrsinfrastruktur, · eine zeitliche Flexibilisierung und dadurch eine mögliche Entzerrung des Verkehrsaufkommens.
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Die Flexibilisierung und Individualisierung der Telearbeit (die sich zwischen Arbeit und zu Hause bewegt) wird durch die Mobilarbeit, bei der kein Stammarbeitsplatz im Unternehmen bzw. bei der Behörde vorhanden ist, noch gesteigert (Bertels 1997). Den Möglichkeiten von freierer Zeiteinteilung, verringerten Fahrzeiten stehen allerdings auch der mögliche Verlust sozialer Kontakte (zu Kollegen und Bekannten im Agglomerationsraum) sowie die verstärkte Ausbreitung unzureichend ökonomisch abgesicherter Arbeitsverhältnisse als Subunternehmer entgegen.
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Daneben sind auch eine Revitalisierung von monofunktionalisierten Satelliten- und TrabanTrends
Trendverstärkende Effekte von Electronic Commerce Interregional: 1) Dekonzentration Ermöglichung von kundenunabhägiger des konventionellen Handels Ansiedlung von Unternehmen zugunsten von Mittelzentren; 2) Bedeutungsverlust von Unterzentren; 3) Konzentration hochspezialisierter Funktionen in Metropolen
Trendabschwächende Effekte von Electronic Commerce größere Standortunabhängigkeit von Unternehmen und Haushalten kann dezentrale Regionen aufgrund geringerer Bodenpreise begünstigen
Intraregional: anhaltende Suburbanisierung von Bevölkerung und Beschäftigung
Erhöhung der Wohnstandortwahlreiheit, Vorteile der Zentrumsnähe verlieren an Bedeutung; Distribution erfolgt von verkehrsgünstig gelegenen, non-urbanen Logistikzentren
Innerstädtisch: Bedeutungsverluste innerstädtischer Zentren (z. B. Altstädten) und Nebenzentren (z. B. Stadtteilzentren)
dezentrale vernetzte Bürgerbüros stärken in Rückzug aus der Fläche in verschiedenen geringem Maße Nebenzentren Dienstleistungbranchen (Finanz- und Versicherungsdienstleister, Post); branchenspezifische Umsatzverluste kleinerer konventioneller Anbieter (Buchhandel, Reisebüros, Tonträgerhandel)
allgemeine Funktionsentmischung
Verlagerung von Handels- und Dienstleistungsfunktionen in den virtuellen Raum
Zunahme großflächiger Betriebsformen im Einzelhandel: Factory Outlet Center, ShoppingMalls, Urban Entertainment Center
Informationsmöglichkeiten im Internet erweitern Einzugsbereiche der neuen "Attraktionen"; Internetzugang (z.B. Internetcafés ) in neuen Formen stationärer Einzelhandelseinrichtungen fördert den Besucherzuspruch
elektronische Direktvertrieb gewinnt an Bedeutung und entzieht konventionellen Handelsunternehmen Umsatzanteile; geringerer Flächenbedarf durch ergänzenden Internetvertrieb im Ladeneinzelhandel
Konzentrationsprozesse im Handel
Informationsvielfalt und Unsicherheit im Netz begünstigt bekannte Anbieter; finanzkräftige Anbieter haben beim Einstieg in den elektronischen Handel Vorteile durch größere Finanzreserven
kleinere und jüngere Unternehmen sind in der Lage, mit geringem Aufwand global zu verkaufen; Entwicklung neuer Dienstleistungen im Internet fördert die Entstehung von Unternehmen
Differenzierung von Lebens- und unterschiedliche Möglichkeiten, an der Konsumstilen Informationsgesellschaft teilzuhaben können vorhandene Ungleichheiten verstärken; Möglichkeit des Individualmarketings fördert weitere Ausdifferenzierung von Produkten und benachteiligt konventionelle Anbieter Wachsendes Verkehrsaufkommen
Zeitersparnis kann zu neuen Raum greifenden Tätigkeiten führen; vielfältige Informationsmöglichkeiten können Bedürfnisse nach direkten Kontakten wecken
Möglichkeit der direkten Kommunikation über das Internet reduziert das Verkehrsaufkommen; gemeinsame Selbstdarstellung des örtlichen Einzelhandels (City-Portal) mit zentraler Bestellannahme ermöglicht eine Bündelung des lokalen Auslieferungsverkehrs individuelles Mobilitätsmanagement (Fahrplanauskünfte, Fahrkartenverkauf) über das Internet können Akzeptanz des ÖPNVs erhöhen
Tabelle 6:Möglicher Folgen der weiteren Ausbreitung von Electronic Commerce für die Siedlungs- und Stadtstrukturen (nach: Kordey/Gareis 1998, Bördlein/Schellenberg 2002).
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tenstädten sowie eine verstärkte Kaufkraftbindung in ländlichen Räumen zu erwarten (Bördlein/Schellenberg 2002). Während allerdings mit der Trennung von Arbeiten und Wohnen eine radikale ÄAbtrennung der privaten Sphäre³ (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 137) verbunden ist, entsteht bei der Etablierung von Telearbeit ein neues Übergangskonstrukt 161 zwischen Privatheit und Öffentlichkeit162. Eine gleichfalls erhebliche Auswirkung auf die Raumstruktur ist mit der Ausbreitung von Electronic Commerce (mit den Beteiligten Unternehmen, Privatpersonen und Verwaltungen) verbunden. Insbesondere die Transaktionsbeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern gehen mit einer Verlagerung traditioneller Einzelhandelsstrukturen einher. Diese sind ± bei gesättigten Märkten und stagnierender Kaufkraft ± mit standortstrukturellen Nebenfolgen in Form von Schließung von unrentablen traditionellen Einzelhandelsunternehmen und der Neueröffnung und/oder Geschäftsverlagerung ehemals traditioneller Einzelhandelsunternehmen im Bereich des E-Commerce verbunden. Prinzipiell ergibt sich dadurch eine Möglichkeit einer verbesserten Versorgung peripherer Räume, die jedoch einerseits durch den Nutzerkreis (insbesondere ältere Bevölkerungsteile in peripheren Räumen gehören nicht zu den typischen Internet-Nutzern), andererseits weitgehend auf per Paketdienst sinnvoll transportfähige Güter eingeschränkt ist. Die raumwirksamen Effekte von Electronic Commerce sind in Tabelle 6 zusammenfassend dargestellt. Electronic Commerce und Telearbeit haben Äaufgrund der standortbefreienden Wirkung [...], durchaus das Potenzial zu einer ausgeglicheneren Zentrenstruktur beizutragen und die wirtschaftliche Situation in benachteiligten Regionen zu verbessern³ (Bördlein/Schellenberg 2002: 118), womit auch eine Entlastung der Verdichtungsräume verbunden ist. Die Nutzung neuer Informations- und Telekommunikationstechnologien kann sich sehr differenziert auf die Landschaft und deren Image auswirken: · Traditionelle Einzelhandelsunternehmen werden vielfach geschlossen, was zu einer Veränderung des Siedlungsbildes (Leerstände) beiträgt und sich somit Image schädigend auf die betreffende Siedlung bzw. Landschaft auswirkt. · Die gestiegene Versorgungssicherheit und das gestiegene Arbeitsplätzeangebot (Telearbeit und aus den Zentren abgewanderte/neu gegründete E-Commerce-Unternehmen) in peripheren Räumen wirken für diese attraktivitätssteigernd und können somit zur gesellschaftlichen Stabilisierung peripherer Räume beitragen. · Regionen sind in der Lage über Internetwerbung ihr Image zu verbessern. Damit können sie zu einer Stärkung des Tourismus und zur Standortattraktivität beitragen und somit ihre ökonomische Situation verbessern bzw. negative Entwicklungen abschwächen.
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Dieses Übergangskonstrukt von Privatheit und Öffentlichkeit ist dabei nicht mit den Zuständen der Vormoderne vergleichbar, da hier insgesamt eine Differenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit nicht in dieser Stringenz vorlag wie in der Moderne (vgl. Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 137). Damit verschärft sich bei Telearbeit eine Entwicklung, die bereits mit der Verbreitung des Telefons festzustellen war: Die nahezu uneingeschränkte Erreichbarkeit, die es ermöglicht, Ävon überallher Anweisungen zu erzielen³ (Bertels 1997: 40). Diese Verschärfung wird nicht nur dadurch vollzogen, dass nun auch Schrift, Bilder, Filme und graphische Darstellungen in hoher Qualität übertragen werden können, sondern vielmehr auch dadurch, dass Äes [...] praktisch keinen Unterschied [macht], von wo die Kommunikation ausgeht und wo sie ankommt (anders als beim Telefon, wie die Rechnung banal zeigt)³ (Esposito 2002: 43).
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· Anbieter regional- und lokaltypischer Produkte (oder solcher Produkte, für die ein solches Image aufgebaut wurde) erhalten die Möglichkeit, diese auf einem überregionalen Markt anzubieten. Insbesondere bei Produkten aus der Primärproduktion und Produkten aus Primärprodukten aus der jeweiligen Region lassen erhebliche Folgen hinsichtlich der Erhaltung und insbesondere Entwicklung der gesellschaftlichen Landschaft erwarten. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive lässt sich ± so Osterland (1997) ± also eine räumliche Entsprechung des sozialen Individualisierungsprozesses durch die Verbreitung und insbesondere Nutzung von Electronic Commerce formulieren163. 4.2.4.2 Die Landschaften des Films Filme ± insbesondere Spielfilme ± gehören nicht nur nahezu global zu den Lebenswelten, sie haben auch einen bedeutenden Platz in der Umwelt- und Wirklichkeitskonstruktion eingenommen. Insbesondere Spielfilme haben in erheblichem Maße für die Verbreitung westlichurbaner Lebensstile und Lebensstilfragmente beigetragen ± sowohl in nicht-westliche Kulturräume, aber auch in die (ehemals) ländlichen Räume der Ersten Welt (vgl. Ferchhoff/Neubauer 1997, Krätke 2002). Filme vermitteln Wissen ± wie auch das Fernsehen (vgl. Bourdieu 1998c) ± in Form von Sekundärinformationen, die nicht dem unmittelbaren Wahrnehmungsfeld entnommen sind 164. Filme erschaffen Orte, Äindem sie Städte, Länder und Regionen thematisieren sowie Geschichten und Begebenheiten erzählen³ (Escher/Zimmermann 2001: 228), so weisen Spielfilme eine erhebliche lebensweltliche Bedeutung auf (Escher/Zimmermann 2001: 228): ÄSie kreieren Stereotype sowie Vorurteile und tragen zu deren Aufrechterhaltung bei. Außerdem stellen Spielfilme Informationen, Handlungsmuster, Orientierungen und Vorbilder sowie Regeln und Normen zur Verfügung³. Dabei haben sie eine hohe suggestive Wirkung ±Ädas Verhältnis von Subjekt und Objekt [ist] zunehmend geprägt durch Bilder: Deren Intensität, Unmittelbarkeit und Identifikationsstrukturen bestimmen den Wahrheitsgehalt und die Gültigkeit³ (Elsaesser 2002: 49). Spielfilme ± als Simulationen ± sind also in besonderer Weise dazu geeignet, Postmodernisierungstendenzen zu untersuchen, zu denen Charakteristika Simulationen und Simulationen der Simulationen (Simulacra) gehören. Insbesondere der Spielfilm erzeugt Landschaften und setzt sie in einen Kontext aus Geschichten und Bedeutungen. Dabei besteht in filmischen Landschaften die Möglichkeit Äder Nachahmung der idealen Vorbilder, die für die Landschaftsgestaltung bislang wesentlich waren³ (Krysmanski 1990: 137) und produzieren bzw. festigen so ± auf die Handlung abgestimmte ± Raum- und Landschaftsstereotypen (vgl. Zimmermann/Escher 2001), da, erstens, 163
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Im globalen Maßstab hingegen lässt sich eine ± relativ ± verstärkte Teilnahme der Peripherien und Semiperipherien am internationalen Datentransfer nicht nachweisen. Im Gegenteil: Insbesondere Afrika und weite Teile Lateinamerikas haben keine oder eine sehr geringe Teilhabe am Internetdatentransfer. Stark miteinander verbunden sind die ohnehin mit ökonomischer und politischer Macht überdurchschnittlich ausgestatteten Teile der Erde (Dodge/Kitchin 2001). Auch wenn Informations- und Reizüberflutung sowie Medienvielfalt durchaus ambivalent beurteilbar sind: Sie birgt auch die Gefahr von Sinnentleerung und der Konstruktion von Scheinwelten in sich (Hamm/Neumann 1996).
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eine Vorauswahl der dargestellten Landschaftselemente in einer relationalen Kontextualität im dargestellten Raum und in der dargestellten Handlung besteht, und zweitens, da der im Film dargestellte Landschaftsausschnitt durch die Kameraeinstellung determiniert ist, der Beobachter also der Möglichkeit beraubt ist, in dem dargestellten Raum andere Landschaften zu konstruieren (vgl. Abschnitt 3.4). Der Betrachter des Filmes gestaltet sich zwar der Äaufgrund seiner Sozialisation, seiner lebensweltlichen Kenntnisse, seiner kulturellen Prägung und seiner bereits vorhandenen Prädisposition seine eigene Geographie des gesehenen Spielfilms, [...] und dennoch werden bei vielen Menschen im Großen und Ganzen ± ähnliche Vorstellungen erzeugt³ (Escher/Zimmermann 2001: 230)165. Der postmoderne Film konstituiert dabei hyperreale Landschaften. Eine solche Hyperrealität Ädes postmodernen Films ist das exakte Gegenbild zur Metarealität der Traumfabrik. ÃEs gibt¶, so Ernst Lubisch, Ãdas Paris von Paramount und das Paris von Metro und natürlich das Paris in Frankreich. Das Paris von Paramount war das pariserischte.¶ Die Darstellung des postmodernen Films repräsentiert nicht mehr das Wesen, die Kondensation eines Ortes und seines Zustandes; sie trifft auf seinen Kern (unter anderem: um ihn zu spalten); wir sehen immer genauer, aber immer weniger³ (Seesslen 2002: 219). Durch diese Hyperrealitisierung des postmodernen Films übersteigert er die Simulation und ironisiert sich letztlich selbst (bzw. die Landschaftsstereotype des Publikums). Der spielfilmischen Landschaft lassen sich sieben unterschiedliche Bedeutungen zuweisen (Higson 1987, Escher/Zimmermann 2001, durch den Autor ergänzt): 1. Landschaft fungiert als Handlungsrahmen und bietet so eine angemessene Verortung der Handlung in Form einer (vielfach austauschbaren) Kulisse (wie z.B. in High fidelity). 2. Landschaft fungiert als Garant für Authentizität und Glaubwürdigkeit der Handlung, indem ein Bezugsrahmen geschaffen wird, der eine räumliche und/oder zeitliche Kontextualität erzeugt166 (wie z.B. in Spartacus). 3. Landschaft dient als Metapher bzw. als Symbol. Handlungsmuster finden ihre landschaftliche Entsprechung (Liebe im Rosengarten ± wie häufig im indischen Film) oder verweisen auf einen anderen Kontext (die amerikanische Vorortssiedlung für den amerikanischen (Alp-)Traum, wie z.B. in American Beauty). 165
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Krieg (2002: 148) weist zu Recht darauf hin, dass auch Reportagen und Dokumentarfilme der Konstruktion der gesellschaftlichen Realität dienen, indem sie Ädie individuelle Wahrnehmung (z.B. des Korrespondenten) zu einer kollektiven Wahrnehmung³ sozialisieren und somit dazu beitragen Ädie Gruppe (die ÃÖffentlichkeit¶, die ÃGesellschaft¶, die ÃNation¶) zu konstituieren³. Gleiches gilt prinzipiell auch für die Nachrichtensendungen des Fernsehens (Bourdieu 1998c: 25): ÄDas Auswahlprinzip ist die Suche nach dem Sensationellen, dem Spektakulären. Das Fernsehen verlangt die Dramatisierung, und zwar im doppelten Sinn: Es setzt ein Ereignis in Bilder um, und es übertreibt seine Bedeutung, seinen Stellenwert, seinen dramatischen, tragischen Charakter. An den Vorstädten sind die Aufruhrszenen von Interesse. Aufruhr: welch vielsagendes Wort...³. Damit wird im Ansatz deutlich, welche Bedeutung das Fernsehen für die Konstitution und Perpetuierung von Landschaftsstereotypen und die Stigmatisierung von Räumen hat. Die Konstruktion von stereotypen Landschafts- und Raumvorstellungen wird in besonderer Weise dadurch deutlich, dass der Nachrichtentransfer als ein weitgehend zirkulärer Prozess zu beschreiben ist (Bourdieu 1998c). Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, zeitliche Referenz dadurch zu verdichten, indem die Referenz an einen Äexistierenden Ort [...] unwichtig [ist]³ (Ruggle 1990: 21), wie häufig in den Filmen von Theo Angelopoulos.
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4. Landschaft wird mystifiziert bzw. transportiert einen Mythos, sei es derjenige vom ÄWilden Westen³ oder derjenige der Äheilen Welt der Berge³ (wie beispielsweise in Rio Grande). 5. Landschaft wird zum Schauspiel bzw. zum Schauspieler und wird Äum ihrer selbst Willen im Spielfilm präsentiert³ (Escher/Zimmermann 2001: 233) und rückt in das Zentrum der Betrachtung (wie z.B. bei der Schatz im Silbersee oder Waterworld167). 6. Landschaft wird als Drehort (Älocation³ oder Äset³) Gegenstand von Bedeutungszuschreibungen, bei denen die Konstruktion filmischer Geographien besonders deutlich wird. So sind Handlungen häufig an anderen Orten angesiedelt als gedreht (Spanien statt amerikanische Prärie, argentinische Anden statt Tibet etc.). 7. Landschaft wird Ziel des Drehort- bzw. Location-Tourismus und wird somit als physische Landschaft zum Gegenstand der Transformation des indirekten Beobachtens via Film zur direkten Beobachtung. Insbesondere beim letzten genannten Punkt lässt sich eine Vermischung von Lebenswelt und Filmlandschaft feststellen, die filmische (simulierte) Landschaft wird lebensweltlich simuliert und so zum Simulacrum (Baudrillard 1994), wobei der filmische Handlungsstrang mit demjenigen lebensweltlicher Bühne (Goffman 2002 ± zuerst 1957) verknüpft, emotionalisiert und das Nachspielen von Filmszenen inszeniert wird (Zimmermann 2003). Dieses System der auf sich selbst und andere Simulationen verweisenden Zeichen Äist ein selbstreferentielles geworden, in dem nichts mehr als authentisch gilt, oder aber alles ist authentisch geworden³ (Zimmermann 2003: 81), wie dies insbesondere bei den Drehorten von Science-FictionFilmen wie Star Wars in Tunesien beobachtbar ist: die inszenierte Simulation einer inszenierten Simulation. Neben den Inszenierungen der filmischen Inszenierungen ändert sich auch der Bezug der Filme zu den angeeigneten physischen Landschaften: So wird in den visuellen Repräsentationen der Stadt im Film ein Wechsel der Perspektive vollzogen. Städte gelten nicht mehr als Methapher für zivilisatorischen Fortschritt oder als den Zivilisationsfortschritt zerstörenden Maschinenmythos, sondern sie werden vielfach zu stilisierten Kultstätten einer globalisierten Gesellschaft (z.B. in Die Klapperschlange, vgl. Noller 1999). Mit diesem Perspektivwechsel der Stadt-(Landschafts-)Konstruktion im Film wird eine Inszenierung und Remystifizierung von (Stadt-)Landschaft vollzogen, die Teil einer symbolischen Ökonomie wird. Darüber hinaus werden die Ebenen der filmischen Wirklichkeit polyvalent: In Filmen wie Matrix, The 13th Floor oder ExistenZ werden Simulationen simuliert (und so zu Simulacra), dabei wird Ämittels digitaler Bilder eine autonome künstliche Realität konstruiert, die der alltäglich erfahrbaren Realität zum verwechseln ähnlich sein kann³ (Meyer 2002: 298), ohne dass häufig ein eindeutiger Anschluss an die Ebene der Simulation erfolgt 168. Die ironische Distanzierung 167
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Grob (2002: 295) nennt Waterworld den Äpostmodernen Abenteuerfilm par excellence³, da hier das Äübliche Drama ± geradezu paradigmatisch ± noch bunter und spektakulärer verklärt³ wird. In Matrix kann Morpheus, der Anführer einer Gruppe von Aufständischen gegen die Computer-Matrix, Ävom computersimulierten Simulakrum der Wirklichkeit in der Matrix auf eine televisionäre postapokalyptische Simulation der Wirklichkeit in Schwarz-Weiß umschalten, die er als Kulisse wiederum ins Computerprogramm einbringen kann, um sie gleichsam farbig im Stile der vorherigen Szene zu möblieren³. Filmischer Raum im allgemeinen und filmische Landschaft im besonderen wird so konstruiert, dass eine effektvolle Vi-
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von den seriellen Erlebnis- und Erwartungsmustern bietet dabei einen Anschlusspunkt für ÄReflexionen der eigenen Erlebnismuster³ (Felix 2002: 176). Damit unterwandern postmoderne Spielfilme die sozialisierten Realitätskonstrukte eines breiten Publikums (wobei sich die Frage stellt, ob es Ädas Spiel mit Klischee und Zuschauererwartung durchschaut oder eben übersieht und das Triviale rein affirmativ genießt³ Felix 2002: 176). Gerade in den inszenierten Spielfilmen und den Inszenierungen dieser Inszenierungen lassen sich postmoderne Prinzipien der Simulation und Simulacrisierung, einer neuen reflexiven und polyvalenten Identitätskonstruktion beobachten. Dabei werden filmische Landschaften inszeniert, stilisiert und stereotypisiert und der alltäglichen Lebenswelt verfügbar gemacht ± bisweilen als gesellschafts-landschaftlicher Soll-Zustand. 4.2.4.3 Die Landschaften im elektronischen Netz In den letzten Jahren ist der Umgang mit elektronischen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten in den Dienstleistungsgesellschaften zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Einer der schillernsten Begriffe, der mit der elektronischen und globalvernetzten Verfügbarkeit von Informationen bzw. Symbolen konnotiert ist, ist jener des Cyberspace. Cyberspace169 kann ± so Bertels (1997: 47) ± als ein Ämit technischen Mitteln geschaffener, kybernetischer Raum aufgefasst werden, der mit dem Betrachter durch Rückkopplung verbunden ist³, in dem Ädie Grenzen von Realität und Simulation in einem bislang unbekanntem Ausmaß³ (Löw 2001: 94) verwischen. In diesem Spiel mit möglichen Welten verliert der Sprachspieler nicht nur den Bezug zum traditionellen, ganzheitlichen Raum (Bertels 1997), sondern auch zur linearen Zeit Ädie das strukturelle Paradigma neuzeitlichen Wissens ist³ (Meder 2004: 55). Insbesondere der Cyberspace stellt die Manifestation eines ÄRaumes der Ströme³ (Castells 1994) dar, der die Gesellschaft in Gänze charakterisiere, von Vorstellungen über Waren, Kapital bis hin zu Technologien sei die gegenwärtige Gesellschaft durch Ströme gekennzeichnet ± so Castells (1994). Diese Verflüssigung stellt einen konstitutiven Zusammenhang zwischen Ämateriellen Entbettungen³ und Äsymbolischen Bedeutungen³ (Castells 1994: 126) dar. Dieser Zusammenhang manifestiert sich in drei Schichten (Castells 1994): 1. Der Schicht der neuen Technologien, wobei sich insbesondere in digitalen Netzwerken die elektronischen Ströme nachweisen lassen. 2. Die Schicht der Verknotungen und Verbindungen fixiert diese Ströme räumlich definierbarer Standorte, diese sind in erster Linie in (u. a. dadurch) bedeutenden Städten lokalisiert.
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sualisierung der Aussage Morpheus erreicht wird, ohne dass diese eine Referenz zur filmischen ÄRealität³ nachweisen müsste ± Landschaft wird somit zum Simulacrum. Der Begriff des Cyberspace stammt ursprünglich aus der Science-Fiction-Literatur, der jedoch Äschnell Eingang in die Lebenswelt und verschiedene wissenschaftlich-technische Disziplinen fand³ (Schetsche 2001). Entwickelt wurde der Begriff durch den US-amerikanischen Science-Fiction-Autor William Gibson in mehreren Romanen und Kurzgeschichten. Dabei beschreibt Gibson einen, aus unzähligen Rechnern, Leitungen, Transferknoten, Programmen und Datenpakten bestehenden globalen Raum von Datennetzen, Äeinen Raum, der mit Hilfe spezifischer Techniken vom menschlichen Bewusstsein wahrgenommen und in gewissem Sinne bereist werden kann³ (Schetsche 2001).
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3. Die Schicht der räumlichen Organisation von herrschenden Eliten. Sie lässt sich an den Lebensstilen der Eliten ablesen. Die Entwicklung elektronischer Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wirkt nicht allein über veränderte Raumbedürfnisse auf die physische Landschaft zurück (wie in Abschnitt 4.2.4.1 dargestellt), sondern ermöglicht selbst virtuelle Räume und Landschaften entstehen zu lassen. Virtualität lässt sich mit illusorischer Platzierung konnotieren und kann ± so Esposito (1995) ± mit Spiegelbildern verglichen werden. Damit entstehen nicht einfach illusorische Objekte, sondern es Äverschafft realen Objekten illusorische Platzierungen³ (Krämer 2002: 52). Mit Hilfe des Computers lassen sich nahezu unbegrenzte Symbolräume (in nahezu unbegrenztem Umfang) generieren, wobei sich computererzeugte virtuelle Realitäten ± so Krämer (2002: 52) ± als Äimmersive Spiegelungen symbolischer Universen, in denen Nutzer mit Symbolstrukturen interagieren³ bezeichnen lassen. Die Teilhabe an virtuellen Räumen wirkt wiederum auf den Teilnehmer zurück: ÄIn virtuellen Treffpunkten können die Teilnehmer ihre Persönlichkeiten aus dem Alltag herauslösen. [...] Als Fremde sind sie nicht gebunden, sie können sich im Ãvirtuellen Streifraum¶ offen und frei bewegen und das vollziehen, was ihnen im Alltag versagt ist. Indem sie sich von der sozialen Realität lösen, ergibt sich die Chance zur Reflexion³ (Bertels 1997: 43). Sie können sich darüber hinaus in virtuellen Landschaften bewegen, neue Räume und Landschaften schaffen. Der physische Raum wird dabei tendenziell durch ein Netz abgelöst, Ädas virtuell zusammengesetzt ist und je nach dem Stand der Entwicklung von den Individuen punktuell geknüpft wird³ (Bertels 1997: 55). Ein wesentliches Medium der Schaffung neuer sozialer Räume sind so genannte muds Ämulti user domains³ oder Ämulti user dimensions³). In diesen virtuellen Räumen können sich viele Nutzer gleichzeitig bewegen. Bei dem Betreten jedes Raumes wird eine Beschreibung aktiviert, die auf die Telepräsenz anderer Nutzer hinweist ±Äwas multiple Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten eröffnet³ (Schetsche 2001). Die miteinander verbundenen virtuellen Räume einer mud lassen sich ± so Schetsche (2001) ± durch vier Merkmale charakterisieren: 1. Nutzer und Nutzerinnen sind durch Figuren oder Online-Charaktere repräsentiert. Diese verfügen zumeist über verschiedene handlungsrelevante Attribute. 2. Virtuelle Objekte können erzeugt werden. Diese können die Nutzer durch ihre Figuren betrachten und manipulieren, für verschiedene Zwecke nutzen, zum Teil auch entfernen. 3. Spezielle Unterprogramme reagieren auf Handlungen der Nutzer; wovon einige (die Bots) Online-Charakteren äußerlich ähneln. 4. Die Teilnehmer sind nicht nur ± wie beim chat mittels Tastatur ± in der Lage miteinander zu kommunizieren, sondern sie können durch ihr Handeln auch die Attribute und Fähigkeiten ihrer und fremder Online-Charaktere verändern. Die Kommunikation in solchen muds finden sowohl in direkter als auch in asynchroner und synchroner Form statt. Die muds sind in erster Linie soziale Räume (Schetsche 2001): ÄDas Medium selbst stellt nur die technischen Voraussetzungen für Kommunikation, Interaktion und die Ausbildung kollektiver Handlungspraxen bereit³. In den vergangenen Jahren haben sich zunehmend muds verbreitet, die eine visuelle Ausgestaltung aufweisen. Die ursprünglich 110
textbasierten muds sind nun in einen graphischen Kontext eingebettet, der vielfach differenzierte virtuelle Landschaften darstellt (vgl. auch Utz 2004). In diesen von Schetsche (2001) ÄAvatara-Welten³ genannten zwei- bzw. heute in der Regel dreidimensionalen Räumen, sind die menschlichen Akteure durch graphisch abgebildete Stellvertreter (die ÄAvatara³), die mit Hilfe nahezu beliebiger Kombinationen von Identitätsoptionen konstruiert sind170, über Internet telepräsent. Die primäre Funktion dieser ÄAvatara-Welten³ ist dabei eine sozialkommunikative (vgl. Damer 1998, Schetsche 2001, Funken/Löw 2002, Utz 2004). Die ÄAvatara-Welten³ weisen differenzierte landschaftliche Elemente auf: Neben der bebauten Landschaft ± dargestellt durch Straßen, Plätze, betretbare Gebäude, Brunnen etc. ± existiert auch eine unbebaute Landschaft, in Form von Hügeln, Vulkanen, Bäumen, Seen etc. Der Teilnehmer sieht dabei auf seinem Bildschirm üblicherweise die Umgebung, die seinem Sichtfeld der ÄAvatara-Welten³ entsprechen würde (Schetsche 2001). Die einzelnen Teile in diesen virtuellen Landschaften sind dabei mit differenzierten Zugangsrechten ausgestattet und differenzieren sich so in private, öffentliche und teil-öffentliche virtuelle Räume. In solchen Welten sind neue Landschaftsteile ± angefangen von Gebäuden bis hin zu größeren Umlandgestaltungen ± durch den Nutzer integrierbar und dann ± quasi als Eigentum ± durch Veränderungen durch andere Nutzer geschützt. Die virtuellen Räume der muds sind ± wie diejenigen von Einzel-Computerspielen ± möglichst ähnlich jenen aufgebaut, welche die Spieler aus ihren basalen lebensweltlichen Raum- und Landschaftserfahrungen (d.h. solchen unter Ausschluss sozialer Raumkonnotationen) erwarten: Häuser, Berge, Bäume werden möglichst Äwirklichkeitsgetreu³± in der Regel idealtypisierend-stereotyp inszeniert (ähnliches gilt auch für den virtuell-menschlichen Körper). Dichteprobleme sind in diesen Welten inexistent: Raum ist (nahezu) endlos expandierbar angelegt. Insbesondere bei Spielen, die sich durch die Ego-Perspektive auszeichnen, sind sowohl Räume im allgemeinen wie auch Landschaften im besonderen nur selten Gegenstand der Auseinandersetzung, sondern vielmehr Ästrukturierende Kisten³ (Funken/Löw 2002: 76), die als Behälterraum zur Steigerung atmosphärischer Dichte ± zumeist stereotyp ± inszeniert werden: Das ÄBöse³ lauert in finsteren Winkeln, das ÄGute³ auf Blumenwiesen, hell gewandet. Die Virtualität des Behälterraums bei solchen Spielen schafft dabei die Illusion, die betreffenden Räume existierten auch ohne den Betrachter weiter ± wodurch die Phantasie erwächst, durch das ÄÃFortbeamen¶ und ÃJumpen¶ [...] Materialität überwinden zu können (Funken/Löw 2002: 81). Dadurch wird die Spannung transparent, die dieser Art von Spielen zugrunde liegt: Sie lassen das Virtuelle, in diesem Zusammenhang die landschaftlichen Elemente, möglichst Äreal³ erscheinen und bieten dabei gleichzeitig die Möglichkeit, ÄKörperunmögliches zu leisten, um Räumen zu entfliehen³ (Funken/Löw 2002: 82), um so z.B. archaische Phantasien von Heldentum und Unbesiegbarkeit (schließlich lässt sich das Spiel immer erneut starten), wenn auch simuliert, erleben zu können. Analytisch betrachtet, lässt sich der Cyberspace als neue emergente Raumebene auffassen. Hinsichtlich der Cyberspace-Landschaften lassen sich neue Möglichkeiten der Landschaftskonstituierung feststellen: Erstmals sind weite Teile der Menschheit in der Lage, mit einem 170
Vogelgesang (1999: 73) merkt hierzu an: "Netz und MUD generieren ein offenes Handlungsfeld, in dem sich Identitätsverhüllungen und Identitätswechsel spielerisch inszenieren lassen."
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geringen finanziellen und Know-how-Einsatz neue Landschaften (virtuelle) zu erschaffen und diese auch als sozialen Raum für die Erschaffung neuer Lebenswelten zu nutzen. Die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Landschafts- und Raumgestaltung bleiben (derzeit) jedoch weitgehend ungenutzt. Stattdessen werden Computerspiele (mit oder ohne Vernetzung zwischen den Nutzern) dazu genutzt, Äscheinbar die Gegensatzkonstruktion von virtuell/sozial und real/materiell (auch im Alltag eine künstlich geschaffene Trennung)³ (Funken/Löw 2002: 88) aufzulösen. Dabei liegt ein wesentliches Charakteristikum virtueller Räume (und Landschaften), Ädass sie die Wirklichkeit nicht bloß verdoppeln oder ein vereinfachtes Abbild liefern, sondern ihre inhärenten Potenziale (im positiven wie im negativen Sinne) erschließen³ (Ellrich 2002: 103). Wobei die Nutzung dieser Potenziale den differenzierten persönlichen und sozialen Fähigkeiten und Handlungsbereitschaften obliegt (Utz 2004). Im Cyberspace wird Öffentlichkeit neu geschaffen und neu inszeniert; oder wie es Christ (2001: 186) hinsichtlich der Entwicklung von Öffentlichkeit und Privatheit ausdrückt: ÄDie Öffentlichkeit verlässt die Stadt³, in dem er einerseits einen radikalen Widerspruch zur Stadt darstelle, gleichzeitig aber in vielen Aspekten eine ÄSpiegelung, Wirkung und Deutung der Stadt im europäischen Sinne³ (Christ 2001: 189) sei. 4.2.5 Landschaft, regionale Identität und Heimat Mit der Konstruktion von Landschaft ist vielfach eine Konstruktion von regionaler Identität, von Heimat171 verbunden. Eine solche Konstruktion von Identität zu einem Raum172 erweist sich als äußerst komplex (vgl. Pohl 1993, Ipsen 1994, Ipsen 1997, Blotevogel 2001, Rohler 2003, zusammenfassend Jung 2003). Gerade in der Postmoderne bzw. mit der Postmodernisierung lassen sich ± deutbar als ÄZeichen des Wiederanknüpfens an die Romantik³ (Pohl 1993: 29) ± deutliche Tendenzen der Stärkung von regionaler Identität, Heimatbewusstsein, Ortsbezogenheit u. a. nachweisen. Diese lassen sich ± so Giddens (1995) ± als mit der Globalisierung verknüpft betrachten, da diese in ihren ökonomischen, kulturellen, sozialen und politischen Ausprägungen zu einem dis-embedding, der Ortslosigkeit des Menschen geführt habe,
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Heimat ist ein schillernder, vielfältiger und schwer fassbarer Begriff, der zudem auf den deutschen Sprachgebrauch beschränkt ist. Hinsichtlich seiner Wortherkunft ist er Äauf Heim, Einöde, Armut und auch Familie, Vertrauen bezogen³ (Bertels 1997: 65). Noch im 19. Jahrhundert bestand keine sentimentale Einfärbung. Zu dieser Zeit bezog sich Heimat vorwiegend auf ein materielles Recht (Bertels 1997: 65): ÄDie Ortsbürgerschaft, An- und Abmeldepflichten, Recht auf Geschäftseröffnung, Versorgung im Notfall, waren hierunter kodifiziert³. Der Wandel von einem materiellrechtlichen Bezug zu einer gefühlsdominanten Raumbindung vollzog sich erst in dem Prozess der Industrialisierung (Bertels 1997). Diese gefühlsdominante Raumbindung charakterisiert Aschauer (1990: 14) als provinziellen Topos, der Äfür Gemütlichkeit, Harmonie zwischen Mensch und Umwelt, für Unveränderlichkeit und für Sinnfindung nicht im Handeln, sondern im Erleben³ stehe. Dabei eignete sich ± so Ipsen (2002: 235) ± der Begriff des Ortes in besonderer Weise zur Erörterung des Bezugsverhältnisses von Menschen oder Gruppen zum Raum: ÄDer Raum bezeichnet immer eine abgrenzbare und damit erfahrbare Einheit des Raumes. [...] Gestaltpsychologisch gesehen hebt er sich vom Grund ab, ist jedoch ohne ihn nicht erfahrbar. [...] Die Gestimmtheit des Ortes korrespondiert mit der Eigenart des ihn umgebenden Raumes und umgekehrt³.
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die dieser durch ein re-embedding, eine Rückverortung, zu kompensieren sucht (vgl. auch Langhagen-Rohrbach 2003, Göschel 2004) 173. Entscheidend für die Konstruktion von regionaler Identität ist die Konstruktion von Gemeinschaft ± in einer sich diversifizierenden Gesellschaft (vergleiche Abschnitt 2.2.3). Während der Begriff der regionalen Identität einen konstituierenden Raumbezug aufweist, geht der Begriff der Heimat über diesen hinaus. Ott (2005) unterscheidet fünf Dimensionen des Heimatbegriffs: Erstens, die Herkunftsheimat als natale Kontingenz; zweitens, die Wahlheimat als Ort des (freiwilligen) Wohnens; drittens, die Heimat des ÄBeieinander-Seins³ als gemeinschaftliches Erleben; viertens, die geistige Heimat als Zuhause in der eigenen Sprache, in der eigenen Kultur und in normativen Institutionen; fünftens, die Heimat als utopischer Sehnsuchtsbegriff. Der Begriff der regionalen Identität rekurriert dabei primär auf die erste Dimensionen dieses Heimatbegriffs, da sich auch die Heimat des ÄBeieinander-Seins³± wird dem Gedanken der regionalen Identität gefolgt ± in erster Linie in angeeignet-physisch-räumlicher Dimension organisiert. Regionale Identität gestaltet sich als Äder regressive Bezug auf das Nahe und Bekannte als verängstigte Reaktion auf die unübersichtlichen Prozesse der Globalisierung, die sich in der permanenten Anwesenheit von Fremden manifestiert³ (Häußermann/Roost 2000: 81). Damit wird aus systemtheoretischer Perspektive deutlich: Eine solche ÄSehnsucht nach provinzieller Selbstvergewisserung³ (Häußermann/Roost 2000: 81) ist als Komplexitätsreduktion zu interpretieren, die allerdings mit Verlust von Kontingenz und häufig auch Ambiguität(stoleranz) einhergeht, Ädie Identifikation mit und die Verortung in einer Heimat enthebt die Menschen des Zwanges, ihren Alltag ständig neu herzustellen, kommunikativ auszuhandeln und für sich und ihre Mitwelt zu begründen³ (Kropp 2004: 144). Heimat lässt sich dabei als Erzählung im Sinne Lyotard als ÄInstrument der Sinnstiftung in einer sinnlosen Welt und als Verfahren der Legitimierung kollektiver Identitäten³ (Wachholz 2005: 70) verstehen174. Soziale und räumliche Identität ± so konstruiert und fragmentiert sie angesichts der postmodernen Fragmentierung und Rekombination der Gesellschaft auch sein mag 175 ± ist Ausdruck von Kontinuität im alltäglichen Lebenszusammenhang, die ± im Maßstab der eigenen Lebenszeit ± über längere Zeitspannen in der Regel unveränderte angeeignet-physische Landschaftsgestalt weist dabei Äeine stabilisierende Wirkung auf die soziale Dynamik von Lebens173
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Die theorieästhetische Dimension, die Krämer-Badoni (2003) der Giddensschen Theorie des dis-embedding und re-embedding zuschreibt zeigt, das die postmoderne Ästhetisierung auch die Soziologie erfasst hat, obwohl sie ± so Krämer-Badoni (2003: 277) ±Äletztlich doch nur ± etwas verkürzt formuliert ± auf die Tatsache der zwingenden Kontextualität spezialen Handelns rekurriert: die Entfernung aus kleinräumigen sozialen Kontexten (disembedding) führt zur Globalisierung, diese kann aber nur wirksam werden, wenn sie wieder in die kleinräumigen sozialen Kontexte zurückgeholt wird (reembedding)³. Sloterdijk (1999: 27) erklärt das territorial fixierte Heimatgefühl als den Trugschluss der sesshaften Völker: Ädas Land selbst als den Volksbehälter zu verstehen und den eignen Boden als das Prinzip ihres Lebenssinns oder ihrer Identität aufzufassen³. Wobei die Fragmentierung häufig lediglich von Insidern zu decodieren ist: So lassen sich unterschiedliche Rockergruppen von Außenstehenden lediglich schwer unterscheiden, während Insider anhand bestimmter Symbole Gruppenzugehörigkeit, hierarchische Stellung in der Gruppe u. a. unmittelbar decodieren können. Durch die geringe Fähigkeit im Alltag die Symbole und Codes einzelner Subkulturen zu decodieren findet eine Entkomplexisierung der Konstruktion von Gesellschaft bzw. sogar Gemeinschaft statt, Gemeinsames wird ± in Unkenntnis der sozialen Differenziertheit ± überbewertet zugeschrieben.
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läufen³ (Herlyn 1990: 27) auf. Identität lasse sich als Ädas Verstehen der symbolischen Bedeutungen von Gegenständen, die Verlässlichkeit und Vertrautheit hervorrufen und garantieren³ (Herlyn 1990: 27), beschreiben und ist somit mit dem Begriff der Heimat ein Äsozialkulturelles Symbol³ (Bertels 1997: 68)176. Dabei vermag die, aus vorlebensgeschichtlicher Zeit stammende Landschaftsstruktur historische Wert- und Normvorstellungen zu vermitteln, die unter Umständen Ärelativierend auf aktuelle Lebensstile einwirken³ (Herlyn 1990: 27)177. So definieren Körner/Eisel/Nagel (2003) die Erhaltung der heimatlichen Natur als eine wesentliche Aufgabe des Naturschutzes, wobei sie die Chancen für den Naturschutz darin sehen, Ädass mit Heimat das Verhältnis von ÃLand und Leuten¶ thematisiert wird und nicht allein eine vor dem Menschen zu schützende Natur³ (Körner/Eisel/Nagel 2003: 388)178. Die soziale Konstruktion von Heimat, Ädie mit den Gefühlen von Sicherheit und Geborgenheit verbunden ist³ (Kropp 2004: 143) impliziert häufig die soziale Konstruktion von (Kultur-)Landschaft 179, auch indem Ähistorische Landschaftsbegriffe Ãinszeniert¶ werden³ (Langhagen-Rohrbach 2003: 17). Harteisen (2000: 188) sieht hier folgende ± auf die angeeignet-physisch-landschaftlichen Zuschreibungen des Begriffes von Heimat rekurrierend ± Verknüpfung: ÄDie Identifikation mit einem Landschaftsraum als Heimat erscheint insbesondere dann möglich, wenn die Kontinuität in der Landschaftsentwicklung bewahrt worden ist, was sich u. a. auch im Vorhandensein von kulturhistorisch bedeutsamen Elementen ausdrückt. Historische Kulturlandschaften erfüllen diesen Anspruch in besonderem Maße³, wobei der Heimatbegriff auf Landschaftsräume projiziert sei, Äin denen die Ãhistorische Dimension¶ der Landschaft noch wahrnehmbar ist³ (Harteisen 2000: 188). Kaufmann (2005) folgert aus der sich an Ganzheitserfahrungen von gegenständlichen Relikten und Traditionen erwachsenden zwei Formen von Landschaftskonstruktionen: Ķbildreligiöse Ideallandschaften¶, die häufig außergewöhnliche Naturerscheinungen vorstellen und zu Ikonen des Nationalen stilisiert werden können, und regional-heimatliche aufgeladene Landschaften³ (Kaufmann 2000: 100). Die Konstruktion von Regional- bzw. Lokalbewusstsein (vgl. hierzu Schultz 1997) lässt sich durchaus ambivalent beurteilen: ĶKulturen¶ bilden sich nur, wenn etwas Eigenes mit etwas Anderem vergleichend in Beziehung gesetzt wird³ (Wagner 1995: 72). Dabei werden 176
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Die soziale Inszenierung von Heimat umreißt Burckhardt (1995: 103) folgendermaßen: ÄDer Regionalismus kann sich nicht auf die Imitation beschränken, er muss sie in einer von Hollywood abgeschauten Weise zur Erkennbarkeit hochstilisieren³. Der Philosoph Odo Marquard (2003: 239) verdeutlicht die Bedeutung des Kontinuierlichen, des Vertrauten, der ÄHerkunft³ in der Schnelligkeit (Äder Zukunft³) durch das ÄMitnehmen³ der eigenen Langsamkeit ins ÄSchnelle³ anhand des Beispieles junger Kinder: Äsie ± für die die Wirklichkeit unermesslich neu und fremd ist ± tragen ihre eiserne Ration an Vertrautem ständig bei sich und überall mit herum: ihren Teddybären. Kinder kompensieren ihr Vertrautheitsdefizit durch Dauerpräsenz des Vertrauten [...]. In der wandlungsbeschleunigten und dadurch stets auf neue unvertrauten und fremden modernen Welt haben auch die Erwachsenen [...] ihre Teddybären, zum Beispiel in dem sie Klassiker mit sich führen³. Dieses Zitat verdeutlicht die Konstruktion von Natur im Naturschutz. Raffelsiefer (1999) stellt hierzu fest: ÄDer Naturschutz basiert, obwohl er sich mit der ÃNatur¶ und ihren komplexen Zusammenhängen beschäftigt, weniger auf Ãökologischen¶ Erkenntnissen als vielmehr auf menschlichen Einstellungen, Werthaltungen und Normen. Das gilt sowohl auf der theoretisch-abstrakten (Naturschutz allgemein) als auch der praktischkonkreten Ebene (Fallbeispiel Naturschutzgebiet Ohligser Heide). Die subjektiven Komponenten lassen sich als Naturverständnis zusammenfassen und bilden die Grundlage für alle weiteren Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse, die zur Auswahl naturschutzrelevanter Ziele, Methoden und Maßnahmen führt.³ Dieser Zusammenhang wird in Kapitel 5 einer quantitativen und qualitativen empirischen Untersuchung unterzogen.
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Grenzen Ädurch die Konstruktion und gleichzeitige Distanzierung des Anderen gezogen, durch die Ausweisung des Anderen aus der gleichen Zeit und den gleichen Raum der Menschheit³ (Wagner 1995: 73)180. Schultz (1998) weist darauf hin, dass raumbezogene Identität in der Regel auf den Grundzügen eines ethnischen181 Politikverständnisses basiert: der Abgrenzung unter den Regionen und einer (prinzipiell auch imperativischen) inneren Gleichförmigkeit der Regionen, die auf einer Haltung der Abschottung beruht. Ethnizität fasst dabei Änicht nur Menschen gleicher oder ähnlicher sozialer Interessen zusammen, formt Alltagsmerkmale zu Mobilisierungsinstrumenten, sondern definiert diese Merkmale auch als Gegenstand des eigenen Interesses³ (Aschauer 1990: 8)182. Somit wird das Fremde als Gefahr konstruiert, dies kann sowohl für fremde kulturelle Elemente wie auch für Neophyten gelten. Wobei das Fremde sich nicht allein auf das räumlich Fremde (Personen aus anderen Regionen), sondern auch auf das subkulturell, das sozial, das politisch, sogar auf das ökonomisch Fremde beziehen kann. Diese Zuschreibung von Gefährlichkeit gilt in besonderer Weise aber für diejenigen Äaus der eignen Gruppe, die sich der Formierung der Gruppe nach ethnischen Kriterien und damit der stillschweigenden Übernahme der gesellschaftsstrukturellen Konsequenzen verweigern: den ÃÜberläufern¶ oder ÃRenegaten¶³ (Aschauer 1990: 8). Auf regionaler Ebene kann lokale Identität somit in einem Älinearen Weiter-So-Traditionalismus³ gipfeln, der als Äbornierter Provinzialismus³ praktiziert wird (Beck 1997: 87)183. Auch der (bewusst induzierte) Prozess der Imagebildung von Räumen in der Postmodernisierung ist durch eine positive Rückkopplung mit dem soziokulturellen System verbunden, und kann über eine erneute Identifikation mit dem Lokalen zu einem Anfachen solcher lokalund regionalpatriotischer Tendenzen führen, wobei ± wie Appadurai (1990) feststellt ± das Lokale durch seine Unerreichbarkeit zum Fetisch werde (vergleichbar dem Warenfetisch der 180
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Wagner (1995: 73) weist darauf hin, dass das Konzept der Barbaren Äin Wesentlichen ein Mittel der Distanzierung im Raum [ist], Barbaren leben anderswo. Das Konzept der Tradition ist hingegen eine Weise der Distanzierung in der Zeit.³ Aschauer (1990: 14) differenziert zwischen Ethnizität und Regionalbewusstsein (als Synonyme: regionale Identität bzw. Heimatbewusstsein) insofern, als letztere auf emotionalem Gebiet eine andere Qualität haben: ÄWährend dort [bei der Ethnizität; Anm. O. K.] der Stolz über die Zugehörigkeit zu der entsprechenden Gruppe im Vordergrund steht, dominieren hier [bei dem Regionalbewusstsein] eher weiche, eben heimelige Gefühle³. Häufig werden mit einer starken lokalen Identität geringe Abwanderungsneigungen verbunden. Doch führt ± wie Bahn bereits 1984 anhand empirischer Studien festgestellt hat ± eine ausgeprägte lokale Identität zu keiner geringeren Abwanderungsrate, wobei insbesondere bei landwirtschaftlich geprägten Gebieten eine starke lokale Identität ± auch bei Abwanderung großer Bevölkerungsteile ± weiterbesteht. Selbst eine ökologische Regionalisierung, wie sie insbesondere in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit der Deep-ecology-Bewegung zu finden ist und sich als Gegenentwurf zur Äglobalen Vermassung in einer seichten, von den großen Zentren beherrschten Weltzivilisation³ (Gugenberger/Schweidlenka 1996, zit. aus Schultz 1998: 109) versteht, weist ± der postmodernen Pluralität entgegenstehende ± exkludierendethnische Grundsätze auf: In Bioregionen sollten Menschen durch Wiederverwurzelung in ÄFlora, Fauna und lokalen menschlichen Gemeinden [...] ein neues Gefühl für die Heimat³ (Gugenberger/Schweidlenka 1996, zit. aus Schultz 1998: 109) gewinnen. Wobei die Bioregionen als Ägeographische Gebiete, die bezüglich des Bodens, des Wassers, des Klimas sowie des natürlichen Pflanzen- und Tierlebens gemeinsame Merkmale aufweisen³ (Gugenberger/Schweidlenka 1996, zit. aus Schultz 1998: 109) beschrieben werden, welche die staatlich fixierten Grenzen auflösen und an deren Stelle Gemeinschaften mit einheitlichen kulturellen Praktiken setzen, die über Generationen hinweg im Gleichgewicht leben (Schultz 1998). Dabei wird die Gefahr einer kulturraumbasierten Politik deutlich: Sie tendiert ± wie Dahrendorf (1995) feststellt ± zum Rückfall in den Patriotismus.
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kapitalistischen Gesellschaft). Auf nationaler Ebene kann eine solche polyvalente Sakralisierung für die sich postmodernisierende plurale Zivilgesellschaft dann eine Gefahr darstellen, wenn von modernem Denken bestimmte Teile der Bevölkerung die Polyvalenz einer räumlichen Identität als Monovalenz konstruieren. Auf nationaler Ebene kann eine solche Konstruktion als ÄStandortnationalismus³ (Butterwegge 1999: 60)184 bezeichnet werden. In der postmodernen Gesellschaft kann eine Entwicklung von regionaler (und nationaler) Identität in Synthese mit der Weltgesellschaft einsetzen, die die zahlreichen Subkulturen (vgl. Sander 1998) in ihrem Raum nicht leugnet, sondern zumindest toleriert und auch Personen anderer räumlicher Herkunft Ädie Ausbildung und Aneignung von Identitätsoptionen unter Verwendung des kognitiven kulturellen Materials, das sie in ihren sozialen Kontexten Ãangeboten¶ bekommen³ (Wagner 1995: 99) eine Wiederverwurzelung ermöglicht. Aus einer solchen glokalisierten regionalfixierten Selbstdefinition könnte eine neue zukunftsorientierte Identifikation mit Heimat entstehen, nicht in einer exklusivistischen und bornierten regionalen Identität, sondern basierend auf Weltoffenheit, Toleranz und auf dem Bewusstsein, in der eigenen Lokalität (Kühne 2005b), die einer postmodernen Patchwork-Identität polyvalenter variabler Raumbezüge entspricht und auch auf geistigen Dimensionen von Heimat (vgl. Ott 2000) rekurriert. 4.2.6 Glokalität und neue Räume Lokalität lässt sich als räumliche Basiseinheit des postmodernen individualisierten Individuums interpretieren: Lokales entwickelt sich von gemeinschaftlicher lokaler (und regionaler) Verortung zu individueller lokaler Verortung. ÄGlokalität³ (Robertson 1995) entsteht dabei durch die Vernetzung, die globale des Lokalen, eine Vernetzung, die mit der Vernetzung der postmodernen Individuen wie auch der postmodernen Wirtschaft einhergeht. In dem Ausdruck der ³Glokalisierung´ wird das dialektische Verhältnis von Globalisierung und Lokalisierung deutlich. Er bezeichnet ± so Robertson (1995) ± die Gleichzeitigkeit von Globalem und Lokalem, die Ägleichzeitige Steigerung von Prozessen der Verallgemeinerung und Besonderung³ (Ahrens 2001: 14). Die Revitalisierung kultureller und/oder ökonomischer Aspekte von Lokalität geht dabei mit einer sukzessiven (bereits in der Moderne begonnenen) Schwächung der politischen Lokalität einher: Der ÄVerfall der kommunalen Öffentlichkeit³ (Bahrdt 1998 ± zuerst 1961: 151) bezieht sich auf Ungleichverteilung von kommunalen Aufgaben und kommunalen Einnahmen bei gleichzeitig reduziertem Personalbestand. Damit sehen sich Kommunen nur in Ausnahmefällen in der Lage, eine langfristige und den postmodernen Erfordernissen entsprechende Kommunalpolitik leisten zu können (Wollmann 2004). Die Polyvalenz von Raum und Zeit in der Phase der Postmodernisierung ist stark durch die Entwicklung und Verbreitung von Telekommunikationsmedien geprägt: Elektronische Medien ermöglichen es, die Grenzen von Raum und Zeit zu überspringen (Giddens 1991). Live184
Butterwegge geht hierbei von einer Vermischung wirtschaftsliberaler und politisch-soziokultureller Nationalismen aus, wie sie in der BRD bei den Republikanern, DVU und NPD sowie in Österreich bei der FPÖ und in Frankreich bei der FN zu finden seinen.
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schaltungen des Fernsehens, moderne Videospiele und Simulationsprogramme machen es im Prinzip möglich, ÄZeit und Ort beliebig miteinander zu kombinieren³ (Vester 1991: 55), das privatisierte Fernsehen Ämit seinen zahlreichen Kanälen markiert das Ende des ÃProgramms¶ und damit der zentralistischen Realitätsverwaltung³ (Krieg 2002: 147). Die gegenwärtige Internettechnologie ermöglicht das Hinwegsetzen über räumliche und zeitliche Grenzen, man kann in diesem Falle von einer Art raumzeitlichen Zentripetalität sprechen185, wobei diese globalisierte Medienwelt symbolische Referenzpunkte fixiert, die Änicht mehr ohne weiteres an eigne lebensweltliche Erfahrungskomplexe geknüpft sind³ (Keupp/Ahbe/Gmür/Höfer/Mitzscherlich/Kraus/Straus 2002: 36). Im Gefolge der strukturellen Kopplung von Ökonomie und Kultur in der Postmoderne entstehen ± so Featherstone (1995) ± Wellen kultureller Transformation. Die Tendenz einer Vereinheitlichung der Kultur, wie sie für die Moderne charakteristisch war, wird in der Postmoderne durch einen Äimmanent Ãdialektischen¶ Prozess kultureller ÃGlobalisierung¶, in dem gleichzeitig Entgegengesetztes möglich wird und wirklich wird³ (Beck 1997: 85), abgelöst, denn Globalisierung Äheißt gerade nicht automatisch und einseitig Globalisierung³ (Beck 1997: 86), sie kommt vielmehr Äim Gegenteil überall zu einer neuen Betonung des Lokalen³ (Beck 1997: 86). Globalisierung ermöglicht das synthetische Reflektieren der eigenen (lokalen) Kultur: ÄThe process of globalization, then, does not seem to be producing cultural uniformity; rather it makes us aware of new levels of diversity³ (Featherstone 1995: 13-14). Eine Globalkultur ersetzt lokale Kulturen ebenso wenig wie regionale oder nationale, sie stellt vielmehr eine Emergenz dar (Kühne 2004a), mit deren Hilfe sich lokale, regionale und nationale Kulturen vernetzen können. Entscheidend ist dabei, dass lokale Kultur dabei ihre zwingende Ortsgebundenheit aufgibt, Massenmedien, Internet- und Kommunikationstechnologien und Reisen (siehe hierzu Bauman 1994 und 1997) führen ± so Beck (1997: 130) ± zu einer ÄVielörtlichkeit³, einer ÄTransnationalität der Biographie³ und zur ÄGlobalisierung des eigenen Lebens³: ÄDie Verbindung von Ort und Gemeinschaft bzw. Gesellschaft löst sich auf. Wechsel und Wahl von Orten sind die Paten der Glokalisierung von Biographien³ (Beck 1997: 130). Dabei entstehen transnationale und transkulturelle Räume, die sich generieren als ÄKombinationen von sozialen und symbolischen Bindungen und Positionen in Netzwerken und Organisationen, die sich im Rahmen von mindestens zwei geographisch und national verschiedenen Lebensräumen entwickeln³ (Faist 1997: 224-225). Das moderne ÄEntweder-oder³ wird durch ein postmodernes ÄZugleich³ ersetzt (Hoppmann 2000: 47). Lokalität wird in der Postmoderne nicht mehr durch die Ausschließlichkeit eines Ortes definiert, Lokalität bedeutet die Pluralisierung lokalen Raumes, die wiederum Ergebnis von Hyperrealität sein kann. Darüber hinaus trägt Lokalität zur Globalität bei, wie Clarke (2003: 191) nicht ohne Ironie feststellt: ÄThe local is, finally, a truly global phenomenon; it is to be found everywhere³. In der Postmoderne erhält eine zuvor unidentifizierte (aber nichtsdestotrotz bereits in der Moderne angelegte) Raumkategorie an Bedeutung: diejenige der ÄNicht-Orte³ (Augé 1994). Diese Nicht-Orte sind Räume, die durch eine Beschleunigung der Verkehrsmittel, durch neue Telekommunikationsformen entstanden sind; ÄZu den Nicht-Orten gehören die für den be185
Dies macht auch den Prozess der räumlichen Dezentrierung deutlich, Produkte und Dienstleistungen müssen häufig nicht mehr zentral angeboten werden, sondern werden zum Kunden geliefert.
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schleunigten Verkehr von Personen und Gütern erforderlichen Einrichtungen (Schnellstraßen, Autobahnkreuze, Flughäfen) ebenso wie die Verkehrsmittel selbst³, genauso wie Ädie großen Einkaufszentren oder die Durchgangslager, in denen man die Flüchtlinge kaserniert (Augé 1994: 44-45). An solchen Nicht-Orten sind die Personen, die sie betreten aus ihren gewohnten Rollen als Kollege, Mutter, Nachbar herausgehoben (Noller 1999: 151): ÄAn den Nicht-Orten sind sie nur noch Passagier, Kunde, Autofahrer oder Benutzer³. Im Vergleich zu dem NichtOrt charakterisiert Augé (1994) den Ort durch eine in Raum und Zeit fixierte Kultur. Ist der Nicht-Ort geprägt durch Einsamkeit, befreit er auch von der Verbindung von ÄBoden = Gesellschaft = Nation = Kultur = Religion³ (Augé 1994: 137). Nicht-Orte sind wiederum Zufluchten, in denen Ädem totalitären Zwang der Orte³ entgangen werden kann. Insbesondere an den Nicht-Orten lässt die Polyvalenz der Postmoderne feststellen: Für den Reisenden, den Touristen ist der Flughafen (in aller Regel) ein Nicht-Ort, für den Anwohner, den Flughafenmitarbeiter, ist er durchaus ein Ort, was ist er nun für den Flaneur? Die malls postmoderner Städte dokumentieren in besonderer Weise die Eigenschaften von Nicht-Orten: Sie dokumentieren Ädie feinen Unterschiede³ und bieten nur denjenigen zutritt, die am Konsum teilnehmen (Hoppmann 2000) können. Sie entbehren der kulturellen und sozialen Verbindlichkeit des Ortes indem sie ästhetisierte Scheinwelten (des nahezu Hyperrealen) ökonomischer Obligos konstruieren. Insbesondere die Äneuen Räume³ lassen die Ambivalenz der räumlichen Entwicklung der Postmodernisierung deutlich werden: Einerseits erweitern Sie das Spektrum des möglichen individuellen und sozialen Handelns andererseits sind sie ± wie kaum ein anderer Raum in der Geschichte ± dazu angetan, einen Beitrag zur Ärepressiven Entsublimierung³ (Marcuse 1967) zu leisten.
4.2.7 Gestaltete Landschaft: Parks und Gärten Anhand der Entwicklung von Gärten und Parks lässt sich der Wandel des Verhältnisses der Gesellschaft zur Natur bestimmen (Hammerschmidt/Wilke 2000: 9): ÄIm Garten spiegeln sich die Sehnsucht des Menschen nach dem Paradies wie seine Furcht vor der realen Natur und sein Wunsch diese zu beherrschen. Der Garten ist somit nicht so sehr die Welt im Kleinen, sondern eher Ausdruck des menschlichen Weltbildes, eines Bildes, in dem jeweils abhängig vom Selbstbewusstsein des Menschen definiert ist, was unter ÃNatur¶ zu verstehen ist³. Gerade die Landschaftsparks und -gärten des 19. Jahrhunderts hatten einen erheblichen Anteil an der Popularisierung landschaftlichen Wahrnehmens: Sie folgten den gemalten oder gezeichneten Landschaften, sie verdichteten unterschiedliche Landschaftselemente, den Mustern folgend, die in der Malerei entwickelt waren, Äwie etwa dem der perspektivischen Ordnung. Die perspektivisch gesehene Welt aber ist eine Welt, in der sich der Blick der Welt bemächtigt. Mit der Erzeugung der Landschaft im perspektivischen Bild ist also schon deutlich, dass Landschaft weniger ÃNatur¶ als vielmehr ihre Konstruktion ist³ (Hauser 2003: 28). Der Landschaftspark ist, Äwie sehr er sich auch in ein gegebenes Gelände einpasst, nicht identisch [...] mit der Landschaft, sondern [stellt] Landschaft [dar], [ist] also ein Kunstwerk³ (Burckhardt
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1999: 8). Damit lassen sich Landschaftsparks als Vorwegnahme postmoderner Gestaltungsund Funktionsprinzipien in der Moderne interpretieren. Die Bedeutung der (kulturellen und sozialen) Gestaltung von Raum in Form von Parks und Gärten nimmt in der Postmoderne zu, da einerseits durch die Entökonomisierung weiter Teile des Raumes (Rückzug von Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Schwerindustrie) Flächen in zunehmender Größe und Zahl zur Verfügung stehen und andererseits die Ansprüche an diese Flächen in der Postmoderne differenzierter werden. Mit dem Bedeutungsverlust der Primärproduktion (hier besonders: Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Bergbau) ist auch eine Verringerung der Gestaltungsmöglichkeiten von Landschaft als Nebenfolge des ökonomischen Agierens verbunden. Bestanden in der Vormoderne und Moderne bei der Anlage von Parken und Gärten erhebliche Flächenkonkurrenzen (mit Ausnahme von peripheren Räumen), stehen in der Postmoderne teilweise innenstadtnah Konversionsflächen zur Verfügung, die ökonomisch nahezu nicht inwertsetzbar erscheinen. Gerade an innerstädtisches Grün werden in der Postmoderne differenzierte Interessen gerichtet (städtisches Naturversprechen, aktive und passive Erholung, Lagequalität für Bauinvestitionen und Nachbarschaften, Umweltwirkungen; Schröder 2002), wobei sich die Kompensationsbegründung für städtisches Grün, das Äan das Bild der Stadt des Industriezeitalters gekoppelt³ (Schröder 2002: 13) ist, sich aufgrund der Verfügbarkeit von nichtstädtischer Landschaft gegenwärtig in Auflösung befindet. In der Postmoderne vollzieht sich auch in der Anlage von Parken ein Struktur- und Funktionswandel (vgl. auch Gröning 1998). Waren die Parks der Moderne im Wesentlichen noch monofunktional ausgerichtet und streng geplant, vollzieht sich mit dem Ökopark und der Popularisierung des Landschaftsparks (vgl. Heyer 1987, Hofmeister 1994, Turner 1996, Rohler 2003) ein Wandel zur Polyvalenz, der seinen vorläufigen Höhepunkt in der Entwicklung von postmodernen Landschaftsparks findet. Im Landschaftspark werden historische Entwicklungen und Landschaften inszeniert und ästhetisiert. Insbesondere industrielandschaftliche Relikte werden kulturiert und mit neuen sozialen Zusammenhängen konfrontiert. Landschaftsparks finden sich heute als Folgenutzungen derzeit insbesondere in Altindustriegebieten (Ruhrgebiet, mittelenglischen Industrierevier, Saarland), wo sie eine kulturierte Klammer zwischen moderner, industrieller erobernder Raumnutzung und postmoderner ökonomischer (partieller) Entraumlichung (Ädeath of distance³, Cairncross 1997) darstellen. Konzepte einer kulturellen Inwertsetzung solcher Flächen, aber auch ehemals monofunktional ausgerichteter Forste lassen die Grenzen zwischen Naturraum und Kulturraum weiter verschwinden. Bei der Gestaltung von Parks und Gärten in der Postmoderne lassen sich ± so Lipp (2000) ± im Wesentlichen drei ± auf die Postmodernisierung der Gesellschaft zurückzuführende ± Trends feststellen: 1. Gärten und Parks werden vielfältiger und koexistieren Äin bunter Streuung³ (Lipp 2000: 104) von Privatgärten, Verkehrsgrün, Friedhofsgrün, in unterschiedlichen Gartenstilvarianten: japanischen, französischen, englischen Gärten, in Form von Palmenhäusern und Freizeitparks. 2. Diese Streuung wird zu einem Arrangement zusammengefasst, sie wird inszeniert, zur Gartenshow und Gartenschau. Diese Inszenierung Ämacht Gärten zur Bühne nicht mehr von Naturereignissen, sondern von erklärtem sozialen Rummel, Entertainment und 119
Massenvergnügen. [...] Die Entwicklung ist über Gartenamüsement oder Streichelzoos dabei längst hinausgegangen; das postmoderne Gartenamüsement findet in Safarizoos, Holidayparks, Walt-Disney-Lands statt, zu denen die Massen von weit her strömen und am Spektakel sind Millionengelder und Mitarbeiter beteiligt, deren Zahl in die Hunderte geht³ (Lipp 2000: 104). 3. In Parks und Gärten der Postmoderne werden transzendierende Motive sichtbar. In den bunten und pluralistischen Arrangements treten auch Widersprüche, Paradoxien und Unregelmäßigkeiten in Erscheinung. Der postmoderne Typus von Kultur, Äder rigide Ordnungen umstößt, nur lose organisiert ist und sich angesichts der weiten offenen Horizonte, die ihn umgeben, auch selbst auf Offenheiten, Überraschungen, ja Risiken und Katastrophen einlässt, schlägt sich auch im Gartenwesen nieder³ (Lipp 2000: 105). Ein Ausdruck der postmodernen Kultur in der Landschaftsgestaltung ist der Ökogarten, ein anderer der Landschaftspark. Der erstere inszeniert dabei die Wechselwirkung von Natur und Gesellschaft, der zweitere inszeniert kulturelle und/oder ökonomische Artefakte in Interferenz mit der Natur. In Gärten und Parks wird ± in überspitzter Form ± deutlich, welche soziale Bedeutung Landschaft in der Postmoderne hat: Sie wird geplant und inszeniert, angeeignete physische Landschaft nicht mehr allein Nebenfolge menschlichen Handelns, sondern geplanter Zustand, in denen Pluralität, Widersprüche und Polyvalenzen offenkundig werden. 4.2.8 Architektur und Raumordnung Gerade die Folgen und Nebenfolgen raumordnerischen Handelns sind ± als später nicht leicht beeinflussbare Exioritäten (Stichweh 2003) ± Moderne Postmoderne Internationalismus Regionalismus landschaftlicher Ausdruck gesellschaftlicher PaFunktion Fiktion radigmen. Sie stellen als Elemente der ÄDomestikation des Raumes³ (Stichweh 2003: 100) sogeometrische Abstraktion fiktionale Darstellung Symbolgehalt der wohl das Verhältnis der jeweiligen Gesellschaft Konstruktion Bedeutungsvielfalt zum Raum als auch das rückgekoppelte VerhältTechnik-Utopie Poesie Improvisation und nis von sozialer Ordnung und Raum dar. Perfektion von Apparaten Spontaneität In der Architektur findet in der Postmoderne Reflexives Geschichtsbewusstsein Geschichtslosigkeit eine Kulturalisierung statt - eigentlich müsste Relativität von Historie, von einer Rekulturalisierung gesprochen werden, Heroische Absolutheit Region, Topographie reflexive Individualität, denn vor der Moderne war die (vorzugsweise Anerkenntnis der städtische) Architektur eher von Kunst denn von gegebenen Umwelt Universalismus technologischer Ökonomie bestimmt. Dabei hat Tabelle 7: Merkmale moderner und postmoderÄArchitektur immer eine doppelte Wirkungsweiner Architektur (nach: Klotz 1988). se: eine reale und eine symbolische. Real definiert sie Lebensräume und Handlungsmöglichkeiten; auf der symbolischen Ebene prägt sie unsere Vorstellungen von Urbanität, Zusammenleben, Gesellschaft etc. Sie greift also nicht nur in unsere Praxis, sondern auch in den Haushalt unserer Imaginationen, Wünsche und Zielvorstellungen³ (Welsch 1993b: 13) ein. Die Formensprache der ÄModerne³ entsprach der 120
Hegemonie der Funktion. Der Leitgedanke einer solchen Bauhaus-Ästhetik lässt sich als Äzu bauen ist das, was funktional ist; Schmuck ohne Funktion ist Kitsch³ (Welsch 1993b: 13) zusammenfassen. Einem solchen Denken entspricht das zu normativer Bedeutung erhobene Prinzip ÄForm follows function³. Siebel (2004: 19) bezeichnet diesen funktionalistischen Ansatz als Äeine Ingenieursutopie, die darauf baute, dass die Prinzipien der Natur (Licht, Luft, Sonne) und der Rationalisierung der Industriearbeit ausreichten, um eine gute Stadt zu errichten³. Darüber hinaus sollten die Ärationalistischen Konzepte fordistischer Planung [...] der europäischen Stadt [...] das Dschungelhafte, Labyrinthische, das Mythische und Bedrohliche austreiben³ (Siebel 2004: 20), das in der Unüberschaubarkeit der Stadt Voraussetzung für abweichendes Verhalten war. Während die moderne Architektur einen globalen Einheitsbaustil verfolgte, ist die postmoderne Architektur darum bemüht, regionalspezifische und historische Aspekte aufzugreifen, sie reflexiv durch neue Elemente, sei es als historisches Zitat (architektonischer Playgiarismus) oder als regionalunspezifisches Element, zu ergänzen und so in mehrfacher Weise zu codieren186: ÄWährend die Moderne sich von aller Gegenwart zu befreien suchte und Architektur zu einer Sache der reinen Gegenwart werden ließ, haben wir in der Postmoderne die Erinnerung zurückgewonnen. Die Geschichte als wiedererlangte Perspektive erlaubt es nicht länger, der Interessantheit der reinen Formen Reize abgewinnen zu wollen, sondern sich stattdessen einzulassen auf den Geist der Ironie³ (Klotz 1985: 423). Ein wesentliches Merkmal postmoderner Architektur ist dabei eine Ädissonante Schönheit³ (Jencks 1977), die eingebunden ist in Äthe imaginative transformation of a shared symbolic system³ (Jencks 1978b: 43). Gründerzeitliche Stuckfassaden, verspielte Elemente, in der Moderne als ÄKitsch³ apostrophiert, werden in der Postmoderne wieder als ästhetisch rehabilitiert. Neubauten werden zunehmend wieder mit funktionslosen Ornamenten versehen, teils als historische Stilzitate, teils mit einer neuen phantastischen Formensprache (Blotevogel 2003; vgl. auch Moulaert/Swyngedouw 1989). Postmoderne Architektur und Stadtplanung sind jedoch auch in diesem Sinne nicht einheitlich (der Begriff Postmoderne lässt sich auch im Sinne von Metamoderne verstehen), sondern es lassen sich Ädurchaus heterogene Tendenzen [feststellen], die vom neuen ÃRationalismus¶ im Sinne Aldo Rossis über den ÃDekonstruktivismus¶ [...] bis zum Ãironischen¶ Gebrauch historischer Formen und zur Kopie untergegangener Bauten reichen³ (Albers 1997: 310) interpretieren. Die Architektur und der Städtebau der Postmoderne setzen sich über das Ziel der Widerspruchsfreiheit der Moderne hinweg. Sie fügt dem Ähistorisch gewordene[n] und widersprüchliche[m] soziale[n] Verhältnis³ (Siebel 2004: 19) reflexiv neue Brüche und Widersprüche hinzu. Dies verdeutlicht auch die Vielheit der postmodernen Nachfolge des modernen Prinzips von form follows function zu der Polyvalenz von form follows fiction, form follows fear, form follows finesse und form follows finance, wie sie Ellin (1999) beschreibt187. Durch das Brechen der postmodernen Stadt mit den Konzepten des Funktiona186
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Jencks (z.B. 1977, 1978a, 1978b) belegt diese Entwicklungen mit den Termini ÄDoppelcodierung³, Äradikaler Eklektizismus³ÄPluralismus³ und ÄHistorizismus³. In einem Satz ließe sich diese Vierheit postmoderner Bau- und Raumplanungsprinzipien folgendermaßen illustrieren: Postmoderne Architektur und Raumplanung ist aus der Angst erzeugenden Unsicherheit vor globalen (Terror, Umweltbelastung) und persönlichen (Arbeitslosigkeit, Kriminalität) Unsicherheiten geboren, die sie mit einer fiktiven (häufig historisierenden) Gemütlichkeit zu kaschieren sucht, indem sie sich durch
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lismus findet im Zusammenhang mit einer Erweiterung der Grenzen gesellschaftlicher Toleranz gegenüber dem in der Moderne (und Vormoderne) als abweichend zugewiesenem Verhalten eine Re-Mystifizierung und Sakralisierung von Stadt Äals Heimat und identitätsstiftende Erinnerung³ (Siebel 2004: 20) statt188. Die Postmodernisierung von Architektur und Städtebau ist nicht allein mit der sozialen, kulturellen und der politischen Postmodernisierung rückgekoppelt, sondern in besonderer Weise mit der ökonomischen (vgl. Harvey 1987): Die Überwindung fordistischer Uniformierung in der technischen, industriellen Produktion durch eine flexible Akkumulation und deren städtebauliche und architektonische Manifestation189: ÄStädte verkörpern die physischen, kulturellen und sozialen Auswirkungen einer langen Geschichte ökonomischer Entwicklung³ (Moulaert/Nussbaumer 2004: 397; siehe auch Moulaert/Swyngedouw 1989) ± mit teilweise deutlichen sektoralen Persistenzen früherer Akkumulationsregimes (Bauernmärkte, handwerkliche Tätigkeiten). Typisch für postmoderne Nutzbauten ist ihr Bemühen um eine räumliche Totalität (Jameson 1986, Dear 2000), d.h. sie stellen häufig eine in sich abgeschlossene Welt dar. Postmoderne Gebäude wie das Centre Pompidou in Paris, das Bonaventure Hotel in Los Angeles, aber auch das CentrO in Oberhausen (vgl. Wood 2003), sind nicht Bestandteile ihres Stadtviertels, ihrer Stadt, sie bilden ein ästhetisch-autopoietisches Subsystem aus, das die Komplexität, aus der es entstanden ist, mindert, sie sind funktionale Äquivalente von Städten, oder allgemeiner von Räumen. Gleichzeitig sind sie aber intensiv funktional und stofflich mit ihrer Umwelt rückgekoppelt, wobei diese Rückkopplung ihre Autopoiesis nicht einschränkt. Die Abgrenzung des postmodernen Gebäudes zu seiner Umwelt wird häufig (so Jameson 1986) durch spiegelnde Fassaden verdeutlicht, ähnliches kann für die betonte Schlichtheit von postmodernen Gebäuden (oder Gebäudekomplexen) nach außen, und eine prachtvolle und komplexe Gestaltung nach innen, oder aber die Verlegung von Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen außerhalb der Fassade, gelten. In jedem Falle wird die Autopoiesis des Gebäudes inszeniert. Hinsichtlich funktionaler und struktureller Grenzen lässt sich am Beispiel des postmodernen Gebäudes eine Polyvalenzierung von Abgrenzungen feststellen: Einerseits differenziert das postmoderne Gebäude funktionale Grenzen aus, oder entgrenzt sogar, indem es unterschiedliche Funktionen (in Anlehnung an die Daseinsgrundfunktionen), wie erholen, arbeiten, sich versorgen, sich bilden, in Gemeinschaft leben, und sogar wohnen, vermischt, an-
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symbolische Doppelcodierungen stets neu erfahrbar macht und durch den effizienten Einsatz (meist großer) Kapitalmengen realisiert wird. Das kritische Verhältnis zwischen postmoderner Landschaftsinszenierung und Landschaftserhaltung (was in diesem Kontext die Denkmalpflege einschließt) fasst Albers (1997: 312) folgendermaßen zusammen: ÄDie Wiedererrichtung historischer Bauten, die verloren gegangen sind, in den fünfziger Jahren nur in Sonderfällen wie denen des Frankfurter Goethehauses oder des Marktplatzes in der Warschauer Altstadt akzeptiert, löst heute kaum Skrupel aus ± außer bei der Denkmalpflege selbst, der mit einer auf Inszenierung der Historie gerichteten ÃStadtbildpflege¶ ein fragwürdiger Verbündeter zugewachsen ist. Die historische Altstadt als ein mit Kulissen bestückter ÃErlebnispark¶± für jeden geschichtlich Denkenden eine Horrorvision ± scheint im Zeitalter Ãvirtueller¶ Umwelten nicht mehr fern zu sein³. Eine kritische Auseinandersetzung mit postmoderner Architektur und postmodernem Städtebau findet sich bei Becker (1996).
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dererseits aber differenzieren sich postmoderne Gebäude funktional und struktural und symbolisch emergent aus (siehe Moulaert/Swyngedouw 1989)190. Das städtebauliche Paradigma der Postmoderne ist nicht mehr die strikte Funktionstrennung der Moderne, sondern sie orientiert sich an einer Pluralisierung und Lokalisierung der Stadt, die Stadt gliedert sich ± so die Vorstellung postmoderner Stadtplaner (siehe Ungers 1990) ± in verschiedene Identitätsräume, in überschaubare Einheiten, für die eine Durchmischung der Funktionen (im Sinne der Daseinsgrundfunktionen) charakteristisch ist. Im Sinne der Systemtheorie können solche ÄStadtteilstädte³± vergleichbar den großen postmodernen Gebäuden ± als autopoietische Systeme interpretiert werden, die jedoch miteinander strukturell rückgekoppelt sind. War für das Mittelalter die räumlich (aus Schutzgründen) und zeitlich (u. a. aufgrund des Fehlens von künstlicher Beleuchtung) kompakte Stadt charakteristisch, folgte in der Moderne (aufgrund des Einsatzes von Massenverkehrsmitteln) eine räumliche Dispersion zur fordistischen Industriestadt, die sich mit der Postindustrialisierung zur räumlich und zeitlich dispersen postmodernen Agglomeration entwickelte (Henckel/Herkommer 2004). Ein weiteres Beispiel für die räumliche Postmodernisierung ist der Umgang mit Verkehrsinfrastruktur. In der Moderne funktional differenziert und spezialisiert in Landstraße bis Autobahn, Stadtstraße (die Stadtsoziologie stellte dabei eine Entwertung des öffentlichen Raumes Straße fest, so z.B. Bertels 1997, Bahrdt 1998 ± zuerst 1961, Selle 2004), Schienenstrang, Bahnhof, Flughafen, so dass Äanfangs noch mögliche ÃSekundärnutzungen¶ ausgeschlossen wurden³ (Sieverts 2004: 87), werden in der Postmoderne Mehrfachnutzungen und Inszenierungen, auch von Nicht-Orten (vielfach war der öffentliche Raum in der späten Moderne dazu herabgesunken, vgl. Selle 2004) vollzogen: Die innere Verkehrserschließung von Wohngebieten erfolgt durch ÄSpielstraßen³, Tankstellen werden zu Supermärkten, Bahnhöfe zu shopping malls, Flughäfen, selbst Autobahnen191, dienen als Kulissen für Volksfeste und Bundesstraßen werden großzügig für Rad- und Motorsportveranstaltungen gesperrt. Der soziale Raum und damit seine physische Manifestation Stadt (aber auch diejenige des Suburbiums und der nichtstädtischen Siedlungen) wird im Gefolge der differenzierten Ansammlung symbolischen Kapitals, der Fragmentierung der sozialen Gemeinschaften in unterschiedliche Lebensstile und Milieus ebenfalls fragmentiert, es entstehen Viertel der Milieus, der Lebensstile ± die fragmentierte Stadt ±, Ämehr noch, im Zeitalter der Postmoderne zerfällt die Auseinandersetzung mit dem städtischen Lebensraum in die dekonstruierende Interpretation verschiedener Texte sozialer, kultureller, ethnischer oder klassentheoretischer Art³ (Soja 1994: 7). Ein Beispiel für distinguierende räumliche Anpassungsprozesse stellt die gentrification dar ± Milieus mit einem höheren Status (symbolischen Kapitals) verdrängen solche mit
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So lässt sich beispielsweise die Polyvalenz des Oberhausener CentrO in (mindestens) drei Ebenen gliedern (Wood 2003): Erstens, das CentrO ist nicht allein ein Ort des Konsums und der Freizeitgestaltung, sondern ein Symbol für den erfolgreichen Strukturwandel der Stadt, zweitens, ist es für den Besucher nicht allein ein Ort des Konsums, sondern darüber hinaus Träger von spezifischen Zeichen und Bedeutungen (insbesondere durch eine Zeit-Raum-Komprimierung), drittens, kann das CentrO als ein Symbol für die ÄWeitsichtigkeit städtischer Politik³ (Wood 2003: 148) gelten, die gesellschaftliche Entwicklungen antizipiert habe. So beispielsweise geschehen im Juni 2004 auf dem vor der Fertigstellung stehenden Autobahnteilstück der A 63 zwischen Kaiserslautern und Sembach, auf dem eine ÄAutobahnparty³ gefeiert wurde.
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einem geringen Status und Äkehrt in mancher Hinsicht bislang bekannte Stadtentwicklungsprozesse um³ (Dangschat 2000: 213). Eine der wesentlichen Herausforderungen der sich postmodernisierenden Stadt bzw. Agglomeration ist der Stadtumbau bzw. die Revitalisierung der post-fordistischen, bevölkerungszahlstagnierenden, überalternden Stadt (vgl. Walther 2004). Der aktuelle Stadtumbau lässt sich als ein neues städtebauliches Paradigma beschreiben. Während Stadterneuerung bis Anfang der 1970er Jahre noch als Sanierung als eine radikale, autogerechte Neugestaltung, als ÄTertiärisierung und Auflockerung der überkommenen Innenstädte verstanden und praktiziert wurde³ (Bodenschatz 2003; z.B. die Gorbals in Glasgow und das Sanierungsgebiet WeddingBrunnenstraße in West-Berlin), wurde dieses Paradigma während der 1970er Jahre von einem solchen abgelöst, das stärker auf eine bauliche wie soziale erhaltende Stadterneuerung ausgerichtet war (z.B. die historischen Zentren von Bologna und Kraków sowie Stadterweiterungsgebiete aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg etwa in Wien und Berlin) 192. In den frühen 1980er Jahren zeichnete sich eine dritte Phase ab (Bodenschatz 2003): Ädie auf Neu- bzw. Umbau und Revitalisierung setzende gestaltende Stadterneuerung, die später als Stadtumbau bezeichnet wurde³193. Bodenschatz (2003) geht perspektivisch für die postmoderne Raumplanung von einem solidarischen ÄUmbau³ der gesamten Stadtregion aus. Die Orientierung auf die gesamte Stadtregion impliziert dabei die Überwindung der isolierenden Sicht jeweils nur auf die Innenstadt, auf Konversionsflächen, auf Großsiedlungen, auf die Gebiete suburbaner Zersiedelung oder aber auch den ländlichen Raum. Raumordnungspolitik wirkt wie auch (und als) Sozialpolitik Äaktivierend, prozesshaft, lokal differenzierend, integrierend, private und öffentliche Akteure koordinierend³ (Siebel 2004: 48)194. Dabei geht mit dem allgemeinen Machtverlust des administrativ-politischen Systems auch ein sukzessiver Rückzug des Politischen aus einer Raumordnung nach top-down-Prinzipien einher. Die Unfähigkeit und das Scheitern moderner Regelungsansprüche induzierte eine eher moderierende Raumordnung mit einem Schwerpunkt auf governance-Prinzipien (Healey 1997, Selle 1996, vgl. auch Matthiesen 2003). Im siedlungskulturellen Vergleich kann von einem Abrücken von dem Struktur-Paradigma einer nordamerikanischen Stadt hin zu dem Leitbild der orientalisch-südeuropäischen Stadt (etwa der spanischen Stadt) gesprochen werden195 ± weg von der Planung großer Einheiten und der Funktionstrennung, hin zu nach innen gekehrten kleinen, funktionsdurchmischten 192
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Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 kann hierbei als Markierung des Höhepunktes dieses radikalen Leitbildwandels verstanden werden. Unter Stadtumbau lassen sich im Wesentlichen drei Aktionsfelder verstehen (Bodenschatz 2003, vgl. dazu auch Moulaert/Nussbaumer 2004, Walther 2004): 1. Der Umbau der Zentren (ÄRevitalisierung³): Der öffentliche Raum wird für Fußgänger wieder gewonnen, ästhetisiert bzw. neu geschaffen. Entertainment- und Kulturkomplexe werden neu errichtet oder in historische Gebäude implantiert. 2. Der Umbau von brach gefallenen, nicht mehr genutzten Flächen (ÄKonversion³): Im Zuge des Strukturwandels sind am Rande und außerhalb der Innenstädte in den letzten Jahrzehnten große Flächen brach gefallen. 3. Der Umbau der großen, monofunktionalen Siedlungen des Sozialen Wohnungsbaus (ÄNachbesserung³). Als erste Beispiele in dieser Richtung nennt er die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet und das Langzeitprojekt ÄIndustrielles Gartenreich³ in Sachsen-Anhalt. Zur kulturspezifischen Genese von Städten siehe Hofmeister (1996).
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Einheiten ± ein Beispiel hierfür sind Blockkernsanierungen, das Wiederaufleben von Stadtteilfesten (in positiver Rückkopplung mit einer neuen Stadtteilidentität). Die Entwicklung solcher Stadteile verläuft dabei nicht uniform, sondern individuell (vgl. Ungers 1990). Dem gemäß ist postmoderne Stadtplanung eher ein Management, der Stadtplaner eher ein Moderator, Stadtplanung ist keine Implementierung eines anzustrebenden Zielzustandes, sondern vielmehr die flexible Moderierung eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses (vgl. Huber 1993). Planerisches Handeln wird somit als kommunikatives Handeln verstanden (Forester 1985, 1989)196. Postmoderne Raumplanung ± Selle (1994) prägt hierfür den Terminus des ÄKooperativen Handelns³± ist durch Wertorientierung (anstelle von Zweckorientierung), Gleichzeitigkeit von Konzept- und Projektentwicklung, Fehlerfreundlichkeit durch reflexivrückgekoppeltes Handeln, Örtlichkeit (d.h. primäre Ausrichtung auf endogene Potenziale), Kooperation, Offenheit und Ressort übergreifendes Handeln geprägt (Selle 1993, mehr hierzu siehe Lanz 1996). Zum Ausdruck kommt dieses neue raumplanerische Paradigma u. a. in der Durchführung von Mediationsverfahren, in denen nicht eine Planung oktroyiert wird, sondern ergebnisoffen von den unterschiedlichen Interessengruppen diskutiert wird (vgl. z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2000)197. Damit wird deutlich, dass die gestalterische Entwicklung des Raumes in der Postmoderne Äinnerhalb von gesellschaftlichen Prozessen immer wieder neu ausgehandelt werden muss, in einem dynamischen Prozess mit vielen Partnern, immer neuen Situationen und immer wieder anderen Resultaten³ (Fingerhuth 1997: 92).
4.2.9 Die angeeignet-physisch landschaftlichen Auswirkungen anthropogener ökologischer Veränderungen Ein wesentliches Charakteristikum des modernen Umgangs mit Umwelt war ihre exzessive Inanspruchnahme als Konsumgut, als Produktionsmittel, als Produktionsstandort und zur Aufnahme von Schad- und Reststoffen. Diese exzessive Nutzung der Umwelt in der Moderne äußerst sich sowohl in der Entnahme von Rohstoffen (vor allem für ökonomische Prozesse), die Ausdehnung von gesellschaftlich (insbesondere ökonomisch) genutzten Flächen, der Entsorgung von Reststoffen und verbrauchten Gütern wie auch in dem Ignorieren von natürlichen Limitfaktoren. Landschaftlich äußerte sich ein solcher Umgang mit der natürlichen Umwelt in Form von erheblichen Abweichungen von einem potenziell natürlichen Zustand: Eingriffe wie Tagebaue, Bergehalden, Mülldeponien, Siedlungsexpansionen, große Schläge in der Landwirtschaft, Begradigungen und Verrohrungen von Fließgewässern, Zerschneidungen durch den Aufbau technischer Infrastruktur, Kahlschläge in der Forstwirtschaft änderten den Charakter der angeeigneten physischen Landschaft (siehe hierzu Radkau 2000). War die ökologische Moderne durch die Kopplung, den Rohstoffverbrauch und die Emission an die Produktion gekennzeichnet, lässt sich in der ökologischen Postmoderne eine Entkopplung von Produktion von Rohstoffinput und Emissionsoutput konstatieren (Kühne 2003b). Wurde in 196
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Die Demokratisierung von Planungsprozessen erfordert ± so Forester (1985) ± eine Reihe von Maßnahmen gegen Verzerrungen in der Kommunikationsstruktur in der Planung. Dies reicht von der Offenlegung der Bedeutung von Planungsinhalten und -kontexten, über die Minimierung des Gebrauchs von Fachtermini bis zur Transparenz nicht geäußerter Interessen. Eine Betrachtung der Planungspraxis hinsichtlich ihrer Postmodernität findet sich bei Lanz (1996).
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der Moderne Umweltbelastung ± wenn überhaupt ± als notwendiges Übel hingenommen, wird diese Notwendigkeit in der Postmoderne im Zuge des Wertewandels (Inglehart 1977, Inglehart 1998) in Frage gestellt und Umweltschutz als wesentliches Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung anerkannt. Wie in der Kultur lässt sich mit Einsetzen postmodernen Denkens im Umgang des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt ein Spezifikum der Postmoderne feststellen: das Kompostieren und Re-Zyklieren. Zwar wurden Kompostierung und Rezyklierung auch in der Moderne ± und insbesondere in der Vormoderne ± betrieben, Ädoch erst in der Postmoderne wird ihnen tatsächliche Wertschätzung zuteil³ (Fayet 2003: 160). Bei der Rezyklierung und Kompostierung geschieht Änichts anderes als eine ± durch die Abfall- und Sterilitätszunahme der Moderne motivierte ± Entwicklung weg von der Entsorgung des Abfalls durch Vernichten, hin zu einer Entproblematisierung³ (Fayet 2003: 161). Dieses neue Paradigma des Umgangs mit den Nebenprodukten menschlichen Handelns, auch motiviert aus dem Bewusstsein der Endlichkeit von Ressourcen (in Verbindung mit der Schaffung neuer Soll-, Kann- und MussNormen hinsichtlich des menschlichen umweltrelevanten Handelns) lässt sich sowohl in der Privatheit der Kompostierung von Küchen- und Gartenabfällen, der elektro- und/oder heizenergetischen Nutzung der Müllverbrennung und auch in dem Aufbau national organisierter Rezyklierungssysteme, wie dem ÄGrünen Punkt³ feststellen. Während also das Schlagwort der Moderne Schöpfung lautete, lautet Ädas Schlagwort der Postmoderne [...] Wiederaufbereitung³ (Bauman 1997: 133). Der internationale Emissionshandel lässt sich als Beispiel für ökonomische Inwertsetzung von Abfall auf globaler Ebene interpretieren. Zwischen ökologischer Moderne und ökologischer Postmoderne lässt sich eine doppelte Dimensionsverschiebung konstatieren: Waren die wesentlichen ökologischen Belastungen der Moderne von lokaler bis regionaler Dimension, sind sie in der Postmoderne von kontinentaler bis globaler Dimension. Bezogen sie sich in der Moderne auf primäre Eingriffe in den Naturhaushalt, sind sie in der Postmoderne von Sekundäreffekten (insbesondere Sekundärschadstoffen) geprägt. So lässt sich in den Staaten der Ersten Welt eine weitgehende Verringerung der lokalen ökologischen Belastung nachweisen: Stadtökologische Probleme machen sich heute an marginalen Verbesserungen (z.B. die verstärkte Gestaltung mit Stadtgrün) fest und nicht mehr an massiven Primärschadstoffgehalten, neue ökologische Probleme treffen in der Postmoderne ebenfalls das suburbane Umland wie auch ländlich geprägte Räume, wie beispielsweise die Belastung durch bodennahes Ozon. Im Gegensatz zum für die Moderne charakteristischen Wintersmog (mit den Hauptkomponenten Schwefeldioxyd und Staub) entsteht der die ökologische Postmoderne kennzeichnende photochemische Sommersmog (Ozonsmog) während sommerlicher Hochdruckwetterlagen. Ozon ist dabei ein gegenüber organischen Molekülen sehr reaktiv wirkender sekundärer Schadstoff, der gebildet wird, wenn Stickstoffoxide, Kohlenmonoxid und flüchtige organische Kohlenwasserstoffe intensiver Sonnenstrahlung ausgesetzt sind. Vorläufersubstanzen also, die üblicherweise unterschiedlicher Provenienz entstammen: Stickoxide und Kohlenmonoxid den verdichteten Räumen (und stark befahrenen Fernstraßen), flüchtige organische Substanzen den ländlichen Räumen (in besonderer Weise mit hohem Waldanteil; Rappenglück/Oyola/Fabian 2000). Sommersmog lässt sich als nahezu idealtypisches Beispiel post126
moderner Umweltbelastung charakterisieren, da er einerseits eine indirekte Nebenfolge menschlichen Handelns darstellt, andererseits auch weil er durch Umweltschutzbemühungen weiter verstärkt wird: Die Ozonbildung in der Atmosphäre ist auf eine intensive Sonneneinstrahlung angewiesen (daher entsteht er in den mittleren Breiten auch nur bei sommerlichen Hochdruckwetterlagen), hierzu ist auch eine hohe Transparenz der Atmosphäre notwendig. Aufgrund des ökonomischen Strukturwandels und der umweltpolitischen Einschränkung von Staubemissionen nahm mit dem zurückgehenden Staubgehalt der Atmosphäre deren Transparenz zu, so dass bei etwa gleich bleibender (Stickstoffe und flüchtige organische Kohlenwasserstoffe) bzw. sogar rückläufiger Konzentration (Kohlenmonoxid) zwischen später Moderne und Postmoderne die Ozonkonzentration bei geeigneter Wetterlage ansteigt (vgl. Fabian 2002, Kühne 2004c). Ein anderes Beispiel für die ökologische Postmodernisierung ist der anthropogen verstärkte Treibhauseffekt198 mit seinen landschaftlichen Folgen: Er ist die Sekundärfolge der Verbrennung kohlenstoffbasierter Energieträger, der Nutzung von Treibmitteln (Fluorkohlenwasserstoffe tragen nicht nur zum Abbau des stratosphärischen Ozons bei, sie wirken auch als Treibhausgase), der Änderung landwirtschaftlicher Nutzung (Methanproduktion durch verstärkte Rinderhaltung) u. a. und weist eine globale Dimension auf. Veränderungen in der angeeigneten physischen Landschaft lassen sich bereits heute in Europa nachweisen: Phänologische199 Untersuchungen weisen einen signifikanten Trend zur Verfrühung bei Frühjahrsphasen wie beispielsweise bei der Blattentfaltung von Laubgehölzen oder bei dem Maitrieb der Fichte (seit Beginn der 1960er Jahre etwa sechs Tage) nach, während Herbstphasen wie Blattverfärbungen oder Laubfall verspätet im Herbst eintreten (rund fünf Tage, Fabian 2002, vgl. auch Menzel/Estrella/Fabian 2001). Mit der Erwärmung des Klimas ist das polwärtige Wandern wärmeliebender Tier- und Pflanzenarten verbunden, wobei Tiere ± aufgrund der allgemein höheren Mobilität ± über ein höheres räumliches Wanderungspotenzial verfügen als Pflanzen200. Die Veränderung des Klimas wirkt sich nicht allein in mikroskaliger Dimension auf die angeeignete physische Landschaft aus, auch im meso- und sogar makroskaligen Maßstab ist mit 198
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Der Treibhauseffekt ist ein natürliches Phänomen. Heute beträgt die Mitteltemperatur der Erde rund 15°C, gäbe es den Treibhauseffekt nicht, läge die Erdmitteltemperatur bei -18°C. Diese 33 K Temperaturunterschied sind auf die Fähigkeit einiger Spurengase zurückzuführen, die von der Erde in Richtung Weltraum geworfene Strahlung selektiv zu absorbieren und dann in derselben Wellenlänge in alle Richtungen abzustrahlen. Neben dem bekannten Kohlendioxid gibt es eine Reihe anderer Treibhausgase, die unterschiedlichen Anteil am Treibhauseffekt haben. Den größten Anteil am Treibhauseffekt weist Wasser auf. Der Anteil von Wasserdampf am Treibhauseffekt liegt bei etwa 62 %, Kohlendioxid trägt nur zu 22 % zur Erwärmung der Erdatmosphäre bei. Bei der Einschätzung von Wasserdampf als Treibhausgas sind jedoch seine starken Konzentrationsschwankungen zu berücksichtigen (vgl. Seifritz 1991, Kühne 2004c). Die Phänologie ist der Wissenszweig der Klimatologie, der sich mit der jährlichen Wachstumsentwicklung (Eintrittszeiten der Wachstumsphasen) von wildwachsenden und kultivierten Pflanzen in Abhängigkeit von Witterung und Klima befasst. Ein Beispiel für das Einwandern einer wärmeliebenden Vogelart in den südwestdeutschen Raum ist der Orpheusspötter (Hippolais polyglotta; Werno 2001a, Werno 2001b). Diese Art war bislang vorwiegend in Südspanien und Südfrankreich heimisch und ist nun auch im Saarland an wärmebegünstigten Standorten (Hänge mit Südexposition; Irsch 1994). Eine im Saarland neu aufgetretene Pflanzenart ist das mediterran verbreitete Einfache Leinkraut (Linaria simplex). Diese Art tritt lediglich sporadisch nördlich der Alpen auf, aktuell noch im Elsass (Weicherding 2002).
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deutlichen Veränderungen zu rechnen: Aufgrund der mit der erhöhten Lufttemperatur steigenden Evapotranspiration ± selbst bei gleich bleibenden sommerlichen Niederschlägen ± sinkt die verfügbare Wassermenge ab. Damit werden sich Wärme liebende Arten und hinsichtlich der Wasserverfügbarkeit eher bescheidene Kiefern- und Eichenarten in der Sukzession stärker gegenüber Buche und Fichte durchsetzen. Gleichzeitig sind bei den im Zuge der Klimaveränderung zu erwartenden schweren Stürmen insbesondere Fichtenbestände wurfund bruchgefährdet (Fabian 2002). Der klassische Natur- und Kulturlandschaftsschutz sieht sich somit mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert (vgl. auch Kühne 2004c, Kühne 2005a): Aufgrund der Änderungen der klimatischen Randbedingungen lässt sich klassisch erhaltender Natur- und Kulturlandschaftsschutz ± in der Regel mit der Erhaltung eines Status quo oder die Rückversetzung eines Landschaftsteiles in einen als angestrebt angesehenen Zustand verbunden ± lediglich in Ausnahmefällen dauerhaft realisieren. Die gegenwärtige ökologische Herausforderung weist Parallelen zur gesellschaftlichen Glokalisierung auf: Sie ist primär lokal (Stadtökologie, bodennahes Ozon) oder global (Treibhauseffekt, Abbau der stratosphärischen Ozonschicht) räumlich fixiert. Damit weisen ökologische Fragen ein ähnlich hohes gesellschaftsrelevantes Komplexitätsniveau auf wie ökonomische ± wobei mit dem Ausbleiben unmittelbarer Erfahrbarkeit ökologischer Probleme (insbesondere globaler) ökologierelevante Diskurse ein ebenso hohes Abstraktionsniveau erreicht haben wie Strategien zur Regelung ökologischer Konflikte (Krämer-Badoni 1997b). 4.3
Die Entwicklung von Landschaften zur und in der Postmoderne ± ein vorläufiges Fazit
4.3.1 Zur Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft in der Postmoderne Aus der eindeutigen Trennung zwischen städtischem und ländlichem Raum in der Vormoderne und Moderne entwickelt sich in der Postmoderne ein polyvalentes Raumpastiche. Raum wird differenziert und ästhetisiert. Dabei differenziert sich sowohl der städtische Raum als auch der ländliche Raum weiter aus: Die klare Grenze zwischen Stadt und Land wird undeutlich, sowohl funktional und strukturell als auch symbolisch. Suburbanisierung und Desurbanisierung, ehemals typisch städtische Strukturen und Funktionen (z.B. Hochtechnologieunternehmen, Einrichtungen der höheren Bildung) werden jenseits des städtischen Weichbildes errichtet, ehemals typisch ländliche Landschaftselemente (z.B. Urwald) dringen in den städtischen Bereich ein, werden ergänzt durch das Hineinwachsen ländlicher Elemente in den städtischen Raum: Auf Konversionsflächen entstehen Landschaftselemente, die ihrem Gepräge nach eher dem ländlichen Raum zuzuordnen wären. Ungeplante Vegetation dringt in den städtischen Raum vor: Auf Eisenbahndämmen, an Straßenrändern entstehen neue Biozönosen, Fassaden werden begrünt, bislang in Städten nicht vorkommende Tier- und Pflanzenarten werden in dicht besiedelten Räumen ansässig. Mit dieser Perforierung ehemals geordneter, funktionaler Eindeutigkeitsräume geht auch eine Veränderung des Verständnisses von Freiräumen einher (Selle 1997: 93): ÄFreiräume können nicht mehr als ÃReservate¶ einer Nutzungsart begriffen werden. Sie sind eher als ÃVermittlungszonen¶ zu begreifen: Hier sind 128
Räume und Nutzungen, Nutzer und Interessenten, Funktionen und Bedeutungen sehr unterschiedlicher Art untereinander in Beziehung zu bringen³. Die Differenzierung physischer Raumelemente und -zusammenhänge erschwert die sozial präformierte einheitliche Konstruktion von Landschaften: Die einfache Bezeichnung anhand der dichotomen Unterscheidungen von Stadt und Land, Zentrum und Peripherie wird durch eine vielfach differenzierte Unterscheidung vielfältiger, sich teilweise widersprechender raumwirksamer Prozesse, zu ersetzen sein, funktionale Monovalenzen werden durch Pastiches von Nonvalenzen, Monovalenzen und Polyvalenzen aufgelöst (ironisch bei Venturi 2004: 108 Änebulöse Multidimensionalitäten³). Was aus Sicht der Moderne Änegativ als Zerstückelung und Zusammenhanglosigkeit erfahren wird, ist auch positiv als ein hohes Maß an Komplexität, Reichtum an Brüchen, Reichtum an ökologischen und sozialen Nischen und als subjektive räumliche Vergrößerung durch Nichtüberschaubarkeit erfahrbar³ (Sieverts 2001: 58). Gerade diese Räume ± die inneren und äußeren Ränder der Stadt ±Äbefinden sich in einem ständigen Spannungszustand und Wechselverhältnis von Persistenz und Transformation³ (Ipsen 2003: 202). Mit der Ablösung der Industrialisierung der Moderne durch die Tertitärisierung der Wirtschaft in der Postmoderne verbunden ist eine weitere Auflösung der ökonomischen Flächenbindung: Arbeitete die Landwirtschaft in der Vormoderne mit der Fläche und die Industrie der Moderne auf der Fläche, ist der determinierte Raumbezug der Ökonomie in der Postmoderne weitgehend aufgelöst ± Dienstleistungen können in einer vernetzten Welt nahezu ubiquitär erzeugt werden, ihre Flächenansprüche sind gering. Eine Leitsiedlung für die Postmoderne scheint es nicht zu geben: Auch die häufig gebrauchte Metapher des Äglobalen Dorfes³ wird der räumlichen Aufgelöstheit, der Vernetzung in Subkulturen, der Polyvalenz des Raumpastiches der Postmoderne, mit Äneuen emergenten Raumebenen³ (Ahrens 2001: 189) nicht gerecht: Dennoch illustriert dieser Ausdruck die ambivalenten Raumentwicklungen in der Postmoderne, einerseits die ökonomische (durch Globalisierung, Electronic Commerce u. a.) und kulturelle (durch die Entkopplung der urbanen Kultur von Orten; Häußermann,/Siebel 1997a) Tendenz zur Zeitraumkompression, andererseits aber auch die reflexive Re-Lokalisierung durch Kulturalisierung und Ästhetisierung des Lokalen. Auch auf subregionaler Ebene lässt sich Äein Ãpatchwork¶ komplexer Siedlungsentwicklungsprozesse ausmachen, hinter dem durchaus auch divergierende (sozial-)räumliche Entwicklungsprozesse stehen³ (Tönnies 2002: 71, vgl. auch Kagermeier/Miosga/Schussmann 2001). Die Individualisierung von Lebensstilen, die Auflösung der Klassen- und Schichtstruktur der Gesellschaft in unterschiedliche soziale Milieus findet ihren sozial- und wirtschaftsräumlichen, landschaftlichen Niederschlag: Stadtteile werden gentrifiziert, individualisiert, Imagezuschreibungen von Räumen differenziert, Bauten den geschmacklichen Vorlieben ihrer Eigentümer und Besitzer angepasst, Funktionsbauten werden nach ästhetischen Vorstellungen modifiziert. Dabei wird Konsumverhalten ± und die Gestaltung von Bauten und deren Umfeld ± zunehmend von einem Versorgungsverhalten zu einem Äsozialen Distinktionsmechanismus³ zur Dokumentation der Äfeinen Unterschiede³ (Bourdieu 1979), einer physischen ÄObjektivation³. Damit wird Raum in eine relationale Sozialkategorie transformiert, die zur Symbolisierung und zur Kennzeichnung von sozialhierarchischen Strukturen sowie von sozialen Distanzen taugt (vgl. Krämer-Badoni 2003): Die Äfeinen Unterschiede³ dokumentieren 129
sich in den Aufenthalts-, Zugriffs- und Verfügungsrechten auf und im Raum: Die Ausdifferenzierung von privatem und öffentlichem Raum durch die Ausprägung eines (vielfach differenzierten) teil-privaten und teil-öffentlichen Raumes hat Teilräume ausgegliedert, die für bestimmte Teile der Gesellschaft unzugänglich sind, für andere nur kontextbezogen, für wieder andere prinzipiell zugänglich sind. Shopping malls und gated communities stehen hier stellvertretend ± nahezu idealtypisch ± für stark gesellschaftlich ± insbesondere nach der Verfügbarkeit von symbolischem Kapital ± differenzierte Zugangs- und Nutzungsrechte (vgl. hierzu Siebel 2002, Selle 2002, Selle 2004). Im Zuge der postmodernen (ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen) Entwicklung wird angeeignete physische Landschaft ± aufgrund der schwindenden standortdeterminierten Bindung ± zur Kulisse. Dies gilt sowohl für die Ökonomie, die Politik als auch für das postmoderne Individuum. Lokalität wird inszeniert und ästhetisiert, die Wahrnehmung des Raumes wird ± so Jameson (1984) ± intensiviert. Landschaft, Staaten und Kontinente werden dabei von einer räumlichen Determinante zu einer Idee und ihrer Inszenierung, die gezielt organisiert, zelebriert werden (vgl. Beck 1999, am Beispiel Afrikas). Dabei wird das rückgekoppelte Verhältnis und auch virtualisiert zwischen Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft auf der einen und angeeigneter physischer Landschaft auf der anderen Seite deutlich: Einerseits ist Landschaft die Folge (oder Nebenfolge) individuellen, gemeinschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Handelns, andererseits wirkt Landschaft auf das Individuum, die Gemeinschaft und/oder Gesellschaft, indem sie Handlungsvoraussetzungen schafft und wiederum Handeln reglementiert, Macht und ihre Grenzen symbolisiert. Neben der räumlichen Entgrenzung bzw. Grenzdifferenzierung entsteht in der Postmoderne die Entgrenzung von Zeit: Die klaren Konturen zeitlicher Ordnung lösen sich auf, gewohnte natürliche und gesellschaftliche Rhythmen verlieren ihre Prägekraft, Tag und Nacht unterscheiden sich immer weniger in ihrem Aktivitätsmuster ± diese Entwicklung lässt sich ± wird der Differenzierung von Grenzen und Rändern von Ipsen (2003) gefolgt ± auch als Verränderung bezeichnen. Ein solcher ÄVerlust institutionalisierter zeitlicher Strukturen erlaubt eine Individualisierung von Rhythmen, die man als eine Ãzeitliche Zersiedelung¶ bezeichnen könnte³ (Henckel/Herkommer 2004: 53). In einer idealtypischen postmodernen Dienstleistungsgesellschaft hat eine weitgehende Emanzipation vom Raum stattgefunden. Distanzen werden eher in Zeiteinheiten berechnet, viele Flächen sind ökonomisch, zum Teil auch sozial oder kulturell (nahezu) wertlos geworden ± die Produktion von landwirtschaftlichen und industriellen Produkten erfolgt in vormodernen und modernen Gesellschaften (vgl. auch Heitkamp 1998). Dennoch ist nicht mit einem völligen Verschwinden von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei sowie Handwerk und Industrie in postmodernen Gesellschaften zu rechnen ± sie werden jedoch stärker kulturiert, ästhetisiert. Landschaft ist nicht mehr allein die Nebenfolge insbesondere ökonomischen Handelns, ökonomisches Handeln wird mehrfach codiert: Es erhält die Aufgabe zugewiesen, zu bilden, zu ermahnen, zu erbauen, zu erstaunen. Damit wird Landschaft zum Playgiat, sie spielt mit einem ökonomisch dysfunktialen Zustand, den sie kulturell auflädt ± erst in der Postmoderne ± wird dieser Argumentation gefolgt ± wird Landschaft zu einer Kulturlandschaft. Landschaft wird ± in der Terminologie von Kohl (2003) ± Gebrauchs- oder Tausch-, 130
bisweilen auch Prestige- und Repräsentationsobjekt zum Sakralobjekt. Es wird eine ÄSakralisierung des Profanen³ (Durkheim 1984) vollzogen, Landschaft wird zum Simulacrum (Baudrillard 1976). Hiermit ist häufig eine reflexive Inwertsetzung von Dokumenten der Vergangenheit in der Postmoderne verbunden. Diese basiert auf der Akzeptanz, mehr noch ± der Wertschätzung von Historizität, von Vormodernem. Landschaftselemente der Prämoderne, aber auch der Moderne, werden ästhetisiert. Die Entstehung der Wertschätzung des Historischen lässt Herlyn (2004: 121) transparent werden: ÄWie allgemein üblich, erkennt man den spezifischen Wert eines Gegenstandes erst dann, wenn er sich grundlegend verändert oder sogar zu verschwinden droht³. War die Konservierung von Naturlandschaft ein Ausdruck des Bestrebens, die Entfremdung von der Natur aufzuheben (Krysmanski 1990), wobei häufig eher Stereotypen von Natur aufgehoben wurden, fokussiert sich gegenwärtig die Tendenz zum Aufheben auf Artefakte der präfordistischen und fordistischen Ära. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ± im Zuge der Entwicklung der Überflüssigwerdung von Landschaft ± eine auf Verringerung des ÄFlächenverbrauches³ ausgerichtete Raumordnungspolitik nicht durch eine solche zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen ist, die das Ziel verfolgt, Landschaft zu valorisieren, Valenzen zu bilden, zumal im Zuge der De-Industriealisierung der Ökonomie zahlreiche Flächen einer verstärkten Begrünung zugeführt werden (vgl. auch Hesse 2001, Ganser 2002). Zentren postmoderner Landschaftsbildung können dabei insbesondere Räume werden, deren Flexur zur Moderne besonders deutlich ausfällt: 1. Altindustriereviere, hier stehen ökonomisch (nahezu) wertlos gewordene Flächen, Artefakte als ehemalige Nebenfolgen einer modernen Gesellschaftslandschaftsentwicklung ± Abfall aus moderner Sicht ± zur Verfügung, die einer kulturierten, ästhetischen, reflexiven Inwertsetzung harren (beispielsweise das Ruhrgebiet). Abbildung 7: Beispiel eines Raumpastiches: das 2. Global Cities, deren ökonomisches Po- Brüsseler Europaviertel. Die postmoderne Architektur des Europäischen Parlamentes kontrastiert tenzial die Grundlage für eine Valorisie- mit verfallender historischer Bausubstanz, arme rung von Landschaft bietet und einen dif- und reiche Bevölkerungsteile leben in unmittelbaferenzierten und reflexiven Umgang mit rer räumlicher Nähe bei gleichzeitig großer sozialer Distanz. Darüber hinaus ist das Europaviertel Raum ermöglicht (beispielsweise Frank- hochgradig symbolisch als ÄZentrum der Macht³ aufgeladen. Dadurch erzeugt dieses Raumpastiche furt am Main). in besonderer Weise Atmosphäre (Foto: Kühne). 3. Neue Machtzentren der Politik, deren Grundlage die Internationalisierung von Politik ist und in deren Gefolge verdichteter 131
Raum eine neue polyvalente Inwertsetzung erfährt (beispielsweise Brüssel; siehe Abbildung 7). Gelingt eine Verknüpfung unterschiedlicher Aspekte in der Landschaft nicht, ist mit einem Rückfall großer Landschaftsteile in den Zustand einer sekundären Naturlandschaft, also einer gesellschaftlich Äüberflüssigen Landschaft³, zu rechnen, die ergänzt wird durch hyperreale, punktuell errichtete Landschaftsinszenierungen. Solche Inszenierungen können dabei von einem mittelalterlichen Bauerndorf bis hin zur Disneylandschaft reichen und können somit als ein räumliches Element der Ädurchschnittlichen Exotisierung des Alltags³ (Enzensberger 1991: 264) gelten. Die Frage ob und inwiefern eine soziale Inwertsetzung insbesondere durch Inszenierungen ± in der Parallelität des Cyberspace± gelingt, entscheidet darüber in welcher Dimension städtische postmoderne Agglomerationen Äinnerhalb der verkümmernden Nationalstaaten gleichsam eine Enklave bilden³ (Ellrich 2002: 99). Wobei sich diese Agglomerationen aus einem Raumpastiche von Zentren der ÄOrganisation der herrschenden Eliten³ (Castells 1994: 129), der ÄMesosphäre, in der sich das funktionsnotwendige Personal aufhält³ (Ellrich 2002: 99) und der ÄPeripherie, in der die Gescheiterten und ethnischen Migranten nach Nischen oder Aufstiegschancen suchen³ (Ellrich 2002: 99) zusammensetzt ± jeweils mit einer Vielzahl von Binnendifferenzierungen. Nicht nur der Gegenstand der Forschung, die Landschaft (oder allgemeiner: der Raum), hat in der Postmoderne seine Eindeutigkeit verloren201. Trotz der Ausprägung immer neuer gesellschaftlicher (insbesondere ökonomischer) Regulationsformen persistieren die alten ± zumindest nischenhaft ± weiter und perpetuieren so tradierte Landschaften: Die von Dienstleistungen geprägte Landschaft konnte die Industrielandschaft der Moderne ebenso wenig vollständig ablösen, wie diese die agrarisch geprägte Landschaft der Vormoderne. Beide persistieren ebenso im postmodernen Raumpastiche wie die Elemente der archaischen Landschaft der Jäger und Sammler. Während jedoch die angeeignete physische Landschaft der Agrargesellschaft tendenziell eine flächenhafte Ausprägung aufwies, manifestierte sich die industrielle Moderne in netzartigen Strukturen, während sich die postmoderne Dienstleistungsgesellschaft punkthaft angeeignet-physisch-landschaftlich materialisiert. Gemäß den bisherigen Ausführungen findet das Bertelssche (1997) Konzept der Dreiteilung der Lebenswelten in westeuropäischen Großstädten in den traditionellen, ganzheitlichen Raum, den verinselten Raum202 sowie den synthetischen Raum (dem Cyberspace bzw. den Landschaften des Films) seine landschaftliche Entsprechung. Wobei auch für die landschaftli-
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202
Auch die wissenschaftliche Behandlung des Raumes hat ± in einem (allen Anschein nach) zirkulären Kausalitätsprozess ± ihre paradigmatische Monovalenz aufgegeben. Die wissenschaftliche Betrachtung ist pluralistisch geworden, unterschiedliche Perspektiven der wissenschaftlichen Untersuchungen, unterschiedliche Paradigmen sind möglich geworden. Die Aufgabe der Bipolarität in Ärichtig und falsch³ ist einer neuen (revitalisierten?) Mehrdeutigkeit, die Richtigkeit von Entscheidungen in der Raumordnung, der Landschaftsgestaltung, des Naturschutzes u. a. von der Perspektive des Beurteilenden gewichen. (Raum-)Wissenschaft hat in der Postmoderne ihr Monopol (so es denn je existiert hat) auf Wahrheits-, Wirklichkeits- und Richtigkeitsdefinition in Bezug auf den Raum aufgegeben (bzw. aufgeben müssen). Diese Verinselung von Raum ist auch als Verinselung von Lebenswelten interpretierbar (vgl. Zeiher/Zeiher 1994).
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chen Entsprechungen eine unterschiedliche Ausprägung und Gewichtung zu konstatieren ist (Bertels 1997): 1. Die traditionelle, ganzheitliche Landschaft ist dabei jene Landschaft, die das Grundsubstrat für die lebensweltliche Heimat bildet, sie ist dadurch geprägt, dass sie als weitestgehend zusammenhängendes Raumgebilde aus persönlicher Anschauung und ergänzend durch das Studium von Karten (insbesondere Wanderkarten) größerer Maßstäblichkeit gekannt wird203. 2. Die verinselte Landschaft basiert auf der Nutzung technischer Hilfsmittel der Fortbewegung (insbesondere Flugzeuge und Untergrundbahnen, aber auch Autos, Busse, Straßenbahnen etc.), die Orte räumlicher fixierter Funktionstrennung und Spezialisierung miteinander verbinden. Der landschaftliche Kontext des verinselten Raumes wird nicht oder nur ausschnitthaft wahrgenommen. Landschaft wird als Äguter Ausblick³ (im Sinne von Vöckler 1998) vielmehr selbst zu einer funktionsgetrennten Rauminsel. 3. Die virtuellen Landschaften des Cyberspace und des Films entstehen virtuell mit Hilfe der Computertechnologie bzw. durch filmische Inszenierung. Sie sind zwar prinzipiell unabhängig von der physischen Landschaft, doch greifen sie immer wieder auf stereotype Raum- und Landschaftskonstellationen zurück. Hier bleibt noch viel ÄRaum³, neue virtuelle und von stereotypen Vorstellungen unabhängige Landschaften zu erschaffen. Damit wird deutlich, dass die euklidische Raumvorstellung durch Vernetzungen, Verwerfungen, Symbolisierungen, Virtualisierungen und Verinselungen (spätestens) in der Postmoderne durch posteuklidische Räumlichkeitsvorstellungen partiell ersetzt bzw. ergänzt wird. 4.3.2 Zur Entwicklung der gesellschaftlichen Landschaften in der Postmoderne204 Nicht nur die angeeignete physische Landschaft differenziert sich in der Postmoderne, sondern auch das Landschaftsbewusstsein (im Sinne von Ipsen 2002a). Das Bewusstsein von Landschaft speist sich aus mehreren Quellen, die über die direkte Wahrnehmung hinausgehen. Fernsehen, Internet, Kino, Bildbände, Romane u. a. tragen zu Raum- und Landschaftsvorstellungen bei, die nicht aus der direkten Anschauung konstruiert werden. Die Raumerfahrung der direkten Anschauung wird zunehmend inselhaft, wobei diese Inseln durch Nicht-Orte verbunden sind. Raumbezüge differenzieren sich in der Postmoderne weiter aus: Raum-Inseln, der Cyberspace und Nicht-Orte erzeugen einen ständigen Wechsel der Bezugsskalen, der sich in einem Alternieren von Bedrückung durch Nähe und durch Bedrückung durch Ferne äußert, einerseits begründet in der vielseitigen Nutzbarkeit der Beschleunigung der Verkehrsmittel, andererseits begründet durch die ÄVermehrung der bildlichen und imaginären Konnotationen³ (Augé 1994: 44). Ein differenziertes Landschaftsbewusstsein lässt sich ± in seiner kulturalisierenden und ästhetischen Konsequenz ± als Charakteristikum der Postmoderne bezeichnen: Zwar bildete das Differenzierungsbewusstsein der Moderne die Grundlagen für eine bewusste Zusammenschau 203
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Die traditionelle, ganzheitliche Landschaft ist also jener Raum, der sich ± in der Terminologie von Herrmann/Schweizer (1998) ± am ehesten zu Überblickswissen 3 zusammenfügt. Die empirische Untersuchung dieser Thesen erfolgt in Kapitel 5 (Begriff und Wahrnehmung von Landschaft ± eine quantitative und qualitative Studie am Beispiel des Saarlandes).
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von einzelnen Landschaftselementen, doch verhinderte die Ablehnung von ästhetischer und ästhetisierender Mehrfachcodierung die Ausprägung eines synthetischen strukturalfunktionalen und ästhetischen Landschaftsbewusstseins, während in der Vormoderne die strukturierenden Bewusstseinsvoraussetzungen für ein differenziertes und reflexives Landschaftserleben fehlten. Somit lassen sich zwischen moderner und postmoderner Raum- (und Landschafts-)Betrachtung deutliche Unterschiede ausmachen (Harvey 1989: 304): ÄWhereas modernism looked upon the spaces of the city, for example, as Ãan epiphenomenon of social functions¶, postmodernism Ãtends to disengage urban space from its dependence on functions and to see it as an autonomous formal system¶ incorporating µrhetorical and artistic strategies, which are independent of any simple historical determinism¶´. Mit dem Übergang von der Moderne zur Postmoderne hinsichtlich der Untersuchung von Landschaft lassen sich die Charakteristika des veränderten meta-wissenschaftlichen Paradigmas, geprägt durch den Abschied von der Eindeutigkeit und dem Zulassen von Pluralität, feststellen. In der Postmoderne erfolgt ein Abschied von dem Paradigma, es gäbe einen objektiven Raum, den es zu beschreiben, erfassen und zu vermessen gelte: Ä/¶espace n¶est pas simplement considéré comme un système d¶objets dont on analyserait la disposition réciproque: il matérialise la communication et la représentation des échanges. Mis en liaison avec O¶organisation des échanges sociaux, il intervient sous deux angles : l¶espace concret en tant que support physique et l¶espace comme catégorie de base structurant les codes culturels et servant de support aux représentations³ (Remy 1998: 89-90). Raum ist demgemäß über den physischen Raum hinaus eine Materialisierung von Kommunikation und die Repräsentation von sozialen Austauschbeziehungen. Raum stellt eine strukturierende Basis für gesellschaftliche Codes dar. Der Landschaftsbegriff der Postmoderne weist dabei weder die rationale Monovalenz (z.B. als ländlicher Ort der Nahrungsmittelgewinnung) noch die u. a. romantische Idealisierung der Frühmoderne auf. Gesellschaftliche Landschaft in der Postmoderne Ädient nicht der Wiederherstellung einer heilen Welt, sie ist weder Flucht noch Kompensation³ (Ipsen 2002a: 89), sie ist vielmehr ein ÄPendant der durch die Verdinglichung der Natur erlangten Freiheit³ (Ipsen 2002a: 89), einer ± aus postmoderne Perspektive ± reflexiven Freiheit. Wird der Begriff von Landschaft postmodern interpretiert, wird einerseits Monovalenz abgelöst, andererseits ist der Landschaftsbegriff der Postmoderne ein bisweilen synthetisierender auf Meta-Niveau. Das postmoderne Bild von Landschaft lässt sich nicht mehr eindeutig (d.h. modern) definieren, es lässt sich aber ebenfalls nicht allein mythologisch (d.h. vormodern) aufladen. Postmoderne Landschaftsbilder (und dieser Ausdruck ist bewusst im Plural gesetzt) sind individuelle (oder gruppenspezifische) Konstruktionen von Landschaft, die alle Alleingültigkeitsansprüche aufgegeben haben. Diese Anerkenntnis der gesellschaftlichen (aber auch angeeignet-physischen) landschaftlichen Polyvalenz impliziert die gleichzeitige Daseinsberechtigung von Äfirstspace³, Äsecondspace³ und Äthirdspace epistemologies³. Postmoderne raumbezogene Sozialwissenschaft lässt sich damit als meta-modernes Paradigma beschreiben: Das Moderne wird nicht abgelöst, sondern ergänzt und ± insbesondere hinsichtlich von Alleingeltungsansprüchen ± reflexiv hinterfragt. Insgesamt lässt sich mit der Postmodernisierung eine Wiederentdeckung bzw. ein Bedeutungsgewinn von Landschaft in der bzw. für die Gesellschaft konstatieren: Dieser ist nicht zu134
letzt auf Ästhetisierungstendenzen zurückzuführen; Landschaften ± nicht zuletzt aufgrund der Interpretationsmuster der Landschaftsmalerei ± gelten häufig als Objekt ästhetischer Betrachtung (vgl. Bahrdt 1990 ± zuerst 1974, Wöbse 2002). Entscheidend für ein gewandeltes Landschaftsbewusstsein zwischen (funktionalistischer) Moderne und Postmoderne ist dabei die Bereitschaft einer ästhetischen Wahrnehmung von Landschaft, denn jede Äkonkrete ästhetische Wirkung, jedes ästhetische Angesprochensein ist eingebettet in die Erlebnisbereitschaft und Wertansprüche einer konkreten Persönlichkeit³ (Kainz 1948: 55) 205. Dabei geht mit dem Ende der ÄGroßen Erzählungen³eine Aufwertung des Lokalen einher (Byrne 2001: 33): ÄWe cannot have laws which hold everywhere and always but we can construct knowledge specific to particular contexts in time and space³. Landschaft in der Postmoderne ist dabei nicht hinreichend als Struktur, als Determinante für Handlungen, Orientierung und Begrifflichkeiten eines Subjektes begreifbar, sie symbolisiert und repräsentiert polyvalente Beziehungsmuster, die Handlungen, Orientierungen und Begrifflichkeiten ermöglichen (vgl. Noller 1999). Damit wird Landschaft zum postmodernen Lebensraum (Bauman 1995: 240): ÄDer postmoderne Lebensraum ist ein unaufhörlicher Strom von Selbstreflexivität; die Gesellschaftlichkeit, die verantwortlich ist für ihre strukturellen, aber stets flüchtigen Formen, für deren Aufeinanderfolge, ist eine diskursive Aktivität, eine interpretierende und re-interpretierende Aktivität, eine Interpretation, die dem interpretierten Zustand wieder eingegeben wird, nur um weitere Interpretationsanstrengungen auszulösen.³ 4.3.3 Die Entgrenzung von angeeigneter physischer Landschaft ± Idealtypen von Landschaften Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich drei Idealtypen von Landschaften konstruieren. Entscheidend dabei ist die Bedeutung der Gesellschaftsrelevanz von Landschaften, die geht über die ökologische Funktion von Landschaften hinaus. Dabei beziehen sich die Idealtypen postmoderner Landschaften in besonderer Weise auf die angeeignet physische weniger auf die gesellschaftslandschaftliche Dimension, da die gesellschaftslandschaftliche Konstruktion von Landschaft primär auf ästhetischen Kriterien basiert und weniger auf jenen der analytischen systemischen Differenzierung. 4.3.3.1 Polyvalente Landschaften Polyvalente Landschaften umfassen polyfunktionale Nutzungen. Das bedeutet: Dieselbe Fläche unterliegt mehreren gesellschaftlichen Nutzungen, polyvalente Landschaften sind charakteristischerweise simultane Räume. Allgemein ist Polyvalenz im städtischen Raum ± insbesondere aufgrund der höheren Dichte und Konkurrenz unterschiedlicher Nutzung ± häufiger anzutreffen als im suburbanen und ländlichen Raum. Wird dem Konzept einer systemisch dif205
Kainz (1948: 55) führt über die Wertansprüche und die Erlebnisbereitschaft einer konkreten Persönlichkeit weiter aus, dass diese wiederum von zwei Faktoren bestimmt seien: Äeinem Dauerfaktor (Alter, Geschlecht, Temperament, Konstitutionstypus, Bildungsgrad, bisherige ästhetische Erfahrungen) und einem ungleich variableren aktuellen Faktor (Situationseinbettung, augenblickliche Stimmung und Gemütslage)³.
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ferenzierten Landschaft 206 gefolgt, lassen sich mindestens zwei Schichten angeeigneter physischer Landschaft von ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher und kultureller Landschaft feststellen. Von einfacher Polyvalenz lässt sich dann sprechen, wenn Landschaft innerhalb eines gesellschaftlichen Teilsystems mehrfach valorisiert ist (zum Beispiel durch Landwirtschaft und Energienutzung durch Windkrafträder). Komplexe Polyvalenz liegt dann vor, wenn Landschaft Valenzen aus mindestens zwei gesellschaftlichen Teilsystemen aufweist (beispielsweise forstwirtschaftliche Nutzung und Erholung). Die Polyvalenz von Landschaft muss sich dabei nicht auf die Nutzung von angeeigneter physischer Landschaft beschränken, vielmehr kann auch die mediale Inszenierung (z.B. durch Film, elektronische Medien) gesellschaftlich-landschaftliche Polyvalenz erzeugen. Beispielhaft mag hierbei der Grand Canyon sein, der seine Valenz neben der touristischen Inwertsetzung durch mediale Inszenierungen erhält. Auch Nicht-Orte können so Teil polyvalenter Landschaften sein, hierbei lassen sich Inszenierungen von Nicht-Orten durch so genannte Road-Movies als Beispiele nennen. Die Polyvalenz von Landschaften wird durch die Zuweisung simulacrischer Bedeutungen verstärkt (wie z.B. der Rütli-Wiese, dem Danziger Postamt, dem Brandenburger Tor, dem Loreley-Felsen, der Saarschleife, der Brücke von Mostar)207: ÄDiese Symbole treten hervor, überwältigen alles andere, lassen es dahinter zurücktreten³ (Bertels 1997: 69). Durch diese Zuschreibungen erhält Landschaft (teilweise durch ein solches Landschaftselement) eine Hyper-Polyvalenz. Bei Landschaften, deren Polyvalenz in der gesellschaftsteilsystemischen Mehrfachnutzung beschränkt ist (z.B. landwirtschaftliche Nutzung und Gewinnung von elektrischer Energie durch Windräder, Nutzung einer City als Einkaufsort und Wohnquartier), lässt sich von polyvalenter Landschaft erster Ordnung sprechen. Liegt die Polyvalenz jedoch darin begründet, dass die Landschaft über eine direkte gesellschaftliche Nutzung hinaus in Gänze oder in Teilen ein Simulacrum darstellt, kann die betreffende Landschaft als polyvalent zweiter Ordnung gelten (z.B. die Brücke von Mostar in ihrer Verkehrsfunktion und als mediatisiertes Symbol des Symbols für die Verständigung / NichtVerständigung zwischen Christen und Muslimen). Die simulacrische Aufladung von Landschaften oder Landschaftselementen kann dabei als Beitrag der ÄWiederverzauberung³ der Welt gelten. Polyvalente Landschaften lassen sich gegeneinander in der Regel schwer scharf abgrenzen, häufig teilen sie eine gemeinsame Schicht gesellschaftlicher Bedeutung, landschaftliche Simulacra strahlen auf umgebende Landschaften aus, so dass sich polyvalente Landschaften durch Rand- und weniger durch Grenzbildungen (im Sinne von Ipsen 2003) voneinander abheben.
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Dieses Konzept wurde in Abschnitt 3.4 Ein soziologisches Konzept zur Landschaft eingeführt. Bertels (1997) spricht in diesem Zusammenhang auch von Äverdichteten Symbolen³, die für einen gesamten Ort stehen, wie das Brandenburger Tor für Berlin, die Skyline von Manhattan für New York, im Falle des Untersuchungsraumes (und weniger bekannt) der Saargegend: die Saarschleife für das Saarland, das Saarbrücker Schloss für Saarbrücken, die Burgruine für Kirkel.
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4.3.3.2 Nonvalente Räume Nonvalente Räume stellen im Vergleich zu polyvalenten Landschaften zweiter Ordnung das andere Extrem der landschaftlichen Valenzskala dar: Diese Räume sind gesellschaftssystemisch überflüssig. Vielfach werden nonvalente Räume nicht in ästhetisierender Zusammenschau betrachtet und da sie keine oder lediglich eine rudimentäre Aneignung erfahren, weisen sie in der Regel keinen Landschafts- sondern lediglich Raumcharakter auf. Beispiele hierfür sind nicht zugängliche Sukzessionsräume, ungenutzte Industriebrachen, Brach fallende Neubaugebiete, gewüstete Siedlungen. Abbildung 8: Von der Polyvalenz erster Ordnung zur Im Gegensatz zu ihrer gesellschaftssysNonvalenz: Durch den ökonomischen Strukturwandel fal- temischen Überflüssigkeit kann durchlen ehemalig forstwirtschaftliche Flächen brach, Forstwirtschaftswege werden nicht mehr gepflegt, die sozialgemein- aus eine ökosystemische Bedeutung schaftliche Nutzung in Form der Erholungsfunktion wird stehen. Da die biotische Ebene aber durch die natürliche Sukzession zunächst erschwert, spä- von der gesellschaftssystemischen Eter verhindert, hier bei Wörschweiler (Stadt Homburg/ mergenzebene getrennt zu betrachten Saar; Foto: Kühne). ist, können Räume gesellschaftlich nonvalent sein, während sie biotische (Urwälder) oder physikalische Valenzen (Wüsten) aufweisen können. Nonvalente Räume, die Charakter von ÄZwischenräumen³ (Koenen 2003) aufweisen, waren zu Beginn der Geschichte der Menschheit nahezu omnipräsent, wurden in der Moderne in ihrer Bedeutung zurückgedrängt und gewinnen heute insbesondere aufgrund des durch den gesellschaftlichen Wertewandel induzierten Bevölkerungsrückgangs und des ökonomischen Strukturwandels erneut ± in den Staaten der Ersten Welt ± insbesondere im ländlichen Raum und in Altindustrieräumen an Bedeutung. 4.3.3.3 Monovalente Landschaften Monovalente angeeignete physische Landschaften nehmen eine Zwischenstellung im Vergleich zu polyvalenten Landschaften und nonvalenten Räumen ein. Monovalente angeeignete physische Landschaften sind durch ihre Monofunktionalität charakterisiert. Diese monofunktionale Bedeutung kann sich im städtischen (Banken-City, Einkaufs-City), im suburbanen Raum (Gewerbegebiete, Wohngebiete) als auch im ländlichen Raum (Forste, landwirtschaftliche Flächen, musealisierte Dörfer208) finden. Folgt man dem Konzept einer systemisch differenzierten Landschaft, lässt sich von ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher oder 208
Schelsky (1970) sieht in einer Musealisierung keinen Nachteil, da ein Museum dasjenige gegenwärtig halte, ohne das die Gegenwart nicht zu verstehen sei ± wobei über die Dimension der Museen nichts ausgesagt ist.
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kultureller Landschaft sprechen. Monovalente Landschaften sind ebenso wie polyvalente Landschaften nicht auf physische Landschaften beschränkt ± auch hier können Massenmedien Valenz erzeugen. Allerdings findet sich hier in der Regel eine Beschränkung auf virtuelle Landschaften, da mit der medienbasierten Inszenierung von gesellschaftlich überflüssigen Landschaften auch in der Regel eine touristische Inwertsetzung erfolgt, die mediale Inwertsetzung somit durchaus geeignet ist, aus nonvalentem Raum eine polyvalente Landschaft zu erzeugen. Da monovalente Landschaften eindeutig einer gesellschaftlichen Nutzung zugewiesen sind, lassen sie sich in der Regel eindeutig voneinander abgrenzen, Ränder (im Sinne von Ipsen 2003) sind nur in Ausnahmefällen (z.B. bei sporadischer Nutzung im Übergang zur nonvalenten Landschaft) zu konstatieren. 4.3.3.4 Das postmoderne Raumpastiche und die Dynamik der Valenzen Das postmoderne Raumpastiche ist durch den raschen Wechsel von monovalenter, polyvalenter und nonvalenter Landschaften bzw. Räume geprägt: Charakteristisch ist dabei die Perforierung monovalenter und polyvalenter Landschaften durch nonvalente Elemente. Eigen ist vielen postmodernen Landschaften dabei der hohe Grad an Atmosphäre aufgrund ihrer starken Veränderungsdynamik ± dies gilt sowohl für polyvalente, monovalente als auch für nonvalente Räume. Die Differenz der Einheit wird hier durch rasche VerändePolyvalenz rungen sichtbar, landschaftliche Konzweiter Ordnung tingenz erfahrbar. Besonders deutlich hohe Dichte wird dies sowohl in AltindustriegePolyvalenz bietslandschaften, aufgrund des Vererster Ordnung falls der Objekte, als auch in (immer mittlere Dichte weniger) landwirtschaftlich genutzten Monovalenz Räumen, die einen hohen Grad an Sukzessionsflächen aufweisen. Aber auch geringe Dichte Nonvalenz in den urbanen Zentren der Entwicklung wird Atmosphäre verstärkt erpräfordistisches fordistisches postfordistisches Akkumulationsregime zeugt, inszeniert und im Raumpastiche Abbildung 9: Valenz, Dichte und Akkumulationsregime als in physischer Nähe zu Räumen der soGrößen des Grades der Postmodernität von Landschaften. zialen Degradation platziert. Polyvalente Landschaften sind zwar ein Charakteristikum des postmodernen Landschaftspastiches, doch sind sie nicht auf die Postmoderne beschränkt. Insbesondere in der Vormoderne traten sie ebenfalls auf und implizieren als postmoderne Landschaften somit zwei wesentliche Elemente der Postmoderne: Den Prozess der Rezyklierung und die Wertschätzung des (reflexiv überformten) Historischen. Landschaft in der Postmoderne ist dabei kein statischer Zustand: Durch Ausdünnung kann städtischer zu suburbanem Raum werden, durch Symbolisierung und Simulacrisierung polyvalente Landschaft erster zu polyvalenter Landschaft zweiter Ordnung: Mit zunehmender Dichte der Raumnutzungen steigt die Wahrscheinlichkeit des polyvalenten gesellschaftlichen Raumbezugs ebenso wie mit der Entwick-
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lung des Akkumulationsregimes von präfordistisch über fordistisch zu postfordistisch. Zwischen landschaftlicher Valenz, Dichte und Akkumulationsregime lässt sich grundsätzlich ein Wahrscheinlichkeitsraum konstruieren, wie er modellhaft in Abbildung 9 dargestellt ist. Die unterschiedlichen Kategorien von Landschaft in der Postmoderne, ihre Dynamik sowie einige Beispiele sind in Abbildung 10 dargestellt.
Abbildung 10: Landschaftsdynamik in der Postmoderne mit Beispielen.
In der Postmoderne ist es in der Regionalentwicklung nahezu zu einem Standardinstument geworden, Räume, Orte, Objekte und Landschaften durch Inszenierungen symbolisch aufladen zu wollen, um so Nonvalenzen zu verhindern. Beispielhaft hierfür kann ebenso gelten, Landschaften und Orte mit der Konstruktion einer regionalen Identität zu einer Äbesonderen Landschaft³ respektive zu einem Äbesonderen Ort³ zu erhöhen, wie den Wert von Objekten und Landschaften eine kulturelle Symbolkraft durch die Inszenierung von Superlativen zu geben (dies trifft dann die meist fotografierte Scheune in Amerika in ähnlicher Weise wie den weltweit höchsten Förderturm in Skelettbauweise oder die Landschaft mit den meisten Orchideenwiesen in Europa). Damit wird deutlich: Zwar mag eine Inszenierung einem Objekt oder einer Landschaft eine gewisse (räumlich und sozial differenzierte) Symbolhaftigkeit zuweisen, doch wird damit letztlich auch erreicht, dass diese geringe Symbolisierungsebene insgesamt einen Verlust an sozialer Bedeutung erfährt (wie es Bourdieu 1979 im Zusammenhang mit Bildungstiteln exemplarisch herausgearbeitet hat).
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Begriff und Wahrnehmung von Landschaft ± eine quantitative und qualitative Studie am Beispiel des Saarlandes
5
5.1
Methodologische Überlegungen zur quantitativ-qualitativen Studie
Aufgrund der geringen empirischen Forschungs- und Erkenntnisdichte der soziologischen Landschaftsbefassung einerseits, und des spezifisch auf die Postmoderne ausgerichteten Forschungsinteresses andererseits, wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit die gesellschaftliche Konstruktion von Landschaft empirisch untersucht209. Hinsichtlich der empirischen Studie wurde eine methodische Zweiteilung vollzogen: Im ersten Teil erfolgte eine standardisierte Befragung zufällig ausgewählter saarländischer Haushalte per Fragebogen. Diese primär deskriptiv ausgelegte Querschnittserhebung stellt die Grundlage für den zweiten Teil der Studie, eine qualitativ-empirische Untersuchung, anhand von Leitfadeninterviews, dar. Während der erste Teil der Studie primär darauf abzielt, bestimmte quantifizierbare Einstellungen, ästhetische Empfindungen, Aneignungsmuster u. a. von Landschaft zu ermitteln, ist der zweite Teil darauf angelegt, Begründungszusammenhänge hierzu und Perspektiven für die Entwicklung von Landschaften zu erhalten. Durch diese Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden wird eine Synthese der methodologischen Grundpositionen von Erklären versus Verstehen (Lamnek 1995) angestrebt. Dabei wird in der quantitativen Analyse ± in naturwissenschaftlicher Denktradition ± eine Untersuchung von Kausalitäten, Abhängigkeiten und Wahrscheinlichkeiten erfolgen, die durch die qualitative Analyse ± in geisteswissenschaftlicher Denktradition ± mit der Untersuchung der sozialwissenschaftlich wesentlichen Sinnkomponente ergänzt wird. Ziel der qualitativen Sozialforschung ist die Erfassung subjektiver Elemente, wie Werte, Absichten, Wahrnehmungen und Interpretationen von Handelnden. Der häufig konstituierten Dichotomie zwischen quantitativer Sozialforschung als hypothesenprüfend und qualitativer Sozialforschung als hypothesengenerierend wird in dieser Studie nicht gefolgt, da auch mit der qualitativen Untersuchung Ädie Reichweite der zunächst gegenstandsnah formulierten Hypothesen durch systematische komparative Analysen ausgelotet werden soll³ (Lamnek 1995: 223). Somit handelt es sich bei der Theoriebildung dieser Arbeit um einen Prozess ständiger reflexiver Rückkopplung zwischen der Ebene der sozialen Realität und der Ebene der wissenschaftlichen Hypothesenbildung, Theorieentdeckung, Theorieentwicklung und Theorieüberprüfung (vgl. Lütteken 2002). Von besonderer Bedeutung ist bei diesem rückgekoppelten Prozess der Theoriebildung eine andauernde relationale Selbstbestimmung des Forschenden im sozialen Kontext des Forschungsprozesses im Sinne einer reflexiven Soziologie Gouldners (1970). Gerade die qualitative Sozialforschung als verstehende Soziologie stellt den Anspruch an den Wissenschaftler seine Position in der sozialen Umwelt (insbesondere in
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Untersuchungen zur Wahrnehmung von Landschaft liegen aus anderen Wissenschaften, insbesondere der Geographie, vor (z.B. Demmler-Mosetter 1993, Gröning 1996, Bell 1999, Schneider/Békési 2000), ohne vertiefend auf soziodemographische Aspekte und die Sozialisation des Begriffs der Landschaft einzugehen.
140
Interview-Situationen) zu reflektieren und hermeneutische Zirkelbezüge zu vergegenwärtigen (vgl. hierzu Flick 2002). Interviews lassen sich als ein wichtiges Fundament organisationaler Reflexion interpretieren (Froschauer/Lueger 2003). Dabei sind die Textauslegung der Gesprächsinhalte lediglich eine Dimension der Charakteristika eines sozialen Systems, sie sind zudem ÄAusdruck der kognitiven Verarbeitung von Systemprozessen sowie deren sprachlicher Ausdruck gegenüber einer (meist außen stehenden) anderen Person³ (Froschauer/Lueger 2003: 20). Neben Äußerungen mit Objektbezug werden durch Befragte auch lebensweltliche und systemische Sinnbezüge hergestellt, denn ÄMitglieder eines sozialen Systems sind [...] nicht bloß ExpertInnen ihres Systems, sondern repräsentieren in ihren Aussagen das System und ihre Beziehung zu diesem³ (Froschauer/Lueger 2003: 20). Das Ziel der qualitativen Sozialforschung liegt somit im Wesentlichen darin, beide Dimensionen zu erfassen, zu strukturieren und theoretisch abzubilden. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte des Einsatzes der Methoden von quantitativer und qualitativer Sozialforschung sind auch die Gütekriterien von Reliabilität und Validität differenziert zu betrachten. Während der Validität, also der Grad der Genauigkeit, mit dem dasjenige Merkmal auch erfasst wird, das die angewandte Methode zu erfassen den Anspruch erhebt (Lamnek 1995), eine gleichermaßen zentrale Bedeutung in der quantitativen wie qualitativen Sozialforschung zukommt, lässt sich das Kriterium der Reliabilität, also der Reproduzierbarkeit von Messergebnissen in der qualitativen Sozialforschung weniger exakt fassen als in der qualitativen Sozialforschung. Der Grad der Validität lässt sich ± wie in der vorliegenden Arbeit durchgeführt ± durch Pretests, Plausibilitätsuntersuchungen, hermeneutische Vergleiche und Intersubjektivität durch die Offenlegung der Vorannahmen und der argumentativen Verankerung nachweisen (vgl. Lütteken 2002, Diekmann 2003). Während sich jedoch der Grad der Reliabilität in der quantitativen Sozialforschung durch einen Korrelationskoeffizienten bzw. durch einen Test der Mittelwertabweichung210± wie in dieser Studie durch die Methode der Testhalbierung ± exakt ermitteln lässt, sind aufgrund der prinzipbedingt geringen Quantifizierbarkeit der Forschungsergebnisse der qualitativen Sozialforschung solche Verfahren hier nicht einzusetzen. Reliabilität in der qualitativen Sozialforschung lässt sich ± so Flick (2002) ± als prozedural annehmen. Diese prozedurale Reliabilität bezieht sich auf gleich bleibende Erhebungen (wie z.B. bei dem in dieser Arbeit zur Anwendung kommenden Interviewleitfaden) und Auswertungsverfahren (Explikation der Methoden). Eine beliebig häufige Wiederholbarkeit von Erhebungen mit denselben Ergebnissen wie in der quantitativen Sozialforschung ist ± aufgrund des hohen Subjektivitätsgrades bei qualitativen Interviews ± nicht möglich. Vor dem Hintergrund solcher methodologischer Überlegungen lassen sich die Funktionen des quantitativ-qualitativen Forschungsprozesses dieser Studie folgendermaßen gliedern: · Überprüfung der durch Literaturarbeit, Beobachtung und deduktive Überlegungen erarbeiteten Hypothesen durch die Methoden der quantitativen Sozialforschung (Fragebogen). 210
Die durchgeführten z-Tests ergaben für keinen der quantifizierten Variablen eine signifikante Abweichung, womit die Aussagen der quantitativen Untersuchung als reliabel gelten können.
141
· Generierung von Hypothesen durch Auswertung insbesondere der offen gestellten Fragen im Fragebogen als Elemente der qualitativen Sozialforschung, in Rückkopplung mit den Ergebnissen der quantitativen Elemente. · Entwicklung von Hypothesen mit Hilfe von Leitfadeninterviews. Hierbei wird insbesondere eine qualitative Beurteilung der geprüften Hypothesen vorgenommen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Bewertung der im Zusammenhang mit der Fragebogen-Auswertung gewonnen Erkenntnisse durch Experten und Bürger. Die Wahl des Saarlandes als Untersuchungsraum fiel aufgrund folgender Überlegungen: Das Saarland, als kleinstes Flächenland der Bundesrepublik Deutschland, weist ± seiner geringen Fläche zum Trotz ± eine vielfältige Raum- und Landschaftsstruktur auf, neben dem dicht besiedelten Verdichtungsraum zwischen Neunkirchen, Saarbrücken und Dillingen bzw. zwischen Homburg und Saarbrücken finden sich dünn besiedelte ländliche Räume im Süden und Norden des Landes, ferner wechseln bewaldete, offene und besiedelte angeeignete physische Landschaften ± unterschiedlicher Dichte ± in relativ geringen Entfernungen (vgl Abschnitt 6.2.1). Zudem weist das Saarland hinsichtlich seiner Sozialstruktur, seiner ökonomischen Grunddaten u. a. ähnliche Werte wie die Durchschnittswerte der Bundesrepublik auf. Ein weiterer Grund der Wahl des Saarlandes als Untersuchungsraum liegt in der langjährigen wissenschaftlichen Befassung des Autors mit sozialen und landeskundlichen Themen des Landes. Darüber hinaus konnte der Autor als Bediensteter eines Landesministeriums auf ein fachspezifisches soziales Netzwerk zurückgreifen, das die Auswahl der Interviewpartner innerhalb des Expertenkreises erleichterte und deren Verfügbarkeit erhöhte. 5.2
Ergebnisse des quantitativen Studienteils mit besonderer Berücksichtigung des Saarlandes
5.2.1 Methodik und Basisdaten des quantitativen Studienteils Der Fragebogen diente im Wesentlichen der Erforschung und Erklärung von vier Themenkomplexen: Erstens, dem Landschaftsbegriff der Probanden 211, zweitens, ihrer Wahrnehmung und Aneignung von Landschaft, drittens, der individuellen Bedeutung von landschaftlicher Schönheit, viertens, der Beurteilung von landschaftlicher Veränderung im Saarland seitens der Probanden. Darüber hinaus wurden Fragen zu Geschlecht, Alter, Wohnort, Bildungsgrad, ausgeübtem Beruf, parteipolitischer Bindung, Haushaltsnettoeinkommenshöhe und Haushaltsgröße gestellt, um so Zusammenhänge zwischen den genannten Variablen mit der Beurteilung, Bewertung und Konstruktion von Landschaft zu untersuchen. Darüber hinaus wurde ± in Anlehnung an Inglehart (1998) ± ein Fragenkomplex formuliert, der Auskunft über das Dominieren materialistischer bzw. postmaterialistischer Werte bei den einzelnen Probanden liefern sollte.
211
Aufgrund einer besseren Lesbarkeit des Textes wurde in diesem Abschnitt auf die weibliche Form (z.B. von Probanden als Probandinnen) verzichtet. Auch wenn lediglich die männliche Form eines Wortes verwendet wird, bezieht sich die Aussage ebenfalls auf die weibliche Form.
142
Die Ergebnisse der quantitativ-empirischen Untersuchung zum Thema Wahrnehmung von Landschaft der Saarländerinnen und Saarländer basieren auf einer schriftlichen Befragung, die im November und Dezember 2004 durchgeführt wurde. Anfang November 2004 wurden an 3.209 saarländische Haushalte Fragebögen (Fragebogen siehe Anhang) zum Thema Wahrnehmung von Landschaft verschickt212. Bis Ende Dezember 2004 wurden 465 Fragebögen an den Autor zurückgesandt, was einer Rücklaufquote von 14,5 % entspricht und ± gemäß Diekmann (2003) ± im Bereich des zu Erwartenden liegt. Dabei wurden allerdings vier Fragebögen, aufgrund von zahlreichen Antwortverweigerungen, aus der Wertung genommen, sechs wurden erheblich verspätet, zu einem Zeitpunkt zurückgesandt, an dem die Auswertung bereits begonnen hatte und bleiben daher unberücksichtigt. Daher ist insgesamt von einem Stichprobenumfang von n = 455 auszugehen. Das Layout des Fragebogens wurde nach Möglichkeit einfach, übersichtlich und selbst erklärend gehalten. Die einzelnen Fragen mit ihren Antwortmöglichkeiten wurden durch durchgezogene Linien voneinander getrennt und optisch so weit als möglich vereinheitlicht, um den Probanden ein rasches Erfassen des Frageinhaltes zu ermöglichen. Neben geschlossenen Fragen wurden auch zahlreiche offene Fragen gestellt, da solcherart einerseits mit der Aufmerksamkeit der Probanden zu rechnen war, andererseits wesentliche Informationen über geschlossene Fragen nicht hätten ausgewertet werden können (wie beispielsweise der Zusammenhang zwischen einer als schön empfundenen Landschaft und deren Entfernung zum Wohnort). Ferner wurden zahlreiche geschlossene Fragen geöffnet (z.B. durch die Möglichkeit das Feld Äanderes³ auszufüllen), um so alternative Antworten zuzulassen, wovon auch eine große Zahl von Probanden Gebrauch gemacht hat. Vor der Haupterhebung wurde in einem kleinen Rahmen ein Pretest durchgeführt: 25 Personen wurde eine vorläufige Fassung des Fragebogens zur Beantwortung überlassen. Dieser Pretest war von besonderer Bedeutung, da die Fragebögen bei der Haupterhebung ohne Hilfe eines Interviewers ausgefüllt wurden und somit möglichst vollständig selbst erklärend sein sollten. Als Ergebnis der Auswertung des Pretests wurde der Inhalt einiger Fragen, in dem versendeten Fragebogen, genauer erläutert (z.B. eine begriffliche Fassung, der in Photos dargestellten Landschaften beispielsweise als ÄWaldlandschaft³), die Kontraststärke der Photos erhöht, geschlossene Fragen um einige Antwortmöglichkeiten erweitert213. Ferner wurden die Formulierungen einiger Fragen als Äzu wissenschaftlich³ eingeschätzt, woraufhin diese Fragen dahingehend überprüft und an einen gebräuchlichen Sprachstil angepasst wurden. 212
213
Die Adressen der Befragten wurden durch eine Zufallsauswahl der für das Saarland verfügbaren Einträge auf der Telefonbuch-CD der Deutschen Telekom (2004) vom Herbst 2004 ermittelt. Der Umfang der Stichprobe wurde auf Grundlage der Wahrscheinlichkeitstheorie abgeschätzt. Der Fehler erster Art ist dabei ein Vielfaches der Standardabweichung des Stichprobenmittelwertes eines Merkmales. Nach Kaplitza (1975; vgl. hierzu auch Corell 1994) lässt sich mit Hilfe der Gleichung n = (t2 * p * (1 ± p)) * Į-2 der Mindeststichprobenumfang abschätzen. Bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % (t = 1,96) und dem ungünstigsten Fall des Merkmalsanteils von p = 0,5 ergibt sich ein Stichprobenumfang von 400 Personen. Die Rücklaufquote wurde in Anlehnung an Diekmann (2003) auf mindestens 12,5 % geschätzt, was bei einem geforderten Stichprobenumfang von n = 400 eine Befragung von 3.200 Personen bedeutete. Die überzähligen neun Befragungen ergaben sich aus der Zufallsauswahl. Die 95%ige Sicherheit gilt demnach für die Gesamtergebnisse, nicht aber für die Untergruppen (vgl. Corell 1994). Beispielsweise wurde Äja³, Änein³ und Äweiß nicht³, zu Äja³, Änein³, Äzeitweilig³ und Äweiß nicht³ erweitert und bei einigen geschlossenen Fragen Öffnungsmöglichkeiten (Äanderes³) hinzugefügt.
143
Anteil in Prozent
Wie alle Stichproben repräsentiert auch diejenige dieser Untersuchung nicht sämtliche Merkmalsverteilungen der Gesamtpopulation (vgl. Diekmann 2003, Kromrey 2002). Da bei einer endlichen Stichprobe unmöglich alle Merkmalsverteilungen repräsentiert werden können, ist Ädie Redeweise von der Ãrepräsentativen Stichprobe¶ [...] nicht mehr als eine Metapher, eine bildhafte Vergleichung³ (Diekmann 2003: 368). Insbesondere bei einer Querschnittsstudie durch schriftliche Befragung sind durch geringe Rücklaufquoten die Ergebnisse verzerrt, da neben anderen Faktoren (persönliche Konstitution) auch das Interesse an dem Befragungsthema eine von der Merkmalsverteilung der Gesamtpopulation abweichende Merkmalsverteilung induziert wird (vgl. Diekmann 2003, Kromrey 2002). Von 454 (von 455) Befragten, die Angaben zu ihrem Geschlecht machten, waren 320 männlich (= 70,5 %) und 134 (= 29,5 %) weiblich. Dies bedeutete eine in den empirischen Sozialwissenschaften häufige Überrepräsentation von Männern in der Umfrage (vgl. Diekmann 2003) im Vergleich zur saarländischen Gesamtbevölkerung (Männer 48,6 % und Frauen 51,4 % am 31.12.2003; Statistisches Landesamt Saarland 2004a). Das durchschnittliche Alter der Probanden betrug 53,0 Jahre; alle 455 Probanden machten Angaben zu ihrem Alter. Der jüngste Befragte war Jahrgang 1989, der älteste war Jahrgang 1911. Hinsichtlich der Alterklassen ergibt sich folgende Verteilung: bis 30 Jahre waren 41 Probanden alt (= 9,0 %), auf die Altersklasse von 31 bis 45 Jahre entfielen 99 Befragte (= 21,8 %), ein Alter von 46 bis 65 Jahre wiesen 201 der Probanden auf (= 44,2 %), 114 waren 66 Jahre oder älter (= 25,1 %). Damit sind ± unüblich für die empirische Sozialforschung, die von einer Überrepräsentanz von jüngeren Jahrgängen ausgeht ± gegenüber der saarländischen Gesamtbevölkerung ältere Jahrgänge überrepräsentiert (der Altersdurchschnitt der Saarländer lag 2002 bei 42,7 Jahren; Statistisches Landesamt Saarland 2004b). Von 455 Probanden gaben 448 ihren 40,00 Wohnort an. Dabei wurden die Wohn33,41 35,00 orte der Befragten gemäß dem Landes30,00 entwicklungsplan Siedlung (Ministeri26,59 23,08 25,00 um für Umwelt 1997) den drei Struk20,00 turräumen Kernzone des Verdichtungs15,16 15,00 raumes, Randzone des Verdichtungs10,00 raumes und Ländlicher Raum zugeord5,00 net214. Demnach wohnten 249 der Be1,32 0,00 fragten in der Kernzone des Verdich) ) ) ) ) 21 05 69 52 =6 1 1 1 tungsraumes (= 54,7 %), 102 in der = n = = (n s( n n n= s( s( ife e( lus us eif lre ch Randzone des Verdichtungsraumes (= lus l r l s u h h u b c c ch bs bs ula sch hs ch ula ul a ch oc 22,4 %), 97 im Ländlichen Raum (= h h S o h c c h H in c ts als ke Fa up Re 21,3 %) und sieben machten keine AnHa gaben (= 1,5 %). Dies entspricht weitAbbildung 11: Der höchste Schulabschluss der Probanden gehend den Anteilen der Einwohner(n = 453). 214
Bei Gemeinden mit Zugehörigkeit zu mehr als einem Strukturraum wurde ± sofern der Befragte keine genauere Angabe zum Wohnort gemacht hatte ± derjenige Strukturraum ausgewählt, zu dem die jeweilige Gemeinde größtflächigen Anteils gehört.
144
zahlen der drei Strukturräume: Gemäß Ministerium für Umwelt (1997), lebten im Jahre 1987 600.207 Personen in der Kernzone des Verdichtungsraumes (= 56,9 %), 182.949 in der Randzone des Verdichtungsraumes (= 17,3 %), 272.504 und im ländlichen Raum (= 25,8 %). Die Verteilung des jeweils höchsten erreichten Schulabschlusses unter den Probanden ist in Abbildung 11 dargestellt. Von 455 Probanden Anteil in Zahl der gaben 453 ihren höchsten Schulabschluss an. Prozent Nennungen Gegenüber der Gesamtbevölkerung des Saarkeine Berufsausbildung 5,53 25 Anlernausbildung 3,32 15 landes sind somit Personen ohne Schulabschluss Lehrausbildung 37,61 170 und mit Hauptschulabschluss unter- und PersoMeister/Techniker/ nen mit Fachhochschulreife und Hochschulreife Fachschulabschluss 19,91 90 Fachhochschulabschluss 14,60 66 überrepräsentiert. Der Anteil der Probanden mit Hochschulabschluss/ Mittlerer Reife oder gleichwertigem SchulabPromotion 16,15 73 anderer Abschluss 2,88 13 schluss ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Tabelle 8: Der höchste erreichte Berufsbildungs- etwa gleich. Nach Diekmann (2003) ist eine solche Abweichung von der Grundgesamtheit abschluss der Probanden (n = 452). als typisch zu bezeichnen, wobei hierzu keine Vergleichszahlen aus dem Saarland verfügbar sind. Die Verteilung des jeweils höchsten erreichten BeAnteil in Zahl der Prozent Nennungen rufsbildungsabschlusses der Probanden ist in Tabelle 8 Angestellter 33,55 152 dargestellt. 452 Probanden machten hierzu Angaben. in Ruhestand 32,01 145 Wie auch bei den höchsten allgemein bildenden SchulBeamter 11,04 50 selbständig 5,30 24 abschlüssen finden sie hier die höheren Abschlüsse anderes 5,30 24 (Meister/Techniker/Fachschulabschluss, Fachhochschulin Vorruhestand 4,42 20 abschluss und Hochschulabschluss/Promotion) gegenin Ausbildung 3,31 15 über der saarländischen Gesamtbevölkerung über- und freiberuflich 3,31 15 arbeitslos 1,77 8 die übrigen Abschlüsse unterrepräsentiert. Tabelle 9: Die berufliche Tätigkeit der Die Anteile der beruflichen Tätigkeit der Befragten Probanden (n = 453). sind in Tabelle 9 dargestellt, Vergleichszahlen aus dem Saarland sind hierfür nicht verfügbar. Anteil in Zahl der Hinsichtlich der parteipolitischen Sympathien (Tabelle 10) Prozent Nennungen keine / k.A. 48,35 220 lassen sich (im Vergleich zu den Landtagswahlen im Septem215 ) geringfügige Unterrepräsentanzen bei den AnhänCDU 19,12 87 ber 2004 SPD 18,46 84 gern der CDU (0,73-fach) und deutliche bei den Anhängern Grüne 7,69 35 anderer Parteien (0,36-fach) feststellen. Sowohl die Probanden FDP 4,18 19 andere 2,20 10 ohne Sympathien (im Vergleich zu den Nichtwählern, hier Tabelle 10: Die parteipolitische 1,09-fach) als auch bei SPD-Sympathisanten (1,08-fach) sind Sympathie der Probanden (n = geringfügige Überrepräsentationen in der Befragung nachzu455). weisen. Deutlichere Überrepräsentationen finden sich bei den Sympathisanten von FDP (etwa 1,4-fach) und insbesondere bei den Grünen (etwa 2,5-fach 215
Unter Einbeziehung der Nichtwähler ergab sich folgendes Ergebnis bei den Wahlen zum Saarländischen Landtag am 5. September 2004: Nichtwähler 44,5 %, CDU 26,4 %, SPD 17,1 %, Grüne 3,1%, FDP, 2,9 %, andere 6,0%.
145
ge Po m st äß m ig at te er ia Po lis st te m n at (n er = ia 64 lis te ) n In ge ( n d m = iff äß er 11 en ig 3) te te M (n at = er 16 ia 7) lis te M n (n at er = ia 84 lis ) te n (n = 27 )
Anteil in Prozent
ausmachen), das bedeutet: Personen, die der CDU oder keiner der genannten Parteien nahe stehen, beteiligten sich unterdurchschnittlich häufig an der Befragung, Nichtwähler und Personen, die mit der SPD sympathisieren etwa durchschnittlich häufig, FDP- und insbesondere Grünen-Sympathisanten überdurchschnittlich häufig. Die Frage über die Höhe des Netto-Haushaltseinkommens pro Jahr wurde von 416 der 455 Befragten beantwortet. Unter diesen 416 lässt sich folgende Verteilung feststellen: 48 (= 10,6 %)verfügten über ein Netto-Haushalteinkommen von unter 10.000 Euro pro Jahr, 159 (= 35,0 %) von 10.000 Euro bis 25.000 Euro jährlich, 165 (= 36,3 %) von über 25.000 Euro bis 50.000 Euro und 44 (= 9,7 %) von mehr als 50.000 Euro. Damit sind die Bezieher höherer Einkommen über- und die Bezieher niedriger Einkommen unterrepräsentiert 216. Hinsichtlich der Haushaltsgröße lässt sich unter den 452 Befragten, die diese Frage beantworteten, folgende Verteilung feststellen: 74 (= 16,3 %) lebten in einem Einpersonenhaushalt, 177 (= 38,9 %) in einem Zweipersonenhaushalt, 96 (= 21,1 %) in einem Dreipersonenhaushalt, 77 (= 16,2 %) in einem Vierpersonenhaushalt und 28 (= 6,2 %) in einem Haushalt mit fünf oder mehr Personen. Gemäß Statistischem Landesamt Saarland (2004) verteilten sich im Jahre 2003 (nach Mikrozensus) die saarländischen Haushaltsgrößen wie folgt: 37,8 % Einpersonenhaushalte, 34,1 % Zweipersonenhaushalte und 28,0 % Haushalte mit drei oder mehr Personen. Damit sind Einpersonenhaushalte deutlich unterrepräsentiert und Haushalte mit drei oder mehr Personen deutlich überrepräsentiert. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Studie war die Frage, ob und inwie40,00 36,70 fern Personen mit materialistischem, post35,00 30,00 materialistischem oder interferierendem 24,84 25,00 Wertesystem unterschiedliche Landschafts18,46 20,00 konstruktionen aufweisen. Hierzu wurde ei14,07 15,00 ne fünfstufige Skala entwickelt, die im We10,00 5,93 sentlichen auf dem von Inglehart (1998) 5,00 0,00 eingeführten Katalog von materialistischen/postmaterialistischen Items basiert; demnach sind postmaterialistische Items: Mehr Mitsprache der Bevölkerung in der Gemeinde, Verschönerung von Dörfern und Städten, mehr Mitsprache der Menschen bei Regierungsangelegenheiten, Erhaltung der Redefreiheit, Fortschritte hin zu einer Abbildung 12: Die Wertesysteme der Probanden (n = menschlicheren und weniger unpersönlichen 455). Gesellschaft und Fortschritte hin zu einer 216
Das verfügbare Jahreseinkommen der saarländischen Haushalte betrug im Jahre 2000 16.949 Euro (Statistisches Landesamt Saarland 2004a). Das gewichtete Mittel der Angaben zum Haushaltseinkommen der Befragten erreicht, wenn bei der Klasse unter 10.000 Euro ein mittleres jährliches Einkommen von 7.500 ¼ angenommen wird, bei jener von 10.000 Euro bis 25.000 Euro von 17.500 Euro, bei jener von über 25.000 Euro bis 50.000 Euro eines von 37.500 Euro und jener von mehr als 50.000 Euro eines von 60.000 Euro, ein durchschnittliches jährliches Nettoeinkommen von 28.774 Euro.
146
Gesellschaft, in der Ideen mehr als Geld zählen. Materialistische Items sind hingegen folgende: Erhaltung oder Erzielung eines hohen Niveaus an Wirtschaftswachstum, eine starke Armee, Aufrechterhaltung der Ordnung im Land, Inflationsbekämpfung, eine stabile Wirtschaft, Verbrechensbekämpfung. Die Befragten waren gehalten, hieraus diejenigen sechs Items auszuwählen, die ihnen am wichtigsten erschienen. Wurden fünf oder sechs postmaterialistische Items ausgewählt, wurde der Proband als Postmaterialist eingestuft, wurden vier postmaterialistische Items angegeben, wurde der Befragte als gemäßigter Postmaterialist klassifiziert, bei drei als indifferent, bei zwei als gemäßigter Materialist bei einem oder gar keinem als Materialist. Aus dieser Klassifikation ergab sich eine Verteilung von materialistischen bzw. postmaterialistischen Wertesystemen bei den Probanden, wie sie in Abbildung 12 dargestellt ist. 5.2.2 Ergebnisse des quantitativen Studienteils
5.2.2.1 Der Landschaftsbegriff Zur Untersuchung des Landschaftsbegriffs der Befragten wurden einerseits die Assoziationen zum Begriff der Landschaft erZahl der Nennungen Zahl der Nennungen Zahl der Nennungen fragt, andererseits aber auch die Natur 100 Erholung 12 Schönheit 4 Elemente von ÄLandschaft³ und Wald/Wälder 59 Felder 8 Idylle 3 Heimat 37 Gegend 7 Stille 3 auch die mit Landschaft in VerWiese/Wiesen 25 Ruhe 6 Gesundheit 3 bindung gebrachte räumliche Umwelt 20 Hügel 5 Garten/Gärten 3 Ausdehnung. grün 18 Bäume 5 Landwirtschaft 3 Auf die offen gestellte Frage Berg/Berge/Gebirge 18 Weite 4 Lebensraum 3 Umgebung 18 Luft 4 Äan welches andere Wort denTabelle 11: Häufigkeit der Antworten zur der Frage Äan welches ken Sie zuerst, wenn Sie das andere Wort denken Sie zuerst, wenn Sie das Wort ÃLandschaft¶ Wort ÃLandschaft¶ hören³ (Frahören³. Berücksichtigt sind Antworten, die häufiger als dreimal ge 3) antworteten 408 der 455 genannt wurden217. Befragten. Insgesamt wurden ± aufgrund von Mehrfachnennungen ± 466 Antworten angegeben. Die häufigsten Antworten (mehr als drei Nennungen) sind in Tabelle 11 dargestellt. Dabei sind grundsätzlich sowohl eher konkrete (Wald/Wälder, Wiese/Wiesen, Berg/Berge/Gebirge) als auch eher abstrakte Begriffe (Natur, Umwelt 218) zu finden. Die Bedeutung von Landschaft als individueller lebensweltlicher Bezugsraum, z.B. als Erholungsraum, als Raum der Schönheit und Idylle wie auch Heimat wird ebenfalls wahrgenommen. Sehr deutlich ist die Zuschreibung von Landschaft zum nichtstädtischen Raum, lediglich ein Proband assoziierte mit Landschaft Urbanität, 217
218
Ferner blieben bei der Auswertung Adjektive, in Verbindung mit Substantiven wie Änatürliche Umwelt³, Äfreie Natur³ etc. unberücksichtigt, lediglich die Substantive wurden berücksichtigt. In den o. g. Fällen also ÄUmwelt³ und ÄNatur³. Die deutliche Dominanz des Wortes ÄNatur³ gegenüber dem Wort ÄUmwelt³ in der Umfrage lässt sich mit Schemel/Lassberg/Meyer/Meyer/Vielhaber (2001) und Schemel (2004) aus der deutlich positiveren Resonanz des Wortes ÄNatur³ in Form von Äsinnlichen und emotionalen Assoziationen³ (Schemel 2004: 371) erklären, während mit dem Wort ÄUmwelt³ eher rationale Aspekte assoziiert seien.
147
an
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10 0
a
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a
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Q
se he n ua ka 10 dr nn 00 at (n k Q et ilo = ua w m 29 a dr et ei 7) e a n r( tk Q i lo n ua w = m ie 7 e d 4) te ra au r( tk fe ilo n in = m er 27 et Po er ) we (n st iß ka = ni rte 21 ch ) er t( sic n = ht 14 lic ) h (n an = de 13 re ) s (n = 9)
Anteil in Prozent (n =455)
ein anderer Proband Industrielandschaft, ein dritter Siedlungsraum. Auch die begriffliche Fassung wahrgenommener Normwidrigkeiten fand in der Assoziation mit dem Begriff Landschaft seinen Ausdruck, auch wenn die Häufigkeit jeweils drei Nennungen unterschritt: Zwei Probanden beklagten die Verschmutzung der Landschaft, einer verdreckte Gehwege, zwei andere die Bedrohung der Landschaft durch Bergschäden (jeweils unter der Nennung des wahrgenommenen Schuldigen, der Zahl der Nennungen Zahl der Nennungen Zahl der Nennungen DSK (Deutsche Steinkohle Wald/Wälder 140 Ruhe 13 Ort/Orte 7 Natur 123 See/Seen 13 grün 6 AG)), ein weiterer mahnte den Wiese/Wiesen 87 Dorf/Dörfer 13 Luft 6 Bau einer Ortsumgehung in Umwelt 54 Hügel 12 Schönheit 6 seinem Wohnort an. Umgebung 43 Lebensraum 12 Stadt 6 Der offen gestellten AufforBerg/Berge/Gebirge 42 Leben 10 Park/Parks 5 Heimat 40 Bäche 10 Freiheit 4 derung ÄNennen Sie bitte drei Gegend 31 Garten/Gärten 10 Tal/Täler 4 Worte, die Ihrer Meinung nach Landwirtschaft 31 Bäume 8 Idylle 3 mit dem Begriff Landschaft Felder 27 Pflanzen/Vegetation 8 Stille 3 Region 23 Auen 7 Gewässer 3 bedeutungsmäßig verwandt Wasser 22 Tiere 7 sind³ (Frage 4) kamen 424 Fluss/Flüsse 14 Erholung 7 Probanden nach. Insgesamt erTabelle 12: Häufigkeit der Antworten zu der Aufforderung ÄNennen Sie bitte drei Worte, die Ihrer Meinung nach mit dem Begriff Land- folgten 1208 Nennungen. Die schaft bedeutungsmäßig verwandt sind³. Berücksichtigt sind Ant- nach Häufigkeiten aggregierworten, die häufiger als dreimal genannt wurden219. ten Nennungen sind in Tabelle 70 12 aufgeführt. Auch hier finden sich 65,27 konkrete Begriffe, abstrakte Begriffe und 60 solche individueller lebensweltlicher Be50 zugnahme. Im Vergleich zu den Nennungen zu der ersten Assoziation zum 40 Begriff Landschaft lassen sich jedoch ± 30 unter Berücksichtigung der 2,58-fach 20 höheren Nennungszahl (die Aufforde16,26 rung, begriffsverwandte Worte zu nen10 5,93 4,62 3,08 2,86 1,98 nen, bezog sich auf drei Worte) ± einige 0 signifikante Unterschiede nachweisen: Während bei der spontanen Assoziation mit dem Wort Landschaft in erster Linie abstrakte Begriffe (Natur, Umwelt) oder individuell-lebensweltliche Bezugnahmen auf Landschaft zu finden sind (z.B. Heimat), dominieren bei der Aufforderung, drei mit dem Begriff Landschaft Abbildung 13: Anteile der Antworten (eine Antwort war verwandte Worte zu nennen konkrete möglich) zu der Frage ÄWenn Sie an eine Landschaft denken, welche Größe stellen Sie sich dafür am ehesten Begriffe (Wälder, Wiesen, Berge). Dievor³ an der Gesamtzahl der Nennungen (n = 455). 219
Wie in Tabelle 11 blieben bei der Auswertung Adjektive in Verbindung mit Substantiven unberücksichtigt.
148
ser Unterschied kann dahingehend gedeutet werden, dass die Probanden Landschaft tendenziell zunächst als abstrakten Begriff mit emotionalem und symbolischem Gehalt verstehen, der aus der Synthese einzelner landschaftlicher Elemente entsteht. Die deutliche Subjektbezogenheit der Konstruktion von Landschaft tritt auch bei Beantwortung der geschlossenen Frage mit Öffnung (durch das Feld Äanderes³) ÄWenn Sie an eine Landschaft denken, welche Größe stellen Sie sich dafür am ehesten vor³ (Frage 23) auf. Nahezu zwei Drittel der Befragten definierte die Größe einer Landschaft an der möglichen Sichtweite des Betrachters (Abbildung 13). Die Definition der Größe anhand der Sichtseite schließt die Möglichkeit ein, dass Landschaften durchaus von sehr geringer Fläche sein können (z.B. Gärten, sogar Innenräume lassen hinsichtlich ihrer Größendimensionierung die Möglichkeit einer Landschaftsdefinition offen). Acht der neun Probanden, die von der Öffnung der Frage Gebrauch machten, gaben an, Landschaften seien unterschiedlich groß, ein weiterer äußerte die Auffassung, Landschaften seien im Maßstab 1:500.000 abbildbar. 100.000.000 Entfernung in km Potenziell (Entfernung in km) 10.000.000 1,3018
y = 4,1257x 2 R = 0,6382
1.000.000
Fläche in km2
100.000
10.000
1.000
100
10
1 1
10
100 1.000 Entfernung in km
10.000
100.000
Abbildung 14: Zusammenhang zwischen Entfernung vom Wohnort und der Fläche der als schön empfundenen Landschaften (n = 1103).
Die Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³ (Frage 9) wird hinsichtlich der ästhetisch-inhaltlichen Dimension in Abschnitt 5.2.2.2 zu behandeln sein, doch impliziert die Frage auch eine physisch-räumliche Dimension: Den Zusammenhang zwischen der Entfernung der als schön empfundenen Landschaft zur Fläche dieser Landschaft (dargestellt in Abbildung 14) 220. Daraus wird folgender 220
Methodisch wurde bei der Untersuchung folgendermaßen vorgegangen: Anhand von Karten wurde entweder direkt die Entfernung zwischen dem Wohnort des jeweiligen Befragten und dem Mittelpunkt der als schön empfundenen Landschaft gemessen (bei Karten bis zu einem Maßstab von 1:1.000.000) oder bei Maßstäben
149
Zusammenhang ersichtlich: Je größer die Distanz zwischen Wohnort und einer als schön empfundenen Landschaft desto flächenmäßig größer ist diese. Als extreme Beispiele können gelten: Äunser Garten³ mit einer Fläche von mutmaßlich unter 2.000 m2 und ÄAustralien³ mit einer Fläche von 7.692.030 km2. Aufgrund der Bezeichnung vom Wohnort weiter entfernt gelegener Regionen als schöne Landschaften wird ± insbesondere im Rückgriff auf die Landschaftsflächendefinition durch die Begrenzung als Sichtweite ± eine Unschärfe des Landschaftsbegriffs bei den Befragten deutlich. Eine Erklärung hierfür ist die große semantische Schnittmenge des Begriffs der Landschaft mit jenen der Region und der Gegend, eine andere liegt in der Begrenzungsunschärfe des Landschaftsbegriffs der Befragten selbst (denn auch die Sichtweite ist in hohem Maße relativ). Der hohe positiv-korrelative Zusammenhang (der Korrelationskoeffizient liegt bei potenzieller Korrelation bei r = 0,80) zwischen Entfernung und Fläche bei als schön eingeschätzten Landschaften deutet über den landschaftlichen Zusammenhang hinaus, auf ein allgemeines Phänomen hin: Die nicht-lineare (eher logarithmische) Skalierung von kognitiven Karten. Dies bedeutet: Physisch-räumlich nahe, lebensweltlich angeeignete Regionen werden flächenmäßig größer eingeschätzt als solche, die in größerer physisch-räumlicher Entfernung lokalisiert sind ± und über die keine detaillierten lebensweltlichen Zusammenhänge vorliegen, da sie häufig lediglich virtuell bekannt sind. Darauf deutet auch der Zusammenhang zwischen der Entfernung zum Wohnort als schön wahrgenommener Landschaft und der Frage, ob der betreffende Proband bereits diese Landschaft physisch betreten hat, hin: Als schön gekennzeichnete (angeeignete physische) Landschaften, die bis zu 100 km vom eigenen Wohnort entfernt liegen, sind den betreffenden Probanden zu 100 % durch eigene Anschauung bekannt (n = 744), bei (angeeigneten physischen) Landschaften, die mehr als 100 km bis zu 1.000 km vom Wohnort entfernt lokalisiert (n = 408) sind, sind 1,4 % nicht aus eigener Anschauung bekannt, bei (angeeigneten physischen) Landschaften zwischen über 1.000 und 10.000 km (n = 33) steigt dieser Wert auf 15,4 % und liegt bei über 10.000 km lokalisierten (angeeigneten physischen) Landschaften (n = 12) bei 50,0 %. Landschaften ± insbesondere solche, die in
über 1:1.000.000 ± aufgrund der nicht hinreichenden Abbildungsmöglichkeit der Erdkrümmung in Karten (Längentreue ist lediglich in großmaßstäbigen Karten erreichbar) ± über die Definition der Position der jeweiligen Orte (P1 und P2) im Gradnetz (geographische Breite ij und Länge Ȝ), der anschließenden Berechnung des Winkels der kürzesten Entfernung zwischen diesen als Abschnitt des Großkreisbogens (Orthodrome) mit der Formel P1P2 = sinij1 * sinij2 + cosij1 * cosij2 * cos(Ȝ1±Ȝ2) und der Umrechnung des Winkels in das Streckenmaß (in km) durch Multiplikation mit 111,18 km (da ein Grad auf dem Großkreis diesem Wert entspricht; vgl. Wilhelmy 1996). Die Abschätzung der Größe einer als schön empfundenen Landschaft erfolgte entweder bei Entsprechung mit einer Verwaltungseinheit durch Angabe von deren Territorialfläche (z.B. Bayern = 70.549 km2) oder durch mit Hilfe trigonometrischer Berechnungen aus topographischen Karten oder Karten zu naturräumlichen Einheiten (z.B. Bliesgau = 280 km2). Bei Angaben Ärund um³ wurde die maximale Entfernung der Sichtbarkeit des Ortes von umliegenden Höhen als Begrenzung ausgewählt und somit die Fläche der als schön empfundenen Landschaft bestimmt (z.B. rund um die Saarschleife = 12 km2). Einige Angaben der Befragten ließen sich nicht quantitativ umsetzen wie z.B. ÄBerge³ oder ÄWaldgebiete (Warndt, Weiskirchen)³, da hier eine Flächenzuordnung nicht möglich war. Dennoch ist festzustellen, dass diese quantitativen geometrischen Abbildungen der qualitativen Angaben seitens der Befragten stets das Risiko einer geringen oder teilweisen Repräsentanz des ÄGemeinten³ beinhalten. Aufgrund des großen Stichprobenumfanges (n = 1103) ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Diskrepanzen zwischen Angegebenem und Gemeintem ausgleichen.
150
größerer physisch-räumlicher Distanz gelegen sind, werden aufgrund virtueller Informationen als Äschön³ wahrgenommen. Neben den Fragen, welche Assoziationen zum Wort Landschaft bestehen und welche Begriffe für die Befragten bedeutungsmäßig mit dem Begriff der Landschaft verwandt sind, Fragen also, die primär auf die begriffliche Intentionalität und Extensionalität von Landschaft bezogen sind, ist von Interesse, aus welchen Elementen sich Landschaft ± aus Sicht der Befragten ± zusammensetzt. Hierzu wurde eine geschlossene Frage mit Öffnung (durch das Feld Äanderes³) formuliert. Die Antworten zu der Frage Äwas gehört Ihrer Meinung nach zu einer Landschaft³ (Frage 22) sind in Tabelle 13 dargestellt (mehrere Antwortmöglichkeiten konnten angekreuzt werden). Im arithmetischen Mittel wurden von den 23 Antwortmöglichkeiten 9,42 (das entspricht 40,9 %) angekreuzt. Unter Äanderes³ wurden folgende Landschaftselemente vermerkt: Tiere (sieben Mal), See (fünf Mal), Meer (zwei Mal), Wind (zwei Mal), ferner je ein Mal: Wege, Sonne, Hitze, Wind, Fluss, Reiter, Tierstimmen, Gestalt harmonisch und Perspektive. Anteil in Prozent
Zahl der Nennungen
Anteil in Zahl der Prozent Nennungen
Wälder
96,26
438 kleinere Städte
32,09
146
Wiesen
95,16
433 einzelne Menschen
21,32
97
Bäche
91,21
415 Geräusche
20,88
95
Dörfer
83,08
378 Gruppen von Menschen
19,56
89
Bauernhöfe
73,63
335 Industriebetriebe
14,07
64
Düfte
61,54
280 Windräder
10,99
50
Atmosphäre (im Sinne von Stimmung)
60,66
276 Großstädte
8,79
40
Gebirge
59,12
269 Autobahnen
8,79
40
Wolken
51,65
235 Autos
6,37
29
Landstraßen
44,84
204 anderes
5,05
23
0,22
1
Regenschauer
41,10
187 weiß nicht
einzelne Blumen
35,38
161
Tabelle 13: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage Äwas gehört Ihrer Meinung nach zu einer Landschaft³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable.
Sowohl hinsichtlich der physisch-räumlichen Dimension als auch hinsichtlich der zeitlichen Dauer des Auftretens aber auch der sensualen Wahrnehmbarkeit lassen sich hinsichtlich der einzelnen Landschaftselemente deutliche Unterschiede feststellen: So sind bei denjenigen Landschaftselementen, die zu mehr als 50 % genannt wurden, beispielsweise Gebirge sehr großflächig, während Bauernhöfe nur eine vergleichsweise kleine Fläche einnehmen, während Gebirge eine Bestandsdauer von in der Regel mehreren Millionen Jahren aufweisen, ist diese von Wolken auf wenige Minuten bis wenige Tage beschränkt, während sich Wolken, Gebirge, Bauernhöfe, Dörfer, Bäche, Wiesen, Wälder u. a. multisensorisch (zumindest mit Hilfe des Sehsinns und des Tastsinns) erfassen lassen, gehören nach Ansicht der Mehrzahl der Befragten auch Düfte zu einer Landschaft. Das rückgekoppelte Verhältnis zwischen physischem Raum bzw. angeeigneter physischer Landschaft und dem individuellen oder sozialen bzw. sozial präformierten Konstrukt von Landschaft wird in der Bedeutung von Atmosphäre deutlich: Sie repräsentiert die symbolische Besetzung von Landschaft. Wie bereits bei der Untersuchung zu den Fragen 3 und 4 deutlich wurde, lässt sich auch hier eine deutliche Unterrepräsentierung nicht-primärsektoraler (Industrie, Windräder), städtischer Siedlungsbereiche (un151
terschiedlicher Größe), aber auch großer Infrastruktureinrichtungen (Autobahnen, aber auch Landstraßen) nachweisen und darüber hinaus jene von Menschen (sowohl einzelnen als auch Gruppen von Menschen). Die stereotype Landschaft ist in weiten Teilen zwar anthropogen überformt, aber Menschen selbst kommen darin nur selten vor! Hinsichtlich der Anzahl der von den Probanden als einer Landschaft zugehörig zugeschriebenen Elemente gab es bei der Geschlechtsvariablen keine signifikanten Unterschiede221, während sich feststellen lässt, dass jüngere Personen (unter 30 Jahren) eine ebenso vielfältigere Vorstellung von Landschaft haben wie ältere (größer gleich 66 Jahre) 222, wie Bewohner des ländlichen Raumes im Vergleich zu jenen des städtischen Raumes 223. Darüber hinaus steigt mit der Zahl der Personen im Haushalt auch die Vielfalt der landschaftlichen Wahrnehmung (Ausnahmen sind hierbei die in der Rangfolge vertauschten Positionen von Zwei- und Dreipersonenhaushalten). Hinsichtlich des höchsten erreichten allgemein bildenden Schulabschlusses lässt sich prinzipiell eine Linearität von geringerer Vielfalt der Vorstellung von Landschaft von Personen mit Hauptschulabschluss zu größerer Vielfalt bei Personen mit Hochschulreife nachweisen. Diese Linearität wird durch eine große Vielfalt der Landschaftsvorstellung bei Personen mit Realschulabschluss (oder gleichwertigem Abschluss) und die dagegen vergleichsweise geringe Vielfalt der Personen mit Fachhochschulreife durchbrochen224. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Berufsbildungsabschlüssen, grundsätzlich gilt: Je höher der Berufsbildungsabschluss, desto größer die Vielfalt der Vorstellung von Landschaft. Ausnahmen bilden hier Fachhochschulabsolventen (keine signifikanten Abweichungen) und Meister/Techniker/Personen mit abgeschlossener Fachschule, die eine den Hochschulabsolventen ähnlich vielfältige Vorstellung von Landschaft haben225. Bei den unter221
222
223
224
225
Zur Überprüfung der Signifikanz wurde in dieser Studie der z-Test in seinen unterschiedlichen Varianten ± gemäß Diekmann (2003) ± herangezogen. Getestet wurde für die Irrtumswahrscheinlichkeiten a = 0,05 (= signifikant), a = 0,01 (= sehr signifikant) sowie a = 0,001 (= hochsignifikant). Bei den Signifikanzuntersuchungen wurde sich an den in CLAUß/EBNER (1975) vorgeschlagenen Verfahren orientiert. Personen unter 30 Jahren (x = 10,4) und diejenigen in der Altersklasse von 31 bis 45 Jahre (x = 10,1) halten eine hochsignifikant größere Zahl von Elementen einer Landschaft zugehörig als dies im arithmetischen Mittel der Befragten (x = 9,4) der Fall ist. Eine hochsignifikant geringere Anzahl von Landschaftselementnennungen findet sich in der Kohorte der größer gleich 66-Jährigen (x = 8,4). Bei den Befragten im Alter von 46 bis 65 Jahre ließen sich keine signifikanten Abweichungen nachweisen (x = 9,5). In Bezug auf die Strukturraumvariable ließ sich eine signifikant geringere Zahl der Landschaftselementnennungen bei den Bewohnern der Kernzone des Verdichtungsraumes (x = 9,0) und eine hochsignifikant größere Anzahl Landschaftselementnennungen bei den Bewohnern des Ländlichen Raumes (x = 10,2) feststellen als dies im arithmetischen Mittel (x = 9,4) der Fall war. Hinsichtlich der Einschätzung der Bewohner der Randzone des Verdichtungsraumes (x = 9,7) ließen sich keine signifikanten Abweichungen gegenüber dem Durchschnitt nachweisen. Hinsichtlich der Variablen des höchsten allgemeinbildenden Schulabschlusses sind folgende Signifikanzen nachweisbar: Personen mit einem Hauptschulabschluss nennen hochsignifikant weniger Elemente als einer Landschaft zugehörig (x = 8,6) als der Durchschnitt der Befragten (x = 9,4), während Probanden mit Hochschulreife (x = 9,9) und solche mit Realschulabschluss (oder gleichwertigem Abschluss; 10,0) hochsignifikant mehr Elemente nennen. Bei Befragten mit Fachhochschulabschluss (x = 9,7) lassen sich keine signifikanten Abweichungen gegenüber dem Wert des Durchschnittes der Befragten nachweisen. Hinsichtlich des höchsten erreichten Berufsbildungsabschlusses lassen sich Signifikante Abweichungen hinsichtlich der Zahl der einer Landschaft zugehörig erklärten Elemente nachweisen: Bei Befragten mit Hochschulabschluss (x = 10,5) und bei Meistern/Technikern/abgeschlossener Fachschule (x = 10,0) ist sie hochsignifikant größer als beim Durchschnitt der Befragten, bei Probanden ohne Ausbildung oder mit beruflichem Praktikum/Anlernausbildung (x = 8,85) ist sie hochsignifikant, bei Befragten mit Lehrausbildung sehr signifikant (x = 8,94) im Vergleich zum Durchschnitt der Befragten. Hinsichtlich der Befragten mit Fach-
152
schiedlichen Berufsgruppen haben Freiberufler/Selbständige und Angestellte eine überdurchschnittlich vielfältige Vorstellung von Landschaft, während Beamte und Ruhe- und Vorruheständler eine unterdurchschnittlich vielfältige Vorstellung von Landschaft aufweisen 226, gleiches gilt für Anhänger der CDU, während SPD-Anhänger eine überdurchschnittlich vielfältige Vorstellung von Landschaft haben227. Darüber hinaus haben Personen aus Haushalten mit einem sehr hohen Einkommen (mehr als 50.000 Euro Jahresnetto) eine durchschnittlich vielfältige Vorstellung von Landschaft. Personen aus Haushalten mit hohem jährlichem Nettoeinkommen haben (mehr als 25.000 Euro bis 50.000 Euro) eine vielfältigere Vorstellung von Landschaft als die Befragten der anderen Haushaltseinkommensklassen228. Personen, die in Haushalten mit mindestens vier Personen leben, haben eine vielfältigere Vorstellung von Landschaft als jene in kleineren Haushalten229. Hinsichtlich des Überganges von materialistischen zu postmaterialistischen Wertesystemen lässt sich ein einfacher Zusammenhang formulieren: Je stärker Personen postmaterialistische Werte vertreten, desto vielfältiger sind ihre Vorstellungen von Landschaft230.
226
227
228
229
230
hochschulstudium lassen sich keine signifikanten Unterschiede zum Gesamtdurchschnitt (x = 9,4) nachweisen. Bei Unterschieden verschiedener Berufsgruppen hinsichtlich der Anzahl Landschaftselementnennungen sind bei Angestellten (x = 10,4) und Freiberuflern/Selbständigen (x = 10,4) hochsignifikant größere, bei Beamten sehr signifikant (x = 8,9) und Ruhe-/Vorruheständlern hochsignifikant (x = 8,6) geringere durchschnittliche Landschaftselementnennungen zu finden als beim Durchschnitt der Befragten. Bei den Übrigen (in Ausbildung, arbeitslos, in Weiterbildung und andere ± diese wurden aufgrund der jeweils geringen Stichprobenumfänge zusammengefasst) finden sich keine signifikanten Abweichungen (x = 9,2). Hinsichtlich der Sympathie zu den einzelnen Parteien lassen sich lediglich hochsignifikante Abweichungen (x = 8,9) für CDU-Sympathisanten bezüglich geringerer durchschnittlicher Landschaftselementnennungen als beim Durchschnitt der Befragten und eine signifikant höhere Zahl bei SPD-Sympathisanten im Vergleich zum Durchschnitt (x = 9,8) nachweisen. Befragte ohne parteipolitische Sympathie bzw. ohne Angabe und Sympathisanten der anderen Parteien (im Wesentlichen Grüne und FDP, aber auch Familienpartei und PDS) wiesen keine signifikanten Abweichungen vom Durchschnitt auf (jeweils x = 9,5). Hinsichtlich der Befragten deren Haushalte über ein jährliches Netto-Einkommen von unter 10.000 Euro (x = 9,3) und von 10.000 bis 25.000 Euro (x = 9,2) verfügen, lassen sich bezüglich der durchschnittlichen Zahl der Landschaftselementnennungen keine signifikanten Abweichungen vom Durchschnitt (x = 9,4) nachweisen. Lediglich bei Personen aus Halthalten mit mehr als 25.000 bis 50.000 Euro lässt sich eine positivsignifikante Abweichung (x = 9,8) und bei Personen aus Haushalten mit mehr als 50.000 Euro Nettoeinkommen eine negativ-hochsignifikante Abweichung (x = 8,7) nachweisen. Zwischen Haushaltsgröße und der durchschnittlichen Zahl der Landschaftselementnennungen lassen sich folgende Signifikanzen nachweisen: Befragte aus Einpersonenhaushalten (x = 8,9) identifizieren eine sehr signifikant und Dreipersonenhaushalte (x = 9,0) eine signifikant geringere Zahl Landschaftselemente als Personen aus Vier- (x = 10,1) und Fünfpersonenhaushalten (x = 10,4), während es bei in Zweipersonenhaushalten (n = 9,4) lebenden Personen keine signifikanten Abweichungen vom Durchschnitt gibt. Hinsichtlich des Zusammenhanges von Wertesystem und einer durchschnittlichen Zahl der Landschaftselementnennungen sind bei Postmaterialisten (x = 10,4) hochsignifikant positive Abweichungen zum Durchschnitt, bei gemäßigten Postmaterialisten und Indifferenten (jeweils x = 9,5) keine und bei gemäßigten Materialisten (x = 8,8) und Materialisten (x = 8,4) hochsignifikant negative Abweichungen vom arithmetischen Mittel nachweisbar.
153
Geschlecht arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
männlich 77,2 o
weiblich 76,4 o
Alter arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
bis 30 76,9 o
31 bis 45 78,0 +
46 bis 65 77,6 o
Strukturraumzugehörigkeit arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Kernzone 76,5 o
Randzone 76,4 o
Ländlicher Raum 79,0 +++
höchster Schulabschluss
Hauptschulabschluss 78,4 +++ kein Abschluss / berufliches Praktikum / Anlernausbildung 75,7 --
Realschulabschluss 77,9 +
Fachhochschulreife 74,7 ---
Hochschulreife 75,7 --
Lehrausbildung 78,4 +++
Meister / Techniker / Fachschule 78,6 +++
Fachhochschulabschluss 75,2 ---
Hochschulabschluss 75,6 --
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Angestellte 78,3 ++
Beamte 75,5 ---
Freiberufler / Selbständiger 78,3 ++
Ruhe-/ Vorruheständler 75,8 -
Übrige 77,4 o
parteipolitische Sympathie arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
CDU 77,5 o
SPD 76,8 o
andere 77,2 o
keine / k.A. 76,7 o
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
unter 10.000 75,7 --
von 10.000 bis 25.000 76,8 o
mehr als 25.000 bis 50.000 77,9 +
über 50.000 78,2 ++
Haushaltsgröße arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
1-PHH 75 ---
2-PHH 76,6 o
3-PHH 78,2 ++
4-PHH 77,8 o
5-PHH 79,1 +++
Postmaterialisten 77,4 o
gemäßigte Postmaterialisten 78,9 +++
Indifferente 76,2 o
gemäßigte Materialisten 76,6 o
Materialisten 73,2 ---
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung höchster Berufsbildungsabschluss
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung Berufliche Stellung
Netto-Haushaltseinkommen (in Euro)
Wertesystem arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung +++ hochsignifikante positive Abweichung ++ sehr signifikante positive Abweichung + signifikante positive Abweichung
o keine signifikante Abweichung
über 65 74,8 ---
--- hochsignifikante negative Abweichung -- sehr signifikante negative Abweichung - signifikante negative Abweichung
Tabelle 14: Signifikanzen und arithmetische Stichprobenmittel des Stereotypizitätsindexes, unterschieden nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. Die Signifikanz der Abweichung bezieht sich auf die jeweils komplementären Merkmale231. Gesamtmittel des Stereotypizitätsindexes: x = 76,9.
Mit dem Ziel der Untersuchung unterschiedlicher Vorstellungen hinsichtlich der Zugehörigkeit von Elementen zu einer Landschaft wurde zum einen die von den Probanden jeweils genannte Zahl der Landschaftselemente addiert und daraufhin mit den unterschiedlichen soziodemographischen, politischen und ökonomischen in Beziehung gesetzt, zum anderen wurde ein Stereotypizitätsindex der Auswahl von Landschaftselementen entwickelt. Die Anzahl der Landschaftselementnennung kann als Maßzahl für die Vielfalt der Vorstellung von Landschaft seitens der Befragten gelten, der Stereotypizitätsindex für die Abweichung von einem stereotypen (genormten) Landschaftsbild. Zu einer stereotypen Landschaft gehören damit diejenigen Elemente, die überdurchschnittlich häufig genannt wurden. Dabei handelt es sich um diejenigen Landschaftselemente, deren Nennung von mehr als 42,8 % (n 195) der Probanden erfolgte. Dem gemäß gehören zu einer stereotypen Landschaft (mindestens, die Aufzäh231
Dies bedeutet beispielsweise, dass bei einem z-Test für Postmaterialisten eine Gegenüberstellung zu den summierten bzw. gemittelten Daten von gemäßigten Postmaterialisten, Indifferenten, gemäßigten Materialisten und Materialisten stattfindet.
154
lung ist nicht abschließend): Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen. Nicht zu einer stereotypen Landschaft zählen dagegen (mindestens): Regenschauer, einzelne Blumen, kleinere Städte, einzelne Menschen, Geräusche, Gruppen von Menschen, Industriebetriebe, Windräder, Autobahnen, Großstädte und Autos. Der Stereotypizitätsindex stellt eine Maßzahl für den Grad der Übereinstimmung mit der durchschnittlichen Landschaftswahrnehmung (= 100) dar, je höher also der Wert, desto stereotyper die Landschaftsvorstellung. Insgesamt lässt sich eine sehr stark stereotype Landschaftsvorstellung hinsichtlich der Frage, welche Elemente zu einer Landschaft gehören und welche nicht, feststellen: Im Mittel liegt der Stereotypizitätsindex bei 76,9 und weist bei den Befragten eine Schwankungsbreite von 40,9 bis 95,5 auf. Die Abweichungen vom gemittelten Stereotypizitätsindex von x = 76,9 sind ± auch hinsichtlich ihrer Signifikanz ± in Tabelle 14 dargestellt. Trotz teilweise hoher Signifikanzniveaus hinsichtlich der Abweichungen der einzelnen Stichprobenmittel vom Gesamtmittel sind die Streuungen der Mittelwerte vergleichsweise gering, was auf einen hohen Grad an Einheitlichkeit der Landschaftszugehörigkeitszuschreibung von Landschaftselementen bei den Befragten hindeutet. Fazit: Der Landschaftsbegriff der Befragten konstituiert sich in mehreren Dimensionen. Er umfasst eine abstrakte Dimension, die sich in der Assoziation von Landschaft zum Beispiel mit Umwelt und Natur äußert, er umfasst aber auch eine konkrete Dimension, die sich auf Wälder, Wiesen, Berge etc. bezieht. Darüber hinaus umfasst er eine individuelle lebensweltliche (teilweise emotionale) Bezugnahme, wie sie sich in Worten wie Umgebung und Heimat äußert. Diese individuell lebensweltliche Bezugnahme von Landschaft äußert sich insbesondere in der Subjektbezogenheit der Fläche einer Landschaft, die überwiegend anhand der Sichtweite definiert wird. Zudem nimmt mit zunehmender physisch-räumlicher Entfernung zum Wohnort die Fläche der als schön wahrgenommenen Landschaften zu, wie auch die Informationsdichte mit zunehmender Entfernung abnimmt. Dies lässt darauf schließen, dass kognitive Karten nicht linear, sondern eher logarithmisch skaliert sind, d.h. mit zunehmender Entfernung physische Räume kleiner rekonstruiert werden, als sie hinsichtlich ihrer physischgeographischen Größe sind. Auch die Landschaftselemente, die ± nach Ansicht der Befragten ± als konstitutiv für eine Landschaft gelten können, sind hinsichtlich ihrer physischen Größe, ihrer sensorischen Wahrnehmbarkeit, ihres temporalen Auftretens, aber auch hinsichtlich des Rückkopplungsverhältnisses zwischen physischem Raum und angeeigneter physischer Landschaft auf der einen und individueller und sozialer Landschaftskonstruktion auf der anderen Seite hochgradig differenziert: Landschaft ist temporal, größenspezifisch, sensorisch und symbolisch vieldimensional und weder räumlich noch zeitlich exakt verortbar. Darüber hinaus wird Landschaft auch hinsichtlich der sie konstituierenden Elemente (verschieden) vielfältig wahrgenommen, so weisen beispielsweise Postmaterialisten eine hochsignifikant vielfältigere Landschaftsvorstellung auf als der Durchschnitt der Befragten. Hinsichtlich der Ausprägung der Landschaftsvorstellung, d.h. welche Elemente einer Landschaft zugeordnet werden, lässt sich ein hoher Grad an Stereotypizität nachweisen.
155
5.2.2.2 Die Bedeutung von landschaftlicher Schönheit Wie in unterschiedlichen Passagen dieser Arbeit bereits ausgeführt wurde, kann Ästhetik als wesentliches konstituierendes Prinzip der Wahrnehmung von Landschaft gelten. Die hohe Bedeutung landschaftlicher Schönheit spiegelt sich auch in den Antworten der Probanden auf die Frage Äwie wichtig ist es Ihnen, in oder in der Nähe einer Ihrer Meinung nach Ãschönen¶ Landschaft zu leben³ (Frage 2) wieder: 304 der 455 Befragten antworteten mit Äsehr wichtig³ (= 66,8 %), 139 mit Äwichtig³ (= 30,5 %), lediglich 7 (= 1,5 %) mit Äweniger wichtig³, einer mit Äunwichtig³ (= 0,2 %) und vier Probanden machten keine Angabe oder beantworteten die Frage mit Äweiß nicht³. Postmaterialisten ist dabei das Leben in der Nähe einer ± Ihrer Ansicht nach ± schönen Landschaft hochsignifikant wichtiger als den Befragten mit anderen Wertesystemen. Zahl der Nennungen Bliesgau (südöstl. SL) 115 Schwarzwald* 81 Schwarzwälder Hochwald (nördl. SL) 77 Saarschleife (nördl. SL) 57 Pfälzer Wald 38 Mosel/Moseltal 34 Alpen 32 Nördliches Saarland 29 Nordsee/Nordseeküste 29 Saargau (westl. SL) 25 Toskana 23 Eifel 21 Allgäu 20 Bostalsee (nordöstl. SL) 19 Pfalz 19
Bayern Vogesen
Zahl der Nennungen Zahl der Nennungen 19 Kirkeler Wald (südöstl. SL) 7 19 Tirol 6
Hunsrück Saartal St. Wendeler Land (nordöstl. SL) Niedtal/Niedgau (westl. SL) Elsass Bliestal (östl. SL) Ostsee/Ostseeküste Schaumberger Land (nördl. SL) Mandelbachtal (südöstl. SL) Provence Bayrischer Wald Ostertal (östl. SL) Rügen
17 15 14 13 13 12 12 11 11 10 8 8 8
Schwäbische Alb Rheintal Thüringer Wald Lothringen Harz Alpenvorland Rheinland-Pfalz Mecklenburger Seenplatte Fränkische Schweiz Rhön Rheinland Sächsische Schweiz
6 6 6 5 4 4 3 3 3 3 3 3
Tabelle 15: Häufigkeit der Antworten zu der offenen Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³. Berücksichtigt sind Antworten, die häufiger als dreimal genannt wurden232, Landschaften innerhalb des Saarlandes wurden mit einer geographischen Spezifikation versehen. * Im Nordsaarland wird der Schwarzwälder Hochwald häufig als ÄSchwarzwald³ bezeichnet, es ist also davon auszugehen, dass ± gemäß der Zahl Antworten von Personen mit Wohnort in diesem Raum ± 10 bis 15 % der Angaben nicht auf den Schwarzwald in Baden-Württemberg, sondern den Schwarzwälder Hochwald bezogen sind.
Insgesamt wurden zu der offenen Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³ von den 455 Befragten 1165 Antworten gegeben. Die Anzahl der Nennungen einzelner Landschaften findet sich in Tabelle 15233. Die Nennungshäufigkeit einzelner Landschaften weist dabei im Wesentlichen auf zwei Zusammenhänge hin: Erstens, die enge Verbindung zwischen Landschaft und Heimat 234 (siehe 232
233
234
Wie in Tabelle 11 blieben bei der Auswertung Adjektive in Verbindung mit Substantiven unberücksichtigt (z.B. bei Äunteres Saartal³). Insgesamt sind in Tabelle 15 890 Nennungen aufgeführt, die übrigen genannten Landschaften wurden entweder unter drei Mal aufgeführt oder die Antworten waren für eine regionale Spezifikation zu allgemein (z.B. ÄBerge³, ÄMeer³, Ätropische Strände³ u. a.). Eine räumliche Verortung des individuellen Heimatgefühls lässt sich auch anhand einer im SPIEGEL (1999) veröffentlichten quantitativen Studie nachweisen: 31 % der Befragten nannten den Wohnort als Heimat, 27 % den Geburtsort, 25 % die Familie, 11 % Deutschland und 6 % Freunde.
156
Tabelle 16 und auch Tabelle 11), denn gehäuft werden von den saarländischen Befragten auch saarländische Landschaften genannt, zweitens, werden in der Regel angeeignete physische Landschaften genannt, die durch einen geringen Verstädterungsgrad und einen geringen Industrialisierungsgrad geprägt sind. Dabei lassen sich keine eindeutigen Dominanzen von offenen (unbewaldeten) oder bewaldeten angeeigneten physischen Landschaften hinsichtlich des Schönheitsempfindens nachweisen: So ist der Bliesgau ± als am häufigsten als Äschön³ bezeichnete Landschaft ± zwar durch hohe Offenlandanteile geprägt, der Schwarzwald, der Schwarzwälder Hochwald und auch der Pfälzer Wald hingegen zeichnen sich durch Waldreichtum aus ± ebenso wie der Bereich der Saarschleife, wobei hierbei nicht der Wald als das landschaftsprägende Element anzusehen ist (naturräumlich handelt es sich hierbei um einen Teil des Hunsrücks), sondern vielmehr das Engtal der Saar, das einen ausgeprägten Talmäander in den Taunusquarzit erodiert hat. Vielmehr scheint ein anderes Kriterium entscheidend für die Befragten zu sein, um von einer Äschönen³ Landschaft zu sprechen: ein hoher Reliefierungsgrad235. Bis auf wenige Ausnahmen (Nordsee/Nordseeküste, Ostsee/Ostseeküste) werden Landschaften genannt, die sich durch Hügeligkeit bis Gebirgigkeit auszeichnen. Hinsichtlich der innersaarländischen Schönheitszuschreibung lassen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Entfernung zwischen Wohnort des Befragten und der als schön empfundenen saarländischen Landschaft feststellen. Während die mittlere Entfernung zwischen Wohnort und dem geographischen Mittelpunkt der als schön empfundenen saarländischen Landschaft x = 23,35 km (bei s = 27,69) beträgt, liegt diese zwischen Wohnort und Bliesgau bei x = 18,19 km (bei s = 12,12) und beim Schwarzwälder Hochwald bei x = 27,84 km (bei s = 9,48). Dies bedeutet, dass die Distanz zwischen Wohnort und Bliesgau hochsignifikant kleiner und beim Schwarzwälder Hochwald signifikant größer ist als im Landesdurchschnitt. Dies ist aus der größeren physischen Distanz des Hochwaldes zum saarländischen Verdichtungsraum als jener des Bliesgaus zu erklären, der durch seine hohen Nennungszahlen den ländlichen Raum dominiert (siehe Abschnitt 5.2.1). Darüber hinaus wirkt der Verdichtungsraum (eigens dessen Kernzone) auch hinsichtlich der Wahrnehmung von Äschönen³ Landschaften trennend, d.h. Befragte aus dem Nordsaarland nennen den Bliesgau selten als Äschöne³ Landschaft, ebenso wie Personen aus dem Bliesgau selten das Nordsaarland bzw. einzelne Teilräume des Nordsaarlandes als schön empfinden. Eine mögliche Erklärung bietet hier die zentralörtliche Ausrichtung auf den Verdichtungsraum (speziell das Oberzentrum Saarbrücken). Dieser ist Ziel von Berufspendelfahrten und Einkaufsfahrten, Erholung wird jedoch nicht jenseits des Verdichtungsraumes, sondern vielmehr im eigenen nichtstädtischen Raum gesucht. Insbesondere Befragte aus Saarbrücken weisen eine hohe Affinität zum Bliesgau auf, die jene zum Schwarzwälder Hochwald deutlich übersteigt 236. Wird die Zahl der Nennungen der schönen Landschaften nach Verwaltungseinheiten (Bundesländer, europäische Staaten, Kontinente) geordnet (Tabelle 16), zeigt sich einerseits deutlich die Dominanz saarländischer Landschaften, im Bewusstsein der Bewohner des Saarlandes, andererseits auch die abnehmende Zahl der Nennungen mit zunehmender Entfernung. 235 236
Gebirge sind ± wie im voran gegangenen Abschnitt ausgeführt ± ein Element der stereotypen Landschaft. Von den Bewohnern Saarbrückens wurde der Bliesgau 22 Mal als Äschöne³ Landschaft angegeben, während der Schwarzwälder Hochwald lediglich 14 Mal genannt wurde.
157
Ausnahmen bilden einerseits Bayern und Baden-Württemberg vor Nordrhein-Westfalen und Hessen (aufgrund der hohen Popularität von Alpen und Schwarzwald einerseits und der zugeschriebenen Armut an stereotypen Landschaften in Hessen und Nordrhein-Westfalen) 237, andererseits auch die Unterrepräsentanz an das Saarland angrenzender, aber dennoch ± im Vergleich zu deutschen Teilräumen ± weniger häufig genannter Räume, wie z.B. Frankreich, dessen Landschaftsnennungen auf nationaler Ebene summiert, nicht an jene des Bundeslandes Rheinland-Pfalz heranreichen. Bundesländer Zahl der Nennungen Saarland 550 Rheinland-Pfalz 135 Bayern 119 Baden-Württemberg 116 Nordrhein-Westfalen 33 Niedersachsen 26 Mecklenburg-Vorpommern 17 Schleswig-Holstein 13 Sachsen 9 Thüringen 9 Hessen 6 Hamburg 4 Bremen 4 Berlin 3 Sachsen-Anhalt 3 Brandenburg 3
Europäische Staaten ohne Deutschland Zahl der Nennungen Frankreich 123 Italien 69 Österreich 61 Schweiz 52 Luxemburg 23 Spanien 8 Großbritannien 7 Irland 6 Norwegen 5 Polen 3 Dänemark 3
Kontinente ohne Europa Zahl der Nennungen Australien 10 Nordamerika 8 Asien 7 Südamerika 4 Afrika 4
Tabelle 16: Häufigkeit der Antworten zu der offenen Frage Äwelche drei Landschaften innerhalb und außerhalb des Saarlandes würden Sie als schön bezeichnen³, zusammengefasst nach Lage der betreffenden Landschaften in Bundesländern, europäischen Staaten (mit Ausnahme Deutschlands) und Kontinenten (außer Europa). Berücksichtigt sind Verwaltungseinheiten, die gemäß ihrer Kategorie häufiger als dreimal genannt wurden238.
Fazit: Als schön empfundene Landschaften weisen weitgehend jene landschaftselementare Zusammensetzung stereotyper Landschaften auf: Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen. Welche Anteile die einzelnen Landschaftselemente dabei aufweisen, scheint weniger erheblich: Sowohl Halboffenlandschaften (Bliesgau) als auch stark bewaldete Landschaften werden als Äschön³ empfunden, jedoch werden nahezu ausnahmslos reliefierte Landschaften von den befragten Saarländern als Äschön³ bezeichnet. Die deutliche Verknüpfung von Landschaft und Heimat zeigt sich auch bei den als Äschön³ empfundenen Landschaften: Insbesondere Landschaften in der Nähe zum Wohnort werden als Äschön³ empfunden, wobei es durchaus Affinitätsunterschiede gibt. Insbesondere der saarländische Verdichtungsraum wirkt trennend auf die Wahrnehmung landschaftlicher Schönheit: Saarländische Landschaften jeweils jenseits des Verdichtungsraumes werden seltener als Äschön³ empfunden als die diesseitigen. 237
238
Modifiziert wird die Abnahme der Zahl der als schön empfundenen Landschaften mit der Entfernung durch Landschaften denen besondere Attraktivität zugeschrieben wurde, z.B. der Toskana, die trotz ihrer Entfernung häufig genannt werden. Sofern sich ein als Landschaft benannter Raum über mehr als eine Verwaltungseinheit der jeweiligen Kategorie (Bundesland, europäischer Staat, Kontinent) erstreckt, wurde er den jeweiligen Verwaltungseinheiten zugerechnet, z.B. der Hunsrück den Bundesländern Saarland und Rheinland-Pfalz.
158
5.2.2.3 Wahrnehmung und Aneignung von Landschaft
in
in
de
in
au
au
in
vo
in
in
D au ok fW u i de in an pe m F me i P B f n f a m nt ild r i u im e r W r P Po La Sp G ros m R p de f Z r a F w ei Int an om er han stk ndk ielf em pe ug bän ah nse rfil Re Ur er A run d m ß k l ä i i r a ni ern ere ane bun tas rte arte lme lde ten aus den rad hen en sen aub uto gen ch et ie g n n n n n s t ( (n (n (n (n (n (n (n (n (n (n = (n = (n = (n = (n = (n = (n = (n = (n = (n = n = = 1 = 3 = 3 = 4 = 6 = 7 = 8 = 8 = 8 10 12 14 19 22 23 28 29 31 37 2) 9) 2) 6) 8) 9) 3) 6) 7) 8) 7) 2) 0) 7) 3) 0) 1) 9) 7) 1)
In den vorangegangenen Abschnitten konnte nachvollzogen werden, dass 81,54 Landschaft als temporal, größenspezi69,67 fisch, sensorisch und symbolisch viel65,71 dimensional und weder räumlich noch 61,76 zeitlich exakt verortbar, in ihrer land50,55 schaftselementaren Zusammensetzung 49,01 jedoch stark stereotypisierend, be43,30 schrieben werden kann, wobei ihrer 30,77 Schönheit eine besondere Bedeutung 26,81 beigemessen wird. In diesem Ab23,52 schnitt sollen nun Aneignungsformen 19,34 und Arten der Wahrnehmung und der Befassung mit Landschaft untersucht 19,12 werden. 18,90 Zur Untersuchung, wie und in wel16,04 chem Zusammenhang Landschaft in 15,16 der Regel wahrgenommen wird, wur10,55 de die geschlossene Frage mit Öff7,91 nung (durch das Feld Äanderes³) Äwie 7,03 nehmen Sie Landschaft in der Regel 4,18 wahr³ formuliert (Frage 6). Aus 0,44 Abbildung 15 wird dabei ersichtlich, dass die Wahrnehmung von Land0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 schaft nicht auf eine unmittelbare BeAnteil an den möglichen Nennungen in Prozent (n =455) obachtung beschränkt bleiben muss, sondern häufig auch virtuell (insbesondere in Dokumentarfilmen, im Fernsehen) erfolgt. Dass sich die Abbildung 15: Anteile der Antworten (mehrere Antworten Wahrnehmung von Landschaft nicht waren möglich) zu der Frage ÄWie nehmen Sie Landschaft in der Regel wahr³ an der möglichen Gesamtzahl der Nenallein auf die angeeignete physische nungen pro Variable (n = 455). Landschaft beschränkt (ob in direkter Beobachtung oder durch virtuelle Inszenierung), sondern auch eine bewusst-konstruktive Dimension aufweist, ist auch anhand der 69 Befragten nachzuweisen, die Landschaft in ihrer Phantasie wahrnehmen. Die Mehrdimensionalität der Wahrnehmung von Landschaft wird auch durch die Betrachtung von Landkarten zur Landschaftskonstruktion deutlich: Karten stellen als zweidimensionale ÄWiedergaben der Erdoberfläche, welche zur Wahrung der Lagebeziehungen nach vorgegebenen geometrischen Gesetzmäßigkeiten in einem bestimmten Verkleinerungsverhältnis nach kartographischen Prinzipien entworfen worden sind³ (Arnberger 1993: 15) eine hochgradig formalisierte Abstraktion angeeigneter physischer Landschaft
159
10 )
2)
=
w ei ß
ni ch t( n
(n
=
78 )
ni e
=
(n
n
(n
(n
hä uf ig
hä uf ig
w en ig er
239
se lte
=
=
18 6)
17 4)
Anteil in Prozent (n =450)
dar. Der hohe Differenziertheitsgrad der Landschaftswahrnehmung wird auch durch die Angaben in der Kategorie Äanderes³ deutlich: Die Angaben reichen hier von Freizeitbeschäftigungen (Reiten, Motorrad fahren, Spaziergänge, Gartenarbeit, Laufen, Fotografieren, Jagd), über die Befassung mit Landschaft bei der Arbeit und der Wahrnehmung aus der Luft, von Kalendern, von Angaben von Orten der Landschaftsbefassung (zu Hause, vor Ort, an bestimmten Orten) bis hin zu Wahrnehmung von Landschaft in Träumen. Zu der Frage Äwie nutzen Sie Landschaft³ wurden 1006 Angaben gemacht (Frage 7, Mehrfachnennungen waren möglich). Die häufigsten Arten der Nutzung der angeeigneten physischen Landschaft finden demnach in der Freizeit statt (405 Nennungen, dies entspricht bei 455 möglichen Nennungen einem Anteil von 89,0 %). Durch Betrachtung nutzen 344 der Befragten Landschaft (75,6 % der Befragten), durch eigene Bewirtschaftung (z.B. in der Landwirtschaft oder im Garten) wird angeeignete physische Landschaft von 229 der Befragten (= 50,3 %) genutzt. Keine Nutzung von Landschaft findet bei keinem der Befragten statt, zwei der Befragten wussten nicht, wie sie Landschaft nutzen (= 0,4 % der Befragten), 26 (= 5,7 %) machten weitere Angaben über ihre Landschaftsnutzung: Diese reichte von einer genaueren Spezifizierung der Freizeitnutzung (fotografieren, malen, angeln, Entspannung) über die berufliche Nutzung bis hin zur Nutzung von Landschaft in der Phantasie, woran auch bei der Nutzung von Landschaft die Vieldimensionalität des Begriffs und ihrer Bedeutung für den Menschen deutlich wird. Die Befassung mit Wahrnehmung und Aneig45 40,88 38,24 nung von Landschaft ist mit der Frage verknüpft, 40 35 wie häufig sich die Befragten mit dem Thema 30 25 Landschaft befassen. Die geschlossene Frage 17,14 20 ÄWie häufig denken Sie über Landschaft und ihre 15 10 Veränderung nach³ (Frage 1) beantworteten 450 2,20 5 0,44 0 von 455 Befragten. Wie aus Abbildung 16 ersichtlich, denkt eine Mehrheit der Befragten mehrmals wöchentlich über Landschaft und ihre Veränderung (= häufig) nach, nur einige Befragte weniger befassen sich wenige Male im Monat (= weniger häufig) mit diesem Thema, eine Minderheit lediglich wenige Male im Jahr (= selten) 239. Abbildung 16: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage ÄWie häufig Postmaterialisten denken dabei hochsignifikant denken Sie über Landschaft und ihre Verändehäufiger und Materialisten hochsignifikant weni- rung nach³ an der Gesamtzahl der Nennungen (n = 450). ger häufig über Landschaft nach als der Durchschnitt der Befragten. Hinsichtlich der gemäßigten Postmaterialisten, der Indifferenten und der gemäßigten Materialisten lassen sich keine signifikanten Unterschiede nachweisen.
Die deutliche Dominanz der häufig über Landschaft nachdenkenden Personen spiegelt mutmaßlich nicht den Durchschnitt der Bevölkerung wieder, da davon auszugehen ist, dass sich überwiegend Personen an der Studie beteiligten, die eine Affinität zum Thema Landschaft haben.
160
Anteil an den möglichen Nennungen in Prozent (n =455)
Neben der Frequenz der kognitiven Befassung mit dem Thema Landschaft 90 ist die Dimension der Formen von 80 70 Aneignung von Wissen zur Konstruk60 tion von Landschaft von Interesse 51,4346,15 50 (Frage 8). Hauptquelle der Aneignung 40 von Wissen über Landschaft ist dem30 17,36 20 nach die direkte Beobachtung 10,99 7,47 10 3,08 0,66 0,66 (Abbildung 17), rund die Hälfte der 0 Befragten nutzen Bücher zur Informationsgewinnung über Landschaft. Insgesamt dominiert jedoch die Informationsgewinnung auf Sub-Expertenniveau. Darüber hinaus wurden folgende Aneignungsformen genannt: Dokumentarfilme (im Fernsehen), Abbildung 17: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage ÄWie eignen Sie sich Wissen Ausbildung/Beruf, durch Beteiligung über Landschaft an³ an der möglichen Gesamtzahl der an Landschaftspflegemaßnahmen, Nennungen pro Variable (n = 455). durch Erleben der Landschaft, durch Erholung in der Landschaft, durch Malerei und durch Traumdeutungen. Insgesamt lässt sich also hinsichtlich der Aneignung von Wissen über Landschaft eine erhebliche Differenziertheit in den Zugängen nachvollziehen240. Über die Frequenz der intellektuellen Befassung und die Formen der Aneignung hinaus war es Ziel der Studie auch die Ergebnisse der kognitiven Landschaftsbefassung ± in Form von Landschaftswissen ± abschätzen zu können. Hierzu wurden drei geschlossene Fragen zu den Landschaften des Saarlandes gestellt (Frage 10a-c). Die Frage als welche Landschaft der Saargau zu bezeichnen ist, beantworteten 179 Befragte (= 39,3 % von 455 Befragten bei fünf möglichen Antworten) korrekt mit ÄMuschelkalklandschaft³. 163 Probanden (= 35,8 % der 455 Befragten bei fünf möglichen Antworten) brachten den Schaumberg entsprechend des aktuellen geologischen Kenntnisstandes mit Vulkanismus in Verbindung. Hinsichtlich der Dorfformen des Saarlandes identifizierten 89 (= 19,6 %) die saarländischen Dörfer als Haufendörfer, 258 (= 56,7 %) als Straßendörfer (dabei standen sieben mögliche Antworten zur Wahl). Da im Saarland sowohl Haufen- als insbesondere Straßendörfer vorkommen (vgl. Born 1980), können beide Antworten als richtig gelten. Im arithmetischen Mittel wurden x = 1,51 der drei Fragen korrekt beantwortet. Die deutliche Divergenz der korrekten Beantwortungsquote ± auch bei stochastischer Bereinigung der Antwortalternativen ± lässt sich mit der zuvor behandelten Frage der Wissensaneignung nachvollziehen: Lässt sich die Frage nach den Dorfformen im Saarland noch durch direkte Beobachtung beantworten, sind die Fragen zur Geologie Bü
ac h
ob
Be
240
92,53
tu ng (n c he = 4 G 21 es r( ) pr n äc = 23 Fü he 4) (n hr un = 21 ge 0) n I ( nt n Bi er = ld n 79 un et ) an gs ( de n = ei nr r 5 e ic 0 s ) ht un ( n = ge 34 n ) ga (n rn = 14 we icht ) (n iß ni = ch 3) t( n = 3)
100
Hinsichtlich der Funktionalisierung von Landschaft kommt Müller (2002) nach empirischen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt dem Wasser- und Stoffhaushalt mit 32 % Zustimmung die größte Wertschätzung entgegen gebracht wird. Die Wirtschaftskraft folgt an zweiter Stelle mit 32 % Zustimmung, während der Erhalt der Kulturlandschaft und der Artenvielfalt mit 18 % bzw. 16 % eine geringere Bedeutung beigemessen wird, ebenso wie der Aufnahme organischer Siedlungsabfälle mit 11 %.
161
bzw. Geomorphologie einzelner saarländischer Teilräume lediglich mit größerem kognitiven Aufwand zu beantworten, der über die direkte Beobachtung hinausgeht. Hinsichtlich der korrekten Beantwortung der Fragen lassen sich deutliche Unterschiede zwischen soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten nachweisen (siehe Tabelle 17). Von besonderer Deutlichkeit sind hierbei der Zusammenhang zwischen formaler Bildung und Kenntnis einerseits und die erhebliche Divergenz des Kenntnisstandes bei unterschiedlichen Wertesystemen. Geschlecht arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
männlich 1,55 +++
weiblich 1,13 ---
Alter arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
bis 30 1,49 o
31 bis 45 1,46 o
46 bis 65 1,63 ++
Strukturraumzugehörigkeit arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Kernzone 1,47 o
Randzone 1,59 +++
Ländlicher Raum 1,56 o
höchster Schulabschluss
Hauptschulabschluss 1,38 --kein Abschluss / berufliches Praktikum / Anlernausbildung 1,30 ---
Realschulabschluss 1,40 --
Fachhochschulreife 1,52 o
Hochschulreife 1,79 +++
Lehrausbildung 1,35 ---
Meister / Techniker / Fachschule 1,50 o
Fachhochschulabschluss 1,67 +++
Hochschulabschluss 1,88 +++
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Angestellte 1,49 o
Beamte 1,74 +++
Freiberufler / Selbständiger 1,62 +
Ruhe-/ Vorruheständler 1,42 -
Übrige 1,61 +
parteipolitische Sympathie arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
CDU 1,61 +
SPD 1,48 o
andere 1,80 +++
keine / k.A. 1,42 -
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
unter 10.000 1,46 o
von 10.000 bis 25.000 1,38 ---
mehr als 25.000 bis 50.000 1,66 +++
über 50.000 1,75 +++
Haushaltsgröße arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
1-PHH 1,42 -
2-PHH 1,44 o
3-PHH 1,59 o
4-PHH 1,64 +++
5-PHH 1,71 +++
Postmaterialisten 1,78 +++
gemäßigte Postmaterialisten 1,48 o
Indifferente 1,50 o
gemäßigte Materialisten 1,50 o
Materialisten 1,19 ---
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung höchster Berufsbildungsabschluss
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung Berufliche Stellung
Netto-Haushaltseinkommen (in Euro)
Wertesystem arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung +++ hochsignifikante positive Abweichung ++ sehr signifikante positive Abweichung + signifikante positive Abweichung
o keine signifikante Abweichung
über 65 1,37 ---
--- hochsignifikante negative Abweichung -- sehr signifikante negative Abweichung - signifikante negative Abweichung
Tabelle 17: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Zahl der richtigen Antworten zu den Wissensfragen, unterschieden nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. Die Signifikanz der Abweichung bezieht sich auf die jeweiligen Mittel der komplementären Merkmale. Das Gesamtmittel beträgt x = 1,51.
Aus soziologischer wie auch aus raumwissenschaftlicher Sicht wird häufig die These vertreten, Stadt und Land glichen sich immer stärker aneinander an. Dies war in der quantitativempirischen Studie Gegenstand von Frage 5. Demnach waren 45,5 % der 455 Befragten (= 207) der Meinung man könne heute eindeutig Stadt und Landschaft voneinander trennen. 46,4 % (= 211) verneinten diese Frage und 8,1 % machten keine Angabe oder kreuzten die Antwortmöglichkeit Äweiß nicht³ an. Unterschieden nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten zeigten sich hinsichtlich dieser Frage nur geringe sig-
162
nifikante Differenzen. Lediglich Postmaterialisten, in einem Einpersonen-Haushalt Lebende, Hochschulabsolventen und Personen mit Fachabitur waren signifikant häufiger der Meinung, man könne Stadt und Landschaft nicht voneinander trennen. Während hinsichtlich der Wertesysteme Materialisten-Postmaterialisten Indifferente, Ruheständler, Personen ohne Berufsbildungsabschluss/mit Anlernausbildung/mit beruflichem Praktikum signifikant, mit Hauptschulabschluss sogar hochsignifikant, häufiger der Ansicht waren, Stadt und Landschaft seien voneinander klar trennbar. Fazit: Die Wahrnehmung von Landschaft ist nicht auf die Beobachtung angeeigneter physischer Landschaft beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf deren Abbildungen (in Bildbänden und Gemälden) bzw. deren virtuelle Inszenierungen (in Spiel- und Dokumentarfilmen). Im Kern ist die Wahrnehmung von Landschaft zwar an eine ästhetisierende Betrachtung gekoppelt, doch findet darüber hinaus eine bewusstseinsinterne Neu- und Re-Konstruktion und deren Wahrnehmung von Landschaft in der Phantasie ebenso statt, wie eine landschaftliche Konstruktion durch die Betrachtung von (hochgradig) formalisierten Landkarten. Dabei wird der Landschaft eine insgesamt hohe Bedeutung ± sowohl als Wohnumfeld als auch als Gegenstand von Überlegungen ± zugewiesen und darüber hinaus auf vielfältige Weise genutzt. Trotz der sehr hohen Bedeutung, die Landschaft ± nach deren Angaben ± für die Befragten aufweist, ist der Kenntnisstand über die Landschaften des Saarlandes ein geringer. Die Bindung an Landschaft ist somit eher affektueller denn kognitiver Art. Einer höheren ästhetischen Erfahrbarkeit wird gemeinhin eine höhere Bedeutung zugemessen als einer kognitivintellektuellen Durchdringung des physischen Raumes bzw. der angeeigneten physischen Landschaft. Somit ist die am häufigsten genannte Form der Wissensaneignung über Landschaft die direkte Beobachtung. Die Folge dieser Art von Wissensaneignung ist eine Dominanz der Kenntnis des Offensichtlichen. Wobei sich in Bezug auf den Kenntnisstand durchaus erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit von soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten ergeben.
163
5.2.2.4 Die Beurteilung von Landschaft und landschaftlicher Veränderung anhand von Fallbeispielen Um neben eher abstrakten Fragen zum Landschaftsbegriff, zur Wahrnehmung und Aneignung von Landschaft sowie zur landschaftlichen Schönheit auch Bewertungen zu konkreten Landschaften zu erhalten, wurden den Befragten Bilder von vier Landschaften (drei davon aus dem Saarland, eines aus Rheinland-Pfalz, unmittelbar an der saarländischen Landesgrenze) vorgelegt (Abbildung 18). Dabei handelt es sich um die Fotos einer Gaulandschaft (Bickenalbtal,
Abbildung 18: Die zur Beurteilung von Landschaft vorgelegten Fotos einer Gaulandschaft (a), einer Industrielandschaft (b), einer Waldlandschaft (c) und einer Offenlandschaft mit Windkraftanlagen (d).
Bliesgau, südöstliches Saarland), einer Industrielandschaft (Völklinger Hütte, westliches Saarland), einer Waldlandschaft (Saarbrücken-Kirkeler Wald, südöstliches Saarland) und einer offenen Landschaft mit Windkraftanlagen (Westrich, südöstlich von Homburg (Saar), südwestliches Rheinland-Pfalz) 241.
241
Hierbei handelt es sich um die Fragenkomplexe 11 bis 14.
164
Zahl der Nennungen Anteil in %
Industrielandschaft Waldlandschaft
Summe
weiß nicht / k. A.
anderes
interessant
traditionell
nichtssagend
schön
hässlich
modern Gaulandschaft
4
0
306
6
100
18
13
8
455
0,9
0,0
67,3
1,3
22,0
4,0
2,9
1,8
100,0
Zahl der Nennungen
14
228
0
9
119
62
15
8
455
Anteil in %
3,1
50,1
0,0
2,0
26,2
13,6
3,3
1,8
100,0
Zahl der Nennungen Anteil in %
0
1
264
38
69
51
24
8
455
0,0
0,2
58,0
8,4
15,2
11,2
5,3
1,8
100,0
Offenlandschaft
Zahl der Nennungen
181
152
2
32
1
45
27
15
455
mit Windkraftanlagen
Anteil in %
39,8
33,4
0,4
7,0
0,2
9,9
5,9
3,3
100,0
Tabelle 18: Relative und absolute Häufigkeiten der Angabe der Charakterisierung der abgebildeten Landschaften.
Die Charakterisierung der vier abgebildeten Landschaften fällt dabei sehr unterschiedlich aus (Tabelle 18): Während die Gaulandschaft zu mehr als zwei Dritteln und die Waldlandschaft zu weit mehr als der Hälfte der Nennungen als schön charakterisiert wird, wird die Industrielandschaft in erster Linie als hässlich beschrieben, während die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen entweder als modern oder als hässlich charakterisiert wird. Hinsichtlich der Summe der positiv zu wertenden Charakteristika (schön und interessant) erreichen die Gaulandschaft (324 Nennungen = 71,2 % von 455) und die Waldlandschaft (315 Nennungen = 69,2 % von 455) ähnliche Werte. Die unter der öffnenden Frage Äanderes³ verzeichneten Antworten lassen sich für die Gaulandschaft im Wesentlichen durch die Worte erholsam, besinnlich, lieblich und ländlich zusammenfassen, während bei der Industrielandschaft Charakterisierungen wie morbid, traurig und Vergangenheit dominierten. Die Waldlandschaft wurde dagegen primär als natürlich und urwüchsig und die offene Landschaft mit Windkraftanlagen als fortschrittlich bzw. notwendig charakterisiert. Bemerkenswert ist insgesamt der geringe Grad unterschiedlicher Charakterisierung in Abhängigkeit von den soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten242: Sowohl hinsichtlich der Charakterisierung der Gaulandschaft als auch der Industrielandschaft ließen sich keine signifikanten Abweichungen nachweisen, während Befragte aus der Kernzone des Verdichtungsraumes die Waldlandschaft sehr signifikant häufiger, die Befragten aus der Randzone des Verdichtungsraumes signifikant weniger häufig und Probanden mit Lehrausbildung signifikant weniger häufig als schön charakterisierten als die jeweils übrigen Befragten. Die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen wird in diesem Zusammenhang weniger einheitlich charakterisiert, auch wenn das Signifikanzniveau niedrig (Irrtumswahrscheinlichkeit = 5 %) ist: Männer, 31- bis 45-jährige, Fachhochschulabsolventen, Wähler von Grünen, FDP und anderen, Personen mit einem Einkommen von mehr als 25.000 Euro bis 50.000 Euro und gemäßigte Postmaterialisten charakteristisieren die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen signifikant häufiger als modern, Ruheständler, der CDU Nahestehende und gemäßigte Materialisten signifikant häufiger als nicht modern als die jeweils anderen. Noch stärker bei der am häufigsten genannten Charakterisierung Ämodern³ differieren die Auffas242
Hierzu wurde jeweils die am häufigsten genannte Antwort hinsichtlich der genannten soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten untersucht.
165
Industrielandschaft Waldlandschaft
anderes
Zugehörigkeit
Stolz
Liebe
Abscheu
Freude
Trauer
Gleichgültigkeit
1
206
11
0
102
0
10
2
73
22
0,2
45,3
2,4
0,0
22,4
0,0
2,2
0,4
16,0
4,8
Nennungen
21
3
83
33
1
87
0
14
102
58
Anteil in %
4,6
0,7
18,2
7,3
0,2
19,1
0,0
3,1
22,4
12,7
Nennungen Anteil in %
6
151
34
6
136
2
8
10
52
33
1,3
33,2
7,5
1,3
29,9
0,4
1,8
2,2
11,4
7,3
Offenlandschaft
Nennungen
17
11
147
35
19
78
0
18
22
50
mit Windkraftanlagen
Anteil in %
3,7
2,4
32,3
7,7
4,2
17,1
0,0
4,0
4,8
11,0
Summe
Nennungen Anteil in %
weiß nicht / k. A.
Gaulandschaft
Behaglichkeit
Angst
sungen hinsichtlich der am zweithäufigsten genannten Charakterisierung Ähässlich³. Unterdurchschnittlich häufig wurde die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen von Folgenden Merkmalsträgern als hässlich charakterisiert: Frauen (hochsignifikant), Jungen bis zu 30 Jahren (sehr signifikant), Personen zwischen 31 und 45 Jahren (signifikant), Personen mit Hochschulreife (signifikant) und in Einpersonenhaushalten Lebende (hochsignifikant). Signifikant häufiger als hässlich charakterisiert wurde die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen von 46bis 65-jährigen (hochsignifikant), von Ruheständlern (signifikant), CDU-Sympathisanten (signifikant), Anhängern von Grünen, FDP und anderen Parteien (signifikant), in Zweipersonenhaushalten lebenden Personen (hochsignifikant) und gemäßigten Materialisten (signifikant). Die Beurteilung von Gaulandschaft, Industrielandschaft und eingeschränkt auch von Waldlandschaft kann als weitgehend einheitlich, die Charakterisierung der Offenlandschaft mit Windrädern hingegen durchaus polarisiert aufgefasst werden243.
28
455
6,2 100,0 53
455
11,6 100,0 17
455
3,7 100,0 58
455
12,7 100,0
Tabelle 19: Relative und absolute Häufigkeiten der Angabe des Gefühls bei der Betrachtung der jeweils abgebildeten Landschaften.
Ebenso wie die Charakterisierungen sind auch die Gefühle, die bei der Betrachtung der Abbildungen der einzelnen Landschaften entstehen, zwischen den einzelnen Landschaften deutlich unterschiedlich. Während bei der Gaulandschaft wie auch der Waldlandschaft deutlich die positiven Gefühle dominieren (Behaglichkeit, Freude, Liebe, Stolz), löst die Betrachtung des Fotos der Industrielandschaft entweder ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Gleichgültigkeit oder des Abscheus aus. Der Offenlandschaft mit Windkraftanlagen wird zumeist Gleichgültigkeit entgegengebracht, überwiegend löst sie jedoch negative Gefühle (Abscheu, Trauer) aus. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Zahl der Gefühle, welche die Betrachtung des Fotos der ± die wesentlichen Elemente einer stereotypen Landschaft enthaltenden ± Gaulandschaft auslöst, vergleichsweise beschränkt ist. Während bei den anderen betrachteten Landschaften ± insbesondere bei der Industrielandschaft ± die Gefühle, die ausgelöst werden, zwischen den einzelnen Probanden sehr unterschiedlich sind. Die in dem Feld Äanderes³ gemachten Angaben bezogen sich bei der Gaulandschaft im Wesentlichen auf Begriffe wie Ruhe und Geborgenheit, aber auch Langeweile, bei der Industrielandschaft auf Unbehaglichkeit, aber 243
Nach den Untersuchungen von Bayerl (2005) ist die Diskussion der ÄVerspargelung der Landschaft³ durch Windkraftanlagen nicht die erste, die vor dem Hindergrund der Technisierung Mitteleuropas geführt wurde. Neben der ÄVerspargelung der Landschaft³ durch Schonsteine seit der Industrialisierung wurde um die Zeit des Ersten Weltkrieges bereits die ÄVerdrahtung der Landschaft³ durch Stromversorgungsleitungen von Landschafts- und Heimatschützern beklagt.
166
244
Summe
weiß nicht / k.A.
nie
zeitweilig
immer
auch Interessiertheit und Heimatgefühl, bei der Waldlandschaft ± ähnlich der Gaulandschaft ± auf Entspannung, Geborgenheit und Stille, wiederum aber auch Langeweile, bei der Offenlandschaft mit Windkraftanlagen auf Bedrohlichkeit, Einsamkeit und Kälte einerseits, andererseits aber auch auf Neugierde, Freiheit oder sogar Belustigung. Wie auch bei der Charakterisierung der Gaulandschaft lassen sich auch hinsichtlich des meist genannten Gefühls der Behaglichkeit in Abhängigkeit von soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten keine signifikanten Unterschiede feststellen244: Unabhängig von Alter, Wohlstand, Bildungsgrad, Wertesystem etc. werden mit der Gaulandschaft gleiche Gefühle verbunden. Dagegen sind die durch das Betrachten des Fotos der Industrielandschaft ausgelösten Gefühle zwischen den einzelnen Kategorien stärker differenziert: Junge Probanden (bis 30 Jahre) empfanden signifikant weniger häufig ein Gefühl der Zugehörigkeit, Probanden, die 66 Jahre oder älter waren, signifikant häufiger ein Gefühl der Zugehörigkeit als die Probanden der jeweils anderen Altersgruppen. Unter den der CDU nahe stehenden Probanden war das Gefühl der Zugehörigkeit sogar sehr signifikant häufiger nachzuweisen als bei den Anhängern der übrigen Parteien bzw. den Nichtwählern und jenen Personen, die zu dieser Frage keine Angabe machten. Hinsichtlich der Waldlandschaft ließ sich lediglich bei Befragten ohne Abschluss/mit beruflichem Praktikum/Anlernausbildung eine sehr signifikant häufigere Antwort ÄBehaglichkeit³ im Vergleich zu Probanden mit anderen Berufsbildungsabschlüssen feststellen. Überdies waren keine signifikanten Abweichungen hinsichtlich des Gefühls der Behaglichkeit bei der Betrachtung von Waldlandschaften nachzuweisen. Bei der Betrachtung der Offenlandschaft mit Windrädern empfanden lediglich Probanden mit einem Einkommen von 10.000 bis 25.000 Euro signifikant weniger häufig ein Gefühl der Gleichgültigkeit. Ansonsten war auch hier eine weitgehende emotional ähnliche Betroffenheit unabhängig von soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten festzustellen. Die stark unterschiedliche Affinität der Befragten zu den einzelnen dargestellten Landschaften äußert Nennungen 239 196 5 15 455 sich in besonderer Weise bei den Gaulandschaft Anteil in % 52,5 43,1 1,1 3,3 100,0 Antworten zu der Frage, ob die Industrielandschaft Nennungen 12 72 345 26 455 Probanden mit Ausblick auf die jeAnteil in % 2,6 15,8 75,8 5,7 100,0 Nennungen 131 242 42 40 455 weils abgebildete Landschaft leben Waldlandschaft Anteil in % 28,8 53,2 9,2 8,8 100,0 möchten (Tabelle 20). Durch den Offenlandschaft Nennungen 9 126 268 52 455 starken persönlichen Handlungsbe- mit Windkraftanlagen Anteil in % 2,0 27,7 58,9 11,4 100,0 zug der Frage werden landschaftliTabelle 20: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten che Sympathien und Antipathien zu der Frage, ob die Befragten mit Ausblick auf die jeweils noch stärker deutlich als bei den abgebildete Landschaft leben möchten. beiden im Vorangegangenen behandelten Fragen.
Hierzu wurde ± wie bei der Charakterisierung ± die jeweils am häufigsten genannte Antwort hinsichtlich der genannten soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten untersucht.
167
168
Summe
weiß nicht / k.A.
nein
ja
Hinsichtlich soziodemographischer, ökonomischer und wertsystemischer Merkmale lassen sich für die Gaulandschaft folgende Signifikanzen nachweisen. Signifikant häufiger als die jeweils anderen wollten folgende Merkmalsträger immer mit Blick auf die Gaulandschaft leben: Frauen (signifikant), Personen zwischen 31 und 45 Jahren (signifikant), Angestellte (signifikant), in Zweipersonenhaushalten Lebende (signifikant) und Postmaterialisten (sehr signifikant). Signifikant weniger häufig wollten Freiberufler und Selbständige (signifikant), Personen aus Dreipersonenhaushalten (signifikant) und gegenüber den Wertesystemen Postmaterialismus und Materialismus Indifferente (signifikant) immer mit Ausblick auf eine Gaulandschaft leben. Ob sie mit Ausblick auf die Industrielandschaft leben möchten, beantworteten die Befragten aus der Kernzone des Verdichtungsraumes hochsignifikant weniger häufig mit Änie³, die Probanden aus der Randzone des Verdichtungsraumes signifikant und jene aus dem ländlichen Raum sehr signifikant häufiger mit Änie³ als die Bewohner der jeweils anderen Strukturräume. Überdies lassen sich auf Basis der soziodemographischen, ökonomischen und wertsystemischen Merkmale keine Unterschiede hinsichtlich der Wohnpräferenz ausmachen. Immer mit Ausblick auf die Waldlandschaft wollten signifikant häufiger als die jeweils anderen Befragten jene Probanden mit Haupt- oder Volksschulabschluss, mit gemäßigtpostmaterialistischem Wertesystem und Beamte leben, Personen aus Einpersonenhaushalten wollten dies signifikant weniger häufig. Bei dem Ausblick auf die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen gibt es einen deutlichen Unterschied hinsichtlich der Einschätzung durch Männer und Frauen: Männer im Vergleich zu Frauen möchten hochsignifikant häufig nie hier leben. Auch bei der Einschätzung durch die unterschiedlichen Alterskohorten sind deutliche Differenzen nachweisbar: Bis zu 30-jährige lehnen signifikant und zwischen 31 und 45 Jahren lehnen hochsignifikant weniger häufig eine Wohnung mit Ausblick auf die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen ab, während Befragte in einem Alter zwischen 46 und 65 dies hochsignifikant tun (jeweils im Vergleich zu den Komplementärmerkmalsträgern). Hinsichtlich des Einkommens lehnen Befragte mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 10.000 Euro einen solchen Ausblick signifikant weniger ab, während Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 50.000 Euro dies signifikant tun. Noch eindeutiger als bei der Frage, ob die Befragten mit Ausblick auf die Gaulandschaft Nennungen 376 51 28 455 Anteil in % 82,6 11,2 6,2 100,0 jeweilige Landschaft leben möchten, Nennungen 143 260 52 455 wird bei der Frage, ob die Befragten es Industrielandschaft Anteil in % 31,4 57,1 11,4 100,0 bedauerten, wenn die jeweilige Land- Waldlandschaft Nennungen 404 21 30 455 Anteil in % 88,8 4,6 6,6 100,0 schaft ihren Charakter veränderte, werNennungen 82 280 93 455 den die den vier beispielhaft aufgeführ- Offenlandschaft mit Windkraftanlagen Anteil in % 18,0 61,5 20,4 100,0 ten Landschaften entgegengebrachten 21: Relative und absolute Häufigkeiten der AntWertschätzungen deutlich (Tabelle 21). Tabelle worten zu der Frage, ob die Befragten es bedauerten, wenn Hinsichtlich soziodemographischer, die jeweils abgebildete Landschaft ihren Charakter ökonomischer und wertsystemischer veränderte. Merkmale sind in Bezug auf die absoluten Nennungshäufigkeiten folgende signifikante Abweichungen nachzuweisen:
Summe
weiß nicht / k.A
nein
ja
· Gaulandschaft: Signifikant häufiger bedauerten Personen mit Realschulabschluss eine Charakteränderung dieser Landschaft, signifikant weniger häufig bedauerten Befragte ohne parteipolitische Präferenz und Personen ohne berufsbildenden Abschluss/mit beruflichem Praktikum/mit Anlernausbildung eine solche Charakteränderung. · Industrielandschaft: Sowohl Probanden mit Hochschulabschluss als auch solche mit Lehrausbildung bedauerten signifikant häufiger eine Charakteränderung dieser Landschaft als die Befragen mit den jeweils anderen Berufabschlüssen. · Waldlandschaft: Signifikant häufiger bedauerten Beamte, die Sympathisanten von Grünen/FDP/anderen Parteien und gemäßigte Postmaterialisten eine Charakteränderung, während Ruheständler, gemäßigte Materialisten und Materialisten eine Änderung weniger häufig bedauerten als die jeweils komplementären Merkmalsträger, die Ausübenden von Äanderen Berufen³ sogar sehr signifikant. · Offenlandschaft mit Windkraftanlagen: Hier ließen sich keine signifikanten Abweichungen nachweisen. Um die Handlungsbereitschaft für die Erhaltung von Landschaften zu erfassen, wurde die Frage gestellt, ob die Befragten bereit wären, sich für den Erhalt der jeweils abgebildeten Landschaft zu engagieGaulandschaft Nennungen 300 63 92 455 ren (Tabelle 22). Auch hier lässt sich Anteil in % 65,9 13,8 20,2 100,0 das bekannte Schema erfassen, dass Industrielandschaft Nennungen 83 280 92 455 Anteil in % 18,2 61,5 20,2 100,0 die Gau- wie auch die Waldlandschaft Waldlandschaft Nennungen 282 67 106 455 eine hohe, die Industrielandschaft und Anteil in % 62,0 14,7 23,3 100,0 die Offenlandschaft mit WindkraftanOffenlandschaft Nennungen 87 252 116 455 mit Windkraftanlagen Anteil in % 19,1 55,4 25,5 100,0 lagen eine geringe Priorität genießen. Tabelle 22: Relative und absolute Häufigkeiten der Ant- Allgemein liegt die Zahl der Befragworten zu der Frage, ob die Befragten bereit wären, sich ten, die bereit wären, sich für den Erpersönlich für die Erhaltung der jeweils abgebildeten Landhalt von Landschaften zu engagieren, schaft zu engagieren. unter derjenigen, die es bedauerten, wenn die jeweilige Landschaft ihren Charakter ändern würde. Eine Ausnahme bildet die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen, deren Veränderung 82 Probanden bedauerten, allerdings würden sich 87 Probanden für deren Erhalt engagieren. In Abhängigkeit von soziodemographischen, ökonomischen und wertesystemischen Merkmalen der Befragten lassen sich deutliche Unterschiede in Bezug auf die Handlungsbereitschaft nachweisen: Die Handlungsbereitschaft ist bei Befragten mit Hochschulreife (signifikant), bei Angestellten (sehr signifikant) und bei Postmaterialisten (hochsignifikant) größer als bei den jeweiligen Komplementärmerkmalsträgern. Bei Personen mit einem Alter von 66 Jahren und darüber, bei Freiberuflern/Selbständigen, bei Befragten aus Dreipersonenhaushalten und bei den Wertesystemen Materialismus-Postmaterialismus indifferenten Probanden ist sie jeweils signifikant geringer. Die Handlungsbereitschaft differiert bei der Industrielandschaft hinsichtlich der einzelnen soziodemographischen, ökonomischen und wertsystemischen Merkmale der Befragten im Vergleich zur Gaulandschaft deutlich geringer: Lediglich Postmaterialisten weisen eine sehr signifikant größere und 66-jährige und ältere eine signifikant 169
245
Summe
weiß nicht
durch anderes
durch persönliches Engagement
durch Geldzahlung
geringere Bereitschaft auf, sich für den Erhalt dieser Landschaft zu engagieren. Dies bedeutet, die (geringe) Handlungsbereitschaft für die Industrielandschaft ist vergleichsweise gleichmäßig bei allen untersuchten soziodemographischen, ökonomischen und wertsystemischen Merkmalsträgern ausgeprägt. Ähnliches gilt für die Waldlandschaft: Lediglich Angestellte (signifikant) und Postmaterialisten (sehr signifikant) zeigten eine höhere und Personen größer gleich 66 Jahre eine signifikant geringere Handlungsbereitschaft hinsichtlich der Erhaltung der Waldlandschaft. Die Handlungsbereitschaft hinsichtlich der Erhaltung der Offenlandschaft mit Windrädern weist wiederum einen höheren Differenzierungsgrad auf: Befragte in einem Alter zwischen 46 und 65 Jahren (sehr signifikant), mit Fachhochschulreife (signifikant) und einem Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 50.000 Euro Gaulandschaft Nennungen 190 52 22 51 315 (sehr signifikant) sind häuAnteil in % 60,3 16,5 7,0 16,2 100,0 figer bereit, sich für den ErIndustrielandschaft Nennungen 44 17 6 29 96 Anteil in % 45,8 17,7 6,3 30,2 100,0 halt dieser Landschaft zu Waldlandschaft Nennungen 184 40 21 49 294 engagieren, während PersoAnteil in % 62,6 13,6 7,1 16,7 100,0 Offenlandschaft Nennungen 49 10 5 32 96 nen mit einem Alter von mit Windkraftanlagen Anteil in % 51,0 10,4 5,2 33,3 100,0 mindestens 66 Jahren (sehr arithmetisches Mittel der Anteile in % 54,9 14,6 6,4 24,1 signifikant), einem HausTabelle 23: Relative und absolute Häufigkeiten der Antworten zu der von Frage, in welcher Form die Befragten bereit wären, sich persönlich für haltsnettoeinkommen die Erhaltung der jeweils abgebildeten Landschaft zu engagieren, so- 10.000 bis 25.000 Euro fern sie ihre Berteitschaft hierfür geäußert hatten. (sehr signifikant) und Zweipersonenhaushalte (signifikant) weniger hierzu bereit sind. Im Wesentlichen lässt sich insgesamt bei Personen mit einem Alter über 65 Jahren eine geringere Neigung feststellen sich für den Erhalt von Landschaften zu engagieren, während Postmaterialisten (mit Ausnahme der Offenlandschaft mit Windrädern) hierzu häufiger bereit sind als die jeweils komplementären Merkmalsträger. Mit dem Ziel die Form der Handlungsbereitschaft zu erfassen, wurden diejenigen Befragten gebeten, die ihre prinzipielle Handlungsbereitschaft signalisiert hatten, diese zu spezifizieren (in Form einer geschlossenen Frage mit Öffnung durch Äanderes³). Wie aus Tabelle 23 ersichtlich, ist die Zahlung von Geld 245 die dominierende Form der Handlungsbereitschaft, woZur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft für die Erhaltung von Umweltgütern bzw. von Landschaft liegen zahlreiche zumeist wirtschaftswissenschaftlich orientierte Studien vor. Jung (1996) gibt die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für eine verbesserte Trinkwasserqualität mit durchschnittlich 104,85 DM pro Jahr an. Corell (1994) ermittelte eine Zahlungsbereitschaft von durchschnittlich 12,99 DM pro Monat für die Erhaltung der durch Verbrachung gekennzeichneten bäuerlichen Kulturlandschaft im Lahn-Dill-Bergland und Gießen/Wetzlar. Dieser Wert liegt deutlich über dem von Jung (1996) ermittelten: Im Kraichgau lag die Zahlungsbereitschaft für die Erhaltung des Landschaftsbildes bei durchschnittlich 52,70 DM pro Jahr, im Allgäu bei 60,67 DM pro Jahr, bei einer insgesamt geringen Zahlungsbereitschaft für die Erhaltung von Landschaft (lediglich 139 der 288 prinzipiell zahlungsbereiten Haushalte waren bereit, für die Erhaltung des Landschaftsbildes zu zahlen). Löwenstein (1994) ermittelte für den Südharz durchschnittliche Fernerholungswerte pro Person und Besuchstag zwischen 2,28 DM und 8,77 DM, in Abhängigkeit davon, ob die Opportunitätskosten der Reisezeit berücksichtigt wurden.
170
bei insgesamt ein hoher Grad an Unspezifizität der Handlungsbereitschaft ± insbesondere bei der Industrielandschaft und der Offenlandschaft mit Windkraftanlagen besteht. Trotz des insgesamt hohen Grades an verbaler Handlungsbereitschaft ist davon auszugehen, dass die wirkliche Handlungsbereitschaft deutlich darunter liegt (vgl. hierzu Homburg/Matthies 1998). Fazit: Stereotype Landschaft ± hier im Wesentlichen vertreten durch die Gaulandschaft ± ist nicht nur hinsichtlich der sie konstituierenden Elemente beschränkt, sie wird auch ± von den soziodemographischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Merkmalen weitgehend unabhängig ± positiv zumeist als Äschön³ charakterisiert und löst ähnliche (positive) Gefühle von Behaglichkeit und Freude aus. Eine solche positive Beurteilung dieses Landschaftstyps findet ihren Ausdruck in dem Wunsch immer oder zeitweilig mit Ausblick auf die Gaulandschaft zu wohnen, dem Bedauern, sollte die Landschaft ihren Charakter verändern und dem hohen Grad an Bereitschaft, sich für den Erhalt dieser Landschaft zu engagieren. Die hohe Popularität der Gaulandschaft als Wohnumfeld bei Personen zwischen 31 und 45 Jahren, Angestellten und in Zweipersonenhaushalten Lebenden bietet ein Erklärungselement für den Prozess der Suburbanisierung, da diese gegenwärtig in der Regel von Personen dieser Merkmalskombination getragen wird. Eine insgesamt ähnlich positive Bewertung wie die Gaulandschaft erhält die Waldlandschaft. Besonders positiv charakterisiert wird die Waldlandschaft von Bewohnern der Kernzone des Verdichtungsraumes und tendenziell von Personen mit geringerem formalem Bildungsstand. Im Vergleich zur Gaulandschaft und zur Waldlandschaft ist die Bewertung der Industrielandschaft deutlich weniger positiv: Sie wird primär als hässlich charakterisiert, ihr wird Abscheu oder zumindest Gleichgültigkeit entgegengebracht, eine Minderheit hält sie für interessant, eine Minderheit (von etwa einem Drittel der Befragten) würde eine Änderung ihres Charakters bedauern, weniger als ein Fünftel würde sich für ihren Erhalt engagieren. Die Beurteilung der Industrielandschaft ist dabei stark von dem Wohnort abhängig: Städter lehnen sie weniger deutlich ab als Suburbaniten und insbesondere Personen aus dem ländlichen Raum. Eine weniger negative Haltung zur Industrielandschaft lassen darüber hinaus tendenziell ältere Kohorten, der CDU nahe stehende wie auch Personen mit Hochschulbildung erkennen, während insbesondere Jüngere die Industrielandschaft ablehnen. Als sehr stark differenziert lässt sich das Bewertungsprofil der Offenlandschaft mit Windkraftanlagen beschreiben. Entweder wird sie als hässlich kategorisch abgelehnt oder als modern und notwendig akzeptiert. Insgesamt wird ihr weniger Antipathie entgegengebracht als der Industrielandschaft, wobei die Befürchtung, die Landschaft könnte sich verändern ± unter Einfluss der rezenten polyvalenten Nutzung ± geringer ist als bei der altindustriellen (vielfach sozial fossilen) Landschaft, der eine gesellschaftliche Nonvalenz droht. Die Offenlandschaft mit Windkraftanlagen wird hochsignifikant häufiger von Männern abgelehnt als von Frauen, die in einer landschaftlichen Modifikation durch Windkraftanlagen eher eine Nebenfolge der verstärkten Nutzung regenerativer Energien sehen. Ferner sehen Jüngere die Offenlandschaft mit Windrädern weniger negativ als Ältere. Auch Hochschulabsolventen und Geringverdiener stehen dieser Landschaft offener gegenüber, während die Anhänger der CDU ein eher reserviertes Verhältnis zu einer solchen Landschaft aufweisen. 171
Bei der positiven Bewertung von Gau- und Waldlandschaft insbesondere im Vergleich zur Industrielandschaft kann auch die enge Verknüpfung mit positiv besetzten Freizeitaspekten angenommen werden: Während die Industrielandschaft in den lebensweltlichen Bereich ÄArbeit³ symbolisiert, symbolisieren Gau- und Waldlandschaft gemeinhin jenen der Freizeit. Gerade an der Industrielandschaft lässt sich die Affirmation zur eigenen lebensweltlichen strukturräumlichen Einheit deutlich machen: Industrielandschaft ist ein Symbol des Städtischen, das von Städtern angenommen wird oder von denjenigen, die sich gegen ein städtisches Wohnumfeld entschieden haben, abgelehnt. 5.2.2.5 Die Beurteilung von landschaftlicher Veränderung und landschaftlichen Bindungen im Saarland
172
= itt 16 el gr 9) oß (n = ge 62 rin ) g (n = 15 w ke ) ei in ß e ni (n ch t/ = 1) k. A. (n = 10 )
m
(n
gr oß
se hr gr oß
(n
=
19 8)
Anteil in Prozent (n = 455)
In diesem Abschnitt wird der Bezug der befragten Saarländer zu den saarländischen Landschaften in das Zentrum der Untersuchung 50 gerückt. Neben Fragen zur persönlichen 43,5 45 Bindung an das Saarland im Allgemeinen 37,1 40 35 und an die Landschaften des Saarlandes im 30 Besonderen sowie der persönlichen Bedeu25 tung von Heimat, werden konkrete Fragen 20 13,6 15 zum Umgang mit fossilen Landschaften 10 3,3 2,2 und Landschaftselementen der Bergbau5 0,2 0 und Montanindustriefolgelandschaften behandelt. Insgesamt lässt sich bei den Befragten eine außerordentlich große Bindung an das Saarland nachweisen (Frage 17): Die geschlossene Frage ÄFühlen Sie sich mit dem Saarland verbunden³ bejahten 417 der 455 Abbildung 19: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äwelche Bedeutung hat Befragten (= 91,6 %), 18 verneinten die Heimat für Sie persönlich³ an der Gesamtzahl der Frage (= 4,0 %) und 20 antworteten mit Nennungen (n = 455). Äweiß nicht³ oder machten keine Angabe (= 4,4 %). Ähnlich eindeutig affirmativ wurde die Frage Äwelche Bedeutung hat Heimat für Sie persönlich³ (Frage 18) beantwortet, wie Abbildung 19 zeigt: Für rund 80 % der Probanden hat Heimat eine große oder sehr große Bedeutung. Zur Differenzierung der Bedeutung von Heimat nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten wurden die Indices in eine Ratioskala umgesetzt. Hierzu wurde der Ausdruck Äsehr große Bedeutung³ dem Wert 4 gleichgesetzt, der Ausdruck Ägroße Bedeutung³ dem Wert 3, der Ausdruck Ämittelgroße Bedeutung³ dem Wert 2 und der Ausdruck Ägeringe Bedeutung³ dem Wert 1. Bei Äkeine Bedeutung³ wurde der Wert 0 zugewiesen. Fragebögen, die hierzu keine Angaben enthielten, bzw. bei denen das Feld Äweiß nicht³ angekreuzt war, wurden nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung finden sich in Tabelle 24. Besonders groß ist die Bedeutung von Heimat demnach für Personen
mit einem geringen formalen Bildungsstand (Hauptschulabschluss und geringer berufsbildender Qualifikation), für Anhänger der CDU und Materialisten. Während Heimat eine besonders geringe Bedeutung für Personen mit formal hohem Bildungsstand (Befragte mit Hochschulreife und Hochschulabsolventen), Beamte und Freiberufler/Selbständige, die Anhänger von Grünen, FDP und anderen Parteien sowie gemäßigte Postmaterialisten hat. Geschlecht arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
männlich 3,28 o
weiblich 3,12 o
Alter arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
bis 30 3,25 o
31 bis 45 3,16 o
46 bis 65 3,22 o
Strukturraumzugehörigkeit arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Kernzone 3,27 o
Randzone 3,18 o
Ländlicher Raum 3,19 o
höchster Schulabschluss
Hauptschulabschluss 3,36 +++ kein Abschluss / berufliches Praktikum / Anlernausbildung 3,55 +++
Realschulabschluss 3,24 o
Fachhochschulreife 3,21 o
Hochschulreife 3,08 ---
Lehrausbildung 3,28 o
Meister / Techniker / Fachschule 3,31 o
Fachhochschulabschluss 3,21 o
Hochschulabschluss 2,87 ---
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Angestellte 3,30 o
Beamte 3,04 ---
Freiberufler / Selbständiger 3,00 ---
Ruhe-/ Vorruheständler 3,30 o
Übrige 3,18 o
parteipolitische Sympathie arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
CDU 3,36 +++
SPD 3,18 o
andere 2,97 ---
keine / k.A. 3,27 o
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
unter 10.000 3,17 o
von 10.000 bis 25.000 3,30 o
mehr als 25.000 bis 50.000 3,16 o
über 50.000 3,12 --
Haushaltsgröße arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
1-PHH 3,18 o
2-PHH 3,32 +
3-PHH 3,17 o
4-PHH 3,18 o
5-PHH 3,22 o
Postmaterialisten 3,31 +
gemäßigte Postmaterialisten 3,09 ---
Indifferente 3,21 o
gemäßigte Materialisten 3,33 ++
Materialisten 3,46 +++
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung höchster Berufsbildungsabschluss
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung Berufliche Stellung
Netto-Haushaltseinkommen (in Euro)
Wertesystem arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung +++ hochsignifikante positive Abweichung ++ sehr signifikante positive Abweichung + signifikante positive Abweichung
o keine signifikante Abweichung
über 65 3,32 ++
--- hochsignifikante negative Abweichung -- sehr signifikante negative Abweichung - signifikante negative Abweichung
Tabelle 24: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Verbundenheit mit der Heimat nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. Die Signifikanz der Abweichung bezieht sich auf die jeweils komplementären Merkmale. Gesamtmittel: x = 3,23.
Ein bedeutendes Element des Bezuges der Befragten zum Saarland ist auch die Bindung an die saarländischen Landschaften (Abbildung 20): 75,4 % der Probanden gaben eine große oder sehr große Bindung zu den Landschaften des Saarlandes an. Der Vergleich zwischen Bedeutung von Heimat und Landschaften des Saarlandes für die Befragten (dargestellt in Abbildung 19) lässt eine insgesamt geringere Bedeutung der Landschaften des Saarlandes erkennen als die Bedeutung von Heimat. Dies äußert sich auch im Vergleich des Mittelwertes in eine Ratioskala umgesetzten Indices. Während bei der Bedeutung von Heimat hier ein arithmetisches Mittel von x = 3,23 errechnet werden kann, liegt dieser hinsichtlich der Bindung an Landschaft bei x = 3,02 (4 = sehr große Bedeutung, 3 = große Bedeutung). 173
Geschlecht arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
männlich 3,07 o
weiblich 2,89 o
Alter arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
bis 30 2,85 ---
31 bis 45 2,96 o
46 bis 65 3,02 o
Strukturraumzugehörigkeit arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Kernzone 3,06 o
Randzone 2,87 ---
Ländlicher Raum 3,10 +
höchster Schulabschluss
Hauptschulabschluss 3,13 ++ kein Abschluss / berufliches Praktikum / Anlernausbildung 3,15 +++
Realschulabschluss 3,10 +
Fachhochschulreife 3,05 o
Hochschulreife 2,78 ---
Lehrausbildung 3,05 o
Meister / Techniker / Fachschule 3,24 +++
Fachhochschulabschluss 2,97 o
Hochschulabschluss 2,65 ---
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
Angestellte 3,08 o
Beamte 2,88 ---
Freiberufler / Selbständiger 3,00 o
Ruhe-/ Vorruheständler 3,15 +++
Übrige 2,53 ---
parteipolitische Sympathie arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
CDU 3,17 +++
SPD 3,05 o
andere 2,80 ---
keine / k.A. 3,01 o
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
unter 10.000 2,88 ---
von 10.000 bis 25.000 3,03 o
mehr als 25.000 bis 50.000 3,01 o
über 50.000 2,98 o
Haushaltsgröße arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung
1-PHH 2,97 o
2-PHH 3,11 +++
3-PHH 2,83 ---
4-PHH 3,08 o
5-PHH 3,04 o
Postmaterialisten 3,14 +++
gemäßigte Postmaterialisten 2,96 o
Indifferente 2,90 ---
gemäßigte Materialisten 3,19 +++
Materialisten 3,17 +++
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung höchster Berufsbildungsabschluss
arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung Berufliche Stellung
Netto-Haushaltseinkommen (in Euro)
Wertesystem arithm. Mittel der Stichprobe Signifikanzniveau der Abweichung +++ hochsignifikante positive Abweichung ++ sehr signifikante positive Abweichung + signifikante positive Abweichung
o keine signifikante Abweichung
über 65 3,12 ++
--- hochsignifikante negative Abweichung -- sehr signifikante negative Abweichung - signifikante negative Abweichung
Tabelle 25: Signifikanzen und arithmetische Mittel der Bindung an die Landschaften des Saarlandes nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten. Die Signifikanz der Abweichung bezieht sich auf die jeweils komplementären Merkmale. Gesamtmittel: x = 3,02.
Die in die Ratioskala umgesetzten Indices (von Äsehr große Bindung³ = 4 bis Äkeine Bindung³ = 0) weisen hinsichtlich der Differenzierung nach soziodemographischen, politischen und ökonomischen Variablen der Befragten deutliche Unterschiede auf (Tabelle 25). Während die Bindung der Probanden an die Landschaften des Saarlandes mit zunehmendem Alter wächst, schrumpft sie mit zunehmender formaler Schulbildung. Darüber hinaus sind keine linearen Trends nachweisbar. Die Korrelation von Bedeutung von Heimat und die Bindung an die Landschaften des Saarlandes ist mit einem Bestimmtheitsmaß von R2 = 0,51 deutlich: Wird Heimat eine große Bedeutung zugeschrieben, wird in der Regel auch eine hohe Bindung an saarländische Landschaften angegeben. Insgesamt lässt sich hinsichtlich der Geschlechtsvariablen, der Altersvariablen, des höchsten erreichten Schulabschlusses und der parteipolitischen Sympathie eine weitgehende Kongruenz zur merkmalsspezifischen Verteilung der Bedeutung von Heimat feststellen. Bei den übrigen Variablen lassen sich gewisse ± allerdings nicht durchgängige ±
174
Übereinstimmungsmuster (wie bei dem Wertesystem: Unterschiede in der Tendenz bei gemäßigten Postmaterialisten und Indifferenten) nachweisen. Um ein ± über die allgemeine Beurteilung der InAnteil in Zahl der dustrielandschaft (siehe Abschnitt 5.2.2.4) hinausgeProzent Nennungen Teilweiser Erhalt, teilweise hendes ± Bild der Vorstellungen hinsichtlich des Umnutzung, teilweiser Umganges mit bergbau- und schwerindustriehistoriAbriss 74,07 337 schen Objekten zu erhalten, wurde danach gefragt, Umnutzung der Anlagen 10,77 49 Abriss der Anlagen 7,25 33 für welche Verwendung bzw. Gestaltung sich die Erhalt aller Anlagen 4,40 20 Probanden aussprechen (Fragen 15 und 16, beide als weiß nicht / k.A. 1,98 9 geschlossene Fragen mit Öffnung durch Äanderes³ anderes 1,54 7 formuliert). Trotz der deutlichen Ablehnung der InTabelle 26: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äim dustrielandschaft, sprachen sich nahezu drei Viertel Saarland wird in letzter Zeit intensiv über der Befragten für eine differenzierte Vorgehensweise den Umgang mit Hüttengeländen und Fördertürmen diskutiert. Wie sollte Ihrer hinsichtlich des Erhaltes technischer Relikte (z.B. 46,8
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Anteil in Prozent (n = 455)
Meinung nach mit solchen Anlagen umgegangen werden³ an der Gesamtzahl der Nennungen (n = 455).
se hr
Zahl der Anteil in Prozent Nennungen vollständig begrünt teilweise begrünt, teilweise unbewachsen
77,80
354
16,04
73
unbewachsen
0,22
1
anderes
4,18
19
1,76 100,00
8 455
weiß nicht / k.A. Summe:
Tabelle 27: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äderzeit wird im Saarland darüber nachgedacht, wie die Bergehalden des Kohlebergbaus in 30 Jahren aussehen sollen. Wie sollen Ihrer persönlichen Meinung nach Bergehalden in 30 Jahren aussehen³.
(n
gr oß
gr
oß
(n
=
13 0) m itt = el 21 gr 3) oß (n = ge 86 rin ) g (n = w 1 ei ke 1) ß in ni e ch (n t/ = k. 5) A. (n = 10 )
Hüttenanlagen und Fördertürme) aus (siehe 28,6 Tabelle 26). Als weitere Verwendung wurde 18,9 in erster Linie eine Renaturierung der Flächen gefordert. Ein Befragter regte eine ÄTrans2,4 2,2 formation im Sinne der ursprünglichen Nut1,1 zung³ an. Auf die Frage, wie in 30 Jahren die Bergehalden des Saarlandes aussehen sollten, antworteten deutlich mehr als drei Viertel der Befragten, dass diese vollständig begrünt werden sollten (Tabelle 27). Damit fügten sich die Bergehalden kaum als solche wahrnehmbar in die angeeigneten physischen Mit- Abbildung 20: Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage Äwie stark ist Ihre persönliche Bindung zu den Landschaften des Saarlandes³ an der Gesamtzahl der Nennungen (n = 455).
telgebirgslandschaften des Saarlandes ein. Unter der Antwortmöglichkeit Äanderes³ wurde häufig dafür plädiert, die Halden der natürlichen Sukzession zu überlassen, was in letzter Konsequenz auch eine Wiederbewaldung zur Folge hätte, darüber hinaus wurde eine künstlerische Inszenierung der Halden bzw. eine ökonomische Inwertsetzung durch Wiederverwendung oder durch Sternwarten 175
und Skipisten vorgeschlagen. Fazit: Zusammenfassend lässt sich eine erhebliche Bedeutung von Heimat und Landschaft für die Befragten feststellen. Insbesondere Heimat stellt einen zentralen Begriff des reembeddings in lokale und regionale Zusammenhänge dar. Das Konstrukt Heimat ist intentional und extensional nicht deckungsgleich demjenigen der (heimatlichen) Landschaft. Vielmehr weist auch die heimatliche (hier: saarländische) landschaftliche Einbettung eine wesentliche, aber nicht ausschließliche Bedeutung von Heimat auf (vgl. Abschnitt 4.2.5). Sowohl die Bindung an saarländische Landschaften als auch die Bedeutung von Heimat sind hinsichtlich soziodemographischer, ökonomischer und wertsystemischer Variablen deutlich differenziert ausgeprägt: Insbesondere für Ältere, Personen mit geringer formaler Bildung, konservativer politischer Einstellung und tendenziell materialistischem Wertesystem ist Heimat wichtiger und die Bindung an saarländische Landschaften intensiver, während insbesondere Jüngere, Hochqualifizierte und Anhänger von Grünen, FDP und anderen Parteien wie auch Beamte tendenziell Heimat und saarländischen Landschaften eine geringere Bedeutung beimessen. Weisen die saarländischen angeeigneten physischen Landschaften im Allgemeinen eine hohe Bedeutung für die Befragten auf, werden Industrielandschaften in der Regel als störend empfunden. Während technische Relikte der schwerindustriellen Ära des Saarlandes noch ± zumindest als teilweise ± erhaltenswert gelten, finden die Bergehalden des Kohlebergbaus eine geringe Akzeptanz seitens der Befragten. Eine ± häufig von raumplanerischer bzw. denkmalhistorischer Seite geforderte ± Offenhaltung der Halden wird mehrheitlich abgelehnt und erscheint nur schwer vermittelbar. 5.2.3 Die Wahrnehmung der Landschaft im Saarland ± Ergebnisse der quantitativen Befragung ± ein vorläufiges Fazit Landschaft lässt sich als ein differenziertes Mehrebenenkonstrukt beschreiben. Einerseits wird Landschaft als konkreter physischer Behälter-Raum mit seinen sensorisch wahrnehmbaren Elementen (wie Wälder, Wiesen und Bäche, aber auch Düfte), andererseits auch als abstrakter Zusammenhang (als Umwelt oder Natur) sowie als emotionaler Bezugsraum (in Form von Heimat) wahrgenommen. Landschaft wird in erster Linie mit lebensweltlichen Raumerfahrungen im Wohnumfeld (im Saarland primär mit saarländischen Landschaften) assoziiert: Die stereotype Landschaft der Befragten, zusammengesetzt aus den Elementen Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen, weist charakteristische Merkmale der saarländischen Mittelgebirgslandschaften auf. Sowohl die große Bedeutung von Atmosphäre (zu verstehen im Sinne Luhmanns 1997: 181) als auch die Definition der Fläche einer Landschaft in Abhängigkeit von der Sichtweite deuten auf die hohe Subjektbezogenheit der Landschaftskonstruktion hin. Der unter anderem von Simmel (1990 ± zuerst 1913) und Ritter (1990) formulierte Landschaftskonstitutionsvorgang durch das ästhetisierende Betrachten von angeeignetem physischem Raum, kann noch immer als Kern der bewusstseinsinternen und sozial präformierten Landschaftskonstruktion gelten, doch findet eine ± für die (de-)differenzierende, rekombinierende und polarisierende Postmoderne charakteristische ± Aufweitung des Landschaftsbe-
176
griffs und der Wahrnehmung von Landschaft ± insbesondere bei Postmaterialisten ± statt: Landschaftskonstruktionen entspringen nun auch der Beobachtung virtueller Inszenierungen ebenso wie der Betrachtung von Landkarten. Zwar ist das Bild stereotyper Landschaft stark verfestigt, doch beginnen insbesondere Postmaterialisten damit, Landschaften neue Elemente (wie z.B. Windräder) zuzuschreiben. Insbesondere bei Postmaterialisten findet sich also eine Tendenz zur vielfältigen Landschaftswahrnehmung. Mit der von Inglehart (1998) empirisch nachgewiesenen Bedeutungszunahme postmaterieller Wertesysteme ist also damit zu rechnen, dass eine individuelle Landschaftskonstruktion an Bedeutung gewinnen wird. Der Zusammenhang zwischen der Fläche einer als schön empfundenen Landschaft und de-
Abbildung 21: Die saarlandzentrische Raumkonstruktion der Befragten. Die in Abbildung 14 dargestellte Regressionskurve bildet die Grundlage des logarithmischen Maßstabs.
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ren Entfernung vom Wohnort deutet auf eine eher logarithmisch skalierte denn auf eine linear skalierte bewusstseinsinterne Konstruktion von Raum hin (siehe Abbildung 21). Trotz der Dominanz des Behälterraumkonzeptes in der systemischen Kommunikation lässt sich die Personenbezogenheit von mental maps als Persistenz invidueller anthropozentrischer (vormoderner) Raumkonstruktionen deuten. Dabei wird deutlich, dass durch die Verinselung des Raumbezugs diese logarithmische Skalierung in der Regel nicht als monozentrisch, sondern als polyzentrisch zu verstehen ist. Insgesamt lässt sich eine große Bedeutung von Heimat für die Befragten nachweisen, wobei ein enger positiver Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Heimat und dem Bezug zu den Landschaften des Saarlandes nachweisbar ist, wobei die Verbundenheit mit den Landschaften des Saarlandes nicht jene Bedeutung von (dem Saarland als) Heimat aufweist. Landschaften lassen sich somit als wesentliches ± jedoch keinesfalls ausschließliches ± Element der Konstitution von Heimat beschreiben. Heimat in seiner symbolischen Bedeutung ist weiter gefasst als jene der heimatlichen Landschaft. Wobei diese Symbolhaftigkeit von Landschaft ± wie gezeigt ± primär durch ästhetische und emotionale Komponenten denn von kognitiven geprägt ist: Trotz der großen emotionalen Bedeutung von Landschaft ist ein insgesamt gleichzeitig geringer Kenntnisstand über die saarländischen angeeigneten physischen Landschaften zu verzeichnen, wobei dieser durchaus deutlichen Unterschieden unterliegt: Kenntnisse, die sich durch direkte Beobachtung erzielen lassen (Dorfformen), sind deutlich stärker ausgeprägt als solche, die eine intensivere kognitive Befassung mit dem Thema der saarländischen Landschaften (geologische Zusammenhänge) erforderten. Aus dem im Wesentlichen auf stereotyp-ästhetischen Imperativen und emotionaler Ansprache beruhenden Zugang zu Landschaften resultiert die Einschätzung von Landschaften: Die der stereotypen Landschaft nahe kommenden Gau- und Waldlandschaften werden positiv bewertet, während sich die Industrielandschaft und die einfach polyvalente WindkraftanlagenOffenlandschaft eines stereotyp-ästhetischen Zuganges entziehen. Die ähnlich positive Bewertung von Wald- und Gaulandschaft lässt an der Allgemeingültigkeit der Savannenhypothese empirisch bedingte Zweifel aufkommen. Dabei werden erhebliche Bewertungsunterschiede zwischen der Industrielandschaft und der Offenlandschaft mit Windrädern deutlich: Während besonders ältere Menschen mit Industrielandschaft Zugehörigkeit und Heimat verbinden, trifft diese bei jungen Menschen auf eine überdurchschnittliche Ablehnung, während bei Jüngeren die Offenlandschaft mit Windrädern häufiger eine symbolische Aufladung als Äzukunftsfähig³ erfährt. Eine auf Erhaltung möglichst vieler reliktischer montanindustrieller Objekte ausgerichtete Politik stößt somit auf einen erheblichen Legitimationsdruck, während eine Politik der Erhaltung von Gau- und Waldlandschaft auf Zustimmung eines überwiegenden Teils der Befragten trifft.
178
5.3
Ergebnisse des qualitativen Studienteils mit besonderer Berücksichtigung des Saarlandes
5.3.1 Methodik und Basisdaten der qualitativen Befragung Die qualitative Befragung stellt einerseits eine selektive Verdichtung und Vertiefung der in der quantitativen Studie gewonnenen Ergebnisse und andererseits eine verstehende Deutung individueller Landschaftsbegriffe dar. Dabei wurden zwischen Ende März und Mitte Mai 2005 31 Personen mit unterschiedlichem beruflichem und privatem Landschaftsinteresse ausgewählt, um festzustellen, ob und inwiefern sich der kognitive Landschaftsbegriff bzw. der emotionale Landschaftsbezug mit zunehmenden planungs- und umweltbezogenem Fachwissen von einem laienhaften Verständnis unterscheidet. Aufgrund des im Vergleich zu Laien nur selektiv abweichenden Landschaftsbewusstseins bei Experten wurde die Befragung von Laien auf lediglich sieben Interviewpartner mit ausschließlich laienhaftem Landschaftsbewusstsein beschränkt. In dem Interview wurden die vier Prinzipien der wissenschaftlichen Befragung, wie sie von Konrad (2001) formuliert, eingehalten: Zielgerichtetheit, Systematik, kontrollierte Bedingungen, Gegenstandsbezogenheit (wobei der Gegenstand auch in dem persönlichen Erleben liegen kann). Die Auswahl der Interviewten vollzog sich auf Expertenebene durch persönliche Bekanntheit, aufgrund von Empfehlungen246 oder aufgrund von Veröffentlichungen, wobei als Experte eine Person eingestuft wird, die sich durch das Tragen von Verantwortung hinsichtlich des Entwurfs, der Implementierung oder der Kontrolle einer Problemregelung bzw. durch einen privilegierten Zugang zu Informationen über Sachverhalte, Personen oder Entscheidungsprozesse auszeichnet (Meuser/Nagel 1991). Auf Laienebene wurden Personen ausgewählt, die auf dem Fragebogen des quantitativen Studienteils ihre Bereitschaft zu einem qualitativen Interview vermerkt hatten. Die Gesprächführung bei Interviews lässt sich nach Froschauer/Lueger (2003) als Kontinuum zwischen zwei Polen einer vorrangig qualitativ und einer vorrangig quantitativ strukturierten Gesprächsführung verstehen. Dabei wird der qualitative Pol von ethnographischen, narrativen und qualitativen Interviews repräsentiert, während der quantitative Pol durch einen standardisierten Fragebogen abgebildet wird. Wie auch bei dem Kontinuum von qualitativem zu quantitativem Interview lässt sich ein ebensolches zwischen Gegenstandsbezug und Personenbezug konstatieren (Lehmann 2004). Der Gegenstandsbezug äußert sich in der Ausklammerung emotionaler Bezüge und in dem Bemühen, authentische und sachbezogene Informati-
246
Als zur Zeit der Erhebung mit landschaftsrelevanten Fragestellungen im saarländischen Ministerium für Umwelt Zuständiger, verfügt der Autor über ein umfangreiches Netzwerk der mit dem Thema Landschaft professionell Befassten. Um kontrollierte Bedingungen bei der Befragung zu erreichen, wurden die Probanden auf den ± über die alltägliche Gesprächsroutine hinausgehenden ± wissenschaftlichen Bezug während des Interviews aufmerksam gemacht. Dennoch wurden Verschränkungen zu Vorkenntnissen aus vorangegangenen (Nicht-Interview-)Gesprächen nicht ausgeklammert, sondern als phänomenologischer Input einer teilnehmenden Beobachtung in das Interview eingebaut. Die in der überwiegenden Zahl der Fälle vorliegende Vertrautheit mit dem Autor äußert sich auch in einer größeren Offenheit der Befragten.
179
Qualitätsbezogenheit
Quan ti tätsbezogenheit
onen zu erhalten, während sich der Personenbezug explizit in der Thematisierung persönlicher Erlebnisse, Erfahrungen und Eigentümlichkeiten äußert. Aufgrund der vorliegenden Thematik, die sowohl Aspekte des kognitiven Landschaftsbegriffs als auch des emotionalen Landschaftsbezugs beinhaltet, erscheint die Befragung anhand eines standardisierten, gegenstandsbezogenen Interviews für die emotionalen Bezüge zu unflexibel, ein rein qualitatives, personenzentriertes Interviewkonzept hingegen für die kognitiven Begriffe ± insbesondere auf Expertenebene ± zu unstrukturiert. Als methodischer Ansatz der Gesprächsführung wurde daher das verschränkte Leitfadeninterview gewählt, das einerseits zwischen den Polen des qualitativen und des quantitativen Interviews (Froschauer/Lueger 2003) andererseits zwischen jenen von Gegenstandsbezogenheit und Personenbezogenheit (Lehmann 2004) eine vermittelnde Stellung einnimmt. Das Gespräch wird zwar grundsätzlich hinsichtlich wesentlicher zumeist offener, gelegentlich auch indirekter Fragen vorstrukturiert, aber dennoch garantiert die Form des Leitfadeninterviews, eine ausreichende Offenheit für während des Interviews aufkommende Aspekte (vgl. Abbildung 22). Der gemäß diesen Anforderungen entwickelte Leitfaden (siehe Anhang) gliedert sich in Oberthemen, wobei die Reihenfolge der Befassung mit diesen Themen nach der Einleitung dem Interviewverlauf angepasst werden kann. Die Oberthemen gliedern sich wie folgt: Quantitative Quantitative · Einleitung in das Themenfeld PersonenG egenstandsbezogenheit bezogenheit Gesellschaft und Landschaft, · Allgemeine Fragen zur LandVerschränktes Personen Gegenstandsschaft, bezogenheit bezogenheit Leitfa denin tervie w · Fragen zur Landschafts- und Qualititative Qualititative Raumwahrnehmung, PersonenG egenstandsbezogenheit bezogenheit · Fragen zum Verhältnis Gesellschaft-Landschaft, · Fragen zur Landschaftsplanung, · Allgemeines (Fragen zum familiären und beruflichen Umfeld, Alter u. a.). Abbildung 22: Unterschiedliche Interviewtypen. Ein zusätzlicher Fragenteil ist an Experten gerichtet, in dem speziell auf professionelle Landschaftsbezüge abgehoben wird. Der im Anhang aufgeführte Fragebogen spiegelt dabei einen Basisleitfaden wider, der ± aufgrund der Heterogenität der Befragten ± häufig abgewandelt zur Anwendung kommt. Die Auswertung der Interviews folgt einer interpretativen Auswertungsstrategie, in der weniger die Sequenzialität von Aussagen, sondern vielmehr die thematische Einheit von Aussagen im Zentrum des Interesses stehen (Meuser/Nagel 1991). Dabei ergeben sich vier Auswertungsphasen (Meuser/Nagel 1991, Flick 2002, Lütteken 2002): 1. Die digital aufgezeichneten Interviews werden gespeichert und später transkribiert.
180
2. Die transkribierten Interviews werden einer Einzelanalyse unterzogen. Diese bezieht sich ± unter Nutzung der Techniken qualitativer Inhaltsanalyse ± auf die Streichung weniger relevanter und bedeutungsgleicher Paraphrasen (erste Reduktion) sowie die Bündelung und Zusammenfassung ähnlicher Paraphrasen. 3. In der generalisierenden Analyse werden die einzelnen Interviews miteinander in Beziehung gesetzt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermittelt. Diese stellen die Basis für eine initial theoretisierende Auswertung dar. 4. In der rückgekoppelten Kontrolle wird der durch die Phasen solchermaßen entstandene Text einem erneuten Abgleich mit den Originaltexten zugeführt, um so Verkürzungen und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Insbesondere der qualitative Studienteil wird an wesentlichen Stellen durch teilnehmende Beobachtungen in der Landschaftswahrnehmung und -bewertung ergänzt bzw. daran gemessen. Dabei sind die vier Postulate der phänomenologischen Soziologie nach Schütz (1972), dasjenige der Relevanz, der Adäquanz, der logischen Konsistenz und der Übereinstimmung mit vorliegendem wissenschaftlichem Wissen, grundlegend. 5.3.2 Ergebnisse des qualitativen Studienteils
5.3.2.1 Die Sozialisation des Begriffs Landschaft Im Prozess der Sozialisation werden auch der Begriff der Landschaft und ein Bewusstsein von Landschaft vermittelt. Landschaftsbewusstsein (im Sinne von Ipsen 2002a, siehe Abschnitt 3.2.2) stellt dabei einen Bezug zwischen eigener Person und umgebendem Raum dar. Darüber hinaus ist der Raum Gegenstand der Kommunikation, der Identifikation, der Identitätsbildung und -darstellung. Landschaft ist dabei ± aufgrund seines komplexen Inhaltes ± ein Begriff, der sukzessive erlernt und zum Äsignifikanten Symbol³ infolge der ÄHereinnahme der sozialen Organisation der Außenwelt³ (Mead 1980: 240) wird. Im Folgenden sollen die wesentlichen Elemente der Sozialisation des Landschaftsbegriffs in Hinblick auf Regelhaftigkeiten und Abweichungen von diesen Regelhaftigkeiten erläutert werden. Prinzipiell lassen sich (mindestens) zwei Stufen der Sozialisation des Landschaftsbegriffes nachweisen: Eine primäre Landschaftssozialisation im Kindes- und Frühjugendalter und eine optionale sekundäre Landschaftssozialisation im Erwachsenenalter, insbesondere durch die Befassung mit rauminsbesondere landschaftsrelevanten Themen in der Berufsausbildung und beruflichen Praxis. 5.3.2.1.1 Primäre Landschaftssozialisation Als primäre Landschaftssozialisation lässt sich die zumeist unsystematische Aneignung des Begriffes der Landschaft wie auch eines Landschaftsbewusstseins im Kindes- und Jugendalter auffassen. Dabei werden Bedeutungs- und Interpretationssysteme vermittelt, semiotische Verknüpfungen erstellt. Die Funktion und die Wirkung der primären Landschaftssozialisation
181
wird aus der Antwort von Herrn Z. A.247 auf die Frage, ob jeder bei Betrachtung desselben Raumes auch dieselbe Landschaft sehe, deutlich: ÄMeiner Einschätzungen nach sind Menschen gleicher Herkunft und gleicher Erziehung irgendwo auch geeicht. Ich würd` sagen, man kann annehmen, dass sie einigermaßen das gleiche sehen.³ (Herr Z. A., S. 2, 48-50)248.
Auf Nachfrage, wie und wo diese Eichung stattfinde, erklärt Herr Z. A.: ÄDiese Eichung findet statt in der Kindheit, in der Frühzeit, wo man erfährt, sieht, bewertet bekommt, von Bezugspersonen.³ (S. 3, 3-4)
Die primäre Landschaftssozialisation vollzieht sich ± in der Retrospektive der Befragten ± ab dem Alter von etwa vier Jahren. Sie vollzieht sich dabei in der Regel in einem ersten Schritt als Differenzwahrnehmung zum bisherigen räumlichen lebensweltlichen Umfeld des elterlichen Hauses in der Regel durch Erkunden des Weiteren heimischen Umfeldes: ÄDie Landschaft, in der man aufwächst ist sozusagen das erweiterte Zuhause. Kinder sind unheimlich raumgreifend. Ab einem gewissen Punkt, wenn sie in die Entdeckungsphase kommen, ich sag` mal in die größere Entdeckungsphase kommen, dann entdeckt man von seinem Haus, von der Wohnung der Eltern ausgehend, einen Teil der Erdoberfläche, wenn man so will, und das ist die Landschaft, die man verinnerlicht. Sozusagen mit der ganzen Entwicklung, die man da tut. Und dessen wird man sich aber in der Regel nicht bewusst.³ (Herr B. S.249, S. 2:24-40)
Eine besondere Bedeutung für die Aneignung von Landschaft hat dabei der Bezug der gemeinsamen Landschaftsbefassung mit den Eltern, insbesondere den Vätern, denen aus retrospektivischer Sicht der Befragten häufig eine hervorgehobene Funktion hinsichtlich der Befassung mit Landschaft zukommt, wie das Beispiel von Herrn W. T.250 (S. 2, 10-12) zeigt: ÄBewusst Landschaft wahrgenommen habe ich als 6-7-Jähriger, mit meinem Vater, morgens, sonntags, als ich von [Ortsname] 251 nach [Ortsname] gewandert bin, und dann mit meinem Vater von [Ortsname] aus auf [Ortsname] geguckt habe.³
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Herr Z. A. ist Mitte 50, Architekt und seit rund 30 Jahren im behördlichen Umweltschutz tätig. Er bezeichnet sich als Städter, hat ein Haus mit Garten. Seine Erfahrung mit Landschaft sammelt er im Wesentlichen in der Freizeit, insbesondere beim Fahrrad fahren und wandern. Als Wert, dem er künftig eine größere Bedeutung in der Gesellschaft beigemessen sehen möchte, nennt er Bescheidenheit. Die Zitierweise der Transkripte ist wie folgt angelegt: Herr/Frau X. Y. = Name des Interviewpartners und zugleich Name des Transkriptes; S. X = Seite des Transkriptes, aus welcher das Zitat stammt; x-y = Zeilen des Transkriptes, aus welchen das Zitat stammt. Herr B. S. Mitte 30, Architekt und seit fünf Jahren im Denkmalschutz tätig, er studierte in Architektur und stammt aus Nordrhein-Westfalen. Künftig wünscht sich Herr B. S. eine verstärkte Kontaktfreudigkeit der Bewohner des Saarlandes nach außen und ein Abrücken von traditionellen Rechts-Links-Schemata und Gewerkschafts-Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Schemata. Herr W. T. ist Anfang 50. Aufgewachsen ist er in einem ländlich strukturierten Raum. Nach dem Abitur hat er acht Semester studiert und dann eine Ausbildung an der Fachhochschule für Verwaltung absolviert. Danach war er erst in einer Stadtverwaltung und dann bei mehreren obersten Landesbehörden tätig. Wohnhaft ist er in einem Vorort von Saarlouis. Als größte Herausforderungen für das Saarland gibt Herr W. T. die Äfinanzielle Situation der Kommunen und des Landes und die durch den demographischen Wandel hervorgerufenen Umstrukturierungen in allen Lebensbereichen³ (Herr W. T., S. 1, 12-13) an. Zur Wahrung der Anonymität der Interviewten werden Ortsnamen mit eindeutigem Bezug zum Interviewten nicht genannt.
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Der Ausblick über einen Raum stellte ein wesentliches Element in der Sozialisation der Konstruktion eines Landschaftsbegriffes, als Zusammenschau räumlich-relational angeordneter Objekte, dar: ÄIch komme also aus [Ortsname]. Und da ist der [Ortsname] also mein Hausberg gewesen. Und von diesem [Ortsname], einem relativ markanten Berg, von dort aus gab es ± bevor der Wald dort hoch gewachsen war ± relativ weite Ausblicke. Und da hängt das schon stark mit diesem Berg zusammen und wenn man dann von dort aus nach Norden blickt, dann konnte man den Schaumberg sehen. Das habe ich damals als Landschaft empfunden, auch in der Rückbetrachtung.³ (Herr R. T.252, S. 2, 14-19)
Die Aneignung des Begriffes der Landschaft vollzieht sich dabei nicht allein durch die Betrachtung von Raum, sondern auch dessen offensiver Nutzung durch spielerische Erfahrungen (im Sinne von game nach Mead 1968), insbesondere jenseits städtischer Bebauung: ÄAlso, zum ersten Mal habe ich das so bewusst wahrgenommen, so ab 7-8 Jahren, als wir hier in [Ortsname] während des Krieges oder kurz nach dem Krieg unsere Spiele hier nicht mehr rund ums Haus gemacht haben, sondern weiter weg. Damals hieß es dann: ÃWir gehen in die Wiesen¶ oder Ãwir gehen in den Wald¶. Irgendwann so ab 9-10 haben wir in meinem Freundeskreis immer gesagt: Ãwir machen Landschaftsspiele¶. Also, Räuber und Gendarm.³ (Herr S. R.253, S. 2, 13-18)
Die Konstitution der ersten primärsozialisierten Landschaft in Differenz zum elterlichen Haus wird in der Folgezeit gefestigt durch die Wahrnehmung der Differenz der eigenen lebensweltlichen Landschaft zur fremden Landschaft, die in der Regel im Urlaub mit den Eltern wahrgenommen wird: ÄBewusst wahrgenommen habe ich die [Landschaft; Anm. O. K.] wohl in den Ferien mit meinen Eltern, für mich war dann Landschaft ± weil es `was Neues war ± an der Küste. Küstenlandschaften, vor allem auch Vegetation, vor allem auch im mediterranen Raum. Das war für mich zum ersten Mal, als ich Landschaften bewusst wahrgenommen habe, weil es halt eine andere Ausstattung an Landschaftselementen war wie zuhause. Weil, wenn man im Dorf aufwächst, dann nimmt man das als selbstverständlich, als gegeben hin, ja hat man den Landschaftsbegriff nicht, während wenn man dann in Südfrankreich auf dem Hügel steht und sieht Küstenlandschaft und Hinterland mit Kalkfelsen und mediterrane Vegetation.³ (Herr G. L.254, S. 2, 31-39)
Die konstituierende Bedeutung der Wahrnehmung der Differenz von Landschaft um den Wohnort und anderen Landschaften streicht Herr B. S. hervor:
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Herr R. T. ist Anfang 50 und war nach einer Ausbildung zum Forstingenieur als Revierförster und bei der obersten Forstbehörde im Saarland tätig. Herr R. T. ist wohnhaft in einer ländlichen Siedlung. Als wesentliche Herausforderung für das Saarland sieht er eine Überwindung des Kosten-Kalküls zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Herr S. R. ist Ende der 1930er Jahre geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik war er zwischen als Elektroingenieur bei einem großen deutschen Unternehmen der Elktro-Brance tätig. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hat er zahlreiche längere Auslandseinsätze. Herr S. R. ist wohnhaft in einer Gemeinde im südöstlichen Saarland. Als größte Herausforderung für das Saarland sieht Herr S. R. den Umgang mit dem demographischen Wandel sowie die Erhaltung der Eigenständigkeit des Saarlandes. Herr G. L. ist Mitte 30, geboren und aufgewachsen im Pfälzer Bergland, hat ein Studium der Raum- und Umweltplanung absolviert und ist wohnhaft zurzeit im städtischen Raum. Herr G. L. hält den Strukturwandel für die größte Herausforderung für das Saarland.
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ÄUnd die Leute, die nicht ± und das ist jetzt eine These ± aus diesen [heimatlichen; Anm. O. K.] Landschaften herausgehen, die woanders hingehen, nehmen das auch nicht besonders wahr. Sondern für sie ist die Welt dann eben so wie sie ist. Und erst, wenn man sich dann von diesem Raum distanziert, andere Räume kennen lernt, dann kann man Rückschlüsse ziehen auf den ersten Raum, in dem man groß geworden ist, der aber in vielerlei Hinsicht wichtig für die Maßstäbe ist.³ (Herr B. S., S. 2, 40-45)
Ein weiterer Aspekt der Konstitution des Landschaftsbegriffes und des Landschaftsbewusstseins in der primären Landschaftssozialisation ist vielfach die Verknüpfung eines emotionalen Bezuges zwischen Landschaft und dem Heimat. Gerade diese Verknüpfung von Landschaft und Heimat basiert häufig auf der Wahrnehmung der Differenz von heimatlicher Landschaft und Landschaften jenseits des Umfeldes des Wohnortes. Beispielsweise antwortete Herr M. B.255 auf die Frage, wie sich sein Landschaftsbegriff in der Jugend entwickelt habe folgendermaßen: ÄZum Einen, dass man da andere Landschaften bereist hat, Erfahrungen gemacht hat, zum Anderen, dass man, so nach der Pubertät, die eigene Landschaft, die eigene Heimat, die Landschaft, in der man lebt, zum ersten mal etwas bewusster wahrgenommen hat. Da hat sich der Begriff von Landschaft gewandelt, oder ich würd` sagen verfestigt.³ (Herr M. B., S. 3, 16-20)
Während die direkte Erfahrung von Landschaft durch Differenzbildung von Nähe und Weite, Siedlung und Umland, Landschaft des Herkunftsraumes und Landschaften anderer Räume von den meisten Befragten geteilt werden, wird der Einfluss der Schule auf die Konstruktion des Landschaftsbegriffes und des Landschaftsbewusstseins einerseits, und die Wahrnehmung von Landschaft andererseits sehr unterschiedlich beschrieben und bewertet. So antwortete Herr H. T.256 auf die Frage wann wo und wie Landschaft zum ersten Mal er bewusst wahrgenommen habe: ÄWahrscheins in der frühesten Jugendzeit, ich bin direkt am Wald groß geworden, aber wahrscheins ist das erst so richtig `rübergekommen im Unterricht, in Erdkunde, ich kann mich noch an den Namen meines alten Erdkundebuches erinnern, das war der Seydlitz, damit wurde Landschaft für mich greifbarer.³ (H. T., S. 2, 8-11)
Neben Erdkunde, wird insbesondere der Kunstunterricht (z.B. bei Herrn B. S. und Frau K. U.257) und der Deutschunterricht (bei Frau K. U.) als mitprägend für das Landschaftsbewusstsein beschrieben. Eine entscheidende Bedeutung wird der Schule für das Entstehen des eigenen Landschaftsbewusstseins nicht von allen Befragten zugewiesen: 255
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Herr M. B. ist Anfang 40. Er ist Biologe und seit Anfang der 1990er Jahre im Bereich Natur- und Umweltschutz auf Landkreisebene tätig. Heute ist er Dezernent im Bereich Umweltschutz. Die größeren Herausforderungen sind für Herrn M. B. die Erhaltung der Selbständigkeit des Saarlandes sowie die Überwindung der Polarisierung in der Gesellschaft. Herr H. T. ist Anfang der 1950er Jahre im südöstlichen Saarland geboren, hat die höhere Handelsschule mit dem Fachabitur abgeschlossen. Danach hat er die Laufbahn des gehobenen Dienstes im Landesdienst angetreten, wo er bis Ende der 1990er Jahre tätig war. Er wurde zum Bürgermeister einer saarländischen Gemeinde gewählt. Herr H. T. ist verheiratet und hat vier Kinder. Herr H. T. hält die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements für eine wichtige Herausforderung. Frau K. U. ist Mitte 30. Sie ist in einem Dorf im nordwestlichen Saarland, als ÄLehrerstochter³ geboren und aufgewachsen. Nach dem Gymnasiumsbesuch nahm sie das Geographie-Studium auf. Sie promovierte auch in diesem Fach. Frau K. U. hält ÄEigenengagement, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, sich trauen, etwas Neues zu machen, ein Risiko einzugehen³ (Frau K. U., S. 9, 8-9) für wesentliche Werte.
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ÄAlso, die Schule eigentlich weniger, nachdem meine Großeltern väterlicherseits hier aus [Ortsname] stammten, war es also für mich alltäglich, mich in Feld, Wald und Flur aufzuhalten, da war es dann nicht nötig, mich darauf aufmerksam zu machen. Im Sommer, in den Ferien hat man da auch in der Landwirtschaft geholfen, so dass man immer einen persönlichen Kontakt hatte. Ökonomisch zwar, aber es war interessant und hatte einen positiven Effekt. Also, auf dem Heuwagen fahren, das war schon `was. Also, der direkte Kontakt war da eher prägend, weniger die Schule oder so etwas.³ (Herr S. R., S. 24-30)
Oder: ÄIch denke, dass mir die Schule in Bezug auf Landschaft nichts gegeben hat. Weder emotionalpersönlich noch fachlich. Eigentlich sehr schwach.³ (D. M.258, S. 3, 42-43)
Die primäre Sozialisation des Landschaftsbegriffs, des Landschaftsbewusstseins, auch in der Verbringung von Landschaft und Heimat verläuft häufig nicht linear, sondern ist geprägt von Flexuren und Brüchen, oder aber wird überlagert von anderen Interessensschwerpunkten. Brüche in der Sozialisation von Landschaft, insbesondere des Zusammenhangs von Landschaft und Heimat, werden deutlich bei Personen, die in unterschiedlichen landschaftlichen Zusammenhängen ihre Landschaftssozialisation erfuhren. Diese gebrochene Landschaftssozialisation kann sich in intensiven Verlusterfahrungen bzw. einer simulacrischen Überhöhung der ehemaligen Heimatlandschaft darstellen. Gerade bei frühen alternativen Interessenschwerpunkten kann die Entwicklung des Landschaftsbegriffes modifizieren, auch wenn der Gegenstand des Interesses durchaus einen Landschaftsbezug hat: So lässt sich bei zwei Interviewpartnern eine Verzögerung landschaftlicher Wahrnehmung ± als eine Zusammenschau verschiedener landschaftlicher Elemente ± aufgrund eines teilökosystemischen Interessensbezugs feststellen. Herr D. H.259 schildert, dass er sich in seiner Kindheit und Jugend primär für Vögel interessiert habe, und sich eine landschaftliche Zusammenschau erst später, nach dem Studium der Biogeographie, entwickelt habe. Eine deutliche Unterordnung des landschaftlichen Interesses unter ein spezifisch teilökosystemisches in der Jugend formuliert auch Herr S. M.260 auf die Frage warum er sich in der Jugendzeit für bestimmte Landschaften interessiert zeigte: ÄWeil eben bestimmte Landschaften bestimmte Vogelarten hatten, die andere Landschaften eben nicht hatten. Da bin ich dann eben über die Sammelleidenschaft bestimmte ornithologische Entdeckungen zu machen auch zu einer bestimmten Landschaftswahrnehmung gekommen. Die erste Landschaft, die ich außerhalb der Heimat wahrgenommen habe war eben der Mindelsee, am Bodensee, ganz einfach deshalb, weil es dort ein paar seltenere Entenarten gab. Das hatte ich gelesen und aus diesem Gesichtspunkt wollte ich eben unbedingt den Mindelsee sehen, im 258
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Herr D. M. 50 Jahre alt und arbeitet als Landschaftsarchitekt und Teilhaber eines Landschaftsarchitekturbüros im Saarland. Herr D. M. ist im Saarland aufgewachsen. Herr D.M. hat an der GH Kassel studiert, nach unterschiedlichen beruflichen Stationen ist er ins Saarland zurückgekehrt. Herr D. M. begreift Heimat als Profession und sieht eine großer Herausforderung für das Saarland darin, aus ÄTradition neue Perspektiven³ (Herr D. M., S. 1, 21) zu eröffnen. Herr D. H. ist Mitte 40. Nach dem Abitur studierte er Biogeographie. Danach arbeitete er in einem privaten Planungsbüro und ist heute im kommunalen Umweltschutz tätig. Als berufliche Selbstdefinition gibt Herr D. H. Landschaftsökologe an. Herrn D. H. wünscht sich allgemein, dass Menschen wieder lernen, stärker zu beobachten. Herr S. M. hat Geographie studiert und ist zurzeit Umweltminister des Saarlandes. Herr S. M. bezeichnet sich als Ädem ländlichen Raum und der Landschaft sehr zugetan³ (Herr S. M., S. 1, 4). Für ihn bestehen die größten Herausforderungen für das Saarland im demographischen Wandel und der künftigen Energieversorgung.
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Urlaub, um dort eben meine ornithologischen Beobachtungen machen zu können.³ (Herr S. M., S. 2, 27-35)
Neben dem selektiven Interesse, ökologische Teilaspekte betreffend, wirken sich räumlichbiographische Brüche auf die Entwicklung des Landschaftsbewusstseins aus. So stellt Herr W. A. 261 heraus, aufgrund seiner biographischen Entwicklung mindestens zwei heimatliche Bezugslandschaften zu haben: ÄDas war die Landschaft meiner Kindheit, also die Landschaft zwischen [Ortsname] und [Ortsname], die Landschaft um den [Ortsname] Weiher, die Landschaft, die brach gefallen ist. [...] Das war ein Teil der Landschaft, der niedergeht, und ich wusste nicht warum. Schon das Brachfallen der Landschaft war für mich nicht mehr Landschaft. Das war `ne Zerstörung, die vonstatten ging, das war ein Stück niedergehende... verlorene... da fällt ein Stück aus der Landschaft heraus. Und Landschaft im positiven Sinne war für mich Dänemark, das Land meiner Geburt, wohin meine Eltern nach der Flucht aus Pommern in den Nachkriegsjahren immer wieder zurückgefahren sind... `ne bäuerliche Landschaft wieder, `ne Insellandschaft, also, bäuerliche Betätigung auf der Insel. Das war für mich ein Paradies. Da wollte ich immer wieder hin.³ (S. 2, 22-35)
An einer späteren Stelle des Interviews kommt Herr W. A. wieder auf das Thema Heimat und Landschaft im Zusammenhang mit Atmosphäre zu sprechen (S. 3, 37-41): ÄAlso, Atmosphäre und Landschaft hängen sehr stark zusammen. Ich habe gerade erst vor drei Wochen die Heimat meiner Mutter besucht, also Pommern, und da war es ein ganz schlimmes Erlebnis an Atmosphäre, was ich den Bildern, den Erzählungen meiner Großeltern, alles, was ich als Vorausbild wusste, dass das alles an Atmosphäre nicht mehr da war. Also, positive Atmosphäre ist für mich auch Ausdruck von Stimmigkeit vieler Lebensumstände.³
An dieser Stelle wird einerseits die Bedeutung signifikanter Anderer für die Prägung eines Landschaftsbildes deutlich, andererseits aber auch die starke Konstruiertheit der idealen Landschaft. Für Herrn W. A. ist nicht die saarländische Landschaft, in der er aufgewachsen ist zum Symbol für eine ideale Heimatlandschaft (im Sinne von Ott (2005) ließe sich hier von einer utopischen Sehnsuchtlandschaft sprechen) geworden, sondern die Landschaft seiner Geburt und seiner Urlaube in Dänemark und noch sehr viel deutlicher die Landschaft Pommerns, die er lediglich aus den (mutmaßlich idealisierenden) Erzählungen seiner Mutter kennt. Aufgrund der idealisierenden Konstruktion der Landschaftsvorstellung von Pommern erscheint der mehr als ein halbes Jahrhundert später vollzogene Ist-Soll-Vergleich enttäuschend. Ähnliche Verlusterfahrungen der primär sozialisierten Landschaft beschreibt ein aus den Neuen Ländern ins Saarland zugezogener Befragter: ÄGut, wo ich Schüler war, war ja alles vom Braunkohletagebau geprägt, sag` ich mal. Und Brandenburg ist halt landschaftlich sehr schön durch die ganzen Felder und Seen, das, was im 261
Herr W. A. ist Ende 50, mütterlicherseits aus dem heutigen Polen stammend, aus einer Familie mit langer landwirtschaftlichter Tradition. Er ist im Saarland aufgewachsen. Neben Forstwissenschaft hat er Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung studiert und war danach Leiter eines Landschaftsplanungsbüros, heute ist er in einer Landesbehörde für Landschaftsplanung zuständig. Als Berufung gibt er die Wahrnehmung der schönen Landschaft an. Auf die Frage, welche Werte seiner Überzeugung nach künftig eine stärkere Bedeutung haben sollten antwortet er: ÄDie Werte der Liebe zur Familie und der entsprechenden Strukturen, die Werte, sich um die Kinder zu kümmern und ihre Zukunft. Die Werte, ganz allgemein gesprochen, der Zuverlässigkeit. [«@³ (Herr W. A., S. 1, 27-29).
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Saarland halt nicht so is`, das vermiss` ich halt. Diese Kiefernwälder überall... und Seen an jeder Ecke. Landschaftlich sehr schön. Zum Motorrad fahren und Baden gehen.³ (Herr R. W.262, S. 2, 4-8)
In dem Interviewausschnitt wurde ein weiterer Aspekt der primärsozialisierten Landschaftswahrnehmung deutlich: die individuelle Funktionalisierung der Landschaft. Landschaft wird für die individuellen Ansprüche, in der Regel durch Freizeitnutzung, in Anspruch genommen (bei Herrn R. W. zum Motorrad fahren und Baden gehen). Die Ansprüche an die Landschaft in Form von Freizeitnutzungen werden auch anhand folgender Beispiele deutlich: ÄFür mich bedeutet Landschaft eigentlich mehr im Hinblick auf Erholung und Freizeitgestaltung oder sportliche Aktivitäten, ich jogge, fahre Fahrrad. Landschaft ist für mich mehr das, wie ich sie nutze.³ (S. R., S. 1, 34-36)
Und: ÄPersönlich interessiert mich am Thema Landschaft, dass sie schön ist, dass ich mich darin entspannen kann und dass ich ein bisschen zu gucken habe.³ (Frau M. T.263, S. 1, 23-24)
Gerade der ästhetische Eindruck einer Landschaft, der auch in dem letzten Interviewausschnitt hervorgehoben wurde ist ein wesentliches strukturierendes Merkmal der primären Landschaftssozialisation. Landschaft muss gefallen, schön sein (vgl. hierzu auch die Ergebnisse der quantitativen Befragung in Abschnitt 5.2). Vielfach wird der ästhetische Aspekt sogar landschaftskonstituierend, wie im Beispiel von Frau W. O.264: ÄDa würde ein Bach dazu gehören, Wiesen, Hügel, Berge, Bäume, Felder auch, also Ackerbau. So im Wechsel, die goldenen Felder im Herbst. Das ist schön.³ (Frau W. O., S. 1, 28-39)
Die Konstruktion einer schönen Landschaft gemäß der primären Landschaftssozialisation zeigt sich dabei häufig an exemplarischen Bezügen: ÄSchönheit, da sehe ich grad` den Bliesgau vor mir, das ist für mich schon wichtig. Der Bliesgau, der erinnert mich so an die Schwäbische Alb, das ist schön.³ (Herr H. T.265, S. 1, 50-51)
Oder: ÄIch bin gern in der unberührten Landschaft. Oder sagen wir `mal... irgendwo zu sein, wo ich einfach glücklich bin. Das ist schön. Das kann in der Provence sein, das kann im Saarland sein, im Bliesgau, oder in den Vogesen. So, dass ich das Gefühl habe: Das ist stimmig. Die Vögel 262
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Herr R. W. ist Mitte 30, geboren und aufgewachsen in Brandenburg. Er ist gelernter Maschinenbauer und heute Industriemeister. Herr R. W. ist heute wohnhaft in östlichen Saarland. Als größte Herausforderung für das Saarland sieht er den Zusammenschluss mit Rheinland-Pfalz. Frau M. T. ist Ende der 1960er Jahre in Baden-Württemberg geboren, hat Jura studiert und ein Aufbaustudium in Europarecht absolviert. Sie ist tätig bei einem juristischen Dienstleistungsunternehmen im Saarland. Frau M. T. ist wohnhaft in Saarbrücken. Für Frau M. T. ist der Strukturwandel die größte Herausforderung für das Saarland. Frau W. O. ist Anfang 30, geboren in Baden-Württemberg, wohnhaft in Saarbrücken. Beruflich ist sie im Landesdienst als Juristin tätig. Werte, die Frau W. O. künftig stärker berücksichtigt sehen möchte, sind Toleranz, Mitmenschlichkeit und Güte. Herr H. T. ist Mitte der 1940er Jahre geboren. Heute ist er Rentner. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Malermeister war er als Arbeitserzieher tätig. Herr H. T. wohnt in einem Eigenheim in Neunkirchen/Saar. Sein Hobby ist die Fotographie. Als wesentliche Herausforderung sieht er die Eindämmung der Zersiedlung und den Erhalt des Waldes.
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zwitschern, die Sonne scheint, es riecht irgendwie gut. Die ganzen Sinne sind irgendwie ausgefahren.³ (Frau F. R.266, S. 1, 26-30)
In der Äußerung von Frau F. R. wird deutlich, dass sich Landschaft, in diesem Falle Äschöne Landschaft³, nicht auf optisch wahrnehmbare Elemente beschränken lässt, sondern auch über andere Sinne, hier explizit, dem Geruchssinn, wahrgenommen wird (hierzu siehe auch die Ergebnisse der quantitativen Befragung in Abschnitt 5.2)267. Der primärsozialisierte Landschaftsbegriff bezieht sich im Wesentlichen auf den ländlichen Raum, wobei Natürlichkeit eine wesentliche Bedeutung hat: ÄAlso, wenn ich an Landschaft denke, ist das erste für mich wirklich Natur. Aber im Grunde ist ja alles Landschaft, da gehört Stadt, Ballungsraum auch dazu. Aber Natur ist das, was ist jetzt am ehesten damit verbinden würde.³ (Frau M. T., S. 1, 47-49)
Dass mit Landschaft nicht (ausschließlich) wilde Natur verbunden wird, macht der folgende Interviewausschnitt deutlich. Auf die Frage, was für sie Landschaft ausmachte, antwortete beispielsweise Frau H. V. 268: ÄDas Abwechslungsreiche. Nicht nur Wald, nicht nur Wiese, Landwirtschaft. Von allem etwas.³ (Frau H. V., S. 1, 29-30)
Um aus vielfältigen räumlich angeordneten Objekten eine Landschaft zu machen, bedarf es für die Befragten einer relationalen Anordnung, wie die Aussage von Frau S. R.269 exemplarisch belegt: ÄWie sie angeordnet ist, das es eben nicht schmutzig ist, sondern gepflegt... das muss aber auch nicht parkartig sein... oder so ähnlich. Das kann auch asymmetrisch sein, das es eben für mich schön ist, dass es nicht schmutzig ist. Das es nicht chaotisch ist... das müsste ich aufmalen... also das müssen jetzt keine gepflegten Felder sein oder so, das kann ein wunderschöner See sein, der wild umwachsen ist. Mit Bäumen drumrum... allerdings wenn dann wieder eine Straße durchgeht, dann stört das das Bild wieder, also: die Anordnung.³ (Frau S. R., S. 1, 28-33)
Fazit: Wesentliche Quelle der primären Landschaftssozialisation ist die direkte Erfahrung (vergleich hierzu auch die Ergebnisse des quantitativen Studienteils). Diese wird zunächst durch signifikante Andere im Sinne Meads (1980) vermittelt, später durch selbständige Aneignungsprozesse, auch im Zusammenhang in der Gemeinschaft der peer-groups, ergänzt. 266
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Frau F. R. ist Juristin und tätig in einem Software-Unternehmen. Sie ist Mitte 30. Stammt aus der östlichen Pfalz. Ihr Wohnort ist Saarbrücken. Als wesentlichen Wert nennt sie Respekt von anderen Menschen. Wobei das dargestellte primärsozialisierte Landschaftsbild eines ländlich geprägten Raumes nicht von allen nicht professionell mit Landschaft befassten geteilt wird: ÄGut ist halt `ne Frage, wie sie [die Landschaft; Anm. O. K.] geprägt ist. Industriekultur zum Beispiel, das ist auch Landschaft. Das irgendwo so zu nutzen, dass es wieder nutzbar ist. Oder wenn die Stadt schön grün ist, nicht nur Beton, wie Berlin oder Saarbrücken. Das schon ein paar Grünflächen dabei sind, oder Parkanlagen.³ (Herr R. W., S. 1, 29-32). Frau H. V. ist Mitte der 1940er Jahre in Nordrhein-Westfalen geboren, sie hat eine Lehre als Krankenschwester und als Beschäftigungstherapeutin absolviert. Frau H. V. ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnhaft in Neunkirchen/Saar. Heute ist sie Rentnerin. Für Frau H. V. besteht die größte Herausforderung für das Saarland in der Schaffung von Arbeitsplätzen. Frau S. R. ist Anfang 30. Geboren wurde Frau S. R. in Saarbrücken. Nach dem Abitur in Saarbrücken machte sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Nach mehreren Jahren im Ausland kehrte sie aus privaten Gründen ins Saarland zurück, wo sie in einem ortsansässigen Hotel tätig ist. Als wichtigen Wert nennt sie Tradition.
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Die bewusste Konnotation von Landschaft und Heimat wird begünstigt durch die Konstituierung der Differenz von heimatlicher Landschaft und anderen Landschaften. Heimatliche Landschaft wird insbesondere dann wert geschätzt, wenn diese Differenz bewusst reflektiert wird. Die Entwicklung eines Landschaftsbewusstseins kann jedoch dann stark modifiziert werden, wenn in der primären Landschaftssozialisation Flexuren und Brüche entstehen, die aus einem stark spezialisierten anderweitigem Interesse oder auch durch räumlich-biographische Faktoren bestimmt sein können. Ein wesentliches Element des primärsozialisierten Landschaftsbewusstseins ist die Funktionalität von Landschaft für die eigene Raumnutzung. Diese findet in der funktional differenzierten Gegenwartsgesellschaft in erste Linie in Form von Freizeitaktivitäten statt. Neben einer kulissenhaften Bedeutung (dominierend bei eher sportlich orientierten Aktivitäten) kommt ihr eine erhebliche, sie sogar konstituierende ästhetisch-emotionale Bedeutung zu. Ein Raum wird in der Regel dann (emotional) als Landschaft etikettiert, wenn er ästhetische Qualitäten besitzt. Bei der ästhetisierenden Konstruktion von Landschaft sind drei wesentliche Aspekte entscheidend: Natur, Abwechslungsreichtum, Anordnung. 5.3.2.1.2 Sekundäre Landschaftssozialisation Als sekundäre Landschaftssozialisation sei die systematische Aneignung differenzierter landschaftserklärender und -gestaltender Kenntnisse, zumeist im Erwachsenenalter, verstanden. Der sekundärsozialisierte Landschaftsbegriff bzw. das sekundärsozialisierte Landschaftsbewusstsein wird in der Regel durch Hochschul- oder Fachhochschulstudium vermittelt. Der Unterschied zwischen primärer und sekundärer Landschaftssozialisierung wird in dem Interviewausschnitt der Physischen Geographin K. U. deutlich: ÄIm Studium ist mein Landschaftsempfinden nun doch ganz stark verstärkt worden. Das muss ich schon sagen... eigentlich habe ich mir das erst da bewusst gemacht« überlegt, warum die Landschaften so aussehen, wie sie aussehen. Vorher habe ich das einfach so hingenommen, mich davon beeindrucken lassen und im Studium bin ich dann zum ersten Mal so analytisch drangegangen. Eben an die Frage: Warum sieht es so aus, wie es aussieht, und das geht mir heute eigentlich immer noch so. Ich denke jetzt: Sieh` an, diese Schichtstufe!³ (Frau K. U., S. 2, 612)
Mit dem Studium des landschaftsbezogenen Faches Geographie werden also analytische Kenntnisse vermittelt, angeeignete physische Landschaften in ihren Bestandteilen zu bewerten. Dieses Bewerten und Analysieren steht bisweilen im implizit bzw. explizit geäußerten Gegensatz zum emotionalen Landschaftserleben der primären Landschaftssozialisation. Der Biologe Z. G.270 äußerte beispielsweise auf die Frage, welche Bedeutung Schönheit für seine persönliche Wahrnehmung einer Landschaft habe folgendermaßen: ÄEine eher geringe, ich neige eher dazu, sie zu funktionalisieren, dass ich sehe: Was wächst da, was läuft da `rum... eher die Blickrichtung des Biologen.³ (Herr Z. G., S. 2, 18-19)
270
Herr Z. G. ist Mitte 30 und ist im Saarland aufgewachsen. Seit wenigen Jahren ist er im Landesdienst für Regionalentwicklung tätig. Er ist ledig und hat keine Kinder. Für ihn ist Ehrlichkeit ein zentraler Wert.
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Seinen sprachlichen Ausdruck findet der interpretierende Umgang mit Raum, der durch die sekundäre Landschaftssozialisation vermittelt wird, im Begriff des ÄLesens von Landschaft³, der häufig in Interviews explizit genannt, häufig implizit umschrieben wird. Ein Beispiel ist der Interviewauszug mit der Anthropogeographin A. T.271: ÄMir hat beispielsweise das Geographiestudium sehr geholfen, Landschaft überhaupt zu verstehen. Dass heißt, wenn ich heute in Landschaft gehe, nehme ich ganz viel wahr. Also, Landschaftsformationen, die auf bestimmte Klimaveränderungen hindeuten, wie sich der Fluss in einer Landschaft entwickelt hat... also, ich kann Landschaft lesen. Und dieses Lesen von Landschaft hat eine eigene Qualität, weil ich damit viel tiefer in Landschaft eindringe, und das ist eine Qualität.³ (S. 5, 35-42)
Die interpretative Betrachtung des Landschaft-Lesens ist ein wesentlicher Aspekt der Abgrenzung der primären und der sekundären Landschaftssozialisation, wie beispielsweise der Interviewauszug mit dem Anthropogeographen K. E.272 verdeutlicht: ÄWenn ich von der Geschichte einer Landschaft ausgehe, dann sind es die Aspekte des Geworden-Seins der Landschaft, weniger einer vorfindbaren Ästhetik, oder Landschaftsgestalt, oder die Landschaftsgestalt, die tritt zurück hinter das Wissen um Landschaft.³ (Herr K. E., S. 1, 2326)
Ein wesentliches Element des Landschaft-Lesens ist dabei die vergleichende Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Landschaften, das Abgrenzen von Landschaften untereinander. Nicht allein die Art und Methode der Abgrenzung, auch die sekundärsozialisierte Beobachtung und Interpretation von Landschaft ist dabei hochgradig selektiv und fachspezifisch. Herr W. Z.273 ist Biogeograph und interpretiert den Begriff der Landschaft folgendermaßen: ÄAlso, ich habe ja eben schon gesagt, und das kommt vielleicht von meiner Ausbildung als Biogeograph, dass ich Landschaften voneinander abgrenze anhand von Ökosystemen. Also, Landschaft Wald, Landschaft Offenland. Natürlich kann man auch das Mosaik der verschiedenen Ökosysteme als Landschaft bezeichnen. Daher gehe ich mit dem Landschaftsbegriff so um, dass ich verschiedene Landschaften im Saarland, in Europa für mich wahrnehme.³ (Herr W. Z., S. 1, 41-46)
In ökologischer (hier biogeographischer) Denktradition werden Landschaften als Ökosysteme interpretiert, die sich voneinander abgrenzen lassen. Ähnlich kommt dies auch bei dem Biologen H. I. 274 zum Ausdruck, der sich dabei einer fachspezifischen Metaphorik bedient: 271
272
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274
Frau A. T. ist Anfang 40, Diplom-Geographin, hat in Saarbrücken studiert und wohnt in Saarbrücken. Seit Ende der 1980er Jahre arbeitet sie als selbstständige Raumplanerin. Frau A. T. betreut insbesondere internationale Projekte. Die größte Herausforderung für das Saarland ist für Frau A. T. die Überwindung der Strukturkrise. Eine zentrale Bedeutung hat für sie dabei die Beteiligung der Bürger. Herr K. E. ist Anfang 50 und freiberuflich tätig als Geograph und Planer in den Bereichen Regionalentwicklung und Forstentwicklung. Als zentralen Wert für die Zukunft nennt Herr K. E. die ÄGleichwertigkeit von Geben und Nehmen³ (Herr K. E., S. 3, 11). Herr W. Z. ist Mitte 40, verheiratet, hat zwei Kinder, und ist wohnhaft in Saarbrücken. Herr W. Z. hat ein umweltwissenschaftliches Fach in Saarbrücken studiert und promoviert. Seit rund 20 Jahren ist er Bediensteter einer obersten Landesbehörde. Von besonderer Bedeutung für Herrn W. Z. sind Ädie Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Bewahrung der Ressourcen³ (Herr W. Z., S. 1, 20-21). Herr H. I. ist Mitte 50. Herr H. I. ist Umweltwissenschaftler. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er Bediensteter des Saarlandes. Er befasst sich mit Naturschutz und Landschaftsplanung. Die größte Herausforderung für das Saarland sieht Herr H. I. in der Bewältigung der Folgen des demographischen Wandels.
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ÄJa, die Charakteristik, dass ich also [Landschaften, Anm. O. K.] abgrenzen kann, als funktionale oder optische Einheit, in einem Gesamten. So wie ich in einer Zelle Kompartimente, Zellkern, Mitochondrien und so weiter unterscheiden kann, kann ich auch in der Landschaft Zellen insofern unterscheiden... aber auch als Landschaften, das wäre nur eine Frage der Dimension.³ (Herr H. I., S. 2, 27-30)
Dominiert bei den beiden vorangegangenen Beispielen deutlich ein naturwissenschaftliches Landschaftsverständnis, so wird Landschaft auch aus sozialwissenschaftlichem Blickwinkel von der Anthropogeographin A. T. betrachtet: ÄLandschaft ist aus meiner Sicht eine sehr komplexe Größe, diese Größe hat nicht nur eine physische, sondern auch eine ganz klar soziale Dimension und eine historische Dimension. Das, was ich heute sehe, ist ja ein Konglomerat, all dessen, was abgelaufen ist, was dazu geführt hat, dass sich Landschaft so herausbildet, das heißt, ich habe immer eine direkte Verbindung auch zur Gesellschaft. Und somit ist Landschaft nicht nur etwas, das ich faktisch erfahren kann, sondern auch etwas, das sich sozial erfahren kann.³ (Frau A. T., S. 1, 33-39)
Herr W. A. erweitert den Begriff der Landschaft zu dem um soziales und kulturelles in der natürlichen Landschaft: ÄAlso, das ganze bäuerliche Dasein, auch das Sehen und Fühlen der Menschen, und ihre Gedichte und ihre Wegkreuze und ihre Poesie und ihre Lieder, all das gehört natürlich zu einer natürlichen Ausstattung einer Landschaft dazu.³ (Herr W. A., S. 3, 15-17)
Die Ausprägung einer selektiven Landschaftsbeobachtung durch die sekundäre Landschaftssozialisation in der fachlichen Ausbildung wird von den Befragten, die sich einer sekundären Landschaftssozialisierung unterzogen haben, teilweise implizit, teilweise explizit thematisiert, wie beispielsweise bei dem Agraringenieur G. A.: ÄDas ist ja die Eigenart des Menschen, die selektive Wahrnehmung... die selektive Betrachtungsweise. Ein Landwirt und ein Stadtplaner betrachten Landschaft mit ganz verschiedenen Augen. Das steht für mich außer Frage, dass jedes Individuum sozusagen Landschaften oder Ausschnitte von Landschaften anders betrachtet, anders bewertet. Sicherlich gibt`s da einen gemeinsamen Grundrahmen, an dem man sich orientiert. Aber die individuellen Einschätzungen, die dürften dann doch ganz erheblich voneinander abweichen.³ (Herr G. A.275, S. 2, 34-40)
Die sekundäre Landschaftssozialisation wird in ihrer Selektivität vereinzelt reflektiert und kritisch hinterfragt, wie durch den Architekten B. S.: ÄWenn man sich dann entscheidet, Architektur zu studieren, bekommt man dann ein ganzes ästhetisches Konzept um die Ohren gehauen... oder sagen wir mal: Ästhetische Konzepte in der Anzahl wie es Professoren gibt, an der Fakultät, an der man studiert.³ (Herr B. S., S. 3, 3-6)
Die Normativität zur Übernahme des sekundärsozialisierten anstelle der Beibehaltung des primärsozialisierten Landschaftsbewusstseins im Fachstudium (hier der Geographie) wird bei Frau S. B. in der Antwort auf die Frage, ob es auch Nicht-Landschaften gäbe, deutlich:
275
Herr G. A. ist Mitte 50. Er ist bei der Regierung des Saarlandes bedienstet und für die Entwicklung ländlicher Räume zuständig. Künftig wünscht sich Herr G. A. ÄEigenverantwortung, die Selbsterkenntnis, das Wissen um die eigene Kraft, das Wissen um die eigene Dynamik und weniger Selbstbedienungsmentalität³ (Herr G. A., S. 1, 23-25).
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ÄMaximal große Wasserflächen, aber selbst Brachen, auch Industriebrachen, auch Stadtlandschaften... ich habe ja Geographie studiert, und da bekommt man das ja eingetrimmt. Wie das so wäre, wenn ich nicht Geographie studiert hätte, weiß ich nicht.³ (Frau S. B.276, S. 2, 12-15)
Das fachliche, sekundärsozialisierte Landschaftsbewusstsein ist jedoch in der Regel nicht das ausschließliche bei jenen, die eine sekundäre Landschaftssozialisation durchlaufen haben. Vielmehr wird, sobald das fachliche Interpretationsschema von Landschaft nicht mehr greift bzw. der fachliche Kontext nicht gegeben ist, auf primärsozialisierte Interpretationsschemata von Landschaft zurückgegriffen, wie dies explizit von Herrn G. A. auf die Frage geäußert wird, wie sich das professionelle von dem laienhaften Verständnis von Landschaft unterscheide: ÄDer professionell mit Landschaft Befasste, der wir seine Maßstäbe immer professionell anlegen, natürlich schwingen da immer persönliche Empfindungen mit, man ist ja auch Privatmensch, man ist ja nicht immer im Dienst... Experten haben aber die Möglichkeit, Landschaft aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ein Aspekt der bei der Privatperson nicht so entscheidend sein würde.³ (Herr G. A., S. 4, 40-45)
Die unterschiedlichen Rollen in Hinblick auf die Betrachtung werden auch bei folgendem Ausschnitt des Interviews mit dem Agrarwissenschaftler G. X.277 deutlich: ÄLandschaft wird von mir zunächst einmal beurteilt ± als Privatperson, nicht als Wissenschaftler ± nach dem Schönheitseindruck, den ich habe. Nicht nach der Wirtschaftskraft, die sie hat, nicht nach der Umweltleistung, die sie erbringt, sondern wie sie auf mich als Objekt schön wirkt, vergleichbar, wie ich eine Skulptur oder ein Bild betrachte.³
Einerseits wird aus dieser Äußerung die enge Verbindung der Ästhetik einer Landschaft mit jener eines Kunstwerks deutlich, wie sie auch vielfach als konstituierend für die Wahrnehmung eines Raumes als Landschaft angenommen werden kann (vergleiche Abschnitt 3.2.1), andererseits lässt der Interviewausschnitt auf eine hohe Kommensurabilität von primärsozialisiertem und sekundärsozialisiertem Landschaftsbegriff bei Herrn G. W. schließen. Eine solche Vereinbarkeit innerhalb des eigenen Landschaftsbegriffs ist nicht für alle Interviewten charakteristisch. So antwortete Herr W. Z. auf die Frage, was seiner Meinung nach aus einem Teil der Erdoberfläche bzw. aus einer Gegend für Sie eine Landschaft mache, wie folgt: ÄGut auf der einen Seite abgeschlossene Ökosysteme, auf der anderen Seite das, was ich wahrnehme. Und das ist dann unter Umständen die Gesamtheit der verschiedenen Landschaftsteile, der Ökosysteme. Dadurch habe ich schon einen Widerspruch, natürlich, zu dem was ich vorhin gesagt habe... der wurde jetzt offenkundig. Auf der einen Seite habe ich ja Landschaften als Ökosysteme definiert, auf der anderen Seite... wenn ich das Fenster heraus sehe, guck` ich in die Landschaft und sehe dann hier eine Stadtlandschaft. Gucke an den Häusern vorbei und sehe den Bliesgau zum Beispiel, oder sehe den Wald des Saarkohlenwaldes... das ist ein Widerspruch, geb` ich zu!³ (Herr W. Z., S. 2, 12-19) 276
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Frau S. B. ist Mitte 30 und wohnhaft in Saarbrücken. Geboren und aufgewachsen ist sie im Nordsaarland. Frau S. B. ist als Diplom-Geographin in der Regionalentwicklung tätig. Für Frau S. B. ist die Bewältigung des Strukturwandels die zentrale Herausforderung für das Saarland. Herr G. X. ist Mitte 60. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre promovierte er in Göttingen und absolvierte danach verschiedene Forschungs- und Lehrtätigkeiten im In- und Ausland. Nach seiner Tätigkeit als Professor in Göttingen, erhielt er Anfang der 1980er Jahre eine Professur in Stuttgart-Hohenheim. Künftig wünscht sich Herr G. X. mehr Gemeinschaftssinn und Gemeinschaft.
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Der Widerspruch zwischen primär- und sekundärsozialisierter Landschaft, der hier angesprochen wird, erscheint lediglich aus der Perspektive der Moderne, mit deren Prinzip der Konstruktion von Eindeutigkeit, problematisch. Aus postmoderner Perspektive hingegen erscheint die Konstruktion eines monovalenten Landschaftsbegriffs nicht zwingend, vielmehr ist hier eine reflexive Ausweitung des Landschaftsbegriffs zur Polyvalenz durchaus erstrebenswert. Eine reflexive (Wieder-)Erschließung eines ästhetisierenden primärsozialisierten Landschaftsbegriffs während oder nach erfolgter sekundärer Landschaftssozialisation findet sich bei einer Vielzahl von Interviewten. So erklärt der Geograph S. M.: ÄIch hab` früher Landschaft unter funktionalen Gesichtpunkten gesehen, häufig auch eingefärbt unter dem Gesichtspunkt Biodiversität, ich nehme Landschaft auch zunehmend unter ästhetischen Gesichtspunkten wahr. Sowohl was Strukturen angeht, als auch was jahreszeitliche Wechsel angeht, was Farbenspiel angeht, hat bei mir heute eine wesentlich größere Bedeutung, als das vor 10, 15 Jahren der Fall war.³ (Herr S. M., S. 2, 17-22)
Der Biologe M. B. sieht zwischen naturwissenschaftlicher Betrachtung und einer schönen Landschaft zwar intentional einen Unterschied, während er beide extensional für deckungsgleich hält 278: Ä[...] Und wenn eine Landschaft schön ist, dann setzt man sich auch für ihren Erhalt und ihre Entwicklung ein. Bei mir kommt jetzt hinzu, durch mein naturwissenschaftliches Weltbild, das der Schönheitsgedanke, der Schönheitsblick in einer Landschaft identisch ist mit den ökologischen Notwendigkeiten oder den ökologischen Prinzipien einer Landschaft.³ (Herr M. B., S. 2, 20-24)
Gerade die Funktionalisierung der Landschaft, oder allgemeiner: des Raumes, und ihrer bzw. seiner Elemente, wie sie im Studium vermittelt wurden, stehen bisweilen in der Kritik seitens der Befragten, da sie einen ganzheitlichen Blick auf Landschaft nicht zuließen. Ein Beispiel dafür ist folgender Interviewausschnitt von Herrn W. A., der auf die Frage antwortet, ob und inwiefern sein Studium zur Ausprägung seines Landschaftsverständnisses beigetragen habe: ÄDas Forststudium gar nicht, weil die Forstprofessoren nicht in der Lage waren, Landschaft zu erklären, die haben immer nur den Baum gesehen. Da bin ich zwar zu den forstwirtschaftlichen Praktika im In- und Ausland« Da bin ich zwar in unterschiedlichste Landschaften der Welt gefahren, nach Südamerika, nach Amerika, nach Finnland, nach Frankreich, aber das war so ein Privatbezug, so habe ich mir da das Landschaftsbild privat zusammen gesetzt, während ich tagsüber Bäume pflegen, vermessen, umhauen oder sonst was musste.³ (Herr J. W, S. 3, 1-7)
Fazit: Die zumeist durch ein Fachstudium erworbene sekundäre Landschaftssozialisation lässt sich als fachbezogen selektiv und in der Regel analytisch-rationalistisch charakterisieren. Ein zentraler Begriff der sekundären Landschaftssozialisation ist das analysierende ÄLandschaften-Lesen³, das im Gegensatz zum emotionalen primärsozialisierten ÄLandschaftenErleben³ steht. Intentional ist Landschaft, interpretiert mit Hilfe sekundärsozialisierter Differenzschemata, auf Relationalität von Elementen reduzierbar, extensional wird sie jedoch sehr unterschiedlich gefasst. Der Unterschied von Naturzentriertheit und Soziozentriertheit ist da278
Diese Strategie lässt sich auch als ± der modernen Denktradition verpflichteten ± Konstruktion einer Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit interpretieren.
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bei ein wesentliches Merkmal der differierenden Ausprägungen von sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein. Bei einer naturwissenschaftlichen sekundären Landschaftssozialisation wird ein sehr starker selektiver Objektbezug (als Ökosystem, oder geologische Einheit) des Konstruktes Landschaft deutlich, der Einfluss der Gesellschaft wird lediglich modifizierend in der angeeigneten physischen Landschaft wahrgenommen und bewertet. Bei einer eher sozial- oder kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der sekundären Landschaftssozialisation steht eher das Rückkopplungsverhältnis von Gesellschaft und angeeigneter physischer Landschaft im Vordergrund des Interesses. Aufgrund der starken Selektivität der sekundären Landschaftssozialisation werden Landschaftszusammenhänge, die nicht über die jeweilig sekundärsozialisierten Landschaftsinterpretationsschemata fassbar sind (z.B. Schönheit von Landschaft durch die Biologie), gemäß primärsozialisierten Interpretationsschemata behandelt. Die Reflexion seitens der Befragten dieser Mehrschichtigkeit des eigenen Landschaftsbegriffs lässt mehrere Umgangsstrategien erkennen: 1. Ausblendung des primärsozialisierten Landschaftsbegriffs bzw. Zuschreibung von Irrelevanz gegenüber diesem. 2. Bedrückung, ob der scheinbaren Widersprüchlichkeit des eigenen Landschaftsbegriffs. 3. Gleichsetzung von Schönheit von Landschaft mit ökosystemischen Bezügen. 4. Akzeptanz der Polyvalenz eigener Landschaftsbegriffe. 5. Bemühung um Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein. Die starke Selektivität der sekundären Landschaftssozialisation wird dabei insbesondere den Interviewten des fünften Typs kritisch reflektiert. Gerade bei diesen ± dem vielfach exklusivistisch angelegten sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstsein ± kritisch gegenüberstehenden Befragten lässt sich eine reflektive Hinwendung zu einem primärsozialisierten Landschaftsbild ± als Grundlage für eine Synthese mit zum sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstsein ± feststellen. Von den Befragten des vierten Typs unterscheiden sich die des fünften Typs dadurch, dass jene den Mehrebenenbezug ihres Landschaftsbewusstseins zwar als gegeben anerkennen, aber nur geringe Tendenzen der Synthese ihres Landschaftsbegriffs aufweisen. Während die Befragten der Typen eins, zwei und drei in moderner Denktradition um die Einheit ihres Landschaftsbegriffs bemüht sind, findet sich bei jenen des vierten und fünften Typs zumindest eine Akzeptanz der Mehrdimensionalität des eigenen Landschaftsbegriffs, wenn nicht gar eine Reflexion mit Synthesebemühungen. 5.3.2.1.3 Die Beurteilung des Konstruktes Landschaft von Laien durch Experten Allgemein lässt sich bei jenen, die beruflich unterschiedlichste landschaftsrelevante Tätigkeiten ausüben eine Dominanz des sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins, bei jenen, die nicht professionell mit dem Thema Landschaft befasst sind das Vorherrschen primärsozialisierter Landschaftsbewusstseinselemente, nachvollziehen279. 279
Gerade in sozialwissenschaftlich ausgerichteten teilen Naturschutzforschung wurde das unterschiedliche Bild von Natur von Experten und Laien untersucht. Hinsichtlich der sozialen Konstruktion von Natur arbeiten Kiel/Wilczek/Wilde (1992) in einer quantitativen und qualitativ angelegten Studie eine Differenz des Natur-
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Den Unterschied die daraus resultierenden Konsequenzen zwischen expertenhaftem und laienhaftem Landschaftsbewusstsein interpretieren die Befragten ± in Abhängigkeit von ihrem dominierenden Wertesystem ± durchaus in verschiedener Dimension. Während in moderner Denktradition ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Laien und Experten konstruiert wird, weisen eher inklusivistisch denkende Personen einerseits auf einen fließenden Übergang zwischen den Perspektiven von Experten und Laien hin, andererseits erkennen sie die Mehrdimensionalität der landschaftlichen Wahrnehmung bei Experten an. Zunächst sei ein Beispiel für die exklusivistisch-moderne Position aufgezeigt: ÄAlso, der professionelle Zugang ist sicherlich derjenige, der sich im Bereich seiner Ausbildung, sei es im Bereich der Biologie, der Geographie, der Agrarwissenschaften und so weiter mit Teilen der Landschaft und ihrer Nutzung beschäftigt. Und [da ist der Unterschied zu; Anm. O. K.] dem Laien, der im Grunde genommen nur aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus, nicht aus dem Studium, aus wissenschaftlichen Kenntnissen, sondern nur aus seinen persönlichen Grundkenntnissen, die Landschaft sieht und sich zu eigen macht. Da sind schon Unterschiede!³ (Herr R. O., S. 4-5, 48-51 und 1-2)
Auf die gleiche Frage nach den Unterschieden zwischen einem expertenhaften und laienhaften Landschaftsbegriff, wurde aus inklusivistisch-postmoderner Perspektive beispielsweise folgendermaßen geantwortet: ÄIch denke, der Landschaftsprofi geht immer im Widerstreit zwischen seinen Gefühlen, seiner spontanen Intuition und dem, was er als professionelles Rüstzeug mit sich bringt, an eine Landschaft heran. Also, nie nur professionell, sondern immer auch intuitiv, gefühlsbetont, aus der eigenen, persönlichen Geschichte heraus. Das gibt natürlich eine ganz spezifische Mischung des Landsschaftwahrnehmens und des Umgangs mit Landschaft. Der Landschaftslaie, er kann sich seiner individuellen Wahrnehmung vollständig widmen, ohne dass eine vollständige Reflexion eintritt. Er sieht Landschaft eher als Gesamteindruck. Möglicherweise auch ganz selektiv, aber was ihn ausmacht, das bringt er auch in der Wahrnehmung von Landschaft auf den Punkt.³ (Frau Z. A., S. 5, 22-30)
So differierend die Einschätzung der Unterschiede des Landschaftsbewusstseins von Experten und Laien ist, so verschieden sich auch die Einschätzungen hinsichtlich der Frage ob und inwiefern Laien landschaftliche Zusammenhänge stärker vermittelt und verdeutlicht werden sollten. Der Architekt Z. A. stellt mit seinem Laisser-faire-Prinzip eine Extremposition hinsichtlich dieser Frage dar: ÄNicht unbedingt. Ich halte das nicht für dringend, dass die da ihr Weltbild ändern.³ (Herr Z. A., S. 4, 43)
Einen sehr stark pädagogisch orientierten Ansatz vertritt dagegen der Geodät R. O.280:
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bildes zwischen Naturschützern heraus, wobei Naturschützern ein deutlich differenzierteres Naturbild als Nicht-Naturschützern attestiert wird. Ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Stellung des Menschen im Verhältnis zur Natur wird dabei konstatiert: Während Nicht-Naturschützer dazu neigen, den Menschen in das Naturkonzept zu integrieren und beispielsweise agrarische und forstwirtschaftlich genutzte Landschaften als Natur verstehen, sehen Naturschützer häufig den Menschen als außerhalb der Natur stehend an. Eine zusammenfassende Darstellung verschiedener Studien zur sozialen Konstruktion von Natur findet sich bei Meier/Erdmann (2004). Herr R. O. ist Mitte 50, hat Geodäsie studiert und sich in und seit seiner Referendarausbildung vertieft mit Flurbereinigung befasst. Auf die Frage, welche Werte er künftig in zentralerer Bedeutung sehen möchte, äu-
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ÄSie [die landschaftlichen Zusammenhänge; Anm. O. K.] sollten also stärker vermittelt werden. Weil ich glaub` weil sonst der Laie gar nicht versteht, was in der Landschaft vor sich geht. Und was das eventuell für positive oder negative Folgen hat, wobei positive Folgen wird er nicht so wahrnehmen, wobei negative Folgen, die wird er schon wahrnehmen, wobei er hier nicht weiß, welche Entwicklungen zu diesen Ergebnissen geführt haben. Da sollte man es ihm schon irgendwo vermitteln. Wobei man schon darauf achten sollte, dass man es nicht zu kompliziert macht. Das ist wichtig, weil, ansonsten geht`s ja daneben.³ (Herr R. O., S. 5, 18-24)
Konstituierend für die Einstellung von Herrn R. O. ist dabei ein Kenntnisgefälle zwischen Experten und Laien, wobei es den Experten obliegt, positive und negative Entwicklungen zu definieren und normative Handlungsgrundlagen ± auch für Laien ± zu entwickeln, die Laien verständlich zu erklären sind. Auch der Geograph K. E. befürwortet eine Vermittlung von landschaftlichen Zusammenhängen an Laien, wobei er unterschiedliche Expertengruppen identifiziert, die hierzu in Frage kämen: ÄWer auch immer sich dazu berufen fühlt [Landschaftszusammenhänge zu vermitteln]: ja. Das kann der Maler mit seinen Ansichten von Landschaft sein, wie der Naturschützer, der die Lebensansprüche der Tiere und Pflanzen studiert hat, wie auch ein Landschaftsgestalter, der ästhetische Ansprüche beherzigt sehen möchte.³ (Herr K. E., S. 5, 30-33)
Aus seiner grundsätzlichen Kritik des expertenhaften sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins leitet Herr W. A. den umgekehrten Weg, einer verstärkten Hinwendung der Experten zu einem laienhaften Landschaftsbewusstsein, ab: ÄDas expertenhafte Landschaftsverständnis kommt analytisch daher, über die Naturwissenschaften, leider ein eingeschränktes Interpretationsschema. Sie kommen also von den Böden, vom Klima, von der Bewirtschaftung und so weiter, und das laienhafte Verständnis kommt so vom Herzen, vom Heimatgefühl, von der Volkskunde, von der Kindheit. Und meiner Meinung nach sollten sich die Experten das laienhafte Landschaftsverständnis zu Eigen machen, um so ihr Verständnis zu erweitern.³ (Herr W. A., S. 5, 43-48)
An späterer Stelle führt Herr W. A. seine kritische Position weiter aus: ÄIch wüsste nicht, was das bringt, weil für mich die Experten häufig die Attitüde haben, die Laien zu entmündigen. Die Experten sind nur dazu da, spezielle Dinge zu regeln, da brauche ich nicht zu wissen, wie die das machen.³ (Herr W. A., S. 6, 4-6)
Kritisch in Bezug auf die Selektivität des sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins äußert sich auch Herr G. X., wenn auch weniger grundsätzlich: ÄAlso, grundsätzlich freue ich mich über jede Aktivität, die dem Menschen tiefere Einblicke gibt. Gegenwärtig sind wir ja dabei zu erkennen, dass der Mensch auch lernen muss, sich vernünftig zu ernähren. [...] Insofern lässt es sich sagen, dass die Befassung mit Landschaft eine Bereicherung für den Menschen generell ist. Wie es Museumsführungen gibt, genauso gut kann ich mir auch Landschaftsführungen vorstellen, das ist dann eine interessante Frage, ob dafür ausgebildete Führer verfügbar sind. Und da hätte ich vielleicht so`n bisschen meine Bedenken, denn da gibt es, glaub` ich, viele Spezialisten, die zum Beispiel die Vogelwelt genau kennen, ßert Herr R. O.: ÄDie Gesellschaft sollte sich wieder stärker auf die Familien konzentrieren, die im Grunde genommen die wichtigste Keimzelle der Gesellschaft ist. Sie sollte sich darauf besinnen, auf die... Grundrechte und auf die Menschenrechte und nicht alles an wirtschaftlichen Ausrichtungen messen.³ (Herr R. O., S. 1, 18-21)
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oder die Blumenwelt. Also, die Spezialgebiete in der Landschaft, aber ein Landschaftsgeneralist, der das alles erklären kann und einordnen kann in das Landschaftsbild, der ist vielleicht noch gar nicht am Markt.³ (Herr G. X., S. 6, 4-13)
Die von Herrn G. X. geäußerte Position kritisiert deutlich die Selektivität der expertenhaften Landschaftswahrnehmung einerseits, und deren Vermittlung an Laien andererseits, doch hält er an der Überlegenheit des Experten gegenüber dem Laien fest. Sowohl Herr W. A. als auch Herr G. X. hinterfragen die Selektivität des expertenhaften selektiven Landschaftsbewusstseins kritisch; während Herr W. A. eine Hinwendung der Experten zum primärsozialisierten Landschaftsverständnis favorisiert, spricht sich Herr W.G. für eine Aufweitung der landschaftsspezifischen Kenntnisse, über die jeweiligen eigenen Spezialgebiete, aus. Fazit: Das expertenhafte Landschaftsbewusstsein wird durch die sekundäre Landschaftssozialisation erworben und zeichnet sich durch einen hohen Grad an Selektivität aus, der auch im Vergleich zum laienhaften, primärsozialisierten Landschaftsverständnis wahrgenommen wird. Die Frage, ob Laien verstärkt Expertenkenntnisse hinsichtlich der angeeigneten physischen, aber auch gesellschaftlichen Landschaft vermittelt werden sollten, wird sehr kontrovers beantwortet. Unter Bezugnahme der in Abschnitt 5.3.2.1.2 vorgenommenen Typisierung des Umganges mit der bewusstseinsinternen Parallelität von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbegriff lässt sich feststellen, dass Befragte, deren Landschaftsbegriff exklusivistisch-sekundärsozialisiert angelegt ist, eine verstärkte Neigung aufweisen, ein generelles Kenntniswertigkeitsgefälle zwischen Experten und Laien zu konstruieren und aufgrund dessen eine landschaftsspezifische Belehrung von Laien unterstützen. Dagegen neigen Experten mit stärker inklusivistischem Landschaftsverständnis dazu, die Selektivität des sekundärsozialisierten expertenhaften Landschaftsbewusstseins zu reflektieren und dessen stärkere Ausrichtung auf Ganzheitlichkeit anzuregen. Hierzu werden im Wesentlichen zwei Strategien angeregt: Erstens, der Rückbezug auf Elemente des primärsozialisierten Landschaftsbewusstseins, zweitens, eine Verringerung der Selektivität der expertenhaften Landschaftswahrnehmung durch Auffächerung des Kenntnisstandes. 5.3.2.2 Unterschiedliche Aspekte des Konstruktes Landschaft 5.3.2.2.1 Landschaft als gesellschaftliche und angeeignete physische Landschaft Angesichts des hohen Selektivitäts- und Fragmentierungsgrades des Verständnisses von Landschaft und dessen vielfache Reflexion soll im Folgenden die Frage untersucht werden, ob und inwiefern sich die Befragten hinsichtlich der Dualität von angeeigneter physischer Landschaft und deren gesellschaftlicher Konstruiertheit bewusst sind. Hinsichtlich der selektiven Wahrnehmung von Landschaft äußert Frau A. T.: ÄWenn ich darüber nachdenke, kann ich mir vorstellen... Perzeption von Landschaft ist ja eine ganz individuelle Geschichte, und wenn ich mir vorstelle, dass wenn ich in dem Moment Landschaft nicht sehe als faktorenbestimmtes Fliesengefüge, sondern dass ich Landschaft in diesem Zusammenhang als Gesamtqualität erkenne, die maßgeblich davon abhängt, dass ich sie erkenne. Das heißt mit all meinen Perzeptionsfiltern. Und in dem Moment ist das, was ich an Stim-
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mung mitbringe absolut entscheidend für mein Erleben und Erkennen von Landschaft, das heißt, in dem Moment mache ich mir die Landschaft.³ (A. T., S. 3, 5-12)
Noch deutlicher macht Herr H. I. die Differenz von angeeigneter physischer Landschaft und deren individueller und selektiver Konstruktion: ÄIch denke, es werden unterschiedliche Landschaften wahrgenommen. Also, ich stell` mir das vor, als wenn ich jetzt das Sonnenlicht sehe als weißes Licht. Ich könnte jetzt immer verschiedene Brillen anziehen, die immer ein bestimmtes Spektrum herausfiltern, ich würde immer etwas anderes sehen. Und so sehe ich das auch mit zwei Subjekten. Die haben zwei verschiedene Brillen an... vielleicht haben sie auch die gleiche an, und würden auch mit ganz großer Sicherheit auch etwas anderes wahrnehmen. Zumindest gesamtheitlich. Sie werden auch dieselben Objekte wahrnehmen, aber für die Zusammensetzung zu einer Landschaft... dafür wird man sich vielleicht etwas anderes aussuchen und wird das als charakteristisch oder schön oder was auch immer erleben.³ (Herr H. I., S. 3, 7-15)
Mit der Mehrdimensionalität des Landschaftsbegriffs hinsichtlich der Dimensionen der gesellschaftlichen und der angeeigneten physischen Landschaft befasst sich auch Herr K. E.; auf die Frage, ob Landschaft eindeutig sei und wie lassen sich Landschaften voneinander unterscheiden, antwortete er wie folgt: ÄEindeutig und vieldeutig, so wie Menschen, der Stimmungen im Laufe der Jahreszeiten, der Tageszeiten Landschaften erleben können oder aufgrund ihrer geographischen Erfahrungen oder ihrer mitgebrachten Vorprägung Landschaft zu entdecken gewillt oder gewohnt sind.³ (Herr K. E., S 1, 35-37)
Der Bezug, Landschaft primär als angeeignete physische Landschaft und nicht als gesellschaftliche Landschaft zu begreifen, findet an einer späteren Stelle des Interviews mit Herr K. E.: ÄTja, Landschaften sind geworden, bevor es Menschen gegeben hat, aber seitdem es Menschen gibt, haben Menschen Landschaft nach ihren Bedürfnissen beeinflusst, verändert, gestaltet, genutzt.³ (K. E., S. 2, 16-18)
Wird Landschaft im soziologischen Sinne als soziale oder individuelle Konstruktion auf Basis relational räumlich angeordneter Objekte verstanden, ist Landschaft ein Produkt des menschlichen Bewusstseins und kann somit lediglich retrospektiv projiziert werden. Der hier vertretene Ansatz bezieht sich auf ein naturalistisches Landschaftsparadigma, Landschaft existiere unabhängig von dem zu beobachtenden Subjekt und stellt einen impliziten Widerspruch zu dem im ersten Teil des Zitats (Herr K. E., S, 1, 35-37) geäußerten konstruktivistischen Ansatz dar. Insgesamt lässt sich anhand der qualitativen Interviews jedoch feststellen, dass in den meisten Fällen zwar eine grundsätzliche Selektivität in der Wahrnehmung von Landschaft angenommen wird, Landschaft jedoch als ein physisches Objekt außerhalb des menschlichen Bewusstseins angenommen wird. Dies bedeutet: Bis auf Ausnahmen wird Landschaft nicht als Konstruktionsleistung des menschlichen Bewusstseins (insbesondere nicht auf Grundlage sozialer Präformationen) verstanden, sondern als physische Realität.
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5.3.2.2.2 Landschaft und Heimat Wie bereits aus dem quantitativen Studienteil deutlich wurde, ist eine enge Korrelation zwischen den Konstrukten Landschaft und Heimat nachweisbar. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden qualitativ untersucht werden. Die Bedeutung von Landschaft für einen heimatlichen Bezug wird vielfach hervorgehoben, allerdings häufig mit unterschiedlicher Begründung und unterschiedlichem persönlichem Bezug. So konstatiert beispielsweise Herr H. T. allgemein: ÄBei mir ist mit dem Wort Heimat auch sehr stark die Heimatlandschaft verbunden. Landschaft und Heimat, die Begriffe stehen in einem engen Zusammenhang.³ (C. U., S. 2, 50-51)
Auf die Frage, inwiefern ihr die Vertrautheit mit saarländischen Landschaften ein Gefühl der Geborgenheit vermittle, antwortete Frau H. V.: ÄDas tut`s. Aber wodurch... durch die Landschaft, die man hier kennt. In der man sich wohl fühlt. Oder die nähere Umgebung. Auf jeden Fall.³ (Frau H. V., S. 2, 39-40)
In ähnlicher Weise wie Frau H. V. entsteht für Herrn S. R. die persönliche Verbindung von Landschaft und Heimat durch die Vertrautheit mit den heimatlichen Landschaften. Auf die gleiche Frage nach dem Zusammenhang von saarländischen Landschaften und einem Gefühl der Geborgenheit antwortete er: ÄJa, also auf jeden Fall. Ich glaube, dieser Effekt hängt nicht mit der Schönheit der Landschaft zusammen. Ich glaube, dass dieses Heimatgefühl nicht von der Landschaft direkt kommt. Das Heimatgefühl ist in einem drinn`... seine Umgebung prägt einen schon. Also, bei uns: Dieser Wald ist das non plus ultra, bei anderen, ist halt die Wiese wichtig.³ (Herr S. R., S. 3, 27-30)
Bei Herrn S. R. wird ein Zusammenhang deutlich, der sich bei dieser Frage durch eine Vielzahl von Interviews zieht: Heimatliche Landschaft entzieht sich in ihrer emotionalen Bedeutung dem Kriterium der stereotypen Schönheitsnormen zumindest teilweise, entscheidend ist vielmehr der Aspekt der Vertrautheit, der den Schönheitsaspekt dominiert 281. Während also stereotype Schönheit von Landschaft im Wohnumfeld in der Regel eine untergeordnete Bedeutung hat, ist sie für die Wahl des Urlaubsortes durchaus von Bedeutung, wie Herr R. W. auf die Frage, welche Bedeutung landschaftliche Schönheit für ihn habe, verdeutlicht: ÄIm Urlaub muss es stimmen, sonst ist es mir egal. Im Urlaub muss es so sein, dass es stimmt. Und da, wo man wohnt, muss es noch einigermaßen gut sein, aber...³ (Herr R. W., S. 2, 13-14)
Etwas später erklärt er dies genauer auf die Frage, wo er persönlich leben wolle: ÄIch kann auch in die Großstadt ziehen und hab` dann nur einen Baum vorm Haus. Das reicht mir dann auch vollkommen aus. Also, wenn ich ins Grüne will, dann fahr` ich halt aus der Stadt `raus. Aber ständig drin leben, das muss nicht sein.³ (Herr R. W., S. 3, 28-31)
Ebenfalls in Differenz zu den im Urlaub beobachteten Landschaften konstatiert Herr W. Z. auf die Frage zum Zusammenhang von saarländischen Landschaften und einem Gefühl der 281
In diesem Zusammenhang sei auf den quantitativen Studienteil verwiesen: Die als hässlich qualifizierte Industrielandschaft wurde hinsichtlich des auslösenden Gefühls vorwiegend mit dem Gefühl der Zugehörigkeit beschrieben ± mehr als dies die als schön geltenden Landschaften der Fall war.
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Geborgenheit, wobei implizit deutlich wird, dass auch für ihn Heimat und landschaftliche Schönheit keine vollständig kongruenten Begriffe sind: ÄFür mich ist das ein Begriff von Heimat. Hier fühl ich mich zuhause, hier fühl ich mich geborgen, hierher komme ich gerne wieder zurück, aus einem Urlaub im Gebirge, wenn man dort einmal drei Wochen war, und komme dann zurück ins Saarland, dann ist das nicht so, dass ich mich dann unwohl fühle, ganz im Gegenteil... also, ein Stück Heimat, ein Teil davon.³ (Herr W. Z., S. 4, 8-12)
Frau S. V. führt den landschaftlichen Bezug ihres Heimatgefühls begründend und vergleichend aus: ÄDurch die Vertrautheit, weil ich hier geboren bin, sowohl die Stadt als auch das Umland... und dadurch, dass es eben in dem Grenzbereich ist und so abgegrenzt... von dem Rest des Landes und so seinen eigenen Rhythmus hat und seine eigene Mentalität... hat man schon dass Gefühl, weil es auch so klein ist... also auch durch die Kleinheit, da hat man schon mehr ein Gefühl der Geborgenheit als in Baden-Württemberg... Es ist wohl sehr die Vertrautheit.³ (Frau S. V., S. 3, 21-25)
Zentrales Element der Begründung ihres ± sowohl auf die Stadt (Saarbrücken) als auch auf deren Umland bezogenes ± Heimatgefühl ist Zuschreibung spezifischer Elemente für das Saarland. Wesentliche Aspekte sind hierbei die geringe Fläche, das Leben an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg sowie die Abgegrenztheit (von den Metropolregionen durch dünn besiedelte Räume, Gebirge u. a.). Der heimatliche Bezugsraum bezieht sich nicht bei allen Befragten primär auf saarländische Befragte, sondern kann auch darüber hinaus greifen. Auf die Frage nach dem Zusammenhang von saarländischen Landschaften antwortete Herr Z. A.: ÄDen Kreis ziehe ich jetzt nicht nur im Saarland, ich wohne am Rand von Saarbrücken, ich ziehe den Radius da von etwa 70, 80 km um [Ortsname]. Das beinhaltet randlich Rheinland-Pfalz, das betrifft Luxemburg, das betrifft aber in besonderer Weise Lothringen. Die Grenzen des Saarlandes interessieren mich allenfalls beruflich, weil ich in diesen Grenzen zu arbeiten habe. Ansonsten habe ich sogar eine gewisse Neigung das zu meiden. Weil das Saarland recht dicht besiedelt ist, und das ist für mich ein nicht so gutes Revier.³ (Herr Z. A., S. 4, 4-9)
Anhand der Äußerung zu der dichten Besiedlung wird auch der, die Stadt ausschließende, Landschaftsbegriff von Herrn Z. A. deutlich, den er im Verlauf des Interviews des Öfteren verdeutlichte. Der größere heimatliche Raumbezug von Herrn Z. A. ± auch verdeutlicht durch den Ausdruck des ÄReviers³± steht in Verbindung zu seiner Fahrradleidenschaft. Auf ausgedehnten Radtouren durchfährt er die von ihm genannten Gebiete und eignet sie sich dabei reflexiv an. Darüber hinaus wird von einigen Befragten auch ein geringerer Bezug des Heimatbewusstseins an Landschaften als vielmehr an Landschaftselementen geäußert, wie bei Herrn H. I.: ÄAlso, da muss ich sagen, dass ist bei mir dann weniger die Landschaft, da habe ich dann eher einen Objektbezug. Das kann dann ein Geruch sein, da fällt mir dann immer ein, das früher so geölte Böden, in Kirchen oder Schulen... wenn ich so etwas noch einmal wahrnehme, dann habe ich dann sofort noch eine Assoziation noch einmal. Und auch bei Heimat habe ich eben so bestimmte Bilder, aber diese Landschaften gibt es eben nicht mehr so. Und diese Charakteristik, die ist für mich schon entscheidend... da ist das Neunkirchen Eisenwerk, das so nicht mehr da
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ist, oder die Völklinger Hütte oder so... das hat damit zu tun, wenn ich an der Saar entlang gekommen bin und habe die ganzen Hütten gesehen, dann hätt` ich das so formuliert: Dann bin ich zuhause! Also, einfach, weil das da ist, also als Wiedererkennung. Weniger als meine große Liebe, das ist etwas ganz tolles, aber es war einmalig in dieser Situation und es war unverkennbar, es war markant, also als Wiedererkennung. Da hatte ich meinen Platz, da bin ich groß geworden.³ (Herr H. I., S. 4, 15-26)
Auch in dem oben angeführten Interviewausschnitt von Herrn H. I. wird deutlich, dass eine raumbezogene Verbundenheit lediglich nachrangig an stereotype landschaftliche bzw. landschaftselementare Schönheit geknüpft ist, sondern vielmehr an Vertrautheit mit einem hohen persönlichen Wiedererkennungspotenzial. Während die überwiegende Zahl der Befragten eine klare Verbindung zwischen heimatlichem ± in diesem Falle saarländischen ± Bezug und Landschaft für sich herstellten, gab es auch Personen, die für sich solche Verbindung negierten: ÄKeine. Also, ich mag das Gefühl der Weite, wenn ich an der Nordsee bin und dann bis an den Horizont sehen kann... Während, wenn ich im Saarland bin: Entweder sehe ich einen Wald oder eine Bergehalde.³ (Herr Z. G., S. 3, 18-20)
Die Negierung des Zusammenhangs von Heimat und saarländischen Landschaften steht dabei im engen Zusammenhang der Präferenz von Herrn Z. G. von Offen- und Küstenlandschaften, die mit der Ablehnung von Wald- und Industrielandschaften, wie sie im Saarland häufig zu finden sind, einhergeht. Dagegen folgert Herr S.M. aus dem für ihn (und einem Großteil der qualitativ und auch der quantitativ Befragten) konstatierten Zusammenhang zwischen Heimat und Landschaft die Gestaltung von Landschaft als wesentliches Element des Heimatbezuges stärker in das Zentrum des Interesses zu rücken. Die Frage, wie er sich persönlich die künftige Entwicklung der Landschaften des Saarlandes vorstelle, antwortete Herr S. M. folgendermaßen: ÄWir sind jetzt in der Situation zu fragen, wie stellen wir uns die Weiterentwicklung unserer Heimat vor? Das ist ein gesellschaftlicher Prozess und wir haben heute die Möglichkeit, diesen Prozess zu begleiten und auch ein Stück weit zu steuern. Das ist eine Chance für eine Landschaftsplanung, die über eine Grünordnungsplanung entsprechend hinausgeht. Ob wir nun Obstbäume entlang von Straßen pflanzen, oder Mandelbäume, oder Kastanienbäume, das ist eine Frage eben, wie entwickeln wir Landschaften eben weiter. Und dieser Punkt ist in den letzten Jahren eben auch zu selten mit in die Betrachtungen eingeflossen.³ (Herr S. M., S. 4-5, 50-51 und 1-6)
Bereits im ersten Satz wird das ± einer Gleichsetzung nahe kommende ± intensive Rückkopplungsverhältnis von Heimat und Landschaft deutlich. Im Folgenden führt er die seiner Ansicht nach hohe Bedeutung von Landschaft für die Entwicklung der saarländischen Heimat weiter aus, indem er eine begründende Verknüpfung von Heimat und Landschaft als Grundlage für die Planung hervorhebt. Fazit: Zwischen Landschaft und Heimat besteht für die Überwiegende Zahl der Befragten ein Zusammenhang (vergleiche auch den quantitativen Studienteil). Dabei wird das Kriterium der Zuschreibung von stereotyper Schönheit von jenem der Vertrautheit dominiert. Dies gilt sowohl für Landschaften als auch für deren Elemente. Gerade bei der Konnotation von Landschaft und Heimat ist die primäre Landschaftssozialisierung von besonderer Bedeutung, sie 201
stellt eine ± wenn auch nicht immer stereotyp schöne ± Vergleichsbasis für die Befassung mit anderen Landschaften dar. Während die Heimatlandschaften vielfach als gegeben hingenommen und nicht ob ihrer Schönheit hinterfragt werden, gilt dies für Landschaften im Urlaub (oder auch Landschaften, in denen im Erwachsenenalter Wohnorte ausgewählt werden282). Die Befragten, die keinen solchen Bezug zwischen (saarländischen) Landschaften und Heimat herstellten waren eindeutig in der Minderzahl. 5.3.2.2.3 Landschaft zwischen natürlicher und gesellschaftlicher Prägung und deren begriffliche Ausprägungen Landschaftsbewusstsein konstituiert sich zu wesentlichen Teilen im Zusammenhang mit der Beobachtung von Unterscheidungen relational räumlich angeordneter Objekte. Gerade im primärsozialisierten Landschaftsbegriff hat die Beobachtung von Landschaft als räumliche Ausprägung von Natur im Gegensatz zur Stadt einen zentralen Charakter der Konstruktion eines Landschaftsbegriffs. Wie auch Meier/Erdmann (2004) feststellen, werden unter Natur(landschaften) bei Laien im Wesentlichen keine durch Menschen weitgehend unbeeinflussten Räume verstanden, sondern gesellschaftlich deutlich überformte Landschaften, die sich in etwa unter dem Begriff der stereotypen Landschaft zusammenfassen lassen. Während bei Personen, die im Wesentlichen über einen in der primären Sozialisation erworbenen Landschaftsbegriff verfügen, unter ÄNatur³ auch (oder in besonderer Weise) durch Menschen überformte Landschaften verstehen, verfügen Personen mit sekundärer Landschaftssozialisation über die Begrifflichkeiten, diese Zusammenhänge sprachlich zu fassen. Auf die Frage, welche für ihn die wesentlichen Merkmale einer Landschaft seien, antwortete Herr W. A.: ÄDie Merkmale einer Landschaft sind primär die Topographie und die Art der menschlichen Nutzung... hat immer mit menschlicher Nutzung zu tun. Für mich ist Landschaft in der Regel nicht die wilde Landschaft, da bin ich sehr bürgerlich geprägt, sondern die Kulturlandschaft.³ (Herr W. A., S. 1-2, 50-51 und 1-2)
Gerade bei Personen mit einem deutlich ausgeprägten raumwissenschaftlichen sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstsein findet sich vielfach eine stringente begriffliche Abgrenzung hinsichtlich des Naturgradienten innerhalb der Ausprägung der angeeigneten physischen Landschaft, wie bei Herr G. L.: ÄEs gibt da mehrere, aufeinander abfolgende Landschaften, die man daran festmachen kann, indem man sagt: Hier hört die Stadtlandschaft auf, hier fängt die Kulturlandschaft an, die geht über in die Naturlandschaft.³ (Herr G. L., S. 17-20)283 282
Möglicherweise lässt sich die Auswahl einer stereotyp bzw. individuell als schön konstruierten Landschaft als Wohnort als Kompensation für den Verlust des heimatlichen Bezuges in der Landschaft, in der sich die primäre Landschaftssozialisation vollzog (durch Fortzug oder deren Veränderung), erklären. Diese These müsste allerdings noch einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden. Die Fragmentierung von primärsozialisierter und sekundärsozialisierter Landschaft bei der überwiegenden Zahl von Landschaftsexperten wurde bereits in Abschnitt 5.3.2.1.2 behandelt. So unterscheitet ebenfalls Herr G. L.: ÄAlso, Landschaft umfasst alles. Für mich persönlich ist aber Landschaft immer noch die naturräumliche Einheit, die geologische Einheit außerhalb der bebauten Flächen, außerhalb der Stadtregion.³ (Herr G. L., S. 1, 41-43)
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Der Landschaftsbegriff ist bei einzelnen Befragten jedoch nicht allein auf Räume jenseits von geschlossenen Räume beschränkt: Einen sehr weit gefassten Landschaftsbegriff äußert Herr B. S., indem er den Begriff Landschaft nicht nur auf natürliche und gesellschaftlich geprägte relationale Anordnungen außerhalb geschlossener Räume bezieht, sondern auch Teile von Innenräumen mit diesem Begriff belegt: ÄWenn man aufwächst... es gibt ja mehrere Landschaften, es gibt eine Reihe von Landschaften, in Räumen, in Innenräumen und so weiter, was man hier sieht ist im Prinzip eine Landschaft von Aktenmappen... Es gibt andere Leute, die haben andere Landschaften von Aktenmappen, es gibt Leute, die haben aufgeräumte Landschaften... wenn wir jetzt größere Zusammenhänge nehmen von Räumen, nehmen wir zum Beispiel Naturräume, Stadtlandschaften...³ (Herr B. S., S. 1, 45-50)
Überwiegend wird jedoch der innergeschlossenräumliche Bezug des Begriffes Landschaft von den Befragten abgelehnt, wie dies Herr D. H. auf die Frage, ob und inwiefern es seinem Landschaftsverständnis entspräche, auch innerhalb von Gebäuden Landschaft, z.B. von Wohnlandschaft zu sprechen, zum Ausdruck bringt: ÄDa fehlt mir der Bezug zur freien Natur. Das Atmen-Können, es gehört eben auch zwingend dazu, dass man Landschaft unter freiem Himmel erlebt, so dass ich den Begriff für einen geschlossenen Raum nicht gebrauchen könnte. Für mich gehört zwingend dazu, dass man diese Landschaft unter freiem Himmel, in der Natur erleben kann und nicht in einem eingeglasten oder abgeschlossenen Haus.³ (Herr D. H., S, 20-24)
Gerade das Vorhandensein oder das Nicht-Vorhandensein eines innergebäudlichen Landschaftsbegriffsbezugs lässt sich als Indikatorgröße für die Inklusivität und Exklusivität des Landschaftsbegriffs verwenden: Personen mit einem exklusivistischen Landschaftsbegriff lehnen in der Regel eine Ausdehnung des Landschaftsbegriffs auf Innenräume ab, Personen mit einem inklusivistischen Landschaftsbegriff neigen dazu, auch in Innenräumen Landschaften erkennen zu können. Fazit: Unter Landschaft wird als Schnittmenge von primär- und sekundärsozialisierter Landschaft eine Relation räumlich angeordneter kultivierter natürlicher Elemente verstanden. Der sekundärsozialisierte Landschaftsbegriff geht darüber hinaus und umfasst Räume, die weitgehend von der menschlichen Nutzung unbeeinflusst bleiben, bzw. auch städtische und suburbane Räume. Ob und inwiefern auch Innenräume von dem Begriff der Landschaft abgedeckt werden, ist eine Frage eines exklusivistischen oder inklusivistischen Landschaftsverständnisses. Der Landschaftsbegriff von Personen mit einem inklusivistischen umfasst zumeist auch Innenräume, während das bei Personen mit einem exklusivistischen Landschaftsverständnis nicht der Fall ist.
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5.3.2.2.4 Das Konstrukt der Rückwirkung von angeeigneter physischer Landschaft auf den Menschen Die Frage nach dem Einfluss angeeigneter physischer Landschaft auf die Charakteristika und Mentalitäten284 von Gemeinschaften und Gesellschaften ist immer wieder Gegenstand feuilletonistischer, populärwissenschaftlicher und spätestens seit Ratzel (1882) auch wissenschaftlicher Kontroversen. Quasi spiegelbildlich zu diesen sich widersprechenden Aussagen waren auch die Antworten auf die Frage, ob und inwiefern angeeignete physische Landschaften den Charakter und die Mentalitäten von Menschen prägten. Sie reichten von einer deutlichen Zustimmung zu der geodeterministischen These bis zu deren kategorischen Ablehnung. Dabei ergaben sich jedoch unterschiedlich differenzierte Aussagen, die auf eine Mehrschichtigkeit des Verständnisses des Einflussverhältnisses von angeeigneter physischer Landschaft auf Charakter und Mentalität schließen lassen. Die Haltung einer fundamentalen Ablehnung des geodeterministischen Zusammenhanges von angeeigneter physischer Landschaft und Mentalitäten und Charaktereigenschaften äußert Herr R. T.: ÄAlso, ich weiß, dass es Klischees gibt, über Mentalitäten, ich kann sie nicht bestätigen.³ (Herr R. T., S. 3, 17)
Die entgegengesetzte Position nimmt Herr G. A. ein. Er verbindet angeeignete physische Landschaft und Mentalitäten und Charaktereigenschaften mit eigenen lebensweltlichen Erfahrungen: ÄAlso, wenn ich verschiedene Landschaften Revue passieren lasse, dann fällt mir der Moselgau ein, da kann ich feststellen, dass die Lebensart, die Lebenseinstellung, der Optimismus ein anderer ist als im Raum Sankt Wendel. Insofern prägt die Weinlandschaft an der Obermosel unmittelbar die Mentalität, die Gesinnung der Bewohner in der Region. Im Gegensatz zum Hunsrück, dem Bereich Sankt Wendel, wo man sagen kann, die Leute sind eher zurückhaltend, eher etwas reserviert. Das führe ich schon auf die Landschaft bzw. die dortigen Gegebenheiten zurück, die den Menschentyp dort prägen.³ (Herr G. A., S. 333, 14-20)
Aus dem eigenen lebensweltlichen Erfahrungskontext begründet auch Herr C. U. exemplarisch einen ± seiner Ansicht nach zutreffenden ± geodeterministischen Zusammenhang: ÄWir waren die Route Napoleon vor 25 Jahren hochgefahren. Wir haben keine Übernachtungsmöglichkeit gefunden. Mein Schwager, der Bergsteiger ist, war dabei, und nach dem zwölften Hotel, das uns ablehnend beschieden hat, hat er gesagt: ÃC., jetzt fahre mir der Bäasch hoch, die Bäaschleit helfe uns uff jede Fall`. Das heißt also, dass in Landschaften, die eine gegenseitige Hilfeleistung inzident bedingen, geht man auch anders miteinander um. Das nur als kleines Beispiel. [...]³ (Herr C. U., S. 3, 33-39)
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Unter Mentalität sei in Anlehnung an Geiger (1987: 77) eine Ägeistig-seelische Disposition ± unmittelbare Prägung des Menschen durch seine soziale Lebenswelt und die von ihr ausstrahlenden gemachten Lebenserfahrungen³ verstanden.
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In vergleichbarer Weise äußert sich auch Herr D. V. 285, wobei er den Begriff Landschaft um Elemente wie Witterung und Klima erweitert (wobei die sensorisch deutlich wahrnehmbaren Witterungselemente, wie Wolken und Wind, vielfach als Elemente von angeeigneter Landschaft eingeschätzt werden): ÄIch glaube, neben Landschaft ist es eben auch die Witterung, wie sich Landschaft darstellt. Ist es ein mildes Klima, ist es ein Klima, in dem ich mit heftiger Witterung, Regen, Schnee, überraschenden Elementen rechnen muss, das wird eine Rolle spielen. Es wird aber auch eine Rolle spielen: Mein Größenverhältnis zur Landschaft. Also, im engen Tal aufzuwachsen, mit hohen Höhen neben mir, würd` mich eher bedrücken, eine Landschaft, die nicht eben und nicht strukturiert ist, würd` mich anders beeinflussen als eine strukturierte Landschaft.³ (Herr D. V., S. 3, 10-15)
Zwischen diesen beiden Extremeinschätzungen lässt sich eine Reihe vermittelnder Positionen nachweisen. So weist die Antwort von Herrn W. Z. keine generelle Zuweisung von Charaktereigenschaften und Mentalitäten zu einzelnen Landschaften auf, vielmehr wird hier der Bezug zur Wertschätzung einer angeeigneten physischen Landschaft, in der die primäre Sozialisation stattgefunden hat, hergestellt: ÄAlso, das ist ja wohl eine allgemeine Erfahrung, dass die Menschen, die in einer bestimmten Landschaft, sei es in einer Gaulandschaft, einer Waldlandschaft, einer Gebirgslandschaft oder in einer Stadtlandschaft wohnen, ihre Umgebung weniger schätzen als solche, die aus einer anderen Landschaft kommen. Das heißt, wir fahren irgendwohin ans Meer, finden diese Landschaft ganz toll, machen dort Urlaub, die Leute, die dort wohnen, haben dieses empfinden aber gar nicht. Weil sie sich zu sehr an ihre Landschaft gewöhnt haben. [...]³ (Herr W. Z., S. 3. 43-48)
Auch hier wird der in Abschnitt 5.3.2.2.2 untersuchte Zusammenhang von Landschaft und Heimat deutlich: Einerseits wird landschaftliche Schönheit in der Regel zur vertrauten (heimatlichen) Landschaft, andererseits besteht auch kein (ausgeprägter) Anspruch an die Schönheit der heimatlichen Landschaft, die vielmehr ihre individuelle und soziale Wertigkeit aus ihrer Vertrautheit bezieht. Herr D. M. stellt im Wesentlichen eine ideengeschichtliche Komponente des Landschaftsverständnisses hinsichtlich des Einflusses angeeigneter physischer Landschaft auf die Mentalitäten bzw. Charaktereigenschaften des Menschen heraus: ÄJa, das glaube ich, auf jeden Fall. Ich glaube, da ist die Gesellschaft noch dem romantischen Naturverständnis erlegen. Der Wandel von einem romantischen Landschaftsverständnis zu einem postindustriellen Landschaftsverständnis hat bei weitem noch nicht stattgefunden, vielleicht bei einigen intellektuellen Protagonisten, die sich das verinnerlicht haben, aber ich glaube, dass ± und da bin ich diesem Bild selbst erlegen ± dass Gebirge sehr viel mit Natur zu tun haben.³ (Herr D. M., S. 5, 8-13)
Fazit: Die Konstruktion des Zusammenhanges von der Beschaffenheit der angeeigneten physischen Landschaft und einem kollektiven Charakter ihrer Bewohner bzw. deren Mentalität wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Diese Einschätzungen reichen von uneingeschränkter Zustimmung zu dieser These, Zustimmung hinsichtlich bestimmter Charaktermerkmale 285
Herr D. V. Mitte 50 und als Raumwissenschaftler bei einer obersten Landesbehörde tätig. Auf die Frage, welche Werte seiner Meinung nach eine zentralere Bedeutung haben sollten, antwortet Herr D. V.: ÄSelbstbewusstsein, Fähigkeit, Dinge anzugehen, durchzuführen. Qualität, Gemeinsinn.³ (Herr D. V., S. 1, 19)
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bzw. Mentalitätsmerkmale (z.B. der Wertschätzung bestimmter angeeigneter physischer Landschaften) bis zu einer unumwundenen Ablehnung. 5.3.2.3 Der landschaftliche Wandel 5.3.2.3.1 Einschätzungen zum Umgang mit altindustriellen Anlagen Im Zuge des Strukturwandels zu einer postindustriellen Wirtschaft vollzieht sich im Saarland ± mit Schwerpunkt des Verdichtungsraumes ± eine ökonomische Außerwertsetzung von Altindustrieanlagen. Wie im Zusammenhang mit der Auswertung der quantitativen Umfrage deutlich wurde (vgl. Abschnitte 5.2.2.4), werden altindustriell geprägte Landschaften vorwiegend als hässlich beschrieben, deren Erhaltung überwiegend abgelehnt wird. In dem qualitativen Studienteil wird diese ablehnende Haltung gegenüber der Erhaltung von Altindustrieanlagen, aber auch der Offenhaltung von Bergehalden zum Gegenstand einer kritischen Hinterfragung gemacht, um so die Motivlagen dieser Ablehnung einer verstehenden Interpretation zugänglich zu machen. Wie auch in dem quantitativen Studienteil deutlich wurde, lassen sich in den wertenden Äußerungen der Befragten deutlich unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich der Erhaltung von Altindustrieanlagen und der Offenhaltung von Bergehalden nachweisen. Ein Beispiel für den Standpunkt für die Erhaltung von Altindustrieanlagen wird bei dem Industriemeister R. W. deutlich: ÄErhalten, sanieren und `was draus machen. So seh` ich das. Ich kenn` das auch nicht anders. Wie gesagt, ich kenn` das ja alles aus [Ortsname], die Tagebaue, die Brikettfabriken und das alles. Das alles sollte erhalten und saniert werden, um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um es dann zum Museum zu machen. Oder wenn ich so die Völklinger Hütte sehe, das ist auch super genutzt worden. Also, Völklingen könnst` vergessen ohne Völklinger Hütte. Hätten se die weggerissen, könnten se Völklingen platt machen. Also, ich bin auf jeden Fall ein Befürworter für Altindustrieanlagen. Also, solchen, die sich lohnen, nicht alle. Aber, wenn ich so ein Stahlwerk sehe, oder eine alte Brikettfabrik. Das sollte man auf jeden Fall erhalten.³ (Herr R. W., S. 3, 7-15)
Hier wird eine doppelte Verbindung zur (Alt-)Industrie deutlich: Herr R. W. kennt die Erhaltung von Altindustrieanlagen aus derjenigen Landschaft, in der er seine primäre Landschaftssozialisation erfahren hat und ist darüber hinaus heute als Industriemeister in einem international agierenden Unternehmen tätig. Als gelungenes Beispiel der Erhaltung und Umnutzung einer Altindustrieanlage führt Herr R. W. das Weltkulturerbe Völklinger Hütte an, die er als positiven Standortfaktor für die Stadt Völklingen interpretiert. Die entgegen gesetzte Auffassung vertritt Herr Z. A., der auf die Frage warum es eine geringe Akzeptanz für die Erhaltung von Altindustrieanlagen und die Offenhaltung von Bergehalden gebe, antwortete: ÄDas trage ich ein Stück auch in mir. Das ist die Erfahrung, dass das übel ist, Altlastenstandorte, das ist eine Belastung, und am besten ist man sie los. Wenn das nicht geht, dann lässt man sie in Ruhe zuwachsen, vergisst sie.³ (Herr K.K., S. 4, 26-28)
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Herr Z. A. ± hauptamtlich tätig im Naturschutz ± setzt Altindustrie mit Altlasten gleich und lehnt sie als Umwelt belastend kategorisch ab. Während die beiden ersten Interviewausschnitte jeweils die persönliche Auffassung der Befragten zur Erhaltung von Altindustrieanlagen widerspiegeln, seien im Folgenden stärker interpretativ ausgerichtete Interviewausschnitte betrachtet. So interpretierte Herr H. I. die zumeist ablehnende Haltung der im quantitativen Interview Befragten als Folge gesellschaftlicher Umstrukturierungsprozesse: ÄAlso, ich denke, das hat damit zu tun, dass sich die Qualität der Arbeit, die diese Halden oder diese Hütten da geschaffen haben, dass das eine ganz andere Qualität war als die der Landarbeit. Erstens, hat diese industrielle Arbeit immer mehr die Trennung mit sich gebracht die Trennung von Wohnort und Arbeitsort, während das auf dem Lande noch lange so nicht war. Der Landmann konnte mittags zuhause mit seinen Kindern Mittagessen, ohne das zu romantisieren, die haben auch über einen langen Prozess auch immer die Produkte ihrer Arbeit in den Händen gehabt und kennen gelernt. Und das war beim Industriearbeiter nicht so: der war zwar irgendwo an den Produktionsprozess beteiligt, und hatte da vielleicht auch nicht so einen Bezug gehabt zu dieser Anlage... Also, er hat das nicht als Ganzes gesehen, der hat zwar auch schwer gearbeitet, vielleicht hat er gemeint für viel zu wenig Geld, er konnte aber nie ein Produkt von Anfang bis Ende fertig stellen. Und von daher hat er eine viel distanziertere Einstellung zu seiner Arbeitsstätte. [...]³ (Herr H. I., S. 4, 33-44)
Diese Interpretation macht deutlich, welche Folgen die Modernisierung der saarländischen Ökonomie für den Einzelnen in Form von Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz und Fremdbestimmung am Arbeitsplatz mit sich brachte. Wesentliches Element seiner Argumentation, warum es eine Ädistanziertere Einstellung zur Arbeitstätte³ als in der Vormoderne gäbe, ist die Entfremdung von dem Produkt der Arbeit durch Fragmentierung des Arbeitsprozesses. Letztlich wird die ablehnende Haltung der überwiegenden Zahl der in der quantitativen Untersuchung Befragten als Folge der Härte des Arbeitslebens in der Schwerindustrie gedeutet, ein Interpretationsmuster, das von einer großen Zahl der Befragten in ähnlicher Weise geäußert wurde. Diese Interpretation der Dokumente eines harten Berufslebens teilt auch Herr W. G, wobei er diese Einschätzung durch ein allgemeines ökonomisches Deutungsmuster ergänzt: ÄVielleicht ist die Zahlungsbereitschaft für den Erhalt von Dingen gering, von denen man annimmt, sie sind sowieso da, zweitens mag der eine oder der andere die Last der Umstrukturierung, die Last des Berufszweiges, der nicht ohne Lasten im vielfältigen Sinne ist, gar nicht so jeden Tag dokumentiert sehen. Wir haben aber auch festgestellt, dass der Erhalt der Landschaft als nicht unbedingt so honorationswürdig eingeschätzt wird. Ich glaub` das ist eine grundsätzliche Haltung: Was da ist, muss man nicht honorieren. Es wird vielleicht anders, wenn man erlebt, wie schnell die Welt sich ändern kann, aber bisher jedenfalls...³ (Herr G. X., S. 4, 44-51)
Herr G. X. interpretiert in diesem Interviewausschnitt den Umgang mit den altindustriellen Relikten als eine Ausprägung eines allgemeinen Handlungsmusters: der geringen Priorität der Erhaltung gegenüber der Neuerrichtung. Während Herr G. X. stärker auf eine allgemeine ökonomische Deutung der Geringschätzung von altindustriellen Relikten abhebt, findet sich bei Herrn B. S. ein eher semiotisches Deutungsmuster: ÄEs gibt sicherlich ein Erklärungsmuster, das mir ein Direktor eines mittlerweile abgebrochenen Kraftwerks nannte... Er sagte, dass dieses stillgelegte Kraftwerk ein politisches Symbol des
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Scheiterns sei. Er wäre froh, wenn dieses materielle Symbol des Scheiterns endlich materiell verschwinden würde. Und vermutlich denken viele Leute so, die entscheidungsrelevant waren, dass dieses Symbol still gelegt wurde... bis hin zum damaligen Ministerpräsidenten. Andere, die nicht in die Gruppe der Entscheidungsträger gehören, denken vermutlich in der Art, weil es für sie mit einer kollektiven Niederlage verbunden ist. [...]³ (Herr B. S., S. 5, 35-41)
Herr B. S. stellt also die symbolische Bedeutung von Altindustrieanlagen in das Zentrum seiner abstrahierenden Überlegungen, sie stellten Symbole des Scheitern der schwerindustriellen Epoche des Saarlandes dar, die es zu beseitigen gelte. In ähnlicher Weise interpretiert auch Herr R. T. das Verhältnis der saarländischen Bevölkerung zu altindustriellen Relikten. Dabei spricht er jedoch nicht nur von einem Symbol der Niederlage, sondern deutet hier eine noch tiefere Betroffenheit, indem er auf die Frage nach seiner Interpretation der geringen Akzeptanz der Erhaltung von altindustriellen Objekten, antwortet: ÄVielleicht, dass die Bevölkerung hierzulande ein schlechtes Gewissen hat. Ein schlechtes Gewissen ist vielleicht hierbei nicht der richtige Ausdruck. Sie stehen nicht zu ihrer Vergangenheit, zu ihrer industriellen Vergangenheit und sie haben wahrscheinlich Nichtsaarländern gegenüber so ein Gefühl, dass sie sich dafür schämen müssen.³ (Herr R. T., S. 3, 46-49)
Mit dem Aspekt der Überwindung der schwerindustriellen Ära und Abgrenzung hiervon befasst sich auch Herr D. M.: ÄDie nahe liegende Erklärung ist, dass es da noch einen unmittelbaren Bezug gibt. Entweder man selbst oder aber die Elterngeneration hat dort gearbeitet. So das dies eben weniger Orte der Romantik als Orte der Arbeit sind. Es sind auch keine Objekte des gesellschaftlichen Bewusstseins, die man als Denkmäler erhalten müsste, es sind einfach Gebrauchsgegenstände, die den Lebensunterhalt gesichert haben. Die Objekte hatten aus einem ganz anderen Kontext, aus dem Alltag ihre Begründung. Jetzt hat man den Schmutz, und alles was damit zusammenhängt in der Schwerindustrie gerade erst einmal überwunden, und jetzt soll man sich im nächsten Step auf intellektuelle Weise damit befassen. Ich glaube, um es würdigen zu können, muss man eine Distanz gewinnen. Wenn man diese Distanz nicht geschaffen hat, kann ich gut nachvollziehen, dass die Leute sagen: Das ist doch alles Schrott.³ (Herr D. M., S. 5, 20-29)
Aufgrund des noch sehr direkten negativen emotionalen Bezugs ist das Differenzbewusstsein noch nicht so weit ausgeprägt, sich distanziert rational und ästhetisierend mit altindustriellen Relikten zu befassen. Die Ablehnung lässt sich also, nach Herrn D. M., erst mit zunehmender zeitlicher Distanz zur Arbeit in der Ära der Schwerindustrie im saarländischen Verdichtungsraum verringern. In ähnlicher Weise argumentiert auch Herr K. E., der die Ablehnung schwerindustrieller Relikte als einem prozessualen Übergang eines Strukturwandels immanent ansieht: ÄHohe Akzeptanz neuer Industrieanlagen versus geringer Akzeptanz alter Industrieanlagen. Neue Industrieanlagen sind als Industriepark... oder fast schon als Naturpark verkauft gesellschafsfähig geworden. Altindustriestandorte: Da mag die Phase des Überganges die problematische Zeit sein, davor waren es lebensnotwendige Räume der Produktion, danach werden es wahrscheinlich idealisierte Räume der Erinnerung sein, die eine Kulisse für neue Nutzungsformen darstellen werden. Das heißt die eigentliche Verunsicherung besteht im Wandel. In einer Veränderung des Gewohnten und vielleicht auch in einer noch nicht sicheren Neuorientierung. Dasselbe mag in früheren Zeiten für Landwirtschaftsgebiete gegolten haben, und in Kriegszeiten für zerstörte Städte gegolten haben... das heißt das eigentliche Problem ist der Wandel und nicht das Thema der Industrie.³ (Herr K. E., S. 4, 36-45)
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Herr K. E. zentriert das Problem der Ablehnung großer Bevölkerungsteile gegenüber der Erhaltung Altindustrieanlagen nicht auf diese als Objekte, sondern als Symbole des Wandels. Eine weniger auf die Symbolhaftigkeit ausgerichtete Interpretation der Ablehnung der Erhaltung von Altindustrieanlegen ist jene, die auf ihr Erscheinungsbild abhebt. Ein zentraler Anspruch an Landschaft ist ± wie bereits mehrfach ausgeführt ± ihre Ästhetik. Neben der symbolischen Qualität der Entfunktionalisierung von ehedem ökonomisch genutzten materiellen Elementen sind diese altindustriellen Anlagen Gegenstand ästhetisierender Betrachtungen und Vergleiche, wie Frau F. R.: ÄNa ja, es ist `was Altes, es ist `was Morbides, es ist `was Verrostetes. Es hat eine spezielle Art von Schönheit und nicht jeder empfindet das als schön. Es ist halt nicht neu, es ist nicht schön, es ist... es hat `was mit Vergangenheit, mit Arbeitslosigkeit... es hat `was mit Veränderung zu tun. Und viele Leute haben da ja auch Ängste. Es ist ja der Zahn der Zeit, der sich da niederschlägt.³ (Frau F. R., S. 2, 44-48)
Während bei Frau F. R. die ästhetische Komponente mit Morbidität, mit Verfall und Entfunktionalisierung ± in durchaus widersprüchlicher Weise ± verknüpft wird, begründet Herr D. V. die vielfache Ablehnung des Erhalts von Altindustrieanlagen mit dem (vordergründigen) Fehlen von Harmonieelementen in der Altindustrielandschaft: ÄWeil die Landschaft dann Elemente hat, die disproportional sind, die Eingriffe bedeuten, wo Harmonieelemente fehlen, auf den ersten Blick fehlen. Auf den zweiten Blick stellt man fest, dass sie auch wieder eine Gesetzmäßigkeit hat. [...]³ (Herr D. V., S.3, 22-25)
Ein weiteres, semiotisches und ästhetisches Deutungsmuster der Ablehnung altindustrieller Landschaftselemente ergänzendes Deutungsmuster ist der Bezug auf sachliche Gefährdungspotenziale. Ein Beispiel hierfür nennt die Geographin K. U. auf die Frage, warum ihrer Meinung nach die Akzeptanz für die Erhaltung von Altindustrieanlagen und die Offenhaltung von Bergehalden gering sei: ÄBei den Berghalden, da hab` ich auch so meine Probleme, wenn sie gehäuft auftreten. Eine ist ja ganz nett, um sich draufzustellen, um `was zu sehen, aber viele. Da sind sie mir grün schon lieber. Außerdem gibt es ja Probleme mit dem Erosionsschutz, wenn die nicht begrünt sind. Die Hangrutsche sind da schon ein Problem.³ (Frau K. U., S. 3, 45-49)
In der Argumentation von Frau K. U. lässt sich eine weitgehende Kongruenz zwischen ästhetischen und funktionalen Begründungsaspekten der Ablehnung der Offenhaltung von Bergehalden ± auch aus ihrer persönlichen Sicht ± feststellen. Bemerkenswert ist bei dem Interviewausschnitt der rasche Perspektivwechsel zwischen primärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein, die Erhaltung der Aussicht, und dem sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstsein, das sich in der funktionalistischen Betrachtung der Hangrutsche äußert. Bezogen auf altindustrielle Relikte formuliert Herr S. M. die Aufgabe, diese zu erhalten und für künftige Generationen zu sichern, indem er eine ähnliche Argumentation verfolgt wie Herr D. M.: Ä[...] Wenn ich sehe, welches Standing das Mittelalter bis in die 70er Jahre des vorherigen Jahrhunderts eben hatte, und wie sich dieses ± sag` ich mal ± verändert hat, und wie sich dieses Standing verändert hat, in den letzten 30 Jahren, dann glaube ich auch, dass sich eine zuneh-
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mende Wertschätzung von altindustriellen Bauten und Landschaften geben wird, je größer und stärker der zeitliche Abstand dazu geworden ist, weil in dem Bereich nichts mehr nachwächst, aber viel mehr Substanz verloren geht. Und da stehen wir eben vor einer Entwicklung, die einige schon sehen und vorwegnehmen, andere jedoch noch nicht absehen können. Das ist aber aus meiner Sicht einfach eine Frage der Zeit.³ (Herr S.M., S. 4, 26-34)
Herr S. M. prognostiziert ± mit Hilfe eines Analogieschlusses bezüglich sozialer Konstruktion des Mittelalters und seiner Wertschätzung ± eine künftig stärkere soziale und individuelle Identifikation mit altindustriellen Landschaftselementen im Saarland. Einen Weg der Akzeptanzsteigerung von altindustriellen Relikten sieht Frau M. T. in deren nichtschwerindustriellen Inwertsetzung: Ä[...] Wenn man daraus [aus Altindustrieanlegen; Anm. O. K.] ein Erlebnis macht, so wie Völklinger Hütte oder solche Geschichten, wenn man dann alte Industrieanlagen als Konzertsäle benutzt, dann denke ich auch, wird die Akzeptanz dann auch schon höher werden. Aber ich denk` so sind das einfach nur Altindustrieruinen, was man nicht mit etwas Interessantem in Verbindung setzt, sondern es ist einfach nicht schön. Wenn man da etwas Schönes draus machen wird, einen Park oder so, dann wird die Akzeptanz dann auch schon höher werden.³ (Frau M. T., S. 3, 25-36)
Aus Sicht der Postmoderne lässt sich die Äußerung von Frau M. T. als Forderung einer ästhetisierenden Polyvalenzierung altindustrieller Anlagen verstehen. Eine selektive Neuinszenierung und Wiederinnutzungnahme ist dabei ein zentrales Element der Neuinterpretation altindustrieller Relikte. Fazit: Die in dem quantitativen Studienteil ermittelte ablehnende Haltung der Mehrzahl der Befragten hinsichtlich der Erhaltung altindustrieller Anlagen und der Offenhaltung von Bergehalden wird durch die qualitativ Interviewten mit folgenden drei Deutungsmustern erklärt: 1. Semiotisches Deutungsmuster. Altindustrielle Landschaftselemente symbolisieren einerseits harte Arbeit, Umweltbelastungen und Fremdbestimmung, andererseits auch den Niedergang eines Wirtschaftssektors der große Teile der saarländischen Bevölkerung (bescheidenen) Wohlstand brachte. Symbole, einer negativen Konnotation also, derer man sich vielfach entledigen möchte. Aus postmoderner Perspektive lassen sich Altindustrieanlagen letztlich als Symbole des Scheiterns des Projektes der Moderne charakterisieren. 2. Deutungsmuster des Widerspruchs zur klassischen Landschaftsästhetik. Altindustrielandschaften entsprechen nicht den Prinzipien einer stereotypen Landschaftsästhetik und werden vielfach als Ähässlich³ eingestuft. Da Altindustrieanlagen in der Regel entfunktionalisiert sind und ihnen darüber hinaus keine oder nur geringe ästhetische Qualitäten zugewiesen werden, wird eine Erhaltung abgelehnt. 3. Deutungsmuster der Funktionalität. Da Altindustrieanlagen und (unbegrünte) Bergehalden aufgrund ihrer ökonomischen Außer-Funktionssetzung in den Zustand eines sukzessiven Verfalls übergehen, beinhalten sie ein gewisses Gefahrenpotenzial, das es abzubauen gilt. Die drei beschriebenen Deutungsmuster werden dabei selten isoliert voneinander verfolgt, sondern greifen in den Argumentationsketten ineinander und dienen bisweilen zur gegenseitigen Begründung. 210
Die von den Interviewten vertretenen Standpunkte zur Erhaltung altindustrieller Anlagen wie auch der Offenhaltung von Bergehalden reichen von einer (exklusivistischen) weitgehenden Musealisierung der Anlagen bzw. der Offenhaltung von Bergehalden bis hin zur (ebenso exklusivistischen) Forderung die betreffenden Anlagen abzureißen und die Bergehalden in das Gepräge der saarländischen Mittelgebirgslandschaft durch Begrünung zu integrieren. Eine dritte (inklusivistische) Position synthetisierte beide exklusivistische Positionen, indem sie einerseits die Forderung nach einer (selektiven) Erhaltung von altindustriellen Anlagen, und andererseits die Forderung nach einer erneuten Verfügbarmachung der Flächen für soziale Nutzungen integriert, indem sie auf eine Wiederinwertsetzung und Neuinszenierung geeigneter Anlagen favorisiert. 5.3.2.3.2 Ländlicher Raum Insbesondere im primärsozialisierten Landschaftsbewusstsein ist der Begriff der Landschaft stark auf den ländlichen Raum ± und hier insbesondere auf als natürlich geltende Elemente ± zentriert. Im Nachfolgenden seien also zwei wesentliche Elemente der Landschaften des ländlichen Raumes, agrarisch genutzte Flächen und Wälder, hinsichtlich der Interpretation des landschaftlichen Wandels durch die Interviewten untersucht. Im Gegensatz zur Frage des Umgangs mit altindustriellen Relikten lässt sich die Thematisierung der historischen und rezenten Entwicklung von Halboffenlandschaft weitgehend als Expertendiskurs beschreiben. So äußerte sich der Landschaftslaie Herr R. W. auf die Frage, ob und inwiefern sich seiner Wahrnehmung nach die saarländischen Landschaften in den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten verändert hätten, folgendermaßen: ÄHat sich überhaupt `was verändert? Also, landschaftlich hat sich nichts getan. Ich sach` ma`, du fährst ja auch nicht `rum und sagst: Hey, guck` ma`, da steht `n neuer Baum!³ (Herr R. W., S. 2, 32-33)
Die Wahrnehmung von angeeignet-physischen landschaftlichen Veränderungen bei Landschaftslaien beschränkt sich auf deutliche Veränderungen im lebensweltlichen Wahrnehmungsbereich, wie bei Herrn C. U. (S. 2, 10-11), der angeeignet-physische landschaftliche Veränderungen primär in Form einer Ausdehnung der Siedlungsflächen beschreibt. Neben der lebensweltlichen Relevanz von Veränderungen von angeeigneten physischen Landschaften und einer ± im Vergleich zu Landschaftsexperten ± hohen Intensität (kurzer Zeitraum, in dem eine deutliche Veränderung des landschaftlichen Gepräges stattfindet) angeeignet-physischer landschaftlicher Veränderungen in Form einer Wahrnehmungsschwelle werden tendenziell eher kleinflächige bzw. punktuelle Veränderungen wahrgenommen, wie das Beispiel von Frau F. R. zeigt: ÄLandschaftliche Veränderung im Saarland? Also, ich weiß nur, dass sie da hinten irgendwo einen Golfplatz gebaut haben, da Richtung Rubenheim, Blieskastel, da irgendwo. Gehört es auch dazu, dass die da eine Bahnstrecke platt gemacht haben? Das habe ich wahrgenommen. Klar. Radwege sind ausgebaut worden. Das habe ich mitbekommen. Dass die Uni wahnsinnig ausgebaut wurde. Das auch. Es wird ohnehin immer mehr gebaut. Immer mehr Parkplätze. Für diese Aninstitute.³ (Frau F. R., S. 2, 25-30)
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Dagegen antwortet der Landschaftsexperte Herr S. M. auf die Frage, welche landschaftlichen Veränderungen es in den vergangenen beiden Jahrzehnten gegeben habe, mit einer dezidierten Analyse, in der die wesentlichen landschaftlichen Aspekte landwirtschaftliche Flächen, Wälder, Gewässer und Siedlungen betrachtet werden: ÄZunächst einmal haben wir keine wesentlichen Veränderungen bei den groben Landschaftsstrukturen. Die Wald-Offenlandverteilung ist im Wesentlichen gleich geblieben, auch wenn es eine Ausdehnung der Siedlungstätigkeit gegeben hat. Das ist aus meiner Sicht keine wesentliche Veränderung für den Charakter der Landschaft. Verändert hat sich der Charakter der Landschaft eine Ebene darunter dadurch, dass die Vielfalt der Landschaft Nutzer bedingt nachgelassen hat, wenige Landnutzer stehen ± sag` ich mal ± der gleichen Fläche gegenüber, die Nutzung ist einheitlicher und damit auch ± sag` ich mal ± eintöniger geworden, im Wald machen sich der naturgemäße Waldbau und die Stürme bemerkbar, beide haben ± sag` ich mal ± Wald verändernd gewirkt, der Wald ist undurchsichtiger geworden, aufgrund der Strukturvielfalt und der Naturverjüngung. Eine deutliche Verbesserung liegt in meiner Wahrnehmung auch in der Verbesserung der Gewässergüte in den letzten Jahren.³ (Herr S. M., S. 3, 25-36)
Diese Einschätzung der Veränderungen der angeeigneten physischen Landschaft in den vergangenen beiden Jahrzehnten wird weitgehend von allen Experten geteilt, auch wenn hier ± aufgrund der Selektivität der sekundären Landschaftssozialisation und persönlichen Interessenslagen ± bei den verschiedenen Landschaftsexperten, die Schwerpunkte der Wahrnehmung angeeignet-physischer landschaftlicher Veränderungen unterschiedlich gelagert sind. Wenn auch ± bei Landschaftsexperten ± die Einschätzung, wie sich die angeeignetphysischen Landschaften in den vergangenen beiden Jahrzehnten entwickelt haben weitgehend kongruent ist, lassen sich bei der Prognose, wie sie sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden, differenziert unterschiedliche Einschätzungen feststellen286. Die Erwartung einer grundlegenden Veränderung der angeeigneten physischen Landschaft in den nächsten beiden Jahrzehnten äußert Herr Z. G.: ÄVor dem beruflichen Hintergrund, würde ich mit dem Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche noch mehr Sukzession erwarten, in den ländlichen Räumen.³ (Herr Z. G., S. 3, 25-26)
Dagegen erwartet Herr G. X. großräumige Veränderungen der angeeigneten physischen Landschaften, wobei er durchaus kleinräumige Differenzierungen der künftigen Entwicklung prognostiziert: ÄLandschaften entwickeln sich spürbar in Dekaden. Ich glaube, dass deutliche Entwicklungen der Landschaften nicht zu erwarten sind. [...] Es wird partiell, und dann auch im geringen Maße eine Aufforstung geben, es wird auch ± mit den neuen Prämienregeln der Agrarpolitik ± Regionen geben, in denen sich die Sukzession entwickeln wird, die verbuschen werden, weil man feststellen wird, dass auch das Mulchen ein sehr unordentliches Landschaftsbild ergibt. Wir haben noch nicht viele Erfahrungen mit langfristigen Mulchflächen. Der Anteil der ± ich nenne es einmal Kleinbuschflächen ± wird wohl zunehmen. Sonst kann ich mir nur vorstellen, dass hier und da ein Flusslauf wieder in natürliche Formen gebracht wird, und dass Infrastrukturmaßnahmen zunehmen werden und dass das reine Landschaftsbild [...] dadurch natürlich auch verändert wird.³ (Herr G. X., S. 5, 24-35) 286
Landschaftslaien beschränken sich bei der Frage nach den landschaftlichen Veränderungen im Wesentlichen auf die Ausdehnung der Siedlungen, eine differenzierte Betrachtung der Aspekte Wald, landwirtschaftliche Flächen und Gewässer wurde nicht vorgenommen.
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Der Agrarökonom G. X. zieht, wie auch andere, z.B. der Agrarwissenschaftler G. A., Veränderungen der unionseuropäischen Agrarpolitik für seine Überlegungen der landschaftlichen Entwicklungen heran. Wesentliches Element dabei ist die Entkopplung der landwirtschaftlichen Förderung von der Produktion und die Hinwendung zur Flächenförderung. Förderungen werden also für die Bearbeitung landwirtschaftlicher Flächen gewährt, wobei auch das von Herrn G. X. angesprochene Mulchen unter den Begriff der Bearbeitung fällt. Während Herr G. X. makroökonomisch die Folgen der EU-Agrarpolitik auf die angeeignete physische Landschaft in das Zentrum seiner Betrachtungen rückt, befasst sich Herr W. H. in folgendem Interviewausschnitt mit dem Zusammenhang von individuellem Interesse an Landschaft und (insbesondere agrarischen) Nutzungssystemen im ländlichen Raum: ÄIch seh` im Unterschied zu dem, was ich vor 10 Jahren noch gesehen habe, nicht die Gefahr dass wir verbuschen, solange wir noch aktive Teile in der Bevölkerung haben, so lange die nicht durch demographische Entwicklungen ausgedünnt werden. So lange wir die noch haben, gibt es immer ± interessanterweise immer auf niedrigem ökonomischen Niveau ± Nutzungssysteme. Als eine üppige Landwirtschaft da war, die ein bestimmtes Pachtniveau ermöglichte, war Pferdehaltung unwirtschaftlich. Und heute, kriegen die Pferdehalter die Wiesen zum Teil kostenlos überlassen, und so lohnt sich die Pferdehaltung. Aber es müssen die Leute da sein, es müssen die Leute da sein, die Interesse an der Landschaft haben. Und dann können wir ± auch mit der Extensivierung ± die Landschaft offen halten.³ (Herr W. H.287, S. 4-5, 48-51, 1-6)
Zwei wesentliche Aspekte der Argumentation hinsichtlich der Entwicklungen in angeeigneten physischen Landschaften im ländlichen Raum, nämlich der demographische und der soziale Bezugspunkt, werden auch in dem folgenden Interviewausschnitt von Herrn W. T. deutlich: ÄDie Leute, die mit dem Grüngürtel um das Dorf als Nutzgürtel aufgewachsen sind, werden immer weniger, die Leute, die die Flächen rund ums Dorf bestellen, die Nebenerwerbslandwirte, die Imker, werden immer weniger... und ich denke, dass die nächsten Generationen das gar nicht mehr werden, weil sie es nicht kennen als Unterschied. Die Offenheit der Flächen zwischen den Dörfern wird wohl verschwinden.³ (Herr W. T., S. 3, 1-6)
Herr W. T. benennt die primäre Landschaftssozialisation als Bezugspunkt der Konstruktion einer heimatlichen Landschaft, mit der andere Landschaften verglichen werden und die als ÄNormallandschaft³ konstituierend auf das Landschaftsverständnis wirkt. Geht also das Dorfumfeld in Sukzession über, wird dies in der primären Landschaftssozialisation als Normalzustand generiert, eine Ist-Soll-Differenz (Ist = Sukzession, Soll = Halboffenland) ist also lediglich bei Personen zu erwarten, deren primäre Landschaftssozialisation in einer angeeigneten physischen Landschaft vollzogen wurde, zu deren Charakteristika ein offenes Siedlungsumfeld gehörte288. Wird dieses nicht erhalten, ist mit einer Akzeptanz von Sukzessionsflächen in den nachfolgenden Generationen zu rechnen. 287
288
Herr W. H. ist aufgewachsen in einer kinderreichen Familie in Norddeutschland. Herr W. H. studierte Forstwissenschaften und kam danach zu der Forstverwaltung im Saarland. Herr W. H. ist wohnhaft im nördlichen Saarland. Die zentrale Herausforderung für das Saarland besteht für Herrn W. H. in der Bewältigung des Strukturwandels, insbesondere im ländlichen Raum. Die natürliche Sukzession wird insbesondere dann von der ansässigen Bevölkerung abgelehnt, wenn mit dem Fortschreiten der Sukzession eine Gefahrenzunahme wahrgenommen wird, wie Höchtl/Lehringer (2005) am Beispiel der Bewohner piemontesischer Dörfer nachweisen. Im Gefolge der natürlichen Sukzession vormals
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Hinsichtlich der Wertschätzung von Wald und Halboffenland konnten bei den quantitativen Studien lediglich sehr geringe Abweichungen nachgewiesen werden, obwohl die hohe Wertschätzung des Waldes der gängigen wissenschaftlichen Interpretation (Savannenhypothese) widerspricht. Dieser intensive positive Bezug zur Waldlandschaft wurde in dem qualitativen Studienteil aufgegriffen. Dabei wurde deutlich, dass bei Personen mit dominierender primärer Landschaftssozialisation ein deutlicherer positiver Bezug zur Waldlandschaft besteht als bei Personen, deren Landschaftsbewusstsein durch eine sekundäre Landschaftssozialisation dominiert wird. So äußerte Frau W. O. beispielsweise: ÄAlso, was man im Wald hat, und nicht in der Offenlandschaft, das ist, dass man keinerlei Besiedlung hat. Nichts, was vom Menschen geschaffen wurde. Man befindet sich richtig in der Natur. Da ist es dann so dunkel und so höhlig und so heimelig und... ich weiß nicht ob es viel stiller ist, weil man im Saarland ja überall irgendwo `ne Autobahn hört. Also, ich find` das schön, wenn ich überhaupt kein Haus sehe. Also, das ist ein viel natürlicherer Raum, weil alles, was vom Menschen geschaffen ist, draußen ist, außerhalb ist. Es hat `was kuscheliges, höhliges.³ (Frau W. O., S. 3, 31-37)
Wald wird also mit Natürlichkeit und mit Geborgenheit assoziiert. Ähnlich wird dies auch von Frau M. T. geäußert, die auf die Frage, warum Wald eine ähnliche Wertschätzung seitens der quantitativ Befragten genieße, folgendermaßen antwortet: ÄWald ist ja immer so` n Erlebnis. Halt auch mit der Waldluft, mit den Bäumen, mit den Tieren, das ist eben auch eine andere Art von Natur. Ich denk`, das ist nur `ne andere Art von Natur, und warum soll das nicht die gleiche Wertschätzung haben? Es ist einfach nur anders.³ (Frau M. T., S. 3, 41-44)
Dem Unterschied zwischen primärsozialisierter und sekundärsozialisierter Landschaftspräferenz und deren Entwicklung ergibt sich aus der Schilderung von Herrn G. L.: ÄAlso, ich hab` bei mir festgestellt, dass sich das Wohlbefinden bei unterschiedlichen Landschaftstypen verändert hat. Das hat mit meiner kindlichen Prägung zu tun. Ich bin in waldreichen Standorten ausgewachsen, das Dorf war rundum bewaldet, so hat man Wald als Heimat empfunden. Heimat jetzt im engeren Sinne als gewohnte Umgebung. Das hat sich dann gewandelt. Jetzt bin ich eher der Offenlandtyp, der Bliesgau- und Saargau-Typ, und ich kann verstehen, dass sich jemand der da sein ganzes Leben lebt, den Wald als seine Heimat empfindet. Während jemand, der im Offenland aufwächst, eher das Offenland präferiert.³ (Herr G. L., S. 4, 29-36)
Wie bereits im Zusammenhang mit der Charakterisierung der sekundären Landschaftssozialisation festgestellt wurde (siehe Abschnitt 5.3.2.1.2), ist diese zumeist sehr stark auf den gesellschaftlichen Aspekt der Genese (als so genannte Kulturlandschaft) von angeeigneter physischer Landschaft ausgerichtet. Da sich dieser Aspekt im ländlichen Raum in besonderer Weise auf offene Teile der angeeigneten physischen Landschaft bezieht, ergibt sich hier vielfach ein Präferenzierungszusammenhang. In der Auseinandersetzung mit der Frage, warum Waldlandschaften eine ähnliche Zuneigung erfahren wie halboffene und offene Landschaften, finden sich bei Experten neben den
landwirtschaftlich genutzter Flächen wurden hier Brände, Verdämmungen von Bachläufen und Murenabgänge befürchtet.
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bereits von Laien geäußerten emotional-ästhetischen (wie bei der Beurteilung der Altindustrielandschaften) auch funktionale und symbolische Deutungsmuster. So interpretierte Frau A. T. die hohen Sympathiewerte gegenüber dem Wald als eine symbolische Umdeutung im Zuge einer neuen Funktionalisierung: ÄMöglicherweise durch eine Ablösung des Gefährlichen, des Mystischen der Wälder in der deutschen Romantik, in der der Wald als solcher verklärt wurde, in der das auch ganz klar transportiert wurde über Kunst und Literatur. Auch dass der Wald heute seine Schrecken verloren hat, die er bei der Erstbesiedlung von Landschaft hatte. Heute betrachten wir den Wald ganz einfach funktional als Erholungslandschaft. Das hat natürlich für ein sehr positives Image des Waldes gesorgt in der Moderne. Also mag es da eine erste Ablösung gegeben haben und dann eine funktionale Umdeutung.³ (Frau A. T., S. 4, 28-34)
Zu der Funktion des Waldes als Erholungsraum erklärt Herr W. T. die hohe Zuneigung zu Waldlandschaften durch die ökosystemische Bedeutung des Waldes: Ä[...] Vielleicht hat sich das schon niedergeschlagen, dass der Wald ein wichtiges Ökosystem ist, vielleicht hat sich das schon viel mehr niedergeschlagen als wir denken. Das vielleicht gerade hier der Schutz des Waldes, oder aber auch die Diskussion der letzten zehn Jahre, Waldsterben und so weiter, doch klar geworden ist: das ist positiv zu bewerten. Dass Wald eben einen wichtigen Bestandteil des Lebensraumes darstellt.³ (Herr W. T., S. 4, 13-18)
Wald symbolisiert also eine Art schützenswerte ± und nicht zuletzt aufgrund des Waldsterbens schutzbedürftige ± Natur, wobei die Zuschreibung des Waldes als Äreine Natur³ durchaus als soziales Konstrukt zu werten ist, da der Wald Mitteleuropas weitestgehend nach forstwirtschaftlichen Kriterien angelegt beziehungsweise zumindest gepflegt ist, wie Herr R. T. ausführt: ÄWald ist einfach für die Leute auch ein Stück heile Welt. Das ist ja auch naturwissenschaftlich belegt, dass Wald die Landschaft ist, die der Urlandschaft am nächsten kommt, obwohl wir ja heute zu 100 % einen Kulturwald haben. Aber dennoch, ist allein dieses Vegetationsmuster dem am nächsten, was früher einmal da war. Und insofern ist dort Natur pur für die meisten Leute und dann kommt wieder der Kontrast zum Alltag hinzu, dass man das Kontrasterleben sucht und es gibt wahrscheinlich ± von den meisten unbewusst wahrgenommen ± eine Menge medizinisch positiver Aspekte, die die Waldluft und die Waldatmosphäre hat.³ (Herr R. T., S. 4, 8-15)
Auch in der Argumentation von Herrn R. T. nimmt die Unterscheidung unterschiedlicher lebensweltlicher landschaftlicher Wahrnehmungen eine zentrale Position ein: Wald ± als landschaftlicher Aspekt, der einer ursprünglichen Landschaft am nächsten komme ± in Kontrast zu der alltäglichen Lebenswelt der Städte (aber auch des Suburbiums). Wobei (zugeschrieben) natürliche Umgebung mit gesunder Umgebung korreliert. Fazit: Landschaftliche Veränderungen im ländlichen Raum werden primär von Experten, weniger von Laien wahrgenommen. Letztere rekonstruieren landschaftliche Veränderungen dann, wenn sie eine individuell-lebensweltliche Relevanz besitzen und sich durch eine hohe Intensität auszeichnen; eine allmähliche Veränderung der Artzusammensetzung von Wäldern wird in der Regel nicht wahrgenommen, wohl aber die Ausdehnung von Siedlungsflächen. Experten rekonstruieren die Veränderungen der angeeigneten physischen Landschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten in vergleichbarer Weise, jedoch mit individueller Selektivität. Im Wesentlichen werden eine Entwicklung zu einer größeren Natürlichkeit des Waldbildes, 215
eine Verbesserung des qualitativen und strukturellen Zustandes der Gewässer, eine Vergrößerung der Schlagflächen bei insgesamt gleich bleibender Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche mit der Folge der Verringerung der Vielfalt des Landschaftsbildes und eine Ausdehnung der Siedlungsflächen thematisiert. Die künftige Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaften im Saarland wird hingegen von Landschaftsexperten unterschiedlich und mit verschiedenem Differenzierungsgrad prognostiziert, während Laien sich ± basierend auf der dominierenden laienhaften Landschaftsveränderungskonstruktion ± auf die Prognose einer zunehmenden Siedlungstätigkeit beschränken. Die Prognosen der Experten deuten in der Regel auf eine Extensivierung der Nutzung (mit unterschiedlicher Intensität) infolge der Neuerungen der EU-Agrarpolitik, des demographischen Wandels wie auch der primären Sozialisation eines durch zunehmende Sukzession geprägten Landschaftsbewusstseins. Der Grad an Sympathie für Waldlandschaften ist deutlich abhängig von der Dominanz eines primär- oder sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins. Personen mit dominierendem primärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein weisen eine höhere Affinität zum Wald auf als solche mit einer dominierenden sekundären Landschaftssozialisation. Die nahezu identische Wertschätzung einer bewaldeten Landschaft zu einer halboffenen bzw. offenen Landschaft wird durch die Befragten anhand funktionaler, emotional-ästhetischer und funktionaler Deutungsmuster erklärt: Waldlandschaften dienen funktional der Erholung in gesunder Luft, vermitteln (häufig) emotional-ästhetisch ein Gefühl der Geborgenheit und symbolisieren Naturnähe (obwohl es sich in der Regel um forstwirtschaftlich angelegte oder zumindest genutzte Wälder handelt). Gerade auf semiotischer Ebene hat damit eine Umdeutung der Symbolhaftigkeit von Wald stattgefunden: Während also in der Vormoderne Wald als Revier von Räubern und Raubtieren und somit als gefährlich galt (sozialisiert u. a. durch Märchen), symbolisierte der Wald in der Romantik das Unberührte. Im Zuge der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschärfenden Umweltproblematik wurde der (mittel)europäische Wald zunehmend als Opfer menschlicher ökonomischer Interessen (Waldsterben) verstanden und zum Symbol menschlicher Naturausbeutung. 5.3.2.3.3 Das Suburbium Neben der Beurteilung des ländlichen Raumes und des Umganges mit altindustriellen Anlagen lag ein weiterer Fokus der Befassung mit angeeigneter physischer Landschaft auf der Beurteilung des Suburbiums seitens der Befragten. Die dabei geäußerten Wertungen wiesen ein hohes Maß an Unterschiedlichkeit und gegenseitigen Widerspruch auf. Aus Laienperspektive wägt Frau F. R. die wesentlichen Gesichtpunkte des Suburbiums auf die Frage ab: ÄViele Menschen wollen im Grünen, im Umland von Städten wohnen, durch den Bau großer Eigenheimsiedlungen verändert sich die Landschaft. Empfinden Sie dies als störend?³ ÄIch hab` schon Verständnis für die Leute, die im Grünen leben wollen. Auf der anderen Seite verbraucht man da schon Landschaft. Also, ich verstehe, dass man in der Nähe der Stadt leben will. Ich leb` ja auch in der Stadt. Ich leb` ja auch gerne in der Stadt, weil ich die Nähe schätze. Ich könnt` mir aber ebenso vorstellen, wenn ich ein Auto hätt`, auf dem Land zu leben, also im Grünen. Das ist ja auch das schöne auf dem Land, das man einfach mehr Platz hat. Ist immer
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auch die Frage, wie man das empfindet. Ob man das als eng spürt, oder ob man das so mag.³ (Frau F. R., S. 3, 23-29)
Bei Laien finden sich eher moderate Positionen zur Frage der Suburbanisierung (eine Ausnahme stellt hierbei Herr H. T., der die Ausdehnung von Siedlungen kategorisch ablehnt), die durch Abwägung der Vorteile größerer Naturnähe und größerer zur Verfügung stehender Flächen einerseits und dem Verbrauch von angeeigneter physischer Landschaft andererseits vor dem Hintergrund der eigenen lebensweltlichen Situation geprägt sind. Experten neigen auch in diesem Zusammenhang deutlich stärker dazu grundsätzliche Positionen pro oder contra Suburbanisierung einzunehmen. Ein Beispiel für eine kategorische Ablehnung des Suburbiums stellt die Äußerung von Herr D. V. hierzu dar: ÄAlso, ich empfinde sie [die Siedlungen des Suburbiums, Anm. O. K.] als störend; und mir fällt es schwer, die ihr zugesagten ästhetischen Qualitäten, Zwischenstadt etc. p. p., zu erkennen oder zu identifizieren.³ (Herr D. V., S. 3, 41-42)
Herr D. V. verweist in dem oben aufgeführten Interviewausschnitt auf die aktuelle Diskussion in der Raumplanung, eine Umdeutung des Suburbiums vorzunehmen. Diese Umdeutung lehnt er allerdings vehement ab. Weniger auf die Diskussion von Planungsparadigmata rekurrierend, sondern sich vielmehr auf individuelle (sekundärsozialisierte) Landschaftsästhetiken beziehend, kritisiert Herr R. T. das Eindringen städtischer Formensprache in das Suburbium des ehemals ländlichen Raumes: ÄFür mich ist es [das Vordringen suburbaner Räume; Anm. O. K.] mehr als störend. Für mich ist es schlimm, was gerade im mittleren Saarland, im Illinger Raum, gemacht worden ist, ich versuche mich zu erinnern. Ich war dieser Tage durch eine Ortschaft gefahren, ich kann es konkret sagen, es war [Ortsname], da war ich als Beifahrer im Auto, und habe versucht etwas Schönes, etwas nach meinen Kriterien Schönes, in diesen Orten zu finden, und habe wirklich nur schlimme Sachen gesehen. Gerade diese Überfremdung mit städtischen Zeichen, Baulichkeiten... Wenn man den Blick schärft ist es schlimm, ich wäre froh, ich hätte den Blick gar nicht so zurechtgelegt.³ (Herr R. T., S. 4, 21-28)
Während sich die Gegner der Suburbanisierung in besonderer Weise auf deren angeeignet physisch-räumliche Konsequenzen beziehen, ist bei jenen, die eine weniger ablehnende Haltung hinsichtlich der Suburbanisierung äußern, dieser Bezug weniger deutlich ausgeprägt. Vielmehr werden stärker individuelle motivrationale Betrachtungen angestellt, wie dies bei Herrn W. H. der Fall ist: ÄIch hab` viel Verständnis, weil ich aus dem Eigenen heraus, weil jemand aus der Stadt den Drang in das offenere, in das grünere, in das Weitere verspürt. Aus meinen Empfindungen ist das fast eine Logik. Ich kann das gar nicht anders sehen. Die Folgen sind für mich erst einmal wertfrei. Es ist ja auch, dass wir die sterbenden Höfe in diesen suburbanisierten Systemen haben. Aber, das kann ich ja nicht dem anlasten, der dort hingeht.³ (Herr W. H., S. 4, 33-38)
Noch deutlicher vollzieht Herr D. H. individuelle Motivlagen und Überlegungen, deren Folge die angeeignet-physischen landschaftlichen Folgen letztlich das Suburbium ist, nach: ÄIch denke schon, dass ich Verständnis dafür [die Suburbanisierung; Anm. O. K.] habe. Ich denke, es ist eine natürliche Entwicklung, die da stattfindet. Man arbeitet in der Stadt, versucht relativ stadtnah zu wohnen, will natürlich nicht weit weg von der Ar217
beitsstätte ziehen, da spielt der Aspekt eine Rolle: Brauch` ich ein Auto oder brauch` ich ein zweites Autos. Ich denke schon, dass ich Verständnis dafür hab`, auch wenn das dann eben seine Nachteile bringt, mit der Zersiedlung der Landschaft, aber dass der Mensch sich danach sehnt, in einen etwas näheren, stadtnahen Bereich vorzudringen, das verstehe ich.³ (Herr D. H., S. 4, 22-28) Herr D. H. stellt die individuellen Überlegungen bezüglich landschaftlicher Attraktivität, Nähe zum Arbeitsplatz und daraus abgeleitet, die Frage nach der Anschaffung eines zweiten Kraftfahrzeugs (bei Familien) hinsichtlich der Wahl des Wohnortes im Suburbium in das Zentrum seiner Ausführungen. Die bereits von Herr D. V. paradigmatischen raumplanerischen Befassungen mit dem Suburbium werden bei Frau A. T. gegeneinander abgewogen, wobei durchaus auch Elemente des primärsozialisierten und des sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins zum Ausdruck gebracht werden: ÄDas ist eine sehr schwierige Frage, weil wir einerseits natürlich so spontan mit dem persönlichen Empfinden sehr schnell bei der Hand sind, weil wir da auch geprägt sind, durch unsere Ausbildung, durch die Medien, die auch ein ganz klares Bild von suburbia vermitteln, andererseits in der reflexiven und distanzierten Ausübung der eigenen Profession... und da ergibt sich so eine gewisse Mixtura, einerseits zu sehen, dass Suburbia einen dramatischen Qualitätsverlust mit sich bringt, im Vergleich zum städtischen Umfeld oder mit sich bringen kann, dass wir aber auch in Suburbia exzellente Wohnsituationen vorfinden, und darüber auch ein anderes ästhetisches Erleben und ein hervorragendes Wohnumfeld und dass die Herausforderung heute darin besteht, dass wir heute mit unseren Stadtlandschaften anders umgehen, und das setzt eine vollständig verändere Wahrnehmung und Reflexion dieser Landschaften voraus. Um das auf den Punkt zu bringen: Ich glaub`, wir sind da ein Stück weit im Umbruch, dass wir dieses Erleben einem Paradigmenwechsel anpassen und dass wir mit unserem Erleben unseren Erkenntnissen ein Stück weit hinterher ziehen.³ (Frau A. T., S. 4-5, 40-50, 1-2)
Frau A. T. verdeutlicht in ihren Äußerungen die derzeitige Diskussion in den mit räumliche Planung befassten Wissenschaften, indem sie einen Paradigmenwechsel von der kompakten (europäischen) Stadt zur Zwischenstadt (hierauf wird in Abschnitt 6.1 näher eingegangen) thematisiert, ohne dass sie exklusivistisch einem Paradigma folgt. Weniger paradigmatisch bestimmt ist die Antwort eines Bürgermeisters einer Gemeinde in der Randzone des saarländischen Verdichtungsraumes: ÄWir sitzen vor einem Bild von [Ortsname], von vor 15, 20 Jahren und da ist alles realisiert worden, meines Erachtens bis zur Grenze. Wir haben die Grenze, die der Wald bildet. Nach meinem Dafürhalten kann man da nicht weiter gehen, wir haben noch die Möglichkeit in einem entsprechenden Gebiet etwas zu realisieren, es ist das Ehrmannswäldchen III, aber dann gibt es keine Möglichkeiten mehr. Wir wissen ja nicht, wie das mit der demographischen Entwicklung weitergeht, vielleicht wollen sich ja unsere Kinder fortpflanzen in unbestimmtem Ausmaß...³ (Herr H. T., S. 3, 21-28)
Der Interviewausschnitt zeigt einerseits einen weniger von raumordnerischen Paradigmen und Handlungsnormen, sondern vielmehr von einem pragmatischen lebensweltlichen Bezug geprägten Zugang zum Thema Suburbium. Fazit: Die Beurteilung des Suburbiums reicht von seiner exklusivistischen Ablehnung und einer den Suburbaniten entgegengebrachten Verständnislosigkeit einerseits, über ein Bedau218
ern der mit der Suburbanisierung einhergehenden ÄZerstörung³ von Landschaft bei gleichzeitigem Verständnis für die siedlungsspezifischen Motivlagen der Suburbaniten, bis hin zu der Überlegung andererseits, eine ästhetische Umdeutung des Suburbiums zu betreiben. Während eine tolerante Position gegenüber den Suburbaniten und den angeeignet physischlandschaftlichen Folgen der Suburbanisierung charakteristisch für Landschaftslaien ist, finden sich bei Landschaftsexperten ± mit teilweise explizitem Rückgriff auf die sekundäre Landschaftssozialisation ± ablehnende Haltungen gegenüber dem Suburbium und den Suburbaniten. 5.3.2.3.4 Landschaften der Zukunft und Paradigmen des Umgangs mit Landschaft Landschaftlicher Wandel und damit auch künftige Landschaften lassen sich primär als Expertenproblem charakterisieren. Laien entscheiden spontan, ob ihnen Landschaften gefallen oder nicht, sie nehmen sie als gegeben hin. Eine Ausnahme stellen hierbei signifikante Landschaftselemente (z.B. große Altindustrieanlagen und Neubaugebiete) dar. Hier wird aufgrund der lebensweltlichen Bedeutung oder auch einer hohen Intensität von landschaftlichen Veränderungen ein Wandel angeeignet-physischer Landschaft wahrgenommen. Die Überhöhung einer strukturreichen Halboffenlandschaft als Kulturlandschaft als Beispiel für das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von Kulturlandschaft findet sich in folgendem Interviewausschnitt, indem Herr R. O. auf die Frage antwortet, was er persönlich als besonderen Erfolg hinsichtlich der Erhaltung bzw. Entwicklung der saarländischen Landschaften verbuche: Ä[...] Wir haben uns bemüht, Landschaft nicht durch große Quadrate nur dem Produzenten nützlich zu machen, sondern wir haben versucht, unter dem Gesichtspunkt der Topographie das Landschaftsbild zu erhalten... wobei ich alles in allem stolz darauf bin, nicht alles in großen Schlaglängen zu messen, sondern alles kleinflächiger, in einem Landschaftsbild, das wir von unserer Gegend oder von unserer Region haben... dass wir das erhalten haben und nicht so verändert haben, dass da nicht plötzlich ein ganz anderes Landschaftsbild daraus wird.³ (Herr R. O., S. 5, 34-40)
Das Ziel, die Landschaften des ländlichen Raumes zu erhalten, verbindet Herr W. H. mit einer kulturellen Zuwendung zum ländlichen Raum, als Konsequenz der Folgewirkung gesellschaftlicher Veränderungen auf angeeignete physische Landschaft: ÄIch meine, wir dürfen in der Gesamtgesellschaft nicht nur Stadtkulturen haben. Ich meine, wir brauchen ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis zwischen Stadtkultursystemen und Landkultursystemen. Wenn wir das wollen, müssen landschaftliche Ressourcen in irgendeiner Form vorhanden sein und genutzt werden. Die Tendenz, die momentan da ist, dass Menschen einfach nur hier wohnen, aber sonst nichts damit zu tun haben, emotional nicht, existenziell nicht, kulturell nicht, das ist für mich ein Zustand, der nur als Übergang akzeptabel ist und nur im Übergang sinnvoll sein kann. Entweder rappelt sich das System wieder auf, mit Leben gefüllt wird, und zwar aus den Landschaften heraus, oder es fällt zusammen und hat dann im Ergebnis verlassene Dörfer mit all den Entwicklungen. Das ist mein Anliegen, den Menschen, die da wohnen, Landschaft einen neuzeitlichen Sinn zu geben.³ (Herr W. H., S. 1-2, 46-51, 1-6)
Mit dieser Äußerung verlässt Herr W. H. zwar hinsichtlich der Interpretation von Landschaftsentwicklung in Form der Zuweisung der Verantwortung für die Erhaltung der Land219
schaft an ÄLandkultursysteme³ die Normativität des Kulturlandschaftserhaltungsparadigmas, doch formuliert er das Ziel der Erhaltung einer ländlichen Kulturlandschaft. Das Paradigma einer stärkeren sukzessionistischen Landschaftsentwicklung findet sich beispielsweise bei zahlreichen ± bereits zitierten ± Interviewausschnitten von Herrn Z. A., der charakteristischerweise auf die Frage, worin er wesentliche Hemmnisse für die Erhaltung bzw. Entwicklung saarländischer Landschaften sehe, wie folgt antwortete: ÄIch sehe jetzt keine Leitbilder, die verhindert wären und damit auch keine Hemmnisse, außer der Schwerfälligkeit einer Gesellschaft, die aber nicht nur saarlandspezifisch ist.³ (Herr Z. A., S. 5, 48-49)
Dem sukzessionistischen Paradigma, aber auch dem Paradigma der Landschaftserhaltung, stellt Herr S. M. das Leitbild einer gesteuerten Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft entgegen: ÄIch sehe eigentlich keine großen Hemmnisse, ich glaube, dass man landschaftliche Entwicklung sehr viel stärker zu einem Gegenstand eines gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses machen sollte und machen kann. Während Landschaften früher eben eher zufällig, aus Notwendigkeiten heraus entstanden sind, gibt es heute Möglichkeiten, auch mit vertretbarem Aufwand, unterschiedliche Weichenstellungen vorzunehmen. Wir sind jetzt in der Situation zu fragen, wie stellen wir uns die Weiterentwicklung unserer Heimat vor? [...] Das ist eine Chance für eine Landschaftsplanung, die über eine Grünordnungsplanung entsprechend hinausgeht. Ob wir nun Obstbäume entlang von Straßen Pflanzen oder Mandelbäume oder Kastanienbäume, das ist eine Frage eben, wie entwickeln wir Landschaften eben weiter. [«@³ (Herr S. M., S. 5-6, S. 45-51 und 1-6)
Dieses Paradigma der bewussten Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften findet seine Ergänzung in dem Paradigma der Entwicklung eines neuen Zuganges zu Landschaften, wie dies von Herrn W. A. geäußert wird: ÄMan soll die Landschaft durch ganz kleine Eingriffe nachgestalten, vor allem im Kopf uminterpretieren, was wir bei den Haldenlandschaften machen, dass wir durch eine ganz kleine Veränderung des Blicks ihnen eine neue Bedeutung geben. Also: uns befreien von den alten Interpretationen und Neuinterpretationen möglich machen, das ist die große Kunst.³ (Herr W. A., S. 5, 32-35)
Herr W. A. sieht im künftigen Umgang mit Landschaften nicht primär die Erhaltung oder Entwicklung angeeignet physischer Landschaften im Zentrum des Interesses, sondern die reflexive Gewinnung von gesellschaftlichen Landschaften durch die Neuinterpretation von Landschaften. Fazit: Durch die sekundäre Landschaftssozialisation und auch deren Reflexion werden bei Personen, deren Landschaftszugang durch ein professionelles Landschaftsbewusstsein geprägt ist, unterschiedliche paradigmatische Vorstellungen von Landschaft und deren künftige Entwicklung geäußert. Diese Paradigmen lassen sich in vier Extrempositionen gliedern: Erstens, die Erhaltung und Wiederherstellung von Kulturlandschaft in Anlehnung an einen normativ definierten Idealzustand; zweitens, die sukzessionistische Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft als Nebenfolge der insbesondere ökonomischen Entwicklung (insbesondere als eine Überlassung der natürlichen Sukzession oder einer intensivierten Nutzung); drit-
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tens, die reflexive Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft; viertens, die Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft, also von sozialen Vorstellungen von Landschaft. 5.3.3 Die Wahrnehmung der Landschaft im Saarland ± Ergebnisse der qualitativen Befragung ± ein vorläufiges Fazit Wie im vorangegangenen gezeigt werden konnte, ist die Entwicklung von Landschaftsbewusstsein ein differenzierter Prozess, da Landschaftsbewusstsein interpersonal deutlich verschieden und auch der Landschaftsbegriff sehr undeutlich abgegrenzt ist. Im Wesentlichen lassen sich zwei Sozialisierungsprozesse in Bezug auf Landschaft feststellen: Eine primäre und eine sekundäre Landschaftssozialisation. Die primäre Landschaftssozialisation ist im Wesentlichen durch die direkte Erfahrung mit Landschaft, insbesondere in der Wahrnehmung von landschaftlichen Differenzen (Umfeld des Hauses ± weitere Umgebung, heimatliche Landschaft ± Landschaften im Urlaub), geprägt. Das primäre Landschaftsbewusstsein wird zunächst durch signifikante Andere im Sinne Meads (1980) vermittelt, später gewinnen selbständige Aneignungsprozesse, auch im Verband mit Gleichaltrigen, an Bedeutung. Aus primärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein kommt Landschaft in der Regel eine funktionale (Landschaft als Freizeitraum) und eine ästhetische Dimension zu. Für die ästhetisierende Konstruktion von ± zumeist außerhalb von Siedlungen angenommenen ± Landschaft sind drei Aspekte entscheidend: Natur, Abwechslungsreichtum, Anordnung. Die primäre Landschaftssozialisation bildet die Basis eines laienhaften Landschaftsbewusstseins. Die Konnotation von Landschaft und Heimat basiert weitgehend auf den Vorstellungen primärer Landschaftssozialisation. Heimatlandschaften werden vielfach als gegeben hingenommen und nicht hinsichtlich ihrer (stereotypen) Schönheit hinterfragt, dies unterscheidet sie hinsichtlich den landschaftlichen Ansprüchen im Urlaub. Die sekundäre Landschaftssozialisation erfolgt zumeist durch ein Fachstudium und lässt sich als fachbezogen selektiv und in der Regel analytisch-rationalistisch charakterisieren. Sie dominiert das expertenhafte Landschaftsbewusstsein. Die sekundäre Landschaftssozialisation bietet die kognitive Basis für das ÄLandschaften-Lesen³, das im Gegensatz zum emotionalen primärsozialisierten ÄLandschaften-Erleben³ steht. Interpretiert auf Grundlage sekundärsozialisierter Differenzschemata ist Landschaft intentional, auf die Relationalität unterschiedlicher Elemente reduzierbar, extensional wird Landschaft jedoch sehr unterschiedlich konstruiert. Auf Grundlage selektiver sekundärsozialisierter Differenzschemata werden einzelne relational räumlich angeordnete Elemente selektiv als Landschaft konstruiert und analysiert. Während andere Aspekte, deren Zugang nicht durch die Selektivität der jeweiligen sekundären Sozialisation nachvollzogen werden kann (z.B. die Schönheit von Landschaft bei einer naturwissenschaftlichen Sozialisation), gemäß primärsozialisierten Interpretationsschemata behandelt werden. Auf Grundlage der selektiven sekundären Landschaftssozialisation wird der Landschaftsbegriff häufig um Siedlungsflächen erweitert, wobei sich intrapersonal häufig ein impliziter bzw. expliziter Widerspruch zwischen dem primär- und dem sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstein ergibt.
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Insgesamt lassen sich vier Typen des Umganges mit Landschaft nachweisen, wobei diese sich nach den Prinzipien von Exklusivismus und Inklusivismus differenzieren lassen: 1. Der Typus des exklusivistisch-funktionalen Landschaftsbewusstseins. Dieser ist häufig bei Landschaftsexperten ausgeprägt. Landschaft wird auf analytisch darstellbare Bezüge reduziert, andere Landschaftsbezüge (z.B. primärsozialisierte) werden als nicht existent abgelehnt oder verdrängt. Ein weiteres Charakteristikum des exklusivistischfunktionalen Landschaftsbewusstseins ist die Verabsolutierung des eigenen funktional bestimmten Soll-Zustandes angeeigneter physischer Landschaft und die Ablehnung alternativer, auch alternativer funktionaler, Soll-Vorstellungen. Bei vorherrschendem exklusivistisch-funktionalen Landschaftsbewusstsein wird ein erhebliches Gefälle der Legitimität zwischen expertenhaftem und laienhaftem Landschaftsbewusstsein, verbunden mit der Forderung konstruiert, Laien verstärkt expertenhafte Kenntnisse zu vermitteln. 2. Der Typus des exklusivistisch-ästhetischen Landschaftsbewusstseins. Dieser Typus ist häufiger bei Experten und seltener bei Laien feststellbar. Ein als ästhetisch empfundenes Landschaftsbild wird exklusivistisch gegen alternative Landschaftsbilder abgegrenzt, landschaftliche Alternativvorstellungen kategorisch abgelehnt. Während dieser Typus bei Laien primär emotionale Bezüge aufweist, wird er bei Experten häufig durch Elemente des exklusivistisch-funktionalen Landschaftsbewusstseins ergänzt und analytisch begründet (z.B. durch die Erklärung bestimmter Flurformen, Haustypen und Pflanzenarten als regionaltypisch oder durch die Gleichsetzung von Schönheit von Landschaft mit ökosystemischen Bezügen). 3. Der Typus des inklusivistisch-tolerierenden Landschaftsbewusstseins. Dieser Typus ist sowohl bei Laien als auch bei Experten ausgeprägt. Entweder werden in Zusammenhang mit diesem Typus keine landschaftlichen Präferenzen formuliert oder es werden eigene landschaftliche Präferenzen formuliert, die jedoch gegenüber den landschaftlichen Präferenzen anderer als nicht prinzipiell berechtigter angesehen werden, dies gilt auch für die Toleranz von Experten gegenüber einem laienhaften Landschaftsbewusstsein. Charakteristisch für diesen Typus ist auch die Akzeptanz der Polyvalenz eigener Landschaftsbegriffe. 4. Der Typus des inklusivistisch-synthetisierenden Landschaftsbewusstseins. Dieser Typus findet sich ± aufgrund der Voraussetzung eines sekundärsozialisierten Landschaftsbewusstseins ± ausschließlich bei Landschaftsexperten. Charakteristisch für diesen Zugang zur Landschaft ist die Bemühung um Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein und die reflexive Gestaltung von angeeigneter physischer Landschaft, aber insbesondere des gesellschaftlichen Konstruktes Landschaft durch Perspektivwechsel. Solche Perspektivwechsel werden durch den Rückbezug auf Elemente des primärsozialisierten Landschaftsbewusstseins, aber auch durch die Verringerung der Selektivität der expertenhaften Landschaftswahrnehmung durch Auffächerung des Kenntnisstandes begünstigt, wenn nicht sogar bedingt. Während bei den exklusivistischen Typen des Landschaftsbewusstseins Landschaft außerhalb von geschlossenen Räumen angenommen wird und sich der Typus des inklusivistischtolerierenden Landschaftsbewusstseins in dieser Frage indifferent zeigt, ist beim Typus 222
des inklusivistisch-synthetisierenden Landschaftsbewusstseins eine Konstruktion von Landschaft auch für Innenräume charakteristisch. Allgemein wird Landschaft als angeeignete physische Landschaft interpretiert, die Konstruiertheit von Landschaft wird in der Regel lediglich dann vorgenommen, wenn ein inklusivistisches Landschaftsbewusstsein vorliegt. Wobei in dieser Hinsicht auch zwischen den beiden Typen inklusivistischen Landschaftsbewusstseins Unterschiede zu konstatieren sind: Der Typus des inklusivistisch-tolerierenden Landschaftsbewusstseins impliziert in der Regel lediglich auf der Ebene der Konstruktion landschaftlicher Soll-Zustände die Anerkenntnis der Konstruiertheit von Landschaft, während auf der physischen Ebene Landschaft als physisch gegeben angenommen wird. Bei dem Typus des inklusivistisch-synthetisierenden Landschaftsbewusstseins ist eine Reflexion über die prinzipielle soziale und individuelle Konstruiertheit von Landschaft die Regel. Die Interpretation der individuellen und sozialen Bedeutung von unterschiedlichen angeeigneten physischen Landschaften ließ im Wesentlichen drei Deutungsmuster erkennen: 1. Deutungsmuster der Funktionalität. Angeeignete physische Landschaften werden nach ihrer individuellen oder gesellschaftlichen, oder auch ökologischen, Funktionalität bewertet. So lange sie bzw. die überwiegende Zahl ihrer Elemente einer gesellschaftlichen oder individuellen Nutzung unterliegt, wird ihr eine funktionale Bedeutung zugesprochen, sie bleibt ± auch von Experten als weitgehend Ägegeben³ angenommen ± hinsichtlich erscheinungsbildlicher Alternativen weitgehend unhinterfragt. Erst wenn eine zumindest teilweise Defunktionalisierung einsetzt oder einzusetzen droht, werden alternative Landschaftsszenarien und deren individuelle und gesellschaftliche Funktionen intensiver betrachtet. 2. Deutungsmuster der Entsprechung oder des Widerspruchs der klassischen Landschaftsästhetik. Angeeignete physische Landschaften werden nach ihrer Kongruenz mit den Kriterien der klassischen Landschaftsästhetik, der stereotypen Landschaft, beurteilt. Geraten Landschaften unter den Druck der Entfunktionalisierung, wird die Zustimmung zu ihrer Erhaltung umso größer, je kongruenter ihr Bild mit jenem der stereotypen Landschaft übereinstimmt. 3. Semiotisches Deutungsmuster. Angeeignete physische Landschaften werden als Symbole für gesellschaftliche Strukturen und Funktionen in Rückkopplung mit angeeigneträumlichen Strukturen und Funktionen interpretiert. So symbolisieren altindustrielle Landschaftselemente harte Arbeit, Umweltbelastungen und Fremdbestimmung, den Niedergang eines Wirtschaftssektors; Waldlandschaften oder Halboffenlandschaften, Natur, Ruhe, Erhabenheit, und suburbane Siedlungen Landschaftszerstörung, komfortable Wohnlagen, Orte neuer Urbanität u. a. Während Landschaftslaien lediglich in Ausnahmefällen (große Intensitäten der landschaftlichen Veränderung) grundsätzliche Überlegungen zur Fortentwicklung von Landschaften (sowohl angeeignet-physischer als auch gesellschaftlicher) anstellen, ist dies bei Experten ± selektiv nach Ausrichtung der sekundären Landschaftssozialisation ± in der Regel der Fall. Im Wesentlichen lassen sich dabei vier Paradigmen der künftigen Landschaftsentwicklung feststellen: 223
1. Die Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft in Anlehnung an einen normativ definierten Idealzustand. Dieses Paradigma wird in erster Linie von Personen vertreten, die ein exklusivistisch-funktionales oder exklusivistischästhetisches Landschaftsbewusstsein aufweisen. 2. Die sukzessionistische Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft. Dieses Paradigma stellt den passiven Charakter der Strukturierung des angeeigneten physischen Charakters in den Vordergrund. Angeeignete physische Landschaft soll demnach sich auch künftig als Nebenfolge der gesellschaftlichen Entwicklung ausprägen. In Abhängigkeit von der ökonomischen Entwicklung und Inwertsetzbarkeit kann dies auch eine Überlassung von angeeigneter physischer Landschaft der natürlichen Sukzession oder einer intensivierten Nutzung sein. Dieses Paradigma wird in der Regel von Personen vertreten, deren Landschaftsbewusstsein inklusivistisch-tolerierend ist. 3. Die reflexive Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft. Anhänger dieses Paradigmas haben das Ziel, angeeignete physische Landschaft bewusst zu gestalten. Von den Vertretern des Paradigmas der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft unterscheidet sich dies durch einen stärkeren Gestaltungs- und nicht Wiederherstellungscharakter. Insbesondere Personen mit einem inklusivistischsynthetisierenden Landschaftsbewusstsein neigen zu diesem Paradigma, wobei dieses Paradigma durchaus auch von Personen mit exklusivistisch-ästhetischem Landschaftsbewusstsein vertreten wird. 4. Die Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft. Vertreter dieses Paradigmas neigen dazu, nicht die angeeignete physische Landschaft verändern zu wollen, sondern die gesellschaftliche Landschaft. Ziel ist es also, durch die Umdeutung von Landschaftsbewertungskategorien wie schön/hässlich, funktional/unfunktional etc. größere Modifikationen der angeeigneten physischen Landschaft (als Grundlage von Wohlbefinden) überflüssig zu machen. Dabei wird durchaus auf Elemente des Paradigmas der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft zurückgegriffen, mit dem Ziel durch geringe Veränderungen (insbesondere Inszenierungen, Überhöhungen von Landschaftselementen) eine gesellschaftliche Uminterpretation von Landschaft zu erreichen. Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft wird in der Regel von Personen vertreten, deren Landschaftsbewusstsein als inklusivistisch-synthetisierend zu beschreiben ist.
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Leitbilder der räumlichen Entwicklung und räumliche Planung zwischen Moderne und Postmoderne unter besonderer Berücksichtigung des Saarlandes
In diesem Kapitel sollen einerseits Leitbilder der räumlichen und raumordnerischen Entwicklung, andererseits Entwicklungsprojekte im Saarland hinsichtlich ihrer Kongruenz zur gesellschaftlichen Postmodernisierung untersucht werden. Als klassisches Leitbild der Raumordnung wird hierbei der vieldimensionale Begriff der Äeuropäischen Stadt³ besprochen, als Ergänzung hierzu werden die Zwischenstadt und der New Urbanism behandelt. Während der städtische, und neuerdings auch der suburbane Raum, Gegenstand der Formulierung von Leitbildern und Paradigmen sind, finden sich hierzu im ländlichen Raum wenige Vorstellungen. Siedlungsmodifizierend hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im ländlichen Raum (zumindest in den Alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland) der Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ ausgewirkt, dessen Entwicklung und gegenwärtige Akzeptanz zu betrachten sein wird. Für das Saarland werden drei Beispiele aufgegriffen: Zunächst das SAUL-Projekt Saarkohlenwald, der Lokalwarenmarkt Sank Wendeler Land (LEADER+) und die Dorferneuerung in Wolfersheim ± hier im Kontrast zur prägenden Gestaltung saarländischer Siedlungen des Äsaarländischen Funktionalismus³. Diese Auswahl stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr sollen exemplarisch Leitbilder und deren Anwendung vor dem Hintergrund der Postmoderne reflektiert werden. 6.1
Leitbilder der räumlichen Entwicklung ± zwischen Moderne und Postmoderne
6.1.1 Europäische Stadt Seit den 1990er Jahren ist die ÄEuropäische Stadt³ zum Paradigma der Raumplanung avanciert und löste damit die Stadtvorstellungen der internationalen funktionalistischen Moderne ab, die ihr als Äalte Stadt³ nur noch die Rolle eines Ähistorischen Kontrasts³ (Häußermann 2001: 237) zukommen lassen wollte. Dieser Paradigmenwechsel, der erneuten Wertschätzung der ÄEuropäischen Stadt³, fußt jedoch in der Neuorientierung der Stadtsanierung von der Flächensanierung hin zu einer erhaltenden Erneuerung (Jessen 2004). Neben dieser leitbildhaften Dimension des Begriffs der europäischen Stadt weist sie auch eine analytische Dimension auf, mit der sich im Folgenden zuerst zu befassen ist (vgl. Hamm 2001). Siebel (2004) schlägt fünf Merkmale zur Abgrenzung der europäischen zur außereuropäischen Stadt vor: 1. Die Präsenz einer vormodernen Geschichte in der städtischen Gesellschaft ist Ausdruck der städtischen Identität als Ort, in der die bürgerliche Gesellschaft entstanden ist. 2. Die europäische Stadt beinhaltet das Versprechen, sich aus reglementierten politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnissen befreien zu können. Damit wird die europäische Stadt ein Symbol für die Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen.
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3. Die europäische Stadt ist Ort einer besonderen Lebensweise, der urbanen Lebensweise, die von der Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit geprägt ist. Diese Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit ± im Sinne von Goffman (2002) von Vorderbühne und Hinterbühne zu verstehen ± lässt sich funktional (Politik und Markt gegenüber Produktion und Reproduktion), juristisch (öffentliches Recht gegenüber privatem Recht) und materiell/symbolisch (in der Gestaltung, der Symbolik und ausgewählten Materialien zu Überhöhung und Verdeutlichung von Unterschieden) dem städtischen Raum zuweisen. 4. Die europäische Stadt ist zudem durch ihre physische Gestalt geprägt, die sich im Gegensatz zum Land, durch ihre Größe, Zentralität, ihre Dichte und ihre Mischung manifestiert. Dabei ist die europäische Stadt Produkt bewusster Planung. 5. Die europäische Stadt ist zudem sozialstaatlich reguliert. Die Lebensbedingungen in der Europäischen Stadt sind demnach durch öffentlich-technische und ±soziale Infrastrukturen mitgeprägt. Die Lebensbedingungen in der Stadt sind auch deutlich von den ÄWertvorstellungen und Leitbildern einer professionellen Elite von Wohnungspolitikern, Städtebauern und Architekten geprägt, nicht nur von den Mechanismen der Kapitalverwertung³ (Siebel 2004: 18). Der Begriff der europäischen Stadt umfasst mindestens zwei Bedeutungsinhalte, er ist sowohl ein analytischer als auch ein städtebauliches Programm (Bodenschatz 2003): ÄIhr [der europäischen Stadt, Anm. O. K.] werden Merkmale wie eine relativ hohe bauliche Dichte, ein vernetztes System öffentlicher Räume, eine soziale, funktionale und architektonische Mischung sowie eine räumliche Hierarchie mit einem Zentrum als Höhepunkt zugeschrieben. Die konkrete europäische Stadt ist in diesem Sinne die materielle Interpretation ihrer jeweils besonderen Geschichte, die es zu erhalten, an neue Anforderungen anzupassen bzw. zu reproduzieren gilt. Die Beschwörung der traditionellen Stadt ist zugleich eine Absage an die Stadt der ÃNachkriegsmoderne¶ und an die Ãamerikanische Stadt¶³, die als angeblich form-, struktur, und zentrenlos sowie chaotisch gilt (Krämer-Badoni 2004). Das städtebauliche Programm der ÄEuropäischen Stadt³ versteht sich allerdings nicht allein als Gegenentwurf zum Städtebau der modernen Industriegesellschaft, sondern auch gegen Äungebrochene Urbanisierung der Peripherie in der postmodernen Zwischenstadt³ (Henckel/Herkommer 2004: 59) und weist damit ± zumindest in der architektonisch-raumplanerischen Dimension ± ein konfliktäres Verhältnis zur Postmoderne auf289. Die Analyse des Begriffes der europäischen Stadt hinsichtlich der Postmodernisierung der Gesellschaft und insbesondere der Auswirkungen dieser Postmodernisierung auf die Entwicklung von Landschaft kann in die beiden Bedeutungsinhalte unterschieden werden: Die europäische Stadt im Sinne eines analytischen Begriffes ist insbesondere für die Erforschung der Genese der postmodernen Landschaftsentwicklung von Bedeutung. Im Sinne eines städtebaulichen Programms ist grundsätzlich zu fragen, ob dieses den Bedürfnissen einer sich postmo289
Eine Zwischenstellung zwischen europäischer und angloamerikanischer Stadt nimmt die englische Stadt ein, die ± so Hofmeister (1996) ± einerseits aus dem frühzeitigen Schleifen der Befestigungsanlagen (aufgrund der Befriedung von Wales und der Integration Schottlands in das Vereinigte Königreich), andererseits aus einer Äantiurbanen Grundhaltung der Bevölkerung mit der Bevorzugung des Einfamilieneigenheims³ (Hofmeister 1996: 81) ± verbunden mit der Schwächung der Zentren (Kreibich 2001, vgl. auch Hammerschmidt/Wilke 2000).
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dernisierenden Gesellschaft entspricht. Einerseits sind mit dem Programm der europäischen Stadt die Rückbesinnung auf historische Gestaltungselemente und mit dem Ziel der Kompaktheit auch die Ausprägung neuer (auch regionalstädtischer) Zentralitäten (hierauf wird im Zusammenhang mit dem New Urbanism in Abschnitt 6.1.3 intensiver einzugehen sein) verbunden. Dies zählt zu den Charakteristika postmoderner Raumgestaltung. Andererseits besteht bei der Umsetzung des städtebaulichen Programms der europäischen Stadt stets die Gefahr, einseitiger (monovalenter) Stadt- (bzw.) Landschaftserhaltung auf Basis von Entscheidungen politischer Eliten (bzw. von Raumplanern) ohne oder mit nur geringer Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Bevölkerung. Auch in Abgrenzung zur funktionalistischen Stadt der Moderne läuft die geplante europäische Stadt Gefahr, ähnlich wie diese, hinsichtlich der Entwicklung von Urbanität, als ÄErgebnis sozialer Prozesse³ (Siebel 1994: 7), zu scheitern, da ihr das fehlt, Äwas die Qualität von Urbanität ausmacht: die Überraschung, das Unvorhergesehene, das Fremde. Die urbane Qualität der europäischen Stadt liegt in ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz, in ihrer Unübersichtlichkeit und ihrem chaotischen Überschuss, den Dichte, Größe und Heterogenität produzieren können³ (Häußermann/Siebel 1997: 304, vgl. auch Siebel 1994). Die alte (europäische) Stadt weist darüber hinaus eine Parallelität zur Postmoderne auf: die (teilweise erzwungene) Toleranz zwischen den Bürgern. Allerdings ist diese ± anders als in der Postmoderne ± erzwungen, wie Sieverts (2004: 86) nachweist ±, da sie durch räumliche Enge der Baulichkeiten und Einwohner genötigt und durch ein komplexes, kulturell aufgeladenes Regelwerk aufrecht erhalten worden sei. Darüber hinaus war es ein Charakteristikum der vormodernen europäischen Stadt, dass Äfast alle Einwohner und fast alle Bauwerke mehrere Funktionen zu übernehmen hatten. Stadtbürger waren neben ihrem Handwerk auch Stadtsoldaten, Ratsherren, Kirchenvorstände³ (Sieverts 2004: 86), die Bauwerke waren Teil mehrerer städtischer ÄSphären³ (Sieverts 2004: 86), in deren Überlappungsbereichen waren Äsie in ihrer Bedeutung Ãmehrfach codiert¶: Jedes Bürgerhaus bildete mit seiner wohlgeordneten, geschmückten Fassade auch ein Stück Wand des öffentlichen Raumes, Kirchen waren neben ihrer Aufgabe als gemeinsames Gotteshaus auch Alltagsraum und boten mit den zahlreichen Seitenkapellen Orte für Zünfte und Gilden³ (Sieverts 2004: 86) ± Polyvalenzen also, wie sie insbesondere für den postmodernen Raum charakteristisch sind. Hinsichtlich der stadtgeschichtlichen Analyse lassen sich also teilweise deutlichere strukturelle und funktionale Parallelitäten zwischen der alten (europäischen) Stadt der Vormoderne und der postmodernen Stadt (bzw. Agglomeration) feststellen als zwischen moderner (fordistischer) Stadt und postmoderner, aber auch vormoderner Stadt. Hinsichtlich der programmatischen Dimension des Begriffs der europäischen Stadt beschränkt sich die Kongruenz mit postmodernen Leitvorstellungen der Stadt- und Regionalentwicklung auf die Wertschätzung des Historischen und des Ästhetischen (Kaelble 2001), wobei schon hier die Differenz zwischen authentischer Historie (europäische Stadt) und ästhetisierter Historizität (Postmodernismus) offensichtlich wird. In besonderer Weise die exklusivistische Ausrichtung für die Zentren in dem Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie (Hesse 2001) weist deutlich modern geprägte Züge auf.
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6.1.2 Zwischenstadt Wie kaum eine andere Publikation in den Raumwissenschaften ist Thomas Sieverts (2001) Buch ÄZwischenstadt ± zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land³ seit seiner Erstauflage im Jahre 1997 diskutiert worden. Ein wesentlicher Verdienst Sieverts liegt darin, das landschaftlich-physische Ergebnis der Suburbanisierungsprozesse analytisch zu fassen und Perspektiven für seine Entwicklung darzulegen: die Zwischenstadt. Sieverts charakterisiert die Zwischenstadt folgendermaßen: ÄEs ist die Stadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Landschaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den NichtOrten der Raumüberwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt³ (Sieverts 2001: 7). Die Zwischenstadt stehe zwischen dem einzelnen, dem besonderen Ort als räumlich-historischem Ereignis Äund den überall ähnlichen Anlagen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, zwischen dem Raum als unmittelbarem Lebensfeld und der abstrakten, nur in Zeitverbrauch gemessenen Raumüberwindung, zwischen der auch als Mythos noch wirksamen alten Stadt und der ebenfalls noch tief in unseren Träumen verankerten Kulturlandschaft³ (Sieverts 2001: 14). Dabei stehen ± so Sieverts (2001) ± alle Kulturen, trotz weltweiter Verbreitung der Zwischenstadt, diesem Raumtypus Äratlos und ohne Konzept³ (Sieverts 2001: 23) gegenüber, da 1. die Zwischenstadt weder in der Vorstellung ihrer Bewohner noch derjenigen der politischen Eliten eine eigenständige Identität habe, 2. die mit der Entwicklung der Zwischenstadt verbundenen Aufgaben weder mit den Mitteln des Städtebaus noch der Architektur lösbar seien, 3. der Mythos der Alten Stadt den Blick auf die Realität der Peripherie versperre. Das raumplanerische Konzept der Zwischenstadt basiert auf der Erkenntnis, dass es gegenwärtig gesellschaftliche Veränderungen gibt, die Voraussetzungen für die Raumplanung darstellen, ohne dass die Raumplanung diese im Wesentlichen beeinflussen oder überformen könne. Sieverts (2001: 8) nennt in diesem Zusammenhang drei Entwicklungen: 1. Ädie weltweite Arbeitsteilung der Wirtschaft und die damit veränderte Stellung der Stadt im weltwirtschaftlichen Gefüge, 2. die Auflösung der kulturellen Bindekräfte der Stadt und die damit verbundene radikale Pluralisierung der Stadtkultur, 3. die inzwischen fast vollständige Durchdringung der Natur durch den Menschen und der sich damit auflösende Gegensatz zwischen Stadt und Natur³. Für Städte und Zwischenstädte umreißt Sieverts in Anlehnung an Hanns Adrian, dem ehemaligen Stadtbaurat von Frankfurt und Präsidenten der Deutschen Akademie für Städtebau und Landschaftsplanung, vier Perspektivenfelder möglicher Entwicklungen (Sieverts 2001): 1. Die bewahrte Stadt. Hier findet eine Erhaltung der traditionellen städtischen Grundstruktur statt. Die Innenstadt ist attraktiv und fußläufig, an ihrem Rand sind Parkhäuser lokalisiert. Darüber hinaus verfügt die bewahrte Stadt über eine dichte ÖPNVErschließung. Mit großem planerischem Aufwand erfolgt eine restriktive Vermeidung von Zersiedlung und nicht integrierter Zentrenentwicklung im Außenbereich. Mit der Entwicklung einer solchen Stadt sind ein hoher Finanzbedarf, eine hohe Regulations-
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dichte, die in ständige Konflikte mit individuellen Präferenzen der Standortwahl und der Politik gerät, verbunden. Insgesamt lässt sich die bewahrte Stadt lediglich in nichtdemokratischen Gesellschaften erzwingen. 2. Die Stadt der kooperierenden Zentren. Wichtigster Einkaufsbereich bleibt die Innenstadt, diese wird aber durch integrierte Fachmärkte und Einkaufszentren zur Versorgung der dispers in der Stadtregion verteilten Bevölkerung ergänzt. Die Innenstadt bleibt multifunktional und ist erreichbar für Automobilverkehr wie auch für den ÖPNV. Dieses Modell wird derzeit von den meisten deutschen Städten verfolgt, führt jedoch zu einer schleichenden funktionalen Aushöhlung des Stadtzentrums und der historischen Bauten. 3. Die ausgelaugte Stadt. Die Innenstadt wird denkmalpflegerisch erhalten und behält ihre touristische Attraktivität. Sie verliert jedoch weitgehend ihre kommerzielle Funktion an leistungsfähige Einkaufszentren und Fachmärkte am Stadtrand. Stadt und Region werden mit dieser Entwicklung dauerhaft vom motorisierten Individualverkehr abhängig. Eine solche Entwicklung ist vor allem in den neuen Bundesländern in der Praxis zu beobachten. Eine Rückkehr zum Modell 2 erscheint kaum noch möglich. 4. Die Stadt der künstlichen Welten. Dabei wird die Stadtregion zu einem System von spezialisierten Zentren, die durch ein perfektes Verkehrssystem erreichbar und verbunden sind: Einkaufszentren, Bürozentren, Freizeitzentren (Spaßbäder, Fun Park) und Landschaftszellen werden zu Erholungs- und Aktivitätszentren. Auch der historische Stadtkern kann als Center einbezogen werden. Die Stadtregion wird zu einem System von spezialisierten örtlichen Inszenierungen, von Kunstwelten. Insbesondere Modell 4 weist eine deutliche Affinität zu den in Abschnitt 4.2.3 beschriebenen Prinzipien der Ästhetisierung der Stadt auf. Insgesamt ist ± so Sieverts (2001) ± festzustellen, dass ein angemessener öffentlicher Diskurs über die normativen Leitbilder des Städtischen derzeit weder in der Politik noch in der Gesellschaft in hinreichendem Maße geführt wird. Dabei genüge es nicht, der historischen Stadt anzuhängen, die allenfalls musealisiert oder als historische Stadt neu inszeniert werden kann. Vielmehr benötigt die Zwischenstadt (als physische und soziale Tatsache) Leitbilder als Siedlungsform der Gegenwart und für eine künftige Entwicklung. Dabei sieht Sieverts (2004: 85) die städtebauliche Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte in der ÄTransformation der verstädterten Landschaften, die in der zweiten Moderne des Wohlfahrtsstaates entstanden sind³. Damit stellt das Konzept der Stadtlandschaft die ÄAntithese der traditionellen Stadtauffassung der Europäischen Stadt mit ihrem Gegensatz zur Landschaft³ (Kühn 2002: 95). Der Ansatz der Zwischenstadt lässt sich aus soziologischer Sicht als raumordnerische Anpassungsbemühung an den Prozess der gesellschaftlichen Postmodernisierung interpretieren. Einen besonderen Einfluss auf das Konzept der Zwischenstadt und deren Entwicklung hatten die Arbeiten von Touraine, Beck, Welsch u. a., aus denen Sieverts die sozialwissenschaftliche Basis für seine raumordnerischen Forderungen herleitet. Der Entwurf der Zwischenstadt lässt eine deutliche Affinität zu postmodernem Denken einerseits und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen andererseits feststellen, indem er einen raumordnerischen Leitbildwechsel fordert: Den Abschied von der ± in ihrer Konzeption eher elitären ± Europäischen 229
Stadt, hin zu einer Akzeptierung der flächenhaften Landschaftsveränderung von stereotyper Landschaft zu davon abweichender Landschaft. Insofern stellt das Konzept der Zwischenstadt auch ein Element eines Paradigmenwechsels in der gesellschaftlichen Landschaft (insbesondere der mit Raumordnung befassten) durch Aufweitung der Toleranzgrenzen dar: Das Suburbium wird nicht mehr als deviante Landschaft klassifiziert, sondern als physischangeeignet landschaftliche und soziale Tatsache. Das Konzept der Zwischenstadt lässt sich ± in postmoderner Terminologie ± als Abschied von der ÄGroßen Erzählung³ der europäischen Stadt und als Zuwendung zu den ÄKleinen Erzählungen³ lokaler und regionaler individueller Zwischenstadtplanung, mit intensiver Beteiligung der ansässigen Bevölkerung, interpretieren. Einen weiteren Bezug zur Postmoderne weist Sieverts Konzept der Zwischenstadt auch hinsichtlich der Bedeutung von Ästhetik in der Stadtlandschaft auf, indem er fordert, die Zwischenstadt als Ästhetikum wahrzunehmen, eine Ästhetik sich differenzierender Kulturen in der Zwischenstadt, aber auch in Abgrenzung zu der Kernstadt. In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung zu sehen, einen neuen Typ von Regionalplanung zu etablieren, indem Stadt- und Landschaftsplanung konzeptionell zu vereinigen seien und wieder zu Künsten werden müssten (Sieverts 2001: 139): ÄDie künstlerisch-architektonische Tradition des urban design im Städtebau muss sich verbinden mit der Tradition der Garten- und Landschaftskunst des Barock und der großen Landschaftsparks des 19. Jahrhunderts, und beide Traditionen müssen sich verbinden mit den schon immer auf ÃNachhaltigkeit¶ und Langfristigkeit angelegten Traditionen des Forst- und Agrarwesens³. Bei diesen Forderungen sind zwei wesentliche Kongruenzen zu postmodernem Denken zu vermerken: Erstens, dem übergreifend, generalistischen Ansatz innerhalb eines Raumes, zweitens, das Aufgreifen historischer Vorbilder für die Gestaltung von (Stadt-)Landschaft. Auch wenn vieles im Konzept der Zwischenstadt für die Berücksichtigung der (gesellschaftlichen) Postmodernisierung spricht, lassen sich bei Sieverts durchaus kritische Bemerkungen zu postmodernen Prinzipien der Baugestaltung finden, wenn er anmahnt (Sieverts 2001: 31) Äwir [dürfen] unsere alten Stadtkerne nicht zu Tode lieben, indem wir sie mit pseudo-historischen Bauten vervollständigen und sie mit vermeintlich urbanen Aufgaben überfrachten³. Die Kritik an der Inszenierung von Stadt und Raum lässt sich auch in Sieverts Ablehnung des Modells der ÄStadt der künstlichen Welten³ erkennen. An der Stelle favorisiert er eine enge ÄVerbindung und Durchdringung des Alltagslebens mit Kultur und Landschaft [...] mit Erlebnissen, die in die Erfahrungswelten des Alltagslebens integriert sind³ (Sieverts 2001: 143). Insbesondere in Deutschland wird unter Raumplanern eine intensive Diskussion zwischen den Vertretern der europäischen Stadt und jenen der Zwischenstadt geführt. Aus postmoderner Perspektive greift Bodenschatz (2001) diese Diskussion wie folgt auf: ÄDie Alternative zwischen ÄEuropäischer Stadt³ und ÄZwischenstadt³ ist eine Sackgasse, die in die Irre führt und die Fachwelt lähmt. Wohlgemerkt: das Beharren auf einer Alternative, auf dem Entweder Oder. Das impliziert oft eine verbale Entsorgung der städtischen Zentren auf der einen Seite wie auch eine strategische Vernachlässigung von Suburbia auf der anderen Seite³. Bei dieser Diskussion wird implizit die Fokussierung der Mehrzahl der Raumwissenschaftler und -planer wie auch Sozialwissenschaftler auf verdichtete angeeignet physische Räume deutlich: Der 230
Diskurs bezieht sich auf ein Konstrukt des städtischen Raumes und um dessen Erweiterung um Suburbia, die Zwischenstadt, der nicht oder nur dünn besiedelte Raum findet ± wenn überhaupt ± nur randlich Erwähnung.
6.1.3 New Urbanism Der New Urbanism lässt sich als bewusste Abgrenzung zu einer fordistischen Suburbanisierung verstehen. Die Ziele des New Urbanism beziehen sich auf die Steigerung von Lebensqualität der Menschen. Diese Ziele sind in der Charta des CNU, des Congress for the New Urbanism, als Gegenstück zur Charta von Athen, fixiert. Wesentliches Element des New Urbanism ist dabei die Abkehr von dem Leitbild der autogerechten Stadt und der Zuwendung zu einem Städtebauparadigma, dass sich an der Gartenstadtidee der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert orientiert: Siedlungen werden nach dem Modell einer gewachsenen Kleinstadt mit einem verdichteten Zentrum errichtet. Dabei stehen neben einer fußgängergerechten Planung eine stärkere Ausrichtung auf den öffentlichen Personennahverkehr und eine stärkere Mischung unterschiedlicher Nutzungen im Vordergrund. Insbesondere die verdichtete Bauweise und die Ausrichtung auf öffentliche Nahverkehrssysteme sollen dabei das Wachstum von Großstadtregionen einschränken (vgl. Ellin 1999, Calthorpe/Fulton 2001). ÄEin an den Prinzipien der historischen Stadt orientierter Städtebau, so die Grundannahme, dient dem Kampf gegen den Zerfall der Gesellschaft, fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stimuliert die Nachbarschaft und erweckt den allseits beschworenen Wert der community zu neuem Leben³ (Bodenschatz 2002). Auffällig ist bei den Projekten des New Urbanism die Dominanz des Städtebaus über die Architektur. Grundlage eines Projekts ist der master plan, der den Stadtgrundriss sowie die Verteilung der öffentlichen und privaten Grundstücke und Bauten festlegt. Zusätzlich gibt es einen urban code, ein städtebauliches Regelwerk, das die Regeln der architektonischen Gestaltung bestimmt. Erarbeitet werden diese planerischen Grundlagen zumeist durch ein besonderes Verfahren, das ³Charrette´ genannt wird. Dabei kommen die Planer mit den Bauherren, Vertretern öffentlicher Institutionen, gesellschaftlicher Gruppen u. a. zusammen, um im Laufe einiger Tage stufenweise die Planung zu erarbeiten. Master plan, urban code und charrette bilden das Instrumentarium des New Urbanism. Es erzwingt von vorneherein eine Zusammenschau von städtebaulicher, landschaftsplanerischer und architektonischer Planung (Kegler 2002). Der New Urbanism beschränkt sich dabei nicht auf die Erstellung von städtebaulichen Gesamtkonzeptionen, sondern bezieht sich auch auf die architektonische Gestaltung der Siedlungen: Der durch die Vertreter des New Urbanism favorisierte Baustil ist eine historisierend, für die jeweilige Region typische Gestaltung der Gebäude. Damit wird auf ein Äromantisierendes Erscheinungsbild Wert gelegt, das durch eine künstlerische Komposition der einzelnen Gebäude erreicht werden soll³ (Roost 2000: 29), New Urbanism sei dabei Änicht schlichtweg altmodisch, sondern ein schillerndes Kompositum zeitgenössischer Stadttechnik, zeitgenössischen Komforts und traditionalistischen Städtebaus³ (Bodenschatz 2002), bei dem Äauf eine konfrontative Gegenüberstellung von Suburbia und Innenstadt³ (Bodenschatz 2001) verzich231
tet wird. Im Gegensatz zum suburban sprawl soll die new urbanistische Stadt Urbanität erzeugen: ÄEin konstitutives Moment ist dabei die bauliche RE-Urbanisierung, die durch ein Konstruieren von städtebaulicher Raumkultur eine soziale wie ästhetische Bindungskraft für die Bewohner erzielen soll³ (Kegler 2003). Umsetzungen new urbanistischer Planungen finden sich vorwiegend in den Vereinigten Staaten. Insbesondere die Siedlung Seaside, eines der ersten Projekte der New Urbanists, hat durch den hier gedrehten Film ÄThe Truman Show³ Berühmtheit erlangt. In Seaside sollen weiße oder in Pastelltönen gehaltene mit vielfältigen Giebeln, Erkern, Portici und Veranden versehene Gebäude die Atmosphäre eines traditionellen Badeortes erzeugen (vgl. Bodenschatz 2002). Eine noch weiter gehende Besonderheit weist eine andere Stadt des New Urbanism in den Vereinigten Staaten auf: Celebration, im Umland Orlandos, eine Siedlung realisiert durch den Disney-Konzern. Celebration lässt sich durch einen hohen Grad an Simulation beschreiben: Das Straßenbild wird nicht ± wie ansonsten üblich ± von repräsentativen Garagenauffahrten, sondern von Kleinen Vorgärten dominiert, doch weist Celebration kein eigenes ÖPNV-System auf, die Architektur vermittelt die ÄVorstellung einer alten main street in einer historischen Südstaaten-Stadt³ (Roost 2000: 84), zwar wirkt das Rathaus architektonisch dominant, doch gibt es weder einen gewählten Stadtrat noch Bürgermeister. Ähnlich strikt wie die architektonischen Richtlinien in Celebration sind auch diejenigen für individuelles und soziales Handeln: ÄJeder Bewohner ist verpflichtet mindestens neun Monate im Jahr in Celebration zu weilen. Darüber hinaus ist ihm alles verboten, Äwas das idyllische Gesamtbild Celebrations beeinträchtigen könnte³ (Roost 2000: 88). Dazu zählt das Abstellen reparaturbedürftiger Autos vor dem Haus ebenso wie das Verglasen der Veranda oder das Aufhängen roter Vorhänge. Teilweise architektonisch weniger restriktiv, dennoch stark auf den öffentlichen Personennahverkehr ausgereichtet, existieren in den Vereinigten Staaten zahlreiche andere Beispiele für new urbanistische Planungsumsetzung von Regional Cities: In der Salt Lake Region, der Region Chicago und der Region Minneapolis-St. Paul, wie auch in der Region Portland in Oregon. Auch in Deutschland sind Planungsansätze im Sinne des New Urbanism zu verzeichnen: Der Masterplan für Bitterfeld stand im Jahre 1995 am Beginn eines Prozesses, der in ein umfassendes Planwerk für eine ÄRegional City³ in einem altindustriellen Raum mündete. Darüber hinaus wurde hier die für Projekte des New Urbanism charakteristische Methode der ÄCharrette³ experimentell eingeführt, z.B. in der Planungswerkstatt für Bitterfeld 1996 (Bodenschatz/Kegler 2002). Der New Urbanism weist einige deutliche Charakteristika der Postmoderne auf: die historisierende Architektur, die als ein playgiierender Umgang mit Vorbildern verstehbar ist, die Ablehnung rein funktionalistischer Planung, der Übergang der Eindeutigkeit zur Mehrdeutigkeit (in Celebration unter anderem in dem Umgang mit ruhendem Verkehr, der verborgen wird). Darüber hinaus lassen sich new urbanistische Siedlungen als ein weiteres Element eines zur Polyvalenz neigenden Raumpastiches sehen. Dem gegenüber besteht in new urbanistischen Siedlungen ± wie das Beispiel Celebration zeigt ± die Gefahr, den Prinzipien postmoderner Geisteshaltung, geprägt von Reflexivität, gesellschaftlicher Mitbestimmung und Tole-
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ranz, widerstrebende exklusivistische Einschränkungen der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Handlungsfreiheit zu zeitigen. Auch bei Bodenschatz (2002) finden sich hinsichtlich der Realisierung von new urbanistischen Konzepten durchaus kritische Worte: ÄDer hohe städtebauliche Anspruch des New Urbanism wird durch die bisherigen Projekte nur bedingt eingelöst. Sicher, der Unterschied zum schlichten System der Erschließungsstraßen der suburbs ist offensichtlich. Die Stadtgrundrisse der New-Urbanism-Projekte sind aber in der Regel ein etwas willkürliches Potpourri aus dem Repertoire der Stadtbaugeschichte, eine Sammlung von Zitaten und manchmal nur ein Formenspiel, das wenig Sinn macht.³ Den ökonomischen Aspekt des new-urbanistischen Städtebaus betrachtend stellt Prigge (2002: 43) fest: ÄEs geht hier [...] nicht wirklich um Geschichte und Stadtstruktur, also Stadtproduktion, sondern um die konventionelle Reproduktion ihrer marktgerechten Bild-Formen³. Ähnlich charakterisiert Hassenpflug (2002: 13) die Produktion Ägut vermarktbarer Wohnlagen³ des New Urbanism als Ausnutzung Äder narrativmythischen Potenziale der alten europäischen Stadtfigur³± ein Aspekt der postmodernen Rezyklierung und Inszenierung des Historischen. Darüber hinaus ergibt sich aus dem neotraditionalistisch-idealtypisierenden Herausgreifen architektonischer Stile eine positive Rückkopplung mit dem sozialen Stereotyp einer Äschönen³, oft romantischen Kleinstadt (vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2). Der New Urbanism bietet ± gleich einer postmodernen Simulation ± eine ÄIdentitätskulisse, wie sie als Tradition Amerikas in den Köpfen der gebildeten Angestelltenschicht gespeichert ist³ (Göschel 2004: 165). Die Siedlungen des New Urbanism tragen darüber hinaus zu einer weiteren räumlichen sozialen und ethnischen Segregation bei: Sie werden vorwiegend von ± einer sich freiwillig segregierenden ± Mittelschicht bewohnt und sind häufig (insbesondere in den USA) ein rechtlicher Sonderraum (d.h. eine Unternehmenssiedlung), in dem somit der Zuzug zentral gesteuert werden kann. Damit werden mit einem residualen Verbleiben der Unterschichtbevölkerung und Äles exclus³ in der Äalten Stadt³ (Clarke 2003), als erzwungene Segregation, bestehende räumliche Disparitäten verschärft (vgl. Dangschat 2000, Gans 2005). Der New Urbanism erscheint auch für ein sich postmodernisierendes Europa interessant. Nicht aufgrund der new urbanistischen Architektur, in den Vereinigten Staaten gibt es eine andere Bautradition, andere Wohnhaustraditionen, andere Baukonstruktionen, sowohl bei den Wohnungsproduzenten als auch bei der stilistischen Verkleidung. Von europäischer Relevanz scheinen ± aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Postmoderne ± die Bewegung des New Urbanism selbst, dessen praktische Orientierung, die sich in zahlreichen Experimenten ausdrückt, seine diskursive Orientierung, Ädie sich in einer großen, die Professionen wie Interessengruppen übergreifenden Debatte äußert. [...]. Die strategische Fokussierung auf den Städtebau für die postindustrielle Stadt ist äußerst fruchtbar. Debatten, wie auch praktische Experimente vermeiden eine polarisierende Entgegensetzung von Innenstadt und suburbia. Für den New Urbanism ist auch in dieser Frage eine übergreifende Sichtweise typisch³ (Bodenschatz 2002). Entscheidend für eine postmoderne Qualifizierung des New Urbanism ist sein Ziel, Ädie gesamte Stadtregion zu qualifizieren ± downtown und suburbia, nicht downtown oder suburbia³ (Bodenschatz 2002).
233
Doch gerade das Beispiel Seaside mit seiner Funktion als Filmkulisse verdeutlicht ein Element postmoderner Landschaftsentwicklung in Kulmination: Die Simulacrisierung von Landschaft. Hier wird eine simulierte historische Stadt(-Landschaft) zur Kulisse in einem Spielfilm (als einem Medium der Simulation), dessen Inhalt die Simulation von Wirklichkeit ist. 6.1.4 Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ bzw. ÄUnser Dorf hat Zukunft³
6.1.4.1 Die Entwicklung vor der Revision zum Landeswettbewerb 2006
1998
1991
1985
1979
1973
1967
1961
Zahl der teilnehmenden Dörfer
Der Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ findet seit 1961 in der Bundesrepublik Deutschland statt. Seit dem Jahr 1991 beteiligen sich auch kleinere Siedlungen in den Neuen Bundesländern an dem Wettbewerb. In Kreiswettbewerben werden zunächst Kreissieger ermittelt, die auf Landesebene von einer Landesjury bewertet werden, wobei der bzw. die Landessieger (ab einer Teilnehmerzahl von über 100 Siedlungen auf Landesebene werden nach einer Staffelung mehr als ein Sieger ermittelt) auf bundesdeutscher Ebene zum Wettbewerb zugelassen sind. Auch unter dem Druck der seit Mitte der 200 1970er Jahre rückläufigen Zahl der teilnehmenden Dörfer ± sowohl auf Bundesebene als 180 auch im Saarland (Abbildung 23) ± hat der 160 Wettbewerb im Laufe der Jahre sein Profil verändert, insbesondere soziale und ökologische 140 Entwicklungen wurden stärker bei der Bewer120 tung berücksichtigt. Mit den für den Landeswettbewerb 2006 gültigen Richtlinien hat sich 100 ein wesentlicher Wechsel des Schwerpunktes 80 hin zu einer zentralen Bewertung sozialer und weniger physischer Elemente verschoben. Ob 60 und inwiefern solche Veränderungen postmo40 dernen Entwicklungen Rechnung tragen, sei im Folgenden untersucht. Dabei wird unterschie20 den zwischen der Entwicklung, die vor der Re0 vision der Richtlinien zum Landeswettbewerb 2006 stattfand und den geänderten Richtlinien. Abbildung 23: Die Zahl der teilnehmenden Dörfer am Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ im Saarland (Quelle: Saarländisches Ministerium für Umwelt 2004).
Im Laufe der Entwicklung des Wettbewerbes ÄUnser Dorf soll schöner werden³ hat sich seine Zielrichtung teilweise deutlich gewandelt. Dieser Wandlungsprozess sei im Folgenden exemplarisch anhand des Vergleichs der saarländischen Richtlinien zum Wettbewerb 1967 (Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft 1967) und 2003 (Ministerium für Umwelt 2002a) erläutert. Ist der Wettbewerb des Jahres 2003 durch ein komplexes Zielsystem charakterisiert, das eine politische (insbesondere durch Bürgerengagement), ökonomische, soziale und kulturelle 234
wie auch angeeignet-physische landschaftliche Entwicklungen einschließt, sind die Ziele des Wettbewerbs des Jahres 1967 in zwei Sätzen zusammengefasst (Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft 1967: 2-3): ÄZiel des Wettbewerbes ist es, Dörfer und Gemeinden festzustellen, die sich durch hervorragende Gemeinschafts- und Selbsthilfeleistungen in der Gestaltung, Pflege und Entwicklung des Dorfes und seiner Umgebung besonders auszeichnen. Diese Gemeinden sollen als Bestandteile herausgestellt werden, um so anderen Gemeinden wertvolle und würdige Vorbilder zum Nacheifern zu geben³. Neben der grundsätzlichen Definition der Ziele des Wettbewerbes können die Bewertungskriterien als mitentscheidend für die Schwerpunkte des Wettbewerbes gelten. Im Vergleich der Wettbewerbe von 1967 und 2003 haben sich einerseits die Bewertungsschwerpunkte verschoben, andererseits wurden sie auch weiter differenziert (Abbildung 24): Entfiel auf die Bewertung der Baugestaltung im Jahre 1967 noch 50 % der Maximalpunktzahl, sind 2003 lediglich 20 % der Punkte für die Bewertung der Baugestaltung und -entwicklung (hierbei handelt es sich um eine Neuerung gegenüber dem Wettbewerb 1967) zu vergeben. Eine äquivalente Differenzierung lässt sich auch von der reinen Grüngestaltung 1967 zur Grüngestaltung und -entwicklung im Jahre 2003 nachweisen. Als exemplarisch für die Veränderung der Schwerpunktsetzung des Wettbewerbs von einer Bewertung von Sauberkeit, Pflege- und Erhaltungszustand zu einer stärker von Evaluierung denn von Bewertung geprägten Erfassung der örtlichen Charakteristika ± mit besonderem Schwerpunkt auf Entwicklungslinien und -konzepte kann der Bereich ÄEntwicklungskonzepte³ gelten: Ließen sich 1967 lediglich das Vorhandensein von ÄOrdnungseinrichtungen³ (Flächennutzungsplan, Bebauungspläne, Flurbereinigung u. ä.) als Entwicklungskonzept subsumieren, umfassen die Anforderungen in diesem Bereich im Jahr 2003 darüber hinaus u. a. die Entwicklung eines Dorfleitbildes und dessen Berücksichtigung unter den örtlichen Gegebenheiten, Initiativen zur Sicherung der Grundversorgung, Maßnahmen zur Wahrung der dörflichen Struktur.
235
Insgesamt lässt sich im Vergleich der Bewertungskriterien der Wettbewerbe von 1967 und 2003 einerseits ein Bedeutungsgewinn immaterieller Aspekte (u. a. soziales und kulturelles Leben) zuungunsten materieller Aspekte (Baugestaltung, Grüngestaltung), und andererseits eine Stärkung prozessualer gegenüber statischer Kriterien nachweisen290. Trotz dieser Veränderungen der Bewertungskriterien nahm die Teilnehmerzahl der Dörfer seit Mitte der 1970er Jahre kontinuierlich ab. In Zukunft sieht Siegel (2003: 4) den Bedarf einer Weiterentwicklung des Wettbewerbes in vier Dimensionen: 1. Stärkung von Zukunftsfähigkeit und nachhaltigen Entwicklungen, wobei hierbei eine Umsetzung der bereits formal in den Ausschreibungsrichtlinien verankerten Aspekte der Zukunftsorientierung eine besondere Bedeutung zukommt. 2. Weiterentwicklung des Bewertungsverfahrens, wobei das Bewertungsverfahren im Spannungsfeld der anspruchsvollen Wettbewerbsziele, dem Anspruch, Bürger durch Anerkennung ihrer Leistungen zu motivieren und der öffentlichen Wirkung prämierter ÄGold-Dörfer³ steht. Mangelnde Nachvollziehbarkeit und die unzureichende Ausrichtung auf Aspekte der Nachhaltigkeit in der Bewertung gilt es abzuschwächen. 3. Beratung und Wissenstransfer, womit eine Initialwirkung für eine Entwicklung der Dörfer möglich werden soll. Ein Problem besteht darin, dass den Dörfern die vorhandenen, umfangreichen Informationsmöglichkeiten wenig bekannt sind. 4. Öffentliche Kommunikation. In der Öffentlichkeit wird die Darstellung der erweiterten Wettbewerbsinhalte im Sinne Ä... ± Unser Dorf hat Zukunft³ kaum wahrgenommen. Vielerorts dominiert noch das Bild des traditionellen Verschönerungswettbewerbs, die Wandlung der Wettbewerbsziele und seiner Handlungsinhalte sind nicht Gegenstand einer öffentlichen Kommunikation. 6.1.4.2 Die Revision zum Landeswettbewerb 2006 Die bundesweit drastisch sinkenden Zahl der am Dorfwettbewerb teilnehmenden Siedlungen, massive Kritik an der Ausrichtung des Wettbewerbs ± insbesondere seitens der Bundesländer ± wie auch kritische Evaluierungen (wie z.B. von Siegel 2003) haben dazu geführt, dass die Bundesrichtlinien zum Bundeswettbewerb 2007 und damit auch die Richtlinien zu den Landeswettbewerben im Jahre 2006 drastisch geändert revidiert wurden. Bereits die Änderung des Titels von ÄUnser Dorf soll schöner werden³ zu ÄUnser Dorf hat Zukunft³ illustriert die Schwerpunktverschiebung des Wettbewerbs, dessen Ziel nun in der ÄVerbesserung der Zukunftsperspektiven in den Dörfern und [der] Steigerung der Lebensqualität im ländlichen Raum³ (Ministerium für Umwelt 2005: 1) besteht. Der Dorfwettbewerb soll dazu beitragen, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken, indem Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der örtlichen Entwicklung erfasst werden, um aus dieser Analyse Entwicklungsperspektiven für die ländliche Siedlung zu erschließen. Diese Entwicklungsper290
Dieser stärker prozessuale Charakter des Dorfwettbewerbes der Gegenwart lässt sich hinsichtlich seiner historischen Entwicklung verfolgen: Wurden die Dorfwettbewerbe der 1960er und 1970er Jahre noch allein ÄUnser Dorf soll schöner werden benannt³, kam in den 1980er Jahren der Zusatz Ä ... ± unser Dorf soll leben³ hinzu. Erst in den 1990er Jahren wurde dieser Zusatz durch den aktuellen Ä ... ± unser Dorf hat Zukunft³ ersetzt.
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spektiven sollen in Zusammenarbeit zwischen den Äverschiedenen kommunalen und staatlichen Institutionen, Vereinen, und sonstigen Gruppierungen im Dorf³ (Ministerium für Umwelt 2005: 1-2) auch in Zusammenarbeit mit den Bewohnern benachbarter Siedlungen umgesetzt werden. Eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung ländlicher Siedlungen kommt ± so Ministerium für Umwelt (2005: 2) ± dabei der generationsübergreifenden Zusammenarbeit mit dem Ziel die Ädörfliche Identität³ zu stärken und die Natur und die Umwelt zu pflegen und zu erhalten. Die Bewertungskriterien des Dorfwettbewerbes haben sich von einem eher unflexiblen, vereinheitlichenden und quantifizierendem Schema zu einem Bewertungsrahmen entwickelt, in dem Ädie Leistungen der Dörfer [...] vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Ausgangslage und individuellen Möglichkeiten der Einflussnahme bewertet [werden]³ (Ministerium für Umwelt 2005: 3). Dabei wird sowohl die konzeptionelle Arbeit wie auch deren Umsetzung in fünf Komplexen bewertet (Ministerium für Umwelt 2005): · Entwicklungskonzepte ± wirtschaftliche Initiativen. Hierbei sollen Bürger, örtliche Unternehmen und Gemeindeverwaltung integrierte Konzepte zur autochthonen ökonomischen Entwicklung erstellen und umsetzen. · Soziale und kulturelle Aktivitäten sollen der Stärkung der Integration von ÄEinzelpersonen oder Gruppen aller Altersstufen³ (Ministerium für Umwelt 2005: 3) dienen. · Baugestaltung und -entwicklung. Diese sollen dem Orts- und Landschaftscharakter angepasst sein und durch einen sparsamen und effizienten Umgang mit vorhandenen Flächen gekennzeichnet sein. · Grüngestaltung und -entwicklung sollen eine Vernetzung mit der umgebenden Landschaft und vielfältige, naturnahe Lebensräume erhalten. · Das Dorf in der Landschaft soll in der Landschaft eingebunden sein und zur Erhaltung, Pflege und Entwicklung ± insbesondere durch eine angepasste Ortsrandgestaltung ± beitragen. 6.1.4.3 Der Wettbewerb aus postmoderner Perspektive Wie im Vorangegangenen gezeigt werden konnte, hat sich der Wettbewerb, deutlich von einem materialistischen Bewertungsschema zu einem durch postmaterialistische Einflüsse geprägten Schema verändert. Galt früher eine kleine Siedlung mit gepflegter, regionaltypischer Bausubstanz und Begrünung als Äschönes Dorf³, sollen heute Siedlungen prämiert werden, deren ÄDorfgemeinschaft³ eine materielle und immaterielle Entwicklungsperspektive bietet. Eine besondere Bedeutung erhält heute die bottom-up-induzierte Leitbildentwicklung. Sowohl aufgrund der Untersuchung Siegel (2003) als auch aufgrund eigener Beobachtungen kann jedoch angenommen werden, dass eine solche Änderung der Richtlinien weder bei vielen Bewertungskommissionen, den teilnehmenden Siedlungen noch in der Öffentlichkeit hinreichend nachvollzogen wurde. Darüber hinaus sind die Bewertungsmerkmale ± auch des Wettbewerbes 2003 ± derart allgemein gefasst, dass in Abhängigkeit der Sichtweise des Bewerbers stark konservierende materiell orientierte Beurteilungen ebenso möglich sind wie postmateriell bezogene. Burckhardt (1995: 156) kritisiert den Wettbewerb fundamental einerseits hin-
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sichtlich seiner Ausrichtung andererseits in Bezug auf seiner Checklistenverfasstheit und der davon induzierten vereinheitlichenden Tendenz der Dorferneuerung: ÄDie Verschönerung dieser Dörfer geschah nach Checklisten; da heißt also, dass Eigenarten verschwinden und Allgemeinheiten erzeugt werden³291. Dies bedeute ± so Burckhardt (1995) ± die Zerstörung von Information, die durch eine ungestaltete Entwicklung entstanden wäre. Systemtheoretisch lässt sich dies als Komplexitätsreduzierung beschreiben. Wobei ± wie gezeigt ± eine solche Verminderung von Kontingenz ein Programm der (ambiquitätsreduzierenden) Moderne ist, während ein postmodernes Programm stärkere Toleranzen gegenüber Ambiguitäten aufwiese. Diese Toleranzen sind mit den neuen Wettbewerbsrichtlinien deutlich ausgeweitet worden, da eine stärkere Zentrierung auf die individuelle Entwicklung von ländlichen Siedlungen und lokalen Gesellschaften ± bei gleichzeitiger Abnahme der Checklistenverfasstkeit der Bewertung ± stattfindet. Wie auch vielfach in der Untersuchung von Siegel (2003) kritisch geäußert, erschien der Titel des Wettbewerbes zu Beginn der 2000er Jahre nicht mehr der Tendenz der Richtlinienentwicklung gerecht. Wurde die verstärkt berücksichtigte Bedeutung der sozialen und kulturellen Entwicklung sowie das stärkere Gewicht für Leitbildprozesse beurteilt, erschien der ergänzte zweite Teil des Titels Ä... ± unser Dorf hat Zukunft³ sehr viel programmatischer und wurde in den Richtlinien für den Bundeswettbewerb 2007 somit auch zum alleinigen Titel gewählt. Der vormals erste Teil ÄUnser Dorf soll schöner werden ...³ suggerierte stärker den Charakter eines ÄBlümchenwettbewerbes³ und stellte die Verantwortlichen vor die Frage, was einerseits unter ÄSchönheit³ zu verstehen sei und andererseits, ob ÄSchönheit³ mit Zukunftsfähigkeit zwingend gleichzusetzen sei. Bedenkenswert erscheint bis zu den gegenwärtig geltenden Richtlinien auch der terminologische Gebrauch von ÄDorf³. Die Wettbewerbsrichtlinien definieren ÄDorf³ als Gemeinden oder räumlich geschlossene Gemeindeteile mit überwiegend dörflichem Charakter mit bis zu 3.000 Einwohnern (Ministerium für Umwelt 2002a, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft 2004, Ministerium für Umwelt 2005). Damit wird ± aus soziologischer Sicht ± eine sozialfunktionale und ±strukturelle Kontinuität konstruiert, die hinsichtlich aktueller Entwicklungen im nichtstädtischen Raum (Abschnitt 4.2.1.3) zumindest fragwürdig erscheint: Mitentscheidend für die Entwicklung von Siedlungen in der Postmoderne ist auch die Frage nach der Konstruktion einer räumlichen Identität, inwiefern eine rückwärtsgewandte, tendenziell exklusivistische Identität auf Grundlage von (konstruierten) Dorfspezifika hier ± selbst bei Gold-Prämierungen im Dorfwettbewerb ± hilfreich sein kann, gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit zu gestalten, sei bezweifelt. Die Grundlinie des Wettbewerbs wies ± auch bei neuerlich starker Betonung von Buttomup-Ansätzen ± bis zu den Richtlinien des 2003er Wettbewerbs einen konservierenden Grundcharakter auf: Dieser stark konservierende Charakter, in den Bewertungsmerkmalen definiert, stellt eine starke Betonung eines modernen Objekt-Paradigmas (historische Bausubstanz) im 291
Weiter heißt es bei Burckhardt (1995: 156): ÄEin Preisgericht wusste ganz genau, wie ein schönes Dorf aussieht: Der Dorfbrunnen ist stillgelegt, sein Becken ist mit Begonien und Geranien angepflanzt, darum herum ist ein Rasen, auf dem zwei Bänke stehen. Der Rasen ist so perfekt, dass kein Trampelpfad hin zu den Bänken geht; die Dorfbewohner und die zufälligen Besucher also wagen es nicht, sich auf die Bänke zu setzen, weil sie ja den Schein von Unbenutztheit ausstrahlen³.
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Gegensatz zu einem postmodernen Meta-Paradigma (Toleranz und Offenheit) dar. Auch durch das Ziel, die regionaltypische Tier- und Pflanzenwelt zu fördern, regionaltypische Bausubstanz in einer für die Region charakteristischen gewachsenen Kulturlandschaft zu erhalten. Auch in den aktuellen Richtlinien sind konservierende Elemente ± insbesondere hinsichtlich der physischen Dorf-Landschaftsstruktur ± dominierend. Wird die Entwicklung des Wettbewerbs ÄUnser Dorf soll schöner werden³±ÄUnser Dorf soll schöner werden ± unser Dorf hat Zukunft³±ÄUnser Dorf hat Zukunft³ aus postmodernistisch-raumsoziologischer Perspektive hinsichtlich seines Landschaftsparadigmas betrachtet, hat er das Ziel der Verhinderung der Entstehung nonvalenter Räume durch die Implementierung vornehmlich monovalenter, historisch-rekonstruierter angeeigneter physischer Landschaften. Andererseits weist die in den Richtlinien favorisierte gesellschaftliche Orientierung auf governance deutliche Züge eines postmodernen Politikverständnisses auf. Hier wird die Zwischenstellung des Wettbewerbes zwischen Moderne und Postmoderne deutlich. Dabei ist insbesondere zwischen den Richtlinien zu ÄUnser Dorf soll schöner werden ± unser Dorf hat Zukunft³ (Landeswettbewerb 2003) und ÄUnser Dorf hat Zukunft³ (Landeswettberwerb 2006) eine deutliche Steigerung der Ausrichtung auf die gesellschaftliche Postmodernisierung nachzuweisen. 6.2
Räumliche Planung im Saarland ± zwischen Moderne und Postmoderne
6.2.1 Der physische Raum und die Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften zur Postmoderne im Saarland Kaum ein anderer Raum in Mitteleuropa weist eine derartige landschaftliche Differenzierung auf einer Fläche von lediglich knapp 2.600 km2 auf wie das Saarland. Die innere landschaftliche Differenzierung des Saarlandes wird durch naturräumliche Gliederung in Abbildung 25 deutlich. Die naturräumliche Grobgliederung wird durch drei Einheiten geprägt (vgl. Quasten 1992): 1. Das Rheinische Schiefergebirge, das mit seinem südlichsten Gebirgszug, dem Hunsrück, das Land im Norden begrenzt, 2. das Pariser Becken, das im Westen und Süden mit seinen ältesten geologischen Serien, dem Muschelkalk und dem Buntsandstein, als Lothringisch-pfälzisches Schichtstufenland in das Saarland hineinragt, 3. das südwestliche Saar-Nahe-Bergland, das im Wesentlichen aus karbonischen und permischen Gesteinen gebildet wird.
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Der saarländische Teil des Hunsrücks wird durch nahezu geschlossene forstwirtschaftlich genutzte Fichtenbestände geprägt. Aufgrund der ± wegen der Höhenlage von bis zu rund 700 mNN ± geringen Lufttemperaturen, dem hohen Reliefierungsgrad und der wenig fruchtbaren Böden konnte sich hier keine landwirtschaftliche Nutzung etablieren. Die bis in eine Höhe von knapp über 400 mNN reichenden Gaue (inkl. der Merziger Muschelkalk-Platte) des Lothringisch-pfälzischen Schichtstufenlandes sind dagegen spätestens seit der römischen Besiedlung landwirtschaftlich genutzt, lediglich in ungünstigen Steillagen und staunassen Bereichen
Abbildung 25: Die naturräumliche Gliederung des Saarlandes (nach: Quasten 1992).
sind sie bewaldet. Die Gaue sind durch Ablagerungen der Muschelkalk-Serie geprägt. Südexponierte Oberhänge weisen positive Lufttemperaturanomalien auf und sind somit Standorte mediterraner Tier- und Pflanzenarten. Die physischen Räume des mittleren Buntsandsteins (Warndt, Sankt Ingberter Senke und Homburger Becken) sind durch ein sanftes Relief und wenig fruchtbare Böden (eine Ausnahme bilden Schwemmlehme) gekennzeichnet. Ihr Bewaldungsgrad ist schwankend, da einerseits Schwemmlehmflächen landwirtschaftlich genutzt werden, andererseits diese Bereiche dicht besiedelt sind. Zwischen dem Saar-Bliesgau und der Sankt Ingberter Senke sowie dem Homburger Becken befindet sich der SaarbrückenKirkeler Wald. Geologisch wird er vom Oberen Buntsandstein gebildet. Nahezu vollständig bewaldet, tritt er im Relief deutlich stufenförmig gegenüber den nördlich angrenzenden natur240
räumlichen Einheiten hervor. Das Merzig-Haustädter Buntsandstein-Hügelland und das Saarlouiser Becken stellen Übergangsräume zwischen den benachbarten naturräumlichen Einheiten dar, ohne besondere spezifische Eigenheiten zu entwickeln. Die naturräumliche Einheit des Saarkohlenwaldes ist ein waldreiches Gebiet, das sich nördlich an den Kernbereich des saarländischen Verdichtungsraumes anschließt. Der Waldreichtum des Raumes resultiert aus der geringen landwirtschaftlichen Eignung seines unfruchtbaren Bodens. Seit Beginn der Industrialisierung sind allerdings Teile des Waldes zugunsten von Siedlungen, Straßen, Eisenbahnstrecken sowie Bergbau- und Industrieanlagen gerodet worden. Alte Siedlungskerne fehlen im Saarkohlenwald völlig, die typische Siedlungsform ist die Bergmannskolonie (Born 1980, Quasten 1992). Das Prims-Blies-Hügelland ist durch vergleichsweise nährstoffreiche und somit seit Jahrhunderten landwirtschaftlich genutzte Böden gekennzeichnet, insbesondere der nördliche Teil wird durch eine offene angeeignete physische Landschaft geprägt, zum Saarkohlenwald, der im Süden angrenzt nehmen die Waldanteile (insbesondere Eichen-Buchenwälder) zu. Das im Osten des Landes angeschnittene Nordpfälzer Bergland ist durch größere Höhen (bis 514 mNN) und steilwandige, bis zu 150 m tief eingeschnittene Täler gekennzeichnet. Die landwirtschaftliche Nutzung tritt hier zugunsten von buchendominierten Wäldern zurück. Der physische Raum des Nohfelden-Hirsteiner Berglandes ist durch Gesteinsdecken magmatischen Ursprunges, die durch die Nahe und ihre Seitenbäche in zahlreiche Kuppen, Rücken und Sporne zerlegt sind, geprägt. Die unruhigen Oberflächenformen sind aufgrund ihrer Steilheit für eine landwirtschaftliche Nutzung wenig geeignet, so dass das NohfeldenHirsteiner Bergland weitgehend bewaldet ist. Auch der physische Raum des PrimsHochlandes ist durch magmatische Gesteinsvorkommen geprägt. Ein markantes Vulkanitvorkommen ist das Schaumberg-Massiv, dessen höchste Erhebung der Schaumberg (569 mNN) mit seinem rund 180 m hohen südlichen Steilhang eine weithin sichtbare und im Saarland sehr bekannte Landmarke darstellt. Insgesamt ist das Prims-Hochland durch ein unruhiges Relief und einem raschen Wechsel von landwirtschaftlicher Nutzung und Wald geprägt. Das Hochwald-Vorland setzt sich gegenüber dem Prims-Hochland und dem Hunsrück durch sein sanftes Relief und seine großen Offenlandanteile ab. Die naturräumliche Einheit des Mittleren Saartals durchzieht das Saarland von der südlichen Landesgrenze bis zum Eintritt in den Hunsrück im Norden. Es ist durch Schotterablagerungen und Talterrassen geprägt. In kaum einem anderen Raum des Saarlandes ist der Einfluss des Menschen auf die angeeignete physische Landschaft derart deutlich wie im Mittleren Saartal, so dass die vor dem Einfluss des Menschen dominierenden Flussmäander, Altgewässer und Auwälder nur noch rudimentär vorhanden sind: Die Saar ist kanalisiert, die Terrassen durch Siedlungen, Industrie- und Gewerbegebiete und durch Verkehrsstrassen genutzt (Born 1980, Quasten 1992). Das Kerngebiet des Saarlandes ist durch einen Verdichtungsraum charakterisiert. Er erstreckt sich von Dillingen an der Saar über Saarbrücken und über Neunkirchen nach Ottweiler im Norden, die südliche Grenze bildet die Linie Saarbrücken ± Sankt Ingbert ± Homburg. Charakteristisch für den Verdichtungsraum ist der hohe Flächenbedarf der Besiedlung durch ein zumeist lockeres, bandartiges Siedlungswachstum und die Gemengelage von Industrie, Wohngebieten und Verkehrseinrichtungen, die zwischenstadtartig die städtischen Siedlungs241
kerne umgibt und miteinander verbindet. Die bandartige Struktur der Siedlungen im Verdichtungsraum korrespondiert mit der orographischen Lage im physischen Raum: Die Siedlungen erstrecken sich in den Tälern, während die Höhenzüge weitgehend unbebaut blieben. Der saarländische Verdichtungsraum trägt heute in weiten Teilen die Merkmale einer altindustriealisierten Region. Eine frühe Industrialisierung, Bergbau und Verstädterung im Umfeld der Montanstandorte prägen bis heute die angeeignete physische Landschaft im südwestlichen Saarland, die sich im angrenzenden lothringischen Kohlerevier in Frankreich fortsetzt. Charakterisiert ist diese angeeignete physische Landschaft neben ihrem Waldreichtum durch rezent genutzte Kohlekraftwerke wie auch durch aufgegebene Metallhütten, Fördertürme als vertikale Dominanten von obertägigen Bergbauanlagen, Bergehalden, Absinkweiher u. a. Diese wurden teilweise kulturell in Wert gesetzt (Weltkulturerbe Völklinger Hütte), einer ökonomischen Folgenutzung mit Umweltbezug zugeführt (Solarkraftwerk Göttelborn), weitgehend beseitigt und einer gewerblichen Folgenutzung zugeführt (Hüttenwerk Neunkirchen) oder dem Verfall überlassen. Die ländlichen Räume des Saarlandes sind durch einen doppelten Strukturwandel geprägt: erstens, dem ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedeutungsverlust der Landwirtschaft und zweitens, dem Bedeutungsgewinn des Pendlerwesens und damit der Ausdehnung der Siedlungen durch die Bautätigkeit von Suburbaniten ± insbesondere in der Nähe der großen Verkehrsachsen (siehe Abbildung 26). Der Bedeutungsverlust der Landwirtschaft äußert sich dabei zwar in dem Rückgang der Zahl der Betriebe und dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt, nicht aber im Rückgang der bewirtschafteten Fläche. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist ± insbesondere aufgrund der EG- bzw. EU-Agrarförderung ± in den vergangenen drei Jahrzehnten mit rund 75.000 Hektar nahezu konstant geblieben, einen Rückzug der Landwirtschaft wie Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre, als bis zu 24.500 ha landwirtschaftlicher Fläche unter die Sozialbrache fielen (vgl. Guth 1980), gab es seither nicht. Insgesamt zeichnen sich die angeeigneten physischen Landschaften des Saarlandes bereits heute durch einen stark pasticheartigen Charakter in einem raschen Wechsel non-, mono- und polyvalenter Landschaften und Landschaftselemente aus. Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaften des Saarlandes ± als Nebenfolge der gesellschaftlichen Entwicklung ± wird sich in der Postmoderne im Wesentlichen unter dem Einfluss folgender Spannungsfelder gestalten: · Dem fortgesetzten Strukturwandel im sekundären und vom sekundären zum tertiären Wirtschaftssektor, mit der Folge der Aufgabe von altindustriellen Produktionsstätten und dem Bedarf technologisch hochwertig ausgestatteter Gewerbeflächen, · dem steigenden Energiepreisniveau, verbunden mit einer Attraktivitätssteigerung von arbeitsortnahem Wohnen, · dem Rückgang der unionseuropäischen Agrarsubventionen, mit der Folge der Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion auf landwirtschaftlichen Gunststandorten und einer stärkeren Verlagerung der Produktion auf Energiepflanzen, · der demographischen Entwicklung, verbunden mit Infrastrukturabbau und Wohnungsleerständen (insbesondere im peripheren und im altindustrialiserten Raum), einer verringerten ökonomischen Leistungsfähigkeit, 242
· der Individualisierung der Lebensstile, als wesentliche Ursache des demographischen Wandels, aber auch von individuell differenzierten räumlichen und landschaftlichen Ansprüchen.
Abbildung 26: Veränderung der Einwohnerzahlen saarländischer Gemeinden zwischen 1975 und 2003.
Werden die Gemeinden des Saarlandes hinsichtlich ihrer landschaftlichen Ausstattung, demographischen Entwicklung und Verkehrsanbindung, also wesentlichen Elementen einer künftigen Entwicklung, klassifiziert, lassen sich folgende fünf Realtypen konstruieren (siehe Abbildung 27 und Abbildung 28): · Typ I: Gemeinden, außerhalb der Kernzone des Verdichtungsraumes mit guter Verkehrsanbindung bzw. hohem endogenen ökonomischen Potenzial in stereotyper Landschaft: Kontinuierliches Bevölkerungswachstum, insbesondere seit Mitte der 1980er Jahre292. · Typ II: Gemeinden, außerhalb der Kernzone des Ballungsraumes mit mäßiger bis schlechter Verkehrsanbindung in stereotyper Landschaft mit mäßigem endogenem ökonomischen Potenzial: seit Mitte der 1980er Jahre Bevölkerungswachstum, seit der Jahrtausendwende stagnierende bzw. rückläufige Bevölkerungsentwicklung.
292
Die Gemeinde Mettlach stellt in diesem Typ insofern eine Ausnahme dar, weil das Wachstum der Bevölkerungszahl erst seit Mitte der 1980er einsetzte.
243
Abbildung 27: Gemeindetypen im Saarland.
244
2003
2001
1999
1997
1995
1993
1991
1989
1987
1985
1983
1981
1979
1977
1975
Bevölkerungszahl 1975 = 100
· Typ III: Gemeinden, im Randbereich der Kernzone des Ballungsraumes mit guter Verkehrsanbindung und mäßigem Typ I: Rehlingen-Siersburg 120 endogenen ökonomischen PotenTyp II: Nohfelden zial in nicht stereotyper LandTyp III: Riegelsberg 115 Typ IV: Neunkirchen schaft: Kontinuierliches BevölkeTyp V: Homburg 110 rungswachstum, insbesondere seit Mitte der 1980er Jahre. 105 · Typ IV: Gemeinden innerhalb der 100 Kernzone des Verdichtungsraumes mit guter Verkehranbindung 95 und unterschiedlichem ökonomischen endogenen Potenzial in 90 nicht stereotyper, altindustriell 85 geprägter Landschaft: Im Untersuchungszeitraum insgesamt negative Bevölkerungsentwicklung, Abbildung 28: Die demographische Entwicklung der fünf Erholung zwischen Mitte der Gemeindetypen im Saarland anhand von Beispielen. 1980er und 1990er Jahre.
· Typ V: Gemeinden, in der Randzone des Verdichtungsraumes mit guter Verkehrsanbindung und unterschiedlichem, zumeist jedoch unterdurchschnittlichem, ökonomischen endogenen Potenzial in oder in der Nähe zu stereotyper Landschaft: Im Untersuchungszeitraum insgesamt leicht positive bzw. leicht negative Bevölkerungsentwicklung, Erholung zwischen Mitte der 1980er und 1990er Jahre. Diese Entwicklungen stellen für zwei Raumtypen im Saarland ± verbunden mit den angeeignet-physisch landschaftlichen Folgen und Nebenfolgen ± einen besonderen Anpassungsbedarf dar: insbesondere peripher gelegene ländliche Räume (Typ 2) und ehemalige industrielle Entwicklungszentren (Typ 4). Für beide Raumtypen seien im Folgenden derzeitig verfolgte Entwicklungsstrategien vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Postmodernisierung untersucht.
6.2.2 Raumvision Saarkohlenwald ± eine Landschaft zwischen Wald, Bergbaurelikten und kultureller Inwertsetzung
6.2.2.1 Die Raumvision Saarkohlenwald im internationalen Kontext: Das Projekt SAUL (Sustainable and Accessible Urban Landscapes) Die Grundlage der Entwicklung des internationalen Projektes der Sustainable and Accessible Urban Landscapes (SAUL) basiert auf der Er- und Anerkenntnis des raschen und tief greifenden räumlichen Veränderungsprozesses in postindustriellen Gesellschaften: Mit der Veränderung des tradierten Bildes der europäischen Stadt durch gesellschaftlichen Wandel wachsen Städte physisch wie funktional immer weiter in die Region hinein, Ädie ÃStadt¶ ist längst Region geworden³ (SAUL 2001b: 11). Wobei dieser fortgesetzte, klassische Suburbanisierungs-Prozess jedoch durch weiterreichende Veränderungen überlagert wird, Ädie sich in neuen Formen, Strukturen und Bedeutungen des Raumes niederschlagen. Es entsteht, so unsere Hypothese, ein neuer Typus von StadtLandschaften, der sich durch spezielle Gestaltqualitäten auszeichnet³ (SAUL 2001b: 7). Als wesentliche Bestimmungsgrößen dieser räumlichen Entwicklung gelten dabei (SAUL 2001b, SAUL 2002): · Die Erfassung nahezu aller Funktionen und Nutzungen durch Suburbanisationstendenzen , · die Auflösung des traditionellen Kern-Rand-Gefälles der Wertigkeiten und Intensitäten von Nutzungen als Folge der Suburbanisierung, · die Entstehung neuer ÄKnoten´ von Nutzungsmischungen an den Peripherien, ohne jedoch vollständige urbane Strukturen herauszubilden ± so genannte ÄEdge Cities³293, · die Veränderung der traditionellen radialen Ausrichtung der funktionalen Verflechtungen zwischen Kernstadt und Region in Richtung netzwerkartiger Verflechtungsmuster, die Entwicklung polyzentraler Stadtregionen,
293
Edge-cities stellen ± so Beauregard (1998: 52) ±Äweder in physischer noch in sozialer Hinsicht Kernstädte dar und sind bis auf wenige Ausnahmen [...] räumlich von diesen getrennt³ (vgl. auch Ellin 1999).
245
· die Bildung urbaner Landschaften durch zunehmende wechselseitige Durchdringung von Siedlungsraum und Freiraum, womit das Konstrukt einer klaren Trennung von Siedlung und Freiraum zunehmend obsolet wird, · das politische Bemühen des Ausgleichs eines sukzessiven Funktionsverlusts der Kernstädte und (historischen) Zentren durch den Versuch zu ihrer Wiederaufwertung durch Funktionswandel, · die hohe Bedeutung der Revitalisierung von industriellen und anderen Brachflächen, · die Prägung der Nutzungsstrukturen im Gefüge der Stadtregionen durch Tourismus, Freizeit, Erholung sowie Kultur, · die wachsende Bedeutung von ästhetischen Qualitäten, Image und symbolischen Werten als Äweicher Standortfaktor³ und zur Bildung von (stadt-)regionaler Identität. Das SAUL-Projekt hat sich dabei zum Ziel gesetzt, die mit der Auflösung der tradierten Stadt-Umland-Dichotomie rückgekoppelten Prozesse des Wandels von Lebenswelten und Lebensstilen der Stadt-(regions-)Bevölkerung modellhaft räumlich zu gestalten, indem Anforderungen an die ³Freiräume´ innerhalb wie außerhalb der bebauten Stadt gemäß der gesellschaftlichen Entwicklungen eruiert und umgesetzt werden. Wesentlich ist dabei die Einbeziehung sozialer und kultureller Aspekte, die ihren Ausdruck in der Übernahme von sozialen und kulturellen Funktionen von öffentlichen Räumen in den Stadtlandschaften findet und neben ihre klassischen Freiraumfunktionen ökologischer und produktiver Art tritt. Nicht allein die Ausprägung unterschiedlicher Lebenswelten und Lebensstile erfordert ± so SAUL (2001b) ± differenzierte räumliche Konzepte und Nutzungsmöglichkeiten, Äauch die ethnische Multikulturalität der Städte und ihre unterschiedlichen kulturellen Raumansprüche müssen beachtet werden. Gegen die Tendenzen der Segregation und Polarisierung muss die räumliche Entwicklung kleinräumig die unterschiedlichen Erwartungen an einen Ort in Einklang bringen³ (SAUL 2001b: 13). Um diese anspruchsvolle Zielsetzung der Integration sozialer und kultureller Funktionen erfüllen zu können, ist mit der Umsetzung des SAUL-Projektes die Entwicklung stark auf Partizipation der ansässigen Bevölkerung ausgerichteter Planungsansätze verbunden (SAUL 2001a, SAUL 2001b). Ein wesentliches Ziel des InterregIIIB-geförderten Projektes SAUL ist die Überwindung einer defensiven Haltung vieler Raumplaner gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen und der daraus erwachsenden ablehnenden Haltung gegenüber der Zwischenstadt und die Entwicklung einer Äproaktiven Haltung der Raumplanung. Ein solcher raumplanerischer Ansatz greift die raumwirksamen Tendenzen auf, versucht sie zu steuern und nutzt gleichzeitig die spezifischen Potenziale der neuen StadtLandschaften³ (SAUL 2002: 3). Die Partnerregionen London, Zuid-Holland, Nordrhein-Westfalen (Rhein-Ruhr), Luxemburg, Hessen (Region Frankfurt Rhein-Main), Rheinland-Pfalz (Rheinpfalz) und Saarland haben es sich zum Ziel gemacht, nicht allein (isolierte) Lösungen für ³klassische´ Fragen zur ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit zu suchen und Beantwortungsansätze zu liefern, sondern vielmehr steht die Einbeziehung der Äimmer drängender werdenden Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und sozialer Verträglichkeit, d.h. der sozialen Nachhaltigkeit, zunehmend im Mittelpunkt des Interesses³ (SAUL 2002: 4). Soziale Nachhaltigkeit soll dabei prozesshaft verstanden werden und ist an einer Leitvorstellung zur Förderung der Entwick246
lung von Äsozialem Kapital³ (im Sinne Bourdieus) orientiert. Auf dieser Basis wurden einige Prozess- und Qualitätsanforderungen für eine sozialverträgliche Entwicklung und Gestaltung von Stadtlandschaft formuliert (SAUL 2002: 4): · Die Ermöglichung (sozialer) Zugänglichkeit und (physischer) Erreichbarkeit von öffentlichen Räumen, in denen Menschen ihre vielfältigen Anliegen und Lebensstile zum Ausdruck bringen können, · die Berücksichtigung des zunehmenden Kommunikationsbedarfs einer sich vernetzenden Stadtgesellschaft und die Verbesserung des Austauschs zwischen verschiedenen sozialen Netzwerken, · die Identifikation von räumlicher Nutzungsvielfalt, Multifunktionalität, Qualität und Identität sowie auch die flexible Nutzbarkeit als wichtige planungsrelevante Faktoren. · die Öffnung der stadtregionalen Politik für zusätzliche neue Handlungsfelder durch Förderung der (sozialen) Teilhabe an der Zivilgesellschaft sowie durch die Ermöglichung intensiverer Formen der (politischen) Partizipation, der Diversität und Differenzierung räumlicher Aneignungswünsche in einer künftigen Gesellschaft. Bei der Gestaltung neuer Stadtlandschaften kommt der Herausforderung ökonomisch (nahezu) wertloser oder wertlos gewordener Landschaftsteile als Räume für neue Lebensstile und Lebenswelten eine herausragende Bedeutung zu. Dies gilt in besonderer Weise für die Entwicklung von Folgenutzungen von Industriebrachen und Rohstoffabbaugebieten, aber auch für die soziale und kulturelle Neuinwertsetzung von Landwirtschaftsflächen, Wäldern und Flussauen, wobei der urbane Freiraum zum Schlüsselfaktor einer qualitativen Modernisierung wird. Dabei dient ± so SAUL (2002) ± das Natur- und Kulturerbe der Region als regionales Potenzial zur Verbesserung der Erholungs- und Freizeitangebote sowie zur Imagebildung. In der komplexen StadtLandschaft soll die (Mono)Funktionalisierung von Flächen durch eine Mehrfachnutzung ersetzt werden (SAUL 2001b: 21): ÄIn Bezug auf Freizeit und Erholung beispielsweise, sind zwar spezifische Flächen für intensive Freizeitaktivitäten auch in Zukunft von Bedeutung, der soziale Wandel bringt jedoch eine pluralistische Gesellschaft mit einer Vielzahl an Lebensstilen hervor.³ 6.2.2.2 Raumvision Saarkohlenwald ± einige Grundlagen der Planung Vergleichbar anderen Altindustrieräumen (siehe Abschnitt 4.2.1.2) sieht sich der saarländische Verdichtungsraum mit deutlichen Schrumpfungsprozessen konfrontiert (vgl. Rohler 2003). Durch den Rückzug industrieller Nutzungen drohen weite Teile des Raumes zu nonvalentem Raum zu werden. Die ± damit rückgekoppelte ± ökonomische Marginalisierung von Altindustrieräumen enthält kostengünstige Ansätze in der Regionalentwicklung eine besondere Priorität. Die Raumvision Saarkohlenwald ist als dessen Pilotprojekt Teil des Konzepts des Regionalparks Saar ÄMit Landschaft Stadt gestalten³, in dem sie die landschaftlichen Qualitäten des Verdichtungsraums aufwerten und attraktive (Stadt)Landschaftsräume geschaffen werden sollen (Planungsgruppe agl 2002).
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Die Raumvision Saarkohlenwald soll dem gemäß als so genanntes low impact-Konzept umgesetzt werden. Hierbei handelt es sich um eine ökonomisch und flexibel angelegte Planungsstrategie, bei der bei Minimierung des Material-, Arbeitskraft- oder Kapitaleinsatzes eine möglichst große Effizienz der gewählten Maßnahmen anzustreben ist. Zentral ist dabei Äeine intelligente, Ressourcen schonende und synergetische Vorgehensweise. Low ImpactKonzepte sind Ãclose to the sourceµ. Sie zielen auf Multifunktionalität, eine Kopplung der Gestaltungsziele an laufende soziale und ökonomische Prozesse sowie eine Einbindung selbst regulierender Naturprozesse³ (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003). Die Grundkonzeption wie auch die Umsetzung konkreter Maßnahmen folgen dem Prinzip des low impact. Dabei lassen sich folgende Maßnahmengruppen unterscheiden (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003): · Strategien des minimalen Eingriffs. Investive Maßnahmen bleiben auf punktuelle oder kleinflächige Eingriffe an wichtigen, für die Raumwahrnehmung strategisch bedeutsamen Stellen, wie z.B. Zugänge, Grenzen und Ränder und besondere Orte, beschränkt. Ansonsten wird die Entwicklung weitgehend sich selbst überlassen. · Aufgreifen des Vorhandenen und dessen gestalterische Interpretation. Dabei wird auf das vorhandene Potenzial vorgefundener Strukturen zurückgegriffen. Der Gesamtkonzeption entsprechende Elemente werden aufgenommen, in ihrer Erscheinungsform gestärkt. Der Gesamtkonzeption widersprechende Elemente werden sich selbst und der Vergänglichkeit überlassen oder aktiv zurückgebaut. · Synergieeffekte mit rezenten Prozessen. Die Einbindung von Gestaltungsmaßnahmen in eigendynamische Naturentwicklungsprozesse oder die Kopplung an laufende Produktionsprozesse minimiert Unterhaltungskosten. Veränderungen des Waldbildes werden im Rahmen einer extensiven forstlichen Pflege umgesetzt bzw. sollen mit der forstwirtschaftlichen Zielplanung koordiniert werden. Gestalterische Eingriffe in die Haldenkörper sind bei frühzeitiger Koordination der Planungsziele im Rahmen der noch erforderlichen bergbaulichen Sanierungsarbeiten umzusetzen. Rezente soziale und kulturelle Aktivitäten werden eingebunden, darüber hinaus sind neue Betätigungsfelder für die ansässige Bevölkerung zu finden und zu koordinieren. Dieses Planungskonzept der kleinen Eingriffe wird von den Akteuren treffend als ÄAkupunktur der Landschaft³ (Hartz/Dams/Körner 2004) bezeichnet. Womit mindestens zwei Dimensionen der Planung deutlich werden: Einerseits die monetär und physisch minimalen Eingriffe, die andererseits zu einer großen sozialen und ästhetischen Wirkung führen sollen. 6.2.2.3 Wesentliche Elemente der Planung der Raumvision Saarkohlenwald Eine besondere Bedeutung in der Raumvision Saarkohlenwald gilt der Konstruktion des Wilden Waldes: ÄDer ÃWilde Wald¶ inmitten des Stadtverbandes Saarbrücken kann als Projekt der 'reflexiven Modernisierung der Industriegesellschaft' aufgefasst werden. Er ist Teil der Stadt, Teil einer urbanen Lebenskultur. Der Saarkohlenwald ist ein urbaner Wald ± trotzdem, oder gerade weil er ohne die städtische Informationswelt und Erholungsinfrastruktur auskommt³ (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003). Damit kommt der Entwurf der Erfüllung des
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ÄPrinzips Tucholsky³ (Sieverts 2001: 18) sehr nahe, der (post-)modernen Person die Möglichkeit zu geben, städtische und ländliche Landschaften in kurzem zeitlichen und räumlichen Abstand zu erleben. Das Raumbild für den Saarkohlenwald basiert auf zwei tragenden Säulen (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003, vgl. auch Wallacher/Hullmann 2004): 1. Entwicklung des Waldbildes. Der Saarkohlenwald soll in seiner Gesamtheit als Wilder Wald in Erscheinung treten, er wird so zum ÄUrwald vor den Toren der Stadt³. Soll der Saarkohlenwald großflächig zu einem Wilden Wald werden, sind kleinflächig Inszenierungen von kontrastierenden Waldbildern geplant, die jedoch nicht beliebig eingestreut liegen, sondern eine Raumidee verstärken oder mit Nutzungsaspekten korrelieren. Diese Inszenierungen können sich auf die Inszenierung von Rändern und Grenzen, von Zugängen, von historischen Achsen, aber auch von Orten mit besonderen Nutzungen, wie z.B. dem Friedwald, beziehen. Darüber hinaus bestehen Planungen durch gezielte Eingriffe Raumwahrnehmungserwartungen zu brechen. Dies ist beispielsweise durch die Steuerung der Bestandsentwicklungen (Auslichten, Durchforsten), die Steuerung der Baumartenzusammensetzungen (Konkurrenzsteuerung, Pflanzung) oder auch durch räumlich begrenzte Totholzentnahme möglich: Mit der Bestandsdichte und der Pflege der Bodenflora kann gesteuert werden, ob das Bild eher waldartig oder eher parkartig erscheinen soll; mit der Förderung von Baumarten mit Blühaspekten oder Herbstfärbung können Orte, Linien oder Flächen ± in unterschiedlichem Maßstab ± betont werden. 2. Entwicklung der Bergehalden. Der Saarkohlenwald soll als eindeutiges und zusammenhängendes Raumbild in Erscheinung treten, dies gilt auch für den Aspekt der Halden, die als verbindendes Merkmal eine Abwesenheit von Bewaldung haben sollen. Die Halden werden als Orte der Auseinandersetzung, Entdeckung und Experiment inszeniert, sie dienen als ÄLaboratorien der Landschaft³. Damit soll die Bereitschaft zu einer Klarheit von Leitstrukturen und signifikanten Akzenten unterstrichen werden, Ädie andererseits für akteur- und nutzereigene Entdeckungen von Natur und Kultur vor Ort und im Erlebnis offen ist³ (Körner 2003: 21). Um Monotonie zu vermeiden, wird die Spezifität jeder Halde eruiert und inszeniert, wobei die jeweils besondere Qualität mit einer gestalterischen Intervention überhöht wird, um so eine Synthese aus Typus und Topos (Valena 1994) zu erreichen. Ergänzend zu den landschaftsprägenden Grundelementen Wilder Wald und Bergehalden sollen weitere konstituierende Elemente des Saarkohlenwaldes in der Raumvision inszeniert werden. Hierbei handelt es sich einerseits um natürliche Elemente wie Bachtäler, andererseits auch um Artefakte wie Weiher (in der Regel Absinkweiher aus der Zeit des Kohlebergbaus) und Fördertürme. Darüber hinaus sollen die Tore zum Saarkohlenwald in besonderer Inszenierung den Eintritt in einen, der üblichen (Sekundärfolgen-)Landschaft enthobenen Raum verdeutlichen. Ein wesentliches Korrespondenzelement des SAUL-Projektes Saarkohlenwald, außerhalb des eigentlichen Planungsraumes gelegen, ist das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, wobei eine inszenierte Neudefinition dieses Reliktes im Kontext der umgebenden Landschaft erfolgen soll. 249
Den eigentlichen Saarkohlenwald, der weitgehend frei von den physischen Eingriffen des Agierens des sekundären Wirtschaftssektors, aber auch infrastruktureller Einrichtungen und Wohngebäuden ist, umgeben die wichtigsten Halden des Pilotprojektes Saarkohlenwald: ÄViktoria³, ÄGöttelborn³, ÄMaybach³, ÄLydia/Camphausen³, ÄGrühlingstraße³, ÄLuisenthal³. Diese werden im Zusammenspiel mit den übrigen physischen Elementen sekundärwirtschaftlicher Artefakte (Fördertürme, Weiher, Wassertürme) als ÄKorona der Landmarken³ (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003) inszeniert (siehe Abbildung 29): Sie werden über einen Rundweg verknüpft und sind teilweise untereinander auch durch Sichtachsen verbunden. Insbesondere Fördertürme sind dabei nicht allein ÄIkonen des Bergbaus³ (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003), sondern bilden ebenfalls weithin sichtbare Merkzeichen der Stadtlandschaft. Sie sollen noch authentischer als die Halden an die Bergbaugeschichte und die unsichtbare Welt unter Tage erinnern (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003).
Abbildung 29: Die ÄKorona der Landmarken³ in der Raumvision Saarkohlenwald (Aus: Bezzenberger/ Dutt/Hullmann/Gimmler 2003).
Trotz der Bedeutung, die (insbesondere bergbau-)historischen Relikten in der Inszenierung beigemessen wird, geht die Richtung der Planung nicht von einer kulturhistorischen oder landeskundlichen Aufnahme als Basis aus, vielmehr werden zunächst ästhetisch-gestalterische
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Konzepte für die wesentlichen Landschaftselemente entwickelt, die in einem zweiten Schritt auf kulturhistorische Untersuchungen (in diesem Falle von Körner 2003) bezogen werden. 6.2.2.4
Raumvision Saarkohlenwald in der Postmoderne
Aus postmodernistischer Perspektive kann die Raumvision als Versuch gelten, die Transformation von einer monovalenten modernen in eine polyvalente postmoderne Landschaft zu gestalten, um so eine Nonvalentisierung des Saarkohlenwaldes mit dem Ziel zu verhindern, die knappen und begehrten Güter Jugend, qualifiziertes Humankapital und Alterskaufkraft (Sieverts 2004: 85) im saarländischen Verdichtungsraum zu halten bzw. sogar anzulocken. Die weitgehende ökonomische Entwertung von Landschaft (hier insbesondere von Wald- und Bergbaufolgelandschaft) soll durch eine soziale und kulturelle Valorisierung kompensiert ± also einer Neusymbolisierung ± werden. Insbesondere der ÄWilde Wald³ kann für viele postindustrielle, postargrarische und postforstwirtschaftliche Landschaften durchaus als ÄKönigsweg³ (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003) gelten, da er erstens eine Lösung für Räume ohne spezifische Nutzungsideen und -ansprüche bietet, zweitens, die öffentlichen Haushalte nicht mit hohen Pflege- und Lohnkosten belastet und drittens, einen großen Beitrag zur Regeneration des Naturhaushalts bietet (Bezzenberger/Dutt/Hullmann/Gimmler 2003). Sofern allerdings keine weitere Nutzung oder Inszenierung, wie es in der Raumvision Saarkohlenwald geplant ist, erfolgt, wird auch der ÄWilde Wald³ zu einem nonvalenten Raum. Die Entwicklung einer landschaftlichen Polyvalenz in der Raumvision Saarkohlenwald lässt sich im Wesentlichen in drei Dimensionen beschreiben: 1. Polyvalenter Bezug auf die Historie des Raumes. Polyvalenz ergibt in diesem Zusammenhang aus der inszenierten Mehrdeutigkeit kultur- insbesondere bergbauhistorischer Relikte, die über einen monovalenten eindeutigen, d.h. dokumentarischen Bezug deutlich hinausgeht. Die ästhetisierende Inszenierung kultur- und bergbauhistorischer Relikte erzeugt in dem intertextualen Spannungsfeld von Typus und Topos eine symbolhafte Aufladung und Sakralisierung (z.B. mit Hilfe von Wasserflächen auf Halden als ÄHimmelsspiegel³), womit sie letztlich zu Simulacra generieren. 2. Polyvalenter Bezug auf Natur des Raumes. Polyvalenz wird in diesem Zusammenhang durch gezielte Inszenierungen von natürlichen Elementen konstruiert. Die symbolische Auflösung des modernen Natur-Kultur-Gegensatzes durch die Aufhebung von Wahrnehmungspolaritäten, wie Wilder Wald einerseits, Park andererseits, trägt zu einer postmodernen ÄWiederverzauberung der Welt³ z. T. in der Konstruktion Äpoetischer Orte³ (Günter 1998) bei. 3. Polyvalenter Bezug von Öffentlichkeit und Privatheit. Polyvalenz ergibt sich hierbei u. a. durch den Verzicht auf die Anlage öffentlicher und beschilderter Wege zugunsten einer ungeordneten ungeplanten Wegeentwicklung, die eine individuelle Aneignung des Raumes ermöglicht, die sich der Entwicklung temporär privaträumlicher Nischen im prinzipiell öffentlichen Raum des Saarkohlenwaldes äußern kann. Durch die Inszenierung von anthropogenen und natürlichen Elementen durch eine individuelle Raumaneignung werden Landschafselemente ± im Sinne von Kohl (2003) ± von 251
Gebrauchs- oder Tauschgütern, zu Prestige- und Repräsentationsobjekt sakralisiert und trägt so zu der bereits angesprochenen Ädurchschnittlichen Exotisierung des Alltages³ (Enzensberger 1991: 264) bei. Ein besonders eindrückliches Indiz für die Sakralisierung der (ehemals profanen) Landschaft des Saarkohlenwaldes sind der Ausdruck ÄKorona der Landmarken³± in der bildenden Kunst wird mit Korona ein Heiligenschein bezeichnet, in der Astronomie der Strahlenkranz der Sonne ± und derjenige der ÄIkonen des Bergbaus³, den geweihten Bildnissen einer (ökonomisch) untergegangenen Epoche. Die Inszenierung von Landschaftselementen trägt dazu bei, die durch ihre Veränderung (in der Regel ihren Verfall) entstehende Atmosphäre zu verstärken. Die Raumvision Saarkohlenwald weist aber nicht nur in der Ästhetisierung und Inszenierung von Landschaft deutliche Affinitäten zu postmodernem Gedankengut auf, auch die Ablehnung eines einseitig ideologisierten Festhaltens an der Tradition der europäischen Stadt als ÄGroße Erzählung³ im Sinne Lyotards, und der damit verbundenen Zuwendung zur kleinen Erzählung der possibilistischen, von der ansässigen Bevölkerung mitgetragenen Weiterentwicklung der lokalen und regionalen Landschaft, stellt ein Aufgreifen postmoderner Raumentwicklungskonzeptionen dar. Die Raumvision will dem gemäß kein modern-pompöser Landschaftsentwurf sein, sondern favorisiert reflexiv kleine Lösungen mit geringem Kostenaufwand. Die Hinwendung zu den kleinen Erzählungen der Äakupunktierten Landschaft³ verdeutlicht aber auch ein weiteres Charakteristikum der (Re-)Vitalisierung von Stadt(Landschaft) in der Postmoderne: den Machtverlust des (staats-)politischen Systems. Weder finanziell noch personell noch hinsichtlich seiner Durchsetzungsfähigkeitsmacht ist es mehr in der Lage, Landschaft im Sinne einer ÄGroßen Erzählung³ umzugestalten (vgl. dazu allgemein Bodenschatz 2003, Walther 2004). Ein zentrales Element des Konzeptes liegt in der Konstruktion der Wildnis des Waldes: In ihr werden zwei Bedeutungen synthetisiert: Einerseits das übersteigerte Symbol von wilder Natur im Kontrast zur Stadt ± andererseits wird der wilde Wald im Verdichtungsraum (= in der Stadt) auch zum Symbol für die (soziale) Wildnis der Stadt, womit das Konzept in der Symbolhaftigkeit eine Polyvalenz aufweist. Darüber hinaus wird durch die Wildnis des Waldes der Archetypus des Äliminal space³ (Zukin 1991: 28) eine alltägliche Verfügbarkeit konstruiert, die in der Moderne und Vormoderne nur Räumen außerhalb des Alltags vorbehalten war. Der Bruch mit dem Planungsparadigma der Europäischen Stadt stellt die Anerkenntnis der Zwischenstadt als physische und soziale Tatsache dar: Die Zwischenstadt wird nicht mehr als Zersiedlung (= Zerstörung) von Landschaft verstanden, sondern als Landschaftselement in die Stadtlandschaft integriert, womit die Bipolarität der modernen Raumbetrachtung in Stadt und Landschaft durch einen pasticheartigen Raumbezug ersetzt wurde. Die Interpretation von Wald als ÄLichtung in der Stadt³ weist auf einen ironisierend-reflektierenden Umgang mit tradierten Interpretationsschemata hin. Als wesentliche Voraussetzung zu einer solchen postmodernen Raumbetrachtung können die Anerkenntnis der Postmodernisierungstendenzen der Gesellschaft wie auch die (explizite) Handlungsbegründung der Planungsverantwortlichen auf Erkenntnisse postmoderner Soziologen und Philosophen gelten. Somit erfolgt kein ideologiebasiertes ÄGegensteuern³ auf Grundlage ÄGroßer Erzählungen³, sondern die Bemühung um 252
Eruierung der Bedürfnisse der ansässigen Bevölkerung und die Synthese der Bedürfnisäußerungen mit postmodernem Gedankengut. Trotz des impliziten und teilweise expliziten Bezuges auf postmodernes Gedankengut lassen sich gewisse moderne Kontinuitäten in der Raumvision Saarkohlenwald feststellen: 1. Angesichts der Planungen der Inszenierung der landschaftlichen Polyvalenz des Saarkohlenwaldes erscheint die Namensgebung sehr modern-sachlich, eine andere Namensgebung könnte die Intertextualität der Planungen noch deutlicher unterstreichen, 2. In Anbetracht des Ziels der Ästhetisierung und Inszenierung von Landschaft und deren Elementen, darf an der Durchführbarkeit des häufig geäußerten Ziels zugleich auch Authentizität von Landschaft zu erzeugen durchaus gezweifelt werden. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass die Raumvision Saarkohlenwald sowohl hinsichtlich ihrer philosophischen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagen als auch hinsichtlich des Planungsablaufes und der landschaftlichen Zielbestimmung eines polyvalent inszenierten und ästhetisierten Raumes als deutlich postmodern gelten kann.
6.2.3 Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land ± Landschaftsgestaltung als Folge ökonomischen Handelns
6.2.3.1 Allgemeine Grundlagen zur Gemeinschaftsinitiative LEADER+ im Saarland Ziel der Gemeinschaftsinitiative294 LEADER+295 ist es ± trotz der Unterschiedlichkeit der ländlichen Räume Unionseuropas ± hinsichtlich der Probleme, denen sich ländliche Regionen gegenüber sehen (z.B. Mangel an beruflichen Perspektiven, Landflucht, Überalterung, sukzessiver Abbau der Infrastruktur), Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei stellen ± so die Deutsche Vernetzungsstelle LEADER+ (2004) ± die Liberalisierung des Handels, rasche Verbreitung und Anwendung neuer Technologien, Wandel des Agrarsektors und zunehmende Berücksichtigung von Umweltbelangen besondere Herausforderungen für den ländlichen Raum dar. Dabei sind folgende Ansätze von LEADER+ grundlegend (Deutsche Vernetzungsstelle LEADER+ 2004): · Territorialer Ansatz: Jede Region hat ihre landschaftlichen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, aber auch politischen Charakteristika. Diese gilt es als Chance für ein eigenständiges Profil und eine stärkere Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Region zu entdecken und zu entwickeln.
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Bei Gemeinschaftsinitiativen handelt es sich um Maßnahmen, Ädie die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten zur Lösung spezifischer Probleme im gesamten Gemeinschaftsgebiet vorschlägt³ (Europäischer Sozialfonds in Österreich 2004). Im Zeitraum von 2000-2006 existieren im Rahmen der Strukturfonds die vier Gemeinschaftsinitiativen, die von jeweils einem der Strukturfonds finanziert werden: INTERREG III (EFRE), URBAN (EFRE), LEADER+ (EAGFL) und EQUAL (esf). Insgesamt verfügen die Gemeinschaftsinitiativen über eine Mittelausstattung von ¼ 10,44 Mrd., was 5,3 Prozent des Gesamthaushalts der Strukturfonds entspricht (Europäischer Sozialfonds in Österreich 2004). Die Umwetzung von LEADER+ basiert rechtlich auf der Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten vom 14. April 2000 über die Leitlinien für die Gemeinschaftsinitiative für die Entwicklung des ländlichen Raums (LEADER+) (2000/C 139/05).
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· Bottom-up-Ansatz: Die Entwicklung der jeweiligen Region ist mit einer breiten Bürgerbeteiligung und (basis)demokratischen Entscheidungswegen verknüpft. Grundlagen hierfür sind neue Organisationsstrukturen und Eigeninitiative. · Regionales Entwicklungskonzept (REK): Eine Gruppe privater und öffentlicher Akteure entwickeln gemeinsam eine Strategie, wie der Entwicklungsrückstand ihrer Region abgebaut, Marktnischen gefunden und privates Kapital mobilisiert werden kann. · Integrierter Ansatz: Durch eine engere Verknüpfung zwischen den Regionen und sektorübergreifende Zusammenarbeit werden die Diversifizierung der lokalen Wirtschaft und der gesellschaftliche Austausch intensiviert - und damit die Identifikation mit der eigenen Region, im Bewusstsein der kulturellen und ökonomischen Eigenständigkeit, gefördert. · Vernetzung der Akteure: Durch interregionale und internationale Kooperationen können die beteiligten Gruppen europaweit voneinander lernen. LEADER-Regionen sollen dabei Räume darstellen, Ädie kulturgeschichtlich, naturräumlich, wirtschaftlich oder auch verwaltungstechnisch eine Einheit bilden³ (Deutsche Vernetzungsstelle LEADER+ 2004). Zentrales Element der Gemeinschaftsinitiative LEADER+ sind die Lokalen Aktionsgruppen (LAG). Hierbei handelt es sich um als Verein oder als privatrechtliche Gesellschaft organisierte Zusammenschlüsse privater und öffentlicher Akteure der Region. Im Sinne des Leitgedankens von LEADER+ ist Regionalentwicklung eine Querschnittsaufgabe, deren Umsetzung, in Form von Organisation und Begleitung von Projekten, Lokale Aktionsgruppen wahrnehmen. Wesentlich dabei ist, dass die LAG eine für die Region repräsentative Mischung lokaler Akteure darstellt (Ministerium für Umwelt 2003a). 6.2.3.2 LEADER+ im Saarland: Der Lokalwarenmarkt der Lokalen Aktionsgruppe ÄKulturlandschaftsinitiative Sankt Wendeler Land³ Die einzige saarländische LEADER+-Region (insgesamt existieren bundesweit 148 solcher Regionen) befindet sich im Nordosten des Saarlandes und ist flächenmäßig deckungsgleich mit dem Landkreis Sankt Wendel. Zur Umsetzung des Regionalen Entwicklungskonzeptes "Lokalwarenmarkt ± Sankt Wendeler Land" stehen zwischen 2004 und 2006 2,48 Millionen Euro aus Mitteln der Europäischen Union sowie nationalen Eigenanteilen zur Verfügung. Das REK "Lokalwarenmarkt ± Sankt Wendeler Land" war eines von drei Regionalen Entwicklungskonzepten (ebenfalls eingereicht worden waren ein REK aus dem Bliesgau und von der Region Eichenlaubstraße), das beim saarländischen Ministerium für Umwelt eingereicht worden war (Ministerium für Umwelt 2003b). Der Vorzug des Sankt Wendeler Regionalen Entwicklungskonzeptes gegenüber seinen Mitbewerbern wurde seitens der Auswahlkommission damit begründet, mit dem pilothaften Ansatz seien Ökonomie und Ökologie nachhaltig verbunden, was Äam deutlichsten den Vorgaben der EU-Gemeinschaftsinitiative LEADER+³ (Ministerium für Umwelt 2003b) entspräche. Das zentrale Leitbild des Regionalen Entwicklungskonzeptes der ÄLAG Sankt Wendeler Land ist die Entwicklung eines eigendynamischen Lokalwarenmarktes³ (Lokale Aktions-
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gruppe Sankt Wendeler Land 2003: 4). Dieser zentrale Ansatz der LAG stellt Ädie Förderung der lokal-regionalen Wertschöpfungsketten durch die Entwicklung eines, den globalen Markt ergänzenden, eigendynamischen Lokalwarenmarktes in das Zentrum dieses REK³ (Lokale Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land 2003: 4; Abbildung 30). Ziel der Schaffung bzw. Schließung lokaler und regionaler Wertschöpfungsketten ist ein positiver Rückkopplungseffekt zur Erhaltung bzw. Entwicklung der Kulturlandschaft des Raumes Sankt Wendel durch ökonomische Inwertsetzung der Landschaft. Demzufolge ist das zentrale Leitbild und die genannten Entwicklungsziele der LAG Sankt Wendeler Land auf das übergeordnete Thema 3 296 konzentriert: ÄAufwertung der lokalen Erzeugnisse, indem besonders Kleinbetrieben durch kollektive Maßnahmen der Marktzugang erleichtert wird³. Aus der Zielsetzung der Inwertsetzung von Landschaft ergeben sich die vier Handlungsfelder (Lokale Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land 2003): · Handlungsfeld 1: Bewusstseins-Bildung. Zu deren zentralen Elementen die Entwicklung des Bezuges zu Natur und Landschaft als zentralen Identifikationspunkt des Sankt Wendeler Landes und die ÄFort-Bildung eines modernen, eigenständigen ländlichen Leitbildes gehören³ (Lokale Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land 2003: 24). Projekte hierzu reichen von der Seminarreihe ÄLOKALWAREN und KMU im globalen Markt³ über Ausbildungsprogramme für Jugendliche bis hin zur umweltpädagogischen Programmen. · Handlungsfeld 2: Wertschöpfungsketten. Dabei soll der ökonomisch-globalisierungsbedingte Verfall lokaler Produktions- und Vermarktungscluster durch Stabilisierung der noch vorhandenen bzw. durch Neuentwicklung lokal-regionaler Wertschöpfungsketten entgegen gewirkt werden. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei der Aufbau einer engen und übersektoralen Zusammenarbeit der in der Regel kleinen Unternehmen und Betriebe. Neben dem Leitprojekt ÄBauholz direkt vom Säger³, beinhaltet dieses Handlungsfeld unter anderem auch lokal-regionale Streuobstverwertung und den exemplarischen Aufbau eines ländlichen Energiemix¶. · Handlungsfeld 3: LOKALWARENMARKT. Der Entwicklung dieses ± dem Gesamtkonzept namensgebenden ± Handlungsfeldes Lokalwarenmarkt kommt eine Schlüsselrolle zu. Der Lokalwarenmarkt bündelt nahezu alle lokalen Produkte und Dienstleistungen, wodurch Ädie ÃVerlorenheit¶ einzelner, kleiner Produktlinien aufgehoben und die Aufmerksamkeit auf einen größeren ÃWarenkorb¶ gelenkt³ (Lokale Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land 2003: 26) werden soll. Leitprojekt in diesem Handlungsfeld ist der LOKALWARENMARKT Wendelinushof ± Portal zum Sankt Wendeler Land, in dem die Einrichtung der Vermarktung von Lokalwaren ebenso erfolgt, wie der Aufbau eines Informationszentrums. Ergänzend hierzu entsteht ein virtuelles Agrar- und Lokalwarenportal mit dem Ziel einer verbesserten Vernetzung von lokalen und regionalen 296
Gemäß den LEADER+-Leitlinien müssen sich Regionale Entwicklungskonzepte auf ein, höchstens zwei von vier vorgegebenen zentralen Themen konzentrieren: Erstens, Einsatz neuen Know-hows und neuer Technologien, um die Wettbewerbsfähigkeit regionaler Erzeugnisse und Dienstleistungen zu verbessern; zweitens, Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität; drittens, Aufwertung lokaler Erzeugnisse, Erleichterung des Marktzugangs vor allem für Kleinbetriebe; viertens, nachhaltige Nutzung des natürlichen und kulturellen Potentials.
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Produzenten und Dienstleistern einerseits und diesen Produzenten und Dienstleistern und ihren Kunden andererseits.
Abbildung 30: Die Entwicklung des Lokalwarenmarktes im Kontext der Globalisierung (aus: Lokale Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land 2003).
· Handlungsfeld 4: Tourismus. In dem Konzept der LAG Sankt Wendeler Land hat der Tourismus Äeine ergänzende und dienende Funktion³ (Lokale Aktionsgruppe Sankt 256
Wendeler Land 2003: 26). Durch touristische Angebote soll der Absatzmarkt für die Angebote des LOKALWARENMARKTES durch die Nachfrage von Seiten der Besucher ausgeweitet werden und zudem die regionale Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich ergänzt werden. Leitprojekt dieses Handlungsfeldes ist ÄSankt Wendeler Land ± Steinreich³, das den ÄReichtum³ an Steinen unterschiedlichster Bedeutung im Sankt Wendeler Land valorisiert: Historische Steine (Römer, Kelten), Lesesteine (bäuerliche Nutzung, Landschaftsgestaltung durch Lesesteine), Edelsteine (Mineralienfunde, Angebote zur Suche), Kunststeine (Skulpturenstraße). Die einzelnen Projektideen werden durch die LAG transparent anhand nachvollziehbarer und festgeschriebener Kriterien durch den Vorstand der LAG bewertet und weiterentwickelt. Die Koordination erfolgt zentral über die Geschäftsstelle der LAG im LOKALWARENMARKT Wendelinushof. Die Betreuung und Begleitung der Projekte und Partner wird durch jeweils eine Lenkungsgruppe je Handlungsfeld und durch ein extern vergebenes Regionalmanagement gewährleistet. 6.2.3.3 LEADER+ und der Lokalwaren in ihrer postmodernen Dimension Sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum werden spezialisierte Gemeinschaftsinitiativen (hier URBAN und LEADER) eingesetzt, um (die staatliche Politik weiter einschränkende) Buttom-up-Ansätze zu entwickeln, zu erproben und schließlich in den MainstreamProgrammen (z.B. Fonds zur Entwicklung des Ländlichen Raumes) einzusetzen. Aufgrund der deutlichen Betonung der Förderung lokaler und regionaler Spezifika durch diese Förderinstrumente, werden Entwicklungen angeregt, die zu einer Differenzierung der Entwicklung zwischen ländlichen Räumen, suburbanen Räumen und ländlichen Räumen, aber auch jeweils innerhalb der jeweiligen Raumkategorien beitragen. Trotz vergleichsweise geringer Fördermittelhöhen in den Gemeinschaftsinitiativen wird ein postmodernes Prinzip deutlich: Uneinheitlichkeit und Entwicklungsunterschiede werden nicht mehr als Gefahr, vielmehr als Chance kommuniziert und in den Verantwortungsbereich subnationaler Einheiten verwiesen. Mit dem Bedeutungsverlust des Ziels der Einheitlichkeit von regionaler Entwicklung verbunden sind Ansatzpunkte einer Wiedereinbettung in lokale politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontexte, die mit einer postmodernen gesellschaftlichen Entwicklung vielfach kongruent sind. Der Ansatz verschiedene Akteure im ländlichen Raum aus unterschiedlichen gesellschaftsteilsystemischen und verschiedenen lebensweltlichen Kontexten auf regionaler bzw. lokaler Ebene in einer lokalen Aktionsgruppe interagieren zu lassen, bedeutet eine Abwendung des modernen Prinzips der sektoralen und hierarchischen Trennung und eine Hinwendung zu postmodernen Verknüpfungen. Gerade im Zusammenhang der sich verringernden Bedeutung parteipolitischer Bindungen, die sich auf lokaler Ebene unter anderem in der mangelnden Mobilisierung der Bürger zur Kommunalwahlbeteiligung äußert wie auch durch die nur geringe Bereitschaft für Mandate in kommunalen Räten zu kandidieren, weist LEADER eine gemeinschaftsbildende Dimension hinsichtlich der politischen Entwicklung jenseits der politischen Parteien (und letztlich auch lokalen Gebietskörperschaften) auf: Durch den Bottom-up-
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Ansatz werden politische Handlungsmuster erprobt und habitualisiert, die eine lokale Selbstverwaltung unabhängig von formalen Strukturen ermöglichen bzw. erleichtern. Die Notwendigkeit einer lokalen Selbstorganisation auch bezüglich heute kommunaler Aufgaben erscheint insbesondere im ländlichen Raum durch eine abnehmende Bevölkerungsdichte (durch Abwanderung und den demographischen Wandel im ländlichen Raum) notwendig. Dennoch lassen sich erhebliche Dysfunktionalitäten hinsichtlich der Konstruktion und regionalen Implementierung von LEADER ± insbesondere in Hinblick auf die Postmodernisierung der Gesellschaft ± nachweisen. LEADER unterliegt dem Verwaltungs- und Kontrollsystem der Mainstream-Programme und zugleich (in der BR Deutschland) den Landeshaushaltsordnungen. Dadurch ist die Beantragung von Mitteln sehr zeitintensiv, die Zahl und Komplexität der zu befolgenden rechtlichen Regelungen erheblich. Da LEADER-Akteure nur in den seltensten Fällen über professionelle Kenntnisse hinsichtlich der Beantragung und dem Umgang mit EU-Fördermitteln verfügen, laufen sie häufig Gefahr, sich mit erheblichen Sanktionen (insbesondere wegen Subventionsbetrugs) konfrontiert zu sehen, selbst bei formell bzw. finanziell marginalen Unregelmäßigkeiten. Darüber hinaus unterliegen insbesondere jene Projekte, die einen finanziellen Mehrwert schaffen, einem besonders hohen Antrags- und Begründungsaufwand, da sie einerseits auf die Förderung der prinzipiellen Förderbarkeit und die etwaigen Modalitäten der Förderung durch die Mainstream-Programme ebenso zu überprüfen sind wie auf den Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Regularien. Die Folge der Komplexität von solchen Antragsverfahren findet sich auch in der geringen ökonomischen Nachhaltigkeit vieler LEADER-Projekte: Sie überdauern den Förderzeitraum nicht bzw. sind von vorneherein auf die Dauer der finanziellen Beteiligung der öffentlichen Hand ausgelegt. Insofern unterliegen viele postmoderne Entwicklungsansätze im ländlichen Raum den Vergabe-, Verwaltungs- und Kontrollprinzipien einer modernen Bürokratie und können somit nicht, nur teilweise bzw. oder nur in abgewandelter Form umgesetzt werden. Die Innovativität und Modellhaftigkeit von LEADER wird somit ± entgegen der durch die EU formulierten Ziele ± verringert bzw. entscheidend gehemmt. Dass trotz der Hemmnisse, die LEADER-immanent dysfunktional konstruiert sind, können LEADER+-Konzepte durchaus als mit der gesellschaftlichen Postmodernisierung weitgehend kongruent gekennzeichnet werden, wie das Beispiel des Lokalwarenmarktes Sankt Wendeler Land zeigt. Ein wesentliches Merkmal des Postmoderne-Bezugs der Konzeption liegt in der inklusivistischen Anerkenntnis des dialektischen Verhältnisses von Lokalität und Globalität, die (insbesondere hier ökonomische) Globalisierung wird nicht als übermächtige Bedrohung dargestellt, sondern als faktische Rahmenbedingung, die es in der Regionalentwicklung zu beachten gilt. Der implizite bzw. explizite Bezug auf die angeeignete physische Landschaft des Konzeptes des Lokalwarenmarktes der Kulturlandschaftinitiative des Sankt Wendeler Landes (abgekürzt KuLaNi) weist deutliche Bezüge zu postmodernen gesellschaftlichen und landschaftlichen Entwicklungen auf. Die Kulturlandschaftsinitiative strebt keine monovalente Musealisierung von Landschaft an, sondern ökonomische, soziale und ästhetisch kulturelle Inwertsetzung. Insbesondere der Ansatz des Lokalwarenmarktes dient dazu, die ökonomische Valenz der Landschaft zu erhalten bzw. sogar zu steigern und an die Bedingungen der gesellschaftli258
chen Postmoderne anzupassen. Die Synthese von lokaler und globaler Ökonomie wird in besonderer Weise in der Einbeziehung des Cyberspace in der Vermarktung der lokalen Produkte deutlich: Die Lokalität des Sankt Wendeler Landes wird ubiquitär verfügbar, die überlokale Vermarktung von Produkten des Lokalwarenmarktes sichert wiederum die Erhaltung und Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft des Bezugsraumes. Besonders deutlich wird der Postmodernebezug des Konzeptes der Kulturlandschaftsinitiative Sankt Wendeler Land durch die Kulturierung, Ästhetisierung und Inszenierung von Landschaft: Gerade das Projekt ÄSankt Wendeler Land ± steinreich³ inszeniert profane landschaftliche Elemente wie Lesesteinhaufen bis hin zur Simulacrisierung von Landschaft. Die Gleichsetzung Landschaft = Gemarkung inszeniert über Ländlichkeit ländliche Landschaft. Der Lokalwarenmarkt ± als Ergänzung zu den Globalwarenmärkten ± kann ± im Sinne der Definition von Stadt von Max Weber (siehe Abschnitt 4.2.1.3) ± als Element einer reflexiven Re-Definition des Städtischen und des Ländlichen im polyvalenten Raumpastiche interpretiert werden sowohl im angeeignet physischen Raum als auch in den sozialen Raumkonstrukten. Damit wird das dialektische Verhältnis des Lokalwarenmarktes zur Globalisierung deutlich: Die Globalität des Weltmarktes wird durch die Lokalität des Lokalwarenmarktes ergänzt, woraus glokales Handeln synthetisiert wird.
6.2.4 Exkurs: Der Äsaarländische Funktionalismus³ als siedlungsprägende Architektur Mit mindestens fünf (raumsoziologisch relevanten) Superlativen im bundesdeutschen Vergleich kann das Saarland aufwarten: Der bundesweit höchsten Eigenheimdichte, der höchsten Zahl von Automobilen pro 1.000 Einwohner, der höchsten Dichte an Baumärkten, der höchsten Dichte von Anbauten an bestehende Häuser 297 und der höchsten Dichte an Eternitverkleidungen an Häusern. Erstere weist einen deutlichen Zusammenhang mit dem Prämienhaussystem in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Saarlandes auf: Die Industriellen des 19. und 20. Jahrhunderts, u. a. der preußische Bergfiskus, waren darum bemüht, ihren Arbeitern Hauseigentum zu ermöglichen, um sie so sozialistischen Gedankengutes zu enthalten. Dazu wurden betriebsseitig (an Arbeiter mit gutem Leumund) verbilligte Kredite, Grundstücke, Baupläne u. a. zur Verfügung gestellt. Solche Eigenheime entstanden häufig als Siedlungserweiterungen entlang bestehender Verkehrsachsen (insbesondere Straßen), wodurch eine stark linienhaft zersiedelte Landschaft entstand bzw. präexistente linienhafte Strukturen verstärkt wurden. Diese ± für öffentliche Verkehrsträger wenig vorteilhafte Siedlungsform ± trägt zu einer stärkeren Nutzung individueller Verkehrmittel bei. Die Verkleidung von Einfamilien- und Zweifamilienhäusern in den 1960er und frühen 1970er Jahren mit Eternit ging im Saarland mit einer Modernisierungswelle privater Häuser (insbesondere alter Prämienhäuser und ehemaligen Bauernhäusern) zumeist in Eigenregie einher: Bäder wurden eingebaut, alte Sprossenfenster mit Einfachverglasung wichen moder297
Im Saarland (insbesondere im suburbanen und ländlichen Raum) finden sich nur wenige Häuser mit einem alter von über 30 Jahren, an denen nicht Erweiterungen von Wohnanbauten, Garagen, Hobbyräumen, Schuppen etc. zu finden sind.
259
nen Doppelverglasungen in Aluminiumrahmen, Sandsteinstürze wichen Rollladenkästen, Häuser wurden aufgestockt oder mit Anbauten versehen (im Normalfall für die nächste Familiengeneration) und: Fassaden wurden aufgrund einer verbesserten Wetterfestigkeit zumindest an der westexponierten Seite des Hauses mit Eternitplatten verkleidet (siehe Abbildung 31). Diese Art der nutzwertorientierten Renovierung ± unter dem Eindruck eines funktionalistischrational (d.h. modern) orientierten Städtebaus ± von ± aus damaliger Sicht Äalter³, aus heutiger Sicht Ähistorischer³ Bausubstanz ± lässt sich als Äsaarländischer Funktionalismus³ bezeichnen, der ± wenn auch nicht allein im Saarland anzutreffen ± im Saarland nahezu flächendeckend betrieben wurde. Auch wenn seine Hochphase nun einige Jahrzehnte zurückliegt, finden sich heute noch Beispiele eines saarländisch-funktionalen Umgangs mit (nun historischer) Bausubstanz. Dieser Äsaarländische Funktionalismus³ wird seit den 1980er Jahren heftig kritisiert, bisweilen bis zur Diffamierung polemisch angefeindet, wie zuletzt bei Güth (2004)298. Die Kritik Abbildung 31: Der Äsaarländische Funktionalismus³: In Ei- zielt in erster Linie darauf, historigenregie vielfach umgebaute, eternitverkleidete und mit Aluminiumfenstern versehene Häuser; hier in Bexbach sches Erbe und damit (saarländische) (Saar). (Foto: Kühne). Kultur zu zerstören (siehe Güth 2004). Der prinzipiell postmoderne Ansatz der Valorisierung des Historischen wird dabei in einem charakteristisch modernen Alleinwahrheitsanspruch vertreten, der sich in einer monovalenten binären Codierung von historisch = gut/modern = schlecht äußert. Vor diesem Hintergrund ist auch das Förderprogramm der saarländischen Landesregierung zur Entsorgung (asbesthaltigen) Eternits zu sehen. In diesem Kontext ist die Frage zu stellen, ob ein nahezu flächendeckender Einsatz von Eternit (als prägendes Element des Äsaarländischen Funktionalismus³) nicht ebenfalls als ein Zeugnis der vielfach konstruierten saarländischen (Bau)Kultur anzusehen ist. Betrachtet man die Geschichte der Paradigmenwechsel in Architektur, Raumordnung, und Landschaftsschutz (bzw. -entwicklung) aber auch im Denkmalschutz, lässt dies eine grobe zeitliche Abfolge von neu (= wertvoll), alt (= wertlos bzw. wertarm, renovierungsbedürftig, Abfall), historisch (= wertvoll, kulturelles Erbe, zu bewahren) feststellen299. Während vor Jahrzehnten in besonderer Weise Gebäude aus dem Zeitraum vor der Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert (vornehmlich Dokumente der ÄHochkultur³, speziell Sakralbauten) als schützenswert galten, wer298
299
In dem genannten Text ist von ÄVerunstaltungen³ (z.B. 168) von historischer Bausubstanz die Rede, die Frage gestellt Äwie lange kann man wohl in sein solches Haus gehen, ohne sich zu schämen?³ (über ein Blockhaus, 170), oder Äprimitiv-bunter³ (162) Garagentorgestaltung die Rede. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Parallele zur Geschichte von Automobilen ziehen, die in der Regel einen ÄStandardlebenslauf³ von Neuwagen, Gebrauchtwagen, Altauto (hier entscheidet sich die Frage nach Verschrottung oder Erhaltung), Youngtimer, Oldtimer durchlaufen.
260
den heute zunehmend auch Gebäude mit profaner Bestimmung (ÄGebrauchsobjekte³ im Sinne Kohls 2003) aus den 1950er Jahren, früher verschmähte Dokumente der Äklassischen Moderne³, als wertvoll und damit als schützenswert erachtet. Hierzu stellt sich die Frage, wann auch der Stil der Äsaarländisch-funktionalistischen³ Modifikation von Prämien- und Bauernhäusern als kulturhistorisch wertvoll eingestuft werden wird. Wenn die letzten Eternitverschalungen von Häusern zu verschwinden drohen, wird es ± ceteris paribus aller Wahrscheinlichkeit nach ± Stimmen geben, die von dem Verlust saarländischer Identität sprechen. Nach der ÄSaarländischen Bauernhausfibel³ (von Quasten/Güth 1994), in deren Gefolge viele Bauernhäuser gemäß traditioneller Gestaltungselemente renoviert wurden, wird dann wahrscheinlich ein Werk zur kulturhistorischen Bedeutung des Äsaarländischen Funktionalismus³ der 1960er und 1970er Jahre erscheinen. Zu hoffen bleibt, dass allerdings dann die fundamentalistischintolerante Semantik der Bauern- und Arbeiterhaus-, Dorf- und Kulturlandschaftserhalter einer postmodernen, Toleranz vermittelnden Sprache gewichen sein wird.
6.2.5 Dorferneuerung Wolfersheim ± eine saarländische Siedlung zwischen monovalentem Historizismus, individueller Entwicklung und postmoderner Inszenierung Die Dorferneuerung von Wolfersheim ist unter anderem dadurch geprägt, dass der Äsaarländische Funktionalismus³ vehement abgelehnt wird. Stattdessen werden Prinzipien angewandt, die auf die Wiederherstellung historischer Bausubstanz zielen. Bemerkenswert ist die Rigorosität in der Verfolgung dieses Ziels, womit das Beispiel geeignet erscheint, im Zusammenhang mit der Postmodernisierung der Gesellschaft behandelt zu werden. 6.2.5.1 Historische Aspekte Wolfersheim ist eine im Bliesgau (südöstliches Saarland) gelegene Siedlung ± seit der Gebietsreform 1974 Stadtteil von Blieskastel ± mit heute rund 530 Einwohnern. Landschaftlich unterhalb einer bewaldeten Geländestufe (gebildet durch den Trochitenkalk des Oberen Muschelkalkes) erstreckt sich Wolfersheim hangparallel als Straßendorf. Nach nahezu völliger Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg wurde das ± 1274 erstmals urkundlich erwähnte ± Dorf von einwandernden protestantischen Bauern aus der Schweiz wieder aufgebaut. Der Höchststand einer kleinbäuerlich strukturierten Bevölkerung wurde um 1820 mit ca. 400 Einwohnern erreicht, hohe Bevölkerungsverluste durch Abwanderung reduzierten die Bevölkerungszahl bis 1880 auf ca. 270 Einwohner. Mit der Industrialisierung der Saargegend, verbunden mit einem wachsenden Arbeitsplatzangebot in Bergbau und Eisenindustrie, erfolgte eine soziale Umstrukturierung der Bevölkerung zu Bergmanns- und Arbeiterbauern bis zum Zweiten Weltkrieg. Bis 1935 stieg die Einwohnerzahl auf ca. 500. Die nahezu konstante Einwohnerzahl der Siedlung ist auf das Wanderungsdefizit, im Wesentlichen durch das Fehlen von Bauland zu begründen. Mit Ausnahme des Kalkabbaus (als Zuschlags-
261
stoff in der Metallverhüttung300) oberhalb der Siedlung zwischen etwa 1870 und 1945 (Wagner 2005) war die gewerbliche Wirtschaft in Wolfersheim stets unterrepräsentiert. Mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft nahm auch die Zahl der Vollerwerbsbetriebe seit Kriegsende von 40 auf 2 ab. Die Anzahl der Arbeitsplätze in Handwerksbetrieben, Geschäften, Gaststätten u. a. sank von 33 im Jahre 1951 auf heute ca. 5. Mittlerweile ist Wolfersheim eine reine Wohnsiedlung geworden. Die Erwerbstätigen pendeln heute hauptsächlich nach Homburg und Saarbrücken aus (vgl. Weber 2001, Quasten 2003). 6.2.5.2 Bauliche Entwicklung und Dorferneuerung Die historische Entwicklung ist bis heute in der Struktur der Siedlung abzulesen: Der historische Kern weist ehemalige Vollbauernhöfe auf, die ± auch aufgrund der geringen Kriegsschäden ± noch weitgehend baulich erhalten sind. Entlang der Hauptstraße wird der Baubestand nach außen immer jünger: Arbeiterbauernhäuser bis zu reinen Wohnhäusern an der Peripherie, wobei die Neubautätigkeit bis in die jüngste Zeit im Vergleich zu den meisten übrigen Siedlungen der Region wenig bedeutend blieb. Dadurch ist der Gebäudebestand relativ alt: Im Jahre 1987 waren fast die Hälfte aller Wohnhäuser vor dem Ersten Weltkrieg, fast zwei Drittel bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut (Quasten 2003). Die durch die Landfrauen zu Beginn der 1980er Jahre initiierte Dorferneuerung bezeichnet Quasten (2003: 10) als Ädas einschneidendste Ereignis der letzten anderthalb Jahrzehnte in Wolfersheim³. Diese Wolfersheimer Dorferneuerung unterscheidet sich in weiten Teilen von den klassischen Prinzipien der Dorferneuerung, die im Wesentlichen auf den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen, von Infrastruktur- und Vorsorgeeinrichtungen, die Förderung von Naherholung und Tourismus, die Begrünung der Siedlung u. a. ausgerichtet ist: Primäres Ziel der Dorferneuerung von Wolfersheim ist der ErAbbildung 32: Das Dorfzentrum von Wolfersheim (Foto: halt der ÄIdentität³ des Dorfes durch Kühne). die Identifizierung und Bewahrung des Spezifischen und Unterscheidbaren (Quasten 2003: 12): ÄIdentität erhalten und wieder herstellen bedeutet Unverwechselbarkeit aus der historischen Entwicklung einer Siedlung in die Gegenwart zu retten, um sie an die Zukunft weiterzugeben. Dieses macht Einzigartigkeit aus³. 300
Bei der Roheisengewinnung übernimmt Kalk im Hochofen vornehmlich die Aufgabe, unterschiedliche Nebenbestandteile des Eisenerzes in einer vom flüssigen Roheisen leicht trennbaren Schlacke zu binden (Wagner 2005).
262
Die Restaurierung der Bauern- und Arbeiterbauernhäuser in Wolfersheim erfolgte bzw. erfolgt in weiten Teilen in Eigenleistung und Nachbarschaftshilfe mit finanzieller Förderung aus Mitteln der Dorferneuerung unter Beratung durch das Institut für Landeskunde im Saarland (IfLiS). Dabei werden regionaltypische Baumaterialien (im Wesentlichen Kalkstein für Sandsteingewänden und -eckquadern), traditionelle Gestaltungselemente (beispielsweise bei Türen, Toren und Fenstern) sowie traditionelle Dacheindeckungen (Biberschwanz statt Doppelfalzziegel) verwendet. Die bauliche Erweiterung Wolfersheims erfolgte weitgehend entlang der Dorfstraße an den Ortsausgängen, häufig durch Verdichtung der Bebauung. Die Siedlungserweiterung entlang der von der Ortsdurchfahrt abzweigenden ehemaligen Feldwege ist mittlerweile unterbunden. Für das seit 1992 erschlossene Neubaugebiet ÄIn den Kirchgärten³ gilt eine Gestaltungssatzung, deren Ziel darin besteht, die Neubauten in die bestehende Siedlungsstruktur einzupassen: Die traufständigen Einfamilienhäuser sind je zu zweit über Garagenbauten zu Kurzzeilen zusammenzuschließen, die Dächer sind mittelsteil anzulegen und mit roter Eindeckung zu versehen. Ferner sind die Gebäude durch Satteldachgauben und stehende Fensterformate in dem Altbaubestand anzupassen. Die Dorfstraße wurde im Zuge der Dorferneuerung auf Grundlage verkehrsfunktionaler und historisch-ästhetischer Gestaltungsprinzipien umgestaltet: Die Fahrbahn wurde schmaler und mit einer glatten, hell gekörnten Asphaltdecke versehen, ihre seitliche Begrenzung durch 0,65 bis 0,80 m breite Vollrinnen aus Kalkstein, die Gehwege aus rechteckigem Betonpflaster gestaltet (Quasten 2003). Dadurch wurde der Eindruck einer traditionellen Dorfstraße, nicht einer Stadtstraße im Dorf geschaffen. Elemente einer künftigen Dorfentwicklung Wolfersheims beziehen sich einerseits auf die Fortsetzung der Aktivitäten der Instandsetzungen historischer Bausubstanz, der Verjüngung von Streuobstbeständen und der Renaturierung des Marchelbaches, andererseits auf das Erlassen einer Gestaltungssatzung, die dezidierte Regelungen und Begründungen für die gestalterische und bauliche Entwicklung enthalten soll. Ferner ist eine Förderung der Kultur durch die Renovierung und Nutzung einer derzeit marginal genutzten Scheune im Bereich des Dorfzentrums geplant. Das deutliche Gemeinschaftsgefühl der Wolfersheimer Bevölkerung, das sich in der Aktivität von rund 20 Vereinen, einer gemeinschaftlichen Unterhaltung und Nutzung einer dorfeigenen Obstbrennerei, der Renovierung u. a. des Feuerwehrhauses und dem Kommunikationsort des Milchhäuschens äußert, erklärt Quasten (2003) aus der kulturellen Geschichte des Dorfes als evangelische Enklave in einem ansonsten katholischen Raum 301. ÄDas gemeinsam erlebte Schicksal, die wenig differenzierte soziale Gliederung der Bevölkerung, auch der geringe Zuzug fremder Personen haben dazu geführt, dass es ein großes Gemeinschaftsgefühl gibt. Es ist entscheidend mitverantwortlich für die Erfolge in der Dorferneuerung der letzten anderthalb Jahrzehnte³ (Quasten 2003: 5).
301
Wolfersheim gehörte nicht ± wie die übrigen Dörfer rechts der Blies ± zum Territorium der katholischen Reichsgrafen Von der Leyen (mit Residenz in Blieskastel), sondern war eine Exklave des Territoriums der evangelischen Herzöge von Pfalz-Zweibrücken.
263
6.2.5.3 Dorferneuerung Wolfersheim aus Sicht der Postmoderne Gilt das Erringen von Auszeichnungen von Dorferneuerungspreisen als Indikator für den Erfolg von Dorferneuerungsmaßnahmen, kann die Dorferneuerung in Wolfersheim als sehr gelungen bezeichnet werden: in jüngster Zeit ist hier der Gewinn der Goldmedalie im saarländischen Dorfwettbewerb 2003, der Gewinn der Goldmedalie im bundesdeutschen Dorfwettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden ± unser Dorf hat Zukunft³ und im Gewinn des ÄEuropäischen Dorferneuerungspreises für besondere Leistungen in einzelnen oder mehreren Teilbereichen³ 2004 zu verbuchen. Bezieht sich der Beurteilungsmaßstab jedoch darauf, ob und inwiefern die Wolfersheimer Dorferneuerung den Entwicklungen einer sich postmodernisierenden Gesellschaft gerecht wird, ist diese Frage differenzierter zu betrachten. In zentralen Aspekten lässt sich für die Dorferneuerung in Wolfersheim eine erhebliche Nähe zu postmodernem Gedankengut feststellen: Die Wertschätzung des Historischen, das deutliche Durchgreifen ästhetischer Vorstellungen ist ebenso charakteristisch für die Postmoderne wie Inszenierung in diesem Falle von Dörflichkeit, die sich in ihrer klaren Zurückweisung städtischer Gestaltungsprinzipien wie Bürgersteige, Peitschenlampen u. a. ebenso äußert, wie auch der immer wieder beschriebenen Äintakten Dorfgemeinschaft³, ein Begriff, der mittlerweile deutliche Züge eines Simulacrums trägt. Ein weiteres Charakteristikum der Postmoderne findet sich hinsichtlich der deutlichen Ausrichtung auf die individuelle Entwicklung des Ortes, die darauf ausgerichtet ist, die Eigentümlichkeiten (hier insbesondere baulicher Art) herauszustellen und letztlich symbolisch zu überhöhen. Doch gerade hinsichtlich der individuellen Entwicklung der Siedlung wird die Ambivalenz des Konzeptes deutlich: Ähnlich der new-urbanistischen Siedlung Celebration haben sich die Bewohner von Wolfersheim Gestaltungsnormen ihres privaten Raumes zu unterwerfen, die schwer mit der Individualisierung der Gesellschaft und der Umsetzung von Selbstbestimmungswerten vereinbar erscheinen. Hier wird die postmoderne Inszenierung einer individuellen Ortsentwicklung mit der Rigorosität der Moderne durchgesetzt. Darüber hinaus ist der historische Bezug von einem nach Monovalenz strebenden Authentizitätsstreben bestimmt, nicht von einem postmodern-ironisierenden Polyvalenzgedanken. Diese Rigorosität des Durchsetzens von Gestaltungsprinzipien wird in der Regel mit der Erhaltung der ÄIdentität³ des Dorfes begründet. Die ÄIdentität³ erhält dabei den Charakter eines intrinsischen Wertes. Wie insbesondere im Zusammenhang mit dem soziologischen Landschaftsbegriff (eigens Abschnitt 3.4) erläutert wurde, kann Identität jedoch nicht auf Objektebene (hier der Ebene des Dorfes) angenommen werden, sondern sie ist vielmehr eine wertende Eigenschaftszuschreibung. Aus konstruktivistischer Sicht ist Identität ein soziales Konstrukt, keine Eigenschaft eines Objekte oder mehrerer Objekte (aus wenn sie mit einem relationalen Bezug aufeinander angeordnet sind). Nebenfolge der sozialen Konstruktion von ÄIdentität³ ist eine exklusivistische Grundhaltung, die jener des Inklusivismus der Postmoderne zuwiderläuft. Die latente bisweilen manifeste Xenophobie wird bei Quasten (2003: 8) im Zusammenhang mit der Abwanderung junger Personen aufgrund des Mangels an Bauplätzen deutlich: ÄAndererseits ist das Dorf [Wolfersheim; Anm. O. K.] aber vor ÃStadtflüchtlingen¶
264
aus dem Ballungsraum bewahrt geblieben³. Hier wird implizit eine auch ethnisch begründete Höherbewertung des Autochthonen gegenüber dem Allochthonen deutlich. Auch wenn in Einzelfällen eine lokale Legitimation für eine Erhaltung von ÄIdentität³ einer Siedlung hergestellt werden kann, läuft sie häufig den gesellschaftlichen Anforderungen an eine Siedlung zuwider. Begründet darin, dass sie ± um Konservierung idealtypisch konstruierten landschaftlichen Soll-Zustandes bemüht ± landschaftliche Folgen des gesellschaftlichen Wandels physisch-räumlich wie auch gesellschaftsräumlich externalisiert: Ungewünschte räumliche und landschaftliche Funktionen werden in der eigenen Gemarkung nicht zugelassen. Eine Fossilisierung und letztlich Musealisierung von Landschaft ist die Folge. Darüber hinaus lässt das Konzept der auf ÄIdentität³ zielenden Dorferneuerung einen hohen Grad an Autopoiesis erkennen: Aufgrund der Ablehnung der Äklassischen Dorferneuerungsziele³ wird die Wolfersheimer Dorferneuerung primär für die Bewohner der Siedlung ausgerichtet, eine Stärkung des (regionalen) Tourismus und damit eine sozial-gemeinschaftliche Inwertsetzung über die eigene Gemarkung hinaus, wird nicht als vordringliches Ziel formuliert. Damit bleibt die sozial-gemeinschaftliche und kulturelle Entwicklung der Siedlung im hohen Maße selbstreferentiell, auch wenn in besonderer Weise auf ökonomischer Ebene ein erheblicher pekuniärer Input sowohl durch die Einkommen der Bewohner als auch durch die öffentliche Förderung aus Dorferneuerungsmitteln erfolgt 302. 6.3
Leitbilder der räumlichen Entwicklung und räumliche Planung im Saarland ± zwischen Moderne und Postmoderne: Ein vorläufiges Fazit
Die Leitbilder zur Entwicklung der Landschaft ± in der landschaftlichen Sequenz zwischen gesellschaftlich (nahezu) vollständig überformter Landschaft zu natürlicher Landschaft, zwischen Shopping mall an dem einen Ende der Skala und Anökumene an deren anderem Ende ± entwickeln sich in einem Spannungsfeld von landschaftlicher Erhaltung und Sukzession. Hinsichtlich des Verhältnisses von abstrakten Leitbildern auf der einen und Förderprogrammen auf der anderen Seite, für den urbanen Raum einerseits und den ländlichen Raum andererseits (wobei diese scharfe Trennung, wie dargestellt, dem Geiste der Moderne, nicht demjenigen der Postmoderne entspringt), wird ebenfalls eine gewisse Differenz deutlich: Setzen abstrakte Leitbilder tendenziell eher im städtischen Raum an, lässt sich das Ziel finanzstarker Förderprogramme (insbesondere unionseuropäischer Provenienz) stärker im ländlichen Raum verorten. Für den ländlichen Raum sind Leitbilder entweder in der Konservierung von angeeigneter physischer Landschaft (ÄUnser Dorf soll schöner werden³ vor der Revision) oder auf dem landschaftlichem Meta-Niveau einer selbst bestimmten lokalen Gesellschaft (Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land, ÄUnser Dorf hat Zukunft³ nach der Revision) angesiedelt. Leit-
302
Wird gerade die ökonomische Ebene betrachtet, lässt sich die Dorfentwicklung Wolfersheims durchaus als parasitär kennzeichnen: Einerseits werden konzeptinkongruente räumliche Nebenfolgen der gesellschaftlichen Entwicklung (z.B. Gewerbegebiete) externalisiert, andererseits wird der ökonomische Nutzen, der aus dem ± in anderen Siedlungen erwirtschafteten ± Einkommen der ansässigen Bevölkerung wie auch aus öffentlichen Fördermitteln resultiert, akzeptiert, ohne dass eine über-lokal-gesellschaftliche Inwertsetzung der ästhetischen Fortschritte ± z.B. durch eine Förderung des regionalen Tourismus ± erfolgte.
265
Berücksichtigung der Ästhetik
Zulassen von räumlicher Polyvalenz
Prozessbegründung auf postmodernes Gedankengut
Berücksichtigung der philosophischen Postmodernisierung
Berücksichtigung der ökologischen Postmodernisierung
Berücksichtigung der kulturellen Postmodernisierung
Berücksichtigung der sozialgemeinschaftlichen Postmodernisierung
Berücksichtigung der politischen Postmodernisierung
Berücksichtigung der ökonomischen Postmodernisierung
bilder mit dem Anspruch der Landschaftsgestaltung wie der New Urbanism oder die Europäische Stadt fehlen. Allen untersuchten Leitbildern der räumlichen bzw. landschaftlichen Entwicklung gemein ist eine ± allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen auftretende ± postmoderne Grundströmung: die Wertschätzung des Historischen: Im Gegensatz zur Moderne, in der das Historische tendenziell als überholt galt, findet in der Postmoderne eine reflexive Inwertsetzung ± bis hin zu einer Simulierung und Sakralisierung ± des Historischen statt. Einen landschaftskonstituierenden Höhepunkt erreicht diese Simulation im New Urbanism, der historische Stadtlandschaften mit einer Rigorosität simuliert, dass andere Prinzipien der Postmoderne (wie Individualisierung, Toleranz) eingeschränkt werden. In der Dorfentwicklung von Wolfersheim findet sich eine andere Ausprägung der Sakralisierung des Historischen: Prinzip ist hier die Bewahrung der Authentizität der historischen Bausubstanz und der weiter gefassten ÄKulturlandschaft³, die letztlich aufgrund der Relikthaftigkeit der Landschaft wiederum eine Simulation darstellt, da sie den gegenwärtigen gesellschaftlichen Funktionen und Strukturen nicht mehr entspricht. Eine weitere Ausprägung der Wertschätzung des Historischen stellt die Konzeption der Zwischenstadt dar. Sie unterstreicht die Werthaftigkeit der landschaftlichen Nebenfolgen gesellschaftlichen Handelns der jüngeren und jüngsten Vergangenheit. Die Raumvision Saarkohlenwald hat die Kulturierung und Ästhetisierung einer reliktischen Altindustrie- und Forstlandschaft zum Ziel. Sie ist daher als eine charakteristische Folge gesellschaftlicher Postmodernisierung verstehbar.
Europäische Stadt
gering
gering
gering
gering
gering
gering
gering
teilweise
hoch
Zwischenstadt
hoch
hoch
hoch
hoch
teilweise
teilweise
teilweise
hoch
gering
New Urbanism (NU) - theoretischer NU
hoch
hoch
hoch
hoch
teilweise
hoch
teilweise
hoch
hoch
- Umsetzung (Celebration)
hoch
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
gering
teilweise
teilweise
hoch
Dorfwettbewerb - "Unser Dorf soll schöner werden" (vor der Revision) - "Unser Dorf hat Zukunft" (nach der Revision) Raumvision Saarkohlenwald Lokalwarenmarkt St. Wendeler Land Dorfentwicklung Wolfersheim
gering
gering
teilweise
gering
teilweise
gering
gering
gering
hoch
teilweise
teilweise
hoch
teilweise
teilweise
gering
teilweise
teilweise
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
hoch
teilweise
hoch
hoch
hoch
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
teilweise
gering
gering
gering
hoch
Tabelle 28: Vergleich von Leitbildern der räumlichen Entwicklung und der räumlichen Planung im Saarland hinsichtlich ihres Postmodernebezugs.
Die Vertreter des planerischen Paradigmas der europäischen Stadt, die Richtlinien zu ÄUnser Dorf soll schöner werden³, die Konzeption der Dorfentwicklung Wolfersheim und die 266
Konzeption des Lokalwarenmarktes Sankt Wendeler Land, sowohl hinsichtlich der Analysen als auch hinsichtlich der Normativität, unterstreichen stark eine Polarität, bisweilen sogar eine Dichotomie von Stadt und Land, die sich in der Postmoderne auflöst, sich bereits in der Moderne aufzulösen begann. Nicht allein baulich gleichen sich weite Teile eines ehemaligen ländlichen Raumes an die Stadt an, auch sozial, politisch, kulturell und auch ökonomisch wird der ehemals dichotome Gegensatz von Stadt und Land differenziert und aufgehoben. So scheint dieser Gegensatz in Anbetracht der gesellschaftlichen Postmodernisierung weder analytisch noch normativ sinnhaft konstruierbar. Es handelt sich hierbei um Relikte eines modernen exklusivistisch-trennenden Raumverständnisses, das häufig mit dem Ziel verbunden wird, eine normativ gesetzte möglichst einheitliche räumliche Binnenstruktur in übersteigerter Abgrenzung zu der jeweiligen Umwelt als Grundlage einer Konstruktion räumlicher Identität (vgl. Luhmann 1984) zu schaffen. Die Konzepte der Zwischenstadt, des New Urbanism und der Raumvision Saarkohlenwald integrieren die Differenzierungen von städtischem und ländlichem Raum, da sie konstitutiv nicht auf eine dichotome räumliche Identitätsbildung als städtischer oder ländlicher Raum durch exklusivistische Abgrenzung ausgelegt sind, sondern ± in unterschiedlicher Weise ± städtische und ländliche Elemente synthetisieren und somit inklusivistische Identitäten schaffen. Bei inklusivistischen Leitbildern der räumlichen Entwicklung wird landschaftliche Polyvalenz zugelassen bzw. ist explizit Ziel des Konzeptes (wie bei der Raumvision Saarkohlenwald), während bei exklusivistischen Leitbildern eher eine Tendenz zur monovalenten Landschaft besteht (Tabelle 28). Exklusivistische Leitbilder der räumlichen Entwicklung weisen häufig den (räumlich selektiven) Alleingültigkeitsanspruch einer ÄGroßen Erzählung³ auf. Dies gilt in besonderer Weise für das planerische Paradigma der Europäischen Stadt, aber auch beim Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ (vor der Revision) mit seinen dezidierten Bewertungsrichtlinien und der Dorferneuerung von Wolfersheim in ihrer normativen Rigorosität der Umsetzung. Das Konzept der Zwischenstadt lässt sich aufgrund der Anerkennung räumlicher und sozialer Tatsachen, ohne den Wunsch, Regionen aufgrund Ägroßer Ideen³ der Raumordnung zu verändern tendenziell als eine ÄKleine Erzählung³ beschreiben. Der Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land und in besonderer Weise die Raumvision Saarkohlenwald lassen sich als ÄKleine Erzählungen³ verstehen, die für lokale Gegebenheiten ± ohne Allgemeingültigkeitsanspruch ± Entwicklungsoptionen zu realisieren suchen. Der New Urbanism ist zwar als ÄKleine Erzählung³ konzipiert, in der Umsetzung findet sich jedoch häufig der Allgemeingültigkeitsanspruch einer ÄGroßen Erzählung³. Eine umgekehrte Lagerung lässt sich auf für den Wettbewerb ÄUnser Dorf hat Zukunft³ (nach der Revision) feststellen: Die Richtlinien messen der individuellen Entwicklung der Siedlungen eine herausragende Bedeutung bei, weisen allerdings aufgrund ihres hohen Verbindlichkeitsgrades Charakteristika einer ÄGroßen Erzählung³ auf. Insgesamt ist festzustellen, dass keines der Planungsleitbilder in Gänze als kongruent mit der gesellschaftlichen Postmodernisierung zu charakterisieren ist. Vielmehr mischen sich Elemente von Moderne und Postmoderne, von Großen und Kleinen Erzählungen in unterschiedlichen Anteilen und Intensitäten. Dabei ist insbesondere der Raumvision Saarkohlen-
267
wald die weitestgehende Übereinstimmung mit postmodernen Entwicklungen zuzusprechen (vgl. Tabelle 28). Aus der Untersuchung von Leitbildern der Raum- bzw. Landschaftsentwicklung lassen sich vier Typen der Landschaftskonstruktion in der Postmoderne ableiten303: 1. Die konservierende Landschaftskonstruktion. Ihr Ziel ist die monovalente Erhaltung von Landschaft. Trotz ihrer Wertschätzung des Historischen ist ihre Grundausrichtung modern, da exklusivistisch und stark normativ geprägt. Folgende in diesem Kapitel untersuchte Leitbilder lassen sich hierunter subsumieren: Der Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ (vor der Revision), die Dorferneuerung Wolfersheim, das planerische Paradigma der Europäischen Stadt. 2. Die neotraditionale Landschaftskonstruktion. Sie stellt einen bewussten Entwurf einer einheitlichen lokalen Gesellschaft in einem einheitlichen Raum dar und ist somit noch deutlich von modernen Prinzipien geprägt, Polyvalenz wird zugelassen, wenn sie auch nicht konstituierend ist. Wesentliches Merkmal ist die ästhetisierende Inszenierung des Historischen ± insbesondere in Form offener Simulationen. Unter den betrachteten Leitbildern fällt die Umsetzung des New Urbanism unter den Typus der neotraditionalen Landschaftskonstruktion. 3. Die Landschaftskonstruktion des Laisser-faire. Landschaftliche Entwicklung wird als Nebenfolge gesellschaftlicher Entwicklung akzeptiert. Nonvalenzen werden somit ebenso zugelassen wie Monovalenzen und Polyvalenzen, Historisches wird zwar geschätzt, soll aber nur bei gesellschaftlicher Inwertsetzung erhalten werden. Dem inklusivistischen Charakter dieses Typus entspricht auch seine geringe Normativität. Damit ist dieses Landschaftskonstrukt ± wenn auch passiv ± stark postmodern geprägt. Das Leitbild der Zwischenstadt und die analytische Europäische Stadt fallen unter diesen Typus. 4. Die reflexive Landschaftskonstruktion. Landschaftliche Entwicklung wird als Folge der lokal und regional selbstgesteuerten gesellschaftlichen Reflexivität verstanden. Wesentliche Ziele sind dabei die Erzeugung von Polyvalenz, Ästhetisierung und Kulturalisierung von Landschaft sowie Inklusitivät. Hierbei handelt es sich um die landschaftsentwickelnde Umsetzung postmoderner gesellschaftlicher Entwicklung. Unter den betrachteten Leitbildern lässt sich die Raumvision Saarkohlenwald eindeutig diesem Typus zuordnen. Der konzeptionelle New Urbanism weist eine deutliche Affinität zur neotraditionalen Landschaftskonstruktion auf. Der Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land ist wie der Wettbewerb ÄUnser Dorf hat Zukunft³ (nach der Revision) als Mischtypus von reflexiver und konservierende Landschaftskonstruktion zu verstehen.
303
Moser (2003) arbeitet ± aus stärker ökologischer Forschungstradition ± vier landschaftliche Leitszenarien heraus: Erstens, die historische Kulturlandschaft (normativ-ästhetische Wertevorgabe), zweitens, die Funktionslandschaft (Laisser-faire-Prinzip), drittens, die multifunktionale Landschaft (visible, invisible hand) und viertens, die nachhaltige Landschaft (sustainable developement).
268
Fazit: Landschaft in der Postmoderne ± eine Synthese
7
Zwischen physischem Raum und Gesellschaft besteht ein intensives Rückkopplungsverhältnis. Durch die gesellschaftliche Entwicklung vollzieht sich auch eine Veränderung des Menschen auf den physischen Raum, aber auch eine Veränderung der Wahrnehmung von Raum. Eine stark selektiv konstituierte Teilmenge der Konstruktionen von Raum ist Landschaft. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, gewichtet, gewertet und beurteilt werden. Hierzu seien zunächst die Grundlagen der unterschiedlichen Konstruktionen von Landschaft behandelt, anschließend erfolgt eine Befassung mit dem Einfluss der Gesellschaft auf die Entwicklung von angeeigneten physischen Landschaften und mit den Merkmalen der sozialen Konstruktion von Landschaft. Abschließend sind die Paradigmen des Umgangs mit Landschaft zu betrachten. 7.1
Die Grundlagen der Konstruktion von Landschaft: die gesellschaftliche Landschaft, die angeeignete physische Landschaft und der physische Raum
Der Begriff der Landschaft zeichnet sich wesentlich durch seine Diffusität aus. Er ist vielseitig einsetzbar und nur wenig konkret, hat aber auch einen Bezug auf mehrere ökosystemische und gesellschaftssystemische Emergenzebenen. Aus soziologischer Sicht von herausragender Bedeutung ist die Art und Ausprägung zwischen Gesellschaft, Gemeinschaft und Individuum einerseits und physischem Raum andererseits. Aus soziologischer Sicht lässt sich der gesellschaftliche Landschaftsbezug in drei Ebenen gliedern: 1. Die gesellschaftliche Landschaft lässt sich als ästhetisierte bewusstseinsinterne, sozial präformierte Zusammenschau räumlich-relational angeordneter Objekte und Symbole beschreiben. Dieses bewusstseinsinterne Konstrukt ist wiederum differenzierbar in die Konstruktion eines Ist- und eines Soll-Zustandes. Bei der Konstruktion werden physische Objekte und Symbole zueinander in Relation gesetzt und erfahren eine synthetisierende Bezeichnung (z.B. als Äschöne Landschaft³, als ÄIndustrielandschaft³ oder als ÄBuntsandsteinlandschaft³). Die Konstruktion des Soll-Zustandes einer Landschaft ist in besonderer Weise von den Idealtypen Landschaften geprägt (häufig basierend auf den Panoramen der Landschaftsmalerei)304. 2. Als angeeignete physische Landschaft lassen sich hingegen diejenigen physischen Objekte in räumlich-relationaler Anordnung bezeichnen, die bei der bewusstseinsinternen Konstruktion von Landschaft relevant sind. Hierbei handelt es sich einerseits um Objek-
304
Auch die Wissenschaften konstruieren Wirklichkeit, in diesem Falle Landschaft ± oder allgemeiner ± Raum. Sowohl in den Raum- als auch in den Sozialwissenschaften lässt sich ein Fokus auf verdichtete Räume feststellen. Dieser Fokus wird mit der Diskussion um die Zwischenstadt, die zunächst als Abweichung vom SollZustand der europäischen Stadt galt und z. T. noch heute gilt, aufgeweitet, dennoch bleibt der angeeignete physische Raum jenseits von Suburbia häufig eine Restkategorie, bzw. Raum, den es zu überwinden gilt, um von einer Metropolregion in die nächste zu gelangen, oder dem maximal die Funktion landschaftlicher Arkadien (Hard 1965) zugewiesen wird. Hätte der Fokus der wissenschaftlichen Raumbefassung stärker auf der Betrachtung und Differenzierung dieser Restkategorie gelegen, wäre womöglich die These von der Enträumlichung nicht bis in die nahezu letzte Konsequenz vertreten worden.
269
te, die durch menschliche Tätigkeit räumlich platziert wurden und andererseits auch um Objekte, die durch natürliche Prozesse entstanden sind. 3. Als physischer Raum lässt sich diejenige räumlich-relationale Anordnung von Objekten im Allgemeinen ± unabhängig von der sozialen oder individuellen Beobachtung als Landschaft ± bezeichnen. Der physische Raum stellt die Grundlage für die angeeignete physische Landschaft, aber auch die Objekt-Elemente der gesellschaftlichen Landschaft, dar. Er ist so lange nicht als Landschaft zu bezeichnen, bis selektiv Elemente von ihm als solche beobachtet werden. Der physische Raum stellt eine von der Beobachtung als Landschaft unabhängige Basis
Objekt des physischen Raumes Symbole ohne räumliche Verortung Landschaftsbezogenes Symbol Physischer Raum Angeeignete physische Landschaft Gesellschaftliche Landschaft Welt der Symbole
Abbildung 33: Der gesellschaftliche Landschaftsbezug: Gesellschaftliche Landschaft stellt eine Schnittmenge aus der Welt der Symbole und dem physischen Raum, die angeeignete physische Landschaft aus gesellschaftlicher Landschaft und physischem Raum dar.
räumlich-relational angeordneter Objekte dar, aus denen durch selektive Auswahl von Objekten Landschaft als gesellschaftliche Landschaft und als angeeignete physische Landschaft generiert wird. Aufgrund der Selektivität der sozialen und individuellen Konstruktion von Landschaft werden nicht alle Objekte des physischen Raumes in die Konstruktion der angeeigneten physischen Landschaft einbezogen. Zwar ist die Menge aller Elemente der angeeigneten physischen Landschaft als Teilmenge der Elemente des physischen Raumes zu sehen. Doch bildet die gesellschaftliche Landschaft nicht lediglich eine Schnittmenge mit der angeeigneten physischen Landschaft und damit auch dem physischen Raum, da sich die Konstruktion der gesellschaftlichen Landschaft nicht allein auf physische Elemente bezieht, sondern auch auf symbolische. Anders ausgedrückt: Die angeeignete physische Landschaft stellt eine Projektion der gesellschaftlichen Landschaft in den physischen Raum dar, indem sie diesen in der 270
Regel symbolisch besetzt (vergleiche Abbildung 33). Somit stellt die gesellschaftliche Landschaft eine Schnittmenge zwischen der Welt der Symbole und dem physischen Raum dar. Der Bezug der gesellschaftlichen Landschaft auf räumlich-relational angeordnete Objekte muss sich dabei nicht zwingend auf Objekte des physischen Raumes beziehen, vielmehr kann es sich auch um rein bewusstseinsinterne (z.B. Phantasielandschaften) bzw. auch fiktive mediale Konstruktionen (z.B. Landschaften des Cyberspace) handeln. Dann hat die Schnittmenge der gesellschaftlichen Landschaft mit dem physischen Raum die Größe null, dies bedeutet: In diesem Falle gibt es keine angeeignete physische Landschaft. Der Begriff Landschaft (ohne Adjektiv) lässt sich extensional als Sammelbezeichnung für gesellschaftliche Landschaft als auch für die angeeignete physische Landschaft verwenden. Sie kann intentional als ein sozial präformiertes, bewusstseinsinternes Konstrukt, konstruiert auf Grundlage der Beobachtung räumlich-relational angeordneter Objekte verstanden werden, wobei sich die Konstruktion sowohl auf die soziale Emergenzebene bezieht als auch auf die Konstruktion der Ergebnisse der Beobachtung von physischem Raum und deren erneute Projizierung in den physischen Raum. Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft lässt sich funktional als Folge bzw. Nebenfolge des Agierens der gesellschaftlichen Subsysteme verstehen. Sie generieren durch das Platzieren von funktional differenzierten Objekten auf der Basis von Naturlandschaft (der topographisch-ökosystemischen Landschaft) mehrere Ebenen gesellschaftlicher Nutzung: 0. Der topographisch-ökosystemische Raum, 1. die ökonomische angeeignete physische Landschaft, 2. die politische angeeignete physische Landschaft, 3. die angeeignete physische Landschaft des Systems soziale Gemeinschaft, 4. die angeeignete physische kulturelle Landschaft. Prinzipiell bestehen auch Nebenfolgen des gesellschaftssubsystemischen Agierens im physischen Raum außerhalb der angeeigneten physischen Landschaft, so dass grundsätzlich auch von ökonomischem, politischem, sozial-gemeinschaftlichem und kulturellem physischen Raum gesprochen werden kann. Diese Nebenfolgen werden jedoch häufig nicht wahrgenommen oder sie werden nicht für die Konstruktion von Landschaft herangezogen. 7.2
Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft unter dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels
Angeeignete physische Landschaft unterliegt dem Einfluss des Agierens der Gesellschaft. Dieser Einfluss unterliegt infolge der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse einer Entwicklung. Die im vorherigem Abschnitt angerissene Differenzierung des gesellschaftlichen Einflusses auf die angeeignete physische Landschaft kann als charakteristisch für die Moderne bzw. den Übergang der Moderne zur Postmoderne gelten. Mit dem Wandel von gesellschaftlichen Strukturen sind somit auch Veränderungen in der angeeigneten physischen Landschaft verbunden. Viele angeeignet-physische räumliche Strukturen wurden und werden aufgrund dieses gesellschaftlichen Wandels entfunktionalisiert und somit zu Relikten, andererseits wer-
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den neue (sowohl angeeignet-physische als auch gesellschaftliche) Landschaften und Landschaftselemente geschaffen, Objekte aus der Moderne unterliegen neuen Nutzungen und erfahren (neue) symbolische Aufladungen. Neben der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, der Verstädterung und Urbanisierung, dem Ausbau einer technischen Verkehrsinfrastruktur ist ± mit diesen Entwicklungen rückgekoppelt ± die (scheinbare) Emanzipation von der natürlichen Umwelt ein weiteres Charakteristikum moderner Raumentwicklung. Angeeignete physische Landschaften wurden vielfältiger: Zu den traditionellen Landschaften der Agrargesellschaft mit ihren eng begrenzten, zumeist mit geringen Einwohnerzahlen versehenen Städten, traten Industrieanlagen, Anlagen der technischen Infrastruktur, neue Haustypen, wie die in die vertikale strebenden Hochbauten, Millionenstädte. Doch auch die angeeigneten physischen Landschaften außerhalb der Ballungsregionen veränderten sich im Zuge der Modernisierung: Die rationell betriebene Landwirtschaft benötigte große Flächen und große, einfach strukturierte Schläge, große Viehstelle zur vereinfachten technischen Bewirtschaftung, zur Kostensenkung. Die Folgen waren Strukturverluste in der angeeigneten physischen Landschaft, Fließgewässerbegradigungen, Aussiedlungen. Mit dem Übergang zur Postmoderne, mit der Dominanz des tertiären Wirtschaftssektors verstärkt sich eine Auflösung der prämodernen und modernen Flächenbindung der Wirtschaft: Die Flächenbezogenheit ± und vielfache Flächendeterminiertheit ± der agrarischen Nutzung und schon abgeschwächt der Industrie verliert in der tertiären Wirtschaft nahezu vollständig an Bedeutung: Dienstleistungen können in einer vernetzten Welt nahezu ubiquitär erzeugt werden, ihre Flächenansprüche sind gering. Die Zusammenballung ihrer Leitungsfunktionen in Clobal Cities ist von naturräumlichen Faktoren nahezu unabhängig, determinierend wirken vielmehr sozialräumliche Faktoren. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen und deren räumliche Ausprägungen implizieren als Folgen bzw. Nebenfolgen Veränderungen von angeeigneten physischen Landschaften: Der ökonomische Bedeutungsverlust des primären Wirtschaftssektors, auch infolge des globalen Wettbewerbsdrucks, dessen Aufrechterhaltung in weiten Teilen an die Gewährung politisch motivierter monetärer Transferleistungen geknüpft ist, impliziert die Aufgabe nicht mehr nach ökonomischen Maßstäben bewirtschaftbarer Standorte. Die angeeignete physische Landschaft wird differenziert in ökonomisch haltbare, bewirtschaftete Standorte, und ökonomisch nonvalente Standorte, die aus der Nutzung fallen. Dennoch: Durch die ökonomische Wertminderung von Flächen können diese auch alternativen, d.h. sozialgemeinschaftlich, kulturell und politisch motivierten Nutzungen zugeführt werden. Angeeignete physische Landschaft wird dadurch auch ästhetisiert und kulturiert. Dies bedeutet auch: Die von der Dienstleistungsgesellschaft geprägte Landschaft hat die Industrielandschaft der Moderne ebenso wenig vollständig abgelöst, wie Industriegesellschaft die Agrarlandschaften der Vormoderne. Sowohl Agrar- als auch Industrielandschaften oder deren Elemente persistieren ebenso in den Landschaften der Postmoderne, wie auch die Elemente der archaischen Landschaft der Jäger und Sammler. Während jedoch die angeeignete physische Landschaft der Agrargesellschaft tendenziell eine flächenhafte Ausprägung aufwies, manifestierte sich die industrielle Moderne in netzartigen Strukturen. Die angeeignet-physische Land-
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schaftsstruktur der postmodernen Dienstleistungsgesellschaft ist hingegen ± zumindest in kleineren kartographischen Maßstäben ± punkthaft organisiert. Als angeeignet-physisch-landschaftliche Folgen und Nebenfolgen der Zuwendung und Wertschätzung des Vergangenen ist häufig eine reflexive Inwertsetzung von Dokumenten der Vergangenheit in der Postmoderne verbunden. Landschaftselemente der Prämoderne, aber auch der Moderne, werden ästhetisiert, re-zykliert, anstatt sie ± wie in der Moderne üblich ± auszulöschen und ± wie Fayet (2003) deutlich macht ± der Entsorgung zuzuführen. Charakteristisch für die angeeigneten physischen Landschaften der Postmoderne ist einerseits ihr rascher Wechsel intensiver, extensiver und aufgegebener Nutzungen, von Umnutzungen und Mehrfachnutzungen (vgl. hierzu auch Dear 2005). In Anlehnung an die funktionale Gliederung angeeignet physischer Landschaften lassen sich drei angeeignet-physische Raumbzw. Landschaftstypen idealtypisch konstruieren: 1. Nonvalente Räume unterliegen keiner gesellschaftssystemischen Nutzung und sind daher ± aus gesellschafts- und nicht aus ökosystemischer Sicht ± überflüssig. Da diese nonvalenten Räume vielfach nicht in ästhetisierender Zusammenschau betrachtet werden und auch keine oder lediglich eine rudimentäre Aneignung erfahren, weisen sie in der Regel keinen Landschafts- sondern lediglich Raumcharakter auf. In der Moderne, aber auch schon vor dieser, wurden diese nonvalenten Räume durch die Ausdehnung von landwirtschaftlichen und später auch verstärkt sekundärwirtschaftlichen Nutzungen weitgehend zurückgedrängt. Durch die Globalisierung der Märkte, den gesellschaftlichen Strukturwandel, den demographischen Wandel dehnen sich (in den Staaten der Ersten Welt) nonvalente Räume verstärkt aus. 2. Monovalente angeeignete physische Landschaften sind durch ihre Monofunktionalität charakterisiert. Nach dem Konzept einer systemisch differenzierten Landschaft, erfolgt eine ökonomische, politische, sozialgemeinschaftliche oder kulturelle Nutzung. Solche monofunktionalen Nutzungen sind sowohl im städtischen Raum (Einkaufs-City), im suburbanen Raum (Gewerbegebiete) als auch im ländlichen Raum (Forste) zu finden. Die Monovalenz von Raum im Allgemeinen oder Landschaft im Besonderen ist ein Charakteristikum und eine Zielvorstellung der Moderne. 3. Polyvalente angeeignete physische Landschaften umfassen polyfunktionale Nutzungen auf derselben Fläche, sie sind charakteristischerweise simultane Räume, die sich dadurch auszeichnen, dass mehrere Schichten gesellschaftlicher Inwertsetzung dieselbe Fläche betreffen. Grundsätzlich unterscheidbar sind dabei die einfache und die komplexe Polyvalenz. Während bei einfacher Polyvalenz Landschaft durch ein gesellschaftliches Teilsystem mehrfach valorisiert ist (beispielsweise durch die Kombination von Einkaufs- und Banken-City), liegt komplexe Polyvalenz dann vor, wenn Landschaft Valenzen aus mindestens zwei gesellschaftlichen Teilsystemen aufweist (beispielsweise die Nutzung eines Sees als Naherholungsgebiet und durch die Fischerei). Eine weitere Unterscheidung von Polyvalenzen lässt sich aus der symbolischen Bedeutung einer Landschaft bzw. deren Elemente nachvollziehen: Beschränkt sich Polyvalenz auf die unterschiedliche Nutzung von Landschaft, liegt eine Polyvalenz erster Ordnung vor, werden Landschaften oder Elemente von Landschaften jedoch darüber hinaus zu Simu273
lacra, lässt sich von Polyvalenz zweiter Ordnung sprechen, die somit über den Charakter der angeeigneten physischen Landschaft hinausgeht und zugleich Aspekte der gesellschaftlichen Landschaft aufgreift. Beispiele für Polyvalenzen zweiter Ordnung sind Las Vegas, das Brandenburger Tor, der Vatikan, aber auch der Sahel, Saigon, Verdun. Der vielfache Wechsel von monovalenten und polyvalenten Landschaften beiderlei Ordnung und nonvalenten Räumen lässt sich als postmodernes Raumpastiche beschreiben. Charakteristisch für das postmoderne Raumpastiche ist dabei die Perforierung monovalenter und polyvalenter Landschaften durch nonvalente Elemente. Durch räumliche und zeitlich rasche Veränderungen der Valenzen wird landschaftliche Kontingenz erfahrbar, Landschaften werden mit Atmosphäre aufgeladen. Gerade Landschaften mit hohen Veränderungsintensitäten neigen zur Pastiche-Bildung: 1. Altindustriereviere, die durch Artefakte der ehemaligen Nebenfolgen einer modernen Gesellschaftslandschaftsentwicklung gekennzeichnet sind. Nonvalente Landschaftselemente (von Hütten, Gruben, Hallen und Bergehalden bis hin zu einzelnen Wohnhäusern und Wohnungen) wechseln sich hier ab mit kulturierten, ästhetisch-reflexiv inwertgesetzten und inszenierten Umnutzungen formeller und teilweise auch informeller Art. 2. Global Cities, die durch das ökonomische Potenzial internationaler Netzwerkbildung die Grundlage für eine polyvalente Valorisierung von Landschaft bieten. Neben den direkten angeeignet-physisch-landschaftlichen Folgen und Nebenfolgen der Lokalisierung der zentralen Steuerungsfunktionen in Form von Bürohäusern produzieren Global Cities aber auch andere Elemente eines postmodernen Landschaftspastiches: Neben den Räumen der Lebenswelt der ökonomischen Eliten finden sich ± häufig in unmittelbarer Nachbarschaft ± die (häufig stigmatisierten) Quartiere der Verlierer des globalen Wettbewerbes. Zum Abriss vorgesehene Quartiere bilden das postmoderne Raumpastiche mit Hochhäusern der Steuerungszentralen, luxusrenovierten Altbauvierteln, heruntergekommenen Quartieren des sozialen Wohnungsbaus. 3. Neue Machtzentren der Politik, die auf Grundlage der Internationalisierung von Politik neue Impulse für eine selektive polyvalente Inwertsetzung erfährt. Die landschaftlichen Auswirkungen sind mit jenen der Global Cities vergleichbar, mit dem Unterschied, dass hier das politische System einen zentralen Knotenpunkt in seinem Netzwerk lokalisiert, nicht das ökonomische. War es in der Moderne ein wesentliches Ziel, das Wachstum durch Separation, durch räumliche Funktionstrennung, zu organisieren, gilt es in der Zeit der landschaftlichen Stagnation, landschaftliche Nonvalenzen zu verhindern, und Landschaftselemente mit Polyvalenzen zweiter Ordnung zu schaffen, Spannungen zu schaffen, das Besondere der jeweiligen Landschaft zu inszenieren. Somit ist es in der Postmoderne zu einem Standardinstument der Regionalentwicklung geworden, Räume, Orte, Objekte und Landschaften durch Inszenierungen symbolisch aufladen zu wollen. Landschaften und Orte auch mit Hilfe der Konstruktion einer regionalen Identität zu Äbesonderen Landschaften³ respektive Äbesonderen Orten³ zu machen. Die häufige Simulation des Besonderen provoziert allerdings letztlich die Frage, inwiefern die vielfache Simulation von Besonderheiten und besonderen Besonderheiten nicht eine Entwertung des Besonderen darstellt. Als Beispiele aus dem Untersuchungsraum Saarland für die 274
Konstruktion des ästhetisierten und kulturalisierten Besonderen seien das Handlungsfeld ÄSteinreich³ der LEADER+-Lokalen Aktionsgruppe Sankt Wendeler Land und die Raumvision Saarkohlenwald, das die Kulturierung und Ästhetisierung einer reliktischen Altindustrieund Forstlandschaft zum Ziel hat, genannt. 7.3
Merkmale der sozialen Konstruktion von Landschaft
Der Begriff der Landschaft ist insgesamt als stark diffus und sehr selektiv gemäß persönlichen Interessen, Neigungen und Professionen305 zu charakterisieren, wobei der Begriff der Landschaft als ein deutlich differenziertes Mehrebenenkonstrukt zu beschreiben ist. Landschaft wird beschrieben 1. als konkreter physischer Behälter-Raum mit seinen sensorisch wahrnehmbaren Elementen (in Form von Wäldern, Wiesen und Bächen, aber auch Düften), 2. als abstrakter Zusammenhang (als Umwelt oder Natur) und 3. als emotionaler Bezugsraum (in Form von Heimat)306. Die Entwicklung von Landschaftsbewusstsein, als die implizit oder explizit im Bewusstsein von Akteuren vorhandenen Ämateriellen und ästhetischen, die wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte einer Landschaft³ (Ipsen 2002a: 95-96), ist ein differenzierter Prozess, der interpersonal deutlich verschieden ist und dadurch der Landschaftsbegriff sehr undeutlich abgegrenzt ist. Die Sozialisierung von Landschaftsbewusstsein lässt sich in eine primäre und eine sekundäre Landschaftssozialisierung teilen. Die primäre Landschaftssozialisation ist im Wesentlichen durch die direkte lebensweltliche Erfahrung mit Landschaft geprägt. Wobei das primäre Landschaftsbewusstsein zunächst durch signifikante Andere vermittelt wird, während später selbständige Aneignungsprozesse an Bedeutung gewinnen. Die primäre Landschaftssozialisation prägt das Landschaftsbewusstsein von Laien. Die deutliche Subjektbezogenheit der Konstruktion von Landschaft wird durch die hohe Bedeutung von Atmosphäre als auch die Definition der Fläche einer Landschaft in Abhängigkeit von der Sichtweite verdeutlicht. Das im Wesentlichen in der primären Sozialisation entstehende Bild stereotyper Landschaft setzt sich aus den Elementen Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen zusammen. Diese ± durch die qualitative und quantitative Befragung von Saarländerinnen und Saarländern gewonnene ± stereotype gesellschaftliche Landschaft weist charakteristische Merkmale der saarländischen Mittelgebirgslandschaften auf. Die Konnotation von Landschaft und Heimat basiert weitgehend auf den Vorstellungen primärer Landschaftssozialisation. 305
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Diese Selektivität der Wahrnehmung gilt auch für Sozialwissenschaftler: Wie die Untersuchungen zu ökonomischen Entraumlichungstendenzen einerseits, und der partiellen Re-Lokalisierung des Sozialen und Kulturellen andererseits gezeigt haben, sollte sich die raumbezogene sozialwissenschaftliche Betrachtung in der Postmoderne eine stärkere Aufmerksamkeit der differenzierten Raumbetrachtung zuwenden: Weder mit totalisierenden Ansätzen der Entraumlichung noch einer vollständigen Intensität der GesellschaftRaumbeziehungen lässt sich die räumliche Entwicklung in der Postmoderne hinreichend beschreiben. Landschaft selbst wird gemeinhin als angeeignete physische Landschaft interpretiert, die Beschreibungen als abstrakter Zusammenhang oder emotionaler Bezugsraum fungieren in erster Linie als persönliche oder soziale Bezugnahmen zu einer als angeeignet-physisch interpretierten Landschaft.
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Während angeeignete physische Landschaften, die im Wesentlichen stereotyp-ästhetischen Imperativen entsprechen als positiv bewertet werden (z.B. Gau- und Waldlandschaften), werden Landschaften, die dieser Vorstellung nicht entsprechen (beispielsweise Altindustrielandschaften oder Windkraftanlagen-Offenlandschaft) negativ beurteilt. Dennoch lassen sich gerade hinsichtlich der Altindustrie- und der Windkraftanlagen-Offenlandschaft Unterschiede bezüglich soziodemographischer Variablen bei der Beurteilung feststellen: Besonders ältere Menschen (im Saarland) verbinden mit Industrielandschaft ein Gefühl der Zugehörigkeit und Heimat, während diese angeeignete physische Landschaft bei jungen Menschen verstärkt auf Ablehnung trifft, wobei diese wiederum die Offenlandschaft mit Windrädern symbolisch als Äzukunftsfähig³ charakterisieren. Die von Bertels (1997), hinsichtlich der Dreigliederung des Raumes in westeuropäischen Großstädten in den traditionellen, ganzheitlichen Raum, den verinselten Raum sowie den synthetischen Raum (dem Cyberspace bzw. den Landschaften des Films), abgeleitete Dreiteilung von Landschaften wird anhand der qualitativen und quantitativen Studie gestützt: 1. Die traditionelle, ganzheitliche Landschaft bildet das Grundsubstrat für die lebensweltliche Heimat. Sie ist dadurch geprägt, dass sie als weitestgehend zusammenhängendes Raumgebilde aus persönlicher Anschauung und ergänzend durch das Studium von Karten (insbesondere Wanderkarten) größerer Maßstäblichkeit gekannt wird. Wobei wohnumfeldnahe Heimatlandschaften vielfach als gegeben hingenommen und nicht hinsichtlich ihrer (stereotypen) Schönheit hinterfragt werden, was sie grundsätzlich von den zur Erholung aufgesuchten angeeigneten physischen Landschaften unterscheidet. Die traditionelle, ganzheitliche Landschaft bildet die Basis für eine lebensweltliche, auf Erfahrung beruhende Differenzierung des Landschaftsbewusstseins, indem durch Differenzwahrnehmung, durch Vergleich mit anderen Landschaften, die Kenntnisse der heimatlichen Landschaft ausgebaut werden. Dabei muss grundsätzlich festgestellt werden, dass insgesamt die emotionale Affinität zu heimatlichen Landschaften hoch, der Kenntnisstand über diese Landschaften jedoch gering ist. 2. Die verinselte Wahrnehmung von Landschaft ist in der Nutzung technischer Hilfsmittel der Fortbewegung begründet. Der landschaftliche Kontext des verinselten Raumes wird nicht oder nur ausschnitthaft wahrgenommen, entscheidend ist ± sofern verinselte Räume überhaupt als Landschaften konstruiert werden ± der Ägute Ausblick³ (im Sinne von Vöckler 1998). Gerade an die landschaftlichen Inseln des Urlaubs (wobei es sich nicht allein im physisch-geographischen Sinne um Inseln handeln muss) werden Ansprüche besonderer landschaftlicher Reize gestellt, die für die Landschaft des Wohnumfeldes so nicht gelten. Die verinselten Landschaften müssen dabei nicht zwingend in großer physisch-räumlicher Entfernung gelegen sein. Selbst innerhalb des Saarlandes finden sich vielfach zahlreiche ± individuell konstruierte ± verinselte Landschaften. 3. Die virtuellen Landschaften des Cyberspace und des Films sind zwar prinzipiell unabhängig von der physischen Landschaft, doch greifen sie immer wieder auf stereotype Raum- und Landschaftskonstellationen zurück. Sie tragen durch teilweise drastische Idealisierungen und Inszenierungen ± in der Regel im Stile der klassischen Ästhetik der Landschaftsmalerei ± zur Festigung stereotyper Raum- und Landschaftsvorstellungen 276
bei. Die durch die elektronischen Medien vermittelten virtuellen Landschaften des Cyberspace und des Films nehmen eine mittlerweile erhebliche Bedeutung der Konstruktion gesellschaftlicher Landschaften ein (vgl. Abbildung 15). Gerade bei der verinselten Wahrnehmung von Landschaft und der Wahrnehmung von virtuellen Landschaften des Cyberspace und des Films wird deutlich, wie erheblich diese bei der sozialen und individuellen Konstruktion von Landschaft von einer euklidischen Vorstellung des Raumes abweicht (vgl. hierzu auch Abbildung 21). Gerade in der Postmoderne mit ihren globalen Vernetzungen muss sich der heimatlandschaftliche Bezug nicht auf denjenigen Raum beschränken, in dem die primäre Landschaftssozialisation stattgefunden hat, sondern sie kann sich durchaus auf unterschiedliche, disjunkte Räume oder aber auch auf virtuelle Räume und ihre jeweiligen Konstruktionen als Landschaften beziehen. Die ± zumeist durch ein Fachstudium vollzogene ± sekundäre Landschaftssozialisation ist als fachbezogen selektiv und in der Regel analytisch-rationalistisch zu charakterisieren und prägt das Landschaftsbewusstsein von Experten (mit). Während die Auseinandersetzung mit Landschaft nach primärsozialisierten Schemata in der Regel durch ein deutlich emotionales ÄLandschaften-Erleben³ geprägt ist, wird bei dominierender sekundärer Landschaftssozialisation in erster Linie ein intellektualisiertes ÄLandschaften-Lesen³ vollzogen. Die Konstruktion und Analyse von Landschaft auf Grundlage sekundärsozialisierter Differenzschemata wird selektiv auf einzelne relational räumlich angeordnete Elemente beschränkt. Während Aspekte, die sich als nicht kongruent mit den jeweiligen sekundärsozialisierten Differenzschemata erweisen, gemäß primärsozialisierten Interpretationsschemata behandelt werden. Daraus folgt ein impliziter teilweise expliziter Widerspruch zwischen durch primäre und sekundäre Landschaftssozialisation internalisierten Elementen innerhalb des Landschaftsbewusstseins. Der Umgang mit landschaftsbewusstseinsinternem Widerspruch (bei Experten insbesondere zwischen primär- und sekundärsozialisierten Elementen) und Widerspruch zu anderen landschaftlichen Sollvorstellungen geschieht dabei auf unterschiedliche Art: 1. Bei dem Typus des exklusivistisch-funktionalen Landschaftsbewusstseins, das nahezu ausschließlich auf einer sekundären Landschaftssozialisierung basiert, werden primärsozialisierte Elemente im eigenen Landschaftsbewusstsein geleugnet oder verdrängt, die eigene Vorstellung einer ± funktional begründeten ± Landschaft verabsolutiert, auch gegen alternative funktionale Vorstellungen. 2. Bei dem Typus des exklusivistisch-ästhetischen Landschaftsbewusstseins wird ein als ästhetisch empfundenes Landschaftsbild exklusivistisch gegen alternative Landschaftsbilder abgegrenzt und landschaftliche Alternativvorstellungen werden kategorisch abgelehnt (dieser Typus ist auch bei Laien anzutreffen). 3. Der Typus des inklusivistisch-tolerierenden Landschaftsbewusstseins ist sowohl bei Laien als auch bei Experten ausgeprägt. Wobei entweder keine landschaftlichen Präferenzen formuliert werden oder es werden eigene landschaftliche Präferenzen gegenüber anderen angeeignet-physischen landschaftlichen Soll-Vorstellungen nicht prinzipiell als berechtigter angesehen. Charakteristisch für diesen Typus ist auch bei Landschaftsexperten die Akzeptanz der Polyvalenz eigener Landschaftsbegriffe.
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4. Der Typus des inklusivistisch-synthetisierenden Landschaftsbewusstseins ausschließlich bei Landschaftsexperten. Charakteristisch für diesen Zugang zu Landschaft ist das Anstreben einer Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein und dessen reflexive Weiterentwicklung, wie auch die reflexive Gestaltung von angeeigneter physischer Landschaft. Die soziale Konstruktion von Landschaft ist darüber hinaus dazu geeignet über den binären Code Wissen/Nicht-Wissen über Landschaft als Instrument der sozialen Distinktion zu wirken. Landschaft wird zum Medium des Systems Macht-Wissen. Wissen bzw. Nicht-Wissen um Landschaft und landschaftliche Elemente kann dabei auch individuell unterschiedliche, selektive bzw. sogar keine Symbolik von Landschaften bedeuten: Für denjenigen, der mit der Symbolik einer Landschaft oder landschaftlicher Elemente vertraut ist, kann eine Landschaft eine Polyvalenz zweiter Ordnung aufweisen, während sich für den in der speziellen Landschaftssemiotik Ungeschulten die Polyvalenz der zweiten Ordnung verschließt, die Landschaft polyvalent erster Ordnung, monovalent oder gar nonvalent sein kann. So ist für den Unbedarften die Saarschleife lediglich eine Flussbiegung, für viele Saarländer aber ein Simulacrum der saarländischen Heimat. Dabei manifestiert sich das landschaftsspezifische System Macht-Wissen in der Landschaftsdefinitions- und vielfach auch Landschaftsgestaltungshoheit von Experten. Experten definieren (vielfach) die Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Objekten in die relationale Anordnung der angeeigneten physischen Landschaft und induzieren so landschaftsbezogene Aktionen des politischen Systems hinsichtlich der Anordnung von Objekten in der angeeigneten physischen Landschaft. Landschaften werden im Wesentlichen ± sowohl von Experten als auch von Laien ± in einer individuell- oder sozialfunktionalen, einer ästhetischen und einer symbolischen Dimension wahrgenommen und gedeutet: 1. Mit dem Deutungsmuster der Funktionalität werden angeeignete physische Landschaften nach ihrer individuellen oder gesellschaftlichen bzw. ökologischen Funktionalität bewertet. 2. Mit dem Deutungsmuster der Entsprechung oder des Widerspruchs der klassischen Landschaftsästhetik werden angeeignete physische Landschaften nach ihrer Kongruenz mit der klassischen Landschaftsästhetik, der stereotypen Landschaft, beurteilt. 3. Mit dem semiotischen Deutungsmuster werden angeeignete physische Landschaften als Symbole für gesellschaftliche Strukturen und Funktionen in Rückkopplung mit angeeignet-räumlichen Strukturen und Funktionen interpretiert. Diese Deutungsmuster werden individuell unterschiedlich stark gewichtet. Personen mit einem tendenziell exklusivistisch-funktionalen Landschaftsbewusstsein rekurrieren stärker auf das Deutungsmuster der Funktionalität, während Personen mit einem deutlich exklusivistischästhetischen Landschaftsbewusstsein in besonderer Weise auf das Deutungsmuster der Entsprechung oder des Widerspruchs der klassischen Landschaftsästhetik Bezug nehmen. Personen, deren Landschaftsbewusstsein dem inklusivistisch-synthetisierenden Typus am nächsten kommt, neigen verstärkt zu semiotischen Deutungsmustern, während Personen mit einem tendenziell inklusivistisch-tolerierenden keine besondere Präferenz hinsichtlich der Deutungsmuster aufweisen. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Deutungsmuster von Land278
schaft dann eine explizite Bedeutung erlangen, wenn sich Landschaftsveränderungen vollziehen oder antizipiert werden. Wobei bei Experten eine geringere Intensität der Landschaftsveränderung zu deren Wahrnehmung führt als bei Laien. Der Begriff der Landschaft trägt ± in Anbetracht seiner kontextualen, sozial-konstruktiven Zusammenhänge und Polyvalenzen ± stark postmoderne Züge und ist daher in herausragender Weise dazu geeignet, den Prozess der Postmodernisierung 307 in ihren räumlichen Folgen und Nebenfolgen zu illustrieren. Darüber hinaus unterliegt der Begriff der Landschaft ± in der Moderne als funktional zu indifferent abgelehnt ± im Zuge der Postmodernisierung einer Renaissance. Die Befassung mit Landschaft kann so durch eine ästhetisierende Inwertsetzung moderner und prämoderner angeeignet-physischer landschaftlicher Elemente synthesebildend und rezyklierend wirken. 7.4
Landschaft zwischen Erhaltung und Bereinigung, zwischen Exklusivismus und Inklusivismus
Die angeeignete physische Landschaft der Gegenwart ist einem fundamentalen Wandel als Folge oder Nebenfolge eines fundamentalen gesellschaftlichen Wandels unterworfen. Noch sind die landschaftlichen Folgen und Nebenfolgen des Strukturwandels von einer prämodernen, agrarisch geprägten Gesellschaft zur modernen Industriegesellschaft nicht sozialisiert, schon produziert der Wandel von der Moderne zur Postmoderne neue landschaftliche Folgen und Nebenfolgen. Die Entwicklung von Landschaften wird sowohl von Laien als auch von Experten dann problematisiert, wenn sich erhebliche Veränderungen der angeeigneten physischen Landschaft abzeichnen. Diese Veränderungen werden nach den Deutungsmustern der Funktionalität, Ästhetik und Semiotik interpretiert und bewertet. Aufgrund der sozial-funktionalen Prägung der angeeigneten physischen Landschaft gehen ihre Veränderungen in der Regel von einer funktionalen Umstrukturierung ± insbesondere im ökonomischen System ± aus. Die Frage, wie der Wandel der angeeigneten physischen Landschaft im Zuge der Postmodernisierung zu gestalten ist, wird sehr unterschiedlich (insbesondere von Experten, ansatzweise aber auch von Laien) beantwortet. Auf Grundlage der durchgeführten qualitativen und quantitativen Studie lassen sich im Wesentlichen vier Paradigmen der künftigen Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften feststellen: Das Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft, das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft, das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft und das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft. Das Vertreten dieser Paradigmen weist deutliche Parallelen zu bestimmten landschaftsbewertenden persönlichen Dispositionen, der Dominanz eines bestimmten Typus des Landschaftsbewusstseins, auf, das sich auch in der Anwendung bestimmter Deutungsmuster äußert.
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Der Übergang von Moderne zur Postmoderne sei nicht als Grenze, sondern vielmehr als Rand (im übertragenen Sinne nach Ipsen 2003) zu verstehen.
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7.4.1 Das Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft Geraten angeeignete physische Landschaften unter den Druck der Entfunktionalisierung, besteht eine Möglichkeit der Reaktion darauf, ihre Erhaltung oder gar eine Wiederherstellung in einen ± meistens aus der historischen Genese hergeleiteten ± Soll-Zustand anzustreben. Die Zustimmung zur Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft in Anlehnung an einen normativ definierten Idealzustand ist dann gemeinhin umso größer, je kongruenter ihr Bild mit jenem der stereotypen Landschaft ist. Von zentraler Bedeutung bei diesem Paradigma ist das Konstrukt des Lokal- oder Regionaltypischen. Landschaften oder Landschaftselemente, die als nicht lokal- oder regionaltypisch klassifiziert sind, werden abgelehnt. Dies betrifft sowohl Gebäude und Gebäudeformen (beispielsweise städtische architektonische Elemente im ländlichen Raum) wie auch Neophyten. Das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft, das vorwiegend von Personen vertreten wird, deren Äußerungen auf ein exklusivistisch-funktionales oder ein exklusivistisch-ästhetisches Landschaftsbewusstsein schließen lassen, stellt eine konservierende Landschaftskonstruktion dar. Personen deren Landschaftsbewusstsein exklusivistisch-funktional geprägt ist, rekurrieren dabei stärker auf das Deutungsmuster der Funktionalität. Personen mit einem dominant exklusivistisch-ästhetischen Landschaftsbewusstsein beziehen sich in besonderer Weise auf das Deutungsmuster der Entsprechung oder des Widerspruchs der klassischen Landschaftsästhetik. Das Ziel in beiden Fällen ist die monovalente Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Eindeutigkeit von Landschaft. Damit ist das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung aus Sicht der Postmoderne ambivalent zu beurteilen: Trotz ihrer ± durchaus postmodernen ± Wertschätzung des Historischen ist ihre Grundausrichtung modern, da es stark exklusivistisch und stark normativ geprägt ist. Das Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft findet seinen leitbildhaften planerischen Niederschlag in dem Wettbewerb ÄUnser Dorf soll schöner werden³ (vor der Revision), die Dorferneuerung Wolfersheim, das planerische Paradigma der Europäischen Stadt. Das Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung308 von angeeigneter physischer Landschaft ist Gegenstand einer intensiven Kritik, die an dieser Stelle nur kurz besprochen sei309. Ein wesentlicher Aspekt der Kritik ist die implizite und teilweise explizite Glorifizierung des gesellschaftlich Fossilen und dem gegenüber die Diskriminierung des gesellschaftlich Rezenten. Der Ägewachsenen Kulturlandschaft³ werden die Eigenschaften einer heilen dörflichgemeinschaftlichen, vormodernen Idylle zugeschrieben, die der durch Vereinzelung und Komplexität charakterisierten modernen oder postmodernen Gesellschaft dichotom gegenüber gestellt wird. Außer Acht gelassen bei dieser Idealisierung einer vormodernen Landschaft und einer vormodernen Gesellschaft werden die Nöte und Gefahren einer vormodernen Agrarge308 309
Auf Seiten der Wissenschaft wird dieses Paradigma beispielsweise von Denecke (2000), Ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft insbesondere hinsichtlich spezifischer gesellschaftsteilsystemischer Opportunitäten finden sich beispielsweise bei Schweiger (1969), Luttrell (1989), Winterhager (1998), Sheingate (2001), Moser (2003), Soyez (2003) und Kühne (2005).
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sellschaft, deren überregionaler Vernetzungsgrad gering war und somit nur geringe Absicherungen gegen Hunger bot und daraus folgernd dazu zwang, den zur Verfügung stehenden Boden ± unter Ausnutzung der damals verfügbaren Technologien ± möglichst intensiv zu nutzen. Soyez (2003: 37) formuliert in diesem Zusammenhang: ÄIn dynamischen urbanen Kontexten ist wichtig, dass nicht erst das historisch Gewachsene, sondern schon das gegenwärtig Wachsende laufend unter der Perspektive beobachtet und bewertet wird, welche aus kulturgeographischer Sicht wichtigen Veränderungen sich in den bestehenden Bedeutungslandschaften abzeichnen³. Dabei wird auch von Soyez (2003) die Frage erhoben, wessen Landschaft welcher Kultur im Zuge zunehmender Multikulturalität geschützt werden solle. Als Begründung für die ästhetisch (so und nicht anders) empfundenen (und zu empfindenden) Landschaften werden häufig Artenschutz- und Ökosystemschutzaspekte angeführt. Diese wiederum unterliegen ebenfalls der Kritik hinsichtlich der Begründbarkeit ihrer Normen. Zum ersten ist die Entstehung von als schutzwürdig klassifizierten Ökosystemen eine Nebenfolge ökonomischer (zumeist landwirtschaftlicher) Nutzung. Zum zweiten, ist die Schutzwürdigkeit somit nicht aus der ökosystemischen Logik des Überlebens des Tauglichsten (Ökosystems) begründet (vgl. Küster 2002), zum dritten, lässt sich mit Radkau (2000) die Frage stellen, ob denn das seltene auch zwangsläufig das wertvolle sein müsse. Zum vierten, erscheint es logisch nicht stringent argumentierbar, dass eine Flora und Fauna, die vor mehreren hundert Jahren (bzw. in der Zeit des glazialen Rückzugs) eingewandert ist ökosystemisch wertvoller sein soll, als eine Flora und Fauna, die seit der Industrialisierung einwandert. Zum fünften, stellt sich die Frage, wie eine gesellschaftliche Entwicklung sich in der Landschaft abbilden solle, wenn diese nach dem Leitbild einer überkommenen Gesellschaftsstruktur zu gestalten ist und darüber hinaus ± so Muhar (1994) ± ein Spiegelbild einer hungernden Gesellschaft sei (vgl. Kühne 2005a)310. 7.4.2 Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft Gegenüber dem Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft ist jenes der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft konträr ausgerichtet. Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft rekurriert auf den passiven Charakter der Strukturierung der angeeigneten physischen Landschaft gegenüber gesellschaftlichen Transformationsvorgängen. Der angestrebte Soll-Zustand angeeigneter physischer Landschaft ist demnach derjenige, der sich aus den Folgen und Nebenfolgen der Entwicklung der Gesellschaft ergibt. Dies bedeutet letztlich einen starken Fokus auf die ökonomische angeeignete physische Landschaft. In Abhängigkeit von der ökonomischen Entwicklung kann dies eine Überlassung von angeeigneter physischer Landschaft der natürlichen Sukzession, eine veränderte oder eine intensivierte 310
Insbesondere im ökonomischen System führt ein politischer Oktroi der Erhaltung der angeeigneten physischen Landschaft zu einer Effizienzminderung und einer Regression ökonomischer Wohlfahrtsentwicklung, zu komparativen Nachteilen hinsichtlich anderer Wirtschaftsräume und somit letztlich zu einem Verlust zunächst spezifischer, über längere Sicht aber auch diffuser Unterstützung (Easton 1965) für das politische System und somit einem schleichenden Legitimitätsverlust des politischen Systems. Daher erscheint die einseitige Fixierung der Landschaftserhaltung durch das politische System erheblich schwierigkeitsbelastet.
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Nutzung bedeuten. Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft, eine Landschaftskonstruktion des Laisser-faire, lässt also angeeignetphysisch-landschaftliche Nonvalenzen ebenso zu, wie Monovalenzen und Polyvalenzen. Historisches wird zwar geschätzt, soll aber ± sofern es reliktisch ist ± nur bei gesellschaftlicher Inwertsetzung erhalten werden. Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung wird in der Regel von Personen vertreten, deren Landschaftsbewusstsein inklusivistisch-tolerierend dominiert ist. Dem inklusivistischen und tolerierenden Charakter dieses Paradigmas entspricht auch seine geringe Normativität. Damit ist dieses Paradigma ± wenn auch passiv ± stark postmodern geprägt. Seinen leitbildhaften planerischen Niederschlag findet dieses Paradigma in der Zwischenstadt und der analytischen Europäischen Stadt. Personen, die das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft verfolgen, äußern in der Regel keine besondere Präferenz hinsichtlich der Deutungsmuster. Sie neigen ± sofern ein Interesse an Landschaft vorliegt ± eher dazu, angeeignete physische Landschaften und ihre Entwicklungen zu beobachten als diese Entwicklungen beeinflussen zu wollen. Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeignet-physischer Landschaft wird in besonderer Weise dahingehend kritisiert, dass eine Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft ausschließlich als Folge bzw. Nebenfolge gesellschaftlicher (insbesondere ökonomischer) Transformationen einerseits die Entwicklungs- und Wandlungsfähigkeit von Ökosystemen überfordere, andererseits der Bedeutung einer vertrauten Kulturlandschaft als Heimat nicht gerecht werde (vgl. z.B. Schenk 1997b, Härle 2004). 7.4.3 Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft Mit dem Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft wird das Ziel verfolgt, angeeignete physische Landschaft bewusst zu gestalten. Von dem Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung angeeigneter physischer Landschaft unterscheidet sich dieses Paradigma durch einen stärkeren Gestaltungs- und nicht Wiederherstellungscharakter. Die Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft kann dabei von der Wiederherstellung von einzelnen Landschaftselementen bis hin zu einer völligen (inszenierenden) Neugestaltung von Landschaften ± unter Einbindung der die eigenen Bedürfnisse formulierenden ansässigen Bevölkerung ± reichen. Zu dem Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft neigen in besonderer Weise Personen, deren Äußerungen auf ein inklusivistischsynthetisierendes Landschaftsbewusstsein schließen lassen, wobei landschaftliche Veränderungen sehr häufig mit semiotischen Deutungsmustern erklärt werden. Eine Möglichkeit der Umsetzung des Paradigmas der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft ist eine neotraditionale Landschaftskonstruktion. Sie stellt einen bewussten Entwurf einer einheitlichen lokalen Gesellschaft in einem einheitlichen Raum dar. Damit ist sie noch deutlich von modernen Prinzipien geprägt, Polyvalenz wird hier zugelassen, wenn sie auch nicht konstituierend ist. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die ästhetisierende Inszenierung des Historischen ± insbesondere in Form offener Simulationen. Hinsicht282
lich der untersuchten planerischen Leitbilder fällt die Umsetzung des New Urbanism unter den Typus der neotraditionalen Landschaftskonstruktion. Als eine andere Möglichkeit der Umsetzung des Paradigmas der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft ist die reflexive Landschaftskonstruktion zu nennen. Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften wird als Folge der lokal und regional selbstgesteuerten gesellschaftlichen Reflexivität verstanden. Wesentliche Ziele sind dabei eine inklusivistische Erzeugung von Polyvalenz, Ästhetisierung und Kulturalisierung von Landschaft, womit diese Form der Landschaftskonstruktion als der postmodernen gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend, charakterisiert werden kann. Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft findet seinen leitbildhaften planerischen Niederschlag in der Raumvision Saarkohlenwald, in abgeschwächter ± weil auf das Ziel, neue Formen der Urbanität zu entwerfen, hinsichtlich landschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten vorselektiert ± Form, der konzeptionelle New Urbanism. Der Lokalwarenmarkt Sankt Wendeler Land lässt sich wie der Wettbewerb ÄUnser Dorf hat Zukunft³ (nach der Revision), aufgrund teilweise deutlich auf Konservierung von angeeigneten physischen Landschaften angelegter Konzeptionen, als Mischtypus der Paradigmen von Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft und deren reflexiver Gestaltung verstehen. Die Kritik am Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft bezieht sich insbesondere auf seine Mehrdeutigkeit (bzw. seine mangelnde Eindeutigkeit): Angeeignete physische Landschaft werde hinsichtlich der Lesbarkeit ihrer historischen Entwicklung verfälscht, die Eindeutigkeit historischer Relikte aufgrund deren häufiger Umgestaltung verwischt. 7.4.4 Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft Die Vertreter des Paradigmas der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft neigen dazu, nicht die angeeignete physische Landschaft verändern zu wollen, sondern die gesellschaftliche Landschaft. Das zentrale Ziel dieses Paradigmas besteht darin, größere Modifikationen der angeeigneten physischen Landschaft (als Grundlage von Wohlbefinden) dadurch überflüssig zu machen, indem die Landschaftsbewertungskategorien wie funktional/unfunktional, schön/hässlich und positive symbolische Besetzung/negative symbolische Besetzung modifiziert bzw. gänzlich gewandelt werden. Letztlich bedeutet dieses Paradigma ein Abrücken von der klassischen Ästhetik der Landschaftsmalerei bzw. der Landschaftsgärten. Mit dem Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft wird also nicht das Ziel verfolgt, angeeignete physische Landschaft an einen implizit oder explizit formulierten Soll-Zustand einer (zumeist stereotypen) gesellschaftlichen Landschaft anzupassen, vielmehr wird der SollZustand dem (durchaus selektive konstruierten) Ist-Zustand der angeeigneten physischen Landschaft angepasst. Vertreter des Paradigmas der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft greifen dabei durchaus auf Elemente des Paradigmas der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft zurück, um durch geringe Veränderungen (insbesondere Inszenierungen, Überhöhungen von Landschaftselementen) eine gesellschaftliche Um- oder Neuinterpretation von
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Landschaft zu erreichen. Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft wird in der Regel von zu semiotischen Deutungsmustern neigenden Personen vertreten, deren Landschaftsbewusstsein als in der Regel inklusivistisch-synthetisierend zu beschreiben ist. Die Kritik, die an dem Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft geäußert wird, bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Punkte, von denen der erste auf die Sachund der zweite auf die Motivdimension zielt: 1. Dem Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft wird der Vorwurf gemacht, es handele sich dabei um ein Konstrukt von Experten, das in die Lebenswelt der Landschaftswahrnehmenden nicht integrierbar sei. Die Mehrzahl der Menschen seien nicht bereit und in der Lage, ihr primärsozialisiertes, an der klassischen Landschaftsästhetik orientiertes Landschaftsbewusstsein aufzugeben. 2. Bei dem Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft handele es sich um eine Argumentation, welche wesentliche Elemente der Motivlagen verschleiere. Die Motive lägen vielmehr in der Unfähigkeit ± insbesondere des politischen Systems angesichts angespannter Haushaltslagen ± angeeignete physische Landschaften bei extensivierter bzw. selektiv aufgegebener ökonomischer Nutzung in ihrem Erscheinungsbild zu erhalten. 7.5
Anmerkungen zu postmoderner Landschaftsentwicklung und Landschaftsplanung
Landschaften in der Postmoderne zeichnen sich durch ein Pastiche von Nonvalenzen, Monovalenzen und Polyvalenzen, durch selektive Symbolik, durch unterschiedliche Interpretationen, durch selektive Mehrfachcodierungen, aus, kurz: Landschaft wird kontingent. Dies bedeutet, dass gesellschaftliche Landschaften ± ähnlich wie Identitäten ± im Plural zu benennen sind. Dies bedeutet eine Komplexisierung des Landschafts- und Raumbegriffes, ein Vorgang, der durch Differenzierungen, aber auch von De-Differenzierungen geprägt ist, der aber auch ± insbesondere von Seiten der Landschaftsexperten ± die Anerkenntnis von räumlicher und landschaftlicher Polyvalenz voraussetzt. Viele moderne Vorstellungen von Raum- und Landschaftsplanung erscheinen in der Postmoderne überholt: Statt einem nahezu unbegrenzt scheinendem Wachstum eine materiellstrukturale Ordnung zu verleihen, oder häufig aufzuzwingen, steht sie nun vor der Aufgabe Schrumpfung kreativ zu gestalten, sei es durch selektive Erhaltung, sei es durch Umnutzung, sei es durch Zulassung von Nonvalenz. Die Paradigmen der modernen Planung, der Funktionsentmischung, der Zuweisung von Zentralörtlichkeit, das punkt-axiale Modell, der Topdown-Ansatz, sind ± auch aufgrund ihres physisch-materiellen Bezuges ± nur unzureichend geeignet, den Herausforderungen einer sich postmodernisierenden Gesellschaft gerecht zu werden: Sie sind auf Monovalenzen ausgelegt, nicht auf Polyvalenzen. An die Seite hoheitlicher Planung und deren administrativer Durchsetzung tritt die Zulassung ± und Förderung von Selbstorganisation. Diese Selbstorganisation von Landschafts- oder allgemeiner Raumentwicklung liegt dabei nicht allein in der Einsicht begründet, einer sich individualisierenden und pluralisierenden Gesellschaft mehr Selbstbestimmungsrechte einzuräumen. Vielmehr wirkt auch hier die Entmachtung und Selbstentmachtung nationaler und regionaler politischer Sys-
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teme aufgrund der ökonomischen, aber auch sozialen, kulturellen und politischen Globalisierung, der Erosion der parteipolitischen Basis in den Gemeinden, der zunehmend institutionalisierte Einfluss von Lobbyverbänden u. a. Darüber hinaus wird in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutschland, eigens im Saarland, aufgrund des demographischen Defizits, das Potenzial neue (postmodern gestaltete) Siedlungen wie Celebration oder Kirchsteigfeld zu gestalten, gering sein. Postmoderne Siedlungsentwicklung wird sich hier eher evolutionär, selektiv erhaltend als expandierend realisieren lassen. Dies bedeutet auch, dass Einrichtungen der Infrastruktur, nicht mehr oder nur noch vereinzelt ± wie in der Moderne vielfach üblich ± als Medien der Kommunikation politischer Macht errichtet werden können, sondern Politik sich an dem Gelingen der Schaffung von Rahmenbedingungen der kreativen Schrumpfung messen lassen muss ± aus postmoderner Perspektive. Aus moderner Perspektive ist eine solche Politik als Politik der Schwäche stigmatisiert und damit gescheitert. Charakteristisch für den gesellschaftlichen Landschaftsbezug ist seine Pluralität. So findet ein Bedeutungsverlust des klassischen Erlebens von Landschaft durch Beobachtung der angeeigneten physischen Landschaft durch geänderte Ansprüche statt. So besteht bei Singles keine Notwendigkeit angeeignete physische (ländliche) Landschaft als Ort primärer Sozialisierung von Landschaft oder auch nur als Ort geringerer Ordnungsdichte (z.B. durch eine geringere Gefahrendichte als in Städten) zu nutzen. Vielmehr wird Landschaft den individuellen Bedürfnissen angepasst genutzt und ergänzt durch die Befassung mit virtuellen Landschaften. Mit der Entwicklung postmoderner angeeigneter physischer Landschaft zu einem Pastiche von Monovalenzen, Polyvalenzen und Nonvalenzen wie auch virtueller Landschaftskonstruktionen kann auch eine Pluralisierung der Paradigmen der Landschaftsentwicklung nachgewiesen werden. Die in dieser Arbeit nachvollzogenen vier Paradigmen der Landschaftsentwicklung, jenes der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft, jenes der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft, jenes der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft und jenes der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft lassen sich ± inklusivistisch, nicht exklusivistisch verstanden ± als Modelle für eine postmoderne Landschaftskonstruktion nutzen, die selektiv Potenziale für eine Umsetzung aufweisen. Diese Potenziale ergeben sich in besonderer Weise aus der Pluralisierung von Lebensstilen und Lebensformen sowie der Differenzierung von Milieus: Landschaft hat ± infolge der gesellschaftlichen Differenzierung ± ihre Eindeutigkeit verloren. Landschaft wird funktional von unterschiedlichen Milieus unterschiedlich genutzt, zunehmend unterschiedlich ästhetisiert und mit unterschiedlichen symbolischen Bedeutungen aufgeladen. Dies bedeutet: · Angeeignete physische Landschaften generell nach dem Paradigma Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft gestalten zu wollen, widerspräche ± in dem Anspruch historische Eindeutigkeiten und interpretatorische Ausschließlichkeiten zu konstruieren ± den Bedürfnissen nach Nutzungen, deren angeeignetphysisch-landschaftliche Nebenfolgen nicht dem entwickelten Soll-Zustand entsprechen311 gemäß dem Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung. 311
Zentrales Element, auch der Konservierung von angeeigneter physischer Landschaft, sollte ± aus postmoderner Perspektive ± ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess sein. Dieser erscheint lediglich dann erreich-
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· Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft als alleiniges Prinzip der Landschaftsplanung zu favorisieren bedeutete vielfach, die soziale Funktion von Landschaft in der Postmoderne als Heimat, als Element des reembedding (im Sinne Giddens), der Wiederverankerung des Menschen in der Vertrautheit seiner Umgebung, nicht ausreichend zu berücksichtigen. Gerade Personen, deren primäre Sozialisation in einer vielgliedrigen angeeigneten physischen Landschaft erfolgte, empfinden deren Übergang in Sukzession vielfach als Verlust von landschaftlicher Bindung. Insofern scheint die alleinige Befolgung des Paradigmas der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft zwar durchaus konsequent hinsichtlich der gesellschaftlichen Determiniertheit von Landschaft, doch wirkt eine zu rasche Veränderung von Landschaft häufig verunsichernd und trägt bei zu lokalen Bindungsverlusten. · Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft kommt den Prinzipien einer postmodernen Gesellschaft nahe, indem angeeignete physische Landschaft ± im idealtypischen Falle ± bewusst einer individuellen Konstruktion und differierenden Assoziationen verfügbar gemacht wird. Eine solche ästhetisierende, durchaus bisweilen ironisierende Inszenierung von Landschaft und deren Elementen entzieht sich vielfach der Nachvollziehbarkeit von Personen nicht-postmaterialistischer Wertehaltung und kann somit befremdlich wirken und Angst erzeugende Unsicherheit produzieren. · Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft kann als jenes charakterisiert werden, welches die landschaftlichen Folgen und Nebenfolgen der Postmodernisierung der Gesellschaft am deutlichsten reflektiert. Die Folgen und Nebenfolgen des Agierens der sozialen Systeme auf die angeeignete physische Landschaft werden reflektiert und der dadurch veränderte angeeignet-physisch-landschaftliche Ist-Zustand als Ausgangskonstruktion für eine Revidierung des gesellschaftslandschaftlichen SollZustands herangezogen. Langfristig erscheint es sinnhaft, dieses Paradigma ± auch aufgrund des hohen ökonomischen und politischen Aufwandes der mit der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft verbunden ist ± zu verfolgen, zumal die primäre Landschaftssozialisierung ohnehin auf veränderte normallandschaftliche Zustände bezogen wird bzw. sich bereits bezieht. Dennoch gilt auch für dieses Paradigma, dass bei einer sich vollziehenden gesellschaftlichen Pluralisierung nicht alle Milieus in gleicher Weise paradigmatische Landschaftsveränderungen mit- und nachvollziehen. Die Folgen sind auch hier ± im Gefolge der verbreiteten Für-objektivgegeben-Haltung von Landschaft ± keine exklusivistischen Verabsolutierungen des Paradigmas der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft. Auch bei der Durchsetzung diese Paradigmas sind Verlusterfahrungen und Verunsicherungen zu befürchten.
bar, wenn mit der Definition von Schutzzielen eine ökonomische Valorisierung einhergeht (siehe hierzu auch Quasten/Wagner 2000), da bei allein politischer Durchsetzung (ohne ökonomische Valorisierung) die gesellschaftlichen (insbesondere ökonomischen) Opportunitätskosten der Landschaftspflege langfristig nicht durchsetzbar erscheinen und eine Sozialisierung von Pflegezielen ± in einer sich kulturell und sozial diversifizierenden Gesellschaft ± be- wenn nicht gar verhindern.
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Insgesamt steht eine postmoderne Landschaftsplanung vor der Herausforderung, zu akzeptieren, dass (vorhandene) Landschaft nicht in Gänze erhalten werden kann und auch nicht ± aufgrund selektiv neuer Nutzungsansprüche an Landschaft ± erhalten werden sollte, dass aber auch die Aufgabe von Landschaftsteilen als Äungenutzte Wildnis³ durch primäre Sozialisation eines landschaftlichen Normalzustandes langfristig zu einer Verringerung landschaftlicher Verlusterfahrungen führen wird. Aufgrund veränderter Nutzungsansprüche bei gleichzeitig verringerten politischen Machtressourcen lässt sich angeeignete physische Landschaft zumeist lediglich dadurch erhalten und entwickeln, dass angeeigneter physischer Raum gesellschaftlich genutzt wird, was häufig mit symbolischen Umdeutungen verbunden ist. Insbesondere im ländlichen Raum erscheint es entscheidend, strukturale Aspekte, wie sie in der klassischen Dorferneuerung zu finden sind, mit funktionalen zu kombinieren. D.h. eine historistische, monovalente Erhaltung und Restaurierung von Landschaft erscheint in der Postmoderne nur dann sinnvoll, wenn die Landschaft mit mehr Funktionen als lediglich einer ± zumindest latent ± imperativistisch ästhetischen aufgeladen wird. Oder überspitzt formuliert: Statt lediglich Äschöne³ Dorfplätze zu bauen und Fassaden nach historischen Vorbildern zu restaurieren sollte mit der Dorfentwicklung eine Diversifizierung des lokalen Arbeitsmarktes in Synthese mit den Chancen der Globalisierung (z.B. durch die Förderung von Telearbeitsplätzen, Einrichtung von Multifunktionsgeschäften) verbunden werden, um so eine Musealisierung ± einhergehend mit Fremdbestimmung, des ländlichen Raumes zu verhindern. Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Landschaftliche Veränderungen resultieren aus gesellschaftlichen Entwicklungen. Landschaftliche Veränderungen zu akzeptieren erfordert wiederum eine gesellschaftliche Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen.
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324
9 9.1
Anhang Fragebogen der quantitativen Befragung
Der abgebildete Fragebogen ist im Vergleich zum versandten Fragebogen aus technischen Gründen um rund 40 Prozent verkleinert dargestellt.
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Geographisches Institut Johannes Gutenberg -Universität Priv.-Doz. Dr. Olaf Kühne
Wahrnehmung von Landschaften - Fragebogen Die E ntwicklung der saarländischen Lan dschaften ist zunehmend Gegenst and in der ö ffentlichen Diskussion . Wie häufig denken Sie üb er Landschaft und ihre Veränderu ng nach? (bitte kreuzen Sie das Zutreffende an - eine Antwort ist möglich) O häufig (mehrm als pro Woche) O weniger häufig (wenige M ale im Mon at) O selt en (wenige Male im Jahr)
O nie O we iß nicht
Wie w ichtig ist es Ihnen, in oder in der Nähe einer Ihrer Meinung nach Äsc hönen³ Lan dschaft zu leben? O seh r wichtig O wichtig O weniger wichtig O unwichtig O weiß n icht An w elches ande re Wort den ken Sie zuerst, wenn S ie das Wort ÄLandschaft³ hören³? ...................................................... Nenne n Sie bitte drei Worte, die Ihrer Meinung nac h mit dem B egriff Landschaft bedeutungsmäßig verwandt sind! 1. Wort ...................................................... 2. Wort . .................................... ................. 3. Wort ...................................................... Kann man Ihrer Meinung na ch heute eindeutig Stadt und Landschaft voneinander tren nen? O ja
O nein
O we iß nicht
Wie n ehmen Sie Landschaft in der Regel wahr? (me hrere Antworten sind möglich) O in Spielfilmen O in Film- u nd O auf Wanderung en O auf Landkarten Fernsehwerbung O per Fahrrad O auf Postkarten O in Prospekten (z.B. von O per Auto O im Urlaub Reiseveranstaltern) O im Fernsehen O auf Reisen O in Bildbänden O im Internet O in Gemä lden O in Romanen O vom Zug aus O in der Phantasie O in Dokumentarfilmen
O anderes: ....................................... O weiß nicht
Wie nutzen Sie Landschaft? (mehrere A ntworten sind möglich) O in d er Freizeit (z. B. wandern, Rad fahren) O durch Bewirtschaftung (z. B. Landwirtschaft, Ga rten) O durch Betracht ung
O gar nicht (Landschaft ist mir nicht wichtig) O an dere Möglic hkeit: ....... .................................................. O we iß nicht
Wie e ignen Sie si ch Wissen über Landschaft an? (m ehrere Antworten sind möglich) O durch direkte B eobachtung O durch das Lese n von Büch ern O durch Gespräche O durch Kurse an Volkshoch schulen / Schulen / Hochschulen O durch das Inter net
O du rch Führung en O gar nicht (Landschaft ist mir nicht wi chtig) O an dere Möglic hkeit: ....... .................................................. O we iß nicht
Welch e drei Landschaften in nerhalb und außerhalb des Saarlan des würden Sie als schö n bezeichn en? 1. ................................................................................................................... ...... Waren Sie schon e inmal dort?
O ja
O nein
2. .......................................... .................................... ........................................... Waren Sie schon e inmal dort?
O ja
O nein
3. .......................................... .................................... ........................................... Waren Sie schon e inmal dort?
O ja
O nein
Als w elche Landschaft würden Sie den S aargau bezeichnen? O als Muschelkal klandschaft O als Bördelandscha ft O als Buntsandstein landschaft O als Vulka nlandschaft O weiß nicht Mit welchem geo logischen Prozess brin gen Sie den Schaumberg hauptsäch lich in Ver bindung? O Gebirgsfaltung O Vulkani smus O A blagerung v on Kalkstein O Flächenhafte Abtragung O w eiß nicht Als w as lassen sich Ihrer Meinung nach die Mehrzahl der Dörfer des Saarl andes am eh esten bezeichnen? O Haufendörfer O Angerdö rfer O Hu fendörfer O Rundlinge O Straßendörfer O Streusiedlungen O weiß nicht
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Wie würden Sie die links abgebildete Landschaft ( Wechsel au s Wiesen, Feldern, Bäumen und Büschen) am ehesten charak terisieren? (bitte nur ein e Antwort ankreuzen) O modern O traditionell O hässlich O interessant O schön O anderes: ...... ......«««««. O nichtssagend O weiß nicht Welches Gefühl haben Sie am ehesten , wenn Sie d as Bild link s bet rachten? (bi tte nur eine Antwort ank reuzen) O Angst O Freude O Stolz O Behaglichkeit O Abscheu O Zug ehörigkeit O Gleichgültigkeit O Liebe O weiß nicht O Trauer O anderes, nämlich: ................................. Möchten Sie mit Ausblick auf diese Landschaft leben? O immer O zeitweilig
O nie O w eiß nicht
Würden Sie es bedauern, w enn diese Landschaft ihren Charakter (zum Beispiel durch völlige Bewaldung) än dern würde? O ja
O nein O weiß nicht
Wären Sie persönlich bereit, sich zu engagieren, u m diese Landschaft zu erhalten? O ja, durch... O ...persönl iches Engagement O .. Geldzahlun g zur Pflege der Landschaft O ...anderes: ....................... O weiß nicht O nein O weiß nicht Wie würden Sie die links abgebildete Landschaft (Indus trielandschaft) am ehesten charakterisieren? (bitte nur eine Antwort ankreu zen) O modern O traditionell O hässlich O interes sant O schön O anderes: ............«««««. O nichtssagend O weiß nicht Welches Gefühl haben Sie am eh esten, wenn Sie das Bild links betrachten? (bitte nur eine Antwort ankreuzen) O Angst O Freude O Stolz O Behaglichkeit O Abscheu O Zugehörig keit O Gleichgültigkeit O Liebe O weiß nicht O Trauer O anderes, nämlich: ................................. Möchten Sie mit Ausblick auf diese Landschaft leben? O immer O zeitweilig
O nie O w eiß nicht
Würden Sie es bedauern, w enn diese Landschaft i hren Charakter (zum Beispiel durch Abriss des Hüttenwer kes) ändern würde? O ja
O nein O weiß nicht
Wären Sie persönlich bereit, sich zu engagieren, u m diese Landschaft zu erhalten? O ja, durch... O ...persönl iches Engagement O .. Geldzahlun g zur Pflege der Landsch aft O ...an deres: ....................... O weiß nicht O nein O weiß nicht Wie würden Sie die links abgebildete Landschaft (bewaldete Berge) am ehesten char akterisieren? (bitte nur eine Antwort ankreuzen) O mod ern O traditionell O hässlich O interessant O schön O anderes: ............«««««. O nichtssagend O weiß nicht Welch es Gefühl haben Sie am ehesten, wenn Sie das Bild links betrachten? (bitte nur eine Ant wort ankreuzen) O Angst O Freude O Stolz O Beh aglichkeit O Abscheu O Zugehörigkeit O Gleichgültigkei t O Liebe O weiß nicht O Trauer O anderes, nämlich: ............................ .....
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Möc hten Sie mit Ausblick a uf diese Landschaft leben? O immer O zeitweilig O nie O weiß nicht Würden Sie es b edauern, we nn diese Landschaft ih ren Charakter (zum Beispiel durch völlige Abh olzung) än dern würde? O ja
O nein O weiß nicht
Wären Sie persö nlich bereit , sich zu engagieren, um diese Lan dschaft zu erhalten? O ja, durch... O ...persönliches Engagement O ..Geldzahlung zur Pflege d er Landschaft O ...and eres: ....................... O w eiß nicht O nein O weiß nicht Wie würden Sie die links abgebildete Landschaft (Lan dwirtschaftsflächen und Windkraftanlag en) am ehesten charakt erisieren? (bitte nur eine Antwor t ankreuzen ) O mode rn O tradit ionell O hässlich O interessant O schön O ander es: ............«««««. O nichtssagend O weiß nicht Welches Gefühl haben Sie am ehesten, wen n Sie das B ild links betrachten? (bitte nu r eine Antwort ankreuzen) O Angst O Behag lichkeit O Gleichgültigkeit O Traue r
O Freude O Stolz O Ab scheu O Zugehör igkeit O Liebe O weiß nicht O an deres, näml ich: ............ .....................
Möc hten Sie mit Ausblick a uf diese Landschaft leben? O immer O zeitweilig
O nie O weiß nicht
Würden Sie es b edauern, w enn diese Landschaft ih ren Charakter (zum Beispiel Abriss der Windr äder und/oder durch Verb uschung der Wiesen) ändern würde? O ja
O nein O weiß nicht
Wären Sie persö nlich bereit , sich zu engagieren, um diese Lan dschaft zu erhalten? O ja, durch... O ...persönliches Engagement O ..Geldzahlung zur Pflege der Landschaft O ...and eres: ....................... O weiß nicht O nein O weiß nicht Im Saarland wir d in letzter Zeit intensiv über den Umgang mit Hüttengeländen und Fördertürmen diskutiert. Wie sollte I hrer Meinung nach mit solchen Anlagen umgegangen werden? (Bitte nur eine Möglichkeit ankreuzen ) O Erhaltung alle r Anlagen O Umnutzung d er Anlagen (z.B. als Ko nferenzort, Diskothek), sofern dies möglich ist O Ab riss der Anlagen und e rneute gewe rbliche Nut zung (z.B. zum Bau vo n Einkaufszentren, Büros, Wohnungen usw.) O Teilweiser Erhalt der wichtigsten An lagen und A nlagenteile, teilweise Umnutzung, teilweiser Abriss O an dere: .................................................................. O weiß nicht Derzeit wird im Saarland darüber nachged acht, wie die Bergehalden des Kohlebergbaus in 30 Jahren aussehen soll en. Wie sollen Ihrer persönlichen Meinung nach Bergehalden in 30 Jahren aussehen? (Bitte eine Möglichkeit ankreuzen)
O un bewachsen O vo llständig begrünt O teilweise Begrünung, teilweise unbewachsen
O an dere Möglic hkeit: ....... .................................... . O weiß nicht
Fühlen Sie sich mit dem Saarland verbunden? (Bitte eine Mög lichkeit ankreuzen) O ja
O nein
O weiß nicht
Welche Bedeutung hat Heimat für Sie persönlich? (Bitte eine Möglichkeit ankreuze n) O sehr große Be deutung O große Bedeutung O keine Bedeut ung O weiß nich t
O mittlere Bedeutung
O geringe Bedeutung
Wie stark ist Ihr e persönliche Bindung zu den Lan dschaften des Saarland es? O sehr groß
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O groß
O mittel
O geri ng
O keine
O weiß nicht
Um das Verhältnis der Saarländerinnen und Saarländer zu den Landschafte n besser erfassen zu könn en, werden im Folgenden einig e allgemeine Fragen gestellt. Derzeit wird häufig über die Zukunft der Bundesrepublik Deutsch land diskutiert. Unten sind zwölf Ziele a ufgeführt, die immer wieder als wichtig genannt werden. Kreuzen Si e bitte diejenigensechs
O Inflat ionsbekämp fung O Erhal tung der Redefreiheit O Eine stabile Wirt schaft O Fortschritte hin zu einer men schlicheren und wenige r unpersönlichen Gesellschaft O Fortschritte hin z u einer Gese llschaft, in der Ideen mehr als Geld zählen O Verbrechensbekä mpfung
O Erhaltung oder Erzielung e ines hohen N iveaus an Wir tschaftswachstum O Ein e starke Armee O Mehr Mitsprach e der Bevölkerung in d er Gemeind e O Verschönerung von Dörfern und Städten O Aufrechterhaltung der Ordnung im Land O Me hr Mitsprach e der Mens chen bei Regierungsangelegenheiten
In den letzten Jahren wird zunehmend die Globalisierung themati siert. Wie se hen Sie die Globalisier ung? (bitte e ine Antwor t ankreuzen) O beängstigend O als Chanc e
O teilnahmslos
O anderes: .. .......................
O weiß nicht
Was gehört Ihrer Meinung na ch zu einer Landschaft? (mehrere A ntworten sind möglich) O Wie sen O einzelne Mensc hen O Autos O Wälder O Dörfer O Bäc he
O Reg enschauer O klein ere Städte O einzelne Blumen O Großstädte O Bau ernhöfe O Wol ken
O Düfte (z.B. von Blumen) O Atmosphär e (im Sinne von Stimmu ng) O Industriebe triebe O Gruppen von Menschen O Landstraßen O Geräusche (z.B. von Ei senbahnen)
O Gebi rge O Auto bahnen O Wind räder O ande res: ........... O weiß nicht
Wenn Sie an eine Landschaft denken, we lche Größe stellen Sie si ch dafür am ehesten vo r? (bitte eine Antwort an kreuzen) O So weit man sehen kann O ander es: ........................................................ O weiß nicht
O wie etwa auf ei ne Postkarte ersichtlich O etwa ein Quadratkilometer (1 Kilometer mal 1 Kilometer ) O etwa 100 Quadratkilometer (10 Kilome ter mal 10 Kilometer) O etwa 1.000 Qua dratkilomet er (40 Kilometer mal 25 Kilometer)
In wel cher Stadt o der Gemein de wohnen Sie? (bitte ausfüllen) .... ..................................................... In wel chem Jahr sind Sie geb oren? ......................................... Welch es Geschlec ht haben Si e?
O männlich
O weiblich
Welch en höchsten allgemeinb ildenden Schulabschluss haben Sie? O kein Abschluss O Volks-/Hauptsc hulabschluss
O Realschulabschluss oder gleichwertiger Abschluss
O Fachhochschulreife O Hoch schulreife
Welch en Berufsbildungsabschluss haben Sie? O Meister/Techniker/Fachsch ulabschluss O keinen O Fachhochschul abschluss O beru fliches Praktikum/Anlernausbildung O Lehrausbildung Welch er Partei ste hen Sie nah e?
O CDU O FDP O Bündnis 90 / die Grünen
O SPD O keiner
O Hoch schulabschlu ss/Promoti on O ander er: ................................
O andere: ....................... ......
Sind Sie.... O ... in Ausbildung O ... Angestellter / Angestellte O ... Beamter / Be amtin O ... freiberuflich tätig
O ... selbständig tätig O ... ar beitslos O ... in Weiterbildu ng O ... in Vorruhestand
O ... in Ruhestan d O an deres: .......................... .............
Wie g roß ist Ihr N etto-Hausha ltseinkommen?
Im Anschluss an diese standardisierte Befragung ist (Anfang 2005) eine ausgiebigere Befragung O üb er 25.000 bis 50.000 ¼ pro Jahr per Interview geplant. Sofern Sie bereit sind, mit O üb er 50.000 ¼ pro Jahr mir gegebenenfalls ein Interview (maximal 45 Minuten) zum Thema Landschaft zu führen, Wie v iele Persone n leben in Ihrem Haushalt? bitte ich Sie, Ihre Telefonnummer unten anzugeben: O eine O zwei O drei O vier O fünf oder mehr O unte r 10.000 ¼ pro Jahr O 10.000 bis 25.0 00 ¼ pro Jah r
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!
Telefonnummer: ..................................................
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9.2 Leitfadeninterviewfragen 1. Hinweis zur Anonymität 2. Einleitung · · ·
Vorstellung meiner Person und meines Interesses am Thema. Welche sind Ihrer Meinung nach die zurzeit größten Herausforderungen für das Saarland und seine Bevölkerung? Welche Werte sollten Ihrer Meinung nach in Zukunft eine größere Bedeutung in der Gesellschaft haben?
3. Allgemeine Fragen zur Landschaft · · · · · · ·
Was interessiert Sie persönlich am Thema Landschaft? Welche Bedeutung hat Landschaft für Sie persönlich? Welches sind für Sie die wesentlichen Merkmale einer Landschaft? Wie groß ist eine Landschaft, Ihrer Meinung nach? Gibt es eine Grenze zwischen Landschaft und Nicht-Landschaft? Wo würden Sie persönlich diese ziehen? Können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal wo und wie Landschaft bewusst wahrgenommen haben? Welchen Einfluss hatte der Schulunterricht auf die Entstehung ihres Landschaftsbegriffs?
4. Fragen zur Landschafts- und Raumwahrnehmung · · · · · ·
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Was macht Ihrer Meinung nach aus einem Teil der Erdoberfläche bzw. aus einer Gegend für Sie eine Landschaft? Welche Bedeutung hat für Sie das Kriterium Schönheit, wenn Sie eine Gegend als Landschaft betrachten? Sind Ihrer Meinung nach Landschaften für alle Menschen gleich oder hat jeder ein eigenes Bild der Landschaft? In der quantitativen Umfrage ergab sich eine hohe Bedeutung von Atmosphäre (im Sinne von Stimmung) für eine Landschaft. Wie sehen sie das Verhältnis von Atmosphäre und Landschaft? Inwiefern kann man Ihrer Meinung nach innerhalb von Gebäuden z. B. von einer ÄWohnlandschaft³ sprechen? Wenn Sie sich in einer vertrauten Umgebung bewegen und von einem Ort zu einem anderen gelangen wollen, wie planen Sie die zu gehende bzw. zu fahrende Route ± eher in einer Kartenperspektive oder eher anhand bestimmter Landmarken?
5. Fragen zum Verhältnis Gesellschaft-Landschaft · · · ·
Inwiefern haben sich die saarländischen Landschaften in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren Ihrer Wahrnehmung nach verändert? Wie sehen Sie persönlich die zukünftige Entwicklung der Landschaften im Saarland? Gibt es Ihrer Meinung nach auch einen Einfluss der Landschaft auf den Menschen? Üben beispielsweise Gebirge einen anderen Einfluss auf den Menschen aus als Städte? Inwiefern? Inwiefern gibt Ihnen die Vertrautheit von saarländischen Landschaften ein Gefühl der Geborgenheit?
6. Fragen zur Landschaftsplanung · · ·
· ·
Aus der quantitativen Befragung ergab sich eine sehr geringe Akzeptanz hinsichtlich der Erhaltung von alten Industrieanlagen und der Sichtbarerhaltung von Bergehalden. Warum ist dies Ihrer Meinung nach der Fall? In derselben Umfrage ergab sich, dass eine Waldlandschaft ähnlich positiv bewertet wird wie eine Offenlandschaft. Wie erklären Sie sich das? Durch die Veränderung der Agrarsubventionen und den Verfall der Holzpreise auf dem Weltmarkt verändern sich Landschaften: Aus Feldern werden Wiesen, auf vielen ehemaligen Wiesen wachsen Büsche und Bäume, Holz verrottet im Wald. Wie sollte Ihrer Meinung nach die Politik darauf reagieren? Viele Menschen wollen im Grünen, im Umland von Städten wohnen, durch den Bau großer Eigenheimsiedlungen verändert sich die Landschaft. Empfinden sie dies als störend? Worin sehen Sie wesentliche Hemmnisse für die Erhaltung bzw. Entwicklung saarländischer Landschaften?
7. Allgemeines · ·
Können Sie etwas über Ihre Person, Ihr Alter, ihren Familienstand, der Größe Ihres Haushaltes sagen? Was ist Ihr beruflicher Hintergrund, welche Ausbildung haben Sie absolviert?
8. Zusatzfragen an professionell mit Landschaft Befasste · · ·
Worin sehen Sie den Unterschied in Ihrem professionellen und einem laienhaften Verständnis von Landschaft? Sind Sie der Auffassung, landschaftliche Zusammenhänge sollten Laien verstärkt vermittelt werden? Wenn ja, warum und wie? Wenn nein, warum nicht? Was verbuchen Sie persönlich als besonderen Erfolg hinsichtlich der Erhaltung bzw. Entwicklung der saarländischen Landschaften?
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