DAS PRINZIPIENPROBLEM IN DER PHILOSOPHIE DES THOMAS VON AQUIN
BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE herausgegeben von Kurt...
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DAS PRINZIPIENPROBLEM IN DER PHILOSOPHIE DES THOMAS VON AQUIN
BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE herausgegeben von Kurt Flasch
Ruedi Imbach
Burkhard Mojsisch
Band 1 Wilfried Kühn Das Prinzipienproblem in der Philosophie des Thomas von Aquin
VERLAG B.R. GRÜNER - AMSTERDAM - 1982
DAS PRINZIPIENPROBLEM IN DER PHILOSOPHIE DES THOMAS VON AQUIN
von Wilfried Kühn
VERLAG B.R. GRÜNER - AMSTERDAM - 1982
No part of this book,may be translated or reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the pubhsher. © by B.R.Grüner, 1982 ISBN 90 6032 227 4 Printed in The Netherlands
V O R W O R T
Z U R
R E I H E
Eine neue philosophische Reihe rechtfertigt sich allenfalls d u r c h den Nutzen, den die in ihr veröffentlichten Studien für die phi losophische Selbstbesinnung e r b r i n g e n . Ankündigungen und Prätentionen besagen demgegenüber wenig. Man kann aber eine Auskunft darüber verlangen, was nach Ansicht der Herausgeber der philosophischen Selbstbesinnung n ü t z t . Unerläßlich ist uns der genaue ( d . h . : der philologisch kontrol lierte) und problembewußte Umgang mit der u n v e r k ü r z t e n Ge schichte der Philosophie. Da der Zugang zu den "Sachen" über Texte f ü h r t , wird deren Freilegung hier großen Raum erhalten. Die Reihe wird also auch Arbeiten veröffentlichen, die man - i n nerhalb der dubiosen Alternative von Systematik und Historie operierend - "philosophiehistorisch" n e n n t . Doch will sie von den Texten her diese Alternative u n t e r w a n d e r n . Sie will die Bewegung der Philosophie bis in die Gegenwart verfolgen und mitvollziehen. Was einer geronnenen Betrachtung als "das Hi storische" gilt, will sie von diesem Mitvollzug her neu beleuch t e n . Dabei werden bisher unbeachtete Namen und wenig ana lysierte geschichtliche Zusammenhänge auftauchen. Zwar waren die Herausgeber vorwiegend auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philosophie tätig, und auch ihre Schüler for schen vielfach auf diesem Feld. Doch sie intendieren keine neue Spezialreihe zur Philosophie des Mittelalters, schon gar nicht die Repristination scholastischer Theorien. Die Beschäftigung mit dem langen Zeitraum von 400 bis 1600 erbringt aber - wird sie p r ä z i s , unapologetisch und mit bewußtem Gegenwartsbezug betrieben - ungewohnte Ansichten der Geschichtlichkeit des Denkens. Sie zwingt zu philologischer Tatsachenforschung b e züglich philosophischer Texte und bringt aus größerem Abstand neue Reflexionsweisen in Gang. Einzig in dieser irritierenden Funktion wird dem von unabhängigen Philosophen zu wenig b e achteten Mittelalter eine Sonderstellung zukommen. Die beiden ersten Bände können von der Intention der Reihe einen e r s t e n Begriff geben: Neben den aus griechischen, arabischen und lateinischen Texten präzis dokumentierten Reflexionen von Wil fried Kühn über den Zwiespalt im Wissensbegriff des Thomas von Aquino steht die Analyse von Luigi Bonatti über Zusammen hänge von Philosophie und ökonomischer Theorie im 2 0 . J a h r h u n d e r t . Was uns i n t e r e s s i e r t , ist die gegenwärtige Welt. Es sind die Formen i h r e r Auslegung, das Zusammenspiel theoretischer und praktischer Probleme, die Geschichtlichkeit und damit die Kontingenz des allgemein Anerkannten. Wir werden frühere Denker besonders dort aufsuchen, wo sie Kontinuitätsschemata und gängige Formen der Weltzurechtlegung zu kritisieren g e statten.
VI Dies ist n u r in individuellen Erkundungsgängen möglich. Früher mochte man meinen, die ideale Rechtfertigung einer philosophi schen Reihe bestehe in der Bezeichnung eines aktuellen For s c h u n g s d e s i d e r a t s , das allein die nun intendierten Publikationen zu erfüllen imstande seien. Aber damit legte man eine Vielzahl philosophischer Autoren auf eine Formel fest. Die Analyse der gegenwärtigen Situation und i h r e r Defizite impliziert bereits die philosophische Position eines Autors. Diese ist durch den Ver fasser zu leisten und nicht durch die Herausgeber v o r h e r z u b e stimmen. Die vorliegende Reihe nimmt den Vorwurf in Kauf, konzeptlos zu sein, um dafür den Vorzug einzutauschen, ihren Autoren auch dort Freiheit zu sichern, wo das akademische Establishment gängelt - durch Zensuren, durch Auflagen und vor allem d u r c h das Übergewicht der Gewohnheit. Nicht inhalt liche Vorgaben sollten die künftigen Autoren dieser Reihe v e r binden, sondern eine gemeinsame Genauigkeit, ein gemeinsames Interesse an gedanklicher Klärung in der Gegenwart und an der Unverstelltheit der Geschichte. Wir prätendieren nicht die "im Geiste der Endgültigkeit arbeitende Philosophie" früherer Scho larchen; wir veröffentlichen individuelle Versuche, sich denkend zu orientieren.
Bochum, den 25. Mai 1982
Kurt Flasch
Ruedi Imbach
Burkhard Mojsisch
Die vorliegende Arbeit ist die gekürzte und überarbeitete Fas sung einer Dissertation, die 1978 von der Abteilung für Philo sophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde. Zu der Beschäftigung mit dem Thema hat mich Herr Professor Johannes Hirschberger a n g e r e g t . Von ihm und von Herrn Professor Kurt Flasch habe ich gelernt, die Phi losophie des Lateinischen Mittelalters aus der Perspektive i h r e r antiken und arabischen Quellen zu v e r s t e h e n . Für die freund liche Förderung meiner Studien möchte ich meinen beiden Leh r e r n herzlich d a n k e n . Ich widme dieses Buch meinen Eltern. Wilfried Kühn
INHALTSÜBERSICHT
EINLEITUNG
1 E r s t e r Teil
SELBSTÄNDIGKEIT ALS BEGRIFF VOM P R I N Z I P : DIE SUBSTANZ 1.Kapitel: 2.Kapitel: 3.Kapitel:
Der B e i t r a g d e r U r t e i l s t h e o r i e zum S u b stanzbegriff
35
Einige A s p e k t e d e s a r i s t o t e l i s c h e n P r i n z i pienbegriffs auf platonischem H i n t e r g r u n d
82
Abgrenzung d e r Prinzipienfrage gegen reflexive und negative Bestimmungen
116
Zweiter Teil BEGRÜNDUNG DES PRINZIPS ' S U B S T A N Z ' AUS DER BEGRENZUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES 1.Kapitel:
2.Kapitel: 3.Kapitel:
Aristoteles' l o g i s c h e r Rahmen f ü r die wissenstheoretische Grenzziehung durch den Prinzipienbegriff
183
Die t h e o r e t i s c h e R e a l i s i e r u n g v o n U n m i t t e l b a r k e i t im Begriff d e r P r i n z i p i e n e r k e n n t n i s
221
S u b s t a n t i a l i t ä t als P r i n z i p d e r E r f a h r u n g s urteile und des wissenschaftlichen Beg r ü n d e n s bei Aristoteles
297
D r i t t e r Teil ALTERNATIVE ANSÄTZE IN DER PRINZIPIENTHEORIE 1.Kapitel:
S e l b s t b e w u ß t s e i n als ein Moment d e s Wahrheitsbegriffs
329
Die T r a n s z e n d e n t a l i e n als die W a h r h e i t d e r G e g e n s t ä n d e u n d die materielle B e s t i m m t h e i t d e r Welt
343
3.Kapitel:
Gewißheit d e r E r k e n n t n i s als L e i t g e danke der aristotelischen Wissenstheorie
381
4.Kapitel:
T h o m a s ' Ideal g e w i s s e r E r k e n n t n i s
391
2.Kapitel:
5.Kapitel:
6.Kapitel:
Thomas' Beziehung der Transzenden t a l i e n auf d e n S e i n s b e g r i f f ( V e r . I 1) in vernunfttheoretischer Perspektive
415
Thomas' Entwurf einer S t r u k t u r von T r a n s z e n d e n t a l i e n als A n t w o r t a u f die F r a g e n a c h dem P r i n z i p v o n U n t e r s c h i e d e n ( I n T r i n . IV 1)
445
I N H A L T
Abkürzungen Vorwort und Zusammenfassung des Gedankengangs
XIX XXIII
EINLEITUNG 1. Der Zusammenhang der Wissensfrage mit Problemen der praktischen Vernunft 2. Thomas' Einschätzung der praktischen Vernunft
1 4
3 . Der Primat der theoretischen Vernunft als ein Fall systematischer Reduktion
12
4. Prinzipienbegriff und wahrheitstheoretische Ansätze (Wahrheit als Adäquation und als Implikation des Urteils)
23
Erster Teil SELBSTÄNDIGKEIT ALS BEGRIFF VOM PRINZIP: DIE SUBSTANZ 1.Kapitel: Der Beitrag der Urteilstheorie zum Sub stanzbegriff 1. Zwei Ansätze zum Verhältnis von Satz und Satzteilen bei Thomas 2. Genesis und Resultat des Kategorienbegriffs bei Aristoteles 3. Bedingungen der Substanzkategorie: a) Nominalisierung von Verben zu Infinitiven und Partizipien b) Die Vorstellung von dinglicher Inhärenz
35 43
49 56
4. Probleme des Substanz-Akzidens-Verhältnisses: a) Verknüpfung u n t e r den Begriff der Modifikation
62
b) Auflösung in ontologischen Atomismus
69
5. Priorität der Substanz in der Begriffsbildung 2.Kapitel:
76
Einige Aspekte des aristotelischen Prinzipien begriffs auf platonischem Hintergrund
1. Die Substanz als unabhängiges F r ü h e r e s : Aristoteles' eigene Chorismosthese 2. Substantialität und Beziehung nach Aristoteles und beim späten Platon
82 91
XII 3. Die Prinzipienfunktion der Substanz in p r a k t i scher Perspektive Abgrenzung der Prinzipienfrage gegen reflexive und negative Bestimmungen 1. Abwertung der Dialektik gegenüber dem Wissen aus Beweisen 2. Wissenstheoretische Reflexion als Aufklärung: der logische Begriff der Begründung 3. Relativierende Reflexionen und ihre Entschärfung: Einzelheit und Einfachheit bei Thomas
103
3.Kapitel:
4. Systematische Unterordnung reflexiver Aussagen: der aristotelische Wahrheitsbegriff 5. Das Verhältnis des Negativen zum Affirmativen bei Aristoteles: Teilhabe und Entgegensetzung 6. Thomas' reflektierte Entgegensetzung von Nega tivem und Affirmativem: die Welt der Positivität und das bloß subjektive Sein des Nichtseienden
116 125 129 134 139
a) Bestätigen und Behaupten negativer Sätze als Aussage von Sein
146
b) Das Problem negativer Tatsachen und die Um k e h r u n g der erkenntnistheoretischen Perspek tive: Ansatz bei der Reflexivität des Urteilens
150
c) Begründung des Seins von Nichtseiendem aus seiner Stellung im Satz d) Die Einschränkung des Negativen auf sein Gedachtwerden als unvollständige Reflexion 7. Zuspitzung der Prinzipienfrage: Reflexionsbe stimmungen (Transzendentalien) oder Substanzen?
157 160 164
Zweiter Teil BEGRÜNDUNG DES PRINZIPS 'SUBSTANZ' AUS DER BEGRENZUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES 1.Kapitel: Aristoteles' logischer Rahmen für die wissens theoretische Grenzziehung durch den Prin zipienbegriff 1. Legitimation einzelner wahrer Aussagen d u r c h konventionelle Wesensprädikate 2. Alltägliches Erkennen als Voraussetzung der wissenschaftlichen Wahrheit 3. Wissenschaftliche Begriffsbildung aus dem gän gigen Sprachgebrauch
183 188 194
XIII 4. Bedingungen für Wissen: a) Objektivierung des Vorwissens und Endlich keit der Begründungsreihen b) Linearität des Beweisgangs, Kategorizität und Gewißheit der e r s t e n Prämissen 5. Die Priorität der ersten Prämissen als relative Unabhängigkeit
201 206 210
2.Kapitel: Die theoretische Realisierung von Unmittel barkeit im Begriff der Prinzipienerkenntnis 1. Unbedingte Geltung und dialektische Prüfung der e r s t e n Prämissen: zwei Begriffe von Vernunft bei Aristoteles
221
2. Erkenntnis und Stellenwert der apriorischen Prinzipien allen Wissens
232
3. Die unmittelbare Erkenntnis spezifischer Prämissen im Kontext einer Theorie des Erkenntnisprozesses überhaupt a) Anfanghafte Prämissenerkenntnis und der Grund satz vom notwendigen Vorwissen
242
b) Wahrnehmung und Erfahrung als das der Prä misseneinsicht vorangehende Bewußtsein
246
c) Verborgenheit begrifflicher S t r u k t u r e n für das von ihnen geleitete Erfahrungsbewußtsein d) Aristotelischer und platonischer Begriff von d e r Reflexivität des Wissensprozesses: Unter scheidung des uns Bekannteren von dem schlechthin Bekannteren und Anamnesistheorie
252
257
e) Thomas' Konsequenzen aus Aristoteles' Ableh n u n g des platonischen Anamnesisbegriffs
264
f) Potentialität und Selbstbezug d e r Vernunft bei Aristoteles
271
g) Avicennas und Thomas' Interpretationen
276
h) Piatonismus als deus ex machina: Thomas' Begriff der tätigen Vernunft i) Integration der Prinzipienerkenntnis in das Potenz-Akt-Schema des Erkenntnisfortschritts bei Thomas
285 291
XIV 3.Kapitel:
Substantialität als Prinzip der Erfahrungsurteile und des wissenschaftlichen Begründens bei Aristoteles
1. Das Realitätsbewußtsein der Erfahrung als Grund lage für Wissen 2. Begrenzung als Notwendigkeit praktischer Vernunft 3. Substantialität als Implikation des apriorischen Widerspruchsprinzips 4. Der normative Charakter des aristotelischen Wesensbegriffs 5. Das Kategorienschema als theoretische Bedingung wissenschaftlicher Beweise
297 302 306 313 317
Dritter Teil ALTERNATIVE ANSÄTZE IN DER PRINZIPIENTHEORIE I.Kapitel:
Selbstbewußtsein als ein Moment des Wahrheitsbegriffs
1. Die ' i n n e r e Rede' als Wahrheitsinstanz: ein Motiv der Anamnesistheorie des Wissens bei Aristoteles 2. Reflexivität des Urteils als Bedingung für Wahr heit und Irrtum bei Thomas Die Transzendentalien als die Wahrheit der Gegenstände und die materielle Be stimmtheit der Welt 1. Wahrsein als eine Bestimmung in der rationalen S t r u k t u r der Transzendentalien
329 335
2.Kapitel:
2. Vervollkommnung der materiellen Gegenstände d u r c h ihr Erkanntwerden: die Problematik eines t r a n s s z e n dentalen Moments in Thomas' Erkenntnistheorie
343 343
348
3. Materie als Inbegriff einer der Erkenntnis e n t g e genstehenden Realität und die in den Transzenden talien gedachte S t r u k t u r a) Die quantitative S t r u k t u r der Materie
360
b) Theoretische Bestimmungen der räumlichen Quantität
364
c) Der kategoviale die anschauliche 4. Unterscheidung von dentalen Prinzipien
Begriff der Lage (situs) und Raumvorstellung kategorialen und t r a n s z e n (Einheit und Vielheit)
369 375
XV 3.Kapitel:
Gewißheit der Erkenntnis als Leitge danke der aristotelischen Wissenstheorie 1. Vergewisserung über Wahrheiten durch Wahrneh mung und wissenschaftliche Begründung
381
2. Das Selbstbewußtsein der Vernunft in den apriorischen Prinzipien als Grund aller Gewißheit
385
3. Die Unableitbarkeit der spezifischen Prämissen aus der Selbstgewißheit der Vernunft und der Rekurs auf die Erfahrung von Substanzen
388
4.Kapitel: Thomas' Ideal gewisser Erkenntnis 1. Vergewisserung d u r c h Deduktion aus unmittelbarer Vernunfteinheit
391
2. Thomas' Begriff von Gewißheit als einem Bewußt seinsmodus: u n v e r r ü c k b a r e s Anhängen und e r zwungene Zustimmung
398
3. Bedingungen notwendiger Zustimmung: Evidenz des Objekts, intellektuelle Anschauung und intelligibles Licht
406
5.Kapitel: Thomas' Beziehung der Transzenden talien auf den Seinsbegriff (Ver. I 1) in vernunfttheoretischer Perspektive 1. Die Transzendentalien als eine Alternative der platonischen Sprachtheorie zum aristotelischen Prinzipienbegriff
415
2. 'Seiendes' als Inbegriff der Urteilsform und als nichtsubstantielles Prinzip bei Thomas
421
3. Noch einmal das Früher-Später-Schema: ein bloßes Anwendungsmodell für die 'größten Gattungen' Platons?
427
4. Thomas' Relativierung der Definitionslogik: Be griffsbildung durch immanente Einschränkung von Sein 5. Die Grenze in Thomas' Reflexion auf die Logik des Seinsbegriffs: Fehlen einer alternativen Ver nunftform für spezielle Sachbestimmungen und für das Nichtsein
432
437
XVI 6.Kapitel: Thomas' Entwurf einer S t r u k t u r von Tran szendentalien als Antwort auf die Frage nach dem Prinzip von Unterschieden (In Trin. IV 1) 1. Aristoteles' Erklärung des Prädikats 'Verschieden 1 und Thomas' Reduktion aller Unterschiede auf die Entgegensetzung von Affirmation und Negation
445
2. Thomas' logische Analyse einfacher Unterschiede und identischer Bestimmtheit auf dem Hintergrund des aristotelischen Theoriemodells a) Abhängigkeit positiver Bestimmungen vom täti gen Unterscheiden bei Thomas
454
b) 'Identisches oder a n d e r e s ' : Aristoteles' Aus nahme von der konstitutiven Beziehung der Transzendentalien auf Kriterien i h r e r Anwendung
458
c) Thomas' Reflexionsfortschritt: Distinktion und Identität als Resultate logischer Handlungen
461
3. Revision des Seinsbegriffs angesichts der Frage nach einem Unterscheidungsprinzip a) Distinkt gegebene Realität als Resultat nega tiven, intellektuellen Beziehens b) Die Notwendigkeit des Nichtseins für eine Ex plikation des abstrakten Seinsgedankens c) 'Sein' und 'Seiendes' als theoretische Termini für die allgemeine Form des Urteils 4. Voraussetzungen und Schwierigkeiten einer s p r a c h philosophischen Interpretation des Distinktionsbegriffs
466 470 472
a) Die Transzendentalien als logische Form aller Extreme von Urteilsbeziehungen
476
b) 'Indistinktes Seiendes ü b e r h a u p t ' , ein Hinweis auf die Unbestimmtheit schlechthin einfacher Gegenstände
478
c) Thomas' partielles Festhalten an einfachen Be stimmungen als dem primär Unterschiedenen 5. Die logische Form von Urteilen als Grund für Unterschiede a) Die Prinzipienfunktion des verbalen Urteils moments ('est') für distinkte nominale Bestim mungen
481
488
XVII b) Der affirmative Charakter des Distinktionsprinzips ' S e i e n d e s ' und dessen Entgegensetzung zur negativen Urteilsform ('non ens') c) Eine Korrektur der Idee vom Distinktionsprinzip: die Komplexität und Reflexivität des Begriffs einer allgemeinen Urteilsform d) Unterscheiden als negatives Beziehen und Konstitution bestimmter Extreme
493
498 502
e) Die logische Entstehung von Distinktem aus der Vermeidung des Widerspruchs
506
f) Thomas' Rekonstruktion des Unterscheidens als e r s t e r Schritt zu einer alternativen Logik
511
6. Zwei Tendenzen in der Vervollständigung der t r a n szendentalen S t r u k t u r der Distinktion: Reflexion auf beanspruchte Bedingungen und Aufstellen einer linearen Begriffsordnung
513
7. Thomas' Prinzipienbegriff, vierender Aristotelismus
521
ein sich selbst relati
Quellen- und Literaturverzeichnis
525
Personenregister
532
Sachregister
535
ABKÜRZUNGEN I , I—II e t c .
Thomas, Summa Theologiae, Pars Prima, Prima Secundae e t c .
An.1, 2 etc.
Thomas, Quaestio disputata de anima
An.A, e t c .
Aristoteles, De anima
An. p o s t .
Aristoteles, Analytica posteriora
An.pr.
Aristoteles, Analytica priora
Cat.
Aristoteles, Categoriae
Caus.
Liber de causis
cG
Thomas, Summa contra gentiles
Cons.
Boethius, Consolationis philosophiae libri quinque
De a n .
Avicenna, De anima
Ente
Thomas, De ente et essentia
Eth.Nik.
Aristoteles, Ethica Nicomachea
ff
die beiden folgenden Zähleinheiten
Gen.an.
Aristoteles, De generatione animalium
In An.
Thomas In Aristotelis librum de anima commen tarium
In A n . p o s t .
Thomas, In libros Posteriorum Analyticorum expositio
In caelo
Thomas, In Aristotelis libros de caelo et mundo expositio
In c a u s .
Thomas, In librum de causis expositio
In Div.nom.
Thomas, In librum beati Dionysii de divinis nominibus expositio
In Eth.
Thomas, In X libros Ethicorum Aristotelis ad Nicomachum expositio
In Hebd.
Thomas, In librum Boethii de hebdomadibus expositio
In Met.
Thomas, In XII libros Aristotelis Metaphysicorum expositio
XX
In PE
Boethius, In Isagogen Porphyrii commenta
In Perih.
Thomas, In libros Peri Hermeneias expositio
In Phy.
Thomas, In VIII libros Physicorum Aristotelis expositio
In Pol.
Thomas, In libros Politicorum Aristotelis expositio
In Trin.
Thomas, Expositio super librum Boethii de trinitate
Interpr.
Aristoteles, De interpretatione
KpV
Kant, Kritik der praktischen Vernunft
KrV
Kant, Kritik der reinen Vernunft
KU
Kant, Kritik d e r Urteüskraft
Log.
Avicenna, Logyca
Malo
Thomas, Quaestiones disputatae de malo
Men.
Platon, Menon
Met.
Aristoteles, Metaphysica
Meta.
Avicenna, Philosophia prima seu scientia divina
Motu a n .
Aristoteles, De motu animalium
Nat.gen.
Thomas, De natura generis
Parm.
Platon, Parmenides
Phd.
Platon, Phaidon
Phdr.
Platon, Phaidros
Phil.
Platon, Phllebos
PL
Patrologiae c u r s u s completus. Series Latina
Pol.
Aristoteles, Politica
Pot.
Thomas, Quaestiones disputatae de potentia
Prol.
Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik
Quodl.
Thomas, Quaestiones quodlibetales
Reg.princ.
Thomas, De regimine principum
Rep.
Platon, Res publica
S
Thomas, Scriptum super IV libros sententiarum
Soph.
Platon, Sophistes
XXI Soph.El.
Aristoteles, Sophistici elenchi
Spir.creat.
Thomas, Quastio disputata de spiritualibus creaturis
Subst.sep.
Thomas, De substantiis separatis
Symp.
Platon, Symposium
The.
Platon, Theaitet
Tim.
Platon, Timaios
Top.
Aristoteles, Topica
Trin.
Augustinus, De trinitate
Ver.
Thomas, Quaestiones disputatae de veritate
Virt.comm.
Thomas, Quaestio disputata de virtutibus in communi
VORWORT UND ZUSAMMENFASSUNG DES GEDANKENGANGS Thomas von Aquin galt lange als systematischer Denker und sein Werk als in sich kohärente philosophisch-theologische Theo r i e . Auch Publikationen der letzten Zeit gehen noch wenigstens implizit von dieser Einschätzung aus. Den zum allgemeinen Kulturbewußtsein gehörenden Ruf, der große systematische Theoretiker des Mittelalters schleehtin zu sein, verdankt Thomas zu einem erheblichen Teil seiner integrierenden Funktion in der Auseinandersetzung des 13. Jahrh u n d e r t s um die Rezeption der aristotelischen Philosophie. Denn aus dieser historischen Rolle erklärt es sich, daß ihm der Dominikanerorden in den Jahrzehnten nach seinem Tod den Rang eines maßgeblichen 'Lehrers' zuerkannte und seine Karriere in der Schulphilosophie einleitete, die nur Aristoteles selbst zu einer noch größeren historischen wie geographischen Verbrei tung verholfen h a t . Auf diesem Hintergrund erneuert und zugleich für gewandelte historische Zwecke der Institution Katho lische Kirche in Dienst genommen wurde Thomas' Autorität im 19. und 20. J a h r h u n d e r t , wie es formell die päpstliche Enzyklika "Aeterni Patris" von 1879 dokumentiert, Die institutionelle Funktion wirkte sich natürlich auf das philosophiegeschichtliche Urteil über Thomas a u s , ein Urteil, das früher nahezu a u s schließlich und heute noch zu einem großen Teil von Klerikern der katholischen Kirche bestimmt wird. Unter solchen Umstän den war es kaum zu erwarten, daß einem Werk, das als Grund lage philosophischen und theologischen Unterrichts verwendet w u r d e , der Charakter einer durchgängig mit sich selbst ü b e r e i n stimmenden 'Lehre' abgesprochen würde. In der Tat findet eine kritische Auseinandersetzung, wie sie mit Platon, Aristoteles, Descartes und Kant geführt wurde und wird, mit Thomas in der Neuzeit selten und d a n n , soweit ich sehe, nur in Einzelfragen ohne Entwicklung einer generellen Perspektive s t a t t [ l ] . Nun kann man sagen, eine allgemeine Kritik an Thomas stehe auch nicht mehr auf der Tagesordnung der philosophischen Dis kussion, zumal die auf ihn sich berufende katholische Neuscho lastik in der zweiten Hälfte u n s e r e s J a h r h u n d e r t s nicht mehr so wie früher als einheitliche Richtung auftritt und an Einfluß v e r loren h a t , auch innerhalb der katholischen Kirche selbst. Den Disput mit Thomas - so ist diese Überlegung zu ergänzen - ha ben seine Zeitgenossen wie Bonaventura und Siger von Brabant und Autoren der folgenden Jahrzehnte geführt, aber dann ist die Geschichte weitergegangen und hat mit v e r ä n d e r t e n Frage stellungen de facto die an Thomas sich anschließende Schulphi losophie - bis hin zur Neuscholastik - wie auch ihre Kontra henten gegenüber dem Stand des 13. J a h r h u n d e r t s v e r ä n d e r t .
1
So z . B . Ρ . Sheehan, Aquinas on Intentionality
XXIV Wer sich mit Thomas beschäftigen will, hat zunächst, soweit das nicht schon in den letzten Jahrzehnten geschehen i s t , das Werk des 13. J a h r h u n d e r t s von den Überlagerungen des späteren Schulthomismus zu befreien, die in der Form von Vorurteilen die philosophiegeschichtliche Forschung behindern. Eine dieser Vormeinungen dürfte sein, daß Thomas, abgesehen von wenigen Verschiebungen im Detail, in der zeitlichen Abfolge seiner Schriften eine einheitliche Theorie stetig in verschiedene Rich tungen entwickelt h a b e [ l ] . Einer solchen Auffassung hat seit 1970 E . - H . Weber in seinen Publikationen widersprochen. An hand wichtiger Einzelthemen stellt er die Entstehung von Tho mas' Philosophie als Resultat des Diskussionsprozesses d a r , der sich zwischen ihm, Siger und Bonaventura abspielte. Entschei dend angesichts des gängigen Urteils ü b e r den Systematiker Thomas ist dabei, des Wéber abweichende, ja widersprüchliche Aussagen, die man bei Thomas an verschiedenen Textstellen zu derselben Sache finden kann - schon im 15. J a h r h u n d e r t hat Petrus a Bergomo in seiner "Tabula aurea" solche Unstimmig keiten katalogisiert - , nicht inhaltlich zu harmonisieren s u c h t , sondern verschiedenen Stadien jenes Diskussionsprozesses zu o r d n e t . Weber v e r t r i t t die These, daß sich Thomas aufgrund des Widerspruchs seiner Diskussionspartner mehrfach bewußt korrigiert h a b e . Das b e d e u t e t , der historische Autor Thomas entzieht sich der traditionellen Vorstellung von einer systema tischen Einheit seines Werks und der unmittelbar inhaltlichen Harmonisierung von einander widersprechenden Sachaussagen. Weber stellt die verschiedenen Entwicklungsstadien nicht einfach nebeneinander, sondern sieht in den Lösungen, die Thomas als letzte Antworten in der Auseinandersetzung findet, die reife, vollendete Theorie. Trotz dieser systematisierenden Beurteilung der Entwicklung tritt Wéber der herkömmlichen Einschätzung von Thomas' Philosophie entgegen, indem er Thomas ü b e r h a u p t eine Pluralität von Lösungsansätzen zu bestimmten Fragen zu schreibt. Wébers Arbeiten eröffnen weiteren Forschungen eine Perspektive auf die Genese von Thomas' Werk und ermöglichen es ihnen so, den historischen Charakter seiner Philosophie durch eine Zu o r d n u n g i h r e r verschiedenen Thesen und Argumente zu Phasen seiner Entwicklung bzw. der zeitgenössischen Diskussion zu realisieren. Jedoch scheint die historische Rekonstruktion dieser Art nicht das einzige Verfahren zu sein, mit dem man das t r a ditionelle Urteil von einer durchgängigen systematischen Einheit in Thomas' philosophischen Texten in Frage stellen k a n n . Denn es spricht viel dafür, daß man mit Wébers Methode oder einer ihr ähnlichen n u r einen bestimmten Teil des philosophischen Ge halts von Thomas' Werk überhaupt erfaßt. Schon frühere Unter suchungen - z . B . solche von Gilson und Pegis - machen ebenso wie diejenigen Wébers deutlich, daß sich das Hauptinteresse der 1
S. z . B . H. Meyer, Thomas von Aquin, S.63
xxv Teilnehmer an der philosophischen Diskussion des 13. J a h r h u n d e r t s , wie nicht anders zu erwarten i s t , auf einige Themen kon zentrierte, an denen auch Thomas deshalb besonders gelegen war: So insbesondere die Fragen, ob alle kontingenten Wesen ein Materiemoment haben oder die geistigen u n t e r ihnen nicht, ob die Materie in sich Anlagen zu der von außen bewirkten Ausbildung von Formen besitzt oder jede Form bloß rezipieren k a n n , ob eine komplexe Substanz wie vor allem der Mensch n u r eine oder mehrere Wesensformen h a t , ob die Vernunft ein Ver mögen der Seele ist oder ihr Wesen ausmacht, ob die theoreti sche Vernunft, insbesondere in i h r e r aktiven Funktion, eine universale für alle Menschen ist oder jeder Mensch seine indi viduelle Vernunft hat, ob der tätige Intellekt eines jeden Men schen zur Erschließung notwendiger Wahrheiten hinreicht oder dazu eine zusätzliche Erleuchtung erfordert wird, ob die An schauung Gottes (visio beatifica) vorrangig durch den mensch lichen Willen oder durch ein theoretisches Erkenntnisprinzip (species intelligibilis, die den Erkenntnisprozeß bestimmende Form) ermöglicht wird. Zwar steht jedes dieser Probleme, wie in der Literatur gezeigt worden i s t , in einem umfassenderen Zusammenhang, aber d e n noch wird man auch dann, wenn man diese Beziehungen mög lichst vollständig entwickelt, n u r einige der theoretischen G r u n d s t r u k t u r e n aufdecken, die Thomas' philosophisches Den ken bestimmten. Dazu können sowohl Theoreme gehören, die implizit zugleich zur Debatte standen - wie etwa Gilson auf die Implikation des Verhältnisses 'Erstursache - Zweitursachen' in dem Streit um den aktiven Intellekt hingewiesen h a t [ l ] - als auch solche, die von allen Kontrahenten im Zusammenhang i h r e r Diskussion unbefragt vorausgesetzt wurden, wie z . B . das kom plementäre Verhältnis von rezeptivem und tätigem Intellekt. Schon diese letzteren dürfte eine historische Rekonstruktion, die nach Wébers Art Thomas' Positionen und Argumente aus den von ihm mitbestrittenen Auseinandersetzungen zu erklären v e r s u c h t , eher streifen als thematisieren, eben weil sie nicht Dis kussionsgegenstand waren. Noch weniger aber wird eine histo rische Methode des genannten Typs die Aufmerksamkeit auf die jenigen gemeinsamen Grundkonzeptionen lenken, die offensicht lich nicht unmittelbar in der begrifflichen Formulierung der Dis kussionsthemen enthalten sind; als Beispiele kann man das Ka tegorienschema und den Begriff einer kontingenten Realität n e n nen, die gleichwohl durch notwendige Wesensformen bestimmt ist. Betrachtet man die Wirkungsgeschichte von Thomas' Philosophie bis ins 20. J a h r h u n d e r t hinein, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die im Diskussionszusammenhang des 13. J a h r h u n d e r t s do minierenden Probleme zunächst in den Hintergrund getreten und 1
Pourquoi Saint Thomas a critiqué Saint Augustin, S.8
XXVI schließlich ganz in Vergessenheit geraten sind. Eben deshalb muß die Forschung sie aus den Schriften von Thomas und sei nen Zeitgenossen wieder neu herausarbeiten. - In der Behaup t u n g von Thomas' Philosophie zuerst gegen den Nominalismus und später gegen eine philosophische Entwicklung, die im Zei chen der von Kant formulierten kopernikanischen Wende s t a n d , wurden andere Züge seines Denkens wichtiger als die im 13. J a h r h u n d e r t strittigen Positionen. Gewiß hat der Schulthomismus solche ihm bedeutsamen Denkweisen und Theorien - z . B . die Annahme von in der Dingwelt fundierten Wesensbegriffen - aus ihrem ursprünglichen Kontext und von ihrem ideengeschichtli chen Hintergrund abgelöst, so besonders von den platonischen und neuplatonischen Einflüssen, denen Thomas selbst sich bei all seiner Piatonismuskritik nicht entziehen k o n n t e . Dennoch bringt die Wirkungsgeschichte Grundlagen von Thomas' Den ken - wie einseitig und unhistorisch auch immer - zum Austrag, die er wohl bei der Begründung seiner Beiträge zur Diskussion mit den zeitgenössischen Denkern oder in anderen Zusammen hängen seines kompendienhaften Werks entwickelt, aber nicht aufgrund eines Widerspruchs seiner Diskussionspartner umge staltet h a t . Deshalb wird, so scheint mir, eine historische Re konstruktion Wéberschen Typs in der Regel nicht darauf a n g e legt sein, solche fundamentalen Theoreme entsprechend i h r e r Bedeutung zu u n t e r s u c h e n . - Mit den philosophiegeschichtlich wirksamen Grundlagen von Thomas' Denken meine ich seine Re zeption und Weiterentwicklung von Fragestellungen und Lösungs schemata der antiken Philosophie, die in Aristoteles' und Plotins Auseinandersetzungen mit Platon entstanden und Thomas schon in oder zusammen mit Auslegungen spätantiker und arabischer Kommentatoren e r r e i c h t e n , so z . B . das Potenz-Akt-Schema als - ursprünglich - eine Theorie des Werdens und die Hypostasen lehre als Selbstverständigung der endlichen Vernunft. Die vorliegende Arbeit will nun zeigen, daß sich Thomas' Phi losophie auch in der Analyse d e r a r t i g e r Grundlagentheoreme als uneinheitlich und nicht harmonisierbar erweist. Wenn ü b e r z e u gend dargetan werden k a n n , daß an verschiedenen fundamen talen Thesen und Argumenten von Thomas' Philosophie nicht zugleich konsequent festzuhalten i s t , dann wird auch philo sophisch begreifbar, daß die Philosophiegeschichte ü b e r Thomas hinausging und seine späteren Anhänger zu Vertretern einer institutionell g e s t ü t z t e n , aber den Fragen der neuen Zeiten nicht mehr gewachsenen Schulphilosophie wurden. Während die historische Rekonstruktion von Thomas' Philosophie anhand der großen Auseinandersetzungen in i h r e r Zeit gerade diejenigen Inhalte, mit denen diese Philosophie bis heute geschichtliche gewirkt h a t , im wesentlichen u n e r s c h ü t t e r t , ja unthematisiert läßt, hat die rationale Rekonstruktion von Grundkonzeptionen, wie sie die vorliegende Arbeit u n t e r einer bestimmten F r a g e stellung v e r s u c h t , auch den geschichtlichen Aspekt, den t r a n -
XXVII sitorischen Charakter von Thomas' Denken gegen den Thomismus aus Begriffen zur Geltung zu b r i n g e n . Zu der geschichtlichen Stellung von Thomas' Philosophie gehört auch ihre relativ hohe Integrationsfähigkeit in der zweiten Hälf te des 13. J a h r h u n d e r t s und ihre Eignung zur Grundlage eines jahrhundertelang durchgehaltenen Schulbetriebs. Wie bei jeder Untersuchung einer vergangenen Philosophie muß deshalb auch die Überzeugungskraft von Thomas' Argumenten neben i h r e r inneren Problematik erkennbar werden. Das soll durch die a u s drückliche Einbeziehung einer anderen historischen Dimension geschehen, durch den Rekurs auf die Entstehung fundamentaler Probleme, an denen Thomas weiterarbeitet, in Aristoteles' Aus einandersetzung mit Platon. Um die aristotelische Position als eine Bedingung für Thomas gründlich e r ö r t e r n zu können, mußte ich darauf verzichten, die Beiträge Plotins, der Stoiker sowie anderer spätantiker und mittelalterlicher Autoren zu b e handeln; n u r Boethius und Avicenna werde ich u n t e r einigen wenigen Aspekten einbeziehen. Worin man die systematische Einheit von Thomas' spekulativer Philosophie sehen könnte, dafür hat Forest in seinem Buch "La s t r u c t u r e métaphysique du concret selon Saint Thomas d'Aquin" einen exemplarischen Vorschlag gemacht: Bei Thomas ist Meta physik vor allem ontologische Synthese nach einem einzigen, allgemeinsten Prinzip. Das heißt n ä h e r , die jeweilige Einheit der komplexen Substanzen, die in ihrer Vielfalt die Welt ausmachen, wird ebenso wie ihr dynamischer Wirkungszusammenhang u n t e r einander und ihre Abhängigkeit von Gott auf die Komplementa rität der metaphysischen Momente Akt und Potenz zurückgeführt (S.326f, v g l . S.44). Was immer verschieden ist und doch als Einheit - sei es gegenständlich oder durch Beziehung - gedacht werden soll, von dem ist das eine Moment als wirklich und das andere als möglich zu begreifen. Dann ist ihr Zusammenhang - daß nämlich das wirkliche Moment das mögliche bestimmt - als ein unmittelbarer eingesehen und die Aufgabe der Metaphysik erfüllt. Im Hinblick darauf spricht Forest von einer "Metaphysik des Unmittelbaren". Zugleich sagt er von i h r , was auf der Hand liegt, daß sie im wesentlichen die Elemente einer traditionellen Theorie n u r neu organisiere, also selber nicht unmittelbar sei (S.324). Wenn der heutige I n t e r p r e t dieser Metaphysik in ihr die Vor aussetzung findet, daß man bei e r k e n n b a r e n Vermittlungen nicht stehenbleiben, sondern sie auf einen unmittelbaren Zu sammenhang zurückführen soll, und wenn er diese Regel g r u n d sätzlich auch für seine Deutung gelten läßt, dann muß er wohl im Rahmen seiner Möglichkeiten Thomas' Abhängigkeit von der Tradition berücksichtigen. Angesichts der von Forest h e r a u s g e hobenen systematischen Konzeption heißt das zu fragen, seit wann und aus welchen Gründen die kontingente Realität als eine Vielheit zusammengesetzter Substanzen gedacht wird, wozu das
XXVIII Akt-Potenz-Schema ursprünglich eingeführt wurde und warum Unmittelbarkeit als ein ausgezeichnetes Verhältnis vorausgesetzt wird. Wenn man Thomas' Philosophie derart auf ihr historisch wie logisch vorausliegende Vermittlungsschritte hin u n t e r s u c h t , kommt man, so scheint mir, zugleich einer Übersetzung i h r e r Probleme, Argumente und Lösungen in Formulierungen n ä h e r , die dem gegenwärtigen philosophischen Bewußtsein e n t s p r e c h e n ; darin drückt sich der rationale Charakter der intendierten Re konstruktion a u s . So will ich in dem vorliegenden Buch die s y stematische Auszeichnung der Unmittelbarkeit und die Erhebung von Substanzen zum Inbegriff der Realität aus der aristoteli schen Reflexion auf das Begründungsverfahren der Wissenschaf ten zu verstehen s u c h e n [ l ] . Wenigstens diese Voraussetzungen von Thomas' Denken sollen als antike Antworten auf die von der Philosophie stets neu gestellte Frage nach den Bedingungen des Wissens interpretiert werden. Das Potenz-Akt-Schema da gegen ist n u r zusammen mit Aristoteles' komplexer Theorie des Wissensfortschritts zu begreifen, denn es bedeutet in seiner ursprünglichen Funktion, daß alles Werden ein Zu-sich-selbstKommen (Entelechie) der Sache i s t , und enthält insofern die reflexive S t r u k t u r des Erkenntnisprozesses, die Platon in der Anamnesistheorie formuliert h a t . Erst wenn man Aristoteles' zwiespältige Stellung zu dieser Theorie umschrieben hat - was ich versuchen will (Zweiter Teil, 2 . K a p , , 3 . d , f ) - , kann man das Potenz-Akt-Schema auf seinem historisch-sachlichen Hinter grund v e r s t e h e n . Das ist jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht mehr möglich, da sie zunächst einmal einen Aus gangspunkt für die Erschließung der aristotelischen Position sucht. Der Rekurs auf die argumentative Begründung der Thomas b e stimmenden Tradition, die die theoretische Schlüsselstellung von unmittelbaren Verhältnissen und Substanzen nicht mehr e r n s t haft in Frage stellt, soll nicht n u r zum besseren Verständnis dieser Theoreme und i h r e r Konsequenzen bei Thomas beitragen. Indem beide Theoreme auf die Frage nach den Wissensbedingun gen zurückgeführt werden, zeigt sich auch ihr sachlicher Zu sammenhang mit einer anderen Seite derselben Problematik, mit den sogenannten allgemeinen Wissensprinzipien. Zu ihnen gehö r e n , werden sie in einem weiten Sinn aufgefaßt, Bestimmungen eines jeglichen Gegenstands wie Sein, Einheit, Wahrheit und Gutheit (Transzendentalien) und in jedem Fall logische Grund1
Die Anregung, das Substanz-Akzidenz-Verhältnis zu problematisieren, verdanke ich Kurt Flasch, Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues, S.47-65. - Wenn meine Unter suchung auf Aristoteles und seine Stellung zu Platon r e k u r r i e r t , so geschieht das allemal in der Absicht, Thomas' Vor aussetzungen besser zu begreifen; einen davon unabhängigen Beitrag zur Diskussion der antiken Problematik möchte ich nicht liefern.
XXIX sätze wie das Prinzip der Widerspruchsfreiheit. Aristoteles' Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen für Wissen hat also mindestens zwei Typen solcher Voraussetzungen entworfen, unmittelbar zusammengesetzte, stets besondere Substanzen und höchst allgemeine Begriffe bzw. Regeln, und man kann exempla risch zeigen, daß für ihn beide Typen wesentlich aufeinander angewiesen sind. Das ist um so bedeutsamer im Hinblick darauf, daß sie bei Thomas in einen kaum noch verdeckten Gegensatz t r e t e n . Er ist d a s , was ich mit dem Prinzipienproblem bei Tho mas meine. Des Näheren besteht es darin, daß Thomas die Transzendentalien, die schon der späte Platon als Prinzipien etablierte, Aristoteles dagegen aufgehoben h a t t e , einerseits u n t e r dem Einfluß des Boethius zu Elementen der allgemeinsten Grundsätze wie des Widerspruchssatzes e r k l ä r t e , ihren Prinzi piencharakter also restituierte und andererseits sie als bloß gedachte Momente eines Gegenstands überhaupt dessen realen inhaltlichen Bestimmungen u n t e r o r d n e t e , die u n t e r die aristote lischen Kategorien zu subsumieren sind und deshalb die Sub stanz zum Prinzip haben. Gegenüber der in der aristotelischen "Metaphysik" (Buch B) e r k e n n b a r e n Konkurrenz der Transzen dentalien und Kategorien um die Stellung von Prinzipien nimmt Thomas insofern eine zwiespältige Haltung ein, als er die Refle xion auf die Transzendentalien zwar weitertreibt und deren b e dingende Funktion für die Denkbarkeit von Gegenständen ü b e r haupt u n t e r neuen Aspekten nachweist, zugleich aber die mit dem Universalienproblem eröffnete Alternative 'reale Dinge bloße Gedankenbestimmungen' ins Spiel bringt und mit i h r e r Hilfe eine Aufwertung der Transzendentalien gegenüber den Kategorien, wie sie in der Konsequenz seiner Reflexionen läge, zu vermeiden s u c h t . Daß hier schon Aristoteles ein Konfliktpotential angelegt h a t , darauf verweist Bärthlein in seinem Buch "Die Transzendenta lienlehre der alten Ontologie", Teil I (S.315f, 319, 321). Für ihn ist die Etablierung der Substanz als Prinzip unvereinbar mit der Übernahme des Themas "Das überkategoriale Seiende als solches und seine Einheit" von Platon, weil das partikuläre Sei e n d e , zum Prinzip erhoben, diese transzendentalen S t r u k t u r e n überflüssig mache. Nun hat Aristoteles, wie ich zeigen will (Erster Teil, .., 7 . ) , seinen neuen Begriff vom Prinzip innerakademisch dadurch zu legitimieren gesucht, daß er ihn aus der Anwendung einer Regel der schulmäßig entwickelten Ideenlehre auf die verschiedenen Sinne von Sein gewann, in die er die Rede vom Seienden als solchen stets differenzierte. Wenn diese Deutung Aristoteles' Intention trifft, kann man sagen, daß er die platonische Frage nach den allgemeinsten Bestimmungen (megista gene) in dem dreifachen hegelschen Sinn aufheben, aber das Thema nicht einfach beseitigen wollte. Im übrigen scheint mir zwar eine Zurechtlegung des Verhältnisses der T r a n szendentalien zu den aristotelischen Prinzipien, insbesondere den Kategorien, nach dem Muster des kantischen t r a n s z e n d e n -
xxx talen Schematismus d e r a r t d e n k b a r , daß man in den aristoteli schen Kategorien Anwendungskriterien für Transzendentalien s i e h t [ l ] ; so könnte man partiell die aristotelische Position mit dem spätplatonischen Denken theoretisch harmonisieren. Histo risch aber hat Thomas mit seinem Versuch, die Transzenden talien als n u r gedankliche Differenzierungen des Seienden auf zufassen, unbeabsichtigt die Unverträglichkeit der aristoteli schen Kategorienkonzeption mit der Transzendentalienlehre a n gezeigt, sofern diese Sein, Einheit e t c . als Bedingungen von Realität und damit als Prinzipien meint. So wird die von Bärthlein vermerkte Problematik des aristotelischen Prinzipienbegriffs in seiner Rezeptionsgeschichte gerade am Bemühen eines Kom mentators manifest, den in den Transzendentalien fortdauernden Piatonismus durch Distinktion zu neutralisieren. Das Prinzipienproblem, das sich aus Aristoteles' Aufhebung spätplatonischer Prinzipien zum Kategorienschema e r g i b t , hat eine Dimension, die über die Aristoteleskonzeption hinausgeht und deshalb in der vorliegenden Arbeit nicht dargestellt werden k a n n : Wie aus Texten von Aristoteles und Thomas h e r v o r g e h t , sind Transzendentalien und allgemeine Prinzipien wie das vom zu vermeidenden Widerspruch gleichermaßen reflexiv, d.h. außer auf anderes auch auf sich selbst zu beziehen. Das u n t e r scheidet sie von anderen Grundlagen des wissenschaftlichen Erk e n n e n s , insbesondere den Definitionen der wissenschaftlichen Gegenstände, die u n t e r jeweils eine der aristotelischen Katego rien zu subsumieren sind, also allesamt die Substanz zum Prin zip haben; schon die kategoriale Einteilbarkeit dieser Wissens bedingungen schließt a u s , daß sie für jegliche E r k e n n t n i s , also auch für die i h r e r selbst gelten. Die transzendentale Bestim mung 'Einheit' ist selbst eine intentionale Einheit, aber die De finition der Zahl ist selber keine Zahl oder Quantität. Das Prin zipienproblem betrifft also, ohne daß Aristoteles und Thomas das ausführten, de facto das Verhältnis von reflexiven und transitiven, d . h . n u r auf anderes bezogenen Erkenntnisbedin gungen. Wenn Aristoteles den allgemeinen Prinzipien und Tho mas den Transzendentalien eine relativ geringe bzw. gar keine Funktion für die unmittelbare Erkenntnis bestimmter wissen schaftlicher Sachverhalte zuerkennen, tendieren sie, abstrakt gesprochen, zu einer Theorie des wissenschaftlichen Denkens, wie sie in unserem J a h r h u n d e r t von Russell und Wittgenstein im Hinblick auf die logische Paradoxalität selbstbezüglicher Sätze radikalisiert wurde: Wissenschaftliches Sprechen ist n u r u n t e r der Bedingung möglich, daß es sich schon aufgrund seiner blo ßen Form (Objektsprache) ausschließlich auf anderes als sich selbst beziehen k a n n . Das heißt, die philosophische Rede von Erkenntnis überhaupt ist nicht wissenschaftlich. - Einen ersten Schritt zur theoretischen Abgrenzung der stets partikulären wissenschaftlichen Erkenntnis von der universale Geltung b e 1
S. unten Dritter Teil, 5 . K a p . , 3.
XXXI anspruchenden philosophischen hat, so scheint mir, Aristoteles mit seiner Unterscheidung besonderer einzelwissenschaftlicher Beweisgründe von den ganz allgemein gültigen Prinzipien getan, die auch noch die Form desjenigen Gedankens ausmachen, der sie bestreiten will. Auf diese Weise ist der problemgeschichtliche Zusammenhang besser einzuschätzen, in den wesentliche Elemente von Thomas' "Metaphysik der Unmittelbarkeit" - um mit Forest zu reden gehören. Die vorliegende Arbeit sucht diese Elemente, also die Präferenz für Unmittelbarkeit, das Kategorienschema und den mit ihm verbundenen Realitätsbegriff, wie gesagt, aus der a r i stotelischen Konzeption der Wissensbedingungen philosophisch zu begreifen; so macht die Unmittelbarkeit den logischen Cha r a k t e r derjenigen Beweisprämissen a u s , die selber keiner Be g r ü n d u n g mehr bedürfen. Gegenstand der so angelegten Tho masinterpretation sind also sowohl die Begründung jener Kon zeption von Wissensbedingungen oder Prinzipien durch Aristo teles als auch Thomas' Beitrag zur Geschichte des Problems, das von vornherein in derselben Konzeption enthalten war. Auf diesen Ansatz zu einem Verständnis des Prinzipienproblems bei Thomas konzentriert, habe ich in dessen einschlägigen, zu v e r schiedenen Zeiten verfaßten Texten keinen wesentlichen Wandel bemerkt, der eine historische Rekonstruktion e r f o r d e r t e , wie Wéber sie für andere Themen unternommen h a t . Allerdings kann ich den Erfolg einer genetischen Untersuchung des Prinzipien themas bei Thomas auch nicht einfach ausschließen, da ich selbst die Ergiebigkeit dieser Fragestellung nicht eigens und eingehend erprobt habe. Sollte einem anderen Interpreten eine genetische Analyse von Thomas' Prinzipienkonzeption gelingen, so wird an ihren konkreten Ergebnissen zu prüfen sein, was sie für die problemgeschichtliche Beurteilung b e d e u t e n . Bei der Einteilung meiner Arbeit habe ich mich an dem schon benannten Unterschied zwischen besonderen Prinzipien, fundiert in den Substanzen, und allgemeinen orientiert, die Thomas aus den Transzendentalien herleitet. Zur Erörterung beider Prinzi pientypen gehört auch eine Untersuchung des Erkenntnisbe griffs, der jeweils mit einer Art von Prinzipien verbunden i s t : Wissen von den konkreten Substanzen und ihren Eigenschaften ist wesentlich auf bestimmte Wahrnehmung und Erfahrung a n g e wiesen, die Transzendentalien und allgemeinen logischen Prinzi pien dagegen gehören zur Natur der Vernunft selber und sind deshalb als die Form beliebiger Gedanken a priori gewiß. - Um die Substanz als Grundbegriff der von Aristoteles geprägten Metaphysik geht es schwerpunktmäßig im ersten und zweiten Teil. Der erste soll in verschiedenen Zusammenhängen aufzei gen, was Substantialität bedeutet, der zweite die Funktion der Substanz als Prinzip aus der aristotelischen Wissenstheorie b e g r ü n d e n . Der dritte Teil behandelt verschiedene Ansätze, die den Prinzipiencharakter der Substanz gegenüber den allgemei-
XXXII nen Bedingungen des Denkens überhaupt als relativ erscheinen lassen, als bezogen nämlich auf unmittelbare Gegenstandser kenntnis - im Unterschied zur Reflexion auf ihre logischen Vor aussetzungen. Das heißt, in diesem Teil werden Aristoteles', mehr aber Thomas' Überlegungen e r ö r t e r t , die die fundamentale Funktion der Transzendentalien und allgemeinen Prinzipien b e leuchten, eine Funktion, die Thomas im ganzen seiner Philoso phie nicht entsprechend zur Geltung b r i n g t. Die Einleitung geht auf das Vorverständnis von Philosophie ein, wie man es n u r allzuleicht von Aristoteles und der von ihm a u s gehenden Tradition übernimmt, auf den Vorrang also der theo retischen vor der praktischen Philosophie. In dieser Ordnung scheint schon der Prinzipienbegriff verwirklicht zu sein, der am klarsten in der Substantialität dargestellt i s t , die Regel näm lich, daß sich das Unabhängige, Selbständige gegenüber sol chem , das wesentlich auf anderes bezogen und insofern auf es angewiesen i s t , zum Prinzip qualifiziert. Aus kritischem I n t e r esse gegenüber dem Selbstverständnis der Metaphysik, r e i n e , unabhängige Theorie zu sein, soll wenigstens an einigen Punk ten der vorliegenden Arbeit (vor allem Erster Teil, 2 . K a p . , 3. und Zweiter Teil, .., 2.) auf praktische Momente derselben Metaphysik hingewiesen werden. Der erste und zweite Teil stehen beide u n t e r der Frage, ob es ein zwingendes, nichtzirkuläres Argument bei Thomas oder eher bei Aristoteles für die Einsetzung der Substanz in die Prinzi pienfunktion gibt. Die Gesichtspunkte, u n t e r denen der S u b stanzbegriff im ersten Teil betrachtet wird, führen nicht zu einer befriedigenden Begründung für den Prinzipiencharakter der Substanzen, vielmehr scheinen Momente von Substantialität immer wieder schon in die Argumentationen einzugehen, auf grund d e r e r das Kategorienschema und sein Prinzipienbegriff erst einleuchten sollen; am ehesten erscheinen noch praktische Motive für die Erhebung des Substantiellen zum Prinzip plau sibel. Mit der Einteilung aller Aussagen nach dem Kategorienschema behandelt das 1. Kapitel den traditionellen Ort des Substanzbe griffs. Dabei soll aber deutlich werden, daß Aristoteles Aussa gen gezielt auf ein Prinzip des Typs hin i n t e r p r e t i e r t , den er dann in der Substanz als dem wesentlich bestimmten Zugrunde liegenden realisiert sieht, ein Prinzip nämlich, das sich d u r c h Unabhängigkeit gegenüber dem durch es Begründeten - also einsinnig Abhängigen - , hier den akzidentellen Prädikaten, a u s zeichnet. Die Auflösung der Satzzusammenhänge, die Aristoteles um der Prüfung beliebiger Prädikate auf ihre Substantialität - als Wesensbestimmungen - oder Akzidentalität hin in Kauf nimmt, zieht in der Geschichte der Aristotelesrezeption die auch ontologisch gemeinte Verabsolutierung des substantiellen Selb ständigen als Wirklichkeitsatom oder als eine einzige absolute Substanz nach sich.
XXXIII Die Frage nach der Verbindlichkeit der aristotelischen Prinzi pienkonzeption wäre also auf die Legitimation des Kriteriums der Selbständigkeit hin zu präzisieren. Indem Aristoteles sich für es auf Platon beruft, verweist er die Interpretation auf die Ideen lehre und seine eigene Kritik an ihr ( 2 . K a p . ) · Die vorliegende Arbeit kann nur einige Anhaltspunkte für die These geben, daß Platon die Ideen gerade nicht als unabhängige Prinzipien oder selbständige Identitäten gedacht hat, daß Aristoteles Platon vielmehr zuweilen unterstellt, er könne Prinzipien gar nicht anders als dem Begriff des Früheren zufolge verstanden haben, d . h . als einsinnige Voraussetzungen des durch sie B e g r ü n d e t e n . Auf diese Weise wiederholt sich in der Auseinandersetzung mit Platon das Ergebnis, daß Aristoteles seinen Prinzipienbegriff dabei nicht gewinnt, sondern schon v o r a u s s e t z t . Dasselbe gilt für die Abgrenzung des problematisierenden und reflektierenden Denkens von dem unmittelbar auf besondere Ge genstände bezogenen Wissen, dessen Diskurs n u r der Beweis ist (..). Ohne einen theoretischen Vorrang dieses Wissens und seiner Objekte könnte die partikulären Substanzen nicht als Prinzipien schlechthin gedacht werden. So ordnet schon Aristo teles Gegenstände der Reflexion wie das Wahrsein von Aussagen der unmittelbar bewußten Realität nach, weil sie n u r auf den Verstand bezogen werden. Diese s t a r r e Unterscheidung zwi schen Realität und bloßen Gedankenbestimmungen führt bei Tho mas, der sie sehr viel extensiver gebraucht, zu erheblichen Schwierigkeiten, vor allem anhand der Frage nach der Bedeu tung negativer Urteile. - Wie die philosophische Einschätzung der Reflexion mit der Ersetzung der platonischen Wissensbedin gungen durch die Kategorien und ihr Prinzip, die Substanz, zusammenhängt, soll schließlich durch eine Interpretation von Thomas' Auffassung deutlich werden, die von Piaton genannten Transzendentalien seien bloße Reflexionsbestimmungen: Sie müs sen so abgeschwächt werden, weil man sie sonst mit Recht als die Prinzipien für Aristoteles' Legitimation der Kategorien a n sähe. Im zweiten Teil möchte ich einen Gedankengang vorschlagen, der die Substanzen als Prinzipien für bewiesenes einzelwissen schaftliches Wissen im Sinn der Zweiten Analytiken einsichtig machen soll. Aristoteles begreift den wissenschaftlichen Diskurs als ein endliches Begründungsverfahren, das auch mit vorwis senschaftlichen Behauptungen und Argumentationen schon b e ansprucht wird, sowohl seiner syllogistischen Form wie auch den Wesensbegriffen nach, von denen eine verbindliche Begründung ausgehen muß ( l . K a p . ) . Die Notwendigkeit, daß die wissen schaftlichen Beweise den Geltungsanspruch von Aussagen ü b e r haupt auch wirklich einlösen, und die Unmöglichkeit eines r e g r e s s u s ad infinitum konvergieren in der Regel, daß das b e gründende Wissen von ersten Prämissen ausgehen muß, die kei ner weiteren Begründung oder logischen Vermittlung mehr fä hig, also unbedingt wahr sind. Ihre Geltung darf auch nicht
XXXIV von den d u r c h sie beweisbaren Sätzen abhängen, weil sich sonst ein logischer Zirkels e r g ä b e . Damit stellen sich die ersten Beweisprämissen als eine wissenstheoretische Legitimation für den Begriff vom Prinzip h e r a u s , daß es ein von seinem Prinzipiat unabhängiges Früheres i s t . - Dennoch ist auf diese Weise der Substanzbegriff noch nicht e r r e i c h t , d e n n , wie Aristoteles selbst anmerkt, das Frühere kann auch ein logisch Früheres und dieses eine akzidentelle Bestimmung sein; um die Substanz als das dem Sein nach Frühere zu v e r s t e h e n , muß man also zu sätzliche Bedingungen einführen. Einen Zugang zu ihnen scheint man wiederum anhand der aristo telischen Wissenstheorie bewinnen zu können, mit der Frage nämlich, wie die unbeweisbaren ersten Prämissen anders als durch Beweis erkannt werden sollen ( 2 . K a p . ) . Darauf ist zwar zunächst mit Aristoteles' Unterscheidung der e r s t e n Prämissen in solche zu antworten, die wie das Widerspruchsprinzip als Bedingung jeglicher Erkenntnis betrachtet werden, und a n d e r e , die als spezielle Prämissen für bestimmte Beweise innerhalb n u r einer Wissenschaft fungieren. Und die allgemeinen Erkenntnis prinzipien erkennt man gerade so wie die platonischen T r a n szendentalien durch Reflexion auf die logische Form des v e r nünftigen Denkens; im übrigen macht sie ihre Transzendentalität im kantischen Sinn, d . h . daß sie nicht Gegenstände, son dern die apriorische Form der Erkenntnis bestimmen, untauglich dafür, in bestimmten Beweisen ausdrücklich als Prämissen v e r wendet zu werden. Aber mit Bezug auf die besonderen Prämis sen einzelwissenschaftlicher Beweisgänge realisiert Aristoteles die Unmittelbarkeit, die im logischen Sinn die Unbeweisbarkeit e r s t e r Prämissen überhaupt b e d e u t e t , auch an der Erkenntnis weise, insofern die Einsicht in solche Prämissen auf Wahrneh mung als einem unmittelbaren Bewußtsein beruhen soll. Und indem sieh die Wahrnehmung zuerst auf den ganzen Gegenstand bezieht, bringt sie gegenüber dem logisch analysierenden Ver s t a n d , der alle Bestimmungen - auch akzidentelle - gleicherma ßen der bestimmten Sache vorausgehen läßt, die Priorität der Substanz zur Geltung. - Zu diesem wissenschaftstheoretischen Ansatz bei einem unmittelbar Gegebenen gehört auch eine Minimalisierung des reflexiven Moments im Wissensprozeß, d . h . der platonischen Einsicht, daß der Fortschritt im Erkennen zugleich ein Zurückgehen des Subjekts in sich selbst ist (Anamnesis). Diese Seite des Erkennens wird von Thomas schließlich auch hinsichtlich der allgemeinen Prinzipien nicht mehr konsequent berücksichtigt. Die Einsetzung der Substanz zum Prinzip schlechthin kann so als ein Ergebnis wissenstheoretischer Argumente eingesehen werden (..): Im Begriff des Prinzips ist schon gesetzt, daß man es als Abschluß einer endlichen Reihe von Zwischenschritten erreicht - was am unmittelbarsten durch die Vergegen wärtigung praktischer Prinzipien, also von Zwecken, deutlich wird. Für das wissenschaftliche Erkennen bildet die alltägliche
XXXV Erfahrung von wahrnehmbarer Realität eine solche abschließende Instanz. Die einzelnen Sinnendinge, die für das erfahrende Be wußtsein ganz selbstverständlich die Wirklichkeit ausmachen, sind auch die letzten Subjekte aller Aussagen. Diese Aussagen können sinnvoll u n t e r der apriorischen Bedingung der Wider spruchsfreiheit n u r s t e h e n , wenn nicht n u r die Bedeutungsein heit i h r e r Prädikate im Dialog gesichert i s t , sondern auch die Identität i h r e r jeweiligen Subjekte durch verschiedene Prädi kationen hindurch in ihrer Bestimmtheit - etwas als Baum oder Haus - festgehalten wird. Durch Definitionen aber muß der Sinn solcher Bestimmungen nur deshalb endgültig fixiert werden, weil entweder diese Definitionen selbst oder aus ihnen gewon nene allgemeinere Begriffe als die spezifischen e r s t e n Prämissen in den Einzelwissenschaften fungieren, als diejenigen Erkennt nisse also, die die Wahrheit aller wissenschaftlichen Sätze zu v e r b ü r g e n haben. Als die Einheit von wahrnehmbarem Zugrun deliegenden und seiner wohldefinierten Wesensbestimmung geht die Substanz also nicht schon aus einer einfachen Analyse des gewöhnlichen Sprechens h e r v o r , das seine Gegenstände je nach Erfahrungs-und Handlungskontext abgewandelt auffaßt, sondern aus derjenigen Interpretation dieses Sprechens, die es auf eine Grundlagenfunktion für endliche, zutreffende Beweisgänge hin in Kategorien einteilt und dann auf definierbare Sinneinheiten festlegt. Mit der Idee reflexiv e r k e n n b a r e r Prinzipien allen Vernunftge brauchs enthält die aristotelische Wissenstheorie schon das Ge genstück zur Konzeption der Substantialität und ihren Konse quenzen in sich. Die Theorie der allgemeinen Vernunftprinzi pien, die Thomas deutlicher entwickelt h a t , soll der dritte Teil u n t e r drei Aspekten in je zwei Kapiteln behandeln: Das Wahr heitsbewußtsein macht die Realität zu einem - abhängigen - Ex trem der Erkenntnisbeziehung ( K a p . l u . 2 ) . Die Theorie kann Wissen n u r durch den Nachweis einer Erkenntnis b e g r ü n d e n , an deren Wahrheit nicht gezweifelt werden kann (Kap.3 u . 4 ) . Aus der Perspektive der Vernunftbestimmungen jeglichen Gegen stands (Transzendentalien) wäre die logische S t r u k t u r des Wis s e n s , wie Aristoteles sie bestimmt h a t , zu relativieren (Kap.5 u. 6). Zu den Inkonsequenzen in Aristoteles ! Ablehnung der Anamnesistheorie gehört u n t e r anderem, daß die allgemeinen E r k e n n t nisprinzipien für die Vernunft unmittelbar mit ihrem Selbstbe wußtsein klar sein sollen, denn so wird der 'innere Dialog' des Bewußtseins, also der platonische Begriff von Wissensfort s c h r i t t , dem Potenz-Akt-Modell für denselben Prozeß an die Seite gestellt ( l . K a p . ) . Thomas setzt diese ansatzweise Rehabi litation des Selbstbewußtseins anders fort, indem er es als ein Moment des Behauptens in jedem Urteil e r k e n n b a r macht: Jedes Urteil spricht man dadurch mit dem Bewußtsein seiner Wahrheit a u s , daß man die subjektive Vorstellung als adäquates Bild der Sache d e n k t . Thomas hat aber weder aus diesem Gedanken e r -
XXXVI kennbare Folgerungen gezogen noch aus seiner Idee, die a b s t r a k t e s t e Übereinstimmung aller Gegenstände miteinander b e ruhe auf ihrer gemeinsamen Beziehung auf das erkennende und wollende Bewußtsein ( 2 . K a p . ) . Die Konsequenz könnte n u r eben die sein, die sich auch aus dem Begriff d e r Transzendentalien als a priori gewisser Bestimmungen beliebiger Objekte e r g i b t , daß nämlich die Realität als das Abzubildende des Wahrheitsbe wußtseins ebensosehr durch die urteilende Vernunft mit einer vorgängigen logischen S t r u k t u r gesetzt wird wie das subjektive Abbild. Der Überlegung, daß jeder Gegenstand durch sein Er kanntwerden wesentlich auf Vernunft bezogen wird, begegnet Thomas mit der Unterscheidung des Gegenstands, wie er distinkt gegen alles andere und deshalb auch gleichgültig gegen die Er kenntnis von ihm in sich b e s t e h t , von dem intelligiblen Objekt, das zugleich in sich und als subjektiv Abgebildetes sein k a n n . Weil aber die a b s t r a k t e Distinktheit, vermöge d e r e r die n a t ü r lichen Dinge auch gegen die Vernunft äußerlich sein sollen, selber eine transzendentale oder reine Vernunftbestimmung (Verschiedenheit) i s t , muß Thomas an einem ausdrücklich nichtintelligiblen Prinzip gelegen sein, das die Unabhängigkeit der Realität von der Erkenntnisbeziehung zu v e r b ü r g e n v e r s p r i c h t . In dem materiellen Moment der Erfahrungsgegenstände, das schon dem platonischen Timaios zufolge ihre Bestimmbarkeit und ihre Partikularität ausmacht, scheint das erforderliche Prinzip von der Tradition berücksichtigt zu sein. Indem Thomas aber den Begriff der Materie analysiert, um ihre distinguierende oder individuierende Funktion zu e r k l ä r e n , wird deutlich, daß einer seits die quantitative Bestimmtheit der Materie, aufgrund d e r e r allein sie als Individuationsprinzip begriffen werden k a n n , im Kontext von Thomas' Prinzipientheorie aus Transzendentalien zu konstruieren ist und daß andererseits die räumliche Anschauung von Körperdingen, die die Texte stillschweigend voraussetzen, dem vernünftigen Begreifen nicht als komplementäre Erkenntnis weise gegenübergestellt wird. So t r ä g t der Fortschritt der Tran szendentalientheorie - relativ zum aristotelischen Stand - bei Thomas sogar zu der Tendenz bei, im Gegenzug den Prinzipien charakter der Kategorien, z . B . der Quantität, dadurch zu s i c h e r n , daß n u r sie Differenzen einer unmittelbar gegebenen nicht durch Anschauung subjektiv vermittelten - Realität e r f a s sen sollen, während die Transzendentalien auf eine bloß begriff liche S t r u k t u r r e s t r i n g i e r t bleiben. Die aristotelische Einsicht, daß der wissenschaftliche Beweis um der Vergewisserung über bestimmte Sätze willen geführt wird, möchte ich getrennt von der Darstellung der Beweistheorie im zweiten Teil behandeln, weil zum Verständnis von Gewißheit der Begriff des Wahrheitsbewußtseins vorauszusetzen ist und weil die Frage nach einem Grund aller Gewißheit eher auf apriorische Vernunftprinzipien und Transzendentalien als auf die Substan zen führt (..). Die Notwendigkeit des wißbaren Sachver halts, die zu den Bedingungen dafür gehört, daß die Vernunft
XXXVII ihres Gegenstands gewiß sein k a n n , wird gerade nicht in der Sphäre der wandelbaren Wahrnehmungsobjekte angetroffen, die Gewißheit wissenschaftlicher Zusammenhänge kann vielmehr n u r auf Begriffen beruhen und muß sich deshalb auf allgemeine Sachverhalte beziehen. Für die Betrachtung der Wissenschaften u n t e r diesem Aspekt spielt der Begriff des Selbstbewußtseins eine doppelte Rolle, die Aristoteles und Thomas nur partiell deutlich machen: Wenn e r s t e n s Gewißheit über die Wahrheit eines Urteils durch seine Herleitung aus Prämissen tätig erwor ben wird, dann beruht die Gewißheit über diesen Zusammenhang auf der Selbstgewißheit des folgenden vernünftigen Bewußtseins (vgl. auch 4 . K a p . , 1.). Und indem Aristoteles zweitens von den ersten Beweisprämissen v e r l a n g t , daß sie mehr als ihr kon tradiktorisches Gegenteil überzeugen müssen, entwirft er eine Norm für Gewißheitsgründe, deren Erfüllbarkeit er n u r an apriorischen, reflexiven Vernunftprinzipien, insbesondere dem Satz vom Widerspruch, allgemein nachweisen kann. Denn auch wer sie bezweifelt oder b e s t r e i t e t , muß sich dessen bewußt werden können, daß er sie als Formen jeglicher Vernunfttätig keit zugleich b e a n s p r u c h t . Thomas begnügt sich nicht mit dieser theoretischen Begründung für die Möglichkeit unbezweifelbarer, also vollkommen gewisser Erkenntnisse, sondern will einerseits die urteilsförmigen apriori schen Prinzipien auf die Transzendentalien, ihre Termini, zu rückführen und andererseits das gewisse Bewußtsein näher b e stimmten ( 4 . K a p . ) . Offensichtlich tendiert er dahin, die Gewiß heit eines ursprünglichen Wissens auch von seiner Form her zu b e g r ü n d e n , die, wie sein eigener Wahrheitsbegriff deutlich macht, im Fall von Urteilen mit der Entgegensetzung des s u b jektiven Abbildes zur Sache an ihr selbst einen Zweifel prinzi piell g e s t a t t e t . Um auch noch dies auszuschließen, wendet Tho mas Momente des Substanzbegriffs als Kriterien für die schlecht hin gewisse Erkenntnis an: Wenn sie voraussetzungslos, unmit telbar und doch Bedingung aller anderen Erkenntnisse, also ein logisch Erstes sein soll, dann kann sie nur das Verstehen des Terminus 'Seiendes' sein, aus dem nach Thomas unmittelbar die gewisse Einsicht in das Widerspruchsprinzip folgt. Die vollkom men gewisse Erkenntnisweise aber hebt Thomas als intellektuelle Anschauung von der Diskursivität des urteilenden Verstandes a b . Durch seine Befangenheit im Angeschauten realisiert das Bewußtsein eine intentionale Einheit mit dem Gegenstand, in der es sich so vollständig d u r c h denselben bestimmt weiß, daß es dieser intuitiven Erkenntnis seine Zustimmung schlechterdings nicht versagen kann - was für Thomas Gewißheit ausmacht. Daß die Transzendentalien in die aristotelische Logik des Be griffs nicht einzuordnen sind, hat Aristoteles selbst betont und daraus gefolgert, daß sie nicht zu Prinzipien taugen ( 5 . K a p . ) . Thomas antwortet darauf, indem er den unkonventionellen logi schen Status der Bestimmung 'Seiendes', d . h . daß sie kein von seinen Differenzen logisch getrenntes Genus i s t , ausdrücklich
XXXVIII rechtfertigt. Der Sache nach knüpft er an Platons Begriff von 'größten G a t t u n g e n ' a n , wenn er einerseits das Prädikat 'Sein' durch die Funktionen des Urteilens, Unterscheiden und Ver binden, charakterisiert und andererseits jeden beliebigen Ge genstand wesentlich als Seiendes b e t r a c h t e t ; denn so bezieht e r alles Denkbare a priori auf die sprachliche Form des Urteils. Umgekehrt kann er von diesem allgemeinsten logischen Prinzip - u n t e r dem Titel 'Seiendes' - zu dem, was aus ihm folgt, den anderen Transzendentalien, den Kategorien und beliebigen Be stimmungen, nicht durch Verknüpfung mit einem äußeren Mo ment ü b e r g e h e n , sondern n u r durch eine Einschränkung des Prinzips auf besondere Modi seiner selbst. Thomas formuliert aber nicht die Einsicht, daß damit implizit das Verhältnis der urteilenden Vernunft zu ihren Gegenständen gedacht i s t . Bei dieser Korrektur der Vorstellung, alle Prinzipien müßten von dem aus ihnen Begründeten unabhängig sein, lassen es andere Erörterungen der Transzendentalien nicht bewenden ( 6 . K a p . ) . Die Frage, welche die Prinzipien konkreter Verschie denheit sind, veranlaßt Thomas zu einem Rekurs auf die lo gische Form des Unterscheidens, die er mit den Transzenden talien 'Sein - Nichtsein', 'Geschiedenheit - Einheit' und ' V i e l heit 1 angibt. Das heißt, er v e r s t e h t Verschiedenheit hier nicht als ein durch Materialität gegebenes Verhältnis der Dinge oder mit Aristoteles n u r als die notwendige Alternative zur Identität, sondern als Resultat einer Reihe von Gedankenschritten, deren Form d u r c h die genannten Transzendentalien a priori bestimmt i s t . Mindestens de facto wird so das traditionell aristotelische Aufnehmen des natürlichen Realitätsbewußtseins kritisiert: Erstens ist Thomas klar, daß n u r mit Distinktion zusammen auch positive Bestimmtheit möglich i s t , so daß alle Mannigfaltigkeit der Realität für ihn von der unterscheidenden Tätigkeit des Verstandes abhängig werden muß. Zweitens besteht diese Tätig keit wesentlich in der Negation, d u r c h die erst etwas von etwas - somit anderem - geschieden wird; n u r in diesem Kontext g e winnt das Negative - soweit ich sehe - bei Thomas eine konsti tutive logische Funktion. - Weil Thomas hier ausdrücklich für die Transzendentalien 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' auch die Formen des Urteils, Affirmation und Negation, einsetzt, bietet er eine v e r b e s s e r t e Grundlage für die Interpretation, daß die Transzendentalienreihe für die in ihre allgemeinsten logischen Formen sich selbst differenzierende Vernunft s t e h t , auf die deshalb eine konsequente Suche nach dem Unterscheidungsprin zip schlechthin zurückkommen muß. Die spekulative Deutung wird wiederum von Thomas selbst relativiert, indem er die Transzendentalien auch nach dem Schema der Substantialität o r d n e t , d . h . durch Voranstellen des relativ unabhängigen Seinsbegriffs, und vernachlässigt, daß die folgenden Bestim mungen nur Voraussetzungen explizieren, die man auch für das scheinbar selbständige Erste schon machen muß.
E I N L E I T U N G 1. Der Zusammenhang der Wissensfrage mit Problemen der p r a k tischen Vernunft Die Frage nach der Wahrheit der Erkenntnis und i h r e r Begriindung ist nicht die philosophische Frage schlechthin. Gerade da, wo sie in der Gesehichte die Entwicklung neuer philosophischer Theorien leitete, wurde nicht selten ihre Begrenztheit an ihrem Zusammenhang mit ethisch-praktischen Problemen deutlich g e macht, so von Platon und Kant. Daft Gerechtigkeit im Staat einerseits n u r verwirklicht werden kann, wenn sich die Politik an philosophischen Einsichten orient i e r t , und daft sich andererseits die Philosophic ungefahrdet und zum Nutzen aller, nicht bloft weniger Philosophierenden, n u r in einem gerechten Staat vollkommen entfalten k a n n , das hat Platon im ! Staat ! klar g e s a g t . [ l ] Zwar setzt er sich unmiftverstandlich von dem unmittelbaren Wissensgebrauch der Sophisten a b , sofern sie sich den herrschenden Meinungen anpassen und sich, ohne sie rechtfertigen zu konnen, n u r in Erfiillung der gesellschaftlichen Erwartungen urn die eindrucksvolle Reproduktion und jeweilige praktische Anwendung der gangigen Anschauungen verdient machten.[2] Er selbst sieht den Nutzen von Einzelwissenschaft wie Arithmetik, Geometrie und Astronomie nicht in i h r e r technisch praktischen Anwendung, sondern in der aufklarenden Erkenntnis iiber die wahre Realität und die Vernünftigkeit des Bewufttseins, die sie vermitteln. [ 3] Die Phi losophic a b e r , d . h . die Dialektik, die die Voraussetzungen des Wissens expliziert, faftt er nicht in dem Sinn als reine Erkennt nis auf, daft sie n u r an ihrem eigenen Fortschritt interessiert ware. Vielmehr hat gerade dieses Interesse ein Engagement d e r Philosophen in politischen Leitungsfunktionen zur Konsequenz, weil n u r sie dem Staat eine Verfassung geben und sichern kon n e n , die es ihrerseits e r s t ermöglicht, daft die Philosophie in i h r e r wahren Gestalt erscheint. [4] Die Gefahren des Miftbrauchs philosophischer Begabung und des Ansehens der Philosophie nach Art der Sophisten erscheinen Platon u n t e r den gegebenen Verhaltnissen allerdings so u b e r mächtig, daft er eine Antwort des Philosophen auf den offentlichen Druck und Zwang zur Konformität n u r in der unmittelba r e n Entgegensetzung sieht, sich ins Privatleben zurückzuziehen und auf jede offentliche Wirksamkeit zu verzichten. [5] So wie Platon die Philosophie als dialogische und auf ein gemeinsames 1 2 3 4 5
Rep.V 473 c - e , VI 496 c - 497 c, VII 519 c - 521 b Rep. VI 492 b - c , 493 a - d , 494 b , 499 a Ebenda, 525 b - d , 526 d - 527 b , 527 d - 528 a Rep.VI 497 a-c Rep.VI 492 d - 493 a, 494 d - 496 a, 496 c-e
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Leben angewiesene konzipiert h a t , [ l ] kann sie in dieser Isolie r u n g nicht vollendet werden, sondern n u r in einem ihr gemäßen Staatswesen, in dem d e r Philosoph mit seinem eigenen Interesse zugleich auch das Allgemeinwohl befördert. [ 2] Diese Beeinfluß barkeit der Philosophie durch die Verfassung d e r Öffentlichkeit ist gleichsam ein komplementäres Gegenstück zu d e r geläufige ren These d e r Politeia, daß für eine glückliche Entwicklung d e r Staaten und Individuen die Vereinigung von Philosophie und p o litischer Macht unabdingbar s e i , weil politische Zwecke n u r aus philosophischer Reflexion gerechtfertigt und begründet gesetzt werden könnten. [3] Die Anwendung philosophischer Einsichten in der politischen Praxis hat auch noch diesen Aspekt: Wenn die Philosophen entgegen i h r e r unmittelbaren Neigung, in d e r Theorie zu v e r h a r r e n , die Regierung des Staates übernehmen, dann genügen sie in einem schon gerecht verfaßten Staat d e r allgemeinen Verpflichtung d e r Bürger zu wechselseitiger Nütz lichkeit und lassen sich zum Zweck des Zusammenhangs d e r staatlichen Gemeinschaft gebrauchen. [4] Piaton hat auch das reine Erkennen von d e r Idee des Guten a b hängig gemacht, von einem Begriff also, den Aristoteles schon umgekehrt den Kategorien des Seienden u n t e r o r d n e t[ 5] und d e r mit fortschreitender Trennung d e r philosophischen Disziplinen voneinander eher ins Zentrum d e r praktischen Philosophie r ü c k t . In dieser Tradition d e r Disziplinentrennung verschärfte Kant die Abgrenzung mit seiner E i n s c h r ä n k u n g des WissensT und gab d e r Frage nach d e r Erkenntnis gerade dadurch eine Funktion für die praktische Philosophie, nämlich d i e , jeder theoretisch begründeten Kritik an ihren Implikationen Gott, Freiheit und intelligible Welt die Grundlage zu entziehen. [6] Das moralische Bewußtsein hat ein unmittelbares Interesse d a r a n , die theoretische Vernunft am Zugriff auf seine nicht empi rische Welt d u r c h Kritik i h r e s Vermögens zu h i n d e r n : Wäre das theoretisch Erkennbare die einzig wahre Realität, Dinge an sich, und nicht bloß Erscheinungen, so müßte dieses Bewußt sein angesichts d e r geschichtlichen Welt seinen Zweck als u n möglich aufgeben .[7 ] 1 2 3
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VII. Brief, 341 c; P h d r . 276 e - 277 a Rep.VI 497 a Rep.V 475 c - e , Rep.VI 484 b - d , Rep. VII 519 b - c u . 520 Die wechselseitige Angewiesenheit von politischer Praxis und Philosophie aufeinander soll allerdings keine gleichstarke Ab hängigkeit bedeuten: Ein gerechter Staat ist ohne philoso phische Regierende nicht möglich, Philosophie in einem u n g e rechten Staat prinzipiell schon, wenn auch e i n g e s c h r ä n k t . Rep.VII 519 d - 520 d Eth.Nik. 4, 1096 19-29 KrV 668f, KpV A 94ff, 168ff, 174f, 180ff KU 427f
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Den damit b e r ü h r t e n Zusammenhang von theoretischer und p r a k tischer Philosophie müßte eine Untersuchung der Wissensfrage schon in i h r e r Anlage berücksichtigen, um der systematischen Relevanz der Einsichten von Platon und Kant gerecht zu wer d e n . Ist aber zugleich ein historischer Gegenstand zugrunde g e legt, so hängt die Disposition auch von dem Problembewußtsein a b , das in den Texten zu finden i s t . Wenn die Interpretation grundsätzlich von den Analysen ausgehen soll, die der histori sche Autor selbst unternimmt, so fehlen einer Arbeit zum Prin zipienproblem bei Thomas solche Anhaltspunkte für eine Kon zeption, nach der die Reflexion auf das Begründen von Behaup tungen über sich hinaus auf andere Fragen verweist. Jedes theoretische Wissen und die Philosophie insbesondere zeichnen sich nach Thomas vielmehr dadurch a u s , Selbstzweck zu sein, obwohl er von der Bedeutung der ethischen Probleme für So krates und Platon wußte. [1] Die Gründe für diese Position, die sich auf das aristotelische Verständnis von Weisheit und deshalb auch von Philosophie in einem ersten Sinn berufen k a n n , [2] liegen einmal im politischen Hintergrund der antiken Philoso phie, sofern die Entwicklung zum Großreich jede philosophisch begründete Reform der Polis gegenstandslos machte; andere sind aber auch in der Theorie selber e r k e n n b a r . Im vorliegenden Zusammenhang können n u r solche von diesen Gründen erwähnt werden, die zu dem darzustellenden Problem kreis gehören. Eine befriedigende Erklärung für die Isolierung der Philosophie aus ihren ethisch-politischen Bezügen müßte natürlich viel weiter ausholen. - Indem der Begriff der Philo sophie als Selbstzweck aus einem Vorverständnis von Weisheit zum Selbstverständnis der Ersten Philosophie oder Metaphysik entwickelt wurde, grenzte diese Konzeption praktische Ver nunft, die auf Handlungen abzielt, von der Ersten Philosophie als der vollkommen entfalteten Vernunft deutlich ab und stufte sie als zweitrangig gegenüber reiner Theorie ein. Gegen diese Festlegung d e r Philosophie im eminenten und deshalb maßgeb lichen Sinn auf spekulatives Wissen, wie es bei Thomas heißt, kann man in systematischer Absicht zwei Fragen einwenden: Wie kann die Inanspruchnahme p r a k t i s c h e r Begriffe - z . B . 'Zwecku r s a c h e ! - innerhalb einer rein spekulativen Philosophie g e r e c h t fertigt werden, wenn sie damit doch ihre Angewiesenheit auf handlungsbezogenes Bewußtsein eingesteht? Bestätigt sich die programmatisch erklärte Zweckfreiheit der Ersten Philosophie auch bei einer kritischen Untersuchung von deren h e r v o r r a gendstem Resultat, der Erhebung der Substanz zum Prinzip?
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In 1 Met. 1. 10, 152; v g l . Augustinus, De civitate dei VIII 3 u . 4, S.218, Z.lf, u . S.219, Z.17 - S.220, Z.33 2 Met.A 1, 981 b 13-20; A 2, 982 a 14-19, 982 b 19-28; Met. α 1 . 993 b 19-23; Met.Ε 1, 1026 a 22f; In 1 Met. 1. 1, 31ff; 1. 3 , 53-59; In Met. 1. 2, 290
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2. Thomas1 Einschätzung der praktischen Vernunft Soll Philosophie als Selbstzweck verstanden werden, so muß umgekehrt praktische Vernunft, die das Handeln zu bestimmen beansprucht und insofern auf anderes bezogen i s t , [ l ] wesent liche Charakteristika der Philosophie vermissen lassen; dann braucht man in der Philosophie nicht auch eine Entfaltung p r a k tischer Vernunft zu sehen. In der Darstellung Thomas von Aquins, die durchweg an Aristoteles anschließt, ist eine solche Tendenz e r k e n n b a r , aufgrund der verschiedenen Positionen seiner Quellen und der implizierten sachlichen Schwierigkeit aber nicht durchgängig beibehalten. Die gemeinten Charakteri stika sind: 1. Die praktische Vernunft läßt sich ihren Gegenstand v o r g e ben, fragt nicht nach seinen Gründen, sondern stellt n u r einen pragmatischen Zusammenhang zwischen dem v o r g e g e benen Zweck und der Ausgangslage h e r . [2] Gegenüber einer solchen Pragmatik ist Wissen überhaupt als Analyse von Gründen, Philosophie als die Erforschung der letzten Gründe und Reduktion allen Wissens auf unmittelbar gewisse Grund sätze bestimmt, also als vollständige Aufklärung des wissen schaftlichen Bewußtseins. [3] 2. Da zweckbezogenes Handeln immer auf Einzelnes, Veränder bares geht, kann Thomas die Kontingenz und Partikularität der Objekte der praktischen Vernunft von der Notwendigkeit und Allgemeinheit der theoretischen Gegenstände abheben. [4] Deshalb soll der praktischen Vernunft die Voraussetzung dafür fehlen, daß sie sich i h r e r Wahrheit vergewissern kann, denn n u r d a s , von dem man aus Gründen weiß, daß es sich nicht anders verhalten kann, wird mit Gewißheit gewußt. [5] Folglich hat es praktische Vernunft nicht mit Erkenntnis und Wissen, sondern bloß mit Nützlichkeitserwägungen zu t u n . [6] 3 . Der pragmatische Charakter der praktischen Vernunft wird auch in einer abgewandelten Konzeption betont, wenn Thomas mit Aristoteles ihren Horizont auf die Erfordernisse des Le bens im Ganzen a u s d e h n t . [7] Praktische Vernunft als die Bestimmung dessen, was für die Menschen gut i s t , wird an 1 2
In 3 An. 1. 15, 820f; I-II 3 , 5 In 3 An. 1. 15, 821; v g l . I 79, 12, und bei Aristoteles An. Γ 10, 433a 13-23 3 Vgl. z . B . In 1 An.post. 1. 17, 146; In Trin.VI 1, Decker S. 211f; In 4 Met. 1. 6, 596; In 6 Met. 1. 1, 1164 4 In 6 Eth. 1. 3, 1152; I-II 94, 4; 9 1 , 3 ad 3; v g l . bei Aristo teles Met.A 1, 981 a 12-17, u . Eth.Nik. Ζ 8, 1141 b 14ff 5 Vgl. z . B . In 1 A n . p o s t . 1 . 4, 32 6 In 6 Eth. 1. 3, 1152, als Kommentar zu Eth.Nik. Ζ 4, 1040 a If 7 Eth.Nik. Ζ 7, 1141 a 20 - b 2; In 6 Eth. 1. 6, 1185-1189
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dieser Stelle, die ausdrücklich die Untauglichkeit der p r a k t i schen Vernunft und i h r e r höchsten Wissenschaft, der Politik, für die philosophische Begründungsaufgabe thematisiert, bloß relativ auf verschiedene Individuen und Staaten gesehen. So soll gezeigt werden, daß ihr Gegenstand nicht eindeutig b e stimmt i s t , wie es das Ideal philosophischen Wissens v e r langt, sondern sich mit Bezug auf die Subjekte je anders d e finiert . 4. Schließlich wird in demselben Zusammenhang v o r g e b r a c h t , praktische Vernunft könne n u r dann als höchste Form des Wissens gelten, wenn der Mensch auch das höchste Wesen in der Welt sei; schon die Himmelskörper seien aber würdiger als e r . Die philosophische Frage nach den letzten Gründen müsse also über den Menschen hinausgehen. Thomas hat diesen Begriff von praktischer Vernunft in Anleh nung an Aristoteles entwickelt, um sie von der Theorie a b z u grenzen, die wahre Erkenntnis n u r um i h r e r selbst willen sucht und sich in der Ersten Philosophie vollendet. Die einzelnen Punkte dieser Argumentation kann man aber in anderen Zusam menhängen entkräftet finden, vor allem, wenn Thomas die s t o ische Naturrechtslehre aufnimmt. Auch diese Gegenposition kann man stufenweise, also wie eine Replik, aufbauen: 1. Wie die theoretische kann auch die praktische Vernunft einen naheliegenden Zweck als Mittel zu einem höheren auffassen und auf diese Weise die Frage nach dem letzten Zweck stel len, von dem sich alle anderen ableiten lassen müssen. [1] Diese Unabhängigkeit vom unmittelbar Gegebenen u n t e r scheidet schon den Willen von bloß reagierenden Dingen: Als rationales Begehrungsvermögen verhält er sich zunächst gleichmäßig zu konträren Zwecken und braucht deshalb eine Bestimmung, die, wenn sie selber rational sein soll, eine auf Gründen beruhende Wahl (prohairesis) sein muß. [2] Mit der Einheit des Konträren für das Bewußtsein, die Aristoteles und Thomas auch sonst h e r v o r h e b e n , [3] wird an dieser Stelle Reflexion von der eindeutigen Bestimmtheit der Natur dinge unterschieden. Die Bewegung der Reflexion über den konträren Gegensatz hinaus b e r u h t auf der Notwendigkeit, den Willen selber der naturhaften Eindeutigkeit anzugleichen, damit er das Handeln bestimmen k a n n , den Maßstab für die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten sucht diese Bewe gung aber in einer allgemeinen Regel. Wenn einer der mög lichen Zwecke d u r c h Abstraktion u n t e r diese Regel s u b s u miert werden k a n n , ist die Wahl durch einen Schluß b e g r ü n det.[4] 1 2 3 4
I-II 13,3; v g l . in 1 Eth. 1. 2, 19-23 In 9 Met. 1. 4, 1818ff; In 3 An. 1. 16, 840 Met. θ 2, 1046 b 4-24; In 9 Met. 1. 2, 1790-1793; cG I 7 1 , 603 I-II 13, 3; I-II 90, 1 ad 2
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Selbst wenn man nicht danach fragt, wie ein Gegenstand überhaupt Objekt des Willens werden k a n n , läßt sich doch mit Thomas zeigen, daß praktische Vernunft mehr als das pragmatische Bereitstellen von Mitteln für anderweitig i h r gegebene Zwecke i s t , nämlich rationale Beurteilung möglicher Zwecke zur Begründung einer Willensentscheidung über sie. Diese Begründung ist insofern v e r n ü n f t i g , als sie nicht bei einer e r s t e n Regel stehenbleibt und in deren Erfüllung ihre ganze Funktion sieht, sondern weitere Begründungen s u c h t . Auch von der praktischen Vernunft muß Thomas daher sa gen, ob sie auf letzte, unmittelbar einsichtige Grundsätze zurückzuführen i s t . 2. Praktische Vernunft beschränkt sich also keineswegs auf im Einzelnen wirkendes Handeln, sondern ist ebenso das Be wußtsein allgemeiner Beurteilungsmaßstäbe und i h r e r Begrün d u n g wie das Vermögen i h r e r Anwendung auf den besonde ren Fall einer Handlung. [1] Während Thomas das t h e o r e tische Wissen unmittelbar n u r auf Allgemeines bezogen sein und e r s t durch Reflexion auf sinnliche Vorstellungen das Einzelne begreifen läßt, [2] denkt er im Begriff der p r a k tischen Vernunft beide Momente, das Bewußtsein des Allge meinen und des Partikulären. Insofern die praktische Vernunft allgemeine Urteile bildet, um die Entscheidung einzelner Fälle zu b e g r ü n d e n , kann sie dem Willen n u r in dem Maß eine hinreichende Begründung bieten, als sie notwendige Zusammenhänge mit Gewißheit e r k e n n t . Thomas konzediert deshalb, daß die Begründung mo ralischer Urteile von notwendigen und allen Menschen g e wissen Prinzipien ausgehen muß. Dann aber grenzt er die praktische Vernunft anhand der Schlußfolgerungen von der theoretischen a b : die Anwendung auf die jeweilige Entschei dung sei auch von den kontingenten historischen Umständen abhängig und deshalb nicht für alle Menschen in gleicher Weise gültig. [3] 1 2 3
In 3 An. 1. 16, 845f Quodl.VII 1, 3; In Trin.V 2 ad 4, Decker S.178; In 7 Div. nom. 1.3, 726 I-II 94,2 u . 4; In 3 An. 1. 15, 826 Thomas arbeitet auch damit Überlegungen d e r Nikomachischen Ethik a u s , die schon in ihrem e r s t e n Kapitel (1094 b 10-27; v g l . In 1 Eth. 1. 3, 32-36) darauf hinweist, daß an die Ar gumente der politischen Wissenschaft, zu der die Ethik g e h ö r t , nicht derselbe Exaktheitsmaßstab angelegt werden d ü r f e , der in anderen Wissenschaften wie etwa in den Be weisen der Mathematik gilt. Vielmehr müsse man sich nach dem jeweiligen Gegenstand r i c h t e n , und da habe es die Po litik mit zahlreichen Divergenzen und Irrtümern über d a s , was edel, gerecht und gut i s t , zu t u n .
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Die Voraussetzung, daß besondere Prämissen, die von den allgemein einleuchtenden Grundsätzen des Naturrechts nicht abzuleiten sind, also z . B . bürgerliche Begriffe von Gerecht und Ungerecht, konstitutiv neben jenen Grundsätzen in die moralische Urteilsbildung eingehen, wird von Thomas aber nicht konsequent durchgehalten. [ 1] Wenn er zugleich s a g t , das ursprüngliche Bewußtsein der praktischen Prinzipien widerspreche jeglichem Bösen und stimme allem Guten zu, es könne sogar eine falsche Anwendung seiner ihres Irrtums ü b e r f ü h r e n , beansprucht e r , aus den Prinzipien das p r a k t i sche Urteil über den Einzelfall ohne Rückgriff auf modifizie rende Sonderprämissen folgern zu können. 3 . Während die Beurteilung der praktischen Vernunft, sie gehe n u r pragmatisch, ohne hinreichende Begründung und Gewiß heit v o r , von Thomas im Hinblick auf seine Naturrechtstheo rie nicht aufrechterhalten werden k a n n , bleibt der d r i t t e Einwand gegen eine Funktion der praktischen Vernunft in d e r Philosophie, daß nämlich i h r Gegenstand nach Personen und Staaten verschieden zu bestimmen sei, mindestens in abgeschwächter Form bestehen: Die aus dem Naturrecht zu folgernden besonderen moralischen Urteile gelten in den meisten, aber nicht in allen Fällen. [2] Das Beispiel, das Thomas für diese These anführt, erscheint aber dem heutigen Leser wie ein Hinweis darauf, daß er nicht eine a b s t r a k t e , allgemein akzeptierbare Konzeption der Ethik zugrunde gelegt h a t , sondern von einer bestimmten Ethik ausging, der Kant gerade in der Frage der allgemeinen Geltung widersprochen h a t . Thomas will nämlich an dem Grundsatz, daß Deposita zurückgegeben werden sollen, zei gen, daß besondere Regeln der Moral in manchen Fällen nicht gültig sind: Wenn d e r , der das Geld zurückfordert, es zum Schaden des Staates verwenden will, wäre es schädlich und deshalb unvernünftig (irrationabile), es ihm zu geben. Da das allgemeine N a t u r r e c h t s p r i n z i p , von dem die besondere Regel ('Deposita sind zurückzugeben*) abgeleitet sein soll, b e s a g t , man solle vernünftig handeln (secundum rationem a g e r e ) , könnte Thomas auch folgern, daß praktische Ver nunft notwendig mit sich selbst in Widerspruch gerät und deshalb kein philosophisches Wissen b e g r ü n d e n k a n n . Er übergeht aber dieses grundsätzliche Problem, indem e r , gleichsam pragmatisch, von der praktischen Vernunft Anpas sung an die situationsbedingten "Hindernisse" (impedimenta) i h r e r konsequenten Realisierung v e r l a n g t . Kants Lösung, die Tauglichkeit zu einer allgemeinen Gesetz gebung zum Prinzip jeder moralischen Willensbestimmung zu 1
Ver.XVII 2, anders dagegen Ver.XVI 2, Ver.XVII 1 ad 1, 2 ad 6. Zu der entsprechenden Unklarheit im Begriff des theo retischen Beweises v g l . unten S.237-242. 2 I-II 94, 4
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machen, wird gerade auf diesem historischen Hintergrund als Ermöglichung widerspruchsfreier p r a k t i s c h e r Vernunft e r k e n n b a r . [1] Man kann sogar darin, daß Kants Ethik die u n eingeschränkte Geltung des moralischen Prinzips b e g r ü n d e t , die Einlösung von Thomas' methodischem Programm einer praktischen Philosophie sehen, die Thomas so gerade nicht verwirklicht h a t . Die praktische Philosophie soll sich nämlich nach Thomas von der theoretischen in der Methode u n t e r a n derem darin unterscheiden, daß sie nicht analytisch komplexe Wirkungen auf ihre einfachen Ursachen zurückführt, sondern umgekehrt von einfachen Prinzipien ausgeht und diese s y n thetisch auf komplexe Fälle anwendet. [2] Dieses Verfahren, das Thomas sonst n u r in der Mathematik angewandt sieht, [3] läßt aufgrund seines rein deduktiven Charakters keine Ein s c h r ä n k u n g gefolgerter besonderer Urteile auf die Mehrzahl ihrer Fälle zu, weil man dann in den ausgeschlossenen Fällen ein Prinzip annehmen müßte, das den Naturrechtsprinzipien, von denen die Synthesis ausging, entgegengesetzt i s t . Da Thomas es aber für unmöglich e r k l ä r t , die Ausnahmen wieder in einer Zusatzregel zu erfassen, [4] sie also keiner Verall gemeinerung für fähig hält, genügt ihm die synthetische Me thode nicht zur Beurteilung eines beliebigen Falles, sondern soll d u r c h eine Analyse der Situation nach verschiedenen Gesichtspunkten ergänzt werden. Wenn Thomas also an den Schlußfolgerungen der praktischen Vernunft die allgemeine Gültigkeit wissenschaftlicher Ergeb nisse vermißt oder, d a r ü b e r hinausgehend, das Gute ü b e r haupt relativ auf Individuen und Staaten bestimmt sein läßt, benennt er damit in der Tat einen Grund für seine Bewer tung der praktischen gegenüber der theoretischen Vernunft, einen Grund a b e r , der in der Inkonsequenz seiner eigenen 1
Kant führt das Depositumbeispiel zwar anders als Thomas ein, nämlich als Fall der Maxime, das eigene Vermögen durch alle sicheren Mittel zu v e r g r ö ß e r n , zeigt aber mit diesem Fall, daß jede Form des Utilitarismus, also auch Thomas 1 Gleichsetzung von schädlich und u n v e r n ü n f t i g , in sich wi dersprüchlich ist: Das Depositum wird n u r u n t e r der Bedin gung einer vorbehaltlosen Rück gabep flic ht gegeben, jede Verweigerung der Rückgabe hebt also ihre eigenen Voraus setzungen auf. Vgl. KpV A 49f 2 In 1 Eth. 1. 3, 35; In 6 Met. 1. 1, 1145; v g l . In 3 An. 1. 16, 845f; I-II 95, 2 3 Vgl. I-II 14, 5, in Zusammenhang mit: In 1 A n .p o s t . 1. 4, 43; In 6 Met. 1. 1, 1146; In 7 Met. 1. 2, 1305; In Trin.VI 1 ( 2 ) , Decker S.208f 4 I-II 94-4
9 Ethikentwürfe gegenüber seinem strengen Begriff von s y n thetischer Methode in der Ethik liegt. [1] 4. Das letzte der zitierten Argumente für Thomas' Einschätzung der praktischen Vernunft, sie könne nicht die höchste Wis senschaft h e r v o r b r i n g e n , da der Mensch nicht das höchste Wesen sei, wird schon durch Thomas selbst in Frage g e stellt. Er sagt einmal, nichts Bestehendes - außer Gott - sei größer als das vernünftige Bewußtsein, und meint damit "unseren Verstand". [2] Außerdem setzt jenes Argument v o r a u s , daß praktische Vernunft es ausschließlich mit dem zu tun h a t , was für den Menschen - gleich ob er als Art, Gruppe oder Individuum verstanden wird - als ein beson deres Wesen gut i s t . Demgegenüber hat Thomas selbst die Begründung besonderer moralischer Urteile in den allge meingültigen Naturrechtsprinzipien als Rekurs auf das b e griffen, was vom göttlichen Gesetz, d . h . von der göttlichen Weltregierung, die nichts von Gott Verschiedenes i s t , [ 3 ] abbildhaft für Menschen e r k e n n b a r i s t . [4] In diesem Zu sammenhang betont Thomas die Gleichheit der praktischen und theoretischen Prinzipien hinsichtlich ihres Abbildcha r a k t e r s einerseits und i h r e r Begründungsfunktion für das Denken a n d e r e r s e i t s ; die Prinzipien gelten nicht relativ auf die Menschen, sondern schlechthin. Man kann d a r ü b e r hinaus den Gegensatz dieser beiden Be trachtungsweisen auch in der Erkenntnistheorie wiederfin d e n . Damit ist nicht gemeint, Thomas habe theoretische Sätze als Wahrheiten n u r für Menschen auffassen wollen, s o n d e r n , daß er Erkennen bald wie einen teils beeinflußbaren, teils selbsttätigen Gegenstand, bald als logisch allen Einteilungen ontologischer Verschiedenheit vorangehend betrachtet h a t . 1
Eine wichtige Voraussetzung für diese Relativierung ist die aristotelische Kritik an der Idee des Guten, wenn n u r sie um ihrer selbst willen e r s t r e b t werde, sei sie als Form (eidos) bestimmter Güter funktionslos, wenn aber einige bestimmte Zwecke wie Vernunfterkenntnis, Wahrnehmung, Lust und Ehre als letzte Zwecke gälten, müsse jene Funktion sich d a r in erweisen, daß ein und derselbe Begriff des Guten in ihnen allen zum Ausdruck komme; weil sie aber auch, sofern sie Güter sind, verschieden begriffen werden, sei das Gute kein Gemeinsames im Sinn einer Idee (Eth.Nik. A 4, 1096 b 13-26; In 1 Eth. 1. 7, 91-94). Wie allerdings die anschlie ßende Überlegung, die Bestimmung 'Gutes' werde vielleicht analog g e b r a u c h t , deutlich macht, bleibt nach der Ablehnung der platonischen Idee die Möglichkeit eine allgemein v e r b i n d lichen Ordnung von Gütern ähnlich dem Kategorienschema noch offen. 2 I 16, 6 ad 1 3 I-II 9 1 , 1 und ad 3 4 I-II 93, 2; 9 1 , 2; 9 1 , 3 ad 1
10 Thomas hat beide Betrachtungsweisen selber unterschieden und festgestellt, daß man Intellekt und Willen gleichermaßen als Gegenstände (res) und partikuläre Vermögen und e n t sprechend der Allgemeinheit ihres Objekts (des Seienden und Wahren einerseits und des Guten a n d e r e r s e i t s ) , die durch nichts Allgemeineres mehr begrenzt wird, ansehen kann [1] Daß zwischen diesen für das neuzeitliche Problembewußtsein prinzipiell divergierenden Ansätzen nicht entschieden wird, ob und u n t e r welchen Voraussetzungen jeder von ihnen a n wendbar i s t , mag an dieser Stelle daran liegen, daß das Ver hältnis der beiden Bewußtseinsmomente Verstand und Wille zueinander bestimmt werden soll und nicht die Methode einer Wissenschaft vom Bewußtsein in Abhebung von Methoden der gegenstandsorientierten Wissenschaften. Thomas kann also nicht n u r die praktische Vernunft als ein Vermögen des begrenzten Wesens Mensch ansehen, sondern ebenso auch die theoretische, und zugleich faßt er auch die praktische Vernunft nicht ausschließlich in dieser Weise auf. Abgesehen von der Naturrechtstheorie gibt er einen Anhalts punkt dafür, indem er zeigt, daß der in seiner metaphysischen Allgemeinheit scheinbar über den menschlichen Bereich hinaus gehende Begriff des Zwecks n u r in Beziehung auf den mensch lichen Vollzug, sich selbst zu etwas, d . h . einer Handlung zu bestimmen, vollständig verstanden werden k a n n . [2] Denn, so argumentiert Thomas, n u r die Handlung wird im vollen Sinn wegen eines Zwecks ausgeführt, die auf einer Wahl b e r u h t . Die Erläuterungen, die er dazu gibt, entwickeln im Zusammenhang mit anderen Analysen des Willensbegriffs weiter, was mit "Un abhängigkeit des Willens vom unmittelbar Gegebenen" oben u n t e r 1. gemeint war: Die unbelebten Dinge erkennen den Zweck i h r e r Bewegung nicht und s t r e b e n ihm nicht zu, sondern wer den auf ihn gerichtet, die vernunftlosen Lebenwesen haben zwar eine (sinnliche) Erkenntnis vom Zweck, e r s t r e b e n ihn und die zugehörigen Mittel aber aufgrund einer "natürlichen Neigung und mehr getrieben als handelnd", die vernünftigen bestimmen sich dagegen auch dazu, den Zweck und seine Mittel zu begeh ren und brauchen deshalb keinen Bewegungsgrund mehr zu spezifischen Zwecken, der ihnen äußerlich wäre; ohne daß Tho mas es so a u s d r ü c k t , läßt er doch den Rekurs auf solches, das 1
I 82, 4 ad 1: "Intellectus dupliciter considerari potest: uno modo, secundum quod intellectus est apprehensivus entis et veri universalis; alio modo, secundum quod est quaedam res et particularis potentia habens determinatum actum. Et similiter voluntas dupliciter considerari potest: uno modo, secundum communitatem sui obiecti, prout scilicet est appetitiva boni communis; alio modo, secundum quod est quaedam determinata animae potentia habens determinatum actum." 2 In 5 Met. 1. 16, 1000; v g l . cG III 24, 2049
11 die Ausrichtung auf ein Ziel hin verleiht, bei dem frei wählen den vernünftigen Begehrungsvermögen zu einem Ende kommen. Diese Abhebung des vernünftigen Willens von anderen Weisen der Zweckbezogenheit soll e r k l ä r e n , daß nur ein wählendes Be wußtsein etwas für sich oder anderes zum Zweck machen k a n n , daß nicht das faktische Begehren, sondern primär das sich zum Begehren bestimmende Selbstbewußtsein den Sinn des Ausdrucks "wegen eines Zwecks handeln" erfüllt, während die anderen Formen der Zweckbeziehung e r s t aufgrund dieser Bedeutung verständlich sind. Als Grund für solches, das auf einen Zweck gerichtet oder instinktiv angelegt i s t , setzt Thomas deshalb auch in anderen Kontexten den vernünftigen Willen des Absolu ten v o r a u s , der diese Beziehung mit Bewußtsein zustande bringt - wenn man in der technomorphen Vorstellung bleiben w i l l . [ l ] Daß Wollen, sofern es heißt, sich zum Begehren eines Zwecks zu bestimmen, wesentlich Selbstbewußtsein i s t , macht Thomas selber deutlich, wenn er einmal den Willen, als reines Vermö gen, nicht als bestimmtes Wollen, sich immer präsent sein läßt, [2] und dann mit der wechselseitigen Implikation von Wol len und Erkennen e r k l ä r t , was Vernünftigkeit des Willens b e sagt: Der Wille hat nicht bloß ein Objekt, das der Wollende b e g e h r t , sondern erst als Intellekt hat der Wollende einen Begriff dieses Objekts, den Begriff des Guten, und zugleich eine Er kenntnis oder ein Bewußtsein seines Wollens;[3] und n u r das als gut Begriffene bestimmt den Willen. [4] Davon geht auch die angesprochene Konzeption der Zweckbezie hung a u s : Nach Thomas ist die animalische Bewegung auf ein Ziel hin so zu v e r s t e h e n , als ob ihr ein Urteil ü b e r das Ziel zugrunde liege, ein Urteil, das bloß als solches nicht für das sich bewegende Tier bewußt i s t , [5] während d a s , was an sich Zweck des Willens i s t , im Begriff auch für den Wollenden, i n sofern er Intellekt i s t , als Zweck und als etwas Gutes bewußt i s t . Thomas' Ausdrucksweise, das Tier verhalte sich so, als habe es ein Urteil über den Zweck, zeigt, auf welche Weise die Zweckbezogenheit an sich n u r aufgrund des Zweckbewußtseins zu begreifen i s t . Dieselbe Funktion, das Ansichsein einer Be ziehung aus ihrem Sein für das Bewußtsein zu e r k l ä r e n , hat das Urteil auch für den Wahrheitsbegriff, der in Thomas' Wis senstheorie entfaltet wird. [6] Auf diese Weise kann gezeigt werden, daß der Begriff des Selbstbewußtseins oder Fürsichseins eine wichtige Funktion 1 2 3 4 5 6
In 1 Met. 1. 15, 233; In 12 Met. 1. 12, 2634 I-II 9, 3 ad 2 I 82, 4 ad 1; 16, 4 ad 1; 82, 3 I 82, 3 ad 2; v g l . unten S.284 Anm.2 " . . . movent seipsa localiter ad finem tamquam iudicium habentes de fine", In 5 Met. 1. 16, 1000 Vgl. In 6 Met. 1. 4, 1235ff; In 1 Perih. 1. 3,31; I 16, 2; s . unten S.27f, S.335-338
12 auch für das Verständnis von Thomas' Philosophie h a t , obwohl Thomas von diesem Begriff keineswegs so grundlegend ausgeht wie die neuzeitliche Tradition seit Descartes. Diese Differenz ist wesentlich, weil Thomas in seiner theoretischen Philosophie dem Ansatz beim Selbstbewußtsein andere gegenüberstellt, die im Substanzbegriff konvergieren, die praktische Philosophie aber nicht methodisch konsequent aus dem Begriff des Guten als des bewußt gewählten Zweckes entwickelt. Wenn man sagen k a n n , daß die gegenläufige Tendenz sogar do miniert, das Gegebensein von Gegenständen an ihnen selbst als Wahrheitsprinzip und dementsprechend auch unmittelbar an sich bestehende teleologische Prozesse anzunehmen, dann ist es nicht verwunderlich, daß die gegenstandsbestimmende Funktion der praktischen Vernunft auf menschliche Zwecksetzungen begrenzt und die praktische demzufolge der theoretischen Vernunft u n tergeordnet werden k a n n . Für Thomas selbst reichen also die Gesichtspunkte, die sich aus dem stoischen Naturrechtsdenken und aus seiner eigenen Ver weisung von Zwecken ü b e r h a u p t auf den selbstbewußten Willen e r g e b e n , nicht zu einer Revision der traditionell aristotelischen Einschätzung der praktischen Vernunft a u s . Die erhebliche Dif ferenz zwischen Aristoteles' Begriff von praktischem Wissen, es werde als bloßes Mittel für lebensweltlich schon festgelegte Zwecke g e b r a u c h t , und der vernünftigen Reflexion auf p r a k t i sche Gesetze im Sinne der Stoa, insbesondere Ciceros, arbeitet Thomas nicht auf. So enthält sein Werk implizite Einwände gegen die behauptete Inferiorität der praktischen Vernunft, ohne diesem kritischen Potential gerecht zu werden und die imma nente Spannung mit historischen Hinweisen auf die u n t e r s c h i e d lichen Fragestellungen d e r Quellen oder mit systematischen Ar gumenten auszugleichen. 3 . Der Primat der theoretischen Vernunft als ein Fall systema tischer Reduktion Wenn praktische Vernunft aufgrund wesentlicher Mängel gegen über der theoretischen die Erste Philosophie nicht prägen kön nen soll, so könnte man daraus schließen, daß die im Sinne rei ner Theorie konzipierte Erste Philosophie von jedem praktischen Moment frei sei. Es dürfte leicht zu überblicken sein, daß Aristeteles und Thomas diese Konsequenz de facto nicht gezogen haben: Der Begriff der Zweckursache, die Kennzeichnung des Guten als Implikation des Seins und die Verbindung des Glücks begriffs mit der theoretischen Erkenntnis ü b e r h a u p t und i h r e r höchsten Stufe, der Weisheit, im Besonderen brauchen n u r g e nannt zu werden. [1] 1
Zur Weisheit als höchstem Glück s . Eth.Nik. 7, 1177 2127; Thomas, In 10 E t h . 1. 10, 2090ff
13 Aber die Bestimmung der Thematik der Ersten Philosophie, daß sie das Seiende als solches b e t r a c h t e , [ 1] und mehr noch ihre weitgehende, wenn auch nicht vollständige Ausführung als eine Theorie der Substanz zeigen eine dominierende Tendenz, die dem Eingeständnis im Weg s t e h t , daß Erste Philosophie sich in sowohl theoretischen wie auch praktischen Zusammenhängen des Denkens bestimmt und deshalb ohne praktische Beziehungen auf das menschliche Leben weder im Ganzen noch im Detail hinrei chend zu verstehen i s t . Jene Tendenz soll im Ganzen der v o r liegenden Arbeit anhand eines Prinzipienbegriffs u n t e r s u c h t werden, der zwar nachweislich u n t e r dem Einfluß auch p r a k tischer Momente gebildet wurde, aber wesentlich die Dynamik h a t , sich gegenüber einer solchen konstitutiven Beziehung zu verselbständigen: Thomas führt in ganz verschiedenen, aber oft thematisch grundlegenden Fragen Zusammenhänge, Beziehungen, Verhältnisse und Abhängigkeiten auf letzte selbständige, also an ihnen selbst auf anderes nicht mehr verweisende Einheiten zu rück und spricht folgerichtig solchen selbständigen Begriffen oder Entitäten den Charakter des Primären, Prinzipiellen und höchst Realen zu. Daß auch reine Theorie im Unterschied zur praktischen Vernunft, die auf Handlungen abzielt, als eine sol che unabhängige Einheit v e r s t a n d e n werden soll, liegt in i h r e r Kennzeichnung als Selbstzweck. 1. Dieser Fall ist nicht schlecht geeignet, die Ambivalenz des angewandten Prinzipienbegriffs zwischen seiner auch p r a k tisch bedingten Konstitution und der dann mit ihm v e r b u n denen Intention einer selbständigen Theoriebildung zu illu s t r i e r e n . Denn im Proömium seines Metaphysikkommentars b e gründet Thomas eine Abhängigkeit aller Wissenschaften von der Ersten Philosophie aus ihrem gemeinsamen Zweck, der manschlichen Vervollkommnung. Das entscheidende Argument gehört in die praktische Philosophie: Wenn mehrere sich auf dasselbe Ziel beziehen, muß eines sie leiten. Piatons Wissens begriff, der einerseits sich gegen den unmittelbaren und u n kritischen Wissensgebrauch im Sinn der Sophisten wendet und andererseits doch den praktischen Kontext wahrt, wird unausgesprochen v o r a u s g e s e t z t , wenn der Wissenschaft, die in höchstem Maß Erkenntnis vermittelt, diese Leitungsfunk tion zugesprochen wird. Wenn auch die angestrebte Vollkom menheit selber in Wissen bestehen soll, [2] zeigt doch die Verwendung des Terminus 'Leiten' ( r e g e r e , regulare) und des Beispiels von Herr und Knecht, daß die Selbständigkeit der Ersten Philosophie sie n u r relativ von den anderen von ihr geführten Wissenschaften a b h e b t , beide Seiten dieses Verhältnisses aber zum willentlichen Verfolgen eines Zweckes gehören, also nicht allein aus Begriffen des theoretischen 1 2
Vgl. dazu unten S.18ff, 168ff In 1 Met. 1. 1, 2
14 Wissens selber zu verstehen s i n d . [ l ] Weil es im Text offen sichtlich n u r auf die führende Rolle der Ersten Philosophie gegenüber den andern Wissenschaften ankommt, wird nicht darauf reflektiert, daß die These, reines Wissen sei Selbst zweck, die Untrennbarkeit von Wissen und Wollen enthält, insofern schon Zweck allein, gleich ob etwas Selbstzweck ist oder seinen Zweck in einem anderen h a t , nicht anders als mit Bezug auf vernünftiges Wollen gedacht werden k a n n . 2. Das Interesse an einer Wissenschaft von den Prinzipien, die selbst den Begriff des Prinzips erfüllt, nicht wesentlich auf anderes bezogen zu sein, und deshalb zweckfreie Theorie i s t , wird sich seiner selbst in seinem praktischen Charakter nicht bewußt und kann n u r so ungehindert an seinem Ziel festhalten. Ordnete Erste Philosophie sich selbst auch in praktische Vernunftzusammenhänge ein, so würde das für Thomas ihre strukturelle Bestimmtheit als lebensweltlich u n g e b u n d e n e s , weil zweckfreies Wissen in Frage stellen. Was die Anerkennung eines praktischen Bezugs für Thomas b e deutet h ä t t e , wird an der Bestimmung eines Zwecks für die praktische Philosophie deutlich: Sie soll die Erkenntnis des Lebenszwecks leisten, die für den menschlichen Lebensvoll zug unentbehrlich i s t . [2] Diese Philosophie gehört also sel ber zur Praxis, Thomas könnte sagen, in dienender Funktion für etwas außerhalb i h r e r Liegendes, und ist für seine Be trachtungsweise ebensowenig frei wie technische Wissen schaft; frei ist n u r die Wissenschaft, deren Zweck in i h r selbst liegt. [3] Was reines Wissen i s t , wird derart durch 1
Aristoteles geht in seiner weit ausholenden Heranführung an einen Begriff von Erster Philosophie sogar so weit zu sagen, führend u n t e r den Wissenschaften sei diejenige, die e r k e n n e , worum willen ein jegliches getan (prakteon) werden müsse, also sein besonderes Gutes e r k e n n e , und zugleich das höch ste Gut in der Wirklichkeit ü b e r h a u p t , s . Met. A 2, 982 b 4-10. Hier wird auch der Zusammenhang mit dem Prinzipien thema hergestellt: Das Gute und der Zweck sei ja einer d e r Gründe. Von dieser Konzeption hat die überlieferte Fassung der "Metaphysik" n u r den Begriff eines höchsten Zweckes im zwölften Buch ausgeführt, sich sonst aber in der Regel an das Programm einer reinen Theorie gehalten. 2 In 1 Eth. 1. 2, 23ff, 31; wie schon gesagt, soll das spekula tive Wissen allerdings der vollkommene Vollzug dieses Zwecks sein. 3 In 1 Met. 1. 3, 58f, als Kommentar zu Met. A 2, 982 b 24-30. Einem anderen Text zufolge machen die Hinordnung auf e t was überhaupt und die Gebundenheit an eine zeitlich b e stimmte Situation den Unterschied des praktischen Wissens gegenüber dem theoretischen a u s , das allein die Prinzipien um i h r e r selbst willen erforsche, s. Met. α 1 , 993 b 19-24. -
15 einen Vergleich mit menschlicher Freiheit begriffen, die darin bestehe, daß man n u r für sich selbst und nicht für einen anderen da i s t . Damit wird als Kriterium reiner Theorie ein Wertmaßstab an Erkenntnisse angelegt, der selbst nicht in diesem Sinn theoretisch, sondern durch historisch-politische Erfahrung gewonnen ist. Der Text wendet sich an ein Be wußtsein, für das Freiheit wie selbstverständlich ein Gut i s t , das es im praktischen Leben zu erhalten gilt, und weil er diese ethisch-politische Wertschätzung voraussetzen kann, macht er die Zielsetzung einleuchtend, man solle auch als Wissender die Freiheit verwirklichen, die man im praktischen Zusammenhang als eine Grundlage menschlicher Gemeinschaft ansieht. [ 1] Wenn Thomas auch auf dem Hintergrund dieses Ideals die praktische von der Ersten Philosophie a b g r e n z t , bleibt doch unberücksichtigt, was für Platon Motiv des Philosophierens überhaupt war und auch noch in der Konzeption, Philosophie solle den Lebenszweck bestimmen, enthalten i s t , daß nämlich philosophische Einsichten die Lebenswirklichkeit v e r ä n d e r n sollen, d . h . daß die von Thomas angeführte Abhängigkeit der praktischen Philosophie vom Leben ebenso umgekehrt gilt und Theorie und Praxis deshalb n u r v o r d e r g r ü n d i g als ein ander äußerlich erscheinen. 3 . Vorausgesetzt also, es läßt sich in der von Aristoteles b e gründeten und von Thomas aufgenommenen Ersten Philoso phie eine vorherrschende Tendenz nachweisen, komplexe Zu sammenhänge auf einfache, selbständige Einheiten als ihre jeweils letzten Grundlagen zurückzuführen, dann scheint die Anwendung dieses Modells auf die Philosophie selbst zu e r g e b e n , daß die freie, als Selbstzweck betriebene Spekulation eher zu einer Grundlage aller Philosophie taugt als die we sentlich auf das Leben bezogene praktische Reflexion. Das bedeutet auch, daß das Eingeständnis praktischer Aspekte an der angeblich reinen Spekulation einmal ihre F ü h r u n g s rolle im Ganzen und zum anderen die Unabhängigkeit b e stimmter "Letztprinzipien" gefährdet, wie sie die Erste Phi losophie z . B . in der Substanz und im unbewegten Beweger Der Vergleich mit Kant drängt sich auf: Auch er bezieht die praktische Philosophie in die Praxis ein, aber als Pflicht, also in den Zusammenhang solcher subjektiven Nötigungen, die ein begründetes Bewußtsein der Freiheit erst ermögli chen, s . Verkündigung des nahen Abschlusses eines Trak tats zum ewigen Frieden in der Philosophie, A k a d . - A u s g . B d . 8 , S.417, " . . . eine Philosophie, deren Lehre nicht etwa (wie Mathematik) ein gutes Instrument (Werkzeug zu belie bigen Zwecken), mithin bloßes Mittel, sondern die sich zum Grundsatz zu machen, an sich selbst Pflicht i s t . " 1 Eth.Nik. E 10, 1134 a 26-30
16 aufstellt. Allerdings ist das theoretische Modell der Reduk tion auf unabhängige Einheiten nicht allein aus praktischer Vernunft in Frage zu stellen - die vorliegende Arbeit soll gerade zeigen, daß auch die Selbstreflexion der theoreti schen Vernunft zu dieser Problematisierung führt. Aber im merhin läßt Thomas e r k e n n e n , daß die praktische Vernunft eine solche Funktion haben k a n n . Auf der anderen Seite r e lativiert nicht grundsätzlich jede praktische Reflexion zuvor schon als selbständig gesetzte, letzte Begründungsinstanzen, indem sie deren eigene Abhängigkeit von Wertvorstellungen (wie Freiheit) oder Zwecken (wie Vollkommenheit) nachweist. Das wird deutlich, wenn etwa der Zweck als ein jeweils letz ter Grund verstanden w i r d [ l ] oder alle moralischen Urteile auf Naturrechtsprinzipien zurückgeführt werden. In beiden Fällen reduziert praktische Vernunft ihrerseits B e g r ü n d u n g s zusammenhänge auf selbständige, einfache Prinzipien. Daß dennoch der Begriff des Praktischen selber für Thomas eher als der des Spekulativen wesentliche Bezogenheit und damit auch Abhängigkeit[2] impliziert, sollen die folgenden Überle gungen weiter verdeutlichen: a) Mit dem Begriff des ordo, der sowohl Beziehung wie auch System, S t r u k t u r besagt, hat Thomas die zur Diskussion stehende Differenz von Reduktion auf unabhängige Einheiten und Relationalität im Sinn von nicht reduzierbarer Abhängig keit explizit thematisiert. Unter Berufung auf Aristoteles macht er am Beispiel eines Heeres deutlich, daß die Zuord n u n g der Soldaten aufeinander (ordinatio p a r t i u m ) , mit der die gemeinsame Zweckbezogenheit und Gliederung des ganzen Heeres v e r b u n d e n i s t , von der jeweiligen Beziehung der ein zelnen Geordneten auf den Anführer a b h ä n g t , der dem g e ordneten Ganzen g e g e n ü b e r s t e h t . [ 3] 1
Vgl. bei Aristoteles Phy. 7, 198 35 - b 5; 9, 200 32ff; Met. Λ 7, 1072 26 - b 4; bei Thomas In 1 A n .p o s t . 1. 16, 139; In 2 A n .p o s t . 1. 8, 481; In 1 Met. 1. 3 , 59; In 1 Eth. 1. 2, 25. 2 Ver. XXI 1 3 Aristoteles, Met. 10, 1075 11-19; Thomas, In 12 Met. 1. 12, 2627-2632; In 1 Eth. 1. 1, 1. Daß mit den Beziehungen innerhalb des Ganzen wechselseitige Abhängigkeiten gemeint sind, schließe ich d a r a u s , daß sie der einsinnigen Beziehung auf das als äußerlich gedachte Prinzip gegenübergestellt wer den, wofür im Ethikkommentar auch der Terminus 'adinvicem' steht; handelte es sich ebenfalls um einsinnige Abhängigkei t e n , so ergäben sich n u r Kausalreihen, aber keine Zuordnung von Gliedern verschiedener Reihen zueinander. - Daß die Relata zunächst einzeln und nicht schon als Ganzes auf das Prinzip bezogen sind, wird im Metaphysikkommentar (2629) mit dem Hinweis auf die Übereinstimmung gezeigt, die d u r c h
17 Indem so die gegenseitige Zuordnung von Teilen zu einem funktionalen Ganzen mit i h r e r einsinnigen Beziehung auf eine selbständige, nicht ihrerseits abhängige Größe außerhalb des Ganzen begründet wird, setzt sich das Modell der Reduktion auf unabhängige Einheiten gegen eine alternative Idee von einem Beziehungsgefüge d u r c h . Thomas hat diese Differenz von S t r u k t u r e n nicht, wie es für die vorliegende Frage besonders aufschlußreich wäre, auf die theoretische und praktische Vernunft angewandt und deren Verhältnis nach ihrer jeweiligen Zuordnung zu durchgängiger Relationalität oder zum Reduktionsmodell bestimmt. Betrachtet man aber seinen Versuch, das Reduktionsmodell auf die Ver gesellschaftung der Menschen zu beziehen, so wird die I n adäquatheit dieses Schemas im Bereich gesellschaftlich-poli tischen Handelns, also der Praxis, leicht e r k e n n b a r . Thomas geht nämlich einmal von einer s t r i k t e n Unterscheidung indi vidueller und gemeinsamer Zwecke aus und b e h a u p t e t , die Individuen betrieben n u r ihren privaten Nutzen, so daß d e r Bestand der Gesellschaft von einer Leitung a b h ä n g e , die al lein das Gemeinwohl zu v e r t r e t e n habe. Der innere Frieden als e r s t e r politischer Zweck wird folgerichtig als eine den Individuen d e r a r t gleichgültige Einheit v e r s t a n d e n , daß e r am ehesten durch die numerische Einheit des Regierenden gewährleistet sein s o l l . [ l ] Weil diese Skizze der Voraussetzungen von politischer Philo sophie die Notwendigkeit der Monarchie b e g r ü n d e n soll, wird an ihr besonders deutlich, daß Thomas' Verfahren, einen Zusammenhang durch eine selbständige Einheit zu b e g r ü n d e n , in dem, was da zusammengefaßt werden soll, nichts anderes als gerade solche unabhängigen, gegeneinander gleichgültigen Einheiten v o r a u s s e t z t . Mit der These, daß sich die Menschen bloß z e r s t r e u t e n , wenn sie ihren individuellen Interessen folgten, ist das klar a u s g e d r ü c k t . Man könnte deshalb von einer petitio principii s p r e c h e n , wollte man Tho mas eine Beweisabsicht zugunsten der Priorität selbständiger Einheiten unterstellen, die Beziehungen und S t r u k t u r e n e r s t ermöglichen. Aber auch wenn Thomas n u r die Implikationen des Ordobegriffs am Fall des monarchischen Staates d a r s t e l len wollte, bleibt festzuhalten, daß er S t r u k t u r und System entsprechend dem akzidentellen Charakter der Relation nach Aristoteles zweifach von substantieller Einheit abhängig d e n k t , nämlich von den selbständig angesetzten Elementen und der sie ordnenden, ihnen hier in der Person des Königs gegenüberstehenden Zweckursache. Beziehung auf das Prinzip entsteht und ihrerseits die wech selseitige Zuordnung der Teile b e g r ü n d e t . Zu einem Ganzen stimmten seine Teile schon unabhängig von einer äußeren Beziehung überein. 1 R e g . p r i n c . I 1, 740, 744f; I 3, 750-753.
18 Daß dieser Ansatz für die Konstitution menschlicher Gesell schaft gerade kein Interpretationsmodell h e r g i b t , ist Thomas' eigenen Erläuterungen über die Gesellschaftlichkeit der Men schen zu entnehmen, die viel eher als Voraussetzung der politischen Philosophie einleuchtet [1] „ In demselben Zusam menhang ist also zu lesen, daß die Menschen als Mängelwesen auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind, nicht bloß zur Be friedigung unmittelbarer Lebensbedürfnisse, sondern ebenso zum vollkommenen Leben als Vernunftwesen in einer Sprachund Rechtsgemeinschaft, die ü b e r Gerechtigkeit redet und ihre Glieder zu deren tätiger Achtung e r z i e h t [ 2 ] . Die Indi viduen sind also gar nicht selbständige Einzelwesen, ihre Isolierung d u r c h Zerstreuen wäre ihre auch physische Selbstaufgabe. Also ist die menschliche Interdependenz, die wesentliche Relationaleät der Einzelnen, konstitutiv für die Vergesellschaftung der Menschen und Voraussetzung für das politische Problem der Organisation und Leitung. Wenn Tho mas die beiden im Begriff des ordo gedachten Verhältnisse, einsinnige und wechselseitige Abhängigkeit, gerade umge kehrt als Grund und Folge bestimmt, ist dieses Schema auf das Verhältnis von Menschen zueinander und die dazu g e hörenden Handlungen nicht anwendbar, sondern von der gestellten Aufgabe, die Funktion eines Königs zu bestimmen, nahegelegt worden. b) Die praktische Philosophie ist dadurch gekennzeichnet, daß zunächst mindestens zwei i h r e r Teile, Ökonomik und Politik, schon mit ihren Gegenständen, der Hausgemeinschaft und dem Staat, das Problem der Konstitution von zweckbe zogenen Ordnungen zum Thema haben. [3] Mit dem Gegen stand der Moralphilosophie ü b e r h a u p t , dem willentlichen, zweckgerichteten Handeln, [4] ist eine relationale Bestimmung[5] zum Ausgangspunkt gemacht, die aufgrund i h r e r Bezüglichkeit und Komplexität selber nicht zum einfachen Bezugspunkt einer Mannigfaltigkeit von zu s t r u k t u r i e r e n d e n Elementen entwickelt werden k a n n , wie Aristoteles die S u b stanz zum begründenden Bezugspunkt d e r Kategorien e n t wickelt h a t . Vom Willen bestimmtes Handeln ist vielmehr selbst vom e r kannten und gewählten Zweck abhängig. Da man sich etwas n u r deshalb zum Zweck macht, weil man es als gut beurteilt, können Aristoteles und Thomas das Gute überhaupt als das Objekt des Willens v e r s t e h e n . [6] Wenn daher Wille und Intel1 2 3 4 5 6
In 1 Eth. 1. 1, 4; R e g . p r i n c . I 1, 741ff S.a. In 1 Pol. 1. 1, 37; v g l . II-II 129, 6 ad 1 In 1 Eth. 1. 1, 5f In 1 Eth. 1. 1, 2f Vgl. In 5 Met. 1. 17, 1002 Eth.Nik. A 1, 1094 a 2f; In 1 Eth. 1. 1, 9f
19 lekt u n t e r dem Titel Gutes - Wahres, wie ihr jeweiliges for males Objekt heißt, aufeinander bezogen werden, geht es auch um eine grundsätzliche Selbstbestimmung der theoreti schen und praktischen Philosophie. Dabei zeigt sich, daß das Gute als Inbegriff aller Zweckursachen - ungeachtet deren Stellung an der Spitze d e r Ursachentypen - wesentlicher als das Wahre, das eher für sich oder selbständig gedacht wird, durch die Beziehung bestimmt scheint, in der jeder Grund zu seinem Begründeten steht; und deshalb ordnet Thomas den Gegenstand des Willens dem des Verstandes u n t e r . [1] Spekulative wie praktische Philosophie haben Grund-FolgeVerhältnisse zum Thema, aber von den Bewegungsursachen z . B . , die die Naturphilosophie ermittelt, kann behauptet werden, i h r Ursachesein sei für sie nicht konstitutiv; genau das besagt der aristotelische Begriff vom Prinzip als dem F r ü h e r e n , das auch ohne das aus ihm Folgende sein k a n n . [2] - Ein als solcher bewußter Zweck dagegen existiert nicht u n abhängig von seiner Beziehung auf den Willen, sondern b e kommt erst durch das Handeln Realität, also g e r a d e , indem d e r vernünftige Wille sich durch ihn bestimmten l ä ß t . [ 3 ] So kann man es sich e r k l ä r e n , daß Thomas das Gute g r u n d s ä t z lich d u r c h die Kausalitätsrelation bestimmt sieht und deshalb der Verstandeserkenntnis, obwohl auch sie sich in Begrün dungszusammenhängen bewegt, Vorrang vor dem Willen gibt. Das aber muß die Zuordnung von praktischer und spekula tiver Philosophie beeinflussen. c) Diese Annahme wird von Thomas da b e s t ä t i g t , wo er die verschiedenen Bereiche des Wissens als Systeme (ordines) zum Verstand in Beziehung s e t z t . [4] Was das theoretische 1
I 82, 3 ad 1: " . . . ratio causae accipitur secundum comparationem unius ad alterum, et in tali comparatione ratio boni principalior invenitur: sed verum dicitur magis absolute et ipsius boni rationem significat. " Dies erhellt auch den Sinn der entscheidenden Passage des c a . , die ihrerseits die Prio rität des Wahren unmißverständlich festlegt: "Obiectum enim intellectus est simplicius et magis absolutum quam obiectum voluntatis . . . Quanto autem aliquid est simplicius et a b s t r a c tius tanto secundum se est nobilius et a l t i u s . " 2 Met. Δ 11, 1019 a 1-4; zur Erläuterung des Substanzbe griffs wird dieser Sinn vom Prinzip u n t e n , S.83f, b e h a n delt. 3 Thomas unterscheidet den Zweck, sofern er als Vorstellung den Willen bestimmt (in intentione), von seiner Ausführung (executio) durch das vom Willen geleitete Handeln (actio) (I-II 1, 1 ad 1; 1, 2 ) . Als Gegenstand des Handelns, eines akti ven Vermögens, das ein gegebenes Material v e r ä n d e r t , wird der ausgeführte Zweck, der zuerst als Grund fungiert, selbst zugleich zur Wirkung (effectue) (I-II 18, 2 ad 3 ) . 4 In 1 Eth. 1. 1, lf
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Wissen angeht, u n t e r dem hier Naturphilosophie und Meta physik verstanden sind, so ist es entsprechend anderen zu sammenfassenden Äußerungen[ 1] damit gekennzeichnet, daß der Verstand das System seiner Gegenstände, ohne es h e r v o r z u b r i n g e n , b e t r a c h t e t . Dieses Wissen, so kann man fol g e r n , beruht auf einer einsinnigen Abhängigkeit des Ver standes von unabhängig von ihm gegebenen Systemen. Von den drei anderen Wissensbereichen, Logik, Moralphilosophie und technischen Wissenschaften, sagt der Ethikkommentar, daß d e r Verstand ihre Systeme d u r c h Betrachten h e r v o r bringt (considerando facit). Für eine Betrachtungsweise, die Grund und Folge immer auf verschiedene Momente, wenn schon nicht T r ä g e r , verteilen will und Wechselwirkungen wie die zwischen Intellekt und Wille nach Hinsichten differen ziert, muß eine solche Formulierung p a r a d o x , das Gemeinte widersprüchlich sein; denn was der Verstand betrachten können soll, muß, so scheint e s , dem Betrachten jedenfalls logisch vorausliegen und kann nicht e r s t d u r c h es e n t s t e h e n . Allerdings impliziert das von Thomas gewählte 'considerare' nicht bloß Rezeptivität, sondern auch Reflexion im Sinn von 'erwägen', 'überlegen ! . Insofern Reflexion Meinun gen und Vorstellungen korrigiert und dabei produktiv i s t , indem sie Argumente und Begriffe dem jeweiligen Vorver ständnis gegenüberstellt, kann man in Thomas' Ausdruck 'considerando facere' eine zutreffende Charakteristik der Reflexion sehen, die zugleich Betrachten i s t , d . h . nicht Ausdenken von Beliebigem, sondern einem als notwendig e r kannten Zusammenhang folgt. Thomas' Unterscheidung, daß die theoretische Philosophie ihr System bloß betrachtet - oder reflektiert, das spielt in der Gegenüberstellung keine Rolle - , die Logik und Moralphilo sophie dagegen betrachtend ihre Systeme produzieren, u n terstellt, daß man von Produktivität der Reflexion n u r im praktischen und logischen Bereich sprechen könne. Daher ist diese Stelle trotz des Doppelsinns von ! considerare T so zu i n t e r p r e t i e r e n , daß Moralphilosophie und Logik auf einer wech selseitigen Konstitution von Erkenntnis und Gegenstand b e r u h e n , die nicht in einfachere Abhängigkeitsverhältnisse auf zulösen i s t , spekulative Erkenntnis und Philosophie dagegen dadurch zustande kommen, daß ein unabhängig vom Erken nen bestehendes System den Verstand einsinnig bestimmt. Das Schema der Reduktion auf selbständige Einheiten oder Gründe scheint n u r auf theoretische Erkenntnis anwendbar zu sein, die praktische ihm zu widersprechen. 4. Wie schon anhand des Freiheitsbegriffs bemerkt, hatte die Auszeichnung reiner Theorie ursprünglich selber praktische Voraussetzungen. So soll die vollkommene theoretische Er kenntnis nach Aristoteles eher als ethische Vollkommenheit 1
Z . B . Ver. I 2
21 das Postulat der Selbstgenügsamkeit (Autarkie) erfüllen, das er mit dem Begriff des Glücks als des n u r um seiner selbst willen gewollten letzten Zweckes v e r b u n d e n h a t . [ l ] Zwar b e antwortet Aristoteles die zunächst allgemein, also noch nicht in Hinblick auf Theorie gestellte F r a g e , ob zum Glück Freun de notwendig seien, u n t e r Berücksichtigung einer Reihe von Argumenten positiv und nennt Freunde das größte äußere Gut des gesellschaftlichen und von Natur zum Zusammenleben neigenden Menschen. [2] In zwei Argumenten für die Zugehö rigkeit der Freundschaft zum Glück ist ausdrücklich vom Tun (praxis) die Rede, wenn Freunde als vorzügliche Adres saten g u t e r Taten, wie sie zur Tugend gehören, genannt werden und es andererseits von der Anschauung guter Ta ten heißt, daß sie eher an Freunden als für das Selbstbe wußtsein möglich und die Freude über sie in der Gemein schaft kontinuierlicher als in der Einsamkeit s e i . [ 3 ] Das fol g e n d e , von Aristoteles selbst als grundsätzlicher verstandene Argument, wie das Erleben des eigenen erscheine auch das des guten Lebens eines Freundes als ein Gut und sei ein unmittelbares Objekt des Willens, ist dagegen nicht mehr vorrangig auf Tun, sondern ausdrücklich auf Erkenntnis überhaupt bezogen. Denn das Bewußtsein seiner selbst als eines Wahrnehmenden und Denkenden soll das unmittelbar Lustvolle und Gewollte sein, und in demselben Sinn werde auch das Sein des Freundes gewollt, also als "Zusammenleben und Gemeinschaft in Reden und Gedanken". [4] Aber bei der weitergehenden und abschließenden Bestimmung des Glücks grenzt Aristoteles die reine Theorie als das menschliche Tun und Glücklichsein vom praktischen Handeln a b , das relativ am wenigsten Mittel brauche u n d , wenn es auch gemeinsam mit anderen besser sein möge, doch weniger auf Intersubjektivität angewiesen sei als praktische Tugenden wie Gerechtigkeit und Tapferkeit, weil der Weise auch für sich allein der Theorie nachgehen könne. [5] Unter dem Gesichtspunkt der Autarkie widersprechen auch weitere Texte dem grundsätzlichen Argument zugunsten d e r Einbeziehung der Freundschaft in den Glücksbegriff, wenn dem reinen Erkennen als einem göttlichen Akt einerseits die praktisch-politischen Tugenden und das Zusammenleben vie ler Menschen, in dem sie sinnvoll sind, als die vieler Mittel bedürftige, n u r menschliche Möglichkeit, glücklich zu wer1
Eth.Nik. A 5, 1097 b 5-21; 7, 1177 22 - b 1; 8, 1178 b 1-8; v g l . Thomas, In 10 Eth. 1. 10, 2093-2096 2 Eth.Nik. I 9, 1069 b 8-22 3 Ebenda, 1069 b 10-13, 1069 b 30 - 1070 11 4 Eth.Nik. I 9, 1170 25 - b 14. Weniger entschieden zugun sten der theoretischen Bedeutung der Freundschaft sind die Formulierungen in 12, 1171 b 29 - 1172 3, 1172 11-14. 5 Eth.Nik. 7, 1177 25 - b 1
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d e n , andererseits gegenübergestellt werden. [1] In demselben Zug, mit dem das menschlich-praktische Glück auf den zwei ten Platz gerückt wird, gilt auch menschliche Intersubjektivität n u r in diesem Zusammenhang als konstitutiv und ist von einer auf Theorie bezogenen Freundschaft n u r insofern die Rede, als sie die Götter mit den sich ihnen ähnlich ma chenden Weisen v e r b i n d e . Zu dem philosophisch begründeten höchsten Lebensideal gehören also nach Aristoteles weder politisches Handeln, das Platon jedenfalls zur Pflicht der Philosophen in einem gerecht verfaßten Staat erklärt h a t t e , noch als ein notwendiges Moment der reinen Theorie Zusam menleben und Gespräch, soweit es darauf ankommt, die n u r dem Weisen erreichbare Selbstgenügsamkeit, also gleichsam eine praktische Form d e r Unabhängigkeit von Beziehungen auf anderes oder Selbständigkeit, zum Kriterium des Glücks zu machen. Insofern der philosophische Dialog auch selber ein Moment gemeinsamen Handelns h a t , bestreitet eine Theorie, die ihn für unwesentlich e r k l ä r t , zugleich einen Zusammenhang von Praxis und Erkenntnis und jede Begründung der Wahrheit aus der offenen Dynamik gegensätzlicher und doch i n t e r d e p e n d e n t e r Positionen, wie sie das Gespräch ausmachen. Die Konsequenz der aristotelischen Alternative bestätigt aber gegen ihre Intention ex negativo diese Verknüpfung, da sie einerseits u n t e r der praktischen Fragestellung die Möglich keit des selbstgenügsamen Weisen - im Kontrast zu Piatons Bild einer intellektuellen Geburtshilfe[ 2] - , andererseits auf theoretischem Feld Substanzen als selbständige Bezugspunkte aller Aussagen und unmittelbar an ihnen selbst einleuchtende Prinzipien als Grund d e r Gewißheit des Wissens[3] annimmt. Denn so will sie, was Wahrheit heißen soll, in einem geschlos senen deduktiven System, was Realität, in einer unmittelbar erscheinenden Substanzenvielheit unabhängig von dialogi schen Prozessen festlegen. Die angestrebte praktische Unab hängigkeit des Philosophen taucht aber in der Theorie mit der These von d e r Selbständigkeit der Prinzipien wieder auf. So hat die aristotelische Metaphysik, von der Thomas a u s ging, eine im Autarkiebegriff der praktischen Philosophie begründete Ablehnung der dialogischen Konzeption der Er kenntnis zu einer i h r e r Bedingungen, ist also keineswegs r e i n e , sich selbst erklärende Theorie, wie sie b e a n s p r u c h t . Für ihre Interpretation kann man daraus die Konsequenz ziehen, ihre Probleme, Argumente und Lösungen nicht n u r in 1
Eth.Nik. 7, 1177 b 16-31; 8, 1178 34 - b 32; 9, 1179 22-32. 2 Die Mäeutikmetapher, The. 150 b - 151 d, wird in dem Sinn, daß n u r in Frage und Antwort Wahrheit erschlossen werden k a n n , von dem erkenntnistheoretischen Exkurs des VII.Brie fes bestätigt, s . 344 b . 3 Vgl. A n . p o s t . A 2, 72 a 25 - b 4; A 3, 72 b 18-25
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dem Rahmen ihres Selbstverständnisses zu erklären, sondern in expliziten Formulierungen der Texte, unausgesprochenen Voraussetzungen und offenen Fragen, wo es inhaltlich plau sibel erscheint, auch Hinweise auf Einsichten und Interesse der praktischen Vernunft zu sehen. 4. Prinzipienbegriff und wahrheitstheoretische Ansätze heit als Adäquation und als Implikation des Urteils)
(Wahr
Aristoteles' und Thomas' Begründungen für den Vorrang d e r spekulativen Philosophie lassen e r k e n n e n , daß diese - soweit ich sehe - bis zu Kant unbestrittene Disposition der philosophischen "Disziplinen" nicht n u r aus historischen Bedingungen, sondern auch aus prinzipiellen philosophischen Überlegungen zu v e r stehen i s t , die mit systematischem Anspruch v e r t r e t e n wurden. Die These vor allem, Selbständiges habe Priorität vor solchem, das wesentlich auf anderes bezogen i s t , kann man einmal p r i n zipiell nennen, weil sie über die Frage hinaus, wie praktische und theoretische Vernunft einzuordnen sind, vielfach anwendbar i s t . Wie schon im Vorgriff angedeutet, hat sie prinzipiellen Cha r a k t e r dann auch in dem Sinn, daß man Selbständigkeit in v e r schiedenen Zusammenhängen als Kriterium dessen verwendet finden k a n n , das gegenüber anderem die Funktion eines Leiten den oder Prinzips anzunehmen vermag. Wenn das richtig i s t , kann man mit der Analyse dessen, was bei Aristoteles und Thomas 'Prinzipien heißt, auch zum Verständnis für die Unter ordnung der praktischen Philosophie beitragen. Aristoteles hat die Frage nach den Prinzipien, die er aus der Tradition aufnahm und zum Ausgangspunkt seiner 'Physik' und 'Metaphysik' machte, zugleich als Frage nach der Wahrheit v e r standen und diese so programmatisch in den Ansatz der Ersten Philosophie einbezogen. [ 1] Die bekannte Passage des zweiten Metaphysikbuches erhebt diejenigen u n t e r den vielen besonderen Wahrheiten, die in höherem Maß wahr sind, ihrerseits zu Prin zipien der anderen und e r l ä u t e r t , was damit gemeint sein k a n n , an dem Fall höchster Wahrheiten, die als Prinzipien von immer Gültigem oder immer Seiendem nicht n u r zeitweise und nicht aufgrund eines anderen ihnen Übergeordneten wahr seien; jeg liches sei deshalb u n t e r dem Gesichtspunkt der Wahrheit gerade so wie u n t e r dem des Seins einzuordnen. Für Thomas' Aristo telesinterpretation ist es ziemlich bezeichnend, wie er diesem noch offenen Entwurf eine bestimmte Richtung gibt: Weil sie für immer Seiendes Prinzipien sein sollen, werden die höchsten Wahrheiten oder das im höchsten Sinn Wahre (verissima) kosmo logisen als rein formale Substanzen gedeutet, die die ewige Be1
Met. α 1, 993 b 20-31; v g l . A 3, 983 b 1ff, u . A 7, 988 a 18ff
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wegung der Himmelskörper v e r u r s a c h e n . [ 1] Vor allem aber b e gründet er Aristoteles' abschließende Bemerkung damit, daß das Sein des Gegenstandes die wahre Meinung des Bewußtseins ü b e r die Sache b e g r ü n d e , so daß sich der Status der Wahrheit des Bewußtseins immer n u r nach dem des Seins des Gegenstandes richten könne. [2] Wahrheit erscheint auf diese Weise als bloß nachfolgende Übereinstimmung des Erkennens mit dem, was der Gegenstand als sein Maßstab i s t . Thomas bietet gleichsam eine teils kosmologische, teils ontolo giselle Auflösung oder Konkretisierung des allgemeiner und grundsätzlicher formulierten Textes a n , eine Reduktion des schwer faßbaren, weil von jeder Aussage beanspruchten Wahr heitsbegriffs auf eher gegenständliche Vorstellungen wie die Verhältnisse von Ursache und Wirkung und von Urbild und Ab bild. Daß diese Deutung, die sich auf andere aristotelische Tex te berufen k a n n , inhaltlich im einzelnen unhaltbar sei, wird man kaum nachweisen können, aber ihre Eigentümlichkeit liegt darin, daß sie die Weise, wie die Wahrheit s frage als Prinzipienproblem gestellt wird, durch die Angabe von Lösungen, von bestimmten Begründungsverhältnissen zu erläutern v o r g i b t . Der Kommentar v e r s u c h t nicht, die wenigen Sätze des T e x t e s , immanent auf diese Stelle bezogen, aus einem Grundgedanken zu entwickeln, obwohl er den entscheidenden Ansatzpunkt dazu nicht ü b e r sieht, daß wir nämlich, wie es einleitend heißt, das Wahre nicht ohne den Grund wissen. [3] Wie auch Thomas an dieser Stelle mit seinem Hinweis auf die Beweistheorie der Zweiten Analytiken zutreffend andeutet, hängt das Wahre n u r , sofern es gewußt i s t , mit dem Begründen und so mit dem Prinzipienbegriff zu sammen. Denn es gibt auch wahre Sätze, so unterscheidet Ari stoteles d o r t , die nicht b e a n s p r u c h e n , daß sich ihr Gegenstand n u r so und nicht auch anders verhalten könne, und die deshalb nicht für Wissen, sondern für Meinung und Annahmen gehalten werden. [4] Dagegen gehören zum gleichfalls wahren Wissen so wohl die Apodiktizität, also die Behauptung, es verhalte sich notwendig so, wie zu i h r e r Rechtfertigung die Begründung des Sachverhalts aus anderen wahren Sätzen. [5] Mit dem Rekurs auf den Wissensbegriff erhält man also zugleich eine mögliche Erklärung der Rede von verschiedenen Stufen der Wahrheit, die nun als Tatsachenwahrheiten und Vernunftwahr heiten qualifiziert werden, und einen solchen Begriff dieser Vernunftwahrheiten, daß man v e r s t e h t , warum sie in einem voll kommenen Sinn wahr sind, wenn sie immer Seiendes b e g r ü n d e n , in welchem Sinn sie aber auch für wahre Sätze ü b e r Kontingen tes Prinzipien sind: Was aus notwendigen und deshalb auch 1 2 3 4 5
In 2 Met. In 2 Met. Met. α 1, An.post. An. post.
1. 2, 295f 1. 2, 298 993 b 23f; In 2 Met. 1. 2, 291 A 33, 88 b 30 - 89 a 10 A 2, 71 b 9-12, 19-26
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strikt allgemeinen Prämissen gefolgert wird, das wird dann auch als notwendig und immer gültig gewußt, und die Ermöglichung solchen wahren Wissens ist die unmittelbare eigentümliche Funk tion wahrer Prinzipien. [ 1] Sofern aber auch vergängliche Ge genstände u n t e r ihren allgemeinen Bestimmungen und zeitweise Vorgänge nach einer Regel begriffen werden können, geht die Wahrheit einer Aussage ü b e r einen bestimmten kontingenten Ein zelsachverhalt entweder aus der Verbindung einer als notwendig gewußten Prämisse mit einer Tatsachenwahrheit als zweiter P r ä misse h e r v o r , oder das Kontingente wird überhaupt nicht nach seiner Besonderheit gegen vergleichbares anderes und nach seiner Vergänglichkeit b e t r a c h t e t , sondern u n t e r dem Aspekt seiner Allgemeinheit und Regelmäßigkeit aus Prinzipien gewußt; auf diese Weise begründen die in höherem Sinn wahren, nämlich apodiktischen Sätze andere wahre Aussagen, die als Tatsachen wahrheiten n u r u n t e r bestimmten Gesichtspunkten gewußt und als ganze in geringerem Maß wahr sind. [2] Mit einer solchen Erläuterung des Wahrheitsbegriffs, die an die Bemerkung über das Wissen des Wahren aus einem Grund a n knüpft, bleibt auch die Folgerung ü b e r die Entsprechung von Wahrheit und Sein nicht u n b e r ü c k s i c h t i g t , denn wahre Sätze sind allemal, gleich ob Tatsachenwahrheiten oder Vernunftwahr heiten, Sätze über wirklich Seiendes, wie auch die zitierten Stellen der Zweiten Analytiken formulieren. [ 3] Aber die skiz zierte Interpretation nimmt noch kein bestimmtes Verhältnis von Wahrsein und Sein vorweg und entspricht darin dem Stand d e r Überlegungen im zweiten Buch der Metaphysik. Fragt man da nach, wie Aristoteles überhaupt den Prinzipienbegriff einführt und so das Thema der Ersten Philosophie bestimmt, dann e r scheint Thomas' Anspielung auf das Adäquationsschema der Wahrheit noch weniger angemessen. Denn im ersten Metaphysik buch definiert Aristoteles wie in den Zweiten Analytiken Wissen gegenüber anderen Stufen der Erkenntnis als diejenige, die auch den Grund ihres jeweiligen Gegenstandes e r k e n n t , nicht n u r , daß es sich faktisch so oder so v e r h ä l t . [4] Von Wissens prinzipien zu r e d e n , ist insofern tautologiscn und soll n u r Miß v e r s t ä n d n i s s e n entgegenwirken, die aus ontologisierenden I n t e r pretationen wie der des Thomas entstehen können. Denn wenn die Frage nach Gründen, die von dem als faktisch erfahrenen Gegenstand nicht suggeriert werden k a n n , und die Herleitung eines Satzes aus seinen Prinzipien Wissen allererst konstituie r e n , dann heißt das auch, daß Prinzipien überhaupt nicht a n 1 2
An. post. A 8, 75 b 21-24 Ebenda, 75 b 24-36; v g l . Thomas' eingehenden Kommentar zur Begründbarkeit der Tatsachenwahrheiten, In 1 An. post. 1. 16, 141f 3 An. post. A 2, 71 b 25f; A 33, 88 b 32f 4 Met. A 1, 981 a 24 - b 6 ; A 2, 982 a 28 - b 4 ; A 3 , 983 a 24ff
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d e r s als d u r c h den nisch und praktisch deren Gründen und schen Reflexion auf nen.
Versuch, etwas bloß Erfahrenes oder tech Vollzogenes zu wissen, implizit in beson Ursachen oder explizit in der philosophi diese Form des Wissens Thema werden kön
Wenn es also um die Wahrheit des Wissens g e h t , auf die sich das e r s t e Kapitel des zweiten Metaphysikbuches ausdrücklich bezieht, und nicht um die der Erfahrung und der s e l b s t v e r ständlichen Sitte, dann wird zuallererst aus Interesse am Wis sen v o r a u s g e s e t z t , was an keinem Sein irgendwelcher Gegen stände seinen Maßstab finden k a n n , die objektive Gültigkeit, wie man nach Kant sagen würde, oder Wahrheit des Verhältnis ses von Grund und Begründetem selber, das Aristoteles und Thomas in einem anderen Zusammenhang ausdrücklich als ein logisches Verhältnis v e r s t e h e n . [ 1] Weil die genannten aristote lischen Texte keinen Anlaß zu der Vermutung geben, man kön ne auch noch u n t e r einer anderen Perspektive als der des Wis sens von Prinzipien r e d e n , erscheint es sinnvoll, entgegen dem Anschein, den die Separierung einer besonderen Wissenstheorie in den Zweiten Analytiken bewirkt, auch Theoreme der Ersten Philosophie, die sich als Erforschung der allgemeinsten und höchsten Prinzipien v e r s t e h t , [2] in eine Diskussion des Prin zipienproblems vom Wissensbegriff her einzubeziehen. Auch eine Interpretation von Thomas' Wahrheitstheorie kann nicht allein vom Adäquationsmodell ausgehen, weil dessen Un zulänglichkeit von Thomas selbst deutlich gemacht wird. Wird nämlich Wahrheit so vorgestellt, daß ein dem Gegenstand ad äquates Abbild das Erkenntnisvermögen bestimmt und so Er kenntnis e r z e u g t , dann müssen die Bemerkungen des Aristoteles unverständlich bleiben, Wahrheit und Falschheit bezögen sich allein auf die verknüpfenden und trennenden Urteile, aber nicht auf einfache Vorstellungen und Sachbegriffe, [ 3] obwohl sie doch wie auch sinnliche Vorstellungen erkenntnisbestimmende Abbilder i h r e r Gegenstände sind. [4] Thomas v e r s u c h t einmal, diese Schwierigkeit zu lösen, indem er die Dialektik des Bildes, als solches gerade anders als sein Abgebildetes zu sein, ein setzt und annimmt, daß die Erkenntnis eine solche ihr eigen tümliche Andersheit gegenüber ihrem Gegenstand n u r als u r teilende, nicht aber als sinnlich oder intellektuell Einfaches v o r stellende habe: Nur aufgrund dieser Andersheit sei es möglich, von einer Angleichung (adaequatio) an den Gegenstand zu s p r e c h e n . [5] Daß es mit dieser Erklärung nicht sein Bewenden h a t , 1 2 3 4 5
S. dazu unten S.125ff; zum Wissensbegriff v g l . auch unten Dritter Teil, .. , 2. Met. 2, 982 21-25; Met. 1, 1003 21-28 Met. E 4, 1027 b 18-28; An. 6, 430 26 - b 5 In 6 Met. 1. 4, 1234f Ver. I 3
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mag daran liegen, daß Thomas sonst gewöhnlich den modalen Unterschied der erkenntnisbestimmenden Formen von den gegen ständlichen h e r v o r h e b t , insofern diese materielle Dinge bestim men, was schon von den Formen der Wahrnehmung als einem Modus des Bewußtseins nicht gilt, während vernünftige Bilder sich auch durch ihre Allgemeinheit vom Abgebildeten u n t e r scheiden; [1] so wäre schon bei einfachen Vorstellungen die Be dingung für eine sinnvolle Angleichung erfüllt. Jedenfalls entwickelt Thomas - meist unmittelbar neben seiner These, eine Erkenntnis sei wahr und so auch erst E r k e n n t n i s , wenn ein Abbild ihres Gegenstandes im Erkennenden sei - eine andere Konzeption, ausgehend von dem Gedanken, eine Erkennt nis sei erst dann im eigentlichen Sinn, also als Erkenntnis wahr, wenn zugleich ihr Wahrsein selber erkannt werde. [2] Gemäß dem Adäquationsmodell ist das n u r durch ein verglei chendes Beziehen der als subjektive bewußten Vorstellungen auf ihren Gegenstand möglich. Eine einfache, nicht in einem Satz mit anderen verbundene Vorstellung (incomplexum) verhält sich an ihr selber zu einem Gegenstand weder als gleich noch als ungleich, da beides eine vergleichende Beziehung auf ihn v o r a u s s e t z t , die die Vorstellung selbst aber nicht enthält. [3] Da gegen besteht das Urteil gerade d a r i n , daß eine Bestimmung affirmativ oder negativ auf einen bestimmbaren Gegenstand b e zogen wird, und diese Beziehung v e r s t e h t Thomas nicht n u r als das sprachlich-subjektive Verhältnis von Prädikat und Subjekt einerseits und das gegenständliche von Ding und Eigenschaft a n d e r e r s e i t s , sondern auch so, daß die Vernunft im Prädikat bewußt die Bestimmung, die sie vom Gegenstand e r k e n n t , auf den vermittelst des Subjekts gedachten Gegenstand selber b e zieht oder den Gegenstand als das - im negativen Urteil als nicht das - beurteilt, was sie von ihm erkannt h a t . [4] Das Ur teil ist ein Akt des Selbstbewußtseins, der einschließt, daß sich das Bewußtsein als anderes gegenüber dem Gegenstand und doch sein mögliches Bild weiß, [5] und aufgrund dessen kann es das subjektiv Erkannte als solches auf den Gegenstand als d e s sen Bestimmung beziehen und so zugleich seine eigene Wahrheit, die Gültigkeit seiner Erkenntnis für die Sache behaupten. Un geachtet d e r Notwendigkeit, die Vorstellung zu korrigieren, d e r Begriff könne auf einen unmittelbar gegebenen Gegenstand b e zogen werden, ist es im Hinblick auf das von Descartes und Fichte in der neuzeitlichen Philosophie thematisierte Problem des Anfangs von Bedeutung, daß der philosophische Ansatz bei d e r 1 2 3 4 5
S. z . B . I 84, 1; zu Thomas' Beurteilung dieser modalen Un terschiede s . 1 S 36 I 3 ad 2; Ver.XXII 11 I 16, 2 cG I 59, 496 I 16, 2; In 6 Met. 1. 4, 1236; v g l . In 9 Met. 1. 11, 1898 Ver. I 9
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Wahrheitsfrage auch nach Thomas' Wahrheitsbegriff vom Selbst bewußtsein ausgehen k a n n , das die u n h i n t e r g e h b a r e Voraus setzung rationaler Argumentation zu sein scheint. Insofern jedes Urteil erkannte Wahrheit vollzieht, also über die Entgegenset zung von bloßem Wahrheitsanspruch des Subjekts und objek t i v e r , ihm äußerlicher Wahrheitsgeltung hinaus i s t , kann zu gleich der Satz, daß es Wahrheit gibt, als in allem Denken und Sprechen impliziert und deshalb nicht aus einem oder mehreren bestimmten Sätzen ableitbar, sondern aus sich selbst e r k e n n b a r v e r s t a n d e n werden. [1] Allerdings wendet Thomas weder diesen noch einen anderen An satz im Sinn neuzeitlichen Methodenbewußtseins a n , d . h . mit systematischer Konsequenz. Will man klären, was er u n t e r Er kenntnis v e r s t e h t , um so den Zusammenhang, in den der Wahr heitsbegriff gehört, weiter zu erhellen, und dem Prinzipienbe griff näher zu kommen, sind vielmehr zwei Konzeptionen zu b e rücksichtigen, die Thomas in der einen Funktion, daß sie die Voraussetzungen von Wahrheit explizieren, systematisch zu v e r binden s u c h t . Damit ist einmal die Theorie einer Erkenntnis aus Abstraktion gemeint, zum andern der in den Zweiten Analytiken des Aristoteles zuerst entwickelte Versuch, die Einsicht, daß jede Mitteilung und ihr Verstehen auf vorausgehender E r k e n n t nis b e r u h e n , zu einer Beweistheorie zu entwickeln, die die Be g r ü n d u n g wissenschaftlicher Sätze vermittelst des Rückgangs auf Axiome und Definitionen s i c h e r t . Schon im Ansatz erschei nen die beiden Theorien gegensätzlich: Die e r s t e stellt den Ver stand wie einen Gegenstand höherer Ordnung v o r , d e r auf die Rezeption von sinnlichen Daten d u r c h Wahrnehmung angewiesen i s t , um selber durch Abstraktion Allgemeinbegriffe bilden zu können. Der Gedanke eines notwendigen Vorwissens, von dem die zweite a u s g e h t , könnte dagegen Grundlage einer monadologischen Erkenntnistheorie sein, insofern dieses Argument den Erkenntnisprozeß als Entfaltung von zunächst n u r implizit Be wußtem in seinen ausdrücklichen Begriff v e r s t e h t . [2] Wenn der Erkenntnistheorie Thomas von Aquins die Rede i s t , meint man in der Regel[3] die zuerst genannte Konzeption, die die Begriffsbildung aus dem Zusammenwirken verschiedener E r kenntnisvermögen wie Sinnlichkeit, Vorstellungsvermögen und Verstand - Thomas spricht von Intellekt - erklären will u n d , um sinnvoll von Rezeptivität reden zu können, dem Bewußtsein eine unabhängig von ihm gegebene Welt von Naturdingen gegen1
"Veritatem autem e s s e , est p e r se notum", 1 S 3 I 2; I 2, 1 ad 3; v g l . Ver. I 1 2 A n . p o s t . A 1, 71 a 1-11, 71 a 24 - b 8; Thomas, In 1 An. p o s t . 1. 3, besonders 22, 27. 3 So z . B . Rahner, Geist in Welt; Hirschberger, Platonismus und Mittelalter; Hans Meyer, Thomas von Aquin; Moreau, De la connaissance selon Saint Thomas d' A quin
29 ü b e r s t e l l t . Dagegen t r i t t die Bedeutung des anderen Entwurfs zurück, der insofern eine grundsätzliche Alternative zu einer ontologisierenden Betrachtungsweise der Erkenntnis entwickelt, als er es mit den Sätzen vernünftiger Argumentation zu tun h a t , die im Sinn des skizzierten Wahrheitsbegriffs den Gegen satz von Subjekt und Objekt in sich aufgehoben haben. Wenn darin nicht ein mit der Abstraktionstheorie konkurrierendes Konzept gesehen wird, so vor allem wohl deshalb, weil schon die Zweiten Analytiken selbst darauf verweisen, daß Erkennen auch ein d u r c h Wahrnehmung bedingter Abstraktionsvorgang ist; dieser Begriff von Erkenntnis wird als eine Voraussetzung für die Theorie der beweisenden Argumentation benötigt. [1] Deshalb liegt es n a h e , zwischen einer allgemeinen Erkenntnis theorie und einer auf dieser aufbauenden Theorie des wissen schaftlichen Beweises zu unterscheiden und eine Interpretation von Thomas' Wahrheitsbegriff, insofern er eine Konzeption von Erkenntnis impliziert, auf jene allgemeine Grundlage zu s t ü t z e n . Der angenommene Grund für die Bevorzugung dieser Erkennt nistheorie bedeutet aber auch: Wenn die Theorie des b e g r ü n d e ten Wissens sie zu i h r e r Voraussetzung nehmen muß, kann eine Interpretation, die von der Wissenstheorie a u s g e h t , diesen Übergang und seine Gründe u n t e r s u c h e n und so die zweifache Konzeption philosophischer Wahrheitssicherung aus einem Ansatz zu v e r s t e h e n suchen. Drängt dagegen die Erkenntnistheorie von sich aus nicht dazu, den Wissensbegriff in i h r e r Analyse der Bewußtseinsvermögen einzubeziehen, so muß eine mit ihr begin nende Interpretation nachträglich zusätzliche Fragen einführen, um zum Wissensproblem und damit auch zum ursprünglichen Kontext des Prinzipienbegriffs zu kommen. Solange nicht gezeigt werden k a n n , daß Thomas die Abstraktion ihrerseits wieder von dem vorausgehenden Wissen des erkennenden Subjekts abhängig machen wollte, ist eine Notwendigkeit, von d e r Erkenntnistheo rie zur Wissenstheorie ü b e r z u g e h e n , nicht nachweisbar. I n d e s sen sollen die intellektuelle Produktivität in der Abstraktion nach Thomas entschiedener Ansicht rein formal sein und alle Inhalte d e r Erkenntnis d u r c h die zugrunde gelegten sinnlichen Vorstellungen konstituiert werden. [2] So, wie Thomas die Wahrheit menschlicher Erkenntnis aus dem Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand zu b e g r ü n d e n s u c h t , braucht er den Horizont d e s s e n , was das erkennende Bewußtsein schon weiß oder glaubt, nicht einzubeziehen; der Grundsatz der Wissens theorie, daß alle Erkenntnis auf einer vorangehenden b e r u h t , bleibt der konventionellen Erkenntnistheorie äußerlich.
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A n .p o s t . A 18; A 31, 88 a 11-17; 2, 90 a 25-30; 19; Thomas, In 1 A n . p o s t . 1. 30; 1. 42, 381; In 2 A n . p o s t . 1. 1, 416f; 1. 20 2 I 84, 6; Ver.XVIII 8 ad 3; An. 5 ad 6 u . 9; 3 S 14 I 2 ad 2
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Die Frage, wie eine Interpretation des in sich divergierenden theoretischen Rahmens für den Wahrheitsbegriff bei Thomas von Aquin vorgehen soll, ist selber eine philosophische F r a g e . Der Ansatz bei d e r Erkenntnistheorie impliziert ein Schichtenmodell, dem zufolge Wissen eine Reihe a n d e r e r Bewußtseinszustände wie Wahrnehmung, Vorstellung (phantasia) und Begriff (incomplexum, d . h . ohne Satzzusammenhang), die jeweils auch für sich bestehen und verstanden werden können, zu seiner Grundlage h a t . [ l ] Weil dieselbe Grundlage, insbesondere mit den begriff lichen Bestimmungen der Gegenstände, die Wahrheit der Er kenntnis v e r b ü r g e n soll, setzt dieses Verfahren auch v o r a u s , daß man schon isolierte Sachbestimmungen und nicht erst Ur teile sinnvoll wahr nennen kann - was Thomas selbst problematisiert. Der wissenstheoretische Ansatz beruht auf dem Argu ment, daß man das Wissen nicht aus Nichtwissen ( z . B . Wahr nehmung) ableiten k a n n , sondern n u r begreift, indem man es n a c h k o n s t r u i e r t , d . h . die Form seiner Urteile (Allgemeinheit, Notwendigkeit) aufnimmt und ihre logischen Implikationen e n t wickelt. Besonders leuchtet das im Hinblick auf den Wahrheits begriff ein, denn die Vorstellung von einem in sich nach Sinn lichkeit und Verstand differenzierten Erkenntnisvermögen, das der Welt d e r Dinge g e g e n ü b e r s t e h t , kann das Bewußtsein der Wahrheit im Urteil, das Begriff und Gegenstand affirmativ oder negativ zusammenschließt, nicht einholen, sondern stellt die Erkenntnis oder das Wissen n u r auf die subjektive Seite des konstruierten Gegensatzes. Wahrheit ist dann als Entsprechung oder Übereinstimmung des Urteils mit dem gegebenen Sachver halt aufzufassen, ein Verhältnis, das so n u r von einem n e u t r a len Beobachter als einer dritten Instanz erkannt werden könnte. Beachtet man dagegen, daß der urteilende Verstand selber die ses Verhältnis ist und daß umgekehrt die Adäquationstheorie die Feststellung über ihre eigene Wahrheit auch einem Dritten ü b e r lassen müßte, was in unendlicher Iteration zum Skeptizismus Anlaß gibt, [2] dann bleibt als Folgerung, daß man den Begriff der Wahrheit n u r aus ihrem Bewußtsein entwickeln k a n n . Das bedeutet, daß man an Thomas' eigenen Gedanken anknüpft, Wahrheit sei wesentlich eine E r k e n n t n i s , die in jedem Urteil im plizit vollzogen wird. Die Frage nach einem adäquaten Zugang zur philosophischen Theorie des Wissens und dann auch d e r Prinzipien ist also von folgender Alternative nicht zu t r e n n e n : Entweder betrachtet man einzelne Vorstellungen, deren Entstehung e r k e n n t n i s t h e o r e 1
Wenn Thomas selbst für eine solche Auffassung von Wissen plädiert, beruft er sich vor allem auf Aristoteles, Met. A 1 und A n .p o s t . 19; besonders die letztere Stelle, die das wissenstheoretische Problem deutlicher macht, ist genauer zu e r ö r t e r n , v g l . unten Zweiter Teil, K a p . l , 3. b - c . 2 Vgl. die Kritik des Adäquationsmodells bei Plotin, V 5, 1, 19-40
31 tisch analysierbar i s t , für sich schon als wahrheitsfähig und hält die Wahrheit von Sätzen dagegen für sekundär - im Sinn einer Folge, nicht eines Ranges. Oder man sieht im Satz eine ursprüngliche logische Einheit, in deren Rahmen allein Begrün dung und Wahrheit einen Sinn haben. Nicht nur das ist ein Grund, sich dem Prinzipienproblem bei Thomas von Aquin mit Überlegungen zu seiner Aristoteles verpflichteten Urteilstheorie zu n ä h e r n . Dafür spricht auch, daß Aristoteles seine systema tisch dominierende Antwort auf die Prinzipienfrage, die Grund legung der Kategorien in der Substanz nämlich, aus seiner Schematisierung des Urteils entwickelt, wonach in ihm etwas von etwas ausgesagt wird.
ERSTER TEIL
SELBSTÄNDIGKEIT ALS BEGRIFF VOM PRINZIP: DIE SUBSTANZ
1. Kapitel DER BEITRAG DER URTEILSTHEORIE ZUM SUBSTANZBEGRIFF 1. Zwei Ansätze zum Verhältnis von Satz und Satzteilen bei Thomas Aristoteles hat das Kategorienschema durch eine Interpretation der Form des Urteils entwickelt, und der Sinn von TModus der Aussage' blieb in der Tradition der Kategorienlehre durchaus erhalten. Angesichts dessen muß Thomas' Entgegensetzung ü b e r r a s c h e n , der Ausdruck 'Seiendes' sei insofern äquivok, als er einmal mit der Synthesis des Urteils wegen des Zeitmoments in i h r e r Bedeutung ein akzidentelles Prädikat bezeichne und zum anderen - sofern er in die zehn Kategorien unterteilt wer de - die Naturen der Kategorien nach Akt oder Potenz und damit Seiendes an ihm selbst. [1] Damit ist u n t e r s t e l l t , daß die Kategorien als die Weisen, in denen etwas ü b e r h a u p t von einem Subjekt ausgesagt werden k a n n , ganz getrennt von dem Aus sagen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrachtet werden können, als seien sie Typen unabhängig von d e r Prä dikation bereitliegender Dinge. Die Unterscheidung d e s s e n , was als Prädikat ausgesagt wird, von dem Urteil als logischem Zu sammenhang, die schon der Unterteilung der beiden ersten Bü cher des Organon in Begriffslogik und Aussagenlogik zugrunde liegt, wird von Aristoteles implizit damit b e g r ü n d e t , daß Nomina und Verben wie ü b e r h a u p t die Teile des Urteils schon je für sich etwas bedeuten, während die Teile von Wörtern bloße Leute sind; [2] so v e r s t e h t Thomas auch die Bemerkung, für sich g e sagt seien die Verben Nomina, als Hinweis darauf, daß sie ü b e r haupt etwas oder einen Gegenstand (res) - wozu auch Tun und Leiden gehören - bezeichnen. [3] Allerdings muß auffallen, daß die Verben anders als die Nomina d u r c h eine solche Isolierung ihre für das Urteil wesentliche synthetische Funktion verlieren, die Thomas ü b e r den aristote-
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In 10 Met. 1. 3, 1982; v g l . In 5 Met. 1. 9, 889f; auf das Problem komme ich u n t e n , S.44ff, z u r ü c k . Die von Porphyrius und Boethius v e r t r e t e n e Äquivokation des Seinsbegriffs mit Bezug auf die Kategorien ( s . Boethius, In PE I 4, Schepss/Brandt S.143, Z.20 - S.144, Z.6, u . III 7, S.220, Z . l l - S.221, Z.7, S. 221, Z.18 - S.222, Z.22, S.223, Z. 13-24) weist Thomas jedoch mit Berufung darauf zurück, daß Sein ungeachtet der kategorialen Differenzen immer im Hinblick auf Substantialität ausgesagt wird (In 1 Perih. 1. 5, 70). 2 I n t e r p r . 2, 16 a 19-22; I n t e r p r . 3, 16 b 6f, 19ff; I n t e r p r . 4, 16 b 26-33 3 In 1 Perih. 1. 5, 66; v g l . 1. 5, 56
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lischen Text hinausgehend ausführlich dargestellt h a t . [ l ] Da nach ist das Verbum des Satzes mit der Form eines Gegenstan des zu vergleichen, weil es die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt bedeutet, die das Wesen der urteilenden Rede a u s macht. Um Interpretationsschwierigkeiten mit einer Variante des aristotelischen Textes zu lösen, nimmt Thomas sogar die auch von ihm selbst zuvor ausgedrückte Vorstellung zurück, die Verben bezeichneten jeweils d a s , was ausgesagt wird: Vielmehr würden die Verben selbst ausgesagt, weil das Aussagen eigen tümlicher zu der (in Verben vollzogenen) Verknüpfung zu g e hören scheine - eigentümlicher, so wäre zu e r g ä n z e n , als zum Bezeichnen. [ 2] Das soll offenbar heißen, die sprachliche Funk tion des Aussagens geht d e r a r t mit dem Verknüpfen, d . h . mit dem Aufeinanderbeziehen von Substantiv und Verb, zusammen, daß sie nicht zugleich die semantische Beziehung des Bezeichnens von solchem entwickelt, das von sich aus unabhängig von sprachlichen Formen i s t : Deshalb ist das Relatum des Prädizier e n s nicht etwas Bezeichnetes, sondern das Verbum als bestimm te Sinneinheit in d e r Stellung eines Satzteils. Also ist das Ver bum in eins synthetisches Prinzip und inhaltlich bestimmendes Moment der Aussage, wie es auch von der Form mit Bezug auf den Gegenstand gelten soll. In diesem Zusammenhang erscheint einmal die Unselbständigkeit des formalen Moments, in seiner von ihm unablösbaren synthetischen Funktion auf die anderen Momente des Satzganzen zu verweisen und ohne diese selbst nicht verständlich zu sein, als eine Qualität, aufgrund d e r e r es anders als das materiale, gleichsam selbstgenügsame Subjekt für das in sich differenzierte Ganze stehen k a n n , [ 3 ] also eine Art Prinzipienfunktion erhält. Insofern dieser Ansatz von der Untrennbarkeit des Aussagein halts und der für die Aussage wesentlichen Synthesis im Ver bum a u s g e h t , stellt er die für die Kategorienlehre grundlegende Separierung d e r Prädikate aus dem Satzzusammenhang[4] of fensichtlich in Frage. Zudem schränkt er den allgemeinen Be1
I n t e r p r . 3, 16 b 23ff; I n t e r p r . 5, 17 a 9-14; In 1 Perih. 1. 5, 54; 1. 8, 96; v g l . In 9 Met 1. 1 1 , 1898 2 In 1 Perih. 1. 5, 59: "Dicitur ergo verbum semper esse nota eorum quae dicuntur de altero: tum quia verbum semper significat i d , quod praedicatur; tum quia in omni praedicatione oportet esse verbum, eo quod verbum importat compositionem, qua praedicatum componitur subiecto." Ebenda, 1. 5, 60: " . . . cum Aristoteles dicit quod 'Verbum semper est nota eorum quae de altero p r a e d i c a n t u r ' , non est sic intelligendum, quasi significata verborum sint quae p r a e d i c a n t u r , quia cum praedicatio videatur magis proprie ad compositionem p e r t i n e r e , ipsa v e r b a sunt quae p r a e d i c a n t u r , magis quam siginificant praedicata." 3 In 1 Perih. 1. 8, 96, v g l . 95 4 Cat. 4, 1 b 25ff, 2 a 4-10; v g l . Cat. 2, l a 16-19
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deutungsbegriff des Aristoteles wesentlich ein: Wenn nicht etwas vom Verbum Bezeichnetes, ein Gegenstand ( r e s ) , a u s gesagt wird, sondern das Verbum selbst, gilt n u r von Nomina oder nominalisierten Verben, daß sie sich vermittelst d e r Ge danken, die sie unmittelbar bezeichnen, auf Gegenstände b e ziehen. [1] Dieses Referenzschema wäre auch für das Urteil nicht mehr haltbar, da das Verbum als sein - mehr als das Nomen grundlegender Teil es spezifisch bestimmt, indem es ihm seinen Aussagecharakter mitteilt. [ 2] Vom Verbum her entwickelt, erscheinen Satz und Sprache ü b e r haupt nicht mehr als bloßes Gegenüber der Wirklichkeit und damit als Teile i h r e r gegenständlich-räumlichen O r d n u n g , son dern als synthetisches Hervorbringen ihres je bestimmten Sinnes durch die Aussage, wie immer die Entgegensetzung von s p r e chendem Subjekt und gemeinter Wirklichkeit im übrigen zu b e gründen sein mag. In einem ganz ähnlichen Gedankengang macht Humboldt deutlich, daß das Verbum, insofern es "als grammatische Function den Akt des synthetischen Setzens . . . in Absicht des Satzes" a u s ü b t , sich von allen übrigen Wörtern des Satzes als einem "gleichsam todt daliegenden, zu verbindneden Stoff" als "der, Leben enthaltende und Leben verbreitende Mit telpunkt" u n t e r s c h e i d e t . [3] Es entspricht dem Gedanken von der Veränderung der Materie durch die Form, wenn Humboldt dieses 'Leben V e r b r e i t e n ' im folgenden daran zeigt, daß die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat d u r c h Sein "das bloss als verknüpfbar Gedachte zum Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit" macht, indem 'Sein' mit der Verknüpfung zugleich die Wirklichkeit des durch diese Aussage bestimmten Subjekts ausdrückt. Eine solche sprachtheoretische Rekonstruktion des natürlichen Wirklichkeitsbewußtseins, das unmittelbar in der Aussage nicht zwischen derselben und der gemeinten Realität u n t e r s c h e i d e t , wird allerdings von Thomas da, wo er auf die synthetische Funktion des Seinsbegriffs als des Verbum schlechthin zu s p r e chen kommt[4], nicht an die zuvor erklärte Einheit von Be d e u t u n g und synthetische Funktion des Verbs angeschlossen. Ganz im Gegenteil, was mit 'ist' gemeint wird, will Thomas a n hand eines Begriffs vom Ding e r k l ä r e n , den er der aristoteli schen Analyse des Werdens entnimmt, für die Reflexion auf die Bedeutung von ! ist' also schon fertig voraussetzt - gerade so wie in anderen Argumentationen. Das heißt, er v e r s t e h t nicht 1
I n t e r p r . 1, 16 a 3-8; In 1 Perih. 1. 2, 15; v g l . 1. 5, 56 u . 66f 2 In 1 Perih. 1. 8, 96 Secundo - gegenüber 1. 4, 44; 1. 7, 84; 1. 8, 101ff 3 W.v.Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues . . . (1830-35), S.608f 4 In 1 Perih. 1. 5, 69
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die Wirklichkeit vom synthetischen Sprechen h e r , sondern d e u tet dieses als ein Bezeichnen, das sich auf eine von der Theorie vorab festgestellte Wirklichkeit hinbezieht. Derart v e r s u c h t Thomas, die schwierige These des Aristoteles auszulegen, isoliert g e s a g t , sei der Ausdruck für das Seiende noch n i c h t s , bezeichne noch keinen Sachverhalt, sondern b e deute n u r zusätzlich eine Verknüpfung, die man ohne ihre Glie der nicht v e r s t e h e n könne. [1] Der Kommentar gibt auf die zwingende, im Text aber offene F r a g e , was denn die eigentliche Bedeutung von 'ist' sei, die Antworten: "sein" und "wirklich sein". [2] Das wiederum erläutert er so, daß 'ist' ursprünglich das bezeichne, was im Modus der Wirklichkeit für sich (abso lute) erkannt werde. - Hier wird Thomas' Intention deutlich, mit der Referenz auf Wirklichkeit dem 'ist' eine Funktion zu zuerkennen, die keine Beziehung enthält, so daß die V e r k n ü p fung einer zusätzlichen zweiten Funktion vorbehalten und dem aristotelischen Text Genüge getan werden k a n n . [ 3 ] 1 2 3
I n t e r p r . 3, 16 b 21-25 In 1 Perih. 1. 5, 72f Zimmermann, "Ipsum enim 'est' nihil est" (Aristoteles, Perih. I, C.3). Thomas von Aquin über die Bedeutung der Kopula, scheint mir in seiner eingehenden Interpretation dieses Tex tes die prägnante Entgegensetzung von Verknüpfungsfunk tion und Bezeichnung eines Unverbundenen nicht hinreichend zu würdigen, wenn er die beiden Bedeutungen von 'ist' in zwei wohlunterschiedenen Zusammensetzungen erfüllt sieht (S.289). Zimmermann geht davon a u s , daß Thomas mit dem "sein", das als "eine gewisse Zusammensetzung erscheint" (In 1 Perih. 1. 5, 72), exakt das "wirklich sein", die e r s t e Bedeutung von 'ist' (ebenda 73), meine, 'wirklich sein' also als eine Zusammensetzung von Wirklichkeit mit i h r e r jeweili gen Bestimmtheit durch eine Form v e r s t e h e (S.292). Nun ist zwar sonst, insbesondere im Zusammenhang mit der Annahme reiner Formen, von einer Zusammensetzung von Form und Sein die Rede ( s . z . B . Ente 4, Roland-Gosselin S.32, Z.2f), aber Thomas kommt bei seiner Festsetzung einer ersten Be deutung von 'ist' darauf nicht ausdrücklich zurück. Eine Differenz ist auch u n ü b e r s e h b a r : Mit der Form geht Sein als Wirklichkeit selber eine Verknüpfung ein (faciens compositionem, Ente 4, Roland-Gosselin S.34, Z.7ff), ist insofern ein Glied der Verbindung (extremum compositionis, In 1 Perih. 1. 5, 71), der Ausdruck 'ist' dagegen bezeichnet die bloße Verknüpfung als solche (ipsa compositio). - Ein g e wichtigerer Einwand dürfte die Überlegung sein, daß die von Zimmermann als e r s t e Bedeutung von 'est' genannte Zusam mensetzung der Wirklichkeit mit einer sie bestimmenden Form adäquat n u r d u r c h einen Satz 'F est' ausgedrückt werden k a n n , wobei F durchaus die Form einer Tätigkeit sein mag
39 Die isolierte Bedeutung 'wirklich sein' setzt Thomas dann zu i h r e r sprachlichen Form in Beziehung: Weil 'ist' einfach so für sich gesagt, 'wirklich sein' b e d e u t e t , drücke es die Bedeutung verbal a u s [ l ] . Damit ist der schärfste Gegensatz zu einer Me thode markiert, die den allgemeinen Sinn sprachlicher A u s d r ü k ke von i h r e r grammatischen Funktion her zu begreifen s u c h t . Denn der sprachtheoretische Grundsatz vom Anfang des Kom mentars, daß die Sprache seelische Zustände, insbesondere Be griffe, unmittelbar bezeichne, die ihrerseits einen U r s p r u n g in den Dingen haben und denselben e n t s p r e c h e n , [ 2] dieses Prinzip d e r Abhängigkeit der Sprache von dem, worauf sie sich b e zieht, wird sogar auf ihre grammatische Form angewandt. Das ist ü b e r h a u p t n u r möglich d u r c h die Zwischeninstanz des noch sprachfreien Gedankens, der den Inhalt 'wirklich sein' bewußt macht, bevor er mit dem angemessenen Ausdruck bezeichnet wird. Wäre das Denken selber schon als sprachlich v e r s t a n d e n , so müßte alles Bewußtsein von 'wirklich sein' als durch die Verbform bedingt anerkannt werden, so daß die Herleitung die ser Form von dem, was man mit ihr bezeichnet, zirkulär wäre. So aber haben wir nach Thomas zuerst ein Bewußtsein von ! wirklich sein' und drücken es dann passend mit der Sprachform a u s , die sich für Tätigkeiten bzw. Leiden eignet. [3] Im Rahmen derselben Konzeption entwickelt der Text die s e k u n d ä r e , synthetische Bedeutung von 'ist' aus der e r s t e n . Das heißt, die gegebene Form des Wirklichseins legitimiert die Er weiterung des Ausdrucks 'ist' um eine synthetische Funktion. Wirklichkeit, so argumentiert Thomas, ist gewöhnlich an eine Form gebunden, die etwas - zuvor anders Bestimmtes - zu einem bestimmten Wirklichen macht; gewöhnlich, das b e s a g t , jedenfalls nicht im Fall des Absoluten, das reines Sein, Wirk( z . B . "Es gibt ein Bedürfnis nach Wissen."). Daß 'est' aber b e d e u t e , etwas sei (aliquid e s s e ) , das schließt Thomas klar aus (ebenda 72). Der Schein, das mit 'ist' in e r s t e r Ordnung bezeichnete 'sein' sei die Verknüpfung im Urteil ( e b e n d a ) , kann nicht nur wie in Zimmermanns Deutung - so erklärt werden, daß 'ist' in der Tat von vornherein eine Verbindung, nämlich die von Form und Wirklichkeit, meine und diese Zusammensetzung mit der von Subjekt und Prädikat in der Aussage verwechselt werde. Vielmehr spricht der Text (ebenda 73), der die erste Bedeutung von 'ist' u n v e r b u n d e n n e n n t , für die These, die bloß faktische Bestimmtheit des 'sein' d u r c h Formen erzeuge den Anschein, 'sein' bestehe prinzipiell in einer Zusammen s e t z u n g , und ermögliche damit den weitergehenden I r r t u m , 'ist' beziehe sich ausschließlich auf die Synthesis im Urteil. 1 In 1 Perih. 1. 5, 73 2 In 1 Perih. 1. 2, 12 u . 15 3 In 1 Perih. 1. 5, 66
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lichkeit schlechthin i s t . Weil aber 'sein' als Wirklichkeit einer Form darin b e s t e h t , einem Bestimmbaren zu inhärieren und es dadurch zu einem gegen andere abgegrenzten Wirklichen zu ma chen - so muß man aus anderen Texten e i n f ü g e n [ l ] - , kann man den Gedanken, eine Form inhäriere als besondere Wirklich keit einem Zugrundeliegenden, in die Form des Ausdrucks 'ist' b r i n g e n . So gibt die faktische, nicht prinzipielle S t r u k t u r von 'wirklich sein', daß es nämlich in einer Verknüpfung von Be stimmung und Bestimmbarem b e s t e h t , den Grund dafür a b , daß man solche Verbindungen sprachlich mit demselben Wort bezeich n e t , das ursprünglich n u r 'wirklich sein' b e d e u t e t . Dieser Ge brauch von 'ist' in Urteilen wiederum führt, sobald man seine Bedingungen außer acht l ä ß t , zu dem I r r t u m , 'ist' fungiere a u s schließlich als Kopula. In der Ableitung der logischen Form des Urteils 'S ist P' von einem "gewöhnlich" vorfindbaren Typus von Gegenstandskon stellationen vollendet sich Thomas' Versuch, das finite Verb als Zeichen für einen isolierten Denkinhalt ('wirklich sein') und damit als selbständigen, für sich allein verständlichen Ausdruck zu begreifen, der n u r u n t e r bestimmten Bedingungen, also s e k u n d ä r , auch einen Zusammenhang bezeichnet. So kann die Konsequenz der Synthesisfunktion, daß man das Verbum nicht für sich allein, sondern n u r zusammen mit allen Gliedern der Verbindung v e r s t e h t , [2] einer abgeleiteten Bedeutung der Ver ben zugeordnet und damit systematisch irrelevant gemacht wer d e n . Welche Folge es nach sich ziehen k a n n , wenn man die Verknüpfungsleistung der Verben im Satz nicht für u r s p r ü n g lich hält, das ist schon auf d e r Grundlage des zuerst umrissenen Ansatzes e r k e n n b a r , der die Verben von dieser Synthesis her begreift: Falls nicht das finite Verb u r s p r ü n g l i c h die kom plexe Einheit des Satzes konstituiert, muß sie einen Grund außerhalb i h r e r selbst haben. In diesem Sinn ist es folgerichtig, daß Thomas auf die gegebene S t r u k t u r der Wirklichkeit r e k u r r i e r t , um die Form von Aussagen und die Verwendung von Ver ben in ihnen zu b e g r ü n d e n . Gleichwohl bietet Thomas auch gleichsam eine Vermittlung zwi schen den beiden extremen Auffassungen von Verb und Satz a n [ 3 ] : Wohl soll das Verbum als solches eine wesentliche Bezie hung auf anderes enthalten, diese Beziehung wird aber in e r s t e r Linie nicht grammatisch gedacht, sondern aus der v e r balen Bezeichnung von Tun oder Leiden gefolgert. Denn n u r finite Verben bezeichnen eine Tätigkeit oder Wirklichkeit nicht als Gegenstand ( r e s ) , sondern als solche, und das heißt für Thomas, als von einer Substanz ausgehend und ihr i n h ä r i e r e n d . Erst am Ende der beiden betreffenden Textabschnitte schließt sich an diese gegenstandsorientierte Begründung für die Be1 2 3
S. z . B . In 7 Met. 1. 7, 1419 In 1 Perih. 1. 5, 72 In 1 Perih. 1. 5, 56 u . 59, zu I n t e r p r . 3, 16 b 6f, 9f
41 Sonderheit der Verben, etwas von anderem - hier den Substan zen - Geltendes zu bedeuten, wieder ein sprachtheoretisches Argument an: Nur durch Verben könnten beliebige Prädikate mit ihrem Subjekt verknüpft werden, so daß jede Prädikation - d . h . etwas von etwas Aussagen - ein Verb enthalten müs s e . - Obwohl es einen entscheidenden Unterschied macht, ob die Prädikatfunktion der Verben aus der Inhärenzbeziehung ihres Bezeichneten auf eine Substanz oder aus ihrer syntheti schen Leistung im Satz begriffen wird, läßt es der Gesamttext doch auf keinen Fall zu, ein finîtes Verb ohne Beziehung auf anderes (absolute) zu denken, wie es die These vom 'wirklich sein' als e r s t e r Bedeutung der Kopula w i l l . [ l ] Hielte sich Tho mas jedoch durchgängig an seinen Ansatz bei der grammatischen Synthesisfunktion d e r Verben, so hätte das eine viel weiter gehende Konsequenz: Er müßte die im Ganzen bei ihm dominie rende Vorstellung in Frage stellen, vermittelst der Bewußtseinszustände hingen die sprachlichen Ausdrücke von den gegebenen Sachverhalten a b , die man mit ihnen bezeichnet. Bei der Konfrontation der divergierenden Texte hat sich schon gezeigt, daß eine Vorrangstellung des Verbs, das wie eine Form die Einheit des Satzes b e g r ü n d e t , vor dem Nomen auch dem Grundsatz widerspricht, daß das Selbständige, Einfache Priori tät vor dem auf anderes Bezogenen und deshalb Komplexen ha b e . Dieser Grundsatz, der seinen prägnantesten Ausdruck im Substanzbegriff findet, äußert sich sprachtheoretisch einerseits in einer tendenziellen Priorität des Nomens, sofern es etwas als für sich bestehend bezeichnet, [ 2] und andererseits in der schon von Aristoteles v e r t r e t e n e n Vorordnung der Satzteile als einfacher Bedeutungseinheiten vor dem komplexen Satzgan zen. [3] Thomas sucht die Priorität einzelner Termini vor den Sätzen auch mit der erkenntnistheoretischen These zu b e g r ü n d e n , das e r s t e und eigentümliche Objekt der Vernunft sei das Wesen ma terieller Gegenstände, im Satz vollziehe man dann erst den Über gang von solchem Wesensbegriff zu den akzidentellen Eigenschaf ten desselben Gegenstands. [4] Grundlage dafür ist die aristo1
Zimmermann, a . a . O . S.291 u . 293f, knüpft bei seiner Deu tung des 'est' an die These a n , alles verbal Bezeichnete i n häriere einem Subjekt. Bei der Isolierung einer ersten Be d e u t u n g von 'est' muß Thomas aber den Gedanken an die Inhärenzbeziehung - sicher künstlich - fernhalten, weil 'est' als Bezeichnung für eine inhärierende Form überhaupt nichts anderes wäre als eine Formel für Aussagen (S ist P ) , die bestimmte Inhärenzbeziehungen beschreiben. 2 In 1 Perih. 1. 5, 59 u . 66 3 Met. Λ l l , 1018 b 32-37, 1019 a 1-14; Met. Z. 10, 1035 b 4-14; Thomas In 4 Met. 1. 10, 654; In 5 Met. 1. 13, 948; In 7 Met. 1. 10, 1482f 4 I 85, 5 u . 8; v g l . In 1 A n .p o s t . 1. 2, 14
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telische Unterscheidung, nach der Wesenserkenntnisse immer wahr sind, Aussagen eines Prädikats von einem Subjekt dagegen auch falsch sein können. [1] Dabei hat Aristoteles die u n t r ü g liche Erkenntnis - relativ - einfacher Wesensbestimmungen von der synthetischen, also auch der Falschheit zugänglichen Er kenntnis so a b g e g r e n z t , daß die letztere zuvor schon separat Erkanntes auch noch zusammensetzt und wie eine Einheit a n sieht. [2] Hier ist mit noch g r ö ß e r e r Deutlichkeit als an den zitierten Stellen der Metaphysik die Auffassung a u s g e d r ü c k t , der Satz sei gegenüber den einzelnen Wörtern sekundären Cha r a k t e r s und von ihnen abhängig, die Bedeutung von Wörtern aber unabhängig von einem Satzzusammenhang e r k e n n b a r . Eine Interdependenz dieser Satztheorie mit dem erkenntnistheo retischen Modell, alle Verstandeserkenntnis sei auf sinnliche Vorstellungen (phantasmata) bezogen, die ihrerseits aufgrund der Wahrnehmung von Einzelgegenständen gebildet werden, ist schon bei Aristoteles nachweisbar. Denn er folgert d a r a u s , daß die Gegenstände des Denkens nicht getrennt von denen d e r Wahrnehmung, sondern n u r an ihnen seien, jegliche Betrach tung müsse sich zugleich auf eine sinnliche Vorstellung bezie h e n , und unterscheidet die Vorstellungen noch einmal daran von Sätzen, daß erst diese Gedanken im Hinblick auf Wahrheit und Falschheit v e r k n ü p f e n . [ 3] Vermittelst der Vorstellung haben diesem Erkenntnismodell zufolge die Denkbestimmungen eine hin reichende Distinktheit gegeneinander durch ihre Beziehung auf die spezifisch bestimmten Wahrnehmungsgegenstände. Dadurch teilt sich deren prinzipielle Gleichgültigkeit gegeneinander den Bestimmungen mit, und diese verdanken ihre Bedeutung nicht dem in einem Satz sich darstellenden Zusammenhang u n t e r e i n a n d e r , sondern umgekehrt können fertige Bedeutungen schon vorausgesetzt werden, wenn ein Satz aus Wörtern als seinen Teilen gebildet wird. Könnte also die erkenntnistheoretische Be g r ü n d u n g für eine jeweils selbständige Bedeutung der Bestim mungen nicht aufrechterhalten werden, so wäre auch nicht län ger der Satz als aus seinen Teilen zusammengesetzt zu d e n k e n , und umgekehrt kann sich seine Bedeutungstheorie, die vom Satz a u s g e h t , nicht an einzelne Wahrnehmungsgegenstände als letzte Bedeutungsträger halten. Das wäre eine grundsätzliche Alternative zum Kategorienschema, durch das einzelne Sachbestimmungen in eine allgemeine Ord nung gebracht werden sollen, bevor sie zu Sätzen verknüpft werden, und unabhängig davon. [4] Thomas' Würdigung des Verbs als des formalen Prinzips des Satzes weist in die Rich1 2
An. Γ 6, 430 b 26-30; Thomas, In 3 An. 1. 11, 760ff An. Γ 6, 430 a 26 - b 6; Thomas, In 3 An. 1. 1 1 , 746-751; v g l . z . B . auch 1 S 19 V 1 ad 7 u . In 1 Perih. 1. 5, 68 3 An. Γ 8, 432 a 3-12; Thomas, In 3 An. 1. 13, 791ff 4 Cat. 4, 1 b 25ff; v g l . I n t e r p r . 4, 16 b 26-30
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t u n g jener Alternative, weil die Satzteile ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Satzganzen verlieren, sobald die Überlegung vom Verbum als dem Satzteil a u s g e h t , der eine bloße Wortreihe e r s t zum Satz macht. [1] Denn das Verbum ist als Einheit von Prädikat und Synthesis n u r zugleich mit dem verknüpften Sub jekt, also mit dem ganzen Satz - seiner G r u n d s t r u k t u r nach zu v e r s t e h e n , bestimmt aber ebenso wesentlich dessen Sinn. Diesen in den Texten angedeuteten Ansatz kann man über die von Thomas gemachte, zunächst auch notwendige Unterschei dung von Nomen und Verbum hinaus auf das Nomen anwenden. Denn mit der Affirmation oder Negation als den beiden Formen der Synthesis[2] werden Subjekt und Prädikat als eine Einheit e r k a n n t , [3] das heißt, das Subjekt ist inhaltlich durch das Prä dikat bestimmt und gerade nicht d u r c h sich selbst allein schon adäquat v e r s t a n d e n . Wie das finite Verbum ein Argument gegen die These i s t , die Bedeutung einzelner Wörter werde vor i h r e r Zusammensetzung zu einem Satz e r k a n n t , so widerspricht die Betrachtung des ganzen Satzes als synthetische Einheit, wie er sich vom verbalen Prädikat her darstellt, der angeblichen s e mantischen Selbständigkeit auch des nominalen Subjekts. Nicht solche Überlegungen setzen sich im Ganzen von Thomas' Sprachtheorie d u r c h , sondern im Grunde bleibt die ihnen g e genläufige Tendenz u n e r s c h ü t t e r t : Die Orientierung an einer Gegenstandswelt, die dem sprachlichen Bezeichnen vorgegeben ist und insofern seinen Sinn hinreichend bestimmt, führt zu einer klaren Priorität des Subjektnomens vor dem Verbum, weil jenes einen Gegenstand als selbständig existierend (per se existens) bezeichnet und damit eine Voraussetzung für das verbale Bezeichnen eines Tuns oder Leidens darstellt, das einem solchen Selbständigen n u r inhärieren k a n n . 2. Genesis und Resultat des Kategorienbegriffs bei Aristoteles Mit dem Inhärenzschema greift Thomas auf die Kategorienlehre zurück und wendet sie auf die logische Erklärung des Verbal satzes a n , obwohl Aristoteles ausdrücklich festgestellt h a t , daß keine der Kategorien an ihr selbst entsprechend einer V e r k n ü p fung oder in einem Urteil ausgesagt wird, sondern erst d u r c h ihre Verknüpfung miteinander ein Urteil e n t s t e h t . [4] Enthalten die Kategorien selbst kein synthetisches Prinzip, so scheint Thomas' Verwendung des kategorialen Schemas Substanz - Akzi denzen in der Satztheorie[5] deren Gegenstand nicht gerecht zu 1 2 3 4 5
In 1 In 1 In 6 Cat. mas, Vgl.
Perih. 1. 8, 95 Perih. 1. 3, 26 Met. 1. 4, 1229 4, 1 b 25ff, 2 In 6 Met. 1. 4, z . B . In 9 Met.
u . 96 a 4-10; v g l . Met E 4 1027 b 29-33; Tho 1241 1. 11, 1898; 1 S 38 I 3; I 85, 5 u . ad 3
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werden, da der Satz auch nach Aristoteles nicht als ein bloßes Aggregat seiner Wörter aufgefaßt werden k a n n . [ l ] Die I n t e n tion, den Satz als eine in sich differenzierte Einheit oder ein Ganzes zu v e r s t e h e n , scheint auf d e r Grundlage der Kategorien weitaus schwieriger realisierbar, als wenn man von der s y n t h e tischen Funktion des Verbum ausgeht: Da kategorial v e r s t a n d e ne Satzteile an ihnen selbst nicht auf ihre Verknüpfung zum Satz bezogen sind, müßten sie bei der Bildung eines nicht a d ditiv verstandenen Satzes aus ihnen verändert werden. Daß dieses Problem in den Texten nicht behandelt wird, ist na heliegend mit dem Doppelcharakter der Kategorien zu e r k l ä r e n , der sich aus i h r e r behaupteten Gleichgültigkeit gegen den Satz zusammenhang einerseits und ihrer genetischen Abhängigkeit von ihm andererseits e r g i b t . Mit dieser ist die bekannte Not wendigkeit gemeint, das Substanz-Akzidens-Schema aus den verschiedenen möglichen Funktionen von Bestimmungen in Ur teilen zu begreifen. Diese Funktionen unterscheidet Aristoteles nach reinen Subjekten, die in keinem der angegebenen Modi prädiziert werden können, Prädikaten, mit denen man auf die Frage, was ein solches Subjekt jeweils sei, antwortet, und Prädikaten der Antworten auf andere Fragen nach diesen Sub jekten; in jedem Fall sind die möglichen Verhältnisse einer Be stimmung zu anderen in bestimmten Sätzen, sogar Gesprächen, für ihre kategoriale Einordnung entscheidend. [ 2] Danach ist die Kategorienlehre eine Theorie der Bestimmung, die sie als an ihr selbst durch ihre Stellung im Satzganzen typisiert ansieht. Die ses Moment des Kategorienbegriffs gilt aber offensichtlich n u r für die Reflexion, in der die Kategorien ermittelt werden, nicht für das Resultat des Gedankengangs. Eine solche Unterschei dung mag befremdlich erscheinen und ist es auch im Hinblick auf die durch das sokratische Fragen b e g r ü n d e t e Methode der Philosophie, ihre Ergebnisse durch Analyse i h r e r Voraussetzun gen und nicht durch Abstraktion von ihnen zu gewinnen, aber die mit der Kategorienlehre gegebene Antwort auf die Prinzi pienfrage folgt gezielt und exemplarisch dieser Methode nicht. [3] Die Differenzierung verschiedener Funktionen im Satz zielt von vornherein auf die Ermittlung eines Abhängigkeitsverhältnisses unter den Momenten des ausgesagten Sachverhalts, also ein 1 2
Met. E 4, 1027 b 24f; Thomas, In 6 Met. 1. 4, 1228f Daß auch mit der Charakteristik der Akzidenzen als 'an einem Zugrundeliegenden seiend' kein abstrakt ontologisches, sondern ein sprchliches Verhältnis gemeint i s t , hat Wieland, Die aristotelische Physik, S. 149-158, ausführlich dargelegt. Generell geht aus Cat. 5, 2 b 29-37; Met. Γ 2, 1003 b 6-10, u . Met. Ζ 1, 1028 a 13-20, unmißverständlich h e r v o r , daß sich alle Kategorien in einer Antwort oder Aussage bestim men, die etwas zu einem anderen in Beziehung s e t z t . 3 Zur Stellung des Kategorienschemas in dieser Methodenfrage v g l . auch unten S.174ff
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nicht grammatisches, d . h . auf die Konstitution des Satzes b e zogenes Abhängigkeitsverhältnis, das vielmehr den prinzipiellen Sinn von Sein durch den Nachweis einer Stufenfolge erklären soll. Da in der Kategorienschrift nicht die Satzfunktionen als solche thematisiert werden, sondern die unterschiedliche Taug lichkeit einzelner Typen von Sachbestimmungen, diese Funk tionen zu erfüllen, zum Unterscheidungskriterium derselben Be stimmungen gemacht wird, kommt es darauf an, wie zunächst isoliert bezeichnete Gegenstandsmomente in Urteile eingeordnet werden können. Dabei gilt der kategoriale oder Aussagencha r a k t e r dieser Einordnung als bloßes Mittel und die erreichbare Klassifizierung der Momente gegeneinander als Zweck der Un t e r s u c h u n g . Die Kategorie wird also als Ordnungsschema für unabhängig von Satzzusammenhängen Aussprechbares begriffen, wenn das beanspruchte Denkmittel gegenüber dem Resultat der Argumentation vernachlässigt wird; ein Rückgriff auf die Funk tion der Kategorien in der Aussage ist dabei nicht ausgeschlos s e n . [ 1] Wenn die von Aristoteles allgemein bestimmten Kategorien dage gen gleichgültig sein sollen, ob die durch sie klassifizierten besonderen Bestimmungen ( z . B . Wolke, grau) zu einer Aussage gehören oder nicht, dann muß jede Kategorie (hier also Sub s t a n z , Qualität) schon an ihr selbst hinreichend definiert sein, bevor sie sich in der Beziehung auf andere Kategorien, also in der Aussage, definiert. Das aber kann wohl n u r so gedacht werden, daß die besonderen Sachbestimmungen dank ihres em pirischen Inhalts schon je für sich gerade so gegeneinander abgegrenzt sind, wie es sich dann bei i h r e r Einordnung in Aus sagefunktionen zeigt, und daß sich diese Definiertheit den all gemeinen Kategorien mitteilt, sofern sie nichts als ein Schema jener besonderen Bestimmungen sind. Während 'Wolke' einen selbständigen Gegenstand bezeichnet, meint man mit 'grau' im mer etwas an einem Ding. Diese Differenz scheint unabhängig davon gegeben zu sein, daß sich anhand des Satzes 'Die Wolke im Westen ist grau' und anderer Sätze verschiedene Aussage funktionen von 'Wolke' und 'grau' herausstellen. Damit erhält auch der fundamentale Unterschied 'Substanz - Akzidens' den Anschein, eine vorhandene Einteilung aller Gegenstandsbestim mungen zu s e i n [ 2 ] , die man durch Aussagenanalyse bloß nach träglich auffindet. - Wenn diese Annahme richtig i s t , dann kann man v e r s t e h e n , daß die Konstitution der Kategorien aus der Aussagerelation nicht mehr mitgedacht wird, wenn sie als Re sultate einer abgeschlossenen Argumentation weiterverwendet werden. Um die aristotelische Kategorienlehre zu begreifen, muß man also zwei Denkansätze v e r b i n d e n , die für ein strenges Metho1 2
S. z . B . In 5 Met. 1. 9, 890f Vgl. Avicenna, Meta. II 1, van Riet S.65, Z.4-13
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denbewußtsein wesentlich voneinander divergieren: Einerseits handelt es sich darum, allgemein logische Bedingungen jeder bestimmten Erkenntnis ( z . B . die Form des Urteils 'Etwas von etwas sagen') von den konkreten Einzelinhalten reflektierend abzuheben, vom Satz als semantischer Einheit auszugehen, wenn man Gegenstandsbestimmungen nach Arten u n t e r s c h e i d e t , und deshalb solche Unterschiede aus den verschiedenen Verhältnis sen zu b e g r ü n d e n , in denen die Bestimmungen sprachlich auf einander bezogen werden. [1] Diesen Bedingungen d e r Herlei tung d e r Kategorien stehen andererseits die Gesichtspunkte gegenüber, u n t e r denen sie als fertige, je selbständige Resul tate erscheinen, nämlich die Orientierung der Theorie am u n mittelbaren Erkennen k o n k r e t e r Gegenstände (wie z . B . d e r Be obachtung, daß die Wolke im Weste grau i s t ) , die e r k e n n t n i s theoretisch begründetet 2] Priorität einzelner Sachbestimmungen wie 'Wolke' und 'grau' vor i h r e r Verknüpfung zu einer Aussage und - demzufolge - die Rechtfertigung d e r kategóriáién Klassi fikation solcher Bestimmungen aus ihrem je einzelnen, empirisch bekannten Inhalt. - Verbinden kann man diese beiden Ansätze n u r s o , daß die logisch-sprachlichen Beziehungen allein für die Gewinnung eines allgemeinen Begriffs von Substanz und Akzi denzen konstitutiv sein sollen, dieser Begriff in d e r Folge aber an Erfahrungsinhalten realisiert wird und das ohne ausdrückli che Reflexion auf die mit seiner Genesis verbundenen Abhängig keiten. Diese Wendung ist an dem Sinn zu e r k e n n e n , den die Unter scheidung von e r s t e r und zweiter Substanz und Akzidens b e kommt. Sie soll ein einsinniges Bedingungsverhältnis an belie bigen Sachverhalten begreiflich machen, sofern solches, das n u r als Subjekt in Aussagen fungieren k a n n , als Voraussetzung all dessen angesehen wird, das von ihm prädiziert werden k a n n , unbeschadet dessen eigener Möglichkeit, in anderen Urteilen Subjekt zu s e i n . [ 3 ] Sowohl die Wesensbestimmungen oder zwei ten Substanzen als substantielle Qualitäten, d . h . nicht a u s tauschbare qualitative Bestimmungen der reinen Subjekte, [4] 1
Zu dem letzteren Moment v g l . Bärthlein, Zur Entstehung d e r aristotelischen Substanz-Akzidens-Lehre, S.242 Anm.60, S.247. 2 Vgl. oben S.41f 3 Cat. 5, 2 a 34 - b 6 c , 2 b 15ff, 2 b 37 - 3 a 1 4 Cat. 5 , 3 b 13-21. Sie bezeichnen nicht n u r ein qualitativ Bestimmtes ü b e r h a u p t wie die Qualitätskategorie, sondern "definieren das Qualita tive hinsichtlich der Substanz, denn sie bedeuten eine so geartete Substanz" (19ff). Es fällt auf, daß diese Unter scheidung von Qualität und zweiter Substanz schon die Auf lösung des dem Substanz-Akzidenz-Schema zugrunde gelegten Aussagenzusammenhangs voraussetzt; andernfalls wäre Quali tät wie in der Konzeption d e r Metaphysik ( Γ 2, 1003 b 6-10;
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wie auch die Akzidenzen, die nicht unabhängig von dem sein sollen, an dem sie vorkommen, [ 1] gelten als durch reine S u b jekte vermittelt, diese vermittelnden Instanzen selber müssen dagegen als unmittelbar und unbedingt erscheinen. Zwar lautet die aristotelische Formulierung, die ersten Substanzen würden deshalb am meisten oder am eigentlichsten Substanzen g e n a n n t , weil sie allem anderen zugrunde liegen bzw. alles andere von ihnen ausgesagt wird oder an ihnen i s t , [2] also unzweifelhaft aufgrund ihres Verhältnisses zu anderem. Aus der Bestimmung a b e r , allem zugrunde zu liegen und selber von nichts aussagbar zu sein, soll die strikte Einzelheit der ersten Substanzen fol gen, die mit den Ausdrücken 'Dieses d a ' , 'Unteilbares' und Zahlenmäßig Eines' umschrieben w i r d . [ 3 ] Damit ist die Unbe stimmtheit des absoluten Subjekts, d a s , soweit es auch von der zweiten Substanz abgehoben wird, von allen möglichen Prädika ten unterschieden i s t , in eine affirmative Charakteristik gewen d e t , die sich auf die Erfahrung und den sprachlichen Umgang mit unmittelbar gegebenem Einzelnen berufen k a n n . Ζ 1, 1028 a 13-20) grundsätzlich als Qualität der Substanz zu v e r s t e h e n und das Wesen nicht als Qualität. 1 Cat. 2, 1 a 24f 2 Cat. 5 , 2 b 15ff u . 37ff, v g l . 2 a 11-14 3 Cat. 5 , 3 b 10-13. Zwergel, Princípium contradictionis, S.48, sieht den aristo telischen Substanzbegriff schon in der Differenz ' κ α τ η γ ο ρ ο υ μ ε ν ο ν - υ π ο κ ε ι μ ε ν ο ν ' g r u n d g e l e g t . Demgegenüber will ich die Fragestellung und den theoretischen Leitfaden h e r a u s a r beiten, anhand d e r e r Aristoteles jene Differenz so i n t e r p r e t i e r t e , daß sie ihm das Substanz-Akzidens-Schema lieferte. Denn dieser Zusammenhang ergibt sich nicht ohne zusätzliche Bedingungen. So folgt die Einzelheit der Substanz noch nicht d a r a u s , daß sie nicht von etwas oder als an etwas anderem seiend ausgesagt wird (Cat. 2, l b 3-6), weil eine solche ausschließliche Subjekt funktion in Urteilen auch Kollektivbe griffen wie 'der Areopag' oder 'Sturm und Drang' zukommt. Wird aber Zugrundeliegen so gefaßt, daß es auch auf die Abhängigkeit solcher Kollektive von den Individuen, die sie e r s t bilden müssen, hinweist, dann wird das Zugrundelie gende auch in dieser Hinsicht ganz unmittelbar, also als u n teilbar, d . h . durch Teile nicht bedingt, gedacht. Daß Ari stoteles aber auf ein Unmittelbares in diesem konsequenten Sinn abzielt, ist aus der Urteilsanalyse allein nicht v e r s t ä n d lich, zumal diese zugleich mit der relationalen Vermittlung in der Aussage zu tun hat; es müssen also andere Erklärungen gesucht werden. In der Analyse der Erkenntnisbedingungen bietet der Rekurs auf Wahrnehmung einen Zugang zum Ver ständnis der Einzelheit der Substanz, denn Wahrnehmung erscheint als unmittelbares Bewußtsein eines - deshalb auch - unmittelbaren Gegenstandes ( s . unten Zweiter Teil, Kap.2, 3 , b ) .
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Nun hatte Aristoteles an einer voraufgehenden Stelle [1] schon bemerkt, daß die Einzelheit zur Definition d e s s e n , was im wei teren Gang der Untersuchung erste Substanz genannt wird, nicht ausreicht, weil auch Akzidenzen einzelne sein können, so daß auf die aussagentheoretische Bestimmung der Substanz, nicht als etwas gesagt zu werden, das an einem Zugrundelie genden i s t , zunächst nicht verzichtet werden k a n n . Am Ende des Kapitels über die Substanz wird aber ein eigentümlichstes Merkmal der Substanz e r ö r t e r t , das jene Bestimmung ersetzen k a n n , weil es keiner anderen Kategorie zukommt: [2] Nur die Substanz kann u n t e r Wahrung i h r e r individuellen Identität ein ander konträre - akzidentelle - Eigenschaften in der Abfolge der Zeit annehmen. Das ist offensichtlich kein weiteres Argument für das SubstanzAkzidenz-Schema, weil dieses bereits zum Verständnis des Tex tes vorausgesetzt werden muß: Substanz muß hier als schon wesentlich bestimmte Identität, nicht als reines Dieses, gedacht werden, weil ein unbestimmtes Dieses seine Identität durchaus mit ihm wechselnd zukommenden Eigenschaften v e r ä n d e r t e ; d e s halb ist hier auch von 'einem Menschen' die Rede. Daß die blei bende Wesensbestimmung schon im voraus von den wechselnden, auch konträren akzidentellen Eigenschaften abgehoben sein muß, e r ü b r i g t sich auch nicht mit dem Hinweis darauf, daß Bestim mungen wie 'Mensch' oder 'Lebewesen' kein konträres Gegenteil haben, [3] denn mit Differenzen wie vernünftig - unvernünftig, belebt - unbelebt geht doch jeweils das Extrem eines konträren Gegensatzes in die Definition dieser Wesensbestimmungen ein, das für die Identität der Substanz konstitutiv ist und deshalb im Wechsel der Eigenschaften festgehalten werden muß. Diese Charakteristik, bei Wahrung der eigenen Identität nach einander konträre Eigenschaften annehmen zu können, verbindet modellhaft den relationalen und den unmittelbar positiven Aspekt der Kategorienlehre, obwohl nicht mehr explizit von Aussagen die Rede i s t . Die Substanz wird durch ihr Verhältnis zu akzi dentellen Eigenschaften am eigentlichsten gekennzeichnet, aber dieses Verhältnis besteht gerade in i h r e r Gleichgültigkeit g e genüber der jeweiligen Bestimmtheit der Akzidenzen. Die Relationalität der Substanz beschränkt sich auf die Weise, wie S u b stanz überhaupt gedacht wird, ihre Negativität gegen den Wechsel k o n t r ä r e r Akzidenzen ist aber nicht in einem konkreten Zusammenhang wie einer Reaktion oder Gegenbewegung faßbar. Deshalb erscheint diese Unabhängigkeit der Substanz als bloßes Resultat der Überlegung, während in den Hintergrund t r i t t , daß mit der Negation ein Verhältnis ausgedrückt i s t .
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Cat. 2, 1 b 6-9 Cat. 5 , 4 a 10-21; 4 b , 13-18 Cat 5, 3 b 24-27
49 3 . Bedingungen der Substanzkategorie: a) Nominalisierung von Verben zu Infinitiven und Partizipien In der 'Metaphysik' und Thomas' Kommentar wird die prinzipielle Funktion der Begriffsmomente 'Unabhängigkeit' und 'Sich im Wechsel Erhalten' oder zusammengefaßt 'selbständig Bestehen' in der Theorie noch wesentlich deutlicher. Eine prinzipielle Funk tion scheint dieser Begriff der Substanz auszuüben, weil er aus der Vernachlässigung der bloß faktisch gedachten, aber nicht reflektierten Relationen h e r v o r g e h t , ohne daß man dafür noch einmal ein Argument fände; dasselbe gilt, wenn man diesen Übergang gerade umgekehrt beurteilt, daß nämlich das Prinzip der Selbständigkeit Relationen als unwesentlich erscheinen ließ. Von einem Prinzip kann auch deshalb die Rede sein, weil es ebenfalls in den besprochenen sprachphilosophischen Untersu chungen insoweit gilt, als in ihnen einfachen Bedeutungsein heiten Priorität gegenüber synthetischen zuerkannt wird. Wenn man, wie es hier gemeint i s t , den Begriff des selbständig Bestehenden nicht ontologisen, sondern logisch vor der Unter scheidung ontologischer und erkenntnistheoretischer Betrach tungsweise v e r s t e h t , dann kann alles Einfache - nicht der r e flektierte Begriff der Einfachheit - diesen Begriff exemplarisch erfüllen, sofern es als nicht zusammengesetzt weder einen Hin weis auf einen Grund noch eine Andersheit an ihm selber zu haben scheint. Für Aristoteles ist das Einfache d a s , was sich schlechterdings nicht unterschiedlich verhalten und deshalb auch nicht von anderem gewaltsam beeinflußt werden k a n n . [ l ] Was einfach i s t , hat aus sich die Notwendigkeit, so zu sein, wie es i s t . Es ist im eigentlichen Sinn notwendig und begründet seinerseits die Notwendigkeit von solchem, das nur durch ande res notwendig i s t . Boethius hat bei einer Gegenüberstellung von einfacher und zusammengesetzten Substanzen den Zusammenhang von Einfachheit und Grundlosigkeit ausgesprochen: [ 2] Während alles Zusammengesetzte aufgrund seiner Teile ist und deshalb den Widerspruch an ihm h a t , nicht das eine, das z . B . mit d e r Bestimmung 'Mensch' gemeint i s t , zu sein, sondern verschiede nes als Materie und Form Verbundene, ist das Einfache nur ein Dieses, eben d a s , was es seiner Bestimmung nach ist; "es ist das Schönste und Mächtigste, weil es sich auf nichts s t ü t z t " . 1
Met. Δ 5, 1015 b 11-15. Tugendhat, Ti kata tinos, S.10, S.12 u . S.30, sieht den Zusammenhang von Selbständigkeit und einfacher Identität schon in Piatons Ideenbegriff verwirk licht. Weil ich zeigen möchte, daß Platon anders als Aristo teles Selbständigkeit und Einfachheit relativiert, kann ich diese Charakteristik von Prinzipien bei Aristoteles und in der ihm folgenden Tradition nicht als platonisches Erbe b e t r a c h t e n , sondern muß sie eigens u n t e r s u c h e n . 2 Quomodo trinitas unus d e u s , Stewart/Rand, S.10, Z. 29-42
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Auch Thomas hat die ausgezeichnete Substantialität des Einfa chen, die in der Wissenstheorie mit der für aller Erkenntnis grundlegenden unmittelbaren Einsicht in die nicht synthetischen Prinzipien wiederkehrt, insbesondere im Zusammenhang mit den einfachen, d . h . nichtmateriellen Substanzen thematisiert. Er bestätigt, daß sich das Sein der Zusammengesetzten aus ihren Komponenten e r g i b t , [1] also aus etwas anderem als dem einheit lich gedachten Kompositum, das Sein der reinen Formen ihnen dagegen unmittelbar an ihnen selbst folge [2] und hebt die Konsequenz h e r v o r , daß diese einfachen Substanzen in höherem Maß als die zusammengesetzten unbewegt und in identischer Wesensform b e s t e h e n . [3] Wenn dieselbe Funktion eines u n e r schütterlichen letzten Grundes in der Begriffslogik die Kate gorien als nicht mehr definierbare, also logisch einfache höchste Genera a u s ü b e n , [4] dann erscheint die Annahme einer Priorität einfacher vor komplexen Sinneinheiten auch n u r als ein Fall desselben universalen Prinzips, die selbständige Geltung oder das unabhängige Bestehen, wie sie sich insbesondere an Einfa chem realisieren, der Abhängigkeit von und Bezogenheit ü b e r haupt auf anderes v o r z u o r d n e n . Trifft dies zu, dann genügt es nicht, Substantialität e r s t als ein Ergebnis der das Kategorien schema entwickelnden Überlegungen aufzufassen, sondern d e r sie implizit bestimmende Begriff von Sprache steht bereits u n t e r dem, was man Prinzip der Substantialität nennen k ö n n t e . Diese Seite des aristotelischen Sprachbegriffs zeigt sich außer in der Auffassung der Satzteile in Kategorienschrift und De interpretatione auch an der Art der Behandlung des Kategorien schemas in der Metaphysik, mit der zugleich Sein als der all gemeinste Sinn von Aussagen nachgewiesen und als Formalobjekt der Ersten Philosophie legitimiert werden soll. Um dies zu e r reichen und die Substanz als von jeder anderen Kategorie v o r ausgesetzt zu demonstrieren, bringt Aristoteles verbale Aus drücke in die Form des Partizips, das nach Thomas teilweise nominalen Charakter h a t , sofern es wie die Nomina und a n d e r s als finite Verben sowohl als Subjekt wie als Prädikat gebraucht werden k a n n . [5] Deshalb gilt der Hinweis, daß es keinen Un terschied mache, wenn finite Vollverben in einem Satz d u r c h ihr Partizip und das synthetische 'ist' ersetzt werden, [6] wohl hin sichtlich des jeweiligen Sachverhalts, den man mit einzelnen Sätzen meint, nicht aber u n t e r satztheoretischem Aspekt. 'Seinf kann durch diese Umformung des Satzes als wesentliches Mo ment der Aussage und als die synthetische Einheit des Urteils 1 2 3 4 5 6
In 9 Met. 1. 1 1 , 1903 Ebenda 1911; v g l . In 2 Met. 1. 2, 296 So z . B . In Trin.VI 1 ( 3 ) , Decker S.212, Z.6-10 Met. H 6, 1045 a 36ff In 1 Perih. 1. 5, 55 Met. Δ 7, 1017 27-30; Thomas, In 5 Met. 1. 9, 893
51 schlechthin n u r u n t e r der Bedingung erscheinen, daß zugleich der jeweils besondere Inhalt der Aussage mit der synthetischen Funktion, die er im Verbalsatz h a t , auch seinen verbalen Cha rakter v e r l i e r t . Versteht man Sinnidentität ü b e r die Eindeutigkeit von Verstän digung ü b e r Sachverhalte hinaus auch im Hinblick auf die Be deutungsnuancen des sprachlichen A u s d r u c k s , dann v e r ä n d e r t die vorgeschlagene Umformulierung der Aussagen auch ihren besonderen Sinn oder Inhalt. Nach Thomas' Darstellung wahrt das Partizip die Bedeutung des Verbum, nämlich die zeitlich bemessene, in Tun und Leiden unterschiedene Bewegung, aber n u r so, daß es die Substanz als Subjekt dieser Bewegung b e zeichnet. [1] Die nominale Form des Partizips bestimmt also die ohne Bewegung und Zeit gedachte Substanz zu seinem unmittel baren Gegenstand, der dann auch noch als bewegt qualifiziert wird. Die Priorität der Substanz, die auf diese Weise dem Prä dikat des Satzes selber immanent gemacht wird, wird auch durch das synthetische und die Realität des Sachverhalts a u s drückende 'ist' nicht in Frage gestellt, sondern eher b e s t ä t i g t , insofern dieses Verb gerade keine Bewegung, sondern das s u b stantielle Bestehen eines Zustandes oder Sachverhalts a u s d r ü c k t . Diese Bedeutungsverschiebung von Bewegung oder Tä tigkeit zu Zuständlichkeit ist durchaus auch an empirischen Sätzen wie 'Peter spielt' - 'Peter ist ein Spielender' e r k e n n b a r . Den nominalen, auf die Substanz bezogenen Charakter des Par tizips hebt Aristoteles selbst am Anfang des siebten Buchs d e r Metaphysik h e r v o r , der das Thema von der Priorität der Sub stanz vor den anderen Kategorien aus d e r Kategorienschrift aufnimmt. Obwohl der Text nach der Aufzählung der wichtig sten Kategorien die Substanz anhand von Fragen und Antworten als Voraussetzung der anderen Kategorien und diese als Eigen schaften der Substanz, also beide Extreme jeweils in i h r e r sprachlichen Relation aufeinander zeigt, fragt er anschließend nach dem Status von Verben, indem er sie zunächst losgelöst aus dem Satzzusammenhang in der Form i h r e r Infinitive v o r f ü h r t . [2] Was auf diese Weise bezeichnet wird, dessen Seins charakter erscheint Aristoteles zweifelhaft, weil "es weder für sich noch von der Substanz a b t r e n n b a r i s t " . [ 3 ] Daraus geht in hinreichender Deutlichkeit h e r v o r , daß Substantialität im Sinn von selbständigem, von anderem unabhängigen Bestehen von vornherein als der erste Sinn von Sein gedacht ist und deshalb als Kriterium auf die kategoriai differenzierten Formen der Aus sage angewendet werden k a n n . Dieses Kriterium erfordert eine probeweise Isolierung der einzelnen Satzteile voneinander, damit entschieden werden k a n n , welche dann noch etwas selbständig 1 2 3
In 1 Perih. 1. 4, 42; v g l . 1. 1, 6 Met. Ζ 1, 1028 a 20-31; Thomas, In 7 Met. 1. 1, 1252-1256 Met. Ζ 1, 1028 a 23f
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Bestehendes bezeichnen. Die Isolierung der Verben ist vollstän dig n u r d u r c h z u f ü h r e n , indem sie in den Infinitiv versetzt wer d e n , weil die finiten Verben noch eine Beziehung auf das S u b jekt an ihnen haben, die allerdings - jedenfalls in den wichtig sten europäischen Sprachen - durch eine grammatisch von der nominalen Flexion unterschiedene verbale Formbildung a u s g e drückt wird. Aristoteles geht nicht, wie es Thomas ansatzweise getan h a t , auf den in dieser Beziehung liegenden Ausdruck der ganzen Aussage durch das Verbum ein, was auch die probeweise Ab sonderung des Verbums als unhaltbar erscheinen ließe, sondern stellt in den Infinitiven scheinbar reine Verben zur Diskussion. Thomas ordnet sie aber zusammen mit Substantiven, die Quali täten wie etwa Farben (albedo) bedeuten, als Nomina ein, mit denen der Verstand Akzidenzen u n t e r Abstraktion von i h r e r Inhärenzbeziehung auf die Substanz bezeichne. [ 1] Dieser Kom mentar verdeutlicht noch einmal, daß die Frage nach der Selb ständigkeit des mit sprachlichen Ausdrücken Gemeinten den Satz als Bedeutungseinheit und in eins damit das Verbum, sofern es n u r als synthetisch ausgesagt einen Sinn vermittelt, verschwin den läßt. Wenn Thomas feststellt, daß die hier angewandte Ana lyse des Satzes n u r Nomina als seine Teile ü b r i g läßt, macht er den Voraussetzungscharakter der Substantialität offenkundig, insbesondere im Hinblick darauf, daß er selbst u n t e r 'nomen' n u r Nomina im Nominativ v e r s t e h t , also mögliche Satzsubjekte, die keine Beziehung auf andere Satzteile an ihnen selbst haben, wohl aber unmittelbar einen Gegenstand bezeichnen. [2] Indem Thomas Infinitive als Nomina i n t e r p r e t i e r t , die scheinbar selbständige Gegenstände bezeichnen, begreift er eine Verbal form allein nach dem Maßstab der aristotelischen Überlegung, die dem in Wahrheit unselbständigen mit reinen Infinitiven Ge meinten das durch die entsprechenden Partizipien Bezeichnete als eher seiend gegenüberstellt. In Partizipien ist auch die grammatische Form der Prädikate derjenigen der Subjekte ganz angeglichen und die Nominalisierung, die schon mit der Thema tisierung der Verben in der Form des Infinitivs de facto voll zogen i s t , offen a u s g e d r ü c k t . Die aristotelische Argumentation verbindet hier deutlich den Rekurs auf empirisch bekannte Be stimmungen, die die sichere Differenzierung der allgemeinsten Aussagetypen wie etwas Selbstverständliches gewährleisten sol len, mit einer Reflexion auf den allgemein semantischen Unter schied zwischen Verben im Infinitiv und Partizipien als zwei Wortarten. Wenn sie davon a u s g e h t , daß das mit Infinitiven wie 'Gehen' und 'Sitzen' Gemeinte weder für sich noch unabhängig 1 2
In 7 Met. 1. 1, 1252ff; anders In 1 Perih. 1. 5, 56, wonach der Infinitiv gerade die Inhärenzbeziehung, aber nominal wie einen Gegenstand b e d e u t e t . In 1 Perih. 1. 4, 49
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von der Substanz gedacht werden k a n n , stützt sie sich auf das alltägliche Verständnis dieser und ähnlicher Tätigkeiten und Verhaltensweisen, das daran gewöhnt i s t , sie allemal auf einen Ausführenden oder Träger zurückzubeziehen, auch wenn er nicht genannt oder formal angedeutet i s t . [ l ] Diese zu den Infi nitiven bloß hinzuzudenkende Beziehung auf ein Zugrundelie gendes überhaupt findet Aristoteles in der Nominalisierung d e r selben Verben zu Partizipien auch der Sprachform nach reali siert und zugleich konkretisiert. Er weist aber nicht darauf hin, daß die Form eines Partizips, das wie etwa in dem Satz 'Peter ist ein Sitzender' als Prädikat fungiert, sich grammatisch nach dem Subjekt richten muß. Vielmehr ist für ihn der unmit telbare, d . h . nicht durch die Form des Urteils bedingte, s e mantische Unterschied wesentlich, daß man mit dem Aussprechen (kategoria) eines Partizips zugleich auch sein jeweiliges, b e stimmtes Zugrundeliegendes sprachlich zum Vorschein bringt (emphainetai). [ 2] Die Verknüpfung einer Bestimmung mit ihrem zu Bestimmenden, die finite Verben n u r im Satzzusammenhang ausdrücken und die zu ihren Infinitiven abstrakt ergänzt wer den muß, können Partizipien aufgrund i h r e r besonderen Se mantik schon je für sich genommen leisten. Sie haben eine dop pelte Bedeutung, indem sie sowohl dasjenige bezeichnen, dem die Bestimmung, z . B . zu gehen, zukommt, als auch die jeweils zukommende Bestimmung selbst. [3] Wenn Aristoteles das mit Partizipien Bedeutete wegen dieser Einbeziehung "der Substanz und des Einzelnen" eher als das mit den entsprechenden Infi nitiven Gemeinte Seiendes nennen will, bestätigt er n u r den durchgängigen Voraussetzungscharakter seiner einleitend v o r gebrachten These, Bestimmungen, die in eine der Akzidenskate gorien einzuordnen seien, könnten n u r als Quantitäten, Qualitä t e n , Zustände o. ä . der Substanz Seiende heißen, also vermöge ihrer Beziehung auf das Seiende im ursprünglichen Sinn. [4] Unter der Bedingung, daß Sein als 'Selbständig Bestehen' oder Substantialität verstanden wird, können Tätigkeiten, die mit Infinitiven wie separate Objekte bezeichnet werden, obwohl sie doch auf ein jeweils tätiges Subjekt bezogen werden müssen, so nicht als Seiende anerkannt werden, sondern bloß d a n n , wenn ihr je partikuläres Zugrundeliegendes mitbedeutet wird, wenn also die selbständige Substanz durch ein Partizip als tätige g e dacht wird. 1 2 3
Met. Ζ 1, 1028 a 20-24 Ebenda, 1028 a 24-29 Met. Ζ 6, 1031 b 22-26 Diese Komplexion drückt Aristoteles auch mit "αυτo πεπονθοσ" (es selbst als in einem Zustand Befindliches) aus und sagt von diesem Subjekt, wie es akzidentiell bestimmt i s t , zu gleich, es sei in gewisser Weise identisch mit dem Subjekt selber ( α υ τ o ) , d . h . in seiner wesentlichen Bestimmtheit (Met. Δ 29, 1024 b 30). 4 Met. Ζ 1, 1028 a 13-20
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Daß solches, was mit Partizipien wie mit Adjektiven bezeichnet wird, bloß als Bestimmung einer Substanz, eines im prinzipiellen Sinn Seienden, und vermittels dieser zugrundeliegenden S u b s t a n z , aber nicht selber in diesem ursprünglichen Sinn i s t , das ergibt sich aus der Unvollständigkeit, mit der die Substanz in Adjektiven und Partizipien zum Vorschein kommt. Mit 'das Gute' oder 'das Sitzende' spricht man sie nur als ein bestimmtes, ein zelnes Zugrundeliegendes a u s , aber nicht in i h r e r substantiellen Bestimmtheit, die z . B . 'Mensch' sein k ö n n t e , sondern als durch eine ihr zukommende Qualität oder Lage bestimmt. Das heißt, die Kategorienlehre intendiert eine Unterscheidung des Sinnes von Sein in ursprüngliches Selbständigsein d e r Substanzen und ihr Bestimmtsein durch ihnen auch noch zukommende Eigenschaf t e n . Weil nun dieses akzidentelle Bestimmtsein sich nicht in der sprachlichen Form, wie es bei finiten Verben der Fall wäre, und nicht d u r c h die prädikative Funktion in einem Urteil, die sich n u r auf ein schon zuvor mit einer Bestimmtheit erkanntes S u b jekt beziehen k a n n , von dem substantiellen Sein a b h e b t , weil es Aristoteles im Gegenteil auf die nominale Form der Akzidenzen ankommt, vermöge d e r e r das substantielle Zugrundeliegende ebensogut bezeichnet wird wie mit seiner wesentlichen Bestim mung, deshalb beruht der Unterschied zwischen substantiellen und akzidentellen Bestimmungen und mit ihm die Differenzierung des Sinnes von Sein nach dem Substanz-Akzidens-Schema a u s schließlich auf der speziellen Semantik der jeweils zur Diskus sion gestellten Bestimmungen. Auf diese Weise kann sich die zunächst hypothetisch vorgeschla gene Interpretation des Kategorienbegriffs an dem e r s t e n Kapi tel des siebten Metaphysikbuchs bewähren, die Annahme also, daß Aristoteles die Abgrenzung d e r Kategorien gegeneinander, insbesondere die Distinktion von Substanz und Akzidens, auf grund von generellen Verhältnisbestimmungen in Urteilen d u r c h eine Abgrenzung anhand der empirisch bekannten Bedeutungen einzelner Bestimmungen ersetzt und zugleich auf die Beanspru chung und Explikation von Urteilsstrukturen v e r z i c h t e t . In seiner Unterscheidung d e r Partizipien und Adjektive von Infi nitiven kommt der richtungsweisende Text am Anfang der so genannten Substanzbücher ohne ein einziges als Beispiel die nendes Urteil a u s , weil er dessen Synthesisfunktion in der dop pelten Semantik von Prädikatsnomina, selbst wenn sie ohne den Satzzusammenhang ausgesprochen werden, hinreichend vollzogen sieht. Wenn auf diese Weise der Begriff d e r Kategorien verwirk licht wird, daß sie unabhängig von der Verknüpfung im Urteil zu ermitteln s i n d , [ l ] dann ist das Substanz-Akzidens-Schema als eine adäquate Einteilung aller Prädikate immer n u r an der je eigentümlichen Semantik einzelner Bestimmungen zu bestätigem, aufgrund d e r e r dieselben als ihrem Zugrundeliegenden wesent lich oder ihm n u r auch noch zukommend eingeordnet werden können. 1
Cat. 4 , 1 b 25ff; v g l . Cat. 2 , 1 a
16-19
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Die intransitiven Verben, die Aristoteles am Anfang des siebten Metaphysikbuchs als Beispiele auswählt, also Gehen, Gesundsein und Sitzen, eignen sich auch ausgezeichnet für die Demonstra tion, daß sie als nominale Prädikate wie 'ein Sitzender' gerade ein solches Zugrundeliegendes mitbedeuten, wie es zu ihnen, wenn sie im Infinitiv ausgesprochen werden, als ihr Relatum ergänzt werden muß, und daß sie zugleich auf eine a n d e r e , wesentliche Bestimmung desselben Zugrundeliegenden unbestimmt verweisen, weil niemand behaupten würde, mit der Rede vom Sitzen könne die Frage beantwortet werden, was denn der Sit zende seinem Wesen nach sei. Diese beiden Aspekte des Akzi densbegriffs, die Beziehung auf je ein Zugrundeliegendes und die Indikation der eigenen Unwesentlichkeit für dasselbe, sind aber nicht an beliebigen Bestimmungen ebenso selbstverständlich zu e r k e n n e n , so daß der Rekurs auf die spezielle Semantik auch die Unzulänglichkeit des Substanz-Akzidens-Schemas verdeutli chen k a n n . Was die Eindeutigkeit angeht, mit der nach Aristote les jede Bestimmung entweder als zum definierbaren Wesen ihres Zugrundeliegenden gehörig oder als demselben bloß zukommend v e r s t a n d e n wird, so braucht man nur an das Verb 'Sprechen' zu denken, um sich ü b e r ihre Begrenztheit klar zu werden. Denn es ist selber eine philosophisch relevante Frage, ob das einen Menschen wesentlich bestimmende Prädikat 'vernünftig' n u r u n t e r der Voraussetzung von Sprachlichkeit begriffen wer den k a n n , oder ob das Sprechen eine dem vernünftigen Bewußt sein nachgeordnete Eigenschaft i s t , wie es aus der aristoteli schen Auffassung vom Zeichencharakter der Sprache folgen w ü r d e . [1] Aristoteles' Argumentation hängt aber nicht nur von der Unum strittenheit der Definition des jeweiligen Zugrundeliegenden a b , sondern auch davon, daß das Verständnis der speziellen Be deutungen beliebiger Prädikate dieselben stets auch unabhängig von einem Satzzusammenhang auf je ein bestimmtes Zugrundelie gendes bezieht und dieses so als die Substanz der gemeinten Bestimmung, als ihr Seinsprinzip ausweist. Keineswegs alle Verben, schon generell die transitiven nicht, zeichnen in i h r e r besonderen Bedeutung eine Beziehung auf d a s , was Aristoteles mit der Rede von ihrem Zugrundeliegenden meint, d e r a r t a u s . daß man sie in seinem Sinn als das kategoriaie B e g r ü n d u n g s verhältnis schlechthin akzeptieren k a n n . So setzt er selbst auseinander, daß das umfassend, nämlich im Hinblick auf alle Kategorien zu verstehende Bewegen seine Wirklichkeit in dem jeweils Bewegten und nicht in demjenigen Zugrundeliegenden h a t , was da bewegt. [2] Unter dem Gesichtspunkt i h r e r Ver wirklichung gegenüber i h r e r bloßen Möglichkeit bestimmt sich 1 2
I n t e r p r . 1, 16 a 3-8 Auf diesen Aspekt der semantischen Begründung des Kate gorienschemas komme ich u n t e n S.321f noch einmal z u r ü c k . Phy. Γ 1, 201 a 8f; 3 , 202 a 13-21
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also für transitive Tätigkeiten das Zugrundeliegende anhand i h r e r Relation auf das grammatische Objekt, einer Beziehung, die im Kategorienschema ü b e r h a u p t nicht vorgesehen i s t . Und wiederum Aristoteles selbst nimmt mit Bezug auf die Tätigkeit vernünftigen Erkennens die Abhebung eines tätigen Zugrunde liegenden von anderen Seienden zurück, mit denen es sonst in eine Ordnung voneinander unabhängiger Substanzen gehörte: [ 1] Unter der Bedingung der Freiheit von Materie sind Erkennendes und Erkanntes dasselbe, weil das theoretische Wissen und das so Gewußte dasselbe sind. - Daß mit dem Aussprechen beliebi ger Bestimmungen auch jeweils eine für sie konstitutive Bezie hung auf ausschließlich ein ihnen Zugrundeliegendes gesetzt i s t , diese These erweist sich gerade anhand der speziellen s e mantischen Untersuchungen, auf die die aristotelische Argumen tation notwendig r e k u r r i e r t , als unhaltbare Verkürzung verbaler Relationen, und dies zudem u n t e r d e r Voraussetzung, daß die Wesensbestimmungen verbindlich definiert sind. b) Die Vorstellung von dinglicher Inhärenz Soweit die Tradition der Aristoteleskommentierung von Thomas' Interpretationen her e r k e n n b a r i s t , hat sie sich nicht mit diesen Schwierigkeiten, die Kategorienlehre an einzelnen Bedeutungen zu verifizieren, auseinandergesetzt, wie es dem impliziten Pro gramm des aristotelischen Gedankengangs e n t s p r ä c h e , sondern eher umgekehrt v e r s u c h t , die allgemeine Systematik des Kate gorienschemas weiter zu entwickeln. Als Reflexion auf den ari stotelischen Text dürfte jegliche Deutung sich veranlaßt sehen, die von ihm n u r an den Fällen von 'Sitzen - Sitzendes' e t c . demonstrierte Gegenüberstellung allgemein zu begreifen. Wäh rend Aristoteles selbst zu einer semantischen Interpretation die Unterscheidung von Zugrundeliegendem und ihm Zukommenden v o r g i b t , ermöglicht die Ausarbeitung der antiken und mittel alterlichen Grammatik eine Betrachtung auch der verwendeten Sprachformen und lenkt die Aufmerksamkeit auf deren Zusam menhang im Satz, der in dem interpretierten Aristotelestext nicht thematisiert, vielleicht aber wie etwas Selbstverständli c h e s , für das Argument jedoch Entbehrliches angenommen wird. Weil aber weder diese Voraussetzung, aufgrund i h r e r seman tischen Funktion könnten beliebige Prädikate unabhängig von Urteilszusammenhängen kategorial eingeordnet werden, noch die Auslegung von Sein als selbständiges Bestehen von Kommenta toren wie Avicenna und Thomas problematisiert werden, kommen auch in ihren differenzierteren Konzeptionen die Schwierigkeiten des Substanz-Akzidens-Schemas zum Ausdruck. Während Aristoteles Infinitive einfach verwendet und unterstellt, mit ihnen meine man etwas Selbständiges, um diesen Anspruch 1
An. Γ 4, 430 a 3ff
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dann zurückweisen zu können, v e r s u c h t Thomas diese sprachli che - und gedankliche - Form zusammen mit substantivierten Adjektiven wie etwa 'die Weiße' als abstrakte Nomina abzugren zen. [1] Weil deren Art, Akzidenzen zu bezeichnen, vom Ergeb nis des aristotelischen Gedankengangs her als inadäquat und durch eine richtige Bezeichnungsweise, nämlich die der Parti zipien und Adjektive, ersetzbar erscheint, gibt der Kommentar auch eine Begründung für die Möglichkeit der Abweichung: Der Verstand kann das in der Wirklichkeit Verbundene auch trennen und etwas wesentlich auf ein anderes Bezogenes wie etwas u n abhängig für sich Seiendes b e t r a c h t e n . Obwohl das zu kommen tierende Argument sich durchaus methodisch im Horizont s p r a c h lichen Meinens und Verstehens hält, folgert die Deutung aus der vom Text noch einfach beanspruchten Möglichkeit, Akzi denzen auch wie etwas Selbständiges zu denken, daß das sprachliche Intendieren des Verstandes frei ist und selber kei nen Maßstab dafür enthält, ob etwas als selbständig Gemeintes auch verbindlich als substantiell gelten k a n n . Das steht so nicht im Kommentar, sondern ist in der Absicht erschlossen, die entscheidende Wendung des Kommentars, die ü b e r Aristoteles hinausführt, verständlich zu machen, die Ab sicherung der Unterscheidung von Substanz und Akzidenzen mit dem Modell objektiv gegebener, dinglicher Inhärenz. Während sich das Argumentieren des Textes mit bestimmten Bedeutungs funktionen noch innerhalb derselben als gedachter Wirklichkeit bewegt, verwandelt die kommentierende Reflexion, sobald sie die sprachlichen Formen als grammatische und rationale thematisiert und damit auch vergegenständlicht h a t , ebenso das andere Ex trem der sprachlichen Intention, die intendierte Sachbestim mung, in eine unabhängig von dem intentionalen Verhältnis u n mittelbar vorliegende Sache. So aus dem verwirrenden Katego rienwechsel des sprachlichen Denkens freigesetzt, das dasselbe gleichermaßen als unabhängig wie als wesentlich bedingt auffas sen k a n n , wird das gegebene Objekt zu einer unbeeinflußten I n s t a n z , an der der Verstand über seinen durch seine sprachli chen Formen bedingten Konflikt entscheiden k a n n , wenn er sich n u r als Bild der unmittelbaren Realität v e r s t e h t . So mag man zwar Tätigkeiten und Eigenschaften mit Infinitiven und s u b s t a n tivierten Adjektiven wie selbständige Dinge denken, in der Wirklichkeit sind sie immer an einer Substanz oder hängen an i h r , und der Verstand hat bloß von diesem Abhängigkeitsver hältnis abgesehen, wie er auch von anderen Zusammenhängen in der Wirklichkeit abstrahieren k a n n , ohne sich deshalb schon zu i r r e n ; er täuscht sich nur d a n n , wenn er die Selbständigkeit von in Wirklichkeit Abhängigem auch in einem Urteil als wirklich b e h a u p t e t , nicht schon mit einem bloßen Wort wie 'die Gesund heit'. [2] 1 2
In 7 Met. 1. 1, 1252ff In 7 Met 1. 1, 1254; I 85, 1 ad 1
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Die Einsicht in die Abhängigkeit der Akzidenzen von der Sub s t a n z , die Aristoteles sich nicht zu Recht von dem Verstehen oder der semantischen Analyse beliebiger Bestimmungen erwar t e t e , soll nun mit der These der Inhärenz als einer ontologischen S t r u k t u r befördert werden, zu deren Erläuterung auch weiterhin die aristotelischen Beispiele, aber auch kaum a n d e r e , vorgebracht werden. Thomas kann in der Frage, ob die Inhä renz wirklich das von Aristoteles gemeinte B e g r ü n d u n g s v e r h ä l t nis der Substanz zu den Akzidenzen darstellt, was die Sache betrifft, zunächst auf die Sinnfälligkeit d e r Vorstellung vom Anhängen v e r t r a u e n : Angesichts der Unablösbarkeit empirischer Eigenschaften wie etwa Farben von ihren jeweiligen Zugrunde liegenden erscheint es plausibel, manche Gegenstände der E r kenntnis ganz allgemein so zu charakterisieren, daß sie n u r an anderem sein können, und das so zu v e r s t e h e n , daß dies a n dere für sie jeweils die Bedingung ihres Vorkommens oder Seins i s t . Trotz der Voraussetzung der einsinnigen Untrennbarkeit der Akzidenzen von der Substanz realisiert die Inhärenzvorstellung die Vergegenständlichung der Akzidenzen zu besonderen Wirklichkeitsbeständen, die Aristoteles mit der Verselbständi gung der Verben aus i h r e r synthetischen Funktion im Satz zu Infinitiven eingeleitet, aber noch nicht zu einem g e g e n s t ä n d lichen Modell entwickelt h a t . Was als ontologisches Korrektiv zu dem möglichen I r r t u m , der aus der sprachlichen Substantivie r u n g von Verben und Adjektiven resultieren k a n n , fungieren soll, wird von Thomas selbst als inhärierendes Seiendes bezeich n e t , als handele es sich um einen Gegenstand, dem die Inhärenzbeziehung erst nachträglich zukäme. Man kann es als eine Bekräftigung der Begründungsfunktion der Inhärenz gegen die se ungewollte Verselbständigungstendenz des inhalierenden Ak zidens i n t e r p r e t i e r e n , wenn Thomas das Verhältnis der Akzi denzen zur Substanz auch als Partizipation von Sein bezeichnet oder wenn er von einer Übertragung ( t r a n s f e r t u r ) der Bedin g u n g e n , u n t e r denen Seiendes grundsätzlich stehen muß, von der Substanz auf die Akzidenzen s p r i c h t . [1] Was die historische Rechtfertigung des Inhärenzmodells, also seine Herleitung aus aristotelischen Texten, a n g e h t , so kann man mindestens das eine schon aus methodischen Gründen s a g e n , daß ihnen nicht n u r der Terminus 'Inhärenz' fehlt, son dern auch die Sache im aristotelischen Problemhorizont nicht dieselbe Funktion haben kann wie für Thomas und deshalb auch eine andere sein muß, die trotzdem für eine interpretierende Weiterentwicklung in der Art von Thomas' Deutung offen sein mag. Den unterschiedlichen Ausgangspunkt habe ich so zu cha rakterisieren v e r s u c h t , daß Aristoteles noch aus dem Vollzug der semantischen Bewegung argumentiert und das Wissen um das bloß akzidentelle Zukommen - gegenüber der Wesenskonsti tution - besonderer Bestimmungen als selbstverständlich oder 1
In 10 Met. 1. 4, 2016
59 mindestens erreichbar annimmt, während ein Kommentator wie Thomas mit d e r Unterscheidung der semantischen Bewegung in ihre Extreme sprachliches Denken und Realität die letztere zu gleich zur Entscheidungsgrundlage für die Adäquatheit s p r a c h licher Ausdrücke benötigt. Aus dieser Perspektive - aber wohl auch n u r aus dieser - kann man eine S t r u k t u r ontologischer Abhängigkeit in Aristoteles' noch negativer Formulierung um schrieben sehen, Bestimmungen wie 'Gehen' seien weder für sich noch von der Substanz a b t r e n n b a r . [1] Dasselbe gilt auch für andere Erklärungen dessen, was mit d e r Einordnung von Bestimmungen als Akzidenzen gemeint i s t , wie etwa, daß sie an einem Zugrundeliegenden sind, aber nicht von ihm ausgesagt werden können oder daß sie im Unterschied zu substantiellen Bestimmungen ein und demselben Subjekt sowohl zukommen (hyparchein) als auch - zu einer anderen Zeit - nicht zukommen können. [2] Aber wie sollte eine Deutung des Kategorienbegriffs zu widerlegen sein, die hinter Thomas entwickeltere Fragestel lung zurückzugehen und Aristoteles' Intention so zu v e r s t e h e n s u c h t , daß die verschiedenen Formulierungen für Akzidentalität n u r ausdrücken sollen, in welchem Sinn man eine Gruppe sprachlicher Bestimmungen von Wirklichem im Unterschied zu einer anderen gebraucht oder wie man Wirklichkeit als abgeleite te und nicht grundlegende ausspricht? Die Annahme einer d e r a r t komplexen Differenz des I n h ä r e n z modells zur aristotelischen Konzeption des Substanz-AkzidensVerhältnisses bewährt sich auch an Thomas' Kommentar zur Auszeichnung der Partizipien als der adäquaten Ausdrucksform für akzidentelle Tätigkeiten. [3] Während Aristoteles die These, Ritzendes' e t c . , also mit Partizipien Gemeintes, sei eher Sei endes als 'Sitzen' und dergleichen, mit dem Argument für hin reichend begründet hält, solches ( e r s t e r e ) habe ein bestimmtes Zugrundeliegendes, die Substanz und das Einzelne, das in die sem Aussprechen zum Vorschein komme, weil Partizipien und Adjektive nicht ohne es gesagt werden, v e r s t e h t Thomas das Mitbezeichnen der Substanz, das diese konkreten Nomina im Unterschied zu den a b s t r a k t e n oder substantivierten leisten, ü b e r den Text d e r Metaphysik hinaus so, daß die konkreten Nonima "Akzidenzen als der Substanz inhärierende" bezeichnen. Da auch das mit reinen Infinitiven Bezeichnete nicht anders als an einem Zugrundeliegenden gedacht werden k a n n , liegt d e r Ak zent des aristotelischen Arguments nicht auf dem Faktum, daß alles mit Partizipien Gemeinte eine Substanz h a t , sondern d a r auf, daß dieser aus der je besonderen Bedeutung aller akzi dentellen Prädikate folgende Zusammenhang in Partizipien und Adjektiven auch in einer allgemeinen Form zur Sprache kommt. 1 2 3
Vgl. außer Met. Ζ 1, 1028 a 22ff, auch Met. N 2, 1089 b 25ff. Cat. 2, 1 a 23-27; Top. A 5, 102 b 4-10 In 7 Met. 1. 1, 1255
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Die Instanz, der diese Sprachform besser als die der Infinitive gerecht wird und die für Aristoteles die spezielle Semantik der einzelnen Bestimmungen i s t , wird von Thomas als die gegen ständliche S t r u k t u r d e r Inhärenz allgemein festgelegt. Die Par tizipien machen danach nicht einfach die Synthesis von Tätig keiten mit jeweils einem Tätigen explizit, d e r e r man sich beim Erproben von für sich ausgesprochenen Tätigkeiten auch b e wußt wird, sondern n u r sie bezeichnen die Akzidenzen in dem jenigen Verhältnis, in dem sie der Erkenntnis positiv v o r g e g e ben sind. In gleicher Weise übt nach Thomas die dingliche Inhärenz die Funktion eines unmittelbar objektiven Maßstabs für das Urteil a u s , das gerade so wie auch das Partizip die Beziehung des Akzidens auf seine Substanz a u s s p r i c h t , die Substanz aber ü b e r ihr bloßes Zugrundeliegen hinaus eigens bestimmt. Mit Bezug auf die grammatische Betrachtung des Urteils kann man noch einmal auf eine entsprechende Schwierigkeit hinweisen, wie ich sie Thomas' Rekurs auf Inhärenz angesichts der sprachlichen Differenz von Infinitiven bzw. substantivierten Adjektiven und konkreten Nomina als Voraussetzung unterstellt habe: Wie oben (S.50) schon gesagt, können die Partizipien als Nomina im Ur teil sowohl Subjekt wie auch Prädikat sein. Nachdem Aristoteles am Anfang des siebten Metaphysikbuchs Verben in exemplari scher Weise zu Infinitiven und Partizipien nominalisiert h a t , e r scheint die Urteilsfunktion solcher Partizipien zweideutig und ohne jeden Anhaltspunkt dafür, ob man mit einem beliebigen Partizip ein bestimmtes, aber noch weiterer Bestimmung zu grunde zu legendes Moment des Gegenstandes oder diese zu sätzliche Bestimmung meint. Auch über diese Doppelfunktion aller Nomina scheint grundsätzlich entschieden werden zu kön n e n , wenn man davon a u s g e h t , daß die Synthesis des Urteils das Sein des Gegenstands rezeptiv erfaßt, das in d e r Verbin dung der - substantiellen - Form mit i h r e r Materie oder des Akzidens mit seinem Zugrundeliegenden b e s t e h t . [1] Denn u n t e r der Bedingung objektiv gegebener einsinniger Zuordnungen von zu Bestimmendem und seiner Bestimmung, wie sie die ontologi sche I n h ä r e n z s t r u k t u r für alle Fälle g a r a n t i e r t , kann mindestens im Allgemeinen verbindlich gesagt werden, wann ein Urteil wahr i s t , nämlich d a n n , wenn das mit dem Prädikat eines affirmativen Satzes Bezeichnete an dem mit dem Subjekt Bezeichneten ist und im Fall des negativen Satzes nicht an ihm i s t . [2] Daß das Bestehen gegenständlicher Verbindungen, an dem sich sprachliches Erkennen als an seinem unmittelbar gegebenen Maßstab orientieren soll, aufgrund seines dinghaft vorgestellten Modus dazu t e n d i e r t , zu einer bloßen Zusammenfügung einzelner gegenständlicher Bestände zu werden, das zeigt sich auch an Thomas' Begriff von der Synthesis im Urteil; sofern es in die 1 2
1 S 38 I 3 In 1 Perih. 1. 9, 11lf
61 Auffassung vom Erkennen als einem Abbilden einbezogen i s t , ü b e r r a s c h t eine solche Interdependenz nicht. Bei aller erfolg reichen Nominalisierung, wie sie sich aus dem Kategorienbegriff e r g i b t , bleibt um der Möglichkeit von Urteilen willen der v e r bale Rest ' i s t ' . Das auf seine synthetische Funktion reduzierte Verbum wird in Übereinstimmung mit der Konsequenz der Kate gorienlehre, daß die je für sich schon etwas bedeutenden Be stimmungen i h r e r Verknüpfung zu Sätzen logisch vorzuordnen sind, selbst zu einem Zusatz (coniunctum) bloß zu dem als Prä dikat fungierenden Nomen, in dem die hauptsächliche Aussage (principale praedicatum) liegt. [1] Es dient dazu, dieses Nomen mit dem als Subjekt fungierenden zum Ausdruck der Absicht zu v e r k n ü p f e n , daß dem mit dem Subjekt Gemeinten eine Eigen schaft wie Weiße (albedo) zugesprochen werden soll. Hier erscheinen alle Zusammenhänge als nachträgliche, derjeni ge der sogenannten Kopula mit dem einen Nomen, weil er zu nächst grundlos i s t , und derjenige dieses Nomens mit einem a n d e r e n , weil er von keinem der beiden selbst, sondern von einem grundlosen Zusatz zu dem e r s t e r e n begründet wird. Deshalb muß man auch die Funktionen von Subjekt und Prädikat als willkürlich an beide Nomina herangetragen b e t r a c h t e n , beson ders die Subjektfunktion, die sich für ein Nomen daraus e r geben soll, daß ein anderes durch einen bloßen Zusatz zum Prädikat wird. Die komplexe Realität, auf deren Erfassen all diese sprachlichen Funktionen beruhen sollen, kann dieselben ebensowenig e r k l ä r e n , weil auch sie aus d e r Perspektive d e r sprachtheoretischen Reflexion gedacht wird, wenn es heißt, man wolle dem Sokrates Weiße zusprechen. Jede Theorie muß Urteile ü b e r empirische Sachverhalte, um sie nicht zu wiederholen, in ihre Momente unterscheiden und verselbständigt diese insofern d e r a r t , wie Thomas es an a b s t r a k t e n Nomina vom Typ 'Weiße' verdeutlicht hat. Wenn sie die Beziehung derselben Momente aufeinander nicht auch vom sprachlichen Denken her rekon struieren k a n n , sucht sie diesen Zusammenhang auf der a b s t r a k t e n Objektseite. Dabei kann sie nur v e r s i c h e r n , sie meine mit ihren substantivierten Verben und Adjektiven wie 'die Wei ße' und 'Akzidens' keine unabhängigen Teilgegenstände, son dern eben d a s , was man mit einem Satz wie 'Sokrates ist bleich' a u s s p r i c h t , sie vermag dasselbe aber nicht aus ihren Begriffen einsichtig zu machen. Die Einheit der Aussage und ihr Realitätscharakter können an Verbalsätzen grammatisch allgemein im Verbum erkannt werden, weil seine besondere Funktion darin b e s t e h t , nicht für sich al lein etwas zu bedeuten, sondern eine bestimmte Wirklichkeit des Subjekts nicht nominal und deshalb den zusätzlichen Ausdruck des Subjekts e r f o r d e r n d , auszusprechen. Dagegen sind die in 1
In 2 Perih. 1. 2, 212; v g l . den Ausdruck 'copula' in 3 S 26 II 2
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Nominalsatzen zu verbindenden Satzteiie grammatisch gleich und gleichgültig gegeneinander, sprachlich selbstandige Gebilde, in die ein Zusammenhang n u r durch eine andere als die grammatische Betrachtungsweise gebracht werden k a n n . Die Ằtufterlichkeit des Übergangs zur Semantik, der bei Aristoteles wegen der Ungeschiedenheit von Begriff und Gegenstand in der Kategorienlehre noch nicht zu bemerken i s t , t r i t t bei Thomas als Trennung von Logik und Metaphysik h e r v o r . [ l ] Unter dem Prinzip der Substantialität wird iiberhaupt Ằ t u f t e r lichkeit als das Verhältnis von Selbstandigem zu anderem oder Abtrennbarkeit, wie Aristoteles es a u s d r ü c k t , zum ersten Kriterrium von Sein, dem n u r der Einzelgegenstand als solcher zu genügen scheint. Wenn daher seine von ihm kategorial u n t e r schiedenen Eigenschaften, platonisch gesprochen, so selbstandig sein wollen wie e r , konnen sie diese Seinsbedingung n u r als ihm inharierend und ihn in ihrem Begriff implizierend erfiillen.[2] Die nominale Form der Bezeichnung drückt die Selbstandigkeit a u s , die kategoriale Einordnung soil die Angewiesenheit auf eine Substanz garantieren. Der Gegensatz dieser beiden Seiten des Inharenzverhaltnisses - Selbstandigkeit und Abhangigkeit - e n t wiekelt sich in der Tradition der aristotelischen Theorie zur Infragestellung dieses als wesentlich geltenden Seinszusammenhange von Substanz und Akzidenzen. So findet man zu der Beurteilung Anlab, daft sich der aristotelische Versuch historisch als nicht tragfahig erweist, einen auf Selbstandigkeit b e r u h e n den Seinsbegriff u n t e r anderem mit Hilfe des Begriffs von ein em notwendigen Zukommen gegen den logischen Atomismus der Antistheniker abzugrenzen. Deren Reduktion der Sprache auf das Benennen einfacher Wirklichkeitselemente mit blobten Namen - also gleichsam auf nichtzusammengesetzte Substanzen - hat Aristoteles im Gefolge Platons k r i t i s i e r t , ohne daraus allerdings auch eine Theorie der sprachlichen Relationalität zu entwikkeln.[3] 4. Probleme des Substanz-Akzidens-Verhaltnisses: a) Verkniipfung u n t e r dem Begriff der Modifikation In Anlehnung an die Überlegungen, die bei Thomas zu finden sind, kann das Problem des Inharenzverhaltnisses so formuliert werden, welche Auswirkung die Implikation des Subjekts in 1 2 3
S. u n t e n S.122ff In 7 Met. 1. 1, 1258 Met. A 29, 1024 b 29-34; H 3, 1043 b 23-28 Die kritische Absicht ergibt sich hier aus der vorangestellten irrigen Auffassung, Form und Materie seien wie materielle Elemente einander zuzuordnen, die dann mit Recht zu d e r Verlegenheit der Antistheniker in der Definitionsfrage fǖ hre, s. 1043 b 4-14. Platon, The. 201 e - 203 d, 205 b - e; Soph. 251 a - 252 c
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seinem nominalen Prädikat auf dessen Bezeichnungsfunktion ha b e , d . h . ob die Substanz mit einem Prädikat wie 'spielend' oder 'weiß' unmittelbar mitausgesagt w i r d . [ l ] Avicennas Lösung, die von Thomas abgelehnt wird, [2] geht davon a u s , daß das Akzi d e n s , wie es als Prädikatsnomen von seinem Subjekt ausgesagt wird, von dem Akzidens zu unterscheiden sei, das der Substanz gegenübergestellt w i r d . [ 3 ] Aus dem arabischen Text geht an dieser Stelle eindeutig h e r v o r , was die lateinische Übersetzung n u r vermuten läßt, daß Avicenna mit diesem zuletzt genannten Begriff des Akzidens den substantivischen Ausdruck akziden teller Prädikate, z . B . 'die Weiße' meint, also dasselbe, was Thomas die abstrakte Bezeichnung eines Akzidens n e n n t , die von seinem Inhärieren absieht und es deshalb wie eine Substanz faßt.[4] Faktisch werden Substanz und Akzidens in Avicennas 'Metaphysik' gegeneinander so bestimmt oder a b g e g r e n z t , daß das Akzi1
In 7 Met. 1. 1, 1255f Thomas' Kommentar in dem entscheidenden Abschnitt 1255 wird d u r c h eine Ungenauigkeit der Übersetzung ungünstig beeinflußt (Abschn. 562 d e r Ü b e r s . ) : Während Aristoteles zuerst e r k l ä r t , das bestimmte Zugrundeliegende von Partizi pien sei die Substanz und das Einzelne (kath' h e k a s t o n ) , und d a n n , an 'Zugrundeliegendes 1 anschließend, fortfährt, was in einem derartigen Aussprechen zum Vorschein komme, schreibt Wilhelm von Moerbeke, dies - das bestimmte Zugrun deliegende - sei die Substanz und ein jegliches, das in einer solchen Kategorie erscheine. Thomas deutet das s o , daß ein jegliches Nomen, das - wie Adjektive und Partizipien - ein Akzidens konkret bezeichne, die Kategorie der Substanz zu bedeuten scheine. Das aber will er in dem Sinn präzisiert wissen, daß die Substanzkategorie keinen Teil der Bedeutung der Adjektive und Partizipien ausmacht, weil etwa das Wort 'weißes' n u r eine Qualität bezeichne, daß vielmehr eine s e mantische Beziehung auf die Substanz n u r insofern vorliege, als solche Nomina Akzidenzen als d e r Substanz inhärierende bezeichneten. - Dadurch t r i t t der Rekurs auf Inhärenz in eine theoretische Konkurrenz zu einer unmittelbaren Mitbe deutung d e r Substanz. 2 In 5 Met. 1. 9, 894 3 Logyca I , f. 9 v a b ; zur Klärung wurde der arabische Text, Al-Madkhal 1, 14, S.85f, herangezogen. 4 In d e r lateinischen Übersetzung d e r Logik Avicennas ist f. 9 v a , Ζ.6 v . u . , statt 'consequens' 'albedo' zu lesen, wenn der Sinn des arabischen Textes erkennbar werden soll, der hier ebenfalls die Gegenüberstellung 'weiß' - 'die Weiße' b e n u t z t . Vergl. dazu die Beispiele für Akzidenzen, die auf grund i h r e r Differenz zur Substanz definiert sind, wie Schnelligkeit, Geradheit e t c . , Meta. II 1, van Riet S.66, Z.24, die auch die Übersetzung klar a u s d r ü c k t .
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dens u n a b t r e n n b a r von einem anderen, nämlich einem d u r c h sich selbst bestimmten und bestehenden Subjekt i s t , die S u b stanz dagegen nicht; deshalb bedingt sie als letztes Subjekt für Akzidenzen diese einsinnig und ist ihnen im Sein v o r g e o r d n e t . [1] Die Unterscheidung zweier Begriffe von Akzidens sucht der Einsicht gerecht zu werden, daß die bloße Distinktion von Substanz und Akzidenzen, die mit einer kontradiktorischen Entgegensetzung ausgedrückt wird, nicht schon das einholen k a n n , was mit der Aussage eines Akzidens von einer Substanz gemeint wird, wonach die Substanz das Akzidens i s t . [2] Das von der Substanz abgegrenzte Akzidens ist also nach Avicenna ausschließlich als inhärierende Eigenschaft und nicht als P r ä dikat zu denken, weil e r die mit dem Urteil gemeinte Identität von Subjekt und Prädikat auch für die theoretische Analye d e r Satzteile geltend macht: Bedeutete ein beliebiges Prädikat ein Akzidens in dem gegen die Substanz definierten Sinn, so wäre sein Subjekt, etwa "der Körper ( , ) durch das Akzidens g e kennzeichnet, ohne daß dieses abgeleitet wäre, und wäre d e s halb der Körper ein Akzidens". [ 3] In die synthetische Bezie hung des Urteils eingesetzt, rufen die Momente des Inhärenzverhältnisses einen Widerspruch hervor und erweisen sich damit als untauglich für einen philosophischen Begriff vom Urteil. Offensichtlich hat Avicenna die aristotelische Formalisierung aller Urteile d u r c h 'S ist P' als prinzipielle Gleichsetzung auf gefaßt, nach der Subjekt und Prädikat beide entweder der Sub s t a n z - oder einer d e r Akzidenskategorien angehören müssen. [4] Deshalb sieht er das Verhältnis von Substanz und Akzidenzen nicht mehr im Urteil realisiert, wie Thomas synthetische Urteile und insbesondere Verbalsätze als Darstellungen des I n h ä r e n z verhältnisses v e r s t e h t , [5] sondern n u r noch an Gegenständen. 1 2
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Meta. II 1, van Riet S.65f; a r a b . Text: Al-IIāhiyyāt 2 , 1 , S.57f Von dem substantivischen Akzidens heißt es in d e r Über setzung "Ipsum enim non praedicatur de suo subiecto sic ut sit ipsum, sed denominatur ab eo nomen", d . h . , wie der arabische Text klarer macht, das nichtprädizierbare Nomen ist von dem Akzidens, wie es als Prädikat gebraucht wird, abgeleitet. Log. I, f. 9 v a , Ζ. 14 v . u . ; a r a b . : Al-Madkhal 1, 14, S.85, Z.9f Log. I , f. 9 v a , Ζ.2 v . u . - v b , Z . l ; Al-Madkhal 1, 14, S.85 Z.17f Daß das Urteil eine Gleichsetzung a u s d r ü c k e , das setzt auch Thomas stillschweigend v o r a u s , wenn e r in einem anderen Zusammenhang davon a u s g e h t , daß ein bloßer Teil von sei nem Ganzen nicht prädiziert werden, s . Ente 2, RolandGosselin S.12, Z . l - 4 ; S . 2 1 , Z . l l f . Dieselbe Voraussetzung macht Boethius bei seiner oben (S.49) erwähnten Auszeich n u n g des Einfachen vor dem Komplexen. In 1 Perih. 1. 5 , 56.
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Dies ist auch als eine historische Wirkung der Lösung der Ka tegorien, soweit sie als Ergebnisse urteilstheoretischer Refle xionen verwendet werden, aus dem Satzzusammenhang aufzu fassen. Denn solange u n t e r Kategorie verstanden wird, daß man etwas von etwas a u s s a g t , ist die Prädikation eines Akzidens von einer Substanz mindestens ein Fall dieses Schemas und insofern der ausgezeichnete Fall, als er die grundlegende sprachliche Form komplexer Wirklichkeit i s t , die eine Analyse der nach dem Schema geordneten Urteile ermittelt; dagegen sind Wesensaus sagen wie 'Jeder Körper ist materiell· bloße Bedeutungsanalysen einzelner Bestimmungen, die ihrerseits in die Darstellung der Realität eingehen. Wenn aber der Kategorienbegriff im Ergebnis so zu v e r s t e h e n i s t , daß Satzteile vorgängig zum Urteil schon aufgrund i h r e r jeweiligen Referenz auf Wirkliches in die Sub s t a n z - oder eine der Akzidenskategorien gehören, dann erscheint es widersinnig, zwei i h r e r Kategorie nach unterschiedene Be stimmungen, die sich nach Aristoteles in höchstem Maß u n t e r scheiden, weil ihnen nichts Allgemeineres mehr gemeinsam sein k a n n , [ l ] d u r c h das so verstandene 'ist' des Urteils miteinander gleichzusetzen. In diesem Sinn ist Avicennas Unterscheidung von Urteil und Gegenstand konsequent, ungeachtet d e s s e n , daß sie der I n t e n tion der Kategorienlehre widerspricht, die sprachliche Form der Realität zu bestimmen. Zur Verdeutlichung führt Avicenna t e r minologische Differenzierungen ein: Während 'Akzidens' n u r in der ontologischen Gegenüberstellung zur Substanz gebraucht werden soll, ist akzidentell· im Gegensatz zu "substantiell" und 'essentiell' zu nehmen, [2] und zwar jeweils als Charakteristik von Prädikaten möglicher Urteile. Klar wird aus dem angegebe nen Text n u r , daß sich die Differenz von 'essentiell' und a k zidentell· auf das Verhältnis des Prädikats zum Subjekt bezieht, also ein essentielles Prädikat Wesens- oder Definitionsmomente des Subjekts, ein akzidentelles andere Eigenschaften vom Sub jekt a u s s a g t ; in diesem Sinn hat Avicenna auch einleitend zu diesem Abschnitt das allgemeine Akzidens als nicht auf das We sen bezogene Prädikat von spezifisch verschiedenen Subjekten definiert.[3] Die mit 'essentiell' und akzidentell· ausgedrückte logische Verhältnisbestimmung ist indifferent gegen den ontolo1 2 3
Met. I 3, 1054 b 25-31; I 4, 1055 a 3-7 Log. I, f. 9 v b , Z . l - 9 ; Al-Madkhal 1, 14, S.85, Z.18 S.86, Z.3 Log. I, f. 9 v a , Z.18 v . u . ff; Al-Madkhal 1, 14, S.85, Z.7f Das Wort 'substantialiter' im lateinischen Text stellt einen unzutreffenden Zusammenhang mit den folgenden Darlegungen h e r . Der gemeinte arabische Terminus wäre hier wie im fol genden mit 'essentialiter' wiederzugeben. Thomas verwendet den Terminus 'substantiale' auch in diesem Sinn, v g l . z . B . In 7 Met. 1. 4, 1333.
66 gischen Status des Subjekts, ob es Substanz oder Akzidens i s t . Deshalb kann Avicenna sagen, das essentielle Prädikat könne sowohl ein Akzidens, etwa die Bestimmung eines Akzidens d u r c h sein Genus ('Gelb ist eine F a r b e ' ) , wie eine Substanz ('Der gel be Ball ist ein Spielzeug') und ebenso das akzidentelle gleicher maßen ein Akzidens ('Mein Ball ist gelb') wie eine Substanz ('Das Gelbe dort ist ein Ball') s e i n . [ l ] Damit auch Urteile mit akzidentellen Prädikaten als kategoriaie Gleichungen aufgefaßt werden können, ist die von Thomas b e anstandete Interpretation d e r nominalen Prädikation von einer Substanz wie 'Peter ist bleich' erforderlich - einer Prädikation genau nach dem Muster derjenigen, der auch alle Verbalsätze d u r c h Umwandlung d e r Verben in Partizipien entsprechen soll t e n . Avicenna läßt als 'richtiges Prädikat' dieses Satzes, das nicht Akzidens in dem der Substanz entgegengesetzten Sinn i s t , nur den Ausdruck 'etwas, das Bleiche besitzt' gelten und v e r steht den Satz 'Peter ist etwas, das Bleiche besitzt' als den - d u r c h philosophische Analyse ermittelten genauen - Sinn jenes umgangssprachlichen Satzes. [2] Das von Aristoteles festgestellte Erscheinen des selbständigen Subjekts in den nominalen Prädi k a t e n , das grammatisch in d e r vollständigen Kongruenz d e r For men faßbar i s t , wird nun d u r c h den separaten Ausdruck 'Sache' oder 'Etwas', der einen Gegenstand als Subjekt ü b e r h a u p t b e zeichnet, als ersten Teil des Prädikats expliziert. Avicenna kann die Unmöglichkeit, ein substantivisch ausgedrücktes Akzi dens wie 'die Bleiche' direkt von einer Substanz zu prädizieren, mit d e r erforderlichen Doppelfunktion des P r ä d i k a t s , die um gangssprachlich n u r ein Adjektiv oder Partizip erfüllt, b e g r ü n d e n , nämlich die Substanz analog zur Logik d e r Definition zu nächst allgemein und dann in d e r Besonderheit des bestimmten Akzidens vorzustellen. In d e r analytischen Explikation wird 1
Der e r s t e Fall veranlaßt auch Aristoteles, in seiner frühen Einführung der vollständigen Kategorientafel ( T o p . A 9, 103 b 27-39) die Prädikation wesentlicher Bestimmungen (τι ε σ τ ί ν ) als in allen Kategorien möglich von d e r besonderen Wesens bestimmung abzuheben, die von einer Substanz ( ο υ σ ί α ) a u s gesagt wird wie hier im zweiten Fall. Die Stellung d e r S u b stanz in d e r klassisch gewordenen Kategorienlehre wird aber durch diesen Gesichtspunkt, d e r die aussagentheoretische Reduktion der Akzidenzen auf ihre Abhängigkeit vom Zu grundeliegenden in Frage stellt, nicht t a n g i e r t . Zu den Ur teilen des vierten T y p s , die ebensowenig wie die des ersten der Schematisierung genügen, die n u r noch Substanzen als Subjekte vorsieht, s . unten S.310f, S.321f. 2 Log. I , f. 9 v a , Ζ.13 v . u . - 7 v . u . ; Al-Madkhal 1, 14, S.85, Z. 11-14. Der lateinische Text übersetzt denselben a r a bischen Ausdruck zuerst irrtümlich mit 'aliquid et albedo' und dann richtig mit ' r e s habens albedinem'.
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dieses Akzidens durch eine Genitivverbindung (Besitzer der Bleiche), ein attributiv gebrauchtes Partizip (besitzend die Bleiche) oder einen Relativsatz (die - oder das - die Bleiche besitzt) mit der allgemeinen Bezeichnung für die Substanz (Sache, etwas) v e r k n ü p f t , also dieser in jedem Fall grammatisch u n t e r g e o r d n e t , so daß es als rein akzidentelles Moment des Prä dikats zum Subjekt des Satzes nicht in Gegensatz t r e t e n k a n n . Die Auffassung des Urteils als eine Art Gleichsetzung zweier Ausdrücke und die aus der Forderung nach Gleichsetzbarkeit des Prädikats folgende Verlagerung der Synthesis von Substanz und Akzidens aus dem Verbum in den in sich differenzierten nominalen Prädikatausdruck bedingt notwendig die von Thomas zutreffend charakterisierte Gewichtung der Bedeutungen akzi denteller Prädikate, daß sie nämlich in d e r Hauptsache die Sub stanz und n u r in logischer Folge darauf das Akzidens bezeich n e n . [ 1] Diese Entwicklung des Begriffs vom akzidentellen Prädikat bei Avicenna kann als der logische Ausgangspunkt einer Präzisie r u n g des Substanz-Akzidens-Verhältnisses angesehen werden, die in größter Klarheit mit Spinozas Substanzbegriff a u s g e s p r o chen i s t , sich aber auch schon in Avicennas Begriff des not wendigen Seienden zeigt. Mit dem letzteren ist gemeint, daß das d u r c h sich selbst notwendige Seiende a n d e r e s , für sich genom men n u r Mögliches d e r a r t im Sein b e g r ü n d e t , daß dies Kontin gente d u r c h seine Beziehung auf das notwendige Seiende selber notwendig wird. [2] In welchem Sinn dieser Gedanke dem logi schen, d . h . urteilstheoretisch konzipierten Verhältnis von S u b stanz und Akzidens e n t s p r i c h t , erhellt gleichsam retrospektiv aus der Vereinigung des Substanzbegriffs mit dem des ens n e cessarium, wie Spinoza sie gegen die Intention der aristoteli schen Tradition vollzieht. Spinoza bringt die von Avicenna v e r tretene B e d e u t u n g s s t r u k t u r des Prädikats auf einen Begriff, wenn er das Akzidens als Modus oder Modifikation der Substanz v e r s t e h t , die der Substanz nicht wie ein anderes oder i h r Äußerliches g e g e n ü b e r s t e h t , sondern n u r durch sie begriffen werden k a n n . [ 3 ] Denn mit d e r Notwendigkeit, den im Prädikat gedachten Zusatz zum Subjekt als abhängig von einer wieder holten Vorstellung des Subjekts a u s z u s p r e c h e n , ist genau dies g e s a g t , daß vom Akzidens n u r geredet werden k a n n , sofern es auf die Substanz folgt. Das Urteil, mit dem ein Akzidens von seiner Substanz ausgesagt wird, interpretiert Avicenna u n a u s drücklich als eine modifizierte Beziehung des Subjekts auf sich selbst, gleich wie er das Kontingente als einen Modus der Not1 2 3
In 5 Met. 1. 9, 894 Meta. I 5, van Riet S.45, Z.49ff u . S.46, Z.69ff; v g l . auch den entsprechenden Wahrheitsbegriff, Meta. I 7, van Riet S.55, Z.61, S.56, Z.69 Ethica I: Def. V, Prop. VIII, Scholium I I , Prop. XV, Dem o n s t r . , Opera/Werke B d . I I , S.86, S.92 u . 94, S.106
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wendigkeit v e r s t e h t , nämlich als sich selbst äußerlich gewordene Notwendigkeit. Die Berechtigung, solche von Spinoza her gewonnenen Begriffe auf Avicennas Analysen anzuwenden, sehe ich in der besonde ren Wendung ihres Gedankengangs, daß das Akzidens nicht, wie es scheint, etwas anderes als die Substanz, sondern sie selbst in einer besonderen Seinsweise i s t , und daß das endli che, scheinbar zufällig Existierende nicht in einem Gegensatz zur sich selbst begründenden Notwendigkeit s t e h e n , sondern selbst ein Modus von Notwendigkeit sein soll, nämlich auf a n deres bezogene, wobei dieses andere wiederum die absolute Not wendigkeit i s t . Spinoza macht den reflexiven Charakter dieser Verhältnisse zuerst explizit, den Avicenna mit der Wiederholung des Subjekts und der Notwendigkeit bloß faktisch a u s g e s p r o chen h a t , und entwickelt ihn auch seinerseits schrittweise im Unterschied zu der Idee, das Selbstbewußtsein mache schon den systematischen Anfang der Philosophie a u s . In eins damit wird das Verhältnis von Substanz und Akzidens als Prozeß, also als Selbstäußerung der Substanz, v e r s t a n d e n , wie es dem A u s s p r e chen des Urteils und nicht einem gemeinten vorhandenen Zu stand adäquat i s t . Die Prozessualität ist schon damit a u s g e d r ü c k t , daß jeder Modus aus einem Wesensmoment d e r Substanz folgen s o l l , [ l ] die Reflexivität liegt der Formulierung z u g r u n d e , die Einzeldinge seien nichts als Modi der Wesensmomente des Absoluten, die diese in bestimmter Weise a u s d r ü c k t e n , [ 2] und wird thematisch, wenn Spinoza das menschliche Bewußtsein vom Absoluten als das Selbstbewußtsein des Absoluten begreift. [3] Avicennas Urteils theorie, soweit sie an seiner Analyse d e r P r ä dikation eines Akzidens von seiner Substanz deutlich wird, e n t hält auch einen Hinweis auf die Funktion der Transzendentalien. Jene Analyse unterscheidet sich, sieht man einmal von der k a tegoriaien Differenz a b , von d e r Definition vor allem d a d u r c h , daß diese das - d u r c h die Differenz zu besondernde - genus proximum, die analytische Fassung der Akzidensaussage d a g e gen eine Bestimmung von höchster Allgemeinheit, nämlich 'Sache' ( r e s ) , von dem Subjekt a u s s a g t . Das kann als notwendig eingesehen werden, wenn man die Aufgabe, das Urteil als eine synthetische Einheit zu begreifen, u n t e r d e r Voraussetzung stellt, daß die in Kategorien eingeordneten Satzteile Subjekt und Prädikat an ihnen selber keine Beziehung aufeinander ha ben u n d , wenn sie der Substanzkategorie einerseits und einer Akzidenskategorie andererseits angehören, sogar in einem Ge gensatz zueinander stehen, daß gleichwohl das 'ist' der Aussage im Sinne einer Gleichsetzung v e r s t a n d e n wird. Wenn Gleichset1 2 3
Ethica I, P r o p . XXIII, a . a . O . S. 124 Ethica I , Prop. XXV, Coroll., a . a . O . S.128 Ethica V, Prop. XXXVI u . Prop. XL, Scholium, S.544/6 u . S.552
a.a.O.
69 zung schließlich im Urteil n u r insofern anders als in der Mathe matik, die n u r gleichsetzt, was schon gleich gegeben i s t , das in den Satzteilen Gegebene einander angleicht, als sie ein u n t e r ein allgemeines Prädikat subsumierbares, besonderes Subjekt als dieses Allgemeine a u s s p r e c h b a r macht, dann kann die Prädika tion eines Akzidens von einer Substanz theoretisch nicht a n d e r s begriffen werden, als daß das Prädikat eine hinreichend allge meine Bestimmung i s t , um sowohl von der Substanz a u s s a g b a r zu sein wie auch selber als Moment einer akzidentellen Bestim mung widerspruchsfrei gedacht werden zu können: Das heißt, das Prädikat muß eine die Kategorieneinteilung transzendierende Bestimmung sein. Indem Avicenna den Gegensatz von Substanz und Akzidenzen scharf hervorkehrt und darin völlig von der Herkunft dieses Begriffspaares aus dem Modell des Satzzusam menhangs 'etwas von etwas sagen' a b s t r a h i e r t , gibt er den Transzendentalien, weil sie zwischen Substanz und Akzidenzen logisch vermitteln können, die Funktion einer synthetischen Einheit des Urteils. Daraus wird die Bedeutung plausibel, die der Transzendentalienbegriff bei Avicenna und Thomas gegen die ebenfalls wirksame aristotelische Tendenz gewonnen h a t , die allgemeinsten Bestimmungen den Begriffen konkreter Gegen stände bloße als ihre unselbständigen Implikate zuzuordnen, sie aber weiter kaum zu thematisieren. [ 1] b) Auflösung in ontologischen Atomismus Avicennas Auslegung des aristotelischen Arguments, daß das Hypokeimenon in der Aussage eines Prädikatsnomens notwendig zum Vorschein kommt, führt also zu zwei theoretischen Kon s t r u k t i o n e n , die die logische Einheit von Substanz und Akzidens im Urteil begründen sollen: Zum Begriff des Akzidens als einer Modifikation der Substanz[2] und zum Ausdruck dieser Ver mittlung durch Bestimmungen, die den Gegensatz von Substanz und Akzidenzen t r a n s z e n d i e r e n . Wenn Thomas den so gegenüber Aristoteles weiterentwickelten Akzidensbegriff ungeachtet dessen k r i t i s i e r t , daß auch er das zugrunde gelegte Modell des Urteils als einer Gleichsetzung v o r a u s s e t z t , nimmt er gegen die Akzen tuierung des Abhängigkeitscharakters der Akzidenzen Stellung, wie sie daraus h e r v o r g e h t , daß das Prädikatsnomen, auch für sich genommen, primär die Substanz und erst nachfolgend ihre Modifikation bezeichnen soll. In dieser Zusammenfassung bei Thomas[3] ist das für Avicenna bestimmende logische Problem 1 2
3
Dazu s . unten K a p . 3 , 7. Auch der bei Thomas geläufige Begriff des Akzidens 'ens secundum quid' ( z . B . In 7 Met. 1. 1, 1256) könnte im Sinn einer Modifikation des 'ens simpliciter' v e r s t a n d e n werden, daß er dasselbe Seiende, nämlich das Hypokeimenon, b e zeichnet, bloß u n t e r dem Aspekt einer Eigenschaft. In 5 Met. 1. 9, 894; v g l . In 7 Met. 1. 1, 1255
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nicht mehr e r k e n n b a r , das Subjekt des Urteils scheint vielmehr unnötig wiederholt zu werden. Deshalb ist es konsequent, wenn Thomas seine Gegenkonzeption, für die er sich auf Averroes' entsprechende Kritik an Avicenna b e r u f t , [1] an dem I n h ä r e n z charakter des Akzidens orientiert, aus dem die notwendige Be ziehung auf das Subjekt folge. Dabei bleibt die denkbare Ge genfrage unbeantwortet, wie etwa eine Qualität als inhärierendes Akzidens bezeichnet werden kann - was Thomas b e a n s p r u c h t , aber nicht erklärt - , ohne daß das Subjekt von vornherein als 'Teil der Bedeutung 1 fungiert. Im Ausgangspunkt stimmt Thomas unausdrücklich mit Avicenna ü b e r e i n , daß der Urteilszusammen hang nicht schon aus der - durch Bedeutungsanalyse zu gewin nenden - kategoriaien Einordnung des einen Nomens als Sub stanz und des anderen etwa als Qualität je für sich erklärt wer den k a n n . Was es aber heißt, daß n u r ein Adjektiv - anders als ein Substantiv - als Prädikatsnomen, z . B . 'weiß' und nicht 'die Weiße', die Qualität als abhängige Eigenschaft eines konkreten Einzelnen bezeichnet und so als Prädikat im Urteil auf ein Sub jekt beziehbar i s t , das wird nicht wie von Avicenna d u r c h eine logische Analyse dieses umgangssprachlichen Bezeichnungsmodus des Adjektivs e r l ä u t e r t , sondern Thomas versichert bloß, so werde das Akzidens als inhärierend und nicht wie selbst eine Substanz bezeichnet. Dieses Insistieren auf dem Inhärenzcharakter der prädizierbaren Akzidenzen kann man als einen Versuch i n t e r p r e t i e r e n , den Zu sammenhang von Abhängigkeit von der Substanz und dadurch gewonnenem Seinscharakter - v e r s t a n d e n als selbständiges Be stehen - in einem gewissen Gleichgewicht seiner beiden Extreme zu halten und die Abhängigkeit nicht in eine Integration in die Substanz übergehen zu lassen. Thomas selber weist aber darauf hin, daß eine als dinghaftes Verhältnis v e r s t a n d e n e Inhärenz für das mit dem Urteil Gemeinte kein Erklärungsmodell sein k a n n , sondern eher das andere Extrem des genannten Zusam menhangs, das Sein des Akzidens als Verselbständigung zur Geltung b r ä c h t e . Ohne sich auf Avicenna zu beziehen, u n t e r scheidet er nämlich an einer anderen Stellet 2] die Zusammen setzung an Dingen von der Synthesis des Verstandes: Während die dinghaft zusammengesetzten Elemente verschieden vonein ander seien, sei die intellektuelle Synthesis ein Zeichen für die Identität des Zusammengesetzten. Um diesen von der Dingstruk t u r abweichenden Modus des Urteils zu b e g r ü n d e n , analysiert Thomas zunächst ähnlich wie Avicenna das Prädikatsnomen 'weiß' in 'Weiße habend' und zeigt damit, daß n u r prädiziert werden k a n n , was nicht wie etwas Selbständiges, sondern als einem andern zugehörig gedacht wird. Das Identische, das die Einheit des Urteils v e r b ü r g e n k a n n , soll aber nicht in der 1 2
1 S 18 I 2 ad 3 I 85, 5 ad 3; v g l . In 6 Met. 1. 4, 1229
71 analytischen Fassung des Urteils als ein logisch Allgemeines (wie: Sache, etwas) ausgedrückt werden, sondern das singuläre Subjekt aller beliebigen substantiellen und akzidentiellen Be stimmungen sein, so daß der Satz 'Ein Mensch ist bleich' analy tisch lautet: Dasselbe, das ein Mensch i s t , ist ein Bleichheit Habendes.[1] Damit wird nicht n u r gegen die aristotelische Einsicht, daß ein reines Subjekt nichts weiter als ein ganz Unbestimmtes und Un erkennbares oder Materie i s t , [2] ein unbestimmtes Dieses der bestimmten Substanz logisch v o r g e o r d n e t , sondern dasselbe soll auch das Subjekt und Prädikat vermittelnde Identische und der Träger aller Bestimmungen sein, der seiner Unbestimmtheit we gen gar nicht zu den Vorstellungen des Urteils gehören kann und deshalb als ein dingliches Einzelnes gedacht werden muß. Hält man also selbst die Separierung eines solchen Dieses aus der Substanz, die immer ein bestimmtes Dieses i s t , noch nicht für in sich unsinnig, so muß doch das reine Dies zufolge der gerade getroffenen Unterscheidung von dinghafter und g e dachter Zusammensetzung aufgrund seines Dingcharakters gegen alle Bestimmungen ein anderes sein, so daß nicht einzusehen i s t , wie es die Funktion einer synthetischen Einheit für das Urteil haben k a n n . Thomas mag unterstellen, daß das urteilende Bewußtsein meint, sich auf ein allen Bestimmungen z u g r u n d e liegendes Identisches zu beziehen, seine theoretische Unter scheidung von Urteil und Gegenstand beseitigt aber gerade die selbstverständliche Ungeschiedenheit beider, in der sich die Meinung des Bewußtseins hält; er kann dann nicht erwarten, die Identität des Urteils in der Verschiedenheit des Gegenstands zu finden. In welches Verhältnis man immer diesen Lösungsversuch zu dem Modell der Inhärenz des Akzidens an der Substanz setzen mag, so wird doch auch aus ihm auf jeden Fall k l a r , daß die Identität des Urteils keinesfalls mit der bloßen Inhärenz des Akzidens begründet werden k a n n , weil das Inhärierende auch in seiner Beziehung auf die Substanz als ein von ihr Verschiedenes g e dacht wird. Damit kann der Gegenentwurf zu Avicennas Lösung als ein Verfahren erkannt werden, das das Akzidens wie einen selbständigen Wirklichkeitsbestand von der Substanz a b s o n d e r t , statt es als u n t r e n n b a r e n Zusammenhang von Abhängigkeit und Selbständigkeit begreiflich zu machen. Einen ersten Schritt zur wirklichen Auflösung des Inhärenzverhältnisses tut Thomas sel b e r , indem e r , ü b e r den aristotelischen Text der Metaphysik hinausgehend, die Unabhängigkeit der Substanz als Abtrennbar1
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"Idem autem est subiecto quod est homo, et quod est habens albedinem", ebenda. Die Singularität des Subjekts wird d u r c h das Beispiel des Eigennamens Sokrates b e s t ä t i g t , der das bezeichnet, "quod habet omnia haec - alle Bestimmungen cum materia individuali". Met. Ζ 3, 1029 a 7-27
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keit von den Akzidenzen ü b e r h a u p t auffaßt, während bei Ari stoteles n u r davon die Rede i s t , daß die Substanz als einzige der Kategorien a b t r e n n b a r oder selbständig sei. Im Hinblick auf die vorangegangenen Überlegungen zur Vermittlung des Seins an die Akzidenzen durch ihren Bezug auf Substantialität kann man das auch so i n t e r p r e t i e r e n , daß Selbständigkeit n u r u n t e r der Bedingung von Substantialität möglich i s t , ohne daß damit schon etwas über die Entbehrlichkeit oder Unentbehrlichkeit der Akzidenzen für die Substanz gesagt sein m u ß . [ l ] Allerdings verweist Thomas - wie es scheint, mit Recht - auf eine andere Stellet 2] zugunsten seiner Interpretation, denn dort wird das Frühere als das vom Nachfolgenden Unabhängige definiert; wenn nun die Substanz die erste Kategorie sein soll und das auch noch im zeitlichen Sinn, kann Thomas sie in diesen Begriff des Früheren einsetzen. Es sei d e n n , man interpretierte die von Aristoteles gemeinte Unabhängigkeit als Unabhängigkeit von je weils einem bestimmten Abhängigen - also etwa einer Substanz von einer bestimmten Qualität - , was die generelle Beziehung des Früheren auf Späteres ü b e r h a u p t nicht unmittelbar in Frage stellte. Dann stünde die von Thomas angenommene absolute Un abhängigkeit für die F r a g e , ob etwas immer auf anderes bezo gen und doch gegen die Bestimmtheit dieses andern ganz gleich gültig sein k a n n . In diesem Sinn hätte Thomas eine Konsequenz der aristotelischen Konzeption a u s g e d r ü c k t . [ 3] Indem Thomas die Ungleichgewichtigkeit des Inhärenzverhältnisses ü b e r einen Begriff von einsinniger Seinsvermittlung hin aus auch so auslegt, daß die Substanz im Unterschied zu den Akzidenzen auch ohne das ganze Verhältnis gedacht werden k a n n , läßt er dieses als etwas Sekundäres erscheinen und nicht bloß die Akzidenzen als seine Relata der Substanz gegenüber Folgebestimmungen sein. Der darin ausgesprochene Versuch, eine Beziehung in der Theorie festzuhalten, von der gelten soll, daß sie n u r zum Begriff ihres einen Extrems g e h ö r t , während sie dem anderen äußerlich i s t , kann nicht selber in die Theorie der Relationskategorie eingeordnet werden, die eine solche ein seitige Beziehung v o r s i e h t , [4] weil dieser Versuch die Denk möglichkeit von Akzidenzen ü b e r h a u p t , also auch Relationen im kategorialen Sinn e r s t b e g r ü n d e n soll. [5] Gewinnt nun die Inhärenz gegenüber einer verselbständigten Substanz den Cha r a k t e r eines ihr nachträglich zukommenden Verhältnisses, dann ist schwer einzusehen, wie sie zugleich ihre konstitutive Funk1 2 3 4 5
Met. Ζ 1, 1028 a 33 f; In 7 Met. 1. 1, 1257 Met. Δ 11, 1019 a 1-4 Vgl. dazu unten S.83f Met. Δ 15, 1021 a 29 - b 3 Avicenna hat die F r a g e , ob relative Bestimmungen auch noch einmal relativ zu ihrem Subjekt sind, ausführlich e r ö r t e r t und v e r n e i n t : Meta. III 10, van Riet S. 179, Ζ. 15 - S. 181, Ζ.69
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tion für die Akzidenzen behalten soll, denn diese galt n u r unter der Bedingung der fraglosen Einbeziehung der Substanz in das Verhältnis, so daß die Verselbständigung dieses einen Extrems dieselbe Bewegung des anderen hervorrufen muß, wenn Inhä renz ü b e r die unmittelbar intendierte Abhängigkeit des Akzidens hinaus auch einen Zusammenhang im Sinn von Interdependenz b e d e u t e t . Die Reflexion, die diese Relationalität überhaupt auf deckt, ist auch vom Begriff der Abhängigkeit nicht abzuweisen und gibt ihm zu der gemeinten Einsinnigkeit die Bedeutung einer Relation, die ganz allgemein b e s a g t , daß die Veränderung eines Relatum eine Entsprechung bei dem anderen haben muß. Thomas will die Vorgängigkeit der Substanz nicht nur u n t e r Voraussetzung dieser allgemeinen Relation, sondern auch gegen sie zur Geltung b r i n g e n , aber im Mißlingen dieses Versuchs, d . h . in der Verselbständigung auch der Akzidenzen, kann man eine fortdauernde logische Wirksamkeit dieser nicht thematisier ten Relationalität sehen. Von Verselbständigung der Akzidenzen kann man bei Thomas selber insofern s p r e c h e n , als sie in der sprachlichen Formulie r u n g gegen die sachliche Absicht zum Ausdruck kommt, wenn die Akzidenzen als der Substanz inhärierende bezeichnet wer d e n . [1] Indem das Urteilsschema, daß ein nominales Partizip vom Subjekt ausgesagt wird, auch auf das Inhärieren des Ak zidens angewandt wird, erscheint das Akzidens derselben Regel zufolge, nach der in ihm selbst die Substanz zum Vorschein kommen sollte, nunmehr als substantielles Subjekt seiner im a n scheinend äußerlichen Eigenschaft zu inhärieren, eine Iteration, die einer vom Verbalsatz ausgehenden Theorie nicht drohen könnte. Bei weitem expliziter und von grundsätzlicher Bedeutung für die von Thomas gegen Avicenna angestrebte Lösung sowie das Substanz-Akzidens-Schema überhaupt ist die Kritik, die Nico laus von Autrecourt am Begriff der Inhärenz geübt h a t . [2] Er geht davon a u s , daß die Gewißheit wissenschaftlicher Urteile allein aus dem Widerspruchsprinzip begründet werden kann und zieht daraus die Konsequenz, daß n u r analytische Urteile mit einem Syllogismus bewiesen werden können, weil das Wider spruchsprinzip nur die Geltung einer schon akzeptierten Aus s a g e , nicht aber den folgernden Übergang zu einer anderen d e c k t . Für die Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes auf das Inhärenzverhältnis ist es entscheidend, daß Substanz und Akzidens als je ein anderer Gegenstand aufgefaßt werden, was Thomas nicht mehr so klar wie Avicenna im Hinblick auf die Logik des Urteils ausschließen k ö n n t e . Deshalb ist Nicolaus nicht bereit, aus dem Begriff der natürlichen V e r ä n d e r u n g , der ana1 2
Z . B . in 7 Met. 1. 1, 1255 Seine Position in der Problementwicklung des Aristotelismus erläutert Flasch, Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues, S.65-84
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lytisch nicht mehr als einen Wechsel von Inhalten hergeben d ü r f t e , auf ein Subjekt wechselnder Eigenschaften zu schließen, es sei d e n n , n a t ü r l i c h e Veränderung' werde von vornherein so definiert, daß sie "die Aneignung eines Gegenstandes (res) an einem Subjekt zugleich mit dem Zugrundegehen eines früheren Gegenstandes an demselben Subjekt i s t " . [ l ] Nur u n t e r dieser Voraussetzung kann er gemäß seiner Regel, daß " d a r a u s , daß ein Gegenstand i s t , nicht evident gefolgert werden k a n n , daß ein anderer Gegenstand i s t , wenn die Evidenz auf die Gewißheit des ersten Prinzips zurückgeführt wird", [2] aus dem Vorkom men einer Veränderung auf das Bestehen eines Subjekts schlie ß e n , ohne daß damit die Erkenntnis eines notwendigen Zusam menhangs in der Sache beansprucht wäre. Inhärenz in diesem objektiven Sinn zu v e r s t e h e n , lehnt Nicolaus an anderen Stellen klar a b , indem er die Bedeutung dieses Schlüsselbegriffs der Substanzontologie überhaupt als dunkel kennzeichnet. [3] Er hält ihn für das Ergebnis einer u n b e g r ü n deten Verallgemeinerung, die das sinnfällige Haften bestimmter Gegenstände aneinander, wie etwa der Haut an den Knochen, als für das Verhältnis von Akzidens und Subjekt gültig e r schleicht, ohne daß klar wäre, wie es sich damit in Wahrheit v e r h ä l t . [4] Daß die Vorstellung des Aneinanderhaftens jeden falls nicht ontologisch allgemein verwendet werden k a n n , e n t scheidet Nicolaus weiter u n t e n [ 5 ] und schlägt v o r , gar nicht mehr von Inhärenz der Akzidenzen zu r e d e n , was ohnehin zu zahlreichen Schwierigkeiten wie etwa der geführt habe festzu stellen, ob die Inhärenz zum Wesen des Akzidens gehöre oder nicht. Statt dessen sollen die Akzidenzen als atomhafte Teile ihres Subjekts - eines Ganzen solcher Teile oder Agglomerats aufgefaßt werden, [6] die sich dadurch von den wesentlichen und notwendigen Teilen desselben Subjekts unterscheiden, daß n u r beim Verschwinden dieser wesentlichen Teile auch die s o genannte Tätigkeit des Gegenstands oder seine Bewegung nicht mehr zu beobachten sind, beim Verschwinden der akzidentellen Teile dagegen u n v e r ä n d e r t bleiben. - Der von Thomas intendier te Begriff des Akzidens, ausschließlich als inhärierend zu sein, 1 2 3
Briefe, e d . J . L a p p e , S.27, Z.28 - S.28, Z.8 Ebenda, S.25, Z.5ff Satis exigit ordo executionis, ed. J . R . O'Donnell, S.194, Z.18-24 4 Ebenda, S.194, Z.21-24 " . . . et postea istum (conceptum inhaerentiae) applicat ad accidens et subiectum quasi fingendo quod ibi habeat locum. Sed quantum ad veritatem non est apparens qualiter res se habeat." 5 Ebenda, S.204, Z.34-45 6 Ebenda: "Secundum praedicta diceretur quod talia accidentia non sunt nisi quaedam corpora atomalia, nee sunt in supposito nisi sicut pars in toto, . . . "
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wird hier n u r noch als die symptomatische Schwierigkeit einer im Ganzen verfehlten Konzeption des Substanz-Akzidens-Ver hältnisses erwähnt, bevor das der Inhärenz als relationalem Sein strikt entgegengesetzte Modell eines atomistischen Außereinander der Gegenstandsbestimmungen skizziert wird. Daraus wie auch aus der Problemstellung der übrigen zitierten Stellen geht h e r v o r , daß das Verhältnis von Abhängigkeit von der Substanz und eigenem Bestehen der Akzidenzen für Nicolaus schon nicht mehr in Frage s t e h t , sondern er Substanz und Akzidens als zwei primär für sich bestehende Gegenstände v e r s t e h t , die dann auch noch in eine Beziehung zueinander gebracht werden kön nen, ohne daß dieses noch durch das Widerspruchsprinzip a b gesichert wäre. Die Atomisierung der Wirklichkeit zu einer Ordnung der reinen Äußerlichkeit ähnlich dem Raum erscheint als verdeutlichende Konsequenz der Verselbständigung des Ak zidens gegen seine Konstitution durch Inhärenz, welche Ver selbständigung ihrerseits nach Thomas' expliziter Herauslösung der Substanz aus dieser Konstitutionsbeziehung logisch nicht mehr zu vermeiden war. Trotz der Gegensätzlichkeit der beiden skizzierten historischen Auslegungsrichtungen des aristotelischen Substanz-AkzidensSchemas ist in ihnen ein Gemeinsames zu e r k e n n e n , daß sie nämlich den Primat der Substanz weiter als Aristoteles treiben u n d , was dasselbe i s t , in je verschiedener Weise die Abhängig keit dem Sein nach als ein Verhältnis, demzufolge das Akzidens auch eine Andersheit gegen die Substanz h a t , minimalisieren. Die Interpretationen weichen d e r Dialektik a u s , die Aristoteles mit dem Begriff des Akzidens v e r b u n d e n h a t , daß nämlich der Ausdruck für eine akzidentelle Bestimmung wie 'Sitzen' gerade dadurch zum Begriff eines selbständigen Gegenstandes wird, daß er seiner Form nach auf eine Substanz und damit auf deren kategoriai anders eingeordnete Wesensbestimmung verweist wie 'ein Sitzender' auf 'ein sitzender Mensch'. Wird das Akzidens als eine Modifikation der Substanz selbst begriffen, so ist das zwar insofern eine Konsequenz der aristotelischen Konzeption, als nach ihr die Akzidensbestimmung d u r c h ihre Mitaussage der Substanz erst ein Seiendes bezeichnet, also kein a n d e r e s , son dern genau diese mitausgesagte substantielle Seiende, bloß u n t e r einem anderen Aspekt als dem seines definierten Wesens. Aber die von der Kategorienlehre intendierte klare Unterschei dung von Substanz und Akzidenzen zeigt sich in dieser Re flexion ü b e r die Konstitution der Akzidenzen durch die Sub stanz als u n h a l t b a r . Der Rechtstitel der im Namen der Kategorienlehre von Thomas an Avicennas Lösung geübten Kritik ist viel besser am Modell des Verbalsatzes e r k e n n b a r , daß nämlich mit dem Prädikat nicht n u r das Subjekt selber a u s g e s a g t , sondern allererst in seiner Wirklichkeit erkennbar wird, so daß man pointiert sagen k ö n n t e , die Wahrheit des Subjekts sei nicht es selbst in sich n u r
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unwesentlich abwandelnder Identität, sondern das grammatisch und semantisch von ihm verschiedene Prädikat. Auf dem Hin t e r g r u n d dieser prinzipiellen Alternative ist es einsichtig, daß Avicennas Verabsolutierung der Substanz, die von Spinoza auch als solche ausgesprochen wurde, n u r den Begriff des selbstän dig Seienden, wie er die Substanz primär und die Akzidenzen vermittelst der Substanz bestimmt, in der aristotelischen Termi nologie, nämlich als sich in den Akzidenzen auf sich selbst b e ziehende Substanz entwickelt. Indem Thomas' Kritik das Sub stanz-Akzidens-Schema selbst nicht in Frage stellt, kann aber auch sie n u r zu einem anderen Begriff des selbständig Seienden führen, nicht zu einer grundsätzlichen Revision in der Verhält nisbestimmung von Subjekt und Prädikat, wie sie nach Thomas' fragmentarischen Äußerungen anhand einer Betrachtung des Verbalsatzes zu gewinnen wäre. Mit der ohne Akzidenzen denkbaren Substanz ist dieser andere Begriff des Selbständigen im Prinzip schon so realisiert, wie ihn die Erneuerung des ontologischen Atomismus durch Nicolaus von Autrecourt zu seiner Spinoza entgegengesetzten Konsequenz b r a c h t e : Die akzidenslose Substanz i s t , was das Kategorien schema a n g e h t , überhaupt nicht mehr als Bezogenes gedacht, nicht einmal als ein in seinen Modifikationen auf sich selbst b e zogenes Identisches. Mit der Entbehrlichkeit i h r e r Beziehung auf Akzidenzen verliert auch ihre Bezeichnung als Substanz ihren konkreten Sinn, und zugleich setzt sich das Moment des Akzidensbegriffs, daß auch ihr Sein selbständiges Bestehen i s t , gegen ihre Abhängigkeit d u r c h , so daß sich die Akzidenzen dem angleichen, was mit Substanz gemeint i s t . 5. Priorität der Substanz in der
Begriffsbildung
Die Priorität der Substanz vor den Akzidenzen, wie Aristoteles sie aus der Interpretation der Aussagen ü b e r Einzeldinge und ihre Eigenschaften gewinnt, wird zusätzlich durch seine These bekräftigt, der zufolge n u r die Substanz unmittelbar ihrem We sen nach bestimmt werden k a n n , die Akzidenzen dagegen höch stens in einem analogen Sinn und vermittelst der Substanz. Daß n i c h t s , was in Akzidenskategorien einzuordnen i s t , als unabhän gig betrachtet werden k a n n , sondern n u r Substanzen, das soll auch daran deutlich werden, daß sie als ein Erstes in der Be griff sbildung fungieren: In das sprachliche Begreifen dessen, was ein bestimmtes Akzidens einer beliebigen Kategorie i s t , muß der Begriff seiner Substanz eingehen. [1] Damit scheint die Be gründungsfunktion der Substanz über den bisher betrachteten Rahmen hinaus erweitert: Sie wird nicht n u r als einzelnes Zu grundeliegendes, auf dessen wesentliche Bestimmtheit es aber 1
Met. Ζ 1, 1028 a 32-36
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nicht ebensosehr ankommt, in der Aussage einer nominalen Akzidensbestimmung mitbedeutet, sondern ihr Wesensbegriff ermöglicht auch erst die Definition eines ihrer Akzidenzen. [1] Dieser Hinweis auf einen Zusammenhang der Wesensbegriffe k o r rigiert die Annahme, Substanz und Akzidenzen stünden in einem n u r äußerlichen Verhältnis zueinander. Statt dessen zeichnet sich die Möglichkeit einer Beziehung mit folgenden beiden Seiten ab: Einerseits können Eigenschaften nicht in abstrakt allgemei ner Identität spezifisch verschiedenen Subjekten zukommen, sondern ihre Bestimmtheit wandelt sich mit dem in sie eingehen den Begriff der ihnen jeweils zugrundeliegenden Substanz a b . Andererseits drückt sich auf diese Weise das Wesen einer S u b stanz in all ihren Akzidenzen trotz deren Unterschiedlichkeit gegeneinander a u s . Dadurch wird Avicennas und Spinozas In terpretation des Substanz-Akzidens-Verhältnisses u n t e r s t ü t z t , allerdings mit einer Akzentverschiebung gegenüber der hier gegebenen Darstellung: Indem die Akzidenzen nicht n u r ihrem formallogischen Status im Urteil nach, sondern auch ihrem j e weiligen bestimmten Wesensbegriff zufolge als Modifikationen der Substanz zu verstehen sind, wird die mit dem Kategorienschema intendierte reine Unterscheidung zwischen Substanz und Akzi denzen in dem Sinn wieder aufgehoben, daß auch die Substanz nichts anderes als das i s t , was sich in den Akzidenzen zeigt. [2] Aus dieser Konsequenz ist es nachträglich zu v e r s t e h e n , daß die primär an der Unterscheidung von Substanz und Akzidenzen interessierte aristotelische Philosophie eher das einsinnige Be gründungsverhältnis h e r v o r h e b t , das man aus der Implikation der Substanz in den Begriff des bestimmten Akzidens folgern k a n n , sofern der logische Begriff vom Begriff, die Definition, ursprünglich auf die Substanz und n u r vermittelst i h r e r auch auf Akzidenzen angewandt werden k a n n . Um diese zweite Aus zeichnung der Substanz gegenüber den Akzidenzen zu b e g r ü n d e n , geht Aristoteles ungeachtet der Funktionsbestimmung der Substanz zu einem Moment des Begriffs eines jeden Akzidens von einer Andersheit jedes Akzidens gegen das durch es b e 1
Negativ spielt allerdings das Wissen um den Begriff einer b e stimmten Substanz schon eine Rolle, wenn man ü b e r h a u p t eine Bestimmung als akzidentelle qualifizieren will, weil sie nicht n u r auf ein Zugrundeliegendes bezogen, sondern auch als nicht zu seinem Wesen gehörig erkannt werden muß; v g l . oben S.54. 2 Damit scheint Hegels Begriff vom V e r h ä l t n i s der Substantialität', daß "die Substanz als diese Identität des Scheinens die Totalität des Ganzen ist und die Akzidentalität in sich begreift, und die Akzidentalität die ganze Substanz selbst i s t " , im Ansatz schon an der Exposition des Problems bei Aristoteles einsichtig; s. Hegel, Wissenschaft der Logik, B d . 2 , S.186.
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stimmte Subjekt a u s , die die substantielle oder Wesensbestim mung gerade nicht haben soll. Ob eine beliebige Bestimmung ihrem Subjekt wesentlich ist oder zu ihm hinzukommt, wie Ari stoteles die Andersheit der Akzidenzen a u s d r ü c k t , [ 1] und dann als etwas von einem anderen ausgesagt wird, [2] das ist an der Beantwortung der Frage zu entscheiden, ob dieses Subjekt g e nau das i s t , was es heißt, von dieser Bestimmung zu sein. Gibt man z . B . mit dem Begriff davon, was es heißt, ein Haus zu sein, nach Aristoteles also mit der Definition, es sei ein aus Steinen und Hölzern e r b a u t e r Behälter zum Schutz für Sachen und L e i b e r [ 3 ] , zugleich zu e r k e n n e n , was ein in Frage s t e h e n der Gegenstand i s t , dann hat man für diesen auch ein bestimm tes 'Sein schlechthin', das Haussein nämlich, und damit sein Wesen nachgewiesen. [4] Weil die Definition n u r den mit 'Haus' gemeinten Sinn einer unmittelbaren Gegenstandsbestimmung e x pliziert, bedeutet sie nichts von dieser Verschiedenes. Erfährt man dagegen durch die Explikation d e s s e n , was es etwa heißt, weiß zu sein, nicht zugleich, was genau ein bestimmter Gegen stand i s t , sondern n u r , worin seine Beschaffenheit b e s t e h t , dann bedeutet die Bestimmung 'weiß' n u r , daß der zuvor schon wesentlich bestimmte Gegenstand außerdem auch noch etwas a n d e r e s , nämlich weiß i s t . [5] Und weil ein Prädikatsnomen wie 'weißes' seine Substanz, z . B . ein Haus, unbestimmt mitbedeu t e t , deckt sich seine Bedeutung auch nicht mit derjenigen seiner Definition, sofern diese n u r den Sinn des abstrakt g e nommenen Akzidens 'Weiße' e r k l ä r t . [6] Wenn Aristoteles die Definition von Akzidenzen als begriffliche Analyse a b s t r a k t e r Zustände ohne Bezug auf ihr Subjekt v e r s t e h t , geht er aber von seiner zitierten These a b , der Begriff der Substanz müsse im Begriff einer jeden anderen Bestimmung vorkommen. Offensichtlich sucht er damit zu vermeiden, daß die bloße Unterscheidung von Substanz und Akzidenzen sich in d e r Reflexion auf je besondere Definitionen von Bestimmungen bei derlei Typs als unhaltbar erweist. So könnte die notwendig auch inhaltliche Bezogenheit des Akzidens auf die Substanz nicht in einer Begriffsbestimmung des Akzidens eingelöst wer d e n , ohne daß die Aussage dieses Akzidens von seiner Substanz das Subjekt im Prädikat wiederholte, wenn man an Stelle des Akzidens seinen Begriff einsetzte (etwa nach dem Muster: ' D i e ser Mensch ist ein Mensch mit heller Hautfarbe', für ! Dieser 1 2 3 4 5 6
Met. Met. Met. Met. 29ff Met. Met.
Ζ Ζ Η Ζ
4, 1029 b 18f, 29-33; Ζ 5, 1031 a 2 f 4, 1030 a 3-6, l0f 2, 1043 a 14-19 17, 1041 b 4-9; Ζ 3 , 1031 b f, 18-22; Ζ 1, 1028 a
Ζ 4, 1030 a 21-32; v g l . Ζ 1, 1028 a 18ff Ζ 6, 1031 b 22-28; v g l . Ζ 5, 1030 b 23-26
79 Mensch ist bleiche). [1] An dieser konstruierten Verdoppelung des Subjekts im Urteil soll die logische Schwierigkeit demon s t r i e r t werden, komplexe, weil auf jeweils anders bestimmte Subjekte bezogene Akzidensbestimmungen ü b e r h a u p t zu defi nieren. Dann erscheint die Wesensanalyse durch Definition ent weder schlechterdings n u r auf einfache, also substantielle Be stimmungen anwendbar oder doch mindestens im u r s p r ü n g l i c h e n , vollen Sinn von Wesensexplikation, auf Akzidenzen dagegen n u r in einem abgeleiteten, eingeschränkten Sinn. Beide Varianten wahren die eindeutige Abgrenzung von Substanz und Akziden zen gegenüber i h r e r logischen Verschränkung ineinander, die man aus der Einbeziehung der Substanz in die Definition i h r e r Akzidenzen folgern könnte. Unberücksichtigt bleibt in dieser Argumentation, daß die Unterscheidung und die Verschränkung von Substanz und Akzidenzen zwei verschiedene, aufeinander folgende Momente derselben Reflexion über die logische Form des Urteils und der Realität sind und deshalb nach dem Gang der Reflexion unterschieden werden müssen. Um der Eindeutig keit der Theorie ü b e r die G e g e n s t a n d s s t r u k t u r willen bricht Aristoteles die Reflexion auf der ersten Stufe a b , für die die bloße Differenzierung von Substanz und Akzidenzen bestimmend i s t . Den theoretischen Stellenwert der Implikation der Substanz in die Begriffsbestimmung der Akzidenzen läßt er dadurch im Unklaren. Thomas will d a r ü b e r entscheiden, indem er auf das Inhärenzverhältnis r e k u r r i e r t e 2] : Die Aufnahme des Subjekts in die De finition seines Akzidens bedeutet nicht, daß es zu dessen Wesen gehört, sondern ein zu diesem Wesen hinzukommendes Abhängig keitsverhältnis des Akzidens von seinem bestimmten Zugrunde liegenden. So bekommt die "eingeschränkte Definierbarkeit" d e r Akzidenzen den Sinn, daß ihre Definition nicht allein ihr Wesen auf einen Begriff b r i n g t , sondern ihre Seinsweise einbezieht, die ihrem Wesen äußerlich zu sein scheint. Indem Thomas Defi nition und Wesen der Akzidenzen t r e n n t , kann er es vermeiden, daß die Ersetzung eines als Prädikat ausgesagten Akzidens durch seine reine Wesensbestimmung zu einer Verdoppelung des 1
Met. Ζ 5, 1030 b 30-35 Das Testverfahren, analysierende Begriffe in die u r s p r ü n g l i che Funktion des d u r c h sie zu Begreifenden einzusetzen, mißt die Gültigkeit einer Reflexion auf Bedeutungen an der unmittelbaren Verwendbarkeit ihres Ergebnisses in demjeni gen sprachlichen Kontext, der sich d u r c h selbstverständli chen Umgang mit den Bedeutungsfunktionen gegenüber i h r e r Thematisierung auszeichnet. Diese Differenz übergeht die aristotelische Methode. - Außerdem setzt Aristoteles wie selbstverständlich v o r a u s , daß das Prädikat eines Urteils gegenüber dem Subjekt einfach etwas Neues bedeutet, als nähme es das Subjekt nicht ebensosehr auch wieder auf. 2 In 7 Met. 1. 4, 1352-1354
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Subjekts f ü h r t , denn in des Wesen des Akzidens soll das Sub jekt ja nicht eingehen. Für die Bestimmung von Substanz und Akzidenzen gewinnt aber zugleich das dingliche Verhältnis der Inhärenz Priorität gegenüber der Wesensanalyse. An dieser Stelle wird, wie es auch im Hinblick auf Avicennas Theorie des Urteils plausibel erscheint, ein Beweggrund für die Einseitigkeit e r k e n n b a r , mit der Thomas eine Verhältnisbestimmung von Sein und Urteil anhand der Kategorienlehre gegenüber Aristoteles festlegt: Während dieser die Kategorien als Modi der unmittel baren Aussage von Sein v e r s t e h t und so gerade an den Kate gorien Prädikation und Sein nicht t r e n n t , [1] betont Thomas in seinem Kommentar, daß die jeweilige Prädikationsweise der e n t sprechenden Seins weise folge. [2] Dieses Verhältnis soll auch für die Definierbarkeit von Bestimmungen, die verschiedenen Kategorien angehören, gelten, so daß die Notwendigkeit, in die Definition der Akzidenzen ihr Subjekt aufzunehmen, aus dem akzidentellen Sein begründet wird, das n u r als Zusammenset zung von Subjekt und ihm zukommendem Akzidens zu verstehen sei, da Akzidenzen kein von ihrem Subjekt unabhängiges Sein h ä t t e n . [3] Diese Ontologisierung des Substanz-Akzidens-Schemas stabili siert es gegen die Verschränkungen, die Aristoteles und Avicenna an seiner urteilstheoretischen Form angedeutet haben, und erfüllt insofern offensichtlich eine aristotelische Intention. Sie stellt aber zugleich den mit dem Schema auch gemeinten Zu1 2 3
Met. Δ 7, 1017 a 22ff In 5 Met. 1. 9, 890; v g l . unten S.437ff Ente 6, Roland-Gosselin S.42, Z.16 - S.43, Z.7 Daß die aristotelische Theorie des wissenschaftlichen Bewei ses auf die Definition von Akzidenzen nicht verzichten k a n n , hebt Thomas in seinem Kommentar zu den Zweiten Analytiken (1. 2, 15) h e r v o r . Während Aristoteles vorsichtiger s a g t , der Wissenschaftler müsse hinsichtlich der Eigenschaften, die er als seinem Gegenstand zukommend beweisen will, v e r s t e h e n , was mit den jeweiligen Termini wie 'Dreieck' oder 'gerade ungerade' bedeutet wird ( A n . p o s t . A 1, 71 a 11-15; A 10, 76 b 6-11), faßt Thomas dieses Verstehen systematisch als vollständiges Kennen in der Form der Definition. Aus den Definitionen des Subjekts und der Eigenschaft soll dann d e r Mittelbegriff gewonnen werden, der den Schluß ermöglicht, daß die Eigenschaft dem Subjekt - etwa Geradheit und Ungeradheit der Zahl - zukommen. Daß dieses Sein der Eigen schaften ein Sein an ihrem Zugrundeliegenden i s t , spricht Thomas auch hier deutlich a u s , aber wendet das nicht auf den Begriff der Definition der jeweiligen Eigenschaften a n . So bleibt die Schwierigkeit unerwähnt, daß eine regelrechte Definition der Eigenschaft schon ihre Abhängigkeit von ihrem Zugrundeliegenden berücksichtigen müßte, die doch e r s t b e wiesen werden soll.
81 sammenhang in Frage, wenn es zur Erläuterung der ontologischen Begründung der Definierbarkeit heißt, das Sein der Sub stanz gehe von Natur aus dem hinzukommenden Akzidens v o r a u s ; deshalb bewirke das Akzidens durch seine Verbindung mit der Substanz ein zweites Sein (quoddam esse secundum), das seinerseits zur Erkenntnis des Seins des Gegenstandes e n t b e h r lich s e i . [ l ] In der Unterscheidung von erstem und dazutretendem zweiten Sein, die die Trennung von Substanz und Akzi denzen gegen die Implikation der Substanz im Begriff des je weiligen Akzidens d u r c h s e t z t , zeichnet sich schon die I n t e r p r e tation des Inhärenzmodells als einer bloßen Agglomeration a b , wie Nicolaus von Autrecourt sie unternommen h a t .
1
Ente 6, Roland-Gosselin S.43, Z.23-30
2. Kapitel EINIGE ASPEKTE DES ARISTOTELISCHEN PRINZIPIENBEGRIFFS AUF PLATONISCHEM HINTERGRUND 1. Die Substanz als unabhängiges F r ü h e r e s : Aristoteles' eigene Chorismosthese An derselben Stelle, an der Thomas das analoge Verhältnis der substantiellen und akzidentellen Wesensbegriffe auf das Inhärenzmodell z u r ü c k f ü h r t , gibt er einen Hinweis darauf, wie die beiden so verbundenen Seiten des Kategorienschemas logisch einzuordnen sind: Das substantielle Sein ist unabhängig von dem akzidentellen wie ein Erstes überhaupt unabhängig von dem zu ihm gehörigen Zweiten e r k e n n b a r , das Sein der Akzidenzen dagegen hängt von dem der Substanz a b . [ l ] Damit zeigt er a n , daß auch mit der Differenzierung der Wesensbegriffe in s u b stantielle und akzidentelle Selbständigkeit, die ihrerseits d u r c h Einfachheit bedingt i s t , als Sinn von Substantialität realisiert wird. Bei Aristoteles fungiert Abtrennbarkeit oder Selbständigkeit nicht n u r im e r s t e n Kapitel des siebten Metaphysikbuchs (und im zwölften Buch) als ein Kriterium zur Vorordnung der Sub stanz gegenüber den Akzidenzen, sofern sie überhaupt als Seiende gelten sollen, [2] sondern geht u . a . auch in die Ab hebung des Substanzbegriffs von einem unbestimmten bloß Zu grundeliegenden, [ 3] in den Begriff der Wirklichkeit[4] und den der Substantialität ein, sofern er auch die für sich separat denkbare Form umfaßt; [5] und nicht zuletzt wird das Glück des vernünftigen Lebens unabhängig im Hinblick auf den p s y c h o physischen Menschen genannt. [6] Diese Schlüsselstellung der Selbständigkeit als Kriterium für Prinzipien legt folgende These nahe: Obwohl Aristoteles selbst bei seiner Erörterung des Sub stanzbegriffs den Begriff des Prinzips dadurch aus d e r Diskus sion nimmt, daß er e r k l ä r t , nicht das Prinzip als solches sei die Substanz, sondern gefragt sei g e r a d e , was als Prinzip zu b e stimmen sei, [7] zeigt sich ein bestimmter Begriff vom Prinzip für die Interpretation als die wahre Substanz der aristotelischen 1 2 3 4 5 6 7
Ente 6, Roland-Gosselin S.43, Z.23 - S.44, Z.14; cG IV 14, 3508 1028 a 22-25, 33f; 1069 a 24, 1070 b 36f Met. Ζ 3, 1029 a 27f Met. Ζ 13, 1039 a 3-7 Met. Η 1, 1042 a 26-31 Eth.Nik. 8, 1178 22 Met. Ζ 16, 1040 b 18-23; diese thematische Akzentuierung d e s s e n , was Erste Philosophie leisten soll, wird weiter unten in ihrem systematischen Kontext noch einmal aufgenommen, s. S.176.
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Philosophie, ein Begriff, der über die allgemeine, im Sinne von Wieland rein relationale Bestimmung von Prinzip hinausgeht, "das Erste zu sein, von dem her etwas i s t , entsteht oder e r kannt w i r d . [ l ] Während dieser Formulierung zufolge die b e gründende Beziehung auf das Prinzipiierte für jedes Prinzip wesentlich i s t , v e r k e h r t Aristoteles den so umschriebenen Rela tionscharakter von Prinzipien gerade in sein Gegenteil, indem er den Sinn von Prinzipialität faktisch u n t e r dem Begriff des Ersten oder Früheren weiterbestimmt. Denn "der Natur und dem Sein nach" nennt Aristoteles dasje nige "Früheres gegenüber Späterem, was ohne anderes sein k a n n , dieses aber ohne jenes nicht - welche Unterscheidung Platon g e b r a u c h t e " . [2] Aristoteles äußert sich weder hier noch an anderen Stellen so eingehend, daß man die oben (S.72) auf geworfene Frage sicher entscheiden k ö n n t e , ob sich die Unab hängigkeit des jeweiligen Früheren auf ein je bestimmtes von ihm Abhängiges oder auf die Begründung eines Abhängigkeitsver hältnisses überhaupt bezieht. Weil Aristoteles offensichtlich durchweg an komplexe, sich wandelnde Zusammenhänge denkt und sie nach einer ganz allgemeinen Regel grundsätzlich ordnen will, könnte man im Hinblick auf diese Problemstellung für die differenzierte Version plädieren, daß also jeweils dasjenige Glied eines Zusammenhangs als Früheres ausgezeichnet werden soll, das sich im Wechsel anderer durchhält, das in der Beziehung auf verschiedene andere seine Funktion behält, während diese ihre Funktion n u r mit Bezug auf es ausüben können. Für sich genommen klingt der Wortlaut ('ohne anderes sein können') aber a n d e r s . Andere Texte v e r s t ä r k e n eher noch diesen Eindruck, von dem sich auch Thomas bestimmen ließ: So heißt es in der Kategorienschrift, als Früheres erscheine jeweils dasjenige, von dem aus sich die Seinsfolge nicht umkehren lasse, d . h . das e r s t e Glied einer Folge wie der Zahlenreihe, das zwar unmittel bar gesetzt sein muß, wenn eines der Folgeglieder, z . B . die Zwei, gesetzt i s t , aus dessen Gesetztsein, etwa dem der Eins, aber keineswegs ebenso folgt, daß ein Folgeglied in der Reihe wie die Zwei gesetzt i s t . [ 3 ] Hier erlaubt schon das Bild der Reihe, deren Glieder nicht n u r das erste schlechthin, sondern 1
Met. Δ 1, 1013 a 17ff. Vgl. Wieland, Die aristotelische Phy sik, S.55ff, S.61-68. Auf den Zusammenhang der beiden Prinzipienbegriffe komme ich u n t e n , Dritter Teil, 5 . K a p . , 4 . , zurück. 2 Met. Δ 11, 1019 a 1-4; v g l . Met. 3, 999 a 17ff; Met. 5, 1071 a 34f; Met. M 2, 1077 b 2f Thomas, In 5 Met. 1. 13, 950, ergänzt dazu noch, Platon habe das Allgemeine (universalia) in diesem Sinn für früher als das Einzelne gehalten, ebenso Einfaches für früher als Komplexes. 3 Cat. 12, 14 a 29-35
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auch die anderen sie mit diesem ersten vermittelnden v o r a u s setzen, keinen Wechsel verschiedener Abhängiger, mit denen das Erste nacheinander in einem gleichwohl für es kontinuier lichen Bedingungszusammenhang s t ü n d e . Vielmehr ist ganz v o r d e r g r ü n d i g gesagt, daß auf das Erste nichts zu folgen b r a u c h t . Trotzdem konvergiert mit diesem Begriff vom Früheren die knap pe Bestimmung des Prinzips, daß es dasjenige in einem Zusam menhang i s t , was das andere jeweils mit aufhebt, wenn es selbst verschwindet oder weggedacht wird; so können z . B . die Species eines Genus nicht mehr gedacht werden, wenn i h r Ge nus aufgehoben w i r d . [ l ] Diese Distinktion eines Prinzips in einem komplexen Zusammenhang ist n u r sinnvoll, wenn die Um k e h r u n g des Gedankenexperiments, die Aristoteles nicht eigens a u s s p r i c h t , nicht gilt, wenn also auf die Aufhebung des Be g r ü n d e t e n , hier der Species, genauer, aller Species, keines wegs auch die Aufhebung des Prinzips folgt. Würde n u r das Wegdenken einzelner Species eines Genus dasselbe nicht t a n gieren, dann wäre die Aufhebung der Species mit ihren Genera im vorliegenden Kontext kein Argument, weil es pauschal um eine Gegenüberstellung von Genera und Species in der Frage g e h t , welche von beiden sich wie als Prinzipien ausweisen kön nen; zöge also das Wegdenken aller Species auch die Aufhebung i h r e r jeweiligen Genera nach sich, dann hätten die letzteren dieses Kriterium d e r Prinzipialität nicht mehr allein für sich, wie Aristoteles ausdrücklich meint. - Also stimmen der Begriff des Früheren und der Prinzipienbegriff darin ü b e r e i n , daß sich etwas als Prinzip gegenüber seinen Begründeten gerade dadurch ausweist, daß es ebensogut auch ohne ein Begründetes ü b e r haupt sein k a n n , während sich etwas durch sein Angewiesensein auf das Bestehen oder Gelten eines andern als von diesem b e g r ü n d e t oder ihm nachfolgend zeigt. Diese Verhältnisbestimmung von selbständigem Früheren und abhängigem Späteren im Sinn einer strikt einsinnigen Abhängig keit wendet Aristoteles nicht n u r unmittelbar auf Substanz und Akzidenzen, sondern gleichermaßen auch auf Satz und Satzteile mit folgendem Ergebnis an: Ein Satz geht seinem akzidentellen Prädikat nicht wie der ganze, akzidentell bestimmte Gegenstand seinem Akzidens v o r a u s , sondern setzt dieses Prädikat als ein Früheres v o r a u s , weil er ohne seine Teile als ganzer nicht mög lich i s t . [2] Dasselbe Kriterium soll für die logische Ordnung des lebendigen Körpers und seiner Glieder gelten, [3] allerdings mit dem umgekehrten Ergebnis, daß nämlich das Ganze seinen Teilen v o r a u s g e h t , weil diese, vom Ganzen a b g e t r e n n t , nicht lebendig sein können. Daß das Frühere unabhängig von a n derem, also selbständig, zugleich aber Voraussetzung seines 1 2 3
Met. 1, 1059 b 38ff Met. Δ 11, 1019 a 4ff, 1018 b 34ff; v g l , Met. Ζ 10, 1035 b 4ff u . Met. M 2, 1077 b 3f Met. Ζ 10, 1035 b 22-25
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- damit abhängigen - Späteren sei, liegt auch der Auszeichnung des ersten Wissensprinzips, des Widerspruchssatzes, als eines Voraussetzungslosen vor allem bestimmten Wissen, das ihn not wendig v o r a u s s e t z t , z u g r u n d e . [1] Ebenso ist das Verhältnis ma thematischer Erkenntnisse zu physikalischen bestimmt, insofern die mathematischen Begriffe zwar auf bewegte physikalische Körper als ihre Gegenstände zu beziehen, aber ohne jede Rück sicht auf Bewegung definiert sind, also die bewegten Dinge nicht als solche, sondern einer allgemeineren, ihnen v o r a u s g e setzten S t r u k t u r nach objektivieren; [ 2] deshalb ist die Abtren nung mathematischer Eigenschaften von ihren Subjekten oder die mathematische Abstraktion legitim. Dieser Begriff des Früheren ist also mehr als ein Prinzip für die Konzeption der gegenständlichen Substanz, er leitet auch die Suche nach dem, was im logischen Sinn anderes b e g r ü n d e t . Aristoteles selbst unterscheidet die Einzelsubstanzen der Erfah r u n g als das dem Sein nach Frühere von logisch Früherem wie etwa mathematischen Elementen. [3] Er gibt damit zu e r k e n n e n , daß er die Selbständigkeit einzelner Gegenstände - und nicht logisch einfacher Erkenntnismomente - für das grundlegende Kriterium von Sein in einem ausgezeichneten ersten Sinn hält. Vor allem glaubt e r , darin noch mit dem Prinzipienbegriff ü b e r einzustimmen, auf dem die platonische Ideenlehre b e r u h t . Der Chorismosvorwurf ist deshalb aufgrund von Aristoteles' eigenem Ansatz in der Prinzipienfrage unvermeidlich. Ein fiktiver Hin weis darauf, daß Piatons Theorie die Ideen nicht endgültig als von den Einzeldingen getrennt v e r s t a n d , würde Aristoteles n u r in einen noch grundsätzlicheren Gegensatz zu Platon b r i n g e n , aber keineswegs jenen berühmten Vorwurf gegenstandslos ma chen: "Vielmehr haben die Vertreter der Ideenlehre insofern r e c h t , als sie die Ideen als selbständig annehmen, wenn sie n u r wesentlich Seiende (usiai) sind, darin aber nicht, daß sie Idee das nennen, was sich als eines auf viele bezieht". [4] "Wenn nämlich einer die wesentlich Seienden nicht als selbständig und 1 2
Met. Γ 3, 1005 b 11-17; Γ 4, 1006 a 11-26 Phy. 2, 193 b 31 - 194 a 7 Thomas expliziert in seinem Kommentar zu dieser Stelle das logische Verhältnis von Früher und Später als das ihr zu grundeliegende theoretische Modell, s . In 2 Phy. 1. 3, 161. 3 Vgl. dazu unten S.217-220 4 Met. Ζ 16, 1040 b 27-30. Thomas, In 7 Met. 1. 16, 1642, fügt erläuternd hinzu, als Substanzen, d . h . d u r c h sich selbst Seiende, könnten die Ideen gar nicht an einem Ein zelnen sein, zumal eine Idee dann nicht auch an anderen Einzelgegenständen sein k ö n n t e . Die Annahme einer wesent lichen Beziehung der Ideen auf die Ideate, die Thomas n u r als Inhärenz denken k a n n , würde die Ideenlehre als Theorie des im wesentlichen, prinzipiellen Sinn Seienden vollends unverständlich machen.
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so, wie die Einzelseienden ausgesagt werden, annimmt, hebt er das wesentlich Seiende auf, wie wir es meinen."[1] Ganz unabhängig von der historischen Frage nach dem Chorismos bei Platon gilt also für Aristoteles, daß das in einem e r s t e n Sinn Seiende selbständig sein muß, so daß der Chorismos der Ideen als wesentlich Seiender erfunden werden müßte, wenn Platon so inkonsequent gewesen wäre, ihn nicht zu v e r t r e t e n . Daß hier die thematische Ausfüllung oder der theoretische Kon text für die Verhältnisbestimmung nach Früher und Später und ihre historische Herleitung von Platon angegeben i s t , liegt auf der Hand. So lautet ein anderer Text, der einen Zusammenhang der Ideen als wesentlich Seiender mit den Einzeldingen erwägt: "Zugleich ist aber auch k l a r , daß das Subjekt (hypokeimenon) kein wesentlich Seiendes (usia) sein wird, wenn es die Ideen gibt, die einige behaupten; denn diese müssen zwar wesentlich Seiende sein, dürfen aber nicht von einem Zugrundeliegenden gelten, da sie dann infolge von Teilhabe w ä r e n . " [ 2 ] Was in einem ausgezeichneten Sinn als seiend gelten soll, muß auch insofern den Begriff des Früheren erfüllen, als es von seiner Voraussetzungsfunktion für S p ä t e r e s , hier das Zugrundeliegen d e , unabhängig und nicht erst durch dessen Teilhabe an ihm, dem F r ü h e r e n , als seinem Prinzip wirklich i s t . [ 3 ] Diesen Begriff sah Aristoteles in exemplarischer Weise mit der platonischen Ideenlehre realisiert, so daß er seine Aufstellung ausdrücklich Platon zuschrieb. Erst auf der Grundlage seiner Zustimmung zu einem solchen Begriff von früherem, wesentlich Seienden ist seine Kritik an der Ideenlehre zu v e r s t e h e n , daß sie mit dem Allgemeinen etwas ganz Ungeeignetes zum Prinzip in diesem Sinn mache: Jedes Selbständige ist notwendig ein von dem anderen Getrenntes oder Besonderes. Deshalb ist es n u r konsequent, das konkrete Einzelne zu dem im wesentlichen Sinn Seienden oder zur Substanz zu e r k l ä r e n , weil es nicht konsti tutiv als auf anderes bezogen gilt. Umgekehrt wären die Ideen, nähme man ihnen den Chorismoscharakter, um i h r e r Allgemein heit Rechnung zu t r a g e n , nicht mehr tauglich, in den Begriff des Prinzips oder des wesentlich Seienden eingesetzt zu wer d e n , weil sie so nicht selbständig, sondern wesentlich als auf vieles bezogen gedacht würden. Was für Aristoteles als Widerspruch im Begriff der Idee erschei nen muß, daß sie Prinzip und Allgemeines i s t , kann aus pla tonischer Perspektive als ein notwendiger Gegensatz der Refle xion auf das Wissen v e r s t a n d e n werden, der es allerdings nicht 1 2 3
Met. M 10, 1086 b 16-19; v g l . Met. A 5, 1070 b 36f Met. Ζ 6, 1031 b 15-18; v g l . Ross, Aristotle's Metaphysics, Vol.II, S.178 Daraus wird Thomas' Interpretation des Verhältnisses der Substanz zu den Akzidenzen (s.oben S.71f) historisch legi timierbar.
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e r l a u b t , an einer reinen Selbständigkeit des Prinzips festzuhal t e n . [1] Wie diese Reflexion etwa im Phaidon vorgetragen wird, zeigt sie, daß die mit jedem Gedanken in Anspruch genommene Identität der begrifflichen Bestimmungen zunächst n u r als ihre reine Beziehung auf sich dem konstitutiven Anders werden der Erfahrungsgegenstände gegenübergestellt werden k a n n . [2] Es ist nicht einzusehen, wie eine Theorie die Selbstdifferenzierung des E r k e n n e n s , das etwas als etwas bestimmt oder beurteilt, anders als d u r c h die Entgegensetzung von veränderlichem, b e stimmtem Besonderen und seiner sich selbst gleichen, deshalb für Verschiedenes in demselben Sinn wiederholbaren oder allge meinen Bestimmung einführen k a n n . Die aristotelische I n t e r p r e tation der Ideenlehre bleibt bei diesem Schritt der Reflexion stehen und nimmt die mit ihm zugleich hervorgehobene logische Notwendigkeit, das Wissen der Idee dem Bestimmen von Gegen ständen im Hinblick auf sie vorauszusetzen, als die Feststellung eines Früheren schlechthin im Sinn von Prinzip. Dabei bleibt der relationale Sinn der Voraussetzung von Ideenwissen u n b e rücksichtigt: Nur in dem, was als Bedeutungsidentität einer Bestimmung eingeführt i s t , kann wie in einem Modell die Be deutung auch als vollständig realisiert gedacht werden. Des halb muß das Bewußtsein von d e r Differenz dieser reinen Be stimmung zu ihren besonderen Bestimmten diese nichtidentischen und dann die Bedeutung auch n u r eingeschränkt realisierenden Bestimmten jeweils auf ihr Modell wie auf einen vorgängigen Maßstab unterscheidend beziehen. [3] Obwohl Aristoteles klar zu v e r s t e h e n gibt, daß er den Zusammenhang der Ideenlehre mit der Frage nach dem Wissen k e n n t , [4] abstrahiert sein Begriff von der Idee als Sein im wesentlichen Sinn oder als Prinzip in demselben Zug von der Funktion der Idee, als gewußte Vor aussetzung für Erkenntnis zu sein, und von i h r e r Bezogenheit auf die im Hinblick auf sie bestimmten besonderen Seienden. Wenn man nachträglich die platonische Theorie schematisiert, kann man s a g e n , daß ihr zweiter Reflexionsschritt den zunächst aufgestellten Gegensatz von sich identisch auf sich beziehender 1
Eine prüfende Auseinandersetzung mit Aristoteles' Kritik an der platonischen Ideenlehre u n t e r ihren verschiedenen Aspek ten ist für ein philosophisches Verstehen der Problemlage bei Thomas fundamental. Trotzdem kann Aristoteles' schon viel fach diskutierte Auseinandersetzung mit seinem Lehrer in der vorliegenden Arbeit n u r fragmentarisch und thesenhaft b e handelt werden. Das Verhältnis von Platon und Aristoteles vollständiger und im Kontext der Forschung zu e r ö r t e r n , das hieße, die Frage nach einem mittelalterlichen Autor durch ein neues Thema zu e r s e t z e n . 2 Phd. 74 a-c; 78 d - 79a 3 Ebenda, 74 d-e 4 Met. A 6, 987 a 32 - b 10; 3, 998 b 3-21; M 4, 1078 b 12-34
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Idee und n u r mit Bezug auf sie identifiziertem Ideat auf den Ausgangspunkt der Überlegung, das durch Beziehen einer Dif ferenz in einem Satz erkennende Bewußtsein, zurückbezieht. Die von Aristoteles unterstellte Verselbständigung jenes Gegen s a t z e s , die ihrerseits die Interpretation der vorausgesetzten Idee als eines absoluten Prinzips ermöglicht, vermeidet Platon, indem er Idee und Ideat durchgängig als Momente des Erkennens darstellt, das eines an einem anderen erinnert und dieses unmittelbar Vorgestellte auf jenes Erinnerte als seinen Maßstab bezieht: So heißt es einmal, daß man die Erkenntnis der Idee der Gleichheit aufgrund der besonderen Gleichen gewinne, ob wohl sie etwas anderes als die Idee seien, [1] und zur Erläu t e r u n g der Anamnesis, daß man im Gebrauch der Wahrnehmun gen das früher schon einmal eigene Wissen wieder aufnehme. [2] Wie Gedankenbestimmungen und Wahrnehmungen sich wechsel seitig als Bedingungen voraussetzen, wird im Theaitet daran gezeigt, daß einerseits beliebige Wahrnehmungsinhalte nicht b e wußt sein können, ohne den allgemeinsten Gattungen wie Sein, Nichtsein, Identität, Verschiedenheit, Einheit, Vielheit e t c . nach bestimmt zu s e i n , [ 3 ] und daß andererseits diese Gattun gen als Bestimmungen etwa solcher Wahrnehmungen gedacht werden und das dadurch mögliche Wissen (analogismata) sich auf das Wahrgenommene bezieht. [4] Im Sophistes schließlich thematisiert Platon selbst in einer ganz unmittelbaren Form, was hier gemeint i s t , daß nämlich die a b s t r a k t e Verkürzung d e r Ideenlehre, die Ideen seien als das wahre Sein ohne alle Bewegung, reine Beziehung auf sich selbst und deshalb getrennt von dem Werden der sinnlichen Welt, [5] durch Reflexion auf das Bewußtsein der Ideen korrigiert wird: Sofern die Ideen gedacht werden, werden sie auch bewegt, und sofern sie als Sein in einem vollkommenen Sinn konzipiert sind, kann man Einsicht, Bewußtsein, Leben und Bewegung nicht von ihnen t r e n n e n . [6] Damit verlöre zugleich auch der Grundsatz von der notwendigen Bedeutungsidentität oder ruhigen Bezie hung der Ideen auf sich selbst seinen Sinn, weil diese Aspekte ebensosehr wie die Bewegung zu den Bedingungen d e r E r k e n n barkeit jeglichen Objekts gehören. [7] Als Gegenstand und Er möglichung des Denkens sind die Ideen selbst von noetischem, sogar subjektivem (psyche) Charakter und deshalb gleicherma ßen Beziehung auf sich (Ruhe) wie Beziehung auf anderes (Be wegung) . Die Konsequenz aus diesem Begriff von Idee für das Verhältnis der Ideen zu den Einzelgegenständen der Wahrneh1 2 3 4 5 6 7
Phd. 74 Ebenda, 75 e T h e . 185a-d Ebenda, 186 b-d Soph. 246 b - c , 248 a Ebenda, 248 d - 249 b Ebenda, 249 b-d
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mung, das im Mittelpunkt der aristotelischen Kritik s t e h t , zieht Platon schon explizit im Phaidon, daß man nämlich ebensogut, wie die bestimmte Identifikation der Wahrnehmungsgegenstände ihre Teilhabe an den bestimmenden Ideen genannt wird, dieses Bestimmen als Anwesenheit der Idee in den Einzeldingen ( p a r usia) oder ihre Verbindung mit ihnen (koinonia) verstehen k a n n . [ 1] Der aristotelischen Behauptung, die Ideen nützten nichts zur Erkenntnis der anderen Dinge, weil sie nicht ihr notwendig im manentes Wesen (usia) seien, [2] ist damit die angegebene Grundlage entzogen. Das heißt zugleich, Aristoteles' Überzeu g u n g , als Seiende in einem prinzipiellen Sinn könnten die Ideen je n u r auf sich selbst bezogen sein, ignoriert den Reflexions zusammenhang, in dem Platon zunächst die unwandelbare, je bestimmte Identität der Ideen herausarbeitet. Wenn moderne Piatondeutungen wie die von Tugendhat und Prauss im Aufzei gen u n v e r b u n d e n e r , in ihrer Bedeutungsidentität selbständiger Bestimmungen die Intention jedenfalls der frühen Ideenlehre sehen, dann sind auch sie am Argumentationsgang z . B . des Phaidon zu ü b e r p r ü f e n . An der Unsterblichkeitsfrage führt dieser Dialog v o r , daß reine Ideen von den Gegenständen der Erfahrung abgehoben werden, damit die Möglichkeit eines b e gründeten Wissens mittelbar auch von den letzteren theoretisch eingesehen werden k a n n . [3] Begründungen aber bestehen we der im einfachen Schauen einer n u r auf sich bezogenen idealen Einheit[4] noch in der Identifikation sinnlich unklarer Ding qualitäten durch die ihnen je e n t s p r e c h e n d e n , reinlich geschie denen intelligiblen Gehalte, [5] sondern Platon zufolge in Fragen und Antworten, also in Sätzen, in denen etwas von etwas a n derem ausgesagt wird. [6] Auch das Ziel solchen Argumentierens ist keineswegs die Identifikation oder Definition der Seele, [7] sondern die Erkenntnis des Zusammenhangs von Seele und Le ben sowie d e r Geschiedenheit der Seele vom Tod als notwendi ger Verhältnisse. [8] Notwendige und deshalb auch für jeden Einzelfall wißbare Verhältnisse sind aber nicht zwischen Gegen ständen und ihren einzelnen Bestimmungen zu ermitteln, weil diese dem Wandel unterliegen, sondern unmittelbar nur zwischen den reinen Bestimmungen, sobald man auf die Konsequenzen des je identischen Sinnes reflektiert, in dem sie wie s e l b s t v e r s t ä n d 1 2 3 4 5 6 7 8
Phd. 100 d. Daß die Ideen der Seele angehören, wird zuvor in einer Zusammenfassung der Anamnesistheorie klar a u s g e sprochen, s . Phd. 92 d - e . Met. A 9, 991 a 12f Phd. 76 b , 104 d Tugendhat, Ti kata tinos, S.lOff, S.22, S.30 P r a u s s , Platon und der logische Eleatismus, S. 110-122 Phd. 78 c-d Tugendhat, Ti kata tinos, S.134 Anm.16 Phd. 105 c-d
90 lich verwendet werden. [1] Die Analyse von Bedeutungen, die Platon v o r f ü h r t , begnügt sich nicht mit dem Aufzeigen einfacher Verknüpfungen, die man mit den Bestimmungen immer v o r a u s setzt, wie z . B . der Zahlenreihe Drei, Fünf, Sieben e t c . mit d e r Eigenschaft 'Ungerade'. [2] Vielmehr hebt sie eine allgemeine, weitaus komplexere V e r k n ü p f u n g s s t r u k t u r h e r v o r : Jede Be stimmung, die ihrem Bestimmten immer noch eine zusätzliche Bestimmung, und zwar das eine Extrem eines Gegensatzes wie 'Gerade - ü n g e r a d e ' , mitteilt, kann selber mit dem anderen Ex trem desselben Gegensatzes nicht affirmativ verknüpft wer d e n . [3] Wenn Piatons Ideenlehre zeigen will, daß Wissen als ein Sichbewußtmachen solcher notwendigen Zusammenhänge möglich i s t , dann bewegt sie sich von vornherein im Horizont komplexer Aussagen und gebraucht die Fixierung idealer Identitäten g e genüber der unklaren und fließenden Mischung von Wahrneh mungsgegenständen n u r , um stets vorausgesetzte intelligible Bedeutungen als den theoretischen Ausgangspunkt für die Ge winnung verbindlichen Wissens zu markieren. Die Identität von Gegenständen a b e r , die für Aristoteles ein allgemeiner Grundsatz und deshalb nicht sinnvoll im Besonderen in Frage zu stellen i s t , [4] wird in der platonischen Ideenlehre noch einmal genetisch gemacht, indem sie in ihre Momente dif ferenziert wird, so daß sie ihrerseits als Resultat eines Satzes v e r s t a n d e n werden k a n n : Jeder bestimmte Gegenstand geht aus der Identifizierung eines an sich Nichtidentischen durch eine rein identische Bestimmung hervor und vereinigt diese beiden gegensätzlichen Momente so in sich, wie man es n u r an dem ihn aussprechenden Satz erkennen k a n n . [5] Das heißt, n u r indem zu Bestimmendes und Bestimmung diskursiv getrennt werden, kann ihre Identität gedacht werden, und n u r das Urteilen u n terscheidet die für die Vorstellung ungeschiedenen Momente, wie etwa das platonische Beispiel 'Theaitet sitzt' unmittelbar einsich tig macht. [6] Damit zeigt sich, daß die S t r u k t u r des I d e a t s , 1 2 3 4 5 6
Phd. 102 d - e , 103 b P h d . 104 a Phd. 104 a - 105 a Met.Ζ 17, 1041 a 14-20 Vgl. Piatons Analyse des noetischen Bestimmens von Wahrneh mungsgegenständen im Philebos, 23 - 31 a Soph. 263 a Als 'Ur-teilung' hat Hölderlin das Urteil aufgefaßt, auch in dem Sinn, daß seine Teile als einem vorausgesetzten Ganzen zugehörig gegenseitig aufeinander bezogen sind. Das von ihm gemeinte Vorausgesetzte ist allerdings die intellektuale Anschauung des I c h , von d e r seine Identität dadurch a b g e hoben i s t , daß sie n u r als Vereinigung des in Subjekt und Objekt g e t r e n n t e n , sich selbst entgegengesetzten Ichs mög lich ist (Urteil und Sein, Sämtliche Werke und Briefe, B d . 1 , S.840f).
91 identifiziertes Nichtidentisches oder Einheit von Identität und Nichtidentität zu sein, nicht von der S t r u k t u r des Urteils v e r schieden, sondern dieselbe i s t , bloß als Gegenstand gedacht. Der Grund des Chorismosvorwurfs ist demnach, daß Aristoteles die Frage nach der noetischen Konstitution des Identischen nicht stellt, jedenfalls nicht an systematisch bestimmender Stel l e , und deshalb die Ideen nicht als Momente des Aussagezusam menhangs begreift, mit dem man einen Gegenstand identifiziert, geschweige denn, daß er ihre Funktion als Relata notwendiger Verhältnisse würdigte. Daß Platon die Ideen als Seiende in einem ausgezeichneten, prinzipiellen Sinn v e r s t a n d , heißt für Aristoteles aufgrund seines eigenen Prinzipienbegriffs vielmehr, daß sie als selbständige Frühere zu denken sind. Aus platoni scher Perspektive stellt Aristoteles sich u n t e r Idee, indem er die komplexe Identifikation von Gegenständen ü b e r h a u p t u n b e achtet läßt, de facto ein Ideat v o r , gerade so wie jeder, der Ideen für einen besonderen Typ von Gegenständen und nicht für Konstitutionsmomente gegenständlicher Identität hält. Unter diesen Voraussetzungen gesehen, ist Aristoteles' Entgegnung auf den Piatonismus tautologiscn, nicht die Idee, sondern selb ständige Einzelne seien Prinzipien, denn selbständige Einzelne sind nichts anderes als Ideate, die dem Kriterium des F r ü h e r seins, der Unabhängigkeit von dem durch sie B e g r ü n d b a r e n , genügen. Wenn auch Prinzipien im aristotelischen Verstande keine reinen idealen Bestimmungen sind, so ergibt sich aus der platonischen Perspektive doch noch zusätzlich, daß im aristote lischen Begriff des Früheren der im Sophistes kritisierte a b s t r a k t e Piatonismus wiederkehrt, die Vorstellung von rein auf sich bezogenen Prinzipien, die von dem ganz unabhängig sind, was d u r c h sie begründet wird. Mit dem Kriterium der Selbstän digkeit für Prinzipien, das vor allem von den Substanzen erfüllt wird, überwindet also Aristoteles nicht die Ideenlehre, sondern setzt n u r anstelle der Ideen Ideate in einen von Platon schon kritisierten Prinzipienbegriff ein. 2. Substantialität und Beziehung nach Aristoteles und beim späten Platon Die Funktion der Selbständigkeit, als Kriterium für Prinzipien zu dienen, hat bei Aristoteles und in der ihm folgenden Tra dition zur Konsequenz, daß alles, was wesentlich mit Bezug auf anderes bestimmt i s t , dem n u r auf sich selbst Bezogenen k a t e gorial nachgeordnet wird: "Was relativ auf anderes ausgesagt wird, dem geht das an sich selbst Seiende und die Substanz v o r a u s , denn es (das Relative) gleicht einem Nebenmoment des Seienden, dem es bloß zukommt."[ 1] 'Seiendes' ist schon im Sinn von Substantialität v e r s t a n d e n , wenn Bestimmungen, die 1
Eth.Nik. A 4, 1096 a 20ff
92
ein Verhältnis zu anderem a u s d r ü c k e n , als sein bloßes Beiwerk erscheinen. Daß von Relation im Rahmen des aristotelischen Ka tegorienschemas n u r u n t e r der Voraussetzung schon gegebener substantieller Gegenstände, nicht aber zur Erklärung i h r e r lo gischen Möglichkeit gesprochen werden k a n n , das führt bei Thomas dazu, daß er den Gedanken zurückweisen muß, die And e r s h e i t , die verschiedene Bestimmungen und sogar v e r s c h i e dene Substanzen konstitutiv voneinander scheidet, sei eine Re lation im Sinn der Kategorienlehre. [ 1] Obwohl damit u n ü b e r sehbar geworden i s t , daß die kategorial von der Substanz a b hängige Relation keineswegs alle denkbaren und denknotwendi gen Beziehungen abdeckt, bleibt auch für Thomas der von Ari stoteles erweckte Anschein bestimmend, daß allem Bezogensein auf ein anderes ein Ansichselbstsein zugrunde liegen, also lo gisch vorausgehen müsse. Daß jegliche Relation nicht n u r auf Selbständiges angewiesen, sondern auch der Selbständigkeit als dem prinzipiellen Sinn von Sein geradezu entgegengesetzt i s t , das drückt Aristoteles, k r i tisch gegen Platon gewandt, mit der auch von Thomas b e k a n n ten These a u s , das Relative sei am wenigsten von allem ein We sen und Seiendes, und es sei der Qualität und Quantität als i h r Zustand nachzuordnen. [ 2] Quantitative und qualitative Bestim mungen setzen implizit eine Wesensbestimmung ihres Subjekts voraus und hängen insofern von anderem a b , die Relationen aber drücken solche Angewiesenheit auf a n d e r e s , und noch da zu auf andere Subjekte, eigens a u s , in nichts anderem besteht ihre Bedeutung. Dadurch unterscheiden sie sich deutlicher von den substantiellen Bestimmungen als Quantitäten und Qualitäten und sind deshalb auf einer Skala der Akzidenzen, die von v e r gleichsweiser Affinität zur Substanz bis zu s t r u k t u r e l l e r Ver schiedenheit von ihr reicht, nach jenen anderen Kategorien zu plazieren. Aristoteles b e g r ü n d e t diese Rangfolge der Akzidenzen damit, daß ein Gegenstand schon a n d e r s , z . B . quantitativ, an ihm bestimmt sein muß, wenn er im Verhältnis zu einem anderen groß oder klein genannt werden soll, daß also andere Akziden zen gegenüber der Relation dieselbe Funktion eines Zugrunde liegenden a u s ü b e n , in der die Substanz zu allen Akzidenzen steht. Diese Betrachtungsweise, daß der bestimmte Eigenbestand eines Gegenstandes seinem Verhältnis zu anderen Gegenständen zu g r u n d e liegt und sich nicht etwa im Spektrum vieler Eigenschaf ten einer Klasse wie 'Größe' oder 'Farbe' allererst relativ defi n i e r t , erscheint n u r so lange plausibel, bis man an einer weite ren Erläuterung in Aristoteles' Text die Unzulänglichkeit jener 1 2
In Trin. IV 1 ob 3 u . ad 3, Decker S.133 u . S.137 Met.N 1, 1088 a 21-27; bei Thomas z . B . cG IV 14, 3508; v g l . Krempel, La doctrine de la relation chez S. Thomas, S.51f u . S.59ff
93 Betrachtungsweise bemerkt: Die ausgezeichnete Defizienz der Relation zeigt sich darin, daß es quantitatives, qualitatives, örtliches und substantielles Werden gibt, aber kein relatives, denn ohne daß ein Gegenstand sich in irgendeiner Weise zu än dern b r a u c h t , ist er bald g r ö ß e r , bald kleiner oder auch gleich einem a n d e r e n , der einem quantitativen Prozeß unterliegt. [ 1] Über die Abwandlung des vorausgehenden Arguments hinaus, daß eine relative Neubestimmung stets auf einem kategórial a n ders einzuordnenden Prozeß b e r u h e , weist der Text - wohl g e gen Aristoteles' Intention - nun auf die Unverträglichkeit der Relation mit dem Hypokeimenonschema hin, das er gerade an ihrem Verhältnis - als eines Zustandes - zu Quantitäten und Qualitäten bewährt h a t t e . Denn der Prozeß kann sich an einer anderen Substanz als d e r jenigen abspielen, die relativ neu bestimmt wird, oder dieser kommt nichts neu zu, und sie wird doch anders bestimmt als v o r h e r . Weil aber d a s , was so als Schwierigkeit e r k e n n b a r wird, Bestimmtwerden nämlich mit Bezug auf anderes und nicht nur des Subjekts an ihm selbst, die Relation gerade ausmacht, wird offenbar, daß die Durchsetzung der Selbständigkeit als exemplarischen Sinnes von Sein die Beziehung auf a n d e r e s , die zugleich Abhängigkeit von demselben b e d e u t e t , theoretisch u n denkbar macht, indem sie sie notwendig als Akzidens in die Typen von Bestimmungen eines Selbständigen an ihm selbst ein r e i h t . Daß Relationen nicht als unwesentliche Modifikationen eines Selbständigen systematisch in den aristotelischen Seinsbe griff zu i n t e g r i e r e n , sondern ihm grundsätzlich entgegengesetzt sind, das bezeugen die I n t e r p r e t e n der Kategorienlehre, von denen Avicenna und Thomas berichten, sie hätten - u n t e r der Voraussetzung, daß das Kategorienschema alle Realität erfaßt die Relationen überhaupt nicht mehr für Eigenschaften von Ge g e n s t ä n d e n , sondern n u r noch für bloße Denkbestimmungen des erkennenden Bewußtseins gehalten. [2] Aristoteles und Thomas überdecken das Problem mit dem diplo matischen Ausdruck, das Relative sei ein geringstes Seiendes, und können, da das Kategorienschema auch für Relationen a u s zureichen scheint, an der vorausgesetzten und nicht in Frage gestellten Konzeption des Früherseins festhalten, daß Prinzip generell n u r ein von anderem Unabhängiges sein kann und daß deshalb auch alles Seiende entweder eine selbständige Substanz oder eine von ihr begründete Bestimmung i h r e r selbst sein muß. Weil aber Thomas mit dem Begriff der Andersheit de facto doch auf die Untauglichkeit des Kategorienschemas stößt, Be ziehungen begreiflich zu machen, möchte ich den Hypothesen charakter des aristotelischen Prinzipienbegriffs, daß die Be1 2
Met.N 1, 1088 a 29-35 Meta. III 10, van Riet S. 178, Ζ.4, S. 179, Ζ. 15-25; 1 S 26 II 1
94 stimmtheit eines Gegenstandes an ihm selbst seiner Bestimmung mit Bezug auf anderes begründend v o r a u s g e h e , an einer alter nativen Verhältnisbestimmung von Absolutem und Relativem in Piatons Sophistes deutlich machen. Platon könnte vermutlich die Zustimmung des Aristoteles dazu gewinnen, d a ß , als Seiendes b e t r a c h t e t , manches an ihm selbst, anderes dagegen n u r mit Bezug auf anderes ausgesagt w i r d , [ l ] so etwa die Bestimmun gen 'Mensch' und 'Sklave'. Intendiert ist damit aber von Platon keine Kategorisierung der Bestimmungen, sondern eine b e g r ü n dete Unterscheidung der Bestimmung 'Andersheit' von der Be stimmung 'Sein', nachdem Identität und Andersheit sich bei der Verständigung über das Verhältnis von Sein, Ruhe und Bewe gung als unentbehrliche Prädikate erwiesen h a t t e n . [2] Anders heit kann nicht als in Wahrheit Ruhe oder Bewegung gedeutet werden. [3] Von der Bestimmung 'Seiendes' aber unterscheidet sich die Andersheit insofern, als 'anderes' ein jegliches n u r mit Bezug auf anderes genannt werden k a n n , während man Sein bald als Prädikat des jeweiligen Seienden an ihm selbst und bald mit Bezug auf etwas anderes a u s s a g t . [4] Deshalb wird 'das a n dere' als eigene, und zwar diejenige der fünf apriorischen Grundbestimmungen aufgestellt, die, weil sie den Sinn des zum Thema gemachten Nichtseins erfüllt, im folgenden am meisten interessiert. Wie Platon zunächst am Beispiel der Bewegung demonstriert und dann uneingeschränkt verallgemeinert, gehört die Andersheit als negative oder unterscheidende Beziehung auf anderes ebenso wie die identische Beziehung auf sich selbst zur Konstitution beliebiger Bestimmungen. [5] Piatons Text zufolge gewinnt ein Gegenstand des Denkens wie etwa die jeweils genannte Bestimmung 'Seiendes' ihre Bestimmt heit und Einheit, die Aristoteles als Voraussetzung sinnvoller Rede p o s t u l i e r t , [ ] erst d u r c h seine Andersheit gegenüber a n 1 2 3
Soph. 255 Ebenda, 254 d-e Ebenda, 255 a-b Ruhe und Bewegung können nicht einmal je allein für sich mit Identität oder Andersheit in eins gesetzt werden, weil dann die - als unvermeidlich gezeigt - Teilhabe etwa der Ruhe an Andersheit zugleich ihre Teilhabe an Bewegung b e d e u t e t e , falls Identität Ruhe und Andersheit Bewegung sein sollten. Eine solche Gemeinschaft der entgegengesetzten Be stimmungen Ruhe und Bewegung untereinander d u r c h wech selseitige Teilhabe, die d u r c h Prädikation voneinander ('Ruhe bewegt sich') ausgedrückt würde, schließt Platon aber b e ständig aus (250a-b, 252 d, 254 d, 255 e, 256 b ) . 4 Soph. 255 c-d 5 Ebenda, 255 e - 256 e, 258 d - 259 b 6 Met. 4, 1006 a 18 - b 22
95 derem Denkbaren ü b e r h a u p t . Mit dem Terminus 'Andersheit' e x poniert Platon also eine relationale Funktion, von der Reflexion einleuchtend macht, daß sie denkend geleistet werden muß, wenn beliebige Gedanken bestimmte sein sollen, und setzt diese Funktion ausdrücklich von dem jeweils inhaltlich Bedeuteten (physis) a b , von dem das gegenstandsorientierte Bewußtsein meint, es sichere die Distinktheit und Unverwechselbarkeit des Gedachten. [1] Indem Platon den Gedanken der Distinktheit von dieser Meinung aufnimmt, ihn aber in seine Momente u n t e r s c h e i det und als Bedingung von beliebigen Gedankenbestimmungen nachweist, bringt er die inhaltliche Bedeutung solcher Bestim mungen und ihre Beziehung auf andere in ein Verhältnis wech selseitiger Verwiesenheit aufeinander, denn ohne ein Unter schiedenes ist auch bloße Unterscheidung von anderem oder Andersheit nicht zu denken. Diese Analyse von Distinktheit in eine 'eigene Natur' des distinkt Gemeinten und seine Teilhabe an der Andersheit - denn es ist nicht selber die Andersheit als solche - [2] ist aber nur als ein e r s t e r Reflexionsschritt zu b e t r a c h t e n , der Piatons In tention an dieser Stelle g e n ü g t , nämlich Nichtsein als Anders heit verständlich zu machen. Es ergeben sich gewichtige Schwie rigkeiten, wenn man glaubt, mit der 'physis' den endgültigen Eigenbestand einer Bestimmung gefunden zu haben, den "Grund" für das an i h r , "was sie aus sich selbst heraus i s t " , und ihn dem Teil i h r e r Konstitution gegenüberstellen zu kön n e n , der aus Teilhabe an anderen Bestimmungen wie etwa der Andersheit r e s u l t i e r t . [3] Bei den "größten Gattungen" erscheint eine Differenzierung ihrer Konstitution in einem eigenen Sinn gehalt und die mannigfaltige Teilhabe an anderen Bestimmungen zunächst plausibel, weil nicht unmittelbar abzusehen i s t , wie solche allgemeinsten und deshalb in jeder Rede schon in An s p r u c h genommenen Bedeutungen wie 'Seiendes' oder 'Identisches' nicht gleichsam u r s p r ü n g l i c h , sondern noch aus anderem v e r s t e h b a r sein sollen. Daß die Abgrenzung eines eigenen Be deutungsprinzips gegen die Teilhabebeziehungen problematisch i s t , fällt aber an dem Verhältnis besonderer Bestimmungen zu ihren allgemeineren Begriffen wie etwa dem der Zahlen 3 , 5, 7, 9 e t c . zu i h r e r Ungeradheit auf. [4] 1
Soph. 255 e; zu dem hier gebrauchten Begriff inhaltlicher Sinnidentität v g l . 258 b - c . Auf das Verhältnis von gegenstandsorientier tem Bewußtsein und Reflexion geht Kap.3 ein. 2 Ebenda, 256c 3 So Meinhardt, Teilhabe bei Platon, S.58ff 4 Für eine vorläufige Abgrenzung votiert zunächst Wiehl in seinem Kommentar zum Sophistes, S. 197, Anm.lOl, wenn er die Betrachtung des Wasseins neben die des relativen Wesens und die Thematisierung des Zusammenhangs beider stellen
96 In dem oben (S.90) schon erwähnten Kontext des Phaidon läßt Platon zwar keinen Zweifel d a r a n , daß das Ungerade nicht d a s selbe, sondern etwas anderes als etwa die Drei i s t , aber doch auch ihre u n a b t r e n n b a r e Form, so daß man die Drei nicht n u r 'Drei', sondern immer auch 'ungerade nennen müsse und die "Annäherung" des Gegenteils d e r Ungeradheit, also die Gerad heit, eine Zahl wie die Drei entweder zerstöre oder v e r t r e i b e . [1] Also kann man nicht s a g e n , die Ungeradheit "ergänze" n u r eine schon aus ihr selbst heraus begründete Eigennatur der Drei zu einem "vollen Genos",[2] denn eine "von außen einwir kende" Ergänzung könnte das Ergänzte nicht zerstören, son dern höchstens zu ihm nicht p a s s e n , was aber seinen Bestand u n b e r ü h r t ließe. Die Interpretation der Teilhabebeziehung als Ergänzung, die einen aus dem zu Ergänzenden selbst b e g r ü n deten Bedeutungsinhalt zum Genos oder Wesen vervollständigt, orientiert sich vorrangig an der Andersheit, die das Allgemei nere oder überhaupt des Bestimmende gegenüber dem Bestimm ten h a t . Es kommt wohl darauf an, die Verträglichkeit dieses Aspekts mit der gänzlichen Unentbehrlichkeit der Teilhabebeziehung für das zu Bestimmende (hier die Drei) im Kontext des Prozesses der Begriffsbildung einzusehen: In einem ersten Stadium, das sich beim unmittelbaren Bestimmen von Gegenständen stets wieder holt, liegt n u r auf der Hand, daß man mit 'drei' etwas anderes meint als mit 'ungerade' und sie deshalb auch nicht wie syno nyme Prädikate verwendet. Reflektiert man aber auf den Sinn der Aussage, daß die Drei allemal ungerade i s t , dann zeigt sich, daß die Ungeradheit von der Drei trotz der Bedeutungs differenz beider Bestimmungen nicht weggedacht werden k a n n . Wollte man sie wegdenken, dann könnte man von d e r Drei, die man einmal als eine ungerade Zahl erkannt h a t , nichts mehr sagen - welcher inhaltliche Eigenbestand soll von ihr geblieben sein? Die Reflexion integriert also die Andersheit, die n u r für das unmittelbare Verwenden und Meinen so viel wie Separatheit heißt, in den Begriff des Gemeinten, d e r , wenn er nicht Be griff von etwas anderem sein soll, keinen unbegriffenen Bestand am Gemeinten sich gegenüber lassen k a n n . will. Im Fortgang der Kommentierung weist er aber auf Pia tons Radikalisierung der logischen Reflexion hin: Erst die - Relation der - Verschiedenheit ermöglicht e s , von einem eigenen Wesen (physis) zu s p r e c h e n , das zuvor schon von anderen Bestimmungen abgegrenzt sein muß, s. S.198, Anm. 103. 1 Phd. 103e - 104c 2 Vgl. Meinhardt, a . a . O . , S.70, der im übrigen die konstitu tive Funktion solcher Genera wie Ungeradheit für geringer als die der 'größten Gattungen' oder Transzendentalien hält, s . S.68.
97 Daß von einer p h y s i s , die den Teilhabebeziehungen einer Be stimmung als deren eigenes Konstitutionsprinzip endgültig g e genübergestellt wird, nichts gesagt werden kann, leuchtet ganz allgemein ein, denn ein Prädikat beruhte entweder auf Teilhabe, wie wenn man eine solche physis seiend nennt, oder auf einer Teilung der physis in Momente, von denen man neu entscheiden müßte, welches nun die wirkliche eigene physis ist und wel ches ihr aufgrund von Teilhabe zukommt; das Problem wäre also n u r verschoben. Auch schon dann, wenn man den unverwech selbar gemeinten Inhalt einer Bestimmung wie 'drei' eine physis n e n n t , behauptet man von ihm, er sei durch Teilhabe an einem allen Bestimmungen gemeinsamen Moment konstituiert, vermöge dessen ihre Konstitution an ihnen selbst i h r e r Konstitution durch Teilhabe entgegengesetzt werden k a n n , und erklärt damit das Prinzip der Unverwechselbarkeit zu etwas unbegrenzt Allge meinem . Wenn mit physis ein letztes Konstitutionsprinzip gemeint i s t , das mit seiner eindeutigen Abgrenzung gegen Teilhabe auch aller Relativierung d u r c h Sprache widerstehen soll, dann fällt dieser Begriff u n t e r eine von Platon geprüfte Konzeption, deren Schei t e r n zu den sachlichen Voraussetzungen der These über die Ideenverflechtung im Sophistes gehört. Denn die Unterschei d u n g von Eigenkonstitution aus physis und Mitkonstitution durch Teilhabe reduziert alles Konstituierte auf letzte Konsti tutionsprinzipien im Sinn der p h y s i s , weil auch die Transzen dentalien und weniger allgemeine Bestimmungen, die andere d u r c h eine Teilhabeziehung im Sinn von "Teilgeben mitkonsti tuieren" (Meinhardt), selber ihr p h y s i s - P r i n z i p, etwa reines Sein (ohne seine Identität mit sich und seine Verschiedenheit von anderem) oder reine Andersheit, haben. So muß die Ver folgung aller Teilhabebeziehungen auf jeweils das Extrem, an dem das andere teilhat, bei einer Vielheit von u r s p r ü n g l i c h e n , wenn auch der Ergänzung durch Teilhabe bedürftigen physeis oder semantischen Prinzipien enden. Dann aber bedeutete die Theorie von der Teilhabe der Ideen nichts anderes als der im Theaitet erprobte Begriff von Erklärung oder Begründung (logos), sie bestehe in der Verknüpfung von letzten Elementen, die selber nicht mehr in diesem Sinn sprachlich e r k l ä r b a r , son dern nur noch benennbar sein können; Begründen wäre also ein Verbinden von Eigennamen. [ 1] Platon demonstriert, daß man von solchen Bedeutungselementen überhaupt nicht reden k a n n , indem er darauf hinweist, daß schon Transzendentalien wie 'seiend', 'nicht seiend', 'es selbst', ' j e n e s ' , 'jedes', 'es allein' und 'dieses', die sonst mit allem v e r bunden werden, zu den letzten Elementen nicht sprechend hin zugefügt werden dürfen, wenn man n u r diese meinen will, weil auch die Transzendentalien andere Bestimmungen als das jeweils 1
The. 201 e - 202
98 gemeinte Element sind. Mit jeder Aussage von den Elementen würde man sie nicht an ihnen selbst, sondern vermittelst einer Teilhabebeziehung oder synthetisch a u s d r ü c k e n , so daß sich ein Reden ü b e r letzte der Teilhabe entgegengesetzte Bedeutungs prinzipien oder physeis v e r b ö t e . Die Vorstellung von an ihnen selbst unverknüpfbaren semantischen Einheiten wird auch im Sophistes noch einmal aufgenommen, n u r daß hier der Aspekt ihrer Teilhabebedürftigkeit oder nachträglichen Verbindbarkeit zu einer erklärenden Rede (logos) ü b e r Zusammengesetztes ganz weggelassen i s t . [ l ] Das abschließende Argument gegen den s e mantisch-logischen Atomismus lautet in diesem Text, daß er sich selbst widerlegt, wenn er n u r seine These v o r b r i n g t , die s e mantischen Elemente seien an ihnen selbst je von den anderen g e t r e n n t , denn dabei verknüpft er schon 'Sein', ' g e t r e n n t ' , 'von den andern 1 und 'an sich' mit den gemeinten Elementen. Angewandt auf Meinhardts Interpretation heißt d a s , daß von ursprünglichen Bedeutungsprinzipien oder physeis nicht geredet werden k a n n , ohne sie zu Bestimmungen (gene) zu machen, die e r s t d u r c h Teilhabe sie selbst sind. Also kann die Disjunktion von eigenem Konstitutionsprinzip einer Bestimmung (physis) und i h r e r Vervollständigung d u r c h mitkonstituierende Teilhabe nicht aufrechterhalten werden. Der Theaitet wendet weiterhin gegen eine Zusammensetzung allen Wissens aus einfachen Elementen ein, daß nicht einzusehen i s t , wie b e g r ü n d e t e s Wissen durch Verknüpfung solcher Elemente entstehen soll, die selber als einfache nicht gewußt, sondern n u r benannt werden können (203 c - d ) . Diese Kritik trifft auch für die Reduktion der Teilhabebeziehungen auf eigene Bedeu tungsprinzipien zu, auf die die Unterscheidung aller Konstitu tionen in physis und Teilhabe endlich hinausläuft. Denn jede "Mitkonstitution" d u r c h Teilhabe wird dieser These zufolge mit der Prädikation einer an ihr selbst nicht mehr erklärbaren p h y sis ausgedrückt - etwa: 'Jedes Seiende ist mit sich identisch' - , besteht also in der Verknüpfung von zwei d u r c h ihr je eigenes Prinzip konstituierten, aus anderem nicht mehr begreifbaren Bestimmungen. Eine solche Aussage - oder auch jene 'Jede Drei ist ungerade' - sieht ihrem unmittelbar gemeinten Sinn nach in der Tat von der Konstitution der verwendeten Bestimmungen d u r c h Teilhabe a b , enthält also nicht zugleich auch die Andersheit von Subjekt und Prädikat oder z . B . eine Definition von Ungeradheit, sondern nimmt die Bedeutung der verbundenen Termini so, als sei sie allein d u r c h diese selbst konstituiert. Die unmittelbare mit einem Satz verfolgte Intention hat also das Problem der Unzulänglichkeit der Eigenkonstitution nicht. Die Notwendigkeit i h r e r "Vervollständigung" d u r c h Teilhabebezie hungen entdeckt erst die Reflexion über die Voraussetzungen solchen Sprechens, daß z . B . Subjekt und Prädikat auch - zu1
Soph. 251 a - 252
99 nächst ganz abstrakt - unterschieden sein müssen oder daß Ungeradheit in der Teilbarkeit n u r in ungleiche diskrete Größen b e s t e h t ; mit der Frage nach solchen Bedingungen und i h r e r Ermittlung aber kann erst gewußt werden, was vorher wie u n t e r einer Chiffre bloß in Anspruch genommen w u r d e . Indem so etwas wie Eigenkonstitution oder physis sich im Zu sammenhang eines Begriffs vom Sprechen als die Art und Weise wiederfinden lassen, wie man zu synthetisierende Bestimmungen bloß voraussetzt und nicht zugleich analysiert, erscheint auch eine Antwort auf die Frage möglich, wie Piatons unmißverständ lich ausgesprochene Abhebung der Teilhabe von eigener Natur (physis) [ 1] u n t e r Berücksichtigung seiner Kritik an letzten semantischen Elementen interpretiert werden k a n n . In jenem Kontext reflektiert Platon auf die alle Rede logisch erst ermögli chende Funktion der "größten Gattungen" und verknüpft d e s halb mit dem Hinweis z . B . auf die Unterscheidung einer Be stimmung von beliebigen durch ein Moment - im Text "Stück" genannt - [2] von Andersheit nicht auch noch eine Analyse, nicht einmal ganz a b s t r a k t , des so unterschiedenen Bedeutungs inhalts. Täte er d a s , so verlöre seine Aussage, die u n t e r d e n selben Bedingungen der Inanspruchnahme von Nichtanalysiertem wie alles Sprechen s t e h t , ihre Bestimmtheit, man wüßte nicht mehr, auf welche Differenzierung es ihm eigentlich ankommt. Dieses Moment jeder Aussage, daß sie sich im Ganzen auf einen bestimmten Sinn festlegen muß, hat Platon im Begriff der Mei nung (doxa) berücksichtigt, die einen abwägenden, Argumente pro und contra prüfenden Gedankengang (dianoia) mit einer al len Zweifel ausschließenden, d . h . der entgegengesetzten wider sprechenden Behauptung abschließt. [3] Indem er aber die Mei nung ebenso wie das noch offene Argumentieren eine v e r n ü n f t i ge Rede (logos) n e n n t , zeigt er die Möglichkeit a n , auf jede solche Meinung gerade wie beim Austausch der Argumente noch etwas zu entgegnen. Die Festlegung der Meinung auf eine ein deutig bestimmte Aussage ist also nicht als endgültige, sondern im Rahmen des Dialogs mit a n d e r e n , die etwas antworten k ö n nen, oder des Dialogs des Bewußtseins mit sich selbst (dianoia) zu v e r s t e h e n , der mit einer Meinung zwar zunächst ein bestimm tes Ende finden, dieses Urteil dann aber auch wieder neu auf nehmen und in Frage stellen kann - anders kann eine Korrektur von Fehlern nicht gedacht werden. [4] Die Frage an eine ein deutig bestimmte Meinung kann sich u n t e r anderem auch auf die von ihr wie selbstverständlich gebrauchten Termini bezie hen, wie es die platonischen Dialoge ständig v o r f ü h r e n , und 1 2 3 4
Z . B . Soph. 255e Ebenda 258 d-e The. 190 a; Soph. 264 a Zu der bewußtseinstheoretischen begriffs s . u . S.330-333
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100 damit Bestimmungen, die jeweils im Sinn von physis verwendet wurden, weil es nicht auf sie, sondern auf ihre Verknüpfung ankam, hinsichtlich ihres Teilhabecharakters thematisieren. Die Annahme, daß das Verhältnis von physis und Teilhabe jejeweils relativ zu der Intention einer Aussage, die Teilhabe n u r d u r c h i h r Prädizieren, aber nicht d u r c h dessen Termini a u s drücken k a n n , oder relativ zu dem jeweiligen Reflexionsstand zu v e r s t e h e n i s t , wird auch d u r c h Piatons faktisches Verfahren im Sophistes b e s t ä t i g t . Denn hier entwickelt er Begriffe (logos, eidos) von zwei in jeder Rede beanspruchten Transzendentalien, Sein und Nichtsein, [ 1] die man so, wie sie unmittelbar als Ko pula in Anspruch genommen werden, also ohne Rücksicht auf Reflexionsbestimmungen wie ihre Identität mit sich und Ver schiedenheit von anderem, für aus reiner physis konstituiert halten würde, weil sie nicht mehr im herkömmlichen Sinn durch Unterteilung eines allgemeineren Genus definiert werden kön nen, wie die Drei eine ungerade Zahl genannt werden k a n n . Solche Erklärungen können nicht von einem logischen Zirkel frei sein, denn wenn etwa das Seiende als sowohl ruhend wie bewegt im Hinblick auf seine Denkbarkeit begriffen wird, dann ist da mit eine ü b e r die bloße Verwendung von 'ist' oder 'seiend' hin ausgehende Einsicht in den Sinn von Sein a u s g e d r ü c k t , obwohl Ruhe, Bewegung und Gedanke ihrerseits auch wieder als Sei ende zu betrachten sind. [2] Indem also die 'physis' z . B . von 'Bewegung' eine unmittelbare, ihre Genesis verdeckende Bedeu tung i s t , ermöglicht sie eine Erklärung der Bestimmung 'sei e n d ' , deren explanans unmittelbar das Sein nicht wieder v e r wendet und dadurch einen wirklichen Begriff geben k a n n . Mit anderen Worten, als Realisierung von unmittelbarer Intention ist physis ein Prinzip für die Mittelbarkeit von analysierenden Er klärungsreihen und damit für die Diskursivität von E r k e n n t n i s , die der einzige vernünftig r e k o n s t r u i e r b a r e Modus von E r k e n n t nis sein d ü r f t e : Hätten 'Ruhe' und 'Bewegung' keinen unmittel baren Sinn, d . h . wären ihre Begriffe, also ihre jeweilige Ge nesis aus anderem, als sie es sind, - z . B . aus der Bestimmung 'seiend' - , für das Begreifen von 'seiend' nicht mittelbar, dann zerstörte der Zirkel tatsächlich die erklärende Funktion von Piatons Untersuchungen ü b e r Sein und Nichtsein.
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249 d, 258 d-e Im Zusammenhang von 257 - 258 b wird auch die Andersheit als Entgegensetzung eines Seienden, das aus einem Genos ausgeschlossen i s t , gegen ein Seiendes (von diesem Genos oder dieser Bestimmung) begriffen; s . 257 e in Verbindung mit 258 b , wo es heißt, die Entgegensetzung bedeute das Andere eines bestimmten Seienden. 2 250 a - b , 254 d, 260
101 Es kommt also auf den systematischen Zusammenhang a n , in dem man Piatons Unterscheidung von eigenem Bedeutungsgehalt (physis) und Teilhabe i n t e r p r e t i e r t . Versteht man 'physis' ontologisierend als einen zu jeder Bestimmung gehörenden elemen taren Bedeutungsbestand, der gleichsam als substantieller T r ä ger der ihn vervollständigenden Teilhabebeziehungen fungiert, dann wird durch solche einfachen und letzten Bedeutungsprin zipien alle Rede im Sinn des Theaitet als Erkenntnisprozeß u n möglich und das Reden von 'physis' selber widersprüchlich, weil es schon ein Vollziehen oder Ausdrücken von Teilhabe i s t . Wird dagegen 'physis' mit Bezug auf die These des Theaitet aufge faßt, sprachliches Erkennen sei ein Dialog, der Behauptung und Infragestellen zu seinen Momenten h a t , dann erscheint sie um gekehrt als eine funktionale, nicht an bestimmte einfache Bedeu tungen gebundene Bedingung für solches Erkennen. 'Physis' in diesem Sinn verhält sich komplementär zu der Konzentration des Sinnes einer (einfachen) Aussage auf n u r eine Synthesis, inso fern die zu verknüpfenden Momente, Subjekt und Prädikat, nicht zugleich hinsichtlich i h r e r je eigenen Genesis aus anderen Synthesen, sondern als an ihnen oder durch sie selbst v e r s t ä n d lich, also als 'physeis' betrachtet werden. Indem 'physis' als eine Funktion jeglichen Urteilens Beliebiges in eine einfache Bedeutung verwandelt, was auch durch Verknüpfen oder Teil habe als aus anderem resultierend gedacht werden kann - z . B . macht die Aussage "Der Satz S ist falsch" den synthetischen Satz S zu einem ganz einfachen Gegenstand - , konstituiert sie Diskursivität und ermöglicht die Dialektik der Transzendentalien als eine sinnvolle, weil nur mittelbar zirkuläre E r k e n n t n i s . [ 1] 1
Eine Analogie dieses Begriffs von unmittelbarer Bedeutung und Teilhabe zu Piatons Konzeption, jedes Seiende müsse um seiner Erkennbarkeit willen als zugleich ruhend und bewegt gedacht werden, ist nicht zu ü b e r s e h e n . Trotz der erwähn ten Unterscheidung von Ruhe und Identität hebt Platon mit dem Terminus 'Ruhe' im Kontext der Erkenntnisbedingungen ü b e r h a u p t an den unmittelbar beanspruchten Termini eines Satzes das Moment ihrer Bedeutungsgleichheit h e r v o r , also denjenigen Charakter der sprachlichen Bestimmungen, an dem die Ideenlehre sie in einem ersten Reflexions schritt von den sich ständig wandelnden Sinnendingen unterscheidet (vgl. Soph. 249 b - c ) . Diese Identität ermöglicht es e r s t , daß die gleichfalls von ihr abzuhebende Bewegung in einem Satz die bestimmte Teilhabe eines an einem andern vollzieht, weil um dieser Bestimmtheit willen die Extreme der Beziehung festgehalten werden müssen. Die 'Bewegung' führt Platon zunächst als dasjenige Erleiden ein, das allem, was erkannt wird, notwendig widerfährt, dann aber wendet er gleichsam die Perspektive der Betrachtung von der Tätigkeit des Erkennens darauf um, was das Erkanntwerden für das Seiende
102 Auf diese Weise ergibt sich der Gegensatz von absolutem ( p h y sis) und In-Beziehung-Sein (Teilhabe) als eine Funktion des Sprechens in Urteilen, in die man jede Bestimmung an beiden Extremen einsetzen k a n n , was in der Reflexion auf B e d e u t u n g s zusammenhänge auch ständig geschieht. Dieser funktionale Be griff von absoluten und relativen Bedeutungen ist allerdings n u r dann möglich, wenn man ü b e r die umgangssprachlich schon klaren relativen Bestimmungen wie 'Sklave' oder 'halb', also ü b e r das u n t e r die aristotelische Relationskategorie Fallende schon reflektierend hinausgegangen ist und auch t r a n s z e n d e n tale Bestimmungen wie Andersheit und Identität und ü b e r h a u p t das synthetische Bestimmen von etwas als etwas anderes als begriffliche Beziehungen in die Überlegung einbezogen h a t .
bedeutet (ebenda, 248 d - 249 b ) . Offenbar dies, daß dem Seienden selbst vernünftige Einsicht, Bewußt-sein ( p s y c h e ) , Leben und Bewegung zukommen oder, wie man auch s a g t , daß es zur Sprache kommt. Wenn aber die der Erkenntnis eigentümliche Bewegung das Urteilen ist (ebenda, 262 d ) , dann kann man in d e r Teilhabe oder Verflechtung, wie das Sprechen eines Satzes sie vollzieht, die von Platon nicht nä her bestimmte Bewegung s e h e n , die jegliches Seiende u n t e r dem Gesichtspunkt eines - notwendig möglichen - Erkannt werdens h a t . Die spekulative Frage, ob alles Erkennen so wie das der 'größten Gattungen' in i h r e r Verflechtung miteinander als mittelbar zirkulär anzusehen i s t , erforderte zu i h r e r Be handlung zunächst einmal eine Kritik linearer Wissensmodelle und einen bestimmten Begriff von Reflexion; zu beidem v e r sucht die vorliegende Arbeit beizutragen. Immerhin kann man sagen, daß mit der Anamnesistheorie das Modell des Kreis laufs für die Vorstellung gleichermaßen evoziert wird, inso fern Wiedererinnerung ein Zurückkommen des Bewußtseins auf sich selbst i s t . Die mit diesem Erkenntnisbegriff gesetzte Zirkularität ist auch an der v e r k ü r z t e n und eher versteckten Fassung, die er bei Aristoteles etwa im Induktionsbegriff bekommt, noch e r k e n n b a r ( v g l . unten S.206f u . Zweiter Teil, K a p . 2 , 3. c - d ) . Wie an Aristoteles' Lösungsvorschlag gezeigt werden soll, spielt eine entscheidende Rolle das Ver gessen- oder Verborgensein d e s s e n , was noch wiedererinnert werden k a n n . Im Hinblick auf den Sophistes kann man sa gen, daß Piatons Konzeption des Satzes als Teilhabe oder Verflechtung eine Theorie dieses Vergessenseins enthält, insofern die verflochtenen, aber dazu je identisch und ein fach gesetzten Bestimmungen (physeis) nicht zugleich auf ihre Konstitution d u r c h weitere Teilhabebeziehungen hin betrachtet werden können, wenn ihre Verflechtung und da mit die jeweilige Aussage eine bestimmte sein soll.
103 3. Die Prinzipienfunktion der Substanz in p r a k t i s c h e r Perspektive Daß Aristoteles Selbständigkeit zum Kriterium für Prinzipien e r h e b t , und Seiendes deshalb n u r gelten läßt, was entweder u n abhängig oder eine untergeordnete Bestimmung von solchem Un abhängigen i s t , das hat auch u n t e r dem Aspekt praktischen Phi losophierens Bedeutung; damit nehme ich das Motiv der einlei tenden Bemerkungen wieder auf. Eine erste Überlegung dazu betrifft noch einmal die F r a g e , ob Aristoteles sich mit Recht für seinen Begriff des Früheren auf Platon berufen k a n n . Denn der platonische Begriff des Guten scheint viel eher als die Idee ü b e r h a u p t , wie sie etwa im Phaidon entwickelt wird, geeignet zu sein, ein solches Vorbild zu liefern. Einmal wird die Idee des Guten in i h r e r Funktion eines absoluten Prinzips für alles Den ken und Sein dadurch ausgezeichnet, daß sie selber nichts mehr v o r a u s s e t z e , [ 1] zum anderen heißt e s , was als der Inbe griff des Guten v e r s t a n d e n werden solle, das müsse sich von allem andern dadurch unterscheiden, daß es vollkommen, und das heißt, eines jeglichen anderen unbedürftig sei. [2] Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann ich zu dieser Frage n u r weniges bemerken. Schon die geringe Anzahl der b e r ü h r t e n Piatontexte dürfte zeigen, daß die Selbstgenügsamkeit des Guten in Piatons Philosophie keine solche strukturelle Funktion h a t , wie sie der Begriff des unabhängigen Früheren bei Aristoteles als Kriterium für Prinzipien, als universeller Leitfaden für Vorund Nachordnung a u s ü b t . Was aber die Konzeption von einer Idee des Guten selbst a n g e h t , so entwickelt Platon sie aus einer Analyse des handelnden Bewußtseins, das sich, was Gerechtig keit und Schönheit z . B . betrifft, auch mit dem bloßen Anschein b e g n ü g e , bei dem Guten a b e r , das es mit jeglichem Tun verfol g e , n u r mit wirklichem zufrieden sei[3] - ähnlich wie Aristote les die Unterscheidung von Substanz und Akzidenzen aus einer Analyse des urteilenden Bewußtseins zu b e g r ü n d e n s u c h t . Und daß das Gute, auf das man nicht vorgeblich und um eines a n d e ren Zweckes willen, sondern n u r unbedingt aus sein k a n n , auch in sich vollendet i s t , das zeigt Platon wiederum an dem v e r nünftigen Willen, der das einmal erkannte Gute dann ausschließ lich verfolge und sich um a n d e r e s , das nicht zugleich mit dem Guten realisiert werde, nicht kümmere. [4] In Piatons Texten sehe ich keinen verläßlichen Anhaltspunkt dafür, daß der Be griff von einem voraussetzungslosen, vollkommenen Prinzip, nachdem er aus einer Analyse des vernünftigen Bewußtseins gewonnen wurde, aus dieser Beziehung gelöst w ü r d e , wie die Kategorien unabhängig von d e r Verknüpfung gelten sollen. 1 2 3 4
Rep. Phil. Rep. Phü.
VI, 510 b u . 511 b 20 d - e , 60 b - c VI, 505 d 20 d
104 Während Aristoteles den absoluten Grund eben d a d u r c h , daß er ihn als geliebten und erkannten auf das Begründete wirken läßt, von allem Affiziertwerden (Bewegung) durch sein Begrün den freihält, [1] bedeutet für den platonischen Sophistes das Erkanntwerden des wahrhaften Seins g e r a d e , daß es etwas e r leidet und dadurch auch bewegt wird - entgegen dem a b s t r a k t idealistischen Vorverständnis von einem in seiner Identität r u henden Sein (248 a u . d - e ) . Auf das absolut Gute angewandt, heißt d a s , daß es nicht von dem vernünftigen Willen unabhängig i s t , sondern durchaus d u r c h ihn bestimmt wird, wie es sich an der Bildung des philosophischen Begriffs vom Guten zeigt ohne daß damit die universale Begründungsfunktion des Guten aufgehoben wäre. Daß das platonische Gute gerade nicht gleichgültig dagegen i s t , daß anderes an ihm teilhat, wie das Frühere ebensogut auch ohne das Spätere sein k a n n , dafür spricht auch die bekannte Bemerkung, daß das Absolute, weil es gut i s t , frei von jedem Neid will, daß alles ihm so ähnlich werde wie möglich. [2] Damit wird die Selbstmitteilung an a n d e r e s , die Bedingung von Teil habe und deshalb auch von Denken und Sprechen, als der Be griff des Guten eingeführt, wie er auch in dem daran anschlie ßenden neuplatonischen Grundsatz 'bonum est diffusivum sui' ausgedrückt i s t . Mit Aristoteles scheint eine hier nicht ausführlich belegbare Tradition zu beginnen, die die platonisches Charakteristik des Guten, es sei ohne Voraussetzung und hinreichend an ihm selbst, in dem Sinn umkehrt, daß d a s , was immer von anderem unabhängig und n u r d u r c h sich selbst b e s t e h t , auch das Gute i s t , zwar nicht in einem ausschließlichen, aber doch in dem vorrangigen Sinn. Daß das Gute in dieser Konzeption kein u r sprünglicher, d . h . mit anderen konstitutiv verflochtener Begriff sein soll, sondern in eine scheinbar schon vorweg festgelegte S t r u k t u r eingeordnet wird, macht Aristoteles mit einem seiner Argumente gegen die eine allgemeine Idee des Guten der Platoniker deutlich: Das Gute wird ebenso wie das Sein in einem je verschiedenen Sinn von Substanzen, Qualitäten und nach den anderen Kategorien eingeordneten Bestimmungen a u s g e s a g t . Deshalb ist es u n t e r der Voraussetzung, daß die Kategorien die allgemeinsten Genera aller Bestimmungen darstellen, kein mit sich identischer, allen diesen Prädikationen gemeinsamer Be griff, sondern hat verschiedene Bedeutungen, die sich nach dem Substanz-Akzidens-Schema in eine frühere und ihr nachfol gende differenzieren. [ 3] Die Einordnung des Guten in das Schema der Seinsprädikationen widerspricht in i h r e r unmittelbaren Bedeutung der berühmten 1 2 3
Met. A7, 1072 a 24-27 Tim. 29 a Eth.Nik. A 4, 1096 a 17-29
105 Bemerkung Piatons, das Gute sei kein wesentlich Seiendes ( u s i a ) , sondern noch jenseits des Seins, das es an Erhabenheit und Macht übertreffe. [ 1] Wenn die philosophische Entschei dung und Tat a b e r , das Unabhängige, Selbständige als Seiendes in einem ursprünglichen Sinn und deshalb auch als erstes Gutes auszuzeichnen, im Zusammenhang mit einem theoretischen I n t e r esse v e r s t a n d e n werden k a n n , dann liegt in ihr eine Bestäti gung des platonischen Gedankens, daß Sein nichts positiv Vor gegebenes i s t , sondern u n t e r Voraussetzung eines Guten oder eines Zweckes und durch ihn bestimmt begriffen wird. Daß die Vernunft ein Interesse an einem Selbständigen h a t , das - dank seiner Unabhängigkeit - auch d a u e r t , sogar ewig i s t , das b e kundet das Buch der 'Metaphysik , indem es in einer solchen absoluten Substanz eine notwendige Bedingung für Ordnung überhaupt sieht. [2] Die Regeln, nach denen man allein das viel fältig und veränderlich Seiende in einen identischen Zusammen hang bringen k a n n , müssen in einem existierenden Prinzip v e r b ü r g t sein, das Identität als Substantialität uneingeschränkt realisiert. - Noch direkter vollzieht Aristoteles das von Platon Gemeinte und ordnet ganz allgemein das Sein dem Begriff des Guten entgegen seiner eigenen kategorialen Theorie u n t e r , wenn er Sein für besser als Nichtsein e r k l ä r t , ebenso wie Leben für besser als Nichtleben. [ 3] Was in der Tradition, etwa bei Thomas und dann noch bei Spi noza, deutlicher wird, zeichnet sich auch in der aristotelischen Philosophie selbst a b : Obwohl mit den Disjunktionen Substanz Akzidenzen und Form - Materie eine Theorie des Werdens und der Bewegung grundgelegt werden soll, wie sie die platonische Ideenlehre angeblich nicht schlüssig geliefert h a t , [4] wird mit der Substanz in i h r e r Funktion eines Subjekts aller akzidentel len Bewegung ein relativ Unbewegtes seiner Bewegtheit logisch vorgeordnet und mit dem unbewegten Beweger das absolut Un bewegte aller Bewegung ü b e r h a u p t . Während Aristoteles auf diese Weise den von Platon aus der Vernunfterkenntnis einsich tig gemachten Zusammenhang von Bewegung und Ruhe positiv gegenständlich, aber ungleichgewichtig differenziert, läßt er mit der Vorordnung das beständig Gleichbleibenden vor dem Wech selnden auch eine Bewertung durchblicken, indem er den Grund stets gleicher Bewegung besser nennt als den ihm nachgeordne ten Grund von in sich verschiedener Bewegung, nämlich des Entstehens und Vergehens. [5] 1 2 3 4 5
Rep. VI, 509 b Met. 2, 1060 24-27 Gen.an. 1, 731 b 28-31; v g l . Thomas' Version in Ver. XXI 2; zu dem praktischen Selbstbewußtsein, das solches F ü r g u t halten von Sein und Leben bedingt, s . unten S.284, Anm.2. Met. A 9, 991 b 3 ff Met. 6 , 1072 15 ff Ross, Aristotle's Metaphysics I I , S.372, v e r s t e h t die Bemer-
106 Daß das unbewegt Bleibende, mit dem allein das Problem einer Begründung aller Bewegung gelöst werden k a n n , [ l ] dann auch das erste Gute i s t , weil es n u r als Gegenstand des vernünftigen Willens ohne Gegenwirkung auf sich selbst bewegt, [2] das e r scheint wie ein verselbständigter Piatonismus der ersten Refle xionsstufe, auf der n u r reine Bedeutungsidentitäten als Bedin gungen des Sprechens über Realität nachgewiesen werden. Verselbständigt wurde das rein n u r mit sich identisch Bleibende gegenüber der Idee etwa des Phaidon in beiden Schritten des Gedankengangs: Zunächst wird es ohne allen Bezug auf Wissen als Grund der universalen, ewigen Bewegung gedacht, die selbst schon ein solches Identisches i s t . Dann wird es als ein Gutes für Bewußtsein n u r weiterbestimmt, und zwar nicht d e s -
kung so, daß es im Sinn einer "Ökonomie der Erklärung" besser sei, die Ursache gleichbleibender Bewegung auch als Grund der Regelmäßigkeit im Verursachen von Entstehen und Vergehen - welche Regelmäßigkeit in der täglichen Sonnen bewegung vergegenständlicht wird - anzusehen, als für diese Regelmäßigkeit noch einmal eine besondere Ursache a n z u n e h men, die ihrerseits wieder von der Ursache gleichbleibender Bewegung bewirkt sein müßte. Was in der aristotelischen Formulierung diese Interpretation nicht b e g ü n s t i g t , daß es nämlich nicht entsprechend zu Z.12ff heißt, es sei b e s s e r , gemäß dem ersten Wirklichen (zu ergänzen wäre: wirklich zu s e i n ) , s o n d e r n , das Erste sei b e s s e r , das kann ein Grund dafür sein, daß Thomas, In 12 Met. 1. 6, 2513, diese Stelle als eine Auszeichnung der e r s t e n Ursache interpretiert und dafür als Begründung auffaßt, daß sie das immer Bestehende bewirke: " . . . primum a g e n s , quod semper similiter agit, est potius et dignius, quia ipsum est causa eius quod est semper esse similiter, idest p e r p e t u i t a t i s . " Wenn auch Ross' Version sich bei einer eingehenden Prüfung des Kontextes, wie sie hier nicht möglich i s t , als plausibler erweisen sollte, so war der Text doch jedenfalls anders auslegbar, und Thomas könnte sich darauf berufen, daß sein Gedanke denselben Sinn hat wie der aristotelische, daß das absolut Unbewegte auch das höchste Gut i s t . - Dasselbe besagt die bekannte Einteilung der Philosophie in Met. E 1, nach d e r die erste Philosophie das selbständig und unbewegt Seiende b e t r a c h t e t , wenn es solches gibt (1026 a 10-16). Daß er dasjenige, was Selbständigkeit und Unbewegtheit in sich vereinigt, als höchsten Wert beurteilt, drückt Aristoteles hier so a u s , daß das Göttliche, wenn ü b e r h a u p t irgendwo, dann in dieser höchst geehrten Natur zu finden sei (1026 a 19-22). 1 Met.Λ 7, 1072 a 23-26 2 Ebenda, 1072 a 26 - b 1
107 halb, weil Objekt des Wissens zu sein, heißt, sich immer gleich bleibend zu v e r h a l t e n , aus dem Selbstbewußtsein des Wissens also der positive Grundcharakter des Gewußten zu folgern wäre, sondern weil das Bewußtsein im Vergleich mit Naturgegenstän den als dasjenige Bewegbare angesehen werden k a n n , das in reiner Passivität dem Einwirkenden keinen Widerstand bietet und daher auch nicht auf es zurückwirkt, seinem Objekt also, durch das es selbst bewegt wird, dennoch Unbewegtheit g a r a n t i e r t . [ 1] Aristoteles macht also erst in einem zweiten Gedankenschritt klar, daß das ewig Unveränderliche der höchste Wert i s t , und begründet diese Verknüpfung auch nicht aus einem Begriff des selbstbewußten Wollens und seines Zweckes. Es gibt aber An haltspunkte dafür, daß die Vorordnung der absoluten Unbe wegtheit vor die ewige Bewegung, in deren Begriff sie als Mo ment eingeht oder die an ihr teilhat, ebenso wie die Vorordnung der gleichförmigen Bewegung vor der regelmäßig wechselnden dem vorgängigen Werturteil e n t s p r i c h t , daß Unveränderliches, das am ehesten als Selbständiges, von anderem Unabhängiges gesichert i s t , sein soll. Erstens lehnt Aristoteles die platonische Lösung des Bewegungs problems zweimal a b , den Grund aller Bewegung im Bewußtsein als dem sich selbst Bewegenden zu sehen. [2] Im ganzen weist er diese Konzeption mit Bezug auf die mythische Darstellung im Timaios zurück, die die Seele zum Resultat einer göttlichen Schöpfung macht, [3] die ungeordnete Bewegung schon vorfin d e t . Aristoteles kann deshalb die so eingeführte Seele etwas Späteres - im Verhältnis zur Kausalität des Demiurgen oder mit Bezug auf die vorgängige chaotische Bewegung - , also nicht zuerst und ursprünglich Wirkliches n e n n e n . [4] Sein damit v e r bundener Einwand, die Seele sei hier mit dem Himmel zugleich gesetzt, also auch nicht als Grund seiner geordneten Bewe g u n g , wird jedoch vom Text klar widerlegt, der die Seele der Bewegung v o r o r d n e t , indem er sie als Einheit der begrifflichen Prinzipien der Bewegung, Identität und Verschiedenheit, Gleich bleiben und Werden, Unteilbarkeit und Geteiltsein, begreift, also von solchen, auf die auch Aristoteles r e k u r r i e r t . [5] 1
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Ross, a . a . O . , S.374, verweist ergänzend auf Gen. a n . Δ 3, 768 b 15-20, wo naturale Kausalität und Reaktion als Aus gangspunkt des Gedankens deutlicher werden. Von reiner Passivität im Sinn von Potentialität des Bewußtseins kann auch im Hinblick auf An. Γ 4, 429 b 22-26 u . 29 - 430 a 2 die Rede sein. - Im übrigen ist die Nähe zur Position der 'Ideen freunde* u n v e r k e n n b a r , s . Soph. 248 a - 249 a. P h d r . 245 - 246 a Tim. 30 a, 34 b Met. 6 , 1071 b 37 - 1072 a 9 Tim. 34 - 35 a, v g l . 30 b ; Met. A 6, 1072 a 9-12; Phy. Ζ 4,
108 Nur partiell wird Piatons Vorschlag in der Physik aufgegrif fen, [1] wenn der Begriff eines sich selbst bewegenden Grundes aller Bewegung ohne Rücksicht darauf diskutiert wird, daß die Seele dieser Grund sein sollte. Damit übergeht die bei weitem ausführlichere E r ö r t e r u n g das entscheidende Argument der a n gegebenen Phaidrosstelle, d a s , indem es die Selbstbewegung als Wesen und Begriff des Bewußtseins v e r s t e h t , in der Identität des Selbst die beiden Momente des Bewegenden und des Beweg ten u n t r e n n b a r v e r k n ü p f t : Immer bewegt und damit - auch für Aristoteles - Grund allen Werdens ist n u r das wesentlich sich selbst Bewegende, weil es nicht von sich selbst abläßt - seine in sich differenzierte Identität mit sich nicht aufgeben kann und in eins damit auch nicht aufhört, bewegt zu sein. Trotz seiner Kritik an diesem Bewußtseinsbegriff, Bewegtsein komme als Genus der Seele nicht in F r a g e , weil es eine akzidentelle Bestimmung, nämlich ein Tun oder Leiden bezeichne, [ 2] könnte Aristoteles an dem Resultat des platonischen Gedankens festhal t e n , weil auch er die Seele als eine einfache intellektuelle Form begreift, die keine von ihr t r e n n b a r e n Teile h a t ; [ 3 ] auch durch ihre bloße Eigenschaft, sich selbst zu bewegen, könnte die Seele Grund aller Bewegung sein. Erst durch das Absehen von diesem wohlbekannten Bezug des Begriffs von einem sich selbst bewegenden Grund aller Bewe gung auf das Bewußtsein wird also der Gedankengang d e r Phy sikstelle möglich: Er t r e n n t zuerst einfach einen bewegenden von einem bewegten Teil des sich selbst Bewegenden[4] und zieht dann aus der Überlegung, der bewegende Teil sei als selber unbewegt zu d e n k e n , [5] die Folgerung, daß das e r s t e Bewegende allemal unbewegt sein müsse, ob es nun gleich selb ständig oder noch als Teil eines sich selbst Bewegenden a n g e nommen wird. [6] Indem Aristoteles dem Konzept des Anaxagoras zustimmt, obwohl es u n v e r k e n n b a r Piatons Lösung wesentlich beeinflußt h a t , [7] macht er deutlich, worauf es ihm ankommt:
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234 b 10-20; θ 6, 258 b 24ff. Ungeachtet dessen hebt Ari stoteles seinen Begriff von Bewegung, sie sei die Verwirkli chung eines Möglichen bloß als solchen, von platonisierenden Analysen der Bestimmung 'Bewegung' a b , die ihre negativen Momente wie Ungleichheit, Andersheit und Nichtsein a n g e b lich einseitig hervorkehren (Phy.Γ 1, 201 b 4f; 2, 201 b 14-27). Phy. θ 5, 257 25 - 258 b 9 Top. Δ 1 , 120 b 21-27 Met. Η 3, 1043 b 1-4; Met. Ζ 11, 1037 5-10; An. 4, 430 2ff Phy. θ 5, 257 33 - b 13 Ebenda, 257 b 13 - 258 a 8 Ebenda, 258 b 4-9 Tim. 30 a-b, Phd. 97 b - 98 b
109 Wohl kann der Grund aller Bewegung r e i n e r , nichts erleiden der - auch nicht von sich selbst - Geist sein, weil er so b e wegt, ohne selber bewegt zu s e i n , [ l ] aber dieses geistige Prin zip darf nicht, wie es Platon für notwendig hielt, [2] als Be wußtsein realisiert werden, das vermöge seiner nur als Selbst beziehung möglichen Identität als die Einheit und damit als das Prinzip des Gegensatzes von Bewegen und Bewegtwerden denk bar i s t . Aristoteles ist also nicht an einer realen Synthesis der in v e r schiedene Subjekte auseinandertretenden Extreme der Bewe gungsrelation - Bewegendes und Bewegtes - i n t e r e s s i e r t , son d e r n , selber in ihrer differenzierenden Funktion befangen, ist er im Regressus der Bewegungsgründe, den dieselbe Funktion leitet, auf ein abstrakt nur Bewegendes angewiesen, wenn er zu einem Ersten kommen will. Entweder ist die platonische Lösung für ihn tatsächlich nicht zu d e n k e n , dann d r ä n g t ihm die u n b e grenzte Dynamik des Kausalitätsprinzips die Notwendigkeit eines absolut unbewegten Grundes aller Bewegung, eines ruhigen Pols der einander fortlaufend bedingenden Bewegungsabläufe auf. Oder die Selbstbewegung des Bewußtseins als Vereinigung aller Momente des Bewegungsbegriffs wird gerade wegen des I n t e r e s ses an einem Grund der erfahrbaren Bewegung zurückgewiesen, der ebenso wie die Glieder der Reihe der Bewegungsgründe u n t e r der Relation der Bewegung s t e h t , also als Bewegendes von anderem selber ein Glied der Reihe ist und nicht gleichsam den synthetischen Begriff i h r e r Regel realisiert. In beiden Fällen bindet sich das Interesse der Vernunft an einem Begrei fen der erfahrbaren Bewegungsvorgänge an die Wirklichkeit eines einsinnig n u r anderes Bewegenden, selber aber völlig Un bewegten. Zweitens wird diese Entscheidung zugunsten eines ganz u n b e wegten Prinzips besser verständlich d u r c h Aristoteles' Bemer k u n g , daß das Vergehen ein Übel sei und es deshalb u n t e r den ewig Seienden nichts Schlechtes g e b e . [ 3 ] Da in jeder Bewegung, auch der gleichförmigen und der sich selbst erzeugenden ein Moment von Vergehen enthalten i s t , muß eine solche Voraus setzung zu der Konsequenz führen, daß das reine Gute n u r ganz unbewegt sein k a n n . [4] Etwas von dem ethisch-praktischen 1 2 3 4
Phy. θ 5, 256 b 24-27 S. auch Soph. 249 a Met. θ 9, 1051 a 19ff Ausdrücklich führt Aristoteles zugunsten der Unbewegtheit des ersten Bewegers an, daß ein bewegter Beweger n u r ein Mittelglied der Kausalkette wäre, also einen Regressus in infinitum bedeutete (Met. Λ 7, 1072 a 24ff) und daß jede Be wegung ein Moment der Möglichkeit, anders sein zu können, an ihr hat und insofern nicht reine Wirklichkeit ist (ebenda,
110 Hintergrund dieses Bewertungsschemas, nach dem die Substanz als das unmittelbar d u r c h sich selbst Bestehende höher als die vermittelst i h r e r bestehenden und relativ zu ihr wechselnden Akzidenzen einzustufen i s t , kann man da e r k e n n e n , wo Aristo teles auch das Wort für wesentliches Sein, 'usia', auch einmal in seiner alltäglichen Bedeutung g e b r a u c h t , nämlich für Eigentum, Vermögen: Verschwenderisch zu sein besteht in dem einen Übel, daß man sein Vermögen zugrunde richtet (vergehen l ä ß t ) , d e n n , weil man davon lebt, zerstört man auf diese Weise gleich sam sich selbst. [1] Das Bestehen und die Beständigkeit dieser usia entspricht also dem menschlichen Interesse an Selbsterhal tung oder auch der sittlichen Pflicht dazu. Aristoteles' Prinzipientheorie v e r s t e h t einmal u n t e r usia dasje nige Seiende, das u n t e r den Bedingungen der empirischen Welt des Entstehens und Vergehens am ehesten den Begriff des Prinzips erfüllt, mit Bezug auf von ihm Begründetes, seine Ab hängigkeit im Vergehen Zeigendes selbständig, d . h . d u r c h a n deres nicht v e r ä n d e r b a r zu sein. Zum andern tilgt sie an dem absoluten Prinzip jedes Moment von Bewegung und Vergehen d a d u r c h , daß es von seiner Funktion, Bewegung schlechthin zu b e g r ü n d e n , ü b e r h a u p t nicht affiziert werden, also ein reines Selbständiges bleiben soll. In beiden Momenten dieses Prinzi pienbegriffs kann man die Übersetzung eines praktischen I n t e r esses in die Theorie e r k e n n e n , nämlich des Interesses an einer S e l b s t b e g r ü n d u n g , die unabhängig von fremden, in sie nicht einbeziehbaren Einflüssen, an ihr selbst unmittelbar sicher i s t . Ist aber in der aristotelischen Prinzipientheorie ein solches I n teresses oder eine Vorstellung von dem, was sein soll, nach weisbar, dann bestätigt sie gegen ihre unmittelbare Intention die platonische These, daß das Gute jenseits des Seins als letz te Begründungsinstanz für Sein und Wissen einzusehen sei, wenn man n u r in diesem Guten keinen Gegenstand sieht, son-
1072 b 4 - 8 ) . Dieser Mangel aber ist d u r c h die Negativität des Andersseins bedingt, die ihrerseits im Vergehen unmit telbar für das Bewußtsein wird, während sie in dem als r u higes Nebeneinander vorgestellten Verhältnis des einen zum anders nur durch Reflexion - wie z . B . im Sophistes - e r kennbar i s t . Dieser Zusammenhang wird in vermittelter Weise auch in Thomas' Kommentar deutlich, indem er den aristoteli schen Gedanken, die absolute Vernunft könne n u r das Gött lichste und Ehrwürdigste in ewiger Identität d e n k e n , weil jeder Wechsel zum Denken eines Schlechteren führen müsse und eine Bewegung wäre (Met. Λ 9, 1074 b 22-27), noch e r gänzt und s a g t , eine solche Veränderung geschehe n u r dem jenigen, das seiner Zerstörung zustrebt (In 12 Met. 1. 1 1 , 2607). 1 Eth.Nik. Δ 1, 1119 b 34 - 1120 a 3
Ill d e r n es als einen Hinweis auf ein Interesse oder ein Sollen v e r s t e h t , dem auch der aristotelische Seinsentwurf e n t s p r i c h t . [ 1] Dieses praktische Moment, das in den aristotelischen Begriff von Prinzipialität eingegangen i s t , bringt mit dem Gedanken des absoluten Prinzips den ethischen Begriff selbstgenügsamer Glückseligkeit in d e r theoretischen Philosophie zur Geltung und fuhrt so die Metaphysik auf einen ethischen Ausgangspunkt zur i i c k . [ 2 ] Dasselbe Interesse an u n v e rä n d e r t durch sich selbst 1
Die Idee des Guten als rechtfertigendes Sollen und damit hochstes Prinzip von Sinn zu i n t e r p r e t i e r e n , hat H.M. Baumg a r t n e r in seinem Aufsatz "Von der Moglichkeit, das Agathon als Prinzip zu denken", besonders S.95f, vorgesehlagen. Mit der Anwendung dieses Gedankens auf die aristotelische Prinzipientheorie kann der platonische Kontext, daft die sonst Wahrheit n u r voraussetzende Vernunft sich zur Grundlegung i h r e r dialektischen Selbstaufklarung bewuftt wird, Wahrheit solle offenbar oder für sie sein, nicht beibehalten werden. Vielmehr bezeichnet der Ausdruck 'Interesse' die bloft faktische Zugrundelegung eines Sollens bei Aristoteles, daft namlich ein Korrelat - wenn auch nicht als solches, also relativ gemeint - absoluter Gewiftheit gut ist und sein soll. Diese Forderung an die Theorie wird nicht in einer Reflexion d e r Voraussetzungen und Grundlagen als Vernunftinteresse oder absolutes Sollen ausgewiesen, geschweige, daft das Moment des Sollens selber eigens thematisiert w ürde. Statt dessen auftert sich die Unmittelbarkeit d e r Theorie in i h r e r kosmologischen Form, die entsprechend dem Grundsatz, daft früher als eine Substanz n u r eine andere Substanz sein kann ( s . Met. A 8, 1073 a 23 - b 1, besonders a 34ff), jedes Prinzip jenseits des Seins ausschlieftt. 2 Die ubereinstimmende Darstellung des menschlichen und gottlichen Glücks, das in unbedü rftiger, sich selbst genugender Vernunfterkenntnis besteht ( s . Eth.Nik. K7, 1177 a 12 - b 4, 1177 b 26 - 1178 a 8; Met. A7, 1072 b 14-30;A 9, besonders 1074 b 25-35), macht auf einen systematischen Zusammenhang der Metaphysik mit d e r Ethik auch bei Aristoteles aufmerksam, d e r dem Anspruch d e r Metaphysik widerspricht, zweckfreie Theorie n u r urn i h r e r selbst willen zu sein. Denn wenn einerseits auch die Ethik gleichsam vorbereitend als hochstes Lebensideal eben die Erkenntnis aufstellt, die in der Metaphysik wirklich vollzogen wird, so denkt doch a n dererseits die Metaphysik diesen idealen Zweck als nicht zufalliges menschliches Ziel, sondern notwendige Wirklichkeit des Absoluten, die auch Menschen moglich i s t . So b e g rü n d e t sie die Verminftigkeit des ethischen Ideals auch im Sinn theoretischer Vernunft, d . h . als einen Begriff vom Prinzip der Wirklichkeit ü b e r h a u p t ; dieser Nachweis gehort insofern noch zur Ethik, als er die Realisierbarkeit des von ihr aufgestellten hochsten Zweckes grundsatzlich s i c h e r t . Zum Begriff der Autarkie, gleichsam der ethisch-politischen Version der Substantialität v g l auch oben S.20ff.
112 Bestehendem wird bei Thomas schon in der Hervorhebung des Terminus 'subsistere' deutlich. Nicht n u r das Absolute denkt er als ein Bestehendes, das ipsum esse s u b s i s t e n s , sondern Beste hen soll auch - mit oder ohne ausdrücklichen Bezug auf die Substanz - den eigentlichen Sinn von Sein ausmachen. [ 1] So kann die ontologische Frage, ob etwas selbständig besteht oder n u r an anderem i s t , das durch es von einer gewissen Bestimmt heit i s t , ganz an die Stelle der Prüfung der sprachlichen Aus sagemöglichkeiten im Sinn der Kategorienlehre t r e t e n . Die in dem Begriff des Früheren implizierte Unmittelbarkeit und Positivität entwickelt Thomas zugleich am Begriff der Substanz, von der allein das 'subsistere' als 'durch sich selbst Bestehen' (per se existere) gilt, [2] indem er sie "das vollkommenste Ge n u s " (bzw. Modus des Seins) n e n n t , "das nämlich sein Sein in der Natur ohne Beimischung eines Mangels hat und ein festes und gediegenes Sein hat, nahezu d u r c h sich selbst b e s t e h e n d " . [3] Die Einschränkung des Bestehens auf Selbständiges macht es sogar möglich, diesen auch aus praktischem Interesse bestimm ten Begriff gegen das zu wenden, was das Spezifische des ethi schen Ideals ausmacht, nämlich die Weisheit des Vernünftigen: Thomas schließt die Weisheit - durchaus in Übereinstimmung mit Aristoteles, der Wissen in die Kategorie der Relation einord net - [ 4 ] als etwas Relatives von der Klasse der subsistierenden Gegenstände aus und nennt ihr Sein deshalb unvollkommen. [5] Er widerspricht damit der einen im aristotelischen Vernunftideal ausgedrückten Intention, mit der Entfaltung des Göttlichen im menschlichen Leben, [6] wenn dies wirklich die eine absolute Vernunft sein soll, zwei gängige Unterscheidungen aufzuheben, nämlich die zwischen vorgängig bestehender (menschlicher) Substanz und ihrem Erkenntnisvollzug[7] und die Trennung des gedachten Objekts als eines anderen von der V e r n u n f t [ 8 ] . 1
2 3
4 5 6 7 8
In Hebd. 1. 2, 23; In 4 Div. nom 1. 9, 404. Auf das Absolu te soll der Terminus substantia' sogar in dem Sinn - wenn auch analog - beziehbar sein, daß man mit ihm eine ' r e s subsistens' meint, so I 29, 4 ad 3 . Vgl. auch 1 S 23 I 1; I 29, 2 u . ad 4. In 4 Met. 1. 1, 543. Es liegt im Zug d e r Vergegenständli chung des Seinsbegriffs gegenüber der aristotelischen Kon zeption, daß Thomas als Thema zuerst die Seins weisen angibt (modi essendi, 540), dann aber der Sache nach von Dingen s p r i c h t , die ein 'Sein h a b e n ' . S. z . B . Top. Δ4, 125 a 33-40; zum Begriff der Weisheit als höchstes, von Vernunfteinsicht geleitetes Wissen s . Eth.Nik. Ζ 7, 1141 a 12-20. I 28, 2 ad 3 Eth.Nik. 7, 1177 b 19 - 1178 8 Met. Λ 9, 1074 b 17-22 Ebenda, 1074 b 35 - 1075 a 5, u . An. 4, 430 a 2-5
113 Vielmehr u n t e r s t ü t z t er vermittelst des Kategorienschemas, das ein von beliebigem Denkbarem g e t r e n n t e s , für sich bestehendes Subjekt zum substantiellen Prinzip einer ihm nachgeordneten Erkenntnistätigkeit oder Wissensbeziehung macht, die von Ari stoteles auch verfolgte Tendenz, in den beiden angegebenen Hinsichten doch wieder einen Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Vernunft zu machen. [1] Die ontologische Um setzung des Ideals einer unabhängigen und gegensatzlosen Ver nunft in eine Vielheit für sich bestehender Einzelsubstanzen macht es also, angewandt auf die Substanz ' D e n k e n d e r ' , unmög lich, jenes Ideal noch als den menschlichen Zweck schlechthin zu begreifen. Die ethisch-praktische Dimension der Substanz als Prinzip wird bei Thomas zusätzlich noch dadurch verdeutlicht, daß er die Selbsterhaltung an die Spitze eines Systems der Zwecke und deshalb auch d e r Gebote des Naturrechts stellt, weil Selbster haltung die erste natürliche Neigung der Menschen sei, nämlich die, die sie mit allen Substanzen gemeinsam h ä t t e n . [2] Wie an der arbor Porphyriana leicht zu erkennen i s t , enthält die ari stotelische Begriffslogik ein durchaus inhaltlich bestimmtes Mo dell der Realität (Substanzen überhaupt - Körperdinge - Le bewesen - Menschen). Wenn Thomas dieses Modell in ethische Prinzipientheorie umsetzt, dann haben dazu über die generelle Anlehnung der praktischen an die theoretische Philosophie hinaus, die hier u n t e r dem Stichwort ' n a t ü r l i c h e Neigung' faßbar i s t , sicher die Überlegungen des Boethius zur Selbsterhaltung Wichtiges beigetragen. Um die Identität von Gutheit und Einheit nachzuweisen, e r ö r t e r t Boethius ausführlich das Selbsterhal t u n g s s t r e b e n (subsistendi appetentia, manendi amor) aller u n belebtem, lebendigen und vernünftigen Wesen, d a s , einer Na turabsicht e n t s p r e c h e n d , auf die Einheit der Individuen und Einzeldinge im Sinn von Unaufgelöstheit, aber in der Sphäre des Lebendigen auch auf die Einheit der Species g e h e . [ 3 ] Die1
Zur Trennung Gegenstand s. scheidung des griff des bloß 2, vgl. Met. Λ
der menschlichen Vernunft von ihrem höchsten Met. Λ 9, 1075 a 5-10, besonders 9; die Unter Subjekts von seiner Erkenntnis liegt im Be möglichen Intellekts, An. Γ 4, 429 b 29-430 a
7, 1072 b 22-26. Eth.Nik. 7 hebt zunächst die Vernunft als etwas Göttliches und das ihr entsprechende Leben von dem menschlichen Leben ab (1177 b 26-31) und weist dann protreptisch darauf hin, daß die Menschen die selbe Vernunft, weil sie das höchste ihnen Eigene sei u n d , ihr gemäß zu leben, am meisten heiße, Mensch zu sein, b e wußt zum Prinzip ihres p r a k t i s c h e n , d . h . willentlich b e stimmten Lebens machen können (ebenda, 1177 b 31 - 1178 8). 2 I-II 94, 2 3 Cons. III, Prosa 11, Fortescue S.92, Ζ. 18 - S.94, Ζ. 107
114 ser Begriff von Einheit ist zwar auch bei Thomas zu finden, [1] aber das mit der Selbsterhaltung a n g e s t r e b t e Gute löst er aus seinem spekulativen Zusammenhang und verselbständigt die Selbstliebe, wie Boethius den Selbsterhaltungstrieb auch n e n n t , zum Prinzip der allgemeinsten Zwecke der Moral. Die Relevanz des ontologischen Schichtenmodells im Sinn der arbor Porphyriana ist in der praktischen Philosophie unmittel b a r e r faßbar als in der theoretischen, für die die Grundlage oder die Sphäre des Seins ü b e r h a u p t zugleich ein ganz Allge meines, also Begriffliches und das am meisten Besonderte, die Vernunft, zugleich das Vermögen der Totalität i s t . Denn das Schema Sein - Leben - Vernunft wird auf die Frage nach den Zwecken n u r angewandt und deshalb in seiner ganzen möglichen Einsinnigkeit und Undifferenziertheit g e b r a u c h t , d . h . ohne die Bestimmungen, die aus dem Gedachtsein der Glieder des Sche mas jeweils resultieren. So hat man den Begriff der e r s t e n Vor schriften oder Zwecke des N a t u r r e c h t s , zu ihnen gehöre d a s , wodurch das Leben des Menschen bewahrt werde, nicht auf das Leben der Menschheit beziehen, denn von der Selbsterhaltung der Gattung ist erst u n t e r Punkt zwei die Rede, wenn es um die mehr besonderen, mit den Tieren gemeinsamen Zwecke g e h t , zuvor muß das Leben der je individuellen Menschensubstanz gemeint sein. Auf der einen Seite wird also Sein n u r im Sinn der ganz unmittelbaren Einzelsubstanz an den Anfang der Ord nung der Zwecke gesetzt, auf der anderen folgen, die Vernunft zwecke, also wahre Erkenntnis des Absoluten und gesellschaftli ches Leben, und ihre Bedingungen wie das Streben nach Er kenntnis überhaupt und die Rücksicht auf andere Menschen e r s t an d r i t t e r und letzter Stelle. Auf diese Weise sind die systematischen Bedingungen des Wi d e r s p r u c h s e r k e n n b a r , der oben S.17f an Thomas' Begriff des Verhältnisses der Individuen zu i h r e r Vergesellschaftung b e merkt wurde, denn man kann ihre Ungeselligkeit auf ihre Substantialität, ihre Verwiesenheit aufeinander dagegen auf ihre Vernünftigkeit zurückführen. Eine solche Herleitung des Prak tischen aus angeblich im ontologischen Sinn Gegebenem gibt auch der Text vor zu vollziehen, nicht n u r mit der Rede von den ' n a t ü r l i c h e n Neigungen*, deren Objekte die Vernunft von Natur aus als etwas Gutes auffasse, sondern mehr noch, indem er den Aufbau des Reiches der Zwecke von der Gliederung der Seinsstufen hernimmt, von deren logischer Herkunft nichts g e sagt wird. Zugleich kommt aber auch und mehr als bei Aristoteles die gekehrte Begründungsrichtung zum Vorschein, daß nämlich Selbsterhaltung als das Prinzip aller Zwecke in der Sphäre Seins aus dem Substanzbegriff gewonnen werden k a n n , 1
In 10 Met. 1. 3, 1977; I 11, 1
um die des weil
115 eben dieses Prinzip zuvor in die Substanz hineingelegt w u r d e . Man kann das daraus e r s e h e n , daß Substantialität nichts a n d e res als sich selbst begründendes Bestehen b e s a g t , das zugleich das nicht Beständige, sondern relativ auf es Wechselnde oder das Werden b e g r ü n d e t . Wenn Thomas formuliert, "jede Substanz begehrt i h r e r Natur nach die Erhaltung ihres Seins", [1] d r ü c k t er d a s , als was die Substanz bestimmt w u r d e , wie einen von ihr e r s t r e b t e n Zweck a u s , d e r , wenn er als Zweck sinnvoll sein soll, seiner Erfüllung in der Wirklichkeit der Substanz v o r h e r gehen muß. Für die These, daß auf diese Weise n u r das p h i losophische Urteil ü b e r ein Gutes, das sein soll, und zwar in der Funktion des Prinzips schlechthin, vergegenständlicht wird, kann man sogar auf eine schon einmal genannte Stelle bei Tho mas selbst hinweisen. Ihr zufolge ist tätige Beziehung auf einen Zweck im vollen Sinn n u r vernünftigen Wesen möglich, alle a n deren werden entweder von einem vernünftigen Willen gelenkt oder mindestens so angesehen, als hätten sie ein Werturteil über den naturgegebenen Zweck. [2] Im Hinblick auf diese Wendung des Zusammenhangs von Selbst erhaltung und Substantialität kann man sogar von einem nichtintendierten Primat des Praktischen bei Thomas sprechen und die beanspruchte Selbständigkeit und Interesselosigkeit seiner theoretischen Philosophie gerade an der kategorialen Auslegung des Seins als einem der zentralen Themen der Ersten Philoso phie b e s t r e i t e n . Selbst wenn man Thomas die Unmittelbarkeit der Substanz seinem Argument zufolge zugäbe, daß sie d u r c h die Form des Urteils n u r für uns vermittelt sei, die Prädikation aber ihrerseits dem Sein folge, [3] nötigte doch die Rede von der Selbsterhaltung als dem fundamentalen Zweck aller Substan zen dazu, diese Zwecksetzung als theoretische Bedingung von Substantialität anzunehmen.
1 2
I-II 94, 2 In 5 Met. 1. 16, 1000; v g l . oben S.10f. Spinoza hat die Identität des Wesens der Einzeldinge mit ihrer Selbsterhal t u n g explizit ausgesprochen, aber auch er zeigt nicht, wie aus dem bloß logischen Gegensatz einer Wesensbestimmung zu beliebigen anderen der Begriff des Strebens des so bestimm ten Dinges nach Selbsterhaltung, also die Bestimmung eines Begehrungsvermögens hervorgehen k a n n ; Ethica III, Prop. 4-7, Opera/Werke B d . I I , S.272 3 Vgl. In 5 Met. 1. 9, 890
3. Kapitel ABGRENZUNG DER PRINZIPIENFRAGE GEGEN REFLEXIVE UND NEGATIVE BESTIMMUNGEN 1. Abwertung der Dialektik gegenüber dem Wissen aus Beweisen Wenn man die Bedingungen verstehen will, u n t e r denen die Substanz zum Prinzip gemacht werden konnte, muß man auch das Verhältnis berücksichtigen, in das Aristoteles und Thomas die Reflexion auf logische Voraussetzungen aller Erkenntnis zum unmittelbaren Erkennen von Gegenständen gebracht haben. Die Überlegungen zum Verhältnis von Substantialität und Relation ( 2 . K a p . , 2.) haben an spätplatonischen Texten zu der These geführt, daß die Reflexion auf den Sinn semantischer Einheiten dieselben, die vorreflexiv wie an ihnen selbst bestimmte Inhalte (physeis) verwendet werden, als Resultate von Teilhabebezie hungen erkennbar macht. Wenn also das Kategorienschema Sein als Selbständigkeit, Unabhängigkeit von anderem auslegt und deshalb relativ bestimmte Gegenstände kaum noch als seiende zuläßt, muß diese Schematisierung gegen die Auflösung ihres rein Selbständigen, d e r Substanz, in konstitutive Beziehungen theoretisch dadurch gesichert werden, daß die Reflexion, die solche Beziehungen entdeckt, gegenüber der unmittelbaren Rede von bestimmten Substanzen und ihren akzidentellen Eigenschaf ten einen untergeordneten Stellenwert erhält. Das systematische Interesse an dieser Einschätzung macht die entsprechende Behandlung einzelner Reflexionsbestimmungen, z . B . der Transzendentalien, verständlich, und umgekehrt läßt sich an solchen Fällen jener systematische Trend zur Festschrei b u n g der Priorität unmittelbarer Gegenstandsbestimmungen nachweisen. Bevor ich jedoch eine Reihe ausgezeichneter Refle xionsbestimmungen mit dem Sonderfall der Negation d u r c h g e h e , um schließlich den Substanzbegriff aus dieser Perspektive zu präzisieren, möchte ich wenigstens skizzieren, wie Aristoteles und Thomas auch den Begriff des Wissens selbst gegen das r e flektierende Infragestellen und Problematisieren a b g r e n z e n . Sol ches e r ö r t e r n sie u n t e r dem Titel der Dialektik, die statt von gültigen ersten Prinzipien von akzeptierten Meinungen, aber auch von kontradiktorisch gegenübergestellten Thesen a u s g e h e . Ohne daß die platonische Konzeption von Dialektik ausdrücklich Beachtung fände, wird das dialektische Verfahren sowohl von den Wissenschaften wie auch von d e r Philosophie abgehoben. In der Topik, die selber die Voraussetzungen für das dialek tische Schließen ermitteln will, trifft Aristoteles eingangs die im weiteren bestimmende Unterscheidung, der Beweis, der in den Zweiten Analytiken ausschließlich den Wissenschaften zugeordnet wird, schließe aus oder sei abgeleitet von an ihnen selbst ein sichtigen Sätzen, den Prinzipien, für die man nach keinem wei-
117 teren Grund mehr fragen k a n n , der dialektische Schluß dagegen folgere aus Sätzen, die allen oder den meisten Menschen oder weisen Menschen wahr erscheinen. [ 1] Da die Form des dialekti schen Verfahrens durch das Modell des Syllogismus schon hin reichend erfaßt sein soll, ist es nicht verwunderlich, daß aus dem platonischen Aufnehmen von üblichen Meinungen das Be reitstellen der Gründe für die Folgerungen des dialektischen Erkenntnisprozesses wird. Solche Meinungen haben natürlich keinen wissenslogisch ausgewiesenen Stellenwert, weil ihre Be urteilung und systematische Einordnung erst durch ihre Infra gestellung eingeleitet werden kann; nun aber soll unmittelbar aus anerkannten Meinungen gefolgert werden. Gegenüber den Prinzipien des Wissens, von denen hier schon eine nicht d u r c h Beweise vermittelte Gewißheit behauptet, aber nicht theoretisch begründet wird, müssen die Grundlagen des dialektischen Schließens als zufällig und ungesichert erscheinen, weil ihr Einleuchten nicht als ihnen selbst zugehörig, sondern als ein mit einer Gruppe von Menschen verbundenes Faktum dargestellt wird. Daraus, daß die Dialektik nicht wie die axiomatisch b e g r ü n d e t e n Wissenschaften v o r g e h t , bestimmt Aristoteles ihr im folgenden Kapitel eine philosophische Funktion. Weil man aufgrund der eigentümlichen Prinzipien einer bestimmten Wissenschaft nichts mehr über eben diese Prinzipien sagen k a n n , "muß man sie vermittelst dessen e r ö r t e r n , was von jeglichem allgemein a n g e nommen wird. Das aber ist zugehörig oder höchst eigentümlich der Dialektik; denn als untersuchende hat sie einen Zugang zu den Prinzipien aller methodischen Verfahren". [ 2] Die erste Charakterisierung war also unvollständig, sofern sie das P r o blematisieren, Fragen und Nachforschen der Dialektik nicht b e rücksichtigt h a t t e . Dieses Moment wird an anderen Stellen auf das syllogistische Erkenntnismodell in dem Sinn bezogen, daß die dialektische Prämisse nichts b e h a u p t e , sondern zwei aufge nommene, einander kontradiktorische Meinungen zur Diskussion stelle. [3] Weil die Dialektik kein axiomatisch fundiertes System deduktiv abgeleiteter Urteile konstruieren will, finden ihre Nachforschungen nicht wie die wissenschaftlichen Begründungen an den Prinzipien der Wissenschaften eine Grenze. Damit scheint sich das Verhältnis dieser axiomatischen Prämissen zu allgemein anerkannten Meinungen umzukehren: Unter Zuhilfenahme der Meinungen ist noch einmal eine Problematisierung der in den Wissenschaften als gesichert geltenden Axiome möglich, und diese in der 'Metaphysik' der Ersten Philosophie zugewiesene 1 2
3
Top. A 1, 100 a 27 - b 23 Top. A 2, 101 a 36 - b 4; v g l . Met. 2, 996 b 26-33; Met. 2, 1004 b 17-26. Auch Soph. El. 9, 170 a 34-39 u . 1 1 , 171 b 6f, v e r s t e h t die Dialektik als Theorie d e s s e n , was al len Wissenschaften gemeinsam i s t . Top. A 10, 104 a 8-11; An. p r . A 1, 24 a 22-28
118 Prinzipiendiskussion erscheint hier in der Topik noch als g e nuine Aufgabe d e r Dialektik. [ 1] Die Analytiken nehmen der Dialektik wieder mindestens andeu tungsweise die gekennzeichnete Funktion, trennen das dialek tische Fragen vom dialektischen Folgern und heben demzufolge einseitig dialektisches Wissen als bloßen Schein vom wahren Wis sen a b . Einmal wird die Dialektik im Zusammenhang mit den al len Wissenschaften gemeinsamen Beweisgründen (koina) in dem Sinn genannt, daß auch sie allen Wissenschaften gemeinsam i s t . aber neben sie tritt als ein drittes Gemeinsames d e r Versuch, für die erwähnten Prinzipien (koina) wie etwa das Wider spruchsprinzip noch einmal einen Nachweis zu finden. [2] Weil es dann weiter heißt, die Dialektik handle nicht auf diese Weise von bestimmten Problemen und ebenfalls nicht von bloß einem Genus der Seienden (wie die Wissenschaften), weil sie sonst keine Fragen stellen würde, sieht Thomas hier die Metaphysik als das legitime Wissen von den ersten Prinzipien gegenüber der Dialektik ausgezeichnet. [3] Zwar könne die Metaphysik die Prin zipien nicht beweisen, sie beweise aber Aussagen ü b e r sie, der Dialektiker dagegen gehe auch hier von widersprüchlichen The sen a u s , die er n u r problematisierend in Frage stellen könne. Auch wenn man Thomas' Auffassung b e s t r e i t e t , daß Aristoteles mit dem Versuch, die Prinzipien argumentativ zu b e g r ü n d e n , die von ihm begründete Metaphysik gemeint h a b e [ 4 ] , bleiben doch drei Mängel, die der Text an der Dialektik auszusetzen hat: Sie enthält sich nicht n u r der Beziehung auf einen Gegen1
Wieland, Die aristotelische Physik, besonders S. 216-230, führt gewichtige Belege dafür a n , daß Aristoteles die Theo rie der Prinzipien faktisch und seinem Selbstverständnis nach immer als Dialektik betrieben habe. Hinsichtlich des Selbstverständnisses erwähnt aber auch Wieland Gegenten denzen, so S.228, Anm.27. Wirkungsgeschichtlich scheinen sich diese Abschwächungen der Kompetenz der Dialektik zu gunsten einer gegen sie abgegrenzten Metaphysik d u r c h g e setzt zu haben. Da die aristotelische Philosophie besonders unter diesem Gesichtspunkt i h r e r Rezeption in der vorlie genden Arbeit betrachtet wird und deshalb der Begriff des Wissens, wie ihn vor allem die Analytiken explizieren, thema tisch i s t , scheint mir in den folgenden Überlegungen kein Gegensatz zu Wielands Interpretation vorzuliegen. 2 An. post. A 11,77 a 26-34 3 In 1 An. p o s t . 1. 20, 171f. Thomas' Interpretation ist von seiner Auffassung ü b e r eine generelle Begründungsfunktion der Metaphysik für die Einzel Wissenschaften beeinflußt, die so von Aristoteles nicht v e r t r e t e n wird; v g l . unten S.238ff. 4 Vgl. Ross, Aristotle's Prior and Posterior Analytics, S.543; Owen, Logik und Metaphysik in einigen Frühwerken des Aristoteles, S.417f
119 Standsbereich nach Art der Wissenschaften, sondern betrachtet überhaupt nicht ein abgegrenztes Feld von Themen wie die Prin zipien und verfährt schließlich auch nicht beweisend, sondern problematisierend. In i h r e r unbestimmten Allgemeinheit entzieht sie sich einer Funktion für die wissenschaftliche E r k e n n t n i s . Auch an anderen Stellen wird die Rolle d e r Dialektik vor allem in dem Sinn negativ bestimmt, daß sie zum Wissen nichts bei t r a g e . Ihr Fragen danach, welches von jeweils zwei kontradik torischen Urteilen wahr sei, bezieht Aristoteles entweder ü b e r haupt nicht auf das vernünftige Erkennen, das schlußfolgernd von mindestens zwei Aussagen zu einer neuen ü b e r g e h t , oder ordnet es dem Prüfungsverfahren zu, mit dem man das v o r g e b liche Wissen eines Gesprächspartners t e s t e t . [1] Weil man nach Aristoteles für dieses Befragen kein Wissen - im s t r e n g e n Sinn von der in Rede stehenden Sache zu haben b r a u c h t , mißt er der Dialektik einen geringeren Erkenntniswert als d e r Philoso phie bei, wenn er s a g t , die Dialektik verhalte sich prüfend zu eben den Gegenständen, die die Philosophie e r k e n n e . [2] - Dia lektisches Schließen dagegen, das von dem problematisierenden Fragen getrennt wird, soll zur Prämisse nehmen, was bloß wahr scheint oder allgemein akzeptiert w i r d . [ 3 ] Da die einsinnige Linearität des syllogistischen Modells Erkenntnis n u r als Resul tat des in den Prämissen Gesetzten zuläßt, nicht aber eine Korrektur d e r Prämissen aufgrund dessen v o r s i e h t , was in d e r Konklusion aus ihnen folgt und eher als sie selbst als falsch e r k e n n b a r sein mag, wird die Scheinhaftigkeit zur wesentlichen Bestimmung der Dialektik ü b e r h a u p t gegenüber der Wahrheit, mit der es die wissenschaftlichen Beweise und die Philosophie zu tun haben. [4] Für den Wissensbegriff bedeutet d a s , daß er sich ausschließlich an der idealtypischen Konzeption eines in wahren Axiomen b e g r ü n d e t e n Systems wahrer, zu Syllogismen verknüpfter Sätze orientiert, ohne daß - jedenfalls zunächst die Frage nach d e r Möglichkeit solcher Wahrheitserkenntnis einen Einfluß auf das wissenstheoretische Modell h ä t t e . Dieses Bild von der Einschätzung der Dialektik bei Aristoteles wird im wesentlichen auch d u r c h seine Neubestimmung und 1
A n . p r . A 1, 24 a 28 - b 12; Soph.El. 2, 165 b 4-7; 11, 171 b 3-6 2 Soph.El. 11, 172 a 21-27; Met. Γ 2, 1004 b 22-26 3 A n . p r . A 1, 24 b 11 f u . A 30, 46 a 9f; v g l . Met. 1, 995 b 23f 4 Diese Gegenüberstellung ist auch schon in der Topik zu fin den: 14, 105 b 30f, v g l . An. post. A 19, 81 b 18-23. Da gegen spricht eine andere Stelle der Topik (Θ 1, 155 b 3-16), auf die Wieland verweist, von einer Übereinstimmung d e r Dialektik mit der Philosophie in der Sache, die Dialektik b e schäftige sich n u r zusätzlich auch noch mit der Argumen tationsweise ad hominem.
120 Verwendung des sokratischen Begriffs der kritischen Prüfung von Meinungen (elenchos) b e s t ä t i g t . Einerseits v e r s t e h t Aristo teles d a r u n t e r nicht mehr die Frage nach vernünftigen Begrün dungen für gängige Auffassungen, sondern unmittelbar deren Widerlegung nach dem syllogistischen Verfahren, andererseits gebraucht er denselben Terminus auch für einen bestimmten, von ihm vorgeschlagenen Dialog, in dem der Partner überführt wird, ein von ihm bestrittenes und nicht beweisbares Prinzip, wie das vom zu vermeidenden Widerspruch, selbst in Anspruch zu nehmen. Dieser Nachweis, ein seltenes Beispiel dafür, daß Aristoteles selbst seine Argumentation ausdrücklich als nicht beweisend c h a r a k t e r i s i e r t , ist nicht u n t e r den allgemeinen Be griff der Widerlegung zu subsumieren, weil die Überführung nicht aus dem Zugeständnis allgemeiner Sätze folgt, die als Prämissen eines Schlusses fungieren könnten. Das aber soll gerade die Bedingung jeder Widerlegung sein, daß die - not wendig zum Teil allgemeineren - Prämissen eines Schlusses zu gegeben werden, aus denen dann das kontradiktorische Gegen teil der zu widerlegenden Behauptung gefolgert werden k a n n . [ 1] Nicht n u r dieses, daß mindestens eine Antwort des Opponenten eine universale Aussage - d e r Obersatz eines Schlusses - sein m ü s s e , [ 2 ] bleibt unerfüllt, wenn es darum g e h t , dem Opponen ten zu zeigen, daß er das Widerspruchsprinzip v o r a u s s e t z t , sondern auch die Vorschrift, daß nicht alle Termini von dem Opponenten negiert werden dürfen, wenn eine syllogistische Widerlegung zustande kommen soll.[3] Denn für die Überfüh r u n g d e s s e n , der das Widerspruchsprinzip b e s t r e i t e t , genügt e s , daß er mit irgendeinem sprachlichen Ausdruck, der auch ein negativer sein k a n n , etwas Bestimmtes meint, d . h . nicht gleichermaßen dessen Gegenteil, daß er also einen singulären Fall von Bedeutungsidentität realisiert, was keineswegs das all gemeine Zugeständnis i s t , daß jeder Ausdruck ein Identisches meint, von dem nicht zugleich sein Gegenteil ausgesagt werden kann.[4] Daß diese Methode, jemandem ein unbeweisbares Prinzip nach zuweisen, die logische Ordnung des Schlusses umkehrt, sagt Aristoteles damit, daß der Verteidiger des Widerspruchsprin zips, argumentierte er von sich aus wie in einem Beweis mit der Eindeutigkeit des Meinens, eine petitio principii beginge. [5] Deshalb kommt es bei der Überführung nicht auf die Schlußlo gik a n , sondern darauf, wer etwas s a g t , ein dialogisches Mo ment, das beim elenchos als syllogistischer Methode der Wider1 2 3 4 5
A n . p r . 20, 66 b 4-17; Soph.El. 5, 167 a 23-34 A n . p r . 20, 66 b 15f Ebenda, 66 b 11-14 Met. 4, 1006 18-25, 1006 b 34 - 1007 a 4 Ebenda, 1006 a 15-18, v g l . 25-28
121 legung vernachlässigt werden kann - unbeschadet d e s s e n , daß der zu Widerlegende grundsätzlich einiges affirmativ und all gemein zugeben muß. So wie Aristoteles den elenchos als Überführung eines Opponen t e n , daß er ein Prinzip nicht leugnen k a n n , selber praktiziert, paßt er ü b e r h a u p t nicht in die Form des Schlusses, die in der theoretischen Begriffsbestimmung für den elenchos im Sinn s t r i k t e r , beweisender Widerlegung verbindlich gemacht w i r d . [ l ] Auch da, wo es sich ausdrücklich nicht um Widerlegungen i n nerhalb der einzelnen Wissenschaften, sondern um dialektische handelt, die allen Wissenschaften so gemeinsam sind wie das Widerspruchsprinzip, hält Aristoteles an dem Modell des syllogistischen Verfahrens fest, n u r mit dem Unterschied, daß diese Schlüsse n u r allgemein plausibel, aber nicht wahr sein müssen, wie es der Einschätzung der Dialektik e n t s p r i c h t . [ 2] Aristoteles gibt also keinen Begriff der Prinzipiendiskussion, sondern b e stimmt die für sie in Frage kommenden theoretischen Begriffe wie Dialektik und Elenktik neu ganz mit Rücksicht auf das Be weisverfahren der Einzel Wissenschaften, obwohl er sich i h r e r prinzipientheoretischen Relevanz bewußt i s t . Thomas bringt in die aristotelischen Andeutungen über die Dia lektik einen systematischen Zusammenhang, der als Grundlage noch für Kants Vorbegriff von Dialektik hinreicht, sie sei eine 'Logik des Scheins', in der die logischen Regeln zur rein for malen Beurteilung von Erkenntnisse mißbräuchlich zur Hervor b r i n g u n g inhaltlicher Behauptungen verwendet werden. [3] Ebenso erklärt Thomas in seinem Kommentar zu den Zweiten Analytiken, die Dialektik gebrauche die allgemeinen Begriffe der Logik wie Schluß, Urteil und Prädikat zur Begründung von Aussagen über bestimmte einzelwissenschaftliche Gegenstände, während die Logik selber n u r über diese reinen Formen des Denkens l e h r e , ohne sie anzuwenden. [ 4] Die Verdeutlichung der zugrunde gelegten Differenz von Begriff (intentio) und Ge genstand (res) im Metaphysikkommentar[5] bestätigt Hegels Ur teil über das Selbstverständnis der formalen Logik: Die a n g e nommene Trennbarkeit von Form und Inhalt der Erkenntnis b e deutet ein äußerliches Verhältnis des Denkens zu dem 'Stoff der Erkenntnis' in dem Sinn, "daß das Objekt ein für sich Vollende t e s , Fertiges sei, das des Denkens zu seiner Wirklichkeit voll kommen entbehren könne, da hingegen das Denken etwas Man gelhaftes sei, das sich erst an einem Stoffe zu vervollständigen, 1 2 3 4 5
Vgl. auch Soph.El. 1, 164 b 27 - 165 a 3; Soph.El. 9, 170 a 20-26, 170 a 39 - b 3; Soph.El. 10, 171 a 1-11; Soph.El. 17, 175 a 31-40. Soph.El. 9, 170 a 34 - b3 KrV 85f In 1 A n . p o s t . 1. 20, 171f In 4 Met. 1. 4, 573f; v g l . 2 S 17 I 1
122 und zwar als eine weiche unbestimmte Form sich seiner Materie angemessen zu machen h a b e " . [ l ] Dieses ungleiche Verhältnis expliziert Thomas mit der bekannten Unterscheidung von Ge danken- und Naturdingen (entia rationis, entia n a t u r a e ) , mit der er die Trennung von Logik und Philosophie - im Sinn von Metaphysik - legitimieren will. Danach hat es die Logik mit blo ßen Gedankenbestimmungen zu t u n , die der Verstand an den Gegenständen n u r als gedachten e n t d e c k t , weil sie aus seiner eigenen Erkenntnis folgen, den Dingen i h r e r Natur nach aber nicht zukommen. Um eine Erklärung des dialektischen Scheins zu geben, nimmt Thomas aber an der genannten Stelle des Meta physikkommentars einen auch sonst von ihm im Anschluß an Aristoteles v e r t r e t e n e n Vernunftbegriff in Anspruch, der die Trennung der Sphäre des Denkens von der der Realität implizit wieder rückgängig macht: Weil alle Naturdinge - der Möglichkeit nach - der Betrachtung des Verstandes unterliegen, decke sich der Umfang des Gegenstandes der Logik mit der Realität, und deshalb würden die logischen Bestimmungen irrtümlich mit sol chen von Naturdingen gleichgesetzt. Dieses - theoretisch nicht erklärte - Vergessen der Hinsicht, u n t e r der allein die logi schen Bestimmungen auf Gegenstände bezogen werden können, veranlasse die Dialektik zu dem Schluß, d e r Gegenstand d e r Philosophie oder das reale Seiende ü b e r h a u p t sei nichts anderes als eben d a s , was die Logik behandelt; deshalb entwickele sie die allgemeinsten Seinsbestimmungen aus logischen Begriffen. Thomas v e r s t e h t in diesem Gedankengang die Dialektik nicht als ein Verfahren, mit Begriffen aus der Logik ü b e r Fragen aus beliebigen Wissenschaften zu entscheiden, [ 2] sondern identifi ziert den Gegenstand der Dialektik ausdrücklich mit dem der Ersten Philosophie, um dann die genannte Abgrenzung v o r z u nehmen: Nur der Metaphysiker betrachte das reale Seiende schlechthin aufgrund von dessen eigenen Prinzipien, d e r Dialek tiker dagegen aufgrund der logischen Bestimmungen des Ver s t a n d e s . Die - im Analytikenkommentar behauptete - Untauglichkeit der logischen Bestimmungen zur Begründung von Aus sagen in den einzelnen Wissenschaften wird dadurch auf eine grundsätzliche These zurückgeführt, daß Thomas die Anwen1
Wissenschaft der Logik, Einleitung, S.24f. Auch bei Boethius ist in einem verwandten Kontext, in dem nämlich die Notwen digkeit der Logik gezeigt werden soll, davon die Rede, daß n u r in der Mathematik, nicht aber in anderen Sachbereichen, das - formal - richtig Geschlossene auch für die Wirklichkeit gilt. Die Täuschung d a r ü b e r soll die Logik als Methodenlehre (scientia disputandi) beseitigen (In ΡΕ Ι 2, Schepss/Brandt S.138, Z.14 - S.139, Z . l ) . 2 Allerdings kommt er auf diesen Dialektikbegriff unverzüglich wieder zurück, s . In 4 Met. 1. 4, 576f - ähnlich schwankend ist auch In 1 A n . p o s t . 1. 20, 171.
123 dung der logischen Bestimmungen auf die Betrachtung des Sei enden als solchen mit dem Argument ablehnt, sie seien der Na t u r der Dinge fremd. Er bekräftigt damit das Getrenntsein der realen von der logischen Sphäre oder des Inhalts von der Form der E r k e n n t n i s , ohne es als ein Problem zu thematisieren, wie man u n t e r dieser Voraussetzung wissen k a n n , daß alle Realität i h r e r Möglichkeit nach u n t e r den logischen Formen s t e h t , und was es dann noch bedeutet zu sagen, Dialektik und Metaphysik hätten das Seiende als solches und seine Bestimmungen zu ihrem gemeinsamen Gegenstand. [ 1] Eine legitime Funktion soll die Dialektik innerhalb der Logik ha b e n , nämlich diejenige, das Verfahren zu e r k l ä r e n , mit dem man im Einklang mit den logischen Regeln wahrscheinliche Schlußfol gerungen in den Einzel Wissenschaften ziehen k a n n , ohne daß sie selbst, die Dialektik, zu solchen Schlüssen berechtigt wäre. [2] Damit knüpft Thomas an das ihm geläufige Vorgehen der Dialek tik a n , von anerkannten Meinungen auszugehen, [ 3] deutet aber die Dialektik in eine Theorie von der Form dieses Verfahrens um und setzt sie so als eine Methodenlehre des Wahrscheinlichen von der Beweistheorie als der Logik des Wahren a b . Mit dieser wissenstheoretischen Integration der Dialektik in die formale Logik ist ihr auch der letzte Rest einer kritischen oder mindestens ergänzenden - wie der Topik zufolge - Funktion für die deduktiv-axiomatische Konzeption des Wissens genommen. Bei Aristoteles verbindet 'Dialektik' noch - wenn auch nicht theoretisch entwickelt und außerdem d u r c h andere Charakteri stiken relativiert - die Idee, daß die allen Wissenschaften g e meinsamen Prinzipien aus allgemeinen Überzeugungen einsichtig zu machen sind, mit der Praxis der Wahrheitssuche im Dialog. Thomas' Dialektikbegriff fehlt sowohl das dialogische Moment wie auch die Legitimation durch das Prinzipienproblem. Vielmehr ist Dialektik zu einem Thema geworden, an dem die Auflösung der sachbezogenen Rede in Denkformen einerseits, und Sachbestim mungen andererseits besonders deutlich wird. [4] Und die Prin zipiendiskussion weist Thomas ausschließlich der Metaphysik zu, 1 2 3 4
In 4 Met. 1. 4, 573 Ebenda, 576 Vgl. In 1 A n . p o s t . 1. 8, 71 Die Annahme liegt nahe, daß dies der entscheidende Schritt einer wissenstheoretischen Entwicklung i s t , die schließlich zu einer abstrakten Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt führt. In der Neuzeit knüpft erst Humboldts Sprachphiloso phie wieder an das von Aristoteles noch der Dialektik zuge rechnete dialogische Moment der Sache nach a n , indem sie Erkenntnis als sprachliche Subjekt-Subjekt-Objekt-Beziehung v e r s t e h t (Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprach b a u e s , § 4 1 , § 46f, Schriften zur Sprachphilosophie, S.195f, S.200ff).
124 um das System des Wissens vollständig von dialogischer Ausein andersetzung zu reinigen und das - auch in der Metaphysik a n zuwendende - Beweisverfahren allgemein d u r c h z u s e t z e n . [1] Da bei irritiert es ihn nicht, daß der von ihm kommentierte wirkli che Aufweis des Widerspruchsprinzips durchaus dialektisch i s t , indem er von zwei kontradiktorischen Meinungen - des Vertei digers des Prinzips nämlich und seines Opponenten - ausgeht und auf eine Äußerung, sogar auf ein Zugeständnis des Oppo nenten angewiesen i s t , wenn er ihn durch Reflexion - nicht durch eine regelrechte syllogistische Widerlegung, wie Thomas meint - auf seine Inanspruchnahme jenes allgemeinen Prinzips aufmerksam machen will. [2] So zeigt sich an der Frage, wie die Erörterung des Wider spruchsprinzips wissenstheoretisch einzuschätzen i s t , daß mit der Umdeutung der Dialektik in eine Logik des Wahrscheinlichen auch die Methode, allgemeine Voraussetzungen jeglichen Denkens reflektierend zu erschließen, aus dem Selbstverständnis der p h i losophischen Wissensbegründung verschwindet. Gegenüber der Zurückwendung des E r k e n n e n s , das einen partikulären Sachver halt meint, auf seine apriorische S t r u k t u r und deren Momente räumt Thomas eindeutiger noch als Aristoteles systematische Priorität dem schlußfolgernden Übergang vom Allgemeinen aufs Besondere ein, der zum unmittelbaren Wissen von Sachverhalten führt. Daß die Frage nach d e r Prinzipiendiskussion aus d e r Perspektive des einzelwissenschaftlichen Beweisens nicht rele vant i s t , bemerkt er s e l b s t [ 3 ] : Während die Dialektik sowohl die Konklusion wie die Prämissen eines Schlusses problematisiere, frage der Beweis nicht nach den Prämissen, "sondern nimmt sie so, als seien sie an sich selbst bekannt oder d u r c h solche Prinzipien bewiesen", [ 4] er frage vielmehr n u r nach der Konklusion. So wird die schon von Aristoteles verlangte Trennung des Vollzugs der Wissenschaften von dem der Ersten Philosophie ungeachtet ihres philosophisch zu reflektierenden Zusammenhangs mit einem wesentlichen, s t ä n dig wirksamen Moment der wissenschaftlichen Erkenntnis b e g r ü n d e t . ] Wenn ein Wissenschaftler die allen Wissenschaften gemeinsamen ersten Prinzipien unbefragt auf seinen besonderen Gegenstand anwendet, setzt er in d e r Ersten Philosophie d u r c h aus nachprüfbare, von ihm aber faktisch nicht geprüfte Be gründungszusammenhänge allen Wissens ü b e r h a u p t v o r a u s . Er kann d a s , sagt Thomas, weil er in seiner Wissenschaft auch immanent so v e r f ä h r t , einmal Bewiesenes in der Folge als gül1 2 3 4
In 1 A n . p o s t . 1. 20, 172 In 4 Met. 1. 6, 608ff In 1 A n . p o s t . 1. 2 1 , 175; v g l . 1. 5, 47 " . . . sed ea sumit quasi per se nota, vel per talia principia probata." 5 A n . p o s t . A 10, 76 a 37 - b 2; A 12, 77 b 3-6
125 tige Prämisse ohne Rückfrage nach seiner Legitimation weiterzuverwenden. - So entwickelte sich aus der Logik des Beweis e n s , gerade sofern sie der nach den Prinzipien zurückfragen den Dialektik entgegengerichtet i s t , eine Begründung für die arbeitsteilige Trennung von angewandter und Grundlagenfor schung sowie von Einzelwissenschaften und Philosophie, wie sie e r s t den neuzeitlichen Wissenschaftsbetrieb kennzeichnet. 2. Wissenstheoretische Reflexion Begriff der Begründung
als
Aufklärung:
der
logische
Was Aristoteles und Thomas in der Tat betreiben, ist natürlich keine beweisende Einzelwissenschaft und auch nur in einzelnen Grenzfällen d a s , was Thomas u n t e r beweisender Metaphysik v e r s t e h t , nämlich die Deduktion von Aussagen über die Prinzipien. In Wirklichkeit reflektieren sie auf allgemeine S t r u k t u r e n der wißbaren Realität und des nach Zwecken und Regeln zu bestim menden Handelns. Ihre Einschätzung solcher Reflexion im Ver hältnis zu dem unmittelbaren Erkennen und Wollen, von dem sie a u s g e h t , ist nicht n u r an i h r e r Beurteilung der Dialektik, son dern auch solcher einzelnen Bestimmungen zu e r k e n n e n , die sie - ausdrücklich allerdings erst Thomas - selber als Resultate von Reflexionen ansehen. In den Zweiten Analytiken stellt Aristoteles zwischen der Frage nach der Wirklichkeit eines komplexen Gegenstandes oder der Geltung eines Prädikats und der Frage nach dem jeweiligen Grund für beides einen notwendigen Zusammenhang h e r . Von ihm macht Thomas in seinem Kommentar klar, daß er nicht im Horizont der nach Wirklichkeit und Geltung Fragenden i s t , son dern erst von der philosophischen Theorie des Wissens begrif fen werden kann; ihr Fortschritt gegenüber dem natürlichen Bewußtsein bringt erst dessen eigene Wahrheit h e r v o r . [1] Der Zusammenhang wird nämlich von der Frage nach dem Grund her v e r s t a n d e n , indem auch die Frage nach dem Faktischen, d . h . ob etwas sich so oder so v e r h ä l t , so interpretiert wird, daß sie - in Wahrheit - danach fragt, ob es für dieses Faktische einen Grund gibt, oder nicht. Wenn sich nämlich in Frage g e stellte Sachverhalte als Tatsachen erweisen, so argumentiert Thomas, dann erkennt man aus dem bloßen Umstand, daß nach ihnen gefragt wurde, die Notwendigkeit, diese Tatsachen zu b e g r ü n d e n . Die Überlegung stützt sich darauf, daß Aristoteles den Grund logisch als Mittelbegriff in dem Syllogismus v e r s t e h t , mit dem man die Tatsache beweist. Wären die beiden Momente der F r a g e , Subjekt und Prädikat, einander logisch unmittelbar, erklärt Thomas, dann wäre ihr Zusammenhang oder der in Frage 1
Aristoteles, A n . p o s t . 2, 89 b 36 - 90 a 23; Thomas, In 2 A n .p o s t . 1. 1, 412ff
126 stehende Satz auch für das Bewußtsein k l a r , so daß es nicht nach ihm fragte - also zielt jede Frage darauf, ob ein Subjekt und Prädikat vermittelnder Terminus zum Beweis ihres Zusam menhangs zu finden ist oder nicht. [1] Logisch unmittelbar einer Bestimmung sind immer n u r die Momen te i h r e r Definition, genus proximum und spezifische Differenz. Thomas' Kommentar zufolge kann man also n u r nach der Geltung von Aussagen fragen, die keine Definitionen sind. In d e r P e r spektive der Beweislogik, die nicht diejenige des Fragenden i s t , folgt aus der affirmativen Beantwortung der Frage, aus einer Tatsachenbehauptung also, daß ihr Subjekt und Prädikat sich wie die Extreme einer logischen Kette v e r h a l t e n , die nach dem Einschieben von einem oder mehr Zwischengliedern n u r noch unmittelbare, auf Definitionen beruhende Übergänge aufweist und so als ganze ebenso fraglos einsichtig ist wie eine einzige Definition. [ 2] In der u n a u s g e d r ü c k t e n Konsequenz einer Tat sachenfrage liegt also die intellektuelle Bewegung auf die d e duktive Konstitution der Tatsache hin, die damit den Charakter des bloß faktisch Gegebenen verliert und als notwendig gewußt wird. Aristoteles beschreibt die Differenz der Tatsachenfrage zu i h r e r wissenstheoretischen Deutung noch nicht so klar wie Thomas. Er beschränkt sich darauf festzustellen, d a ß , wenn wir nach einem Sachverhalt oder dem Bestehen schlechthin von etwas fragen, wir dann danach fragen, ob es dafür einen Mittelbegriff gibt oder nicht, und wenn wir danach weiter nach dem Grund des Sachverhalts oder dem Wesen des Bestehenden fragen, daß wir dann fragen, was dieses medium denn s e i . [ 3 ] Seine Erklä r u n g lautet, der Mittelbegriff sei eben der Grund, nach dem in allen Fragen gesucht w e r d e [ 4 ] . Thomas sieht darin einen Hin weis auf den wissenstheoretischen Begriff von G r u n d , daß er dasjenige Relatum zu einem Gegenstand oder Sachverhalt i s t , d u r c h welches dieser gewußt - statt n u r vorgestellt oder e r fahren - werden k a n n . [5] Daran anschließend kann man die Funktion des Arguments so v e r s t e h e n , daß es Alltagsbewußt sein und Wissenslogik vermittelst der Bestimmung 'Grund' zu1
"Non enim fit quaestio de immediatis, quae etsi vera s u n t , non tarnen habent medium; quia huiusmodi, cum sint mani festa, sub quaestione non c a d u n t . Sic ergo qui quaerit an hoc sit hoc vel an hoc sit simpliciter, ex consequenti quaerit an sit huiusmodi medium."(412) 2 In 2 A n .p o s t . 1. 1, 415. Auf das zugrunde gelegte Modell, nach dem Wissenschaften lückenlose Reihen von Beweistermini sind, komme ich im Dritten Teil, .., 5 . , z u r ü c k . 3 An.post. 2, 89 b 37 - 90 a 1 4 Ebenda, 90 a 6 ff 5 In 2 A n .p o s t . 1. 1, 414
127 sammenschließen soll, mit der man in natürlicher Einstellung einen gegebenen Sachverhalt meint, die die Theorie aber r e flektierend zu einer logischen Verhältnisbestimmung v e r ä n d e r t . Dann bleibt aber bei Aristoteles noch offen, weshalb man sagen k a n n , daß alle Fragen sich auf den Grund beziehen. Explizit gibt der Text keine Antwort darauf, aber die Erfahrung, daß man sich mit dem Erkennen bloßer Fakten nicht zufrieden gibt, sondern nach ihrem Grund fragt, [1] läßt es plausibel e r s c h e i n e n , daß ein Faktum für das Bewußtsein immer ein nur vorläu figer, abhängiger Gegenstand i s t , während man umgekehrt nicht mehr nach dem Ob fragt, wenn man das Faktum aus seinem Grund weiß. [2] An dieser Stelle setzt Thomas' weitergehendes Argument ein, daß die Tatsache der Frage selbst die Notwendigkeit eines S u b jekt und Prädikat vermittelnden - und n u r deshalb so genann ten - Grundes anzeige. Das heißt, daß erst die logische Ana l y s e , die das Wissen anhand der Unterscheidung von Unmittel barkeit und zu vollziehender Vermittlung von Bestimmungen r e k o n s t r u i e r t , die Gewohnheiten auch des natürlichen Bewußt seins verständlich machen k a n n . Der Verweis auf die übliche Frage nach einer Begründung ist danach nicht so aufzufassen, als gehe er auf einen in sich hinreichend b e g r ü n d e t e n Sach v e r h a l t , der gleichsam nachträglich mit der ebenso selbständi gen Logik der Begriffe verglichen werden k a n n , sondern eher als ein Anknüpfen an den gewöhnlich b e k a n n t e n , aber sich selbst nicht erklärenden Umgang mit Faktischem. Die Besonderheit von Thomas' Kommentar zu dieser Stelle scheint darin zu liegen, daß er einerseits die logische Bedingt heit des natürlichen Bewußtseins vom Faktum und seinem Grund betont, andererseits aber deutlich macht, daß der logische Zu sammenhang nicht im Horizont der Fragen nach Fakten und Gründen i s t . Dies wird so a u s g e d r ü c k t , daß man bei den Fra gen nach Faktischem "der Form der Frage nach nicht fragt, ob es einen Mittelbegriff gebe, durch den - das - bewiesen werden könne", was hier zusammenfassend Faktum genannt wird, son dern d a ß , wenn das Faktum gilt, "folgt, daß ein Mittelbegriff zum Beweis des Gefragten zu finden s e i " . [ 3 ] Oder Thomas s a g t , der Mittelbegriff sei d e r Vernunftgrund (ratio) d e s s e n , nach dem gefragt wird, ob es faktisch gilt, nach dem aber nicht u n t e r dem Begriff d e r Vermittlung (sub ratione medii) gefragt wird. Die Nichtbeachtung des logischen Zusammenhangs charakterisiert auch die weitergehende Frage, warum etwas als Faktum Bekanntes gilt, also die Frage nach dem Grund: "Daß man fragt, was denn der Mittelbegriff sei, ist in gleicher Weise nicht der Form der Frage nach, sondern als ein Mitzudenkendes 1 2 3
An.post. 1, 89 b 29ff; 2, 89 b 38ff, 90 8 f An.post. 1, 89 b 28f In 2 A n . p o s t . 1. 1, 412
128 (secundum concomitantiam) zu v e r s t e h e n . Wer nämlich nach dem Grund einer Sonnenfinsternis fragt, fragt nach ihm nicht als dem Mittelbegriff i s t , weil man, wenn man es weiß, den Beweis führen k a n n . " Also kann man ganz allgemein von dem gegenstandsbezogenen Fragen und folglich auch Erkennen und Wissen s a g e n , daß die logischen Verhältnisse, aufgrund deren allein es begriffen wer den k a n n , ihm nicht bewußt sind. Damit hat Thomas das Ver hältnis der Wissenstheorie zum natürlichen und wissenschaftli chen Bewußtsein in der Sache als Aufklärung dargestellt. Über den Nachweis hinaus, daß die Wissenstheorie eine logische Be g r ü n d u n g der Bewußtseinshandlungen geben k a n n , bietet d e r Text eine Erklärung dafür, daß das Bedürfnis nach einer Be g r ü n d u n g des als faktisch Erkannten das nicht philosophisch reflektierende Bewußtsein unmittelbar noch nicht v e r a n l a ß t , die logische Vermittlung der die Tatsache konstituierenden Bestim mungen als das zugrundeliegende Problem zu begreifen: Diese Vermittlung wird ebenso wie die in Frage gestellte Tatsache in gegenständlicher Positivität (id quod est medium) als Ursache vorgestellt, d . h . als etwas für sich Bestehendes oder sich E r eignendes, dem außerdem auch noch die Funktion zukommt, jene Tatsache zu bewirken. [1] Mit einer solchen gegenständlichen Fassung des Vernunftbegriffs der Vermittlung ist dem Vernunft interesse an Begründung Genüge getan, ohne daß das Bewußt sein die Welt der Dinge und Naturvorgänge verlassen h ä t t e . Also muß der Begriff d e r Vermittlung erst in d e r Logik reflek tierend konstruiert werden (considerando f a c i t ) , [ 2 ] damit das Bewußtsein seine Gegenstände u n t e r diesem Begriff und damit in i h r e r Wahrheit denken und so zugleich sein eigenes Handeln verstehen k a n n . Die Sprachform der Frage eignet sich wohl besonders als Aus gangspunkt für eine gründliche Kritik an der Auffassung des Erkennens als eines Abbildens gegebener Wirklichkeit, weil man n u r dann fragt, wenn man sich Ergänzungen oder Alternativen zu der jeweils gerade gegebenen Realität denken und deren Vollständigkeit oder Verbindlichkeit damit in Zweifel ziehen k a n n . Thomas entwickelt an der besprochenen Stelle diesen An satz beim fragenden Bewußtsein prinzipiell weiter, als es eine von affirmativen Urteilen ausgehende Interpretation wie etwa die Maréchals für möglich hält: Die Abstraktion von jeder ontologischen Prämisse, also die Einschränkung d e r Betrachtung auf 1
Thomas zieht eine systematisierende Interpretation der aristo telischen Rede vom Mittelbegriff nicht in Erwägung, wie Tu gendhat, Ti kata tinos, S.128ff., sie vorgeschlagen hat: Als Mittelbegriff fungiert diejenige akzidentelle Bestimmung einer Substanz, die das Entstehen eines anderen Akzidens v e r u r sacht und dieses so mit d e r Substanz zusammenschließt. 2 In 1 Eth. 1. 1, lf.
129 logische Grundformen der Bewußtseinshandlungen bereitet nicht den Beweis v o r , daß das Denken selber mit seinem unabdingba ren Wahrheitsanspruch eine ihm als einem Relativen gegenüber absolute, unabhängige, äußere Konstrollinstanz s e t z t , die Maré chal das Sein n e n n t . [1] Vielmehr könnte sie die Skizze einer Phänomenologie des Bewußtseins in dem hegelschen Sinn einlei t e n , daß die bloße Gegenüberstellung von Bewußtsein und ge gebener Realität selber n u r einer Stufe des Bewußtseins a n gehört, auf der es sein Begründen noch nicht als ein Vermitteln des unmittelbar Faktischen und damit als Aufheben von dessen Faktizität, und das heißt zugleich, seiner Äußerlichkeit gegen das Bewußtsein begreift. Wenn auf der Stufe der wissenstheore tischen Reflexion einzusehen i s t , daß die Realität selber als logisch bestimmte aufgefaßt wird, sobald man nur nach ihr fragt, dann ist damit keine einsinnige Konstitution der Objekte durch das Bewußtsein ausgesprochen, aber doch Unlösbarkeit der Realität von Bedingungen i h r e r Erkenntnis gedacht, die Thomas sonst als Formen des subjektiven Verstandes und Eigen tümlichkeiten seines schrittweisen Wissensforschritts der Wirk lichkeit entgegensetzt. Er selbst bringt zwar die Abweichung seiner Erklärung des Fragens von seiner sonstigen Gegenüber stellung 'ens naturae - ens rationis' nicht zur Sprache und entwickelt auch nicht die theoretischen Möglichkeiten, die sein Kommentar eröffnet. Aber ein Ansatz, die Reflexion auf logische Zusammenhänge und ihre Resultate dem unmittelbaren sprachli chen Umgehen mit Realität nicht einfach systematisch nachzu o r d n e n , ist hier doch u n v e r k e n n b a r . 3. Relativierende Reflexionen und ihre Entschärfung: und Einfachheit bei Thomas
Einzelheit
Thomas macht in verschiedenen besonderen Zusammenhängen deutlich, daß Erkennen überhaupt sein Objekt v e r ä n d e r t - nicht n u r die Reflexion das von ihr reflektierte Bewußtsein etwa der Kausalität. Worin diese Veränderung b e s t e h t , kann man an d e r oben (S.9f) schon erwähnten Stelle zeigen, wo vom Verstand und vom Willen gesagt wird, daß sie sowohl mit Bezug auf die nicht zu übertreffende Allgemeinheit ihres Objekts wie auch als ein Gegenstand und besonderes Vermögen betrachtet werden können. [2] Sie nach dem allgemeinen Begriff ihres Objekts (Seiendes und Wahres einerseits und Gutes andererseits) auf1
2
J . Maréchal, Le point de départ de la métaphysique, Cahier V, S.86ff. Dieser Beweis erreicht auch kein unabhängiges Absolutes, sondern n u r ein Sein als Bedingung für, d . h . mit Bezug auf Bewußtsein, wenn man bloß, beim Resultat, dem Sein angekommen, das Ausgehen vom Bewußtsein als Bedin gung des Resultats nicht v e r g i ß t . I 82, 4 ad 1; v g l . 3 ad 1; In 6 Met. 1. 4, 1239
130 zufassen, ist ein Versuch, den ihnen eigenen Bewußtseins hori zont zu r e k o n s t r u i e r e n , und bedarf insofern keiner besonderen Rechtfertigung, um so mehr dagegen, so scheint es wenigstens aus einer transzendentalphilosophischen Perspektive, ihre Be t r a c h t u n g als je ein besonderer Gegenstand ( r e s ) . Wenn das Bewußtsein (anima) in gewisser Weise alles i s t , wie die bekannte Formulierung von Aristoteles und bei Thomas lautet, wie kann es dann auch als ein Element dieser Gesamtheit angesehen wer den? Eine ausdrückliche Erklärung dafür gibt die angeführte Stelle nicht, aber sie macht hinreichend deutlich, daß diese Vergegenständlichung genau der Modus i s t , in dem Verstand und Wille sich gegenseitig Objekt sein können: Unter dem allgemei nen Begriff des Seienden und Wahren ist der Wille als ein Ge genstand der Erkenntnis wie andere partikuläre Gegenstände (Stein, Holz) enthalten und u n t e r dem allgemeinen Begriff des Guten der Intellekt als ein p a r t i k u l ä r e r Gegenstand des Willens, und weil ihm so u n t e r g e o r d n e t , ist er auch vom Wollen zu b e wegen. [1] Das soll ebenso für die Erkenntnis- und Willensakte wie für das jeweilige in seiner höchsten Allgemeinheit begrif fene Objekt gelten, so daß die Gutheit, die den Begriff d e r Ob jektivität für Wollen ü b e r h a u p t ausmacht, für Erkennen ein p a r tikuläres Objekt u n t e r anderen ist und in gleicher Weise die Wahrheit für den Willen ungeachtet dessen, daß mit ihr eine Übereinstimmung von Subjekt und Objekt überhaupt oder die jede Erkenntnis bedingende Subjekt-Objekt-Beziehung des Selbstbewußtseins begriffen i s t . [2] Wenn der eine allgemeinste Horizont des Bewußtseins, d e r durch die Gesamtheit der ersten Begriffe von einem Objekt ü b e r h a u p t oder Transzendentalien, zu denen auch Wahrheit und Gutheit gehören, s t r u k t u r i e r t i s t , nach Intellekt und Willen a b s t r a k t differenziert wird, t r e t e n die Transzendentalien 'Wahres' und 'Gutes' auf je eine der beiden Seiten. Aus d e r Perspektive des Verstandes wird 'Wahres', aus derjenigen des Willens 'Gutes' jeweils zu einem ausschließlichen Begriff von Gegenständlich keit. Weil sie sich in dieser Entgegensetzung nicht schlechthin negieren, sondern n u r in i h r e r transzendentalen Allgemeinheit, bleibt der Gutheit n u r ein Modus, auf die als Begriff aller Ge1
" . . . quia sub ratione entis et v e r i , quam apprehendit intellectus, continetur voluntas ipsa, et actus eius, et obiectum i p s i u s . Unde intellectus intelligit voluntatem, et actum eius, et obiectum i p s i u s , sicut et alia specialia intellecta, ut lapidem aut lignum, quae continentur sub communi ratione entis et v e r i , " - " . . . sic sub communi ratione boni contine t u r , velut quoddam speciale, et intellectus i p s e , et ipsum intelligere, et obiectum e i u s , quod est verum, quorum quodlibet est quoddam speciale bonum. Et secundum hoc voluntas est altior intellectu, et potest ipsum movere." 2 Vgl. oben S.26ff
131 genstände gesetzte Wahrheit bezogen zu werden, derselbe Mo d u s , der für alles Erkennbare gilt, nämlich als einer der u n t e r diesen Begriff fallenden Gegenstände betrachtet zu werden. Ebenso kann die Wahrheit n u r als ein Gutes oder Begehrbares auf die absolut gesetzte transzendentale Gutheit bezogen wer d e n . Indem Thomas an seine Kennzeichnung dieser wechselsei tigen logischen Unterordnung jeweils die Bemerkung anschließt, 'daher' erkenne der Intellekt den Willen, seinen Akt und sein Objekt wie auch andere besondere Erkenntnisgegenstände, b e ziehungsweise 'dementsprechend' könne der Wille den Intellekt bewegen, gibt er zu v e r s t e h e n , daß der S t a t u s , als ein b e stimmter, partikulärer Gegenstand (res) u n t e r einen allgemeinen Begriff subsumierbar zu sein, Bedingung für alles i s t , was je erkannt oder gewollt werden soll; denn diese Bedingung gilt auch für d a s , was i h r , wird es als das Subsumierende festge halten, von sich aus nicht genügen k a n n , das erkennende und begehrende Bewußtsein selber. Wenn man von den Konsequenzen für eine Theorie des Selbst bewußtseins absieht, bleibt eine von Thomas nicht gestellte k r i tische Frage: Mit Berufung auf welche Instanz kann man an der Annahme festhalten, Dinge seien unabhängig von i h r e r Bezie hung auf Erkenntnis und Wille bestimmte Einzelne, wenn doch in dem einzigen Fall, dem des Selbstbewußtseins, in dem ein Ein zelnes (meine Vernunft) sich der Reflexion als unbegrenzt All gemeines (Bewußtsein aller Gegenstände) zeigt, die Einzelheit als Bedingung der gewöhnlichen Gegenstandserkenntnis h e r v o r tritt? Thomas läßt die an dieser Stelle eröffnete Möglichkeit u n g e n u t z t , das aristotelische Zugrundeliegende (hier: res) als Wovon der Aussage und als wesentlich d u r c h diese Beziehung zu einem Einzelnen bestimmt zu r e s t i t u i e r e n . Vielmehr erhält er gegen die Möglichkeit, aufgrund der referierten Überlegung Partikularität als ein Moment der Realität aus ihrem E r k a n n t werden zu begreifen, eine philosophische Interpretation des Realitätsbewußtseins in Geltung, der zufolge sich Erkenntnis auf eine unabhängig von ihr gegegene Dingwelt bezieht und g e rade das Einzelne vermittels der Wahrnehmung rein rezeptiv vorgestellt w i r d . [ l ] Diese Auffassung von E r k e n n t n i s , die eine bestimmte vorphilosophische Selbsteinschätzung des Bewußt seins, es sei ein bloßes Bild der Wirklichkeit, aufnimmt, könnte revolutioniert werden, wenn man der Reflexion auf die Verän d e r u n g , die der Wille und sein transzendentales Objekt als Ge1
S. z . B . Ver. I 2; I 86, 1; I 78, 3 . Sogar von den E r k e n n t n i s - und Willensakten, die weder wahrnehmbar noch aus aus Wahrnehmung schließbar sein sollen, sagt Thomas in einem Artikel, der zunächst die wechselseitige Subsumtion von Wahrem und Gutem aufgegriffen h a t t e , an einer anderen Stelle n u r gleichsam deskriptiv, sie seien partikulär (Malo 6 c a . , S.559 a oben, und S.560 a oben, sowie ad 18).
132 genstände des theoretischen Verstandes erfahren, einen solchen aufklärenden Stellenwert einräumte, wie Thomas ihn an der zi tierten Stelle seines Kommentars zu den Analytiken der Refle xion auf die logische Form des Grundes zubilligt. Ebenso wie das Verhältnis einzelner Gegenstand - allgemeines Prädikat werden auch andere zur Ausfüllung der Unterschei dung von naturhaftem und Gedankensein als Gegensätze fest gehalten, obwohl die Reflexion auf die Weise, in der sie gedacht werden, das in Frage stellt. So ist in der Prinzipientheorie der Gegensatz von Einfachheit und Zusammensetzung für die Funk tion wichtig, die den Relationen zugestanden wird, insofern Einfachheit als Unabhängigkeit von Beziehungen, die allemal Komplexität b e d e u t e n , gedacht wird. Zwar folgt Thomas dem aristotelischen Vorschlag, das Erkennen von Einfachem als ein bloßes Berühren zu v e r s t e h e n , das nicht mit einer Subjekt und Prädikat verknüpfenden Aussage, sondern n u r durch Sagen oder Bezeichnen ausgedrückt werden k a n n . [ l ] Immerhin ist schon in diesem Zusammenhang davon die Rede, daß der Ver s t a n d , wenn er sich ü b e r das Einfache i r r t , ihm etwas anderes und nicht seine Wesenbestimmung beilege; [2] also kann die Er kenntnis von Einfachem doch nicht anders als in einem Satz vollzogen gedacht werden. An anderen Stellen bestimmt Thomas aber - wiederum im Anschluß an Aristoteles - die Erkenntnis von Einfachem als seine negative Beziehung auf Zusammenge s e t z t e s : Der Punkt ist d a s , was keinen Teil h a t , die Einheit das Prinzip der Zahl. Damit ist zwar deutlich gemacht, daß Einfa ches nicht so gedacht werden k a n n , als sei es nach dem Modell von Materie und Form zusammengesetzt[ 3] - wenn man nicht in der Negation ein formales Moment sehen will - , aber doch klar der synthetische Charakter dieser Begriffe auch ohne expliziten Rekurs auf die Form des Satzes gezeigt. So kommt es schließ lich zu d e r Gegenüberstellung, daß das in sich Einfache n u r von der Erkenntnis aus früher erkannten Komplexen - wie 'Teil' und 'Zahl' - zusammengesetzt werde. [4] Daß dies so als eine Unvollkommenheit des Erkennens v e r s t a n den wird, resultiert aus dem Festhalten des Gegensatzes von Einfachheit und Zusammensetzung von der Seite der Einfachheit h e r : Wohl ist Komplexes aus Einfachen zusammengesetzt, diese einfachen Elemente aber stellen unabhängige Prinzipien d a r . Wenn Einfachheit d e r a r t ohne Reflexion auf Bedingungen ihres 1
Met. θ 10, 1051 b 22-28; v g l . Met. Δ 6, 1016 b 1ff; In 9 Met. 1. 1 1 , 1901-1906 2 Ebenda, 1901: "Cum autem non attingimus ad cognoscendum quod quid e s t , sed aliquid aliud ei a t t r i b u i t , tunc falsus est." 3 In 5 Met. 1. 7, 865; I 85, 8 4 Met. I 3 , 1054 a 26-29; In 10 Met. 1. 4, 1990f
133 Gedachtwerden bestimmt wird, ist ihre Denkbarkeit unproble matisch, weil im Vollzug unmittelbar realisiert. Sobald Thomas das Denken von Einfachem eigens thematisiert, t r i t t dessen n e gative Beziehung auf Zusammensetzung als Abhängigkeit von ihr und Komplexität h e r v o r . Damit zeigt die Reflexion das Gegenteil des von jenem e r s t e n Denken Intendierten - nämlich der Voraussetzungslosigkeit und Einfachheit - als seine Wahrheit. Eine solche Umkehrung des Sinnes hat schon Aristoteles an der Ana lyse relativer und negativer Prädikate in dem Fall bemerkt, daß das unmittelbar nicht gemeinte, sondern bloß mitzudenkende Moment der Relation oder Negation zu einem selbständigen Be d e u t u n g s t r ä g e r isoliert w i r d . [ l ] So kommt in den Ausdrücken 'die Hälfte ihres Doppelten' und 'dies ist nicht weiß' mit 'Dop peltes' und 'weiß' jeweils etwas notwendig zum Vorschein - d e r selbe Terminus, den Aristoteles auch für das Mitaussagen der Substanz in ihren Akzidenzen gebraucht - , das gerade nicht gemeint, sondern das Gegenteil des Gemeinten i s t . Aristoteles betont die Differenz von Gemeintem und darin bloß Vor schei nendem, um die Möglichkeit, etwas Relatives oder Negatives eindeutig zu meinen, gegen das sophistische Verfahren zu v e r teidigen, das allen Elementen eines analysierten Ausdrucks je für sich dieselbe unmittelbare Bedeutungsfunktion zuerkennt, so daß mit 'Hälfte' auch 'Doppeltes' und mit 'nicht weiß' ebenso sehr auch 'weiß' gemeint wäre. Wenn Aristoteles und noch e x pliziter Thomas das unmittelbare Meinen von Sachverhalten sei ner Bedeutungsanalyse und ihren Ergebnissen systematisch v o r o r d n e n , dann kann man das aus der Absicht v e r s t e h e n , eine Verwirrung des gemeinten Sinnes nach der Art des sophisti schen Verfahrens anzuschließen. Die Tatsache, daß Thomas die Abhebung des unmittelbaren Aus sprechens der Sachverhalte von seinen logischen Bedingungen meist ontologisch in die Gegenüberstellung 'ens naturae - ens rationis' faßt und damit schwierige Probleme aufwirft, legt die Frage n a h e , ob der sophistische Mißbrauch der Bedeutungsana lyse nicht auch anders v e r h i n d e r t werden k a n n . Dazu käme es lediglich darauf a n , den Status der Analyse als Reflexion hin reichend zu würdigen. Wenn sie im vorliegenden Fall die nega tive Abhängigkeit der Einfachheit von Komplexität deutlich macht, beseitigt sie den vorreflexiven Begriff von Einfachheit nicht, sondern sucht ihn als Resultat zu v e r s t e h e n . Damit die ser Zusammenhang nicht falsch eingeschätzt wird, muß in einer zweiten Reflexion die Angewiesenheit der ersten auf das v o r reflexive Verständnis von Einfachheit betont werden, das in i h r bloß relativiert oder - nach Hegels Ausdrucks weise [ 2] - zum Moment geworden i s t : Das Einfache, gerade so, wie es vorrefle xiv gemeint wird, ist komplex, weil es n u r vermittelst seiner 1 2
Soph.El. 3 1 , 181 b 25-34 Vgl. etwa Wissenschaft der Logik, B d . I , S.93ff
134 negativen Beziehung auf Zusammensetzung seine unmittelbare Bedeutung haben k a n n . Die intellektuelle Tätigkeit, einfaches Seiendes zu meinen, wird für das reflektierende Denken selber als Beziehen von Komplexität e r k e n n b a r , mit der Reflexion v e r ändert sich das gemeinte Einfache zu einem Bezogenen, also Komplexen. Wenn Thomas d a r a u s , daß das Einfache d u r c h Ne gation von Zusammensetzung gedacht wird, folgert, n u r für das Bewußtsein sei das Einfache gegenüber dem negierten und d e s halb vorausgesetzten Zusammengesetzten logisch s p ä t e r , ü b e r sieht e r , daß er bei diesem Urteil schon von einer Reflexion auf die intelligible Konstruktion von Einfachheit a u s g e h t , von einer Reflexion, die ihrerseits die unmittelbare Intention auf Einfaches thematisiert und begrifflich zu erklären v e r s u c h t , aber doch immer als zu vergegenwärtigenden Gedanken v o r a u s s e t z t . Tho mas löst diesen Zusammenhang von Explanandum und Explanans auf, so daß der bloße Gegensatz von Einfachem, das unmittelbar als Wirkliches gemeint wird, und seiner Beziehung auf Komple xität, wie die Reflexion auf den gedachten Sinn von Einfachheit sie entdeckt, ü b r i g bleibt. In der Beschränkung des philoso phischen Arguments auf die jeweiligen Resultate, sowohl des Meinens wie auch der Reflexion, in dieser Abstraktion von der Bezüglichkeit das vorgetragenen Gedankens selbst ist die a b s t r a k t e Entgegensetzung von primär einfachem Sein und primär komplexem Erkennen b e g r ü n d e t . Einzelheit und Einfachheit gehören zur Substantialität, sofern die Substanz ein letztes Zugrundeliegendes aller Bestimmungen und im Vergleich mit dem in einer akzidentellen Hinsicht b e trachteten Gegenstand einfach i s t . Würde man diese wesentli chen Bestimmungen der Substantialität relativieren, indem man die Einzelheit auf das subsumierende Urteilen und die Einfach heit auf das unmittelbare Meinen des Gegenstandes bezöge, dann wäre auch die Geltung der Substanz als Prinzip schlecht hin u n t e r Bedingungen und damit in Frage gestellt. Daß Thomas seine Ansätze zu Relativierungen teils nicht systematisch b e achtet, teils als bloß subjektive Erkenntnisweise depotenziert, kann also als Erhaltung der aristotelischen Prinzipienthese g e deutet werden.
4. Systematische Unterordnung reflexiver Aussagen: der aristo telische Wahrheitsbegriff Thomas begründet die bei ihm dominierende Tendenz, Ergebnis se wissenslogischer Reflexionen nicht korrigierend auf das Ver ständnis von Realität und i h r e r Erkenntnis zurückzubeziehen, sehr oft mit seiner bekannten These, das eigentümliche Objekt des menschlichen Erkennens sei das - je besondere - Wesen der materiellen Dinge, wie es durch Abstraktion von ihren sinnli-
135 chen Vorstellungen gewonnen werde. [1] Das heißt, sein Er kenntnisbegriff hält sich ausschließlich an das explizit Erkannte und rückt alle nichtgegenständlichen Implikationen und Bedin g u n g e n , die die philosophische Reflexion an d e r Gegenstands erkenntnis aufdeckt, außerhalb von deren Horizont. Diese Position wird besonders da in i h r e n Konsequenzen d e u t lich, wo sie auch die Selbsteinschätzung des natürlichen Be wußtseins in dem Verhältnis zu seinen Gegenständen aufnimmt. Vor allem wohl aus Gründen des technisch-pragmatischen Welt umgangs, von dem Thomas* theoretische Philosophie abstrahieren will, tendiert diese Reflexion des erfahrenden Erkennenes dazu, das vernünftige Bewußtsein für angewiesen auf gegebene Sach verhalte und deshalb für wesentlich abhängig von den gemein ten Gegenständen zu halten, auch wenn es sie d a n n , wenn es sich ihnen hinreichend anpaßt, bearbeitend v e r ä n d e r n k a n n . Durch die Konvergenz mit dieser Selbstbeurteilung der v o r p h i losophischen Vernunft erscheint der oft von Thomas skizzierte Wahrheitsbegriff plausibel, daß die Wahrheit d e r Erkenntnis sich nach deren Übereinstimmung mit den natürlichen Sachverhalten bestimmt oder an diesen ihren Maßstab findet. [2] Wie das Bild des Maßstabs als eine Replik auf Protagoras von Aristoteles g e braucht w i r d , [ 3 ] bestimmt auch er die Bedeutung dieses Be griffs von Wahrheit. Thomas selbst verweist in seinem Kommen t a r zu der zuletzt zitierten Stelle zurück auf die wahrheitstheo retische Passage des neunten Buchs der Metaphysik, nach der die wahre Meinung das sachlich Getrennte für getrennt und das in der Sache Verbundene für v e r b u n d e n hält. [4] Um die Frage nach dem Sinn dieses Wahrheitsbegriffs zu e r l ä u t e r n , fährt Ari stoteles hier mit einem Beispiel fort: "Du bist nämlich nicht bleich, weil wir wahr meinen, daß du bleich bist, sondern auf grund deines Bleichseins sagen wir die Wahrheit, wenn sie dies s a g e n . " [ 5 ] Damit ist die Wahrheitsfrage mit hinreichender Deut lichkeit auf bestimmte, oft auch kontingente Wahrheiten einge engt und die Analyse der allgemeinen Bedingungen wahrer Er kenntnis von ihr ausgeschlossen. 1
2 3 4 5
So lehnt er es z . B . a b , aus der Einsicht, daß alle Erkennt nis auf Erleuchtung durch die absolute Wahrheit b e r u h t , zu folgern, daß dieselbe Wahrheit und ihr Licht u r s p r ü n g l i c h erkannt werden (In Trin. I 3, o b . 1, c a . u . ad 1, Decker S.68, Z. 18-24, S.72, Z . l - S.73, Z.7; v g l . I 88, 3 u . ad 1). Ver. I 2; In 1 Perih. 1. 3 , 29; 1. 14, 179; 1. 15, 203 Met. I 1, 1053 a 30 - b 3; Thomas, In 10 Met. 1. 2, 19561959 Met. θ 10, 1051 b 1-9; Thomas, In 9 Met. 1. 11, 1896ff Vgl. auch I n t e r p r . 9, 18 b 36 - 19 a 1; Cat. 5, 4 b 8ff; Cat. 12, 14 b 10-22
136 Aristoteles systematisiert also nicht n u r die Möglichkeit wahrer Erkenntnis in einem Modell axiomatisch b e g r ü n d e t e r , beweisen der Wissenschaften, deren Verfahren er von dem problematisierenden Aufnehmen alltäglicher Meinungen durch die Dialektik a b g r e n z t , er thematisiert Wahrheit zugleich ausdrücklich im Ho rizont des Erfahrungsbewußtseins, d . h . so, wie das Prädikat 'wahr' in alltäglichen Reden verwandt wird. Im folgenden soll zunächst diese Bedeutungsanalyse bei Aristoteles im Verhältnis zu seinem Prinzipienbegriff charakterisiert werden. Daß dieser Ansatz selber eine reflektierende Zurechtlegung des gewöhnli chen Wahrheitsbewußtseins i s t , möchte ich dann ausführlicher im Zusammenhang mit dem Problem negativer Urteile bei Thomas zeigen, nachdem auch Aristoteles' Konzeption des Negativen wenigstens umriß haft skizziert i s t . An der Verwendung des Prädikats 'wahr' hebt Aristoteles zwei Aspekte h e r v o r , die in Thomas' Auffassung vom Urteil deutli cher auseinandertreten und zu erheblichen Schwierigkeiten füh r e n . Der eine von i h n e n , den die zitierte Stelle aus dem neun ten Metaphysikbuch formuliert, bringt an dem Bewußtsein, in dem man die Aussage eines Gesprächspartners wahr n e n n t , die selbstverständliche Begründung zur Geltung, deren Nachweis alle eventuellen weiteren begründenden Ausführungen im Ge spräch dienen, daß es sich nämlich in Wirklichkeit so v e r h a l t e , wie es das wahr genannte Urteil b e h a u p t e t . Keine Rechtferti gung eines gewöhnlichen Urteils als wahr gegenüber einem Op ponenten würde diesen selbstverständlichen Sinn von Wahrheit als Ergebnis i h r e r inhaltlichen Begründungen eigens formulie r e n , weil sie dasselbe Wahrheitsverständnis auch beim Opponen ten v o r a u s s e t z t . Da Aristoteles aber auf einen allgemeinen Be griff von Wahrheit reflektiert, v e r ä n d e r t auch seine Analyse des Wortgebrauchs schon das betrachtete Bewußtsein, indem sie nicht mehr bestimmte, wieder in neuen Urteilen auszusprechende Argumente als den Grund für die Bezeichnung einer Aussage als wahr berücksichtigt, sondern die in den Argumenten inten dierte und der Einsicht vermittelte Realität, wie sie auch die beurteilte Aussage selber meint. Erst die philosophische Analyse stellt also das Weißsein des Gegenstandes der Aussage ü b e r denselben Sachverhalt so abstrakt als ihren Grund g e g e n ü b e r , wenngleich nicht zu bestreiten i s t , daß sich die Argumente für je bestimmte Prädikationen von 'wahr' generell in diesem Vor v e r s t ä n d n i s von Wahrheit halten. Dem aus der Reflexion resultierenden abstrakten B e g r ü n d u n g s verhältnis entspricht auch Aristoteles' Darstellung des zweiten Aspekts der Wahrheitsaussagen, daß nämlich Wahrheit und Falschheit n u r dem urteilenden Verstand und nicht den Dingen angehören sollen. [1] Damit berücksichtigt die Sprachanalyse, 1
Met. E 4, 1027 b 25 - 1028 a 4; die Parallelstelle Met. 8, 1065 21-24, verdinglicht das Wahre sogar zu einem Zustand (pathos) am Verstand.
137 daß das Prädikat 'wahr' allein von der so beurteilten Rede als seinem Subjekt ausgesagt wird, nicht von dem mit ihr gemeinten Sachverhalt, wenn der auch als Grund i h r e r Wahrheit zu b e trachten i s t . Obwohl Aristoteles auch in diesem Kontext nicht ü b e r s i e h t , daß die Prädikate 'wahr' und 'falsch' die so beurteil te Aussage in i h r e r Beziehung auf die jeweils gemeinten Sach verhalte bestimmen, [ 1] kommt es ihm doch vorrangig auf den zweiten Aspekt a n , sofern u n t e r ihm die Prädikationen von Wahrheit und Falschheit als Aussagen ü b e r andere Aussagen - und damit als Reflexionen - von unmittelbaren Sachaussagen abgehoben werden können. Das Interesse daran gehört in den Zusammenhang der Differenzierung der Sinne von Sein, wird also wesentlich von der aristotelischen Prinzipientheorie b e stimmt. Zufolge seiner vereinheitlichenden Auffassung aller Ur teile überhaupt als Aussagen von Sein will nämlich Aristoteles das Sein als Inbegriff unmittelbarer Gegenstandsbestimmungen, wie es weiter in die Kategorien aufgeteilt werden k a n n , u n t e r anderem von dem Sein unterscheiden, mit dessen Prädikation man die Wahrheit der Sachaussage eines anderen auch a u s drücken kann ("So ist e s . " ) ; [ 2 ] die Frage nach der Beziehung von unmittelbarer Intention und der Reflexion auf sie wird also als Verhältnisbestimmung zweier Sinne von Sein behandelt. Es ist für die Einschätzung der Kategorienlehre und der mit dem Substanzbegriff v e r s u c h t e n Lösung des Prinzipienproblems von entscheidender Bedeutung, daß Aristoteles an der Stelle, an der er das Reden über Aussagen, dessen Abhängigkeit vom Selbstbewußtsein der Vernunft offenkundig i s t , gegenüber dem oft selbstvergessenen Reden über Sachen thematisiert, seine eigene Methode, Dinge so aufzufassen und zu analysieren, wie über sie gesprochen wird, und seinen Begriff des Begriffs (lo g o s ) , er sei die Einheit von Sache und E r k e n n t n i s , [ 3] gegen über seinem Interesse an eindeutiger Abgrenzung der Verwen dungsweisen von 'Sein' nicht zur Geltung b r i n g t . Offensichtlich von der Absicht bestimmt, u n t e r den beiden genannten Bedeu tungen eine erste zu ermitteln, weist Aristoteles nicht auf die Unablösbarkeit von Realität und sprachlichem Erkennen in dem Sinn hin, daß alle Erkenntnis oder jedes Urteil Auffassen von etwas Wirklichem als etwas sind und daß umgekehrt von einem reinem Sachverhalt ohne Rücksicht auf seine sprachlich-logische Strukturiertheit im voraus nicht geredet werden k a n n ; ein sol cher Ansatz würde zu einer entsprechenden Verweisung der beiden Sinne von Sein aufeinander, aber zu keiner eindeutigen Priorität führen. Ganz im Kontrast dazu qualifiziert Aristoteles - als entginge ihm an dieser Stelle der hier so genannte erste Aspekt der Wahr1 2 3
Met. E 4, 1027 b 18-23 Met. Δ 7, 1017 a 31-35 Met. Λ9, 1075 a 2f; v g l . An. 5, 430 a 19f
138 heitsaussage - den Grund für das Bestätigen der Wahrheit einer Aussage sogar als einen (bloßen) Zustand des Verstandes - nämlich sein subjektives Urteilen - , um es plausibel erschei nen zu lassen, daß das Sein im Sinn des "So ist e s " gegenüber dem "eigentlichen" Sein gegenstandsbestimmender Aussagen und seinen Prinzipien in d e r Untersuchung zurückgestellt werden k a n n . [ 1] Zugleich soll der Vorrang unmittelbarer Gegenstandsbestimmun gen daran e r k e n n b a r sein, daß das wahre oder falsche Ver knüpfen bzw. Trennen im Urteil sich immer auf gerade die i n haltlichen Bestimmungen beziehe, die nach den Kategorien ein teilbar seien, und deshalb neben ihnen keine weitere Seinsgat t u n g b e d e u t e . [2] Hier wird nicht n u r der Typ der unmittel baren Gegenstandsbestimmung schon im voraus zum Maßstab für die Einteilung des Seinsbegriffs gemacht, sondern die Nachord nung der Vernunft gegenüber ihren Gegenständen, die schon in der Rede von dem fürs Erste übergehbaren Zustand des Ver standes deutlich wird, erreicht damit auch eine mehr als dekla ratorische Dimension: Gleich wie bei der Unterscheidung von Nomen und Verbum nach ihren Funktionen im Satz in der Verweisung des finiten Verbum auf ein "Zugrundeliegendes" nicht primär seine Synthesisfunktion für das komplexe Ganze des Satzes gesehen wird, sondern vor allem die Bedürftigkeit und Unselbständigkeit eines Satzteils, der im Unterschied zum nominalen Subjekt n u r beziehungsweise auf andere gesagt werden k a n n , und wie es Aristoteles auch bei Synthesisfunktion des bloßen "ist" vor allem auf die Bedingung ankommt, daß man zu ihrem je konkreten Verständnis das im "ist" nicht konkret inhaltlich mitgesetzte, bestimmte zu Synthe tisierende erkennen m u ß , [ 3 ] so hebt er auch im Hinblick auf die Wahrheitsfunktion derselben verbalen Synthesis n u r ihre Angewiesenheit auf die jeweils gegenstandsbestimmenden Inhalte h e r v o r , die sie auf Subjekte bezieht. Aristoteles billigt der Re flexion, die jede Fürwahrerklärung einer Aussage darstellt, nicht mit philosophischen Konsequenzen zu, daß sie die Aussage in einem neuen und ihr dennoch nicht fremden, sondern wesent lichen Licht erscheinen läßt. Vielmehr gehört es zur Kategorien l e h r e , innerhalb d e r e r allein die Substanz ihre Prinzipienfunk tion gewinnt, daß 'wahr" und 'falsch", die Prädikate für Aus sagen, diesen gegenüber bloß nachträglich und unwesentlich bleiben.
1 2 3
Met. E 4, 1027 b 33ff Ebenda, 1027 b 31ff, 1028 a If I n t e r p r . 3 , 16 b 6f, 9f, 23ff; Met. Ζ 1, 1028 a 20-29; v g l . oben S.38-43, S.51f
139 5. Das Verhältnis des Negativen zum Affirmativen bei Aristote les: Teilhabe und Entgegensetzung Ganz ähnlich wie bei der Verhältnisbestimmung von Komplexität und Einfachheit deutet Thomas auch den Sinn negativer Aus sagen durch eine Gegenüberstellung von gegebener Realität und erkennendem Bewußtsein, weil er seinen eigenen Reflexionsgang nicht vollständig mitbedenkt, sondern n u r dessen Resultate fest hält. Auch hier arbeitet er Folgeprobleme der gegen die plato nische Dialektik gewandten Kategorienlehre des Aristoteles a u s . Indem dieselbe negative Prädikate nicht berücksichtigt, setzt sie ausdrücklich die beiden divergierenden Auffassungen vom Nega tiven v o r a u s , die man bei Aristoteles findet. Auf der einen Seite verfährt er mit dem Negativen gleich wie mit dem Relativen, d . h . er bringt gegenüber beiden Typen von Bestimmungen, die er als platonische Prinzipien v e r s t e h t , seinen Begriff vom Prinzip als einem unabhängigen Früheren zur Gel t u n g . Wenn zur Ermittlung des jeweiligen Prinzips und Prinzipiats nach diesem Kriterium n u r der positive Befund der sprachlichen Ausdrucksweise herangezogen wird, dann ist klar, daß alle Negationen einsinnig von dem Negierten, das für sich genommen affirmativ oder positiv i s t , abhängen, also logisch später sind. So ist Aristoteles' Unterscheidung zu v e r s t e h e n , zwar erkläre derselbe Begriff einen Sachverhalt ( z . B . Gesund heit) und sein Fehlen, aber nicht gleichermaßen, sondern v o r nehmlich beziehe er sich auf das Vorhandene . . . , denn von dem einen Extrem eines k o n t r ä r e n Gegensatzes gelte der Begriff an sich selbst; von dem anderen aber gewissermaßen zufällig (kata symbebekos - d . h . aus einem ihm äußerlichen G r u n d ) , weil er das Fehlen, in dem das Gegenteil b e s t e h t , durch Negation und Entfernen klarmache. [ 1] Wenn der Reflexion nicht wie bei Pla ton die Funktion zugebilligt wird, Negativität im Sinn von Andersheit als konstitutives Moment vernünftigen Bestimmens nachzuweisen, dann erscheinen positive Bestimmungen wie Ge sundheit oder Gerechtigkeit unabhängig von negativen Bezie hungen auf a n d e r e s , während man umgekehrt sie in Anspruch nehmen muß, wenn man ihr Gegenteil d u r c h Negation i h r e r d e n ken will. Für die F r a g e , wie Aristoteles eine zu der platonischen alterna tive Konzeption des Negativen entwickelt, kommt es bei der Nachordnung aller negativen Bestimmungen nach ihrem jeweili gen affirmativen Gegenteil als einem Prinzip für sie vor allem darauf a n , daß die von Platon analysierte S t r u k t u r logischer Verflechtung einseitig, d . h . n u r für negative Bestimmungen, beibehalten wird. Negative Prädikate sollen n u r abhängig und nicht auch umgekehrt Bedingungen für ihr affirmatives Gegen teil sein. Einen Grund dafür kann man darin sehen, daß Ari1
Met. θ 2, 1046 b 7-15
140 stoteles eine negative Aussage mit der unbestimmten Affirmation irgendeiner Bestimmung außer der verneinten gleichsetzt und deshalb die Bedeutung negativer Prädikate für unbegrenzt h ä l t [ l ] ; wie im zweiten Teil dieser Arbeit u n t e r s u c h t werden soll, schließt er das Unbegrenzte von jeglicher B e g r ü n d u n g s funktion a u s . Also faßt er entsprechend seinem Begriff vom Prinzip das Verhältnis eines Gegensatzpaares analog zu dem von Substanz und Akzidens: Das negative Extrem bezieht sich ein sinnig im Sinn einer Art Teilhabe auf das affirmative, das ihm etwas von seinem positiven Sein mitteilt. So wie Aristoteles sich d a r ü b e r a u s d r ü c k t , macht er k l a r , daß er dieses Moment der Beziehung des Negativen auf sein affirmatives Gegenteil, das ü b e r die formale Notwendigkeit, ein zu Negierendes v o r a u s z u setzen, hinausgeht, um der Möglichkeit willen annimmt, ü b e r Negatives wie 'das Nichtweiße' oder allgemein 'das Nichtseiende' zu sprechen; [2] darin ist noch das wesentliche Motiv des Ideen begriffs erhalten, wie er im Sophistes ganz klar formuliert wird. Denn der aristotelischen Analyse der verbalen Prädikation zu folge enthält jedes Verbum eine Seinsbestimmung und ein P a r tizip, so daß jedes Sprechen ü b e r Negatives von ihm a u s s a g t , so oder so zu sein. Die wissenstheoretische Reflexion kon s t r u i e r t also ganz in platonischer Weise eine Teilhabebeziehung des Negativen auf ein affirmatives Gegenteil, die ihm zwar kein Sein schlechthin, aber doch Nichtweißsein und Entsprechendes verleiht, damit es sich nicht in r e i n e r , a b s t r a k t e r Negativität allem Denken und Sprechen entzieht. Soweit Aristoteles eine solche Teilhabe des Nichtseienden am Sein a n d e u t e t , grenzt er sich noch mit Platon gegen die Voraussetzung des Parmenides a b , daß das Nichtsein das Gegenteil des Seins sei, woraus konsequent n u r gefolgert werden k a n n , das negationsfreie, also unterschiedslose reine Seiende sei die einzige Realität. Auf der anderen Seite zeigt sich aber die Ambivalenz des a r i stotelischen Begriffs vom Begründungsverhältnis - wie an der Verselbständigungstendenz der Akzidenzen, sobald sie n u r noch d u r c h Inhärenz auf die Substanz bezogen werden - [3] auch in einer Begünstigung des bloßen Gegensatzes zwischen dem Affir mativen als dem Prinzip und dem durch es e r s t möglichen Nega t i v e n . Die Plausibilität der a b s t r a k t e n Gegensätzlichkeit b e r u h t auf der angenommenen Einseitigkeit des Verhältnisses, das ent sprechend dem vorreflexiven Sprachgebrauch das Affirmative als Prinzip von jeder Abhängigkeit von dem durch es begründeten Negativen freisetzt. Nun wird aber nicht zugleich der Unter schied gemacht, daß diese relative Unabhängigkeit zwar für die affirmativen Bestimmungen besonderer unmittelbarer Gegenstän de gelten mag, mit der Reflexion auf das Begründungsverhältnis 1 2
Met. 9, 1066 10-17 Met. 2, 1003 b 5-10; Met. Δ 7, 1017 a 18f; Met. Ζ 4, 1030 a 21-27 3 Vgl, oben S.70-73
141 aber auch explizit relativiert wird, in dem Sinn nämlich, daß das Affirmative Prinzip n u r für ein Begründetes sein k a n n , also Moment einer symmetrischen intelligiblen Relation i s t . Weil diese Überlegung d e r Unabhängigkeit des Affirmativen nicht bewußt einschränkend entgegengesetzt wird, kann sich die Symmetrie des Begründungsverhältnisses als einer Relation ü b e r h a u p t d a r in auswirken, daß sie eine Loslösung des Negativen als des b e gründeten Extrems aus seiner Teilhabe am Affirmativen fördert, weil eine solche Verselbständigung der ganz abstrakt geworde nen Unabhängigkeit des anderen Extrems e n t s p r i c h t . Was als Vorbereitung auf eine abstrakte Entgegensetzung an den schon zitierten Texten auffällt, ist einmal, daß das Nicht weiße oder Nichtseiende als Subjekt, von dem ein Sein soll a u s gesagt werden können, und nicht selbst als Prädikat problematisiert wird, wenn auch die Lösung darauf b e r u h t , daß negative Bestimmungen allemal auf positive bezogen, und das kann auch heißen, als Eigenschaften positiven Subjekten zugesprochen werden. Soweit weniger dieses Argument als sein Ergebnis, die logische Möglichkeit negativer Subjekte, in den Vordergrund t r i t t , kann man darin eine Verselbständigung des Negativen in der Stellung des grammatischen Subjekts sehen, das auf keinen anderen Satzteil verweist. Deutlicher macht sich eine Tendenz, zur Prämisse des Parmenides zurückzukehren, in der überwie genden Verallgemeinerung der negativen Bestimmungen zu 'dem Nichtseienden' überhaupt bemerkbar, weil damit Piatons Relati vierung der scheinbar umfassenden Bestimmungen 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' - daß auch 'das Seiende' gegenüber anderen Bestimmungen eine andere ist und deshalb gerade wie andere Bestimmungen auch viel Nichtsein enthält und daß das Nichtsein oder die Andersheit auf alle Seienden gleichsam verteilt ist weil dieses Argument gegen die Trennung eines Bereichs des Seins von einem des Nichtseins dadurch tendenziell wieder auf gegeben wird. Die Bedeutung der Abstraktion von der besonderen Bestimmtheit des von jedem Negativen jeweils Negierten tritt nicht erst durch Systematisierungsversuche wie bei Thomas h e r v o r , sondern auch schon d a d u r c h , daß Aristoteles aus dem für ihn traditionellen Prinzipienbegriff das Motiv aufnimmt, die Realität habe Gegen sätzliches zu ihren Elementen. Denn wie er selbst von den P y thagoreern berichtet [1] und ebenso an Piatons Zusammenstel lung allgemeinster Bestimmungen (koina) im Theaitet abzulesen i s t , [2] lassen sich verschiedene solcher gegensätzlichen Prinzi pien in eine Reihe affirmativer und eine ihr gegenüberstehende Reihe negativer Bestimmungen ordnen (systoichiai) : Aristote les selbst bildet solche Reihen wie Eines - Vieles, Identisches - Verschiedenes, Ähnliches - Unähnliches, Gleiches - Unglei1 2
Met. A 5, 986 a 22-26; v g l . Met. Λ 7, 1072 a 30ff 185 c-d
142 c h e s . [ l ] Und angesichts einer so unveränderlichen S t r u k t u r vieler verschiedener Prinzipienvorschläge kann das Vernunft interesse an systematischer Einheit den Versuch motivieren, die vielen Gegensatzpaare auf eines zu r e d u z i e r e n , und da nennt Aristoteles neben Einheit und Vielheit auch Sein und Nicht sein. [2] Wenn er auch in diesem Kontext die Tauglichkeit von Sein und Nichtsein zu Prinzipien aller entgegengesetzten P r i n zipien nicht e r ö r t e r t , so hat er doch das Thema des Parmenides kritiklos wieder zur Diskussion gestellt. Daß diese Diskussion mit der aristotelischen Theorie, die S u b stanz sei das Prinzip, nicht ohne weiteres abgeschlossen i s t , stellt sich h e r a u s , wenn man Aristoteles' Bemerkungen über die unterschiedliche Verwendung von affirmativen Bestimmungen wie "ist gesund' oder 'verschieden' einerseits und negativen wie 'ist nicht gesund' und "nicht identisch' andererseits beachtet. [3] Affirmative Bestimmungen sollen nämlich ausschließlich von sol chem ausgesagt werden, das ein Seiendes und Eines i s t , nega tive oder - dieselben in i h r e r Bedeutungsfunktion für i r g e n d etwas anderes als das Negierte genommen - [4] unendliche da gegen sowohl von Seiendem wie von Nichtseiendem. Die logische Unterscheidung der beiden Bestimmungs- oder Prinzipienreihen, der an sich e r k e n n b a r e n , selbständigen positiven Bestimmungen und der negativen, von ihrem jeweiligen Gegenteil abhängigen Bestimmungen, beruht also auf der Abtrennung einer Sphäre der Nichtseienden von allen Seienden und Einen. Was mit den Nichtseienden gemeint sein k a n n , gibt eine andere Textstelle mit dem Beispiel eines Fabelwesens, des Bockhirschs ( t r a g e l a p h o s ) , zu e r k e n n e n . [5] Im Hinblick auf dieses Beispiel gewinnt die generelle Zuordnung einen klaren Sinn, nach der Seiendes und Nichtseiendes gleichermaßen Gegenstände der Meinung ( d o xaston) genannt werden können, von Nichtseiendem aber weder gesagt werden k a n n , daß es Seiendes, noch, daß es Wissens gegenstand (episteton) i s t , so d a ß , was Aristoteles nicht eigens hinzufügt, Wissen sich im Unterschied zur Meinung n u r auf Seiendes bezieht. [6] Die Differenz des Wissens zur Meinung wird hier nicht mit Kriterien, die d e r Erkenntnis weise angehö ren - also vor allem mit Bezug auf das wissenschaftliche Be g r ü n d u n g s v e r f a h r e n - bestimmt, sondern anhand des weiteren Objektbereichs der Meinung. Der zur Unterscheidung h e r a n g e zogene Gegensatz Seiendes - Nichtseiendes wird, da er selber etwas anderes erklären soll, als etwas Unproblematisches aufge1 2 3 4 5 6
Met. Γ 2, 1003 b 33-36, 1004 Met. Γ 2, 1004 b 27 - 1005 a I n t e r p r . 3 , 16 b 8-15; Met. mas noch I 17, 4 Vgl. Thomas, In 1 Perih. 1. An.post. 7, 92 b 5-8 Top. Δ 1, 121 a 20-26, b 1-4
a 16-22; Met. I 3, 1054 a 29-32 2 I 3, 1054 b 18-22; v g l . bei Tho 4, 48; 1. 5, 62
143 faßt: Was es wirklich gibt, d a r ü b e r kann man Vermutungen an stellen, man kann es aber auch wissen, d a r ü b e r hinaus bezie hen sich jedoch manche Meinungen auf solches, das es in Wirk lichkeit gar nicht gibt. Sie qualifizieren sich dadurch zu bloßen Meinungen, und deshalb kann das Nichtseiende wie im Fall des Bockhirschs als n u r Eingebildetes verdeutlicht werden. Zwar ist mit der eigentümlichen Stellung des Nichtseienden, so etwas wie einen Probierstein für den Unterschied der unendli chen Bestimmungen von den positiven und der Meinung von Wissen abzugeben, die Funktion des Negativen im aristotelischen Sinn keineswegs erschöpft - so nennt er zum Beispiel den Wi d e r s p r u c h d u r c h Verneinung den e r s t e n Gegensatz im Verhält nis zu Privation, Kontrarietät und R e l a t i o n a l ] womit die Ab hängigkeit aller Entgegensetzung von d e r Negation a n g e s p r o chen i s t . Aber die Aufteilung aller möglichen Urteilssubjekte in Seiende und Nichtseiende enthält doch zwei unmittelbare Hin weise darauf, daß sie die Funktion des Negativen für den Cha r a k t e r der Realität, i h r e r transzendentalen S t r u k t u r nach eine Mannigfaltigkeit zu sein, verdecken k a n n . Erstens hat das Aufgeben der platonischen Einsicht, daß Negativität so viel wie die unterscheidende Beziehung der Andersheit b e d e u t e t , sofort eine konkrete Konsequenz: Nach Aristoteles besagt die unendliche Bestimmung "Nichtidentität" nicht eine a n dere Bestimmung als "Identität", sondern ist gerade von der naheliegenden Auslegung, Verschiedenheit zu b e d e u t e n , min destens in formaler Hinsicht abzugrenzen, weil n u r Nichtident i t ä t , nicht aber die positive Bestimmung 'Verschiedenheit', auch von Nichtseienden ausgesagt werden k a n n . [2] Aristoteles b e streitet nicht das gängige S p r a c h v e r s t ä n d n i s , das auch Platon ohne Diskussion übernimmt, [ 3] daß Nichtidentität so viel wie Andersheit und NichtVerschiedenheit so viel wie Identität b e d e u t e n . Aber seine - aus platonischer Perspektive - parmenideische Vorstellung von unbezüglichen, weil als Urteilssubjekte gedachten Nichtseienden wirkt sich auf seine logische Erklärung dieses Sprachverständnisses so a u s , daß es Verschiedenheit und Identität nicht d u r c h die Negation, wie sie unmittelbar einen Widerspruch (antiphasis) bildet, sondern durch einen t r a n s z e n dentalen Gegensatz (antikeimenos) aufeinander beziehen soll, d e r seinem Typ nach und hinsichtlich seiner Abhängigkeit von der Negation unbestimmt bleibt. [4] An dieser Stelle macht also die 1 2 3 4
Met. I 4, 1055 a 38f; v g l . Met.θ 3, 1046 b 13ff Met. I 3 , 1054 b 18-21 Soph. 250 a - c , Parm. 146 b-c Wenn Thomas den Gegensatz von Identität und Verschieden heit als Kontrarietät interpretiert (In 10 Met. 1. 4, 2015), kann das zwar im Hinblick darauf als b e g r ü n d e t erscheinen, daß Aristoteles selbst den Gegensatz von Ungeschiedenheit
144 - wenn auch nicht ausschließliche - Zuordnung d e r Negation zu einer Sphäre des Nichtseins ihre konstitutive Funktion für die Entgegensetzung der Andersheit gegenüber der Identität unklar und läßt damit auch den Negationscharakter der t r a n s z e n d e n t a len Andersheit im Dunkeln. Hier wird gleichsam die Entwicklung von Parmenides zu Platon ihren beiden Seiten nach wieder ein Stück zurückgegangen: das Nichtsein büßt etwas von seiner Funktion ein, die es in der sprachlichen S t r u k t u r für vonein ander verschiedene Erkenntnisgegenstände überhaupt gewonnen hat, und erscheint zugleich allen Seienden im Ganzen entgegen gesetzt als ein Bereich von nichtseienden Subjekten. Zweitens wird diese Annäherung an Parmenides durch Anknüp fen an ein vorphilosophisches Verständnis von Nichtseiendem kompensiert, wie es die Hinweise auf ein bloß erdachtes Fabel wesen und bloße Meinungen darstellen, ein Vorgang, der den Realitätsbegriff der Aristoteleskommentatoren nicht unwesentlich bestimmt haben d ü r f t e . [1] Denn auf diese Weise wird allem, was ein Nichtseiendes genannt werden soll, die Sphäre des schon bekannten oder noch möglichen Erfahrbaren definierend e n t g e gengesetzt, wie man auch im alltäglichen Leben bloß Erdachtes mit der Bemerkung zu kennzeichnen s u c h t , so etwas gebe es nicht. Der vom platonischen abgesetzte Begriff des Nichtseien den benötigt also eine Konkretisierung seines Gegenteils, der Seienden im Ganzen, die e r , um der a b s t r a k t e n Entgegenset zung von Sein und Nichtsein im Sinn des Parmenides zu e n t gehen, n u r in dem vorphilosophischen Bewußtsein einer e r f a h r baren und deshalb nicht erdachten Realität finden k a n n . Darin liegt insofern eine Kompensation der Annäherung an Parmeni d e s , als das Aufnehmen des Erfahrungsbewußtseins den so der Sphäre der bloß ausgedachten Nichtseienden entgegengesetzten Seienden eine selbstverständliche Mannigfaltigkeit s i c h e r t , die Konsequenz des Parmenides also vermeiden hilft, daß die Reali tät oder das Seiende eine r e i n e , unterschiedslose Einheit sei. und Unterschiedensein (adihaireton - dihaireton) als Kontrarietät auffaßt (Met. I 3, 1054 a 20-27). Aber andererseits verlangt der aristotelische Begriff der Kontrarietät, daß die so Entgegengesetzten in ein und demselben Genus sind wie Ungeteiltes und Geteiltes im bloß quantitativen Sinn (Met. I 4, 1055 a 3-10). Deshalb können zwar Ungeschiedenheit und Unterschiedensein in dieser kategorial eingeschränkten Be deutung konträr entgegengesetzt sein, nicht aber Identität Verschiedenheit, die ausdrücklich auf alle Seienden schlecht hin bezogen, also transzendental v e r s t a n d e n sind. 1 Von Thomas' Entgegensetzung eines ens rationis gegenüber dem ens naturae war oben (S.122f) schon die Rede, bei Avicenna s. Log. I, f. 2 r b , Meta. I 5, van Riet S.35, Z.66ff, S.35, Z.84 - S.37, Z.97.
145 Allerdings enthält diese Rettung vor dem Eleatismus das Zurück fallen in einen von ihm schon überwundenen Standpunkt des Bewußtseins. Denn wenn man Parmenides mit Hilfe von Piatons Kritik an ihm v e r s t e h t , dann widerspricht seine These dem Be wußtsein von einer mannigfaltigen Realität gerade deswegen, weil es mit der selbstverständlichen Annahme von beliebig vielen Unterschieden den logischen Widerspruch begeht, Nichtseiendes, d . h . daß A nicht i s t , für seiend, d . h . für ein wesentliches Moment der Realität zu halten. Um ein Teil der Mannigfaltigkeit der Erfahrung sein zu können, muß A Nichtseiendes sein, näm lich nicht B, nicht e t c . , und ebensosehr muß dieses Verhält n i s , χ nicht zu sein, beliebig oft gelten oder sein. Parmenides klärt das vorphilosophische Bewußtsein ü b e r seine logische Un nahbarkeit auf, und bekanntlich hebt er zugleich den Status seiner Reflexion als Denken, das allein mit dem einen Sein iden tisch sei, von der gängigen Meinung a b , die Nichtseiendes für seiend hält, weil sie in der Wahrnehmung von räumlich und zeit lich vielfältigen Gegenständen befangen i s t . [ l ] Der methodische Standard, der mit der Revision des natürlichen Realitätsbewußt seins d u r c h die Reflexion auf seine, ihm selbst noch verborgene logische S t r u k t u r aufgestellt i s t , wird von Piatons Parmenideskritik gewahrt: [2] Einerseits reflektiert er noch einmal die sprachlich-logischen Bedingungen des Aussprechens der parmenideischen These, andererseits weist er darauf hin, daß Parme nides von der Bezüglichkeit abstrahiert h a t , die Sein und Nichtsein in der S t r u k t u r d e r Verschiedenheit enthalten, daß also Etwassein nicht Sein ü b e r h a u p t bedeutet und 'Nicht , e t c . zu sein' von Schlechthin nicht zu sein' zu unterscheiden i s t . In diesem historischen Kontext kann Aristoteles nicht a n d e r s charakterisiert werden, als daß er dem methodischen Stan dard der Prinzipiendiskussion nicht g e n ü g t , wenn er - neben seiner Unterscheidung bestimmter Sinne von 'Sein' - das auf seine logische S t r u k t u r noch nicht reflektierende - und deshalb von Parmenides der Widersprüchlichkeit überführbare - Bewußt sein von einer vielfältigen erfahrbaren Realität als ein b e g r e n zendes Gegenteil für das Bewußtsein bloßer Gedankengebilde, die aufgrund dieser Entgegensetzung als Nichtseiende zu quali fizieren sind, wieder in die Theorie einführt.
1 2
Fr. 1 (28ff), 3, 7. 8 (1-4)(34-42) Soph. 244 b - 245 d, 256 d - 257 a, 258 a - 259 b
146 6. Thomas' reflektierte Entgegensetzung von Negativem und Af firmativem: die Welt der Positivität und das bloß subjektive Sein des Nichtseienden a) Bestätigen und Behaupten negativer Sätze als Aussage von Sein Ähnlich wie im Fall des Substanz-Akzidenz-Schemas werden die systematischen Konsequenzen auch dieser Wendung, die der Re flexion ihr aufklärendes Moment wieder nimmt, von Aristoteles interpreten deutlicher als von ihm selbst expliziert. Zwar hat Thomas auch den noch partiell an Platon anknüpfenden Begriff des Negativen, daß es konstitutiv auf sein Gegenteil bezogen i s t , insbesondere u n t e r dem Titel der Privation weiterentwikk e l t . [ l ] Aber während darin n u r impliziert i s t , daß das Nega tive oder Nichtseiende zu einer nach vielfältigen Gesichtspunk ten gegliederten Realität gehört, also nicht ausschließlich ins Reiche der Phantasie und bloßen Meinung verwiesen werden k a n n , wird im Zusammenhang mit der alternativen Konzeption, nämlich Seiendes und Nichtseiendes zu t r e n n e n , das Nichtseien de ausdrücklich der Realität entzogen und dem bewußten Auf fassen von Wirklichkeit zugewiesen. Diese Entgegensetzung von Sein und Nichtsein wird in anderen Kontexten auch direkter als von Aristoteles ausgesprochen, so daß an der Restitution der Voraussetzung des Parmenides nicht zu zweifeln i s t . [2] Thomas schließt auch insoweit an den aristotelischen Lösungs v e r s u c h an, als er eine Vorstellung von dem, was mit einem Nichtseienden gemeint sein k ö n n t e , mit dem Beispiel der Schi märe vermitteln möchte, das allgemeinverständlich auf die Ab g r e n z u n g der Realität gegen die Phantasie hinweisen soll.[3] Diese Erklärung des Nichtseienden mit solchem, von dem man zwar gemeinhin schon einmal r e d e t , aber doch in der allgemei nen Überzeugung, dergleichen gebe es nicht, hat aber den Nachteil, daß es zunächst nicht in eine Beziehung zu negativen Urteilen zu bringen i s t , die zweifellos ein bestimmtes Nichtsein gerade so ausdrücken wie die affirmativen ein bestimmtes Sein. Wenn man von Sokrates s a g t , er sei nicht bleich oder er habe kein Geld, meint man damit eine Tatsache und kein Phantasie p r o d u k t . Die Verknüpfbarkeit eines solchen besonderen Nicht seins mit einem als seiend bewußten Subjekt im Urteil nimmt Aristoteles mit seinem Argument in Anspruch, das negative Be stimmungen mittelbar oder unmittelbar auf die Substanz, das wesentlich Seiende, bezieht und damit die Möglichkeit b e g r ü n 1
S. z . B . I 11, 2 ad 1. Im Kontext der Transzendentalientheo rie kommt Thomas dem platonischen Negationsbegriff wesent lich n ä h e r , v g l . unten Dritter Teil, Kap.6, 3. u . 5 . d - e . 2 Pot. VII 2 ad 9; c G II 25, 1019 3 In 1 Perih. 1. 4, 48; In 4 Met. 1. 3, 565
147 d e t , auch von ihnen 'ist'/'sind' auszusagen. [1] Wie Thomas' Kommentar zeigt, genügt ihm diese Argumentation nicht, viel mehr bringt er das Nichtseiende im Sinn eines negativen P r ä dikats zusätzlich mit d e r Disjunktion subjektiver Vorstellungen gegen die Realität in Zusammenhang: Negation und Privation sind n u r im Verstand. Damit baut er den aristotelischen Ansatz, Nichtseiendes mit Phantasieprodukten gleichzusetzen, weiter a u s , wenn er auch auf den mit der Phantasie gesetzten Aspekt der Beliebigkeit und Willkür verzichtet und n u r das bloße Ge dachtsein des Nichtseienden festhält. Es kann vielleicht dahingestellt bleiben, ob eine Verknüpfung anderen Typs von Seiendem und Nichtseiendem, auf die Aristo teles aufmerksam gemacht h a t , Thomas zu seiner Erweiterung des Begriffs von n u r Gedachtem bewog oder ob er jene a n d e r s artige Verknüpfung n u r als Denkmittel benutzt h a t , um eine Abgrenzung des Nichtseienden von der Realität plausibel zu machen. Jedenfalls beruft sich Thomas verschiedentlich auf die schon besprochene Unterscheidung desjenigen Sinnes von Sein, den man mit der Bestätigung einer Aussage, so sei e s , meint, von dem nach Kategorien aufgliederbaren Bestimmtsein von Ge g e n s t ä n d e n , das mit man Urteilen unmittelbar ü b e r diese Gegen stände a u s d r ü c k t . [2] Mit der Verwendung von Sein in dem Sinn einer Bestätigung im Dialog werden Sein und Nichtsein insofern v e r k n ü p f b a r , als man einerseits affirmative wie negative Behaup tungen gleichermaßen mit den Worten, so sei e s , für wahr e r klärt und andererseits auch beide b e s t r e i t e t , indem man s a g t , so sei es nicht. [3] Daß Aristoteles mit diesen Aussagen von Sein die Beurteilung einer Äußerung des Sprechers A d u r c h seinen Gesprächspartner meint, kann man daran e r k e n n e n , daß 'Nichtsein' in dieser Verwendungsweise die Falschheit eines Urteils bedeuten soll, eine Einschätzung, die n u r ein anderer - oder der Sprecher selbst, wenn er sich in einer neuen Über legung korrigiert - , keineswegs aber der Sprecher in seiner Aussage selbst mit dem Urteil vornehmen k a n n . [4] Sowohl mit der Bestätigung negativer Urteile wie beim Bestreiten affirmati ver werden also Sein und Nichtsein v e r b u n d e n , aber Thomas interessiert sich n u r für den Aussagetyp, mit einem Nichtsei enden, also einem negativen Sachverhalt wie, daß Sokrates nicht bleich i s t , verhalte es sich so wie b e h a u p t e t . Denn wie schon Aristoteles ist auch ihm nicht an einer Erklärung gele g e n , auf welche Weise Seiendes durch Nichtseiendes vermittelt sein k ö n n t e , sondern n u r d a r a n , wie das dem Seienden e n t g e gengesetzte Nichtseiende dennoch das Moment an Sein haben k a n n , das man in negativen Urteilen und in Aussagen ü b e r Ne1 Met. 2, 1003 b 5-10; v g l . Thomas, In 4 Met. 1. 1, 539f 2 Pot. VII 2 ad 1 3 Met. Δ 7, 1017 31-35; v g l . Met. Ε 4, 1027 b 18-23 4 Vgl. dazu unten S.341f
148 gatives - wie: Kein Geld zu haben, ist dem Sokrates gleichgül tig - v o r a u s s e t z t . Thomas' Antwort, die ihm seine Einbeziehung des Seinssinnes 'Wahrsein' in die Frage nach dem Sein des Nichtseienden ermög licht, ist von Aristoteles' Charakterisierung v o r b e r e i t e t , die Verwendung von 'seiend' im Sinn von 'wahr' beziehe sich nicht auf Gegenstände oder Tatsachen, sondern auf die verknüpfende Tätigkeit des Verstandes in Urteilen, wenn auch Aristoteles selbst das nicht mit dem Problem des Nichtseienden in Zusam menhang b r i n g t . [1] Was Aristoteles meint - und worauf z u r ü c k zukommen ist - , kann man aus d e r angenommenen Dialogsitua tion v e r s t e h e n , daß nämlich jedes Bestätigen wie Bestreiten eine Aussage des anderen zum unmittelbaren Gegenstand h a t , also ein Urteil über ein anderes Urteil und nicht über einen unmit telbaren Sachverhalt i s t . Thomas resümiert diese Analyse für das Problem des Negativen so: Weil der Satz, etwas sei blind, wahr i s t , ist die Blindheit - also das bloße Fehlen einer positi ven Eigenschaft - in dem Sinn von Sein, mit dem man die Wahr heit von Aussagen bezeichnet. [ 2] Während aber die Bestätigung einer Aussage, sie sei wahr, nicht n u r eine intentionale Einheit mit der so beurteilten Aussage realisiert, sondern auch diese Aussage und sich selbst mit dem, wie es sich v e r h ä l t , zusam menschließt, hält Thomas bei d e r Negation einen Gegensatz auf r e c h t : Der Verstand betrachte etwas, das in sich ein Nichtseiendes s e i , als ein Seiendes. Thomas' Äußerungen zu seiner d e r a r t angesetzten Konzeption des Negativen sind durchweg n u r knappe Bemerkungen, obwohl sie mit unterschiedlichen Akzentsetzungen die Komplexität eines Begriffs vom Nichtseienden anzeigen, der die Problementwick lung von Parmenides zu Platon ignoriert. Zunächst ist die An nahme, erst in der Beurteilung durch einen Dialogpartner e r scheine eine negative Aussage als wahr, anhand von Thomas' Begriff d e r Behauptung zu korrigieren. Danach enthält auch schon das unmittelbare Urteil über einen Gegenstand, d e r sel ber kein Urteil i s t , eine Einschätzung seiner selbst als wahr, die in dem 'ist' d e r Kopula mit ausgedrückt w i r d . [ 3 ] Deshalb 1 2 3
Met. E 4, 1027 b 25-31 In 5 Met. 1. 9, 896 3 S 6 II 2; In 6 Met. 1. 4, 1235f; I 16,2 - v g l . oben S.27f, unten S.335-338. Angesichts d e r genannten Texte scheint mir Wilperts Versuch, von d e r Intention des Urteils auf eine Tat sache die Zustimmung zu demselben Urteil als einen zweiten Schritt zu t r e n n e n , nicht haltbar zu sein; s . Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von A quin, S.50ff. Die von Wilpert angeführte Stelle Ver. XI 3 ad 6 besagt n u r , daß die Wahrheit von Sätzen nicht davon a b h ä n g t , daß sie von bestimmten Lernenden gewußt werden. Das heißt aber nicht, daß Sätze in der Form der Aussage gedacht werden können, ohne daß man sie auch für wahr hält, ihnen also zustimmt.
149 impliziert jede Verknüpfung von Bestimmung und Bestimmtem in einem Urteil schon ein Moment von Sein in dem Sinn, daß das mit dem ganzen Urteil Gemeinte wahr i s t . [ l ] Weil dieses Sein durch die Kopula vom Satzsubjekt ausgesagt wird, kann man dieses auch dann ein Seiendes nennen, wenn es - wie das Wort positive Bestimmung eines Gegenstands 'Blindheit' - keine i s t . [2] Und weil das Bewußtsein der eigenen Wahrheit, das einen Satz erst zu einer Behauptung macht, die ausgesagte Be stimmung, wie Thomas h e r v o r h e b t , als je meine subjektive Vor stellung mit dem - im Satzsubjekt ausgedrückten - vorgestellten Gegenstand vergleicht, kann auch eine andere Formulierung in den wahrheitstheoretischen Begriff vom Sein des Negativen i n t e griert werden, Thomas' Ausdrucksweise an anderen Stellen näm lich, daß das Nichtseiende, sobald über es geurteilt wird, not wendig schon ein Sein h a t , insofern es dazu nämlich vom Ver stand aufgefaßt sein m u ß . [ 3 ] Welche Schwierigkeiten aber diese Weiterentwicklung des aristo telischen Ansatzes enthält, läßt sich anhand der noch weiter gehenden Formulierung zeigen, das Nichtseiende habe in sich keinen Grund für sein Erkanntwerden, sondern erkannt werde e s , insofern der Verstand es erkennbar mache. [4] Komplemen tär dazu sind die Äußerungen zu v e r s t e h e n , die Negation g e höre allein dem Verstand an, weil ein Gegenstand der natürli chen Wirklichkeit n u r positiv bezeichnet werden könne, der Ver stand aber das im Sinn dieser Wirklichkeit nicht Seiende doch wie Seiendes behandle, wenn er über es u r t e i l e . [5] Mit d e r Rede von Erkenntnis überhaupt von Negativem wird zunächst fraglich, ob Thomas durchgängig an der Begründung des Seins c h a r a k t e r s von Negativem insbesondere durch die Reflexion des Bewußtseins auf seine Urteile festhält, welche Reflexion - also das Beurteilen von Sätzen - dem Bestätigen fremder Aussagen im aristotelischen Sinn und der Wahrheitsbehauptung beim Ur1 2
2 S 37 I 2 ad 3; v g l . 2 S 34 I 1 Ente 1, Roland-Gosselin, S.2 Z . 8 - S . 3 , Z.7. An dieser Stelle bleibt Thomas jedoch noch so weit der aristotelischen Unterscheidung von Bestätigen d u r c h 'So ist es' und Bestrei ten durch 'So ist es nicht' verhaftet, daß er die Mitteilung des Seinscharakters an d a s , worüber man s p r i c h t , auf die affirmativen Sätze b e s c h r ä n k t . 3 1 S 19 V 1 ad 5; 1 S 38 I 4; Ver. I 1 ad 7. Thomas beruft sich allerdings in diesem Kontext auf Avicenna, Meta. I 5, van Riet, S.36, Z.84 - S.37, Z.94, der das Aufgefaßtsein nicht als Moment des Bewußtseins von Wahrheit e r k l ä r t . Ließe man es bei diesem ausdrücklichen literarhistorischen Bezug bewenden, dann bliebe die sachliche Kontinuität mit dem aristotelischen Wahrheitsbegriff im Unklaren. 4 I 16, 3 ad 2 5 Ver. XXI 1; I 17, 4; In 4 Met. 1. 1, 540
150 teilen, wie Thomas sie erläutert h a t , gemeinsam i s t . Und wenn nicht sicher i s t , daß Thomas mit dem Verstandessein (ens r a tionis) von Nichtseiendem eine Veränderung meint, die die Re flexion auf ein negatives Urteil mit diesem vornimmt, indem sie es als Aussage des Sachverhalts A (daß Sokrates nicht bleich ist) - als sei der etwas Positives - auffaßt, wenn also vielleicht nicht die Reflexion des Urteilens die Instanz sein soll, die Nichtseiendes mit Sein v e r k n ü p f t , sondern der Verstand ü b e r haupt alles real nicht Seiende d u r c h sein bloßes Auffassen zu einem Seienden machen soll, wie ist dann überhaupt noch ein Bewußtsein von Negativem möglich? Und was heißt e s , d e r Ver stand betrachte Nichtseiendes wie etwas Seiendes, wenn "das Nichtseiende" oder weniger a b s t r a k t e negative Ausdrücke wie 'Blindheit' gar keine realen Bestimmungen sind, zu deren realer Negativität der Verstand auch noch ein "ganz schwaches Sein", das Aufgefaßtsein nämlich, hinzufügen könnte? Es fällt nicht schwer, in der verwirrenden Suche, ob das Nichtsein nun der' Realität oder n u r dem Verstand oder b e i den - und dann in welchem Sinn? - angehört, das Bild des Parmenides von den Hin- und Her-Schwankenden bestätigt zu s e h e n , die insofern unentschieden sind, als sie sowohl Sein und Nichtsein - mit negativen Urteilen - in eins setzen als auch sei ne Voraussetzung teilen wollen, daß Sein und Nichtsein nicht dasselbe, sondern ganz unverknüpfbar s i n d . [ l ] Diesen Wider s p r u c h , Sein und Nichtsein als a b s t r a k t e Gedankenbestimmungen einander entgegenzusetzen und doch die konkrete Negativität der vielfältigen Erfahrung als wirklich anzuerkennen, hat Tho mas von Aristoteles übernommen. Aber die Eigentümlichkeit von Thomas' verschiedenen Überlegungen zum rationalen Sein des Negativen, daß sich das Nichtseiende dem interpretierenden Nachvollzug immer wieder gleichsam entzieht, fordert eine b e sondere Erklärung h e r a u s . b) Das Problem negativer Tatsachen und die Umkehrung der erkenntnistheoretischen Perspektive: Ansatz bei der Reflexivität des Urteilens Die Reflexion auf negative Urteile ist noch mehr als die auf die Bedingungen des Fragens geeignet, die Selbsteinschätzung des natürlichen Bewußtseins zu e r s c h ü t t e r n , also die Meinung, das Erkennen bilde n u r das in der Realität Gegebene a b . Als Selbst beurteilung der Subjektivität ist diese Meinung selber schon ein Reflektieren, wie sie als Bewußtsein der Wahrheit eines Urteils auch von Thomas wörtlich bezeichnet wird. [2] Die reflektierte Behauptung eines eigenen negativen Urteils oder die Bestäti gung eines fremden enthält nun beides, sowohl die intendierte 1 2
Fr. 6 In 6 Met. 1. 4, 1236
151 Negation (Sokrates ist nicht bleich) wie auch das Bewußtsein, daß dies ein sprachlich auszudrückender oder von einem andern schon ausgesprochener Sachverhalt i s t , auf den man sich wie auf etwas Positives urteilend beziehen, d . h . ihn wahr oder falsch nennen k a n n . Soll nun an diesem alltäglichen Reflektieren auf negative Sachverhalte die philosophische These bewährt wer d e n , die Erkenntnis verhalte sich rezeptiv zur Realität und sei dadurch wahr, dann befinden sich die Vertreter diese These in der Verlegenheit, daß gemäß der unmittelbaren Intention des negativen Urteils ein negativer Sachverhalt, obwohl er durchaus als wahr zugestanden werden mag, in der Wirklichkeit nicht als eine Verbindung oder Konfiguration von Gegenständen [ 1] g e g e ben sein k a n n : Daß Sokrates nicht bleich i s t , kommt, auch wenn es wahr i s t , in der e r f a h r b a r e n , wahrnehmbaren Wirklich keit nicht so v o r , wie, daß er einen Mantel a n h a t . Diese Ent deckung macht e r s t die philosophische Reflexion, weshalb auch Thomas s a g t , n u r positive Ausdrücke bezeichneten etwas in der natürlichen Welt. Die alltägliche Überprüfung von Meinungen hält sich, dem logischen Problem gegenüber gleichgültig, an Erfahrungen, die die Negation bestätigen, indem sie das Negier te ausschließen, so etwa, daß Sokrates, statt bleich zu sein, eine gesunde Farbe h a t . Die selbstverständliche Meinung des natürlichen Wahrheitsbewußt seins, daß negative Urteile ebenso auf Tatsachen, also gegebe nen oder bestehenden Sachverhalten, [ 2] beruhen wie affirma t i v e , ist schon für die aristotelische Frage v e r g a n g e n , die das Nichtseiende durch eine Art Teilhabe am Sein als legitimen sprachlichen Ausdruck zu sichern s u c h t e . Wenn Thomas neben der Übernahme solcher Versuche auch die Unmöglichkeit erwägt, negativen Sachverhalten in der Theorie ein Wahrheit b e g r ü n d e n des Gegebensein in der Wirklichkeit zuzuerkennen, dann läßt diese Überlegung eigentlich n u r zwei Konsequenzen zu: Ent weder alle negativen Sätze für sinnlos zu e r k l ä r e n , damit eine gegebene Welt als Maßstab für die Wahrheit der affirmativen Sätze erhalten werden k a n n , oder das Verhältnis des reflexiven Erkennens zu seinen Gegenständen neu zu begreifen, wobei von d e r Verknüpfung eines intendierten negativen Sachverhalts mit dem Bewußtsein dieser Intention als etwas Positivem auszugehen wäre. Thomas nennt diese Alternative nicht, aber seine verschieden akzentuierten Lösungsversuche können so i n t e r p r e t i e r t werden, daß er immer wieder v e r s u c h t , d e r Alternative zu e n t g e h e n . So ist er sich durchaus ü b e r den Doppelcharakter des Urteils im Klaren, allemal, auch im Fall der Negation, eine Verknüpfung 1
Wittgenstein, T r a c t a t u s , 2 . 0 1 , 2.0271ff, 2.13ff, 2.15f; v g l . bei Thomas In 9 Met. 1. 1 1 , 1896, 1898f - anders jedoch In 6 Met. 1. 4, 1241 2 Ebenda, 2
152 von Bestimmung und Bestimmten zu einer logischen Einheit zu sein, auch dann also, wenn gerade kein Zusammenhang - wie von 'Sokrates' und 'Bleichsein' - , sondern deren Getrenntsein gemeint i s t . [ l ] Hier ist vom Reflektieren des Wahrheitsbewußt sein, das beide Momente enthält, nicht die Rede, aber Reflexion wird in Anspruch genommen, weil n u r i h r , nicht schon dem einen Sachverhalt intendierenden Vollzug des Urteils, das Ur teilen - wie ein Gegenstand - als verknüpfende und beziehende Tätigkeit erscheint. Thomas kommt es auch gerade nicht auf die philosophische Bedeutung seiner Überlegung a n , daß das n e g a tive Urteil eine Einheit von Trennen und Vereinigen realisiert, sondern auf eine systematische Entschärfung des darin e n t h a l t e nen kritischen Potentials durch eine Hinsichtentrennung, die die Abbildungsfunktion als das Verhältnis d e r Erkenntnis zur Reali tät bewahrt: [2] An sich selbst b e t r a c h t e t , ist der urteilende Verstand immer ein Verknüpfen, aber mit Bezug auf seinen Ge genstand verbindet er n u r als Affirmation und trennt als Nega tion. Daß aber vermittelst negativer Urteile ein Verschiedensein oder Getrenntsein von Dingen, wie der negative Sachverhalt umschrieben wird, im Sinn eines Abbildens erkannt wird - als gäbe es eine objektiv vorhandene Trennung des Sokrates an einem und des Bleichseins an einem anderen Ort - , das kann ein Autor nicht für möglich halten, der n u r noch positiven Ausdrücken eine unmittelbare Referenz auf Wirkliches zuge s t e h t . Daß aber im Begriff negativer Urteile eine solche Schwie rigkeit für die Auffasung vom Erkennen als einem Abbilden liegt, das wird im Interesse dieser Auffassung ü b e r g a n g e n . Dieselbe Auffassung, die ebenso wie der Substanzbegriff noch aus der aristotelischen Wissenstheorie verständlich gemacht wer den soll, steht auch einer Entwicklung des Reflexionsbegriffs zum Ausgangspunkt einer Konzeption von Negativität entgegen. Wenn man nämlich so v o r g i n g e , müßte auch die Auffassung vom Positiven oder Affirmativen revidiert werden, dessen Erkenntnis die Theorie andernfalls trotz d e r Schwierigkeiten mit dem Nega tiven weiterhin als rezeptives Abbilden fassen k a n n , wie es Tho mas und Wittgenstein bei allen Differenzen im einzelnen gleicher maßen t u n . Eine Skizze der unmittelbaren Folgen, die von einem Ansatz bei der Reflexivität der Erkenntnis zu erwarten s i n d, kann den Abstand zu Thomas' faktischer Betrachtungsweise d e monstrieren und damit auch die Zumutung, die eine Analyse des Reflektierens auf Negatives für ihn bedeuten würde. 1. Die Reflexion auf ein Urteil nimmt e s , wie Thomas am Wahr heitsbewußtsein zeigt, zunächst als eine logische Einheit, die einen Sachverhalt bezeichnet. Erst wenn sich im Dialog h e r ausstellt, daß der Dissens ü b e r die Wahrheit eines Urteils 1 2
In 1 Perih. 1. 3 , 26; v g l . In Met. 1. 4, 1229 " . . . cum conceptiones intellectus sint similitudines . . . " , In 1 Perih. 1. 3, 26
rerum
153 aus einem unterschiedlichen Verständnis des Gemeinten h e r r ü h r t , r e k u r r i e r t man auch auf die Bedeutung, die die Ge s p r ä c h s p a r t n e r jeweils den einzelnen Bestimmungen des Sat zes geben, aber auch dies in der Absicht, über den ganzen Satz und die Legitimität seines Wahrheitsanspruchs zu einem Einverständnis zu kommen. Daß man n u r mit einem Ausgehen vom Satz im Ganzen insbesondere dem Problem des Negativen näherkommen k a n n , zeigen auch Thomas' Beispiele, die Sätze wie 'Sokrates ist nicht bleich' und '(Ein gewisser) Mensch ist blind' aufgreifen. Der Ansatz bei der Reflexion läßt also Tho mas' Grundatz nicht zu, daß die Erkenntnis der einfachen Bedeutungseinheiten, also von Subjekt und Prädikat, dem urteilenden Erkennen v o r a u s g e h e . [ 1] 2. Von der reflektierten Erkenntnis wird deshalb ausgegangen, weil die Abbildtheorie der Erkenntnis für negative Urteile keine in der Realität gegebenen negativen Sachverhalte als das jeweils Abzubildende voraussetzen k a n n . Der alternative Ansatz muß deshalb gleichsam die Richtung des Erklärens umkehren, also statt zu sagen, was ein - affirmatives oder negatives - Urteil bedeutet, bestimmt sich von einem in der Welt bestehenden Sachverhalt h e r , den es abbildet, lautet seine - zuerst am Negativen zu bewährende - Hypothese, was eine Tatsache i s t , das bestimme sich von unserem u n hintergehbaren Verstehen dessen h e r , was immer jemand mit dem behauptenden Aussprechen eines Urteils meint. Auf die ses Meinen, zu dem u n t r e n n b a r subjektives Dafürhalten und die beanspruchte Wirklichkeit gehören, beziehen sich alle Erwiderungen im Dialog und das Nachdenken über eigene Erkenntnisse. Wie Thomas' Begriff der logischen Synthesis in allen Urteilen umfaßt das Meinen von Tatsachen affirmative und negative Behauptungen, n u r mit der Differenz zu Tho mas, daß nicht davon abgesehen werden soll, daß in den Urteilen Wirklichkeit zur Sprache kommt. Ein konsequentes Ausgehen von der reflektierten Erkenntnis in Urteilen würde also Thomas nötigen, von einem Abbildverhältnis nicht n u r der Satzteile zu Gegenständen, sondern auch der ganzen Sätze zu dem jeweils so oder anders bestimmten Sein dieser Gegenstände nicht mehr zu s p r e c h e n , [2] weil diese Betrach tungsweise den Anschein erweckt, als verfüge man unabhän gig von der sprachlichen Form des Urteils schon über eine Kenntnis der Tatsachen an ihnen selbst und könne deshalb mit Bezug auf sie sagen, was ein Urteil i s t . 3 . Das Behaupten eigener und das Bestätigen fremder Aussagen ist n u r auf dem Hintergrund der Möglichkeit sinnvoll, daß man prinzipiell auch das Gegenteil des Geäußerten sagen 1 2
In 1 A n . po s t . 1. 2, 14; I 85, 5; In T r i n . VI 2, S.215, Z.16-19 In 1 Perih. 2, 19f; 1 S 19 V 1
Decker
154 k a n n , d . h . daß ich grundsätzlich mit Widerspruch im Dialog und auch eigenen korrigierenden Überlegungen zu rechnen habe; die Bestätigung bedeutet den ausdrücklichen Aus schluß des Widerspruchs, wie ihn ein Opponent mit dem a r i stotelischen 'So ist es nich' formulieren k ö n n t e . Für die philosophische Reflexion auf das selbstbewußte und deshalb behauptende Erkennen wird auf diese Weise logisch k l a r , was sich das empirische Erkennen n u r bewußt macht, wenn es in einer bestimmten Angelegenheit Einwände in Betracht zieht, daß das Behaupten, das mit jedem Urteil v e r b u n d e n i s t , die ses Urteil gegen sein kontradiktorisches Gegenteil a b g r e n z t . Zu den impliziten, d . h . erst von einer weiteren Reflexion aufdeckbaren Bedingungen des Behauptens - also des wirk lichen Aussprechens - eines affirmativen Urteils gehört also die logische Möglichkeit des entsprechenden negativen und umgekehrt, ohne daß eine Prinzipienfunktion der Affirmation, wie Aristoteles und Thomas sie v e r t r e t e n , sich dabei h e r a u s s t e l l t e .[ 1 ] Dieser Möglichkeit eines Widerspruchs als dem bedingenden Horizont, in dem eine Behauptung sich allein abgrenzen k a n n , entspricht eine Offenheit der logischen Beziehungen in einem Satz, die sich der philosophischen Reflexion als nicht auf einen primären Sinn reduzierbar zeigen. Um die Priorität der affirmativen Erkenntnis vor der negativen zu e r k l ä r e n , argumentiert Thomas, weil n u r getrennt werden könne, was schon verknüpft worden sei, gehe dem trennenden Sinn eines Urteils die verbindende Intention v o r a u s , also auch die af firmative der negativen Form. [2] Indem er das aber a u s s p r i c h t , fordert er die weiter gehende Reflexion h e r a u s , daß er zugleich mit d e r Qualifikation des affirmativen Urteils als einer Zusammensetzung - wie es dem Urteilenden nicht u n mittelbar gegenwärtig ist - die Aufmerksamkeit auf die Ver schiedenheit gelenkt h a t , die die Bestimmungen eines affirma tiven Urteils gegeneinander haben müssen, also auf eine v o r gängige Negativität, die erst der Rede von Zusammensetzung einen Sinn gibt. Ebenso kann man umgekehrt seine Bemer k u n g , daß jedes Urteil seiner logischen Form nach - was immer sein gemeinter Sinn sein mag - eine Synthesis i s t , auf die negativen Urteile mit der Konsequenz beziehen, daß auch sie die jeweils gemeinte Nichtidentität - wie etwa von 'So k r a t e s ' und 'Bleichsein' - n u r aufgrund der eine Identität setzenden logischen Verknüpfung ausdrücken können: Dem Sokrates kommt es zu, nicht bleich zu sein. 1
Tugendhats Untersuchung des veritativen Seins bei Aristo teles faßt diesen und einige der zuvor geäußerten Gedanken sprachanalytisch p r ä z i s e r , ohne der Inspiration durch die Schwierigkeiten zu bedürfen, die bei Aristoteleskommenta toren wie Thomas auftreten, s . Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, S.60-69. 2 In 1 Perih. 1. 8, 90
155 Wie Thomas die Bemerkung des aristotelischen T e x t e s , Fal sches und Wahres seien nicht in den Dingen, sondern im Verstand, zum Anlaß für eine Erläuterung der Reflexivität des Urteilens nimmt,[1] veranlaßt ihn auch die andere Ver sion desselben Gedankens, Verknüpfung und Unterscheidung seien im Verstand und nicht in den Sachen, zu einer Be t r a c h t u n g ü b e r die Differenz des Urteils zu gegenständlichen Verhältnissen. [ 2] Was die Objekte a n g e h t , so ist n u r von i h r e r Zusammensetzung die Rede: Aus ihr entstehe eine Sa che, die der Verstand als Einheit in einfachen Vorstellun gen - also nicht mit einem Satz - auffasse. Das Verknüpfen und Scheiden a b e r , mit dem der Verstand seine Bestimmun gen verbinde und t r e n n e , gehöre n u r ihm und nicht den Dingen a n . Denn es bestehe in einem A neinanderhalten (comparatio) zweier Bestimmungen unabhängig davon, ob sie in der Sache dasselbe oder Verschiedenes bedeuten; so g e b r a u che der Verstand zuweilen ein und dasselbe wie zweierlei, wenn er eine Synthesis wie 'Ein Mensch ist ein Mensch' bil d e . - Mit diesem Begriff des Aneinanderhaltens oder Aufeinanderbeziehens für affirmatives wie negatives Urteilen gleichermaßen v e r s t e h t Thomas den Satz als eine Sinneinheit, die die Nichtidentität i h r e r Momente unmittelbar in sich e n t hält, als ein Verbinden, das das zu Verbindende in seiner vorgängigen Getrenntheit nicht empirisch auffindet, sondern Beliebiges grundsätzlich n u r als Geschiedenes verwendet. Schon vor der Bestimmung jedes besonderen Urteils zu einem entweder affirmativen oder negativen vollzieht sich nach die sem Text jeder Satz als voraussetzendes Trennen, also Ne gation, und - in seiner unmittelbaren Intention - als Syn thesis des Getrennten, wie Thomas sonst die Affirmation als Verknüpfung k e n n z e i c h n e t [ 3 ] . Dieses affirmative Moment je1 2 3
Met. E 4, 1027 b 25ff; In 6 Met. 1. 4, 1233-1236 Met. E 4, 1027 b 29ff; In 6 Met. 1. 4, 1241; v g l . aber 1225 Diese Überlegung ist ebenso kontextgebunden wie auch viele andere bei Thomas. Er v e r s u c h t gar nicht, soweit ich s e h e , den aristotelischen Wahrheitsbegriff, von dem er hier a u s geht, daß also Wahrheit und Falschheit n u r dem Verstand angehören, mit jenem anderen in eine systematische Bezie hung zu b r i n g e n , nach dem Wahrheit und Falschheit auf dem Verbunden- oder Getrenntsein der Sachen b e r u h e n (Met. θ 10, 1051 b 1-6; In 9 Met. 1. 1 1 , 1896, 1899f). Denn wie der r e ferierte Textabschnitt 1241 zeigt, könnte ein systematischer Vergleich nicht mehr annehmen, daß empirische Gegenstände v e r b u n d e n oder getrennt rezipiert werden können, er müßte vielmehr die einfache Einheit jeder Vorstellung, die nicht Satz i s t , voraussetzen und das Bejahen und Verneinen in Sätzen mit Platon auf Vernunftgründe (Phd. 99e - 100a), also auf je andere argumentierende Sätze, statt auf unmit telbar gegebene Sachverhalte (esse r e i , 1 S 19 V 1 ad 7) zurückführen.
156 der Aussage scheint er auch zu streifen, wenn er von dem negativen Urteil s a g t , es füge die Negation zur Affirmation h i n z u [ l ] . Weil das nämlich nicht heißen k a n n , verneinende Aussagen bestünden in der Bejahung eines Zusammenhangs und zusätzlich seiner Verneinung, also in einem Widerspruch, sieht man sich an dieser Stelle aufgefordert, d a r ü b e r n a c h zudenken, in welchem anderen Sinn auch ein negatives Urteil noch eine Affirmation enthält. Man könnte sagen: Sofern es von seinem Subjekt überhaupt etwas s a g t , ihm etwas b e h a u p tend zuspricht. Daß Thomas dergleichen gemeint h a b e , läßt aber eine andere Version derselben These wieder zweifelhaft erscheinen, indem sie die Rede vom "Zusatz d e r Negation" eindeutig n u r auf die äußere Sprachform, die Einschiebung des "nicht" bezogen wissen will. [2] Orientierte sich Thomas konsequent am reflektierenden Er kennen in Urteilen, dann müßte er seine These verwerfen, die Affirmation gehe einsinnig der Negation v o r a u s . Der lo gischen Fragestellung zeigen sich Affirmation und Negation gleichermaßen als Strukturmomente jeden Satzes, die Affirma tion als das mit der Synthesis verbundene Moment des Zukommens und die Negation als das Moment der Verschieden heit des Zukommenden gegenüber demjenigen, dem es zu kommt. Und dieser Eigentümlichkeit des Satzes, in seiner logischen S t r u k t u r Affirmation und Negation zu enthalten, ohne schon auf das Überwiegen eines Moments festgelegt zu sein, entspricht die Offenheit im Gegeneinanderhalten empi rischer Alternativen und im Behaupten eines Satzes als wahr. Denn der Behauptende grenzt sich zwar gegen das Gegenteil seiner Meinung a b , aber im Gespräch g e ä u ß e r t , wird doch jede Behauptung als der Korrektur und deshalb auch der Bestätigung fähig angesehen. Auch in s p r a c h p r a g matischer Hinsicht bedarf also die gemeinte und geäußerte Negation ebensosehr der Reflexion auf die ihr entsprechende Affirmation wie umgekehrt. 4. Die Komplexität des Satzes, sein reflexiver Charakter, e r möglicht es einerseits, daß man Urteile über bestimmte all tägliche und wissenschaftliche Tatsachen als ganze wie eine gegenständliche Einheit d e n k t , um von ihnen 'wahr' oder 'falsch' zu prädizieren, und a n d e r e r s e i t s , daß man sie um i h r e r inhaltlichen Nachprüfung willen zergliedert und schließ lich Satzteile im Allgemeinen, insbesondere Subjekt und Prä dikat, zu je s e p a r a t e n , positiven Gegenständen der gramma tischen und logischen Betrachtung macht. Das geschieht mit affirmativen Sätzen und Prädikaten in d e r Kategorienlehre, und ebenso verfährt Thomas mit den negativen Prädikaten in seinen referierten Überlegungen zum bloßen Gedachtsein n e gativer Bestimmungen. Die Schwierigkeiten, die dabei auf1 2
In 1 Perih. 1. 4, 48 Ebenda, 1. 8, 90
157 tauchen und das Negative anscheinend zum Verschwinden b r i n g e n , beruhen auf dem Fehlen eines methodischen Be wußtseins über das reflektierende Tun, das zu den theore tischen Ergebnissen führt. Daß umgekehrt die Thesen ü b e r das Nichtseiende, zu denen Thomas gelangt, nicht mehr zu halten sind, wenn man ihren Reflexions Zusammenhang voll ständig expliziert, das soll im folgenden gezeigt werden. c) Begründung des Seins von Nichtseiendem aus seiner Stellung im Satz Der Ausgangspunkt der theoretischen Reflexionen über das Nichtseiende ist das Bestätigen beziehungsweise Behaupten oder Bestreiten von ganzen Aussagen wie, daß Sokrates nicht bleich oder daß etwas blind s e i . [ l ] Daß negative und affirmative Ur teile gleichermaßen mit einem 'So ist es' bestätigt und mit einem 'So ist es nichť bestritten werden, zeigt eine neue Funktion a n , die sie erst in solchen reflektierenden Reden ü b e r sie g e winnen und für die ihr immanent affirmativer oder negativer Charakter gleichgültig i s t . Diese Funktion besteht darin, daß der ganze Satz zu einem Subjekt für die reflektierte Aussage wird, er sei wahr oder falsch, was auch durch beliebige andere Prädikate ersetzt werden k a n n , die immer von Sätzen möglich sind. Die Gleichgültigkeit einer solchen ersten Reflexion gegen die Affirmativität oder Negativität des beurteilten Satzes ist nun daraus zu e r k l ä r e n , daß das Subjekt eines Satzes allemal etwas Positives, Gegebenes sein muß, wie immer diese Positivität in einer weiteren philosophischen Reflexion interpretiert werden mag. In dem philologisch wie sachlich schwierigen Text, den Thomas verschiedentlich zitiert, lautet eines von zwei Argu menten Avicennas dazu: [2] Was immer von einem anderen a u s gesagt wird, (ist so gemeint, daß) es ihm zukommt oder nicht zukommt. Wenn es ihm als eine seiende (gültige) Charakteristik zukommt, dann kann das so Charakterisierte nicht ein Nichtseiendes sein, sondern muß selber auch sein. Wenn aber das (mit dem Prädikat) Ausgesagte dem anderen nicht zukommen soll, dann hieße d a s , man sonderte eine Eigenschaft von dem Nichtseienden a b , wenn ein Nichtseiendes als Subjekt einer Aussage möglich sein soll; das aber ist ebenso falsch wie das Aussagen einer seienden Eigenschaft von einem selber nicht Seienden. Welche Abstraktion in dem geläufigen Ausdruck vom Nichtseien den liegt, wird unmittelbar anschließend zu sagen sein. Jeden1 2
In 5 Met. 1. 9, 896 Meta. I 5, van Riet S.37, Z.97 - S.38, Z.14; a r a b . Text mit wesentlichen Klärungen: Al-Ilahiyyat 1, S.32f - mehr als eine knappe Zusammenfassung ist hier nicht möglich.
158 falls geht aus Avicennas Gedankenexperiment klar h e r v o r , daß das Subjekt eines Urteils stets als ein positiv Bestehendes a n gesehen werden muß, das sich dem Gedanken nicht wie etwas Negatives entzieht, damit man urteilend zu der Bestimmung übergehen k a n n , die man auf dieses Subjekt beziehen will, af firmativ oder negativ. Versteht man das mehr, als es in d e r Absicht der Aristoteleskommentatoren liegen d ü r f t e , als einen Hinweis auf die Abhängigkeit der logischen Form des Objekts von der Bewegung der intellektuellen Tätigkeit, dann kann man in diesem Begriff vom Urteils subjekt den oben (S.94-102) b e handelten platonischen Begriff von physis oder unmittelbarem Bedeutungsgehalt wiederfinden. Die jeweils bestimmte logische Bewegung, etwas als etwas anderes zu denken, kann n u r als Aussage mit einem von anderen Gedanken abgegrenzten Sinn vollzogen werden, wenn ihre Extreme, Subjekt und Prädikat, nicht zugleich in eine ebensolche Bewegung aufgelöst werden, sondern als r u h e n d e , ja mit sich selbst identische Inhalte g e setzt s i n d . [ l ] Dieses Erfordernis kommt im Gang d e r Reflexion insbesondere dann zur Geltung, wenn Sätze zum Subjekt a n d e r e r Sätze gemacht werden. Wie jedes Subjekt wird auch ein so komplexes als eine positive Sinneinheit genommen, wenn auch bewußt bleibt, daß man nicht über einen Gegenstand, sondern ü b e r eine bestimmte Aussage über einen Sachverhalt s p r i c h t . Für diesen Subjektcharakter eines reflektierten Satzes ist es gleichgültig, ob mit ihm eine Affirmation oder Negation a u s g e drückt werden sollte; indem er nach seiner Intention auf einen bestimmten Sachverhalt beurteilt wird, t r i t t an ihm das affirma tive logische Moment des Zukommens oder Zusprechens h e r v o r . So faßt auch die Rede von einem negativen Sachverhalt, etwa, daß Sokrates nicht bleich i s t , das mit diesem Satz Gemeinte als eine im Ganzen positive Einheit und nicht als einen sich selbst auflösenden Zusammenhang auf, ohne dabei den gemeinten Sinn in sein kontradiktorisches Gegenteil zu v e r k e h r e n . In eben die sem bewußten Zusammenhalten von positiver Gegenständlichkeit eines Satzes und seiner je verschiedenen, bald affirmativen, bald negativen Komplexion, die selber eine Gegenstandsbestim mung a u s d r ü c k t , besteht die Reflexion auf diesen Satz. Die beiden Momente der Reflexion, das Vergegenständlichen des reflektierten Gedankens und das Bewußthalten seiner nicht sel ber gegenständlichen, sondern logisch-sprachlichen Intention auf Gegenständliches, bleiben auch bestimmend, wenn man einen Satzteil aus seinem konkreten Kontext herauslöst und zum S u b jekt einer neuen Aussage macht wie etwa: 'Nicht bleich zu sein, ist ein Zeichen für gute Gesundheit'. Das ist der Fall der r e 1
Auch in der grammatischen Stellung eines indirekten Objekts kann ein intendiertes Nichtseiendes ("negationi") mit Bezug auf das Wahrsein der Aussage nach Thomas ein Seiendes g e nannt werden, Ente 1, Roland-Gosselin S . 3 , Z.3ff.
159 flektierten negativen Prädikate, die Avicenna, Thomas und of fensichtlich auch schon Aristoteles u n t e r der abstrakten Be zeichnung Wichtseiendes' zusammenfassen, wenn sie d a r u n t e r nicht etwas bloß Ausgedachtes, aber in der Wirklichkeit nicht Erfahrbares wie den 'Bockhirsch' v e r s t e h e n ; denn in diesem Sinn kann man die Bestimmungen 'Nicht bleich zu sein' und 'Blindheit' nicht Nichtseiende nennen. Alle negativen Bestim mungen, auch bloße Phantasieprodukte, erhalten als Subjekte von Aussagen über sie denselben positiven Charakter wie ihr jeweiliges Gegenteil oder ganze reflektierte Sätze in dieser grammatischen Stellung. Und dies i s t , wie mir scheint, das Sein des Negativen, das Thomas rational genannt h a t . Daß das bloß rationale Sein des sonst als Nichtseiendes qualifi zierten Negativen mit seiner Stellung im Satz zusammenhängt, deutet Thomas selbst mit Formulierungen an wie, n u r ü b e r Sei endes könne ein Satz gebildet werden, o d e r , der Verstand b e handle das Negative wie Seiendes, wenn er von ihm etwas af firmativ oder negativ a u s s a g e . [ 1 ] Unklar bleibt aber an solchen Stellen, die nicht den aristotelischen Gedanken einer Wahrheits b e s t ä t i g u n g , die sich notwendig reflexiv auf einen anderen Satz bezieht, mit einbeziehen und allgemeiner entwickeln, wie der Verstand überhaupt zu negativen Bestimmungen kommt, wenn sie doch n u r ihm und nicht seinem objektiven Gegenstand ange hören sollen. Und weil solche Bestimmungen nicht als Resultat einer reflektierenden Teilung negativer Sätze, die ihrerseits unmittelbar gegenständliche Sachverhalte a u s d r ü c k e n , in einen philosophischen Begriff vom Erkenntnisprozeß eingeordnet wer d e n , bleibt auch der genaue Sinn der Formulierung unbestimmt, das Nichtseiende sei eine Art Seiendes des Verstandes, weil der Verstand das in sich u n e r k e n n b a r e Nichtseiende erst e r k e n n b a r mache. [2] Denn das könnte so verstanden werden, als habe das Nichtseiende seinen negativen Charakter, der es konsequent auch der Erkenntnis entzieht, n u r in der dem Verstand gegen übergestellten Realität und werde d u r c h das bloße Erkanntwer den zu einem positiven Seienden. Das aber erscheint wiederum als ein Widerspruch zu der aus demselben Zusammenhang e n t wickelten These, Wirkliches könne n u r positiv bezeichnet wer d e n , d . h . das Negative gehöre allein dem Verstand a n , ohne daß ihm etwas in der Wirklichkeit e n t s p r ä c h e . [3] Diese verwirrende Lage kann e n t s t e h e n , weil Thomas das 'ra tionale Sein' des Negativen nicht aus der Fähigkeit der Refle xion e r k l ä r t , einen negativen Sinn wie etwas Positives aufzube wahren, so daß statt dessen der Eindruck entstehen k a n n , der Seinscharakter solle dem Nichtseienden gleichsam unmittelbar mit seinem Bewußtwerden zufallen. Daß Thomas wirklich so gedacht 1 2 3
Ver. I 1 ad 7; In 4 Met. 1. 1, 540 I 16, 3 ad 2; v g l . oben S.142f zu Aristoteles Ver. XXI 1
160 h a t , kann nicht einmal für alle Stellen ausgeschlossen werden, zumal das zweite Argument der zitierten Avicennastelle b e s a g t , ü b e r ein beliebiges Etwas könne n u r geurteilt werden, wenn es vom Bewußtsein vorgestellt sei, also ein Sein in der Seele h a b e . [ 1 ] Eine unaufgeklärte Reflexion kann allerdings den reflek tierten Gedanken auf seinen positiven Charakter, den er als ihr Gegenstand haben muß, v e r k ü r z e n und ihn dann nach dem Mu s t e r der gleichfalls auf ihre Positivität beschränkten E r f a h r u n g s dinge wie ein Seiendes besonderen Typs vorstellen. Wie damit der intenţionale Charakter der reflektierten negativen Gedan kenbestimmung, Bewußtsein eines negativen Sachverhalts zu sein, verlorengeht, wird auch unbegreiflich, wie etwas in d e r Seele Seiendes zugleich ein Nichtseiendes sein k a n n . d) Die Einschränkung des Negativen auf sein Gedachtwerden als unvollständige Reflexion Auf diese Weise sind Thomas' Bemerkungen zum Negativen, so weit sie hier berücksichtigt wurden, durchweg v e r k ü r z t e Re flexionen, die man nach dem Gesichtspunkt rekonstruieren könnte, daß jeweils verschiedene der hier skizzierten Aspekte weggelassen und andere beansprucht werden. Außer der jetzt problematisierten Version, daß das Nichtseiende mit seinem blo ßen Erkanntwerden sich einfach in ein Seiendes der Verstandes sphäre zu verwandeln scheint, soll die im Sinn eines Resümees repräsentativere These durchgespielt werden, das Nichtseiende, auch in der konkreteren Form von Privationen wie 'Blindheit' oder allgemein 'Formlosigkeit', gehöre nicht zu den Bestimmun gen, mit denen man Wirkliches bezeichne, sondern n u r dem Ver stand selber an. Daß die oben u n t e r b) genannten Aspekte einer philosophischen Konzeption, die Negativität im Ausgang von einer u n v e r k ü r z t rekonstruierten Reflexion betrachten will, in dieser These ganz unbeachtet bleiben und daß das für die Möglichkeit d e r These wesentlich i s t , kann man leicht überblicken: Die Rede vom Nichtseienden bezieht sich, sieht man einmal von Gegenständen der bloßen Phantasie a b , auf negative oder privative Prädikate, die aus ihrem Aussagezusammenhang herausgelöst werden; w ü r de ihre Prädikatfunktion für ein Subjekt berücksichtigt, dann könnte etwa die affirmative Betroffenheit eines Menschen d u r c h sein Blindsein nicht übergangen werden. [2] Ebenso deutlich 1 2
Meta. I 5, van Riet S.36, Z.84 - S.37, Z.97; Al-llahiyyat 1, S.32 Wie die negativen Bestimmungen ganz isoliert auf ihre Be deutung hin befragt werden, zeigt das Verfahren zur Unter scheidung von Negation und Privation besonders klar (I 17,
161 verläßt sich die These auf einen einfachen Gegensatz zwischen Wirklichkeit (rerum natura) und erkennendem Verstand, der sich d u r c h absolute Positionen abbildend auf Wirkliches beziehen k a n n . Aber die Schwierigkeit, Erkenntnis als nachträgliches Abbilden von an ihm selbst schon unabhängig Bestehendem zu begreifen, [ 1] tritt an den negativen Gedankenbestimmungen, insofern sie n u r dem Verstand angehören sollen, schon h e r v o r , denn sie können keine Abbildfunktion erfüllen. Aus der Isolie r u n g der Prädikate gegenüber ihren Urteilskontexten einerseits und der gemeinten Realität andererseits ergibt sich schließlich auch, daß die These weder sprachpragmatisch auf die Konstruk tion der Wirklichkeit in Rede und Gegenrede ohne Priorität der affirmativen Sätze reflektiert noch in logischer Analyse Affirma tion und Negation als gleich notwendige Momente jeden Urteils entdecken k a n n , wie sie zwar vom Sprechenden nicht gemeint, aber doch Bedingungen seines synthetischen Meinens s i n d . Der als vierter entwickelte Aspekt, daß die Reflexion ebenso wie die logische S t r u k t u r des Urteils entgegengesetzte Momente hat - nämlich Intentionalität und Gegenständlichkeit des Reflek tierten - , bietet einen theoretischen Zugang zu der faktisch immer schon wahrgenommenen Alternative, einen Satz n u r nach einer Seite hin, also v e r k ü r z t , zu reflektieren oder ihn u n t e r möglichst vielen Perspektiven zu b e t r a c h t e n . Deshalb kann man unter diesem Begriff der Reflexion die vorher behandelten Ge sichtspunkte zusammenfassen und zugleich Thomas' B e t r a c h t u n g s weise als einen bestimmten Reflexionsgang zu rekonstruieren v e r s u c h e n . Damit soll nicht n u r Thomas' Begriff des Negativen 4; In 4 Met. 1. 3, 565). Die Prädikate 'nicht sehend' und 'blind' werden danach unterschieden, daß 'nicht sehend' von Beliebigem, z . B . von Steinen, aber auch von Unwirklichem wie der Schimäre ausgesagt werden k a n n , an ihm selbst also keinen Hinweis auf die Bestimmtheit seiner möglichen Sub jekte enthält, während 'blind' n u r von solchem prädizierbar i s t , das seinem Wesen nach sehen k a n n , also als ein Defekt von Lebewesen. Vorausgesetzt ist bei diesem Gedanken, daß man von einzelnen Bestimmungen ausgehen k a n n , indem man zunächst von i h r e r Prädikatfunktion in bestimmten Urteilen absieht, um das Feld solcher möglichen Urteile dann nach träglich von der Bedeutung der isolierten Prädikate her a b zustecken. Das aber führt im Verhältnis zu dem wirklichen Sprechen zu einer ganz formalen Betrachtungsweise, denn niemand behauptet ernsthaft von einem Stein, er sehe nicht, weil das Gegenteil allgemein als schlechthin sinnlos anerkannt i s t . Also wird 'nicht sehend' in Wirklichkeit ähnlich wie 'blind' verwendet, nämlich n u r von solchem g e s a g t , von dem man meinen k ö n n t e , es habe einen Gesichtssinn. 1 Vgl. zu diesem Erkenntnisbegriff In 4 Met. 1. 15, 716
162 verständlicher werden, sondern jeglicher Ansatz, d e r sich mehr oder weniger offen dem Gedanken des Parmenides anschließt, daß das Negative nicht sein k a n n . Denn auch die These, Wirk liches könne n u r positiv bezeichnet werden, weil negative Aus drücke in der Sache eher das Fehlen eines Seins oder ein Nichtsein b e d e u t e n , [ 1 ] ist nichts anderes als ein abgeschwäch t e r und von ihrem Vertreter nicht d u r c h s c h a u t e r Eleatismus, die Gleichsetzung d e r Realität mit reinem, positivem Sein. Der Eleatismus der These setzt zunächst die a b s t r a k t e Schei dung von Realität und Gedanke v o r a u s . Wie sie im Gang d e r Reflexion auf die Wahrheit einer Aussage entwickelt werden k a n n , zeichnet sich schon an dem oben (S.135-138) skizzierten Wahrheitsbegriff des Aristoteles a b : Die philosophische Refle xion, die auf die Differenzierung formaler Bestimmungen aus i s t , t r e n n t die beiden Seiten, die zusammen die die alltägliche Reflexion auf eine Aussage, also z . B . deren Bestätigen oder Bestreiten, ausmachen, das Festhalten der Intention auf einen bestehenden Sachverhalt einerseits und das Bewußtsein von Gemeintsein - oder In-der-Seele-Sein - desselben Sachverhalts a n d e r e r s e i t s . Wenn man die Einheit der alltäglichen Reflexion, die die beiden Seiten v e r b i n d e t , in der Philosophie nicht eigens thematisiert, dann verlieren Tatsache und Intentionalität infolge des Interesses an Differenzierung ihren Zusammenhang und e r scheinen vornehmlich als andere gegeneinander - was sie auch sind - , die nun aber in einer gegenständlichen Ordnung ein ander bloß gegenübergestellt werden. So kann man sich Thomas' a b s t r a k t e Unterscheidung von ens naturae und ens rationis als das Übersehen einer Beziehung e r k l ä r e n , die der alltäglichen Reflexion auf die Wahrheit eines Satzes gerade wesentlich i s t , ein Übersehen jedoch, das auf der Freiheit der philosophi schen - wie jeglicher - Reflexion b e r u h t , ihren Gegenstand nicht abbilden zu müssen, sondern ihn u n t e r einem oder meh r e r e n Aspekten akzentuiert darstellen zu können. Ebenso entsteht auch die Vorstellung von Gegenständen als Be standteilen der Tatsachen im Sinn Wittgensteins oder von S u b stanzen und ihren akzidentellen Bestimmungen aus einer Ver nachlässigung der logischen S t r u k t u r des Satzes. [2] Wenn der Satz sich der Reflexion auf seine logische S t r u k t u r als Vereini gung von Negativität seiner Momente gegeneinander mit i h r e r im ' i s ť gesetzten affirmativen Identität zeigt, so braucht man n u r die Andersheit von Subjekt und Prädikat einseitig zu betonen und das mit ihnen Gemeinte im Horizont der schon v e r s e l b s t ä n digten Tatsachenwelt zu b e t r a c h t e n , um zu nochmals v e r s e l b ständigten Teilen dieser Tatsachen zu gelangen. Solche Teile von bestehenden Sachverhalten meint man auch mit negativen Prädikaten wie 'nicht bleich' oder 'blind', wenn sie 1 2
Ver. XXI 1; In 5 Met. 1. 9, 896; 2 S 37 I 2 ad 3 Vgl. In 9 Met. 1. 1 1 , 1898
163 aus ihrem Aussagezusammenhang herausgenommen werden, der auch noch das affirmative Moment des Zukommens des Prädikats und des Bestimmtseins des Subjekts enthält. Isoliert man aber die Bedeutung negativer Prädikate, dann kommt man zu der Vorstellung von negativen Gegenständen, die Thomas als Fehlen eines (Bestimmt-)Seins wie Bleichsein oder Sehendsein c h a r a k t e r i s i e r t . Und n u r u n t e r der Bedingung, daß man von der Positivität absieht, die solche fehlenden Eigenschaften erhalten, sobald man reflektierend ü b e r sie s p r i c h t , und ebenso von der bestimmenden Funktion a b s t r a h i e r t , die sie für ihr Subjekt und im Kontext des vorausgesetzten wahren Urteils haben, u n t e r einer d e r a r t eingeschränkten Perspektive kann die Überlegung des Parmenides wiederholt werden und einleuchten, daß ein Nichtseiendes nicht i s t , das bloße Fehlen oder Ausfallen einer realen Bestimmung selber nicht b e s t e h t , weil das einen Wider spruch bedeuten würde, daß es also das Negative in der g e genständlichen, unmittelbar erfahrbaren Wirklichkeit nicht gibt. Die Evidenz dieses Resultats, das man auch umgekehrt so for mulieren k a n n , Wirkliches sei n u r durch positive Bestimmungen zu bezeichnen, wird d u r c h das Bewußtsein von Wahrnehmungen als den am meisten unmittelbar erscheinenden Erkenntnissen u n t e r s t ü t z t , die man den Urteilen über Wirkliches wissenstheore tisch vorordnen k a n n : [ l ] Weil das Wahrnehmen von dem Be wußtsein der Abhängigkeit von einem gegebenen Wahrnehmbaren begleitet wird, kann man im Kontext der These ü b e r eine v e r selbständigte Substanzen- oder Tatsachenwelt leicht schließen, daß alles für uns Wirkliche gegeben oder ein positiv v o r h a n d e ner Bestand sein müsse, gesteht man n u r erst der Wahrneh mung als unmittelbarer Erkenntnis die Funktion zu, den Hori zont der erkennbaren Wirklichkeit überhaupt zu bestimmen. Ein solcher Appell an das Wahrnehmungsbewußtsein, der das Ver ständnis des Wirklichen als absoluter Position b e s t ä t i g t , wird von Thomas in diesem Zusammenhang nicht ausgesprochen. Er gänzt man ihn aber u n t e r Berufung auf die Priorität, die Tho mas meist der unmittelbaren Erkenntnis gegenüber der als sol che verstandenen Reflexion einräumt, dann kann man auch von ihm ähnlich wie bei Aristoteles v e r s t e h e n , daß er sich offen sichtlich vor einem faktischen Eingestehen des Eleatismus sicher genug glaubt, um sich von ihm nicht ausdrücklich abgrenzen zu müssen: Wie Parmenides klar s a g t , wird die Wahrnehmung den Schein der Vielheit immer bestätigen, ohne sich dem logischen Problem der Negativität zu stellen. Die andere Seite der zu rekonstruierenden These, daß also das Negative allein dem Verstand angehöre oder ein Sein im Sinn von Gedachtwerden h a b e , bildet Thomas, indem er diejenigen Momente alltäglicher Reflexionen, die er zunächst von der Reali1
Dazu, daß schon Aristoteles der Wahrnehmung eine solche Position gibt, v g l . unten S.246-249.
164 tät separiert h a t t e , ihr nun u n t e r den Titeln 'Verstand 1 oder 'Seele' gegenständlich gegenüberstellt: Negative Bestimmungen wie das Blindsein eines Menschen werden nicht so reflektiert, wie man mit ihnen etwas in d e r Sache i n t e n d i e r t , sondern als subjektiver Gedanke, der Gegenstand eines anderen Urteils sein k a n n . Und wie das wirklich Seiende durchweg als je v e r s c h i e den bestimmter positiver Bestand qualifiziert werden k o n n t e , bezeichnet Thomas nun auch die notwendige Positivität negativer Nomina in reflektierenden Urteilen als eine bestimmte Seinswei s e , statt sie als Korrelat der nicht positiven Urteilsbeziehung zu v e r s t e h e n . - So berücksichtigt er die verschiedenen Momente der Reflexion über negative Aussagen, ohne sie jedoch in ihrem authentischen Gedankenzusammenhang zu begreifen. Vielmehr ordnet er sie nach Prioritäten, die Aristoteles vorgezeichnet hat: Das Seiende im vorrangigen Sinn, das nach den Kategorien bestimmt wird, soll - eleatisch - frei von Negativem sein, aber dieses soll doch ein ganz minimales Sein, das nachgeordnete der Gedanken nämlich, haben. 7. Zuspitzung der Prinzipienfrage: Reflexionsbestimmungen (Transzendentalien) oder Substanzen? Thomas bedient sich nicht n u r der Unterscheidung von realen und bloßen Gedankenbestimmungen, er thematisiert diese Dif ferenz auch in verschiedenen Zusammenhängen und macht dabei deutlich, daß er sich auf diese Weise von einer unmittelbaren Vergegenständlichung des mit den Reflexionsbegriffen Gemeinten absetzen will. Daß er n u r in einem undifferenzierten Univer salienrealismus, also in der Hypostasierung begrifflicher Einhei t e n , die deren Vernunftcharakter einfach vergessen h a t , eine faktische Alternative zu seiner Position zu sehen vermag, macht er vor allem mit seinem Hinweis auf die Theorien von David von Dinant und lbn Gebirol deutlich, die zu seiner Zeit diskutiert wurden und deren Kritik als ein wichtiges Moment von Thomas' eigener Theoriebildung angesehen w i r d . [ 1 ] Nach dem Muster die ser mittelalterlichen Konstruktionen, die aus der begrifflichen Einheit der unbestimmteren Genera im Verhältnis zu ihren v e r schiedenen Species auf eine reale Einheit der Materie schließen, deutet Thomas an der genannten Stelle auch Parmenides und Platon: Was als allgemeine Bestimmung von vielem oder sogar allem prädiziert wird - etwa 'Mensch' oder nach den Eleaten 'Seiendes' - das ist auch ein realer Gegenstand (una r e s ) , in dem alles, von dem diese Prädikate möglich sind, als in seinem Wesen übereinkommt. Thomas' Erwiderung beschränkt sich hier darauf, den begriff lichen Charakter dieser Einheiten, den man nicht mit Sinn b e 1
2 S 17 I 1; v g l . Forest, La s t r u c t u r e métaphysique du con cret selon s . Thomas d'Aquin, S.98-132
165 streiten k a n n , gegen die unmittelbar als gegeben vorgestellte Welt der Dinge auszuspielen, so daß die Einheit der Allgemein begriffe und der transzendentalen Bestimmungen als bloß g e dachte erscheint (una intentio intellecta). Was die letzteren a n g e h t , so hat schon Aristoteles in der 'Metaphysik 1 gleichsam die Frage durchgespielt, was es bedeutet, daß die logisch ersten und allgemeinsten Begriffe, Sein und Einheit, die für die ganze apriorische S t r u k t u r der Transzendentalien und Prinzipien s t e hen können, "in allen (Einzelnen), die immer jemand e r k e n n t , implizit begriffen w e r d e n " . [ 1 ] Bei der ersten Behandlung dieses Problems greift Aristoteles auf das ausführlich in der і thematisierte Verhältnis der Begriffsmomente Genus, Differentia und Species zurück. [2] Dies geschieht, um den vorgeführten Entwurf einer Prinzipientheorie zu widerlegen, der sich a u s drücklich an Prinzipien des Wissens orientiert und deshalb die Forderung erfüllt, daß die wissenstheoretische Reflexion ihren Gegenstand nicht als bloße Gedankendinge, sondern als die in i h r e r Wahrheit begriffene, also durch Reflexion auch v e r ä n d e r t e Realität des natürlichen Bewußtseins betrachten solle. Diese Skizze des platonischen Denkens beginnt gleich mit der Umkehrung des S t a n d p u n k t s , der die Wirklichkeit der Einzel dinge wie selbstverständlich zugrunde legt: "Wenn wir jegliches d u r c h die Definition e r k e n n e n , Prinzipien der Definitionen aber die Genera sind, dann müssen die Genera auch Prinzipien der Definierten s e i n . " [ 3 ] Die Überlegung, daß dies auch zutrifft, wenn man die Wißbarkeit der Seienden in ihren Species b e g r ü n det sieht, weil die Genera wiederum Prinzipien i h r e r Species sind, setzt Aristoteles weiter unten mit der Einführung der all gemeinsten Begriffe fort, die in den platonischen Spätdialogen entwickelt werden: Wenn das Allgemeine jeweils in höherem Maß 1
I-II 94, 2. Der vorliegende Abschnitt soll zeigen, auf welche Weise Aristoteles die Erhebung der Substanzen zu Prinzipien faktisch wie eine Antwort auch auf diese - so mit Bezug auf Thomas formulierte - Frage vollzogen h a t . Zugleich werden Kommentare und andere Texte von Thomas herangezogen, damit die Fixierung des Gegensatzes zwischen realen und Wissensprinzipien als sein Fazit aus den aristotelischen Ar gumenten deutlich wird. 2 Met. 3, 998 b 3 - 999a 23; Thomas, In 3 Met. 1. 8, 427442 3 Met. 3, 998 b 4-8. Für Thomas ist die hier gemachte Vor a u s s e t z u n g , daß die principia essendi und cognoscendi die selben sind (In 3 Met. 1. 8, 427) und man deshalb von den Erkenntnisprinzipien auf die Seinsprinzipien schließen könne (I 85, 3 ad 4 ) , ein platonischer S t a n d p u n k t , den er höch stens im Hinblick auf die Species der Einzeldinge, aber nicht für ihre Genera zu übernehmen bereit ist ( s . auch Ver. Ill 3 ad 7 ) .
166 Prinzip i s t , dann muß man die höchsten oder ersten Genera, die von allem ausgesagt werden, also Sein und Einheit, für Prin zipien und Wesenheiten (usiai) h a l t e n . [ 1 ] Im folgenden macht Aristoteles klar, daß die Haltbarkeit dieses Ansatzes, den man transzendental nennen k a n n , sofern er von den Bedingungen a priori jeglicher Erkenntnis a u s g e h t , ein logisches Problem i s t , nämlich das Problem, wie sich diese Bedingungen zu ihrem Be dingten, den Begriffen bestimmter Gegenstände, v e r h a l t e n . Diese Frage verschwindet nicht mit der Einschränkung der transzendentalen Begriffe und Prinzipien auf eine bloß wissens logische Funktion, sondern k e h r t , insbesondere mit dem e r s t e n von Aristoteles vorgebrachten Gegenargument, bei Thomas in d e r Bestimmung des logischen Status des Seinsbegriffs und da mit implizit auch der anderen Transzendentalien und der allge meinsten Prinzipien wieder. [2] Jenes Argument schließt die Anwendung des Genusbegriffs auf die transzendentalen Bestimmungen a u s : Die Eindeutigkeit des Genus kann n u r gewahrt werden, wenn das Genus nicht in den verschiedenen Differenzen impliziert und von ihnen prädizierb a r , also je nach i h r e r Besonderheit abgewandelt i s t . Aber die für alle Erkenntnis vorauszusetzenden Begriffe müssen wie von allen Bestimmungen, so auch von ihren Differenzen g e l t e n . [ 3 ] An den Genusbegriff jedoch - so meint Aristoteles - ist die Be antwortung der Prinzipienfrage mit den je allgemeineren b e grifflichen Einheiten g e b u n d e n . [4] Anders als Thomas, d e r mit 1 2 3 4
Met. 3, 998 b 14-21 Vgl. dazu unten Dritter Teil, 5 . K a p . , 3. u . 5. Met. 3, 998 b 22-28; Thomas, In 3 Met. 1. 8, 433 Patzig, Die Entwicklung des Begriffs der Usia in der "Me taphysik" des Aristoteles (S.24-34), beurteilt diese von Ari stoteles vorgebrachte Schwierigkeit als den entscheidenden Einwand gegen die Ideenlehre ( s . besonders S.30-34). Platon sei verborgen geblieben, daß die allgemeinsten Ideen (megista gene) aus logischen Gründen nicht dazu t a u g e n , das Reich der vom Besonderen zum Allgemeinen sich aufbauenden Ideen gleichsam wie die Spitze einer Pyramide abzuschließen. Erst Aristoteles habe aufgedeckt, daß Bestimmungen wie Sein und Einheit den Dingen und ganz besonderen Species nicht d u r c h Vermittlung einer Reihe von Genera, sondern unmittelbar zukämen, und damit die Einheit des Ideenreiches in Frage stellen können. - Dieser Einwand trifft Platon aber nicht, weil erst Aristoteles dem 'Reich der Ideen' das dihairetische Schema als seine einheitliche und eindeutige logische S t r u k t u r unterstellt h a t . Platon unterscheidet mehrere Typen von Teilhabe (Soph. 253 d) und zeichnet insbesondere die g r ö ß ten Gattungen' in i h r e r Funktion, e r s t e Verbindungen und Trennungen zwischen sich und allen bestimmteren Ideen zu konstituieren, gegenüber besonderen Bestimmungen a u s , die
167 dem Begriff der Seinsanalogie dem logischen Problem näher zu kommen s u c h t , [ 1 ] haben Porphyrius und Boethius entsprechend der nachgewiesenen Schwierigkeit die Konsequenz gezogen, Sein und Einheit mit Bezug auf die Kategorien, die allgemeinsten Ge n e r a , als äquivoke Begriffe zu v e r s t e h e n , deren je kategorial verschiedener Sinn bloß durch die Wortgleichheit verdeckt wer d e . [2] Thomas dagegen hat seine Bestätigung einer gewissen Prinzipienfunktion der Transzendentalien, mit der das logische Verhältnis der allgemeinsten Begriffe zu bestimmten Sachbe griffen wieder in Frage s t e h t , selber offenbar nicht so einge schätzt, daß sie zu einer Revision der aristotelischen Kritik an der platonischen Prinzipienauffassung veranlassen k ö n n t e . Er hat die Konsequenzen dieser Kritik, insbesondere die Beant wortung der Prinzipienfrage mit dem Substanzbegriff, beibe halten, obwohl er zugleich die kritisierte Sache anders als in der Kritik vorausgesetzt darstellt, d . h . die Transzendentalien nicht als Genera, aber doch als sinnvolle, nichtäquivoke Be stimmungen von Gegenständen ü b e r h a u p t . Wie Aristoteles mit seinem ersten Argument gegen den Prinzi piencharakter der transzendentalen Begriffe dieselben am Maß stab inhaltlich bestimmter Genera und ihres logischen Verhält nisses zu den jeweiligen Differenzen mißt, stellt sich mit dem folgenden Argument klar h e r a u s , daß diese Unbestimmtheit hin sichtlich der transzendentalen Begründungsfunktion - es ist n u r davon die Rede, daß die höchsten Genera von allem ausgesagt werden - anders als beim Widerspruchsprinzip bereits in die Darstellung der Erstbegriffe eingeht und dann als Hintergrund der Kritik dienen k a n n . So weist das zweite Argument darauf hin, daß auch die Bestimmungen geringeren Allgemeinheitsgra des an der Prinzipienfunktion d e r Genera beteiligt sein müßten, und zwar, wenn n u r , wie zuvor a n g e g e b e n , [ 3 ] die Allgemein heit das erforderte Kriterium i s t , auch die Species der Einzel dinge, die aber eben schon keine Genera mehr sind. [4] Dann
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n u r voneinander prädizierbar sind oder nicht (Soph. 253 a - c , 254 b - c , 257 c - d , 259 a ) . Daß die allgemeinsten Bestim mungen (koina oder megista gene) auch nach Platon unmit telbar auf Gegenstände zu beziehen sind, zeigt außer dem Sophistes auch die vielzitierte Stelle des Theaitet, die die Abhängigkeit des Sprechens über Wahrnehmungen von sol chen reinen Vernunftbegriffen wie Sein und Nichtsein, Iden tität und Verschiedenheit behandelte (185 a - 186 b ) . S. z . B . In 4 Met. 1. 1, 539; In 1 Perin. 1. 8, 93 P o r p h y r i u s , Eisagoge, in Boethius' Übersetzung, Schepss/ Brandt S.220, Z.11 - S.221, Z.7; Boethius, In PE III 7, ebenda S.221, Z.18 - S.222, Z.22, S.223, Z.13-24 Met. 3, 998 b 17 f So v e r s t e h t Thomas, In 3 Met. 1. 8, 434, den knappen Wort laut von Met. 3, 998 b 28ff.
168 bringt Aristoteles die speciesbildenden Differenzen ins Spiel und erkennt ihnen entgegen i h r e r Unterordnung u n t e r die Genera in der і mehr Prinzipiencharakter als den Genera z u ; [ l ] die daraus folgende Unübersehbarkeit d e r Prinzipien erscheint als ein weiterer Mangel des Ansatzes bei der wissensbegründenden Funktion des Allgemeinen. Wie eine Abgrenzung der Prinzipien, die mit dem bloßen All gemeinheitskriterium nicht gewährleistet scheint, zu denken sein soll, zeichnet sich in den abschließenden Überlegungen a b : Ein mal werden die Species als Prinzipien vorgeschlagen, weil jede von ihnen nicht mehr weiter teilbar ist wie die in Species auf teilbaren Genera und deshalb in höherem Maß als diese eine Einheit im Sinn von Unteilbarkeit genannt werden k a n n . [2] Wenn Einheit als Einfachheit Prinzipiencharakter haben soll, wie es im Text begründend heißt, dann ist mit der Beziehung auf Vielheit auch die begründende Funktion außerhalb i h r e r gesetzt und nicht ihr Moment, wie es mit der Teilbarkeit den Genera zuerkannt wird. Dieser Vorschlag hat also eher den Charakter einer Reaktion, die die scheinbare Unbestimmtheit der bloß als allgemeine begriffenen Prinzipien d u r c h an ihnen selber voll ständig bestimmte Dingformen ersetzen will; die Reflexion auf die Transzendentalität d e r Prinzipien könnte dagegen zeigen, wie sie gerade durch ihre universale Bezogenheit definiert sind. Der entscheidende Übergang zur theoretischen Einordnung der Transzendentalien ist die Bestimmung ihres Verhältnisses zum Wesen ( u s i a ) , wie sie am Anfang des vierten Metaphysikbuches v o r l i e g t .[ 3 ] Um zu zeigen, daß Sein und Einheit gleichermaßen von der Ersten Philosophie, die das Seiende als solches und seine wesentlichen Eigenschaften b e t r a c h t e t , behandelt werden, erklärt Aristoteles die wechselseitige Implikation von Sein und Einheit d a r a n , daß beide mit einer beliebigen Wesensbestimmung wie 'Mensch' schon gesetzt und von ihr u n a b t r e n n b a r sind. [4] Deshalb bedeute das Hinzusetzen beider zu einer solchen Be stimmung nicht etwas a n d e r e s , sondern dasselbe wie diese; das Wesen sei von sich aus eine Einheit und ein Seiendes. Der Stel lenwert dieser These soll u n t e r den folgenden vier Gesichts punkten entwickelt werden, die in schrittweisem Aufbau eine Gesamtkonzeption erkennen lassen. 1. Auch u n t e r Berücksichtigung der Verschiebungen in der Textfolge, die W.Jaeger in d e r Oxfordausgabe vorschlägt, ist die zitierte Charakterisierung des Verhältnisses der t r a n szendentalen Begriffe zum Wesen im Zusammenhang mit dem zuvor erläuterten analogen Sinn der Aussagen von Sein zu 1 2 3 4
Met. 3, 998 b - 999 1; v g l . .Δ 6, 128 23-26 Ebenda, 999 1-6 Aristoteles Met. Γ 2 , 1003 b 22-33 ( v g l . Met. I 2, 1054 a 1319); Thomas, In 4 Met. 1. 2, 548-560 Met. Γ 2 , 1003 b 22-33
169 v e r s t e h e n : 'Seiendes' ist nicht einfach seiner unbegrenzbaren Allgemeinheit wegen ein Prinzip, sondern ein Prädikat, das seinerseits von seinem Subjekt n u r u n t e r der Bedingung ausgesagt wird, daß dieses sich durch eine speziellere Cha rakteristik dazu qualifiziert. [ 1] Weil diese Gegenstandsaspek t e , soweit sie nicht die Wesensbestimmung betreffen, so ge dacht sind, daß sie etwas seinem Wesen nach schon Bestimm tes nur zusätzlich noch in einer anderen Hinsicht bedeuten, erscheint die Charakteristik 'Wesen' als Voraussetzung auch aller anderen Bedingungen der Aussage von Sein und d e s halb als deren Prinzip schlechthin. Mit dem Verhältnis von Sein und Einheit zum Wesen ist deshalb die Stellung thema tisiert, die traditionell platonische Prinzipien, wie Aristoteles sie v e r s t e h t , zu dem von ihm vorgeschlagenen Prinzip haben sollen. 2. Sofern dem Wesen eine ausgezeichnete Stellung gegenüber den anderen Kategorien anhand der Frage zuerkannt werden soll, wie Aussagen von Sein möglich sind, knüpft Aristoteles zunächst an den Prinzipiencharakter der allgemeinsten Be stimmungen a n , beschränkt sich aber dabei auf den Seinsbe griff. Aus dem Text des vorangehenden ersten Kapitels ist zu ent nehmen, daß diese Auszeichnung des Seins und des Seienden dazu dient, der ganz unbestimmten Frage nach den höchsten Prinzipien einen ersten begrifflichen Bezugspunkt (physis) zu geben, also eine Hinsicht zu nennen, in der die Prinzi pien Prinzipien sind. [2] Allein dieser Aspekt der Prinzi pienfrage ist von der Tradition festgehalten worden, soweit sie Erste Philosophie oder Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden als solchem c h a r a k t e r i s i e r t . Auf dem platonischen Hintergrund erscheinen ebenso die anderen allgemeinsten Begriffe, die in der Aristotelesrezeption als Transzenden talien wiederkehren, als mögliche Gesichtspunkte, u n t e r d e nen die aristotelische Prinzipienanalyse ansetzen k a n n . Ari stoteles selbst läßt aber n u r die Einheit und die ihr e n t g e gengesetzte Vielheit als Frageperspektiven in dem Maß noch gelten, daß sie mit dem Gegensatzpaar Seiendes - Nichtseien1
Met. Γ2, 1003b 5 - . "Manches wird Seiendes genannt, weil es Wesenheiten sind, a n d e r e s , weil es sich um Zustände des Wesens handelt . . . " 2 Met. Γ 1, 1003a 26-32. Zwergel, Princípium contradictionis, S.84f, zieht diesen Zusammenhang zwischen der Wissenschaft vom Seienden überhaupt und derjenigen von den Prinzipien nicht in Betracht und findet deshalb erst in Met. Γ 4 eine innere Begründung für die Einheit der Metaphysik. Mir scheint dagegen diese Einheit von vornherein darin zu lie gen, daß Sein und Einheit die Gesichtspunkte sind, u n t e r denen die Metaphysik im Unterschied zu anderen F o r s c h u n g s richtungen die Prinzipienfrage stellt.
170 des vergleichbar sind. Alle anderen gegensätzlichen Grund begriffe wie Ruhe und Bewegung, Identität und Verschie denheit sollen dagegen auf die beiden ersten Entgegenset zungen zurückgeführt w e r d e n . [ 1 ] Was aber im vierten Buch der Metaphysik e r s t an der Erörterung des Widerspruchs prinzips wieder deutlich wird, daß nach den Prinzipien des Seienden überhaupt gefragt wird, weil sie die allgemeinsten Bedingungen für Wissen sind, dieser Ausgangspunkt des Prinzipienproblems würde ü b e r s e h e n , wenn man aus der Prä valenz der Fragehinsicht ' B e g r ü n d u n g des Seienden als sol c h e n ' auf eine definitiv ontologische Theorie schließen wollte. 3. Zusätzlich zur Reduktion der transzendentalen S t r u k t u r auf die Grundbestimmungen Sein und Einheit k e h r t Aristoteles die Perspektive in der Prinzipienfrage um: Im empirischen Sprechen über Realität selber soll schon eine S t r u k t u r von Früherem und Späterem verwirklicht und unmittelbar faßbar sein, wenn man n u r darauf a c h t e , wie Aussagen über Gegen stände der Erfahrung alle Prädikate stets auf ein bestimmtes Zugrundeliegendes beziehen. Weil man beliebige Aussagen durch Reduktion ihres verbalen Moments auf 'ist' als Prä dikationen eines bestimmten Seins auffassen k a n n[ 2 ] und weil das Zugrundeliegende d u r c h jedes Prädikat gemäß einer besonderen Sinneinheit bestimmt w i r d , [ 3 ] erfüllt die in der Kategorienschrift behandelte Hypokeimenonstruktur der Aus sagen das am Anfang des vierten Metaphysikbuchs aufge stellte Modell der Bedingungen, u n t e r denen man etwas ü b e r haupt ein Seiendes - u n d , wie zu ergänzen wäre - eine Ein heit n e n n t . Während in gewöhnlichen Aussagen Sein und Ein heit unthematische logische Momente des in seiner inhaltli chen Besonderheit intendierten Prädikats sind, scheidet jenes Modell reflektierend diese logischen Momente von den beson deren prädikativen Bestimmungen und thematisiert den logi schen Sachverhalt 'Aussage von Sein und Einheiť d a d u r c h , daß es das jeweilige Subjekt, z . B . Sokrates, so, wie es d u r c h das Prädikat der gewöhnlichen Aussage bestimmt g e dacht wird, also etwa 'ein Lachender', den nun für sich g e bliebenen Prädikaten 'Sein' und 'Einessein' gegenüberstellt. Indem nun die Bestimmtheit des Subjekts ihrem Typ nach als Bedingung der Aussage von Sein und Einheit aufgefaßt wird - wie das Zugrundegelegte immer das ihm Folgende bedingt - , kann man sagen, in diesem Fall werde etwas ein Seiendes und Eines g e n a n n t , weil es der Zustand eines seinem Wesen nach anders Bestimmten oder dies wesentlich Bestimmte, aber 1 2 3
Met. 2, 1004 b 27-30; Met.I 2, 1053 b 16-28; I 3, 1054 a 29-32 Met.Δ 7, 1017 a 24-30 Met. Γ 4, 1006 a 28 - b 7
171 einem seiner Zustände nach i s t . [ l ] Mit dieser doppelten Um formung der Aussagen überhaupt soll gezeigt werden, daß die B e d i n g u n g s s t r u k t u r von Früher und Später, die Aristo teles aus der Formel 'Etwas von etwas aussagen' für die Sub jekt- und Prädikatbestimmungen aller Urteile entwickelt, ihrerseits als ganze die Voraussetzungen für die Aussage von Sein enthält. Fragt man dann innerhalb dieser zunächst 1
Der Text in Met.Γ 2, 1003 b 5-10, der das Modell formuliert, v e r s t e h t zwar u n t e r selber abhängigen Bedingungen der blo ßen Seinsprädikation n u r Zustände, Qualitäten e t c . des we sentlich Bestimmten, also Bestimmungen und nicht das d u r c h sie bestimmte, seinem Wesen nach schon anders bestimmte Subjekt. So spricht auch Thomas gelegentlich davon, daß die Akzidenzen Seiende genannt werden, weil d u r c h sie etwas so oder so bestimmt ist (In 12 Met. 1. 1, 2419; In 4 Div. nom. 1. 10, 428). Weil diese Betrachtungsweise aber von der akzi dentellen Bestimmung, als sei sie etwas Selbständiges, a u s gehen muß, kann sie sie n u r noch nachträglich auf das Sub jekt beziehen, und das heißt, wie Thomas' Formulierungen zeigen, durch die Vorstellung von Inhärenz. Dementspre chend kritisiert Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, S.46ff, die Nominalisierungen von Prädikaten wie 'die Bläue' und die mit ihnen v e r bundene Vergegenständlichung i h r e r Bedeutungen, sofern auch sie das mit dem ' i s ť gemeinte Seiende sein können sol len - eine Kritik, die Aristoteles an dem so verstandenen Maßstab seiner eigenen Piatonkritik mißt, daß nicht a b s t r a k t e Gegenstände wie 'die Bläue', sondern n u r konkrete wie 'der Himmel' mit ihren prädikativen Bestimmungen wie 'ist blau' Seiende sind. Dieser Anforderung wird Aristoteles zwar an der zitierten Stelle am Anfang des vierten Metaphysikbuchs nicht g e r e c h t , wenn er von Zuständen und Qualitäten des wesentlich Bestimmten s p r i c h t , wohl aber in dem oben ( S . 5 1 56) besprochenen ersten Kapitel von Met. Z. Denn da r e d u ziert er selbst Infinitive und substantivierte Adjektive auf Partizipien wie 'sitzend' oder 'Sitzender' und gewöhnliche Adjektive wie ' g u ť und 'blau' oder 'Gutes' oder 'Blauer', also solche Ausdrücke, in denen man das Subjekt mitbezeich net; v g l . auch den allgemeinen Ausdruck " α υ τ o π ε π ο ν θ ο σ " für das akzidentell bestimmte Subjekt im Unterschied zu der Bezeichnung αυτo für das wesentlich bestimmte Zugrunde liegende (Met. Δ29, 1024 b 30). Diese Präzisierung könnte man grundsätzlich bei der Interpretation von aristotelischen Texten berücksichtigen, die Urteile als Aussagen von Sein auffassen und zugleich die mit den Kategorien eingeteilten Gegenstandsaspekte Seiende nennen: Als das Seiende kann dann auch der zugrundeliegende Gegenstand, wie er u n t e r diesem Aspekt bestimmt i s t , v e r s t a n d e n werden.
172 alternativ aufgestellten Voraussetzungen nach einem letzten Prinzip oder eine systematischen Sinneinheit der je nach i h ren Subjekten abgewandelten Seinsprädikate, so t r i t t die Stellung des wesentlich bestimmten Subjekts als des Früheren in Kraft. Daß auch für die unbegrenzt allgemeine Bestimmung 'Einh e i ť , v e r s t a n d e n als Prädikat, derselbe Bedingungszusam menhang gelten soll, das macht Aristoteles deutlich, indem er ihn am Ende des siebten Metaphysikbuchs noch einmal dem Vorschlag gegenüberstellt, die Einheit in einem platonischen Verständnis selber als das Wesen aufzufassen.[1 ] Hier liegt gleichsam eine Zusammenfassung und Anpassung d e r referier ten Argumentation an den in der Substanztheorie erreichten Diskussionsstand v o r : Die Aussage von Einheit kann wie die von Sein n u r auf die kategorial ausweisbare, bestimmte S u b stanz als auf ihren Grund bezogen werden; selber ist das Prädikat 'eines' aber als ein Allgemeines untauglich, die so verstandene Prinzipienfunktion zu erfüllen. 4. Auch ein im dritten Buch der Metaphysik offen gebliebener Lösungsansatz zu der Frage, ob das Allgemeine Prinzip des Besonderen i s t , kann an der zitierten Stelle prinzipiell als ausgeführt angesehen und damit die Entscheidung ü b e r die Einheit und die anderen Reflexionsbegriffe legitimiert wer den: Unter der Voraussetzung, daß Prinzipien sich d u r c h Unabhängigkeit von ihrem Begründeten auszuweisen h a b e n , hatte Aristoteles als eine platonische Theorie angeführt, das allgemeine Prädikat bezeichne dann auf keinen Fall etwas Selbständiges neben den Subjekten, von denen es ausgesagt wird, wenn es u n t e r diesen eine Ordnung nach Früher und Später wie bei den Zahlen, den geometrischen Figuren und dem als besser und schlechter Beurteilbaren g e b e . [2] Dann aber gilt, so wendet Aristoteles ein, gerade für die Ansatz punkte der Ideenlehre in der Mathematik das Allgemeinheits kriterium, das auf die Genera wie 'Zahl ü b e r h a u p t ' und 'Fig u r ü b e r h a u p ť verweist, nicht als ein Mittel zur Gewinnung von Prinzipien. Vermittelst der zugrunde gelegten Regel, ein allgemeines Prädikat beziehe sich dann nicht auf eine separate Idee mit Prinzipiencharakter, wenn die subsumierbaren Subjekte sel ber schon nach Früher und Später geordnet sind, stellt Aristoteles seinen Gegenentwurf zur Dialektik, d e r platoni schen Prinzipientheorie, als eine Transformation des Platonismus - sprich Ideenlehre der ersten Reflexions stufe - mit dessen eigenen Mitteln d a r . Wegen dieser Legitimation der neuen Theorie aus Ansätzen der von ihr zu überwindenden bedeutet der Text für das Verständnis der Auseinanderset1 2
Met. Z 16, 1040 b 16-27; Thomas, In 7 Met. 1. 16, 1637-1641 Met. 3 , 999 a 6-14; Eth.Nik. A 4, 1096 a 17ff
173 zung des Aristoteles mit Platon und ihre Folgen mehr als die sonst vorgetragene direkte Piatonkritik. Indem die Stelle in Met. nämlich den oben (S.83-86) besprochenen, a n g e b lich ebenfalls platonischen Begriff vom Prinzip, es sei das von einem Begründeten unabhängige F r ü h e r e , nach einer pla tonischen Regel anwendet, macht sie im Grundriß e r k e n n b a r , wie Aristoteles die Kategorienlehre als seine Prinzipientheorie in Anknüpfung an die 'größten Gattungen' der Dialektik, eingeschränkt auf 'Sein' und 'Einheiť, etabliert. Man braucht von diesen Bestimmungen alles Denkbaren lediglich zu zei gen, daß sie als Prädikat n u r von solchem ausgesagt wer den, das selber schon nach der S t r u k t u r Früheres - Späte res differenziert i s t . Dann hat man nach der Regel des an geblich platonischen Prinzipienbegriffs bewiesen, daß nicht die Bestimmungen des Denkbaren ü b e r h a u p t unabhängige Prinzipien der bestimmten Vernunftobjekte sind, sondern alles Denkbare als solches einer Einteilung unterliegt, in der sich ein Glied als Früheres und damit als das unabhängige Prinzip qualifiziert, das die transzendentalen Bestimmungen, die das Denkbare als solches ausmachen, nun nicht mehr sein können. Die Prämisse dieses Beweises will Aristoteles erfüllen, indem e r , wie schon gesagt, alle Aussagen in eine nach Früher und Später gegliederte Reihe von Typen mög licher Prädikate umformt, so daß die entsprechenden typisch bestimmten Subjekte als dasjenige gedacht werden können, von dem Sein und Einheit, rein für sich genommen, a u s g e sagt werden. Auf diese Weise geht die umfassende Prinzipien funktion der miteinander 'verflochtenen' 'größten Gattungen' gleichsam mit platonischer Legitimität auf die Substanz als das Zugrundeliegende in jeweils derjenigen Bestimmtheit ü b e r , vermöge d e r e r es gegenüber seinen wechselnden Eigenschaften ein Früheres i s t . Aristoteles' Bestimmung des Verhältnisses der Transzendentalien zur Substanz stellt sich u n t e r dem vierten Gesichtspunkt am meisten umfassend und konkret d a r , weil dieser die anderen nach einer Regel v e r k n ü p f t . Aus dieser zusammenfassenden Per spektive ergeben sich aber auch zwei kritische Überlegungen. 1. Die Erfüllung der angeblich platonischen Regel wird n u r d u r c h eine formale Interpretation von Urteilen möglich, die sich schon von dem Ordnungsschema Früheres - Späteres und mit ihm verbundenen Prinzipienbegriff leiten läßt. Die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit zur Behandlung des Urteils bei Aristoteles und Thomas (oben, 1.Kap., 1.-3.) sollten zeigen, daß einschlägige Texte in der Kategorien schrift, in De interpretatione und in der Metaphysik zwar von der Urteilsbeziehung ausgehen, sie aber n u r zur Ermitt lung eines Differenzierungsverfahrens b e a n s p r u c h e n , mit dem man eine Klasse von Gegenstandsbestimmungen aufgrund i h r e r Tauglichkeit zu letzten Subjekten von allen anderen Prädika tenklassen unterscheiden k a n n , die zunächst und vor allem
174 n u r mit Bezug auf diese Subjekte - und deshalb in Abhän gigkeit von ihnen - ausgesagt werden k ö n n e n . [ 1 ] Daß man Urteile philosophisch nicht so interpretieren muß, wurde so wohl im Hinblick auf den im Ergebnis vernachlässigten Re lationscharakter der Urteile im Allgemeinen bemerkt als auch im Besonderen auf dem Hintergrund einer alternativen Deu t u n g des Satzes vom Verbum h e r , zu der eine Anregung bei Thomas zu finden i s t . Wenn Patzig Aristoteles' Veränderung des Begründungsverhältnisses gegenüber demjenigen der Ideenlehre so c h a r a k t e r i s i e r t , daß nun ein ausgezeichneter Teil Prinzip des Ganzen wird, [2] dann ist dem hinsichtlich der urteilstheoretischen Auszeichnung des Subjekts ü b e r haupt und solcher Bestimmungen insbesondere, die in s y n thetischen Urteilen n u r als Subjekte fungieren können, noch hinzuzufügen, daß ein Teil zum Prinzip gerade deshalb t a u gen soll, weil er ebensogut auch nicht Teil des sprachlichen Ganzen sein k a n n , vielmehr schon an sich selbst einen Ge genstand bedeutet. Ginge es um die F r a g e , welcher Teil von Aussagen ü b e r h a u p t in dem Sinn als Prinzip ihres Ganzen nachweisbar i s t , daß man, wenn man seine jeweilige Bedeu t u n g v e r s t e h t , immer zu einem anderen Teil überzugehen und dadurch das Ganze zu vollziehen genötigt wird, dann wäre unzweifelhaft das Verbum als Prinzip anzusehen, gerade weil e s , wie Aristoteles s a g t , Zeichen desjenigen i s t , das von einem a n d e r e n , dem Zugrundeliegenden, als ihm zukommend ausgesagt w i r d . [ 3 ] Auf diesem Hintergrund eines kontrastierenden Begriffs vom Satz wird deutlich, daß Aristoteles die Aussagen auf eine allgemeine S t r u k t u r hin i n t e r p r e t i e r t h a t , die er dann als Gliederung aller aussagbaren Realität nach einem früheren Typus von Bestimmungen und einer Reihe von diesem a b hängiger Bestimmungstypen d e r Prädikation der allgemeinsten logischen Momente wie Sein und Einheit unterlegen k a n n . So fern man sich die Erhebung der Substanz zum Prinzip auf diese Weise u n t e r Aristoteles' eigener Anleitung erklären k a n n , wird die Abhängigkeit dieser Position von dem Platonismus, den sie selbst d u r c h den Chorismosvorwurf cha r a k t e r i s i e r t , noch deutlicher e r k e n n b a r , als es allein im Hin blick auf den Begriff des Früheren gezeigt werden k a n n : Um den Prinzipiencharakter der 'größten Gattungen' immanent bestreiten zu können, übernimmt Aristoteles die Verpflich1
Weil die Substanzen als letzte bestimmte Zugrundeliegende die Selbständigkeit haben sollen, die sie zu Prinzipien qualifi ziert, erledigt sich die in Met. 3 offen gebliebene Möglich keit, die spezifischen Bestimmungen, die noch von den Ein zelgegenständen ausgesagt werden, als Prinzipien anzusehen. 2 Die Entwicklung des Begriffs der Usia in der "Metaphysik" des Aristoteles, S.36, S. 46f, S.72f 3 I n t e r p r . 3 , 16 b 6 f, 16 b 9 f
175 t u n g , das Verhältnis Früher - Später, das er für die pla tonische Begründungsrelation hält, als S t r u k t u r der Realität ü b e r h a u p t nachzuweisen, und in dieser Absicht deutet er die Form von Aussagen grundsätzlich abweichend von der s p ä t platonischen Satztheorie, nämlich als asymmetrisches Begrün d u n g s v e r h ä l t n i s , in dem sich das Subjekt als selbständiges Früheres ausweisen l ä ß t . [ l ] Daß dieses Verfahren sich angesichts alternativer Satztheo r i e n , von denen mindestens diejenige Platons auch Aristoteles bekannt war, als zyklisch erweist, ist offensichtlich. Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit soll jedoch der wissens theoretische Zusammenhang entwickelt werden, in den das Prinzip 'Substanz' g e h ö r t , so daß sich seine Legitimation aus dem angeblich platonischen Prinzipienbegriff als ein bloßer Aspekt der aristotelischen Theoriebildung zeigen wird. 2. Die eigentümliche Stellung, die die Transzendentalien bei Thomas als notwendige Momente jedes Seienden als solchen und zugleich bloße Gedankenbestimmungen bekommen, kann man auch schon aus der Funktion zu verstehen suchen, die Sein und Einheit bei der Transformation der angeblich plato nischen Prinzipientheorie in das Substanz-Akzidens-Schema a u s ü b e n . Wie das erste Kapitel des Vierten Metaphysikbuchs besonders deutlich macht, braucht die philosophische Prin zipienfrage allemal einen Begriff von Gegenständen überhaupt als ihre Hinsicht, in der sie sich von speziellen Prinzipien forschungen a b h e b t . Indem 'Seiendes' und 'Eines' als Prädi kate alles Wirklichen, sogar alles Denkbaren anerkannt wer d e n , fungieren sie zugleich als der legitim platonische Aus g a n g s p u n k t , von dem aus man eben denselben Transzen dentalien den Prinzipiencharakter nach der platonischen Re gel absprechen k a n n , wenn ein Früheres oder Prinzip in der Reihe all dessen, von dem Sein und Einheit gelten, nachzu weisen i s t . Die Transzendentalien gehen also als anerkannte Bedingungen in die Argumentation ein, die ihre Prinzipien funktion auf eine bestimmte Klasse von Seienden und k o n k r e ten Einheiten ü b e r t r ä g t , eine Prinzipienfunktion, die man nun auch so fassen k a n n , daß vermittelst der Substanzen, die an ihnen selbst - ohne Vermittlung von anderem - Seien de und Einheiten sind, dieselben besonderen Gegenstände auch so, wie sie durch Prädikate der anderen Kategorien bestimmt sind, den Charakter von Seienden und Einheiten bekommen. So kehrt die Argumentation in ihrem Resultat ihren Gedankengang um, denn die Transzendentalien, die sie voraussetzen muß, werden im Ergebnis zu bloß formalen ana lytischen Prädikaten primär der neuen Prinzipien, wie es der schon erwähnte Text a u s d r ü c k t , nach dem mit 'seiend' und 1
Vgl. bei Platon, Soph. 262 a - d , den Begriff der Aussage als einer Verflechtung von Nomen und Verbum.
176 'eines' zu der Bestimmung 'Mensch' nichts hinzugesetzt wird, sondern jeder Mensch schon an ihm selbst oder analytisch ein Seiendes und Eines i s t . [ l ] Auch in der zusammenfassenden Auseinandersetzung mit dem platonischen Prinzipienbegriff gegen Ende des siebten Meta physikbuches geht Aristoteles, wie schon gesagt, auf das Verhältnis der Substanz als des neu ermittelten Prinzips zu den 'größten Gattungen' ein und vergleicht Sein und Einheit hinsichtlich i h r e r Stellung in der Prinzipienfrage mit der bloßen Bestimmung 'Prinzip' selber: [2] Indem sie die allge meinsten Bedingungen von Gegenständlichkeit überhaupt a u s d r ü c k e n , präzisieren sie n u r die Frage nach dem Prinzip, da sie zu erkennen geben, was durch es begründet werden soll. Dieser Weg der Reflexion wird in eins damit als unwesentlich v e r s t a n d e n , daß die Allgemeinheit der für ihn bestimmenden Begriffe sie dafür untauglich machen soll, Prinzipien zu s e i n . [ 3 ] Vor allem aber v e r s t e h t Aristoteles seine Untersu chung ausdrücklich nicht als Reflexion auf die t r a n s z e n d e n talen Voraussetzungen der Prinzipienfrage, "sondern wir erforschen, was denn nun das Prinzip i s t , um es auf etwas Bekannteres z u r ü c k z u f ü h r e n . " [ 4 ] Zur aristotelischen P r i n zipientheorie gehört also auch ein Gesichtspunkt, der dem Ergebnis der legitimen Umwandlung des platonischen P r i n zipienkonzepts Vorrang gegenüber ihren Voraussetzungen gibt und damit die Reflexion auf diese logischen Bedingungen des Resultats als unergiebig und leer erscheinen läßt. Diese Perspektive ist das Frageinteresse, solches dem Typ nach zu bestimmen, was gegenüber anderem ausschließlich als Prinzip fungiert, und dabei an Kenntnisse anzuknüpfen, die unmit telbarer bewußt sind als die Reflexionsbestimmung 'Grund', [5] Man kann deshalb sagen, die Priorität unmittelbarer Sachbestimmungen vor der Reflexion auf ihre t r a n s z e n d e n talen logischen Bedingungen konstituiert die aristotelische Fragestellung, die ihm seine - von ihm so verstandene - Ab lösung vom Piatonismus ermöglicht, dieselbe Priorität muß aber auch in der so begründeten Theorie gewahrt bleiben, wenn der Piatonismus der Transzendentalien nicht wieder kehren soll. 1 2 3
Met. Γ2, 1003 b 22-33 Met. Z 16, 1040 b 18-22; Thomas, In 7 Met. 1. 16, 1638f Met. Z 16, 1040 b 22-27; Thomas, In 7 Met. 1. 16, 1640f; v g l . oben S.85f 4 Met. Z 16, 1040 b 19f 5 Offensichtlich geht es nicht um das Begreifen d e s s e n , was es heißt, ein Prinzip zu sein, weil Aristoteles Prinzipien als sol che vielmehr als das bestimmt, von dem her etwas zuerst i s t , entsteht oder erkannt wird, s. Met. Δ 1 , 1013 a 17ff. Mit dem 'Bekannteren' ist also nicht der logisch frühere Begriff g e meint, sondern eine der Erfahrung nähere Charakteristik d e s s e n , was sich zum Prinzip eignet.
177 Diese Abgrenzung der wissenschaftlichen Sachbegriffe, wie sie primär als Definitionen von Substanzen zu bilden sind , gegen ü b e r Reflexionsbegriffen b e g r ü n d e t Aristoteles an einer anderen Stelle damit, daß solche Reflexionsbegriffe wie d e r , was es heißt, ein Element oder Eines ü b e r h a u p t zu sein - also ' e r s t e s innewohnendes Woraus' und 'Unteilbares' - nicht anstelle des jweiligen Gegenstandsbegriffs, z . B . für den Begriff des F e u e r s , eingesetzt werden k ö n n e n . [ 1 ] Als - selber schon eine bestimm te - Sache und Natur sei das Feuer ein Element, dieses Wort bedeute a b e r , daß ihm dies zukomme (symbebekenai), daß etwas aus ihm als dem ersten Innewohnenden sei. Das heißt, Aristoteles läßt die Elementfunktion des Feuers nicht ebenso mit dessen Natur unmittelbar gesetzt sein, wie jede Substanz - also auch das Feuer - als solche schon und nicht durch einen akzi dentellen Zusatz eines sein soll. [2] Obwohl er auch hier auf den Elementbegriff n u r zu sprechen kommt, um das Verhältnis des Begriffs von Einheit zu den verschiedenen Typen von bestimm ten Einheiten zu e r l ä u t e r n , geht er auf diese Differenz nicht ein. Sie dürfte einerseits darin b e g r ü n d e t sein, daß mit der Bestimmung 'Elemenť anders als mit der Einheit eine unmit telbare Beziehung auf anderes gesetzt i s t , von der die 'Natur' an ihr selbst unabhängig bleiben soll. Andererseits wird hier aber das Verhältnis von Reflexionsbestimmungen wie Einheit und Elementsein zu bestimmten Gegenständen überhaupt u n t e r einem anderen Gesichtspunkt geprüft. Auch der Begriff der Einheit, die Negation von Teilung also, könnte überhaupt nicht für die Erklärung d e s s e n , was es heißt, ein Feuer zu sein, verwandt werden. Mit Bezug auf das Begreifen des Gegenstände d u r c h ihre spezifischen Definitionen muß man also sagen, daß Sein, Einheit e t c . zwar mit den Sachbestimmungen gesetzt, ihrem Be griff nach aber ihnen doch äußerlich sind. Aus der Rede vom Zukommen zieht Thomas deshalb nicht ü b e r raschend die Konsequenz, daß solche Reflexionsbegriffe, wenn sie von Substanzen ausgesagt werden, denselben logischen Sta tus wie Akzidenzen haben, weil auch der Begriff eines weißen Menschen nicht in dem b e s t e h e , was es heißt, weiß zu s e i n . [ 3 ] Auf diese Weise wird am Modell des konkreten Gegenstandswis sens die Disjunktion von Substanz und Akzidens zu einer voll ständigen für alle Prädikate gemacht, auch für die, denen Thomas zugleich u n t e r dem Titel Transzendentalien einen b e sonderen Status zuerkennen will. [4] 1 2 3 4
Met. I 1, 1052 b 1-19, b e s . 9-14; v g l . I 2, 1053 b 24-28; zu Aristoteles 1 Einsetzungmethode v g l . oben S.78f Met. Γ 2, 1003 b 32f In 10 Met. 1. 1, 1933-1936, b e s . 1936 Weiter unten (1. 3, 1978ff) v e r s u c h t er die Reflexionsbegriffe wieder von den Akzidenzen abzugrenzen, aber nicht als Be griffe von einem Gegenstand ü b e r h a u p t , sondern d a d u r c h , daß sie anders als akzidentelle Bestimmungen zum Wesensbe griff einer Substanz nichts hinzufügen.
178 Dieselbe Festlegung der philosophischen Begriffsbildung auf den Horizont, in dem bestimmte Gegenstände wie etwa Unmittelbares gedacht werden, ist auch schon vorausgesetzt, wenn es heißt, mit dem Zusatz von 'seiend' und 'eines' werde nichts anderes als mit einer Sachbestimmung b e d e u t e t , sondern dasselbe.[1] Denn hier ist als Alternative n u r vorgesehen, die transzenden talen Bestimmungen entweder in einer Ordnung auf derselben Stufe von den konkreten Gegenständen - also gegenständlich zu unterscheiden oder sie mit ihnen in eins zu setzen. Unbe rücksichtigt bleibt die Möglichkeit, Sein und Einheit als Begriffe der Reflexion zu v e r s t e h e n , deren Andersheit in i h r e r bedin genden Funktion für das Denken von Gegenständen liegt. Diese Einschränkung der theoretischen Perspektive folgt aus der r e ferierten Übertragung d e r Prinzipienfunktion von den t r a n s z e n dentalen Begriffen auf die Substanzen und aus der Notwendig keit, die dabei leitende Frageintention festzuhalten. In Thomas' Kommentar tritt die Abgrenzung dieses Vorverständ n i s s e s , daß alle Bestimmungen, auch transzendentale, unmittel bar auf die Dinge der Erfahrung zu beziehen sind, gegenüber der Voraussetzung, die eine transzendentale Analyse machen muß, deutlich wieder h e r v o r : Sein, Einheit e t c . sind bloß der Sache nach mit den konkreten Gegenständen identisch, dem Be griff nach (ratione) aber durchaus von ihnen verschieden. [ 2] 1 2
Met. Γ 2, 1003 b 26-30 In 4 Met. 1. 2, 553. Daß rationale Verschiedenheit nach Thomas nicht n u r das Verhältnis Sein - Einheit, sondern auch das beider zu den Wesensbestimmungen kennzeichnet, geht einmal aus Thomas' Erläuterung h e r v o r , ohne solche rationale Verschiedenheit seien die Ausdrücke 'ens homo' und 'unus homo' bloß überflüssiges Gerede, dann aus der ana logen Unterscheidung von 'homo' und 'res' als den Bezeich nungen der bestimmten und der reinen quidditas und schließlich d a r a u s , daß die Identität von Einheit und Sein nicht anderen Typs sein kann als die beider mit dem beson deren Wesen, weil sie aus dieser geschlossen wird (S.552). Gerade das Moment rationaler Verschiedenheit in dem Ver hältnis von transzendentaler und konkret inhaltlicher Be stimmung eines Gegenstandes übersieht Bärthlein, Die T r a n szendentalienlehre der alten Ontologie, S.345 Anm.242, wenn er Thomas (In 10 Met. 1. 3, 1979f) so v e r s t e h t , als könnten "das Eine und das Seiende selbst die betreffenden Wesens inhalte, wie z . B . 'Mensch', sein". Thomas unterstellt Ari stoteles nicht - wie Bärthlein meint - , er "betrachte das Eine und das Seiende als Substanzen im Sinne der "Zweiten S u b stanzen" (der Kategorienschrift)", sondern grenzt die T r a n szendentalien einerseits ausdrücklich von den Akzidenzen a b , sofern sie anders als diese nichts vom Wesen Verschiedenes bedeuten, und kann andererseits aus seinem genannten Korn-
179 Damit wird eine Einschränkung systematisiert, mit der zunächst auch Aristoteles die sachliche Indifferenz von 'Seiendem' und 'Einem' v e r s i e h t : Beide seien in dem Sinn dasselbe und eine Natur, daß mit dem einen jeweils auch das andere gesetzt sei (Konvertibilität), aber nicht so, als würden sie durch einen Begriff e r k l ä r t . [ 1 ] Während Aristoteles sich hier noch nicht einmal auf diese Charakteristik des Verhältnisses von Sein und Einheit festlegen will, hat Thomas als Interpret die Aufgabe, die besondere Weise, wie im vorliegenden Fall Bedeutungsindif ferenz mit Verschiedenheit der begrifflichen Identifikation v e r bunden i s t , theoretisch einzuordnen, d . h . mit Bezug auf ein früher Bekanntes verständlich zu machen. Dies früher Bekannte ist auch hier für ihn die a b s t r a k t e Unterscheidung des reflek tierenden Bewußtseins zwischen seinen Begriffen und den g e meinten Dingen. Der Rekurs auf diese Vorstellung ist nun eher mit der Genesis des aristotelischen Prinzipienbegriffs in Zusam menhang zu b r i n g e n , insofern das Resultat der Umwandlung der platonischen Konzeption n u r zu halten i s t , wenn man nicht auf Sein und Einheit als die Voraussetzungen - und damit auch Prinzipien - des Gedankenganges reflektiert.
mentar zum vierten Metaphysikbuch stillschweigend v o r a u s setzen, daß der rationale Unterschied zwischen 'universalia' wie 'homo' und 'communia' wie 'unum', d . h . ihre v e r s c h i e dene Weise, ein und dieselbe Bestimmtheit zu bedeuten, zu gleich noch mitgedacht wird. 1 Met. Γ 2, 1003 b 22-26
ZWEITER TEIL
BEGRÜNDUNG DES PRINZIPS »SUBSTANZ' AUS DER BEGRENZUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES
1. Kapitel ARISTOTELES' LOGISCHER RAHMEN FÜR DIE WISSENSTHEORE TISCHE GRENZZIEHUNG DURCH DEN PRINZIPIENBEGRIFF 1. Legitimation einzelner wahrer Aussagen d u r c h konventionelle Wesensprädikate Daß für die aristotelische Tradition die Substanz und nicht die Reflexionsbestimmungen, u n t e r denen Gegenstände ü b e r h a u p t gedacht werden, als Prinzip gilt, das scheint aus Aristoteles' Analyse des Urteils und aus seiner Auseinandersetzung mit Pla ton noch nicht hinreichend b e g r ü n d e t zu sein. Das in der Aka demie neue Theorem kann aber über das h i n a u s , was zu der ethischen Dimension der Substanz als des durch sich selbst b e stehenden Unwandelbaren gesagt wurde, auch aus den Re flexionen über die logische Form der Wissenschaften v e r s t ä n d lich gemacht werden, die hier u n t e r dem Titel 'Wissenstheorie' zusammengefaßt werden; dabei sollen vor allem die theoretischen Überlegungen u n t e r s u c h t werden, die zu dem Moment d e r Un mittelbarkeit und Unabhängigkeit der Prinzipien und i h r e r Er kenntnis führen. Ein solcher Interpretationsansatz stellt den Versuch d a r , den oben (S.23-26) bei Aristoteles nachgewie senen Begriff von Prinzipien ü b e r h a u p t , daß man n u r um des Wissens willen nach ihnen fragt, nicht n u r an allgemeinsten Grundsätzen der Wissenschaften, die Thomas 'Erste Prinzipien n e n n t , sondern auch an den Substanzen in dem Sinn auszufüh r e n , daß Aristoteles selbst sie als Wissensprinzipien v e r s t a n d . Es wird also zu zeigen sein, daß die Erkenntnis von Substan zen, d . h . ihre Wesensbestimmung d u r c h Definition, für wissen schaftliche Erkenntnis grundlegend ist und daß die Unmittel barkeit dieses Erkenntnisgegenstandes, d u r c h die er sich vor den Reflexionsbestimmungen auszeichnet, aus dem aristotelischen Verständnis von der Endlichkeit des Bewußtseins einsehbar wird, eines zugleich wissenschaftlichen Bewußtseins, das voll ständige Gewißheit ü b e r den Wahrheit v e r b ü r g e n d e n systemati schen Zusammenhang seines Wissens haben w i l l . [ l ] Der Gedan1
Auch S. Mansion, Die erste Theorie der Substanz, S.122ff, greift auf die entscheidenden Kapitel d e r Zweiten Analytiken ü b e r die Endlichkeit von Aussagen- und Beweisketten zu r ü c k , um den absoluten Hypokeimenoncharakter d e r Substanz zu e r k l ä r e n . Sie v e r s t e h t aber die Wissen begründende Funktion, die das Substanz-Akzidens-Schema in diesem Kon text gewinnt, nicht als ein entscheidendes Motiv des Aristo teles, dieses Schema als Prinzipientheorie ü b e r h a u p t zu v e r t r e t e n , sondern hält den Aufweis der Differenz von Substanz und Akzidenzen für eine in sich schlüssige Grundlegung des Wissens; auf die fraglichen Texte komme ich unten im ..,5., z u r ü c k .
184 ke i s t , daß dieses Bewußtsein auf einen für es und an sich a b soluten Ausgangspunkt oder ein schlechthin Unmittelbares nicht verzichten k a n n ; u n v e r k e n n b a r t r i t t dieser Gedanke in einen Gegensatz zu der These, jegliche Erkenntnis - also auch eine vermeintlich anfängliche - sei auf eine ihr vorangehende we sentlich bezogen. [1] Die Annahme eines solchen Ausgangspunk t e s , d e r in der Substanz, wie sie in der Definition a u s g e s p r o chen wird, und in dem höchsten, u n b e g r ü n d b a r e n logischen Prinzip des Erkennens ü b e r h a u p t gefunden werden soll, wird in d e r 'Metaphysik' vorbereitet: Aristoteles zeigt, daß eine Aussage wahr sein können muß, ohne daß sie die Totalität der mit ihrem Thema eröffneten Beziehungen erschöpfte; ist aber Wahrheit als Aussage eines partikulären Sachverhalts möglich und sogar wis senstheoretisch notwendig, dann können solche Aussagen v o n einander getrennt und in wesentliche und akzidentelle u n t e r schieden werden. [2] Das Argument geht denn auch von der angenommenen Frage a u s , ob ein Gegébenes genau das sei, was die Wesensbestim mung 'Mensch' b e d e u t e t , oder nicht, und hält der philosophisch motivierten Antwort, das Gegebene sei sowohl Mensch wie auch zugleich nicht Mensch, weil es auch noch vieles andere sei, Inkonsequenz v o r . Sie bestehe d a r i n , daß es einerseits offenbar für notwendig gehalten wird, aus Gründen der Totalität der mit der Frage angesprochenen Zusammenhänge die Begrenzung d e r F r a g e , die mit der Bedeutungseinheit des Prädikats 'Mensch' (to hen semainon[3]) gegeben i s t , prinzipiell zu ü b e r s c h r e i t e n , daß andererseits aber die nun ohne jeden Anhaltspunkt für eine neue Begrenzung d e r Prädikate eröffnete Totalität der Bestim mungen in der Antwort doch nicht realisiert werden k ö n n e . Denn, so heißt es wörtlich, die unendlich vielen dem Gegebenen zukommenden Bestimmungen zu durchlaufen, sei unmöglich, ein Abbrechen der Antwort aber nach einigen zusätzlichen Bestim mungen ü b e r die gefragte hinaus muß willkürlich erscheinen. Abstrakt begründen kann man n u r die beiden von Aristoteles angegebenen Alternativen, entweder mit Rücksicht auf die in der Frage gemeinte Bedeutungseinheit die Antwort auf diese Bestimmung zu begrenzen und keine weiteren Bestimmungen, wie zutreffend sie auch sein mögen, hinzuzufügen oder die beim Hinausgehen ü b e r das Gefragte in Anspruch genommene Unteil barkeit der Totalität d e r Prädikate auch wirklich zu vollziehen. An der Reflexion auf die Endlichkeit des Bewußtseins in diesem Sinne, d . h . daß es einen als u n b e g r e n z b a r erkannten Zusam menhang nicht im Durchlaufen aller seiner Elemente erfassen k a n n , liegt e s , daß sich mit d e r aristotelischen Logik - und unangefochten vom Einspruch Hegels - das isolierte Urteil als 1 2 3
A n . p o s t . A 1, 71 a 1f Met. Γ 4 , 1007 a 8-20; Thomas, In 4 Met. 1. 7, 623 Met. Γ 4, 1007 a 13
185 Ort der Wahrheit oder sogar definiert als d a s , was wahr oder falsch sein k a n n , [ l ] in der Theorie behaupten k a n n . Die Verknüpfung dieses Wahrheitsbegriffs mit dem Prinzip der Substantialität zeigt sich beim Übergang zu dem folgenden Ar gument, das gegen die These, von S könne zugleich Ρ und nicht Ρ ausgesagt werden, einwendet, sie mache Wesensbestim mungen unmöglich. [2] Die B e g r ü n d u n g , daß u n t e r der Be dingung der These n u r äußerlich bleibende Eigenschaften (symbebekota) von S angenommen werden können, aber nicht, daß S genau das i s t , was z . B . ein Mensch und ein Lebewesen i s t , weist auf die theoretische Funktion der Substanz hin Substanz v e r s t a n d e n als das mit einer Wesensaussage wie 'Das ist ein Mensch' Gemeinte: Sie soll die wissenstheoretische Not wendigkeit, der zufolge die für sich genommene Aussage einer Bestimmung von einem Subjekt allein schon wahrheitsfähig i s t , positiv d u r c h die Einheit jeden Subjektes mit einer Bestimmung u n t e r Ausschluß beliebiger a n d e r e r Bestimmungen erfüllen. Diese Einheit wird mit der eindeutigen Antwort auf die Frage 'Was ist das?' a u s g e d r ü c k t . Das Wahrheitskriterium etwa der Antwort 'Das ist ein Mensclť besteht d a r i n , daß die jeweiligen Definitionsglieder Genus und Differentia, also hier 'Lebewesen' und 'vernünftig*, in die Prädikatfunktion anstelle der aus i h r e r Verknüpfung resultierenden Species 'Mensch' eingesetzt werden k ö n n e n . [ 3 ] Das Individuum ist nichts anderes als seine zu d e finierende Species, sondern genau d a s , was es zum Beispiel heißt, ein Mensch zu sein. Deshalb kann das Individuum, so fern es an die Stelle der Species als Subjekt der beiden d e finierenden Prädikate t r i t t , genau so wenig wie die Species in demselben Sinn, d . h . auf die Frage 'Was ist d a s ? ' , auch noch durch andere Prädikate bestimmt werden. Den Anhalt für diese Konstruktion einer ausschließlichen Iden tität jedes einzelnen Subjekts mit seiner Wesensbestimmung sucht Aristoteles im S p r a c h g e b r a u c h , der zwar die Prädikation d e r Definitionsmomente der Bestimmung 'Mensch' von einem In dividuum d e c k t , nicht aber die Aussage der Definitionsmomente anderer Bestimmungen von ihm, auch wenn ihm diese Bestim mungen selbst wie etwa 'bleich' gültig zukommen - denn schon was das Genus a n g e h t , müßte dann von dem Individuum gesagt werden können, es sei eine F a r b e . Deshalb kann man von jedem Subjekt n u r im Hinblick auf eine Bestimmung, die insofern sein 1 2 3
Vgl. An. , 430 b 26f Met.Γ 4, 1007 a 20-33; Thomas, In 4 Met. 1. 7, 624-628 S.a. 1006 b 28ff. Für den aristotelischen Begriff der s u b stantiellen Einheit gewinnt gerade die Reflexion keine g r u n d sätzliche Relevanz, d a ß , was mit dem einen Wesen jeweils gemeint i s t , n u r d u r c h seine Auflösung in verschiedene a n dere Bestimmungen gesagt werden k a n n .
186 Wesen ausmacht, b e h a u p t e n , es sei genau d a s , was es heißt, von dieser Bestimmung zu sein. Damit begründet Aristoteles die Abgrenzung einer Klasse von Prädikaten, die in dem Sinn, in dem sie von ihren Subjekten ausgesagt werden - nämlich auf die Frage 'Was ist das?' - jeweils ausschließlich gelten, o d e r , a n d e r s g e s a g t , eines Typus von Aussagen (Kategorie), in denen jeweils nur ein Prädikat - mit seinen Definitionsmomenten - von jedem Subjekt möglich i s t , während dem Sinn des bloßen Zukommens - ohne daß die Definition des Prädikats auch vom Sub jekt gälte - die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit aller anderen Bestimmungen zugeschlagen wird. Daß es für jeden Gegenstand eine substantielle Bestimmung g i b t , die die a n d e r e n , akzidentellen b e g r ü n d e t , [ 1] und welche es im Einzelfall i s t , demonstriert Aristoteles also an der Art, wie man gewöhnlich ü b e r Gegenstände s p r i c h t , wie Realität u n mittelbar für das natürliche Bewußtsein i s t . [ 2 ] Zwar kann d e r implizite Anspruch, damit einen sicheren 'Boden' in der Prin zipienfrage erreicht zu h a b e n , hier nicht wirklich geprüft wer d e n . Mindestens darauf ist aber hinzuweisen, daß mit dem selbstverständlichen, eindeutigen Aussprechen unmittelbarer Realität erfahrungsgemäß n u r ein Typ sprachlicher Beziehung auf Objektivität getroffen i s t , nämlich der der Übereinstimmung der Gesprächsparter ü b e r d a s , was sie als Wesen ihres Gegen standes ansehen wollen, einer Übereinstimmung, die auf einen gemeinsamen E r k e n n t n i s - und Handlungskontext angewiesen i s t . Dagegen ist der Typ der sprachlichen Situation, der die plato nische Reflexion - und vor ihr auf religiösem Gebiet schon die des Xenophanes - a n r e g t e , gerade d u r c h Nichtübereinstimmung d e r Gesprächspartner in den konstitutiven Begriffsbestimmungen des ethisch-politischen Selbstverständnisses gekennzeichnet, das die Grundlagen ihres Zusammenlebens bestimmt. Die mit den aristotelischen Beispielen scheinbar eindeutiger sprachlicher Funktionen verfolgte Absicht, gegenüber dem Sprach- und Sachdissens, wie ihn die Sophisten nachzuweisen suchten, wieder eine Sphäre sprachlicher Konvention auszumachen, [3] wird besonders deutlich, wenn man zeigen k a n n , daß die Ein deutigkeit von Bedeutungen, wie Aristoteles sie a n f ü h r t , kei neswegs so selbstverständlich i s t : Daß etwa jedes Individuum 'Mensch' in dem Sinn genannt wird, lebendig und vernünftig zu sein, ist mindestens d u r c h die aristotelische Tradition zur v e r balen Konvention geworden, aber die Definition, die ein ein deutiges Wesen sichern sollte, bedeutet im Handlungskontext 1 2 3
Vgl. oben Erster Teil, 1. K a p . , 5. Zur Orientierung an dem üblichen Sprachgebrauch v g l . Top. B 1, 109 27-33, worauf Thomas, In 1 A n . p o s t . 1. 4, 33, hinweist. Zu dieser historischen Bedingung für die Konzeption der We sensbegriffe s . Met. E 2, 1026 b 15-21
187 eines Befehle austeilenden Generals etwas völlig a n d e r e s , ja Entgegengesetztes zu dem, was sie im wissenschaftlich reflektie renden Gespräch heißt; o d e r , wie immer auf gut wissenschaft liche Art ein so unverfänglicher Gegenstand wie ein Baum d e finiert werden mag, so ist doch von vornherein abzusehen, daß sein Wesen für einen Holzhändler ein anderes sein wird als für einen Maler. In einem anderen Kontext erkennt Aristoteles die Verschieden heit der Aspekte, aus denen grundsätzlich das Wesen eines Ge genstandes begriffen werden könnte, durchaus a n . [ l ] Danach ist das jeweils subjektiv naheliegende Bekannte, vermittelst d e s sen ein Gegenstand definiert werden könnte, für jeden Betrach ter bzw. Gesprächspartner etwas anderes und wechselt auch noch einmal in den Stadien des subjektiven Erkenntnisprozesses desselben Individuums. Mit dieser Charakterisierung soll aber n u r die Notwendigkeit eines alternativen Definitionsverfahrens plausibel werden: Die definierenden Bestimmungen unterliegen einer logischen Ordnung nach Früher und Später, und v e r b i n d lich, d . h . einheitlich, kann eine Bestimmung n u r durch solche anderen definiert werden, die früher als sie sind, also logisch von ihr nicht abhängen. Im Hinblick auf diese Zielsetzung geht Aristoteles nicht, wie er es in wieder anderem Zusammenhang t u t , [ 2 ] von schon geläufigen, wenn auch divergierenden Vorbe griffen a u s , die durch Vergleich als Momente oder Eigenschaften eines ihnen gemeinsam zugrundeliegenden Begriffs erkennbar würden, sondern v e r s t e h t das jeweils "uns Bekanntere" als i n dividuell n u r vereinzelte Zugänge zur Erkenntnis eines Gegen s t a n d e s . Deren Bedingtheit durch nicht mehr bloß individuelle Handlungszusammenhänge oder Bildungsstadien wird - obwohl diese angedeutet sind - nicht dazu g e n u t z t , ihnen eine kon struktive Funktion bei der Gewinnung eines allgemein gültigen Wesensbegriffs ausdrücklich zuzuerkennen. Damit relativiert Aristoteles selbst das Anknüpfen des Substanzbegriffs an u n bestrittene Sprechweisen, insofern die subjektiv naheliegende Wesensbestimmung eine andere sein kann als die mit der s p r a c h lichen Konvention implizit oder explizit gemeinte und in der De finition festzulegende; so stellt sich h e r a u s , daß der jeweils gültige Wesensbegriff nicht so unmittelbar und s e l b s t v e r s t ä n d lich für den einzelnen Sprecher auf der Hand liegt, wie es a n deren Texten zufolge scheinen k ö n n t e . Hier heißt es sogar ausdrücklich, vielleicht sei das schlechthin Bekannte, von dem als dem logisch Früheren wissenschaftliche Definitionen ausge hen sollen, nicht d a s , was allen bekannt i s t , sondern, was n u r die Verständigen k e n n e n . [ 3 ] 1 2 3
Top. Ζ 4, 141 b 34 - 142 a 11 S. unten 3. in diesem K a p . Es fällt auf, wie diese Auffassung ü b e r das Wissen der We sensbegriffe sich der kritisierten Dialektik a n n ä h e r t , die a n -
188 Sofern Substanz also einfach die mit umgangssprachlichen Ur teilen unmittelbar eindeutig gemeinte, selber unmittelbare und selbständige Wirklichkeit und nicht durch die wissenslogische Notwendigkeit eines schlechthin Bekannten bedingt, vermittelt sein soll, ist sie so mit Berufung auf bestimmte sprachliche Si tuationen konzipiert, die sich günstigenfalls im Zuge konven tioneller Handlungs- und Erkenntniskontexte eingespielt haben. Aristoteles läßt um dieser sprachlichen Legitimation des Neuan satzes in der Prinzipientheorie willen das für ihn bei Sokrates und Platon faßbare Problem, relevanten Dissens ü b e r Sinn und Bedeutung philosophisch aufzuklären und aus Prinzipien zu überwinden, einfach beiseite oder minimalisiert es in d e r Di mension individueller Eigenheiten. Daran zeigt sich die auswäh lende und interpretierende Absicht, die Aristoteles mit seiner Art des Rekurses auf Sprache v e r b i n d e t , die Absicht, für das in endlichem Diskurs einzelne Urteile mit Wahrheitsanspruch aussprechende Bewußtsein einen unmittelbaren Ausgangspunkt in der Theorie zu s i c h e r n . Noch deutlicher t r i t t das Interesse an einem möglichst reinen Unmittelbaren in Thomas' Interpretation h e r v o r , die an der b e sprochenen Textstelle wie auch sonst nicht selten die Begrün dung von der Sprache her zurücktreten läßt und den Konstitu tionszusammenhang d e r substantiellen Einheit auf die B e g r ü n d u n g durch die Einheit des Zugrundeliegenden v e r k ü r z t . [ 1 ] Wenn jedes Subjekt, so heißt es d a , identisch das i s t , was von ihm im Sinn der Substanzkategorie prädiziert wird, dann k a n n , da jedes beliebige Zugrundeliegende (quaelibet res) eines i s t , auch das Prädikat n u r eines sein. Davon, daß das einzelne Subjekt den Sinn seiner besonderen Einheit ebensosehr e r s t erh ält, indem es an die Stelle der Species in der Definition t r i t t , ist hier nicht die Rede. 2. Alltägliches Erkennen als Voraussetzung lichen Wahrheit
der
wissenschaft
Aristoteles hat keinen Zweifel daran gelassen, daß die Wesens begriffe, für die er in der Regel allgemeine Übereinstimmung in der sprachlich eingespielten Konvention u n t e r s t e l l t , als Grund lagen der wissenschaftlichen Beweise fungieren sollen. [2] Die geblich auch ihre Prinzipien im Hinblick darauf gewinnt, was - wenn nicht allen oder den meisten Menschen - den Weisen richtig scheint (vgl. oben S.117). Wie unten ( 2 . K a p . , 3 . c-d) gezeigt werden soll, ist Aristoteles' Begriff von dem schlechthin Bekannten nicht anders als auf dem Hintergrund von Platons Anamnesistheorie zu v e r s t e h e n . 1 In 4 Met. 1. 7, 628 2 Met. E 1, 1025 b 7-16
189 Hinweise auf den geläufigen Sprachgebrauch kann man als einen Versuch i n t e r p r e t i e r e n , den im vorausgehenden Abschnitt a n gesprochenen Gegensatz zu überwinden, in dem die Notwendig keit, unmittelbare Ausgangspunkte für wissenschaftliche Zusam menhänge zu finden, zu der Grundthese von Aristoteles' Wis senstheorie s t e h t , daß alles Lehren und Lernen, also jeder Wis sensfortschritt im Dialog, auf vorangehender Erkenntnis b e r u h t . Denn die jeweils angeführten Definitionen leuchten offenbar gerade deshalb unmittelbar ein, weil sie n u r den Sinn explizie r e n , in dem die Wesensbestimmungen - z . B . 'Mensch' oder 'Haus' - in der Alltagssprache ohnehin schon verwendet wer d e n . Der absolute Ausgangspunkt des wissenschaftlichen Pro zesses ist etwas, das auch im voraus schon bekannt i s t . Wenn es aber im Hinblick auf den von den Sophisten und von Platon dokumentierten Dissens bezweifelt werden k a n n , daß ü b e r b e liebige Wesensbegriffe allgemeine Übereinstimmung sich h e r s t e l len wird, dann gibt Aristoteles' Verfahren, Fälle der Nichtüber einstimmung zu übergehen oder ihnen durch Reduktion auf bloß subjektive Standpunkte den prinzipiellen Stellenwert zu nehmen, zu der Vermutung Anlaß, er habe die den Wissenschaften v o r ausgehenden Erkenntnisse in der Theorie so zurechtgelegt, daß er den wissenschaftlichen Prozeß aus ihnen b e g r ü n d e n k o n n t e . Weil eine solche Vermutung die Begründungsintention des Autors einfach interpretierend umkehrt, ohne die von ihm auf gezeigten Zusammenhänge generell in Zweifel zu ziehen, ist sie nicht leicht zu beweisen. Sie kann n u r dadurch an Überzeu gungskraft gewinnen, daß sie sich als Arbeitshypothese bewährt und auch Seiten der aristotelischen Wissenstheorie verständlich erscheinen läßt, die sonst nicht zu legitimieren sind. - Die Ar beitshypothese läßt sich auch so formulieren, daß Aristoteles das nichtwissenschaftliche, alltägliche Erkennen ganz platonisch so auffaßt, daß es so sein will wie das wissenschaftliche und n u r de facto noch hinter diesem zurückbleibt, [ 1] indem er die alltäglichen Meinungen ausschließlich von ihrem Wahrheitsan s p r u c h h e r , der erst in den Wissenschaften argumentativ ein gelöst werden k a n n , philosophisch deutet und nicht u n t e r a n deren Aspekten, z . B . i h r e r praktischen Funktion. [2] Dieses - interpretierend ergänzte - Programm kann man in formaler Hinsicht am Ende der Ersten Analytiken verwirklicht sehen, wenn das alltägliche Argumentieren in verschiedene Formen wie Induktion, Vergleich, Einwand e t c . eingeteilt und damit einer syllogistischen Beurteilung zugänglich gemacht wird, die ü b e r den Grad seiner immanenten Folgerichtigkeit befindet. [3] Wäh1 2
Phd. 74 d-e Daß mitgeteilte Erkenntnisse auch unabhängig von ihrem theoretischen Wert geeignet sein können, gesellschaftliche Hochschätzung oder Ablehnung hervorzurufen, das hat Pla ton im Höhlengleichnis festgehalten, s. Rep. VII 516c - 517a. 3 A n . p r . 23-27, besonders 68b 9-14
190 rend auf diese Weise eine Affinität der gewöhnlichen Rede n u r zu der syllogistischen Form der wissenschaftlichen B e g r ü n d u n gen hervorgehoben wird, die sich in der Regel nach dem "voll endeten" ersten Schema der Schlußfolgerung vollziehen,[ 1] kommen in den Zweiten Analytiken Momente inhaltlicher Affinität zur Sprache. Diese möchte ich zum Teil erst weiter unten b e handeln, so Aristoteles' Verfahren, das notwendige Vorwissen, das jedem Erkenntnisfortschritt, also auch dem alltäglichen, vorangehen muß, zu den Grundlagen der idealen, d . h . wahren und gewissen Wissenschaften zu konkretisieren (S.201ff), und seine Argumentation, nach der die wissenschaftlichen Beweis ketten ihre konstitutive Begrenzung im Kategorienschema, also in der logischen S t r u k t u r aller, auch der nichtwissenschaftli chen Aussagen finden (.., 5 . ) . Aristoteles' Betonung der inhaltlichen Affinität von alltäglicher und wissenschaftlicher Erkenntnis - gegenüber i h r e r auch denkbaren Abweichung voneinander eine Präferenz, die d u r c h die vorgeschlagene Arbeitshypothese erklärt würde - kann man, wie schon gesagt, an der Unumstrittenheit bemerken, die er für die in den Wissenschaften grundlegenden Wesensbegriffe a n nimmt. Eine andere Auffassung kann auch gar nicht aus der Art und Weise folgen, wie er sich in der Regel die Bildung von Wesensbegriffen d e n k t [ 2 ] : Als das Vorwissen, u n t e r dessen Voraussetzung man das je gemeinte Wesen vollständig begreifen kann, gelten nur Teile der Definition und u n t e r sie subsumier bare partikuläre Bestimmungen. Am weitesten geht er an einer Stelle, die auf die Verwendung der Definition des terminus maior eines Schlusses als terminus medius oder Grund der conclusio a b z i e l t [ 3 ] : Bedingung einer Wesenserkenntnis ist es danach, die Wirklichkeit des zu Definierenden zu erfassen, und dies wiederum setzt v o r a u s , daß der Gegenstand, d e r auch ein Vorgang an etwas sein k a n n , mindestens u n t e r einer der in seiner Definition vorkommenden Bestimmungen begriffen wird. [4] Entscheidend in der vorliegenden Fragestellung dürfte die Ausschließlichkeit sein, mit der von der Wesensbestimmung schlechthin des jeweiligen Gegenstandes - in impliziter Abhe1 2 3 4
A n . po s t . A 14 Inwieweit An. A 1, 402 b 16 - 403 a 2, eine Korrektur d a r stellt, soll unten e r ö r t e r t werden (S.211-216). An.post. 8, 93 a 16-30, s. auch b 3-7 u . 12 Ebenda, 93 a 29: "Wovon wir etwas vom Wesen haben . . . " ist klarer als Z. 22 "etwas von der Sache". Die Interpretation wird d u r c h die Angabe der Bestimmung 'Lebewesen' als Vorbegriff für 'Mensch', Z. 23f, und andere Beispiele bestätigt. Eine Unklarheit ergibt sich jedoch hin sichtlich des Vorbegriffs von der Seele, sie sei ein sich selbst Bewegendes (93 a 24), denn diese Bestimmung wird in Top. 1, 120 b 21-27, klar als ein für die Bildung des we sentlichen Genus ungeeignetes Akzidens bezeichnet.
191 b u n g von seinen Akzidenzen - die Rede i s t . Denn auf diese Weise wird das Vorwissen unmittelbar an dem Substanz-Akzi dens-Schema gemessen und danach beurteilt, inwieweit seine Inhalte mit d e r einen gültigen Wesensbestimmung übereinkommen oder nicht. Auf diese Weise wird auch die E r k e n n t n i s , die noch nicht Wissenschaft i s t , als Vorwissen n u r so weit akzeptiert, wie sie dem systematischen Wissen inhaltlich e n t s p r i c h t . [ 1] Aus dieser These, Wesenserkenntnis sei nicht durch die E r kenntnis von anderem vermittelt, läßt sich auch die e n t s p r e chende erkenntnistheoretische erschließen, die Vernunfter kenntnis des Wesens sei immer ebenso wahr wie die Wahr nehmung einer sekundären Sinnesqualität (An. , 430 b 26-30). Denn eine nicht wenigstens teilweise u n t e r dem We sensbegriff vollzogene Erkenntnis eines u n t e r ihn zu s u b s u mierenden Gegenstandes ist auch keine Erkenntnis dieses Gegenstandes (so A n . p o s t . 8, 93 a 21-27). Wenn man aber nicht einmal ansatzweise weiß, womit man es zu tun hat z . B . ein Tier von vornherein für eine Pflanze hält - , dann wird jeder Versuch einer vollständigen Wesensbestimmung nicht falsch, sondern nichtig, weil er zum Subjekt seiner präzisierenden Prädikate einen ganz anderen Gegenstand - hier eine Pflanze - als den nimmt, mit dem er es - zufolge einer korrigierenden Einsicht in die Sachlage - wirklich zu tun h a t . Allerdings muß Aristoteles anders denken, wenn er in seiner Abhandlung über die Falschheit zwar daran fest hält, daß es von jeglichem Gegenstand n u r eine Wesensex plikation (ο του τι ην είναι λογοσ) gebe, zugleich aber ein räumt, die definierenden Bestimmungen (Genus und Diffe r e n z ) , die eine Species - z . B . den Kreis - wahr identifizie r e n , seien falsch, sobald sie von einem spezifisch anderen Gegenstand, etwa einem Dreieck, ausgesagt würden: Ein sol ches Urteil beziehe sich dann als ganzes auf einen Sachver halt, den es nicht gebe (μη ov) (Met.Δ 29, 1024 b 26-32). Wie auch Ross, Aristotle's Metaphysics, Vol.1, S.345f, e r k l ä r t , muß die Definition als Aussage der definierenden Prä dikate von einem - schon vor dieser Prädikation bestimmten Subjekt (τι κατα τινοσ) verstanden sein, also entsprechend der S a t z s t r u k t u r , die die zitierte Stelle aus An. Γ 6 von der Wesenserkenntnis gerade abgrenzen will, damit ein Satz ü b e r h a u p t falsch sein kann; Aristoteles faßt auch selbst in Met. Η 3, 1043 b 30ff, die Definition als 'Etwas von Etwas Sagen' auf. Mit dem Subjekt 'Dreieck' muß etwas soweit Be stimmtes ausdrücklich gesetzt sein, daß die Aussage des Prädikats: Figur, deren Begrenzungslinie überall gleich weit von einem Punkt entfernt ist - von ihm schlechterdings nicht gelten kann und nicht bloß etwas Unbestimmtes, als 'Dreieck' bloß nichtssagend Etikettiertes, de facto als Kreis identifi ziert. Wenn also Aristoteles mit der falschen Wesensaussage
192 Thomas weist darauf hin, daß diese Festlegung jeder dem Wis sen vorangehenden Erkenntnis relativiert werden könnte, ohne aus seinen Gedanken eine systematisch relevante Alternative zum aristotelischen Wissensbegriff zu entwickeln. Er erhebt v e r schiedentlich Bedenken gegen einen erkenntnistheoretischen Optimismus, für den die Bildung der Wesensbegriffe kein ü b e r ihre logische S t r u k t u r hinausgehendes Problem i s t , und cha rakterisiert das der Wesenserkenntnis vorausgehende Erkennen d a d u r c h , daß es sich auf Wirkungen, Akzidenzen und Eigen schaften der Gegenstände beziehe, aus denen es diskursiv auf ihren Grund oder auf die Form, als deren Zeichen sie aufgefaßt werden, zurückschließt. [ 1] Ausdrücklich wird in diesen Kon texten die Möglichkeit ausgeschlossen, daß die Wesensbegriffe ursprünglich und unmittelbar erkannt werden könnten. An a n deren Stellen ist nicht einmal mehr von einem Regressus des Erkennens von den bekannten akzidentellen Eigenschaften zu den Wesenbestimmungen die Rede, sondern die Argumentation setzt mit deren Unbekanntheit ein, ohne ausdrücklich auf den Weg zu i h r e r Überwindung hinzuweisen. [ 2] Ob Thomas das n u r deshalb nicht t a t , weil die Bedingungen wissenschaftlicher E r kenntnis jeweils gar nicht sein Thema waren, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls zeigen seine kritischen Bemerkungen, daß er die gewöhnliche Gegenstandserkenntnis vom Erfassen des jewei ligen Wesens in d e r Definition sogar kategorial u n t e r s c h i e d . Auf dieser Grundlage wäre es nicht mehr konsequent, die der wis senschaftlichen Definition vorausgehende Kenntnis vom Gegen stand als bloßen Teil der Definition in dieselbe zu i n t e g r i e r e n . Die bloße Divergenz der beiden Erkenntnis weisen markiert viel mehr ein Text, der das Begreifen einer Sache aus ihren We sensbestimmungen als die wahre Definition von derjenigen a b h e b t , die sich an Akzidenzen, Eigenschaften oder äußere Ur sachen des Gegenstands h ä l t . [ 3 ] Diesen kritischen Überlegungen, die zum Teil neuplatonisch b e einflußt sind, steht aber die durchgängig von Thomas v e r t r e tene Auffassung gegenüber, das eigentümliche Objekt d e r menschlichen Erkenntnis sei das Wesen der materiellen Gegen s t ä n d e . [4] Die Bildung des Begriffs von ihm beruhe - statt auf
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nicht n u r eine theoretische Kombination, eine abstrakt logi sche Möglichkeit meint, dann muß ein Dreieck zunächst u n t e r einem seinem Wesen angemessenen Vorbegriff erkannt und dieses so bestimmte Subjekt in einem weiteren Gedanken schritt dennoch durch Genus und Differenz des Kreises zu sätzlich bestimmt werden können. 3 S 35 II 2, 1; In 7 Div.nom. 1. 2, 713; In 2 A n . p o s t . 1. 13, 533; s . a . 1. 7, 475; In 1 An. 1. 1, 15 Ver. X 1; Ente 5, Roland-Gosselin S.40, Z.6-10, u . Anm.2 In 7 Met. 1. 12, 1542 Vgl. dazu unten S.305, Anm.3
193 d e r sprachlich faßbaren Vorkenntnis von jeweils einzelnen Aspekten der Sache - auf der Abstraktion von sinnlichen Vor stellungen, aus d e r ein niehtsinnliches Bild des Wesens (similitudo rei intellectae) als intelligible Form (species intelligibilis) d e r Erkenntnishandlung r e s u l t i e r e . [ 1] Weil Thomas die intellek tuelle Tätigkeit im Grundsätzlichen nicht anders als eine n a t ü r liche v e r s t e h t , unterscheidet er die aus den Vorstellungen a b strahierte species intelligibilis als die aktualisierende Form, u n t e r der sich die Handlung der Vernunft vollzieht und die selbst n u r durch Reflexion auf das Erkennen - d . h . eine von der a r i stotelischen Theorie des Werdens geleiteten Reflexion - erkannt werden k a n n , von dem bewußten Begriff oder Gedanken, den e r als reines Produkt des Erkennens auffaßt. [2] Auf diese Weise wird die einsinnige Linearität der Begründungsreihe Form - Tä tigkeit - Getätigtes gewahrt, wie sie dem Begriff einer natürli chen Kausalkette e n t s p r i c h t . Dieses Modell schließt die Möglich keit gänzlich a u s , Erkenntnis so zu begreifen, daß sie sich selbst aus ihrem Vorhergewußten b e g r ü n d e t , oder i h r Produkt zugleich als ihren Grund zu b e t r a c h t e n , sofern es neue Fragen aufwirft und so zu weiteren Einsichten leitet. Das heißt, E r kenntnis darf nicht als ursprüngliches Aufsichzurückkommen, als Reflexivität gefaßt werden, wenn sie u n t e r den Begriff n a türlichen Werdens und natürlicher Kausalität subsumierbar sein soll. Thomas' Erkenntnistheorie im engeren Sinn, die Erkenntnis als einen Wirkungszusammenhang verschiedener Vermögen b e t r a c h t e t , ist also mit der monadologischen, reflexiven Konzeption des Wissens u n v e r e i n b a r , nach d e r sich aller Erkenntnisfortschritt n u r durch vorangehendes Wissen, also durch Beziehung des wissenden Bewußtseins auf sich selbst vollzieht. Eine v e r s c h i e dene Vorbegriffe gegeneinander abwägende und beurteilende Wesensbestimmung hat Aristoteles noch an Begriffen d e r Ersten Philosophie n u r faktisch d u r c h g e f ü h r t , für die Bildung wissen1
S. z . B . I 84, 7, u . I 85, 2. Diesem Ansatz entspricht Tho mas' logische Einordnung d e r Definition, mit d e r e r das bei Aristoteles unklare Verhältnis der Definition zum Satz d e u t lich machen will: Die Definition - d . h . genau: das Definiens - ist eine einfache Vorstellung (incomplexum), die das spezifische Vernunftobjekt ausmacht. Deshalb kann die wirk lich vollzogene Wesenserkenntnis, die dies einfache Definiens allemal auf sein Definitum bezieht, also selber ein komplexer Satz i s t , grundsätzlich wahr sein - wie sich auch das Sehen nicht in der Farbwahrnehmung t ä u s c h t . Wenn sich ein Irrtum einschleicht, dann liegt es an d e r durchaus zufälligen ( p e r accidens) Besonderheit der spezifischen Vernunfterkenntnis, daß sie sich n u r in d e r Komplexion von Sätzen a u s d r ü c k e n , also auch nicht Zusammengehöriges verbinden kann (In 3 An. 1. 1 1 , 760ff; cG I 59, 496; In 1 An.post. 1. 5, 52). 2 cG I 5 3 , 442ff; Pot. IX, 5; Quodl. V 5, 2
194 schaftlicher Begriffe aber offenbar nicht entsprechend b e r ü c k sichtigt. Mit der präziseren Auffassung des Erkennens als Wir kungsdynamik t r i t t bei Thomas - der Theorie nach - an die Stelle der Begriffsbildung durch reflektierende Beurteilung weitgehend eine natürlich gedachte Richtigkeit, die sich ohne Zutun der bewußten Subjektivität herstellen soll: Weil der In tellekt seiner Form nach durch ein Bild des Gegenstandes b e stimmt i s t , kann er auch keinen anderen Bewußtseinsinhalt (intentio) als eben ein solches Bild h e r v o r b r i n g e n , [ 1] wie auch der Mensch immer einen Menschen zeugt. So scheint Aristoteles' These, die Wesenserkenntnis sei immer wahr, ontologisch b e g r ü n d b a r zu sein, 3 . Wissenschaftliche gebrauch
Begriffsbildung
aus dem gängigen Sprach
Immerhin berücksichtigt Aristoteles auch, daß man die Definition eines Gegenstandes oft erst suchen muß, und schlägt dafür verschiedene Verfahren v o r . Er stellt zunächst das Verfahren der Dihairesis und besondere mit ihm verbundene Fragen d a r [ 2 ] und behandelt dann die Gewinnung eines gesicherten Allgemein begriffs, die von d e r Kenntnis b e s o n d e r e r , u n t e r ihn zu s u b sumierender Fälle a u s g e h t . [ 3 ] Bei der Ermittlung des Begriffs soll man den Sprachgebrauch eines allgemeinen Ausdrucks auf nehmen, von dem man weiß, daß u n t e r ihn nicht n u r individuell verschiedene Fälle subsumierbar sind, sondern daß er auch auf verschiedene Gruppen solcher Fälle angewandt wird, die sich d u r c h gruppenspezifische Merkmale voneinander abheben. Denn nach Aristoteles ist die Bedeutung der umgangssprachlich für Verschiedenes verwendeten Bestimmung - d . h . eines Genus gefunden, vienn ein definitorisch expliziter Sinn identisch den verschiedenen Begriffen zukommt, u n t e r denen die zuvor b e stimmten Untergruppen voneinander abgegrenzt wurden. Ist ein solcher gemeinsamer Sinn dagegen nicht auszumachen, dann wird die aufgenommene Bestimmung äquivok gebraucht und b e deutet all d a s , worunter die einzelnen Teilgruppen jeweils v e r schieden begriffen werden. [4] Die Einschaltung sinnverschiedener Untergruppen zwischen die individuellen Fälle und die Bestimmung des allgemeinen Begriffs ist daraus zu v e r s t e h e n , daß das Besondere als leichter b e stimmbar als das Allgemeine gilt und in der allgemeinen Bestim mung eher Äquivozität vermutet werden kann als in d e r , die 1 2 3 4
cG 53, 444: " . . . quia quale est unumquodque, talia o p e r a t u r " , d . h . die intellektuelle Tätigkeit wird aus dem Sein des Intellekts b e g r ü n d e t . An.post. 13, 96 22 - 97 b Ebenda, 97 b 7-39 An.post. 13, 97 b 7-15
195 nicht mehr in Unterbegriffe für durch sie bestimmte Individuen gruppen aufgeteilt werden k a n n . [ l ] Wenn es aber Aristoteles darauf ankommt, schrittweise vom Einzelnen zum Allgemeinen ohne Auslassen von Zwischenstufen fortzugehen, dann scheint eine Erklärung dafür erforderlich, daß er nicht mit der begriff lichen Identifikation einer solchen Bestimmung zu beginnen v o r schlägt, die von allen u n t e r sie zu subsumierenden Einzelnen in demselben nicht weiter differenzierbaren Sinn ausgesagt wird, obwohl auch das von ihm genannte Verfahren solche Bestim mungen (species) b e a n s p r u c h t : Man kann wohl annehmen, daß der Nachweis der univoken Aussage einer Bestimmung zuverläs siger geführt werden k a n n , wenn die verschiedenen Urteils subjekte nicht n u r als Einzelne ü b e r h a u p t dem allgemeinen Prä dikat gegenübergestellt werden, sondern schon unter v e r s c h i e denen unbestrittenen Species bekannt sind , so daß das logische Verhältnis einer allgemeinen zu verschiedenen besonderen Be stimmungen Gegenstand der Prüfung i s t . Thomas' kommentierendes Beispiel, dessen Begriffs Zusammenhang geläufiger und deshalb leichter zu vervollständigen ist als der des aristotelischen, bietet sich zum Beleg dieser Erklärung an: [2] Danach ist d a s , worin die Fälle oder Individuen einer ein zelnen Untergruppe als ihrem jeweils abgrenzenden Begriff übereinkommen, nicht, wie man erwarten k ö n n t e , mit ihrer g e meinsamen umgangssprachlichen Bezeichnung, die in der Defini tion Species heißt, gleichzusetzen, sondern in einer gemein samen Eigenschaft wie der Vernünftigkeit der Menschen oder dem Wiehernkönnen der Pferde zu suchen. Für sich genommen gilt also die Bezeichnung 'Mensch' nicht als ein Vorbegriff, der zur Prüfung der Univozität eines Prädikats wie 'Lebewesen', das zugleich von Pferden ausgesagt wird, hinreichen würde, son dern von dem Sinn dieser Bezeichnung wird erst dann etwas begriffen, wenn alles durch sie Bezeichnete mit Rücksicht auf ein zuvor Erkanntes wie Vernünftigkeit bestimmt w i r d . [ 3 ] Von 1 2 3
An.p ost. 1, 97 b 28-31 In 2 An.p ost. 1. 16, 553 Das aristotelische Beispiel von der schon kaum übersetzbaren magnanimitas (etwa: Großgesinntheit), An.post. 1, 97 b 15-25, unterscheidet nicht eine je besondere Bezeichnung der Untergruppen, die etwa als Stolz und Gleichmut verständlich gemacht werden, von diesen Begriffen, sondern geht davon a u s , daß die beiden Gruppen zugehörigen Fälle von v o r n h e r ein 'magnanimitas' genannt werden. Aber auch hier ist es entscheidend, ob den beiden besonderen Bestimmungen ein allgemeinerer Sinn von magnanimitas, also nicht die bloße Bezeichnung 'magnanimitas', gemeinsam zukommt. - Auf diese Weise wird der reflektierende Übergang von der s e l b s t v e r ständlichen Verwendung von Bezeichnungen oder Namen für
196 diesen aus dem Vorwissen aufgenommenen Begriffen hängt es a b , ob das d u r c h sie je verschieden Begriffene auch u n t e r einen gemeinsamen Begriff gebracht werden k a n n , d e r dann für die Univozität des allgemeinen Prädikats 'Lebewesen' s t ü n d e : Wird ein identisches Moment der beiden differenzierenden Be griffe 'Wiehernkönnen' und 'Vernünftigkeit 1 gefunden, so ist dies der eine allgemeine Begriff für Lebewesen. Thomas entzieht sich der Aufgabe, diesen entscheidenden Schritt der Begriffs bildung an seinem Allerweltsbeispiel vorzuführen und macht da mit die Schwäche der sonst von ihm herangezogenen arbor Porphyriana offenbar, nach der er zu der Definition 'beseelter Körper' gelangen m ü ß t e . [ 1 ] Text und Kommentar machen aber nicht ausdrücklich, daß die Untergruppen aus ihren je charakteristischen Eigenschaften n u r begriffen werden können, indem sie auf ein zuvor schon Ge wußtes bezogen werden - wäre Vernünftigkeit nicht schon b e k a n n t , so könnte sie auch nicht deutlicher machen, was mit 'Mensch' gemeint i s t . [ 2 ] Ebensowenig wird die Verschiedenheit des Kontextes, aus dem die beiden angegebenen Begriffe von magnanimitas (Stolz und Gleichmut) zu verstehen sind, philo sophisch entwickelt, so daß eine inhaltliche Gegenüberstellung und Diskussion möglich würde. Vielmehr erweist sich die Gewinnung des Allgemeinbegriffs im aristotelischen Sinn im Gegenstände oder Vorgänge zum bewußten Begreifen des mit der Bezeichnung Gemeinten e r k e n n b a r : Der Begriff, d . h . das Verstehen des Bezeichneten als etwas a n d e r e s , schon Bekanntes, soll die Eindeutigkeit d e s s e n , was mit der Be zeichnung bedeutet wird, durch bewußte Festsetzung wie derherstellen, wenn die Gesprächspartner bemerken, daß sie in der Verwendungsweise derselben Namen nicht mehr ü b e r einstimmen. In dieser Funktion v e r s t a n d e n , ist der Begriff zugleich nicht mehr vom Urteil zu unterscheiden, insofern er etwas scheinbar Selbstverständliches - 'die Menschen' - , das aber in seiner Bedeutung unklar geworden i s t , als etwas a n d e r e s , als vernünftige, was schon bekannt und deshalb klarer sein muß, e r k e n n b a r macht. 1 S.a. Ente 2, Roland-Gosselin S.14, Z . 3 , S.17, Z.3-10. Auch mit seiner Ergänzung des aristotelischen Beispiels will Tho mas der Forderung gerecht werden, daß der Sinn und die Definition der in Frage stehenden Prädikate ( A n . p o s t . 1, 97 b 10-13) zu suchen sind, indem er für magnanimitas Be wußtsein der eigenen Würde' (quod aliquis existimat se dignum magnis) vorschlägt (In 2 A n . po s t . 1. 16, 554). 2 In anderem Zusammenhang, nämlich gegenüber der angenom menen These, man könne die Grundlagen aller Seienden gleichsam ex nihili erforschen und e r k e n n e n , bemerkt Ari stoteles, daß auch die Momente der Definition im voraus b e kannt sein müssen, s . Met. A 9, 992 b 22-33.
197 Hinblick auf inhaltliche Fragen gerade als ein Verfahren, kon troverse Begriffsbestimmungen formallogisch zu neutralisieren: Entweder soll keiner der beiden sich gegenüberstehenden Be griffe von magnanimitas, also verletzlicher Stolz und Gleichmut in den Wechselfällen des Lebens, sondern ein ihnen gemeinsames Moment das sein, was magnanimitas b e d e u t e t , oder, ist ein sol ches gegensatzfreies Moment an ihnen nicht zu ermitteln, so wird jede Kontroverse mit dem Hinweis auf die Āquivozität zweier ganz verschiedener Begriffe, denen n u r die Bezeichnung gemeinsam i s t , für gegenstandslos e r k l ä r t . Das von Thomas zusätzlich vorgeschlagene Beispiel von der Bil dung des Begriffs 'Lebewesen' zeigt, daß für ihn diese Funk tion des definitorisch festgelegten Allgemeinbegriffs, einen i n haltlichen Gegensatz logisch aufzulösen, nicht mehr aktuell i s t . Denn es ist klar, daß Vernünftigkeit und Wiehernkönnen nicht sinnvoll kontrovers in einer Diskussion vorgebracht werden können, in der es um die Bedeutung von 'Lebewesen' g e h t . Vielmehr gehört es schon zur Wirkungsgeschichte der a r i s t o telischen Logik, daß Thomas wie selbstverständlich eines i h r e r geläufigsten Beispiele da einsetzt, wo erläutert werden soll, wie der Sinn einer für vieles verwendeten Bezeichnung gefunden werden kann - ein Verfahren also, das n u r aus Unklarheit oder Nichtübereinstimmung über diesen Sinn begonnen wird - und ebenso routinemäßig als Begriff d e r Untergruppe 'Menschen' die traditionell für diese Species eingeführte Differentia specifica n e n n t . Während man in dem aristotelischen Text die Ausdrücke 'Species' und 'Genus' für die verschiedenen Untergruppen und ihr gemeinsames Allgemeines als nichtterminologisch v e r s t e h e n k a n n , weil bei dem unaufgelöst bleibenden Beispiel hier gar nicht gesagt wird, ob es ü b e r h a u p t ein allgemeines Genus 'magnanimitas' und ihm zugehörige Species gibt, steht bei dem von Thomas hinzugesetzten Fall des Prädikats 'Lebewesen' das Schema von Genus und Species inhaltlich bestimmt genügend fest, daß klar i s t , welche Bestimmungen einerseits jeweils eine Untergruppe differenzieren und welche andererseits das wie derum an diesen Bestimmungen Identische ausmachen sollen.[1] Auf diese Weise ist die Frage nach dem mit einer sprachlichen Bezeichnung wesentlich Gemeinten als ein Problem, das aus einer Kontroverse oder Ungewißheit ü b e r diesen Sinn r e s u l t i e r t , aus der philosophischen Prinzipiendiskussion verschwunden - wenn sie auch bei der Notwendigkeit, im Einzelfall bestimmte Begriffe durch Definition zu bilden, von praktischer Relevanz bleibt - , insofern mit dem Wesensbegriff, wie er sich im Rahmen 1
Die Species 'Mensch' und 'Pferd' eigneten sich b e s s e r , die Bildung des Begriffs, daß Lebewesen beseelte Körper s i n d , zu demonstrieren, wenn Thomas als spezifische Differenz für 'Mensch' statt der Vernünftigkeit die von Aristoteles oft g e n a n n t e , aber unzureichende Zweifüßigkeit nähme.
198 des Kategorienschemas bestimmt, eine Antwort grundsätzlich gefunden zu sein scheint. Denn wenn der aristotelische Text sich auch nicht explizit auf die Kategorien bezieht, kann Tho mas die Kategorienlehre im Hinblick darauf als vorausgesetzt annehmen, daß Aristoteles Kriterien für die Bestimmung nicht eigens diskutiert, die als das Identische der Fälle bzw. Indi viduen oder aller Untergruppen zusammen zu ermitteln i s t , und daß er am Anfang des Kapitels das dihairetische Verfahren zur Gewinnung der Definition u n t e r die Bedingung stellt, es müsse von einem allgemeinen Prädikat derselben Kategorie a u s g e h e n , in die die zu definierende Bezeichnung g e h ö r t . [ 1 ] Was diese e r s t e Einschränkung der Bestimmungen, die ein gemeintes Wesen explizieren, auf jeweils eine Kategorie inhaltlich bedeuten k a n n , ist etwa daraus zu e r s e h e n , daß auf diese Weise in die Bedeu t u n g von magnanimitas keine zeitlich-historische Bestimmung eingehen k a n n . Denn magnanimitas ist eine Qualität und keine Zeitbestimmung, obwohl die beiden divergierenden, sogar ent gegengesetzten Bedeutungen, verletzlicher Stolz bzw. r i t t e r liches Ehrgefühl und Gleichmut gegenüber den Wechselfällen des Lebens, auf einen Zusammenhang hin wohl kaum unabhängig von der geschichtlichen Entwicklung des Bewußtseins der Menschen von ihrer Würde geprüft werden können. Zwar hat Aristoteles das Verhältnis der besonderen Begriffe zu den einzelnen Fällen i h r e r Gruppen und des allgemeinen Be griffs zu den besonderen nicht so explizit wie Thomas in seinem kommentierenden Beispiel vom Lebewesen festgelegt und insofern auch nicht eigens g e s a g t , welche die Kriterien für das Identi sche der Fälle einerseits und der Begriffe der Untergruppen andererseits sind. Aber die Zielsetzung, daß die Suche nach einem Identischen der besonderen Begriffe erst mit d e r Ermitt lung desjenigen Begriffs (logos) erfolgreich sein k a n n , der das mit der zur Diskussion stehenden Bezeichnung ('magnanimitas') Gemeinte definiert, [2] erfordert das von Thomas angegebene Schema als die logische Form des ganzen Suchverfahrens. Denn es gibt im Text keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Erarbei t u n g allgemeiner wissenschaftlicher Begriffe auf anderen beson deren Bestimmungen als gerade denjenigen beruhen k ö n n t e , die auch dihairetisch wieder aus ihnen differenziert werden können. Vielmehr ist eben das Verhältnis zugrunde zu legen, das Aristo teles im Hinblick auf das dihairetische Verfahren der Defini tionsermittlung angibt, daß nämlich dieselbe Bestimmung, die - wie etwa Ungeradheit - zu der Differentia specifica einer Species wie Dreizahl g e h ö r t , dem Genus dieser Species, also hier der Zahl im allgemeinen, als wesentliche Eigenschaft (kath'hauto symbebekos) zukommt.[3] 1 2 3
An.post. 13, 96 24-32 Ebenda 97 b 10-13 Ebenda, 96 29-37, A n . p o s t . A 10, 76 b 3-8
199 Der Zusammenhang mit dem Begriff des Genus wird dann unmit telbar deutlich, wenn man von den Texten a u s g e h t , in denen Aristoteles das Subjekt als ein Moment des Begriffs seiner Eigenschaft auffaßt.[1] Dann kann man mit dem Genus auch seinen Begriff in der Differenz logisch impliziert und darin die Garantie sehen, daß dasjenige, was man von den verschiedenen Differenzen auf die Frage nach ihrem Wesen hin identisch a u s s a g t , auch zum Begriff des Genus als ihres identischen S u b j e k t s , dem ihre Verschiedenheit nachgeordnet i s t , g e h ö r t . [2] Versteht man also Aristoteles' Bemerkungen zur Dihairesis als systematische Erläuterungen zu den Methoden der Begriffser mittlung, die vom Besonderen zum Allgemeinen fortgeht, dann erscheinen Thomas' Ergänzungen folgerichtig, sowohl seine Ein führung des Lebewesenbeispiels wie auch sein Hinweis, daß das identische Allgemeine als der Grund der besonderen Bestim mungen zu suchen s e i . [ 3 ] Denn n u r so ist einzusehen, weshalb man mit dem, was an den besonderen Bestimmungen als iden tisch erkannt werden k a n n , zu dem von Aristoteles gesteckten Ziel, dem Begriff der allgemeinen generischen Bestimmung, g e langen soll. Die Frage an die Texte lautet, wie der Übergang von vorwis senschaftlichen, ungesicherten Begriffen zu solchen zu denken i s t , die durch ihre logische Form, die Definition, Beweise der 1
An.post. A 4, 73 a 37 - b 3; Met. Z 5, 1030 b 14-28 u . 1031 a 2-11; eine andere Auffassung von d e r Differentia liegt in Top.Δ 2, 122 b 18-24, v o r . 2 Am Beispiel der Eigenschaften gerade - ungerade der Zahl wäre das vielleicht zu illustrieren: Wenn man annimmt, daß sie sich gerade darin unterscheiden, daß gerade Zahlen in zwei gleichgroße Teile teilbar sind, ungerade aber nicht, dann erhält man, v o r a u s g e s e t z t , daß jede Zahl entweder gerade oder ungerade i s t , das identische Moment d e r Teil barkeit als einen ersten und noch zu ergänzenden, aber doch verbindlichen Begriff von der Zahl. Die von Aristoteles vorgeschlagene Methode der Begriffsfindung, anstelle der zunächst undifferenzierten Verwendung eines Ausdrucks für vieles verschiedene Begriffe für Gruppen dieser Mannigfal tigkeit auf ein Gemeinsames hin zu vergleichen, also das identische Allgemeine nicht aus sich selbst, sondern aus a n derem, Verschiedenem zu begreifen, wird bei diesem Beispiel besonders nachhaltig dadurch b e s t ä t i g t , daß sie gerade in dem Unterschied der beiden Gruppen auch einen Begriff i h r e r Identität bietet. 3 In 2 An.post. 1. 16, 554: " . . . quod utrumque - Stolz und Gleichmut - contingit p r o p t e r hoc quod aliquis existimat se dignum magnis." Das entspricht dem B e g r ü n d u n g s v e r h ä l t n i s , das die Wesensbestimmung eines Subjekts zu dessen u n a b t r e n n b a r e n Eigenschaften haben soll, s . An. 12 ad 7 u . Spir. c r e a t . 11 ad 7, Keeler S.145f.
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Sätze ermöglichen, in denen sie verwandt werden. Sie erbringt eine wesentliche Ergänzung zu Aristoteles' theoretischem Rekurs auf Vorwissen, der aus der eingespielten sprachlichen Auffas sung von Gegenständen und Sachverhalten eindeutige Bestimmt heit ihres Wesens und daraus die Differenz von Substanz und Akzidenzen folgert: Fehlt es an einem solchen Konsens ü b e r den Sinn eines A u s d r u c k s , dann kann die Diskussion d a r ü b e r , was durch ihn begriffen werden soll, durch ein formales Verfahren entschieden werden, das darauf verzichtet, den Rechtstitel der verschiedenen Vorschläge zu prüfen und sie gegeneinander a b zuwägen, wie es der sokratischen Prüfungsmethode (elenxis) e n t s p r ä c h e . Jenes Verfahren geht von der These a u s , daß jeder Gegensatz zweier oder mehrerer Begriffe, die b e a n s p r u c h e n , den Sinn eines sprachlichen Ausdrucks anzugeben, mit rein logischen Mitteln auflösbar i s t : Entweder wird ein identisches Moment aller Begriffe als der den Gegensatz transzendierende Sinn des Ausdrucks v e r s t a n d e n oder die verschiedenen I n t e n tionen werden u n v e r ä n d e r t als gleichberechtigt a n e r k a n n t , weil sie für die logische Analyse bloß divergieren und deshalb i h r e r sprachlichen Identität kein gemeinsames Bedeutungsmoment g e genübergestellt werden k a n n . Damit ist a priori bestimmt, wie beliebige vorwissenschaftliche Kontroversen über Bedeutungen in einen sicheren wissenschaftlichen Gang der Begriffsanalyse übergeleitet werden können und wie der wissenschaftliche Be griff sich zu dem nichtwissenschaftlichen Vorkenntnissen v e r halten k a n n . Die Entwicklung bis zu Thomas' Ergänzungen zeigt, welchen theoretischen Begründungsaufwand die Ablösung der inhaltli chen Diskussionen einzelner Begriffe d u r c h das allgemein a n wendbare formallogische Verfahren der wissenschaftlichen Be griffsbildung notwendig macht. Schrittweise von der eigentli chen Erörterung der egriffsbildung über die Bemerkungen zur Dihairesis bis zu den systematischen Erklärungen des Kom mentars stellt sich h e r a u s , daß die inhaltliche Kontinuität des Übergangs von vorwissenschaftlichen Kenntnissen zum Wissen, die aus der Formalität des Verfahrens folgt, von d e r Theorie auch umgekehrt gelesen werden muß. Denn damit ü b e r beliebige Inhalte des Vorwissens nach der genannten logischen Form e n t schieden werden k a n n , müssen sie ebendieselben Inhalte wie die der Wissenschaft sein und sogar in demselben logischen Ver hältnis zueinander s t e h e n , in das sie durch die wissenschaftli che Begriffsildung explizit gebracht werden, also sich nach dem Definitionsschema, zusätzlich angewandt auf den Komplex Subjekt - Eigenschaft, aufeinander beziehen. Was Aristoteles ausdrücklich von der Form vorwissenschaftlichen Argumentierens s a g t , daß sie nämlich den Syllogismus schon in Anspruch nimmt, das muß die Theorie auch den vorwissenschaftlichen Begriffen in dem analogen Sinn zugrunde legen, daß sie an sich schon nach den Kategorien geordnet sind und jeweils innerhalb einer Kategorie die Funktionen der Definitionslogik erfüllen.
201 4. Bedingungen für Wissen: a) Objektivierung des Vorwissens und Endlichkeit der Begrün dungsreihen Thomas v e r s t e h t die ersten Sätze der Zweiten Analytiken so, daß der ganz allgemeine Grundsatz, jede Erkenntnis werde auf g r u n d einer i h r vorangehenden erworben, die Notwendigkeit des beweisenden Schlusses für Wissen, die vollkommene E r k e n n t n i s , nachweisen s o l l . [ l ] Diese Interpretation kann gegen den Ein wand, daß e r s t im zweiten Kapitel bestimmt, was Wissen i s t , und daraus dann der Begriff des Beweises entwickelt wird, zweierlei anführen: Man kann als Vorverständnis von Wissen schon voraussetzen, daß es vollkommene Erkenntnis i s t , [ 2 ] und deshalb den Begriff der Erkenntnis analog im Hinblick auf ihre vollkommene Form fassen, so daß ein Grundsatz ü b e r Erkenntnis ü b e r h a u p t in einem ausgezeichneten Sinn von Wissen gelten muß. Was Abhängigkeit von vorangehender Erkenntnis heißt, kann daher vollständig entwickelt n u r an den Bedingungen des Wissens ausgemacht werden, konstituiert aber in eingeschränk t e r Form auch die nichtwissenschaftliche E r k e n n t n i s . Wenn dann zweitens noch im voraus zugestanden wird, daß Beweisen etwas mit Schließen zu tun h a t , dann kann die analoge Beziehung al ler Erkenntnis auf Wissen auch daran bestätigt werden, daß das bewußte Übergehen von einer Erkenntnis zur andern oder das Argumentieren, [3] wie Aristoteles schon in den Ersten Analy tiken gezeigt hat und n u r zu resümieren b r a u c h t , in seinen verschiedenen Formen immer durch einen Schluß vollzogen wird. Denn auf diese Weise hat jedes Argumentieren etwas vom Be weisen an sich, ohne doch selber schon ein Beweis zu sein. 1
In 1 A n . po s t . 1. 1, 8f: "Ad ostendendum igitur necessitatem demonstrativi syllogismi, praemittit Aristoteles quod cognitio in nobis acquiritur ex aliqua cognitione p r a e e x i s t e n t i . " Der Nachweis soll mit dem e r s t e n Kapitel abgeschlossen sein, s . 1. 4, 28. 2 Ebenda, 1. 4, 32. 3 In 1 An.post. 1. 1, 8 (Schluß): "Nam ex uno in aliud a r gumentando procedimus." In Absatz 9 begrenzt Thomas die Abhängigkeit von vorhergehendem Erkennen auf den Er kenntnisgewinn d u r c h Lehren und Lernen. Offenbar will Aristoteles andere Erkenntnisweisen aber nicht ausschließen, sondern sie vom Lernen h e r begreifen, weil dieses die E r kenntnisschritte in i h r e r jeweiligen Logik sprachlich ausfor muliert und so mit exemplarischer Deutlichkeit zeigt, was Erkenntnis ü b e r h a u p t i s t . Dafür s p r i c h t , daß er in seinem Zitat des Anfangs d e r Zweiten Analytiken in deren Schlußka pitel von Erkennen und Lernen gleichermaßen s a g t , sie seien auf vorausgehende Erkenntnis angewiesen ( A n . p o s t . B 19, 99 b 28ff; Thomas, In 2 A n . p o s t . 1. 20, 586).
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Von der Argumentation a b e r , die vollkommene Erkenntnis oder Wissen vermittelt, kann man e r w a r t e n , daß sie entsprechend dieser Funktion das Schlußverfahren vollendet, also es zum Be weis ausgestaltet. Was das heißt, stellt Aristoteles im zweiten Kapitel grundsätzlich und programmatisch d a r . Er kann davon ausgehen, daß die Form, der gemäß das Bewußtsein von dem Vorhergewußten zu der neuen Erkenntnis ü b e r g e h t , allemal d e r Schluß i s t . [ l ] Des halb kann der Beweis zusätzlich n u r durch ein besonders qua lifiziertes Vorwissen, aus dem er schließt, ausgezeichnet wer d e n . Die Kriterien für diese Qualifikation gewinnt Aristoteles aus dem, was schon der bloße Anspruch zu wissen b e s a g t , ein Anspruch also, den schon die Überzeugung (pistis) des noch nicht wissenschaftlichen Argumentierens e r h e b t ; deshalb stellt er die synthetische Einheit von vorwissenschaftlichem Erkennen und wissenschaftlicher Methode d a r . Denn sobald er im Ge spräch b e s t r i t t e n wird, muß er seine Legitimation nachweisen und löst damit eine Reflexion auf das Verhältnis des jeweiligen Vorwissens zu dem aus ihm Gefolgerten a u s . Der Anspruch lautet, den Gegenstand wahr zu e r k e n n e n , und das heißt g e n a u e r , ihn nicht aufgrund eines beliebigen, bloß subjektiv Vor hergewußten, sondern aus seinen objektiven Gründen zu b e greifen und über diese Erkenntnis vollständige Gewißheit zu h a b e n . [2] Diese Auslegung des Wahrheitsanspruchs jeglicher Argumenta tion setzt an die Stelle eines Vorwissens überhaupt dasjenige, aus dem der Gegenstand notwendig erkannt wird und deshalb auch für jeden Erkennenden zu folgern ist; der Terminus 'Grund' besagt also einen allgemein vernünftigen Zusammenhang von Erkenntnissen, dessen Notwendigkeit den Erkennenden zu gleich bewußt i s t , aber keine dem Bewußtsein äußerliche posi tive Realität. Teilt man die Gewißheit des ganzen Zusammenhangs auf, so steht die auf das reine Übergehen bezogene u n t e r den Bedingungen der Schlußlehre, die die logischen Formen d e r Urteile, zwischen denen ein folgernder Übergang möglich i s t , festlegt und damit jeder sich für wahr haltenden Argumentation 1
Unmittelbar bedeutet der G r u n d s a t z , daß jegliche Erkenntnis n u r aufgrund von einer ihr vorangehenden möglich i s t , bloß die Urteilsform des E r k e n n e n s , daß man etwas als etwas a n d e r e s , schon Bekanntes begreift. Die konsequente Anwen dung desselben Grundsatzes auch auf das Wissen des schon Bekannten und auf die mögliche Funktion des neu Begriffe n e n , daß aus ihm wieder anderes v e r s t a n d e n wird, führt jedoch zu einer Folge von Bestimmungen, wie sie das syllogistische Schema schon als möglich v o r a u s s e t z t , um sie for malen Anwendungsbedingungen unterwerfen zu können. 2 A n . p o s t . A 2, 71 b 9-16, v g l . 72 a 37 - b 4; Thomas, In 1 A n . p o s t . 1. 4, 32
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ein Instrument zur Selbstprüfung an die Hand gibt. Zur wißheit über die Wahrheit des resultierenden Urteils wird zusätzlich e r f o r d e r t , daß auch die Wahrheit der Urteile, denen geschlossen wird, allgemein einsichtig i s t , d . h . daß sich auch in Ansehung i h r e r bewußt i s t , schlechthin nicht ders urteilen zu k ö n n e n . [ 1 ]
Ge aber aus man an
Auf dieser Grundlage entwickelt Aristoteles den Begriff der wissenschaftlichen B e g r ü n d u n g , also der Bedingungen, denen die begründenden Urteile genügen müssen, damit andere durch sie bewiesen werden können. So bekommt der Begriff des Vor wissens, der zunächst deskriptiv die Selbsterfahrung des a r gumentierenden Bewußtseins - exemplarisch für Erkenntnis ü b e r h a u p t - aufnimmt, nunmehr durch seine Funktion, den Wahrheitsanspruch des nachfolgenden Wissens rational einzulö s e n , einen normativen und einschränkenden Charakter, ebenso wie der Begriff des Wissens auch. Wenn man verstehen will, wie die Theorie dazu gelangt, Begründung n u r in einem auf ersten Prinzipien und Definitionen aufgebauten System des Wissens für möglich zu halten, muß man zusätzlich zu dem Erfordernis der Gewißheit über notwendige Zusammenhänge noch weitere Voraus setzungen berücksichtigen, die schon in den ersten Kapiteln der Zweiten Analytiken zur Sprache kommen, aber auch für die Überlegungen eine Rolle spielen, die die kategoriaie Konzeption des Urteils im Zusammenhang mit seiner Wissensfunktion zu e r klären suchen. [2] Mit dem Notwendigkeitskriterium an Bedeutung vergleichbar scheint n u r die Voraussetzung zu sein, daß das wissende Be wußtsein sich seiner selbst als eines endlichen bewußt i s t , was Aristoteles regelmäßig so a u s d r ü c k t , daß man - in der Erkennt nis - nicht unendlich viele Einzelelemente (Begriffe, Urteile) durchlaufen k ö n n e . [ 3 ] Er reflektiert an diesen Stellen nicht darauf, daß die damit gemeinte konstitutive Bedingung des Wis sens schon in dem Begriff des Durchlaufens von Teilen liegt. Aber um zu e r k l ä r e n , wie absolute Vernunft zu denken i s t , stellt er in der Metaphysik derjenigen E r k e n n t n i s , die ihren von ihr verschiedenen Gegenstand durch Synthesis seiner Teile zu einem Ganzen erfaßt und insofern von einem zu einem anderen ü b e r g e h t , das Selbstbewußtsein des Absoluten gegenüber, das in eins Wissen seines Gegenstandes als eines unteilbaren Gan zen, also einer universalen Einheit im parmenideischen Sinn i s t . [ 4 ] Ähnlich wie bei Kant die Abhebung vom intellectus a r 1 2 3 4
An.post. A 2, 72 a 25 - b 4; A 4, 73 a 21-24; auf die Ge wißheitsthematik komme ich unten im Dritten Teil, Kap.3 u . 4, zurück. An.post. A 22 An.post. A 3, 72 b 7-11; 22, 82 b 38ff, 83 b 5ff, 84 a 1-4; Met. 4 , 1007 a 14f Met. 9 , 1075 a 5-10
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chetypus den Horizont für einen Begriff der Vernunft bildet, von der allein eine Kritik möglich i s t , [ l ] muß auch der aristo telischen Wissenstheorie diese Unterscheidung als Voraussetzung zugrunde gelegt werden, wie immer eine weitergehende Refle xion den Begriff des Absoluten modifizieren mag. Denn für den Ansatz einer wissenstheoretischen Selbstauslegung des Bewußt seins ist ein Begriff seiner Diskursivität unerläßlich, wie er unmittelbar durch die Negation totaler intellektueller Anschau u n g oder Erkenntnis 'uno intuitu' gewonnen werden k a n n . [2] Daß das Bewußtsein selber es i s t , das sich gegenüber einer solchen absoluten Vernunft als endlich bestimmt, woraus auch allein das Auftreten des Unendlichkeitsproblems v e r s t a n d e n werden k a n n , ist erst Thema eines zweiten Reflexionsschrittes, d e n , soweit ich s e h e , Aristoteles nicht vollzogen h a t . Mit der Anknüpfung an den Metaphysik text ist nicht i n t e n d i e r t , dem dort umrissenen Begriff einer absoluten Vernunft logische Priorität vor demjenigen endlichen Erkennens zu geben, viel mehr ist ebensosehr die Ganzheit des absoluten Gegenstandes als Negation endlicher, d . h . von anderem b e g r e n z t e r Totalität zu verstehen und seine Unteilbarkeit als Negation der Einheit d u r c h Verbindung. Die Selbstunterscheidung des diskursiven vom absoluten Bewußtsein scheint aber aus zwei Gründen für eine Interpretation der aristotelischen These vom notwendig endlichen Regressus der Beweise unerläßlich zu sein: Erstens kann das Bewußtsein seinen unmittelbaren Gegenstand - k a n tisch ausgedrückt - n u r infolge der Voraussetzung eines Unbe dingten als bedingt und deshalb ü b e r h a u p t der Begründung bedürftig ansehen. Zweitens wird das Problem des T e x t e s , ob die Glieder einer Begründungsreihe in der Sache unendlich viele oder in i h r e r Zahl begrenzt sind, daraus einsichtig, daß das diskursiv begründende Wissen die Idee des Absoluten sich selbst entgegensetzt und zugleich als Idee eines Unbedingten auch seinen Gegenständen zugrunde legt. Denn in dem dadurch erst möglichen Regressus der Gründe macht es sich zur Auf gabe, den im Begriff des Gegenstandes gesetzten B e g r ü n d u n g s zusammenhang des Bedingten mit dem Unbedingten, das mit d e r Totalität der Bedingungen des zu Begründenden identisch i s t , als Prozeß des Wissens zu vollziehen. Da das aber nichts a n d e res heißt, als das Absolute in der Erkenntnis zu realisieren, bedeutet diese Aufgabe einen Widerspruch, sofern das Bewußt sein sich ursprünglich als nicht der absoluten Erkenntnis fähig v e r s t e h t und sich so allererst als diskursives Wissen konsti tuiert . 1 2
KrV 135 Ein alternativer Ansatz, Diskursivität zu begreifen, könnte von der Sprachlichkeit des Erkennens ausgehen; solche Re flexionen sind aber n u r bei Platon ( v g l . oben S.94-102), nicht mehr bei Aristoteles zu finden.
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Der Widerspruch liegt, genauer b e t r a c h t e t , in eben dieser Selbstunterscheidung vom Absoluten, weil das Bewußtsein in ihr ein Begreifen des Absoluten ist und sich dennoch als seine Ne gation v e r s t e h t oder weil es sich selbst d u r c h die - von ihm selbst vollzogene - Idee dessen konstituiert, dem es sich gleich ursprünglich entgegensetzt. Wenn man sagen k a n n , daß e r s t d u r c h dieses Selbstverständnis zu begreifen und nicht bloß aus der Erfahrung aufzunehmen i s t , daß das Bewußtsein partikuläre Gegenstände h a t , dann liegt es auch in der Konsequenz dieses Zusammenhangs, daß es als Bewußtsein partikulärer Gegen stände jenen Widerspruch gegenständlich realisiert: 1. Was die Gegenstände oder besser den vernünftigen Diskurs von einem zu einem anderen Gegenstand vollständig bedingt, das ist der Welt der allemal bedingten Gegenstände oder besser dem n u r Partikuläres erreichenden Regressus als Unbedingtes oder Ab solutes grundsätzlich, d . h . aufgrund i h r e r ursprünglichen b e grifflichen Disjunktion, entzogen. Die Rede von einem u n e n d lichen Regressus v e r s u c h t die Entgegensetzung der absoluten Bedingung zu dem durch sie Bedingten mit den Mitteln dieses Bedingten a u s z u d r ü c k e n , nämlich mit einer Reihe diskursiv zu durchlaufender Bedingungen, die aber nicht begrenzt und d e s halb auch nicht zu durchlaufen i s t . 2. Die Alternative d a z u , die Voraussetzung der Endlichkeit jeder Begründungskette des Wis s e n s , bringt mit denselben Mitteln das nicht zu bestreitende Bedingungsverhältnis zur Geltung, das heißt wiederum mit Kants Worten, wenn das Bedingte gegeben i s t , muß auch die Totalität seiner Bedingungen gegeben sein, wobei 'gegeben' für Endlichkeit, für Erfaßbarkeit d u r c h endlichen Diskurs s t e h t . Von dem antinomischen Charakter der beiden in Frage gestellten Alternativen ist bei Aristoteles noch nicht die Rede, aber indem er das Problem thematisiert und selber zugunsten eines endli chen Systems des Wissens argumentiert h a t , legt er einen Grund für die philosophiegeschichtlichen Auseinandersetzungen um Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt, die Kant als Wider streit der Vernunft mit sich selbst einsichtig gemacht h a t . Aristoteles begnügt sich aber nicht damit, aufgrund d e r Not wendigkeit, jeden Regressus von Beweisen als endlich anzuse h e n , diese Endlichkeit als Charakteristikum wissenschaftlicher Begründungssysteme aufzufassen, sondern will zeigen, daß die selbe Endlichkeit auch aus einer Analyse von Urteilen ü b e r h a u p t , also auch solchen des vorwissenschaftlichen E r k e n n e n s , als wesentliche Eigenschaft eines größeren Aussagenzusammen hangs r e s u l t i e r t . [ 1]
1
Vgl. unten das .., 5.
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b) Linearität des Beweisgangs, Kategorizität und Gewißheit der ersten Prämissen Damit der Einfluß der Wissenstheorie auf die Prinzipienkonzep tion, insbesondere das Substanz-Akzidens-Schema, bei Aristo teles deutlich werden k a n n , sind zusätzlich zu den beiden g e nannten Bedingungen des Wissens, nämlich Herleitung des Wiß baren aus notwendigen Gründen und Endlichkeit der Reihe der Begründungen, noch die weiteren von Aristoteles aufgestellten zu nennen, Bedingungen, die ihrerseits aus dem Begriff der Gewißheit endlichen Wissens gefolgert werden können. Zu ihnen gehört der Ausschluß jedes zyklischen B e g r ü n d u n g s g a n g e s , der zum Beweis eines Satzes eine Reihe solcher Urteile einsetzt, deren letztes seinerseits n u r aus jenem e r s t noch zu beweisen den Satz zu begründen i s t . [ l ] An diesem Modell widerspricht die mit der Kreisfigur v e r a n schaulichte Unendlichkeit eines sich selbst wiederholenden Re g r e s s u s den Bedingungen endlichen Wissens ebenso wie die Aufhebung einer einsinnigen B e g r ü n d u n g s r i c h t u n g , die Aristo teles mit der Formulierung anzeigt, daß beim zyklischen Beweis dasselbe (Argumentationsglied) im Verhältnis zu einem a n d e r e n , gleichfalls identisch bleibenden zugleich logisch früher - nämlich als Grund - und als Begründetes in demselben Sinn später i s t . [ 2 ] Außerdem bedeutet das zyklische Verfahren nach Ari stoteles eine mittelbare Tautologie, weil das Zurückkommen d e r Gründe auf das zu Begründende heißt, daß dieses vermittelst der Argumentationsreihe genau dann gesetzt i s t , wenn es - als Grund der Reihe - gesetzt i s t . [ 3 ] Eine solche Identität von Prämisse und und Schlußfolgerung widerspricht aber schon dem Begriff des Syllogismus, daß er eine solche Rede i s t , in d e r , falls gewisse Momente gesetzt sind, etwas anderes als sie r e sultiert, weil sie gelten. [4] Indem Aristoteles auf einer einsinnigen Vorordnung der einen Sätze vor den anderen b e s t e h t , systematisiert er d a s , was e r aus der menschlichen Selbsterfahrung als je notwendiges Vor wissen aufnimmt: Wenn im Alltag dem Zuhörer gerade d a s , was der Erzähler als Resultat weiß, schon bekannt i s t , wird dieser die Reihenfolge umkehren, aus dem Bekannten also auf etwas anderes schließen, das er unabhängig von der Gesprächssitua tion für dessen Grund hält. Von einer anderen Seite wird das Problem, das durch die Abweisung zyklischer Beweisverfahren 1 2 3
An.p ost. A 3, 72 b 25 - 73 6 Ebenda, 72 b 25-28; v g l . An.p ost. A 2, 71 b 29 - 72 a 5 An.post. A 3, 72 b 32 - 73 a 6. Bei seinem Beispiel geht Aristoteles nicht von einem b e g r ü n d e n d e n , sondern von einem folgernden Diskurs a u s , dessen erstes Urteil sich sel ber zur Konsequenz hat; für die gemeinte S t r u k t u r der Ar gumentation macht dies keinen Unterschied. 4 A n . p r . A 1, 24 b 18ff
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e n t s t e h t , vom Text selbst zur Sprache g e b r a c h t , daß nämlich die induktive Erkenntnis in gewisser Weise zyklisch v o r g e h t , insofern sie das zur Prämisse nimmt, was der Sache nach einer deduktiven Begründung b e d a r f . [ 1 ] Die sogenannte Induktion ist aber n u r ein Aspekt einer viel allgemeineren zyklischen S t r u k t u r der Erkenntnis, die sich in der Wissenstheorie schon mit dem Begriff des Erkennens aufgrund von Vorhergewußtem a n k ü n d i g t . Denn in der Beziehung jedes zu Erkennenden auf den Horizont des schon Gewußten ist ein Vorgriff des Erkennens auf das noch nicht Bekannte gedacht, durch den dieses allererst erkennbar oder mögliches Objekt wird. Oder umgekehrt, Er kenntnis von Neuem ist n u r so d e n k b a r , daß das Bewußtsein zugleich auf das zurückkommt, was ihm schon v e r t r a u t i s t . Was man also zunächst als lineares Fortschreiten in der Erkenntnis meint, davon zeigt eingehendere Reflexion, daß es eine Bewe gung i s t , die Aussichherausgehen und Rückkehr zu sich v e r einigt - was der Kreis veranschaulicht. Die Kritik eines zyklischen Verhältnisses wissenschaftlicher Sätze zueinander betrifft allein die Form des Beweisganges und die mit ihr gesetzten Beziehungen der Sätze aufeinander, aber nicht deren Aussage, wie sie für sich genommen betrachtet werden kann; das drückt sich in der rein schematischen Form des Beispiels a u s , das n u r das Folgen von B , wenn A i s t , und die umgekehrte Konsequenz vorstellt, ohne wie in anderen Fäl len die Geltung einer oder beider möglichen Prämissen anzudeu t e n . [2] Zu den Bedingungen der Gewißheit des Wissens ü b e r die Notwendigkeit seines Gegenstands gehört die Linearität der Beweiskette, die mit der Abweisung zyklischer Modelle erreicht w u r d e , insofern, als sie die Endlichkeit des argumentierenden Diskurses gegen unendliche Wiederholung s i c h e r t . In diesem Sinn bedeutet Linearität des Argumentationsgangs ein einsin niges Begründungsverfahren, das von schlechthin e r s t e n Prä missen ausgehen muß, d . h . solchen, die ihrerseits keiner Be g r ü n d u n g mehr bedürfen[3] noch ihrer fähig sind. Dieser Be griff vom Beweis ist aber kein reines Verfahrensmodell, in das probeweise beliebige Prämissen eingesetzt werden sollen, damit ihr Erklärungswert im Hinblick auf Erfahrung bestimmt werden k a n n , sondern aus dem Anspruch des Wissens auf Verbindlich keit zieht Aristoteles Konsequenzen für Kriterien, denen erste Prämissen unbedingt zu genügen haben. Die Bedingung, daß die Prämissen generell wahr sein müs s e n , [4] schränkt die Syllogismen ausdrücklich auf solche P r ä 1 2 3 4
An.post. Ebenda, Beispiele An.post. Ebenda,
A 3, 72 b 27-32 72 b 37 - 73 a 5, v g l . etwa 75 a 6-11, 78 a 31-36, 78 b 15-28 A 2, 72 a 5-8, b 18-25 71 b 20f u . 25f
die
folgenden
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missen ein, die den in der Konklusion ausgesprochenen Sach verhalt an ihm selbst und notwendig b e g r ü n d e n . [ 1] Vermittelst derselben Bedingung setzt Aristoteles den wissenschaftlichen Beweis von dem sogenannten dialektischen a b , der d a s , was am meisten der allgemein verbreiteten Meinung e n t s p r i c h t , zu sei ner Grundlage mache. [2] Dieser Konzeption von Dialektik wird der Grundsatz entgegengesetzt, wer auf Wahrheit aus sei, müs se aufgrund von gültigen Sachverhalten (hyparchonta) a r g u mentieren. Was er b e d e u t e t , präzisiert Aristoteles mit der wei teren Bedingung, daß man die Wissen begründenden ersten Prä missen nicht als Hypothesen gebrauchen d ü r f e , so daß alles aus ihnen Gefolgerte n u r in dem Fall zuträfe, daß sie gelten, genau das aber in der Argumentation dahingestellt bliebe. [3] Die zweite der genannten Stellen läßt den Begriff eines bloß hypothetischen Wissens als Konsequenz einer unendlichen P r ä missenreihe erscheinen, die der Argumentierende nicht d u r c h laufen kann; deshalb kann er jede seiner Folgerungen n u r u n t e r der ungewissen Bedingung wissen, daß die letzten von ihm erfaßten begründenden Glieder ihrerseits begründet sind. Damit ist eine Theorie des Wissens angesprochen, die im Ge gensatz zur aristotelischen die Antinomie des sich als endlich verstehenden Bewußtseins d u r c h eine wesentliche Unterschei d u n g von Gegenstand und Wissen ausdrücken will: Beliebige Sachverhalte an ihnen selbst sind n u r durch eine unendliche Reihe von Bedingungen hinreichend b e g r ü n d e t , aber die E r kenntnis kann eine solche Begründung mit ihrem schrittweisen Diskurs grundsätzlich nicht einholen. Das heißt, e r s t e Prä missen einer Wissenschaft oder eines wissenschaftlichen Ar guments werden n u r aus Nötigung durch die Endlichkeit des wissenden Verstandes und in dem Bewußtsein angenommen, daß die Sache eine solche Abschließung der Reihe der Bedingungen des zu Begründenden nicht zuläßt; die subjektiv, d . h . für den jeweiligen Stand des Wissens, nicht n u r für Individuen, v e r bindlichen Prinzipien werden den Beweisen im Bewußtsein i h r e r objektiven Vorläufigkeit zugrunde gelegt. Mit der Negation dieses fallibilistisch weiterentwickelbaren An satzes wird genauer faßbar, was bei Aristoteles endliches Wis sen heißt: Die aus d e r Unmöglichkeit eines unendlichen R e g r e s sus in der Reihe der Bedingungen gefolgerte Notwendigkeit 1
2 3
A n . p r . 2, 53 b 7 - ; 4, 57 36 - b 17; v g l . A n . po s t . A 12, 78 a 6-13. Prämissen einer wahren Konklusion, die keinen sachlichen Grund, sondern z . B . Symtome einer Krankheit angeben wollen, können auch falsch sein, ohne daß die Schlußfolgerung falsch werden muß; gerade dadurch erweisen sie sich als nicht notwendige Prämissen. An.p ost. A 19, 81 b 18-23; v g l . An.p ost. A 6, 74 b 21-26, u . oben S.116f An.post. A 3, 72 b 10-15; A 22, 83 b 38 - 84 a 6
209 e r s t e r Prämissen bedeutet nicht, daß sich der Verstand wie bei einem dialektischen Beweis überzeugende Gründe zurechtlegt, aus denen die anderweitig bekannten Sätze einer Wissenschaft systematisch hergeleitet und weitere geschlossen werden kön n e n , daß er diese Grundlagen und damit das wissenschaftliche System am Ganzen aber stets für korrigierbar halten muß. Viel mehr sind erste Prämissen objektiv notwendig, der Gegenstand des Wissens ist im Ganzen selber endlich, damit Wissen sein k a n n , was es seinem Begriff nach i s t , nämlich Erkenntnis aus wahren Gründen, den Gründen seines je partikulären Gegen standes selbst. Was Aristoteles mit der These von der End lichkeit des Wissenssystems intendiert, kann deshalb vollständig n u r v e r s t a n d e n werden, wenn man hinzunimmt, daß die alle Begründungsgänge abschließenden Prämissen immer als k a t e gorische Prinzipien und nicht als Vordersätze hypothetischer Urteile aufgefaßt werden sollen. Die andere angemerkte, im Text der Zweiten Analytiken v o r a n gehende Stelle weist darauf hin, daß dieser Begriff der e r s t e n Prämissen n u r haltbar i s t , wenn zugleich der Wissensbegriff erweitert wird. Ist nämlich Wissen ausschließlich als die Er kenntnis definiert, die ihren Gegenstand als notwendig aus seinen wahren Gründen folgend beweist, dann kann es von schlechthin ersten Prämissen kein Wissen geben. Das aber b e deutete für die aus ihnen hergeleiteten Sätze, daß ü b e r die Bedingung i h r e r Wißbarkeit, die Wahrheit der Prämissen, nicht rational entschieden werden könnte. Die zuvor referierte Be dingung der Kategorizität der Prämissen wird auf diese Weise präzisiert, wie sie selber eine Präzisierung der These von der Endlichkeit des Wissens darstellt: Für die Erfüllung des Be weisanspruchs der Wissenschaften genügt es nicht anzunehmen, daß die Gegenstände des Wissens an ihnen selbst von einer endlichen Reihe von Gründen abhängen und deshalb ü b e r h a u p t e r s t e Gründe haben, die grundsätzlich für einen diskursiven Regressus erreichbar sind, sondern für die Möglichkeit des Wissens muß auch vorausgesetzt werden, daß diese objektiven e r s t e n Gründe mit Gewißheit gewußt werden können, obwohl sie ihrem Begriff nach unbeweisbar sind; n u r u n t e r dieser Bedin gung sind die Beweise aus e r s t e n Prämissen zu führen, deren Wahrheit in jedem Fall unbezweifelbar i s t . Die systematischen Grundlagen der Wissenschaften sollen also in einem anderen Sinn als die in diesen Wissenschaften gefolgerten Sätze gewußt werden, so daß der Wissensbegriff für die Erkenntnis aus Be weisen (episteme) und die Einsicht in die ersten Prämissen (nus) verschieden gefaßt werden muß. In dieser Differenzie r u n g des Begriffs endlichen, aber doch seiner Wahrheit d u r c h gängig gewissen Wissens kann man den aristotelischen Aus gangspunkt für die historisch viel weiter gespannte Unter scheidung von unmittelbarer und vermittelter Erkenntnis sehen, wie sie prägnant in den cartesianischen Begriffen von intuitus und deductio oder den kantischen von Anschauung und Begriff
210 ausgebildet i s t . [ l ] Für eine Interpretation aus transzendental philosophischer Perspektive dürfte damit ein wesentlicher Punkt des Aristotelesverständnisses erreicht sein: Aus der Entschei dung des Antinomienproblems zugunsten eines mit e r s t e n Grün den sich abschließenden Systems des Wissens folgen u n t e r Be rücksichtigung der zusätzlich präzisierenden Bedingungen n o t wendig zwei Weisen der gewissen E r k e n n t n i s , die durch v o r a n gehendes Wissen vermittelte und als deren Voraussetzung die an und für sich selber unmittelbar gewisse. Aristoteles verfolgt weniger das Verhältnis dieser beiden Erkenntnisweisen als das i h r e r Gegenstände. Aber bei Descartes, dessen 'Regulae ad directionem ingenii' noch in diesen systematischen Rahmen d e r aristotelischen Wissenstheorie gehören, t r i t t die Konsequenz klar h e r v o r , daß die unmittelbare Erkenntnis (intuitus) für gewisser gilt als die mittelbare (deductio), die nichts weiter als d e r Übergang des Bewußtseins von dem unmittelbaren Haben oder Anschauen des einen Gegenstandes zu dem des anderen i s t . [ 2 ] Den dafür noch leitenden Grundsatz stellen die Zweiten Analy tiken auf, daß nämlich die Prinzipien des Wissens gewisser sein müssen als das d u r c h sie bewiesene Wissen,[3] ohne an dieser Stelle die Differenz Unmittelbarkeit - Vermittlung ins Spiel zu bringen. 5. Die Priorität gigkeit
der
ersten
Prämissen
als
relative
Unabhän
Auf die Frage, wie das Prinzipienwissen im Verhältnis zum Wis sen aus Beweisen zu bestimmen i s t , antwortet Thomas, die Prin zipien seien durch sich selbst bekannt (per se n o t a ) , während alles aus ihnen zu Begründende insofern durch anderes als es selbst bekannt werde ( p e r aliud notum): Das durch sich selbst Bekannte wird unmittelbar eingesehen ("percipitur statim ab intellectu"), das durch anderes Erkennbare ist ein Ergebnis diskursiven Erkenntnisfortschritts ("percipitur per inquisitionem rationis: et se habet in ratione termini"), d e r von jenen unmit telbar einsichtigen Prinzipien a b h ä n g t . [4] Dabei unterscheidet Thomas auch die entsprechenden Erkenntnisweisen nicht n u r terminologisch als intellectus (Prinzipieneinsicht) und scientia (Erkenntnis aus Beweisen), sondern weist auch eine These zu1
2 3 4
Ansätze zu einer Gegenüberstellung der beiden E r k e n n t n i s weisen, die ihre Verwiesenheit aufeinander mindestens für einen Reflexionsschritt vernachlässigt, sind auch schon bei Aristoteles selbst zu finden, v g l . unten S.246ff. Regulae III 5 An.post. A 2, 72 a 25-37 I-II 57, 2; cG III 46, 2231; I 79, 8; v g l . zum B e g r ü n d u n g s begriff In 1 A n . p o s t . 1. 7, 67
211 r ü c k , die die Prinzipieneinsicht nicht als eigenes Vermögen vom Wissen abheben will. Die These argumentiert, daß die Prinzipien nichts anderes als der Wissensgrund für die Schlußfolgerungen des Diskurses, also wesentlich auf sie bezogen sind. Thomas e n t g e g n e t , die Prinzipien könnten nicht n u r zusammen mit den Schlußfolgerungen, sondern auch ohne diese, also für sich al lein betrachtet werden, was die Vernunfteinsicht in sie im Un terschied zum diskursiven Wissen ausmache.[1] Umgekehrt aber hänge dieses Wissen von der Prinzipienerkenntnis als dem mehr grundlegenden Vermögen a b . Das heißt, die Einsicht in die Prinzipien verhält sich als unabhängiges Früheres zu allen aus ihr folgerbaren Erkenntnissen, also gerade so wie die selbstän dig bestehende Substanz zu den ihr zukommenden Akzidenzen. Daß dies schon eine bestimmte in Frage zu stellende I n t e r p r e t a tion der aristotelischen Entgegensetzung von durch sich selbst und d u r c h anderes Erkennbarem i s t , [ 2 ] hat Wieland deutlich gemacht.[3] Um die am weitesten gehende Version dieser Aus l e g u n g , die das 'Durch sich selbst' der Prinzipienerkenntnis im Sinn einer intuitiven Evidenz v e r s t e h t , zu korrigieren, weist er anhand verschiedener aristotelischer Texte darauf hin, daß ein Prinzip durch es selbst zu e r k e n n e n , immer eine komplexe Er kenntnis bedeutet, weil es als Prinzip n u r in seiner b e g r ü n denden Funktion für anderes wißbar ist; auf den zugrunde g e legten dialektischen Prinzipienbegriff geht die vorliegende Ar beit unten (S.223-230) noch einmal ein. An einer der von Wie land genannten Stellen charakterisiert Aristoteles die Erkenntnis von Prinzipien durch sie selbst im Hinblick auf Definitionen in Prinzipienfunktion d u r c h die folgende Relativierung i h r e r Un abhängigkeit: Nicht n u r die Wesensbegriffe sind zur Ermittlung der Gründe ständiger Eigenschaften der Gegenstände nützlich, sondern auch umgekehrt tragen diese Eigenschaften in i h r e r - unmittelbaren - Erscheinungsweise einen großen Teil zum Wis sen der Wesensbestimmungen bei, denn wenn Definitionen, die das Prinzip jeden Beweises ausmachen, solche Eigenschaften nicht erkennen oder mindestens annehmen lassen, erweisen sie sich als dialektisch und leer. [4] Damit ist der von Wieland herausgearbeitete Typ von Vermitteltheit, der allein den Prinzipien eigen i s t , deutlich von der Vermitteltheit wissenschaftlicher Folgesätze abgehoben, insofern die Definitionen nicht d u r c h logisches Folgern aus den Eigenschaf ten des Definierten gewonnen werden, sondern sich dadurch allererst als Prinzipien ausweisen sollen, daß sich das erfah rungsmäßig schon bekannte durch sie zu Begründende, die e r 1 2
I-II 57, 2 o b . 2 u . ad 2 Top. A 1, 100 - b 21; A n . p r . 16, 64 b 34ff; v g l . An.post. A 10, 76 b 23-27 3 Die aristotelische Physik, S.62-68 4 An.A 1, 402 b 16 - 403 a 2
212 scheinenden Eigenschaften, auch wirklich aus ihnen beweisen l ä ß t . [ l ] Danach hat es den Anschein, als stünden die Eigen schaften für ein aus Erfahrung resultierendes Vorwissen, das neben dem zu Beweisprämissen systematisierten Vorwissen wis senschaftlich gewisser Sätze bestehen bleibt und als konstitutiv für die Bestätigung angenommener Prinzipien in i h r e r b e g r ü n denden Funktion gedacht wird. Zur Unterscheidung des Vor wissens aufgrund von unmittelbaren Erscheinungen von den Beweisprämissen gehört es auch, daß man von d e r Kenntnis solcher Erscheinungen nicht in vergleichbar sicherer und formalisierbarer Weise zur Erkenntnis ihrer Prinzipien übergehen k a n n , wie man von den Prinzipien auf die aus ihnen zu b e gründenden Phänomene schließt. Denn andernfalls, wenn das Verfahren d e r Prinzipienfindung mit e n t s p r e c h e n d e r Gewißheit v e r b u n d e n wäre, wäre eine Überprüfung überflüssig, ob etwa so ermittelte Definitionen die Begründung schon b e k a n n t e r Eigenschaften jeweils ihres Definierten auch wirklich leisten. Obwohl die vorliegende Stelle zu verstehen gibt, daß Erkenntnis von Prinzipien durch sie selbst im Beziehen der Prinzipien auf das aus ihnen zu Begründende b e s t e h t , läßt sie doch die Art und Weise, wie man von der Kenntnis der Eigenschaften zur Erkenntnis i h r e r Prinzipien gelangt, weitgehend im Dunkeln, wenn es dazu n u r heißt, sobald man ü b e r alle oder die meisten Eigenschaften aufgrund i h r e r Erscheinung Auskunft geben kön n e , werde man auch ü b e r das Wesen aufs Beste urteilen kön n e n . [2] Damit bleibt auch die Frage offen, wie Aristoteles selbst die Prüfung von Prinzipien an i h r e r Beweiskraft für 1
Wieland, a . a . O . , S.66. Moreau, De la connaissance selon Saint Thomas d'Aquin, S.86, S . 9 - 9 2 , macht darauf aufmerk sam, daß auch Thomas gelegentlich von einer Überprüfung vernünftiger Erkenntnisse an denjenigen sinnlichen Wahrneh mungen s p r i c h t , deren Grund (ratio) sie im Wesen der Sache erfassen sollen ( s . I 84, 8; Ver. XII 3 ad 2 ) . Der Kontext ist aber hier immer die F r a g e , ob die Blockade der äußeren Sinne im Schlaf das Urteil der Vernunft beeinträchtigt, was Thomas eben deshalb bejaht, weil er die Wahrnehmungen zu Prüfinstanzen für Vernunftbegriffe macht. Mit dieser Antwort gibt er sich zufrieden und geht nicht zu der allgemeinen These ü b e r , anhand der Wahrnehmungen könne man sich d a r ü b e r vergewissern, daß in der Tat die Wesensform aus den gemachten Erfahrungen abstrahiert wurde. Moreau i n t e r p r e t i e r t die Texte in diesem grundsätzlich theoretischen Sinn, aber abgesehen von Thomas' ganz spezieller Beweis absicht muß man auch sagen, daß Gewißheit ü b e r eine We senserkenntnis so nicht erreicht werden k a n n , weil auch ein das exakte Wesen noch verfehlender Vorbegriff ein weites Feld von Wahrnehmungsdaten erklären k a n n . 2 An. A 1, 402 b 22-25
213 schon bekannte Phänomene methodologisch eingeordnet h a t . Wie lands vor allem aus d e r і legitimierte Qualifikation nämlich, ein solches Verfahren der Prinzipienforschung sei Dialektik, macht mit Bezug auf die referierte Stelle aus dem Anfang von De anima die Äquivokation offenkundig, die man auch sonst im aristotelischen Dialektikbegriff beobachtet. [ 1] Denn hier v e r steht Aristoteles, wie schon gesagt, ausschließlich diejenigen Definitionen so, daß sie auf dialektische Weise ausgesprochen, also auch aufgestellt sind, die die B e g r ü n d u n g e n , um d e r e n t willen sie angenommen wurden, gerade nicht leisten. [2] Zugleich wird die mögliche Annahme, Aristoteles habe mit der dialektischen Erforschung von Prinzipien eine dem deduktiven Beweisverfahren gegenüber eigenständige Methode i n t e n d i e r t , d u r c h seine referierte Präzisierung d e s s e n , was als Prinzip und was als dessen Begründetes fungieren soll, in Frage gestellt. Indem Definitionen als Prinzipien und Eigenschaften des jeweils Definierten als das Prinzipiierte genannt werden, liegt es n a h e , dem skizzierten Verfahren d e r Prinzipienbestätigung die dihairetische Begriffslogik zu u n t e r l e g e n , die Eigenschaften durch ihre Definition mit ihren Subjekten und deren Definition in einen logischen Zusammenhang b r i n g t . [ 3 ] Wenn auch Aristoteles selbst das dihairetische Schema hier nicht erwähnt, so bleibt doch die n u r angedeutete Prinzipienforschung auf jeden Fall für eine solche begriffslogische Systematisierung offen. Sie zu v e r w i r k lichen, heißt dann a b e r , einen allgemeinen Begriff nach der oben beschriebenen Methode zu bilden, die vor allem darauf b e r u h t , daß das gemeinsame Identische in den Definitionen von verschiedenen Eigenschaften eines Zugrundeliegenden minde stens ein Moment der Definition dieses Zugrundeliegenden i s t . Und wenn man eine Definition auf diese Weise als Prinzip e r mittelt h a t , wird ihr Prinzipiencharakter nicht e r s t d u r c h die Probe gesichert, ob sie die erwarteten Begründungen auch lei s t e t , denn der Versuch, die Eigenschaften aus der Definition ihres Zugrundeliegenden herzuleiten, wird nichts Neues, son1 2 3
Vgl. oben S.117ff An. A 1, 402 b 25 - 403 a 2 Vgl. oben S.198f. Zwar ist im ersten Kapitel von De anima ausdrücklich n u r von Akzidenzen die Rede, nicht von we sentlichen Eigenschaften ( καθ' αυτo συμβεβηκοτα ) Daß aber nicht die auch entbehrlichen Akzidenzen von dinghaften Substanzen gemeint sind, zeigt das wiederum aus der Mathe matik gewählte Beispiel, das Grundbegriffe wie die vom We sen der Geraden und der Krümmung, der Linie und der Fläche, zum Satz über die Winkelsumme im Dreieck als einer Eigenschaft in Beziehung setzt (402 b 18-21). Mit dem ' z u kommenden sind also Bestimmungen wissenschaftlicher Ge genstände gemeint, die aus deren Wesensbegriff bewiesen werden können.
214 d e r n n u r die Umkehrung der vorangegangenen Begriffsbildung b r i n g e n . Trägt aber die 'Leistungsprüfung' nichts mehr zur Prinzipienerkenntnis bei, dann bleibt das Vorwissen nur in sei ner begriffsbildenden Funktion, die an die Logik der Dihairesis gebunden i s t , als eine Instanz ü b r i g , auf die sich die Prinzi pienerkenntnis als auf etwas anderes d e r a r t beziehen k ö n n t e , daß man die Erkennbarkeit der Prinzipien durch sie selbst nicht als eine unmittelbare Evidenz zu deuten b r a u c h t e . Die Frage, auf welche Weise die Prinzipien erkannt werden oder wie das Prinzipienbewußtsein zu charakterisieren i s t , muß aber in einem eigenen Abschnitt ( 2 . K a p . ) behandelt werden. Der eine Text aus De anima scheint mir die Sachlage um den explizit wissenstheoretisch konzipierten Prinzipienbegriff bei Aristoteles im Ganzen gut repräsentieren zu können: Eine Ten denz, Prinzipien als logisch komplexe Einheiten zu v e r s t e h e n , die n u r mit Bezug auf das d u r c h sie Begründete als Prinzipien erkannt werden können, ist u n ü b e r s e h b a r , aber angesichts einer Art inneren Dynamik der aristotelischen Wissenstheorie zur Systematisierung muß man sich fragen, ob Aristoteles jene Tendenz konsequent verfolgen k a n n . Wieland charakterisiert die Begründungsfunktion der Prinzipien auch dadurch als eine nicht symmetrische Relation, daß n u r die Prinzipien immer Prinzipien für anderes sind, dies a n d e r e , das durch sie B e g r ü n d e t e , aber durchaus auch unabhängig von seiner Beziehung auf die v o r gestellt werden k a n n , nämlich immer d a n n , wenn es nicht auf seine wissenschaftliche Erkenntnis ankommt.[1] Für diese These sprechen nicht n u r Aristoteles' Äußerungen über den Gebrauch von Prinzipien zur Erklärung von anderweitig schon Bekanntem, sondern auch seine überwiegende Zurückweisung der Möglich keit, d u r c h Reflexion aufgedeckte logische S t r u k t u r e n d e r Er fahrungserkenntnis in platonischer Absicht als die Wahrheit des in gegenständlichen Vorstellungen befangenen E r f a h r u n g s b e wußtseins und die Erfahrung deshalb als etwas Abgeleitetes, Unselbständiges anzusehen. Wenn Aristoteles von dem asymmetrischen Verhältnis eines auch sich selbst genügenden, substantiellen Erfahrungswissens zu Prinzipien, die n u r erklärend auf solche Erfahrungserkenntnisse bezogen sein können, ausgegangen i s t , so hat er damit das wis senschaftliche Befragen gegebener Realität auf ihre Prinzipien hin und die unmittelbare Tätigkeit berücksichtigt, schon Be kanntes aus Prämissen wissenschaftlich zu beweisen. Au diese Reflexion, die den Verlauf des wissenschaftlichen E r k e n n t n i s prozesses b e t r a c h t e t , folgt eine zweite, die seine Extreme in dem Sinn aufeinander bezieht, daß sie einander als Bedingung und Resultat des Beweises entgegengesetzt sind. Indem jedes aus Prinzipien b e g r ü n d b a r e Urteil als Konklusion eines oder mehrerer Schlüsse und deshalb als logisch vermittelt und seinen 1
Die aristotelische Physik, S.66
215 Prämissen nachgeordnet gedacht wird, jedes Prinzip aber als logisch unmittelbar und den aus ihm möglichen Schlüssen v o r a n gehend, k e h r t sich die Verhältnisbestimmung von Prinzip und Prinzipiiertem um. Denn nun erscheint das Prinzip selbständig, weil es ein unmittelbares Verhältnis von Subjekt und Prädikat, insbesondere von Definiendum und Definiens, in einem Urteil i s t , das Begründete dagegen wesentlich als auf anderes bezo gen, da es zur Verknüpfung seiner Urteilsmomente eines oder mehrere logische Zwischenglieder (media) b e n ö t i g t .[ 1 ] Also bedeutet der logische Begriff der B e g r ü n d u n g , nach dem sie eine Vermittlung allgemeiner Bestimmungen i s t , daß das Be g r ü n d e t e , das man zuerst wie etwas selbstverständlich Beste hendes und Gültiges angesehen h a t t e , durch das Begründen von der Gültigkeit seiner Prinzipien und i h r e r deduktiven An wendung abhängig wird. Und wenn die Prinzipien auch um des jeweils schon bekannten Prinzipiierten willen gesucht worden sind, so läßt sie doch ihr Begriff, daß sie logisch unmittelbare Urteile sind, nicht unter der Bedingung, daß sie die erwartete Begründung auch leisten, sondern als schlechthin gültig e r scheinen. Denn jede Bedingung könnte nur durch ein Mittelglied zwischen Subjekt und Prädikat, also durch zwei weitere Prä missen, die dann ihrerseits unmittelbare sein müßten, logisch ausgedrückt werden. Die logische Konkretisierung der wissens theoretischen Konzeption, daß alle endlichen Beweisgänge auf ersten unbedingten Prämissen b e r u h e n , impliziert also in jedem Fall einen Begriff von den Prinzipien, nach dem sie sich zu ihrem Begründeten als das Einfache, Selbständige, Substantielle zu einem Komplexen, Vermittelten, von anderem Abhängigen verhalten. Aristoteles bringt die Extreme eines mathematischen Beweises, den Begriff der Geraden und die Winkelsumme im Dreieck, als Beispiel für einen notwendigen Beweiszusammenhang. [2] Wenn 1
Zu dieser Präzisierung des Prinzipienbegriffs v g l . oben S.125f. Aristoteles betrachtet die logisch unmittelbare Aus sage als die Einheit schlechthin oder das Einfache u n t e r den Aussagen, s. An. post. A 23, 84 b 35 - 85 a 1. Als solche einfachen Einheiten können die unmittelbaren Urteile a n d e r e , also komplexe b e g r ü n d e n , wie generell Einfaches Prinzip von Komplexem sein soll. Veranschaulicht wird die Logik der Be g r ü n d u n g mit einer Verräumlichung: Der Zwischenraum zwi schen den beiden zu verknüpfenden Termini wird durch die sie vermittelnden Begriffe ausgefüllt, ein Vorgang, den man sich als Verdichtung im Bereich der Zwischenelemente v o r stellen k a n n . Er ist abgeschlossen, wenn der gesamte Zwi schenraum in je unmittelbare, nicht mehr unterteilbare Be griffsverhältnisse - oder Urteile - gegliedert i s t , ebenda 84 b 31-35, v g l . 11-14. 2 Phy. 9, 200 15-18; v g l . An.p ost. A 2, 72 a 25-37
216 man den einfachen Begriff der Geraden, daß sie die kürzeste Verbindung zweier Punkte i s t , einsieht, dann kann man d u r c h schrittweise Folgerungen den komplexen Sachverhalt, daß die Winkelsumme in allen Dreiecken zwei rechten e n t s p r i c h t , mit derselben Gewißheit e r k e n n e n . Nicht n u r im logischen Sinn ist also das einfache Prinzip einsinnig früher als das komplexe aus Prinzipien Begründete, auch sicher gewußt muß zuerst jenes werden, damit dieses als notwendig erkannt werden k a n n . Und weil diese Folge nicht umkehrbar i s t , wie Aristoteles hinzufügt, weil die komplexen Sachverhalte der Erfahrung wohl einen fak tischen, aber keinen Notwendigkeit vermittelnden Ausgangs punkt des wissenschaftlichen Diskurses bieten, zeigen sich die Prinzipien der zweiten Reflexion als das relativ Vorgeordnete, Unabhängige, Substantielle auch des Wissensprozesses. Daß Aristoteles mögliche Beweisprinzipien wie etwas substantiell Unabhängiges d e n k t , zeigt sich auch an der Art, wie er Be trachtungsweisen' desselben Gegenstandes, in denen er u n t e r je verschiedenen Kategorien oder ihnen untergeordneten Genera e r s c h e i n t , in ein Verhältnis zueinander b r i n g t . Diese Verhält nisbestimmung soll die Abstraktion einzelner, je u n t e r ein Genus subsumierbarer Teilaspekte von dem komplexen Ganzen des Ge genstandes legitimieren und zugleich die Beziehungen dieser Aspekte oder EinzelWissenschaften aufeinander klären; beson d e r s diese letztere Frage ist hier von Bedeutung. Sie wird mit dem Grundsatz beantwortet, daß die Wissenschaft genauer - die mittelalterliche Übersetzung lautet 'gewisser' (certior) - i s t , die sich auf logisch Früheres und Einfacheres bezieht, weil, wovon auch noch Descartes a u s g e h t , das Einfache genau zu erkennen i s t . [ l ] Die angegebene Stelle der Zweiten Analytiken v e r s t e h t deshalb die genauere Wissenschaft zugleich als die frühere und bestimmt den Sinn dieser Auszeichnung: Was den E r k e n n t n i s wert a n g e h t , so macht die frühere Wissenschaft das aus Grün den einsichtig, was sie nachgeordnete n u r induktiv als faktisch gültig erschließt. [2] Hinsichtlich des Erkenntnisgegenstandes besagt das Kriterium d e r Einfachheit, daß im Verhältnis zu der Wissenschaft, die den je a b s t r a k t e r e n Gedankeninhalt themati s i e r t , die mit ihr verglichene andere zu diesen einfachen Be griffen etwas hinzusetzt wie etwa die Geometrie zu den Zahlver hältnissen die räumliche Lage. Aus der Auffassung, daß bestimmte Wissenschaften in diesem Sinn - also hinsichtlich i h r e r logischen S t r u k t u r - synthetisch gebildet werden, ist für die E r k e n n t n i s s e , die als Elemente in die Synthesis eingehen, dieselbe Konsequenz zu ziehen wie aus dem Begriff der Prinzipienerkenntnis, daß nämlich dasjenige 1 2
Met. M 3, 1078 a 9ff v g l . M 2, 1076 b 18f; A n . p o s t . A 27. der Text n.257 zu Thomas' Kommentar, 1. 4 1 , gibt ein Bei spiel für die genannte Übersetzungsweise. Vgl. An.post. A 9, 76 a 4-15, u . A 13, 78 b 34 - 79 a 16
217 Wissen, das als Voraussetzung für anderes v e r s t a n d e n wird, unabhängig von dem durch es erst ermöglichten gewonnen wer den k a n n . Im Hinblick etwa auf die Harmonik, die mathematisch b e g r ü n d e t , aber für das Gehör wirklich i s t , bemerkt Aristote l e s , daß die Mathematiker die Wirklichkeit des von ihnen Be gründeten oft nicht k e n n e n , [ 1 ] ohne, könnte man hinzusetzen, daß dies ihre Erkenntnis beeinträchtigte. Ebenfalls mit Bezug auf Mathematik spricht Thomas die Unabhängigkeit der b e g r ü n denden Erkenntnis auch klar a u s , daß nämlich das - logisch Frühere ohne das Spätere erkannt werden k a n n , aber nicht um g e k e h r t , weil das Spätere nicht zum Begriff des Früheren g e h ö r e , wohl aber das Frühere zum Begriff des Späteren. [2] Damit ist lediglich angewandt, was Aristoteles zum Abschluß seiner Abhandlung über die verschiedenen Bedeutungen des Früherseins generell bemerkt h a t , daß alles, was nach Früher und Später unterschieden wird, in gewisser Weise den Sinn des von Natur aus Früheren und Späteren h a b e , [ 3 ] demzufolge das Frühere ohne das Spätere sein k a n n , das Spätere aber nicht ohne das F r ü h e r e ; dieses Prinzip der Substantialität macht nicht n u r den metaphysischen Begriff der Substanz a u s , sondern ebenso den wissenstheoretischen Begriff des Vorausgesetztseins in d e r Reihe der Begründungen. Daß trotzdem diese beiden Sinne von F r ü h e r s e i n , auf denselben Gegenstand bezogen, einander partiell widersprechen können - was eine Trennung von Logik und Wirklichkeit, wie Thomas sie oft a u s s p r i c h t , als konsequent erscheinen läßt - das sagt ein anderer Text im Zusammenhang der aristotelischen Piatonis muskritik, die den Piatonikern Hypostasierung von bloß logisch Früherem vorwirft: Weil das im Sein Frühere sich dadurch a u s zeichnet, für sich genommen - das andere (Spätere) - im Sein zu überbieten, das logisch Frühere aber dasjenige i s t , auf d e s sen Begriff der Begriff des jeweils anderen b e r u h t , ist nicht alles logisch Frühere auch dem Sein nach f r ü h e r . [4] Nach die1 2 3 4
A n . po s t . A 13, 79 a 1-6 In 2 P h y . 1. 3 , 161; v g l . In 3 Caelo 1. 3, 560 Met. Δ11, 1019 a 11-14 Met. M 2, 1077 a 36 - b 4, v g l . 14-20. In dem Verständnis von Aristoteles' Begriff des logisch Früheren an dieser Stelle folge ich den Erläuterungen von Ross, Aristotle's Meta p h y s i c s , Bd. II, S.415. Es scheint mir aber weder sinnvoll noch von den Texten nahegelegt zu sein, das τη ουσία π ρ o τ ε ρ α mit 'in der Substanz früher' zu ü b e r s e t z e n , wie Ross es t u t . Nicht sinnvoll, weil man so eine Differenz von Früher und Später in der Reihe der Substanzen a u s d r ü c k t e , wo es doch hier um das Verhältnis von logischen Elementen, die auch akzidentelle Bestimmungen wie 'Linie' oder 'bewegt' sein können, zu dem selbständig Bestehenden, also der Sub-
218 ser Formulierung gilt n u r das selbständige Bestehen als Maßstab für mögliche Übereinstimmungen von logisch und metaphysisch Früherem, denn es ist kein metaphysisch Früheres vorgesehen, das nicht zugleich auch logisch früher w ä r e . [ l ] Das folgende Beispiel, das das Verhältnis eines substantiellen Subjekts zu seinem akzidentellen Attribut betrifft, kann vollständig erläu t e r n , was gemeint i s t : Weil d e r Ausdruck 'bleicher Mensch' aus dem Zusatz von 'Mensch' zu 'bleich' gebildet wird und deshalb auch das Element 'bleich' von ihm abstrahiert werden k a n n , ist 'bleich' logisch früher als 'bleicher Mensch', aber als Zustand einer Substanz kann es nicht selbständig sein, sondern n u r als Moment des Ganzen, das die Substanz mit ihm bildet (synholon). [2] Diesem Widerspruch der Begriffe vom Früherseienden kann man, was Aristoteles nicht eigens t u t , ihre mögliche Konvergenz gegenüberstellen, daß nämlich 'Mensch' im Verhältnis zu Glei cher Mensch' sowohl metaphysisch wie logisch früher i s t . Die partielle Entgegensetzung des Früheren dem Sein nach zu dem logisch Früheren dürfte darin begründet sein, daß die a r i s t o telische Konzeption von Prinzipienerkenntnis auf einen bestimm ten Wahrnehmungsbegriff angewiesen i s t . Darauf deutet schon der Umstand hin, daß an die Stelle des im Sein Früheren auch stanz ü b e r h a u p t , g e h t . Daß die Texte die Auffassung von τη ο υ σ ί α oder κατα την ο υ σ ι α ν als 'dem Sein nach' u n t e r s t ü t z e n , kann man einmal an der Zusammenfassung der fraglichen Passage etwas weiter unten (1077 b 12ff) sehen, wo es heißt, - geometrische Elemente wie Linie und Ebene seien weder mehr Substanzen als die - aus ihnen gebildeten Körper noch früher dem Sein nach ( π ρ o τ ε ρ α τω ε ί ν α ι ) als die Wahrnehmungsgegenstände, sondern n u r dem Begriff nach. Zum andern nennt Aristoteles auch das einsinnig von seinem Begründeten Unabhängige ein Früheres κατα φυσιν και ο υ σ ι α ν und folgert dann e r s t aus der Vieldeutigkeit von Sein ( ε ι ν α ι ) , daß zunächst das Zugrundeliegende ein Früheres ist und deshalb auch die Substanz ( ο υ σ ί α ) , s . Met. Δ11, 1019 a 1-6. Also redet auch dieser grundlegende Text zuerst von dem im Sein oder der Natur nach F r ü h e r e n , das er von dem für die Erkenntnis Früheren als schlechthin Früheres abhebt (1018 b 29ff), und bestimmt dann erst in einem zweiten Schritt die Substanz i h r e r Hypokeimenonfunktion wegen als eine Realisierung dieses Früherseins in der Sache - neben den Realisierungen, die sich durch die Dif ferenzierungen des Sinnes von Sein in Wirklichkeit und Mög lichkeit e r g e b e n . 1 Aristoteles wendet hier n u r eine Kurzform seines T e s t v e r fahrens für Wortarten, ob sie etwas Selbständiges bezeichnen (Met. Z 1, 1028 a 20-31; v g l . oben S.50-54), in der Kritik am Prinzipiencharakter begrifflicher Elemente a n . 2
Met. M 2 , 1077 b 4 - 1 1
219 das für die Wahrnehmung Frühere t r e t e n k a n n . Denn die Ab handlung über die Bedeutungen des Früherseins unterscheidet das für die Erkenntnis Frühere in logisch F r ü h e r e s , für das das Allgemeine und das akzidentelle Attribut eines substantiellen Ganzen stehen, und für die Wahrnehmung F r ü h e r e s , das im Gegensatz zur Allgemeinheit des logisch Früheren als Einzelnes charakterisiert w i r d ; [ l ] Thomas e r g ä n z t , daß es auch als zu sammengesetzt zu denken i s t . [ 2 ] Legitim erscheint dieser Zusatz im Hinblick auf das Einleitungskapitel der Physik, das zur Er läuterung der These, für uns - anders als der Sache nach - sei zuerst das Vermischtere klar und deutlich, die Wahrnehmung anführt, für die das Ganze bekannter als seine Differenzierun gen i s t . [3] Um die Entgegensetzung der beiden Verhältnisse von Ganzem und Teilen entsprechend den zwei Erkenntnisweisen zu v e r s t e h e n , kann man von Aristoteles' Begründung für den Begriff des logisch Früheren ausgehen, daß der Begriff oder Satz (logos) ohne seinen Teil kein ganzer i s t . [ 4 ] Zu dieser Begrün dung für eine Vorordnung des Satzteils vor dem ganzen Satz gehört auch, daß einzelne Wörter sehr wohl schon für sich al lein eine selbständige Bedeutungseinheit bilden - was hier nicht eigens gesagt zu werden b r a u c h t . Die Anwendung des Krite riums der Substanţialität (selbständiges Bestehen) lenkt die Aufmerksamkeit darauf, daß das in Begriffen gedachte Ganze als Resultat einer Synthesis seine Teile voraussetzt u n d , ihnen gegenübergestellt, nicht als von ihnen unabhängig gelten kann, daß das Ganze der Wahrnehmung dagegen nicht synthetisch, sondern als eine ungeschiedene Einheit aufzufassen i s t . Erst der analysierende und abstrahierende Verstand denkt sie als Einheit von Verschiedenem und vorentwirft in diesem Sinn für die Wahrnehmung einen Gegenstand aus vielen Sinnesqualitäten, so daß das wahrnehmende Bewußtsein seinem unbedingten Gan zen dessen mannigfaltige Teile als durch es bedingte nach ordnen k a n n . Aus der Gegenüberstellung von Wahrnehmung und Verstand ergibt sich also: Die Wahrnehmung ist der e r k e n n t n i s theoretische Ort der Einheit von Substanz und Akzidenzen (synholon), welche Einheit auf der Substanz als dem im Sein Früheren b e r u h t . Daher muß die Einheit des Wahrnehmungs gegenstandes als Bedingung aller Urteile, in denen ein Akzidens von seiner Substanz ausgesagt wird, angesehen werden, ohne daß damit schon der Gedanke, auch die ihnen vorangehende Wahrnehmung eines ungeschiedenen Ganzen könnte von dem 1 2 3 4
Met. In 5 Phy. Met.
Δ 11, 1018 b 29-37 Met. 1. 13, 984 A 1, 184 a 21-26 Δ11, 1018 b 35f
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Entwurf eines Verstandesbegriffs geleitet sein, ausgeschlossen wäre. [ 1] Indem die Wahrnehmung aber auch das Einzelne vorstellen soll, erfaßt sie stets das eine Moment der Substanz, daß sie ein s i n gular bestehendes Zugrundeliegendes von Bestimmungen ist oder anders gesagt, ein existierendes Identisches, auf das unmittel bar Wesensbestimmungen und durch ihre Vermittlung auch ak zidentelle bezogen werden können. Wahrnehmung steht also nicht n u r für die Erkenntnis der gegenständlichen Einheit d e r Akzidenzen mit i h r e r Substanz der logischen Analyse gegen ü b e r , die Akzidenzen s e p a r i e r t , sondern auch für eine Vor stellung vom Frühersein und Begründen der Substanz in i h r e r Funktion eines bestimmbaren Zugrundeliegenden. In welchem Maß sich dieser Zusammenhang systematisch auswirkt, wird für den hier v e r s u c h t e n Interpretationsansatz von der wissens theoretischen Relevanz der Wahrnehmung abhängen. [2]
So möchte ich im Hinblick auf den Induktionsbegriff, i n s b e sondere A n . p r . 2 1 , 67a 5 - b 5 u . A n . p o s t . A 1 , 71a 1730, die These i n t e r p r e t i e r e n , d a ß , indem man Einzelnes wahrnimmt, die Wahrnehmung sich auf ein Allgemeines b e ziehe, A n . po s t . 19, 100 a 16ff. - Daß die Wahrnehmung allein als Bedingung der Aussageeinheit nicht hinreicht, das geht auch aus Aristoteles' Bemerkung h e r v o r , die Vernunft mache eines aus den Urteilsgliedern; wie sich diese s y n t h e tische Vernunft zur Wahrnehmung v e r h ä l t , wird aber nicht erklärt (An. 6, 430 b 5f). Die Angewiesenheit der menschlichen Vernunft auf Wahrneh mung ist für Thomas komplementär zu dem Begriff von d e r selben Vernunft, ein bloßes Erkenntnisvermögen zu sein, das von sich aus aller Inhalte entbehrt (2 S І ad 1 ) . Daß vernünftige Erkenntnis von Wahrnehmung a b h ä n g t , läßt die Vereinigung der Vernunftseele mit dem Körper, der d u r c h Sinnesorgane Wahrnehmung ermöglicht, als teleologisch b e g r ü n d e t erscheinen (I 84, 4 ) . Diese sinnlich-körperliche Be dingtheit menschlichen Erkennens ist nach Maréchal, Le point de départ de la métaphysique V, S.288f, der letzte Grund für die Form des Urteils, allgemeine Begriffe auf ein p a r tikuläres Zugrundeliegendes zu beziehen (concretio). Im fol genden Kapitel will ich v e r s u c h e n , d a r ü b e r hinauszugehen und die Bedeutung, die die Sinnlichkeit bei Thomas h a t , noch einmal aus der aristotelischen Problematik der Prinzi pienerkenntnis zu b e g r ü n d e n .
2. Kapitel DIE THEORETISCHE REALISIERUNG VON UNMITTELBARKEIT IM BEGRIFF DER PRINZIPIENERKENNTNIS 1. Unbedingte Geltung und dialektische Prüfung der ersten Prämissen: zwei Begriffe von Vernunft bei Aristoteles Der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß vollzieht sich für Ari stoteles ausschließlich in Begriffen. So weit fußt er und die ihm folgende Tradition auf Platons Einsicht, daß man nicht in Wahr nehmung, Erfahrung und Meinungen, sondern n u r in den Ver hältnissen der Gedankenbestimmungen, von denen sich Empirie und Meinung unreflektiert leiten lassen, Notwendigkeit antrifft, die verbindliche Argumentation ermöglicht. Wenn die Wahrneh mung und ihre Implikationen also für den beweisenden Diskurs keine unmittelbare Rolle spielen können, so muß man ihren wis senstheoretischen Stellenwert im Zusammenhang mit der Prin zipienerkenntnis, von der die deduktiven Beweise ausgehen, zu ermitteln suchen. Zu diesem Zweck muß gefragt werden, wie Aristoteles sich die Erkenntnis d e r Grundlagen der Wissenschaf ten d e n k t . Die genauere Bestimmung, welche diese Grundlagen sind, ergibt sich aus Aristoteles' Modell des wissenschaftlichen Erkennens: Bewiesen werden allemal Eigenschaften, deren Bedeutung im voraus v e r s t a n d e n werden muß, als gültig einem allgemeinen Genus von Gegenständen wie Einheiten oder Größen zukommend; dieses Genus ist wiederum seinem jeweiligen Begriff nach, aber zusätzlich auch als seiend, d . h . als gültige Abstraktion von den Gegenständen der Erfahrung vorauszusetzen. Schließlich stehen der zu beweisende Zusammenhang von Genus und Eigenschaft und die als Beweisschritte fungierenden Urteile u n t e r der Be dingung ganz allgemeiner, für Wissen überhaupt konstitutiver Grundsätze wie dem Widerspruchsprinzip, die als letzte Beweis g r ü n d e sowohl in i h r e r Bedeutung v e r s t a n d e n wie auch als gül tig angenommen werden m ü s s e n . [ 1 ] Das dem Beweis vorangehende Verständnis von der Eigenschaft kann lediglich in einer Erklärung des Wortsinnes expliziert wer d e , weil eine Definition n u r von einem schon als gültig einge sehenen Prädikat gegeben werden k ö n n t e , [2] welche Einsicht der Beweis aber allererst vermitteln soll. Weil Aristoteles als Prinzip in den Wissenschaften n u r solches a n e r k e n n t , dessen Bestehen oder gültiges Zukommen unbeweisbar i s t , geht die Eigenschaft ü b e r h a u p t nicht in die Prinzipien ein, auch nicht ihr jeweils aus dem Sprachgebrauch aufzunehmendes Verständ nis.[3] 1 2 3
An.p ost. A 10, 76 b 3-22; v g l . A 1, 71 a 11-17 An.post. 7, 92 b 4-8 u . 26-30; v g l . Met. E 1, 1025 b 16ff An.post. A 10, 76 a 31-36
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Prinzipien oder erste unmittelbare Prämissen einer beliebigen Wissenschaft sind also einerseits Definitionen ihres Gegenstands oder i h r e r Gegenstände, v e r b u n d e n mit der Annahme i h r e r Rea lität oder Gültigkeit, und andererseits die mit Bezug auf die Mathematik so genannten Axiome oder allgemeinen Prinzipien (koina), die gleichfalls verstanden und als gültig akzeptiert werden m ü s s e n . [ 1 ] 1
Met. Γ3, 1005 a 19ff. Prinzipien ( α ρ χ α ι ) nennt Aristoteles zusammenfassend Definitionen und Axiome, aber auch die Axiome allein, so z . B . ebenda, 1005 b 5-12 oder Met. 2, 996 b 26-31. Diesem letzteren Wortgebrauch, der sich auch bei Thomas durchgesetzt h a t , möchte ich hier folgen und diese Prinzipien - wie das vom zu vermeidenden Wider s p r u c h - mit den Definitionen gemeinsam erste Prämissen nennen. Als ein d r i t t e r von Aristoteles genannter Typ e r s t e r Prämis sen werfen die Hypothesen manches Problem auf, denn sie sollen eine Art spezieller Voraussetzungen je einer Wissen schaft ( θ ε σ ε ι σ ) neben den grundlegenden Definitionen i h r e r Gegenstände sein ( A n . p o s t . A 2, 72 a 14-24; A 10, 76 b 35-39). Die Texte machen hinreichend deutlich, daß Hypo thesen als eigener Prämissentyp n u r auf Kosten der Defini tionen etabliert werden können, das heißt, indem sowohl d e r Aussagencharakter, den Prämissen eines Schlusses haben müssen, als auch die Intention auf einen bestehenden Sach verhalt oder Gegenstand den Definitionen entzogen werden; denn n u r so können die Hypothesen anhand gerade dieser Momente von den Definitionen unterschieden werden. Damit zeigt sich erneut die Unklarheit in Aristoteles' Begriff von der Definition, die auch an seinen Thesen ü b e r Wahrheit und Falschheit von Definitionen e r k e n n b a r ist (vgl. oben S.191, Anm.1). Daß Definitionen von synthetischen Prämissen, wie sie die Hypothesen sein sollen, doch nicht konsequent a b gegrenzt werden können, bestätigt auch K. v . Fritz, Die APXAI in der griechischen Mathematik, S.98 ( v g l . S.73-76), allerdings n u r im Hinblick auf bestimmte mathematische Gleichheitshypothesen, die Euklid als Definitionen formuliert. Im vorliegenden Kontext scheint es mir einen Grund zu g e b e n , dem klar ausgesprochenen Theorem von eigenständigen Hypothesen neben den Definitionen nicht weiter nachzuge h e n , sich also an die konkurrierende Konzeption zu halten, nach der Definitionen das Wissen von der Existenz des De finierten mindestens voraussetzen, wenn sie es i h r e r Form nach auch nicht selber thematisieren: Nur diese Einheit von Realitätsbewußtsein und Explikation von Wesensbestimmungen eignet sich als Ausgangspunkt für ein Verständnis der Prin zipienfunktion der Substanz, in der ebenso eine wirklich bestehende Begriffsstruktur gedacht i s t . Aus Gründen der
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Aristoteles begnügt sich damit, der Vermitteltheit aller durch Beweis, d . h . durch Prämissen wißbaren Sätze, wie sie schon im Begriff des Syllogismus enthalten i s t , die Unmittelbarkeit der ersten Prämissen gegenüberzustellen, [ 1] ohne daß er in solcher Allgemeinheit auch auf die entsprechenden Erkenntnisarten v e r gleichend einginge, die später von Descartes als deductio und intuitus präzisiert werden. Nun kann der Begriff der Erkennt nis in dieser Hinsicht grundsätzlich kein anderer als der von dem Erkannten sein: Daß ein Sachverhalt aus Gründen wissen schaftlich bewiesen ist und deshalb als wahr gilt, heißt nichts a n d e r e s , als daß Subjekt und Prädikat des Urteils über diesen Sachverhalt durch eine Reihe notwendiger Begriffsbeziehungen, wie sie Aristoteles bestimmt hat, miteinander vermittelt sind oder daß das urteilende Übergehen vom Subjekt zum Prädikat in eine Reihe unmittelbarer und einleuchtender Gedankenschritte, also vermittelnder Urteile, eingeteilt wird. Auch die Erkenntnis der ersten Prämissen ist für Aristoteles zunächst Wissen. Denn - so formuliert er - im Hinblick darauf, daß wir kein besseres Verhältnis zu den ersten Beweisgründen, als sie zu wissen, haben können, kann n u r das Wissen von ihnen zugleich Prinzip für das Wissen des aus ihnen Herleitbaren sein. [2] Wenn er dann von dem Wissen aus Beweisen (episteme) die Einsicht in die ersten Prämissen (nus) abhebt, meint er mit dieser eine ebenso einfache Einheit des Erkennens - als Begründung für das wissenschaftliche Folgern - , wie es das in ihr vollzogene unmittelbare Urteil im logischen Sinn i s t . [ 3 ] Das deduktive Modell des Wissens macht dessen Wahrheit von der Wahrheit seiner ersten Prämissen abhängig. Mit der Erklä r u n g , wie erste Prämissen grundsätzlich wahre Erkenntnisse sein können, muß sich die systematische Konzeption der aristo telischen Wissenstheorie bewähren, die die Möglichkeit endlichen Wissens, wahr zu sein, in Abgrenzung gegen dialektisch b e gründetes oder hypothetisches Wissen nachweisen will. Diese oben (S.207ff) an Texten aus den Zweiten Analytiken doku mentierte Abgrenzung mit ihren weitreichenden Konsequenzen für den Begriff der e r s t e n Prämissen scheint kaum mit dem Frageperspektive und weil in Wirklichkeit das größere Pro blem von Begriff und Realität, Wesen und Dasein b e r ü h r t i s t , berücksichtige ich hier die Hypothesen nicht als eigene Prämissenart, wie v . Fritz sie a . a . O . , S.37-42, erläutert h a t , sondern unterscheide von den allgemeinen Prinzipien n u r die einzelwissenschaftlichen Definitionen in dem Sinn, daß mit ihnen jeweils auch ihre objektive Gültigkeit gesetzt ist. 1 An.post. A 2, 71 b 16-31, 72 a 5-8; A 3, 72 b 18-25 2 An.post. A 3, 72 b 18-25; 22, 83 b 35-38 3 An.post. A 23, 84 b 37-85 a 1
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Prinzipienbegriff in Einklang zu bringen zu sein, wie ihn Wie land ausführlich entwickelt h a t : [ l ] Danach sind die Prinzipien, zu denen auch allgemeinste, von der Ersten Philosophie thema tisierte Begriffe wie die Kategorien, Form und Materie e t c . g e hören, formale Gesichtspunkte, u n t e r denen die Wissenschaften ihre konkreten Sachfragen einer inhaltlichen Lösung näher zu bringen suchen, während die Ermittlung der Prinzipien selbst, wie auch Aristoteles selbst am Anfang der і klar s a g t , [2] eine Sache der Dialektik i s t , also des aus allgemein anerkannten Meinungen und Grundsätzen argumentierenden Denkens. Das bedeutet - wenn man die von Wieland hervorgehobene Wech selwirkung zwischen der Erfahrung der Wissenschaften mit d e r Anwendung der Prinzipien und der philosophischen Prinzipien e r ö r t e r u n g aus Gründen der Schematisierung einmal außer acht läßt - , Wissenschaft ist nichts anderes als die methodisch g e regelte Anwendung von allgemein implizit anerkannten E r k e n n t nisformen wie etwa dem Kausalitätsprinzip, die den sprachlichen Weltumgang schon > vor seiner wissenschaftlichen Systematisie r u n g mit Ausdrücken wie 'werden aus' s t r u k t u r i e r e n ; die Prin zipientheorie oder Philosophie aber expliziert und diskutiert diese S t r u k t u r e n dialektisch, wie es insbesondere die Meta physik' v o r f ü h r t . Erkenntnis ist dieser Konzeption zufolge grundsätzlich n u r im Horizont der vorreflexiven sprachlichen Erkenntnisprinzipien (doxai) möglich, die als das zuvor E r kannte Voraussetzung allen Erkenntnisfortschritts sind, auch i h r e r partiellen Korrektur, wenn einzelne Prinzipien sich als nicht tauglich zur begrifflichen Erschließung von Erfahrung e r weisen. Damit ergibt sich das schon erwähnte (S.211f) Ver hältnis zwischen alltäglichem Erkennen und wissenschaftlichen Grundlagen bzw. den Wissenschaften selbst: Diese letzteren hängen von der gewöhnlichen Erkenntnis a b , in der sie ihre Voraussetzung und den Maßstab i h r e r Gültigkeit h a b e n . Dem steht das Verfahren der Analytiken g e g e n ü b e r , das deduktive Wissen als Vollendung allen Erkennens darzustellen, als dasje nige, womit erst der Wahrheitsanspruch jeglicher Aussage ein gelöst werden k a n n . Dieser Konzeption zufolge sind die e r s t e n Prämissen Wahrheitsbedingungen des Wissens, die dem bewei senden Wissenschaftler vor seinen Folgerungen gewiß sein müs s e n , jene Auffassung unterwirft sie der ständigen Diskussion durch die Dialektik, die sie nach i h r e r Leistung beurteilt. [ 3] Die Unterscheidung liegt nahe, die ersten Prämissen im Horizont einer sie anwendenden Wissenschaft für ebenso implizit als wahr anerkannt zu e r k l ä r e n , wie sie es für die alltägliche Realitäts1 2 3
Die aristotelische Physik, besonders § 14 Top. 2, 101 36 - b 4; v g l . bei Wieland S.217-221 Wie oben (S.117) schon zitiert, findet man am Anfang der і beide Begriffe von e r s t e n Prämissen: Top. 1, 100 - b 21; 2, 101 36 - b 4.
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erfahrung sind, und auf der anderen Seite n u r ihre reflexe Problematisierung und Diskussion, nicht die erste Begründung i h r e r Gültigkeit ü b e r h a u p t , der ihrerseits nicht wissenschaftlich vorgehenden Dialektik zuzuerkennen. So gilt das Widerspruchs prinzip im sprachlichen Begreifen von Erfahrung und i h r e r wissenschaftlichen Systematisierung ungefragt, in dieser Funk tion wird es aber erst von der aristotelischen Metaphysik h e r vorgehoben und als unentbehrlich dargestellt. Bedenken gegen eine solche Harmonisierung ergeben sich einmal aus dem Selbstverständnis der Metaphysik, das in Wahrheit zu e r k e n n e n , was die Dialektik allein aufgrund von allgemein a n erkannten Meinungen zu betrachten v e r s u c h e , [ 1 ] wenn auch Aristoteles diesen Anspruch auf Abgrenzung nicht mit der Ein führung einer nichtdialektischen Methode in der Philosophie eingelöst h a t . Zum andern wäre die wissenschaftliche Wahrheit n u r für den Wissenschaftler, insofern er seine e r s t e n Prämissen grundsätzlich nicht in Frage stellt, sondern sie in seinem theo retischen Tun als wahr a n e r k e n n t . Das heißt a b e r , die ersten Prämissen wären im Hinblick auf ihre dialektische Diskutierbarkeit und Offenheit für Korrekturen n u r hypothetisch wahr, die Dialektik realisierte eine den einzelnen Wissenschaften v e r b o r gene Unabschließbarkeit des Wissens gerade an seinen leitenden Voraussetzungen; deren bloß hypothetische Geltung hat Aristo teles aber klar und uneingeschränkt abgelehnt. Hinzu kommt, daß Wielands Prinzipienbegriff die von der Wis senschaftskonzeption der Zweiten Analytiken auch erforderten grundlegenden Definitionen nicht mit abzudecken scheint, weil sie konkrete Sachbegriffe und nicht bloß formale Gesichtspunkte der Untersuchung sind. [2] Aus Aristoteles' Hinweisen auf die Gewinnung von Allgemeinbegriffen[3] ergibt sich ein d u r c h g ä n giger Zusammenhang auch der allgemeinsten Genusbestimmungen mit der Reihe der ihnen logisch u n t e r g e o r d n e t e n , in der Be griffsbildung aber ihnen vorangehenden Species. Deshalb b e stimmen die e r s t e n Prämissen einer Wissenschaft ihre je beson dere begriffliche S t r u k t u r im Ganzen. Damit i s t , was auch die Theorie von den spezifisch bestimmten Substanzen b e s a g t , ein sehr viel größerer Bereich des Wissens inhaltlich festgelegt, als daß er von einer übergeordneten Prinzipienforschung, Dialektik oder Metaphysik, geprüft und revidiert werden k ö n n t e . Aus diesen Gründen erschiene ein Interpretationskonzept p r o blematisch, nach dem Aristoteles selbst den von ihm systemati1
Met.Γ 2, 1004 b 22-26; 1, 995 b 23f; Top. A 14, 105 b 30f. Hinsichtlich dieses gegen die Dialektik gewandten Wahr heitsanspruchs steht die Metaphysik in einer Reihe mit den beweisenden Wissenschaften, v g l . An.post. A 19, 81 b 18-23. 2 An.post. A 2, 72 a 14-24; A 3, 72 b 23ff 3 Vgl. oben I . K a p . , 3.
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sierten Wahrheitsanspruch der beweisenden Wissenschaften und die Zuständigkeit der grundsätzlich offenen Dialektik für alle Prinzipienfragen in der erwogenen Weise miteinander vereinigt hätte: Das heißt, daß die jeweiligen e r s t e n Prämissen n u r für die aus ihnen folgernde Wissenschaft als wahr unmittelbar gewiß sein sollten, mit Bezug auf die dialektische Prinzipiendiskussion aber gleichsam in die Klammer gesetzt, also relativiert und als korrigierbar angesehen werden müßten. Mit einer geringeren Beweislast scheint mir eine Interpretation verbunden zu sein, die von einem doppelten prinzipientheoretischen Ansatz bei Aristoteles a u s g e h t , wie er als dialektischer einerseits und axiomatischer andererseits in den Texten belegbar i s t , und auf die Annahme einer systematischen Einheit, die der Autor selbst angezeigt h ä t t e , verzichtet. Eine Interpretation dieses Typs kann sich durchgängig an der Frage orientieren, welche philo sophischen Konsequenzen der jeweils untersuchte Ansatz hat; im Hinblick darauf kann der Vergleich von axiomatischem und dia lektischem Wissensbegriff durchaus zu einem aporetischen Er gebnis führen. Denn einerseits könnte sich von dem dialekti schen Ansatz, wie ihn Wielands Interpretation entwickelt, zei g e n , daß er Probleme von vornherein nicht thematisiert, denen sich die Philosophie nicht entziehen k a n n , insbesondere die Aufgabe, Vernunft so zu begreifen, daß der Wahrheitsanspruch der alltäglichen wie der wissenschaftlichen Urteile grundsätzlich legitimiert wird. Andererseits ist die These nicht von der Hand zu weisen, daß der axiomatische Ansatz diese Aufgabe n u r u n t e r Beanspruchung extrem hoher Kosten zu lösen vermochte, mit denen sich die mittelalterliche Aristotelesinterpretation u n t e r dem Titel 'Metaphysik' auseinanderzusetzen h a t t e . Wieland v e r s u c h t die systematische Stimmigkeit der aristoteli schen Prinzipientheorie im Ganzen dadurch zu erweisen, daß er den dialektischen Prinzipienbegriff der Erforschung d e r Prinzi pien zuweist, den axiomatischen dagegen der schulmäßigen Dar stellung schon gewonnenen Wissens, also bekannter Beziehungen von Prinzipien auf das d u r c h sie Begründete. Dabei stützt er sich vor allem auf eine Textstelle, an der von der beweisenden Argumentation, wie sie in den Zweiten Analytiken e r ö r t e r t wor den sei, gesagt wird, sie gehöre zur Unterweisung (didaskalikoi l o g o i ) . [ l ] Aristoteles stellt hier diese schon als lehrmäßig ein geführte Argumentationsweise der dialektischen, von der noch einmal die versuchende (ρeirastikoi) unterschieden i s t , und der eristischen gegenüber, die allesamt die Auswahl i h r e r Gründe mit einer je verschiedenen Rücksicht auf das vermutete Vorver ständnis ihres Gesprächspartners treffen. Die lehrmäßige Ar gumentation kennzeichnet er d a d u r c h , daß sie aus den Prin zipien schließt, die dem jeweiligen Lehr- oder Wissensgegen stand , eigentümlich sind , und nicht aus den Meinungen des 1
Soph.El. 2, 164 a 38 - b 4 u . b 8 ff; Wieland, a . a . O . , S.53 u . 226f
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P a r t n e r s , der in diesem Fall die Position des Lernenden innehat und deshalb die Voraussetzungen akzeptieren muß; inwiefern und mit Bezug auf welche Instanzen ihm das zugemutet werden k a n n , hat eine in der Folge zu entwickelnde Vernunfttheorie zu beantworten. Diese Abgrenzung des beweisenden Wissens muß nicht zwangs läufig, so scheint mir, n u r dahingehend verstanden werden, daß es nichts weiter als die schulmäßige Darstellungsform von sonst schon bekannten Grund-Folge-Zusammenhängen i s t . Viel mehr legt die Gegenüberstellung von sachlich angemessenen und an den Meinungen des Partners orientierten Argumenten sogar eher die Annahme n a h e , Aristoteles gehe es vor allem darum, gegenüber den Argumentationsweisen in d e r Diskussion das Ar gumentieren eines Lehrenden als dasjenige auszuzeichnen, das den Erfordernissen der Sache gerecht wird und deshalb allein als wissenschaftlich zuverlässiges Beweisen angesehen werden k a n n . [ l ] Die Abhandlung der і über die Definition e r läutert die These, daß die Definition aus früheren und b e kannteren Bestimmungen - im Verhältnis zu der zu definieren den - gebildet werden müsse, mit dem allgemeineren Begriff, Erkenntnis g r ü n d e sich nicht auf irgendwelche, sondern auf die jeweils früheren und bekannteren Bestimmungen. Und für diese generelle S t r u k t u r des Erkennens werden exemplarisch die Be weise mit dem Zusatz g e n a n n t , daß es sich nämlich so mit jeg lichem Lehren und Lernen v e r h a l t e . [2] Offensichtlich liegt hier dasselbe Argumentationsmuster wie in den ersten beiden Kapi teln der Zweiten Analytiken z u g r u n d e : Was Erkenntnis i s t , zeigt am besten die Reflexion auf Lernprozesse, und das Vorwissen, das sich auf diese Weise als eine generelle Bedingung von Er kenntnis e r g i b t , kann zu dem Begriff der Beweisprämissen p r ä zisiert werden, wenn man sich den Anspruch allen Erkennens auf begründete Wahrheit als erfüllt d e n k t . Daß damit Wissen auf die Erkenntnis aufgrund von deduktiven Beweisen, die Wieland der bloßen Darstellung von Wissen v o r behalten will, prinzipiell schon festgelegt i s t , macht d e r Topiktext in der Folge deutlich. Um dem Erfordernis, daß es von einem Gegenstand auch n u r eine Wesensbestimmung d u r c h Defi nition geben k a n n , in der Definitionstheorie gerecht zu werden, grenzt Aristoteles die Bedingung weiter a b , daß die definieren den Bestimmungen bekannter als das zu Definierende sein sol l e n . [ 3 ] Die größere Bekanntheit, d u r c h die sich definierende Bestimmungen qualifizieren müssen, muß ihrerseits mit der Be dingung des Früherseins konvergieren. Das heißt, wie weiter 1 2 3
Zur wissenstheoretischen Bedeutung des Lernens v g l . Anm.3 Top. Ζ 4, 141 26-31 Ebenda 141 31 - b 14
S.201
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unten erklärt w i r d , [ l ] n u r solche Bestimmungen definieren eine a n d e r e , deren Begriffsanalyse auch ohne das durch sie Defi nierte möglich i s t , während umgekehrt die Aufhebung i h r e r Be griffe das Definierte zugleich unbegreiflich machte. Diese Regel dient nicht der Erforschung von Definitionen, d e n n , um sie auf ein konkretes Definiendum anzuwenden, muß man seine mögli chen Definientia ihrerseits schon definiert haben, und von die sen Definitionen gilt dasselbe; also setzt eine wissenschaftliche Definition ein schon gewonnenes System von Definitionen v o r a u s . Aristoteles stellt selbst der logischen Ordnung nach F r ü her - Später oder von Einfachem und Komplexem die Folge des faktischen Forschungsprozesses g e g e n ü b e r , der zuweilen umge k e h r t verlaufe: Weil z . B . die komplexeren geometrischen Gebilde jeweils eher als ihre einfacheren Grenzfälle wahrgenommen wer d e n , ist das logisch spätere Komplexe das Vorwissen des All t a g s v e r s t a n d e s , wenn er die einfacheren Gegenstände erkennt und etwa den Punkt als Grenze der Linie definiert. [2] Wissen wird schließlich als die Erkenntnis bestimmt, die von dem lo gisch Früheren oder schlechthin Bekannteren und nicht von dem uns Bekannteren a u s g e h t . Denn von diesem Früheren des faktischen Erkenntnisprozesses heißt e s , man lerne es d u r c h zufällige Verstandestätigkeit k e n n e n , von dem logisch Früheren dagegen, es werde durch genaues und gezieltes Denken e r k a n n t . Also sei es im Ganzen b e s s e r , wenn man aufgrund des je Früheren das Spätere zu erkennen v e r s u c h t , denn das sei wis senschaftlicher. [3] Indem Aristoteles Wissen auf diese Weise von derjenigen Be griffsbildung a b s e t z t , die - wie die Dialektik an allgemein Be kanntes - an das Bewußtsein eines möglichen Gesprächspartners anknüpft, der noch nicht Fachmann i s t , gibt er zugleich eine Erklärung dafür an die Hand, warum mit den deduktiven Be weisen die Darstellung schon gewonnenen Wissens nach Art des Lehrens eine paradigmatische Funktion e r l a n g t . Denn die Er füllung des Kriteriums objektiv gültiger Wissensgründe, daß sie in dem genannten Sinn früher sein müssen, verlangt wie die Lehre einen schon entworfenen Gesamtzusammenhang des jewei ligen wissenschaftlichen Themas. Dem platonischen Teilhabege danken, daß die vordialektischen Erkenntnisstufen hinter der Klarheit der dialektischen Einsicht zurückbleiben, aber doch wesentlich auf sie bezogen sind, [4] und Aristoteles' eigenem Begriff von der Priorität der ganz entwickelten Wirklichkeit vor den noch unvollkommenen Phasen i h r e r Genesis - diesen beiden Versionen einer Verhältnisbestimmung für die Stadien von P r o zessen entspricht e s , daß Aristoteles Wissen von seiner Voll endung her begreift, also als Aussagen, die aus gewissen 1 2 3 4
Top. Ζ 4 141 b 22-34 Ebenda 141 b 9-12, b 19-22 Ebenda 141 b 13-17 Rep. VI 511 d - e , v g l . zum Teilhabebegriff P h d . 74 d - 75 b
229 ersten Prämissen bewiesen sind. Liegt der Wert der beweisenden Wissenschaft aber nicht allein in i h r e r Verwendbarkeit für s e kundäre Darstellungen des Wissens, dann dürfte es angebracht sein, der dialektischen 'Logik der Forschung', die den Prozeß der Wissenserschließung im Sinn von begrifflich-systematischer Interpretation der Erfahrung verstehen läßt, eine axiomatische Logik an die Seite zu stellen. Sie enthält die Bedingungen, unter denen die gewonnenen Aussagen ü b e r Erfahrung allge meine, d . h . auf Vernunft ü b e r h a u p t bezogene Verbindlichkeit bekommen können. Jedenfalls scheint die aristotelische Philoso phie deutliche Ansatzpunkte für den wirkungsgeschichtlich weitreichenden Versuch aufzuweisen, solche Verbindlichkeit systematisch zu b e g r ü n d e n . Dieses Thema gerät dann in den Hintergrund, wenn die Prin zipien, welche allgemeinen Formen des Denkens immer damit g e meint sein mögen, nach Maßgabe ihres Erschließungsvermögens für Erfahrung immer n u r vorläufig gültig sein und n u r dialek tisch, d . h . nach Kriterien, wie sie sich aus günstigenfalls all gemein anerkannten Meinungen e r g e b e n , diskutiert und k r i t i siert werden k ö n n e n . [ 1 ] Nach Wieland weist die dialektische Konzeption der Prinzipien gegenüber der Auffassung von einem uneingeschränkten Wahrheitsanspruch der Wissenschaft darauf hin, daß alle Wissenschaft auf sprachlich 'geronnene' Bildung angewiesen i s t , die in den Prinzipien in eins mit der Fähigkeit ihrer Anwendung für das reflektierende Bewußtsein faßbar wird. [2] Auf dem Hintergrund des gegenwärtigen Problembewußtseins ist Wielands Anregung plausibel, in Aristoteles' Bemerkungen ü b e r die Bedeutung von Erfahrung und Bildung die geschichtliche Bedingtheit der Grundlagen der Wissenschaften, wie sie in den sprachlichen Formen faßbar wird, anerkannt zu sehen. Aber offensichtlich beschränkt sich Aristoteles nicht auf die Beach tung derjenigen Relativität, die über den Doxabegriff in sein Verständnis von Dialektik eingeht, sondern v e r s u c h t zugleich, dem Selbstbewußtsein des Wissens u n t e r dem Titel 'Beweis aus wahren und notwendigen Prinzipien' theoretische Geltung zu verschaffen, also die Bedingungen systematisch zu entwickeln, u n t e r denen von jener Relativität abstrahiert werden k a n n . Die hohe Plausibllität, die ein offener, dialektischer Prinzipienbe1
Die anerkannten Meinungen ( є ν δ ο ξ α ) , aus denen der dialek tische Schluß folgert, bestimmt Aristoteles als d a s , was al len, den meisten oder den Weisen richtig scheint, und falls den Weisen, dann können wiederum alle, die Mehrheit oder die bekanntesten und am meisten anerkannten maßgeblich sein, s. Top. A 1, 100 b 21ff. So v e r s t a n d e n , handelt die Dialektik ganz klar n u r von und aufgrund von faktischen Überzeugungen oder Denkformen. 2 A . a . O . , S.219ff, v g l . S.215f
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griff für das gegenwärtige Bewußtsein auch deshalb h a t , weil die Bezogenheit von Wissenschaft auf einen jeweiligen historisch sprachlichen Bedingungsrahmen vielfach nachweisbar geworden i s t , wird auf diese Weise mit der Frage konfrontiert, ob mit diesem Prinzipienbegriff schon die philosophische, insbesondere auch ethische Frage nach einer schlechthin allgemeinen Vernunft erledigt i s t , die die ersten Bedingungen von Gegenständlichkeit und Erkenntnis einerseits und der Willensbestimmung a n d e r e r seits enthält. [ 1] Beide Seiten des aristotelischen Prinzipienbegriffs kann man exemplarisch in den ausführlichen Erörterungen des Satzes vom Widerspruch finden. Einmal wird der Widerspruchssatz an einer schon mehrfach zitierten Stellet 2] als ein Beispiel für die Be weisprinzipien genannt und diese als diejenigen allgemeinen Mei nungen (koinai doxai) v e r s t a n d e n , aufgrund d e r e r jeder Beweis geführt wird; also scheint nach Aristoteles, wie Wieland es a u s d r ü c k t , jede exakte Wissenschaft auf nichtexakten Fundamenten zu r u h e n . Was an dieser Stelle noch als ein Problem behandelt wird, ob nämlich dieselbe Wissenschaft die fraglichen e r s t e n Prämissen aller Beweise und den wesentlichen Sinn von Sein (usia) zum Gegenstand h a t , wird aber im vierten Buch d e r Metaphysik so realisiert, daß der Gesichtspunkt der Gewißheit im Vordergrund s t e h t : Weil die Wissenschaft, die ein Wissens gebiet oder einen Typ des Seienden ü b e r h a u p t am meisten e r 1
Das ethische Interesse an einer absolute Verbindlichkeit b e gründenden Vernunft äußert sich unmittelbar gegenständlich in dem Begriff des Absoluten, es sei ein unbewegtes, d . h . rein identisches Selbständiges, gleichsam absolute Substanz ( v g l . oben S.105-111). Beachtet man a b e r , daß das Selb ständige den Rekurs in der Reihe abhängiger Elemente b e grenzt , dann kann man in der Begrenzungsfunktion auch nach Aristoteles eine konstitutive Bedingung von Vernunft erfüllt sehen, die am unmittelbarsten durch Reflexion auf die praktische Vernunft e r k e n n b a r ist (vgl. unten S.303ff). Die Annahme eines doppelten Prinzipienbegriffs bei Aristoteles erscheint zunächst systematisch unbefriedigend, ermöglicht aber ein Verständnis der Problemgeschichte bis zu Hegel, die sich um die Ausarbeitung eines strikt allgemeinen Vernunft begriffs bemühte, während es Hegel um die Synthese ging, daß diese allgemeine Vernunft n u r als ein geschichtlicher Prozeß gedacht werden k a n n . Eine solche Synthese ist nicht dasselbe wie die bildungsgeschichtlichte Relativierung d e r Vernunft, weil sie die geschichtliche Bewegung nicht zu fällig, sondern selber logisch sein l ä ß t . - Für Wieland e r scheint dagegen die Wirkungsgeschichte des Aristoteles, s o weit sie Vernunfttheorie i s t , als Resultat eines g r u n d s ä t z lichen Mißverständnisses seines Prinzipienbegriffs, s. a . a . O . S.58, Anm.8. 2 Met. 2, 996 b 26-33
231 kennt - wie etwa die Arithmetik das quantitative Seiende mehr als die noch die räumliche Lage hinzusetzende Geometrie - , auch die sichersten Prinzipien dieses Gegenstandes auszusprechen vermag, ist die Philosophie, die sich konkurrenzlos auf die Sei enden als solche bezieht, für die sichersten Prinzipien zustän dig, die allen Wissenschaften oder Typen des Seienden gemein sam s i n d . [ l ] Um darüber hinaus zu sagen, was u n t e r einem schlechthin ge wissesten Prinzip zu v e r s t e h e n ist - innerhalb einer dialekti schen Prinzipientheorie ein schon nicht mehr sinnvolles Vor haben - r e k u r r i e r t Aristoteles auf den Begriff einer E r k e n n t n i s , die die Erkenntnis jedes beliebigen Seienden notwendig bedingt, und insofern auf den Begriff einer apriorischen Vernunft, der auch in den Zweiten Analytiken zur Erklärung der allgemeinen Prinzipien oder Axiome gebraucht wird. [2] Wenn der Wider s p r u c h s s a t z , der im folgenden als die notwendige Bedingung a priori von Erkenntnis eingeführt wird, schließlich auch die letzte Meinung (doxa) genannt wird, auf die man alle Beweise zurückführt, [3] dann kann man dies n u r als einen unspezifi schen Wortgebrauch auffassen. Denn zuvor wurde dasselbe Prinzip aus dem Bereich all dessen herausgenommen, das der Möglichkeit des Irrtums unterliegt, deshalb vielleicht n u r als Hypothese akzeptiert werden kann und damit Gegenstand der dialektischen Diskussion und Prinzipienforschung im Sinn einer grundsätzlich nicht transzendierbaren Vorläufigkeit i s t . [ 4 ] Was als Bedingung jeglicher Erkenntnis v e r s t a n d e n wird, liegt auch - jedenfalls seinem Begriff nach - jedem Diskussionsbeitrag lo gisch zugrunde und kann daher nicht Gegenstand einer dialek tischen Problematisierung bloßer Hypothesen werden. Daß Aristoteles im folgenden Kapitel eine nicht deduktiv bewei sende Argumentation v o r t r ä g t , um die Bestreitung des Wider spruchsprinzips zu widerlegen (elenxis), [5] läßt noch nicht auf ein dialektisches Verfahren schließen, das dem Anspruch auf 1 2
Met. Γ 3 , 1005 b 8-11 Ebenda 1005 b 11-18; A n . po s t . A 2, 72 a 16ff; A 10, 76 b 23-27; zu diesem Vernunftbegriff v g l . unten S.233ff, S.329f u . Dritter Teil, .., 2. 3 Met. 3 , 1005 b 32ff 4 Diese Verwendung von 'doxa' könnte Anlaß sein, auch die zitierten 'koinai doxai' aus Met. 2 weniger prägnant aufzu fassen, als es hier im Anschluß an Wieland geschah. Man kann aber auch eine intendierte Entwicklung des Doxabegriffs vermuten, der zunächst in seinem dialektischen Sinn aufgenommen, von dem aber dann gezeigt wird, daß die mit ihm gemeinte Prinzipienfunktion nicht auf dialektische Sätze beschränkt i s t . 5 Vgl. oben S.120f
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absolute Verbindlichkeit des nachzuweisenden Vernunftprinzips Abbruch t ä t e . Vielmehr will das Argument die behauptete Ver bindlichkeit am Fall jedes Opponenten zeigen, d e r , wenn er überhaupt etwas s a g t , auch bei der Bestreitung des Wider spruchssatzes mit jedem einzelnen Ausdruck (onoma) und mit seiner Rede im Ganzen (logos) etwas Bestimmtes bedeuten will. Auf diese Weise kann er nicht konsequent weiter v e r t r e t e n , was in diesem Meinen eines Bestimmten ausgeschlossen i s t , daß sich nämlich, wie Aristoteles es a u s d r ü c k t , alles so und zugleich nicht so v e r h ä l t . [ 1 ] Denn das hieße a u c h , daß man das jeweili ge Bestimmte meint und nicht meint, was wiederum eine b e stimmte Konsequenz i s t , so daß sich die These des Opponenten n u r in einer iterierenden Flucht vor der Widerlegung d u r c h ihren eigenen Vollzug 'halten' k ö n n t e . Aristoteles kommt es darauf a n , dieses Argument als einen Be weis d u r c h Widerlegung von dem Beweis im üblichen Sinn d a durch abzuheben, daß es auf der faktischen, d . h . notwendig im sprachlichen Tun mitgesetzten Bestätigung des Widerspruchs prinzips d u r c h den Opponenten selbst b e r u h t . Müßte dagegen der Vertreter des Widerspruchsprinzips einen Beweisgrund v o r b r i n g e n , dann nähme auch er in der Tat schon das noch nicht zugestandene Prinzip in Anspruch, beginge also eine petitio principii und hätte deshalb nach seinen eigenen Begriffen von einem Prinzip a priori und vom Beweis nichts gezeigt. [2] Das dialektische Moment des Arguments besteht also in seiner An gewiesenheit auf einen mindestens gedachten Diskussionspart n e r , der auch wirklich etwas sagt und damit - wie der Text die Relationalität sprachlicher Äußerung vervollständigt - sich selbst und einem anderen etwas (Bestimmtes) b e d e u t e t . [ 3 ] Wenn beliebige Opponenten auf diese Weise in den sicheren Nachweis eines Prinzips einbezogen werden, wird dessen Geltung nicht relativiert, sondern gerade die zuvor behauptete Vernunftnot wendigkeit sprachlich demonstriert. 2. Erkenntnis und Stellenwert der apriorischen Prinzipien allen Wissens Zur Beantwortung der Frage, wie erste Prämissen im Unter schied zu den aus ihnen bewiesenen Sätzen des Wissens e r k a n n t werden, kann man bei dem erreichten Stand der Untersuchung von zwei Ansätzen ausgehen: Einerseits von der logischen Un mittelbarkeit der ersten Prämissen und andererseits von der Art, wie Aristoteles die Einsicht in das Widerspruchsprinzip als die notwendige Bedingung jedes vernünftigen Gedankens b e 1 2 3
Met.Γ 4, 1006 a 11-31 Ebenda 1006 a 11-18 Ebenda, 1006 21ff
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s c h r e i b t . Bevor man diese Prinzipieneinsicht als gerade die E r kenntnisweise i n t e r p r e t i e r t , die der logischen Unmittelbarkeit e r s t e r Prämissen e n t s p r i c h t , gibt es eine doppelte Veranlas s u n g , die Möglichkeit dieser Identifikation genau zu p r ü f e n : Einmal begnügt Aristoteles selbst sich nicht mit der exempla rischen Demonstration der Prinzipieneinsicht anhand des Wi d e r s p r u c h s s a t z e s , sondern führt in dem berühmten letzten Ka pitel der Zweiten Analytiken ein anderes Modell ein, nach dem die ersten Prämissen der Wissenschaft aufgrund von Wahrneh mung, Erinnerung und Erfahrung erkannt werden sollen. Zum andern ist k l a r , daß nicht alle ersten Prämissen so wie das Wi derspruchsprinzip einleuchten können, also als Bedingungen ■jeglichen Denkens, sogar noch i h r e r Bestreitung, denn die De finitionen, die durch die Bestimmung der einzelwissenschaftli chen Gegenstände die spezifischen Inhalte der Beweise b e g r ü n d e n , sind gerade nicht im Hinblick auf eine d e r a r t allgemeine Funktion einzusehen.[1] Die E r k e n n t n i s , die Aristoteles mit der Erörterung des Wider spruchsprinzips vollzieht, kann man im kantischen Verstande transzendental nennen, insofern sie "sich nicht so wohl mit Ge genständen, sondern mit u n s e r n Begriffen a priori von Gegen ständen überhaupt beschäftigt". [2] Indem nämlich Aristoteles das gewisseste nichthypothetische Prinzip als das auffaßt, was in allem Verstehen und bestimmten Bedeuten notwendig v o r a u s gesetzt wird, gibt er seiner Aufstellung dieses Prinzips den Charakter einer Einsicht in die Bedingungen von Erkenntnis ü b e r h a u p t . Diese Einsicht genügt offenbar der negativen Be d i n g u n g , nicht aufgrund eines förmlichen Beweises gewiß zu sein, wie die Beweistheorie den Begriff der e r s t e n Prämissen faßt; deshalb läge es n a h e , in diesem Typ einer t r a n s z e n d e n talen Erkenntnis die gesuchte Erkenntnisart der e r s t e n Prämis sen zu s e h e n . Die transzendentale Einsicht in Vernunftbedingungen ü b e r h a u p t gehört zur philosophischen Reflexion und macht deren Ziel als Prinzipienforschung und -diskussion a u s , setzt also einen v o r wissenschaftlichen und vorphilosophischen Vernunftgebrauch v o r a u s , den sie über seine allgemeinsten logischen Vorausset zungen aufklärt, die noch nicht in seinem gegenständlich b e stimmten Horizont sind. Im Text wird zwar deutlich, daß die transzendentale Erkenntnis Sache der Ersten Philosophie i s t , aber die Abgrenzung zu der unreflektierten Inanspruchnahme der apriorischen Prinzipien durch das alltägliche und wissen schaftliche Denken ist kaum markiert. Vielmehr heißt e s , was derjenige, der irgendetwas (Bestimmtes) v e r s t e h e bzw. e r k e n 1
Met. E 1, 1025 b 7-16, bezeichnet ü b e r h a u p t n u r die We sensbegriffe als Grundlagen der wissenschaftlichen Argumen tation; v g l . Top. θ 3, 168 a 33 - b 4. 2 KrV A l1f
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n e , haben oder erkennen müsse, das sei keine Hypothese, das müsse der Erkennende auch wirklich haben - ohne daß dies Haben als bloß implizit und noch verborgen für den in seinen Gegenständen befangenen Erkennenden gekennzeichnet w ä r e . [ l ] Also wird einerseits einleitend der Ersten Philosophie, weil n u r sie den allgemeinsten Begriff, den des Seienden als solchen, thematisiert, die Aufstellung und theoretische Einordnung der für alle Wissenschaften verbindlichen Prinzipien zugewiesen, andererseits aber die Gewißheit eines Prinzips mit seiner u n eingeschränkten Bekanntheit b e g r ü n d e t , die seinem a u s d r ü c k lichen Begreifen als Prinzip a priori vorangehen muß.[2] Diese Bekanntheit - wie immer sie genauer theoretisch zu fassen sein mag - schließt nicht n u r die Möglichkeit eines Irrtums ü b e r das Prinzip von vornherein a u s . Sie kann auch e r k l ä r e n , wes halb es gelingt, das Prinzip sogar anhand seiner Bestreitung im Dialog einleuchtend zu machen. Zwar wird gezeigt, daß d e r Op ponent das Prinzip als die logische Form auch seines Einwandes anerkennen muß, sobald er n u r einen v o r b r i n g t . Diese Aner kennung muß aber für sich allein noch keine transzendentale Erkenntnis a u s d r ü c k e n , wenn etwa der Opponent die Annahme einer in aller Erkenntnis sich gleichbleibenden Vernunft nicht teilt und das Prinzip n u r für den einen Fall seines Einwandes und für andere Einzelfälle, zu deren Beurteilung er genötigt wird, zugibt, ohne sich aber auf eine Aussage über Bedingun gen von Erkenntnis ü b e r h a u p t einzulassen. [3] Die Prinzipien erkenntnis hat aber darin den Charakter einer Vernunfteinsicht ( n u s ) , daß dem Bewußtsein an dem einen Fall und ohne weite ren Diskurs die apriorische Gültigkeit des Prinzips einleuchtet, was in dem aristotelischen Ausdruck eines Beweises durch Wi derlegung (apodeixai elenktikos) formuliert i s t : Die durch die Widerlegung ermöglichte Erkenntnis soll dieselbe Verbindlichkeit und Allgemeinheit wie eine aus einem Beweis gewonnene haben. Theoretisch verständlich wird diese transzendentale Einsicht aus der These von der vorgängigen Bekanntheit des Prinzips, sofern dasselbe, wird es n u r an einem Beispiel hervorgehoben und explizit gemacht, aufgrund jener vorphilosophischen Ver trautheit mit ihm dem Bewußtsein in seiner ganzen Umfassend heit aufgehen k a n n . 1 2
Met.Γ 3 , 1005 b 15ff Ebenda, 1005 b 2-14. Terminologisch könnte man zur Erklä r u n g der doppelten Prinzipienerkenntnis die Unterscheidung des für uns von dem der Sache nach Bekannteren anführen, an ihr wiederholt sich aber die hier angemerkte Unklarheit, v g l . unten 3. c - d . 3 Zu diesem Verfahren, transzendentale Erkenntnis von dem abzuheben, was man sonst glaubt, als gesichertes Wissen betrachten zu können, v g l . Fichtes Wissenschaftslehre 1804, III. V o r t r . , S.107.
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Aristoteles selbst bringt das notwendige Einleuchten (dokein) der Prinzipien in den Zweiten Analytiken mit einer inneren sprachlichen Vernünftigkeit (esō logos) in Zusammenhang, auf die - und nicht auf die in der Diskussion formulierte Rede (exō logos) - ü b e r h a u p t jeder Beweis sich beziehe.[1] Wissenschaft liche Argumentation ist danach n u r im Hinblick auf eine gemein same Vernunft sinnvoll, die gegen bestimmte Sätze oder Argu mente, eben die Prinzipien, keinen Einwand mehr akzeptiert, weil sonst im Zweifelsfall alles behauptet und bestritten werden könnte; n u r wenn diese Möglichkeit ausgeschlossen i s t , lohnt es sich zu argumentieren. So kann Aristoteles aus der notwendigen Voraussetzung, daß nicht alles, was man s a g t , ebensogut auch bestritten werden k a n n , auf eine schon vorphilosophische Be kanntheit der Prinzipien wie auf ein Selbstbewußtsein der auf sie reduzierbaren Vernunft schließen, das sich in jeglichem Vertrauen auf die Überzeugungskraft von Argumenten ä u ß e r t . So ergibt sich aus den zitierten Passagen eine Theorie der intel lektuellen Einsicht in Prinzipien: Sie ist als transzendentale Er kenntnis in der philosophischen Grundlegung des Wissens mög lich, weil mit ihr das Selbstbewußtsein d e r Vernunft, das als Prinzipienwissen "vom Menschen nicht getrennt werden k a n n " , [2] also auch zu jeder gegenständlichen Erkenntnis g e h ö r t , d u r c h Reflexion thematisch wird. So v e r s t a n d e n , erfüllt transzendentale Erkenntnis den Begriff von ' d u r c h sich selbst erkennbar Sein', den Wieland h e r v o r g e hoben h a t , daß nämlich das jeweilige Prinzip im Hinblick auf seine Wissen ermöglichende Funktion, also mit Rücksicht auf seinen empirischen Gebrauch und deshalb in "reflexiv vermittel t e r Evidenz" und nicht in unmittelbar intuitiver erkannt wird. [3] Die Reflexion bezieht sich auf das ihr vorangehende, empi risch unausdrückliche Selbstbewußtsein der Vernunft, Gegen stände immer n u r u n t e r bestimmten Bedingungen zu e r k e n n e n , nimmt diese Selbsterfahrung der individuellen Subjektivität aber ebenso wie die Widerlegung im Dialog n u r als konkreten Fall der Vernunftbedingungen schlechthin oder als ein Faktum der Ver nunft . Aus der Konzeption von Prinzipienerkenntnis, die sich derart abzeichnet, kann man zunächst zwei Konsequenzen im Hinblick auf andere Aussagen des Aristoteles ziehen, die die Einsicht in e r s t e Prämissen allgemein charakterisieren: 1. Die Faktizität der subjektiven Prinzipienerkenntnis muß der Vernunft selber, dem Inbegriff der logischen Notwendigkeit, angehören, da man Prinzipien nicht schrittweise aus kontin genten individuellen Erfahrungen bilden k a n n , also gerade so, wie das letzte Kapitel der Analytiken die Einsicht in e r s t e Prä1 2 3
A 10, 76 b 23-27; v g l . A 2, 72 a 16f Thomas, In Eth. 1. 9, 1247 Die aristotelische Physik, S.67f; v g l . oben, S.211f
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missen entstehen läßt. Bei einem Prinzip, das Bedingung jeder Gegenstandserkenntnis ü b e r h a u p t , also Prinzip a priori sein soll, wäre es unsinnig, nach Voraussetzungen seines empiri schen Entstehens, nach den Bewußtseinsbedingungen für die e r s t e , noch inhaltlich gebundene und nicht schon reflexiv t h e matisierte Erkenntnis dieses Prinzips zu fragen. Nichts von dem, was als einsinnige Voraussetzung des ursprünglichen Be wußtseins von Prinzipien a priori gedacht werden könnte, wäre eine E r k e n n t n i s . 2. Die explizite Prinzipienerkenntnis aus Reflexion ist in emi nenter Weise vermittelt, indem sie beliebige Gegenstandser Selbst kenntnisse exemplarisch vergegenwärtigt - also auf erfahrung r e k u r r i e r e n muß - , um an ihnen eine Form von Ver nunft ü b e r h a u p t mit Bestimmtheit aufzuzeigen; die explizite Prinzipienerkenntnis ist nicht durch bestimmte vorangehende Erkenntnisse um deren Gegenstände willen vermittelt, sondern d u r c h das Bewußtsein von Erkenntnissen ü b e r h a u p t . Und diese Vermittlung kann nicht als bloße Form der Hinführung - für uns - zum unmittelbaren, einfachen Prinzip aufgefaßt werden, von dem alle begründenden Vermittlungen oder Beweise erst auszugehen h ä t t e n . Denn die Prinzipienerkenntnis kann ihren Gegenstand, etwa den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, grundsätzlich gar nicht anders als in seiner Erkenntnis schlechthin bedingenden Funktion, also vermittelst seiner Be ziehung auf a n d e r e s , erfassen, sofern sie transzendentale Er kenntnis i s t . Erkenntnis und Gegenstand, gleichermaßen kom plex und vermittelt, entsprechen nicht der Idee einer einfachen Einsicht in logisch unmittelbare e r s t e Prämissen, wie sie das theoretische Modell endlicher Wissenschaft folgerichtig enthält. Unter beiden Gesichtspunkten zeigt sich also, daß Prinzipien erkenntnis nicht in Charakteristiken p a ß t , die Aristoteles der Erkenntnis wissenschaftlicher Prämissen gibt. Die Vermutung liegt n a h e , daß solche Charakteristiken im Hinblick auf andere Voraussetzungen der Wissenschaften konzipiert sind. Erste Prämissen wissenschaftlicher Diskurse sind nicht n u r die apriorischen Prinzipien, sondern auch die speziellen Prämissen einzelner Wissenschaften. [ 1] Diese sind als Definitionen g r u n d 1
Diese Gleichsetzung der allgemeinen Prinzipien mit apriori schen schließt bewußt solche a u s , die Aristoteles deshalb 'gemeinsame' n e n n t , weil sie einigen Wissenschaften zugrunde liegen, wie z . B . Grundsätze ü b e r gleiche Größen ( ι σ α ) al lem Wissen ü b e r Quantitatives ( A n . p o s t . A 10, 76 a 41 - b 2 ) ; sofern solche Prinzipien einer bestimmten Kategorie zu geordnet sind, machen sie nicht die logische S t r u k t u r jeden Gegenstands a u s , sondern sind aus transzendentaler Per spektive spezielle Prämissen. - Auch die schon zitierte Stelle An.post. A 2, 72 a 14-24, unterscheidet zwar Axiome einer-
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sätzlich Aussagen über bestimmte gegenständliche Sachverhalte, die allgemeinen Prinzipien dagegen beziehen sich auf die Be dingungen oder die logische Form von Erkenntnissen ü b e r h a u p t und damit ebensosehr auf die allgemeinste S t r u k t u r i h r e r Ge g e n s t ä n d e . Diesen grundlegenden Unterschied kann man auch noch anders fassen: Während spezielle Prämissen immer auf Ge g e n s t ä n d e , also auf anderes als sie selbst gehen, sagen die apriorischen Prinzipien sowohl etwas über andere Sätze und Sachverhalte als auch etwas ü b e r sie selbst a u s , nämlich jeweils die gemeinsame Form. Die reflexive Bedeutung der Prinzipien findet man bei Aristoteles in i h r e r Negation ausgesprochen, so fern die Bestreitung des Widerspruchsprinzips auf sich selbst gerade nicht anwendbar ist und sich derart selbst widerlegt. In den Zweiten Analytiken aber wird die wesentliche Differenz der beiden Typen von ersten Prämissen nicht entsprechend gewür digt, sondern mit der Unterscheidung von gemeinsamen und - einer Wissenschaft - eigentümlichen Voraussetzungen eher minimalisiert. Im Hinblick auf Thomas ist vor allem von I n t e r e s s e , wie Aristoteles das Verhältnis von Prinzipien und s p e ziellen Prämissen im beweisenden Diskurs bestimmt. Eine Formu l i e r u n g , die die Eigenständigkeit der beiden Prämissenarten deutlich wahrt, i s t , zusammen mit den besonderen Gründen wer de durch die allgemeinen bewiesen.[1] Thomas kommentiert das nicht weniger klar: Man müsse die einer Wissenschaft eigentüm lichen ersten Prämissen zu den allgemeinen hinzunehmen (coas sumere) oder diese auf jene anwenden. [2] Dennoch spricht er außerhalb dieses Kommentars n u r selten von der Funktion der speziellen Voraussetzungen einzelner Wissenschaften in ihren Beweisen. [3] Der Tendenz hingegen, die speziellen Prämissen auf allgemeine Prinzipien zu reduzieren, mag Aristoteles' Bemerkung Vorschub seits und Hypothesen und Definitionen (beide als θ ε σ ε ι σ ) andererseits d a r a n , daß n u r die Axiome Voraussetzung jeg lichen Erkenntnisfortschritts sind und deshalb jeder sie ( b e wußt) haben muß, der etwas 'lernen' will, während die θεσεισ vom Lehrenden eingeführt werden können, aber beide Typen von e r s t e n Prämissen werden doch als Modi des zuvor a n g e setzten unmittelbaren Prinzips von Schlüssen im Beweisgang aufgefaßt. Dabei bleibt sowohl das Problem der Unmittelbar keit von Axiomen wie auch die an anderer Stelle geäußerte Überlegung unberücksichtigt, daß die Bedingungen aller Er kenntnis ü b e r h a u p t n u r in sehr begrenztem Umfang als Ober sätze von wissenschaftlichen Beweise in Frage kommen (An. p o s t . A 11, 77 a 10ff; v g l . die Formulierung von "doppelten Prinzipien", An. p o s t . A 32, 88 b 27ff). 1 A n . p o s t . A 32, 88 b 1ff 2 In 1 A n . p o s t . 1. 43, 387, 392, 394 3 S. z . B . I 17, 4 ad 1
238 geleistet haben, wer immer beweise, r e k u r r i e r e auf das Wider spruchsprinzip als letzte Instanz des Fürwahrhaltens. [ 1] Ob wohl er unmittelbar anschließend den Satz vom Widerspruch als Prinzip aller anderen Axiome - also nicht auch der speziellen Prä missen (theseis) - bezeichnet, konnte es so scheinen, als seien alle Prämissen überhaupt und damit alles Wissen aus dem Wi derspruchsprinzip herzuleiten. So schwankt schon Boethius, auf den Thomas sich in diesem Zusammenhang oft b e r u f t , in der F r a g e , ob die speziellen Prämissen selbständig gegenüber den allgemeinen zur Konstitution von Wissenschaft b e i t r a g e n . [ 2] In Übereinstimmung mit der stoischen Tradition betont er d a s , was man den individuellen Faktor nennen könnte, bei der Unter scheidung der Prämissentypen, wenn er die allgemeinen Prinzi pien dadurch definiert, daß sie allen Menschen einleuchten, während die speziellen Prämissen nur den wissenschaftlich Ge bildeten unmittelbar wahr erscheinen sollen.[3] Auch diese Dif ferenz stellt er in F r a g e , wenn er zugleich s a g t , die n u r den Wissenden einsichtigen Prämissen "kämen" aus den allgemein anerkannten Prinzipien. Daß Thomas außerhalb seines Kommentars zu den Zweiten Ana lytiken die besonderen Prämissen in der Regel nicht als eigen ständige Beweisgründe berücksichtigt, das dürfte mehr noch als mit den beiden genannten Texten mit seinem Mißverständnis anderer Stellen zusammenhängen - sofern man konkrete An haltspunkte für eine in Wirklichkeit umfassendere Entwicklungs tendenz s u c h t . Aristoteles will in den Zweiten Analytiken zei gen, daß Wissen aus Beweisen n u r jeweils innerhalb einer b e stimmten Wissenschaft, die durch das Genus i h r e r Gegenstände - wie z . B . räumliche Größen - definiert i s t , realisiert werden k a n n , nicht aber in einer allgemeinen Wissenschaft, die die Grenzen beliebiger Gegenstandsgattungen ü b e r s c h r e i t e t , wie es die Dialektik tut ( v g l . oben l . T e i l , .., 1.). Ein Beweis zusammenhang zwischen zwei Wissenschaften ist n u r dann l e gitim, wenn das Genus von Gegenständen der einen in einer Hinsicht u n t e r das Genus subsumiert werden k a n n , das eine andere Wissenschaft definiert, wie sich z . B . die Optik zur Geometrie verhält ( v g l . oben S.216f). Dann werden Sachverhal te der speziellen Wissenschaft aus Sätzen der allgemeinen b e g r ü n d e t , und das ist möglich, weil die e r s t e n , je spezifischen Prämissen beider Wissenschaften, also insbesondere die Defini tionen der beiden Gegenstandsgattungen, etwas Gemeinsames h a b e n , Optik und Geometrie etwa die quantitative Bestimmtheit im Raum. [4] Thomas deutet schon diese letzte Bemerkung a n d e r s , 1 2 3 4
Met. 3, 1005 b 32f Quomodo substantiae in eo quod sint . . . , Stewart/Rand S.40, Z.23ff; v g l . bei Thomas z . B . I 2, 1 Vgl. Stoic.vet.fragm. II 83 An.post. A 9, 76 a 9-15; v g l . Ross, Aristotle's Prior and Posterior Analytics, S.536f
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als Hinweis nämlich auf etwas Allgemeines, das den speziellen ersten Prämissen der Einzelwissenschaften vorgeordnet s e i . [ l ] Die Perspektive auf die allgemeinen Prinzipien und die Metaphy sik, ihre systematische E r ö r t e r u n g , leitet Thomas auch im fol genden. Aristoteles fährt fort, wenn das Gesagte klar sei, dann sei auch klar, daß die eigentümlichen Prämissen einer jeden Wissenschaft nicht beweisbar seien, denn die Voraussetzung dafür wären Prinzipien für alles und die von ihnen ausgehende Wissenschaft für alles zuständig - wie die Dialektik eingeschätzt wird, könnte man hinzusetzen. Schon der Anschluß an das Vorangehende, den man auf die These, jeder wissenschaftliche Satz müsse aus seinen je spezifischen Prämissen bewiesen werden, zu beziehen h a t , kann in Thomas' Perspektive etwas anderes b e d e u t e n . Hinzu kommt eine Unklarheit in der Übersetzung, die Thomas auch so auffassen konnte, als sei es nicht Aufgabe der jeweili gen EinzelWissenschaft, ihre besonderen Prämissen zu bewei sen. [2] In der Tat meint Thomas, Aristoteles ziehe folgenden Schluß: Wenn in den EinzelWissenschaften nicht aus allgemeinen Prinzipien - sondern aus den je spezifischen - bewiesen werde und den - besonderen - ersten Prämissen der Wissenschaften etwas Allgemeines logisch v o r h e r g e h t , hat nicht jede Wissen schaft ihre eigentümlichen Prämissen zu beweisen, sondern die Erste Philosophie, die die allgemeinen Prinzipien behandelt und aus ihnen die logisch nachgeordneten Sonderprämissen der Ein zelwissenschaften herleitet. [3] Den Gedanken an eine Superwissenschaft, die die eigentümlichen Grundlagen jeder Einzel wissenschaft noch einmal aus universalen Prinzipien beweisen k a n n , v e r s t e h t er also nicht kritisch, d . h . als Argument für die Irreduzibilität der speziellen Prämissen, sondern affirmativ als Begründung der Überlegenheit der Metaphysik über die Wis senschaften. Ein förmlicher Zusatz der Übersetzung zum aristotelischen Text an einer anderen Stelle mag diese Auffassung gefördert h a b e n . Die Aussage, die Wissenschaften bewiesen durch die allgemeinen Prinzipien und aufgrund des je schon Bewiesenen, wird zu " . . . aufgrund des durch die allgemeinen Prinzipien Bewiesenen" e r gänzt. [4] Was dies Bewiesene i s t , unterliegt für Thomas keinem Zweifel: Es sind "Prinzipien", und da es nicht noch einmal die allgemeinen sein können, muß er die speziellen Erstprämissen der EinzelWissenschaft meinen. [5] Solche speziellen Prämissen haben demnach den Charakter e r s t e r , u n b e g r ü n d b a r e r Voraus1 In 1 A n . p o s t . 1. 17, 145 2 " . . . non est unius cuiusque principia m o n s t r a r e . " c . 9, 97 3 In 1 An.post. 1. 17, 146f; 1. 2 1 , 177 4
10, 106 5 In 1 A n . po s t . 1. 18, 157
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Setzungen n u r relativ auf die einzelwissenschaftlichen Beweis führungen, an sich oder für den Philosophen haben sie d u r c h aus noch einen Grund in den Prinzipien allen Erkennens ü b e r h a u p t , aus denen sie förmlich zu beweisen sind (demonstrantur). Daß man den Einfluß, den die Mißverständnisse bei der Kom mentierung der Analytiken auf Thomas' Begriff von den beiden Prämissentypen h a t t e n , nicht überschätzen sollte, kann man aus seinem Kommentar zu Boethius' Schrift 'De trinitate' entnehmen, der lange vor der Aristoteleskommentierung e n t s t a n d . Denn auch in dem frühen Text schreibt er einerseits, von d e r Ersten Philosophie empfingen alle anderen Wissenschaften "ihre P r i n zipien", und begründet das an einer anderen Stelle mit dem Vernunftcharakter der Ersten Philosophie, der sie als solcher schon zum Prinzip für die verständigen Verfahren des einzel wissenschaftlichen Diskurses macht.[1] Andererseits veranlaßt die Überlegung, daß auch die Metaphysik auf einzelwissenschaft liche Erkenntnissé angewiesen ist - z . B . auf die Kenntnis der Zahl der Himmelssphären - , Thomas zu einer E r k l ä r u n g , wie man ein zirkuläres Verhältnis zwischen Einzelwissenschaften und Metaphysik ausschließen könne: Weder sind die wissenschaftli chen Erkenntnisse, die die Erste Philosophie wie e r s t e P r ä missen übernimmt, aus den von d e r Philosophie der Wissenschaft "übergebenen" Voraussetzungen bewiesen noch umgekehrt diese von von der Philosophie ausgearbeiteten Grundlagen der Wis senschaft aus Erkenntnissen, die dieselben Wissenschaften der Philosophie gleichsam zur Verfügung stellen. [2] Vielmehr gehen Metaphysik und Wissenschaften bei ihren Beweisen gleicherma ßen von d u r c h sich selbst bekannten Prinzipien a u s . Im Zu sammenhang mit Thomas' Boethiuslektüre bedeutet das noch nicht, daß die apriorischen Prinzipien die einzige irreduzible Grundlage aller Beweise sind, denn auch die spezifischen P r ä missen, die n u r den wissenschaftlich Gebildeten unmittelbar einleuchten, gelten als "durch sich selbst bekannte Prinzipien" und könnten als selbständige Bedingungen der einzelwissen schaftlichen Erkenntnisse den apriorischen Prinzipien, von d e nen die Erste Philosophie handelt, gegenübergestellt s e i n . [ 3 ] Andere Texte jedoch, in denen sich Thomas mit den Beweis gründen des wissenschaftlichen Erkennens befaßt, sprechen nicht für eine solche Differenzierung. Vielmehr ist unabhängig von Aristoteles' und Boethius' Vorlagen in der Regel n u r von den allgemeinen Prinzipien (dignitates, principia innata, prima principia) die Rede, wenn die Bedingungen der Wissensgewin1 2 3
In T r i n . V 1, Decker S.166, Z.4ff; VI 1 q 3, Decker S.212, Z.18-22 In T r i n . V 1 ad 9, Decker S.172, Z.13-20, v g l . S.173, Z.2f In Hebd. 1. 1, 18
241 n u n g zur Diskussion s t e h e n . [ 1 ] Der Erkenntnisprozeß des Ver standes soll dann in der Anwendung der allen Menschen b e kannten Prinzipien auf bestimmte Inhalte b e s t e h e n , von welchen Inhalten an einer anderen Stelle angedeutet wird, daß Wahrneh mung und sinnliche Vorstellung sie liefern. [2] Zweifellos macht sich darin die Einsicht geltend, daß einzelwis senschaftliche Erkenntnisse nicht aus apriorischen Prinzipien abgeleitet werden können. Aber die zusätzlich erforderten i n haltlichen Bestimmungen werden in diesem Kontext nicht wieder zu einem anderen Typ e r s t e r Prämissen, wie sie es bei Aristo teles waren, sondern bleiben als sinnliches Material gleichsam außerhalb der Form des Urteils, u n t e r deren Voraussetzung d e r wissenschaftliche Diskurs theoretisch begriffen w i r d . [ 3 ] Komple mentär dazu führen dieselben Texte die Wesensbegriffe oder Definitionen, die nach Aristoteles gerade die inhaltlichen Spezialprämissen der einzelnen Wissenschaften ausmachen, auf apriorische Bestimmungen (Transzendentalien) wie Seiendes, Eines e t c . zurück - bewußt analog zur Reduktion der wissen schaftlichen Sätze auf die Prinzipien. Ohne daß Thomas zeigt, wie das möglich i s t , schließt er doch deutlich a u s , daß die fürs Wissen unentbehrlichen Inhalte eine begriffliche Form als Vor aussetzungen bekommen, die auf apriorische Erkenntnisse nicht zu reduzieren sind und sie deshalb als Beweisprämissen e r g ä n zen. So kann Thomas einmal zusammenfassend s a g e n , die ganze Wahrheit des theoretischen Verstandes hänge von den e r s t e n , d . h . allgemeinen Prinzipien a b . [ 4 ] Wenn man beachtet, daß die zusätzlich benötigten sinnlichen Inhalte keine Urteile und d e s halb weder wahr noch falsch sind, [5] dann heißt d a s , die all gemeinen Prinzipien sind hinreichende Bedingungen der wissen schaftlichen Wahrheit. Hatte also Aristoteles den Unterschied zwischen allgemeinen Prinzipien und speziellen Erstprämissen eher u n t e r t r i e b e n , so löst Thomas die speziellen Voraussetzungen der einzelnen Wis senschaften de facto in die Prinzipien auf und läßt in der Regel n u r noch diese als erste Prämissen für Beweise gelten. Ver ständlich kann diese Entwicklung aus dem unterschiedlichen Grad von Gewißheit werden, mit dem die beiden Typen von Erstprämissen erkannt werden. [6] Ohne Zweifel können Sach bestimmungen wie die Definition der Quantität grundsätzlich nicht so gewiß sein wie die Bedingungen jeglicher Erkenntnis ü b e r h a u p t . - Überrascht ist man jedoch, wenn man bemerkt, daß Thomas das Wissen der allgemeinen Prinzipien gleichsam 1 2 3 4 5 6
Ver. XI 1 ( D , F ) ; I 82, 2 Quodl. VIII 2, 2 (A) In 2 An.post. 1. 1, 409 Ver. XVII 1 ad 1; v g l . Stoic.vet.fragm. II 473, S.154, Z.29f cG I 59, 496 Vgl. dazu unten 3.Teil, .., 3 . - 4 .
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induktiv durch sinnliche Erkenntnisse bedingt sein läßt und als Einsicht in einen logisch unmittelbaren Zusammenhang v e r s t e h t , [ 1 ] also entsprechend jenem Begriff des Aristoteles von der Erkenntnis e r s t e r Prämissen, der dem apriorischen und transzendentalen Charakter des Prinzipienwissens gerade nicht angemessen zu sein scheint. Um Thomas' Bestimmung der Art und Weise, in der die allgemeinen Prinzipien erkannt werden, aus i h r e r Herkunft zu v e r s t e h e n , muß man also jene offenbar inadäquate aristotelische Konzeption u n t e r s u c h e n . 3. Die unmittelbare Erkenntnis spezifischer Prämissen im Kon text einer Theorie des Erkenntnisprozesses ü b e r h a u p t a) Anfanghafte Prämissenerkenntnis notwendigen Vorwissen
und
der
Grundsatz
vom
Die Unmöglichkeit, im aristotelischen Kontext die allgemeinen Prinzipien als hinreichende Grundlagen des in den Wissenschaf ten konkretisierten Wissens anzusehen, erhellt auch noch auf andere Weise aus dem Gesichtspunkt der Erkenntnis weise d e r ersten Prämissen, d e r für das vorliegende Kapitel leitend i s t . Wie sich im letzten Kapitel d e r Zweiten Analytiken zeigt, ist der Begriff unmittelbarer e r s t e r Prämissen nicht ohne weiteres mit dem Grundsatz in Einklang zu b r i n g e n , daß jede Erkenntnis auf einer ihr vorangehenden b e r u h t . [2] Denn die Allgemeinheit dieses Grundsatzes b e d e u t e t , daß der Regressus in den Bedin gungen einer Erkenntnis schlechthin unabschließbar i s t , solange man u n t e r solchen Bedingungen wiederum Erkenntnisse v e r s t e h t ; mit dem Grundsatz ü b e r das notwendige Vorwissen bringt also Aristoteles der Sache nach die Antithesis der kantischen Antinomien gegen den eigenen Versuch zur Geltung, die Thesis wissenstheoretisch verbindlich zu machen. Aristoteles bespricht das Problem der Prämissenerkenntnis nicht allgemein, sondern u n t e r einer Voraussetzung, die schon einem Ausschluß der apriorischen Wissensprinzipien gleichkommt, daß nämlich die e r s t e n Prämissen ähnlich wie konkrete Gegenstände irgendwann einmal vom Subjekt erkannt werden, also nicht als Bedingungen jeglicher Erkenntnis immer schon bekannt sind, wie in der Metaphysik das Widerspruchsprinzip exemplarisch dargestellt w i r d . [ 3 ] Gerade eine solche - unausdrückliche, wie 1 2 3
In 4 Met. 1. 6, 599 An.post. 19, 99 b 22-34 Nur so ist ebenda, 25f, die Frage sinnvoll, ob man die Er kenntnis (der unmittelbaren Prämissen) entweder zunächst nicht hat und dann bekommt oder zwar schon h a t , aber - eine Zeitlang - noch nichts davon weiß, denn neu b e -
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man hinzusetzen möchte - Bekanntheit der allgemeinen Prinzi pien ist das i h r e r philosophischen transzendentalen Erkenntnis vorangehende Bewußtsein. Denn n u r im Sinn dieser Unter scheidung zweier Erkenntnisweisen ist es einsichtig, daß der Philosophie eine sinnvolle Aufgabe zugewiesen wird, wenn sie die gewissesten Prinzipien des Seienden als solchen aussprechen und betrachten soll, die doch jeder, der überhaupt irgendetwas erkennen will, schon kennen muß. Auf diese Differenz in der Erkenntnis der ersten Prinzipien macht Aristoteles aber am Schluß der Analytiken nicht aufmerksam, sondern verwirft ausdrücklich die Überlegung, wir hätten eine uns selbst (zu nächst) verborgene Prinzipienkenntnis, die irgendwann, so wäre zu ergänzen, in ausdrückliche, bewußte Erkenntnis übergehen könnte. Und d a s , obwohl der Begriff von den ersten Prämissen, daß sie n u r an ihnen selbst bekannter als das aus ihnen Be g r ü n d b a r e sind, für unsere Erkenntnis aber dieses v o r a n g e h t , [ 1 ] allem Anschein nach hier eingesetzt werden k ö n n t e . Das Argument gegen eine unbewußte vorgängige Kenntnis d e r e r s t e n Prämissen, es sei unsinnig anzunehmen, daß uns g e nauere - klarere - Erkenntnisse als der Beweis verborgen blie b e n , schließt eine Thematisierung zuvor n u r angewandter Prin zipien d u r c h wissenstheoretische Reflexion aus und läßt n u r noch die Möglichkeit offen, daß e r s t e Prämissen gleich wie an dere Gegenstände der Erkenntnis gewonnen werden. Schon mit diesem Ansatz hebt die aristotelische Frage nach der Erkenntnis e r s t e r Prämissen dieselbe und die Wissenschaften implizit von der gewöhnlichen Erkenntnis a b . Denn daß erste Prämissen nicht zugleich mit jeder beliebigen Erkenntnis u n a b t r e n n b a r gesetzt sind, sondern von einem schon anderes Er kennenden e r s t später eingesehen werden, das ist aus folgender Überlegung v e r s t e h b a r : Die alltägliche Erkenntnis kann sehr wohl b e s t e h e n , ohne die Frage nach wissenschaftlich einge grenzten und abstrahierten Beweisprinzipien zu stellen und aus solchen Prinzipien Folgerungen zu ziehen; vielmehr sind mit den Wissenschaften auch ihre ihnen eigentümlichen Prämissen zeitlich jedenfalls später als die nichtwissenschaftliche Erfahrungser kenntnis. kommen oder als verborgene Erkenntnis in sich entdecken kann n u r ein zuvor schon anderes Erkennender die e r s t e n Prämissen. ε ν ο υ σ α ι αι ε ξ ε ι σ wird hier als Haben von Erkenntnis wiedergegeben, weil in einer ersten Antwort darauf (26f) derselbe Sachverhalt mit ε χ ο ν τ α σ γ ν ω σ ε ι σ umschrieben wird; v g l . auch das entsprechende α ρ χ ŋ ν ε χ ε ι ν in Met. Γ 3, 1005 b 15 u . 17, und A n . p o s t . A 2, 72 a 14-17. 1 An.post. A 2, 71 b 33 - 72 a 5; Met. α 1 , 993 b 7-11
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Wenn man nun auf die Frage zurückkommt, wie Einsicht in lo gisch unmittelbare Prämissen mit dem Grundsatz von der Ange wiesenheit jeder Erkenntnis auf eine ihr vorangehende vereinbar sein k a n n , ergibt sich, daß die allgemeinen Prinzipien ganz g e wiß zu dem gehören, was schon vor dem Beginn des wissen schaftlichen Fragens und Begründens d u r c h seinen s e l b s t v e r ständlichen Gebrauch bekannt i s t , also zu dem Vorwissen, das Aristoteles hier offensichtlich nicht i n t e r e s s i e r t . [ 1] Man kann s a g e n , daß die allgemeinen Prinzipien auch in dem Sinn für die Unendlichkeit der Vernunft s t e h e n , der in dem Grundsatz von notwendigen Vorwissen ausgedrückt i s t . Denn es kann zwar im Regressus der Erkenntnisbedingungen keine Erkenntnis gedacht werden, die nicht u n t e r diesen Prinzipien s t ü n d e , so daß sie als das Vorhergewußte schlechthin, also doch ein Letztes e r scheinen könnten. Aber sie erfordern ihrerseits eine bestimmte Erkenntnis, für die sie Prinzipien sein können, und entziehen sich damit dem Versuch, unmittelbare Prämissen festzulegen, die ohne vermittelnden Bezug auf einen in ihnen selbst nicht a u s gesprochenen Begriff als notwendige Zusammenhänge e r k e n n b a r sein sollen. An den allgemeinen Prinzipien kann also exemplarisch gezeigt werden, daß die Erkenntnisweise, die mit dem Grundsatz vom notwendigen Vorwissen gemeint i s t , zu keiner unmittelbar e r s t e n Prämisse führt. Der aristotelische Versuch, die Logik des e n d lichen wissenschaftlichen Beweises als die systematische Voll endung des Grundsatzes vom Vorwissen zu entwickeln, ist i n sofern nicht erfolgreich, als dieser Grundsatz, wie der Text klar s a g t , [2] auch für die Erkenntnisse gilt, die als e r s t e Prä missen einen wissenschaftlichen Begründungsgang abschließen sollen. Damit wird d e r Neuansatz zu begründetem Wissen gegen ü b e r der bloß faktischen Erfahrung wieder durch den Hinweis relativiert, daß die Wissenschaften in ihren Grundlagen von dem vorwissenschaftlichen Bewußtsein abhängig bleiben. Das trifft allerdings nicht n u r für die allgemeinen Prinzipien zu, sondern auch für die spezifischen, wie Aristoteles die Bildung von De finitionen ausdrücklich auf den allgemein üblichen Sprachge brauch v e r w e i s t . [ 3 ] Aber mit den Definitionen werden doch mindestens die Sinnmomente von Bestimmungen erstmals expli ziert, wenn die Theorie den intendierten Sinn auch dem v o r wissenschaftlichen Sprachgebrauch schon implizit zugrunde l e gen muβ, um seine Eruierbarkeit durch ein formal vergleichen des Verfahren begreiflich zu machen. 1
Daß jede Wissenschaft ein Vorwissen v o r a u s s e t z t , das nicht in ihren Themenbereich fällt, betont dagegen Met. A 9, 992 b 24-33. 2 An. post. B 19, 99 b 28ff 3 Vgl. oben 1 . K a p ., 3.
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Die aristotelische Voraussetzung, daß die unmittelbaren Prämis sen der Wissenschaften einmal erkannt werden und nicht immer schon bekannt sind, kann man noch einmal zu b e g r ü n d e n v e r suchen: Alternativ zu solchen Prämissen sind die allgemeinen Prinzipien zu v e r s t e h e n . Sie transzendieren als Vorwissen, das auch das alltägliche Bewußtsein bestimmt, die Begründung d e r Wissenschaften und stehen insofern für die Kontinuität der selbstbewußten Vernunft. Weder aus d e r Perspektive des wis senschaftlichen Beweises, für den sie durch ihre logisch kon stitutive Funktion für alle Sätze des Wissens vermittelt sind, noch ü b e r h a u p t können sie als logisch unmittelbar oder als ein absoluter Anfang angesehen werden. Die Forderung nach logi scher Unmittelbarkeit der ersten wissenschaftlichen Prämissen und die entsprechende Bestimmung i h r e r Erkenntnis, eine ein fache Einsicht zu sein, bedeuten also, wenn die Einschätzung der allgemeinen Prinzipien richtig i s t , einen gegenüber dem j e weiligen Vorwissen neuen Ansatz einer Wissenschaft mit spezifi schen Prämissen, insbesondere den Definitionen i h r e r Gegen stände. Diese Annahme wird dadurch b e s t ä t i g t , daß Aristoteles im letz ten Kapitel der Zweiten Analytiken zur Klärung d e r E r k e n n t n i s weise der ersten Prämissen weder den Begriff der allgemeinen Prinzipien, als Bedingung jeglicher Erkenntnis immer schon g e wiß zu sein, heranzieht noch auf das im Sprachgebrach sich ausdrückende Vorwissen zurückkommt, auf das sich die Bildung von Definitionen stützen k a n n . Aristoteles zeigt, weshalb der Verzicht auf diese schon entwickelten Zusammenhänge k o n s e quent ist: Mit der Einbeziehung in den Kontext wissenschaftli cher Beweisgründe wird jedes Vorwissen zu einer logisch v o r geordneten Prämisse, deren Genauigkeit, d . h . Klarheit und Einsichtigkeit fürs Erkennen, nach der Theorie des Beweises höher als die der ihr nachgeordneten sogenannten ersten P r ä missen sein müßtet[1] - eine Auszeichnung, die zwar aus der Bekanntheit des Vorhergewußten im Unterschied zur Unbe kanntheit des erst noch zu Erkennenden entwickelt werden k a n n , die Aristoteles aber nicht mit dem Begriff des Vorwissens ausdrücklich v e r b i n d e t , wie man etwa an dem der Definition vorangehenden Wortgebrauch sehen k a n n . Daß die beweisende Wissenschaft so, wie ihr Verfahren d u r c h Präzisierung und Systematisierung aus dem Grundsatz des Vor wissens gewonnen wurde, jedes ihr zugeordnete und als nicht wissenschaftliches gemeinte Vorwissen zu einem früher Gewußten im Sinn von gewisseren Beweisprämissen i n t e g r i e r t , das kann umgekehrt auch so aufgefaßt werden: Die aristotelische Be weistheorie schließt die Wissenschaften, die jeweils auf n u r einen Aspekt der Gegenstände wie etwa ihre Quantität a u s schließlich festgelegt sind, gegen alle nicht in ihnen zu s y s t e 1
An.p ost. 19, 99 b 26f, 32ff u . 100 b 8ff
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matisierenden Bedingungen a b , die als Vorwissen zusammenge faßt werden können, und stellt sie insofern als Neuansatz g e genüber dem alltäglichen Erfahrungswissen d a r . Die Frage nach der Erkenntnisweise der unmittelbaren Prämissen wird d a d u r c h aporetisch, [ 1] daß im wissenschaftlichen Kontext Erkenntnis bedingungen n u r als Beweisprämissen vorgesehen sind und diese einen unmittelbaren logischen Anfang haben sollen, daß aber trotzdem der wissenstheoretisch vorgängige Grundsatz des Vorwissens gegenüber solchen e r s t e n Prämissen nicht s u s p e n diert werden k a n n , schon deshalb, weil damit der Ausgangs punkt der Beweistheorie selber in Frage gestellt w ü r d e . b) Wahrnehmung und Erfahrung als das d e r vorangehende Bewußtsein
Prämisseneinsicht
Aristoteles v e r s u c h t , diese Aporie aufzulösen, indem er - zu nächst jedenfalls - d e r Gewinnung der Einsicht in die e r s t e n Prämissen ein Vorwissen anderen Typs als dasjenige v o r a n g e hen läßt, das in d e r Verwendungsweise von Wörtern für b e stimmte Gegenstände oder in der Formulierung allgemeiner Re geln wie dem Widerspruchsprinzip, also immer sprachlich bewußt i s t . Während solches sprachliche Wissen ohne weiteres in das logische Schema d e r Prämissen integriert werden kann und d a mit nicht bloßes Vorwissen gegenüber der jeweiligen Wissen schaft im Ganzen bleibt, scheint die Wahrnehmung s o , wie sie zunächst als reine Wahrnehmung p r ä s e n t i e r t wird, die Bedin gung zu erfüllen, daß sie einerseits zwar bewußt ist und i n sofern als 'Vorwissen' gelten k a n n , andererseits aber als ein b e s o n d e r e s , auch Tieren eigenes Vermögen nicht in derselben sprachlichen Ordnung wie die Prämissen s t e h t , also auch nicht als klarer und deshalb prinzipieller ihnen gegenüber eingestuft werden k ö n n e . [2] Die Abgrenzung der Wahrnehmung gegen die sprachliche und deshalb sich logisch s t r u k t u r i e r e n d e Vernunft, wie sie d u r c h den Begriff eines allen Lebewesen gemeinsamen Vermögens erreicht wird, macht nicht n u r ein Bewußtsein d e n k b a r , das auf die Funktion festgelegt i s t , für Wissen nichts wei t e r als vorangehendes Bewußtsein ohne alle logische Bestimm1 2
An p o s t . 19, 99 b 17ff Ebenda, 99 b 30-34. 'Wahrnehmung' wird hier offen sichtlich in doppeltem Sinn g e b r a u c h t , nämlich in Z.35 für das Vermögen, das schon in den vorangehenden Zeilen ins Auge gefaßt wird, in Z.36f dagegen für das wirkliche Wahr nehmen eines Wahrnehmungsgegenstandes. Indirekt wird in Z.37ff die Wahrnehmung als Erkenntnis bezeichnet, vienn es von Tieren ohne Erinnerungsfähigkeit heißt, sie hätten keine Erkenntnis außer ihrem Wahrnehmen. Zur Funktion d e r Wahrnehmung, die Aporie aufzulösen, v g l . auch die Zusam menfassung in 100 10-13.
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barkeit zu sein. So wird außerdem auch der Frage nach einem Vorwissen, das wiederum dieses sinnliche Bewußtsein eines Ge genstandes b e d i n g t e , ihre Grundlage entzogen, denn etwas u n ter der Bedingung vorangehenden Wissens zu e r k e n n e n , heißt doch, es mit Bezug auf anderes als etwas zu bestimmen, was n u r sprachlich möglich und urteilslogisch analysierbar i s t . Insofern wird hier die Rolle der Wahrnehmung v o r b e r e i t e t , nach der sie bei Thomas als absoluter, noch den Prinzipien v o r g e ordneter Anfang des Wissens dessen Grenzen, vermittelt durch die Prinzipien, bestimmt.[1] Denn so für sich genommen, wie sie allen Lebewesen möglich i s t , also ohne Assoziation mit Erin nerungen oder Einordnung in eine bestimmte Erfahrung, wird eine Wahrnehmung ebenso wie ihr Gegenstand, das einzelne Dieses, als ein schlechthin Unmittelbares gedacht. Das heißt, daß sie, wie Thomas es a u s d r ü c k t , nicht durch Prinzipien und bewußte Gründe geschieht, sondern einfach d a d u r c h , daß d e r Wahrnehmungsgegenstand für die Sinnlichkeit gegeben ist (obiicitur) ; [ 2] die Bedingungen der Wahrnehmung, die Aus s t a t t u n g des Subjekts mit einem Wahrnehmungsvermögen und das Gegebensein des Gegenstandes, sind nicht selber v o r a n gehende Erkenntnisse, sondern allenfalls durch Reflexion nach träglich auch noch e r k e n n b a r . [3] Mit dieser Unmittelbarkeit der Wahrnehmung kommt der Regressus der Wissenstheorie in den Bedingungen beweisbaren Wissens an sein Ziel, er erreicht ein Bewußtsein, das als solches unbedingt ist und zugleich - n u r für die Wissenstheorie, nicht für den Wissenschaftler bewußt unabdingbares - 'Vorwissen' für die beweislogisch unmittelba ren e r s t e n Prämissen der Wissenschaften. Insofern die ersten Prämissen im Verhältnis zu den aus ihnen möglichen Folgerungen als letzte einfache Elemente des Wissens gelten können, entspricht die Art und Weise, wie sie nach Ari stoteles erkannt werden sollen, dem platonischen Begriff eines Wissens, das n u r als Zusammensetzung einfacher, also n u r u n mittelbar und nicht diskursiv e r k e n n b a r e r Einzelelemente g e dacht wird: [4] Weil der Wissensbegriff schon an das d i s k u r s i ve Erklärungsverfahren, das zu einem Aneinanderreihen von Elementen vereinfacht i s t , v e r g e b e n wurde, bleiben als s p r a c h 1 2 3
I-II 3, 6 In 6 Met. 1. 1, 1146 Die aristotelische Wissenstheorie vermag also ihre Aporie zwischen der Notwendigkeit unmittelbarer Prämisseneinsicht und dem Grundsatz vom Vorwissen zu jeder Erkenntnis nicht anders zu lösen, als daß sie ihren Gegenstandsbereich, die sprachlich artikulierbaren E r k e n n t n i s s e , verläßt und auf v e r schiedene Erkenntnisvermögen r e k u r r i e r t , also selber E r kenntnistheorie in dem oben (S.28-31) umschriebenen Sinn wird. 4 The. 201 a - 202 b , v g l . oben S.97f
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licher Ausdruck für ein solches Element selber n u r das Benen nen von strikt Einzelnem und als Erkenntnis von ihm statt des synthetischen Begreifens n u r das - unmittelbare - Wahrnehmen ü b r i g . Die Annahme eines linearen endlichen Beweisverfahrens zwingt Aristoteles, in der Frage des Anfangs allen Wissens bei einem ganz unmittelbaren Bewußtsein das allgemeinere, n u r um rißhaft gefaßte platonische Programm eines reduktíven Wissens begriffs - abgesehen von dem bloßen Benennen des Wahrgenom menen - doch genau zu erfüllen. Daß reine Wahrnehmung in diesem Sinn und nicht allein d u r c h die Vermittlung von Erinnerung und Erfahrung zur Vernunft einsicht (nus) - in Abhebung vom Diskurs des Verstandes gehören k a n n , macht Aristoteles an der praktischen Vernunft deutlich, für die das wahrnehmbare Einzelne als d a s , worum es im Handeln geht, Prinzip i s t . [ l ] An dieser Stelle zeigt e r , daß die Vernunft als das 'Vermögen der Prinzipien zu v e r s t e h e n , heißt, ihr extrem entgegengesetzte Erkenntnisse zuzuschreiben, zwischen denen sich der diskursive Verstand bewegt, nämlich einmal die Einsicht in die ersten notwendigen Begriffe der Be weise - mit Bezug darauf setzt ein vorangehendes Kapitel die Vernunft noch in einen Gegensatz zu der auf Wahrnehmung a n gewiesenen praktischen Klugheit ( p h r o n e s i s ) , die sich auf das Einzelne r i c h t e t [ 2 ] - und zum anderen das praktisch vernünf tige Begreifen der kontingenten Einzelnen als der Bezugspunkte eines allgemeinen Gedankens: "Von diesen muß man also Wahr nehmung haben, diese aber ist Vernunfteinsicht."[3] 1 2 3
Eth.Nik. Z 12, 1143 a 35 - b 5 Eth.Nik. Z 9, 1142 a 23-30 Eth.Nik. Z 12, 1143 b 5. Thomas interpretiert diese Identi fikation von Wahrnehmung und Vernunft mit Hilfe des Be griffs der praktischen Klugheit ( p r u d e n t i a ) , d e r zwischen den beiden Termini vermitteln soll (In 6 Eth. 1. 9, 1249). Auf Einzelnes bezieht sich Klugheit als eine Leistung des inneren Sinnes, der sich zugleich in seiner Funktion, ein zelne Gegenstände aufgrund von verschiedenen Wahrneh mungen vorzustellen (cogitativa) und zu beurteilen (aestima t i v a ) , analog zum Verstand verhält (daher ratio p a r t i c u l a r i s ) . So scheint die Klugheit Wahrnehmungs- und Verstandesmo mente in sich zu v e r e i n e n . Der Text verweist auf eine a n dere Stelle zurück (1.7, 1214f), an der Thomas Klugheit als rechte Einschätzung der praktischen Vorstellungen e r k l ä r t . Dabei kann er aber n u r die Gemeinsamkeit zwischen Klugheit und Vernunft finden, daß sich beide auf je ein Extrem des Erkenntnis Zusammenhangs beziehen, welche Extreme einander entgegengesetzt werden, die singularen praktischen Gegen stände nämlich und die allgemeinen Prinzipien. - So hindert die schematische Einteilung von Erkenntnisvermögen nach einzelnen und allgemeinen Gegenständen Thomas d a r a n , im Anschluß an Aristoteles den Vernunftcharakter von Klug heit oder gar von Wahrnehmung konsequent zu e r l ä u t e r n .
249 Will man zu dem Sinn dieser Identifikation einen Zugang gewin n e n , ohne eine eingehende Untersuchung der aristotelischen Wahrnehmungstheorie heranzuziehen, dann bietet sich, nimmt man die beiden zitierten Stellen zusammen, die für Wahrnehmung und Vernunft gleichermaßen gültige Abhebung von Wissen (epi steme) und b e g r ü n d e n d e r Argumentation (logos) an: Wie im Kontext dieser Entgegensetzung Argumentation und Wissen für die diskursive Vermittlungstätigkeit des Verstandes und i h r Resultat stehen, werden in demselben Kontext Wahrnehmung und Vernunft für das unmittelbare Moment der Erkenntnis ein gesetzt; von einem Moment der Unmittelbarkeit und einem der Vermittlung soll im Hinblick auf den antinomischen Charakter jeder E r k e n n t n i s , eine logische Sinneinheit zu sein und doch auf vorangehendem Wissen zu b e r u h e n , gesprochen w e r d e n . [ 1 ] Plausibel wäre wohl die Annahme, daß dabei mit Wahrnehmung der rezeptive Aspekt unmittelbarer Erkenntnis, auf ein Gege benes angewiesen zu sein, und mit Vernunft der Aspekt des Einsehens oder Einleuchtens gemeint i s t , ohne daß deshalb auf eine intellektuelle Intuition oder Evidenz zurückgegriffen werden müßte, gerade weil die Vernunfteinsicht mit sinnlicher Anschau u n g v e r b u n d e n gedacht wird. [2] 1
Den Momentcharakter beider Bestimmungen hat in aller Deut lichkeit Hegel hervorgehoben (Wiss.d.Logik I, S.52): "Hier mag daraus n u r dies angeführt werden, daß es nichts gibt, nichts im Himmel oder in d e r Natur oder im Geiste oder wo es sei, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung, so daß sich diese beiden Bestimmungen als u n getrennt und u n t r e n n b a r und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt. Was aber die wissenschaftliche E r ö r t e r u n g betrifft, so ist es jeder logische Satz, in welchem die Be stimmungen der Unmittelbarkeit und d e r Vermittlung und also die Erörterung ihres Gegensatzes und i h r e r Wahrheit v o r kommt." In der Sache nichts anderes bedeutet die platoni sche Gegenüberstellung von Natur und Teilhabe, wie sie oben (S.94-102) i n t e r p r e t i e r t wurde. 2 An.p ost. 2, 90 a 24-30, erklärt die Notwendigkeit, Wissen d u r c h Vermittlung zu e r w e r b e n , überhaupt aus dem Fehlen sinnlicher Anschauung, die unmittelbar zu demselben Wissen führen würde: Befänden wir uns auf dem Mond, so fragten wir nicht, ob es zu einer Mondfinsternis kommt und warum, sondern beides wäre - aus der Beobachtung der Erdbewe gung relativ zu Sonne und Mond - zugleich klar. - An die ser Stelle scheint e s , als sollte schon eine einzige Wahrneh mung die Grundlage für das Wissen des allgemeinen Sach verhalts bilden: Immer wenn sich die Erde zwischen Sonne und Mond schiebt, t r i t t Mondfinsternis ein. U.a. mit Bezug auf dasselbe Beispiel (87 b 39 - 88 a 2) akzentuiert dagegen A n . p o s t . A 31 den Unterschied zwischen Wahrnehmung von
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Eine Interpretation des Abschlußkapitels der Zweiten Analytiken scheint mir am ehesten Perspektiven für die Einschätzung d e r verschiedenen Textpartien gewinnen zu können, wenn sie ihm dieselbe Entgegensetzung von diskursiv vermittelter wissen schaftlicher Erkenntnis und unmittelbarer Einsicht einerseits und die Differenzierung der letzteren in Wahrnehmung und Ver nunfterkenntnis andererseits zugrunde legt, obwohl diese theo retische Disposition hier nicht so klar wie in der Ethik zu e r kennen i s t . Der Gegensatz von diskursiver und unmittelbarer Erkenntnis scheint nämlich d u r c h Aufstellung von Zwischenstu fen, ü b e r die Wahrnehmung das Bewußtsein eines Allgemeinen bewirken k a n n , also Erinnerung und Erfahrung, ü b e r b r ü c k t zu sein, und der direkte Zusammenhang der Wahrnehmung mit der Vernunfteinsicht wird durch die Einschaltung eben dieser Be wußtseinsstufen aufgehoben. Nun steht das Kapitel allerdings von vornherein u n t e r einer doppelten Frage, nämlich wie - d . h . u n t e r welchen bewußten Bedingungen - die ersten Prämissen bekannt werden und wel cher u n t e r den terminologisch geläufigen Typen von Erkenntnis die auf sie bezogene Erkenntnisart i s t . [ l ] Daß die Prämissen erkenntnis dem Wissen d u r c h Beweis entgegenzusetzen i s t , wird in der einleitenden Aporetik mit dem Hinweis auf die höhere Genauigkeit der Prämissenerkenntnis im Verhältnis zu bewiese nem Wissen n u r angedeutet, [2] t r i t t aber in der abschließenden Einzelnem und stets allgemeinem Wissen. Gleichwohl soll aus vielen Wahrnehmungen eines Vorgangs ein Wissen von seiner allgemeinen Regel gewonnen werden können (88a 2-5, 11-17). Dabei erfaßt die Wahrnehmung die einzelnen Fälle getrennt voneinander, und n u r die Vernunft denkt zugleich, daß es sich in allen Fällen so verhält (88a 16f). Ungeklärt bleibt hier, wie die ausdrücklich verlangte Vielzahl von Beobach tungen den Vorgriff d e r Vernunft auf die Allheit der Fälle bedingen soll, wo doch einerseits die Allheit jede Vielheit logisch transzendiert und andererseits auch eine einzige Wahrnehmung jenen Vorgriff nicht weniger zu erlauben scheint, wenn sie - wie im Beispiel - auf einen als Kausal zusammenhang bestimmbaren Vorgang g e h t . Wohl grenzt das Kapitel Wissen aus Beweisen gegen Wahrnehmung a b , d e r Idee einer vernünftigen Wahrnehmung dagegen weist es nicht Unhaltbarkeit nach (vgl. auch 88a 6f). 1 A n .p o s t . 19, 99 b 17ff, γ ν ω ρ ί ζ ο υ σ α ε ξ ι σ meint offenfensichtlich nichts anderes als E r k e n n t n i s a r t , weil die Beant wortung in 100 b 5-8 nicht n u r Vernunfteinsicht und Wissen, sondern auch Meinung (δoξα ) und Argumentation (λογισμοσ ) , die keinesfalls als Vermögen zu qualifizieren sind, zu den in Frage kommenden ε ξ ε ι σ zählt. 2 Ebenda, 99 b 26f
251 Antwort auf die Frage nach der Erkenntnisart als entscheiden der Gesichtspunkt hervor: Von den e r s t e n Prämissen kann es kein Wissen, sondern n u r Vernunfteinsicht geben, weil erstens die ersten Prämissen bekannter als die Beweise sind, genauer oder klarer als das Wissen aber n u r die Vernunfteinsicht i s t , zweitens alles Wissen mit einer Argumentation (logos) verbunden i s t , von ersten Prämissen es also kein Wissen geben dürfte und drittens Wissen ebensowenig Prinzip für Wissen sein kann wie ein Beweis für eine Reihe von Beweisen.[1] Durch die Abgrenzung gegen das Wissen ist die Unmittelbarkeit d e r vernünftigen Einsicht also dahingehend präzisiert, daß die se nicht durch Beweis oder Argumentation gewonnen werden k a n n . Und in diesem Sinn wird die Unmittelbarkeit der Prämis senerkenntnis auch durch die Beantwortung der ersten Frage gewahrt, die zeigen will, wie Wahrnehmung als bewußtes 'Vor wiesen' eine Bedingung dafür i s t , daß die e r s t e n Prämissen d e r Vernunft einleuchten. Denn Aristoteles begnügt sich hier zwar nicht mit bloßer Wahrnehmung, aber seine zusammenfassenden Bemerkungen machen deutlich, daß es auf den Zusammenhang gerade von Wahrnehmung und Prämissenerkenntnis ankommt, daß der Gegensatz von singulärer Wahrnehmung und allgemeinen e r s t e n Prämissen deshalb vermittelst des Induktionsbegriffs auf gelöst werden m u ß . [ 2 ] Eine induktive Funktion wird der Wahr nehmung aber nicht gleichsam nachträglich aus Gründen d e r Wissenstheorie zugesprochen, sondern die Einschaltung von E r innerung und Erfahrung soll zeigen, daß d e r Wahrnehmungspro zeß an ihm selber zur Allgemeinheit t e n d i e r t , Wahrnehmung also sich selbst zum 'Vorwissen 1 für Vernunfteinsichten qualifiziert. Diese immanente Dynamik der Wahrnehmung wird dadurch g e kennzeichnet, daß die Erinnerung, also ein die Vereinzelung der Zeitfolge überwindendes 'Bleiben' (mone) der Wahrneh mungsgegenstände, als Fähigkeit nicht n u r vernünftiger Wesen, 1
An.post. 19, 100 b 8-14. Die analoge Betrachtung des E r kannten (Beweise und e r s t e Prämissen) und d e r Erkenntnis art (Wissen und Vernunfteinsicht) entspricht dem Verfahren in An.post. A 23, 84 b 39f, v g l . oben S.215. 2 An.post. 19, 100 10-13 u . b 3ff. Nach Eth.Nik. A 7, 1098 a 33 - b 4, kann man für die e r s t e n Prämissen keinen Grund angeben - was eine begriffliche Vermittlung b e d e u t e te - sondern n u r ihre faktische Gültigkeit d u r c h Induktion oder an Wahrnehmung, Gewohnheit oder anders zeigen; Wahrnehmung und Induktion werden also nebeneinander mit anderen Formen des Vorwissens angeführt. Im folgenden soll im Ausgang von Aristoteles' eigener Einschätzung gezeigt werden, wie Wahrnehmung als Moment eines induktiven Zu sammenhangs n u r im Rahmen einer Gesamtkonzeption des E r kenntnisprozesses, die sich der platonischen Anamnesistheorie v e r d a n k t , zu v e r s t e h e n i s t ; v g l . auch oben S.206f.
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sondem mancher Lebewesen aufgefaßt wird, wie die Wahrneh mung selbst als Vermögen aller Lebewesen eingeführt i s t . [ 1 ] Weniger klar ist allerdings die Bestimmung der E r f a h r u n g , die nicht nur als Zusammenfassen mehrerer Erinnerungen zu einer Einheit, sondern auch als Bewußtsein des ihnen gemeinsamen Allgemeinen, wie man es den Einzelfällen reflektierend gegen ü b e r s t e l l t , v e r s t a n d e n wird. [2] Dagegen unterscheidet nämlich die Darstellung desselben schrittweisen Übergangs von d e r Wahrnehmung zum Begriff am Anfang der Metaphysik die Erfah r u n g als das eine Bewußtsein von den vielen jeweils wahrge nommenen Fällen von dem hier als techne gefaßten Wissen, so fern sich erst dieses auf alle Fälle des erfahrenen T y p s , also auch auf die nicht erfahrenen bezieht und mit dieser uneinge schränkten Generalisierung eine weitere Reflexionsstufe, nämlich ein e r s t e s Selbstbewußtsein der von der Erfahrung n u r u n e r kannt verwendeten Regel ausmacht.[3] c) Verborgenheit begrifflicher S t r u k t u r e n für das von ihnen g e leitete Erfahrungsbewußtsein Die entsprechende Stelle im Schlußkapitel der Zweiten Analyti ken und die ihr folgenden Überlegungen zur Gewinnung allge meiner und allgemeinster Begriffe durch Induktion bedürften ohnehin einer ausführlicheren Interpretation, als sie hier mög lich i s t , weil, wie mir scheint, verschiedene Deutungsmöglich keiten durchgespielt werden müßten. Einerseits werden die zu sammenfassenden Bemerkungen, die Wahrnehmung sei e s , die das gesuchte Vorwissen e r g e b e , verschiedentlich bestätigt: Erstens d u r c h die Charakterisierung der entwickelteren Bewußt seinsstufen als Erinnerung und Erfahrung, insofern damit - ebenso wie mit dem Hinweis der zitierten Ethikstelle auf Wahr nehmung und Gewohnheit - von aller begrifflich-logischen Form des den ersten Prämissen vorangehenden Bewußtseins a b s t r a hiert wird; zweitens d u r c h die Übernahme der Vorstellung von einem Bleiben aus dem Begriff der E r i n n e r u n g , in der Wahr genommenes sich als geblieben erweist, in die Erklärungen d e r Erfahrung, in der das ganze Allgemeine zur Ruhe komme, und 1 2
An.post. 19, 99 b 34 - 100 1 Ebenda, 100 3-9. Wenn es heißt, aus der Erfahrung oder aus dem ganzen in der Seele zur Ruhe gekommenen Allge meinen gehe das Prinzip von techne und Wissen h e r v o r , scheint es nicht möglich anzunehmen, das 'oder' verbinde zwei verschiedene Bedingungen, die wahlweise als Vorwissen für Wissensprinzipien in Betracht kämen, denn ohne Erfah r u n g kann das Allgemeine nicht aus den immer noch v e r e i n zelten Erinnerungen so entstehen wie diese aus den Wahrneh mungen. 3 Met. 1, 981 7-12
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der Induktion ü b e r h a u p t , die als Stehenbleiben des Allgemeinen aufgefaßt w i r d ; [ l ] und drittens durch die rezeptive Funktion der Seele, von der es n u r heißt, sie sei von einer solchen Art und Weise, daß sie dergleichen erleiden könne. [2] Andererseits scheint derselbe Textabschnitt die Trennung zwi schen unmittelbarer sinnlicher Erkenntnis und i h r e r begriffli chen Vermittlung wieder aufheben zu wollen, indem er aus der Erinnerung bei den insofern vernünftigen Lebewesen zugleich mit der Erfahrung den allgemeinen Begriff hervorgehen l ä ß t , [ 3 ] als sollte die Unablösbarkeit der n u r im Textverlauf separat behandelten allgemeinen Einsicht vom Wahrnehmungsprozeß d a r getan werden. Derselbe Zusammenhang von rezeptiv-assoziativem Bewußtsein und begrifflichem Erkennen scheint b e s t ä t i g t , wenn Aristoteles schließlich präzisierend den allgemeinen Begriff in eine Reihe differenziert, die mit Speciesbestimmungen beginnt und nach demselben Induktionsprinzip, nach dem eine solche Species wie 'Mensch' aus Erinnerungen an die Wahrnehmungen einzelner Menschen gewonnen wurde, aus diesen Species immer höhere Genera aufbaut, bis sie allgemeinste Begriffe e r r e i c h t , die nicht mehr in Genus und Differenz aufteilbar sind, also die Kategorien. [4] Vor allem aber legt Aristoteles mit der Bemerkung, auch die Wahrnehmung eines Einzelnen beziehe sich auf ein Allgemeines wie etwa den Menschen ü b e r h a u p t , [5] eine Interpretation wie die Wielands n a h e , der den Text als Hinweis darauf v e r s t e h t , daß die Vernunfteinsicht die Prinzipien nicht unmittelbar erfaßt, "sondern n u r auf reflexivem Wege u n t e r der Voraussetzung verschiedener Bedingungen". [6] Denn was da als Allgemeines jeweils zur Ruhe kommt oder im Bewußtsein stehenbleibt, e r scheint nun nicht mehr als eine neu gewonnene Einheit v e r schiedener e r i n n e r t e r Gegenstände, s o n d e r n , wie schon anhand des zitierten Metaphysiktextes das Verhältnis des Allgemeinbe griffs zur Einheit der faktischen Erfahrung v e r s t a n d e n wurde, als das explizite Selbstbewußtsein der vorgängigen Anwendung einer Sinneinheit auf die jeweils besonderen Fälle. Das heißt, die ersten Prämissen sind keine einmal rezeptiv erworbenen Er k e n n t n i s s e , in ihnen geht vielmehr ein schon geläufiger, an vielen Fällen e r p r o b t e r Verstandesgebrauch in sich selbst zu r ü c k . Diese zyklische S t r u k t u r der Reflexion objektiviert sich in der Prinzipienfunktion ihres Resultats, etwa einer Definition, für die v o r h e r bekannten - und insofern die Reflexion e r s t e r möglichenden - Fälle, die man schon vorreflexiv im Sinn des 1 2 3 4 5 6
An.post. 19, 100 12 u . 15, b 2 Ebenda, 100 a 13f Ebenda, 100 1-9 Ebenda, 100 15 - b 5 Ebenda, 100 a 16ff Die aristotelische Physik, S.62, Anm.5
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Wesensbegriffs gemeint h a t t e , wie ihn die Definition dann e x pliziert. So v e r s t e h t Aristoteles selbst die Induktion als den Erkenntnisprozeß, der im Unterschied zum Beweis von etwas a u s g e h t , das im Verhältnis zu seinem Ergebnis nicht n u r dem Gedankengang nach f r ü h e r , sondern ihm zugleich auch logisch nachgeordnet i s t . [ l ] Das ist genau der Widerspruch, der an dieser Stelle jeder zyklischen Argumentation vorgeworfen wird. Wenn Aristoteles ihn d u r c h die Unterscheidung auflösen willl, daß die zuerst unreflektiert bekannten Fälle n u r für das e r kennende Bewußtsein - für uns - früher sind - d . h . eine b e dingende Funktion haben - , schlechthin oder der Sache nach aber das Resultat der Induktion, der allgemeine Begriff, früher i s t , dann muß er voraussetzen, daß das Bewußtsein selbst, das erste Beweisprämissen aufstellt, diese Umkehrung des Bedin gungsverhältnisses relativ zu seiner vorangegangenen Induktion vollzieht, daß es sich also über den Charakter seiner Reflexion im Klaren i s t , in den Grund des zuvor Gemeinten zurückzuge h e n . [2] Die entscheidende Schwierigkeit dieser Deutung dürfte nun mit der Frage benannt sein, wie ein solcher reflexiver Prinzipien begriff damit zusammenstimmt, daß Aristoteles mit jedem v o r gängigen verborgenen Haben der e r s t e n Prämissen auch jedes seiner selbst noch nicht bewußte Verfügen ü b e r sie in der E r kenntnis konkreter Gegenstände ablehnt. Und die Reflexions theorie der Prämissenerkenntnis bedeutet nicht n u r , daß das jeweils relativ Allgemeinere zunächst u n e r k a n n t bei der Er kenntnis seines Besonderen angewendet wird, also etwa, wie der Text s a g t , ein Sinn von 'Mensch' für die individuellen Menschen und ein Sinn von 'Lebewesen' in der diskursiven Be stimmung i h r e r verschiedenen Species. Vielmehr kann schon die Erfahrung einzelner Gegenstände gar nicht mehr anders gedacht werden, als daß man ihr die Differenz von Substanz und Eigen schaften und die Unterschiede der letzteren nach Quantität, Qualität e t c . zugrunde legt und insofern annimmt, daß die Ka tegorien als allgemeinste und deshalb prinzipielle Begriffe, aber auch die durch sie zu bildenden Grundbegriffe der Wissenschaft unthematisch und dem Bewußtsein v e r b o r g e n die alltägliche E r fahrung bestimmen, aus der sie deshalb auch stufenweise i n duziert werden können. Dieselbe Schwierigkeit t r i t t aber nicht erst im Zusammenhang mit der Erfahrung auf, sondern schon bei der Bestimmung d e r Wahrnehmung. Denn Aristoteles nennt sie ein angeborenes Un terscheidungsvermögen[3] und gibt so einen Hinweis darauf, 1 2 3
An.post. A 3, 1072 b 25-30 Zur Explikation dieses Selbstbewußtseins in der platonischen Anamnesistheorie v g l . unten S.330-333 An. post. 19, 99 b 35; An. Γ 3, 427 a 20f, u . Γ 2, 426 b 12-19
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daß Wahrnehmung, wenn sie n u r Wahrnehmung von etwas Be stimmtem sein will, es von anderem unterscheiden und dafür allgemeinste Grundbegriffe und Prinzipien in Anspruch nehmen muß, die erst von einer philosophischen Theorie des Wissens reflexiv bewußt gemacht werden: Worauf Platon ausdrücklich aufmerksam gemacht h a t , daß also zwei wahrgenommene Ein drücke voneinander verschieden, jeder von ihnen aber mit sich identisch gedacht werden m ü s s e , [ 1 ] das wird auch von der apriorischen Konzeption der Begriffe Identität und Verschie denheit gedeckt, wie Aristoteles sie a u s s p r i c h t : Im Hinblick darauf, daß Identität und Andersheit entgegengesetzt sind, werde ein jegliches, das Seiendes und Eines genannt wird, als mit einem jeden solchen identisch oder als von ihm verschieden ausgesagt, und wenn verschieden, dann nicht notwendig auf grund eines dritten sie Unterscheidenden, sondern auch durch sich selbst. [2] Indem dies als ein Grundsatz des Sprechens über etwas ü b e r haupt formuliert wird - was keinen Gegensatz zur Realität, sondern gerade so Gültigkeit für Seiendes bedeutet - , kann man erkennen, daß die Unmittelbarkeit, mit der Beliebiges mitein ander identisch oder voneinander verschieden sein soll, u n t e r der zuvor reflektierten Bedingung seines Bewußt-seins s t e h t . Für das im Sinn von Wahrnehmung Bewußte wird dies gleichsam komplementär bestätigt, wenn die Wahrnehmung selbst als das unterscheidende, und das heißt also, als das konkrete Identität und Verschiedenheit von Wahrgenommenem bestimmende Moment bezeichnet wird. Das unterscheidende Wahrnehmen begründet n u r dann eine konsistente Verschiedenheit des Wahrgenomme n e n , wenn es dem Identitätsprinzip und dem Satz vom Wider s p r u c h e n t s p r i c h t , der ausdrücklich als Bedingung jeglichen Erkennens konzipiert i s t , wenn also ein bestimmtes Rot als Rot und nicht zugleich als hell und nicht hell oder als Farbe und nicht Farbe wahrgenommen wird. Einerseits kann die Wahrnehmung mindestens ihrem Moment sinn licher Gewißheit nach als unmittelbare Erkenntnis in Anspruch genommen werden. Andererseits ist von i h r e r apriorischen Be dingtheit durch Transzendentalien und allgemeinste Prinzipien nicht abzusehen, was im Begriff des Unterscheidungsvermögens impliziert i s t . Daran kann man wiederum die These bestätigen, daß Aristoteles mit den ersten Prämissen, als deren 'Vorwissen' er die Wahrnehmung annimmt, nicht die Prinzipien selbst, son d e r n die spezifischen Prämissen der einzelnen Wissenschaften meint, also Definitionen allgemeinster Sachbegriffe wie etwa der Zahl. Bei aller Wahrscheinlichkeit dieser Interpretation bleibt aber die Schwierigkeit, daß Aristoteles auch nicht bei einem n u r d u r c h die Prinzipien s t r u k t u r i e r t e n Wahrnehmungsbegriff 1 2
The. 185 a Met. I 3, 1054 b 14ff, 18f u. 23ff
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stehenbleiben k a n n , wenn aus Wahrnehmung Erfahrung von All gemeinem resultieren soll. Er selbst zieht die Konsequenz, daß eine Species wie 'Mensch' als erstes Allgemeines n u r induktiv d u r c h Erfahrung gewonnen werden k a n n , wenn die für eine solche Erfahrung zu erinnernden einzelnen Wahrgenommenen schon im Hinblick auf eine Sinneinheit 'Mensch' bewußt werden, also in der konstitutiven Differenz zu einem nicht ebenso Ver einzelten, das sich seinerseits nicht in einem bloßen Namen e r schöpfen k a n n , sondern wie eine die Induktion leitende Regel für bestimmte unterscheidende Eigenschaften n u r dieser Wahr genommenen s t e h t . Wenn die Wahrnehmung also auch der Bedingung für das Vor wissen der unmittelbaren Prämissen g e n ü g t , daß es im Verhält nis zu ihnen nicht genauer oder klarer i s t , dann gilt das doch n u r u n t e r der Voraussetzung, daß für das in seinem unmittel baren Gegenstand befangene wahrnehmende Bewußtsein die apriorischen und besonderen begrifflichen S t r u k t u r e n , die sei nen gleichwohl anschaulichen Gegenstand bestimmen, noch v e r borgen sind, obwohl Anschaulichkeit ohne sie schlechthin nicht möglich i s t . [ l ] Denn wären diese S t r u k t u r e n , die nichts ande res als die ersten Prämissen oder auf sie zurückführbare Be stimmungen sind, dem wahrnehmenden Bewußtsein p r ä s e n t , dann würde entweder aus der als weniger klares Vorwissen g e meinten Wahrnehmung[ 2] die Einsicht in die ersten Prämissen selber - die Differenz von Rezeptivität und intellektuellem Ver stehen eines allgemeinen Grundsatzes wäre also aufgehoben - , oder der Übergang vom Vorwissen zur Prinzipienerkenntnis 1
In seinem Kommentar v e r s u c h t Thomas dieses Verhältnis einerseits wie Aristoteles vom Objekt der Wahrnehmung her zu begreifen, wenn er die "gewisse Weise", in der sie sich auf das Allgemeine beziehe, als "Erfassen der allgemeinen Natur in einem Besonderen" charakterisiert (In 2 A n .p o s t . 1. 20, 595). Andererseits fordert auch seine E r k l ä r u n g , n u r so könne Wahrnehmung (explizit) allgemeine Erkenntnis b e g r ü n d e n , die Frage h e r a u s , welcher Modus des Bewußthabens des Allgemeinen entsprechend zu dessen "Enthaltensein" im Be sonderen den Übergang zum Begriff, also die Explikation des Allgemeinen ermögliche. 2 Die F o r d e r u n g , das den Prinzipien vorangehende Wissen d ü r fe nicht genauer als sie selbst sein, läßt zwar auch die Mög lichkeit offen, daß es ihnen an Genauigkeit gleichkommt, aber es ist überhaupt und auch für Aristoteles nicht zu d e n k e n , wie Anschauung, die sinnlich und nicht selber intellektuell i s t , dieselbe Klarheit wie intellektuelle Einsicht haben soll. In Anlehnung an Platon sprechen die Texte vielmehr vom Durcheinander des Wahrnehmungsgegenstandes und seiner Prinzipienferne ( P h y . A 1, 184 a 21-25; A n . p o s t . A 2, 72 a 1-5; Top. Ζ 4, 141 b 9-14, 142 a 2ff).
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müßte als eine logische Analyse v e r s t a n d e n werden, die das verschiedenen Eigenschaften Gemeinsame zum Wesen der zu grundeliegenden Gegenstände e r k l ä r t . In beiden Fällen spielt das Wahrnehmungsmoment keine Rolle mehr, weil seine Funktion offensichtlich darin b e s t e h t , mit einer zum Vorwissen tauglichen Erkenntnis von geringerer Klarheit auch den Mangel des Be wußtseins an Selbstdurchsichtigkeit oder die Möglichkeit, daß seine von ihm bloß angewandten Voraussetzungen ihm selbst verborgen sind, exemplarisch darzustellen. Ist aber Wahrneh mung ein Typ des Verborgenseins gleichwohl g e h a b t e r , weil angewandter Prinzipien und besonderer Prämissen, dann kann mit der Einführung der Wahrnehmung als Vorwissen d e r P r ä misseneinsicht der zuvor ausgesprochene Ausschluß jeden v o r gängigen Verborgenseins der e r s t e n Prämissen nicht zusammen bestehen bleiben. d) Aristotelischer und platonischer Begriff von der Reflexivität des Wissensprozesses: Unterscheidung des uns Bekannteren von dem schlechthin Bekannteren und Anamnesistheorie Aufgrund solcher Überlegungen kann man zu dem Schluß kom men, daß Aristoteles mit der Einführung des Wahrnehmungsbe griffs in die Wissenstheorie nicht die intendierte Lösung des Problems der Prämissenerkenntnis gelungen i s t . Die von ihm genannten Momente des Wahrnehmungsbegriffs, also die gerin gere Klarheit der Wahrnehmung, ihre Angewiesenheit auf eine allgemeine Sinneinheit und ihre Dynamik auf ein Bewußtsein dieser bestimmten Allgemeinheit hin, können n u r im Rahmen einer Theorie des Wissensprozesses erklärt werden, die we sentlich auf dem Begriff der Reflexion b e r u h t . Denn dieser Be griff, reduziert man ihn nicht wie gelegentlich Thomas auf ein a b s t r a k t e s 'Ich e r k e n n e ' , [ 1 ] geht von dem Doppelcharakter eines Gedankens oder einer Erkenntnis a u s , einerseits die klare und gleichsam sich selbst genügende Vorstellung eines Gegen standes und andererseits von Bedingungen und Voraussetzun gen abhängig zu sein, die trotz i h r e r - wie sich erst zeigen soll - bestimmenden Funktion für diese Vorstellung in ihr selber dem Bewußtsein nicht präsent sind, sondern erst in einem zwei ten eben den ersten reflektierenden Gedanken als von dem ersten beansprucht erkannt werden. Entsprechend der u n b e stimmten Allgemeinheit des aristotelischen Begriffs vom notwen dig vorhergehenden Wissen kann sich die Reflexion auf i n haltliche wie auf logische Voraussetzungen eines Gedankens b e ziehen, so daß eine Reflexionstheorie der Erkenntnis Wissens fortschritt als ein Sich-selber-durchsichtiger-Werden des Be wußtseins erklären k ö n n t e . 1
I 28, 4 ad 2; In 5 Met. 1. 11, 912
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Aristoteles hat mit seiner Unterscheidung des schlechthin Kla r e r e n und Bekannteren von dem uns Bekannteren und mit sei nem Programm, von dem uns Bekannteren ausgehend, Prinzipien und Elemente als das schlechthin Bekanntere zu e r k e n n e n , zweifellos diese theoretische Richtung eingeschlagen. [1] Wieland findet in diesem Ansatz eine wichtige Stütze für seine I n t e r p r e tation der Prinzipienerkenntnis, daß sie die Explikation von in der gewöhnlichen Erkenntnis implizitem Wissen durch Reflexion i s t . [ 2 ] Wenn ein schlechthin Früheres von dem uns Bekannteren abgehoben wird, damit man nicht zu sagen b r a u c h t , das I n d u k tionsverfahren beschreibe einen logischen Zirkel,[3] dann ist schon aus dem Kontext einsichtig, daß auf diese Weise das Vor wissen differenziert werden soll, auf das dem ersten Satz der Zweiten Analytiken zufolge jegliche Erkenntnis angewiesen i s t . Das Vorwissen eines induzierenden Verstandes besteht sowohl in schon erworbenen Kenntnissen, die er erinnernd d u r c h g e h t , als auch in dem noch zu explizierenden gemeinsamen Begriff, auf den hin er sie vergleichen k a n n , weil er ihn schon bei seinen vorangehenden Erkenntnissen unbewußt in Anspruch genommen h a t . Dafür, daß mit diesem schlechthin Bekannteren nichts g e meint i s t , was dem unmittelbaren Gegenstand des E r k e n n e n s , dem für uns Bekannteren, etwa im Sinn selbständiger Natur ursachen äußerlich wäre, spricht das besonders eingängige Mo dell der Prinzipienfindung, das Aristoteles am Anfang d e r P h y sik skizziert, nämlich die Analyse eines Komplexen, des für unsere Erkenntnis unmittelbar Gegebenen, in seine einfachen Elemente. [4] Dasselbe ergibt sich aus der Entgegenständlichung vorsokratischer Prinzipientheorien und aus dem sprachanaly tischen Aspekt, u n t e r dem die aristotelische Prinzipienfrage gestellt wird - nämlich als Frage nach der Bedeutung von Aus drücken wie 'Grund von' oder 'Werden aus' - , was nach Wie lands Untersuchungen hier nicht näher dargestellt zu werden b r a u c h t . Schließlich wird das schlechthin Bekanntere a u s schließlich auf eben dasselbe Bewußtsein bezogen, für das etwas anderes unmittelbar bekannter i s t , wenn es sowohl, wie schon zitiert, vom Widerspruchssatz als dem logisch e r s t e n Prinzip, als auch von den laut Physikproömium schlechthin b e kannteren Begriffsmomenten[5] einer Bezeichnung wie 'Mensch' heißt, sie würden immer dann gedacht oder e r k a n n t , wenn et was erkannt wird, für das sie Prinzip s i n d . [6] Nach alledem betrifft die Unterscheidung des schlechthin Bekannteren von dem uns Bekannteren n u r eine logische Ordnung von E r k e n n t 1 2 3 4
Phy. A 1, 184 a 16-23 Die aristotelische Physik, § 6, v g l . S.202 An.p ost. A 3, 72 b 27-32 Entsprechend die auch von Wieland herangezogene Topik, Z 4, 141 b 3-14 5 Phy. 1, 184 26 - b 12 6 T. Z 4, 141 b 29-32
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n i s s e n , die dem diskursiven Bewußtsein a priori bekannt sein muß. Denn sie wird schon mit der Frage nach einem Grund, aus dem zuvor erfahrene Einzelfälle mit Gewißheit gewußt werden können, auf diese angewendet, und damit das subjektiv Frühere als logisch abgeleitet b e t r a c h t e t . Die beiden zuletzt angeführten Belege für die Qualifikation des schlechthin Bekannteren, nicht weniger als das uns Bekanntere bewußt zu sein, enthalten aber auch einen Hinweis auf eine schon angemerkte Besonderheit der aristotelischen Wissenstheo rie: Sie hat für das implizit, wie wir sagen würden, in An spruch genommene Wissen, also für die schlechthin b e k a n n t e r e n , d . h . aber erst noch aufzufindenden besonderen Be griffsmomente und für die erst von der Wissenstheorie h e r v o r gehobenen allgemeinsten Prinzipien keinen Begriff, der solches unthematisch Gewußte der Art seines Gewußtseins nach von dem unmittelbaren Gegenstand des Wissens abhöbe. [1] Daß der Wis sensbegriff in seiner Sinneinheit durch die Unterscheidung von an sich und uns Bekannterem nicht differenziert wird, das kann die problematische Bemerkung im letzten Kapitel der Analytiken e r k l ä r e n , eine ursprüngliche Verborgenheit der ersten Prämis sen für uns sei widersinnig, weil wir in diesem Fall ü b e r Er kenntnisse verfügten, die genauer oder klarer als das Wissen aus Beweisen sind, und uns dessen doch nicht bewußt wä r e n . [2] Denn dieses Argument kann n u r überzeugen, wenn ausschließlich ein Modus von Wissen oder Erkenntnisse Haben denkbar i s t , nämlich das aktuale Bewußtsein bzw. die unmit telbare Abrufbarkeit expliziter Sachverhalte aus dem Gedächt n i s , so daß der relativ größeren Klarheit von ersten Prämissen auch eine vorrangige Deutlichkeit für jedes individuelle Be wußtsein entsprechen müßte. 1
Das scheint mir auch in Wielands Interpretation nicht klarer zu werden, wenn von dem "an sich" Bekannteren einmal g e sagt wird, auch bei dem, was man im Grund immer schon wisse, ohne freilich zunächst zu wissen, daß man es weiß, handele es sich um eine " S t r u k t u r des Wissens" ( a . a . O . S.74), u n d , "auch implizites Wissen sei Wissen im vollen Sinn des Wortes, wenn auch von anderer Art" ( S . 7 5 ) , dann aber die Implizitheit damit umschrieben und erklärt wird, daß "die Prinzipien uns n u r deshalb verborgen seien, weil wir in u n serem alltäglichen Sehen keinen Blick für sie" hätten, oder daß wir, sie v o r a u s s e t z e n d , mit ihnen arbeiteten, "aber eben gleichsam im Dunkel" und daß sie uns insofern "unbekannt" seien, weil wir zunächst nicht sähen, womit wir es als Han delnde und Denkende zu tun hätten ( S . 8 3 ) . Diese "andere Art", das schlechthin Bekanntere zu wissen, ist aber für Aristoteles kein Thema, deshalb liegt auch in Wielands For mulierungen die Andeutung, daß die Interpretation über das n u r mit der Unterscheidung 'An sich - für uns Bekannteres' Gesagte hinaus verwiesen wird. 2 An.post. B 19, 99 b 26f
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Daß Aristoteles die begrifflichen Voraussetzungen, die jede Wahrnehmung und Erfahrung unthematisch macht, als einen eigentümlichen Typ von Bewußtsein oder gar Erkenntnis neben dem expliziten Kennen b e t r a c h t e t e , das kann man auch nicht derjenigen Überlegung am Ende der Analytiken entnehmen, die am nachdrücklichsten auf die Differenz des unmittelbar oder explizit Wahrgenommenen von dem Horizont hinweist, in den es als Moment einer Induktion, d . h . als begreifbar, gehört. Wenn es heißt, zwar werde das Partikuläre wahrgenommen, die Wahr nehmung beziehe sich aber auf das Allgemeine, z . B . den Men schen und nicht den einzelnen Menschen, so bleibt das Ver hältnis dieser beiden Erkenntnismomente u n g e k l ä r t . Die Paral lelstelle der Metaphysik, die einen anderen Kontext h a t , [ l ] ordnet das Miterkennen allgemeiner Momente als bloß zufällig oder unintendiert ein (kata symbebekos). Danach nimmt der Gesichtssinn die Farbe im Allgemeinen wahr, weil diese bestimm te Farbe, die (der Wahrnehmende) sieht, eine Farbe i s t . Für sich genommen, ließe diese Erläuterung sogar die Auslegung zu, daß die faktische Allgemeinheit des Gesehenen gänzlich a u ß e r halb des Wahrnehmungshorizonts ihren Ort habe, in den Wahr nehmungsgegenständen nämlich, wie sie, der Wahrnehmung e n t gegengesetzt, auch allgemein bestimmt sind; und diese Deutung könnte man auch dem Gedanken des letzten Analytikenkapitels zugrunde legen. Beide Stellen sind gegen einen solchen Sinn, den man aus a n d e r e n , schon genannten Gründen ausschließen k a n n , deshalb nicht klar abgegrenzt, weil Aristoteles eine h i storisch bereitliegende Antwort auf die F r a g e , wie das schlecht hin Bekanntere oder der Sache nach Frühere schon vor seiner expliziten Thematisierung bekannt i s t , zurückgewiesen hat und doch mit seiner Differenzierung von schlechthin und für u n s Bekannterem derart im Rahmen derselben Antwort blieb, daß er keine alternative Lösung bieten konnte: Zwischen einem unmittelbar präsenten und einem grundsätzlich zwar gehabten, aber vergessenen und deshalb im diskursiven Verfahren erst wieder zu erinnernden Wissen unterscheidet die platonische Anamnesistheorie. [ 2] In der Sache bezieht sich Ari1 2
Met. M 10, 1087 a 15-21; v g l . bei Thomas 1 S 19 V 1 ad 6; I 75, 6; In 2 An. 1. 13, 396 Eine solche Differenzierung des Wissensbegriffs zeigt sich in der Wahrheitssuche, die nicht etwa d a d u r c h , daß einem das zu Erinnernde nach Bedarf einfiele, gegenstandslos wird. Vielmehr eröffnet die These von einem ursprünglich gehabten und wieder zu erinnernden Wissen erst die Aussicht auf ein erfolgreiches Suchen angesichts der sonst plausiblen Mög lichkeit eines blinden Herumtappens im ganz Unbekannten (Men. 80 d, 81 d - e ) . Zu dem Bemühen um schrittweise Wie d e r e r i n n e r u n g gehört auch, daß man, wie Platon im Zug des Beispiels vom geometrische Sätze entwickelnden Sklaven
261 stoteles auf sie, wenn er bezweifelt, daß das Prinzipienwissen zur menschlichen Natur gehöre, und das mit dem schon erwähn ten Argument b e g r ü n d e t , daß der Besitz der wichtigsten Wis senschaft dem Subjekt nicht verborgen bleiben k ö n n e . [ 1 ] Des halb läßt er die Rede von Wiedererinnerung n u r da zu, wo mit der Subsumtion eines Einzelnen u n t e r einen allgemeinen Begriff wie den des Dreiecks zugleich klar wird, daß Prädikate wie die Winkelsumme, die zuvor schon explizit als von diesem allgemei nen Begriff gültig eingesehen wurden, nun auch von dem Ein zelnen auszusagen sind. [2] Danach ist das Erinnern von Ver gessenem gerade nicht die bewußtseinstheoretische Form der zeigt, eine Frage irrtümlich für schon gelöst halten k a n n , also schon zu wissen glaubt, bevor man alle für das Wissen notwendigen Gesichtspunkte erinnert hat (ebenda, 82 d - e , 84 a - c ) . Das Vergessen bleibt d e r a r t dem diskursiv sich e n t faltenden Wissen immanent, indem der solchen Diskurs ermög lichende umfassende Sachzusammenhang (ebenda, 81 d) auf den gerade erreichten Stand der Erkenntnis v e r k ü r z t wird. Damit grenzt das Bewußtsein ein Wissen für e s , das bis auf den zur scheinbaren Lösung führenden Schluß durchaus gül tig i s t , von der noch nicht vollständig erinnerten wahren Lösung a b . Und auf diesen Unterschied baut auch die k o r r i gierende Weiterentwicklung, d.h. Weitererinnerung des grundsätzlich, wie die Wissenstheorie voraussetzen muß, Ge wußten, aber Vergessenen auf, indem sie die e r s t e n Einsich t e n , aber ohne die voreilige Folgerung aus ihnen, aufnimmt. Anschaulich ist dieser Unterschied des Wissens im Höhlen gleichnis gemacht, insofern das Erkennen der Schattenbilder in der Höhle als eine e r s t e , aber noch ganz unzulängliche Stufe des Wissens der Erkenntnis der wahren Welt der Ur bilder gegenübergestellt wird; hier ist sowohl das Verweisen des anfänglichen oder Vorwissens auf das der Prinzipien g e dacht wie auch ihre Getrenntheit angesichts der Befangenheit der Höhlenbewohner in ihrem vorläufigen Wissen. 1 Met. A 9, 992 b 33ff. Zur menschlichen Natur soll vielmehr das bloße Vermögen sinnlicher Wahrnehmung gehören, s. An.p ost. 19, 99 b 35. 2 A n . p r . 21, 67 8-26; A n . p o s t . 1, 71 17-30. Diese letztere Stelle fügt noch (Z.24ff) den Fall von "Wiedererinne r u n g " hinzu, daß die Prämissen schon explizit bekannt wa r e n , der mögliche Schluß aus ihnen aber erst s p ä t e r , indem sie erinnert werden, gezogen wird. Ebenso wie die Bestim mungen von Einzelnen, die u n t e r bekannte Allgemeinbegriffe zu subsumieren sind, werden auch solche Konklusionen zuvor nicht schlechthin, sondern n u r mit Bezug auf ihre begriff lichen Voraussetzungen gewußt (Wissen schlechthin ist hier ähnlich wie an der zitierten Stelle von Met. M 10 als Wissen des Besonderen v e r s t a n d e n ) .
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Prinzipienforschung, sondern die Art und Weise, wie das Be wußtsein auf schon ausdrücklich thematisierte Erkenntnisse mit Prämissencharakter zurückkommt, um sie auf logisch Nachge ordnetes anzuwenden. Also lehnt Aristoteles es a b , sich die unbewußte Bekanntheit von beanspruchten Voraussetzungen und ihre Thematisierung anhand der Erfahrungen von Vergessen und Erinnern als Momente der reflexiven Vernunft zu e r k l ä r e n . Anstelle des platonischen Begriffs von Wiedererinnerung soll nicht n u r die Unterscheidung des Wissens im Allgemeinen von seiner Anwendung auf den Einzelfall, insofern damit ein Fort schritt im Wissen selber gedacht wird, dem sophistischen Ar gument (argos logos) b e g e g n e n , lernen könne man weder schon Bekanntes noch ganz Unbekanntes, das ü b e r h a u p t nicht im Ho rizont des Bewußtseins i s t , also gar n i c h t s . Vielmehr wider spricht der "faulen Vernunft" auch die Konzeption, als Frage nach den Prinzipien könne ein auf Wissen abzielender Diskurs immer von etwas schon Gewußtem, dem für uns Bekannteren, ausgehen und das es begründende schlechthin Bekanntere am Leitfaden des Grund-Folge-Verhältnisses zu finden hoffen. So v e r s t e h t Wieland[1] eben die Unterscheidung 'Für uns - schlechthin Bekannteres' - obwohl es dafür bei Aristoteles keine explizite Bestätigung gibt - als eine Antwort auf das so phistische Argument, die in die Funktion des v e r g e s s e n e n , aber noch zu erinnernden Wissens das immer anzunehmende Vorwis sen des uns Bekannteren einsetzt: Es schließt eine gänzliche Unbekanntheit des zu Lernenden aus und verweist in seiner Vorläufigkeit das Bewußtsein auf das noch zu Erkennende. Bei der Gleichheit dieser Funktion, also auf Wissen abzielende Fra gen sinnvoll und einen Fortgang im Wissen möglich erscheinen zu lassen, ist aber d e r Unterschied der beiden Konzeptionen nicht zu ü b e r s e h e n : Platon macht den Wissenscharakter des je weils noch nicht Gewußten, also - wenn man einen auf B e g r ü n d u n g ausgehenden Diskurs wie im Zusammenhang mit dem Höh lengleichnis v o r a u s s e t z t , den Wissenscharakter der Prinzipien - unmittelbar zur Bedingung von Fortschritt im Wissen. Aristo teles dagegen sieht die Möglichkeit von Erkenntnisfortschritt schon dadurch gewährleistet, daß jedem Bewußtsein einiges b e kannt i s t , an das die Frage nach wahrem Wissen, wohl v e r s t a n den als Frage nach den Gründen des uns schon Bekannten, mit Aussicht auf Erfolg anknüpfen k a n n . [2] 1 2
A . a . O . , S.76-83, besonders S.78f Im platonischen Kontext a u s g e d r ü c k t , heißt d a s , daß immer schon etwas erinnert sein muß, durch welches, gleichsam anfanghaft und s t e l l v e r t r e t e n d , die Sphäre des v e r g e s s e n e n Wissens für das im übrigen selbstvergessene Bewußtsein i s t . Genau das nennt Platon auch wirklich neben den anderen Bedingungen für die Entfaltung eines umfassenden Wissens, also neben dem durchgängigen Zusammenhang alles Wißbaren und seiner Gewußtheit im Modus von Vergessenem (Men.81d).
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Folgerichtig unterbleibt also eine unmittelbare Bestimmung des Typs von Gewußtsein, der dem schlechthin, aber noch nicht für uns Bekannten zukommt, in der aristotelischen Konzeption. Da gegen hat die platonische Theorie in einer solchen Bestimmung, daß nämlich das Gewußtsein des schlechthin Bekannteren in seiner Vergessenheit, die sowohl Verborgenheit wie Erinnerbarkeit bedeutet, b e s t e h e , gerade den Schwerpunkt i h r e r Lösung des Problems der 'faulen Vernunft'. Eben deshalb kann Aristo teles keine auch n u r in diese Richtung tendierende Qualifikation des Wissens des schlechthin Bekannteren zulassen, wenn er nicht der Sache nach zur platonischen Lösung übergehen und damit seine eigene Antwort zu einer bloßen Modifikation der pla tonischen und seine kritische Umdeutung der Anamnesistheorie für hinfällig erklären w i l l . [ l ] Die Einordnung der Unterschei dung 'schlechthin - für uns Bekannteres' in den Diskussions zusammenhang um das 'Argument der Faulheit gibt also mit dem Konkurrenzverhältnis zur Anamnesistheorie eine Erklärung dafür an die Hand, daß die Implizitheit des Wissens des schlechthin Bekannteren von Aristoteles nicht formuliert, sondern dieses Wissen an manchen Stellen mit demjenigen des uns Bekannteren koordiniert wird, als sei das Prinzip mit dem aus ihm Begründ baren zugleich und gleichermaßen gewußt. Und ganz konsequent wird, sobald sich dieses Problem mit der Frage nach der Prä missenerkenntnis verschärft stellt, eine anfängliche Vergessen heit der ersten Prämissen - der platonische Gedanke - von vornherein als Lösung ausgeschlossen, damit aber auch die scheinbar alternative Lösung, Wahrnehmung als das der Einsicht in die Prinzipien vorangehende, weniger klare Erkennen a n z u nehmen, in wesentliche Schwierigkeiten g e b r a c h t .
1
Vielleicht liegt insofern eine gewisse Inkonsequenz in dem berühmten Vergleich des Verhältnisses der Seele zu dem schlechthin Deutlichsten mit dem Blick des Nachtvogels in das Tageslicht (Met. α 1, 993 b 7-11), denn auch in dem Geblen detsein liegen Nichtsehen, aber auch Vor-sich-Haben in der Wahrnehmung und - gegebenenfalls - allmählich eher Sehen können. Aber der Vergleich ist doch zu bildhaft, um für die verschiedenen Seiten des Problems gewichtige Aussagen h e r zugeben: Das Nichtsehen des Geblendeten ist zugleich ein Überwältigtsein von dem noch nicht Sichtbaren, dieses d r ä n g t sich also von selber auf; wie deshalb keine Frage und kein Suchen nach ihm nötig i s t , fehlt auch der Zusam menhang mit einem schon Wahrgenommenen, und schließlich ist auch nicht abzusehen, u n t e r welchen Bedingungen das bloße Geblendetsein in Sehen übergehen k a n n . Deshalb kann man vermuten, daß dieses Bild nicht die Art des Wissens des schlechthin Deutlichsten bestimmen, sondern dieses an sich Klarste n u r im Sinn auch der anderen Stellen als für uns zunächst weniger bekannt zeigen soll.
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Daran, daß auch Wahrnehmung, gerade wenn sie betont als ein besonderes Vermögen gemeint i s t , nicht ohne Befangenheit des Wahrnehmenden in seinem Angeschauten und das heißt, nicht ohne Vergessen der es bestimmenden begrifflichen S t r u k t u r e n gedacht werden k a n n , zeigt sich die generelle Bedeutung der Anamnesistheorie, die Aristoteles mit i h r e r Beschränkung auf die Anwendung explizit schon bekannter allgemeiner Sätze auf ihre Einzelfälle im wesentlichen zurückgewiesen h a t . Aristoteles hat n u r einen Gedanken dieser Theorie besonders hervorgeho b e n , daß man nämlich bei aller Wahrheitssuche an etwas u n s schon Bekanntes, schon E r i n n e r t e s , wie Platon s a g t , anknüpfen k a n n , und den Übergang zum Wissen dieses zuvor n u r Be kannten offensichtlich als Rückgang in seine Gründe und d e s halb als Erkenntnis eines an sich Klareren und Bekannteren v e r s t a n d e n . Auch in diesem Moment des Rückgangs, das von Aristoteles nicht ausgesprochen wird, aber aus seinem Gedanken von dem an sich Bekannteren als dem Prinzip erschlossen wer den k a n n , liegt noch der platonische Ansatz zu einem Begreifen des Wissensfortschritts als Reflexion. e) Thomas' Konsequenzen aus Aristoteles' Ablehnung des pla tonischen Anamnesisbegriffs Thomas findet eine Alternative zu der aristotelischen Differen zierung des Vorwissens in uns Bekannteres und logisch F r ü h e res n u r in der angeblich platonischen Auffassung, daß solches, was an ihm selbst eher e r k e n n b a r oder klarer i s t , auch von uns - unmittelbar - eher als das Undeutlichere erkannt wer d e . [ 1 ] Für Thomas ist dies die Konsequenz aus der wohl r i c h tig verstandenen platonischen Voraussetzung, alles, was wir begrifflich e r k e n n t e n , sei d u r c h es selbst schon intelligibel, d . h . von der Form der Vernünftigkeit. Thomas' genannte Fol g e r u n g a b e r , an der er die Unhaltbarkeit dieser Voraussetzung zeigen will, schließt für Platons Konzeption eine immanente Dif ferenz d e r Vernunfterkenntnis und eine daraus verständliche Gegenstrebigkeit von diskursiver Prinzipiensuche und - von 1
cG II 77, 1584 ( v g l . S u b s t . s e p . 1, 46, wo Einheit und Gut heit als zugleich e r s t e Vernunftideen und Sachprinzipien g e nannt w e r d e n ) . Daß es hier um die Begründung der Not wendigkeit, einen tätigen Intellekt anzunehmen, g e h t , min dert die Bedeutung des Textes nicht. Denn diese Annahme ist in der Tat als eine Konsequenz aus der Ablehnung d e r platonischen Theorie zu v e r s t e h e n , auch wenn diese gerade keine einfache Gleichsetzung von Erkennbarkeit im Sinn von Klarheit mit vollzogenem Erkanntsein meint, sondern viel mehr eine Differenzierung des Erkenntnisbegriffs und im Hinblick auf sie einen Rückgang des Erkennens in sich selbst.
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derselben entworfener - logischer Ordnung a u s . [ l ] Dagegen v e r s t e h t Thomas die Anamnesistheorie in einem anderen Text angemessener: Angeregt durch ihre Wahrnehmungen, gehe die Seele in sich selbst zurück und erinnere ihr früheres Wissen, das sie vergessen zu haben schien. [2] Damit erkennt er die Reflexivität des platonisch gedeuteten Erkenntnisprozesses offen an und unthematisch, daß das auf die Ideen bezogene Wissen vom Modus der Vergessenheit in den des Wiederbewußtwerdens ü b e r g e h t . Weil er daraus aber nicht generell schließt, daß sich der Gegenstand des Wissens nach Platon in sich selbst u n t e r scheide, sieht er in dessen Prinzipienbegriff das klar a u s g e d r ü c k t , was mir an dem aristotelischen bedenklich erscheint: Wenn die Prinzipien intellektuelle S t r u k t u r e n sind, weshalb sind sie dann nicht auch unmittelbar für das empirische Bewußtsein explizit klar? 1
Dazu t r ä g t sicher sein Mißverständnis des aristotelischen Textes An.p ost. A 1, 71a 24-30, bei, die Aporie des argos logos, der Aristoteles mit seiner Version von Wiedererinne r u n g zu begegnen gedenkt, folge aus der platonischen Anamnesistheorie (In 1 A n . p o s t . 1. 3 , 23f)! Diese Verken nung der Ausgangslage, in d e r Platon wie Aristoteles mit einem je unterschiedlichen Begriff von Wiedererinnerung auf das Problem des argos logos antworteten, läßt Thomas auch einen unmittelbaren Gegensatz dieser beiden Begriffe anneh men, d e r a r t , daß Platon genau das b e h a u p t e , was nach Ari stoteles dieser Stelle zufolge in die Aporie f ü h r t , nämlich die Gleichartigkeit des Wissens eines Besonderen, ob es nun n u r implizit seinen begrifflichen Voraussetzungen nach im Allge meinen oder d u r c h explizite Anwendung dieser Voraussetzun gen auf seinen Fall gewußt wird. Platons Theorie wird so vermittelst einer falsch verstandenen aristotelischen Kritik in das aristotelische Schema umgesetzt: Erstens soll es sich auch bei der platonischen Wiedererinnerung, wie sie das Beispiel des geometrische Zusammenhänge lernenden Sklaven v o r führt, um eine Deduktion von Schlußfolgerungen aus e r s t e n , d u r c h sich selbst einleuchtenden Prinzipien handeln. Zwei tens werde nach Platon das Deduzierbare in seinen Prinzipien ebenso schlechthin gewußt wie als Ergebnis einer vollzogenen Deduktion; mit ihr muß die einzige erwogene Form des Wis sensfortschritts als unnötig erscheinen. Der erste Punkt b e r ü h r t die Relevanz der Anamnesistheorie in der Frage der Prinzipienerkenntnis, denn wenn Wiedererinnerung ein De duktionsprozeß i s t , kann man d u r c h sie nicht mehr die Re flexion des Wissens auf seine Implikationen und apriorischen Bedingungen zu erklären suchen, aus denen nach Thomas' Verständnis allererst Deduktionen möglich sind. 2 An. 15, v g l . cG II 83, 1674 d, wo eher der Menon b e r ü c k sichtigt und nicht von scheinbarem Vergessen, sondern u n abgeschwächt von Vergessen die Rede i s t .
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Daß es sich nicht so v e r h ä l t , ist für Thomas aus der Erfahrung evident, daß wir eher e r k e n n e n , was in einem verhältnismäßig engeren Zusammenhang mit Wahrnehmung s t e h t . Auf die I n t e r pretation dieser Erfahrung kommt es a n , denn sie muß e r g e b e n , was bei Aristoteles ungeklärt bleibt, ob - nach Thomas - ein Begriff vom Bewußtsein ü b e r h a u p t oder vom intelligiblen Gegen s t a n d , d . h . vom Begriff oder vom Urteil, denkbar ist und in den aristotelischen Ansatz erklärend integriert werden k a n n , ein Begriff also, aus dem die Gegenstrebigkeit des Wissens als induktiven Bewußtseinsprozesses und als vom selben Bewußtsein vorentworfener logischer Ordnung der Begründungen einge sehen werden könnte. Eine solche Fragestellung scheint nicht völlig außerhalb der Entwicklungsmöglichkeiten von Ansätzen und Gedanken in Thomas 1 Philosophie zu liegen: Das Urteil soll die Reflexion der Vernunft auf ihr Bild vom Gegenstand e n t h a l t e n , [ 1 ] und als 'Rückgang der Seele in sich selbst' ist diese Reflexion ein aus dem Kontext des 'Liber de causis' geläufiger Begriff, den man im Sinn jener Gegenstrebigkeit explizieren k a n n . [2] Trotz dieser Möglichkeiten v e r s t e h t Thomas die a r i stotelische Lösung, schon was die Voraussetzung angeht, im Gegensatz zum platonischen Begriff vom Gegenstand der menschlichen Vernunft: Wenn das für sie unmittelbar näher Liegende nicht auch in einem ausgezeichneten, prinzipiellen Sinn vernünftig i s t , dann ist ihr Gegenstand als solcher nicht u r sprünglich v e r n ü n f t i g , sondern von anderem abhängig, nämlich von der von Aristoteles als Vorwissen angegebenen Wahrneh mung, insofern er aus Wahrgenommenem erst gebildet wird. An der Stelle einer dem vernünftigen Bewußtsein selber wesent lichen Differenz, die von Platon im Zusammenhang mit dem Selbstbewußtsein einsichtig gemacht wird, erscheint auf diese Weise der a b s t r a k t e Unterschied zwischen Begriff und Wahr nehmung. Abstrakt vor allem d e s h a l b , weil die begriffliche Be dingtheit des Wahrnehmungsgegenstandes eindeutiger noch aus der theoretischen Konstruktion ausgeklammert wird, als Aristo1 2
In 6 Met. 1. 4, 1236 Caus. § 14, Bardenhewer S.177; Thomas, In Caus.prop 15, Saffrey S.90, Z.8-24; v g l . z . B . Ver. I 9. Bei Proklos, d e s sen Stoicheiosis theologike Thomas als Vorlage des Liber de Causis k e n n t , hat sich eine eher bildliche Version d e r Ge genstrebigkeit des Erkennens in der Differenz von Hervor gang und Zurückwendung auf den Grund, die absolute Ver nunft, erhalten, s . The Elements of Theology, e d . Dodds, Prop. 42 ( S . 4 4 ) , P r o p . 31 ( S . 3 4 / 6 ) , P r o p . 34 ( S . 3 6 / 8 ) . Thomas sieht aber keinen Zusammenhang dieser E r k e n n t n i s bewegung mit der Rückkehr in sich s e l b s t , die er in d e r Anamnesistheorie ausgedrückt findet. Offensichtlich stellte sich ihm diese Seite der platonisch-neuplatonischen Wissens theorie nicht als eine interessante Alternative zu der aristo telischen Konzeption d a r .
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teles es im letzten Kapitel der Analytiken mit seiner Rede von ainem allen Lebewesen gemeinsamen Vermögen getan h a t , das immerhin noch unterscheidend und auf seinen einzelnen Gegen stand als einen allgemeinen bezogen sein sollte. Statt daß Wahr nehmung als das eine notwendige Extrem der Bewußtseinsbewe gung oder des Wissensprozesses gefaßt wird, als das ganz u n ittelbare Erkennen nämlich in der Funktion des Woraus, aus dem erst die stets durch das zuvor Gedachte vermittelte Be wußtseinsbewegung als Reflexion in sich zurückgehen k a n n , statt dessen glaubt Thomas in Auslegung des Aristoteles der Anamnesistheorie eine Konzeption der Wissensgewinnung ent gegensetzen zu können, die menschliche Vernunft aufgrund einer konstitutiven Bedürftigkeit an Inhalten mit Wahrnehmung verbinden will, weil Wahrnehmung eben diese Inhalte liefere.[1] Diese Abgrenzung von Platon, die die Möglichkeit einer I n t e r pretation des Wissensprozesses als Reflexion offen, vollständig und mit weitreichenden Folgen preisgibt, kann sich in der Tat darauf berufen, daß Aristoteles die Vernunft als potentiell, r e zeptiv und auf anschauliche Vorstellungen angewiesen charak t e r i s i e r t . [ 2] Jedoch verlagert Thomas das Schwergewicht der Interpretation der Prinzipienerkenntnis, wie Aristoteles sie v e r standen haben soll, entgegen der hier herausgearbeiteten Pro blemlage auf das für uns eher Bekannte, wo sich doch die Fra g e , ob Wissen als Reflexion gedacht wird, n u r an der theoreti schen Deutung des Bewußtseinscharakters des an sich selbst Bekannteren entscheiden k a n n . Aristoteles mochte es hinrei chend erscheinen, der Anamnesistheorie die weniger a n s p r u c h s volle, gleichsam phänomenologische These entgegenzuhalten, daß alle Vernunfterkenntnis auf Wahrnehmung angewiesen i s t , deren Unklarheit als ein Äquivalent zur Vergessenheit der Prinzipien im Sinn Platons aufgefaßt werden k a n n . [ 3 ] Thomas aber könnte Aristoteles schon deshalb nicht so i n t e r p r e t i e r e n , weil er sich 1 2
Ver. XVIII 7; I 84, 6 Α η . Γ 4 , 429 a 13-29, 429 b 29 - 430 a 2; Γ 8, 432 a 3-14; v g l . An.post. A 18 3 Die Frage nach der W i s s e n s - oder bewußtseinstheoretischen Grundlegung der S t r u k t u r 'für uns - an sich Bekannteres' ist wohl n u r zu vermeiden, wenn man sich wie Wieland auf eine "phänomenologische Betrachtung des Wissens und Verstehens" ( a . a . O . S.84) b e s c h r ä n k t . Eine kritische Behand lung des aristotelischen Seelenbegriffs, wie Wieland sie für möglich hält ( a . a . O . S.194f), würde aber schon, geschähe sie n u r nicht ohne systematische Absicht, die phänomenolo gischen Analysen immer in ein bestimmtes Licht r ü c k e n . Das gilt wohl auch von Thomas' nicht kritisch gemeintem I n t e r p r e t a t i o n s v e r s u c h , an dem nachgewiesen werden soll, daß solches Licht bis in die Analysen selbst eindringt und sie unumgänglich verwandelt.
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damit immer noch an d e r explizit abgelehnten Anamnesistheorie orientierte. Generell verbietet ihm diese Ablehnung, in dem Schema 'für uns - d e r Sache nach bekannten einen reflexiven Prozeß impliziert zu sehen. Und weil Wahrnehmung nicht im Rahmen eines Reflexionsprozesses als dessen Ausgangspunkt gedeutet werden k a n n , muß sie ihre Bedeutung in i h r selbst haben, nicht dank einer auf die Reflexion bezogenen Form, i h r e r Unmittelbarkeit, sondern vermöge des positiv in i h r Ge gebenen, ihres I n h a l t s . Aristoteles' Argument gegen die Anamnesistheorie, das genau este und s t ä r k s t e , d . h . grundlegende Wissen könne seinem S u b jekt nicht verborgen s e i n , [ l ] k e h r t bei Thomas in d e r Form wieder, was man von Natur aus wisse wie die Prinzipien, das könne kein Mensch v e r g e s s e n . [ 2] Der Begriff eines natürlichen Wissens, d e r von d e r Vermitteltheit auch d e r Prinzipien d u r c h Wahrnehmung absieht, wird gegen die Anamnesistheorie einge wandt, die annehmen müsse, die Seele habe ihr natürliches Wis sen von allem so sehr v e r g e s s e n , daß sie sich gar nicht mehr bewußt s e i , ein solches Wissen zu haben. Die Voraussetzung eines d e r a r t radikalen Vergessene kann man Platon n u r u n t e r stellen, wenn man eine von ihm getroffene Differenzierung ü b e r sieht: Zwar führt erst die philosophische Reflexion zu dem Be wußtsein, "von Natur a u s " mit allen Erkenntnisgegenständen schon bekannt zu sein, aber in der Tat oder an sich enthält jede Frage nach noch nicht Bekanntem und alles Forschen, i n sofern sie implizit dem Argument d e r 'faulen Vernunfť wider s p r e c h e n , ein solches Bewußtsein; genau dieses Verhältnis, das die Reflexion als ihre grundsätzliche Bedingung h e r v o r h e b t , entgeht Thomas. Einerseits vereinfacht Thomas also Vergessen zu gänzlichem Ver lieren, andererseits begreift er an derselben Stelle - und kom plementär zu seiner Vereinfachung - das "natürliche Wissen" der Prinzipien nicht im Zusammenhang mit dem "von Natur aus Bekannteren", wie sonst in seiner aristotelischen Terminologie Prinzipien als etwas nicht unmittelbar für das Bewußtsein Ge gebenes bezeichnet werden. Beides b e d e u t e t , daß er die Dif ferenzierung des Wißbaren in für uns unmittelbar Bekannteres und an sich oder von Natur aus Bekannteres nicht mehr wie Aristoteles als eine S t r u k t u r des Wissens v e r s t e h t . Der Text macht deutlich, daß innerhalb dieses Problemkreises eine klare Abgrenzung von Platon n u r u n t e r Preisgabe des Wissensbegriffs möglich i s t , der auch das individuell noch nicht Gewußte um faßt. Aristoteles konnte noch davon ausgehen, daß seine Hörer und Leser die Differenz von für u n s und schlechthin Bekannterem auf dem noch p r ä s e n t e n platonischen Hintergrund als eine Dif1 2
An.p ost. 19, 99 b 25ff; Met. A 9, 992 b 33f I 84,
269 ferenz des Wissens selber, g e n a u e r , des Vorwissens v e r s t e h e n . Dagegen sieht Thomas die aristotelische Unterscheidung u n t e r platonischen Voraussetzungen, nämlich der Ideenlehre und der teils abgeschwächt, teils widersprüchlich interpretierten Anamnesistheorie, in einer Identität des uns unmittelbar Deutlichen mit den an ihnen selbst bekannteren Wissensprinzipien v e r schwinden; und zwar so, daß noch nicht einmal der aus diesen Prinzipien beweisende Diskurs sinnvoll erscheint, also alle e r fahrene Gedankenbewegung unbegriffen b l e i b t .[ 1 ] Was in der 'phänomenologischen Betrachtungsweise' des Aristoteles nicht mehr thematisiert, wenn auch wohl noch mitgedacht wird, ist für Thomas nicht mehr faßbar. Mit dem Begriff des Diskurses setzt er aber auf jeden Fall eine bewegte Grenze des bewußten Wissens zum Nichtwissen. Und wenn die theoretischen Voraussetzungen dafür fehlen, diese Grenze - bildlich gesprochen - als der Sphäre des Wissens sel ber immanent, sie gleichsam unterteilend anzusehen, dann kann sie nur als Grenze des Wissens gegen anderes v e r s t a n d e n wer d e n . Thomas schwächt das dadurch a b , daß er das vermittelst seiner Grenze auf anderes bezogene Wissen als begriffliche Ver nunft und das sie Begrenzende, auf das ihr Fortschritt a n g e wiesen i s t , als Wahrnehmung, also immerhin noch als eine Weise des Bewußtseins einander gegenüberstellt; damit wiederholt er die Art, Wissen zu b e g r e n z e n , die Aristoteles am Schluß der Analytiken vorgeführt h a t . Die Wahrnehmung als die ganz u n mittelbare Weise, Gegenstände vorzustellen, fungiert aber n u r als Vermittlung zwischen dem Wissen in allgemeinen Begriffen und den einzelnen Gegenständen der Sinnenwelt, die, auf das Bewußtsein als eine Einheit bezogen, das wahre Begrenzende des jeweiligen Wissensstandes und den Zielbereich möglichen Erkenntnisfortschritts ausmachen. [ 2] Nach Thomas' Konzeption wäre dieser Fortschritt nicht mehr als Rückkehr der Vernunft in sich selbst, sondern als ein linearer Prozeß von für uns u n mittelbar d u r c h Wahrnehmung Bekanntem zu anderem an ihm selber Bekannterem - was immer das dann noch heißen mag - zu veranschaulichen. [3] Was hier Linearität genannt wird, ist bei 1 2 3
S. oben S.265 Anm.1 I 55, 2; I 84, 7; Ver. VIII 9 In 1 Phy. 1. 1, 7f; v g l . I-II 14, 5. Zwar findet man bei Thomas der Sache nach (In Trin. III 1, Decker S.110, Ζ.16 - S . I l l , Ζ.8) oder mit Bezug auf Dionysius Ps.-Areopagita ausdrücklich (In 7 Div.nom 1. 2, 713) auch den Begriff einer zirkulären E r k e n n t n i s . Auf Dionysius eingehend, sieht Tho mas ein zyklisches Verhältnis zwischen Vernunfteinsicht und Verstandesdiskurs in dem Sinn, daß jeder Diskurs von der Einsicht in eine einfache Wahrheit wie die der Prinzipien a u s gehe und durch eine Vielheit von Gedankenschritten wieder zu einer vernünftigen Erkenntniseinheit zurückkehre ( v g l .
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Thomas als eine bestimmte Zuordnung (ordo) von sinnlicher und II—II 8, 1 ad 2 ) . Diese allgemeine Zirkelstruktur differenziert Thomas d e r a r t , daß sich das Erforschen (inventio) entweder auf dieselben Grundlagen stützt - nämlich die Wissensprinzi pien - , an denen das Gefundene dann auch geprüft wird (iudicium), oder die Kriterien des Prüfungsdiskurses - wie das Wesen in seiner Begründungsfunktion oder ewig Gültiges im Verhältnis zu zeitlich Bedingtem - erst zu seinem Ziel hat (vgl. In 7 Div.nom. 1.2, 713; Ver. XV 1; I 79, 8f). - Zum anderen sieht Thomas an der zuerst genannten Stelle seines Boethiuskommentars eine zirkuläre S t r u k t u r des Erkennens sogar in dem Begriff des an sich selbst Bekannteren, mit dem er schlechthin notwendige Gründe meint, insofern solche schon in den Wissenschaften, die für uns der Metaphysik vorangehen, vorausgesetzt werden müssen, aber erst in d e r zuletzt erreichbaren Metaphysik vollständiger erkannt werden können ( a . a . O . , v g l . ebenda VI, q 3, Decker S.211, Z.15 S.212, Z.25). Beide Argumente bedeuten aber nicht, daß Thomas' Ver ständnis von Prinzipienerkenntnis im wesentlichen a n d e r s einzuschätzen i s t . Denn das erste redet in beiden Varianten von einer den Diskurs leitenden Vernunfteinsicht n u r da, wo diese explizit vollzogen wird, und das zweite zielt darauf a b , daß die metaphysisch noch nicht eingesehenen Prinzipien, wenn sie dennoch in den Wissenschaften gebraucht werden, geglaubt werden müssen ( v g l . ergänzend dazu das Bemühen, ein zirkelhaftes Verhältnis zwischen Wissenschaften und Me taphysik nicht zuzulassen, ebenda V 1 ad 9, Decker S.172f). Wenn darin ein Bezug auf Aristoteles liegt, dann betrifft er gerade explizite Annahmen, die dem Lernenden zugemutet werden, ohne daß er sie aus seinem alltäglichen Vernunftge brauch schon kennen müßte ( υ π ο θ ε σ ε ι σ ) ; sie sind allen falls plausibel ( A n . p o s t . A 10, 76b 27-30), aber keine Re flexionen auf notwendige Bedingungen etwa der wahrnehmungsorientierten Erfahrung ü b e r h a u p t . Die Absicht, ein Moment bewußten Glaubens in den Wissenschaften nachzu weisen, v e r h i n d e r t die hier naheliegende Erörterung der Art und Weise, wie Vernunftprinzipien als das an sich höchst Bekannte vor i h r e r Thematisierung in der Metaphysik u n bewußt bekannt sind. Wann immer also ein Verstandesdiskurs von Vernunftprinzipien a u s g e h t , denkt Thomas sie als a u s drücklich bewußte. Und als einsinnige Bedingung für die Vernunfteinsicht in dieselben Prinzipien nennt er stets die Wahrnehmung, oft u n t e r Berufung auf das letzte Kapitel d e r Zweiten Analytiken. In solchen Zusammenfassungen dieses Textes fehlt das in dessen unmittelbarer Kommentierung (In 2 An.post. 1. 20, 595; v g l . I 85, 3) berücksichtigte umge k e h r t e Bedingungsverhältnis, daß Wahrnehmung sich selber schon auf eine allgemeine Bestimmung (natura) bezieht, also von Vernunft abhängt ( s . z . B . cG II 78, 1591; 83, 1679; In Trin. VI 4, Decker S.227, Z.12-21; Ver. XVI 1; 2 S 24 II , 3 S 23 III 2 ad 1 ) .
271 vernünftiger Erkenntnis , wie es heißt, fixiert, und zwar in der von Aristoteles übernommenen Abfolge von Wahrnehmung, Er i n n e r u n g , Erfahrung und Erfassen allgemeiner Prinzipien.[1] Dieser Anordnung der subjektiven Erkenntnisweisen entspricht in dem, was da erkannt wird, ein Übergehen von Sinnesein drücken und Vorstellungen von akzidentellen Beschaffenheiten zu Begriffen von den wesentlichen Bestimmungen der Dinge. f) Potentialität und Selbstbezug der Vernunft bei Aristoteles Mehr Klarheit über d a s , was Aristoteles und Thomas u n t e r Ver nunft und Bewußtsein im Hinblick auf die Prozessualitat der Erkenntnis v e r s t e h e n , Klarheit also über ihre Alternative zum platonischen Anamnesisbegriff, kann man aus dem Begriff der Negativität der Vernunft gewinnen, den Aristoteles schon von Anaxagoras übernimmt. [2] Wenn die vernünftige Erkenntnis ihren Gegenstand, und das heißt, alle Gegenstände schlechthin, rezeptiv aufnehmen können soll - ein e r s t e r Begriff vom Prozeß des Erkennens - , dann darf sie selber mit dem zu Rezipieren den nicht vermischt sein, keinen Zustand, keine Form und keine Bestimmung haben, die wie etwas Fremdartiges im Ver hältnis zu dem jeweiligen Gegenstand neben diesem in der Vorstellung erschienen und ihn v e r d r ä n g t e n . Die Potentialität der Vernunft wird also im Verhältnis zu verwirklichter E r k e n n t nis als reine Negation aller Bestimmungen gedacht, und zwar so, daß das umfassend Negierte ein a n d e r e s , von der Vernunft Verschiedenes i s t . Gegen Ende des Kapitels e r ö r t e r t Aristoteles zwei Einwände gegen eine einfache Übernahme der Konzeption des Anaxagoras, die beide die mit der Negation ausgesprochene völlige Trennung der Vernunft von ihren Gegenständen für unvereinbar mit ihrem wirklichen Erkennen e r k l ä r e n . [ 3 ] Wenn das Erkennen rezeptiv oder als ein Prozeß des Erleidens von anderem, insofern Tätigem vorgestellt wird, muß es eine gemeinsame Grundlage der beiden Extreme dieses Verhältnisses geben, die eine solche Einwirkung überhaupt möglich macht; also ist die Möglichkeit des Erkennens mit der reinen Negativität der Vernunft gegen alles andere noch nicht hinreichend v e r s t a n d e n . [4] Aristoteles verweist in seiner Erwiderung darauf, daß der Begriff des Erleidens, wenn es um Erkenntnis g e h t , modifiziert werden muß, insofern hier nicht eine Qualität d u r c h eine ihr konträre v e r n i c h t e t , sondern ganz im Gegenteil etwas 1 cG II 83, 1674 (b) 2 An. Γ 4 , 429 a 13-22; v g l . bei Thomas An.2 3 An. Γ 4 , 429 b 22-430a 9. Zunächst wird der erste Einwand i n t e r p r e t i e r t , auf S.275f dann der zweite. 4 Ebenda, 429 b 22-26
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durch seine Verwirklichung erhalten w i r d . [ l ] Damit Rezeption in diesem konstruktiven Sinn verstanden werden k a n n , muß eine Affinität zwischen dem Rezipienten und dem zu Rezipieren den angenommen werden. [2] Wie man eine solche qualifizierte Negativität (propria potentia nach Thomas) zu denken h a t , zeigt d e r Vergleich mit der noch unbeschriebenen Schreibtafel: Das Negative ist nicht einfach ein gleichgültiges Anderes neben dem Negierten, sondern von vornherein im Sinn seiner Möglichkeit, das Negierte aufzuneh men, es selber zu werden, gemäß der Eigenart des Negierten bestimmt oder dessen bestimmte Negation. Einschränkend g e genüber dem einleitenden Gedanken, daß die Vernunft alles e r k e n n e , sind nun der Wahrnehmung die unterscheidende E r kenntnis sinnlicher Qualitäten der Gegenstände und der Ver nunft die von der raum-zeitlich fixierten Materie unabhängigen Wesensbegriffe zugewiesen, [3] so daß die bestimmte Negativität der Vernunft gleichfalls als solche Immaterialität erscheint. [4] Die Voraussetzung dieser Übereinstimmung macht der Theorie die Synthese möglich, wirkliche Erkenntnis als Identität von Bewußtsein (Denkendem) und Gegenstand in der Einheit des Wissens oder des Begriffs (logos) zu d e n k e n . [5] Dafür, daß diese Identität das Subjekt nicht auf einen a u s schließlichen Gegenstand festlegt, steht die wesentliche, nicht aufhebbare Potentialität des Bewußtseins, vermöge d e r e r es n u r seiner Wirklichkeit nach jenes Objekt i s t , als Bewußtsein aber noch vieles andere werden k a n n . [6] Was Potentialität d e r Ver nunft im Unterschied zur Veränderbarkeit von Dingen b e d e u t e t , kann man in einer weiteren Bemerkung über den Typ von E r leiden angedeutet sehen, der dem intellektuellen Rezipieren a n gemessen sein soll: Wenn das Wissenssubjekt erkennend werde, so sei das keine Veränderung im Sinn eines Wechsels, denn d e r 1
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An. Γ 4, 429 b 29 - 430 a 2; 429 b 30 verweist nach Ross, Aristotle. De Anima, S.294, auf An. 5, 417 b 2-7, was hier einbezogen wird. In diesen Zusammenhang gehört auch die Bemerkung, die das vernünftige Bewußtsein sowohl als leidenslos ( α π α θ ε σ - Leiden im gewöhnlichen Sinn genommen) wie auch als empfänglich für die intelligible Form bezeichnet ( δεκτικον του ειόουσ ) , s . An.Γ 4, 429 a 15f. Thomas, In 2 An. 1. 1 1 , 366, legt besonderen Nachdruck auf diese 'Āhnlichkeit' ( ο μ ο ί ο υ , Ζ. 417 b 4) im Potenz-AktVerhältnis. An.Γ 4, 429 b 10-22, ein wichtiger Anhaltspunkt für Thomas' a b s t r a k t e Gegenüberstellung von Intellekt und Sinnlichkeit. An.Γ 4, 430 a 7 f, v g l . 3f Ebenda, 430 a 3ff; v g l . Γ 5, 430 a 19f; Met.^ 9, 1074 b 38 1075 a 5 Vgl. J . Moreau, De la connaissance selon S. Thomas d'Aquin, S.12f
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Erkennende schreite zu sich selber und seiner vollständigen Wirklichkeit f o r t . [ l ] Die Möglichkeit, dieses Zu-sich-selberKommen des Wissens als eine Aussage von grundsätzlicher Be deutung anzusehen, wird zwar dadurch eingeschränkt, daß e n t sprechend einer zuvor eingeführten Unterscheidung[2] das sich selber verwirklichende Bewußtsein n u r ein schon erworbenes Wissen aktualisiert, nicht ihm bislang Unbekanntes erstmals e r k e n n t ; deshalb kann das 'zu siclt' allein mit Bezug auf das g e dächtnismäßige Verfügen über ein schon explizit gewonnenes Wissen gesagt sein. Aber immerhin soll mit diesem Gedanken doch die besondere Weise des Erleidens erläutert werden, die generell mit dem Übergang des Wissens von bloßer Möglichkeit zu seiner Wirklichkeit v e r b u n d e n ist und die sonst mit emp fangen' oder 'Aufnehmen umschrieben wird. Auch der Fortgang der Überlegungen legt die Vermutung n a h e , daß d e r Unterschied zwischen erstem Erwerben eines bestimmten Wissens und Zurückkommen auf ein schon erworbenes für die Frage nach der Passivität des Erkennens gerade keine Rolle spielt, sondern die Reflexion auf Wissen, das man schon h a t , als eine Art Modell für das Übergehen zu Erkenntnissen ü b e r haupt fungiert, als ein vielleicht analog zu verstehendes Modell, das nicht von allem, für das es Modell i s t , gleichermaßen e r reicht werden muß, so daß es auch einen Begriff vom Erwerben einer Erkenntnis an die Hand geben k a n n . Denn im folgenden wendet Aristoteles d a s , was er vom Erkennen gesagt h a t , auf das Problem des Lehrens und Lernens a n , b e r ü h r t also die Thematik des Menon, und bezeichnet es einmal als generell unangemessen, die Anleitung eines potentiell Erkennenden zum wirklichen Erkennen 'Lehre' zu nennen, offensichtlich, weil nach der umgangssprachlichen Bedeutung das Gelehrte zum Rezipienten wie etwas ihm gleichgültig Fremdes ü b e r t r a g e n wird; welchen Wissensstand der 'Belehrbare' hier schon im voraus erreicht h a t , bleibt u n k l a r . Zum andern soll vom Ler nenden, von dem es nun deutlich heißt, er empfange Wissen von dem aktual Wissenden, n u r dann gesagt werden, er erleide etwas, wenn dies Erleiden nicht als Wechsel zu einem Verlust, sondern zum Haben des jeweiligen Wissens "und zur Natur" aufgefaßt w e r d e ;[ 3 ] diese Natur kann keine andere als die des Lernenden selber sein. Deshalb bedeutet jeder Erkenntnisprozeß, daß die Vernunft zu sich selber kommt, ohne doch in dem jeweils partikulären 1
An. 5, 417 b 5ff der einen Textversion Ross übernimmt, aber (Aristoteles. Über die zum Eigenen entwickelt 2 An. 5, 417 21 - b 3 Ebenda, 417 b 9-16
Die Rückbezüglichkeit ist zwar n u r in ( ε ι σ αυτo oder ε α υ τ o ) gesichert, die Τ heiler, der wie Bekker αύτο liest Seele, S . 1 1 8 ) , ü b e r s e t z t doch: "denn es sich" (ebenda S.34). 2
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Gegenstand aufzugehen, daß das 'Sieh' auf alle mögliche E r kenntnis zu beziehen i s t , wie Aristoteles schließlich den Begriff der negativ verstandenen Vernunft formuliert, ihre Bestimmtheit liege d a r i n , alles zu w e r d e n . [ 1 ] Diesen Begriff erfüllt die Vernunft, indem sie ü b e r ihre Identität mit einem bestimmten Gegenstand in dem Wissen von ihm hinaus und zu weiteren Erkenntnissen fortgeht und doch das e r s t e r e Wissen als ein Moment i h r e r Selbstwerdung behält. Soweit man also Anhalts p u n k t e dafür findet, den ganzen Erkenntnisprozeß, der die umfassende Negativität d e r Vernunft schrittweise aufhebt, so zu v e r s t e h e n , daß die Vernunft in ihm nicht n u r zu Erkennt nisgegenständen, sondern ebensosehr zu sich selbst kommt, kann die Identität mit dem jeweiligen Gegenstand in diesen Begriff einer Totalität wesentlich antizipierenden Vernunft als Moment eingeordnet und damit auch als nicht ausschließlich a n gesehen werden. Dieser Zusammenhang und die Rede von der Ähnlichkeit oder Affinität der potentiellen Vernunft zu i h r e r Verwirklichung oder Vollendung lassen durchblicken, daß auch Aristoteles' Theorie des Wissensprozesses nicht ohne den zentralen Begriff der Anamnesistheorie auskommt, daß nämlich das Herausgehen der Vernunft aus sich zu Gegenständen der Erkenntnis, die ihr zu vor unbekannt waren, in eins ihr Zurückgehen in sich selbst i s t . [ 2 ] Aristoteles neigt aber eher dazu, diese Theoriekonti nuität in seinem Begriff intellektueller Verwirklichung zu v e r decken - was sich auch auf die Unterscheidung des an sich selbst von dem für uns Bekannteren erstreckt - vermutlich deshalb, weil ihre Offenbarkeit nicht geeignet wäre, seine Piatonkritik besonders überzeugend erscheinen zu lassen. Mit d e r Vorstellung von einer klaren theoretischen Alternative des aristotelischen Begriffs von Erkenntnis gegenüber dem plato nischen geht jedenfalls bei Thomas trotz seiner Betonung d e r Affinität des potentiellen Wissens zum verwirklichten eine auf fallende Vernachlässigung der Reflexivität des E r k e n n t n i s prozesses einher, die er am eindruckvollsten mit der von ihm geradezu routinemäßig vorgetragenen einfachen Parallelisierung des intellektuellen Fortschritts mit Naturprozessen dokumen tiert.[3] 1 2 3
An. Γ 5, 430 a 14f Denselben platonischen Hintergrund hat auch die These vom notwendigen Vorwissen jeder neuen E r k e n n t n i s , d e r Grund satz also, von dem die aristotelische Wissenstheorie a u s g e h t . Man kann in diesem einen gegenstandsbezogenen Begriff von Prozessen überhaupt so etwas wie ein systematisches S t r u k turmoment von Thomas' Philosophie s e h e n , v g l . z . B . In 1 A n . p o s t . 1. 1, 8; 2 S 24 II 3; Ver XVIII 4; An. 15; I 58, 3; I 85, 6 . - Über das Verhältnis d e r Potenz-Akt-Schemati sierung der Erkenntnis zur platonischen Konzeption v g l . u n ten S.332f
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Unmittelbarer als ü b e r den Begriff des Erleidens geht der zwei te Einwand gegen eine negative Auffassung von der Vernunft im Sinn des Anaxagoras auf die Selbstbezüglichkeit der Vernunft: Wenn alles vernünftig Erkennbare in einem Typus überein kommt, dann muß die Vernunft, will man ihre eigene Erkenn barkeit begreifen, ebenso wie jeder andere Gegenstand von diesem Typus s e i n . [ l ] Hielte man nun die Vernunft selber für dies allem Erkennbaren gemeinsame Moment, dann wären alle Erkenntnisgegenstände vernünftige Wesen, beruht aber Er kennbarkeit auf etwas anderem, dann muß diese Bedingung auch an der Vernunft sein, die doch als reine Negativität ausgegeben worden war. Dieser Einwand könnte auch ohne die fragwürdige - weil Erkenntnis abstrakt begrenzende - Kon struktion eines Typs (eidos) alles Erkennbaren auskommen, wenn er bloß lautete, daß die Vernunft, wenn sie sich negativ zu allem Erkennbaren v e r h ä l t , auch Negation i h r e r selbst sein muß, sich auf sich selbst beziehende Negativität. Diese S t r u k t u r könnte noch aus dem Einwand herausgelesen - und ihm als der authentische Begriff der Vernunft entgegengehalten wer d e n , womit der Einwand als Einwand bestritten wäre. - Denn die Vernunft muß, wenn sie erkennbar sein soll, den Charakter der Erkennbarkeit oder des Objekts haben und damit von ihr selber als rein negativem Erkennen verschieden sein; beide Mo mente, Negativität und Erkennbarkeit sind gleichermaßen legi tim. [2] Aristoteles meint aber offenbar den Einwand, der auf die Gleichheit der Bedingungen von Gegenstands- und Selbster kenntnis aufmerksam macht, nicht als Hinweis auf die notwen dige Selbstdifferenzierung d e r Vernunft, die auch zu i h r e r Selbstvergessenheit einen theoretischen Zugang eröffnete. Viel mehr geht er durchaus auf die Forderung nach einem Moment d e r Übereinstimmung zwischen Erkenntnisvermögen und - g e genstand ein, auf dem die Erkennbarkeit der Gegenstände und der Vernunft selbst gleichermaßen beruhen soll; als dieses Moment hatte sich schon in den vorangehenden Passagen die Immaterialität e r g e b e n . [ 3 ] Anders als materiell bestimmte Gegen1 2
An. Γ 4, 429 b 26-29 Den Einwand d e r a r t auf die Negativität der Vernunft zu b e ziehen, scheint im Hinblick auf eine andere Textstelle e r wägenswert, an der Aristoteles von einer Entgegensetzung des Erkennenden gegen sich selbst spricht (An.Γ 6, 430 b 26-30; v g l . Theiler, Aristoteles, Über die Seele, S.145, zu b 23). Eine Interpretation dieses schwierigen Textes würde jedoch hier einen zu ausgedehnten Exkurs e r f o r d e r n , d e s halb möchte ich sie an anderer Stelle v e r s u c h e n . 3 A n . Γ 4 , 429 a 24-27, b 4 f, b 21f, v g l . 430 a 7f. Die Be merkungen über Erkenntnis und Entgegensetzung werden also für die mehr ausgearbeitete Vernunfttheorie in De anima nicht bestimmend.
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stände ist die Vernunft deshalb als solche schon, d . h . als im materielles Vermögen i h r e r Gegenstände e r k e n n b a r . [ 1 ] Zugleich wird aber die Vorstellung z e r s t ö r t , Vernunft und E r k e n n t n i s gegenstände stünden sich wie selbständige Dinge, eher zufällig mit einer gemeinsamen, Erkenntnis ermöglichenden Qualität behaftet, gegenüber: Die Erkenntnis oder das Wissen sind die immaterielle Wirklichkeit, in der die Vernunft und ihr Gegen stand identisch sind. [2] Die Frage i s t , was es an dieser Stelle heißt, daß die SubjektObjekt-Identität des Wissens, die am ehesten am 'Begriff d e r Sache' (logos) einsichtig gemacht werden k a n n , es begründen soll, daß die Vernunft ebenso wie ihre Gegenstände e r k e n n b a r i s t . Es kann b e d e u t e n , daß die Vernunft sich selbst vermöge derselben Identität unmittelbar gegenwärtig i s t , derzufolge alle immateriellen oder Vernunftgegenstände nichts anderes als ihre Erkenntnis sind, so daß die Frage nach i h r e r Erkennbarkeit angesichts ihres wirklichen Erkanntwerdens allemal zu spät kommt. Der Begründungszusammenhang kann aber auch s t r i k t e r gefaßt werden, nämlich so, daß die Vernunft allererst an einem i h r e r Gegenstände, der mit ihrem verwirklichten Wissen iden tisch i s t , ihr Selbstbewußtsein h a t . Aristoteles scheint an dieser Stelle von De anima keine der beiden Interpretationen gegen die andere deutlich zu u n t e r s t ü t z e n , aber eine Parallel stelle im zwölften Buch der Metaphysik ist im Sinn der zweiten Version formuliert: "Die Vernunft erkennt sich selbst im Zu sammenhang mit ihrem Teilnehmen am Erkenntnisgegenstand, denn sie wird e r k e n n b a r , indem sie b e r ü h r t und e r k e n n t , so daß Vernunft und Erkenntnisgegenstand dasselbe s i n d . " [ 3 ] Was diese Akzentsetzung gegenüber der anderen Interpretation für eine Theorie des Selbstbewußtseins und damit auch für die Funktion bedeutet, die dem reflexiven Moment der Beziehung auf Vorwissen in aller Erkenntnis zugebilligt werden k a n n , das macht ein Vergleich der Aristoteleskommentatoren Avicenna, d e r sich in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die aristo telischen Texte b e r u f t , und Thomas e r k e n n b a r . g) Avicennas und Thomas' Interpretationen Nach Avicenna ist das Selbstbewußtsein ein u r s p r ü n g l i c h e s , unmittelbares Wissen, das nichts mit den Funktionen der Seele, d . h . des Ich, für den Körper oder durch ihn (Wahrnehmung)zu
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An. Γ 4, 430 a 6-9 Ebenda, 430 a 2-5 Met. Λ7, 1072 b 19ff
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t u n h a t . [ l ] Insbesondere im Zug des Nachweises, daß sich die Vernunfterkenntnis nicht durch ein körperliches Organ, son d e r n d u r c h sich selbst vollzieht, wird die Identität des Selbst bewußtseins in der ersten erwogenen Version e r k l ä r t : Während weder Sinnlichkeit noch Einbildungskraft i h r e r selbst und ihres Organs sinnlich bzw. vorstellend bewußt sind, kann das v e r nünftige Selbstbewußtsein, also das 'Ich denke' n u r als spontan oder d u r c h sich selbst, nicht aber d u r c h ein Organ vollzogen gedacht werden. [2] Denn zwischen die Vernunft und sie selbst oder - was dasselbe heißt - zwischen sie und das Bewußtsein, daß sie d e n k t , kann kein Instrument t r e t e n . [ 3 ] Während Ari stoteles die Bedingung der Selbsterkenntnis entsprechend sei nem Begriff von Vernunfterkenntnis ü b e r h a u p t bestimmt, nimmt Avicenna als Grundlage für einen Begriff der Vernunfterkennt nis die Identität des vernünftigen Selbstbewußtseins, die zwar in erkennendes und erkanntes Moment differenziert i s t , aber als reine Identität keine für andere Vernunftgegenstände denkbare Vermittlungsinstanz zuläßt und deshalb als absolute - d u r c h a u s im Sinn von Aseität - Selbstdurchsichtigkeit der Vernunft v e r standen werden k a n n . 1
Avicenna verdeutlicht das mit dem Gedankenexperiment von einem mit einem Schlag erschaffenen Menschen, der ü b e r keinerlei Wahrnehmungen, weder von äußeren Gegenständen noch von seinem Körper verfügt und doch sich seiner selbst als Ich gewiß ist (homo v o l a n s ) , s . De an. I 1, van Riet S.36, Z.49 - S.37, Z.68 ( a r a b . Text, Rahman S.16), u . V 7, van Riet S.161, Z.45 - S.168, Z.80 (Rahman S.255). Die E r k l ä r u n g , daß 'Seele' nichts anderes als dieses u r s p r ü n g l i c h sich selbst wissende Ich meint, s. in De an. V 7, van Riet S.164, Z.81 - S.165, Z.93 (Rahman S.256). 2 Das enthält - ob beabsichtigt oder nicht, kann aufgrund des Textes nicht entschieden werden - eine Korrektur an einer wichtigen Passage des Aristoteles ü b e r das Selbstbewußtsein, die unspezifisch von unserem Wahrnehmen d e s s e n , daß wir wahrnehmen, und unserem Denken, daß wir d e n k e n , s p r i c h t , s. Eth.Nik. I 9, 1170 a 28 - b 10. Thomas folgt Avicennas Gedanken n u r so weit, daß es der Vernunft gegenüber den anderen Bewußtseinsweisen eigentümlich sei, auf sich selbst zu reflektieren (In 1 A n . p o s t . , Prooem. 1 ) . An einer ande ren Stelle (Ver. I 9 ) , die eine genauere Kenntnis des Avicennatextes anzeigt, schränkt Thomas dieses generelle Urteil ein, vielleicht mit Rücksicht auf Aristoteles: Auch die Wahr nehmung soll e r k e n n e n , daß sie wahrnimmt, und so schon beginnen, auf sich zurückzukommen. Der vollständige Rück gang in sich n u r bleibt im Sinn des Liber de Causis der Vernunft vorbehalten, das heißt, daß n u r sie das Wesen ihres Aktes und ihr eigenes Wesen e r k e n n t . 3 De a n . V 2, van Riet S.93, Z.60 - S.94, Z.67 (Rahman S.216f), v g l . das oben (S.108) erwähnte Argument aus dem platonischen Phaidros.
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Im Hinblick auf Thomas' Ansatz zu einer Theorie des Selbstbe wußtseins ist noch ein a n d e r e r , im Mittelalter allerdings u n ü b e r s e t z t gebliebener Text zu erwähnen, der den Vorschlag, das Ich könnte seiner selbst vermittelst einer von ihm vollzo genen Tat gewiß werden, mit dem Argument zurückweist, das Bewußtsein einer Tat ü b e r h a u p t lasse n u r den Schluß auf einen Tätigen ü b e r h a u p t , nicht auf einen besonderen wie das eigene Selbst zu. Durch das Bewußtsein einer eigenen Handlung aber werde das jeweilige Selbst nicht seiner allererst gewißt, sondern dies Bewußtsein von sich gehe schon in den Begriff d e r 'eige nen Handlung' ein, sofern sie als eigene Handlung angesehen werde, so daß das Selbstbewußtsein mit der Tat zugleich, aber nicht erst durch sie s e i . [ l ] Einen Zusammenhang dieser hier nur knapp resümierbaren Theorie des vernünftigen Selbstbewußtseins mit der Auffassung der Prinzipienerkenntnis als Wiedererinnerung macht Avicenna selbst ersichtlich. Zwar nimmt er wie Thomas auch die aristo telische Erklärung der Erkenntnis e r s t e r Prämissen vom Schluß der Analytiken auf und bezeichnet die Kenntnis von Einzel dingen, die n u r die sinnlichen Vermögen vermitteln können, als eine Bedingung dafür, daß das vernünftige Bewußtsein einer seits Prinzipien der Gegenstandsbestimmungen und andererseits an ihnen selbst klare affirmative oder negative Verbindungen solcher Bestimmungen, also erste Prämissen für Beweise ge winnt. [2] Anders als Thomas schätzt aber Avicenna diesen Rekurs auf Wahrnehmung und Induktion so ein, daß das Be wußtsein den Körper - d . h . die Wahrnehmungsorgane - zu Hilfe nimmt, um sich erste Bestimmungen und Prämissen anzueignen, dann aber in sich selbst z u r ü c k g e h t , wie es wörtlich h e i ß t . [ 3 ] Auch in dem weiteren Text realisiert Avicenna den Momentcha r a k t e r der Wahrnehmung so, daß er sie als ein Extrem der intellektuellen Entwicklung des Bewußtseins darstellt, von dem sie zwar ausgehen muß, das sich aber im weiteren Verlauf, wenn die Vernunfttätigkeit schrittweise von sinnlichen Vorstel lungen unabhängig werden k a n n , tendenziell als hinderlich erweist. Was auch das Bild von der Rückkehr zu sich selbst anzeigt, wird so bekräftigt, daß nämlich das vernünftige Be wußtsein sich selbst in Wahrnehmungen und assoziativen Vor stellungen äußerlich werden muß, um in begrifflicher Erkenntnis ihr logisches Wesen tätig verwirklichen zu können. Avicenna erklärt diese einer Vernunfttheorie, 1
zirkuläre bestätigt
Bewegung nicht im Rahmen aber durch komplementäre
Kitab al-isarat wa'l-tanbihat, Teil 2, S.313-316, ü b e r s e t z t von Goichon, Ibn Sina. Le livre des directives et remarques, S.309 2 De a n . V 3, van Riet S.102, Z.O - S.105, Z.39 (Rahman S.221ff) 3 Ebenda, van Riet S.104 (Rahman S.222); v g l . bei Thomas I 84, 4 u . 7
279 Bemerkungen über die Erkenntnisweise der Prinzipien, wie sie sich aus deren apriorischer Funktion für Denken ü b e r h a u p t e r g i b t , die hier schon geäußerte Annahme, daß die von Aristo teles eingeleitete Auseinandersetzung mit der reflexiven Wissens theorie Platons ihre jeweilige Richtung durch die Deutung des Status der Definitionen und Prinzipien bekommt, an sich oder schlechthin bekannter zu sein. Man findet nämlich bei Avicenna in der Sache die gleiche Charakteristik für die Reflexion auf die Existenz eines unkörperlichen Bewußtseins, der Seele, und für die ausdrückliche Thematisierung von Transzendentalien und ersten Prämissen, eine Charakteristik, die den Sinn von schlechthin bekannter Sein' auslegt, ohne den aristotelischen Terminus zu zitieren. Seine Argumentation für die Unabhän gigkeit des selbstbewußten Ich von sinnlichen Eindrücken v e r s t e h t Avicenna selbst einleitend als ein Aufmerksammachen und E r i n n e r n . [ 1 ] Die faktische, aber nicht eigens h e r v o r g e hobene Nähe dieser Einschätzung der philosophischen Reflexion auf das Ich zur platonischen Anamnesistheorie wird noch d e u t licher in einem anderen Text e r k e n n b a r , der von einer Beur teilung der Frage a u s g e h t , ob das Ich existiert und etwas anderes als ein Körper i s t . [ 2 ] Wer so fragt, so heißt es da, ist nicht gänzlich unwissend über den Gegenstand der F r a g e , sondern hat ihn n u r vernachlässigt. Oft sei das Wissen von etwas n a h e , werde aber vernachlässigt und dadurch fast zu etwas Unbekanntem und dann von einem entfernteren Ort aus gesucht. Zuweilen verhalte es sich mit dem naheliegenden Wis sen wie mit dem Aufmerksammachen - auf etwas im Grunde Be kanntes - , und das Bemühen um es sei ebenso leicht wie das Übergehen seiner. Wie Platon mit dem Hinweis auf die Erfah r u n g , daß man Vergessenes als schon gewußt wieder e r i n n e r t , so v e r s u c h t auch Avicenna die implizite Bekanntheit mit dem Wesen des Ich und mit anderem zu umschreiben, indem er sie von gänzlichem Nichtwissen, das die 'faule Vernunft als ein ziges gegen das explizite Wissen disjungiert, abhebt und das Moment des Nichtwissens an ihr auf Vernachlässigung oder Übergehen durch den vorreflexiven Vernunftgebrauch z u r ü c k führt. Die unbestimmte Andeutung, daß auch anderes Wissen in glei cher Weise nahe liege, wird in Avicennas Metaphysik an T r a n szendentalien wie seiendes', 'Sache', notwendiges' und 'Eines' und e r s t e n Prämissen, mit denen allgemeine Prinzipien gemeint sein d ü r f t e n , konkretisiert. [3] Als zusätzlicher aristotelischer Gesichtspunkt geht hier in die Überlegungen ein, daß nicht jeglicher Bestimmung immer wieder eine a n d e r e , aus der sie zu 1 2 3
De a n . I 1, van Riet S.36, Z.44ff (Rahman S.15) De a n . V 7, van Riet S.165, Z.94 - S.167, Z.13 (Rahman S.257) Meta. І 5, van Riet S . 31 , Z.2 - S.33, Z.28; Al-IIahiyyat 1, 5, S.29f
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erklären i s t , vorangehen k a n n , ohne daß es zu einem unendli chen Regreß oder einem zirkulären Verfahren kommt; deshalb muß es Bestimmungen geben, die durch keine bekannteren mehr erklärt werden können. So heißt es einleitend von den T r a n szendentalien, die diese Begrenzungsfunktion ausüben sollen, sie seien dem Bewußtsein in dem Sinn ursprünglich e i n g e p r ä g t , daß zu i h r e r Bewinnung nichts Bekannteres als sie selbst b e nötigt werde. Daß die Transzendentalien, die allen Gegenstän den gemeinsam sind, nicht durch a n d e r e s , sondern vermöge i h r e r selbst gedacht werden, das drückt Avicenna näher so a u s , man könne diese Prinzipien nicht l e h r e n , d . h . wie etwas Unbekanntes bekannt machen, sondern n u r auf sie aufmerksam machen - derselbe Terminus wie im Zusammenhang mit dem Ich begriff - oder sie dem anderen in dem Sinn kommen, einfallen l a s s e n , und zwar durch ein Wort oder eine Kennzeichnung, die oft selber v e r b o r g e n e r , aber aus einem - bestimmten - Grund oder in einer Hinsicht deutlicher sind. Unverkennbar meint Avicenna dasselbe wie die aristotelische Unterscheidung des uns Bekannteren von dem schlechthin Be k a n n t e r e n . Indem er sich aber nicht dieser Terminologie b e dient, sieht er sich - besonders in seiner Abhandlung ü b e r die Seele - veranlaßt zu e r k l ä r e n , wie etwas in höchstem Maß für jedes Bewußtsein deutlich - schlechthin bekannt - und doch ein Gegenstand der Nachforschung sein k a n n , und besonders an der Metaphysikstelle, wie das Bewußtmachen eines solchen an ihm selbst schon Bekannten noch als intellektueller Prozeß von etwas anderem zu der zu gewinnenden Bestimmung oder P r ä misse gedacht werden k a n n . So v e r s u c h t er mit 'E r i n n e r n ' , 'ufmerksammachen' und 'Einfallenlassen' eine Erkenntnisweise zu charakterisieren, die in dem Zurückkommen auf schon Be k a n n t e s , aber nicht P r ä s e n t e s , die Reflexion als ihr wesent liches Moment erweist. Obwohl Avicenna hier die Prinzipien ausdrücklich als Gründe für das behauptende Aussprechen von Sätzen und die Transzendentalien als Grundlagen des Denkens von einzelnen Bestimmungen auffaßt, nimmt er das doppelte Verhältnis von Prinzip und Prinzipiat - Begründung und Zu rückverweisen - nicht als Hinweis darauf, daß die Reflexion auf das schlechthin Bekanntere notwendig werden könnte, weil es zunächst durch das von ihm Begründete für das Bewußtsein verdeckt i s t . Ebensowenig kommt es anhand der Prinzipien funktion der Transzendentalien und ersten Prämissen zu einer Verbindung mit d e r Konzeption einer Prinzipiengewinnung d u r c h Wahrnehmung und Induktion, obwohl auch diese Erkenntnisweise als ein Reflexionsprozeß beschrieben wird. Avicenna hat die Wahrnehmung nicht ausdrücklich in die Funktion des an sich weniger Bekannten eingesetzt, das dennoch aufgrund einer rela tiven Bekanntheit auf seine schlechthin bekannteren Prinzipien verweist. Einen Grund für das Fehlen einer solchen Synthese kann man in der a b s t r a k t e n Entgegensetzung zwischen einzelnen Wahrnehmungsgegenständen und allgemeinen Wissensobjekten
281 sehen. So heißt es in Avicennas Bearbeitung der Zweiten Ana lytiken, einem n u r arabisch überlieferten Text, zwar einmal, Wissen werde durch Wahrnehmung nicht deshalb gewonnen, weil sie es herbeiführte, sondern weil die Vernunft die Wahrnehmung als Prinzip der Erfahrung nehme.[1] Dieser Ausblick auf eine Synthese wird aber auch hier nicht weiter entwickelt, weil Wahrnehmung und Vernunft nach den Hinsichten Einzelheit und Allgemeinheit gegeneinander abgegrenzt bleiben, die Bedin gungsfunktion der schlechthin bekannteren Vernunftprinzipien also nicht an den relativ bekannteren Wahrnehmungsobjekten demonstriert wird. Avicenna weist die Unvermittelbarkeit und uneingeschränkte Aseität des Selbstbewußtseins an einer der genannten Stellen nach, um einen Anhaltspunkt dafür zu geben, daß die Vernunft nicht bloß Rezeptivität, sondern auch d u r c h sich selber tätig i s t . [ 2 ] Dagegen geht Thomas' Kommentar zu dem aristotelischen Problem, die Erkennbarkeit beliebiger Vernunftgegenstände und der Vernunft selber auf ein identisches Moment zu g r ü n d e n , von der Vernunft als bloß möglicher Erkenntnis und deshalb als Rezeptivität a u s . [ 3 ] Aus dieser angenommenen reinen Potentialität folgert e r , die Vernunft sei nicht d u r c h ihr Wesen oder d u r c h sich selbst e r k e n n b a r , sondern vermittelst einer empfan genen Vernunftform ihres Gegenstandes (species) erkenne sie diesen und dann auch sich s e l b s t . [4] Zur Begründung führt er einen aristotelischen Text a n , der anhand der Überlegung, daß geometrische Probleme durch Kon s t r u k t i o n , also d u r c h Verwirklichung der im Begriff der Figu ren zu denkenden Momente gelöst und so wahre Bestimmungen der Figuren erkannt werden, das Finden oder den E r k e n n t n i s fortschritt an die Bedingung bindet, daß der Gegenstand in seine entwickelte Wirklichkeit gebracht wird. [5] Thomas wie derholt zwar in seinem Kommentar, daß die nach aristotelischem Verständnis unerläßliche Bedingung einer solchen Verwirkli chung der Sache aus i h r e r noch unbestimmten Möglichkeit die Wirklichkeit der Vernunft i s t , [ 6 ] schließt daraus aber gleich in allgemeiner, vom Kontext nicht mehr bestimmter Form n u r , daß 1 2 3
4 5 6
Al-Burhan 3, 8, S.249f De a n . V 2, van Riet S.92, Z.50 - S.93, Z.59 (Rahman S.216) In 3 An. 1. 9, 724f. Das ist der Vernunftbegriff, den der unmittelbar vorangehende aristotelische Text zur Erläuterung der Passivität der Vernunft g e b r a u c h t , s . An. Γ 4, 429 b 29 - 430 2. S. auch Ver. Χ 8 (2 a) u . cG III 46, 2233; 2 S 23 II 1; І 87, 1 u. Met. θ 9 , 1051 a 21-33 In 9 Met. 1. 10, 1894: "Et huius causa e s t , quia intellectus actus e s t . " ; v g l . bei Aristoteles 1051 a 30f
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jeder Erkenntnisgegenstand wirklich sein müsse. [1] Das ist ein a b s t r a k t e r Grundsatz, der schließlich auch auf das Erkennen selbst anwendbar e r s c h e i n t , so daß nun gerade umgekehrt wie im Text die Vernunft von sich aus für bloß möglich und auf die Form eines Gegenstands angewiesen gehalten wird, die der Ver nunft Wirklichkeit und damit Erkennbarkeit mitteilen k a n n . - In diesen Rahmen ordnet Thomas die aristotelische These von der Identität des Erkennenden mit seinem Gegenstand modifizierend ein: Wie das reine Möglichkeitsmoment in Dingen, die bloße Materie, nicht d u r c h sich s e l b s t , sondern n u r durch eine mit ihm verbundene Form tätig sein k a n n , wie auch das Ding durch dieselbe Form erst wirklich wird und insofern durch sich selbst tätig sein k a n n , so wird der an sich nur mögliche Intellekt d u r c h dieselbe intelligible Form eines Gegenstandes zu dessen wirklichem Erkennen bestimmt und selbst, weil sie in eins auch seine Form i s t , als wirklich ('Ich erkenne') e r k e n n b a r . Ein wichtiges Detail aber wird an verschiedenen Stellen verschieden aufgefaßt: Einmal soll es ein und dieselbe intellektuelle Hand lung sein, durch die man einen beliebigen Gegenstand und dieses Erkennen selber e r k e n n t , [2] wie es auch der Annahme einer identischen bestimmenden Form beider Erkenntnisse e n t s p r i c h t , andere Stellen dagegen achten auf das schrittweise Fortgehen der Reflexion und sprechen von zwei verschiedenen, deshalb auch zeitlich nacheinander geordneten Bewußtseins akten.[3] Mit Avicenna kann man nun fragen, aufgrund wovon denn das Bewußtsein von der einen Gegenstand vorstellenden intellektuel len Handlung diese Handlung jeweils als seine in Anspruch nimmt. Mit d e r Grundlegung auch der Selbsterkenntnis in d e r intelligiblen Form des Gegenstands verschärft Thomas das P r o blem noch: Wie soll ich d a s , was da ein Objekt X e r k e n n t , als mit mir identisch wissen, wenn jenes Erkennende ganz durch die Form von X bestimmt i s t ? [ 4 ] 1
"Et ideo ea quae intelliguntur, oportet esse actu", In 9 Met. 1. 10, 1894. Daß mit der Konstruktion geometrischer Figuren die Wirklichkeit der Sache sinnfällig auf eine Aktivität des vernünftigen Bewußtseins zurückgeführt wird, das heißt für Thomas n u r , die Konsequenz jenes Grundsatzes, daß n u r Mögliches - hier der bloße Begriff der Figur - erst vermit telst seiner Verwirklichung erkannt wird, auf den Sonderfall anzuwenden, daß man zuweilen die Sache schaffen kann ("facientes aliquid actu c o g n o s c u n t " ). 2 1 S 1 II 1 ad 2 3 I 87, 3 ad 2; In T r i n . I 3, Decker S. 7 1 , Z.15ff 4 Daß die Gegenstandsformen nicht bloß als voneinander v e r schiedene erkannt werden, sondern alle auch von derselben Form der Vernünftigkeit sind, bedeutet Aristoteles' berühmte Formulierung, die Vernunft sei die Form der Formen, An. Γ 8 ,
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Die These, daß das Bewußtsein zuerst einen beliebigen Gegen stand erkennt und dann diese Erkenntnis als seine und daß es damit allererst Bewußtsein seiner selbst wird, führt erneut auf die Konsequenz, die in dem von Aristoteles referierten Einwand gegen den negativen Vernunftbegriff des Anaxagoras impliziert i s t , daß nämlich die Vernunft, wenn sie sich selbst wie anderes e r k e n n t , auch von sich wie von anderem frei sein muß. Denn wie die Vernunft, aristotelisch gesagt, sich zu allen ihren Ge genständen als bloße Möglichkeit, sie zu erkennen, v e r h ä l t , muß sie auch auf die bloße Möglichkeit, 'ich denke' zu d e n k e n , eingeschränkt werden, wenn dieser Gedanke erst auf eine der Vernunft an ihr selbst n u r mögliche Gegenstandserkenntnis fol gen soll. Und diese Konsequenz lehnt Thomas ohne weitere Er klärungen mit den Worten a b , der Intellekt, der dann e r k e n n t , wenn er mit Bezug auf eben die besonderen Objekte wirklich wird, zu denen er sich zuvor als Möglichkeit verhielt, sei mit Bezug auf sich in keiner Weise im Status der Möglichkeit ge wesen.[1] Beachtet man, daß im Rahmen der Potenz-Akt-Kon zeption des Erkenntnisprozesses Andersheit oder Differenz g e genüber der jeweiligen Erkenntnis - solange der zusätzliche Begriff erworbenen und verfügbaren Wissens nicht ins Spiel kommt - n u r d u r c h Potentialität ausgedrückt werden k a n n , dann nimmt diese eher beiläufig erscheinende Bemerkung die Priorität der Verschiedenheit - vor der Identität - eines n u r denkbaren Ich gegenüber dem gerade ein Objekt denkenden oder gar nichts denkenden Ich wieder zurück. Man könnte meinen, auf diese Weise sei die Einsicht a u s g e d r ü c k t , daß von Ich oder von Vernunft n u r geredet werden k a n n , sofern sie sich u r s p r ü n g lich weiß. So weit will Thomas aber nicht gehen, käme es doch einer voll ständigen Revision seiner These von d e r Priorität der Objekt erkenntnis gleich. Vielmehr stellt er neben diese These in einer ausführlicheren Erörterung eine Art Ersatzlösung für das Pro blem, wie eine intellektuelle Handlung als je meine erkannt wer den k a n n , ohne daß ich meiner zuvor schon als erkennend b e wußt b i n . Die Ersatzlösung besteht in einem Rückgriff auf den Begriff v e r f ü g b a r e n , wenn auch nicht ständig vollzogenen Wis432 a Iff. Thomas v e r s t e h t das aber nicht als einen Hinweis darauf, daß die Verwirklichung und damit Erkennbarkeit des Subjekts nicht auf n u r verschiedenen, partikulären Formen seiner Objekte beruhen können. Statt die bestimmende Funk tion der allgemeinen Vernunftform, die sich aus der aristote lischen Bemerkung e r g i b t , für die Begriffe von Objekt und selbstbewußtem Subjekt zur Geltung zu b r i n g e n , sieht er hier n u r die universale Rezeptivität der menschlichen Ver nunft a u s g e d r ü c k t , In 3 An. 1. 13, 790. 1 In 3 An. 1. 8, 704
284 sens (cognitio habitualis); dies soll die Weise sein, in der das Bewußtsein ein unmittelbares Wissen durch sich selbst (per e s sentiani suam se videt) von sich h a t . [ l ] Wie solches erworbene Wissen aufgrund seiner Gegenwärtigkeit jeweils wieder bewußt werden könne, könne auch das Bewußtsein zum Akt der Selbst erkenntnis ü b e r g e h e n , weil sein Wesen, weil es selbst sich g e genwärtig sei. Der Unterschied liegt jedoch im Text selbst auf der Hand: Während die Vernunft, so Aristoteles, nichts weiter als i h r e r selbst bedarf, um schon gewonnene Erkenntnisse neu zu vollziehen, bleibt es dabei, daß das Bewußtsein selber wirk lich n u r aufgrund einer gegenstandsbezogenen intellektuellen Handlung erkannt werden könne. Es ist sich also selber in einem andern Sinn gegenwärtig, als ihm beliebige schon einmal vollzogene Erkenntnisse gegenwärtig sind, sozusagen in gerin gerem Maße, da e s , um zu sich selbst zu kommen, noch einen zusätzlichen Anhaltspunkt b r a u c h t , den es bei der Erinnerung seiner Sachkenntnisse entbehren k a n n . Unter der Bedingung der Ausgangsthese von d e r Priorität d e r Gegenstandserkenntnis kann also das erworbene Wissen kein Modell für die Gewißheit des Selbstbewußtseins h e r g e b e n . Aber auch abgesehen von dieser Vorbedingung, bleibt der Begriff erworbenen und verfügbaren Wissens ganz mit d e r Konzeption des Erkenntnisfortschritts v e r b u n d e n , nach der die Vernunft zur Erfüllung i h r e r reinen Möglichkeit auf anderes als sie selbst angewiesen i s t , und verweist damit auf ein Erwerben, das als unmittelbare Voraussetzung des Bewußtseins 'Ich denke' gerade nicht angenommen werden k a n n . Obwohl über gewonnene Kennt nisse verfügen heißt, auf sich als Erkenntnissubjekt zurückzu kommen, können mit diesem Begriff die theoretischen Möglich keiten der Anamnesistheorie nicht ersetzt werden, für die das Sich-zu-sich-Verhalten und Insichzurückgehen des Bewußtseins Grundbegriffe und nicht Resultate anderer Bewußtseinsprozesse sind. Anders als Avicenna nutzt Thomas unbeantwortete Fragen oder gar erkennbare Inanspruchnahmen einer reflexiven Ver nunfttheorie in der aristotelischen Philosophie nicht, um wenig stens mit Bezug auf Prinzipieneinsicht und Selbstbewußtsein den wesentlichen Gedanken der Anamnesistheorie zu e r n e u e r n , daß Erkenntnisfortschritt Erinnerung von übersehenem, implizitem Wissen, also Rückgang der Vernunft in sich selbst i s t . [ 2 ] 1 2
Ver. X 8 ( 1 ) ; v g l . 1 S 3 IV 5 u . I 93, 7 ad 4 Wesentliche Reflexivitat d e r Vernunft setzt Aristoteles nicht n u r mit der Unterscheidung 'Für uns - an sich Bekannteres' v o r a u s , sondern auch an einer Stelle der Nikomachischen Ethik (I 9, 1170 a 13 - b 10). Um zu zeigen, wie das Leben als etwas an sich Gutes auch für den rechtschaffenen Men schen gut und Gegenstand seines Willens i s t , v e r s t e h t er vernünftig Leben als Bewußtsein - wahrnehmendes oder
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h) Piatonismus als deus ex machina: Thomas' Begriff der tätigen Vernunft Mit Bezug auf zwei Theoreme, die auch oft in Zusammenhang gebracht werden, erweckt Thomas zuweilen den Eindruck, von der konsequenten Verfolgung der Konzeption abzugehen, die die Vernunft als reine Negativität, als leere Möglichkeit i h r e r d e s halb n u r in einem linearen Prozeß zu gewinnenden Gegenstände v e r s t e h t . Das eine ist die Begründung allen Wissens in Prinzi pien, von denen es einmal h e i ß t , [ 1 ] im Sinn des Bildes von der tabula rasa habe die menschliche Erkenntnis ursprünglich kein erkennendes - der menschlichen Lebensmodi, insbesondere von Wahrnehmen und Erkennen selbst. Angenehm und ( d e s halb auch) gewollt ist das Leben n u r d a d u r c h , daß jeder sich seines Lebens, und zwar als etwas Guten bewußt i s t , o d e r , um es deutlicher zu sagen, an sich angenehm und (damit) den Willen zum Leben bestimmend ist die Wahrneh mung, die ein jeder von sich als Lebendem hat (117o b 1-10; v g l . An. Γ 2, 425 b 12-20); im Hinblick auf die generell das Begehren bestimmende Funktion des Guten definiert Aristote les das Angenehme ausdrücklich als erscheinendes Gutes, also als Gutes für das Bewußtsein, s . Motu an. A 6, 700 b 24-29; v g l . Phy. 3, 195 a 23-26; Pol. A 1, 1252 a 2f. Thomas' Kommentar (1. 11, 1908f) gibt die bewußtseinstheore tische Pointe der Stelle zweimal wieder ("Quod autem aliquis sentiat se vivere est de numero eorum, quae sunt secundum se delectabilia", 1908, und mit der Zusammenfassung in 1909: "Dictum est autem . . " ) , v e r k e h r t das Begründungsverhältnis aber in einem dritten Passus ("Et sic patet quod cum vivere sit eligibile . . quod etiam percipere se sentire et intelligere est eis delectabile", 1908, bei Aristoteles 1170 b 3ff). Ari stoteles will auch hier sagen, daß das Leben am meisten von den Guten gewollt wird, weil das Dasein für sie etwas Gutes und Angenehmes i s t , "denn im Selbstgefühl des an sich Gu ten erfreuen sie sich". Von Selbstgefühl ( συναισθανoμενοι ) zu s p r e c h e n , erlauben die vorangehende Z.2f und die Zu sammenfassung in Z.8f, die beide das Angenehme, den Willen Bestimmende darin sehen, daß man das Gute in sich oder sich als guten wahrnimmt. Thomas dagegen führt - zeitlich allerdings vor der Abfassung der Aristoteleskommentare - die Ethikstelle als Beleg für die Priorität objektbezogener Be wußtseinsakte vor dem wirklich vollzogenen Selbstbewußtsein an (Ver. X 8, 1 a). Weil Sicherkennen auch nach Aristoteles heiße zu e r k e n n e n , daß man erkennt oder wahrnimmt, sol ches letztere Erkennen oder Wahrnehmen aber immer auf etwas gehe, beziehe sich die Selbsterkenntnis auf vorgängige Gegenstandserkenntnis. 1 Ver. XVIII 7 ( 2)
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Wissen außer dem, was unmittelbar - wie die allgemeinen P r i n zipien - durch das Licht des tätigen Intellekts erkannt wird; positiv werden die Wissensprinzipien "von Natur aus bekannt" genannt (naturaliter nota) und als vielheitliches Abbild der einen absoluten Wahrheit v e r s t a n d e n . [ 1 ] Wie schon diese letzte Formulierung dem Neuplatonismus überhaupt und nach Thomas' Verständnis insbesondere dem platonisch beeinflußten Augu stinus entgegenkommt, [2] wird mit dem anderen bekannten Theorem, dem vom tätigen Intellekt, der Piatonismus wie ein deux ex machina wieder bemüht, damit der Anspruch des Wis sens auf allgemeine Wahrheit in der Theorie eingeholt werden k a n n , die zunächst die konstitutive Rolle der stets partikulären Wahrnehmung für den Erkenntnisfortschritt gegen Platon betont hat. Thomas geht sogar so weit zu sagen, die Meinung, wir hätten schon im voraus Kenntnis von dem, was wir l e r n e n , sei insofern wahr, als wir d u r c h das Licht der tätigen Vernunft unmittelbar allgemeine Begriffe und Prinzipien e r k e n n t e n , in denen alles Wissen, das immer durch sie beurteilbar i s t , u r sprünglich antizipiert w e r d e . [ 3 ] Die machina, d . h . das Denkmittel, für diesen Versuch eines Brückenschlags zwischen den Theorien brauchte n u r von Ari stoteles übernommen zu werden: Jedem Vermögen reiner Mög lichkeit, sich zu etwas bestimmen zu lassen, entspricht ein aktiv bestimmendes Vermögen in demselben Genus. [4] Daß insbesondere die Bestimmung d e r Vernunft n u r durch ein Ver mögen sui generis gedacht werden k a n n , können Avicenna und Thomas ergänzend klarmachen, weil für sie Singularität d e r Wahrnehmungsgegenstände und Allgemeinheit der Vernunftob jekte reinlich geschieden sind. [5] Aber auch inhaltlich e r r e i chen die durch Wahrnehmung gewinnbaren Gegenstandsbestim mungen nicht die Eindeutigkeit in der Abgrenzung einer Art, die ein Wesensbegriff leisten soll. Deshalb stellt Thomas zu weilen einfach g e g e n ü b e r , wahrnehmbar und deshalb auch von der Einbildungskraft vorstellbar seien n u r die Akzidenzen eines Gegenstandes, allein die Vernunft erkenne seine Wesensbestim mung. [6] Allerdings sieht er an anderen Stellen Möglichkeiten, von solchen Akzidenzen auf Wesensbestimmungen oder spezifi1 2 3 4 5 6
Quodl. X 4, 1 u . ad 2; Ver. VIII 7 ad 3; Ver. X ad 6; Ver. XI І 84, 5; v g l . zur Beurteilung der Differenz zwischen aristo telischer und augustinischer Wahrheitstheorie Spir c r e a t . 10 ad 8, Keeler S.131ff Ver. X 6, v g l . oben S.241 An.Γ 5, 430 a 10-15; auch die Lichtmetapher für die intel lektuelle Aktivität kann auf diesen Text zurückgeführt wer den. S. z . B . S p i r . c r e a t . 10 ad 17, Keeler S.135 Quodl. VIII 2, 2; cG IV 1 1 , 3475; І 67,
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sche Kräfte des Gegenstandes zurückzuschließen. [ 1] Ein Ver gleich der Texte, die oben ( s . S.192f u . S.269 Anm.3) u n t e r verschiedenen Fragestellungen herangezogen wurden, ergibt folgendes: Thomas sagt von der Erkenntnis der besonderen We sensbestimmungen sowohl, daß sie diskursiv aus den e r f a h r baren Eigenschaften erforscht werden, wie auch, sie seien n u r im Licht der tätigen Vernunft zu erfassen, ohne daß er beides zu einer Konzeption zu verknüpfen s u c h t e . Keinen Zweifel aber läßt er an seiner Überzeugung aufkommen, daß jeder Erkennt nisprozeß, aus dem Wissen resultieren soll, von den allgemeinen Prinzipien ausgehen und sich an ihnen kontrollieren muß. Und das heißt, Allgemeinheit und Notwendigkeit alles Gewußten b e ruhen auf ursprünglichen Einsichten, die allein die tätige Ver nunft eröffnet. Die Theorie vom tätigen Intellekt ist insofern ein Piatonismus als deus ex machina in Thomas' Philosophie, als sie wohl die theo retische Funktion erfüllt, die wegen der Unzulänglichkeit einer auf Wahrnehmung reduzierten Erfahrung für die Wissensbildung notwendig wird, also da Abhilfe schafft, wo die Auffassung vom Wissensfortschritt durch linearen Informationszuwachs am Ende i s t , aber doch keine diesem Resultat entsprechende Neuorien tierung des Erkenntnisbegriffs überhaupt im Sinn der Anamnesistheorie auslöst. Wenn Thomas an der schon genannten Stelle die Anamnesistheorie darin für verwirklicht hält, daß in den Wissenprinzipien, die unmittelbar vermittelst der tätigen Ver nunft erkannt würden, alles entfaltete Wissen u r s p r ü n g l i c h schon enthalten sein soll, dann legt er den aristotelischen Anamnesisbegriff z u g r u n d e , der die Erneuerung bereits explizit gewonnener allgemeiner Erkenntnisse bei i h r e r jeweils besonde ren Anwendung meint. Die Prinzipien sollen, wie es dem siche ren Gang einer Wissenschaft e n t s p r i c h t , den anfänglichen Ge genstand des Erkennens bilden, an dem sich die nachfolgende Entwicklung inhaltlichen Wissens orientieren k a n n . [2] Thomas folgt Aristoteles auch in der Ablehnung eines "angebo renen Wissens", [3] d . h . auf die - zweifellos 'angeborene' - t ä tige Vernunft bezogen, im Fernhalten aller Erkenntnisinhalte von i h r . Obwohl e r , wie gesagt, die inhaltliche Differenz der 1
In 2 An.post. 1. 13, 533; Ver. X 1; 3 S 35 II 2, 1; In 1 An. 1. 1, 15 2 Avicenna exponiert sogar - mindestens als theoretisches Schema, nicht unbedingt als Entwicklungsstadium d e r Ver nunft - eine besondere Stufe des Intellekts, auf der er nicht mehr reine Möglichkeit, aber auch noch nicht Wissen bestimm t e r Objekte (intelligibllia secunda) i s t , sondern Wissen a u s schließlich der Prinzipien (intelligibilia prima per se n o t a ) , s . De a n . I 5, van Riet S.95, Z.23 - S.97, Z.55 (Rahman S.49). 3 Met. A 9, 992 b 33ff
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Verstandesbegriffe von der sinnlichen Erfahrung nicht selten deutlicher als Aristoteles v e r m e r k t , faßt er den aktiven Beitrag der Vernunft zu jenen Begriffen rein formal. Zwar soll das Licht, in dem die Vernunft alle Erfahrung erscheinen l ä ß t , ganz platonisch seinen Grund in dem absoluten Inbegriff aller inhalt lichen Wahrheiten h a b e n , [ 1 ] den menschlichen Erkenntnisprozeß leitet es aber als Derivat u n t e r Abstraktion von seiner inhalt lichen Entfaltung. So verdankt sich alle inhaltliche Bestimmtheit und Unterschiedenheit d e r Prinzipien gegeneinander - entsprechend auch d e r Wesensbegriffe - den Wahrnehmungen und den aus ihnen g e bildeten Vorstellungen (phantasmata), die tätige Vernunft läßt die letzteren n u r u n t e r der Form oder Bedingung der Vernünf tigkeit, also etwa Allgemeinheit und Notwendigkeit, erscheinen - was u n t e r einem anderen Aspekt Abstraktion heißt - und macht damit ein dieser Form entsprechendes Abbild d e r Sache rezipierbar für die als Möglichkeit charakterisierte Vernunft. [2] Auf die Frage, wie d e r a r t heterogene Faktoren, die Form der Vernünftigkeit ü b e r h a u p t , und die bildlichen Vorstellungen von bestimmten Erfahrungsgegenständen, Erkenntnis und sogar Wis senschaft begründen können, scheint eine Antwort in der Neu einschätzung der je speziellen erkenntnisbestimmenden Form (forma oder species intelligibilis) zu liegen, die Wéber in Tho mas' Spätwerk ab 1270 nachzuweisen s u c h t . [ 3 ] Danach galt in den früheren Werken der tätige Intellekt als hinreichender spezifischer Grund für Vernunfterkenntnis, den späteren zu folge soll mit dem tätigen Intellekt die je besondere e r k e n n t n i s bestimmende Form bei der Erzeugung der Erkenntnisse zusam1 2
I 84, 5 Zur Unterscheidung der Funktionen von Wahrnehmung bzw. Einbildungskraft und tätigem Intellekt im Allgemeinen s . 3 S 24 I 1; In 3 An. 1. 10, 739; Ver. XVIII 8 ad 3; mit Rück sicht auf die Prinzipienerkenntnis s . 2 S 24 II 3; 3 S 23 III 2 ad 1; zum Begriff der Abstraktion s . I 85, 1 ad 3 . Wie ambivalent das Begriffspaar Form-Inhalt für die Frage i s t , ob dem formalen oder dem materialen Erkenntnisprinzip Priorität zukommt, macht Thomas selbst deutlich, s. Ver. XVIII 8 ad 3: Mit Rücksicht auf die Bedingung der Vernünftigkeit für jedes Erkenntnisobjekt hat die Vernunfttätigkeit Vorrang, hinsichtlich der inhaltlichen Abhängigkeit der Erkenntnis von ihren raum zeitlichen Gegenständen sind Wahrnehmungen und Vorstellungen aber höher als die rezipierende Vernunft einzuordnen, v g l . Ver. I 10 u . ad 5, ad 3 in c o n t r a . 3 E . - H . Weber, Dialogue et dissensions e n t r e S. Bonaventure et S. Thomas d'Aquin à Paris (1252-1273); d e r s . , Les d i s cussions de 1270 à l'université de Paris et leur influence s u r la pensée philosophique de S. Thomas d'Aquin.
289 menwirken, und zwar in einer ihm übergeordneten Begrün dungsfunktion. [ 1] In dieser Funktion der vielen bestimmten Vernunftformen sieht Weber Thomas' Gegenstück, inspiriert von Dionysius Pseudo-Areopagita, zu Augustins und Bonaventuras Theorie, menschliches Wissen b e r u h e auf einer unmittelbaren, inhaltlich differenzierten Erleuchtung d e r Vernunft durch die absolute Wahrheit: Wohl ist eine solche inhaltliche Orientierung der menschlichen Erkenntnis zuzugestehen, sie teilt sich i h r aber nicht unmittelbar mit, sondern nur durch die Vermittlung der wahrnehmbaren Realität, in der als Schöpfung sich die göttliche Weisheit entfaltet darstellt und auf deren Inhalte der menschliche Erkenntnisfortschritt angewiesen i s t , weil es kein angeborenes Wissen gibt. Träger der so verstandenen Erleuch t u n g sind die besonderen erkenntnisbestimmenden Formen, die für die menschliche Vernunft n u r in den Sinnendingen enthalten und deshalb in der sinnlich gewonnenen Erfahrung faßbar sind. [2] So könnte man meinen, die neue Konzeption der Ver nunftformen ü b e r b r ü c k e gleichsam die Kluft zwischen den n u r sinnlich gegebenen Inhalten und der rein formalen Vernunft aktivität, indem sie aus dem Absoluten b e g r ü n d e t e Vernunftin halte einführt, die nicht unabhängig von der Erfahrung oder bloß anläßlich i h r e r , sondern allein in ihr gewonnen werden. Gerade damit k e h r t aber das grundlegende Problem einer gegen Platon gewendeten Erkenntnistheorie wieder, die Frage nämlich, wie denn aus partikulären Erfahrungen allgemein verbindliches Wissen hervorgehen soll, hier genauer, wie mit den sinnlichen Vorstellungen von einem Gegenstand auch seine Vernunftform, nach der er erschaffen i s t , dem Erkennenden vermittelt werden soll. Auch für den späten Thomas steht fest, daß die Wesens formen, die die raumzeitlichen Dinge bestimmen, d u r c h ihre Funktion für ein materielles Substrat vereinzelt und nicht mehr allgemein, d . h . intelligibel s i n d . [ 3 ] Und gleichermaßen wieder holt er in den letzten Büchern der Summa theologiae seine Ab grenzung der Vernunft von d e r Sinnlichkeit: Diese erreicht n u r äußere Beschaffenheit der Dinge, nicht ihr Wesen, das allein der Intellekt erkennen k a n n . [4] Also kann die spezielle Ver nunftform eines Gegenstands weder von den objektiven noch von den subjektiven Bedingungen her einfach dem Erkennenden gegeben sein wie die Sinnesqualitäten. Weber, der dieses e r kenntniskritische Problem nicht eigens h e r v o r h e b t , nennt ganz klar die Lösung, die auch der späte Thomas für es anbietet: Der - formal - tätige Intellekt macht aus den sinnlichen Vor stellungen bestimmte allgemeine Vernunftformen. [5] Was hat sich 1
Les discussions de 1270 . . . , S.293ff, S.308; Dialogue dissensions . . . , S.405, S.453 Anm.61 2 Dialogue et dissensions . . . , S.392, S.408 3 In Caus. p r o p . 4, Saffrey S.33, Z.20-29, S.34, Z.5ff 4 II-II 8, 1; III 76, 7 5 Dialogue et dissensions , S.410f, S.418f
et
290 dann in der Konzeption geändert? Für Wèber bedeutet Thomas' Einführung eines eigenen Begriffs von Erleuchtung, daß die extramentale Welt als Schöpfung die vorrangige B e g r ü n d u n g s funktion für Erkenntnis gegenüber der subjektiven Vernunft aktivität e r h ä l t . [ 1 ] Soweit ich sehe, gehen die Texte nicht weiter, als neben die Erleuchtung durch das aktive Erkenntnisvermögen des Subjekts eine aus dem Absoluten begründete Orientierung durch die b e sonderen Vernunftformen (formae intelligibiles) zu stellen, die uns n u r ü b e r die Sinnendinge vermittelt werden; zugleich heißt es aber unmißverständlich, diese Sinnendinge seien an sich bloß wahrnehmbar, nicht zur Wißbarkeit entwickelt - also dazu auf den aktiven Intellekt angewiesen. [ 2] Wéber stellt nicht klar die F r a g e , was es b e d e u t e t , wenn die besonderen Vernunftformen als Erkenntnisgründe neben derselben allgemeinen Vernunft tätigkeit auftreten, die zugleich als ihre notwendige Bedingung gedacht werden muß. Einen expliziten Hinweis gibt Thomas wie derum in einem Spätwerk, indem e r die Funktionen von intelligiblem Licht, das die tätige Vernunft leitet, und besonderen Vernunftformen unterscheidet: Vermittelst dieser vollzieht sich das bloße Erfassen d e r Dinge (apprehensio) , mit Hilfe von jenem urteilt man ü b e r die erkannten Dinge.[3] Wie diese Dif ferenzierung nicht ausschließt, sondern v o r a u s s e t z t , daß die speziellen Vernunftformen auch dem Urteilen zugrunde lie g e n , [4] stellt sie auch nicht die Bedingtheit des sogenannten einfachen Erfassens d u r c h die aktive Vernunft in F r a g e , sofern nämlich in ihrem Licht die Vernunft formen, u n t e r denen sich das Erfassen vollzieht, aus den sinnlichen Vorstellungen a b s t r a hiert werden. Wenn auch an anderen Stellen das Nebeneinander von Vernunft formen und Licht d e r Vernunfttätigkeit nicht d e r a r t e r k l ä r t wird, so kann man doch an dem genannten Text gut e r k e n n e n , daß Thomas nicht unbedingt bei jeder Gelegenheit den komple xen Zusammenhang des Problems vollständig zu entwickeln v e r s u c h t , und annehmen, daß die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingtheit der Vernunftformen durch die intel lektuelle Aktivität grundsätzlich mitzudenken i s t , sobald von den Erkenntnisgründen gehandelt wird, - ganz abgesehen von der Funktion dieser beiden Momente für das diskursive Denken in Urteil und Schluß. Verhält es sich aber s o , weil auch d e r späte Thomas - wie gegenüber Wéber zu betonen ist - die s u b jektiven wie objektiven Rahmenbedingungen von Erkenntnis nicht neu gefaßt h a t , dann enthält die gegen Bonaventura g e 1 2 3 4
Les discussions de 1270 . . . , S.311f; Dialogue et dissensions . . . , S.388ff I 105, 3 u . ad 2; I 84, 4 ad 1 u . ad 2 Malo XVI 12, von Wéber nicht berücksichtigt S p i r . c r e a t . 9 ad 6, Keeler S.113, Ζ.1-13
291 wendete These von der mittelbaren Erleuchtung der menschli chen Vernunft durch die wahrnehmbare Schöpfung keine Er weiterung des philosophischen Begriffs von Erkenntnis, sondern hebt an diesem Begriff n u r h e r v o r , daß er den Anspruch der Erkenntnis auf absolute Geltung auch von der Objektseite her sichert; was für Thomas von vornherein mit der aristotelischen Annahme von Wesensformen der Naturdinge gemeint w a r . [ l ] Dabei bleibt aber gerade so wie in früher verfaßten Texten u n k l a r , wie Thomas das reflektierende Aufdecken von bestimmten, schon in der Erfahrung beanspruchten Prinzipien - die Anam nesis also - durch ein Element absoluter Wahrheit in der Er k e n n t n i s , das aber eine bloße Form intellektueller Tätigkeit i s t , hinreichend ersetzen will. Denn für Platon war das erfahrende und beurteilende Bewußtsein selbst die Einheit sinnlicher, zufälliger Daten und der angewandten Vernunftprinzipien. Für Thomas aber hängt die reine Vernunftform n u r über den abso luten Inbegriff aller Vernunftinhalte und deren Vereinzelung in der Gegenstandswelt, also ü b e r äußere Instanzen ganz indirekt mit den Sinnesdaten zusammen, die in ihrem - der Vernunft form - Licht zu Wissensinhalten entwickelt werden sollen. i) Integration der Prinzipienerkenntnis in das Schema des Erkenntnisfortschritts bei Thomas
Potenz-Akt-
Weil der tätige Beitrag der Vernunft selber nach Thomas rein formal bleibt, wird d u r c h dieses Theorem die Konzeption eines Wissens, das aus dem Status reiner Möglichkeit durch Rezeption stetig fortschreitet, nicht beeinträchtigt. Die allgemeinen, d . h . von jedem vernünftigen Bewußtsein unmittelbar (statim, subito) erkennbaren Prinzipien - also nicht für einzelne Wissenschaften spezifische - werden in dieses Modell des Erkenntnisfortschritts i n t e g r i e r t , indem sie ohne eine Unterscheidung wissenschaftlich oder gar philosophisch reflektierender Erkenntnis von alltäg licher Erfahrung und Praxis schlechthin zuerst einleuchtende Urteile und damit auch zeitlich vor allem konkreten Erkennen bewußte Wissensgrundlagen sein sollen. [2] Ebenso wird auch die Erkenntnis der Prinzipien selbst nach dem gängigen e r kenntnistheoretischen Schema Wahrnehmung - Erfahrung - For m a l i e r u n g zu allgemeinen Bestimmungen - Urteilsbildung auf grund der Bestimmungen, also als Resultat eines Abstraktions vorgangs dargestellt. Daß die Prinzipien als unmittelbare Verhältnisse von Bestimmun gen die Erkenntnis der Termini voraussetzen, glaubt Thomas
1 2
In 3 Caelo 1. 2, 552; v g l . I 85, 1 Ver. XI 1 (D) u . 3; I-II 94, 2; v g l . In Hebd. 1. 1, 16ff
292 von Aristoteles einfach übernehmen zu k ö n n e n . [ 1 ] Was zuerst erkannt wird - im Sinn von Vernunfterkenntnis - , sind deshalb Grundbestimmungen von höchster Allgemeinheit, u n t e r die a priori jeder Gegenstand der Erkenntnis fällt - wie auch d e r Prinzipienbegriff sich vorrangig an dem aristotelischen Begriff des Widerspruchsprinzips orientiert - , und das bedeutet bei Thomas die Bestimmung 'Seiendes', der die anderen Grundbe stimmungen oder Transzendentalien als Eigenschaften des Seien den zugeordnet werden. Die Texte lassen keinen Zweifel daran zu, daß genau für diese Termini das rezeptive Erkenntnismodell gelten soll, nach dem aufgrund von Wahrnehmung, Erinnerung und Erfahrung begriffliche Erkenntnis u n t e r der Bedingung zu stande kommt, daß die Vorstellungen der Erfahrung u n t e r der Form des tätigen Intellekts betrachtet werden. [2] Wie immer man sich eine solche ursprüngliche Erkenntnis von Gegenständen u n t e r d u r c h Abstraktion gewonnenen t r a n s z e n d e n talen Bestimmungen vorstellen mag - Thomas zieht es nicht 1
1 S 3 I 2 z . B . verweist auf A n . p o s t . A 3, 72 b 23ff ( v g l . In 1 An.post. 1. 7, 67), aber Thomas' Interpretation b e r u h t auf einem Übersetzungsfehler. Während der Text s a g t : "Nicht n u r Wissen, sondern auch ein Prinzip für Wissen n e n nen wir dasjenige (Wissen), durch das wir die Termini e r k e n n e n " , liegt Thomas v o r : "Nach u n s e r e r Auffassung gibt es nicht n u r Wissen, sondern auch ein Prinzip des Wissens, insofern wir die Termini e r k e n n e n " . Zum Verhältnis von ein facher Bestimmung und Urteil in der Prinzipienfrage s. In 4 Met. 1. 6, 605; v g l . bei Aristoteles An.p ost. 9, 93 b 21-28. 2 cG II 83, 1678f; In T r i n . I 3 u . ad 3, Decker S.72, Z.6-19, S.73, Z.14-17; In Trin. VI 4, Decker S.227, Z.1-21; In 4 Met. 1. 6, 599. Trotz der klaren Aussage der Texte haben auch thomistische Interpreten hier ein Dilemma, wie Maréchal s a g t , zwischen der Erfahrungsbedingtheit aller Erkenntnis und der spezifischen Funktion der Transzendentalien, Ob jekte ü b e r h a u p t denkbar zu machen, mindestens fürs Erste konstatiert (Maréchal, Le point de départ de la métaphysique V, S.278). Wenn nach Thomas Begriffe grundsätzlich d u r c h Abstraktion von sinnlichen Vorstellungen gewonnen werden, dann denkt er sich auch die Genesis des Gedankens 'Sein' bzw. 'Seiendes' - als entgegengesetzt dem Nichts - nach die sem Schema (Garrigou-Lagrange, Notre premier jugement d'existence . . . , S.299f, v g l . S.297). Wie aber soll d e r Ge d a n k e , d u r c h den sinnliche Vorstellungen ü b e r h a u p t erst zu Vernunftobjekten werden und der deshalb auch die eine Form von Vernunftinhalten ausmacht, selber wie die durch ihn erst ermöglichten besonderen Begriffe aus partikulären Vorstellungen gebildet werden (Breton, L'idée de t r a n s c e n dental . . . , S.60)?
293
grundlos v o r , als Beispiel verschiedentlich die Wahrnehmung des mathematischen, nicht transzendentalen Verhältnisses von Ganzem und Teil zu n e n n e n [ l ] - , bemerkenswert erscheint diese Theorie der Prinzipienerkenntnis vor allem d u r c h zwei Abweichungen von der im letzten Kapitel der Analytiken v o r g e tragenen Konzeption. Einmal denkt Aristoteles sich einen schrittweise zum je Allgemeineren fortgehenden Prozeß der Begriffsbildung, als dessen Abschluß erst die Kategorien und - so wäre zu ergänzen - ein explizites Bewußtsein der v e r gleichbar einfachen und allgemeinen Bestimmungen 'Sein' und 'Einheiť angenommen werden können. [2] Thomas dagegen will die Erkenntnis der transzendentalen Bestimmungen und Prinzi pien gerade umgekehrt der konkreteren Erkenntnis spezifischer Gegenstände vorausgehen lassen. Was ihn der Sache nach jedenfalls dazu veranlaßt, ist leicht aus der zweiten Abweichung zu v e r s t e h e n : Er geht ü b e r h a u p t nicht auf den aristotelischen Induktionsbegriff ein, wie er zur Erläuterung des Vorwissens der Prinzipieneinsicht angeführt und von ihm im Kommentar auch zur Kenntnis genommen wird, also auf die Notwendigkeit, daß das zu induzierende Allgemeine - etwa die Bestimmung 'Mensch' - schon in den einzelnen Wahrnehmungen der s u b s u mierbaren Gegenstände impliziert i s t . Aristoteles erlaubt seine uneingestandene Beanspruchung der Anamnesistheorie, auf eine u r s p r ü n g l i c h e , explizite Erkenntnis aller Gegenstände als Seien der zu verzichten, das explizite Bewußtsein also vom Besonde ren zum Allgemeinen fortgehen zu lassen und doch den Wahr heitsanspruch der philosophischen Reflexion aufrechtzuerhalten, die alle Erfahrung als Erfahrung von Seiendem, von Substanzen 1 2
Zur Einschränkung des G r u n d s a t z e s , daß das Ganze größer als sein Teil i s t , auf das quantitative Verhältnis des Aggre gats zu seinen Elementen s . Met. H , 1045 a 8ff An.post. 19, 100 15 - b 3; v g l . M e t . Γ 2 , 1004 a 4f. Gegen eine stufenweise Entwicklung spricht nicht, daß dies Bewußtsein, das philosophische nämlich, solche t r a n s z e n d e n talen Bestimmungen ihrem logischen Status nach von den Genera unterscheiden muß, insofern für es klar wird, daß sie jedem Gegenstand der Erkenntnis unmittelbar und nicht durch ihre Species vermittelt zukommen. Patzig, Die Entwick lung des Begriffs der Usia . . . , S.31ff, weist besonders auf diesen Unterschied hin, den er mit den husserlschen Termini 'Generalisierung' und 'Formalisierung' kennzeichnet. Der von ihm herangezogene Text Met. Η 6, 1045 a 36 - b 7, b e r ü h r t nicht e r k e n n b a r die F r a g e , ob die transzendentalen Bestim mungen unmittelbar bewußt werden oder als Resultate d e s selben Reflektierens, das zunächst Species und Genera bildet. Erst Thomas' Interesse an systematischer Vervoll ständigung führt zu dieser Frage, deren Beantwortung zugleich auch die Erkenntnisbedingungen der apriorischen Prinzipien darstellen soll.
294 e t c . begreift. Ohne diese Differenzierung des Erkenntnisbe griffs muß Thomas das Seiende ganz einfach das zuerst Erkann te nennen, und zwar als Resultat eines linearen Abstraktions prozesses von Wahrnehmung und E r f a h r u n g , aber nicht von begrifflichen Bestimmungen besonderer Erfahrungsgegenstän d e . [ 1 ] Damit setzt sich die aristotelische Tendenz, E r f a h r u n g s erkenntnisse und Forschungsprozesse von i h r e r Vollendung in einer deduktiven Wissenschaft her zu begreifen, gänzlich d u r c h , allerdings mit der Maßgabe des Schlußkapitels der Analytiken, daß der ursprünglichen E r k e n n t n i s , aus der dann gefolgert werden k a n n , doch ein Bewußtsein, aber ein selber unmittelbares, nicht wieder begrifflich vermitteltes, vorangehen muß. Der logische Progressus der Beweise vom schlechthin Früheren a u s , den Aristoteles als vollkommenes Wissen noch d e r problematisierenden Dialektik und der bloß Faktisches ermitteln den Induktion gegenüberstellt, wird bei Thomas im Zusammen hang mit der Frage nach dem Verstehen der Transzendentalien und nach der Einsicht in die Prinzipien zum einzigen Modell des Erkenntnisfortschritts ü b e r h a u p t . Thomas zitiert sogar mehrfach einen Gedanken des A v e r r o e s , der die ersten Wissensprinzipien in die Theorie vom tätigen Intellekt einbezieht und eine Lösung ermöglicht, die dem skiz zierten Verständnis von Induktion nahekommt. Danach faßt auch Thomas selber die Prinzipien als Werkzeuge oder Mittel d e r tätigen Vernunft auf, die in dieser Funktion die Reichweite der vernünftigen Erkenntnis überhaupt auf das b e g r e n z e n , was aus ihnen geschlossen werden kann; [2] mit diesem Anspruch macht sich der umfassendere Begriff der unmittelbaren e r s t e n Prämis sen geltend, auf deren Grundlage allein wissenschaftliche Be weise geführt werden können. Plausibel könnte es nun e r s c h e i n e n , die Formalität der Vernunfttätigkeit um die Funktion der transzendentalen Bestimmungen und Prinzipien einzuschränken, d . h . die Rede von Mitteln der tätigen Vernunft so zu v e r s t e h e n , daß jede Wahrnehmung und Vorstellung eines vernünftigen Bewußtseins a priori u n t e r den Begriffen und Prinzipien s t e h t , die Bedingung jeder Gegenstandserkenntnis schlechthin s i n d . Das heißt, jegliches würde als Seiendes, Eines, von anderem Verschiedenes und insofern auch gemäß dem Widerspruchsprin zip e t c . mindestens im Hinblick auf seine 'Beleuchtung' oder Formung d u r c h die Vernunft vorgestellt; daraus müßte folgen,
1
2
Anstelle der Induktion, die noch das reflexive Moment der Anamnesistheorie enthält, führt Thomas - deutlich den a r i stotelischen Text ergänzend ( A n . p o s t . 19, 100 a 13f) den tätigen Intellekt als Leitung des Abstraktionsprozesses ein (In 2 An p o s t . 1. 20, 593). 2 S 28 I 5; Ver. X 13; Quodl. X 4, 1 ad 2
295 daß die transzendentalen Bedingungen der Begriffsbildung selber nicht auf diese Weise gebildet sein k ö n n e n . [ 1 ] Genau diese naheliegende Auslegung, in i h r e r Tätigkeit mit Bezug auf die Vorstellungen sei die Vernunft selber Inbegriff und konstitutives Vermögen der Prinzipien, wird von Thomas mit aller Klarheit abgelehnt, bedeutete sie doch, daß dem wahrnehmenden ein Bewußtsein von Prinzipien, und zwar ein sich selbst noch verborgenes vorausginge, also eben d a s , was Aristoteles, ohne in der Ausführung so konsequent wie Thomas zu sein, explizit ausgeschlossen h a t t e . Auf die aristotelische These, daß die ersten Prämissen durch Abstraktion, wie Thomas sagt, von Wahrnehmungen, also nicht ursprünglich in einem Vernunftbegriff vom Gegenstand überhaupt erkannt werden, beruft sich Thomas auch, um zu zeigen, daß die rein formale tätige Vernunft, wie er sie in die aristotelische Theorie der Prinzipienerkenntnis hinein ergänzt h a t , der Einsicht in die Prinzipien vorausgehen muß, also selber kein Prinzipienbewußt sein sein k a n n . [2] Ein solches Bewußtsein faßt er terminolo1
Im Sinn einer solchen auf dem Seinsbegriff basierenden S t r u k t u r i e r u n g der sinnlichen Vorstellungen v e r s t e h e ich die Deutungen der intellectus-agens-Theorie, die Marechal, Le point de départ de la métaphysique I , S.118f, Rahner, Geist in Welt, S.153 u . S.165-168, S.209f, und Oeing-Hanhoff, Wesen und Formen der Abstraktion nach Thomas von Aquin, S.20-23, gegeben haben. Ich kann aus den von Oeing-Han hoff genannten Textstellen allerdings keinen zwingenden Hinweis darauf entnehmen, daß Thomas den intellectus agens tatsächlich als ein Vermögen gedacht h a t , das jeden Gegen stand ursprünglich als ein Seiendes konstituiert und damit der Abstraktion zugänglich macht. - Avicennas oben (S.287 Anm.2) zitierte These von einem potentiellen Intellekt zweiter Stufe, der schon über die Prinzipien, aber noch nicht über die d u r c h sie erkennbaren Erkenntnisgegenstände v e r f ü g t , enthält unbeschadet d e r Differenz aktiver - potentieller Intellekt dieselbe Konsequenz wie der Gedanke, den Thomas von Averroes übernimmt. Dem arabischen Text zufolge sagt Avicenna sogar, die ersten intelligiblen Prämissen würden nicht aufgrund eines Erwerbens für wahr gehalten, s. De a n . 1, 5, Rahman S.49. In der Übersetzung heißt es n u r , diese Urteile würden nicht "von anderswoher" (aliunde) geglaubt, s . De a n . I 5, van Riet S.97, Z.48. Soweit ich sehe, geht Thomas auf diese Version des Prinzipienwissens bei Avicenna ü b e r h a u p t nicht ein. 2 An. 5 (Schluß des c a . ) . An einer anderen Stelle ist das Argument, der Begriff der tätigen Vernunft, alles wirklich erkennbar zu machen, gälte nicht mehr, wenn sie schon von vernünftig Erkanntem - nämlich allgemeinen Begriffen vom Gegenstand - ausginge, s . In 3 An. 1. 10, 729; v g l . cG II 78, 1591.
296
giscn ebenso wie erworbenes und damit verfügbares Wissen von Sachverhalten und Gegenständen, also als habitus principiorum. Um zustande zu kommen, setzt dieser - anders als das habituel le, durch eine vollzogene Gegenstandserkenntnis aktualisierbare Selbstbewußtsein - seinerseits die Erkenntnis oder Aneignung der Grundbegriffe d u r c h tätige Abstraktion aus sinnlichen Vor stellungen v o r a u s , ist also eine Wirkung des tätigen Intellekts und nicht sein apriorisches begriffliches Moment. Das so e r worbene Prinzipienwissen soll überhaupt nicht der tätigen, sondern der als Möglichkeit aufgefaßten Vernunft als seinem Subjekt, wie Thomas sich a u s d r ü c k t , a n g e h ö r e n . [ 1 ] Diese Trennung von der abstrahierenden Tätigkeit mindestens nach Hinsichten der Vernunft soll dennoch nicht h i n d e r n , daß die intellektuelle Tätigkeit die Prinzipien als 'Werkzeuge' gebraucht - offenbar aber nicht zur Abstraktion ü b e r h a u p t , weil die Prin zipien selber zuerst d u r c h Abstraktion gewonnen werden, sondern zur Abstraktion nicht transzendentaler Begriffe. Indem Thomas auf diese Weise die reine Formalität d e r Vernunft auch in der Theorie der Prinzipienerkenntnis wahrt, tut er nichts weiter, als einige Ansätze des Aristoteles auf Kosten anderer für uns wieder b e s s e r e r k e n n b a r e r Tendenzen in d e s sen Werk konsequent weiterzudenken: vor allem die Ablehnung der Anamnesistheorie, die damit auch als Begründung einer dialektischen Prinzipienforschung ausfällt; das Verständnis der Negativität der Vernunft als Angewiesenheit auf ein anderwei tiges Gegebensein von Erkennbarem, wenn dieses auch zum wirklich Erkannten n u r dadurch wird, daß die Vernunft ihm ihre eigene Form mitteilt; und als Anwendung dieser beiden Theoreme die Abhängigkeit der Prinzipieneinsicht von einem vorgängigen Bewußtsein, das ausschließlich als sinnliches g e dacht wird. Sofern diese interpretierende Position weiter e n t wickelt und deutlicher ist als die Züge der aristotelischen Theorie, die sie auslegt, kann sie dazu führen, daß man den Zusammenhang mancher von Aristoteles bestrittenen platonischen Theoreme untereinander und mit Begriffen, an denen Aristoteles noch festgehalten h a t , klarer fassen kann - so die Anamnesis theorie als Erklärung d e s s e n , was u n t e r einem an sich selbst Bekannteren und was u n t e r Induktion zu verstehen i s t .
1
Ver. XVI 1 ad 13, zum genauen Bezug s . das c a . ; An. 4 ad 6
vgl.
3. Kapitel SUBSTANTIALITY ALS PRINZIP DER ERFAHRUNGSÜRTEILE UND DES WISSENSCHAFTLICHEN BEGRÜNDENS BEI ARISTOTELES 1. Das Realitätsbewußtsein der Erfahrung als Grundlage für Wissen Stellt man die Frage nach der Art und Weise, wie unmittelbare e r s t e Prämissen des Wissens erkannt werden, und damit auch nach der Grundlage der Wahrheit in den Wissenschaften an die aristotelische Wissenstheorie, dann findet man neben dem von Wieland hervorgehobenen Konzept einer dialektischen, nie end gültig abgeschlossenen Prinzipienforschung zwei Typen einer Prinzipieneinsicht ( n u s ) , die i h r e r Wahrheit gewiß i s t : Einmal die transzendentale Erkenntnis von Prinzipien, die als Bedin gungen allen Vernunftgebrauchs einleuchten, wie Aristoteles das Widerspruchsprinzip begreift, und zum anderen die Erkenntnis unmittelbarer Prämissen aufgrund von vorangehender sinnlicher Erfahrung, aber nicht aufgrund einer begrifflichen Vermittlung oder eines noch nicht zu Bewußtsein gekommenen, faktischen Verfügens über die Prämissen selber. Welche Funktion das empirische Moment, also der Ausgang von Wahrnehmung und Erfahrung, für die Bildung allgemeiner Be griffe (als e r s t e r Prämissen für Wissenschaften) h a t , illustriert eine Bemerkung des Aristoteles, mit der er die Frage für ü b e r flüssig e r k l ä r t , ob es so etwas wie Naturdinge wirklich g e b e . [ l ] Er hat zuvor aus der zu einem allgemeinen Erfahrungshinter grund gehörenden Gewohnheit, Gegenstände wie Tiere, Pflanzen und Elemente als natürliche von künstlich verfertigten zu u n t e r scheiden, einen Begriff des Natürlichen als desjenigen i n d u ziert, das den Grund seiner spezifischen Bewegung oder Ruhe nicht außerhalb seiner in einem Hersteller, sondern in sich selbst h a t . Weil Natur in diesem Sinne immer die Bestimmung eines zugrundeliegenden Natürlichen i s t , sollen - was offensicht lich noch zur Auslegung der gewöhnlichen Rede vom natürli chen gehört - alle Naturdinge Substanzen sein. Überflüssig muß die Frage nach der Wirklichkeit solcher Dinge erscheinen, weil das Gefragte in solchem Maß offenbar i s t , daß man, um als Antwort eben diese Wirklichkeit aufgrund von anderem zu zei gen, auf weniger Bekanntes zurückgreifen müßte. Die Erfah rungsgewißheit, die mit dem Aufnehmen einer wichtigen Unter scheidung des gewohnten Weltumgangs in die Begriffsbildung eingeht, schätzt Aristoteles so hoch ein, daß er die Wirklichkeit von Naturdingen zu dem d u r c h sich selbst Bekannten, also 1
Phy. 1, 192 b 8-15, 192 b 32 - 193 9; Wieland, Die aristotelische Physik, S.88, weist ergänzend auf Met. H 1, 1042 6-12, hin; v g l . auch An. 1, 412 a l1f.
298 nicht d u r c h anderes bekannt zu machenden r e c h n e t . Wer dies v e r s u c h e , habe es n u r noch mit Worten, aber nicht mehr mit Erkenntnis zu t u n . Dieser Abschluß der Passage ist ein deutliches Indiz dafür, daß hier an einem Beispiel vorgeführt wird, was es heißt, daß jede Definition das Wissen um die Wirklichkeit des zu Definierenden v o r a u s s e t z t , ohne dieses Wissen aber eine bloße Worterklärung b l e i b t .[ 1 ] Die Bildung wissenschaftlicher Begriffe und damit auch die Gewinnung der spezifischen ersten Prämissen d e r Wissenschaften stützt sich also in Aristoteles' Selbstverständnis auf das sprachlich vermittelte Realitätsbewußtsein des vorwis senschaftlichen, durchaus auch praktisch orientierten Weltum g a n g s . Dagegen führt dem platonischen Wissensbegriff zufolge das explizite Bewußtsein von der Andersheit der Wissensgegen stände gegenüber denen der natürlich-selbstverständlichen Einstellung auch zu einer Revolutionierung des Realitätsver ständnisses der Wissenden. Für die platonische Konzeption steht der Realitätsbegriff des natürlichen Bewußtseins als ein in Wahrnehmung befangenes Ur teil über d a s , was wirklich Seiendes i s t , durchaus zur Disposi tion, denn dieses Urteil gilt als korrelativ - so das Höhlen gleichnis - mit vorwissenschaftlichen, unkritischen Überzeugun gen und Handlungsweisen. [ 2] Und Wissen ist dann vor allem eine entwickeltere Stufe des Selbstbewußtseins, der Selbst durchsichtigkeit desselben über Gegenstände der Erfahrung urteilenden Bewußtseins, das die Möglichkeit von Wahrheit in der Bedeutungsidentität seiner Begriffe begründet sieht. Aus dieser auch von Aristoteles festgehaltenen Einsicht folgt aber nun ein neuer Begriff von Erkenntnis, nämlich der der Dialek tik, und wieder korrelativ zu ihm ein neuer Realitätsbegriff. Wenn es zur Erkenntnis gehört, daß sie sich auf Realität b e zieht, dann muß der reflektierte Gegenstand des Wissens, das Allgemeine, das auch das vorwissenschaftliche Bewußtsein unreflektiert in seinen Erfahrungsurteilen schon g e b r a u c h t , die Realität sein, die dem Bewußtsein des Wissens von dem logi schen Charakter seiner Gegenstände entspricht - wie das Be wußtsein der unreflektierten Erfahrung seine Realität und Wahrheit an seinen sinnlichen Gegenständen h a t . [ 3 ] Auf dem 1 2 3
An.p ost. 7, 92 b 4-8, 26-30; v g l . 1, 89 b 31-35 Rep. VII 515 c - d , 516 c-d Thomas interpretiert den Ideenbegriff durchaus so, daß in ihm irrtümlich die begriffliche Erkenntnisweise d e r Vernunft zur Seinsweise des Gegenstands gemacht worden sei (In 1 Met. 1. 10, 158; In 3 An. 1. 8, 717): Weil mathematische und Wesensbegriffe d u r c h Abstraktion unabhängig von ihren auch noch anders bestimmten Gegenständen gedacht würden, seien sie für Platon auch wirklich von den wahrnehmbaren Dingen g e t r e n n t . - Wenn man darauf achtet, daß Thomas auf diese
299 Hintergrund einer solchen Theorie des Realitatsbewufttseins, die es zum Selbstbewufttsein der Erkenntnis in seinen verschiedenen Stufen in Beziehung setzt, hebt sich die aristotelische These klar a b , deren platonkritischen Sinn man so verdeutiichen k a n n : Ein Gedanke kann nur Erkenntnis werden, wenn er sich in dem vorreflexiven Realitatsverstandnis halt. Die These lost, wie im folgenden anhand der Funktion des Substanzbegriffs schrittweise deutlicher werden soll, den oben (S.207ff) genannten Begriff des Wissens ein, nicht aus hypothetisch angenommenen, sondern aus wirklich zutreffenden Griinden zu beweisen. Denn worauf soll sich die Gewiftheit, daft die ersten Pramissen der Beweise wahr, also erste Griinde der Wissensgegenstande selber sind, beziehen, wenn nicht auf die Selbstgewiftheit der Erfahrung? Der Rekurs auf Wahrnehmung und Erfahrung als Vorwissen der Vernunfteinsicht erscheint auf diese Weise als Konsequenz d a r a u s , daft Aristoteles fur Wissen im vollen Sinn dialektische und hypothetische Prinzipien a b lehnt, die beide mit dem Bewufttsein i h r e r Vorlaufigkeit und Korrigierbarkeit verbunden sind. Weil im Kontext der platonischen Dialektik Wahrheit in ähnlichem Sinn als Prozeft - nicht n u r hinsichtlich der Folgerungen, sondern auch und gerade mit Bezug auf die Prinzipien - verstanden wird, ist der aristotelische Wissensbegriff, sofern er an die Stelle der platonischen Dialektik die Wahrheit unmittelbarer e r s t e r Pramissen setzt, durchaus folgerichtig mit einer neuen These ü ber die Erkenntnisweise v e r b u n d e n , vermittelst d e r e r die Einsicht in die Prinzipien gewonnen wird: Das Erfahrungsbewufttsein ist nicht zu kritisieren, wenn man zum Wissen kommen will, sondern leiht gleichsam der Analyse, die es auf seine Prinzipien, auf sein schlechthin früher Bekanntes hin u n t e r s u c h t , die Gewiftheit seiner selbst, und das heiftt in eins, seiner Gegenstande, die Gewiftheit also, die fur die Prinzipien des Wissens erfordert i s t .
Weise jedenfalls einen platonisierenden Realitatsbegriff zur Kenntnis nahm, wird man es ihm nicht mehr mit Rahner, Geist in Welt, S.173f, als eine "selbstverstandliche Ansicht" unterstellen, daft Erkenntnisse n u r mit Bezug auf die wahrnehmbare Welt - als die Wirklichkeit - Geltung haben. Vielmehr verteidigt Thomas diese Ansicht öfter, indem er den Platonismus, der sie verwirft, seinerseits eines Fehlschlusses zu uberfuhren s u c h t . In solchen Rechtfertigungen seiner Ausgangsposition bewahrt er etwas von Aristoteles 1 Auseinandersetzung mit dem Realitatsverstandnis der Ideenlehre auf. Damit zeigt er an, daft die scheinbar fur ihn "selbstverstandliche Ansicht" historisch aus einem komplexen Argumentationszusammenhang h e r v o r g i n g , der mir fur das philosophische Verstandnis jener Ansicht konstitutiv zu sein scheint.
300
Damit wird der Bewußtseinsstand, von dem in der Tat jede wissenstheoretische Reflexion notwendig ausgehen und auf den sie sich auch wieder erklärend zurückbeziehen m u ß , [ l ] zum einzig möglichen und deshalb auch für die Reflexion v e r b i n d lichen Horizont gemacht; man kann darin eine wissenstheore tische Entsprechung zu der vorgängigen Bestimmung der Sphäre der Akzidenzen d u r c h die Substanz sehen. Der Zusammenhang, der dieser Entsprechung zugrunde liegt, ist in den Zweiten Analytiken zu finden, [2] wenn es heißt, d e r auf allgemeinen Bestimmungen beruhende Beweis - und damit Wissenschaft ü b e r h a u p t - erfordere nicht die Annahme von Ideen, d . h . von Sinneinheiten neben den vielen durch sie bestimmten Gegen s t ä n d e n , sondern n u r die Voraussetzung, daß man ein und dieselbe Bestimmung in demselben Sinn von vielem wahr a u s sagen könne, also die Möglichkeit allgemeiner Prädikation. Offensichtlich hat das mit einem Erfahrungsurteil v e r b u n d e n e Bewußtsein, das Einzelnes meint, es aber n u r als Allgemeines zur Sprache bringen k a n n , eine Art paradigmatische Funktion für die Theorie: Anders als dieses Bewußtsein thematisiert sie zwar die Allge meinheit der Begriffe, in denen sich alle Erfahrung bewegt, liest aber den Zusammenhang von Allgemeinem und Besonderem oder, besser gesagt, die Funktion des Begriffs einsinnig als Ausgesagtwerden des einen Sinnes von vielen Subjekten und nicht ebensosehr als Zursprachekommen von gemeintem Beson deren d u r c h seine allgemeine Bestimmtheit. Sie macht also n u r den Begriff von den besonderen Gegenständen d u r c h seine sprachliche Beziehung auf sie wie auf eine Grundlage seiner Wahrheit abhängig. Die umgekehrte Reflexion auf die Angewie senheit des Besonderen auf Allgemeines - soll es n u r begriffen werden - , die in der Tat mit der Theorie der definitorischen Wesensbestimmung realisiert i s t , kommt ausdrücklich n u r in der kritisierten Form einer hypostasierenden Ideenlehre v o r , als ginge der Zusammenhang von Besonderem und Allgemeinem, den das Urteil vollzieht, in dieser Reflexion notwendig verloren, so daß n u r ihre Umkehrung ihm gerecht würde. Auf diese Weise bestätigt die Theorie die Meinung des natürlichen Bewußtseins, urteilend bei dem zu bleiben, ü b e r das es urteilt, und nicht ebensosehr dies Subjekt d u r c h sein prädikatives Bestimmen ü b e r sich hinaus zu t r e i b e n . Dieser Vorrang des Subjekts gewinnt dadurch an Plausibilität, daß Aristoteles das Problem gewöhnlich nicht auf den extremen Punkt b r i n g t , einem abstrakt unbestimmten Subjekt, dem g e 1 2
Auch Platon tut das im gung einer Theorie des 263 a - b . An.post A 11, 77a 5-9; tonkritik von Thomas a n ,
Sophistes etwa mit seiner Grundle Scheins und des I r r t u m s , s. z . B . hier schließt auch die erwähnte Plas. In 1 An.post. 1. 19,166.
301 meinten Dieses der Wahrnehmung, wie es aus dem Schluß der Analytiken als letzter Gegenstand des e r s t e n Prämissen v o r a n gehenden Bewußtseins herausgelesen werden k a n n , alle auf es beziehbaren allgemeinen Bestimmungen gegenüberzustellen.[1] Vielmehr integriert er Bestimmtheit, und zwar mit dem Wesens begriffen des Wissens kongruierende, von vornherein in den Begriff des Subjekts, so daß es Substanz wird und als d a s jenige in der Erfahrung gilt, auf das sich allgemeine Urteile beziehen, ob sie nun Prämissen oder Schlußfolgerungen von Beweisen sind. Indem die Substanz prinzipiell schon die Funk tionen des Worüber und des Was der Aussage in sich vereinigt, kann mit dem Prädikat n u r mehr eine nachgeordnete Modifikation des Was oder seine Analyse bedeutet werden. Dieselbe Rollen verteilung bestimmt auch das Verhältnis von Erfahrung und Wissen, das wie eine analytische Aussage ü b e r die Erfahrung aufgefaßt wird; entscheidend ist dabei die Festlegung der Aus sage auf den mit ihrem Worüber im voraus schon bekannten und selbstverständlichen Horizont. Auch wenn das Wissen philoso phisch ü b e r sein Tun - die Begründung der Wahrheit beson derer Erfahrungsgegenstände aus allgemeinen Begriffen - und dessen Bedingungen - die 'Verflochtenheit der Begriffe u n t e r einander - reflektiert, soll es diese Einsichten n u r als analy tische S t r u k t u r e n der für die natürliche Einstellung s e l b s t v e r ständlichen Welt partikulärer Wahrnehmungsgegenstände v e r stehen. Dies ist der Zusammenhang der oben (S.217-220) besprochenen These, was der Wahrnehmung oder dem Sein nach früher sei, decke sich nicht immer mit dem logisch F r ü h e r e n , sondern stehe ihm auch gegenüber wie das Einzelne dem Allgemeinen und das Ganze seiner akzidentellen Bestimmung - also als Substanz. Wahrnehmung steht für das unmittelbare Gegenstandsbewußtsein der Erfahrung, das der wissenschaftlich-logischen Analyse sowohl mit seinen inhaltlichen Meinungen ü b e r die Dinge wie auch mit seiner Überzeugung, daß sie die Realität ausmachen, schlechthin vorgegeben ist; die beiden Momente Bestimmtheit und Realität sind u n t r e n n b a r voneinander. Deshalb hält sich einerseits die wissenschaftliche Begriffsbildung an das gängige Vorverständnis sprachlicher Bezeichnungen, wie es den Bei spielen von 'magnanimitas ( s . oben 1.Kap., 3.) und 'Natur' zu entnehmen ist: Der Wortsinn, der sich in den verschiedenen lebensweltlichen Kontexten wie der Bestimmung moralischer 1
Die Unmöglichkeit, ein reines Subjekt in diesem Sinn als Substanz zu denken, führt Aristoteles wohl in Met. Ζ 3, 1029 a 7-30, vor ( v g l . unten S.308f), ohne aber in der Konsequenz die Angewiesenheit jeden Subjekts auf etwas, als das es v e r s t a n d e n wird, also auf ein Prädikat, ebenso exem plarisch zu bewerten, wie er das Gemeintsein des Subjekts auch im Prädikat systematisch zur Geltung b r i n g t .
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Vorbilder oder dem technischen Weltumgang entwickelt h a t , wird von der Wissenschaft nicht kritisiert, wie es Sokrates getan h a t t e , sondern allenfalls präzisiert und logisch analysiert. An dererseits ist das Realitätsbewußtsein d e r Erfahrung in gleicher Weise eine Art Subjekt oder bestimmende Grundlage der Prin zipiengewinnung des Wissens, wenn es von der Meinung, es gebe viele von Natur aus Seiende, heißt, sie gehöre zu dem an sich selber Klaren und Bekannten, also zu den Prinzipien. [1] Auf Wahrnehmung beruft sich die Gewißheit solcher Meinungen, und in der Gegenüberstellung zum analysierenden Urteil e r scheint die Wahrnehmung - offensichtlich in einem weitgefaßten Sinn, der dem von Erfahrung nahekommt - als die Weise d e r E r k e n n t n i s , in der der einzelne Gegenstand im Ganzen vor seinen Eigenschaften erfaßt wird. Daß Wahrnehmungen das Be wußtsein von einer mannigfaltigen Realität selbständiger Einzel seiender als letzter Subjekte sind, das qualifiziert sie also zu einer der Prämisseneinsicht vorangehenden Erkenntnisweise. Dieser Gesichtspunkt für ihre Tauglichkeit zur Wissensbedin gung kommt zu dem anderen oben (S.246ff) genannten hinzu, daß sie nach der Seite i h r e r Unmittelbarkeit kein Glied des Re g r e s s u s in logischen Vermittlungen sein können und damit den Abschluß des Regressus d u r c h diejenigen Prämissen garantie r e n , denen sie jeweils im Bewußtsein vorangehen, Wenn man die Argumentation, die das substantielle Einzelne als eine Voraus setzung für Wissen, d . h . für beweisende Wissenschaft etabliert, separat für sich u n t e r dem Aspekt der Art d e r Prämissener kenntnis kennzeichnen will, dann erweist sich die Wahrnehmung als das die Extreme in Zusammenhang bringende Bewußtsein: Als eine Erkenntnis von unmittelbar gegebener, singulärer Realität sichert sie die Endlichkeit und Wahrheit der allgemeinen Beweise. 2. Begrenzung als Notwendigkeit p r a k t i s c h e r Vernunft Im zweiten Metaphysikbuch (zweites Kapitel) stellt Aristoteles ähnlich wie in den Zweiten Analytiken die Begrenztheit d e r Typen von Prinzipien und d e r Glieder einer Begründungsreihe als Bedingung für Erkenntnis aus Prinzipien überhaupt d a r : Hier wird zunächst für die vier bekannten Ursachentypen g e meinsam gezeigt, daß eine Reihe von Ursachen stets begrenzt sein, also ein e r s t e s Glied haben muß, weil das jeweils v o r a n gehende Glied in der Reihe Ursache der folgenden i s t , ein als mittleres qualifiziertes aber nicht - sofern es höchstens als Teilursache gelten kann - und die Glieder einer unendlichen 1
So geht Aristoteles ausdrücklich von einer Wirklichkeitsvor stellung a u s , deren Selbstverständlichkeit Parmenides mit logischen Argumenten e r s c h ü t t e r t h a t t e , v g l . oben S.144f.
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Reihe ausnahmslos mittlere s i n d . [ l ] Besonders geht Aristoteles dann auf die Materialursache ein, ferner auf die Wesensbestim mung, deren wissenschaftliche Analyse n u r eine begrenzte Reihe je allgemeinerer Genera bis zu einem e r s t e n , nicht mehr in Genus und Differenz aufteilbaren, also bis zu einer Kategorie durchlaufen kann, und auf die Zweckursache, durch die der Begriff des Guten in die Diskussion kommt. [2] Der Annahme einer Unendlichkeit von Gründen kann im Fall der Zweckursache unmittelbar die 'Natur des Guten' entgegengehal ten werden, weil dies Gute oder der Zweck ihrem Begriff nach n u r als die erreichbare Grenze einer deshalb endlichen Reihe von Handlungsschritten gewollt werden können. Weil die Ver nunft n u r um eines erkannten Zweckes, um ihres jeweiligen Guten willen handelt und der Zweck nichts anderes als eine Grenze des antizipierten Handlungszusammenhangs i s t , ist die Begrenztheit des Regressus von vornherein ein Moment dieses bewußtseinsbezogenen Ursachentyps. Gehört also Begrenztheit zum Begriff des Guten als Zweckursache, [3] dann kann sie auch nicht den anderen Ursachentypen fehlen, nicht n u r aus Gründen des einen Prinzipienbegriffs, wie er im ersten Ab schnitt des Kapitels behandelt wird, sondern vor allem im Hinblick auf die mehrfach klar ausgesprochene B e g r ü n d u n g s funktion der Zweckursache für die anderen Ursachenarten. [ 4] Zwar vermeidet Aristoteles jeden ausdrücklichen Zusammenhang mit der platonischen Idee des Guten und legt auch auf die Un terscheidung von praxisbezogenem und theoretischem Vernunft schluß Wert, wenn er mathematische Prämissen und Zweckur sachen in ihrem Verhältnis zu dem von ihnen Begründeten v e r gleicht. [5] Deshalb kann man das Handeln des Vernünftigen, das immer um eines Zweckes vom Charakter der Grenze willen geschieht, nicht ohne weiteres auch als theoretisches Handeln v e r s t e h e n . Aber der Begriff des vernünftigen Handelns wird auch als Argument dafür verwendet, daß es mit der Annahme 1 2
Met. α 2, 994 a 11-19 Zur Wesensbestimmung s. ebenda, 994 b 16-23; zur Zweck ursache Z. 9-16, v g l . 994 a 8ff 3 Vgl. auch die zusammenfassenden Bemerkungen in Eth.Nik. I 9, 1170 a 19ff, u . Motu a n . A 6, 700 b 15f 4 Sowohl der erste Beweger als auch die Wesensform sind Ur sachen der physischen Bewegung, ohne - wie die causa efficiens - selber bewegt zu sein, weil sie als Zweck bewe gen, s. Phy. 7, 198 35 - b 5. Die Finalität ist also die Form e r s t e r Bewegungsgründe, d . h . solcher, die als u n b e wegte nicht wieder auf einen Grund i h r e r selbst z u r ü c k v e r weisen, und kann deshalb als Prinzip schlechthin aufgefaßt werden, s. Phy. 8, 199 a 30ff; 9, 200 a 32 - b 4; v g l . 3 , 195 a 23-26. 5 Phy. B 9, 200 a 17ff
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unendlicher Reihen von Gründen nicht verträglich wäre, "Ver nunft in den Seienden" vorauszusetzen. [1] Aristoteles zieht aus d e r begrenzenden Zwecksetzung der praktischen Vernunft keine unmittelbaren Folgerungen für das theoretische Wissen, wohl aber für seinen substantiellen Gegenstandsbereich. Denn indem er den Gegenständen und Prozessen der erfahrbaren Wirklich keit, verdeutlicht d u r c h die Kontinuität der Natur mit d e r Technik, Zweckbezogenheit zugrunde legt, also von einem b e sonderen Guten des einzelnen Dings, aber auch von dem ersten Grund der kosmischen Bewegung als einem geliebten s p r i c h t , [2] denkt er die Natur selber als wirkend, sogar handelnd, [3] und dies nach dem Begriff d e r Vernunfthandlung, die mit dem Zweck eine Grenze s e t z t . Damit macht er die Begrenztheit, das Fehlen unendlicher Ursachenketten zum Kriterium für die Ver nünftigkeit eines Begriffs vom Seienden ü b e r h a u p t . Der Begriff p r a k t i s c h e r Vernunft ist also d e r Leitfaden, an dem Begrenzt heit als das je Bessere zum Entscheidungsprinzip ü b e r Probleme des natürlich Seienden wird, wie etwa ü b e r die Frage der Anzahl der ersten Beweger. [4] Dieselbe Vernunft, die die Möglichkeit eines Wissens, das nicht n u r hypothetisch, sondern seiner Wahrheit gewiß i s t , von einer d u r c h Erfahrung vorbereiteten Einsicht in unmittelbare e r s t e Prämissen abhängig macht, bestimmt als praktische das S t r u k turprinzip aller Gegenstände eben derselben E r f a h r u n g , sofern nicht darauf verzichtet werden k a n n , daß in ihnen überall Ver nunft realisiert i s t . Die Bestimmung besteht d a r i n , daß alles Erfahrbare durchgängig auf Zwecke als seine e r s t e n , selber unmittelbaren Gründe bezogen wird, auf solche Gründe also, die sich zu ihrem Begründeten ebenso verhalten wie die axiomatischen Prämissen eines mathematischen Satzes zu diesem als einer notwendigen Folgerung aus ihnen. Die Vernunft realisiert i h r e 1 2
Met. α 2, 994 b 14f; An. 4, 416 15-18 Phy. 8, 199 3-20, b 26-33; 7, 198 b 8f; Met. Λ 7, 1072 b 1-4 3 Phy. B 8, 199 a 16; B 5, 196 b 21f 4 Phy. θ 6, 259 a 6-12. Die Zweckkausalität unbewegter Bewe ger dürfte auch die systematische Grundlage für die oben, S.105-115, angenommene Verknüpfung eines praktischen I n t e r e s s e s mit den Begriffen des ersten Bewegers und der Substanz sein. Der Nachdruck, den Aristoteles und mehr noch Thomas auf das unveränderliche Bestehen, auf die rei ne Positivität der unbewegten Beweger legen, kann aber wohl kaum aus ihrem Zweckcharakter allein erklärt werden. Eher macht dieser das unbezweifelbar praktische Wesensmo ment solcher Bewegungsgründe so deutlich, daß es nicht sachfremd erscheinen muß, wenn man auch einen bestimmten Zweck wie den unveränderlichen Bestehens als Aspekt an ihnen erfüllt sehen möchte.
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Einheit aus i h r e r Unterschiedenheit in p r a k t i s c h e , den Gegen ständen d e r Erfahrung zum voraus schon zugrundeliegende und in theoretisches, diskursiv begründendes Wissen, sofern sie Prinzip begrenzender Prinzipien i s t . [ 1 ] Wohl mit Rücksicht auf das eingangs (S.12-15) angesprochene Interesse an 'reiner Theorie' findet man nicht den Zweck zum gemeinsamen Begriff dieser begrenzenden Prinzipien bestimmt, aber mit der Unbewegtheit und der in ihr b e g r ü n d e t e n Ursprünglichkeit der universalen Zweckursachen kann man im Medium d e r Naturdynamik dieselbe Unmittelbarkeit ausgedrückt sehen, wie sie als logische den Begriff der ersten Prämissen ausmacht. Hinreichend klar macht Aristoteles jedenfalls, daß die substantiellen Wesensbestimmungen dasjenige sind, was gleicher maßen die Funktionen der praktisch gedachten spezifischen Zweckursachen der Erfahrungsgegenstände und der je spezi fischen Prämissen des Wissens erfüllt. [2] Als Realisierung d e r wesentlichen Vernunftforderung nach Begrenzung ist die Sub stanz gleichsam die gegenständliche, erfahrbare Form d e r Vernunfteinheit, der Gegenstand der Vernunft schlechthin, wie Aristoteles sie d e n k t . [ 3 ] 1
Die Vernunft ist also nicht n u r aus dem negativen Grund Prinzip wohldefinierter Einheiten, weil n u r so das u n d e n k bare Unendliche vermeidbar zu sein scheint - welche Be g r ü n d u n g z . B . Zwergel, Princípium contradictionis, S.114f, in Met. Γ 4 finden kann - , sondern d a r ü b e r hinaus auch vermöge ihres positiven Verfahrens, sich n u r einen in e n d lich vielen Handlungsschritten erreichbaren Zweck zu setzen. 2 Zur Abhängigkeit aller Definitionen ü b e r h a u p t , die die b e sonderen Prämissen der einzelnen Wissenschaften bilden, von denen d e r Substanzen s. oben Erster Teil, 1.Kap., 5. 3 Aus diesem Zusammenhang müßte Thomas' gängiger Grund satz, das Wesen der materiellen Dinge sei das eigentümliche Objekt der menschlichen Vernunft, erklärt werden, wenn man ü b e r eine eng v e r s t a n d e n immanente Interpretation hinaus mit dem historischen Hintergrund die systematische Relevanz d e r These anzeigen will (ausgesprochen ist sie z . B . in: 3 S 23 I 2; I 84, 7f; I 85, 5 ad 3 ) . Zwar hat sich der systematische Kontext im Prozeß der Aristoteleskommentier u n g bis zu Thomas so verschoben, daß in dem Terminus 'quidditas rei materialis' eine Synthese a n d e r e r , für Aristo teles nicht gleichermaßen bestimmender Gegensätze v e r s u c h t wird, vor allem d e r e r von Verstand und Sinnlichkeit und von begrifflicher Allgemeinheit und k o n k r e t e r , gegebener Sin gularität; in diesen und aus ihnen entwickelten S p a n n u n g s feldern bewegen sich die Interpretationen von Maréchal, s. Le point de départ de la métaphysique V, S.235, und Rahner, s . Geist in Welt, S.45f u . 54-62. Natürlich spielt das Substanz-Akzidens-Schema eine gleich wichtige Rolle, insofern für die Wahrnehmung n u r die Akzidenzen erreichbar
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3. Substantialität als Implikation des apriorischen Widerspruchs prinzips Die Interpretation der Substanz als Inbegriff der Vernunftein heit ist n u r haltbar, wenn sie wesentlich auf den Begriff d e r allgemeinsten Prinzipien bezogen werden k a n n , die als Bedin gungen allen Vernunftgebrauchs a priori e r k e n n b a r sind. Einen solchen Zusammenhang läßt die Unterscheidung der ersten P r ä missen der Wissenschaften in allgemeine und besondere gerade nicht erwarten, sofern man mit ihr Wesensbegriffe wie den d e r Zahl oder den des natürlichen Körpers als jeweilige Prämissen von Arithmetik und Physik unausdrücklichen Voraussetzungen aller Wissenschaften und der Erkenntnis überhaupt schematisch n u r gegenüberstellt. Das Schematische liegt in der allgemeinen Betrachtungsweise, die weder nach den apriorischen Prinzipien im einzelnen noch nach dem Verhältnis der verschiedenen Typen von Wesensbegriffen zueinander fragt, daß also etwa Zahlen Bestimmungen von Körpern sind und nicht umgekehrt. Die all sein, die Substanz aber oder das Wesen der Sache zu e r k e n n e n , d e r Vernunft vorbehalten bleiben soll (vgl. oben S.286). Dabei wird aber der Grund für die Vernunftbezogenheit der Substanz, ihre Begrenzungsfunktion, aufgrund d e r e r auch das Begrenzte als bedingter oder abgeleiteter Vernunftgegenstand e r k e n n b a r i s t , nicht mehr erwähnt: Substanz und Akzidenzen erscheinen außerhalb d e r Aristote leskommentare in der Regel als selbstverständlicher Gegen s a t z . Aber die Aufgabe, der Vernunft ihr eigentümliches Objekt zu bestimmen, geht doch ü b e r die Frage nach d e r Stellung eines gewissen Erkenntnisvermögens in solchen vorgegebenen Relationen h i n a u s . - Thomas selbst verläßt auch wieder diesen Bezugsrahmen, wenn er als Vernunft objekt das Wesen von Substanzen und Akzidenzen bezeichnet (In 6 Eth. 1. 1, 1122), v o r allem a b e r , wenn er das Seiende ü b e r h a u p t den natürlichen Gegenstand d e r Vernunft nennt (cG II 83, 1678; v g l . I 75, 6 ) . Damit stellt er die Reflexion besonders deshalb auf eine neue Grundlage, weil solches, das als Seiendes aufgefaßt wird, schon im Hinblick auf seine Funktion als Subjekt eines Urteils gedacht ( v g l . unten S.421-424 u . S.472-475) und so die Vernunft wesentlich als urteilende verstanden i s t , ohne daß ihr zugleich eine Grenze gesetzt wäre; dagegen wird der Wesensbegriff - mit einer Ausnahme (In Trin. VI 2, Decker S.216, Z.15f) - durchweg als nichtsynthetische intellektuelle Vorstellung gegen das Ur teil abgesetzt (1 S 19 V 1 ad 5 u . ad 7; Ver. I 1 ad 7; In Hebd. 1. 2, 23ff; In 2 A n . p o s t . 1. 6, 463). So ist der a r i stotelische Ausgangspunkt zwar keineswegs r e k o n s t r u i e r t , aber doch ein ähnlich umfassender Vernunftbegriff gewon n e n , der in der Theorie d e r Transzendentalien ausgearbeitet wird.
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gemeine Einteilung der ersten unmittelbaren Prämissen gibt demnach nicht mehr an Zusammenhang h e r , als daß die beson deren wie alle Erkenntnis u n t e r den in den allgemeinen Prin zipien ausgedrückten Vernunftbedingungen stehen, denen ihrerseits die Funktion zukommt, die Einheit der Vernunft in ihren mannigfaltigen Gegenständen zu verwirklichen. Der entscheidende Zusammenhang, der oben (S.184ff) n u r bei läufig erwähnt wurde, besteht aber in der Unentbehrlichkeit der Wesensbegriffe für die Explikation des gewissesten Prinzips schlechthin, des Widerspruchssatzes, sowie des Identitätsprin zips und des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten gleicher maßen.[1] Zwar sind diese Prinzipien nach Aristoteles in höch stem Maß - der Sache nach - allen bekannt und werden not wendig auch noch von demjenigen b e a n s p r u c h t , der sie b e s t r e i ten will, aber die philosophische Reflexion muß diese Notwen digkeit aufweisen und dadurch den genauen Sinn d e r Prinzipien zu klären v e r s u c h e n . Dabei gehen die Texte von dem einzigen Argument der Widerlegung von Opponenten a u s , daß nämlich jeder, der etwas s a g t , etwas Bestimmtes, eine intentionale Ein heit, bedeuten will, andernfalls weder sich noch einem andern etwas sagen k a n n . Das gilt gleichermaßen von ganzen Sätzen wie 'Ein und dasselbe kann demselben zugleich und in derselben Hinsicht zukommen und nicht zukommen' und von dem Prädikat solcher in Frage stehenden Sätze wie 'Das ist ein Mensch'. Es ist zwar nicht ausdrücklich von dem Willen, etwas zu sagen, sondern n u r vom Sagen die Rede, aber weil die Überlegungen, die sich an die Widerlegung anschließen, allein noch die Frage behandeln, wie man etwas Bestimmtes sagen k a n n , ist anzu nehmen, daß die eindeutige Absicht, etwas Bestimmtes zu sa gen, der zum Ausgangspunkt gewählten Gesprächssituation zugrunde gelegt wird. [2] Mit dem Gespräch - gleich ob mit anderen oder mit sich selbst - kommt wieder ein praktisches Moment in die prinzipielle Explikation von Bestimmtheit, Ein deutigkeit und Begrenzung hinzu. Das bleibt von Bedeutung, auch wenn man den Willen zur Mitteilung oder diskursiven Klärung für sich selbst nicht zu einer Art Letztbegründung e r h e b t , sondern Aristoteles' Argument beachtet, auch wenn es möglich wäre zu d e n k e n , ohne eines zu d e n k e n , gäbe man dann diesem Sachverhalt doch wieder einen Namen. Wie die unmittel bare Bestreitung des Widerspruchsprinzips wird auch hier eine These des Opponenten d u r c h eine Reflexion widerlegt, die die 1
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Hinsichtlich des letztgenannten Prinzips s . Met.Γ 7, 1012a 21-24. Für das Identitätsprinzip r e k u r r i e r t Aristoteles nicht ausdrücklich auf Wesensbegriffe (Met. Ζ 17, 1041a 16-20), seine Argumentation zum Widerspruchsprinzip impliziert aber auch diesen Zusammenhang. Met. Γ 4, 1006 a 18-25, 1006 b 5-11
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Unverträglichkeit zwischen dem, was er meint, und dem, was er in Anspruch nehmen muß, aufdeckt. Das Sich-selbst-Bestimmen zu einer - dann auch bestimmten - Aussage im Gespräch und die Ermöglichung auch der Reflexion allein d u r c h eine gegen anderes abgrenzende Einheit des Gemeinten sind n u r zwei Aspekte der Endlichkeit, die als Diskursivität Endlichkeit von Bewußtsein i s t . [ 1] Auf dieser Grundlage geht die Untersuchung zu der Frage ü b e r , was es heißt, eines oder ein Bestimmtes zu bedeuten, und wie diese Bedingung, u n t e r der allererst sinnvoll von Widerspruch gesprochen und Widerspruchsfreiheit realisiert werden k a n n , in jedem Urteil zu sichern i s t . Nur wenn diese Fragen zur Bedeutungsidentität beantwortet werden können, wird der Sinn des Prinzips verständlich, daß man in einem Urteil nicht etwas als etwas deuten und zugleich als nicht dieses deuten k a n n . Ähnlich wie in den Untersuchungen zum Begriff des wesentlich Seienden schließt Aristoteles das reine Zugrundeliegende von Bestimmungen auch als primären Bezugspunkt von Bedeutungen a u s . [ 2 ] Man kann darin eine Konzeption zurückgewiesen sehen, 1
Aristoteles' bedenkliches Argument, ein Widerspruch könne nicht für wahr gehalten werden, weil dem Bewußtsein dann k o n t r ä r entgegengesetzte Bestimmungen, die beiden k o n t r a diktorischen Meinungen, zukämen (Met.Γ 3, 1005 b 23-32), kann nicht zur Explikation des Widerspruchsprinzips h e r a n gezogen werden. Bedenklich erscheint dieses Argument, weil es die Subjektivität - als sei sie etwas der Welt Angehören des - selber unmittelbar Regeln unterwirft, die sie a priori als Inbegriff von Gegenständlichkeit e r k e n n t , nämlich dem aus dem Widerspruchsprinzip abgeleiteten Grundsatz, daß k o n t r ä r gegensätzliche Bestimmungen demselben nicht zu gleich zukommen können (Met. Γ 6, 1011 b 15-22). Gerade im Hinblick auf die Gegensätze macht Aristoteles selbst einen solchen Unterschied zwischen Vernunft und Gegenständlich keit, s. Met.θ 2, 1046 b 4-20. - Das Widerspruchsprinzip aber wird d u r c h jenes Argument nicht k l a r e r , weil es selber die Voraussetzung für den Grundsatz von der Vermeidung k o n t r ä r e r Bestimmungen bildet, wie der angegebene Text zu diesem Grundsatz deutlich s a g t . 2 Met.Γ 4, 1006b 14-18, Zwergel, Princípium contradictionis, S.117, v e r s t e h t die von Aristoteles zurückgewiesene These so, als wolle sie der Wesensbestimmung durch Beziehen auf ein anderes als ihr eigentümliches Subjekt Bedeutung geben. Im Text wird aber offenbar n u r b e s t r i t t e n , eines b e d e u t e n , könne so viel heißen wie, von einem (etwas) bedeuten (1006b 15f). Auch wenn das Wovon das eigene Subjekt der Wesensbestimmung i s t , ergibt sich die von Aristoteles gezo gene Konsequenz, die Zwergel als Verneinung d e r Differenz
309 die die Annahme radikalisiert, die Bedeutung sprachlicher Zei chen liege in i h r e r Beziehung auf Gegenstände in der Wirk lichkeit (Referenztheorie der B e d e u t u n g ) . Radikalisiert wird diese Theorie anhand der Interpretation des Urteils, in ihm werde immer von einem zugrundeliegenden bloß Bestimmbaren eine Bestimmung ausgesagt. Denn nach diesem Modell wird alle Bestimmtheit, wie sie vollständig in Prädikate zu fassen i s t , auch der Sphäre sprachlicher Zeichen zugeschlagen, so daß als Subjekt ein reines 'Dies' übrigbleibt; die Prädikate können sich d a n n , um Bedeutung zu bekommen, n u r noch auf ein ganz Un bestimmtes, auf Wirklichkeitsatome beziehen. Ihre letzte Konse quenz erreicht die Referenztheorie durch diese Verknüpfung mit dem Hypokeimenonmodell der Aussage, weil die Referenztheorie von der Trennung von Sprache und Wirklichkeit ausgeht - Sprache bekommt Bedeutung e r s t durch Beziehung auf ein anderes außer ihrer selbst. Deshalb kann sie dasjenige in d e r Wirklichkeit, auf das Sprache sich beziehen soll, nicht wie derum - gleichsam vorfindbare - Bedeutungen n e n n e n . Denn so wäre die Wirklichkeit selber sprachlich und müßte ihre Bedeu t u n g d u r c h Beziehung auf eine zweite Wirklichkeit haben und so weiter. Ist aber die Wirklichkeit als das a n d e r e , auf das Spra che sich bezieht, dementsprechend s p r a c h - und b e d e u t u n g s l o s , dann kann sie n u r so unbestimmte Subjekte von Bestimmungen enthalten, wie ein ontologischer Atomismus sie d e n k t . Aristoteles' Einwand gegen den Versuch, Bedeutung d u r c h Be ziehung auf ein d u r c h sie erdeutetes Zugrundeliegendes als eine Einheit zu fixieren, b e r u h t auf der reinen Unbestimmtheit des bloß Bestimmbaren, die alle Bedeutungsdifferenzen, soll für sie erst noch ein Anhalt in diesem Bestimmbaren gefunden werden, nivellieren muß. Die Verfehltheit des Ansatzes einer Referenz theorie wird damit vollends deutlich: Die T r e n n u n g der Sprache von der Wirklichkeit, die ein schrittweises Hinbeziehen einzelner sprachlicher Zeichen auf die Wirklichkeit, wie sie diskursiv erkannt wird, theoretisch ermöglichen soll, läßt das Wirkliche weder B e d e u t u n g s t r ä g e r , also selber sprachlich, noch als das andere der Sprache mannigfaltiger Bezugspunkt i h r e r Differen zierungen sein. Eines zu b e d e u t e n , kann nicht soviel heißen, wie von einem auszusagen oder zu b e d e u t e n , weil auf diese Weise gerade die Bestimmtheit verlorenginge, die man mit der Einheit der Bedeutung meint. Kann nun die bestimmte Identität der Bedeutung nicht durch ihre Beziehung auf ein zugrundeliegendes zu Bestimmendes, das als Subjekt des Urteils und als wirkliches Dieses gedacht sein mag, erklärt und gesichert werden, dann muß sie von d e r von Prädikat und Subjekt c h a r a k t e r i s i e r t . - Die völlige Bestimmungslosigkeit, die für Aristoteles aus jener Bedeutungs theorie folgt, ließe schließlich auch nicht mehr die Rede von einem anderen Zugrundeliegenden zu.
310 Sprache selbst, d . h . ohne Beziehung auf ein a n d e r e s , geleistet werden, und zwar aufgrund i h r e r prädikativen Funktion. Wollte man sich aber an die sprachlichen Ausdrücke allein halten und in ihnen schon identische Bestimmtheit der Bedeutungen gewähr leistet sehen, dann t r ü g e man nicht der Erfahrung Rechnung, daß zuweilen mit demselben Wort wie etwa 'Schloß' verschiedene Sinne gemeint sein können und andererseits für dieselbe g e meinte Sache von verschiedenen Sprechern verschiedene Aus drücke verwendet w e r d e n . [ 1 ] Man kann die Bedeutungen also nicht unmittelbar in sprachlichen Zeichen ausgedrückt und dadurch in i h r e r jeweiligen Identität hinreichend gegeneinander abgegrenzt finden. Dazu muß man vielmehr auch das mit einem Ausdruck Gemeinte, an dem Fälle der Inkongruenz von Bedeu tung und Zeichen wie die genannten erkannt werden, den Ausdruck eigens e r l ä u t e r n d , zur Sprache b r i n g e n , also die für die gemeinten Sachverhalte verwendeten Prädikate auf i h r e n Sinn hin reflektieren und selber durch andere Prädikate b e stimmen. Auf diese Weise wird der sprachlich formulierte Begriff (logos) in seiner Funktion, die Bedeutung eines Prädikats durch Abgrenzung gegen andere zu identifizieren (horismos), zur entscheidenden Bedingung, man kann auch sagen, zum wesentlichen Moment des Widerspruchsprinzips, dessen Aufweis von der Einheit des mit jedem sprachlichen Gedanken intendier ten Sinnes ausgeht. Insofern relativiert die philosophische Reflexion darauf, was einem Opponenten gegen den Grundsatz der Widerspruchsfrei heit zu erwidern i s t , die Selbstverständlichkeit dieses Prinzips und bindet es an verschiedene, systematisch weitreichende Voraussetzungen, von denen die durch Platons dihairetische Methode ermöglichte begriffliche Abgrenzung von Bedeutungen ü b e r h a u p t n u r die erste i s t . Als eine weitere wurde oben (S.184f) schon die Selbständigkeit und Wahrheitsfähigkeit isolierter Aussagen genannt, die dem Einwand entgegengehalten werden muß, jedes S sei Ρ und nicht P, weil es a u ß e r Ρ noch u n a b s e h b a r vieles andere sei. Nachdem mit dem Hinweis, eine Aussage sei als Beitrag zu einem Gespräch oder zur Verständi gung mit sich selbst n u r als bestimmte möglich, der Gedanke ausgeschlossen wurde, ein sprachliches Zeichen könne unendlich viele Bedeutungen haben, [2] bringt der nun genannte Einwand erneut eine Unendlichkeit in die Diskussion, nämlich die von in sich jeweils wohldefinierten Prädikaten, die man von einem beliebigen Subjekt a u s s a g t . Damit ist derselbe vorläufige Begriff von Prädikation e r r e i c h t , von dem aus auch in den Zweiten Analytiken (A 22), also im Kontext der Beweistheorie, die Frage nach einer unmittelbaren Aussage, und das heißt, nach der ausgezeichneten Bestimmung 1 2
Met.Γ 4, 1006 a 34 - b 4, 1006 b 18-22 Ebenda, 1006 a 34 - b 9
311 jeden Subjekts gestellt wird, die den Sinn der jeweils anderen Aussagen von demselben hinsichtlich ihres Worüber b e g r e n z t [ 1 ] . Das Widerspruchsprinzip ist nämlich gegen das Argument der unendlich vielen möglichen Prädikate noch nicht hinreichend verteidigt und in seinen notwendigen Voraussetzungen abgesi c h e r t , wenn man wegen der Undurchlaufbarkeit unendlich vieler Aussagen die Vermeidung des Widerspruchs auf jeweils eine b e liebige Prädikation einschränkt, die ihre eine Bedeutung d u r c h die intensionale Bestimmtheit des Prädikats haben soll. Auch in Platons Fassung des Widerspruchsprinzips ist schon die notwen dige Identität des Subjekts der Prädikation festgehalten, [ 2] von der die Eindeutigkeit des Aussagesinns ebensosehr wie von d e r Bedeutungsidentität des Prädikats abhängt. Die Subjektidentität kann weder durch die Angabe eines konkret n u r gemeinten, aber doch in leerer Allgemeinheit gesagten Dieses' noch in dem jetzt thematischen Fall einer unendlichen Reihe möglicher Prä dikate gewahrt werden, wenn diese zwar jedes für sich a u s g e sagt werden können, aber untereinander doch vollkommen gleichgeordnet sind. Denn ihr Subjekt könnte ganz beliebig bald unter dem einen seiner Prädikate wie 'gebildet' und bald u n t e r einem anderen wie 'bleich' und so weiter aufgefaßt werden. Da mit wäre es zwar kein abstrakt unbestimmtes Dieses mehr, aber auch kein gemeinsamer Bezugspunkt zweier Prädikationen wie Ρ und nicht P, hinsichtlich dessen sie als widersprüchlich b e u r teilt werden könnten, weil das Gebildete ohne weiteres Ρ und das Bleiche zugleich nicht Ρ sein k a n n . Wenn alle Prädikate gleichermaßen als n u r zukommende (kata symbebekos), d . h . nicht das Wesen der Sache ausmachende, ausgesagt werden - so formuliert Aristoteles die Schwierigkeit dieser Position[3] - und ein Zukommendes soviel wie eine Aussage über ein (bestimmtes) Zugrundeliegendes bedeutet, dann fehlt ein erstes Worüber der Aussagen und man muß (auf der Suche nach ihm) - e n t s p r e chend der Unerschöpflichkeit der Prädikate - ins Unendliche gehen. Deshalb muß das Subjekt, bevor ihm etwas zukommt, an ihm selber schon durch eine nicht austauschbare Bestimmung iden tifiziert sein. Weil die unverzichtbare intentionale Einheit dieser Bestimmung - und damit auch diejenige eines jeden durch sie Bestimmten - n u r in ihrem definitorischen Begriff expliziert und gesichert werden k a n n , folgt aus der wahren Bezeichnung eines Gegenstands z . B . als Mensch, daß er auch das sein muß, was es heißt, ein Mensch zu sein, also etwa ein zweifüßiges Lebewe s e n . [4] Diese Notwendigkeit, die sich aus dem begrifflichen 1
In der Textfolge greife ich hiermit auf den Abschnitt 1007a 20 - b 18 v o r a u s , der die Notwendigkeit eindeutiger Wesens begriffe von Substanzen nachzuweisen h a t , eine Notwendig keit, die schon in 1006 b 28ff beansprucht wird. 2 Rep. IV 436 b , v g l . Phd. 102 e 3 Met. Γ 4, 1007 a 33 - b 1 4 Ebenda 1006 b 28-34, v g l . 1006 a 32ff
312 Charakter der Bedeutungsidentität e r g i b t , formuliert Aristoteles sogleich zu einem ursprünglichen Ausschluß des Widerspruchs um und grenzt so mit der bestimmten Identität des Subjekts erst eine Bedingung für widersprüchliches Zukommen a b . Die Notwendigkeit, daß die Definition der Bestimmung von dem so Bestimmten gilt, ist nämlich nichts anderes als die Unmöglich keit, von demselben, das man in dem vorliegenden Fall 'Mensch' genannt h a t , zu sagen, es sei kein zweifüßiges Lebewesen - falls genau das mit Menschsein gemeint ist - ; aufgrund des so explizierten Wortsinnes wird auch die Unmöglichkeit s t r i n g e n t , von demselben zugleich wahr zu sagen, es sei ein Mensch, u n d , es sei kein Mensch. Indem das Aussprechen d e s s e n , was mit einer Bestimmung gemeint i s t , eine notwendige Konsequenz e n t hält, impliziert es also zugleich - weil Notwendigkeit die Unmög lichkeit des kontradiktorischen Gegenteils ist - den Ausschluß des Widerspruchs. Das heißt, die Explikation des Widerspruchs prinzips d u r c h Bedeutungsidentität und Wesensbegriff kehrt zu ihrem nun konkretisierten, auf die Definitionslogik bezogenen Ausgangspunkt zurück; weder der Widerspruch kann ohne We sensbestimmungen, noch können diese ohne die Widerspruchs freiheit gedacht w e r d e n . [ 1 ] Auf diese Weise entwickelt die Reflexion auf die Bedingungen, u n t e r denen das erste der apriorischen Prinzipien allein sinnvoll i s t , dieselbe normative Konzeption einer je ausschließlichen, definitorisch festlegbaren Wesensbestimmung der Urteilssubjekte, die auch in dem Begriff von unmittelbaren, aus der Erfahrung gewonnenen Definitionen als Wissensprämissen enthalten i s t . I n sofern konvergieren allgemeine, apriorische und b e s o n d e r e , e r fahrungsabhängige Prämissen im Begriff d e r Substanz, von dem 1
Zufolge des Vorgriffs auf die Argumentation mit dem S u b stanzbegriff (1007 a 20 - b 18) kann die Widerspruchsfreiheit so als logische Implikation jenes Begriffs dargestellt werden. Obwohl das eine Veränderung der Textfolge e r f o r d e r t , scheint es mir der p a r a p h r a s i e r t e n Überlegung in 1006b 28-34 besser gerecht zu werden als Zwergeis Interpretation (Princípium contradictionis, S.121). Diese führt die vom Wi d e r s p r u c h s p r i n z i p bloß negativ gewendete Notwendigkeit, einem beliebigen Subjekt seinen Wesensbegriff zuzuerkennen, auf die "Unverträglichkeit von Bestimmungen" wie 'zweifü ßiges Lebewesen' und 'nicht-zweifüßiges Lebewesen' z u r ü c k , ganz entsprechend dem unmittelbar vorangehenden Text 1006 b 22-28. Von solchen Bestimmungen deutet Aristoteles in 1006 b 28-34 aber nichts mehr a n , vielmehr wendet er die Notwendigkeit, von einem gültig bestimmten Subjekt die De finition seiner Bestimmung zu affirmieren, zur Unmöglichkeit, sie von ihm zu v e r n e i n e n . Die Unvermeidbarkeit der Affir mation selber scheint mir erst in den folgenden Passagen 1007 a 8-20 und a 20 - b 18 nachgewiesen zu werden.
313 Aristoteles ausdrücklich s a g t , daß er e r s t das Widerspruchs prinzip einleuchtend mache.[1] Zwar müssen die Definitionen, die einer Wissenschaft zugrunde gelegt werden, nicht immer Begriffe speziellster Arten (infimae species) von Substanzen und damit unmittelbare Begriffe e r f a h r b a r e r Individuen sein, wie es etwa von einer aristotelischen Anthropologie angenommen werden k ö n n t e . Aber der am Schluß der Zweiten Analytiken vorgeschlagene Abstraktionsgang von wahrgenommenen Menschen zum Lebewesen und so weiter bis zu einem letzten Allgemeinen, hier der Substanzkategorie, macht klar, daß der logische Zu sammenhang allgemeiner Termini mit der Wesensbestimmung von Einzelnem allen Prämissen der Wissenschaften ebenso u n e n t b e h r lich ist wie ihre Beziehung auf Erfahrung als ihr eigentümliches Vorwissen, mit dem sie durch stufenweise Verallgemeinerung verknüpft sind. Daß der Zusammenhang mit letzten, an ihnen selbst wesentlich bestimmten Subjekten für das Wissen auch di rekt aus Gründen seiner Endlichkeit für konstitutiv erklärt wird, das soll zum Abschluß der wissenstheoretischen Analyse des Substanzbegriffs am Text gezeigt werden. 4. Der normative Charakter des aristotelischen
Wesensbegriffs
Zuvor ist aber noch auf die Qualifikation einzugehen, die Kon zeption sei normativ, die alle Prädikationen, um sie ü b e r h a u p t widerspruchsfähig zu machen, auf wohldefinierte Subjekte b e zieht. Immerhin beruft sich Aristoteles, wenn er Bestimmungen wie 'Mensch' und 'Holz' gegenüber anderen wie 'Spazierenge1
Met. Γ 4, 1007 b 16ff. In Strenge dürfte mit dem Argument, daß ein Subjekt an ihm selbst schon wesentlich bestimmt sein muß, wenn ihm Bestimmungen widersprüchlich oder wider spruchsfrei sollen zukommen können, n u r die Unterscheidung von Wesensbestimmungen und zukommenden ( v g l . oben S.52ff), aber nicht die von Substanz und Akzidenzen als Implikation des Widerspruchsprinzips nachgewiesen sein, wie es Aristoteles' Rede von etwas, das die usia bezeichnet, in Verbindung mit dem Beispiel des Sokrates, dem verschiedene Eigenschaften zukommen, nahe legt. Damit das gemeinsame Subjekt mehrerer Aussagen allgemein auf jeweils ein e r s t e s in dem Sinn zurückgeführt werden kann (1007 a 33 - b 1 ) , in dem Sokrates und andere Substanzen reine Zugrundeliegen d e , d . h . in keinem Sinn mehr von anderem aussagbar sind, muß der besprochene Realitätsbegriff der E r f a h r u n g , daß wir es in der Welt mit mannigfaltigen selbständigen Objekten zu tun haben, hinzugenommen werden. Wissenstheoretisch wird diese Konkretisierung des Subjektbegriffs einerseits d u r c h die Abhängigkeit der Prämisseneinsicht von Wahrnehmung und Erfahrung legitimiert, andererseits durch eine noch zu besprechende Erklärung des Kategorienschemas selbst.
314 h e n ' , 'gebildet' und 'weiß' als substantielle, also als vorgängige Wesensbestimmungen ihres jeweils gemeinsamen Subjekts a u s zeichnet, durchaus auf den gängigen Sprachgebrauch, nach dem ein Mensch spazierengeht und Holz weiß i s t , aber nicht jeweils umgekehrt. [1] Die Frage nach der Verbindlichkeit dieser Me thode, ausgezeichnete e r s t e Gegenstandsbestimmungen festzu setzen, ist oben schon (S.185-188) im Hinblick auf die Defini tionen dieser Bestimmungen gestellt worden, die als Wesensbe griffe zugleich von dem jeweiligen Bestimmten, dem letzten Zu grundeliegenden gelten müssen. Hier soll noch ein anderer von Aristoteles selbst nahegelegter Aspekt derselben Frage erwähnt werden. Ein Urteil wie dasje nige, daß das Weiße - oder: der helle Gegenstand - Holz i s t , kann nämlich doch nicht ganz aus der Betrachtung ausgeschlos sen werden und ebensowenig Urteile des T y p s : Das Helle ist g r o ß . Die beiden zitierten Textstellen erwähnen auch solche Urteile, versuchen aber nicht, sie in einen Zusammenhang zu b r i n g e n , aus dem ihre Möglichkeit neben der ursprünglichen Urteilsform, nach der die Eigenschaft 'hell' von der Substanz 'Holz' ausgesagt wird, eingesehen werden könnte, denn an bei den Stellen geht es ausschließlich darum, die Ursprünglichkeit der Substanz nachzuweisen. Der Zusammenhang, aus dem die als abgeleitet einzuordnenden Aussagen verstanden werden kön nen, wird von Thomas zuweilen angedeutet: [ 2] Die substantielle Bestimmung eines Gegenstandes ist ebenso wie der Begriff da von, was es heißt, von dieser Bestimmung zu sein, also d e r definitorische Wesensbegriff, das Ergebnis eines Erkenntnis p r o z e s s e s , der von anderen Bestimmungen desselben Gegen stands ausgeht und sich in ihnen bewegt, also solchen, die von seinem Resultat her b e t r a c h t e t , nicht mehr als eigenste Bestim mungen der Sache, sondern als ihr n u r auch noch zukommende Eigenschaften angesehen werden müssen. Insofern aber alle Er kenntnis als Prozeß gedacht werden muß, wenn sie aufgrund eines zuvor Erkannten anderes bestimmen soll, erscheinen sol che vorläufigen Bestimmungen eines E r f a h r u n g s - und Urteils subjekts als ganz unumgänglich und völlig legitim.[3] 1 2
Met.Γ 4, 1007 b 1-6; A n . p o s t . A 22, 83 a 1-14 In 2 An.post. 1. 13, 533; v g l . 1. 7, 475f. Aristoteles v e r meidet diese Problemstellung in seinem Beispiel für eine Be griffsbildung ( v g l . oben 1 . K a p . , 3 . ) , insofern 'magnanimitas' von vornherein als die Sache, um die es g e h t , im Sinn i h r e r vordefinitorischen Bekanntheit vorausgesetzt wird, s . An. p o s t . 13, 97 b 15ff, und schließt die hier intendierte E r klärungsmöglichkeit sogar a u s , s . A n . p o s t . B 8, 93 a 24ff. 3 Auch Aristoteles läßt sie mitunter zu, wenn es Eigenschaften sind, die sich auch wieder aus dem einmal erreichten We sensbegriff herleiten lassen ( v g l . oben S.211-214). Damit ist der Zusammenhang der legitimen Vorbegriffe von einer Sache
315 Wenn man v e r s u c h t , die Allgemeinheit dieser Einsicht in die prinzipielle Prozessualität des Erkennens mit ihren Konsequen zen wirklich zur Geltung zu b r i n g e n , dann wird ohne weiteres deutlich, daß Aristoteles in der Prinzipienfrage - also besonders hinsichtlich der substantiellen Bestimmungen - Prozessualität meist auf vorgängige Wahrnehmungen und Erfahrung reduziert, die schon u n t e r dem impliziten Gesichtspunkt derselben jewei ligen Substanz stehen; innerhalb der Entwicklung solchen Vor wissens vollzieht sich also kein Wechsel in der Bestimmtheit des Subjekts der Erfahrungsurteile. Denn umgekehrt kann u n t e r dem Aspekt prinzipieller Prozessualität des Erkennens die Frage nach der Substanz immer wieder als offen betrachtet und neu gestellt werden, kein Resultat kann sich mit Gewißheit als end gültiges, als die schlechthin wahre Bestimmung des Wesens des Gegenstandes ausweisen. Damit aber wird alles Erkennen hypo thetisch, das aus den Definitionen oder Begriffen solcher We sensbestimmungen - unmittelbar oder durch Verallgemeinerung vermittelt - folgernd entwickelt wird, und hört insofern auf, Wissen im Sinn der Zweiten Analytiken zu sein. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn es um alltäg liche Erfahrungserkenntnisse g e h t , wie etwa, um mit Thomas zu r e d e n , wenn jemand etwas sich schnell Bewegendes sieht und es dann - aufgrund noch weiterer Beobachtungsdaten - als einen Hasen e r k e n n t , kommt man ziemlich schnell von den akziden tellen Bestimmungen, deren vorläufiger Charakter auch bewußt i s t , auf eine schon bekannte substantielle z u r ü c k , gliedert also einen zuerst nur partiell bestimmten Beobachtungsgegenstand in den Erfahrungshorizont ein, in dem Schnelligkeit e t c . als Eigen schaft, aber nicht als Wesensbestimmung von Lebewesen schon vorgesehen i s t . Auf Probleme der wissenschaftlichen Forschung ist dieses Modell aber gerade nicht zu ü b e r t r a g e n , weil die Wissenschaft zuweilen an dem Schema i h r e r Gegenstände, das den Begriff i h r e r Ergebnisse einordnend schon antizipiert, nicht festhalten k a n n , also die Wesensbestimmungen letzter Subjekte angesichts bestimmter Wissensfortschritte zu bloßen Akzidenzen herabsetzen muß. So gibt es nach Aristoteles eine allgemeine Übereinstimmung d a r ü b e r , daß die vier Elemente, Feuer, E r d e , Wasser und Luft, Substanzen s i n d , [ l ] und die antike und mittelalterliche Natur wissenschaft hatte auch keine hinreichenden Gründe, diese S u b stantialität der Elemente in Zweifel zu ziehen. Wie aber könnte die aristotelische Wissenstheorie den Übergang zum chemischen mit ihrem Wesensbegriff auf die Bedingungen eingeschränkt, u n t e r denen eine notwendige Konsequenz deduktiv zu bewei sen i s t , insbesondere auf die Bedingung, daß der Begriff der Eigenschaft mindestens ein Moment enthalten muß, das auch im Wesensbegriff der Sache vorkommt. 1 Met. H 1, 1042 a 6ff; v g l . P h y . 1, 192 b 8-12
316 Periodensystem der Elemente und schließlich den zur Physik der Elementarteilchen d e u t e n , in denen sich mit einem neuen Ele ment- u n d , wenn man so will, Substanzbegriff auch eine Neuein schätzung dessen vollzieht, was zuvor als Substanz galt, indem es nun als eine Folgeerscheinung oder ein komplexer Zustand der - jetzt - wahren Substanzen angesehen wird? Wenn d e r Fortschritt der Wissenschaften dazu zwingt, auch mit Bezug auf die Bestimmungen der letzten Subjekte - und deshalb auch h i n sichtlich i h r e r Definitionen in der Funktion e r s t e r unmittelbarer Prämissen - eine begriffliche, d . h . nicht n u r von der Wahrneh mung zu ihrem Begriff führende Prozessualität des Erkennens anzunehmen, dann kann man nicht mehr umhin, die ersten P r ä missen der Wissenschaften als hypothetische aufzufassen. Das aber bedeutete das Eingeständnis, daß die axiomatische Abge schlossenheit einer Wissenschaft n u r aus Gründen der d i s k u r siven Beweisbarkeit ihres Gesamtzusammenhangs konstruiert i s t . Insofern ist die aristotelische Wissenstheorie also normativ, als sie eine inhaltliche Entwicklung und Veränderung von e r s t e n Prämissen nicht vorsieht, sondern jede Wissenschaft insbeson dere an bestimmte Definitionen bindet, mit denen letzte Subjekte begriffen werden, und zwar in dem Sinn, daß es sich auch mit der Sache so v e r h ä l t . [ 1 ] Daß die Erkenntnis der Wesensbestim mungen d u r c h Definition nicht n u r in Wahrnehmungen und E r fahrung vorbereitet wird, sondern zugleich unmittelbare Ver nunfteinsicht (nus) sein soll, das erweist sich in der Abhand lung über die Seele als bewußtseinstheoretische Absicherung der Wahrheit der Definitionen als e r s t e r Prämissen: [2] Wie sich der Gesichtsinn bei Farben nicht i r r t , so ist auch die Ver nunfterkenntnis des Wesens - nicht aber die von synthetischen Sachverhalten - immer wahr. Interpretierend kann man sagen, weil vollkommenes Wissen im aristotelischen Verstande von schlechthin gültigen Wesensbegriffen seiner Gegenstände a u s gehen muß, deshalb ist Aristoteles auch zur normativen An nahme einer unbezweifelbar wahren Erkenntnisweise mit Bezug auf dieselben Definitionen genötigt, wenn er die Möglichkeit von Wissen im Rahmen seiner Theorie nachweisen will. - Wenn sich also in einem langen Forschungsprozeß wie etwa der Geschichte der Elemententheorie herausstellt, daß die Prämissen jedenfalls ihrem Anspruch nach, erste zu sein oder ursprüngliche S u b jekte zu definieren, falsch waren, dann bedeutet das dem a r i stotelischen Wissensbegriff nach zugleich, daß man es gar nicht mit einer Wissenschaft zu tun h a t t e . Die Selbstverständlichkeit, mit der im mittelalterlichen Aristotelismus von den Wesensbe stimmungen der wirklichen Dinge die Rede i s t , und die mit sol cher Fraglosigkeit im Prinzipiellen verbundene E r s t a r r u n g d e r auf der Aristoteleskommentierung fußenden Philosophie entbeh ren offensichtlich nicht jeder Grundlage in der Philosophie des Aristoteles s e l b s t . 1 2
An.post. A 19, 81 b 17f An. Γ6, 430 b 27-30; v g l . oben S.191 Anm.1
317 5. Das Kategorienschema schaftlicher Beweise
als
theoretische
Bedingung
wissen
Die aristotelischen Texte thematisieren in der Regel n u r einen Aspekt der mehrfachen Funktion systematischer Synthesis, die der Substanzbegriff jeweils als die objektive Verwirklichung des Vernunftprinzips 'Begrenzung' a u s ü b t : Entweder die s u b s t a n tielle Form als praktisch begriffene Zweckursache von Natur prozessen oder die Substanzen als Inbegriff einer an vorfind baren Dingen orientierten selbstverständlichen Erfahrung und deshalb auch als letzte, Widerspruch und Widerspruchsfreiheit ermöglichende Subjekte von Erfahrungsurteilen oder schließlich diese Subjekte als Begrenzungen des Systems allen Wissens, weil durch ihre Begriffe erste Prämissen der verschiedenen Wis senschaften. Immerhin wird in den Zweiten Analytiken nicht n u r der besprochene Zusammenhang der ersten Prämissen mit gleich sam auf sie zugeschnittener Wahrnehmung und Erfahrung h e r vorgehoben, sondern aufgrund des Begriffs vom Beweisver fahren auch die endliche Systematik der Sachbestimmungen ü b e r h a u p t entwickelt, die im Kategorienschema ihre adäquate - weil Verallgemeinerung und Besonderung gleichermaßen b e grenzende - Form gewinnt. Wenn man aus dem weit gespannten Gedankengang ( A n . p o s t . A 19-23) die für dieses Thema wichtigsten Momente entnehmen will, ist das erste die Formalisierung der Beweise, die deren logische Grundlage als eine Reihe von Bestimmungen darstellt, von denen jeweils die einen, die allgemeineren, einsinnig von den anderen präzidiert werden k ö n n e n . [ 1 ] Ein Beweis besteht d a r i n , daß zwei Bestimmungen, die, auf eine solche Reihe b e zogen, nicht unmittelbar aufeinander folgen, wie etwa Mensch sein und Akzidenzenhaben, d u r c h Einfügen von Zwischenglie dern zu einer Konklusion v e r b u n d e n werden: Jeder Mensch wird als Körperding und jedes Körperding als Träger von Akzidenzen gedacht, und dann werden wiederum, damit auch diese vermit telnden Prädikationen als gewiß gelten können, weitere Prädika te wie 'Lebewesen' zwischen 'Körperding' und 'Menschsein' und 'Substanz' zwischen 'Körperding' und 'Akzidenzenhaben' einge schoben. Daß alle diese Prädikate ihren jeweiligen Subjekten an ihnen selbst (kath' h a u t o ) , d . h . aufgrund der Definition des Subjekts oder des Prädikats, zukommen, gehört ohnehin zum
1
An.p ost. A 19, 81 b 10-18. Daß hier u n t e r Prädikation nicht die abgeleitete oder akzidentelle des Typs 'Das Bleiche ist ein Mensch', sondern diejenige zu v e r s t e h e n i s t , mit der von einer Substanz ein Moment ihres Wesens oder ein Akzidens ausgesagt wird, das wird in einem Vorgriff auf A 22 schon in den Zeilen 81 b 23-29 b e d e u t e t .
318 Begriff des Beweises und braucht hier nicht eigens erwähnt zu werden.[1] Die Möglichkeit der Beweise hängt nun davon a b , ob die einzu schiebenden Zwischenglieder zweier Bestimmungen unendlich viele sein können oder ob es Prädikationen gibt, bei denen sich Subjekt und Prädikat ganz unmittelbar zueinander v e r h a l t e n . [2] Dabei kann man in der Interpretation über diesen n u r fragen den Text hinausgehen und voraussetzen, daß eine unendliche Vermittlung diskursiv nicht zu vollziehen, der Beweis also auf unmittelbare Prädikationen angewiesen i s t . Wenn Aristoteles auch hier schon s a g t , die Möglichkeit unendlicher Vermittlung b e d e u t e , daß alles beweisbar sei, dann unterscheidet sich das in der Sache nicht von der Folgerung, Beweise würden unmöglich. Denn bezogen auf das Schema der vermittelnden Bestimmungs reihen kann Unbeweisbarkeit einer Aussage ü b e r Faktisches wie 'Sokrates geht spazieren' nicht anders ausgedrückt werden, als daß zwischen Subjekt und Prädikat unendlich viele Vermitt lungsglieder eingefügt werden müßten - vergleichbar dem Schnittpunkt der Parallelen im Unendlichen, zumal Aristoteles selber geometrische Veranschaulichungen wie die vom unteil baren Abstand gebraucht; [3] also wäre in einem unendlichen Vermittlungsgang - seiner bloßen Idee nach - auch Faktisches, also alles beweisbar, im Hinblick auf seine Unvollziehbarkeit aber n i c h t s . [4] 1
Tugendhat, Ti kata tinos, S.126, weist unanfechtbar darauf hin, daß Aristoteles selbst in A n . p o s t . A 4, 73 b 32f, d e r a r tige Schlüsse, die allein auf Subsumtion b e r u h e n , von den wissenschaftlichen Beweisen ausgeschlossen h a t . Wissen schaftliche Beweise sollen vielmehr Eigenschaften mit ihrem spezifischen, möglichst allgemein begriffenen Subjekt - und nicht mit dessen Unterarten - durch Vermittlung einer a n deren Eigenschaft desselben Subjekts v e r k n ü p f e n ; so voll ziehen sie anders als bloß subsumierende Schlüsse einen wirklichen Erkenntnisfortschritt. Jedoch zeigt Tugendhat auch, daß solche spezifischen Beweise aus allgemeineren Sät zen begründet werden müssen, daß also auch diese Konzep tion der Beweise auf Subsumtionen angewiesen bleibt ( a . a . O . S.131ff). - Im Zusammenhang mit der Endlichkeit der Be weisketten hat Aristoteles offenbar n u r noch das Moment der Subsumtionen im Sinn, denn er charakterisiert die zu p r ä dizierenden Termini mit 'nach oben' und 'nach unten' und s a g t , er meine damit die allgemeineren und die besonderen ( A n . p o s t . A 20, 82 a 21-24). 2 An.post. A 19, 82 a 2-8 3 An.post. A 22, 84 a 33ff 4 Faktische, also unbeweisbare Urteile wie "Sokrates geht s p a zieren" werden auch einmal als unmittelbare bezeichnet, von denen sich die gleichfalls unmittelbaren ersten Prämissen
319 Die Lösung dieses Problems wird nicht unmittelbar v e r s u c h t , sondern indem die Endlichkeit oder Unendlichkeit des Systems der Bestimmungen und Begriffe im ganzen anhand i h r e r gerich teten und deshalb eine einsinnige Reihe ergebenden Funktion in Urteilen diskutiert wird. Also so, daß gefragt wird, ob es ein letztes Subjekt, das von keinem anderen mehr ausgesagt wird, gebe und entsprechend ein letztes Prädikat, von dem nichts anderes mehr prädiziert werden k a n n . [ l ] Man kann vermuten, daß Aristoteles diese betont systematische Form der Fragestel lung gewählt hat, um die Endlichkeit von Beweisen auch auf grund eines Nachweises der Kategorien, also im Rahmen einer Theorie vom Urteil überhaupt sichern zu können. Denn dasje nige der in Kap.22 vorgebrachten Argumente, das kaum auf die Form des Urteils, weder im Allgemeinen noch hinsichtlich der notwendigen Urteile der Beweise, eingeht, zeigt ganz unmittel b a r , daß der Beweis eines Urteils, das aus einem anderen ihm vorgeordneten hergeleitet werden kann - wie etwa 'Ein Mensch hat Akzidenzen' aus 'Jede Substanz hat Akzidenzen' - , n u r möglich i s t , wenn die zwischen beiden Urteilen zu vollziehenden Aussagen nicht undurchlaufbar ins Unendliche fortgehen. [ 2] durch ihre Notwendigkeit unterscheiden sollen ( A n . p o s t . A 33, 88 b 30 - 89 a 10). Das muß kein Widerspruch zu d e r Interpretation sein, im Fall unendlich vieler Vermittlungs schritte unterscheide sich deshalb nicht mehr Beweisbares von bloß Faktischem oder sei deshalb alles beweisbar, weil auch Behauptungen bloßer Tatsachen so vorgestellt werden können, als sei ihre Vermittlung unendlich. Denn bedenkt man, was das heißt, dann zeigt sich dasselbe Resultat: Sub jekt und Prädikat einer Tatsachenaussage haben keine wirk lich vollziehbare logische Vermittlung oder sind unmittelbar im Sinn von unvermittelt. In der Bestimmung, daß sich die ersten Prämissen durch Notwendigkeit auszeichnen, ist die besondere Charakteristik i h r e r Unmittelbarkeit enthalten, daß ihr Subjekt und Prädikat sich wie Definiens und Definiendum zueinander verhalten. Dagegen enthält von den Satzteilen einer Tatsachenbehauptung weder der eine den andern in seiner Definition noch kann er durch sie einer Vermittlung mit dem anderen näher gebracht werden. 1 An.post. A 19, 81 b 30 - 82 a 2 2 An.post. A 22, 83 b 32 - 84 a 1. Es fällt auf, daß die beiden anderen Argumente von dem allgemeinen ("oberen") und dem besonderen ("unteren") Extrem der Bestimmungsreihen als dem s p r e c h e n , was nicht ins Unendliche iteriert werden kann (ebenda 83 b 1ff, 7, 12f, 24-28 sowie 84 a 9f, 21f, 28), aber nicht von Zwischengliedern. Wenn auf der anderen Seite das hier herangezogene 'unmittelbare' Argument fortfährt, falls sie (die Zwischenaussagen) nicht aufhörten, sondern zu der jeweils erfaßten es immer noch eine höhere g ä b e , dann sei alles beweisbar (ebenda 84 a 1 f ) , so bleibt die Vorstellung
320
Wenn aber n u r die direkte Abhängigkeit jedes nichthypotheti schen Wissens von der Möglichkeit endlicher Vermittlung zwi schen Urteilen bzw. Bestimmungen nachgewiesen w ü r d e , könnte ein Vertreter der Antithesis - im Sinn des Antinomienproblems immer noch antworten, Aristoteles' Konzeption sei n u r ein Mo dell, denn aus Gründen d e r Unendlichkeit der Vernunft sei Wis sen gerade nicht in dem aristotelischen Sinn, sondern n u r als hypothetisches oder dialektisches möglich, d . h . auf d e r G r u n d lage bloß gemeinhin a n e r k a n n t e r vermittelnder Prinzipien. [1] Angesichts der Möglichkeit eines solchen Einwands gegen das Argument, das die Endlichkeit von Bestimmungsreihen unmittel bar als Voraussetzung von Beweisen einsichtig macht, leuchtet der im Text verwirklichte Gedanke ohne weiteres ein: Die Kon zeption der Thesis kann wirkungsvoller verteidigt werden, wenn ihre Gültigkeit nicht isoliert mit Bezug auf die Wissensfrage behandelt, sondern aus einem umfassenderen Vernunftbegriff b e g r ü n d e t wird, also aus einer Analyse des vorwissenschaftli chen, erfahrenden Bewußtseins. Kann man nämlich an S t r u k t u r e n , die sich in der unsystematischen Erfahrung und der aus Prinzipien folgernden Wissenschaft durchhalten, dieselbe End lichkeit nachweisen, die zur Möglichkeit assertorischer Beweise erfordert wird, dann drückt allein die Thesis mit ihren Konse quenzen zutreffend den Begriff a u s , den die Vernunft durch ihre Erfahrung mit sich selbst von sich gewinnen kann und d e r nach Aristoteles am ehesten mit 'Prinzip von Begrenzung' zu umschreiben wäre. Sieht man einmal versuchsweise von den a n deren genannten Verwirklichungen dieser Konzeption a b , dann ist an der jetzt thematischen Stelle des Gedankengangs a b z u sehen, wie das wissenstheoretische Argumentationsziel gegen über der Antithesis der allgemeinen Analyse sprachlicher Ver nunft gleichsam eine Aufgabe stellt, nämlich endliche S t r u k t u r e n zu finden. Als die S t r u k t u r , die für alltägliche Erfahrung und wissenschaftliche Erkenntnis gleichermaßen grundlegend i s t , behandelt diese Untersuchung, die sich ausdrücklich als logisteigender Vermittlungsstufen - und damit verschiedener Allgemeinheitsgrade - auf diese Weise im Kontext eines zu zergliedernden logischen Abstandes. Im übrigen macht na türlich Aristoteles klar, daß die beiden Fragen - nach der Vermittlungsmöglichkeit zwischen zwei Bestimmungen und nach der Begrenzung einsinniger Bestimmungsreihen - als ein und dieselbe gedacht werden müssen. Weil sich das aber erst zeigen muß und sie zunächst als zwei vorgestellt wer d e n , ist es nicht sinnlos, auf mögliche Gründe der Erwei t e r u n g der Problemstellung, die anfangs als Umweg e r s c h e i nen muß, einzugehen, zumal sie für das Argumentationsziel entbehrlich zu sein scheint. 1 An.p ost. A 19, 81 b 18-22
321 sche v e r s t e h t , [1] das Urteil und konvergiert deshalb mit der Explikation des Widerspruchsprinzips. Entsprechend diesem Argumentationsgang, der die g r u n d s ä t z liche Vermittelbarkeit mancher Bestimmungen auf dem Weg ü b e r die Endlichkeit der Bestimmungsreihen zu entscheiden s u c h t , stellt Aristoteles die Frage nach d e r Vermittelbarkeit oder nach der Möglichkeit von Beweisen überhaupt u n t e r der Bedingung, daß man beim Durchlaufen der Bestimmungsreihen zum Allgemei neren oder Besonderen hin immer zu bestimmten Extremen kommt. [2] Auch im Anschluß an die Exposition der Fragen, also vor Aufnahme der Urteilsanalyse zeigt e r , daß schrittweise Ver mittelbarkeit und Endlichkeit oder Unendlichkeit der ganzen Reihe in Wirklichkeit ein und dasselbe Problem s i n d . [ 3 ] Deshalb ist am Ende der Untersuchung mit der Endlichkeit der Bestim mungsreihen auch die prinzipielle Möglichkeit von Beweisen in dem Sinn gesichert, daß die Zwischenglieder zweier Bestimmun gen in einer Reihe n u r begrenzt sind. [4] Der Abschnitt über die Urteile im allgemeinen beginnt mit der Unterscheidung der Aussagen schlechthin von den "akziden tellen" Aussagen des Typs 'Das Bleiche ist ein Mensch, ist g e bildet' [5] und führt ganz übereinstimmend mit der Explikation des Widerspruchssatzes auf den entscheidenden Begriff eines e r s t e n Zugrundeliegenden verschiedener Urteile. Das Verhältnis der beiden Aussagentypen wird auf dieselbe Weise wie das Ver hältnis von Beweisen bzw. bewiesenen Sätzen und ersten P r ä missen in den Wissenschaften begriffen, nämlich als Abhängig keit und Nachordnung eines Vermittelten gegenüber einem Un mittelbaren, wenn auch diese Terminologie nicht angewandt wird. Die rein formale Begründung der Möglichkeit eines Ur teils, dessen Subjekt Aristoteles als akzidentelle Bestimmung qualifizieren w ü r d e , in einem anderen Urteil macht jenes erste zu einem vermittelten. Was das heißt, stellt sich am klarsten an Urteilen des Typs 'Das Bleiche geht spazieren' d a r , also sol chen, die eine akzidentelle Bestimmung von einer anderen a u s sagen, denn sie sind n u r u n t e r der Bedingung a n d e r e r Urteile möglich, die beide Bestimmungen auf ein identisches und noch anders bestimmtes Subjekt wie 'ein Mensch' beziehen: Weil die sem Menschen Bleichsein und Spazierengehen zukommen, deshalb kann man dann auch sagen, das Bleiche gehe spazieren und umgekehrt. [6] Wird dagegen die Subjektbestimmung von einer akzidentellen ausgesagt wie 'Das Helle ist Holz', dann kann das vermittelnde Dritte, dem beide zukommen, nicht auch als anders 1 2 3 4 5 6
An.post. An.p ost. An.post. An.post. Ebenda, Ebenda,
A A A A 83 83
2 1 , 82 19, 82 20 22, 84 a 1-18 a 10ff;
b 34ff a 2f a 29f Met. Γ 4, 1007b 2-5
322
bestimmt gedacht werden, sondern n u r als a b s t r a k t e s Dieses, als Subjekt ü b e r h a u p t : Das Helle ist Holz, weil dasjenige, dem es zukommt, hell zu sein, Holz i s t . [ l ] An solchen Beispielen, bei denen sprachliche Konvention und der gegenständliche Charakter des Gemeinten einander zu b e stätigen scheinen - anders könnte man etwa schon das Verhält nis eines Menschen zu seinem 'Akzidens' Arbeit einschätzen - , wird plausibel gemacht, daß die Subjekte von Urteilen unmittel bar n u r durch manche Bestimmungen wie 'Holz' und 'Mensch' bestimmt sein können, weil Urteile mit Subjekten, die d e r I n t e n tion nach dieselben, aber anders bestimmt sind, n u r aufgrund von solchen der ersten Art überhaupt verstanden werden kön n e n . Die Unselbständigkeit bzw. Vermitteltheit von Urteilen oder ihre Qualifikation, unmittelbar für sich allein gesagt wer den zu können, entscheidet sich für diese logische Betrach tungsweise danach, ob das Subjekt so, wie es gerade bestimmt i s t , als Subjekt verständlich fungieren k a n n , oder ob es dazu erst als etwas anderes gedacht werden muß; n u r im ersten Fall gilt das Urteil als eine Aussage im eigentlichen Sinn, im zweiten Fall dagegen höchstens als Aussage in einem abgeleiteten Sinn. [2] In dieser Präzisierung des Urteilsbegriffs kann man dieselbe Aporie wiederfinden, die Aristoteles hinsichtlich der e r s t e n Prämissen selbst a u s s p r i c h t . Nach dem Grundsatz, daß alle Er kenntnis auf einer ihr vorangehenden b e r u h t , kann weder eine wissenschaftliche Prämisse im Kontext des menschlichen E r kenntnisfortschritts überhaupt schlechthin ursprünglich und unbedingt einleuchten noch etwas so oder so ohne Beziehung auf andere Bestimmungen bestimmt sein. Beides ist ohnehin n u r ein Problem, denn als Definitionen sind die ersten Prämissen nichts anderes als Begriffe von unmittelbar bestimmten e r s t e n Subjekten oder von diesen gegenüber abhängigen Bestimmungen wie etwa der Zahl. Mit dem Grundsatz vom notwendig v o r a n g e henden Wissen wird zugleich die Prozessualität der Erkenntnis und die Relationalität i h r e r Gegenstände zur Geltung g e b r a c h t . Beides relativiert die wissenstheoretische Konzeption der The s i s , absolute Begrenzungen seien für Wissen und Logik ü b e r haupt konstitutiv, zu einem Begriff n u r hypothetisch gültiger Begrenzungen, sobald nach dem Erkennen gefragt wird, das der Einsicht in die ersten Prämissen, und nach dem Begriff vom 1 2
An.post. A 22, 83 a 4-9 Ebenda, 83 a 6f, 9f, 12-21; Met.Γ 4, 1007 b 5f. Daß als Prädikation n u r die eigentliche Aussage verstanden und im folgenden behandelt werden soll, b e g r ü n d e t der Text der Analytiken mit dem ausschließlichen Gebrauch solcher Aussa gen in Beweisen. So spricht Aristoteles selbst die Orientie r u n g der allgemeinen Urteilsanalyse an der vollendeten, d . h . wissenschaftlichen Erkenntnis a u s .
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Gegenstand, der der sogenannten Wesensbestimmung als von ihr verschieden und doch für sie begründend v o r a n g e h t . [ 1] Bei der Analyse der Urteile erwähnt Aristoteles diese Schwie rigkeit nicht und verläßt sich auf die Selbstverständlichkeit, mit der die sprachliche Konvention Gegenstände eindeutig mit jeweils einer Bestimmung so bezeichnet, daß man sie als ganze und nicht n u r hinsichtlich eines Moments oder einer Eigenschaft an ihnen meinen k a n n . Mit der Überlegung, daß Aussagen über dieselben Gegenstände n u r möglich sind, wenn diese als durch solche Bestimmungen bestimmt gedacht werden, daß also die Subjektfunktion im Urteil an jeweils eine Bestimmung des Ge genstandes gebunden i s t , hat Aristoteles in d e r Logik d e r Ur teile ein 'bestimmtes Extrem' gefunden, nämlich die bestimmte Einheit d e s s e n , von dem jeweils viele Prädikate ausgesagt wer den können. Die Prädikate werden ü b e r h a u p t erst dadurch zu Reihen zusammenfaßbar, daß alle gleichermaßen auf ein Subjekt, das seine Identität ausschließlich in einem bestimmten Prädikat h a t , als auf das je andere Relatum aller Aussagen bezogen wer d e n , ohne daß dieses Verhältnis ebensogut auch umgekehrt, die Subjektbestimmung von dem anders bestimmten Subjekt p r ä d i ziert werden könnte und die Aussage dann noch für sich g e nommen verständlich wäre. Die Thesis des Antinomienproblems braucht eine unbedingte Be g r e n z u n g , die n u r in einer einfachen, unmittelbaren Einheit b e stehen k a n n , weil jede andere Qualifikation das tatsächlich b e grenzende Moment weiter in die Differenzierungen und Bedin gungen verschieben würde, und solche Einheiten kann eine lo gische Untersuchung des sprachlichen Umgangs mit Dingen auch wirklich finden. In der Synthese dieser beiden theoretischen Momente, der wissenstheoretischen Notwendigkeit einer unmit telbaren Grenze und der sprachlichen Analyse der Urteile, wird das aristotelische Verständnis d e r Vernunft als eines Prinzips von Begrenzung - entsprechend dem Begriff der Zweckursa che - an einem Erkenntnisgegenstand, der bestimmten Substanz, realisiert, d e r dadurch als die wirkliche Grenze den Rang eines Prinzips erhält. Oder, um den Begründungszusammenhang noch anders zu verdeutlichen: Das Prinzip der Substantialität, daß das Einfache, Selbständige dem von anderem Abhängigen v o r zuordnen i s t , kann Aristoteles hier n u r auf das - dann so qua lifizierte - Verhältnis von substantiellen und akzidentellen Sub jektbestimmungen und auf das daraus gewonnene Verhältnis von Aussagen schlechthin und akzidentellen Aussagen anwenden und gleichsam ursprünglich e r p r o b e n , weil der zum voraus klare Begriff der Begrenzung ein solches unmittelbares Selbständiges, .1
Daß eine solche Frage auch für die Dinge der alltäglichen Erfahrung sinnvoll sein k a n n , zeigen etwa Heideggers Un t e r s u c h u n g e n zum Verweisungscharakter der Dinge im Ho rizont i h r e r Zuhandenheit, s . Sein und Zeit, § 15.
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das also nicht wieder auf anderes außerhalb seiner verweist, verlangt und weil man Anhaltspunkte für eine Entsprechung zu diesem Begriff in der Art und Weise, ü b e r Erfahrungsgegen stände zu urteilen, finden k a n n . Nur unter der Bedingung des zugrunde gelegten Vernunftbegriffs bedeutet die Entdeckung von Bestimmungen, u n t e r denen grammatische Subjekte ohne Rückbeziehung auf anderes als das Worüber von Aussagen v e r standen werden, die Ermittlung des Prinzips schlechthin. Als entscheidendes Erkennungsmerkmal der Wesensbestimmungen wurde oben (S.185f) schon erwähnt, daß sie nicht n u r selber als Prädikate von ihren Subjekten ausgesagt werden können, sondern auch ihren Definitionen nach ('Sokrates ist ein Lebe w e s e n . ' ) . Daher sind solche Aussagen, die nichts anderes zu dem immer als schon bestimmt zu denkenden Subjekt hinzuset zen, sondern n u r seinen Begriff explizieren, also sagen, was es heißt, so bestimmt zu sein, wie es vor allem bestimmt i s t , als analytisch von den Aussagen jeweils anderer Bestimmungen zu unterscheiden. Diesen ist es eigentümlich, immer n u r von sol chem gesagt zu werden, das an sich anders bestimmt i s t , also synthetisch, so daß ihr Begriff auch nicht ausdrücken k a n n , was es heißt, so bestimmt zu sein, wie das Subjekt als solches vorgängig bestimmt i s t . [ l ] Diese Einteilung der Urteile im eigentlichen Sinn in analytische und synthetische leitet die Ka tegorienlehre ein, die die Gesamtheit aller aussagbaren Bestim mungen dadurch b e g r e n z t , daß sie sie vermittelst einer Tafel i h r e r allgemeinsten Begriffe, i h r e r höchsten Gattungen, in Gruppen gegeneinander a n h e b t . [2] Mit Bezug auf die v e r s c h i e denen Schemata des Syllogismus war schon zuvor die Regel auf gestellt worden, daß die Begrenzung einer Gesamtmenge aus einer Begrenzung der Anzahl der Teilgruppen mit ihren jeweils begrenzten Teilmengen r e s u l t i e r t . [3] Für die Gesamtheit aller Bestimmungen ü b e r h a u p t legen die Kategorien eine begrenzte Anzahl von Teilgruppen fest, und hinsichtlich der bestimmten Subjekte, die in einem Urteil jeweils prädikativ weiterbestimmt werden, findet die Urteilsanalyse in den Substanzen eine abso lute Grenze. Die Frage der Begrenzung der Bestimmungsreihen in der Rich tung steigender Allgemeinheit ("nach oben") wird weniger p r ä zis und systematisch relevant als die Begrenzung d u r c h ein letztes Worüber behandelt: Von den substantiellen Begriffen wird klar gesagt, daß sie, um ihre definitorische Funktion e r füllen zu können, keine unendliche Reihe immer allgemeinerer Gattungen mit den zugehörigen Differenzen bilden d ü r f e n , denn eine Bedeutung könne n u r vermittelst durchlaufbar vieler b e grenzender Momente eingegrenzt werden. [4] Um aber die End1 2 3 4
An.post. Ebenda, A n . po s t . An.post.
A 22, 83 a 24-32 83 b 15ff A 2 1 , 82 b 29-33 A 22, 83 b 1-8; v g l . 82 b 37 - 83 a 1
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lichkeit akzidenteller Bestimmungsreihen zu b e g r ü n d e n , nennt Aristoteles acht Kategorien - es fehlen 'Haben' und 'Lage' - als allgemeinste Bedeutungen von Prädikaten ü b e r h a u p t oder als ihre Gattungen. [ 1] So begrenzt er die Zahl der Teilgruppen und macht zugleich die Begrenzung der Prädikate einer Gruppe einsichtig: Als höchste Gattungen schließen die Kategorien die zu immer allgemeineren Bestimmungen fortgehende Definition eines jeden Prädikats a b .
1
An.p ost. A 22, 83 b 12-17
DRITTER TEIL
ALTERNATIVE ANSÄTZE IN DER PRINZIPIENTHEORIE
1. Kapitel SELBSTBEWUSSTSEIN ALS EIN MOMENT DES WAHRHEITSBEGRIFFS 1. Die 'innere Rede' als Wahrheitsinstanz: ein Motiv der Anamnesistheorie des Wissens bei Aristoteles Der doppelte Begriff des Aristoteles von e r s t e n Prämissen des Wissens enthält auch entsprechende Varianten einer Antwort auf die Wahrheitsfrage. Wahrheitsprinzipien in dem Sinn hinreichen der Bedingungen für die deduktive Gewinnung inhaltlich wahrer Sätze, also materiale Wahrheitsprinzipien können n u r Defini tionen oder Wesensbegriffe u n t e r der Begrenzung jeweils eines der allgemeinsten Genera, d . h . einer der Kategorien sein. In dem solche Begriffe von dem, was es heißt, von einer s p r a c h lich schon geläufigen Bestimmung wie 'Mensch' zu sein, als im mer wahr gelten, [1] können sie Prinzipien für aus ihnen h e r leitbare, gleichermaßen allgemeine und notwendig wahre Sätze sein, also Wahrheitsprinzipien, wie sie das zweite Buch der Metaphysik c h a r a k t e r i s i e r t . [ 2] Die Frage bleibt allerdings, wie die speziellsten Definitionen, die Begriffe von den infimae s p e cies, deren Wissen für alle diese e r s t e n Prämissen v o r a u s z u setzen i s t , zwar aus vorangehendem Erkennen, Wahrnehmung und Erfahrung nämlich, aber doch ohne begriffliche Vermittlung gebildet werden. Thomas' Versuch, mit einem entwickelteren Begriff von tätiger Vernunft eine Antwort zu geben, wirft neue Probleme auf. Gerade dieser Aspekt erscheint bei dem anderen Typ von ersten Prämissen von vornherein klar zu sein, denn sie werden zu gleich als in höchstem Maß allen Menschen bekannt und als Be dingungen aller Erkenntnis schlechthin, also als Selbsterkennt nis der Vernunft eingeführt. [ 3] Wenn Aristoteles s a g t , was zu der von aller Argumentation vorausgesetzten Vernünftigkeit eines Gesprächspartners gehöre, das gelte nicht n u r notwendig, sondern leuchte auch notwendig ein, [4] nimmt er ebenso ein Selbstbewußtsein oder eine ursprüngliche Selbstdurchsichtigkeit der Vernunft an wie mit der Formulierung, was man erkennen müsse, um beliebiges zu e r k e n n e n , ü b e r solche Erkenntnis v e r füge auch tatsächlich ein jeder, und sie sei deshalb auch die bekannteste und gewisseste ü b e r h a u p t . [5] Andererseits sind diese Prinzipien zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingungen wahrer Sätze ü b e r bestimmte Gegenstände, weil sie von allen Unterschieden der Erkenntnisse, wie sie in höchster 1 2 3 4 5
An. Γ 6, 430 b 27-30; v g l . oben S.191, Anm.1, S.316 Met.α 1, 993 b 24-30; v g l . oben S.23-26 Vgl. oben Zweiter Teil, 2.Kap. 2. An.post. A 10, 76 b 23-27 Met.Γ 3, 1005 b 11-18
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Allgemeinheit durch die Kategorien gedacht werden, a b s t r a h i e r e n ; n u r durch Hinzunahme solcher schon besonderer Bestim mungen kann aufgrund der allgemeinsten apriorischen Prinzipien etwas bewiesen, also eine konkrete Wahrheit b e g r ü n d e t wer den.[1] Die Wahrheit der Prinzipien zeichnet sich dadurch a u s , daß je der I n t e r p r e t a t i o n s v e r s u c h , der sie im Sinn des Adäquations schemas von einer der Vernunft transzendenten Instanz a b h ä n gig machen wollte, von der aristotelischen Formulierung a b g e wiesen wird, es sei nicht die ä u ß e r e , sondern die innere Rede (logos), die nicht jeden Einwand zulasse, für die also, v e r s t e h t man sie als die mit sich selbst sprechende Subjektivität, [2] manches notwendig oder a priori klar und u n b e s t r e i t b a r i s t . Das Bewußtsein wird einer eigenen Wahrheitsinstanz i n n e , so bald die Gültigkeit d e r Prinzipien in Frage gestellt u n d , wie Aristoteles es t u t , an dem Versuch, sie zu b e s t r e i t e n , geprüft wird. Wenn man deshalb anhand von Problemen, wie sie die So phisten aufwarfen, die Unhaltbarkeit i h r e r Prinzipien einsieht, daß also etwa 'Sein' gleich 'jemandem Erscheinen' sei oder daß es ü b e r jede Sache zwei einander entgegengesetzte Aussagen g e b e , [3] dann erinnert man sich vermittelst solcher Kritik, ob sie nun wie die platonische im Theaitet oder wie die aristoteli sche im vierten Buch der Metaphysik argumentiert, an Begriffe wie Sein und Nichtsein, Identität und Verschiedenheit und Prin zipien wie das vom zu vermeidenden Widerspruch: Ihre nichtintendierte Beanspruchung auch durch die Sophisten weist auf eine gemeinsame Vernunft h i n , von der im Nachvollzug d e r Kri tik bewußt wird, daß man selbst sie zuvor unbewußt in An spruch genommen h a t . Da Aristoteles aus Abgrenzungsgründen diesen Erkenntnisprozeß nicht als Erinnerung beschreiben k a n n , erscheint seine Formulierung von einer inneren Rede, die nicht jeden Einwand zulasse, als seine deutlichste Annäherung an Pla ton. Denn dieser platonische Gedanke muß zum Verständnis d e r Anamnesistheorie schon vorausgesetzt werden. Indem Platon den Lernprozeß des Sklaven im 'Menon' wie einen Modellfall oder die Selbstdarstellung eines Bewußtseins auch für die anderen Gesprächsteilnehmer inszeniert, kann er sie, also Sokrates und - im Nachvollzug - Menon, dieselben S t r u k t u r e n des Erkenntnisprozesses kommentierend hervorheben l a s s e n , die auch, aber unvollständig d u r c h s c h a u t , die eigene aporetische Situation des Menon bestimmten; um deren Bewältigbarkeit theo1 2
3
An.post. A 32, 88 a 26 - b 3 So verweist Ross erläuternd auf Platons dialogischen Begriff der Seele, s . Aristotele's Prior and Posterior Analytics, S.540. Für Thomas ist jedoch dieser Zusammenhang in der Übersetzung 'ratio' für 'logos' nicht mehr faßbar, v g l . seine Interpretation, In 1 A n . p o s t . 1. 19, 161. Protagoras, fr. 1 u . 6 a
331 retisch einsichtig zu machen, will Sokrates ja die Gewinnung neuer Erkenntnis oder das sogenannte Lernen als Wiedererinne r u n g begreifen. Die E r k e n n t n i s s t r u k t u r , die Sokrates an dem Lernen des Sklaven demonstriert und die aller Wiedererinnerung noch v o r a u s g e h t , ist die des Selbstbewußtseins.[1] Zu einer bestimmten Frage weiß das Bewußtsein nicht einfach die adäquate Antwort, was immer das heißen möge, oder weiß sie nicht, sondern was man zunächst von ihm sagen muß, i s t , daß es von sich selbst annimmt, es kenne sich aus oder es wis se keinen Lösungsweg zu dem aufgeworfenen Problem; allein die letztere Selbstbeurteilung ermöglicht eine bewußte Suche nach Wissen und damit auch nach deren Vollzug als erinnernde Re flexion. Platon läßt Sokrates die Situation eines aufklärenden Gesprächs vorführen, in dem dem einen Partner sein Wissen ü b e r den Gegenstand ganz selbstverständlich i s t , der andere aber schon den nächsten Reflexionsschritt begleitend v e r t r i t t , das Bewußtsein also, dem jene Selbstverständlichkeit vergangen i s t , das erkannt h a t , daß das selbstverständliche Wissen n u r vermeintes, n u r Wissen für das Selbstbewußtsein war. Weil als Thema eine geläufige geometrische Aufgabe, der Satz des Py t h a g o r a s , gewählt wird, richtet sich die Aufmerksamkeit des Lesers genau wie die des Menon u n t e r Sokrates' Anleitung we niger auf die ohnehin schon bekannte Sache als auf das Ver hältnis des Lernenden zu i h r , das sich als ein bewußtes Ver hältnis des Lernenden zu seinem Wissen von der Sache zeigt. Dieses Verhältnis, das den 'inneren' Dialog ausmacht, die Beur teilung, Befragung, Bestätigung und Ungültigerklärung des eigenen Wissens, wird d u r c h den 'äußeren' Dialog dem Sklaven bewußt gemacht, indem Sokrates das Gespräch mit einer Frage nach seiner Kenntnis des Vierecks eröffnet. [2] Daß der Sklave seine - wie n u r die schon Belehrten wissen - irrige Meinung, die er zunächst für wahres Wissen hält, angesichts i h r e r aporetischen Konsequenzen dann ü b e r h a u p t als unhaltbar einsehen und sich als unwissend in der vorgelegten Frage beurteilen k a n n , [ 3 ] diese Voraussetzung für eine korrigierte Erforschung der wahren Lösung beruht selber auf einer S t r u k t u r , die der Sklave schon zuvor praktiziert: Der Erkennende ist gerade nicht mit seinem Erkenntnisgegenstand einfach, d . h . ohne im plizite Andersheit, identisch. Bei aller Befangenheit - wie wir als Betrachter n u r sagen können - in seiner Meinung, d u r c h die er bei der Sache selbst zu sein glaubt und sich von ihr in seinem Urteil über sie punktuell nicht u n t e r s c h e i d e t , ist er vielmehr zugleich der Dialog, sich selbst von dieser Meinung auch zu unterscheiden und sich - in der voraporetischen Situa tion - zu bestätigen, daß seine Meinung wahr i s t . Nur wenn 1 2 3
Men. 82 e , 84 a - c , v g l . 80 b Ebenda, 82 b Ebenda, 83 b - c , 83 e - 84 a
332
man von der dialogischen oder selbstbezüglichen S t r u k t u r des Bewußtseins, also der S t r u k t u r des "Ich d e n k e " , schon a u s geht - ungeachtet d e s s e n , daß sie nicht in jedem Schritt des zeitlich sich auf sich beziehenden Bewußtseins verwirklicht sein kann - , kann man den Vorgang begreifen, daß das Be wußtsein eine Aporie als die Schwierigkeit seines Wissens von der Sache und nicht als Unmöglichkeit der Sache oder Werk eines Dämons auffaßt und deshalb bereit i s t , dies eigene Wis sen nun nicht mehr zustimmend, sondern als nichtige, bloße Meinung zu beurteilen. Höchstens in dem Sinn bestimmter zeit licher Bewußtseinsfolgen kann deshalb die Reflexion als nach trägliches Aufsichzurückkommen v e r s t a n d e n werden, wesentlich ist das Bewußtsein dieses Sich-auf-sich-Beziehen. Aus der Perspektive dieses Bewußtseinsbegriffs, der an jeder menschlichen Selbsterfahrung überprüft werden k a n n , erscheint die aristotelische Konzeption des Erkenntnisfortschritts, wie sie in der Abhandlung ü b e r die Seele entwickelt w i r d , [ l ] als eine beträchtliche Vereinfachung, die ein Verständnis der auch in dieser Darstellung noch enthaltenen Hinweise auf eine wesent liche Reflexivität der Vernunft erschwert bis v e r h i n d e r t . Pla tons Analyse zeigt, daß die von Aristoteles gedachte Freiheit der Vernunft von allen Erkenntnisinhalten oder seine Negativität unvollständig i s t , solange sie nicht - welche Konsequenz der Text in auffälliger Weise vermeidet - auch als Negativität gegen den Erkenntnisgegenstand 'Ich' bzw. 'Ich d e n k e , daß p' aufgefaßt wird. Gleichsam komplementär zur platonischen Dar stellung des selbstbewußten Erkennens entwickelt der Timaios die bloße Negativität gegenüber allen intelligiblen Formen, also die reine Bestimmungslosigkeit als notwendige Charakteristik einer Materie, die als Medium der Versinnlichung der Vernunft bestimmungen oder Ideen in vergänglichen Dingen angesehen werden soll. [2] Das heißt, die Freiheit davon, auf gewisse Be stimmungen festgelegt zu sein, muß schon als Bedingung für die Rezeption und Darstellung beliebiger Bestimmungen ü b e r haupt vorausgesetzt werden, damit die Abbildung oder Dar stellung in keinem Fall durch die Eigenbeschaffenheit des r e zipierenden Mediums gestört w i r d . [ 3 ] Der Gedanke d e r Ne gativität braucht also gar keinen Vernunftcharakter des Rezipienten zu erwägen, sondern kann sich mit der strikten Universalität der Rezeption b e g n ü g e n , die es ausschließt, daß das Rezipierende Bestimmungen haben k ö n n t e , die ihm nicht durch Rezeption - und deshalb auch nicht als wieder v e r l i e r bare - zukämen. Denn umgekehrt entfernt der Gedanke u n i versaler - nicht selbstbezüglicher - Rezeptivität für Bestim mungen von dem Bestimmbaren an ihm selbst alle Bestimmungen und macht es damit zu einem bloß Negativen gegen sie. 1 2 3
Vgl. oben S.271-274 Tim. 50 b - 51 a Ebenda 50 e
333
Deshalb wird es erst durch eine Vereinfachung des negativen Begriffs von der Seele gegenüber dem von Platon erreichten Stand für Aristoteles möglich, die Seele mit der Materie als dem Inbegriff des potentiellen Moments jeden Prozesses zu verglei c h e n . [ 1 ] Fortschritt in der Erkenntnis kann nicht als Rezeption von Erkenntnisgegenständen oder intelligiblen Formen gedacht werden, zu denen sich die Seele zuerst als bloße Möglichkeit verhielte, sondern n u r , wenn man in dieser vergegenständli chenden Betrachtungsweise bleiben will, als Ersetzung einer Vorstellung oder eines bestimmten Begriffs von einem Gegen stand durch einen anderen Begriff, der wesentlich aus einer kritischen Beurteilung des ersten r e s u l t i e r t . Der Wahrheitsbegriff ist leicht anzugeben, der der reflexiven und dialogischen Auffassung von Vernunfterkenntnis e n t s p r i c h t : Wahr kann n u r ein Satz genannt werden, der allen Versuchen zu seiner Kritik standhält, wie sie aufgrund seines Zusammen hangs mit a n d e r e n [ 2 ] unternommen werden können. So erweisen sich in dem im Menon vorgeführten Erkenntnisprozeß die beiden ersten Lösungen des Sklaven in der Anschauung und in ihren rechnerischen Konsequenzen als falsch, während die Richtigkeit der dritten anschaulich überprüft werden k a n n . [ 3 ] Das ist auch der Sinn der bekannten 'zweiten Fahrt' im Phaidon, die Wahr heit der Seienden in argumentierenden Reden (logoi) und nicht in einem vermeintlich unmittelbaren Zugriff auf die Sachen selbst zu b e t r a c h t e n . Denn Platon hebt h e r v o r , daß ein Satz seiner Wahrheit nach nicht isoliert, sondern n u r in seinem sach lichen Zusammenhang mit anderen erkannt werden kann und daß die Wahrheit einer solchen Gesamtkonzeption aus einem Argu ment einsichtig zu machen i s t , indem er das als wahr setzt, was dem Erkennenden mit dem Argument (logos) zusammenzustimmen scheint, das er selbst jeweils als das s t ä r k s t e beurteilt, und als falsch, was nicht mit ihm verträglich scheint. [4] Die genauen, fast umständlich wirkenden Formulierungen bestätigen die Ana lyse des Erkenntnisprozesses im Menon insofern, als auch ein Begriff von Wahrheitsprinzipien sich auf nichts anderes als den 'inneren Dialog' des jeweils erkennenden individuellen Bewußt seins beziehen k a n n , auf seine Einsicht in Zusammenhänge und vor allem auf das Resultat seiner dialogisch verlaufenden Abwä gung verschiedener Argumente: Dasjenige bietet einen Aus gangspunkt für die Entwicklung wahrer Sätze, das in der kon troversen Diskussion am besten behauptet werden k a n n . Im Kontext einer kritischen Erörterung traditioneller Prinzipien begriffe schlägt Platon auf diese Weise ein Wahrheitsprinzip v o r , an das man auch die aristotelische Prinzipienfrage ü b e r h a u p t , 1 2 3 4
An. Γ 5, Men. 81 Ebenda, Phd. 99
430a 10-15; v g l . 5, 417a 26f d 83 b - c , 83 e, 85 a e - 100 a, v g l . 101 d - e
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wie sie eingangs dieser Arbeit skizziert wurde, [1] anknüpfen kann - und das nicht n u r im Hinblick auf die Reminiszenz d e r inneren Rede'. Wenn Aristoteles s a g t , Wissen zeichne sich g e genüber anderen Erkenntnisarten dadurch a u s , daß es seine Aussagen begründen und so ihre Wahrheit aus anderen zeigen könne, so daß auch umgekehrt ein Begriff von Prinzipien n u r aufgrund ihrer konstitutiven Funktion für Wissen sinnvoll i s t , dann kann dieser Ansatz vermittelst des platonischen E r k e n n t nisbegriffs noch einmal erläutert werden. Aristoteles selbst weist auf diesen historischen Hintergrund hin, wenn auch e r sehr genau formuliert, daß man dann jegliches zu wissen glaubt, wenn man den Grund zu erkennen meint, durch den d e r Gegenstand i s t , und zwar so, daß er dessen Grund ist und es sich deshalb nicht anders verhalten k a n n . [2] Auch die a r i s t o telische Wissenstheorie geht also von einem Bewußtsein a u s , das seine eigenen Meinungen ü b e r Gegenstände und Sachverhalte beurteilt. Und daß die in solchen Beurteilungen sich a u s d r ü k kende subjektive Einsicht oder d e r Horizont des Bewußtseins in der Theorie grundsätzlich nicht transzendiert werden können, macht der Text deutlich, wenn er von dem für Wissen k o n s t i t u tiven Begründungsverhältnis s a g t , man meine den Grund für den Sachverhalt zu e r k e n n e n . Der folgende Satz führt zur Be stätigung dieses Wissensbegriffs a n , daß auch die Nichtwissen den meinten, in diesem Zustand zu sein - den Grund und d a r aus die Notwendigkeit des behaupteten Sachverhalts zu e r k e n nen - , daß es sich aber n u r mit den Wissenden auch so v e r h a l t e . [ 3 ] Aber hier wird kein Kriterium zur Unterscheidung zwischen vermeintlichem und wirklichem Wissen wie etwa die Konfrontation der Argumente angegeben, es sei d e n n , man b e zieht die Unterscheidung eines n u r geglaubten von einem wirk lichen Zustand der Erkenntnissubjekte ausschließlich auf den gemeinsamen Anspruch, es verhalte sich notwendig mit d e r Sa che s o , wie g e s a g t , und r e s e r v i e r t das Begründungsverfahren ganz als Kriterium für das wirkliche Wissen. Daß die Frage nach stellt werden k a n n , nungen abwägt und gungszusammenhang 1 2
3
Prinzipien n u r von einem Bewußtsein g e das seine eigenen Vorstellungen und Mei beurteilt, das liegt auch in dem Bedin der Meinung, man habe den Grund e r -
S. oben S.23-26 An.post. A 2, 71 b 9-12; v g l . Met. A 3 , 983 a 24ff. Im sammenhang mit seiner bekannten These, die Philosophie ginne mit dem E r s t a u n e n , hält er auch zur Begründung sokratische Einsicht fest, daß der Ratlose ( ο α π ο ρ ω ν ) Staunende ein Bewußtsein seines Nichtwissens gewonnen ( ο ι ε τ α ι α γ ν ο ε ι ν ) ; ausschließlich, um diesem Zustand entkommen, beginne er zu philosophieren, s . Met. A 2, b 17-21. An.p ost. A 2, 71 b 12-16
Zu be die und hat zu 982
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k a n n t , mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit des Sachverhalts. Wenn dieses Bewußtsein bedeutet, daß es sich mit der Sache nicht anders verhalten k a n n , schließt es alle Tatsachenbehaup tungen a u s , denen zufolge es sich getäuscht hat und die Sache faktisch doch eine andere i s t , als sie zuerst vorgestellt wurde. Nach dem Grund für das Sein oder Gelten eines bestimmten Sachverhalts zu fragen, heißt also, d e r a r t nach dem Grund für die Wahrheit des Urteils, mit dem man ihn a u s s a g t , zu fragen, daß diese Wahrheit gegen Einwände gesichert erscheint, wenn eine einleuchtende Antwort gefunden i s t . Eine solche Frage kann nicht unmittelbar sein, sie setzt vielmehr ein klares Be wußtsein der eigenen Irrtumsfähigkeit im Bereich bloßer, d . h . noch u n b e g r ü n d e t e r Meinungen v o r a u s . Dieses Bewußtsein ist nicht anders als durch Erfahrungen zu gewinnen, wie sie der Sklave des Menon macht, d u r c h die Erfahrung also, daß eine eigene Meinung sich in dem Kontext, in den man sie selber stellt, als falsch erweist. Geht man davon a u s , daß Vorstel lungen, mit denen man in ihrem Vollzug bei der Sache zu sein meint, sich auf diese Weise für die Vorstellung und Sache u n terscheidende Reflexion als n u r je meine irrigen Vorstellungen zeigen können, dann scheint ihre Wahrheit am ehesten gesichert werden zu können, wenn man aus der Vielzahl von Kontexten, von denen nicht abzusehen i s t , ob sie meine Aussage ü b e r die Sache bestätigen oder falsifizieren, den für die Sache schlecht hin konstitutiven herausfindet und bestimmt - wie immer Konstitutivität oder Begründung gedeutet werden mag. Denn so werden gegen die u n ü b e r s c h a u b a r vielen, ungewissen Falsifika tionschancen einige Wahrheitsinstanzen a b g e g r e n z t , vermittelst d e r e r ü b e r die jeweilige Meinung endgültig entschieden werden k a n n . Begrenzung, die als Begriff der aristotelischen Prinzi pien - abgesehen von der Transzendentalität der allgemeinsten Prinzipien - ermittelt wurde, wird also schon implizit mitge d a c h t , sobald die angestrebte Vergewisserung über die Wahrheit einer Meinung in der Frage nach dem Grund des gemeinten Sachverhalts realisiert wird.
2. Reflexivität des Urteils als Bedingung für Wahrheit und I r r tum bei Thomas Die von dem reflexiven Gegenstandsbewußtsein ausgehende Ana lyse des Prinzipienbegriffs scheint von Thomas weiter fundiert zu werden, wenn e r , wie eingangs (S.27f) schon erwähnt, das Wahrheitsbewußtsein überhaupt an die Reflexivität des Urteils bindet, obwohl er dabei nicht an die Theorie des Wissens aus Prinzipien anknüpft. Aber er deutet mindestens a n , was Ari stoteles gar nicht thematisiert, daß eine bestimmte Wahrheit als solche n u r erkannt werden k a n n , wenn das erkennende Be wußtsein sich selbst in seinem Wesen e r k e n n t , was Thomas so v e r s t a n d e n wissen will, daß es als seine Zielsetzung erkennen
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müsse, sich selbst seinen Gegenständen anzugleichen.[1] Grundsätzlich erreicht er wieder den Reflexionsstand, auf dem Denken und vermittelst seiner auch Erkennen als Dialog der Seele oder innere Rede verstanden werden, wenn er den Satz, also die logische Form von Frage und Antwort, Rede und Ge g e n r e d e , zur Bedingung jeder Erkenntnis e r k l ä r t , die zugleich Bewußtsein ihrer eigenen Wahrheit i s t , was den Behauptungs charakter aller Meinungen und Meinungsäußerungen ausmacht. [2] Während Thomas in diesem Zusammenhang auf Rede und Ge spräch als solche nicht mehr zurückkommt, besteht sein b e sonderer Beitrag zur Klärung der bewußtseinstheoretischen Voraussetzungen d e r Prinzipienfrage d a r i n , daß er zeigt, wie sich im Urteil ein Gegenstandsbewußtsein realisiert, das zu gleich Selbstbewußtsein ist und d a s , weil es seiner als eines Bewußtseins von einem Gegenstand bewußt i s t , sich auch als wahr begreifen kann. Nimmt man die wichtigsten Stellen zu sammen, [3] so geben sie dem Urteil eine doppelte Funktion, nämlich einmal den Gegenstand, der im Subjekt vorgestellt sein soll, von seinem subjektiven Bild, das das Prädikat zu bedeuten hat, zu unterscheiden, und zugleich die mit diesem Bild g e meinte Bestimmung oder Form objektiv auf den Gegenstand als von ihm selber gültig (Affirmation) oder ihm nicht zukommend (Negation) zu beziehen. Thomas' knappe Formulierungen für die synthetische Urteils funktion lauten, das Urteil bezeichne das Verhältnis der ein fachen Vorstellungen zu den Gegenständen, o d e r , die Vernunft urteile, der Gegenstand verhalte sich entsprechend der von ihm aufgefaßten Form. Sobald man diese Ausdrucksweise i n t e r p r e t i e rend zu präzisieren s u c h t , kehrt in jedem Moment des themati sierten Urteils die Subjekt-Objekt-Unterscheidung wieder, die Thomas in d e r Ur-teilung von Subjekt und Prädikat b e g r ü n d e t sieht. Denn er v e r s t e h t die philosophisch schon bekannte Be wegung des Bewußtseins, im Übergehen vom Subjekt zum P r ä dikat etwas von etwas zu sagen, zugleich als Beziehen des Ge dankens auf die gemeinte Wirklichkeit in dem Sinn, daß er i h r e n t s p r e c h e , und will diesen Zusammenhang durch Verknüpfung der Intention auf den wirklichen Gegenstand mit d e r Subjekt funktion im Satz und des Selbstbewußtseins mit dem Prädikat deutlich machen. [4] Diese Explikation des behauptenden Be1 2 3 4
Ver. I 9; zu dieser Interpretation v g l . unten S.340f In 6 Met. 1. 4, 1235f; cG I 59, 496 I 16, 2, und die genannten Dieser Verteilung entspricht Thomas' oben (S.35ff) referierte Unterscheidung der Prädikatfunktion d e r Verben von d e r semantischen Funktion nominaler Subjekte. Der Versuch von Wilpert (Das Problem der Wahrheitssiche r u n g bei Thomas von Aquin, S.50ff, S.64-70), das reflexive Moment des Zustimmens prinzipiell als einen zweiten Akt zu
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wußtseins ist aber selbst schon wieder eine vergegenständli chende Reflexion auf dasselbe, die es in seine Momente auflöst und deshalb mit der gesonderten Nennung der gängigen Satz teile diese beiden je für sich u n t e r dem Aspekt der SubjektObjekt-Beziehung b e t r a c h t e t . So ist in den Texten nicht n u r von der Sache, bei der das behauptende Bewußtsein unmittelbar zu sein meint, die Rede, sondern auch von der sprachlichen Subjektfunktion, in der eine Vorstellung dasjenige sein k a n n , vermittels dessen das urteilende Bewußtsein sich allererst auf seinen Gegenstand in Abhebung von seiner Vorstellung von ihm beziehen können soll; die These muß also in dem Sinn weiter gedacht werden, daß die Vermitteltheit auch der Sache selbst d u r c h die Vorstellung von ihr erst für die philosophische Re flexion i s t . Gleichermaßen spricht Thomas sowohl vom Prädikat, in dem man eine subjektive Vorstellung oder einen Begriff habe, der auf die Sache bezogen und gegen sie gehalten werde, als auch von der vermittelte des Prädikats aufgefaßten Form der Sache selbst; zweifellos meint das behauptende Bewußtsein mit der Prädikatbestimmung eine Charakteristik des Gegenstandes selbst. Und schließlich wird auch die synthetische Funktion des Urteils selbst sowohl als subjektives Beziehen und Aneinanderi n t e r p r e t i e r e n , der Sachurteilen als ihre Beurteilung bloß folgen könne, erscheint angesichts der Texte nicht ü b e r z e u gend. Denn I 16, 2, bindet die Erkenntnis oder - nach Wilpert - das Denken der eigenen Übereinstimmung mit der Sache ausdrücklich an jedes Urteil aufgrund von dessen S u b jekt-Prädikat-Struktur. Dieses Wahrheitsbewußtsein eines jeden gesprochenen Satzes ist aber eben die Reflexion, in der der Verstand sein Bild von der Sache erkennt und b e urteilt (In 6 Met. 1. 4, 1236), v g l . oben S.148, Anm.3. Mit d e r Definition des Menschen als Beispiel macht auch die letztgenannte Stelle unmißverständlich k l a r , daß das Bild des Verstandes von der Sache, das Definiens, im Urteil, der vollständigen Definition, zum Prädikat wird. In dieser Funk tion wird es als Bild vergleichend auf sein Abzubildendes, die im Subjekt gedachte Sache, bezogen. Das berücksichtigt nicht die Interpretation von Owens, Judgment and Truth in Aquinas, der wie Wilpert das Wahrheitsbewußtsein einer b e sonderen Reflexion auf das Urteil über die Sache vorbehalten will (S.152-156). Gegenstand der Reflexion soll nämlich das Adäquationsverhältnis zwischen der Zusammensetzung der Sache und der wie ein Gegenstand gedachten synthetischen Form des Verstandes sein, mit der das ganze unmittelbare Urteil über die Sache gemeint i s t , nicht, wie es ursprünglich vollzogen, sondern, wie es als subjektive Aussage reflektiert wird. Wohl nimmt der von Owens zitierte Text Ver.I 3 das ganze Urteil als Relatum der Adäquationsbeziehung, aber hier geht es gerade nicht wie an den anderen Stellen um eine Erklärung des Bewußtseins von Wahrheit.
338 halten wie auch als das - in der Behauptung gemeinte - Sich verhalten der Sache thematisiert. Thomas' Gedankenfortschritt ü b e r das von Platon und Aristo teles Erreichte und Gesagte hinaus besteht in dem präzisen Ar gument, daß die Erkenntnis eines Gegenstands n u r durch ein Urteil ü b e r denselben i h r e r selbst und damit zugleich i h r e r Wahrheit bewußt werden k a n n . Man könnte daran d e n k e n , die sen Wahrheitsbegriff interpretierend zur Grundlage einer Theo rie der Erkenntnis ü b e r h a u p t zu machen, weil Thomas E r k e n n t nis aus Wahrheit, v e r s t a n d e n als Übereinstimmung von Verstand und Sache, folgen läßt - ein falscher Gedanke könnte auch nicht Erkenntnis genannt w e r d e n . [ 1 ] Bei Thomas selbst findet man aber n u r eine Anwendung auf den Wissensbegriff: [ 2] Weil das Wissen sich ausschließlich auf Wahres bezieht, Wahres aber n u r d u r c h einen Satz bezeichnet werden k a n n , sind n u r Sätze wißbar und dem wissenschaftlichen Fragen zugänglich. Daß d e r Satz der logische Ort der Wahrheit i s t , dieser Gedanke gibt aber n u r den von Aristoteles übernommenen Reflexionsstand wieder, die eigene neue Einsicht, daß Wahrheit n u r durch das Selbstbewußtsein bewußt sein k a n n , das sich im Beziehen des Prädikats auf das Subjekt e r z e u g t , diese Entdeckung hat für Thomas hier keine Bedeutung. Daß sie auch sonst in seiner Philosophie nicht bestimmend wird, das erscheint nicht verwunderlich, wenn man b e d e n k t , daß sie Erkenntnis von Gegenständen und Selbsterkenntnis in ein und dieselbe intellektuelle Handlung, das Urteil, zusammenbringt. Denn damit widerspricht sie der Nachordnung des reflektieren den Erkennens gegenüber dem unmittelbar gegenstandsbezoge n e n , wie Thomas sie am deutlichsten in der aristotelischen These ausgesprochen sieht, e r s t durch sein Erkennen a n d e r e r Gegenstände werde der Verstand selber e r k e n n b a r . [3] - Im vierten Kapitel des sechsten Metaphysikbuchs, an das Thomas' Entdeckung vor allem anknüpft, geht es Aristoteles darum, Sein im Sinn d e s s e n , was man mit der Aussage von kategorial ein teilbaren Bestimmungen unmittelbar gegenständlich meint, von Sein im Sinn der bestätigenden Aussage 'So ist es' ü b e r eine andere Aussage abzuheben und den Vorrang des kategorialen Seins deutlich zu machen; [4] u n t e r dem Titel einer Unterschei dung der verschiedenen Aussageweisen von Sein wird so für eine prinzipiell nachgeordnete Stellung der Reflexion argumen t i e r t . Thomas würde sich klar gegen die Autorität "des Philo sophen" wenden, wenn er die grundsätzliche Bedeutung des Zugleichseins von Gegenstandsbezug und Reflexion im Urteils thematisierte. 1 2 3 4
Ver. In 2 Vgl. Met.
I 1 A n . p o s t . 1. 1, 409 oben S.281 E 4, 1027 b 31-34; v g l . oben S.136ff
339 Das ist offensichtlich auch nicht der P u n k t , auf den es Thomas an den verschiedenen zitierten Stellen ankommt, sondern eher eine Art Nebenergebnis. Denn im Metaphysikkommentar und in den anderen Texten gent es ausschlieftlich um die Frage, in welchem Sinn und weshalb allein das Urteil der Ort von Wahrheit und Falschheit i s t . Mit den wahrheitstheoretischen Passagen des sechsten und am Ende des neunten Buchs der Metaphysik gibt Aristoteles schon Hinweise in der von Thomas eingeschlagenen Richtung, indem er die Wahrheitsbeziehung von Urteilen von der Bezuglichkeit bloften Sagens, also - im Verhältnis zum Urteil - einfacher sprachlicher Ausdrüeke, abzuheben s u c h t . Danach kann man schematisierend und zusammenfassend sagen, dab das Verhaltnis von Urteilen zu dem mit ihnen Gemeinten die Beziehung einer Beziehung auf eine andere Beziehung, den Sachverhalt, i s t . Denn n u r so sind die zwei Modi der Wahrheit moglich, daft sie die affirmative Aussage (kataphasis) iiber Zusammenhangendes und die negative (apophasis) iiber Getrenntes sein soll, und gleichermaften die Modi der Falschheit als die Vertauschung dieser beiden Vernältnisse. [ 1] Dagegen v e r s t e h t Aristoteles das Verhaltnis eines einfacheren sprachlichen Ausd r u c k s (phasis) als der Aussage auf sein Gemeintes als Bezie hung dieses spraehlich Einfachen auf einen einfachen Gegens t a n d , genauer als Berühren oder Niehtberühren der Sache.[2] Indem das Nichtberiihren zwar nicht als Falschheit, sondern einfach als Nichtkennen gelten soll, das B e r u h r e n , also das Sagen der Sache, aber doch wahr genannt wird, bietet sich fur Thomas ein Anhaltspunkt, neben der bewuftt vollzogenen Urteilswahrheit weiter von einer als solche nicht zugleich e r k a n n ten Wahrheitsbeziehung einfacher sprachlicher oder E r k e n n t n i s momente zu spechen, wobei es zunächst gleichgiiltig i s t , ob diese Beziehung als Beruhren oder als Übereinstimmung in der Formbestimmung gefaftt wird. [3] Auf der anderen Seite läftt Aristoteles den reflexiven Kontext, den Thomas einmal deutlich als gesprächsweise Beziehung auf den Satz eines anderen k e n n zeichnet,[4] fur die Abhebung der Urteilswahrheit von der einer einfachen Gedankenbestimmung gerade dadurch wichtig werden, daft er das Urteil, der Satz eines anderen sei wahr, als eine Aussage von Sein auffaftt: Denn dies zwingt zu der Uberlegung, warum ! Sein ? hier in einem anderen Sinn als bei Aussagen iiber unmittelbare Gegenstande und nicht etwa fur das Zukommen einer Qualität 'Wahrheit' gebraucht wird. Uber eine solche Qualität, aber auch iiber eine dem Subjekt gegenständlich zukommende Ằhnlichkeitsbeziehung oder Übereinstimmung mit anderem konnte man wohl s p r e c h e n , aber nicht im Gespräch 1 2 3 4
Met. E 4, 1027 b 18-23, Met. Ø 10, 1051 b 1-9, 17-22 Met. Ø 10, 1051 b 22-28 In 6 Met. 1. 4, 1234f Ebenda, 1223
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darauf antworten, sondern das ist offensichtlich n u r möglich, wenn diese Beziehung selber für denjenigen i s t , dem man a n t worten will. Thomas knüpft daran an, daß n u r das Urteil eine schon gedachte Beziehung auf die Sache sein soll, und sein Gedankenfortschritt d ü r f t e , wie schon gesagt, darin bestehen, daß er ausdrücklich die sprachliche Beziehung des Prädikats aufs Subjekt, mit der man einen Sachverhalt a u s d r ü c k t , mit dieser Beziehung des subjektiv Gedachten auf den objektiven Gegenstand als einer bewußten Beziehung in eins, nämlich in das 'ist' des Urteils, s e t z t . Auf diese Weise wird derselbe An s p r u c h auf Wahrheit schon in der unmittelbar gegenstandsbe stimmenden Aussage als mitgesetzt gedacht, der in einer Ant wort oder Reflexion auf diese Aussage bestätigt oder b e s t r i t t e n wird, und zwar mit demselben 'ist' in affirmativen und negati ven B e h a u p t u n g e n . [ 1 ] Daß es Thomas mit dieser Klärung, warum wahr oder falsch mindestens in einem ausgezeichneten Sinn n u r Urteile genannt werden können, n u r auf eine Vollendung des aristotelischen Ansatzes ankommt, diesen Eindruck sieht man b e s t ä t i g t , wenn man die Texte daraufhin befragt, ob sie näher entwickeln, was es heißt, daß sich mit jedem Urteil die Behauptung v e r b i n d e t , es sei wahr. [2] Denn dann fällt auf, daß Thomas gar nicht v e r s u c h t , die Überzeugung des Urteilenden, seine Aussage sei wahr, von seinem impliziten Eingeständnis, sie könne auch falsch sein - was er mit dem Zur-Diskussion-Stellen ausdrückt - , 1 2
In 5 Met. 1. 9, 896; In 9 Met. 1. 11, 1914 Daß es sich um eine Meinung oder einen Anspruch des Be wußtseins handelt, schon das wird bei Thomas eher indirekt e r k e n n b a r . In einem anderen Zusammenhang sagt er klar, alle (Sprecher) meinten, in einem affirmativen Satz oder sei nem negativen Widerspruch die Wahrheit zu haben (In 4 Met. 1. 9, 657). Die einschlägigen Texte dagegen sprechen alle von einem "cognoscere veritatem", das man mit Wilpert, Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von Aquin, S.52, als Denken - und nicht als Erkennen - der Wahrheit des ausgesprochenen Satzes verstehen wird, wenn man die Hinweise zweier Texte beachtet: Die Selbsterkenntnis des V e r s t a n d e s , die für den Gedanken (cognoscere) an sein Verhältnis zum Gegenstand vorausgesetzt werden muß, hat zum Inhalt, daß er sich von Natur aus den Gegenständen angleichen soll (Ver. I 9 ) . Und an einer anderen Stelle identifiziert Thomas zuerst das cognoscere veritatem mit dem Urteil, so verhalte es sich in der Sache, und bestimmt u n mittelbar anschließend den Fall, daß dieses Urteil wahr i s t , gegenüber dem Fall seiner Falschheit (In I Perih. 1. 3 , 31). Würde mit jedem Urteil zugleich seine Wahrheit e r k a n n t , so gäbe es keine falschen Urteile, keinen begrifflich-sprachli chen I r r t u m .
341 abzuheben. Fragt man gleichsam von der anderen Seite, wie denn Falschheit erkannt werden soll, dann findet man keine Antwort, die die Falschheit in den entwickelten Zusammenhang des seiner selbst bewußten Gegenstandsbewußtseins einordnen würde, wie es Platon mit der Beschreibung der aporetischen Si tuation des Sklaven im 'Menon' getan h a t . Zwar heißt e s , Falschheit oder Täuschung könnten n u r im Urteil oder mit Be zug auf es vorkommen, und schon aus der aristotelischen Fas s u n g der Falschheit als Nichtsein ist k l a r , daß die Falschheit eines Satzes als solche auch n u r in einem Urteil erkannt und ausgesprochen werden k a n n . [ l ] Aber was die Erklärung einer solchen Erkenntnis angeht, so erfährt man n u r , daß die ersten Prinzipien eine Überprüfungsinstanz für alle auf sie zurück führbaren Sätze seien und daß jeder Satz ü b e r h a u p t , der sich als gegensätzlich zu ihnen erweist, für unwahr gehalten werden müsse. [2] An einer Stelle erweckt Thomas zwar den Eindruck, er habe einen bewußtseinstheoretischen Begriff des I r r t u m s , wenn er nämlich s a g t , hinsichtlich des Irrtums sei derselbe Unterschied der Vernunft gegenüber der Sinnlichkeit zu wahren wie mit Be zug auf die Wahrheit, daß nämlich die vernünftige Erkenntnis nicht n u r - mitunter - falsch i s t , sondern die Vernunft den Irrtum auch als solchen e r k e n n t , gleich wie die Wahrheit.[3] Weil das aber nicht gezeigt wird, sondern der Gedanke sich mit der wiedergegebenen lapidaren Feststellung b e g n ü g t , bleibt der Sinn des Vergleichs der Interpretation überlassen. Er kann n u r dahin gehen, daß ausschließlich die Vernunft ihre Auffassung von der Sache als irrig qualifizieren k a n n , wie auch nur sie sie als wahre b e a n s p r u c h t , und man mag noch hinzusetzen, daß der Vernunft beides durch die reflexive Unterscheidung ihres Bildes vom Gegenstand von diesem Gegenstand selber möglich i s t . Der Vergleich kann aber auf keinen Fall b e d e u t e n , daß die Refle xion, die zur Einsicht in die Falschheit einer subjektiven Mei nung führt, gerade so zu erklären ist wie der Gedanke der Wahrheit eines Urteils. Denn, wie auch Thomas s a g t , jeder hält seine Aussage für wahr, indem er urteilt, und nicht für falsch. Der Gedanke, sowohl für die Überzeugung von der Wahrheit eines Satzes wie für die Einsicht in seine Falschheit komme es darauf an, wie die Sache dem Bewußtsein jeweils erscheint - was es von ihr zu wissen meint - , dieser Gedanke könnte 1 2
Met. Δ 7, 1017 a 34f Ver. I 12 ( ) ; Ver. XI 1 ( F ) ; I 79, 8; Quodl. VIII 2,2 ( A ) . Seltener ist auch davon die Rede, daß die Definitionen als Grundlage wahrer, nämlich bewiesener Sätze über die Eigen schaften des Definierten fungieren, so daß auch eine von ihnen ausgehende Korrektur falscher Sätze denkbar wäre, s . I 17, 3 ad 1; v g l . I 58, 5. 3 I 17, 3
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Ausgangspunkt für eine Konzeption von Wahrheit und Irrtum sein, die sich an den Horizont des Selbstbewußtseins hält. Thomas räumt dem Erscheinen der Sache für das Erkenntnis subjekt aber n u r eine untergeordnete Rolle bei der Erklärung von Irrtümern ein: Weil die Menschen über die Dinge danach urteilen, wie sie ihnen in ihren äußeren Eigenschaften vermit telst der Sinneswahrnehmung erscheinen, können die Dinge durch ihre sinnliche Beschaffenheit und die Wahrnehmung d u r c h ein inadäquates Bild vom Gegenstand falsche Meinungen v e r u r s a c h e n . [ 1 ] Thomas liegt aber daran zu zeigen, daß solche Täu s c h u n g e n , so oft sie auch geschehen mögen, nicht zwangsläufig sind, und dieses Interesse veranlaßt ihn zu einer anderen Akzentsetzung. Um die Möglichkeit, Sinnestäuschungen zu e n t gehen, nachzuweisen, r e k u r r i e r t er nicht auf eine Wesenser k e n n t n i s , die sich durch einen anderen Zugang zur Sache, etwa d u r c h praktische E r p r o b u n g , von dem ersten sinnlichen Ein druck unabhängig machte, sondern stellt ganz allgemein fest, Wahrheit und Falschheit gebe es vor allem im Urteil der Seele, und insofern sie über die Dinge urteile, verhalte sich die Seele nicht passiv zu den Dingen, sondern eher in gewisser Weise aktiv. [2] Zur Erläuterung dieser Aktivität kann man sich n u r an die bei Thomas gängige Charakteristik des Urteilens halten, es bestehe in Verbinden und Scheiden. Die Texte beziehen die Auszeich n u n g des Urteilens, es sei eine von Sinnesdaten unabhängig machende Aktivität, nicht auf die Reflexivität des E r k e n n e n s , das sich n u r im Urteil als Bild der Sache weiß und sich deshalb korrigieren k a n n . So bleibt die vernunfttheoretische Erklärung des Irrtums bei der Auskunft s t e h e n , das Verknüpfen und Trennen in Urteilen mache falsche Zuordnungen möglich.[3] Thomas' - auf dem platonischen Hintergrund auffallend - g e ringes Interesse an einem philosophischen Begriff von Irrtum und seiner Überwindung kann man gut als Folge der aristoteli schen Wissenstheorie v e r s t e h e n , die sich jedenfalls in den Zweiten Analytiken und in der Metaphysik auf die Bedingungen der Wahrheit argumentativen Erkennens konzentriert. Indem Aristoteles als entscheidende Bedingung eine Konzeption a u s arbeitet, nach der die ersten Prämissen der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht-hypothetisch, endgültig a u s d r ü c k e n , wie es sich v e r h ä l t , erschwert er es seinen Kommentatoren a u ß e r o r dentlich, Irrtum und Wahrheit prinzipiell als wechselnde Selbst beurteilungen der Vernunft, die sie nach selbstgesetzten Kri terien in ihrem dialogischen Erkenntnisprozeß stets neu trifft, zu begreifen, also so wie im Menon.
1 2 3
I 17, 1; Ver. I 11 Ver. I 10 I 85, 6; cG III 58, 2836
2. Kapitel DIE TRANSZENDENTALIEN ALS DIE WAHRHEIT DER GEGEN STÄNDE UND DIE MATERIELLE BESTIMMTHEIT DER WELT 1. Wahrsein als eine Bestimmung in der rationalen S t r u k t u r der Transzendentalien Thomas relativierte die Vorstellung, Wahrheit bestehe in der Angleichung des Verstandes an die Sache, nicht nur durch ihre Einbeziehung in die Selbsterkenntnis, die jedes Urteil enthält. In einer ähnlichen Perspektive, die Fragen zu Thomas, Prinzi pienbegriff aufwirft, erscheint Wahrheit, wenn sie als t r a n s z e n dentale, d . h . allem Seienden zukommende Bestimmung gedacht w i r d . [ l ] Da heißt e s , in höchster Abstraktion b e t r a c h t e t , b e ziehe sich jegliches Seiende als solches n u r negativ auf anderes Seiende ü b e r h a u p t , sei also bloß ein von ihm Verschiedenes, dagegen komme es mit anderem Seienden n u r dadurch überein, daß (ein bestimmtes) Etwas fähig sei, mit allem Seienden ü b e r haupt übereinzukommen, und dies sei die Seele. Sofern alles Seiende derart auf das Erkennen der Seele bezogen sei, werde es 'wahr' genannt - sofern auf ihr Begehren, ' g u t ' . Es fällt auf, daß dieser Untersuchung der Modi eines jeden Seienden als solchen der eingangs (S.16f) schon erwähnte Be griff des ordo zugrunde liegt, nach dem die wechselseitige Zu ordnung der Teile oder Glieder eines Ganzes n u r aufgrund i h r e r jeweils einzelnen Beziehung auf eine nicht zu diesem Gan zen gehörige - sonst ergäbe sich eine unendliche Iteration Einheit möglich i s t . An diesem Strukturmodell dürfte es liegen, daß n u r die Möglichkeit von Übereinstimmungen oder positiven Beziehungen der Seienden aufeinander von i h r e r universalen Beziehung auf das Bewußtsein abhängig gemacht werden, nicht aber ihre Verschiedenheit voneinander. Denn die S t r u k t u r i e r u n g eines komplexen Ganzen im Sinn von ordo geht von einer Viel heit schon für sich bestehender Elemente a u s , mit deren Kon stitution sie nichts zu tun zu haben scheint. Dieser impliziten Voraussetzung widerspricht aber ein anderer Text mit der Formulierung, weder das Seiende unterscheide sich als solches von dem Seienden noch dieses Seiende von diesem, wenn nicht in 'diesem Seienden' die Negation jenes eingeschlos sen s e i . [ 2 ] Daß die Unterscheidung der Seienden voneinander und deshalb auch ihre Verschiedenheit als viele Elemente allein aus der Entgegensetzung von Affirmation und Negation - 'dieses ist dieses und nicht jenes' - zu begreifen i s t , wird von einer 1 2
Ver. I 1 In Trin. IV 1, Decker S. 135, Z.5-8; v g l . unten Kap. 6, 2.-3.
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Reihe anderer Stellen b e s t ä t i g t . [ 1 ] Abgesehen davon, daß auf diese Weise der Versuch einer Ersten Philosophie auf das Urteil als Bedingung seines Seinsbegriffs verwiesen wird, bedeutet insbesondere die Einbeziehung der Negation in diesen Entwurf nach Thomas' Begriff von der Negation, daß eine Unterschei dung von Seienden und deshalb auch die Distinktheit dieses einzelnen Seienden n u r u n t e r der Bedingung eines reinen Ver standesseienden (ens rationis) möglich i s t , das in sich ein Nichtseiendes ist und durch dessen Denken deshalb auch nichts wirklich Seiendes gesetzt werden k a n n . [2] Durch ganz immanente Textvergleiche kommt man also zu dem Urteil, daß Thomas seinen eigenen Begriffen zufolge die u r sprüngliche negative Beziehung der Seienden aufeinander und ihre Übereinstimmung in Gemeinsamem gleichermaßen aus einer beidem noch vorausgesetzten Bezogenheit auf Erkenntnis v e r stehen müßte. Wenn diese Beziehung im ersten Artikel von De Veritate als Grundlage nur der transzendentalen Bestimmungen 'wahr' und 'gut' bezeichnet wird, ist sie auf ihr offenkundigstes Moment reduziert. Von einer Reduktion kann man auch deshalb sprechen, weil die Entfaltung aller Transzendentalien in diesem Artikel und an den anderen zitierten Stellen als eine logische Ordnung der Vernunft eingeführt w i r d . [ 3 ] Dieser Vernunft charakter kann nicht n u r an den positiven oder negativen Be ziehungen jedes Seienden auf a n d e r e s , sondern auch an den von ihnen abgesetzten Bestimmungen jedes Seienden in sich, wie Thomas sagt, in immanenter Interpretation nachgewiesen wer den. Für die Bestimmung, eines zu sein, die auch Aristoteles mit seinem Hinweis auf die notwendige Einheit alles sprachlich Bedeuteten als ein 'transcendentale' kennzeichnet, liegt die Bedingtheit durch Vernunft nach dem, was schon zur Ver schiedenheit und Unterscheidung gesagt wurde, unmittelbar auf der Hand. Denn auch dem ersten Artikel von De Veritate zu folge ist Einheit als Negation von Unterscheidung, also als Ne gation der ersten unterscheidenden Negation zu begreifen, und diese Negativität, die man mit der Bestimmung 'eines' über 1
In 4 Met. 1. 3, 566; 1. 9, 660; N a t . g e n . 2, 480f; cG IV 14, 3510 2 In 4 Met. 1. 1, 540; In 5 Met. 1. 9, 896; Ver. XXI 1 fassen genau so die Negation auf. 3 So beginnt das c a . von Ver. I 1 mit der auch sonst übli chen Wendung, daß 'das Seiende' das zuerst Begriffene der Vernunft sei, zu dem alle anderen Vernunftbegriffe hinzu gefügt werden müßten. Dieser Kontext wird explizit nicht verlassen, v g l . I 11, 2 ad 4 u . 1 S 24 I 3 ad 2, wo sich auch der Fortgang in den Transzendentalien ausdrücklich in Schritten der Vernunft vollzieht.
345 'seiendes' hinaus d e n k t , wird zuweilen auch ausdrücklich n u r rationaler Zusatz bezeichnet. [1]
als
Auf diese Weise bleibt n u r noch derjenige Modus jedes Seienden zu prüfen, daß es eine Sache (res) i s t , eine transzendentale Bestimmung, deren Sinn Thomas u n t e r Berufung auf Avicenna darin sieht, daß sie das Wesen jedes Seienden a u s d r ü c k e , wäh rend 'Seiendes' von seinem wirklichen Sein hergenommen s e i . [ 2 ] Damit ist die Frage b e r ü h r t , wie die berühmte Unterscheidung von Wesen und Dasein einzuordnen sei, ob sie, mit Thomas zu r e d e n , einen Unterschied in der Sache bedeutet (Realdistink tion) oder bloß einen begrifflichen, eine F r a g e , auf die sich aus Thomas' eigenen Texten durchaus nicht immer dieselbe Antwort e r g i b t . [ 3 ] Die zitierte Stelle aus dem Metaphysikkommentar macht deutlich, daß Aristoteles' Intention, die konkreten Einzelseien den anstelle von Reflexionsbegriffen wie Seiendes und Eines als Prinzipien auszuweisen, [4] Thomas n u r eine Möglichkeit läßt: Weil der Reflexionsbegriff 'seiend' in der Tat keine im aristote lischen Sinn konkrete Differenz zu einer Sachbestimmung wie 'Haus' s e t z t , muß ein Kommentator, der im Wirkungsbereich von Porphyrius' Alternative 'Bestehen (Wirklichkeit) - Gedachtsein' 1
Ver. XXI 1; In 4 Met. 1. 2, 560; N a t . g e n . 2, 478ff; Pot. IX 7 ad 6. Im c a . (F) zu dieser letztgenannten Stelle heißt e s , 'eines' füge zu 'Seiendem' (nur) eine Negation hinzu, die Erwiderung ad 15 bestätigt a b e r , daß 'non e n s ' eine e r s t e Negation im Gang der Explikation des Begriffs des Seienden i s t , die zusammen mit dem affirmativen 'ens' den Begriff der Unterscheidung ermöglicht, demzufolge etwas ein Seiendes, aber nicht dieses Seiende i s t . Der Begriff der Einheit b e steht dann in der Negation dieser Unterscheidung, insofern dieses Seiende als 'in sich ununterschieden' gedacht wird. Thomas vermeidet einen Ausdruck wie 'negatio negationis' wohl n u r , um die Nichtpositivität jegliches Einen nicht so deutlich werden zu lassen, wie es in seinem Gedankengang schon liegt. Dieselbe Vorsicht äußert sich auch d a r i n , daß das Seiende schon 'in sich' etwas sein können soll, nämlich ungeschieden, obwohl eine Sphäre des 'in sich' doch e r s t durch die Entgegensetzung von Ununterschiedenheit und Unterscheidung konstituiert wird. 2 Zu dem transzendentalen Begriff von ' r e s ' hat Ver. I 1 v e r hältnismäßig wenige Parallelstellen, v g l . noch kurze Erwäh nungen in N a t . g e n . 2, 479 u . 481, und ausführlicher In 4 Met. 1. 2, 550-553 u . 558, wo Avicennas Position (556) zu rückgewiesen wird. 3 Vgl. mit dem genannten Text des Metaphysikkommentars Ente 4, Roland-Gosselin S.34, Z.7-15, und In 2 A n . p o s t . 1. 6, 462 4 Met. Γ 2, 1003 b 26-33; v g l . oben Erster Teil, .., 7.
346
s t e h t , [1] von sprechen.
einer
bloßen
Unterscheidung
des
Verstandes
Wenn Aristoteles selbst in den Zweiten Analytiken Wesensbe griffe und das Sein der durch sie Bestimmten u n t e r s c h e i d e t , [2] will er zeigen, daß eine Definition, könnte sie als ein Beweis angesehen werden, zweierlei deutlich zu machen h ä t t e , nämlich den Begriff und das Sein des Definierten. Schon um der Ein deutigkeit des Gedankens willen muß also die Definition vom Beweis abgegrenzt werden, für den sie, mindestens partiell e r k a n n t , gleichwohl eine notwendige Voraussetzung i s t . [ 3 ] Um gekehrt kommt man über eine bloße Worterklärung hinaus n u r dann zu einer vollständigen, Wissen begründenden Definition, wenn man vom Sein des Definierten weiß. Aristoteles hält auf diese Weise zwei Typen von Fragestellungen und entsprechenden Zielsetzungen der wissenschaftlichen Argumentation auseinander und betont zugleich ihre Untrennbarkeit. Thomas erklärt dazu, ein und derselbe Beweis könne deshalb nicht den Begriff und die Tatsache des Seins eines Gegenstandes e r b r i n g e n , weil das Sein aller Seienden (außer dem absoluten Grund) etwas von ihrer Wesensbestimmung Verschiedenes sei, Verschiedenes aber nicht auf einmal bewiesen werden könne. [4] Die ontologische Formulierung, die ein wesentliches, eben vom Wesen u n g e schiedenes Sein des Absoluten von dem durch Teilhabe e r worbenen Sein aller anderen Seienden u n t e r s c h e i d e t , ist weniger von Aristoteles als von einem bestimmten Verständnis des We sensbegriffs geleitet, den Avicenna eingeführt h a t . Das wird dann offensichtlich, wenn Thomas sich mit einer Erläuterung oder Begründung für die Äußerlichkeit des Seins zum Wesen in einen klaren Widerspruch zum aristotelischen Begriff der De finition b r i n g t , wenn er nämlich s a g t , man könne den Sinn j e der Wesensbestimmung (quid est homo z . B . ) e r k e n n e n , ohne zu wissen, ob es etwas so Bestimmtes in der Wirklichkeit gibt. [5] Was nun Avicennas Begriff der transzendentalen Bestimmung, eine Sache überhaupt (res) zu sein, a n g e h t , so wurde diese Bestimmung oben schon (S.66-69) in i h r e r aussagentheoreti schen Funktion r e f e r i e r t , daß sie nämlich als allgemeinster, auf keine Kategorie festgelegter Begriff vom Subjekt die Synthesis, die jedes umgangssprachliche Urteil zwischen verschiedenen, im Fall von Substanz und einem Akzidens sogar entgegengesetzten Kategorien vollzieht, theoretisch verständlich machen soll, indem man jeden Satz nach dem Muster 'S ist eine Sache, die Ρ hat' 1 2 3 4 5
Eisagoge, ü b e r s . von Boethius, Schepps/Brandt S.159, Z.3-9 An.post. 7, 92 b 4-11; v g l . 10, 76 32-36 An.post. 8, 93 a 16-29; 10, 93 b 32-35; 7, 92 b 4-8, 26-32 In 2 An.post. 1. 6, 462 Ente 4, Roland-Gosselin S.34, Ζ.7-16, S.35, Ζ.3-25
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analysiert. Danach erfordert allein die Urteilsanalyse einen transzendentalen Begriff vom Gegenstand, der also gleich wie die anderen Transzendentalien auf die vernünftige Erkenntnis des Seienden und nicht auf seine unmittelbar dinghafte Weise, als Substanz und Akzidens zusammengesetzt zu sein, zu bezie hen wäre. - Thomas knüpft aber nicht an diese Überlegungen Avicennas a n , sondern an dessen Unterscheidung der beiden Transzendentalien 'Seiendes' und 'Sache', die sich auf die Dif ferenz von Wesen und Seinswirklichkeit beziehen soll. Avicennas Argumentation orientiert sich in der Tat nicht an dem aristote lischen Begriff vom Begriff, der das Wissen um die Wirklichkeit der Sache zur Voraussetzung ihres definierenden Begreifens macht, sie hält sich nicht an das Modell eines Wissensprozesses, sondern an ein einfaches Urteil aus Subjekt und Prädikat und u n t e r s u c h t das Verhältnis dieser Satzteile zueinander. [ 1] Wenn der Satz keine reine Tautologie a u s s p r i c h t , dann, so will Avi cenna sagen, enthält der Gedanke, der ein beliebiges bestimm tes Subjekt meint, noch nichts d a r ü b e r , ob dem Gemeinten Sein im Sinn der erfahrbaren Wirklichkeit oder bloß als Gedachtsein zukommt, sondern das ist ein zweiter Gedanke (intellectus, int e n t i o ) , den das Prädikat hinzusetzt und der auch nicht durch eine begriffliche Analyse oder Definition der Bestimmung des Subjekts vorweggenommen werden kann. Die Transzendentalien 'Sache' und 'seiend' stehen ganz allgemein für diese beiden Bedeutungsfunktionen im Urteil, allerdings so, daß Avicenna sich mit Rücksicht auf den Wesensbezug des a r i stotelischen Seinsbegriffs zu einer Präzisierung veranlaßt sieht , die die lateinische Übersetzung nicht mehr richtig mitvollzieht. So kann die Wesensbestimmung eines Gegenstandes ( c e r t i t u d o ) , deren transzendentaler Begriff 'Sache' i s t , auch sein spezifi sches Sein (esse proprium) genannt werden, weil sie angibt, was in seinem Fall Sein heißt, und auf das Sein in diesem Sinn kann sich natürlich auch das transcendentale 'seiend' beziehen, so daß es seine Differenz zu 'Sache' v e r l i e r t . Um daher zu klä r e n , was mit dieser Differenz gemeint i s t , wird der Ausdruck 'seiend' im Sinn der Bekräftigung oder Bestätigung (esse affirmativum) v e r s t a n d e n , die nur die Prädikation vollziehen k a n n . [2] 1
Meta. I 5, van Riet S.34, Z.50 - S.36, Z.83; v g l . V 1, f. 86 va (equinitas); Log. I, f. 3 r a . Zur Korrektur einiger Mängel der lateinischen Übersetzung dienen die arabischen Texte: Al-Ilahiyyat (1) 1, 5, S.31; v g l . 5, 1, S.196; AlMadkhal 1, 4, S.21. 2 Meta. I 5, van Riet S.34, Z.50 - S.35, Z . 6 1 . Ob mit 'esse proprium' und 'esse affirmativum' nichts anderes als die a r i stotelische Unterscheidung von kategorialem Sein und Wahr sein des Urteils ('So ist es') gemeint i s t , gibt der Text nicht zu e r k e n n e n .
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Das heißt, Avicenna kann Sein von Wesen n u r abheben, indem er auf die verbale Funktion im Urteil im Unterschied zur nomi nalen r e k u r r i e r t , die u n t e r dem Terminus 'Sache' oder 'esse proprium' alle besonderen Sachbestimmungen und Definitionen, eingeteilt durch die Kategorien, umfaßt. Die Differenz von Sein und Wesen ist nicht kategorial - d . h . als ein Gegenstand von Wissenschaft im aristotelischen Sinn - , sondern urteilslogisch zu verstehen. Daß das Urteilen eine freie Tätigkeit der Vernunft, also nicht bloßes Abbilden gegebener Sachverhalte i s t , hat Thomas nicht n u r mit seiner schon zitierten Bemerkung ü b e r die aktive Rolle des urteilenden Bewußtseins gesagt, sondern auch in seinem Kommentar zu Aristoteles' Einstufung des Wahrseins als bloßes Verstandessein. Damit setzt er die Fassung des Adäquationsmo dells der Wahrheit einmal beiseite, nach der das wahre Urteil affirmativ prädiziert, was auch in der Wirklichkeit mit dem Sub jekt zusammengesetzt i s t , und von ihm negiert, was von ihm real getrennt i s t . [ l ] Wo es wie an dieser Stelle darum geht, Argumente für die Nebensächlichkeit von Aussagen über Urteile und ihre Wahrheit gegenüber Aussagen über Sachverhalte im unmittelbar dinglichen Sinn zu finden, da faßt Thomas das Ur teil als ein verbindendes oder trennendes Beziehen zweier Ge dankenbestimmungen (concepta) auf, das von der Identität oder Verschiedenheit des in der Sache Gemeinten unabhängig sei; das zeigten identische Urteile des Typs 'Homo est homo', indem sie sachlich Identisches als zweierlei nähmen und synthetisier t e n . Wenn aber die Form des Urteils, affirmatives oder nega tives Beziehen von zuvor spontan Unterschiedenem zu sein, n u r dem Verstand angehört, dann gilt dasselbe von der Verwirkli chung dieser Form vermittelst der grammatischen Differenz von nominalem Subjekt und Prädikat, das mit seinem verbalen Mo ment 'ist' oder 'ist nicht' die von Avicenna gemeinte Bestätigung a u s d r ü c k t . Thomas hat diesen Zusammenhang, der über den Vernunftcharakter auch der beiden transzendentalen Bestim mungen 'seiend' und 'Sache' keinen Zweifel mehr zuließe, nicht gesehen oder nicht zur Geltung g e b r a c h t , sondern den Unter schied von Wesensbestimmung und Sein eher ontologisch i n t e r p r e t i e r t , wohl deshalb, weil er so zugleich einen Begriff von kontingentem Sein im Unterschied zu absolutem ermöglicht. 2. Vervollkommnung der materiellen Gegenstände durch ihr Er kanntwerden: die Problematik eines transzendentalen Moments in Thomas' Erkenntnistheorie Am Anfang von De Veritate gesteht Thomas der Bezogenheit aller Seienden auf die Seele, also ihrer transzendentalen Be stimmung, wahr und gut zu sein, eine objektive Funktion zu, 1
In 6 Met. 1. 4, 1241; v g l . Ver. I 3
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daß sie nämlich transzendentale Übereinstimmung der Seienden untereinander überhaupt b e g r ü n d e . Gerade in diesem Kontext läßt er den ebenso intelligiblen Charakter der anderen t r a n szendentalen Bestimmungen unberücksichtigt, offenbar von der Absicht beeinflußt, ein unterscheidendes Moment für die Be griffe von transzendentalem Wahrsein - und mit Bezug auf den Willen von Gutsein in diesem Sinn - zu gewinnen. Das hat wie derum erkennbare Folgen für seinen Wahrheitsbegriff. Denn er i n t e r p r e t i e r t einerseits einmal die aristotelische These, die Seele sei in gewisser Weise alles Seiende, [1] auf die er sich zugun sten seines Begriffs von einer Bezogenheit aller Seienden auf das Bewußtsein beruft, noch u n t e r einem anderen Aspekt: In der erkennenden Vernunft sieht er ein Vermögen, die Unvollkommenheit der Gegenstandswelt auszugleichen, die in der Festlegung der Dinge auf ihre je spezifische Vollkommenheit, also zugleich ihrem Defizit im Verhältnis zu einer alle Teilvoll kommenheiten vereinigenden Vollkommenheit schlechthin bestehen soll. [2] Diese Unvollkommenheit haftet nicht n u r dem einzelnen Gegenstand a n , sondern auch einem System solcher Gegenstände im Ganzen, insofern sich seine Gesamtvollkommenheit nicht in einer Einheit, sondern zersplittert in die verschiedenen man gelhaften Teilvollkommenheiten darstellt. Dem soll Vollkommen heit in einem anderen Modus, als daß ein Ding auf seine Be stimmtheit festgelegt und diese gegenüber anderen Bestimmun gen distinkt i s t , abhelfen, nämlich so, daß die eigentümliche Vollkommenheit eines Dinges gleichwohl auch noch einem anderen zukommen k a n n , das im Bewußtsein gefunden wird. Mit der Formulierung, dies sei die Vollkommenheit des Erkennenden als solchen, weil er etwas in dem Sinn e r k e n n e , daß das Erkannte in gewisser Weise bei ihm sei, soll wohl angedeutet werden, daß die Vollkommenheit des Erkennenden keine spezifisch festgelegte ist wie die der Dinge, sondern darin b e s t e h t , alle Teilvollkom menheiten abgesehen davon, daß sie im Reich der Gegenstände je separat realisiert sind, in sich zu einem Bild der S t r u k t u r des Ganzen (ordo universi) zu vereinigen.
1 2
An. Γ 8, 431 b 21 Ver. II 2; v g l . I 84, 2. Diese vorsichtige Version von Spi nozas Prinzip 'determinatio negatio est' (Ep. L, Opera Bd.IV, S.240, Z.13f), das ja auch schon von Platons t r a n szendentalem Begriff der Andersheit vorweggenommen wird, läßt unausdrücklich, vielleicht auch unbeabsichtigt e r k e n n e n , daß mit dem Ganzen oder dem jeweils a n d e r e n , mit Bezug auf welches eine beliebige Bestimmtheit ein Mangel i s t , schon ein Vernunftzusammenhang, hier die Idee der Totalität, v o r a u s gesetzt i s t , ein Hinausgegangensein ü b e r das jeweilige Di s t i n k t e , das aus dessen isolierter Vorstellung nicht h e r g e leitet werden k a n n .
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Andererseits nennt auch diese Konzeption einer Funktion des Bewußtseins für die Seienden als solche keine Momente des in seiner distinkten Bestimmtheit durchaus bestehenden Seienden, vermöge d e r e r es dem Intellekt entspräche oder ihm angeglichen wäre, wie Thomas selbst gelegentlich den Wahrheitsbegriff um gekehrt zu der geläufigen Adäquationsrichtung formuliert.[1] Denn die These von der Bezogenheit aller dem Bewußtsein a n scheinend doch äußerlichen Seienden (res extra) auf ihr Er kanntwerden führt unmittelbar auf die Frage, was es denn heißt, daß die Dinge geeignet seien, dem menschlichen Intellekt angeglichen zu werden, [2] was ihre Qualifikation zum objektiven Moment einer wahren Erkenntnis ausmacht. Dieses Problem ist noch in der anderen Frage enthalten, von der die skizzierte Entwicklung des Vollkommenheitsbegriffs a u s g e h t , d u r c h welche Bestimmtheit (natura) nämlich etwas ein Erkennendes und ( z u gleich) Erkanntes sei. Deshalb findet man in der Unterschei dung von distinkter dinghafter Teilvollkommenheit und möglicher intelligibler Vollkommenheit im umfassenden Sinn eine Grundlage für Thomas' Begriff von Erkenntnis: Das Fixiertsein (determinatum esse) gegenständlicher Vollkom menheit wird zu dem Moment e r k l ä r t , das das Zugleichsein d e r selben Vollkommenheit in einem anderen Seienden, also ihr Er kanntwerden v e r h i n d e r t . Um der Eignung willen, (auch) in einem anderen zu sein, müsse daher jede spezifische Vollkom menheit ohne die sie, determinierenden Faktoren betrachtet wer den, und das heiße, ohne Materie.[3] Gerade dasjenige also, 1
"Prima ergo comparatio entis ad intellectum est ut ens intellectui correspondeat", Ver. I 1. "Res autem non dicitur v e r a nisi secundum quod est intellectui adaequata", Ver. I 2; v g l . I 1 ad 3. 2 "Verum . . . dicitur . . . tertio de rebus secundum quod a d aequantur intellectui divino, vel aptae natae sunt adaequari intellectui humano", Ver. I 3 . 3 Ver. II 2. Der Bezug der Determiniertheit oder Distinktheit ist damit gegenüber dem Anfang des Gedankengangs ein a n d e r e r geworden. Dort hieß e s , das spezifische Sein eines Gegenstands sei distinkt gegenüber dem spezifischen Sein eines a n d e r e n , und deshalb fehle der spezifischen Vollkom menheit eines jeden Gegenstands so viel von der Vollkom menheit schlechthin, wie es Vollkommeneres in den anderen Species gebe. Danach ist also das Ding auf seine Species festgelegt und ermangelt der d u r c h die Summe aller anderen Species vermittelbaren Vollkommenheit. Weil nun die Ge samtheit der spezifischen Vollkommenheiten als eine Einheit dadurch verwirklicht werden soll, daß die je eigentümlichen Vollkommenheiten der Dinge auch noch von einer Instanz gesammelt und geordnet werden, tritt als Voraussetzung da für, daß die Zersplitterung der Species und - mit ihr - die Mangelhaftigkeit der durch sie bestimmten Dinge überwunden
351 was die Species zu Vollkommenheiten von Gegenständen macht, legt sie auch völlig auf diese Funktion fest und setzt sie dem Typ von Vollkommenheit entgegen, der als Vollkommenheit dieses Dings zugleich in einem anderen i s t . Diese von Thomas ü b e r nommene Formulierung ist wichtig, weil ohne das Zugleichsein derselben Vollkommenheit in zwei Seienden oder Subjekten das Selbstbewußtsein der Erkenntnis, bestimmte Dinge und nicht bloße Bestimmungen zu erfassen, von der hier v e r s u c h t e n Übersetzung in eine ontologische Betrachtungsweise nicht ein geholt würde. Damit stellt aber das philosophische Unternehmen, die Bedeu t u n g der Erkenntnis für die Welt der Gegenstände zu bestim men, die Erkenntnis dieser Welt selbst in Frage, denn die Voll kommenheit eines Dings und damit auch der Gegenstand ü b e r haupt treten nun dreifach auf: Einmal materiell auf Singularität fixiert, dann als dieselbe Vollkommenheit, aber von der jeweili gen Materie abstrahiert und deshalb e r k e n n b a r und schließlich als vollzogene Erkenntnis oder wirklich gedachtes Objekt. Tho mas bestätigt diese Interpretation mit der Formulierung, daß (erst) die Erkennbarkeit, also Getrenntheit von Materie, der Vollkommenheit bedeute, daß sie die Vollkommenheit eines mit der Eignung i s t , (zugleich) in einem anderen zu s e i n . [ l ] In derselben Konsequenz liegt e s , daß die Vernunft selber als tä tige die Gegenstände erkennbar macht, von den materiellen Be dingungen a b s t r a h i e r t , und das heißt jetzt, ihnen die Vollkom menheit des zweiten Typs verleiht, also den Charakter, außer gegenständlich von anderen spezifischen Bestimmungen isoliert zu sein, zugleich intelligibel ihnen zugeordnet werden zu kön n e n . Weil aber die materiell festgelegten Bestimmungen gerade werde, die Möglichkeit der Species, als Vollkommenheit dieses bestimmten Gegenstandes zugleich in einem anderen zu sein, in den Vordergrund und mit dieser Voraussetzung ihre eige nen Bedingungen, also die der Erkenntnis. Jedenfalls geht dieser Gedanke nicht mehr wie der Ansatz vom Ding a u s , das spezifisch distinkt und deshalb mangelhaft bestimmt i s t , sondern umgekehrt von der Species, die als Vollkommenheit eines Dings darauf festgelegt i s t , seine Bestimmung zu sein. - Nur durch diese Wendung wird Thomas' Lösung möglich, die die erkennbaren Vollkommenheiten als Formprinzipien des Erkenntnisprozesses (species intelligibile s) dem Intellekt zu weist und keineswegs in den Gegenständen plaziert. So sind es schließlich nicht die konkreten Dinge oder ihre inhärierenden Wesensbestimmungen, die so an ihnen selbst sind, daß sie zugleich in einem anderen sein können, sondern die gleichen Wesensbestimmungen als der Vernunft schon zuge hörige Formen. 1 "Perfectio . . . secundum quod est cognoscibilis; scilicet p r o u t , existens perfectio u n i u s , est nata esse in altero." Ver. II 2
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nicht zugleich in einem anderen sein können, werden auch we der sie noch die durch sie bestimmten Dinge erkannt noch wird deren isolierte Vollkommenheit durch Beziehung auf eine Instanz aller Vollkommenheiten behoben. Vielmehr ist neben den Bereich vereinzelter Vollkommenheiten das zweipolige Verhältnis von Vollkommenheiten gesetzt worden, die außer in ihrem Gegen stand auch noch in einem anderen sein oder erkannt werden können. Dieses uneingestandene Resultat verfehlt den Erkenntnisan spruch des natürlichen Bewußtseins. Es widerspricht auch Thomas' - an anderer Stelle - erklärter theoretischer Zielset zung, daß das von allen materiellen Bedingungen abstrahierte Bild des Wesens der erfahrbaren Dinge nicht als der Gegen stand der Erkenntnis verstanden werden dürfe, sondern n u r als die Form, vermittelst d e r e r sich die Erkenntnistätigkeit voll zieht. [1] Wie kann es zu solchem faktischen Mißlingen kommen? 1
I 85, 2 u . ad 1. Bezeichnend für Thomas' Arbeitsweise, mit wechselnden Argumentations zielen auch die Argumente zu derselben Sache zu v e r ä n d e r n , ist das Verhältnis des zwei ten Einwands in diesem Artikel und seiner Widerlegung zu der Problemexposition in Ver. II 2. Der Einwand lautet näm lich, das wirklich Erkannte könne nicht in dem von der Er kenntnis unabhängigen Ding (res extra animam) sein, weil dieses materiell sei, also müsse der wirkliche Erkenntnisge genstand im Intellekt sein und deshalb nichts anderes als die Form der Erkenntnistätigkeit (species intelligibilis) - also ganz übereinstimmend mit dem Resultat von Ver. II 2. Wie dieser Einwand schon von der in Ver. II 2 hervorgehobenen bloßen Eignung (natum esse) zum Erkanntwerden absehen soll, braucht sich auch seine Widerlegung nicht um die Ent gegensetzung des materiellen Determiniertseins der Wesens bestimmung (natura) zu i h r e r Erkennbarkeit zu kümmern, die Ver. II 2 prägnant als die Eignung beschreibt, ohne Festlegung auf das Sein an einem Zugrundeliegenden zugleich an einem anderen sein zu können. Unberührt von diesem Gegensatz legt I 85, 2 ad 2, d a r , daß die Wesensbestim mung, der es - als etwas Äußerliches - zukomme (accidit), abstrahiert und erkannt zu werden, in den materiellen Din gen sei, daß ihr das Abstrahiert- und Erkanntwerden aber zufolge ihres Aufgefaßtwerdens (secundum quod percipitur - tautologisch wie die ganze Erklärung) vom Intellekt zukom me. Hier möchte Thomas, wie das c a. zeigt, den objektiven Erkenntnisanspruch des natürlichen Bewußtseins rechtfer tigen, in Ver. II 2 dagegen soll die Bedingung für Erkenn barkeit bestimmt werden, was Thomas durch eine Abgren zung von materiellem Bestimmtsein erreichen will. Zugunsten der These, daß er ganz unsystematisch v o r g e h t , s p r i c h t , daß es ihn offensichtlich nicht i r r i t i e r t , infolge einer Kon-
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Die Bestimmtheit der Gegenstände der Erfahrung, wie sie an ihnen selber sind, kann dann nicht mehr von der Theorie für d a s , was erkannt wird, gehalten werden, wenn als Bedingung für Erkennbarkeit nichts weiter als eine Charakteristik angege ben wird, die der Bestimmtheit der Dinge an ihnen selbst le diglich entgegengesetzt i s t , so hier die Nichtmaterialität und Getrenntheit von allen mit Materialität gegebenen Bedingungen, vor allem der raumzeitlichen Einzelheit. Das einfache Programm des ganzen Artikels, in bloßer Immaterialität die Natur der Er kenntnis - des Objekts wie des Subjekts - zu sehen, trennt n u r materiell bestimmte und Erkenntnisgegenstände, ohne zu sagen, wie der Gegensatz konkret ü b e r b r ü c k t werden s o l l . [ l ] Denn die materiellen Dinge potentiell erkennbar im Unterschied zur wirk lich erkennbaren Abstraktionsprodukten zu nennen, bedeutet nicht mehr als eine Absichtserklärung der Theorie, daß die materiellen Dinge trotz allem erkannt werden sollen; das Po tenz-Akt-Schema gibt n u r eine allgemeine Form für Prozesse ü b e r h a u p t , die im vorliegenden Fall d u r c h die Prinzipien dieses bestimmten Prozesses konkretisiert werden müßte. [2] zeption davon, wie das Erkanntwerden der Wesensbestimmung nicht äußerlich sein k a n n , nun - unausdrücklich - den Er kenntnisanspruch zurückzuweisen, wie er ihn z . B . in I 85, 2 u . ad 2, selbst formuliert, wenngleich da mit dem Neben r e s u l t a t , daß der natura rei ihr Erkanntwerden äußerlich bleibt. Dieses Dilemma, daß entweder die Wesensbestimmun gen nicht als solche einzelner Substanzen erkannt werden oder ganz gleichgültig gegen Erkenntnis erscheinen ( v g l . dazu noch unten S.356, 359f), wirft die Frage auf, ob Rahner, Geist in Welt, S.81ff, Thomas' Denken über Er kenntnis nicht von vornherein zu eng im Hinblick auf eine systematische Einheit d e u t e t , wenn er Erkennen im Sinn von Thomas als "Beisichsein des Seins" und dies Beisichsein als das Sein des Seienden a n s e t z t . Beruhte Thomas' Konzeption prinzipiell auf dem Gedanken, daß das Sein der Einheits grund von Erkennen und Erkanntwerden, Erkennen aber "die Subjektivität des Seins selbst" ist (Rahner, S.82), und nicht - zum wenigsten - auch noch auf anderen Vorausset zungen, wie könnte seine Theorie dann in der Ausführung in die genannten Schwierigkeiten geraten? 1 "Videmus, quod secundum ordinem immaterialitatis in r e b u s , secundum hoc in eis natura cognitionis i n v e n i t u r " , Ver. II 2. Das ist dem Grundsatz nach nichts anderes als die Position der 'Ideenfreunde' im Sophistes, 246 b u . 248 a-e, wie der Begriff vom Absoluten zeigt, d a s , weil frei von aller Potentialität, also auch von allem Werden wie die abstrakt g e dachte Idee, in höchstem Maß erkennbar sein soll. Vgl. In Trin. I 2 ad 4, Decker S.68, Z.6-10 2 Mit der Unterscheidung von materiellen Dingen als potentiel len Erkenntnisgegenständen und immaterieller Wirklichkeit
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Thomas macht die Aporie der gängigen These, Erkenntnis b e r u he auf Immaterialität, gerade an dieser Stelle offenbar, weil er sich, um die Selbsterkenntnis des Absoluten vermittelst eines Begriffs von Erkennbarkeit überhaupt theoretisch zu sichern, veranlaßt sieht, die These zu b e g r ü n d e n , und damit die a b s t r a k t e Entgegensetzung, die im Begriff der Immaterialität liegt, so richtig deutlich macht: Materialität bedeutet Festlegung der spezifischen Bestimmungen auf das jeweilige einzelne Zugrunde liegende, Erkennbarkeit dagegen ein solches Sein an einem Zu grundeliegenden, daß dieselbe Bestimmung auch in einem a n deren sein kann; danach schließen sich materiell bestimmtes Sein und Erkennbarkeit kontradiktorisch a u s . Die Folge i s t , daß die Erkenntnis als Objekte n u r noch das e r r e i c h t , was sie selbst allererst e r k e n n b a r gemacht h a t , aber nicht mehr die materiell bestimmten, einzelnen Dinge der realen Welt, wie sie an ihnen selber sind - ein Resultat, wie es neuere Anhänger des Thomas von Aquin gern dem transzendentalen Idealismus Kants nachgesagt h a b e n . [ 1 ] der Erkenntnis begnügte sich auch schon Aristoteles' nega tiver Vernunftbegriff ( A n . Γ 4 , 430 a 6-9). Seine Schwie rigkeiten stellen sich erst h e r a u s , wenn dieser Ansatz in weitere Differenzierungen - wie materielle Determiniertheit gegenüber intelligibler Abstraktheit der Wesensbestimmun die Aristoteles gen - entwickelt wird, Differenzierungen, wohl vermieden, die er aber auch nicht mit expliziten Ar gumenten ausgeschlossen h a t . 1 Dieselbe aporetische Situation kann auch aus dem u r t e i l s theoretischen Wahrheitsbegriff entwickelt werden, n u r gibt Thomas da nicht so u n ü b e r s e h b a r e Anhaltspunkte: Wenn das Urteil, das allein dem Verstand und nicht den Dingen a n g e h ö r t , die Bedingung schlechthin dafür i s t , daß das Bewußt sein sein Bild von der Sache auf die Sache selbst beziehen k a n n , dann steht auch diese Sache selbst, die derart zum Kriterium für die Wahrheit des subjektiven Bildes von i h r gemacht wird, u n t e r der Bedingung des urteilenden Verstan des oder ist n u r eine Sache selbst für das urteilende Be wußtsein, aber nicht die Sache selbst, wie sie unabhängig von Urteil und Erkenntnis an ihr selber wirklich sein soll. - Zur Kantkritik des genannten Typs s. Philosophisches Wörterbuch (ed. W. B r u g g e r ) , Artikel 'Idealismus' ( e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e r ) , und Enciclopedia filosofica, Art. 'Idealismo' (Abschn. IV, Col. 705). - Ohne sich auf die hier genannten Quellentexte zu beziehen, erklärt Sheehan, Aquinas on Intentionality, S.316ff, die für Thomas unüberwindbare Äußer lichkeit von individualisierten und gedachten Sachbestim mungen aus der Notwendigkeit, esse naturale und esse i n tentionale (I 56,2 ad 3) ein und derselben Bestimmung g e geneinander zu definieren, wenn Intentionalität als ein Seins modus neben dem Vorkommen in der Sphäre der Einzelseien-
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Die Konzeption von Erkennbarkeit als Immaterialität hängt d e r art mit dem Begriff einer transzendentalen Bestimmung aller Seienden, wahr zu sein, zusammen, daß es Thomas in beiden Fällen nicht gelingt zu zeigen, wie die Dinge der erfahrbaren Wirklichkeit, an deren Gleichgültigkeit gegen ihr Erkanntwerden er mit dem natürlichen Bewußtsein grundsätzlich festhalten w i l l , [ l ] dennoch eine allgemeine Beziehung auf Vernunft und die Wahrheit von Urteilen haben können. In Verbindung mit dem Wahrheitsbegriff geht er über die unbestimmte Annahme einer Entsprechung jedes Seienden gegenüber der Vernunft oder einer Angleichung an sie nicht hinaus und sieht als Resultat dieser abstrakten Beziehung eine gleichermaßen unbestimmt bleibende Übereinstimmung aller Seienden untereinander vor. Dagegen gibt er zur Erläuterung dessen, was Immaterialität heißen k a n n , einen Begriff jener Entsprechung. Der erklärt zugleich die Angewiesenheit der Seienden im Ganzen auf das Bewußtsein im Hinblick auf ihre spezifischen Vollkommenheiten und scheint für d a s , was transzendentale Übereinstimmung aller Seienden untereinander bedeuten k a n n , eine universale Ordnung der Species einzusetzen. Was man so als einen Versuch ansehen k a n n , u n t e r einer etwas v e r ä n d e r t e n Fragestellung die mit dem transzendentalen Wahr heitsbegriff gegebene philosophische Aufgabe zu realisieren, läßt doch n u r in einem erkenntnistheoretischen Modell den Wi d e r s p r u c h offenbar werden, von dem Thomas ausgeht: Die Vor a u s s e t z u n g , daß die Gegenstände der wirklichen Welt u n a b h ä n gig von ihrem Erkanntwerden durch das endliche Bewußtsein in sich bestehen sollen, drückt sich nun in dem ersten Modus von Vollkommenheit a u s , also in Bestimmungen, die durch Materie auf ihre spezifische Distinktheit und ontologische Isolierung festgelegt sind. Und die These, als wahre hätten alle Gegen stände eine Beziehung auf Vernunft, wird daneben in einen ganz anderen Begriff vom Objekt umgesetzt, der dem Selbst bewußtsein der Erkenntnis e n t s p r i c h t , eine Vorstellung von demselben zu haben, das zugleich in sich i s t , das also, denkt man von diesem Objekt h e r , in sich und zugleich im Bewußtsein sein können muß. Auf diese Weise bleibt von dem Verhältnis, in das Angewiesen heit auf Vernunfterkenntnis und Ansichsein der Erfahrungswelt gebracht werden sollen, im Ergebnis nicht mehr als die beiden vorausgesetzten gegensätzlichen Seiten, die n u r d u r c h die a b s t r a k t e Potenz-Akt-Beziehung v e r b u n d e n sein sollen. Der Zuden gefaßt werden soll. Damit bezeichnet Sheehan das Schei t e r n des Versuchs, Erkenntnis überhaupt ontologisch, als Seinsweise nämlich, zu begreifen, eine Kritik, die er auch auf die bei Thomas geläufige Rede vom Gedanken als einem Bild der Sache anwendet, s. a . a . O . S.310. 1 So das Resultat von Ver. I 2
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sammenhang wird nicht entwickelt, der mit der Abhilfe (reme dium) für die Unvollkommenheit der vereinzelten spezifischen Bestimmtheiten gemeint i s t . Vielmehr bleibt diese Unvollkommen heit der realen Welt bestehen, denn nicht die wirklichen Ge genstände und Bestimmtheiten sind e s , die durch ein simultanes Sein in der Seele neben ihrem Isoliertsein auch noch zu einer universalen Ordnung aller Vollkommenheiten verbunden werden. Anders gesagt, der Ort der Abhilfe ist ontologisch ein anderer und getrennt von dem nach wie vor gegen sein Erkanntwerden wie gegenüber allem ihm Äußerlichen gleichgültigen Ort der Un vollkommenheit und Bedürftigkeit. - Wenn einmal erkannt i s t , daß die spezifisch bestimmten Dinge ohne eine Beziehung auf Erkenntnis unvollkommen bleiben, dann reicht der gängige ein fach negative Vernunftbegriff - auch zusammen mit dem Ge sichtspunkt eines universalen Zusammenhangs von Vollkommen heiten - offenbar nicht a u s , um die erkenntnistheoretische Vor stellung einer von menschlicher Erkenntnis unabhängigen Ge genstandswelt zu revidieren. Auch über diesen Text hinaus findet man zuweilen weniger a u s gearbeitete Bemerkungen, die materiebestimmten Dinge oder ihre Formen seien im vernünftigen Bewußtsein in einer vollkommene ren Weise oder höheren Wahrheit als in sich s e l b s t . [ 1 ] Jedoch macht Thomas an Parallelstellen das klar, was seine Position im Ganzen entscheidend bestimmt, daß nämlich dieses Verhältnis d u r c h die umgekehrt einordnende Betrachtungsweise kompen siert wird, für die solche Formen und Wesensbestimmungen je weils diese einzelne Substanz - und damit Seiendes im prinzi piellen Sinn - n u r in quantitativ bestimmter Materie und eben nicht in der Erkenntnis sein können. [2] Damit i s t , wie man es sich deutlicher nicht wünschen könnte, der aristotelische Be griff vom Prinzip ü b e r h a u p t , angewandt auf die Gegenstände der äußeren Erfahrung, als dasjenige Theorem kenntlich g e macht, das einer Kritik der natürlichen Denkungsart, die E r kenntnis verhalte sich wie etwas Sekundäres, Abhängiges n u r rezeptiv gegenüber einer in sich bestehenden, unabhängigen 1 2
Ver. XXII 11; An. 15 (letzter Absatz) 1 S 36 I 3 ad 2; I 18, 4 ad 3. Wenn nämlich der Substanz begriff auch auf das Bewußtsein angewendet wird, erschei nen die Gedanken nicht mehr so, wie sie als Vorstellungen oder Bilder von Substanzen z . B . für das Bewußtsein sind und wie Thomas sie in Ver. II 2 mit seinem Begriff eines doppelten Seins alles Erkennbaren i n t e r p r e t i e r t , sondern bloß als eimfache, nicht mehr in sich differenzierte Akziden zen an einer denkenden Substanz. - Die von Wéber h e r v o r gehobene Aufwertung der intelligiblen Formen durch den späten Thomas ändert nichts an deren Unterordnung u n t e r die selbständigen Substanzen, s. Dialogue et dissensions entre S. Bonaventure et S. Thomas d'Aquin à Paris, S.387f.
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Gegenstandswelt, in der Theorie entgegenwirkt und sie im Er gebnis auch v e r h i n d e r t . Das wiegt angesichts der folgenden Überlegungen um so schwe r e r : Ein die Wissensprinzipien unmittelbar thematisierender Text ermöglicht Thomas einen - von ihm nicht vollzogenen - Gedan k e n s c h r i t t , der vermittelst einer Konkretisierung dessen, was transzendentales Wahrsein aller Seienden oder ihre E r k e n n b a r keit bedeutet, die Aporie auflösen könnte, wie sie sich aus der a b s t r a k t e n Entgegensetzung von Materialität der Erfahrungswelt und Immaterialität des Vernunftobjekts e r g i b t . Thomas sagt im Zusammenhang mit der Frage, ob der tätige Intellekt für alle Erkennenden n u r einer i s t , die Übereinstimmung aller Menschen in den ersten Vernunftbegriffen, also den Transzendentalien und den aus ihnen einleuchtenden e r s t e n Prinzipien, sei in einem seiner Art nach gemeinsamen Vermögen, dem tätigen In tellekt, b e g r ü n d e t ; das komme zwar jedem Menschen zu, leite sich aber doch von einem einzigen Prinzip für alle h e r , nämlich der einen absoluten Vernunft. [1] Dabei heißt es wörtlich, die Gemeinsamkeit der Menschen in den ersten Begriffen beweise die Einheit einer absoluten Vernunft. Nun ist einerseits alle wissen schaftlich verbindliche Rede über besondere Sachverhalte n u r mit Bezug auf diese Begriffe möglich, die ihrerseits auf absolute Vernunft verweisen, [2] und andererseits - wie könnte solche Rede auch sonst Wissen vermitteln? - ist die absolute Vernunft Maßstab für die Wahrheit der Gegenstände, also letzte Wahr heitsinstanz. [3] Wie sollte dann die Folgerung vermeidbar sein, daß die Gegenstände auch der menschlichen Vernunft hinsicht lich i h r e r Erstbegriffe, der Transzendentalien und Prinzipien, a priori entsprechen? Mit jenem Gedankenschritt ist nun lediglich die Konsequenz g e meint, daß das Entsprechungsverhältnis, in dem alle Realität a priori zur menschlichen Vernunft mit Bezug auf deren E r s t b e griffe s t e h t , nichts anderes als die ursprüngliche Übereinstim mung alles Seienden mit dem erkennenden Bewußtsein i s t , die Thomas als den Sinn der transzendentalen Bestimmung 'wahr' angibt. Das heißt, die ganze S t r u k t u r der Transzendentalien und allgemeinen Wissensprinzipien könnte zur Erfüllung der von Thomas eingesehenen Notwendigkeit eingesetzt werden, daß Seiendes als solches eine Affinität zur Erkenntnis oder eine Form der Erkennbarkeit - die er de facto bloß als Immaterialität bestimmt - haben muß. Mit dieser Konkretisierung erhielte auch die These, auf der Übereinstimmung mit der Seele beruhe die Übereinstimmung der Seienden untereinander oder ihre t r a n szendentale Gleichheit, eine unmittelbar einleuchtende Fassung, 1 2 3
I 79, 5 ob. 3 u . ad 3 Ver. XI 1 (F) Ver. I 2
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denn das ist ja der Begriff der Transzendentalien und Prinzi pien, daß sie allem Seienden schlechthin eigen sind. Die Aporie a b e r , die aus Thomas' faktischem Begriff von Er kennbarkeit folgt, könnte auf der Grundlage einer Konzeption von Vernunftgemäßheit aller Seienden beseitigt werden, die auf die Transzendentalien und Prinzipien zurückgreift. Denn einer seits ist es eine notwendige Bedingung der Aporie, daß die an Gegenständen realisierten Vollkommenheiten auf die Inhärenz an ihren vereinzelten Subjekten festgelegt sind, also nicht zugleich auch an einem jeweils anderen sein können; Voraussetzung d a für wiederum ist die Vereinzelung der Subjekte, vermöge d e r e r sie - und alles ihnen je Zugehörige - strikt voneinander v e r schieden sind. Andererseits aber enthält der in die Transzen dentalien entfaltete Begriff von einem Seienden ü b e r h a u p t , wie schon gesagt (S.343f), auch die Bestimmung bloßer Verschie denheit, die Thomas als logische Entgegensetzung im Sinn von 'Dieses ist dieses und nicht jenes 1 b e g r e i f t . [ 1 ] Von daher läge es auf der Hand, daß die Ordnung der a b s t r a k t e n Vereinzelung von Gegenständen, die auch deren Vollkommenheiten vonein ander isoliert, zur Erkennbarkeit der Realität gehört. Und d a mit wäre die gegenständliche Verwirklichung der Vollkommen heiten - wie auch die Dinge selber - i h r e r Tauglichkeit, e r kannt zu werden, nicht entgegengesetzt, sondern folgte aus i h r , so daß die wirklich vollzogene Erkenntnis die Gegenstände der realen Welt unmittelbar erfaßte und nicht bloß von ihnen strukturell abgehobene Vernunftformen. Thomas realisiert, wie gesagt, diese von ihm selbst geschaffe nen theoretischen Möglichkeiten nicht. Wie er von der aristote lischen Formulierung, die Vernunft sei die Form aller - intelligiblen, nicht sinnlichen - Formen, nicht auf eine allgemeine, explizierbare Bestimmtheit a priori aller Erkenntnisformen, so fern sie vernunftgemäß sein müssen, schließt, [2] genau so leer bleibt bei ihm derselbe Vernunftbezug alles Seienden ü b e r h a u p t auch u n t e r dem Titel des transzendentalen Wahrseins. Was diese Bestimmung von höchster Allgemeinheit heißen soll, das defi niert er dann folgerichtig, mit Bezug auf die besondere Be stimmtheit einzelner Gegenstände: "Im Sinn der Angleichung an den menschlichen Intellekt wird eine Sache wahr genannt, inso fern sie geeignet i s t , von sich eine wahre Meinung zu bilden; wie umgekehrt Dinge falsch genannt werden, die geeignet s i n d , als das zu erscheinen, was sie nicht sind, oder wie sie nicht sind."[3] 1
Auf Thomas' Reflexionen über transzendentale Verschieden heit komme ich in Kap.6 zurück. 2 A n . Γ 8 , 432 a 1ff; In 3 An. 1. 13, 790; v g l . oben S.282 Anm.4 3 Ver. I 2; v g l . Ver. I lo zum Begriff des täuschenden Ge genstandes
359 Damit bleibt Thomas bei dem oben (S.135f) erwähnten aristote lischen Verständnis einer ausschließlich jeweils besonderen Wahrheit jedes Urteils, die sich dann auch n u r nach der Be sonderheit des Sachverhalts als ihrem jeweiligen Maßstab (men sura) richten k a n n . [ l ] Auf dieser Grundlage wird aus dem Verhältnis aller Seienden zur Vernunft, wie es die ersten bei den Artikel von De veritate als Übereinstimmung, Entsprechung und sogar Angleichung charakterisieren, nicht n u r im Kommen t a r zu entsprechenden aristotelischen Äußerungen eine bloß gedachte Beziehung (relatio r a t i o n i s ) . Der Verstand ergänze sie reziprok zu der einzig realen Beziehung, nämlich Abhängigkeit des Wissens und seiner Wahrheit vom Gegenstand, weil der Ge genstand schon Bezogenes (terminus) der Beziehung des Wissens auf ihn s e i . [ 2 ] Um die reale Unbezüglichkeit der mit Materie verbundenen Seienden auf die sie erkennende Vernunft nach zuweisen, argumentiert Thomas analog zu seiner Explikation des Gegensatzes von Materialität der Dingformen und Immaterialität ihrer Erkenntnis: Durch den Erkenntnisakt bezieht sich zwar der Wissende auf den Wissensgegenstand außerhalb der Seele, aber das Ding außerhalb der Seele wird überhaupt nicht von dieser Handlung e r r e i c h t , weil die Handlung der Vernunft nicht verändernd in eine äußere Materie ü b e r g e h t ; deshalb ist das Ding außerhalb der Seele den Erkenntnishandlungen und - v e r mögen völlig äußerlich - so wörtlich - , aus denen eine solche Beziehung folgt. [3] 1
Vgl. den Begriff des intelligibile, es sei eine bestimmte Na t u r , die zu einer Art gehört, In 3 An. 1. 10, 738. 2 Ver. XXI 1; Pot. VII 11; v g l . Met.Δ 15, 1021 a 26-30; In 5 Met. 1. 17, 1003f, 1026f 3 Pot. VII 10: " . . . ipsa res quae est extra animam, omnino est extra genus intelligibile." Diese Stelle ist ein weiteres Bei spiel für die Zweckabhängigkeit von Thomas' Argumenten oder für ihre Beschränkung auf jeweils n u r einen Aspekt eines systematisch komplexen Problems. Denn wie soll er an einer 'gänzlichen Äußerlichkeit von Erkenntnishandlung und Naturkausalität festhalten können, wenn e r , so auch in Ver. II 2, eine objektive Erkenntnis von Naturursachen und eine Wirkursächlichkeit der technisch-praktischen Vernunft ( s . In 3 An. 1. 15, 820f, u . Ver. I 2) beansprucht? Im Hinblick darauf, daß in der Frage der Relation des Gegenstands auf Erkenntnis nur ganz a b s t r a k t d e r Gegensatz intelligibel materiell hervorgekehrt wird, ist auch nicht abzusehen, wie Thomas' allgemeines Zugeständnis, eine n u r vom Verstand gebildete Relation könne immerhin einen Grund in der an ihr selbst unbezogenen Sache haben (so die Identitätsbeziehung in der Einheit der Substanz, s . Pot. VII 11 ad 3 ) , auf das Objekt-Subjekt-Verhältnis angewandt werden könnte, ohne die primäre These realer Unbezogenheit wieder in Frage zu stellen ( s . a . Pot. VII 10 ad 10).
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In diesem Kontext bleibt auch die potentielle Erkennbarkeit, die sonst materiellen Gegenständen zugestanden wird und zu tief sinnigen Vermutungen ü b e r den Gedanken einer an sich, bloß noch nicht für sich seienden Vernünftigkeit d e r Dinge v e r a n lassen k ö n n t e , ganz außer Betracht. Und gegenüber der u n mittelbar gegenständlich gedachten Wirkursächlichkeit, als deren Relatum materielle Dinge allein sollen gedacht werden können, erscheint die offenbar n u r in i h r e r Individualität, aber nicht als Realisierung von Vernünftigkeit ü b e r h a u p t gedachte E r k e n n t n i s handlung als ebenso äußerlich wie der Gegenstand in dem Mo d u s , nach dem er zugleich in sich und in einem andern sein k a n n , gegenüber dem Modus, in dem er materiell auf sein ein zelnes Sein in sich festgelegt i s t . - Nun könnte man diese Gleichgültigkeit der Erfahrungsgegenstände gegen das e r k e n nende Bewußtsein in Thomas' Sinn mit dem Argument v e r t e i digen, was Einzelheit aufgrund von Materie b e d e u t e , das werde durch die Transzendentalienstruktur mit ihren Momenten V e r schiedenheit und 'Einheit' nicht vollständig eingelöst; ein ma teriespezifischer Rest, der nicht in Erstbegriffen aufgehe, ma che vielmehr die Selbständigkeit und zugleich Beschränktheit der Sinnendinge a u s . Also muß die der Materie zugedachte Funktion, als Gegenprinzip gegen Erkennbarkeit die Erfah rungswelt zu determinieren, u n t e r s u c h t werden, wenn man v e r stehen will, daß Thomas die Transzendentalien nicht als Ver einzelungsstruktur jener Welt und zugleich Prinzip i h r e r Ver nunftgemäßheit eingesetzt h a t . 3. Materie als Inbegriff einer der Erkenntnis entgegenstehenden Realität und die in den Transzendentalien gedachte S t r u k t u r a) Die quantitative S t r u k t u r der Materie Mit dem Reflexionsbegriff 'Materie' ist u n ü b e r s e h b a r Vieles g e meint, das ü b e r h a u p t zu einem andern bestimmbar i s t . Solche je schon qualifizierte Materie wie etwa Fleisch und Knochen des menschlichen Körpers wird auch mittelbar - wenn u n t e r L e b e wesen 1 ein 'belebter Körper' verstanden wird - oder unmittel bar - das Haus als 'Schutzvorrichtung aus Steinen etc.' - in der Definition allgemein e r k a n n t . Deshalb kann Materie nicht schon aufgrund ihres Begriffs, Bestimmbares oder das Woraus des Entstehens von anderem zu sein, die Naturdinge gegen i h r Erkanntwerden determinieren. Auch der Gedanke, jedes b e stimmte Ding müsse einen doppelten Modus seiner Vollkommen heit haben, hat die Festlegung gegen das Erkennen nicht mit Materialität ü b e r h a u p t , sondern mit d e r Determiniertheit oder Distinktheit des Dings gleichgesetzt, die als ontologisch g e meinte Abgrenzung gegen alles andere den Sinn von Indivi duation erfüllt. Deshalb führt die Frage danach, was t r a n s z e n dentales Wahrsein von erkenntnisunabhängigen Dingen heißen
361 könnte, auf die bekannte These, nicht die Materie als solche mache das aus ihr Bestehende zu einem Einzelnen, sondern s o fern sie s t r u k t u r i e r t ist (materia s i g n a t a ) . [ l ] Daß diese S t r u k t u r etwas mit Raum und Zeit zu tun haben muß, wird schon damit gesagt, daß der unmittelbar n u r Allgemeines erkennende Verstand von der s t r u k t u r i e r t e n Materie a b s t r a h i e r e , insofern er vom Hier und Jetzt a b s t r a h i e r e ; in der Ausfüh r u n g der These steht die Räumlichkeit der Erfahrungsgegen stände allerdings ganz im V o r d e r g r u n d . Ebensowenig wie die resultierende Einzelheit hängt die näher noch zu bestimmende S t r u k t u r von der Besonderheit des jeweiligen Materials a b , vielmehr kommt sie der Materie als solcher, sofern sie nicht in i h r e r qualitativen Bestimmtheit allgemein als Moment des Wesens aufgefaßt wird, unmittelbar zu, weil Materie immer körperliche Materie i s t . [ 2 ] Daß die Raum zeitlichkeit alles Bestimmbaren als solchen, abgesehen von dem kategorialen Charakter des 'Wo' und 'Wann', aus seiner Bewegbarkeit im Anschluß an die ari stotelische Physik begründet werden k a n n , [ 3 ] nimmt Thomas im Kontext des Individuationsbegriffs nicht auf. Der Gedanke, daß man in der Eigenschaft d e r Dinge, an einem Ort zu sein, den Grund i h r e r individuellen oder numerischen Verschiedenheit sehen k a n n , weil zwei Gegenstände nicht zu gleich an einem Ort sein können, wird Thomas von Boethius vorgegeben. [4] Vergleicht man Thomas' Untersuchungen zu dem Boethiustext mit Kants Raumbegriff, der die besondere Ver schiedenheit des 'Außer und Nebeneinander von Orten wesent1
Ente 2, Roland-Gosselin S.10, Z.20 - S.11, Z.3; Ver. II 6 ad 1; I 85, 1 ad 2. Thomas scheint die Bedeutungsmomente von 'signatum' nicht deutlich terminologisch trennen zu wol len, da er einerseits auf das individualisierende Prinzip, die räumlichen Dimensionen, und andererseits auf die resultie rende Partikularität erklärend verweist und sie in dem Sinn von 'designatio' als relativ zur bloßen Materie, d . h . reinen Bestimmungslosigkeit, höhere Bestimmtheit v e r s t e h t , beson ders mit einer Formulierung wie "materia efficitur haec et signata" (In Trin. IV 2, Decker S.143, Z.7f). Weil aber Ma terie schon das sein soll, wodurch die Dinge einzelne sind, erscheint es plausibel, das individualisierende Moment der Materie nicht selber als Bestimmtsein oder Diesessein aufzu fassen, sondern als Funktion, die gerade das bewirkt, also im Vorgriff auf Thomas' Lösung als S t r u k t u r , wenn auch die qualitativ bestimmte Materie, z . B . das Holz eines Baumes, selber ein Dieses und ein einzelnes Körperding i s t . 2 In 7 Met. 1. 2, 1283; I 76, 6 ad 2 3 Phy. Δ1, 208 a 29-32; Δ 11, 218 b 21 - 219 a 2 u . 219 a 10 - b 2 4 Quomodo trinitas unus d e u s , c. 1, Stewart/Rand S.6, Ζ.24 31
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lieh als eine S t r u k t u r der Anschauung f a ß t , [ l ] dann kann man finden, daß sie Räumlichkeit nicht aus einem d e r a r t i g e n , dem Begriff der bloßen Verschiedenheit hinzugesetzten Moment v e r stehen wollen, sondern n u r aus einer gewissen Abwandlung oder Konkretion von Verschiedenheit. Das heißt, Thomas b e ansprucht die anschauende Einbildungskraft, ohne die kein Le ser die Rede vom Raum mit einer Vorstellung verbinden k a n n , bezieht sie aber nicht ausdrücklich in die begriffliche Argu mentation ein. Eine Rekonstruktion dieses Ansatzes wird davon auszugehen haben, daß das Bestimmbare rein als solches (Materie) zu seiner Verschiedenheit von allen Bestimmungen und zu der Verschie denheit der Bestimmungen voneinander keine weitere Differen zierung hinzufügt, daß also kein Bestimmtes von anderem v e r schieden i s t , weil es als etwas Bestimmbares zu etwas bestimmt i s t , sondern n u r aufgrund seiner Bestimmungen. [ 2] Die t r a n szendentale Verschiedenheit jedes Seienden als solchen von allen anderen Seienden geht aber dieser Verschiedenheit aufgrund von verschiedenen' Bestimmungen v o r a u s , als Moment der t r a n szendentalen S t r u k t u r bedeutet sie den Unterschied gerade zwi schen solchen, die einander in jeder Hinsicht, auch bezüglich i h r e r Verschiedenheit, gleich sind; in diesem Sinn stellt sich die Frage nach d e r Individuation schon im Kontext der Tran szendentalientheorie . Bei der Erklärung dieser Notwendigkeit, alles durch Bestimmun gen Verschiedenes auf an ihm selbst sich von anderem Unter scheidendes zurückzuführen, hat Thomas einmal einen räum lichen Gegenstand, die Linie nämlich, als Beispiel e r w ä h n t . Seine Antwort a b e r , jede ursprüngliche Unterscheidung (divisio) beruhe auf einer Synthesis von Affirmation und Negation, d . h . darauf, daß in einem Seienden die satzmäßige Ausschlie ßung eines anderen impliziert sei, bezieht sich auf Bestimmun gen (termini), für die an einer anderen Stelle Kategorien g e nannt werden und an einer weiteren Seiendes und Nichtseiendes zu vermuten s i n d . [ 3 ] Aber wenn es auch bei der Unterschei1 2 3
KrV 38ff S. auch In Trin. IV 2, Decker S.143, Z.1-8 In Trin. IV 1, Decker S.134, Z.12 - S.135, Z.9; cG I 7 1 , 605; In 5 Met. 1. 12, 916: Quantität und Qualität kommen im 'Seienden' als einer analogen Einheit überein, was dagegen in nichts übereinkommt, unterscheidet sich jeweils d u r c h sich selbst von anderem - solches, das noch nicht einmal als Sei endes übereinstimmt, kann kaum etwas anderes als Seiendes und Nichtseiendes sein, s . u . S.504. - Die Frage nach einem ursprünglichen Unterschied ist auf diese Weise n u r vorläufig beantwortet, s. unten 6 . K a p . , 4.
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dung der Kategorien oder von Sein und Nichtsein je voneinan der nicht um eine Differenzierung bestimmter Seiender aufgrund i h r e r Bestimmungen g e h t , so werden diese begrifflichen Momente des Seienden doch auch nicht als Gleiche voneinander u n t e r schieden. Gerade das ist aber mit der transzendentalen Bestim mung 'Verschiedenheit gemeint. Unterschiedenheit in Gleiche, aber je für sich Seiende gehört zugleich zum Begriff der Quantität, wie er auch in Thomas' In terpretation der aristotelischen Definition e r k e n n b a r i s t , ein Quantum werde genannt, was in Innewohnende zu unterscheiden ist, von denen jegliches ein Eines und ein Dieses i s t . [ l ] Der Kommentar sieht in der Bestimmung 'Innewohnende' ( e n h y p a r chonta) eine Abhebung des Quantum von einer Mischung aus verschiedenen Elementen, deren Auflösung in ihre Bestandteile mit einer qualitativen Veränderung (alteratio) v e r b u n d e n i s t , und deutet damit die Gleichheit der Unterschiedenen a n . [ 2 ] Nicht das Bestimmbare ü b e r h a u p t oder die Materie ist also d a s , worin reine Verschiedenheit sich darstellt, sondern das Be stimmbare als Quantum:[3] Seinem Begriff nach ist das Indi viduum in sich ungeschieden und aufgrund einer letzten Un terscheidung' von den anderen geschieden - an ihr selbst b e t r a c h t e t , enthält die Materie oder das Bestimmbare als solches keinen Unterschied im Sinn von Hier und Jetzt - als einzige 1
Met. Δ13, 1020 a 7ff In 5 Met. 1. 15, 977; zur Quantität als Unterscheidungsprinzip v g l . III 77, 2 2 Unberücksichtigt bleibt dabei an der Qualifikation des Quan tum, es bestehe aus ihm innewohnenden Einheiten, daß es dadurch als ein Ganzes gesetzt i s t , das diese Einheiten als seine Teile enthält und eine aus ihnen gebildete größere Ein heit darstellt; v g l . dazu auch unten S.519f. - In Überein stimmung mit den Texten wird auch im folgenden von dieser Einheit nicht die Rede sein. 3 In Trin. IV 2, Decker S.143, Z.1-8, u . ad 3, ad 4. Ad 2 macht die Schwierigkeit offenkundig, das quantitative, die Unterscheidung begründende Moment gleichwohl als Akzi d e n s , also auch als Bestimmung betrachten zu müssen: Wie kann dasjenige ein Akzidens, also der substantiellen Be stimmtheit nachgeordnet sein, was selber die Bedingung für die Funktion der Form i s t , ein Einzelnes zu bestimmen, also dem substantiell bestimmten Einzelding (synholon, composi tum) logisch vorausgeht? Wie kann das individualisierende Moment selber Bestimmung sein, also mindestens der Mög lichkeit nach vieles Einzelne bestimmend? - Dies ruft gleich sam nach Kants Kritik an der Auffassung, 'Raum' und 'Zeit' seien allgemeine Begriffe, u n t e r die etwas subsumiert werden kann, und nicht Begriffe von etwas, das selber gerade nicht von der logischen S t r u k t u r eines Begriffs ist (KrV 39, 47).
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Eigenschaft (accidens) des als Subjekt anzusehenden Bestimm baren hat die Quantität ein eigenes Prinzip der Unterscheidung in sich - also ist das Bestimmbare nur aufgrund seiner Quanti tät als dieses Bestimmbare von jenem unterschieden und d a durch wiederum Prinzip der Individuation von veränderlichen Gegenständen. Nun kann allerdings aus der Transzendentalientheorie nicht die Notwendigkeit abgeleitet werden, daß es auch in den wissen schaftlichen und Erfahrungsbegriffen Quantität als eine reine Darstellung des philosophischen Reflexionsbegriffs von Verschie denheit gibt. Insofern die Transzendentalien wie die allgemein sten Prinzipien auch im kantischen Sinn transzendental konzi piert sind, also als Bedingungen a priori von Erkenntnis ü b e r h a u p t , machen sie ebenso die allgemeine S t r u k t u r eines Reichs reiner - also nicht ein quantitatives Bestimmbares bestimmen der - Formen a u s , was auch verschiedene Texte nicht im Zwei fel l a s s e n . [ 1 ] Neben seiner Annahme einer Individuation selb ständiger Formen d u r c h sie selbst[2] hat Thomas jedoch das quantitativ s t r u k t u r i e r t e Bestimmbare als solches nicht anders in der Funktion eines Individuationsprinzips begriffen als im Sinn eines Falls der reinen transzendentalen Verschiedenheit. Als Fall oder Darstellung bloßer Verschiedenheit begriffen zu werden, bedeutet für die a b s t r a k t e Kategorie der Quantität in Thomas' Kontext zwei eng miteinander verbundene Konkre tionen, nämlich die zur S t r u k t u r des Raumes und die zur Form von bestimmbaren oder materiellen Gegenständen, sofern sie nämlich Körperdinge sind. b) Theoretische Bestimmungen der räumlichen Quantität Angesichts der vielen Fragen, die sich bei der Durchsicht d e r nicht sehr systematisch angelegten Texte über diese Konkretion e r g e b e n , ist eine Beschränkung am Leitfaden der These u n a u s weichlich, daß Thomas explizit keinen zusätzlichen Begriff ein führt, der systematisch e r k e n n b a r eine Prinzipienfunktion wie der transzendentale Begriff der Verschiedenheit hätte - das könnte man n u r von der schon individuierten Materie sagen - , wenn er auch u n v e r k e n n b a r auf die Anschauung des Raumes angewiesen i s t . Im Anschluß an Aristoteles unterscheidet Tho mas das Quantitative in Größen und Mengen, indem er teils Kontinuität gegenüber Diskretheit und teils Lage oder Stellung (positio, situs) gegenüber (räumlichem) Nichtgesetztsein (non 1 2
In Trin. V 1, Decker S.165, Z.24-28, u . ad 7; I 30, 3 u . ad 1, ad 2 Ente 4, Roland-Gosselin S.33, Z.33 - S.34, Z.3; In 8 Met. 1. 3, 1710; v g l . den Begriff der Seele nach In Trin. IV 2, Decker S.142, Z.21ff
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habens positionem) zum Unterscheidungskriterium der beiden Arten von Quantität oder Teilbarkeit in Gleiche nimmt.[1] Beide Eigenschaften der Quantität, die aus ihr geometrische Größen differenzieren, also Kontinuität und Lage, setzen die Raumvorstellung v o r a u s , indem der 'Ort' in ihre Begriffe ein g e h t . Aber dieses Prinzip jeder Differenzierung, die den Be griff der Verschiedenheit Gleicher (Quantität) zu einer allen Gegenständen der äußeren Erfahrung gemeinsamen Form k o n k r e tisiert, wird nicht als Prinzip neben der Quantität deutlich g e macht, sondern mit Hinweis auf Aristoteles ihr als eine i h r e r Species u n t e r g e o r d n e t . [ 2] In der Tat ist in der aristotelischen Tradition ein Begriff vom Raum als Prinzip nicht d e n k b a r , weil nicht einmal d a s , was bei Aristoteles für den Raum im neuzeit lichen, von Newton und Kant explizierten Sinn s t e h t , also der gemeinsame Ort für alle Körperdinge' ohne Mißverständnis 'Raum' genannt werden k a n n . [ 3 ] Denn für Aristoteles ist die Bestimmung von Gegenständen, an einem Ort zu sein, davon abhängig, daß sie äußerlich von einem anderen Körper umgeben sind, weil er den e r s t e n , unmittelbaren Ort eines Dings als die Grenze des ihn umgebenden Körpers bestimmt. [4] Auch der g e meinsame Ort kann deshalb n u r ein alle partikulären ö r t e r und mittelbar daher auch das durch sie Geortete (locatum)[5] umge bender Körper, der Himmel nämlich, sein. [6] Wie die "Physik" keinen Raum, sondern n u r das Begrenzungs verhältnis eines umgebenden Körpers zu dem von ihm umgebe nen als den partikulären Ort des letzteren k e n n t , nennt auch die Kategorienschrift, auf die sich Thomas bezieht, den Ort zu nächst als einen Fall kontinuierlicher Quantität neben räumlichen Gegenständen wie Linie, Ebene und Körper und leitet weiter unten die Kontinuität jeden Ortes in sich von der Kontinuität des ihn erfüllenden Körpers a b . [ 7 ] Die 'Örtlichkeit' ist also nicht wie die Räumlichkeit in neuzeitlicher Auffassung eine den Erfahrungsdingen vorgegebene S t r u k t u r , sondern folgt ihrer quantitativen Bestimmtheit zu Größen als ein äußeres Verhält n i s , das auch d a n n , wenn der Ort gleich wie die Zeit als ein Maß verstanden wird, keine Prinzipienfunktion für die Distan zierung alles räumlich Geordneten haben soll. [8]
1 2 3 4 5 6 7 8
Cat. 6, 4 b 20-25; Met. Δ 13, 1020 a 10f; Δ 6, 1016 b 24ff u . 30f; In 5 Met. 1. 15, 978; 1. 8, 874; 1. 20, 1060 In 5 Met. 1. 15, 986; In 11 Met. 1. 9, 2313 Phy. Δ2, 209 a 31 - b 1 Phy. Δ5, 212 a 31f; Δ 4, 210 b 34ff, 212 a 5ff In Trin. IV 4 o b . 1, Decker S.154, Ζ.9 Phy. Δ4, 211 a 23-29; Δ 5, 212 b 18-22 Cat. 6, 4 b 20-25, 5 a 6-14 In 5 Met. 1. 9, 891; In Trin. IV 4, Decker S.155, Z.18ff, sowie s . c . 1 u . 3, ad 1 in . u . ad 3 in , Decker S.156.
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Indem diese Konzeption des Ortes von dem Sprachgebrauch, daß etwas in etwas i s t , a u s g e h t , [ 1 ] verlegt sie das Prinzip für j e des Ortsverhältnis in das erste Etwas, den 'ortbaren' Gegen s t a n d . Was ist nun dieses Prinzip, das den Begriff einfacher Verschiedenheit Gleicher zur Distanz von Orten oder räumlichem Nebeneinander konkretisiert? Von der Kontinuität kann leicht an den Texten gezeigt werden, daß sie nicht als dasjenige Moment der Größen begriffen wird, das ihre Ausdehnung verständlich machen k a n n , einfach deshalb, weil sie sie schon voraussetzen muß. Denn ein Kontinuum oder etwas Zusammenhaltendes soll sein, was an ein anderes so anschließt, daß die Grenze beider identisch, also nicht mehr unterscheidbar oder diskret i s t . Das Anschließen aber (echomenon, habitum) wird als Berühren in einer Reihe v e r s t a n d e n , und Berühren heißt in dieser Termino logie, daß die Extreme der sich Berührenden zusammen, also an einem und demselben ersten oder unmittelbaren Ort sind. [2] Kontinuierlich kann also n u r sein, was schon an einem Ort ist und insbesondere eine Ausdehnung h a t , die entweder begrenzt oder negativ dazu als grenzfreies Übergehen in sich - e n t s p r e chend der Sukzession der Ausdehnung vorstellenden Einbil dungskraft - , und das heißt, als Kontinuum vorgestellt werden kann. Mit der E r k l ä r u n g , alles sich Berührende (haptomenon, t a n gens) habe deshalb in einer Reihe (ephexes, consequenter) zu sein, weil die sich Berührenden i h r e r Lage nach geordnet sein müßten und kein Mittleres zwischen sich haben dürften, führt Thomas explizit auch den Begriff der Lage ( t h e s i s , positio, s i t u s ) , die Aristoteles als eine d e r Konkretionen einer Reihe n e n n t , in den Definitionszusammenhang des Kontinuum e i n . [ 3 ] Damit erscheint neben der Kontinuität das zweite die Größen gegenüber der bloßen Quantität differenzierende Moment, und zwar als logisch früher gegenüber der Bestimmtheit der Größen, eine grenzenlos zusammenhängende Einheit zu bilden; diese Priorität der Lage oder Stellung läßt sie auch in den Texten zur Individuationsfrage zu einem zentralen Begriff werden. Wenn in diesem Zusammenhang der Begriff der Lage als dif ferentia specifica der Quantität verwendet wird, d u r c h die sie sich zu den drei Dimensionen des Raumes konkretisiert, dann ist damit auch explizit b e a n s p r u c h t , die Umsetzung des Quan titativen in eine Distanzierung verschiedener Örter geleistet zu haben. [4] Es ist daher zu p r ü f e n , ob diese Kategorie des Lie1 2 3
4
Phy.A 3, 210 a 14f, 24 Met. 12, 1068 b 26f, 1069 a 1f, 5-8; In 11 Met. 1. 13, 2404, 2406, 2410, 2412 Met. 12, 1068 b 31-35; In 11 Met. 1. 13, 2414
In Trin. IV 2 ad 3, Decker S.144, Z.16ff; IV 3 ad 7, Decker S.153, den ganzen Zusammenhang resümierend V 3 ad 3, Decker S.187, Z.17-22
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gens oder Gesetztseins in der Tat solches enthält, was als Prin zip der Verräumlichung der Quantität verstanden werden k a n n , Strukturmomente also des Raumes, die ihn von anderem Quan titativen abheben. Aristoteles' Unterscheidung verschiedener Arten des Quantita tiven setzt den Begriff der Lage so ein, daß er ein Verhältnis der Teile einer Art von Quanta zueinander bestimmt, das die Teile anders gearteter Quanta nicht h a b e n , [ 1 ] und Thomas ist ü b e r diesen Ansatz nicht hinausgegangen. Er hat aber das k r i tische Moment nicht mit übernommen, daß eine Zuordnung (taxis) der Teile zueinander allein noch kein Spezifikum der (räumlichen) Größen i s t , sondern als ein Genusbegriff verwen det wird, u n t e r den sowohl das Verhältnis der Stellung oder Lage wie auch das Verhältnis verschiedener Zeiten und Zahlen, also früher und später zu sein, gebracht werden. [2] Thomas begnügt sich damit, 'Lage' als eine bestimmte Ordnung oder ein bestimmtes Verhältnis der Teile eines Gegenstandes zueinander zu bezeichnen, und greift, um die Bestimmtheit des Lagever hältnisses anzugeben, wieder auf die Ortskategorie zurück: Lage ist das Verhältnis von Teilen an einem O r t . [ 3 ] Das tut Aristoteles zwar auch mit der Bemerkung, von den Teilen des Quantitativen, die eine Lage haben, könne man immer der Reihe nach Auskunft geben, wo jedes einzelne sich befindet. [4] Indem aber Thomas den Hinweis auf das Geordnetsein auch anderer Quanta aus diesem Kontext nimmt, wird auch derjenige aristo telische Gedanke scheinbar entbehrlich, der das wohl einzige nicht zirkuläre Bestimmungsmoment räumlicher Größen enthält. Aristoteles sagt nämlich wiederholt, und zwar mit Bezug auf die Teile von Zeit und Sprache, was nicht bestehen bleibe, das könne keine Stellung haben. [5] Also gehört es offenbar zu den Bedingungen von räumlich Geordnetem, daß jedes einzelne und deshalb auch alle Geordneten zusammen dauerhaft bestehen und nicht eines n u r u n t e r der Bedingung i s t , daß die anderen nicht mehr oder noch nicht sind. Denn so kann n u r die Ordnung von Zeit und Sprache v e r s t a n d e n werden, weil das Nichtbleiben i h r e r Geordneten deren Nichtmehrsein und in eins damit das Sein von anderem, Späterem b e d e u t e t , das zuvor noch nicht war. Was die Ordnungen des Früher und Später, wie Aristoteles sie an dieser Stelle einführt, konstituiert, nämlich der Aus schluß eines Zugleichseins der Geordneten, das muß seinerseits negiert werden, damit so etwas wie Lage möglich wird. Die ohnehin schon zeitliche Bedingung des Bleibens der einzelnen 1 2 3 4
Cat. 6, 5 a 15-37 Vgl. zu Cat. 6, 5 a 28-33, Met. Δ 19 In 5 Met. 1. 9, 892; 1. 17, 1005; 1. 20, 1058; In 11 Met. 1. 12, 2377 Cat. 6, 5 a 18f, 21f
5
Ebenda, 5 a 26ff, 33-36
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Geordneten kann deshalb auch von der Seite i h r e r Konsequenz, nämlich des Zugleichseins d e r Geordneten, aufgefaßt werden, so daß das räumliche Verhältnis der Stellung zueinander u n t e r der Bedingung einer zeitlichen Relation der Geordneten e r s c h e i n t . [ 1] Daß dieser Gedanke von Aristoteles nicht zur Klärung des La gebegriffs ausgearbeitet wird und bei Thomas überhaupt nicht zu finden i s t , stimmt ganz mit der aristotelischen Auffassung von der Zeit zusammen: Als jeweils gezähltes Maß der Bewegung ordnet sie das Zeitliche nach Früher und Später nicht u r sprünglich, sondern wegen der Folge des Späteren auf das Frühere in der Bewegung, die als Ortsbewegung über eine Erstreckung oder (räumliche) Größe hin dieselbe Differenzie r u n g der distanzierten Stellung zweier Orte zueinander v e r dankt; deshalb ist das Früher - Später in seiner ersten Be deutung als Ortsbestimmung aufzufassen. [ 2] Dieser Nachord nung des zeitlichen Früher - Später gegenüber der Distanzie r u n g durch räumliche Lage würde es klar widersprechen, wenn man den Begriff des Außereinander von Örtern seinerseits von dem zeitlich verstandenen Früher - Später abhängig machen wollte, wenn auch n u r durch seine Negation, die das immer noch zeitliche Verhältnis des Zugleich e r g i b t . Da sich also ein konsequenter Rekurs auf die Zeit verbietet, kommen Aristoteles und Thomas nicht ü b e r das wechselseitige Verweisen von Ort und Lage aufeinander h i n a u s , d . h . können mit Bezug auf beide die formalen Bedingungen einer Begriffs bestimmung durch Definition nicht erfüllen. So sagt Aristoteles von den Teilen eines Quantum, die eine Lage haben, a u ß e r , daß man angeben könne, wo jeglicher sich befinde, man könne auch beantworten, mit welchem der übrigen Teile jeder zusammen h ä n g e . [ 3 ] Wie schon erwähnt, muß dieses Zusammenhängen oder Sichberühren so vorgestellt werden, daß die Grenzen der sich Berührenden ihren unmittelbaren ersten Ort gemeinsam h a b e n . Dem steht gegenüber, daß der Ort selber, weil er als der je weils bestimmte begrenzende Körper für sein Geortetes gedacht i s t , zu der Art des Quantitativen, das eine Lage h a t , neben bestimmten räumlichen Gegenständen wie Linie, Ebene und Kör per gehören soll; [4] anders könnte er die Funktion der Be g r e n z u n g , ein räumliches Verhältnis, nicht erfüllen.
1
Im Hinblick auf Kant hat Prauss diese Differenzierung von räumlicher und zeitlicher Ordnung hervorgehoben, das Ver ständnis des Zugleich alles Räumlichen als einer Zeitbestim mung allerdings - auch gegenüber Kant - zurückgewiesen (Zum apriorischen Entwurf, S.195). 2 Phy. Δ11, 219 a 14-25 3 Cat. , 5 18-22 4 Ebenda, 5 23; In 5 Met. 1. 20, 1060
369 ) Der k a t e g o r i a l e Begriff der Lage (situs) und die anschau liche Raumvorstellung Thomas' eingehende Erörterung der Materie als Individuationsprinzip geht von der Bemerkung des Boethius a u s , anders als alle anderen Akzidenzen könne man die Verschiedenheit des Ortes von verschiedenen Individuen nicht wegdenken.[1] Nahe liegt die Interpretation, den Ort - ob als S t r u k t u r aller Orte, also Raum, oder als je bestimmter Ort für ein Ding, kann offen bleiben - als Prinzip der zahlenmäßigen Teilung oder Unter scheidung qualitativ gleicher Individuen anzusehen. [ 2] Das hie ße aber, daß eine akzidentelle Bestimmung, die noch dazu das Verhältnis der Substanz zu etwas ihr Äußerem, nämlich dem sie umgebenden Körper, bedeutet, zum Prinzip für das Moment der Substanz erhoben würde, ein Dieses oder der unmittelbare Ge genstand der Erfahrung zu sein. Gerade umgekehrt wird der Prinzipienanspruch, mit dem allein der Substanzbegriff v e r b u n den ist, von Aristoteles darin realisiert, wie er Raum und Zeit v e r s t e h t : Einmal als das Umgebende, in dem etwas i s t , und dann als das Maß der Bewegung, die dasselbe Etwas von einem Ort zu einem andern ausführt, also immer so, daß von dem substantiellen Gegenstand als etwas schon Fertigem zu seinen Relationen zu anderen Dingen gleichen Typs und zu der Ver änderung solcher Relationen als jeweils etwas Nachträglichem übergegangen wird. Wenn deshalb Thomas zur Erläuterung der Ortsverschiedenheit zweier Individuen den Begriff der Lage heranzieht, der die Individuation des Substanzmoments Materie verständlich machen soll, dann spricht viel dafür, daß diese Argumentation insbesondere das Ziel h a t , den Prinzipiencha r a k t e r der Substanz zu w a h r e n . [ 3 ] Die intendierte Bestätigung des Aristotelismus auch in der Individuations frage v e r h i n d e r t die Untersuchung einer S t r u k t u r von Örtlichkeit, die als eine Konkretion von Verschiedenheit vermittelst zusätzlicher Prin zipien ebenso wie die transzendentale S t r u k t u r allen einzelnen sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen logisch vorausläge. In eine andere Richtung scheint im Kontext der Überlegungen zur Verschiedenheit überhaupt Thomas' schon erwähnte Be merkung zu gehen, die am Fall einer quantitativen Unterschei dung (divisio) die These plausibel machen will, das formale Prinzip der Unterscheidung von Zusammengesetztem und ( d e s halb) Nachgeordnetem sei die Verschiedenheit (diversitas) sei ner einfachen ersten Elemente: [4] Ein Teil einer Linie - also 1
Quomodo trinitas unus d e u s , c l , Stewart/Rand S.6, Z.2730; In Trin. Expos. c . I , Decker S.106, Z.7-12 2 In Trin. IV 4 s . c . 3, Decker S.155 3 Vgl. dazu cG IV 8 1 , 4152; S p i r . c r e a t . 3 ad 14, Keeler S.49, Ζ.5-14 4 In Trin. IV 1, Decker S.134, Ζ. 13-17
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eines nachgeordneten Zusammengesetzten - werde dadurch von einem anderen unterschieden, daß er - im Verhältnis zu dem andern - eine verschiedene Lage habe (diversum situm); diese mache die formale Differenz der kontinuierlichen Quantität a u s , die eine Stellung habe (positione, h a b e n t i s ). Man könnte das so v e r s t e h e n , daß das unterscheidende Prinzip für die beiden Teile der Linie nicht mit ihrem resultierenden Unterschied identisch sein k a n n , weil auch im Beispiel Unterscheidung des Zusammen gesetzten und sie bedingende Verschiedenheit des Einfachen noch auseinandergehalten werden sollen, und daß deshalb mit 'Lage' als formaler Differenz der Quantität oder als Räumlichkeit ein einfacheres Prinzip gemeint i s t , aus dem das Außereinandersein der beiden Teile e r s t abzuleiten i s t . Die Kennzeichnung der Lage als 'formale Differenz' könnte man als Hinweis auf eine besondere, nämlich räumliche S t r u k t u r der Quantität i n t e r p r e t i e r e n , die als einfaches Außer- und Nebeneinander jeder kom plexen Konfiguration bestimmter räumlicher Gegenstände und i h r e r Teile vorausgeht und sie erst ermöglicht. Aber durch einen Vergleich mit Parallelstellen kann man sich davon überzeugen, daß Thomas nicht so d e n k t , [ 1 ] sondern von normaler Differenz' d e r Quantität genau in demselben logischen, nicht anschaulichen Sinn spricht wie in dem folgenden zweiten Beispiel, das die Unterscheidung von Mensch und Esel auf die Verschiedenheit i h r e r spezifischen Differenzen vernünftig - u n vernünftig als das Einfachere z u r ü c k f ü h r t . Nach der genannten Stelle des Metaphysikkommentars wird die Lage als eine Diffe renz des Genus 'Quantität' angenommen, weil ein Typ von Quantität wie Linie, Fläche, Körper und Ort eine Position habe und ein anderer wie Zahl und Zeit nicht. Lage oder Position bleibt also die Eigenschaft des je einzelnen räumlichen Quantum, d u r c h die es sich von Quanta anderer Art u n t e r s c h e i d e t . Trotzdem macht sich ein gewisses Recht der zuerst erwogenen Deutung in der Schwierigkeit bemerkbar, daß die spezifische Differenz der räumlichen Größen nicht n u r diese von anderen Quanta unterscheiden soll gleich wie die Vernünftigkeit die Menschen von anderen Lebewesen, sondern auch noch je b e stimmte räumliche Quanta wie hier die Teile einer Linie v o n einander. Das Komplexe, dessen Unterscheidung aus d e r Ver schiedenheit von Einfacherem hergeleitet werden soll, sind im Fall der Linie nicht verschiedene Species, sondern geometrische Individuen oder, im Zusammenhang b e t r a c h t e t , dasjenige, u n t e r dessen Bedingung die Materie Prinzip für Individuation sein k a n n . Das Außereinandersein der bestimmten Linienteile in einem dennoch kontinuierlichen Zusammenhang ist aber gar kein Spezifikum der räumlichen Größen, sondern gilt gleichermaßen von verschiedenen Zeitpunkten oder Zeitabschnitten und kann 1
In Trin. V 3 ad 3 , Decker S.187, Z.20ff; In 5 Met. 1. 20, 1060
371 leicht aus dem Begriff des Genus 'Quantität' eingesehen werden, insofern man mit ihr solches Teilbare meint, dessen Elemente einander gleichen. Also leistet die spezifische Differenz 'Lage die Unterscheidung bestimmter zueinander so oder so Liegender n u r d a n n , wenn das Besondere an der Verschiedenheit der Li nienteile, daß sie zeitlich zugleich sind, hervorgehoben und aus einem Prinzip v e r s t a n d e n wird. Dieses meint auch Thomas, so kann man vermuten, mit dem Ausdruck 'Lage., weil es dem n a türlichen Bewußtsein als etwas Selbstverständliches bekannt i s t , bringt es aber nicht theoretisch zur Sprache. Wie schon Boethius nimmt Thomas ein vorreflexives Bewußtsein von der S t r u k t u r des Raumes in den folgenden, spezielleren Untersuchungen über das Individuationsprinzip auch explizit in Anspruch, wenn er auf die äußere Erfahrung verweist, daß ein Körperding mit seinem Besetzen eines Ortes jeweils ein anderes von derselben Stelle vertreibt.fi] Damit geht die Betrachtung wieder von den Sinnendingen a u s , die sie als Substanzen v e r s t e h t , bewegt sich also im Rahmen des Kategorienschemas und kommt schließlich auf die Lage als dessen Element zurück. - Die Erfahrung, daß zwei Körper nicht an einem Ort sein können oder daß jeder Körper - zu jedem Zeitpunkt - einen ihm eigenen Ort hat, erfordert e s , dasjenige - nach dem Referierten not wendig quantitative - Moment von Korperlichkeit zu ermitteln, das eine notwendige Bezogenheit auf einen Ort schon seinem Begriff nach zur Folge h a t . Das gesuchte Moment soll die Aus dehnung oder Erstreckung des Körpers nach den drei Raumko ordinaten überhaupt sein (dimensiones interminatae) [ 2] , die es ermöglicht, daß der Körper einen ihm umgebenden Ort ü b e r haupt erfüllt oder ausmißt; dabei ist der Ort, der als umge bender im aristotelischen Sinn kein Punkt sein k a n n , schon ausdrücklich als ausgedehnt v o r a u s g e s e t z t . Soweit bedeutet Körperlichkeit n u r Ausdehnung ungeachtet jeg licher quantitativen Bestimmtheit, also Ausdehnung von etwas ü b e r h a u p t . Dieses Moment des 'Etwas ü b e r h a u p t , a b s t r a h i e r t man es von den bestimmten Dingen, kann reines Bestimmbares oder Materie genannt werden. Die Abstraktion von allem Unter schied nach Bestimmungen, die auch von der Substanz n u r das Moment eines Zugrundeliegenden überhaupt übrigläßt, zeichnet die mathematische Betrachtungsweise a u s . [ 3 ] Körperlichkeit ist also diejenige Bestimmung, durch die ein Bestimmbares ü b e r 1 2
3
In Trin. IV 3, Decker S.148, Z.19-22, S.149, Z.8-17, S.150, Z.15-26 S. a. In Trin. IV 2, Decker S.143, Z.4 - S.144, Z . 1 ; In 7 Met 1. 2, 1283. Aristoteles führt die drei Dimensionen auch als Differenzen ( ε ι ð η και δια) des Ortes und zur Charakterisierung von Lage an, s. .5, 205 b 31-34, Phy. 5, 188 a 24f. In Trin. V 3, Decker S.184, Ζ.6-22
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haupt als Quantum oder teilbares Außereinander im Modus der Ausdehnung bestimmt wird. - Wie kann die mathematische Größe der Ausdehnung (quantitas dimensiva) tatsächlich das bestimm bare Moment aller unmittelbaren Gegenstände der äußeren Er fahrung derart s t r u k t u r i e r e n , daß jeder solche Gegenstand je weils einen von dem der anderen verschiedenen Ort erfüllen muß? Ausdehnung im Sinn der drei Dimensionen soll diejenige Quantität sein, die eine Lage h a t , so daß der Unterschied, den die Quantität in i h r e r Species 'Ausdehnung' dem Bestimmbaren mitteilt, ein Unterschied der Lage sein m u ß . [ l ] Auf diese Weise wird die Lage als ein begriffliches Moment des quantitativen Akzidens 'Ausdehnung' der jeweiligen Substanz u n t e r g e o r d n e t . Die differentia specifica 'Lage' ist in i h r e r Species 'Ausdehnung' enthalten zu denken, und die dem Maß nach flexible Ausdeh nung in drei Dimensionen (dimensiones interminatae) gehört wie jede Quantität zur Sphäre der Bestimmungen, die der Substanz gleichsam immanent zukommen, ohne sie ursprünglich zu kon stituieren; [ 2] in diesem Zusammenhang bedeutet dann 'Lage' dasjenige Moment des Ausgedehnten, daß seine Teile eine b e stimmte Ordnung zueinander haben. Mit der Funktion der Ausdehnung, daß sie die Verdrängung von verschiedenen Körpern erklären soll, ist aber offenbar mehr als die nach dem Kategorienschema realisierbare immanente Bestimmtheit intendiert. Die schon zitierte Formulierung, ein Bestimmbares (materia) sei von einem anderen n u r seiner Lage nach geschieden, [ 3] kann man da näher begründet finden, wo Thomas die Interpretation des Abendmahlsakramentes als T r a n s substantiation verteidigt. Weil es ihm hier darauf ankommt, die Erhaltung erfahrbarer Eigenschaften (des Brotes) trotz eines Wandels in der Substanz akzeptabel zu machen, und er dabei der Quantität eine Trägerfunktion für die anderen Akzidenzen gibt, führt er näher a u s , wie die Ausdehnung Ursprung (prima radix) einer jeden Vielheit von Individuen derselben Species i s t : [ 4 ] Daß sie einen solchen bestimmungslosen Unterschied s e t z t , zeigt sich in der Geometrie, wo die Lage nicht n u r die Teile z . B . einer Linie außereinander o r d n e t , sondern auch ihrem Begriff nach identische Linien. Dieser räumlichen Indi viduation fehlt aber das Moment der Wirklichkeit. [ 5] Wirklich ist bloß die Individuation eines Bestimmbaren ü b e r h a u p t (materia). Aber daß dies Bestimmbare auch n u r die transzendentalen Mo1 2 3 4 5
In Trin. IV 3, Decker S.150, Z.27 - S.151, Z.3; v g l . III 77, 2 Vgl. In 5 Met. 1. 9, 892. Die unhintergehbare Priorität der Substanz formuliert Aristoteles auch so, daß früher als eine Substanz n u r eine andere sein k a n n , s. Met.Λ 8, 1073 a 36. Decker S.151, Z.1f cG IV 65, 4016, 4019f 4 S 12 I 1 q 1 u . ad 3
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mente eines Seienden ü b e r h a u p t , von anderem geschieden und mit sich identisch sein, enthält, verdankt es seiner Ausdeh n u n g . Thomas drückt seine Intention auch so a u s , daß die Ausdehnung oder räumliche Quantität ihrem Begriff nach nicht von der wahrnehmbaren Materie abhänge, sondern n u r ihrem Sein n a c h ; [ l ] wäre das Letzte nicht der Fall, so begründete sie allein wirkliche Individualität. Sofern Thomas in diesem besonderen Kontext die Funktionen von bloßer Materie und räumlicher Quantität klar scheidet, läßt er keinen Zweifel d a r a n , daß die Ausdehnung im Raum qualitäts lose Differenz setzt und damit logisch dem einzelnen Zugrunde liegenden, der Substanz, v o r a n g e h t . Das Hypokeimenonmodell, das die Ausdehnung umgekehrt zu einem abhängigen Akzidens der Substanz macht, kann er n u r d u r c h s e t z e n , indem er das Wirklichsein in den Begriff der Individualität einbezieht und das n u r Bestimmbare, die Materie, zur Bedingung für die Wirklich keit einer jeden Form e r k l ä r t . [2] So erscheint das Korrelat von Bestimmung ü b e r h a u p t , das abstrakt Unbestimmte, als Prinzip der Realität. Sofern es aber auch als wahrnehmbar bezeichnet wird, enthält es neben dem Verweis auf Erfahrung das Moment der Anschaulichkeit, das auf der anderen Seite der räumlichen Quantität bloß als spezifischer Differenz gegenüber begrifflicher Verschiedenheit fehlt. Wie schon die bloße Frage nach einem allgemeinen Individuationsprinzip transzendieren auch Erfah r u n g , Anschauung und räumliche Quantität den Bezugsrahmen je einzelner Substanzen. Thomas will aber mit seiner Antwort eben diesen aristotelischen Bezugsrahmen bestätigen und nimmt dafür in Kauf, daß er die differenzierende Quantität der Sub stanz n u r nachordnen k a n n , indem er gegen Aristoteles' I n tention das letzte Zugrundeliegende aller Bestimmungen zum Seinsprinzip, also zur Substanz e r k l ä r t . [ 3 ] Die Unzulänglichkeit der überkommenen Denkmittel gegenüber dem neu gestellten Problem kann n u r das vorreflexive Vertraut1 2
4 S 12 I 1 q 1 ad 2 Ebenda ad 3. Wird nach der Wirklichkeit der Substanz selbst gefragt, so schließt sich Thomas der traditionellen Antwort a n , daß die bestimmende Form ihr Prinzip sei, z . B . cG II 54, 1290ff. Daß die Form ihrerseits ihre bestimmende Funk tion wirklich ausüben k a n n , dazu bedarf sie eines Bestimm b a r e n . Ohne darauf zu reflektieren, daß diese Komplemen tarität schon vorausgesetzt i s t , wenn man alle Wirklichkeit als bestimmte und deshalb ihre jeweilige Form als i h r Prinzip d e n k t , problematisiert Thomas dies Prinzipsein noch einmal im Nachhinein und findet dann seine Bedingung in dem Be stimmbaren, das Aristoteles ausschließlich als Abhängiges, Bedingtes gemeint h a t t e . 3 Vgl. Met. Ζ 3, 1029 a 7-30
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sein des erfahrenden Bewußtseins mit dem, was räumliche Ord n u n g heißen k a n n , ausgleichen, dieselbe Bekanntheit, die schon Aristoteles für das Wissen davon v o r a u s s e t z t e , daß alle unmit telbaren Gegenstände d e r äußeren Erfahrung, von denen man etwas aussagen k a n n , ein Dieses oder Einzelnes und von einem anderen umgeben sind. Auf diese Weise kann man wohl v e r s t e hen, was Thomas mit der These meint, alle Gegenstände der äußeren Erfahrung seien aufgrund der dimensionalen S t r u k t u r ihres bestimmbaren Moments vereinzelt, weil diese S t r u k t u r das Bestimmbare im Modus d e r Lage und das heißt, der Distanz und Zuordnung auch zu anderem determiniert. Aber die Theorie hat dieses Verstehenkönnen noch nicht begrifflich eingeholt, weder hinsichtlich der bedingenden Funktion jener S t r u k t u r für k ö r perhafte Substanzen noch hinsichtlich der Besonderheit d e r selben S t r u k t u r , Bleibendes und deshalb zugleich Seiendes zu ordnen.[1] Theoretisch analysiert hat Thomas die sogenannte materielle De termination jeden Gegenstands der äußeren Erfahrung n u r so weit, wie sie im allgemeinen Sinn quantitativ i s t , dazu gehören Teilbarkeit, Kontinuität und die Ordnung eines Außereinander. Dies analysierte Moment des determinierenden Faktors Materie geht nicht über die transzendentale S t r u k t u r als Verschieden heit von Gleichem hinaus; Thomas müßte es also zu den u r sprünglichen Vernunftbegriffen r e c h n e n . Das theoretisch nicht analysierte Moment der räumlichen Determination wird von dem selben Erfahrungsbewußtsein aufgenommen, das noch nicht auf die intelligible S t r u k t u r der Verschiedenheit seiner Gegenstände reflektiert und deshalb der These, diese seien an ihnen selbst auf ihre jeweilige Einzelheit festgelegt, nichts entgegenzusetzen hat. Nur so kann die beanspruchte Funktion der Materie, Be stimmungen gegen ihr Erkanntwerden in allgemeinen Begriffen zu individuellen Bestimmten zu determinieren, verständlich g e macht werden. 1
Rahner, Geist in Welt, S.113ff, sieht im materiellen Charak t e r der Sinnlichkeit ihre Bewegbarkeit impliziert und folgert d a r a u s , daß Raum und Zeit als die "ausdrücklichsten Kenn zeichen" der Bewegung auch "die apriorischen Formen d e r reinen Sinnlichkeit" sein müssen. - Welche Bedeutung auch immer Thomas selbst diesem Zusammenhang beigemessen ha ben mag, jedenfalls verweist er nicht auf i h n , um die Be sonderheit des räumlichen Außereinander u n t e r Berufung auf "reine Anschauung" (Rahner, S.115) von begrifflicher Ver schiedenheit abzuheben. Eben daß die S t r u k t u r des Raumes auf der Form der Sinnlichkeit beruht und deshalb nicht aus Verstandesbegriffen herzuleiten i s t , das gehört wesentlich zu Kants Theorie einer Anschauung a priori ( s . besonders Prol. A 57ff). Kants Terminologie scheint schon deshalb nicht gut für eine Erklärung von Thomas' Begriff von Sinnlichkeit g e eignet zu sein.
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Thomas' eigene Analyse der allgemeinen Modi des Seienden als solchen und der Quantität betreibt dagegen die aufklärende Kri tik eben desselben Erfahrungsbewußtseins, indem sie die g e meinte Distinktheit und Unabhängigkeit der Dinge als Moment i h r e r allgemeinsten Vernunftbegriffe einleuchtend macht. Diese beiden widerstrebenden Richtungen der Argumentation, b e s t ä tigende Inanspruchnahme des natürlichen Bewußtseins und Ana lyse seiner Prinzipien mit kritischem Effekt, machen die Zwie spältigkeit von Thomas' Philosophie besonders deutlich. Gerade weil die Transzendentalientheorie gegen die antiplatonische Ab sicht der aristotelischen Kategorienlehre wieder nach den kon stitutiven Momenten des Begriffs vom Gegenstand ü b e r h a u p t fragt, ergibt sich für Thomas die Notwendigkeit, dagegen den Prinzipiencharakter der Kategorien, die die höchsten Klassen besonderer Gegenstandsbestimmungen gegeneinander abgrenzen, deutlich zu markieren. [ 1] 'Die Materie' in der Funktion eines Prinzips, das die an ihnen selber intelligiblen Wesensbestimmun gen zu unmittelbar nicht erkennbaren Dingbestimmungen individ u i e r t , wird gleichsam zum Garanten der im Sinn der natürli chen Einstellung pointierten Objektivität der Kategorien und aller u n t e r sie zu subsumierenden Sachbegriffe. 4. Unterscheidung von kategorialen und transzendentalen Prin zipien (Einheit und Vielheit) Daß der Materiebegriff den Bereich der u n t e r die Kategorien fallenden Objektivität abgrenzen soll, ist gut an der Art und Weise zu e r k e n n e n , wie kategoriale Einheit und Vielheit von jeweils transzendentaler unterschieden werden. Die Erörterung des Begriffs der Verschiedenheit, die Thomas an Boethius' Be merkung, Andersheit sei das Prinzip der Vielheit, [2] anknüpft, leitet explizit Vielheit und Einheit aus der durch Affirmation und Negation unterscheidenden Vernunfttätigkeit a b : [ 3 ] Wenn dieses nicht jenes i s t , dann sind sie mehrere, von denen jedes eines i s t . Diese intelligible Konstitution der Begriffe von Einheit und Vielheit v e r s u c h t Thomas an verschiedenen anderen Stellen in eine präzise Ordnung von Gedankenschritten zu b r i n g e n , die insbesondere die logische Priorität der Einheit vor der Vielheit sichern soll. [4] Auf diese Weise bildet er die Grundbegriffe der 1
Daß Platon die Transzendentalien 'Seiendes' und 'Eines' als Prinzipien gemeint h a t t e , ist Thomas aus der aristotelischen Kritik klar, s. In 3 Met. 1. 8, 429, 432f; In 7 Met. 1. 16, 1637-1641. 2 Quomodo trinitas unus d e u s , . 1, Stewart/Rand S.6, Z.13ff 3 In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.20 - S.136, Z.1 4 In 4 Met. 1. 3, 566; In 10 Met. 1. 4, 1996-1998; 1 S 24 I 3 ad 2; Pot. IX 7 ad 15 - zu der Frage einer einsinnigen Kon stitutionsfolge s. u . 6 . K a p . , 6.
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Quantität de facto aus transzendentalen Vernunftbestimmungen. Doch geht schon aus den genannten Stellen hervor und wird auch gelegentlich betont, d a ß , was so zu rekonstruieren i s t , ausschließlich den Transzendentalien und keineswegs d e r Kate gorie der Quantität angehören s o l l . [ l ] Weil bei den Transzen dentalien wie in der Kategorie die Einheit mit Bezug auf Vielheit oder Geschiedenheit und insofern entsprechend deren Typus konzipiert i s t , [ 2 ] haben die beiden Begriffe von Vielheit das Unterscheidungsprinzip zu liefern. Thomas läßt transzendentale Vielheit aus einer formalen Unterscheidung (formalis divisio) u n t e r der Bedingung der jeweiligen Einheit der Unterschiedenen entstehen, wobei er u n t e r formaler Unterscheidung die logische Entgegensetzung eines Dieses und jenes anderen als nicht Die ses v e r s t e h t . Unter diesem allgemeinen Begriff von formaler Unterscheidung ist auch derjenige wie eine Anwendung zu deuten, demzufolge eine formale Unterscheidung durch e n t g e gengesetzte oder verschiedene Formen geschieht, der also eine Vielheit reiner, ohne ein Moment der Bestimmbarkeit angenom mener Formen denkbar machen soll.[3] Gerade ein solches Mo ment von Bestimmbarkeit gehört zum Begriff der Unterschei d u n g , aus der Vielheit im Sinn der Quantitätskategorie oder eine bestimmte Zahl resultiert; in Abhebung von der formalen heißt diese Unterscheidung deshalb materielle (divisio materia l i s ) . Auch hier geht der Feststellung des Gültigkeitsbereichs, daß also n u r materielle Gegenstände gezählt werden können, eine Bemerkung über das Prinzip der materiellen Unterschei d u n g v o r a u s , und zwar, daß sie als Teilung eines Kontinuum vollzogen wird. Was nun die beiden Typen von Einheit angeht, so wird sie transzendental als einfache Ungeschiedenheit (indivisio) begriffen, kategoriál aber zusätzlich als Maß, das eine eigentümliche Bestimmung der Quantität sei und innerhalb i h r e r zuerst der Einheit zukomme. [4] Wenn die Teilung des Kontinuum zur d i s k r e t e n , durch Zahlen exakt angebbaren Quantität so wie im vorliegenden Zusammen hang der Unterscheidung verschiedener Formen g e g e n ü b e r g e stellt wird, so hebt das am Kontinuum das Moment der Nichtverschiedenheit oder qualitativen Gleichheit h e r v o r . Aus ihr kann auch e r s t die Vorstellung von einem Gegebenen v e r s t a n d e n werden, das durch die Identität räumlicher Begrenzungen ( v e r schiedener Begrenzter) ohne jegliche Diskretion von Teilen zu1 2 3 4
I 30, 3; In 4 Met. 1. 2, 559f In 10 Met. 1. 4, 1996f I 30, 3; zu dem Nebeneinander von logischer Konstitution der Verschiedenheit und i h r e r Verknüpfung mit schon b e stimmten Formen v g l . unten 6 . K a p . , 4. In 4 Met. 1. 2, 560
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sammenhält. [ 1] Im Begriff der Materie wird dieselbe unbestimm te Gleichheit gedacht, gewöhnlich u n t e r dem Aspekt i h r e r qua litativen bzw. wesensmäßigen Bestimmbarkeit, im vorliegenden Kontext a b e r , der sie zu einer Bedingung numerischer oder individueller Verschiedenheit von quantitativ Bestimmbarem macht, auch im Sinn von Kontinuum: Es wird von aller Di stinktion von Teilen gegeneinander und von aller qualitativen Bestimmtheit a b s t r a h i e r t , so daß beide Weisen der Bestimmung beliebig möglich sind. Nun kann man auch hier wieder annehmen, daß Thomas mit 'Kontinuum' und 'Materie' mehr meint, als eine kontextbezogene Analyse dieser Begriffe e r b r i n g t , also mit 'Materie'' auch die Bedingung der Veränderbarkeit von Erfahrungsdingen und mit 'Kontinuum'' auch die räumliche Ausdehnung von Gegenständen als Moment der allen Menschen möglichen äußeren E r f a h r u n g . Aber man sollte auch nachprüfen: Thomas' Verfahren geht im Unterschied zu dem kantischen ausdrücklich von Begriffen wie Unterscheidung, Einheit - Vielheit, Quantität und Maß und nicht vom Anschauungsmoment der Erfahrung a u s , um ein Prin zip der Individuation einsichtig zu machen, das vermittelst der Dimensionen klar als räumlich-quantitativ ausgewiesen i s t . Was kann aufgrund dieses Verfahrens ü b e r die S t r u k t u r der Gegen stände der Erfahrung und des Wissens überhaupt theoretisch gesagt und nicht u n t e r stillschweigender Berufung auf das na türliche Bewußtsein n u r gemeint werden?
1
Der aristotelische Begriff von Kontinuum zeigt, daß man n u r durch die Negation b e g r e n z t e r , also distinkter Teile ein Kon tinuum vorstellen k a n n , denn 'Identität der Grenzen' b e d e u tet die UnUnterscheidbarkeit angenommener Teile gerade in denjenigen ihrer Momente, an denen man ihre Distinktheit verifizieren könnte, wenn sie Teile und nicht Kontinuum wä r e n : Die Grenze eines jeden Teils gehört n u r zu ihm und nicht zu dem a n d e r e n , von ihm abgegrenzten Teil. Aristo teles drückt das mit dem Begriff der Grenze a u s , sie sei d a s , wodurch sich die beiden (Teile) b e r ü h r t e n , indem er Berühren als ein örtliches Zugleichsein (also Umgebensein von demselben) der Extreme der Teile faßt, also als räum liche Koordination zweier Momente, von denen ein jedes ein deutig als je einem Teil zugehörig v e r s t a n d e n wird (Met. 12, 1068 b 26f, 1069 a 5ff). Wenn also seine Grenze mit der des anderen identisch gesetzt wird, dann sind sie als g e geneinander distinkte Teile negiert, ihre Grenzen sind nicht nur zu einer Grenze geworden, sondern d a s , was auf beiden Seiten Grenze war, ist mit dem Verlust seiner Zugehörigkeit zu einem der Teile überhaupt nicht mehr Grenze, sondern Teil eines gleichförmigen, aber aufgrund seiner s y n t h e t i schen Genesis doch wieder teilbaren Ganzen.
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Hält man sich an die begrifflichen Zusammenhänge, die aus den geannten Texten gewonnen werden können, dann ist mit 'Kontinuum' und 'Materie' nichts anderes ausgedrückt als genau der Aspekt, u n t e r dem nicht n u r kategoriai, sondern auch t r a n szendental Bestimmbares betrachtet wird, wenn es unterschieden und als vieles bestimmt werden soll. Das Verständnis von etwas überhaupt als eines durch Teilung Bestimmbaren, wie das mate rielle Kontinuum zu umschreiben wäre, entspricht komplementär der ebenso abstrakt gedachten Unterscheidung eines Dieses von einem anderen als nicht Dieses und der Auffassung von ihnen als zwei Einheiten. Die theoretische Unterscheidung der katego rialen Einheit und Vielheit von der d e r a r t formal konstituierten transzendentalen soll auf dem Zusatz einer akzidentellen Bestim mung zum Seienden überhaupt b e r u h e n , also gleichsam auf einem e r s t e n Schritt der Konkretisierung. [ 1] Der Zusatz, den die Akzidenskategorie 'Quantum' darstellt, soll außer durch den Begriff, das durch sie zu Bestimmende sei ein materielles Kon tinuum, an einem Spezifikum der fertigen quantitativen Einheit und Vielheit ausgewiesen werden: Nur diese Einheit verhalte sich zur Vielheit als ihr Maß und mache sie als so gemessene Vielheit zur Zahl. [2] Nun übernimmt Thomas zwar den a r i s t o telischen Begriff des Maßes, es sei dasjenige, d u r c h das man die quantitative Bestimmtheit eines Gegenstandes e r k e n n e . [ 3 ] Aber in demselben Kontext wird klar, daß das Maßverhältnis der Eins zu beliebigen Zahlen n u r als die a b s t r a k t e s t e und reinste Darstellung einer E r k e n n t n i s s t r u k t u r zu gelten h a t , die in verschiedenen Sachbereichen und sogar Kategorien ein nicht mehr unterteilbares oder in sich ununterscheidbares Element - wie die einfache Farbe Weiß[4] - zu einem Prinzip macht, an dem gemessen die zusammengesetzten Gegenstände desselben Typs erkannt werden können. [5] Das jeweilige Eine oder die Einheit eines Sachbereichs, so heißt es in Thomas' Kommen t a r , [6] hat deshalb die Funktion des Maßes für die Gegenstände dieses Bereichs gleich welcher Kategorie, weil Einheit Unscheidbarkeit besagt und Maß in jedem Genus von Sachbestimmungen solches i s t , das in irgendeiner Weise unscheidbar (indivisibile) ist. Im vorliegenden Zusammenhang ist es nicht nötig, auf diese Konzeption des Maßes näher einzugehen, sondern es g e n ü g t , 1 2 3 4 5 6
I 30, 3 In 4 Met. 1. 2, 560; In 10 Met. 1. 8, 2090f; vgl. bei Aristo teles Met. I 1, 1052 b 20-24 Met. I 1, 1052 b 20; In 10 Met. 1. 2, 1938; vgl. In 5 Met. 1. 8, 872 Met. I 2, 1053 b 28-34; In 10 Met. 1. 3, 1968f Met. I 1, 1052 b 15-20, 1052 b 31 - 1053 a 8; vgl. Met. Δ 6, 1016 b 17-24; In 10 Met. 1. 2, 1944f; 3, 1972f In 10 Met. 1. 2, 1938
379 auf eine Überlegung hinzuweisen, die Thomas an das Übergrei fen des Maßbegriffs auf Kategorien außer der der Quantität k n ü p f t . [ 1 ] Diese Stelle nimmt zwar die Unterscheidung von transzendentaler und kategorialer Einheit auf und begründet sie damit, daß transzendentale Einheit als bloße Ungeschiedenheit, kategoriale dagegen nach i h r e r Maßfunktion begriffen werde. Aber im folgenden räumt Thomas ein, daß eben diese Maßfunk tion, die von der arithmetischen Eins auf Einheiten anderer Ka tegorien ü b e r t r a g e n werden k a n n , gerade dem Begriff der Un geschiedenheit folgt, also dem transzendentalen Einheitsbegriff, wie er es ja auch in dem unmittelbar vorangehenden Textab schnitt und im Kommentar zum zehnten Metaphysikbuch unmiß verständlich s a g t . So erklärt sich die Transzendentalität des Maßbegriffs über die Kategoriengrenzen hinweg ganz einfach d a r a u s , daß er unmittelbar von dem transzendentalen Begriff der Einheit abhängt - ohne daß seine Genesis hier logisch analysiert wäre - und nicht etwa als ein n u r in der Quantitäts kategorie möglicher Zusatz zu der transzendentalen S t r u k t u r erst h i n z u t r i t t . Weil also eine logische Folge von der Ungeschiedenheit ü b e r haupt über den aus ihr herzuleitenden Begriff des Maßes zur quantitativen Eins als dem reinsten und deshalb ersten katego rialen Fall eines Ungeschiedenen als Maß führt, kommt Thomas zu dem Ergebnis, das transzendentale und das quantitative Eine würden nicht "gänzlich äquivok" 'eines' genannt, sondern in dem Sinn eines Verhältnisses von Früher und Später. Die v o r sichtige Formulierung von der 'nicht gänzlichen Āquivozität' kann als Anzeichen dafür gewertet werden, daß Thomas die Prinzipienfunktion der Kategorien als der allgemeinsten Weisen unmittelbarer Sachprädikate nicht durch eine mögliche Herlei t u n g aus transzendentalen Prinzipien in Frage stellen will. Das Verhältnis Früher - Später macht in dem vorliegenden Fall die transzendentale Bestimmung zwar nicht zur hinreichenden, aber doch zu einer notwendigen Bedingung für die kategoriale, also eine ' n u r rationale' Bestimmung zum Prinzip für eine unmittel bare Sachbestimmung. Diese Formulierung soll das Dilemma anzeigen, in dem sich Tho mas' Denken ü b e r Prinzipien bewegt. Einerseits arbeitet er die logische S t r u k t u r , die Seiendes überhaupt bestimmen soll, wei t e r a u s , als sie ihm z . B . von Avicenna überliefert wird, und sieht sich dadurch offenbar v e r a n l a ß t , die aristotelischen Prin zipien, besonders die Kategorien, als die - von Aristoteles her gesehen - wissenschaftlich relevanten Grundlagen der Realität gegenüber jener S t r u k t u r zu sichern; das v e r s u c h t er mit einer über Aristoteles hinausgetriebenen Ontologisierung der Katego r i e n , die zugleich die Transzendentalien zu bloßen Gedankenbe1
In 5 Met. 1. 8, 875
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Stimmungen abschwächt. [ 1] Andererseits läßt er selbst die Grundlagen der intendierten Abgrenzung de facto zweifelhaft erscheinen, wenn er sie e r l ä u t e r t . Die Materie, die alle Erfah rungsgegenstände auf ihre Einzelheit und damit gegen ihr Er kanntwerden in Begriffen determinieren soll, beruht gerade in i h r e r individuierenden S t r u k t u r auf Quantität, und die Kate gorie 'Quantum' hängt selber von dem Beziehungsgeflecht der Transzendentalien a b . So arbeitet er mit seinen logischen Ana lysen der transzendentalen und kategorialen Begriffe gegen seine eigene Absicht, die aristotelische Prinzipienkonzeption zu wahren, und forciert wie zum Ausgleich eine Festlegung der Realität "außerhalb der Seele", die dem im Kategorienbegriff gedachten Moment von Sprachlichkeit nicht gerecht wird.
1
Vgl. z . B . In 4 Met. 1. 1, 540-543, mit 1. 2, 550-553, u . Ver XXI 1
3. Kapitel GEWISSHEIT DER ERKENNTNIS ALS LEITGEDANKE DER ARISTOTELISCHEN WISSENSTHEORIE 1. Vergewisserung über Wahrheiten wissenschaftliche Begründung
durch
Wahrnehmung
und
Zu den Elementen in Thomas' Philosophie, die eine andere Prin zipienkonzeption als das Kategorienschema und seine Konse quenzen denken lassen, gehört mit den Transzendentalien auch die Auszeichnung des Wissens als gewisse Erkenntnis. Denn die philosophische Antwort auf die Frage, wie man sich der Wahr heit eines Gedankens gegen den Zweifel, er könnte bloß s u b jektive Vorstellung sein, hinreichend vergewissern k a n n , führt von dem wesentlich bestimmten Einzelding, der Substanz, als Grundlage des Wissens weg. Würde man gleichsam experimentell die theoretische Absicherung wissenschaftlicher Gewißheit bei Aristoteles und Thomas aus ihrem - im zweiten Teil dieser Ar beit entwickelten - Kontext herauslösen, dann ergäbe sich eine letzte Begründungsinstanz für Wissen, die nicht in gegebenen Entitäten, sondern im Selbstbewußtsein der Vernunft liegt. Ein e r s t e r Schritt auf diesem Weg ist die Kritik derjenigen Ge wißheit, die bloß d u r c h Wahrnehmung gewonnen wird. Mit der Wahrnehmung steht ein wesentliches Moment der aristotelischen Konzeption von Prinzipienerkenntnis und so, wie ich meine, auch von Substantialität zur Diskussion. Thomas' kritische Überlegungen gehen, darin mit aristotelischen Texten überein stimmend, vom Objekt des Wissens a u s : [ l ] Was immer wir wis s e n , davon nehmen wir an, daß es sich nicht ebensogut auch anders verhalten k a n n , d . h . daß es notwendig und nicht kon tingent i s t , und das ist eine Voraussetzung für die Gewißheit des Wissens. Wovon aber von vornherein klar i s t , daß es sich ändern k a n n , dessen kann man n u r so lange gewiß sein, wie man es wahrnimmt, nicht mehr a b e r , wenn es aus dem Bereich der sinnlichen Anschauung g e r ä t . Die Wahrnehmung selbst e r scheint also darin unzulänglich, daß sie zeitlich begrenzt ist und deshalb ein durch Wahrnehmung gewisses Urteil n u r für die Zeit der Wahrnehmung, in der seine Objektivität gleichsam u n 1
In 6 Eth. 1. 3, 1145f; v g l . ETh. Nik. Ζ 3, 1139 b 18-24; Met. Ζ 15, 1039 b 31 1040 a 5. Anders scheint Aristoteles die Wahrnehmung einzuschätzen, wenn sie den Zusammenhang einer bestimmten Ursache und Wirkung an einem schon als regelmäßig eingeordneten Vorgang demonstrieren soll, s . An.post. 2, 90 a 24-30; v g l . oben S.249, Anm.2. Hin sichtlich der Verallgemeinerbarkeit des so Erfahrenen spricht Thomas aber vorsichtig von Vermutung (coniiceremus), s. In 2 An. post. 1. 1, 417, - tendenziell anders wiederum Ver. XII 3 ad 2.
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mittelbar zu kontrollieren i s t , Geltung beanspruchen k a n n , o b wohl diese Einschränkung keineswegs zur Form der E r f a h r u n g s urteile gehört. - Die genannten aristotelischen Texte und Thomas' Kommentar beruhen schon auf dem platonischen Argument, daß der Gegenstand der Wahrnehmung grundsätzlich wandelbar und instabil im Sinn des Realitätsbegriffs der Herakliteer i s t . Jedoch gestehen sie der Wahrnehmung eine spezifische Deutlich keit und Gewißheit zu, geben also der alltäglichen Meinung zu nächst r e c h t , die ihre Gewißheiten auf Wahrnehmungen gründen will. So können sie dieser Meinung auch ihre immanente Grenze nachweisen: Da Gewißheit auf der unmittelbaren Beziehung eines Wahrnehmenden auf seinen Gegenstand beruhen soll, ist sie hin fällig, sobald eines der Extreme dieses Verhältnis v e r l ä ß t . Nicht mehr wahrgenommen werden, kann heißen, daß das Objekt v e r schwindet oder daß sich der Betrachter von ihm abwendet, viel leicht, um ein anderes zu beobachten; die Alternative lassen die Texte offen. Weil Gewißheit aus Wahrnehmung also jedenfalls von dem Wahrnehmungsvollzug des jeweiligen Individuums a b h ä n g t , würde die Gewißheit über nur einen Gegenstand auch die gesamte kontrollierende Aufmerksamkeit eines Individuums beliebig lang b e a n s p r u c h e n , ohne daß sie einem anderen nicht die gleiche Wahrnehmung vollziehenden Menschen sprachlich mit teilbar wäre. [ 1] Soll daher eine Erkenntnis gewiß und mitteilbar sein und um i h r e r Gewißheit willen doch nicht die gesamte Aufmerksamkeit eines Individuums absorbieren, dann müssen in einem Zug der Gegenstand und die Weise seiner Erkenntnis neu bestimmt wer den: Zum Gegenstand solches, das sich nicht so und auch a n ders verhalten k a n n , sondern notwendig - und das heißt, zeit lich unbegrenzt - von einer eindeutigen Qualifikation i s t . So hat eine einmal von ihm gewonnene wahre Erkenntnis von d e r Sache her keine künftige Gefährdung i h r e r Gültigkeit zu befürchten, das Bewußtsein kann sich also anderen Gegenständen zuwenden und die Erkenntnis von ihnen mit der ersten als wahr gesicher ten zu einem Zusammenhang verbinden. Wie Thomas kommentie rend s a g t , braucht dasjenige, das aufgrund seiner U n v e r ä n d e r lichkeit fortdauernde Verbindlichkeit einer einmal erreichten gewissen Erkenntnis gewährleistet, kein von dem veränderlichen Wahrnehmungsgegenstand verschiedenes Ding zu sein, sondern dieselbe Sache muß n u r u n t e r einem anderen Aspekt als dem 1
Deshalb erscheint es nicht zufällig, daß Aristoteles als näch ste Bestimmung von Wissenschaft, die für gewisse Erkenntnis stehen k a n n , ihre Lehrbarkeit und Erlernbarkeit anführt, die einen Zusammenhang des zu Erkennenden mit zuvor E r kanntem nach den in den Analytiken e r ö r t e r t e n Verfahren von Induktion und Deduktion e r f o r d e r e , s. Eth.Nik. Ζ 3 , 1139 b 25-35.
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i h r e r veränderlichen sinnlichen Qualitäten betrachtet werden, nämlich u n t e r allgemeinen und notwendigen Begriffen. [1] Mittelbare und mehr als nur eine Erkenntnis zulassende Gewiß heit erfordert also Gegenstände, die aus Begriffen als notwen dig erkannt werden. Wenn man an diese platonische Wendung anknüpft, daß gewisse Erkenntnis oder Wissen n u r durch Be griffe möglich i s t , dann kann aus dem Begriff des Begriffs, daß er das urteilende Verstehen von etwas - etwa eines Wahrgenom menen - als etwas a n d e r e s , schon zuvor Bekanntes oder mit Bezug auf solches i s t , die Grundkonzeption der aristotelischen Wissenstheorie einsichtig werden. [2] Denn indem begriffliches Erkennen nicht unmittelbar ist - wie die Wahrnehmung als eine ungeschiedene Einheit vollzogen wird - unterscheidet es sich an ihm selbst in das zuvor schon Bekannte als bedingendes und das durch es zu Erkennende als bedingtes Moment. Daran zeigt sich, daß wissenschaftliche Erkenntnis d u r c h Begriffe nichts anderes ist als die Realisierung des Grundsatzes, aller Er kenntnisfortschritt geschehe n u r aus zuvor Erkanntem, d u r c h ein auch in dieser Formel schon eingeführtes, nun aber explizit als solches gedachtes Begründungsverhältnis: Wir meinen zu wissen, wenn wir von dem Grund, durch den die Sache b e s t e h t , zu erkennen glauben, daß er deren Grund i s t . [ 3 ] Wenn der Begriff vollständig ist und zur Begründung hinreicht, dann vermittelt er auch die Gewißheit d a r ü b e r , daß die Sache sich nicht anders verhalten k a n n , als sie zunächst nur faktisch auf genommen wurde, indem es einsichtig macht, warum sie gerade so i s t . Um ein aristotelisches Beispiel zu nehmen: Aus dem Be griff der Mondfinsternis, daß sie eine V e r s p e r r u n g des Sonnen lichts d u r c h die Erde i s t , folgt mit Gewißheit, daß sie sich e r eignen muß, wenn die Bedingungen für die Abbiendung des Lichts gegeben sind, Sonne, Erde und Mond also in dieser Reihe auf einer Gerade zu liegen kommen. [4] 1
In 6 Eth. 1. 3, 1146; v g l . bei Aristoteles An.p ost. A 8, 75 b 33-36. Eine doppelte Möglichkeit der Vergewisserung, nämlich sowohl d u r c h vernünftigen Beweis wie d u r c h Wahrnehmung will Thomas an einer anderen Stelle (3 S 14 III 5) diploma tisch offenhalten; so behält die Vorstellung von einer we sentlichen Rezeptivität menschlicher Erkenntnis auch in der Gewißheitsfrage ihren Stellenwert. 2 Vgl. dazu oben S.195 Anm.3. 3 An. post. A 2, 71 b 9-12. Wenn es problematisch erscheint, den Grund für die Sache mit dem Begriff (im Sinn von d e finiens) als einer verbindlichen Konkretisierung des stets im voraus subjektiv zu Kennenden in eins zu setzen, so ist an Aristoteles' ausführlich b e g r ü n d e t e Identifikation von Begriff oder Beweismittel einer Sache mit ihrem Grund zu e r i n n e r n , so oben Erster Teil, .., 2. 4 An. post. 8, 93a 29-33, 93 b 3-7
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Damit verschwindet der vorläufige Anschein, als seien Gegen stände schon vorab ohne alle Rücksicht auf Wissen als notwen dige bestimmt und das Wissen von ihnen komme bloß noch hin zu, wie man sich der Wahrnehmung in ihrem Verhältnis zum Sinnending bewußt i s t . Die Notwendigkeit des gewußten Ge genstands macht vielmehr seine Modalität a u s , sofern er gewußt und nicht bloß wahrgenommen bzw. erfahren i s t . Die Sache wird für den Erkennenden notwendig, indem er sie aus Gründen begreift, und in diesem Bewußtsein von der Notwendigkeit eines Sachverhalts besteht die wissenschaftliche Gewißheit. Aber schon aufgrund i h r e r bloßen Form - so kann man Thomas fol gend sagen - , daß sie nämlich aus Urteilen r e s u l t i e r t , enthält sie in ihren je bestimmten Grundlagen, den Prämissen, das Be wußtsein von der Differenz 'subjektive Vorstellung - gemeinter Sachverhalt und damit die Möglichkeit des Zweifels. Ob man gewiß sein kann, daß die in den Prämissen ausgedrückten Ge danken zutreffen, das kann n u r entschieden werden, indem man auch sie aus Gründen einsichtig, also zu notwendigen Be stimmungen der Sachen macht. Auf diese Weise ergibt sich eine Umkehrung der mit der Gewiß heit aus Wahrnehmung verbundenen Schwierigkeit, daß das Be wußtsein um der Gewißheit seiner Erkenntnis willen seine ganze Aufmerksamkeit n u r auf den Gegenstand eines einziges Urteils richten k a n n , indem nun das Problem einer Begrenzung des Regressus in der Reihe der Bedingungen eines bestimmten, g e wiß zu machenden Urteils e n t s t e h t . Denn für ein Bewußtsein, das sich selbst n u r eines endlichen Diskurses für fähig hält, verwandelt sich die vergleichende Kontrolle der Wahrnehmungen von einem sinnlich gegebenen Gegenstand, sobald es sich ü b e r den von ihm ausgesagten Sachverhalt aus Begriffen vergewis sern will, in das Problem, die Reihe der begrifflichen Bedin gungen des behaupteten Urteils zu überblicken, d . h . sich seiner selbst bei ihrem Durchlaufen bewußt zu sein. Nur d u r c h eine derart vollständige Erkenntnis der Gründe kann der g e meinte Sachverhalt als notwendig und die Wahrheit des Urteils über ihn als gewiß eingesehen werden; deshalb gehört die End lichkeit des Regressus für ein sich so v e r s t e h e n d e s Bewußtsein zu den allgemeinen Bedingungen der Vergewisserung ü b e r seine Wahrheit. Dieses Verhältnis kann auch gerade umgekehrt so bestimmt wer den, daß eine Endlichkeit der Begründungsreihen n u r erwartet werden k a n n , wenn die Gewißheit, auf welche Weise auch im mer, mit dem Regressus in den Bedingungen größer wird, wenn auch vielleicht nicht s t e t i g , so doch mindestens mit dem a b schließenden Urteil in der Reihe der Begründungen. Aristoteles hat diese programmatische Forderung ausdrücklich erhoben, gestützt auf das grundsätzliche Argument, das auch die Be ziehung der verschiedenen Sinne von Seinsaussagen auf Substantialität als den vorzüglichen Sinn v e r a n l a ß t , daß nämlich dasjenige, aufgrund dessen anderes in bestimmter Weise - hier
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als gewiß - qualifiziert wird, selbst mehr als dieses andere so qualifiziert i s t . [ l ] Was das im vorliegenden Zusammenhang b e d e u t e t , macht der Zusatz klar, wer als schlechthin Wissender in seiner Überzeugung nicht umstimmbar sein solle, für den dürfe kein Urteil, das den Bedingungen oder Prinzipien seiner zu sichernden Aussage entgegengesetzt sei, gewisser und b e k a n n ter als diese sein. [2] Mit anderen Worten, während Urteile über Sachverhalte, deren Notwendigkeit e r s t noch gezeigt werden muß, eben deshalb dem Zweifel und Widerspruch ausgesetzt sind, erfordert das Vorhaben ihrer Begründung aus früher e r kannten Begriffen - wohl v e r s t a n d e n als Bestimmungen von etwas als etwas anderes - , daß diese Begriffs nicht konsequent bezweifelt werden können, weil sie an ihnen selbst für das Be wußtsein überzeugender als das vom Zweifel ihnen Entgegenzu setzende sind. Wenn die formale Logik der auf Definitionen b a sierenden Deduktion unbezweifelt bleibt, muß man also noch theoretische Gründe dafür v o r b r i n g e n , daß der Regreß in den wissenschaftlichen Prämissen zu solchen Begriffen führt, die generell s t ä r k e r überzeugen als die Gegenvorschläge, die der Zweifel auch schon als bloße Bestreitung von Wahrheitsansprü chen macht, oder die die Möglichkeit konsistenten Zweifeins an ihrer Wahrheit überhaupt ausschließen; ohne eine solche Kon zeption von Prinzipien kann eine Vergewisserung durch Be g r ü n d u n g des Behaupteten nicht legitimiert werden. 2. Das Selbstbewußtsein der Vernunft in den apriorischen Prin zipien als Grund aller Gewißheit Weil schon der Zweifel Selbstbewußtsein v o r a u s s e t z t , indem er von der Unterscheidung 'Sache - Vorstellung von ihr' lebt, ist auch Gewißheit, das Bewußtsein, den Zweifel aus Gründen überwunden zu haben, immer die Gewißheit eines selbstbewuß ten Gegenstandsbewußtseins. Wenn sich nun die Prämissen wis senschaftlicher Begründungen in gleicher Weise wie das zu Be gründende auf partikuläre Sachverhalte beziehen, wie sollen sie dann in höherem Grade gewiß sein? Die entscheidende Steige r u n g der Gewißheit - und damit die Begrenzung des Begrün dungsgangs - ist nicht in einzelwissenschaftlichen Objekten, sondern n u r - ganz platonisch - im Rückgang des Erkennens auf seine eigenen, zunächst in Selbstvergessenheit bloß a n g e wendeten Bedingungen zu erreichen. Für eine Lösung dieses Typs plädiert Aristoteles, wenn er mit der 'inneren Rede' argumentiert, der man nicht immer wider sprechen könne und auf die sich Beweise und Schlüsse bezie hen, und das Widerspruchsprinzip als transzendentales gegen1 2
An.post. A 2, 72 a 25-32 Ebenda, 72 a 37 - b 4
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über einer sophistischen Skepsis aufweist: Dieselbe i n n e r e Rede' oder dialogische Vernünftigkeit, an die sich schon die all täglichen Argumente in i h r e r v e r k ü r z t e n syllogistischen Form richten, ist auch der Adressat oder wissenstheoretische Ort d e r wissenschaftlichen Beweise, die den B e g r ü n d u n g s a n s p r u c h jener Argumente allererst konsistent erfüllen, und in der offenbaren Unbestreitbarkeit der allgemeinen Beweisprinzipien wird die sprachliche Vernunft selber bewußt. Auf diese Weise wird die Entwicklung des Bewußtseins von seiner alltäglichen Redeweise über die wissenschaftliche Argumentation bis zur philosophi schen Reflexion auf apriorische Prämissen als ein Zurückkommen der von vornherein beanspruchten und leitenden Vernunft auf sich selbst, auf eine explizite Erkenntnis i h r e r skizziert. Mit dem Verständnis des begründeten Wissens, das in der a r i s t o telischen Beweistheorie analysiert wird, als einer Vergewisse r u n g des Bewußtseins über seine Wahrheit, die ihm durch Re flexion zweifelhaft geworden i s t , gewinnt man also die Möglich keit, Wissen durchgängig als eine Reflexionsstufe des dialogi schen Realitätsbewußtseins aufzufassen. Zugleich wird Wahrheit begreifbar als das Verhältnis von Erkenntnissen auf diesen Stufen nicht zu einer äußerlich gedachten Wirklichkeit, sondern zu der erst noch zu realisierenden Idee von über sich selbst vollständig aufgeklärter Vernunft, zu einer Idee also, die die philosophische Reflexion auf Wissen mit dem Begriff des ' i n n e r e n logos' antizipiert. - Man kann aber auch die höchste Stufe von Gewißheit u n t e r dem gewöhnlichen Adäquationsbegriff der Wahr heit fassen: Die Identität, mit Bezug auf welche eine Übereinstimmung d e r beiden von der Reflexion einander entgegengesetzten Momente 'Sache' und 'Gedanke 1 prinzipiell erreichbar sein muß, ist die des Selbstbewußtseins, das in der neuzeitlichen, von Descartes ausgehenden Tradition seiner abstrakten Form des 'Ich denke' nach zum Prinzip aller Gewißheit genommen wird. Aber auch bei Platon und Aristoteles soll dasselbe Selbstbewußtsein als Ver nunft, die sich aus bezweifelbaren Erfahrungsurteilen i h r e r selbst erinnert und sich in Grundbegriffen und Prinzipien e x pliziert, Wahrheitsansprüche schlechterdings rechtfertigen kön nen. Das Selbstbewußtsein, an dem nach Aristoteles aller Dissens und alle bezweifelnde Reflexion über Aussagen ihre bedingende Einheit finden, ist keine a b s t r a k t e Identität, sondern t r a n s z e n dentale Erkenntnis von Prinzipien, wie sie oben (Zweiter Teil, 2. Kapitel, 2.) umschrieben wurde. Weil ein Einwand immer heißt, daß man eine eigene oder fremde Aussage, die i h r e r s e i t s sich in ungeschiedener Einheit mit ihrem Gemeinten hält, selbst zu einem Gegenstand macht, ihr das von ihr Beurteilte e n t g e gensetzt und eine Übereinstimmung beider Relata b e s t r e i t e t , ist der Begriff des 'inneren logos' anhand dieses Modells zu i n t e r p r e t i e r e n . Wie jede Rede kann auch ein allgemeines Prinzip auf diese Weise vergegenständlicht werden, was zugleich b e d e u t e t ,
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daß das es so vorstellende Bewußtsein sich selbst von seinem Gegenstand unterscheidet. Der Einwand gegen ein solches Prin zip würde wie auch die skeptischen Einwände gegen Sachaus sagen besagen, daß auf den Realitätsbezug des v e r g e g e n s t ä n d lichten Urteils verzichtet werden k a n n , ohne daß dies die da mit vollendete und bestätigte reflexive Selbstunterscheidung des vorstellenden Ich von seinem jeweiligen Vorgestellten, hier dem Prinzip, beeinträchtigte. Denn der skeptische Zweifel erhält das reflektierende Ich im Wechsel aller seiner geprüften und für zu leicht befundenen Inhalte, was auch an dem jeweiligen Subjekt des Protagoras, dem beliebiges so oder so erscheinen k a n n , für Aristoteles faßbar i s t . Die Widerlegung des Skeptizismus b e r u h t nun wesentlich darauf, daß Prinzipien keine Aussagen über Sachverhalte sind, denen man die Beziehung auf eine äußere Realität absprechen könnte, ohne daß absehbar wäre, wie solchen Einwänden Einhalt geboten werden könnte, sondern Aussagen über die Form von Urteilen oder Vernunftbestimmungen ü b e r h a u p t . Denn damit ist k l a r , daß das Prinzip auch für die es vergegenständlichende Be wußtseinshandlung zu gelten b e a n s p r u c h t , also etwa für einen Satz wie: Das Widerspruchsprinzip ist eine subjektive Meinung wie andere auch. Die These, daß gegen manche 'innere Rede 1 kein Einwand möglich i s t , wie Aristoteles sie an der Bewährung des Widerspruchsprinzips vermittelst seiner Bestreitung demon s t r i e r t , bedeutet also, daß das reflektierende und den Wahr heitsanspruch von Urteilen bestreitende Ich sich selbst bei dem Versuch, auch transzendentale Prinzipien in i h r e r Gültigkeit zu suspendieren, als nicht so a b s t r a k t , wie man angesichts seiner Negativität gegen beliebige Inhalte annehmen k ö n n t e , sondern als n u r u n t e r der Voraussetzung dieser Prinzipien ü b e r h a u p t denkend und reflektierend e r f ä h r t . Daß es die Prinzipien auch gegenständlich erkennen und sich selbst dabei von ihnen als Erkennendes unterscheiden k a n n , erweist sich so als nicht hin reichender Grund für die These des Opponenten, er sei im Vollzug seines Denkens auch wirklich unabhängig von den Prin zipien. Will man sich in d e r Vorstellung von einer Entgegen setzung des zweifelnden Gedankens und des bezweifelten Prin zips halten, dann bedeutet die jeweils besonders nachzuweisende Unbestreitbarkeit eines Prinzips, daß die Reflexion des Zwei felnden auf die logischen Bedingungen seines Gedankens ihm das bezweifelte Prinzip auch auf seiner, der subjektiven Seite als formales Moment seines Zweifels zeigt. Die Vergewisserung ü b e r die Wahrheit des Erkennens erreicht damit einen P u n k t , an dem die Übereinstimmung eines Gedachten nicht mit einer äuße ren Realität, sondern mit der Realität des Denkvollzuges selber ebenso unabweisbar ist wie die Beziehung des gedachten
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Die Wendung von der gegenständlichen zur transzendentalen
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reflektierend der Wahrheit der Vernunftprinzipien vergewissert, der wird sich seiner selbst zugleich als faktisch erkennende Vernunft bewußt, als selber der 'innere logos', von dem Ari stoteles s p r i c h t . Daß diese Vernünftigkeit des Ich sich nicht n u r in allgemeine Prinzipien entfaltet, sondern auch die Instanz sein soll, an die sich alle Schlüsse und Beweise im Gespräch r i c h t e n , das ruft die Frage nach dem Verhältnis der nachgewie senen Prinzipiengewißheit zu der noch aufgegebenen Vergewis s e r u n g über besondere Wahrheiten h e r v o r . 3. Die Unableitbarkeit spezifischer Prämissen aus der Selbst gewißheit der Vernunft und der Rekurs auf die Erfahrung von Substanzen Indem Aristoteles die Prinzipien des Seienden als solchen die gewissesten n e n n t , [ 1 ] gibt er selbst einen Hinweis auf die Schwierigkeit, daß keineswegs alle Grundlagen bewiesenen Wis sens unmittelbar in das Programm einer Vergewisserung einbe zogen werden können, die n u r in der logischen Form aller Er kenntnis überhaupt eine Einheit von Subjekt und Objekt und damit ihr Ziel e r r e i c h t . Die neben den allgemeinen Vernunft prinzipien für wissenschaftliche Beweise erforderlichen beson deren Prämissen, die die Gegenstände der einzelnen Wissen schaften definieren, können nicht als apriorische Bedingungen aller Erkenntnis überhaupt und damit als schlechthin gewiß im Sinn von u n b e s t r e i t b a r nachgewiesen werden. Zwar ist auch die Ermittlung von Wesensbegriffen, weil sie von der Art und Wiese a u s g e h t , wie man gewöhnlich ü b e r Dinge und Sachverhalte r e d e t , als eine erinnernde Aufklärung des Bewußtseins ü b e r seine begrifflichen Voraussetzungen zu v e r s t e h e n . Aber daß diese Voraussetzungen objektive Gültigkeit haben und nicht n u r im Sinn des Protagoras individuellen Subjekten - zufällig vielleicht vielen zugleich - so erscheinen, d a r ü b e r ist keine Gewißheit vermittelst des Nachweises zu erreichen, daß auch der jeweilige Einwand sich n u r u n t e r der Bedingung des bestrittenen Be griffs vollziehen k a n n . Denn dieser Begriff geht nicht auf die formalen Bedingungen von Urteilen ü b e r h a u p t , sondern auf die besondere inhaltliche Bestimmung eines Gegenstands, die der Übereinstimmung ist bei Aristoteles am deutlichsten in der Bemerkung zu sehen, Prinzip der Widerlegung eines Einwandes gegen das Widerspruchsprinzip sei nicht die Forderung oder Aussage, daß etwas sei oder nicht sei, sondern daß man sprechend notwendig sich und dem andern etwas b e d e u t e , s. M e t . Γ 4 , 1006 a 18-22; Thomas, In 4 Met. 1. 7, 611. 1 Met. Γ 3, 1005 b 8-11
389 Einwand gerade durch eine andere Bestimmung oder das Ein geständnis der objektiven Unbestimmbarkeit ersetzen will. Gewißheit über die Wahrheit von Definitionen kann auch nicht aus der oben (Zweiter Teil, .., 3.) referierten Konzeption der Widerspruchsfreiheit begründet werden, die allgemeine Ver nunftprinzipien und besondere e r s t e Prämissen der Wissenschaf ten verknüpft und so dem aristotelischen Prinzipienbegriff s y stematische Einheit gibt. Zwar kann die Eindeutigkeit eines ge meinten Sinnes, die das Identitätsprinzip und der Satz vom Wi d e r s p r u c h als allgemeine Regel formulieren und absichern, in jedem Einzelfall n u r durch die Definition des jeweiligen Prädi kats inhaltlich bestimmt werden; und die Notwendigkeit, die Definientia vom Subjekt auszusagen, impliziert ihrerseits den Ausschluß des Widerspruchs. Die aus dieser Überlegung zu g e winnende Gewißheit geht aber nicht über die allgemeine Einsicht hinaus, daß die Bedeutungen von Prädikaten überhaupt analy siert werden müssen, wenn man eindeutig etwas Bestimmtes sa gen will, sie e r s t r e c k t sich nicht auf die Verknüpfung dieser bestimmten Definition mit diesem schon vorwissenschaftlich v e r wendeten Prädikat; auf diese Verknüpfungen kommt es aber gerade bei der Grundlegung der Wissenschaften durch spezifi sche e r s t e Prämissen an. Deshalb erfordert die Aufgabe, den Wahrheitsanspruch der Wissenschaften philosophisch zu legiti mieren, eine theoretische Sicherung der Wahrheit ihrer spezifi schen ersten Prämissen, die der aristotelische Begriff von ' i n n e r e r Rede' zwar noch anzeigt, in seiner Ausführung, die sich auf allgemeine Prinzipien b e s c h r ä n k t , aber nicht leistet. Aus der Perspektive dieser Schwierigkeit mit der Konzeption, daß sich die Erkenntnis in den Wissenschaften ihrer Wahrheit vergewissern soll, fällt ein neues Licht auf die Funktion des Substanzbegriffs, die Momente der Definition als Bestimmungen ein und desselben erfahrungsgemäß gegebenen Dieses zu v e r einigen: Alles selbständig in der Erfahrung Gegebene ist d e s halb von der je besonderen Art, u n t e r der es im alltäglichen Wortgebrauch vorzüglich angesprochen wird, weil es auch genau das ist (die Charakteristiken erfüllt), was es nach reflexiver Analyse des Wortgebrauchs und Definition heißt, von dieser Bestimmung zu s e i n . [ l ] Indem Aristoteles S u b s t a n t i a l ä t so faßt, nimmt er vor dem T r e n n u n g s v e r s u c h der Universalienfrage das bestimmte gegebene Dieses und seinen Begriff als eine Ein heit - wie es auch dem mit einem einzelnen Urteil Gemeinten entspricht - , um an dieser Einheit eine Vergewisserung d a r ü b e r theoretisch zu ermöglichen, daß die wissenschaftliche Analyse des schon umgangssprachlichen Prädikats wahr i s t . Kann man nämlich auch Genus und Differenz von der Sache unwiderspro chen aussagen, dann ist die Definition als wirklich gültig b e 1
Met. Ζ 17, 1041 23 - b 9
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währt und kann als das an ihm selbst Bekanntere, als das Prinzip des vorreflexiven Sprachgebrauchs angenommen werden. So macht der Aspekt der Prinzipiengewißheit die antiplatonische Wendung der aristotelischen Wissenstheorie verständlich, daß sie die unmittelbare Erfahrung und den praktischen Umgang mit Realität als unrevidierbare Grundlage der wissenschaftlichen und philosophischen Analysen nimmt.[1] Denn die noch nicht auf ihren subjektiven Charakter reflektierende Erfahrung, die sich in Sätzen wie 'Das ist ein Haus' ä u ß e r t , ist i h r e r Wahrheit unmittelbar gewiß, ohne das begrifflich zu formulieren, und bietet damit eine Gewißheitsinstanz an, die auch der Skeptiker in seinem lebenspraktischen Verhalten a n e r k e n n t , wenn er sich nach seinen Wahrnehmungen und nicht nach seinen Träumen r i c h t e t . [2] Solche unmittelbare Erfahrung i s t , was zugleich die S t r u k t u r ihres Gegenstands, der Substanz, ausmacht, u n g e schiedene Einheit von singulärem Wahrgenommenen und allge meiner Gedankenbestimmung, Zugrundeliegendem und seiner Charakteristik, aber auch von Subjekt und Objekt. Und in diesem letzteren Moment liegt ihre Gewißheit, die eher negativ Fehlen, Noch-nicht-Vollziehen von Zweifel ist als Widerlegung der Möglichkeit, konsequent zu zweifeln.[3]
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Vgl. oben Zweiter Teil, .., 1. Met. 6, 1011 6-13 Aus diesem Kontext der Vergewisserung über spezielle Prä missen ist auch Aristoteles' Bemerkung zu v e r s t e h e n , je mehr eine Bestimmung begrifflich früher und einfacher sei, desto zuverlässiger sei sie - das aber sei die Einfachheit - , wenn auch an dieser Stelle (Met. M 3, 1978 a 9ff) das Ver hältnis von Wissenschaften verschiedener Abstraktionsgrade gemeint i s t . Alles Einfache verweist die Erkenntnis nicht auf eine diskursive Synthesis seiner Momente, sondern erscheint als unvermittelt erfaßbar, durch bloßes B e r ü h r e n , wie Ari stoteles sagt (Met. θ 10, 1051 b 17-25), das sprachlich d u r c h bloßes Sagen, nicht Aussagen, ausgedrückt wird. Thomas' Hinweis, daß erst mit der Aussage auch eine Reflexion des Bewußtseins auf seine Vorstellung im Unterschied zur Sache v e r b u n d e n ist (In 6 Met. 1. 4, 1236), stellt den Zusammen hang h e r : Was einfach i s t , kann ohne die Reflexion erkannt werden, die im Gefolge des synthetischen Urteilens auch erst den Zweifel an der Legitimation je meiner Vorstellungen e r möglicht, Abbilder der Sache zu sein.
4. Kapitel THOMAS' IDEAL GEWISSER ERKENNTNIS 1. Vergewisserung nunfteinheit
durch
Deduktion
aus
unmittelbarer
Ver
Im Zusammenhang mit der Unterscheidung allgemeiner und spezi fischer Prämissen kam schon oben (S.237-242) eine bei Thomas v o r h e r r s c h e n d e Tendenz mit einem i h r e r Momente zur Sprache: Einerseits v e r s t e h t er u n t e r Wissensprinzipien n u r noch die all gemeinen, weil die besonderen entweder durch Anwendung der allgemeinen auf eine nicht prinzipienhaft gedachte sinnliche Erfahrung oder durch einfache Herleitung aus den allgemeinen gewonnen werden sollen. Andererseits interpretiert er den u n ü b e r s e h b a r e n Prinzipiencharakter der Definitionen, die zu u n ableitbaren spezifischen Prämissen taugen könnten, ontologisch, d . h . in dem Sinn, daß die Definitionen die grundlegende Ma t e r i e - F o r m - S t r u k t u r d e r Dinge nachträglich explizieren. [ 1] Zwar wird Thomas mit der Einschränkung der Wissensprinzipien auf diejenigen, die a priori als Voraussetzung jeglicher Erkenntnis einsehbar sind, den Bedingungen g e r e c h t , die der skeptische Zweifel einer gegen ihn sich legitimierenden Gewißheit auferlegt, weil die spezifischen Prämissen diesen Bedingungen nicht genü gen können. Diese striktere Fassung der Wissensprinzipien als reine Vernunftbedingungen hat jedoch auf dem Hintergrund der aristotelischen Konzeption zweier Prämissentypen gleichsam eine Gegenbewegung des anderen Typs zur Folge, indem die beson deren Prämissen tendenziell außerhalb des Begründungszusam menhangs des vernünftigen Wissens geraten und die Definitionen überhaupt nicht mehr vorrangig als Prämissen von Beweisen aufgefaßt werden, sondern mehr als bloß subjektiv abbildhafte Begriffe von objektiv gegebenen ' i n n e r e n Prinzipien' der Dinge. Die systematische Polarisierung zwischen dem in apriorischen Prinzipien konkretisierten Begriff absoluter Vernunft einerseits und der Relativierung der Vernunft zu einem abhängigen Abbild bestehender Sachverhalte andererseits macht das Prinzipien problem bei Thomas a u s . Thomas hat aber nicht n u r d u r c h weitgehende Verdrängung der Definitionen aus i h r e r wissenstheoretisch bestimmten Funktion gleichsam auf die Untauglichkeit der spezifischen Prämissen hin gewiesen, so, wie sie nach Aristoteles unmittelbar aus sinnlicher Erfahrung erkannt werden sollen, dem Standard reflektierter Gewißheit zu genügen, der zur Überwindung des skeptischen Zweifels aufgestellt w u r d e . Er hat vielmehr auch den Begriff der Gewißheit selbst weiterentwickelt und bietet damit Gelegen heit, die Probleme zu s t u d i e r e n , die mit einer philosophischen Konzeption der Vergewisserung v e r b u n d e n sind. 1
Z . B . In 3 Met. 1. 8, 442
392 Zunächst soll von Thomas' Präzisierung die Rede sein, mit der er deutlicher macht, wie durch das diskursive B e g r ü n d u n g s v e r fahren Gewißheit und mit ihr allererst Wissen, v e r s t a n d e n als vollkommene, gewisse Erkenntnis, erzeugt w e r d e n . [ 1 ] Was es heißen k a n n , daß die Konklusion eines jeden Beweises durch ihre Reduktion auf ein e r s t e s , selber nicht mehr beweisbares Prinzip gewiß gemacht wird, [2] wird durch einen Begriff der folgernden Bewegung des wissenschaftlichen Bewußtseins e r k l ä r t , der zwei Momente an ihr h e r v o r h e b t : 1. Die Notwendigkeit solcher beweisbaren Sätze b e r u h t auf i h r e r notwendigen Verknüpfung mit ersten Prinzipien d e r a r t , daß mit der Aufhebung der Konklusionen auch die Prinzipien keinen Bestand mehr haben könnten. Gewißheit über solche möglichen Konklusionen erwirbt die Vernunft aber e r s t , indem sie d u r c h den Vollzug i h r e r beweisenden Herleitung jene notwendige Ver knüpfung erkennt oder, anders gesagt, ihre Gewißheit ü b e r a n d e r e , die Prinzipien, nach einer logischen Regel auf die Konklusionen unmittelbar oder mit Zwischenschritten selbst ü b e r t r ä g t . [3] Das Bewußtsein von Notwendigkeit b e r u h t also bei abgeleiteten Sätzen nicht auf ihrem einfachen Verknüpft sein - das selber auch wieder als ein Sachverhalt gedacht wer den kann - mit anderen Sätzen, deren Wahrheit schon gewiß i s t , sondern auf dem subjektiven Moment des regelmäßigen, nicht etwa beliebigen, intellektuellen Verknüpfens im Beweis. Weiter geht Thomas nicht in seiner Analyse der Vergewisserung als Tätigkeit des Bewußtseins, aber wie die Gewißheit ü b e r h a u p t , so t r i t t auch ihre subjektive Bedingung schon deutlicher hervor als bei Aristoteles. 2. Nach Thomas kann die Wahrheit beliebiger Sachverhalte n u r dadurch als verbindlich für die Vernunft gesichert werden, daß die Sachverhalte aus ihren jeweiligen Prinzipien wie aus einer Einheit logisch folgernd erkannt werden. [4] Ohne den Zusam menhang der Erkenntnisse in einer systematischen Einheit, so meint Thomas, könnten dieselben keine Wissenschaft ausmachen, sondern die Vernunft müßte die einzelnen Sätze, die sie nicht als Konklusionen aus Prinzipien herleiten k a n n , je für sich als bloß wahrscheinliche Tatsachenbehauptungen aufgrund der Autorität i h r e r Vertreter glauben, ohne das so Rezipierte s e l b ständig weiterentwickeln zu können. Die wissenschaftlich d i s 1 2 3
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In 1 A n . p o s t . Prooem., 5; 1. 4, 32 In 4 Met. 1. 6, 607; II-II 9, 1 ad 1 I 82, 2; v g l . 3 S 23 II 2 q 1. Thomas betont eigens, daß der Verstand nicht früher zur Zustimmung zu Konklusionen g e nötigt i s t , als bis er selbst die Notwendigkeit der Verknüp fung d u r c h den Beweis bzw. das Deduktionsverfahren des Beweises erkannt h a t . Ver. XII 1; v g l . bei Aristoteles Eth.Nik. H 5, 1147 a 18-22
393 kursive Erkenntnis entgeht also n u r dann dem Zerfallen in g e geneinander gleichgültige Einzelkenntnisse, wenn sie von v o r n herein u n t e r der Bedingung einer einfachen Erkenntniseinheit s t e h t , auf die sie auch stets zur Vergewisserung zurückbezogen werden k a n n . [ l ] Diese erkenntnisleitende Einheit ist nun zu nächst für Thomas die Vernunfteinsicht in die Prinzipien (intellectus principiorum) in Abhebung von dem durch sie b e g r ü n deten diskursiven Verstand (discursus ratio nis). Der Unterschied von diskursiver Vergewisserung und gewisser Einsicht in Prinzipien wird aber noch näher bestimmt: [2] In den theoretischen Wissenschaften geht man sowohl beim Beweisen von Schlußfolgerungen als auch beim Finden von Definitionen jeweils von einem zuvor schon Bekannten a u s , nämlich von Prä missen einerseits und den jeweiligen Genus und Differenz und Gründen der Sache a n d e r e r s e i t s . Ginge die Reihe dieser Er kenntnisbedingungen ins Unendliche, dann höbe sie als u n durchlaufbar für das subjektive Verknüpfen alles Wissen auf. Deshalb ist jede wissenschaftliche Erkenntnis auf solche Prin zipien zurückzuführen, die einer Vergewisserung durch Kon struktion ihres Zusammenhangs mit vorausgehendem Wissen nicht bedürfen, weil sie überhaupt nicht erst gefunden zu werden brauchen, sondern jedem Menschen 'von Natur aus' schon b e kannt sind. - Zwar formuliert Thomas selbst nicht diejenige Konsequenz der als erfolgreich, weil abschließbar dargestellten Reduktion, daß eine synthetische Vergewisserung ü b e r die a b schließenden Prinzipien nicht notwendig i s t . Doch zeigt er mit seiner Rede von einem natürlichen Wissen, daß nicht beliebige Erkenntnisse als synthetische Einheiten für den wissenschaftli chen Diskurs fungieren können, sondern n u r solche, die mit der Vernunft selbst schon gegeben, zu i h r e r Natur gehören, so daß sie, wie Thomas sonst s a g t , zugleich mit der Erkenntnis beliebiger Gegenstände ihrerseits erkannt werden. Die Gewißheit solcher transzendentalen Aussagen ist also de facto Selbstge wißheit der Vernunft, durch die die apriorischen Prinzipien zu letzten, Synthesis ermöglichenden Einheiten des Wissens wer den.[3] 1 2 3
Ver. XV 1 In Trin. IV 4, Decker S.226, Z.17 - S.227, Z.4 Thomas erwähnt einmal, daß sich das Denken dem Bewußt sein seiner Realität nicht entziehen k a n n : "in hoc enim quod cogitat aliquid, percipit se e s s e " , Ver. X 12 ad 7. Der Text macht auch deutlich, warum dieses 'cogitans sum' für ihn nicht zum Gewißheitsprinzip werden k a n n . Es ist keine in dem strengen Sinn analytische Wahrheit, daß von dem s u b stantiellen Subjekt, dem Ich, die Existenz aufgrund seines Begriffs ausgesagt werden müßte. Nicht die notwendige Ver knüpfung des als kontingent bewußten 'cogito' mit dem Sein seines Subjekts ist für Thomas bedeutsam, sondern als u r -
394 Über Aristoteles hinausgehend nimmt Thomas dessen Bemer k u n g , der Widerspruchssatz sei eine letzte Instanz für alle Be weise, zum Anlaß, eine noch einfachere apriorische Einheit jeg lichen Wissens vorzuschlagen: [ 1] Das Prinzip, daß etwas nicht in eins sein und nicht sein k a n n , ist deshalb von Natur aus das erste Prinzip aller Urteile, weil es von dem Verstehen der Be stimmung 'Seiendes' (intellectus entis) - wie jedes Urteil von dem Verstehen seiner Termini - a b h ä n g t , 'Seiendes' aber sei nerseits derjenige Terminus i s t , der überhaupt als e r s t e r v e r standen wird; nichts wird als ein Bestimmtes einfach v o r g e stellt - d . h . , noch nicht in einem Urteil ausgesagt - , das nicht als 'Seiendes' bestimmt gedacht würde. [2] Aristoteles hat einen identischen Sinn von Sein für jeweils eine der Kategorien durch die Reduktion aller verbalen Prädikationen auf die Kopula und ein Partizip konstruiert und damit die wiederum partizipiale Ab leitung der Kopula, also 'Seiendes' als Inbegriff aller Prädikat typen dargestellt. [3] Thomas v e r s t e h t nun das 'Seiende' als die begriffliche Einheit all d e s s e n , was immer gedacht werden k a n n , gleichsam als den Begriff vom Objekt ü b e r h a u p t oder als die gegenständliche Entsprechung der universalen Vernunft. [4] Denn es gleicht sich nicht n u r alles Beliebige d a r i n , Gegenstand einer wahren Aussage und eines Willensaktes, also für die Seele sein zu können, sondern kommt - als Objekt des vernünftigen Bewußtseins - auch darin überein, jeweils ein Seiendes mit den dazugehörigen transzendentalen Bestimmungen zu sein. [5] Damit hat Thomas alles Wissen gleichsam von einem festen Punkt a b hängig gemacht und allem Wißbaren so systematische Einheit g e sichert. Wird diese Einheit auch n u r ausschnittweise von einem
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sprünglich gewiß erkennt er n u r die Zusammenhänge derje nigen Termini a n , die jegliches Denken zur Bestimmung der allgemeinen Form seiner Gegenstände in Anspruch nehmen muß. In 4 Met. 1. 6, 605; v g l . Ver. I 1; Ver. XXI 4 ad 4 Die Negation, die gleichermaßen in das Widerspruchsprinzip eingeht, ordnet Thomas meist als 'nicht-Seiendes' der Be stimmung 'Seiendes' logisch nach ( s . z . B . Pot. IX 7 ad 6; I 11, 2 ad 1; v g l . In 4 Met. 1. 4, 578f, 581) und berücksich tigt sie deshalb hier auch nicht bei der Bestimmung der letzten Einheit aus dem Satz vom Widerspruch. I—II 94, 2, zufolge soll das Widerspruchsprinzip auf den Begriffen des Seienden und des Nichtseienden b e g r ü n d e t sein ( v g l . 1 S 24 I 3 ad 2 ) . Vermutungsweise könnte man diese Aufwertung der Negation mit der These in Zusammenhang b r i n g e n , die einfachsten Bestimmungen unterschieden sich voneinander d u r c h unmittelbar mit ihnen verknüpfte Negationen (In Trin. IV 1, Decker S.135, Z . 3 - 9 ) . Met.Δ 7, 1017 a 24-31 Vgl. etwa auch 1 S 8 I 3; cG II 83, 1678; I 79, 7 Ver. I 1; In 4 Met. 1. 4, 573
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Wissenschaftler vollzogen, indem er seine spezifischen Prinzipien bis zum Widerspruchssatz und dessen Grundterminus 'Seiendes' zurückverfolgt, dann gewinnt dieser Wissenschaftler vollständige Gewißheit über die Wahrheit seiner Erkenntnisse. Denn er wird sich in eins mit seiner reduktíven Tätigkeit derselben in dem Sinn bewußt, daß er seine einzelwissenschaftlichen Sätze mit einer Bestimmung v e r b u n d e n h a t , an deren objektiver Bedeu tung zu zweifeln sinnlos wäre, weil sie mit schlechthin jedem intellektuellen Akt gesetzt wird. Die bedingende Funktion der Bestimmung 'Seiendes' für schlechthin jedes Vernunftobjekt spricht Thomas auch mit der häufig wiederkehrenden These a u s , das Seiende sei d a s , was zuerst erkannt w e r d e . [ 1 ] Weil jegliches zuerst nicht in seiner bloßen Möglichkeit, sondern seiner Wirklichkeit nach, also als Seiendes im vollen Sinn überhaupt e r k e n n b a r sei - so heißt es da - deshalb bilde der Verstand ursprünglich die Bestimmung 'Seiendes' als den ersten Begriff von seinem Objekt. Damit wird der Gedanke 'Seiendes' d u r c h eine doppelte Unmittelbarkeit c h a r a k t e r i s i e r t , die ihn zum letzten Bezugspunkt aller Verge wisserung geeignet macht: Einerseits ist er die subjektive Vor stellung von einem Wirklichen - also nicht bloß Gedachten - überhaupt ohne das Bewußtsein von der Differenz Vorstel lung - Sache', das erst den Zweifel ermöglicht; 'Seiendes' ist insofern eine unmittelbare Subjekt-Objekt-Einheit. Rekurriert man auf sie im Zuge eines Vergewisserungsprozesses, dann kann man den Zweifel, der auf dem Abschneiden des Objekt bezuges von Vorstellungen b e r u h t , überwinden, wenn der Ge danke 'Seiendes' selber legitimiert i s t . Und das ist er - anders als unmittelbare Erfahrungen bestimmter Objekte - durch seine bedingende Funktion für Erkenntnis schlechthin. In dieser Funktion sieht Thomas nun keineswegs auch ein Moment von Angewiesenheit des Gedankens Seiendes' auf andere Gedanken, sondern ganz im Gegenteil betrachtet er Seiendes' als die ein zige Bestimmung, die keine anderen zu i h r e r Möglichkeit v o r a u s s e t z t . [2] Daß 'Seiendes' in diesem Sinn ein Erstes i s t , das macht seine zweite Unmittelbarkeit a u s : Es verweist die Suche nach etwas absolut Gewissem auf keine andere Instanz mehr, in der es selber begründet wäre, die aber ihrerseits noch Unge wißheit enthielte. - So b e g r ü n d e t nach Thomas der Gedanke 'Seiendes' als voraussetzungslose, selbst jedoch für jede Er kenntnis vorauszusetzende Subjekt-Objekt-Einheit die Gewißheit der aus ihr zu entwickelnden Prinzipien. Der Begründungszusammenhang, den Thomas zwischen der Be stimmung 'Seiendes' und dem Widerspruchsprinzip herstellt, soll auch für die anderen Prinzipien gelten. Dabei geht es nicht 1 2
Z.B. auch 1 5 , 2 ; I-II 55, 4 ad 1 1 S 8 I 3; 1 S 19 V 1 ad 8; vgl. In Trin. VI 4, Decker S.227, Z.7ff; Ver. I 1
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um die Grundlegung der einzelnen bestimmten Wissenschaften, die in der Definition ihres Gegenstandes gemäß der aristoteli schen Konzeption ihre erste unmittelbare Prämisse haben sollen, sondern um allgemeine Prinzipien, deren Termini, auch wenn sie als grammatische Subjekte fungieren, als Transzendentalien nicht definiert werden können. Trotzdem bezieht Thomas sich in diesem Zusammenhang regelmäßig auf den von ihm selbst so for mulierten Grundsatz, daß (logisch) unmittelbar und aufgrund i h r e r selbst - also nicht vermittelst eines anderen - bekannt n u r die analytischen Sätze sind, deren Prädikat ein Begriffs moment ihres Subjekts a u s d r ü c k t . [ 1] Wie immer im Hinblick auf die Transzendentalien der vom Definitionsmodell geprägte Be griff des Begriffs neu überdacht werden muß, damit man mit Sinn die apriorischen Prinzipien analytisch nennen kann, in jedem Fall dient die angenommene Analytizität der Prinzipien Thomas als Argument, um die Frage nach der Prinzipiener kenntnis auf das Problem der Kenntnis der Termini zu r e d u zieren. Denn bei analytischen Sätzen ist klar, daß man keines "äußeren Mittels" bedarf, um von der Erkenntnis der Termini zum Vollzug des Urteils ü b e r z u g e h e n . [ 2] In diesem Sinn soll die urteilende Einsicht in die allgemeinen Prinzipien dem Verstehen i h r e r Termini unmittelbar (statim) folgen.[3] Gewißheit der Prinzipienerkenntnis begründet Thomas auf diese Weise im Hinblick darauf, daß Aristoteles die Wesenserkenntnis für grundsätzlich wahr e r k l ä r t , in der unbedingten I r r t u m s freiheit bestimmter Erkenntnisse aber ihre Gewißheit legitimiert i s t . [ 4 ] Thomas beruft sich auf das traditionelle Verständnis von Wesenserkenntnis ü b e r h a u p t , obwohl er für die Irrtumsfreiheit im Verstehen der Transzendentalien mit deren spezifischer Funktion argumentieren könnte, daß n u r u n t e r i h r e r Voraus setzung ein Objekt gedacht werden k a n n , ein Mißverstehen i h r e r also Denken schlechthin unmöglich machen würde. Un geachtet dessen zeichnet er die apriorischen Prinzipien d e r a r t vor anderen Urteilen a u s , daß das Bewußtsein sich in ihnen aus eben dem Grund nicht irren könne, der auch eine Täuschung über Wesensbegriffe verhindere - daß sie nämlich das 'eigentüm liche Objekt' der Vernunft darstellten - , weil die Prinzipienein sicht unmittelbar aus dem Begreifen der jeweiligen Termini, also 1
In 1 A n .p o s t . 1. 5, 50; In Hebd. 1. 1, 15; I 2, 1; I-II 94, 2; In 11 Met. 1. 4, 2210. Als Beispiel wählt Thomas gern das Prinzip, daß das Ganze größer als sein Teil i s t , also eine Prämisse, die zwar den verschiedenen Wissenschaften vom Quantitativen gemeinsam i s t , aber keineswegs für jegliche Erkenntnis vorausgesetzt werden muß. 2 In 1 A n . po s t . 1. 7, 67; ü b e r das Verhältnis dieses Kommen t a r s zum Text v g l . oben S.292 Anm.1 3 In 3 Met. 1. 5, 389; I-II 5 1 , 1 4 An. Γ 6 , 430 b 26-30; In 3 An. 1. 1 1 , 760ff; 2 S 25 I 2
397 aus einer Wesenserkenntnis folge.[1] Die Tatsache, daß dieses Argument außer auf der These von der grundsätzlich wahren Wesenserkenntnis n u r noch auf der Analytizität der allgemeinen Prinzipien b e r u h t , veranlaßt Thomas an diesen Stellen nicht zu einem Hinweis darauf, daß das Argument ganz allgemein für analytische Sätze gilt. Ein solcher Hinweis würde bedeuten, für einen Begriff von Prinzipiengewißheit muß noch ein differenzie rendes Moment zu der Irrtumsfreiheit hinzukommen, dasselbe Moment, das er sonst mit Boethius als die notwendige subjektive Bekanntheit apriorischer Begriffe von dem subjektiv je erst zu gewinnenden Wissen über besondere Wesensbestimmtheiten a b h e b t . [2] Bei der Reduktion des Prinzipienwissens auf Wesens erkenntnisse kommt es Thomas also n u r auf die unmittelbare, keinen Irrtum einlassende Abhängigkeit d e r Prinzipieneinsicht von der Erkenntnis wesentlicher Bestimmtheiten an, die i h r e r seits dank i h r e r angenommenen unmittelbaren Einfachheit einem Irrtum, wie er n u r durch eine bestimmte Komplexion ( z . B . "Theaitet fliegt")[3] denkbar i s t , nicht zugänglich i s t . [ 4 ] Die aristotelische These selbst, alle Wesenserkenntnis sei wahr, gewinnt u n t e r dem Aspekt an Plausibilität, daß so eine einfache Erkenntniseinheit ermittelt werden soll, die vor aller Refle xion - und damit auch vor jedem potentiellen Zweifel - unmit telbare Gewißheit enthält und dadurch Grund aller gewissen Erkenntnis i s t . Indem Thomas die strikte Scheidung der Katego rienlehre zwischen Wesensbegriff und synthetischem Urteil für eine Konzeption der Prinzipiengewißheit n u t z t , gibt er ihr einen theoretischen Sinn und der Interpretation die Möglichkeit, die ganze Konstruktion, wie sie historisch erst bei ihm selbst v o r liegt, von diesem Sinn her zu deuten. Die unübersehbaren Schwierigkeiten des aristotelischen Ansatzes erscheinen dann wie theoretische Kosten der Zielsetzung, die Gewißheit des Wis sens aus einer unmittelbaren Erkenntnis zu b e g r ü n d e n , und können so zu einer systematischen Beurteilung dieser Zielset zung beitragen. [5] 1 2 3 4
I 17, 3 ad 2; I 85, 6; Ver. XIV 1 ( 3 a, b) In Hebd. 1. 1, 15 u . 18; In 1 An.post. 1. 5, 50 Soph. 263 a-b Wie wichtig die Unmittelbarkeit im Begriff der Prinzipiener kenntnis i s t , läßt In 3 Met. 1. 5, 389, mit der Wiederholung des 'tatim' durchblicken. - In solchen Kontexten nimmt Thomas keine Rücksicht darauf, daß sich wirkliche Wesens erkenntnis diskursiv in Urteilen vollzieht, aufgrund dieser als äußerlich eingestuften - Bedingung komplex ist und damit auch falsch sein kann ( z . B . cG III 58, 2836). 5 Tugendhat kritisiert in seiner Rezension von Wielands Ari stotelesbuch dessen Hervorhebung des sprachanalytischen Verfahrens der aristotelischen Untersuchungen in dem Sinn, daß Aristoteles selbst sich auf das eidos der Sache als die Instanz beziehe, nach der sich der sprachliche Begriff (lo-
398 2. Thomas' Begriff von Gewißheit als einem Bewußtseinsmodus: u n v e r r ü c k b a r e s Anhängen und erzwungene Zustimmung Das Problem, die Möglichkeit gewisser Erkenntnis philosophisch zu b e g r ü n d e n , ist für Thomas noch nicht mit der Reduktion d e r Prinzipien auf einfache Begriffseinheiten erschöpft, deren allgos) mit seinen Unterscheidungen zu richten h a b e , mit dem eidos aber sei das sprachlich Gemeinte als ein Gesehenes zur Grundlage a u s s p r e c h b a r e r Verbindlichkeit gemacht und so eine phänomenologische Methode der sprachanalytischen übergeordnet (S.547f). Dieser Betonung des phänomenal dem Sprechen Vorgegebenen entspricht die Bestimmung der vernünftigen Prinzipieneinsicht, sie sei, wenn auch durch Induktion und Dialektik hindurchgegangen, ein "schlichtes Erfassen" (ebenda S.552). Die ausführlichste Stelle, die Tu gendhat zugunsten des Vorrangs des Eidetischen vor dem Sprachlichen zitiert (Top. A 15, 106 a 9-35), bestätigt auch die oben (S.248f) erwähnte Identifikation von Vernunftein sicht und Wahrnehmung, insofern die eidetische Verschieden heit des mit äquivoken Ausdrücken Bedeuteten d u r c h Wahr nehmung klar werden soll (106 a 29-33). Dieses Interpretationskonzept favorisiert den auch hier g e genüber Wieland hervorgehobenen nichtdialektischen Ver nunftbegriff des Aristoteles, betrachtet aber innerhalb d e s sen das Moment unmittelbaren E r k e n n e n s , das nicht n u r von Thomas h e r , sondern auch bei der Analyse des Schlußka pitels der Analytiken problematisch erscheint, als g r u n d l e gend für das aristotelische Verständnis von Prinzipienwissen ü b e r h a u p t . Dagegen tritt der transzendentale Charakter der Einsicht in allgemeine Prinzipien wie den Widerspruchssatz und das für Definitionen und Beweise beanspruchte Verhält nis logischer Unmittelbarkeit sprachlicher Bestimmungen bei Tugendhat zurück. Das ü b e r r a s c h t nicht, d e n n , wie Thomas zeigt, die Suche nach einem Grund der Verbindlichkeit, für die Vernunft auch umgangssprachlich als Inbegriff gilt, führt, wenn dieser Grund n u r mit unmittelbarer Gewißheit bewußt sein soll, konsequent zur Abweisung sprachlich-logi scher Formen, insbesondere des Urteils, weil es immer E n t zweiung', Vermittlung und Reflexion b e d e u t e t , Unmittelbar keit also aufhebt. Für diesen Gedankengang, den Tugendhat bei Aristoteles r e k o n s t r u i e r t , bleibt dann als Antwort auf die Frage nach dem Wissensgrund n u r noch der Hinweis auf einen anderen Erkenntnismodus als den des - mit dem Be wußtsein der Spontaneität verbundenen - Begreifens ü b r i g , also der Rekurs auf ein Gegebensein für rezeptive Intuition ("schlichtes Erfassen"), wie es sich jeder anhand von Wahr nehmungen vergegenwärtigen k a n n , die Aristoteles deshalb auch unumwunden für die gesuchte ursprüngliche Gewißheit einsetzt.
399 gemeinste, der Gedanke 'Seiendes', als gänzlich unmittelbare, durch ihre Ermöglichungsfunktion für Erkenntnis ü b e r h a u p t legitimierte Subjekt-Objekt-Einheit allen Zweifel ausschließt. Vielmehr spricht Thomas auch davon, daß die Prinzipien d u r c h ihre Evidenz auf das Bewußtsein einwirken, und sagt an a n deren Stellen, das natürliche Licht d e r Vernunft mache die Prinzipienerkenntnis gewiß.[1] Danach genügt nicht das Er kennen der Prinzipien, das sich unmittelbar aus dem Verstehen i h r e r Termini ergeben soll, um sie auch als unbezweifelbar wahr erscheinen zu lassen, sondern dazu muß noch eine Vermitt lungsinstanz eingeschaltet werden. So wird die Subjekt-ObjektEinheit, die nachzuweisen und zu begreifen Aufgabe einer p h i losophischen Begründung von Gewißheit ü b e r h a u p t i s t , i h r e r seits von derselben einfachen Bedingung abhängig gemacht, u n t e r der die Vernunft generell Vorstellungen der Einbildungs kraft (phantasmata) aktiv ihre eigene intelligible Form, vor al lem die Allgemeinheit, geben und sie damit zu ihrem Objekt ma chen k a n n . Thomas erklärt diese Art, die Evidenz der Prinzi pien und die ihr entsprechende Gewißheit i h r e r Erkenntnis noch einmal zu b e g r ü n d e n , nicht d a r a u s , daß das "natürliche Licht" durch seine Abstraktionsfunktion für bestimmte Objekte mittel bar das Ensemble der Prinzipien einleuchtend macht, sofern dies der apriorische Begriff vom Objekt ü b e r h a u p t i s t , den das Den ken eines jeden besonderen Gegenstands unreflektiert verwen d e t . Deshalb muß man die angestrebte Lösung aus dem Zusam menhang seines Gewißheitsbegriffs zu v e r s t e h e n suchen, der im folgenden referiert werden soll. Für das Resultat von Thomas' Versuch einer Gewißheitsbegrün dung hat es einige Bedeutung, daß e r Gewißheit auf dieselben zwei Weisen begreifen will, die auch sonst seine Betrachtung des Bewußtseins kennzeichnen, nämlich einerseits wie den Zu stand einer Sache und auf der anderen Seite so, wie sie dem Subjekt selber bewußt i s t . [ 2 ] Wie man auch umgangssprachlich 1
cG III 154, 3258; In Trin. III 1 ad 4, Decker S.114, Ζ.4-7, 10-13. Wenn Platon im Sonnengleichnis und im Höhlengleich n i s , also im Kontext einer Untersuchung von Wissensbedin gungen von Licht s p r i c h t , dann faßt er das nach seinen eigenen Worten als ein Sinnbild, d . h . also als einen Ver gleichsgegenstand in der Wahrnehmungswelt, für die Wahr heit und den Seinscharakter der Vernunftobjekte auf, Wahr heit und Sein verstanden als Bedingungen intellektueller Er kennbarkeit (Rep. VI 508 c - e , Rep. VII 517 ). Wie oben (S.287-291) gesagt, besteht Thomas auf einem rein formalen Charakter der tätigen Vernunft und ihres Lichtes, so daß er über den metaphorischen Ausdruck, der bloß für die Funk tion des Gemeinten, Erkenntnis zu ermöglichen, s t e h t , nicht zu Bestimmungen der gemeinten Sache fortgehen k a n n . 2 Vgl. oben S.129ff
400
eine Überzeugung fest n e n n t , subsumiert Thomas Gewißheit ein mal u n t e r Festigkeit oder Unbeweglichkeit, wie die Natur sie als Erhaltung aller i h r e r guten Werke a n s t r e b e . [ 1 ] Weil es in der Natur aber auch Veränderung gebe, müsse alles Veränderliche jeweils auf ein erstes Unbewegtes zurückgeführt werden, das vermöge seiner eigenen Stabilität auch die Richtigkeit des von ihm Abhängigen bewahre. Indem Thomas auch die rein wissens theoretische Frage nach der S t r u k t u r von Gewißheit u n t e r dem Aspekt des Bewahrens wertvoller Bestände b e t r a c h t e t , bestätigt er die oben (S.111-115) geäußerte These vom faktischen Primat praktischer Vernunft in seiner Prinzipientheorie, wie er sich an der Hervorhebung von Bestehen und Selbsterhaltung als we sentlichen Momenten der Substanz zeigt. Das in Thomas' Philosophie sich zur Geltung b r i n g e n d e , als sol ches aber nicht thematisierte Prinzip, das Gute, also d a s , was sein soll, in das unveränderliche Bestehen von einfachem Unab hängigen zu setzen, erweist sich als der Grundgedanke v e r schiedener Antworten auf die Prinzipienfrage, nämlich der Substanzontologie als der verselbständigten Festlegung spezifischer Prämissen und der Theorie über die Erkenntnis der allgemein sten Wissensprinzipien. Weil die objektiven Substanzen einerseits und die subjektive Prinzipiengewißheit andererseits gleicher maßen insofern als Prinzipien gelten, als sie selber mit solcher Festigkeit ("firmitas vel certitudo") bestehen, daß sie auch das Wandelbare in seiner Richtigkeit erhalten können, angesichts dieser Einheit von Thomas' Prinzipienbegriff kann auch der hier versuchte Interpretationsansatz plausibel erscheinen, trotz der anscheinenden Unverbundenheit von Kategorienlehre und Theorie der ersten Wissensprinzipien und Transzendentalien die Prinzipienfrage von vornherein u n t e r einem Aspekt, dem der philosophischen Wissensbegründung, zu b e t r a c h t e n , mit dem auch das praktische Interesse an der Lösung verständlich wird. Für Thomas geht die ' N a t u r ', zu der neben der Bewegung der Dinge auch die Festigkeit i h r e r Prinzipien gehören soll, d e r Differenz von Bewußtsein und Gegenstandswelt logisch v o r a u s . In diesem Rahmen v e r s t e h t er anscheinend unproblematisch die Prinzipienerkenntnis als dasjenige höchst gewisse Unbewegliche, von dem jede spezifische Erkenntnis als etwas Veränderliches abzuleiten i s t . Auch wenn er die vollkommene Gewißheit der Prinzipienerkenntnis damit c h a r a k t e r i s i e r t , daß in ihr ein Irrtum nicht möglich sei, bedeutet das noch nicht mit Notwendigkeit einen bewußten Schritt von der ontologischen Betrachtungsweise zu einer Auslegung des Bewußtseins, das mit dem Ausdruck 'Gewißheit gemeint i s t . Denn an einer anderen Stelle meint Thomas, dieser Terminus werde ursprünglich auf das Verhältnis von Ursachen auf ihre Wirkungen in dem Sinn angewandt, daß 1
Ver. XVI 2; v g l . 2 S 24 II 3
401 die Beziehung einer Ursache auf ihre Wirkung dann gewiß g e nannt werde, wenn die Ursache die Wirkung unfehlbar h e r v o r b r i n g e . [ 1 ] Weil nun die Gewißheit einer Erkenntnis darin b e s t e h e , daß diese in nichts von dem Sachgehalt ihres Objekts abweiche, und weil eine gewisse Meinung - in dem Sinn - vor allem durch die Sache bewirkt werde, deshalb sei das Wort 'Gewißheit' von dem Verhältnis der Ursache zu i h r e r Wirkung entlehnt worden. Damit geht Thomas über die Subsumtion ursprünglich gewisser Erkenntnis unter seinen Begriff von 'natürlichen' Prinzipien hinaus, denn auch das Spezifische dieses Prinzips 'gewisse Er k e n n t n i s ' , daß es sich nämlich dabei um die Untrüglichkeit eines Bildes handelt, soll nun aus einem Kausalverhältnis, also aus der gegenstandsbezogenen Version von Prinzipialität, begriffen werden. Und dafür genügt Thomas nicht eine einfache Analogie, daß also eine gewisse Erkenntnis von ihrem Abgebildeten eben sowenig abweicht wie von einer Ursache deren mit Gewißheit folgende Wirkung, sondern erklärend macht er das Prinzip des Wissensprozesses, die ursprüngliche Gewißheit, selber zur Wir kung in einem unfehlbaren Kausalitätsverhältnis, in dem als Ursache das Abzubildende fungiert. Die sichere Übereinstim mung der Erkenntnis mit der gemeinten Sache oder ihre I r r tumslosigkeit erscheint so als das nachfolgende reziproke Ver hältnis zu der kausalen Einwirkung der Sache auf das rezeptive Bewußtsein. Von dem intelligiblen Charakter dieser Umkehrung kann eine theoretische Rechtfertigung nicht mehr gegeben wer den, weil eine Rekonstruktion der bewußten Irrtumslosigkeit oder des selbstbewußten Wissens notwendig mit der kausalen Erklärung der Gewißheit der Konzeption nach k o n k u r r i e r t . Die Rede von einer Einschätzung der Sache, wie sie - an i h r selbst - i s t , kann n u r an die Selbsterfahrung des vernünftigen Erkennens appellieren, auf der Grundlage einer Vorstellung von kausaler Wirkungsdynamik dagegen muß sie ganz unverständlich bleiben. An dieser Stelle bestimmt Thomas also die Festigkeit des Prin zips 'Gewißheit' näher als die Verläßlichkeit oder Stabilität zweier Beziehungen, ursprünglich des kausalen Verhältnisses der Sache zu ihrem subjektiven Abbild oder der Meinung u n d , davon abgeleitet, der Übereinstimmung der Meinung mit dem Gemeinten. Eine andere Erläuterung von Gewißheit nennt neben der Evidenz des gewissen Urteils als eine weitere Bedeutung die "Festigkeit des Anhängens" (firmitas adhaesionis), ohne auf eine Kausalität der Naturdinge für die subjektive Meinung zu rückzukommen. [ 2] Hier wird Gewißheit noch einmal mit Hilfe 1 2
Ver. VI 3; v g l . die These von der Einwirkung der Gegen stände auf die Erkenntnis in Ver. I 10 u . ad 5, ad 3 in contra Ver. XIV 1 ad 7, v g l . c. a. (C)
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eines dinglichen Verhältnisses e r k l ä r t , in dessen Stabilität sich die Eigenart von religiösem Glauben und unmittelbarem oder durch Beweis vermitteltem Wissen gleichermaßen ausdrücken soll. Zugleich unterscheidet Thomas von d e r Glaubensgewißheit diejenige des Wissens d a r a n , daß n u r diese auf der Evidenz der jeweils gewissen Sachverhalte b e r u h e , während die Festigkeit des glaubenden Anhängens n u r aus einer Willensbestimmung, nicht aus einer Verstandeserkenntnis resultieren k ö n n e . [ 1 ] Im Verhältnis zur Evidenz als einer Weise, in der die Sache für das Bewußtsein i s t , bestimmt sich die 'Festigkeit des Anhän gens' nun als ein Modus des Bewußtseins, wie es sich - aus unterschiedlichen Beweggründen - zu seinem Gegenstand v e r hält. Das gilt auch da, wo Thomas den Glauben ganz beiseite läßt und Erkennen so c h a r a k t e r i s i e r t , daß man solchen Sätzen, die man an gewissen Prinzipien geprüft h a t , mit Billigung a n h ä n g e . [2] Indem er erläuternd von Billigung und an den a n d e ren Stellen von Zustimmung s p r i c h t , macht er deutlich, daß seine Rede von 'festem Anhängen' in dem Sinn zu verstehen i s t , in dem man auch umgangssprachlich s a g t , jemand hänge einer Meinung a n , d . h . er sei von i h r e r Wahrheit überzeugt und v e r teidige sie gegen etwaige Opponenten, Auf diese Weise wird die 'Festigkeit des Anhängens' als Bild für das Fürwahrhalten von Urteilen e r k e n n b a r , wie es sich jedermann aus seiner Selbster fahrung als vernünftiges Bewußtsein vergegenwärtigen k a n n . In seinen knappen Bemerkungen ü b e r Gewißheit und Zustim mung geht Thomas in der Regel nicht vom Selbstbewußtsein a u s , das zum Verständnis schon von Zustimmung vorauszusetzen i s t , weil das Bewußtsein n u r einem als Bild vollzogenen Gedan ken in dem Sinn zustimmen k a n n , daß er nicht bloß - wie im Fall der Verwerfung - seine eigene und gegebenenfalls anderer Vorstellung i s t , sondern seiner objektiven Intention nach auch unabhängig von seinem je individuellen Vollzogenwerden gilt. Man kann diese Grundlegung einer Analyse von Gewißheit aber aus Thomas' oben (S.335-338) referiertem Nachweis e r g ä n z e n , daß das urteilende Bewußtsein, sofern es immer etwas b e h a u p t e t , notwendig Bewußtsein seiner eigenen Wahrheit oder seiner Übereinstimmung als Bild mit dem abgebildeten Gegenstand i s t . Daß das Subjekt, indem es sich seiner selbst als eines Bildes vom Gegenstand bewußt i s t , die Gültigkeit seiner Vorstellungen für das Abzubildende an ihm selbst auch dahingestellt sein las sen oder sogar negieren k a n n , diese Möglichkeit des Bewußt seins, sich von sich selber, soweit es etwas in der Sache u n mittelbar intendiert, zu distanzieren, ist erst der Hintergrund, von dem abgehoben, die Rede von Zustimmung ihren eigentüm lichen Sinn erhält.
1 2
Ver. XIV 1 ( 3 b ) , 3 S 23 II 2 u , ad 3 I 79, 9 ad 4
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So bestimmt Thomas das 'feste' oder 'gänzliehe Anhängen', das Glauben und Wissen auszeichnen soll, indem er es zunächst vom Zweifel u n t e r s c h e i d e t . [ 1] Danach neigt der zweifelnde Verstand nicht mehr dazu, den einen von zwei kontradiktorischen Sätzen für wahr zu halten als den a n d e r n , entweder, weil er keine Entscheidungsgründe über die aufgeworfene Frage hat oder weil die Beweggründe für beide Seiten gleich - überzeugend - e r scheinen. Der Widerspruch ist der logische Rahmen, in dem der Verstand - wie Thomas wiederum vergegenständlichend sagt zu der einen oder anderen Alternative bewegt werden k a n n . An die Selbsterfahrung des Bewußtseins dagegen knüpft die Erläu t e r u n g des Ζweifeins an, es resultiere d a r a u s , daß wir keine Argumente zu einem Problem haben oder daß - uns - gleich e r scheint, was - uns - jeder der beiden Alternativen zutreibt. Zustimmung ist offenkundig nicht solche Unentschiedenheit des Verstandes in dem Bewußtsein, über die Sache nicht begründet entscheiden zu können. Die Annahme aber der einen Alternative eines Widerspruchs u n t e r Ausschluß der anderen kann auch in dem Sinn vollzogen werden, daß das ausgeschlossene Urteil noch nicht hinreichend widerlegt i s t , daß man noch mit Gründen für es rechnen muß. Dieses ungewisse Behaupten ist die Mei n u n g , die Thomas bald gegen - dann n u r noch gewisse - Zu stimmung abgrenzt und bald als eine Weise des Zustimmens v e r steht - dann im Unterschied von der gewissen oder selbstsi cheren Zustimmung. [2] Von Aristoteles übernimmt er die Defi nition, eine Meinung sei die Annahme eines unmittelbaren, aber nicht notwendigen Urteils.[3] Das schließt nach Thomas sowohl den Fall ein, daß der Satz in sich zwar notwendig gilt, von dem Meinenden aber für nicht notwendig gehalten wird, wie auch den a n d e r e n , daß der Satz in sich - und für das Bewußtsein kontingent i s t , d . h . ungültig werden k a n n . Die Zustimmung, die auch in der Annahme von Meinungen liegt, enthält also einen gewissen Vorbehalt, wenn der auch mit der Kontingenz des Gegenstands begründet wird - wie bei dem hier als Beispiel gewählten Satz 'Ein - bestimmter - Mensch läuft nicht' - und nicht mit Zweifeln an der Wahrheit schon der e r s t e n Erkenntnis des gemeinten Sachverhalts. Durch diesen Vorbehalt, daß es sich - mit der Sache - auch anders verhalten könne und der Gedanke ü b e r sie dann falsch sei, unterscheidet die Meinung sich vom Wissen. [4] In einem anderen Kontext ordnet Thomas die Meinung zusammen mit dem religiösen Glauben als eine solche Weise der Zustimmung ein, für die die Beeinflussung durch das Objekt nicht a u s 1 2 3 4
Ver. Ver. In 1 In 1
XIV 1 (Β 1) XIV 1 ( 2); v g l . II-II 1, 4 A n . p o s t . 1. 44, 399; v g l . An.post. A 33, 89 a 2ff A n . p o s t . 1. 44, 402
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reicht, so daß die Vernunft d u r c h eine willentliche Wahl mehr für die eine Seite eines Widerspruchs eingenommen w i r d . [ l ] Unter der Voraussetzung, daß entweder der Erkenntnisgegen stand oder ihm gegenüber subjektive Momente wie der Wille eine Zustimmung, d . h . Selbstfestlegung des Bewußtseins auf einen Gedanken als einen wahren, auslösen können, ist es also nicht mehr n u r die bloße, noch unsichere Tendenz zugunsten einer Seite, die die Meinung gegenüber der gewissen Billigung cha r a k t e r i s i e r t , sondern auch die mindestens partielle Subjektivität ihrer Motive. 'Meinung' muß bei Thomas nicht die Annahme eines Satzes mit Vorbehalt sein, wenn ihr Mangel an Begrün dung nicht selbstkritisch von dem Meinenden mitgedacht wird, in ihr kann sich dann auch vorbehaltlose Zustimmung a u s d r ü k ken. Zugleich erscheint Zustimmung nicht an den Wissenskon text gebunden, sondern erhält eine ebenso legitime Funktion für das glaubende Bewußtsein jedenfalls, während von einer Mei nung im Einzelfall noch zu prüfen i s t , ob die Zustimmung zu ihr auch aus Prinzipien begründet werden könnte. [2] Indem Thomas aber die Zustimmung des Gläubigen auf einer Wahl des Willens beruhen läßt, setzt er wiederum Selbstbewußtsein v o r a u s , v e r möge dessen das Subjekt einer von verschiedenen, von ihm selbst nachvollzogenen Thesen, die allesamt wahre Aussagen ü b e r denselben vernünftig nicht e r g r ü n d b a r e n Gegenstand zu sein b e a n s p r u c h e n , diese objektive Gültigkeit auch zuerkennt und sie den übrigen a b s p r i c h t . Diese Unterscheidung ist gerade so wie der Vorbehalt der Meinung, daß es sich auch anders verhalten könne, n u r dann möglich, wenn das Subjekt sich sei ner Gedanken als zunächst bloß subjektiver Vorstellungen b e wußt wird, ü b e r deren Wahrheit grundsätzlich immer gezweifelt und nach Kriterien entschieden werden k a n n . Jegliche Zustimmung besteht also in dem Fürwahrhalten eines Gedankens d e r a r t , daß sowohl der Wahrheitsanspruch von mit ihm konkurrierenden Thesen wie auch die grundsätzlich mögli che Unentschiedenheit d a r ü b e r , wie es sich mit der Sache v e r hält, bewußt ausgeschlossen werden. Was Gewißheit als F e s t i g keit des Anhängens' oder Zustimmens heißen k a n n , ergibt sich nun aus einer Entgegensetzung zu derjenigen Zustimmung, die n u r vorläufig oder mit Vorbehalt gegeben wird, also mit dem Bewußtsein, daß die Option für eine Alternative noch offen bleiben soll. Gewißheit wäre also als eine unbedingte Zustim mung zu charakterisieren, mit der auch die Möglichkeit einer künftigen Revision für den jeweils für gültig gehaltenen Ge danken ausgeschlossen wird. Diesen Charakter einer v o r b e haltlosen Selbstfestlegung des Bewußtseins auf bestimmte Aus sagen soll die Zustimmung, die der Glaubende vollzieht, sogar in höherem Maß als die allein von d e r Vernunft geleitete Zustim1 2
II-II 1, 4 I 79, 9 ad 4
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mung h a b e n . [ 1 ] An Thomas' Ausdrucksweise, Gewißheit eine 'Festigkeit des Anhängens' zu nennen, wird nun der Sinn der Metaphorik deutlicher: Das Moment der Bewegung oder Unstabilität, durch das 'Natur' im umfassenden Sinn gleichermaßen gekennzeichnet sein soll, liegt einerseits in der Bezweifelbarkeit jedes beliebigen Gedankens für die i h r e r selbst bewußte Ver nunft und andererseits, in dem bewußten Vorläufigkeitscharakter wohl angenommener, zugleich aber als überholbar angesehener Meinungen. Die Stabilität, die man Gewißheit n e n n t , und die ihr entgegengesetzte Variabilität sind diesen Überlegungen zufolge nicht Eigenschaften des unmittelbaren Verhältnisses des e r k e n nenden Subjekts zu seinem Gegenstand, wie Thomas' Gleichset zung der Gewißheit mit absoluter Irrtumsfreiheit - im Anschluß an den Begriff der Gewißheit als eines Unbeweglichen in der Natur - es nahelegt. [2] Stabilität und Variabilität sind vielmehr Bestimmungen, die das Selbstbewußtsein auf die Verbindlichkeit bezieht, die es dem Wahrheitsanspruch verschiedener Gedanken für es selber zubilligt, mit anderen Worten, nicht die faktische Übereinstimmung oder Abweichung der subjektiven Vorstellun gen von ihrem Gegenstand ist stabil oder beweglich, sondern die subjektive Einschätzung derselben Vorstellungen hinsichtlich ihrer objektiven Gültigkeit. 'Gänzliche Irrtumsfreiheit' ist eine solche Einschätzung, die Gewißheit oder Stabilität in dem Ver hältnis des reflektierenden Selbstbewußtseins zu einem seine Wahrheit zugleich behauptenden Urteil a u s d r ü c k t . Nur im Aus gang von so eingeschätzten Urteilen kann das Bewußtsein legi tim auch Gewißheit über andere gewinnen, die, an ihnen selbst b e t r a c h t e t , zu keiner endgültigen Festlegung über ihre Wahrheit berechtigen, bei denen also zunächst eine Beweglichkeit des r e flektierenden Bewußtseins in der Anerkennung ihres Gültig keitsanspruchs angebracht wäre. Die Notwendigkeit, im Zusammenhang mit Thomas' Rede von Zu stimmung interpretierend die S t r u k t u r des Selbstbewußtseins zu ergänzen, wird auch an seiner Ausarbeitung der schon erwähn ten Unterscheidung von subjektiven und objektiven Beweggrün den für das Zustimmen deutlich. Denn dabei geht es um v e r schiedene Einflüsse auf das Bewußtsein, die man wiederum als bewußte ansehen muß, um sie in i h r e r Funktion überhaupt v e r stehen zu k ö n n e n . [ 3 ] Wenn es nämlich, wie Thomas s a g t , in jedem Fall von Zustimmung ein Moment geben muß, das dazu geneigt macht, dann kann das Subjekt diesem Moment in seinem Fürwahrhalten des jeweiligen Gedankens n u r e n t s p r e c h e n , wenn ihm der sogenannte Einfluß als Verbindlichkeit des Gedankens für es bewußt ist - andernfalls hätte es keinen Grund, ein Ur teil, zu dessen Billigung es zunächst gleichsam hinter seinem 1 2 3
Ver. XIV 1 ad 7 Ver. XVI 2 In Trin. III 1 ad 4, Decker S.114, Ζ. 10-16
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Rücken veranlaßt wurde, in einer kritischen Reflexion nicht wieder in Frage zu stellen. In diesem Sinn setzt offensichtlich auch Thomas unausgesprochen die Bewußtheit der Motive für eine Zustimmung v o r a u s , wenn er die Gedanken, denen man zustimmt, wie folgt, einteilt: Das zur Zustimmung bewegende Moment soll d a n n , wenn das Bewußtsein sich zu nicht mehr als einer bloßen Meinung v e r anlaßt sieht, in der Wahrscheinlichkeit der Aussagen, die das Bewußtsein sich zur Billigung vorlegt, b e s t e h e n . Solche Wahr scheinlichkeit legt dem Bewußtsein zwar eine Auffassung, u n t e r Umständen auch sehr nachhaltig, n a h e , vermag die Vernunft aber in i h r e r Entscheidung nicht vollständig zu bestimmen. Ohne die Bedingungen dafür zu entwickeln, daß ein Gedanke für das Bewußtsein Wahrscheinlichkeit gewinnt, hebt Thomas von dieser Stufe d e r Verbindlichkeit diejenige a b , auf der das Bewußtsein zur Zustimmung genötigt und mit all den Kriterien oder Gründen bekannt wird, die zur - bestätigenden - Beurtei lung der Aussage gehören. Diese Charakteristik der Gewißheit, die terminologisch hier nicht genannt wird, d u r c h den Modus i h r e r Erzeugung schließt auch die Abgrenzung gegen das die Zustimmung des Glaubenden hervorrufende Moment ein: Dieses bewege - das Bewußtsein - nicht vermittelst des Verstandes, sondern über den Willen, erzwinge keine Zustimmung, sondern lasse - das Bewußtsein - freiwillig zustimmen. Was demnach zur Zustimmung zu d u r c h sie selbst bekannten e r s t e n Prinzipien und aus ihnen beweisbaren Sätzen veranlaßt, das läßt einem Einfluß des Willens gerade keinen Raum mehr, sondern zwingt das Bewußtsein zur Zustimmung. [ 1] Dies aber i s t , wie gesagt, auf die Weise des Bewußtseins zu d e n k e n , das heißt, daß die Notwendigkeit, die Prinzipien und das aus ihnen Hergeleitete für wahr zu halten, ausschließlich eine Notwendigkeit für das Bewußtsein selber i s t , mit deren Vergegenwärtigung es den Zweifel, der die ursprüngliche Gewißheit in Frage stellt, zu rückweisen k a n n . Also kann man Gewißheit Thomas' Überlegun gen zufolge als das Bewußtsein davon bezeichnen, daß die Bil ligung des Wahrheitsanspruchs eines Urteils nicht von der in anderen Fällen ausübbaren Ermessensfreiheit des Subjekts a b hängig gemacht werden k a n n , sondern von der Sache schlech terdings gefordert i s t . 3. Bedingungen notwendiger Zustimmung: Evidenz des Objekts, intellektuelle Anschauung und intelligibles Licht Die zusammenfassende Formulierung von Thomas' Gewißheitsbe griff enthält einerseits die Unterscheidung von objektiven und subjektiven Beweggründen für eine Zustimmung und greift a n dererseits auf ein neues Problem v o r . Die Alternative zu d e r jenigen Zustimmung, die durch eine Willensentscheidung zu b e 1
II-II
2, 9 ad 2; 2 S 25 I 2
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einflussen i s t , soll dadurch gekennzeichnet sein, daß das Ob jekt selbst von sich aus die Vernunft schon hinreichend zur Zustimmung b e w e g t . [ 1 ] Deshalb wird die Unverrückbarkeit, mit der das Bewußtsein einen Gedanken aus reiner Vernunft für wahr hält, von einer unmittelbaren Erkenntnisbeziehung des objektiven Sachverhalts (obiectum quod est per seipsum cognitum) auf die Vernunft abhängig gemacht, einer Beziehung also, aufgrund d e r e r dem Bewußtsein alles zweifelnde Schwanken ü b e r die Wahrheit jenes Gedankens und die Erwägung von Al ternativen zu ihm als sinnlos erscheinen müssen. Diese Bezie hung ist die Offenbarkeit oder Evidenz, die Thomas neben der 'Festigkeit des Anhängens' als eine Bedeutung von 'Gewißheit' erwähnt, durchaus übereinstimmend mit dem Sprachgebrauch, nicht n u r sich selbst der Wahrheit einer Aussage gewiß zu n e n n e n , sondern auch zu sagen, daß einem diese Wahrheit oder der Sachverhalt selbst gewiß s e i . [ 2 ] Daß mit 'Evidenz' tatsächlich die an den anderen zitierten Stellen umschriebene, Zustimmung erzwingende Gegebenheitsweise eines Gedankens gemeint i s t , wird durch den Zusatz deutlich, der Glaube, zu dem den a n deren Texten zufolge ein wesentlicher Entscheidungsspielraum des Willens gehört, habe keine Gewißheit im Sinn von Evidenz, sondern n u r das Wissen und die Vernunfteinsicht, und deshalb gebe es für die - wissenschaftliche - Vernunft auch kein a b wägendes Überlegen (cogitatio). Mit der Begründung des Bewußtseins, nicht anders ü b e r den Wahrheitsanspruch eines Gedankens entscheiden als ihn billigen zu können, in einer Offenbarkeit des Gedachten selbst ergibt sich das Problem, wie jenes Offenbare weiter zu bestimmen i s t . Thomas spricht an den zuletzt referierten Stellen von der "Evi denz dessen, dem man zustimmt", sonst sieht er in dem Ver nunftobjekt (intelligibile, obiectum per seipsum cognitum) d a s jenige Moment, das die individuelle Vernunft zur Zustimmung "determiniert". [3] Die Zustimmung aber bezieht sich unmittelbar nicht auf ein intelligibles Objekt, sondern auf die Äußerung eines Gesprächspartners oder einen anders bekannt gewordenen Gedanken, wie auch Thomas im Anschluß an Boethius die allge meinen Prinzipien solche Sätze n e n n t , die jeder, der sie h ö r t , unmittelbar billigt. [4] Zustimmen kann man sinnvoll n u r sol chem, das mindestens im Prinzip - so als Gedanke eines i r r tumsfähigen Subjekts - auch verworfen werden k ö n n t e , aber nicht dem Offenbaren, das seinerseits als Grund für eine u n eingeschränkte Zustimmung fungieren soll. Das empirische Be wußtsein hat es stets mit gesprochenen Aussagen oder explizi ten Gedanken zu t u n , die es annimmt oder ablehnt, reine Ver1 2 3 4
II-II 1, 4 Ver. XIV 1 ad 7; 3 S 23 II 2 q 3 3 S 23 II 2 q 1; II-II 1, 4 In Hebd. 1. 1, 15 u . 18
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nunftobjekte dagegen werden erst für die Reflexion auf diese Handlungen des Bewußtseins thematisch. Thomas selbst demonstriert an der genannten Stelle des Boethiuskommentars, daß erst d e r Versuch, unbedingte Zustim mungen der Vernunft philosophisch zu e r k l ä r e n , zur Annahme eines schlechthin Offenbaren f ü h r t . Denn er begründet die u n mittelbare Billigung der ersten Prinzipien damit, daß die Be deutung i h r e r Termini jedem bekannt sei und deshalb, weil es sich bei ihnen um analytische Sätze handle, mit der Nennung und zugleich dem Verstehen des jeweiligen Subjekts auch d e u t lich werde, daß ihm das Prädikat zukomme. Wer in einer Dis kussion den von Thomas als Beispiel angeführten Satz, daß das Ganze größer als sein Teil i s t , unbedingt a n e r k e n n t , intendiert damit nicht die Billigung einer Definition des Ganzen. Für eine Analyse der Bedingungen jener empirischen Anerkennung jedoch ist nur eine solche Definition des intelligible Objekt, das die Deutlichkeit des anerkannten Sachverhalts b e g r ü n d e t . Thomas unterscheidet zwar die Rede, in der das Subjekt eines analyti schen Prinzips genannt wird und der - so wäre zu ergänzen die vernunftgeleitete Zustimmung gilt, von dem Verstehen d e s selben Subjekts seiner Bedeutung nach, deren ursprüngliche Offenbarkeit auch das gehörte Urteil als notwendig und u n b e zweifelbar erscheinen läßt. Er geht aber nicht auf den Umstand ein, daß der unmittelbare Gegenstand der Zustimmung mit ihrem evidenten Beweggrund nicht identisch i s t . Dieser Unterschied fällt dann mehr auf, wenn man den Zusam menhang des Evidenzbegriffs bei Thomas beachtet. Darin cha rakterisiert er die Erkenntnis von Gegenständen, die an ihnen selber das Bewußtsein, sei es als Wahrnehmung oder als Ver nunft, hinreichend bestimmen, als ein Sehen. Er begründet das an einer anderen Stelle mit der bestimmenden Funktion, die die bloße Gegenwart (praesentia) gleichermaßen des intelligiblen wie des sinnlichen Objekts einerseits auf die Zustimmung der Ver nunft im Fall der e r s t e n Prinzipien und andererseits auf das "Urteil der Sinnlichkeit" a u s ü b e . [ 1 ] Wie man auch die Annahme einer anschaulichen Offenbarkeit d e r Prinzipien oder der ihnen zugrundeliegenden Transzendentalien deuten mag, in jedem Fall hat die These etwa des Widerspruchssatzes, der man seine Zu stimmung nicht verweigern k a n n , nichts von der Anschaulich keit des Objekts und entsprechenden passiven Rezeptivität des Subjekts, die Thomas in den Evidenzbegriff aufnimmt. Thomas selbst trägt dem insofern Rechnung, als er in einer weiteren Rechtfertigung der Rede vom intellektuellen Sehen die Metapher an e r s t e r Stelle auf einfache Wesenserkenntnisse bezieht: Wie eine Gesichtswahrnehmung sich vollzieht, indem die Gestalt des d u r c h Licht realisierten sichtbaren Objekts im Gesichtssinn g e bildet wird, sieht man auch intellektuell, wenn durch das in1
II-II 1, 4; 3 S 23 II 2 q 1
409 teliektuelle Licht die intellektuelle Form im Verstand e n t s t e h t , z . B . die Wesensbestimmung des Menschen.[1] Von einem Sehen der komplexen Prinzipien soll n u r gesprochen werden können, weil ihre Erkenntnis unmittelbar aus dem Verstehen i h r e r Ter mini, also aus der Wesensintuition e n t s t e h t ; in einem solchen nachgeordneten, abgeleiteten Sinn nennt Thomas dann auch die deduktive Erkenntnis von Konklusionen aus jenen Prinzipien ein Sehen. Also kann man den jedenfalls komplexen Gedanken, dem eine gesprächsweise Zustimmung gilt, nicht einfach mit dem für das Bewußtsein unmittelbar gegenwärtigen Gegenstand in eins setzen, dessen Evidenz die Zustimmung unumgänglich macht. Dieses Begründungsverhältnis, in dem die Evidenz zur v o r b e haltlosen Zustimmung s t e h t , bedeutet allerdings einen wesent lichen Zusammenhang oder eine komplexe Einheit beider Mo mente, eine Einheit, die Thomas insbesondere dadurch a u s d r ü c k t , daß das Verstehen der einfachen Termini unmittelbar auch schon die Einsicht in die aus ihnen gebildeten komplexen Prinzipien sein soll. Das Evidente, das zur Zustimmung nötigt, ist also einfach, nicht durch anderes vermittelt. Dem entspricht als E r k e n n t n i s modus das Sehen, v e r s t a n d e n als diejenige Bestimmung des Be wußtseins, die aus der bloßen Gegenwart des Objekts r e s u l t i e r t , oder als unmittelbares Sein des Gegenstands für den Er kennenden. So als unvermitteltes Bewußt-sein aufgefaßt, ist Sehen noch offen für eine Konkretisierung entweder zu v e r nünftigem Verstehen, auf das - in letzter Instanz - sich die Gewißheit der Beweise g r ü n d e t , oder zu sinnlichem Wahrneh men, das dem Erkennenden Erfahrungsgewißheit (certitudo e x perimentalis) vermittelt. [ 2] Zur Erläuterung der vernünftigen Intuition wird das Evidenzmoment, das die Zustimmung des v e r nünftigen Bewußtseins zu den ersten Prinzipien h e r v o r r u f t , ganz unmißverständlich "Gegenwart eines Vernunftobjekts" (praesentia intelligibilis) genannt und die Rede vom Sehen im Zusammenhang mit der Prinzipienevidenz als ein bloßer Ver gleich mit der sinnlichen Wahrnehmung gekennzeichnet, die auf ähnliche Weise durch das einfache Vorliegen ihres Objekts b e stimmt w e r d e . [ 3 ] So b e r u h t auch die Gewißheit der Vernunft, den Prinzipien schlechterdings zustimmen zu müssen, auf einem unmittelbaren Gegebensein i h r e r einfachen Elemente, auf einem nichtsinnlichen Sehen, das d e r a r t zur vollkommensten, weil g e wissesten Form des Wissens wird. Diese ursprüngliche Gewißheit möchte ich die einer intellektuel len Anschauung nennen, wie es der Terminus "visio intellec tualis" in den Texten e r l a u b t . [4] Denn so kann ich Thomas" 1 2 3 4
3 S 24, 2 q 1; v g l . 3 S 23 II 2 q 1 ad 1 3 S 14 III 5; v g l . In 6 Met. 1. 1, 1146 3 S 23 II 2 q 1 u . 3; v g l . II-II 1, 4; I 54, 5 Z . B . Ver. X 4 ad 1
410 Versuch bezeichnen, den platonischen Wissensbegriff, der Ge wißheit ü b e r Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung a u s schließt, mit der aristotelischen Forderung nach Unmittelbarkeit der Prinzipienerkenntnis zu v e r b i n d e n , aus der nicht das Be greifen, sondern n u r die Anschauung als adäquate Erkennt nisweise zu folgern i s t . Da Thomas sich nicht mit der aristote lischen Reflexion b e g n ü g t , daß die allgemeinen Prinzipien als für Vernunft überhaupt konstitutiv nicht konsequent b e s t r e i t b a r und deshalb absolut gewiß sind, bleibt ihm n u r eine Präzisie r u n g der gleichfalls aristotelischen Auffassung vom Vernunft charakter der Prinzipienerkenntnis. Dafür kann er auf die hi storisch längst vorgebrachte Idee einer intellektuellen Anschau ung zurückgreifen, deren angesehenster Vertreter Augustinus gewesen sein d ü r f t e . [ 1 ] Die traditionelle Geläufigkeit dieser Art, unmittelbare Vernunfteinsicht zu d e n k e n , hat sicher dazu bei g e t r a g e n , daß Thomas die Problematik intellektuellen Anschauens nicht näher entwickelt h a t , insbesondere nicht die F r a g e , wie Verschiedenes gänzlich unmittelbar intellektuell bewußt sein k a n n : [2] Weil man sich nicht auf das scheinbar selbständig g e gebene Unterscheidungsvermögen der sinnlichen Wahrnehmung berufen k a n n , [ 3 ] hat man Unterschiede der Vernunft zu d e n k e n , die doch nicht auf einem Begreifen beruhen d ü r f e n , das allemal Bewußtsein von etwas vermittelst eines a n d e r e n , also nie unmittelbar i s t . Aus dem Anschauungscharakter der Evidenz, die der gewissen Prinzipienerkenntnis zugrunde gelegt wird, kann man sich Tho mas' Übergang zu der letzten, gleichfalls historisch eingeführ ten Begründungsinstanz für Gewißheit, zum intelligiblen Licht, verständlich machen. Dazu t r ä g t vor allem ein Text b e i , d e r zwei Funktionen dieses Lichtes unterscheidet: Es läßt die Ver nunft die Prinzipien erkennen - indem es die Abstraktion der Grundbegriffe d u r c h den tätigen Intellekt leitet - und gibt d e r selben Vernunft Gewißheit ü b e r die so erkannten Prinzipien. [4] Gewißheit geben, das heißt einer anderen Stelle zufolge, daß das Licht die Vernunft hinlänglich zur Zustimmung v e r a n l a ß t , also zur Zustimmung nötigt, und daß es zur Beurteilung dessen, dem sie zustimmt, a u s r e i c h t . [ 5 ] Interpretierend kann man nun sagen, eine anschauliche Erkenntnis, sinnlich oder intellektuell, liegt der bewußten Alternative zwischen Zustimmung und Nichtzustimmung und der zu ihr gehörigen Beurteilung noch v o r a u s . Für die bloße Anschauung gibt es weder Disjunktion noch Dis k u r s . Sie ist i h r e r Form nach eine andere Erkenntnis als die1 2
S. z . B . "visus mentis" in T r i n . IX 7, Mountain S.304, Ζ.2 Das wirkt sich auf die Theorie von den Transzendentalien a u s , v g l . unten Kap. 6, 4. 3 Aristoteles, An. 6, 418 a 14f; v g l . oben S.254f 4 cG III 154, 3258 5 In Trin. III 1 ad 4, Decker S. 114, Ζ.4-7, 10-13
411 jenige, die sich in Urteilen a u s d r ü c k t . Dieser formalen Differenz wegen vermag die auf Intuition beruhende Evidenz die Gewißheit einer begründeten Entscheidung zugunsten einer Alternative nicht genügend zu legitimieren, und ein zusätzlicher Gewiß heitsgrund muß eingeführt werden. Das ist dann in derselben Erleuchtung durch das alle Wahrheit begründende Absolute zu finden, die intellektuelle Erkenntnis ü b e r h a u p t ermöglicht. [ 1] Thomas bringt jedoch die verschiedenen Elemente der Prinzi piengewißheit (Intuition, Evidenz, intelligibles Licht und Nöti gung zur Zustimmung) nicht in einen systematischen Zusam menhang, der die vorgeschlagene oder eine andere Auslegung klar bestätigen würde. Zu der Evidenz d e s s e n , über das die Vernunft Gewißheit haben k a n n , bringt er die Leistung des intelligiblen Lichts nicht eindeutig in ein bestimmtes Verhältnis, Allerdings sieht er einmal die Prinzipiengewißheit in der hin reichenden Einsicht der Vernunft begründet und diese Einsicht wiederum d u r c h das intelligible Licht vermittelt. [ 2] Weil die Prinzipien derart eingesehen würden ( i n s p i c i u n t u r ), so fährt er fort, r ü h r e die Gewißheit ü b e r sie aus i h r e r Evidenz h e r . Das wird man so zu deuten haben, daß die Evidenz, die nichts a n deres als die der vollkommenen Einsicht entsprechende Gege benheitsweise des Gegenstands i s t , gerade so wie diese Einsicht durch das intelligible Licht hervorgerufen wird. Und das hieße, das intelligible Licht ergänzt nicht in seiner Gewißheit b e g r ü n denden Funktion eine schon gegebene intuitive Evidenz, wie man aus dem zuerst zitierten Text annehmen konnte, sondern es macht das Objekt der Intuition allererst evident und dadurch eine gewisse Erkenntnis von ihm möglich. Während die Unter scheidung zwischen anschaulicher Evidenz und zusätzlicher Ge wißheitsbegründung durch das intelligible Licht es erlauben würde, zugleich zwischen einfachen, absolut klaren Termini und den aus ihnen gebildeten komplexen Prinzipien zu differenzieren und die Termini der intuitiven E r k e n n t n i s , die Prinzipien aber der Gewißheit aus intellektueller Erleuchtung zuzuordnen, muß es offen bleiben, wie der Schritt vom Verstehen der Termini zur Prinzipieneinsicht zur Geltung kommt, wenn das Licht der Vernunft die Evidenz der Sache und die Gewißheit des Erken nenden in derselben Hinsicht b e g r ü n d e n soll. Diesem Nachteil der jetzt erwogenen Interpretation steht der Vorzug g e g e n ü b e r , daß sie Thomas' Auffassung von einer Analogie der intellektuel len zur sinnlichen Anschauung gerecht w i r d : [ 3 ] Wie das sinn liche Licht die wahrnehmbare Form des Gegenstands in eins verwirklicht und den Gesichtssinn bestimmen läßt, so verleiht auch das intelligible Licht den Vernunftobjekten vollkommene Einsichtigkeit und eben dadurch der Erkenntnis Gewißheit ü b e r 1 2 3
Ver. XI 1 ad 13 3 S 23 II 2 q 3 3 S 24, 2 q 1; v g l . I 78, 3
412 das Angeschaute. Indem das intelligible Licht die reinen Ver nunftinhalte evident macht, vermittelt es gleichsam zwischen ihnen und dem des Zweifels mächtigen Subjekt so vollständig, daß dieses sich der bewußten Identifikation mit den Inhalten, d . h . der Zustimmung zu den Prinzipien, nicht entziehen kann. Die Annahme, Thomas habe dem intelligiblen Licht eine derartige Vermittlungsfunktion zugedacht, erscheint auch noch aus einem anderen Grund plausibel. Denn indem manche Texte die Evidenz der Prinzipien so formulieren, daß diese sich der Vernunft u n mittelbar darbieten, machen sie eine notwendige Konsequenz des Evidenzbegriffs u n ü b e r s e h b a r , daß man nämlich mit ihm den Gegenständen eine Beziehung auf Erkenntnis z u s c h r e i b t . [ 1 ] Auf etwas bezogen sein bedeutet aber für Thomas, von ihm in g e wisser Weise abhängen. [2] So macht er sich die aristotelische These, n u r das Erkennen sei auf seinen Gegenstand bezogen, nicht aber dieser auf Erkenntnis, durch die Überlegung k l a r , daß andernfalls die Gegenstände ihre Selbständigkeit verlören und sich nicht n u r nach der Erkenntnis ü b e r h a u p t , sondern vor allem auch nach dem individuellen Dafürhalten zu richten h ä t t e n . [ 3 ] Eine Anwendung dieses Gedankens auf die Evidenz der Prinzipien für jede individuelle Vernunft findet man in den Texten nicht, aber man kann sagen, daß die Evidenz in dem Maße, wie sie als ein Resultat des intelligiblen Lichts gedacht wird, von den evidenten Sachverhalten selbst als ihre Gege benheitsweise in der Sphäre der Vernunft abgehoben werden kann; denn das intelligible Licht ist ein Licht d e r Vernunft, wenn es auch in ä u ß e r s t e r Abstraktion das Absolute r e p r ä s e n t i e r t , in dem der Subjekt-Objekt-Gegensatz aufgehoben i s t . [ 4 ] So bietet die Auslegung, nach der das intelligible Licht die Evidenz d e r Prinzipien, also ihre Bezogenheit auf die Intuition der Vernunft, und dadurch deren Gewißheit b e g r ü n d e t , eine Möglichkeit, die Prinzipien selbst als nicht auf intellektuelle Anschauung bezogen und so als Erkenntnisgegenstände in dem von Thomas generell festgelegten Sinn zu d e n k e n . - Die Un abhängigkeit der Prinzipien von ihrem Erkanntwerden nachzu weisen, kann natürlich e r s t dann zu einer Aufgabe d e r Theorie werden, wenn die Gewißheit der Prinzipienerkenntnis nicht mehr aus deren Charakter, diskursive Selbsterkenntnis der Vernunft zu sein, sondern aus der Annahme einer ursprünglichen intel lektuellen Anschauung der Grundbegriffe und - dadurch v e r mittelt - auch der Prinzipien b e g r ü n d e t wird. Denn n u r infolge der Gegenüberstellung d e r Prinzipien als Gegenstände und i h r e r 1 2 3
1 S 3 IV 1 ad 4; 2 S 24 II 3; III 3 ad 2 Ver. XXI 1 Bezogenheit aller Realität auf Erkenntnis heißt für Thomas - entsprechend der aristotelischen Kritik an Protagoras - , daß alles so, wie es einem Individuum erscheint, auch wahr i s t , s . In 4 Met. 1. 15, 712 u . 716 4 Ver. II 3 ad 3
413 E r k e n n t n i s , wie sie sich gerade in einem von der Wahrnehmung gewonnenen Modell von Anschauung e r g i b t , können diese u r sprüngliche Einsicht und ihr Objekt u n t e r das generell bestimm te Verhältnis des Wissens zu seinen Gegenständen, die zunächst von ihm bloß verschieden sein sollen, subsumiert werden. Ungeachtet der geringen Bestimmtheit im Detail, mit der Thomas das Verhältnis der verschiedenen Begründungsinstanzen für Prinzipiengewißheit zueinander behandelt hat, kann man in sei ner Frage nach theoretischer Begründung der Gewißheit des Wissens einen Ansatz sehen, der zu einer anderen Disposition der Erkenntnistheorie führen würde, wenn ausschließlich seine Implikationen konsequent ausgearbeitet würden. Dieser Charak ter der philosophischen Reflexion über Vergewisserung, eine theoretische Alternative nahezulegen, soll abschließend an zwei Gesichtspunkten gezeigt werden: 1. Was das Objekt gewisser Erkenntnis angeht, so sind die Prinzipien, die aus den Transzendentalien folgen, unmittelbar und vollkommen gewiß. Orientierte sich Thomas' Erkenntnisana lyse vorrangig am Gesichtspunkt d e r Gewißheit, so ergäbe sich für sie das Problem des Stellenwerts von Wahrnehmung und Vorstellungen noch einmal neu. Denn im Hinblick auf Erkennt nisse von besonderen Gegenständen sieht er die eigentümliche Funktion der Sinnlichkeit gegenüber derjenigen der tätigen Vernunft d a r i n , daß sie die je bestimmten Inhalte des Erkennens liefert; [1] d u r c h ihre relative Nähe zu den einzelnen, unterschiedlich beschaffenen Dingen, nach denen wir uns e r kennend richten, ist die Sinnlichkeit der formalen Vernunft in der Ermöglichung von Erkenntnis sogar überlegen. [ 2] Weil Tho mas nun die Prinzipienerkenntnis de facto nur in sein Schema von Sinnlichkeit und Verstand einordnet, ü b e r t r ä g t er der Sinnlichkeit auch die Funktion, die Prinzipien voneinander zu unterscheiden, der Einsicht in sie also inhaltliche Bestimmtheit zu g e b e n . [ 3 ] Ginge die Überlegung aber statt von dem e r kenntnistheoretischen Grundmuster von den Prinzipien als dem ursprünglich gewiß Erkannten a u s , dann müßte sie berücksich tigen, daß jedes Prinzip für jeden Gegenstand der Wahrnehmung gleichermaßen gilt, aus wahrgenommenen Unterschieden also die Distinktheit der Prinzipien gegeneinander, ihre jeweilige Be stimmtheit, nicht begründet werden kann; vielmehr machen e r s t die Prinzipien die Unterscheidung besonderer Dinge logisch möglich. [4] Von diesem Ansatz her ließen sich die Wahrnehmun gen nur als unbestimmtes Material v e r s t e h e n , an dem der Ver stand die Prinzipien entfaltet, indem er ihm, dem gegebenen Ma terial, e r s t e , noch ganz abstrakte Bestimmtheit gibt. Begriffe 1 2 3 4
An. 5 ad 6; Ver. VIII 8 ad 3 Ver. XVIII 8 ad 3 3S 23 III 2 ad 1; v g l . oben 2.Teil, 2 . K a p . , 3. i) Vgl. dazu unten 6 . K a p . , besonders 5. e)
414 nun Thomas Erkenntnis ü b e r h a u p t konsequent von ihrem voll endeten Modus, dem unmittelbar selbstgewissen Wissen, h e r , dann müßte sich das für die Prinzipieneinsicht gültige Verhält nis von Wahrnehmung und logischer Bestimmung auch auf die Einschätzung der Sinnlichkeit und i h r e r Funktion für Erkennt nis im allgemeinen auswirken. 2. Denkt man an Thomas' Grundlegung der Prinzipiengewißheit, dann kann man leicht in i h r e r letzten I n s t a n z , dem intelligiblen Licht, den Anlaß zu einer wesentlichen Verschiebung von theo retischen Interessen und Akzentsetzungen sehen. Denn, wie g e s a g t , dies intelligible Licht gehört der menschlichen Vernunft an und vermittelt doch zwischen ihr selbst, sofern sie sich n e gativ zu jeglichem Objekt v e r h ä l t , und ihren ursprünglichen Gegenständen, indem sie diese fürs Erkennen evident macht. Das heißt, nicht n u r das Absolute transzendiert die Entgegen setzung von Welt und Erkenntnis, sondern auch die menschliche Vernunft ihrem einen bloß formalen Moment nach, das sich vom Absoluten herleitet und n u r dadurch Wissen, also i h r e r Wahrheit gewisse Erkenntnis ermöglicht. Käme es Thomas vor allem auf diese Möglichkeit und ihren Grund a n , dann könnte er in seinen Texten nicht das einfache Schema dominieren lassen, nach dem die erkennenden Vernunft den von Gott geschaffenen Dingen als dem Maßstab i h r e r Wahrheit n u r g e g e n ü b e r s t e h t . [ 1] Er müßte differenzierter vorgehen und die Gültigkeit dieses Schemas auf das empirische Erkennen relativieren, das sich in der Differenz seiner selbst zur Realität wie selbstverständlich hält. Der Pro zeß des Wissens dagegen ergäbe sich ihm aus der Spannung zwischen dem Bewußtsein dieser Differenz und ihrem apriori schen Aufgehobensein in der Begründungsinstanz des intelli giblen Lichts. Aus Interesse an d e r Verwirklichung von Wissen hätte Thomas dessen Gewißheitsgrund als dasjenige Moment a u s zuzeichnen, das das Wesen der menschlichen Seele als einer vernünftigen bestimmt. Zwar fehlt dieser Gesichtspunkt bei Thomas nicht - er gebraucht auch schon das von Meister Eck hart bekannte Bild des 'Seelenfunkens'[2] - , aber er wird kompensiert und im Ganzen seines Werks sogar überwogen durch den Gedanken von der Angewiesenheit der menschlichen Vernunft auf Inhalte, die ihr n u r durch die Sinnlichkeit g e g e ben werden können. Der dominierenden Tendenz, mit der Not wendigkeit der Wahrnehmung auch das Realitäts- und Selbstbe wußtsein der sinnlichen Erfahrung zu akzeptieren, könnte eine Konzeption von Erkenntnis entgegenwirken, die sie als ein Ver hältnis der sich entwickelnden Vernunft zur Realität der Einheit beider Extreme im intelligiblen Licht unterstellt. Daß Theorien dieser Art im Mittelalter möglich sind, zeigen Dietrich von Frei b e r g , Meister Eckhart und Nikolaus von Kues. 1 2
Ver. I 2 2 S 39 III 1
5. Kapitel THOMAS' BEZIEHUNG DER TRANSZENDENTALIEN UND KATEGORIEN AUF DEN SEINSBEGRIFF (Ver. I 1) IN VERNUNFTTHEORETISCHER PERSPEKTIVE 1. Die Transzendentalien als eine Alternative der platonischen Sprachtheorie zum aristotelischen Prinzipienbegriff Thomas mußte sich des impliziten Anspruchs des Transzenden talienbegriffs, eine Theorie der Wissensprinzipien zu enthalten, durchaus bewußt sein, weil er die aristotelische Kritik an der These, Sein, Einheit und andere Bestimmungen von höchster Allgemeinheit seien die Prinzipien, kommentierend verfolgt h a t . [ l ] Diese kritisierte Einschätzung wird tendenziell d u r c h die Funktion b e s t ä t i g t , die Thomas zur Erläuterung von Boethius' Prinzipienbegriff den Transzendentalien gibt: Als für jedes vernünftige Bewußtsein v e r s t e h b a r e Termini gehen a u s schließlich sie in die allgemeinen Wissensprinzipien ein, die Ari stoteles so weit nicht analysiert h a t , und gewährleisten deren Unbezweifelbarkeit und Allbekanntheit als analytischer Sätze. Obwohl Thomas n u r mit Bezug auf die zwei transzendentalen Bestimmungen 'Seiendes' und 'Gutes' a n d e u t e t , wie aus ihrem Verstehen analytisch apriorische Prinzipien folgen sollen - näm lich das Widerspruchsprinzip und die praktische Regel, daß das Gute zu tun und das Böse zu meiden sei - [ 2 ] , werden die Transzendentalien doch durch ihre Einbeziehung in die Theorie von den ersten Prinzipien gegenüber der aristotelischen Kritik wieder aufgewertet. Wichtig ist an der Vereinigung der beiden transzendentalen Mo mente, daß sie eine Revision des Verhältnisses Prinzip - aus dem Prinzip Begründetes' ermöglichen. Denn einerseits wird der Prinzipiencharakter der Transzendentalien durch ihre Grund lagenfunktion für die allgemeinen Prinzipien des Aristoteles unbezweifelbar, und andererseits ergibt sich durch die Verbin dung der Prinzipien mit den Transzendentalien eine Möglichkeit, mindestens indirekt die Frage zu klären, wie die apriorischen Prinzipien sich logisch zu besonderen Erkenntnissen v e r h a l t e n . [ 3 ] Während nämlich die logische Beziehung der allgemeinen Prinzipien zu bestimmten Sätzen, die u n t e r i h r e r Bedingung s t e h e n , weder bei Aristoteles noch bei Thomas, der den all gemeinen Prinzipien einen wesentlich höheren Stellenwert gibt, unmittelbar deutlich wird, kann diese theoretische Lücke d u r c h eine Untersuchung des Verhältnisses der Transzendentalien zu 1 2 3
Vgl. oben Erster Teil, .., 7. I-II 94, 2 Vgl. dazu oben Zweiter Teil, 2 . K a p . , 2. - Die Transzenden talien nennt Thomas n u r selten ausdrücklich 'Prinzipien', s . z . B . In 3 Met. 1. 5, 389.
416 dem durch sie Bestimmten bei Thomas indirekt mit geschlossen werden. Die Integration der Transzendentalien in die allgemeinen Prinzi pien kann eine Differenzierung des Prinzipienbegriffs ü b e r h a u p t in dem Sinn zur Folge haben, daß die Auslegung von Prinzipialität als Unabhängigkeit von dem nachgeordneten Begründeten auf die spezifischen ersten Prämissen einzelner Wissenschaften eingeschränkt werden muß. Diese Annahme kann von der a r i stotelischen Kritik - und Thomas' Kommentar - an der Erhebung transzendentaler Bestimmungen zu Prinzipien ausgehen, wie sie oben (S.165-168, 172f u . 177ff) zusammengefaßt w u r d e . Weil Aristoteles die Beantwortung der Prinzipienfrage mit den T r a n szendentalien nur als die äußerste Konsequenz der These auf faßt, daß die Genera, wie sie Grundlage der Definitionen sind, auch als Prinzipien überhaupt angesehen werden müssen, wen det er ein, daß weder die transzendentalen Bestimmungen das für Genera vorauszusetzende Verhältnis logischer Äußerlich keit - zu demonstrieren als Nichtaussagbarkeit - zu beliebigen Differenzen haben noch der Anschein sich halten läßt, daß das Allgemeinste am ehesten von dem durch es Bestimmten u n a b hängig sei. Wenn Thomas die allgemeinsten Gegenstandsbestim mungen u n t e r Berücksichtigung dieser Problematik doch den - von ihm so genannten - ersten Prinzipien als ihre Termini zuordnet, dann muß er von Prinzipien dieses Typs auch zeigen, wie sie ihrem logischen Status nach anders als Genera, die im mer noch etwas Besonderes b e d e u t e n , begriffen werden können: nämlich, was die Transzendentalien a n g e h t , als von jedem Be sonderen und wechselseitig voneinander a u s s a g b a r , u n d , was die allgemeinsten Prämissen betrifft, als alle Sätze bedingend. Aus der logischen Untrennbarkeit der allgemeinen Prinzipien von dem d u r c h sie Bedingten wird sich dann e r g e b e n , daß sie, obwohl Prinzipien, doch nicht wie ein Früheres gegenüber dem ihnen Nachgeordneten selbständig sind. Natürlich liegt es n a h e , die Frage, wie eine logische Alternative zu dem aristotelischen Begriff vom Prinzip als dem unabhängi gen Früheren zu denken i s t , anhand von Platons Konzeption der 'größten Genera' zu beantworten, die den historischen Hin t e r g r u n d des Transzendentalienthemas darstellt. Weil aber hier vor allem Thomas' Lösung i n t e r e s s i e r t , die die Einwände des Aristoteles gegen die Tauglichkeit 'größter Gattungen' zu Prin zipien zu berücksichtigen h a t , braucht Platons Darstellung der Verhältnisse von Ideen zueinander, [ 1] die n u r mit erheblichem Aufwand interpretiert werden k a n n , nicht herangezogen zu wer d e n . Im vorliegenden Kontext genügt ein Hinweis auf Platons Vergleich der 'größten Gattungen' mit den Vokalen in der Pho netik der Sprache, ein Vergleich, an dem man dasjenige Moment eines alternativen Prinzipienbegriffs hervorheben k a n n , das 1
Soph. 253 d
417 auch Thomas an der transzendentalen Bestimmung 'Seiendes' darstellt. Angesichts dessen, daß manche Buchstaben zusam mengefügt werden können, andere aber nicht zueinander p a s sen, gerade so, wie es sich auch mit den Ideen, also den Be stimmungen der diskursiven Vernunft verhält - , unterscheidet Platon die Vokale von den anderen Buchstaben an i h r e r Funk tion, sich über alle anderen, also die Konsonanten, auszubrei ten und die Verbindung derselben miteinander allererst zu e r möglichen. [ 1] Bei der Entwicklung dieses Gedankens zu der Idee einer Wissenschaft von den Vernunftbestimmungen ergänzt Platon den Begriff derjenigen Bestimmungen, die mit allen an deren verknüpft werden können, um die an den Buchstaben nicht demonstrierbare Funktion, beliebige Bestimmungen von einander zu t r e n n e n . [2] Wie an der vorangehenden Kritik des logischen Eleatismus, der überhaupt keine Verbindung oder Ge meinschaft der Bestimmungen miteinander zulassen will, deutlich wird, haben manche von den allgemein verknüpfbaren Bestim mungen oder Transzendentalien wie etwa 'sein' als Kopula die Eignung, beliebige andere in Verbindung zu b r i n g e n , während andere wie z . B . getrennt von' Bestimmungen voneinander scheiden. [3] Diese Beispiele machen ebenso wie der Vergleich mit der Stel lung der Vokale in der Phonetik klar, daß die transzendentalen Bestimmungen wesentlich durch ihre Funktion für andere Be stimmungen definiert sind, nämlich diese miteinander zu v e r b i n den oder sie voneinander zu trennen Das heißt, jene Bestim mungen, die mit allen anderen verknüpft werden können, sind isoliert für sich genommen, gar nicht richtig zu begreifen, wie auch die separat geäußerten Ausdrücke für keine sinnvolle Rede ausmachen, z . B . der Ausdruck 'anders a l s ' , und wie einzelne Vokale bloße Laute und noch nicht einmal als Elemente von Wör t e r n herkömmlicher menschlicher Sprachen erkennbar sind. Wenn man die Fragestellung oder Untersuchungsperspektive, mit der P a t o n Sprache auf die S t r u k t u r 'Prinzipien - aus den Prin zipien Begründetes' hin b e t r a c h t e t , mit den Kriterien der a r i stotelischen Sprachanalyse in der Kategorienschrift und in 'De interpretatione' vergleicht, ist leicht zu e r k e n n e n , daß beide Autoren in ihrem jeweiligen Vorverständnis, von dem sie sich bei ihrer Reflexion auf Sprache leiten lassen, schon ihren u n terschiedlichen Prinzipienbegriff vorwegnehmen, den sie auch mit denselben Untersuchungen der Sprache legitimieren wollen. Aristoteles stellt nicht nur die höchsten Klassen von Bedeutun gen nach dem Gesichtspunkt auf, daß die Elemente dieser Klas sen ohne eine 'Verflechtung' mit anderen Wörtern ausgesprochen 1 2 3
Soph. 252 e - 253 a Ebenda 253 b-c Ebenda 252 b - c
418 w e r d e n , [ 1 ] er beginnt auch die Analyse der Urteile, also d e r jenigen Verflechtungen, die etwas als etwas bestimmen und d e s halb wahr oder falsch sein können, mit der Unterscheidung des Nomens, das schon für sich allein etwas b e d e u t e , vom Verbum, das n u r solches bezeichnet, das von einem anderen ausgesagt wird. [2] Bei der Zusammensetzung der Sprache aus ihren klein sten überhaupt wahrnehmbaren Elementen ist das Nomen die relativ einfachste Einheit, die separat an ihr selbst etwas b e d e u t e t , während ihre Teile, je für sich genommen, keine Be deutung haben, und genauso gilt umgekehrt, daß alles, was an ihm selbst etwas b e d e u t e t , ohne daß schon seine Teile - wie beim Urteilt[3] - selbständig etwas bedeuten ein Nomen i s t . Aristoteles wendet also drei Momente des Substanzbegriffs bei seiner Sprachanalyse a n , die zur Beantwortung der Prinzipien frage mit demselben Substanzbegriff dann wesentlich beitragen kann: Erstens wird Sprache n u r so b e t r a c h t e t , wie sie unmit telbar Realität vorstellt, aber nicht darauf hin, wie sie sich selbst oder wie sprachliche Vernunft sich selbst zu dieser Funktion konstituiert. Mit der Unmittelbarkeit ist zwar zunächst das für Aristoteles verbindliche Modell des gewöhnlichen Redens ü b e r Wirkliches gemeint, der Begriff der Unmittelbarkeit enthält aber auch die beiden Kriterien, mit denen er so etwas wie ein Prinzip der in dem Modell repräsentierten Sprache ermittelt: Nämlich zweitens maximale Einfachheit eines Sprachgebildes mit Bedeutungsfunktion - also Fehlen einer immanenten Vermittlung durch semantische Teilelemente - und drittens Fähigkeit zum selbständigen Bedeuten - also Unabhängigkeit von der Vermitt lung durch ein im Sprechverlauf außerhalb gesetztes Sprach element. Thomas' Kommentar zieht die letzte Konsequenz aus dieser Konzeption eines unmittelbaren Bedeutens, indem er d a s jenige, was durch Nomina bedeutet wird, eine gleichsam durch sich selbst bestehende Sache nennt; [4] damit zeigt er a n , daß der Prinzipienbegriff, von dem Aristoteles sich leiten läßt, den Gegensatz Sprachliches Bewußtsein - dingliche Realität t r a n szendiert, ihm also logisch vorgeordnet i s t . Platon dagegen thematisiert Sprache nicht in i h r e r unmittelbar referentiellen Funktion, sondern wie einen Gegenstand mit einer 1 2
Cat. 4, 1 b 25ff I n t e r p r . 2, 16 a 19ff; I n t e r p r . 3, 16 b 6f, 19ff. Diese Dif ferenz wird daran deutlich, daß er das Verbum, sofern es für sich ausgesprochen wird, ein Nomen n e n n t , das etwas bedeute - und nicht etwas ü b e r etwas wie das Verb als P r ä dikat - , so daß sich der Zuhörer eine inhaltliche Vorstellung machen könne - im Unterschied zum Anhören bloßer Laute, wie sie noch einzelne Silben darstellen ( v g l . I n t e r p r . 4, 16 b 30ff). 3 I n t e r p r . 4, 16 b 26ff 4 In 1 Perih. 1. 5, 56 u . 66
419 eigenen, von dem jeweils Gemeinten nicht vorgegebenen S t r u k t u r , ohne dabei den semantischen und dialogischen Charakter der Sprache beiseitezusetzen oder außer acht zu lassen, was Sprache wie einen natürlichen Gegenstand erscheinen ließe. Der These des Parmenides weist er nach, daß sie eine absolute, positive Einheit n u r meinen k a n n , indem sie mehrere sprachliche Bestimmungen oder eine Negation vollzieht und beides auch ge gen ihre Absicht, aber für die Reflexion auf ihr Tun e r k e n n b a r , in der Sache s e t z t . [ 1 ] Gerade so könnte man auch Aristo teles' Bestimmung eines einfachsten, selbständigen Bedeutungs t r ä g e r s in platonischer Weise vorhalten, daß sie die intendierte Einfachheit durch die abgrenzenden Beziehungen auf Laute und Silben einerseits und das Verbum und den Satz andererseits selber schon auflöst, ganz abgesehen vom komplexen Begreifen der scheinbar einfachen, unabhängigen Sprachelemente durch Termini wie 'Bedeutung', 'an ihm selbst' e t c . Wenn der Sophistes die Bestimmungen des Denkens mit Konso nanten und Vokalen vergleicht, setzt Platon sich mit einem Eleatismus auseinander, der ausdrücklich schon auf derselben Stufe sprachphilosophischer Reflexion argumentiert, die auch Platons Methode kennzeichnet. [ 2] Der logische Eleatismus sieht in jeder nichttautologischen Aussage einen Widerspruch zu der mit der Prädikation ausgedrückten Identifikation des Prädikats mit dem Subjekt vollzogen und kann deshalb überhaupt keine Verbindung verschiedener Bestimmungen miteinander zulassen. Er kritisiert das gewöhnliche, unmittelbar gegenstandsbezogene Sprechen, das mit solchen komplexen Verbindungen jeweils ein Identisches meint und es doch als etwas Verschiedenes a u s s p r i c h t . Platons Metakritik lautet, daß diese Position sich ihre eigene Möglichkeit a b s p r i c h t , weil auch sie auf die Verbindung voneinander verschiedener Bestimmungen angewiesen i s t , auf die sie aber nicht achtet. Als Beispiele nennt Platon nun sprachliche Elemente, die weder einen Gegenstand noch etwas an ihm bedeuten, sondern offensichtlich die Form der Sprache ausmachen, in der man überhaupt ausdrücken k a n n , was man meint, also Bestimmungen wie 'sein', 'getrennt von' und 'an sich s e l b s t ' , Bestimmungen, die nicht zufällig in das aristotelische Kategorienschema nicht eingeordnet werden können, also als Transzendentalien zu gelten haben. Schon der logische Eleatismus faßt Sprache de facto als den Vollzug von Erkenntniszusammenhängen in Urteilen und nicht als bloßes Nennen oder Sagen einzelner Wörter a u f . [ 3 ] Nur von diesem Ausgangspunkt aus kann er zu seiner extremen Restrik tion der Urteilsmöglichkeiten kommen, daß allein Tautologien der 1 2 3
Soph. 244 b - d, 245 b-c Soph. 251 a-c Soph. 262 a-d; v g l . Aristoteles, I n t e r p r . 4, 16 b 26-30
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Identitätsform des Urteils gerecht werden können. Platons Retorsionsargument hebt diese Restriktion wieder auf, indem es darauf hinweist, daß das Verbinden von gegenstandsbezogenen Bestimmungen überhaupt - ob es eine Tautologie ist oder nicht n u r vermittelst eher formaler Bestimmungen möglich i s t , die ihrerseits mit den gegenstandsbezogenen Bestimmungen v e r b u n den werden müssen, obwohl sie nicht dasselbe wie diese bedeu t e n . Damit wird der vom logischen Eleatismus nur abstrakt zu grunde gelegte Zusammenhangcharakter der Sprache in bestimm ten sprachlichen Elementen konkretisiert, vermöge derer e r s t mit den scheinbar selbständig bedeutenden Gegenstands- und Eigenschaftsbezeichnungen wirkliche Sachverhalte ausgedrückt werden können. Die formalen Bestimmungen, vermittelst d e r e r der Sprechende Sachbestimmungen im aristotelischen Sinn auf einander beziehen kann - auch im Sinn der Unverbundenheit oder des Ansichseins - , kann man entsprechend der aristoteli schen Kritik als platonische Antwort auf die Prinzipienfrage v e r s t e h e n . Daß diese Prinzipien durch den Vergleich mit den nicht selbständigen, sondern über alle Konsonanten ausgebrei teten Vokalen charakterisiert werden, darin kommt adäquat das Vorhaben zur Geltung, den Satzzusammenhang - und nicht die Semantik isolierter Bestimmungen - zu verdeutlichen, der schon durch den logischen Eleatismus zum Thema und Problem wurde. Oder anders gesagt, wie es Platon nur um eine Erklärung der Verbindung verschiedener Bestimmungen miteinander geht, b e hält er auch für die Prinzipien, die nichts weiter als die v e r schiedenen Formen solcher Verbindungsmöglichkeiten darstellen, den relationalen Charakter konsequent bei. Wie Wieland den Ausgangspunkt des aristotelischen Prinzipien begriffs markiert und im Kontext einer dialektischen Wissens konzeption festhält, daß nämlich jedes Prinzip Prinzip von etwas anderem i s t , [ l ] so sind die Transzendentalien bei Platon allein d u r c h ihre Funktion definiert, ein Raster von Relationen für alles zu bilden, was immer sprachlich erkannt werden kann. Die Relationalität des aristotelischen Prinzipienbegriffs wird minde stens partiell, d . h . im Kontext einer Begrenzung der Begrün d u n g s v e r f a h r e n , in seiner systematischen Durchführung da durch v e r d e c k t , daß genau d a s , was zum Prinzip für anderes taugen soll, an ihm selbst, d . h . sofern es nicht gerade als Prinzip betrachtet wird, von diesem anderen ganz unabhängig und überhaupt ein unmittelbar Selbständiges sein soll. Dagegen findet Platon in den konstitutiven Relationen sprachlicher Er kenntnis Prinzipien, die sich dem Versuch entziehen, sie auch an ihnen selbst und ihre Prinzipienfunktion als etwas ihnen Äußerliches zu b e t r a c h t e n , weil sie nicht durch eine semanti sche Funktion anstatt durch ihre Prinzipienfunktion für den sprachlichen Kontext bestimmt werden können. Semantisch 1
Die aristotelische physik, S.56
421 - verstanden im Sinn der Bezeichnung von Gegenständen und Eigenschaften - gilt vielmehr von ihnen, was Aristoteles von den Bestimmungen 'sein' und 'seiend' s a g t , daß sie selber nichts sind, nur eine Synthesis zusätzlich bedeuten, die man ohne die Synthetisierten nicht verstehen k a n n . [ l ] 2. 'Seiendes' als Inbegriff der Urteilsform und als nichtsubstan tielles Prinzip bei Thomas Bei Thomas wird der von Platon gekennzeichnete besondere sprachlogische Status der Transzendentalien an zwei nur dem Anschein nach speziellen Themen deutlich, nämlich dem Verhält nis des Seinsbegriffs zu beliebigen besonderen Bestimmungen einerseits und andererseits an der logischen Begründung von Verschiedenheit ü b e r h a u p t , die im folgenden Kapitel analysiert werden soll. Wenn Thomas die Bestimmung 'seiend; als die all gemeinste und logisch erste schlechthin kennzeichnet,[ 2] gibt er damit zwar für die von ihm behauptete ursprüngliche intel lektuelle Anschauung einen in seiner positiven Unbestimmtheit geeigneten ursprünglichen intelligiblen Gegenstand an. Zugleich hat diese Auszeichnung des Seinsbegriffs aber auch die Seite, daß sie Aristoteles' Reduktion aller verbalen Prädikate auf das jeweils entsprechende Partizip, das mit dem Satzsubjekt durch 'sein' als Kopula v e r b u n d e n i s t , [ 3 ] bis zu einer systematischen Einheit vor der Kategorieneinteilung weiterführt. Insofern wird gerade kein intuitiv e r f a ß b a r e r , unbestimmter Gegenstand, son dern der Inbegriff aller Urteilsmöglichkeiten und Urteilsfunk tionen zum erklärten Mittelpunkt der Prinzipientheorie und des vernünftigen Denkens ü b e r h a u p t . [4] Aristoteles hat mit seiner 1
I n t e r p r . 3, 16 b 23ff. Im Gegensatz zu der Unersetzbarkeit der relationalen Definition der Transzendentalien durch eine referentiell semantische war oben (S.45f) dem Kategorien begriff gerade dies hypothetisch unterstellt worden, daß die Kategorien ohne Rücksicht auf ihre Konstitution durch die immanente Bezüglichkeit der Aussage betrachtet oder min destens in der Theorie verwendet werden können, weil ihr Sinn durch den Gegenstandsbezug der u n t e r sie zu s u b s u mierenden Begriffe hinreichend bestimmt scheint. Im Gesamt zusammenhang der Konfrontation des aristotelischen Prinzi pienbegriffs mit dem platonischen dürfte diese Hypothese b e sonders im Hinblick auf die unterschiedliche Methode der Sprachuntersuchung an Plausibilität gewinnen. 2 In Hebd. 1. 2, 24; In 4 Met. 1. 6, 605 3 Vgl. dazu oben S.50f 4 Zur Einheitsfunktion des Seinsbegriffs s. In 4 Met. 1. 1, 533f, u . Ver. I 1. In diesem und im folgenden Kapitel möch te ich zeigen, daß die systematische Bedeutung des Seinsbe griffs bei Thomas nicht ausschließlich, wie es Rahner, Geist
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Formalisierung der Urteile nach dem Schema 'S ist P' alle sach lich spezifischen Gehalte, unter denen bzw. in deren a b s t r a k t e r Form er eine Antwort auf die Prinzipienfrage s u c h t , auf die kategorial einzuordnenden, nominalen Teile des Urteils, also S und Ρ konzentriert. Deshalb erscheint es durchaus konsequent, daß bei Thomas alle nichtspezifischen, also transzendentalen Funktionen der Vernunftbestimmungen, die mit ihrer Verwen dung in Urteilen überhaupt zusammenhängen, an dem verbliebe nen verbalen Rest 'ist' bzw. seiner noch einmal nominalisierten Form 'seiend' thematisiert werden. In der Bestimmung 'seiend' oder 'Seiendes' sind die anderen Transzendentalien in folgender Weise impliziert: Zwar ist 'Sei endes' ihnen gegenüber begriffslogisch ein F r ü h e r e s , geht also in ihren Begriff ein, ohne auch selbst umgekehrt die Transzen dentalien zu seinem unmittelbaren Verständnis vorauszusetzen. Aber zugleich sind mit der Bestimmung 'Seiendes' auch die a n deren Transzendentalien gesetzt, können von einem Seienden also nicht negiert w e r d e n . [ 1 ] Daß die Abhängigkeit der Tran szendentalien vom Seinsbegriff sie zu allgemeinen Bedingungen all dessen macht, was immer in einem Urteil Subjekt oder Prä dikat sein soll, das kann man nicht n u r aus dem Rückverweis des Terminus 'seiend' auf die aristotelische Urteilsanalyse e r schließen. Thomas selbst erkennt dem Sein gerade die Funk tionen zu, die auch dem Urteil eigentümlich sind: Dieses bringt beliebige Gegenstände in ein Verhältnis zueinander (comparatio) und ist insofern eine synthetische Einheit i h r e r , hält sie aber doch als verschiedene auseinander und kann sie deshalb für in der Wirklichkeit v e r b u n d e n oder getrennt e r k l ä r e n . [2] So v e r einigt die Vernunft auch alles, was immer sie d e n k t , u n t e r der einen Bestimmung 'Seiendes', weil diese ihr e r s t e r unmittelbarer in Welt, S.167 (vgl. S.180), t u t , im Zusammenhang mit der sinnlichen Gegebenheit von einzelnen Seienden zu v e r s t e h e n i s t . Der auf die Logik von Sätzen ü b e r h a u p t bezogene Seins begriff läßt sich nicht in die Theorie davon, wie Allgemein begriffe aus Wahrnehmungen e n t s t e h e n , i n t e g r i e r e n , sondern stellt die Grundlagen eben dieser Theorie in Frage ( s . b e sonders unten 6 . K a p . , 3 . ) . 1 1 S 8 I 3 , 1 S 19 V 1 ad 2, Ver. I 1 ad 3. Dieses Implika tionsverhältnis ist kein anderes als das einer Wesensbestim mung wie 'Mensch' zu den unverlierbaren Eigenschaften des d u r c h sie Bestimmten ( p r o p r i a ) , die wie etwa das Lachen können aus ihrem Begriff (hier: vernünftiges Lebewesen) herleitbar sein sollen, v g l . Spir. c r e a t . 11 ad 7, Keeler S.145, Ζ.31 - S.146, Ζ.2. So weit wird 'Seiendes' einsinnig als Grund der anderen Transzendentalien v e r s t a n d e n , also noch nicht als Prinzip im platonischen Sinn. 2 In 3 An. 1. 1 1 , 760; In 1 Perih. 1. 3, 26; v g l . oben Erster Teil, .., 6.b)
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Gedanke ist; daher können zwei Extreme einander nie in jeder denkbaren Hinsicht entgegengesetzt sein, weil sie immer noch als Seiende sich gleichen m ü s s e n .[ 1 ] Und zugleich erscheint das Sein im Verhältnis zu besonderen Wesensbestimmungen, in denen jeweils viele Individuen übereinkommen können, als dasjenige Moment der letzteren, in dem sie sich unterscheiden. [ 2] So sehr Thomas' Reflexionen über den Seinsbegriff der v e r g e genständlichenden Tendenz unterliegen, mehr vom Seienden als vom Sein zu r e d e n , Sein aber auch in seiner universalen Ein heitsfunktion als von der endlichen Vernunft unabhängiges Exi stieren aller Dinge in der Welt zu v e r s t e h e n , [ 3] man kann diese Reflexionen trotzdem auch in dem Sinn lesen, daß sie - u n g e achtet i h r e r unmittelbaren Intention - von der Beziehung aller Realität auf die Einheit des Verstandes in seinen Urteilsfunk1 2
Ver. XXI 4 ad 4; In 4 Div.nom. 1. 16, 509 Ente 5, Roland-Gosselin S.37, Ζ.17-21; Ver. XXVII 1 ad 8; Pot. VII 3 . Die eigentümliche Synthesisfunktion des Seinsbe griffs, das in ihm Vereinigte zugleich zu unterscheiden, kann allerdings auch eingesehen werden, wenn man die The se einer unmittelbaren Intuition von Seiendem zugrunde legt. Kant hat in den "metaphysischen Erörterungen" des Raumes und der Zeit, jeweils im ersten und dritten Argu ment, gezeigt, daß die Formen der Anschauung das Ange schaute gerade so o r d n e n , daß es in absoluter Distinktheit in ein und derselben Vorstellung enthalten ist (KrV 38f, 46f). Trotzdem könnte man aus historischen und aus s y s t e matischen Gründen nicht bei der These stehenbleiben, daß sich Thomas' Seinsbegriff ausschließlich von der als solche nicht erkannten Form der Anschauung leiten l ä ß t . Aus hi storischen Gründen nicht, weil ihm die aristotelische Reduk tion der Urteilsfunktion auf Sein als Kopula, also die logi sche Herkunft des Seinsbegriffs, noch präsent i s t . Aus s y stematisch denselben Gründen nicht, weil die Doppelfunktion der Anschauungsformen ihrerseits die Frage nach ihrem Grund auf die synthetische Einheit des Verstandes verweist, auf der auch die Möglichkeit der Begriffe und Urteile b e r u h t (vgl. bei Kant, KrV 136 Anm., 159ff). Das Interesse also, die S t r u k t u r der Anschauung zu begreifen, kann am ehesten durch eine Reflexion darauf erfüllt werden, daß die selbe S t r u k t u r , vermittelst Distinktion zu v e r b i n d e n , sich offenbarer zu erkennen gibt, insofern sie die Diskursivität des urteilenden Verstandes ausmacht. Damit ist aber die Mög lichkeit, diese S t r u k t u r auch unmittelbar anschaulich zu e r kennen, nicht für entbehrlich erklärt oder gar b e h a u p t e t , diese Möglichkeit habe Thomas' Überlegungen nicht gefördert und nicht im Sinn einer selbstvergessenen Objektivierung des Seinsbegriffs beeinflußt. 3 In 4 Div. nom. 1. 6, 364
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tionen handeln. Dieses Thema, das mit dem der Transzendenta lientheorie, wie sie auf ihrem platonischen Hintergrund zu v e r stehen i s t , übereinstimmt, soll anhand von Texten betrachtet werden, die den intelligiblen Charakter des Seinsbegriffs b e sonders deutlich werden lassen. Im ersten Artikel von De Veritate geht der Gedanke von der allgemeinen Bestimmung 'Seiendes' (ens commune) wie von einem Prinzip aus und sucht ihr Verhältnis zu dem durch sie Beding ten zu formulieren. Diese Aufgabe ergibt sich aus der voran gehenden Überlegung: Wie die Beweise eine Reduktion auf Prin zipien erfordern, die an ihnen selbst schon der Vernunft b e kannt sind, so verhält es sich auch mit der Erforschung der Wesensbegriffe der Gegenstände, weil Wissen und Erkenntnis sonst im unendlichen Regressus u n t e r g i n g e n . 'Das Seiende' als die bekannteste Bestimmung schlechthin ist der Terminus, an dem die Analyse der Wesensbegriffe in immer allgemeinere und einfachere ihr absolutes Ende findet, also gleichsam das Prinzip aller begrifflichen Vorstellungen, die nicht - wie die Beweise der komplexen Form des Urteils unterliegen. [ 1] Wie Thomas an der ersten der beiden genannten Stellen des Boethiuskommentars s a g t , hat die Begriffsanalyse eine notwen dige Entsprechung in i h r e r Umkehrung, der Synthese spezieller Bestimmungen aus ihren allgemeineren Begriffen, in einem Progressus der Begriffsbildung also, der von 'dem Seienden als der schlechthin letzten Stufe des Regressus ausgehen muß. So ist Thomas' Grundsatz zu v e r s t e h e n , daß alle beliebigen Ver nunftbegriffe durch Hinzufügung (ex additione) zu der Bestim mung 'Seiendes' gedacht werden sollen, d u r c h Hinzufügung, das heißt, daß in allen anderen Bestimmungen, auch den anderen Transzendentalien, etwas gedacht wird, was in der bloßen Vor stellung von Seiendem überhaupt noch nicht enthalten i s t , [ 2 ] so daß man von der Vorstellung 'Seiendes' zu den anderen s y n t h e tisch übergehen k a n n . Der Grundsatz legitimiert ausschließlich die Bestimmung 'Seiendes' zu einem solchen Ausgangspunkt der Begriffssynthese, weil 'Seiendes' in der vorangehenden Begrün dung als ursprünglich v e r s t e h b a r und als Terminus der Analy se, also als einfachste Bestimmung ausgezeichnet wird. Das stimmt wiederum auch mit dem schon erwähnten Begriff von den anderen Transzendentalien überein, daß n u r sie u n t e r Inan spruchnahme der Vorstellung 'Seiendes' zu v e r s t e h e n sind, in diese aber umgekehrt nicht eingehen; eine vollständige Synthese in dem Sinn, daß sie n u r von einem absolut Einfachen ausgehen k a n n , muß also bei dem Gedanken 'Seiendes' a n s e t z e n . [ 3 ] Als 1 2 3
Vgl. In T r i n . VI 1 q 3, Decker S.212, Z.10-16; VI 4, Decker S.226, Z.17 - S.227, Z.9; In 4 Met. 1. 6, 605 Ver. I 1 ad 6, Ver. XXI 1 Vgl. die Zurückweisung anderer Bestimmungen als schlecht hin e r s t e r inI—I-II55, 4 ad 1
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Synthese, so kann man annehmen, fügt sie zu diesem Gedanken andere hinzu, um dadurch besondere Bestimmungen wie 'Pferd' oder 'Haus' d u r c h schrittweise Konkretion zu e r z e u g e n . Thomas' entscheidender Beitrag zum Transzendentalienbegriff ist nun in diesem Zusammenhang, daß er auf Aristoteles' Einwand gegen eine Prinzipienfunktion der platonischen lgrößten Genera' an dieser Stelle, wo das allergrößte'' Genus 'Seiendes' schon als Prinzip der Begriffsbildung entwickelt i s t , zurückkommt und anhand jener Piatonkritik das gängige Vorverständnis von Syn thesis und Hinzufügung k o r r i g i e r t , ohne von der grundsätzli chen These einer Prinzipienfunktion der allgemeinen Bestimmung 'Seiendes' abzugehen. Dadurch macht er die aristotelische Prin zipienkritik, die in i h r e r systematischen Konsequenz zur Kon zeption der Substanz als der adäquaten Antwort auf die Prinzi pienfrage führt, zur Grundlage eines an den platonischen g r ö ß ten Genera' festhaltenden Prinzipienbegriffs, der als s t r u k t u relle Alternative zur Substantialität v e r s t a n d e n werden k a n n . Zwar sagt auch Aristoteles nicht n u r dies, daß 'as SeiendeT und 'das Eine' keine Genera - und damit auch keine Prinzipien nach dem Kriterium der Allgemeinheit - sein können, weil sie entgegen der definitionslogischen Regel von jeder denkbaren Differenz auszusagen wären. Vielmehr formuliert er das Ver hältnis der transzendentalen Bestimmungen zu besonderen, von denen wiederum die Kategorien die allgemeinsten sind, auch p o sitiv so, daß das Seiende als etwas b e s t e h e , das sofort - also nicht d u r c h Vermittlung einer Differenz - Genera h a b e , denen die verschiedenen Wissenschaften folgten, oder umgekehrt so, daß die Kategorien sofort oder unmittelbar eben das sind, was ein Seiendes und ein Eines i s t . [ l ] Daß die Transzendentalien nicht separat für sich, sondern n u r als Prädikate besonderer Bestimmungen gedacht werden können, diese Verhältnisbestim mung verbindet Aristoteles aber nicht mit einer Auszeichnung des 'Seienden' und des 'Einen' als u r s p r ü n g l i c h e r , e r k e n n t n i s theoretisch wie logisch e r s t e r Gedanken, wodurch sie g r u n d sätzlich denselben Status wie der von ihm als Prinzip a n e r kannte Satz vom Widerspruch erhielten, der gleichermaßen nicht für sich allein, sondern nur als Form besonderer Erkenntnisse eine Funktion für Wissen h a t . Um diese Verbindung zu vollziehen, erläutert Thomas zunächst, was die von Aristoteles angemerkte Untauglichkeit zu einem Ge nus im Fall der Bestimmung 'Seiendes' bedeutet: Wenn zu ihr im Zuge des synthetischen Progressus der Begriffsbildung andere Bestimmungen gerade so wie die Differenzen zu einem Genus hinzugefügt werden sollten, dann müßte dieses Hinzuzufügende ihr gegenüber gleichsam von einer fremden, äußerlichen Natur sein. [2] Das aber wäre n u r d e n k b a r , wenn sie, die Bestim1 2
Met. Γ2, 1004 a 4ff; Met. Η 6, 1045 a 36 - b 7 Ver. I 1, Pot. III 16 ad 4
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mung, zu der etwas hinzugefügt werden soll, selber ein b e grenztes Wesen bezeichnete, zu dem ein Bereich des T Außerhalb T gedacht werden k a n n , wie es auch schon für die allgemeinsten Genera, die gegeneinander abgegrenzten Kategorien, zutrifft. Einen gegenüber dem Wesen von Seiendem ü b e r h a u p t a b g e g r e n z t e n , ihm äußerlichen Bereich mit gegen es fremden Naturen kann es aber nicht geben, weil, wie Thomas an anderen Stellen s a g t , was außerhalb des Seienden i s t , Nichtseiendes oder nichts ist und deshalb auch keine Differenz - weder als Form noch als Materie - bilden k a n n . [ l ] Mit der interpretationsbedürftigen Entgegensetzung eines abstrakten Nichts zur Sphäre alles Sei enden ü b e r h a u p t , in der allein dann noch positive Bestimmun gen wie 'Differenz' oder 'Hinzuzufügendes' gedacht werden kön nen, erklärt Thomas seine affirmative Version der aristoteli schen Transzendentalienkritik, daß also jede beliebige "Natur" oder Bestimmung "wesentlich ein Seiendes" ist; und das heißt, daß die Bestimmung 'Seiendes' nicht s e p a r a t , sondern in i h r e r bedingenden Funktion für alle anderen Bestimmungen gedacht werden m u ß . [ 2 ] Ohne das ausdrücklich zu sagen, korrigiert Thomas auf diese Weise die im Kontext der Beweistheorie entstandene Auffassung, der Regressus in den Bedingungen wissenschaftlicher Sätze und Sachbestimmungen führe auf ein logisch unmittelbares und e b e n so an ihm selbst gewisses Prinzip, von dem man deshalb wie von etwas Selbständigem d u r c h Verbindung mit anderen Vorstel lungen - denen dadurch allerdings auch eine Art Prinzipienrolle zufiele - zu dem von dem Prinzip Abhängigen übergehen könn t e . Als ein Früheres gegenüber dem d u r c h es Begründeten läßt ein Prinzip im aristotelischen Sinn nicht n u r keinen weiteren Regressus auf seine Bedingungen mehr zu, sondern soll auch von dem ihm Nachgeordneten, dessen Grund es i s t , unabhängig sein. Denn andernfalls wäre es selber d u r c h solches bedingt, das seinerseits d u r c h e s , das Prinzip begründet sein soll, so daß sich ein zyklisches Bedingungsverhältnis e r g ä b e , das eine eindeutige Festlegung der Funktion des Prinzips auf einen Ge genstand und der Funktion des Begründeten auf einen anderen nicht mehr e r l a u b t . [ 3 ] Daß Thomas die Verselbständigung des Prinzips gegenüber dem d u r c h es Bedingten, also eine aus der bewußten Vermeidung der zyklischen S t r u k t u r resultierende Entwicklung, gerade anhand einer reinen Vernunftbedingung a priori faktisch rückgängig macht, das ermöglicht eine Erklä r u n g , welche Funktion das Frühersein von Prinzipien hat und weshalb man bei diesem Prinzipienbegriff nicht stehenbleiben kann.
1 2 3
Pot. VII 2 ad 9; In 5 Met. 1. 9, 889 Ver. I 1 Vgl. oben S.206f
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3. Noch einmal das Früher-Später-Schema: ein bloßes dungsmodell für die 'größten Gattungen Platons?
Anwen
In der alltäglichen oder wissenschaftlichen Erkenntnis geht es darum, einen bestimmten Gegenstand bzw. Zustand als Ursache und einen anderen als Wirkung oder einen partikulären Satz als Prämisse und einen anderen als Folgerung aus ihm - und einem weiteren - eindeutig zu bestimmen. Wenn diese Kennzeichnung im Dialog als verbindlich soll ausgewiesen werden können, dann müssen die jeweiligen Sätze und Gegenstände sich an ihnen selbst dazu qualifizieren, die allgemeine Funktion entweder des Bedingenden oder des Bedingten in dem Verhältnis zueinander unverwechselbar einzunehmen, eine Notwendigkeit, der Kant mit der Beziehung des Kausalitätsverhältnisses auf die Folge in der Zeit gemäß einer Regel g e n ü g t . [ 1 ] Statt - unhistorisch g e s p r o chen - diese Form reinen Aufeinanderfolgens den Gegenständen der Erkenntnis als dasjenige zugrunde zu legen, das sie dem gerichteten Verhältnis Bedingung - Bedingtes durchgängig g e mäß macht, gibt Aristoteles die Charakteristik als Früheres einerseits und Späteres andererseits als Regel für all die Paare von Gegenständen oder Sätzen a n , die objektiv in einem Be dingungsverhältnis zueinander stehen sollen, eine Regel, die viel weiter gehende Folgen als die kantische für den Begriff der beiden Extreme nach sich zieht: Bei der Erforschung eines Naturprozesses auf seine Kausalität hin oder überhaupt bei der wissenschaftlichen Begründung b e stimmter partikulärer Sachverhalte wird das allgemeine Bedin g u n g s v e r h ä l t n i s , in dem die beiden Extreme übereinkommen, als etwas Selbstverständliches unthematisch v o r a u s g e s e t z t . Das heißt, bei der eindeutigen Identifizierung des einen Satzes als Grund und des anderen als Begründetes kommt es allein auf ihren Unterschied an. Deshalb wirkt sich die Asymmetrie, die das gerichtete Bedingungsverhältnis - abgesehen davon, daß es als Relation überhaupt symmetrisch ist - auch kennzeichnet, auf die Regel, nach der sich Sätze zu je einem der beiden Extreme qualifizieren können, vor allem in der Entgegensetzung der Kri terien a u s . Was für etwas anderes Prämisse sein soll, darf nicht auch aus ihm folgen, d . h . auf es angewiesen sein, und was aus einem anderen folgt, darf es nicht ebensogut auch entbehren können. Zwar wird die selbstverständliche affirmative Beziehung der beiden Extreme noch in den Termini Prämisse - Schlußfol g e r u n g oder Grund - Begründetes aufbewahrt. Die thematische 1
KrV 233-240. Wie schon im Zusammenhang mit der These, die quantitativ bestimmte Materie fungiere als Individuationsprinzip ( s . oben 2 . k a p . , 3 . b ) - c ) ) , wird auch hier an der Grundlegung des Substanzbegriffs die Schlüsselfunktion deutlich, die Kants transzendentale Ästhetik für eine s y s t e matische Überwindung von zentralen Schwierigkeiten der a r i stotelischen Prinzipientheorie haben k a n n .
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Intention beim Einordnen bestimmter Sätze und Sachverhalte in das Bedingungsverhältnis richtet sich aber darauf, ob der eine als das jeweilige Frühere von dem anderen unabhängig sein bzw. gebilligt werden k a n n , während der andere als das e n t sprechende Spätere n u r u n t e r der Voraussetzung jenes ersten möglich, also ganz auf ihn angewiesen i s t . So, wie die aristotelische Prinzipientheorie das Substanz-Akzi dens-Verhältnis - und wohl auch das Akt-Potenz-Verhältnis entwickelt, erfüllt sie die auch noch von Kant wahrgenommene Aufgabe, Kriterien für die Anwendung der apriorischen Bedin gungsrelation auf je besondere Gegenstände der Erkenntnis an zugeben, also - im kantischen Sinn - die objektive Realität des Kausalitätsbegriffs ihren Bedingungen nach darzustellen. [ 1] Im Unterschied zu der wirklichen Anwendung des reinen Verstan desbegriffs der Kausalität auf besondere Gegenstände in den Wissenschaften bestimmt die philosophische Betrachtung nicht einfach etwas als Grund und etwas anderes als Begründetes, sondern reflektiert auf dieses Bestimmen. Und dazu gehört nicht n u r die Ausarbeitung von Anwendungsregeln mit ihren systematischen Konsequenzen, sondern als ein Auf-sich-selbstZurückkommen des wissenschaftlichen Erkennens thematisiert die philosophische Reflexion auch die intellektuelle Bewegung des Begründens selbst, die der Wissenschaftler n u r unthematisch vollzieht. Wie Wieland im Hinblick auf Aristoteles betont, wird dabei der Charakter der Kausalität, ein Verhältnis und - bloß als solches genommen - eine symmetrische Relation zu sein, im Sinn der Anamnesistheorie als etwas schon Beanspruchtes aller erst entdeckt. Denn die Reflexion hebt an der Bestimmung von etwas als Grund vor allem h e r v o r , daß es so n u r mit Beziehung auf sein Begründetes und nicht für sich separat aufgefaßt wird. Reflektierend erinnert sich das Bewußtsein an d a s , was es im wissenschaftlichen Umgang mit bestimmten Kausalitätsverhält nissen v e r g e s s e n , a b e r , als selber es vollziehend, nicht v e r loren h a t , daß nämlich die Bestimmung von etwas zum Prinzip die Frage der Vernunft nach der Begründung eines anderen v o r a u s s e t z t . [2] Nur um der Beantwortung dieser Frage willen wird etwas, das den jeweils aufgestellten Kriterien von Prinzipialität e n t s p r i c h t , als Grund für das ' u n s ' zuvor schon Be kannte a n e r k a n n t , dessen Begriff damit von dem Vorverständ n i s , daß es ein zu Begründendes überhaupt sei, zu der Er kenntnis konkretisiert wird, daß es aus diesem bestimmten Grund r e s u l t i e r t . Die philosophische Reflexion auf Kausalität v e r s t e h t also den Grund ebenso wie das Begründete als ein 1 2
Avicenna nennt die Kausalität neben Identität, Einheit und Vielheit als transzendentale Bestimmung, s . z . B . Log. I, f. 2 ra; v g l . bei Aristoteles Met. Ζ 16, 1040 b 16-19. Vgl. oben Erster Teil, .., 2.
429 Moment der Erkenntnisbewegung, die die Relation des Bedingens in ihre Extreme entwickelt. Sie kann im Hinblick auf die kom plexe Einheit dieser Relation sagen, daß auch der Grund durch das Begründete bedingt ist, weil er als Grund nur für es ge dacht werden kann und im Falle einer bestimmten wissenschaft lichen Begründungsfrage auch mit der Vorgabe gesucht wird, daß er die Begründung eines bestimmten schon Bekannten nach empirischen und logischen Regeln leisten muß. Doch wird mit dem Hinweis auf die Wechselseitigkeit des Be dingungsverhältnisses, das die Kausalität als von der Vernunft vollzogene Relation ausmacht, nicht der von Aristoteles ausge schlossene Zirkel im Begründungsverfahren wieder eingeführt. Denn die Reflexion auf den relationalen Charakter der Kausalität ist nur so lange sinnvoll, als sie ihr Ergebnis gegenüber ihrem Ausgangspunkt nicht v e r s e l b s t ä n d i g t . Das bedeutet, daß sie über der rein relationalen Gedankenbewegung des B e g r ü n d e n s , innerhalb derer beide Extreme gleichermaßen aufeinander v e r weisen, die Intention dieses Gedankens nicht vergessen darf, die auf ein einsinniges Bedingtsein des Begründeten durch das Prinzip g e h t . Denn ein solches Vergessen höbe mit dem inten tionalen Charakter des Gegenstandes der Reflexion auch sie selbst als Reflexion auf und machte sie zu einem unmittelbar sachbezogenen Gedanken. Es ist also für die Reflexion wesent lich, daß sie sich nicht gleichsam an die Stelle des kausalen, asymmetrischen Bestimmens von besonderen Gegenständen und Urteilen und des Aufstellens von Subsumtionsbedingungen dafür setzt, sondern sich geradezu diese unmittelbare Vernunfttätig keit als ihr Thema erhält. Deshalb greift die Überlegung, daß das Prinzip als ein Moment der Bedingungsrelation - außer durch dieses ganze Verhältnis selber - auch durch das Be gründete als sein Entgegengesetztes bedingt i s t , nicht in das unmittelbare Bestimmen besonderer Gegenstände gemäß einer eindeutigen Verteilung der Prädikate 'Grund und egründetes' ein und stört nicht die von Aristoteles durchgesetzte Linearität der Begründungsreihen, wie sie der Asymmetrie oder Gerichtetheit des Kausalitätsverhältnisses e n t s p r i c h t . [ 1] 1
Daß sich die wissenstheoretische Reflexion mit dieser Ab grenzung nicht b e g n ü g e n , sondern sie n u r als eine erste Klärung der S t r u k t u r von Kausalität betrachten k a n n , das zeigt sich an dem oben (S.177f) schon erwähnten Text, in dem Aristoteles den Wesensbegriff des Feuers von seinem Elementsein - für anderes - bloß unterscheidet (Met. I 1, 1052 b 9-14). Ein Element zu sein, d . h . etwas einem anderen Innewohnendes zu sein, aus dem dieses zweite i s t , das kann nicht den Sinn der Bezeichnung 'Feuer' ausmachen. Indem Aristoteles daraus schließt, daß der - schon an ihr selbst wesentlich bestimmten - Natur 'Feuer' das Elementsein bloß zukommt, trennt er solches, das sich - nach welchen Krite-
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Mit einer solchen Bestätigung wissenstheoretischer Modelle von Begründungsverfahren - wie etwa des aristotelischen Modells ist der Anspruch, das alltägliche und wissenschaftliche Selbst bewußtsein durch Aufklärung zu revolutionieren, wie Platon ihn mit der philosophischen Reflexion verbunden hat, nicht aufge geben. Die Reflexion erkennt als eine Notwendigkeit wissen schaftlichen und gewöhnlich empirischen Ordnens an, daß beim Unterscheiden des einen besonderen Gegenstands als des Grun des von dem a n d e r e n , seiner Folge, der relationale Charakter der Kausalität übersehen oder vergessen wird. Trotzdem rela tiviert dieselbe Reflexion das Realitätsverständnis des natürli chen Bewußtseins, das die Wissenschaften im Grundsätzlichen übernehmen. Denn sie weist auf die Abhängigkeit objektiver Kausalität von dem Vorentwurf der Vernunft hin, die mit d e r Frage nach dem Grund eines Sachverhalts dessen unmittelbares Gegebensein aufhebt und ihn als ihrer Form logischer Vermitt lung durch Beziehung auf ein anderes entsprechend ansieht. Dieselbe Reflexion löst auch den Anschein auf, daß d e r Prin zipienbegriff in der Angabe von Kriterien für all d a s , was sich zum Prinzip soll qualifizieren können, aufgehen könnte, indem sie das wirkliche Bestimmen besonderer Prinzipien gemäß diesen Kriterien als eine Gedankenbewegung v e r s t e h t , die auf das j e weilige Begründete nicht verzichten k a n n , sein Prinzip also auf es relativiert. Die platonische Konzeption der 'größten Gattungen macht diese nicht zu Prinzipien im Sinn selbständiger F r ü h e r e r , sondern b e rien auch immer - eindeutig zum Begründen von anderem in der Form des Elementseins qualifiziert, seinem Wesensbegriff nach von dieser Funktion. So verhindert e r , daß die reflexiv erkennbare Bedingtheit des Grundes durch sein Begründen dem begründenden Element 'Feuer' an ihm selbst zuerkannt wird und insbesondere seine Eignung beeinträchtigt, sich durch Unabhängigkeit eindeutig als Grund für das aus ihm Bestehende auszuweisen. - Bedenken gegen diese Konstruk tion ergeben sich - ganz immanent aristotelisch - aus der Stellung der Wesensbegriffe im Beweis. Wie es im ersten Ka pitel von De anima (402 b 26ff) heißt, haben Definitionen als sinnlos zu gelten, wenn man aus ihnen nicht die Eigenschaf ten des Definierten erkennen k a n n . Auch wenn Aristoteles im Kontext der Zweiten Analytiken auf der Unmittelbarkeit e r ster Beweisprämissen - hinsichtlich i h r e r logischen Form und i h r e r Erkenntnisweise - insistiert, gibt es keinen Zweifel d a r a n , daß er damit die abschließende Vermittlung der a b geleiteten wissenschaftlichen Sätze sichern will. In ihrem genuinen wissenstheoretischen Zusammenhang sind die We sensbegriffe also nicht von ihrer Begründungsfunktion zu t r e n n e n , was sich in jedem Einzelfall auch auf die inhaltliche Bestimmtheit einer 'Natur' wie Feuer auswirken muß.
431 greift sie in i h r e r synthetischen Funktion für besondere Sach bestimmungen. Platon hat a b e r , soweit ich s e h e , den damit g e schaffenen theoretischen Raum für eine Aufstellung von Anwen dungskriterien selber nicht ausgefüllt, sondern ihn für Aristoteles' Modell und andere gleichsam freigelassen. Sofern Aristoteles' Untersuchung all d e s s e n , von dem Sein und Einheit a u s gesagt werden können, also aller prädikativen Bestimmungen, auf ein allgemeines Bedingungsverhältnis abzielt, das alles Be stimmte in einen Typ von Prinzip, selbständiges Früheres - i n s besondere die Substanz - , und verschiedene Typen von Be gründetem, abhängiges Nachgeordnetes - insbesondere die Akzi denzen - , gliedert, s t r u k t u r i e r t sie die Verwendung der plato nischen Allgemeinbestimmungen (koina) 'Sein' und 'Einheit' nach Grund und Folge und gibt zugleich Kriterien dafür a n , welcher Typ von Gegenstand einen anderen im Sein und in der Einheit begründen kann und welche Typen in diesen transzendentalen Hinsichten als begründet zu betrachten sind. Wie schon die von Platon genannten Gesichtspunkte, u n t e r denen man etwas auf etwas anderes beziehen k a n n , Differenzen enthalten - z . B . Sein - Nichtsein, Einheit - Vielheit, Identität - Verschieden heit - , so arbeitet Aristoteles Bedingungen a u s , denen p a r t i k u läre Gegenstände genügen müssen, um als ein Extrem einer pla tonischen Synthesisbeziehung einem je spezifischen anderen ent gegengesetzt, in diesem Verhältnis aber zugleich mit seinem Korrelat zu einer komplexen Einheit v e r b u n d e n zu werden. Die These, Platons Theorie der 'größten Gattungen werde mit der aristotelischen Prinzipientheorie n u r um einen Traktat ü b e r ihre Anwendung e r g ä n z t , entspricht gewiß nicht Aristoteles' Selbstverständnis, das sich in seiner direkten Piatonismuskritik ä u ß e r t . Schon eher wird die These durch Aristoteles' Interesse g e s t ü t z t , die platonischen Prinzipien 'Sein' und 'Einheit' nach einer platonischen Regel d u r c h dasjenige in der Reihe der b e stimmten Seienden und Einen zu e r s e t z e n , das seinem Typ nach gegenüber anderen ein unabhängiges Früheres i s t . [ l ] In diesem Kontext macht Aristoteles die Funktion seines neuen Prinzipien begriffs deutlich, das im prägnanten Sinn e r s t e Glied in der Reihe all der Charakteristiken zu bezeichnen, die überhaupt eine Prädikation von Sein und Einheit rechtfertigen, die also Anwendungsbedingungen für 'größte Gattungen' genannt werden können. [2] Selbstverständlich müßte die Ergiebigkeit dieser Interpretationshypothese an weiteren aristotelischen Begriffs analysen, insbesondere im fünften Buch der Metaphysik, e r probt werden. Wenn man auch mit der Unterscheidung von Transzendentalien und ihren Anwendungsprinzipien weder den aristotelischen Prinzipienbegriff noch Aristoteles' Wendung g e gen Platon gleichsam aus einer Formel erklären kann, so könnte 1 2
Vgl. oben S.172f Met. Γ2, 1003 b 5-10
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man doch aufgrund dieses Interpretationsansatzes einen Dissens zwischen Platon und Aristoteles u n t e r anderem auch aus einer Veränderung in der Fragestellung und insofern als n u r schein baren Dissens v e r s t e h e n . 4. Thomas' Relativierung der Definitionslogik: durch immanente Einschränkung von Sein
Begriffsbildung
Thomas' Reflexion auf die bedingende Funktion der Bestimmung 'Seiendes', wie sie der erste Artikel von De veritate enthält, setzt im Rahmen des aristotelischen Modells für besondere wis senschaftliche Begründungen a n , wenn sie 'Seiendes' als den ur sprünglichen und deshalb bekanntesten Gedanken kennzeichnet, bei dem alle Begriffsanalyse ihr Ende findet. Die Unabhängig keit des Prinzips gegenüber dem durch es Begründeten, die das aristotelische Modell als Unterscheidungskriterium für mögliche Prinzipien vorschlägt, bezeichnet Thomas mit der u r s p r ü n g l i chen Bekanntheit als erfüllt. Denn ein solches ursprüngliches Verstehen ist gerade so wie die mit ihm gleichgestellte Einsicht in Beweisprinzipien, die d u r c h sie selbst schon d e r Vernunft bekannt sind, seinem Begriff nach auf keine Vermittlung durch andere Gedanken angewiesen. Mit dieser generellen These der Selbständigkeit wird die Bestimmung 'Seiendes' wie alle Prinzi pien im aristotelischen Verstande implizit auch für unabhängig von der Reihe von Bestimmungen e r k l ä r t , die die Begriffsana lyse durchläuft, bevor sie bei dem Gedanken von Seiendem ü b e r h a u p t endet; und d a s , obwohl 'Seiendes' sonst ausdrücklich eine allgemeine, also auf Vieles bezogene Vorstellung genannt wird (ens commune). Die Unmittelbarkeit eines aristotelischen Prinzips wird gleichermaßen in der logischen Einfachheit d e r Bestimmung 'Seiendes' wie in der Ursprünglichkeit ihres Bewußt-seins verwirklicht. Dabei wird auch die philosophische Reflexion, die beliebige Bestimmungen auf ihre einfachsten b e grifflichen Bedingungen hin analysiert, in i h r e r bedingenden Funktion für ihr Resultat, die Auszeichnung der Transzenden talien und des Seienden überhaupt als Bestimmungen alles Denkbaren, nicht a n e r k a n n t . Aristoteles spricht transzendentalen Bestimmungen die Eignung a b , Prinzipien einer Begriffanalyse nach dem Muster logischer Genera zu sein, d . h . ihrerseits allenfalls durch allgemeinere Bestimmungen, aber ganz unabhängig von i h r e r analytischen Funktion für die besonderen in ihrer Bedeutung identifiziert zu werden. Damit, so kann man jetzt sagen, ist eher die Untauglichkeit der Kriterien für die Anwendung des Prinzipienbegriffs auf besondere Gegenstände e r k a n n t , auch reinen Verstandesbe griffen wie den Transzendentalien Bedingungen vorzuschreiben, insbesondere ihr Verhältnis zu besonderen Sachbestimmungen festzulegen. Thomas zieht aus dem aristotelischen Argument die unmittelbare Konsequenz, daß die Transzendentalien - im Unter-
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schied zu den Genera des dihairetischen Schemas - keinem ande ren Gedachten je äußerlich sein, sondern gleichsam alle meine Vorstellungen müssen begleiten k ö n n e n . [ 1 ] Er stellt damit für den Begriff vom Allgemeinen, der sich sonst ausschließlich an den Bestimmungen der aristotelischen Begriffslogik ü b e r Genus und Species orientieren k a n n , einen zusätzlichen Fall auf, in dem das Allgemeine nicht mehr aus Gründen seiner Eindeutigkeit dagegen gleichgültig i s t , durch welche Differenzen es zu wel chem Besonderen konkretisiert wird. Vielmehr charakterisiert Thomas das logische Verhältnis eines transzendental Allgemeinen zu solchem, das ihm gegenüber in dem Modell einer Begriffsbildung durch Synthesis (via compositionis) als ein Zusatz (additio) erscheinen muß, d a d u r c h , daß dieses nicht von außen differenzierende Moment eine Weise des Allgemeinen, hier des Seienden, a u s d r ü c k e , die in dessen Be griffswort noch nicht ausgedrückt sei, oder daß es das Allge meine durch einen solchen Modus seiner selbst (des Allgemei nen) einschränke und bestimme. [2] So wird die Vorstellung 1
Die Ausdehnung dieser bedingenden Funktion auf alle T r a n szendentalien enthält ihr Begriff, sie seien Modi, die allge mein jeglichem folgten, s . Ver. I 1; v g l . Pot. IX 7 ad ea quae in o p p . ; Virt.comm. 2 ad 8; I—II 55, 4 ad 1 2 Zum Begriff der Einschränkung (contractio) s . die Parallel stelle Ver. XXI 1, die allerdings das Verhältnis der Genera zu ihren Species gleichfalls als contractio des Allgemeinen darstellt. Anhand desselben Beispiels, dem Verhältnis des Genus Lebewesen' zu der Species 'Mensch', kehrt Pot. III 16 ad 4 dagegen wieder die Äußerlichkeit der formallogischen Differenzen gegenüber ihren Genera h e r v o r , während es zur Erläuterung des Einschränkungsbegriffs in Ver. XXI 1 heißt, auch das besondernde Moment, die Rationalität des Men schen, sei "implizit und gleichsam potentiell im Begriff des Lebewesens enthalten". Dieses Schwanken in der Abgrenzung der Logik spezieller Definitionen von der Logik der T r a n szendentalien dürfte jedoch nicht ausreichen, um die These zu b e g r ü n d e n , Thomas habe das von Aristoteles aufgedeckte Problem für ein bloß scheinbares gehalten. Eine andere Unklarheit lassen beide Texte (Ver. I 1 u . Ver. XXI 1) hinsichtlich des Geltungsbereichs dieses Begriffs von immanenter Differenzierung der Transzendentalien. Ver. I 1 geht davon a u s , daß alle Bestimmungen überhaupt durch Hinzufügung zu dem ersten einfachen Gedanken 'Seiendes' gebildet werden müssen, daß jedoch jegliche ' N a t u r ' , mit der 'Seiendes' eine Synthese eingehen k ö n n t e , schon wesentlich ein Seiendes i s t . Dann aber fährt dieser Text wie Ver. XXI 1 fort, manches sei in dem Sinn ein Zusatz zum Seienden ü b e r h a u p t ' , daß es einen speziellen oder generellen Modus seiner a u s d r ü c k e . Offensichtlich wechselt der Text damit von
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zurückgewiesen, die sich leicht mit Formulierungen wie 'Hinzufügung' - wenn auch nicht von außen - und 'Begleiten' v e r b i n den k a n n , daß nämlich die Allgemeinheit der Transzendentalien in ihrer universellen Verknüpfbarkeit mit beliebigen besonderen Bestimmungen b e s t e h e , in einer Charakteristik also bloß der Transzendentalien, aus der für den Begriff aller anderen Be stimmungen nichts folgen würde, Wenn dagegen die Kategorien als die allgemeinsten derjenigen Bestimmungen, die nicht von jedem Denkbaren gelten, und vermittelst der Kategorien alle ihnen logisch nachgeordneten Bestimmungen als jeweils spezielle Seinsweisen aufgefaßt werden, dann ist damit ein Versuch u n ternommen, die umfassende Prädizierbarkeit der Bestimmung 'Seiendes' ihren Subjekten gleichsam immanent zu machen, diese Subjekte aus der Perspektive des transzendentalen Prädikats neu zu begreifen. Dieser Ansatz zu einer Logik der Transzendentalien setzt den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, den die Definitionslogik e r h e b t , deutlich außer Kraft. Weil dadurch mit dem Seinsbegriff auch nach Thomas' eigenem Verständnis ein Prinzip betroffen i s t , von dem die Möglichkeit gewisser Erkenntnis ursprünglich der Betrachtung des Verhältnisses aller Bestimmungen zu der Bestimmung 'Seiendes' über zur Unterscheidung des Verhält nisses von Kategorien und Transzendentalien zum Seinsbe griff. Weil das Verhältnis der u n t e r die Kategorien zu s u b sumierenden Bestimmungen zu ihrem "wesentlichen" Moment, ein Seiendes zu sein, dabei offenbleibt, könnte man vermu t e n , diese Beziehung falle für Thomas nach wie vor u n t e r die Definitionslogik, die modale, immanente Differenzierung des Seienden bringe ausschließlich Kategorien und Transzen dentalien h e r v o r . Damit würde aber der Bereich aller Na t u r e n ' , die nicht so einfach wie die Seinsbestimmung sind, in zwei Gruppen geteilt, in wenige Bestimmungen, die unmit telbar ein Seiendes, d . h . Ausdrücke von Seinsweisen sind, und alle a n d e r e n , die n u r vermittelst d e r Kategorien auf die Bestimmung 'Seiendes' bezogen wären, und das heißt, auch vermittelst Definitionen. Die Ausgangsthese, daß jegliche 'Natur' - unterschiedslos - wesentlich ein Seiendes i s t , wür de so zusammen mit der Einführung von äußerlichen Diffe renzen wieder ungültig, wenn die über die Kategorien hin ausgehende Besonderung des Seienden wieder nach dem Mo dell der Definitionen, in das die Kategorien p a s s e n , zu d e n ken wäre. Zwar können die Kategorien als ein Zwischen schritt in dem gedachten Besonderungsprozeß gemeint sein. Das aber ist im Kontext n u r widerspruchsfrei, wenn auch die Differenzierung speziellerer Seinsmodi wie Lebendigsein zum Beispiel (vgl. In 5 Div. nom. 1. 1, 614f) nicht d u r c h äußere Zusätze nach dem Definitionsmodell, sondern durch weitere Einschränkung eines kategorialen Seinsmodus vollzogen wird.
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a b h ä n g t , könnte man auf der Grundlage des referierten Textes einen Vorbegriff seiner systematischen Implikationen zu gewin nen suchen, um seinen Beitrag zur Kritik des aristotelischen Prinzipienbegriffs zu präzisieren. Gegen ein solches Vorhaben spricht nicht n u r die geringe Aussicht, in Thomas' übrigem Werk gewichtige Bestätigungen dafür zu finden, daß die Über legungen zu einer alternativen Logik der Transzendentalien etwa auch faktisch Konsequenzen h ä t t e n . Der Text im ersten Artikel von De veritate veranlaßt selbst dazu, seine systematische Re levanz mit Einschränkungen zu beurteilen. Einerseits bezieht Thomas die Neubestimmung des logischen Verhältnisses von 'Seiendem' zu anderen Bestimmungen nicht auf die Begriffsanalyse zurück, die zu der schlechthin einfachen Bestimmung 'Seiendes' wie zu einem allgemeinsten Genus führen sollte. Er berücksichtigt auch nicht die wissenstheoretische Sei t e , die die Untrennbarkeit der Bestimmung 'Seiendes' von dem durch sie Bedingten ebensosehr h a t , daß also auch das Verste hen dieser Bestimmung nicht mehr als ein u r s p r ü n g l i c h e r , von der Vermittlung anderer ganz unabhängiger Gedanke angesehen werden k a n n . Thomas sieht also in der alternativen Logik des Seinsbegriffs keinen Anlaß, seinen Zugang zu ihm, der Sei endes 1 zu einem Prinzip im Sinn des aristotelischen Anwen dungsmodells der Kausalität macht, zu revidieren und die r e lationale Bedingtheit dieses Prinzips durch seine logische Funk tion für die analysierten Bestimmungen und durch die Gedan kenbewegung der Analyse selbst zur Geltung zu b r i n g e n . Der Gegensatz des Resultats seiner Überlegung zu deren Ausgangs punkt scheint für den Autor nicht deutlich oder nicht i n t e r e s sant zu sein. Andererseits führt Thomas auch nicht näher a u s , was es denn nun für alle beliebigen Sachbestimmungen b e d e u t e t , daß sie nicht n u r nach dem definitionslogischen Modell, sondern auch als Einschränkungen des Seienden überhaupt auf einen seiner Modi begriffen werden können. Vielmehr scheint dieser Gedanke für ihn n u r ein Zwischenschritt bei der Erklärung des Unter schieds der Transzendentalien, die er sämtlich als modale Be stimmungen eines jeglichen Seienden v e r s t e h t , von den Kate gorien zu sein, die eine derartige Abgrenzung spezieller Seins weisen oder Seinsstufen gegeneinander a u s d r ü c k e n , daß ein b e liebiges Objekt n u r einer von ihnen angehören k a n n . Auch die se Unterscheidung, insbesondere die Erweiterung derjenigen Prädikate, die von jeglichem aussagbar sind, um die anderen Transzendentalien außer der Bestimmung 'Seiendes', wird nicht prinzipiell, sondern n u r für die einzelnen transzendentalen Prä dikate b e g r ü n d e t . Daß ein generelles Argument die Einführung eines in dem referierten Text ganz vernachlässigten Gesichts punktes v e r l a n g t e , darauf gibt die schon zitierte Parallelstel let[1] einen indirekten Hinweis: Sie hebt die Transzendentalien 1
Ver. XXI 1
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als solche - nichtäußerlichen - Zusätze zum Seinsbegriff von den Kategorien a b , die keinen bestimmten, auf dem Wesen einer Sache beruhenden Seinsmodus ausdrücken - wie die Katego rien - , sondern eine bloß begriffliche Differenz. Zwar sagt Thomas wiederum nicht, wie sich die Entgegensetzung von sach lichen und n u r begrifflichen Zusätzen zu dem Ansatz bei dem 'Seienden' als einer Bestimmung all dessen verhält, was immer n u r gedacht werden k a n n . Aber er deutet doch a n , daß die Differenzierung des 'Seienden' in die Transzendentalienstruktur nicht von den Gegenständen h e r , wie sie an ihnen selbst gege ben zu sein scheinen, sondern aus der Art und Weise zu b e gründen i s t , wie d e r Verstand dieselben Gegenstände d e n k t . Als bloßer Nebenaspekt ergibt sich so im Zuge der Differenzie r u n g des Seinsbegriffs in die anderen Transzendentalien bei Thomas selbst derjenige thematische Rahmen, in dem alle t r a n szendentalen Bestimmungen, auch 'Seiendes' selbst, n u r adäquat e r ö r t e r t werden können, wenn Platons Einführung des T r a n szendentalienbegriffs sachliche Verbindlichkeit behalten soll. Daß die Transzendentalien Bestimmungen eines jeglichen Denk baren sind, die sich aus seiner Verknüpfbarkeit in Sätzen der sprachlich diskursiven Vernunft e r g e b e n , das macht Thomas auch nicht da explizit, wo er zwei Momente der Transzenden talien entwickelt, die - in Übereinstimmung mit seinem Begriff der Bestimmung 'Seiendes', sie werde ursprünglich gedacht am besten aufgrund dieser Vernunftfunktion aller Transzenden talien verstanden werden können: Ihre Immanenz nämlich g e genüber beliebigen besonderen Bestimmungen und ihre Unver träglichkeit mit der Definitionslogik, wenn diese auf sie selbst angewandt werden soll. Die These der Interpretation, die sich auf die Herkunft des Transzendentalienbegriffs und manche Bemerkungen ü b e r den Vernunftcharakter der Transzendentalien bei Thomas s t ü t z t , würde also lauten, daß Thomas bei der Behandlung des Ver hältnisses der Bestimmung 'Seiendes' zu allen anderen Bestim mungen selber nicht angemessen berücksichtigt, womit er es historisch und der Sache nach zu tun h a t . Der Sinn einer sol chen These könnte sich daran erweisen, daß sie einerseits Schwierigkeiten, die Thomas' Abhandlung ü b e r den Seinsbegriff mit sich b r i n g t , verständlich machen und ihre Lösung d u r c h Reflexion auf die Vernunftfunktion der Transzendentalien a n zeigen kann und daß sie sich andererseits dabei auch auf einen anderen Ansatz bei Thomas selbst berufen k a n n . In dem zweiten Aspekt, u n t e r dem der Transzendentalienbegriff im letzten Ka pitel betrachtet werden soll, in der Frage nämlich nach dem Prinzip von Unterscheidungen ü b e r h a u p t , dürfte ein solcher Anhaltspunkt zu finden sein.
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5. Die Grenze in Thomas' Reflexion auf die Logik des Seinsbe griffs: Fehlen einer alternativen Vernunftform für spezielle Sachbestimmungen und für das Nichtsein Eine Schwierigkeit, so kann man annehmen, ergibt sich schon aus der von Thomas nicht ausgeführten Frage, was für die Ka tegorien und die u n t e r sie zu subsumierenden besonderen Be stimmungen ihr neu gewonnener Begriff bedeuten k a n n , s p e zielle Ausdrücke des Seinsbegriffs zu sein. Denn solange diese Frage in der aristotelischen Tradition fixiert auf die Ausdrücke 'Sein' und 'Seiendes' gestellt wird, bietet sich als Ausgangs punkt für eine Beantwortung keine andere Auslegung von Sein als die mit der Kategorienlehre gegebene an. Wenn auch Thomas das mit 'Sein' Gemeinte gelegentlich anders umschreibt, etwa mit 'Aktualität' oder mit 'Bestehen', so enthalten die mit solchen Formulierungen verbindbaren Vorstellungen von wirklichen Er fahrungsgegenständen doch keine Anleitung dafür, wie man b e liebige Gegenstandsbestimmungen - sofern sie als spezielle Aus drücke von Seiendem überhaupt gedacht werden sollen - u n t e r einer anderen logischen Form als der aristotelischen Definitions logik begreifen k a n n . Gerade eine solche Alternative ist aber in der Rede von der Einschränkung des Seienden überhaupt auf besondere Seinsweisen impliziert, weil der ganze Gedanke d a r aus r e s u l t i e r t , daß die Definitionslogik auf das Verhältnis der Bestimmung 'Seiendes' zu beliebigen anderen nicht angewandt werden k a n n . Weil die Auslegung von Sein überhaupt und die logische S t r u k t u r von besonderen Seienden durch den Katego rienbegriff und das Definitionsmodell gleichsam besetzt sind, ist es nicht verwunderlich, daß Thomas die Idee, die allgemeine Bestimmung 'Seiendes' müsse anders als durch Definitionen in alle Bestimmungen differenziert werden, unausgearbeitet gelas sen h a t . Interpretierend kann man jedoch Thomas' Konzeption der Be stimmung 'Seiendes' als des ursprünglichen und unbegrenzbaren Gedankens wie einen nichtintendierten Verweis auf die s p r a c h liche Vernunftform aller Erkenntnisgegenstände lesen und davon ausgehen, daß diese Form ganz allgemein der Satz i s t . Aus die ser Perspektive ist es leicht zu v e r s t e h e n , daß die Bedingtheit alles Denkbaren durch die logische Form des Satzes nicht mit einem logischen Modell, dem d e r Definition, dargestellt werden k a n n , das ausdrücklich für aus dem Satzzusammenhang isolierte Bestimmungen gedacht ist und von den relationalen Bedingungen der Aussage, etwa den Transzendentalien, um der Eindeutigkeit von Bedeutungen willen a b s t r a h i e r t . [ 1] Der Notwendigkeit, das Verhältnis des Seinsbegriffs zu allen anderen Bestimmungen durch Rekurs auf die Aussagefunktion von 'Sein' zu e r k l ä r e n , 1
Vgl. dazu oben S.166
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kommt Thomas selbst im Metaphysikkommentar am n ä c h s t e n : [ 1 ] Wenn die Bestimmung 'Seiendes 1 nicht wie ein Genus durch eine ihr äußerliche Differenz auf etwas Bestimmtes eingeschränkt werden k a n n , weil, was außerhalb des Seienden i s t , n u r nichts sein k a n n , dann muß 'das Seiende' auf verschiedene Genera entsprechend den verschiedenen Prädikationsweisen einge schränkt werden. In der Folge erklärt Thomas auch die zehn Kategorien am Leitfaden des Verhältnisses von Prädikaten zu ihren Subjekten, aber ganz in Übereinstimmung mit dem aristo telischen Kategorienbegriff dient ihm die Relationalität des Ur teils n u r als eine Art theoretisches Vehikel dafür, die höchsten Gattungen der Prädikate nach gegenständlichen Verhältnissen des Innerhalb und Außerhalb festzulegen, ohne daß die s y n t h e tische Form des Urteils, die zugleich die Differenzierung des Verbundenen enthält, ü b e r h a u p t thematisiert würde. [2] Daß es nicht um die Form der Aussage als einen eigenen Ge genstand der Reflexion, sondern n u r um das unmittelbar mit Aussagen Gemeinte g e h t , wird besonders daran deutlich, daß eine Gattung wie 'Lebewesen' von einem Fall i h r e r Art, z . B . Sokrates, als etwas mit ihm Identisches aussagbar sein soll, weil dieses Subjekt nichts gegenständlich anderes als die Gattung, sondern n u r der Fall i h r e r Species i s t . Im Hinblick auf diese Identität kann wohl die Substanzkategorie von allen anderen abgegrenzt werden, daß aber der urteilende Verstand allemal das Prädikat als seine subjektive Vorstellung von der mit dem Subjekt gemeinten Sache unterscheidet und zugleich in der Af firmation oder Negation beide Urteilsmomente als eine Einheit oder ein Identisches e r k e n n t , [ 3 ] von dieser Form der Aussage als eines sprachlich-logischen Gegenstands ist im Zusammen hang mit der modalen Differenzierung des Seins durch die P r ä dikationsweisen nicht die Rede. Daß dem Rekurs auf die Prädi kation n u r eine Art Hilfsfunktion bei der Ermittlung der höch sten Gattungen von Gegenständen zukommt, kann man auch aus Thomas' Zusatz entnehmen, die Prädikationsweisen, nach denen 'Seiendes' auf verschiedene Genera eingeschränkt werden müs s e , folgten verschiedenen Seinsweisen, weil in all den Modi, in denen etwas prädiziert werde, bedeutet werde, daß etwas in dem jeweils entsprechenden Modus i s t . [ 4 ] Was es aber heißt, in einem bestimmten Modus zu sein, erklärt der folgende Text nicht von dem h e r , was man mit dem betont verbalen Ausdruck 'sein' - im Unterschied zum nominal gedachten Seienden - meint, sondern mit den allgemeinen Bedeutungen der (nominalen) Prä dikate wie Substanz, Qualität und Quantität, also mit den Kate gorien . 1 2 3 4
In 5 Met. 1. 9, 889f Ebenda, 891f; v g l . oben Erster Teil, 1.Kap., 2 . In 6 Met. 1. 4, 1236 u . 1229 In 5 Met. 1. 9, 890
439 Auch der Text des Metaphysikkommentars geht also nicht d a r über hinaus, Sein als Inbegriff von Gegenstandsbestimmungen auszulegen, obwohl deren logische Form, definiert zu werden, den Seinsbegriff aus i h r e r Geltung gerade ausschließt, nicht n u r als Definiendum, sondern auch als Definiens. Weil Thomas n u r dieses Symptom der Differenz der allgemeinen Vernunftform von partikulären Erkenntnisgegenständen oder semantischen Einheiten e r k e n n t , fehlt ihm eine Reflexionsperspektive, aus der er die Definitionslogik grundsätzlich und nicht n u r in dem scheinbaren Sonderfall 'Seiendes' relativieren könnte. Weil er insbesondere im ersten Artikel von De veritate den Seinsbegriff n u r in der nominalen Form 'Seiendes' diskutiert, kann er nicht sagen, was das Ausdrücken von Seinsmodi, das anstelle der Hinzufügung äußerlicher Differenzen die Besonderung des All gemeinen 'Seiendes' ausmachen soll, im logischen Sinn heißt. Denn gerade für Nomina, die anders als Verben schon an ihnen selbst einen Gegenstand zu bedeuten scheinen, ist die Defini tionslogik entworfen. In welche Richtung eine Lösung dieser Schwierigkeit gehen würde, wenn sie die Rede vom 'Seienden ü b e r h a u p t ' als eine objektivierende Abbreviatur für die Funktion der Vernunft in Urteilen v e r s t e h t , das braucht n u r angedeutet zu werden: Er stens wäre die Immanenz des 'Seienden' gegenüber beliebigen Bestimmungen so zu begreifen, daß alles, was immer n u r g e dacht werden k a n n , seiner logischen Form nach schon auf seine Verknüpfung mit anderen Verben und Nomina in Sätzen bezogen i s t . Die Transzendentalientheorie sucht diese Form anhand eini ger Bestimmungsmomente zu konkretisieren, die jeglichem Ge dachten zukommen und keine inhaltlichen Differenzen des unmit telbar gemeinten Gegenstands, sondern seines Verstandsbegriffs a priori bedeuten sollen. Zweitens wäre die These, daß alle Bestimmungen durch modale Besonderung des 'Seienden' und nicht d u r c h Differenzenbildung im Sinn der aristotelischen Begriffslogik synthetisch gewonnen werden können, als das Programm einer Logik zu i n t e r p r e t i e r e n , die sich nicht n u r von dem mit sprachlichen Ausdrücken unmittelbar Gemeinten leiten läßt. Vielmehr würde sie auch auf die nicht intendierten Momente des Sprechens in Sätzen reflek tieren und sie als Momente auch des Gemeinten e r k e n n e n , die der unmittelbaren Intention bloß verborgen bleiben, so z . B . die Unterscheidung des Subjekts 'Sokrates' von seinem Prädikat 'Lebewesen', die im Begriff der aristotelischen Logik von We sensbestimmung keine Rolle s p i e l t . [ 1 ] Eine solche Logik, die die Implikationen der Satzförmigkeit alles Gedachten nicht n u r a b strakt aufstellt, sondern an Gedankenbestimmungen entwickelt, wird in dem Sinn von Platons Abhandlung über die 'größten Genera' oder Hegels 'Wissenschaft der Logik', die beide wie 1
Vgl. In 5 Met. 1. 9, 891
440
Thomas im ersten Artikel von De veritate vom Seinsbegriff a u s gehen, dialektisch sein. Eine zweite Schwierigkeit für Thomas' Begriff vom 'Seienden im Allgemeinen ist ebenso daraus zu e r k l ä r e n , daß er die Funktion dieser Bestimmung nicht beachtet, für die Beziehung alles Denk baren auf sprachliche Vernunft und seine daraus folgenden Be dingungen a priori zu s t e h e n . Das Problem wird an der Be g r ü n d u n g e r k e n n b a r , die zwar nicht der erste Artikel von De v e r i t a t e , wohl aber andere Stellen[l] für die These geben, dem 'Seienden im Allgemeinen könne nichts wie von außen oder mit einer dem Seienden fremden Natur als speciesbildende Differenz hinzugefügt werden. Dazu heißt es nämlich e r l ä u t e r n d , ä u ß e r lich gegenüber dem Seienden sei n u r das Nichtseiende, das we der Form noch Materie sein könne, oder, was außerhalb des Seienden sei, das sei nichts und könne keine Differenz sein. Auf diese Weise wird Sein als Positivität aufgefaßt und das Ne gative dem Seienden einfach entgegengesetzt, zugleich aber für nichtig e r k l ä r t . Unter dieser Voraussetzung muß die unumgängliche Verwendung der Negation für die Unterscheidung der Transzendentalien und Kategorien vom 'Seienden' ü b e r h a u p t einerseits und andererseits für die Differenzierung dieser Seinsmodi untereinander als ein dem Seienden an ihm selber ganz äußerliches und in sich nich tiges Tun erscheinen. Davon ist Thomas' Aussage betroffen, daß einige Bestimmungen - Kategorien und Transzendentalien in dem Sinn etwas zu der Bestimmung 'Seiendes' hinzusetzen, daß sie jeweils einen Modus i h r e r a u s d r ü c k e n , der mit dem Wort 'Seiendes' allein noch nicht ausgedrückt s e i . [ 2 ] Und seine Er klärung der Kategorien gebraucht die Negation ausdrücklich, um einmal die Relation als das Prädikat, das dem Subjekt nicht absolut, sondern mit Beziehung auf ein anderes zukommt, von Quantität und Qualität als den Prädikaten zu u n t e r s c h e i d e n , die von ihrem Subjekt absolut oder an ihm selbst gelten. Offen a u s gesprochen wird auch die Negation, wenn von der Lagebestim mung, bei der es auf die Anordnung der Teile an einem Ort ankommt, die bloße Ortsbestimmung abzuheben i s t , bei der nämlich die Anordnung der Teile gerade keine Rolle spielen soll.[3] Im übrigen enthalten auch Unterscheidungen wie die des Identischseins vom Inhärieren und beider wiederum vom Äußerlichsein unmittelbar Negationen, so daß Thomas' Erläu t e r u n g der Kategorien, die von diesen Bestimmungen a u s g e h t , de facto die Negativität der allgemeinsten Bedeutungen von Sein aufdeckt, die ganz unmittelbar auf positiv Seiendes oder wirk liche Gegenstände gehen sollen. Thomas kann also seinen Seins begriff n u r darlegen, indem er beständig Seiendes als bestimm1 2 3
Pot. VII 2 ad 9; In 5 Met. 1. 9, 889 Ver. I 1 In 5 Met. 1. 9, 892
441 tes Nichtseiendes a u s s p r i c h t , so Seiendes überhaupt als noch nicht der Ausdruck seiner Modi seiend und das im Sinn der einen Kategorie Seiende als etwas nicht gemäß der anderen Ka tegorie Seiendes. Mit der These, das Nichtseiende sei als ein ziges dem Seienden fremd, zugleich aber auch ein bloßes Nichts, spricht er dieser Praxis die theoretische Möglichkeit a b , wenn es richtig i s t , daß von jedem bestimmten Nichtseienden gelten muß, was über das Nichtseiende im Allgemeinen fest gesetzt wurde. Dieser Implikation und ihrer weiteren Konsequenz, daß Thomas seine eigene Analyse der Bestimmung 'Seiendest für unmöglich e r k l ä r t , kann man so lange nicht entgehen, als man 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' ausschließlich im logischen Verstand als all gemeine Bestimmungen b e t r a c h t e t , u n t e r die bestimmte Seiende und bestimmte Nichtseiende einfach zu subsumieren sind. Schon Aristoteles legt Thomas diese Auffassung n a h e , indem er einer seits die verschiedenen von den Vorsokratikern aufgestellten Prinzipien und überhaupt das von anderem Unabhängige - al lerdings n u r , um die Einheit der Ersten Philosophie zu b e g r ü n den - auf die transzendentalen Bestimmungen 'Einheit' und 'Vielheit' "wie auf Genera" zurückführt und andererseits ganz fraglos ein bestimmtes Nichtexistierendes, den berühmten 'Bockh i r s c h ' , als einen Beispielfall für 'Nichtseiendes' g e b r a u c h t . [ 1] Aufgrund eines Zusatzes der Übersetzung hält Thomas die Be stimmungen 'Seiendes' und 'Eines' für diejenigen, die für alle Prinzipien "eine Art Genera" sein sollen, und erklärt diese v o r sichtige Charakteristik, die die Untauglichkeit transzendentaler Bestimmungen zu Genera im Sinn der Definitionslogik zu b e r ü c k sichtigen s u c h t , mit der Allgemeinheit der Transzendentalien, die ihnen eine gewisse Ähnlichkeit mit Genera verleihe. [2] Daß das Seiende nicht durch eine ihm äußerliche Differenz b e sondert werden k a n n , aus dieser Abweichung vom logischen Schema folgert Thomas keine Modifikation des Sinnes von All gemeinheit, die man Transzendentalien zuspricht, gegenüber der Allgemeinheit gewöhnlicher Genera. Deshalb muß man annehmen, daß er das Verhältnis bestimmter Seiender zu der Bestimmung 'Seiendes' als eine einfache logische Subsumtion auffaßt. Wie Aristoteles bestätigt Thomas diese Verhältnisbestimmung implizit auch für 'das Nichtseiende', indem e r , was damit gemeint i s t , d u r c h bekanntermaßen nicht existierende Gegenstände illu s t r i e r t , [ 3 ] d a r ü b e r hinaus aber auch d a s , was Bestimmungen mit einer Negation, sogenannte 'unendliche Nomina' wie etwa 'Nichtmensch', bedeuten, allgemein als Nichtseiendes bezeich n e t . [4] Also gibt es keinen Anlaß für die Vermutung, Thomas 1 2 3 4
Met. 2, 1005 a 1f; A n . p o s t . B 7, 92 b 5-8 In 4 Met. 1. 4, 583 In 1 Perih. 1. 4, 48; v g l . In 2 An.post. 1. 6, 461 In 2 Perih. 1. 1, 207
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könne bestimmtes Nichtseiendes anders denn als einen je beson deren Fall von Nichtseiendem überhaupt ansehen und die Gel tung dessen, was er von dieser allgemeinen Bestimmung s a g t , für bestimmtes Nichtseiendes offen lassen oder sogar mit Grün den ausschließen. Vielmehr impliziert sein Gebrauch d e r Be stimmung *Nichtseiendes* als einer ebenso allgemeinen im kon ventionellen Sinn, wie er 'Seiendes' ausdrücklich als allgemein kennzeichnet, eine uneingeschränkte Geltung seiner These, al lein das Nichtseiende sei dem Seienden äußerlich, zugleich aber ein bloßes Nichts. Das heißt, daß sich die These auf jeden b e sonderen Fall von Nichtseiendem unmodifiziert bezieht u n d , konsequent angewandt, seine eigene Entwicklung des Seinsbe griffs im Hinblick darauf gegenstandslos macht, daß sie auf bestimmte Negationen angewiesen i s t . Daß sich diese Schwierigkeit aus Thomas' Begriff vom 'Seienden im Allgemein' e r g i b t , kann man besser v e r s t e h e n , wenn man ü b e r die logischen Verhältnisbestimmungen hinaus den von Tho mas vernachlässigten Erkenntniszusammenhang der t r a n s z e n d e n talen Bestimmungen beachtet. So, wie man die Bestimmung Sei endes' anhand von Thomas' Bemerkungen problem geschichtlich deuten k a n n , fungiert sie als Inbegriff all derjenigen Vernunft bedingungen a priori, u n t e r denen etwas ü b e r h a u p t sprachlich, d . h . in möglichen Sätzen, gedacht werden k a n n . Liest man den Terminus 'Seiendes* lediglich als objektivierenden Ausdruck - welche Objektivierung ursprünglich n u r im Satz vollzogen werden kann - für die ganze S t r u k t u r dieser Bedingungen, dann bereitet es keinerlei Schwierigkeiten, die Negativität jedes Denkbaren, d . h . seine Andersheit gegen beliebiges - dadurch a n d e r e , als ein Moment in diese S t r u k t u r aufzunehmen. Thomas selbst hat das implizit mit der transzendentalen Bestimmung *etwas anderes' (aliud quid) als Bezeichnung für die Unterschei dung (divisio) des einen vom andern g e t a n . [ 1 ] Zu der behaupteten Widersprüchlichkeit in den Konsequenzen von Thomas* Seinsbegriff kann es n u r dadurch kommen, daß die Bestimmung *Seiendes* über ihre Funktion als Inbegriff der transzendentalen Vernunftbedingungen hinaus allem Negativen - u n t e r dem Terminus *Nichtseiendes* - entgegengesetzt und so zu einer Bezeichnung für reine Positivität gemacht wird, ohne daß der Anspruch, mit *dem Seienden* alle transzendentalen Be stimmungen zu antizipieren, zugleich aufgegeben w ü r d e . Ähnlich wie der Vernunftbegriff der Kausalität bei Aristoteles durch die Disjunktion von selbständigem Früheren und abhängigem Nach geordneten weitgehend mit den Bedingungen seiner Anwendung auf Erfahrungsgegenstände besetzt wird, konkretisiert Thomas auch den transzendentalen Seinsbegriff durch ein bestimmtes Moment der transzendentalen S t r u k t u r und hält doch an d e r schlechthin umfassenden Bedeutung von *seiend* als dem Inbe griff der ganzen S t r u k t u r fest. Diese in sich widersprüchliche, 1
Ver. I 1
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weil uneingestandene Einschränkung des Sinnes von Sein auf reine Positivität, also auf das transzendentale Moment, daß von jeglichem Gedachten eine affirmative Aussage möglich sein muß, ist - im Sinn einer Interpretationshypothese - auf einen d o p pelten Gedankenschritt zurückzuführen: Erstens vereinigt jedes Verbum die grammatische Synthesis funk tion im Satz mit der Intention auf eine unabhängig von ihrem Vorgestelltwerden gültige Realität; abstrakt wird die Einheit dieser beiden Momente in 'Sein' als Kopula gedacht und mit 'seiend' auf die zu verknüpfenden Satzteile Subjekt und P r ä dikat bezogen.[1] Diese zweifache Funktion von Sein als Kopula legt es n a h e , die in der Bestimmung 'Seiendes 1 inbegriffen g e dachten Bedingungen der Verknüpfbarkeit oder Satzförmigkeit jedes Denkbaren reflektierend in dessen objektiver Gültigkeit b e g r ü n d e t zu sehen, wie man sie beim Sprechen eines Satzes mit der Kopula oder dem Verbum dem bloß subjektiven Abbilden bewußt entgegensetzt. Das b e d e u t e t , der Objektivität jedes sprachlich Denkbaren Vorrang vor seinen anderen t r a n s z e n d e n talen Bedingungen zu geben, also vor seiner Einheit als ein bestimmtes Etwas ( r e s ) , seiner Negativität oder Andersheit und seiner Übereinstimmung mit allem anderen in diesen S t r u k t u r momenten. Zweitens legt Thomas die mit der Bestimmung 'Seiendes' g e meinte Objektivität jedes Denkbaren als Gegebensein für eine mögliche Anschauung a u s , also im Sinn seines Begriffs von i n tuitiver Vernunft. [2] Erst dieser zweite - hypothetisch a n g e nommene - Gedankenschritt macht die Abgrenzung 'des Seienden im Allgemeinen gegen das Nichtseiende oder das Negative v e r ständlich. Denn ohne die Voraussetzung der Anschaubarkeit könnten objektive Sachverhalte ebenso negative sein, wie auch die Charakteristik, rein rationale, d . h . der begrifflichen Ver nunft überhaupt zugehörig zu sein, i h r e r Objektivität keinen Abbruch t ä t e . Seiend oder objektiv für das anschauende Be wußtsein aber ist n u r , was positiv als etwas Bestehendes gege1 2
Vgl. oben Erster Teil, 1 . K a p . , 1. Eine solche These scheint mir v e r t r e t b a r zu sein, weil Tho mas nicht n u r die vollkommenste menschliche E r k e n n t n i s , die Einsicht in die Prinzipien, sondern auch die reine Vernunft Gottes und der Engel als intellektuelle Anschauung auffaßt (I 14, 7; 58, 3 ) , in diese also das Wesen der Vernünftigkeit setzt und weil das Objekt solcher Intuition - vergleichbar dem Wahrnehmungsgegenstand - sich derselben unmittelbar darbieten soll, also unabhängig von ihr (außer im Fall Got tes) in positiver Wirklichkeit gegeben sein müßte (1 S 3 IV 1 ad 4; In 6 Met. 1. 1, 1146; I 14, 9; 87, 1 ) . Die Art und Weise, wie Thomas im Anschluß an Aristoteles Seiendes im maßgeblichen Sinn bestimmt, läßt sich als Korrelat von i n tellektueller Anschauung begreifen. Das weiter auszuführen, erlaubt der Rahmen dieser Arbeit nicht.
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ben i s t , nicht das im Satz allein aussprechbare Fehlen eines solchen Gegebenseins und ebensowenig die vom urteilenden Verstand getätigten - also nicht gegebenen - Differenzierungen etwa zwischen den Transzendentalien. [ 1] Die hier intendierte Interpretation würde also lauten: Thomas setzt die Vorstellung von positiv Bestehendem an die Stelle d e r Bestimmung -Seiendes' als des Inbegriffs der apriorischen Be dingungen sprachlicher Vernunft, wenn er das Nichtseiende als das einzige Fremde oder Äußerliche dem Seienden im Allgemei nen gegenüberstellt und diesem Äußerlichen zugleich die Taug lichkeit, das Seiende zu differenzieren, mit der Begründung a b s p r i c h t , es sei ein bloßes Nichts. 'Das Nichtseiende' kann ü b e r h a u p t n u r durch eine Reflexion auf sprachliche Negationen ins Spiel kommen und muß ebendeshalb dem anschaulich v o r gestellten Seienden zuerst fremd, und das heißt, in räumliche Anschauung ü b e r s e t z t , äußerlich sein und sich schließlich als nichtig erweisen, wenn man auf den Ausgangspunkt zurück kommt, daß n u r positiv der Anschauung Gebbares objektiv und real sein k a n n . Die Negation, die im sprachlichen Diskurs eine unentbehrliche objektive Funktion h a t , wird also zum abstrakten Nichts, wenn ihre Stellung aufgrund eines ebenso abstrakten Begriffs von Objektivität bestimmt werden soll, mit dem Sein als Anschaubarsein oder Gegebensein rein positiver Bestände a u s g e legt wird. Wenn man die Gebundenheit der transzendentalen Bestimmung 'Seiendes' an die sprachliche Vernunft, deren höch ste Bedingungen sie enthalten soll, gegen Thomas 1 Verfahren mit dem Seinsbegriff h e r v o r h e b t , kann man seinen Gedanken Teines dem Seienden im Allgemeinen' Entgegensetzbaren, das sich aber dann doch als nichtig erweist, sogar als objektivi stische Version eines Reflexionsmodells d e u t e n , dessen Mög lichkeit unmittelbar aus der Negativität der Vernunft gegen sich selbst zu folgen scheint. Denn auch eine Prinzipienanalyse, die die Transzendentalien als apriorische Bedingungen der sprachli chen Vernunft festhält, kann die Vorstellung eines diesen Be dingungen nicht genügenden Gegenstandes bilden, wenngleich sich einer zweiten Reflexion zeigt, daß auch er nur u n t e r d e n selben Bedingungen sprachlich gedacht werden k a n n , wie eine Analyse der Rede von ihm unmittelbar e r g i b t . Die Vernunft kann in i h r e r Reflexion auf den Begriff vom Objekt ü b e r h a u p t probeweise ein vernünftig nicht Denkbares annehmen und sich selbst damit eine Grenze setzen. Dann aber muß sie e r k e n n e n , daß sie im denkenden Vollzug eines solchen schlechthin t r a n szendenten Gegenstands ihre eigene Intention zunichte macht, indem sie sich nicht n u r meinend über die scheinbare Grenze hinweg auf das Transzendente bezieht und es damit immanent macht, sondern auch das als unbegreiflich Intendierte als eines, bestimmtes, von anderem verschiedenes, also u n t e r Vorausset zung der transzendentalen S t r u k t u r als des a priori Vorherge wußten begreift. 1
Zu dieser Einschränkung der Objektivität v g l . Ver. XXI 1
6. Kapitel THOMAS1 ENTWURF EINER STRUKTUR VON TRANSZEN DENTALIEN ALS ANTWORT AUF DIE FRAGE NACH DEM PRINZIP VON UNTERSCHIEDEN (In Trin. IV 1) 1. Aristoteles' Erklärung des Prädikats 'verschieden' und Thomas' Reduktion aller Unterschiede auf die Entgegensetzung von Affirmation und Negation Eine Legitimation zu der skizzierten vernunfttheoretischen Deu tung des Seinsbegriffs kann man in T h o m a s e i g e n e n Überle gungen über den letzten Grund aller Unterscheidungen finden, anhand desjenigen Themas also, das die Intelligibilität, d . h . Bezogenheit auf die urteilende Vernunft, des Seinsbegriffs u n ter einem zweiten, deutlicheren Gesichtspunkt nachzuweisen e r l a u b t . [ 1 ] Im Kontext seiner Frage nach dem Prinzip von Dif ferenz und Einheit überhaupt geht Thomas einerseits a u s d r ü c k lich nicht mehr davon a u s , daß das Prädikat 'Sein' im Sinn von Bestehen jedem in diesem Kontext Gedachten zukommen müsse. Andererseits entwickelt er in Ansätzen eine Konzeption von dem wesentlichen Zusammenhang, vermöge dessen die Reflexion von einer transzendentalen oder überhaupt prinzipiellen Bestimmung zu der anderen folgerichtig übergehen k a n n . Für beide Alternativen, die Relativierung des positiven Seins und ein Moment von dialektischer, nicht definitionslogischer Begriffsbildung ist die auffallende Neueinschätzung des Negati ven ausschlaggebend, zu der sich Thomas um eines Begriffs vom Unterschied willen veranlaßt sieht. Am ausführlichsten wird die These, die Negation sei in ihrer Entgegensetzung zu je einer Affirmation Prinzip aller Distinktion und Verschiedenheit, an einer schon erwähnten Stelle des Boethiuskommentars e n t wickelt. [2] Aber auch in anderen Kontexten kommt Thomas auf dieselbe These z u r ü c k , [ 3 ] vor allem in seinen Analysen des Begriffs von transzendentaler Einheit, die er als Negation von Unterscheidung v e r s t e h t . [4] Aus dem Vergleich dieser Texte könnte man ein detailliertes Bild von dem begrifflichen Zusam menhang zu entwerfen suchen, in den Thomas die t r a n s z e n d e n talen Bestimmungen 'Seiendes' - 'Nichtseiendes', 'Anderes 'Nichtunterschiedenes' und 'Eines' - 'Vieles' b r i n g t . Wenn man aber einen Begriff von dem Prinzipienproblem bei Thomas g e 1 2 3 4
Vgl. oben S.423f, 436 In Trin IV 1 Z . B . cG I 7 1 , 605; cG IV 14, 3510; In 4 Met. 1. 9, 660 Z . B . 1 S 24 I 3 ad 2; Pot. III 16 ad 3; Pot. IX 7 ( F , G) u . ad 15; I 11, 2 ad 4; I 30, 3 u . ad 3; In 4 Met. 1. 3 , 566; In 10 Met. 1. 4, 1995-1998
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winnen will, muß vor einer solchen Spezialuntersuchung der Transzendentalienstruktur - so weit wie möglich - geklärt wer d e n , wie sich Thomas' Konstruktion des genannten Zusammen hangs zu seinen anderen Prinzipienkonzeptionen v e r h ä l t , d . h . insbesondere zum Substanzbegriff und der zu ihm gehörigen Definitionslogik einerseits und andererseits zu einer Anschauung von Seiendem überhaupt als dem Grund aller gewissen Erkennt nis. Ähnlich wie im Fall des urteilstheoretischen Wahrheitsbegriffs[1] kann man auch mit Bezug auf die Analyse der Bestimmungen 'Andersheitr (diversitas, alteritas) und 'Einheit' (unitas) sagen, daß Thomas wohl mit ihr deutlich macht, wie der Ansatz zu einer - im Verhältnis zu Substantialität und Seinsintuition wesentlich alternativen Antwort auf die Prinzipienfrage zu d e n ken i s t . Zugleich relativiert er diese grundsätzliche Bedeutung seiner Überlegungen aber dadurch wieder, daß er sich auch in ihnen von den beiden anderen Prinzipienkonzeptionen beeinflus sen läßt, die im Begriff der wahrnehmbaren Realität konvergie ren. Der alternative Charakter der Transzendentalienanalyse kann zusammenfassend in ihrem Verfahren gesehen werden, die Kon stitution von Bestimmungen zu r e k o n s t r u i e r e n , wie sie durch synthetisches Übergehen von einem Gedankenmoment zu einem a n d e r n , also in Sätzen vollzogen wird. Die philosophische Re flexion sucht hier also nicht wie bei der Aufstellung der Kate gorien nach einer Formel und einem Modell, u n t e r die beliebige Aussagen so subsumiert werden können, daß sie zugleich ein deutigen Kriterien für die Anwendung des Vernunftbegriffs der Kausalität genügen. Vielmehr will sie gerade solche Vernunft begriffe klären, indem sie ihre Genesis aus Gedankenbewegun gen verfolgt. Damit geht sie zugleich von der Auffassung a b , Grundbegriffe der Vernunft oder Prinzipien könnten als u r sprünglich gewisse Erkenntnisse unbezweifelbar n u r bewußt sein, wenn sie durch rezeptive Anschauung als einfache Vor stellungen gewonnen werden, und projektiert statt dessen ein Prinzipienwissen des diskursiv urteilenden Verstandes. Bei diesen Grundbegriffen handelt es sich ausdrücklich um Tran szendentalien, d . h . um Momente der Bezogenheit jedes Denk baren auf den urteilenden Verstand. An ihnen zeigt Thomas' Untersuchung also, daß die allgemeinste Form des Verstandes, die komplexe S t r u k t u r jener Momente im Ganzen, nicht n u r faktisch vorgefunden wird, sondern wiederum als aus Sätzen entstehend gedacht und dadurch als notwendig eingesehen wer den k a n n . Thomas übernimmt von Aristoteles den Ansatz zu einer Analyse des Sinnes von Verschiedenheit in zwei Typen: Erstens einfache Andersheit, die keine Hinsicht e r f o r d e r t , in der etwas gegen1
Vgl. oben I . K a p . , 2.
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ü b e r einem anderen ein anderes i s t , und zweitens die Differenz als der Sachverhalt, daß etwas von einem andern in einer b e stimmten, identischen Hinsicht verschieden ist; von diesen Dif ferierenden sagt Aristoteles an einer Stelle noch, sie müßten bei ihrer Verschiedenheit - doch auch - etwas Identisches s e i n . f l ] Das könnte heißen, daß n u r ein identisches Prädikat der Ver schiedenen die Angabe einer identischen Hinsicht ermöglicht, in der sie verschieden genannt werden können. [2] - Man kann die Unterscheidung der Prädikationen von 'anders' (heteron) und differierend* (diaphoron) auf den unterschiedlichen Mitteilungs wert und Sprachgebrauch beziehen: Man sagt dem Gesprächs p a r t n e r mehr, wenn man zwei Gegenstände in einer bestimmten Hinsicht differierend n e n n t , als wenn man bloß b e h a u p t e t , das eine sei etwas anderes als das a n d e r e . Deshalb wird von ein facher Andersheit mehr in alltäglichen Unterhaltungen und in rhetorischen Wendungen, von Differenz in dieser oder jener Hinsicht dagegen immer dann die Rede sein, wenn man an einer möglichst präzisen und zugleich kritisierbaren Mitteilung i n t e r essiert i s t . Aristoteles begünstigt aber keine solche Interpretation, die den pragmatischen Aspekt seiner Überlegungen h e r v o r h e b t , sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, wie die getroffene Un terscheidung zwischen Andersheit und Differenz auf das logi sche System der Prädikate angewandt werden k a n n , das sich aus dem Definitionsschema e r g i b t . Insbesondere weist er zur Erläuterung des Differenzbegriffs darauf hin, daß beliebige Be stimmungen n u r entweder in i h r e r logischen Species differieren können, solange sie nämlich überhaupt ein Genus gemeinsam haben, das auch eines der aligemeinsten, also eine Kategorie, sein k a n n , oder in ihrem Genus, was in dieser Disjunktion b e d e u t e t , daß sie verschiedenen Kategorien angehören. [ 3] Fra gen, die diese Erklärung offenläßt, sind dem Kommentator zur Lösung aufgegeben: Was ist das identische Prädikat solcher Be stimmungen, die verschiedenen Kategorien angehören, also hin sichtlich ihres Genus verschieden sind, wenn die Kategorien die allgemeinsten Prädikate sind? Wenn der Bereich des Differenten als all das beschrieben wird, zu dem eine Hinsicht der Verschiedenheit logisch ü b e r h a u p t möglich i s t , also von einzel nen Gegenständen, die dieselbe Species haben und deshalb n u r 'der Zahl nach' differieren, bis zu den allgemeinsten Bestim mungen in jeder Kategorie, also 'Substanz', ' Q u a n t i t ä t ' , 'Qualität' e t c . , die qua Genera gegeneinander andere sind, worauf kann 1 2
3
Met. Δ9, 1018 a 9-15; v g l . Met. I 3, 1054 b 22 - 1055 a 2 Ein identisches Prädikat, aus dem sich die Hinsicht der Ver schiedenheit e r g ä b e , wäre gleichsam die Garantie dafür, daß die identische Hinsicht nicht formal von außen an die Diffe rierenden h e r a n g e t r a g e n , sondern ihnen aufgrund ihres Be griffs eigentümlich i s t . Met. I 3, 1054 b 27 - 1055 a 2
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sich dann noch die Abgrenzung derjenigen Verschiedenheit - gegen die Differenz - beziehen, die als einfache Andersheit ohne Angabe einer Hinsicht soll ausgesagt werden können? Die zuerst genannte Frage scheint für Thomas relativ leicht beantwortbar zu sein, denn mit Bezug auf die von Aristoteles unter anderen aufgezählte Möglichkeit, daß das v o r a u s z u s e t zende Prädikat der beiden Differenten im analogen Sinn iden tisch i s t , schlägt Thomas für Bestimmungen verschiedener Ka tegorien wie etwa Quantität' und 'Qualität' das analog identische Prädikat 'seiend v o r . [ l ] Allerdings hat er damit die Grenze ü b e r s c h r i t t e n , die Aristoteles mit der Auslegung aller Prädika tionen durch die Kategorienlehre für wissenschaftlich relevante Bestimmungen gezogen h a t . Das heißt, im aristotelischen Ver stande ist es eine leere, weil nichts spezifisch bestimmende, sondern rein formale Auskunft, daß zwei Bestimmungen als Seiende differieren. Immerhin zeigt d e r Kommentar in Konfor mität mit Aristoteles a n , wie das geforderte identische Prädikat zweier Differenter eine Angabe d a r ü b e r ermöglicht, in welcher Hinsicht sie verschieden sind. Denn wenn Kategorien als Genera voneinander differieren, so handelt es sich dabei um Genera des Seienden, welchen Ausdruck sonst auch Aristoteles g e b r a u c h t . [2] Also hängt die Hinsicht der Verschiedenheit, auch wenn sie das Genus i s t , von einem allgemeineren identischen Prädikat der beiden Differenten a b , ganz analog zu dem Fall, in dem die Hin sicht der Verschiedenheit die Species und das entsprechende identische Prädikat ein in den beiden jeweiligen Species enthal tenes Genus i s t . Auf die zweite Frage geht Thomas in seinem Kommentar nicht direkt ein, es fällt n u r auf, daß er die terminologische Tren nung nicht sehr s t r e n g h a n d h a b t , sondern im Hinblick darauf, daß die Differenz ein Spezialfall einfacher Verschiedenheit oder Verschiedenheit eines bestimmten Typs i s t , auch dem Genus nach differente Bestimmungen bloß verschiedene nennt (genere d i v e r s a ) . [ 3 ] In anderen Texten gibt Thomas jedoch dem in der aristotelischen Unterscheidung implizierten Problem die gängige Form eines Regressus in Differenzgründen, der natürlich b e grenzt sein muß: Wennn alles voneinander Verschiedene in etwas Drittem voneinander differieren müßte, käme man bei der Ver folgung dieser Vermittlungsinstanzen für je ein Verhältnis der Verschiedenheit zu keinem Ende - weil auch die vermittelnde Hinsicht der jeweiligen Verschiedenheit wieder in gleicher Weise von den beiden vermittelten Extremen der Verschiedenheitsbe beziehung differieren müßte. [4] Also muß der Rückgang in den vermittelnden Bedingungen von Differenzen schließlich zu so;1 2 3 4
In 5 Met. 1. 12, 916; v g l . Met. Δ 9, 1018 a 12f Met.Γ 2, 1004 a 4f; v g l . Met. Η 6, 1045 a 36 - b 7 In 10 Met. 1. 4, 2020 u . 2022 2 S 17 I 1 ad 5
449 chen Bestimmungen führen, die unmittelbar voneinander v e r schieden oder, statt vermittelst eines anderen voneinander zu differieren, einfach durch sich selbst gegeneinander andere sind. Thomas nennt diese bloß Verschiedenen ( d i v e r s a ) , wie es angesichts ihrer Prinzipienfunktion nicht anders zu erwarten i s t , erste Einfache, gibt aber an einer anderen Stelle als Bei spiele für sie Kategorien, Substanz und Quantität, a n , Bestim mungen also, die der Metaphysik zufolge ihrem Genus nach dif ferieren. [ 1] Wie man schon an dieser Abweichung erkennen k a n n , tendiert Thomas, wenn er nicht gerade Aristoteles kommentiert, zu einem eigenen, verhältnismäßig unabhängigen Begriff von Verschieden heit. So, wie er ihn am ausführlichsten in seinem Boethiusko mentar entwickelt, führt er aber den Grundsatz a u s , daß sich - zu einem Gegebenen - jedes beliebige Seiende als anderes oder identisches v e r h ä l t . Und das nennt schon Aristoteles als Grund dafür, daß nicht jegliches von einem andern Verschiedenes auf grund von etwas, einer gemeinsamen Hinsicht, von ihm v e r schieden sein muß, sondern, wie Thomas s a g t , auch durch sich selbst ein anderes sein k a n n . [2] Entsprechend seiner uneinge schränkten Allgemeinheit wird d e r Grundsatz, ohne daß er a u s drücklich zitiert würde, de facto im Kontext einer Analyse der transzendentalen Bestimmungen 'Andersheit*, 'Einheit' und " V i e l heit 1 gedeutet, die dieselben aus reinen Gedankenbewegungen r e k o n s t r u i e r t . [3] Der Anlaß zu dieser Untersuchung ist nicht die aristotelische Unterscheidung zwischen Andersheit und Dif ferenz, aber ihre Berechtigung wird zugleich durch Thomas' Erklärung der Andersheit als einer apriorischen Bestimmung alles Denkbaren überhaupt b e g r ü n d e t , sofern derselbe t r a n szendentale Charakter den jeweiligen Hinsichten, u n t e r deren Bedingung n u r etwas von einem anderen differieren k a n n , nicht zukommt. Vielmehr geht Thomas von Boethius' Darstellung der arianischen Auffassung von der Trinität a u s , wo es heißt, durch die Unter scheidung von Stufen der göttlichen Würde werde die Trinität zerteilt und zu einer Vielheit gemacht, weil die Verschiedenheit (alteritas) Prinzip der Vielheit (pluralitas) sei und ohne jene nicht erkannt werden könne, was diese i s t . [ 4 ] Schon in der fortlaufenden Interpretation des Textes macht Thomas zusätzlich auf die intellektuelle Tätigkeit des Unterscheidens (divisio) als 1 cG I 7 1 , 605 2 Met. I 3 , 1054 b 24f; In 10 Met. 1. 4, 2017 3 Zur Restriktion des noch zu referierenden Zusammenhangs auf "unsere Erkenntnis" s . I 11, 2 ad 4; in 10 Met. 1. 3 , 1990f 4 Quomodo trinitas unus d e u s , c l , Stewart/Rand S.6, Z.10-18; v g l . Thomas, In T r i n . , Expos. c . I , Decker S.104, Z.1-27
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einen Grund von Vielheit aufmerksam. [ 1] Seine ausführliche E r ö r t e r u n g des Verhältnisses von Vielheit und Andersheit beginnt wiederum mit diesem Moment, das mit Berufung auf die a r i s t o telische Begriffsbestimmung, Geschiedenes oder Unterscheidba r e s werde vieles, Ununterscheidbares oder Ungeschiedenes d a gegen eines genannt, zunächst eher als gegebene Unterschiedenheit denn als tätiges Unterscheiden aufgefaßt wird. [2] Für den Unterschied als Grund von Vielheit skizziert Thomas einen ähnlichen Regressus in seinen Prinzipien, wie er ihn auch zur Begründung der Verschiedenheit als Differenz, also d e r Ver schiedenheit in einer vermittelnden Hinsieht vorschlägt: Wenn zusammengesetzte Gegenstände oder Bestimmungen unterschieden und deshalb viele sind - z . B . die Wesensbestimmungen 'Mensch' und 'Esel' - , so folgt das aus d e r Verschiedenheit (diversitas) und Vielheit der sie konstituierenden einfacheren Momente - hier also der beiden spezifischen Differenzen zu dem gemein samen Genus 'Lebewesen'. Im Hinblick auf den weiteren Gedan kengang ist hervorzuheben, daß die d e r a r t als Prinzip eines Unterschiedes von Nachgeordnetem erkannte Vielheit logisch früherer Momente als etwas Gegebenes betrachtet werden k a n n . Das gilt gleichermaßen für eine vermittelnde Hinsicht differenter Bestimmungen und ihre Vermittlungsfunktion, sofern diese Hin sicht im Schema der Definitionslogik eine Species und als solche von den jeweils gegebenen spezifischen Differenzen abhängig ist.[3] Schon die Rede von einfacheren, logisch früheren Momenten der zusammengesetzten Unterschiedenen impliziert, was der aristote lische Begriff von Vernunftprinzipien v e r l a n g t , daß nämlich d e r Rückgang in den Gründen von Untersschiedenheit und vermit telst i h r e r auch Vielheit komplexer Bestimmungen an eine v e r bindliche Grenze gelangen muß. Darauf ist die Fragestellung auch insofern angelegt, als das Begründungsverfahren a n d e r n falls n u r die Vielheit der unterschiedenen komplexen Bestim mungen durch eine andere Vielheit, nämlich die i h r e r Momente, erklären würde. Also ist aller Unterschied von Komplexem in 1 2 3
Decker S.104, Z.5-9 In T r i n . IV 1, Decker S.134, Z.9-19; v g l . Met. I 3 , 1054 a 22f In einer allgemeinen Reflexion gesteht Thomas zwar der lo gischen Analyse überhaupt zu, daß sie die Verhältnisse von Begriffen "überlegend hervorbringt" (In 1 Eth. 1. 1, 1 ) , aber diese Einsicht wirkt sich auf seine Abhebung komplexer Unterschiedener von einfachen nicht a u s . - Thomas selbst merkt den Zusammenhang mit der aristotelischen Unterschei dung von Differenz und einfacher Verschiedenheit a n , geht aber nicht auf die Differenz im Genus - also d e r Kategorien voneinander - ein (In Trin. IV 1 o b . 5 u ad 5, Decker S.133, Z.19ff, S.137, Z.17f)
451 einer Unterschiedenheit und Vielheit von schlechthin ersten und einfachen Bestimmungen zu b e g r ü n d e n , für deren eigenen Un terschied, wenn er als begrenzendes Prinzip fungieren soll, n u r noch ein Grund anderen Typs angegeben werden k a n n . Thomas kennzeichnet ihn zunächst in der schon erwähnten Weise, daß einfache Bestimmungen je ihnen selbst zufolge unterschieden sind, also nicht zufolge eines ihnen logisch vorgeordneten Un t e r s c h i e d s . [ 1] Diese Charakterisierung bringt noch keinen neuen Gedanken, sondern drückt n u r die relative Entgegensetzung des Prinzips zu dem von ihm Begründeten darin a u s , d a ß , wenn dieses je weils n u r vermittelst eines anderen ein verschiedenes sein k a n n , jenes durch sich selbst oder unmittelbar ein anderes sein muß. Statt sich mit diesem formalen Begriff u r s p r ü n g l i c h e r und deshalb b e g r ü n d e n d e r Unterschiede zu b e g n ü g e n , geht Thomas zu seiner näheren Bestimmung ü b e r , indem er scheinbar u n v e r mittelt den Seinsbegriff einführt: "Seiendes kann aber nicht von Seiendem unterschieden werden, insofern es Seiendes i s t . Viel mehr wird von Seiendem n u r Nichtseiendes u n t e r s c h i e d e n . Des halb wird auch von diesem Seienden dieses Seiende n u r d a d u r c h u n t e r s c h i e d e n , daß in diesem Seienden die Negation jenes Sei enden eingeschlossen wird. Daher enthalten die e r s t e n Termini unmittelbar negative Sätze, gewissermaßen so, daß die Negation des einen im Begriff des anderen i s t . " [ 2 ]
1
Es mag befremden, daß aller Unterschied auf den Unter schied von Bestimmungen zurückgeführt werden soll. Muß der Text In Trin. IV 1 (Decker S.134, Z.19 - S.135, Z.5) nicht weiter gedeutet werden, wenn man beachtet, daß Tho mas unmittelbar anschließend (S.135, Z.5-8) das u r s p r ü n g lich zu Unterscheidende ' S e i e n d e s ' nennt - sollen etwa Be stimmungen (und nicht vielmehr das durch sie Bestimmte) Seiende sein? Hält der Text nicht die Möglichkeit offen, so wohl einen Unterschied in der Sphäre des Unbestimmten wie auch den Unterschied zwischen Bestimmung und zu Bestim mendem zu denken? - Zu diesen Bedenken ist einerseits zu sagen, daß mit der Frage nach dem Unterschied im Unbe stimmten die qualitätslose Differenzierung der Materie evo ziert wird (vgl. oben 2 . K a p . , 3 . ) , auf die Thomas im Zu sammenhang mit den einfachen zu Unterscheidenden nicht verweist. Andererseits will ich Thomas' Reflexion ü b e r das Prinzip der Unterschiede derart im Hinblick auf die Form des Urteils i n t e r p r e t i e r e n , daß d e r Unterschied 'Bestimmung - zu Bestimmendes' mit dieser bloßen Form schon gesetzt ist (Prä dikat - Subjekt) und sich schließlich der Anschein auflöst, als Seiende gälten im vorliegenden Kontext primär die ein fachsten, allgemeinsten Bestimmungen ( v g l . unten 4. u . 5 . ) . 2 In T r i n . IV 1, Decker S.135, Z.5-9
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Der zweite Satz wiederholt u n t e r einem neuen Aspekt die schon referierte, auf die Anschauung reiner Positivität verweisende These, außerhalb oder fremd gegenüber Seiendem sei n u r Nicht seiendes.[1] Der Aspektwechsel besteht darin, daß die wie im mer zu umschreibende Entgegensetzung des Nichtseienden zum Seienden im Boethiuskommentar nicht als ein Grund dafür v e r wendet wird, das Nichtseiende - oder das Negative überhaupt als funktionslos und in sich nichtig anzusehen, sondern gerade als das erscheint, was an dieser Stelle des Regressus in den Gründen von Unterschiedenheit und Vielheit gebraucht wird, eine Unterscheidung nämlich von Seiendem ü b e r h a u p t . Genauer gesagt, spricht die These von der Nichtigkeit des Nichtseienden demselben die Funktion a b , im Rahmen des Definitionsschemas, also als eine logisch nicht implizierte, sondern äußere spezifi sche Differenz 'das Seiende' zu besondern, d . h . es zu u n t e r scheiden, obwohl dem Nichtseienden ausdrücklich zugestanden wird, daß es allein der Bedingung logischer Nichtimplikation in der Bestimmung 'Seiendes' g e n ü g t . Im dritten Satz der zitierten Stelle des Boethiuskommentars wird diese Beurteilung mit Bezug auf bestimmte Seiende k o r r i g i e r t , insofern eine Unterschieden heit dieses Seienden n u r möglich erscheint, wenn jenes Seiende von ihm negiert wird. Thomas bezieht an dieser Stelle in die Analyse a b s t r a k t e r Sach verhalte wie Vielheit und Unterschiedenheit die logische Hand lung der Negation offensichtlich deshalb ein, weil er bestimmte Negationen wohl mit dem Ausdruck 'Negation jenes Seienden', aber nicht mit einem Terminus wie 'bestimmtes Nichtseiendes' formulieren oder, was mit dem letzteren gemeint i s t , so wie Pla ton im Sophistes umschreiben k a n n . [2] Daß in der Sache d a s selbe gemeint ist wie 'bestimmtes Nichtseiendes', kann man d a r aus entnehmen, daß weiter unten als Grund von Unterscheidung und Vielheit bald Affirmation und Negation und bald die Entge gensetzung von 'Seiendem und Nichtseiendem' bezeichnet wer d e n . [ 3 ] So bleibt die unmittelbare Entgegnung auf die These, Wirklichkeit sei reine Positivität, hier unausgesprochen, die Entgegnung also, daß ein Seiendes n u r insofern ein Unterschie denes i s t , als es in einer bestimmten Hinsicht ein Nichtseiendes oder ein bestimmtes Nichtseiendes ist; mit solchen Ausdrücken wäre n u r das von Thomas weiter unten verwendete Prädikat "ist 1 2
3
Pot. VII 2 ad 9 Die Negation als logische Handlung und nicht Sachverhalt aufzufassen, wird nicht n u r durch Thomas' Rede von ' n e gativen Sätzen' legitimiert, sondern auch d a d u r c h , daß er weiter unten (Decker S.135, Z.20-23) vom Ursprung der Vielheit in der Erkenntnis von Seiendem und Nichtseiendem s p r i c h t , aus welchen Bestimmungen die e r s t e n Unterschie denen konstituiert würden. S. noch Decker S.136, Z . l - 4
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nicht jenes" in die übliche Terminologie der Partizipien 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' ü b e r s e t z t . Statt eines solchen offenen Widerspruchs zu dem auf die Anschauung von Gegebenem bezo genen Seinsbegriff, daß eine begrenzende Entgegensetzung zu positiv Seiendem als solche nichtig i s t , statt diesen Begriff von Objektivität offen für ungültig zu e r k l ä r e n , begründet Thomas die Möglichkeit des objektiven Sachverhalts 'Unterschiedenheit' in der Vernunfttätigkeit des Unterscheidens, die die logische Differenz von Affirmation und Negation in Sätzen vollzieht, also mit Prinzipien, die er seinem gewöhnlichen Realitätsbegriff zu folge als bloße Verstandesdinge betrachten müßte. Was "Entgegensetzung von Seiendem und Nichtseiendem" oder "Unterscheidung durch Affirmation und Negation" genau bedeu t e n , sagt Thomas ausführlicher an einer anderen Stelle:[1] Aus 'Seiendem' und seiner Negation als den beiden ersten Gedanken "folgt drittens der Gedanke der Unterscheidung (denn d a r a u s , daß etwas (aliquid) als seiendes erkannt und von ihm erkannt wird, daß es nicht dieses Seiende i s t , folgt im Verstand, daß es von ihm unterschieden ist) ; viertens aber folgt im Verstand der Begriff (ratio) des Einen, sofern nämlich von diesem Seien den erkannt wird, daß es in sich nicht unterschieden ist". Die "Konstitution der ersten Unterschiedenen aus den Gedanken 'Seiendes' und ' N i c h t s e i e n d e s ' , wie es im Boethiuskommentar heißt, besteht also in der Verknüpfung der beiden Urteile 'x ist (oder: 'x ist ein Seiendes') und 'x ist nicht y' und der Anwen dung desselben Schemas auf y . Entsprechend der aristotelischen Bestimmung der Einheit als Ungeschiedenheit ordnet Thomas den Begriff der Einheit seiner Rekonstruktion d e r Unterscheidung als die Negation derselben logisch nach, etwa d e r a r t , daß von χ jene Verknüpfung von Affirmation und Negation in dem Sinn nicht gelten soll, daß 'xl ist und x' nicht x2 i s t . ' [ 2 ]
1 2
Pot. IX 7 ad 15 Es ist u n ü b e r s e h b a r , daß Thomas, indem er die Nichtunter scheidung des Dieses auf sein 'in sich' bezieht, eben die abgegrenzte Einheit eines identischen Bezugspunktes schon v o r a u s s e t z t , die aus der Negation einer Unterscheidung des Dieses erst resultieren soll. Von dieser Schwierigkeit kann eine Kritik von Thomas' Analyse ausgehen, deren weitere Interpretation aber zunächst die Fragestellungen für eine kritische Betrachtung erbringen muß.
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2. Thomas' logische Analyse einfacher Unterschiede und identi scher Bestimmtheit auf dem Hintergrund des aristotelischen Theoriemodells a) Abhängigkeit positiver Bestimmungen vom tätigen Unterschei den bei Thomas In verschiedenen Versionen hat Thomas den Gedankengang skiz ziert, aus dem sich die "Entgegensetzung von Affirmation und Negation" als "erste Wurzel der formalen Unterscheidung durch Entgegengesetzte" e r g i b t , während das Fehlen solcher Entge gensetzung den Sinn von Einheit ausmachen s o l l . [ l ] Als Re sümee der Interpretation hätte aber eine derartige Formulie r u n g den Text des Boethiuskommentars noch nicht genügend im Hinblick auf die systematischen Alternativen ausgewertet, die er enthält. Die beiden Gesichtspunkte, auf die ich mich im vorlie genden Zusammenhang beschränken muß, hängen eng miteinan der zusammen: Wie erscheint im Licht der skizzierten Analyse der Begriff vom Seienden als einem rein positiv Gegebenen und was trägt der Text zum Verständnis des transzendentalen Cha r a k t e r s - als einer Alternative zur Definitionslogik - der Be stimmung 'Seiendes' und i h r e r allgemeinen Modi bei?[2] Zur Beantwortung der ersten Frage kann man auf den e r s t e n der vier oben (S.451) zitierten Sätze aus dem Boethiuskomment a r zurückkommen. Mit ihm weist Thomas im Anschluß an den Vorbegriff von ersten Unterschiedenen, daß sie durch sich selbst unterschieden sind, auf die Unmöglichkeit hin, daß Sei endes von Seiendem unterschieden werden k ö n n t e , sofern es Seiendes i s t . Diese Wendung des Gedankengangs und ihre Er gänzung, daß n u r Nichtseiendes von Seiendem unterschieden i s t , muß ü b e r r a s c h e n , wenn man meint, die Notwendigkeit, alle Unterschiede zwischen Zusammengesetztem auf unmittelbar u n terschiedene, einfache Momente zurückzuführen, könne mit Be stimmungen, die in der logischen Analyse als einfache gelten, also mit den Kategorien oder den Transzendentalien realisiert werden; das hieße, daß das d u r c h definitorische Analyse nicht mehr vermittelbare Verstehen der einfachen Termini in eins auch das Wissen um ihre Unterschiedenheit gegeneinander b e d e u t e t . Sobald auch n u r zwei Bestimmungen für die logische Synthese vorausgesetzt werden müssen, ohne daß eine der bei den aus der anderen hergeleitet werden könnte, scheint ihre Nichtidentität unmittelbar in i h r e r jeweiligen Bedeutung enthal ten und von deren Verstehen u n t r e n n b a r zu sein. Daß Thomas eine so verstandene Unterschiedenheit nicht als ursprüngliche a n e r k e n n t , sondern auch sie noch einmal zu begründen s u c h t , 1 2
In 4 Met. 1. 3, 566 Auf diesen zweiten Gesichtspunkt gehe ich insbesondere von 3.C an ein.
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wird aus dem referierten Fortgang der Überlegungen deutlich, d . h . durch die Rekonstruktion des vernünftigen Unterscheidens aus affirmativen und negativen Urteilen. Man könnte nun die dazwischen eingesetzten beiden Sätze ü b e r die Ununterschiedenheit des Seienden als solchen und seine Unterschiedenheit bloß gegenüber dem Nichtseienden so auffassen, daß sie als allgemeiner Grundsatz n u r aufgestellt werden, damit die Unterscheidung dieses Seienden, also eines der einfachen ersten Termini durch Subsumtion u n t e r ihn begründet werden kann: Dieses bestimmte Seiende ist n u r ein Unterschiedenes, wenn ihm gegenüber jenes andere ein Nichtseiendes i s t . Ver stünde man das Verhältnis eines beliebigen bestimmten Seienden zum Seienden als solchen an dieser Stelle aber n u r als eine Subsumtion, dann bliebe unbeachtet oder mindestens u n t e r b e wertet, daß die Unterschiedenheit des Nichtseienden vom Seien den als solchem anders gedacht wird als die Auffassung jenes Seienden als bestimmtes Nichtseiendes: Das Nichtseiende wird vom Seienden überhaupt wie etwas u n t e r s c h i e d e n , das ihm als einem selber homogenen Positiven entgegengesetzt oder wie et was Fremdes gegenübergestellt werden k a n n , während die Be stimmung, jenes nicht zu sein, auch in diesem Seienden impli ziert sein muß, damit es ein Unterschiedenes sein k a n n . Für die Unterscheidung dieses von jenem Seienden ist beider bestimmtes Nichtsein d e r Grund, in d e r Unterscheidung vom Seienden als solchem dagegen ist das Nichtseiende selber Unterschiedenes. Der Zusammenhang der beiden Unterscheidungen ist ü b e r die Annahme eines Subsumtionsverhältnisses hinaus zu v e r s t e h e n , wenn man darauf reflektiert, daß schon mit dem Ausdruck Mie ses Seiende' Gemeinte, etwas Bestimmtes, Abgegrenztes nämlich, n u r d u r c h die generelle Antizipation seiner Unterscheidung von beliebigem, dadurch anderem gedacht werden k a n n , also sofern es beliebig vieles nicht i s t . Eine Andeutung dieser Reflexion kann man in Thomas' Formulierung sehen, "dieses Seiende" sei nicht von "diesem Seienden" u n t e r s c h i e d e n , es sei denn da d u r c h , daß in "diesem Seienden" "die Negation jenes Seienden" eingeschlossen werde. Mit der Wiederholung des Ausdrucks Mie ses Seiende' scheint darauf hingewiesen zu werden, daß die mit ihm intendierte Distinktheit gegen anderes einer Unterscheidung nicht vorausgehen k a n n , daß vielmehr ohne das Unterscheiden d u r c h bestimmte Negation ein beliebig oft gesetztes 'Dieses' im mer n u r dasselbe b e d e u t e t , weil Distinktheit erst aus dem wirk lichen Unterscheiden r e s u l t i e r t . [ 1] In diesem Sinn ist auch d e r 1
Gerade diese Überlegung ("idem enim est in huiusmodi distin guere et efficere"), auf die Unterscheidung d e r Glieder der Definition oder des Begriffs (ratio) untereinander und von dem d u r c h sie Begriffenen (res naturae) angewandt, dürfte das am unmittelbarsten einleuchtende Argument des Thomas kritikers Dietrich von Freiberg sein, mit dem er seine These
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e r s t e Satz von Thomas' Überlegung zum Seinsbegriff zu v e r s t e hen, wenn er gegen die Idee, einfache Bestimmungen könnten unmittelbar an ihnen selbst unterschieden sein, gleichsam ein wendet, Seiendes könne aber nicht als solches von Seiendem u n terschieden sein. Auf dem Hintergrund der folgenden Sätze heißt d a s , das Verstehen verschiedener Bedeutungen, mit dem ihre Unterschiedenheit voneinander unmittelbar gegeben zu sein scheint, v e r d a n k t sich selbst der unterscheidenden Tätigkeit des V e r s t a n d e s , ohne die eine Verschiedenheit von Bedeutun gen nicht gedacht werden k a n n , sondern n u r ein indistinktes Objekt sprachlicher Vernunft ü b e r h a u p t , also ' S e i e n d e s als sol ches'. Diese Interpretation wird durch zwei andere Textstellen b e s t ä t i g t , an denen Thomas auf die Frage d e r Unterscheidung u n t e r dem Terminus 'distinctio' e i n g e h t . [ 1 ] Um zu b e g r ü n d e n , daß Affirmation und Negation in i h r e r Entgegensetzung Bedingung bzw. sogar e r s t e r begrifflicher Grund (ratio) von Distinktionen überhaupt sind, denkt Thomas sich die Entgegensetzung von Affirmation und Negation weg und kennzeichnet die Konsequenz so, daß damit auch alle Distinktion ausgeschlossen sei. Einmal knüpft er dabei an Aristoteles' Bemerkung a n , die Zulassung des Widerspruchs v e r h i n d e r e , daß man mit dem Verstand etwas definieren könne. [2] Er erklärt sie damit, daß den Widerspruch zu akzeptieren heißt, Affirmation und Negation in eins zu set zen, und daß dann alle Bestimmung (determinatio) oder Unter scheidung (distinctio) unmöglich wird. Damit verweist er auf seine Ergänzung des berühmten aristotelischen Arguments zu r ü c k , wenn nicht eines erkannt werde, dann werde nichts e r k a n n t . Um die Notwendigkeit einer Einheit des Objektes zu b e g r ü n d e n , fügt Thomas hinzu, wer etwas e r k e n n e , der müsse es von anderen unterscheiden. [3] Der Erkennende, das Subjekt von Affirmation und Negation, unterscheidet und bestimmt selbst, er übernimmt nicht gegebene Verschiedenheit. An der anderen genannten Stelle wird dasselbe im Hinblick auf mögliche Objekte demonstriert: Was sich nicht einmal auch n u r einer Affirmation und Negation zufolge unterscheidet, ist völlig indistinkt, weil in allen Hinsichten das eine eben das sein muß, was auch das andere i s t , und sie auf diese Weise mit Notwen digkeit ganz dasselbe und keineswegs distinkt sind. Thomas e r b e g r ü n d e t , daß die Vernunft jeglichen Gegenstand in seinem wesentlichen Sein aus seinem jeweiligen Begriff konstituiere ("Secundum hoc enim - intellectus - unamquamque rem ex propria ratione in esse quidditativo constituit". ) , s. De ori gine rerum praedicamentalium, S.183f u . S.185. 1 In 4 Met. 1. 9. 660; cG IV 14, 3510; v g l . In 4 Met. 1. 8, 647; In 1 A n . p o s t . 1. 20, 168 2 Met. T4, 1008 b 3 1 , 1009 a 3ff 3 Ebenda, 1006 b 7; In 4 Met. 1. 7, 615
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kennt also einerseits, daß infolge einer Abstraktion von den lo gischen Formen der Urteile, Affirmation und Negation, für selbstverständlich gehaltene Unterschiede verschwänden und eine ungeschiedene Identität an ihre Stelle t r ä t e , und zum a n dern u n t e r Berufung auf Aristoteles, daß die Indistinktheit eines solchen Identischen auch seine Bestimmungslosigkeit b e deuten würde, mit den Unterschieden also auch selbst einfache Sachbestimmungen wie etwa die Kategorien in ihren bekannten Bedeutungen undenkbar würden. Wenn die thematische Nähe es rechtfertigt, die so zu resümierenden Texte zur Interpretation des Boethiuskommentars heranzuziehen, dann heißt dessen Rede von einem ungeschiedenen Seienden als solchem, daß aus ein fachen Bestimmungen, die man für ursprünglich und unmittelbar an ihnen selbst unterschieden halten k a n n , die unbestimmt iden tische und n u r gegen 'ichtseiendes' distinkte Bestimmung ' S e i endes ü b e r h a u p t ' wird, sobald man von der unterscheidenden oder bestimmenden Funktion von Affirmation und Negation für jene Bestimmungen abzusehen v e r s u c h t . Wenn Thomas bei seiner Analyse von Unterschiedenheit zu einem solchen Ergebnis kommt, setzt er sich u n ü b e r s e h b a r dem Ein wand a u s , der sonst von ihm vorgetragenen Philosophie g r u n d sätzlich zu widersprechen. Von den Aspekten, u n t e r denen das gezeigt werden k a n n , sollen n u r drei hervorgehoben werden: Sonst läßt Thomas - auch im Boethiuskommentar - entsprechend dem aristotelischen Kategorienbegriff das Erfassen (apprehensio) einfacher Bestimmungen der affirmativen oder negativen Syn thesis in Urteilen vorausgehen - was im Sinn des aristotelischen Begriffs vom Früheren die Unabhängigkeit einfacher Gedanken bestimmungen impliziert. [ 1] Dagegen veranlaßt ihn die Frage nach einem Distinktionsprinzip zur Umkehrung dieses Verhält nisses in dem Sinn, daß die Bestimmtheit einfacher Vorstellun gen n u r als Resultat von Unterscheidungen in Sätzen gedacht werden k a n n . Während er sonst die Bestimmung 'Seiendes' als das irreduzibel zuerst Erkannte bezeichnet, eröffnet er hier die Möglichkeit, sie als Resultat des Absehens von allen Distinktionen oder von der Entgegensetzung in den Urteilen des Ver standes zu v e r s t e h e n . Sonst sieht er entsprechend dem a r i s t o telischen Prinzipienbegriff in unmittelbaren Sachbestimmungen, z . B . der jeweiligen Materie und Form eines Gegenstands, die Grundlage für Erkennen und Wissen - vor allem in der vollkom menen Weise der Definition. Statt dessen macht er nun die lo gischen Formen Affirmation und Negation, die n u r für die inten tio obliqua thematisch werden, in i h r e r Entgegensetzung zum Prinzip von Bestimmtheit ü b e r h a u p t , ohne diesen Gedanken immer so wie an der einen oder anderen Stelle auf eine Unter schiedenheit für das Erkennen einzuschränken. [ 2] 1 2
S. z . B . In T r i n . VI 2, Decker S.215, Z.16-23; I 85, 8; In 1 A n . p o s t . 1. 2, 14 So I 11, 2 ad 4; v g l . In 4 Met. 1. 9, 660
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b) 'Identisches oder a n d e r e s ' : Aristoteles' Ausnahme von der konstitutiven Beziehung der Transzendentalien auf Kriterien i h r e r Anwendung Man kann zum Verständnis der überraschenden Wendung einen Zugang gewinnen, wenn man zu präzisieren v e r s u c h t , wie sich schon Thomas' Frage nach einem allgemeinen Distinktionsprinzip zu dem von ihm sonst respektierten und weiterentwickelten a r i stotelischen Prinzipienbegriff v e r h ä l t . Wie schon g e s a g t , b e handelt Aristoteles im Zusammenhang mit seiner Unterscheidung von Differenz in einer Hinsicht und Andersheit ü b e r h a u p t a u s führlicher n u r die Realisierungsmöglichkeiten der Differenz im System der Definitionslogik. Dagegen b e g r ü n d e t er die Unab hängigkeit der Andersheit von einer den Verschiedenen gemein samen Hinsicht n u r damit, daß die Bestimmungen 'Identität' und 'Andersheit' eine vollständige Disjunktion ausmachen, daß also jegliches Seiende - von einem Gegebenen - entweder v e r s c h i e den oder mit ihm ' identisch i s t . [ l ] Die ungleiche Verteilung des Interesses entspricht durchaus dem, was Aristoteles u n t e r Wis sen aus Prinzipien v e r s t e h t : Die Hinsichten, u n t e r denen zwei Gegenstände oder Bestimmungen differieren können, gehören zwar der formalen Begriffslogik in der Reihe Genus - Species Zahl (Individuum) a n , beziehen sich aber durchweg auf beson dere Prädikate, die nicht von jedem Gegenstand d e r Erkenntnis gelten. Das kann insbesondere an der allgemeinsten Hinsicht, der des Genus, demonstriert werden, sofern sie b e d e u t e t , daß etwas von einem anderen im Hinblick darauf verschieden i s t , daß es u n t e r eine andere Kategorie als dieses fällt. Während also die Hinsichten des Differenzierens auf das logische Gefüge der je besonderen Wesensbegriffe verweisen, die Aristo teles als Prinzipien der wissenschaftlichen Erkenntnis ansieht, geht sein Grundsatz ü b e r Identität und Andersheit u n t e r s c h i e d s los auf alles Seiende, ist also ein allgemeines, apriorisches Prin zip. Aristoteles stellt dieses Prinzip aber nicht wie das v e r gleichbare Widerspruchsprinzip so d a r , daß es seine objektive Bedeutung erst anhand von Wesensbegriffen gewinnt und zu gleich deren Eindeutigkeit s i c h e r t . Denn er setzt die Differenz nach Hinsichten in d e r Konsequenz gerade dadurch gegen die einfache, unmittelbare Andersheit a b , daß jene jeweils beson dere Bestimmungen enthält und diese nicht. Aristoteles begnügt sich also damit, die Unmittelbarkeit der Andersheit, d . h . daß beliebige Verschiedene nicht vermittelst einer Hinsicht v e r schieden zu sein b r a u c h e n , damit zu b e g r ü n d e n , daß die Dis junktion Identisches - Verschiedenes vollständig und nicht auf das u n t e r ein übergeordnetes Genus Subsumierbare einge schränkt ist wie etwa die Disjunktion 'vernünftig - unvernünf t i g ' . Sein Desinteresse an apriorischen Bestimmungen und 1
Met. I 3, 1054 b 14ff; v g l . Thomas, In 10 Met. 1. 4, 2014
459 Grundsätzen, die er nicht in einen konstitutiven Zusammenhang mit den besonderen Wissensprinzipien b r i n g t , beläßt Andersheit und Identität in der Unmittelbarkeit, die ein Grundsatz ü b e r Seiendes überhaupt für ihn haben muß, solange er ihn nicht rekonstruierend zu begreifen s u c h t . Indem Aristoteles den Gang der Erkenntnis immer allgemeinerer Prinzipien ausdrücklich mit dem Verstehen einfacher besonderer Bestimmungen wie etwa der Kategorien b e g r e n z t , [ 1 ] bezieht sich seine Theorie auf ein Wissen, das die Verschiedenheit der im Plural genannten einfachen Bestimmungen ausschließlich als etwas mit ihnen unmittelbar Gegebenes v o r a u s s e t z t , aber nicht auf ein solches, das diese e r s t e n Unterschiede und die aus ihnen folgende Vielheit einfacher Prinzipien noch einmal aus einem Prinzip einsehen k a n n . Mit einfachen Sachbestimmungen vom Typ der Kategorien, die zugleich die Klassen aller Prädikate gegeneinander definieren sollen, ist ebenso wie mit den Allge meinbestimmungen, die in i h r e r Besonderheit den zufälligen I n dividuen am nächsten kommen, den infimae species also, nach prüfbar eine Grenze derjenigen Erkenntnis markiert, die auf notwendige und allgemeine Urteile ü b e r Gegenstände aus ist - das heißt also auch, auf die Prädikation besonderer Bestim mungen von besonderen Subjekten. Denn für dieses E r k e n n t nisinteresse ist mit der Prädikation transzendentaler Bestim mungen wie ' i d e n t i s c h ' und V e r s c h i e d e n ' von bestimmten S u b jekten nichts gewonnen, weil solche Aussagen von allen Gegen ständen überhaupt gelten - bei der Betrachtung besonderer also wie etwas Selbstverständliches vorauszusetzen sind. Mit der Erstellung a b s t r a k t e r Modelle für derartige unmittelbare Sachbestimmungen der alltäglichen und wissenschaftlichen Er kenntnis - wie etwa des Definitions schemas für Wesensbegriffe und des Potenz-Akt-Modells für das Denken von Prozessen geht die aristotelische Reflexion über die eines Wissenschaft lers hinaus, indem sie die formalen S t r u k t u r e n zu präzisieren s u c h t , in denen sich die unmittelbar gegenstandsbezogene Er kenntnis bewegt. Weil nun Aristoteles - um sich zu der v o r sokratischen und platonischen Tradition in ein klares Verhältnis zu bringen - jene S t r u k t u r e n nicht n u r aus i h r e r methodologi schen Funktion für beweisendes Wissen, sondern auch aus all gemeineren Bestimmungen und Fragen - wie etwa der nach dem Prinzip - begreifen will, scheint er sie als Anwendungsbedin gungen transzendentaler Termini - z . B . als Unterscheidung der Sinne, in denen 'Sein' und 'Verschiedenheit' verwendet wer den - zu v e r s t e h e n und geht jedenfalls noch auf Reflexionen über die S t r u k t u r eines Erkenntnisgegenstands ü b e r h a u p t ein. Allerdings tut er das offenbar in der Absicht, den Nachweis zu e r b r i n g e n , daß transzendentale Strukturmomente in unmittelba ren Gegenstandsbestimmungen eine Funktion für Erkenntnis n u r 1
An.post. 19, 100 b 1-5
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erhalten, sofern sie durch je einen Modus ihres Anwendungsmo dells konkretisiert, aus ihrem transzendentalen Status v e r s e t z t sind, so etwa 'Sein' d u r c h eine der Kategorien. Wenn der Anschein nicht t r ü g t , hat Aristoteles den so zu r e konstruierenden Rahmen seiner Prinzipienreflexion am deutlich sten mit d e r Unterscheidung d e r Verschiedenheit in einfache Andersheit und Differenz in einer Hinsicht v e r l a s s e n . Denn mit der einfachen Andersheit stellt er der auf Anwendungsbedingun gen bezogenen Differenz unmißverständlich eine transzendentale und doch zur objektiven Prädikation schon hinreichende Bestim mung 'anderes' g e g e n ü b e r , die allein in der apriorischen und vollständigen Disjunktion ' I d e n t i t ä t - Verschiedenheit' b e g r ü n d e t sein soll. - Wie aber an dieser Stelle des zehnten Metaphysik buchs das Prädikat 'd i f f e r e n t ' an die Beziehung auf entweder bestimmte Genera oder bestimmte Species gebunden wird, soll dem fünften Buch zufolge auch die Andersheit, auch hier neben der Differenz genannt, n u r u n t e r der Bedingung ausgesagt werden, daß entweder die Form oder die Materie oder der We sensbegriff des Subjekts mehr als je eines s i n d . [ l ] An dieser Parallelstelle verfährt Aristoteles auch mit der Bestimmung 'An d e r s h e i t ' , der Platon mit der Erhebung zu einem der 'größten Genera' eine Art Prinzipiencharakter gegeben h a t , nach dem angegebenen Schema, reflektiert auf sie also n u r , um ihre An wendbarkeit auf Gegenstände u n t e r die Bedingung formaler S t r u k t u r e n besonderer Sachbestimmungen zu stellen - was diese letzteren in die Position von Prinzipien b r i n g t . [2] Deshalb kontrastiert d e r Text des zehnten Metaphysikbuches mit seiner Auszeichnung einer transzendentalen Andersheit, deren Verwendung allein auf i h r e r Gültigkeit a priori von jeglichem beruhen soll, besonders scharf zu dem Reflexionstyp, den Ari stoteles mit seiner Theorie des unmittelbar sachbezogenen Wis sens sonst in der Tat aufstellt: In einem Fall ordnet Aristoteles einen traditionellen transzendentalen Verstandesbegriff nicht in die partikulären Formen gegenstandsbestimmender Rede ein, die er faktisch zum Objekt philosophischer Reflexion e r k l ä r t . Viel mehr legitimiert er eine Reflexion auf Transzendentalien und ihre apriorische S t r u k t u r , den Gegensatz von Identität und An dersheit nämlich, u n t e r Verzicht auf die sonstige F o r d e r u n g , diese S t r u k t u r auf p a r t i k u l ä r e , aber a b s t r a k t e Modelle als die Bedingung i h r e r objektiven Anwendbarkeit zurück zubeziehen, wie er es für die Bestimmung 'different' v e r l a n g t .
1 2
Met. I 3 , 1054 b 22-27; Met.Δ 9, 1018 a 9ff Vgl. oben S.172f
461 ) Thomas' Reflexionsfortschritt: Distinktion und Resultate logischer Handlungen
Identität als
Es scheint kein Zufall zu sein, daß Thomas - um damit wieder zum Ausgangspunkt des Gedankengangs zurückzukommen - die Reflexion gerade anhand des Begriffs, den auch Aristoteles einmal in reiner Transzendentalität als prädizierbar gelten läßt, ü b e r den aristotelischen Rahmen hinaustreibt. In der Theorie des Aristoteles erinnert sich gleichsam die wissenschaftliche Erkenntnis i h r e r allgemeinsten Einteilungsgesichtspunkte, die sich der Wissenschaftler gewöhnlich nicht bewußt macht, obwohl sich schon das alltägliche Erkennen nach ihnen r i c h t e t , etwa nach der Einteilung d e r Prädikate in Kategorien und nach der Disjunktion 'Akt - Potenz'. Während diese Gesichtspunkte n u r auf bestimmte Gegenstände und Prädikate bezogen werden kön nen und dadurch auch die wissenstheoretische Reflexion noch im Horizont unmittelbarer Sachaussagen halten, thematisiert Aristo teles mit transzendentalen S t r u k t u r e n Bedingungen jeglicher Erkenntnis, wie er selbst das Widerspruchsprinzip v e r s t e h t . Allererst damit läßt er also die Erkenntnis derart auf ihre Vor aussetzungen zurückkommen, daß sie sich selbst auch a u s d r ü c k lich zum Gegenstand wird. Die transzendentalen S t r u k t u r e n werden dabei aus i h r e r Selbstverständlichkeit als fertige aufge nommen, n u r das Widerspruchsprinzip wird als unentbehrliche Voraussetzung schon des bloßen Bedeutens e r p r o b t . Über einen solchen transzendentalen Geltungsnachweis geht Thomas' Frage nach einem Distinktionsprinzip noch einmal um eine Reflexionsstufe hinaus. Denn sie faßt die Unterschiedenheit beliebiger Seiender voneinander, die nicht miteinander identisch sind, nicht als einen gegebenen transzendentalen Sachverhalt auf, den auch jeder Versuch eines Nachweises schon vorausset zen müßte, sondern als eine Konstruktion der Vernunft, die man erinnernd muß nachvollziehen können. Auch Thomas' Über l e g u n g , die Unterschiedenheit komplexer besonderer Bestim mungen auf diejenige der einfachen allgemeinsten zurückzufüh r e n , leitet deshalb n u r zu dem schon genannten Begriff von Unterscheidungsprinzipien ü b e r : Die Aussage der Prädikate 'andere' oder 'Verschieden von' von den einfachen Bestimmungen ist nicht mehr in deren selbstgegebener Nichtidentität b e g r ü n det zu sehen, sondern umgekehrt gilt die Möglichkeit wohlde finierter Bestimmungen als ein Resultat der logischen Handlung des Unterscheidens, weil ohne Unterscheidung (distinctio, divisio) auch alle Bestimmtheit (determinatio) in der Indifferenz des ' S e i e n d e n als solchen' u n t e r g i n g e . Die Kontinuität dieses Gedankens zur Behandlung der Tran szendentalien bei Aristoteles besteht nicht n u r in der Wieder aufnahme des transzendentalen und dennoch selbständig a u s sagbaren Prädikats ' a n d e r e s ' , sondern vor allem in einer Selbstthematisierung d e r Vernunft, die d u r c h keine Besonder-
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heit bestimmter Erkenntnisgegenstände eingeschränkt i s t . Die Annahme mehrerer, ursprünglich einfacher Bestimmungen u n terstellt, es brauche ein Objekt, welchen Typs auch immer, der Vernunft n u r gegeben zu werden, damit sie es adäquat abbildet und eventuell auch noch nachträglich zu anderen in Beziehung s e t z t . Dagegen liegt Thomas' Frage nach einem Distinktionsprinzip die Einsicht z u g r u n d e , daß etwas ein Vernunftobjekt ü b e r haupt n u r d u r c h seine Beziehung auf a n d e r e s , mindestens seine Distinktheit gegen es werden k a n n . Auf diese Weise kommt gegen den aristotelischen Begriff von Objektivität, der wesentlich durch das Moment 'Selbständigkeit' der Prinzipienkonzeption bestimmt i s t , das Selbstbewußtsein d e r Erkenntnis zur Geltung, daß sie Verbinden oder In-Beziehung-Setzen, und das heißt, daß sie Urteilen i s t . [ l ] Man kann auch sagen, indem Thomas dem aristotelischen Grund s a t z , alle Erkenntnis vollziehe sich durch Beziehung auf ein vorhergehendes Wissen, anhand d e r Problematisierung von Ver schiedenheit ü b e r h a u p t Geltung für die Form d e r Erkenntnisge genstände verschafft, sieht er als abhängige Größen a n , was im Sinn des aristotelischen Prinzipienbegriffs logisch höchst u n a b hängig und deshalb aus anderem nicht mehr b e g r ü n d b a r i s t , nämlich allgemeinste einfache Bestimmungen. Mit d e r Unterschiedenheit (distinctio) oder Andersheit (alteritas) macht er eine Beziehung (relatio) zum Prinzip des Einfachen, scheinbar Selb ständigen, gerade dasjenige also, was dem kategorialen Begriff des Objektiven zufolge am wenigsten eine 'Natur' oder etwas Wesentliches i s t . [ 2 ] Zu dieser Umkehrung konstitutiver Momente der aristotelischen Philosophie gehört ebenso die Aufwertung 1
2
In diesem Sinne grenzt Thomas auch einmal die Vernunft gegen die sinnliche Anschauung a b , wenn er s a g t , n u r die Vernunft erkenne Unkörperliches wie Weisheit, Wahrheit und die Beziehungen d e r Dinge, s . cG II 66, 1439. Met. N 1, 1088 a 22ff; v g l . oben S.91ff. Obwohl Thomas sich selbst den Einwand macht, daß Andersheit zum Prinzip transzendentaler Vielheit zu erklären hieße, alle Kategorien, auch die selbständige Substanz, aus einer Relation b e g r ü n den zu wollen, weicht er in seiner Entgegnung einer g r u n d sätzlichen Diskussion ü b e r den Relationsbegriff a u s , dessen kategoriale Fassung d e r Einwand als unzureichend erweist, und begnügt sich damit, auf dem transzendentalen Charakter der Bestimmungen 'Identität' und 'Verschiedenheit' zu insi stieren, der ihre Einordnung in ein bestimmtes Genus des Seienden nicht zulasse, ohne ü b e r h a u p t noch auf die u n b e streitbare Relationalstät derselben Bestimmungen einzugehen, s . In Trin. IV 1, o b . 3 u . ad 3 . So vermeidet er e s , d e r kategorialen Relation eine transzendentale in dem Sinn g e genüberzustellen, in dem er neben der quantitativen Einheit und Vielheit eine transzendentale für notwendig hält.
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d e r Negation, die auch in einem anderen Zusammenhang schon einmal als ein Verhältnis eines zu einem anderen statt als bloßes Nichtgegebensein aufgefaßt w i r d , [ l ] zu einem der Prinzipien der Andersheit. Ebenso wird auch der Widerspruch neu einge schätzt, insofern er nicht mehr bloß als ein zu Vermeidendes gilt, sondern nach Thomas' Formulierung Grund jeglicher Un terscheidung in dieses und jenes i s t ; [ 2 ] mit dem Widerspruch also soll die Verknüpfung von Affirmation und Negation, die das Unterscheiden konstituiert, bezeichnet sein. Man kann also ein Verständnis dafür gewinnen, daß Thomas' Problematisierung der unmittelbar erscheinenden Andersheit aristotelische Grundpositionen revolutioniert, wenn man die Re flexionsstufe dieser Fragestellung beachtet: Sie läßt es nicht mehr bei der bloßen Aufstellung - nach welchen Ordnungsge sichtspunkten auch immer - eines Ensembles transzendentaler Bestimmungen als der allgemeinen Form eines Gegenstands ü b e r haupt bewenden.[3] Vielmehr sieht sie diejenigen Momente die ser Form noch einmal als Resultate einer logischen Genesis a n , von denen alle Bestimmtheit und Differenziertheit der Realität - also die Möglichkeit einer Replik auf Parmenides - als abhän gig dargetan wird. Anders als die Transzendentalien, in denen die Reflexion zwar die Bedingungen aller Erkenntnis a priori ' e r i n n e r t ' , die a b e r doch noch als Prädikate - wenn auch selbst verständliche und deshalb wissenschaftlich uninteressante - von Gegenständen gedacht werden können, sind die logischen Mo mente der Realität, aus denen ihre transzendentale Bestimmtheit rekonstruiert wird, also etwa Affirmation, Negation und Wider s p r u c h , selber keine realen Prädikate mehr. Indem Thomas die se logischen Momente als Antwort auf eine Prinzipienfrage, die Frage nach dem Grund von Verschiedenheit und Vielheit näm1
In 1 Perih. 1. 6, 76. Soweit ich sehe, hat Aristoteles die Negation zwar einmal (Met. θ 2 , 1046 b 13ff) als das v e r s t a n d e n , was durch Abziehen (apophora) des einen Gegenteils dessen Entgegengesetztes b e d e u t e t , aber nicht als Prinzip von Andersheit. 2 In 10 Met. 1. 4, 1997; was das genauer heißen k a n n , soll weiter unten (5.e) gesagt werden. 3 So würde ich z . B . die Übersicht ü b e r die Transzendentalien in Ver. I 1 charakterisieren, weil die Begriffe, u n t e r denen Thomas hier die Modi jedes Seienden als solchen entwickelt, also 'in sich - mit Bezug auf a n d e r e s ' , 'affirmativ - negativ' und 'im Sinn der Unterschiedenheit - im Sinn der Überein stimmung' unvermittelt und äußerlich an die noch leere Be stimmung *Seiendes* herangetragen werden. Insbesondere fällt im Vergleich mit den Reflexionen über Andersheit und Einheit die Vernachlässigung des Zusammenhangs auf, daß die Einheit, v e r s t a n d e n als Ungeschiedenheit, die Unter scheidung logisch v o r a u s s e t z t .
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lich, v o r s c h l ä g t , verläßt seine Prinzipienuntersuchung den sonst von ihm gewahrten Zusammenhang mit der aristotelischen T r a dition: In ihrem Rahmen wird das natürliche Realitätsbewußtsein zwar seinen sprachlichen Formen nach u n t e r s u c h t , die unmit telbare Aussage real gemeinter Sachverhalte aber immer als theoretische Grundlage der logischen Analysen festgehalten, ohne daß man wie Platon die gewohnte Realitätsvorstellung als Ergebnis oder Prinzipiat der entdeckten logischen Zusammen hänge relativieren k ö n n t e . [ 1 ] Daß sich eine Genetisierung von Transzendentalien, d . h . ihre Rekonstruktion aus Gedankenbewegungen, von dem in einer Theorie aristotelischen Typs verbindlichen Realitätsbegriff löst, scheint Thomas bewußt zu sein. Denn an anderen Stellen n e u tralisiert er die Überlegung, daß reine Identität n u r als Bezie hung zweier verschiedener Extreme gedacht werden k a n n , indem er dies als die Art bezeichnet, in der allein die Vernunft sich die Beziehung eines Objekts auf sich selbst klarmachen k a n n , ohne daß diese Abhängigkeit von einer Unterscheidung etwas für die reale Identität b e d e u t e t e . [ 2] Die Einsicht d e r Reflexion, daß Identität durch Identifikation von Verschiedenem denkend konstruiert wird, soll deshalb n u r für das Verfahren einer bloß subjektiv gedachten Vernunft gelten, weil so die vorreflexive Verwendung des Prädikats 'identisch', die ein unmittelbares Dieses meint, u n t e r dem Titel 'reale Identität' (unum secundum rem, unum secundum esse) als g r u n d l e g e n d e r , von einer logi schen Analyse nicht relativierbarer Sinn von Identität gesichert werden k a n n . So nennt Thomas in einem anderen Text 'dassel be' und 'anderes' zwar ausdrücklich in gleicher Weise relative Termini, die etwas auf ein anderes beziehen, glaubt aber im Fall der Identität, daß er der Gedankenbewegung des Beziehens die einfache Einheit unumkehrbar vorordnen k a n n , die man mit dem Prädikat 'identisch' meint - vielleicht, weil dies Meinen sich durch bloßes Zeigen scheint verständlich machen zu k ö n n e n . [ 3 ] Demgegenüber muß der Relationscharakter der Andersheit i r reduzibel erscheinen, weil auch das unmittelbare Meinen einer Verschiedenheit sich nicht anders als durch ein Hin- und Her gehen explizieren k a n n . Indem Thomas aber dieser Besonderheit nachgeht und die Logik der Beziehung 'Andersheit' zu rekonstruieren v e r s u c h t , deckt er nicht n u r faktisch auf, daß jedes bestimmte Identische seine Bestimmtheit (determinatio) aus der Affirmation und Negation verknüpfenden Bewegung des Unterscheidens e r h ä l t , sondern geht auch ausdrücklich zu einer Negation eben dieses Unter1 2 3
Vgl. oben Zweiter Teil, .., 1. In 5 Met. 1. 11, 912; Pot. VII 11 u . ad 3 . Zum Begriff d e r Einheit v g l . die beiden schon genannten Texte I 11,2 ad 4, u . In 10 Met. 1. 4, 1990f In 10 Met. 1. 4, 2003 u . 2014
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scheidens (indivisio) weiter, die er - wie schon gesagt (S.453), im Anschluß an Aristoteles - als den Begriff der Einheit v e r s t e h t . Erprobt man n u n , was 'Negation des U n t e r s c h e i d e n s ' zu bedeuten h a t , wenn Unterscheiden nach der Formel 'x ist und χ ist nicht y' analysiert wird, dann ergibt sich Thomas' Begriff der vernünftigen Identifikation, wie er sie von der unmittelba r e n , einfachen Identität der realen Gegenstände a b h e b t . Denn wenn das Ergebnis des Unterscheidens zu umschreiben wäre mit 'x ist und y ist und χ ist nicht y ' , würde ihre Negation, g e steht man nur zu, daß sie das zu Negierende zunächst unthema tisch voraussetzen muß, darzustellen sein als 'x ist und y ist und χ ist y ' , also als Aufhebung der ersten Negation; gerade in diesem Sinn sagt Thomas, die Vernunft fasse als zweierlei, nämlich als Extreme einer Relation auf, was sie identifiziert. [ 1] Eine solche Deutung der Einheit als Identität schließen manche Texte nicht a u s , die sich darauf b e s c h r ä n k e n , Einheit als Ne gation oder Privation von Unterscheidung zu begreifen. [ 2] Wird dagegen die Negation, aus der die Bestimmung 'eines' resultie ren soll, explizit so v e r s t a n d e n , daß etwas in sich nicht g e schieden i s t , [ 3 ] dann ist mit dem 'in sich' schon ein Identisches vorausgesetzt (x ist und von demselben χ gilt nicht, daß x l ist und x l nicht x2 i s t ) , gerade so, wie auch die Unterscheidung nicht darauf verzichten k a n n , die Identität der Unterschiedenen unthematisch vorauszusetzen, d . h . ohne die Bewegung i h r e r Konstruktion wirklich zu vollziehen. Unter der Voraussetzung der Identität des χ (aliquid) genügt es aber wiederum, das n e gative Unterscheiden aufzuheben, und das heißt, eine Identität zu konstruieren (von χ gilt: x l ist und x2 ist und x l ist x2) , um den Begriff der Einheit als die Ungeschiedenheit eines Etwas in sich zu vollziehen. Dabei ist zu unterstellen, daß xn n u r solange eine Differenz zu χ setzt, wie es selbst mindestens einen Unterschied ( x l ist nicht x2) aufweist. Denn auch Tho mas' Begriff der Einheit hat die Zurücknahme des 'in' (von 'in sich') zur Konsequenz, sofern man sich u n t e r 'in' Teilbarkeit oder einen Raum für gegeneinander abgegrenzte Teile und damit eine Räumlichkeit des Etwas vorstellt, die mit seiner Ungeschie denheit nicht zusammen bestehen k a n n . Thomas hat also nicht n u r mit seiner logischen Rekonstruktion d e r Unterschiedenheit die Voraussetzung des aristotelischen Prinzipienbegriffs verlassen, daß der wissenstheoretische Ort für Prinzipien n u r die unmittelbare Aussage gegenständlich g e meinter Sachverhalte sein k a n n . Dabei hat er de facto auch eine logische Genesis der von ihm Einheit genannten Identität skiz ziert, derselben Bestimmung also, an der er sonst den Prinzi piencharakter des unmittelbaren Meinens gegen die Reflexion auf dessen Vernunftbedingungen durchsetzen will. 1 2 3
In 5 Met. 1. 11, 912; In 6 Met. 1. 4, 1241 So z . B . In 4 Met. 1. 3, 566; In 10 Met. 1. 4, 1996-1998 So etwa Pot. IX 7 (F) u . ad 15
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3. Revision des Seinsbegriffs Unterscheidungsprinzip a) Distinkt gegebene tuellen Beziehens
angesichts der Frage nach einem
Realität als Resultat negativen,
intellek
Sobald die Reflexion ü b e r Unterschiedenheit überhaupt die Selbstverständlichkeit d u r c h b r i c h t , in der die Unterschiede ein facher Bestimmungen mit denselben unmittelbar gegeben zu sein scheinen, diese Unterschiede als nicht mit den einzelnen Unter schiedenen gegebene Relationen erkennt und deren logische Form zu bestimmen s u c h t , ist der Sache nach die Vorstellung ü b e r w u n d e n , die erfahrbare Realität mit i h r e r Mannigfaltigkeit von Unterschieden könne philosophisch a b s t r a k t als absolute, d . h . an ihr selbst gegebene Position gedacht werden. Damit ist auch der Bezugsrahmen für den Seinsbegriff zur Disposition gestellt, die aristotelische Suggestion also, ' S e i e n d e s ü b e r h a u p t ' könne als Inbegriff der gegebenen, mannigfaltigen E r f a h r u n g s welt aus einem Gegensatz zum Nichtseienden als dem von der Phantasie bloß Erdachten v e r s t a n d e n w e r d e n , [ 1 ] Diese faktische Revision des Seinsbegriffs, der sich auf die Anschauung von Gegebenem bezieht, kann man in Thomas' Zu sammenfassung seiner Abhandlung über Vielheit und Andersheit im Boethiusskommentar finden. [2] Er kommt da zu dem E r g e b n i s , daß Boethius' These, Prinzip von Vielheit sei Andersheit ( a l t e r i t a s ) , n u r für zusammengesetzte Unterschiedene gelten könne, also für solches, das im Genus, in der Species oder hinsichtlich seiner Individualität voneinander differiert. Für dergleichen gilt nämlich der Grundsatz, den die Abhandlung einleitend e r l ä u t e r t , daß die Vielheit zusammengesetzter Größen und Bestimmungen aus der Verschiedenheit (diversitas) mancher i h r e r einfacheren Elemente resultiert; die Prinzipien für die Unterschiedenheit von Zusammengesetztem sind also jeweils mit demselben gegeben. Dieser Begründungszusammenhang, daß aus der Verschiedenheit von Gegebenem auch der Unterschied von anderem und damit dessen Vielheit folgt, kann aber nicht auf die Vielheit der einfachsten Bestimmungen angewandt werden, die als Kategorien oder Transzendentalien voneinander differie r e n . Seine Argumentation dazu resümiert Thomas so: Verschie denheit - die hier n u r Verschiedenheit der einfachen Elemente selbst sein könnte - e r f o r d e r t , daß jedes d e r Verschiedenen ein Seiendes i s t , und setzt insofern genau die Vielheit v o r a u s , die man bei einer Anwendung der These des Boethius auf Einfaches aus der Verschiedenheit oder Andersheit erst herleiten wollte. Diesem Zirkel entgeht man, indem man anstelle der Verschieden heit die Unterscheidung (divisio) als Grund für die Vielheit ein1 2
Vgl. oben S. 140-145 In Trin. IV 1, Decker S.136, Z. 10-21
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facher Bestimmungen annimmt, weil "die Unterscheidung nicht e r f o r d e r t , daß jedes der beiden Unterschiedenen ein Seiendes i s t , da die Unterscheidung - vielmehr - durch Affirmation und Negation geschieht." Die Gegenüberstellung von Verschiedenheit und Unterscheidung bestätigt zunächst, daß Thomas davon a u s g e h t , Sein sei als Ge gebensein von Vorhandenem aufzufassen. Denn wenn er aus seinem Begriff der Verschiedenheit, daß sie die Verschiedenen als Seiende e r f o r d e r e , folgern k a n n , sie setze eine Vielheit - wohlunterschiedener Einzelner[1] - schon v o r a u s , v e r s t e h t er die Charakterisierung der Verschiedenen als Seiende gerade s o , daß sie als hinreichend gegeneinander distinkte Objekte einfach in Anspruch genommen werden können, zu einer gegliederten Vielheit nicht erst differenziert zu werden b r a u c h e n , sondern in diesem Modus schon vorliegen. Wenn ein Urteil seinen Gegen stand als eine seiende oder gegebene Vielheit v o r a u s s e t z t , kann es andere Momente desselben Gegenstandes in der Form der ausdrücklichen Behauptung thematisieren. Deshalb verhält es sich mit der Unterscheidung gerade umgekehrt: Weil sie durch die Verknüpfung eines affirmativen mit einem negativen Urteil die Distinktion ihres Gegenstands in eines und ein anderes zum Thema ihres Behauptens macht, braucht sie dies eine und a n dere nicht als Seiende vorauszusetzen, d . h . als etwas schon Gegebenes zu b e a n s p r u c h e n . De facto korrigiert wird aber der Begriff von Sein als Gege bensein mit dem Argument, das der vorangehende Textabschnitt ausführlich darlegt, daß nämlich Verschiedenheit der Unter scheidung nicht bloß gegenüberzustellen i s t , sondern ihren Be griff, also das von der Verwendung des Terminus Verschieden' unausgesprochen Beanspruchte, ausschließlich in der Unter scheidung findet: Etwas mit Bezug auf ein anderes verschieden zu nennen, heißt sagen, daß es jenes nicht i s t . [ 2 ] Weil nun das Prädikat Verschieden' b e s a g t , daß etwas im Modus der Distinktheit gegeben i s t , bedeutet dieser Begriffszusammenhang, daß Distinktes nicht schlechthin und endgültig gegeben sein, als absolute Position betrachtet werden k a n n , sondern seinen Begriff als distinkt Seiendes und damit sein Prinzip (causa, causa prima) in der Entgegensetzung der negativen zur affir mativen Form des Urteils findet, die selber nichts Gegebenes sein k a n n . Wenn man die Rede von Sein und Seiendem auf ein beliebiges, aber je bestimmtes Etwas bezieht, meint man ein sol c h e s , das von anderen Seienden verschieden und mit sich selbst identisch i s t . Diese abstrakte Rede kann Sein n u r im Hinblick auf seine unreflektierte Verwendung als Gegebensein v e r s t e h e n , muß aber gerade dies Gegebensein von Distinktem als Resultat einer logischen Konstruktion ansehen, wenn sie auf den Begriff der Verschiedenheit reflektiert. 1 9,
Vgl. In 10 Met. 1. 4, 1998 Decker
S.136.
Z . 1-9
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Zum Vergleich mag es nützlich sein, noch einmal an Thomas' Präzisierung des kategorialen und insofern prinzipiellen Sinnes von Sein zu e r i n n e r n : [ 1 ] Etwas in der Wirklichkeit Existieren des - ein unmittelbarer Gegenstand des Erkennens also - wird durch eine absolute Position bezeichnet, weil die Negation bloß dem Verstand angehört, eine relative Position aber den Gegen stand als Extrem einer Beziehung bedeuten k a n n , die wiederum bloß für den Verstand gilt, ohne im kategorialen Sinn objektiv zu sein; daneben gibt es allerdings auch relative Positionen, die eine reale Abhängigkeit bezeichnen, wie etwa, wenn man jeman den den Sklaven eines anderen n e n n t . Was mit dem Moment der Absolutheit einerseits und objektiv gültigen Relationen a n d e r e r seits in gleicher Weise gegen reine Verstandesintentionen abge grenzt werden soll, kann als Gegebensein für die Erkenntnis, als Vorliegen im Sinn der Erfahrbarkeit der gegenständlichen Welt interpretiert werden. Indem Thomas also Sein im Modus des Distinktseins ü b e r h a u p t aus einem nicht mehr gegebenen Prinzip zu begreifen s u c h t , läßt er seine Charakterisierung objektiven Seins als absolut wie eine noch v o r d e r g r ü n d i g e und überholbare Reflexion erscheinen. Gerade d a s , was mit der Einschränkung des wirklich Seienden auf beziehungsloses (absolutes) und real abhängiges aus dem prinzipiellen Sinn von Sein ausgeschlossen werden soll, Beziehungen nämlich, die nicht das unmittelbare Meinen, sondern e r s t die Reflexion auf die logische Konstruk tion des Gesagten legitimiert, gerade diese Beziehungen werden nun mit Bezug auf Andersheit und Identität als Prinzipien jedes Seienden entdeckt, das im Modus der Distinktheit soll gegeben werden können. [2] 1 2
Ver. XXI 1 Daß Thomas den relativen Charakter der Andersheit nicht v e r k a n n t e , wurde oben (S.462 Anm.2) schon g e s a g t . Daß diese transzendentale Relation nicht in die partikuläre Rela tionskategorie eingeordnet werden k a n n , macht der dort a n gegebene Text zwar deutlich. Er geht aber nicht auf die These anderer Stellen aus derselben Periode ein, daß Be stimmungen und insbesondere Relationen, die bloß gedacht, also nicht wirklich sind, in keine Kategorie eingeordnet wer den können, also jeglichem Seienden zukommen (1 S 26 II 1, Ver. XXI 1 ad 3 ) . Daraus folgt zwar nicht in S t r e n g e , daß auch umgekehrt transzendentale Relationen wie Andersheit und transzendentale Bestimmungen ü b e r h a u p t bloß gedachte sind, es wird aber doch sehr nahegelegt ( v g l . oben 2 . K a p . , 2 . ) . Wenn das d e r Ort transzendentaler Relationen i s t , wie Breton, L'idee de transcendental . . . , S.72f, annimmt, wie soll Thomas dann der Folge e n t g e h e n , daß aller begriffene Unterschied unwirklich und aller reale unbegreiflich ist? We der Thomas noch Breton ziehen die Konsequenz, daß an die ser Stelle - und damit ü b e r h a u p t - sich die einfache Entge gensetzung 'kategorial bestimmt/wirklich - gedacht' als u n haltbar erweist.
469 Daß wirklich Seiendes durch Position zu bezeichnen sei, schließt dem Text zufolge das mit der Negation Bedeutete aus der Sphä re der vorliegenden Bestände oder d e s s e n , was gegeben i s t , a u s ; damit glaubt Thomas an dieser Stelle, ein Argument ge funden zu haben, mit dem er die - negativ als Ungeschiedenheit zu begreifende - Einheit oder Identität als eine bloße Gedan kenbestimmung einordnen k a n n . Die Untersuchung über Andersheit im Boethiuskommentar und manche i h r e r Parallelstellen teilen dieses Interesse nicht, sondern wollen die Bedingungen dafür angeben, daß das - für das kategoriale Seinsverständnis ganz unproblematische - positiv Bezeichnete ein bestimmtes im Sinn von: gegen anderes distinktes, sein k a n n . Daß ü b e r h a u p t logische Prinzipien für die Möglichkeit bestimmten Gegebenseins nachgewiesen werden, widerspricht der Absolutheit des Wirkli chen gegenüber dem Verstand und seinen logischen Konstruk tionen. Mit d e r Darlegung, aus welchen Prinzipien Distinktsein zu rekonstruieren i s t , nimmt Thomas vor allem die Positivität als eine abschließend gültige Charakteristik des Seienden im k a t e gorialen Sinn zurück. Denn in der prägnantesten Formulierung dieser Prinzipienrefiexion sagt e r , daß in den an ihnen selbst - also nicht vermittelst anderer - unterschiedenen Bestimmungen unmittelbar negative Sätze impliziert sind, verzichtet also auf den Zusatz, daß jegliches zu Unterscheidende auch affirmativ als seiend gesetzt werden muß, und hebt dadurch die Negativität als das unmittelbare Prinzip der Distinktion h e r v o r . [ 1 ] In der Sache kommt er darin mit dem ihm unbekannten spätpla tonischen Begriff vom Nichtseienden überein, daß es nicht im parmenideischen Sinn als ein a b s t r a k t e r Gegensatz zum Seien d e n , sondern als als konstitutive Moment jedes bestimmten Sei enden, von anderen verschieden zu sein, zu denken i s t . Aber die Intention von Thomas' Frage richtet sich gerade umgekehrt zu der platonischen nicht auf ein Begreifen des Nichtseienden, sondern der Andersheit. Nur aus einer erstaunlich konsequen ten Beschränkung auf dieses Argumentations ziel, als handele es 1
In T r i n . IV 1, Decker S.135, Z.8f. Damit geht er prinzipiell über den Gedanken hinaus, in dem Forest die Gefahr schon hinreichend vermieden sieht, daß Seiendes als gegen das Denken verabsolutiertes donum brutum v e r s t a n d e n wird; s . La s t r u c t u r e métaphysique du concret . . . , S.39. Jener Ge danke hebt an Thomas' Seinsbegriff h e r v o r , daß er Existenz immer als Wirklichkeit einer begreifbaren Natur faßt, die selbst zur Konstitution dieses Bestehens b e i t r ä g t . Thomas selbst geht aber gar nicht eigens darauf ein, wie sich dieser Seinsbegriff, der noch von der platonisch-aristotelischen Konzeption vernünftiger Realität z e h r t , mit der auch b e h a u p teten Absolutheit des Wirklichen gegenüber d e r Vernunft v e r t r a g e n soll. - Beide Ansätze gehen von der Positivität des Realen a u s . Beide werden d u r c h die Entdeckung kon s t r u k t i v e r Negativität radikal in Frage gestellt.
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sich um irgendein Detailproblem, läßt sich Thomas' völliges Schweigen d a r ü b e r e r k l ä r e n , daß die Einsicht in den wesent lichen Zusammenhang von Negation und Distinktheit die von der aristotelischen Tradition akzeptierte Unterstellung aufhebt, eine vielfältige, mannigfach distinkte Realität, wie sie der Erfahrung bewußt i s t , könne in höchster Allgemeinheit positiv als Seiendes im Ganzen dem Nichtseienden als der Sphäre der bloßen Ima gination gegenübergestellt werden. b) Die Notwendigkeit des Nichtseins abstrakten Seinsgedankens
für
eine Explikation des
Die Abhandlung im Boethiuskommentar spart den a b s t r a k t e n Ge gensatz von Seiendem und Nichtseiendem keineswegs a u s , so daß die faktische revolutionäre Wende gegen den aristotelischen Seinsbegriff und Thomas 1 eigene Rezeption desselben nicht mit dem Einwand bestritten werden k a n n , die Einführung logischer Beziehungen, insbesondere der Negation, als Seinsprinzip gelte n u r für Seiendes im Modus der Distinktheit, aber nicht für die als ursprünglich beanspruchte Vorstellung von Seiendem ü b e r h a u p t . Diese Vorstellung wird vielmehr im Zusammenhang mit dem Distinktionsproblem wesentlich präzisiert und allererst p h i losophisch begriffen. Alle Versuche, den Seinsbegriff von b e liebigen Genera, die durch ihnen äußerliche Differenzen zu Spe cies besondert werden, mit der Begründung abzuheben, 'dem Seienden' könne n u r 'das Nichtseiende' - also ein bloßes Nichts wie etwas Fremdes gegenübergestellt werden, diese Überlegun gen haben die Konsequenz, daß beliebige Unterschiede, also die d e r Transzendentalien, der Kategorien und alles u n t e r sie Sub sumierbaren, aus der Bestimmung 'Seiendes', rein für sich und ohne Bezug auf Negativität genommen, müssen entwickelt wer den können; dasselbe folgt auch aus der These, 'Seiendes 1 sei ein u r s p r ü n g l i c h e r Gedanke, wenn Ursprünglichkeit n u r im s t r e n g e n Sinn v e r s t a n d e n wird. Wenn man darin die Annahme ausgedrückt sieht, 'Seiendes' müs se als ein - im logischen Sinn - produktives Prinzip seiner Ein s c h r ä n k u n g e n , die sich auch wechselseitig b e g r e n z e n , aufgefaßt werden, hebt sich von dieser Konzeption besonders deutlich d e r Gedankenschritt des Boethiuskommentars a b , daß solche Bestim mungen, die unmittelbar an ihnen selbst unterschieden sind, als bloße Seiende nicht voneinander unterschieden sein können. Denn hier geht Thomas von besonderen, eingeschränkten Be stimmungen a u s , die als voneinander verschieden gedacht wer den, und macht ihre Betrachtbarkeit als Seiende, statt in ihr einen Zusammenhang mit ihrer aufgenommenen Differenziertheit aufrechtzuerhalten, gerade umgekehrt zu dem Gesichtspunkt i h r e r völligen Unterschiedslosigkeit. Damit ist erst die Konse quenz der philosophischen Konstruktion ausgesprochen, die 'Sein' und 'Seiendes' zu den e r s t e n , weil einfachsten Gedanken
471 e r k l ä r t , die Konsequenz, daß das ganz einfach Intendierte we der eine eigene Differenziertheit noch einen affirmativen Bezug auf Verschiedenes zuläßt, daß es vielmehr als reine Indistinktheit und Unbestimmtheit gedacht wird. Diese Reflexion des Boethiuskommentars kann man also wie eine Entgegnung auf den Versuch anderer Texte, vor allem des ersten Artikels von De v e r i t a t e , i n t e r p r e t i e r e n , den logischen Fortgang von dem Gedanken 'Seiendes' zu Transzendentalien und kategorialen Bestimmungen als eine Explikation von Modi des Seienden überhaupt oder als Einschränkung des unbegrenzt vorgestellten Seienden zu begreifen. Mit Bezug darauf bedeutet die strikte Einfachheit und Bestimmungslosigkeit des Seienden als solchen*, daß es selbst kein Prinzip der Differenzierung besonderer Bestimmungen aus ihm, 'dem Seienden', und gegen einander enthält, daß der Gedanke 'Seiendes', weil er nicht mehr zur Analyse einer Komplexität in sich zurückgehen k a n n , vielmehr in der unbegrenzten Einfachheit seines Intendierten befangen bleibt, statt zu Modifikationen und Einschränkungen desselben über sich hinausgetrieben zu werden. Für diesen Seinsbegriff gewinnt der Gedanke 'ichtseiendes', der wie auch an anderen Stellen 'dem Seienden als solchen' zunächst u n v e r mittelt gegenübergestellt wird, eine neue Funktion: Statt auf die Nichtigkeit der Vorstellung zu reflektieren, das Seiende könne durch das ihm entgegengesetzte Nichtseiende, also ein bloßes Nichts, begrenzt werden, sieht Thomas nun in dem Nichtseienden das einzige mit Bezug auf Seiendes als solches Unterschiedene und in diesem Unterschied das Prinzip für Un terschiede ü b e r h a u p t . Denn er fährt fort, deswegen werde auch dieses Seiende von diesem Seienden n u r dadurch unterschieden, daß in diesem Seienden die Negation jenes Seienden eingeschlos sen werde. Wie immer dieser letzte Gedankenschritt im folgenden noch weiter zu interpretieren sein wird, entscheidend im vorlie genden Kontext i s t , daß der in der Vorstellung des Seienden als solchen befangene Gedanke n u r d u r c h die unmittelbare Ent gegensetzung des Nichtseienden über seine Indistinktheit und Unbestimmtheit hinausgelangt und zunächst Seiendes selbst als etwas gegen anderes Distinktes begreifen k a n n . Indem Thomas der Negation von Seiendem als solchem im Zuge der Begründung von Verschiedenheit überhaupt eine konstruktive Funktion zu e r k e n n t , überwindet er den Eleatismus aristotelischen Typs auch in seiner abstrakten Form, wie er sie selbst mit der Re flexion auf die Nichtigkeit des Nichtseienden, die n u r Seiendes bestehen läßt, vorgeführt h a t . [ l ]
1
Zur Konstruktivität des Nichtseienden paßt e s , wenn Thomas zuweilen 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' zusammen das zuerst Erkannte n e n n t , s. 1 S 24 I 3 ad 2; In 11 Met. 1. 5, 2211.
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) 'Sein' und 'Seiendes' als theoretische Termini für die allge meine Form des Urteils Auch ohne die in der Abhandlung des Boethiuskommentars i n tendierte Gedankenbewegung, aus der die Transzendentalien ' a n d e r e s ' , 'eines' und 'vieles' h e r v o r g e h e n , im Detail nachzuk o n s t r u i e r e n , kann man dem Text einen weiteren Hinweis auf die Revision entnehmen, der er den Seinsbegriff u n t e r z i e h t . Wie schon erwähnt, bezeichnet er weiter unten als ersten Begriff oder Prinzip der Unterscheidung ü b e r h a u p t gleichermaßen Af firmation und Negation einerseits und andererseits die Entge gensetzung von Seiendem und Nichtseiendem ; denn eines werde von einem anderen verschieden genannt, weil es das Betref fende nicht i s t . [ l ] Wie sich aus der belegbaren Ergänzung e r geben h a t , stehen die beiden Ausdrücke 'Seiendes' und 'Af firmation' gemeinsam für den Satz 'Etwas i s t ' , während mit 'Nichtseiendes' und 'Negation' der Zusatz 'Es ist nicht dieses Seiende' gemeint i s t . Die Ausdrücke 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' beziehen sich im vorliegenden Kontext also nicht wie Vorstellungen unmittelbar auf Gegenständliches, sondern machen den allgemeinen Sinn von Urteils formen, die logisch als Affirma tion und Negation reflektiert werden, durch Nominalisierung des allgemeinsten verbalen Prädikats deutlich, also d a d u r c h , daß beliebige Subjekte als durch 'Sein' oder seine Negation bestimmt gedacht werden. Weil der rein formale Charakter von Affirmation und Negation ganz außer Zweifel s t e h t , werden auch 'Seiendes' und 'Nichtseiendes', sobald sie funktionsgleich mit Affirmation und Negation verwandt werden, als äußerste Abstraktionen e r kennbar gemacht, die beliebige Objekte n u r insofern r e p r ä s e n tieren, als sie gar nicht anders als eben u n t e r diesen beiden Formen des Urteils diskursiv gedacht werden können. Daß diese Abstraktionen neben den logischen Termini für Thomas' Absicht, das Distinktionsprinzip zu bestimmen, nützlich sind, kann man an dem Übergang von der Vorstellung u r sprünglich an ihnen selbst Unterschiedener zu der Einsicht in ihre positive Indistinktheit zeigen: Könnte man n u r mit der Un zulänglichkeit reiner Affirmationen argumentieren, dann müßte man Beispielsätze 'x i s t ' , 'y ist' e t c . zulassen, um auf die Vor aussetzung einer Nichtidentität zwischen den Subjekten hinzu weisen. Mit den verschiedenen Symbolen für die Subjekte behält man aber immer noch das Moment d e r Unterschiedenheit einfa cher Einheiten in der Argumentation, als sei es doch u r s p r ü n g lich mit ihnen gegeben und eben deshalb nicht b e g r ü n d b a r , sondern logisch n u r zu umschreiben. Die Abstraktion 'Seiendes' erlaubt es dagegen, die einfachen Bestimmungen, die an ihnen selbst unterschieden sein sollen, als n u r d u r c h die affirmative Urteilsform bestimmt zu d e n k e n , und demonstriert demjenigen, 1
Decker S.135, Z.20 - S.136, Z.4
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d e r dies Gedankenexperiment unternimmt, daß er zugleich alle Distinktheit und Bestimmtheit, auf die die einfachen Objekte angewiesen sind, weggedacht h a t . Mit der Gleichsetzung der Funktionen von Affirmation und Ne gation einerseits und 'Seiendem' und 'Nichtseiendem' a n d e r e r seits praktiziert Thomas also einen Seinsbegriff - ohne ihn eigens zu thematisieren - , demzufolge der Sinn von Sein aus der affirmativen Aussage als einer Form von Urteilen zu v e r stehen i s t , so daß dem Sinn von Sein legitim ein Sinn von Nichtsein aufgrund der negativen Aussageform entgegenzusetzen i s t . Dieser Seinsbegriff, mit dem die Frage nach einem Distinktionsprinzip beantwortet werden soll, ist eine Distanzierung von dem bei Thomas gängigen Verständnis von Sein aus seiner Ent gegensetzung zu dem als 'etwas überhaupt' (res) gedachten Wesen. Denn in diesem Kontext erscheint 'der Akt des Seins' (actus e s s e n d i ) , also etwas positiv Gegebenes, in letzter I n stanz als der Bedeutungsaspekt, u n t e r den man ein Objekt mit dem Ausdruck 'seiend' b r i n g t . [ 1 ] Die implizite Korrektur einer solchen Deutung im Boethiuskommentar erneuert gleichsam deren Ausgangspunkt, Avicennas Abgrenzung eines 'esse affirmativum' gegen die Wesensbegritfe, [ 2] und präzisiert dieses Seinsver ständnis von der bejahenden Aussage her indirekt durch seine Anwendung auf die Konstitution von Unterschieden ü b e r h a u p t . Für Thomas unterliegt es keinem Zweifel, daß die mit dem Seins begriff der Theorie gemeinten Funktionen der Intention auf wirkliches Bestehen (actualitas) und der Verknüpfung von Sub jekt und Prädikat Funktionen des finiten Verbum 'ist' sind; e r s t durch Ableitung von ihm können dieselben Funktionen auch mit den nominalisierten Formen 'Sein' und 'seiend' in Zusammenhang gebracht w e r d e n . [ 3 ] Wenn von 'esse affirmativum' oder 'affir matko und 'negatio' gesprochen wird, dann bezieht sich die theoretische Reflexion nach Thomas' Auffassung auf die Funk tion des finiten Verbum überhaupt in beliebigen Sätzen, da 'Sein' in jedem bestimmteren Verbum impliziert gedacht werden k a n n , wenn man z . B . für 'Laufen' 'laufend Sein' s a g t . [4] Ob wohl diese Reflexion das jeweils bestimmte 'ist' oder 'ist nicht' durch Nominalisierungen vergegenständlicht, um von ihm etwas aussagen zu können, meint sie doch die verbale Explikation einer Beziehung in jedem Urteil und ihre allgemeinsten Formen, 1
So z . B . auch Ver. I 1. Allerdings ist dieses Sein stets als Sein von etwas gedacht, wie es in einem Satz ausgesprochen wird, s . z . B . In T r i n . V 3 , Decker S.182, Z.4f, 9-12. Tho mas wendet den Gedanken aber nicht in dem Sinn, d a ß , was Sein heißen soll, n u r vom Satz her begriffen werden k a n n . 2 Vgl. oben S.347f 3 In 1 Perih. 1. 5, 71ff; v g l . 54ff, 59 4 In 1 Perih. 1. 5, 69
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nicht das Moment der beziehbaren und deshalb einfachen Bedeu t u n g e n . [ 1 ] Deshalb kann Thomas mit Aristoteles sagen, die durch 'Sein' und 'Nichtsein' bezeichnete Verknüpfung (compositio) sei - ihrem jeweils konkreten Sinn nach - ohne die zu verknüpfenden Extreme nicht zu v e r s t e h e n . [ 2] Die Begründung aller Verschiedenheit aus dem Gegensatz von Affirmation und Negation bezieht sich also unmittelbar auf die Form ('est et non est') all derjenigen expliziten Verflechtungen - mit Platon gesprochen - , aus denen eine Unterscheidung r e sultieren k a n n , wie wenn man s a g t , die Qualität sei eine der zehn Kategorien, aber weder Substanz noch Quantität, Relation e t c . Der Konstitutionszusammenhang für Unterscheidungen muß aber auch allgemein an der Form der Unterschiedenen gezeigt werden können. Denn zweifellos werden besondere Unterschei dungen nicht n u r d u r c h finite Verben, sondern auch nominal im Modus des vorausgesetzten Resultats formuliert, wenn etwa von der Qualitätskategorie ü b e r h a u p t oder einer nichtquantitativen, aber unmittelbaren Bestimmung der substantiellen Materie g e sprochen w i r d , [ 3 ] damit die Qualität als etwas so weit schon Distinktes nun weiter bestimmt werden k a n n , Als Reflexions ausdrücke für die Form von zu verknüpfenden Nomina ü b e r haupt verwendet Thomas zwar auch 'etwas' (aliquid) oder 'eine Sache' ( r e s ) . Aber mit der häufigeren Rede vom 'Seienden' und 'Nichtseienden', wie die Tradition sie nahelegt, verdeutlicht er aus platonischer Perspektive den Resultatcharakter unmittel b a r e r nominaler Bestimmungen, das heißt, daß sie in Sätzen aussprechbare Relationen (est) in der Form einfacher Relata (ens) neuer Verhältnisse denkbar machen und daß man den Prozeß dieser Umformung auch analytisch wieder z u r ü c k v e r folgen k a n n . Thomas selbst v e r s t e h t beliebige Partizipien bestimmter Verben im Unterschied zu ihren Infinitiven, in denen sie wie etwas für sich Bestehendes bezeichnet werden, als nominale Verdichtungen (concretio) auf das Subjekt h i n . [ 4 ] Das nominalisierte Verbum von einem Subjekt, auf das es hingeordnet i s t , zu u n t e r s c h e i d e n , ist n u r im Rahmen des Substanz-Akzidens-Schemas sinn voll, wie der Kontext dieser auf dingliche Inhärenz r e k u r r i e renden Stelle zeigt. Die Reflexionsbestimmung 'Seiendes' ist d a gegen gerade so konzipiert, daß sie den Unterschied von b e stimmbarem Subjekt und seiner Bestimmung t r a n s z e n d i e r t . Des1
Hier und im folgenden interpretiere ich den Wechsel verbaler und nominaler Formen von Sein bei Thomas mit Hilfe des oben (S.94-102) entwickelten Verhältnisses von in einem Satz thematisierter Beziehung zweier Termini (Teilhabe) und v o r ausgesetzter Bestimmtheit eines jeden Terminus ( p h y s i s ) . 2 I n t e r p r . 3 , 16 b 22-25; In 1 Perih. 1. 5, 72 3 Vgl. In T r i n . IV 2, Decker S.140, Ζ.16-23 4 In 7 Met. 1. 1, 1253ff
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halb kann an der Bestimmung ' S e i e n d e s ' die doppelte Verwend barkeit aller Partizipien als Prädikate wie als Subjekte - wovon Thomas s p r i c h t [ l ] - ohne kategorientheoretische Vorbehalte demonstriert werden. Während mit dem nominalen Ausdruck 'Sein' das verbale oder Sachverhaltmoment von Sätzen intendiert i s t , meint man mit 'Seiendes' nominal zu bezeichnende Gegen stände in größter Allgemeinheit. Indem sie aber d e r a r t durch die Nominalisierung desjenigen Verbum begriffen werden, v e r mittelst dessen die Form des verbalen Verknüpfens und Objektiv i e r e n s , also die Form der Urteile überhaupt gedacht wird, werden sie vor allem auf diese verbale Funktion bezogen. Das heißt, prinzipiell als Seiendes gedacht, hat das Gegenständliche keine irreduzibel vorgegebene Natur, der sich die Sprache durch Nomina n u r anpassen könnte - was man durch einen Vor r a n g etwa der transzendentalen Bestimmung ' r e s ' andeuten könn te - , vielmehr ist es n u r d u r c h die grammatische Entgegenset zung zum finiten Verbum bedingt, durch die es mit diesem zu sammen allein den Satz des diskursiven Verstandes ausmachen k a n n . Mit 'Seiendes' wird dieselbe Intention auf Objektivität gegenständlich gefaßt, die mit ist' im Hinblick auf einen Sach verhalt ausgedrückt wird. Das Transcendentale 'Seiendes' bringt also den Satzcharakter aller scheinbar selbständig bedeutenden nominalen Bestimmungen zur Geltung, das heißt, daß sie unmittelbare Sinneinheiten n u r als Relata einer Aussagebeziehung und selber Resultate, Ver dichtungen anderer Beziehungen sind. Als Ausdruck dieser all gemeinsten Form der sprachlichen Vernunft geht 'Seiendes' noch der Entgegensetzung von Affirmation und Negation logisch v o r a u s , weil es bloß die in jedem Urteil vollzogene Beziehung, die Thomas als comparatio oder compositio von Affirmation und Ne gation a b h e b t , [2] für ihre Extreme allgemein geltend macht. Erst als besondere Formen der Synthesis im Satz ü b e r h a u p t , die zugleich ein objektives Verhältnis intendiert, können Affirmation und Negation in ihrem Gegensatz begriffen werden. Im Boethiuskommentar kommt es Thomas auf die konstruktive Funktion a n , die die Verknüpfung eines affirmativen mit einem negativen Ur teil für jegliche Unterscheidung a u s ü b t . Um die Unentbehrlichkeit dieser Entgegensetzung zu demonstrieren, denkt er sich beliebige einfache Subjekte bloß als seiende, d . h . so, als seien sie n u r durch die Urteilsbeziehung als solche bestimmt, die auch als affirmative Verbindung (compositio) erscheinen k a n n , solange man dieser nicht die Negation gegenüberstellt. [3] Die Abstraktion nominaler Subjekte auf ihre Bestimmtheit durch die 1 2 3
In 1 Perih. 1. 5, 55 In 1 Perih. 1. 3, 26; In 3 An. 1. 11, 760 Thomas selbst hält im Perihermeneiaskommentar seine Unter scheidung zwischen der Synthesis, die jedes Urteil vollzieht, und der durch Affirmation intendierten Verbindung in d e r Sache nicht konsequent fest, s . In 1 Perih. 1, 8, 90.
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Urteilsform hin setzt aber v o r a u s , daß ihre besonderen Bedeu tungen grundsätzlich aus diskursiven Analysen, aus Verflech tungen im platonischen Sinn resultieren und nicht auf einer irreduziblen Bedeutungsnatur basieren, die n u r durch unmit telbare Referenz auf Objektives begründet schiene. Denn die reine Bestimmungslosigkeit im Sinn von Indistinktheit, die aus dem Wegdenken aller negativen Urteile für das abstrakte S u b jekt von Urteilen überhaupt (ens) folgt, wäre für eine nominale Bestimmung belanglos, die ihre wohldefinierte Bedeutung u n a b hängig von i h r e r Analyse in Urteilsbeziehungen h ä t t e . - Thomas zieht diese Konsequenz seiner Begründung von Verschiedenheit selber nicht. Sie würde seine im Kategorienbegriff fundierte These e r s c h ü t t e r n , daß satzförmige Erkenntnisse auf dem ein fachen Verstehen von Wesensbestimmungen als einer anderen Erkenntnisart b a s i e r e n . [ 1 ] 4. Voraussetzungen und Schwierigkeiten einer sprachphiloso phischen Interpretation des Distinktionsbegriffs a) Die Transzendentalien Urteilsbeziehungen
als logische Form aller Extreme von
Wie Thomas' Rede vom Seienden auf die Funktion der Aussage zurückzubeziehen i s t , stellen sich auch die aus demselben Seinsbegriff entwickelten transzendentalen Bestimmungen für eine rationale Interpretation als die allgemeine Form nominaler Urteilsmomente d a r . Daß die Transzendentalien Modi jedes Sei enden als solchen genannt werden, bedeutet dann ihre Funk tion, zu explizieren, was es für beliebige nominal gedachte Ob jekte heißt, Verdichtungen von Aussagen um der Möglichkeit neuer Aussagen willen zu sein, in denen sie jeweils ein mit einem anderen zu synthetisierendes Extrem sind. Thomas' Analyse der Andersheit im Boethiuskommentar geht zwar von zwei Typen unterschiedener Objekte a u s , den zu sammengesetzten, die aufgrund der gegebenen Verschiedenheit i h r e r einfacheren Elemente unterscheidbar und deshalb mehrere sind, und den einfachsten Elementen selbst, deren Unterschei dung nicht aus Gegebenem, sondern n u r logisch b e g r ü n d e t werden k a n n . Wie schon g e s a g t , wird diese anfängliche Eintei lung aber ausdrücklich d u r c h die Prinzipienfunktion der logi schen Unterscheidung relativiert, vermöge d e r e r allein auch ein Zusammengesetztes von einem andern mit Berufung auf v e r s c h i e dene Elemente unterschieden werden k a n n . Erst wenn man im Hinblick auf die Unterscheidung Einfacher auf ihre logische Form 'x ist und ist nicht y' reflektiert h a t , wird sie als die Form aller Distinktionen und i h r e r Resultate, der bestimmten Objekte, deutlich. 1
In T r i n . V 3, Decker S.182, Z . l - 1 2 ; In 1 A n . p o s t . 1. 2, 14
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Wie die These der Interpretation zu verstehen i s t , Thomas' Ent wurf einer logischen S t r u k t u r der Transzendentalien entwickele die Form jeglicher Bedeutungseinheit aus ihrer Verflochtenheit in verschiedene Sätze, soll zunächst an einem Beispiel illustriert werden. Für einen mittelalterlichen Aristotelesinterpreten dürfte nach der Eröffnung der Universalienfrage d u r c h Porphyrius der Gedanke einer logischen Konstitution von distinkter Bestimmtheit besonders dann anstößig sein, wenn dadurch die Prinzipienfunk tion letzter Urteilssubjekte, reiner Zugrundeliegender wieder relativiert wird, indem sogar ihre Distinktheit logisch begründet wird. Auch Aristoteles' Formulierung des Widerspruchsprinzips, das eine formallogische Bedingung für Unterscheidungen auf stellt, spricht von dem Identischen, dem dieselbe Bestimmung nicht zugleich zukommen und nicht zukommen k a n n , wie von einem schlechthin vorausgesetzten Zugrundeliegenden. [ 1] Weil aber Thomas' Frage nach dem Distinktionsprinzip einfacher Ob jekte keinen Rekurs mehr auf verschiedene Zugrundeliegende zuläßt, mit denen das jeweilige zu Unterscheidende zusammen gesetzt sein müßte, ist es gerade konsequent, sich eine Kon stitution letzter Subjekte d u r c h Distinktion zu d e n k e n . So steht die Literaturgeschichte nicht selten vor der Aufgabe, entscheiden zu müssen, ob das einem Autor zugeschriebene Werk tatsächlich von ihm allein verfaßt oder zum Teil von Schülern oder anderen Interessierten ergänzt wurde. In einem solchen Zweifelsfall bestimmt man die Subjekte der literarischen Tätigkeit ganz nach dem von Thomas angegebenen Schema, in dem man etwa einen neuentdeckten Hinweis auf eine Beziehung des Autors zu einem Politiker, der zu der erschließbaren Ab fassungszeit des Proömium noch nicht lebte, mit dem Argument auswertet, der Autor des Proömium und eines abgrenzbaren ersten Teils des Werkes könne nicht auch den Teil geschrieben haben, in dem von jenem Politiker die Rede i s t , weil er zu d e s sen Zeit mit Sicherheit schon gestorben war; also wäre der Ver fasser dieses zweiten Teils von dem des ersten zu unterscheiden und eine andere Person als e r . Auf der anderen Seite ist es d e n k b a r , daß gerade d u r c h die Unterscheidung des Verfassers des zweiten Teils von dem des ersten inhaltliche und im engeren Sinn historische Zusammenhänge dieses zweiten Teils mit einer anonym überlieferten Schrift, Zusammenhänge, die bis dahin wenig beachtet worden waren, in einem neuen Licht erscheinen. Man kann nun aus diesen Zusammenhängen folgern, daß der Anonymus, den man seither von dem Verfasser des zweiten Teils jenes anderen Werkes - wie dieses Werkes im Ganzen - aus guten Gründen unterschieden h a t t e , von dem neu erschlossenen späteren Autor nicht verschieden, sondern ein und dieselbe Person wie dieser i s t . 1 Met.T 3 , 1005 b 19f
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So sind die Transzendentalien 'Andersheit' (aliquid, divisum) und ' I d e n t i t ä t ' (unum, idem) nicht allgemeinste Bestimmungen, die die philosophische Reflexion n u r nachträglich als Modalitäten des Seienden als solchen aufstellte, sondern in der Bestimmtheit jeglichen Objekts verwirklichte Bedingungen. Und ihre Entwick lung aus dem Gedanken 'Seiendes' ist nicht die Konstruktion d e r a b s t r a k t e s t e n Begriffsstruktur separat für sich, sondern die Rekonstruktion der Form d e r Urteile, d u r c h die auch in d e r Empirie besondere Verschiedenheit und Identität und damit die Form der Bestimmtheit eines Gegenstandes synthetisch konsti tuiert werden, wenn der Gegenstand nicht als distinkt wie et was Selbstverständliches vorausgesetzt werden k a n n . Wird a b e r , wie es jede beliebige Rede nicht anders tun k a n n , das nominal Gedachte, also Zugrundeliegendes und bestimmte prädikative Sinneinheiten, wie etwas selbstverständlich Bekann tes v o r a u s g e s e t z t , dann zeigt Thomas' logische Entwicklung eini ger Transzendentalien, daß das Vorausgesetzte für die Refle xion aus i h r e r Form nach apriorischen Sätzen r e s u l t i e r t . Damit bezieht er Aristoteles' Grundsatz von dem für alle Erkenntnis notwendigen Vorwissen unausdrücklich auf einen satztheoreti schen Zusammenhang. In der Sache scheint dies dieselbe t h e o r e tische Bewegung zu sein, die man auch bei Platon in einer Wei terentwicklung - eher als einem Übergang - der Anamnesistheor i e , die der genannte aristotelische Grundsatz noch in Anspruch nimmt, zur sprachphilosophischen Unterscheidung von unmittel baren Bedeutungen (physis) und expliziten Verflechtungen (methexis, symploke) in den Spätdialogen sehen k a n n . Im folgenden ( 5 . ) soll Thomas' Konzeption des Distinktionsprinzips ein letztes Mal und nun als Rekonstruktion der Form all der Sätze b e trachtet werden, aus denen immer identische Bestimmtheit r e s u l tieren k a n n . Diesem Vorhaben stehen jedoch erhebliche Schwie rigkeiten der Textauslegung e n t g e g e n , die zuvor zu e r ö r t e r n sind. b) 'Indistinktes Seiendes ü b e r h a u p t ' , ein Hinweis auf die Unbe stimmtheit schlechthin einfacher Gegenstände Man kann sich auch bei der Deutung von Thomas f unmittelbarem Ausgangspunkt, der Frage nach einem Distinktionsprinzip für schlechthin einfache Objekte, die Freiheit nehmen, Platons Ein sicht, daß das jeweils als unmittelbar Beanspruchte ebensosehr als Resultat von Zusammenhängen reflektiert werden k a n n , auf die Rede von einfachen Objekten anzuwenden. Dann kommt man zu einem v e r b e s s e r t e n Verständnis des ersten Gedankenschritts der Argumentation, muß aber zugleich einen Widerspruch zu Thomas' eigener Auffassung von den Konsequenzen seiner Über legungen in Kauf nehmen. - So, wie Thomas' Übergang von d e r Vorstellung einfacher, d u r c h sie selbst unterschiedener Bestim-
479 mungen oder Objekte ü b e r h a u p t zu dem Gedanken, daß Seiendes als solches nicht von Seiendem unterschieden werden k a n n , oben (S.472) i n t e r p r e t i e r t wird, ist noch ein Einwand gegen ihn möglich. Wenn nämlich ein einfaches Objekt als Seiendes zu b e t r a c h t e n , heißt, es als n u r d u r c h die affirmative Urteilsform bestimmt anzusehen, dann scheint die UnUnterscheidbarkeit des so gedachten Einfachen aus der Abstraktion von seiner eigen tümlichen Bestimmtheit zu resultieren, aus der Reduktion des Einfachen auf bloße Affirmativität, die als reine Form von Ur teilen allerdings keinen Unterschied mehr enthalten k a n n , son dern n u r noch von der ihr entgegengesetzten Form der Negativität zu unterscheiden i s t . Der Einwand könnte deshalb lau t e n , der abstrahierende Übergang von einfachen Objekten zu Seiendem als solchem nehme schon das Resultat des Arguments vorweg, daß erste Termini n u r aufgrund i h r e r wechselseitigen Negation als voneinander verschieden betrachtet werden kön n e n , ohne daß die Abstraktion von der jeweiligen Eigenbe stimmtheit des einzelnen Einfachen legitimiert wäre. Diesem Einwand ist zu begegnen, indem man seine Vorausset zung in Frage stellt, daß ein bestimmtes Einfaches wider spruchsfrei gedacht werden k a n n . Problematisch muß nämlich aus der Perspektive der platonischen Sprachphilosophie erschei nen, wie die beanspruchte Bestimmtheit eines Einfachen von einer Erklärung d u r c h Verflechtung mit anderen Bestimmungen soll ausgenommen werden können, wenn die Reflexion auf den genauen Sinn der Bestimmtheit deren Konstitution d u r c h Sätze zu rekonstruieren s u c h t . Wenn das Argument allgemein gilt, daß unmittelbar vorausgesetzte Bedeutungen ebensosehr als Vorwis s e n , als Resultat einer diskursiven Synthesis zu betrachten sind, dann wird auch jedes als bestimmt intendierte Einfache für die Reflexion zu einem Komplexen, das aus verschiedenen n u r in Sätzen darstellbaren Beziehungen r e s u l t i e r t . Das kann man auch an Thomas' Beispielen für einfachere oder schlechthin einfache Objekte nachprüfen, wenn er etwa in d e r selben Abhandlung des Boethiuskommentars die Verschiedenheit der mindestens relativ einfacheren Lage (situs) als Grund für die Unterscheidung von Teilen einer Linie n e n n t . [ 1 ] Denn die Lage als das einfachere Prinzip wird zugleich aus i h r e r Funk tion e r k l ä r t , Quantität im Hinblick auf die empirisch bekannte Räumlichkeit von Körperdingen zu differenzieren, und die Mo mente, mit denen sich die Bestimmung 'Lage' auf diese Weise verflochten zeigt, wären wiederum in komplexe Beziehungen analysierbar, so z . B . die Quantität. Sie wird zwar auch an einer anderen schon genannten Stelle[2] als eine der ersten Bestimmungen angeführt, die durch sich selbst distinkt sind und wechselseitig die Negation des anderen implizieren - "keine 1 Decker S.134, Z.15ff; v g l . dazu oben S.369-372 2 cG I 7 1 , 605
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Quantität ist eine Substanz". Aber in seiner Erklärung der Ka tegorien versteht Thomas die Quantität als ein Prädikat, das dem Subjekt an ihm selbst, ohne Beziehung auf anderes und als Folgebestimmung des materiellen Moments - der Substanz - zu komme, und macht sie damit zu einer höchst komplexen Sinn einheit. Wollte man die Transzendentalien als e r s t e , schlechthin einfache Bestimmungen vorschlagen, so sähe man sich wiederum auf Erklärungen verwiesen, die sie als Modi jegliches Seienden in den hier zu interpretierenden komplexen Zusammenhang b r i n gen. Bei Thomas selbst ist also offensichtlich kein Fall von meh r e r e n ursprünglichen Objekten zu finden, die das Kriterium s t r i k t e r Einfachheit, von dem das Argument zum Distinktionsprinzip a u s g e h t , erfüllen könnten. Wenn die dafür allenfalls in Frage kommenden allgemeinsten Bestimmungen auch nicht d e finierbar im technischen Sinn sind, so können sie doch gerade so wie andere in einen komplexen Zusammenhang sinnkonstitutiver Momente analysiert werden. Es liegt also von der Sache her n a h e , die Annahme von mehre ren an ihnen selbst unterschiedenen Einfachen für bloß v o r läufig zu halten, weil die Reflexion auf die unterscheidende Be stimmtheit jedes einzelnen die Unverträglichkeit aller Bestimmt heit mit der Einfachheit eines schlechthin ersten Objekts h e r v o r t r e t e n läßt. Dieser Distanzierung kommt Thomas zunächst dadurch entgegen, daß er im Zusammenhang mit der Frage nach dem letzten Distinktionsprinzip die angesetzten einfachen Ob jekte nicht zu identifizieren s u c h t , weder mit Kategorien oder Transzendentalien noch auf andere Weise. Vor allem aber r e c h t fertigt Thomas die sprachphilosophische Interpretation mit dem bei einem anderen Verständnis leicht angreifbaren - Übergang von einfachen ersten Objekten zu dem Gedanken 'Seiendes als solches'. Was sonst als eine u n b e g r ü n d e t e Abstraktion und als Hypostasierung allgemeiner Bestimmungen zu Seienden e r s c h e i nen m u ß , [ l ] geht aus der Reflexion, daß Bestimmtheit mit Ein fachheit nicht zu vereinbaren i s t , mit aller Folgerichtigkeit h e r v o r , daß nämlich das Einfache, der Grenzbegriff jeder analyti schen Prinzipienforschung im aristotelischen Sinn, n u r ein ganz Unbestimmtes sein k a n n , das noch Hegel am Anfang der Wissen schaft d e r Logik mit 'sein' als dem Inbegriff alles Affirmativen bezeichnet. Verzichtete Thomas in dem Konflikt zwischen Einfachheit und Bestimmtheit, den man seinem Begriff von e r s t e n Unterschiede nen unterlegen k a n n , auf das Kriterium der Einfachheit, dann stellte er das zuvor entwickelte Modell eines Regressus in den Unterscheidungsgründen zusammengesetzter Objekte in F r a g e . Denn das Begründen von Zusammengesetztem, wird dieses n u r als solches genommen, kann generell n u r in dem ihm e n t g e g e n gesetzten Moment eines strikt Einfachen, im tatsächlichen Voll1
Vgl. oben S.451 Anm.l
481 zug also der komplexen Einheit des Gegensatzes, seine Grenze finden. In der vorliegenden Radikalisierung des aristotelischen Prinzipienbegriffs auf Einfachheit als eines seiner konstitutiven Momente hin zeigt sich sein dialektischer, d . h . von der gegen sätzlichen Logik des Sprechens bestimmter Charakter, obwohl mit der Frage nach den Prinzipien n u r ein allgemeines Modell für einzelwissenschaftliche Beweisgründe intendiert war: Was dem konsequent verstandenen Kriterium d e r Einfachheit genügen k a n n , ist keine von anderen unterschiedene Bestimmung von Gegenständen mehr, die in ein wissenschaftliches B e g r ü n d u n g s verfahren eingehen könnte, sondern der ganz leere Gedanke eines Seienden ü b e r h a u p t , mit dem man n u r indistinkte und unbestimmte Gegenständlichkeit affirmativ meint. c) Thomas' partielles Festhalten an einfachen Bestimmungen als dem primär Unterschiedenen Gegen die Annahme, Thomas selbst habe die vielen einfachen durch sie selbst Unterschiedenen reflektierend als je ein bloßes Seiendes entdeckt, das mit seiner Unterscheidbarkeit von einem anderen Seienden als solchem auch seine Jeweiligkeit v e r l i e r t , gegen die Vermutung einer solchen absichtlichen Korrektur des Ansatzes spricht die unbestreitbare Tatsache, daß Thomas in seinem weiteren Gedankengang wieder von ersten Termini, ersten Unterschiedenen, einer Vielheit e r s t e r Einfacher und einer Vielheit von Prinzipien r e d e t . [ 1 ] Er kommt also auf die einfachen d u r c h sie selbst Unterschiedenen zurück, setzt bloß den Begriff und das Prinzip dieser Selbstunterscheidung in die logischen Formen des Urteils, Affirmation und Negation, und ihren Gegensatz. Dieser Einwand gegen die sprachphilosophische Interpretation ist auch kaum mit dem Versuch zu entkräften, daß man die von Thomas im Zusammenhang mit dem Distinktionsprinzip entwickel ten Transzendentalien 'Seiendes - Nichtseiendes', ' V e r s c h i e d e nes - Identisches' und 'Eines - Vieles' selber als die einfachen, unmittelbar unterschiedenen Bestimmungen ansieht, die die Un terscheidung von komplexen b e g r ü n d e n . [2] Eine solche Deutung 1 2
Decker, S.135, Z.8, 23, S.136, Z . l , 6, 9 Auf die transzendentalen Formen des Unterscheidens bezieht offensichtlich H. Weidemann, Metaphysik und Sprache, S.52f u . S.55, die Rede von ursprünglich unterschiedenen Termi ni, erläutert das aber zugleich am Begriff des Verschiedenen so, daß das Verschiedene mit dem, wovon es verschieden i s t , nicht identisch sei. Indem er nicht vom Unterschiedensein der abstrakten Verschiedenheit, sondern von einem immer besonderen Verschiedenen s p r i c h t , weist er darauf hin, daß die ersten Bestimmungen gerade nicht wie an ihnen
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würde besagen, daß die zu allgemeinen Nomina verdichteten Formen, in denen Distinktion und Identifikation als logische, prädikative Handlungen ü b e r h a u p t n u r vollzogen werden kön nen, zugleich das zuerst Unterschiedene und Identifizierte, also ursprünglich und unmittelbar auf sich selbst angewandt sind. Eine entsprechende Reflexion des Gedankengangs darauf, daß er die Formen der Distinktheit, die er entwickelt, auch selber als etwas Distinktes und sogar als das u r s p r ü n g l i c h Distinkte behandelt, ist aber im Text nicht zu finden. Vielmehr folgert (unde et) Thomas aus der Überlegung, daß von Seiendem n u r Nichtseiendes unterschieden wird, als einen neuen Gedanken s c h r i t t , daß ein bestimmtes Seiendes (hoc ens) n u r d u r c h Nega tion von einem - dadurch - anderen bestimmten zu u n t e r s c h e i den i s t , und von diesem Begriff des bestimmten Seienden leitet er - wie subsumierend - her ( u n d e ) , daß die ersten Termini unmittelbar voneinander zu negieren s i n d . [ l ] 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' können also keine solchen ersten Termini sein, weil dann der Zwischenschritt, der Begriff d e r Negativität des besonderen Seienden, unnötig und unverständlich wäre. Und 'unterschieden' kann dieser Textstelle zufolge nicht zu den u r sprünglich unterschiedenen, einfachen Objekten gehören, weil es in den beiden Sätzen ü b e r Seiendes und bestimmtes Seiendes jeweils verbal gebraucht wird ( d i v i d i t u r ) , also das intendierte Sachverhältnis bildet und deshalb nicht zugleich als ein Relatum d u r c h eben dieses Verhältnis bestimmt wird. Dieselbe Abhebung der Transzendentalien als Formen und Fol gebestimmungen des Unterscheidens und Identifizierens von dem unmittelbar zu Unterscheidenden kann man aus d e r Fortsetzung des Textes entnehmen, die auf den Exkurs ü b e r die Unter scheidung von Grund und Begründetem folgt. [2] Denn da wird die Formulierung, der e r s t e Begriff oder das Prinzip d e r Viel heit oder Unterscheidung bestehe aus Affirmation und Negation, mit der anderen Version noch einmal aufgenommen, daß aus den zuerst zu erkennenden Bestimmungen 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' die ersten Unterschiedenen selbst konstituiert werden, selbst hinreichend unterschiedene Selbständige, sondern n u r vermittelst i h r e r notwendigen Funktion für beliebige andere Objekte begriffen werden können. Das schließt die Anwen dung dieser Funktion auf die Transzendentalien selbst nicht a u s . Aber diese Reflexion der Transzendentalientheorie d a r auf, daß ihre Begriffe vom Charakter der Reflexivität sind, ist nicht d a s , was ein Gedankengang wie der von Thomas skizzierte mit den ersten Schritten seines logischen Rekonstruierens der Bedingungen von Objektivität i n t e n d i e r t . 1 Decker S.135, Z.6-9 2 Ebenda, Z.20-23
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die dadurch mehrere sind; und einige Zeilen weiter unten spricht Thomas noch einmal von der Entgegensetzung ' S e i e n des - Nichtseiendes' als dem Grund der Verschiedenheit. [ 1] Ganz entsprechend ist im Sentenzenkommentar dasselbe Ver hältnis so formuliert, daß Unterscheidung und Unterschiedene durch die Termini 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' gedacht wer d e n . [2] Der Begriff der Unterscheidung, der zugleich ihr Prinzip i s t , wird also aus den Termini 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' gebildet, durch ihre Verknüpfung nämlich (in hoc ente includitur negatio illius e n t i s ) , aber dieser Begriff und seine Momente sind nicht zugleich selber das Begriffene, das Prinzip ist nicht selber unmittelbar d u r c h sich selbst b e g r ü n d e t . Vielmehr wird d a s , was immer ohne Rekurs auf v o r g e g e bene Verschiedenheit, also ursprünglich zu unterscheiden i s t , - bloß als Unterschiedenes genommen - aus den Momenten 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' konstituiert und bildet mit seinem Anderen eine Vielheit von Verschiedenen. Daß Thomas sich die zur Diskussion stehenden Transzendenta lien als Prädikate, die Beliebiges zu einem Unterschiedenen ma chen und es als solches weiterbestimmen, und nicht selber als die ersten Subjekte des Unterscheidens dachte, demonstriert auch eine schon mehrfach zitierte, relativ ausführliche Paral lelstelle. [3] Denn da heißt e s , der Begriff der Distinktion b e stehe d a r i n , daß ein Objekt (res) nicht das andere sei, o d e r , etwas (aliquid) werde als ein Seiendes e r k a n n t ; das Etwas, das durch die Unterscheidung zu 'diesem Seienden 1 wird, oder 'die Sache' bleiben auch das Subjekt von Einheit und Vielheit. So wird nicht n u r verdeutlicht, daß die unterscheidenden Tran szendentalien für eine erste Reflexion auf das Distinktionsprinzip nicht selber das Unterschiedene sind. Zugleich scheint auch ein Ausweg aus der Problemlage a n g e d e u t e t , die allererst die Hypothese nahelegt, die Transzendentalien fungierten selber als e r s t e , einfache Unterschiedene. Denn hier ist als Subjekt der zu Transzendentalien verdichteten Formen des Unterscheidens offenbar jegliches gemeint, das n u r distinkt gedacht werden soll, als wollte Thomas die Abhebung bestimmter und doch ein facher ursprünglich Unterschiedener von aus ihnen zusam mengesetzten und dadurch zu Unterscheidenden überwinden. Und wenn man nicht mehr zu fragen b r a u c h t e , was für Thomas die ausgezeichneten einfachen Unterschiedenen sind , dann gäbe es auch keinen Anlaß für den Vorschlag mehr, die Transzen dentalien selbst in dieser Funktion interpretierend einzusetzen. Die Distinktion ist aber an dieser Stelle von De potentia nicht Thema, sondern wird zur Analyse von Vielheit und Einheit h e r angezogen. Im Boethiuskommentar dagegen, der die Frage nach 1 2 3
Decker S.136, Z.lff 1 S 24 I 3 ad 2 Pot. IX 7 (F) u . ad 15
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den Unterscheidungsgründen ausdrücklich stellt, wird das Fest halten an bestimmten einfachen und deshalb n u r an ihnen selbst zu unterscheidenden Objekten offensichtlich auch durch ein Beispiel bekräftigt: Im Anschluß an das erste Reflexionsergeb n i s , daß in den ersten Termini unmittelbar negative Sätze im pliziert sind, schreibt Thomas, auch das erste Begründete ma che darin eine Vielheit mit dem Grund zusammen a u s , daß es nicht zu ihm g e h ö r e . [ 1 ] Er findet also eine Unterscheidung des gemeinten Typs in dem Grundbegriff der Kausalität, den Avi cenna zusammen mit transzendentalen Bestimmungen n e n n t . [2] Damit bringt er das Vorverständnis von Kausalität, daß sie als die Relation Grund - Begründetes eine Entgegensetzung i s t , deren eines Extrem die Negation des Anderen impliziert, in einen allgemeineren Zusammenhang. [ 3] Die Frage, ob 'Grund' 1 2 3
Decker S.135, Z.9ff Log. 1, f. 2 ra Zur Negativität der Relation s . In 10 Met. 1. 6, 2040 f. Man könnte v e r s u c h e n , in der Bezüglichkeit der Kausalität eine Erläuterung dessen zu sehen, was Thomas mit Selbstunter scheidung einfacher Bestimmungen und der unmittelbaren Implikation negativer Sätze in den ersten Termini meint. Als relative wäre die Bestimmtheit der einfachen Objekte selber schon von der Form der Unterscheidung, und diese brauchte nicht e r s t durch Abstraktion von den einfachen Bestimmun gen gewonnen zu werden. Gegen eine solche Vereinigung von Bestimmtheit und Distinktion einfacher Objekte spricht a b e r , daß Thomas, wie oben (S.462, Anm.2) schon g e s a g t , gerade in diesem Artikel eine Aufwertung der Relation vermeidet (ob. 3 u . ad 3 ) , wie sie mit der These, die e r s t e n , einfa chen Bestimmungen seien wie 'Grund' und 'Begründetes' n u r als auf je ihr Anderes bezogen zu v e r s t e h e n , unvermeidlich v e r b u n d e n wäre. Schon deshalb, weil Relationalität mit Ein fachheit im strengen Sinn nicht zu vereinbaren i s t , brauchte man einen besonderen Hinweis des T e x t e s , um die Kausalität für ein Modell d e r gemeinten einfachen Erstbestimmungen halten zu können. Wie Thomas' Ausweichen in der Frage d e r Relation 'Andersheit' zeigt, sieht er sich um der Wahrung des Kategorienschemas und des ihm zugrundeliegenden P r i n zipienbegriffs willen nicht in der Lage, eine gewisse P r i n zipienfunktion relationaler Bestimmungen offen a u s z u s p r e c h e n . - Schließlich wird eine Modellfunktion des mit 'auch" n u r locker angeschlossenen Kausalitätsbegriffs auch durch das einzige an anderer Stelle gegebene, explizite Beispiel (ut) für die Selbstunterscheidung von Erstbestimmungen unwahr scheinlich (cG I 7 1 , 605). Eine teilweise gleichlautende Cha rakterisierung der ursprünglichen Distinktion durch wechsel seitige Negation illustriert Thomas da mit dem Satz: "Keine Quantität ist eine Substanz". Er wählt also nicht etwa das Gegensatzpaar 'Akzidens - Substanz', das mit der Relation
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und ' B e g r ü n d e t e s ' einfache Bestimmungen sind, bleibt u n e r ö r t e r t , lediglich d e r Kontext, in dem n u r von der unmittelbaren Unterscheidung e r s t e r einfacher Objekte die Rede i s t , während der Text erst deutlich weiter unten auf die abgeleitete Unter scheidung Zusammengesetzter zurückkommt, läßt kaum eine an dere Annahme zu. Das heißt, Thomas bindet jedenfalls nicht konsequent die Ein sicht in die Notwendigkeit, Unterscheidungen auf die Entgegen setzung eines affirmativen und eines negativen Urteils zurück zuführen, an das Argument, daß der Rekurs auf letzte gege bene Unterscheidungsgründe, die sich als einfache an ihnen selbst voneinander unterscheiden sollen, gegen sein Vorver ständnis von bestimmten einfachen Elementen zu einem ganz Un bestimmten, Ununterscheidbaren gelangt. Mit dem Verhältnis ' G r u n d - B e g r ü n d e t e s ' scheinen auch Bestimmungen als erste Un terschiedene akzeptiert zu sein, die man gewöhnlich aufgrund i h r e r bekannten Bedeutungen für an ihnen selbst distinkt g e geben - und nicht logisch zu Unterschiedenen konstruiert halten würde. Im Hinblick darauf muß man wohl annehmen, daß die Abhandlung des Boethiuskommentars ü b e r Vielheit und Andersheit die logische Form der Distinktion, ausgedrückt in den Transzendentalien 'Seiendes - Nichtseiendes', 'Unterschiedenes - Identisches' und 'Eines - Vieles', als bloße Form der Unter scheidung relativ einfacher Objekte wie 'Grund' und ' B e g r ü n d e tes' und vermittelst dieser auch als Form der Unterscheidung zusammengesetzter Gegenstände ansieht. Zwar spricht Thomas nicht von bloßer 'Form der Unterscheidung', sondern von ihrem Begriff oder Prinzip, das er als notwendige Bedingung von Andersheit ü b e r h a u p t klar h e r v o r h e b t . Aber so, wie er die Re sultate seiner Reflexion auf dieses Prinzip formuliert, hält er an der zuvor eingeführten Vorstellung einfacher Bestimmungen als desjenigen zu Unterscheidenden fest, das dem Distinktionsprinzip ursprünglich zugrunde zu legen i s t . Doch kann auch eine immanente Interpretation auf dieser Grund lage nicht befriedigen, vielmehr führt das Nachdenken über den problemreichen und doch so knappen Text eher zu der Auffas s u n g , daß er keine in ihren verschiedenen Hinsichten konse quent durchdachte Konzeption beschreibt, sondern mehrere Stadien der Reflexion ü b e r ein Prinzip von Unterschiedenheit überhaupt so miteinander v e r b i n d e t , daß die kritische Funktion des Gedankenfortschritts für den vorausgegangenen Ansatz nicht zur Geltung kommen k a n n . Behält nämlich die ganze Re flexion die anfängliche Vorstellung einfacher Bestimmungen als des ursprünglich zu Unterscheidenden bei, dann fällt sie hinter 'Begründetes - Grund' besser zu vergleichen wäre, sondern zwei Kategorien, deren jeweilige Bedeutung man auch u n a b hängig von einer Reflexion auf ihr sie unterscheidendes Ver hältnis zueinander zu verstehen meint.
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die von Aristoteles übernommene Einsicht z u r ü c k , daß Bestimmt heit (determinatio) ohne Distinktion nicht gedacht werden kann.[1] Wenn Thomas seinen Begriff von u r s p r ü n g l i c h e r Unterscheidung, daß in den ersten Termini unmittelbar negative Sätze enthalten sind, mit dem Zusatz e r l ä u t e r t , "als ob die Negation des einen im Begriff des anderen wäre", [2] so kann damit die Untrennbarkeit jeder für sich genommenen einfachen Bestimmung von i h r e r Distinktion gegen andere bloß anders formuliert sein. Fraglich bleibt, wie dieser Gedanke im vorliegenden Kontext realisiert werden soll. Man müßte v e r s u c h e n , die - d u r c h g ä n gig, nicht n u r vorläufig behauptete - Idee einfacher und doch bestimmter u r s p r ü n g l i c h e r Objekte mit der Einsicht in die Ein heit von Bestimmtheit und Distinktheit zu v e r b i n d e n . Das ist am ehesten mit der Annahme möglich, als einfache Bestimmungen kämen n u r die Extreme von Verhältnissen wie 'Grund' und 'Be g r ü n d e t e s ' in Betracht, Bestimmungen also, deren Bedeutung sich auch einer e r s t e n , noch nicht auf das Distinktionsproblem zielenden Reflexion n u r vermittelst der - wie selbstverständlich auch unterscheidenden - Beziehung auf ein Entgegengesetztes erschließt. Gegen diese Interpretation sprechen aber nicht n u r die schon angemerkten Bedenken, sondern auch die Frage, warum Thomas dann auf die Unterschiedslosigkeit des Seienden als solchen und seine ausschließliche Unterschiedenheit vom Nichtseienden zurückgreift, wenn doch die Negativität aller Ent gegensetzungen von Aristoteles n u r aufgenommen zu werden b r a u c h t . Im Hinblick darauf könnte es genügen, analog zum Unterscheidungsprinzip von Zusammengesetztem, das in der Verschiedenheit seiner jeweiligen Elemente liegen soll, die Distinktion einfacher Bedeutungen in i h r e r Entgegensetzung begründet zu sehen. Will man also darauf eingehen, daß Thomas es nicht bei einem Hinweis auf entgegengesetzte Grundbestim mungen bewenden läßt, sondern eine transzendentale S t r u k t u r der Unterscheidung entwirft, dann muß man die Reflexion auf den Seinsbegriff als das bewegende Moment des Gedankengangs b e t r a c h t e n , bei dem auch die Interpretation anzusetzen h a t , obwohl dabei andere Tendenzen vernachlässigt werden. Um zusammenzufassen: Die Argumentation aus transzendentalen Zusammenhängen kann mit d e r Idee schlechthin einfacher, u r sprünglich zu unterscheidender Bestimmungen n u r vereinbart werden, wenn man die Transzendentalien als die a b s t r a k t e Form d e r einfachen Bestimmungen v e r s t e h t , u n t e r der allein sie v o n einander unterschieden werden können. Insbesondere Thomas' Gedankenschritt, ein bestimmtes einfaches Objekt, das zunächst als an ihm selbst wohlunterschieden gedacht wird, dann als i n distinktes Seiendes ü b e r h a u p t anzusehen, ist auf diese Weise 1 2
In 4 Met. 1. 9, 660 In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.8f
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n u r als die Abstraktion einer Hinsicht zu d e u t e n , u n t e r der das einfache Objekt betrachtet werden k a n n , der Hinsicht nämlich, daß es d u r c h affirmative Urteile ü b e r h a u p t bestimmt, also deren Resultat i s t . Will man aber die auch an anderen Stellen geäußer te Einsicht, daß von keiner Bestimmtheit ihre Distinktion gegen anderes weggedacht werden k a n n , interpretierend zur Geltung b r i n g e n , dann kann man eine Abstraktion der Unterscheidung und i h r e r Formen von dem zu Unterscheidenden gerade nicht rechtfertigen. Unproblematisch erscheint es dagegen aus dieser Perspektive, von d e r Idee einfacher, an ihnen selbst u n t e r schiedener Elemente alles komplexen Distinkten zu dem Gedan ken eines gänzlich indistinkten Seienden als solchen ü b e r z u gehen, wenn man n u r erkannt h a t , daß das zuvor bestimmt g e meinte einfache Objekt sich als völlig unbestimmt erweist, sobald man seine Einfachheit konsequent d e n k t . Denn so werden Unter scheidung und Bestimmtheit nicht g e t r e n n t , sondern verschwin den zugleich u n t e r der Bedingung reiner Einfachheit. Eine Auslegung des Textes also, die sich an die von Thomas selbst ausgesprochene Einheit von Determination und Distinktion hält, realisiert die gegenüber dem aristotelischen Prinzipien begriff kritische Tendenz, die die Frage nach der logischen Konstitution von Unterschieden schon im Ganzen h a t , auch an dem wichtigen Kriterium der Einfachheit, das Prinzipien ü b e r haupt und deshalb auch die Begrenzungen logischer Bedeu tungsanalysen wie etwa die Kategorien erfüllen müssen. Zwar kommt d e r Gedankengang der Abhandlung auf die anfänglich aufgestellten einfachen und deshalb ursprünglich zu unterschei denden Bestimmungen wieder zurück. Der ihn auszeichnenden Charakteristik a b e r , daß er die Grenzen der aristotelischen Prinzipienkonzeption durch Reflexion auf ihre logischen Bedin gungen t r a n s z e n d i e r t , entspricht man am e h e s t e n , indem man das Beharren auf einfachen e r s t e n Unterschiedenen als inkon sequente Konzession an das traditionelle Begründungsmodell 'Finfaches - Komplexes' v e r s t e h t . Die Infragestellung derselben Tradition, die dem Text zugleich zu entnehmen i s t , würde dann lauten, daß einfache Bestimmungen als indistinktes Seiendes ü b e r h a u p t zu begreifen, heißt, die aristotelische Grenzbestim mung 'Einfaches' als den Gedanken an ein ganz Unbestimmtes zu begreifen, weil Bestimmtheit n u r durch Distinktion, also d u r c h negative Beziehung auf ein anderes und damit als Komplexität rekonstruiert werden k a n n . Eine Auslegung, die sich auf diese Argumentationsrichtung des Textes s t ü t z t , muß allerdings a b weichend vom Text die Konsequenz ziehen, daß die Differen zierung zwischen zusammengesetzten und einfachen Unterschie denen durch den neuen Begriff des Einfachen, unbestimmtes Seiendes zu sein, aufgehoben wird. In d e r Konsequenz ist also die logische S t r u k t u r der Unterscheidung nicht mehr primär auf unmittelbar zu unterscheidende einfache Bestimmungen und v e r mittelst i h r e r auf zusammengesetzte zu beziehen, sondern u n mittelbar auf beliebige Objekte des sprachlichen Denkens.
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5. Die logische Form von Urteilen als Grund für Unterschiede a) Die Prinzipienfunktion des verbalen für distinkte nominale Bestimmungen
Urteilsmoments
('est')
Das weitestgehende Reflexionsstadium, das die Abhandlung ü b e r die Unterscheidungsprinzipien im Zusammenhang mit Parallel stellen erkennen läßt, soll nun als Rahmen für eine I n t e r p r e t a tion der transzendentalen Distinktionsbedingungen dienen. Tho mas beginnt die Entwicklung d e r Transzendentalien im Boethiuskommentar wie an vielen anderen Stellen mit der Bestimmung 'Seiendes', n u r geht es ihm hier wesentlich darum, daß etwas als Seiendes Bestimmtes dadurch noch keinerlei Distinktion e r hält. Dieser Sinn des Prädikats 'Seiendes' ergibt sich aus dem vorangehenden Regressus von komplexen Bestimmungen, die wie 'Linienabschnitt' oder 'Esel' durch ihre Verwendung hinreichend distinkt bewußt zu sein scheinen, auf ihre einfacheren Ele mente. Den Grenzfall des ganz Einfachen, der damit der Ana lyse zur Benennung aufgegeben i s t , kann aber kein unmittelbar zur Bezeichnung von Gegenständen verwendbares Prädikat bil den, weil es allemal - auch die relativ einfachen Kategorien aus anderen Sachbestimmungen erklärbar und insofern als kom plex nachweisbar bleibt. Alle Bestimmungen, die ohne Reflexion auf den Grund i h r e r Distinktheit verwendet werden, können auf Gegenstände n u r vermöge der zugleich objektivierenden und synthetisierenden Funktion des Urteils im Verbum bezogen werden, ohne daß diese Funktion dem Aussagenden in seiner unmittelbaren Inten tion auf Sachverhalte bewußt w ä r e . [ l ] Wenn das schlechthin Einfache, an dem die Reflexion auf ein nicht gegebenes Distinktionsprinzip zur Entscheidung gelangen k a n n , nicht u n t e r den selbstverständlich distinkten Sachbestimmungen zu finden i s t , sondern ihre Ordnung nach zusammengesetzten und einfacheren b e g r e n z t , ist gar keine Alternative dazu zu e r k e n n e n , daß es in der Sachbestimmungen ermöglichenden Urteils funktion b e s t e h t , solange die Disjunktion 'nominale Bestimmungen (Subjekte und Prädikate) - verbale Urteilsform' als vollständig gelten kann. So, wie die Urteilsfunktion separat am ehesten durch 'ist' a u s gedrückt werden k a n n , bestimmt sie selber n i c h t s , ist also die Negation aller Bestimmungen und erfüllt damit das Kriterium des Einfachen, daß es den durch ihre Erklärbarkeit sich immer kom plex zeigenden Bestimmungen entgegengesetzt sein muß. Und indem 'ist' das Moment des Bestimmens selbst, die synthetische Intention auf Wirkliches, a u s d r ü c k t , qualifiziert es sich als g e nau dasjenige Einfache, das die analytische Ordnung der Be1
Vgl. oben S.37, 335-338
489 Stimmungen auf immer einfachere hin b e g r e n z t , und kein a n d e r e s , dem System der Bestimmungen ganz äußerliches Einfa c h e s . [ 1 ] Die Indistinktheit, durch die Thomas das nominal v e r dichtete ' i s t ' , die Bestimmung 'Seiendes als solches' ausgezeich net sieht, bedeutet also genau die Negation derjenigen Distinktheit, die mit dem Bewußtsein verschiedener komplexer Sachbe stimmungen wie selbstverständlich v e r b u n d e n i s t . 'Seiendes' ist nicht in der Weise etwa von 'Esel' zu unterscheiden oder ü b e r haupt ein Unterschiedenes, in der 'Esel' von 'Mensch' oder auch von 'Substanz' unterschieden wird, also im Hinblick auf ihre je verschiedene Zusammensetzung aus bestimmten, gegebenen Be deutungsmomenten, und ein anderer Begriff von Unterscheidung und Distinktheit ist an dieser Stelle des Gedankengangs noch nicht entwickelt. Solange die Frage nach dem Unterscheidungsgrund mit dem Hin weis auf verschiedene Teilbestimmungen beantwortet werden k a n n , reflektiert man noch nicht grundsätzlich auf das eine Unterscheidungsprinzip schlechthin. Diese Vorläufigkeit des Unterscheidens aufgrund von je anderem Gegebenem deutet Thomas mit der - zu vermeidenden - leeren Endlosigkeit a n , die die Erklärung des Unterscheidens bloß mit gegebener Verschie denheit c h a r a k t e r i s i e r t . [ 2] Die kritische Idee einer Analyse des Distinktionsverfahrens selbst - als Alternative zum Rekurs auf die je besonderen Unterscheidungsgründe - verwirklicht sich zunächst und in unmittelbarer Form, d . h . u n t e r den Bedingun gen d e r Intention auf Gegenstände, mit der Reduktion aller Be stimmungen auf ganz einfache Prinzipien. Dieser Grenzbegriff schließt das endlose Begründen von Unterscheidungen mit v o r liegender Verschiedenheit a u s , indem er die Totalität der Be stimmungen, also den Bereich eben dieser Verschiedenheit, von Einfachem abhängig macht, also solchem, dessen Distinktion nicht wiederum mit seiner Analysierbarkeit in von anderen v e r schiedene Bedeutungselemente begründet werden k a n n . An der Vorstellung von einfachen Bestimmungen festzuhalten, heißt deshalb, den Charakter dieser Vorstellung zu ü b e r s e h e n , daß sie ein bloßes Mittel der nach dem Distinktionsprinzip schlecht hin fragenden Reflexion i s t , das Mittel nämlich, das die Be g r ü n d u n g von Unterscheidungen mit gegebener Verschiedenheit immanent als unzureichend erscheinen läßt und dadurch die Prinzipienforschung d r ä n g t , sich des Einfachen als des spezi fisch Anderen aller komplexen, verschiedenen Bestimmungen bewußt zu werden. Anders gewendet, kann das Distinktionsprinzip von Einfachem, auch wenn dieses zunächst noch in der Mehrzahl vorgestellt wird, doch nicht mehr in vielen Sonderkriterien, deren Grund1
Zum Verhältnis des 'ist' zu allen Bestimmungen s. In 1 Perih. 1. 5, 72f 2 In T r i n . IV 1, Decker S.134, Z.23ff
490
lage mit der Komplexität des zu Unterscheidenden zugleich weg gefallen i s t , sondern dann n u r noch in einer "ersten Wurzel der Unterscheidung", wie Thomas sich a u s d r ü c k t , [ 1] gesucht wer den. So evoziert die theoretische Grenzbestimmung 'einfaches zu Unterscheidendes' sowohl den Übergang von der Ermittlung p a r tikulärer Distinktionskriterien zu der grundsätzlich reflektieren den Frage nach dem Unterscheidungsprinzip ü b e r h a u p t als auch die Vorentscheidung ü b e r die Antwort: Sie muß in dem eigen tümlichen Entgegengesetzten aller faktisch verschiedenen Be stimmungen liegen, das sich zu diesen gerade so wie das ganz Einfache zu dem aus einfachem Zusammengesetzten v e r h ä l t , also als ihnen entgegengesetzt und sie zugleich - nicht n u r qua Ent gegengesetztes - bedingend. Vom Resultat her begriffen, ist deshalb Thomas' Formulierung, d e r Unterscheidungsgrund Ein facher müsse auf andere Weise - als für komplexe Gegenstän de - angegeben werden, [2] für eine sprachphilosophische In terpretation offen: Die Idee eines einfachen zu u n t e r s c h e i d e n den Objekts nötigt denjenigen, der konsequent über Andersheit nachdenkt, einen Begriff vom Unterscheiden ü b e r h a u p t aus d e r jenigen Reflexion zu entwickeln, in der sich das Objekte u n mittelbar bestimmende Denken seiner Bedingtheit durch die Ur teilsfunktion als des entgegengesetzten Prinzips der Bestimmun gen bewußt wird. Dasjenige Stadium des Gedankengangs, in dem Thomas einfache Objekte als Seiende überhaupt begreift, kann so als ein Zu rückgehen des Denkens in sich selbst in zwei Hinsichten v e r standen werden: Die Erforschung d e r Unterscheidungsprinzipien deutet die Grenzbestimmung 'einfaches zu Unterscheidendes' einerseits als das Unterscheiden selbst, das sie bei ihren Ana lysen zu unterscheidender Bestimmungen auf deren verschiedene Bedeutungselemente hin wie selbstverständlich vorausgesetzt h a t . [ 3 ] Andererseits - sofern sie einen Begriff dieses Unterscheidens als sein Prinzip zu entwickeln sucht - v e r s t e h t sie es zunächst als das bestimmungslose objektivierende Verknüpfen von Bestimmungen d u r c h ' i s t ' , das alles Sprechen, auch dasje nige der Prinzipienforschung, sonst unthematisch vollzieht. Man kann also den Terminus 'Seiendes als solches' durchaus als eine erste Antwort auf die Frage nach dem Prinzip des Unterscheidens selbst v e r s t e h e n , wenn man dieser Antwort n u r die Mög lichkeit zugesteht, sich durch Entfalten derjenigen Implikationen wieder zu v e r ä n d e r n , die sie als Resultat des jetzt rekonstruier ten Gedankengangs enthält. Etwas als ' S e i e n d e s ü b e r h a u p t ' zu denken, heißt, das Prinzip seiner Distinktheit in jenem unmittelbaren Sinn von Prinzip auf zustellen, daß seine Entgegensetzung zum Prinzipiat deutlich 1 2 3
In 4 Met. 1. 3 , 566 In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.3f Vgl. dazu oben 2.a)
491 wird, seine begründende Funktion dagegen bloß aus dem Vor wissen aufgenommen, aber nicht eigens nachgewiesen wird - g e rade so, wie auch die Substanz den Akzidenzen oft n u r a b strakt entgegengesetzt worden i s t . Aus diesem Modell folgt die Argumentation: Das reine Unterschiedenwerden eines - immer bestimmten - Objekts ist aus demjenigen seiner Momente zu b e g r ü n d e n , das dem an ihm jeweils Unterschiedenen entgegenge setzt i s t . Weil dieses letztere stets seine nominale Bestimmtheit i s t , kann das Prinzip seiner Unterscheidbarkeit ü b e r h a u p t n u r darin liegen, daß dasselbe Objekt auch auf die unbestimmte verbale Urteilsform ('ist') bezogen ist; ausschließlich im Hin blick darauf wird es dann gedacht, wenn es - wie alle d e n k baren Objekte - 'Seiendes als solches' genannt wird. Daß aber tatsächlich ein Objekt nicht durch die bloße Benennung seiner Bestimmtheit, sondern in einem Urteil, das es zu einem Relatum des bestimmungslosen 'ist' macht, unterschieden wird, das zeigt die e r s t e , unmittelbare Antwort noch nicht im einzelnen. Denn sie kann voraussetzen, daß das Zurückgehen der Reflexion von den mannigfaltigen unterschiedenen Bestimmten und Bestimmun gen auf das Unterscheiden selbst dessen Angewiesenheit auf eine selber bestimmungsneutrale Relation, das Urteil, hat b e wußt werden lassen. Die Texte rechtfertigen die Interpretation, daß jegliches Denk bare in seinem bloßen Urteilscharakter ('Seiendes als solches') ein erstes Prinzip seiner reinen Unterscheidbarkeit findet, i n dem sie auch in ihrem entwickelteren Begriff von Unterschei dung das Moment 'Seiendes' in dem Sinn beibehalten, daß jedes zu Unterscheidende sowohl als Seiendes wie auch als nicht die ses Seiende gedacht werden m u ß . [ l ] In dem hier zu r e k o n s t r u ierenden Gedankengang des Boethiuskommentars bleibt dieser Aspekt zunächst im Hintergrund, weil der Terminus 'Seiendes', indem er als die Realisierung d e r Idee 'ganz Einfaches' einge führt wird, unmittelbar n u r nach der Seite seiner Indistinktheit betrachtet wird: "Seiendes kann von Seiendem nicht u n t e r s c h i e den werden, sofern es Seiendes i s t . " [ 2 ] Das kann nun so v e r standen werden: Besondere Unterscheidungskriterien haben sich zwar als Gründe für je eine einzelne Distinktion tauglich erwiesen, bei der Ana lyse von Bestimmungen war aber nie das Unterscheidungsprinzip schlechthin, der Begriff d e r Unterscheidung nämlich, zu gewin n e n . Deshalb kann dieser Begriff n u r im Ausgang von einem höchst allgemeinen Moment entwickelt werden, das einem zu Un terscheidenden, wird es im Hinblick allein auf dieses Moment gedacht, keinerlei Distinktion verleihen k a n n , wie sie besondere analytische Kriterien u n t e r Beanspruchung des allgemeinen Un terscheidungsprinzips bewirken. Auf die Form des Urteils sind 1 2
So Pot. IX 7 ad 15 In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.5f
492 alle Bestimmungen gleichermaßen bezogen, sofern sie n u r in Urteilsrelationen analytisch thematisiert werden können und ihre nominale Form als je ein Relatum eines anderen Urteils haben. Also setzt die Form des Urteils, für sich genommen, unmittelbar keine Unterschiede - so, wie Bestimmungen voneinander v e r schieden gegeben sind - zwischen beliebigen Objekten oder zwi schen sich und der Totalität der bestimmten Objekte - eine Dif ferenzierung, mit der man e r s t in einem weiteren Reflexions schritt die Urteilsfunktion nicht mehr n u r als Prinzip aller Un terscheidungen, sondern auch selbst als ein unterscheidbares Objekt d e n k t . Damit, daß Beliebiges, bloß als Seiendes gedacht, schlechterdings indistinkt i s t , bezeichnet Thomas, bezieht man seine Erklärungen ü b e r die Funktionen des 'ist' ein, de facto anhand d e r Urteilsform die a b s t r a k t e Gleichheit und Ungeschiedenheit des diskursiven Verstandes als das Moment seiner Ob jekte, von dem auch ihre Unterscheidbarkeit grundsätzlich a b hängt. Wenn etwas u n t e r der Bezeichnung 'Seiendes' in Strenge indi stinkt und bestimmungslos gedacht werden soll, darf 'Seiendes' auf die Form d e r Aussage n u r in ihrem allgemeinsten Sinn b e zogen sein, d . h . so, wie a priori alles Denkbare u n t e r i h r s t e h t . Zuweilen unterscheidet Thomas die Aussagebeziehung des Urteils überhaupt als ein Aneinanderhalten (comparatio) d e r Urteilsglieder, das man auch Synthesis (compositio) nennen könne, von d e r Affirmation einerseits, mit der man etwas in d e r Sache v e r b u n d e n denke (compositio, coniunctio) und der Nega tion a n d e r e r s e i t s , vermittelst d e r e r man das Verschiedensein von Gegenständen meine (divisio, s e p a r a t i o ) . [ 1] Der Ausdruck 'Seiendes' kann sowohl für die Bezogenheit eines Objekts auf eine affirmative Aussage - schon eine besondere Urteilsform al so - stehen wie auch dafür, daß d e r Gegenstand ü b e r h a u p t im Modus des 'Aneinanderhaltens' gedacht wird. Vom 'Seienden in diesem letzteren Verstande kann Thomas mit Recht s a g e n , daß sich der Gedanke an ein ihm Entgegengesetztes selbst aufhebt, 1
In 6 Met. 1. 4, 1241; In 1 Perih. 1. 3, 26; v g l . oben S.151f, S.155f. Maréchal berücksichtigt nicht die Texte, die die Ur teilsfunktion ü b e r h a u p t von i h r e r affirmativen oder negativen Realisierung abheben, und sieht deshalb in der Affirmation, wie sie der Negation entgegengesetzt i s t , die Funktion des Urteils, die es zum Ort der logischen Wahrheit macht, s . Le point de départ de la métaphysique V, S.298f, v g l . S.281. Im folgenden soll gezeigt werden, daß gerade die Differen zierung zwischen Urteilen und Bejahen den Gedankenfort schritt in Thomas' Begründung von Unterschieden begreiflich macht. Wer Maréchals These folgt, müßte insbesondere erklä r e n , wie Thomas die Urteils funktion, gedacht als Sein, bald umfassend und gegensatzlos und bald als Gegensatz zur Ne gation fassen k a n n .
493 weil er mit einem solchen Nichtseienden ein dem Verstandesdis k u r s in Urteilen Unerreichbares, und das heißt, das Undenk b a r e schlechthin, intendiert und es zugleich doch in der Tat in ein Urteil einbezieht. [ 1] Bezogen auf den Terminus 'Seiendes', wie er die ungeschiedene Einheit der sprachlichen Vernunft als einen Begriff vom Objekt überhaupt faßt, leuchtet deshalb auch Thomas' Überlegung ein, daß die allgemeinsten Bestimmungen - und demzufolge auch die u n t e r sie subsumierbaren - zum Seinsbegriff n u r in dem Sinn etwas hinzufügen, als sie einen mit ihm noch nicht ausgedrückten Modus explizieren. Mit a n deren Worten heißt d a s , die theoretische Reflexion kann von dem ganz indistinkten Gedanken 'Seiendes' nicht wie von einem beliebigen bestimmten Objekt zu a n d e r e n , gegen es zunächst gleichgültigen ü b e r g e h e n , sondern zu distinkter Bestimmtheit n u r durch eine Selbstdifferenzierung des mit 'Seiendes' Gedach ten gelangen. Erst im Kontext der Untersuchungen über Andersheit und Einheit läßt Thomas den Seinsbegriff in einer sol chen Perspektive erscheinen, daß dieses im ersten Artikel von De veritate n u r ausgesprochene Programm auch zu verwirkli chen i s t . b) Der affirmative Charakter des Distinktionsprinzips 'Seiendes' und dessen Entgegensetzung zur negativen Urteilsform ('non ens') Die Idee unterschiedsloser Vernünftigkeit bzw. Urteilsbezogenheit alles Denkbaren enthält, rein für sich genommen, keinen Ansatzpunkt für eine Differenzierung, auch nicht für eine im manente; eine andere Auslegung gestattet Thomas' Begriff des Seienden nicht, daß es als solches von Seiendem nicht u n t e r schieden werden k a n n . Dagegen bringt die Entstehung dieser Idee aus der Frage nach einem Unterscheidungsprinzip schlecht hin eine Differenzierungsmöglichkeit mit sich, indem sie eine Spannung zwischen der intendierten Idee und i h r e r faktischen Konzeption mit dem Terminus 'Seiendes' erkennen läßt. Thomas' Reflexion geht nämlich von beliebigen positiv Bestimmten und positiven Bestimmungen a u s , deren Distinktheit mit i h r e r Be stimmtheit wie selbstverständlich gegeben zu sein scheint, sie berücksichtigt nicht die sogenannten unendlichen Nomina wie etwa 'Nicht-Mensch' (non homo), die nichts Bestimmtes bezeich n e n . [2] Also werden ausschließlich Objekte mit positiver Be stimmtheit auf ein allgemeines Prinzip i h r e r Distinktion hin b e fragt. Die Entgegensetzung des Prinzips zu seinen Prinzipiaten aber wird am Leitfaden der Reduktion alles Zusammengesetzten auf ganz Einfaches nicht auf die Positivität der bestimmten Ob1
Zu dieser Interpretation von Ver. I 1 und den Parallelstellen v g l . oben S.443f 2 So In 1 Perih. 1. 4, 48
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jekte bezogen, die von vornherein dem Kriterium der Einfach heit eher als die allemal bezügliche Negativität zu genügen scheint, sondern allein mit der Indistinktheit und Bestimmungslosigkeit der Urteils funktion verwirklicht. Und schließlich stellt Thomas die Urteilsfunktion als Unterschei dungsprinzip nicht in i h r e r äußersten Abstraktheit als objekti vierende Synthesis d a r , sondern entsprechend der aristoteli schen Tradition als nominal verdichtetes Prädikat ('Seiendes') all der bestimmten Objekte, die durch ihre so ausgedrückte Beziehung auf das verbale Moment von Urteilen grundsätzlich unterscheidbar sein sollen. Auf diese Weise tritt der Seinsbe griff - nicht n u r in der expliziten Argumentation des ersten Artikels von De v e r i t a t e [ l ] - in eine Reihe mit den positiven Bestimmungen als ihr letztes, weil allgemeinstes Glied in einer begriffslogischen Analyse beliebiger Prädikate. Aufgrund des Vorverständnisses d e r Prinzipiate und durch die Art, wie die Urteilsfunktion auf sie als Prinzip i h r e r Unterscheidbarkeit b e zogen wird, geht also in den Sinn des faktischen Ausdrucks für diese Funktion das Moment der Positivität ein, das aus der rei nen Form des Urteils nicht zu rechtfertigen i s t . Anders gesagt, wird durch den Terminus 'Seiendes' ein beliebiges Denkbares - nicht ausdrücklich, sondern aufgrund des intendierten Be gründungszusammenhangs - ausschließlich in der Hinsicht b e t r a c h t e t , daß es d u r c h affirmative Urteile bestimmt und weiter bestimmbar i s t , und nicht im Hinblick auf seine Stellung als Extrem von Urteilsrelationen, objektivierenden Verknüpfungen überhaupt. Von dem ersten Begriff der Unterscheidung, der als Prinzip aller besonderen Unterscheidungen zu erschließen i s t , hebt sich also seine faktische Realisierung klar a b : Auf die Frage nach der Distinktion der bestimmten Objekte, nach dem also, was ihre Bestimmtheit ermöglicht, kann in einem ersten Schritt nicht präziser geantwortet werden als mit der generellen Bedingung, u n t e r der ein zu Bestimmendes wirklich bestimmt wird, also mit dem Urteilen ü b e r h a u p t , als das sich das sprachliche Bestimmen vollzieht. Diesen abstrakten Begriff von Distinktion und Be stimmtheit verfehlt sein Ausdruck durch den Terminus 'Seien d e s ' , sofern der u n t e r s t e l l t , ausschließlich das affirmative Ur teilen begründe die Unterscheidbarkeit der nominal intendierten Objekte. Wenn die Diskrepanz zwischen der logischen Konse quenz nach Gemeintem und wirklich Gesagtem eher zufällig e r scheinen mag, bedingt nämlich durch Thomas' besondere Vor aussetzungen und sein Verfahren, die den Sinn des Terminus 'Seiendes' bestimmen, so ist gegen diesen Eindruck einzuwen den, daß das positive Moment des Seinsbegriffs d e r Unmittel barkeit e n t s p r i c h t , mit der das reine Unbestimmte in einem 1
Vgl. oben S.424f
495 ersten Reflexionsschritt als Inbegriff aller sprachlich denkbaren Realität etabliert wird. Ähnlich wie Thomas Bestimmungen im Anschluß an Aristoteles unmittelbar als positive Bestimmungen auffaßt, weil er über der relativen Unbestimmtheit dessen, was mit unendlichen Nomina wie 'Nicht-Mensch' intendiert wird, die bestimmende Funktion des Ausschließens - hier von 'Mensch' - ü b e r s i e h t , u n t e r s c h e i det man auch die synthetische Funktion aller Urteile nicht b e wußt von der affirmativen Verknüpfung eines Prädikats mit seinem Subjekt, solange man sich die Möglichkeit negativer Syn thesis nicht eigens aus gegebenem Anlaß klargemacht h a t . Auf diese Tendenz zur unmittelbaren Gleichsetzung von Synthesis überhaupt und Affirmation weist auch Thomas' Sprachgebrauch hin, der den Terminus 'Verknüpfung' (compositio) für die af firmativen Urteile und zugleich für die Form des Urteilens ü b e r haupt e i n s e t z t . [ 1 ] Daß es Thomas n u r gelegentlich auf eine terminologische Präzisierung der reinen Urteils funktion a n kommt, wie er sie mit 'Aneinanderhalten' (comparatio) von Sub jekt und Prädikat a u s d r ü c k t , zeigt sich an seinem Aristoteles folgenden Verfahren, das Erkennen in Sätzen gegenüber dem Denken einfacher Bestimmungen (indivisibilium intelligentia) bloß durch sukzessive Zusammenfassung affirmativen und negativen Urteilens (componendo et dividendo) zu kennzeichnen. [ 2] Wird das Aussagen in Sätzen aber u n t e r seinen beiden Versionen Bejahung und Verneinung begriffen, dann kann sich Thomas' Argument, n u r die Negation setze ein zu negierendes affirmati ves Urteil v o r a u s , [ 3 ] zugunsten einer systematischen Priorität der logisch früheren, scheinbar unabhängigen Affirmation a u s wirken, einer Priorität, die nicht von einem allgemeinen Urteils begriff wie 'Aneinanderhalten' auf ihre Partikularität als bloß eine der beiden Urteilsformen verwiesen wird. Der Interpretationsvorschlag, zwischen der als Distinktionsprinzip intendierten Form des Urteils schlechthin und dem mit dem Terminus S e i e n d e s ' vollgezogenen Gedanken an affirmatives Be stimmen zu differenzieren, läßt einerseits in der Fassung des Begriffs von Unterscheidung eine Spannung e r k e n n b a r werden, aus der man die Notwendigkeit weiterer Reflexions schritte ein sehen k a n n . Andererseits kann n u r so die erste Antwort des Boethiuskommentars auf die Frage nach dem Distinktionsbegriff, die These also, daß Seiendes als solches von Seiendem nicht g e schieden werden k a n n , mit dem auf die Totalität des Denkbaren abzielenden Seinsbegriff des ersten Artikels von De veritate in Zusammenhang gebracht werden und zugleich doch den zweiten Gedanken zur Folge haben, daß von Seiendem ausschließlich Nichtseiendes unterschieden wird. Versteht man den ersten 1 2 3
In 1 Perih. 1. 3, 26 So etwa In 6 Met. 1. 4, 1232; I 85, 5 Z . B . In 1 Perih. 1. 8, 90; Pot. IX 7 ad 6
496 Satz allein von diesem zweiten h e r , dann ist 'Seiendes' n u r in dem Sinn von 'affirmativ Bestimmtes' aufzufassen, das sich als solches immanent nicht u n t e r s c h e i d e t , wohl aber von dem ihm äußerlichen Nichtseienden geschieden i s t , wie immer dieses noch näher gedeutet werden mag. Das hieße a b e r , Thomas meint mit dem in sich ungeschiedenen Seienden einfach etwas anderes als an den Stellen, an denen er von der Nichtigkeit des Nichtseien den spricht und in d e r Konsequenz davon das mit dem Terminus 'Seiendes' Gemeinte als schlechterdings u n b e g r e n z b a r d e n k t . [1] Vollständig eingeschränkt auf affirmative Bestimmtheit, nähme die Rede vom indistinkten Seienden nichts von dem Sinn von Sein auf, den Thomas im Anschluß an Aristoteles vom Urteilen her auslegt, so daß er ausdrücklich auch das Nichtseiende, als Subjekt von Urteilen nämlich, zur Totalität des Seienden, d . h . des sprachlich Denkbaren, rechnen k a n n . [2] Dieser umfassende Seinsbegriff geht, aufgrund der Frage nach der Distinktion faktisch revidiert, als Verknüpfung von Affirmation und Nega tion aus der Reflexion des Boethiuskommentars explizit erst als ihr Resultat h e r v o r . Will man jedoch begreifen, was den Ge dankengang über seine erste These hinaustreibt, dann muß man ihrer Intention auf indistinktes Seiendes einen noch undifferen zierten Vorgriff auf dieses Resultat unterstellen, weil erst auf dem Hintergrund einer solchen Vorwegnahme die Auslegung des Urteils als affirmatives Bestimmen unzulänglich erscheinen und ihre Entgegensetzung herausfordern k a n n . Und n u r , wenn die Entwicklung eines Seinsbegriffs u n t e r dem Aspekt des Distinktionsproblems prinzipiell schon mit demselben Vorverständnis von Sein ansetzt, wie es die Texte realisieren, die ausdrücklich oder in i h r e r Konsequenz das Negative als einen Typ von Sei endem einordnen, n u r dann können diese Texte auch vom Re sultat der Untersuchung ü b e r das Unterscheidungsprinzip her kritisiert werden. Man kann den Reflexionsschritt im Text des Boethiuskommentars zur zweiten These zunächst wie den Einwand eines Dialogpart ners auffassen, der auf den Satz, Seiendes unterscheide sich als solches nicht von Seiendem, e n t g e g n e t , allerdings u n t e r scheide man Nichtseiendes von Seiendem, und dazu bloß auf die gewohnte Bildung von Differenzen und Gegensätzen durch Ne gation in der Alltagssprache zurückzugreifen b r a u c h t . Dieselbe und ebenso selbstverständlich zustande gekommene Bemerkung kann man sich aber auch als die dialogische Voraussetzung für das Argument anderer Texte d e n k e n , daß das Nichtseiende, das zunächst dem Seienden wie etwas von ihm Unterschiedenes scheint entgegengesetzt werden zu können, sich einer zweiten Reflexion als etwas Nichtiges zeigt und deshalb das Seiende 1 2
In 5 Met. 1. 9, 889; Pot. VII 2 ad 9; Ver. I 1 Z . B . In 4 Met. 1. 1, 539f; v g l . oben Erster Teil, .., 6. a) und )
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nicht differenzieren k a n n . Weil Thomas selbst diese Entgegnung formuliert, kann nicht die Plausibilität, mit der zunächst Seien dem Nichtseiendes als etwas anderes entgegengesetzt wird, den Gedankengang im Boethiuskommentar und insbesondere die Funktion bestimmen, die er dem Nichtseienden gibt. Der Ver zicht darauf, das Nichtseiende als etwas Nichtiges zu reflek tieren, muß vielmehr aus der eigentümlichen Fragestellung und aus dem - von der Interpretation n u r zu rekonstruierenden Bewußtsein über den mit der ersten These erreichten Lösungs stand erklärt werden. Würde das von Seiendem ungeschiedene Seiende einfach so umfassend eingeschätzt wie an anderen Stel len, dann könnte das in ihm inbegriffen gedachte Nichtseiende von ihm nicht unkorrigiert unterschieden werden. Das heißt - auf die Frage nach dem Distinktionsprinzip bezogen - , wäre der allgemeine Begriff des Urteilens im Ansatz der Lösung nicht nur unausdrücklich antizipiert, sondern auch seinen Momenten 'Synthesis und Intention auf Objektivität' nach verwirklicht, dann könnte dem Ansatz nicht die negative Urteilsform gegen übergestellt werden. Die Möglichkeit dazu wird erst von der Einsicht eröffnet, daß die These über die Ungeschiedenheit des Seienden als solchen aufgrund ihrer Genesis de facto nur das affirmative Urteil als Prinzip der Unterscheidungen etabliert. Denn mit dieser u n mittelbaren Festlegung von Synthesis verfehlt sie den allge meinen Sinn von Bestimmen d u r c h Urteilen ü b e r h a u p t , den Sinn also, der allein das für die erste These leitende Modell einer notwendigen Bedingung aller Bestimmungen erfüllt, die ihnen zugleich entgegengesetzt i s t . Die Festlegung und Verkürzung der allgemeinen Urteilsform, die sich daraus e r g i b t , daß man für Synthesis unmittelbar Affirmation einsetzt, wird von der zweiten These wieder aufgehoben, die den partikulären Cha r a k t e r des affirmativ gewendeten Seinsbegriffs deutlich macht, indem sie ihm die Negativität als etwas von ihm zu Unterschei dendes gegenüberstellt. [ 1] Die Entgegensetzung des Nicht seienden oder der negativen Version der Urteile und i h r e r Ex treme bedeutet also, daß die Indistinktheit, durch die sich das Urteilen zum abstrakten Prinzip der Unterschiede qualifizieren k a n n , von dem Inbegriff der affirmativen Urteile n u r in einem begrenzten Bereich und damit, nimmt man Indistinktheit in ihrem strikten Sinn, ü b e r h a u p t nicht erreicht wird; denn af firmativ Bestimmtes bleibt bei aller Indistinktion der möglichen partikulären Inhalte immer noch durch deren Positivität gegen negativ Bestimmtes distinkt. Da nun auch das Nichtseiende als Inbegriff der negativen Urteile gegen positiv Seiendes u n t e r schieden wird, also ebensowenig wie dieses zum schlechthin indistinkten Prinzip aller Distinktion und Determination t a u g t , heben sich die beiden Versionen des Urteilens, Affirmativität und Negativität, als Realisierungen des gesuchten Begriffs von 1
In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.6
498 Unterscheidung gegenseitig auf. Derart verweisen sie darauf, daß das reine Urteilen, ihr unterschiedslos gemeinsames Mo ment, die vorausgesetzte Intention auf eine völlig indistinkte notwendige Bedingung aller Unterscheidungen und Bestimmun gen widerspruchsfrei einlöst. c) Eine Korrektur der Idee vom Distinktionsprinzip : die Kom plexität und Reflexivität des Begriffs einer allgemeinen Ur teilsform So klärt sich der Begriff einer allgemeinen Form d e r Urteile gerade d a d u r c h , daß er mit dem ersten unmittelbaren Ansatz verfehlt und die affirmative Aussageweise für die Urteilsform überhaupt gehalten wird. Die Einsicht, daß man von Beson derheiten der Affirmation wie der Negation abstrahieren muß, ermöglicht Vorschläge für einen Begriff vom Urteil, wie etwa, daß es die als objektiv intendierte Verknüpfung von zu Be stimmendem und seiner Bestimmung oder daß es die einen Sach verhalt behauptende Vorstellung von etwas als etwas anderes ist; dabei werden 'Bestimmung' und *etwas anderes' jetzt in einem korrigierten Sinn v e r s t a n d e n , nämlich s o , daß negative Prädikate eingeschlossen sind. Indem die zweite These also die e r s t e durch die Entgegensetzung von Affirmation und Negation i h r e r faktischen Einseitigkeit ü b e r f ü h r t , weist sie auf die a b s t r a k t e Urteilsform als das reine Indistinkte hin, das als Prinzip von Distinktion überhaupt mit dem Terminus *Seiendes* von vornherein gemeint war. Das Resultat der beiden Thesen zusammen ermöglicht aber nicht n u r eine klare Ermittlung der allen Unterschieden rein e n t g e gengesetzten Bedingung jeglichen Unterscheidens, sondern zu gleich eine Kritik des zugrunde gelegten, ganz a b s t r a k t e n Prin zipienbegriffs. Indem sich die vorauszusetzende Intention auf die reine Urteilsform als das ganz Indistinkte (ens inquantum est e n s ) [ l ] durch Einsetzen und Aufheben i h r e r zwei beson deren Versionen, also per viam negationis expliziert, wird auch ihre Abstraktheit bewußt, die allein der Entgegensetzung des Prinzips zu seinen Prinzipiaten gerecht zu werden v e r s u c h t , weil seine bedingende Funktion der ersten Reflexion s e l b s t v e r ständlich erscheint. So, wie der aus der zweiten These e r schließbare Gedanke dieses erste Begründungsmodell durch die Erkenntnis eines relativ zu allen bestimmten Objekten Indistinkten erfüllt, den ersten Schritt der Prinzipienreflexion also a b schließt, eröffnet er in eins damit die Verwirklichung der zu nächst vernachlässigten Seite jeden Prinzips, den genauen Nachweis seiner begründenden Funktion.
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In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.5f
499 Wenn man nämlich auf die Gewinnung eines Begriffs von der reinen Urteilsform per viam negationis reflektiert, ergeben sich verschiedene Einwände gegen die Annahme, mit einem solchen Begriff sei das gesuchte absolute Distinktionsprinzip gefunden: Reine Urteile gibt es nicht, sondern jedes ist entweder affirma tiv oder negativ; deshalb kann auch die reine Urteilsform selbst nicht anders als in affirmativen oder negativen Sätzen, d . h . als ein positiv Seiendes oder als ein Nichtseiendes ausgesprochen werden, z . B . daß sie objektivierende Synthesis i s t , weil sie weder in bloßer Affirmation noch in reiner Negation aufgeht; diese Argumentation aber ist nichts anderes als ein Unterschei den der Urteilsform als solcher von ihren besonderen Versionen Affirmation und Negation, also wird die indistinkt gemeinte Ur teilsform, sobald man sie klar begreift, zu etwas Unterschie denem. Mit einer kritischen Reflexion dieser Art, wie sie der bis hierhin r e k o n s t r u i e r t e Gedankengang h e r a u s f o r d e r t , werden derselbe und sein erstes Ergebnis, der Begriff des Urteils überhaupt als Prinzip von Distinktion und Determination, nicht einfach wieder rückgängig gemacht, sondern können in i h r e r Abhängigkeit von dem ersten Begründungsmodell (Entgegen setzung des Prinzips zu seinen Prinzipiaten) erkannt werden. Die Einwände machen die Indistinktheit d e r Urteilsform nicht zu bloßem Schein, sondern lassen sie als das Entgegengesetzte zu der Distinktheit nominal intendierter Objekte und nicht mehr, d . h . als nicht absolute Ununterschiedenheit, deutlich werden, also als das Resultat der Entgegensetzung, die das erste Be gründungsmodell der Prinzipienreflexion als Leitfaden an die Hand gibt. Diese relative Indistinktheit oder Bestimmungslosigkeit des Urteilens ü b e r h a u p t ist nicht auf seine Abstraktion von negativer und affirmativer Aussageweise angewiesen, sondern erhält sich in jeder von beiden. Dasselbe kann man auch u n t e r dem Aspekt der Einfachheit formulieren: Auch die Erwartung, in einem Begriff der reinen Urteilsform das absolut Einfache realisieren zu können, ist auf ihren Horizont, die Analyse s t e t s zusammengesetzter nominaler Bedeutungseinheiten, zurückzubeziehen, und im Verhältnis zu diesen kann die synthetische Funk tion des Verbum allemal einfach genannt werden, auch als wirk liche Synthesis, d . h . als Affirmation oder Negation. Zwar kann man das Urteilen als solches ebenso wie reine Positivität (Sein) oder Negativität (Nichts) aus dem rekonstruierten Zusammen hang aller drei Momente a b s t r a h i e r e n , um es möglichst für sich genommen zu begreifen, und so einen relativ einfacheren Ge genstand als diesen Zusammenhang gewinnen. Sofern man das aber immer sprachlich, also in Sätzen t u t , macht man die a b s t r a k t e Urteilsform faktisch wieder von Affirmationen und Nega tionen abhängig, zu etwas Unterschiedenem und vermittelst die-
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ser Beziehungen auch zu etwas Komplexem im Rahmen jenes Zu sammenhangs der drei Momente. [1] Für eine zweite Reflexion über die beiden Thesen bedeutet also deren Gedankengang, daß entgegen dem ursprünglichen Leitfa den einer a b s t r a k t e n Entgegensetzung des Distinktionsprinzips zu allem distinkt Bestimmten absolute Unterschiedlosigkeit und Einfachheit n u r in vorläufigen Abstraktionen, aber nicht mit theoretischer Konsequenz denkbar sind. Es zeigt sich, daß viel mehr Komplexität und Distinktion irreduzibel bleiben, weil Af firmation und Negation nicht auf die beiden gemeinsame Urteils form reduziert und diese nicht ohne ihre beiden Versionen g e dacht werden k a n n . Gerade d e r Versuch, u n t e r dem Terminus 'Seiendes' das ganze Einfache, Indistinkte zu denken, führt, wie der Gedankengang zeigt, zu seiner Unterscheidung in die Extreme Affirmation und Negation, von denen jedes das andere und den gemeinsamen Urteilscharakter evoziert. Auf diese Weise wird der Vorbegriff von einfachen Gegenstän den, daß sie an ihnen selbst unterschieden sind, verwirklicht und zugleich k o r r i g i e r t . [ 2] Die hier schon in der ersten These 1
An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Unterschied der entwickelten Konzeption zu Rahners Thomasdeutung hinweisen: Während ich in der Frage des Boethiuskommentars nach einem Prinzip aller Unterschiede eine absolute Reflexion s e h e , die die unhintergehbare Bedingungsfunktion der logi schen Form des Satzes aufweist, integriert Rahner, Geist in Welt, S.300ff, dieselbe Form in Thomas' Erkenntnistheorie. Das heißt, für ihn sind Affirmation und Negation in jedem Abstraktionsakt enthalten, der auf Sein schlechthin vorgreift (Affirmation), Seiendes aber n u r vermöge einer Hinwendung zu sinnlichen Vorstellungen von etwas Bestimmtem erfassen k a n n , so daß jedes Seiende auf dem Hintergrund des Seins b e g r e n z t , also negiert sein muß. Entscheidend i s t , daß Rah ner auf diese Weise "die Frage nach der Möglichkeit d e r Ne gation" bei Thomas beantwortet zu haben glaubt, daß nach ihm also der erkenntnistheoretische Zusammenhang die logi schen Funktionen zu erklären vermag. - Setzt er sie nicht vielmehr voraus und ist er nicht selber h i n t e r g e h b a r , i n s b e sondere anhand der aristotelischen Theorie der Prinzipiener kenntnis?
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In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.4f. - Damit soll nicht die oben (S.481-485) e r ö r t e r t e und als nicht überzeugend einge schätzte Interpretation auf einem neuen Reflexionsstand wie der zur Diskussion gestellt werden, nach der die t r a n s z e n dentalen Bedingungen des Unterscheidens selber die einfa chen, ursprünglich unterschiedenen Objekte sind, von denen Thomas verschiedentlich s p r i c h t . Denn er schließt seinen Begriff von der Unterschiedenheit der e r s t e n Termini fol-
501 gesehene Überwindung des Vorverständnisses von Einfachem, nach dem es mehrere gegeneinander distinkte Einfache geben k a n n , wird dabei gewahrt: Solange das Einfache nur als solches betrachtet wird, erscheint es völlig indistinkt und insofern auch als nur ein einziges, etwa reines Seiendes oder reine Synthesisfunktion des Verstandes. Sobald es aber als sich unterschei dend gedacht wird, zeigt es sich auch in seiner Komplexität, etwa als affirmatives Urteilen oder als gegen die anderen a b gesetztes Moment der Gesamtstruktur 'Affirmation - Negation objektivierende Synthesis'. Zugleich erweist sich die Annahme als überholt, die durch die Einordnung des Einfachen in eine endliche Reihe mit beliebigen zusammengesetzten Gegenständen hervorgerufen wird, daß näm lich Einfaches mit seiner n u r durch es selbst bedingten Distinktheit ebenso wie komplexe distinkte Objekte, die man in ihrer jeweiligen Bestimmtheit zunächst nicht anders als empi risch aufnimmt, schlicht gegeben sei. Statt dessen wird das verwirklichte Einfache, soweit es konsequent und deshalb als indistinktes festgehalten i s t , nun als eine Abstraktion des Ver standes e r k e n n b a r , durch die er seine Funktion in Urteilen bzw. sein Objekt, als bloß durch diese Funktion bestimmt, rein für sich isoliert b e t r a c h t e t . Daher ist auch die Unterschiedenheit und Komplexität des in der zweiten These relativierten Ein fachen ('Seiendes') nicht mit ihm unmittelbar gegeben, sondern geht aus der sprachlichen Bewegung des betrachtenden Verstan des hervor: Seine Reflexion gelangt von der Selbstfestlegung auf Affirmativität - durch das Bewußtsein davon - über die Entgegensetzung der Negativität zu einem Begriff der beiden gemeinsamen und immer n u r in einem der Extreme realisierten Urteils funktion. Diese subjektive Erzeugung von Unterschieden und Komplexität bleibt aber ihrem Gegenstand nicht äußerlich. Vielmehr ist die ser kein anderes Einfaches als eben die sprachliche Form des Verstandes - bezogen auf ein nur durch sie bestimmtes Objekt im Allgemeinen - , die in den auf die zwei Thesen zusammengegernd an die Erklärung a n , daß dieses von jenem Seienden nur durch dessen Negation unterschieden werden k a n n , und beschreibt ebenso das Verhältnis der ersten Termini als wechselseitige Negation (ebenda, Z. 6-9, v g l . cG I 7 1 , 605). Dadurch bringt er die primär Unterschiedenen n u r in eine Ordnung des a b s t r a k t e n Außereinander, begreift logisch bloß ihre reine Verschiedenheit. Als Elemente dieser Ordnung wären Affirmation, Negation und reine Urteils funktion aber unterbestimmt, weil sie sich auch in bestimmter Weise affir mativ zueinander v e r h a l t e n , Affirmation und Negation nämlich Typen derselben objektivierenden Synthesis sind und die Synthesis n u r auf die Weise eines dieser Typen vollzogen werden k a n n .
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d r ä n g t e n Sätzen ü b e r h a u p t , also u n t e r der Bedingung i h r e r selbst, deutlich wird. Das heißt, man kann den kurzen Text als eine nicht beabsichtigte Verwirklichung von Avicennas Begriff des Selbstbewußtseins i n t e r p r e t i e r e n , daß die Vernunft n u r durch sich selbst sich e r k e n n t , weil ihr Bewußtsein von sich als Denken sie selbst ist und nichts anderes zwischen sie und sie selbst treten k a n n . [ l ] Angewandt auf das Distinktionsproblem ergibt dieser Ichbegriff die rekonstruierte S t r u k t u r von Thomas' Argument: Die Vernunft kann durch nichts anderes als sie selbst unterschieden werden, weil Prinzip allen Unterscheidens die irreduzible Differenzierung der Urteilsform in Affir mation und Negation i s t , diese Form aber n u r die sprachliche Vernünftigkeit alles Denkbaren ausmacht. Daß nichts anderes als die Vernunfttätigkeit in Urteilen Distinktionsprinzip sein k a n n , ergibt sich auch aus Thomas' u r t e i l s theoretischem Wahrheitsbegriff :[ 2] Die Urteilsform wird nicht n u r in ihre Versionen Affirmation und Negation urteilend u n t e r schieden, sondern enthält wesentlich auch die Scheidung von Subjekt und Prädikat und dadurch zugleich von 'Sache an ihr selbst' und 'Vorstellung des Bewußtseins'. Mit der letzteren Unterscheidung aber erweist sich das Urteil als der logische Ort des Selbstbewußtseins, das sich der Reflexion als Selbstunter scheidung der Vernunft an sich, genauer, von sich als Vorstel lung der Sache zeigt. Jegliches a n d e r e , das als Distinktionsprinzip burteilt werden sollte, stünde a priori u n t e r den Bedin gungen dieser Selbstdifferenzierung der Vernunft. Wenn auch Thomas selbst den Zusammenhang nicht herstellt, so kann er doch eine systematisch interessierte Interpretation zu der Ein sicht führen, daß die Wahrheitsfrage und das Distinktionsproblem beide n u r im Ausgang von der urteilend selbstbewußten Vernunft gelöst werden können, die sich von sich selbst als einem Bild i h r e s Gegenstands und von diesem unterscheidet und zugleich die Extreme des Sachverhalts, Subjekt und Prädikat, gegeneinander differenziert. d) Unterscheiden als negatives stimmter Extreme
Beziehen und Konstitution b e
Die Neukonzeption des als Distinktionsprinzip intendierten Ein fachen, die sich aus den beiden Thesen e r g i b t , stellt also zu gleich einen Begriff von der Erzeugung von Unterschieden d a r . Denn das gesuchte Einfache wird mit Momenten der sprachlichen Vernunft eingelöst, die sich als Selbstbewußtsein wesentlich von sich selbst unterscheidet und als Reflexion diese Bewegung an jedem Gedanken realisieren k a n n . Wie der resultierende Unter1 2
Vgl. oben S.277 Vgl. oben S.335-338
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schied des gedachten 'Ich' von dem denkenden zugleich aber erst beider Identität, das Bewußtsein 'Ich', ermöglicht, so sind auch Vorstellung und Sache, Subjekt und Prädikat, reine Syn thesis und ihre Versionen nicht bloß verschieden voneinander, sondern beziehen sich in viel differenzierterer Weise aufeinan d e r . Ungeachtet i h r e r entwickelten Komplexität als Tathandlun gen der Vernunft, die die logische S t r u k t u r jeder Erkenntnis bestimmen, sind sie unmittelbar zu vergegenwärtigen und nicht zu b e s t r e i t e n , ohne daß man sie in der Tat zugleich v o r a u s setzte. Deshalb v e r s u c h t die vorliegende Interpretation, Thomas' Rede über die Unterscheidung von Seiendem und Nichtseiendem als die Entwicklung einer Konzeption der sprachlich selbstbewußten Vernunft zu r e k o n s t r u i e r e n , mit dem rechtfer tigenden Hinweis darauf, daß der Text selbst Seiendes und Nichtseiendes einerseits und Affirmation und Negation a n d e r e r seits in i h r e r Prinzipienfunktion für Unterscheidungen gleich setzt. Anders als die Interpretation, die das zu Interpretierende noch einmal reflektiert und deshalb aus einem in ihm noch nicht a u s gesprochenen Gedanken zu begreifen s u c h t , deutet Thomas selbst die Entgegensetzung von affirmativ und negativ Bestimm tem nicht eigens als ein Moment der sich von sich selbst u n t e r scheidenden Vernunft. Vielmehr geht er von der Entgegenset zung der beiden Versionen der Urteilsform wie von etwas Selbstverständlichem aus und will zeigen, wie dieser Gegensatz logischer Formen die einfache, ganz a b s t r a k t e Verschiedenheit von Gegenständen des Denkens überhaupt - nicht die mehr r e flektierte Distinktion der Momente des Selbstbewußtseins - h e r v o r b r i n g t . Anders gesagt, er stellt sich die Aufgabe, die bedingende Funktion der unabweisbaren Unterscheidung des Nichtseienden im Allgemeinen vom ebenso allgemeinen Seienden überhaupt für die Distinktheit eines beliebigen bestimmten Sei enden zu e r l ä u t e r n . Dies geschieht einmal im Übergang von der zweiten These der Abhandlung im Boethiuskommentar zur d r i t ten und zum andern mit der Bemerkung, der Widerspruch e r zeuge die Unterscheidung; [ 1] beide Fassungen sollen nachein ander besprochen werden. Der Text des Boethiuskommentars schließt an die These, daß von Seiendem n u r Nichtseiendes unterschieden wird, den Ge danken a n , deshalb werde auch dieses Seiende von diesem u n terschieden, indem in diesem Seienden die Negation jenes im pliziert werde. Um einer Unterschätzung der allgemeineren zwei ten These in dem Sinn zuvorzukommen, daß ein schon klarer theoretischer Sachverhalt n u r komplettierend auch noch in einem möglichst allgemeinen Grundsatz ausgedrückt werden sollte, w u r de oben (S.455) die verschiedene Stellung des Nichtseienden in den beiden Unterscheidungsrelationen hervorgehoben: In der 1
In T r i n . IV 1, Decker S.135, Z.6ff; In 10 Met. 1. 4, 1997
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zweiten These ist es Relatum, unmittelbar vom Seienden als sol chen Unterschiedenes, in der dritten dagegen ist es die u n t e r scheidende Relation selbst, wie die Umschreibung 'Dieses ist nicht jenes' an Parallelstellen zeigt.[1] Nachdem die erste These den Anschein als unhaltbar erwiesen hat, ein Einfaches, also durch die reine Urteils funktion des 'ist' Bestimmtes, könne als solches unmittelbar schon von einfachem Seienden geschieden sein, antwortet die zweite These darauf mit der ebenso unmittelbaren Distinktheit von Nichtseiendem gegen über Seiendem, die zunächst ohne weitere Erklärung einleuch t e t . Dieses erste Verständnis der These faßt Seiendes und Nichtseiendes als die Extreme eines Unterschieds auf, der u n mittelbar mit dem jeweiligen Sinn der Unterschiedenen gegeben zu sein scheint, gleichsam so, als erfüllten diese beiden Termini den zuvor aufgestellten Begriff der einfachen, an ihnen selbst unterschiedenen Bestimmungen. Thomas' Argument, aus dem die Unterscheidung dieses bestimmten Seienden begriffen werden soll, stützt sich auf die unmittelbare Plausibilität des Unter schieds von Seiendem und Nichtseiendem und reflektiert ihn zugleich so, daß er den Charakter einer ursprünglich gegebe nen Differenz v e r l i e r t . Dadurch bekommt die zweite These eine neue Fassung, in der die Funktion des negativen Moments nicht mehr wie oben zur Abhebung von der dritten These b e r e c h t i g t , sondern für deren Auszeichnung d e r Negation die u n v e r k e n n bare Grundlage bildet. wenn Thomas in der dritten These s a g t , deshalb werde auch dieses Seiende n u r dadurch u n t e r s c h i e d e n , daß in ihm die Negation jenes Seienden eingeschlossen werde, fordert er zu einer Reflexion der zweiten These auf, die an i h r dieselbe logische S t r u k t u r h e r v o r h e b t : Allerdings ist auch das ganz allgemein gedacht Nichtseiende keine einfache Vorstellung, sondern nimmt einerseits den Gedanken 'Seiendes' gerade so noch einmal auf, wie auch in der e r s t e n These 'Seiendes' zwei mal gesetzt worden i s t , ohne daß dadurch eine Unterscheidung legitimiert worden wäre, und negiert ihn a n d e r e r s e i t s . Die sprachliche Komplexion 'Nicht-Seiendes' wird damit in dem Sinn zum Prinzip für jegliche Unterscheidung, daß allemal das zu Unterscheidende dasjenige, von dem es unterschieden werden soll, als sein eigenes negiertes Prädikat zulassen muß. In Über einstimmung damit heißt es in der zweiten These auch nicht, das Seiende werde ausschließlich vom Nichtseienden u n t e r s c h i e d e n , sondern umgekehrt, n u r was durch die Negation von Sei endem gekennzeichnet werde, unterscheide man dadurch von ihm. Erst durch die Symmetrie der Unterscheidungsrelation wird 'Seiendes' zu einem Unterschiedenen, im e r s t e n Gedankenschritt unterscheidet man das Nichtseiende, aber gerade nicht wie ein distinkt Gegebenes. Vorausgesetzt ist vielmehr wie schon in der e r s t e n These bloß Seiendes, das sich als vollkommen indistinkt 1
Z . B . In 4 Met. 1. 3 , 566
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gezeigt h a t . Mit seiner Negation a b e r , die nicht als Abbildung eines Gegebenen v e r s t a n d e n werden k a n n , wird die bloße Mög lichkeit für solches, das gegen Seiendes a b g e g r e n z t , distinkt i s t , allererst geschaffen, ohne daß ein Etwas, das zur Ausfül lung dieses logischen Ortes in Frage käme, auch n u r genannt würde. Weil 'Seiendes' für Beliebiges stehen k a n n , von dem etwas unterschieden werden soll, dient 'Nichtseiendes' als Modell für die negative Prädikation jenes jeweiligen Beliebigen von all dem, das dadurch gegen es abgesondert wird. So v e r s t a n d e n , erweist sich die zunächst unmittelbar aufgefaßte Entgegensetzung von Affirmation und Negation als das formale Prinzip von Unterscheidungen ü b e r h a u p t . Den Formcharakter der ursprünglichen Unterscheidung kann man in einer bestimm ten Weise dadurch präzisiert sehen, daß Thomas in der d r i t t e n These zu 'diesem Seienden' einfach überzugehen scheint, das modellgemäß von jenem Seienden nur unterschieden wird, sofern ihm dessen Negation zukommt. Das ist so i n t e r p r e t i e r b a r , als habe man der zuvor entwickelten allgemeinen Form des Unter s c h e i d e n s ein bestimmtes partikuläres Seiendes zugrunde zu legen, wenn man eine besondere Unterscheidung auf ihre Prin zipien hin analysieren will. Damit aber wäre die transzendentale Funktion der Unterscheidung preisgegeben, mit jeglicher Distinktheit auch alles Bestimmtsein (determinatio) oder die Partikularität, die jegliches 'Dieses' ausmacht, allererst h e r v o r z u b r i n g e n . Ein für die Unterscheidung schon vorauszusetzendes bestimmtes Dieses wiederholte bloß die einfachen, angeblich an ihnen selbst unterschieden gegebenen Seienden, von denen die erste These schon gezeigt h a t , daß mit ihnen in Wirklichkeit n u r indistinktes Seiendes gedacht wird. Wie immer andere Prin zipien als allgemeine Formen begriffen werden mögen, die ein durch sie zu bestimmendes besonderes Zugrundliegendes erfor d e r n , ein Prinzip von Distinktionen überhaupt würde jedenfalls durch ein solches Anwendungsschema unmittelbar aufgehoben werden. Deshalb ist zu fragen, ob der Übergang von der zwei ten These zur dritten auch so interpretiert werden k a n n , daß die Idee eines Distinktionsprinzips schlechthin in i h r e r - von Thomas sonst deutlich geförderten - Konsequenz gewahrt wird. Ein Punkt wurde schon erwähnt, in dem der Text für eine sol che Konsequenz selbst zu votieren scheint: Indem Thomas die dritte These mit der Formulierung beginnt, deshalb werde auch von diesem Seienden dieses Seiende nicht unterschieden - es sei d e n n , durch die Implikation der Negation von jenem - , nimmt e r mindestens dem Anschein nach die Voraussetzung eines distinkten Dieses wieder zurück. Denn die bloße Wiederholung des Ausdrucks 'dieses Seiende' erinnert an das in der ersten These ebenso wiederholte 'Seiende' und weist so darauf hin, daß durch sie allein noch keine Unterscheidung des Wiederholten gedacht wird, solange man sie nicht durch eine negative Prädi kation vollzieht. Wenn die Analogie zur e r s t e n These beabsich-
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tigt i s t , dann bedeutet die d r i t t e , daß mit dem Ausdruck Mie ses Seiende' zwar etwas Distinktes gemeint sein mag, in seiner eigentümlichen Bestimmtheit sprachlich aber nicht ohne Negation objektiviert werden k a n n , weil das zweimalige Sagen von ' D i e ses' noch nicht als Bedeuten zweier Gegenstände v e r s t a n d e n zu werden b r a u c h t . Diese Interpretation korrigiert also den e r s t e n Eindruck, die dritte These wende die allgemeine Unterschei dungsform auf vorausgesetzte besondere Objekte bloß a n , in dem Sinn, daß ein Dieses erst durch sein Unterschiedenwerden, d . h . d u r c h die Negation eines - dadurch - anderen Dieses von ihm, so konstituiert wird, wie es das mit dem Ausdruck 'Dieses' verbundene Meinen vorwegnimmt. Für dieses Textverständnis bleibt noch die F r a g e , ob man die Rede von 'diesem Seienden' so verstehen muß, als sei sie aus dem gewöhnlichen Sprechen einfach aufgenommen, oder ob sie auch als ein Resultat schon der zweiten These begriffen werden k a n n , wenngleich e r s t die dritte die logische Rekonstruktion eines Dieses ausdrücklich thematisiert. Die zweite Alternative wird möglich, wenn man die Unterscheidung des Nichtseienden von Seiendem, von der die zweite These s p r i c h t , nicht als Form von beliebigen bestimmten Unterscheidungen auffaßt, sondern als Aussage aufgrund eines ersten unmittelbaren Verständnisses i h r e r Termini - also in dem schon genannten vorreflexiven Sinn. Wie ein Sachverhalt wäre damit die symmetrische Distinktheit (dividitur) von Seiendem und Nichtseiendem a u s g e s a g t , ganz ohne Rücksicht darauf, daß 'Nichtseiendes' 'Seiendes' aufnimmt, um Distinktion gegenüber demselben zu ermöglichen und es zu gleich dadurch e r s t zu einem Bestimmten zu machen. Unter Ab straktion von dieser Bewegung müssen Seiendes und Nichtseiend e s , im Sachverhalt des bloßen Unterschieds s t e h e n d , als an ihnen selbst distinkte Naturen (physeis) im platonischen Sinn oder als irreduzibel besondere Gegenstände erscheinen. Weil ein derartiges Verständnis der zweiten These die mit 'Nichtseiendes' gemeinte Negativität n u r noch als Relatum und insofern als posi tives Resultat der verbal ausgedrückten Bewegung des Unterscheidens auffaßt, wird eine dritte These notwendig, die umge k e h r t die bedingende Funktion der Negativität für das in der zweiten These b e a n s p r u c h t e Unterscheiden und damit auch für dessen Resultat e r k l ä r t , d . h . für die Konstitution eines jeden Relatum zu einem distinkten Dieses. e) Die logische Entstehung von Distinktem aus der Vermeidung des Widerspruchs Der zunächst unvermittelt erscheinende Übergang von Seiendem und Nichtseiendem überhaupt zu diesem bestimmten Seienden kann aber - jedenfalls vorläufig - auch u n t e r Wahrung des for malen Charakters beider Termini, daß sie bloß für die Affirmativität und Negativität von Aussagen s t e h e n , r e k o n s t r u i e r t wer-
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d e n , d . h . ohne daß man sich sofort auf den unmittelbaren, vergegenständlichenden Sinn der zweiten These b e r u f t . An a n deren Stellen sagt Thomas nämlich, die Unterscheidung gesche he d u r c h eine formale Entgegensetzung oder durch Entgegenge s e t z t e , deren erste Wurzel die Entgegensetzung von Affirmation und Negation sei. Oder er formuliert mit aller Deutlichkeit, der Widerspruch bringe die Unterscheidung hervor ( c a u s a t ) , sofern dieses und jenes Seiende deshalb unterschiedene genannt wer d e n , weil dieses nicht jenes i s t . [ l ] Wenn man danach fragt, worin der Widerspruch oder die Entgegensetzung von Affirma tion und Negation genau b e s t e h e n , zeigt sich wie schon in der dritten These, daß Thomas das Resultat der Unterscheidung, die Fixierung distinkter Objekte, im Zusammenhang mit der E r klärung des Distinktionsprinzips, das hier als Widerspruch g e faßt wird, schon vorwegnimmt; daher bedarf es einer besonde ren Aufmerksamkeit, um die Abhängigkeit jedes Distinkten von der logischen Handlung des Unterscheidens nicht zu ü b e r s e h e n . Der Satz nämlich, daß dieses nicht jenes i s t , der als Grund dafür genannt wird, daß man jeweils von Unterschiedenen s p r i c h t , ist selber kein Widerspruch, kann aber als Ergebnis der Vermeidung eines Widerspruchs verstanden werden. Ein Widerspruch wäre aus zwei Bestimmungen von der Form ' S i t zend - nicht sitzend' zu r e k o n s t r u i e r e n , die zugleich existieren oder, besser gesagt, ein und demselben zukommen sollen. [2] Sofern die Reflexion über ein allgemeines Distinktionsprinzip auf Affirmation und Negation als die bloßen Formen allen Urteilens r e k u r r i e r t , können die beiden Prädikate n u r 'seiend' und 'nicht seiend' lauten. Zur Ermittlung des Widerspruchs, von dem Thomas s p r i c h t , ist noch die relativ ausführlichste Umschreibung des Unterschei dungsbegriffs heranzuziehen, obwohl auch sie das Resultat eines bestimmten Dieses schon vorwegnimmt: [ 3] "Daraus, daß von etwas erkannt wird, daß es Seiendes i s t , und zugleich, daß es nicht dieses Seiende i s t , folgt im Verstande, daß es von ihm unterschieden i s t . " Hier sind die beiden Teilaussagen, die zu einem Widerspruch gehören, deutlich nacheinander formuliert und in dem Sinn v e r k n ü p f t , daß von demselben gilt, Seiendes und nicht dieses Seiende zu sein. Wenn dabei der Widerspruch schon überwunden i s t , dann liegt das offensichtlich an dem Zu satz 'dieses', der das identische Prädikat beider Teilaussagen, 'Seiendes ! , in die Hinsichten 'Sein ü b e r h a u p t ' und 'dieses Sein' differenziert und damit die Bedingung des Widerspruchs, daß 1
Pot. IX 7 ( F ) ; In 4 Met. 1. 3, 566; In 10 Met. 1. 4, 1997. Der Text des Boethiuskommentars selbst spricht zwar nicht in den Thesen, aber weiter unten von einer Entgegensetzung von Seiendem und Nichtseiendem (Decker S.136, Z . 3 ) . 2 Vgl. In 10 Met. 1. 6, 2040; In 4 Met. 1. 6, 600 3 Pot. IX 7 ad 15
508 dasselbe bejaht und verneint werden muß, vermeidet. Um den von Thomas gemeinten Widerspruch zu r e k o n s t r u i e r e n , braucht man also n u r das 'dieses' wegzulassen: Etwas ist Seiendes und ist nicht Seiendes, oder einfacher, weil 'Seiendes' die verbale Form 'ist' n u r nominal wiederholt, nicht in bestimmter Weise abwandelt: Etwas ist und ist nicht. Und mit Bezug auf den theoretischen Sinn, den Thomas den Termini 'Seiendes' und 'Nichtseiendes' in Zusammenhang mit der Frage nach dem Distinktionsprinzip gibt, kann man auch reflektiert sagen: Etwas ist affirmativ und - in demselben Sinn - negativ bestimmt. Weil aus diesem Satz d u r c h Vermeidung des Widerspruchs, den er darstellt, Unterscheidung und Distinktheit allererst h e r v o r gehen sollen, muß sein Subjekt 'Etwas' ganz indistinkt genom men werden, zwar als d a s , was da bestimmt wird, in seiner Bestimmbarkeit aber noch offen sowohl dafür, die parmenideische Einheit zu sein, als auch dafür, sich aus logischen, nicht allein aus empirischen Gründen als partikulär zu erweisen. Ein Sub jekt von dieser Unbestimmtheit kann als das Resultat der ersten These verstanden werden, wie sie mit dem als solches indistinkten Seienden die Bestimmtheit von Nomina d u r c h die reine Ur teilsfunktion ü b e r h a u p t - also vor der Entgegensetzung affir mativen und negativen Urteilens - intendiert. Das Prädikat des Satzes 'Etwas ist und ist nicht' realisiert, auf denselben Zusam menhang bezogen, die in der zweiten These enthaltene Einsicht, daß dasjenige, was mit 'Bestimmtheit durch die reine Urteils funktion 1 im Ganzen gemeint i s t , u n v e r k ü r z t n u r d u r c h die b e i den entgegengesetzten Versionen der Urteilsform, Affirmation und Negation, ausgesprochen werden kann: Beurteiltes ü b e r haupt ist affirmativ und negativ bestimmt. Ein Widerspruch ergibt sich nun aus der Voraussetzung, daß man die zweite These in der neuen Formulierung 'Etwas ist und ist nicht' wiederum unmittelbar auffaßt, d . h . die Bezüglichkeit i h r e r Termini auf d a s , wofür sie s t e h e n , außer Betracht l ä ß t . 'Etwas' wird dadurch ein gewöhnliches Satzsubjekt, dessen logi sche Konstitution zu einem Identischen nicht in Frage s t e h t . Und wenn man von allen besonderen Prädikaten, die von einem Subjekt bejaht oder verneint werden können, a b s t r a h i e r t , bleibt für das 'Etwas' n u r noch 'Sein' oder Verbale Bestimmtheit ü b e r h a u p t ' als einziges Prädikat ü b r i g . Eine Aussage, die diese u n differenzierte Bedeutungseinheit von dem identisch gemeinten Etwas zugleich ohne Zusatz bejaht (ist) und vermittelst 'nicht' v e r n e i n t , muß u n t e r der gegebenen Bedingung, daß von mögli chen unterscheidenden Hinsichten gerade abgesehen wird, ein Widerspruch sein. Thomas löst ihn auf, indem er die Einheit des mit dem umfassenden Prädikat 'Sein' Gemeinten schrittweise u n terteilt, diesem Prädikat also, das in seinem widersprüchlichen Gebrauch n u r auf das Subjekt 'Etwas' bezogen wird, seine zweite Relation auf ein Prädikatsnomen zurückgibt. Der Wider s p r u c h wird so in eine immanente Entgegensetzung des Objekts
509 des Denkens überhaupt verwandelt, das u n t e r den Termini 'Etwas' und 'Sein' noch als eine Einheit gemeint werden k a n n . Weil n u r die Verknüpfung von bejahender und verneinender Teilaussage den Widerspruch hervorruft, kann der erste Ge dankenschritt seiner Auflösung den affirmativen Teil der wi dersprüchlichen Gesamtaussage, daß etwas ganz allgemein b e stimmt i s t , uneingeschränkt beibehalten, wenngleich sich der Sinn dieses Satzes 'Etwas ist' in der Folge durchaus ändern wird. Negiert wird dagegen von dem unbestimmten Etwas an stelle des gerade bejahten Inbegriffs aller verbalen Bestimmtheit dessen - sofern er Inbegriff ist - bestimmte Negation, die eben so abstrakt gedachte besondere Bestimmtheit, also die Bestim mung, dieses zu s e i n . [ l ] Der zweite Schritt besteht in der Fol g e r u n g , d a ß , wenn von etwas ausgeschlossen i s t , dieses zu sein, es (das Etwas) von demselben (dem Dieses) unterschieden und deshalb selber nicht schlechthin i s t , d . h . im Sinn des I n begriffs aller Bestimmtheit, sondern distinkt gegen ein beson deres Sein und damit selber als ein anderes Dieses. - Erst auf grund dieses Gedankengangs, der durch eine widersprüchliche Konsequenz der zweiten These notwendig wird, kann das u n b e stimmte Etwas auch als Subjekt durch den Ausdruck 'Dieses', der eindeutig Partikuläres intendiert, ersetzt und der sonst von Thomas gegebene Begriff der Unterscheidung formuliert werden, daß nämlich dieses nicht jenes i s t . [ 2 ] Eine solche logische Rekonstruktion a b s t r a k t e r Distinktheit, wie sie mit den Ausdrücken 'Dieses' oder 'Dieses da' gemeint wird, ist keine Argumentation aus reinen Begriffen, mit denen die philosophische Analyse n u r aus Gründen logischer Perfektion noch ü b e r die bloße Aufstellung von Kategorien und sogar Transzendentalien hinausginge. Weil vielmehr die Transzenden talien die Form nominaler, d . h . von verbalen Relationen als deren Extreme abhängiger, Objekte ausmachen, stellt sich in 1
Ein umgekehrter Lösungsversuch des Typs 'Etwas ist dieses Besondere und ist nicht' würde mißlingen, weil er einen neuen Widerspruch schüfe. - Man kann in der Formulierung 'Etwas ist und ist nicht dieses' auch die negative Beziehung des Unterscheidens entwickelt sehen, die sich aus der zwei ten und dritten These des Boethiuskommentars über die Un terscheidungslogik ergeben h a t . Wie Thomas auch sonst b e tont, nimmt alles Negieren das Affirmative ('Seiendes') zuerst auf und schränkt es dann durch Entgegensetzen eines dem zufolge anderen auf ein bestimmtes Affirmatives ein. In die sem Sinn ergänzen sich die Texte gegenseitig. 2 Die auf diese Weise ausdrücklich konstruierte Distinktheit von Subjekt und Prädikat ist schon zur Bildung des Wider spruchs mit der Bedeutungsidentität von 'Etwas' und 'ist' in Anspruch genommen worden; zum Zusammenhang von Distink tion und Identität v g l . oben 2.c) und unten 6.
510 i h r e r logischen Genesis auch die allgemeine Form der E n t s t e hung b e s o n d e r e r , empirischer Objekte d a r . So kann die jetzt rekonstruierte Genesis reiner Distinktheit als Genesis des Un terschieds empirischer Zugrundeliegender an dem oben (S.477) vorgeschlagenen Beispiel der literarhistorischen Ermittlung von Autoren demonstriert werden: Der oder die Verfasser des historisch einzuordnenden Werkes sind als das unbestimmte Subjekt einzusetzen, von dem nicht die globalen Prädikate 'seiend' und 'nicht seiend' widersprüch lich ausgesagt werden, sondern einige besondere Prädikate. So wird von dem Verfasser etwa einerseits gesagt, daß er das P r o ömium zu einer einigermaßen genau erschließbaren Zeit und in einem - im Zusammenhang mit anderen Werken ungefähr bestimm baren - Lebensalter von mehr als dreißig Jahren geschrieben h a t , und a n d e r e r s e i t s , daß er sich im Schlußteil derselben Schrift u n v e r k e n n b a r auf einen Politiker bezieht, der erst e r heblich später bekannt wurde, als der Autor des Proömium a n deren Quellen zufolge mit Sicherheit schon gestorben war. Dar aus ergibt sich ein Widerspruch nach dem Schema 'ist und ist nicht' in dem Sinn, daß der Verfasser aufgrund des u n s t r i t t i gen Zusammenhangs des ganzen Werkes auch den Schlußteil g e schrieben hat und daß er ihn zu seinen Lebzeiten gar nicht geschrieben haben k a n n . Eine Auflösung ist n u r d u r c h eine Differenzierung des Autorseins möglich, der eine Aufteilung des Werkes e n t s p r i c h t , weil das Verfassen eine transitive Tätigkeit i s t . Man kann Thomas' Entwicklung der Distinktion in diesem konkreten Fall unmittelbar nachvollziehen und sagen, daß der bisher angenommene Verfasser, der das Proömium geschrieben h a t , durchaus Verfasser des Werkes, aber nicht jener Verfasser i s t , von dem die Bezugnahme auf den bekannten Politiker und der ihr zuordenbare Teil des Werkes stammt. Demzufolge ist e r , was das zur Diskussion stehende Werk a n g e h t , nicht mehr als Gesamtautor, sondern als ein von einem andern unterschiedener und insofern partikulärer Autor anzusehen, was von dem a n dern in gleicher Weise gilt. Der jeweilige Vorbegriff, der sich in solchen konkreten Zusam menhängen für die Unterschiedenen ergibt - hier also, Autor eines bestimmten Werkes zu sein - , macht die Kennzeichnung des gewonnenen Distinkten als reines Dieses unnötig, weil man schon unmittelbar bestimmter von diesem Verfasser sprechen k a n n . Deshalb ermöglicht die Gegenüberstellung von reiner Form des Unterscheidens und empirischem Unterscheiden gemäß dieser Form auch die Einsicht, daß ein Rekurs auf reine Diese, letzte einfache Zugrundeliegende aller Bestimmungen oder absolute Individuen, wie er in ontologischer Absicht v e r t r e t e n werden mag, gar nicht mit der Realität, wie sie erfahren wird, b e g r ü n det werden kann, daß vielmehr die Bestimmung 'Dieses' eine logische Abstraktion wie die anderen Transzendentalien auch ist
511 und in ihrem Zusammenhang relativiert, d . h . als Resultat logi scher Beziehungen begriffen w i r d . [ l ] f)
Thomas' Rekonstruktion des Unterseheidens Schritt zu einer alternativen Logik
als
erster
Auf diese Weise ist aus verschiedenen Texten eine Theorie der Distinktion r e k o n s t r u i e r b a r , die Seiendes und Nichtseiendes oder Affirmation und Negation in i h r e r Funktion als Prinzipien jeglicher Unterscheidung begreift. Die Texte kann man deshalb in dem Sinn auffassen, daß sie das im ersten Artikel von De veritate ausgesprochene Programm, Transzendentalien, Katego rien und grundsätzlich alle Bestimmungen als Ausdrücke von Seinsmodi darzustellen, ansatzweise verwirklichen. [ 2] Denn die Thesen der Abhandlung über das Distinktionsprinzip im Boethiuskommentar gehen gerade so wie dieses Programm von dem Gedanken eines ganz indistinkten Seienden a u s . Mit dem kon struktiven Begriff vom Nichtseienden und durch die Koordina tion mit Affirmation und Negation verweist aber das Ensemble der herangezogenen Stellen darauf, daß 'Seiendes' die Bezogenheit beliebiger nominaler Bestimmungen auf die verbale Funktion des Urteils überhaupt bedeutet. Unter dieser Bedingung hat die Verwirklichbarkeit der reinen Urteilsform allein in ihren Ver sionen Affirmation und Negation - was für die reflektierende Betrachtung als ein Moment der sich durch Selbstunterschei dung bewußten Vernunft erkennbar wird - zur Konsequenz, daß ein beliebiges, ganz unbestimmtes Objekt des Denkens, wird es bloß als Subjekt von Urteilen überhaupt genommen, als reines Etwas, widersprüchlich bestimmt wird, als Seiendes und Nichtseiendes zugleich. Aus der Vermeidung dieses Wider s p r u c h s wird als erste der auch sonst genannten t r a n s z e n d e n t a len Bestimmungen 'Unterschiedenes' (divisum) oder 'Dieses' (hoc, aliquid im Sinn von aliud q u i d ) [ 3 ] durch nichtdefinitorische Begriffsbildung gewonnen. Damit ist die Distinktheit als eine Bedingung nachgewiesen, die die reine Urteilsform (Seien des ü b e r h a u p t ) jedem nominalen Objekt, das zunächst als reines Etwas gedacht war, dafür auferlegt, daß es ü b e r h a u p t als Ex trem von Urteilsbeziehungen, d . h . von jeweils bestimmten Af firmationen und Negationen, fungieren k a n n . 1
Daß die Transzendentalien logische Momente der konkret b e stimmten Realität sind, drückt Breton u n t e r einem anderen Aspekt a u s , wenn er Negation und Unterscheidung als Be dingungen dafür v e r s t e h t , daß sich das unbestimmt u n i v e r sale Transcendentale 'Sein' in besondere Wesensbestimmungen (essentiae) einteilt, s. L'idée de transcendental . . . , S.51f. 2 Zur Interpretation von Ver. I 1 v g l . oben 5 . K a p . , 2 . , 4. U.5.
3
Ver. I 1
512 So wird der Kernpunkt jenes Programms aus dem ersten Artikel von De veritate grundsätzlich erfüllt: Zu dem Zusatz an Bedeu t u n g oder zu der Präzisierung, die beliebige Bestimmungen g e genüber dem Terminus 'Seiendes', dem objektiven Ausdruck der Verstandesfunktion in Urteilen ü b e r h a u p t , enthalten, gelangt man nicht mit der gewöhnlichen dihairetischen Methode, die die allgemeinere Bestimmung mit einer von ihr ganz unabhängigen besondernden Differenz v e r b i n d e t , um das Allgemeine auf einen seiner Spezialfälle einzuschränken. Statt dessen zeigt die r e konstruierte Entwicklung der Form der Unterscheidung, wie sich der Seinsbegriff aufgrund seiner immanenten Spannung zwischen der Intention auf eine allgemeinste Urteilsform und i h r e r unmittelbaren Realisierung als Affirmation selbst zu der transzendentalen Bestimmung eines distinkten Dieses differen ziert. Dialektisch kann man diesen Prozeß nicht n u r zur Abhe bung von der formalen Logik der dihairetischen Begriffsbildung nennen, sondern vor allem deshalb, weil er durch Reflexion auf die nicht unmittelbar bewußten Relationen und Entgegensetzun gen der sprachlichen Erkenntnis in Sätzen auf neue Bestimmun gen führt. Diese Verwirklichung einer Alternative zur aristotelischen Be griffslogik betrifft aber ' S e i e n d e s ' , 'Nichtseiendes', 'Dieses' und die anderen noch zu erwähnenden Bestimmungen nicht als a b strakte - obwohl der dialektische Prozeß gerade an entscheiden den Stellen nur durch das unmittelbar a b s t r a k t e Verständnis der jeweiligen Aussage vorangetrieben wird - , sondern als Transzendentalien, d . h . als Bedingungen der sprachlichen Ver nünftigkeit aller denkbaren Gegenstände. Deshalb kann man anhand des transzendentalphilosophischen Ansatzes zum Unter scheidungsbegriff sagen, was die in dem genannten Programm mindestens implizit enthaltene These, beliebige, auch ganz kon krete Bestimmungen seien als Ausdrücke von Seinsweisen zu begreifen, für diese bedeutet: Sie sind nicht n u r formallogisch analysierbar, wie es dem wissenschaftlichen Interesse an Ein deutigkeit e n t s p r i c h t , sondern am Leitfaden ihrer t r a n s z e n d e n talen Momente auch auf ihre begriffliche Genesis hin, wie sie das literarhistorische Beispiel von der Unterscheidung zweier Verfasser als auch empirisch bewußten Erkenntnisprozeß demon s t r i e r t . Wenn auch Thomas selbst diese Funktion seiner dialek tischen Transzendentalienanalyse für das Verständnis von alltäg licher und wissenschaftlicher Erkenntnis weder an Einzelfällen vorführt noch als eine theoretische Alternative zum aristoteli schen Wissensbegriff kennzeichnet, so eröffnet er doch dem Nachdenken über seine Analysen einen Zugang zu der Einsicht, daß die Reflexion auf das Entstehen der allgemeinsten Momente aller Objekte aus den logischen Handlungen Affirmation und Negation auch die Gegenstände der Erfahrung als - nicht etwa individuell beliebige, sondern - logische Konstruktionen des Verstandes e r k e n n b a r macht. Zwar ist empirisch nicht von einem distinkten Dieses die Rede, sondern vom Verfasser des
513 zweiten Teils oder von demjenigen Mitglied der Räuberbande, das eine bestimmte Handtasche an sich gerissen h a t . Für eine Reflexion a b e r , die Thomas' Transzendentalienanalyse konkreti sieren will, wird deutlich, daß solche bestimmten letzten Sub jekte empirisch durch dieselben logischen Handlungen erschlos sen werden, die Thomas ganz abstrakt als die S t r u k t u r von Unterscheidungen überhaupt nachgewiesen h a t . Und weil die Transzendentalien auch im kantischen Sinn t r a n szendental erkannt werden, d . h . als apriorische Bedingungen von Erkenntnissen ü b e r h a u p t , gilt die logische Konstruktion der Transzendentalien nicht n u r als die Form der Bildung solcher Gegenstände, die offensichtlich erschlossen werden, sondern bedeutet, daß prinzipiell alle Gegenstände als nach derselben logischen Struktur tätig gebildet angesehen werden müssen. Mit den Transzendentalien als Resultaten logischer Tätigkeit deutet Thomas deshalb einen Prinzipienbegriff a n , der im Unterschied zu dem normativen Charakter der aristotelischen Wissensprinzi pien[1] - weil auf einer weiter gehenden Reflexions stufe - die Abhängigkeit der wissenschaftlichen, aber auch der alltäglichen Gegenstände vom geschichtlichen Prozeß des Bewußtseins zu denken ermöglicht, ohne die so entstandenen Begriffe damit auch zu bloßem Schein zu erklären. Anders gewendet, kann man die Funktion, die die Genesis der Transzendentalien für Erkenntnisprozesse ü b e r h a u p t als deren logische S t r u k t u r h a t , als einen Hinweis darauf v e r s t e h e n , daß Geschichtlichkeit nicht u n t e r der Voraussetzung rezeptiv zu erfassender Wissensprinzi pien, sondern n u r im Ausgang von dem Gedanken, daß t r a n szendentale und damit auch wissenschaftsspezifische Prinzipien diskursiv konstruiert werden, philosophisch zu begreifen i s t . 6. Zwei Tendenzen in der Vervollständigung der t r a n s z e n d e n talen S t r u k t u r der Distinktion: Reflexion auf beanspruchte Bedingungen und Aufstellen einer linearen Begriffsordnung Wenn noch mit Identität, Einheit, Vielheit und Verschiedenheit weitere Transzendentalien zu nennen sind, die Thomas im Zu sammenhang mit seinem Begriff des Unterscheidens entwickelt, so ergeben sich daraus im Prinzip keine neuen I n t e r p r e t a t i o n s a s p e k t e , wohl aber die Gelegenheit, einem Mißverständnis zu begegnen, das d u r c h die interpretierende Rede von den T r a n szendentalien ausgelöst werden k a n n , in Thomas' Analysen der Distinktion würden sie zu Resultaten logischer Tätigkeit. Das könnte als die These aufgefaßt werden, den Transzendentalien sei eine reine, bestimmungslose intellektuelle Aktivität einsinnig vorzuordnen. So aber würde die anders gerichtete Akzentset zung umgedeutet, die vielmehr den konstruktiven Charakter der 1
Vgl. oben Zweiter Teil, .., 4.
514 Transzendentalienanalyse von der Tendenz, Erkenntnis als Rezeptivität begreifen zu wollen, absetzen soll. Die logischen Bestimmungen 'Form eines Urteils ü b e r h a u p t ' , Af firmation und Negation' und 'Widersprüchlichkeit von deren Realisierung an einem unbestimmten Subjekt' entwickelt der i n tellektuelle Konstruktionsprozeß aus der Fragestellung, welches das Prinzip aller Distinktion sei, als bedingende Momente jegli chen vernünftigen Sprechens, also auch seiner selbst. Aber auch der Resultatcharakter der eigentlichen Transzendentalien ist auf den interpretierend r e k o n s t r u i e r t e n Gedankengang hin zu rela tivieren: Sind die einzelnen transzendentalen Bestimmungen erst gewonnen, so kann eine Reflexion auf den Prozeß i h r e r Kon struktion zeigen, daß sie auch in ihm schon unthematisch in Anspruch genommen wurden; ihre bedingende Funktion für jeg liche Erkenntnis läßt gar keine andere Lösung zu, wenn die logische Konstruktion der Transzendentalien nicht darauf v e r zichten will, Erkenntnis zu sein. Daß das Begreifen der T r a n szendentalien in diesem Sinne eine ihrer eigenen Voraussetzun gen sich erinnernde Erkenntnis oder eine in sich selbst zurück gehende intellektuelle Tätigkeit - also von der Form des Selbst bewußtseins - i s t , kann man auch schon an der Bestimmung 'Unterschiedenes' nachweisen, denn d e r Prozeß i h r e r Erzeugung besteht u n v e r k e n n b a r wesentlich in Unterscheidungen: Zwischen der Intention auf die Form von Urteilen überhaupt und i h r e r unmittelbaren Realisierung in der affirmativen Version des Ur teils, zwischen Affirmation und Negation, zwischen unbestimm tem Subjekt und seiner prädikativen Bestimmung e t c . Auf dieselbe Weise reflektieren auch die anderen von Thomas in diesem Zusammenhang entwickelten Transzendentalien formale Bedingungen der logischen Genesis von Unterscheidungen, und das heißt, sie explizieren Momente, die mit dem Begriff eines distinkten Objekts zugleich mitgesetzt sind. Obwohl Thomas, im Ganzen gesehen, das in einer solchen Verhältnisbestimmung ausgedrückte alternative wissenstheoretische Modell, das der Anamnesistheorie nämlich, nicht erkennbar als solches würdigt, kann man doch eine Bemerkung in der Abhandlung des Boethiuskommentars über Andersheit und Vielheit als Hinweis auf den reflexiven Charakter der Transzendentalien i n t e r p r e t i e r e n , die den Begriff der Unterscheidung (divisio) voraussetzen. Nachdem Thomas die Entstehungsfolge der Vielheit so angegeben h a t , daß zuerst Seiendes und Nichtseiendes zu denken seien, aus diesen dann die e r s t e n Unterschiedenen konstituiert wür d e n , die dadurch auch viele seien, fährt er f o r t : [ l ] "Wie daher nach dem Seienden, sofern es ungeschieden i s t , unmittelbar das Eine entdeckt wird, so wird nach der Unterscheidung von Sei endem und Nichtseiendem unmittelbar die Vielheit der ersten Einfachen e n t d e c k t . " Die Rede von einem ersten ungeschiedenen 1
In Trin. IV 1, Decker, S.135, Z.23ff
515 Seienden bezieht sich im vorliegenden Kontext klar auf die erste These zurück, daß Seiendes von Seiendem nicht unterschieden werde, sofern es Seiendes i s t , damit aber auch auf jegliches Ungeschiedene oder Undifferenzierbare. Und wie aus der a n fänglichen Idee eines ganz Indistinkten e r s t in einer zweiten Reflexion der Thesen die Konsequenz gezogen wird, daß auf diese Weise in der Tat ein Identisches und Eines gedacht wird, so expliziert auch d e r Gedanke d e r Unterscheidung, wie er aus der Vermeidung eines Widerspruchs r e s u l t i e r t , nicht in eins auch schon die Vielheit der Unterschiedenen, obwohl sie u n mittelbar aus i h r e r Geschiedenheit folgt. Thomas drückt das an einer anderen Stelle so a u s : "Was geschieden i s t , mag zwar vie les sein, doch hat es nicht den Begriff von vielem. TT [1] Daß nicht alle mit einer These - wie sich im Nachhinein zeigt schon gesetzten Bestimmungen zugleich auch thematisiert wer den, sondern erst im Fortgang der Reflexion, das erklärt sich in der Abhandlung des Boethiuskommentars und den mit ihr sachlich zusammenhängenden Texten aus d e r Untrennbarkeit von Thematisierung und Begreifen. Damit etwa das ganz indistinkte Seiende der e r s t e n These ausdrücklich als eines erkannt werden k a n n , ist ein Begriff von Einheit erforderlich, und der kann n u r als Negation von Geschiedenheit gebildet werden, setzt also den Begriff der Unterscheidung v o r a u s . Thomas v e r s u c h t für die transzendentalen Bestimmungen, um die es hier geht - also nicht Wahrheit und Gutheit - , eine durchgängigen logische Fol ge ihres Entstehens (ordo originis)[2] zu entwerfen, in der sie jeweils als Resultate einer Verknüpfung von zuvor schon kon struierten und deshalb logisch vorausgehenden Bestimmungen begriffen werden. Diese Reihe ist von der Idee einfacher, an ihnen selbst unterschiedener Objekte an bis zum Begriff d e r Distinktion Gegenstand der vorgeschlagenen rekonstruierenden Interpretation. Weil die übrigen Transzendentalien n u r mit Be zug auf Unterscheidung zu begreifen sind, werden sie im Dis k u r s der logischen Konstruktion erst im Anschluß an das bis hierin Erörterte plaziert, obwohl sie nachprüfbar zu dessen konstitutiven, aber - im platonischen Sinn - vergessenen Mo menten gehören. Wie Thomas sich die Entwicklungsschritte d e n k t , die von der schon explizit begriffenen Distinktion ausgehen, sagt er einer seits mit relativ großer Deutlichkeit. Andererseits scheint nicht absehbar zu sein, daß eine Anwendung der ausführlichen Re konstruktionsweise auch auf diese Überlegungen zu einer we sentlichen Modifikation dessen führen k ö n n t e , was die vorgeschla gene Rekonstruktion des Distinktionsbegriffs an Gesichtspunkten für eine wenig entwickelte alternative Prinzipienkonzeption in Thomas' Transzendentalientheorie erbracht h a t . Deshalb sollen 1 2
In 10 Met. 1. 4, 1998 In Trin. IV 1, Decker S.135, Z.21
516 die Erklärungen der Transzendentalien 'Identität und Einheit', 'Vielheit und Verschiedenheit' n u r noch in einer abschließenden Zusammenfassung referiert werden. Wie oben (S.464f) schon gesagt, gewinnt Thomas aus der Be stimmung 'Unterschiedenes' d u r c h ihre Negation nach seinem ausdrücklichen Verständnis n u r einen Begriff von Einheit, ob wohl eine Unterscheidung zu negieren, gerade in dem Sinn et was zu identifizieren heißt, in dem er in einem anderen Kontext selber Identifikation bestimmt. Daß die Bildung eines solchen genetischen Begriffs von Identität einen reflektierenden Rück gang in die Konstruktion der Unterscheidung bedeutet, kann man besonders gut an d e r Vermeidung des Widerspruchs zeigen, aus der unmittelbar der Gedanke eines symmetrischen Verhält nisses zweier Unterschiedener folgt. Damit diese Konsequenz möglich wird, muß man voraussetzen, daß im Widerspruch und in dem vom Widerspruch befreiten Urteil 'Etwas i s t , und etwas ist nicht dieses' mit dem Etwas ein identisches Subjekt gemeint i s t . Diese Voraussetzung behauptet sich dagegen, daß gramma tisch jedenfalls jeder der beiden Teilsätze ein eigenes Subjekt s e t z t , mag das Etwas nun n u r einmal ausgesprochen - wie im T e x t [ l ] - oder zur Verdeutlichung dessen wiederholt werden, daß jede verbale Relation ihre eigenen Relata h a t . Dem Ver ständnis des genannten Urteils ist also eine zunächst wie selbst verständlich vollzogene Identifikation genau in dem Sinn zu g r u n d e zu legen, daß die gleichfalls nicht explizit intendierte Unterschiedenheit von - dadurch - zwei Gegenständen negiert wird, daß das erste Etwas als von dem zweiten Etwas nicht v e r schieden, sondern als mit ihm identisch betrachtet wird. Wenn Thomas also reflektierend ausdrücklich über den konstruierten Gedanken der Distinktion d u r c h seine Negation hinausgeht, dann ist dieser Schritt auch schon durch die Beanspruchung von Identischem, d . h . Nicht-Unterschiedenem, im Begreifen von Distinktion vorgezeichnet, wie er es expliziert. Die Texte selbst beziehen, wie schon g e s a g t , die Negation d e r Unterscheidung nicht auf unbegriffen vollzogene Identifikationen und einfach b e a n s p r u c h t e Identitäten z u r ü c k , sondern v e r s t e hen sie durchweg als den Begriff der Einheit. Die Abhandlung des Boethiuskommentars ü b e r Andersheit und Vielheit hält Ein heit gerade in diesem Sinn mit dem indistinkten Seienden der ersten These für schon verwirklicht, so daß dieses Seiende als ausdrücklich eines von einer zweiten Reflexion n u r noch e n t deckt zu werden b r a u c h e . Damit wird zugleich das Verhältnis Einheit - Vielheit thematisch, denn die e r s t e These antwortet kritisch auf die Vorstellung, mehrere einfache Gegenstände könnten sich je an ihnen selbst voneinander unterscheiden, ein bloßes Seiendes als solches sei ganz u n u n t e r s c h e i d b a r ; eine vermeintliche Vielheit wird so konsequenter als Einheit gedacht 1
Pot. IX 7 ad 15
517 und insofern die Frage nach den Bedingungen der Vielheit r a dikalisiert. Einige der anderen hier zitierten Texte sind vor allem in der Absicht verfaßt, die Beziehung der Einheit auf Vielheit minde stens im Prinzip zu klären, denn Thomas sieht als eine mögliche Konsequenz des aristotelischen Begriffs von Einheit, sie bestehe in Unteilbarkeit oder Ungeteiltheit, eine zirkelhafte Begriffs bestimmung: Sofern sich Einheit zu Vielheit wie Ungeschiedenes zu Unterschiedenem v e r h ä l t , ist sie als Negation von Unterschiedenheit der affirmativen Distinktheit oder Vielheit als ihrem Begriffsmoment logisch nachzuordnen, zugleich geht sie aber selbst in den Begriff von Vielheit ein, wenn diese als eine An sammlung von Einheiten gedacht w i r d . [ l ] In diesem Kontext dient die Aufstellung einer Reihe von transzendentalen Begriffs bildungen dazu, durch eine Analyse von Einheit und Vielheit in ihrem systematischen Kontext jenen Zirkel aufzulösen. Dabei kommt es Thomas vor allem darauf an, die Unterscheidung (divisio) und ihr unmittelbares Resultat (divisa) als dasjenige, aus dessen Negation Einheit begriffen wird, von der Vielheit abzu heben, die in ihrem u n v e r k ü r z t e n Sinn n u r u n t e r d e r Voraus setzung von Einheit erkannt werden k a n n . [2] Diese Abhängig keit, daß eine Vielheit n u r aus Einheiten zusammengesetzt zu denken i s t , präzisiert Thomas mit der Überlegung, daß zwar solches, das als voneinander unterschiedene Objekte (divisa) erkannt wird, vieles sein mag, daß es aber doch erst dann u n t e r dem Begriff der Vielheit erkannt wird, wenn man jedes einzelne Unterschiedene als eines auffaßt.[3] Weil sich die lo gische Stellung und Bestimmtheit eines transzendentalen Ter minus in der analytischen Reihe nicht danach richtet, durch welchen anderen Terminus er unthematisch mitgesetzt wird, sondern allein nach der Möglichkeit, ihn aus schon gewonnenen Bestimmungen vollständig zu k o n s t r u i e r e n , ergibt sich eine Dif ferenz der Vielheit gegenüber der Distinktion: Sie beruht nicht n u r auf der einen Negation, daß etwas etwas - dadurch - an deres nicht i s t , sondern zusätzlich auch noch auf der Negation eben dieser Unterscheidung, d . h . auf der jeweiligen Einheit d e r e r , die im Modus der Vielheit distinkt sind. [4] Einen zusätzlichen Aspekt trägt die einschlägige Abhandlung des Boethiuskommentars zu diesem Begriff von Einheit und Viel heit bei, indem sie der Vielheit erst die Verschiedenheit (diversitas) logisch folgen läßt. [5] Die Begründung dafür, daß Ver schiedenheit Vielheit v o r a u s s e t z t , lautet nämlich, Verschieden heit e r f o r d e r e , daß beide - jeweils Verschiedenen - je ein Sei1 2 3 4 5
In 10 Met. 1. 4, 1989 u . 1995; v g l . Pot. IX 7 ob. 16 In 10 Met. 1. 4, 1996 Ebenda, 1998; Pot. IX 7 ad 15 Pot. IX 7 (F) In Trin. IV 1, Decker S.136, Z.l-17
518 endes seien. Darin liege ihre Differenz zur Unterscheidung (divisio), die nicht v e r l a n g e , daß jedes der beiden Unterschiede nen sei, weil sie durch Affirmation und Negation geschehe. Dieses Argument geht von zweierlei a u s : Erstens braucht ein bloß Unterschiedenes kein Seiendes, also ü b e r h a u p t nicht zu sein, zweitens ist jegliches Element einer Vielheit, also alles, was eines i s t , notwendig auch ein Seiendes. Vergegenwärtigt man sich die Reflexion auf das Distinktionsprinzip, so ist die erste jetzt beanspruchte Voraussetzung a u s schließlich auf die zweite These zu beziehen. Denn diese d r ü c k t die Regel, daß 'Unterscheiden von' ein Aufnehmen und zugleich Ausschließen des 'Wovon' i s t , allgemein d u r c h die Negation 'des Seienden' a u s . Deutet man 'das Nicht-Seiende' dementsprechend als bloße Form von bestimmten Prädikaten, dann lautet die Vor a u s s e t z u n g , d a ß , was immer unterschieden werde, als Unter schiedenes selbst keine affirmative Bestimmung, für die allge mein 'Seiendes' s t e h t , e r f o r d e r e , sondern n u r das Ausschließen der affirmativen Bestimmung eines dadurch a n d e r e n . In d e r selben Interpretationsperspektive bedeutet die zweite Voraus s e t z u n g , alles, was immer eines i s t , müsse affirmativ bestimmt sein, für es genüge nicht der bloße Ausschluß einer Bestim mung. - Das berühmte Theorem von der wechselseitigen Impli kation oder Konvertibilität von Sein und Einheit ist mit dieser Interpretation insbesondere dann in Zusammenhang zu b r i n g e n , wenn es damit b e g r ü n d e t wird, daß alles Erkennen sich auf eines bezieht und sein sprachlicher Ausdruck deshalb etwas (aliquid) bezeichnen k a n n . [ l ] Denn hier wird 'das Seiende' als Erkenntnisgegenstand überhaupt v e r s t a n d e n , der um seines Erkanntwerdens willen kein Unendliches sein k a n n , sondern durch Unterscheidung von anderen - durch mehrere Unter scheidungen also - auf einen positiven Inhalt eingegrenzt wird. Dabei kommt es nicht darauf a n , daß die Logik solcher Eingren zungen nicht mehr durch die zweite These allein, sondern durch die auf sie aufbauende d r i t t e , nach der die Negation, g e n a u e r , der Widerspruch alles positive Besondere e r z e u g t , b e griffen werden k a n n . Wichtig für den Zusammenhang dieser Konzeption von Einheit mit dem als Form i n t e r p r e t i e r t e n ' S e i enden 1 bzw. 'Nichtseienden' ist vielmehr, daß auch, was immer eines sein soll, Seiendes bloß als bestimmtes Etwas, das erkannt wird, und nicht als gegebener Bestand in der Wirklichkeit zu sein b r a u c h t . 'Sein' ist also in beiden Fällen auf die affirmative Form von Urteilen bezogen, mit der man ebenso wie mit d e r negativen wirkliche Sachverhalte intendiert. Es ist aber eine zweite Interpretation der beiden gen möglich, nach der Thomas Sein gerade als stehen aufgefaßt h a t . In dieser Perspektive ist a u s s e t z u n g , Unterschiedenes brauche nicht zu 1
Ver. XXI 3 ( 1 ) ; In 4 Met. 1. 7, 615
Voraussetzun wirkliches Be die e r s t e Vor sein, auf die
519 zweite These in ihrem ganz unmittelbaren Verständnis zu b e ziehen, nach dem sich Nichtseiendes, sofern es als Nichtbestehendes gemeint i s t , eben darin von Seiendem, d . h . Existieren dem, offenkundig u n t e r s c h e i d e t . Diesen Unterschied kann man im Metaphysikkommentar als Negation von Identität präzisiert und übereinstimmend mit dem Boethiuskommentar von Verschie denheit (diversitas) abgehoben finden: 'Nicht identisch' kann auch von Nichtseiendem ausgesagt werden, ' v e r s c h i e d e n n u r von Seiendem.[1] Die zweite Voraussetzung wäre dann so zu v e r s t e h e n , daß n u r wirklich Existierende eines sein und mit anderem zu einer Vielheit zusammengefaßt werden k a n n . Diese zweite Interpretation zu erwägen, dazu gibt eine a n d e r e , sogar ausdrücklichere Begründung für die wechselseitige Impli kation von Sein und Einheit Anlaß, eine B e g r ü n d u n g , die mit dem Begriff der Einheit als Ungeschiedenheit operiert und Sein klar als Bestehen nimmt. [2] Thomas faßt da Einheit als gegen ständliche Ungeteiltheit, die einfachen Seienden ohnehin mit Notwendigkeit zukomme und als Zusammensetzung der Teile für komplexe Seiende die Bedingung dafür ausmache, daß sie ü b e r haupt b e s t e h e n . Daß die Rede von Sein in diesem Kontext im Sinn von Bestehen gemeint i s t , kann man an der abschließenden Folgerung bemerken, jegliches wahre so seine Einheit, wie es sein Sein w a h r e . [ 3 ] Als Ungeteiltsein oder Nichtaufgelöstwerden stellt sich Einheit in der Funktion einer Bedingung d e r Selbst erhaltung oder des Bestehens von Gegenständen d a r , deren Konstitution prinzipiell als Agglomeration und deshalb u n t e r den Voraussetzungen des räumlichen Außereinander gedacht wird; das schlechthin unteilbare Einfache ist d e r Grenzfall, der die sem Bezugsrahmen e n t s p r i c h t . - Wenn Einheit so v e r s t a n d e n wird, dann ergibt sich aus i h r Vielheit und Verschiedenheit unmittelbar als S t r u k t u r der Welt der Erfahrungsdinge. Ob dies das konsequent gedachte Resultat der Rekonstruktion des Unterscheidens im Boethiuskommentar ist oder vielmehr Einheit, Vielheit und Verschiedenheit im Sinn der e r s t e n Interpretation, also durchweg als Folgebestimmung von affirmativ Beurteiltem, das scheint mir von den Texten her nicht wirklich entscheidbar zu sein.
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In 10 Met. 1. 4, 2015 I 11, 1 Der Gedanke, daß n u r b e s t e h t , was eines i s t , scheint auch der auffallenden Unterscheidung des Sentenzenkommentars zugrunde zu liegen, die Bestimmung 'Eines' enthalte n u r eine verstandesbedingte Negation - nämlich die der Unterschei dung - , die Vielheit dagegen eine reale - nämlich, wie man annehmen k a n n , die Entgegensetzung der bestehenden Ein heiten gegeneinander (1 S 24 I 3 ad 2 ) .
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Man kann auf diese Weise einen Gedankengang ermitteln, der eine Reihe transzendentaler Bestimmungen von dem ganz u n b e stimmten Terminus 'Seiendes' bis zur S t r u k t u r a b s t r a k t e r Ver schiedenheit gegebener Objekte überhaupt in logischer Folge k o n s t r u i e r t . Zum Verständnis der Texte ist aber zugleich zu berücksichtigen, daß ihnen offensichtlich nicht die Absicht zu grunde liegt, den Zusammenhang der thematisierten Transzen dentalien vollständig aufzuklären, daß vielmehr die Verhältnisse von Andersheit und Vielheit sowie von Einheit und Vielheit frei von einem logischen Zirkel und von einem r e g r e s s u s ad infini tum bestimmt werden sollen. Für beide Vorhaben erweist sich der als Prinzip verstandene Begriff der Distinktion als das e n t scheidende Argument, ohne daß die von Thomas bemerkte fun damentale Bedeutung dieses Denkmittels ihn zu einer systema tischen Darstellung der S t r u k t u r und Funktion der Transzen dentalien veranlaßt h ä t t e . Die von den genannten Zielsetzungen beeinflußte Begrenzung der Analysen ist an dem Fehlen konsti tutiver Momente des entwickelten Gedankengangs zu e r k e n n e n , besonders dann, wenn Thomas dieselben Momente in anderen Kontexten durchaus behandelt. Das gilt etwa von demjenigen ganz allgemein zu fassenden Satzglied, auf das die entgegen gesetzten Prädikate 'ist' und 'ist nicht' bezogen werden müssen, damit sich ein Widerspruch ergibt und mit ihm ein zwingender Grund, die Negation auf 'ist nicht dieses' ganz abstrakt einzu s c h r ä n k e n . Denn als nominales Relatum der Form affirmativer und negativer Aussagen überhaupt käme die transzendentale Bestimmung 'Sache' (res) durchaus in Betracht, die Thomas sonst als allgemeinsten Ausdruck für das definierbare Wesen eines Objekts dessen verwirklichtem Sein (actus essendi) g e genüberstellt.[1] Weil Thomas selbst mit dieser unmittelbar g e genständlichen Bedeutung von Sein dessen synthetische Funk tion im Satz v e r b u n d e n h a t , [ 2 ] könnte man sich ohne weiteres eine urteilstheoretische Wendung des ganzen Verhältnisses von bestimmter Sache und der jeweiligen, ihr zukommenden Wirklich keit für den Fall d e n k e n , daß die Form des Widerspruchs, in der generell Unterscheidungen begründet sind, mit dem s y s t e matischen Interesse an Vollständigkeit erklärt werden sollte. Daß es Thomas darum nicht ging, ist auch an dem Verzicht auf die Begriffe von Identität, Ganzem und Teil zu e r k e n n e n , die für die Erklärung der Einheit als "üngeschiedenheit in sich" beansprucht und in anderen Kontexten als Grundbegriffe g e kennzeichnet w e r d e n . [ 3 ] Was auf diesem Hintergrund als Ver k ü r z u n g der transzendentalen S t r u k t u r erscheinen muß, kann man am besten aus Gründen der Zielsetzung v e r s t e h e n , daß 1 2 3
Ver. I 1; In 4 Met. 1. 2, 553 In 1 Perih. 1. 5, 72f; v g l . dazu oben S.37-40 Pot. IX 7 ad 15; In 10 Met. 1. 4, 2015; In 1 A n . p o s t . 1. 5, 50
521 vermittelst des Begriffs der Unterscheidung eine unumkehrbare Folge von Unterschiedenheit, Einheit, Vielheit und Verschieden heit etabliert werden soll. Diese Intention überlagert gleichsam den Ansatz, ausgehend von einer Analyse des Unterscheidens und Bestimmens zugleich - die Transzendentalien als Momente der logischen S t r u k t u r aller Urteile zu d e u t e n , als die Bedin g u n g e n , die die synthetische Funktion des Verbum jedem Syn thetisierten a priori auferlegt. In welchem Maß dadurch Einsichten, die der logische Begriff der Distinktion erbracht h a t , wieder in Frage gestellt werden, zeigt etwa eine nicht relativierte Auszeichnung der Bestimmung 'Seiendes' als schlechthin erste Bestimmung (maxime p r i m u m ) : [ l ] Als solche muß 'Seiendes' positiv ausgesagt werden, denn eine Negation oder Privation kann nicht das zuerst Er kannte sein, weil immer das Negierte in den Begriff der Nega tion eingeht. Zwar nennt Thomas in der Folge 'erste Bestimmun gen' auch die Transzendentalien Einheit, die durch Negation gebildet wird, sowie Wahrheit und Gutheit, die die Beziehung auf Verstand und Willen a u s d r ü c k e n , weil sie die universale Bedeutung des Seinsbegriffs nicht so wie etwa die Kategorien einschränken. Aber hier sagt er nicht, daß das positive Sei ende, sofern es als etwas Indistinktes gemeint i s t , selber in dieser Charakteristik die negative Einheit als sein Moment zu erkennen gibt, und ebensowenig, daß es sich in seiner Positivität distinkt vom Nichtseienden abhebt und sich auch darin als ein durch Negation Bestimmtes erweist. Hinter der Hervor hebung eines reinen Ersten tritt die Reflexion auf die Bedin gungen seiner Bestimmtheit zurück, obwohl einer der in dem selben Artikel folgenden Texte (ad 15) den Zusammenhang von Bestimmtheit und Einheit mit der Unterscheidung durch Negation deutlich macht. Sobald aber die eindeutige Festlegung eines frü heren oder Ersten Vorrang vor der Reflexion e r h ä l t , vermittelst welcher zunächst nicht bewußten logischen Handlungen ein d e r art Distinktes überhaupt gedacht werden k a n n , ist nicht mehr davon auszugehen, daß der Seinsbegriff sich von der Funktion des diskursiven Verstandes in Urteilen her erschließt. Das In teresse an einem unmittelbar und unrelativierbar Ersten ist vielmehr durch die Idee einer u r s p r ü n g l i c h e n , reinen Anschau u n g zu erfüllen, der n u r einfache Objektivität in absoluter Po sition gegeben sein k a n n .
7.
Thomas' Prinzipienbegriff, Aristotelismus
ein
sich
selbst
relativierender
Auf diese Weise enthalten auch diejenigen Texte, die, veranlaßt durch die Frage nach der Unterscheidung, die Transzendenta1
Pot. IX 7 ad 6
522
lien mit den Formen der Urteile, Affirmation und Negation, in Zusammenhang b r i n g e n , eine diesem transzendentalientheoretischen Ausgangspunkt entgegengesetzte Tendenz. Sie verfolgen das Ziel, eine lineare logische Ordnung der transzendentalen Bestimmungen nachzuweisen, an deren Anfang 'Seiendes' nicht mehr als Inbegriff der objektivierenden Synthesis der Aussage, sondern n u r noch als schlechthin unmittelbare und dadurch die Reihe begrenzende Vorstellung von Gegebenem stehen k a n n . So reicht die Zwiespältigkeit von Thomas' Prinzipienkonzeption, faßbar in seinem Seinsbegriff, bis in einzelne Texte hinein, die den Gedanken eines Objekts der Vernunfterkenntnis ü b e r h a u p t (ens) d u r c h die logische S t r u k t u r von Transzendentalien zu explizieren suchen. Wenn das richtig i s t , hat eine Interpretation vor allem den philosophischen Ideen nachzugehen, aus denen man die divergierenden Tendenzen v e r s t e h e n k a n n , damit die systematische Einheit, die auch die interpretierende Vernunft fordert, nicht aufgrund eines Ausschlusses der ihr zunächst widersprechenden Divergenz, sondern mit ausdrücklichem Bezug auf einen reflektierten Begriff von derselben formuliert werden kann: Soweit Thomas Prinzipialität aufgrund eines Rekurses auf e r s t e , unmittelbare Gedanken - in Anknüpfung an Aristoteles - zu begreifen s u c h t , folgt e r , was er selbst deutlicher als Aristote les zu erkennen gibt, dem Ideal einer intuitiven, der d i s k u r siven vorausgehenden und sie vollendenden Vernunft. Soweit er die Prinzipienfunktion d e r Urteils formen, Affirmation und Nega tion, im Kontext einer transzendentalen Analyse des bestimmten und distinkten Erkenntnisobjekts klar und ausdrücklich formu l i e r t , kennzeichnet er die apriorische S t r u k t u r der diskursiven Vernunft als komplexes und doch irreduzibles Prinzip (prima radix) allen Wissens, womit er ebenfalls ein aristotelisches Theorem, den Begriff von d e r transzendentalen Bedingungs funktion des Widerspruchsprinzips, aufnimmt. Die beiden Kon zeptionen kann man als alternative Lösungen d e r philosophi schen Aufgabe v e r s t e h e n , dem Bewußtsein jeglicher Erkenntnis von i h r e r Wahrheit, das in den Wissenschaften d u r c h das b e weisende Begründungsverfahren zu einer gegenüber dem Zwei fel legitimierten Gewißheit zu werden s u c h t , einen absoluten Bezugspunkt seiner Vergewisserung anzugeben. Das systematische Übergewicht desjenigen Lösungsansatzes, d e r , indem er alle Gewißheit in einem ganz unmittelbaren Be wußtsein begründen will, auch dem unmittelbar Gegebenem, der wahrnehmbaren Erfahrungswelt, und dem unabhängigen Gegen s t a n d , der Substanz, Prinzipienfunktion verleiht, macht sich auch in den von den Urteilsformen ausgehenden S t r u k t u r a n a lysen der Transzendentalien geltend, sofern sie auf eine logi sche Reihe abzielen, die n u r von einem unmittelbaren Ersten ausgehen kann. Trotz dieser wesentlichen Einschränkung scheinen mir Thomas' Überlegungen zu den transzendentalen Bedingungen von Unterscheidung und Bestimmung doch in aller
523
Kürze deutlich genug einen platonischen Typ von Prinzipien theorie zu realisieren, um zusammen mit anderen Theoriemomen ten als kritisches Potential gegenüber dem dominierenden Ver nunftideal der intellektuellen Anschauung und dem s t r u k t u r e l l affinen Prinzipienbegriff der Substantialität interpretiert werden zu können: Der urteilstheoretische Wahrheitsbegriff überwindet mit dem Adäquationsmodell der Wahrheit auch die Annahme eines einfachen Gegebenseins der Realität und verweist auf die Kor relation von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein, die dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Satz e n t s p r i c h t . [ 1] Daß entgegen der Auffassung, Erkenntnis sei Rezeption, dem Selbstbewußtsein kein ursprüngliches Objektbewußtsein v o r a u s gehen k a n n , kommt auch im Begriff der Gewißheit als einer durch Evidenz erzwungenen Zustimmung der subjektiven Ver nunft zum Ausdruck. Die auf die Urteilsform bezogene T r a n szendentalienanalyse läßt schließlich das Ausgehen von einem unmittelbaren Ersten als bloßes Moment des reflektierenden Diskurses erscheinen, sofern die Reflexion die logische Be dingtheit von Bestimmungen jenes Ersten - wie etwa Indistinktheit - aufdeckt. Zugleich knüpft diese Prinzipientheorie, sofern sie die T r a n szendentalien ausdrücklich als Bedingungen der Bestimmtheit entstehen läßt, der Sache nach an die platonische Dialektik der 'größten G a t t u n g e n ' an. Indem sie die Interpretation dadurch nötigt, das Verhältnis Transzendentalien - Kategorien neu zu beurteilen, gibt sie einen Anstoß in folgender Richtung: Die mit dem Kategorienschema intendierten einsinnigen Verhältnisbestim mungen, die stets ein unbedingtes e r s t e s Glied in einem Er kenntniszusammenhang e r f o r d e r n , konkurrieren nicht n u r mit den wechselseitig sich bedingenden platonischen Prinzipien, die wie etwa die Verhältnisse von Identität und Andersheit oder von Grund und Begründetem von der Logik der Sprache her g e wonnen werden. Vielmehr sollen sie auch als Anwendungskrite rien für sie fungieren, vermittelst d e r e r empirische Gegenstände verbindlich nach 'Grund' und 'Begründetem' unterschieden oder als Einheit bzw. Vielheit betrachtet werden können. Auf diese Weise gewinnt der Satz des Aristoteles einen neuen Sinn, weder die Einheit noch das Sein, aber auch nicht das Elementsein oder das Grundsein könnten das Wesen sein, er suche vielmehr, was denn nun das Prinzip sei, um es auf etwas Bekannteres zurückzuführen. [2] In der mit Hilfe von Thomas gewonnenen Perspektive heißt d a s , Aristoteles genügt nicht die 1
2
Wenn man dagegen in realistischer Manier von einer äußeren Welt wie von etwas Vorhandenem a u s g e h t , kann man daraus die bewußte Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt gerade nicht erklären; s. z . B . Maréchal, Le point de départ de la métaphysique V, S.121-124. Met. Ζ 16, 1040 b 18-21
524
Reflexion auf die transzendentalen Bestimmungen eines Gegen standes der Erkenntnis ü b e r h a u p t , sondern ihm geht es zusätz lich um eine allgemeine Charakteristik derjenigen Gegenstände, die 'Grund' oder 'eines' in Abhebung von Begründetem oder vielem genannt werden können, eine Charakteristik, die die einzelnen Transzendentalien mit je anderen allgemeinen, aber nicht mehr für jegliche Denkbare gültigen Bestimmungen v e r knüpft. Daß diese Bestimmungen bekannter sein sollen, ist als Hinweis auf die Eindeutigkeit i h r e r Unterscheidungsfunktion zu i n t e r p r e t i e r e n . So gibt etwa die Auszeichnung des Prinzips als F r ü h e r e s , das einsinnig unabhängig sein soll, der Suche nach bestimmten Prinzipien in einer Wissenschaft ein eindeutiges Merkmal an die Hand, das als Begriff von dem Verhältnis man cher Gegenstände zu anderen aus Erfahrung schon bekannt i s t . Und solche Schemata oder Modelle für die Anwendung von T r a n szendentalien werden für Aristoteles zu den wahren Prinzipien, nach denen sich das wissenschaftliche Verfahren r i c h t e t , i n s besondere mit der Absolutsetzung seiner jeweiligen ersten Be weisprämissen im Verhältnis zu den aus ihnen begründeten Fol gerungen. Thomas selbst ist sich offensichtlich der mit seinem Transzen dentalienbegriff eröffneten Möglichkeit nicht bewußt, die plato nische und die aristotelische Prinzipienkonzeption als mitein ander v e r t r ä g l i c h , sogar als sich ergänzend erscheinen zu las s e n . Vielmehr folgt er einfach überwiegend den durch die ari stotelische Piatonismuskritik eingeleiteten philosophischen Ten denzen. Angesichts dessen legitimiert immerhin seine u r t e i l s bezogene Transzendentalienanalyse eine Interpretation seiner Wissenstheorie und Metaphysik, die sie auf dem Hintergrund platonischer Reflexionen kritisch b e t r a c h t e t .
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532 PERSONENREGISTER A n a x a g o r a s 108, 2 7 1 , 2 7 5 , 283 A n t i s t h a n i k e r 62 Artistoteles XXIII, XXVI-XXXVIII, 2 - 5 , 9, 12, 14-18, 20-26, 2 8 - 3 8 , 4 1 - 6 0 , 6 2 - 6 6 , 6 9 , 7Iff, 7 5 - 8 0 , 8 2 - 9 4 , 1 0 2 - 1 1 4 , 116128, 130-152, 154f, 1 5 9 - 2 8 8 , 291-330, 3 3 2 - 3 3 5 , 3 3 8 - 3 4 2 , 3 4 4 - 3 4 9 , 3 5 4 , 3 5 6 , 358f, 3 6 3 - 3 6 9 , 3 7 1 - 3 7 5 , 3 7 7 - 3 9 2 , 394, 396ff, 4 0 3 , 410, 4 1 2 , 4 1 5 - 4 2 3 , 4 2 5 - 4 3 3 , 4 3 5 , 437ff, 441ff, 4 4 6 - 4 5 0 , 4 5 3 , 4 5 6 - 4 6 6 , 469ff, 474, 477f, 480f, 486f, 494ff, 500, 512f, 517, 522ff A u g u s t i n u s 3 , 2 8 6 , 2 8 9 , 410 A v e r r o e s 7 0 , 294f Avicenna XXVII, 4 5 , 5 6 , 6 3 - 7 3 , 75ff, 8 0 , 9 3 , 144, 149, 157160, 2 7 6 - 2 8 2 , 284, 286f, 2 9 5 , 3 4 5 - 3 4 8 , 3 7 9 , 4 2 8 , 4 7 3 , 4 8 4 , 502 B a r t h l e i n , K. XXIXf, 4 6 , 178 B a u m g a r t n e r , H.M. Ill Boethius XXVII, XXIX, 3 5 , 4 9 , 6 4 , 113f, 122, 167, 2 3 8 , 240, 3 6 1 , 3 6 9 , 3 7 1 , 3 7 5 , 397, 4 0 7 , 4 1 5 , 449, 466 B o n a v e n t u r a XXIIIf, 289f B r e t o n , S. 2 9 2 , 4 6 8 , 511 C i c e r o 12 David v o n D i n a n t 164 D e s c a r t e s 4 , 1 2 , 2 7 , 209f, 2 1 6 , 2 2 3 , 386 D i e t r i c h v o n F r e i b e r g 414, 455 D i o n y s i u s P s . - A r e o p a g i t a 2 6 9 , 289 E c k h a r t , Meister 414 F i c h t e 2 7 , 234 F l a s c h , K. X X V I I I , 73 F o r e s t , A. X X V I I , XXXI, 164, 469 v . F r i t z , K. 222f G a r r i g o n - L a g r a n g e , R. 292 Gilson, E. XXIVf Hegel 7 7 , 1 2 1 , 129, 1 3 3 , 184, 230, 249, 4 3 9 , 480 H e i d e g g e r 323 H e r a k l i t e e r 382 Hirschberger, J. 28 Holderlin 90 Humboldt 3 7 , 123 I b n Gebirol 164 J a e g e r , W. 168 Kant X X I I I , XXVI, XXIX, XXXIV, Iff, 7f, 1 5 , 2 3 , 2 6 , 1 2 1 , 203ff, 2 0 9 , 2 3 3 , 3 5 4 , 3 6 1 , 363ff, 3 6 5 , 3 6 8 , 3 7 4 , 3 7 7 , 4 2 3 , 427f, 513 K r e m p e l , A. 92 Mansion, S. 183 Marechal, J . 128f, 220, 292, 2 9 5 , 3 0 5 , 492, 523
533
Meinhardt, H. 95-98 Meyer, H. 28 Moreau, J . 28, 212, 272 Newton 365 Nicolaus von Autrecourt 73-76, 81 Nikolaus von Kues 414 Oeing-Hanhoff, L. 295 Owen, G.E.L. 118 Owens, J . 337 Parmenides 140-146, 148, 150, 162ff, 203, 302, 419, 463, 469, 508 Patzig, G. 166, 174, 293 Pegis, C. XXIV Petrus a Bergamo XXIV Platon XXIII, XXVI-XXX, XXXIII-XXXVII, 1ff, 13, 15, 22, 49, 62, 83, 85-111, 116f, 139ff, 143-146, 148, 155, 158, 164167, 169, 172-176, 179, 183, 186, 188f, 204, 214, 221, 228, 247ff, 251, 254ff, 260-269, 271, 274, 276, 279, 286, 288f, 291, 296, 298ff, 303, 310f, 330-334, 338, 341f, 349, 375, 382f, 385f, 399, 410, 416-422, 424f, 430ff, 436, 439, 452, 459f, 464, 469, 474, 476, 478f, 506, 515, 523f Platoniker 217 Plotin XXVIf, 30 Porphyrius 35, 167, 345, 477 P r a u s s , G. 89, 368 Proklos 266 Protagoras 135, 330, 387f, 412 Pythagoreer 141 Rahner, K. 28, 295, 299, 305, 353, 374, 421, 500 Ross, W.D. 106f, 118, 217, 238, 330 Russell XXX Sheehan XXIII, 354f Siger von Brabant XXIIIf Sokrates 3 , 44, 120, 188, 200, 302, 334 Sophisten 1, 13, 186, 189, 262, 330 Spinoza 67f, 76f, 105, 115, 349 Stoiker XXVII, 5, 12, 238 Thomas von Aquin XXIII-XXXVIII, 3-44, 49-52, 56-67, 69-76, 79-83, 85ff, 92f, 105f, 110, 112-116, 118, 121-136, 139, 141ff, 146-168, 171-186, 188, 192-202, 210ff, 216f, 219f, 222, 235, 237-242, 247f, 256f, 260, 264-272, 274, 276ff, 281-296, 298ff, 304ff, 314f, 329f, 335-384, 388, 390-418, 421-426, 432-446, 448-458, 461-524 Tugendhat, E. 49, 89, 128, 154, 171, 318, 397f Vorsokratiker 441, 459 Weber, E . - H . XXIVff, XXXI, 288ff, 356 Weidemann, H. 481 Wiehl, R. 95 Wieland, W. 44, 83, 118f, 211-214, 224-227, 229ff, 235, 253, 258f, 262, 267, 297, 397f, 420, 428
534
Wilhelm von Moerbeke 63 Wilpert, P. 148, 336f, 340 Wittgenstein XXX, 151f, 162 Xenophanes 186 Zimmermann, A. 38f,41 Zwergel 47, 169, 305, 308, 312
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SACHREGISTER Abbildverhältnis s . Erkenntnis Abhängigkeit 73, 84, s . a . Begründungsverhältnis, F r ü h e r e s Späteres, ordo, Substanz-Akzidens-Verhältnis Absolutes 94, 102, 104, 112, 129, 203, 230, 346, 353f, 411f, 414, 443, 468, s . a . Selbständigkeit, Bestimmtheit, Wahrheit Abstraktion 216, 288, 292, 298, 313, 351f, 410 Äquivokation 194, 197, 200 Ästhetik, transzendentale 427 Affirmation 149, 154ff, 158, 472, 475, 495ff. A.-Negation 154ff, 343, 345, 456, 495, 503, 505. S.a. Positives Akt s . Potenz-Akt-Schema Akzidens 44, 53ff, 58f, 63, 67-80, 92f, 171, 213, 218, 311, 314, 363, s . a . Substanz-Akzidens-Verhältnis, I n h ä r e n z , Zukommen, Kategorienschema, Erkenntnis Allgemeinbegriff s . Begriff, Genus, Species Allgemeines 252ff, 256f, 260f, 298, 300, 433. A. als Prinzip 164ff, 167f, 172, 416; nicht Prinzip 86, 172, 176 Allgemeinheit 234, 249ff, 441 Allheit 250 Alltagsbewußtsein s . Bewußtsein, natürliches Alternative 403f anamnesis s . Wiedererinnerung Anamnesistheorie 260, 263-268, 271, 274, 279, 284, 287, 293, 296, 330, 514 Anderes 255, 410, 442, 447ff, 461, 467, 481f, 519 Andersheit: als transzendentale Bestimmung 94f, 358, 458ff; Negativität d e r A. 110; als bestimmte Negation 143ff; als Relation 462, 468; aufgrund von Unterscheidung 467; auf grund von Affirmation und Negation 474, 483, 503; A.-Dif ferenz 446-450, 460; A. - Vielheit 374f, 450, 466, 517f; A. - Quantität 361-364, 369ff; A. - Einheit 519; auf Be wußtsein bezogen 343f; Materie - A. 377; bei Thomas 92f, 449, 464 Anhängen s . Überzeugung Anschaulichkeit 408, 410-413, 423 Anschauung, intellektuelle 204, 249, 408-412, 421, 443 Anschauung, sinnliche 249, 256, 362, 364, 373f, 408f, 411 Antinomik 205, 208, 210, 320, 323 Aporie 330ff arbor Porphyriana s . Begriffslogik argos logos 262f, 265, 279 Argumentation 189f, 202f, 226f, 235, 249, 329, 333 Aristoteleskommentierung 56-59, 62, 144, 197, 230, 239f, 276, 305, 316, 342, 345f Aristotelesrezeption 118 Art s . Species
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Atomismus, ontologischer 75f Atomismus, logischer 98, s . a . Eleatismus, logischer Aufklärung 128, 430 Aufmerksamkeit 382, 384 Ausdehnung 366, 37Iff, 377 Aussage: Form der A. 40f, 191, 438; als bestimmte Synthesis 98-102; kategoriale Interpretation der A. 174f, 309; A. im logischen Eleatismus 419f; A. - Verb 36; A. - Subjekt 131, 170, 301, 313; A. als für sich wahr 184ff, 310f; A. ü b e r A. 157ff; Zusammenhang der A. 162f; allgemeine 300; ak zidentelle 314, 321ff; eines Akzidens von einer Substanz 64ff; unmittelbare 215, 310f, 318, 322; ü b e r Faktisches 318f; s . a . Urteil, Definition Außereinandersein 370, 374 Autarkie 21f, 103, 111 Axiomatik 226, 229, 316 Axiome 117, 222, 236ff Bedeuten s . Meinen Bedeutung: als Bestand oder Resultat lOOff; durch Referenz 308f, 476; aufgrund eines eidos 397f; situationsbezogen 186f; von Satz und Satzteüen 36-39, 4Iff, 418, 420f; n e gativer Prädikate 163; allgemeiner Prädikate 172; auf S u b stanz und Akzidenzen bezogen 53, 59, 63, 70 Bedeutungsanalyse 133, 136f, 153, 197, 200, 310 Bedeutungsidentität: aufgrund von Begriffen 197-200, 309f, 389, 512; B . - Widerspruchsfreiheit 120, 232, 312; B . transzendentale Einheit 344, 518; durch Transzendentalien bestimmt 477f; situativ und d u r c h Unterscheidung bedingt 186f, 456; als Bedingung für Reden und Erkennen 184, 298, 307f, 311; s . a . Bestimmtheit Bedingtheit 204, 428 Bedingung 205, 427, s . a . Grund, Begründungsverhältnis Begrenztheit s. Endlichkeit Begriff: als Erklärung 100; B. - Urteil 196; als Identifikation von Bedeutung 310; Funktion für Wissen 221, 382f; B . Gegenstand 129, 139, 300f, 389; Verhältnis der Begriffe zueinander 417, 420; induktive Gewinnung der B . 253f, 256, 258; Analyse-Synthese der B. 424f, 433, 450; Rekon struktion von B. 439f, 445f, 449, 463f, 512, 514; s . a . Allgemeines, Definition, Vorbegriff Begriffslogik : ermöglicht Identifikation allgemeiner Ausdrücke 194-200; B . - Prinzipienforschung 213f, 225; B. - ontologisches Modell 113f; B . - Transzendentalien 433f, 436f, 439, 512 B e g r ü n d u n g : Frage nach B. 127ff; Voraussetzungen für B. 203f; subjektive - objektive 208; als Relation 428; als Denkbewegung 430; zyklische 206f, 279f, 426, 429; bei Platon-Aristoteles 89,97f, 104, 247, 383, 385; s . a . G r u n d , Beweis
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Begründungsfolge 206ff, 254, 259, 264ff Begründungsreihe 302ff, 319, 384, 393, 429 Begründungsverhältnis: als Relation überhaupt 427ff. 484f; Ausweis seiner Relata 427ff, 430f; Abhängigkeit/Unabhän gigkeit von Prinzip und Begründetem 140f, 210, 214ff, 321, 420, 426; verweist auch aufs Prinzip 205, 262, 280; bedeutet auch Entgegensetzung 498f; Gültigkeit des B. 26; ermöglicht Wissen 383ff, 392; zwischen Teil und Ganzem 174; bei Transzendentalien und Prinzipien 498f; s . a . F r ü heres-Späteres Behauptung 99, 148-151, 154, 156, 336ff, 340 Bekannteres für uns - an sich 187, 227f, 243, 254, 258ff, 262ff, 266-269, 274, 279f Belehrung 226ff Beobachtung 381f, 384 Berühren 132, 339, 366, 368, 377, 390 Besonderes s. Einzelnes, Begriff, Begriffslogik Bestätigung 147f, 150f, 154, s . a . Sein, veritatives Bestehen 112, 126, 304, 400, 443f, s . a . Selbsterhaltung Bestimmbares s. Materie Bestimmtheit: als Festlegung von Dingen und Eigenschaften 349-352, 358, 360; als Korrelat des Intendierens 232, 307f; als Resultat und Bedingung von Sätzen 94-102, 158, 479, 508; aufgrund von Unterscheidung 455, 457, 461, 464, 484, 486f, 505; bedeutet Komplexität 480; logisch und durch Transzendentalien bedingt 477f, 523; s . a . Distinktheit Bestimmung: B. - Bestimmbares/Bestimmtes 171, 309, 311f, 374, 451; von Gegenständen gedachte 87, 89f, 96, 161, 362, 456, 488, 493, 495, 512; sprachliche 44f, 53, 99, 469 Bestimmungslosigkeit 332 Bestimmungsreihe 317-321, 323f, 384 Bewegbarkeit 361 Bewegung l0lf, 105-110, 303f, 368, 405 Beweis: B . - Wissen 201, 221, 239, 318, 386; B. - dialektischer Schluß 116f, 119, 208; B. in d e r Lehre 226f; begriffslogi sche Voraussetzungen des B. 207, 317-321; B . - Prinzi pienfrage 124f, 300; B. - Definition 188, 346; s . a . Be g r ü n d u n g s v e r h ä l t n i s , Widerlegung Beweislogik 126, 206ff, 214ff, 223, 244f, 317f Beweisprämissen 207ff, 214ff, 227, s . a . Prämissen, Prinzipien Beweistheorie 123, 233, 245f, 248, 317 Bewußtsein: als solches oder gegenständlich gedacht 130, 356, 399; als Reflexion 332; endlich und wissend 183f; Entwick lung des B. 386; natürliches 125-128, 135f, 298, 300, 352, 355f; unmittelbares 247f, 255; vorangehendes 246f, 252; B. - Gegenstand 107, 205, 308; B . - Realität 129, 134, 255; s . a . Seele, Selbstbewußtsein, Realitätsbewußtsein, Erfahrungsbewußtsein, Seiendes Bewußtseinsprozeß 513
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Bild 26, 194 Büdung 229 Billigung s . Zustimmung Bleiben (mone) 252f, 367f Blendung s . Geblendetsein Buchstaben 417 Chorismos
85f, 9 1 , s . a . Selbständigkeit
Deduktion 265, 392, 409, s . a . Beweis Definition: als Voraussetzung für Wissen 188, 213, 222, 225, 233, 306, 341; als Problemlösung 197; D. - Wesen 79f, 185; D. - Wirklichkeit 221, 298, 346, 391; als Begriffsverhältnis 126, 191, 193, 327; d u r c h Bekannteres 187, 227; aufgrund des Sprachgebrauchs 189; Wahrheit und Gewißheit der D. 316, 389; Endlichkeit d e r D. 324; D. - Kategorien 198; als Konstitution 455f; D. - Begründungsfunktion 429f; D. Widerspruchsprinzip 310-313; als theoretisches Modell 459; Bildung d e r D. 190, 192, 194-200, 211ff, 228, 244f, 301f, 314, 329, 388 Definitionslogik s . Begriffslogik Denkbestimmung s . Terminus, Gedankenbestimmung Denken 122, 290, 307, 336, 387, 393, 396, s . a . Wirklichkeit Depositumbeispiel 7f Determination s . Bestimmtheit Deutliches 263 Deutlichkeit 259, 382 Dialektik: als Alternative zur aristotelischen Begriffslogik 439f, 445f, 512; bei Platon 298; bei Aristoteles 116-119, 121, 208, 213, 224ff, 228f, 231f, 239; bei Thomas 121-124 Dialog 22, 120, 123f, 147, 154, 232, 234, 307, 331, 333 Dieses 455, 505ff, 509-512, s . a . Einzelnes, Distinktes Differenz 446-449, 458, 460; spezifische 194f, 198f, s . a . Genus Differierendes 447ff Dihairesis 198, 213f Dimension, räumliche 361, 366, 371, 377 Dinge s. Naturdinge, Körperding, Sinnendinge, Gedankenbe stimmungen Diskurs, wissenschaftlicher 207ff, 221, 223, 240f, 247f, 250, 262, 269, s . Argumentation, Verstand Diskursivität l00ff, 204, 303 Dissens 186-189, 196f, 200 Distinktes 467, 469, 505ff, 510, 514 Distinktheit 95, 344, 349f, 360, 455, 462, 468, 470, 505, 508ff Distinktion 456, 469, 483f, 486, 500, 516, s . a . Unterscheidung Distinktionsprinzip: Frage nach einem D. 461f, 477, 489, 493; n u r ein D. 489f; als Form 485, 505; besteht in der Urteils form bzw. Affirmation und Negation 469, 495, 497ff, 502; im Widerspruch 507; identisch mit dem Begriff der Unter scheidung 491 doxa s . Meinung
539 eidos s . Form Eigenschaft (kath'hauto symbebekos, proprium) 198f, 211ff, 221, 422 Einbildungskraft 362, 366 Eindeutigkeit s. Bedeutungsidentität Eines 255, 344f, 514f, 518f, s . a . Einheit Einfaches: als Prinzip 258, 369f; an sich selbst verschieden 450f, 454, 462, 470, 481, 484ff, 500, 505; als Grenze des Diskurses 459, 480f, 489, 519; ist kein Gegenstand 488ff; ist ganz indistinkt 470-473, 478-481, 487, 501; als Refle xionsbestimmung 499, 501; durch Unterscheidung und Ur teilsformen verschieden 456f, 475f; d u r c h Erklärung kom plex 132ff, 419, 479f Einfachheit 49f, 132ff, 216, 390, 471, 480f, 487, 500 Einheit: äquivoke - analoge 167; transzendentale - kategoriale 170, 172, 177, 379; dingliche - begriffliche 164f, 323, 469; Denken der E. 419, 465; als Negation von Unterscheidung 445, 453, 464f, 515ff, 520; als Ungeteiltheit 168, 519; als u n z e r s t ö r t e s Bestehen 113, 519; E. in sich 453, 465; E. Vielheit 169f, 375f, 378f, 516f, 519; E. - Sein 518f; s . a . Eines Einleuchten 234f, 238, 251, 329, s . a . Einsicht Einschränkung (contractio) 433 Einsicht ( n u s , intellectus) : Typen der E. 297; als Wissen der Prinzipien 209, 246, 251; als Einheit des Wissens 270, 287, 393; als einfache Erkenntniseinheit 223, 236, 244f, 396ff; als unmittelbare Erkenntnis 210f, 250, 316; als intellektuel le Anschauung 410f; E. - Wahrnehmung 248f, 253, 299; Gewißheit d e r E. 407; als transzendentale Erkenntnis 233ff; s . a . Prämissenerkenntnis, Prinzipienerkenntnis Einwand 386ff Einzelheit 360f Einzelnes 131, 185, 219f, 247f, 254, 256, 300, 302, 363, s . a . Substanz, Individuation Eleatismus, logischer 417, 419f Element 97ff, 101, 141, 177, 247f, 315f, 369, 378, 429f, 476 elenchos s . Prüfung, Widerlegung Endlichkeit 203, 205, 302-305, 308, 319-325, 384 ens naturae - ens rationis s . Naturdinge, Gedankenbestimmun gen Entgegensetzung s . Gegensatz Erfahrung: zwischen Wahrnehmung und allgemeiner Erkenntnis 250-253; als Grundlage des Wissens 301, 390; E. - Prinzi pien 224, 229, 297; von Begriffen geleitet 254, 256, 260; E. und Substanz-Akzidens-Schema 315, 323, 373; wesent liche Momente der E. 377 Erfahrungsbewußtsein 144f, 300, 374, s . a . Bewußtsein, n a t ü r liches Erfahrungsgegenstände s . Naturdinge
540
Erfahrungsgewißheit 299, 382, 409 Erfahrungsurteil 382 Erfassen (apprehensio) 290, 457 Erforschen (inventio) 270 Erinnerung 250-253 Erkennbarkeit, Bedingungen d e r : 88, lOlf, 130-133, 149, 275f, 281f, 350-355, 358, 439 Erkenntnis: als Gegenstand und Vermögen aller Gegenstände 9f, 129f; als Zweck 111; als Hervor- und In-sich-Zurückgehen 207, 266, 278; klar und verbergend 257; E. - Wahrheit 338, 402; mitgeteilte 189; unmittelbar - vermittelte 209ff, 249f, 255, 267, 398; sich differenzierende und diskursive 87f, l00ff; explizite 515; unausdrückliche/verborgene 233f, 242f, 254, 256f, 259f, 262, 295, 330, 428; reflexive 193, 257, 264f, 267, 279f, 461f; zyklische 206f, 269f, 517; aus früher Erkanntem 184, 189, 193, 196, 201f, 207, 224, 227, 242, 244, 246, 314, 322, 382f, 393, 462, 478; t r a n s z e n d e n tale 231, 233f, 243; potentielle - aktuale 271ff, 282; alltäg liche - wissenschaftliche 189-192, 199ff, 214, 224, 228, 243-246, 294, 298, 301, 320; wissenschaftliche - philosophi sche 364, 428f, 459, 461; aus Abstraktion - aus Argumen ten 28f, 192ff; sinnliche - begriffliche 42, 212, 219f, 252ff, 256, 266, 271, 286, 288, 291, 297, 383; Form-Inhalt der E. 121ff, 288; E. - Gegenstand 129f, 132, 137, 155, 159, 207, 223, 236, 251, 264, 281f, 298f, 331, 349-355, 358, 382, 412; als Abbild 128, 131, 135, 151ff, 161; als Rezeption 131, 271ff, 292, 356, 383, 398, 401; von F r ü h e rem - von Nachgeordnetem 216f, 261; vom Wesen - von den Akzidenzen 41f, 191, 286f, 289, 314f; s . a . Theorie - P r a x i s , Subjekt - Objekt E r k e n n t n i s b e g r ü n d u n g 288, 290, 399 Erkenntnisfortschritt: linearer - zyklischer 207, 269ff; als Re zeption/Abstraktion oder Reflexion 193f, 284, 331ff; auf die Sinnenwelt gerichtet 269, 286, 289; durch Verwirkli chung des Objekts 281; als Reflexion und Zusichselbstkommen 264f, 272ff, 278; deduktiver 262, 287, 294; b e zogen auf Wesen und Eigenschaften 314f; d u r c h Transzen dentalien bestimmt 512f; s . a . Diskurs Erkenntnisgegenstand, e r s t e r 292ff Erkenntnisprozeß s . Erkenntnisfortschritt, Wissensprozeß Erkenntnistätigkeit 193f, 352, 359f Erkenntnistheorie 28ff, 193, 247, 257, 289f, 413f Erkenntnisweise - Seinsweise 164f, 298, 438 Erklärung s. B e g r ü n d u n g , Einfaches Erleiden 271ff Erleuchtung 289ff, 411 Erscheinung 342 Erste Philosophie s . Metaphysik Ethik 7, 8, 111, 113f
541 Etwas s. Sache Evidentes 407ff, 412 Evidenz 211, 235, 399, 401f, 407-412 Faktizität 235, 318, s . a . Tatsache Falschheit 136ff, 147, 191ff, 341f Falsifikation 335 Faulheit s . argos logos Festigkeit s . Stabilität Fixiertsein s . Bestimmtheit Form: als Realitätsprinzip 38f, 282; als Erkenntnisgegenstand 397f; Materie 332, 373; reine 364, 376; intelligible 193, 282, 288ff, 351f, 356 Frage 125-129, 428, s . a . Prinzipien, Distinktionsprinzip Freiheit 14f Freundschaft 21f F r ü h e r e s : logisch - dem Sein nach 217ff, 301; für die Wahrneh mung 218f, 301; F. - Späteres 72, 83-86, 93, 103, 170175, 217, 227f, 367f, 426f, s . a . Bekannteres Fürwahrhalten 402, 404, 407 Ganzes: substantielles 218ff; G. - Teile 84, 108, 219f, 293, 349, 363, 377, 396, 408; s . a . ordo, Satz Gattung s . Genus Gattungen, g r ö ß t e , s . Transzendentalien (bei Platon) Geblendetsein 263 Gedanke 193, 257, 336 Gedankenbestimmungen 122f, 147, 161f, 164, 178f, 221, 379f, 436, 443f, 453, 468 Gegebensein 205, 408f, 443f, 467ff Gegensatz 140-143, 146, 486 Gegenständlichkeit 130f, 167, 308, 377, 394, 475 Gegenstand 162f, 219, 360, 512f, 519, s . a . Begriff, Erkennt n i s , Subjekt, Urteil, Vernunftgegenstand, Wissensgegen stand Gegenstandserkenntnis s. Selbstbewußtsein Gegenstrebigkeit s. Begündungsfolge Gegenwärtigsein (für Bewußtsein) 283f Genus: G. - Species 84, 164, 167, 225; G. - spezifische Diffe renz 166, 168, 194, 196-199, 416, 425, 433; G. - Indivi duum 438f Geometrie 372 Geschichtlichkeit 513 Gesellschaft s . Vergesellschaftung Gespräch s . Dialog Gewißheit: als Bewußtsein von Notwendigem 384, 406; in u n mittelbarem Bewußtsein begründet 522; als Zustimmung 404ff; als theoretischer Ansatz 381, 397f, 413; als Evidenz aufgrund intellektueller Anschauung 407, 409-412; aus Kausalität abgeleitet 400f; des Glaubens - des Wissens 402,
542
407; absolute 111, hinreichende 384f, 395, 413; sinnliche 255, 381f; G. d e r Erfahrung 390, 409; aus Begründung 202f, 207, 383f, 392; von Prinzipien - von Konklusionen 210, 216, 392, 405, 409; von allgemeinen - von speziellen Prämissen 241, 299, 389; d e r Wissenschaften 230f Glauben 270, 402ff, 406f Gleichheit 362f, 377 Glück 21f, 111 Gott s . Absolutes Grenze 366, 368, 377 Größe 364-367 Grund 125-128, 202, 259, 334f, 383, 429f Gutes: als Begriff des praktischen Objekts 1 1 , 104, 130f, 303; transzendentales 343, 415; erscheinendes 285; Selbstmittei lung des G. 104; bestimmt den Seinsbegriff 105,1101Of;v e r selbständigtes 106f, 109; Bestehen als das G. 113ff, 400 Handeln 18, 103, 248, 278, 303f Himmel 365 Hinzufügung (additio) 424f, 433f Höhlengleichnis 261f, 298 homo volans 277 Hypokeimenon s . Zugrundeliegendes Hypokeimenonmodell s . Substanz-Akzidens-Verhältnis Hypothese 208, 222f, 225, 231, 270, 315f Ich s . Seele, Selbstbewußtsein Idealismus, transzendentaler 354 Idee: als Prinzip und Allgemeines 86; auf Wissen bezogen 89, 300; Verhältnis der Ideen zueinander 416f; I . - Ideat 8588, 90f; I . des Guten 9, 103f, 111 Ideenlehre 85-88, 90, 166f, 172, 298ff Identifikation 89, 465, 508, 516 Identisches 106, 108ff, 120, 447, 449, 453, 457, 464f, 515f Identität: Begriff d e r I . 516; Denken d e r I . 464f; I . in d e r Ideenlehre 87-91; I . - Andersheit 94, l0lf, 143f, 155, 178f, 255, 458ff, 462, 477f Indistinktes 456, 494f, 497ff, 508, 515 Individuum s . Einzelnes, Dieses Individuation 360ff, 364, 369, 372ff, s . a . Vereinzelung Individuationsprinzip 361, 363f, 370f, 373, 377 Induktion 207, 220, 251-254, 256, 258, 260, 293 Infinitiv s . Verbum Inhärenz 43, 57-60, 62f, 70-74, 79, 358 Intellekt s . Vernunft, Verstand intelligibilia prima - secunda 287, 295 Intention s. Meinen Irrtum s . Falschheit Irrtumsfreiheit 396f, 401, 405
543
Kategorien: als Typen von Prädikaten 170f; K. - Prädikation 35, 43-46, 65, 173f, 380, 417, 421, 438; als O r d n u n g s g e sichtspunkte 254, 461; als höchste Genera 50, 325; Ver schiedenheit d e r K. voneinander 362f, 440f, 448; K. Transzendentalien XXIXf, 431f, 523; K. - spezielle Bestim mungen 45f; Gewinnung d e r K. 253; s . a . Seiendes, T r a n szendentalien Kategorienschema: als Prinzipientheorie 173f; als Einteilung aller Bestimmungen 324f; als Differenzierung des Seins 54, 116, 437; gebraucht den Satzzusammenhang und abstrahiert von ihm 35f, 42, 44ff, 48; K. - transitive Verben 55f; K. Gutheit 104; K. - Wahrheit 137ff; K. - Wesensbestimmung 197f; K. in d e r Aristotelesrezeption 56, 75, 375; s . a . S u b stanz-Akzidens-Verhältnis Kausalität 26, 109, 359f, 401, 427f, 430, 442, s . a . Begrün dungsverhältnis Klarheit s . Deutlichkeit Klugheit, praktische 248 Körperdinge 365, 371 Komplexes s . Zusammengesetztes Komplexität 500 Konklusion 214ff, 223 Konsens 186, 188 Kontinuität 365f Kontinuum 376ff Kontrarietät 144, 308 Konvention s . Sprachgebrauch Korrektur 261, 331, 405f Kritik 330, 333, 375 Lage (situs) 366-372, 479 Leben 114, 284f Leib- Seele-Einheit 220 Leiden s. Erleiden Lernen 201, 226f, 262, 273, 331, 382 Licht s . Vernunft Logik 121ff, s . a . Begriffslogik, Beweislogik, logos s . Rede
Transzendentalien
Mannigfaltigkeit 143ff, 150, 163 Maß 376, 378f Materie: als metaphysische Einheit 164; systematische Funktion der M. 375; Begriff der M. 377; M. - Form 282, 332, 373; als Bestimmbares 332, 362, 371, 378; als Fixierung von Be stimmungen gegen Erkenntnis 350ff, 354f, 359; als Prinzip von Einzelheit 353, 360, 364, 370; M. - Quantität 361, 363, 376, 380, 451; M. - Lage (situs) 369, 372, 374; bestimmte 360 Mathematik 371
544
megista gene s . Transzendentalien (bei Platon) Meinen 133f, 153, 161f, 232, 307f, 419, 439, 464, 506 Meinung 99, 117, 142f, 189, 226, 229, 231, 331f, 334f, 382, 401, 403ff Metaphysik: Gegenstand der M. 168f, 231, 234; als Prinzipien e r ö r t e r u n g bzw. - b e g r ü n d u n g 117f, 122-125, 225f, 230f, 239f; M. - Wissenschaften 233f, 239f, 270; praktische Be züge d e r Theorie 12-15, 22, 111, 115 Methode: phänomenologische 267, 269, 398; sprachanalytische 397; aristotelische 79, 111, 120, 177, 213, 397f; bei Tho mas 155, 352f, 359, 485f, 520f Mitteilen 382, s . a . Erkenntnis Mittelbegriff 125-128 modus cognoscendi - essendi s . Erkenntnisweise, Seinsmodus Natur 261, 297, 304, 400, 405, 429, 433f, s . a . Bestimmtheit Naturdinge 122f, 155, 162, 297, 349-356, 359f, 372, 374, 381 Naturrecht 114 Nebeneinander s . Räumlichkeit Negation: Bedeutung der N. 472, 509, 521; als sprachliche Form 154ff, 161, 444, 475; bezogen auf Realität und Reflexion 146, 150-153, 470; dem Nichtsein zugeordnet 140, 144, 148, 160; n u r im Verstand 147ff, 344; als Verhältnis 462f; b e gründet Entgegensetzung und Unterschied 143, 452, 504ff; s . a . Affirmation, Unterscheidung Negatives 139-142, 148f, 153, 159, 161-164, 445, 469, s . a . Nichtseiendes Negativität 140, 143, 150, 154, 442, 469, 497, 506, s . a . Ver nunft Nichtbleiben 367 Nichtidentität 143, 519 Nichtseiendes: zum Begriff des N. 444, 472, 482, 504, 518f; dem Seienden entgegengesetzt 142-146, 163, 452, 497, 504; am Sein teilhabend 140, 151, 496; als Subjekt 141; als blo ßer Gedanke 147-150, 157-160; in sich u n e r k e n n b a r 149; als Relatum und Relation 503f; allgemeines - bestimmtes 441f, 455; unterscheidend 452, 469ff, 496f; s . a . Negatives, Seiendes Nichtsein 94, 144-147, 150 Nichtübereinstimmung s. Dissens Nomen 4 1 , 43, 60, 418 Notwendigkeit 49, 67, 202, 221, 235, 312, 319, 334f, 382, 384, 392 Objekt s . Gegenstand, Subjekt, Begriff, E r k e n n t n i s , Vernunftgegenstand, Wissensgegenstand Objektivität 443f, 453, 462 Offenbarkeit s . Evidenz Ontologisierung 60, 80f, 112, 115, 379f, 391
Urteil,
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Ordnung 105, s . a . Zuordnung ordo 16-20, 271, 343, 349 Ort 365-369, 371 Partikularität 505, s . a . Einzelnes Partizip s . Verbum phasis s . Sagen Philosophie: als Prinzipienforschung 4, 224, 233, 243; Methode der P . 44; P. - praktische Begriffe 3, 14f, 22, 155; P . Dialektik 119, 122f; P . - politische Praxis 1f; P . - Erfah r u n g und Wissenschaften 117, 124f, 233, 460; theoretische praktische 2, 8, 14f, 18ff; P . des Thomas von Aquin XXIII, XXVff, 266, 375, 379f; s . a . Erkenntnis physis s. Bestimmtheit Positives 139-142, 152, 157f, 160, 162, 164 Potenz-Akt-Schema XXVI, 286, 353, 428, 459, 461 Prädikat: steht für subjektive Vorstellung und Form d e r Sache 337; ganz allgemeines - eingeschränktes 508f; letztes 319; auf elementare Bestimmtheit bezogen 97; negatives 158ff, 162f; Prädikat - Subjekt: logisch unmittelbar - vermittelt 125ff, 321f; als analytisches - als synthetisches Verhältnis 65, 78, 186, 324; als Korrelation 516; im Urteil differen ziert 336f, 502; bestimmte Identität beider 310f; Verselb ständigung beider 162; im Kategorienschema 68, 78f; Zu ordnung d e r Prädikate aufs Subjekt 172, 220, 300f, 323; in der Definition 191f; als Modifikation 66f, 69; aus Inhärenz begründet 70; alle Prädikate eines Subjekts 184, 310; S u b jekt als Bedeutung seiner Prädikate 309; Erweiterung des Subjekts d u r c h s Prädikat 75f, 347f; enthält Subjekt-Ob jekt-Verhältnis 336ff, 340; s . Kategorie, Urteil Prädikation s. Aussage Prämissen, e r s t e : Begriff d e r P. 329f; als letzte Wissenselemen te 247; hypothetische 225f; im Zusammenhang mit dem Grundsatz vom Vorwissen 244, 247, 256; Unmittelbarkeit der P . 214f, 223, 319, 430; allgemeine - spezielle 222, 237241, 255, 306f, 312; spezielle 225, 236, 243, 313, 322, 329, 388f, 391; Gewißheit d e r P . 299; s . a . Definition, Prinzi pien Prämissenerkenntnis: als Wissen und einfache Einsicht 223, 245, 247, 250f; transzendentale - unmittelbare 232f, 236, 244; P. und das Problem des Vorwissens 242, 244, 246, 251, 256f, 322; als Entdeckung zu einer bestimmten Zeit 242f, 245; noch v e r b o r g e n e , unthematische 259, 263; als Refle xion auf Erfahrungsregeln 224f, 254; individuelle 238; als philosophischer Beweis 239f; P . - Realitätsbewußtsein 298; s . a . Einsicht, Prinzipienerkenntnis Prinzipien: Frage nach den P. 334f, 400, 422, 459, 481; Begriff der P . 24ff, 222f; Kriterium für P . 172ff, 176, 211-214, 323f; als vernünftige S t r u k t u r von Gegenständen ü b e r haupt 264f, 294, 296, 386, 391, 399; a priori auf Realität
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bezogen 357f, 393; als Forschungsgesichtspunkt oder Ein heit des Wissens 224, 392; auf Begründetes bezogen oder unabhängiges Früheres 214ff, 524; jedem bekannt 235, 393; allgemeine XXVIIIff, 118, 123, 165, 221, 230, 236-242, 244f, 255, 286, 291, 307, 329f, 396, 407, 415; theoretische - praktische 9, 16, 113ff; P. des Erkennens - des Seins 23f, 165; als anerkannte Meinungen 117; P. von Sätzen 36; P. - besondere Erkenntnisse 415f, 426; als Prüfungsin stanz 270, 341, 402; bei Platon 88, 97f, 103f, 417, 420; s . a . Prämissen, e r s t e Prinzipienbegriff 430. Bei Aristoteles 23-26, 82-85, 91f, 94, 104, 110f, 137, 139, 173ff, 183, 211, 214, 223f, 229f, 254, 258, 333f, 356, 417f, 425, 431f, 481, 487, 523f; bei Thomas 13, 23, 265, 379f, 391, 400, 425, 446, 498, 513, 522f Prinzipienerkenntnis: Problem d e r P . 329; vermittelte und r e flexive 211f, 233-236, 253, 258, 279f, 446; als Selbstbe wußtsein 386ff; begriffslogisch systematisiert 213f; zur menschlichen Natur gehörend 261, 268, 285f; vor p a r t i k u lärer Erkenntnis 287, 291, 293, 295; anhand des uns Be kannteren i n t e r p r e t i e r t 267; durch sinnliche Erkenntnis bedingt 241f, 278, 291-296; durch das Verstehen d e r Ter mini 292, 409; als höchste Gewißheit und intellektuelle An schauung 400, 409-413; s . a . Einsicht, Prämissenerkenntnis Prinzipiengewißheit 117, 231, 233, 385, 388f, 393, 396f, 399f, 408, 411f, 415 Prinzipienproblem XXIXf, 30f, 165, 169f, 379f, 391, 445f Prinzipientheorie 118, 121, 124, 145, 165, 176, 226, 428, 431, 459f, 464 Privation 146f, 160f, 163 Prozeß s . Werden, Wissensprozeß, Bewußtseinsprozeß, Erkennt nisfortschritt Prüfung: iudicium 270; kritische 120, 200 Quantität 363-366, 370-373, 376, 378, 380, 479f Quantitatives 364, 367f, 370, 372 Räumlichkeit 361f, 366ff, 370f, 374, 465 Raum 361ff, 365, 369, 374 Raumvorstellung 364f Realität s . Wirklichkeit Realitätsbewußtsein 298ff, 302, 313, 430, 464 Rede: vernünftige 99; innere 235, 329f, 385-389 Referenz s . Bedeutung Reflexion: als Rückgang d e r Erkenntnis in sich 253f, 332, 386; als Grundbegriff der Wissenstheorie 257; in d e r E r k e n n t nistheorie 193; auf (negative) Sätze 158-162; als Betrach ten 20; praktische 11; absolute 500-503; als metaphysische S t r u k t u r 68; als methodischer Leitfaden 79, 89, 133f, 145, 152f, 156f, 159, 162, 279, 284; bei Thomas 266; bei Avi cenna 278ff; R. - unmittelbare Erkenntnis 96, 98ff, 116,
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125-129, 133-138, 140f, 145, 149-152, 163, 176ff, 233-236, 243, 258, 264, 268, 282, 293, 336f, 428ff, 464, 468, 515 Reflexionsbestimmungen 116, 164, 176f, 345f Regressus 203-206, 208, 215, 244, 247, 279f, 302f, 384f, 448ff Relation 72, 91-94, 102, 322f, 359, 369, 412, 420, 427, 462, 468, 484, s . a . ordo, Zusammenhang Rezeption 332, s . a . Erkenntnis Richtigkeit 194, 400 Ruhe 101, 105-109 Sachbestimmungen 45, 176f, 345, 379, 422, 436, 457, 460, s . a . Naturdinge Sache (als transzendentale Bestimmung) 66ff, 345-348, 520 Sachverhalt, negativer 151, 158 Sagen (phasis) 132, 339, 390 Satz: als Unterscheiden und Verknüpfen 90, 156; durch das Verb bestimmt 36f, 40f; verbal oder als Urteil 50f, 60f, 191; als wahre Erkenntnis 333, 336; als allgemeine Ver nunftform 437, 500; S. - Satzteile 41-44, 60f, 84, 98-102, 153f, 156, 174, 219f, 418, 420; s . a . Aussage Satzfunktionen 44f, 6 1 , 101f, 138, 157ff, 347 Schein 119, 121f Schluß 189f, 201ff, 206 Schöpfung 289ff Seele: als Ich 277; als Reflexion 265f; vernünftige 414; auf das Seiende überhaupt bezogen 343, 348f; S. - Bewegung 107ff, 190; als Erkenntnisvermögen 253, 263; bei Aristote les 267, 333; s . a . Bewußtsein Sehen 263, 408f Seiendes: unmittelbare Bedeutung 38; als Positives 142, 160, 164, 442ff, 454, 466, 469, 493f; nach Prädikationsweisen oder vom Verb her bestimmt 35, 438; S. als solches - b e stimmtes 441, 455, 507; S. im ausgezeichneten Sinn 86, 443; Indistinktheit des S. 451, 455f, 470f, 488f, 491ff, 495ff, 500, 508, 514ff, 521; Unterscheidung des S. 451f, 454f, 501; Besonderung des S. 433f, 439, 470f, 493, 512; S. - Widerspruchsprinzip 415; als Unterscheidungsprinzip 490f; S. - Nichtseiendes 141, 147, 149f, 157, 426, 440-444, 452f, 455, 470f, 483, 495ff, 503-506, 521; S. - Transzen dentalien 94, 100, 255, 343, 345, 347f, 422, 433-436, 440, 521; S. - Kategorien 433ff, 437, 440, 448; auf Bewußtsein bezogen 343, 348ff, 355-359, 394; als zuerst Erkanntes 292, 294, 344, 394f, 421, 432, 435, 437, 457, 470f, 482, 521f; steht für die Urteüsfunktion der Vernunft 439f, 442ff, 474f, 490-493, 498, 511; als durch Affirmation Be stimmtes 472, 492, 494ff; als Begriff vom Erkenntnisobjekt ü b e r h a u p t 130, 394f, 475, 481, 493, 495, 518; als Prinzip aller Bestimmungen 424, 432-439 Sein: aufgrund eines Interesses seinem Sinn nach bestimmt 105, 110; als Zweck 105, 110, 114f; das Gute bestimmend 104,
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114; d u r c h die Kategorien i n t e r p r e t i e r t 44f, 54, 437; äqui vok - analog aufgefaßt 35, 167ff; wesentliches - d u r c h Teilhabe 346; als Sinn von Aussagen ü b e r h a u p t 50f, 170f, 421f, 475, 508; als Kopula oder Wirklichkeit 37-40, 60f, 138, 422f, 443, 473f, 488f, 520; als Positivität und Beste hen 112, 159, 162, 164, 440, 443ff, 468, 518f; als Gegen ständlichkeit und Gegebensein 439f, 467, 473; S. - Einheit 518f; S. - Prinzipien 169f; S. - Nichtsein 362f; S. - Le ben - Erkennen 114; eigentümliches - bestätigendes 347f, 473; S. - Affirmation 480, 518; S. - Erkennen 80, 353; als Gedachtsein 149f, 159f, 163f, 354ff; veritatives 137f, 147ff, 154, 338ff; s . a . Selbständigkeit Seinsbegriff: auf Anschauung bezogen 423, 453, 521; positiv bestimmt 466, 494; widersprüchlicher 442f; an Begrenztheit orientiert 304; vernachlässigt Negationen 440f; S. - Wis senstheorie 434f; auf Vernunft und Urteilsformen bezogen 445, 472f, 496f; sich selbst differenzierend 512 Seinsmodus 433ff, 438f, 511f, s . a . Erkenntnisweise Selbständigkeit: Interesse an S. 105, 110; als Prinzipienkrite rium 13, 15f, 22f, 49f, 82ff, 9 1 , 172, 174, 217, 230, 432 Konsequenzen für die Analyse des Satzes 41, 52, 219, 462; als e r s t e r Sinn von Sein 5 1 , 62, 85f, 92f, 112, 114; S. Gutheit 104 Selbstbegründung 110 Selbstbewußtsein: als S t r u k t u r der Erkenntnis 331f, 334f; als Subjekt-Objekt-Identität 277, 386, 502; d u r c h Vergegen ständlichung 130f; im Allgemeinbegriff 252f; im Urteil 27, 336, 338, 502; natürliches 135, 150, 414; S. subjektiven Tuns 278, 384, 392, 395; S. der Erkenntnis 298f, 351, 355; S. d e r Vernunft 235, 387f; S. - Gegenstandserkennt nis 276f, 281-285, 336ff, 354, 387, 523; S. - B e g r ü n d u n g s folge 254, 259; S. - Zustimmung 402, 404; S. von Endlich keit 203ff; S. - Existenz 393; philosophischer Ansatz von S. 1 1 , 27f; s . a . Reflexion Selbstdurchsichtigkeit 257, 277, 298, 329 Selbsterhaltung 110, 113ff Selbstgenügsamkeit s . Autarkie Selbstliebe 114 Selbstverwirklichung 272ff Selbstwahrnehmung 277, 285 Sinn, innerer 248 Sinnendinge 290, 342 Sinnestäuschung 342 Sinnlichkeit 220, 289, 374, 413f, s . a . Wahrnehmung, Vorstel lung (Phantasma) Skeptizismus 387, 390 Sollen s. Gutes Späteres s . Früheres Species 168, 185, 194f, 313, 350f, 459, s . a . Genus
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species intelligibilis s . Form, intelligible Sprachbetrachtung 417ff, 439 Sprache 37, 140, 188, 255, 309, 367, 419f, s . a . Rede, Bedeu t u n g , Bestimmung Sprachgebrauch 185ff, 195f, 245, 314, 323f, 366, 389, 407 Stabilität 400ff, 405, 407, s . a . Unveränderlichkeit, Bestehen Staunen 334 S t r u k t u r s . ordo Subjekt (im Urteil): als bestimmte Identität 185, 311, 321ff, 516; S. von Urteilen überhaupt 508f, 511, 520; als Bezug auf den Gegenstand 337; S.-Eigenschaft 199, 213; letztes 313, 319, 513; Positivität des S. 157ff; negatives 141; s . a . Prädikat, Zugrundeliegendes Subjekt - Objekt: durch das Urteilen differenziert 336ff, 340, 502; abstrakt getrennt 112f, 123, 134; beim Sehen 408; als subjektiv beurteiltes Verhältnis 331, 334, 405; als Beein flussung des Subjekts 401, 404, 407; s . a . Erkenntnis Subjekt-Objekt-Identität 272, 274ff, 395, 399, 412, s . a . Selbstbewußtsein Subsistenz s . Bestehen Substantialität 134, 323, 384, 523, s . a . Selbständigkeit Substanz: Begriff der S. 49, 112, 305f, 317, 323, 390, 418; u n t e r ethisch-praktischem Aspekt 113ff; Prinzipialität/Frü hersein der S. 71f, 76, 172ff, 183, 222, 356, 384f, 400, 431; S. - Form des Urteils 51; als letztes Subjekt 324; erste - zweite 46f; Einzelheit der S. 47f, 86, 134, 220, 313, 369; Unbewegtheit der S. 105, 110, 400; S. - We sensbestimmung 48, 54, 169, 172, 183ff, 188, 225, 301, 315f, 389; als ens necessarium 67f Substanz-Akzidens-Verhältnis: als Anwendungsregel für das Grund-Folge-Verhältnis 428, 431; als Wertabstufung 110; wissenstheoretisch zu begründen 183f; auf Wahrnehmung bezogen 218ff; S. - Erkenntnisprozeß 313f; als einsinnige Abhängigkeit 46ff, 82, 321f; auf Aussagen und spezieller Semantik beruhend 46f, 5 1 , 54; S. - S a t z s t r u k t u r 162; a b s t r a k t e Unterscheidung und dingliche Zusammensetzung 77f, 80f; als Gegensatz und Beziehung im Urteil 63-69; als Modifikation d e r Substanz 67f, 76f, 300; Auflösung des S. 72-76; S. - Räumlichkeit 369, 372f; s . a . Inhärenz, Kat egorienschema Syllogismus s . Schluß synholon s. Ganzes System s . ordo systoichia s. Element tabula rasa 285f Täuschung s . Falschheit Tathandlung 503 Tatsache 125-128, 153, 162
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taxis s . Zuordnung techne 252 Teil s . Ganzes, Satz Teilhabe 95-102, 140, 166, 228, s . a . Zusammenhang Terminus - Satz/Urteü 41f, 46, 6 1 , 290ff, 394, 396f, 408f, 411, 451, 482, 500f, s . a . Bestimmung, Satz, Vorstellung (incomplexum) terminus medius s . Mittelbegriff Thematisierung 515 Theorie 1-4, 14f, 20ff, 6 1 , s . a . Philosophie, Reflexion thesis 222, 237, s . a . Prämissen ( e r s t e ) , Lage Thomasinterpretation XXIII-XXVIII, XXXI, 28ff Totalität 204f, s . a . Ganzes Transsubstantiation 372 Transzendentalien: als Begriffe von einem Gegenstand ü b e r haupt 88, 130, 165, 292f, 357f, 360, 364, 435, 513; als sprachliche V e r n u n f t s t r u k t u r XXXI, 330, 344, 419, 436, 444, 512, 514; als Formen d e r Bestimmungen in einem Ur teil 422, 439, 446, 476ff, 509f; als Momente des Unterscheidens und Identifizierens 482f, 513ff; Reflexivität d e r T. XXX, 482f, 514; Logik d e r T. 166f, 433ff, 512; logi sche Genesis d e r T. l00ff, 445f, 449, 463f, 512f, 515; Verhältnis d e r T. zueinander 94f, 178f, 343, 444, 515, 517, 522; Besonderung d e r T. 433f; als einfache Begriffs elemente 481ff, 500; als bloße Abstraktionen 455, 486f; als Hinsichten d e r Prinzipienfrage 169, 175f; als Prinzipien 166f, 173, 179, 375, 415f, 420, 480; als Termini d e r Prin zipien 396, 415f; Wissen d e r T. 279f, 292-295, 396f, 514; T. - logische Beziehungen 463, 512ff; T. - spezielle Sach bestimmungen 166f, 177f, 241, 415ff, 420, 425f, 430-434, 436, 482, 512; als analytische Prädikate 168, 175f, 178; T. - Genera/Kategorien 166f, 293, 375, 379f, 425, 431f, 441; T. - Substanz 168f, 172-177; als Vermittlung zwischen Substanz und Akzidenzen 68f; T. - Wahrnehmung 88, 255; Anwendungsbedingungen für T. 431f, 459f, 523f; bei Thomas XXIX, 167, 425 Transzendentalientheorie 362, 425, 439, 446, 459f, 463, 512, 520-524 Trinität 449 Übereinstimmung 343f, 355, 357, s . a . Konsens Überführung 120f Überzeugung 202, 385, 400, 402f Unbedingtes 204 Unbegrenztes 104 Unbestimmtes 309, 332, 451, 480, s . a . Indistinktes, Materie Unbestimmtheit 457, 499 Unbewegtheit s. Stabilität Undenkbares 444, 492f
551 Ungeschiedenheit 379 Ungewißheit 403, 405, s . a . Zweifel Universalienrealismus 164 Univokation 195ff Unmittelbares 478 Unmittelbarkeit: als theoretisches Prinzip XXVIIf, 418, 522; natürliche - logische 305; logische XXXI, 125ff, 188, 215, 223, 244f, 249, 318f, 322, 397; in der Wahrnehmung 247, 255; s . a . Einsicht, Selbständigkeit Unterscheiden 465, 490f, 494, 497f, 507, 509f, 518 Unterscheidung: Form d e r U. 453, 509; formale 376, 378; d u r c h Negation 344, 440, 486, 504ff; durch Affirmation und Ne gation 343, 345, 362, 375, 445, 467, 472, 497f, 505, 507; d u r c h Seiendes - Nichtseiendes 483, 511; durch Wider s p r u c h 507ff; durch Transzendentalien bedingt 514; setzt Identität voraus 465, 516 - aber nicht Seiende 467, 518; transzendentale Funktion d e r U. 505; b e g r ü n d e t Distinktes 467; bezieht sich auf Einfaches und Zusammengesetztes 476, 483, 485, 487; U. - Vielheit 449f, 452, 466f, 515, 517; aufgrund von gegebener Verschiedenheit 369f, 410, 489; d u r c h Wahrnehmung 254f, 413; s . a . Distinktion Unterschied: d u r c h Unterscheidung (Affirmation und Negation) 453ff, 461, 510; d u r c h Negation 452, 469; in intellektueller Anschauung 410; als Relation 46; qualitätsloser 362; U. Vielheit 450f, 466; s . a . Andersheit Unterschiedenes 474, 482, 501, 504, 507, 511, 514ff, 518 Unterschiedslosigkeit 500, s . a . Indistinktes Unveränderlichkeit 382, s . a . Stabilität, Bestehen Unvollkommenheit 349f, 356 Ursache 19, 128, 302f, 400f, s . a . Kausalität Urteil: als Synthesis 35, 68, 70f, 346, 422, 475; als Synthesis von zuvor Erfaßtem (apprehensum) 457, 476, 495; U. Begriff 196; als Synthesis und Affirmation/Negation 15lf, 154ff, 161, 492, 495, 498-501, 508, 511; als Affirmation 496f; als Gleichsetzung 64, 66f, 69; als Wahrheitsbehaup t u n g und Reflexion 27f, 148f, 266, 335ff, 340, 383, 390, 402, 502; U. - Falschheit 341f; als Aktivität d e r Seele 342, 348; analytisches - synthetisches 324, 396f, 408; als Aus sage schlechthin oder akzidentelle 322; Sein als Inbegriff der Funktion des U. 422, 488, 491; U. - Gegenstand 40, 60, 64ff, 70f, 80, 155, 158, 175, 219f, 309, 336-340, 348, 354; s . a . Satz, Terminus, Aussage Urteüsform 490ff, 494, 501f, 522 usia s . Substanz Variabilität 405, s . a . Werden Veränderung s. Werden Verbindlichkeit 229-232, 234, 405f Verbum: finîtes 35ff, 40-43, 52, 138, 174, 418, 443, 473, 488; im Infinitiv 51ff, 57; als Partizip 50-55, 59f, 474; t r a n s i tives 55f
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Verdichtung, logische 215 Vereinzelung 17, 358, s . a . Individuation Verflechtung s . Zusammenhang Vergegenständlichung 130, 164 Vergehen 109 Vergesellschaftung 17f, 114 Vergessen 261ff, 265, 267f, 428 Vergewisserung 335, 381, 383f, 387ff, 391-395, 522 Vermitteltheit 211, 223, 236, 321f Vermittlung, logische 127f, 249, 318-321, 430 Vermögen 286 Vernunft: als Prinzip von Begrenzung 304f, 320; Unendlichkeit der V. 244; göttliche - menschliche 112f, 203ff, 357, 414; apriorische 230-234, 294f, 330, 503, 522; intuitive 398, 443, 522f; praktische 3-10, 12, 16, 115, 248; praktische theoretische 303ff, 400; theoretische V. - Gegenstände 138, 274, 286f, 295, 359, 407; V. - Wahrheit/Falschheit 341; Selbstbewußtsein d e r V. 235, 275ff, 283, 329f, 381, 386ff, 393, 461f, 501f, 511; Selbstunterscheidung d e r V. 502; Faktum d e r V. 235; V. in den Seienden 304; Negativität der V. 271f, 274f, 285, 296, 332, 356, 444; Immaterialität der V. 272, 275f, 353f; Potentialität d e r V. 271f, 274, 281-285, 296; tätige (intellectus agens) 264, 286-291, 294ff, 351, 357, 413; Licht d e r V. 286ff, 399, 410ff, 414; als (bloße) Form 220, 282f, 287f, 291, 294, 296, 358; V. Wahrnehmung 248-251, 266f, 269-272, 281, 286, 288f, 291, 398; bei Thomas 391; s . a . Einsicht Vernunftbestimmung s . Begriff Vernunfteinheit 357, 393 Vernunftform 439, 502f, 514 Vernunftgegenstand 305f, 323, 394, 444, 456, 462; s . a . Wesen Vernunftzwecke 114 Verstand: V. - Gegenstände 19f, 57, 501; V. - Wille 18f, 129ff; V. - Vernunft 248f, 269f, 393; V. - Wahrnehmung 219f, 423; s . a . Diskurs, Diskursivität Verstandesdinge s. Gedankenbestimmungen Verstehen - Einsehen 396, 408f, 411, 432 Vervollkommnung 349, 356 Vielheit 250, 376, 449, 466f, 514f, 518f, s . a . Einheit Vokale 417 Vollkommenheit 349-352, 355, 358, 360 Vorbegriff 187, 189ff, 195f, 199f Vorbehalt 404 Vorstellung (incomplexum) 27, 30, 41f, 394, 397, 424, 457; s . a . Terminus Vorstellung (Phantasma) 26f, 30, 42, 288f, 294, s . a . Sinnlich keit Vorstellung - Sache 335 Vorwissen 190ff, 202f, 212ff, 227, 233f, 242, 244-247, 256ff, 261f, 264, 286
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Wahres 130f, 135ff, 147, 343, 355, 358 Wahrheit: W. - Schein 119; im Verstand oder in den Dingen 155; als Adäquation 24, 26f, 30, 135f, 151, 337, 348ff, 359, 386ff; als Implikation des Urteüs 26ff, 60, 148f, 184f, 191, 339, 342, 354, 502, 523; als Berühren 339; als Be währung 333; W. - Prinzipien 23ff, 135, 208, 223, 241, 329f, 335, 342; absolute 286, 288f, 291, 357; besondere 135f, 359; Tatsachenwahrheit - Vernunftwahrheit 24f, 128, 392f; W. - Erkenntnis 338; W. - Sein 23ff, 129, 339; als sekundärer Seinssinn 137f; s . a . Richtigkeit Wahrheitsanspruch 202, 226f, 286, 340, 405ff Wahrheitsbewußtsein 27f, 30, 151, 330, 335-338, 522 Wahrheitskriterium 333f, 386 Wahrheitssicherung s . Vergewisserung Wahrheitssuche 260ff, 268, 331 Wahrnehmung: theoretischer Stellenwert der W. 221, 381; als Schein 145, 163; Bedingungen d e r W. 88, 247, 255ff, 260, 264, 266, 294f; als "Vorwissen" 221, 246, 253, 256f, 263, 267, 278, 280f, 297, 301f; als unmittelbarer Anfang d e r Erkenntnis 247ff, 251f, 255, 266, 302; als Vermögen 246, 251f, 254, 267; W. - Gegenstand 219f, 247-250, 253, 256, 260, 269, 286, 302, 381f, 384; W. - E r k e n n t n i s i n h a l t 267f, 413; s . a . Erkenntnis Wahrnehmungsbewußtsein 163, 284f Wahrscheinliches 123f Wahrscheinlichkeit 406 Weisheit 112 Werden 73f, 93, 105, 228, 272, 274, 400; s . a . Bewegung Wert s . Gutes Wesen: Abgrenzbarkeit des W. 55, 184-188; als eigentümliches Vernunftobjekt 41f, 134f, 192f, 305f; W. - Sein 169, 345348; W. - Transzendentalien 168f, 177f; W. d e r Substanz der Akzidenzen 76-79; als Teil eines Agglomerats 74; von Naturdingen 291, 305, 316, 352f, 356 Wesensbegriff s. Definition Wesenserkenntnis 187, 190-194, 211f, 289, 352f, 396f, 408f; s . a . Definition, Erkenntnis Wesensprädikat 185f, 190ff, 301, 311-318, 322ff Widerlegung 120f, 231f, 234f, 307 Widerspruch 143, 154, 308, 311f, 403, 456, 463, 516; s . a . Un terscheidung Widerspruchsprinzip: als Prinzip aller Gewißheit 73f, 238, 394; einsinnig vorausgesetzt und unbeweisbar 85, 120; als d o x a , die die Metaphysik thematisiert 225, 230f, 387; dialek tisch aufweisbar 124, 232; transzendental e r k e n n b a r 233, 425; unanschaulich 408; W. - Bedeutungsidentität 308, 310, 389; W. - Substanz-Akzidens-Schema 310-313, 477 Wiedererinnerung 102, 260ff, 265, 278, 291, 331, 385 Wille 5, lOf, 103, 115, 130f, 285, 307f, 404, 406; s . a . Ver stand
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Wirklichkeit: W. - Denken 122f, 128f, 134, 149f, 155, 159-162, 336, 443, 464, 468f; als erfragte 125; W. - Vernunft 304, 355-358; W. - sprachlicher Ausdruck 37-40, 57, 59ff, 136f, 175, 348; durch Erfahrung definiert 144, 297; als Maßstab der Erkenntnis 57, 131, 135, 151, 289, 359; W. - Form 38ff, 282, 373, 469; positiv bestimmt 149, 159-163, 466, 468, 470; vollendete 228 Wissen: W. - Problematisieren, Meinen 116, 142f; als vollkom mene Erkenntnis 201; als gewisse Erkenntnis 381, 385, 392, 402, 407, 414; systematische Form des W. 203, 394, 397; W. aus Begründung 24f, 89, 98, 202, 204, 207, 223, 264, 285, 334ff; W. aus Beweisen 227f, 238, 245, 294, 299, 320; W. durch Beweis - von ersten Prämissen 209-212, 224f, 233, 247f, 250f, 259; als diskursive Erkenntnis 249; W. aufgrund von Prinzipien 25, 240f, 285ff, 302; W. auf grund von Ideen 87-90, 262, 265; W. als allgemeine E r kenntnis - Realitätsbewußtsein der Erfahrung 252, 298, 301; sprachliches 245f, 338; W. - Selbstbewußtsein 331; natürliches 268, 393; implizites 259, 263, 279; vergessenes 260-263, 268; endliches 208f, 248; Grenze des W. 269; d u r c h Erleuchtung 289; potentielles - aktuales - habituelles 259, 273f, 283f, 296; Anwendung von W. 261f, 265; s . a . Vorwissen Wissensanspruch 202, 207, 229 Wissensbegriff 119, 209, 247f, 259, 298f, 410, 458f Wissenschaft: Begriff d e r W. 224; Grundlagen d e r W. 117, 221, 225, 240; systematische Einheit jeder W. 392; Verbindlich keit der W. 229, 316; Lehrbarkeit der W. 382; W. - Logik 122; W. - Metaphysik 124f; Grenzen der einzelnen W. 238241; Verhältnis einzelner W. zueinander 85, 216f, 238 Wissensgegenstand 205, 208f, 216, 221, 298, 381, 384, 413 Wissensprozeß 257, 262, 280, 291, 315, 414; s . a . E r k e n n t n i s fortschritt Wissenstheorie: W. - Erkenntnistheorie 28f; W. - natürliches Bewußtsein 125, 128, 165, 200; W. - Substanzbegriff 183; bei Platon 261; bei Aristoteles 189, 204, 223, 226, 229f, 247, 257, 259, 316, 320, 334, 342, 383, 389f Zahl 376 Zeit 361, 363, 365, 367ff, 374 Zugleichsein 367f, 377 Zugrundeliegendes: als Begriff der Substanz 47, 220; Z. Akzidenzen 55f, 74; Z. - Relation 93; als Einzelnes 7 1 , 188, 308f; als Funktion der Aussage 131, 170, 174; Z . Wissen 313; logisch konstituiert 477f, 510, s . a . Subjekt Zuhandenheit 323 Zukommen 186, 213; s . a . Substanz-Akzidens-Verhältnis Zuordnung (taxis) 367f Zusammengesetztes: durch seine Teile bestehend 49f; d u r c h Ein faches begründet 480f, 487; aus Beziehungen resultierend
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132ff; für Erkenntnis unmittelbar 258; d u r c h eine Einheit e r k e n n b a r 378; aufgrund von Einfachem zu unterscheiden 369f, 450f, 454, 466; durch Unterscheidung verschieden 476 Zusammenhang 89ff, 96, 139, 262, 445; s . a . Teilhabe Zusatz s. Hinzufügung Zustimmung 148, 402-410, 412 Zweck 13f, 111-115, 303ff Zweckbegriff 10f Zweifel 381, 384f, 387, 391, 403, 405